ABHANDLUNGEN

KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN

ee

ZU GÖTTINGEN.

ACHTZEHNTER BAND. VOM JAHRE 1873.

MIT ACHT STEINDRUCKTAFELN UND EINER KARTE.

GOTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1813.

Mo. Bot. Garden,

401.

Vo5treude

Dieser achtzehnte Band der Schriften der Königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen enthält die in dem J. 1873 in den Sitzungen derselben vorgetragenen oder vorge- legten Abhandlungen. Die der Societät mitgetheilten kleineren Arbeiten sind in dem Jahrgange 1873 der ,Nachrichten von der K. Gesellschaft der Wissenschaften und der G. A. Universität“ veróffentlicht worden.

Das Directorium der Societüt ging zu Michaelis d. J. von dem Herrn Weber in der mathematischen Classe auf Herrn Ewald in der historisch - philologischen Classe über.

Von ihren auswürtigen Mitgliedern und Correspondenten verlor die Societüt in diesem Jahre durch den Tod:

Theodor Georg von Karajan in Wien, gest. am 28. April im 64 Lebensjahre. Ehrenmitglied.

Justus von Liebig in München, gest. 18. April im 70. Lebens- jahre. Mitglied der physik. Cl.

Gustav Rose in Berlin, gest. 15. Juli im 76. i Mitgl. der physik. Cl.

Christoph Hansteen in Christiania, gest. 15. April im 89. Le- bensjahre. Mitgl. der mathem. Cl.

Christoph Friedrich von Stälin in Stuttgart, gest. 12. August, im 68. Lebensjahre. Mitgl. der histor.-philol. Cl. |

a*

IV VORREDE.

Joh. Friedr. August Breithaupt in Freiberg, gest. 22. Sept. im 83. Lebensjahre. Correspondent der physik. Ol.

Johannes Brandis in Berlin, gest. 8. Juli im 43. Lebensjahre. Corresp. d. histor.-philol. Cl.

Carl Friedrich Naumann in Dresden, gest. 26. November im 77. Lebensjahre. Mitgl. der physik. Classe.

August De la Rive in Genf, gest. 27. November im 72. Le- bensjahre. Mitgl. d. physik. Classe.

Einem Rufe nach Wien folgend ist Herr C. Claus aus der Zahl der hiesigen ordentlichen Mitglieder ausgeschieden.

Zu Ehrenmitgliedern wurden erwühlt: Hr. Joachim Barrande in Prag. Hr. Gusseppe Fiorelli in Neapel. , Zu auswärtigen Mitgliedern: Hr. Eduard Frankland in London, phys. Classe. Hr. Otto Hesse in München, seither Corresp. math. Classe. Zu Correspondenten: Hr. Jean Servais Stas in Brüssel, phys. Classe. Hr. C. A. Bjerknes in Christiania, math. Classe. Hr. J. Thomae in Halle, math. Classe. Zum Assessor in der mathem. Classe: Hr. B. Minnigerode.

Die im Laufe des J. 1873 in den Sitzungen vorgetragenen oder vorgelegten Abhandlungen und kleineren Mittheilungen sind folgende:

Am 4. Januar.

Am 1. Februar.

Am 1. März.

VORREDE. V

Marx, Zur Beurtheilung des Arztes Chr. Fr. Paulliri. Bd. XVIIL,

Ewald, Ueber Erwerbung und Herausgabe Orientalischer Werke durch die K. Soc. d, Wiss. N. 1.!)

Claus, Zur Kenntniss des Baues und der Entwickelung von Branchipus stagnalis u. Apus cancriformis. Bd. XVIII. Listing, Ueber unsere jetzige Kenntniss der Gestalt und Grösse der Erde. N. 3.

Schering, Ueber Curven-Flächen und höhere Gebilde im verallgemeinerten Gauss'schen und Riemann’schen Raume N. 13.

Quincke, Corresp., über die Beugung desLichtes. N.22. Ihering, Zur Entwickelungsgeschichte des menschlichen Stirnbeins. (Vorgelegt von Henle). N. 5.

Rethy, Ueber ein Dualitäts-Prineip in der Geometrie des Raumes. (Vorgel. von Schering). N. 6.

Schering, Die Schwerkraft in mehrfach ausgedehnten Gauss’schen und Riemaun'schen Räumen. N. 133. Wieseler, Beiträge zur Symbolik der Griechen und Römer. N. 363.

Tollens, Ueber ein Parabansäure-Hydrat und über Schwe- felreaction vorm Löthrohr. (Vorgel. von Wöhler). N. 101. Nöther und Brill, Ueber die allgebraischen Functionen und ihre Anwendung in der Geometrie. (Vorgel. von Stern.) N. 116. |

: . Grenacher, Zur Entwickelungsgeschichte und Morphologie

der Cephalopoden. (Vorgel. von Claus) N. 107. Claus, Ueber die Abstammung der Diplophysen und über eine neue Gruppe von Diphyden. N. 257.

Benfey, Indogermanisches Particip Perfecti Passivi auf tua oder tva. N. 181.

1) N. bedeutet »Nachrichten von der K. Gesellsch. d. Wiss.« 1873, mit der

Seitenzahl.

VI Am 3. Mai. Am 14. Juni.

VORREDE.

Derselbe, Dionysos: Etymologie des Namens. N. 187. Klinkerfues, Ueber einen grossen Sternschnuppenfall aus dem J. 524 n. Chr. und seinen Zusammenhang mit zwei Cometen. N. 275.

Kohlrausch, Corresp., Ueber das elektrochemische Aequi- valent des Wassers. N. 262.

Noether, Ueber algebraische Functionen. (Vorgel. von

'Stern) N. 248.

Pischel, Ueber eine südindische Recension des Cákuntalam. (Vorgel. von Benfey.) N. 189.

Enneper, Ueber die Enveloppe einer Kugelfläche. N. 217. Marx, Kasper Hofmann, ein deutscher Kämpfer für den Humanismus in der Medicin. Bd. XVIII.

Müstenfeld, Zur Geographie des Gebietes von Medina. Bd. XVIII

Klinkerfues, Ueber Fixstern -Systeme, Parallaxen und Bewegungen. N. 339. -

Sturm, Ueber das Problem der räumlichen Oertlichkeit. (Vorgel. von Stern) N. 311.

Tollens, Ueber Monobromacrylsäure, Bibrompropionsäure und Diallyl. (Vorgel. v. Wöhler.) N. 320, 324 u. 330. A. Mayer, Corresp., Zur Integration der partiellen Dif- ferentialgleichungen erster Ordnung. N. 299.

Marx, Ueber Konrad Victor Schneider und die Katarrhe. Bd. XIX.

Waitz, Verlorene Mainzer Annalen. N. 388.

Benfey, Die Suffixe anti, dti und ianti, idti. N. 891. Derselbe, Ein Theil des ee Ardschi Bordschi und Stücke des Pantschatantra im Si lesiscl N. 404. Derselbe, Skizze einer Abhandlung über Augensprache, Mienenspiel, Gebärde und Stimmmodulation. N. 407. Klinkerfues, Nachtrag zur Methode der Parallaxenbe- stimmung durch Radianten. N. 460,

Am 23. Juli.

- Am 2. August.

VORREDE. VII

Enneper, Bemerkungen über die orthogonalen Flächen.

.N. 423.

Quincke, Corresp., Eine neue Methode Kreistheilungen zu untersuchen. N. 411.

Voss, 1. Ueber eindeutige Transformation ebener Curven. 2. Zur Geometrie der Flüchen. (Vorgel von Stern.) N. 414.

Bjerknes, Das Dirichletsche Kugel-Ellipsoid - Problem. (Vorgel. von Schering. N. 439.

Derselbe, Verallgemeinerung des Problems von dem ruhenden Ellipsoid in einer bewegten unendlichen Flüs- sigkeit. N. 448.

v. Brunn, Ueber das Vorkommen organischer Muskel- fasern in den Nebennieren. (Vorgel v. Henle.) N.421. Lolling, Beiträge zur Topographie von Athen. (Vorgel. mit Anmerkungen von Wieseler) N. 463.

Benfey, ásmrtadhrü Rigveda X. 61. 4. N. 519. Wieseler, Ueber einige im Orient erworbene Bildwerke und Alterthümer. N. 522.

Riecke, Ueber das Webersche Grundgesetz der elektr. Wechselwirkung in seiner Anwendung auf die unitarische Hypothese. N. 536.

v. Brunn, Zur Lehre von der Knorpel- Verknöcherung. (Vorgel. von Henle.) N. 551.

Voss, Zur Geometrie der Plückerschen Liniengebilde. (Vorgel. von Stern). N. 544.

P. du Bois- Reymond , Ueber die Fourierschen Reihen. (Vorgel. von Schering). N. 571.

Ewald, Ueber die Eintheilung der Babylonischen Mine in Sékel. N. 600.

Waitz, Ueber die Annales Sithienses. N. 587. Wieseler, Archäologischer Bericht über seine Reise nach dem Orient. Bd. XIX.

Am 1. Novbr.

Am 6. Decbr.

VORREDE.

Hübner, (in Gemeinschaft mit seinen Schülern), über eine Base aus Nitrobenzanilid, über die Xylidine aus Stein- kohlentheer, über Thihydrobenzoesäure, über Verbindungen der Nitrile mit den Aldehyden. N. 655.

Voss, Ueber die Geometrie der Brennflüchen von Con- gruenzen. (Vorgel von Stern.) N. 611. Minnigerode, Ueber eine neue Methode, die Pell’sche Gleichung aufzulösen. (Vorgel. von Schering) N. 619. Schering, Die Hamilton-Jacobische Theorie für Krüfte, deren Maass von der Bewegung der Kórper abhüngt. N. 744. u. Bd. XVIII.

Derselbe, Theorie der Poisson’schen Stórungsformeln. Bd. XIX.

Derselbe, Fundamentalsatz des Pfaff'schen Problems. N. 26. H. Ethé, Beitrüge zur Kenntniss der ültesten Epoche neupersischer Poesie. (Vorgel. von Ewald.) N. 663. Enneper, Bemerkungen zur allgemeinen Theorie der Flächen. N. 785.

Bjerknes, Verallgemeinerung des Problems von den Flüssigkeits-Bewegungen in einem ruhenden, unelastischen Medium, durch die Bewegungen eines Ellipsoids, (Vorgel. von Schering.) N. 829.

Hattendorf, Bemerkungen zu den Sturm'schen Functionen. N. 779.

Läroth, Ueber das Rechnen mit Würfen. (Vorgel, von Stern.) N. 767.

Tollens, Ueber Verbindungen von Am ylum mit Alkali. N.762,

Derselbe, (mit v. Grote,) Ueber eine aus Rohrzucker durch verdünnte Schwefelsäure entstehende Säure. N. 159. Derselbe, (mit Wagner und Philippi) Untersuchungen über die Allyl-Gruppe. (Vorgel. von Wóhler) N. 754. Feier des Stiftungstages der K. Societät und J ahresbericht. N. 805.

VORREDE. IX

‚Ewald, Ueber den sogenannten orientalischen Redeschwulst. N. 810.

Benfey, Einleitung in die Grammatik der vedischen Sprache. (Bd. XIX.)

Reinke, Ueber die Function der Blattzähne und die morphologische Werthigkeit einiger Laubblatt-Nectarien. (Vorgel. von Wöhler). N. 822.

Die für den November d. J. von der mathematischen Classe

gestellte Preisfrage hat keinen Bearbeiter gefunden.

Für die nächsten Jahre werden von der K. Societät folgende

Preisfragen gestellt: : Für den November 1874 von der historisch-philolo- gischen Classe:

Für die weitere Fortbildung der Sprachwissenschaft sind jetzt zwei Momente von besonderer Erheblichkeit. Zunächst gilt es das Spiel und die Wechsel- wirkung der sprachschaffenden und entwickelnden Krüfte, deren Wirkungen in der Analyse der alten erstorbenen Sprachen erkannt sind, in den lebendigen Sprachen zur vollen Anschauung zu bringen. Dazu werden diejenigen lebenden Sprachen die besten Dienste leisten, welche mit alten, sorgfältig durchforschten, eng verwandt sind. Ferner gilt es seine ganze Aufmerksamkeit auf die Erfor- schung des Verhältnisses zu wenden, in welchem die Sprachen eines Astes, oder Stammes, zu einander stehen, was sie von der ihnen zunüchst zu Grunde liegenden

Sprache bewahrt, was eingebüsst, was neugestaltet, welchen Mitteln und Einflüssen - diese Neugestaltungen verdankt werden, mit einem Worte: was allen Sprachen eines Astes, den Aesten eines Stammes, gemeinsam und was den besonderten besonders eigen sei, was auf dem Grunde der gemeinsamen Unterlage die be- sondre Eigenthümlichkeit der Aeste und ihrer Sprachen bilde, Dadurch wird

‚es möglich zu bestimmen, welche Stelle jede der besonderten Sprachen in dem Sprachkreis einnimmt, zu welchem sie gehört.

Zu derartigen Forschungen scheint die Sprache der Kurden besonders geeignet zu Sei. Sie ist mit den übrigen eranischen Sprachen so eng verschwistert, dass

‚sie nicht allein. fähig ist, Licht von ihnen zu. empfangen, sondern auch auf sie zurückzuwerfen; zugleich wird es möglich sein durch eingehende Vergleichung mit

X | . VORREDE.

den verwandten Sprachen die Stelle zu bestimmen, welche sie im Kreise derselben einzunehmen berechtigt ist. : Diese Erwügungen haben die Königl. Ges. d. Wiss. bewogen, aufzufordern

zu der Bearbeitung einer: Grammatik der Kurdischen Sprache in Vergleich mit dem Altbactrischen und den persischen Sprachen (dem Altpersischen der Keilinschriften, dem Mittelpersischen ] Päzendischen] und Neupersischen sammt dessen schon bekannten Dialekten), insbesondre um die Stellung derselben im eranischen Sprachkreise genauer zu bestimmen. Gewünscht wird auch die Berücksichtigung des Armenischen, doch wird diess nicht als unumgänglich gefordert.

Für den November 1875 von der physikalischen Classe: Um der Lösung der Frage näher zu kommen, unter welchen Bedingungen die in den Erzgängen vorkommenden krystallisirten Schwefel- und Fluor-Verbindungen entstanden sind, wünscht die K. Societüt über die künstliche Darstellung solcher -krystallisirter Mineralien, wie lichtes und dunkles Rothgiltigerz, Spródglaserz, Fahlerz, Bleiglanz, Flussspath, Versuche angestellt zu sehen. Für den November 1876 von der mathematischen Classe: Nachdem die von Siemens dargestellten Widerstandsmaasse und Widerstands- skalen allgemeinere Verbreitung und Anwendung gefunden, und dieselben von Kohlrausch mit grosser Sorgfalt und Genauigkeit auf absolutes Maass zurück- geführt worden sind (siehe Poggendorffs Annalen 1873. Supplementband VI), ist es möglich geworden, auch die Stromarbeit nach absolutem Maasse genau zu bestimmen. Die Königliche Societät verlangt nun eine Untersuchung über Strom- arbeit, d. i. über die von den elektromotorischen Kräften durch ihre Wirkung

Die Concurrenzschriften müssen vor Ablauf des Septembers der bestimmten Jahre an die K. Gesellschaft der Wissenschaften portofrei eingesandt sein, begleitet von einem versiegelten Zettel, welcher den Namen und Wohnort des Verfassers enthält und auswendig mit dem Motto zu versehen ist, welches auf dem Titel der Schrift steht. ;

VORREDE. XI

Der für jede dieser Aufgaben ausgesetzte Preis betrügt

funfzig Ducaten. ! * * *

Die von dem Verwaltungsrath der Wedekind'schen Preisstif- tung für deutsche Geschichte gestellten Aufgaben für den dritten Verwaltungszeitraum, d. i. für die Zeit vom 14. Mürz 1866 bis zum 14. März 1876, sind in Nr. 9 Seite 265 der „Nachrichten“ von 1873 wiederholt bekannt gemacht worden.

Góttingen, im December 1873. F. Wöhler.

b*

XII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER

Verzeiehniss der Mitglieder der

Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen Januar 1874. |

Ehren-Mitglieder. Peter Merian in Basel, seit 1862, Adolph von Warnstedt in Göttingen, seit 1867. Johann Jacob Baeyer in Berlin, seit 1867. Freiherr F. H. A. von Wangenheim auf Waake, seit 1868. Graf Sergei Stroganoff in St. Petersburg, seit 1870. Ignatz von Döllinger in München, seit 1872. Michaele Amari in Florenz, seit 1812. Joachim Barrande in Prag, seit 1873, Giuseppe Fiorelli in Neapel, seit 1813.

Ordentliche Mitglieder.

Physikalische Classe. C. F. H. Marx, seit 1833. F. Wöhler, seit 1837. Beständiger Secretair seit 1860. F. Gottl. Bartling, seit 1843. A. Grisebach, seit 1851. F. G. J. Henle, seit 1853. W. Sartorius von Waltershausen, seit 1856. G. Meissner, seit 1861.

Mathematische Classe. W. E. Weber, seit 1831. de G. C. J. Ulrieh, seit 1845. J. B. Listing, seit 1861. M. Stern, seit 1862,

E. Schering, seit 1862. (Zuvor Assessor seit 1860).

DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN.

Historisch- philologische Classe.

H. Ewald, seit 1833.

C. Hoeck, seit 1841.

G. Waitz, seit 1849.

H. F. Wüstenfeld, seit 1856. (Zuvor Assessor, seit 1841.) H. Sauppe, seit 1857.

° J. E. Wappüus, seit 1860. (Zuvor Assessor, seit 1851.) Th. Benfey, seit 1864.

F. Wieseler, seit 1868.

H. Brugseh, seit 1869.

G. Hanssen, seit 1869.

Assessoren.

Physikalische Classt. E. F. G. Herbst, seit 1835. C. Boedeker, seit 1857. C. von Seebach, seit 1864. W. Krause, seit 1865. W. Henneberg, seit 1867. H. Hübner, seit 1871. W. Marmé, seit 1871.

Mathematische vem E. F. W. Klinkerfues, seit 1855. A. Enneper, seit 1865. E. Riecke, seit 1872. B. Minnigerode, seit 1873.

Historisch philologische Classe, A. Fick, seit 1869. | Auswürtige Mitglieder.

Physikalische Classe. Carl Ernst von Baer in St. Petersburg, seit 1851.

Jean Baptiste Dumas in Paris, seit 1851. (Zuvor Correspondent, seit 1849.)

Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin, seit 1851. Ernst Heinrich Weber in Leipzig, seit 1851.

XIII

XIV VERZEICHNISS DER MITGLIEDER

Robert Bunsen in Heidelberg, seit 1855.

Elie de Beaumont in Paris, seit 1855.

Louis Agassiz in Boston, seit 1859.

Richard Owen in London, seit 1859.

Adolf Brongniart in Paris, seit 1860.

August Wilh. Hofmann in Berlin, seit 1860.

H. Milne Edwards in Paris, seit 1861.

Hermann Kopp in Heidelberg, seit 1863. (Zuvor Corresp., seit 1855.)

Carl Theodor von Siebold in München, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1850.) Michel Eugène Chevreul in Paris, seit 1865.

Joseph Dalton Hooker zu Kew bei London, seit 1865.

Theod. Ludw. Wilh. Bischoff in München, seit 1866, (Zuvor Corresp., seit 1853.) Hermann Helmholtz in Berlin, seit 1868. (Zuvor Corresp., seit 1859.)

Henri Sainte Claire Deville in Paris, seit 1869. (Zuvor Corresp., seit 1856.) Franz von Kobell in München, seit 1870. (Zuvor Corresp., seit 1861.)

Anton Schrötter Ritter von Kristelli in Wien, seit 1870. (Zuv. Corr., seit 1856.) Ernst Heinrich Carl von Dechen in Bonn, seit 1871. | Carl Claus, seit 1873. (Zuvor hies. ordentl. Mitgl. seit 1871.)

Eduard Frankland in London, seit 1873.

Mathematische Olasse.

U. J. Leverrier in Paris, seit 1846.

P. A. Hansen in Gotha, seit 1849.

George Biddel Airy in Greenwich, seit 1851.

Charles Wheatstone in London, seit 1854.

Joseph Liouville in Paris, seit 1856.

E. Kummer in Berlin, seit 1856. (Zuvor Corresp., seit 1851.)

F. E. Neumann in Königsberg, seit 1856.

Henri Victor Regnault in Paris, seit 1859.

William Hallows Miller in Cambridge, seit 1859. _

Edward Sabine in London, seit 1862. (Zuvor Corresp., seit 1823.)

Richard Dedekind in Braunschweig, seit 1862. (Zuvor Corresp., seit 1859.) Aug. Robert Kirchhoff in Heidelberg, seit 1862.

Heinrich Wilhelm Dove in Berlin, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1849.) Johann Christian Poggendorff in Berlin, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1854.) William Thomson in Glasgow, seit 1864. - ger Corresp., seit 1859.) Ferdinand Reich in Freiberg, seit 1864.

DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XV

Heinrich Buff in Giessen, seit 1865. (Zuvor Corresp., seit 1842.)

Carl Weierstrass in Berlin, seit 1865. e Corresp., seit 1856.) Enrico Betti in Pisa, seit 1865.

Leopold Kronecker in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1861.)

Friedr. Wilh. August Argelander in Bonn, seit 1868. (Zuvor Corresp., seit 1864.) Carl Neumann in Leipzig, seit 1868. (Zuvor Corresp., seit 1864.)

Francesco Brioschi in Mailand, seit 1870. (Zuvor Corresp., seit 1869.)

Arthur Cayley in Cambridge, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1864.)

Otto Hesse in München, seit 1873. (Zuvor Corresp., seit 1856.)

Historisch - philologische Classe.

G. H. Pertz in Berlin, seit 1857.

Frangois Guizot in Paris, seit 1841.

Leopold von Ranke in Berlin, seit 1851.

Justus Olshausen in Berlin, seit 1853.

Christian Lassen in Bonn, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1850.)

Georg Friedr. Schómann in Greifswald, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1850.) Gottfried Bernhardy in Halle, seit 1860, (Zuvor Corresp., seit 1854.) Friedrich Ritschl in Leipzig, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1854.) Samuel Bireh in London, seit 1864.

Friedrich Diez in Bonn, seit 1864.

Theodor Mommsen in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1857.) Richard Lepsius in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1860.)

Ernst Curtius in Berlin, seit 1868. (Zuvor hies, ord. Mitglied, seit 1856), George Bancroft in Berlin, seit 1868.

Franz Miklosich in Wien, seit 1868.

Ludolf Stephani in St. Petersburg, seit 1869. ! Wilhelm von Giesebrecht in München, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1863.) Moritz Haupt in Berlin, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1857.)

Carl Hegel, in Erlangen, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1857.)

Heinrich von Sybel in Bonn, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1863.) Johann Nicolaus Madvig in Kopenhagen, seit 1871.

Rudolph Roth in Tübingen, seit 1872. (Zuvor Corresp., seit 1853.)

August Dillmann in Berlin, seit 1872. (Zuvor Corresp., seit 1857.)

Sir Henry Rawlinson in London, seit 1872.

XIV x VERZEICHNISS DER MITGLIEDER

Correspondenten.

Physikalische Classe.

E. Eichwald in St. Petersburg, seit 1841.

Robert Willis in London, seit 1844,

Hermann Stannius in Rostock, seit 1850.

Theodor Schwann in Lüttich, seit 1853.

Theodor Scheerer in Freiberg, seit 1853.

Wilhelm Duncker in Marburg, seit 1853.

L. Zeuschner in Warschau, seit 1857.

Johannes Hyrtl in Wien, seit 1859.

Nieolai von Kokscharow in St. Petersburg, seit 1859. Rudolph Leuckart in Leipzig, seit 1859,

Alfred Wilh. Volkmann in Halle, seit 1860.

F. H. Bidder in Dorpat, seit 1860.

Carl Schmidt in Dorpat, seit 1860.

F. €. Donders in Utrecht, seit 1860.

. Joh. Jap. Sm. Steenstrup i in Kopenhagen, seit 1860. Bernhard Studer in Bern, seit 1860.

Heinrich Limpricht in Greifswald, seit 1860: so Assessor, seit 1857.) Ernst Brücke in Wien, seit 1861.

Emil du Bois Reymond in Berlin, seit 1861. Alexander Braun in Berlin, seit 1861.

Carl Ludwig in Leipzig, seit 1861. -

Archangelo Scacchi in Neapel, seit 1861.

Quintino Sella in Rom, seit 1861.

Thomas H. Huxley in London, seit 1862.

Albert Kólliker in Würzburg, seit 1862, : Ferdinand Römer in Breslau, seit 1862,

Charles Upham Shepard in Amherst, V. St., seit 1862. Heinrich Credner in Halle, seit 1863.

Alexander Ecker in Freiburg, seit 1863.

Bernhard von Cotta in Freiberg, seit 1864.

Alvaro Reynoso in Havanna, seit 1865.

Ferdinand Müller in Melbourne, seit 1867.

Anton Geuther in Jena, seit 1867.

A. L. Deseloizeaux in Paris, seit 1868.

DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XVII

Asa Gray in Cambridge, V. St., seit 1868.

Jean Charles Marignae in Genf, seit 1868.

Alex. Theodor von Middendorff auf Hellenorm bei Dorpat, seit 1868. Adolph Wurtz in Paris, seit 1868.

William Sharpey in London, seit 1868.

August Kekulé in Bonn, seit 1869.

Robert Mallet in London, seit 1869.

Wilhelm Hofmeister in Tübingen, seit 1870.

Carl Friedrich Rammelsberg in Berlin, seit 1870. Friedrich Hessenberg in Frankfurt a. M., seit 1871. Adolf Erik Nordenskjöld in Stockholm, seit 1871. Anton de Bary in Strassburg, seit 1812.

Eduard Pflüger in Bonn, seit 1872.

Wilh. Philipp Sehimper in Strassburg, seit 1872. Max Schultze in Bonn, seit 1872.

J. S. Stas in Brüssel, seit 1873.

Mathematische Classe. A. Quetelet in Brüssel, seit 1837. Humphrey Lloyd in Dublin, seit 1843. C. A. F. Peters in Altona, seit 1851. John Couch Adams in Cambridge, seit 1851. Thomas Clausen in Dorpat, seit 1854. Ludwig Seidel in München, seit 1854. Georg Rosenhain in Kónigsberg, seit 1856. Peter Riess in Berlin, seit 1856. John Tyndall in London, seit 1859. Charles Hermite in Paris, seit 1861. Julius Schmidt in Athen, seit 1862. Carl Wilhelm Borchardt in Berlin, seit 1864. Andreas von Ettingshausen in Wien, seit 1864. Wilhelm Gottlieb Hankel in Leipzig, seit 1864. Moritz Hermann von Jacobi in St. Petersburg, seit 1864. Philipp Gustav Jolly in München, seit 1864. Carl Hermann Knoblauch in Halle, seit 1864. Georg Gabriel Stockes in Cambridge, seit 1864. James Joseph Sylvester in Woolwich, seit 1864.

XVIII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER

Heinrich Eduard Heine in Halle, seit 1865.

Rudolph Jul. Emanuel Clausius in Bonn, seit 1366. Erik Edlund in Stockholm , seit 1866.

Georg Quineke in Würzburg, seit 1866.

Charles Briot in Paris, seit 1867.

Benj. Apthorp Gould in Cambridge, V. S., seit 1867. Rudolph Lipschitz in Bonn, seit 1867.

Benjamin Peirce in Cambridge, V. St., seit 1867. Siegfried Aronhold in Berlin, seit 1869.

E. B. Christoffel in Strassburg, seit 1869.

Luigi Cremona in Mailand, seit 1869.

Wilh. Theod. Bernhard Holtz in Berlin, seit 1869. George Salmon in Dublin, seit 1869.

H. A. Schwarz in Zürich, seit 1869.

Friedrich Kohlrausch in Darmstadt, seit 1870. (Zuvor Assessor seit 1867.) Paul Gordan in Giessen, seit 1870

Hermann Grassmann in Stettin, seit 1871.

Ludwig Schlaefli in Bern, seit 1871.

Arthur Auwers in Berlin, seit 1871.

Felix Klein in Erlangen, seit 1872.

Sophus Lie in Christiania , seit 1872.

August Mayer in Leipzig, seit 1872.

C. A. Bjerknes in Christiania, seit 1873.

J. Thomae in Halle, seit 1873.

Historisch - philologische Classe. F. E. G. Roulez in Gent, seit 1841. Adolph Fried. Heinr. Schaumann in Hannover, seit 1853. J. G. Droysen in Berlin, seit 1857. Wilh. Henzen in Rom, seit 1851. G. C. F. Lisch in Schwer seit 1857. A. B. Rangabé in Athen, seit 1857. B. von Dorn in St. Petersburg, seit 1859. L. P. Gachard in Brüssel, seit 1859. Johann Gildemeister in Bonn, seit 1859. Franz Palaeky in Prag, seit 1859. Theodor Bergk in Bonn, seit 1860. Carl Bóttieher in Berlin, seit 1860.

DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XIX

Georg Curtius in Leipzig, seit 1860.

K. Lehrs in Kónigsberg, seit 1860.

Giovanni Battista de Rossi in Rom, seit 1860. Leonhard Spengel in München, seit 1860. Heinrich Ludolph Ahrens in Hannover, seit 1861. Carl Ludwig Grotefend in Hannover, seit 1861. Max Müller in Oxford, seit 1861.

Arnold Schäfer in Bonn, seit 1861.

Friedr. Ferdin. Carlson in Upsala, seit 1863. Martin Haug in München, seit 1863.

Ludwig Lange in Leipzig, seit 1863.

Theodor Nöldeke in Strassburg, seit 1864. (Zuvor Assessor, seit 1860.) Hermann Bonitz in Berlin, seit 1865.

Jacob Burckhardt in Basel, seit 1865.

Adolph Kirchhoff in Berlin, seit 1865.

" Leo Meyer in Dorpat, seit 1865. (Zuvor Assessor, seit 1861.) Matthias de Vries in Leiden, seit 1865.

Wilhelm Wattenbach in Berlin, seit 1865. Jean de Witte in Paris, seit 1865.

Leopold Vietor Delisle in Paris, seit 1866. Julius Ficker in Innsbruck, seit 1866.

Jacob Bernays in Bonn, seit 1867.

Ernst Dümmler in Halle, seit 1867.

Wilhelm Nitzsch in Berlin, seit 1867.

William Nassau Lees in Calcutta, seit 1868. Theodor Sickel in Wien, seit 1868.

William Wright in London, seit 1868.

Theodor Aufrecht in Edinburg, seit 1869. Alfred Ritter von Arneth in Wien, seit 1870. Ulrieh Kóhler in Strassburg, seit 1871.

Ludwig Müller in Kopenhagen, seit 1871.

Carl Müllenhoff in Berlin, seit 1871.

E. A. Freeman zu Somerleaze, Engl, seit 1872, M. J. de Goeje in Leiden, seit 1872.

Giulio Minervini in Neapel, seit 1872.

William Stubbs in Oxford, seit 1872.

IR RB UTE

Vorrede. Verzeichniss der Mitglieder der Königl. Gesellschaft der Wissen- schaften zu Göttingen. Januar 1874.

Physikalische Classe.

K. F. H. Marz, zur. Erinnerung der ärztlichen Wirksamkeit Hermann Conrings.

K. F. H. Mara, zur Beurtheilung des Arztes Chr. F. Paullini.

C. Claus, zur Kenntniss des Baues und der Entwickelung von Branchipus stagnalis und Apus cancriformis.

K. F. H. Marx, Kaspar Hofman, ein deutscher Kümpfer für den Humanismus in der Medicin.

Mathematische Classe. E. Schering, Hamilton-Jacobische Theorie für Kräfte , deren Maass von der Bewegung der Kórper abhüngt.

Historisch-philologische Classe.

G. Waitz, die Formeln der Deutschen Königs- und der Rö- mischen Kaiser - Krönung vom zehnten bis zum zwölften Jahrhundert.

F. Wüstenfeld, das Gebiet von Medina.

Seite III

XII

54

141

ABHANDLUNGEN

DER PHYSIKALISCHEN CLASSE

DER KÖN IGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN

ZU GÖTTINGEN.

ACHTZEHNTER BAND.

` Phys. Classe. XVII. x

Zur Erinnerung der ärztlichen Wirksamkeit Herman Conring's.

Von - Dr. K. F. H. Mara.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissensehaften am 7. December 1872.

S L

Ist es verlockend geniale Naturen und epochemachende Entdeckungen zu schildern, um durch das Ideale zu begeistern und durch die hóchsten Vorbilder Herz und Verstand zu erwürmen und zu erstarken, so ist es Verpflichtung der Dankbarkeit von solchen Menschen und Werken nähere Kunde zu ertheilen, welche zwar nicht das Grösste, aber Grosses zu Stande brachten, bewiesen, was Kraft und Thätigkeit im Dienste höherer Zwecke vermögen; die zur Nacheiferung anspornten und durch ihre Anleitungen wie Vorarbeiten veranlassten, dass dauernd Fortschritte für das Gesammtwohl geschehen.

Da wunderbare Gaben und Leistungen seltne Vergünstigungen des Schicksals sind, wobei Verdienst mit Glück geeinigt erscheint, so hat das Bedeutende, als Folge tüchtiger Bemühung und consequenten Fleisses, keinen geringeren Werth.

Verlangt die Gerechtigkeit, dass das Andenken an ausgezeichnete Individuen, wenn sie auch nicht für alle Zeiten, doch für ihre Zeit viel wirkten , bewahrt werde, so darf das an Herman Conring nicht un- beachtet bleiben. ,

Von ihm, der ruhmbekrünzt eine lange Reihe von Jahren nicht blos eine Zierde der Universitit Helmstedt, sondern Deutschlands War, wissen die Rechtsgelehrten , Politiker, Theologen, mehr als die Aerzte. Doch auch diese sollten nicht vergessen, was er, unter keineswegs er- munternden Zeitumständen, zur Entwicklung verschiedener Wissenszweige

A2

4 K. F. H. MARX,

der theoretischen und praktischen. Medicin beitrug, und wie er, im an- gestrengten Streben, die Ergebnisse vergangener Zeiten mit Sachkenntniss und klarem Blicke zu verbinden, selbstündiger, gründlicher Forschung Bahn brach.

S. 2.

Das 17te Jahrhundert war für die besseren Aerzte Deutschlands eine Zeit des Kampfes, aber auch des Sieges. Im Organismus des Staats wie der Doctrin drüngten die innersten Bewegungen zur Krise.

Durch die gewaltigen Anstrengungen, das religiöse Bekenntniss von den Satzungen Roms zu befreien, war der 30jührige Krieg entstanden. Mit seinem Ende, dem Westfälischen Frieden (1648), bildete sich wenig- stens insofern eine Religionsverfassung, als die Macht der Hierarchie beschrünkt, Verfolgung und Bedrückung in Betreff des Bekenntnisses verhindert wurden. |

Man fühlte, wie nothwendig es sey, die Gebiete des Glaubens und Wissens zu trennen; man lernte immer mehr erkennen, dass Einsicht in die Gesetze der Natur nicht durch Deduction aus metaphysischen Prinzipien, sondern dureh Induction, durch sorgfältige empirische For- schung, erlangt werden, und dass man, um wahre, heilbringende Resultate zu gewinnen, der blossen Speculation, sowie träumerischen Vorstellungen, entsagen müsse.

Trotz dieser immer mehr auftauchenden Einsicht behauptete sich in Sachen des medicinischen Treibens hartnäckig die Auctorität; ein rein objectives, von geltenden Schulmeinungen unabhängiges, Streben ge- hörte zur Seltenheit und wurde angefeindet. Die Erklärung der natür- . lichen Erscheinungen, wie das therapeutische Verfahren, richteten sich weniger nach selbstgewonnenen Erfahrungen als nach traditionellen An- gaben; die Aussprüche der Alten, gröstentheils noch für unfehlbar ge- halten, nicht eigene Beobachtungen und Versuche, entschieden.

Selbst die einflussreichsten Männer, wie z.B. Daniel Sennert !),

1) Als in Wittenberg die Pest grassirte, schrieb Conring am 24. Juni 1637 an

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 5

schwankten zwischen selbständiger Prüfung und gebotenen Meinungen, zwischen fester Ueberzeugung und Aberglauben.

Die physiologischen und pathologischen Ansichten des scharfsinnigen, aber unklaren und absonderlichen J. Baptist van Helmont, sowie die gewinnenden Lehren des reich begabten F. Sylvius de le Boé von dem physikalischen Verhalten der Süfte und der festen Theile, den Schürfen und den auf Chemiatrie gegründeten therapeutischen Vorschriften, galten solange als Leitsterne der Medicin, bis eine gróssere Kenntniss von dem Bau und den Verrichtungen des Körpers eine geläuterte praktische Anwendung gestatteten.

Neue Bahnen der Forschung schufen und betraten Fr. Bacon [T 1626), Jo. Kepler [t 1630], Fr. Sanchez [t 1632], G. Fabricius Hildanus 2) [+ 1634), S. Sanctorius [11636], Casp. Hofman [+ 1648], W. Harvey (1 1657), Joachim Junge [+ 1657], Thom. Bartholinus [t 1680], Rob. Boyle [+ 1691).

Unter diesen Bannerträgern einer selbstgewählten strengen Unter- suchung und vorsichtigen Prüfung befand sich auch H. Conring.

S. 3.

Zur Ausbreitung freier Gesinnungen und grösserer Bildung trug in Deutschland die wachsende Zunahme der Hochschulen viel bei. Schon der Umstand, dass an zerstreuten Orten die Gesammtheit der Studien gelehrt und empfohlen wurde, weckte ein geistiges Interesse und regte zur Theilnahme an.

Dadurch dass die einzelnen Fürsten stolz darauf waren, Sitze der Universitas scholarum zu gründen, solche als Zierden ihres Landes hoch hielten, andere, im Wetteifer des Ruhmes, zu übertreffen suchten, ge- langten selbst kleine Universitüten zu hoher Bedeutung und müchtigem

ihn: doch ja Sorge $, tragen sich zu erhalten , da es an ärztlichen Bauherrn (deyızswrovixoig), wie er und Caspar Hofmann, in Deutschland mangle.

2) In der Stelle, wo Conring die verdienten Münner um die Heilung der Krank- heiten aufführt, wie Wierus, Forestus, Schenck, Plater, Ballonius, G. Horst, N. Tulpius nennt er auch Fabricius aus Hilden mit den Worten: quorum ego nunquam soleo sine tacita gratiarum actione meminisse (Opp. VI. 358).

6 K. F. H. MAR X,

Einfluss. Sie wurden nicht bloss für die heranreifende Jugend anziehende Bildungsanstalten, sondern Pflanzstütten grosser Münner.

Nachdem im Jahre 1575 Helmstedt vom Herzog Julius von Braun- schweig gestiftet wurde, folgten 1576 Altdorf, 1582 Würzburg, 1585 Bamberg, 1607 Giessen, 1616 Paderborn, 1621 Rinteln, 1622 Salzburg, 1654 Herborn 1655 Duisburg, 1665 Kiel, 1673 Innsbruck, 1694 Halle.

Gleichviel, ob die einzelnen eine allgemeine oder eine engere wissen- schaftliche Richtung vertraten, alle trugen sie das ihrige bei, dass in steigender Progression Aufklürung verbreitet, der Eifer für hóhere Cultur unterstützt und die Behandlung der Berufsgegenstünde sachgemässer betrieben wurde.

S. 4,

Die protestantische Universität Helmstedt sollte, nach dem Willen ihres Stifters, zunächst eine Eintracht unter den streitenden Lutheranern erwirken, allein nicht minder mithelfen , dass die Erwerbung gelehrter Kenntnisse den Zöglingen erleichtert und dem Staate eine gehörige An- ‘zahl tüchtiger Beamten erzogen würden. E

Wie sehr man darauf sah den Lernenden die Grundbedingungen wahrer Bildung einzuprügen, das geht schon daraus hervor, dass, nachdem für den Unterhalt der Unbemittelten reichlich gesorgt war, statutenmässig festgesetzt wurde: die Stipendiaten aus allen Facultüten sollten immer erst „zwei Jahre lang in Humanioribus wohl studieren.“ ۰

Der hervorragendste unter den. Humanisten war Johann Caselius aus Göttingen [geb. 1533 + 1613), Lieblingsschüler von Melanchton und Camerarius. | | | | Unter den mit glücklicher Auswahl 1592 Berufenen verdient be- sonders genannt zu werden der Professor der Logik Cornelius Martini aus Antwerpen, (geb. 1568 + 1621] ein Mann von universellem Wissen, die Medicin nicht ausgeschlossen, geistreich und witzig.

Als ihm ein lateinisches Spottgedicht auf die gekrünten Poeten in die Hände fiel und er erfuhr, dass dasselbe von einem 14 jährigen Jüng- ling, dem Sohne des Pfarrers Conring zu Norten in Ostfriesland, herrührte,

ZUR ERINNERUNG DER ARZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 7

schrieb er an den Vater, mit dem Gesuche, ihm seinen hoffnungsvollen Sohn zur weiteren Ausbildung anzuvertrauen. Der Vater ging willig darauf ein, und so kam Herman 1620 in das Haus seines Beschützers.

8. 5.

Die gedruckten zugänglichen biographischen Notizen über Herman Conring sind so dürftig, dass es, bei noch so sorgfältiger Durchsicht und Vergleichung derselben, nicht gelingt eine genügende Darstellung seines Lebens zu liefern; manche Angaben bleiben zweifelhaft, viele Fragen unbeantwortet.

Es ist schwer zu begreifen, warum nicht längst eine genaue -Schil- derung des Lebensganges eines so seltnen Mannes versucht wurde, und in hohem Grade schmerzlich, wenn es je geschah, das man sie nicht veröffentlichte, und vielleicht mit den die Universität Helmstedt betreffenden zerstreuten Akten und Papieren verloren ging, oder in der schmerzlichen Gleichgültigkeit gegen das aufgehobene theure Institut, seinen Unter- gang fand.

Die Leichenpredigt von Andreas Fróling5), welche dieser der Familie Conring's gewidmet hat, verdient, unter den mannigfachen gleich- zeitigen und spätern biographischen Mittheilungen, am meisten beachtet zu werden. |

An sie reiht sich eine ا‎ Leichenrede, fast gleichen Inhalts, von Melchior Smidius *) (Schmid).

3) Der Titel lautet: Spiegel der Eitelkeit in irdischen Dingen, Aus dem Prediger- Buch Salom. I, 14. Bey angestellter ansehnlicher Leich-Begängnis des weiland Hoch- Edlen-Best- und Hochgelahrten Herrn Hermann Conrings Erbsassen zu Grossen- Twülbstett undeGrossen-Sisbeck ete. Helmstedt. 4. [1681]. Ohne Seitenzahl.

4) Programma in funere viri nobilissimi et excellentissimi Hermanni Conringii, primum Physicae, deinde Medicinae et Politicae Professoris optime meriti, Regum et plurium Imperii ee. Consiliarii , Acsdemise Juliae Senioris. 1681. 4. ohne. Seitenzahl.

Diese Schilderung findet sich als Vita, mit einigen ea versehen , ab- gedruckt im 1ten Bande der Opera curante J. W. Goebelio. Brunsvigae. 1730. fol.

»

8 K. F. H. MARX,

Was ich in andern Schriften Besonderes vorfand, werde ich, nach ihnen, in eigenen Citaten hervorheben.

Geboren am 9ten Nov. 1606, unter zahlreichen Geschwistern, wurde Herman, mit mehrern derselben, von der Pest befallen. Einige starben; er überwand sie, behielt aber eine Spur davon 5) sein Leben lang. Auch blieb er so geschwächt 9), dass er erst im 7ten Jahre die Schule besuchen konnte. Seine Mutter?) unterrichtete ihn in den Anfangs- gründen der lateinischen Sprache.

In der Schule brachte er 7 Jahre zu, und machte darin so ausser- ordentliche Fortschritte, dass er alle seine Genossen weit übertraf, darum aber auch so sehr von ihnen beneidet und verfolgt wurde, dass er oft, um von ihnen nicht mishandelt und geschädigt zu werden, lange zu Hause gehalten und seinem Privatfleisse überlassen werden musste.

14 Jahre alt (1620) bezog er die Universitit Helmstedt und kam nicht nur in das Haus, sondern in den näheren Umgang mit Cornelius Martini, der ihn in die Aristotelische Philosophie einweihte.

Als dieser treffliche Lehrer ein Jahr darauf starb, wurde er der Obhut von Rudolph Diepholz, dem gründlichen Kenner der griechischen Sprache, Geschichte und Geographie, anvertraut.

Mit diesen Studien beschäftigte sich Conring angelegentlich; allein die durch den Krieg zerrütteten Vermögensumstände seiner Eltern nö- thigten ihn, zu diesen 5) zurückzukehren.

5) Fröling a. a. O.: Er ist nicht leer ausgangen , massen Er eine Pestilentz Kohle auf der linken Brust gehabt, die ihm ausgebrandt worden, davon Er das Zeichen noch mit in sein Grab nehmen wird.

6) Fróling a. a. O. bemerkt: Als Kind hat er zwei Pestbeulen, die er am Unterleibe gehabt, verschwiegen, so denn zurückgeschlagen und zwar der guten Natur halben, nicht tödlich geschadet, aber eine böse blatterige Grätze nachgelassen, die ihn dermassen mitgenommen, dass er in vielen Monaten nicht gehen und in vielen Jahren es nicht verwinden können.

7) Ueber diese sagt Smidius a. a. O.: femina pietatis et prudentia singularis, cujus Hermannus noster fuit proles nona:

8) Fröling a. a. O, erzählt: Er blieb 3 Jahre bis 1623, wo seine Eltern,

ZUR ERINNERUNG DER ARZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 9

Im Jahr 1624 besuchte er von Neuem die nicht nur durch die verschiedenartigen Truppen, sondern auch durch die Pest schwer heim- gesuchte Universität. Viele Professoren waren geflohen 9), wie z. B. von den Medicinern Joh. H. Meibom und Joachim Jungius, von den Huma- nisten Diephold und Heidmann.

Unter solchen betrübenden Einflüssen entschloss er sich seinen ge- liebten Musensitz mit einem andern zu vertauschen.

S. 6. Als Overbeckscher Stipendiat äusserlich sicher gestellt, begab er sich, um Medicin zu studiren, 1625 nach Leyden. Hier verweilte er 6 Jahre. Schon 1627 hielt er eine Disputation de calido innato 1°).

durch den Krieg, die Mansfeldische Armee, ruinirt, gezwungen waren ihn zurück zu rufen. Das folgende Jahr kam er wieder, bis Pest und Krieg Alles verjagte und er wieder nach Haus zurückkehrte.

P. J. Bruns, Verdienste der Professoren zu Helmstedt um 2, Gelehrsamkeit. Halle. 1810. 8. $.,76. :

9) E. L. Th. Henke, Georg Calixtus. Halle. 1853. Bd. 1.. 8::880;

10) De calido innato disputatio publice habita X November. 1627. Lugd. Bat. 4. Sie enthält 62 Thesen auf 12 Blättern.

Aus einem Briefe des Thomas Fyens (Fienus), welchen er aus Lówen am 24. Januar 1629 an Conring nach Leyden sandte (Opp. VI. p. 362), erhellt, dass er den jungen Mann achtete *).

Haller (Bibliotheca anatomica. Tiguri. 1774. 4. p. 359) sagt: Leidae dis- putavit pro gradu doctoris; jedoch dem war nicht so.

Diese Erstlingsarbeit nannte später Conring in der Vorrede adolescentiae foetum. Den gleichen Gegenstand bearbeitete er ausführlich auch unter dem Titel de calido innato sive igne animali Liber unus. Helmestadii. 1647. 4. auf 263 Seiten. In der Widmung an M. A. Severinus in Neapel äussert er: igneam calidi animalis na- turam jam a viginti annis adolescens defendi. (M. vergl.: Opp. VI. p. 353).

*) Litterae tuae mihi gratissimae fuerunt, tum propter disputationem tuam de calido innato, quam ills adjunxisti, quae mihi perplacet et tuam doctrinam luculenter testatur. Gaudeo videre studia illa theorica et philosophica.

Phys. Classe. X VI. B

10 K. F. H. MARX,

Im Jahre 1629 M) gab er dort die Schrift des berühmten Anatomen Berengar von Carpi über den Schädelbruch heraus, der bereits vom Trepan Gebrauch machte.

In einer Bücher-Auction kaufte er sich ein Vorlesungsheft des Pro- fessors zu Lówen Fienus !?), den er sehr verehrte und wovon er gleich- falls eine Ausgabe zu besorgen wünschte.

Im Jahr 1630 hielt er daselbst eine óffentliche Vorlesung über die Entstehung der Formen 15).

Wie sehr er sich den Fachstudien hingab!*) und als Arzt sich hervorthat, erhellt daraus, dass er in dieser Eigenschaft eine Einladung nach Paris erhielt 15), der er aber nicht Folge leistete.

Die in Holland herrschende Freiheit des religiósen Cultus wurde Veranlassung, dass er sich auch mit der Theologie eingehend beschäftigte.

Wiührend er über Bleiben oder Gehen unentschlossen schwankte, erhielt er von seinem Lehrer und Gónner Calixtus aus Helmstedt einen Brief 16), der ihm die Aussicht eröffnete, eine Professur der Naturlehre daselbst zu erwerben.

11) In der Widmung seiner Ausgabe des Fienus bemerkt er (Opp. VI. p. 361:) ego aureum de fractura cranii librum multo studio emendatum adolescens feci.

12) Ebend.: Adolescens Lugduni Batavorum in publica librorum auctione, Lovanii quondam exaratum codicem mihi comparavi. Jam tum colebam Fienum summae doctrinae nomine, excitatus diligenti lectione scriptorum ejus, potissimum quae de viribus imaginationibus, deque foetus formatrice causa ediderat; cujusmodi contem- plationibus isthaec mea aetas unice delectabatur.

13) De Origine Formarum secundum Aristotelem disputatio publice habita VI. Juli Lugduni Batavorum. 1630. 4. LII: Forma est perfectio materiae, et materia nunquam existit separata aut sine forma aliqua.

14) Fróling a. a. O. sagt von seinem dortigen Aufenthalt: er hat schon Kranke zu besuchen und curiren angefangen.

Smidius a. a. O.: Medicinae operam dedit indefessam, ut praxeos et medendae tyrocinium ibi quoddam posuerit.

15) Fröling a. a. O.: Er wurde nach Paris von der daselbst sich aufhaltenden Teutschen Nation als ein Medicus geruffen.

16) Conring schreibt an Caspar Barlaeus (Vorrede zum lten Band der Opera auf der 12ten (nicht paginirten) Seite): Heri per literas oblatum mihi est a clarissimo

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING’S. 11

Da er nun nichts sehnlicher wünschte, als academischer Lehrer zu werden!?), so war sein Entschluss rasch gefa$st.

S T. :

Nachdem er, der angenehmen Verlockung folgend, trotz des ge- fährlichen Reisens bei den fortwährenden Kriegsunruhen, wohlbehalten in Helmstedt 1632 angelangt war 18), fand er die Stadt mit Gras be- wachsen 19), viele Häuser durch die Pest verödet. Nicht lange hernach (1633) musste er selbst, durch die Gewalt der Zeitereignisse getrieben, einen andern Aufenthalt suchen 2°),

Erst nach Verlauf eines Jahres (1634) kehrte er zurück und ging muthig und hoffnungsreich an sein Tagewerk. Er disputirte öffentlich ?!) und bereitete sich zur Promotion vor.

In der Zwischenzeit war auch seine frühere Hofndfif. Professor Philosophiae naturalis zu werden, verwirklicht und die Stelle von ihm, mit zwei Lobreden auf Aristoteles, übernommen ??) worden.

Calixto, uf praeficiar studiis filii magnifici viri Cancellarii Brunsvicensis ducatus, li- berali satis stipendio, certaque spe Physicae professionis in Academia Julia, quae hodie ibi vacat, obtinendae.

17) Ebend.: Omnibus divitiis aut aliis etiam summis honoribus semper docendi academicum munus anteposui.

18) In einer Rede, welche er später hielt (de iis, quae in Studioso quovis re- quiruntur, qui in Academia velit Studiorum fructum carpere Opp. T. VI. p. 27) bemerkt er: Annus hodie quartus est tricesimum agitur, quum in hanc Acade- miam puer a parentibus ab Oceani usque littore, Studiorum capessendorum gratia, fui missus. Tertius vicesimus [annus, wohl 1632] est, ex quo itidem hac in inclyta Julia docendae juventuti sum admotus.

19) Fróling a. a. O.

20) Fröling a. a. O.: »1633 hat ihn das Pappenheimische Heer nach Braun- schweig gejaget. Hat kein Mensch wegen Unsicherheit sich aus dem Thore machen dörffen.«

21) Fröling a. a. O.: »Im 1634. Jahr hat er hier seine disputationem inau- guralem gehalten, und ist also Doctorandus Medicinae worden.«

22) Orationes duae quarum prior habita in acad. Julia XX Sept. anno 1632,

| B2

12 K. F. H. MARX,

. S. 8.

Im Jahr 1636 erlangte er die summos in medicina honores. Sein Promotor war Tappe 3). Die von ihm aufgestellten Thesen mögen inte- ressant gewesen seyn, denn Hugo Grotius ?*) bedankte sich warm dafür.

Er hatte 1634 über den Scorbut 25) disputirt, wurde dadurch Li- cenciat und 2 Jahre hernach Doctor der Medicin und Philosophie ?6).

Bald darauf bewarb er sich beim Senat um die, durch den Abgang von Johann Wolf, erledigte Professur der Medicin ?7), die ihm auch sofort übertragen wurde.

Von nun an erreichte er, wie im Siegeslaufe, die mannigfachsten Auszeichnungen.

quum publicam näturalis philosophiae professionem aggrederetur: Opp. TT v p. 726—835. Oratioaltera. Clarissimo Viro C. Barlaeo, Philosopho, Medico et Poetae ebend. p. 735—961.

23) Diese Notiz entdeckte ich in der unter seinem Praesidio zu Helmstedt 1672 erschienenen Disputation von And. Behrens de Calculo renum et vesicae, wo es (Th. 80) heisst: Excellentissimus Dr. Tappius Praeceptor et Promotor meus plurimum colendus.

24) Er schreibt ihm aus Paris am 22. Oct. 1636 (Opp. T. I. gleich vorn, wo doctorum virorum judicia et testimonia): Quanta in Te sit cognitio rerum naturalium, ac praecipue excellentissimi inter corpora humani, et eorum, quae id perpeti natum est, docent theses medicae, quas ad me misisti, praeterea, quae antehac tua mihi videre summa cum voluptate atque utilitate mea contigit.

25) Ueber diesen Gegenstand erschienen unter seinem Praesidio 3 Dissertationen, nemlich von den Respondenten Leonhard Krüger 1638, von Laurent. Gieseler 1644 von Jul. G. Behrens 1659.

26) Fróling a. a. O. theilt mit: 1636 hat er zugleich in der Philosophie und Medicin den Doctor-Hut erhalten, auch eben selbigen Tag Hochzeit gemacht.

Ebenso Smidius a. a. O.: Anno seculi 34 Disputatione de Scorbuto publice habita, summorum in Medicina honorum petendorum licentiam impetravit, et biennio post tam Philosophiae quam Medicinae Doctoris insignibus fuit ornatus.

27) Seine Epistola IV. Calend. 1636, qua ejus commendationem in consequenda Professione Medica sibi expetit (Opp. T. VI. p. 523) setzt aus einander, dass er vor 4 Jahren den Befehl erhalten habe naturalem philosophiam zu lehren, er nun aber

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 13

Zu seinen beiden Doctor-Hüten der Medicin und Philosophie scheint noch ein dritter, der des Rechts 28), gekommen zu seyn.

Die Fürstin von Ostfriesland ernannte ihn 1649 zum Leib Medicus und geheimen Rath, ebenso 1650 die Königin Christine von Schweden, (wohin er auf einige Zeit sich begab), auch 1658 der König Carl Gustav von Schweden 29), 1660 der Herzog von Braunschweig und 1670 der König von Dänemark zum Staatsrath 30).

S. 9. Die Königin Christine gab Veranlassung , dass man Conring auch die Professur der Politik übertrug. * Sie hatte ihn nemlich, solange er in Schweden verweilte 57), nicht nur mit Wohlwollen überhäuft 52), sondern ihm auch 1600 Thaler Be- soldung geboten. |

bitte ihn zum Professor der Medecin vorzuschlagen quoniam id semper habti propo- situm, ut, si quidem ita Deo fuerit visum, tandem aliquando in Artis Medicae po- tissimum exercitiis consenescerem.

28) Summis in Aristotelis Hippocratisque castris donatus est honoribus, quibus postea et Jurisconsultorum lauream adjecit (V. F. L. Petri, Parentalia Academiae Juliae in der Quartschrift: Feier des Gedächtnisses der vormaligen Hochschule Julia Carolina. Helmst. 1822. S. 50.)

29) Fróling a. a. O. giebt an: 1658 wurden ihm 3000 Reichsthaler Besoldung angeboten, wenn er, nachdem er bereits zum Staatsrath und Leibmedicus des Königs Carl Gustav ernannt worden, nach Schweden sich begeben wollte. Er aber zog vitam Academicam tranquillam turbulentiae vitae aulicae vor.

30) Fröling a. a. O. bemerkt: Er wurde Dünischer Staatsrath mit 1000 Thaler jährlicher Besoldung.

31) Iter in Sueciam 20. Maji 1650 ingressus est. Postquam Holmiam appulit, a regina et omnibus regni proceribus summa quidem clementia et favore exceptus est. Post trimestre tempus, non sine opulentissimis donis et regiis munerationibus reversus est (Opera. T. 1. auf der 3ten (nicht paginirten) Seite.)

32) Die Vollmacht, wódurch sie ihm eine Vikarie im Hochstifte Bremen verlieb, findet sich in Longolischer's Beschäftigungen mit bewährten Nachrichten. Hof. 1770: Bd. L- 3.251,

14 K. F. H. MARX,

Der von seiner Regierung gewählte Ausweg, um ihn an die Uni- versitit zu fesseln und seine Resignation auf die ehrenvollen Antrüge zu erwirken, erfreute sich seines Beifalls keineswegs, theils weil er die Abhüngigkeit von der sich überhebenden academischen Jugend unan- genehm empfand 55), theils weil er es für die Universität für angemessener erachtete, dass die Politik selbstándig von einem eigens dazu angestellten Lehrer vorgetragen würde59. Er wünschte nichts mehr, als den Stu- : dierenden durch seine Vorträge zu nützen 55).

| 8... 10.

Was ihm als Pflicht- und Berufstheil zugewiessen wurde, und mehr als das, besorgte er mit stetem Fleiss und gewissenhafter Sorgfalt, wovon die vielfältigen literarischen Zeugnisse hinreichende Beweise liefern. Und da er sich nicht blos auf die nächsten Aufgaben beschränkte, son- dern in weitem Umfange das menschliche Wissen zu umfassen strebte, gründliche historische Kenntnisse mit eindringender Urtheilskraft verband, so verbreitete sich nicht nur sein Ruhm als Arzt und Gelehrter immer weiter, sondern er erhob sich in mehreren Doctrinen zur entscheidenden Autorität. t |

Das glückliche Zustandekommen des Westphülischen Friedens wird mit als sein Verdienst gepriesen 56),

33) Er schreibt an Boineburg am 23. Jan. 1651: Regina et Archiatrum suum cubicularium et a consiliis aulicis rerum Germanicarum, praemiis sic satis amplis pro- positis esse voluit. Forte rectius ibi inservire licuerit Germaniae nostrae et studiis publicis, quam dum hic haereo apud tyrones et insolentem adoles- centiam. (Commercii epistolici Leibnitiani Tomus Prodromus. Recensuit J. D. Gruber. Hanoverae. 1755. 4. p. 23.)

34) Ebend. p. 24: si duos habuerit artis Medicae alterum, alterum Politices professorem. Nec enim ab uno utraque haec simul commode doceri poterunt.

35) nihil est magis in votis, quam adolescentiae Academicae inservire viva voce (J. Burckhard Historiae Bibliothecae Augustae quae Wolfenbutteli est. Lips. 1747. 4. Pars IL p. 262. :

36) Fróling a.a. 0. hebt hervor: »Ihm ist eines Theils zu dancken, dass nach dem 30jährigen Kriege im J. 1649 unserm allgemeinen Vaterlande der edle Friede

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 15

Er drang auf die Philosophie des Rechts 57).

Was er für die Begründung des deutschen Rechts gethan, darüber spricht sich ein competenter Richter 58) folgendermassen aus: ‚Die Theorie kannte nur ein Recht der Kirche und der Kaiser; für das einheimische des deutschen Volks, für die Besonderheiten der Länder und Städte hatten die gelehrten deutschen Juristen wenig Interesse und. wenig Kunde. Er hat für die Geschichte des deutschen Rechts mehr geleistet, als das ganze Jahrhundert, in dem er lebte.“ Ferner 59): ,,Er war der erste deutsche Reichshistoriker, dessen Leistungen für die Geschichte der deutschen Rechtsquellen und der Verfassung weit hinausragen über alles, was das 16te und 17te Jahrhundert sonst auf diesem Gebiete zu Tage gefördert hat.‘

8. 11.

Obgleich Conring's vaterländische, unabhängige Gesinnung, wie sie sich, unter anderm 40), auch in seinen Schriften gegen die Anmassungen der Päbste aussprach *!), allgemein gelobt und er als Schöpfer des deut- schen Staatsrechts anerkannt wurde, so fehlte es nicht an Stimmen, be-

wieder gegeben worden, massen auf sein Buch unter dem Namen Irenaei Eubuli de Pace servanda ausgegeben, grosses Absehen von denen Herrn Gesandten und Depu- ` tirten gemacht worden, wäre auch ohne solches noch wohl eine zeitlang hinterblieben.«

Der Titel des Buchs ist folgender: Pro pace perpetuo protestantibus danda consultatio catholica. Frideburgi. Apud Germanum Patientem 1648. 4.

37) In dieser Beziehung bemerkt Hugo (Lehrbuch der Geschichte des Rómischen Rechts seit Justinian. Berlin. 1830. Dritter Versuch. S. 382): Schon der Name jurisprudentia war ihm ein Beweis, dass blosse Kenntniss des Rechts, wie es einmahl sey, nicht zureiche.

38) O. Stobbe, Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte. Berlin. 1870. 8. 8. 6. |

39) Ebend. 8.

40) namentlich de finibus imperii Germanici (Opp. I. p. 114—485).

41) z. B. im Fundamentum fidei Pontificae concussio. Helmstadii. 1654. 4.

16 K.F.H. MARX,

sonders in der neuesten Zeit, welche ihm es äusserst verargten ??), dass er von Ludwig XIV ein Jahrgehalt angenommen ^5).

Allerdings würe es besser gewesen jeden Schein einer denkbaren Bestechung von sich entfernt gehalten zu haben; allein da mehrere an- dere unbescholtene Münner in Deutschland und Holland die ihnen ge- botene Pension annahmen, so darf ihm damit kein zu harter Vorwurf gemacht werden. !

Abgesehen davon, dass er in beschrünkten Verhültnissen aufge- wachsen, den Werth des Geldes zu schützen lernte, war er Vater einer zahlreichen Familie ^4, und da er an Steinschmerzen litt, musste er be- fürchten, der Sorge für sie zu frühe entzogen zu werden. Auch war das Nationalgefühl damals noch nicht so ausgebildet wie in unsern Tagen.

Den Empfang noch so häufiger Geschenke kostbarer Dosen oder Ringe würde man nicht getadelt haben, -als ob zwischen jenen und baarem Gelde ein wesentlicher Unterschied bestünde. Und wird derjenige, welcher ausländische Orden annimmt, dadurch als Verräther seines Va- terlands angesehen ?

Ueberdem aber hat er in seiner Mittheilung über diese Angelegen- heit an seinen Fürsten vom 26. Sept. 1664 erklärt #): „Wil nicht ver- hoffen, dass hierob einige widrige Suspicion solte erwecket werden: sonsten ich das Gelt niemals würde in die Hände nehmen.“

Hat er doch die ganz Europa bedrohende franzósische Uebermacht mit prophetischem Geiste vorhergesehen 46). :

42) So besonders Fr. hs, Historische Entwickelung des Einflusses Frankreichs und der Franzosen auf Deutschland und die Deutschen. Berlin. 1815. 8. 8. 1

43) Fróling a. a. O. bemerkt darüber: 1664 erhielt er von Königlicher Fran- züsischer Hand den damals vielen für andern berühmten Leuten ausgetheilten Gnaden- Pfennig in einer ansehnlichen Summe.

44) Fröling a. a. O.: »Seine Frau, mit der er 45 Jahre in friedlicher Ehe gelebet, die ihm 11 gesunde Kinder zur Welt gebohren, hat ihn überlebt.

45) J. Burckhard a. à. O. Pars II. p. 167.

46) In einem Briefe an seinen Herzog vom 1. Oct. 1664 setzt er auseinander, »wie Renuntiationes bei einem mächtigen Potentaten selten pflegen attendiret zu

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Conring verwandte keineswegs seine Zeit und Kraft zur Erlangung von Fürstengunst; galt es für das Recht einer Commüne einzutreten, so säumte er nicht mit allen seinen Mitteln hülfreich zu erscheinen.

In dem Prozesse der Stadt Köln gegen ihren Erzbischof begab er sich 1667 mit seiner Familie dahin. Er wurde durch einen Trompeter und Abgeordneten abgeholt ^7. Nach einem Aufenthalt von einigen Mo- naten nahm er eine Kolonie von Schülern mit sich auf die Universität 58).

1672 vertheidigte er die Freiheit der Stadt Lindau gegen das dasige Kloster, und da es auf die Entscheidung eines gefälschten Diploms ankam, priess Joh. Mabillon die von ihm befolgten Grundsätze #9),

Ungerechte Anträge zur Uebernahme von Defensionen wiess er von sich; von solchen wollte er der Patron nicht seyn 50).

8. 13.

Die Mannigfaltigkeit seiner Studien und seine von Schulmeinungen freigerungene geistige Stellung ist um so mehr zu bewundern, wenn man sich die schweren Heimsuchungen, sowie die vorgeschriebenen engen Wissens-Gränzen der damaligen Periode, vergegenwártigt.

werden.« »Frankreichs Macht würde dem gantzen Europa höchst formidabel seyn«. Vor des Königs bohem Geiste »habe sich der Papst, insolito dudum exemplo, bücken müssen.« »Wie Spanien, so würden alle übrigen Königreiche und Potentaten sin non aperte, saltim clam, sich nicht dawider setzen, ne et ipsi a nimia illa Gallica potentia opprimantur« S. Burckhard a. a. O. IL p. 118.

47) Fróling a. a. O.

48) parvam quamdam ee coloniam inde in Academiam Juliam secum deduxit (Burckhard a. a. O. II. p.

49) Opera T. I vorn auf der uai (nicht paginirten) Seite.

Smidius a. a. O. äusserte: edita Censura sua toti erudito orbi falsitam diplo- matis demonstravit.

Die Schrift von Conring hat den Titel: Censura diplomatis, quod Ludovico Im- peratori fert acceptum coenobium Lindaviense. Helmst. 1672. 4.

50) »Bei wehrenden Osnabrückischen Friedens-Tractaten bin ich ab Erfurtensibus ersuchet, ihre Jura praetensa zu defendiren: habe es aber abgeschlagen, ne essem patronus iniquae caussae« (Burckhard a. a. O. II. p. 122

Phys. Classe. XVIII. C

18 K. F. H. MARX,

Wissenschaftliche Gegenstände, wie z. B. Statistik, Volkswirth- schaftslehre, von dem bei den mitlebenden Schriftstellern kaum eine Spur sich findet, werden von ihm besprochen °!).

Stórungen durch Kriegsgetümmel und die herrschende Pest 52) treten häufig ein 55), auch durch eigene Krankheit. Da er Blut spuckte, fürchtete man Schwindsucht, allein sie bildete sich nicht aus 5%). Die Schwüchlichkeit in der Jugend schwand allmälig 55) mit zunehmenden Jahren; Steinbeschwerden jedoch plagten ihn 56).

51) Roscher (Ueber die gelehrte Nationalókonomik in Deutschland wührend der Regierung des grossen Kurfürsten in den Berichten über die Verhandlungen der Süchsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Phil. hist. Classe. 1863. Leipzig. 1864. 8. S. 194) zeigt, dass Conring zu den Ersten gehört habe, welchen ein Ideal der Volkswirthschaftslehre vor Augen sehwebte und ebenso das mit der Nationalókonomik verwandte, der Statistik und Staatskunde. Seine Bevölkerungs- theorie sey von grossem Interesse.

52) Nach Fröling a. a. O. wurde er 1657 ein ganzes Jahr mit seiner Familie durch die Pest vertrieben.

53) So entschuldigt er sich z. B., dass er sein Werk über die Fehler der Er- nährung noch nicht herausgegeben. Dasselbe hätte erscheinen können nisi immanes bellicae turbae et me domo, etomnem prope studiorum curam animo meo expulissent (Opp. VI. p. 351).

In einem Briefe vom Januar 1643 an die fürstliche Wittwe Anna Sophie (ebend. p. 352) schreibt er: vivimus loco nullis praesidiis tuto; nec semel, sed frequentissime et legiones aliquot et immanes hostium exercitus, aut opidum ipsum insederunt, aut proxima quaeque depopulati sunt.

—B54) Nach Fróling a. a. O: warf er 1651 Blut aus; es drohte Schwindsucht »wovon er aber durch seine Wissenschaft sich. glücklich, wiewoki erst u Jahre, glück- lich befreit hat.«

55) Wie leidend er ie war, ersieht man aus einem Briefe vom 19ten März 1662, wo er mittheilt, dass er einige Zeit zuvor am Tode gelegen: in limite mortis quasi constitutus, nec legere quicquam poteram, nec intelligere (Commerc. epist. Leibnit. Pars IL. p. 769).

In einem Briefe an Stephanus Baluzius vom 19ten Oct. 1672 schreibt er: in aulam non licuit convenire prae nephriticis doloribus. Ad te literas addere prohi- buerunt dolores.

An denselben vom 25. Mai 1679: languebam ab animi deliquio (Epistolarum Syn- tagmata duo. Helmstadii. 1694. 4. p. 51. 100).

56) Smidius a. a. O. sagt: Corporis fuit in juventute quasi morbidi, postea vero sic satis firmi, misi quod calculo subinde tentaretur.

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Da den Professoren aller Facultüten, wie für ihre philosophischen Ansichten und religiösen Gesinnungen, so auch für ihre Fachstudien, bestimmte Richtungen vorgeschrieben waren, so kann man nur staunen, dass Conring die Selbstündigkeit erlangte und bewahrte, wie solche sich in seinen Werken kund giebt.

Nur die aristotelische Philosophie war die officiel anerkannte.

Die in das Corpus Doctrinae aufgenommenen Bekenntnissschriften mussten beschworen werden.

Auf Hippokrates, Galenus, Avicenna wurde, wie auf unfehlbare Aussprüche und Vorschriften, hingewiesen 57).

Diese üusseren Anordnungen, so beengend sie auch waren, trugen vielleicht das ihrige bei, dass Conring vor der Vorliebe für unge- prüfte Neuerungen geschützt blieb und, fern von der noch fleissig ge- pflegten Scholastik und Theosophie, den Grundgedanken wie der Methode des grossen Peripatetikers huldigte, um durch Beobachtung, Versuche und vorsichtige QE: UM die Vorgänge der Natur kennen zu lernen.

Gegen übernatürliche, abergläubische Behauptungen erklärt er sich bei jeder Gelegenheit, so z. B. gegen die des spanischen Jesuiten Poza, dass Christus vermocht hütte einzig durch Berührung Todte zu erwecken 59).

, Ueber manche Versagung seiner Bedürfnisse und Wünsche, sowie über manche unangenehme Erfahrung, führte ihn wahrscheinlich seine

poetische Ader hinweg.

In einem Briefe an Boineburg vom 28. Nov. 1660 schreibt er: multum adhuc langueo ab hesternis doloribus, quibus me gravissime calculus renum afflixit (Commerc. epist. Leibn. T. Prodromus p. 426).

57) Die Statuten schreiben vor (fol. 15. p. 2): Nos artem medicam, sicut Deo duce et monstrante ab artificibus divinitus excitatis, Hippocrate, Galeno et Avicenna, recte et integra constituta et tradita est, conservari et propagari docendo in Academia nostra volumus. Empiricos vero omnes ac Paracelsi zergakoyias et alias medicinae corruptelas, cum Galeni et Avicenae doctrina pugnantes, penitus ex Academia nostra eliminari et explodi mandamus.

58) divina virtute solo contactu mortuos in vitam revocare (Opp. IV. De republica

Hispanica. p. 85) C2

20 K. F.-H. MARX,

Es wird ihm mit den entgegen getreteten Hindernissen ergangen seyn, wie mit dem von einem Maler angefertigten Bildnisse seiner Person, das keine Aehnlichkeit mit ihm hatte, und worüber er in einem Epigramm sich ausliess 59).

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Ueberblickt man Conring's erstaunliche Menge bedeutender Werke aus den verschiedensten Gebieten des Wissens, seine mannigfachen Gut- achten über Fragen in den wichtigsten Angelegenheiten von Staaten, Gemeinden und Privatpersonen, bedenkt man seine häufig veranlassten Reisen als Rathgeber und Sachwalter, seine ausgebreitete Correspondenz 60) mit den Celebrititen in Staatsangelegenheiten und in den mannigfachsten wissenschaftlichen Dingen, so sollte man glauben, für die Medicin wäre ihm keine Musse geblieben; allein es verhält sich anders.

Nicht zu übersehen ist, dass bei seinen Arbeiten über öffentliche Angelegenheiten, in den häufigen Vergleichungen mit kranken Zustünden, stets der Arzt durchblickt. So z. B. in den zwei Abhandlungen, worin er die Krankheiten des Staats bespricht 61), den Ausgang der gleich Anfangs

59) Pergula pictorum, veri nihil, omnia falsa. Decepta vero posteritas me ex pictura aestimabit! Me talem ac tantum pictor facit atque poeta: Artificum quid non sumit uterque sibi? (Conringiana epistolica cura C. H. Ritmeieri. Helmstadii. 1708. 12. p. 140).

Ueber seine Gedichte s.: J. C. Boehmer Conringii Musae errantes dispersas col- legit ediditque. Opp. VI. p 633—659.

60) Ein äusserst interessanter Briefwechsel, ehrenhaft für beide Theile, ist der zwischen Conring und dem Freiherrn von Boineburg, dem Churmainzischen Geheimenrathe (Commercii epistolici Leibnitiani prodromus. Recensuit Gruber. I. II. Hanov. 1745. 4), und nicht minder der mit dem Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg (Conringi Epistolarum Syntagmata duo una cum responsis. Helm- stadii. 1694. 4. p. 1—89).

Ueber den letzteren, den Verfasser der Monumenta Paderbornensia, bemerkt er (Opp. I. p. 576): literatissimi profecto sine exemplo Principis, et summi tempestatis hujus universae, praecipue autem Germaniae nostrae ornamenti.

61) De morbis ac mutationibus rerum publicarum Opp. IH. 1046—1066.

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nicht beseitigten Uebelstände als hektisches Fieber betrachtet 62) etc. Auch bei mehreren Titeln seiner Schriften offenbart sich die gleiche Herkunft 65).

Wie hoch man ihn als Arzt achtete, lüsst sich schon daraus schliessen, dass, wührend er noch als Student in Leyden sich aufhielt, die Deutschen in Paris zu ihrer Behandlung ihn haben wollten, und spüter Fürstinnen und Fürsten ihn zu ihrem Leibmedicus ernannten.

Seine Wirksamkeit als Lehrer, Mitglied und, in spätern Jahren, als Senior der medicinischen Facultät, erhellt aus der Anerkennung und Dankbarkeit seiner Schüler und Collegen, sowie aus der grossen Anzahl von Dissertationen, die unter seinem praesidio erschienen und die ge- wöhnlich unter seinem Namen erwähnt werden.

Uebrigens ist damit nicht gesagt, dass er sie gemacht hat, sondern nur, dass die darin sich findenden wesentlichen Punkte von ihm herrühren.

In die von Goebel herausgegebenen 6 Foliobände sind die medi- cinischen Schriften nicht aufgenommen; diese muss man sich einzeln zu verschaffen suchen.

Da mehrere derselben in verschiedenen Ausgaben heraus kamen, auch oft in Betreff der Zeit ihres Erschienenseyns unrichtig angegeben sind, so ist bei den von mir benutzten, wenn Citate controlirt werden sollten, genau auf die Jahrzahl zu achten.

Obgleich die Ausgabe der Werke in 6 Folianten nichts weniger als bequem und correct ist, so habe ich sie dennoch sorgfältig benutzt, theils weil sie eine grosse Anzahl der Briefe Conring's und andere ihn betreffende Angaben enthalten, theils auch, weil in den nicht medicinischen Schriften beiläufig eine Menge interessanter Bemerkungen sich finden.

62) Ebend. p. 1073. 8. 28: Accidit, quod de hectica febri ajunt medici, ubi scilicet primum aliquem init, facilem esse curatu, sed cognitu difficilem; progressu vero temporis non percepta nec curata, facilem esse, ut cognoscatur, at ut quis eam sanet, perdifficilem.

63) So z. B. Diss. de morbis ac mutationibus Siar earumque remediis. Helmst. 1661. Diss. de morbis et mutationibus rerum publicarum. Helmst. 1640.

22 K: F. B. MARX,

S tR.

Im Jahre 1637 sagte Conring der philosophischen Facultät Lebe- wohl und ging insofern in die medicinische über, als er die Professur der Philosophie zwar beibehielt, aber auf deren Emolumente verzichtete 64),

Als befreundete Specialcollegen, die auch seine Lehrer waren, hatte er Henning Arnisaeus, Joh. Heinr. Meibom 65), Joh. Wolff, und aus den andern Facultäten zuerst Martini und Diephold, dann Calixtus 66), Hornejus, Heidmann, Joh. v. Fuchte, Ph. Berkelmann.

Namen, wie Amisaeus, sind verklungen, obgleich dieser [+ 1635 zu Copenhagen als Leibarzt von Christian IV.] nicht nur in der Medicin 67), sondern auch in der Aristotelischen Philosophie, selbst in der Staats- wissenschaft, viel geleistet hat.

Gleich ihm werden die meisten Professoren der medicinischen

64) Er bemerkte im Decanatsbuche, welches im Archive zu Wolfenbüttel auf- bewahrt wird: professione licet physica retenta, ne si duorum collegiorum fructibus ego gaudeam fraus aliqua legibus fiat, decanatum resignavi. VII. Id. Aug. longe carissimo mihi ac honorando philosophico collegio valedixi. M. vergl.: E.L. Th. Henke, G. Calixtus. Halle. 1856. Bd. 2. S. 55.

65) In einem Briefe vom Nov. 1660 an den jungen Heinr. Joh. Meibom (Opp. VI. p. 388), worin er die Tugenden und Verdienste des Grosvaters desselben hervorhebt, üussert er: talem illum deprehendi in hac Julia jam ante quadraginta propemodum annos, cum ille admodum senex esset, ego autem vix ephebus.

66) Wie sehr er sich zum Dank seinen Lehrern Calixtus und Hornejus verpflichtet fühlte, das spricht er aus in der Disputation de origine formarum. Lugd. Bat. 1630. (Opp. T. VI. p. 348). Er sagt: Vobis, optimi praeceptores, jamdiu debebam aliquod gratitudinis testimonium. Non quod arbitrarer ita me solutum iri aere vestro, sed ne forte debita mea negligere viderer. Vestra cura ad sacros Philosophiae fontes adductus sum. - Docuistis me veritatem seriis argumentis ponderare, non vanis ho- minum titulis, sed ita non potest evenire quin subinde a vulgi placitis paululum declinemus. Vestrae autem censurae omnia submitto.

67) Haller (Bibl. anat. I. 298) hebt besonders hervor: ossa pubis in partu dis- jungi, proprio experimento docet. Ebenso Bibl.chir. I. 288. Bibl. med. pract. II. 415,

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Facultät in Helmstedt so wenig mehr bekannt seyn, dass ihre Erwüh- nung 68) gerechtfertigt scheint.

Wie mit seinen älteren Freunden, so blieb er auch mit seinen jüngeren im innigen Verkehr; die Wahrheit aber zog er der Freund- schaft 69) vor. Diese musste bei ihm in wechselseitiger Offenheit be- gründet seyn 70).

&. 16.

Die Art und Weise, wie Conring die Medicin behandelte, zeigt, dass er jeder Obliegenheit ganz gehörte ^!) Er erklärt selbst 72), dass die Studien, wozu Lehramt und Beruf ihn verpflichteten, ihn so sehr in Anspruch nehmen, dass er von allem Uebrigen abgezogen werde.

68) Von der Stiftung der Universität an bis zu ihrer Aufhebung (am lten Mai 1810) waren daselbst: Joa. Boeckel, Henr. Paxmann, Jac. Horst, Herm. Neuwald, Mart. Biermann, Joa. Sigfrid, Arn. Freitag, Fr. Parcow, Casp. Arnoldi, Joa. Werner, Duncan Liddel, Andr. Adam, Joa. Freidag, Adam Luchten, Henninges Arnisaeus, Joa. Wolff, Godofr. Vogler, Joa. Henr. Meibom, Joach. Junge, Jacob Tappe, Herm. Conring, Val. Henr. Vogler, Henr. Meibom, Guenth. Chr. Schellhammer, Fr. Schrader, Joa. And. Stisser, And. Jul. Boetticher, Joa. Georg Steigerthal, Alex. Chr. Gackenholz, Brandanus Meibom, Joa. Car. Spiess, Joa. Andr. Schmid, Laurent. Heister, Petrus Gericke, Joa. Fr. Crell, Ph. Conr. Fabricius, Jo. G. Krueger, G. Fr. Cappel, G. Chr. Beireis, P. J. Hartmann, Joa. Fr. Adolph, G. R. Lichtenstein, Laur. Crell, J. Fr. E. Sievers, G. H. G. Remer, E. D. A. Bartels.

69) Veritatem amicitiae anteferendam (Opp. VI. 350).

70) Ebend. p. 349 schreibt er von seinem Verhältnissen zu A. G. Billichius: Inter nos non vulgaris quaedam amicitia coierat, in dispari licet aetate, plane intima: alter alterum ope et consilio juvabat, alter alterum docebat, nemine erubescente discere quod ignorabat; qualis amicitia, ni fallor, decet literas professos.

71) Smidius a. a. O.: Tam docendo quam faciendo medicinam aliaque moAvuc- Jefe sua gloriam non exiguam nominis excitavit.

72) in seinem Widmungsschreiben an den Herzog von Braunschweig vor der Schrift De Germanorum Imperio Romano. 1643. Opp. T. 1. p. 26: Quod ab artis medicae studiis, quibus me et vitae ratio et munus Academicum adstringit, toto pene, quod ajunt, coelo remotum est.

24 K. F. H. MARX,

Seine Bearbeitungen der einzelnen Gebiete zeichnen sich vor denen seiner Zeitgenossen dadurch aus, dass sie mit philosophisch - kritischem Geiste und bestündiger Rücksicht auf Geschichte und Literatur 75) aus- geführt sind.

Er war von der Ueberzeugung durchdrungen, dass gründliches Wissen, gereiftes und gerechtes Urtheil nur aus der sorgfältigsten Ein- sicht und Prüfung der Vorarbeiten gewonnen werden kónnen.

Je mehr beim Arzte fast ausschliesslich die praktische Leistung gelobt und belohnt wird, um so verdienstlicher ist es, wenn der tüch- tige, nicht bloss selbst auf gelehrte Bildung Gewicht legt, sondern auch Andere dafür zu interessiren sich bemüht. Dieses ist nun von Conring in reichlichem Maasse geschehen. |

Um für die Geschichte Anhänger zu gewinnen, schildert 74) er das Vergnügen und den Nutzen, den sie gewährt, wie in mannigfacher Hin- sicht, so besonders in der, sowohl das Bekannte als das Geheime aus vergangener Zeit zu erfahren. Da es dem Menschen nicht gegeben sey Alles aus sich zu ermitteln, bedürfe er der Hülfsmittel zur Aufklärung; diese verschaffe ihm am sichersten die Geschichte; durch sie werde in jedes Wissensgebiet Erleuchtung gebracht 75).

73) Als Quelle für die Literatur galt mit Recht Conrad Gesner’s vortreffliche Bibliotheca universalis, welche dieser, 29 Jahre alt, in Zürich 1545 herausgegeben. Ihn verehrt Conring, wie er es verdient, obgleich er bei seiner Veröffentlichung des Buchs von R. Capellatius über die Pest eine von jenem begangene Verwechslung des Namens nachwiess (Opp. VI. p. 350: eum errorem cum errasset magnus vir Conradus Gesnerus etc.)

Für die Verbreitung und Benutzung der besseren Bücher, hinsichtlich der einzelnen Fücher der Medicin, hat Conring vielleicht am meisten beigetragen. \

74) In der Vorrede seiner Besorgung von C. Cornelii Taciti de moribus Ger- manorum. Helmstadi. 1652. 4. sagt er (p. 5.): qui vere homo est, illum arbitror non posse non historiarum lectione vehementer affici. Historiae jucunditatem (p. 7) hinc dependere, quod sit compendium eorum omnium quae sensu quondam percepta sunt. Alterius notitiae historia est quasi manuductor. Quid jucundius, quam ea quae quodammodo confusa animo circumfers, numquam visa, credita tamen, ceu clara in luce per partes conspicere ?

75) Ebend.: Mirum quantam adferat lucis doctrinae cuilibet ea quae illi respondet

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In seinen Vorlesungen gab er, verbunden mit Erlüuterungen, Dic- tate über die Ausbreitung der Gelehrsamkeit 76) seit der Geburt Christi bis zum Ausgange des l6ten Jahrhunderts, wo er auch die Medicin abhandelte.

Ob die Angabe: Conring habe eine Abhandlung über den blutigen Schweiss Christi verfasst 77), richtig ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich suchte vergebens nach der Bestätigung.

Seinen Bemühungen, den Sinn für das Studium der Vergangenheit zu wecken, dadurch Gelehrsamkeit zu fórdern, Unpartheiligkeit im Urtheil und den Blick in die Zukunft zu schürfen, blieb auch die spüte Aner- kennung nicht aus 79).

b. dde Obgleich durch seine Verpflichtung als Lehrer auf die alten Aerzte, wie auf canonische Bücher, angewiesen (S. 13), diese äusserst hoch hal- tend, fleissig benutzend und empfehlend 79), unterdrückte er dennoch ‘die ihm aufgestossenen Bedenken und seinen Tadel nicht.

historia: ceu naturali philosopho naturalis, astronomo coelestis, civili civilis, medica medico, singulis sua.

76) De universae eruditionis propagatione et مامه‎ commentarius chrono- logicus (Commerce. epist. Leibnit. P. II. p. 1386).

77) De sudore Christi sanguineo. Soll stehen am Endé des Buchs von Joh. Albrecht, vom Leiden Jesu Christi. Hildesheim. 1674. 12.

78) L. Wachler (Geschichte der historischen Forschung und Kunst. Göttingen. 1812. Bd. 1. S. 872) sagt: »Conring’s Unterricht und Schriften machten Epoche und bildeten eine Schule, welche durch gelehrte Gründlichkeit, philosophischen Blick und praktische Gewandtheit die glücklichere Forschungsmethode vorbereitete«. Fer- ner (S. 883): »Die fruchtbarsten Ideen zur Begründung kritischer Forschung gingen von ihm aus: er muss als ihr Schöpfer in Teutschland angesehen werden. Er drang auf prüfendes Quellenstudium«.

79) M. vergl. die reichhaltigen Auszüge in der vortrefflichen Schrift Introductio in universam artem medicam singulasque ejus partes, quam ex publicis praecipue dissertationibus Hermanni Conringii concinnatam eodem Praeside publice examinan- dum proponit Sebastianus Schefferus. Helmst. 1654. 4.

Phys. Classe. XVIII. D

26 | K. F. H. MARX,

So äussert er, dass Avicenna den Aëtius ausgeschrieben habe 8°). Zeitmangel habe ihn gehindert und hindere ihn, wie es erforderlich wäre, die arabischen Aerzte durchzugehen 8).

Wie sehr er sich jedoch mit den Arabern befasste, ersieht man, unter Anderm, aus seinem Briefe an J. H. Meibom 8?) in Lübeck, dem er auf Fragen in dieser Beziehung antwortet, auf Mehreres aufmerksam macht 95), aber beifügt, dass er ihm mehr nützen kónnte, wenn er nüher bei ihm wäre 84).

Den Hippokrates verehrt er im hóchsten Grade; nicht so den Galen, obgleich er diesen bewundert. Er habe den Vater der Medicin oft un- richtig verstanden 35) und Manches behauptet, was sich bei jenem nicht so fände. Wie übrigens der Pergamener zur Interpretation ein Recht gehabt habe, so stehe dieses jedem Andern um so mehr zu, als die Gesetze der Einsicht und Erklärung, obgleich bestimmt und unvergänglich, keineswegs als Normen vorgezeichnet seyen 86),

Habe er den Ruhm des Hippokrates und Galenus nicht so gepriesen, wie den des Aristoteles, so zolle er ihnen doch die gleiche Anerkennung. Sie selbst hätten ihn abgehalten auf ihre Worte zu schwören 87).

80) Ab Aétio, ut ab hujus exscriptore Avicenna, S. den Brief an Samuel Stockhausen in Goslar (praemissa libro de Lithargyri fumo noxio morbifico. Gosla- riae. 1656.) Opp. T. VI. .م‎

81) Aus einem Briefe an Meibom vom 14. Febr. 1652 in der angeführten In- troductio p. 80. 3

82) Opp. VI. .م‎ 372: Schenckius etiam me olim multum turbavit, praesertim cum nemo esset dux iis in Arabum desertis.

83) Ebend.: Nescio an usui esse tibi queant mea illa quae de Arabum scholis dissertatione 1. de antiquitatibus academicis, aut de chemico eorum studio c. 26. Hermeticae medicinae habentur.

84) Plura forte possem suggerere interdum, si propius adessem.

85) Multa a Galeno in Hippocratem auctorem quasi per vim esse translata, nemo aequus atque in utriusque scriptis versatus arbiter negaverit (Opp. VI. p. 351).

86) Ebend.: Esse immobiles et quasi aeternas ut sciendi ita et interpretandi leges, etsi hactenus illae in artem non sint redactae.

87) Ebend. p. 352: Aristotelem sane nemo me prolixius commendavit, scio: ut

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§. 18.

Nach Conring’s Ansichten müssten sich Aerzte um das Geschehene, von Andern Mitgetheilte, um so angelegentlicher kümmern 88), weil sie erst spät zur eigenen Erfahrung gelangten, und dem Einzelnen nur wenig Bemerkenswerthes zur Beobachtung vorkomme.

Freilich gäbe es Viele, welche nur nach Neuem strebten und das Alte verachteten, als ob dieses roh und nicht gehórig gebildet ge- wesen sey 99). Aber, wie oft das Neue Vorzüge habe vor dem Alten, so oft auch das Alte vor dem Neuen 99).

Um das Interesse für Geschichte und Literatur der besondern Fücher der Medicin lebendig zu erhalten, theilt er solche mit von der Physiologie 91), Pathologie 92), Semiotik 95), Therapie 9), Arzneimittel-

in cujus laudem duae orationes a me editae sint. In Hippocratis et Galeni gloriam minus quidem hactenus verborum feci, paria pene tamen illis a me tribui, sancte profiteor. Ut in illorum verba jurem, ab ipsis illis sum prohibitus.

Einige Male begegnete mir die Angabe: Conring habe zu einem Buche des Galen's einen Commentar verfasst (in libr. XIII de Methodo medendi una cum deli- neat. Meth. general. curandi omn. morb.), allein ich bezweifle die Richtigkeit; mir wenigstens wollte die Auffindung nicht gelingen.

88) Facilior ad prudentiam medicam via est per historiam, quam per usum ipsum: utpote cum hic seris demum ab annis veniat, historia autem juvenem erudiat; hic de omnibus uni homini vix contingat, historia omnium in promtu sit singulis (Opp. VI. 355).

89) ut tantum novis delectentur, veterum omnia spernentes, quasi doyetoy omne rude sit et impolitum (in der Zuschrift an Lilienström vor seiner Ausgabe des Fienus: Opp. VI. p. 360).

90) Ebend.: Sane fit saepenumero, ut majorum res nostris, ut nostrae quoque ilis multum antecellant. x:

91) Introductio in universam artem medicam. Helmst. 1654. 4. p. 81.

92) Ebend. p. 112. .

93) Ebend. p. 125.

94) Ebend. p. 136. D2

28 K. F. H. MARX,

lehre 95), Mineralogie und Zoologie 96), Botanik 97), Pharmacie und Chemie 98), Chirurgie 99), Diätetik 100).

Bei jeder sich darbietenden Gelegenheit hebt er hervor, wie durch das Studium der Geschichte nicht nur eine Fülle von Kenntnissen, son- dern ein selbständiges, sicherndes und gerechtes Urtheil erworben werde. Wer z. B. mit Autoren, wie Hippokrates und Galenus, näher sich be- freunde, der bliebe vor verführerischen Lehren, wie namentlich vor der der Chemiatrie, bewahrt 101).

Aus' den Aphorismen des Hippokrates lasse sich mehr Klugheit schópfen, als aus einer Masse von Büchern; schon deswegen, weil er von der Schwierigkeit der Erfahrung spreche 102),

In reeller Handlungsweise habe er alle Nachfolger 105) übertroffen.

Der Ausdruck des Coers „vom Göttlichen in Krankheiten“ bezeichne nichts weiter als Etwas, was die natürlichen Kräfte überstiege 109. Er bedaure, dass in den Schriften der Aerzte davon so wenig die Rede sey 105), An Behandlung der sogenannten góttlichen Krankheiten durch magische Mittel dürfe man dabei ja nicht denken.

95) Introductio. p. 152.

96) Ebend. p. 161.

97) Ebend. p. 168.

101) Opp. VI. p. 349: Qui Hippocratica ac Galenica amplexantur, artificium chemicum ignorant: qui vero hoc callent, vetere ac solida doctrina destituti, in Pa- racelsicum solent labyrinthum incidere.

102) Diss. de Autoribus politicis Opp. T. II. p.29: Ex historiae lectione potest condi prudentia, quoniam ex variis experimentis potest condi ars. Sed condere artem et prudentiam est ejus qui valet peritia demonstrandi, eamque accurate novit. Pru- dentia est universalium: qui enim prudens est, habet scientiam universalium: pru- dentiam condere debet fieri per inductionem scientificam. Hippocrates dicit (Aph. 1) experientia difficilis. Vult hoc, esse perdificile, condere artem ex experientia.

103) omnes post secutos antevertit (Opp. VI. p.' 357).

104) 9siov significare aliquid naturae vires excedens.

105) Sane doleo, raram adeo in medicorum libris hujus rei memoriam reperiri.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 29

Die Koryphäen der Medicin, die Aerzte der Jahrhunderte, kann Conring nicht oft und empfehlend genug als Muster unbefangener, ein- dringender Betrachtung, umsichtiger Prüfung und angemessener Behand- lung hinstellen; aber auch den minder ausgezeichneten, wenn sie sich irgend reelle Verdienste erwarben, weisst er die gebührende Stelle an 106),

8. 19.

Das Interesse, welches er an guten Schriften nahm, sprach sich auch dadurch aus, dass er einige, von denen er glaubte, dass sie zu wenig bekannt und benutzt, oder, weil selten vorkommend, kaum be- achtet würden, selbst herausgab.

Er hielt nur solche für ächte Schriftsteller 197), welche, vor den Scriblern 108) sich auszeichnend, das noch Unbekannte über die Natur der Krankheiten genau nachwiesen.

Noch als Student in Leyden ($. 6) liess er anonym Berengar's Buch vom Schädelbruch 109) erscheinen, um dem Publicum, welches nur nach lieblichen, nicht nach tüchtigen Büchern Verlangen habe 110), ein solches zu bieten.

Mit der Herausgabe des gekauften Heftes nach den Vortrügen des Lehrers in Lówen!!!) hätte er sich, streng genommen, nicht befassen

106) M. s. den von Gotlob Krantz [f 1733] mit seinen Anmerkungen heraus- gegebenen Commentar des Conring: De scriptoribus XVI post Christum natum se- éulorum commentarius, cum prolegomenis, antiquiorem eruditionis historiam sisten- tibus, Opp. T. V. p. 789. cap. 4. p. 793. c. 4. p. 796. c. 4. p. 798 c. 4. Ferner p. 801. 804. 807. 809. 810. 813. 816. 819. 822. 829. 850.

107) legitimi Apollinis filii, deque familia Maxi (Opp. VI. p. 363).

108) scripturientium.

109) Jacobi Berengari Carpensis de fractura Cranii liber aureus. Lugd. Bat. 1629. 8.

110) Derartige Bücher, sagt er (Opp. VI. p. 348) omnia longa firmata expe- rientia schütze man nicht. Pestis hodie lepidos invasit animos, ut nisi verba sesamo conspergas, non habeas lectores.

111) Thom. Fieni Libri chirurgici XII primum editi cura H. Conringii Francof 1649. 4.

80 K. F. H. MARX,

dürfen, weil Fienus [t 1631] ihn dringend gebeten hatte, es zu unter- lassen 112); Conring aber war der Ansicht, dass der reichhaltige Inhalt seine Indiscretion entschuldige. !

Zu der von ihm besorgten Ausgabe der Beobachtungen des Anhalt- schen Leibarztes Philipp Salmuth zu Dessau [t 1626], einer Sammlung merkwürdiger Fälle, untermischt mit seltsamen Mittheilungen, ladet ein beachtungswerther Brief von ihm ein 115).

Die angehängte Schrift von R. Capellutius 114), der Arzt und Wund- arzt in Parma war, erklärte Conring für wichtig in Betreff der gelieferten Krankheitsgeschichten und Behandlung.

Die Schrift des Bischof Janus Dubravius [+ 1553] über die Fisch- teiche 115), worin besprochen wird, wie solche einzurichten, mit welchen

Arten sie zu versehen, wie deren Brut zu behandeln seyen; ferner ihre N ahrungsweise in den einzelnen Jahreszeiten, ihre Fangart, ihre Krank- heiten H6), namentlich der Karpfen, vermehrte er durch Beiträge 117),

112) In einem Briefe antwortet er auf die Anfrage, ob er die Veröffentlichung billige: Rogo te per affectum tuum erga me, hoc ne facias, quia nomini ac honori meo injuriam faceres. Scio esse rudes, impolitos, non limatos, sicut sunt omnia dictata mea, quae studiosis praelego. Habemus semper et rarissimos auditores et communiter stupidos, ignaros, nec dignos limatis aut valde elucubratis lectionibus (Opp. VI. p. 362).

113) Philippi Salmuthi Observationum medicarum Centuriae tres posthumae. Cum H. Conringii praefatione de doctrina Pathologica. Accedit Rolandi Capelluti libellus de Peste a mendis liberatus. Brunsvigae. 1648. 4.

114) Rolandi Capelluti de curatione Pestis tractatus cura Conringii. Brunsvigae. 1649. 4.

115) De Piscinis Libri V. Helmstadii, 1671. 4.

116) Lib. IV. Cap. 6. p. 14.

. 117) Von M. T. Varro de rustica das 17. Kapitel des 3ten Buchs von L. J. M. Columella de re rustica das 16. und 17. Kap. des 8ten Buchs von C. Plinius Secundus das 54., 55. und 56. Kap. des 9ten Buchs der Naturalis Historia von Constant. Porphyrogeneta das 20te Buch der Geoponica von Petrus de Crescentia das 21. Kap. des 9ten Buchs de agricultura, auch das 37., 38. und 39. Kap. des 10ten Buchs von Conr. Heresbachius de rustica aus dem 4ten Buche das, was die Fischteiche betrifft.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 31

8. 20.

Bei aller Vorliebe für die Geschichte der Völker fühlte sich Conring mit Herz und Sinn hingezogen zu der seines Vaterlandes, und empfand es bitter, dass dieses natürliche Gefühl von anderer Seite so wenig em- pfunden wurde. Er klagt!!3), dass die Deutschen um ihre Geschichte sich nicht kümmern, ja das Deutsche verachteten, dagegen eifrig das rómische und griechische Alterthum studierten, nicht blos in wichtigen Dingen, sondern in den aller gleichgültigsten.

Wie jedoch diejenigen, welche eine geringe Meinung von den deut- schen Vorfahren üusserten, nicht wüssten, was sie thun, das beweist er, nach besten Kräften, in einer eigenen Schrift 119), um wenigstens selbst der Vernachlässigung der Pietät gegen die eigenen Vorfahren nicht schuldig zu werden 120),

Jene hätten sich, solange sie unvermischt mit andern Stämmen ge- blieben, durch auffallende Länge, Weisse der Haut, blaue Augen, langes gelbliches oder röthliches Haar ausgezeichnet.

In Folge der Keuschheit und nicht zu früher Verheirathung wären. von ihnen starke Kinder gezeugt worden.

Ihre Nahrung sey einfach und gesund gewesen; sie habe haupt- sächlich im Genusse von Milch bestanden. Käse wäre erst in später Zeit bereitet worden,

Gebratenes Fleisch hätten sie gegessen und Bier, jedoch ohne Hopfen, getrunken.

Aufenthalt in frischer Luft, namentlich bei der Jagd, habe zum Wohlbefinden viel beigetragen.

118) Opp. VI. p. 389: Ita res sese habet: plurimos videas in populo nostro quos nulla capit historia; multos qui fastidiunt Germania omnia, illa maxime obso- letiora et quasi cassa, impense nihilominus studentes historiis priscis Romanarum Graecarumque gentium. Multum torquet potius lectoris animum quam instruit.

119) De habitus corporum Germanicorum antiqui ac novi causis. Editio tertia (aetate jam in senium vergente, suprema manu emendata atque aucta). Helmstadii. 1666. 4,

120) Opp. VI. p. 389: pietas jubet, quam majoribus debemus postgeniti.

32 K. F. H. MARX,

Sie hätten sich an Kälte gewöhnt, aber auch der Waschungen und Bäder mit warmem Wasser sich bedient.

Allmälig hätten schwächende Einflüsse Statt gefunden durch er- wärmte Stuben, Federbetten, Misbrauch geistiger Getränke, Rauchen des Tabaks 121),

g. 21.

Aus dem Standpunkte, von dem ein Fachgenosse die Aufgabe der Arbeit und die Theilnehmer betrachtet, lässt sich auf die Anforderung schliessen, die einer an den Grad der eigenen Leistung und die Art der Durchführung stellt.

Zur Mediein, sagt Conring, sollten nur wenige, brave, mit natür- lichen Anlagen versehene, talentvolle, Individuen zugelassen werden 122), Da ihr Object ein kostbares sey, Fehler, welche Gefahr bringen, leicht begangen werden könnten, so wäre der Eintritt zu ihr nur denen zu gestatten, welche von der Bedeutung der Kunst eine volle Einsicht besässen 123),

Am besten passten dazu 124) aufgeweckte, emsige, beherzte, menschen- freundliche, angenehme, geschmackvolle, zu allen Stunden taugliche Personen.

121) Opp. VI. p. 118: Quin arbitror haud parum daturum damni tabaci fumum, quem nuper adeo conciliandi ebrietati America coepit nostro orbi mittere, quasi deessent nobis instrumenta dementiae.

122) De antiquitatibus academicis. Diss. II. Opp. 423: paucissimi, et illi quidem boni atque sdyvsis, sive ab ingenio instructi. |

123) Ebend.: Quanto nobilius est objectum illud circa quod ipsa versatur, quantoque errores ejus sunt faciliores pariter ac cum majori periculo conjuncti, tanto magis opus est uti caveatur, ne ad artem faciendam admittantur, nisi qui id quod artis est praestare norunt.

124) Diss. de requisitis in quolibet Studioso Academico. Opp. VI. p. 35: Ad artem medicam faciendam quam maxime apti sunt homines alacres, gnavi, erecti, humani, suaves, elegantes, et fere quales dici solent omnium horarum; ex adverso morosi, difficiles, tardi, rixosi, meticulosi, queruli, superciliosi , humiles, inurbani, agrestes artem medicam non feliciter exercebunt.

3 ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 33

Von blosser Empirie kónne keine Rede seyn, denn Nachdenken und Vergleichung, die Ermittlung der Ursachen von Gesundheit und Krankheit , Schlussfolgerungen vom Bekannten auf Unbekanntes 125) wären unerlässlich.

Im Leben freilich komme es nicht blos auf theoretische Studien an, sondern auf praktische, werkthätige 126),

Diejenigen Aerzte, welche einzig der Erkenntniss wegen 1?7) sich abmühten, seyen selten; bei den meisten wären Gewinn und äussere Ehre die Motive.

Die Pflicht bestehe darin, alles Krankhafte zu vertreiben, die ge- störte Gesundheit wieder herzustellen und zu erhalten ISBN,

Trennung zwischen Medicin und Wundarzneikunst habe unglaublich geschadet 129), Der Arzt brauche so wenig selbst Chirurg zu seyn als der Baumeister Zimmermann und Maurer; allein die Kenntnisse davon müsse er besitzen 1530),

Die verschiedenen Theile der Heilkunde, nemlich Physiologie, Diä- tetik, Pathologie, Semiotik und Therapie würen auch die der Moral 151),

125) De civili prudentia. Cap. 7. Opp. III. p. 314: ratiocinationi alicui, adeoque deductioni ignotae reiex notis. Quo quis est prudentior, eo magis perspectas habet rerum causas.

126) Diss. de requisitis in quolibet Studio Academico. Opp. VI. p. 35: Vita non consistit duntaxat in solis studiis Theoreticis, sed etiam in quibusvis Practicis et Operativis.

127) sola ducti veritatis cognoscendae jucunditate Opp. VI. p. 356.

128) Diss. de boni consiliarii in re publica munere. Conclusio. I. Op. IIL p. 1111: restituto homine dat operam in suo ut genere sanitas illa inducta incolumis maneat et servetur.

129) Opp. VI. p. 361: ut medici quidem illi, isthoc remedii genere destituti, saepenumero passi sint vim quorundam morborum ad desperationem usque augescere, qui à manu potuissent accipere medelam. Chirurgi vero artis medicae imperiti per- frequenter confugiunt ad aspera ignis et ferri remedia, non tantum nulla poscente necessitate sed etiam morbi natura id improbante.

130) Ebend.: Tantum volo, illi cui sanitatis cura committitur, etiam manuaria illa remedia intime cognita esse oportere.

131) Scipionis Claramontii praefatio. Opp. III. p. 108:

Phys. Classe. XVIII. E

e 34 K. F. H. MARX,

Wirft man auch nur einen flüchtigen Blick auf das, was Conring als Schriftsteller zu Stande gebracht, so kónnte man versucht werden zu glauben, er habe nur als solcher gewirkt; allein er gehórte seinem ürztlichen Berufe nicht nur als Lehrer an, sondern auch als ausübender Praktiker.

Oft finden sich Aeusserungen von ihm, dass er ganz von der ürzt- lichen Praxis in Anspruch genommen werde 15), und ebenso wichtige Bemerkungen von Kranken, die er selbst behandelte.

Interessant z. B. ist seine Mittheilung !55) der Heilung eines jungen Mannes, der in Folge einer starken Einreibung von Dleisalbe 154) gegen hartnückige Krätze, an heftigem Krampf, Schmerzen und Verstopfung litt.

Er erwähnt eines äusserst seltenen Falles von Lähmung, die, vom Nacken an, den ganzen Rumpf befiel 155),

Primam quidem, dum partes animae subjectas moribus horumque et affectuum causas considerat.

Secundam, dum animorum optimam constitutionem, virtutem scilicet omnem, tradit.

Tertiam, dum depravationem animi, vitia nempe ejus, aperit.

Quartam, dum signa morum et occultorum interim affectuum, ad animi morbos aut tollendos aut mitigandos affert.

Quintam, dum curationem ejusmodi vitiorum morborumque animi molitur, primo

. institutione ad virtutem tradita.

132) So z. B. in einem’ Briefe vom März 1644, womit er dem G. J. Vossius die von ihm, gegen seine Neigung verfassten historischen Schriften des letzten Jahres, um der Verdunklung der Wahrheit entgegen zu wirken, übersandt hatte. Er schreibt (G. J. Vossii et clarorum Virorum ad eum Epistolae. Collectore G. Co- lomesio. Augustae Vindelicorum, 1691. fol. p. 289): Haud diffiteor procul a me munere et vitae genere ut qui totus praxi Medica occuper esse quicquid istuc est studiorum, sed protractus sum invitus in hanc scenam ab iis qui novis artibus clarissimae veritati nebulam objicere in laude collocant.

133) In dem Briefe an S. Stockhausen in Goslar vom Jahr 1656. Opp. VI. p. 363.

134) Ebend. p. 864: rubri Lithargyrii.

195) paralysis a nucha incipiens universum truncum occupans, ceu vidimus in

rarissimo exemplo (de Paralysi Th. V. in H. Jordani de eo quod Divinum est in morbis. Francof ad M. 1651. 4.)

ZUR RUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 35

g. 22.

Die Empfehlung der propüdeutischen Studien kann man von Conring um so mehr erwarten, als er zuerst die Professur der Naturlehre bekleidete und erst darauf die der Medicin erhielt.

Das that er auch in Betreff der Chemie, Mineralogie, Botanik und Zoologie in seiner Einleitung zur Gesammtmedicin 136),

Ob er nun gleich die Erwerbung von Kenntnissen aus den ein- zelnen Reichen der Natur für nothwendig erachtet, so hält er es doch für mehr als bedenklich, sie auf Unkosten der eigentlichen Aufgabe des Arztes zu erlangen, oder zu cultiviren 157)

Ueber allgemeine Naturbetrachtung, als Gegenstand der Philosophie, handelt er, nach der Auffassung des Aristoteles, in einer besondern Schrift 158) und erwähnt dabei der Autoren, welche jene besprochen haben 159).

Zur Einleitung der Naturphilosophie gehöre die Chemie, aber ja nicht die der Chemiatriker 140).

Die Chemie sey gut, um die Arzneimittel zu vermehren, nicht aber um die Erscheinungen in der Natur des Menschen aufzuhellen. Im Organismus seyen noch andere Kräfte thätig, als die, welche von der Form und Mischung der Materie abhüngen.

Die natürlichen Dinge bestünden nicht, wie angenommen werde, aus Quecksilber, Schwefel und Salz, würden auch nicht in dieselben aufgelóst.

136) Introd. in univ. artem medicam. p. 205. 161. 168.

137) Quis non videt turpe esse metallorum, plantarum, animaliumque philo- sophiam occupare medicos et negligere morborum? (Opp. VI. p. 356).

138) Introductio in naturalem Philosophiam et naturalium Institutionum Liber I. Helmestadii. 1638. 4. ohne Seitenzahl.

139) Ebend. De naturalis Scientiae optimis auctoribus. Dieser Abschnitt wird von Manchen als besondere Schrift citirt.

140) Ad Philosophiae naturalis zrgozre:dsía» pertinet sane quadamtenus Chemia: quin imo ita solet illa vulgo laudari, tanquam nihil aeque Philosophiae huic prosit atque Chemiae cultura et exercitatio (De Hermetica Medicina. Editio secunda. Helmestadii. 1669. 4. L. II. cap. 9. p. 295).

E2

36 K. F. H. MARX,

Viele deuteten unter Mercurius den Geist an, unter Sulphur die Seele, unter Sal den Kórper; allein damit sey wenig gewonnen. Mit Mercurius suche man viel zu viel zu erklären. Aus Luft entstehe Wasser, aus Wasser Luft, aber aus Mercurius weder Wasser noch Luft I

Der Uebelstinde, wovon die Verantwortung nicht die Chemie, sondern ihre falschen Jünger trüfe, würen gar zu viele. Magie, Gold- macherkunst, Pralerei mit Arcanen verdrüngten die Heilkunst. Die Leichtglüubigkeit des Volks und das Haschen nach Geld schadeten noch mehr als die Anhänger des Paracelsus; denn, während diese mit an- geblichen Wundercuren anzulocken sich bemühten, wären sie selbst schwere Patienten und würden in den besten Jahren Leichen 14).

Mit dem Processe der Gährung beschäftigte sich Conring in frü- heren 145) und späteren Jahren 1), Feuchtigkeit und Wärme kämen dabei hauptsächlich in Betracht 145),

Unter den Gegenständen aus dem Mineralreiche werden die Erd- arten 146) besprochen nach ihrem Ursprung, ihren Eigenschaften, ihrer Verschiedenheit und Anwendung in der Technik und als Heilmittel.

Aehnlich werden Salz, Salpeter und Alaun nach ihrem Ent- stehen, ihrem Vorkommen, ihren Eigenschaften und ihrem Gebrauche abgehandelt 147).

Die Luft enthalte manchmal Krankheitselemente, wie z. B. die in

141) Disputatio physiologica de chymicis principiis corporum naturalium. Respond. H. Guntherus. Helmestadii. 1683. 4. Diese Abhandlung wird allgemein unter Conring's Namen aufgeführt, allein er starb 1681.

142) Opp. VI. p. 359.

143) Von Billichius waren erschienen Exercitationes de fermentatione. Francof. 1643. Als Conring seinen Tod erfuhr bemerkte er (Opp. VI. p. 349). Majus ingenii specimen exhibent nobis Billichii Observationes et Paradoxa chemica. Quorum editionem ipse ego Lugd. B. curavi.

144) D. de fermentatione. Resp. J. G. Behrens. Helmstad. 1672. 4.

145) Ebend. Thesis 47: Fermentatio est motus corporum mistorum, inprimis plusculum humidi habentium, vi caloris interni ortus.

146) De Terris. Resp. A. Probst. Helmest. 1678. 4.

147) De sale, nitro et alumine. Resp. H. Jordanus. Helmst. 1639. 4.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 37

Rom. Veranlassungen seyen daselbst die Ausdünstungen von Sümpfen durch Ueberschwemmung und aus den ehemals kostbaren, nun verfallenen Wasserleitungen 148),

S: 93.

Mit Anatomie und Physiologie beschüftigte sich Conring nicht bloss durch Lectüre, sondern er untersuchte sorgfültig Leichen und machte Versuche an lebenden Thieren.

Er selbst bemerkt einmal, dass er schon über 8 Tage an einem männlichen Cadaver Studien treibe 149),

Ueber ihn wird hervorgehoben 150), dass er die öffentlich vorge- nommenen Untersuchungen benutze, um die eigenen Beobachtungen mit denen der früheren Zeit zu vergleichen, ja dass er bis zum Ekel 151) mit der Anatomie sich befasse.

Den Nutzen dieser Lehre 152), ihren Werth für die Pathologie 155) preist er. Durch Unkenntniss derselben sey Hippokrates zu argen Fehlern verleitet worden 154).

In Folge eigener Prüfung kómmt er zu andern Ueberzeugungen als seine Vorgänger und Zeitgenossen. So z. B. in Betreff einer Angabe von Vesalius 155), und gemäss seiner Verfolgung der Lympfgefüsse, von Pecquet 156),

148) De republica papali Opp. IV. p. 372.

149) In einem Briefe vom 14. Febr. 1652 an Joh. H. Meibom Opp. VI. p. 372: redeo ab exercitio anatomico, quod per octo amplius dies jam in virili cadavere obeo.

150) Ex anatome corporis humani frequenter publice instituta observationes Suas cum venerandae antiquitatis placitis diligenter contulit, et ubique solertiam suam omnibus luculenter demonstravit (Opp. I. auf der 2ten (nicht paginirten) Seite).

151) Anatomia ad nauseam usque a Conringio tractata (Opp. VI. p. 371).

152) Incisio Cadaverum et perlustratio quid praestet (Opp. VI. p. 355).

153) Anatomia facit ad perficiendam pathologiam (ebend.)

154) Anatomiae ignorantia Hippocratem ad gravissimos lapsus adduxit (ebend. p. 358).

155) Opp. III. p. 196.

156) Opp. VI. p. 371.

38 FET H. MARX,

Die angeblichen Knochen von Riesen erklärte er für die grossen wilder Thiere 157).

Das anatomische Wissen der alten Aegypter sey ganz unbedeutend gewesen 158).

Mit Ausnahme des Herophilus habe Galenus in der x og uam kunst am meisten früher geleistet 159).

S. 24.

Einen so grossen Werth er auch auf das geschriebene Wort, na- mentlich der griechischen Aerzte legte, da, wo es galt, machte er, frei von bannenden Vorurtheilen, einzig auf das Buch der Natur aufmerksam und blieb bei der Quelle der Beobachtung.

Nur diese hielt er für entscheidend. Darum verlangt er auch von Andern 160), dass sie, wollten sie seinen, durch seine Sinne und viele Versuche erlangten Behauptungen, weil als Neuerungen erscheinend, nicht zustimmen, erst eigene Erfahrung erwerben sollten.

Er sagt, dass er, sowie er nur bei seinen vielen Arbeiten Müsse fände, sich zu seiner alten Liebhaberei, zur Zergliederung lebender Hunde 161), wende.

Dass er wichtigen fremden Erwerbungen, sobald er deren Bedeutung erkannte, ohne langes Säumen, zustimmte, das bewiess er ganz besonders nach Entdeckung des Blutkreislaufs.

Wer weiss, wie wenig Anerkennung William Harvey in England

157) Gigantium ossa, quae putantur, ingentium belluarum sunt (Opp. V. p. 231).

158) De Hermetica Medicina. Helmestadii. 1669. 4. L. L cap. 10.

159) Opp. VI. p. 358.

160) Opp. VI. p. 351: Quae a me proferuntur tanquam sensu et multis experimentis cognita, utut nova videri possint et a fide aliena, ne quis temere rejiciat, nisi in consilium ante sensibus suis et propria vel aliorum fide digna expe- rientia, adhibitis.

161) In einem Briefe vom 6. Febr. 1652. Opp. VI. p. 371: Simulac nonnihil otii a laboribus alienis plurimisque nactus sum, statim ad vivorum canem Gyatonmv, vetera mea oblectamenta, redibo.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 39

fand, wie er sich sogar veranlasst fühlte sein Buch de motu cordis 1628 in Frankfurt drucken zu lassen, wie aber auch in Deutschland dem Marktschreier (circulator) kein Glauben geschenkt wurde, der begreift, dass moralischer Muth und wissenschaftliche Freudigkeit dazu gehórten,

sich dafür zu erklären. Kurz nachdem Werner Rolfink [f 1673] den Blutkreislauf ver-

theidigte, trat auch Conring Öffentlich dafür auf 162). Seine in der Jugend verfasste Arbeit über die eingeborne Würme ($. 6), von der er glaubte, dass sie im Herzen ihren Sitz habe 165) und von da sich weiter verbreite, war mit Veranlassung, dass er die schla- genden Beweise für das Centralorgan des Kreislaufs um so lieber annahm. Die Galle werde in der Leber abgesondert 164). Den Nutzen der Milz 165) suchte er in einer Anziehung des Chylus. Ueber Ernährung entwickelte er in seinen Vorlesungen, wie er selbst angiebt 166), neue Ansichten. In der Dissertation darüber 167)

162) Paul Margnart Slegel (Schlegel) [f 1653] sagt in der Vorrede zu seiner Schrift de sanguinis motu commentatio. Hamburgi. 1650. 4. auf der 5ten nicht paginirten Seite: Si quis inter Germanos antiquitati est deditus et veterum gnarus, certe est Hermannus Conringius Phil. et Med. excellens. Hic vero in epistola ann. 1640 ad me scripta fatetur, venerari se vd mæla, si quis alius: at sensibus magis fidere. Item, velinvitum, se rapi in castra Harvei et manus dare. Inquisivit autem studiosissime in totam hanc doctrinam, et ipse egregio opere illustriorem reddidit.

Unter den verschiedenen Ausgaben benutzte ich die deutlich gedruckte: De Sanguinis generatione et motu naturali. Lugd. Bat. 1646. kl. 8.

163) M. Vergl: Scipionis Claramontii de conjeetandis moribus L. 1. $. 2. Opp. III. p. 116.

164) Ex sanguine in parenchymate aut tenuissimis jecoris vasis contento, fel nascitur (de sanguinis generatione. cap. 18).

165) potulenti chyli majorem partem ex ipso mox ventriculo a liene attrahi (Opp. VI. p. 351).

166) In der Vorrede zum Buche de sanguinis generatione: Ante hos tres annos de Vitiis natritionis ipsaque nutritione multa a popularibus sententiis dissidentia apud auditores in diatribus disserui.

167) D. de nutritione hominis. Disputatio prima. Resp. H. Jordanus. Helmst. 1039. 4.

40 K. F. HD. MARX,

wird aus einander gesetzt, wie die Nahrungsmittel verarbeitet und um- gewandelt werden.

Ausführlich wird gehandelt, wie die Absonderung der Milch 168) geschieht; über den Unterschied der Thiere 169), welche athmen und nicht athmen; über Leben 170) und Sterben. Das Leben könne lange dauern und viel für die Verlängerung gethan werden, aber eine Gränze

sey gesetzt.

g. 25.

Die Wichtigkeit der Semiotik, Diätetik, Arzneimittellehre berührt er in seiner Einleitung zur Gesammtmedicin 17), kömmt aber öfters, mit näheren Angaben, an anderen Orten darauf zurück.

Die Pulslehre des Galenus sey allzu subtil 172); allein der Puls liefere wichtige, sichere Zeichen 175),

Auf das Athmen 174) müsse genau geachtet werden, je nachdem es schwächer, ganz anders als gewöhnlich, erfolge und nachzulassen drohe.

Der Schmerz offenbare sich auf mannigfache Weise E

Kinder von zu alten oder zu jungen Eltern blieben, wenn sie nicht früh zu Grunde giengen, Schwüchlinge 176).

Dem Kinde sey die Muttermilch die von der Natur angewiesene Nahrung 177). Die Mütter müssten selbst stillen 178), | Mässigkeit im Essen und Trinken befáhige zu grossen Thaten. Durch sie hätten die Spanier die Herrschaft über die neue Welt ee

168) Exercit. physiologica de laete. Helmst. 1678. 4.

169) D. de respiratiorie animalium. Resp. Th. Conerding. Helmst. 1634. 4. 170) D. de vita et morte. Resp. Hier. Eberhart. Helmst. 1645. 4.

171) Introd. p. 125. 226. 152 und 161.

172) Ebend. p. 128.

173) Diss. V. L. 5. Q. Scipionis. Claramont. Cap. 4. 8. 3. Opp. III. p. 184. 174) D. de difficili respiratione. Resp. Andr. Probst. Helmst. 1639. 4. 175) Opp. II. c. 4. p. 258.

176) De Republica antiqua veterum Germanorum. XVII. Opp. L p. 13.

177) Ebend. p. 6.

178) Ebend. p. 7.

ZUR ERINNERUNG DER ÁRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRIN G'S. 41

Die Mannschaft der spanischen Marine bliebe deswegen gesunder als die der Holländer, weil alle deutschen Stämme der Unmässigkeit fröhnten 179),

Den Körper sollte man von Jugend auf an Kälte gewöhnen 190);

Umständlich werden die natürlichen einfachen und zusammenge- setzten Wasser, sowie die Thermen, besprochen 181), Carlsbad und Eger besonders hervorgehoben 132),

Die Liebhaber des Selbstdissensirens finden an dem Manne keine Stütze, der wusste, was dazu gehöre mit ganzer Kunst und Seele den Kranken zu dienen. :

Die Arzneimittel müsse der Apotheker bereiten, nicht der Arzt. Diesem fehlten dazu die erforderliche Vorsicht und die Zeit. Kümen in der Apotheke Nachlässigkeiten, selbst Betrügereien vor, so trüfe die Schuld nur Einzelne 185),

Beim Verschreiben der Rezepte bediene man sich fremder Wörter und Zeichen, damit das Lesen derselben verhütet und ihr Werth,: dem Publicum gegenüber, nicht geschmälert werde 184).

Ob ausländische oder vaterlündische Arzneimittel zu gebrauchen seyen, wäre noch eine unerledigte Frage 185).

179) De Republica Hispanica. Opp. IV. p. 74.

180) quod facit ad sanitatem, robur et omnem vitam (De recta in optima republ. educatione. III. p. 1093. oben).

181) D. de aquis. Resp. H. Conerding. Helmst. 1680. 4.

182) regno Dohemiae. Opp. IV. p. 317.

183) Nec fieri potest, ipse ut manu sua omnia conficiat: utque confecerit, non cavebit tamen semper, negotiis medicis cumprimis occupatus, omnem culpam. Quidni vero parem diligentiam et fidem adhibeat phamacopoeus, cui a magistratu id muneris, post perspectam quidem hominis integritatem et peritiam, jurato concreditum est, atque ipsius medici domesticus minister? Per negligentiam, imo et dolose, multa in pbarmaceuticis officinis quam frequentissime contingunt quidem; non ferenda, multo minuslaudanda. Verum haec culpa absit ut omnes commaculet (de bermetica Medicina. Lib. II. cap. 8. p. 293).

184) De caritate rerum. Opp. IV. $. 139. p. 807.

185) De maritimis commerciis. $. 12. Opp. IV. p. 861.

Phys. Classe. XVIII. X

42 K. F. H. MARX,

Gegen magische Mittel, seltsame Worte, Zeichen, Bilder, Anrufung von Geistern und Wunder-Salben müsse man sich erklüren; sie kónnten nur durch Einbildung nützen 186),

8. 26.

Pathologie und Therapie, sowohl die allgemeine wie die spe- cielle, erscheinen als diejenigen Doctrinen, auf welche Conring die gröste Mühe verwandte. Daraus geht auch überzeugend hervor, dass das rein Praktische, die Erkennung und Behandlung der Krankheiten, ihm Le- bensaufgabe war.

Unter vielen hierher gehörenden Bemerkungen mögen nur einige zur Charakterisirung seiner Denkungsart dienen:

Die Pathologie biete deswegen so grosse Dunkelheiten, weil die Ermittlung der Ursachen der Krankheiten äusserst schwierig sey 187).

Um dazu zu gelangen, müsse man mit geschürften Sinnen alle Ein- flüsse in Rechnung bringen und sich dieselben klar zu machen bemühen; auch dürfe man sich nicht blos auf Beobachtung der Symptome beschrünken, sondern die Leichen seyen auf das sorgfältigste zu untersuchen 188),

Quellen des Wissens wären solche Krankheitsgeschichten, welche von tüchtigen, wahrheitliebenden Aerzten herrührten.

Derjenige heile am besten, der sich über die Veranlassung der Krankheit nicht tüusche 189),

186) Usus imaginarius. M. s.: H. Conring de morborum remediis magicis et unguento Armario im Theatrum sympatheticum auctum. Norimbergae. 1662. 4. p. 613—623.

187) In seiner Widmung der Ausgabe von Salmuth vom Juni 1642 an die Braunschweiger Leibürzte Behrens und Comerding Opp. VI. p. 354: Causas omnium pervidere, superat fortassis indolem ingenii nostri.

188) Ebend.: Abhibendi sensus non tantum ad ea quae in corporibus integris datur percipere, sed etiam in mortuorum corpora incisa eorumque viscera et recon- ditos recessus summo studio animadvertendum. ;

189) Ebend. p. 356: Eum quam rectissime curaturum, quem prima origo causae non fefellerit. .

ZUR ERINNERUNG DER ÁRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 43

Verborgene Krankheiten ermittle. man aus der Untersuchung der Gelegenheitsursachen und aus den Zeichen der Stórung 190),

Mit die wichtigste Heilungsanzeige bestehe darin, zur rechten Zeit und mit dem rechten Mittel die Darm-Ab- und Ausscheidung zu befórdern 9);

Die Behandlung der Entzündung verlange Vorsicht. So wichtig auch die Blutentziehung sey, so könne damit äusserst geschadet werden 192),

Mit Besprechungen 195) huldige man dem Aberglauben.

Der Transfusion 19%) gelinge es zuweilen bei starkem Blutverlust das Leben zu retten.

Ein grosser Theil der speciellen Krankheits- und Heilungslehre erhielt Erläuterungen.

So z. B. aus der Abtheilung der Fieber die Bubonenpest 1%), welche damals noch arg Deutschland heimsuchte.

Conring lobt in einem Briefe vom März 1663 den Laurentius Gieseler, dass er seine eigenen, in Braunschweig gesammelten, Erfahrungen über dieses Leiden veröffentlichte 196), da dasselbe so verschiedenartig be-

190) Opp. III. 8. 1. p. 112.

191) D. de purgatione. Resp. Joh. Probst. Helmst. 1652. 4. j : 192) D. de ratione curandi inflammationes. Resp. J. M. Reinesius. Helmst, 1662. 4. Cap. 6. p. 57: Sicuti Natura debilitata non amplius debilitari debet, ita cane et angue pejus fugienda tunc venaesectio.

193) D. de incantationis circa morbos efficacia. Resp. H. A. Heintze. Helmst. 1659. 4.

194) Nonnisi extrema cogente necessitate et vitae nonnihil sustentandae causa, posse illam curationem interdum, sed raro, admitti (Opp. VI. p. 578).

195) D. de peste. Resp. Theoph. Matthaeus. Helmst. 1678. 4. Merkwürdig ist die Ableitung des Worts (Thesis 3): Dicitur pestis sive æ zéce quod cadere, aut prosterni denotat; sive a pessum, quod quos semel corripuit, facile pessumdet ; sive a pascendo, quod instar belluae venenatae urbes integras depascat, sive a peri- mendo, quod in morem jaculi derepente adoriatur mortales.

D. de febre maligna vulgo dicta Ungarica. Resp. H. C. Stisser. Helmst. 1668. 4. Unter den herzstürkenden Mitteln wird noch Bezoar empfohlen.

196) Gieseleri Observationes medicae de peste Brunsvicensi. Brunsvici. 1663. 4.

Cf. Opp. VI. p. 412. F2

44 K. F. H. MARX,

schrieben werde, verschieden auftrete und verschieden behandelt werden müsse.

Das hektische Fieber 197) wird sehr genau untersucht.

Unter den Entzündungen werden einzeln vorgeführt die des Ge- hirns 198), des Brustfells 19), der Lungen 200), und der Leber 201).

Was die Hautausschlüge betrifft, so hegt er über die Entstehung der Blattern mehrfache Vermuthungen. Den Ansteckungsstoff räumt er ein 222), Den Griechen und Lateinern wären Blattern und Masern un- bekannt geblieben 205).

Den Cachexieen, namentlich dem Scorbut 204(, aber auch der Wassersucht 20), widmete Conring viele Aufmerksamkeit.

197) D. de febre hectica. Resp. .ل‎ W. Berckelman. Helmst. 1659. 4.

198) D. de-phrenitide. Resp. H. Corbejus. Helmst. 1645. 4. Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, rothe Augen, Nasenbluten begleiteten das Leiden.

199) D. de pleuritide. Resp. Jac. Roeseler. Helmst. 1654. 4. Thes. 29: Indicia a coctione et maturatione seu qualitate sputi desumantur.

200) D. de peripneumonia, Resp. G. Huhn. Helmst. 1644. 4. Thes. 39: Materia affluxura revellenda, illa quae affluxit derivanda.

D. de peripneumonia. Resp. .ل‎ A. Papke. Helmst. 1676. 4. Ueber den Einfluss der Luft als Ursache und das epidemische Auftreten.

201) D. de inflammatione hepatis. Resp. W. Berckelman. Helmst. 1656. 4. Die Zufälle werden fleissig angegeben. In den Corollarien XI: Hepar non est prin- cipium venarum, ceu Galeno visum, sed Cor, quod placuit Aristoteli.

202) Certum est, in vulgus contagio quodam luem illam serpere (Opp. VI. p. 593).

203) D. de variolis et morbillis. Resp. H. Corbejus. Helmst. 1641. 4. Die Meinung, dass durch diese Krankheiten die Gesundheit gestürkt werde, sey durchaus irrig (8. 46).

204) D. de scorbuto. Resp. Leonh. Krüger. Helmst, 1638. 4. (der Drucker hat die Zahl 1671). Niederdeutschland werde heftig davon heimgesucht.

D. de scorbuto. Resp. Laur. Gieseler. Helmst. 1644. 4. Die Anschwellung der Milz verdiene Berücksichtigung.

In der Th. 10. heisst es am Ende: perdocte de his egit clarissimus Praeses in sua de Scorbuto disputatione (M. vergl. früher $. 7).

D. deScorbuto. Resp.J. G. Behrens. Helmst. 1659. 4. Die Krankheit sey den alten Aerzten bekannt gewesen. Die Antisscorbutica zeigten grössere Wirksamkeit, wenn als ausgepresste Säfte genommen, geringere als Decocte und Extracte ($. 55).

205) D. de hydrope ascite. Resp. J. H. Bossen, Helmst. 1672. 4. Darin auch

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 45

Die Ab- und Aussonderungskrankheiten, sowie die Krankheiten durch Zurückhaltung von Ausleerungsstoffen, erhielten reichliche Bearbei- tung, wie Blutspucken?96), Ruhr 207), Harnruhr 208), Podagra 209), Stein 210) der Niere und Blase.

Von Nervenleiden wurden einer näheren Betrachtung unterzogen die Zahnschmerzen ?!!), das Herzklopfen ?!2), die Ohnmacht 215), der

(Th. 31) die allgemeine Bemerkung: non adhibendi sensus tantum ad ea, quae in corporibus integris datur percipere, sed etiam in mortuorum cadavera incisa eorum- que viscera et reconditos recessus summo studio animadvertendum.

206) D. de haemoptysi. Resp. M. Homeyer. Helmst. 1676. 4. Es erfolge in den Lungengefässen entweder blos Durchschwitzung, oder Zerreissung.

207) D. de dysenteria. Resp. E. A. Schowartus. Helmst. 1656. 4. Was ge- nossen würde, dürfe nicht reitzen, auch nicht kalt seyn. Mandelmilch und Opium wirkten gut. Ä

D. de dysenteria. Resp. Z. Neukranz. Helmst. 1676. 4.

208) D. de diabete. Resp. M. A. G. Rivinus. Helmst. 1676. 4. Natur, Ur- sache und Cur werden besprochen. Was aber die letztere betrüfe, so sey sie mei- stens erfolglos.

209) D. de podagra. Resp. J. H. Hasselt. Helmst. 1678. 4. Der Ausspruch des Poeten: tollere nodosam nescit medicina Podagram gelte immer noch.

210) D. de calculo renum et vesicae. Resp. Andr. Behrens. Helmst. 1672. 4. .. Die Steine bildeten sich auf verschiedene Weise. Ob der in der Blase in den Nieren entstehe, sey zweifelhaft. Die AiJuevvec wären, wegen der geringen Hülfe, sehr zu beklagen. In der Th. 81 wird bemerkt: Calculos valide concretos nullum medica- mentum potest comminuere; quicquid multi jactitent.

211) D. de natura et dolore dentium. Resp. Fr. Heye. Helmst. 1662. 4. Gelegentlich (Th. 81) ein Fall vom gefährlichen Menschenbisse.

212) D. de palpitatione cordis. Resp. G. Huhn. Helmst. 1643. 4. Auf Blä- hungen als Ursache würde zu wenig geachtet.

213) D. de gravissimo cordis affectu, Syncope. Resp. W. Beust. Helmst. 1652. 4. Hauptveranlassungen seyen Schwüche des Herzens und Abnahme der eingebor- nen Wärme.

46 K. F. H. MARX,

Schwindel?!9, der Schlagfluss 215), die Lähmung 216), die Zuckungen 217), die Fallsucht 218), die Melancholie 219) und die Hypochondrie 220),

Die klassischen griechischen Aerzte sowie die späteren Matadore der Medicin werden zwar vorzugsweise in der Darstellung berücksichtigt, aber überall entscheidet selbständiges Urtheil und eigene Erfahrung.

8. 27.

Conring starb im Jahr 1681 und wurde auf einem seiner Güter zu Gross- Twülpstedt, nicht weit von Helmstedt, begraben.

214) D. de Vertigine. Resp. V. H. Voglerus. Helmst. 1650. 4. Gelehrte Arbeit hinsichtlich der Schilderung der Zufälle, Ursache, Dauer, Behandlung.

215) D. de Apoplexiae natura, causis et curatione. Resp. Andr. Probst. Helmst. 1640. 4. Die Deutschen nennten diesen gefahrvollen Zustand »die Hand Gottes«. Klystiere dürften nicht versäumt werden.

216) de Paralysi. Ohne Respondent und Jahrszahl in Hieronymi Jordani De eo quod Divinum aut Supernaturale est in morbis humani corporis. Francof. ad M. 1651. 4. Eine lehrreiche Auseindersetzung über die verschiedenen Arten der Läh- mung und deren Ursache. Th. 17: abscissis nervis sensum et motum perire. Th. 66: obstruuntur nervi et vasa vel in exortu suo velin progressu. Als Heilmittel werden (Th. 90) Gegenreitze empfohlen.

217) D. de Convulsionum natura, causis et curatione. Resp. Sam. Stockhausen. Helmst. 1638. 4. Berichtigung der Annahme des appetitus sensitivus. Man müsse : untersuchen, ob der Grund inanitio oder repletio.

218) D. de Epilepsia. Resp. H. Comerding. Helmst. 1642. 4. Nicht Amulete, sondern zweckmässige Mittel seyen anzuwenden.

D. de Epilepsia. Resp. A. W. Frisius. Helmst. 1656. 4. Die älteren Ansichten sorgfältig zusammengestellt.

219) D. de Melancholia. Resp. N. du Mont. Helmst. 1659. 4, In der Th. 16 wird bemerkt: óJodqofía Anginae speciem esse, non melancholiae.

220) D. de Morbo hypochondriaco. Resp. J. H. Brechtfeld. Helmst. 1662. 4. Raro quenquam inveniri qui ab hoc morbo sit immunis (Th. 59). Die Schlussworte lauten: Deo gloria, erratis venia.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 47

Heinrich Meibom??!) setzte ihm folgende Grabschrift: „Dieser Hügel umschliesst den Rathgeber von Königen und Fürsten, den Lehrer des Natur- und Völkerrechts, den erfahrensten in der praktischen und theoretischen Philosophie, den ausgezeichneten Sprachforscher, Redner, Dichter, Geschichtschreiber, Arzt, Theologen. Viele glaubst du hier umschlossen? Es ist nur der Eine Herman Conring, das Wunder des Jahrhunderts.“

Eine andere Grabschrift, auf einem, über hundert Jahre später zu seinem Ehrengedächtnisse von Strombeck ihm errichteten Monumente, lautet folgendermassen 222);

221) ا‎ Hoc Tumulo clauditur Regum Principumque Consiliarius, juris Naturalis gentium publici Doctor Philosophiae omnis peritissimus Practicae et Theoreticae Philologus insignis, Orator, Poëta, Historicus, Medicus, Theologus. Multos putas hic conditos? Unus est Hermannus Conringius saeculi miraculum.

Abgedruckt in den Opp. I. vorn. in Conringii Epistolarum Syntagmata. Helmst. 1694. 4. vorn. im Dictionnaire historique de la Médecine par N.F.J.Eloy. T.I Mons. 1778. 4. p.698. in der Quartschrift: Feier des Gedächtnisses der vorma- ligen Hochschule Julia Carolina zu Helmstedt. Helmst. 1822. S. 103.

222) Quocum bonae literae heic interdum rusticabantur, Hermannus Conringius tenues vastae mentis exuvias volebat isthoc obscuro angulo repostas, lucidi nominis late diffusi certus, lustris abhinc viginti quinque, Germaniae libertatis, virtutis, gloriae, rebus gestis, legibus, moribus partae justus vindex, Germanici imperii fines calamo felicius quam Caesar gladio tutatus, Germaniae ne suus deforet Grotius, tyrannidi sacrae et civili terror, artis rempublicam sobrie gerendi catus nec scholarum intenebris, sed vitae in luce edoctus magister, principum quorundam non in palatiis, sed e suo domicilio prudens consultor, optimisque inter illos, quos istud seculum ostentavit, carus et honoratus, aevi sui inter doctos miraculum, academiae Juliae insigne decus.

Nomini post lustra viginti quinque nobili totidem exactis, ac, dum suus bene meritis honos manebit, aeque futuro nobili Ao. MDCCOCVII. (Die lateinische Fassung ist von Henke. M. s: P. J. Bruns, Verdienste der Professoren zu Helmstedt um die Gelehrsamkeit. Halle. 1810. 8. S. 78).

48 K. F. H. MARX,

„Hermann Conring, mit dem die Musen auf diesem Landsitze | oftmal weilten, wollte vor 125 Jahren, dass die kleine Hülle seines‘ grossen Geistes hier im unbekannten Winkel ruhe; gewiss, es strahle dennoch stets der weit berühmte Name.

Ein treuer Kümpfer für deutsche Freiheit, Tugend, Ehre, erworben durch Thaten, Gesetze, Sitten; der des deutschen Reiches Grünze glücklicher mit der Feder, als mit dem Schwert der Kaiser schützte ; damit ein Grotius auch nicht den Deutschen fehle, ein Schrecken kirchlicher und bürgerlicher Herrschsucht; kundig der Kunst, des Staates Steuer zu lenken, belehrt nicht in der Schulen Dunkel, sondern in des Lebens Helle; der Fürsten Rather, in ihren Schlóssern nicht, sondern in dem eigenen Hause; von den Besten, derer sich sein Jahrhundert rühmte, geehrt und geliebt; ein Wunder unter den Gelehrten seiner Zeit, eine ausgezeichnete Zierde Juliens. Dem Manne annoch hochberühmt nach 125 Jahren, nach abermal 125 Jahren, und so lange Wohlverdienten Ehre bleiben wird, noch immer hochberühmt; im Jahre 1807.“

In der Bewunderung und in Lobpreisungen des Hingeschiedenen wetteiferte eine Unzahl der berühmtesten Männer 225, Wenige Anfüh- rungen mögen genügen:

So äusserte Justus Cellarius in der Rede 224), die er vor der Beer- digung hielt: „Gewiss ist unser seliger Conring als ein Wunder der Gelehrten zu schätzen, indem er den Ruhm eines tiefsinnigen Philosophi, eines hocherfahrnen Medici und hochgelehrten Theologi zugleich vor der gantzen Welt behauptet.“ Die Rede schliesst mit den Worten: Das Wunder des gelehrten Erdkreises, Conring, hat ausgeathmet 225),

Smidius 226) hob hervor, dass er eine lebendige Bibliothek und ein wandelndes Studirzimmer genannt werden konnte.

223) M. sehe die Iudieia et Testimonia auf den 6 Folioblättern vorn im lten Bande der Opera.

224) Abdanckungs-Rede (ohne Ort und Jahreszahl).

225) Miraculum eruditi Orbis Conringius exspiravit.

226) a.a. 0.: Sine exaggeratione Bibliotheca vivens et Museum ambulans dici meruit.

ZUR ERINNERUNG DER ÁRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 49

H. Wiedeburg, Professor der Logik, bemerkte als Decan der Philo- sophischen Facultät, über Conring in den Annalen, dass derselbe eine Zierde der ganzen Academie gewesen sey 227,

Jac. Brucker??8) lüsst es ungewiss, ob Deutschland in jenem Jahrhundert einen gelehrteren Mann besessen habe.

H. F. Link nannte zu seinem Ehrengedächtniss eine Pflanzen- gattung Conringia 229),

Wie viele lebende Mediciner, alte wie junge, kennen, wenn auch den Namen, die Verdienste Conring’s, welche im Auslande die Achtung vor deutscher Gelehrsamkeit und im Vaterlande so mannigfache be- deutende Bestrebungen weckten ?

Leider gilt die Unbekanntschaft mit seinen, wie mit ähnlichen Ar- beiten, nicht als Mangel, sondern fast als Vorzug, denn da nur die der Gegenwart der Anerkennung sich erfreuen, wird die Vertrautheit mit denen der Vergangenheit für Zeitverlust gehalten.

Möge in unsern Tagen, wo ein grosses und starkes Volksbewusst- seyn sich immer mehr ausbildet, den Aerzten der Sinn für die Geschichte ihres Fachs, und namentlich ihrer tüchtigen älteren Collegen, wieder beachtungswerth erscheinen, und das Studium der Leistungen der Männer, welche die den Lebenden gebotenen Früchte heranreifen halfen, zur tiefgefühlten Verpflichtung und ehrenden Nothwendigkeit werden!

227) Singulare Ordinis philosophici ornamentum atque decus totius Academiae, cujus gloriam per integros quinquaginta fere annos docendo scribendoque plurimum ilustrarat. Erat in viro hoc excellens ingenium, judicium acre, memoria firma, eru- ditio varia atque prorsus exquisita, nec non veteris Aristoteliche veraeque philosophiae propagandae atque tuendae studium indefessum. M. s.: P. J, Bruns, Verdienste der Professoren zu Helmstedt um die Gelehrsamkeit. Halle. 1810. S. 78. 5

228) Historia critica Philosophiae. T. 4. Pars I. Lips. 1734. 4. p. 324: Quo viro incertum est utrum eruditiorem isto in saeculo habuerit Germania.

229) nemlich alpina (Arabis brassicaeformis Brassica alpina Erysimum alpinum) und perfoliata (Erysimum perfoliatum orientale Brassica orientalis - perfoliata).

Phys. Classe. XVIII. G

Mo. Pot. Garden. i01.

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K. F. H. MARX,

Uebersicht des Inhalts.

Pflicht auf Herman Conring aufmerksam zu machen.

Lage und Stimmung seiner Zeit.

Einfluss der Universitäten.

Die Bedeutung von Helmstedt.

Biographische Notizen. Erste Jugend und Ankunft auf der Universität. Besuch von Leyden. Hielt 2 öffentliche Reden. Gab eine Schrift des Berengar von Carpi heraus. Einladung als Arzt nach Paris. Aussicht in Helmstedt Professor der Naturlehre zu werden.

Ankunft in Helmstedt. Trauriger Zustand der Stadt. Anstellung als Profis der Naturlehre.

Wird Doctor der Medicin und Philosophie, Professor der Medicin, Doctor der Jurisprudenz, Leibmedicus, geheimer Rath, Staatsrath.

Wird auch Professor der Politik gegen seine Neigung.

Verdienste um das óffentliche Wohl, um die Philosophie des Rechts, um die Begründung des deutschen Rechts.

Anschuldigung wegen einer Pension von Ludwig XIV.

Sachwalter für die Stüdte Cóln und Lindau. Nur Patron gerechter Sachen. Engbegrünzte, vorgeschriebene Studien. Stórungen durch Krieg und kürper- liche Leiden. Poetische Ader.

Vorliebe für die Medicin. Achtung seiner Person in dieser Hinsicht. Wirksamkeit in der medicinischen Facultät. Lehrer, Freunde, Collegen. Hochhalten der Geschichte. Deren Empfehlung durch Lehre und Schriften. Beurtheilung der alten Aerzte.

Geschichte und Literatur der einzelnen Fücher der Medicin.

Besorgte Ausgaben der Schriften von Berengar, Fienus, Salmuth, Capellutius, Dubravius.

Ueber die Ursachen der Körperbeschaffenheit der Deutschen in alter hdd neuer Zeit.

ZUR ERINNERUNG DER ÄRZTLICHEN WIRKSAMKEIT HERMAN CONRING'S. 51

8. 21.

Bildungsgrad und Wahl der Aerzte. Gegen die Trennung der Medicin und Chirurgie. Vergleichung der Lehren der Medicin mit denen der Moral. Aerzt- liche Thätigkeit und Erfahrung Conring's.

Propüdeutische Studien. "Warnung vor ihrer übermässigen Cultur auf Un- kosten der eigentlichen Aufgabe des Arztes. Begrünzung der Chemie. Phy- sikalisches.

Anatomische und physiologische Untersuchungen.

Versuche an Thieren. Oeffentliche Erklärung für Harvey.

Ueber Semiotik, Diütetik, Arzneimittellehre. Gegen die Pulslehre des Galen's. Empfehlung der Mässigkeit. Gegen das Selbstdispensiren.

Pathologie und Therapie.

Grabschriften. Urtheile und Lobeserhebungen. Pflanzengattung Conringia.

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Zur Beurtheilung des Arztes Christian Franz Paullini.

Von Dr. K. F. H. Marx.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 4ten Januar 1873.

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Mi dem Ruhme verhält es sich wie mit dem Geruche des Moschus; so sehr dieser auch haftet und sich bemerklich macht, auf einmal ist er verschwunden. So lange ein bedeutender Mann lebt, wird man nicht müde von seinen seltnen Eigenschaften und unsterblichen Verdiensten zu reden; ist er todt, so wird das Lobpreisen still und stiller, die Erinne- rung an ihn immer seltner und schwächer. Die junge Generation nimmt wenig Notiz von ihm; glaubt sie auch nicht gerade, dass derselbe der Anerkennung genug gehabt hätte, so hat sie vollauf mit der Bewunde- rung Lebender zu thun.

Sinken erst die Freunde des Gefeierten ins Grab, verstummen die Posaunen, so erlischt allmälig das Gedächtniss für seine noch so grossen Leistungen. Sogar errichtete steinerne Monumente, welche davon zeugen sollen, bleiben wenig berücksichtigt und verwittern unbeachtet.

Auch das geschriebene Wort, welches die Zeiten überdauert, findet später kaum Leser, wenn die Schilderung nicht anziehend und leicht geniessbar erscheint, denn die Neigung fehlt alte, vergilbte Papiere, zumal wenn deren Sprache lateinisch ist, in die Hand zu nehmen.

Bei den Aerzten, deren Beruf auf die unmittelbare Gegenwart hin- weist, sie auch völlig in Anspruch nimmt, könnte die Vernachlässigung der Ueberlieferungen entschuldigt werden, wäre nicht die Medicin eine Erfahrungswissenschaft, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit hat.

Je mehr sie ihren Wirkungskreis lieben, und je tiefer einsehen, was erforderlich war, um den jetzigen Höhepunkt des Begreifens und

54 K. F. H. MARX,

Könnens zu erreichen, um so dankbarer müssten sie denen seyn, welche zum Ausbau der Lehre, wie zur Anerkennung des Standes, das Ihrige beigetragen haben.

Genau betrachtet ist nur derjenige wahrer Heilkünstler, welcher, abgesehen von dem Wissen und den Fertigkeiten, die sich von selbst verstehen, die Beurtheilung seines Fachs nicht aus dem Becher der Tagesliteratur, sondern aus dem Born der Geschichte schöpft, der aus innerster Ueberzeugung die Stammhalter hochhält und Gerechtigkeit übt gegen frühere Verdienste.

S. 2.

Die Erinnerung an einen ehemaligen ergiebigen Schriftsteller scheint um so gerechtfertigter, wenn derselbe, ohne es verschuldet zu haben, den Lebenden nur von einer verwerflichen oder komischen Seite bekannt und zu befürchten ist, dass ein solches Vorurtheil, je lànger es dauert, immer mehr zur unbezweifelten Thatsache sich gestalten werde.

Nicht nur die Jugend ist rasch mit dem Worte fertig, auch das Alter. Ohne viel Bedenken werden lieblose, harte Urtheile geüussert. Es schmeichelt dem Selbstgefühle, einen Andern für unbedeutend halten zu dürfen.

Das Publicum pflichtet dem Hörensagen bei; die Gebildeten richten sich nach den Aussagen von Autoritüten, sowie nach dem, was in Recen- sionen oder literürischen Werken angegeben ist. Was in derartigen Schriften gedruckt steht, wird nur zu háufig vertrauensselig hingenommen und der Wahrspruch derselben, wenn er auch nichts weniger objectiv, nach tiefeingehender, ruhiger Prüfung, gefällt wurde, sondern nach ober- flächlicher Abschätzung, nach leidenschaftlicher, gehässiger Partheylich- keit, verpflanzt sich, als unbeanstandetes Axiom, wie eine Erbkrankheit, von Geschlecht zu Geschlecht.

Es ist übrigens eine unbillige Forderung, dass gelieferte biographische Mittheilungen und Gelehrten- Lexica in allen Fällen unbedingt das Richtige anzeigen; die Masse, welche von ihnen bewältigt werden musste,

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 55

war zu gross. Der strenge Leser, welcher sie benutzt, darf sich bei ein- zelnen ihm aufstossenden Ungenauigkeiten, keinen Vorwurf gegen ihre erschütterte Zuverlüssigkeit gestatten, sondern er hat die erstaunliche Schwierigkeit der überwundenen Arbeit zu bedenken. Seine Anerkennung für die von jenen Verfassern aufgewandte unsügliche Mühe, bewiesene Einsicht und Gewissenshaftigkeit, kann er blos dadurch bethätigen, dass er Nachsicht übt und sich bestrebt, das Vermisste zu ergänzen und zu berichtigen.

Ein Recht zum Tadel oder Ignoriren von Individuen scheint vor- zuliegen, wenn nicht zu lobende Ansichten oder Handlungen derselben nachgewiesen werden. Wie aber, wenn es sich, bei gründlicher Nach- forschung und Vergleichung, ergiebt, dass die vorgebrachte Anschuldigung an Glaubwürdigkeit leidet, nur aus Missverstehen der Sache wie der Zeitumstände entsprang und blos aus bequemer Nachsprecherei sich erhält?

Wer noch so empfindlich ist in Betreff der Beurtheilung seiner eigenen Person, verfährt oft rücksichtslos mit der von Andern. Der mahnende Spruch: was du nicht willst, dass dir die Leute thun sollen, das thue ihnen nicht, bleibt unbeachtet.

Ehe von der Natur eines Stoffs geredet wird, sucht man durch die genaueste Analyse, sowie durch das Mikroskop, diesen kennen zu lernen; allein von der Natur eines Menschen wird geredet, ohne sich um die wahren Eigenschaften zu kümmern, nach allgemeinen Eindrücken, dem blossen Scheine.

Die Gegenwart wird zu häufig auf Unkosten der Vergangenheit gepriesen. Die vielgerühmte gute alte Zeit war allerdings nicht die beste, und der Weise sieht sich nicht veranlasst sie zurück zu wünschen; allein im Schaffen war sie nicht müssig. Wer einst das Seine, wenn auch in geringem Maasse, zu den jetzigen Errungenschaften beigetragen, verdient in Ehren gehalten zu werden. Hat doch der Bewohner eines Hauses, das auf nassem Grunde erbaut worden, die trocknen gesicherten Räume den eingerammten Pfählen zw verdanken.

56 K. F. H. MARX,

S. 3.

In unseren Tagen, wo die Aeusserung vaterlündischer Hochgefühle nicht mehr, wie in dem Jahre des Heils 1819, mit dem Kerker bestraft wird, ist es wohl gestattet die Aufmerksamkeit auf einen Mann hinzu- lenken, der nicht nur als Praktiker, medicinischer Schriftsteller, Poly- histor, gekrönter Dichter, Pfalzgraf in hohen Ehren stand, sondern als warmer Patriot für das Ansehen und die Macht Deutschlands sich aus- gesprochen hat.

Je weniger von einer Persönlichkeit, von der man es am wenigsten erwartet, nicht nur tüchtige Gesinnungen für die Ehre des Vaterlands, sondern auch eifrige Bestrebungen für die Begründung und Förderung der Geschichte desselben ausgingen, scheint es um so mehr geboten, dieselben hervor zu heben und zur Geltung zu bringen, als nur weg- werfende Urtheile, wie über den Menschen, so über seine Arbeiten, ver- breitet sind.

Wer freilich nur Sinn und Verstündniss für die Gegenwart hat, blos deren Maassstab kennt und anzulegen versteht, wer durch Voll- kommenes verwóhnt Mangelhaftes belüchelt und verachtet, in Gesinnungen und Thaten nur das Ideelle würdigt und hochhält, der wird überhaupt yon Individuen und Werken, die einer Zeit angehören, wo umfassende geistige Beurtheilung und geschmackvolle Darstellungsgabe erst im Durchbruche begriffen waren, nicht angezogen werden.

Sind nun gar Sprache und Art der Darstellung nichts weniger als gewühlt, sondern hart und absonderlich, so begreift es sich, dass eine gewisse Ueberwindung dazu gehört, eine genauere Bekanntschaft mit einem solchen Autor zu pflegen.

Um jedoch so zuverlässig als möglich die Wirksamkeit eines Viel- genannten in einer Periode kennen zu lernen, wo bei aller aufgebotenen Kraft und Anstrengung der Einzelnen, nur Vorbreitungen für das spü- tere Schóne und Brauchbare getroffen wurden, dann auch, um zu erfahren, ob die Erneuerung des Ehrengedüchtnisses sich als Pflicht herausstelle oder nicht, da bleibt nur übrig, unbekümmert um die Mühe des Auf-

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suchens oder um die fragliche Ausbeute, das vorhandene Material zu sammeln, und gewissenhaft zu prüfen.

Zeigt es sich, dass in irgend einer Richtung Wichtiges nicht nur angeregt, sondern hervorgebracht, aber verwischt und vergessen wurde, so ergiebt sich die Forderung: ein erworbenes Recht unpartheiisch zu vertheidigen; die übertriebene Verehrung ebenso sehr wie die unverdiente Verwerfung zu bestreiten, in der Schützung Maass zu beobachten.

Mit Schädeln Kegelspiel zu treiben ist ein an Wahnsinn grünzender, ruchloser Uebermuth; aber in der Literatur an nicht unverdienten, lüngst Verstorbenen, Spass und Hohn auszulassen, ist ebenso unbesonnen als frevelhaft. ' Ä

Die Todten soll man ruhen lassen; nur das Denkmal über ihrem Grabe erneuern, oder das fehlende, wenn das Gedächtniss in Ehren gehalten werden muss, errichten.

Die Gräber aufwühlen, um Etwas aufzufinden, was zur Unterhaltung dienen könnte, ist ein trauriges Geschäft.

Das Leben jedes Individuums, wenn richtig aufgefasst, kann zur Erläuterung des Begriffs der Menschheit dienen. Vor falscher Auslegung und verwirrender Zusammenstellung, sowie vor Missbrauch der vorhan- denen Data ist zu warnen. Behauptungen, welche zu unwahren Folge- rungen veranlassen, sind nicht zu rechtfertigen.

Wer die Fackel der Geschichte, statt damit das Dunkel zu erhellen, zur Belustigung oder gar zur Brandfackel gebraucht, der ist ein Possenreisser, Lügner oder Verbrecher.

An der Menschennatur ist so viel zu bewundern, dass dem sinnigen Forscher kaum Zeit, noch weniger Neigung bleibt, nach dem Unlautern und Hässlichen zu spähen. Genug, dass solches vom Tage gezeugt wird; der Tag mag es auch wieder verwischen.

Damit soll nicht gesagt seyn, Unrecht zu verschweigen, Tadel zu unterdrücken, sondern nur lieber das Positive als das Negative aufzu- suchen und, ohne vollständige Kenntniss, nicht zu richten. Auch der Starke consequente Wille wird durch verführerische Stunden gelähmt.

Der Unterschied zwischen einem Thoren und Weisen giebt sich

Phys. Classe, XVII. H

58 K. F. H. MARX,

dadurch kund, dass jener Delirien belacht oder deutet, dieser sie als Ausdruck einer Störung und als Aufgabe der Heilung erkennt.

Jede biographische Notiz kann für den Leser Spiegel und Auffor- derung werden zur Vergleichung der fremden Denkart, Schicksale, Mängel und Leistungen mit den eigenen. |

S. 4.

Wird auch das Bild eines Menschen vorzugsweise aus dem deut- lich, wie er sich Andern zeigte, wie er fühlte, dachte und was er that, so ist doch sein Lebensgang mehr als blosser Rahmen, denn wie das Innere auf das Aeussere wirkt, so das Aeussere auf das Innere. Auf Inhalt und Ton der Schriften haben Erlebnissse-grossen Einfluss.

Daher sind Notizen über Entwicklung, Fortbildung, Gunst und Ungunst des Verhängnisses höchst wichtig.

Vom grösten Interesse sind selbst verfasste Mittheilungen, mögen diese auch noch so fragmentarisch seyn.

Solche nun, obgleich blos in wenigen Blättern bestehend, existiren von Paullini, zwar unter einem andern Namen erschienen !), aber un- verkennbar von ihm.

Schon die Schreibart macht ihn kenntlich, noch mehr die Erwäh- nung einer Unzahl seiner alphabetisch aufgeführten gelehrten Bekannten, Theologen, Juristen, Mediciner, Philosophen, Philologen, Dichter, Historiker, sowie die Titel von 19 OE UN welche er noch her- aus zu geben beabsichtigte.

Ich wenigstens bin so fest überzeugt, dass das Schriftchen von ihm selbst herrührt, dass ich dasselbe ohne Weiteres als seine Autobiographie citire ?).

Ein mit ungewóhnlicher Sorgfalt durchgeführter Artikel über Paullini

1) Vita, Studia et Gloria Paulliniana, fida crena descripta ab Esaja Dahlborn, Ph. et. M. D. 1703. 8. ohne Seitenzahl. Hinter dem Buche von Paullini: Nucis moschatae curiosa descriptio. Francofurti et Lipsiae. 1704. 8.

2) Da ein Pseudonymus als Verfasser genannt wird, so geschehen die An- führungen wie von einer andern Person.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 59

erschien von Johann Moller 5, Rector in Flensburg [+ 1725]. Aus ihm ist genommen, was im Allgemeinen seit mehr als 100 Jahren über Paullini hie und da in Büchern sich vorfindet. Beide standen, wie Moller angiebt, in Briefwechsel, und Paullini erwähnt seiner 4). e

S. 5.

Christian Franz Paullini zu Eisenach am 25. Febr. 1643 geboren, wuchs als Waise und mittellos 5) auf.

Nachdem er, von wohlwollenden Gónnerinnen und Gónnern unter- stützt, die Schulen seiner Vaterstadt, zu Mühlhausen und Gotha besucht hatte und sich für seinen künftigen Beruf entscheiden sollte, war er in der Wahl zweifelhaft. Seine verstorbene Mutter hatte ihn nemlich, wührend ihrer Schwangerschaft, dem geistlichen Stande gewidmet; er selbst neigte zur Arzneikunde. Um nun beiden Anforderungen gerecht zu werden, entschloss er sich Theologie und Medicin zu studieren, wozu er in Coburg den Grund legte.

Die Reiselust, die er nun anfing, zu befriedigen, hielt er, nach dem Rathe Galen's, für einen Arzt gerechtfertigt 6).

Er besuchte zu seiner weiteren Ausbildung zunächst Copenhagen.

Von Erasmus Bartholinus [zuerst Professor der Geometrie, darauf der Medicin + 1698], dem jüngsten Sohne von Caspar B., scheint er immatriculirt worden zu seyn ?).

3) In dessen Cimbria literata. Havniae. 1744. Fol. T. Il. p. 622—633.

4) in der Dedication seiner Observationes medico-physicae. Lips. 1706. 8. an den Fürstabt in Corvey auf der 4ten (nicht paginirten) Seite.

5) Es heisst in der Autobiographie am Schlusse: parentibus orbatus, patrimo- nium ab aliis raptum.

6) Ebend.: Medicum oporteat varias regiones orbis perlustrasse, diversasque civitatum et locorum temperaturas, situs et constitutiones accurate novisse, ut de ilis possit judicium ferre.

7) Ebend.: Fasces academicos tunc tenebat Erasmus, in cujus museo juramentum praestitit Noster.

H2

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Er hórte theologische, juristische, philosophische, philologische und medicinische Vorlesungen; letztere bei Thomas und Erasmus Bartholinus, Olaus Borrichius, Olaus Worm.

Ihm gefiel die dortige Einrichtung, von einem Studien- Director geleitet zu werden 9).

Darauf hielt er sich einige Zeit in Hamburg auf, verschaffte sich in Wittenberg den Magistertitel, und begab sich dann nach Leyden.

Diesen Aufenthalt kann er nicht genug rühmen ?), namentlich seinen Hauptlehrer Sylvius de le Boé 1°), und äusserst dankbar für seine Fort- bildung durch den Besuch der Collegien und Hospitäler schied er 11).

Nun ging's nach England. Nach Bezahlung des Schifferlohns war ihm nur Ein Mark im Beutel geblieben; allein er vertraute auf Gott 12). Auch wurde es ihm leichter, als er dachte, Er erfuhr nicht nur, weit über sein Erwarten, das herzlichste Entgegenkommen !5), sondern als Privatlehrer zweier deutschen Adelichen fand er Gelegenheit sich das Land, namentlich Cambridge, näher anzusehen. i

In London wurde er von Robert Boyle freundlich aufgenommen 14); in Oxford wurde ihm Gelegenheit den Ruhm von Thomas Willis zu theilen.

8) Ebend.:Laudabilis mos est in Regio hoc Archi-Gymnasio, ut novitius quisque peculiarem sibi seligat studiorum directorem , cui dubia mentem animumque suum fideliter exponat, adiens eum quavis hebdomade, monita ejus attendens, eumque, ceu fidum hodogetam, tuto sequens.

9) Ebend.: urbem, benignissimam suam nutricem, benefactricem et fidelissimam magistram.

10) Ebend.: Placuit Leyda, inque hac praesertim 6 Javucewoc dvjo Sylvius seu Franciscus de le Boé, famam qui terminat astris.

11) Ebend.: Sub manuductione Sylviana, Lindeniana aliorumque re sua in audi- toris et nosocomiis feliciter acta.

12) Ebend.: Soluto Londini naulo, unica adhuc marca Lubecensis in zona hae- rebat. Deo tamen commendabat vias suas, ipseque omnia bene fecit.

13) Ebend.: Reperiebat tales patronos et amicos in terra aliena, quos nunquam in patria, seu consanguineos inter suos, sperasset.

14) Ebend.: humano alloquio dignabatur.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINL 61

Er verweilte an diesem Musensitze über ein Jahr, theils im Interesse seiner Kunst, theils um die gelehrten Schätze zu benutzen und die frucht- bringenden Geister der Engländer anzustaunen 15).

Befriedigt in jeder Weise kehrte er nach Leyden zurück, wurde da Doctor, machte einen Ausflug nach Amsterdam, wo er die unter- richtenden Gespräche von Blasius, Decker, Barbette genoss, und reiste darauf in den fernen Norden, nach Schweden, Norwegen, Lappland, Island. Auf den Rath eines in Bergen lebenden deutschen Arztes, Treubler, hatte er sich nach dem letzteren Lande begeben, das man für das nórd- lichste Europa’s hielt 16), und er brauchte die ausgeführte Unternehmung nicht zu bereuen. Wie überhaupt jene: grosartige Natur, fesselte ihn besonders der Vulkan Hekla !?).

15) Ebend.: Ultra annum honeste et sine querela, magno cum artis suae incre- mento, ibi vixit, nocturna diurnaque manu Eruditorum monumenta versans et ferti- lissima Anglorum ingenia serio admirans.

16) Ebend.: cujus consilio et hortatu ultimam adiit Thulen, abstrusissima Naturae magnalia et alia scitu notatuque digna in remotissima hac insula studiosius con- templaturus.

17) Er soll sich darüber in einer eigenen Schrift (De famoso et ignivomo Islan- diae monte Hecla observationes physicae singulares. Hamburgi. 1676. 4.) ausge- sprochen haben, die ich jedoch nicht auftreiben konnte.

In einer seiner ersten Schriften: (Dissertatio epistolica, complectens problema curiosissimum : an mors naturalis sit substantia verminosa? Viro super aethera noto et vere Athanasio Kirchero inseripta. Romae. 1671. 4. Spütere Ausgabe: Disquisitio curiosa an mors naturalis plerumque sit substantia verminosa ? revisa, aucta et emendata. Francof. et. Lips. 1703. 8.) kómmt er $. 74. p. 161 auf diesen Gegenstand zu sprechen, indem er bemerkt: Der Berg Hekla liege nicht am Meere, auch nicht nach Norden, wie behauptet würde, sondern gegen Mittag. Ego istum nee perpetuum ignem eructare vidi, nec tanta saxorum cinerumque egestorum copia omnia longe lateque explere, ut ad vigesimum lapidem terra coli nequeat, nec spectra aut circumvolitantia corvorum agmina, nec lamentabili ejulatu personantem audivi.

Was nun diese Schrift über die Frage betrifft, ob der natürliche Tod eine wurmige Substanz sey, so sagt er: Alles Lebendige habe in sich eine Unzahl Thiere, schlechthin Würmer genannt. Und wieim Hiob stehe (XVII. 14) »die Verwesung heisse ich meinen

62 K. F. H. MARX,

Nachdem er wieder in Hamburg eingetroffen, erhielt er den ehren- vollen Ruf als Professor nach Pisa. Das Reisegeld für ihn war bereits vom Herzog von Toscana nach Köln abgeschickt 13).

Die Wahl desselben hatten, seiner Vermuthung nach, auf ihn ge- lenkt der ihm geneigte 19) Athanasius Kircher [F 1680], und der in Florenz weilende Nicolaus Stenonis 20) [+ 1686] ^ Krankheit jedoch zwang ihn zur Resignation.

Wie diese beiden einflussreichen Männer ihm fortwährend gewogen blieben, das ersieht man aus späteren Briefen von ihnen, so z. B. von Kircher?!), wo dieser ihn wegen seiner deutschen Redlichkeit und Ge- lehrsamkeit rühmt, und ebenso von Steno 22), der ihn vermisst und seinen Fleiss anerkennt.

Nun prakticirte er in Hamburg und dem benachbarten Holstein, unternahm eine kurze Reise nach Frankreich und folgte dann einer Einladung zum Bischof Christoph Bernhard in Münster als Leibarzt und Historiograph 25). In dieser Stelle blieb er drei Jahre bis zum Tode dieses Herrn im J. 1678.

Vater und die Würmer meine Mutter und Schwester« bildeten diese die Substanz des Todes. Der Herzensfreund von Luther, Niklas von Amsdorff, habe sogar die Erb- sünde eine Substanz genannt.

18) Autobiographie: Magnus Hetruriae Dux locum inter professores Pisanos ei spoponderat, cambiumque miserat multorum scutorum Coloniam Agrippinam pro sumtibus itineris.

19) Ebend.: qui semper amavit eum.

20) Ebend.: Steno degens tunc in aula Florentina.

Steno, zuerst Professor der Medicin in Copenhagen, nachher, weil zum Ca- tholicismus übergetreten, Titularbischof von Titiopolis in Griechenland.

21) Non solum pectus germano candore praeditum , sed et omnigena eruditione et doctrina excultum luculenter cognovi (Vota et censura excellentium Virorum vorn in Paullini’s Cynographia).

22) Si hic Te haberem, de loco Pisis obtinendo inter Professores non desperarem. Laudo industriam (ebend.)

23) Autob.: Christoph, Bernhard, Magnus Germaniae Princeps, Episcopus Mo- nasteriensis et Administrator Corbejensis Medici Historicique spartam ei demandabat.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI 63

Nach dieser Zeit hielt er sich in Wolfenbüttel und Hameln auf, bis er im Jahre 1689 als Physikus seiner Vaterstadt angestellt wurde 24), in welcher Eigenschaft er auch bis zu seinem Tode am 10ten Juni 1712 verblieb.

Im Jahre 1706 erlitt er einen Schlaganfall, der seine rechte Seite und den rechten Arm lähmte. Stets unverheirathet geblieben, und ge- nóthigt das Haus zu hüten, hórte er nicht eher auf zu arbeiten, als bis die Füsse anschwollen, die Schwäche zunahm und das Herz still stand 25).

S. 6.

Die Art und Weise, wie für das Fortkommen und die Behandlung des alleinstehenden Jünglings gesorgt und ihm, fern von der Heimath, jede Thüre, an der er klopfte, geöffnet wurde, lässt vermuthen, dass er sich durch anziehende Gaben zu empfehlen verstand und durch auffallende Kenntnisse sich auszeichnete. Diese Vermuthung wird auch durch Thatsachen bestätigt.

Während er als Student in Copenhagen sich aufhielt, weilte da- selbst Joseph Franz Borri?9) Dieser, ein vorzüglicher Arzt, besonders

In seiner Bestalung zum Stifts- und Landmedicus der Reichsabtei Corvey, welche zur Jurisdiction des Bischofs zu Paderborn gehórte, und wovon er auch eine Geschichte schrieb, wird er verpflichtet, Krankheiten zu verhüten und zu heilen, bei Seuchen den Armen beizustehen, Quacksalber abzuhalten, die Apotheke zu beauf- sichtigen. Sie findet sich vom 16. Juli 1675 abgedruckt in den Wetzlar'schen Bei- trägen. IT. S. 351.

24) Autob.: vocatus tandem a Patria ut Physicus ordinarius cum lautiori salario, miram Dei providentiam admirabatur.

25) Moller a. a. O. p. 625: Tot libris, operibus consiliisque, in coelibatu per- petuo bene de republica conatum mereri literaria Paulinum apoplexia dextri lateris brachiique vehementior domi se continere coegit, usuque orbavit brachii. Ille tamen, corpus admodum debile animo jubens obsequi adhuc vegeto, non ante studiis incum- bere desiit literariis, quam morti, a tumore pedis acceleratae lethali senex septua, genarius succumberet.

26) M. vergl. meinen Aufsatz: Borri oder der Tod eines Arztes im Gefängnisse in meinen Mittheilungen über Zwecke, Leiden und Freuden der Aerzte. Göttingen. 1867. 8. 8. 6—10.

64 K. F. H. MARX,

auch Augenarzt und Chemiker [er starb 1695 im Gefängnisse der In- quisition zu Rom], hatte an seinem Wohnorte durch seine freisinnigen Aeusserungen über Religion den Verdacht der Ketzerei auf sich geladen. Excommunicirt und vom Gerichte vorgeladen, war er von Land zu Land bis nach Dänemark geflohen. Der Sprache unkundig, bedurfte er eines Dolmetschers und einen solchen fand er an Paullini 27).

Wie ihm dieser Umgang mit dem selbstdenkenden Italiener von vielen Seiten verargt wurde, so auch der mit dem feingebildeten Polen Stanislaus Lubienski (Lubenicius), einem eifrigen Socinianer, der viele Zweifel hegte an den Satzungen der Kirchenlehre ?8).

Von seinen Neidern, die auf eine Gelegenheit warteten, ihm zu schaden, in Betreff seiner Rechtgläubigkeit verdächtigt, musste er sich zur Vértheidigung vor der versammelten Geistlichkeit stellen 29).

Das Urtheil jedoch fiel so sehr zu seinen Gunsten aus, dass seine Reden nicht nur jeden Argwohn gegen ihn beseitigten, sondern ihm die Achtung der Versammlung zuzogen, ja dass sogar der Vorsitzende, der Erzbischof, ihm das Werk von Athanasius Kircher über den Magneten als Geschenk verehrte und sein Freund wurde 5°).

Auch in seinen alten Tagen scheint er von den Wächtern Zion's

27) Autob.: Sub umbra augustissimi Friderici III vivebat Hafniae, a Romana Ecclesia ob heterodoxiam proscriptus, cujus interpretem aliqualem egit Noster. Cum enim Dani et Germani opem viri et consilia medica certatim expeterent, ipseque harum linguarum haud gnarus esset, Romano ore Ei, quae voluere, dixit, ideoque se gratum reddidit inclyto Italo. Et sane hac occasione multa e blateronibus et invidis ficta falsoque divulgata audivit.

28) Ebend.: Suspectum fecerat conversatio celeberrimi, at heterodoxi, Lubenizii. mathematici excellentissimi.

29) Ebend.: Vocatus a Doctoribus et professoribus Theologiae, ut rationem fidei suae redderet, comparuit animose, cunctaque dubia solvit prudentissime, ut Archi- Episcopus Swaningius ceterique assessores maxime aestimarint juvenem de rebus theologicis accurate et nervose discurrentem.

30) Ebend.: Cumque nihil omnino reperirent optimi viri reprehensione dignum, candorem ejus remuneravit Archi-Praesul Magnete Kircheriano , et ardentius postea amavit.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 65

beaufsichtigt worden zu seyn, da man ihm einmal mittheilte, seine hi- storischen Abhandlungen würden von der Inquisition verdammt 31. . Ob die Jesuiten, von welchen er nichts wissen wollte, wie er sie auch der Geschichtschreibung für unfähig erklärte 32), daran schuld waren, bleibt dahin gestellt.

Wahrscheinlich haben seine aufgeklürten Ansichten, sowie seine Bedenken und Zweifel in Betreff der Evangelien 55), Misfallen erregt und ihm den Verdacht des Unglaubens zugezogen.

Die Huldigung übrigens, welche er der Forschung und berühmten Männern darbrachte, hielt ihn nicht ab, solche auch merkwürdigen Frauen zuzuwenden, von deren Seite eine wohlwollende Anerkennung ihm nicht entzogen worden zu seyn scheint.

Als nemlich Anna Maria Schurmann, eine hervorragende Grösse in der -Kenntniss alter und neuer Sprachen, in der Mathematik, in- der Dicht- und Kupferstecherkunst 5*9), mit ihrem Freunde, dem Theologen Labadie, in Hamburg war, wurde er häufig, zur Unterhaltung zuge- lassen 55), Beweis genug, dass es ihm besser gelang ihr Rede zu stehen als den doch sonst nicht ungeschickten Jesuiten, welche so von ihr in Verlegenheit gesetzt wurden, dass sie meinten: jene besässe eine spiritum familiarem.

- 31) Quod vero, ut nuncius attulit ex Italia, inquisitio romana dissertationes meas historicas damnarit, cachinnos meretur, non indignationem (aus einem Briefe von ihm aus Eisenach am 23. Juni 1696 an den Fürstabt Florenz von der Velde in den Wetzlar'schen Beiträgen. II. S. 344.).

32) In nulla re magis stultescunt Jesuitae quam si historias scribere velint, ad quod negotium omnes inepti sunt (ebend.).

33) M. s. seine Schrift: Anmuthige Lange Weile. Frankfurt. 1703. XXVII— XLII. S. 87—126. S. 127 bemerkt er, dass in den Offenbarungen Petri und Pauls »albern Fratzen und alt-vettelisch Gewäsch« enthalten sei.

3 34) Ueber sie spricht Paullini mit der hóchsten Bewunderung in seinem Teutschen Frauen-Zimmer. Frankfurt. 1705. 8. S. 121—130.

35) Autob.: alloquiis celeberrimae Schurmannae crebrius usus.

Phys. Classe. XVIII.

"n. K: F) H. MARX,

S x

Im gewöhnlichen Leben heisst es: „sage mir, mit wem du ne und ich sage dir, wer du bist." Diese Schlussfolgerung erleidet bei Gelehrten insofern eine Ausnahme, als deren Verkehr weniger durch gleichartige Gesinnungen als durch zufällige Arbeiten unterhalten wird. Doch eine ‚gewisse Schätzung lassen solche Verbindungen, wenn sie nicht blos momentan Statt finden, immerhin zu.

Ueberblickt man das: in Paullini’s Autobiographie -enthaltene Ver- zeichniss der Celebrititen ats verschiedenen Ländern von allen Facul- täten, mit denen er vertraut gewesen, so kann man sich dem Glauben nicht verschliessen, dass nicht nur eitles Bemühen von seiner Seite, sondern Anerkennung bestimmter Vorzüge von der andern dazu mit- "helfen musste. |

Aus der grossen Zahl von Aerzten werden solche, wie Ammann, Caspar und Thomas Bartholinus, Olaus Borrichius, Camerarius, H. Con- ring 36), Doläus, Franck von Franckenau, Garman, Horst, Heinrich Meibom, Carl Patin, Peyer, Rhodius, Riedlin, Schellhammer, Tralles, Wedel etc, ein gutes Verhältniss nicht unterhalten haben, wenn sie nicht am Wissen oder am Charakter eine gewisse Garantie gehabt hätten.

Und allerdings gewinnt man eine sehr gute Meinung über ilm, wenn man sich die in seinen Schriften befindlichen, einfach edlen Grundsätze und freimüthigen Bekenntnisse vergegenwärtigt.

Er führte. als Motto: candore 37) et labore, und ohne Zweifel liess er es an Anstrengung nicht fehlen, dasselbe im Leben zu bewähren,

36) Wie dieser zu Paullini stand, ergiebt sich aus der Stelle eines Briefes von i jenem an ihn: Ne dubites et conatibus Tuis me etiam atque etiam favere et quoque promtissimum esse ad omnia amicitiae officia exhibenda (Vota et censura excellentium "Virorum vorn in Paullini's Cynographia).

37) Seine Schrift De candore liber singularis, variis Antiquitatibus, memorabi- libus et curiositatibus illustratus. Francof. et Lips. 1703. 8. bespricht die weisse Farbe. Daran schliessen sich Betrachtungen und Nachweisungen, wem diese Bezeich- nung zukomme. 1262868186 Namen, wie Albinus (p.24); Entstehung der weissen Farbe;

E eb

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI 67

Fleiss, sagt er, könne kein Guter tadeln 58. Um das Quacken der Frösche kümmere er sich nicht$9). Was er für recht erachte, das vertrete er, ohne zu wanken und zu weichen. Wie hart der Kiesel- stein sey, das erfahre der, welcher daran schlage *9).

Selbstgefühl hatte er, allein er überhebt sich nicht. Wenn er auch dem Fürstabt Franz von der Velde es vorhält, dass er ihn statt mit „Edel und Hochgelart" mit ‚„Ehrsamb‘ anredet*!), so nennt er sich selbst Menschlein, Bodensatz, Schatten #2). ;

Auch für seine literarischen Arbeiten zeigt er keine Ueberschätzung,

denn er bezeichnet sogar seine angeborne Fühigkeit als unfruchtbare.

Er könne aber nicht müssig seyn *5). 0 |

Er erklärt, dass er nach dem Lorbeer, nicht nach Gold, gestrebt habe. Obgleich ohne Besitzthum, wäre ihm. der Mangel fern geblieben; durch Arbeit und edles, redliches Betragen seyen ihm Ehre und Ruhm zu Theil geworden 4%).

weisse Gewänder bei den verschiedensten Gelegenheiten; Licht; Greisenhaar; Thiere mit weissem Felle ete, Die Rose sei ursprünglich weiss gewesen, allein durch das Blut des Adonis oder der Venus nach Verwundung ihres Fusses wäre sie in roth d wandelt worden (p. 243). + 38) Industriam. nemo -bonus- yituperabit (Vorrede.zu der Schrift de ier wt terrestri. Francof. 1703. 8). 39) Ranas coxantes haud formido. Ebend. 40) Praebeo me non aliter, quam rupes aliqua in vadoso mari destituta, quam fluctus non desinunt, undecunque moti sunt verberare, nec ideo autloco eam movent aut per: tot aetates crebro incursu suo consumunt. Assilite, facite impetun, ferendo vos vincam. Duritia silicis nulli magis quam ferientibus nota est. - bend.

© 41) Wetzlar’sche Beiträge. II. 346.

42) Ego pusillus homuncio, fex et umbra (Vorrede zu seiner ا‎

43) Cum secundum lemma Academiae nostrae »nunquam otiosus« esse tenear, semper aliquid parturio. Et licet e sterili ingenio animalculum omnibus invisum aliquando prodeat, satius tamen est, legibus obsequi, quam nihil egisse (Vorrede

zu seiner Lycographia).

44) Autob.: Laurum, non aurum quaesivit. Interim nihil habenti nihil unquam defuit. Labore et candore gloriam honoremque adeptus est.

I2

68 K. F. H. MARX,

Der sey glücklich, welcher wenig begehrt und mit seinem Schicksal zufrieden ein ruhiges Leben führt, ohne Weiteres zu verlangen *5); aber wie ein zusammengeballter Igel müsse man sich wehren 46).

. Niemals müssig habe er seine Zeit verbracht 47).

Von Jugend auf habe er mit Missgunst zu kümpfen gehabt, aber ihm habe einzig am Herzen gelegen guten und gelehrten Männern zu gefallen *8).

Grosse Menschen würden durch die Tugend, nicht durch das Glück gemessen 49)

Mehr als einmal sey ihm die Stelle eines Professors und Leibarztes angetragen worden, aber mit seinem Schicksal zufrieden, habe er sich wohl befunden 59), !

Wer dem Herrn lebe, dem Erdkreise und sich, der bleibe vom gekünstelten, nebelhaften Treiben fern 51).

Wie diese seine eigenen E ipio اع‎ so lauten auch die von Fremden.

. Als er z. B. zum Adjunct der Academia Caesareo Leopoldina Naturae Curiosorum erwählt worden war, schrieb ihm, unter mannig- fachen Lobeserhebungen, der Präsident Lucas Schroeck, dass er uner- müdlich, ohne Rücksicht auf das eigene Befinden, sich bemüht habe Andern zu nützen und treu, nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Liebe zur Sache, an ihrem Schiffe die Ruder geschlagen 52).

45) Beatus, qui minima cupit, suaque sorte contentus tranquillam agit vitam, et nil ultra appetit (Vorrede zu seinen Obs. medico-physicae. Lips. 1706. 8).

46) Eminus et cominus pugnandum est, more echini conglobäti (ebend.).

47) Autob.: nunquam otiosus rem suam egit.

48) Ebend.: Aequos et iniquos, fidos et invidos rerum suarum censores ab ipsa adolescentia habuit, bonis tamen doctisque placuisse sat est.

49) Ebend.: Magnos homines virtute metimur, non fortuna.

50) Ebend.: Haud semel Ei oblatum memini professorium munus et spartam

iatri, sed sua sorte contentus, bene vixit.

51) Ebend.: Qui Deo vixit, Orbi et sibi, ab omni fuco et fumo, qui totum de- mentat mundum, alienus.

92) Ebend.: Tanta sunt tua merita, ut recensere cuncta chartae hujus angustia

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PULLINI. 69

Paullini äussert am Schlusse seiner Autobiographie, dass Alles untergehe, nur nicht Arbeit und Rechtschaffenheit 55).

Aussprüche solcher Art lassen vermuthen, dass der Grund seines Gemüthes rein war. |

S. 8.

Das Richteramt über längst Vergangenes zu üben ist schwer. Liegen auch noch so mannigfache, gültige Zeugnisse vor, viele Anhaltspunkte fehlen. Haben sich Gewohnheiten, Sitten, Ansichten geündert, Sachen einen entgegengesetzten Werth, Worte eine verschiedene Bedeutung erlangt, so tritt an die Stelle des Wissens gar leicht blosse Muthmassung, subjective Auffassung, selbst anmassendes Aburtheilen.

Dazu kómmt, dass hochwichtige einflussreiche Momente der Berück- sichtigung sich entziehen. Lage und Stimmung, unter welchen literürische Arbeiten verfasst wurden, bleiben hüufig unbekannt oder gelangen nicht in Rechnung.

Paullini z. B. scheint oft missverstanden, angefeindet, verstimmt worden zu seyn; auch war er 6 Jahre lang (von 1706—1712) an der rechten Seite gelähmt, also von fremder Hülfe abhängig. Was unter solchen Umständen in die Oeffentlichkeit gelangte, ermangelte der in- neren Freudigkeit und der eigenen strengen Controle.

Aus den von ihm häufig angeführten Stellen aus griechischen und römischen Geschichtsschreibern, Rednern, Dichtern ergiebt sich, dass er .in der klassischen Literatur bewandert war. Da diese nun dazu dient einen feinen, geschmackvollen Sinn auszubilden, so sollte man erwarten letzteren auch bei ihm zu finden, doch das ist nicht der Fall Bei ihm erfährt man zur Genüge, wie Urtheil ohne Kritik über Vielerlei, ohne Auswahl sich äussernd, ein ungeniessbares Wirrwarr hervorbringt.

prohibeat. Placuit Tibi hactenus contemto omnis laboris onere, aut propriae valetu- dinis periculo, multis prodesse, fideliter in Argo nostra promovenda remum duxisti, non lucri cupidine, sed virtutis amore. 53) Cuncta ruunt, vastae turres labuntur et urbes, sed labor et candor nescit in orbe mori.

70 K. F. H. MARX,

Die Richtung der Zeit, Absonderliches mitzutheilen und recht ausführliche Arbeiten zu liefern, übte auf ihn einen überwältigenden Einfluss.

Das Auffallende, Ungewöhnliche, Monströse, Pikante zog so allgemein an, dass vorzugsweise darnach getrachtet wurde. Die Neugierde hatte die Wissbegierde überwuchert. -

Mit aus diesem Grunde prangt fast auf allen seinen Titeln von Büchern und Abhandlungen die Ankündigung von raren und curieusen Dingen.

Die damals berühmtesten Gesellschaftsschriften der Academia Na- turae Curiosorum, wovon er eifriger Mitarbeiter war, haben das ihrige treulich dazu beigetragen.

In den meisten seiner Productionen behauptet sich dx Haschen nach Befriedigung von wenig Bekanntem, Unerhörtem, wie eine fixe Idee.

.Um im Bestreben, Vollständiges zu Stande zu bringen, hinter An- dern nicht zurück zu bleiben, sondern sie, wo möglich, zu übertreffen, schleppt er aus allen Winkeln Masse zusammen, Brauchbares und Unbrauchbares.

Das Gesammelte und Erlebte wird in einem so vollen Schwalle mitgetheilt, dass man vor der überstrómenden Fülle, wie Göthe’s Zauber- lehrling, der das bannende Wort nicht kannte, ausruft:

Immer neue Güsse

Bringt er schnell herein,

Ach! und hundert Flüsse

Stürzen auf mich ein. . Zur Erklärung, selbst zur Entschuldigung, حت‎ Verfahrens kann vielleicht Folgendes dienen:

Bevor Paullini die Ausarbeitung einer Monographie unternahm, meldete er seine Absicht seinen Bekannten mit der Bitte um Beiträge. Kamen solche, so mussten sie höflicherweise benutzt werden.

. Die Anordnung des Stoffs geschah in einer vorgeschriebenen, gleich- lautenden Norm der Academia Naturae Curiosorum, nemlich zuerst das philologische, physische, auch anatomisch Bemerkenswerthe, dann Defi-

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nition, Beschreibung; hierauf das historisch Interessante im Gottesdienste, im gewóhnlichen- Leben, bei Eidesleistungen, Träumen etc. Es folgte das Politische in Betreff der Verwaltung, Benennung von Orten, Familien, Gesellschaften; das Vorkommen in Spielen, Abbildungen, auf Münzen, im Frieden wie im Kriege, bei Leichenbegüngnissen etc. Nach Schilderung der óconomischen Benutzung und dem Misbrauche kómmt nun erst recht ausführlich das Chemisch-Medicinische, Eigenschaften, Kräfte, bereitete Arzneimittel, innere Krankheiten, äussere Uebel, und den Schluss macht der Hausgebrauch.

Dass die Ausfüllung einer solchen Uebersicht ein embarras de richesse verursachen musste, ist einleuchtend.

Bod. z

Gebietet die Billigkeit von einem nicht mehr zu erwarten, als den Umständen nach möglich ist, so kann Nachsicht dem so eben Getadelten durch die Verhältnisse, in denen er sich bewegte, nicht versagt werden. Nach Ansicht unserer Periode wäre es. weit besser gewesen, wenn er keine so dickleibigen Bücher, sondern dünnere mit aufgewandter Prüfung geschrieben hátte, aber in der damaligen scheint man diesen Uebelstand nicht empfunden zu haben.

Was in einer Zeit und an einem Orte hochgehalten wird, steht nicht selten zu einer andern und wo anders, in geringer Geltung. So giebt es bekanntlich Länder, wo Asant den Namen cibus deorum trägt, . Wogegen in andern den von stercus diaboli.

Und wie wenig der Gehalt zuweilen den Erwartungen entspricht; das zeigt die Analyse wie der Destilirapparat der Blüten der Linden , und Akazien, aus denen, so weithin sie auch duften, kein Tropfen ätherischen Oels gewonnen werden kann.

Paulini hat viel gedichtet5* und dieses Talent muss anerkannt

“edo faris Postanm Magistra. Hafniae. 1667. 4. Pygmaeus Academicus s. seleetorum ` Epigrammatum tres Centuriae. Hafn. 1671. 4. Nordische Palm- Sprossen oder allerhand geistliche und weltliche Gedichte. Lübeck. 1672. 8.

Das Buch betitelt: Poetische Erstlinge, Oder Allerhand Geist- und Weltliche

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und gefeiert worden seyn, da die Leopoldina ihm keinen angemesseneren Beinamen beizulegen vermochte, als den von Arion. Da dieser, der Sage nach, den Dithyrambus erfand, und ins Meer gestürzt, von einem Delphin, welcher seinen Tönen gelauscht hatte, auf seinem Rücken ans Ufer ge- tragen wurde, so ist nicht zu verwundern, dass er glaubte, als Dichter ewig zu leben 55). `

Aber seine Weisen sind längst verklungen und es würde für kin- disch erachtet werden, daran jetzt noch erinnern zu wollen.

Alles hat séine Zeit, und vor dem Vergessenwerden giebt es nur schwache Schutzmittel- Wer kümmert sich noch um die, Jahrzehnte spüter erschienenen, kostbaren, Gedichte von Haller? :

In Prosa liess Paullini sich's angelegen seyn für angenehme Un- terhaltung zu sorgen zum Nutzen und Ergótzen für Jedermann 56).

Teutsche Gedichte. Leipzig 1703. 8. stammt, wie die Vorrede ergiebt, aus dem Jahre 1671, wo er zu Copenhagen sich aufhielt.

Als Probe der 3 Abtheilungen móge folgendes Gedicht auf die Vergnügsamkeit eines guten Gewissens, wenn auch nicht die hohe Dichtergabe, doch die gute Ge- sinnung des Verfassers andeuten:

Was soll ich hier und dar nach eitler Ehre lauffen,

Und falsche Menschen- Gunst mit schwerem Gelde kauffen? Wenn mein Gewissen nur nicht einen Makel kriegt,

So bin ich allgenug an diesem Lohn vergnügt.

55) Autob.: Omnia dum fuerint, suavis Arion erit.

56) Zeitkürtzende erbauliche Lust, zum vortheilhaften Abbruch verdriesslicher Lang- weil und mehrerem Nachsinnen. Frankfurt 1694. zweiter Theil 1695. dritter Theil 1697. 8.

Anmutige lange Weile, das ist, allerley rare und curieuse Aufgaben, Fragen und Denkwürdigkeiten zu jedermanns Nutzen und Ergetzung. Ebend. 1703. 8.

Philosophische Lust-Stunden, Oder Allerhand schóne, anmutige, rare, so nütz-

lich als erbauliche, Politische, Physicalische, Historische, Geist- und Weltliche Cu- riositàten, Männiglich zur pesce Ergetzung wohlmeinend mitgetheilt. Piee und Leipzig. 1706. 815 Seiten. ^s Besonders beachtungswerth sind: Von E Kaysern S. 17. Ob das in dm pesci Christi abgenommene Vorhäutlein noch in der Welt sey, oder wo es hinkommen? 8. 254. Ob Comes Palatinus befugt sey Doctoren zu creiren S. 294. Die durch Fabuln verunehrten Aposteln S. 324. Von vergifteten Oblaten. S. 468.

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Mehrere dieser Schriften sind sehr belehrend und reichhaltig.

Man wird überrascht von allgemein interessirenden Fragen und historischen Notizen.

Auch die Medicin geht nicht leer aus, wie z. B. die Auseinander- , setzung, dass jeder Mensch, wie alle Thiere aus einem Ei geboren wer- den 57; über das Wiederanwachsen abgehauener Nasen 58); über die Heilung der Krankheiten blos durch Klystiere 59) etc.

Wie sehr ihm daran gelegen war erprobte praktische Rathschlüge zur allgemeinen Kenntniss zu bringen oder richtigere Begriffe als damals herschende zu verbreiten, das zeigt seine Bauren-Physic 60).

Dass er das Seinige that, um die vaterlündische Mundart zu ver- bessern, ersieht man daraus, dass die beiden Gesellschaften, welche damals sich die Aufgabe gestellt hatten, die Reinheit der deutschen

Philosophischer Feyerabend. In sich haltende Allerhand aumuthige, so nütz als ergetzliche, auch zu allerlei nachtrücklichen Discursen anlassgebende Realien und merkwürdige Begebenheiten, In Leyd und Freud, Zum lustigen und erbaulichen Zeitvertreib wohlmeinend mitgetheilt. Frankfurt. 1700. 892 Seiten. 8.

Nicht ohne Werth sind folgende Artikel: Eine Dorne 30 Jahre lang im Auge und ein Messer 8 Jahre lang im Gehirn, ohne alle Beschwerde, beherbergt. S. 235. Ob ein Apotheker zugleich Doctor idus seyn könne? 8. 273. Ein langweilig Fieber mit einem Kuss im Huy völlig curirt S. 404. Schwere Krankheiten vom blosen Lachen glücklich curirt 8. 547. Die grösten Krankheiten mit blossem Anrühren geschwind curirt S. 561.

. 57) Anmuthige Lange Weile. Frankfurt 1703. S. 1—8.

58) Ebend.: S. 45.

59) Ebend.: S. 81. 5 m

60) Kleine doch curieuse und vermehrte Bauren-Physic. Von Neuen mit unter- schiedlichen Stücken vermehret und verbessert. Frankfurt und Leipzig. 1711. 8. So z. B. 8,43. Einen guten Wein aus Rosinen zu machen. S.49. Wie man Wasser zu einem Brunnen suchen soll. S. 75. Von den feurigen Meteoris. S.82. Vom Donner,

Einen Aufsatz betitelt: »Curieuse, und aberglaubische Bauren-Physica« findet sich in seinem Philosophischen Feyerabend. Frankfurt. 1700. $.860—872 mit fol- gandon Schlussworten:

Ist lernen keine Schand’ und nirgendswo verboten, so lern’ ich immer, ja auch wohl von Idioten. Phys. Classe. XVIII. K

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Sprache zu verfolgen, der Pegnitzorden und der Palmenorden, ihn zu ihrem Mitgliede ernannten.

Auch ist seine Sprache, was Anerkennung verdient, für jene Periode gewählt, richtiger als die der meisten seiner Zeitgenossen.

Als Biograph war er gleichfalls thätig. Er lieferte nicht blos einen Lebensabriss des im J. 1703 verstorbenen Joh. Dan. Dolaeus, der Arzt in Kaiserslauten war 61), sondern mehr als 40 Lebensbeschrei- bungen von Erzbischöfen und Bischöfen 62).

In einem kaum bekannten, aber lehrreichen Buche 63) schildert er, mit literärischen Nachweisungen versehen, in alphabetischer Ordnung die gelehrten deutschen Frauen.

Von seiner Bekanntschaft mit der älteren Literatur, wie mit der seiner Zeit in verschiedenen Gebieten des Wissens, zeugen die überall sich findenden reichlichen Noten; auch bei den von ihm aufgeführten interessanten Fällen wird nicht versäumt ähnliche, von Andern beobachtete, zu erwähnen.

Die Menge des Stoffs ist Erstaunen erregend, und konnte die Fülle nur durch die umfassendste Lectüre und einen unermüdlichen Fleiss zusammen gebracht werden.

8. 10.

Reelle Verdienste erwarb sich Paullini um die Geschichtsforschung, zumal Deutschlands. Selbst Leibnitz 6) lobt ihn. Auch ©. Waitz

61) Memoria Dolaeana s. dissertatiuncula de vita J. D. Dolaei. Hamb. 1708. Ich konnte die Abhandlung nicht erhalten.

62) Theatrum illustrium Corbejae saxonicae virorum. Jenae. 1686. 4. Nach Moller (a. a. 0. p. 626) wäre diese Schrift, ohne Wissen und "Willen des Paullini, von dem Professor C. Sagittarius in Jena herausgegeben worden.

63) Das Hoch- und Wohlgelahrte Teutsche Frauen-Zimmer Nochmals mit merck- lichem Zusatz vorgestellet. Frankfurt und Leipzig. 1705. 8. Abgedruckt aus seinem Philosophischen Feyerabend. Frankfurt. 1700. S. 140—219.

. 64) Accessiones historicae. T. II. Hannoverae. 1698. 4: Vir in his studiis et ipse cum laude versatus.

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hebt seine guten Eigenschaften hervor und unterlässt nicht, ihn gegen die Anschuldigung eines Fabrikats in Schutz zu nehmen 65), woran der, welcher Paullinis, bei jeder Gelegenheit dargelegten moralischen Grund- sütze kennt, nicht im. Mindesten zu zweifeln vermag.

Ohne nähere Kenntniss von ihm, aus blosser Verlegenheit den wahren Autor nicht bezeichnen zu kónnen, einen so verletzenden Ver- dacht auszusprechen, wäre für einen Historiker Uebereilung und Ver- sehen, aber für einen Juristen, dem Studium und Stellung allseitiges Prüfen zur Pflicht machen, ist es ein arges Unrecht. Unmöglich hätte Wigand, nach einer nur flüchtigen Bekanntschaft mit der Denkungsart des von ihm Beschuldigten , so urtheilen kónnen.

Da die Universitätsbibliothek zu Jena einen bedeutenden Theil des Briefwechsels von Paullini enthält, so hat Waitz denselben benutzt und in seiner musterhaften Prüfung mehrere Stellen hervorgehoben, welche von der Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit des unbesonnen beschuldigten Mannes Zeugniss ablegen. So z. B. 66): „Diess betheure ich, wie ich wissentlich nichts verfälschet, sondern all und jedes nach umständlich reifer Erwegung ohne Falsch und Argelist treulich mit eingeschoben, worauf sich künlich zu verlassen.‘‘ Ferner 67): „Dass ich partes judicis etwa vertreten und den Ausschlag geben sollte, wer links oder recht hätte, kommet mir als einem historico nicht zu.“ |

Der verletzende Vorwurf wird hoffentlich unbeachtet bleiben; allein dass er geäussert werden konnte, zeigt, wie leichtsinnig zuweilen mit dem guten Namen eines Menschen, selbst von denen verfahren wird, die berufen sind, ihn zu schützen und zu vertheidigen.

65) Nachrichten von der K. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen. 1853. S. 91—104. i

Während Waitz und andere tüchtige Forscher den Pastor Falcke für den Fal- sarius des Chronieon Corbeiense erklärten, wollte P. Wigand den Paullini dafür verantwortlich machen (Wetzlar’sche Beiträge für Geschichte und Rechtsalterthümer. Bd. 2. Halle 1845. S. 53). Er nennt ihn einen charakterlosen, eigennützigen Charlatan (ebend. S. 340).

66) Ebend.: S. 96.

67) Ebend.: S. 99.

K2

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Blickt man nur in einen kleinen Theil 68) der historischen Arbeiten Paullinis, so muss der unermüdlichen Nachforschung und Gewissen- haftigkeit Anerkennung gezollt werden.

Was er von wichtigen Papieren und Pergamenten vorfand, das suchte er nutzbar zu machen.

Nicht zu übersehen ist, dass er wiederholt 69) dazu aufforderte: merkwürdige Ueberbleibsel zum Andenken unserer Vorzeit, beachtungs- werthe historische Denkmale, zu sammeln und zu veröffentlichen.

Seine brave vaterländische Gesinnung giebt er bei jeder Gelegen- heit kund.

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Die eigentliche Wirksamkeit Paullini’s, seine ا كد‎ he: war eine umfassende.

Er sagt von sich, dass er die Medicin mit der Naturlehre und den humanen Studien von Anfang an mit Umsicht und Ausdauer verbunden habe, dass er seyn, nicht scheinen wollte, gleichviel ob Funken oder Stern 70). j

68) 16 verschiedene Schriften kamen zusammengedruckt heraus unter dem Titel: Rerum et Antiquitatum Germanicarum Syntagma. Francof. 1698. 4.

Besondere Beachtung verdienen: Geographia curiosa, s. de pagis antiquae prae- sertim Germaniae commentarius. Francof 1698. 4. und Antiquitates Pagorum et Comitatum Principatus Anhaltini. Ebend. 1699. 4.

69) Delineatio Imperialis Collegii Historici, a Sinceris aliquot doctisque Ger- manis gloriose et feliciter fundandi, ad cordatos et eruditos. 1687.

Propositio Imperialis Collegii Historici &d&ororog qua omnes sinceri et eruditi Germani, quorum id talentum est, ad conseribendas patriae Annales, a primordio gentis, inter Collegas distribuendos, officiose et amice sunt invitati. Jenae. 1688. 4.

Kurtzer Bericht vom Anfang und bissherigen Fortgang des vorhabenden historischen Reichs Collegii, allen Patriotischen Liebhabern der teutschen Historie herausgegeben. Frankfurt. 1694. 4.

70) Autobiogr.: Medicinam cum Philosophia, inprimis naturali et humanioribus literis eo, quo coeperat, studio prudenter constanterque copulans. Maluit enim "e quam videri aut stella seu favilla.

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Er hatte vom Berufe des Arztes einen hohen Begriff und beklagt, dass oft ein solcher, gegen die nothwendige Voraussetzung, ohne Gelehr- samkeit 71), selbst ohne Kenntniss der Anatomie 72), sey.

So viele grössere selbständige Arbeiten er auch herausgegeben, bestehen doch die meisten in kürzeren Aufsützen, als Beitrüge zu den Miscellanea Naturae Curiosorum, wozu, wie der Geschichtsschreiber dieser Gesellschaft erwähnt 75), er, unter allen Mitgliedern, durch die bedeu- tendste Zahl sich auszeichnete 74).

-Die gedrüngten Angaben haben vor den mit den sonderbarsten Nebendingen vollgepropften, hypertrophischen, Monographieen Vorzüge.

Bei dem damaligen häufigen Gebrauche der Elixire, Bereitungen, welche das Wesentliche, ohne das Pflegma, enthalten sollten, hätte man von den einsichtigen Aerzten erwarten können, dass sie in ihren Büchern auch nur das erwogene Beste darböten; allein, wie Sitte und Geschmack der Zeit Mittel aus Dutzenden von Substanzen bestehend, ellenlange Rezepte, verlangten, so in den Druckwerken monströse Productionen, ermüdende Compilationen.

Da die Mehrheit in dieser Richtung sich bewegte, theilte auch Paullini, bei seiner Vorliebe für auffallende Erscheinungen, aus der Pflanzen- und Thierkunde, aus der Anatomie und praktischen Medicin am liebsten das mit, wovon er vermuthen durfte, dass es des Sonderbar- lichen wegen, am begierigsten gelesen werde.

71) Er sagt: »Was ist ein Doctor und Magister anders denn ein Lehrer? warum besteigen sie bei ihrer Einweihung den Ober-Catheder? dass sie andere hinwieder lehren sollen. Warum legt man ihnen ein offen Buch vor? dass sie immerfort noch Zu lernen haben, Es fehlt heute nicht an Doctorn (oder Doch-thoren) wohl aber an gelahrten Männern.» (Vorrede zu seinem Flagellum Salutis). |

72) EinPrahler oder Aufschneider sey kein Anatom (Vorrede zu seiner Drtekcápotheke]

73) M. B. Valentini (Historia literaria Academiae Nat. Cur. Gissae. 1708. 4. p. 132): Tot scriptis se celebrem reddidit, ut si numerum illorum spectes, omnibus fere palmam aut eripere omnino dubiam videatur reddere.

74) Diese seine zerstreuten Beitrüge gab er gesammelt heraus unter dem Titel: Observationes medico-physicae, rarae, selectae et curiosae, un Centuriis com- prehensae. Lipsiae. 1706. 8.

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g. 12.

Nach den vorliegenden Beobachtungen aus der Naturlehre er- giebt sich, dass bei ihm und seinen Gewührsmünnern Zweifel nicht der Wahrheit Anfang war. Viele derselben setzen einen Köhlerglauben voraus; die angeblichen Wunder erscheinen einfach als Täuschung oder Betrug, und ist es zu beklagen, dass die merkwürdigen Fälle mit den unwahrscheinlichen gemischt vorkommen.

Er berichtet nicht blos von einer Lilie, auf deren Blättern deutlich drei Buchstaben zu lesen waren 75), sondern von einer, welche aus einer Rose hervorwuchs 79. Ein Schwamm soll die Gestalt eines Lammes gehabt haben 77).

Was die Schrift über die Multebeeren 78) enthält, vermag ich nicht zu sagen, da ich sie nicht erlangen konnte.

Ein Mann, der zum Frühstück frische Eier zu geniessen pflegte, habe in einem springende Flöhe entdeckt 79).

Auf den Flügeln eines Schmetterlings habe man die Buchstaben A und © beobachtet 80),

Eine vollkommen grüne Fliege habe drei Flügel gehabt 81).

Das Vorkommen einer weissen Maus verkünde immer Unglück 32).

Ein Huhn legte ein 4eckiges Ei 85).

Von einem zahmen Raben wurden regelmässig durch Krühen die Stunden angezeigt 84).

75) Miscell. Nat. Cur. Dec. 3. A. 3. 1695. p. 309.

76) Ebend.: p. 310.

77) Ebend.: p. 311.

78) Diss. botanica de Chamaemoro Norwagiae, variis observationibus illustrata. Hamburgi. 1676. 4.

79) Miscell Dec. 3. A. 3. 1695. p. 310.

80) Ebend.: p. 311.

81) Duae alae in loco ordinario, tertia supra podicem. Ebend. p. 316.

82) Ebend.: p. 314.

83) Ebend.: A. 9. 1701. p. 85.

84) Ebend.: A. 3. 1695. p. 315.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI 79

Ineinem eigenen Buche wird der Regenwurm abgehandelt 85) nach Namen, Beschreibung und Anwendung.

Ueber die Króte 86) und den Aal 37) äussert er sich ausführlich; ebenso über den Maulwurf 88).

Dem Hasen 3?) wird viel Ehre angethan. Die Stadt Bäas in La- conien würe durch das Vorkommen eines Hasen gegründet worden 90)

Der Hund in seinen manigfachen Beziehungen füllt einen ganzen Quartband 9?).

Für die Eigenschaften dieses Thiers: natürliche Geschicklichkeit, Gedächtniss, Klugheit, Treue, Wachsamkeit, Anhänglichkeit und Stärke werden Haufen von Beweisen aus aller Herren Ländern beigebracht.

Die anatomische Beschreibung geschieht ausführlich.

Der Hund leide an 3 Krankheiten, an der Wuth, dem Podagra und der Bräune. Ein grösseres Gift als das der Wuth gäbe es nicht 92),

In seinem Buche über den Wolf 95) unterlässt er nicht auf den

85) De Lumbrieo terrestri Schediasma, variis Memorabilibus, Curiositatibus et Observationibus illustratum. Francof. et Lips. 1703. 8. In der Vorrede heisst es: In vilissimo et sordidissimo lumbrico longe majus artificium visendum est, quam in maximo elephanto.

86) Bufo, juxta methodum et leges Acad. N. C. breviter ‘descriptus, multisque Naturae et Artis observationibus, aliisque utilibus curiositatibus refertus. Norimb. 1686. 8. S. 9 wird erzählt, woher der Ausdruck Schulfuchs, vulpecula scholastica. Die Króten seyen um so giftiger, je dunkler die Stellen, wo sie sich aufhielten. Sol. (S. 19) venenis adversatur.

87) Coenarum Helena, seu Anguilla. Francof. et Lips. 1689. 8. Das 4te Ca- pitel der 1ten Abtheilung handelt de pretio et cultu piscium, inprimis anguillae.

88) De Talpa. Francof. et Lips. 1689. 12. Einmal wurde einer gefangen, der ein röthliches Fell mit weissen Flecken hatte. Eph. Nat. C. 3. A. 3. 1695. p. 312.

89) Lagographia curiosa, seu Leporis descriptio. Augustae Vindelicorum. 1691. 8.

90) auspicio leporis p. 115.

91) Cynographia curiosa, s. Canis descriptio. Acc. Mantissa complectens Jo. Caji libellum de canibus britannicis et Joh. Henr. Meibomii Epist. de Kvvogogw aucta & Chr. Fr. Paullini Academico Curioso. Norimb. 1685. 4.

92) Non datur majus venenum, quam caninum (p. 164).

93) Lycographia, seu de Natura et usu Lupi. Francof. ad M. 1694. 8.

80 K. F. H. MARX,

Spruch aufmerksam zu machen, dass man unter Wölfen mit ihnen heulen müsse 9%). x

Die Behauptung 9°): der Wolf nütze weder im Leben noch im Tode, sey unrichtig, denn das Herz desselben, verbrannt und zerrieben, helfe bei Epilepsie; das Hirn bei Lähmung; das Fell bei der Wasserscheu 96).

Den Esel 97) genau zu schildern, sey Schuldigkeit, denn er habe den Heiland nach Jerusalem getragen. Das Anagramm 98) des Namens beweise schon, welche Heilkraft in ihm sich befánde. Gegen Schwach- heiten und Gebrechen werden unfehlbare Compositionen aus seinen Theilen angerathen, wie z. B. gegen Unfruchtbarkeit beider Geschlechter ein Julep ?9) aus dem Blute. Die Epizoen des Langohrs werden in ihrer schrecklichen Gestalt bildlich dargestellt 100).

S 1S. Die Arzneimittellehre ist Veranlassung, dass die Aerzte den Namen Paullini kennen. Sie wissen, dass er eine Dreckapotheke 19?) geschrieben habe. Grund genug, um über ihn zu lachen und mit ihm fertig zu seyn.

94) ulula cum lupis, cum quibus esse cupis (p. 22).

95) Reperiuntur, quae viva pariter atque extincta pessima esse comperiuntur, ut lupus (p. 31).

96) pellis lupi super eum, qui à cane rabioso est demorsus, suspensa, hydro- phobiam demulcet.

97) De Asino liber historico-physico-medicus. Francof. ad M. 1695. 8. Vorn ist auf 7 Seiten ein überschwengliches er auf den Verfasser zu lesen von Esajas Dahlborn.

98) Statt Asinus J, sanus.

99) p. 250. Es helfe auch gegen piae (p. 270).

100) pediculi ejus terribiles sunt (p. 84).

. 101) Heilsame Dreck-Apotheke, wo nemlich mit Koth und Urin fast alle, ja auch die schwersten -gifftigen Krankheiten und bezauberten Schäden, vom Haupte bis zun Füssen, innerlich und äusserlich glücklich curirt worden; durch und durch mit aller- hand curieusen Historien und andern Denkwürdigkeiten bewährt und erläutert. Frankfurt am M. 1696. 8.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 81

Die Sache an sich und das Urtheil darüber verdienen jedoch "— erörtert zu werden.

Schon gleich nach Veröffentlichung dieser Schrift erhoben sich da- gegen so ungünstige Stimmen, dass der Verfasser sich veranlasst fühlte darüber sich zu äussern 102), Er sagt: auf den Ausdruck Dreck statt Koth oder Erde, was gleichbedeutend sey, komme nichts an. Der Mensch sey Erde und diese unser aller Mutter; aus ihr wachse Alles, und in sie kehre Alles wieder zurück. ‚Die Fäule giebt das Leben und fol- gentlich der stetige Wechsel eine zeitliche Ewigkeit." ‚‚Gott ist und bleibt der alte Töpfer, so auf seiner Scheiben aus Koth täglich aller- hand dreht und formiret.“

„Womit erhalten wir die annoch so weit völlige Gesundheit, und womit bringen wir die verlohrne, nechst Góttlicher Gnade, wieder herbey? mit Artzeneyen aus Kräutern, Wurtzeln, Thieren und Mineralien ge- macht. Erforsche aber aller derer Ursprung, so hastu Dreck und nichts mehr‘. 8 ;

„Lutum heisse qs. laetum, weil er die Aecker erfreue.“ ‚Wer den Koth verachtet, verachtet seinen Ursprung.“ Christus habe den Blinden dadurch geheilt, dass er Koth auf seine Augen legte.

Der Grundgedanke dieser Schrift ist also der, dass das anscheinend ‚Niedrige keineswegs für gering geachtet werden dürfe, sondern in der Reihe des Geschaffenen eine einflussreiche Stelle behaupte.

Zur weiteren Rechtfertigung des gewählten Themas giebt er an 105) dass der Ungeborne im Mutterleibe 9 Monate lang eingekerkert liege zwischen Koth und Urin; dass die Cardinäle in Rom den heiligen Vater auf einen Dreckstuhl setzten zur Erinnerung an Demuth 10%); dass der

102) Der Artikel überschrieben: »Dass Dreck das allererste, älteste, edelste, vornehmste; nützlichste und nothwendigste unter allem in der gantzen Welt sey, - und ohne solchen nichts werden, leben, wachsen, noch bestehen könne« findet sich in seinem Philosophischen Feyerabend. Frankfurt. 1700. S. 462—473.

103) In der 32 Seiten langen Vorrede zur dten Auflage.

104) Er finge denn an zu singen:' Suscitat de pulvere egenum et stercore pauperem. |

Phys. Classe. XVIII.

82 K. F. H. MARX,

heilige Bernhard den Menschen einen Drecksack nenne 105), und dass das stolze Paris seinen Namen vom Dreck habe 196),

Dieses sein Buch mit den empfohlenen wohlfeilen Mitteln gegen viele Beschwerden und Leiden, selbst zur Unterstützung der Schónheit, kónne, wie er im Einzelnen zu beweisen sich bemüht, die theuren aus- ländischen 107) Substanzen entbehrlich machen, und dürfe es, wegen seiner Niedrigkeit, nicht schel angesehen werden.

Im Fortschritte feinerer Bildung unterliessen es die Aerzte widrige Stoffe zu verordnen; aber, wie solche seit frühen Jahrhunderten im Ge- brauche waren, blieben sie noch lange nach dem Tode Paullinis in den Pharmakopöen 108); ja sie werden in den Apotheken vom Volk noch immer verlangt.

Wie wenig empfindlich übrigens selbst die höheren Schichten der Gesellschaft gegen derartige Eindrücke sich verhielten, das ersieht man aus einem Briefe 109) Paullinis an den Fürstabt Florenz von der Velde, dem er die genannte neue Schrift mit der Versicherung anzeigte, dass sie Mittel enthalte, welche schnell, sicher und angenehm heilen.

Hat auch vielleicht Paullini dabei an die Forderung gedacht, welche Asclepiades mit den drei Worten an die Aerzte und Arzneien stellt, der Abt that es sicherlich nicht und musste sich einfach an das gespendete Lob halten.

Die Muskatnuss mit ihrem Mantel, der sogenannten Blüte, wird

105) Medit. C. 3. §. 1 und 2. Si diligenter consideres, quid per os et nares ceterosque corporis meatus egrediatur, vilius sterquilinium , saccum stercorum , nun- quam vidisti. |

106) Lutetia.

107) .»Wir läppische Teutschen betteln immer von Aussländern.« |

108) So z. B. im Thesaurus medicamentorum curante D. W. Trillero. Francof. ad M. 1764. 4. Stercus caninum album (album graecum), pavonum stercus, Vaccae stercus et urina, bufones exsiccati, cervi priapus, equi testes etc.

109) Nuper construxi pharmacopolium ex solo stercore et urina, monstrans, qui binis hisce excrementis omnes omnino morbi a vertice ad calcem, etiam desperati et a faseinio inducti, cito, tuto et jucunde feliciter curari queant (Wetzlar'sche Beiträge. II. S. 344).

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PULLINI 83

in einem Buche 110) von 876 Seiten besprochen. Zuerst das Erforder- liche in philologischer, historischer, physischer Beziehung, dann das Praktische, der Nutzen in Krankheiten und äusseren Schäden. Zuletzt folgen Bemerkungen über die Verwendung zu Kuchen, Ehrenkränzen und zur Einbalsamirung.

Einer ähnlichen Vollständigkeit erfreuen sich Salveykraut H1), . Theriak !!?) und Jalappenwurzel 115).

Aus den mehrfachen, diese Lehre betreffenden, kürzeren, Beiträgen mögen nur folgende erwähnt werden:

Auf eine Drachme Gummigutt, welche ein Pfuscher nehmen liess, folgte der Tod 119,

Nach dem Gebrauche von Extractum ne stellte sich Priapismus ein 119),

Campher vermöge die übermässige Geschlechtsl tnichtzu mässigen 116),

Paullini lieferte die UR وده‎ einer Heilquelle 117); allein mir gelang es nicht dieselbe einsehen zu können. i

110) MocyoxaQvoyoeque, seu Nucis moschatae curiosa descriptio, amoenis curiositatibus confirmata. Francof. et Lips. 1704. 8.

111) Sacra herba, s. nobilis Salvia descripta selectisque remediis et propriis observationibus conspersa. August. Vindel. 1688. 8. 414 Seiten.

Sacra, quod steriles mulieres foecundare soleat. Salvia komme a salvando, selbst gegen die Hundswuth (p. 89).

112) De Theriaca coelesti reformata etc. multis varioribus observationibus medico- physicis illustrata. 1701. 8. 347 Seiten.

Es überrascht auch den Misbrauch und Schaden angezeigt zu finden (p. 62—67).

113) De Jalappa liber singularis etc. variis observationibus et memorabilibus conspersus. Francof. 1700. 8. 417 Seiten. :

Purgandi vis fluit ex acrimonia et illa ipsa mistura seminali, quam mortalium ingenia vix scrutabuntur (p. 23).

414) Misc. N. C. Dec. 1. A. 8. 1677. p. 199.

115) Ebend.: Dec. 3. A. 1. 1694. p.240: ut etiam gravidae non pepercerit conjugi.

116) Ebend.: Dec. 1. A. 6. 1675. p. 343.

» Dec. 3. A. 7. 1699. App. p. 142.

117) Serutinium Physico- Medicum fontis medicati S. Helenae prope villam

Tyswelte in ripa maris in Seelandia Danica. Lubecae. 16687 4.

L2

84 K. F. H. MARX,

Hausmittel leisteten oft mehr als man glaube; sie dürften nicht verachtet werden 118),

S. 14. Wegen der grossen Zahl von Beobachtungen zur Anatomie, „pathologischen Anatomie und Physiologie bedarf es einer Auswahl: Paullini gab, noch als Student, die Beschreibung eines Riesen, welche er an Steno nach Florenz sandte und welche dieser dort drucken liess 119), Bei einem Hypochonder habe man das Gehirn schwarz gefunden 120), Ungewöhnliche Stärke der Haare HE Auf der rechten Seite gelbe, auf der linken, zugleich am Barte, weisse Haare, die nach einem heftigen Fieber sämmtlich schwarz wurden 122), Eine Nase, die sich während des Sprechens bewegte 125). In einer Nase ein weisses Sternlein 124), | Eine Niere in einen Kieselstein umgewandelt en Ein monströses männliches Glied 126), Eines, das durch Kitzeln gekrümmt wurde 127), : :

118) Vulgi experimenta non semper deliramenta. M. N. C. Dec. 2. A.7. 1688. . App. p. 136.

119) Dissertatio curiosa de Starcutero, famosissimo Gigante boreali, ad Virum celeberrimum N. Stenonis, Episcopum postea Titiopolitanum, cujus cura et impensis prodiit. Florenti. 1677. 4. Mir unzugünglich geblieben.

120) Misc. Dec. 2. A. 6. 1687. p. 37: totum cranium cum cerebro intus nigrum.

.121) Ebend.: App. p. 12.

122) Ebend.: Dec. 3. A. 3. 1695. p. 315. :

123) Ebend.: p. 312. Quod spectaculum omnibus movit risum.

124) Ebend.: p. 84 :

125) Ebend.: Dec. 2. A. 6. 1687. App. p. 48.

126) M. N. C. Dec. 2. A. 5. 1686. App. p. 51.

127) Ebend.: Dec. 2, A. 9. 1691. p. 358: ex crebriori titillatione et subse- quente seminis ejaculatföne. : :

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINL 85 Ungewóhnlich grosse Clitoris aui Bei einem Mädchen eine struppige Scheide 129, Eine, die wie

mit einem fleischigen Geldbeutel bedeckt war 130),

Ein seltsam geformter Uterus 151).

Bei einem Manne wurmiger Saamen 152),

Ein Kind mit einem Gänsefusse 155),

Ein wie ein Hund aussehendes Monstrum 154), Eine Kuh ohne Lunge 155).

Ein Kalb,

das im Uterus in Fäulniss übergegangen , stückweise

durch Maul und Scheide ausgestossen wurde 156),

Bei einem 60jährigen Manne Milch in den Brüsten 137),

Bei einem

Mädchen die Periode aus der linken Brustwarze 138),

Brüste ohne Warzen 139),

Pechartiges Blut 140),

Scharlachrothes ohne Serum 141).

Coitus mit blutigem Schweisse 142),

128) Ebend.: dum prominentem habuit, ut etiam ausa fuerit aliquando cum puellis libidinosius Kiwogileıw, easque toge. | 129) Ebend.: 130) Ebend.: 191) Ebend.: 132) Ebend.:

133) Ebend.:

kurz darauf.

134) Ebend.: 135) Ebend.: 136) Ebend.: 137) Ebend.: 138) Ebend.: 139) Ebend.: 140) Ebend.: 141) Ebend.: 142) M. Dec. 2.

Dec. 2. A. 5. 1686. App. p. 62: extra pudendum adeo inter-

»

p. 53.

p. 12: Vulva marsupio quasi carnoso contecta et obvoluta. p. 68.

p. 6.

Dec. 2. A. 6. 1687. App. p. 70. Der so geborne Knabe starb p. 48.

A. 5. 1686, App. p. 12.

Dec. 2. A. 7. 1688. p. 155.

p. 60.

A. D. 1686. App. p. 41.

p. 84,

p. 39.

A. 6. 1687. App. 80.

2. A. 6. 1687. p.55. Ego constitutionem valde scorbuticam incuso.

86 K. F. 8. MARX,

S. 15.

Da Paullini praktischer Arzt war, so begreift es sich, dass er das, was auf Krankheit und Heilung Bezug hatte, vorzugsweise cultivirte.

Die einfache Medicin hielt er für die beste 145).

Selbst schwere Leiden würden durch die einfachsten Mittel besei- ügt, weswegen es auch keineswegs so oft complicirter Verfahrungsweisen bedürfe 14%).

Beschwerden und Uebel, welche der Kunst trotzten, würden durch Schläge gehoben. Dieser Gegenstand findetsich ausführlich besprochen 145).

„Attila, sagte er 146), habe Gottes Peitsche, flagellum Dei, geheissen ; alle Krankheiten wären solche Peitschen und wunderlich, dass eine Peitsche die andere heile.*

Ausser dem Nutzen gegen bedenkliche Leiden wird der gegen Luxa- tion der Kinnlade und gegen Schlucksen hervorgehoben 14 N.

Die umständliche Auseinandersetzung fällt jedoch dem nicht auf, der weiss, dass die Flagellation mit trocknen Birkenreisern, das Peitschen vermittelst frischer, mit Blättern versehener und in warmen Seifenschaum

143) Simplex medicina optima. Misc. Dec. 2. A. 5. 1686. App. p. 72. Eine Reihe merkwürdiger Beobachtungen. ١

144) »Ein Thórichter (bemerkt er in der Vorrede zu seinem Flagellum Salutis) glaubt das nicht, und ein Narr achtet solches nicht.«

145) Flagellum Salutis, das ist curieuse Erzühlung, wie mit Schlägen allerhand schwere, langweilige und fast unheylbare Krankheiten offt, bald und wohl curirt worden. Durch und durch mit allerley annehmlichen und lustigen Historien, Selbst- eignen Anmerkungen, auch andern feinen Merkwürdigkeiten bewährt und erläutert. Frankf. am M. 1698. 8. 158 Seiten.

146) Vorrede zum Flagellum S.

147) »Wenn durch allzustarkes Jähnen oder unmässiges Lachen der innere Kinnbacken verrenkt wird, so gieb einem nur eine derbe Maultasche, damit wird ihm am besten gedient seyn« (S. 49). »Dasselbe hilft bei unmässigem Schluchtzen« (8. 75).

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES. CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 87

getauchter Birkenruthen, selbst die Fustigation, das Klopfen mit Stöcken, sogar mit der Knute, in manchen Ländern noch zu Heilzwecken dient 148),

Wie Külte nützen und schaden kónne, wird durch Beispiele gezeigt. So die Heilung des heftigsten Fiebers durch Schnee!49. Bei Blattern brach darnach ein heilsamer Schweiss aus 150).

Ein kaltes Klystier verursachte den Tod 151).

Ruhr wurde durch Obst und Wachs gehoben 152)

Menschliches Fett leiste viel zur Zertheilung coagulirten Blutes 155),

Bei Schwindsucht brachten Schnecken 154), beim Quartanfieber ein Hering 155) Wiederherstellung der Gesundheit.

Molken bewährten sich bei Wassersucht 156).

Nach einem reichlichen Trunk von kaltem Bier verschwand ein Tertianfieber 157).

Durch den Gebrauch des Magneten verloren sich Knoten am Au- genlied 158),

Ein Kind starb durch Einblasen von Tabacksdampf in Nase und Mund 159),

® 148) M. s.: meine Schrift über die bisherige Beurtheilungs- und Anwendungs- "weise der ableitenden Methode. Göttingen. 1848. 4. 8. 45.

149) Misc. Dec. 2. A. 6. 1687. App. p. 30.

150) Ebend.: p. 50.

151) Ebend.: A. 5. 1686. p. 53: Eapse hora terribiles insultus epileptici superveniunt. Tandem mors miserrima. :

152) Ebend.: Dec. 3. A. 1. 1694. p. 241: tria poma borsdorfiana excavata et cera virginea impleta.

153) Ebend.: Dec. 2. A. 6. 1687, App. p. 47.

154) Ebend.: App. p. 28. .

155) Ebend.: App. p. 16.

156) Misc. Dec. 2. A. 5. 1686. App. p. 62.

157) Ebend.: p. 21.

158) Ebend.: p. 75.

159) Ebend.: A. 6. 1687. App. p. 71-

. 88 K. F. H. MARX,

S. 16.

Beinahe aus allen Krankheitsklassen werden, kürzer oder ausführ- licher, Fälle mitgetheilt. Da ihre vollständige Erwähnung einen zu grossen Raum erfordern würde, so soll nur auf die interessantesten hin- gewiesen werden.

So von Nervenaffectionen:

Ueber herumschweifende Melancholie160%) bei einem 11ljährigen Mädchen.

Aus Schlaflosigkeit gefährliche Zufälle, selbst Tod 161).

Durch Bohnenblüten Delirien 162).

Ein Rausch schnell durch Scarification gehoben 165),

Verlust des Gedächtnisses nach Schrecken und Kälte 164).

Sprachlosigkeit in Folge von vernachlässigtem Catarrh 165), an sich selbst beobachtet. Ein Gurgelwasser aus gekochten Feigen half.

Taubheit nach einer Ohrfeige 166),

Apoplexie aus verhaltener Menstruation 167),

Lähmung durch Zorn geheilt 168),

Epilepsie statt als Fallsucht als Laufsucht 169) bei einem 6jährigen ‚Mädchen. P

Ein 21jähriges Frauenzimmer durch den Fall in einen Bach jahre- lang von Epilepsie befreit 170),

160) M. Dec. 2. A. 5. 1686. App. p. 52: nesciens quo vaderet, aut ubi fuerit.

161) Ebend.: A. 9. 1691. p. 356.

162) Ebend.: p. 351.

163) Ehend.: p. 355.

164) Ebend.: A. 5. 1686. p. 68.

. 165) 4Avavdıa ex catarrho Ebend Dec. 1. A. 3. 1672. p. 106.

166) Ebend.: Dec. 2. A. 5. 1686. p. 59.

167) Ebend.: p. 71.

168) Ebend.: p. 23: Accenso enim calore naturali et spiritibus fervidioribus ac igneis quasi factis, utique roborati sunt nervi absumtis humoribus crassis impactis lentaque pituita liquefacta et a calore praeternaturali consumta.

169) Currit per lutum et aquam. Ebend. Dec. 3. A. 3. 1695. p. 318.

170) Ebend.: Dec. 2. A. 9. 1691. p. 353.

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINI. 89

Von Hautausschlägen ist die Mittheilung besonders wichtig, wo ein Knabe von Blattern 5mal ergriffen wurde a

Von Flüssen sind folgende beachtungswerth:

Bei einem Bauern stellte sich, so oft er Musik hórte, Erbrechen ein 9,

Nachdem ein junger Mensch 8 Tage lang einen grünen Urin gelas- sen, verschwand sein Tertianfieber 173),

Paullini soll eine Abhandlung über wundersame Schweisse geschrie- ben haben 174), allein ich konnte sie nicht ermitteln.

Von Cachexieen verdienen hervorgehoben zu werden: Gelbsucht nach dem Bisse eines Eichhörnchens 175),

Bei einem Gelähmten nur auf der einen Seite Wassersucht 176),

Bauchwassersucht einzig durch Enthaltsamkeit vom Trinken ge- hoben 177), j

8. 47;

Für die gerichtliche Medicin hat sich Paullini dadurch nütz- lich erwiesen, dass er die Gutachten der Leipziger medicinischen Facultät, welche Paul Ammann [t 1691] herausgegeben 178), in das Lateinische übertrug 179), wodurch sie den Ausländern zugänglich wurden 180),

Er that es für sich, ohne Mitwissen des Herausgebers, weil er

171) Ebend.: A. 6. 1687. App. p. 12.

172) Ebend.: Dec. 3. A. 3. 1695. p. 313.

173) Ebend.: Dec. 2. A. 9. 1691. p. 355.

174) Diss. curiosa de sudoribus admirandis. Amstelod. 1676. 4.

175) Misc. Dec. 2. A. 9. 1691. p. 352.

176) Ebend.: A. 5. 1686. App. p. 61.

177) Ebend.: p. 35.

178) Medicina critica; sive decisoria, centuria casuum medicinalium in concilio Facult. Med. Lips. antehac resolutorum. Erfurti. 1670. 4.

179) Ammanni Medicina critica lingua germanica evulgata, tam benevole fuit ex- cepta, ut C. F. Paullini dignam eam haberet, quam in latinam transfunderet linguam (C. G. Kestner, Bibliotheca medica. p. 628).

180) Pauli Ammanni Medicina Critica seu Decisoria, ab innumeris Sphalmatis vindicata, et Exterorum in gratiam Latinatati donata. Stadae. 1677. 4.

Phys. Classe. XVIII.

90 K. F. H. MARX, überzeugt war, dass dieser ein ohne allen Selbstzweck, das allgemeine Beste bezweckendes Unternehmen nur billigen würde. Auch fügte er einen angemessenen Index bei.

Die lateinische Sprache hatte Paullini, wie das bei Gelehrten da- mals gewóhnlich war, sehr in seiner Gewalt, und obgleich er in seiner Muttersprache weit besser als viele seiner berühmten Zeitgenossen sich auszudrücken verstand, so haben seine lateinischen Arbeiten Vorzüge vor den deutschen.

Aus den vorstehenden Mittheilungen erhellt, dass Paullini besser war als sein Ruf.

Unbekümmert um sein Leben, seinen Charakter und das viele Brauchbare, das er zu Stande brachte, wird er gar nicht mehr oder nur mit Geringschützung erwähnt. Wegen des unangemessenen Titels eines kleinen Büchleins hat ihn die Conduitenliste rigoróser Censoren und empfindsamer Ceremonienmeister der guten Gesellschaft für verlustig erklirt. Und da Nachbeten bequemer ist als Nachdenken, Verspotten häufiger als Verehren, hat die Mehrheit zugestimmt.

Man sollte denken, einer, der in seiner Jugend wegen Freisinnigkeit angeklagt, von seinen strengen Richtern liebgewonnen wurde, der bei seinen Wanderungen durch einen grossen Theil Europa’s, überall freund- lich aufgenommen, mit den berühmtesten Männern und Frauen in nähere, selbst dauernde Beziehungen kam, den man nach Pisa als Lehrer haben wollte, der von Fürsten und Gelehrten Auszeichnungen erhielt, der als Mitglied gefeierter Gesellschaften über die verschiedenartigsten Gegen- stände der Literatur und Medicin belobte grössere und kleinere Schriften veröffentlichte, der als Historiograph und dann in seiner Vaterstadt als erster Arzt angestellt, eines hohen Ansehens genoss und treu seine Pflichten erfüllte, könnte nicht unbedeutend und unerzogen gewesen seyn.

Auch trifft, richtig erwogen, der Vorwurf der Geschmacklosigkeit

ZUR BEURTHEILUNG DES ARZTES CHRISTIAN FRANZ PAULLINL 91

in Abfassung seiner Ausarbeitungen nicht ihn, sondern den Ton und die Sitten der Periode, in der er lebte.

Dass die Art seiner Thätigkeit ausser Mode gekommen, ist nicht seine Schuld.

Die Medicin nimmt fast mit jedem Jahrhundert eine andere Gestalt an; darum darf aber das Ueberbleibsel eines dagewesenen, wenn auch abentheuerlich, nicht für verüchtlich gehalten werden.

Wer billigt und befolgt die Erklärung der Erscheinungen der Krank- heiten und deren Behandlung, wie solehe blos vor wenigen Decennien von den anerkannt grösten Aerzten angegeben wurde?

Paullini scheint seinen Denksprüchen: candore et labore, sowie nunquam otiosus, immerfort treu geblieben zu seyn.

Da aber, nach dem Standpunkte unserer Bildung, seine deutsche Schreibart und Ausdrucksweise keine Billigung mehr findet, und das, was er erstrebte, nicht nur erreicht, sondern übertroffen ist, so kónnen seine mannigfachen schriftstellerischen Producte fortan in Ruhe verharren.

Sieht man sich jedoch veranlasst darauf zurück zu kommen, so dürfte sein Name nicht anders genannt werden, als der eines denkenden, kenntnissvollen, wohlgesinnten Arztes und eines der fleissigsten Männer seiner Zeit. |

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Zur Kenntniss des Baues und der Entwicklung von Branchipus stagnalis und Apus cancriformis.

Von

Prof. Dr. C. Claus.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 4ten Januar 1873.

Die Entwicklungsgeschichte von Apus und Branchipus, die seit Zaddach’s!) bekannter Dissertation und seit Leydig’s?) Bemerkungen über Artemia salina und Branchipus stagnalis meines Wissens neuerdings nicht wieder zum Gegenstand eingehender Beobachtungen gemacht worden ist, schien mir noch manche werthvolle Aufschlüsse über den Bau und die Verwandtschaft der Entomostraken erwarten zu lassen und desshalb ein ergiebiges Feld für erneuete Untersuchungen abzugeben. In dieser Ueberzeugung habe ich die durch die Güte des Herrn Prof. v. Siebold in München und Dr. Brauer in Wien freund- lichst dargebotene Gelegenheit, Apus- und Branchipuslarven aus eingetrocknetem Schlamme zu erziehen, freudig aufgegriffen und, wie die nachfolgenden Erörterungen zeigen werden, nicht ohne zu mehr- fachen neuen Ergebnissen gelangt zu sein, die geeignet sind, das Bild von der Metamorphose wesentlich abzurunden.

1. Branchipus stagnalis. Mit Taf. I. bis V. Ueber die Eierlage sowie über die Beschaffenheit der Eier und das Eiausschlüpfen der Larven hat bereits Bénédict Prevost°) Mit-

1)Zaddach, De apodis cancriformis Schaeff. anatome et historia evolutionis. Dissertatio inauguralis zootomica. Bonnae 1841.

2) Er. Leydig, Ueber Artemia salina und Branchipus stagnalis. Zeitschr. für wissensch. Zoologie Tom. III, 1851.

3) Jurine, histoire des Monocles. Genève 1820. Ta ML Rs

94 C. CLAUS,

theilungen gemacht, auf die ich beim Mangel eigner Beobachtungen hinzuweisen mich begnügen muss. Auch ‚war es jenem Naturforscher bereits bekannt, dass sich die Eier, wenn sie im Schlamme eingetrocknet sind, Monate lang lebens- und entwicklungsfühig erhalten. Er hatte Eier 6 Monate lang in trockner Erde aufbewahrt und nach der Befeuchtung später die Larven ausschlüpfen sehen, auch Herrn Jurine nach Genf eingetrocknete Eier zugeschickt, die dieser Naturforscher zum Ausschlüp- fen gebracht hatte.

Auch die eben ausgeschlüpfte Larve wurde von Prévost!) ziemlich genau beschrieben und nicht weniger geschickt, wenn auch nicht gerade correkt in Jurine's bekanntem Werke und später von Baird?) abge- bildet. Ihrem Baue nach wiederholt dieselbe genau den N aupliusty- pus und zwar mit der an die Daphnien erinnernden Eigenthümlichkeit einer enormen Entwicklung des 2ten Gliedmassenpaares, mit dessen Hülfe die Larve. in kräftigen Ruderbewegungen stossweise umherschwimmt. In diesem Sinne konnte Prévost das Bild gebrauchen ‚le chirocephale nouvellement eclos etc. ressemble en gros à un petit oiseau blanc, et en effet il parait plutot voler que nager.“ Die trübgelbe Färbung des kleinen Körpers, deren schon andere Beobachter Erwähnung thun, hat ihren Grund in zahllosen glänzenden Körnchen und Kügelchen, welche in dem subcuticularen Gewebe angehäuft, nur den Darmcanal, einige Muskelbänder und den Augenfleck durchschimmern lassen, während das Nervencentrum und der grösste Theil der Musculatur, auch eine nachher zu beschreibende Drüse des 2ten Gliedmassenpaares verdeckt bleiben.

Dass diese Drüse schon jetst vorhanden ist und nicht etwa erst mit der weitern Entwicklung ihre Entstehung nimmt, lässt sich bei der allmählig eintretenden Aufhellung der Gewebe direkt nachweisen. Das gleiche gilt vom Nervencentrum, an welchem Gehirn, Schlundring und untere Gehirnportion oder Mandibularganglien schon dem Naupliussta- dium zukommen und während der Embryonalentwicklung wahrscheinlich

1) Jurine, histoire des Monocles. Genève 1820. Taf. 21. F. 1. 2) British Entomostraca. Taf. 5. Fig. 4.

Z. KENNTN. D. BAUES U. D. ENTWICKL. V. BRANCH. STAGN. U. APUS CANC. 95

durch Zellen- Wucherung vom Hautblatte aus in ähnlicher Weise ent- standen sind, wie wir im Laufe der weitern Entwicklung die Bildung der Bauchganglien zu verfolgen vermögen. Ebenso möchte ich die Bildung des Auges auf das Hautblatt zurückführen.

Von den 3 Gliedmassenpaaren (Fig. la) ist das vordere einfach und endet wie auch in den spätern Stadien mit 3 Tastborsten. Das 2te sehr müchtige Gliedmassenpaar (b) fungirt wie die gleichwerthige An- tenne der Cladoceren als Ruderarm, ist am Basalgliede des Stammab- schnitts mit einen grossen in eine bewegliche Hakenborste auslaufenden Kieferfortsatz bewaffnet, trägt auch am Ende des zweiten Stammgliedes eine kräftige quer nach innen gerichtete Hakenborste (Hb) und endet mit zwei Aesten, von denen derinnere kürzere einfach bleibt und mit 4 Terminalborsten besetzt ist, während der um vieles grössere viel- gliedrige Hautast an seiner Innenseite bei Br. stagnalis 13 bei Br. torvicornis 15 oder 16 lange Schwimmborsten trägt. An dem Basalgliede des weit kürzeren dritten Gliedmassenpaares oder Mandibularfusses (c) erhebt sich bereits der Kieferfortsatz (K) in Form einer rundlichen Auf- treibung, von der grossen langgestreckten Oberlippe bedeckt. Auf das Basalglied folgen 3 Fussglieder, von denen das erste am Innenrande mit einer, das zweite mit zwei Borsten bewaffnet ist, wührend das Endglied 3 Borsten trügt. Der hintere Leibesabschnitt erscheint von dem die Gliedmassen tragenden Vorderleib einigermassen abgesetzt und besitzt anfangs eine kurze kuglige, später eine ovale, längere, am hintern Pole wenig ausgebuchtete Gestalt. (Fig. 1). Die Zellen der Hypodermis, von denen sich die zarte Cuticula bei Behandlung mit Ueberosmiumsäure als- bald abhebt, sind wenigstens vorn am Stirnrand und am Hinterleib auf- fallend lange Cylinderzellen und liefern im Verlaufe der weitern Ent- wicklung die untere Zellenschicht, auf welche sich die Neubildung von Segmenten, Gliedmassen, Ganglien und der Geschlechtsorgane zurück- führen lisst. |

Mit dem weitern Wachsthum der Larvenform vollzieht sich in kurzer Zeit eine allmählige Umgestaltung, indem sich zunächst der hin- tere Leibesabschnitt kegelfórmig streckt und von der Basis aus segmen-

96 C. CLAUS,

tirt, anfangs 2 dann 3 und 4 Querringe unter der Cuticula erscheinen lässt. An denselben entstehen sodann durch Wucherung der dem fóta- len Hautblatte entsprechenden Zellenschicht zuerst zwei und wenn die Zahl der Segmentanlagen auf 5 und 6 gestiegen ist, drei und vier schwüchere Paare von Querwülsten als erste Anlage von ebensoviel Glied- massen. Auch an dem vorausgehenden Abschnitte bildet sich unterhalb der Mandibeln ein Segment, das am besten in seitlicher Lage unterhalb des freien Abschnittes der grossen Oberlippe erkannt wird und frühzei- tig die Anlagen der beiden Maxillenpaare erzeugt.

Auf der Rückenseite des Vorderkörpers beobachtet man eine rundliche Randcontur, durch welche das ganze Integument schildförmig umsäumt wird, Dieselbe erhält sich unverändert in den spätern Sta- dien und erscheint dann frontalwärts vom Vorderkopf und rechts und links von den Seiten überwachsen als eine rundliche (Fig. DP.) mit zunehmender Grösse des Thieres mehr und mehr zurücktretende Platte, die wir als Nackenschild bezeichnen wollen.

Bezüglich der innern Organisation erkennt man das zweilappige Gehirn nebst Schlundring und minder scharf die untere Gehirnportion. In der Basis des zweiten Gliedmassenpaares, das morphologisch der Ruder- antenne der Cladoceren entspricht, tritt ein schleifenförmig gebogener feinkörniger Drüsenschlauch hervor, die Antennendrüse (A D), deren Ausmündung unterhalb des Kieferhakens nachweisbar ist. Durch die Oberlippe hindurch erstrecken sich 2 mächtige Längsmuskeln, zu denen an der Basis der Oberlfppe noch Quermuskeln hinzukommen, erstere wir- ken nachweisbar als Levatores, letztere als Einschnürer und Herabzieher derselben. In der vordern freien Hälfte der Oberlippe liegt eine Gruppe von Zellen, welche durch den Besitz grosser Kernblasen ausgezeichnet die den Phyllopoden und wohl allen Crustaceen eigenthümlichen Lip- pendrüsen darstellen. Regelmässig unterscheidet man eine umfangreiche mediane Zelle, die in diesem Stadium schon 2 Kernblasen enthält, also wohl im Stadium der Theilung begriffen ist und rechts und links 2 kleinere Seitenzellen. Der Pigmentkörper des Auges liegt zwischen zwei hellen gelblichen Seitenzapfen, deren Zusammenhang mit dem subcuticu-

Z. KENNTN. D. BAUES U. D. ENTWICKL. V. BRANCH. STAGN. U. APUS CANC. 97

laren Gewebe direkt nachgewiesen wird. Uebrigens ist das Auge keines- wegs das einzige Sinnesorgan. Als solches fungirt vielmehr sowohl die vordere Gliedmasse, deren Innenraum mehrere spindelförmige in Nervenfä- den auslaufende Ganglienzellen umschliesst, als auch ein paariger zu den Seiten des Auges gelegener subeutieularer Stirnzapfen, der als Verdickung der Hypodermis entstanden, mit zwei strangförmigen Ausläufern des Ge- hirns zusammenhängt. Rücksichtlich der Gliedmassen ist vor Allem die Ausbildung des Kieferfortsatzes am dritten Beinpaare zu einer feinbe- zahnten Mandibel hervorzuheben. Am ausgebuchteten Hinterrande des Abdomens erheben sich zu den Seiten der Afteröffnung 2 kleine war- zenförmige Vorsprünge, die Anlagen der ersten Furcalborsten. Bei Br. torvicornis treten dieselben früher auf als bei Br. stagnalis, sodass Lar- ven der erstern Art bereits 2 längere Furcaldornen besitzen zu einer Zeit, in welcher die Furcalerhebungen der letztern kaum sichtbar sind.

Von den wulstförmigen Extremitätenanlagen erweisen sich die bei- den vordern Paare in Grösse und Entwicklung weit vorgeschrittener als die nachfolgenden. Wie sie zuerst als Wülste erkennbar sind, treten sie frei an der Bauchseite vor, wenn die folgenden noch unter der zarten Cuticula bedeckt liegen (Fig. 3), ein Umstand, der möglicherweise auf den Eintritt einer Häutung hinweist, mit welcher das 3te bis Öte Paar die Bedeutung freier Extremitätenstummel gewinnen. In diesem Falle würden wir vor der Häutung das erste Cyclopsstadium , nach derselben die Cyclops- Daphniden- und Cirripedienform der Segment- und Glied- massenzahl nach wiederholt finden. |

Die Vorgänge der Neubildungen, sowohl der Segmente und Glied- massen als der innern Organe, lassen sich schon an den jüngern Formen dieses Entwicklungsstadiums, falls dieselben durch grössere Durchsich- tigkeit der Beobachtung günstig sind, verfolgen. Schon an Formen, an denen ausser den Maxillarwülsten nur die vordern Paare von Fusshöckern äusserlich hervortreten, kann man die Bildungsweise der Segmente und Gliedmassen unter der Haut des Abdomens beobachten. Man überzeugt Sich, dass es sich zunächst um die Anlage eines seitlichen und ventra- len unter der Hypodermis gelagerten Blastems handelt, welches mit

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der Streckung und Gróssenzunahme des Hinterleibes sich continuirlich weiter nach hinten verlängernd eine von vorn nach hinten fortschreitende Gliederung und Differenzirung erfährt. Dieses Blastem ist eine Zellen- wucherung an der Innenseite der Hypodermis und entspricht nach Lage und Bedeutung offenbar dem Keimstreifen des Arthropodenembryos. Freilich müssen die Bildungsvorgänge, welche sich an die Entstehung dieses Keimstreifens knüpfen, im Zusammenhang mit dem freien auf selbstständige Ernährung und Bewegung hingewiesenen Larvenlebens von denen des Embryonallebens in wesentlichen Punkten abweichen, wie wir solches bereits auch in dem Kreise der Wirbelthiere bei Amphioxus!) er- fahren haben. In beiden Fällen sind die grossen Differenzen der Ent- wicklung von dem frühzeitigen Bedürfniss der selbstständigen Ernäh- rung abzuleiten. Gehen wir von der einschichtigen Keimblase als der verbreitetsten Form der primitiven Embryonalanlage aus, so sehen wiran dieser (sei es durch Einstülpung, Faltenbildung oder Abhebung entstan- den) ein 2tes Blatt oder Darmdrüsenblatt zur Zellbegrenzung der Ver- dauungshöhle hinzugetreten und vor Auftreten des Primitivstreifens funk- tionsfähig. Dieser entsteht in beiden Fällen von der obern Zellenschicht der Keimblase aus in Verbindung mit einem zur Sonderung gelangen- den Mittelblatte, welches bei den Insekten erst durch Abhebung. einer untern dem Dotter aufliegenden Zellschicht das Darmdrüsenblatt hervor- gehn lässt (Kowalevski). An unsern Larven vollzieht sich die Sonderung der das Gangliensystem erzeugenden Medullarplatte direkt an dem me- dianen Theil der vom Aussenblatt nicht durch Faltenbildung 5), son-

1) Kowalevski. Entwicklungsgeschichte des Amphioxus lanceolatus. Me- moires de l'academie impériale des sciences de St. Petersbourg. VII. serie 1867.

2) Derselbe. Embryologische Studien an Würmern und Insekten. Ebend. 1871.

3) Mir scheint die Entstehung neuer Zellenschichten oder Keimblätter auf dem Wege der Faltenbildung (Umwachsung und Einwachsung) und Abhebung durch Spal- tung nicht so fundamental verschieden, dass man nicht beide in Verbindung bringen könnte als abhängig von einer Verschiedenheit des Wachsthums und der Zelltheilung. Diese ist möglicherweise im erstern Falle mehr lokalisirt und auf Einschiebung und Zwischenlagerung der neugebildeten Elemente beschränkt, im letztern auf die ganze

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dern Abhebung einer Zellschicht gesonderten Mittelblatt; bei den In- sekten (Hydrophilus) ist die Entstehung der Medullarplatte erst nach Bildung des untern Blattes an eine neue mediane Differenzirung des äussern Blattes geknüpft.

Wenn die Zahl der Segmente auf 5 gestiegen ist so ist der Hin- terkörper beinahe doppelt so lang als der vordere den Kopf reprä- sentirende Leibesabschnitt, und die Anlagen der Kiefer wie der bei- den ersten Beinpaare treten deutlich hervor. Man sieht dann das sechste Segment in Form eines ziemlich breiten Querbandes angelegt, an welchem unterhalb der zarten Hypodermis zwei Reihen grosser rund- licher Zellen liegen. Diese gehören aber als unteres Blatt dem Keim- streifen an, der allmählig von vorn nach hinten weiterwachsend an der Seite des Körpers auf dem natürlichen Querschnitt in Form ansehnlicher nach den Segmenten geordneter Verdickungen des Hautblattes erkannt wird. In diesen Zellen, welche sich auch über den hintern noch nicht segmentirten Theil des Abdomens ausbreiten und rechts und links eine Strecke weit auf die Rückenseite ausdehnen, liegt das Material für die Bildung der Extremitäten, ihrer Muskulatur und Nerven, der Ganglien, der Bauch- und Rückenmuskulatur, sowie des Herzens. Sie begrenzen nach . innen die Leibeshöhle, in der sich bereits Blutkörper langsam fortbe- wegen. Am Darmkanal hebt sich die Sonderung des Rectums mit der Klärung der Gewebe schärfer hervor, indem der Endabschnitt (ED) an der Körperwand durch vier Paare von Quermuskelgruppen fixirt, durch die Stärke des Ringmuskelbelages und der mittelst dieser Muskeln aus- geführten Contraktionen abweicht. Derselben entgegengesetzt wirken die queren Muskelbündel als Erweiterer des Darmlumens und der Afterspalte.

Der Entstehung nach sind es einfache, quer zwischen Darm- und Körperwand ausgespannte Spindelzellen, die an beiden Enden in meh- rere Ausläufer sich spalten. ^ Uebrigens sind diese jüngsten Stadien wegen des Körnchenreichthums der Gewebe noch wenig geeignet, um

Fläche ausgedehnt und eine Quertheilung ohne Einschiebung neuer Elemente in die Continuität der primären Zellenlage. N2

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die wahren die Segmente des Keimstreifens betreffenden Bildungsvorgünge verfolgen zu lassen. Dagegen sind hierzu etwas weiter vorgeschrittene Lar- ven tauglich, an deren Körper wenigstens die drei vordern Segmente des Abdomens als wulstfórmige Erhebungen vorspringen und bereits das Tte - und 8te Segment als Querreihen von Zellen am Keimstreifen hervortreten. Während hier die Anlage des Ster Segmentes wiederum aus zwei Rei- hen grosser Zellen besteht, welche unterhalb des Hautblattes liegen, sind die Zellen des zweiten Blattes der vorausgehenden Segmente kleiner und zahlreicher und wachsen bereits in der Medianlinie rechts und links aus einander. Das ist nachweisbar der Vorgang, durch welchen aus dem Segment des Keimstreifens die zwei medianwärts getrennten Keim- wülste hervorgehn.

In diesem Stadium, dessen Abdomen (Br. torvicornis) auf Fig. 3 in halbschrüger Lage von der Rückseite aus dargestellt worden ist, be- obachten wir oberhalb des Darmes bereits die Anlage des Herzens (c.) Dasselbe erstreckt sich als zartes Rohr durch die drei vordern Segmente des Leibes, um im Kiefersegmente mit erweiterter Mündung zu enden. Noch unvollständig erscheint die Anlage der 4ten und 5ten Kammer, von de- nen die letztere mit dem Rückentheil des Keimstreifens durch eine Quer- brücke verbunden ist. An diesen noch unvollstündig gebildeten Abtheilun- gen des Herzens nimmt man nur die Seitenstücke als verdickte aus Zellen gebildete Stránge wahr und überzeugt sich durch das Verhalten des nachfolgenden Segmentes, dass die beiden seitlichen Hälften der Kammeranlage nichts sind als die dorsalen Randwülste des Keimstrei- fens, welche continuirlich am zweiten Blatte zur Abgliederung gelangen. Die an dieselben angrenzende Partie der Keimstreifensegmente aber dif- ferenzirt sich in die Längsmuskulatur des Rückens und erscheint nach der Ablósung der Kammerabschnitte des Herzens in scharfer Linie ab- gegrenzt. Freilich scheint es auf den ersten Blick schwer zu begreifen, wie aus zwei seitlichen je etwa aus vier Zellen gebildeten Strängen eine Röhre wird, indessen geben etwas ältere Larven wie wir sehen werden über diesen Process ausreichende und sichere Auskunft. Pulsationen beobachtet man am Herzen noch nicht, wohl aber treten bereits Blut-

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körperchen, die jetzt schon am Bauche und an den Seiten abwärts und oberhalb des Darms aufwürts steigen, durch das Lumen der vordern Herzróhre hindurch. An der Bauchseite haben sich an den vordern Keimwülsten bereits die Anlagen von Extremitütenhóckern gesondert, von denen die zwei bis drei vordern eine Spaltung in je zwei Querabschnitte erkennen lassen, Vor denselben erheben sich unterhalb der Mandibeln an dem Kiefersegmente die Anlagen der grossen Maxillen des ersten Paares und der kleinen Kieferstummel des zweiten Paares. Aber auch die Ganglien der Bauchkette sind an den erwühnten Segmenten sicht- bar und zwar nicht nur für die zwei bis drei vordern Beine, sondern auch jedes Maxillarsegment besitzt sein besonderes wenn auch kleines Ganglienpaar. Die beiden Mawillarganglienpaare (Fig. 5" Mg’, Mg") erhal- ten sich auch in den spütern Larvenstadien selbstständig, und verschmelzen nicht etwa mit den Ganglien des Mandibelsegmentes zu einer gemein- Samen untern Schlundganglienmasse, wie man dies a priori erwarten sollte. Um zu erkennen, wie und aus welchen Theilen der Keimwül- ste die Ganglien ihren Ursprung nehmen, sind wiederum etwas vorge- schrittenere Larven geeigneter, doch überzeugt man sich schon jetzt für die Ganglien der vordern Segmente, dass es die mediane und in- nere Zellenmasse der Keimwülste ist, welche gewissermassen als Me- dullarplatte das Ganglion liefert, während die angrenzende Schicht ein Segment der Längsmuskulatur des Bauches, die übrigbleibende nach aussen vorspringende Zellenmasse dagegen die Extremität und deren Muskulatur erzeugt. Ich habe diese Bildungsvorgänge sowohl an den Larven von Br. torvicornis als an denen von Br. stagnalis verfolgt. An den letztern Larven (Fig. 4 und Fig 4') treten auch schon das 6te und Tte Segment in sanften Wölbungen hervor, während sich die Terminal- borste der entstehenden Furca noch auf eine warzenförmige Erhebung beschränkt. Auch hier ist die Seitenwand der 6ten Kammer im Be- Sriffe sich vom dorsalen Rand des Keimwulstsegmentes loszulösen, an der Bauchseite aber schon die Anlage eines 4ten Ganglienpaares be- merkbar.

Am Darmkanal tritt nicht nur die Sonderung des gestreckter er-

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scheinenden Enddarms mit seinem kräftigen Muskelbelag schärfer her- vor, sondern man bemerkt auch am vordern Abschnitt zwei seitliche jetzt noch ziemlich flache Auftreibungen als erste Anlage der sogenann- ten Leberschliuche. Dieselben sind durch Fäden am Integument der Stirn dorsalwürts befestigt und durch aufliegende Muskeln der Wandung zu Contraktionen befähigt.

Aeltere Larven von circa 5/4 bis 1 Mm. Länge (Fig. 5) sind nach Abstreifung der Haut in ein neues Stadium der Entwicklung eingetre- ten. Die beideh vordern Beinpaare erscheinen jetzt bereits vierlappig (Fig. 5" p! und p?), jedoch noch ohne äusseren Borstenbesatz.. An dem Keimstreifen ist das 1016, beziehungsweise llte Segment als Doppelreihe von Zellen zur Sonderung gelangt. Herz und Bauchganglienkette (Fig. 5) haben sich ebenfalls über ein Segment weiter nach hinten fortgebildet; an ersterem schnürt sich die Anlage zur 7ten Kammer vom Rückentheil des Keimstreifens ab (Fig. 5, c7. Pulsationen des Herzens beobachtet man noch nicht. Als Anlage des paarigen Auges (Fig. 5" o!) erhebt sich an den Seiten des Kopfes ein ansehnlicher Zellenwulst, dessen untere Spitze mit einem seitlichen Nebenganglion des Gehirns direkt verschmolzen ist. An der Verbindungsstelle entsteht eine Anhäufung von Pigmentmolekülen, welche sich mit dem fortschreitenden Wachsthum der Larve vergrössert.

An Larven von etwas über 1 Mm. Länge (Fig. 6 u. 6!) beobachtet man bereits einige Krystallkegel in dem kegelförmigen Pigmentkörper des paarigen Auges. Auch ein 5tes Beinpaar hebt sich als zweilappi- ger Zapfen ab. Dann folgen zwei bis drei (6tes bis 8tes Segment) seit- lich vorgewölbte Segmente, das 9te und 1046 Segment sind bereits durch Querconturen abgegrenzt, und zu dem liten und 12ten erscheinen die Anlagen als quere Zellreihen von dem bis in Furcalgegend reichenden Primitivstreifen abgehoben (Fig. 6’ s12).

Zugleich erscheint die Differenzirung der vordern Beinpaare vorge- schritten; nicht nur dass sich die Zahl der kurzen mittlern Lappen ver- mehrt hat und der Rand wenigstens des ersten Beinpaares von kurzen Borsten umsäumt wird, auch an der Rückenseite sind Rudimente des Kiemensäckchens und der basalen Fächerplatte hervorgewachsen. Somit

ar ae Tue

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werden schon sämmtliche Hauptabschnitte des spätern Branchipusbeines un- terschieden, wührend das dritte und vierte Beinpaar noch vierlappig sind. Die Ganglien der Bauchkette kann man deutlich bis zum 5ten Bein- paare verfolgen; das nunmehr lebhaft pulsirende Herz besteht aus 7 bis 8 Kammern, zu denen noch in continuirlicher Abstufung der Ausbildung die Anlagen der 9ten und 10ten Kammer hinzukommen. Bereits frü- her wurde hervorgehoben, dass die Kammern des Herzens aus den dor- salen Endstücken des Primitivstreifens und somit aus paarigen ursprüng- lich getrennten Elementen ihren Ursprung nehmen, Die Art und Weise dieser Entstehung, die a priori gerade nicht als die einfachste erscheint, der sich sogar mancherlei Bedenken entgegenhalten lassen, wird aber an Lar- ven unserer Entwicklungsstufe durch Vergleichung der letzten unvollständi- gen Kammer mit den nachfolgenden Kammeranlagen über allen Zweifel klar. Im liten Segmente auf den verdickten Dorsalrand des Primitivstrei- fens reducirt, hat sich die Kammeranlage (Fig. 6" c10) des 10ten Segmentes als ein aus 4 bis 5 Zellen gebildeter Streifen bereits abgehoben, während die des 9ten (c9) medianwärts merklich genähert erscheint. Im Sten Segmente sind die entsprechenden Stücke in der Mittellinie fast zusammengerückt, während an ihren Seiten der Zusammenhang mit dem Integument ihrer Ursprungsstelle und der aus den zunächstliegenden Segmenten des Keim- streifens gebildeten Rückenmuskulatur durch zarte Stränge zum Theil muskulóser Natur erhalten bleibt. An ihrem hintern Rande weit ab- stehend begrenzen sie die Seiten eines engen Rohres, welches hinten weit geöffnet, vorn direkt in das hinter Ostium der vorausgehenden Kam- mer einführt. Zu den Seiten dieses letztern ist freilich die Verschmel- zung beider Kammern eine unvollständige, indem die beiden arteriellen Östien der rechten und linken Seite als Spalten zurückgeblieben sind. Während die 7te Kammer noch sehr eng erscheint, ist die vorausge- hende mehrfach erweitert und wie die der vordern Segmente durch zwei seitliche in das Lumen vorspringende Zellreihen ausgezeichnet, welche auf die Entstehungsweise aus paarigen Abschnitten zurückweisen. Nach den mitgetheilten "Beobachtungen dürfte sich mit Sicherheit ergeben, dass die paarigen Zellstreifen allmählig von rechts und links nach der Mit-

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tellinie zusammenrücken und hier zu einem engen Rohre verschmelzen, sei es nun, dass sie einen anfangs soliden oder gleich von vornherein einen von engem Hohlraume durchsetzten Strang darstellen. Allmählig erweitert sich dann mit eintretender Thätigkeit der Wandung das Lumen der so gebildeten Kammer. Auch die oben bereits beschriebene Son- derung der Keimstreifensegmente als zwei Zellenreihen lässt sich gerade in dem vorliegenden Stadiùm am schönsten und deutlichsten verfolgen (Fig. 6! 811 und $12).

Dem Eintritt in das nachfolgende Stadium (Fig. 7) geht eine Häu- tung voraus, mit der sich die Larve etwa um 0,2 Mm. verlängert. Nun- mehr tritt der Borstenbesatz auch am 2ten Beinpaare äusserlich frei her- vor, auch das 5te Beinpaar zeigt bereits eine Quergliederung in mehrere Lappen, und hinter den freien und abgeschnürten Keimwülsten der drei nachfolgenden Segmente unterscheidet man acht bis neun Segmentanla- gen, von denen die drei vordern schon schwach vorspringende Keim- wülste bilden. Bis zu diesen lässt sich nunmehr die Differenzirung der Bauchganglienkette verfolgen. Das Herz reicht bis in das 9te Segment hinein, dessen Kammer noch sehr eng ist und sich hinten mit weitem Ostium öffnet. Die Breite des Stirntheils und Grösse des Seitenauges ist bedeutender geworden, die Furcalausbuchtung endet auch bei Br. stagnalis jederseits mit zwei Borsten.

Es würde zu weit führen und zu wenig Interesse bieten, wollte ich in der bisherigen Weise die zahlreichen ganz continuirlich in der Richtung von vorn nach hinten sich differenzirenden Larvenstufen ein- zeln vorführen; es wird genügen nur bei denjenigen Stadien länger zu verweilen, an welchen sich eine auffallendere Umgestaltung vollzieht. Larven von 1,5 Mm. Länge haben neun freie Segmente und sechs Glied- massen, solche von 1,6 bis 1,7 Mm. zehn freie Segmente und sieben Glied- massen, von denen die vier vordern an Grösse bedeutend hervortreten und alle Theile des ausgebildeten Phyllopodenfusses besitzen. Das 4te und 5te Beinpaar entbehren noch des Borstenbesatzes, das 7te zeigt begin- nende Quergliederung, ein 8tes beziehungsweise 9tes Beinpaar ist in der Entstehung begriffen. Das 16 Körpersegment erscheint noch mit dem

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gemeinsamen Hinterleibsstück verbunden, in welchem wohl schon die sämmtlichen nachfolgenden Segmente als kurze quere Zellenreihen des Bauchstreifens nachweisbar sind. Die Ganglien lassen sich wenig- stens bis zum 8ten, die Herzkammer bis in das 14te Segment ver- folgen. Der Furcalabschnitt ist noch verhältnissmässig kurz, ausser den innern grössern und äussern kleinern Terminalborsten findet sich jeder- seits eine kurze Borste beziehungsweise noch die Anlage einer 2ten (Fig. 8). Von den Gliedmassen des Kopfes besitzen die Tastantennen etwa acht bis zehn feine mit Knópfchen endigende Riechborsten, die jedoch in geringerer Anzahl auch schon jüngern Larven zugehüren. Die Ruder- antennen erscheinen der Grósse nach im Vergleich zu den jüngeren Lar- venstadien reducirt, da sie nicht in gleichem Verhältniss mitwachsen, be- züglich des Baues sind sie jedoch noch ebenso unveründert wie der Taster der Mandibeln und die beiden nachher noch nüher zu beschreibenden Maxil- lenpaare. Dagegen bereitet sich an dem verbreiterten und oberhalb des kreisfürmig umschriebenen Rückenschildes hervorgewachsenen Stirntheil eine Veründerung vor, die Abschnürung nümlich des medianen Ab- schnitts, welcher das unpaare Auge und die frontalen beinahe linsen- ähnlich nach innen vorspringenden Sinnesorgane enthält, von den die paarigen Augen umfassenden Seitentheilen. Diese gestalten sich in den nachfolgenden Entwicklungsstadien zu den beweglichen Stilaugen und enthalten jetzt schon die Anlage eines quer ausgespannten als Herab- zieher wirkenden Muskels.

Larven von 1,8 bis 1,9 Mm. Länge (Fig. 9) besitzen 8 Beinpaare, die 6 vorderen wohl entwickelt, mit sämmtlichen Theilen des Phyllopoden- fusses und mit borstenbesetzten Rändern der Lappen. Das 7te Bein- paar ist dagegen erst vierlappig und das Ste nur zweilappig. Die An- lagen des 9ten und 10ten Paares stellen ganz einfache Wülste vor. Auch sind bereits an sämmtlichen Körperringen bis zum 18ten Segmente die seitlichen Tastborsten entwickelt und zwar bei Br. torvicornis weit stärker als bei der andern Art. Am Aussenrande der Furcalglieder er- heben sich drei, am Innenrande ein bis zwei Seitenborsten.

Im nachfolgenden Stadium hat der Larvenkörper eine Länge von

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2 Mm. erreicht (Fig. 10). Jetzt sind neun Fusspaare vorhanden, zu de- nen noch die Anlagen des 10ten und llten Fusses hinzukommen. Das Ste Fusspaar ist von sehr kurzen Borsten umsäumt und das 9te noch vierlappig. An dem merklich verlängerten Hinterleibe treten sämmt- liche Segmente (12 bis 19) als kurze Querringe hervor, die hintern frei- lich unter einander nur undeutlich gesondert und auch vom Praefurcal- segment nicht scharf abgehoben. Dagegen zeigen die beiden vordern, die spätern Genitalsegmente, in ähnlicher Weise wie die vorausgehenden Ringe auf frühern Entwicklungsstufen Keimwülste, welche offenbar Fussanlagen gleichwerthig, wie diese medianwärts an der Innenseite Gan- glienpaare zur Anlage bringen. Die Larve hat sich merklich gestreckt und von dem vorausgelagerten Praefurcalabschnitt, welcher die Quer- muskelzüge zur Befestigung des Rectums umschliesst, schärfer abgesetzt. AmVorderleib bereiten sich jetzt schon Veränderungen vor, welche auf eine baldige Metamorphose der Larve hinweisen. Insbesondere beginnt die Umgestaltung des 2ten Antennenpaares, dessen Borsten durch Ver- schrumpfung ihres Matricalgewebes auf ihre Cuticularhülle reducirt wer- den. Auch beginnt die Rückbildung der schleifenförmigen Antennen- drüse, während dagegen die Schleifendrüse des Maxillarsegments eine mächtigere Ausdehnung und grössere Weite ihrer Gänge gewinnt. Das Herz erstreckt sich bis in das 18te Segment, doch sind seine hintern Kammern weder vollkommen ausgebildet noch zu Pulsationen befühigt. Auch die Anlagen der Geschlechtsorgane (gt.) erscheinen als zwei seit- liche der Hypodermis dicht anliegende Zellstränge in den vier vordern Segmenten des Abdomens.

Wenn die Larve eine Länge von etwa 2,2 Mm. erreicht hat, so ist das 1016 Fusspaar noch vierlappig und das llte ein zweilappiger Stum- mel (Fig. 11). Sämmtliche Herzkammern sind jetzt vorhanden, die bei- den hintern freilich noch unvollendet und nicht in Thätigkeit. Das Ab- domen ist verhültnissmüssig gedrungen, seine Segmente sind noch kurz und nicht sehr scharf abgesetzt. Die Larve hat an jeder Seite zwei neue Borstenstummel gebildet. Die Seitenabschnitte des Vorderkopfes (Fig. 11) heben sich als Anlagen der spütern Stilaugen von dem vorspringenden

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Frontalabschnitt schürfer als in frühern Stadien ab und werden bereits durch die Contraktionen des untern queren Augenmuskels (M) von Zeit zu Zeit wenn auch nur schwach herabgezogen. Mit dem weitern Wachs- thum der Larve streckt sich vornehmlich das Abdomen, dessen Segmente sich bedeutend verlängern und schärfer von einander abheben. Gleich- zeitig macht die Umgestaltung in die Form des Geschlechtsthieres weitere Fortschritte. Die Ruderborsten des 2ten Antennenpaares werden an- fangs durch kurze griffelfórmige Stummel ersetzt (Fig. 12), später ganz ab- geworfen (Fig. 13). Mit diesem Verlust treten die schon vorher gebil- deten Büschel zarter blasser Fäden an der sonst nackten Oberfläche deut- licher hervor, wie andererseits auch die veränderte Haltung der nach vorwärts umgeschlagenen Gliedmasse auf eine Veränderung des Gebrau- ches hinweist. Aus den zum Schwimmen und Rudern eingerichteten Extremitäten, welche bisher einen Hauptantheil an der Fortbewegung des Körpers nahm, wird nunmehr ein nach den Geschlechtern verschieden gestaltetes Tast- und Greiforgan (Fig. 14a, a und Fig. 15), die schleifen- förmige Drüse aber schrumpft schon vorher an der Basis des verküm- merten Kieferfortsatzes zu einer fettig degenerirten Körnchenmasse zu- sammen, deren Reste an grösseren der Ausbildung nahen Formen noch nachweisbar sind. Der Stirntheil des Vorderkopfes erhebt sich jetzt als bedeutender Vorsprung, der mit tiefer seitlicher Ausbuchtung nach den langen und beweglich abgesetzten Stilaugen abfällt. Auch wird der Kinnbackentaster rudimentar, erhält sich jedoch noch längere Zeit als ein mit kurzen Borsten besetzter Stummel. Die beiden letzten Bein- paare gewinnen gleichzeitig ihre volle Gliederung, während an den Ge- nitalsegmenten noch keine nach den Geschlechtern verschiedene Abwei- chung bemerkbar ist.

In solcher Weise umgeformt finden wir die jungen Thiere, wenn sie eine Länge von 3 bis 3,2 Mm.!) erreicht haben, so dass wir diese

1) Es bedarf wohl keines ausdrücklichen Hinweises. dass sich die Grössenan- gaben auf in engen Behältern gezogene Individuen beziehen, welche an Grösse hin- ter denen im Freien aufwachsenden Formen einigermassen zurückbleiben.

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verhältnissmässig kleinen sexuell noch indifferenten Formen kaum noch Larven zu nennen berechtigt sind. Auch stimmt bereits die innere Or- ganisation bis auf die noch unvollkommene Bildung der Sexualorgane mit den Geschlechtsthieren überein, bietet aber jetzt bei der geringen Grösse und bedeutenden Durchsichtigkeit der Gewebe für die Untersu- chung gróssere Vortheile.

So mag denn hier eine kurze Erörterung der Organisation von Branchipus angeschlossen werden, welche durch Hinzuziehung jüngerer Stadien ergünzt, in einigen Punkten, wie ich hoffe, die Anatomie von Branchipus vervollständigen wird. Leider war das Material an älteren und vorgeschrittenen Formen zu beschränkt, als dass ich hätte zu einem vollständigern Bilde von dem innern Bau gelangen können.

Bezüglich der Verdauungsorgane sehen wir die Mundöffnung von einer gestreckt- helmfórmigen und durch Blutzufluss stark schwellbaren Oberlippe bedeckt, deren mit feinen Härchen besetztes Vorderende in einen mehr oder minder abgesetzten dreieckigen Lappen ausgezogen ist. Im Innern der Oberlippe beobachten wir nahe der Basis eine Anzahl reifenartig gruppirter Ringmuskeln, sowie zwei mächtige Lüngsmuskeln, welche sieh weit nach vorn erstrecken und mit den erstern in Verbin- dung das freie Lippenende heben und senken. In diesem letztern lie- gen die grossen bereits früher erwähnten Drüsenzellen, deren Zahl mit dem Alter eine betrüchtlichere wird. Der unterhalb und zu den Seiten der Mundóffnung gelagerte Kieferapparat besteht aus einem Paar Man- dibeln und zwei Maxillenpaaren, von denen das vordere von Schäffer und auch noch von Leydig irrthümlich als gespaltene Unterlippe be- trachtet worden ist. Grube!) und Klunziger?) hingegen unter- scheiden und beschreiben die beiden vordern Maxillen vollkommen rich- tig, so dass ich auf die Angaben dieser Autoren verweisen kann. Nur die eine Bemerkung móchte ich beifügen, dass der schmälere Fortsatz

1) Grube, Bemerkungen über Phyllopoden. Berlin 1853. 2) Klunzinger, über Branchipus rubricaudatus. Zeitschr, für wiss. Zool. Tom. 17. pag. 27.

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am hintern und üussern Rande des Grundblattes mit gutem Recht als eine Zasterähnliche Nebenlade aufzufassen ist (Fig. T.), welche von aussen nach innen gerichtete Bewegungen ausführt.

Der mit der Mundöffnung beginnende Oesophagus steigt als ein verhältnissmässig kurzes aber breites und mit kräftiger Muskelwandung ausgestattetes Rohr schräg aufwärts und wird unterhalb der medianen Ausbuchtung des Gehirns nahe seiner Ausmündung in den Darm von zwei schräg von oben und aussen nach innen und unten gerichteten Muskelbündeln in seiner Lage befestigt, beziehungsweise aufwärts gezo- gen (Fig. 11° M). Der nun folgende Magendarm, dessen Struktur be- reits von Leydig sehr genau und ausführlich dargestellt worden ist, bildet am Vorderrande seines obern Endes die beiden in ältern Stadien wiederum mehrfach ausgebuchteten sog. Lebersückchen, deren Wandung mittelst schrüg verlaufender Ringmuskeln lebhafte Contractionen aus- führt, ihrem Baue nach aber von der Darmwandung nicht verschieden ist. Sehr scharf setzt sich der Magendarm mittelst einer vorspringenden Klappe gegen den kurzen Enddarm ab, dessen Wandung durch die grössere Breite und dichte Gruppirung seiner Ringmuskeln, sowie durch die Stärke seiner längsgefalteten Intima hervortritt, dagegen des Belages von Zellen entbehrt, den Leydig mit Unrecht auch diesem Theile des Tractus zugeschrieben hat. Die vier Gruppen von transversalen zwischen Haut und Darmwandung ausgespannten Muskelfüden, welche wie eine Art „Muskelnetz“ den als Sphincter wirkenden Ringsmuskeln entgegen das Darmlumen óffnen, habe ich bereits für jüngere Zustünde beschrieben.

Ueber die Schalendrüse von Branchipus ist zunächst die auffallende Abweichung hervorzuheben, welche die Form und Lagerungsweise ihrer Windungen von der entsprechenden Drüse der Apusiden und Estheriden darbietet. Wahrscheinlich steht die gedrungene Form der Drüsenwin- dungen mit dem Mangel einer Schale im Zusammenhange, der Schlauch kann sich nicht nach hinten in eine Duplicatur des Kiefersegmentes aus- dehnen (Fig. 13) und erscheint daher in dem seitlichen Vorsprunge des- selben knäuelförmig zusammengerollt, zugleich aber mit seinem untern engern Abschnitt in das erste Fusssegment herabgedrüngt. Auch hier

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findet sich eine reichliche Blutstrómung in den engen, den Drüsengang umgebenden gefässähnlichen Räumen der Leibeshóhle. Eine Ausmün- dung der Drüse gelang mir ebensowenig wie Leydig wahrzunehmen. Jedenfalls ist der griffelförmige, den Ausführungsgang einschliessende Fortsatz, welcher sich bei den Schalen tragenden Phyllopoden findet, hier nicht vorhanden. In dieser Hinsicht schliesst sich Branchipus den Cladoce- ren an, welchen auch die Schalendrüse in der Gestalt der Windungen näher steht. Doch ist es bei Branchipus möglich (Fig. 13 eine Beziehung zu den Doppelschlingen des Drüsenganges von Apus und der Estheriden fest- zustellen, deren Schlingen-Zahl wir freilich auf zwei reducirt finden. Bei Daphnia ist die innere Schlinge (Fig. 18)aa' zudem viel kürzer als die äussere bb’, diese aber in ihrer untern Hälfte aufwärts und nach vorn um- geschlagen. Möglicherweise fällt die Mündungsstelle mit der von G. O. Sars als rugose Stelle der Schale bezeichneten Partie zusammen. Das am- pullenartige Drüsensäckchen, welches jüngst von A. Dohrn für die Cla- doceren insbesondere für Daphnia longispina als ein Anhang der Schalen- drüse beschrieben wurde, habe ich mich vergebens bemüht in dem von je- nem Beobachter angegebenen Sinne aufzufinden. Dagegen sieht man bei durchsichtigen Daphniden zugleich mit den Drüsenwindungen ein Sackför- miges Gebilde ganz vom Aussehn des vermeintlichen Drüsensäckchens, überzeugt sich alsbald aber bei scharfer Einstellung und genauerer Betrach- tung, dass dasselbe mit der Schädeldrüse nichts zu thun hat, vielmehr das Kiemensäckchen des unterliegenden Beinpaares ist. Da das von Dohrn abgebildete Säckchen nach Lage, Form und Struktur jenem Kiemenan- hang entspricht, so ist es mir kaum zweifelhaft, dass dieses letztere zu einer Täuschung Veranlassung gegeben hat. Vergl. Fig. 18 Br.

Ueber das langgestreckte vielkammerige Herz (Fig. 16 c) besitzen wir bereits mehrfache eingehendere Beschreibungen, und sind auch durch Leydig mit dessen feinerer Struktur bekannt gemacht, so dass ich mich auf wenige durch bereits mitgetheilte Beobachtungen über die Entwick- lung des Herzens veranlasste Bemerkungen beschränken kann. Von der hintern unpaaren Oeffnung im vorletzten Segmente abgesehen finden sich in allen vorausgehenden Segmenten bis zum Segmente des ersten Fuss-

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paares seitliche Spaltóffnungen, so dass sich die Zahl der letzern auf 18 Paare beliuft. Das Vorderende des Herzens aber erstreckt sich in das Kiefersegment hinein und mündet hier im Jugendzustande mit weitem Ostium. Die zarten Muskelfäden, welche in paariger Anordnung von Stelle zu Stelle zur Befestigung an den Rücken abgehen, entsprechen nach Zahl und Lage den Kammern und weisen auf die Stellen hin, an welchen sich bei der Loslósung der die Kammerhülften reprüsentirenden Zellstränge vom dorsalen Rand der Keimwülste der Zusammenhang mit- telst ausgezogener Spindelzellen erhielt. Leydig unterscheidet an der Herzwand eine äussere Ringmuskelschicht und ein inneres zartes Epitel; die Continuität des letztern scheint mir jedoch zweifelhaft zu sein und darf ich mich in dieser Hinsicht auf die bereits mitgetheilten Beobach- tungen über die Entwicklung der Herzkammern beziehen.

Als Respirationsorgane dürften ausser der gesammten Körperdeckung doch wohl die schlauchförmigen Branchialsäckchen in Anspruch genom- men werden (Fig. 17 Br. Wenn man auch an lebenden Thieren weder eine grössere Energie der Blutstrómung noch eine bedeutendere Blut- menge als in andern Fusstheilen beobachtet, so möchte doch schon der Verlauf des Stromes in lacunären Gängen unter der Chitinhaut und die abweichende Struktur dieser Anhänge auf eine andere und zwar respirato- rische Bedeutung hinweisen. Der Umstand, dass das Blut diese Säckchen nach dem Tode des Thieres strotzend anfüllt, hat wahrscheinlich eine Beziehung zur Struktur und grösseren Nachgiebigkeit der Bedeckung und dürfte desshalb auch nicht so gering anzuschlagen sein, als dies von Leydig geschieht, welcher den sogen. Kiemensückchen die Bedeutung re- spiratorischer Organe abspricht. Ich finde zudem nun auch, dass bei Behandlung mit Ueberosmiumsüure die Kiemensückchen sich tiefer schwür- zen als die benachbarten Fusstheile, will jedoch diesem Umstand keine zu grosse Bedeutung beilegen. Auffallend ist das Vorhandensein eines zweiten sehr zarthäutigen und stark ausgedehnten Anhangsgebildes (Br), welches vor dem Kiemensäckchen an der Basis des Fusses entspringt und bei den übrigen Phyllopoden vermisst wird. Auch in der sonstigen Ge- staltung des Schwimmfusses finden sich manche Eigenthümlichkeiten,

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die sich aber leicht als Modificationen des Phyllopodenfusses ableiten lassen. Ein medianwürts gebogener Kieferlappen wie bei Apus fehlt, dagegen ist der Grundlappen sehr umfangreich und springt in weitem dicht mit Schwimmborsten besetztem Rande fort. Die Zweitheilung die- ses Lappens (LL’) scheint bei allen ! Branchipusarten angetroffen zu werden. Auffallend klein bleiben nun die drei folgenden Mittellappen, welche bei Branchipus wie bei Artemia warzenfórmigen Hóckern gleichen und in 1 oder 2 griffelfórmige Dornen auslaufen, zugleich aber noch mit 2 bis 3 langen gebogenen Borsten besetzt sind. Der nun folgende untere Randlappen (Grube's Tibiallappen) (L5) zeigt nach Form und Grösse an den einzelnen Fusspaaren einige Verschiedenheiten. Im Allgemeinen erscheint derselbe als eine hohe und gedrungene Platte, deren Rand anstatt der Schwimmborsten mit kurzen befiederten Dornen besetzt ist. Der dorsalwürts entspringende obere Randlappen endlich (L9) besitzt eine ge- strecktere mehr lanzetfórmige Gestalt und trügt am freien Rande zahl- reiche lange und befiederte Schwimmborsten. Die rückenstündige vor dem schlauchförmigen Branchialsäckchen eingelenkte Fücherplatte,. wie wir sie bei Apus und den Estheriden antreffen, vermissen wir bei Branchipus und Artemia, haben aber möglicherweise den obern Randlappen, den Grube Tarsallappen nennt, in diesem Sinne zu deuten, da das Verhal- ten der Fussentwicklung in jüngern Larvenstadien diese Auffassung zu- lüsst. An den wulstfórmigen Erhebungen, welche die ersten Fussanla- gen darstellen und bei Apus durch ihre bedeutende Breitenentwicklung abweichen, sondern sich bei Branchipus zuerst die beiden Terminallap- pen durch eine mittlere Einschnürung. Bei Apus treten*nun auch als- bald die vorausgehenden Lappenfortsütze und der Kieferlappen als rund- liche Ausbuchtung auf, während Fächerplatte und Kiemensückchen erst später an der Rückenseite des Fusses hervorwachsen. Bei Branchipus dagegen sondert sich nach der Differenzirung der beiden Randlappen ein schmales Mittelglied und ein umfangreicher Basallappen. Wenn nun am Rande grössere Borsten, sowie dorsalwärts die beiden Kiemensäckchen

1) Vergl. Klunzinger l. c. Taf. IV. Fig. 5 M^L.

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hervorwachsen, während der Reihe nach die beiden vordern Mittelhöcker aus der Masse des sog. Tibiallappen zur Sonderung gelangen, so gewinnt in der That der obere Randlappen das Aussehn einer dorsalen Fücher- platte.

Leydig, welcher das Nervensystem von Artemia und Branchipus nüher beschrieben und namentlich das feinere Verhalten der peripheri- schen Nerven erörtert hat, bemerkt, dass man nur bei starker Vergrösse- rung und bei gedämpftem Lichte das Nervensystem zu erkennen vermöge, da bei der Durchsichtigkeit der Ganglien und Nerven die Anwendung schwacher Vergrösserungen nicht zum Ziele führe. Für die ausgewach- senen Formen mag Leydig Recht haben, ältere Larven und jugendliche Exemplare gestatten indessen auch ohne Anwendung jener Beobachtungs- regeln eine sehr leichte und vollständige Verfolgung der Nerven.

Von bedeutender Grösse und complicirter Gestaltung erweist sich das Gehirn (Fig. 11), das: von Leydig wohl allzu einfach als ein „mehrfach eingekerbter Halbring‘‘ dargestellt wird. Jedenfalls treten an ihm zwei seitliche medianwärts durch Querfasern verbundene Lappen her- vor, die als Anhäufungen grosser Ganglienzellen wieder in mehrfache Unterabtheilungen zerfallen. Wir unterscheiden zwei grosse obere Cen- trallappen (a) und eben soviel kleine untere Lappen (c), welche seitlich viel weiter auseinander stehen und durch eine untere Commissur trans- versal verlaufender Nervenfasern verbunden sind. Unterhalb dieser Commissur liegen mehrere sehr grosse Ganglienzellen genau die Decke des Schlundrings bezeichnend, während oberhalb derselben ein zwei- tes Band von Querfasern mit schräg aufsteigendem Faserverlauf die zuerst genannten Lappen sowie zwei seitlich und dorsalwärts vorsprin- gende Anschwellungen (b) verbinden. Auch die den Schlundring bil- denden Gruppen von Längsfasern erhalten einen oberflächlichen ziem- lich dicken Belag von Ganglienzellen.

Die aus dem Gehirn austretenden Nerven versorgen theils Sinnes- Organe, theils und diese Nerven entspringen aus dem Schlundring die Muskeln der Antennen. Mehr als Ausstülpungen der beiden obern Dorsalganglien, denn als einfache Nerven erscheinen zwei zu dem fronta-

Phys. Classe. XVIII. P

114 C. CLAUS,

len Sinnesorgane aufsteigende Stränge. Dieselben bestehn aus Gang- lienzellen und Nervenfasern und legen sich mittelst je fünf Ganglien- zellen an die Oberfläche eines glänzenden Körpers an, welcher als in- nerer Hautvorsprung mit der Hypodermis zusammenhängt und in seinem Innern zuweilen ein grosses Bläschen nachweisen lässt. Ob wir es hier mit einem einfachen bläschenförmigen Zellenkern oder einer Bildung zu thun haben, welche einem Otolithenbläschen näher steht, muss ich vor- läufig ebenso wie die Natur des Sinnesorganes dahingestellt sein lassen.

Bestimmteres vermochte ich über das unpaare Auge zu ermitteln, welches Leydig einem besondern Gehirnlappen aufgelagert sein lässt. In der That hat dieses primitive im jüngern Larvenalter ausschliesslich vorhandene Auge auch im vorgeschrittenen Alter einen complicirtern Bau, als man vermuthen möchte. Es besteht dasselbe nämlich aus einem zweilappigen Pigmentkörper, an dessen Seiten helle lichtbrechende Zapfen angelagert sind und aus dem empfindenden Apparat. Dieser ent- springt vom Gehirn mittelst dreier Nervenstämmchen, zweier schwäche- ren von den Dorsalanschwellungen austretenden Seitennerven und einem stärkern aus der Mitte des Gehirns aufsteigenden medianen Augenner- ven (Fig. 11,13" n. Der letztere bildet bei seinem Eintritt in den Pig- mentkórper ein Ganglion, welches bei Br. stagnalis- Larven hinter dem Pigmente liegt (Fig. 11’), in vorgeschrittenen Stadien von Br. torvicornis, dessen Augenpigment eine viel lünger gestreckte und schmülere Form hat, ebenso an den Seiten desselben erkannt wird (Fig. 13” g). Bei aus- gewachsenen Thieren scheint nach Leydig’s Angaben die Form des Pigmentkörpers bedeutender zu variiren.

Die Nerven des grossen gestilten Seitenauges entspringen von den dorsalen Gehirnlappen mittelst eines besondern grossen Augenganglions, auf welches im Verlauf des Sehnerven vor dem Eintritt desselben in den Pig- menttheil des Auges noch eine zweite kleinere Ganglienanschwellung folgt. In jüngern Larven, deren Seitenaugen noch in der Bildung begriffen, lie- gen beide Anschwellungen dicht gedrängt hinter einander. Man über- zeugt sich mit Hülfe verschiedener Entwicklungsstadien, dass ebenso wie das Frontalorgan so auch das seitliche Auge durch eine Wucherung des

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Hautblattes seine Entstehung nimmt. In der wulstförmigen Auftreibung, welche an der Seite des Kopfes von der Hypodermis aus gebildet wird und an ihrem Ende mit dem Sehnerven zusammenhüngt, lagern sich zuerst Anháufungen von Pigmentmolekülen ab. Wenn diese noch nicht die halbe Grósse des unpaaren Augenflecks erlangt haben, treten die ersten Krystallkegel als kleine Zapfen auf. Mit der Gróssenzunahme des Auges gewinnt der vordere Kopfabschnitt (Fig. 8) eine bedeutende Breitenentwicklung; ein guter Theil des nach rechts und links ausgezo- genen Stirnrandes wird von einer streifigen aus kleinen Zellen gebildeten Wucherung der Hypodermis begleitet, der eigentlichen Matrix des Augen- stils (Ma). Offenbar ist von der Thätigkeit dieses Zellenwulstes nicht nur die Verlängerung der zu den gestilten Augen sich umgestaltenden Seitentheile des Kopfes, sondern auch die scháürfere Absetzung derselben von der in scharfem Bogen sich vorwólbenden medianen Kopfpartie ab- zuleiten. Ohne auf den feinen Bau des Auges näher einzugehn, der keine bemerkenswerthen Besonderheiten darzubieten scheint, mag hier nur die durch die Entwicklungsweise erwiesene Bedeutung der beweglichen Stil- augen als selbstständig gewordene Kopftheile hervorgehoben werden. Mit dem seitlichen Hervorwachsen der Augenstile bilden sich Muskelgrup- pen an der Unterseite des Auges aus, welche in transversalem Ver- lauf, der Achse des Auges ziemlich parallel (Fig. 11 M^), unterhalb des Sehnerven hinziehen und das Auge abwärts ziehen. Ausser diesen Mus- keln aber ist noch eine zweite schrüg die Querachse des Auges durch- setzende Gruppe von Muskelfasern bemerkbar, deren Wirkung eine ent- gegengesetzte zu sein scheint. Jedenfalls gibt uns die Entstehungsweise der Stilaugen von Branchipus einen Fingerzeig auch für die morpholo- gische Beurtheilung des Podophthalmenauges, welches lange Zeit irr- thümlich als besonderes Gliedmassenpaar gedeutet wurde.

Ausser den obern und vordern Sinnesnerven entspringen aus dem ` Gehirn und dem Schlundring vier Nervenpaare zu den Antennen. Der vorderste Nerv (Fig. 11 n) gehört seinem Ursprung nach den untern seit- lich gelagerten Anschwellungen des Gehirns an und versorgt die Sinnes- fáden, sowohl die drei hellen Borsten als die zahlreichen kurzen mit ei-

116 . T. C. CLAUS,

nem glänzenden Endknópfchen versehenen Röhrchen. Wie bereits Ley- dig richtig dargestellt hat, treten die Fasern dieses Nerven durch zwei Gruppen verschiedenartiger Ganglienzellen durch. Die untere Gruppe besteht nur aus etwa fünf spindelförmig gestreckten Zellen von offenbar bipolarer Natur, die obere Gruppe, in welche die aus der erstern her- vorkommenden Fasern eintreten, besteht aus zahlreichen kleinern und mehr rundlichen Zellen. Der 2te Nerv (n’) versorgt die Muskeln an der Basis der Antennen, Die Nerven des 3ten und 4ten Paares (n^, n") tre- ten zu den Muskeln und Tasthaaren der 2ten Antennen.

Der Schlundring, der in weitem Bogen den Oesophagus umzieht, bildet ziemlich langgestreckte Schenkel, welche dicht unter dem Schlunde und von ihrem Uebergang in die Mandibularganglien merklich entfernt, eine Commissur von Querfasern verbindet, ein Verhalten, das sich bei den Stomatopoden und .Decapoden wiederholt. Anstatt einer 'gemeinsa- men untern Schlundportion finden wir eine Anzahl von gesonderten Kie- ferganglien in dichter Aufeinanderfolge. Zu oberst liegt ein medianwärts fast zusammenfliessendes unteres Schlundganglion, welches die Muskeln der Mandibeln versorgt und auch seiner Lage nach einem Mandibeldop- pelganglion entspricht (Fig. 7 u. 8 Mg), dann folgt durch kurze Längs- commissuren getrennt und durch zarte Quercommissuren verbunden ein grösseres vorderes und ein kleineres unteres Maxillarganglion. Die drei Ganglienpaare der Kieferregion bilden den vordersten Abschnitt des Bauch- marks, welches in jedem fusstragenden Segmente ein Ganglienpaar er- hält. Diese Fussganglien aber sind grösser und gestreckter als die Kie- ferganglien, ihre Seitenhälften bestehen selbst wieder aus je zwei An- schwellungen und verbinden sich dem entsprechend durch eine doppelte Quercommissur (Fig. 14). Wie bereits Leydig richtig hervorgehoben hat, liegen die aus den Längscommissuren eintretenden Fibrillen in der Mitte des Ganglions, während seitlich und oben die Ganglienzellen auf- gelagert sind, sich auch streckenweise auf die Commissuren fortsetzen. Der- selbe Autor lässt an der Aussenseite eines jeden Ganglions 3 Nerven ent- springen, von denen der eine zum Fuss, ein anderer zur Haut gehn soll. Ich habe nur 2 Nerven beobachtet,welche die Muskeln des Fusses ver-

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sorgen. Dagegen finde ich der äussern Seite des Ganglions einen in 2 Lappen getheilten Kórper anliegend, welcher einige sehr grosse Kerne enthält (Fig. 14 g') und in einen sehr zarten Faden ausläuft. So we- nigstens finde ich das Verhalten an Larven von 2 bis 3 Mm. Lünge, habe es aber leider zur richtigen Zeit versäumt, spätere Alterszustünde auf die Beschaffenheit dieser eigenthümlichen Nebengebilde zu unter- suchen und bin spüter nicht im Stande gewesen trotz aller Mühe jene Stadien wieder zu erziehen. Wahrscheinlich fällt dieses wohl als Drüse zu deutende Anhangs-Gebilde, über dessen Beschaffenheit ich mir nach erneuten Beobachtungen genauere Mittheilungen vorbehalte, mit dem eigenthümlichen Organ zusammen, welches Leydig als rundlicher, stark orangegelber Körper an. der Unterseite jedes Beines dicht an dem Coxalgliede beschreibt, dessen Bedeutung aber auch er nicht anzugeben vermag.

Der Bauchstrang bildet nun aber hinter den 11 Fussganglien noch in den beiden Genitalsegmenten Ganglien, welche jenen erstern durch- aus entsprechen, nur des seitlichen Anhangsgebildes entbehren (Fig. 14). Hinter dem letzten Ganglion (13), dessen Quercommissur einfach bleibt, setzt sich das Bauchmark: in Form zweier Längsnerven in die nachfol- genden Segmente des Abdomens fort.

Ueber die peripherischen Nerven, welche die zarten Sinmesfäden der Antennen und die zahlreichen an der Oberfläche der Leibessegmente . paarig vertheilten Tastborsten (Fig, 9 u. 10) versorgen, verdanken wir bereits Leydig nähere Angaben. Auffallend erscheint der Reichthum an Büscheln von Sinneshaaren an derOberfläche der 2ten Antennen, welche nach dem Verlust der Schwimmborsten eine für beide Geschlechter dif- ferente Entwicklung nehmen und bei Männchen zu ausserordentlich grossen wahrscheinlich mit einem feinen Gefühlsinn begabten Greifor- ganen werden. Schon an Formen von 3,5 Mm. Länge (Fig. 14) mar- kirt sich in der abweichenden Gestaltungsform der „Kopfhörner‘‘ das ` erste Anzeichen männlicher oder weiblicher Natur, da indessen meine auf die allmählige sexuelle Umgestaltung dieser Gliedmassen gerichteten Beobachtungen noch nicht den gewünschten Grad der Vollständigkeit

118 C. CLAUS,

erlangt haben, ziehe ich es vor, die Mittheilung derselben für eine spá- tere ergänzende Arbeit zu verschieben. Nur soviel will ich hinzufügen, dass im weiblichen Geschlecht (Fig. 14' aa’) der Nebenast ganz rudi- mentär wird und später hinwegfällt, ebenso auch der obere Abschnitt des Hauptastes, welcher die Ruderborsten trug, zu einem kleinen Fortsatz verkümmert. Im männlichen Geschlecht (Fig. 15) gestaltet sich dieser Abschnitt zu dem obern gekrümmten Haken des medianwürts mit dem der andern Seite verschmelzenden Greifapparates. Aus dem Ne- benaste aber geht möglicherweise der an der Basis entspringende füh- lerartige Faden hervor.

2. Apus cancriformis. Mit Taf. V bis VII.

Die jungen dem rothbraunen Eie entschlüpften Apuslarven (Taf. V Fig. 1) erkennt man schon mit unbewaffnetem Auge an der dicken plum- pen Kórperform und an der Unbehülflichkeit ihrer Bewegungen. Wie bereits Brauer richtig bemerkt hat, sinkt der neugeborene Apus zu Boden, und schwimmt nur schwerfällig und zwar mittelst der Ruder- schläge seines 2ten Gliedmassenpaares wieder an die Oberfläche. Die trübkórnige Beschaffenheit der Gewebe, welcher die opake gelblich- weisse Färbung des Körpers entspricht, gestattet keinen Einblick in die feinere Struktur der Organe. Man sieht nur den sackförmigen vorn erweiterten und mit gelblich röthlichem Dottermaterial erfüllten Darm- canal, sowie den braunrothen fünfseitigen Pigmentkörper des unpaaren Auges. Der Dotterinhalt des Darmcanals ist offenbar so reichlich vor- handen, dass er nicht nur für das erste, sondern auch für das zweite und wahrscheinlich auch noch für das dritte Stadium als Nahrungsquelle vollkommen ausreicht. Der oval gestreckte nach hinten fast birnförmig verschmälerte Körper hat eine Länge von 0,6 Mm. und ist beinahe dreh-

1) Fr. Brauer, Beiträge zur Kenntniss der Phyllopoden. Sitzungsberichte d. K. Akad. d. Wiss. Wien. Mai-Heft 1872.

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rund, doch sind die Seitenflächen voneinander etwas weiter entfernt als Rücken und Bauchseite. Am hintern Ende bezeichnet eine schwache mediane Ausbuchtung die Lage der Afteröffnung.

Bezüglich der Gliedmassen hat man bislang auffallender Weise das dritte Beinpaar der Naupliusform (c) ganz übersehen und gestützt auf die von Zaddach gegebene Beschreibung und Abbildung der Apuslarve nur die beiden vordern Gliedmassenpaare zugeschrieben. Das vordere Paar, die später Antenne, inserirt sich zu den Seiten der helmfórmigen Mundkappe oder Oberlippe und ist wie bei allen Naupliusformen ein- fach stabfórmig. An ihrer Spitze erhebt sich eine lange und sehr be- wegliche Borste, neben der noch eine zweite viel kürzere und schmäch- tigere Borste eingefügt ist. Unverhältnissmässig gross und in seiner Funktion den Ruderantennen der Cladoceren entsprechend erscheint das 2te Gliedmassenpaar (b) Dasselbe ist an seiner Basis mit einem bewegli- chen Kieferhaken bewaffnet und endet mit zwei umfangreichen Aesten, von denen der kürzere eingliedrig bleibt und drei Borsten trügt, wüh- rend der lüngere fünfgliedrige Hauptast mit fünf langen Seitenborsten besetzt ist. Das dritte bisher übersehene Gliedmassenpaar (c) entspringt dicht unterhalb der Oberlippe, hebt sich aber bei der dunkeln trübkör- nigen Beschaffenheit der Leibessubstanz nicht so deutlich als die voraus- gehenden hervor, zumal nur der Endabschnitt desselben über den Sei- tenrand des Körpers hinausreicht. Ein Mandibularfortsatz ist noch nicht ausgebildet, indessen wenigstens als schwache kuglige Auftreibung der Anlage nach vorhanden. Die beiden Endglieder, die ebensoviel Aesten entsprechen, bleiben kurz, das obere und äussere mit 3, das innere mit 2 kurzen Borsten bewaffnet. So einfach der birnförmige Leib unserer Larve auf den ersten Blick erscheint, so ergibt sich doch bei genauerer Betrachtung, dass in demselben nicht nur der Kopf mit der Anlage des Rückenschildes, sondern auch der Rumpf nebst Hinterleib enthalten ist. Man erkennt in seitlicher Lage des Thieres sowie vom Rücken aus eine die Anlage des Rückenschildes (DS) bezeichnende Abgrenzung und auf dem Integument dieses Abschnitts eine rundlich ovale Contur (N), welche eine urglasförmige helle Erhebung umschreibt, das durch alle Stadien bis

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zur ausgebildeten Form sich erhaltende Nackenorgan. Die dem Rumpf und Hinterleib entsprechende Region, etwa das hintere Drittheil des Larvenkórpers ausmachend, birgt unterhalb des Integumentes die Anla- gen zu den 5 vordern Brustsegmenten (S) und deren Gliedmassen, die man als ebensoviel schrüg aufsteigende Querwülste leicht erkennt.

Je mehr sich die Larve dem Zeitpunkt der ersten Häutung nähert, um so besser markiren sich die beiden Regionen des nachfolgenden Sta- diums, der grössere, den Kopf und Rückenschild bezeichnende Vorder- körper und der hintere allmählig verschmälerte und die Anlagen der 5 vordern Beinpaare in sich fassende Abschnitt. Nach Abstreifung der Chitinhülle hat die Larve die ovale Form des Nauplius vollständig ver- loren und durch die schildförmige Verbreiterung des Vorderleibes sowie durch die Streckung des kegelförmig verengerten hintern Leibesabschnitts eine Gestalt gewonnen, welche am besten der einer jungen Caligus ver- glichen wird (Fig. 2A u. B). Noch immer ist der Körper von einer Menge feiner und groberer Körnchen erfüllt, welche zahlreiche Muskeln und Nerven, auch den grössten Theil des Gehirns verdecken. Nur der Darmcanal mit seinen nunmehr als einfache Schläuche vortretenden Leberausstülpungen schimmert seinem ganzen Umfang nach durch die Körpergewebe hindurch, die sich während des 2ten Entwicklungssta- diums in Folge der Körnchenauflösung nur wenig klären. Der schild- förmige Vorderleib umfasst Antennen und Kiefersegmente, entspricht somit dem Kopfabschnitt, überdeckt aber zugleich wenigstens das vor- dere Rumpfsegment mit der Anlage des ersten Beinpaares ziemlich voll- ständig. Das unpaare braunroth pigmentirte Auge liegt dem obern Rand des Gehirns fast unmittelbar auf und scheint zwei lichtbrechende Kör- per zu enthalten. Oberhalb desselben erheben sich auf zwei schwach gewölbten Hervorragungen zwei kleine griffelförmige Fäden mit zartem fibrillären Inhalt und glänzenden Terminalkörperchen (Fr), offenbar die zwei auch bei andern Entomostraken aufgefundenen Sinnesfäden des Stirnrandes (Fr), denen wohl auch das Frontalorgan von Branchipus gleich- werthig ist, Die Gliedmassen des Vorderleibes haben sich kaum we- sentlich verändert. Die Antennen enthalten etwa in ihrer Mitte am.

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Innenrand eine birnförmige Zelle, die sich in spütern Stadien erhält und wahrscheinlich zu den später auftretenden Geruchsfäden in Bezie- hung steht. An der Basis der Ruderantenne, deren Innenast bereits zwei- gliedrig geworden ist, findet sich in undeutlicher Umgrenzung ein trüb- körniger schleifenförmig gebogener Drüsenschlauch, dessen Ausmündung unterhalb des Hakengliedes um so deutlicher erkannt wird, je mehr sich der Larvenkörper durch Resorption der Körnchen aufhellt. Es ist die bereits für Branchipus beschriebene schleifenförmige Drüse an der Basis des zweiten Gliedmassenpaares, die in gleicher Weise bei Estheria und Limnadia (hier schon von Lerebouillet!) als räthselhaftes Organ er- wähnt) vorkommt und sicher auch bei den übrigen Phyllopoden auftritt. Morphologisch entspricht dieselbe offenbar der von mir im Körper der Cyclopslarven beobachteten Drüsenschleife (Claus, Copepoden Taf. I. Fig.2. 3. 5 und Taf. II. Fig. 9.) und ist ein bei den Entomostraken auf das Larvenleben beschränktes, von der sog. Schalendrüse wohl zu un- terscheidendes Organ. Da wir auch bei zahlreichen Malakostraken eine Drüse gleicher Lage und Ausmündung (an der Basis des zweiten Anten- nenpaares) finden, so scheint mir nichts im Wege zu stehen, die er- wähnte schleifenförmige Drüse der Entomostraken dem Drüsenschlauch an der hintern Antenne der Decapoden und Amphipoden morphologisch gleich zu setzen. Am Basalglied des dritten Gliedmassenpaares ist der Mandibularfortsatz als mächtiger noch nicht gezähnelter Kiefer hervor- gewachsen. Die Oberlippe ist kurz und wie man an der frisch ab- gestreiften Larvenhaut nachweisen kann am freien Rand mit 4 papil- - lenfórmigen Erhebungen versehen. Dieselbe bedeckt die Ränder der Mandibeln, deren Grósse und Stürke auf bereits vorhandene Funktions- fáhigkeit hinweist. Allerdings wird der dunkelkórnige Darminhalt vor- nehmlich noch aus Ueberresten des Nahrungsdotters gebildet, indessen mögen auch bereits kleine Schlammtheile, Detritus abgestorbener Körper, selbstständig aufgenommen werden. Auf das Mandibelpaar mit seinem

1) Lerebouillet, Observations sur la génération et le developpement de la Limnadie de Hermann. Annales sc. nat. V Ser. Tom. 5. 1868. Phys. Classe. XVIII.

122 C. CLAUS,

/ mächtig entwickelten Fussanhang folgt noch das vordere als einfache Platte sich darstellende Maxillenpaar. Im Innern des von trübkörnigen Zellen erfüllten Kopfschildes markiren sich bereits hellere Hohlräume und Lakunen, in denen Blutkórperchen in langsamen Bewegungen fort- geführt werden.

Wie es mir schien, waren es die Muskeln der Extremitüten, deren Contraktionen stellvertretend für das nicht nachweisbare Herz, die schwache langsame und unregelmässige Bewegung des Blutes veranlassten. Auch die Schalendrüse vermag man bei aufmerksamer Betrachtung, wenn auch noch nicht in scharfen Umrissen, sodoch als eine schlauchförmig gruppirte Anhäufung von Zellen in den untern Seitentheilen des Rückenschildes nach- zuweisen. Der nach hinten sich verschmälernde tief ausgebuchtete Hin- terleib zeigt deutlich 5 Segmente, an welchen bereits die 3 bis 4 vor- dern Gliedmassen als Querwülste mit wellig gelapptem untern Rande (Taf. VI Fig. 2 C) erkannt werden. Auch ein 6tes Segment hebt sich später als ringförmige Querbinde von dem konischen Endgliede ab, und hinter ihm

schimmern die Anlagen der zwei nachfolgenden Ringe durch das Inte- -

gument durch. Die Hócker, welche die terminale Ausbuchtung begren- zen, sind zu ansehnlichen Furcalfortsützen ausgezogen. In der Aus- buchtung selbst mündet mit deutlicher Oeffnung der Enddarm aus, des- sen Wandung sich von dem mit trübkórniger Masse erfüllen Magen- darm bereits scharf abhebt.

An den ültern der Häutung nicht fern stehenden Formen dieses zweiten Larvenstadiums ist die Zahl der Segmente scheinbar vermehrt, da sich über den drei neuen grösser gewordenen Segmentanlagen die Cuticula vorwölbt. Aehnliches finden wir auch an den unmit- telbar vor der Häutung stehenden Larven älterer Stadien. Die abge- streifte Haut, die man durch Isolirung der Larve leicht erhält, gibt in jedem Falle ein Hülfsmittel an die Hand, die Zahlenverhältnisse für

Segmente und Gliedmassen genau zu bestimmen und dient somit zur

Controle der an den lebenden Larven gemachten Beobachtungen. Mit der zweiten Häutung (Taf. VI Fig. 2 C) tritt die Larve in das dritte Stadium (Fig.3 Taf. VL) ein (Zaddach Taf. IV. Fig. 5), welches

T PAN

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beinahe eine Lünge von 1 Mm. erreicht hat, aber auch im Laufe sei- nes Bestehens einige Veränderungen erfährt. Dasselbe hat 6 gelappte Fusspaare, deren Grösse und Differenzirung von vorn nach hinten ab- nimmt. Ausser dem Kieferlappen und 5 ventralen schlauchförmigen Lappenfortsätzen besitzen die 5 vordern Beine bereits den dorsalen Randlappen oder die Fächerplatte (Fp) und das rückenständige Branchial- säckchen (Br). Auch eine Tte noch undeutlich gelappte Fussanlage ist vorhanden, und hinter dieser heben sich noch 2, später sogar 3 Segmente als kurze seitlich vorragende Wülste ab (Taf. VI Fig. 3). Das Rücken- schild ist noch kurz und bedeckt nur die Segmente der beiden vordern Beinpaare, lässt jedoch bereits die Schalendrüsen ihren Umrissen nach hindurchschimmern. Der Kaurand der Mandibel, deren Taster noch als Fuss fungirt, ist fein gezähnelt und am untern Winkel mit einem stär- kern Zahn bewaffnet. Auch die Anlage des 2ten Kieferpaares wird als schmale quer liegende Erhebung nachgewiesen. An den ältern und vor- geschrittenen Formen, welche vor der Häutung stehen, hat sich der Körper bedeutend geklärt, so dass man die innern Organe deutlicher yerfolgen kann. Es erscheint nun auch das Herz und zwar schon in langsamen Contraktionen begriffen bis zum 6ten Fusssegment entwickelt. Die Furcalglieder sind etwa 3mal so lang als breit und laufen in einen kurzen Borstenhócker aus. Ihr Innenraum wird durch eine schmale Chitinsehne in einen äussern und innern Blutraum geschieden. Der letztere geht in eine den Afterdarm umgebende Lacune über, in wel- cher eine Anzahl querer an der Darmwandung befestigter Muskelbünder wie in einem Rahmen ausgespannt liegen. Es sind die auch bei Bran- chipus beschriebenen Dilatoren des Darmlumens, welche beim Austritt des Darminhalts die Wandung nach den Seiten ziehn und die von klap- penfórmigen Vorsprüngen des Integuments umgebene Afterspalte öffnen. Da wo die Chitinsehnen der Furcalglieder an dem Chitinrahmen ent- Springen, liegen jederseits 3 Zellballen.

Nach abermaliger Abstreifung der Haut, also nach der dritten Häu- tung, tritt die Larve bei warmer Witterung noch vor Beginn des zwei- ten Tages nach dem Ausschlüpfen in das vierte Stadium ein (Fig. 4)

Q2

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(Zaddach Fig.9) und hat nun eine Länge von 1 bis 1!/, Mm. erreicht. =

Nunmehr erscheint der Körper überaus hell und durchsichtig, und in den Schalen tritt sehr deutlich das Lacunensystem hervor, welches die Blut- körperchen langsam durchkreisen. Die Zahl der gelappten Fusspaare

ist auf 7 Paare gestiegen, von denen die 3 bis 4 vordern vom Rücken- .

schilde bedeckt werden. Sämmtlich tragen sie schon an der Rücken- seite das Branchialsäckchen und die Fächerplatte, sowie an ihrer Basis die median vorspringende Kieferlade. Aber auch schon an dem 8ten und 9ten Beinpaar beginnt die Lappenbildung; die 3 bis 4 nachfolgen- den Gliedmassen sind in der Entstehung begriffen und heben sich sammt ihren kurzen Segmenten vom Hinterleibsstück ab, dessen Furcalglieder jetzt 4 bis 5mal so lang als breit sind und in je einen langen Borsten- fortsatz auslaufen. Auf der Rückenseite markiren sich über und hinter dem Stirnauge die Anlagen des paarigen Auges, dessen Pigment sich in dem mit 2 Ganglien zusammenhängenden Blastem abzulagern beginnt. Die Leberanhünge des Darmes bilden jederseits schon 8 Ausstülpun- gen, die sich mittelst eines üusseren Ueberzuges von Ringmuskeln zu contrahiren vermógen. Die Schalendrüse mit ihren drei Schleifen- güngen ist bereits vollkommen ausgebildet. Besonderes Interesse ge- wührt die Gestaltung des frontalen Sinnesorganes, dessen blasse Zapfen vom Stirnrand dorsalwürts gerückt, an den Seiten einer taschenförmigen, im frühern Larvenstadium bemerkbaren Hautumsäumung frei nach aussen vorstehen; die an sie herantretenden oberhalb des Auges von Ganglien . entspringenden Nerven verlaufen an den Seiten innerhalb der Hautta- schen. Die Ruderantennen, noch immer als Hauptbewegungsorgane durch

synchronische Ruderschläge den Körper stossweise forttreibend, haben

an Umfang kaum verloren und lassen unterhalb ihres grossen Kiefer- hakens die Mündung der vordern Drüsenschleife leicht erkennen. Am Kaurand der Mandibeln erheben sich 2 untere Zahnfortsätze und ober- halb derselben von der Spitzenreihe des Randes gesondert eine Gruppe kleiner Spitzen, welche einem dritten Zahnfortsatz entsprechen (Fig. 4). Die Sgliedrigen Kinnbackentaster stehen beinartig nach hinten gewendet und haben noch immer einen ansehnlichen Umfang. Am ersten Maxillen-

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paare unterscheidet man schon die Anlage einer vordern kleinern Lade, welche von Zaddach als Maxille des ersten Paares gedeutet wurde. Unterhalb der grossen Hauptlade folgt das quergestellte mit nur einer Borste besetzte 2te Maxillenpaar. (Zaddach's Thoracalfuss des 3ten Paares). Das Herz, dessen Vorderende 2 seitliche Arterien nach der Schalendrüse entsendet, reicht bis in das 9te Fusssegment. Der Kreis- lauf ist bereits sehr vollkommen und die Strómungen des Blutes in den Blutráumen der Furca sehr lebhaft. In den der Medianlinie zugekehr- ten Lakunen bewegen sich die Blutkórperchen von dem rahmenartig um- schriebenen Sinus, welcher den Enddarm umgibt, abwärts und steigen dann in der Lakune der Aussenseite aufwürts empor. Auch die Bauch- ganglienkette mit ihren dicht gedrüngten Ganglien wird deutlich bis zum 9ten Segmente erkennbar.

Mit der vierten Häutung ist die Larve in das 5te Stadium (Taf. VIII ` Fig. 5) eingetreten und hat eine Länge von 11, Mm. erreicht (Zaddach Fig. 13). Es sind nunmehr 9 deutlich gelappte Fusspaare vorhanden, welche sämmtlich den Kieferfortsatz und mit Ausnahme des letzten das rückenständige Branchialsäckchen besitzen. Ein lOtes Paar ist in der Lappenbildung begriffen und vier nachfolgende Gliedmassen sprossen an den entsprechenden Segmenten hervor, deren Seitentheile als Höcker über die Gliedmassenanlagen hinausragen, hinter diesen aber werden ‚noch etwa 6 kurze Querbinden als neue Segmentanlagen unterschieden. ‚Zwischen den vordern 9 bis 10 Gliedmassen treten die entsprechenden Gan- glienknoten in dichter Aufeinanderfolge zu einer sehr gedrungenen Gan- glienkette vereint, sehr deutlich hervor (Fig.5g.) Die Furcalglieder haben sich bedeutend gestreckt und erreichen fast den dritten Theil der ge- sammten Körperlänge, ihre Endborsten sind nun mehr beweglich abge- setzt und an der Einlenkungsstelle von 4 spitzen Stacheln umstellt. In der Bewegungsweise der Larve beginnt nun aber im Zusammenhang mit der allmähligen Verkümmerung der beiden vordern Gliedmassenpaare eine Veränderung bemerklich zu werden, es tritt die Schwimmbewegung der Füsse den frühern Ruderstössen der Ruderarme gegenüber in den Vordergrund. Vornehmlich ist es der Mandibularfuss, der eine beträcht-

26 C. CLAUS,

liche Reduktion seiner Grósse erfahren hat, und über die Mandibel, deren Kaurand 3 scharf abgesetzte Zahnfortsätze und eine vierte Erhebung mit einer Gruppe feiner Spitzen darbietet, ein wenig hinausragt. Von den Maxillen ist die des 2ten Paares noch so wie im frühern Alter gestaltet und mit der einfachen fast fingerförmigen Borste an der medialen Spitze be- waffnet. An der Aussenseite des vordern Maxillenpaares aber bemerkt man unmittelbar über der Einlenkungsstelle dieses Kiefers eine kurze etwas gekrümmte höckerförmige Erhebung, die ich für die Anlage des fingerförmigen Anhangs halte, an dessen Spitze der Ausführungsgang der Schalendrüse liegt. Das frontale Sinnesorgan erscheint noch weiter vom Stirnrand nach der Rückenseite abgerückt. Zu den Seiten der ta- schenförmigen Hautspalte erheben sich die zwei fadenförmigen Cuticular- anhänge (Fig. 5 B. z), zu denen 2 Ganglienknoten ansehnliche Nerven (n) ent- senden. Unmittelbar hinter und unter diesen Ganglien liegt das grosse unpaare Auge, den beiden Lappen des Gehirns (Gh) dicht aufgelagert. Jenes (Fig. 5 C) besteht aus einem birnförmig-ovalen schwarzen Pig- mentkórper, in welchen wahrscheinlich nach dem Verhalten von Bran- chipus zu schliessen Nervenelemente von beiden Hirnhälften eintreten und zwei seitlichen hellen Anlagerungen, in denen eine streifige Substanz und hellere Kugeln erkennbar sind (Fig. 5 C. O). Stellt man den Rücken der Larve ein (Fig. 5 B), so treten in dem von den Leberschlüuchen um- schlossenen Raume oberhalb des undeutlich durchschimmernden Augen- pigments wie von einem Rahmen umschlossen die Theile des paarigen Auges (O) entgegen. Jedes Auge enthält zahlreiche kleine Pigmentkugeln und eine streifige mit Zellen erfülte Substanz, welche einem grossen birnfórmigen wohl als Augenganglion aufzufassenden Kórper auflagert. Die Leberblindschläuche haben sich in dem Masse vergróssert, dass die beiden seitlichen Paare durch Einschnürungen in je 2 Abschnitte zerfallen sind, dagegen erscheint das ventrale Paar noch einfach und gleicht auf dem natürlichen Querschnitt einem làngsovalen Sack, den man zumal bei seiner Lage an der Antennenbasis auf den ersten Blick mit einer Gehörblase verwechseln könnte. Das Herz erstreckt sich jetzt schon bis in das 10te Fusssegment. Blutkörperchen krei-

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sen in allen Theilen des Leibesraumes in lebhafter und regelmüssiger Bewegung.

Nachdem die Larve zum 5ten male ihre Haut abgestreift, hat sie eine Länge von 2 bis 2% Mm. erreicht, von der allerdings beinahe zwei Fünftheile auf die langgestreckten fadenfórmigen Furcalglieder kommen, deren Oberfläche durch den ringfórmigen Besatz mit kurzen Spitzen bereits eine Art Ringelung gewonnen hat (Zaddach Fig. 14 und 15). Es sind jetzt 11 bis 12 vollkommen gelappte und mit Kieferfortsätzen versehene Beinpaare vorhanden, von denen die 9 bis 10 vordern Branchialanhang und Fücherplatte tragen; dann folgen noch 2 kleinere undeutlich gelappte Fusspaare und 5 bis 6 kleine Fussanlagen, sodass im Ganzen 26 abge- schnürte Segmente gezühlt werden, hinter denen noch unterhalb des In- teguments 6—7 neue Segmentanlagen als Querbinden zu unterscheiden sind. Von nun an schreitet die Reduktion der Ruderantennen mit der Ver- kümmerung ihres Kieferhakens rascher vor. Die Schleifendrüse in der Antennenbasis ist noch wohl erhalten, dagegen der Mandibulartaster bis auf einen kleinen Rest (Fig. M. T.) geschwunden. Am Kaurand der Mandibeln erheben sich 5 diskrete Zahnfortsätze, die schon fast 5/, der Länge des Kaurandes einnehmen. Die beiden Laden des vordern Maxil- lenpaares erscheinen eben so wie die papillenförmige Erhebung (p) auf welcher die Schalendrüse ausmündet, merklich vergrössert.

Schon jetzt hat die Schalendrüse eine solche Ausbildung erlangt, dass sie alle Theile späterer Zustände enthält, aber bei der relativ ge- ringen Grösse und bedeutenden Durchsichtigkeit der Larve viel deut- licher erkennen lässt. In der allgemeinen Form sowie in der Zahl der Drüsengänge zeigt dieselbe eine grosse Uebereinstimmung mit den Drü- sen der von Schalenklappen umschlossenen Phyllopoden, der Gattungen Limnetis, Estheria und Limnadia. Die Schalendrüse der letztern Gattung habe ich bei einer andern Gelegenheit kürzlich näher beschrieben und würde ich auf diese Darstellung einfach verweisen, wenn nicht gerade für Apus der Bau dieser Drüse von den bisherigen Beobachtern so irr- thümlich dargestellt worden wäre. Zaddach wirft die Gänge der Drüse mit Blutriumen zusammen und beschreibt 7, beim erwach- `

128 | ` €. OLAUS,

senen Thiere sogar 9 „Canäle“, und auch Grube!) gibt anknüpfend an die Schalendrüse von Limnetis eine zwar bessere, aber immerhin noch nicht auf richtiger Deutung basirte Darstellung. Wie bei den genannten Gat- tungen haben wir stets drei an dem hintern Ende schleifenfórmig um- gebogene und einander eng umlagernde Bogengänge, welche sich um den in die Schale einführenden Blutraum sowie um den an der Basis des- selben gelegenen Schalenmuskel in Gestalt eines gestreckten Ovales her- umziehn. Es sind also 3 einander umschliessende je 2schenklige Bogen- günge vorhanden, deren Ränder in Folge der Anheftung unter sich und an der Schalenwand vielfache zackige Erhebungen bilden und deren Ausklei- dung aus Drüsenzellen besteht. Bezeichnen wir mit Grube den innern Bogen, welcher den unpaaren bei Apus sehr langgestreckten Blutraum um- zieht, als den ersten, den äussern als den dritten und die der Medianlinie zugewendeten Schenkel als die obern, so lüsst sich für den Zusammenhang der Bogengünge folgendes auch für alle nachfolgenden Altersformen gülti- ges Verhältniss feststellen. Stets gehen die obern Schenkel des dritten und zweiten Bogenganges am vordern Ende durch Umbiegung in einander über und ebenso die untern Schenkel des ersten und dritten Bogengan- ges (Fig. 6 S. D.). So bleiben nur die vordern Abschnitte des ersten obern

und zweiten untern Bogenganges frei. Beide umgürten die Basis des Blutcanals der erstere unter winkliger Umbiegung und weiter nach auf-

würts verlàngert oberhalb des Schalenmuskels wie blind abgeschlossen. Wahrscheinlich vereinigen sich an dieser Stelle beide Gänge zur Bildung eines kurzen Ausführungscanales, der auf dem papillen- später griffelför-

migen Fortsatz an der Aussenseite der Maxillen mündet. Auch an der

äussern Umgrenzung des Schalendrüsenovals wird eine reichliche Blut- strömung unterhalten; an ältern Thieren scheint hier der äussere Drü- sengang wie von einem nochmaligen Gang umzogen, mit dessen Hinzu- ziehung Zaddach (Taf. II Fig. 1c5) die Zahl seiner Canäle auf 9 d.h. einen unpaaren und 4 paarige bestimmen konnte. Was die Entwick- lung des Darmkanals und Herzens anbetrifft, so ist die Zahl der Leber-

1) Grube, Bemerkungen über die Phyllopoden. Berlin 1853 p. 45.

DEN LUE : I: M Gam s c ii

. Z. KENNTN. D. BAUES U. D. ENTWICKL. V. BRANCH. STAGN.U. APUS CANC. 129

sückchen auf 6 Paare gestiegen, von denen drei noch kleine und ein- fache der Bauchseite angehóren, die drei grossen obern Paare aber wie- der je 2 bis 8 Nebenausstülpungen bilden (Taf. VIII Fig. 6 L.). Das Herz besitzt 11 Paare von seitlichen Spaltöffnungen, aus einem vordern un- paaren Ostium (o) oberhalb des Arterienpaares (ar) strömt das Blut nach dem Gehirn und Augenpaare. | |

In ähnlicher Weise schreitet die Umgestaltung des wachsenden Leibes mit den spätern, rasch aufeinander folgenden Häutungen vor. Das paarige Auge vergrössert sich dem unpaaren Auge gegenüber in jedem spätern Stadium, ebenso gewinnt das Rückenschild fortwährend an Um- fang und bedeckt allmählig eine immer grössere Zahl von Leibesseg- menten. Die Zahl der Beinpaare mehrt sich in stetiger Zunahme, wäh- rend die Rückbildung der Antennen weitere Fortschritte macht. Im siebten Stadium, also nach der 6ten Häutung, ist die Mandibel mit sechs, nach der 7ten mit sieben, nach der 8ten Häutung mit acht nunmehr die ganze Länge des Kaurandes einnehmenden Zahnhöckern bewaffnet, während vom Taster kaum noch Reste bemerkbar sind. Im 9ten Sta- dium hat die Larve eine Lünge von 4 Mm. erreicht, von der freilich nur die Hälfte auf das Rückenschild kommt. Nach dem Formzustande - der bereits aus zahlreichen Blindschläuchen zusammengesetzten Leber zu schliessen, würde die von Zaddach in Fig. 20 gegebene Abbildung auf dieses Stadium zu beziehen sein. Auch macht sich jetzt eine tiefere Einschnürung etwas oberhalb ihres untern Drittheils an der vorderen Antenne bemerkbar, und es bereitet sich hiermit die Gliederung der Antenne in einen kürzern basalen Abschnitt und in ein langgestrecktes | Endglied vor, dessen Endborsten sehr schmächtig geworden sind, wäh- rend zahlreiche blasse Riechfäden die Oberfläche bedecken. Auch werden jetzt schon die sexuellen Verschiedenheiten, welche Zaddach und v. Siebold an weiter vorgeschrittenen Larven mit 3 bis 4 Mm. langem Rückenschilde für das lite Beinpaar beschrieben haben, an diesem noch sehr kleinen Gliedmassenpaare eingeleitet. Deutlicher frei- . lich markiren sich die Unterschiede an etwas ältern Larven nach der Iten und 10ten Häutung; an weiblichen Larven (Fig. 7, 11F.) erscheint Phys. Classe. XVIII. R

130 C. CLAUS,

die Fücherplatte (Fp) auffallend weit nach der Basis gerückt und über- lagert vollkommen das kleine und verkümmerte Kiemensäckchen (Br), welches an dem entsprechenden Beinpaare des Männchens die normale mit dem Kiemensückchen der benachbarten Füsse übereinstimmende Ge- stalt bewahrt. An dem vordersten Beinpaare ist bereits schon früher eine für beide Geschlechter übereinstimmende Umgestaltung eingetreten, welche mit dem Wachsthum der Larve weitere Fortschritte macht und zu der abweichenden eigenthümlichen Gestaltung des vordern Beinpaares führt. Dieselbe beginnt mit einer bedeutendern Streckung des Stammes und Verlängerung seiner sechs Lappen, die mit der Streckung des Stam- mes weiter auseinander rücken. Nach der 9ten Häutung zeigt der sechste, aus dem untern Randlappen der Fussanlagen hervorgegangene Lappen die Form eines schmalen an der Spitze mit 3 Zinken endigen- den Stabes, wührend sich die 3 vorausgehenden Lappen als cylindrische Fäden darstellen auf deren Oberfläche Querreihen von Spitzchen eine Gliederung vorbereiten. An Larven von 24, Mm. Schildlänge sind diese fühlerähnlichen Fäden bedeutend verlängert und mehrfach gegliedert, am längsten und aus der grössten Gliederzahl gebildet ist der 5te nunmehr von der Spitze des Stammes entspringende Faden, welcher die Lünge des nun schon bedeutend geschrumpften stabfórmigen Astes um mehr als das doppelte übertrifft (Fig. 8 L“). Später verkümmert der letzte zu der Form einer kleinen, dem langen fühlerfórmigen Endast aufliegenden Schuppe. Die Ruderantenne wird immer schmächtiger und trägt nur noch kleine Borstenrudimente, dagegen wachsen am Innenrand der 2ten Maxille ein Paar Borsten und Spitzen hervor. An dem Rücken- schilde gewinnt der Hinterrand einen Besatz von kleinen Zähnen. Die Furcalfiden zeigen eine deutliche durch Querreihen von Spitzen bezeich- nete Ringelung.

Ueber den Verlauf der weitern Entwicklung mögen wenige allge- meine Bemerkungen genügen, indem ich der Hauptsache nach auf die Beobachtungen Zaddach’s verweisen kann. Von einer genauern Ver- folgung der zahlreichen nach Abstreifung der Haut aus einander her- vorgehenden Altersformen glaubte ich um so eher abstrahiren zu kön-

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nen, als jetzt schon im Wesentlichen die Form der Mundwerkzeuge und Gliedmassen erlangt ist, und auch die innere Organisation keine merk- lichen Umgestaltungen erfährt. Freilich gelangt die sog. Leber auf dem Wege fortgesetzter Ausstülpung zu einer bedeutendern Complication der Gestaltung und dem entsprechend zu einer ansehnlichen Flächenver- grösserung. Die anfangs einfachen Ausbuchtungen ziehen sich zu lan- gen Schläuchen aus und erzeugen neue Nebensäckchen , zu denen sie sich später verhalten wie der Ausführungsgang einer gelappten Drüse zu dem secernirenden Gewebe. 'Offenbar haben wir es hier mit einer Flächenvermehrung eines Theils der Darmoberfläche zu thun, durch welche nicht etwa die resorbirende Oberfläche vermehrt, sondern eine grosse, reichliches Secret absondernde Drüse hergestellt wird. In die ausführenden Schläuche treten allerdings ebenso wie in die Gänge der sog. Leber bei den Gastropoden auch unverdaute Nahrungstheile aus dem Darmlumen ein, indessen doch wohl nur um der Einwirkung des zufliessen- den Saftes ausgesetzt zu werden, der bei dem Mangel anderweitiger Drüsen sehr wahrcheinlich die Bedeutung eines Verdauungssaftes besitzt. Sicher werden wir auch bei den Wirbellosen in erster Linie nach Se- kreten zu suchen haben, welche die Eiweissstoffe in lösliche Modifika- tionen überführen, und auch Amylaceen in Zucker umzusetzen vermö- gen. Bei dem Mangel anderweitiger Drüsen wird daher die Deutung dieser so genannten Leberschläuche als Drüsen, welche ähnlich wie die Labdrüsen, beziehungsweise die Bauchspeicheldrüsen der Vertebraten wir- ken, viel grössere Wahrscheinlichkeit haben, als die alte der Bezeich- nungsweise entsprechende Auffassung derselben als gallenbereitender Or- gane. Was wir auf dem Gebiete der Wirbellosen „Leber‘‘ nennen, darf, wie mir scheint, durchaus nicht physiologisch mit der Leber der Wirbelthiere verglichen werden, selbst wenn die Farbe des Sekrets an Gallensecrete erinnert. Zu einer Zeit, in der man die Bedeutung der Galle für den Verdauungsprocess überschätzte und gestützt auf eine irrthümliche Interpretation. sowie auf die Entstehungsweise der Leber von der Darmwandung aus, den so verbreiteten und mannichfaltig ge-

stalteten Drüsenanhängen am Anfang des Magendarms von Wirbellosen R2

132 SEI WELAUS:,

die Bezeichnung und mit ihr die Bedeutung einer „Leber‘‘ beilegte. Nun mag allerdings die Färbung des Sekretes und der Drüse selbst wie z. B. bei den Weichthieren -jene Deutung begünstigt haben, indessen dürfte diese doch nur von untergeordnetem Werthe sein. Selbst wenn sich Gallenfarbstoffe und Produkte der Galle in jenen Säften nachwei- sen lassen würde, wäre damit der Beweis der gleichen Bedeutung nicht

geführt; denn es ist wohl denkbar, dass das Sekret zwar Stoffe beige-.

mengt enthält, welche wie, jene aus dem Blute ausgeschieden wurden, dabei aber doch im Wesentlichen eine andere Wirkung ausübt, und in dieser Hinsicht dem Magensaft und dem Pancreassekret nüher kommt. Wir sollten daher in dem Gebrauch der Bezeichnung ‚Leber‘ auf dem Gebiete der Wirbellosen möglichst vorsichtig sein, solange uns genaue chemische Untersuchungen und physiologische Versuche über die Bedeu- tung derselben fehlen.

Auffallend ist die.grosse Zahl von Häutungen, welche die jungen Thiere in rascher Folge zu durchlaufen haben, und mit denen das Wachs- thum des Körpers verhältnissmässig langsam fortschreitet. So hat bei- spielweise nach Ablauf der 12ten Häutung das Rückenschild keine grössere Länge als die von 2), Mm., während das 1146 Beinpaar im

weiblichen Geschlechte eine Differenzirung bietet, wie sie auf Fig. 8

dargestellt worden ist. Im Gegensatz zu den schalentragenden Limna-

dien und Estherien wird jedesmal auch die dorsale Lamelle des Rücken-

schildes abgeworfen, während dieselbe bei jenen Gattungen, wie ich mich durch zahlreiche direkte Beobachtungen überzeugen konnte, als be- sondere Schalenlagen, in deren Peripherie die neugebildete Haut einen An- wachsstreifen ansetzt, zur Verdickung der Schalenhaut verwendet werden. Ich muss in dieser Hinsicht meinen frühern auf die Beobachtung in ein- ander geschachtelter Estherienschalen gegründeten Widerspruch zurück- nehmen und die Darstellung Joly's und Grube's als richtig anerkennen.

Die Zeit, wann die Anlagen der Geschlechtsdrüsen auftreten, ver- mag ich nicht genau zu bestimmen, wahrscheinlich aber geschieht dies schon in verhältnissmässig jugendlichem Alter von 2 bis 21, Mm. Schild- lànge, in welehem die Abweichung in der Bildung des 11. Beinpaares

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für beide Geschlechter bemerklich wird. Weitere Differenzen männli- cher und weiblicher Formen als die jenes Beinpaar betreffenden ver- mochte ich nicht aufzufinden. So nahe die Vorstellung liegt, eine rei- chere und stärkere Entwicklung der Riechfäden an den männlichen Fühl- hörnern zu finden, so gelingt es doch nicht eine solche im Gegensatz zu den übrigen schalentragenden Phyllopoden hier zu constatiren. Nach Brauer!) soll die Zahl der fusslosen Segmente im männlichen Geschlecht um 1 grösser (7) sein als im weiblichen (6). Dagegen bleibt im erstern Falle die Körpergrösse merklich zurück, und mag es hiermit im. Zusammenhang stehn, dass man bei Männchen wohl häufiger eine verkümmerte Ruderantenne erhalten findet, als im weiblichen Geschlecht, wo man sie an grössern Exemplaren stets vermisst. Ueber die Begat- tung beider Geschlechter habe ich keine selbständigen Beobachtungen gemacht und verweise in dieser Hinsicht auf die Mittheilungen Brauer's. Dagegen gelang es mir die Copulationsvorgänge von Estheria dahalacensis mit anzusehn.

Man beobachtet, wie sich das Männchen an der Seite der weibli- chen Schale mittelst der Zangen seiner Greiffüsse anlegt und mit dem Weibchen längere oder kürzere Zeit herumschwimmt, dann aber wäh- . rend der Ruhe sein Abdomen zwischen die Schalen des Weibchens ein- schlägt, während dieses seinen Leib vorzustrecken sich bemüht. Das Spiel währt längere: oder kürzere Zeit, bis auf einmal während einer solchen gegenseitigen Bewegung an beiden Seiten der weiblichen Scha- len in der Gegend des llten Beinpaares die Eier vorquellen und sich unterhalb der Schale anlagern. Dann hat die Begattung ihr Ende, und ‚das Männchen macht sich vom weiblichen Körper los. Somit ist es mehr als wahrscheinlich , dass bei Estheria die Befruchtung eine äussere . ist, dass die Eier im Momente ihres Austritts von dem gleichzeitig zwi- schen die weiblichen ‚Schalen ergossenen Sperma befruchtet werden. Demzufolge würde ich auch für Apus, an dessen innern Geschlechtsor-

1) Fr. Brauer, Beiträge zur Kenntniss der Phyllopoden. ^ Sitzungsberichte : der Akad. der Wissenschaften. Wien 187 2. Maiheft.

134 C. CLAUS,

ganen keinerlei Einrichtungen beobachtet wurden, welche auf eine in- nere Befruchtung hinweisen, die Vorstellung Kozubowsky's für zu- treffend halten, nach welcher der münnliche Same bei der Begattung in die offene Tasche des llten weiblichen Beinpaares gelangt, in der sich bekanntlich auch die freilich mit einer dicken Schale versehenen Eier anhäufen.

3. Schlussbemerkungen.

Bereits nach Vollendung des Druckes der vorausgehenden Bogen war es mir möglich, ergänzende Untersuchungen an Larven und jüngern Formen von Branchipus torvicornis anzustellen. Meine Aufmerksamkeit war insbesondere darauf gerichtet, bestimmtere Anhaltspunkte zur Deu- tung der eigenthümlichen Anhangsgebilde der Bauchganglien zu finden. Schon an verhältnissmässig jungen Thieren von 3 Mm. Länge beobach- tete ich in der Mitte der zweilappigen Masse eine rundliche Differenzi- rung, welche einem Gehörsäckchen ähnlich in ihrem hellen flüssigen Inhalt eine Anzahl undeutlich begrenzter kurzer Stäbchen umschliesst. An diese Partie des Anhangsgebildes treten von der Medianlinie her 2 aneinander haftende blasse Fäden heran, die man für Nerven halten könnte. Dieselben sind jedoch selbstständige nicht weit von der Mittel- linie am Integument entspringende sehr langgezogene Zellen, deren Be- deutung ich als Suspensorien bestimmen möchte. (Fig. 14") An grössern Exemplaren erscheint die mittlere Otolithenähnliche Bildung schärfer umgrenzt und bedeutend vergrössert, auch sind die Conturen der Stäbchen schärfer und bestimmter. (Fig. 14") In noch ältern be- reits geschlechtlich differenzirten Formen von 8 bis 10 Mm. Länge ge- winnen die Lappen durch Ausbuchtungen und durch zarte peripherische Ausläufer eine unregelmässigere Gestalt. Im Innern ihrer Substanz treten mehrere blasenförmige Körper vom Aussehn grosser Zellkerne hervor, während die Begrenzung der centralen Stübchenmasse ihre frü- here bestimmte Form verloren hat. Aus allem scheint mir für die Natur der merkwürdigen Anhangsgebilde hervorzugehn, dass sie nicht

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Drüsen, sondern Sinnesorgane sind, deren speciellere Bedeutung freilich unklar bleibt. Die grossen gewundenen Greifhörner der Münnchen ge- hen in der Weise aus der frühern Schwimmfussantenne hervor, dass nach Verlust des Nebenastes der Zipfel des Hauptastes zu einem längern fingerförmigen Fortsatz (Fig. 19a) wird, an dessen Basis ein eylindri- scher Zapfen hervorwächst der sich zu dem muskelreichen cylindrischen und später gewundenen Greiforgan (b) umgestaltet.

Abgesehen von den mehrfachen mehr auf die Besonderheiten der Entwicklung und Organisation bezüglichen Ergebnissen, die in der vor- ausgehenden kurzgedrängten Darstellung erörtert wurden, dürfte wohl durch die nähere Bekanntschaft vornehmlich mit den jüngern Stadien der Entwicklung unsere Vorstellung von dem Verhältniss der grossen vielbeinigen Phyllopoden zu den Cladoceren einige Klärung gewonnen haben. Zunächst ist es eine nicht zu unterschätzende Thatsache, dass auch die Naupliusformen, denen man bisher nur 2 Extremitätenpaare zuschrieb, 3. Gliedmassenpaare besitzen und dies gilt nicht nur für Apus, dessen Mandibularfuss bislang übersehen ward, sondern auch für die Larven der Limnadien und Estherien, denn auch hier fehlt keineswegs, wie man bisher glaubte, das vordere Paar gänzlich, sondern ist in ähn- licher Weise wie das dritte Gliedmassenpaar der jungen Achthereslarve als subeuticularer Wulst angelegt, an dessen Spitze eine lange Borste ent- springt. Wenn wir weiter sehen, dass die aus der Naupliuslarve her- vorgehenden Larvenzustände in der Zahl der Segmente und Gliedmassen jenen kleinen Entomostraceen mit 4, 5 beziehungsweise 6 Fusspaaren nahe stehen, so werden wir um somehr berechtigt sein, beiderlei Formen in nähere Verbindung zu bringen, als wir auch rücksichtlich der Mundes- gliedmassenzahl eine Uebereinstimmung finden. Während aber bei den Daphnien die im Embryo gegebene Anlage zur 2ten Maxille eine Rück- bildung erfährt, tritt bei Apus und Branchipus die Anlage des 2ten Maxillenpaares später als die des ersten Paares auf, welches nun aber durch Bildung mehrfacher Lappen eine complicirtere Differenzirung gewinnt. Ebenso finden wir in der Gestaltung der jugendlichen mit den Ruderarmen der Daphnien nahe übereinstimmenden Gliedmassen des 2ten

136 C€ CLAUS,

Paares und besonders in dem Auftreten der Schalendrüse morphologi- sche Uebereinstimmungen, welche zur Genüge darthun, dass die neuer- dings (E. v. Beneden) bezweifelte Zugehörigkeit der Cladoceren zur Phyllopodengruppe eine genetisch tief begründete ist.

In dem Vorkommen zweier Paare von Drüsengängen, der Schalen- drüse und der an der Basis des zweiten Gliedmassenpaares ausmünden- den Schleifendrüse, glauben wir auch für die genetische Verwandtschaft der Entomostraken und Anneliden ein nicht unwichtiges Zeugniss ge-

funden zu haben.

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Erklärung der Abbildungen.

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Fig. 1. Naupliuslarve von Branchipus stagnalis, einige Zeit nach dem Aus- schlüpfen aus dem Ei. a. Antenne. b. Ruderfussantenne, deren Kieferhaken Kh und Hakenborste Hb. c. Mandibularfuss mit dem Kieferfortsatz K. Starke Ver- grósserung.

Fig. 2. Zweites Stadium mit kegelfórmig gestrecktem Abdomen, an dessen Basis sich 4 Segmente abschnüren. Mandibularfuss mit Kaulade. AD Antennen- drüse. DZ. Drüsenzellen in der Oberlippe. ED. Enddarm. Schwächere Ver- grösserung.

Fig. 3. Abdomen des nachfolgenden Stadiums stark vergrössert. D Darmca- nal. ED Enddarm mit 4 Gruppen von Muskelfüden (M), Erweiterer des Darmlu- mens. Af Afteróffnung. LM Längsmuskeln. C Herz. C*, C5, C$ die in der Ent- stehung begriffene 4te 5te und 6te Herzkammer.

Fig. 3. Muskel des Enddarms isolirt und stark vergrössert.

Fig. 4. Etwas weiter vorgeschrittene Larve schräg von der Bauchseite ge- sehn. Gh. Gehirn. LM. Längsmuskeln der Oberlippe. RM. Ringmuskeln dersel- ben. B. Blutkörperchen. G. Ganglien der Bauchkette,

Fig. 4. Dieselbe schräg von der Rückenseite gesehen, stärker vergrössert. Kw Dorsaler Rand des Keimwulstes.

Fig. 5°. Frontales Sinnesorgan einer etwas ältern Larve. gz Ganglienzellen. k Kugliger Subcuticularwulst.

Fig. 5". Gehirn und Sinnesnerven. O. Unpaares Auge; G.dessen Ganglion. nn paariger, n unpaarer Nerv desselben. O paariges Auge. Gh Gehirn mit dem Augenganglion. Lebersäckchen an dem obern Ende durch einen Faden S am Auge - befestigt. p s

Faf 3.

Fig. 5. Larve von Br. torvicornis von 3/4 Mm. Länge, schräg von der Rücken- seite gesehn, stark vergrüssert. O’ Unpaares Auge. . O Paariges Auge. AD An- tennendrüse. DP Nackencontur. C Herz. O" Anlage der 7ten Herzkammer. K* Dorsaler Rand des Keimwulstes vom 8ten Segment.

Fig. 5". Die rechte Bauchhälfte der Kiefer und Fusssegmente derselben Larve Mg Nordurs Maxillarganglion. Mg? Maxillarganglion des 2ten Paares. Mx’ Maxille

Phys. Classe. XVIII. S

138 | C. CLAUS,

des ersten. Mx” Maxille des 2ten Paares. g'g?eto, Erstes, zweites etc. Fussganglion. p, p?etc. Erster, zweiter Schwimmfuss.

Fig. 6. Schwimmfüsse und Abdomen einer ältern Larve. p5 Fünfter Fuss. br’ br? Die beiden Branchialsäckchen.

Fig. 6. Das Ende des Keimstreifens derselben Larve mit der Anlage der Keimwülste des 8ten bis 12ten Segmentes S$". ZH Zellen der Hypodermis. Die Protoplasmaschicht im Umkreis der Kerne ist eine sehr spärliche.

Fig. 6". Das Hinterende des Rückengefässes derselben Larve. Cf 8te Herz- hammer. M Seitenmuskelfäden. C°’, C!^ Die Zellstránge am Rückenrande des 9ten und 10ten Keimwulstes, aus welchen sich die 9te und 10te Kammer bildet.

Fig. 7. Larve von Br. stagnalis von 1,2 Mm. Länge, von der Bauchseite ge- sehn. Fg? Fünftes Fussganglion. Mx! Erste, Mx? Zweite Maxille.

Fig. 7. Die 3 Kieferganglien und die obere Partie des ersten Fussganglions. Mg Mandibularganglion. Mx" Maxille des 2ten Paares. Mg’ Vorderes Maxillargan- glion. Mg" Maxillarganglion des 2ten Paares. Fg' Vorderes Fussganglion.

Fig. 8. Furca einer ältern Larve von 12/5 Mm. Länge.

Fig. 8. Kiefer und 1 Fussganglion derselben Larve. T Taster der vordern Maxille. Mx’ Mx" 2te Maxille.

Taf. III.

Fig. 8. Vorderkopf einer Branchipuslarve von 11/5 Mm. Länge, vom Rücken aus berechnet. Ma Matrix des Stilauges. N’ Nackenorgan von unbekannter Be- deutung. L Leberausstülpungen des Darmes mit transversalen Muskelreifen. Fr Frontales Sinnesorgan.

Fig. 9. Hintere Körperhälfte einer Br. torvicornislarve von 1,8 Mm. Länge. Fuss des 6ten Paares etc. 89819 etc. bezeichnen die Leibessegmente mit ihren seitlichen Tastborsten. g Ganglien der Bauchkette.

Fig. 10. Hintere Körperhälfte einer Br. torvicornislarve von 2 Mm. Länge in einem spätern Stadium g!5, تتم‎ etc. Ganglion des 10. 11. Paares etc. gt Geni- talanlage.

Fig. 10. Die Segmente der 4 letzten Ganglienpaare desselben Stadiums.

Fig. 11. Die Ganglien der beiden Genitalsegmente im nachfolgenden Stadium 2,25 Mm. Länge in seitlicher Ansicht. gt Genitalanlage.

Fig. 12. Kopf einer Larve von fast 3 Mm. Länge. Die Borsten der Ruder- antenne verkümmert, gh Gehirn. M Aufwärtsziehn des Schlundes. M’ Längsmus- keln des Auges. Md Mandibel mit Taster. Ob Oberlippe. Mx’ Maxille des ersten Paares mit Taster. Mx" Maxille des 2ten Paares.

Z. KENNTN. D. BAUES U. D. ENTWICKL. V. BRANCH. STAGN. U. APUS CANC. 139

Taf. IV.

Fig. 11. Gehirn und Sinnesorgane einer 2,2 Mm. langen Larve. 0 Unpares Auge. Fr Frontales Sinnesorgan. Ma Matrix für das Stilauge. M Schlundmus- keln. M' Unterer Augenmuskel. a Oberes, c Unteres und seitliches Ganglion der Bauchfliche. b Dorsales Lappenpaar des Gehirns. n Nerv, welcher die Sinnesfüden der vordern Antenne versorgt. n’ Muskelnerv des ersten Antennenpaares. n”n’”” Ner- ven der 2ten Antenne.

Fig. 13. Kopf einer 3,2 Mm. langen Larve von der Ventralseite aus gesehn. a Erste Antenne. b Antenne des 2ten Paares nach Verlust der Ruderborsten mit 5 Büscheln von Tasthaaren am Hauptast. Ob Oberlippe. Mx' Erste Maxille nebst Taster Ta. Mx” Zweite Maxille.

Fig. 13. Schleifenförmige Drüse der rechten Seite vom Rücken aus gesehn. Fig. 13°. Unpares Auge mit 2 Licht brechenden Körpern. g. Ganglion. n[n'. Nerven.

Fig. 14". Nebenorgan der Bauchganglien mit der Gehörsäckchen ähnlichen Dif- ferenzirung von einem 3 Mm. langen Branchipus.

Fig. 14". Ganglien mit Nebenorgan eines grössern Thieres.

Fig. 19. Antenne des 2ten Paares eines ganz jungen Männchens von Branchi- pus torvicornis. a. Der aus dem Hauptast hervorgegangene Griffel, der sich später zu einem längern Faden ausbildet. b. Neugebildetes cylindrisches Greiforgan, wel- ches sich mit dem weitern Wachsthum windet. M. Muskeln.

Taf. V;

Fig. 14. Ganglien des Genital-Doppelsegmentes eines Thieres von 3,5 Mm. Länge. 912 Zwölftes, 913 Dreizehntes Ganglion. n Nervenstrünge des Abdomens. gen. Genitalwülste.

Fig. 14. Ein Ganglion der Bauchkette. c' Obere, c" Untere Quercommissur. M Obere Muskelgruppe. N Untere Muskelgruppe des Fusses mit den zugehörigen Nerven. Drüsenähnliches Nebenorgan, Leydigs eigenthümliches Gebilde an dem Coxalgliede des Beines.

Fig. 15. Antennen des 2ten Paares einer 3,5 Mm. langen weiblichen Jugend- form. a von der Seite, a von der Fläche gesehen.

Fig. 15. Antenne einer 5 Mm. langen jungen männlichen Form.

Fig. 16. Männchen von Branchipus stagnalis in seitlicher Lage. L Leber- schläuche. N Uhrglasfórmiges Nackenorgan. M Mandibel. a Antenne des ersten Paares. b Greifantenne mit Nebenanhang. MD Magendarm. C Herz. T Hoden. P. Männliches Glied mit dem Ende des Vas deferens. A. Hinteres Ostium des Herzens.

Fig. 17. Fuss desselben. Br Kiemensäckchen. Br’ Hinteres Branchialblatt.

L —L^* Fusslappen. S2

140 C. CLAUS, Z. KENNTN. D. BAUES U. D. ENTWICKL. V. BRANCH. STAGN.

vs 18. Linke Schalendrüse einer Daphnia. aa Innerer. bb’ Aeusserer

Gang einer Daphnia. Br. Darunterliegendes Riemensächchen des ersten Beinpaares, i s den Eindruck eines Ampullenförmigen Nebensackes macht. Taf. VI.

Fig. 1A. Eben ausgeschlüpfte Larve von Apus puerile mis, A von der Bauchseite aus gesehn. a. Antenne. b. Rudergliedmasse (Antenne des 2ten Paares) c. Dritte Gliedmasse oder Mandibularfuss. a Magendarm. L Leberschläuche. S Anlagen der 5 vordern Segmente des Lei

Fig. 1B. Dieselbe Larve vom Rücken - aus gesehen mit Hinweglassung der Gliedmassen. N Rundliche Aene: tur. RS Rückenschild.

Fig. 1C. Dieselbe Larve von der Seite betrachtet.

` Fig. 2. Zweites ee A Von der Bauchseite. B von der Rücken- seite kos “betrachtet. Fr Frontalorgan. Mx Maxille des ersten Paares. F Furca.

Fi . Die abgestreifte Haut dieses Stadiums. M Mandibel. Ob Ober- lippe. N Nackencontur p, p^, p” Erstes etc. Fusspaar.

Taf. VII.

= Fig 3. nun Larvenstadium von der Bauchseite aus gesehn, stark yere. AD لسر‎ re Fig. 3%. Ende s ded Hinterleibs mit der Furca. ED Enddarm. Z Gruppe von je 3 Zellen C Chitinstab. B Blutkörperchen. . Fig. 4. Viertes Larvenstadium von der Bauchseite. Die sog. Leber zeigt je- der ‚seits ‘schon 3 sackfórmige Ausstülpungen. SD Schalendrüse.

Fig. 4. Kaurand der Mandibel.

Fig. 4". Ende des Hauptastes der Ruderantenne.

Fig. 5B. Auge und frontales Sinnesorgan des 5ten Larvenstadiums von der Rückenseite gesehn. N Vorderrand der Nackencontur. L Wandung des Darmes und der Leberausstülpungen. n Nerv des frontalen Zapfens z. O Pigment des paa- rigen Auges. ig. 5C. Dasselbe von der Bauchseite. O'Unpaares Augengigment. Gh Gehirn.

Taf. VIII. |

Fig. 5. Fünftes Larvenstadium. G Ganglienkette. S Eilftes Segment. Mx Zweite Nie Vorderdarm, Herz und Schalendrüse einer Larve des 6ten Stadiums. L eber HEE ar Seitliche Arterien der vordern Kammer. o Vorderes Ostium derselben. C Herz. SD Schalendrüse. M Contur der Mandibel. RS Hinter- rand des Rückenschildes, MD Magendarm. ا‎

ig. Mundwerkzeuge psum Stadiums. M Mandibeln. Mx’ Maxillen des ersten Paii mit ihren Vorderlappen Lo. Mx” Maxillen des 2ten Paares. P Zapfenfórmige ا‎ auf denen die Schalendrüse mündet. T Rest des dibulartaster:

Fig. Füs sse des llten (11F) und 12ten (12F) Paares einer weiblichen Larve mit 2 Mm. langen Rückenschilde. Br Vig S Fp ne ig. 8. Erstes Fusspaar einer Larve. mit 2!/; Mm. Eu: ‚Schi e N, Eilftes Fusspaar derselben. L’ Kieferlappen. im "latet bis

ppen

Kasper Hofman, ein deutscher Kümpfer für den Humanismus in der Medicin.

Von

Dr. K. F. H. Marx.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 3ten Mai 1873.

E

| Wie der Kupferstich von Albrecht Dürer „die grosse Fortuna“ genannt,

nun als „Nemesis“ bezeichnet wird, so ist es bei schriftstellerischen Lei- stungen zweifelhaft, ob man in dem Schicksal, welches sie erfahren, das Glück; die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit anerkennen soll. Das Urtheil darüber bleibt, je nach dem geistigen Standpunkte des Beurthei-

. lers, ein subjectives.

Da die Namen von Autoren, welche während ihres Lebens, ohne hinreichendes Verdienst, beständig genannt wurden, spurlos verschwinden, dagegen andere, die solange sie wirkten, für ihre Leistungen geringe Anerkennung fanden, nach Jahrhunderten noch gefeiert werden, so zeigt es sich, dass auch die Zeit, bei unpartheiischer Abwägung des Aner- kennungswerthen, ein Richteramt üben und Vieles ausgleichen kann.

Der Arzt Kasper Hofman, Professor zu Altdorf (geb. 1572

t 1648], ein Muster der Gelehrsamkeit, beschäftigte sich über 20 Jahre

mit einer neuen Ausgabe der Galenischen Schriften. Um den griechischen Text und die lateinische Uebersetzung so genau als möglich liefern zu können!, verglich er auf das sorgfältigste sowohl die ihm zugänglichen E von ihm angewandte Sorgfalt bemerkt J. Pancratius Bruno (Oratio de vita, moribus et scriptis tod vb» êv dyloıs Casparis Hofmanni. In dessen Ausgabe Casp. Hofmanni Isagoge medica. Lipsiae. 1664. 12. p. 175): tam solli- citus fuit in emendatione, ut in uno loco purgando biduum quandoque vel triduum transegerit.

142 K. F. H. MARX,

Handschriften als die edirten Werke, und bemühte sich aus den ver- schiedenen Lesarten die wahrscheinlichen, ursprünglichen, herzustellen, zusammengehörige Stellen zu vereinigen, angemessene Abtheilungen zu bilden, die Interpunctionen zu verbessern, und neben einer getreuen Uebersetzung erläuternde Bemerkungen und übersichtliche Indices bei- zufügen.

So entstanden 35 von ihm selbst geschriebene Foliobände 2).

Wie er zur Unternehmung dieser Arbeit durch die Verleger Aubry und Schleich gekommen, und, um sie auszuführen, weder Kosten noch Mühe gescheut, auch Andere zur Mithülfe eingeladen habe, davon gab er schon im Jahre 1623 Kunde.

2) M. s.: Murr Journal zur Kunstgeschichte und Literatur. Th. 4. 1777. S. 70—85.

3) Auf der Rückseite seiner Commentarii in Galeni de usu partium corporis humani Libri XVII. Francof. ad M. 1625. fol. liess er Folgendes drucken: Bonum factum: Viri integerrini, typographorum eximii, iidemque non propria tantum, sed et paterna, avita, abavita industria clari, D.D. Daniel et David Aubrii, fratres, nec non D. Schleich, et postquam bis dederunt Hippocratem graeco-latinum, opera et studio D. Anutii Foesii, non emendatissimum tantum, sed et maxime perspicuum, cogitationes instituerunt de Galeno quoque. Eam in rem cum diu quaesivissent Foesium aliquem, occasione horum commentariorum inciderunt in Cp. Hofmannum, quem orarunt et exorarunt, ut boni publici caussa hunc laborem in se reciperet. Recepit ile quidem, nec hactenus pepercit ulli operae et sumtui, ut Galenus fiat quam ornatissimus: verum cum cupiat opus esse (si pote) omnibus numeris absolu- tissimum, voluit is publice hoc significatum rogatumque omnes bonos et cordatos, per salutem et in columitatem methodi Galenicae, ut, si quae habeant Galeni scripta, sive nunquam edita, sive edita seorsim, sive cum, sive sine emendationibus qua graecae, qua latinae orationis, ad se (vel ad typographos) mittant, certi, de hoc ipsorum facto publice olim constituturum. Si qui etiam sint, in quorum manibus correctiones nondum editae Vesalii, Dodonaei, Cornarii, Lalamantii, Gregorii, Budaei, Ricci, Falckenburgii, aliorum, immo si qui emendationes habeant, ex collatione Mss. in Germanicis, Italicis, Gallicis, Hispanicis , Anglicis bibliothecis reconditorum, eos pariter rogat et obsecrat, uti secum communicent, certi, unicuique sua sine livore tributum iri. Hoc ille spondet fide sua. Actum Altorfi XVIIL Calend. April. MDCXXIII

*

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 143

Eine andere kurze Notiz theilte er im Jahre 1646 mit, indem er bemerkte, dass er im Jahre 1625 zur Verbesserung des Galen's sich gewandt habe ^).

Als die eröffneten Aussichten zur Herausgabe sich zerschlugen, liess er es zwar am Vervollständigen und Verbessern nicht fehlen, aber die Freude daran verwandelte sich in Wehmuth.

Je älter er wurde und keine Möglichkeit sah die Hauptarbeit seines Lebens der Oeffentlichkeit zu übergeben, desto mehr erfüllte ihn eine drückende Sorge um sie, sowie der Wunsch, dass es wenigstens von anderer Seite geschehen möge.

Im Jahre 1638 klagte er, dass in Deutschland weder noch eine Literatur existire, noch Beschützer derselben; Krieg, Pest, Hunger hätten Alles zerstört 5).

Im Jahre 1645, als eine eingetretene Lähmung seiner rechten Seite ihn am Thun hinderte und schwächte, bekümmerte ihn tief die Frage, was wohl, nach seinem Tode, aus seinem Galen werde®).

Um von seiner Seite nichts zu unterlassen, übergab er 1647, viel- leicht im Vorgefühle seines nahen Scheidens, was er über den Perga- mener besass, zur weitern Besorgung, seinem Schüler J. G. Volckamer 7 das Jahr darauf starb er.

4) Vorrede zu seiner Ausgabe von Galen's Methodus medendi, wo es heisst: conversus ad emendationem Galeni, a Wechelis Francofurtensibus mihi oblatam.

5) In einem Briefe an Jac. Zeaemannus vom 20 Juli 1638 üussert er: In Ger- mania vix literae sunt et literarum Patroni; adeo Marte, fame, peste diruta sunt omnia. Bei Georgii Richteri [Procancellarius der Universität Altdorf } 1651. M. vergl. über ihn S. J. Apini Vitae et Effigies Procancellariorum Academiae Altorfinae. Norimb. 1721. 4. p. 20—62.] ejusque Familiarium, Epistolae selectiores. Norimbergae. 1672. 4. p. 807.

6) In einem Briefe an G. Richter im Oct. 1645 (ebend. p. 272): Indies magis magisque debilitat me paralysis dextra. Quid post mortem meam futurum sit de Galeno meo?

7) Dieser sagt in seiner Rede über Hofman (bei dessen Galeni methodi sani- fatis tuendae Libri VI. Francof. 1680. 4. p. 29): Cum naturae debitum se

144 K. F. H. MARX,

Das damals in Nürnberg befindliche medicinische Collegium ver- fasste, um auf den Werth der hinterlassenen Manuskripte, als auf ein jn seiner Art einziges Werk, aufmerksam zu machen, ein äusserst gün- stiges Urtheil über dieselben 5), allein es blieb unbeachtet.

Die von Volckamer aus Pietät unternommenen und mit Eifer betrie- benen Versuche, einen Verleger zu gewinnen, hatten keinen Erfolg, und

da auch er vom Tode abberufen wurde, so schwand die Hoffnung zur

Herausgabe so sehr, dass die Erben zur Verüusserung sich entschlossen.

Den gauzen Schatz boten sie um den Spottpreis von 80 Gulden zum Kauf feil, aber es fand sich in Deutschland kein Käufer; erst etwas spüter in England D. Anton Askew, der jedoch leider, kurz nach Em- pfang der Sendung. 1773, verschied.

So wurde Hofman mit seinem unerfüllten Herzenswunsche begraben, und das, was er als ein Besitzthum für immer ansah, das gelangte in eine ferne verwaiste Bibliothek als unbeachtete, unbenutzte Masse. Aber, auch ohne den Besitz des Zeugnisses seiner Hauptthátigkeit, scheint

es, seiner sonstigen Arbeiten wegen, Pflicht, der wissenschaftlichen Me-

dicin seinen Namen in dankbarem Andenken zu bewahren.

persoluturum metueret, gravi affectu linguae paralysi, per literas, me sibi successorem exoptans declaravit. |

8) Dieses von Decanus et Collegium Medicum Reipublicae Norimbergensis vom 6. März 1651 lautet: .. ut admirandum et pene stupendum Galeni opus Graeco-

Latinum, quasi supra vires et hominum captus, ex variis lectionibus concinnare, .

Interpretum selectissimorum, tam impressorum , quam manuscriptorum, sententias consarcinare, ac in decem sectiones, sive volumina, pulcherrimo, et, ad artem Medicam perdiscendam, aptissimo ordine dirigere potuerit. In quibus, ut cvviopogc dicamus, Novas quidem sententias et opiniones Interpretum temere non rejecit; nec veteres, sine causa, castigavit: detersis erroribus typographicis, qui in editionibus per Juntam, Frobenium, caeteros, irrepserant; resectis quinetiam libellis nothis , qui vel ipsi Galeno nostro, vel Hippocrati, falsa fuerunt adscripti: additis locis parallelis, ac indiee copioso, tanta quidem dexteritate ac indefesso labore, ut omnibus iis, qui in operibus Galeni unquam desudarunt, palmam facile praeripuerit. S: Jo. Jac. Baieri Biographiae Professorum Medicinae qui in Academia Altorfiana unquam vixerunt. Norimbergae et Altorfii. 1728. 4. p. 64.

poro lue E M DEIN Ute i Ue

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 145 8.2.

Sollte wohl in unserem Vaterlande noch jetzt, bei dem tiefen Frie- den, bei keiner Stórung durch Seuchen und bei dem verbreiteten allge- meinen Wohlstande eine solche ähnliche Rücksichtlosigkeit auf einen Schatz gelehrter ürtzlicher Forschung, wie die vor 100 Jahren begangene, müglich seyn? |

Eine Antwort auf diese Frage giebt, abgesehen von dem móglichen Ankaufe eines reichen Liebhabers von Curiosititen, zunächst das vom Reichstage erlassene Gewerbegesetz für die Aerzte; dann die Thatsachen, dass der grósste Theil der Mediciner die Beschäftigung mit den alten Autoren für Zeitverlust hält; dass Schriften, die sich damit befassen, Ladenhüter und Maculatur werden, und dass auf Universitüten angestellte Lehrer für Geschichte der Medicin mit der Laterne zu suchen sind.

Aus einer gewissen Beachtung der Tradition, vielleicht auch aus Schamgefühl, im "Vergleich mit der historischen Bearbeitung anderer Doctrinen, wohl auch aus dem kühnen Anlauf des einen oder andern jungen Lehrers, finden sich zwar in den gedruckten Prälections-Verzeich- nissen solche Vorlesungen angekündigt, allein dabei hat es sein Bewenden.

| Uebrigens ist in dieser Sphäre Schein von Wahrheit zu unterschei- den, denn nur zu oft verhalten sich die angeblichen Repräsentanten als Adler in Worten, Grasmücken in Thaten.

Gesetzt aber auch, es fänden sich derartige Lehrer mit gediegenem Wissen, voll Liebe und Hingebung für selbständige, tiefe Forschung, selbst mit anziehendem Vortrage, würde ihnen von den Collegen und Studierenden die gehörige Anerkennung gezollt und es ihnen, gegen die herrschende Strömung, möglich werden, nicht blos vorübergehend, son- dern dauernd, Sinn und Eifer für das Studium der Geschichte zu wecken?

In Betreff der Jugend wäre vielleicht ein günstiges Prognosticon zu stellen, nicht aber in Betreff der ältern Fachmänner, denn diese sind von dem, was sie treiben und für durchaus unerlässlich erachten, so eingenommen, dass sie jede überflüssige Vornahme für eine von der eigentlichen Aufgabe ableitende, die Zerstreuung begünstigende, Lieb- haberei von sich weisen und abrathen.

Phys. Classe. XVIII. T

146 K. F. H. MARX,

Das brauchbare Alte, behaupten sie, sey in das Neue organisch übergegangen, und da man in der Vergangenheit von exacten Untersu- chungen keine Ahnung gehabt habe, so würen die überlieferten, mit wenigen Ausnahmen, werthlos.4. Erst in der Gegenwart habe man, im Gebiete der Sinnlichkeit, die" Wege entdeckt, um die Natur der Dinge zu ergründen, feste Gesetze zu ermitteln und so zur Wahrheit zu gelangen.

Der Pedantismus in der Medicin, das blosse Bücherwissen hütten lange genug sich behauptet; Dogmen statt der Versuche würen sattsam in Geltung gewesen; der angehende Arzt habe nicht sanctionirte Aus- sprüche, halbwahre Sätze, die Ergebnisse unvollständiger Beobachtungen zu lernen, sondern ausgemachte Thatsachen und sicher leitende Erfah- rungen. Er müsse die Resultate der strengen Untersuchungen, welche nach den neuesten Methoden, mit den zuverlässigsten Apparaten gewon- nen wurden, sich aneignen.

Er könne, um dazu zu gelangen, nicht genug mathematisches Wissen erwerben zur Erklärung wichtiger organischer Vorgänge oder zum Verständnissse selbständiger Lehrgegenstände, wie der Ophthalmie, zur Abfassung der Statistik etc.

Eine genaue Einsicht in die Physik sey ihm unentbehrlich, sowie auch eine Uebung in Anwendung der Electricität, des Magnetismus, des Galvanismus, der Luftarten etc.

Der Chemie habe er sich nicht nur in allen ihren Theilen zu be- mächtigen, sondern er müsse eine Leichtigkeit und Sicherheit in der Vornahme von Analysen erlangen.

Dass er mit dem Mikroskop gehörig urizugehen vermöge, verstehe sich von selbst,

Von Botanik, Mineralogie, Zoologie, vergleichender Anatomie müsse er gründlich Bescheid wissen.

Vernachlässigung der Pharmacie und Pharmakognosie sei ihm nicht zu gestatten.

Die Klimatologie und medicinische Geographie dürften ihm nicht fremd bleiben.

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KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 147

Arzneimittellehre, Receptirkunst, Balneologie, Diütetik, Semiotik habe er gründlich zu umfassen.

Anatomie mit Secirübungen, Physiologie, Entwicklungsgeschichte, pathologische Anatomie, allgemeine Pathologie und Therapie müsse er eingehend sich zu eigen machen, und die Abschnitte von der Ansteckung, von Endemieen und Epidemieen besonders vornehmen.

In der Toxikologie, in der gerichtlichen Medicin, in der Staats- arzneikunde, selbst in der Veterinürwissenschaft, dürfte er kein Fremd- ling bleiben.

Bei der speciellen Pathologie und Therapie habe er ein hauptsüch- liches Interesse zu verwenden auf Psychiatrie, auf die Krankheiten des Herzens und der Athmungsorgane.

Die Chirurgie fordert, dass er bewandert sei im Aetherisiren, in der Instrumenten- und Bandagenlehre, und in der geschickten Ausführung von Operationen.

Zur Geburtshülfe habe er sich durch häufiges Touchiren sowie durch Manipulationen am Phantome für die Zulassung zu Kreisenden vorzubereiten.

Vor dem Besuche der medicinischen, chirurgischen, ophthalmiatri- schen, geburtshülflichen und psychiatrischen Klinik müsse er sich als Auskultant im Gebrauche des Stethoskops und der verschiedenen Spe- cula üben und auf Diagnostik die gröste Sorgfalt verwenden. Je länger er als Praktikant seinen Eifer zeige, desto besser.

Dass solchen zahlreichen und lauten Competenten gegenüber das ein- zelne, leise Gesuch für das Studium der alten Aerzte und der Klassiker unbeachtet bleibt, ist erklärlich. Der sie gern empfehlen und fördern möchte, verharrt passiv, um nicht für unpraktisch, die Forderungen der Gegenwart verkennend, gehalten zu werden.

S. 3.

Besonnene Ueberlegung zeigt, dass im Leben wie in der Wissen- schaft nicht nur das Nützliche, sondern auch das Angenehme seine Be- rechtigung habe und dass es eine Wohlthat sei beide zu verbinden.

Der gewöhnliche Erziehungsplan der Aerzte ergiebt sich als blos

T2

148 K. F. H. MARX,

für die Ausbildung der Künstlerschaft angelegt, nicht für die der Hu- manität, obgleich nur durch die Vereinigung beider ein harmonisches Seyn und Wirken ermöglicht wird. In Behandlung der Krankheiten ist der Kenner des menschlichen Herzens häufig glücklicher, als der Kenner der Natur.

Wem es versagt bleibt durch die griechischen und rómischen Dichter, Geschichtschreiber, Tragiker, erquickt zu werden, oder der es unterlässt mit den Werken des Hippokrates sich näher vertraut zu machen, der mag am Krankenbette noch so brauchbar erscheinen, seinen Gefühlen und seiner Beurtheilungskraft entgehen edle Grundbedingungen.

Die Behauptung, dass die erstaunlichen nothwendigen Anforderungen des Fachs jede anderweitige Thätigkeit ausschliessen, ist von dem zu widerlegen, welcher den Werth derStunden, die Macht der concentrirten Sammlung, steter Aufmerksamkeit und des gewissenhaften Fleisses kennt.

Wünschenswerth würe es vom modernen Aeskulapiden nicht zu viel von solchen Gegenstinden zu verlangen, die er mit Mühe erlernen muss, um sie spüter wieder zu vergessen, denn bei vorgeschriebenen, innerlich nicht zusagenden, wandelt sich, wenn die Examina überstanden sind, die Opposition gegen jene in völlige Gleichgültigkeit und Vernach- lüssigung um.

Früher war das anders, und hoffentlich kehrt die Zeit zurück, wo man das multa in multum wieder umtauscht. Doch vorerst bleibt nur übrig dem Auswendiglernen und der sinnlichen Beobachtung eine geistige Unterhaltung anzureihen.

Geschieht die Darstellung einer Doctrin mit Entwicklung ihrer Ge- schichte, unter Hinweisung auf die Wirkungsthätigkeit und das Schicksal der verdienstvollsten Männer, in sinniger, gedankenreicher Weise, so ent- stehen dadurch Wurzeln, welche eine Dauer versprechen, und je mehr die Aufnahme mit lebendiger Theilnahme geschieht, um so leichter wird sie ein Theil des individuellen Denkens und Handelns.

Da nun kein Volk der Erde für das rein Menschliche so viele Hin- weisungen und Anhaltpunkte lieferte, wie das griechische, so erscheint Schon aus diesem Grunde ein Einblick in ihre Ueberlieferungen hóchst empfehlenswerth und belohnend.

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 149

Der Mensch heisst bei ihnen der Aufwürtsschauende (e»O oco). Wie sie mit einem heitern, genialen Blick nach Schónheit der Form strebten, so auch nach Veredlung des Lebens, nach Simplicitüt, sicherem Wissen und nach dem Ethischen. |

Das Wirkliche lieferten sie scharf und bestimmt, gereinigt vom Ungehörigen und Phantastischen. Ihre Zeichnungen sowohl der gesunden wie kranken Zustände bestehen in den treuesten Schilderungen. Und da in ihren Untersuchungen stets das Bemühen vorherrscht das Gemein- schaftliche vom Besondern, das Regelmässige vom Abweichenden, das Zufällige vom Gesetzlichen, das Stetige vom Willkührlichen, das We- sentliche vom Gleichgültigen zu unterscheiden, so haben die grösten Aerzte nach ihren, durch präcisen Ausdruck des Beobachteten und Ge- dachten, unvergleichlichen Mustern sich gebildet. Deren beste Arbeiten keimten und wuchsen auf dem Boden der alten Ueberlieferungen, und ohne diese Treiberde hätten sie nimmermehr den entscheidenden Einfluss auf Mit- und Nachwelt erlangt.

S. 4.

Das Wiederaufblühen wissenschaftlicher Bildung nach langer Dauer durch den Druck uncultivirter Völkerschaften, durch Er- oberungskriege, ungenügende Staatseinrichtungen etc. wurde, mehr als durch die Ausbreitung des rómischen und canonischen Rechts, durch die Wiederbelebung der griechischen und römischen Classiker vermittelt.

Diese brachten in das Leben wie in die Schule neue belebende Elemente, den Antrieb zu freierem Denken, zu selbständiger Forschung und zur Erweiterung der Gesichtspunkte.

Das Wenige, was von jenen in den Kirchenvütern sich findet, war nicht hinreichend befruchtende Saamen auszustreuen; ihnen selbst nur War es beschieden die heilsamen Wirkungen hervor zu rufen.

Wie kräftige Reitzmittel Nerven und Blut erregen, so brachten sie energisches Streben in die empfünglichen Gemüther.

Gelang es ja selbst den Humanisten , welche als Secretaire in der

150 K. F. H. MARX,

Curie angestellt waren, statt des herkómmlichen amtlichen Styls, klassi- sches Latein zu gebrauchen, und am Sitze der Heiligkeit allmälig den Sinn für die schöne heidnische Sprache in dem Maasse zu wecken, dass sogar Päbste eifrige Sammler, Leser und Veranstalter von Uebersetzungen der alten Autoren wurden.

Enea Silvio de Piccolomini (später Pabst Pius II, + 1464) unterliess nicht, solange er in Deutschland sich aufhielt, denen, mit welchen er verkehrte, Interesse für humanistische Studien beizubringen.

So Grosses auch vom Mittelalter geschaffen und so Treffliches in den Klóstern, namentlich der Benedictiner, bewahrt und benutzt wurde, die Naturkunde und die damit eng verbundene Medicin blieb wenig ge- fördert, schon deswegen nicht, weil nur für die Kräftigung des Glaubens, auch an die Wunder, Sorge getragen, dadurch aber strenge Prüfung ge- mieden und, bei der Vorliebe für scholastische Spitzfindigkeiten, kein Werth auf Sachkenntniss und Ergründung der natürlichen Dinge gelegt wurde.

In dem Benedictiner Kloster Monte Cassino, woderin den griechischen Schriften bewanderte Constantin aus Carthago, der Afrikaner, gestorben war, und wo, wie in ähnlichen Stiftungen, die ehrwürdigen alten Manu- skripte aufbewahrt und abgeschrieben wurden, entwickelte sich allmälig, durch Vereinigung mehrerer trefflicher Aerzte, die stille Stätte zur Pflege des Wissens zur berühmten Schola Salernitana, der Civitas Hippocratica. Das dort verfasste und Robert, dem Sohne Wilhelm des Eroberers, ge- widmete diätetische Lehrgedicht in Leoninischen Versen (Regimen sanitatis Salerni) erlangte eine weite Verbreitung.

Gesetzlich musste in der Anstalt ein Student erst 3 Jahre mit der Philosophie sich befasst haben, bevor er den öjährigen Cursus der Me- diein beginnen konnte 9).

Die nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken geflohenen Gelehrten fanden in Italien eine um so willkommnere Aufnahme, als

9) H. Conring De Antiquitatibus acad. Gotting. 1739. p. 61. J. C. W. Móhsen Gesch. der Wissensch. in der Mark Brandenburg, besonders der Arznei- wissenschaft. Berlin. 1781. 4. Th. 9. S. 297.

CASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 151

selbst in den dortigen Stüdten das Bedürfniss nach Belehrung sich regte. Wurde ja Manuel Chrysoloras [t 1415] in Florenz, wo früher für Pe- trarca eine Facultät der schönen und freien Studien in Aussicht genommen war, als Lehrer der griechischen Sprache angestellt.

Die Ausgewanderten aus Byzanz verbanden das Hellenenthum mit dem Abendlande. In Florenz schien Athen wieder erstanden zu seyn.

Durch Entdeckung der Buchdruckerkunst (schon 1455 erschien zu Mainz die Gutenberg'sche Bibel) wurden die Schütze des Alterthums, welche sich bis dahin als Manuscripte oder als Vervielfiltigungen der Scriptoren 10, nurim Besitze weniger Begünstigter befanden, Gemeingut, und die Aerzte, welche blos auf arabische, persische, syrische, hebräische Uebersetzungen der von ihnen hochgehaltenen Werke angewiesen waren, gelangten zu den Quellen selbst.

Vor Entdeckung der Buchdruckerkunst mussten sich die Schüler an das halten, was ihnen von ihren Lehrern dictirt wurde; daher schwuren sie in verba Magistri; das ünderte sich, nachdem sie die gedruckten Schriften von verschiedenen Meistern vergleichen konnten. Je mehr ihre Einseitigkeit sich verlor, desto mehr erreichten sie eine eigene, selbständige Beurtheilung.

Der Presse gelang es, durch den ermöglichten raschen Austausch der Ansichten und Urtheile, eine öffentliche Meinung wenn nicht zu Schaffen, doch auszubilden. c

Der erwachte Sinn für die Reinheit der Sprache verbreitete sich mit Macht, und als Autoren, wie Cicero, allgemein gelesen wurden, hörte das Mónchslatein auf zu munden; die Barbarismen wurden seltner.

Je mehrin den Geist der zugünglichen alten Schriften eingedrungen, diese von den Verhüllungen des Mittelalters, den Zusätzen und Um- Schreibungen befreit und durch Kritik das Aechte vom Unüchten ge- schieden und der Geschmack veredelt wurden, desto mehr nahm nicht nur die Verehrung für die Quellenschriftsteller zu, sondern auch die

Einsicht, dass sie Kunstwerke seyen.

ee 10) Die Kunst zu schreiben blieb lange blos ein Vorzug der Gebildeten, d. h. der Geistlichen, weswegen sie auch die geistliche Kunst (ars clericalis) genannt wurde.

152 K. F. H. MARX,

S. 5.

Nachdem die drückende Autorität der Araber gebrochen, die dürre Scholastik der Arabisten aufgegeben, nicht blos den Sützen des Aristo- teles, sondern auch dem Verstande Rechte eingeriumt, die engen Mónchs- schulen in öffentliche gelehrte umgewandelt, die mittelalterlichen . be- schrünkten Schulbücher durch bessere ersetzt waren, tauchten, gegen frühere Zeit, an verschiedenen Orten viele erleuchtete Münner auf, welche aber, je nach ihrem geistigen Standpunkte und ihren Zwecken, dem Ueberlieferten oder dem Neuen sich zuwandten und mit Leidenschaft ihre Parthei vertheidigten.

Man nannte die Kümpfer für das Alte Theologen, die für das Neue Juristen oder Poeten, die, welche Medicin und freie Künste trieben, Artisten.

Zur Stütze des Erlernens natürlicher Erscheinungen diente für die Physik Aristoteles, für Naturgeschichte im Allgemeinen Plinius, für Botanik Theophrast, für Zoologie Aristoteles.

Diese Bücher mussten aber erst von den ungehörigen Zuthaten, welche sie erfahren hatten, befreit und verstündlich gemacht werden.

Diejenigen, welche die Bedeutung der sinnlichen Erfahrung wür- digten, hielten sich vorzugsweise an Aristoteles und Plinius, die aber, welche der Speculation zuneigten und an einem philosophisch bearbeiteten Material Gefallen fanden, an Galen.

Die im Dioscorides enthaltenen Schütze von den Heilmitteln konnten erst gehoben werden, nachdem derselbe in seine ursprüngliche Gestalt hergestellt, die Namen der abgehandelten Gegenstünde gut gedeutet und eine Uebersetzung geliefert worden war, welche das richtige Verstündniss erleichterte.

In dieser Beziehung sind die Bemühungen des Secretairs der Repu-

blik Florenz, des Liebhabers der Pflanzenkunde, Marcellus Vergilius.

[F 1521) dankbar zu erwähnen. In Beziehung auf Annahme und Verbreitung richtiger Vorstellungen mussten die mannigfach ererbten und festgehaltenen Vorurtheile, die

D. AS

CASPAR HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER ete. 153

Hinweisungen auf Thaumatologie und Magie, der Glaube an Talismane etc. erst getilgt werden, bevor von der Aneignung gesunder Begriffe, sowie von Entdeckung neuer Wahrheiten die Rede seyn konnte.

Solange noch die Urtheile über das individuelle Schicksal nach den Aspecten bei der Geburt, also die Nativitäts- und Horoskopsberech- nungen !), mehr galten als die Ueberlegungen und Aussagen der Ver- nünftigsten, vermochte die Anerkennung der besseren persönlichen Ein- sicht nicht zum Durchbruch zu kommen.

Um die Reinigung des Plinius, Verbesserung hindernder Uebelstünde und Geltendmachung reeller Kenntnisse erwarb sich die grösten Ver- dienste der hochgebildete Nicolaus Leonicenus [+ 1524]. Mehrere Schriften des Hippocrates, Aristoteles und Galenus übertrug er mit Erläuterungen in das Lateinische. In seiner Jugend bis zum 30ten Jahre an Epilepsie leidend, erlangte er dann, in Folge einer angemessenen Lebensweise, vollkommene Gesundheit bis in sein 96tes Lebensjahr.

Wie für sich selbst, so beseitigte er für die Arzneikunde unerfreu- liche, gestórte Beziehungen.

&. 6.

Ein Ereigniss, welches. durch Selbstdenken, unabhängiges Prüfen, muthvolle Gedanken hervorgerufen wurde und den wohlthátigsten Ein- fluss auf die Ausdehnung selbstgewühlter Forschung wie eines begeisterten Strebens nach tieferer Erkenntniss ausübte, war die Reformation.

Durch sie gelangten der Vernunftgebrauch, die selbstbewusste Ein- sicht und Ueberzeugung zum Sieg über das Gebundenseyn an Formel- wesen und traditionelle, gE Vorschriften. Der TE wurde gebrochen.

Schien bis dahin das Zusammenleben im höheren Dienste Aufgabe

11) Sogar der Arzt Marsilius Ficinus [T 1499], der Uebersetzer des Plato, glaubte so fest an die Astrologie, dass er in seinem Buche de vita hauptsächlich solche Rathschläge ertheilt, wie man durch jene Hülfe Gesundheit und langes Leben erhalten kann.

Phys. Classe. XVIII. | id

154 K. F. H. MARX,

des Daseyns, so wollte nun der Einzelne sich und äussere Zwecke zur Geltung bringen.

Die gelehrte Bildung wurde aus der kirchlichen zur weltlichen.

Entgegengesetzt den nach hierarchischen Prinzipien eingerichteten Schulen wurden die Universitäten Gelehrtenrepubliken. Und in die Schu- len, wo bis dahin nur ein einschläferndes Formelwesen getrieben wurde, drang das Bedürfniss die Urtheilskraft zu entwickeln, die Phantasie zu beleben, die Beobachtungsgabe zu üben, den Erfindungsgeist zu wecken.

Was aber noch weit tiefer in die Gemüther Wurzel schlug und den Gedankenkreis erweiterte, das war das Gefühl, dass auch die unsicht- bare Kirche eine Macht besitze.

Der individuelle Geist wurde aus dem hierarchischen Despotismus erlöst.

Was der Welt, unter dem Gewande der Religion und mit dem

Stempel des päpstlichen Ansehens bekräftigt, angeboten wurde, das hatte.

sie, lange genug, als höhere Gebote, gläubig hingenommen; nun kam es zum Zweifel und zur Erwägung.

Dadurch, dass man der Kritik ein unbedingtes Recht einräumte, fühlte sich die Wissenschaft unabhängig.

Wie schwer es übrigens selbst den Gebildeten wurde von ererbten Vorurtheilen sich zu befreien, klar zu denken, rein menschlich zu fühlen und zu handeln, das zeigten die Scheiterhaufen, welche immer noch errichtet wurden, um kranke oder irregeleitete Personen, die man Hexen nannte, zur Ehre Gottes zu verbrennen, sowie die blutigen Streitigkeiten um Worte und Gebräuche, die man für Beweise der Religiosität ausgab, und wobei sich deren Vertreter wechselseitig verketzerten und verfolgten.

Die Pflege der Humaniora, die Bücher, welche Luther die stummen Meister hiess, hatten das Ihrige zum Unterricht der Befreiung beigetragen, und zugleich den Beweis geliefert, dass die ethischen Grundsätze der antiken Welt mit denen des Christenthums zu vereinigen seyen.

Auf Anlegung guter Bibliotheken (Librareien) wurde gedrungen.

Philipp Melanchton, der praeceptor Germaniae, welcher neue Bahnen

eingeschlagen, blieb auch für die Medicin nicht ohne Einfluss. Er hatte

j : à E M

CASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER ete. 155

in Tübingen medicinische Vorlesungen besucht, den Galen studirt 12), und in Wittenberg Vortrüge über die Alexipharmaca von Nicander gehalten 15).

Unter seinen Zuhörern erhoben sich Johannes Kraft (Crato von Kraftheim) und Valerius Cordus!^) zu einflussreichen Celebritüten; jener hauptsüchlich als Praktiker, dieser als Commentator des Dioscorides.

Als der Blick nicht mehr auf den Buchstaben gebannt blieb, sondern spühend die Natur selbst betrachtete und die Objecte untersuchte, wurden nicht nur die einzelnen Reiche der Schöpfung selbständig bearbeitet, sondern auch Fragen der Scheidekunst in den Kreis wissenschaftlicher Thätigkeit gezogen.

Gegen die Einführung mineralischer Arzneimittel, chemischer Prä- parate, namentlich durch Theophrast von Hohenheim, den sogenannten Peracelsus, sperrten sich zuerst die Anhünger der herkómmlichen Heilungs- lehre, wodurch sich ein Streit entspann zwischen den Galenisten und Paracelsisten, der jedoch nur wohlthätige Folgen hatte.

Indem nemlich die Frage zur Entscheidung drängte, ob die herr- schenden Krankheiten, welche für neue ausgegeben wurden, in den alten

12) Medicam artem non neglexit, sed et hic Professores ejus docentes audivit studiose, et Galeni libros cum propter linguam et methodum, tum propter rerum cognitionem ita legit, ut sententiam autoris sit consecutus et pleraque memoriter recitare potuerit, ejusque rei specimen dedit in libello de Anima. Inde absque jactantia ad Leonh. Fuchsium scribere potuit (Tom. Lugd. Epp. p. 271): Etsi non exerceo Medicinam, tamen cognitio me delectat, ex qua quidem ad meum usum etiam aliquid transfero. Itaque tuus libellus ita mihi notus est, ut ungues mei. S. Joa- chimi Camerarii De Vita Philippi Melanchtonis Narratio. Recens. Strobelius. Halae. 1777. 8. p. 15.

13) Crato schrieb, als er Leibarzt des Kaisers Ferdinand war, aus Breslau an Conrad Gesner im Jahre 1559 (gleich nach dessen Vorrede zu seiner Ausgabe der Werke des Valerius Cordus. Argentorati. 1561. fol): In familiaritatem ejus deveni ante annos viginti, cum uterque nostrum audiret Philippum Melanchtonem explicantem Nicandri Alexipharmaca.

14) M. s. über ihn meinen Aufsatz in meinen Beiträgen zur Beurtheilung von Personen, Ansichten und Thatsachen. Göttingen. 1868. 8. S. 70—75.

U2

156 K. F. H. MARX,

Autoren sich gar nicht erwähnt finden, und ob dieselben mit den be- kannten Mitteln geheilt werden kónnten oder nicht, wurden die Schriften der Vorzeit auf das genaueste durchgemustert, und die therapeutische Anwendung der empfohlenen chemischen Arzneisubstanzen musste mit um so grösserer Vorsicht durch Vermeidung unzweckmässiger Präparate und zu starker Gaben geschehen, als der Gebrauch des Quecksilbers und Spiessglanzes eine Zeitlang von den Regierungen verboten worden war.

8. 1.

Die Deutschen, von den Ausländern, vorzugsweise von den Italiä- :

nern 15), aber auch von den eigenen Landsleuten!$), als bloss den Sinnes-

genüssen ergebene Barbaren aufgeführt, bewiesen durch ihre Werke, dass

sie, im Vollgefühle ihres wahren Gehaltes, auch in der feinern, klassi-

schen Bildung, hinter andern Nationen nicht mehr zurückstanden, sondern ebenbürtig aufzutreten vermochten. |

Johann Hagenbut, Cornarus [geb. in Zwickau 1500, gest. als

Professor zu Jena 1558] fühlte, wie durchaus nothwendig es sey, den

15) Poggio Bracciolini [f 1459], welchen A. Reumont (Geschichte der Stadt Rom. Bd.3. Abth. 1. 8. 221) einen der Väter des Humanismus nennt, bezeichnet die Deutschen als Vasa vinaria ad pastum et somnium nata. Er bemerkt weiter: Fuit aliquando bellicosa germanica natio, nunc.pro armis vino pugnant et crapula, tan- tumque habent virium, quantum vini possunt capere. S.: Poggii Florentini oratoris et philosophi Opera. Basileae. 1538. fol. p. 310. |

16) So klagte Jac. Mimpheling [t 1528], bitter über die Vernachlässigung . - der Bildung selbst der höchsten Stände, auch der Fürsten, welche durch ihre Um- gebung zu ganz andern Dingen verleitet würden. Assentatores et calamistrati, qui principibus dies et noctes sicut sanguisugae cohaerent, avertunt innocentissimos eorum animos, dicuntque esse indecorum principi discere et loqui nobilissimam linguam. Timent enim impudici canes et mancipia diaboli, si principum spiritus invadat sanctus ardor sapientiae, studii literarum, prudentiae , Virtutum, historicarum, sese qui bar- barie pleni sunt, contemtum iri; doctosque et graves viros sibi praeponi, qui nihil didicere aliud quam aucupio, venatu, furore, blasphemia, crudelitate, luxu, otio, ludo, libidine .. -nostram nationem infamem despectamque reddere (Epitome rerum germa- nicarum, c. 48. S.: (Sim. Schardii) Historicum Opus. Basil. 1574. fol. p. 385).

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER ete. 157

Aerzten, statt der Schriften der Araber, die der Griechen in die Hände, zu verschaffen. Nach längerer vergeblicher Bemühung gelang es ihm bei Froben in Basel, wohin die Manuscripte aus Italien gekommen waren, seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Mit kritischer Sorgfalt übersetzte er den Hippokrates, zum Theil auch den Galen, Dioscorides, Aetius.

Verhältnissmässig war das Griechische noch wenig verbreitet; erst durch Johann Reuchlin [+ 1522] fand dasselbe bei den Gelehrten Eingang.

Vor der Reformation wurde die griechische Sprache in den Schulen nicht gelehrt; die berühmtesten Männer jener Zeit machten sich erst auf der Universität damit bekannt.

Winter (Guinterus) von Andernach [7 1574], eine Zeitlang Lehrer der griechischen Sprache, übersetzte den Paulus Aegineta, mehrere Bücher des Galen und beschäftigte sich mit Oribasius.

Wilhelm Koch (Copus) [geb. in Basel 1471 gest. 1532] eiferte gegen die Araber, übersetzte Mehreres von Hippokrates und Galen und machte die griechischen Aerzte in Frankreich bekannt.

Hieronymus Geschmaus (Gemusaeus) [p 1543] zeigte sich bewandert im Aristoteles, Theophrast, Galen und Paulus Aegineta.

Theodor Zwinger [t 1588] versuchte die Lehren des Hippo- krates und Galenus allgemein verständlich darzustellen. i

Die deutschen klassisch gebildeten Aerzte beschränkten jedoch ihre Sorgfalt, zur Erweiterung und Begründung ihres: Fachs, nicht nur auf das sorgfältige Studium der alten Sprachen, sondern auf die Cultur noch gar nicht angebauter Gebiete der Naturwissenschaft.

So z. B. lieferte Georg Agricola [t 1555] treffliche. Mittheilun- über die Bereitungsart des Salpeters, Alauns und

gen über die Fossilien, | über die Krankheiten der

Vitriols, über den Ursprung der Quellen, Hüttenarbeiter und Bergleute.

Die wissenschaftliche Bearbeitung der Botanik ist deuts dienst.

Otto Brunfels (t 1534], Euricius Cordus [r 1535), Hiero- nymus Bock (Tragus) [+ 1554) zeichneten sich dadurch aus, dass sie

Gewächse, nach ihrer Beobachtung in der Natur, n

ches Ver-

äher bekannt machten,

158 K. F. H. MARX,

die im Dioscorides vorkommenden erklürten und die Schriftsteller, welche bis dahin mit dieser Lehre sich abgaben, beurtheilten.

Leonhard Fuchs [F 1565] lieferte getreue Beschreibungen und Abbildungen der Pflanzen, und neben diesen neuen Anschauungen auch Erläuterungen zu den Epidemieen des Hippokrates ; zugleich machte er auf arge Fehler der Araber aufmerksam.

Joh. Lange [t 1565] ergriff jede Gelegenheit, um den Nutzen der alten Muster sowohl für das Urtheil wie für die Behandlung seiner Berufsgenossen auseinander zu setzen.

Conrad Gesner [t 1562], dieser zweite Aristoteles, Begründer einer systematischen Anordnung, umfasste nicht blos die Thiergeschichte, sondern auch einen Theil der Botanik und Mineralogie, wie er selbst sogar ein eigenes Buch über die Gestalten der Steine verfasste; er legte das Fundament für Literürgeschichte und behandelte mehrere griechische Autoren mit philologischem Geiste.

S. 8.

Der einfache, besonnene Beobachter wird nicht so geachtet, wie der, welcher für die Erscheinungen Erklürungen und Beweisstellen mit Verstand so zu verknüpfen weiss, dass sie wie ein System geordnet sich verhalten. Er macht einen um so grösseren Eindruck, wenn er mit ei- ner Fülle von Kenntnissen Urtheil und Scharfsinn verbindet und die an den bedeutendsten Vorgüngern vorgenommene Kritik zu seinem Vor- theil auszubeuten versteht, :

Auf diese Weise erlag die Simplicitit des Hippokrates der gewin- nenden Masse Galenischer Ausführungen, und je mehr diese gefielen und im Laufe der Zeit bewundert wurden, um so allgemeiner und fester verbreitete sich der Glaube an die dogmatische Natur des Arztes von Pergamum.

Die überwiegende Zahl der Editionen und Erläuterungsschriften der Werke Galens 17) ist dadurch erklürlich , weil er Jahrhunderte hin- a a مت‎

17) Hauptsächlich von Hugo Bencius [} 1448], Joh. Baptist Montanus [f 1551],

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 159 durch der Gótze der Aerzte war und seine Aussprüche als Orakel

galten.

Die Meisten kannten den Hippokrates nur aus der Art, wie Galen ihn dargestellt hatte. Erst nachdem er von dessen Auslegungen befreit und aus den seltsamsten, Worte statt Thatsachen enthaltenden Interpre- tationen herausgelöst, in seiner Urgestalt studirt wurde, nahm die Ver- ehrung für den Coischen Weisen in steigendem Grade zu. Die schlichte Erfahrung im Lichte ernster Prüfung erlangte allmälig den Sieg über Erfahrungen, welche nach theoretischen Auffassungen gemodelt waren.

Der nur war und ist berufener Commentator des Hippokrates, welcher als gereifter Praktiker erscheint sowohl in der genauesten Beobachtung des Verlaufs der Krankheiten wie in deren höchst einfacher Behandlung.

Vorgefasste Meinungen, wortreiche Auseinandersetzungen, gewagte Vermuthungen und Erklärungen sind nicht die Wege, um die Vorgänge der Natur zu erkennen. Dass Einfachheit Siegel der Wahrheit ist, wird erst spät begriffen, dann aber vom Weisen festgehalten.

Dadurch dass alle ächten Schriften des Vaters der Medicin zur Einfachheit und Wahrheit anleiten, wurden sie von den ausgezeichnetsten Kunstgenossen als Muster hochgehalten.

Mit der Reinigung des Textes und nothwendigen Erläuterungen befassten sich tüchtige Männer 18).

Der Wetteifer unter den Aerzten, höhere Bildung zu erlangen und mitzutheilen, Proben angestrengter Untersuchungen zu liefern, und aus theoretischen Betrachtungen wichtige praktische Folgerungen zu ziehen, konnte nicht verfehlen dem Einzelnen wie dem Stande Achtung und Ansehen in der bürgerlichen Gesellschaft zu erwerben.

Joh. Fernelius [f 1558], Joh. Argenterius [f 1572], Joh. Kaye (Cajus) [f 1573], J. B. Rasarius [t 1578], J. P. Ingrassias [T 1580], Laurentius Joubert [7 1582].

18) Besonders Thomas Linacer [f 1524], Joh. Manardus [f 1536], Jac. Houl- lier (Hollerius) [T 1562], Joh. de Gorris (Gorraeus) [T 1577], Ludov. Duretus [7 1586], Anutius Foesius [T 1595], Hier. Mercurialis [f 1606].

" K. F. H. MARX,

S. 9.

Die humanistischen Bestrebungen fanden auf den Universitäten, namentlich den protestantischen, die sorgsamste Pflege; allein während des 30jährigen Kriegs wurde es den Lehrern schwer ihren inneren An- forderungen Genüge zu leisten. War überhaupt jene Zeit für unser Vaterland die unseligste, traurigste Heimsuchung, so ganz besonders auch für die Wissenschaft und deren Vertreter.

Der aufgestachelte Religionshass der Völker, die selbstsüchtigen Absichten der Fürsten, die bösen ausländischen Einflüsse, die verwilder- ten Sitten unterhielten das allgemeine Elend.

Unter dem Vorgeben, Glaube und Freiheit zu vertheidigen, wurde für Aberglaube, Hab- und Rachsucht mit massloser Leidenschaftlichkeit gekämpft. ais |

Man bekümmerte sich nur um das Nothwendigste, um das unmit- telbar Nüchste; die Sorge für die drüngende Gegenwart gestattete keine für die ungewisse Zukunft.

Von der Unruhe, den Gefahren und Bedrüngnissen durch die Zu- . muthungen einer übermüthigen Soldateska, von der Verzweiflung durch Feuersbrünste, Plünderungen, Gewaltthütigkeiten, vom Jammer durch die herrschende Pest, von den widerwürtigsten Eindrücken durch die rohesten Ausbrüche des Pennalismus 19), von den gehässigen, religiösen Meinungs- und Partheykämpfen haben die Jetztlebenden keine Vorstellung.

19) „Die Pest, das scheussliche Pennal-Wesen, befiel die Universität Altdorf | 1623 und kam auf den höchsten Grad des Muthwillens, der Unsittlichkeit, Leicht- fertigkeit und Grausamkeit, so dass es auch durch alle dawider ergangene Abmah- nungen, Warnungen und Strafen nicht ausgerottet werden konnte“ (G. A. Wills ‚Gesch. der Univ.-Altdorf. A. 1801. S. 248). Y

. Wer sich einen Einblick verschaffen will in das wüste Treiben auf den Uni- versitüten damals, der lese von dem Arzte J. P. Lotichius die Oratio super Fá- talibus hoc temp. Academiarum in Germania perieulis. Publice recitata in Acad. 'Rintelensi. 1631. Rinteli ad. Visurgum. 1631. 4. Er sagt (p. 63) Inolevit Disci- pulorum et Studentium insolentia, ut illi , Quorum est studere, addiscere, benemo-

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 161

Dass dennoch für literarische Zwecke so Vieles und so Tüchtiges geschaffen wurde, das giebt einen hohen Begriff von der damaligen Ar- beits- und Entsagungskraft, von dem gewissenhaften Eifer, der ernsten, geistigen Sammlung und der zähen Ausdauer Einzelner.

Ein Lehrer, der unter den niederschlagendsten Umstünden nicht nachliess, neben seinen Berufsgeschäften, mit erstaunlichem Fleisse, brod- lose Künste, d. h. klassische Studien, zu treiben, der Galen Deutsch- land’s 2°), war Kasper Hofman in Altdorf.

Ueber sein äusseres Leben ist wenig zu sagen.

Geboren zu Gotha 1572 verlor er, kaum ein Jahr alt, seinen Vater, einen mittellosen Schmied, und kam dann in die Pflege seines Gross- vaters von mütterlicher Seite.

Nachdem er, als schwächlicher Knabe, die Schule seiner Vaterstadt besucht hatte, bezog er, 19 Jahre alt, die Universität Leipzig, wo er jedoch nur ein halbes Jahr blieb, bald darauf Strasburg, wo er 2 Jahre verweilte 21). | In Nürnberg, wo er sich aufhielt, fand er eine theilnahmsvolle Un- terstützung an dem Protonotar Matthias Schilher??), der ihnin den Stand

nentibus obtemperare, contra praeceptoribus obloquantur, eos audiant minus, despi- Cant magis. Ferner (p. 65): Nulla paene publica praelectio habetur unquam, quin excitatis sibilis, tibiis, horrendis strepitibus temere et petulanter nimis explodantur. Ibi tantus boatus, clamor, latratus, ut non auditorium hominum, sed circoerum sta- bulum, canum, boviumque esse praetereundo adjures. Ebenso (p. 82): Academiis studiosae juventutis perpetrata delicta, grassationes, perpotationes, vociferationes, digladiationes, caedes, fornicationesque, et id genus errores, atque abusus gravissime detestandi, omnes fenestras aperuerunt.

20) So nennt ihn Karl Spon [f 1684] in dem Schreiben an Jac. Cousinot in Paris vorn in Hofman's Institutiones medicae.

21) M. vergl.: G. Koenig Programma in funere Caspari Hofmanni in M. H. Witteni Memoriae Medicorum. Francof. 1676. 8. p. 133.

22) Diesen seinen Wohlthüter hebt er namentlich hervor in der Widmung sei- ner Commentarii in Galeni de usu partium an den Rath von Nürnberg, dem er seinen tiefen Dank zu bezeugen wünsche: Cujus rei memoriam cum conservatam

Phys. Classe. XVIII. X

162 K. F. H. MARX, | deiris sieben Jahre in Altdorf unter den Lehrern Nicolaus Taurellus und Scherbius medicinische Studien zu treiben.

Als ihm daselbst das Aichholzsche Stipendium verliehen worden, - begab er sich nach Padua, wo er drei Jahre (von 160225) bis 1605)

blieb, um sich unter Hercules Saxonia, Hieronymus Fabricius ab Aqua- pendente und Julius Casserius Placentinus weiter auszubilden.

Von da ging er nach Basel, angezogen durch Felix Plater und

Casper Bauhinus, wo er auch, nach Vertheidigung seiner Thesen de Lumbricis, Doctor wurde.

Basel übte in seiner damaligen geistigen Bewegung einen wichtigen Einfluss auf wissenschaftliche Beschäftigung, und Felix Plater [t 1614] hatte ein Lehrbuch über Eintheilung der Krankheiten verfasst, welches

unter allen bis dahin erschienenen Compendien als das vorzüglichste -

anerkannt wurde.

Als kurz darauf 1606 in Nürnberg und Altdorf die Pest wüthete

und von ihr die Zierde der letzteren Universität, Taurellus, weggerafft wurde, bekam Hofman die Bestallung als Pestarzt?*) und bald nachher

auch die, als Nachfolger seines Lehrers, als Professor der Medicin. Kurz

darauf heirathete er?5).

esse vellem apud posteros, et ita conservatam, ut monimentum illud, quodcunque futurum esset, statuae instar aeternum perennatura foret,

23) William Harvey hielt sich dort von 1598 bis 1602 auf, allein beide lernten

Sich persónlich nicht kennen.

24) Jac. Pancratius Bruno (geb. zu Altorf 1629, gestorben als Senior der

medicinischen Facultät 81 Jahr alt 1709) bemerkt in seiner bereits citirten Oratio p. 166: Hofmannus noster pro iis, qui peste infecti, Medicus Altdorfii constitutus est.

Jo. Georg Volckamer sagt in seiner Oratio in laudem incomparabilis Cas- pari Hofmanni 1649 scripta, bei Vita Medica. Hoc est Galeni dyısıvov, sive methodi

Sanitatis tuendae Libri VI. Illustrati a Casp. Hofmanno curante Seb. Scheffero.

25) Darüber bemerkt er: non defuit unus et alter Qui mihi conjugium sollicite expeteret.

Nec res eventu caruit. Nam pronuba Juno

Francof. 1680. 4. p. 40: pestilentialis oppidi hujus conductus est medicus.

m a =

CASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 163

An gewissenhafter Pflichterfüllung als Lehrer liess er es nicht feh- len26), obgleich die Kraft seines Körpers ihn wenig unterstützte. Er selbst bezeichnete denselben als ein glüsernes und schwaches Gefäss?7).

Bestündig wurde er von zwei Feinden beunruhigt, von gestörter Gesundheit 28) und von Armuth 29).

Ein ermunterndes, frohes Ereigniss war im J. 1638 seine Berufung als Professor nach Padua 30), der er jedoch nicht zu folgen vermochte.

Im J. 1641 wurde er von einer Lühmung der rechten Seite befallen, wozu sich häufiges Weinen und Schlucksen gesellte 51).

Magdalin ex omni Nereidum numero Et genere et pulcro praestantem corpore legit, Quae sena fecit me quoque prole patrem.

S: d: Hofmanni Poemata sacra. Ab interitu vindicata per L. Fr. Reinhartum.

Altdorf. 1651. 8. N. 116.

i 26) Zwei Reden von ihm, die eine de ratione discendi medicinam, die andere de officio medici machte J. Pancratius Bruno bekannt in Casp. Hofmanni Isagoge medica. Lipsiae. 1664. 12. |

Koenig (a. a. O. p. 136) sagt von ihm: Cum in publicum prodire non posset, in domum suam auditores invitabat et comparentes fideliter docebat.

27) vitreum et imbecille vasculum (bei Bruno a. a. O. p. 140).

28) Schon im J. 1619 bemerkt er in der Vorrede zu seinen Variae Lectiones:

Facio tanto promtius, quo delicatior fit valėtudo mea, jubetque spes omnes in com- pendium redigere.

Wie er einmal an einem Coma vigil darniederlag, das beschreibt er ausführlich

in einem 2 vom J. 1639 an Reinesius. S. des letzteren Briefe. Lipsiae. 1660. 4. p... 27.

8 Enti ipsi bellum fere continuum cum duobus hostibus infensissimis, externo

uno, altero interno. Ille erat paupertas, hie vero invaletudo (Bruno a.a. O. p. 149).

; 30) Er schreibt am 20. Juli 1638 an Jac. Zeaemann dankend: ut non tantum Collegam me sibi optent, verum etiam primum in consessu tam splendido locum ostentent (G. Richter a. a. O. p.806. 807). M. vergl. den Brief von Zeaemann

.ebend. p. 636.

31) Cum A. 1641 mihi contigerit paralysis levior dextri lateris, non praegressa apoplexia, quamprimum aliquid accidit ad animum, sive laetum id sit sive triste,

lacrymis inundant oculi, cum singultu (Opusc. pro Veritate p. 85).

X2

164 K. F. H. MARX,

Das Schreiben wurde ihm schwer; die Zunge wurde ergriffen; er lallte mehr als dass er sprach*?).

Das Jahr darauf kam es zu einiger Besserung 55).

Das Gefühl der Hülflosigkeit, auch die Beschwerden beim Nieder- schlucken, nahmen jedoch immer mehr zu, so dass er, wollte er nicht niederstürzen, nur vermittelst eines Stockes vorsichtig im Hause herum- gehen konnte 5*5).

Im Jahre 1643 trat zwar blos eine schwache Wiederholung der Lähmung ein, aber das Trinken gelang mit vieler Anstrengung 55).

1648 starb er, 76 Jahre alt.

Diejenigen, welche mit Hofman näher vertraut waren, konnten nicht genug seine unermüdliche Arbeitslust 36), seine Wahrheitsliebe und selbständige Ueberzeugung rühmen 37),

32) Scribo equidem, ut vides (an Reinesius, dessen Epistolae p. 142), sed aegre, cogorque singulos apices diligenter accurare ita, ut si conferas cum prioribus literis, nova omnino sit ratio. De lingua idem est. Lallo enim potius quam loquor.

33) Ebend. p. 188: Post paralysin rediit quidem per Dei gratiam usus dextrae, sed procedit opus lentissime, quod pro singulis lineolis cogar sublevare manum.

34) Im Nov. 1644 schrieb er an Rhodius (bei Richter a. a. O. p. 522): Non possum exhaurire tantillum pocillum, sed petitasse cogor. Ibi si deerret una gutta, videas silicernium illud periclitari de suffocatione. Obambulo cum baculo in domo cum cautione accurata, ne cadam. Ex paralysi enim leviori dextri lateris, facta ante triennium, tantum mihi superest debilitatis, ut si parum nutet pes, procumbam humi, veluti sideratus.

35) In einem Briefe an Reinesius a. a. O. p. 376: Salvis superioribus facultati- bus sensibusque ministris motum praecipue linguae labefecit deglutionemque, eo usque vitiavit, ut non possum nisi Kerd ßooxdov bibere.

36) Nec laboribus diffringi, nec otii rubigine consumi voluit (Volckamer a. a. O. p. 40).

Er selbst hoffte, dass die Nachwelt ihm wenigstens das Zeugniss des Fleisses ertheilen würde: Spes est apud posteros, cum obtrectationis invidia decesserit, lucu- lentissimum me industriae testimonium (quid enim aliud sperem?) consecuturum (Vor- rede zu seinen Institutiones medicae).

37) Eo perpulit 7 رعو تبتك‎ Veritas vel Adrastea , quam unice coluit, unice

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 165

S 10.

Gut eingerichtete allgemeine Bildungs-Anstalten und specielle für die Aerzte waren in dem durch anhaltende Kriege, verheerende Seuchen und innere Unruhen erschöpften Deutschland in so geringer Zahl und in so dürftigem Zustande vorhanden, dass, wer es irgend nur móglich machen konnte, zur Erreichung besserer Kenntnisse ins Ausland sich begab.

Eine vortreffliche Schule für humanistische Studien, welche Wohl- habende anlockte, bestand in Mantua, zuerst unter der Leitung des Vit- torino Rambaldoni da Feltre [+ 1447].

Auf den wenigen heimathlichen Universitäten (Scholae, Studia, Studia generalia) fanden sich für Medicin nur selten tüchtige Männer, welche noch obendrein, wegen Mangels ausreichender Kräfte, verschie- dene Fächer in sich vereinigen mussten; von nothwendigen Instituten, Bibliotheken, Sammlungen zum Unterricht war keine Rede. Es fehlte sogar, ausser den älteren Leprosenhäusern, an Hospitälern und Apothe- ken, oder diese verdienten, nach ihrer fehlerhaften und unvollkommenen Beschaffenheit, kaum diesen Namen.

Der für Wissenschaft und Kunst empfängliche Kaiser Maxi- milian I, welcher es tief empfand, dass Deutschland an Instituten zur Verbreitung nothwendiger Kenntnisse hinter Italien, selbst hinter Frank- reich, zurückstand, hatte, um diesem Mangel abzuhelfen, auf dem Reichs- tage zu Worms 1495 den Antrag gestellt, dass jeder Churfürst in seinem Lande eine hohe Schule errichten solle. Doch dauerte es lange, bis

dieser Wunsch erfüllt wurde.

amavit, unice amplexus, nec dimoveri se ab ea ulla ratione passus est (Bruno 8. a. O. p. 183). *

Richter (a. a. O.) nennt ihn in einem Briefe vom J. 1641 assertor veritatis strenuus, ad nullius authoritatom alligatus, und in einem andern vom J. 1642 sagt er: Sed quid de Relatione tua dicam historica judicii contra Galenum acti? Proh fidem! tantam venustatem in sene, tantam juris judiciorumque peritiam in Medico, tantam Veritatis dxgußsıev in argumento jocoso; imo in re maxime seria (Veritatis inquam) iantos sales, tantas voluptates, tantas delitias.

166 - K. F. H. MARX,

In dem Grade, als das Streben erwacht war in der Natur und im Leben mit eigenen Augen sich umzusehen, von den Banden der Ueber- lieferung und eingelernten Sätzen sich zu befreien, zog es die Wissens- bedürftigen in die Ferne, namentlich nach Italien.

In vielen dortigen Städten hatte sich ein Schatz von Bildungsele- menten, auch für Medicin, aus früherer Zeit erhalten, wohl eine Nach- wirkung des älteren Gesetzes, wodurch die erfahrenen Aerzte angewiesen waren fleissig die klassischen Schriftsteller zu lesen und diejenigen, welche sich ihrem eigenen Berufs-Fache widmen wollten, zur Ausübung anzu- leiten. | : S :

Selbst nachdem das Weltreich, sowohl in Rom als in Byzanz, auf- gehört hatte bedeutende Heilkünstler zu vereinigen, fanden sich immer noch einzelne tüchtige an verschiedenen Orten.

Manches Gute war für die Medicin geschehen, als in der morgen- lindischen Kirche, in Folge gewaltiger Spaltungen, ausgezeichnete Ken- ner der Heilkunst in entlegene Gegenden zogen und da Pflanzstätten für jene gründeten. Den Nestorianern hatte man die berühmten ärztli- chen Schulen zu Edessa und Orfa , namentlich Dschondisabur, zu ver- danken. | |

Je mehr die erobernden Araber durch griechische Gefangene, mit den Wissenschaften vertraut gemacht, Interesse und Liebe dafür gewan- nen, errichteten auch sie einflussreiche Lehranstalten, wie zu Bagdad, Damaskus, Cahira, Nisabur.

Was die Abbasiden in Asien geleistet, das ahmten die Ommajaden in Spanien nach. Cordova wurde ein Glanzpunkt in Beförderung allge- . meiner und medicinischer Bildung. : | |

Wie sehr die Sóhne der Wüste Gelehrsamkeit achteten, das offen- barte ihr Spruch, dass die Dinte des Gelehrten so werthvoll sei wie das Blut des Märtyrers.

Honain Ben Ishak (Joannitius) und sein Sohn, beide Aerzte und nestorianische Christen, [im Anfange des 9ten J ahrhunderts nach Christus] übersetzten griechische Autoren. :

Als Beginn einer, wenn auch schwachen Aussaat von Kenntnissen

CASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 167

zur Heranbildung von Aerzten in Deutschland erschien die Verordnung Karl's des Grossen vom J. 805, wornach in den Klosterschulen auch die Arzneikunst gelehrt werden sollte. Da aber das ganze Schulwesen als Theil der geistlichen Befugnisse betrachtet und zu den Pontificalien gerechnet wurde, . wandte man der Mare der Laien geringe Auf- merksamkeit zu.

Unter dem Namen Trivium begriff man lateinische Grammatik,

Arithmetik, Musik, unter dem von Quadrivium Dialektik, Rhetorik, Geo- metrie, Astronomie. Als Anhang des Quadrivii wurde nun, unter der Bezeichnung Physik, Medicin Lehrgegenstand. Von den Kathedral- und Klosterschulen erlangte die zu Fulda, "über welche seit 813 Rhabanus Maurus aus Mainz, ein Schüler des Alcuin, die Aufsicht führte, den grösten Ruhm; jedoch auch da war . Ausbildung von Geistlichen Hauptsache.

.Die eigentliche Heilkunst blieb ihnen fremd, denn sie bedienten sich meistens nicht natürlicher Mittel, des Gebets, der Anrufung von Heiligen, der Reliquien der Märtyrer, der Amulete.

Machte der eine oder andere Studien, so waren ihre Quellen dürftig oder ungenügend 58).

Uebrigens erfuhr ihre Thätigkeit dadurch eine Beschränkung, dass von Päpstlicher Seite den höheren Geistlichen die Ausübung dieser Kunst untersagt wurde, aus keinem andern Grunde, als weil sie sich, bei ihren mangelhaften Kenntnissen und Fertigkeiten, arge Blössen gegeben und die öffentliche Achtung eingebüsst hatten.

. . Unter. solchen Umständen mussten die Aerzte Deasa Blick und Weg fortwährend in das Ausland richten.

Von denen, welche die äusseren Mittel besassen, wurde zur Be- gründung ihres Wissens und zur Erwerbung erforderlicher Geschicklich-

38) Benutzt wurde zuweilen Celsus de Medicina, weit mehr Coelius Au- relianus acutae et tardae passiones, Lucius Apulejus Herbarium s. de me- . dicaminibus herbarum, S extus Placitus Papyriensis de medicamentis ex animalibus, M arc um s Empiricus de medicamentis empyricis, physicis ac ratio- nalibus. ;

168 K. F. H. MARX,

keiten, Salamanca besucht, von andern Bologna oder Padua, an welchem Orte, wie es scheint, das erste anatomische Theater sich fand; aber auch Montpellier, welches schon in der ersten Hälfte des 12ten Jahrhunderts eine blühende Schule der Arzneikunde besass.

Paris übte gleichfalls von Zeit zu Zeit eine Anziehung, die stürkste, als daselbst Jacob Sylvius, du Bois [t 1555], lehrte.

Das Bedürfniss in die Ferne sich zu begeben, wurde allmälig da- durch verringert, dass die um mássige Preise zu erwerbenden Bücher der berühmten Lehrer die kostspieligen Reisen ersetzten.

Der Bücherschatz der Aerzte vor der Zeit, ehe ihnen die Klassiker und treffliche spätere Autoren zu Gebote standen, war ein erbürmlicher.

Die kleine Sammlung, unter dem Titel Articella59), vertrat eine Bibliothek.

Der Geschmack der Zeit war so seltsam, dass den gediegenen Schriften verdienter Aerzte und Naturforscher diejenigen vorgezogen wurden, welche von blossen Sammlern oder Geistlichen herrührten #0).

39) Auch Artisella, Artesela genannt. Darin befanden sich (in den spätern Aus- gaben) 1) Isagoge Johannitii [T 874 nach Chr.], worin das Wissenswertheste aus den Zeiten der Araber, 2) Philareti (Philotheus, Theophilos Protospatharios) [aus dem Tten Jhrdt.] opusc. de pulsibus, 3) von demselben: Theophili liber urinarum, 4) in lateinischer Uebersetzung die Aphorismen des Hippokrates mit dem Commentar des Galen, 5) das Prognosticon des Hippokrates, 6) die Schrift des Hippokrates de regi- mine acutorum mit dem Commentar des Galen, 7) Galeni microtechnon mit dem Commentar des Haly Rodoan.

40) Solche waren: G. Serenus Samonicus de medicina praecepta saluber- rima; Theodorus Priscianus res medicae und de diaeta: Benedictus Crispus Commentarium medicinale; Walafridus Strabus Hortulus; Macer Floridus de viribus herbarum; Marbodus de virtutibus lapidum; Gariopontus remedia ad totius corporis aegritudines und de febribus: Copho ars medendi und anatome porci; Nicolaus Praepositus Antidotarium; Joannes Platearius Practica brevis; Matthaeus Platearius de simplici medicina s. circa instans, und Glossae in antidotarium Nicolai; Hildegardis de Pinguia Physica; Theobaldus Phy- siologus de naturis duodecim animalium; Alcadinus de balneis Puteolanis; Otho Cremonensis de electione meliorum simplicium ac specierum medicinalium

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 169

Vielen war es erwünscht statt der Originale deutsche Ueber- setzungen *!) zu Hülfe nehmen zu können.

Bei der Vorliebe für das Mittelmässige dauerte es lange, bis das Quellenstudium allgemeinen Eingang fand. Darum erwarben sich die- jenigen, welche keine Mühe scheuten, ohne Unterlass, auf solche Schriften, welche durch Inhalt und Form sich auszeichnen, hinzuweisen, wesentliche Verdienste.

S. 11.

An wenigen Orten im Vaterlande wurde das erfolgreiche Studium des gereinigten Textes von Hippokrates, Galen, Theophrast so warm und nachhaltig empfohlen, als durch Kasper Hofman in Altdorf, wo ein Geist freier Forschung waltete, er in den ersten Jahren des 17ten Jahrhunderts seine Lehrthätigkeit begann und der Kritik der alten Autoren die gröste Sorgfalt zuwandte.

Da es der Weisheit und Kraft des Raths der Reichsstadt Nürnberg frühe gelungen war die Geistlichkeit seiner Oberaufsicht zu unterwerfen, konnte derselbe, nach eigenem Ermessen, für das Beste der Gesammtheit handeln.

. Insofern nemlich fast allgemein die Schule, auch die hohe, als Anhang der Kirche betrachtet wurde, fand in der Regel eine geringe Rück- sichtnahme auf die Bedürfnisse des äusseren, bürgerlichen, Lebens Statt.

Der Rath, welcher von freisinnigen und erleuchteten Ansichten aus- ging, hatte in Altdorf 1576 ein Gymnasium errichtet, welches , durch. seine kluge Verwendung, 1578 von. Rudolph II zur Akademie #) und 1623 von Ferdinand II zur Universitãt (Studium universale) erhoben wurde. - :

rhythmi; Aegidius Corboliensis de urinis, de pulsibus, de laudibus et virtuti- bus compositorum medicaminum und de signis morborum.

41) Schon früh erschienen: Celsus von Khüffner 1531, Vegetius Renatus mulomedicina 1532, Plinius Thiergeschichte von H. Eppendorf 1543, Dioscorides durch Danz von Ast. 1546, Sextus Placitus von Henisch. 1582.

42) M. vergl.: C. Marder Ueber die Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten. Göttingen. 1801. 8. 84.1. S. 36. |

Phys. Classe. XVIII. Y

170 K. F. H. MARX,

Die Beweggründe zur Stiftung einer Universität zeigten sich öfters

als sehr verschiedene.

Die erste der deutschen Nation entstand zu Prag 1348 durch Kai- ser Karl IV., welcher in Paris seit seinem 7ten Jahre am Hofe seines Vetters, des französischen Königs Philipp VL, erzogen wurde, und der, weil er an den dortigen Einrichtungen, besonders an den Disputirübun- gen, Gefallen fand, ein ähnliches Institut besitzen wollte.

Die Veranlassung zur Anlegung der Universitüten Wittenberg und Frankfurt an der Oder lieferte ein Streit über die venerische Krankheit 4$).

Altdorf verdankte seine Entstehung hauptsüchlich dem Wunsche für Bewahrung des reinen Glaubens und für Bekümpfung geführlicher Irrlehren. Wie die Reformation an sich als Panier der bürgerlichen und Gewissensfreiheit gehalten wurde, so auch die Hochschule.

Mitwirkend mag jedoch auch das Fehlen gebildeter, kenntnissrei- cher Fachmänner und die Hoffnung gewesen seyn, diesem Uebelstande durch eine hohe Schule abzuhelfen; denn schon im J. 15926 klagte Jo- hann Sturio, in einem Briefe an Bilibald Pirckheimer, über die arge Ver- nachlässigung der Studien und die krasse Unwissenheit der Aerzte. Sie wähnten, so äusserte er sich, ihre Kunst in 6 Monaten erlernen zu kónnen, dienten daher auch zum Gespötte von Jedermann 44).

43) Die in Leipzig lebenden Aerzte Simon Pistoris (Pistorius) [T 1523] und Martin Pollich (Lux Mundi genannt) [f 1513] hatten sich durch entgegengesetzte Ansichten über die Lustseuche, ob eine endemische, epidemische oder rein contagiöse Krankheit, so verfeindet, dass sie sich nicht mehr sehen wollten und entschlossen waren einen andern Aufenthalt zu suchen. Um nun an andern Orten wieder eine angemessene Stellung als Lehrer zu erlangen, brachte es Pistoris bei dem Churfürsten Johannes dahin, dass er Frankfurt an der Oder zur Universität auserkohr. Ebenso glückte es dem Pollich bei dem Churfürsten Friedrich, dass dieser dazu Wittenberg wählte. M. vergl. Móhsen a. a. O. II. 5. XXXVIII. S. 365—372.

44) Non credo bonarum literarum et artium usum in vehementiore fuisse con- temptu quam hoc saeculo. Raro nostri medici suorum studiorum effectum asse- quuntur. Hinc mirari nemo debet, cur ars haec ominibus ludibrio sit. M. s.: Joh. Heumann Documenta literaria. Altorfii. 1758. 8. p. 224.

BU

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 171

Aehnlich setzte der Arzt Gabriel Humelberg in einem Beileids- Antwortschreiben vom J. 1528 an Pirckheimer, wegen des Todes von Albrecht Dürer, auseinander, wie gros die Unkenntniss seiner Collegen in Betreff der Pflanzen sey, so dass selbst von erfahrnen und namhaften, gefährliche Substanzen mit unschuldigen verwechselt*5) würden.

Derartige Klagen werden ihren Eindruck nicht verfehlt haben, und von einer Universitit konnte mit Recht eine Umwandlung zu besseren Zuständen erwartet werden.

Die medicinische Facultät in Altdorf hatte leider die wenigsten Lehrer; anfänglich nur 2, seit 1625 3 ordentliche Professoren, und bis 1648 waren einige zugleich Mitglieder der philosophischen Facultät, führten selbst darin das Decanat 46). Allein durch kräftigen Eifer und unermüdliche Thätigkeit der Wenigen wurde die schwache Zahl auf- gewogen.

S. 12.

Mit welcher Sorgfalt Kasper Hofmann die Alten in sprachlicher und sachlicher Hinsicht benutzte, das zeigt die kleine im J. 1619 ver- öffentlichte Schrift 47), worin er hauptsächlich naturhistorische Gegen- stände abhandelte.

Man erstaunt über die Reichhaltigkeit der Untersuchungen und über die Ausbeute, welche er durch Vergleichung mehrerer Autoren gewann.

Die Kenner der Klassiker, sagt er, kümmerten sich mehr um das

45) Unde fit, ut saepius unum pro alio et letale pro salutifero propinetur, non modo ab ignaris, sed a peritioribus aliquando et magni nominis medicis. S. Heu- mann a. a. O. p. 104. XN NS

46) G. A. Wells Geschichte und Beschreibung der Nürnbergischen Universität Altdorf. 1794. Zweite Ausgabe mit Nachtrügen von C. C. Nopitsch. Altdorf. 1801.

S. 89.

47) Variarum Lectionum Lib. VI. In quibus loca multa Passa. en Plinii, Hippocratis, Aristotelis, Galeni, aliorum, qua illustrantur, qua explicantur. Lipsiae. 1619. 8. |

Y2

m c | . K F.H.MARX,

Aeusserliche, die Worte 48), als um das darin enthaltene Reelle; bei ihm fände das Gegentheil Statt.

Von Interesse noch jetzt sind mannigfache Angaben 49) über ver- schiedenartige Gegenstände. 1 :

Bei seiner langjährigen Beschäftigung mit Galen könnte man glau- ben, dass er von ihm unbedingt eingenommen gewesen sey; dem ist je- doch nicht so 50). Er kennt und bewundert die in dessen Schriften er- öffnete Fundgrube der mannigfachsten Betrachtungen und interessanten Nachweisungen, aber er übersieht nicht, wo darin auch Fehlschlüsse und irrige Angaben sich finden. |

Besonders häufig nimmt er den Aristoteles gegen ihn in Schutz und zeigt dessen Vorzüge 51). :

Das Buch über den Brustkorb 52) ist voll davon. Ebenso das über die Milz55) und über den Nutzen des Gehirns 54.

Die Schrift des Galen ‚von den Knochen für die Anfänger in der

48) In solis pene rerum corticibus, in verbis esse occupatos; sed verbis inopia humana non levatur (Vorrede). 49) So z. B. über schwarze Nieswurz (p. 1—8), über Coloquinten (61—64),

über den bittern Trank, den man Christus am Kreutze reichte (61—64), über das .

Mutterharz (145—148), über Scammonium (178), über Mandeln (230—234), über Exarchiatri (244), über den Theriak (277).

50) Die Schrift betitelt: Relatio historica judicii acti in campis elysiis coram Rhadamanto contra Galenum, cum approbatione Apollinis. Norimbergae. 1647. 12. konnte ich selbst nicht einsehen; Haller aber bemerkt darüber (Bibliotheca anatomica. L 330): Varios errores Galeni redarguit, quoties ab Aristotele discesserat.

51) So in einem Schreiben an Herman Conring: Collatio doctrinae Aristotelis cum doctrina Galeni de Anima. Lutetiae Parisiorum. 1647. 4. Auch in den Opellis pro Veritate p. 45—51. |

52) De Thorace, ejusque partibus Commentarius tripartitus. In quo discutiuntur praecipue ea; quae inter Aristotelem et Galenum controversa sunt. Francofurti. 1627. fol. j |

53) Casp. Hofmanni Tractatus tres de usu Lienis secundum Aristotelem. Fran- cofurti. Ohne Jahrszahl 192. - :

. 54) Casp. Hofmanni de usu Cerebri secundum Aristotelem, Diatribe. Hinter dem vorhergehenden.

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 178

Medicin‘‘, von welcher Ferd. Balearius 55) eine lateinische Uebersetzung geliefert hatte, versah Hofman mit Anmerkungen 56).

Zu dem physiologischem Hauptwerk des Galen , von dem Nutzen der Theile des menschlichen Körpers 57)" verfasste er, mit Verbesserung des Textes und Varianten, einen Commentar 58), in dem er auch die bis auf seine Zeit bekannt gewordenen Entdeckungen berücksichtigte 59).

In Beziehung auf das pathologische Hauptwerk Galen's „von den erkrankten Orten *60) gab er blos eine kleine Schrift heraus9!), worin er vom Herzen, dem Athmen, dem Puls, der Bewegung, dem Gefühl, der Gemüthsstimmung, der Schwüche der Sinnorgane, den Krankheiten der Brust- und Unterleibsorgane handelte.

.. Ueber Galen's Bücher „von der Heilmethode 62), die er übersetzte, erklärte er sich so ausführlich, dass von Andern viel darüber mitgetheilt

55) In seiner Widmung an M. Goldast sagt er: er habe dessen Uebersetzung gewählt non quod circa ullam reprehensionis aleam sit, sed ut vetustati haberem hunc honorem. .

` 56) Heo? dor» vog sicayouévow. Claudii Galeni Pergamensis De Ossibus ad Tyrones Liber. Ferdinando Baleario interprete. Cum Notis perpetuis Casp. Hof- manni. Francofurti ad Moenum. 1630. fol.

57) Megi yogis vov èv dv99oizov owpen pogíov.

58) Casp. Hofmanni Commentarii in Galeni de Usu Partium corporis humani Lib. XVII. Cum variis. Lectionibus in utrumque Codicem, graecum et latinum, et Indice gemino. Opus, non Medicis tantum, sed et Philosophis, nec minus Philologis paratum, Francofurti ad Moenum. 1625. fol. Die Vorrede ist vom J. 1618.

` 59) Deswegen urtheilt darüber Haller (Bibliotheca anatomica. I. 329): Doctum opus, quo nuperiorum inventa cum Galenicis comparat.

60) JJsgi tav memov9ovev zönwv, de locis affectis.

61) Casp. Hofmanni de locis affectis, Libri tres. Noribergae. 1642. 12.

62) Ssgazevmx] pé9odoc, methodus medendi, L. XIV. Nicht zu verwechseln mit lezpixij, von der Heilkunst, ars medica, welche kleinere Schrift auch den Titel führt microtechne oder ars parva. : :

M. vergl: Caspari Hofmanni Pathologia Parva, in qua Methodus Galeni practies explicatur: ad Paulum Marquartum Slegel. In den Opellis pro Veritate. Lutetiae Parisiorum. 1647. 4. p. 57—95.

174 K. F. H. MARX,

wurde$5) Auf diese vortreffliche Arbeit des Pergameners sey er durch Crato aufmerksam 6*) geworden.

Die Vorrede zu Galen’s Schrift „von Erhaltung der Gesundheit“ schrieb Hofmann 1647, ein Jahr vor seinem Tode. Uebersetzung wie die beigefügten Erläuterungen fanden ungetheilten Beifall 65).

Wie Hofman in jeder Weise seine hohe Verehrung für Aristoteles zu erkennen gab und durch Beweise aus dessen Schriften zu erhärten sich bemühte, so setzte er auch in einem Schreiben vom J. 1620 an Adrian Spiegel in Padua, nach jenem, den Ursprung der Formen aus einander 66).

Nachdem Mundinius (Mundinus), der in Venedig lebte, eine . Schrift für die Anhänger des Galen's gegen die des Stagiriten veröffent- licht hatte 67), richtete Hofman eine gegen ihn 68),

Seine eigenen 6 Bücher „Anleitungen für Aerzte“ 69) enthalten aus

63) Praxis medica curiosa. Hoc est Galeni Methodi medendi Libri XIV. Nova, eaque omnium accuratissima Versione, et perpetuis plus vice simplici desideratis Com- mentariis et Castigationibus prudentissimis, illustrati a Casparo Hofmanno. Adjectis nonnullis, in Epidorpismatum vicem, cumprimis de Dicterio illo, medice vivere esse pessime vivere. Cum Oratione J. G. Volckameri. Curante Sebastiano Scheffero. Francofurti. 1680. 4.

64) So in der im J. 1646 erschienenen Vorrede.

65) Vita medica, hoc est Claudii Galeni vyısıvav, sive Methodi sanitatis tuendae Libri VI. Nova eaque omnium accuratissima versione et perpetuis commentariis et castigationibus prudentissimis illustrati a Casparo Hofmanno. Curante Seb. Scheffero. Francof. 1680. 4. :

66) De Formarum origine secundum Aristotelem Sententia, pertinens ad libros de Generatione hominis. Francofurti ad Moenum. 1629. fol.

67) De Genitura pro Galenicis adversus Peripateticos et nostrae aetatis philosophos disputatio, in qua nova dogmata spectantia ad fetuum generationem, similitudines, morbos haereditarios, facultatem formatricem, animarum conceptibilium origines re- fellit, nec non seminis adversus recentiores defenditur. Venet. 1622. 4.

68) De Generatione hominis Libri quatuor eontra Mundinum Mundinium. Ad- jecimus sententiam ejusdem de formarum origine secundum Aristotelem. Francofurti ad Moenum. 1629. fol.

69) Casp. Hofmanni Institutionum medicarum Libri VI. Lugduni. 1545. 4.

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 175

der Medicin im Allgemeinen, der Anatomie, Physiologie, Pathologie, Se- miotik, Diütetik, Heilmittellehre, den Indicationen, der Chirurgie, der Geburtshülfe, der Pharmacie, so Vielerlei, dass jedes Buch mit einem eigenen Inhaltsverzeichnisse versehen wurde.

Behauptungen Anderer, die er für unrichtig erachtete, bezeichnete er als Verirrungen 7). Er eifert?!) besonders gegen Joh. Riolanus, den Vater, und gegen Gregorius Horstius, entwickelt aber auch seine Be- denken gegen Aeusserungen von Leonardus Fuchsius, Daniel Sennertus, Duncan Liddelius, Guilbertus Jacchaeus, Johannes Heurnius.

Dieses Werk, welches oft Tadel erfuhr, weil darin zu viele Angriffe gegen anerkannte Männer vorkommen, ist Jedem zu empfehlen, welcher die frühere Medicin kennen zu lernen und mit Ausdrücken oder Vor- stellungen, welche längst ausser Gebrauch sind, vertraut zu werden wünscht. Es enthült eine solche Fülle von werthvollem Material, dass man ohne die gegebene Versicherung, überzeugt wird, der Verfasser habe es nicht zu frühe??) zu Stande gebracht.

Ueber die scharfe Feuchtigkeit, welche aus den Wunden fliesst, worüber er sich in seinen Anleitungen auch ausgesprochen hatte 75), veröffentlichte er eine eigene Schrift 74).

Eine treffliche Arbeit Hofman's ist die ‚über die officinellen Arz-

70) Aberrationes.

71) S. 5—7. 14—15. 18—20. 25. 28—32. 35. 37. 39—41. 44. 47. 50. 56—58. 98—101. 107—112. 130—135. 151. 158. 192—195. 234. 241—243. 248—250. 267— 272. 278—289. 285—288. 292—994. 295—299. 303—306. 308—313. 317—221. 323 —325. 327—330. 332. 336. 340. 362—367. 369. 380—383. 386. 389. 409—413. 420. 433—444. 462—465, 470. 484—487. 490. 498. 506—509. 516. 538—540. 542—545, 549—552. 558. 566—568. 570. 574. 579. 584. 591. 603—605. 623—626. 628—632. 639—644. 646. 650—656. 557.

72) Er sagt (in der Vorrede): non adolescens semidoctus, non ante norendiam factus Doctor, sed postquam per 30 annos docui et scripsi, postquam 30 aliis didici.

73) Institutiones medicae p. 266.

74) Casp. Hofmanni, de Ichoribus, Et in quibus illi apparent, affectibus, Collec- tanea. Bei dem Tractatus de Usu Lienis. Francofurti. 12. p. 247—302.

176 - | K. F. H. MARX, neisubstanzen‘‘ 75), sowohl wegen seiner eigenen Beobachtungen, Erfah- rungen und Beurtheilungen, als wegen der sorgfältigen Benutzung des überlieferten Stoffes.

Da er bis zum Jahre 1625, wo Ludwig Jungermann neben ihm

angestellt wurde, über Botanik Vorlesungen hielt und Excursionen un- ternahm, so sind die Pflanzen, in Betreff ihrer Beschreibung wie der Ari- gabe ihrer Krüfte, besonders gut abgehandelt.

Für die Apotheker, welche damals in grosser Unwissenheit sich befanden 76), war die ertheilte Belehrung eine nicht genug zu würdi- gende Wohlthat, aber auch für Aerzte.

Für die chemischen Prüparate zeigt er so wenig Vorliebe als, wie er sich ausdrückt, für die Aschenbläser 77),

Ueber dieses Werk, welches Hofman an Guy Patin gesandt hatte, sprach dieser, in Verbindung mit Renatus Moreau, im Namen der Pa- riser medicinischen Facultät, die volle Billigung aus 7 8),

S. 13. ;

Noblesse oblige; Armuth verpflichtet nicht, Wenn ein nicht ver- edelter Stamm kostbare Früchte trägt, so ist das erfreulich: sie zu er- warten ist man nicht berechtigt.

Hofman war, da sein mittelloser Vater frühe starb, in gedrückten Verhältnissen aufgewachsen. Abhängig von Verwandten und Fremden, musste er, auf Unterstützung gutgesinnter Menschen angewiesen, Schule und Universität besuchen, und als er eine selbständige Stellung erlangt

75) Caspari Hofmanni De Medicamentis officinalibus tam simplicibus quam compositis, Libri duo. Accesserunt quasi Paralipomena, quae vel ex Animalibus, vel ex Mineralibus petuntur. Opus triginta annorum. Parisiis. 1647. 4.

76) Er bemerkt (in der Vorrede zu seiner Bearbeitung von Galen's Methodus:

medendi L. XIV): Pharmacopoeos nostros versari in profunda ignorantiae caligine. 77) Omnes Crollii, Quercetani, Turneiseri, Paracelsi, Lulli, Beguini et tot alii nebulones de turba ciniflonum (am Ende der Vorrede). 78) Opus polymitum et palmarium, tam ingentis spiritus quam subacti judicii,

ad amplificandam et illustrandam Medicae rei supellectilem inter caetera compara-

tum (vorn vor dem Catalogus Purgantium).

op BEN S

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 177

hatte, lernte er die äussere Noth, verbunden mit körperlichen Leiden, erst recht kennen.

Wie wenig jedoch die harte Zeit seiner Jugend und der späteren Jahre sein Gemüth verstimmte oder es unempfänglich und unerkenntlich machte für die immerhin geringen ihm zu Theil gewordenen Wohltha- ten, das zeigt eines seiner Gedichte 79), worin er die Fügung Gottes preist, welche ihn aus niederer Herkunft, wo sein Vater den Schmiede- hammer, blos bei Brod und Wasser, führen musste, zu einem ehrenvollen Wirkungskreis geleitet habe.

Da er unter grossen Anstrengungen, nach vielseitigen und gründ- lichen Kenntnissen strebte, sich tief in das Studium des klassischen Alterthums versenkte, stets sich bemühte den Anforderungen seines Amtes in jeder Art zu genügen, da er es sich angelegen seyn liess den Schein zu meiden, blos das Aechte und Wahre herauszufinden, nicht schmeicheln konnte 8°), und keinen Anstand nahm seine Ueberzeugung offen auszusprechen, die Dinge beim rechten Namen zu nennen 51(, so ist nicht zu verwundern, dass er in der Beurtheilung Anderer tadel-

79) Casp. Hofmanni quondam in universit. Altdorfina longe celeberrimi, zov vu» hexegıov, Poematum ‚sacrorum Centuriae IV. Ab interitu vindicatae per L. F. Rein- hartum. Altdorfi. 1651. 8. In Nr. CXVI, überschrieben: Curriculum Vitae heisst es:

Paupere sum natus tecto, qua parte suburbi Pannos fullo rudes et lavat et subigit.

Hunc prope fabrilis magno cum murmure follis Insonat, ut ferrum candeat igne novo.

Heic pater exercet Vulcani sedulus artes, Contentus pane et simplice fontis aqua.

In den Gedichten offenbaren sich seine demuthvollen, frommen Gesinnungen so sehr, dass ein Urtheil über seine Gemüthsart, ohne diese eingesehen zu haben, man- gelhaft ausfallen muss.

80) A moribus meis abest palpandi studium (In der Dedication seiner Variae lectiones). -

81) In mendacii odium deductus varie pugnatum fuit in animo meo (Vorrede Zu seiner Ausgabe von Galen' s Method. med. L. XIV).

Phys. Classe. XVIII. Z

178 K. F. H. MARX,

süchtig 82), absprechend, wegwerfend, herrisch 95) erschien, und für weit erregter, heftiger, rücksichtsloser gehalten wurde, als er war.

Haller nennt ihn blos den scharfen Beurtheiler seiner Zeitge- nossen 89,

Hofman erklärt 95), dass in Folge der Entartung der menschlichen Natur Viele meinten, nicht bestehen zu kónnen, wenn sie nicht Andere herabsetzten. Das aber verhalte sich nicht so bei denen, welche das Rechte im Auge behielten und die Aufgaben der Tugend übten. Nicht ohne die unangenehmsten Empfindungen 96) habe er zuweilen seine Vorgünger ungünstig beurtheilen und, wie z. B. gegen Vesal, seinen Ta- del stark äussern müssen 87). Für seine Sorge und Bemühung um Ermitt- lung des Richtigen habe er leidenschaftlichen Hass erfahren, wogegen ihm nur Verachtung geblieben sey 88).

In einer eigenen an Guy Patin in Paris gerichteten Schrift89) aus

82) Claus Worm schreibt in einem Briefe vom J. 1646 an Thomas Bartho- linus: Hofmannus generalem sibi in omnes censuram vendicare videtur (Thomae Bar- tholini Epistolarum medicinalium Cent. I. Hagae Comitum. 1740. 8. p. 330).

83) Wills (Geschichte von Altdorf S. 93) äussert: Kasper Hofman, der es so weit brachte, dass man sich vor seiner diktatorischen Heftigkeit fürchtete, war gleichwol ein trefflicher Arzt, guter Philosoph und stattlicher Humanist, dessen Bücher die Franzosen druckten.

84) Bibliotheca anatomica I. 328: acris coaevorum censor.

85) In der Vorrede zu seinen Variae Lectiones: Est quidem natura humana adeo depravata, ut plérique putent, exstare se non posse, nisi alios deprimant; at apud recta ingenia plus valet virtutis studium.

86) Ebend: Non sine bile respexi ad praedecessores meos.

87) Ebend. über Physiologia Galenica: Vesalius affricuit scabiem suam.

88) Cum hactenus fecerim omnia, quae pro Veritate fieri posse judicabam, quid lucratus sum? Ut inimicorum meorum impotentia, furor et vaecordia quotidie fiat major, efferatiorque. Quos quo modo alio uliciscar quam generoso contemtu? (Aus der im J. 1638 geschriebenen Vorrede seiner Institutiones medicae).

89) Caspari Hofmanni pro Veritate opellae tres. I. Adrastea Galeni. II. Exer- citationes juveniles contra Parisanum, aliosque. III. Ant-Argenterius. Lutetiae Pari- siorum. 1647. 4.

Er bespricht darin, gröstentheils lobend, zuweilen aber auch scharf tadelnd .

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KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 179

dem Jahre 1645 setzte er aus einander, wie er kein anderes Ziel ver- folgt habe, als das, wie Wahrheit zu suchen, ob ihm gleich wohl be- kannt gewesen, dass man dabei auf glühenden Kohlen gehe.

Nachdem der Piemontese Johannes Argenterius [T 1572] es gewagt hatte, den Galen anzugreifen, ohne mit den gehörigen Waffen ausgerüstet zu seyn, erklärte sich Hofman gegen ihn °) und ebenso gegen die An- sichten, welche derselbe mit Fernelius theilte, über die Krankheiten der Form und Materie. Er nannte dessen Behauptungen Träumereien 9!).

In seinen Anleitungen für Aerzte, welche, wegen der darin gerügten Dinge und Personen, viel böses Blut erzeugten, findet sich auch ein Abschnitt „gegen Bartholin‘ 9), wahrscheinlich Thomas, wodurch Joh. Caspar Bartholin so erbost wurde, dass er Hofman den bissigen, bellen- den Hund von Altdorf nannte 95).

Das Verkleinern liegt Manchem nüher als das Lobpreisen, und die Glossarien der Gelehrten zeigen an Schimpfwörtern keinen Mangel.

Aemilius Parisanus, [T zu Venedig 1643] p. 17—33, Joh. Hieronymus Bronzierus [T zu Belluno 1630] p. 33—37, Thomas Fienus [t 1631 zu Löwen] p. 37—38, Jaco- bus Scheggius (eigentlich Degen) [T 1587 zu Tübingen] p. 38—39, ‚Nicolaus Leoni- cenus [t 1524 zu Ferrara] p. 39, Pompejus Caimus [f zu Titiano 1631] p. 40—45, Nicolaus Taurellus [} zu Altdorf 1606] p. 45—51, Caesar Cremoninus [t zu Padua 1631] p. 51—59, Hieronymus Fabricius ab Aquapendente [t zu Padua 1619] p. 59 —66, Franciscus Valesius [Arzt zu Alcala im 16. Jahrhundert] p. 66—89, Fabius Pacius [f zu Vincenza 1614] p. 89—90, Joannes Üostaeus [T zu Bologna 1603] p. 90—96, Franciscus Bonamicus [Arzt zu Florenz] p. 96—102, Andreas Laurentius [f zu Montpellier 1609] p. 102—115, Aloysius Mundella [f zu Padua im 16. Jahr- hundert] p. 115, Petrus Andreas Matthiolus [T zu Trident 1577] p. 116, Mundinus Mundinius [t zu Venedig im 16. Jahrhundert] p 116.

90) Ebend. S 119—135.

91) Rejectanea pathologica. Qua de Morbis Formae et Materiae, a Fernelio, Argenterioque per somnum visis. Ad Thomam Reinesium. Gleichfalls in den Opellis pro Veritate p. 99—118.

92) Instit. med. p. 226—230: Contra Bartholinum.

93) Thomae Bartholini Epistolarum medicinalium, a Doctis vel ad Doctos scrip- tarum. Cent. I. Hagae Comitum. 1740. 8. p. 432: Canis Altorfini morsus et latratus doctis probisque merito suo debent esse exosi.

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180 د‎ K. F. H. MARX,

Gestatten sich Gebildete anstóssige, unerlaubte Ausdrücke, so kónnte gezweifelt werden, ob Humanismus 9) Humanität bedinge. Allein was schon vor zwei Jahrhunderten, bei anhaltenden Erschütterungen des öffent- lichen Lebens und bei ungezähmter Leidenschaftlichkeit der Menschen, zur auffallenden Ausnahme gehörte, das ereignet sich nur noch selten. In der Regel entspricht dem Besitze einer höheren geistigen Weihe die Aeusserung eines edlen, sittlichen Benehmens.

S. 14.

Die Angriffe auf Hofman erstreckten sich nicht nur über das, was er that, sondern auch über das, was er unterliess.

Bitter wurde ihm vorgeworfen, dass er nur Theilnahme für das Alte gezeigt habe, dagegen nicht nur Unempfänglichkeit für das Neue, sondern geradezu Widerwillen dagegen; dass er von der Entdeckung Asellios keine Notiz genommen, ja dass er nicht einmal zur Lehre vom grossen Kreislauf sich bekannte, von welcher Harvey persónlich ihn zu überzeugen suchte. :

Da der letztere Anklagepunkt vorzugsweise hervorgehoben wird, so ist zu bemerken, dass so gross die Achtung Harvey's für Hofman war, die Verehrung und Liebe Hofman's für Harvey nicht geringer erscheint. Die gewechselten herzlichen Worte ?5) von jenem aus Nürnberg, von

94) Da Kasper Hofman als Verfechter des Humanismus bekannt war, so wurde ihm die Schrift de imminente barbarie zugeschrieben, die jedoch nicht ihn zum Ver- fasser hat, sondern einen früheren gleichen Namens, der zu Frankfurt an der Oder ` lehrte.

Obgleich diese Verwechslung schon von Jo. Jac. Baier in seinen Biographiae Professorum medic. Altorfii. Norimb. 1798. 4, p. 57 gerügt wurde, so findet sie sich noch häufig in literürischen Angaben. : jr

95) Harvey schrieb (bei G. Richter a. a. O. p. 808): Iudicium tuum, mi Hofmanne doctissime, de me, de motu et circulatione sanguinis, candida mente scrip- ium, pergratum mihi est; atque me vidisse hominem doctissimum , et alloquutum fuisse, gaudeo, cujus amorem ita libentissime amplector, ut redamem. 1

Hofman (bei Richter p. 809) äussert sich: Humanitas tua incredibilis, mi Har- -

veje, facit, ut jam non diligam te, sed deamem. ۰ ^ Pd

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 181

diesem aus Altdorf lassen das gegenseitige Verhältniss anders erkennén, als es nach der gangbaren Mittheilung angenommen wird.

Zwischen zurückhaltender Vorsicht aus gewohnter umsichtiger Prü- fung und kalter Abschliessung gegen überzeugende Gründe, oder gar aus unbedachter Verwerfung, ist ein Unterschied.

Wer viele Jahre hindurch mit der hóchsten Anstrengung des Alten sich zu bemächtigen suchte, vermag dem Neuen sich nicht so rasch zu- zuwenden, àls wer blos die Vorgünge der Gegenwart mit Aufmerksam- keit verfolgt.

Hofman lebte, was das Studium betrifft, mehr in der Vergangenheit; dem Erkennen dessen, was die Vorzeit als geistiges Eigenthum besass, hatte er seine besten Jahre geopfert. Vorstellungen aber und Einsichten, welche mit erstaunlicher Mühe gewonnen wurden, sind, zumal im vor- gerückten Alter, nicht so leicht aufzugeben.

Auch hat jeder nur ein gewisses Maass von Kraft, welches kein Anderer kennt, oft der Mensch selbst nicht.

Das Festhalten an Sätzen des Wissens wie des Glaubens muss mit um so grösserer Schonung beurtheilt werden, wenn sie tief begründet sind und der ganze Mensch in ihnen seine Beruhigung findet. Irrthum, der beim redlichsten Streben sich ereignet, ist ein verzeihlicher. Der Vorwurf der Engherzigkeit und Einseitigkeit erscheint da ungerecht, wo das ganze Leben von unbefangenem Ringen nach Erkenntniss vollgültiges ‚Zeugniss ablegt.

Dass Hofmann die Sprache einer früheren Welt besser verstand als die seiner Zeitgenossen, mag ihm als Fehler angerechnet werden; bedeu- tend ist dieser nicht. |

Das lebendige Iie. welches Hofman an reellen Unternehmun- gen, an rein menschlichen Verhältnissen und an der, Beförderung der humanen Studien nahm, das lernt man besonders aus dem Briefwechsel 96)

` 96) Th. Reinesii ad Casp. Hoffmannum. Christ. Ad. Rupertum. Professores Noricos Epistolae. Lipsiae 1660. 4. Der Briefwechsel mit Hofman umfasst den Zeit- raum von 1638 bis 1644.

182 K. F. H. MARX,

mit seinem Landsmanne Reinesius??) kennen, obgleich derselbe meistens literärische Gegenstände betrifft.

Aus den darin sich findenden mannigfachen Mittheilungen nur fol- gende Proben:

Man müsse, so schreibt Hofman, bei widerwärtigen Begegnissen ruhig bleiben, Unrecht ertragen und Gott vertrauen 98),

Von Bösen würde für erzeigte Wohlthaten schlecht gedankt, weil sie nicht gelernt hätten Gutes zu thun??).

Wahrheit, diesen Theil des göttlichen Feuers 100), diesen Pfropfreis des Allerhöchsten!0l), verehre er; Lüge, diesen Auswurf des Satans, verabscheue er.

Da er das Unglück hatte seine Tochter zu verlieren, so konnte er es nicht unterlassen, beim Andenken an sie, Thränen zu vergiessen 102),

Den trostlosen Zustand in Deutschland, namentlich in Betreff der Literatur, kann er nicht genug beklagen 105),

In einem Falle, wo er, vor andern Collegen, seine Meinung über einen Kranken auszusprechen hatte, bemerkt er: die Ansichten mögen verschieden sein, er halte es mit der Heilung 104).

97) Thomas Reinesius wurde in Gotha 1587 geboren und starb 81 Jahre alt in Leipzig. Schon im 1165 Jahre verstand er Griechisch und Latein. Um sich zum Arzte auszubilden, besuchte er Wittenberg, Jena, Frankfurt an der Oder, Padua, wurde zu Basel Doctor und lebte dann als Leibmedicus in Altenburg.

98) Epist. p. 100: Vivit Deus is erit innocentiae certus vindex.

99) Ebend: Qui bene facit male audit lis, quia ipsi bene quid f.

100) Ebend p. 12: Veritatem colo et veneror, quia est divini particula Ignis. Mendacium odi et conspuo, quia est vomitus Satanae.

101) Ebend. p. 58: Veritas est surculus Dei.

102) Ebend. p. 17: Non teneo lacrymas, cum cogito beatissimum finem vitae puellae amabilissimae filiae meae.

103) Ebend. p. 3: In hac Germaniae vastitate, in hac speciatim et literatorum et librariorum ruina.

p. 24: Talia sunt haec tempora, qualia Romae sibi fuisse Gal. ait, cum vitam leporis viveret.

104) Ebend. p. 58: Pro me stat magnum Hippocratis argumentum , Curatio.

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KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 183

Was andere Schriftsteller erreicht hatten, dass ihre verschiedenarti- gen Schriften gesammelt erschienen, das war Hofman’s angelegentlicher Wunsch, allein er wurde nicht erfüllt.

Noch im Jahre 1643 äusserte er in einem Briefe an Reinesius 105) die Hoffnung, dass nächstens in drei grossen Bänden seine sämmtlichen gedruckten und nicht gedruckten Arbeiten, allerdings um ein beschä- mendes, geringes Honorar, herauskommen würden; es blieb jedoch bei der Hoffnung.

Kasper Hofman strebte und kämpfte; er siegte wohl auch, aber im Ganzen verlief sein mühevolles Leben freudenlos. Da sein sehnlich- ster Wunsch, die Veröffentlichung seiner Hauptarbeit, unerfüllt blieb, seine meisten Schriften der Vergessenheit anheim fielen, sein Thun wie Lassen verkannt wurde und zum Theil noch wird, da er jedoch in Ab- sicht und Gesinnung rein war, trotz. Krankheit und Noth unermüdet thätig blieb, seine vermittelst der Kritik gewonnene Ueberzeugung als Gesetzgeberin im Gebiete des Wissens betrachtete, dadurch viel Gutes äusserte und veranlasste, so schien es angemessen sein Andenken zu

erneuern.

Eine Hingabe an die klassischen Studien, wie solche bei Hofman Statt fand, ist bei den Medicinern der Gegenwart nicht mehr möglich, weil die Heilkunst einen zu grossen Umfang gewonnen hat, wodurch Zeit und Kräfte zu sehr in Anspruch genommen werden, und weil das öffentliche Leben, die Gesellschaft, stets neue wichtige Entdeckungen, der lebendige Verkehr mit den fernsten Gebieten der Erde, die Welt- literatur u. s. w., mehr als ehemals, Theilnahme fordern 199).

105) In dessen Epist. ad Casp. Hoffmannum p. 318: Propediem, ut spes est, iribus tomis magnis exibunt heic omnia mea Opera, qua edita, qua non edita; pro quibus tantillum accipio, quantillum rubor prohibet dicere. Sed contentus sum, qui non Pecuniae servio, sed Veritati, cui trophaeum statuam hac ratione perpe.

106) Früher auch reichte der Gelehrte mit der lateinischen Sprache aus; jetzt muss er die Kenntniss und Uebung verschiedener neuerer erwerben.

184 K. F. H. MARX,

Dennoch ist eine gewisse Pflege der klassischen Studien ausführbar

und von unberechenbarem Nutzen, schon deswegen, weil so gründlich wie die griechische und lateinische Grammatik keine andere getrieben, dadurch aber ein genaues Eingehen in die Gesetze der Sprache veran- lasst wird.

Durch Gewóhnung an ausgezeichnete Muster des Styls gestaltet sich die Schreibart einfach und natürlich, der Vortrag schón, selbst bei tri- vialen Gegenständen nicht trocken und ermüdend; dabei gedrängte Kürze, Klarheit des Dargestellten, Bestimmtheit der Begriffe, Vermeidung un- nóthiger fremdartiger Ausdrücke.

Da nun keine Literatur so sehr einer gründlichen Verbesserung in Betreff der Sprache bedarf wie die medicinische, (ihre Vernachlässigung scheint den Zweck zu haben gebildete Laien von der Lectüre abzuhal- ten) und keiner Genossenschaft, wie der der Aerzte, bei der bunten Mannigfaltigkeit, ja Ueberfüllung ihrer Wissensgegenstünde, es so drin- gend Noth thut im Geiste der Alten einfach zu denken und zu prüfen, so ergiebt sich die Nothwendigkeit der humanistischen Studien.

Dass sie zu eifrig betrieben werde, dass eine Vorliebe für Bücher entstehe, ist nicht zu besorgen, denn das Gegengewicht des unentbehr- lichen reellen Wissens und Thuns ist zu gross. Fast jeder Gegenstand der praktischen Studien verlangt eigene Beobachtung, eindringende Ab- wügung der Gründe, Erkenntniss der Gesetze und der Ausnahmen, so- wie Uebung der manuellen Hülfeleistung.

Für wahrhaft geniale Naturen giebt es keine Anleitungen; diese gelangen auf ihren selbstgewählten Bahnen, durch ihre wunderbaren gei- stigen Anlagen und ihren Erfindungstrieb, zu ungeahneten Resultaten.

Der Einzelne bleibt um so mehr darauf angewiesen selbst den

rechten Weg zu suchen und zu finden, da ihm derselbe nicht selten durch unverhoffte Hindernisse erschwert wird.

Man sagt, ärztliche Belehrung könne nur aus dem Borne der Er- fahrung geschöpft werden; wie aber, wenn der Zugang zu demselben versperrt wird?

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÁMPFER etc. 185

Die reichhaltige am Krankenbette gewonnene Literatur nützt nur, wenn ihre Angaben allgemein verständlich bleiben und die darin empfoh- lenen Gaben der Mittel ebenso zu gebrauchen sind. Das ist aber bei neuen Gewichtsbestimmungen nur mit Mühe möglich.

Wer, wie das Gesetz vorschreibt, mit dem Grammgewichte sich beschäftigt, verliert das Interesse am bisherigen, allein üblichen Medici- nalgewichte, und wird er in Vergleichung beider schwankend und un- sicher, so entsteht ein Misbehagen, das vielleicht zur Abneigung gegen die sonst gefeierten gedruckten Führer und Rathgeber sich ausbildet.

Die Engländer, welche wiederholt die Frage in Ueberlegung zogen, ob Beibehaltung des Medicinalgewichtes oder Annahme des Grammge- wichtes, erklürten sich für die erstere und strichen blos Drachmen und Scrupel, indem sie sich auf Unzen und Gran beschrünkten. Mit dieser Aenderung wurde das Verhältniss und die Benutzung der früheren Beob- achtungen wenig beeinflusst.

Bei unsern Praktikern ist zu befürchten, dass ihnen durch das neue Gewicht die ülteren guten Schriften über Heilung der Krankheiten noch mehr als bisher entfremdet werden.

Die Chemie, welcher das Grammgewicht bequem und nothwendig geworden, hat dadurch, dass sie dieses auch auf die Medicin übertrug, einen neuen Triumph über diese davon getragen, jedoch zum grossen Nachtheil der Ausübung. Sie verwandelte damit die Apotheke zu einer Art von chemischem Laboratorium, was jene nicht ist, da sie nur der Kunst des Arztes, nicht der Wissenschaft dienen soll.

Lüsst man den Lebenden und der Gegenwart das volle Recht an- gedeihen, so darf man auch gegen die Vergangenheit kein Unrecht be- gehen. Die Unbekanntschaft mit dem bereits Gewonnenen zwingt immer von vorn anzufangen und unterhält nur bei Unkundigen den Glauben an Fortschritt.

Phys. Classe. XVIII. Aa

186 K. F. H. MARX,

Anhang.

Die klassischen Studien haben früher die Aerzte von beengenden scholastischen Glaubenssätzen befreit, zum Selbstdenken und Selbstforschen veranlasst und ihnen das Bedürfniss hóherer Bildung eingeflósst.

Diese gesunden Lebenskeime besitzen ihre eingebornen wohlthätigen Kräfte noch ungeschwächt fort, denn in der Regel offenbart der, welcher durch die Elemente des Alterthums mit entwickelt wurde, eine hóhere Ansicht des Lebens, reiferes Urtheil und edlere Haltung.

Geschieht die Lectüre jener Autoren aus eigener innerer Neigung, mit gehórigem Verständnisse der Sprache und offnen Sinnen, so fühlt sich Gemüth und Geist gehoben; der Gesichtskreis erweitert sich; das unbestimmte zerstreute Suchen nach Aufklärung concentrirt sich; die sich mehrende Fülle klarer Vorstellungen und Einsichten verdrängt schwankendes Meinen und Wollen; für Gemeines und Kleinliches er- stirbt die Empfünglichkeit; es entsteht mehr oder weniger eine ideale Stimmung; der Charakter erstarkt. 7e

Unwillkürlich regen sich höheres Selbstgefühl, Sinn für Unabhän- gigkeit und Freiheit, Achtung vor dem Ueberlieferten, dadurch auch rücksichtsvolles Benehmen und Billigkeit gegen Mitlebende, Anerkennung wirklicher Verdienste, Trieb nach umfassender, gründlicher Bildung.

Die Eindrücke der durchgemusterten reichhaltigen Werke, der ge- schilderten grossen Männer und Thaten, sowie der dargelegten edlen Gesinnungen und Grundsätze drängen zur Nacheiferung; der ganze Mensch wird wie von einer höheren Weihe umfangen, von einem Sehnen nach schaffender Thütigkeit, nach Gedankenerleuchtung, tieferem Erkennen gehoben. Angelegentlich wünscht er die empfangenen Lehren der Tugend

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 187

und Weisheit in sich zu verarbeiten, Wahrheit zu begreifen, durch und durch wahr zu werden, den gewählten Beruf ganz zu umfassen und ihn so sich zu eigen zu machen, dass derselbe segensreich für Viele werde.

Die Naturen sind aber sehr verschieden; es giebt auch, entgegen- gesetzt den empfänglichen, ernsten, vorwärts strebenden, gleichgültige, leichtsinnige, verneinende, in denen das dargereichte Gute, Reine, Grosse zum Gegentheil wird. Die Kunst der Verführung ist so mannigfach und mächtig, dass die nachtheiligen Einflüsse die besten Entschlüsse und Gewohnheiten umändern; dass Manche, von denen man glauben sollte, sie würden, in den begünstigendsten Umständen aufgewachsen, bei glücklichen Anlagen, mit Freudigkeit und Stolz nur höhere Ziele verfolgen, durch jene in Schlaffheit und in rohe Genüsse versinken, wobei ihre Gewissenhaftigkeit schwindet, die Sache an sich ihnen gleich- gültig wird und sie nur den Schein zu retten suchen.

Das Einzige, was solche Studierende vor zunehmender Entartung, Vergeudung der Zeit und moralischen Flecken bewahrt, ist die Furcht vor dem Examen. Ihre Besorgniss, zunüchst vor Lehrern und Commi- litonen, dann vor Eltern und Verwandten als Unwissende oder gar als Abgewiesene zu erscheinen, wird zum Motiv, dass sie stossweise sich zusammennehmen, um gegen eigene Schwäche und fremde böse Einflü- sterungen anzukämpfen und den Versuch zu machen, wenigstens ober- flächliche Kenntnisse durch Nothhelfer zu erlangen.

So nothwendig und heilsam in solchen Fällen die Examina als Verhütungsmassregeln beklagenswerther Trägheit, unbesonnener Zer- streuung und heillosen Wandels sich kund geben, so darf nicht verschwie- gen werden, dass sie selbst zu schlimmen Uebeln geworden sind.

Auf der Universität wenigstens emanirt für die Medicin Studirenden das Miasma eines verkehrten Studiums, wovon, mit seltenen Ausnahmen, fast Jeder ergriffen wird, so sehr aus dem Examinationswesen, dass der- jenige, welcher für das Wohl der betreffenden Jugend sich interessirt, nachdenken muss, was geschehen soll, um die Uebermüchtigkeit desselben und die sclavische Abhängigkeit davon abzuändern.

Sowie es jetzt mit der dadurch bedingten einseitigen, jedes wahre Aa2

188 K. F. H. MARX,

wissenschaftliche Treiben untergrabenden Richtung der Studien sich verhält, kann und darf es nicht bleiben.

Ehemals richtete sich der Anfänger, damit eine sachgemässe Auf- einanderfolge der Wissens-Gegenstände beobachtet werde, nach der Anweisung gedruckter Methodologieen, oder er befragte ältere erfahrene Männer und Lehrer; er besuchte in den ersten Semestern die eine und andere Vorlesung über Philologie, Philosophie, Psychologie, Geschichte, Mathematik etc., doch davon ist keine Rede mehr, das ist ein überwun- dener Standpunkt.

Der Immatriculirte erkundigt sich nach den Examinatoren seines Fachs; diese merkt er sich als legitime für den Zeitpunkt, wo er Nei- gung fühlen sollte zu belegen, womit er sich nicht zu beeilen pflegt. Geschieht dieses endlich beim Quästor, nicht bei den Lehrern, so wählt er solche Collegia, die ihm von Bekannten als durchaus erforderliche bezeichnet werden, weil sie geprüft werden. Dass nur solche Lehrer Gnade finden, welche damit beauftragt sind, versteht sich von selbst. Diese Begränzung wird als Methode mit jedem fortschreitenden Semester consequent eingehalten.

Mag in einem Nebenfache ein noch so anziehender Docent interes- sante Vorträge ankündigen, für den Mediciner existiren sie nicht. Aus eigenem Antriebe einen Klassiker zu lesen scheint Sache der Unmöglich- keit. Fände sich Neigung dazu, so verlangt die Befriedigung Verbor- genheit, um nicht ausgelacht zu werden.

Nur für das Examen wird studirt, darum auch auf Privatissima der grösste Werth gelegt. Diejenigen, welche mit den in den Prüfungen am häufigsten vorkommenden Fragen sich bekannt machen, gelten als unentbehrliche Stützen, zumal in den Schlusssemestern. Bei ihnen ver- säumen selbst die Unfleissigsten keine Stunde.

Hat ein Lehrer Jahre hindurch keine Vorlesung zu Stande gebracht, blieb sein Name den Studierenden völlig unbekannt, sowie er zum Exa- minator ernannt wird, muss er sich nach einem geräumigen Hörsaal umsehen, denn, wenn auch nicht sein Ruhm, doch seine Macht gem von Mund zu Mund.

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 189

Ob nach überstandenen Prüfungen die in diesen verlangten viel- artigen und speciellen Wissenszweige fortcultivirt werden, ist mehr als zweifelhaft, weil durch Sättigung Abneigung entsteht und durch das Verlangen nach Erholung eine verkehrte Neigung und Beschäftigung befriedigt wird.

Dem streng wissenschaftlichen Studium geschieht von anderer Seite insofern Eintrag, als Viele, welche der klassischen Bildung bar sind und für ihren Lebensberuf sich gar nicht darum zu kümmern brauchen, akademische Bürger werden können. Deren Einfluss ergiebt sich für die, welche höhere Aufgaben verfolgen sollen, um so weniger günstig, als jene grossentheils in glücklichen äusseren Umständen sich befinden, ge- sellschaftliche Talente besitzen und deswegen zum Umgange gesucht werden.

Um den mannigfachen Gefahren, welchen der auf umfassende Studien angewiesene Jüngling ausgesetzt ist, vorzubeugen, ist darum nicht genug darauf zu sehen, dass schon auf der Schule für das Wissen erleichternde, für das Wollen beschützende Massregeln getroffen werden.

Bei dem erstaunlichen Umfange des medicinischen Studiums wäre es von Wichtigkeit , wenn die zur Universität abgehenden bereits gute Vorkenntnisse aus dem Gebiete der Naturwissenschaft, der Mathematik, Physik und Chemie mitbrüchten und zur Schürfung sinnlicher Auffassung Anleitung erhalten hätten. Da aber dadurch nur Hülfsbedingungen ge- liefert werden zur Lösung der eigentlichen humanen Aufgabe, so sind diejenigen Vorbereitungs-Anstalten dennoch die angemessensten, wo die Lehrer, erfüllt von der einfachen Auffassungs- und Darstellungsweise des klassischen Altertl , in diesem Geiste wirken und sich bemühen darnach ein festes Fundament einer umfassenden Durchbildung zu legen.

Zwischen dem durch treues Aufmerken noch so vollstándig ausge- rüsteten und dem humanistisch entwickelten Arzte zeigt sich in der Beobachtung wie in der Behandlung der Kranken häufig ein Unterschied: bei jenem pflichtschuldiges, gewissenhaftes , regelrechtes Ueberlegen und gewandtes Thun, aber mehr in der Weise des Technikers, ohne geniale Eingebung und eigenmächtige Entschliessung; bei diesem scharfes indivi-

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duelles Auffassen, selbständige Deurtheilung, seelenvolle aufopfernde Theil- nahme, sichere Bewegung im ganzen Gebiete der Kunst.

Hoffentlich lassen sich bald befáhigte Berather vernehmen, wie dem beklagenswerthen Zustande des jetzigen medicinischen Studiums, sowie der Beeinträchtigung der academischen Freiheit, abgeholfen werden könne.

Verbesserungen der gerügten Uebelstände sind vielleicht zu erwarten, wenn die Vorschriften der für Alle gleichartigen Studiendauer und das Einreichen der Belegbücher aufgehoben werden.

Der Zwang ist zu beseitigen, die Selbstbestimmung zu erleichtern, denn in ungehinderter Bewegung entwickeln sich die Kräfte am sicher- sten. Bei Lernfreiheit wird in der Regel der Weg zur Fortbildung der Anlage, dem Talent und dem Eifer entsprechend gewählt.

Dass, um zur Prüfung zugelassen zu werden, der musterhaft fleissige bis jetzt ebenso lang zu warten hat als der notorisch faule, ist nicht zu rechtfertigen.

Die Nachweisungen, ob, welche und bei wem, Vorlesungen besucht wurden, sind durchaus für überflüssig zu erachten. Gleichviel, ob die erforderlichen Kenntnisse vom Autodidakten oder unter Anleitung frem- der, unbekannter Lehrer erworben wurden; nur die Frage bleibt zu ent- scheiden, ob sie vorhanden sind.

Man beschrünke die Zahl der zu prüfenden Gegenstünde, und lasse ab von der Forderung, dass der künftige praktische Arzt Mineralog, Botaniker, Zoolog, Physiker, Chemiker sey.

Nach dem abgelegten Tentamen ist auf diese Wissenszweige nicht mehr zurück zu kommen.

Das eigentliche Facultits Examen, das Rigorosum, in seiner prak- tischen Erweiterung zugleich auch Staatsexamen, umfasse alle Fücher, welche zur wissenschaftlichen Beurtheilung und Behandlung der Kranken, sowie zur umsichtigen Ausarbeitung gerichtlicher Gutachten, unerlässlich sind. Wer dasselbe bestanden, dem gestatte man durch eine vorgelegte selbstverfasste genügende Abhandlung den Doctor Grad zu erlangen.

Den gróssten Werth lege man auf die Beweise deutlicher, klarer Begriffe, auf Entwicklung der Gründe des therapeutischen Verfahrens,

KASPER HOFMAN, EIN DEUTSCHER KÄMPFER etc. 191

auf Darlegung des wesentlichen Inhalts und inneren Zusammenhangs der verschiedenen Lehrgegenstände.

Das blos mechanisch auswendig Gelernte, Unsicherheit in der Be- urtheilung nothwendiger Einsichten, nicht vollständig erworbene Fertig- keiten sind in ihrer Leerheit und Unbrauchbarkeit bemerklich zu machen.

Als unbefähigt ist ein solcher zurück zu weisen, dem die einfach- sten Vorgänge fremd geblieben, der verworrene Vorstellungen von den Naturobjecten hat, arge Verwechslungen begeht und selbst in Betreff des Gedächtnisses so vernachlässigt erscheint, dass er in unerlässlichen Wis- senstheilen aufs Rathen sich verlässt.

Erweist sich dagegen einer in seinen Antworten ruhig überlegend, als Selbstdenker und in dem mannigfach Erlernten so bewandert, dass er dieses wie ein organisches Ganze sich aneignete; trifft er am Kran- kenbette, nach eingehender Untersuchung und strenger Unterscheidung, das Richtige, besitzt er eine gewandte Uebung in den Handthierungen, und erscheint er zugleich klassisch gebildet, selbst der Geschichte nicht unkundig, so werde diesem eine besondere Anerkennung auch insofern bewiesen, dass sein Doctor-Diplom, wenn man auch sonst keine Grade des bestandenen Examens mehr ertheilt, mit den Worten ‚„examine summa cum laude superato“ geschmückt werde.

Da die Wissenschaft keinem äusseren Gebote unterliegt, so dürfen auch die Jünger derselben, um sie zu erlangen, durch unnöthige Vor- schriften und Gesetze nicht gebunden werden.

Bei ihrer Absicht, für hohe Aufgaben sich auszubilden, mögen sie aus eigener Ueberlegung die Bedingungen in sich aufsuchen, welche jene zu vermitteln vermögen.

Sie werden das auf den Schein Berechnete, das Halbe meiden, so- wie sie zur Einsicht gelangen, dass die Lüge zum Sclaven erniedrigt, die Wahrheit aber frei macht.

Wird ihr Wille nicht weniger entwickelt und gekräftigt als ihr Verstand, so ist zu erwarten, dass das eigene Gewissen, das Gefühl für Ehre und Pflicht treu mithelfen.

Darum ist schon früh Alles aufzubieten, um jedem die Achtung

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vor sich selbst einzuflóssen und ihn in eine geistige, ideale Richtung zu leiten, damit der Anlage zum niedrigen egoistischen Treiben entgegen gewirkt werde.

Dem Universitütslehrer ist es zwar nur wenig vergónnt, bildnerisch zu verfahren, weil die Lebensgemeinschaft mit den Studierenden zu locker ist, jedoch auch ihm kann es glücken reine Gemüther zu erwürmen, befruchtende Keime für die Zukunft in sie zu legen, für grosse Ziele sie zu begeistern

Möge das Vertrauen in den guten Willen der Medicin Studirenden durch ernste Bestrebung und Erwerbung einer universellen Bildung ge- rechtfertigt und ihr Dank für Entfernung lästiger Beschränkungen durch eine nach Recht und Pflicht dauernde Verehrung und gewissenhafte Pflege ihrer preiswürdigen Kunst bezeugt werden. Das Ziel wird um so sicherer zu erreichen seyn, wenn die Lehrer ihnen nicht blos als Meister des Fachs, sondern als Muster humaner und humanistischer Bildung voranleuchten.

ABHANDLUNGEN

MATHEMATISCHEN CLASSE

KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN.

ACHTZEHNTER BAND.

Mathem. Classe. XVIII.

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Hamilton - Jacobische Theorie für Kräfte, deren Maass von der Bewegung der Körper abhangen

Ernst Schering.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. am 1. Novemb. 1873.

Hamilton führt durch seine zuerst im Jahre 1834 veröffentlichte neue Methode der Behandlung einiger mechanischen Probleme bekanntlich die Aufgabe der Bestimmung der Bewegung auf die Integration einer partiel- len Differentialgleichung erster Ordnung zurück und erreicht dadurch eine besonders einfache Form der Differentialgleichungen für die Elemente ei- ner durch sogenannte Störungskräfte beeinflussten Bewegung. Jacobi hat den Grundgedanken dieser Theorie in einer einfacheren Form aufge- fasst, die Anwendbarkeit der Methode verallgemeinert und dadurch in diesem weiten Gebiete der analytischen Mechanik eine vollständige Neuge- staltung der Behandlungsweise geschaffen, welcher auch die Herrn Riche- lot Liouville Bertrand Donkin Lipschitz neue Entdeckungen hin- zugefügt haben.

In den vorliegenden Blättern werde ich diese Methode in der Form darstellen, dass ich als Ausgangspunkt die Aufgabe betrachte, für die Veränderlichen, die den bekannten Differentialgleichungen für die Bewe- gung zu Grunde liegen, andere von der Beschaffenheit einzuführen, dass die zwischen ihnen sich ergebenden Gleichungen eine analog einfache Form erhalten wie die ursprünglichen sie besitzen. Die Bedingungsglei- chungen für eine solche Substitution lassen sich in besonders einfacher Form darstellen, wenn man allgemeine von der die wirkliche Bewegung

darstellende nach der Zeit genommenen vollständigen Differentiation sp A2

" ERNST SCHERING,

wie von der die virtuelle Bewegung darstellende Variation verschiedene Differentiationen zu Hülfe zieht. Die Theorie dieser canonischen Substi- tutionen ihre Anwendung auf die Integrationen der Bewegungsgleichun- gen auch für die Einwirkung von solchen Kräften, deren Maass nicht nur von der gegenseitigen Lage der Kórper sondern auch von deren Ortsünde- rung abhangen, so wie ferner die Eigenschaften der im Artikel IX. aufge- stellten allgemeinen Gleichungen für die Variationen der Elemente dann der daraus sich als specielle Fálle ergebenden von Lagrange Poisson Hamilton und Jacobi gefundenen Gleichungen habe ich zuerst im Som- mersemester 1862 in meinen academischen Vorlesungen mitgetheilt.

Die folgenden Blätter enthalten ausser diesen Untersuchungen noch eine Ableitung der Hamiltonschen Gleichungen aus dem Gaussischen Princip des kleinsten Zwanges. Eine andere Abhandlung wird sich mit dem Nachweise der Existenz einer normalen Form für jede canonische Substitution mit den nur theilweis gegebenen Substitutionen und mit den Differentialdeterminanten der canonischen Veründerlichen beschäftigen.

Prineip des kleinsten Zwanges.

Unter den verschiedenen Grundgesetzen der Mechanik besitzt das Gaussische Princip des kleinsten Zwanges mehrere Vorzüge. Es gilt in ganz gleicher Form für die Bewegung wie für die Ruhe, ferner für solche Bedingungen und Beschränkungen der Bewegungen , dass die jeder mög- lichen Bewegung entgegengesetzte gleich möglich oder nicht gleich möglich ist. Es reicht auch vollständig hin, die Bewegung in allen solchen Räu- men zu bestimmen, in welchen das Quadrat des Längenelementes durch einen homogenen Ausdruck zweiten Grades der dem Längenelemente ent- sprechenden Differentialen von den Coordinaten dargestellt wird.

Gauss spricht sein Princip in folgender Form aus, Bd. V seiner Werke:

Die Bewegung eines Systems materieller, auf was immer für eine Art unter sich verknüpfter Punkte, deren Bewegungen zugleich an was immer für äussere Beschränkungen gebunden sind , geschieht in jedem Augenblick in mög-

HAMILTON - JACOBISCHE THEORIE. 5

lich grösster Uebereinstimmung mit der freien Bewegung, oder unter möglich kleinstem Zwange, indem man als Maass des Zwanges, den das ganze System in jedem Zeittheilchen erleidet, die Summe der Producte aus dem Quadrate der Ablenkung jedes Punkts von seiner freien Bewegung in seine Masse betrachtet.

Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Bestimmung der Bewe- gung von Körpern der äusseren Natur bedarf also noch der Kenntniss der Bewegung eines einzelnen freien Massentheilcehens. Die hierfür geltenden Gesetze ergeben sich aus der Natur der Körper und aus der Art der Wir- kung der vorhandenen Kräfte, sind also wesentlich physikalische. Die all- gemein gültigsten und an den übligen Begriff von Kraft sich anschliessen- den sind die beiden folgenden Voraussetzungen:

Ein einzelnes frei bewegliches Massentheilchen , auf welches keine Kraft wirkt, bewegt sich in einer kürzesten Linie des Raumes und mit unveränder- licher Geschwindigkeit, beschreibt in gleich grossen Zeitabschnitten gleich grosse Wegstrecken. *

Ein einzelnes frei bewegliches Theilchen mit der Masse m, welches au- genblicklich noch keine Bewegung hat aber unter der Einwirkung einer Kraft R steht, wird eine Bewegung beginnen in der Richtung der Kraft R und mit der Beschleunigung gleich z wird also in jener Richtung während des nächsten Zeitelements dt den Weg +d P zurücklegen.

Diese beiden Gesetze für sich bestimmen noch nicht die Bewegung eines freien Massentheilchens unter der Voraussetzung einer anfängli- chen Bewegung und der gleichzeitigen Einwirkung einer oder mehrerer Krüfte; aber mit Zuhülfenahme des Princips des kleinsten Zwanges in seiner allgemeinsten Deutung lassen jene Fülle sich erledigen. Nach Zu- lassung des Princips ist man auch berechtigt bei der Bestimmung der Be- wegung eines Systems irgend eine Gruppe der gegebenen freien Bewegun- gen durch solche andere fingirte freie Bewegungen und die gegebenen Be- dingungen und Beschrünkungen für die Bewegung des Systems durch solche andere gedachte Bedingungen zu ersetzen, so dass die Bedingungen im Ganzen bestehen bleiben und die aus diesen fingirten freien Bewegun- gen resultirende Bewegung des ganzen Systems dieselbe wie die aus jener

Gruppe von freien Bewegungen resultirende des ganzen Systems wird.

6 ERNST SCHERING.

Eine der fruchtbarsten Art der Anwendung dieses Verfahrens besteht darin, dass man sich die einzelnen Massentheilchen m wieder in kleinere Massentheilchen m, m,,.. zerlegt denkt; so dass m = mo-m--.. wird, und zu den vorhandenen Bedingungen noch die neuen hinzutreten lässt, dass m,, m, .. untrennbar mit einander verbunden bleiben. Irgend eine dem Massentheilchen m innewohnende freie Bewegung kann dann durch eine einem beliebigen der Theilchen zum Beispiel m, zugeschriebene be- stimmte freie Bewegung ersetzt werden.

Die Lage eines Punktes des Raumes, worin die Bewegung vor sich gehe, sei gegeben durch die Werthe der von einander unabhüngigen Ver- änderlichen &,, z,,.. z,... Von dem Punkte z,, z,,.. ,نه‎ . . seien kür- zeste Linien gezogen nach dem Punkte z,-]-dz,, v,--da,,.. æy حل‎ Uay.. und nach dem Punkte z,-F-óz,, ,رمه عليه‎ . . 4, Sry... und von die- sem letzteren Punkte eine kürzeste Linie nach der zuerst genannten Linie oder nach deren Verlängerung so wie der Treffungspunkt der letztern con- struirt. Die von dem Punkte x nach diesem Treffungspunkte gezogene kürzeste Linie heisse die Projection der von æ nach :وول ل ابم‎ Linie auf die von x nach z-J-dz gezogenen Linie und werde als positiv betrachtet, wenn die Projection und diese Linie nach derselben Seite hin liegen, negativ wenn nach entgegengesetzten Seiten. Das Product der Länge der Projection multiplieirt in die Länge dieser Linie werde mit D bezeichnet und sei gleich

LX, da, a, worin X,, von der Beschaffenheit des Raumes und der gewühlten Coordi- naten ريض‎ v, . . abhangen, allgemein der Bedingung X,, X,, genügen und allein Functionen von z,, 4,.. aber nicht von dz,, dz,.. 02, 02, .- sind, worin ferner die Summation X über so viele Werthe 1,2,3.. der Indices hund k sich erstreckt, wie der Raum Dimensionen hat. Fällt der Punkt z-|-dz mit بون لدم‎ zusammen so geht jener Ausdruck in

2X, da,dz,

über, welcher mit 2 bezeichnet werden soll und das Quadrat der Länge der

PRINCIP DES KLEINSTEN ZWANGES. -

vom Punkte x nach #-+dx gezogenen Linie bedeutet also bei beliebi- gen dz immer einen positiven Werth annimmt.

Die Länge einer Linie, deren Punkte durch Werthe der z,, ,..,.. als Functionen Einer unabhängigen Veränderlichen gegeben sind, ist gleich

[NZ Xd, da)

dieses Integral muss also für eine kürzeste Linie, die durch zwei feste Punkte, welchen die constanten Grenzwerthe des Integrals entsprechen, zu einem Minimum werden. Bezeichnet die Variation ò eine beliebige Um- formung der Functionen z,,,.. @,.. so müssen für eine kürzeste Linie zwischen diesen Veründerlichen solche Relationen bestehen, dass sich òy 2 auf ein vollständiges d Differential reducirt. Esist nun, wenn man in dem obigen Ausdruck D die ö Differentiation in demselben Sinne nimmt wie hier die Variation, yt- da = ا‎

= VEZ OX: dz; ٠ 0 سب يتك‎ JE (X, dz,). 02, سل‎ p EX, de on, also dieser Ausdruck, welcher von den òx und nicht mehr von deren Dif- ferentialen 842 abhangt und von yT sich nur um ein totales Differen- tial ds unterscheidet, muss für eine kürzeste Linie verschwinden.

Ist diese die Bahn eines frei beweglichen Massentheilchens und ` betrachtet man bei der d Differentiation die Zeit als die einzige unabhän- gige Veränderliche und deren Differential df als constant, so wird YT gleich der Geschwindigkeit multiplieirt in dt, demnach dyZ gleich der Beschleunigung multiplicirt in dë, also, wenn das Massentheilchen sich frei ohne Einwirkung von Kräften. bewegen soll, muss nach dem Grund- gesetz 00/2 = 0 und zufolge der obigen Gleichung demnach auch

10€ —d$5 = 0 werden für jedes beliebige Werthensystem der óz,, ó2,.. 0z,... und unter andern auch für de, = de,, da,=da,, òx, = da, so dass die vorhergehende Gleichung dy = 0 als specieller Fall wieder entsteht.

: ERNST SCHERING,

Die von dem Zustand der Ruhe ausgehende durch eine Kraft R her- vorgebrachte Bewegung eines Massentheilchens m während des ersten Zeitelementes kann man nach dem Grundgesetz als zusammenfallend betrachten mit dem ersten Theile einer von dem Punkte x nach بهل كت‎ gezogenen kürzesten Linie, wenn sie mit der Kraft R gleiche Richtung hat. Diese Bedingung lässt sich analytisch, wie leicht aus der Bedeutung der hier gewühlten Bezeichnungen hervorgeht, dadurch darstellen, dass = die Länge der Projection einer von dem Punkte «,, v,, 2, .. einem beliebigen unendlich nahe liegenden Punkte z,-L-ó4,, æ, رهق سل‎ ديه‎ 62, ..gehenden sogenannten virtuellen Bewegung auf die Richtung der Kraft R bezeichnen soll also dasjenige, was man die in der Richtung der Kraft R von dem Massentheilchen m ausgeführte virtuelle Bewegung ôr zu nennen pflegt. Nimmt man wieder die Zeit t als unabhängige Verün- derliche der Differentiation d und ferner constant, so bedeutet y das Product der Geschwindigkeit multiplicirt in wird also nach dem Grund- gesetz für den Anfang der Bewegung t = t, zu Null, was nicht anders stattfinden kann, als wenn für diesen Zeitpunkt die Derivirten od we. verschwinden. Unter denselben Voraussetzungen wird 01/2 dem Pro- ducte der Beschleunigung multiplieirt in di? also nach dem Grundgesetze dem Werth von Zar gleich. Multiplicirt man die obige allgemeine Glei- chung für eine kürzeste Linie mit yT, so erhält man hier:

nach

162 —d9--ayz = —2 X, ddz,.0z,-- órz df 0,

dy£ Zar, pee. mo, da a

er ug yu. für T ——

für beliebige öx,, óz,,.. als Gleichungen zur Bestimmung der vom Zu- stand der Ruhe zur Zeit ¢ = t, ausgehenden Bewegung, welche die Kraft R in dem frei beweglichen Massentheilchen m hervorbringt.

Indem wir uns nun zur Untersuchung eines beliebigen Systems von Massentheilchen wenden, bezeichnen wir für das einzelne Massentheilchen m mit 2, ®, 2,.. die Coordinaten und betrachten die Differentiation d als auf df bezüglich und zwar als diejenige Aenderung der Grössen, wie sie in Folge der Bewegung wirklich entsteht, Jedem Massentheilchen m mag

E = Aci 1 =

PRINCIP DES KLEINSTEN ZWANGES. 9 eine Bewegung innewohnen, vermöge welcher es, wenn es von diesem Zeitpunkte f an frei wäre und von keiner Kraft eine Einwirkung erlitte, sich während der Zeit dt von dem Punkte z, nach dem Punkte

: 1

dy, H-$d, 0,2, 3-75 d, tt <°‏ سل يرنه

bewegen würde, für welchen +T, d, D, —0

bei jetzt ganz beliebigen S7, wird, wenn nemlich mit T, und D, die- jenigen Ausdrücke bezeichnet werden, welche entstehen, wenn die Diffe- rentiation d im Sinne von d, und zwar für verschiedene Massentheilchen m auch wieder beliebig verschieden genommen wird. Auf jedes Massentheil- chen m wirke je eine besondere Gruppe Kräfte R, R, . welche, wenn sie einzeln für sich auf m wirkten und letzteres augenblicklich im Ruhe-

zustande aber frei beweglich wäre, je nach dem Punkte s, +de, +44, de, + d?z,4-..

oder : 2, سل‎ dz, - 1d d, v, + 75, *,4- - ٠

etc. treiben würden, worin

7 10 R, AN.

1 d, 4 ^x dv p رق‎ dd, a, tèr, PR c0 AE e l E

u d,D, ou dy, Jas TUER LX d dz, 0z, J- 0r Zi = 0

und entsprechend für die übrigen Kráfte ist.

Jedes Massentheilchen m werde in kleinere Massentheilchen m, m,.. beliebig für jedes einzelne m zerlegt, so dass also zu den ursprünglichen Bedingungen noch die neue hinzukommt, dass je m, M, ., welche die Theile mit einander fest verbunden sein sollen. Wir wollen annehmen, dass die Grössen (m, m,), SO bestimmt seien, dass ps für die ganze Bewegung denselben Erfolg habe, ob der Masse m eme ihn, wenn er frei und keinen Kräften ausge-

B

einer Masse m ausmachen,

Bewegung innewohnt, die Mathem. Classe. XVIII.

10 ERNST SCHERING,

setzt würe, nach dem eben angegebenen Punkte brüchte, oder ob den Theilen m, m,.. keine Bewegung innewohnt, dagegen dem Theile m, eine solche, so dass, wenn dieser sich frei bewegte, er nach dem Punkte

a, سل‎ (m, m), (doa, 4-3 d d 2, +, + .]

gelangen würde, ferner mógen ( mss (m, m,), .. der Art bestimmt sein, dass die Einwirkungen der Kräfte R, R, auf die Massen ersetzt werden durch Kräfte, welche auf die einzelnen Theile m, m,.. allein wirken, so dass diese bei freier Bewegung einzeln je nach dem Punkte !

„+ (m, m), (do, +4 dde toii SS

c und dem Punkte

y (m), (d,2, ++}

gelangen würden. Die wirklich ausgeführte Bewegung bringe die Masse » also jeden seiner Theile m, m, m,.. von dem Punkte z, nach

a, حل‎ da, 2-4 dda + IP.

irgend eine andere mit der innern Verknüpfung der Massen und mit den

Bedingungen und den äussern Beschränkungen vertrügliche Lage des Sy- stems können wir dann in der Weise darstellen, dass die Masse m aud also jedes seiner Theile m, m, m,.. den Ort

v, ونه حل‎ --dz,

einnehme, so dass, weil 6 und d unendlich kleine Aenderungen bedeuten, auch der Ort

æ Hir,

für die Masse m ein mit den Bedingungen verträglicher ist. Diejenigen Differentiale der Coordinaten, welche der Abweichung irgend einer mög- lichen von der freien Bewegung der Theilchen entsprechen, werden also

PRINCIP DES KLEINSTEN ZWANGES. 11 für m, (m, my, (du, ل حك‎ d, d o, حلت‎ . .) (02, do, سك‎ dd, 4- . .) für m, (m, m) (d,z, حل‎ +d dx, +.) (62, Hdr, 4-4 ddz, 4- . .) und so fort also nach der für den Raum und diese Coordinaten gemachten Voraussetzung das Quadrat dieser Abweichung für m, X, f(m, mo), (doz, 3-3 d, d, v, t SE (62, سك‎ dz, 4-3d dz, + ا‎ x f(m, my, (du, 4-4 d, d, a, حلب‎ ٠ )— (02, +de, 4-43 dd 2, +. .)] für m, = È X, {(m, m), (d.a, سكل‎ 4d, + ..)— (02, سك‎ dv, سل‎ + dde, +. )] <> x [(m, m), (dz, 4-1 ينك رك ب‎ +- )— (62, tde, ++dda,- c)

also das Maass des Zwanges für diese Bewegung gleich

2 [m > X, im. m,), (d, 4-4 d, doa; +. -) £2, سل‎ de, 4-14 dn, + - )] <> x f(m, mut RIDE )— (02, 4- dz, سل‎ 3d da, 4- . )]

+m IX, ‚|(m, m y (d, æn + +4,42, +. )— (8m, +de, 4-4 dde, حك‎ . )] < = x [(m, m.), (d, a, حك‎ ee .)— (£,-1- da, 4- 3d d, +. Jl

Nach Gauss Princip sind die dz, und dda,.. so zu bestimmen, dass dieser Ausdruck unter allen möglichen Werthen der òr, seinen kleinsten Werth für da, = 0, Öz, = 0 .. 02, = 0 annimmt, also dass, wenn man diesen Audi nach Potenzen von den Oz entwickelt, die

sich ergebende Summe der linearen Glieder nemlich

—2XYX,|m,(m,m,) (dz, 4-3 d dye, + - -) 35 +m (m, m), ( (da, سل‎ d, d, e+.) m(dz, 4-1 dda, . J|,

worn m,-|-m--m.--.. durch m ersetzt ist, nie negativ wird. 0 4 0 B2

12 ERNST SCHERING.

Die noch unbekannten (m,m,),, (m, m),.. ergeben sich durch die Betrachtung, dass, wenn deraus m,, m, m,,.. bestehende Massenpunkt m für sich frei würe und von keiner Kraft eine Einwirkung erführe also sich nach

æ; + dz, سل‎ 1 dd, +, = d'r +. = x Fade tH d, dst, SET rd) a.

bewegen würde, er dahin auch gelangen müsste, wenn von seinen mit ein- ander fest verbundenen Theilen nur m, eine freie Bewegung nemlich nach

æ, + (m, m (dz, ++4,d,0, سل‎ 3.3 d,' sat. )

dagegen die übrigen Theile keine freie n besässen also

dz,--41dda cui gd, a, +... = 0 für alle Å sein müsste. Nach dem Princip des kleinsten Zwanges darf dann also 22 Xy Im, (m, m,), (dog, حك‎ 4 d, dz, +. .) —m (do, سك‎ 4 ddz, +. .)]8z,

für kein Werthensystem -+-ö2,,..--62,.. negativ werden, muss also 0 sein. Hierin ist der Factor von X107, nur ein besonderer Werth von r,» er muss also, da für diesen besondern Fall die Summe propor- tional dem Quadrate eines Längenelementes im Raume wird, selbst 0 sein, es entsteht daher mit Hinzuziehung der obigen Gleichung die Re- lation m, (m, my), (dm, حك‎ 4d, d, حل‎ . .) = m (dz, -43dda, +...) = m(d,@,+4d,d,2,+ . .) demnach ist (m, mo), = =

Durch gleiche Betrachtungen ergibt sich mm). mm) 2.

Nach Einsetzung dieser Werthe nimmt die in dem Maasse des Zwanges enthaltene Summe der in Bezug auf ة‎ linearen Glieder die Form an:

PRINCIP DES KLEINSTEN ZWANGES. 13 —2XmX,|(d,4-1d,,7,- . ) + (da, 4-1 dd a, + -)+.+- m : (da, + $d dz, سك‎ - -)]2, dz, d;t

In diesem Ausdrucke sind noch ir EO سيت‎ a.. für alle In-

dices A. Bestehen keine solche innere Verknüpfungen der Massen und äussere Beschränkungen der Bewegung, welche eine Unstetigkeit in der Grösse oder Richtung der Bewegnng veranlassen, so wird

dz, => da, für alle Indices A und alle Massentheilchen m.

Es reducirt sich also der in 6x lineare Theil des Maasses des Zwan- ges auf

—2XmX,, (43d, dv, 4-$d,d,z,4-3d,d,v,-- -. —1dda,)6a, m Ak

oder, wenn man berücksichtigt, dass nach dem Obigen

20T, —4,D, = 2X, dot, dr, 24% "Tr Ò Xm ZX 14, d d e, 0, 0

i02 —49,- QV 3, = —LX,44 bz, d- ór b ae o

D R, سے‎ tT,- aD, + JE, da E, ee LX, d,d,z,O2,-- Or, rd Hr

40T —dD —4 Z0X,,.de,.da, dX, dz, bz, n X, 002,82, سے‎ FEX, don, d,7, Eu Kg don, $2,— È X „dde òr, ist, auf Xm(402 —d9) ÈR, ôr, da? oder = : = PYpnEX, de da, FdEnT Xda, 8e, “رب‎

Welcher Ausdruck also für eine stetige Bewegung der Massentheilchen m

14 ERNST SCHERING.

nie negativ werden darf, wenn nemlich z, die Coordinaten von m zur Zeit t dagegen 4, Hda, +4dd, + —— d'z,4- . . die Coordinaten des m zur Zeit t-|- dt sind und t,t Oz,

solche Coordinaten des m bedeuten, welche eine Lage dieser Massentheil- chen bestimmen, die nach den gegebenen innern Verknüpfungen dersel-

ben und den äussern Bedingungen und Beschränkungen der Bewegung des Systems möglich ist. Die R; bedeuten sämmtliche auf die Massen- theilchen einwirkenden Kräfte und òr, die bei den virtuellen Bewegun- gen Öz,, Öz, .. Š2, .. entstehende virtuelle Bewegung, welche der An- griffspunkt von R, in der Richtung dieser Kraft beschreiben würde.

Für einen Raum von der Beschaffenheit, dass bei nfacher Ausdeh- nung das Längenelement darin durch die vte Wurzel eines nicht reducir- baren homogenen Ausdrucks vten Grades der Differentiale der » Coordina- ten nemlich durch

y :‏ و

ve VEX, hyhy d, dar, .. de, dargestellt wird, hat die Bestimmungsweise der Bewegung mit der eben betrachteten am meisten Analogie, wenn man, mit R, die wirklichen

Kräfte und mit D die vfache über alle aus der Reihe 1.2.3 ..n genom- menen Indices A,..A, zu erstreckende Summe

LX, ik om, da, = da,

bezeichnend, den Ausdruck Im $T—dD)— IR,ör.de 1]

für keine mit den gegebenen Beschränkungen verträgliche virtuelle Bewe- gung òr, ôr, .. 62, der Massentheilchen m negativ werden lässt. Auch hier würde dann die freie Bewegung eines Massentheilchens m, auf wel-

KRAEFTEFUNCTION. 15

ches keine Kräfte wirken, mit gleicher Geschwindigkeit in einer kürzesten Linie geschehen, weil

1

i—i

óy£—d(D5.Z' )-—(l.6€—d$)2' .12م لب‎ 2-70 ist.

Sind die für die Bewegung gegebenen Bedingungen der Art, dass zu jeder möglichen Bewegung auch die in entgegengesetztem Sinne möglich ist, so muss der obige Ausdruck [1], welcher in den beiden Fällen entge-

gengesetzte Zeichen enthält und nie negativ werden darf, 0 sein.

14. Kräftefunction.

In dem obigen Ausdrucke [1] stehen die beiden ersten Glieder in der Beziehung zu einander, dass das erste Glied mit entgegengesetztem Vorzeichen genommen .0x die vollstindige 6 Variation enthült, welche in dem zweiten Gliede d$ nach Ausführung der angedeuteten Diffe- rentiation vorkommt, und umgekehrt das zweite Glied enthält die voll- ständige d Differentiation, welche in dem mit entgegengesetzten Vorzei- chen genommenen ersten Gliede nach Ausführung der 6 Variation vor- kommt. Durch diese Regel für die Bildung der Glieder ist jedes von bei- den schon durch das andere bestimmt.

Bezeichnet man alle Coordinaten x, von allen Massentheilchen m der Reihe nach mit 8, 5 S.. und setzt man allgemein

dz, : dtz arm n, 7 und die von Leibnitz für den Fall » 2 lebendige Kraft genannte Grósse

= ZM ZL Ky hh h h eed = vT $0 wird die Grundgleichung d «97 ع‎

wenn bei der partiellen û Differentiation einer Function die Gróssen E

16 ERNST SCHERING.

und E, als von einander unabhüngig betrachtet werden und in der Summe für die £ der Reihe nach alle Coordinaten von allen Massentheilchen m gesetzt werden.

Die Grundgleichung für die Bewegung wird also eine besonders ein- fache Form annehmen, wenn auch das letzte Glied 2R, r,dt' in solcher

à 0 Weise als Differenz einer totalen Variation und totalen Differentiation dar- gestellt werden kann. Für die meisten Kräfte der Natur ist, wie La- grange zuerst bemerkt hat, 2 R ôr, die totale Variation einer Function,

welche allein von den Coordinaten der Massentheilchen m und nicht von dem Bewegungszustande derselben abhangen , von dieser Function enthält also die Variation kein Differential, oder solches ist gleich 0 zu setzen. Gauss hat zuerst auch Kräfte von der Beschaffenheit betrachtet, dass ihr Maass nicht nur von der Lage, sondern auch von dem Bewegungszu- stande der Massentheilchen m abhangen. Wir wollen für die weitere Un- tersuchung voraussetzen, diese Abhängigkeit sei eine solche, so dass

È Rr,

die Differenz einer totalen Variation und einer totalen Derivirten nach der Zeit werde. Ist die totale Variation = 77 so muss die totale Derivirte nl da + Egg, Er + ..] ; dd, sein, worin ©, = -yy u.s.f. ist. Die Grösse V mag in Verallgemeinerung des von Gauss eingeführten Namens das Potential oder in Verallgemeine- rung der Hamiltonschen Bezeichnung die Kräftefunction für die gege- benen Kräfte bei der Bewegung eines Systems genannt werden. Wir wol- len unsere Untersuchung auf den Fall beschränken wo V keine höhere Derivirte als die ersten E, enthält, so dass also

2 d 07 È Ròr, == le i ge òk,

KRAEFTEFUNCTION. 17

wird und die Fundamentalgleichung [1] der Bewegung die Form LH V)-- i; pf, o [2]

annimmt. Hierin besitzt der Ausdruck (T+ 7) 2 88 die Eigenschaft, dass sein Werth ungeündert bleibt, welche im Raume feste oder bewegliche von einander abhängige oder unabhängige Coordina- ten & auch zu Grunde gelegt werden.

Bezeichnen nemlich g,, q,,..4,.. solche von einander unabhän- gige Veründerliche, so müssen die ..$,.- als Functionen von ? und den q dargestellt werden können, es ist demnach vente oder £, in worin » die partiellen Differentiationen nach f und den 4 bezeichnen und ô$ ; rt F n: is für alle Indices 7 und A von allen .. 4... unabhängig sind, so dass also allgemein

0; Bt

da 9

ist, und dadurch, wie bewiesen werden sollte,

or THT) SUT) se (TLI LO Lg iz. —_ 37 209 En ba Nm en T don entsteht.

Setzen wir nun ان م‎ dem von Lagrange zuerst eingeschla-

genen Wege ver. n. y, [3] so wird die Gleichung [1] zu Mathem. Classe. XVIII.

18 ERNST SCHERING.

o = Suiv) =

091 (T 0 ET s Pen]. (T+) dig (T+) , d [WT V) pm UA =2| vm er TZ ] 2 = sit Ex CU Lr [4]

worin die Summationen über alle Werthe 1, 2, 3...» des im Ausdrucke allein vorkommenden Index / zu erstrecken sind.

III. Allgemeine Differentiale.

Die Untersuchung der vielen merkwürdigen Eigenschaften der Function T-V wird bedeutend vereinfacht, wenn man den Begriff ei- nes allgemeinen Differentials D in dem Sinne einführt, dass es für eine Function und die in ihr vorkommenden Grössen irgend welche nur durch die Form dieser Function bedingte Veränderungen darstellt, so dass also, wenn für die Function und deren Argumente die den gegebenen Differen- tialgleichungen genügenden Integralgleichungen hinzugenommen werden auch die Integrationsconstanten dieser allgemeinen Differentiation unter- worfen werden müssen.

Die bisher schon benutzte Variation 0, welche eine beliebige virtuelle Bewegung bedeutete, ist eine allgemeinere Differentiation als die nach der Zeit t genommene sogenannte vollständige Differentiation, umfasst aber von der Allgemeinen Differentiation nur diejenige, bei welcher die Coor- dinaten eine mit den gegebenen Bedingungen verträgliche unendlich kleine Aenderung erleiden.

Die Function T-V ist nach Einführung der Grössen "P welche die Lage des Systems der bewegten Massen für die Zeit t bestimmen und dieserhalb die Coordinaten im allgemeineren Sinne des Wortes heissen mó- gen zunächst als Function von /,.. 4,۰۰4, gegeben, wenn wir also die partielle Differentiation in Bezug auf diese Gróssen wieder mit 0 bezeich- nen, so wird das allgemeine Differential

; 1 T 3

ALLGEMEINE DIFFERENTIALE. 19 -SAAE TY (TEPIK y D(T--V) DIET DORT pg,

oder mit Rücksicht auf die Definitionsgleichungen [3] für die p und die zuletzt gefundene Bewegungsgleichung [4] O(T-V PU , D(T-4-V) = H Dt+ Xy Dyt E pjDq, worin also die Dg, und Dt vollständig unabhängige Differentiale bedeu- ten während Dg,, Dq,.. Dq, den für die Bewegung gegebenen Beschrün- kungen genügen müssen. Die beiden hier vorkommenden Differentiationen D und d sind von einander unabhüngig ihre Reihenfolge kann also vertauscht werden, da-

durch entsteht aus der letzten Gleichung D (TY d D(T4-V) = “HO Dtg pq, Nimmt man hierin die allgemeine Differentiation D in dem speciel-

len Sinne der vollständigen Differentiation. d nach der f und dividirt die so entstandene Gleichung durch den für die vollständige Differentiation d

nach der Zeit t constanten Factor df so wird

atiti UTED |, Ads, 8. u di Pii

und durch Substitution des hieraus sich ergebenden Werthes der partiellen Derivirten von TV nach t geht die allgemeine Gleichung in:

D(T4-V) = $((T-2- T— Xp, d)Dt4- 2pDaj [5] oder l D(TJ-V) = AT +V ع + ,وري‎ Ep, روط‎ +2 De, ]6[

über, woraus durch specielle Annahmen über die allgemeine Differen- tiation Di Dg: D4, .. die obigen Definitionsgleichungen [3] arr ? die Bewegungsgleichung [4] und der schon gefundene Werth für —71— sich ergeben.

Subtrahirt man von den chenden Seiten der identischen Gleichung

beiden Seiten dieser Gleichung die entspre-

C2

20 ERNST SCHERING. D2p, 07 =! q, Dr, +p, Dí, so entsteht , d , , 7 D(T--Y —Zp) = q;(T4- V— pg) .121 ل‎ p;Dg, —Xq,Dp,

oder wenn man zur Abkürzung

r , , 8 —T—V--Xpg,— —(T--V)--X4, S = H u und e Do s setzt: DH = H'Di—2p,Dg,+2g,Dp, [8]

Für den Fall, dass mit Rücksicht auf die inneren Verknüpfungen und die gegebenen äussern Beschränkungen die Veränderlichen q von einander unabhängig sind, enthält diese Gleichung, wenn man sich in dem obigen Ausdrucke für H, welchen Jacobi die Hamiltonsche Function genannt hat, die Grössen 4' mit Hülfe der Definitionsgleichungen [3] für die p durch /,... qj... pj... bestimmt denkt und in Bezug auf diese letzten Veründerlichen die partiellen Differentiationen mit ð bezeichnet, als be- sondere Fälle die folgenden, unter specielleren Voraussetzungen als ihnen hier zu Grunde liegen, von Hamilton aufgestellten Gleichungen

|; e m Hr OE. Mm. EPI. [8*] eu 24 ae gE 0g; ôH ' 1 4H (T+) وم‎ Hx

Es ist oben in [6] das allgemeine Differential von T+V durch eine nach f genommene vollständige Derivirte dargestellt, beschränkt man nun den Sinn jener allgemeinen Differentiation auf den der Variation, so er- gibt sich daraus der verallgemeinerte Hamilton sche Satz:

0 = 8f (T-- V)àt = f Ep, 1 mar

ALLGEMEINE DIFFERENTIALE. 21

wenn nemlich die Werthe der Gróssen an den Grenzen dieses Hamilton- schen Integrals unveründerlich vorausgesetzt werden. Durch Ausführung der Variation entsteht:

= THESE) ED E BET] lg, ae so dass aus der Bedingung des Verschwindens der Variation auch wieder die zuvor aufgestellten Bewegungsgleichungen folgen.

Diese Verallgemeinerung des Hamiltonschen Satzes hat Herr Lip- schitz in seiner „Untersuchung eines Problems der Variationsrechnung, in welchem das Problem der Mechanik enthalten ist“ Borchardts Jour- nal Bd. 74 als Grundlage zur Bestimmung der Bewegung angenommen, wenn die Bewegung unter Einwirkung von Kräften geschieht, die von der Lage und nicht der Veränderung des Systems abhangen und eine Kräfte- function V besitzen, wenn ferner der Raum so construirt gedacht ist, dass das Lüngenelement durch die vte Wurzel eines homogenen Ausdrucks vten Grades von den Differentialen der Coordinaten dargestellt wird.

Aus der Gleichung == XE folgt, dass wenn T--V neben den Grössen q und q' nicht die Grösse + explicite enthält,

Zpq,—(T--V) = H = const.

ein Integral der Gleichungen [8*] für die Bewegung des Systems wird und die Verallgemeinerung des von Johann Bernoulli zuerst gefundenen Princips der Erhaltung der lebendigen Kraft bildet.

Sind die و‎ im Raume feste Coordinaten, so enthält T die Zeit t nicht explicite, in diesem Falle braucht also nur das Potential V die Zeit t nicht zu enthalten, damit das obige Integral gilt.

Ist das Potential V unabhängig von der Bewegung, enthält also die q nicht, sind noch .. q,.. im Raume feste Coordinaten, so wird unter Anwendung des Eulersschen Satzes auf T'als homogene Function vten Grades von den Grössen g

AUR). nm. 2p, = 21 iy; = 2, T

22 ERNST SCHERING.

Enthält ferner das Potential V die Zeit £ nicht explicite, also ist

H constans so wird fX(p,d,— H)dt f»Tat— Hfat = fXm,v?dt— Hfdt = [Xm ds, H fat

wenn ds, oder v,d? den von dem Massentheilchen m, während der Zeit df zurückgelegten Weg bedeutet. Da die Variation des ersten Gliedes dieser Gleichung nach dem oben angeführten verallgemeinerten H amiltonschen Satze verschwindet, so muss unter Zuhülfenahme der Integralgleichung H const. die Variation auch von $ 2 mv ds, zu Null werden, wie es für v— 2 Maupertius' Princip des kleinsten Kraftaufwandes erfordert.

Unter den hier aufgeführten Voraussetzungen und für » 2 erhält man auch das Princip der Erhaltung der lebendigen Kraft

COAL SS HS Spiri V-—((—1)T—V = T—V

Zu den beiden oben aufgestellten Systemen von Differentialgleichun- gen kann man noch zwei andere Systeme hinzufügen. Subtrahirt man die Gleichung [6] nach Einführung der Function H durch Gleichung [7]

D(T--YV)-— —H.Dt+2p,Dg,+2p,Dg, von der identischen Gleichung d , , , f D7; 20,9, = 2p,Dq,+2p,Dg,+2Y,Dp,+2q,Dp', so entsteht: d , , r Dep, 4, —T—YV)-—H Di+29,Dp,+29,Dp, d | wird demnach i; 24, —T—V als Function von den Veränderlichen 5 p,-.p, p,-. p, dargestellt, so sind ihre nach diesen Veränderlichen ge- nommenen partiellen Derivirten der Reihe nach gleich HF’, Gral er * . s z Subtrahirt man dieselbe Gleichung [6] von der identischen Gleichung DZy, = Xp, Dq,4-X q; Dp,

so ensteht

SUBSTITUTIONSFUNCTION. INTEGRATION. STOERUNGSTHEORIE. 23 D(Zp,q,—T—V) = H'.Dt4-Eq,Dy', Ep, Di

wird demnach 29,9, T— V als Function von den Veränderlichen tp... p, qd... 7, dargestellt, so sind ihre nach diesen Veründerlichen ge- nommenen partiellen Derivirten der Reihe nach gleich

و و Hg...‏

IV. Substitutionsfunction. Integration. Störungstheorie.

Die besonders einfache Form der für ein mechanisches Problem auf- gestellten Differentialgleichungen ergab sich dadurch, dass zu einem System unabhüngiger Coordinaten ..4,., ein geeignetes System von Veründerli- chen ..p,.. eingeführt wurde und zwar konnten die ursprünglichen ..g,.. ganz beliebig gewählt werden, es ergaben sich immer zugehörige ..p;.. Aber auch in noch allgemeinerer Weise können Systeme zusammengehöri- ger Veründerlicher von der Eigenschaft gefunden werden, dass sie den Differentialgleichungen jene einfache Form geben und die deshalb nach Jacobi den Namen Canonischer Variabeln führen. In der That die Gleichung

d D(T+V) = (T+V pj 4:) Dt 4-2 p Da die alle übrigen enthält, zeigt, dass, wenn die y und 4 statt der p und 7 ein neues System canonischer unabhängiger Veründerlicher bilden sollen, es nur nóthig wird, nach Ersetzung der p und 4 durch die ب‎ und q in jener Gleichung für die Function T+V entweder dieselbe Function jetzt in t 3 ل‎ ausgedrückt oder eine neue Function zu setzen. Dieser neuen Function können wir die Form T--V S' geben, worin S' noch näher

zu bestimmen bleibt, wir erhalten dann s ox D(T--V S) = E. ((T--V—8'— 29,57) Dt 2e; DU]

und nach Subtraction dieser Gleichung von der QM. noch

24 ERNST SCHERING.

F^ كه‎ TPY d; dg; 5 DS = u8--Xe1—Xp3)Dt—2ZeDod- p,Dq,}

Soll diese Gleichung der Substitution der canonischen Veränderlichen 9, Û, für die p, q, allgemein gelten, das heisst unabhängig von den beson- deren Gleichungen für ein bestimmtes mechanisches Problem, so muss, weil die eine Seite eine vollständige Derivirte nach der Zeit ? ist, auch die andere DS’ und demnach S' es sein. Es muss also eine Function $ ge- ben, welche die Gleichungen à

ds , DY w^ b DS = (+29. ar ^ Dt 29, DY, ++ Zp, D4, DS = EDt-4-Zp,D4, 29D 0, [9] worin d$; ds

E = Xj Ee a = [10]

gesetzt ist, erfüllt.

Umgekehrt genügt auch die Gleichung [9] bei beliebigen Functionen S und E, damit die eingeführten Veränderlichen Û und ب‎ ein canonisches System werden, weil aus [9] die Gleichung [10] als specieller Fall der D Differentiation folgt und durch beide aus der Fundamentalgleichung [6] für .. qı.. ..p,.. die oben aufgestellte Fundamentalgleichung für die à d. اوء‎ ٠ عرق‎ entsteht, die sich auch in der Form

D(T4-V— 8) = a(T--V —8— Xo). Dt+ Eg, DY -- Eq, DY

oder

D(T4-V—8'— Xo) = 1-17 نع ب‎ ap) Dt+27,Dp,—2Y,Dp,= —D(H—E) = —(H'—E')Dt—2Y,Dg,+2g,D$, [11]

darstellen lässt. Aus der ersten dieser beiden Gleichungen folgt, dass wenn T+V—S als Function von t, برل‎ $, aufgefasst wird, ihre par- tiellen Derivirten nach diesen Grössen der Reihe nach gleich H+ E', 9%. v, werden. Wenn man T+V—S’— —Zoy, oder H--E als Function von 1, qp $, betrachtet und die partiellen Derivirten nach die- sen Veränderlichen mit 9 bezeichnet, so erhält man aus der zweiten [11] jener beiden Gleichungen,

SUBSTITUTIONSFUNCTION. INTEGRATION. STOERUNGSTHEORIE. 25

MEIST کے‎ y, "t 9 zo di RER | $9; UE em T [12]

$(H—E) rp , d UTS- H) ol EE H—E-—

Die Fundamentalgleichung der Bewegung, die Substitutionsgleichung und die dadurch transformirte Bewegungsgleichung stimmen in ihrer Form der Art überein, dass die allgemeinen Relationen welche allein zwischen den Grössen 4,..4, p,..Q, Pate 9, Pie 9, bestehen, und welche in den folgenden Artikeln ausführlicher entwickelt werden, auch zwischen den Grössen 9,..4, p,..D, d.--d, —P,..—p, und ebenso zwi- schen q,..4, P,P, Pir- D, 0 , ٠١ d, ferner zwischen $,..9, 9,.. 9, 9,-. 9, QU... 9, und so fort bestehen.

Die allgemeine Substitutionsgleichung enthält den besonderen Fall, wo die Grössen بل‎ ebenso wie die q die Bedeutung von Coordinaten haben, in der Form, dass S und also auch S' zu Null wird, dass ferner die Grössen q als Functionen von £ und den à gegeben sind und zwar in solcher unabhängigen Weise, welche die d auch als Functionen von f und den و‎ darstellen lässt, und dass endlich die Grössen E und ¢ durch die Substitutionsgleichung bestimmt sind.

Eine andere sehr allgemeine und besonders wichtige Art der Substi- tution ist diejenige, bei welcher die Relationen zwischen den beiden Sy- stemen von Veründerlichen sich so darstellen lassen, dass die p zu Functio- nen von den Grössen f, q, d werden. Durch diese letztern können dann auch nach Einsetzung der für die p, erhaltenen Ausdrücke alle übrigen Grössen bestimmt werden. Wegen der Wichtigkeit dieser Art der Dar- stellung der verschiedenen Veründerlichen wollen wir für die partiellen nach f, q, ل‎ genommenen Derivirten ein besonderes Zeichen einführen und zwar ò, da diese Differentiation die oben betrachtete Variation als spe- ciellen Fall enthält. Die allgemeine Substitutionsgleichung gibt dann:

d4; i Pp حت ,رق‎ tr HO س‎ -igm tima Mathem. Classe. XVIII. D

26 ERNST SCHERING.

und hieraus ist ersichtlich, wie, wenn die p,... p, $0 als F'unctionen von t 1,4, Pa- 9, gegeben sind, dass sie die nach q,..q, genommenen par- tiellen Derivirten irgend einer und derselben Function . sein können, die übri- gen Veründerlichen sich als ein Canonisches System von Veränderlichen .بل‎ Pn Pie- Pp bestimmen lassen.

Wird bei einer solchen Substitution H E von einer oder mehren oder allen der Grössen j und ب‎ unabhängig, so folgt aus den Gleichun- gen [12] für die partiellen Derivirten von H E, dass die jedesmal mit demselben Index versehene entsprechende Grösse 9,..9, $,..0, eine Integrationsconstante ist. Wird H E zu Null oder auch nur unabhän- gig von %,..%, 9,..9,, so sind diese letztern sämmtlich Integrations- constanten und bilden ein vollständiges System von Integralen der Diffe-

rentialgleichungen : eH 8 Opi x di aH OH

Die Aufgabe, diese Gleichungen vollständig zu integriren, lässt sich also auch in der Form aussprechen, die Grössen H, م‎ roe als solche Functionen von f, q,..4, und einer mit den q gleich grossen Anzahl von Grössen $,..0, darzustellen, dass sie die partiellen Derivirten einer ein- zigen Function sein kónnen und zwar die partiellen Derivirten beziehungs- weise nach f q,..4, genommen. Die mehrgliedrige Quadratur

J(Ep,Dq,— HDt)

deren untere Grenzen absolute Constanten sind oder doch nur von den bei der Integration als constant anzusehenden Gróssen $ abhangen, ergibt dann eine Substitutionsfunction S und deren partiellen nach ل‎ genomme- nen Derivirten bilden mit den ¢ zusammen ein vollständiges System von Integralen der gegebenen Differentialgleichungen.

Eine specielle Form dieser Auflösung besteht darin, die Grössen p als solche Functionen von den 4 und einer gleich grossen Anzahl von Grössen Û darzustellen, dass sie wie zuvor die partiellen Derivirten einer

SUBSTITUTIONSFUNCTION. INTEGRATION. STOERUNGSTHEORIE. 97

gemeinsamen Function sein können und dass zugleich H sich auf eine Function allein von 7 und den ل‎ reducirt, die mehrgliedrige Quadratur

f (Ep,Dq, HDt)

gibt dann eine ebensolche Substitutionsfunction wie zuvor. Diese Aufgabe lässt sich in der von Hamilton und Jacobi ange- wandten Form auch so aussprechen: die gegebene Gleichung :

H = funct, (t, 4, ..0,.. 4, Pir- Pr- 9.)

werde durch Einsetzung von

3W òw ui ee EF ١ = m in eine partielle Differentialgleichung : uA UY AW 0 = zy funct. (t, I <Y in

verwandelt, deren allgemeines Integral W eine von einer additiven Con- stanten und von n andern Integrationsconstanten %,..%, abhängige Function der Grössen f, 4,.. ln ist. Diese Function W ist dann einé Substitutionsfunction wie S und die übrigen Integrale der Bewegungsglei- chungen entstehen, wenn man En. const., setzt.

Bei der hier durchgeführten Untersuchung kann die Kräftefunction

V auf eine beliebige Weise von den Grössen ds e: = und damit T+V und ferner H x7 auf eine beliebige Weise von p, E abhangen, also sind die folgenden allgemeinen Entwickelungen unmittelbar auf jede partielle Differentialgleichung erster Ordnung anwendbar, wenn man noch beachtet, dass man nach Jacobi eine Differentialgleichung, welche ausser den unabhängigen Veründerlichen und den partiellen Derivirten der ge- suchten Function W* auch noch die Function W* selbst enthält, durch die Einsetzung

Beam M nm m, cum "=F ap M c wu د جد‎ er) 3

28 ERNST SCHERING.

auf eine Differentialgleichung, welche die Function W ohne Differentiation nicht enthält, zurückführen kann.

Gilt das Princip der Erhaltung der lebendigen Kraft, wird demnach H eine Constante, so gibt die partielle Differentialgleichung

oW

oW gr H + funct. ( 4,, eq 5g," . pm

als allgemeines Integral ein von einer additiven Constante und n—1 an- abhüngige Function W, und

W-—H.t

deren Constanten $,..9, ,

wird eine Substitutionsfunction SS, worin H die Stelle von d oder einer Function von $,...9, ,, $, vertritt. :

Die hier angegebene erste Form der Aufgabe, welche mit der voll- ständigen Integration der Gleichungen

EH uidi OH. OPI By

übereinstimmt, enthält den ganz speciellen aber vielfacher Anwendung fähigen Fall, jede der Grössen p,, wenn solches möglich ist, in der Art als Function von dem mit gleichem Index versehenen 4, und einem Sy- stem von n Grössen $,.. لل‎ in der Weise zu bestimmen, dass durch Ein- setzung dieser Ausdrücke für die p die Function H unabhängig von den q wird. Die Integrale in 5 i

[p», Da, +.. +p, D4, —/HDt = S sind dann bei unveründerlichen $,.. Û, einfache Quadraturen und wenn man als untere feste Grenzen der Integrale Functionen von den j nimmt wird © eine Substitutionsfunction und Y, . واه‎ ..2 bilden ein A ò Pa vollständiges System von Integrationsconstanten für dje vorgegebenen Dif- ferentialgleichungen.

In dieser Form erhält man die Bestimmung der Bewegung eines freien Massentheilchens, welches von einem oder zwei festen Massentheilchen

SUBSTITUTIONSFUNCTION. INTEGRATION. STOERUNGSTHEORIE. 29

nach dem Newtonschen Gesetze angezogen wird oder auch auf einer El- lipsoidfläche ohne Einwirkung von Kräften zu bleiben gezwungen ist, un- mittelbar, wenn man, wie Jacobi es durchgeführt hat, als unabhüngige Veründerliche die Ellipsoidcoordinaten einführt.

Die Hamilton-Jacobische Form der Stórungstheorie ergibt sich aus der canonischen Substitution auf folgende Weise. Bezeichnet H die Hamiltonsche Function [7] für das vollständige mechanische Problem [8* also mit Einschluss der sogenannten störenden Kräfte, dagegen E die Hamiltonsche Function für diejenige Bewegung, welche entstehen würde, wenn die störenden Kräfte nicht vorhanden wären, sind ferner $,.. p, . 9, .. ¢, für dies letztere Problem also für die Gleichungen

I. op) 9t $E at

die canonischen Integrale und ist endlich 9g S = f (Ep; E)àt das zugehörige Hamiltonsche Integral, demnach DS EDt-- Ep,D4, —XoD9,

so werden wie in den Gleichungen [12] die durch die störenden Kräfte veränderten Elemente ل‎ und ¢ vermittelst der 2n Differentialgleichungen

bestimmt, worin H— E als Function von f 9, .- Q, 9,-- 9 dargestellt gedacht ist.

30 ERNST SCHERIN G.

V. Kräfte deren Maass von der Bewegung abhängt.

Gauss zuerst hat, wie es aus seinen handschriftlichen, im fünften Bande seiner von mir herausgegebenen Werke abgedruckten, Aufzeichnun- gen hervorgeht, im Jahre 1835 den Gedanken gehabt, Kräfte zu bestim- men, welche nicht nur von der gegenseitigen Lage der auf einander wir- kenden Körper sondern auch von der Bewegung derselben abhangen. Seine vielfachen hierauf gerichteten Untersuchungen verfolgten den Zweck, aus solchen Kräften die bei galvanischen Strömen auftretenden Erschei- nungen zu erklären. Unter der Annahme, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Galvanischen Strome und seinem Träger der Art sind, dass jede auf den Strom wirkende Kraft übertragen wird auf den Träger, dass ferner die beiden auf zwei verschiedenartige Electricitätstheile an derselben Stelle in einander entgegengesetzten Richtungen wirkenden Kräfte einen Galvanischen Strom hervorbringen, dessen Intensität durch den ganzen linearen Stromleiter gleich gross und der Summe der beiden Kräfte pro- portional ist, habe ich in meiner Preisschrift ‘zur mathematischen Theorie electrischer Ströme’ im Jahre 1857 zuerst streng bewiesen, wie die von Ampere, Faraday, Lenz und Franz Neumann gefundenen electro- dynamischen und electromotorischen Gesetze durch solche von Gauss un- tersuchte Kräfte erklärt werden können. Leider war mir zu jener Zeit Gauss handschriftlicher Nachlass noch nicht zugänglich, sonst würde ich einige Untersuchungen haben ersparen können, wenn schon ein Beweis des Hülfssatzes der Uebereinstimmung des Potentials für die Wechselwir- kung zwischen Galvanischen Strömen mit dem Potential für die Wechsel- wirkungen zwischen magnetischen Flächen , wie ich ihn dort gegeben habe bei Gauss sich nicht findet sondern nur der Beweis für die Uebereinstim-

mung zwischen den mit den Coordinatenaxen parallelen Krüftecomponen-

ten, Gauss’ Werke Bd. V. Seite 624.

Die neuesten von Herrn Helmholtz durchgeführten und sehr ein- gehenden Untersuchungen über die Natur der electrodynamischen Kräfte haben dargethan, dass wenn man die Wechselwirkung zwischen den electri-

KRAEFTE DEREN MAASS VON DER BEWEGUNG ABHAENGT. 31

electrischen Körpern und ihren Trägern nicht vollständiger bestimmt, als es bisher geschehen ist, die Voraussetzung solcher von der Bewegung ab- hängigen Kräfte zu Erscheinungen führen müsste, welche unserer Vor- stellung von der Natur der die Bewegungen hervorbringenden Kräfte wi- dersprechen.

An dieser Stelle will ich die von der Bewegung abhangenden Kräfte nur mit Rücksicht darauf bestimmen, dass die analytische Behandlung der- selben so weit wie möglich mit der Behandlung der von der gegenseitigen Lage der auf einander wirkenden Körper abhängigen Kräfte übereinkommt. So ist das Princip der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung unmit- telbar übertragbar. Die Principien von der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunkts und der Erhaltung der Flächengeschwindigkeit werden beste- 9 hen, wenn die Kraft zwischen je zwei Massentheilchen der Masse proportio- nal ist, ihre Richtung in der Verbindungslinie der beiden Massen oder in deren Verlängerung liegt und die Grösse der Kraft im Uebrigen nur abhängt von der Entfernung zwischen den beiden Massen, also bei der Entfernung r zwischen zwei Massentheilchen von den Intensitüten e, e, die Summe der virtuellen Momente der beiden gegenseitig auf die Massentheilchen

ausgeübten Kräfte durch

ddr dîr ee Fr, d de’ u .). or

dargestellt wird. Bei der Ableitung der Bewegungsgleichung habe ich oben nachgewiesen, dass die Einfachheit ihrer Form wesentlich auf dem Umstande beruht, dass die virtuellen Momente der Kräfte als Summe ei- ner totalen Variation von einer Funetion und der totalen nach der Zeit ge- nommenen Derivirten von einer Summe von Functionen multiplicirt in die Variation der Coordinaten dargestellt werden kann. Wenn diese einfache Form der Bewegungsgleichung für die hier betrachteten Kräfte gültig blei- ben soll, so muss also ee, Fr, Lm ar d" £4). 0r -

q: d dr ddr 8, ملك‎ Z E Tu De qoo T

32 ERNST SCHERING.

Far + T r eZ

ddr pa Pe ERAS

i dr ‚ddr Ger ir +م8.‎ 5 AL Fr dit ui

dör + aiu y. dt +. identisch sein können, und demnach N ôV OV, dr ôF, ddr 6s Por Or; EU mor. ET

TE

dr ddr ôV ð /87١ dr 0 [0VX ddr eu PU. Zap ER suba a vid yost i ee, F(r dr ddr

! de’ qa) ôr = 0V— ups m dt

sein. Ist z. B. y v+ V, QU worin V, und V, von z s sind, so wird ses Pi qir EN HET,

dr ddr 07 ee, Fr, B ds) 3;

A ~ èr]

drn—2 ddr w= Inn “جني‎ und daraus folgt für n = 2 und für constante Werthe von rV, und r7,

0 das von Hrn. W. Weber im Jahre 1852 veróffentlichte Gesetz.

Ti Vra C

ZWEI FREIE MASSENTHEILCHEN. 33 ! VI. ; Zwei freie Massentheilchen.

Um die vollständige Bestimmung der Bewegung unter Einwirkung solcher Kräfte, welche von der Bewegung der Körper abhangen, vor Au- gen zu haben, will ich zwei nach der in Art. IV angegebenen speciellen Methode einfach lösbare Probleme hier ausführen, und zunächst zwei in einem vfach ausgedehnten ebenen Raume sich bewegende Massentheilchen betrachten.

Sind m, æ, ,.. a, Trügheitsmasse und rechtwinkelige geradlinige Coordi- naten des einen Massenpunktes M, X,,.. X, das Entsprechende für den andern Punkt so ist für die Entfernung r der beiden Punkte von einander

und der Voraussetzung nach die Krüftefunction V allein von m, M,r und z abhängig. Die ganze lebendige Kraft wird

di ہک۸‎ A=v : 2T =m} x a +MZX,X', Amt Ai Setzen wir zur Abkürzung = m+M __ m--M L > qm ces NN und führen die Grössen 4, . .q,, durch die Gleichungen ma, = ML, 4, 0089, ma, mLQ4, +$ sing, sing, .. sing, COS , , für 1<A<v ma —mlLq,, +31, sing, sing,.. sing, , sing, AaX MLq, - $1: cosg, MX, = MLq, ,,— $1, Sing, sing, . . sing, 205 1+ für 1<A<v MX = MLA, 9, sing, sing, ..sing,_, sing, ein, so wird r Nq, und die ganze lebendige Kraft

Mathem. Classe. XVIII. E

34 ERNST SCHERING.

À =v

p= 2y 2T = d,d t Z(G, sing,. singa + ZT 4 Keg TEMERE P

un SIRE) ash AF للب ح رم‎ dt,

ocT 5 . r = = en = (q,sing,..sing_,)g, für 1<Asv

sid UUNEE):SC j = E = 4, für vH1<p<2v

und demnach

sen H = Xpd,—T—V = 7-7-4 iy.

, 4 8: م —Vdüg FH,‏ =

A=v +22 (q, sing,- sing, "pp, e اسان‎ Setzt man analog dem Jacobischen Verfahren P,P, الاح‎ für v2 tP Pa H Pap: cosecq;^ 0 für <ie ER | حك 77 سنت‎ o سل‎ d Ee =b, so wird p= 2y H=} + > | | pmi, und wenn man in der Gleichung |

p= 27 Àh-s—1 p Ki S تسبي‎ i 1 p= 2y —4$, LIU» E [V2 24, , ‚coseog,3)dg, TEM, mit Hülfe der Einführungsgleichung für p, die Grösse p , als Function

von q, und von den 4 darstellt, werden alle Integrale in derselben bei constanten Û zu Quadraturen, deren obere Grenzen wieder q,» qy seien.

ZWEI MASSENTHEILCHEN IM GAUSSISCHEN RAUME. 35 Es ist also die Hamiltonsche Function H durch die von einander unabhängigen Grössen Û allein darstellbar, der Differentialausdruck X p, D q, ist durch diese Substitution bei unveründerlichen ل‎ ein vollständiges Diffe- tial geworden, es sind daher die durch die obigen Gleichungen bestimmten ` Functionen für alle Indices = 1, 2, 3..2v 9 y; == const. , TY = 9; = const. gesetzt, die 49 Integralgleichungen,, durch welche die Bewegung der freien nach dem Gesetze der Kräftefunction V auf einander wirkenden Massen- theilchen m und M im vfach ausdehnten ebenen Raume bestimmt wird. Für den speciellen Fall, wo die Kräftefunction die einfache Form d dr? V هلسري ارت‎ ut و7‎ ae hat und V, V, V, Functionen allein von r sind, entsteht

p, = NV, -VQ--NNV,W(, 22-49.)

VII.

Zwei Massentheilehen im mehrfach ausgedehnten Gaussischen und Riemannschen Raume.

Befindet sich das eine Massentheilchen fest im Anfangspunkt der Coordinaten, ist von diesem Punkte nach dem beweglichen Punkte der Ra- dius vector r gezogen, sind von dessen Halbirungspunkte auf die y zu ein- ander rechtwinkligen aus kürzesten Linien gebildeten Coordinatenaxen kürzeste Linien gezogen und begrenzen diese auf den Axen vom Anfangs-

punkte der Coordinaten an nach bestimmten Richtungen positiv gerechnet die Abschnitte Eu E so wird nach meinen Untersuchungen über die 1 hen Räume in den

mehrfach ausgedehnten Gaussischen und Riemannschen „Nachrichten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Gót- tingen 1873 Januar 4 Nr. 2 Lehrsatz IV“

: d Ztangit," sind = id tangit

36 ERNST SCHERING.

und das Quadrat des Längenelementes gleich a Ztdtangit,)? (1 + žZtang i67)?

wenn nemlich die Summationen über p = 1, 2, 3, . . v erstreckt werden und i für einen Riemannschen oder homogenen endlichen Raum den recipro- ken Werth der absoluten Längeneinheit dagegen für einen Gaussischen oder unendlichen Raum den mit y —1 multiplicirten reciproken Werth der absoluten Lüngeneinheit bedeutet.

Setzt man nun

tangit, = tang4iq, cosg,

tangi, = tang $44, sing, cosq,

tangit, = tangiig,sing, sing, .. sing, cosq, , , für p<y tangit, , = tangjiq,sing,sinq,..sinq, ,cósq,

tangit, = tangjiig,sing,sing,..sing, ,sinq,

so wird also

p=y .

2 tangit" = tang£iq,?, q, =r

poi 2 und die lebendige Kraft, wenn für die Masse des beweglichen Theilchens die Einheit genommen ist, gleich

Sting; d,+zsinig,?. d, d ,4- 5; sinig,?. sing,’ Zlat

x 7 d, +..

i H . 2 H 2 . 2 H 2 Ko oy T ;5iniq,^. sing,” sing, e SIng 7.0.4,

i . 0 9 0 2 0 = . حك‎ > 8Iniq,^. sing," ٠ sing, Sing, ,

also

0(T4- EI Ca 3:

9V(g,.q',) Ioa e RN, 9(T4- V) idc 1 LJ * 2 Fk— de m, -q,

2 Try) É o = = ^us für 1 p"

4 * 0 2 . 2 . 2 0 ير‎ 511140. SIn q,^. sing," .. 40

P, und daher

p—1

ZWEI MASSENTHEILCHEN IM GAUSSISCHEN RAUME. 37

i=n H= 3S pg TT NT

r 07 , , =V +d g E!

pr 1 .. 0 = 2 2 2 uo ع‎ . 60866 Q,” . cosec Q, CEP a. JUD,

Die Substitution P,P, -— $, fp, D, +, 056601, .دبلا ص‎ ipp-$,,,c0scg = à, für 1 >> «v —V-Ed ir -$ d, d iiy, cosecig,? = بل‎ ergibt Haat,

und für constante بل‎

i—n

DS = —HDt-4- = p,D4, =i Die Substitutionsfunction ist I dg, +N S— Je, t+ pdg + X Ne, 24, , , 005604, da, 2- a, (2 9) p=2

weil p, mit Zuziehung der Gleichung für $, eine Function allein von q, und den Grössen y wird. Die oberen Grenzen der Integrale sind 4,

Die in einem homogenen v fach ausgedehnten Raume stattfindende Bewegung eines freien Massentheilchens , auf welches ein festes nach dem

Gesetze der Krüftefunction Vir, 1) wirkt, ist also durch die Gleichungen : Me ag ue u Q = const., M P; = cons

worin 7 der Reihe nach die Indices 1, 2, 3... » bedeutet, vollständig be- stimmt.

38 ERNST SCHERING.

VIII. Allgemeine Differentialgleichungen für die Substitution.

In der Theorie der allgemeinen Stórungen nehmen die von Lagrange und Poisson gefundenen Stórungsformeln eine wichtige Stelle ein. Sie beziehen sich auf die Variation derjenigen Gróssen, der sogenannten Ele- mente, welche bei der ungestórten Bewegung Integrations-Constanten sein würden. Sie erhalten, wie Jacobi bemerkt hat, für die von Hamilton be- nutzten canonischen Integrations-Constanten besonders einfache Werthe.

Diese Relationen, sowie die von Hamilton und Jacobi hinzuge- fügten neuen Gleichungen ergeben sich sehr einfach aus der oben aufge- stellten Substitutions - Gleichung [9]:

DS = Xp Dg, Z9, D}, —EDt Differentiirt man diese mit einer allgemeinen aber von der D Differentia- tion unabhängigen A Differentiation, so entsteht ADS = 2p ADq, 29,4 Dọ—EADt + EXApDq,—EX Ap,Db,— AED:

Denkt man aber in der ersten Gleichung die allgemeine Differentiation A gebraucht

AS Zp Aq Eg AY, —EAt und differentiirt dann mit D so entsteht DES ZpDAq,—XoDAQ—EADt + 2DpA 4,——Do,DU —DEAt Die beiden Differentiationen D und A sind von einander unabhüngig, die Reihenfolge derselben ist also ohne Einfluss auf den Werth, demnach er-

hält man durch Subtraction der beiden Differential- Gleichungen zweiter Ordnung von einander die Gleichung

X(Dg,Ap,—A4,Dp) = X(D$j,Ag, —A0,Do)-- Dt. AE—At.D E [13]

se

E

d Ts "n

-

ALLGEMEINE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN FÜR DIE SUBTSITUTION. 39

oder, wenn man den Ausdruck Dq, A p, Ag, Dp, eine Differential-Deter- minante von dem Functionen-Paare q, und p, nennt, in Worten:

Bilden die q, .. q, und p, .. p, ein System canonischer Veränderlicher, so ist, damit die durch vorgegebene Substitutions- Gleichungen eingeführten Grössen p, .. $, und 9, ..9, allgemein auch ein System canonischer Verän- derlicher bilden, nöthig und hinreichend, dass die Summe der allgemeinen zwei- gliedrigen Differential-Determinanten von allen zusammengehörigen Paaren d, und p, sich von der ebenso aus d, und رب‎ gebildeten Summe nur um die zweigliedrige Differential- Determinante von der Veründerlichen t und irgend einer Function E unterscheidet.

Dieser Satz gilt auch noch, wenn man den Begriff der allgemeinen Differentiation in so weit beschränkt, dass die Zeit t unverändert bleibt. Dann werden die beiden Summen der Differentialdeterminanten einander gleich, und es gibt immer eine Function E, welche die Bedingungen die- ses vollständigen Lehrsatzes erfüllt.

Dass die Differentialgleichung [1 3] auch hinreicht, um die Grössen pund Û ein System canonischer Veränderlicher werden zu lassen, wollen wir beweisen, indem wir dabei die sechs Fülle unterscheiden

1. es sind die p und م‎ als Functionen von den 4, $ und f gege- ben, dann sei |

HP NI. DOR An —E we mpm an mot

2. es sind die و‎ und ب‎ als Functionen von den p, ¢, und f gége-

ben, dann sei

Be Jui NP Nri e —E €" P ١ د‎ Wi "uulgo". 42

3. es sind die p und Û als Functionen von dini q, 9 und : d ben, dann sei

MES ur1 9r Xon +1 Km

mese iius X Bene t vd rae dic Ut و‎ m

40 ERNST SCHERING. 4. es sind die q und $ als Functionen von den p, q und 2 gege- ben, dann sei e EK en) Xon E 1 = {yn = E AS P eo ib ei Ag © 5. es sind die q und p als Functionen von den d, ¢ und ? gege- ben, dann sei

gd A L d. u, X= „Pass, Pr mi r Pr Fer Aar A AY 2, = qi Sadi Ji duoi e

6. es sind die $ und ب‎ als Functionen von den q, p und 2 gege- ben, dann sei

ê p, لك‎ 277 Xi nen DA MGR << min kirti 7 X 7 TOR TUT 3, = ٩, "NL. 6i د يروثة‎ 1 wm dens t. Die Bedingungsgleichung [13] geht für alle Fälle in die Form k= m > (Dz,Ay,—Az,Dy) = 0 über, nimmt man nun für &,, .. irgend welche den Ausdruck

£i Xi FE» Xs 7-5, X, nicht verschwinden lassende Functionen von den x und denkt die Gleichungen

vollständig integrirt, so werden dabei m Integrationsconstanten y,y,..y ý auftreten, von denen eine, es sei y, , mit y durch Addition verbunden ist und die Variabeln v können als Functionen der Grössen y, y,, y, ٠١ Yp betrachtet werden. Es ergibt sich dann

Û2, ðr, ôT m dx dz O2 X4 ay Tok ecu a B. lad. T1 Are t

ALLGEMEINE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN FÜR DIE SUBSTITUTION. 41

also für eine allgemeine D Differentiation

X4 Dz, rl, De, E e = D(y--y,)-- Y, Dy, +Y, Dy, dedo aai DE ed

worin Y,..Y, , Functionen von y, y, ..y,, ,, y, sind, welche in Folge der obigen Bedingung zwischen den y und æ die Gleichung: k=m—1 2 (Dy,AY,—Ay,DY,) = 0 ke erfüllen müssen. In dem speciellen Fall, dass für die D Differentiation alle Grössen y constant sind mit Ausnahme von y; wo 1<S/<m—1, und für die A Differentiation alle Grössen y constant sind mit Aus- nahme einmal von y und dann von y,, wird die Gleichung zu : 0F;

4 Dy, دج‎ My = 0 und Dg: 5, 59, 0

also für jeden Index 7 zwischen 1 und m—1 ist Y, unabhängig von y und von y,. Demnach ist

Y,Dy, +Y7,Dy,+- itu co isa ein Differentialausdruck mit nur m—1 unabhängigen Veründerlichen und die Coefficienten Y,..Y, , genügen mit ihren unabhüngigen Veründer- lichen y, .. y,,., der entsprechenden Bedingung wie die Coefficienten X,...X, in dem linearen Ausdruck mit den m unabhüngigen Veründer- lichen x, Der Differentialausdruck mit »— 1 Gliedern kann also nach demselben Verfahren auch wieder in ein Differential und in einen linea- ren Differentialausdruck mit m— 2 unabhängigen Veränderlichen zerlegt werden mit entsprechender Bedingung. Durch Fortsetzung dieses Verfah- rens gelangt man also dazu, den linearen Ausdruck als das Differential ei-

ner einzigen Function darzustellen: x, Do, 4- x, Do; o. Tx, D, an

Bezeichnen wir die in der Anwendung dieses Satzes auf ‚unsere, Untera Mathem. Classe. XVIII.

2 : ١ ERNST SCHERING. chung in den oben unterschiedenen sechs Fällen jedesmal entstehende. Function der Reihe nach mit w, , w, .. w, so wird: - EpjDq; 2D} EDt = Dw,- 2q Dp Èy Dh —EDt = Dv, Zp Dg tp Dy EDt —= Das, —2q,Dp,+2%,Dp, EDt = Du, ML | UTE M BENE NONE DV Opa: E Dt = Dw, 0 ð و‎ 40 : OE ليم‎ aT EA Era) جيه‎ C, ;; T EJDt Dw, oder mit Zuhülfenahme der identischen Gleichungen DXp,q, Zp,D q, + 29,Dp, DX P; Y; Ll 29,D$,4-Z 0D e, und durch Zusammenziehung der partiellen Differentiale

2p Dq 2y Dy Edt = Dw, = Dw, 4-Ep,q) = = D(w, 2gp) = D(w, رورم ل‎ Epp) = Du, = Die,

in allen Fällen existirt also eine Substitutionsfunction S, welche die bei- den Systeme von Veränderlichen die q, p und die ,ل‎ ¢ so verbindet, dass, wenn das eine System ein canonisches ist, auch das andere ein solches wird.

Beschrünkt man den Begriff der allgemeinen Differentiale D und A in

der Weise, dass man die Zeit t ungeündert lässt, so wird für eine canoni- sche Substitution

2 (Dp,Ap,—Ag,Dp) X(D),A9,—AQDe), Dg, 83109

Diese Form der Bedingungsgleichung genügt, damit die Substitution eine. canonische ist. In der That setzt man bei dem vorstehenden Beweise Dt— 0, At 0 voraus, so ergibt sich als Resultat die Existenz von Functionen W, V,..W,, welche den zuvor gefundenen Gleichungen unter

der Voraussetzung Dt 0 genügen und demnach von E ganz unabhüngig bestimmt werden. Setzt man dann:

JACOBIS STORUNGSFORMELN. 43

w, Wt ö,w,‏ ,0 جد > oW, 1 DM.‏ اد Eu po DE 0,t CUN em af‏ dw, Pa‏ 9% 210 5 o HH aeg AN‏

worin die partiellen Difsontüdogen ا‎ 9, O sich der Reihe nach auf diejenigen Systeme der von einander als unabhängig betrachteten Ver- ünderlichen beziehen, durch welche in jedem der sechs Fülle die übri- gen Grössen als Functionen dargestellt sind, so wird $ auf dieselbe Weise bestimmt, wie zuvor.

IX. Jacobi's Stórungsformeln. Die allgemeine Differentialgleichung [13] 2 (Dq, Ap Ag Dp) = (DYA, AY, D ¢) +DtAE—AtDE wird, wenn wir die Differentiationen in dem speciellen Sinne alle Dg 20, Dp, =0 für l7 h, Di Aq, = 0 für ISk, alle Ag 0, At—0

nehmen, zu

7 6; rp 4 9: DP; = AU D also ist 00 2m 09r 99, om py

Führt man die verschiedenen speciellen derartigen Annahmen für die Differentiationen aus, indem man bei den D Differentiationen der iam ‚ssen p, q, t alle diese bis auf eine und ebenso bei den A Differentiatio- nen der Û, », t alle diese bis auf eine unveränderlich voraussetzt, so erhält man die von Jacobi aufgestellten für alle Indices h uud k gül-

stg neun Systeme von Gleichungen

F*

44 ERNST SCHERING.

A 5e "nuu oh Gar o PE

27 N E "S

$pj 05 y 05 ا‎ 5E [14] (o n E 0On' M 09;

JH | o o «A . "M BE, يم‎

c5 gr d 7779795

Um diesen verschiedenen Systemen eine gemeinsame Form zu geben, wollen wir die Bezeichnungen =: qQ,.— B. g4, =t 0 .—9, $, =E, Y_,=t A) = +1 für 240, [4] = —1 für h<0

einführen, die gemeinsame Form wird dann

CS m A= +0, 41,#2..4n, k=+0,+1,+2..+n

Umgekehrt besteht auch der Satz, dass wenn die Jacobischen Glei- chungen erfüllt sind, diese Substitution der Grössen q, p durch ġ, ب‎ eine canonische ist, denn durch Ausführung der Summation über die genannten Werthe der A und k wird identisch

DR ]ب‎ 85 Aq 4D) , = ee ADI

also die zweite Seite dieser Gleichung zu Null, wodurch nach Wiederein- führung der ursprünglichen Bezeichnungen die allgemeine für die canoni- sche Substitution geltende Differentialgleichung [13] entsteht.

Ist die Function E nicht gegeben, so braucht man in der eben durch- geführten Entwickelung nur Dt = 0 At vorauszusetzen. Die dann ent- standene Differentialgleichung enthält nicht die Function E und diese lässt sich nach der in Artikel VIII. ausgeführten Weise bestimmen.

POISSON'S STÖRUNGSFORMELN. 45

X. Poisson’s Störungsformeln. Sind g, p als Functionen von ¢, o, t und umgekehrt auch 9, ب‎ als Functionen von 4, p, t darstellbar, bezeichnet ® eine der 4n-1-1 Grössen q.p, p, ,ب‎ t und F eine Function derselben, so ist identisch

sr Y ay 347 ay PP; $0 e e 2p ov gy 80; yv 891

50 = rti TAEA $e 00

wenn die Summationen über die Tadica l 1, 2, 3.. n ausgedehnt wer- den. Nimmt man in diesen Gleichungen für Y und der Reihe noch je zwei der Grössen c, Q, # und Pe mit Hülfe der Jacobischen Gleichun- gen im vorigen Artikel E und 52 4 durch die ihnen gleichen Derivirten,

so erhält man für eine a Substitution die Bedingungen

[A ليه‎ 1

RT‏ | سد ]15[ 0 = )57:255 5( 3

aram azoh) Oha om. OPO, 8t

Br Es —0 fühAfk

mr = 1.43. Benutzen wir dieselben Bezeichnungen wie im vorigen Artikel und ge-

) und ( =) in der each dass

brauchen noch | = :

Ob £X

46 ERNST SCHERING.

ð Yr UTE m

aber in allen anderen Füllen

ist, dass

84 d EE ee E,

QA ليك‎ OF 0p] ên ist, setzen wir [A] = +1 für ein positives A, N = 1 für einen nega- tiven Werth von A und [+0] = [—0] = + 1, so können wir den obi- gen fünf Systemen von Gleichungen die gemeinsame Form

in allen andern Fällen aber

SENE a

geben und andererseits folgt, dass diese Gleichung für alle Werthensy- steme 0, HA, مع . . 2 علد‎ der A und k mit Ausschluss von k = —k = 0 richtig bleibt.

Solche Differentialausdrücke, wie sie unter den obigen auf / sich beziehenden Summen in [15] stehen, hat Poisson zuerst aufgestellt, Mé- moire sur la variation des contantes arbitaires dans les questions de Mé- canique. 1809 Octobre 16. Journal de l'école polytechnique. Cah. 15.

Schliesst man die-Werthsysteme h = +0 und 4 —k = —0 aus, so wird bei der Summation das Glied für A -+0 immer ver- schwinden und die Gleichung [15*] nimmt die einfachere Form an

80 > A— n w( 173 | T ap, ð pr

TRE 0

Sind diese Gleichungen [1 5] oder [15*] erfüllt, so ist auch umgekehrt die Substition eine canonische, denn wenn man in dem Ausdrucke

POISSON'S STOERUNGSFORMEL AT 9g, 89,14 ts 4) / [— D : Hd au us SUMI MIT i apis; d (alert) E, Ile):

9, 1 = (= د‎ AE To

für alle anderen Werthsysteme der v und A aber

F= 99,7 90, bedeuten lásst, die einzelnen Fülle, worin die eingeklammerten Glieder einen von den Derivirten verschiedenen Sinn haben, gesondert behan- delt, dann zunächst die Summationen in Bezug auf A über die Werthe #0, +1, #2..-+n darnach die Summationen in Bezug auf X, », k über die Werthe +0, +1, +2..+r mit Ausschluss der Combination h = —k 0 durchführt, so entsteht

—ZpjAgDgq- A E

Dieser Ausdruck muss also zu Null werden und ergibt dadurch wieder die für eine canonische Substitution geltende Digerentialgleichung [13]. Ist die Function E nicht bekannt, so braucht man in dieser Entwicke- lung nur D? = At 0 zu setzen und die Indices 1-0 auszuschliessen, dann kommen die Gleichungen, welche E enthalten, nicht mit in Rech- nung, und diese Function bestimmt sich erst aus der zuyor berechneten Substitutionsfunction S wie in Artikel VIII.

Xi. Lagrange's Stórungsformeln.

Nimmt man in der allgemeinen Differentialgleichung [13] für die canonische Substitution die Differentiationen D und A in dem besonde- ren Sinne, dass je zwei der Grössen $,. 0,9. Pn und t als unabhän- gig veründerlich aber die übrigen als unyeränderlich betrachtet werden,

so erhält man

48 ERNST SCHERING.

9g; 9p; 3p, 94 2(7 1 1 Mug

89,90, 99,99, zs ze m) 904 $9; M 99; es 9; 9pi 95i 9] bos oe enjeu) ME pm tr s) $E

[16]

1: Spn 8+ 99] Fh 94; 9p; 9p; I LUE , se 9e, 9t 99] doz

Und umgekehrt characterisiren diese fünf Systeme von Gleichun- gen diese Substitution als eine canonische, denn wenn man diese Glei- chungen der Reihe nach mit

Dy, AQ,

Dy, Aq, —Ay,Dp, —D yA p

Dt Ad, AMD,

Dt Ag, MD,

multiplicirt, dann über sümmtliche Indices summirt, die hiernach erhal- tenen Gleichungen addirt und die Summen partieller Differentiale zusam- menzieht, so erhült man wieder die für die canonische Substitution gel- tende allgemeine Differentialgleichung [13].

Es genügen auch die drei ersten Systeme von den Gleichungen [16], um die Substitution zu einer canonischen zu machen, wie sich ergibt, wenn in vorhergehender Untersuchung 11 > 0) -ح‎ angenommen und die Functionen S und E wie in Artikel VIII bestimmt werden.

Wendet man die allgemeine Differentialgleichung [13] auf den Fall an, WO %,..%,9,..9, Integrationsconstanten sind und stellt diese durch Functionen irgend welcher anderer 27 Integrationsconstanten €,€,..6,, dar ; nimmt man dann die Differentiationen D und A in dem Sinne, dass für D nur C, für A nur c, sich ändert, die übrigen c aber und f

HAMILTON'S STÓRUNGSFORMELN. | 49

unverändert bleiben, so wird die zweite Seite der allgemeinen Differen- tialgleichung [13] das Product von De, Ac, multiplicirt in eine Function der Integrationsconstanten, man erhält also den Lagrangeschen Satz

XII. Hamilton's Stórungsformeln.

Sind die Grössen p und ¢ als Functionen von den q, $ und f dar- stellbar, so kann man in der allgemeinen Gleichung

EL Ap gp) = X(D4,Ao, —A0,Do)3- Dt AE—AtDE D4,— 0 für ES, alle D$ 0, Dt 0 Aq,— 0 für EK. ie. A90, apn

nehmen, wodurch

5p S PR D4, . ig 54 4M; i 57; D 4a d

LET entsteht, wenn wieder die partiellen Derivirten nach den Veränderlichen q, Û und £ mit ò bezeichnet werden.

Setzt man Dg,— 0 für ISh, ale D$ 0. Dt - 0 Ap, = 0. für ik. ale Ag=0, At—9 so geht die Gleichung [13] in Pk | 99% Dg,- $9, ^T = —ÄAb,. TA D4, über, also ist | Mathem. Classe. XVIL.

50 ERNST'SCHERING.

Setzt man

Dqgq,—0 für IS, EM Doc Disb

alle Aq 0, alle Ad —0

so entsteht aus der allgemeinen Gleichung

6pA 3E Dg, ar AtS UT In also ist RE P SE m

Führt man auf solche Weise die Untersuchung aller derartig zulässigen be- sondern Annahmen für die D und A Differentiationen durch, so erhält man die fünf Systeme der unter specielleren Voraussetzungen von Hamilton aufgestellten Gleichungen

SE OR dp: O

Ub cms 8 550508 $9, [17] UP OB Cn Sx

CU TUI WE

welche für alle Indices von A und A gelten.

Umgekehrt genügen aber diese Gleichungen bei einer beliebigen Function E damit die vorausgesetzte Darstellung der q und p als Functio- nen der ), p und ? eine canonische Substitution bilden, wie schon daraus folgt, dass es die bekannten Bedingungsgleichungen für die Existenz einer Function S sind, deren nach q, .. Q, 9, .. Û, und £ genommenen partiellen Derivirten gleich p, .. p, c, .. 9, und E werden sollen.

Setzen wir für ein positives v

S wv WV c) WT re, Po =9, ص ابطر‎

HAMILTON'S STÖRUNGSFORMELN. 51

so lassen sich die fünf Systeme Hamilton’scher Gleichungen in der ge- meinsamen Form

[— A şê = [—F Ê

für A und k gleich 0, +1, 4-2.. 4-2

schreiben, multipliciren wir die beiden Seiten dieser Gleichung mit DQ, AQ, und summiren über alle Werthe von A und k so erhalten wir

Z[—A]DP,AQ, = X[—K]DQ, AP,

welches wieder die allgemeine Differentialgleichung für eine canonische Substitution ist.

Die obigen fünf Systeme von Gleichungen sind in der Weise vollstün- dig, dass von den in 4, .. 1, $,..0, und f ausgedrückten Functionen P1, ۰۰D, 9: ۰: o, E beliebig viele gegeben sein können, wenn nur die zwi- schen diesen gegebenen Functionen nach jenem Systeme geltenden Glei- chungen erfüllt sind, so lassen sich die übrigen Functionen der Art be- stimmen, dass sie zusammen eine canonische Substitution bilden.

In der That man braucht in der letzten Gleichung nur diejenigen Dg, und Ag,, D$, und Ay, gleich Null anzunehmen, für welche die beziehungs- weise mit gleichem Index versehenen p, und c, nicht gegeben sind, ebenso Dt und At gleich Null zu setzen, wenn nicht E gegeben ist, dann kommen in jener Gleichung die nicht gegebenen p, und ¢, und etwa auch E nicht vor und man erhält nur für die gegebenen

PP. o T. 5 und etwa E die Gleichung iI=m Au f 0 = X (Dg,Ap,— Aq;Dp)— Y (D), Ae, —A9, De 4-Dt AE— At. DE TA = 1 s welche nach Artikel VIII Nr. 1 die Bedingungsgleichung dafür ist, dass

1 druck bei constanten ` (^ er^ y, der Ausdruc m

59 ERNST SCHERING. 1= m =p pDq— 2 UI OT = 1 zas

das vollständige Differential DS* einer Function 5* wird, deren partielle

Derivirten »s* fauc E du E. > N due in re ao o

und wenn E nicht gegeben war 3S* ق‎ ub

zu setzen sind.

XIII.

Neue Differentialgleichungen für die canonische Substitution.

Bei den Jacobischen und Hamiltonschen Differentialgleichungen | für die canonische Substitution kommen drei verschiedene Systeme unab- hängiger Veründerliche in Betracht, einmal die Grössen q, p, t, dann 0, 9, f und endlich die q, ,ل‎ t; die drei entsprechenden verschiedenen Differentia- tionen haben wir beziehungsweise mit 8, Û und ô bezeichnet. Für manche Untersuchungen sind nun noch andere Gruppirungen der von einander un- abhängigen Veränderlichen erforderlich.

Indem wir zur leichtern Uebersicht

P,=4_, E=t},, Wer E=g,, ري‎ 9 5, tell, oder t=4q_,

setzen, wollen wir 22 Grössen unter q,,..9,, P}, Phn und eine unter g_, 9 , als ein System von 2n-|-1 unabhüngigen Veründerlichen gewühlt denken und diese mit

da

ه 4

o‏ لل

und deren partielle Differentiation mit 5 bezeichnen, so dass also für jede Function P identisch

NEUE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN FÜR DIE SUBSTITUTION. 53

da P. SWR va 9gj adar ' 4 546g

9P طروت‎ GPS

2 عن‎ OP i

3 99g,

.0P‏ ر

dtg m i û 4 ist, wenn die auf 7 und die auf k sich beziehenden Summationen über sämmtliche als unabhängige Veränderliche auftretende q, und $, und die auf / sich beziehenden Summationen über sämmtliche Werthe —0, +1, +2..-+n erstreckt werden.

Nach den ersten beiden Formeln geht die Gleichung: © pP ML 99; > an حك‎ p PURE کے اس‎ hk TAN AET rre

welche unmittelbar aus den Jacobischen Gleichungen [14] Art. IX folgt, in die Gleichung über.

0 ON or e E سه‎ i8 IT TEF bg 2T 0 loy (18)

Diese Gleichung enthält als specielle Fälle die Jacobischen, wenn man die b Differentiation in dem Sinne nimmt, dass als unabhän- gige Veründerliche z. B. neben anderen q, und Un aber nicht q , und 9 , gelten, und wenn man dann = qp P= setzt. Die Glei- chung [18] geht in die zweite Hamiltonsche [17] über, wenn man die 5 Differentiation auf die unabhängigen Veränderlichen g, .. q, P, .. 9, م‎ be- zieht und P p, © ọ, setzt; mit Hülfe der so erhaltenen Gleichung ergibt sich aus der obigen [18] auch die erste Hamiltonsche Gleichung, wenn man P p, OQ = p, setzt, und ferner die dritte, wenn enm P= $5 9 = 9, setzt, auch die vierte Gleichung kónnte man direct ableiten, wenn man die b Differentiation auf die Grössen E YQ, . . qn 1, -. q, als unabhängige Veränderliche beziehn und in obiger Gleichung [18]

Q t, P=p =1_v p, = B, $ , جح‎ #

Setzen wollte, sie würde dann

54 ° ERNST SCHERING. ò 0 AED E

Auf analoge Weise ergibt sich die fünfte Hamilton sche Gleichung.

Die allgemeine Form der Gleichung für den Fall, dass E in [18] als unabhängige Veränderliche gilt, wollen wir hier nicht untersuchen.

Bemerkenswerth an der obigen allgemeinen Relation [18] ist noch, dass sie nur für diejenigen Û, welche bei der b Differentiation als Un- abhängige auftreten und diejenigen p, welche in ® vorkommen, die für die Poissonschen Differentialausdrücke geltenden Gleichungen [15] vor- aussetzt, denn der obige Ausdruck entsteht auch, wenn man in

ريف اريت tnrj mf‏ 99(

PEUT b); 5, | [4] 09 vet h] O (OT برح‎ zunüchst die Summation nach / über die in Betracht kommenden Y, aus- führt. Mit Rücksicht hierauf kann man aus der obigen allgemeinen Glei-

chung [18] dadurch, dass man als Unabhängige für die d Differentiation die Grössen

qi 01 š «4, 9, Y, vies 17 Piri Pra CUPS

wählt, und P p, o 9 funct. (9, ... $,) = f setzt, die von Jacobi in seiner Abhandlung „Nova methodus, aequationes differentiales partiales primi ordinis inter numerum variabilium quemcunque propositas integrandi“ Borchardts Journal Bd. 60 aufgestellte für jedes A <i geltende Gleichung

cu a xo ein AN "A kai EUN inn) als einen in [18] enthaltenen speciellen Fall ableiten.

ا‎ o

Berichtigungen.

Seite 9 vorletzte Zeile lese man: dem Massenpunkte m. > 18 Zeile 5 füge man hinzu: wenn wir von jetzt an mit » die Anzahl der veränderlichen Grössen q bezeichnen.

ABHANDLUNGEN

DER

HISTORISCH-PHILOLOGISCHEN CLASSE DER

KÜNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN.

ACHTZEHNTER BAND.

Histor.-philol. Classe. XVIIL. Es

Die Formeln der Deutschen Königs- und der Römi- schen Kaiser-Krónung vom zehnten bis zum zwölften Jahrhundert.

Von G. Waitz.

+

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 4ten Januar 1878.

Fa die Salbung und Krönung der Könige, wie sie im Fränkischen Reich zuerst Pippin zutheil ward, in dem Ostfränkischen oder Deut- schen Reich bei Ludwig und Konrad und seit Otto I. regelmässig bei jedem neuen Herrscher zur Anwendung kam, und ebenso für die Sal- bung und Krönung des Kaisers in Rom haben sich bestimmte Formen ausgebildet, die das Interesse der Geschichte in Anspruch nehmen, da man erwarten kann in ihnen Anhaltspunkte für die richtige Auffassung und Beurtheilung, wie dieses Actes selbst, so auch wohl der Bedeutung des Königthums und Kaiserthums überhaupt, insonderheit wieder ihres Verhältnisses zu der Kirche und ihren Dienern, den Bischöfen und dem Papst, zu finden. Da es kirchliche Acte waren, von der Kirche an- geordnet, von Geistlichen vollzogen, so ist es wohl hauptsächlich diese letzte Seite welche hervortritt; nur sehr beschränkt macht sich auch bei dem Königthum ein nationales Element geltend. Gleichartige Formeln sind in den verschiedenen christlichen Reichen gebraucht; und selbst bei der Kaiserkrönnng fehlt es an einer gewissen Verwandtschaft mit diesen nicht. Doch sind dann im Lauf der Zeit manche Verände- rungen getroffen, Umgestaltungen und Erweiterungen haben stattgefun- den. Bei der Krónung der Kaiser haben die Päpste später der verün- derten Stellung, welche sie gegen dieselben gewonnen hatten, Ausdruck Zu geben gesucht. Und es ist deshalb hier yon besonderer Wichtigkeit festzustellen , welche Formel zu der bestimmten Zeit galt. Aber auch A2

4 G. WAITZ,

bei der Deutschen Königskrönung hat es wohl ein Interesse, dieFormel, deren man sich in ülterer Zeit bedient hat, zu kennen und.sich zugleich über ihren Ursprung und ihr Verhältnis zu denen anderer Reiche Rechenschaft zu geben. Beides aber ist bisher wenigstens nicht in aus- reichender Weise geschehen. :

Was wir bisdahin benutzen konnten wird grossentheils der fleissigen Sammlung Martenes (De antiquis ecclesiae ritibus P. II; ich benutze die ed. 2, Antwerpiae 1736) verdankt. Aus ihr ist meist auch entlehnt was in den Monumenta Germaniae historica, Leges Bd. II, zum Abdruck gekommen ist. Wenn sich darunter drei Stücke auf die Kaiserkrónung bis zum 1l2ten Jahrhundert beziehen, so wird für die Krönung des Deutschen Kónigs überhaupt nur eine Formel gegeben (S. 384), die ohne Zweifel erst dem 13ten Jahrhundert, und zwar der zweiten Hälfte dessel- ben, angehört. Hier macht sich für die früheren Jahrhunderte das Bedürf- nis einer Ergänzung geltend, während es dort darauf ankommen wird, unter den mehreren Formeln bestimmter diejenige zu ermitteln, welche als die ältere anzusehen ist. Dies soll hier auf Grund eines ziemlich ausgedehnten handschriftlichen Materials, das zusammenzubringen mir gelungen ist, versucht werden.

Wenn es nöthwendig sein wird, bei dieser Untersuchung die beiden Krönungen gesondert zu behandeln, so ist zunächst einiges über die Sammlungen zu sagen, in denen solche Formeln überhaupt, und meist beide zusammen, oder vielmehr, da noch eine besondere für die Königin. hinzugefügt zu werden pflegt, drei verbunden mitgetheilt werden.

Es ist Hittorp, welcher in seiner Ausgabe des sogenannten Ordo Romanus (Coloniae 1568. fol; wiederholt in der Bibliotheca maxima patrum Vol. XIII!) zuerst diese drei Formeln abdrucken liess, die dann Martene als bekannt voraussetzte und nicht wiederholte, Pertz aber bei der Zusammenstellung des Bandes der Leges überging.

Hittorp sagt von der Sammlung, welche er giebt, da er in den

1) Giesebrecht, Kaisergeschichte II, 3. Aufl., 8. 663, der die hier gegebene Krönungsformel des Königs benutzte, drückt sich ungenau aus, wenn er sagt, Hittorp habe die ordines in der Bibl. abdrucken lassen. | ;

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 5

Handschriften, aus welchen er den alten ordo Romamus de missa et anni totius officiis!) herausgegeben, auch Formeln anderer kirchlicher Ge: brüuche (aliorum item officiorum atque rituum ecclesiasticorum sive or- dines sive formulas) gefunden, so habe er es für angemessen gehalten auch diese bekannt zu machen; er denke so gewissermassen einen *an- tiquum pontificalem sive episcopalem librum ex antiquis libris fideliter excriptum’ zu geben, wie denselben ältere Schriftsteller vor Augen ge- habt. Er sagt aber nicht, dass alles was er mittheilt so in einem Codex verbunden gestanden, dass es also ein Ganzes ausgemacht habe; noch weniger wird etwas über das Alter oder die Herkunft der benutzten Handschriften bemerkt. : Nach einer Notiz Harzheims (in seinem Catalogus codicum mss. bibliothecae ecclesiae metropolitanae Coloniensis, S. 104) sollen haupt- Süchlich drei Codices eines Cornelius Gualterius von Hittorp benutzt sein; mehrere Stücke aber habe derselbe Handschriften der Kölner Dom- bibliothek entlehnt. Die Codices, welche Harzheim beschreibt und wel- che in unseren Tagen an das Domcapitel zurückgegeben sind, kommen aber wenigstens nur theilweise mit der Sammlung Hittorps überein; und man kónnte hiernach geneigt sein anzunehmen, dass wir es in dieser mit einer ganz willkürlichen Compilation des Herausgebers zu thun haben?) Doch ist das wenigstens nicht in dem Masse der Fall wie es 80 scheinen móchte. i Die Bamberger Bibliothek enthält eine Handschrift, Ed. V. 1, auf, welche mit besonderer Beziehung auf die in ihr enthaltenen Krönungs- formeln Giesebrecht (Kaisergeschichte II, 3. Aufl, S. 663) aufmerksam gemacht hat, und die ich durch die Güte des Hrn Bibliothekar Dr. Stenglein hier habe benutzen können. id | Dieselbe ist, ohne Zweifel im 11ten Jahrhundert, schón und deutlich in Folio geschrieben. Ein Titel fehlt. Aber ein Inhaltsverzeichnis am Anfang der drei Bücher, in welche das Ganze zerfällt, lässt keinen Zwei-

1) In der älteren Ausgabe von Cassander findet sich nur dieser. 8 2) So hat von Hittorps Sammlung Tommasi geurtheilt: farrago est potius diver- Sorum rituum secundum varias consuetudines (Mabillon, Mus. Ital. IL, S. IX).

`~

6 G. WAITZ,

fel, dass wir es mit einem "einheitlichen , planmässig angelegten Werk

zu thun haben.

Ich theile jenes, schon wegen der leichteren YE mit an-

deren ähnlichen Sammlungen, mit:

Fol 1. CAPITULA PRIMAE PARTIS. XXVIII.

Orationes super archiepiscopum ante pallium.

I. Benedictio lintheaminum et om- XXX. Ordin. abbatis. nium ornamentorum ecclesiae vel XXXI. Ordin. abbatissae monasticae. altaris. XXXII. Ordo ad virgines velandas.

II. Bened. vestium sacerdotalium XXXIII. Ordin. abbatissae canonicae. atque sequentis ordinis. XXXIIIL Ordin. sanctimonialium.

IH. Ben. stolae, mappulae, planetae. XXXV. Consecratio viduae.

IN. Item ad stolam. XXXVI. Ordin. regis.

v. Bened. corporalis. XXXVII. Ordin. imperatoris.

VI. Ben. vasculi eucharistialis. XXXVIII. Ordin. reginae.

VII. Ben. patinae. XXXVIII. Excommunicatio.

VII. Ben. càlicis XL. De confirmatione.

VII. Ben. turibuli XLI. Consecratio cymiterii.

X. Ben. incensi. |XLI. Ben. muneris quod quis offert

XI. Ben. capsarum. aecclesiae honori.

ns pm E Fol. 78! stehen die

XIII. Ben. tabulae itinerariae. CAPITULA SECUNDAE PARTIS.

XV. Ben. CRUCIS I XVI. Ben. crucis metallizatae. II XVII. Ordo in coena Domini. IL XVII. Ordo dedicationis aecclesiae. II, XVIII. Dedicatio baptisterii. X. XX. Ordo qualiter sacri ordines fiant. VI. XXI. Ordinatio hostiariorum. V

II XXII. Ordinatio lectorum. VIII. XXII. Ordin. exorcistarum. VIII. XXIIH. Ordin. acolitorum. X XXV. . Ordin. subdiaconorum. XI. XXVI. Ordin. diaconorum. XI. XXVII. Ordin. presbiterorum. XIII. XXVIIL Ordin

in. episcoporum. XIIII.

Ordo ad catecizandum infantes. Benedictio salis et aquae. In domo infirmorum.

In dormitorio.

In pyrali.

In scriptorio.

In refectorio.

In cellario.

In coquina.

In pistrino.

In vestiario.

In hospitali,

In lardario.

In area.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS-U. D, RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc.

XV. In granario.

XVI. Pro exeunte de ministerio.

XVII. Pro intränte:

XVIII Pro lectore. *

XVII: In domo ancillarum Dei.

XX. Benedictio cereorum in purifica- tione sanctae Mariae.

XXI. Ordo in capite jejunii.

XXIL: Benedictio palmarum.

XXIII. Ben. novi ignis in coena Domini.

XXIII. Salutatio sancte crucis in pa- rasceve.

XXV. In sabbato sancto cerei benedictio.

XXVI Baptismi consecratio. |

XXVIL Secundum baptisma.

XXVII. Tercium baptisma.

XXVIIIL Benedictio casei.

XXX. Bened. ovi.

XXXI. In dominica paschae benedictio agni.

XXXI. Ben. aliarum carnium.

XXXIII. Ben. lactis et mellis.

XXXIII. Ben. lavacri in albis.

XXXV. Ben. pro segetibus contra vermes.

XXXVI. Ben. in campo in letania.

XXXVII. Contra fulgura.

XXXVIII. Contra grandines.

XXXVIII. Ben. olerum. XL.

XLI. XLII. XLII

Fol. 1071. CAPITULA TERCIAE PARTIS.

Ben. seminum.

Ben. panis et salis.

Ben. sponsae.

Orationes post adeptam digni- tatem.

Benedietio pomorum in festivi- tate sancti Johannis bapt.

E

IIH V. VI. VE VIII

Bened. uvae vel fabae.

7 Bened. primitiarum Bened. Bened. panis.

Bened. panis ed éulogyas dandi.

Bened. vini.

Bened. in monasterio,

Bened. in atrio. ١

Pro antidoto.

Pro diminutione sanguinis.

. putei.

. fontis ubi aliqua negli- gentia evenerit.

: super vascula in antiquis

. novae domus.

. loci ubicumque jacueris. . in stabulo.

. ad lavachrum.

. sabonis.

. super retia.

. ih navi.

Consecratio ensis.

Ben. vexilli bellici.

Ben. civitatis contra gentiles. Oratio pro exercitu.

Pro iter agentibus.

Ben. capsellarum et fustium.

Ben. ad clericum E

. Ben. ad barbam tondendam. . Ben. ad omnia quae volueris.

Ben. aquaé cum cruce tactae pro febribus (Im Text folgt: Reconci- liatio redeuntis à paganis).

8 ys D ; G. WAITZ, XXXVI. Judicium aquae calidae. XLII. Olei unctio super infirmum. |

XXXVII. Judicium aquae frigidae. XLII. Obsequium circa morientes. XXXVIII. Judicium aquae fluentis. XLIII. ^ Impositio super enuguminum par XXXVIII. Judicium ferri ferventis vum baptizandum. ا‎ E. Judicium panis et casei. XLV. . Exorcismus super daemoniacum.

XLI. Major ben. salis et aquae pro peste animalium.

Zwischen der ersten und zweiten Pars aber steht:

F. 68!. Iw CHRISTI NOMINE INCIPIT ORDO "CATHOLICORUM LIBRORUM QUI IN AECCLESIA ROMANA PONUNTUR:

dem eigentlichen ordo Romanus bei Hittorp S. 19 —84 entsprechend, aber im einzelnen abweichend, meist kürzer, zu Anfang einiges mehr, ‚schliessend mit den Worten celebris permansit (Hittorp S. 84). an cR. 764 NUMERUS ANNORUM V AETATUM. Prima aetas. Adam vero cum esset. 130 annorum etc. et fiunt simul anni quinque aetatum 3952. (Auf der leergebliebenen halben Seite hat eine spätere Hand die Bene- dictio einer Kirche geschrieben). عست‎ A Schluss von Pars IIT folgen chronologische Tafeln und Regeln, darunter auch unter der Ueberschrift Qualiter inveniantur anni do- minicae incarnationis eine Rechnung welche auf das Jahr 1067 führt, durch die Giesebrecht bestimmt ist die Abfassung des Codex in. dies Jahr zu setzen. Da dieser Theil aber von derselben Hand wie der ganze übrige Codex geschrieben ist, so kónnte er auch ebenso wie der Hauptinhalt desselben abgeschrieben sein. |

Weiter schliest sich an:

ein Griechisches Alphabet und Erklärung der Griechischen Zahl- zeichen ;

De chrismate quod in singulis annis debeat consecrari ex epistola Fabiani papae omnibus orientalibus episcopis;

In assumptione sanctae Mariae in nocte quando tabula portatur etc., das von Giesebrecht I, S. 883 herausgegebene Gedicht !). بون‎ .1( In dem ersten Vers 1.: sancta, S. 884. Z. 10.: hominum; in dem fünfletzten

Vers hat der Codex venie (wo G. in den Noten angiebt ae, mit Ausnahme des ersten Acdita, stets o).

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 9

(Auf dem letzten Blatt 154 steht von anderer Hand: Hystoriae autenticae sunt 94 etc. ;

f. 154! wieder von anderer Hand 5 Verse:

Alma Maria fave supplicibus lacrimis etc.).

Wie viel von den Anhängen mit dem Hauptwerk in ursprünglichem Zusammenhang steht oder nur miig mit ihm in Verbindung gebracht ist, muss dahingestellt bleiben..

Vergleichen wir was Hittorp S. 85 f. gegeben hat, so findtt es sich grossentheils in diesem Codex wieder, nur in vielfach anderer Ordnung, zum Theil, soweit sich bei oberflüchlicher Vergleichung ergeben, mit etwas anderem Text.

Hittorp S. 85. 86 entspricht III, 31. 32.

86—88. De gradibus Romanae ecclesiae etc. fehlt.

88. Mensis primi etc. S. 90 = I, 20—24.

90. Benedictio ad barbam tondendam III, 33.

91. Mensis primi accipiant fehlt.

= Ordinatio subdiaconorum $. 95 = I, 25. 26. 27.

95. Decretum quod S. 97 fehlt.

97. Ordo qualiter S. 103 I, 28 (wo nur der Anfang anders).

103. Formata epistola 8. 107 fehlt.

107. Orationes istae etc. = I, 29.

107. Incipit ordo de aedificanda ecclesia S. 108 fehlt.

108. Virtutum S. 117. I, 18 (hier fehlt die litania u. a.).

117. Benedictio linteaminum 8. 119 = I, 1—8.

119. Ad benedicendam crucem S. 121, = I, 15. 16.

121. Benedictio thuribuli S. 123 = I, 9—14.

123. Oratio in dedicatione baptisterii odorem incensi I, 19.

123. Deinde vadant etc. geht in der Dedicatio ecclesiae fort, der das Vor- hergehende eingefügt ist.

128. Ordo in dedicatione baptisterii I, 19 nochmals selbstándig.

128. Consecratio coemeterii S. 129 = I, 41.

129. Ordo Romanus ad dedicandam ecclesiam S. 131, wieder verwandt

mit l, 18.

.131. Incipit ordo ad regem benedicendum 8. 137 = I, 36. 38. 37. 137. Ordo ad monachum faciendum 8. 139 fehlt. . 139. Ordinatio abbatis S. 141 = I, 30.

Histor. “philol. Classe. XVIII. B

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10 G. WAITZ,

Hittorp S. 141. Consecratio sacrae virginis S. 145 theilweise I, 32 entsprechend, doch sehr abweichend.

145. Ordinatio abbatissae S. 149 I, 33. 31. 35.

150. Ordo Romanus duae concilium agatur generale 8. 157 fehlt.

157. Ordo ad benedicendam sponsam 8. 158 fehlt

158. Ordo ad armandum ecclesiae defensorem vel alium militem S. 160

nur theilweise verwandt mit III, 23.

Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich wohl mit grosser Sicher- heit, dass Hittorp einen Codex hatte der dem Bamberger verwandt, aber nicht ganz identisch war, dass er die einzelnen Stücke, wahrscheinlich ohne Rücksicht auf die Ordnung der Handschrift, ziemlich willkürlich an einander reihte, ausserdem aber anderes Material benutzte !) und daraus

| wo UD م‎ to

theils die einzelnen Theile mit abweichenden Formeln bereicherte, theils hinzufügte was mit dem Plan der Sammlung, die der Cod. Bam- bergensis enthält, in keinem Zusammenhang steht. Die einzelnen Stücke können also aus sehr verschiedener Zeit stammen.

Was mit der Bamberger Handschrift zusammenfällt, muss wie diese wenigstens dem llten Jahrhundert angehören. Für vieles wird aber noch ein höheres Alter angenommen werden müssen.

Mabillon (Mus. Ital. II, S. IX) giebt Nachricht von zwei anderen Handschriften, die, wie er bezeugt, mit Hittorps Sammlung im wesent- lichen übereinstimmen, die eine aus dem Kloster zu Vendome (Vin- docinensis) auch aus dem llten Jahrhundert, wie er meint vielleicht von dem Abt Godfried aus Rom gebracht, die andere in der Bibliotheca Vallicellana in Rom (die ich weder in Bethmanns Auszug aus dem Ka- talog, Archiv XII, S. 420 ff., noch in Reiffenscheidts Mittheilungen, ٠ Sitzungsb. d. W. Ak. LIII, S. 334 f£, oder Mais kurzen Notizen, Spicil. VI, S. 242, wiederfinde), aus der Zeit der Ottonen.

Auf eine Vorlage dieser Zeit geht aber ohne Zweifel auch der Bam- berger Codex zurück. Das am Schluss stehende Gedicht deutet auf Rom als Ort, auf die Regierung Otto III. als Zeit der Entstehung (Giesebrecht

1) Dahin gehört namentlich die unten S. 15 besprochene Kölner Handschrift, deren c. 41 ind 40 die letzten beiden Abschnitte Hittorps entsprechen. Dagegen ist c. 32 verschieden von Hitt. S. 137.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 11

$.870). Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es mit dem übrigen Inhalt des Bandes zusammen aus einer Handschrift dieser Zeit abgeschrieben ward.

Das Vorhandensein einzelner Stücke lässt sich aber auch in noch früherer Zeit nachweisen.

So theilt Rockinger (Quellen VII, S. 317) aus einer Münchener Handschrift des 9ten Jahrhunderts die auch im Cod. Bamb. erhaltene Be- nedictio super vasa in antiquo loco reperta mit (es ist die zweite der von ihm abgedruckten), und auch andere Stücke dieser Handschrift (Lat. Nr. 14510) zeigen Verwandtschaft.

Andere Formeln entsprechen, wie schon ófter bemerkt, denen wel- che Amalarius in seinem an Ludwig d. Fr. gerichteten Buche de eccle- siasticis officiis anführt; z. B. II, 7 De ostiariis: Hi quando ordinan- tur suscipiunt claves ecclesiae et audiunt ab episcopo: Ita agite acsi rationem possitis Deo reddere pro rebus quae istis clavibus includuntur; vgl Cod, Bamb. I, 21: tradet eis episcopus claves aecclesiae de altari dicens: Sic agite quasi rationem reddituri de his rebus quae his clavibus recluduntur (Hittorp S. 89); II, 8 De lectoribus: replicat episcopus in oratione sua ad lectorem dicens, ut assiduitate lectionum sit aptus pro- nunciare verba vitae et mentis ac vocis distinctione populo monstrare intelligibilia; vgl. Cod. Bamb. I, 22: ut sint apti pronuntiare verba vitae et mentis ac vocis distinctione populo monstrare intelligibilia (Hit- torp S. 89: ut assiduitate lectionum sint apti etc.). Wesentlich abwei- chend ist dagegen was Amalarius I, 25 De consecratione baptisterii über die hierbei gebrauchten Formeln sagt. Nicht dieselbe, aber eine ähnliche ältere Sammlung ist ihm ohne Zweifel bekannt gewesen.

Dass die vorliegende nach Rom gehört, wird sich kaum bezweifeln lassen. Dafür spricht ausser dem was über die Herkunft der Bamber- -ger Handschrift bemerkt ist auch noch anderes. Zwar sind die meisten Formeln, auch die Einsegnungen von Waffen und Fahnen, die Gebete für das Heer, für den Schutz einer Stadt u. a. so gehalten, dass sie überall in der ganzen Christenheit gebraucht werden konnten. Für Römischen Ursprung aber kann man anführen, dass I, 29 sich die Orationes finden, ‘dicendae super archiepiscopum a. d. papa ante pallium’,

B2

12 G: WAITZ,

Noch mehr dürfte einiges in der Bezeichnung der Formeln für Gottes- urtheile, die ich bei anderer Gelegenheit mittheilen werde, in Betracht kommen, namentlich die Ueberschrift von III, 37: Qualiter perpetretur judicium secundum Romanorum institutum.

Vor allem aber ist hervorzuheben, dass anderswo auf die in der Sammlung enthaltenen Krónungsformulare mit dem Worte ‘ordo Roma- nus oder 'ordo hingewiesen wird. "Willelmus Malmesburiensis, wo er, dem Zeitgenossen David folgend, die Kaiserkrónung Heinrich V. be- Schreibt, und, wie wir spüter sehen werden, sich auch dem hier vorlie- genden ordo anschliesst, sagt (V, 423, SS. X, S. 419): coepta oratione quae in ordine continetur; sicut praecipit Romanus ordo.

Darnach kónnen wir kein Bedenken tragen, den Inhalt des Codex Bambergensis und was in der Hittorpschen Sammlung mit demselben übereinstimmt, wie es bei dieser bisher üblich war, als Ordo Romanus zu bezeichnen. cp M

Ob aber alle Stücke und namentlich die Krönungsformulare von Anfang an in der Gestalt, wie sie hier vorliegen, demselben angehört haben, kann allerdings zweifelhaft sein und bedarf näherer Untersuchung.

Eine verwandte, aber bedeutend kürzere Sammlung enthält die Handschrift der Münchener Bibliothek!) Lat. 3909 (August. eccl. 209) s. XII, 4, die ich dort vor einigen Monaten benutzte.

Fol. 89 beginnt dies Werk mit folgendem Inhaltsverzeichnis.

I. De consecrandis psalmistis. XII. De imperatore benedicendo.

Il. De ostiariis. XII- De regina bened.

IH. De lectoribus. XII. De dedicanda aecclesia.

Hu De exorcistis. XY. De consecranda cruce.

Y De acolitis. XVI. De benedicendis linteaminibus al- VI. De subdiaconibus. taris.

VH. De diaconibus. XVII. De benedicendis socerdotalibus ve- VHI. -. De presbiteris. stibus.

VII. De episcopis. XVII. De albis, planetis, stolis, cingulis - X. De campana benedicenda. benedic.

XL De rege consecrando. XVII. De corporali benedicendo.

13) Vgl. den Cat. codd. Latin. bibl. reg. Monac. I, 2, S. 130.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 13

De vasculo eucharistiali bened. De patena consecranda. De calice consecrando. De turibulo benedicendo.

. De capsis bened. De ciborio consecrando. De itinerario ciborio consecrando. De tabula itineraria consecranda. De cimeterio consecrando. De sepulchro et loculo consecrando.

De fonte ad infirmum baptizandum|

consecrando,

De reconciliatione violatae aeccle- siae.

De oblationibus fidelium bened. De confirmatione christianorum. De agenda excommunicatione,

- De benedicendo ense.

De benedictione abbatis. Deordinatione abbatissae canonicae. De ordine ypapanti Domini.

De cinere bened. in capite jejunii. De ordine in palmis.

De exorcismo florum vel Soria: De ordine sancti sabbati in vigilia paschae.

De confirmatione christianorum. De benedicendo caseo.

De bened. agni vel aliarum carnium in pascha.

De benedicendo lacte vel melle. De ordine in cena Domini.

De ordine in parasceve. De Hine heje concilii.

De d infantum

De ordine oct. paschae.

De letania majore.

De missa episcopi pro se in anni- versario ordinationis suae.

De ordine signorum (in?) te igitur). De clerico faciendo.

De barba tondenda clericorum. De capillatura parvulorum.

De dedicatione speciali altarium. De benedictione linteaminum altaris. De benedictione loci in quo aecclesia construenda est.

De ordine missae in dedicatione aecclesiae.

pe RE baptisterio.

a1 ull virginum.

Dei virginum.

1 p

De ordine vel De diacona facienda.

De benedictione viduarum.

De bened. sponsa.

De recipiendo penitente in capite jejunii.

De benedict. cineris.

De exorcismo super nd De infante a diabolo vexato.

De excommunicatione.

De ordine ad sacrosanctum mini- sterium in coena Domini.

In nomine domini nostri Jesu Christi Incipit ordo as in Romana aecclesia sacri ordines fiant.

Nach der benedictio cineris folgt im Text:

1) Im Folgenden fehlen die Capitelzählen im Codex.

Letania in ordinatione

2) späterer Zusatz.

14 G. WAITZ,

episcopi seu clericorum, dann über die olei unctio eines Kranken, In- cipit obsequium circa morientes.

Vor den letzten 4 Capiteln ist auf 10 Blättern, von denen 2 zu einem Quaternio gehören, der das Hauptwerk enthäłt, ein Verzeichnis der Päpste bis Innocentius (II; andere Hand: Celestinus), der reges vel imperatores Francorum von Dagobertus bis Konradus, der Bischöfe von Augsburg bis Waltherus (von verschiedenen Händen fortgesetzt bis Fri- dericus) eingefügt. Mit eworcismus super energuminos beginnt f. 250 eine neue Lage.

Dieselbe Reihenfolge der drei Krönungsformeln wie im Bambergen- sis und die Gleichartigkeit der andern hier zusammengestellten Benedic- tiones weist auf eine Verwandtschaft mit der Bamberger Handschrift und Hittorp hin; doch lassen sowohl die einzelnen Lesarten wie na- mentlich die den Krónungsformeln angehängten dazu gehörigen Missae ` an keine Ableitung denken.

Die drei Formeln stehen aber auch in andern Handschriften zusammen.

So in der Pariser Handschrift Nr. 820 (früher 3866 !), und unter dieser Nummer von Martene citiert, aus der Mazarinschen Bibliothek in die königliche gekommen), s. XIL, fol. min. Eine Beschreibung und theilweise Vergleichung hat mir durch Vermittelung des Hrn G. Monod, der eine Zeit lang unserer Universität angehörte, gefälligst Hr L. Pannier, Employé am Departement der Handschriften, besorgt. Der Band ent- hält ein sog. Pontificale, das 128 einzelne Stücke umfasst; Nr. 61. 62. 63 sind die benedictio regis, imperatoris, regine. Auch hier sind die Missae hinzugefügt; ausserdem weicht der Text der Königskrönung an mehre- ren Stellen von den vorhergehenden ab.

Daran reiht sich eine Handschrift des Kölner Domcapitels Nr. 141 (Harzheim S. 111 ff), auf die ich von Hrn Prof. Wattenbach aufmerksam gemacht bin und die ich, ebenso wie eine später zu erwähnende Handschrift derselben Bibliothek, der sie unlängst von Darmstadt zurückgestellt sind, durch geneigte Vermittelung des königlichen Ministeriums der geistli- chen Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten hier benutzen konnte.

1) Vergl. den Catalogus bibl. regiae III, S. 66.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUHG ete. 15

Es ist ein liber episcopalis oder sog. Pontificale aus der Reimser Diócese 1), wie Wattenbach in seiner handschriftlich mir gütigst mitgetheilten Be- schreibung muthmasst, von Cambray; dieser setzt den Codex ins llte Jahrhundert, während Harzheim schon das Ste oder 9te annahm, ich nicht über das Ende des lOten Jahrhunderts hinabgehen móchte?). Derselbe ist schön geschrieben, der erzählende Theil abwechselnd roth und blau, die Initialen auch grün, einzelne mit Gold oder Miniaturen verziert; Inhaltsverzeichnis und Anfang in Capitalen abwechselnd roth blau und grün. Auch hier folgen sich als Nr. 38. 39. 40 die Formeln für den König, Kaiser und die Königin; alle, besonders die erste, geben aber einen von allen vorhergehenden abweichenden Text. Hier theile ich zunüchst auch das Inhaltsverzeichnis mit.

IN NOMINE DOMINI INCIPIT LIBER EPI- |XI. Ordo qualiter diaconi consecrentur. SCOPALIS. XII. Ordo qualiter presbiteri conse- Capitula sequentis libri. hg pt > XIII. Sermones de supradictis ordinibus. L Ordo ad pueros consignandos. |XIIIL Ordo ad benedicendum cereos in II. Ordo ad puerum tonsorandum. purificatione sanctae Mariae. -IL Ordo ad clericum faciendum. XV. Ordo in capite jejunii, qualiter TI, Ordo ad barbam tondendam. peniteantur. M Ordo qualiter sacri ordines fiant. XVI. Ordo in ramis palmarum. VI. Ordo ostiarii qualiter ordinantur. XVII. ^ Ordo in die absolutionis et de VII. Ordo qualiter lectores ordinantur. poenitentia. VIII. Ordo qualiter exorcistae ordinantur. XVIII. Ordo de consecratione crismatis 11111. ^ Ordo qualiter acoliti ordinantur °). ei olei. X. Ordo qualiter subdiaconi ordi-|XVIIIL Ordo qualiter agendum sit in pa- nantur. rasceve.

1) Dies ergiebt, wie schon Harzheim S. 111 bemerkt, c. 28, fol. 124°, wo der zu wählende Bischof gefragt wird: Vis fidem et subjectionem sanctae ecclesiae Remensi omnes dies vitae tuae servare, und dem entsprechend antwortet: Privilegio etiam metropolis Remensium ecclesiae ejusque praesulis me oboediturum profiteor.

2) Die drei ersten Seiten vor dem Inhaltsverzeichnis sind von jüngerer Hand des liten Jahrh., am Schluss mehrere aus dem 12ten. In der Schrift des Codex selbst kommt noch einzeln das offene a, am Ende der Worte, vor.

3) ordinanantur. Hs.

16 G. WAITZ,

XX. Ordo qualiter benedicatur novus) XXXI. ^ Ordo ad benedicendum abbatem. ignis in sabbato. XXXII. Ordo ad monachum faciendum. XXI. Ordo ad bened. et consecrand.| XXXII. Ordo ad benedic. abbatissam. ecclesiam Dei. XXXIIII. Ordo ad consecr. sanctimonialem. XXII. Ordo ad benedicend. omnia in-| XXXV. Ordo ad consecr laicam virginem. strumenta ecclesiae. XXXVI. Ordo ad bened. viduam. XXIII. Ordo ad crucem Domini bene-|XXXVIl. Ordo ad bened. regem. : dicendam. XXXVIIL Ordo ad ben. imperatorem. XXIIT. || Ordo ad cassam vel feretrum bene- | XXXVIIIL Ordo ad bened. reginam. dicend. . . Ordo ad armandum militem ?). XXV. Ordo ad benedicend. ecclesiae XLI. Ordo ad bened. sponsam. signum. XLII. Ordo ad bened. peregrinum. XXVI. Ordo qualiter consecretur cymi-|XLIII. ^ Ordo ad excomm. et absolut. terium ?). XLIHI. Benedictio carnium in pascha. XXVII. Ordo ad reconciliationem violatae| XLV. Benedictio pomorum. ecclesiae. XLVI. Benedictio ad fruges novas. XXVIII. Ordo ad bened. altare in tabula|XLVII. Benedictio panis novi. lignea confixum. XLVIII. Benedictio uvae sive fabae.

XXVIII. Ordo qualiter consecretur episc. | XLVI. Benedictio vini novi. XXX. Ordo qualiter consecretur Ro-|L, manus pontifiex. Endlich ist hier noch zu erwühnen die Handschrift der Berliner kón. Bibliothek, Lat. Quart 324: sie enthält ein Chartular von Aachen s. XII, dem f. 78! von anderer etwas jüngerer Hand, s. XIII inc., die drei For- meln angefügt sind, deren Abschrift ich Hrn Dr. W. Arndt verdanke. Der Text ist dem der vorigen Handschrift verwandt, ohne doch so weit wie diese sich von dem der übrigen Codices zu entfernen. Da trotz der Verschiedenheit der Texte und der Sammlungen denen sie angehören alle diese Handschriften die drei Formeln in derselben Reihenfolge enthalten, die für die Kaiserkrönung aber jedenfalls nur in Rom entstanden sein kann, so wird angenommen werden müssen, dass sie alle auf eine Rómische Grundlage zurückgehen, die freilich noch ver- schieden gewesen sein muss von der welche in dem Bamberger Codex und dem entsprechenden Texte Hittorps erhalten ist. oe EHE

Ordo qualiter agatur synodus °).

l) cymterium. Hs. 2) Hittorp S. 158 ff. 3) fehlt im Text.

FORMELN D. DEUTSCH. KÓNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 17

I. Die Krónungsformeln für König und Königin.

Die grössten Verschiedenheiten zeigt in den verschiedenen Hand- schriften die Formel für die Krönung des Königs. Theilweise beruhen sie auf dem Umstand, dass auf verschiedene Reiche Rücksicht genommen ist; daneben kommen aber auch andere Umstände in Betracht.

Charakteristisch für die Formel des vorher besprochenen ordo Ro- manus, mit der München und Paris im allgemeinen übereinstimmen, sind die gleich zu Anfang stehenden Worte: Ut eum ad imperii fasti- gium provehere digneris. Sie können sich nur auf den Deutschen König beziehen und weisen auf die Zeit nach der Kaiserkrónung Otto L hin: von einem der älteren Deutschen oder anderen Fränkischen Könige hätten sie so allgemein nicht gesagt werden können.

Die Stelle fehlt in dem nahe verwandten Text des früher Aache- ner, jetzt Berliner Codex, der auch sonst manche Abweichungen darbietet. Die Handschrift, wenn auch dadurch beachtungswerth dass sie aus der regelmässigen Krönungsstätte der Deutschen Könige stammt, ist zu neu, als dass man auf sie allein ein besonderes Gewicht legen könnte. Allein ihre Formel erhält von anderen Seiten die Beglaubigung eines viel höheren Alters (ich will sie im Folgenden die Römische, die der Bamberger und verwandter Handschriften die Deutsche, worin beide übereinstimmen die Römisch-Deutsche Formel nennen).

Schon viel früher war ein nahe verwandtes Krönungsformular in Italien bekannt. In einem Benedictionale des Bischofs Warmund von Ivrea, aus der Zeit Otto III., jetzt in der Bibliothek des Domcapitels, steht ein solches gleich zu Anfang f. 2, wie Dümmler in ur ne Schreibung (Anselm der Peripatetiker S. 85) bemerkt hat. Da die Tier mitgetheilte Ueberschrift: Incipit ordo ad regem benedicendum quando . novus a clero et populo sublimatur, der des Ordo Romanus entspricht,

Histor.-philol. Classe. XVIII.

18 G. WAITZ,

musste mir eine nühere Kenntnis des Textes von Wichtigkeit sein, und Dümmler hatte deshalb die Güte sich an den ihm bekannten Bischof Mons. Luigi Moreno zu wenden, der mit liebenswürdiger Gefälligkeit selbst eine Abschrift, verbunden mit der Durchzeichnung eines beigefügten Bildes, gefertigt hat, wofür ich ihm zu dem lebhaftesten Danke verpflich- tet bin. Der Text ist in mehr als einer Beziehung von Interesse. Er steht dem der Aachener Handschrift nüher als jedem anderen, hat na- mentlich nicht die Beziehung auf den Deutschen König, ist vielmehr noch allgemeiner gehalten (‘episcopus sedis ill. steht wiederholt für 'metropolitanus), dazu kürzer als jener und alle übrigen, indem nament- lich auch die Reden bei Uebergabe der Reichsinsignien fehlen. Man kónnte geneigt sein zu glauben, dass diese Fassung, die durch eine so alte Handschrift (vielleicht die ülteste der mir überhaupt bekannten) ver- treten ist, den Anspruch habe auch für die ursprüngliche zu gelten, so dass die andern alle aus dieser durch Aenderungen und Zusätze ge- bildet seien. Doch scheint es anderer seits nicht recht wahrscheinlich, dass jene Reden der ursprünglichen Fassung fremd gewesen sind, zumal, auch abgesehen von der anzunehmenden Römischen Grundlage des Bam- berger Codex, ein weiteres Zeugnis für ihr Vorhandensein in dieser Zeit und dieser Formel angeführt werden kann.

Das ist die oben (S. 14) angeführte Kölner Handschrift Nr. 141, die aus der Reimser Erzdiöcese stammt. Die Krönungsformel des Königs stimmt zu Anfang genau mit den beiden zuletzt erwühnten Handschriften zu- sammen, um sich spüter freilich bedeutend von ihnen zu entfernen, dann aber doch immer wieder in einzelnen Stücken zu derselben Grundlage zurückzukehren. Untersucht man den (in einer Beilage vollständig mit- getheilten) Text genauer, so zeigt sich, dass er auf einer Combination der Römischen Formel und einer anderen, welche der von Martene (S. 604) ‘ex manuscripto codice Ratoldi abbatis Corbejensis’mitgetheilten genau entsprach, beruht 1); und es sind dabei auch die Stücke benutzt welche in Ivrea fehlen.

Das Formular des Ratold (+ 986) weicht aber in der Ordnung der

; 0 Die bei der Ausgabe gemachten Bemerkungen. ergeben das Nühere, hier hebe ich eine Stelle hervor, die es besonders anschaulich zeigt:

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 19

vorzunehmenden Handlungen und den an sie anknüpfenden Reden we- sentlich von der Rómisch- Deutschen Formel ab.

Hier folgen sich: Salbung, Ueberreichung des Schwertes, der Span- gen und des Mantels, des Ringes, des (Scepters und) Stabes, Krónung; dort: Salbung, Uebereichung des Ringes, des Schwertes, Krönung, Ueber- gabe des Scepters, des Stabes, welche bestimmt unterschieden werden.

Dagegen befindet es sich hier in vollständiger Uebereinstimmung mit einem Angelsächsischen Formular, das zuerst Selden (Titles of honour 3. edit. S. 116 ff) stückweise, dann Taylor (The glory of regality S. 395) offenbar aus derselben an einer Stelle defecten Handschrift (Cotton. Claud.

A. III) hat abdrucken lassen !). Auch die begleitenden Reden und Gebete sind dieselben, so dass auch in der Formel Ratolds wiederholt eine Beziehung auf das Angel-

Köln.

Accipe regiae dignitatis anulum et per hunc in te catholicae fidei cognosce si- gnaculum, quia, ut hodie or- dinaris caput ac princeps regni ac populi, ita perse- verabis auctor ac stabilitor christianitatis et christianae fidei, et per hunc scias tri- umphali potentia hostes re- pellere, hereses destruere, subditos coadunare et co- necti perseverabilitati fidei catholicae, ut felix in opere, locuplex in fide, cum Rege regum glorieris in aeterni- tate. Per eum cui est ho- nor et gloria per infinita.

1) Auch die Formel im dritten Band von Maskel Anglicanae (ein Buch das mir nicht zugünglich war), of the Norman conquest III, S

Rat. Accipe anulum, signacu- lum fidei, soliditatem regni, augmentum potentiae,

per quae scias triumphali potentia hostes repellere, haereses destruere, subditos coadunare et catholicae fidei perseverabilitati connecti. Per.

. 42ff., einige Male Bezug nimmt, ist

Aachen.

Accipe regiae dignitatis anulum, et per hunc in te catholice fidei cognosce si- gnaculum, quia, ut hodie or- dinaris caput et princeps regni ac populi, ita perse- verabis auctor et stabilitor christianitatis,

ut felix in opere, locuples in fide, cum Rege regum glorieris. Per eum cui est honor et gloria.

1, Monumenta ritualia ecclesiae auf welche Freeman, History

dieselbe; s. S. 622.

20 G. WAITZ,

sächsische Reich hervortritt, die nur mangelhaft durch Aenderungen oder Zusätze auf das Fränkische übertragen ist. Es heisst in dem Text des Ratold (R): in regnum N. Albionis totius, videlicet Francorum, eligimus !), in ganz unvermittelter Nebeneinanderstellung des ursprüng- lichen und veränderten Textes ; gleich nachher nur: totius regis Albionis ecclesiam ?); weiter unten: sancti Gregorii Anglorum apostolici. Alles dies hat Köln (K) weggelassen, dafür aber die fast noch mehr charak- teristischen Worte beibehalten: regale solium, videlicet Saxonum, Mer- ciorum, Nordanhunbrorumque 5) sceptra non deserat, die R änderte: v. Francorum sceptra. Die letzte Stelle, schon von Harzheim hervorgehoben und in eine andere Formel übergegangen, hat schon früher Anlass ge- geben auf den Zusammenhang Frünkischer und Angelsächsischer Krö- nungsformeln hinzuweisen (Philipps, Kirchenrecht III, S. 10) 4). Doch erlauben die gebrauchten Ausdrücke nicht, wie man geneigt sein möchte, an die Zeit des Bonifaz, die Krönung Pippins zu denken); erst dem 10ten Jahrhundert, zunächst der Zeit des Königs Eadgar entsprechen die gebrauchten Ausdrücke: er nannte sich 'totius Albionis imperator au- gustus (Lappenberg I, S. 411 N.); er hat die Verhältnisse des nördlichen Englands neu geordnet, und eine zweite Krönung, die er vornehmen liess, bezog sieh vielleicht darauf. Im weitern Verlauf ist von zwei Völkern die Rede (utrorumque horum populorum)6), die der zu krönende König nach dem Vorgang des Vaters unter seiner Herrschaft vereinigen soll (paternae apicem gloriae tua miseratione unatim stabilire et gubernare

1) Taylor S. 397: in regem Anglorum vel Saxonum pariter eligimus.

2) a. a. O.: totius regni Anglo-Saxonum aecclesiam.

3) a. a. O.: videlicet Anglorum vel Saxonum.

4) Franzósische Schriftsteller haben es freilich auch auf ein Recht der Franzö- sischen Könige auf die Englische Krone bezogen; s. Freeman III, S. 624.

5) Nach Taylor S. 228 wäre der erste Angelsächsische König der gesalbt Egbert im J. 785. Doch ist diese Frage wohl nicht mit Sicherheit zu entscheiden,

6) Das kónnte vielleicht für das hóhere Alter der Fassung: Anglorum et Saxo- num sprechen, Dagegen ist die Form Anglo-Saxonum (N. 2) selten und kaum ursprüng- lich; vgl. Freeman II, S. 45 N., der auch sonst die Nennung der drei Völker für das Ursprüngliche hält, S. 624.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUHG etc. 21

mereatur) Das passt nur auf den Sohn Eadgars!), Eadward, der dreizehnjüh-" rg 975 dem Vater folgte: die in demselben Zusammenhang gebrauchten Worte ‘per longum vitae spatium' können wenigstens eine Beziehung auf seine Jugend haben?) Eine andere Stelle scheint wohl noch etwas weiter hinabzuführen, zu dem Bruder Eadwards, Aethelred, der nach jenem 978 die Herrschaft empfing5). Wir haben die Versprechungen welche dieser König bei seiner Krönung auf Anhalten des Erzbischofs Dunstan gegeben haben soll (aus Hickes mitgetheilt bei Kemble, The Saxons IL, S. 35 N.; aus der Handschrift von Taylor S. 405) 9. Der hier gegebene Angelsüch- siche Text entspricht genau den Lateinischen Worten der Formel in R und K. Aber, da Aethelred seinem Bruder folgte, würden die angeführten Worte auf ihn nicht recht passen, und nichts hindert anzunehmen, dass Eadward, bei dessen Erhebung jener Erzbischof ebenfalls thätig war, dieselben Zu- sicherungen gegeben hat und sie nur zufülig in der Angelsüchsischen Fassung gerade mit Aethelred in Verbindung gebracht sind. Folgen wir einer anderen Ueberlieferung, so sind sie selbst noch bedeutend ülter. Sie

‚stehen nämlich ganz entsprechend, nur mit anderer Ueberschrift (Primum

mandatum regis ad populum hic videre potes), in einer Formel die Mar- tene aus einem Pontificale des Erzbischofs Egbert von York und einer Handschrift des Normannischen Klosters Jumieges mittheilt (S. 596 f£). Ist jene Angabe begründet, so würden wir auf den Anfang des Sten Jahrhunderts zurückgeführt werden. Mag das aber auch dahingestellt

1) Eadgar selbst war der Bruder, sein Vorgänger Eadwi der Neffe, Eadred auch der Bruder des vorhergehenden Königs. Erst Eadmund ist 940 seinem Vater Aethel- Stan gefolgt. :

2) Dagegen dürfen die Worte in der ersten Rede ‘Te invocamus' etc.: juveni- lis flore laetantem crescere concessisti’ nicht in Anschlag gebracht werden, da sie schon in dem Pontificale Egberti stehen.

3) Und wahrscheinlich hat dies Taylor bewogen, das von ihm publicierte zonm lar auf diesen König zu beziehen; er selbst drückt sich aber S. 240 sehr unbestimmt aus, und schon Freeman III, S. 624 bemerkt, dass es wohl älter sein möge.

4) Die von Schmid, Angels. Ges. S. 551, unter eyning versprochenen Nachwei- Sungen über den Krönungseid des Angelsächsischen Königs finden sich nicht unter hyld-äd, auf das verwiesen wird.

22 G. WAITZ,

jedenfalls hat diese Formel einen mehr alterthümlichen Charak-‏ وي ter; sie lässt den König nur Scepter und Stab überreichen, statt der‏ Krone einen Helm (galea) aufsetzen. Einige der Gebete in R und K‏ finden sich aber auch schon hier.‏

Dass dieselben wenigstens theilweise auch im Fränkischen Reich bekannt und gebraucht waren, zeigt die uns erhaltene Krönung Ludwig (IL) vom J. 877 (LL. I, S. 543). Hier ist ausserdem als Petitio epi- Scoporum und Promissio regis gegeben was auch in R steht und in K mit den Versprechungen der Rómisch-Deutschen Formel in Verbindung gebracht ist. Es entspricht so ganz den Verhältnissen des West-Frän- kischen Reichs am Ausgang des 9ten Jahrhunderts, dass man nicht ge- neigt sein kann es aus England abzuleiten. Und auch bei den gemein- schaftlichen Gebeten liegt dazu wenigstens kein bestimmter Anlass vor. Es kann auch das Umgekehrte geschehen, oder es kann eine gemein- schaftliche Grundlage vorhanden gewesen sein.

Beachtungswerth ist besonders eins dieser Gebete, eben das welches bei der Salbung gesprochen wird: Omnipotens aeterne (oder: sempitérne) Deus, creator et gubernator coeli etc. In diesem finden sich in R und K die vorher hervorgehobenen Stellen, welche so bestimmt nach England weisen. Im Pont. Egberti fehlt es ganz. Dagegen ward es bei der Krönung Ludwigs gebraucht, und steht auch in dem Römisch -Deut- schen Formular. Dort aber ist es wesentlich kürzer und wie man sagen muss der Text viel zusammenhängender, so dass deutlich erhellt, wie man in England bei der Krónung Eadwards eine lüngere Stelle einschal- tete, die den besonderen Verhältnissen des Landes und des Falles ent- sprach. Auch der Römisch-Deutsche Text hat freilich eine entsprechende Stelle, nur mit Beseitigung der speciell auf England bezüglichen Worte, und man kónnte geneigt sein dies für das Ursprüngliche zu halten. Dagegen spricht aber, dass der Text hier in der That des rechten Zu- sammenhangs entbehrt und nur verständlich ist, wenn man den Angel- Süchsischen als Grundlage ansieht. So heisst es statt ‘ut utrorumque horum populorum debita subjectione fultus’ freilich nur ‘horum populo- rum'; aber es ist hier vorher gar nicht von 'populi die Rede gewesen.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 23

Ebenso hat die Bezeichnung ‘totius regni ecclesiam’, wo ‘Albionis’ weg- gelassen ist, keine rechte Bedeutung; statt des ‘paternae apicem gloriae unatim stabilire et gubernare mereatur steht ein ziemlich nichtsssagen- des ‘ad paternum decenter solium conscendere mereatur. Ausserdem ist der Schluss der Rede, der sich in der Krónung Ludwigs findet, wegge- lassen; und schon deshalb kann die Angelsüchsische Formel nicht aus der Deutschen stammen.

Ich bemerke übrigens gleich, dass die ganze Rede in Ivrea fehlt, in Aachen nicht bei der Salbung, sondern vorher steht, in einigen Hand- schriften der eigentlich Deutschen Formel sich zweimal findet.

Ehe aber von dieser und ihrem Verhältnis zu der Angelsächsischen Formel zu sprechen, ist ein Wort über den Einfluss zu sagen, den diese oder ihre Ableitungen sonst ausgeübt haben 1).

Besonders sichtlich ist derselbe in der spüteren Krónungsformel der Franzósischen Kónige (Martene S. 610; ein verwandtes etwas jüngeres Formular für Karl V. vom J. 1365 aus einer Handschrift der Cottonschen Bibliothek bei Selden S. 177 ff). Ueber die Bestimmung dieser lassen die wiederholten Beziehungen auf Reims, auf den Abt von St. Remi, auf die Würdenträger und Pairs des Französischen Reichs nicht den min- desten Zweifel. Ebenso deutlich ist, dass die aus verschiedenen Be- standtheilen combinierte Formel von K benutzt ist, so dass selbst jene Stelle über die Sachsen Mercier und Nordhumbrer beibehalten ward (Martene S.615. Selden S. 189). Dazu kommen aber einzelne Sätze aus der Deutschen Formel, zu Anfang die Anreden an den Kónig und Ant- . worten desselben in directer Rede, die hier wunderlich genug mit der Fassung in indirecter Rede verbunden sind, spüter mehrere nur hier vor- handene Gebete; zuletzt eine Professio des Kónigs, die nur die Kölner Handschrift Nr. 139 hat, mit der und einzeln mit der Pariser auch sonst der Französische Text etwas nähere Verwandtschaft zeigt. Auch die Reihenfolge der Acte ist dieselbe wie dort.

Nicht minder gross ist die Verwandtschaft einer späteren Formel

1) Davon handelt Freeman III, S. 624 nach dem Vorgang von Selden ind Mae- kell, ohne doch den Gegenstand zu erschöpfen und das hohe Alter dieser Verbrei- tung zu erkennen.

24 G. WAITZ,

für die Krönung des Langobardischen Königs (LL. II, S. 506). Die mehrfach besprochene Stelle lautet hier : regimen Italicorum administret, ut regale solium (so zu lesen) videlicet Saxonum Merciorum !) Nordanym- barumque aliorumque populorum sibi subditorum sceptra non deserat, das folgende ‘utrorumque’ ist beibehalten. Die Acte folgen sich wie in R.

Eine gewisse Verwandtschaft zeigt auch der ordo, den Martene aus einem Pontificale Arelatense mitgetheilt hat (S. 634), und der dadurch merkwürdig ist, dass er in der Einleitung ausdrücklich eine Anwendung auf verschiedene Reiche annimmt. Nach der Wahl, heisst es, conveniant episcopi omnes ad civitatem metropolim, quae major est aliarum merito et dignitate et quae infra limites est regni, ut in imperio Roma, Con- stantinopolis in Graecia, Vienna in Burgundia, Narbona in Gothia, Re- mis in Francia vel similiter in cetera regna. Die Zeit freilich welcher diese Angaben entsprechen ist schwer anzugeben: während Vienne nur für das ültere Burgundische Reich, Narbonne für die frühere Zeit des Westgothischen genannt werden kónnten, lassen das imperium und Reims höchstens an die Karolingische Periode denken. Wahrscheinlich ist es nur falsche Gelehrsamkeit eines späteren Abschreibers, die sich hier hat zeigen wollen. Wenigstens fehlen in einer verwandten Münchener Hand- schrift diese Worte. Es ist der Cod. Lat. Nr. 10073 (Pal. M. 73) aus dem Jahre 1409, ein, ohne Zweifel in Italien, von Durantus Uielli ge- schriebenes, mit interessanten Miniaturen geziertes Pontificale. Es ent- hält fol. 104! f£, wie die Ueberschrift heisst: Ordo Romanus ad benedi- cendum regem vel reginam, imperatorem vel imperatricem coronandos, zu- erst eine Formel der Kaiserkrönung, die von den bisher bekannten in manchem einzelnen abweicht, aber entschieden einer späteren Zeit an- gehórt, dann f. 114: De benedictione et coronatione aliorum regum et regi- narum Rubrica, ein Abschnitt der so eingeleitet wird: Cum alius rex benedicendus et coronandus est, omnes episcopi regni conveniant ad civi-

1) Wenn Pertz die beiden folgenden Worte nicht in den Text nahm, durfte er auch nicht ‘Saxonum’ mit Muratori beibehalten. Dies hat schon früher zu ganz un- begründeten Vermuthungen Anlass gegeben: so stützt Giulini, Memorie di Milano IV, S. 233, nur hierauf seine Ansicht, dass die Formel unter Heinrich IV. zu setzen sei:

, FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 25

tatem metropolitanam vel regiam, in qua hoc fieri consuevit; das Fol- gende wenigstens mehrfach übereinstimmend mit dem Text des Arelat. Die Formel liegt der zu Grunde welche in die gedruckten Ausgaben des Pontificale Aufnahme gefunden hat (in der Lugd. 1511 f. 70! ff.; aus dem Pontif Romanum Clemens VIII. wiederholt bei Selden S. 155 ff.).

Die Reihenfolge der Acte ist hier: Salbung, Ueberreichung des Schwertes (fehlt Arel.), Krönung, Uebergabe des Scepters, Setzung auf den Thron.

Von den mitgetheilten Reden in Arel. ist eine bei der Salbung ‘Deus, Dei filius etc. sonst nur der Angelsüchsischen Formel angehörig, die an- deren ‘Omnipotens sempiterne Deus etc. und ‘Accipe virgam virtutis etc. dieser und der Rómisch-Deutschen gemeinschaftlich; zwei weitere: ‘Deus, qui victrices Moysis manus etc. und: ‘Deus inenarrabilis, auctor mundi etc. kommen sonst als Benedictiones ohne Beziehung auf Salbung und Krönung vor (s. Beilage IV; die erste hat auch Aufnahme in die Franzö- sische Formel gefunden, Martene S. 612).

Zu der Annahme einer Benutzung der Angelsüchsischen Formel ist somit hier kein genügender Grund.

Wenigstens zweifelhaft ist die Sache bei der Rómischen, in den Handschriften von Ivrea und Aachen-Berlin. Nur die letzte hat, wie vorhin bemerkt, die Rede *Omnipotens aeterne Deus' in einer Gestalt die allerdings auf die Angelsüchsische Formel zurückgeführt werden muss; allein an einer andern Stelle, in einem Zusammenhang zu dem sie in der That wenig passt; so dass man geneigt sein muss sie für einen spüteren Zusatz zu halten. Wollte man alles was Aachen mehr hat als Ivrea so betrachten, würde so gut wie jede Verwandtschaft fehlen, indem dann nur die Benedictio, von welcher es hier heisst dass es die sei, quae tempore synodi super regem dicenda est, und die also ursprünglich nichts mit der Krónung zu thun hat, gemeinschaftlich würe, alle anderen Reden ebenso wie die Reihenfolge der Acte verschieden. Doch glaube ich aus dem oben (S. 18) angegebenen Grunde so weit nicht gehen, vielmehr eine Abkürzung des ursprünglichen Textes in Ivrea annehmen zu müssen. Dann hatte aber die Römische Formel zwei Stücke mit der Angelsüchsischen

Histor.-philol. Classe. XVIII.

26 G. WAITZ,

gemein, das Gebet bei der Ueberreichung des Stabes: Accipe virtutis virgam etc., und die besonders charakteristische Rede bei der Einnahme des Thrones: Sta et retine amodo locum, quem hucusque paterna successione tenuisti etc. In dem Pontificale Egberti und ebenso dem Krönungsformular König Ludwigs findet sich von beiden nichts. Dass es aus der Angelsächsischen Formel in die Römische übergegangen, muss wenig wahrscheinlich dünken, wenn man bedenkt, dass jene erst aus einer Zeit stammt die wenig älter ist als die welcher die frühesten erhaltenen Handschriften dieser angehören, dass, wenn man bei Auf- stellung einer allgemeinen Krönungsformel, sei es in Rom sei es an- derswo, überhaupt das Bedürfnis fühlte sich einer fremden Vorlage zu bedienen, es nahe gelegen hätte, nicht blos zwei einzelne Stücke dersel- ben zu entlehnen, sondern sich ihr im ganzen anzuschliessen. Dagegen trügt die Angelsüchsiche Formel, wie wir gesehen, auch sonst den Cha- rakter einer Compilation an sich: einzelnes ist aus der des Pontificale Egberti, anderes aus der bei der Krönung K. Ludwigs gebrauchten ge- nommen: so kann es nichts auffallendes haben, wenn auch diese Rómi- sche benutzt ward.

Was endlich die Formel betrifft die wir vorläufig als die Deutsche bezeichnet haben, so schliesst sie sich eng an die Rómische an, ist aber ausführlicher, giebt mehrere Reden welche dieser fehlen und hier mit der Salbung in Verbindung gebracht werden: Ungo te etc.; Unguantur manus etc.; Prospice omnipotens Deus etc.; Spiritus sancti etc. Haben diese mit der Angelsüchsischen Formel nichts gemein, so ist dagegen nun definitiv, in einigen Handschriften sogar zweimal, die Rede 'Omnipotens aeterne Deus, creator omnium etc., in der Gestalt aufgenommen, wie sie in Aachen sich findet und hier auf jene zurückgeführt werden muss. Man kann zweifelhaft sein, ob das aus einer directen Benutzung dersel- ben oder nur eines Aachen entsprechenden Textes zu erklüren ist: in dem letztern Fall hätte der Redactor dieses die an falsche Stelle gerathene Rede an den gehörigen Ort gesetzt oder vielleicht nur hier noch einmal wiederholt (wie sie sich in einigen Handschriften doppelt findet; was dann später bemerkt und verbessert ward)

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS-U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 27

Freilich ist auch noch darüber ein Zweifel möglich, ob die soge- nannte Römische oder die Deutsche Formel die ältere sei. Es liesse sich denken, dass man aus einer für das einzelne Reich bestimmten eine all- gemeine, in den verschiedenen Reichen anwendbare gemacht habe. Doch wahrscheinlicher ist gewiss das Umgekehrte. Dass die Deutsche Formel die Reden an den König in directer Rede giebt, erscheint auch nicht als solcher Vorzug, dass man um deswillen ihr ein höheres Alter bei- legen müsste. Die handschriftliche Beglaubigung reicht wenigstens bei der Römischen etwas höher hinauf. Bringt man die für die Bamberger Handschrift (B) als wahrscheinlich angenommene Römische Grundlage aus der Zeit Otto IIL in Anschlag, so muss nun bemerkt werden, dass es nach Vergleichung eben von Aachen und Köln (K) keineswegs doch als sicher erscheint, ob der alte ordo Romanus wirklich den Text von B enthielt, ob nicht vielmehr an die Stelle der hier gegebenen allgemeinen die mehr specielle Formel gesetzt ist. Die Art und Weise wie K jene umgeändert, mit der Angelsächsischen zusammengearbeitet hat, lässt das als sehr wohl möglich erscheinen. Jedenfalls ist, wie schon oben (S. 14) bemerkt, der Text von B nicht der Art, dass aus ihm oder, wenn man ihn als Abschrift einer älteren Handschrift ansehen will, aus dieser die übrigen uns erhaltenen entstanden sein können. Sonach wird anzunehmen sein, das aus einer älteren allgemeinen, wahrscheinlich in Rom redigierten !), Formel für die Krönung eines Königs diejenige hervorgegangen ist, wel- che wir als die Deutsche bezeichnen.

Dann bleibt noch die Frage, ob diese Formel wirklich in Deutsch- land in Gebrauch war. Dass, wie Giesebrecht (III, S. 663) meint, schon das Vorkommen im Bamberger Codex die Anwendung hier im llten Jahrhundert verbürge, kann man ohne weiteres nicht zugeben. Die For- mel ist in der Handschrift eben nur Theil einer grösseren Sammlung» jene im allgemeinen ohne Zweifel Abschrift eines älteren Römischen Codex: so lässt sich für den Gebrauch in jener Zeit und in Deutsch-

1) Von Rom schickte schon Silvester II. eine Krönungsformel nach Ungarn, Gerb. epist. 218 S. 149 (ed. Olleris): corona quam mittimus rite juxta formulam

legatis tuis traditam coronatus.

D2

98 G. WAITZ,

land überhaupt aus ihr wenigstens nur unter der oben gemachten Vor- aussetzung etwas schliessen. Etwas mehr Gewicht darf vielleicht auf die früher Augsburger Handschrift gelegt werden, in der es sich um eine Auswahl einzelner praktisch anwendbarer Stücke zu handeln scheint. Noch hóher schlage ich an, dass eine Handschrift des Kólner Domca- pitels, Nr. 139, ein Pontificale der Kölner Kirche aus dem 12ten Jahr- hundert, denselben Text enthült, und zwar ohne die so gewöhnliche Ver- bindung mit den beiden andern Formeln. Vielleicht dass weitere Nach- forschungen, als ich sie habe anstellen kónnen, noch andere Exemplare aus Deutschen Stiftern zu Tage fórdern auch der Pariser Codex oder seine Grundlage stammt doch wahrscheinlich aus Deutschland!) : eine weitere Verbreitung hier würde gewiss dafür sprechen, dass man der Formel eine praktische Bedeutung beilegte. Dagegen kann es dann nicht sonderlich ins Gewicht fallen, dass eine Handschrift, wenn auch gerade der alten Krónungsstadt Aachen, den nahe verwandten Rómischen Text bringt.

Die Historiker haben uns von den Krónungen der Könige meist keine genaueren Beschreibungen gegeben. Nur Widukind spricht aus- führlicher von der Salbung und Krónung Otto I. in Aachen. Es fehlt hier nicht an Abweichungen von beiden Formeln. Während diese zu- erst die Salbung stattfinden, dann die Uebergabe des Schwertes, der Spangen, des Mantels und Ringes, des Scepters und Stabs, zuletzt der Krone erfolgen lassen, empfängt der König nach Widukind zuerst das Schwert, wird darauf mit Spangen und Mantel bekleidet, mit Scepter und Stab ausgerüstet, und dann erst gesalbt und gekrónt; von den Worten, die der Erzbischof von Mainz bei der Bekleidung mit dem Mantel nach Widukind gesprochen haben soll, wissen die Formeln nichts; und auch die andern welche der Geschichtsschreiber mittheilt sind jedenfalls nicht nach diesen gemacht. Dem gegenüber zeigt sich aber doch manche

1) Der Catalogus mss. der Pariser Bibliothek III, S. 66 giebt über die Herkunft nichts näheres an, nur dass er einen catalogus regum Francorum Heinrich I. (das scheint der Französische König zu sein) enthalte.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 29

wichtige Uebereinstimmung: die Art und Weise wie die armillae und das pallium bei dem Act hervorgehoben werden!), die Anrede an das Volk, mit der Frage ob der neue Kónig ihm gefalle, der Umstand dass ausser dem Metropolitanus wenigstens noch ein anderer Erzbischof als anwesend angenommen wird, weisen bei Widukind auf die Benutzung einer ühnli- chen Formel hin. Die Worte, in welchen nach der Deutschen Formel auf die künftige Erhebung zum Kaiser Rücksicht genommen wird, konnten bei Otto I. Krönung schwerlich gebraucht werden, und zunächst um ihret willen werden wir genöthigt sein, die Redaction, wie sie vorliegt, noch in eine etwas spätere Zeit zu setzen. Der der folgenden Ottonen würde sie aber wohl entsprechen.

Damals mochte man in Deutschland am wenigsten Bedenken tra- gen, auch das erbliche Recht in so bestimmter Weise zu betonen, wie es an einigen Stellen geschehen ist. Eine dieser Stellen: Sta et retine amodo locum, quem hucusque paterna successione tenuisti, geht, wie vorher (S. 26) bemerkt, auf frühere Zeit zurück. Dasselbe ist vielleicht bei einer zweiten anzunehmen: Reges quoque de lumbis ejus per successiones tem- porum futurorum egrediantur, in einer Rede (Prospice etc.) die in der Römischen Formel fehlt, die aber als Theil einer Kaiserkrónung vorkommt, obschon sie ihrem Wortlaut nach nur auf den König Bezug nimmt: ich werde spüter bemerken, dass sie wahrscheinlich der Karolingischen Zeit angehört. So ist freilich für die in Deutschland selbst geltende Auffas- sung auf diese Sätze kein grosses Gewicht zu legen. Doch kann man Sagen, dass ihr Gebrauch dazu dienen mochte, die Vorstellung von einem solchen Recht der Könige in ihnen selbst und im Volk zu nähren.

Daneben ist auch von einem Wählen die Rede. Es heisst: quem supplici devotione in regem eligimus (so die Handschriften fast alle, nicht *elegimus', wie Hittorp gedruckt hat) Entsprechend wird aber auch von der Königin gesagt: quam s. d. in reginam eligimus, und die Worte bedeuten wohl nicht eben mehr, als dass gerade dieser kirchliche Act wie eine Art Wahl durch die Bischüfe angesehen ward, eine Auf-

1) Das geschieht ausserdem bei den späteren Englischen Krónungen; s. Taylor S. 408

30 G. WAITZ,

fassung die der Zeit des lOten und liten Jahrhunderts nicht fremd warl). Frägt dann der Metropolitan das in der Kirche versammelte Volk, ob es diesem Kónig sich unterwerfen, seinen Befehlen gehorchen will so entspricht das, wie schon bemerkt, dem was bei der Krónung Otto L, und ohne Zweifel auch sonst vorkam, ohne dass damit ein wirk- liches Wahlrecht des Volkes überhaupt anerkannt wäre.

Für die Versprechungen, welche der Kónig nach der Formel giebt, haben wir keine directe Bestätigung in Nachrichten zeitgenössischer Au- toren. Doch gehen sie nicht über das hinaus was auch der Zeit des in voller Macht und Ansehn stehenden Königthums angemessen war, ent- halten nicht wie andere auch ältere Formeln namentlich die professio, die aus einer solchen der Kölner Handschrift eingefügt ist etwas für den König beschrünkendes, sondern eben nur die Anerkennung der Pflichten welche allgemein als die königlichen angesehen wurden. Und dass eine solche Verpflichtung förmlich übernommen ist, bestätigen wenigstens die Berichte, welche in der Zeit Heinrich IV. von einer Verletzung der ein- gegangenen Verträge sprechen, diesen König mit Rücksicht darauf des Meineides beschuldigen 2).

1) Namentlich tritt sie bei Richer hervor, I, 41, S. 580; II, 4, S. 588; III, 2. 8. 610; wo ‘creatus est sich auf die bischöfliche Weihe bezieht (III, 91, S. 626 steht: ‘promotus est’). Aber in diesem Sinn sagt auch wohl Wolfher in der Vita Gode- hardi pr. c. 26, S. 186: pastores aecclesiae Spiritus sancti instinctu conciverunt con- silium salutis, in quo sine quolibet dissensu Chuonradum regem elegerunt; und Ho- norius August. de apost. et augusto c. 4, Pez Thes. anecd. IL S. 189: Ergo rex a Christi sacerdotibus, qui veri ecclesiae principes sunt, est constituendus; consensus famen laicorum requirendus. Vgl. was Freeman, The growth of the English consti- tution (Leipz. 1872) S. 191 ff, über ähnliches in den Angelsüchsischen Verhält- nissen bemerkt.

2) Manegold in dem Auszug von Giesebrecht, S. 325 N.: cum pactum pro quo constitutus est constet illum prius irrupisse; Paulus Bernr. V. Gregorii VII. c. 97, ed. Watterich II, S. 531: cum pactum adimplere contemserit, quod eis pro electione sua promiserit, und vorher: liberi homines Henricum eo pacto sibi praeposuerunt in regem, ut electores suos juste judicare et regali providentia gubernari satageret. Vgl. Lambert 1074 8. 209: tamquam evidentis perjurii reum ... de regno proturbarent.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 31

Eine weitere Bestätigung für den wirklichen Gebrauch der in meh- reren Handschriften Deutscher Stifter erhaltenen Krönungsformel giebt endlich die spätere, über deren Anwendung kein Zweifel sein kann (LL. 11, S. 384), und die sich in wesentlichen Punkten an jene anschliesst, speciell auch da wo sich Abweichungen von der Römischen finden: so sind die Fragen an den Kónig ebenfalls in directer Rede und zum Theil wörtlich übereinstimmend gegeben; ebenso findet sich das Gebet für die Erhebung zum Kaiserthum, nur mit der Aenderung: Ut eum ad regni et imperii fastigium feliciter perducere digneris.

Sonach haben wir anzunehmen, dass auf Grund einer ülteren, wahrscheinlich in Rom entworfenen und in den sogenannten Ordo Ro- manus aufgenommenenen Formel für die Krónung eines Kónigs über- haupt, unter Benutzung, sei es in dieser oder, was wahrscheinlicher, in einem späteren Zusatz zu derselben, einer gegen Ende des lOten Jahr- hunderts im Angelsüchsischen Reich zusammengestellten, diejenige For- mel entworfen ward deren man sich in der nüchsten Zeit in Deutsch- land bei der Krönung des Königs bediente.

Ihren bisher nur von Hittorp bekannt gemachten Text gebe ich hier unter Benutzung der oben besprochenen Handschriften, von denen die Bamberger wohl die älteste, aber keineswegs die beste ist (1 Köln 139; 9 Paris; 3 München; 4 Bamberg; 5 Hittorps Aus- gabe) und unter Hinweisung auf die verwandten, in den Beilagen mit- zutheilenden, Texte der Römischen Formel (Bl = Köln 141; B2 = Aachen; B3 Ivrea)!) Dieser steht von jenen Handschriften am nüchsten 2, deren Text ich aber deshalb nicht zu Grunde gelegt habe, weil er mir nicht selber vorgelegen hat, auch noch nicht die volle Aus- bildung der Deutschen Formel im Unterschied von der Römischen zeigt,

sondern eine Art Zwischenstufe darstellt.

1) Auffallend ist ein näherer Zusammenhang zwischen 3. 4. 5 und B3, die noch einem andern Verwandtschaftsverhältnis

weder bei dem hier angenommenen erklärt werden kann.

32 G. WAITZ,

Die Krónung der Kónigin ist in allen Handschriften wesentlich über- einstimmend; in Köln 139 (1) fehlt sie; Paris (2) habe ich nicht verglei- chen lassen, dagegen ist hier Köln 141 (Bl) und Aachen-Berlin (B2) zur Vergleichung herangezogen; in der ersteren finden sich einzelne Zusätze, die auf einer ähnlichen Compilation mit einer Angelsächsischen Formel (Taylor S. 403#.) beruhen, wie sie in der vorhergehenden nachgewiesen ist.

Die bei den Krónungen von Königinnen aus Karolingischer Zeit, der Hirmintrud im Jahr 866 (LL. I, S. 506) und der Judith bei ihrer Vermühlung mit dem Angelsachsen Aethelwulf (eb. S. 450), gebrauchten Formeln zeigen weder mit dem allen gemeinsamen Text noch mit den Zusätzen von Bl Verwandtschaft.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 33

INCIPIT* ORDO AD REGEM? BENEDICENDUM.

Quando^ novus a clero et populo sublimatur in regnum, primum®, exeunte illo thalamum, unus archiepiscopus dicat hanc® orationem:

Omnipotens, sempiterne Deus, qui famulum tuum N. regni fastigio dignatus es sublimare, tribue ei, quaesumus, ut ita in hujus* seculi cursu cunctorum in commune salutem disponat, quatinus a tuae verita- tis tramite non recedat. Per’.

Postea suscipiant illum duo episcopi dextera. laevaque, honorifice parati, habentes sanctorum" reliquias collo pendentes. Ceteri autem clerici sint” ca- Sulis? adornati; precedente sancto euangelio et duabus crucibus cum incenso? boni odoris, ducant4 illum ad aecclesiam, canentes responsorium". Resp.°: Ecce mitto angelum meum*. Vers.": Israhel", si me audieris; cuncto" eum vulgo sequente. Ad ostium autem aecclesiae clerus subsistat, et alius* archiepiscopus dicat hanc? orationem:

. Deus, qui scis genus humanum nulla sua? virtute posse subsistere, concede propitius, ut famulus tuus N., quem populo tuo voluisti pre- ferri®, ita tuo fulciatur adjutorio, quatinus quibus potuit preesse valeat et^ prodesse. Per. |

Introeuntes autem precedentes? clerici? decantent? antiphonam: Domine,

a) Ordinatio regis schickt 4 als Ueberschrift voraus. b) b. r. 3. c) quando (cum 4) in regnum verbinden mit der Ueberschrift 3. 4. 5. B2. 8. d) in r. fehlt 4. e) pr. enim 1. 2. B3. f) de thalamo 1. 2. g) d. oremus 1. pontifex oratio 2. h) ill. 5 immer; fehit 9, i) fehlt 2. 3. 4. k) presenti collecta multitudine 8. 4. 5. B3. 1) fehlt 4. m) fehlt 5. s. in e. p. r. 3. n) fehlt 8. 4. 5. B3. o) solenni apparatu ornati 5. sollempniter a. Bl. p) incensu 1. q) et d. 4. r) fehlt 4. r. c. 1. 5. r. cum versu. R. Ecce mitto. V. Israhel 3. s) fehlt 2. 4. 5. t) m. qui precedat te 2. u) cum versu 2. 4. 5. v) J. si me a. fehlt 2. 4. w) c. e. v. . fehlt 2. c. e. v. s. ad o. aeclesiae. clerus 3. cuncta e. plebe s. ad 5. X) fehlt 2. d. a. arch. 5. y) h. sequentem o. 2. 3. B8. z) So 1. B3; fehlt 2. 8. 4. 5. B1.2. a) preferre 4? 5. b) fehlt 2. c) fehlt 5. d) cl. ecclesiam hanc d. 5. e) dum de- cantetur antiph. usque introitum chori: D. s. f. r. 3.

Histor.-philol. Classe. XVIII. E

34 G. W AITZ,

salvum? fac regem et^ exaudi nos in die qua invocaverimus te wsque* in“ introitum chori. (Psalm.^: Exaudiat te Cum Gloria Patri. Tunc epi- scopus! metropolitanus dicat hanc orationem :

Omnipotens, sempiterne? Deus, caelestium terrestriumque moderator, qui famulum tuum N.” ad regni fastigium dignatus es provehere, concede, quaesumus!, ut a cunctis adversitatibus liberatus et aecclesiasticae pacis dono muniatur et ad aeternae pacis gaudia, te donante, pervenire mere- atur. Per.

Tunc* designatus princeps pallium! deponat atque inter manus episco- porum perductus im chorum, usque" ad altaris gradus incedat, cunctoque pa- vimento tapetibus et palliolis contecto? , ibi? humiliter totus? in cruce? pro- stratus jaceat, una cum episcopis et presbiteris hinc inde” prostratis, ceteris? autem in choro letaniam breviter psallentibus , id’ est 12 aposiolos" totidem- que‘ martyres, confessores et virgines. | Et" !) inter cetera? inferenda sunt ista :

Ut hunc famulum tuum N.” ad regem eligere digneris, te rogamus. Anudi? nos. Ut eum benedicere et sublimare digneris, te rogamus”. Ut eum ad imperii fastigium producere digneris, te ® rogamus. et? cetera huic benedictioni convenientia.

Finita! letania, erigant se episcopi, sublevatumque principem interroget® domnus? metropolitanus his! verbis?):

Vis sanctam fidem a catholicis viris tibi traditam tenere et operi- bus* justis observare? Resp.: Volo.

a) s. me f. 2. b) et te fehlt 2. 5. B. c) totum u. 5. d) ad 4. Bl. 3. fehlt 2. 3. D. e) So nur 1. Psalm. E. te Dominus 5 vor totum usque. f) fehlt 4. dominus m. 5. g) fehlt 8. 4. B3. h) fehlt 2. i) propitius 3. B2. k) Ibi autem ante chorum d. 2. 1) p. et arma 2. B2. 3. p. et a. d. fehlt B1. m) fehlt 1. n) strato 4. o) fehlt 4. p) crucem 4. crucis modum 2. q) fehlt 5. ni. s) choro psallente 4. t) id vir gines ‚fehlt 4. u) apostolorum 8. v) ae totidem 2. w) Ubi inferendum est 4. x) cae- teras 5. y) haec 1. z) illus. 5. a) À.n. fehlt 1. b) fehlt 1. 9. te r. fehlt 4. ce) Et 2. d) ter. fehlt 4. te r. a. n. 8. €) et conv. fehlt 8. 4. f) Sublatus autem princeps inter- rogetur ab episcopo metropolitano hoc modo 2, und ühnlich B2. 3. g) i eum 3. h) ‚fehlt 4. i) sie 2. 4. k) j. o. 1. |

1) Et rogamus fehlt in B (der Römischen Formel).

2) Das Folgende hat B in indirecter Rede.

FORMELN D. DEUTSCH. KÓNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 35

?Vis sanctis? aecclesiis aecclesiarumque ministris tutor^ et defen sor esse? Resp.: Volo.

a Vis regnum tibi@ a Deo concessum secundum justiciam patrum tuorum regere et defendere? Resp.°: In quantum divino fultus adjutorio ac solatio omnium fidelium suorum valuero, ita me per omnia fideliter acturum? esse dcus

Deinde domnus? metropolitanus affatur! populum dicens*

Vis tali principi ac rectori te subicere! ipsiusque regnum firma" fide stabilire atque jussionibus illius obtemperare juxta apostolum: ‘Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit, regi" quasi pre- cellenti?

Tunc ergo? a circumstante clero et populo unanimiter? dicatur?: Fiat. Fiat. Amen‘,

Postea vero" eo* devote inclinato, dicatur ab episcopo* haec? oratio:

Benedic, Domine, hunc regem nostrum N., qui regna omnium" mo- deraris a seculo, et tali eum benedictione glorifica, ut Daviticae teneat sublimitatis sceptrum, et glorificatus in ejus protinus repperiatur merito. Da ei tuo inspiramine cum mansuetudine ita regere populum, sicut Sa- lemonem fecisti regnum " obtinere pacificum. Tibi semper cum timore* sit subditus tibique militet cum quiete. Sit tuo clipeo protectus cum proceribus, et ubique tua gratia victor existat. Honorifica eum pre cunctis regibus gentium, felix populis dominetur, et feliciter eum natio- nes adornent”. Vivat inter gentium catervas magnanimus, sit in judiciis aequitatis singularis; locupletet eum tua predives dextera; frugiferam obtineat patriam, et ejus? liberis tribuas profutura. Presta ei prolixita- tem vitae per tempora, et in diebus ejus oriatur justicia. A te robu-

a) Interrog. fügt 1 hinzu. b) fehlt 4. c) t. e. et d. 3. d) a D. t. 1. tuum 2. €) Volo fügen hinzu 8. 4. Volo Volo et 2. f) fehlt 4. g) peracturum 4. h) ipse d. 2. 5. i) affetur 5. alloquatur 4. k) his verbis 2. 3. 5. ]) r. subici 1. m) firmare 1. 3. 4. fir- mare firma 2. n) et regi 3. o) fehlt 4. p) respondeatur atque d. 3. q) Fiat 1.. r) fehlt 3. 8) d. e. 1. t) uno ep. 2. B2. 3. dicat episeopus hanc orationem 3. u) h. o Fehlt 2. v) omnia 3. 5. B2. w) Salemon r. meruit o. 4. regnum ‚fehlt 3. x) sit s. c. t. 4. B2. sit c. t. s. 1. sit t. s. c. t. s. 8. y) pacis quiete 3. z) adorent B2. 3; was wohl das Ursprüngliche ist. a) eis 2.

E*

-

m. 1.

36 G. WAITZ,

stum teneat regiminis solium, etè cum jocunditate et justicia aeterno glo- rietur in regno. Per. - Deinde? ab alio? episcopo dicatur haec? oratio:

Deus inenarrabilis, auctor mundi, conditor generis humani, guber- nator imperii, confirmator regni, qui ex utero fidelis amici tui patriarchae nostri Abrahae! preelegisti 8 reges" seculis profuturos, tu presentem re- gem hunc! N,“ cum exercitu suo per intercessionem omnium sanctorum! ubere benedictione locupleta et in solium regni firma” stabilitate conecte, Visita eum sicut Moysen" in rubo?, Jesu Nave? in prelio, Gedeon in agro, Samuhelem in templo; et illa eum benedictione syderea ac sapien- tiae tuae rore? perfunde, quam beatus David in psalterio, Salemon fi- lius ejus", te remunerante, percepit e caelo. Sis ei? contra acies* ini- micorum lorica, in adversis" galea, in prosperis pacientia, in protectione clipeus sempiternus, et presta, ut gentes illi teneant fidem, proceres sui habeant pacem. diligant caritatem, abstineant se a cupiditate, loquantur justiciam, custodiant veritatem. Et ita populus iste sub” ejus imperio pullulet, coalitus" benedictione aeternitatis, ut semper maneant tripu- diantes in pace victores. Quod* ipse prestare dignetur qui tecum vivit?.

Tunc" domnus metropolitanus unguat de oleo sanctificato caput, pectus? et scapulas ambasque compages brachiorum ipsius, ita dicendo”:

. Unguo!) te in regem de oleo sanctificato in nomine Patris et Filii et

Spiritus sancti. Resp.°: Amen. Pax tibi. Resp. Et cum spirito tuo. Deinde unguat sibi? manus! de oleo sanctificato, ita® dicendo:

Unguantur manus istae de oleo sanctificato, unde uncti fuerunt

a) fehlt 1. b) fehlt 4. Per Dominum 2.5. Hier fügen 2 und 5 mit der Bezeichnung Alia die . nachher (und in 2. 5 nochmals) folgende Rede ein: Omnipotens, aeterne Deus, creator ete., und auch B2 hat sie an dieser Stelle. c) fehlt 4. d) altero 2. B2. 3. e) d. h. 2. 5. d. ista 3. f) fehlt 2. prel. 3. 4. h) regem profuturum 3. 4. 5. B3. i) nostrum 3. k) fehit 2. ١ zweimal ge- schr. 4. m) fehlt 2. n) visitasti M. 3. o) mari rubro 1l. p) Josue 3. q) ore 2. r) fehlt 9. f. e. fehlt 4. 8) ea 4. t) acies contra inimicos 2. u) aversis 2, wo galea fehlt. ^ v) 8. ej. i Fehlt 8.4. 5. B3. w) coagulatus 3. x) victoris domini nostri 4, wo Quod —vivit fehlt. y) fehlt 1. v. et regnat 3. B3. 2) Tune ab episcopo metropolitano unguantur manus de oleo sanctificato. Unguantur manus 2, wo das Uebrige fehlt. Vgl.B. a) et pectus s.4. b) ipsius dicens 4. c) Et dieant 5. o Gi 5. انق زه‎ 2 f) m. ejus dicens 4. g) et ita dicat 2. 3. 5.

1) Diese und die folgende Rede sind in B nicht vorhanden.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS-U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 37

reges et prophetae, et sicut unxit Samuhel David in? regem, ut sis be- nedictus et constitutus rex in regno isto super populum istum, quem dominus Deus tuus dedit tibi ad regendum ac gubernandum*. Quod“ ipse prestare dignetur qui tecum.

Sequitur oratio? :

Prospice!), omnipotens Deus, serenis obtutibus hunc gloriosum re- gem N.f, et sicut benedixisti Abraham, Ysaac et Jacob, sic illum lar- gis benedictionibus spiritualis gratiae cum? omni plenitudine tuae poten- tiae irrigare atque perfundere dignare. Tribue ei de rore caeli et de pinguedine terrae habundantiam frumenti, vini et olei et omnium frugum opulentiam ex largitate" divini muneris longa per tempora, ut illo re- gnante sit sanitas corporum in patria, et! pax inviolata sit in regno, et dignitas gloriosa regalis palatii maximo splendore regiae potestatis oculis omnium fulgeat, luce clarissima® clarescat atque splendere quasi splen- didissima fulgura! maximo perfusa lumine videatur. Tribue ei, omni- potens Deus, ut sit fortissimus" protector patriae et consolator aecclesia- rum atque coenobiorum sanctorum maxima cum” pietate regalis muni- ficentiae, atque ut sit fortissimus regum, triumphator hostium, ad oppri- mendas? rebelles et paganas nationes; sitque suis inimicis satis terribilis pre maxima fortitudine regalis potentiae. Obtimatibus quoque atque P precelsis proceribusque ac fidelibus sui regni sit magnificus et amabilis et? pius, ut ab omnibus timeatur atque diligatur. Reges quoque de lum- bis ejus per successiones temporum futurorum egrediantur, regnum hoc regere totum; et post gloriosa tempora atque felicia presentis vitae gau- ‘dia sempiterna in perpetua beatitudine habere mereatur. Quod ipse

prestare dignatur” qui cum Patre.

a) fehlt 2. b) tuum 3. c) qui vivit fügt 4 hinzu, wo Quod oratio fehlt. d) Unde supra 3. e) fehlt 2.5. f) fehlt 5. D. h. .ع‎ r. N. s. o. 2, wo et sicut fehlt. famulum tuum B2. g) cum atque fehlt 4. h) et largitatem 4. Fr. i) sit p. i. in 4. sit ‚fehlt 3. k) clariss, 4. 1) fulgore 2. m) f. regum pr. 3. n) fehlt 3. 0) prim. corr. reprim. 4. p) et proceribus atque f. r. s. 9. q) ae 3. r) d. q. c. P. fehlt 2. 4 B. :

1) Auch die beiden folgenden Reden fehlen in B. Die erste 1st aber in der Franzö- sischen Formel (F».) vorhanden; der Anfang findet sich ühnlich aus einem noder S. Diti Turon. bei Martene S. 604, die ganze Rede ühnlich in Formel II der Kaiserkrönung.

38 G. WAITZ,

Spiritus? sancti gratia humilitatis nostrae offitio in te copiosa de- scendat, ut, sicut manibus nostris indignis oleo materiali oblitus ^ pingue- scis exterius, ita ejus invisibili unguine^ delibutus inpinguari merearis in- terius, ejusque spirituali unctione perfectissime semper imbutus et illicita declinare tota mente et? spernere discas seu valeas, et utilia animae tuae jugiter cogitare, optare atque operari queas; auxiliante domino nostro Jesu Christo, qui? cum Deo patre etf eodem Spiritu sancto vivit et regnat deus.

Alia:

Deus, qui es justorum gloria et misericordia! peccatorum, qui mi- sisti filium tuum preciosissimo sanguine suo genus humanum redimere*, qui conteris bella et propugnator es in te sperantium, et! sub cujus ar- bitrio omnium regnorum continetur potestas, te humiliter deprecamur, ut presentem famulum tuum N. in tua misericordia confidentem "" benedicas eique propitius" adesse digneris, ut, qui tua expetit protectione defendi, omnibus sit hostibus fortior Fac eum, Domine?, beatum esse et? vic- torem de inimicis suis; corona eum corona justiciae et pietatis, ut ex? toto corde et tota mente in te credens tibi" deserviat, sanctam? tuam aecclesiam defendat et sublimet populumque" a te sibi commissum juste regat, nullus insidiantibus" malis eum in injusticiam vertat. Accende, Domine, cor ejus ad amorem gratiae tuae per hoc unctionis oleum, unde unxisti sacerdotes, reges et prophetas, quatinus justiciam diligens, per tra- mitem similiter" justiciae populum ducens, post peracta a te disposita in regali excellentia annorum curricula pervenire* ad aeterna gaudia mereatur. Per eundem Dominum? nostrum. Per omnia secula seculo-

a) Sequitur oratio. Sp. 1. Alia. Sancti spiritus 3. 2 Aat hier: Postea ab episcopo metro- politano unguantur de oleo sanctificato caput pectus et scapulae ambeque compages: Ungo sancti. Sequitur oratio, und dann die Rede. b) fehlt 2. c) u. in sublimi d. 3. d) fehlt 3. e) qui deus fehlt 2. 4. f) et deus fehlt 1. g) v. et r. d. fehlt 5. h) ‚fehlt 5. Deinde dicat. Oratio 2. i) p. m. 8. k) redimeret 2. 1) fehlt 4. m) in presenti sede regali b. 2. B2. 3. Fr. n) protinus 1. o) D. quesumus b. 8. p) fehlt 4. q) tilgt £ T) vel 2. 8) et s. 2. 4. $a t5. u) populum s. a te 3, v) in i. 8. w) famili- ariter 2. fehit 8, X) p. m. ad aeterna. Per e. 3. pervenire Jesus Christus dominus noster (S. 40 Z. 9) fehlt 2. y) d. n. fehlt 8. 4. n. fehlt 5.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 39

rum. ([Resp.*]: Amen. Dominus vobiscum. ([Resp."]: Et cum spi- ritu tuo. Sursum corda. [Resp."|: Habemus ad Dominum. Gratias agamus domino Deo nostro. [Resp.®]: Dignum et justum? est. Praefatio^: Vere dignum etc. usque aeterne Deus. Creator 1) om- nium, imperator angelorum, rex regnantium dominusque dominantium, qui Abraham ® fidelem famulum tuum de hostibus triumphare fecisti, Moysi et Josuae populo prelatis multiplicem victoriam tribuisti humilem- que David puerum tuum regni fastigio sublimasti?) et Salemonem® sapi- entiae pacisque ineffabili" munere ditasti: respice, quaesumus, ad preces! humilitatis nostrae, et super hunc famulum tuum N., quem supplici de- votione in regem eligimus*, benedictionum tuarum dona in! eo multiplica eumque dextera" tuae potentiae semper et ubique circumda, quatinus predicti Abrahae fidelitate firmatus, Moysi mansuetudine fretus, Josuae fortitudine munitus, David" humilitate exaltatus, Salemonis sapientia decoratus, tibi in omnibus placeat, et per tramitem justiciae inoffenso gressu semper incedat; aecclesiamque?^$) tuam deinceps cum plebibus sibi annexis ita enutriat ac? doceat, muniat et instruat, contraque omnes visibiles et invisibiles hostes idem? potenter regaliterque tuae virtutis regimen administret, et ad verae fidei pacisque concordiam eorum animos, te opitulante, reformet, ut horum populorum debita subjectione fultus, condigno" amore glorificatus, ad paternum decenter solium tua misera-

a) fehlt 1. 4. b) j. e. fehlt 4. c) fehlt 3. 4. d) ete. usque fehlt 3. 4. 1 schreibt statt dessen: Vere dignum et aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere, domine Sancte pater omnipotens aeterne Deus. Mit omn. aeterne Deus beginnt die folgende Rede oben, wo sie B2 hat. e) Habraham 3, und so unten. f) t. f. 8. g) Salemon 4. h) fehlt 1. Dh n p. 3. k) elegimus 8. 5. 1) in eo fehlt 4. B1. 2. m) dexterae tuae potentia 4. n) Davidis 5. h. D. 3. 0) e. ergo 1. 5. p) ac d. m. fehlt 5. q) eidem 1. 3. 4. 5. B2. r) cum digno 8. 4. 5. BI.

1) Diese Rede fehlt hier in B und scheint ursprünglich dieser Formel fremd gewesen zu sein; s. oben S. 25. B2 hat sie vorher.

2) eumque de ore leonis et de manu bestiae atque Goliae sed et de gladio ma- ligno Saul et omnium inimicorum liberasti fügen die Krönung Ludwigs, die Formel Ratoldi (s. oben S. 18) mit B1 und Fr. hinzu.

3) Das Folgende bis conscendere mereatur fehlt in den spüteren Formularen

(Pontif. Roman. ed. Lugd. f. L

Ps.

44, 4.

40 G. W AITZ,

tione conscendere mereatur; tuae quoque protectionis galea munitus et scuto insuperabili jugiter protectus armisque caelestibus circumdatus, optabilis victoriae triumphum feliciter capiat terroremque suae potentiae infidelibus inferat et pacem tibi militantibus laetanter reportet. Per Dominum nostrum, qui virtute? sanctae crucis tartara destruxit, regno- que diaboli superato, ad caelos victor ascendit, in quo potestas omnis regumque ^ consistit victoria, qui est gloria? humilium et vita salusque populorum, qui tecum vivit ®.

Oratio! :

Deus®, Dei filius, Iesus Christus, dominus noster, qui a Patre oleo exultationis unctus est pre participibus suis, ipse per presentem sacri unguinis infusionem Spiritus paracliti super caput tuum infundat bene- dictionem eandemque usque ad interiora cordis tui penetrare faciat, quatinus hoc visibili et tractabili dono invisibilia percipere, et temporali regno justis moderaminibus executo, aeternaliter cum eo regnare merea- ris, qui solus sine peccato rex regum vivit et gloriatur cum Deo® patre in unitate ejusdem Spiritus! sancti Deus per omnia secula seculorum amen.

Postea* ab episcopis ensem accipiat, et cum! ense totum sibi" regnum fideliter ad regendum secundum? | supradicta verba] sciat? esse? commen- datum, et? dicatur :

Accipe gladium per" manus episcoporum, licet indignas, vice tamen et" auctoritate sanctorum apostolorum consecratas, tibi regaliter impositum, nostraeque benedictionis offitio in defensionem sanctae Deit aecclesiae divinitus ordinatum ; et esto memor, de quo psalmista prophetavit, di- cens: 'Accingere gladio tuo super femur tuum, potentissime', ut in hoc per eundem vim aequitatis exerceas, molem iniquitatis potenter destruas et sanctam Dei aecclesiam ejusque fideles propugnes ac" protegas, nec minus sub fide falsos quam christiani nominis" hostes execres" ac de-

8) in v. c. 4. b) fehlt 8. 5. €) regnumque c. qui 4. regnumque c. victoriae 8. 'con- sistat; 4. d) in gl. 4. e) fehlt 8. v. et regnat 5. f) fehlt 2. Sequitur o. 1. Der ganze Absatz fehlt 8. g) Deus s. Dei 4. h) fehlt 4. i) Sp. amen fehlt 4. per amen fehlt 2. 3. 5. k) Tunc 1. I) c. e. fehlt 4. m) r. s. 8. 5. n) So 2 mit B2. 3. Fr. 0) c. s. 4. p) fehit 4. 5. q) dicente metropolitano 2. Fr. r) de manu 3. s) et a fehlt 3. t) fehlt 3. u) atque 2. v) fehlt 4. w) execreris 1.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 1

struas, viduas et? pupillos clementer adjuves ac defendas, desolata restau- res, restaurata conserves, ulciscaris injusta, confirmes bene disposita, quatinus haec in” agendo, virtutum triumpho gloriosus justiciaeque cul- tor egregius, cum mundi Salvatore, cujus typum geris in nomine, sine fine merearis regnare^. Qui cum Patre [et Spiritu sancto vivit et regnat].

Accinctus autem ense, similiter ab illis* armillas. et! pallium et anulum accipiat, dicente? metropolitano:

Accipe regiae? dignitatis anulum, et per hunc in' te catholicae fidei cognosce* signaculum, quia, ut hodie ordinaris caput et princeps regni ac! populi, ita perseverabis" auctor ac stabilitor christianitatis et christianae fidei, ut felix in opere, locuples in fide, cum Rege regum glorieris per" aevum. Cui est honor et? gloria per infinita secula se- culorum amen.

Postea? sceptrum et baculum accipiat, dicente sibi ordinatore?:

Accipe virgam virtutis atque aequitatis, qua intelligas mulcere pios et terrere reprobos, errantibus viam pandere, lapsis manum porrigere, disperdasque superbos et releves humiles; et aperiat tibi ostium Jesus Christus dominus noster, qui de se ipso ait: ‘Ego sum ostium; per me si quis introierit, salvabitur’; et ipse" qui est clavis David et sceptrum domus Israel, qui aperit et nemo claudit, claudit et nemo aperit; sitque tibi auctor, qui educit vinctum de domo carceris sedentemque in tenebris et umbra mortis; et in omnibus sequi merearis eum, de quo David propheta cecinit: ‘Sedes tua, Deus, in seculum seculi, virga aequi- tatis virga regni tu; et imitando ipsum, diligas justiciam et odio habeas* iniquitatem; quia propterea unxit te Deus, Deus tuus, ad exem- plum illius, quem ante secula unxerat oleo" exultationis pre participibus suis, Jesum Christum dominum" nostrum, qui vivit et regnat per omnia

secula seculorum amen.

a) ac 2. 5. b)ut 3. c)r.cum deo p. 8. d) fehlt 1. 8. 4. e) eis 4. f) feAlt 4. g) dicentibus 2. et dicatur 4. h) fehlt 2. 4. i) in te fehlt 1. k)recogn. 8. l) et 1. 3. m) perseverabitis 8. 4. n) in 3. o) et amen fehlt 4. s. s. a. fehlt 2. 5. p) Tune a. sc. et b. d. 3. q) metropolitano 2. r) i. est q. 1. 8) illum 3. t) odies 3. u) o. e. Fehlt 3. v) d. amen fehlt 4. qui amen fehlt 2. 3. 5. Histoß-philol. Classe. XVIII. F

h. 10, 9.

42 G. W AITZ,

Postea* metropolitanus reverenter? coronam capiti regis? imponat, dicens:

Accipe coronam regni, quae, licet ab indignis, episcoporum tamen manibus capiti tuo imponitur, eamque? sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis expresse signare intelligas, et per hanc te? partici- pem ministerii nostri non“ ignores, ita ut, sicut nos in interioribus pa- Stores rectoresque animarum intelligimur, tu quoque in exterioribus verus Dei cultor strennuusque contra omnes? adversitates aecclesiae Christi defensor regnique tibi a Deo dati et per offitium nostrae benedictionis vice? exsecutor regnatorque

apostolorum omniumque sanctorum tuo! regimini commissi utilis k proficuus semper appareas, ut inter gloriosos athletas! virtutum" gemmis ornatus et” premio sempiternae felicitatis co- ronatus, cum redemptore ac salvatore? Jesu Christo, cujus nomen? vi- cemque gestare crederis, sine fine glorieris, qui vivit et imperat deus cum Deo? Patre in unitate Spiritus sancti per" omnia secula seculo- rum amen.

Ei” ab eo statim dicatur benedictio super eum, quae et tempore synodi super‘ regem dicenda est:

Benedicat tibi Dominus, custodiatque te", et sicut te" voluit super populum suum esse regem, ita in presenti seculo felicem et aeternae fe- licitatis tribuat esse consortem. Amen.

Clerum ac populum, quem sua voluit opitulatione in tua sanctione congregari, sua. dispensatione et" tua administratione per diuturna tem- pora faciat* feliciter gubernari. Amen’.

Quatinus divinis monitis parentes, adversitatibus carentes, bonis omnibus exuberantes, tuo imperio fideli amore obsequentes, et in pre- senti seculo tranquillitate? fruantur et tecum aeternorum civium consor-

ر و متت

a) Deinde 2. 4. b) fehlt 4. reverenter 2. c) cap. r. i. c. 3. ejus imponens dicat 4. d) quamque 3. 4. q. intelligas s. g. et 4. et o. f. e. s. et 8. e) p. m. n. te n. 2. f n.i 1. - g)o.ss 8. hin v. lL: i) tuorum regimine 2. 6. tibi c. regiminis u. 3. k) que Fehlt 3. 1) adletas 4. m) g. v. 3. n) et coronatus fehlt 3. o) s. nostro 8. B2. p) vicem nomenque 3. q) fehlt 4. p. d. 3. r) per amen fehlt 4. o, amen fehlt 1, 8) Statt des Folgenden: Sequitur benedictio 4, Et st, dicitur s. e. b. 3. t) sup. r. fehlt 2. u) fehlt 3, v) fehlt 1. w) fehlt 4. x) fel. f. 8. y) fehlt 2. z) pacis t. 1.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 43

tio potiri mereantur Amen®. Quod? ipse prestare [dignetur, cujus regnum et imperium sine fine permanet in secula seculorum]. Benedic- tio [Dei^ Patris et Filii et Spiritus sancti descendat super te. Amen].

Deinde coronatus honorifice per chorum ducatur? de? altari ab episco- pis! usque ad solium, canente® clero. Resp.^: Desiderium animae ejus [tri- buisti^ ei, Domine].

Deinde dicat" sibi domnus metropolitanus! :

Sta et retine" locum amodo, quem hucusque paterna successione tenuisti, hereditario jure tibi delegatum per auctoritatem Dei? omni- potentis et presentem traditionem nostram, scilicet omnium episcoporum ceterorumque servorum Dei, et quanto clerum sacris altaribus propin- quiorem? perspicis?, tanto ei potiorem in locis congruis honorem impen- dere memineris, quatinus Mediator Dei et hominum te? mediatorem cleri et plebis.

Hoc'!) im loco domnus metropolitanus sedere eum faciat super sedem, dicendo:

In hoc regni solio confirmet te* et in regno aeterno secum regnare faciat“ Jesus Christus dominus noster, rex regum et dominus dominan- tium, qui cum Deo Patre et" Spiritu Sancto vivit et regnat in secula seculorum. [Resp.’: Amen].*

*) 1 fügt hier hinzu‘): Professio " regis ante solium coram Deo* et clero ac populo. Profiteor?,

a) fehlt 2. b) Quod amen fehlt 3. dign. seculorum ‚fehlt 1.4. dign. deinde coronatus. Jehlt 2. c) Dei amen fehlt 1. | d) ducitur 4. c) ab e. de a. 1. de a. ab e. u. fehlt 4. f) episcopo 3. g) cantante 1. h) fehlt 4. i) t. e. D. fehlt 1. 8. 4. k) dicit 8. 4. 5. s. d. 1. 1) m. ita: Istum 3. m) tene 2? 5. n) o. D. 4. 0) propinquare 3. p) pp 1: q) faciat fügt 4 später zu; te m. c. ed p. aptum et idoneum faciat Jesus Christus dominus noster 3. Dass der Text unvollständig zeigt, die Vergleichung mit B. r) In hoc 1. s. eum f. d. m. s. solium. In 2. Et faciat illum sedere d. m. in solio dicens 4. s) fehlt 2. 4. 5. te c. a t) te f. 3. u) et seculorum fehlt 1. in s. s. fehlt 3. v) R. a. fehlt 1. 4. w) Die Ueberschrift fehlt 1. 2. x) D. cl. et p. 3. y) Ego N. p. 2.

1) Der folgende Passus fehlt B.

2) Derselbe Eid steht auch im Pontif. Arel. (1), dem Codex Mon. Lat. 10078 (2) und in der Französischen Formel (3) an dieser Stelle, deren Varianten ich beifüge.

F*

44 G. WAITZ,

Post haec? det illis? oscula? pacis. Cunctus autem coetus clericorum? tali^ rectore gratulans, sonantibus campanis و‎ hymnum? alta voce concinat: Te Deum laudamus®, [cantante? populo Kyrieleyson]). Tunc episcopus metropolitanus missam* celebret plena processione!

i Sequitur" ordo missarum.

[An.": Dominus fortitudo. Ps.: Ad te, Domine, clamabo. O.: Sal- vum fac servum. Ver.: Auribus percipe. Alleluja, Domine in virtute. Of.: Populum humilem. Com.: Dominus virtutum].

Oratio’:

Deus, qui miro ordine universa disponis et ineffabiliter gubernas, presta, quaesumus, ut famulus tuus N.P haec in hujus seculi cursu im- plenda decernat?, unde tibi in perpetuum placere prevaleat. Per".

Secreta :

Concede, quaesumus, omnipotens Deus, his salutaribus sacrificiis

et^ promitto coram Deo et angelis ejus, amodo* et deinceps legem et justiciam pacemque* sanctae Dei aecclesiae populoque michi” subjecto pro posse ac nosse" facere et* conservare, salvo condigno misericordiae [Dei]? respectu, sicut cum* consilio fidelium nostrorum* melius invenire? poterimus. Ponti- ficibus quoque aecclesiarum Dei condignum et canonicum honorem exhibere atque ea quae ab imperatoribus et regibus aecclesiis sibi? commissis collata et reddita sunt inviolabiliter conservare, abbatibus etiam, comitibus et vassis® dominicis nostris congruum honorem secundum consilium fidelium nostrorum prestare. Ameng. Amen.

a) Tunc 2. Deinde4. b) illi5. c) osculum 2. d) Clerus autem 4. Cunctus autem clerus et populus 3, e) t. r. fehlt 2? 5. f) s. ymnis a. 2. s. in Dei laude signis et ymnis populus Kyriel. clerus Te d. 1. alia (so) voce concinentes 3. 8. c. h. fehlt 4. g) te d. confit. fügt 1 hinzu. h) c. p. K. fehlt 2. 8. (vgl. N. m) 4. 5. i) Et m. 4. k) p. pr. m. c. 4. 1) cum feria evenerit, sed melius et honorabilius die dominica fügt 2 hinzu und ebenso B. m) Alles Folgende fehlt 4. 5. n) Dies hat nur 3. 0) Or. ad missam 8. p) rex noster 3. q) dis cernat 2. r) fehlt 2. 8) et p. fehlt 1. 8. t) a. et fehlt 2. u) et pacemque 2. v) fehlt 2. jj et 1. 2. 8. w) nosce 2. x) ac servare 2. y) fehlt Hs. 8. z) in 8. a) meorum 2. nostrum 3. b) potero i. 2. c) s. c. fehlt 2, d) fehlt 2. et conventibus 1. e) vassallis 1. vassallibus meis c 2. f) meorum 2. g) A. A. fehlt 1. 2. Das zweite Amen fehlt 3. Et

Keg omnia super hec sacrosancta Dei euangelia tacta me veraciter observaturum Juro fügt 2 hinzu.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 45

placatus, ut famulus tuus N.* ad peragendum? regalis dignitatis officium inveniatur semper idoneus et caelesti patriae reddatur acceptus. Per.

[.Benedictio? super regem:

Omnipotens Deus, qui te populi sui voluit esse rectorem, ipse te caelesti benedictione sanctificans, aeterni regni faciat esse consortem. Amen. Concedatque tibi contra omnes fidei christianae hostes visibiles atque? invisibiles victoriam triumphalem et pacis ac ® quietis aecclesia- sticae felicissimum te fieri longe lateque fundatorem. Amen Quatenus, te gubernacula regni tenente, populus tibi subjectus christianae religionis jura custodiens, undique tutus pace tranquilla perfruatur, et te in con- cilio regum beatorum collocato, aeterna felicitate ibidem pariter gaudere mereatur. Amen. Quod ipse prestare dignetur cujus regnum].

Ad communionem :

Haec, Domine, salutaris? sacrificii perceptio famuli tui N. pecca- torum maculas diluat? et ad regendum secundum voluntatem! tuam populum idoneum illum reddat, ut hoc salutari misterio* contra visibiles atque! invisibiles hostes reddatur invictus, per quod mundus est divina

dispensatione redemptus. Per.

BENEDICTIO » REGINAE.

In ingressu aecclesiae dicatur":

Omnipotens, aeterne? DeusP, fons et origo totius bonitatis, qui feminei sexus fragilitatem nequaquam reprobando aversaris?, sed di- gnanter comprobando pocius eligis, et qui infirma mundi eligendo fortia quaeque confundere decrevisti, quique" etiam gloriae virtutisque tuae? triumphum in manu Judith feminae olim Judaicae plebi* de hoste sae- vissimo resignare voluisti, respice, quaesumus, ad" preces humilitatis "

c) Dieser Absatz fehlt 1; die Ueberschrift 2. Er steht Br f) fehlt 2, der nur bis hier für mich reussi aet ist. g) sac. sal. 3. h) tergat 3. i) t. v. 3. k) fehlt 8. 1) et 3. m) Ordinatio EM Sg 4 voraus. Incipit b. r. 2. Ordo ad benedicendam reginam Bl. n) fehlt 5. d. oum oratio 8. f. ecclesiam ingressa B2. Debet regina ađduci in ecclesiam cum honore, et in 1pso ge dieat metropolitanus B1. o) sempiterne B1. 2. p fehlt 4. q) a. sed d. comp. ‚fehlt B1. r) et qui gl. B1. s) fehlt 4. t) plebe B1. u) fehlt B1. 2. v) n. b. 3.

a) ill. 2. b) pergendum 2. in B2. d) et 2. e) et equitatis 2.

46 G. WAITZ,

nostrae, et super hanc famulam tuam N., quam* supplici devotione in reginam eligimus”, benedictionum tuarum dona multiplica eamque dextera? tuae potentiae semper et ubique circumda, ut umbone?! muniminis tui undiquesecus® firmiter protecta, visibilis seu invisibilis hostis nequicias triumphaliter expugnare valeat, et una cum Sara atque Rebecca, Lia et Rachel, beatis reverendisque feminis, fructu uteri? sui foecundari seu gratulari mereatur, ad decorem totius regni statumque sanctae Dei aecclesiae regendum necnon protegendum, per Christum dominum nostrum, qui ex intemerato beatae Mariae virginis alvo! nasci, visitare ac reno- vare hunc* dignatus est mundum, qui tecum vivit et! gloriatur deus in unitate Spiritus sancti. Per immortalia secula seculorum.

Benedictio " ejusdem ante altare:

Deus, qui solus habes immortalitatem lucemque habitas inaccessi- bilem, cujus providentia in sui dispositione non fallitur, qui" fecisti quae futura’ sunt et vocas ea quae non sunt tamquam? ea quae sunt, qui" superbos? aequo moderamine de principatu eicis" atque? humiles di- gnanter in sublime provehis, ineffabilem * misericordiam tuam supplices exoramus", ut, sicut Hester reginam, Israelis causa salutis de captivi- tatis suae compede solutam, ad regis Assueri thalamum regnique" con- sortium transire fecisti, ita hanc famulam tuam N. humilitatis nostrae benedictione, christianae plebis gratia salutis, ad dignam sublimemque regis nostri copulam regnique sui participium misericorditer transire " concedas, et ut in regalis foedere conjugii semper manens pudica, proxi- mam virginitati palmam continere * queat tibique Deo vivo et vero in

a) quem 5. b) elegimus 5. c) dexterae tuae potentia3. d) umbone aus Corr. 4. ambone 5. e) undique 4. 5. B2. f) triumphabiliter B1. g) uteris 81. 2. h) fehlt B2. i) alveo 5. utero Bl. k) fehlt B1. 1) vivit seculorum ‚fehlt B2. et seculorum fehlt 3. seculorum fehlt B1. m) Item b. e. 5. Cum autem ante altare perveniat dicatur ista benedictio 3. Ante al- tare dicatur 4. Tunc intret ecclesiam et prosternat se ante altare ad orationem. Et post paululum ab episcopis elevata inclinet caput suum et archiepiscopus conse- cret eam hoe modo. Oremus. Bl. n) deus qui B1. 0) q. sunt et futura sunt 3. ventura 4.5. p)t. c. q. s. fehlt B2. q) superbo B2. super hos 5. T) deicis 5. 8) humilesque B2.

t) fehlt B2. u) rogamus 5. v) v. sui 5. B2. w) pervenire 3. x) obtinere 4. 5. contingere Bl, was wohl das Richtige ist.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 47

omnibus et super omnia jugiter placere desideret, et? te inspirante quae placita sunt toto corde perficiat. Per“.

Sacri? unctio olei:*

Sancti Spiritus? gratia humilitatis nostrae offitio in te copiosa de- scendat, ut, sicut manibus nostris indignis oleo? materiali oblita pin- guescis exterius, ita ejus invisibili unguine delibuta i impinguari merearis interius, ejusque spirituali ^ unctione perfectissime! semper imbuta, et ilicita declinare tota mente et spernere discas seu valeas, et utilia ani- mae tuae jugiter cogitare, optare* atque operari queas, auxiliante do- mino nostro Jesu! Christo, qui cum Deo Patre et eodem Spiritu sancto vivit et regnat deus" in? secula seculorum. **

Coronae? impositio:

Officio indignitatisP nostrae seu 9 congregationis in" reginam bene-

*) B1 fügt hinzu: In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti prosit tibi haec unctio olei in honorem et consecrationem aeternam. Sequitur oratio. **) ) fügt hinzu):

Hic detur ei anulus.

Accipe anulum fidei, signaculum sanctae Trinitatis, quo possis omnes here- ticas pravitates devitare et barbaras gentes virtute? tibi prestita ad agnitio- nem veritatis vocaret per Christum. Oremus.

Omnium, Domine, fons bonorum et cunctorum dator provectuum", tribue famulae tuae* adeptam bene regere dignitatem, et a te sibi prestitam in ea bonis operibus corroba" gloriam. Per.

Hic coronelur dicendo:

Accipe coronam gloriae, honorem jocunditatis, ut splendida fulgeas et ae- terna exultatione coroneris. Per.

Sequitur oratio.

a) et perficiat fehlt B2. b) q. tibi sunt pl Bl. c) Per dominum nostrum 4. d) Une tio o. 3. Inunctio o. 4. In sacri olei unctione B2. Tunc super caput ejus vergat (von neuerer Hand corrigiert : fundat) metropolitanus oleum sanctum et dicat haec verba B2. e) sp. s. 5. B2. f) i. m. n.3. g)m.o. 1. h)spiritali Bl. i) fehlt B2. k) fehlt 4. ) Jj. zn Fehlt 4 m) fehlt 3. n) in s. s. fehlt Bl. per omnia s. B2. o) Tune imponatur ei corona et dic eatur 3. Ad coronae impositionem. B2. Fr. p) indignationis 4. D2. q) s. c. fehlt 8. r) b. o regina 8. s) virtute Dei praeemere et ad T. advocare praestante etc. T. u) pro- fectuum T. ENT w) coroborare gl. per dominum nostrum T. *

1) Aus der Angelsüchsischen Formel bei Taylor S. 403 (T), wo die Stücke aber

in anderer Ordnung stehen.

48 G. WAITZ,

dicta, accipe coronam regalis excellentiae, quae, licet ab indignis, episco- porum tamen? manibus capiti tuo imponitur^ unde, velut? exterius auro et gemmis redimita enites, ita et interius auro sapientiae virtutumque gemmis decorari contendas; quatinus post occasum hujus seculi cum prudentibus virginibus sponso perenni domino* nostro Jesu Christo digne et laudabiliter occurrens, regiam caelestis aulae merearis ingredi?. [Per eundem dominum nostrum Jesum Christum filum tuum]. Qui cum Deo! Patre et* Spiritu sancto vivit et regnat deus per infinita secula seculorum amen.*

*) © fügt hinzu‘):

Sequitur oratio ad compl.:

Omnipotens, sempiterne Deus, affluentem spiritum tuae benedictionis super hanc famulam tuam! nobis orantibus propitiatus infunde, ut, quae per manus nostrae compositionem hodie regina efficitur", sanctificatione tua digna et electa permaneat, nunquam postmodum de tua gratia separetur indigna. Per Do-

minum. a) retine B1. b) fehlt 3. c) est imposita Bl. d) sicut C. e) Deo 5. f)a.r.c.3. g) i. januam B2. k) Dies fehlt 4. 5. Bl. 2. auxiliante eodem domino nostro Jesu Christo qui

cum Bl, wo das Uebrige fehlt; auxiliante domino n. J. C. q. c. d. p. B2. i) fehlt 4. k) et amen fehlt 4. ]) t. N. T. m) instituitur T. 1) Auch dies ist aus der Angelsüchsischen Formel (T).

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS-U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖN UNG etc. 49

I. Die Formel für die Kaiserkrönung.

In mancher Beziehung einfacher als die Untersuchung über den Ursprung und die Zeit der überlieferten Formel für die Krönung der Deutschen Könige stellt sich die Frage nach der aus älterer Zeit bei der Kaiserkrönung gebrauchten Formel; doch fehlt es nicht an zweifel- haften Punkten, und gerade hier haben sich manche Irrthümer geltend gemacht, die auch durch eine neuere Arbeit über den Gegenstand!) nicht gehoben sind.

In grosser Uebereinstimmung ist ein Formular überliefert, das wir als das des Ordo Romanus, wie es in einigen Handschriften ausdrück- lich genannt wird, bezeichnen dürfen.

Es steht in der Ausgabe Hittorps, in den Handschriften von Bam- berg, Augsburg, München, Paris und Aachen-Berlin, von denen oben die Rede war, ausserdem in der Dresdener Handschrift des Chronicon Altinate, aus dem es gedruckt ist im Archivio storico Italiano (Append. V, S. 122). Ueberall ist ein zweites Formular oder wenigstens ein An- hang mit anderen Gebeten hinzugefügt.

Das erste hat Martene (II, S. 592) aus dem oben besprochenen Pontificale Arelatense und einem Pontificale Constantinopolitanum her- ausgegeben.

Es findet sich aber auch in der Sammlung des Cencius?) und ist

1) Schreiber, De ceremoniis condicionibusque quibus in imperatoribus coro- nandis pontifex maximus populusque Romanus inde a Carolo Magno usque ad Fri- dericum III. usi sunt. P. 1. Hal 1870.

2) Dies bezeugt auch Mai, Spicil. VI, S. 228, wo er den spüteren ausführlicheren Ordo aus demselben Codex mittheilt, aber bemerkt, dass sich in ihm f. 149 auch ein ‘brevissimus coronationis ordo Romanus’ finde, was offenbar dieser ist. Schrei- ber unterscheidet mit Unrecht den Ordo des Cencius (bei ihm Nr. 3) von dem Hit-

Histor.-philol. Classe. XVIII. G

50 G. W AITZ, daraus publiciert von Raynald (Ann. eccl. 1209 Nr. 18), Mabillon (Mus.

Ital. II, S. 215) und Muratori (Ant. Ital. I, S. 99). Der letzten Ausgabe,

der schlechtesten von allen (nicht der Martenes, wie man nach der Vorbemerkung glauben sollte) ist Pertz gefolgt (LL. II, S. 97), dem sich wieder Watterich (Vitae pont. II, S. 328 N.) angeschlossen hat. Dem Text des Cencius nahe verwandt ist der in der Sammlung des Albinus, welchen Cenni veróffentlicht hat (Mon. domin. pont. II, S. 256).

Pertz hat diese Formel in die Staufische Zeit gesetzt, speciell auf die Krónung Friedrich I. bezogen. Dagegen ist Cenni der Meinung (a. a. O. S. 256), dass sie nur unter den Karolingern gebraucht sein kónne.

Aber weder die eine noch die andere dieser weit auseinander ge- henden Ansichten wird sich festhalten lassen, wenigstens nicht, dass nur in so alter oder erst in so später Zeit die Formel gebraucht sei.

Dagegen spricht vor allem der schon oben angezogene Bericht des Willelmus Malmesburiensis V, 423 (SS. X, S. 479), von der Krönung Heinrich V., der sich auf die Darstellung des Zeitgenossen David gründet !): in Argentea porta receptus est rex ab episcopis et cardinalibus et toto clero Romano; et coepta oratione quae in ordine continetur ab Ostiensi episcopo, quoniam Albanus deerat, a quo debuisset dici si adesset, ad mediam rotam ductus est, et ibi recepit secundam orationem a Portuensi episcopo, sicut praecipit Romanus ordo. Deinde duxerunt eum cum letaniis usque ad Confessionem apostolorum, et ibi unxit eum Hostiensis episcopus inter scapulas et in brachio dextro. Post haec a domino apo- stolico ad altare eorundem apostolorum deductus, et ibidem, imposita sibi corona ab ipso apostolico, in imperatorem est consecratus. Post im- positam coronam missa de resurrectione Domini est celebrata, in qua ante communionem etc.

Ausdrücklich wird hier auf den ‘ordo Romanus’ Bezug genommen, und während eine Abweichung, die durch die Umstände (die Abwesen-

torps, des cod. Bamb. und chron. Alt. Das passt nur auf die Zusätze des Pontif. Constantinopolitanum, von denen er S. 31 spricht. 1) Diesen Bericht hat Schreiber ganz übersehen.

FORMELN D. DEUTSCH. KÓNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 51

heit des Bischofs von Alba) veranlasst ward, hervorgehoben ist, der Vorgang ganz in Uebereinstimmung mit dem vorher angeführten Text geschildert: wird das Grab und der Altar des h. Petrus als 'apostolo- rum' bezeichnet, so ist das nur ein anderer an sich ganz richtiger Ausdruck!) und insofern eine Bestätigung mehr für die Selbständigkeit der Ueberlieferung.

In wesentlicher Uebereinstimmung hiermit berichten die Annales Romani (SS. V, S. 474) von dem ersten Einzug Heinrichs zur Krönung: Mox super eum orationem primam, sicut in ordine continetur, Lavicanus episcopus dedit (also diesmal ein anderer Vertreter des abwesenden Bi- schofs von Alba) Sie sagen unmittelbar vorher: ad portam venit Ar- genteam. Ibi ex libro professionem imperatoriam fecit, et a pontifice imperator designatus est.

Pertz hat (LL. II, S. 68), in Uebereinstimmung mit Cenni (II, S. 270), dieser Erzühlung einen Eid eingefügt, der in einem Ordo bei Muratori Ant. I, S. 99 steht, aber aus der Sammlung des Johannes Gaietanus stammt, die dem 14ten Jahrhundert angehórt; s. Mabillon, Mus. Ital. IL S. 398; und der auf keinen Fall in so frühe Zeit gesetzt werden darf, während ihr der Eid der kurzen Formel ganz entspricht. Denn wenn Cenni diesen und damit die ganze Formel der Karolingischen Zeit zuschreibt, weil nur damals der Schwörende schon vor der Krönung sich habe ‘imperator nennen können, so beruht das offenbar auf vorge- fasster Meinung: gerade die Annales Romani lassen auch hier an der silbernen Thür wenigstens die Designation zum Kaiser, wie sie es nen- nen, durch den Papst erfolgen.

Auch Boso in der Vita Hadriani beruft sich bei der Krónung Friedrich I. für den Eid, den er leistete, auf den ‘ordo’, berichtet aber mehrere Punkte abweichend von dem gedruckten (Watterich II, S. 328): et ad ecclesiam beatae Mariae in turri, in qua eum ante altare pontifex

1) So sagt auch der Brief Friedrich I. vor Ottos Gesta, SS. XX, S. 348: ad altare sanctorum apostolorum Petri et Pauli. Ein alter Bericht, SS. VIII, S. 12 N., nennt auch die Peterskirche basilica apostolorum, was Giesebrecht früher misver-

standen; s. II, S. 621. G*

52 G. WAITZ,

respectabat, ascendens, genua sua fixit coram eo, et manus suas inter ipsius pontificis manus imponens, consuetam professionem et plenariam securi- tatem secundum quod in ordine continetur publice exhibuit sibi. Re- licto autem ibidem rege, pontifex ad beati Petri altare conscendit, cujus vestigia rex cum processione subsequens, ante postas Argenteas orationem primam ab uno episcoporum nostrorum suscepit, et secundam infra eccle- siam in rota super eundem regem alius ex episcopis nostris dedit, ora- tionem vero tertiam et unctionem tertius episcopus ante Confessionem beati Petri eidem regi nichilominus contulit, Missa itaque incepta et graduali post epistolam decantata, rex ad pontificem coronandus accessit, et praesentibus imperialibus signis gladium et sceptrum atque imperii coronam de manibus ejusdem papae suscepit.

Von der Ableistung des Eides in der Kirche b. Mariae in turri und der Ueberreichung von Schwert und Scepter durch den Papst weiss die vorher erwühnte Formel nichts. Dagegen sind die drei Reden und der Eid dieselben geblieben; die Krónung erfolgt vor dem Altar des h. Petrus.

Davon abweichend ist aber ein zweiter Ordo, der sich auch in einer Handschrift des Cencius finden soll 1) und den Muratori (Ant. I, S. 101), Martene (II, S. 846), Gatticus (s. Cenni S. 260), Cenni (I1, S. 261), Pertz (LL. II, S. 187) und Mai (Spicil. VI, S. 228) herausgegeben ha- ben, und der bald in die Zeit Heinrich IIL, bald in die Heinrich VI. gesetzt ist. Charakteristisch ist besonders, dass nach dieser Formel der Kaiser dem Papst Treue (fidelitatem) gelobt, dass die Krönung vor dem Altar des h. Mauritius erfolgt, dass auch einer Kaiserin Erwühnung geschieht.

Ein Gelóbnis der Treue entspricht am wenigsten der Zeit Heinrich ILI.?).

1) So nach Mai a. a. O.; Mabillon dagegen fand ihn in seinem Codex nicht.

2) Cenni II, S. 270 beruft sich auf Thietmar VII, 1, S. 836, nach dem Hein- rich II. von dem Papst gefragt ward: si fidelis vellet Romanae patronus esse et defensor ecclesiae, sibi autem suisque successoribus fidelis, und dies bejahte. Es muss zweifelhaft sein, ob darunter ein fórmlicher Treueid verstanden wird; s. Pabst in den Jahrb. Heinrich II. Bd. II, S. 425. Und für die Fränkischen Kaiser lässt sich daraus jedenfalls nichts entnehmen.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 58

Gregor VII. hat es wohl von Heinrich IV. verlangt!) aber offenbar nicht erhalten; bei Heinrich V., Lothar und Friedrich I. ist davon keine Rede; selbst bei Heinrich VI. kann man Zweifel haben, ob er: sich zu einem solchen Versprechen verstanden ?).

Des Altars des h. Mauritius gedenkt P. Mallius, der unter Fried- rich I. und Alexander III. schrieb (Acta SS. Juni VII, S. 39), in seiner Beschreibung der Peterskirche: altare S. Mauritii, ad quod scilicet al- tare de antiqua consuetudine Romanorum imperator a dominis episcopis cardinalibus benedicitur et ungitur; ad altare vero majus b. Petri a do- mino papa benedicitur et coronatur, et de sacrosancto altari ejus per manus Romani pontificis ad defendendam ecclesiam gladium accipit. Aber diese Angaben stimmen weder mit der Erzühlung des Boso noch mit einem der beiden Ordines überein. Dort und in dem kürzeren Ordo wird der Altar des h. Mauritius gar nicht erwähnt, in dem längeren findet gerade die Bekleidung mit dem Schwert und die Krönung durch den Papst vor diesem statt, während die Salbung durch den Bischof von Ostia ‘ad arcam S. Petri erfolgt. Nur das Pontificale Constantinopoli- . tanum kennt ein der Angabe des Mallius entsprechendes Verfahren 3)

1) Reg. VIII, 26, S. 475; vgl. Donizo II, 1, S. 382.

2) Vgl. Rogerus de Hoveden, ed. Stubbs III, S. 101: Dominus vero papa ante ostium ecclesiae beati Petri supra gradus recepit sacramentum a praedicto Alemanno- rum rege, quod ipse ecclesiam Dei et jura ecclesiastica fideliter servaret illibata , et quod fectam justitiam teneret, et quod patrimonium b. Petri, si quid inde ablatum esset, in integrum restitueret, et quod Tusculanum ei redderet. Toeche, Heinr. VI. S. 188, ist nicht näher auf die Sache eingegangen. Dagegen macht Winkelmann, Philipp und Otto IV. S. 199 N., noch ein anderes Bedenken geltend.

3) Dass dies spüter beibehalten blieb, ergiebt sich aus vielen Zeugnissen. Ich theile hier noch eine Stelle aus einem Tractatus de coronatione imperatoris d. 14. Jahrh. mit, Cod. Mon. Lat. Nr. 5825 f. 289:

Tertio et ultimo coronatur de corona aurea, per quam significatur majoritas et nobilitas omnium metallorum. Unde per hanc comparationem quoque in eo vi- get* majoritas et nobilitas ac firma et inconcussa justitia, secundum quot pape eam servare promittit firmiter et unicuique reddere quod est suum. Et dicta aurea

a) vigetur Hs.

54 ` G. WAITZ,

(Martene S. 592; daraus Pertz S. 98 N.) Wann es zur Anwendung kam, muss dahingestellt bleiben. Dass es nicht von Alters her bestand, ist nach den angeführten Zeugnissen unzweifelhaft; dass bei der Krö- nung Friedrich I. und allenfalls Lothars so verfahren, wäre nur dann möglich, wenn man annehmen wollte, dass Boso in der Beschreibung jener sich hier mehr an den alten Ordo als an die Thatsachen selbst gehalten hätte.

Die Bezugnahme auf die Gemahlin, welche mit dem Kaiser ge- krönt ward, in Verbindung mit der Bezeichnung des krönenden Papstes durch den Buchstaben C. ist bald auf Agnes und den Papst Clemens, also Heinrich III., bald auf Constanze und den Papst Coelestin, also Heinrich VI., gedeutet worden. Wie zuletzt Giesebrecht (II, S. 644) gegen Gregorovius (IV, S. 56) bemerkt hat, muss man sich da jeden- falls gegen die erste Alternative entscheiden. Was bisher angeführt ward und der ganze weitere Tenor der Formel entsprechen in keiner Weise der Zeit der Fränkischen Kaiser. Geschieht in der kürzeren Formel, die wir dieser vindicieren müssen, der Kaiserin überhaupt keine Erwühnung,

corona coronatur in Urbe per dominum papam vel legatum apostolice sedis ad hoc specialiter missum et deputatum in basilica sancti Petri ante altare sancti Mauricii, in signum quod est imperator et sub Romano pontifice ratione sue coronationis et approbationis. Postquam vero coronationem, approbationem et confirmationem re- cepit, idem imperator stare non debet nisi per unam noctem, et deinde recedere sequente die coronationis ipsius, et de Urbe recedens et exiens ascendit montem qui dicitur et appellatur mons Marii* prope^ ecclesiam sancti Petri extra muros per duo miliaria, qui quidem mons altior est omnibus aliis e& de Urbe et adjacentibus videtur ®, et quando est in vertice montis Marii?, volvendo se dicit: ‘Omnia que vidi- mus nostra sunt et ad mandata nostra perveniunt. Et statim postea mittit per universum mundum, et ad mandatum ejus veniunt omnes barones, principes chri- stiani et pagani totius mundi, qui sibi respondere tenentur. Zu vergleichen ist auch das spütere Buch sacrarum ceremoniarum, Hoffmann SS. II, S. 345, wo es heisst, nachdem der Kaiser ad confessionem s. Petri gekniet: prior episcoporum cardina- lium descendit ad imperatorem et ducit illum ad altare sancti Mauritii , wo er ihn salbt, der Papst ihn krünt.

a) Mauri Hs. b) propter Hs. c) vi Hs. d) manum Hs.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 55

so kann das für die nähere Zeitbestimmung nichts austragen !): es han- delt sich um eine Formel ganz allgemeiner Art ohne alle Beziehung auf einen speciellen Fall. Auch in der für die Königskrönung ist von der Königin nicht die Rede, für diese ein besonderer Ordo aufgestellt und dem für den Kaiser nachgesetzt: es mochte überflüssig erscheinen nun auch noch einen solchen für die Krönung der Kaiserin beizufügen.

Müssen wir so die von Cencius bewahrte, ausdrücklich als Theil des alten Ordo Romanus bezeugte, hier und in den Libri pontificales mehrerer Deutscher und anderer Stifter überlieferte Formel als die im 1llten und Anfang des 12ten Jahrhunderts und ohne Zweifel auch schon vorher zur Anwendung gekommene betrachten, so tritt das der Annahme von Pertz (LL. II, S. 78) entgegen, dass eine andere, die er nach Martene (II, S. 577) mittheilt, älter sei: er hat freilich ihre Zeit nicht näher bestimmt, aber doch bemerkt, dass dieselbe nach den Fränkischen Kaisern nicht mehr gebraucht worden ?).

Dem gegenüber muss man sagen: auch nicht unter den Fränki- schen Kaisern, und in dieser Form wahrscheinlich zu keiner Zeit.

Sieht man die Formel näher an, so ergiebt sich bald, dass das Hauptstück, die hier sogenannte consecratio: Prospice, omnipotens Do- mine etc. gar nicht von der Ertheilung kaiserlicher Würde spricht; nur von dem regnum, der dignitas regalis palatii, dem splendor regiae po- testatis, der regalis munificentia u. s. w. ist die Rede: in Wahrheit findet sich dasselbe mit geringen Veründerungen in dem Deutschen Ordo ad benedicendum regem (oben S. 37) 5). Dasselbe gilt von der folgenden gladii

.1) Schreiber S. 12 will darauf Gewicht legen, Giesebrecht in einem S. 29 mitgetheilten Brief deshalb an Otto IIL denken.

2) Wenn Giesebrecht II, 5.663 ausdrücklich Pertzs Vermuthung, dass dieser Ordo der Zeit der Fränkischen Kaiser angehóre, billigt, und sagt, sie werde durch die Bamberger Handschrift bestätigt, so scheint er die beiden Stücke S. 78 und 97 ver- wechselt zu haben, da er des letzteren gar nicht gedenkt und mit diesem die Bam- berger Handschrift stimmt, von der andern nur einzelnes enthält.

3) Schreiber vergleicht S. 25 N. die Worte welche Papst Stephan nach Ermol- dus Nigellus II, 441ff., SS. II, S. 486, bei der Krönung Ludwig des Fr. gebraucht

56 G. WAITZ,

traditio, die mit einem Theil derselben Rede begleitet wird die dort da- mit verbunden ist. Dagegen heisst es freilich zu Anfang: famulum tuum ill. ad regendum ill. imperium constitue, und wenn nachher der pontifex als derjenige genannt wird, welcher die Krone aufsetzt und die oratio bei der Schwertumgürtung hält, so soll damit ohne Zweifel der Papst bezeichnet sein.

Noch deutlicher tritt die Beziehung auf den Kaiser in dem zweiten Theil hervor, einer Litanei, wie sie wohl nach der Krónung gesungen ward!) Aber diese ergiebt andere Schwierigkeiten. Nach dem Gebet für den Kaiser folgt: tuisque praecellentissimis filiis regibus vitam. Ob- schon vorher der Kaiser nicht angeredet, von ihm in dritter Person ge- sprochen ist (Domino nostro ill augusto a Deo coronato magno et paci- fico imperatori vitam), so kann sich das ‘tui? doch nur auf ihn, nicht etwa auf 'Christus?) beziehen. Kein Kaiser hatte aber mehrere Sóhne die Könige waren seit Karl d. G. und Ludwig d. Fr. Dann heisst es weiter: Exercitui Francorum, Romanorum et Teutonicorum vitam et vic- toriam. Die letzte Bezeichnung ist vor der Krönung Arnulfs nicht mög- lich, vor der Otto I. nicht wahrscheinlich 5),

So passen die einzelnen Theile dieses Ordo gar nicht zusammen, und dass er in der Weise jemals gebraucht worden, muss sehr unwahr- scheinlich, ja geradezu unmöglich dünken: zu keiner Zeit, selbst nicht

haben soll. Doch ist die Aehnlichkeit jedenfalls nur sehr gering, lässt sich nur auf den Satz beziehen: Reges quoque de lumbis ejus per successiones temporum futu- rorum egrediantur, der allerdings zunächst der Karolingischen Zeit entspricht.

1) Vgl. dafür den Ordo LL. II, S. 102.

2) So Schreiber S. 26, der unter den ‘regibus’ Otto I. und II. verstehen will. Aber die Vergleichung anderer Litaneien (s. Verf. G. III, S. 227 N. Giesebrecht II, S. 590) ergiebt, dass die Sóhne des Kaisers gemeint sind; ohne Zweifel ist einfach ‘suisque’ zu lesen (schon das ‘que’ zeigt die Beziehung auf den vorhergenannten Kaiser) In der N. 1 angeführten Formel sind die Sóhne weggeblieben, statt ihrer wird die Gemahlin genannt.

3) Ueber den Gebrauch von Teutonici s. Dümmler II, S. 626 N. Giesebrecht I, S. 553. Ohne hierauf Rücksicht zu nehmen, nennt die Formel Karolingisch Kriegk, Die Deutsche Kaiserkrönung S. 21.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 57

unter einem Johann XII. mag man an solche Gedankenlosigkeit bei ei- nem so wichtigen Acte glauben.

Die handschriftliche Ueberlieferung löst die Zweifel welche sich so ergeben wenigstens nicht vollständig. Martene folgt besonders einem Codex Gemundensis, eine Bezeichnung von der ich nicht mit Sicherheit zu sagen weiss, auf welchen Ort sie sich bezieht: wahrscheinlich wohl das alte Collegiatstift Gemünden bei Westerburg im Nassauischen. Spä- ter ist ein anderer Text bekannt geworden, der wenigstens nahe ver- wandt ist!), aus dem schon angeführten Dresdener Codex des Chron. Altinate, wo diese Formel sich unmittelbar an die vorher besprochene anschliesst. Hier fehlt die Litanei ganz. Dagegen folgt der Krönung erst die traditio sceptri et anuli mit den dazu gehörigen Reden, dann die gladii traditio mit der vollständigen (im Cod. Gemund. in der Mitte abgebrochenen?)) Rede, und diese Reden sind alle eben die welche der Ordo ad benedicendum regem bringt. Nur bei der Aufsetzung der Krone giebt dieser Codex eine andere (in Gemund. wahrscheinlich nur aus Versehen ausgelassene oder weggefallene5)), die aber auch keine Be- ziehung auf das Kaiserthum nimmt: Accipe coronam a domino Deo tibi predestinatam: teneas atque possideas et filiis tuis post te in futurum ad honorem Deo auxiliante relinquas. Eben diese hat Martene aus dem Cod. Paris. 3866 (jetzt Lat. 820) angeführt. Wenn man nach seiner An- gabe annehmen musste, dass dieser im übrigen mit dem Cod. Gemun- densis übereinkam, so ist das, wie die oben erwühnte Vergleichung des Hrn. Pannier ergeben hat, keineswegs der Fall; von der Litanei ist hier nichts zu finden, auch die gladii traditio fehlt ebenso wie die in Alt. vorkommende Ueberreichung der Regalien. An diesen Codex schliesst sich wieder der Aachen-Berliner an, dessen oben Erwähnung geschah.

1) Dies hat Schreiber richtig eingesehen, aber der kurzen verstümmelten Form des Cod. Gemund. viel zu viel Gewicht beigelegt. 2) Schreiber S. 24, der den Ordo ad coronandum regem nicht verglichen, hält diese kürzere Rede mit Unrecht für eine ältere. 3) Denn nur die Schlussworte, die für sich gar keinen Sjun haben: Per eum cui est honor etc. sind beibehalten. Histor.-philol. Classe. XVIII. i H

58 G. W AITZ,

Und auch Bamb., Münch. und Hittorps Ausgabe haben zum Theil das- selbe als Anhang zu der Formel der Kaiserkrönung, wenn auch die ein- zelnen Stücke in anderer Ordnung.

Die sehr bestimmte Hervorhebung des erblichen Rechts in der an- geführten Rede: Prospice etc. (oben 8. 29) lüsst an die Karolingische Zeit denken: spüter wird schwerlich ein Papst sich dieser bedient haben. Will man der ganzen Formel, wie sie der Cod. Gemund. offenbar nur abgekürzt überliefert hat, überhaupt eine wirkliche Geltung zuschreiben, so wird man nur an jene Zeit denken können. Damals war die Schei- dung der Königs- und Kaiserkrönung offenbar noch nicht so bestimmt durchgeführt wie später; die Ann. Einh. sagen von Lothar (823 S. 210): apud Sanctum Petrum et regni coronam et imperatoris atque augusti nomen accepit; Sergius II. weihte Ludwig 11. in Rom unter ähnlichen Feier- lichkeiten, wie sie später bei der Kaiserkrönung stattfanden, zum König.

Damals fand auch die Umgürtung mit dem Schwert!) und vielleicht auch die Ertheilung der königlichen Insignien statt, die in Gemund. und vollständiger in Alt. erwähnt sind, deren aber weder der Ordo Romanus noch die historischen Berichte von den Krönungen der Könige bis Heinrich V. gedenken?) und die dann erst später wieder aufgenommen

1) Ihrer erwähnt Paschasius V. Walae c. 17, SS. II, S.564, wo er den Lothar sagen lässt: coram sancto altare et coram sancto corpore b. Petri principis apostolo- rum a summo pontifice vestro ex consensu et voluntate benedictionem honorem et nomen suscepi imperialis officii, insuper diademata capitis et gladium ad defensio- nem ipsius ecclesiae et imperii vestri. Dagegen finde ich des gladius nicht, wie Cenni II, S. 254 und Schreiber S. 47 sagen, in den Verhandlungen über die Krónung Karl d. K. auf dem Concil von 877 erwähnt, Baluze Cap. II, S. 253ff., und des sceptrum nur in bildlicher Weise: ad imperii Romani sceptra proveximus et augustali nomine decoravimus; coronam imponentes sceptri et diadema imperii. Die Art wie wieder- holt der einzelnen Handlungen gedacht wird (sive divina benedictione sive sacra unctione sive coronae imperialis impositione; sive preces benedictionis super caput ejus infundendo, sive sacrae unctionis oleo celsum ipsius verticem contingendo, sive coronam imperii conferendo) schliesst, glaube ich, andere Acte aus.

2) Nach der genauen Beschreibung bei Willelmus Malmesb. ist dafür gar kein Raum. Nach Benzo I, 9, SS. XI, 8.602, geht der König ‘accinctus ense’ zur Krönung.

NUS Be

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 59

sind!): sie blieben vielleicht deshalb in den meisten Handschriften fort. Was hier überliefert ist als Anhang zu der vorhergehenden, ist auch gar keine vollständige Formel, sondern nur eine Reihe von Gebeten dem Act der Krónung vorhergehend und folgend: namentlich der Salbung ge- schieht dabei gar nicht Erwühnung. |

Bemerkenswerth ist noch die Ueberschrift wie sie in den meisten Codices sich findet: Benedictio ad imperatorem secundum occidentales. Die letzten Worte scheinen darauf hinzuweisen, dass die Aufzeichnung an einem Ort erfolgte, wo in solcher Weise der Gegensatz gegen die orientales, die Ostrómer, hervorgehoben werden mochte. Das passt auf Venedig und seine Umgebung, wohin das Chr. Altinate gehört; ob aber die andern angeführten Handschriften auch hierhin zurückgeführt werden können, muss dahingestellt bleiben. Die ganze Ueberlieferung ist der Art, dass man ihr, der so mannigfach und gut bezeugten Formel des Ordo Romanus gegenüber, für die Jahrhunderte, um die es hier sich handelt, keine Bedeutung beilegen kann. Entweder es ist eine blosse Umwan- delung des Krönungsformulars für Könige in ein solches für den Kaiser und zu beachten ist, dass der Aachen-Berliner und der Pariser Co- dex, die den älteren Text repraesentieren, trotz der Ueberschrift und trotz der angehüngten Missa pro imperatore noch mehr im Wortlaut sich an jenes anschliessen, statt ‘imperatorem’ allgemein ‘famulum’, statt ‘Ro- manum imperium’ unbestimmt ‘ill. imperium' sagen, auch die Worte welche auf das Kaiserthum deuten: et super caetera regna excellentiorem faciat, nicht haben; vielleicht dass es so nie wirklich gebraucht, nur von einem Sammler zurecht gemacht ist; und namentlich von der in Martenes Hand- : schrift angehüngten Litanei muss das gelten —; oder wir haben hier ein Stück aus Karolingischer Zeit, wo man sich begnügte, den Ordo für die Königskrönung mit geringen Aenderungen auch bei der des Kaisers in Anwendung zu bringen.

Zwei der Reden werden übrigens auch in dem Pontif Constanti-

1) Erst bei der Krönung Friedrich I. erwühnt sie Boso (oben S. 52); dann kommt sie in dem lüngeren Ordo vor.

F2

60 G. WAITZ,

nopolitanum (Martene II, S. 592) erwähnt, wo es heisst: Sciendum, quod, peracta commonitione cum impositione diadematis, dicere, si forte velit, apostolicus valet orationes hujuscemodi: Dominus vobiscum. Prospice, quaesumus, omnipotens Deus, serenis obtutibus etc. Benedic, Domine, hunc principem nostrum ill. etc. Deus, pater aeternae gloriae, sit adju- tor tuus etc. Missa pro imperatore: Deus regnorum omnium.

Dagegen fehlt die zweite Formel und alles was mit ihr verwandt ist gänzlich in der oben erwähnten Kölner Handschrift Nr. 141, die übrigens dieselbe Verbindung der drei Ordines für König, Kaiser und Königin zeigt wie die Mehrzahl der hier besprochenen Handschriften, und offenbar auf derselben Grundlage beruht wie diese, die aber doch einen in mancher Beziehung abweichenden Text darbietet. Bezeichnet sie dabei die Formel für die Kaiserkrönung ausdrücklich auch als Ordo Romanus, und bedenkt man das Alter der Handschrift, das jedenfalls höher hinaufreicht als das der Bamberger, wahrscheinlich dem der an- zunehmenden Römischen Grundlage dieser gleich kommt, so kann man wohl zweifelhaft sein, ob nicht dieser F assung der Vorzug gebühre.

Dafür könnte sprechen, dass hier die Uebereinstimmung mit der Königskrönung noch grösser ist, nicht blos das Gebet des Bischofs von Porto (das zweite), auch das des Bischofs von Ostia (das dritte) ganz dasselbe welches dort gebraucht, dass das abweichende des Bischofs von Alba (das erste) sich auch nur auf den König bezieht, es dann zum Schluss ausdrücklich heisst: Et sic firmetur in regno.

Wichtiger aber noch ist die Abweichung in Beziehung auf den Eid. In allen übrigen Texten steht dieser voran ohne alle Bezeichnung des Orts wo oder der Zeit wann er geleistet ist: nur daraus dass dann das Gebet vor der silbernen Pforte folgt kann man schliessen, dass er auch hierher gehöre. Dagegen lässt dieser Text den Eid vor der Confessio sancti Petri erfolgen. Man kann sehr geneigt sein, das für das Ursprüng- liche zu halten, was erst später geändert worden, da der Papst sich To dem Betreten der Kirche das Gelóbnis des neuen Kaisers habe Sichern wollen. Wir wissen aber nicht, wann jenes Verfahren hätte zur Anwendung kommen sollen. Schon Sergius liess sich von Ludwig ll.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 61

vor der verschlossenen Thür das Versprechen geben!); dasselbe geschah bei der Krönung Berengars?). Ueber das Verfahren bei den Krónungen Otto I. und seiner nüchsten Nachfolger sind wir nicht unterrichtet: es wäre möglich, dass da ein der Autorität der zu krönenden Herrscher weniger zu nahe tretendes beobachtet wäre. Doch dürfte es bedenklich sein, auf die Autoritüt dieser Handschrift hin es anzunehmen.

Bedenken wir, in welcher Weise sie bei der Wiedergabe der bei- den andern Formeln verfahren ist, wie sie da offenbar verschiedenarti- ges combiniert und so einen wesentlich neuen Text gebildet hat, so muss es als mögkch, ja als nicht unwahrscheinlich gelten, dass es auch hier sich nicht eben anders verhält, dass wir also in dem Ordo dieser Hand- schrift nicht sowohl eine wirklich praktisch gültige Ordnung als eine, dass ich so sage, theoretisch aufgestellte Formel haben. Dabei ist frei- lich nicht ausgeschlossen, dass nicht Bestandtheile eines echten Textes darin enthalten sind, denen man ein höheres Alter als dem später all- gemein verbreiteten beilegen müsste.

Ich habe deshalb diesen Text wenigstens nach seinem allgemeinen Gefüge hier als III. abdrucken lassen, die übereinstimmenden Reden bei der gewöhnlichen Formel benutzt.

Der Text derselben (I.) ist nach den früher bezeichneten Hand- schriften und Editionen (Paris A2, München A3, Bamberg A4, Hittorp A5, Chron. Altin. A6; Köln 141 = Bl, Aachen - Berlin B2; Martene aus Pontificale Constantinopolitanum und Arelatense C) und den Ausgaben des Cencius und Albinus (Raynald D1, Mabillon D2, Muratori D3, Cenni = D4) gegeben.

Die Benedictio secundum occidentales (IL) findet sich nur in den Handschriften A, B2, der Anfang aus dem codex Gemundensis bei Martene (— C).

1) Vita Sergii, ed. Bianchini S. 350.

2) Gesta Bereng. v. 147, ed. Dümmler 5. Ante fores stant ambo domus, dum vota facessit Rex.

62 G. W AITZ,

E ORDOa ROMANUS AD BENEDICENDUM IMPERATOREM" QUANDO: CORONAM ACCIPIT.

Promissio® imperatoris :

In nomine Christi? promitto, spondeo atque! polliceor ego N.5 im- perator coram Deo et beato Petro apostolo", me protectorem ac! defen- sorem esse* hujus sanctae* Romanae aecclesiae in omnibus utilitatibus,

in quantum divino fultus fuero!

adjutorio, secundum scire meum ac^ posse. |

Orationem" primam det? episcopus de castello Albanensi? ante portam Argenteam [basilicae sancti Petri]:

Deus, in cujus manu corda” sunt? regum, sicut* in sacramentario habetur *.

Orationem" secundam det" episcopus Portuensis intra" aecclesiam beati Petri apostoli? in medio rotae: .

Deus inenarrabilis, auctor! mundi, ut supra" in ordinatione? regis.

*) A3. 4. 5. C. D geben die Rede weiter: inclina ad preces humilitatis nostrae aures misericordiae tuae et principi? nostro N.° [famulo tuo] regimen tuae appone sapientiae, ut?, haustis de tuo fonte consiliis, et tibi placeat et super omnia regna precellat. Pers. B1 giebt eine andere Rede.

a) A4 schickt als Ueberschrift voraus; Ordinatio imperatoris. Incipit ordo A2. 8. 5. 6. DI.

b) fehlt B2. o) .و‎ c. a. fehlt AB. 4. 5. q. imperator c. a. B2. û) P. i. fehlt A2. e) domini nostri Jesu Chr. A6. ego N. p. sp. a. p. coram A3. f) ac B2. g) T. A6. h) fehlt C. D. i) atque A6. k) fehlt A3. 1) fuero f. Bl. ero B2. m) et B2. 6. D3. n) Deinde pri- mam orationem dicat AS. Dehinc o. C. D. o) debet D1. debet dicere D2. p) fehlt A2. ep. Albanensis A4. ep. Alb. C. D1. 2. 4. Alb. ep. D3. q) Dies fehlt A. B. Oremus ‚fügt A5 hinzu, Oratio D1. r) c. s. v. fehlt B2. s) sum A2. t) continetur B2. u) O. vero C. D. v) debet ep. P. recitare D2. w) inter A2. in ecclesia A4. x) fehlt C. D. y) a. m. fehlt B2. mundi c. g. h. et cetera ut A3. 6. z) s. scriptum est A3. 5. Die Handschriften Bl. C. D geben die Rede. a) ordine A2. unctione B2. b) imperatori C. D. c) fehlt A4. 5. û) f. t ` fehlt A. e) regnum D2. tegimen D3. f) et A5. g) fehlt D3.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 63

Deinde vadant? ante Confessionem beati? Petri apostoli°, et? prosternat t et archidiaconus faciat letaniam. Qua finita, episco- pus Ostiensis unguat ei de® oleo exorcizato brachium dextrum? et inter sca- pulas, et dicat! hanc* orationem:

se pronus* in terram

Domine Deus omnipotens, cujus est omnis! potestas et” dignitas, te supplici devotione atque humillima prece deposcimus, ut huic famulo tuo N.” prosperum? imperatoriae dignitatis concedas? effectum, ut in tua” dispositione constituto ad regendam aecclesiam tuam sanctam nihil ei? presentia officiant futuraque non obsistant, sed, inspirante sancti' Spiritus tui^ dono, populum sibi subditum aequo justiciae libramine regere valeat et" in omnibus operibus suis te semper timeat", tibi ju- giter placere contendat. Per*.*

Pontifex ergoY stet sursum" ante? altare et imponat" ei diadema in* capite, dicens: .

Accipe signum gloriae in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, ut, spreto antiquo hoste spretisque contagiis omnium? viciorum, sic ju-

*) C. D fügen hinzu: Sequitur alia* oratio. Deus, Dei filius, Jesus Christus, do- minus noster, qui af Patre oleo exultationis unctus? es pre participibus suis, ipse per presentem ungiminis® effusionem Spiritus paracliti super ca- put tuum infundat benedictionem eandemque: usque ad interiora cordis tui penetrare faciat; quatinus hoc visibili et tractabili dono invisibile* percipere et temporali regno justis miserationibus assecuto! aeternaliter cum eo regnare" merearis, qui solus sine peccato vivit et regnat" cum'Deo Patre in unitate Spiritus [sancti®. Per] etc. |

a) vadat A5. 6. vadit Bl. 2. b) sancti C. c) fehlt A4. C. D1. 2. 4. d) et coro-

nandus p. C. et fehlt A2. et terram ‚fehlt A4. e) primus B2. pronum C. D. prea se proni A2. f) terra D3. g) ex D3. de o. e. hinter scapulas B2. h) i. b. B2. ji) dicens A3. 4. k) fehlt AB, 4. o. istam A5. 1) fehlt A2. 8. m) omnisque A4. n) fehlt A2. 6. C. D. o) i. d. p. B2. p) concedat B2. q) affectum B1. r) sua D2. : t) sp. s. B2. u) fehlt B2. v) ut Bl. w) timeant contendant B1. x) Per ejasdem A3. Per Dominum in unitate ejusdem B1. y) vero A2. 6. fehlt B. Deinde (Demum D3. 4) vero p. (p. Romanus D2. 3. 4) C. D. p. R. surs. a. a. imponit D3. 4. z) fehlt A4. a) Jehu D2. ad corr. ante Bl. b) imponens ei d. dicit A4. c) super caput A4. 2 D1. diad. ei d. B2. d) e. mundi contagiisque v. B2. e) hec D3. 4. fehit C. f) ex C. g) accinctus D2. u. est 35 h) sacri unguinis D3. i) que fehlt D2. k) invisibilia D3. 1) exsequuto D3. m) aet. ‚conregnare D3. n) gloriatur D3. o) so D3.

64 G. WAITZ,

dicium et justiciam diligas et^ misericorditer vivas, ut ab ipso domino” nostro Jesu Christo in consortio sanctorum aeterni regni coronam per- cipias 4 Qui cum Patre? et Spiritu sancto vivit et regnat deus per infinita secula seculorum. Resp. Amen.

[Missa pro eodem imperatore :

Deus omnium regnorum ef? cetera].

1I. BENEDICTIO? AD ORDINANDUM IMPERATOREM SECUNDUM OCCIDENTALES. Exaudi‘, Domine, preces nostras et famulum tuum N.F ad regen- dum ill! imperium constitue", ut per te regere incipiat et per te fideli-

ter?

regnum custodiat. Per?.

| Consecratio P] :

Prospice!), omnipotens Deus, serenis obtutibus hunc gloriosum fa- mulum? tuum N.', et sicut benedixisti Abraham, Ysaac et Jacob, sic illi largiaris benedictiones spiritualis gratiae? eumque * omni plenitudine tuae potentiae irrigare" atque perfundere digneris, ut tribuas ei de rore coeli et de pinguedine terrae habundantiam frumenti et" vini et olei et omnium frugum opulentiam", ex* largitate divini muneris longa per tempora, ut illo regnante sit sanitas corporis in patria, pax invio-

a) et m. v. fehlt A2. et ita m. C. D. b) domino domino Bl. c) justorum Bl. d) ac- cipias A3. 4. percipere merearis D2. e) Patre amen fehlt A4. Per e. ejusdem A3. Qui vivit B2. f) Dies haben nur A2 und B2. Item missa A2. g) et Romani maxime protector A2. h) Item benedictione A2. Item allia b. ad ornandum i. s. o. consecrationes A6. Alia A4. Alia coronae

impositio A5. i) A8. 4. 5 haben zuerst Accipe coronam ohne Ueberschrift; dann [Alia 8] Ex- audi efe. Prospice efe, C giebt als Ueberschrift: Consecratio. k) ill A2.6,C. 1) Romanum A4. 5. hoc A6. m) con A2. n) r. f. c. fehlt A6. 0) Per Dominum nostrum A6. Per

Christum C. Qui cum patre A4. Qui vivit et regnat A5. Qui vivis B2. p) Alia A3. fehlt A4. 5. 6. q) imperatorem nostrum A3.5. imperatorem A4. r) T. A6. ill. B2. C. imperatorem. Quere in ordinatione regis A4. imp. n. N. ets. b. A. Y. et J. Require supra in benedictione regis A5. 8) spi- rituales B2. t) cumque A6. u) i. a. fehlt B2. v) fehlt B2. w) abundantiam C. x) et B2,

1( Die Rede steht ähnlich oben S. 37 in der Formel für die Königskrönung.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 65 lata sit^ in regno et^ dignitas" gloriosa regalis palacii. (Concede? ei] maximo splendore regiae potestatis oculis® omnium luce clarissima coru- scare atque splendescere, qua splendidissimi! fulguris maximo? perfusa lumine videatur. Tribue ei, omnipotens Deus, ut sit? fortissimus pro- tector patriae et consolator aecclesiarum atque coenobiorum sanctorum, maxima pietate regalis munificentiae; atque ut sit fortissimus regum, triumphator hostium ad obprimendas! Bloom et paganas nationes, sit- que suis inimicis satis terribilis, proxima* fortitudine regalis potentiae, optimatibus quoque atque precelsis! proceribus? atque? fidelibus sui regni munificus^ et amabilis et pius, et ab omnibus timeatur? atque di- ligatur. Reges quoque de lumbis ejus per successiones futurorum 4 tem- porum egrediantur regnum regere 111.5, et post gloriosa tempora atque felicia presentis vitae gaudia in perpetua beatitudine habitare merea- tur. Per‘.

Ett mittat pontifex coronam auream RT caput ejus, dicens"

Accipe" coronam [auream“] a domino Deo tibi predestinatam: ha- beas, teneas atque” possideas et filiis? tuis post te in futurum ad honorem Deo auxiliante bsc dead Lx

Sequitur. oratio?

Deus, pater ا‎ gloriae, sit adjutor 6411115 *, et Omnipotens be- nedicat tibi, preces tuas in? cunctis exaudiat et vitam tuam longitu- dine? dierum! adimpleat**, thronum regni tui* jugiter firmet, gentem!

*) et protector fügen hinzu A3. 4. 5.

**) et semper in sua voluntate custodiat fügen hinzu A3. 4. 5.

a) fehlt B9. b) fehlt A6. c) divinitas B2. d) C. ei fehlt A6. B2. e) fehlt B2. f) splendidissima C. : g) maxima B2. h) fehlt A6. i) opprimendos C. k) pro maxima r. A6. 1) fehlt A6. m) fehlt B2. n) et A6. ae C. p) teneatur B2. q) fehlt B2. t. f. A6. r) fehlt B2. 8) Per Christum C. ©) ÉL ptm Fehlt A8. 4. 5, wo das Folgende zu Anfang steht. u) in B2. v) his verbis Ab. .— w) Das Folgende fehlt C, wo es nur heisst: Per eum cui est honor et gloria per infinita saecula. pee und dann fi = die gladii traditio, welche allen andern Texten fehlt. IN 2 Rap A2. h. fehlt A z) ac A2. fehlt B2. a) filius tuus A2. 6. B2. b) poste A2. 4. imposte A6. c) te futuris ui ' .. d) rel: A6. e) fehlt A2. S. o. fehlt A6. Alia A3. 5. Item consecratio A4. f) paterne g. B2. g) e. in c. A3. h) in 1. B2. longitudinem A6.. | i) fehlt A4. k) r. cor- roboret Ag. 4. 5. 1) et g. A2. 6. gentes A3. 4. 5.

Histor.-philol. Classe. XVIII. 1

66 G. WAITZ,

populumque? tuum* in aeternum conservet, inimicos tuos confusione induat, et super te Christi sanctificatio floreat **, ut, qui tibiP.tribuit in terris imperium, ipse *** in caelis conferat premium. Per‘. +

Missat pro imperatore.

Collecta°. Deus, regnorum omnium et christiani £ maxime protector imperii, da servo tuo imperatori nostro N. triumphum virtutis tuae scienter excolere, ut, qui tua constitutione est princeps, tuo semper munere sit potens. Per.

Secreta. Suscipe, Domine, preces et hostias aecclesiae tuae pro* salute famuli tui N.! supplicantis, et in protectione fidelium populorum antiqua brachii operare miracula, ut, superatis pacis inimicis, secura tibi serviat christiana libertas. Per.

Benedictio" 1}. Deus, qui congregatis in tuo nomine famulis me- dium te dixisti assistere”, corona valentem? imperatorem, da gratiam sacerdotibus? tuis, quam Abraham in holocausto, Moyses in exercitu, Helyas in heremo, Samuel crinitus4 meruit in templo. Concede concor-

*) p. t. subiciat et a peste et fame tuis temporibus c. A3. 4. 5.

**) et super caetera regna excellentiorem faciat fügen hinzu A3. 4. 5. ***) i tibi in caelis cum electis suis conferat habere consortium A3. 4. 5.

1) Hier folgt in A6:

Sceptri traditio. ^ Accipe virgam participibus tuis. Jesüm Christum nostrum qui vivit.

Tradicio annuli. Accipe regie per eorum. Cui est honor et gloria per infinita secula seculorum amen.

Gladii tradicio. Accipe gladium merearis regnare. Qui cum Deo Patre et Spiritu sancto vivit et regnat in secula seculorum.

C hat das Letzte fragmentarisch; s. oben S. 56.

a) que fehlt A6. -5 زط‎ fehlt AD. tr. t. A4. co) fehlt A2. 4. Qui vivit B2. d) M. unde supra A3. Das Folgende fehlt A4, 5. e) Seer. A3. f) o. r. B2. g) Romani A2. b) imperii Per fehlt A2. imp. et e. Ab. i) fehlt A3. k) pro Per fehlt A2. 1) H. A6, wo das Folgende fehlt. m) B. imperatoris A3. B. episcopalis A6. n) a.d.A3. o) presentem A3. D) s. t. fehlt B2. t. fehlt A6. q) fehlt A3. 6. ;

; 1) Die beiden folgenden Abschnitte finden sich im wesentlichen übereinstimmend m einer Handschrift des 9ten Jahrh. zu München Cod. Lat. 14510 (S. Emm. 510), die ich als Beilage IV mittheile.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 67

diam, quam inspirasti patriarchis, predicasti^ prophetis, tradidisti apo- stolis, mandasti^ euangelistis, largitus es et martyrum triumphis. Resp. °: Amen.

Item*. Benedic, Domine, hune principem nostrum N, quem ad salutem populi® nobis cognoscimus fuisse concessum, fac annis esse multiplicem ^, salubri corporis? robore! vigentem, ad senectutem opta- tam pervenire felicem. Sit nobis fiducia. obtinere gratiam pro! populo, quam Aaron in tabernaculo, Elyseus" in fluvio, Ezechias in lecto?, Za- charias vetulus impetravit? in templo. Resp.: Amen.

Alia. Sit nobis regendi auctoritas, qualem Josue in castris?, Ge- deon sumpsit in preliis!, Petrus accepit in clavi, Paulus est usus in dog- mate, et ita pastorum cura tuum proficiat ovile, sicut Ysaac in fruge, Jacob est dilatatus * in grege. Resp.: Amen. Quod ipse prestare dignetur‘.

Ad compl. Deus, qui ad predicandum aeterni Regis" euangelium Ro- manum imperium preparasti, pretende famulo tuo imperatori nostro N. arma caelestia, ut pax aecclesiarum nulla turbetur tempestate bello-

rum. Per.

HL ORDO ROMANUS AD BENEDICENDUM IMPERATOREM.

Dum venerit rex ad ecclesiam beati Petri Romae ut fiat imperator, suscipiat eum plebs universa cum processione magna. - Cum autem venerint ante portam AÄrgenteam, parumper subsistant, et episcopus de castello Al- banensi det in hunc modum orationem primam :

Deus, in cujus manu corda regum sunt, da famulo tuo regi nostro ill. prosperum suae dignitatis effectum, in qua te semper timeat tibique

jugiter placere contendat.

a) concordia A6. misericordiam quam in p. voluisti B2. b) proph. pred. B2. e) z tr. B2. d) e. m. B2. e) fehlt A8. 6. f) H. A6. g) fehlt B2. h) m. principem A6. i) labore A5. s. corpore vigente et A6. k) fiduciam A6. I) fehlt e 20) ORDER A3. n) delecto A6. o) fehlt A6. p) prelis A8. q) castris A3. 8 dilatus A3. B2. dilectatus A6. d.e. B2. s) d. qui cum Patre et Spiritu sancto vivit et regnat in secula seculorum amen A6.

t) Das Uebrige fehlt A3. u) regis etc. A6. p

68 | G. WAITZ,

Post ingressum dicat episcopus Portuensis orationem secundam 2 beati Petri apostoli ecclesiam in medio rotae:

Deus inenarrabilis, auctor mundi qui tecum vivit.

Deinde vadant ante Confessionem beati Petri apostoli, et faciat impe- rator ibi professionem :

In nomine Christi scire meum ac posse.

Postea prosternat se pronus in terram, et archidiaconus faciat letaniam. Qua finita, episcopus Ostiensis consecret eum hoc modo: Oremus.

Deus, qui es justorum gloria vertat. Accende, quaesumus, Do- mine, cor ejus ad amorem gratiae tuae per hoc unctionis oleum 1).

Hic unguat ei de oleo sancto compagem brachii dextri et inter scapulas, et prosequatur : |

unde unxisti sacerdotes mereatur gaudia. Per eundem.

Item alia oratio: |

Domine Deus omnipotens contendant. Per Dominum in uni- tate ejusdem. :

Summus pontifex stet sursum ante? altare, et post haec imponat im- peratori diadema in capite, dicens:

Accipe signum gloriae percipias, qu cum Patre.

Seq.: Oremus.

Coronet te Deus corona gloriae atque justitiae, honore et opere fortitudinis, ut, per officium nostrae benedictionis cum fide recta et mul- tiplici bonorum operum fructu ad coronam pervenias regni perpetui, ipso largiente, cujus signum permanet in secula seculorum.

Et sic firmetur in regno.

a) ad corr. ante Hs. 1) Siehe oben S. 38 die Formel der Königskrönung.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 69

Beilagen.

Hier theile ich eine Anzahl Stücke mit, welche mit der vorstehen- den Untersuchung in Verbindung stehen, und sich in den von mir be- nutzten Handschriften finden.

I. Die als Römisch bezeichnete allgemeine Formel der Königskrö- nung aus den Handschriften von Aachen-Berlin und Ivrea (B2. 3); s. oben S. 18. 25.

il. Die aus der vorhergehenden und der Angelsáchsischen For- mel compilierte der Kölner Handschrift Nr. 141; s. oben S. 18 ff. ` -. HI. Aus dem oben (S. 24) erwähnten Codex zu München, Lat. 10073 (Pal. M. 73, im Jahr 1409 geschrieben von Durantus Uielli, wie auf dem letzten Blatte angegeben, und mit schönen Miniaturen geziert, deren Autor leider nicht mehr zu entziffern ist, da die Stelle, welche seinen Namen enthielt, ausradiert), die Anfänge und einzelne charakte- ristische Stellen der Krónungsformel (fol. 104' ff), die ich theils selbst abgeschrieben habe, theils der Güte des Hrn Dr. Schum verdanke.

IV. Aus der Handschrift zu München Cod. Lat. Nr. 14510 (S. Em- mer. 510), saec. IX in Octav, einem alten Benedictionale, fol. 12, zwei Gebete oder Segnungen für den Fürsten und König, wie sie wohl bei festlichen Gelegenheiten, namentlich bei Anwesenheit des Königs in ei- nem Stift, auf einer Synode oder sonst, gesprochen wurden, und dann auch bei den Krónungen benutzt sind. Der Text bedurfte hie und da

einer Nachbesserung.

10 ; G. WAITZ,

I. Die allgemeine (Rómische) Formel der Konigskrónung.

INCIPIT ORDO AD REGFM BENEDICENDUM QUANDO NOVUS A CLERO ET POPULO UBLIMATUR IN REGNUM s,

Primum exeunte illo thalamum unus episcoporum dicat hane orationem:

Omnipotens, sempiterne Deus, qui famulum tuum N. regni fastigio dignatus es sublimare*, tribue ei, quaesumus, ut ita in hujus 4 seculi cursu cunctorum in ° com- mune salutem disponatf, quatenus a tuae veritatis tramite non recedat.. Per.

Postea suscipiant illum duo ® episcopi dextra laevaque, honorifice parati, haben- tes sanctorum reliquias collo" pendentes. Ceteri autem clerici sint* casulis adornati; precedente! sancto euangelio et duabus crucibus cum incenso boni odoris, ducant illum ad ecclesiam, canentes responsorium". Resp.: Ecce mitto angelum meum*. Vers.: Israhel, si* me audieris, cuncto? eum vulgo prosequente. Ad ostium autem ecclesiae clerus subsistat, et alius? episcopus dicat hanc* orationem:

Deus, qui scis genus humanum nulla sua? virtute posse subsistere, concede propitius, ut famulus tuus N., quem populo tuo voluisti preferri, ita tuo fuleiatur adjutorio, quatinus quibus potuit" preesse valeat et prodesse. Per.

Introeuntes autem precedentes clerici decantent* ant.=: Domine, salvum fac re- gem usque in? introitum chori. Tunc episcopus metropolitanus” dicat hanc? ora- tionem :

Omnipotens, sempiterne? Deus, caelestium terrestriumque moderator, qui fa- mulum tuum N. ad regni fastigium dignatus es provehere, concede, quaesumus, ut a cunctis adversitatibus liberatus et? ecclesiasticae pacis dono muniatur et ad aeternae pacis gaudia, te donante, pervenire mereatur. Per.

Ibi autem® ante chorum designatus? princeps pallium et arma deponat atque inter manus episcoporum perductus in chorum, usque ad altaris gradus | incedat. Cunctoque* pavimento tapetibus et palliolis* contecto, ibi! humiliter totus in cruce prostratus, una* cum episcopis et cunctis presbiteris hinc inde prostratis, ceteris au-

a) Ordo ad benedicendum regem 2. ^ b) Primus enim 3. e) sublimari 3. d) presenti collecta multitudine 3. ^ e) c. communem 3. f) disponas 83. g) fehlt 3. h) in vor c. ge- tilgt 2. i) cli 3. cleri 2. k) fehlt 3. 1) proc. 2. m) turba clericorum c. r. cum versu 3. n) fehlt 2. 0o) Isr. etc. 3. p) Vulgo autem sequente ad 3. q) chorus 2. r) archiep. 2. 9) h.sequentem 8. ` 1) h. g. 2. w) fehlt 2, ` v) videtur 3. w) dicant 3. x) fehlt 2. y) ad 3. z) sedis illius 3. a) et h. subsequentem o. 3. b) fehlt 3. c) propitius 2. 3) fehlt 2. e) enim 3. f) delegatus 3? p. d. 2. g) Cuncto autem 3. h) pallio 2. i) ibique 3. k) una prostratis fehlt 2.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 71

tem? in choro letaniam breviter psallentibus, id est 12 apostolos ac’ totidem martyres, confessores et virgines, et cetera usque in finem huic benedictioni convenientia.

Finita autem letania, erigant* se. Sublatus autem princeps interrogetur® a metropolitano, si sanctas Dei ecclesias ac rectores ecclesiarum necnon et cunctum populum sibi subjectum; juste et? religiose regali€ providentia justa morem patrum suorum defendere ac regere velit. Illo autem profitente, in quantum divino fultus adjutorio ac solatio omnium fidelium suorum valuerit", ita se peri omnia fideliter esse acturum, deinde* iterum ipse episcopus affatur populum, si tali principi ac rectori se subicere ipsiusque! regnum firma fide" stabilire atque jussionibus illius obtemperare velint. juxta apostolum : ‘Omnis anima potestatibus sublimioribus" subdita sit’, regi quasi precellenti. Tunc ergo a circumstante clero et populo unanimiter? dicatur: Fiat, fiat. Amen.

Postea vero? eo devote inclinato, dicatur ab uno episcopo haec oratio:

Benedic, Domine, hunc regem nostrum N.» qui regna omnia* moderaris a seculo, et* tali eum benedictione glorifica, ut Daviticae* teneat sublimitatis sceptrum, et glorificatus* in ejus protinus reperiatur merito. Da ei tuo inspiramine cum man- suetudine ita regere populum, sicut Salomonem fecisti regnum obtinere" pacificum. Tibi semper cum” timore sit subditus tibique militet cum quiete. Sit tuo clypeo protectus cum proceribus, et ubique tua gratia victor existat. Honorifica eum pre cunctis regibus gentium, felix populis dominetur, et feliciter eum nationes adorent. Vivat inter gentium catervas magnanimus, sit" in judiciis aequitatis singularis; lo- cuplet eum tua predives dextera; frugiferam obtineat patriam, et ejus liberis tri- buas profutura. Presta ei prolixitatem vitae per tempora, et in diebus ejus oriatur justitia. A te robustum teneat regiminis solium, et cum jocunditate et justitia ae- terno glorietur in regno. [Quod* ipse prestare dignetur, qui cum Deo Patre et Spi- ritu sancto vivit et regnat per omnia secula].

[Oratioy. Omnipotens, aeterne Deus, creator omnium, imperator angelorum, rex regnantium dominusque dominantium, qui Abraham fidelem famulum tuum de hostibus triumphare fecisti, Moysi et Josuae populo prelatis multiplicem vietoriam tribuisti humilemque David puerum tuum regni fastigio sublimasti et Salomonem sa- pientiae pacisque ineffabili munere ditasti: respice propitius ad preces humilitatis nostrae, et super hunc famulum tuum N., quem supplici devotione in regem eligi- mus, benedictionum tuarum dona multiplica eumque dextera tuae potentiae semper

a) fehlt 2. 'b) et 8... c) fehlt 2. ^ d) erigat 2. e) interrogatus ab episcopo sedis ilius 3. f) ac 3. g) regalis prudentia 3. h) fehlt 3. 1) semper o. 3. k) d. i. fehlt 2. l que fehlt 9. 1*) pace 2. m) sublimibus 2. n) u. d. fehlt 2. o) fehlt 8. p) fehlt 2.

Omnium 3. r) fehlt 2. - s) Davidicam 8. t) sanctif. 3. u) o. r. 2. v)s.d.c.t.2 W) et 3. x) Statt Quod saecula hat 2 nur Amen. y) Dieser Absatz fehlt 3.

12 | G. WAITZ,

et ubique circunda, quatenus predicti Habrahae fidelitate firmatus, Moysi mansuetu- dine fretus, Josuae fortitudine munitus, David humilitate exaltatus, Salomonis sa- pientia decoratus, tibi in omnibus placeat, et per tramitem justiciae inoffenso gressu semper incedat; ecclesiamque tuam deinceps cum plebibus sibi annexis ita enutriat ac doceat, muniat et instruat, contraque omnes visibiles et invisibiles. hostes eidem potenter regaliterque virtutis regimen amministret, et ad verae fidei pacisque con- cordiam eorum animos, te opitulante, reformet, .ut horum populorum debita sub- jectione suffultus, condigno amore glorifioatus, ad paternum decenter solium tua miseratione conscendere mereatur. Tuae quoque protectionis galea munitus et scuto insuperabili protectus armisque caelestibus circundatus, optabilis victoriae trium- phum feliciter capiat terroremque suae potentiae inferat infidelibus et pacem tibi militantibus laetanter reportet, per Dominum nostrum, qui virtute sanctae crucis tar- tara destruxit, regnoque diaboli superato, ad caelos victor ascendit, in quo po- testas omnis regumque consistit victoria, qui est gloria humilium et vita salusque populorum. Qui tecum vivit].

Deinde ab altero episcopo. dicatur haee oratio:

Deus inenarrabilis, auctor mundi, conditor generis humani, gubernator impe- ri, confirmator? regni, qui ex utero fidelis amici tui patriarchae? nostri Habrahae preelegisti reges? seculis profuturos, tu presentem regem hunc cum exercitu suo per intercessionem omnium sanctorum ubere? benedictione locupleta et in solium regni firma stabilitate conecte. Visita eum sicut Moysen in ruboh, Jesu Nave in prelio, Gedeon in agro, Samuelem in templo; et illa eum benedictione syderea ac sapie tiae tuae rore perfunde, quam beatus Davidi in psalterio, Salomon filius ejus, te remunerante, percepit e caelo. Sis ei contra acies inimicorum lorica, in adversis galea, in prosperis pacientia, in protectione clypeus sempiternus, et presta, ut gen- tes illi* teneant fidem, proceres sui habeant pacem, diligant caritatem, abstineant se a cupiditate, loquantur justitiam, custodiant veritatem , et ita populus iste sub ejus imperio! pullulet", coalitus benedictione aeternitatis, ut semper maneant" tri- pudiantes in pace victores. Quod ipse prestare dignetur qui^ tecum vivit et regnat.

Tunc? ab episcopo sedis illius de? oleo sanctificato unguatur 1 |caput'], pectus et scapulae ambaeque compages brachiorum ipsius, et dicatur [hec*] oratio":

[Dominus’], qui es justorum gloria et misericordia peccatorum, qui misisti filium tuum pretiosissimo sanguine suo" genus humanum redimere, qui conteris

a) hec sequitur 3. b) eonform. 2. Gua g d) p. n. fehlt 2. e) regem 8. pro- - faturum 3. s. fehlt 2. f) s. 0.8. g) uberi 3. hj rubro8. i)D.rex8. k)i.g.2 l) s. e. i. fehlt 3. m) populetur coelitus 3? n) maneat tripudians in p. victor 3. 9) qui regnat fehlt 2. o) fehlt 2. p) T. demum 3. q) ungantur 3. r) fehlt 8. s) fehlt 2. t) brachiorum compagines et 2, u) 3 hat hier: Versus— aeterne Deus (s. folg. Seite). v) tuo^2.

FORMELN D. DEUTSCH. KÓNIGS- U. D.

bella et propugnator es in te sperantium,

RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 73

et sub cujus arbitrio* omnium regnorum

continetur potestas, te humiliter deprecamur, ut presentem famulum tuum N. in

tua misericordia confidentem in presenti se

esse digneris, ut, qui tua expetit protecti tior. Fac eum, Domine, beatum* esse et corona justitiae et pietatis, ut ex toto co serviat, sanctam tuam. ecclesiam defendat

de regali benedicas eique propitius ad- one defendi, omnibus® sit hostibus for- victorem de inimicis suis. Corona eum rde et tota mente in te credens tibi de- et sublimet populumque? a te sibi com-

missum juste regat, nullus insidiantibus malis eum in injustitiam vertat. Accende,

Domine, cor ejus ad amorem gratiae tuae

per hoc* unctionis oleum, unde unxisti

sacerdotes, reges et prophetas, quatenus justitiam diligens, per tramitem similiter f

justitiae populum ducens?, post? peracta

& te disposita in regali excellentia an-

norum curricula, pervenire ad gaudia aeterna? mereatur. Per eundem.

[Item*. Deus, Dei filius, Jesus Christus dominus noster, qui a Patre oleo exulta- tionis est! unctus pre participibus suis, ipse per presentem sacri unguinis” infusionem Spiritus paracliti super caput tuum in- fundat benedictionem eandemque usque ad interiora cordis tui penetrare faciat, quatinus hoc visibili et tractabili dono in- visibilia percipere, et temporali regno justis moderaminibus executo, aeternaliter cum

€o regnare merearis, qui solus sine pec-

cato vivit et regnat rex regum. Per omnia].

Postea ab episcopis? ensem accipiat, ad regendum secundum supradicta verba politano :

Et cum spiritu tuo.

Vers.: Per omnia secula seculorum. Resp.: Amen. V.: Dominus vobiscum. R.: V.: Sursum corda. R.: Habemus ad Dominum. V.: Gratias aga- mus domino Deo nostro. R.: Dignum et

justum est.

Vere dignum et justum et aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere, domine sancte Pater, ommipotens, aeterne Deus”.

ut cum ense? totum regnum sibi fideliter sciat esse commendatum, [dicente* metro-

Accipe gladium per manus episcoporum, licet indignas, vice tamen et aucto- ritate apostolorum consecratas, tibi regaliter impositum, nostraeque benedictionis of- ficio in defensionem sanctae Dei ecclesiae divinitus ordinatum; et esto memor de quo

psalmista prophetavit, dicens: ‘Accingere

gladio tuo super femur tuum, potentis-

: : TEM iniquitatis T r destruas et sime’, ut per eundem vim aequitatis exerceas, molem iniquitatis potente

sanctam Dei ecclesiam ejusque fideles propu

ES‏ م

3) imperio 2. b) omnibusque h. s. 2. f) fehlt 3. g) docens 2. hierneben gesetzte Stelle der letzten Rede vorhergeht n) qui es justorum gloria fährt 3 fort. 0) episc Histor.-philol. Classe. XVII.

h) per pacta 2.

gnes ac protegas, nec minus sub fide

d) que fehlt 3. e) fehlt 2. k) Dies fehlt 3, wo die m) sanguinis Hs.

q) Dies fehlt 8.

c) beatus 3.

i) et. g. 2.

1) ausradiert 2. p) eo regnum 2.

Li

opo 2.

74 G. W AITZ,

falsos quam christiani nominis hostes execres ac destruas, viduas et pupillos cle- menter adjuves ac defendas, desolata restaures, restaurata conserves, ulciscaris in- justa, conserves bene disposita, quatinus hec in agendo, virtutum triumpho gloriosus justiciaeque cultor egregius, cum mundi Salvatore, cujus typum geris in nomine, sine fine merearis regnare. Qui cum Patre et Spiritu sancto].

Accinctus autem? ense, similiter ab illis armillas" et pallium et [anulum* acci- piat, dicente metropolitano:

Accipe regiae dignitatis anulum, et per hunc in te catholicae fidei cognosce si- gnaculum, quia, ut hodie ordinaris caput et princeps regni ac populi, ita perseverabis auctor et stabilitor christianitatis, ut felix in opere, locuples in fide, cum Rege regum glorieris. Per eum cui est honor et gloria. -

Postea sceptrum et] baculum? accipiat, [dicente* ordinatore:

Accipe virtutis virgam atque aequitatis, qua inteligas mulcere pios et terrere reprobos, errantibus viam pandere, lapsis manum porrigere, disperdasque superbos humilesque releves; et aperiat tibi ostium Jesus Christus dominus noster, qui de se ipso ait: ‘Ego sum ostium; per me si quis introierit, salvabitur ^ et ipse qui est clavis David et sceptrum domus Israel, qui aperit et nemo claudit, claudit et nemo aperit. Sitque tibi auctor, qui educit vinctum de domo carceris sedentemque in tenebris et umbra mortis; et in omnibus sequi merearis eum, de quo cecinit David propheta: ‘Sedes tua, Deus, in seculum seculi, virga aequitatis virga regni tui’. Et imitando illum, diligas justiciam et odio habeas iniquitatem; quia propterea unxit te Deus, Deus tuus, ad exemplum illius, quem ante secula unxerat oleo exultatio- nis pre participibus suis, Jesum Christum dominum nostrum, qui vivit].

Postea metropolitanus* verenter* coronam capiti regis imponat, [dicens °:

Accipe coronam regni, quae, licet ab indignis, episcoporum tamen manibus ca- piti tuo imponatur, eamque sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis ex- presse signare intelligas, et per hanc te participem ministerii nostri non ignores, ita ut, sicut nos internis pastores rectoresque animarum intelligimur, tu quoque ex- ternis verus Dei cultor strenuusque? contra omnes adversitates ecclesiae Christi de- fensor regnique tibi a Deo dati et per officium nostrae benedictionis in vice aposto- lorum omniumque sanctorum tuo regimini commissi utilis executor regnatorque semper appareas, ut inter gloriosos athletas virtutum gemmis ornatus et premio sempiternae felicitatis coronatus, cum redemptore ac salvatore nostro Jesu Christo, cujus nomen vicemque gestare crederis, sine fine glorieris, qui vivit et imperat Deus. Per].

a) fehit 2. b) armillam 2. e) Dies fehlt 3. d) baculumque a. 3. e) Episco- pus sedis illius 3. f) reverenter 2. g) strennusque 2.

FORMELN D. DEUTSCH, KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 75

| Et ab eo statim dicatur benedictio Super eum, quae et* tempore sinodi super regem dicenda est:

Benedicat tibi Dominus, custodiatque te, et sicut te voluit super populum suum esse regem, ita in presenti seculo felicem et* aeternae felicitatis tribuat esse? consortem. [.Resp.°]: Amen.

[Item *]: Clerum ac populum, quem sua voluit opitulatione in* tua sanctione congregari, sua dispensatione et tua administratione per diuturna tempora faciat feliciter gubernari. Amen.

Quatenus divinis monitis parentes, adversitatibus? carentes, bonis omnibus exu- berantes, tuo imperio? fideli amore obsequentes, et in presenti seculo tranquillitate fruantur et tecum aeternorum civium consortio potiri mereantur. [Resp.*]: Amen. Quod ipse prestare dignetur, cujus? regnum et imperium sine fine permanet in se- cula seculorum, amen. Benedictio Dei Patris.

Deinde coronatus honorifice per* chorum de altari ducatur ab episcopis usque ad solium, |dicente* sibi metropolitano :

Sta et retine amodo locum, quem hucusque paterna successione tenuisti, he- reditario jure delegatum tibi per auctoritatem Dei Patris omnipotentis et per pre- sentem traditionem nostram, omnium scilicet episcoporum ceterorumque Dei servo- rum, et! quanto clerum sacris altaribus propinquiorem perspicis, tanto ei potiorem in locis congruentibus honorem impendere memineris, quatinus Mediator Dei et ho- minum te mediatorem cleri et plebis in hoc regni solio confirmet et in regno aeterno secum regnare faciat Jesus Christus dominus noster, rex regum et dominus domi- nantium. Qui vivit].

Tunc detk illis oscula pacis. Cunctus autem. coetus clericorum (ali rectore! gra- tulans, sonantibus ymnis”, alta voce concinat": Te Deum laudamus». Tunc episco- pus? metropolitanus? missam celebret plena processione.

Sequitur ordo missarum, si in feria evenerit, sed melius et honorabilius est* die dominica.

Deus, qui miro ordine universa disponis et ineffabiliter gubernas, presta, quao- sumus, ut famulus tuus N. hec int hujus seculi cursu implenda decernat, unde tibi" in lacere prevaleatv. Per. VIA

A Puis quaesumus , omnipotens Deus d his salntaribus كا‎ placatus, ut famulus tuus N. ad peragendum regalis dignitatis officium inveniatur semper idogeus et caelesti patriae reddatur acceptus. Per".

c) fehlt 8. d) a. omnibus 3. e) ministerio 8. f) cujus i) e 2. k) dans 3. 1) rectori 3. r) m. in

a) fehlt 8. b) de e. 3. i Patris fehlt 2. Dan pos B De M S Wo ١ m) signis 8. n) concinant 3. o) fehlt 3. residentes 22 T 3. x) fehlt 3 die 2. s) fehlt 2. t)in h. s. c. fehlt 3. u) fehlt 2. ^ v) valeat 3. Me . a

76 | G. WAITZ,

[Benedictio *: Omnipotens Deus, qui te populi sui voluit esse rectorem, semper te caelesti benedictione sanctificans, aeterni regni faciat esse consortem. Resp.: Amen:

Alia: Concedatque tibi contra omnes fidei christianae hostes visibiles atque in- visibiles victoriam triumphalem et pacis et quietis ecclesiasticae felicissimum te fieri longe lateque fundatorem. Amen.

Item: Quatinus, te gubernacula regni tenente, populus tibi subjectus christianae religionis jura custodiens, tutus pace tranquilla perfruatur, et te in consilio * regum collocato, aeterna felicitate ibidem tecum pariter gaudere mereatur. Amen. Quod ipse prestare dignetur].

Post comm.: Haec, Domine, salutaris sacrificii perceptio famuli tui N. peccatorum maculas diluat, et ad regendum secundum voluntatem? tuam populum* idoneum reddat, ut hoc salutari mysterio contra visibiles atque? invisibiles hostes reddatur invictus, per quod mundus est divina dispensatione redemptus. Per.

ltem? alia missat,

Deus, cujus regnum est omnium seculorum, supplicationes nostras clementer exaudi, et christianissimi regis nostris protege principatum, ut in tua virtute con- fidens, et tibi placeat et super omnia regna precellat. Per.

. Secreta: Sacrificiis, Domine, placatus oblatis, pacem? tuam nostris temporibus clementer indulge. Perk,

Post! comm.: Deus, qui diligentibus te facis cuncta prodesse, da cordi» regis nostri inviolabilem caritatis affectum, ut desideria de tua inspiratione concepta nulla possint temptatione mutari”. Per.

II Formel der Königskrönung aus der Kölner Handschrift Nr. 141.

ORDO AD CONSECRANDUM REGEM.

Quando novus rex a clero et populo sublimatur in regnum, veniant cum magna processione in palatium, et exeunte illo thalamum, unus episcoporum dicat hanc ora- tionem: Oremus.

Omnipotens, sempiterne Deus, qui famulum tuum regni fastigio dignatus es sublimare, tribue ei, quaesumus, ut ita in hujus seculi cursu cunctorum in com- mune salutem disponat, quatinus a tuae veritatis tramite non recedat. Per.

*

a) Dies fehlt 2. a*) concilio 3. b) t. v. 3. c) p. illum 2, d) a. i. fehlt 8. e) fehlt 2. f) m. pro rege 2. g) christianorum regum nostrorum 3. h) fidentes et t. placeant et s. 0. T. precellant 3. i) et p.2. k) fehlt 2. 1) Ad 2. m) cordibus regum nostrorum 3. n) inpediri 3.

*

LI

FORMELN D. DEUTSCH. KONIGS-U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 77

Postea suscipiant eum duo episcopi dextra. levaque, episcopaliter parati, caeteri autem clerici sint sollempniter. adornati ; praecedente euangelio cum crucibus et in- censo boni odoris, ducant eum ad ecclesiam, canendo responsorium: Ecce mitto ange- lum. Fers.: Israel, si me. Ad ostium autem ecclesiae clerus Subsistat, alter episco- pus dicat orationem :

Deus, qui scis genus humanum nulla virtute posse subsistere, concede propi- tius, ut famulus tuus ill., quem populo tuo voluisti praeferri, ita fulciatur tuo ad- jutorio, quatinus quibus potuit praeesse valeat et prodesse. Per Dominum.

Introgressi autem decantent clerici antiphonam: Domine, salvum fac regem usque ad introitum chori. Illis autem subsistentibus, dicat metropolitanus:

Omnipotens, sempiterne Deus, caelestium terrestriumque moderator, qui famu- lum tuum N. ad regni fastigium provehere dignatus es, concede, quaesumus, ut a cunctis adversitatibus liberatus et ecclesiasticae pacis dono muniatur et ad aeternae pacis gaudia, te donante, pervenire mereatur. Per.

` Post haec inter manus episcoporum perductus in chorum, usque ad altaris gra- dus incedat, cunctoque pavimento tapetibus et palleolis contecto. Ibi afferantur re- galia et deponantur coram altari.

Tunc interrogetur ipse princeps a metropolitano, si sanctas Dei ecclesias ac vectores earum necnon et cunctum populum sibi subjectum juste ac religiose regali pro- videntia juxta morem patrum suorum defendere ac regere velit. lllo autem profi- tente, in quantum divino fultus adjutorio ac solatio omnium fidelium suorum valuerit, üa se per omnia esse acturum, archiepiscopus addat legens coram omnibus):

A vobis perdonari petimus, ut unicuique de nobis et ecclesiis nobis commissis canonicum privilegium ac debitam legem atque justitiam conservetis et defensionem exhibeatis, sicut rex in suo regno unicuique episcopo et ecclesiae sibi commissae per rectum exhibere debet.

Ad haec rex respondeat et taliter dicat*:

Promitto vobis, sanctissimi? patres, et perdono, quia unicuique de vobis et ecclesiis vobis commissis canonicum privilegium et debitam legem atque justitiam

a) Responsio regis R. b) s. p. fehlt R. :

1) Das Folgende hat Martene II, S. 604 ex ms. cod. Ratoldi abb. UM er dem Eingang: ‘Incipit percunctatio sive electio episcoporum ac clericorum dee pop on gem consecrandum sive ad benedicendum. Ammonitio episcoporum vel Ó— pitt pe ad regem dicenda ita legatur ab uno episcopo coram omnibus. Dagegen pan "d i onem coronationis bei Taylor S. 395: ‘Incipit consecratio regis, quem ds vx qug e ia gum Producant duo episcopi ad ecclesiam, et clerus hanc decantet antiphonam, RE P einentibus. Ant.: Firmetur manus tua, ut supra. Vers. Gloria Patri. Quo finitenus ym , Tex erigatur? ete. S. unten die drei Versprechungen, welche hier angeführt werden.

Corbejensis nach folgen-

78 G. WAITZ,

servabo et defensionem, quantum potuero adjuvante Domino, exhibebo, sicut rex in suo regno unicuique episcopo et ecclesiae sibi commissae per rectum exhibere debet.

Deinde alloquantur duo episcopi populum in ecclesia, inquirentes eorum volun- tatem, si tali**) principi ac rectori se subicere ipsiusque regnum firma fide stabilire atque jussionibus optemperare velint, et si concordes taliter sunt in consecratione qualiter fuerunt in electione. At’ si concordes invenerint, agant gratias Deo, et omnis plebs decantet: Kyrrie eleyson.

Post haec humiliter ante altare totus in cruce prostratus cum episcopis jaceat et presbiteris, desuper clero lelaniam agente. Finita letania, erigant se episcopi, et unus eorum dicat:

Te?) invocamus, domine sancte, Pater omnipotens, aeterne Deus, ut hune famu- lum tuum ¢ N., quem tuae divinae dispensationis providentia in primordio plasmatum usque in? hunc praesentem diem juvenili flore laetantem crescere concessisti, eum tuae pietatis dono ditatum plenumque gratia veritatis de die in diem coram Deo et hominibus ad meliora semper proficere facias, ut summi regiminis solium gratiae supernae largitate gaudens suscipiat et misericordiae tuae muro ab hostium adver- sitate undique munitus plebem sibi commissam cum pace propitiationis et virtute victoriae feliciter regere mereatur. Per.

: Tume? alius episcopus appropians dicat orationem:

Deus?), qui populis tuis virtute consulis et amore dominaris, da huic famulo tuo® spiritum sapientiae cum regimine disciplinae, ut tibi toto corde devotus in regni regimine maneat semper idoneus, tuoque munere ipsius temporibus securitas ecclesiae dirigatur et in tranquillitate devotio christiana permaneat, ut in bonis ope- ribus perseverans ad aeternum regnum te duce valeat pervenire. Perk.

Alius episcopus:

In diebus ejus* oriatur omnibus! aequitas et justitia, amicis adjutorium, in- imicis obstaculum, humilibus solatium, elatis correptio", divitibus doctrina, pauperi- bus pietas, peregrinis pacificatio, propriis in patria pax et securitas, unicuique? se-

a) si in electione fehlt R. b) Et si c. fuerint, a. D. gr. omnipotenti decantantes Te Deum laudamus. Et duo episcopi accipiant eum per manus et deducant ante altare, et prosternet se usque ad finem Te Deum laudamus. Invocatio super regem. R. cœ) f. ilum q. T. d)ad R. fehit T. e) prece R. f) Item oratio R. Alia orat. T. g) tuo ill. T. h) Per Dominum T. i) Alia R. Alia oratio T. k) tuis T. l omnis T. m) correctio R. T. n) unumquemque T.

l)'si velint’ aus der Römischen Formel.

2) Die drei folgenden Gebete stehen auch in der Formel des Pontificale Egberti. Die Angels. Formel bei Taylor fährt nach den Versprechungen des Königs (S. 77 N.1) fort: “Et he sequentur orationes a singulis episcopis singule super regem dicende'.

3) Dies auch in der Krönung Ludwigs, LL. I, S. 544.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 79

cundum suam mensuram; moderate gubernans se? ipsum, sedule discat, ut tua® irri- gatus compunctione toto populo tibi? placita praebere vitae possit* exempla, et per viam veritatis cum grege gradiens sibi? subdito, opes frugales abundanter adquirats, simul ad salutem non solum corporum sed etiam cordium a te^ concessa! cuncta accipiat*. Sicque in te cogitatum animi consiliumque omne componens!, plebis gu- bernacula cum? pace simul et sapientia semper invenire videatur”, teque auxiliante, praesentis vitae prolixitatem percipiat? et per tempora? bona usque ad summam senectutem perveniat?, hujusque fragilitatis finem perfectum, ab omnibus vitiorum vinculis tuae” pietatis largitate liberatus, et infinitae prosperitatis praemia perpetua angelorumque aeterna commertia consequaturs. Per.

Tune consecret eum metropolitanus in haec verba *:

Omnipotens +), sempiterne Deus, creator ac" gubernatur caeli et terrae, conditor et dispositor angelorum et hominum, rex regum et dominus dominorum", qui Abra- ham fidelem famulum tuum de hostibus triumphare fecisti, Moysi et Josue tuo" po- pulo praelatis multiplicem victoriam tribuisti, humilem quoque puerum* tuum David regni fastigio sublimasti, eumque de ore leonis et de manu bestiae atque Goliae, sed et de gladio maligno Saul et omnium inimicorum ejus liberasti et Salemonem sapien- liae pacisque ineffabili munere ditasti: respice propitius ad preces nostrae humilita- lis, et?) super hunc famulum tuum”, quem supplici devotione in regnum * pariter eligi- mus, benedictionum tuarum dona multiplica eumque* dextera tuae potentiae semper ubique circumda, quatinus praedicti Abrahae fidelitate firmatus, Moysi mansuetudine fretus, Josue fortitudine munitus, David humilitate exaltatus, sapientia" Salomonis de- coratus, tibiin omnibus complaceat, et per tramitem justitiae inoffenso gressu semper incedat; et totius regni? ecclesiam deinceps cum plebibus sibi annexis ita enutriat ac doceat, muniat etinstruat, contraque omnes visibiles et invisibiles hostes idem potenter regaliterque tuae virtutis regimen è amministret, ut regale solium, videlicet Saxonum °,

a) te i. sedule discutias T. sedulus R. b) superna T. c) toti R. d) pori L e) possis T. f) tibi T. g) hab. adquiras T. h) Deo T. i) concessam R. k) accipias T. 1) componas ut p. T. m) gubernaculum p. T. n) videaris, Christo a. T. 0) un arg 2 p) temporalia T. q) pervenias T. r) superna p. l transcendas et T. 8) conseguaris auxi- liante domino nostro T. t) Consecratio regis R. C. r. ab episcopo qui arcem tenuerit وب‎ eum dieenda T. u) et R. v) dominantium T. w) p. t. T. x) D. p. t. R. T. y) t. ill. T. 2) regnum N. Albionis totius, videlicet Francorum R. regem Bap vel Saxo- num T. a) hunc T. b) S. s. R. T. c) Albionis R. hic totius regni erg num T. d) regimine R. e) Francorum sceptra R. v. Anglorum vel Saxonum sceptra T.

1) Aehnlich such LL. I, S. 544.

80 | G. WAITZ,

Merciorum Nordanhunbrorumque © sceptra, non deserat, sed ad pristinae fidei pacis- que concordiam eorum animos, te opitulante, reformet, ut utrorumque^ horum popu- lorum debita subjectione fultus, cum* digno amore per longum vitae spatium pater- nae apicem gloriae tuae? miseratione unatim?* stabilire et gubernare mereatur; tuae quoque protectionis galea munitus et scuto insuperabili jugiter protectus armisque caelestibus circundatus, optabilis victoriae triumphum de hostibus feliciter capiat, terrorem suae potentiae infidelibus inferat et pacem tibi militantibus laetanter re- portet. Virtutibus!) necnon, quibus praefatos fideles tuos decorasti, multiplici hono- ris benedictione condecora et in regimine regni sublimiter colloca et oleo gratiae Spiritus sancti perunge^. |

Hici ?) unguatur oleo exorcizato, et cantent clerici antiphonam :

Unxerunt Salomonem Sadoch sacerdos et Nathan propheta regem in Gion etk [accedentes] laeti dixerunt: ‘Vivat rex in aeternum". Qua! finita, prosequatur archiepiscopus: Hes unde?) unxisti sacerdotes, reges et prophetas ac martyres, qui per fidem vicerunt regna et” operati sunt justitiam atque adepti sunt promissiones”. Cujus^ sacra- tissima unctio super caput ejus defluat atque ad interiora descendat et cordis illius intima penitret?, et promissionibus, quas adepti sunt victoriorissimi reges, gratia tua dignus efficiatur, quatinus et in praesenti saeculo feliciter regnet et ad eorum con- sortium in caelesti regno perveniat, per dominum: nostrum Jesum Christum filium iuum, qui unctus est oleo laetitiae prae consortibus suis et virtute crucis potestates aereas debellavit, tartara destruxit regnumque diaboli superavit et ad caelos victor ascendit, in cujus manu victoria, omnis gloria et potestas consistunt , et tecum vivit et regnat Deus in unitate ejusdem Spiritus? sancti. Per omnia secula.

Post unctionem:

Deus, electorum fortitudo et humilium celsitudo, qui in primordio per effusio-

` a) nordan. humbrorumque Hs. b) u. h. fehlt T. c) condigno a. glorificatus p. R. T. d) tue Hs. T. e) unita T. f) terroremque R. T. g) V. Christe hune . g. T. h) per Do- minum in unitate ejusdem T. i) H. ungatur oleo. Antiph. R, H. unguatur oleo et hec cantetur antiphona. Unx. T. k) Nach et fügt die Hs. wie R.T. accedentes hinzu, das aber getilgt ist; laeti fehit T. I) Dies fehit R. Quam sequatur oratio T., wo der Anfang lautet: Christe perungue hunc regem in regimen, unde. m) fehlt R. n) reprom. T. 0) Tua T. p So die Hs. q) dom. secula feAit T. r) Sp. Per. R. s) Alia R. T.

1) Das Folgende LL. I, S. 544. i

2) Die Formel des Pont. Egberti lässt nach den oben angeführten drei Gebeten folgen: ‘Hie verget oleum eum cornu super caput ipsius cum antiphona: “Unxerunt Salomonem” et psal.: “Domina in virtute tua". Unus ex pontificibus....et alii unguant’. Und dann die Rede: ‘Deus electorum’.

3) So auch LL. I, 8. 544.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG ete. 81

nem diluvii criming mundi castigare voluisti et per columbam ramum olivae portan- tem pacem terris redditam demonstrasti iterumque Aaron famulum tuum per unc- tionem olei sacerdotem? sanxisti et postea per hujus unguenti infusionem ad regen- dum populum tuum’ Israheliticum sacerdotes, reges? ac! prophetas perfecisti vul- tumque ecclesiae in* oleo exhilarandum per propheticam famuli tui vocem David esse praedixisti, ita, quaesumus , omnipotens Pater, per hujus creaturae pinguedinem hunc servum tuum sanctificare tua benedictione digneris eumque in similitudine columbae pacem simplicitatis populo sibi commisso praestare et exempla Aaron in Dei servitio diligenter imitari regnique fastigia in consiliis scientiae et aequitate judicii semper assequi vultumque hilaritatis per hanc olei unctionem, te adjuvante, totius plebis paratum habere facias. Per.

Alia:

Deus’), Dei filius, Jesus Christus dominus noster, qui a Patre oleo exultatio- nis unctus est prae participibus! suis, ipse per praesentem sacri unguinis infusionem Spiritus paraclyti super caput tuum infundat benedictionem eandemque usque ad interiora cordis tui penitrares faciat, quatinus hoe visibili et tractabili dono invi- sibilia percipere, et temporali£' regno justis moderaminibus executo, aeternaliter cum 60 regnare merearis. ;

Hic detur ei anulus a? metropolitano:

Accipe?) regiae dignitatis anulum et per hunc in te catholicae fidei cognosce signaculum, quia, ut hodie ordinaris caput ac princeps regni ac populi, ita perse- verabis* auctor ac stabilitor christianitatis et christianae fidei, et?) per hunc scias triumphali potentia hostes repellere, hereses destruere, subditos coadunare et co- necti! perseverabilitati fidei catholicae, ut*) felix in opere, locuplex in fide, cum Rege regum glorieris.in aeternitate. Per eum cui est honor et gloria per infinita.

: Sequatur oratio":

Deus, cujus est omnis potestas et dignitas, da famulo tuo pro spiritu suae

dignitatis effectum, in qua, remunerante? te, permaneat semperque te? timeat tibi-

que jugiter placere contendat, Per. ML ل‎

s)fehit R. b)feMt R. T. YHET” GART زه‎ Das Folgende fehlt in der Hs., welcher T folgt, indem 2 Blütter ausgefallen. f) particibus Hs. g) So die Hs. g*) tem- poralia regna Hs. h) m. Per R. i) a m. fehlt R. k) perseverabilis Hs. I) et cath. f. pers. connecti R, wo nichts weiter. n) te r. R. o) fehlt R.

l) Diese Rede auch in der Rómischen Formel und der des Pont. Arel.

2) Dies aus der Rómischen Formel, abweichend von R (der Angelsächsischen).

3) Dies aus R, wo es heisst: ‘Accipe anulum , signaculum vid. sanctae fidei, soliditatem regni,

m) Oratio post anulum datum R.

augmentum potentiae, per quae scias! etc. 4) Dies aus der Rómischen Formel.

Histor.-philol. Classe. XVIII. L

82 G. WAITZ,

Postea * ab episcopis ensem accipiat, dicente metropolitano :

Accipe!) gladium per manus episcoporum, licet indignas, vice tamen et aucto- ritate sanctorum apostolorum consecratas, tibi regaliter impositum nostraeque bene- dictionis officio in defensionem sanctae Dei ecclesiae divinitus ordinatum; et esto memor, de quo psalmista prophetavit, dicens: ‘Accingere gladio tuo super femur tuum, potentissime', ut in hoc per eundem vim aequitatis exerceas, molem iniquitatis po- tenter destruas et sanctam Dei ecclesiam ejusque fideles propugnes ac protegas, nec minus sub fide falsos quam christiani nominis hostes execres ac destruas, viduas et pupillos clementer adjuves ac defendas, restaures desolata, conserves restaurata, ul- ciscaris injusta, confirmes bene disposita, quatinus haec in agendo, virtutum triumpho gloriosus justitiaeque cultor egregius, cum mundi Salvatore, cujus typum geris in nomine, sine fine merearis regnare, qui cum Patre et Spiritu sancto vivit.

Quo?) accincto, sequatur. oratio":

Deus, qui providentia tua caelestia simul et terrena moderaris, propitiare chri- stianissimo regi nostro, ut omnis hostium suorum fortitudo virtute gladii spiritualis frangatur ac, te pro illo pugnante, penitus conteratur. Per filium ^ tuum dominum nostrum.

Post? heec metropolitanus coronam capiti regis cum episcopis imponat et dicat haec verba:

Accipe?) coronam regni, quae, licet ab indignis, episcoporum tamen manibur capiti tuo imponitur, quanque sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis expresse signare intelligas, et per hanc te participem ministerii nostri non ignores, ita ut, sicut nos in interioribus pastores rectoresque animarum intelligimur, tu quo- que in exterioribus verus Dei cultor strenuusque contra omnes adversitates ecclesiae Christi defensor regnique a Deo tibi dati et per officium nostrae benedictionis vice apostolorum omniumque sanctorum tuo regimini commissi utilis executor regnator- que perspicuus semper appareas, ut inter gloriosos athletas virtutum gemmis orna- tus et praemio sempiternae felicitatis coronatus, cum redemptore ac salvatore Jesu Christo, cujus nomen vicemque gestare crederis, [sine*] fine glorieris, qui vivit et imperat deus cum Deo patre in unitate Spiritus sancti. Per.

a) Hic cingatur ei gladius ab archiepiscopo R. b) Oratio post [datum T.] gladium R.T. (die Hs. geht in der vorhergehenden Rede = R weiter). c) f. t. d. n. fehlt T. d) Hie eoronetur R. Hic coronetur rex eique dicatur T (die Rede bei beiden eine andere: Coronet de Deus etec.). e) fehlt Hs.

1) Dies aus der Römischen Formel. 2) Dies aus R. 3) Dies aus der Römischen Formel.

FORMELN D. DEUTSCH. KONIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 83

Sequitur ?):

Deus perpetuitatis, dux virtutum, cunctorum hostium victor, benedic hune famulum tuum* tibi caput suum inclinantem ^ et prolixa sanitate et prospera eum felicitate" conserva, et ubicunque vel? pro quibuscunque auxilium tuum invocaverit, cito assis et protegas ac defendas.

Tribuee, quaesumus, Domine, ei divitias gratiae tuae, comple in bonis de- siderium ejus, corona eum in miserationef et misericordia, ut® tibi domino pia de- votione jugiter: famuletur. Per*'.

Hic detur eii sceptrum*:

Accipe?) sceptrum, regiae potestatis! insigne, virgam scilicet rectam * regni, : virgam virtutis, qua te ipsum bene regas” sanctamque? ecclesiam et? populum vide- licet? christianum tibi a Deo commissum regia virtute ab improbis defendas, pravos corrigas, rectos pacifices et ut viam rectam tenere possint tuo juvamine dirigas, quatinus de temporali regno ad aeternum regnum pervenias, ipso adjuvante, cujus regnum et imperium sine fine permanet in secula seculorum.

Sequitur! oratio:

Omnium, Domine, fons bogen cunctorumque, Deus, institutor profectuum, tribue, quaesumus, famulo tuo* adeptam bene regeret dignitatem, et a te sibi prae- stitum“ honorem dignare corroborare, honorifica eum prae cunctis regibus terrae", uberi eum locupleta * benedictione, et in solio regni consolida* firma stabilitate, visita eum in sobole, praesta" ei prolixitatem vitae, in diebus ejus semper oriatur* justitia, ut cum jocunditate et laetitia aeterno glorietur in regno. Per*.

Tunc» detur ei virga:

Accipe?) virgam virtutis atque aequitatis, qua intelligas mulcere pios et ter- rere reprobos, errantes viam docere lapsisque manum porrigere, disperdasque su- perbos et releves humiles; et? aperiat tibi* dominus noster Jesus Christus ostium, C .8)t il T. b) humiliter i, T, cfe R f. d eM HR. e) fr. ei q- D. d. T. f) m. et fehlt T. g) tibique R. m. tua ut t. T. h) fehlt R. T. h*) Per Dominum R. Per etc. T. i) eique dicatur fügt T. hinzu. k) fehlt R. regi T. 1) majestatis R. m) regni reet. T. n) geras R. 0) que fehlt R. et s. T. p) populumque R. T. q) fehlt R. r) Oratio post sceptrum R. Oratio super regem postquam datum fuerit ei sceptrum T. ill. R. T. t) gerere R. u) praestitutum R. concessum T. v) Brittanniae T. w)b.l R.T. x) f. st c. R. T. y)etp. T. z)superioratur T. a) Per dominum Jesum Christum R. Per etc. T. b) Hie regi virga detur eique dicatur T. 9) dote porrige B. T.

d)ut T. e) t. ost. J. Chr. d. n. R. T. 1) Aus R, wo: ‘Oratio post eoronam ; Oratio super regem postquam corona fuerit inposita

Super caput ejus’. 2) Auch in der Krönung Ludwigs, LL. I, S. 544

3) Diese Rede auch in der Römischen Formel md der des Pont. Arel. is

a. . G. WAITZ,

qui de se ipso ait: ‘Ego sum ostium; per me si quis introierit, salvabitur', et ipse, qui est clavis David et sceptrum domus Israel, qui aperit et nemo claudit, claudit et nemo aperit, sit* tibi adjutor, qui eduxit? vinctum de domo carceris, sedentem in tenebris et umbra mortis; et^ in omnibus sequi merearis eum, de quo David? propheta cecinit: ‘Sedes tua, Deus, in seculum seculi, virga aequitatis? virga regni tui'; etf imitando ipsum £, diligas justitiam et odio habeas iniquitatem; quia? propterea unxit te Deus, Deus tuus, oleo laetitiae ad exemplum illius, quem ante secula unxerat oleo* exultationis prae participibus suis, Jesum Christum dominum nostrum, qui! vivit. . Tunc benedicat" eum metropolitanus:

Extendat!) omnipotens Deus? dexteram suae benedictionis et effundat super te donum suae protectionis et circumdet* muro felicitatis ac custodia suae propi- tiationis?, sanctae Mariae ac beati Petri apostolorum principis sanctique Gregorii 4 atque omnium sanctorum intercedentibus meritis. Amen. |

Indulgeat tibi Dominus omnia mala, quae gessisti, et tribuat tibi gratiam et misericordiam, quam humiliter ab eo deposcis, et liberet te ab adversitatibus cunc- tis et ab omnium* inimicorum" visibilium et invisibilium insidiis. Amen.

Angelos suos bonos semper et ubique, qui te praecedant, comitentur et sub- sequantur, ad custodiam tui ponat et a peccato seu gladio et ab omnium periculo- rum discrimine sua potentia" liberet. Amen.

Inimicos tuos ad pacis caritatisque benignitatem convertat et bonis omnibus te gratiosum et amabilem faciat, pertinaces quoque in tui insectatione et odio confu- sione salutari induat; super te” sempiterna sanctificatio floreat. Amen.

Victoriosum te atque triumphatorem de invisibilibus atque visibilibus hostibus semper efficiat et sancti nominis sui timorem pariter * et amorem continuo? cordi tuo infundat et in fide recta ac bonis operibus perseverabilem reddat, et pace in diebus tuis concessa, cum palma victoriae te ad perpetuum regnum perducat. Amen.

Ut*, qui te voluit super populum suum constituere regem, et in praesenti se- culo felicem aeternae ® felicitatis tribuat esse consortem.

. Quod ipse praestare dignetur“, |

a) Sitque corr. Sit Hs. b) educit R. T.. c) ut R.T. d) p. D. R.T. ev. recta est v. T. f) Imitare T. g) i. qui dicit d. R. T. h) fehlt R. T. i) Dominus T. Ek) o. e. fehit RT. 1) q. v. fehlt R.T. m) Tune dicatur benedictio R. Benedictio ad regem T. n) Dominus T. o) c. te R. T. p) protectionis T. q) Anglorum apostolici fügt R hinzu, und ebenso Selden p. 189 (apostoli T). r) h. ind. gessisti. Amen R. s) ut T. i) omnibus T. u) o. et i. inim. R.T. v) te p. T. w) t. autem s. semp. R. T. x) fehlt R. y) continuum T. z) Et R. T. a) et aet. T. b)e. Amen R. c) fehlt T. 1) Auch LL. I, S. 544.

FORMELN D. DEUTSCH. KÓNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÓNUNG etc. 85

Item) sequitur aliar:

Benedic, Domine, hunc regem nostrum®, qui regna omnium ^ moderaris a se- culo, et tali eum benedictione glorifica, ut Daviticae teneat sublimitatis sceptrum * et glorificatus in ejus protinus reperiatur merito. Amen.

Da ei, dominef Jesu, in? tuo spiramine cum mansuetudine ita regere popu- lum, sicut Salomonem fecisti regnum optinere pacificum. Ameni.

Tibi semper cum timore* sit subditus, tibique militet cum quiete, sit tuo clypeo protectus cum proceribus, et ubique tua" gratia vietor existat. Amen.

Honorifica® eum prae cunctis regibus gentium, felix in populis dominetur, et feliciter eum omnes nationes adornent. Vivat inter gentium catervas magnanimus, sit in? judiciis aequitatis singularis. Amen.

Locupletet eum tua praevidens ? dextera, fructiferam ؟‎ optineat patriam, et ejus liberis tribuas* profuturam. Amen.

Praesta ei prolixitatem vitae per tempora, et in diebus ejus oriatur justitia ", a te robustum regiminis" solium teneat, et in aeterno regno glorietur cum jucun- ditate et justitia. Amen. :

Quod ipse praest.

. Deinde" coronatus honorifice deducatur ad solium, et accipiat stationem suam, dicente metropolitano: |

Sta et retine amodo locum*, quem hucusque paterna suggestione tenuisti, haereditario jure tibi delegatum per auctoritatem Dei omnipotentis et per praesen- tem traditionem nostram, omnium scilicet episcoporum caeterorumque Dei servorum. Et quanto clerum sacris altaribus propinquiorem prospicis, tanto ei potiorem in lo- cis congruis honorem impendere memineris, quatinus Mediator Dei et hominum te mediatorem cleri et plebis in hoc regni solio confirmet et in regnum * aeternum

a) I. alia benedictio R. Alia T. b) h. praesulem principem E. R. praelectum pm A: €) r. regum o. a s. m. Amen E. r. o. regum a s. m. Amen R. T. d) Davidicum > ma sublimitate R. T. e) sc. salutis ut sanctificatus pr. r. in merita. Da E, sc. salutis et sanctificae propitiationis munere reperiatur locupletatus R. T. f) d. J. fehlt E. R. T. g) a R. fehlt T. h) c. m. i. fehlt R.T. i) Amen. Quod ipse praestafe (dignetur T) R. T, wo das ahe eit. k) tremore E. 1) quieto regno E. m) u. maneat sine pugna v. E. n) €— MH adornent Aat E.: Sis ei contra acies sempiternas. Amen, wie unten. o) Sit ei in j. aequitas 8. E. p) praedita E. q) frugalem cont. E. r) suis E. s) tribuat props E. p E. u) j. Amen. A E. v) t. r. s. ut. c. g. et j. a. gl. in r. E, wo noch weitere Gebete Folgen. w) Regis status designatus R. Designatio status regis T. x) statum T. y) So für successione Hs. R und T. z) regno aeterno T.

1) Das Folgende hat Martene auch S. 597 aus dem Pontificale Egberti (E).

86 G. W AITZ,

secum regnare faciat Jesus Christus dominus noster, rex regum et dominus dominan- tium, qui cum Deo*,

Et dicat archiepiscopus audientibus omnibus 1( :

Rectitudo regis est noviter ordinati et in solium sublimati, haec tria prae- cepta? populo christiano sibi subdito praecipere. In primis, ut ecclesia Dei et po- pulus ¢ christianus veram pacem servet? in omni tempore*. Aliud estf, ut rapacita- tes et omnes iniquitates omnibus gradibus interdicat?. Tertium estf, ut in omnibus judiciis aequitatem et misericordiam praecipiat!, ut illii et nobis indulgeat suam*k misericordiam clemens et misericors Deus, qui! cum Patre.

Et?) dicat rex tertio: Sic? fiat. Tunc det omnibus osculum pacis. 8 autem. coetus clericorum tali rectore gratulans sonantibus signis alta voce personent: Te Deum laudamus. Tunc metropolitanus celebret missam cum plena processione.

Missa: Deus, qui miro ordine universa disponis et ineffabiliter gubernas, praesta, quaesumus, ut famulus tuus ille haec in hujus seculi cursu implenda de- cernat, unde tibi in perpetuum placere praevaleat.

Secreta. Concede, quaesumus, omnipotens Deus his sacrificiis salutaribus pla- catus, ut famulus tuus ill. ad peragendum regalis dignitatis officium inveniatur sem- per idoneus et caelesti patriae reddatur acceptus. Per.

DB(enedictio) archipraesulis :

Benedicat tibi Dominus custodiatque te, et sicut voluit te super populum suum

a) Patre et Spiritus sancti R. Patre et Spiritu sancto T. b) fehlt R. ^ c) omnis p. E. R.T. d) servent E. servans R. nostro arbitrio in o. t. s. T. e) Amen ‚fügt E hier und nach den beiden andern Sätzen hinzu. f) fehlt T. g) interdicam T. h) praecipiam mihi et vobis T. i) per hoe n. E. k) m. s. E. sua misericordia R. 1) q. c. P. und alles Folgende fehlt E. qui vivit T. m) Et tunc deosculetur omnem clerum populumque et dicat unusquisque: Vivat rex feliciter in sempiternum, tribus vicibus: Vivat rex, ut supra, et post euangelium offerat rex ad manum archiepiscopi oblationem et vinum, et sic peragatur missa suo ordine. Deinde communice- iur ab archiepiscopo corpore et sanguine Christi, et sic referant Deo gratias. Post pergunt ad mensam R. n) Sit Hs.

1) Vgl. Martene ex pontif. Egberti S. 599 mit der Ueberschrift: ‘Primum mandatum regis ad populum hic videre potes; ex cod. Ratoldi ohne alle Ueberschrift. In dem Formular bei Taylor zu Anfang (s.oben S.77 N.1): ‘et ab episcopis et a plebe electus, hec tria se servaturum jura promittat et clara voce coram Deo omnique populo dicit: Haec tria populo chr. et mihi subdito in Christi promitto nomine’. Hier folgt bei T.: ‘Sequitur oratio: Omnipotens Deus det tibi de rore coeli super te, per’ etc. und: Alia or. Benedic, Domine, fortitudinem in sempiternum fiat, per Dominum".

3 Pe? ont. Egb. hat nach der Aufsetzung der galea: ‘Et dicat omnis populus tribus vicibus cum episcopis et presbyteris: Vivat rex N. in sempiternum. Tune confirmabitur cum benedictione omnis populus, et osculandum principem in sempiternum(?) dicit: Amen. Amen. Amen. Tune di- cunt orationem septimam supra regem: Deus perpetuitatis auctor’ ete., geht in die Messe über, und dann folgt das primum mandatum (N. 1).

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U, D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 87

esse regem, ita in praesenti seculo felicem et aeternae felicitatis tribuat esse con- sortem. Amen.

Clerum ac populum, quem sua voluit opitulatione in tua sanctione congregari, sua dispensatione et tua amministratione per diuturna tempora faciat feliciter gu- bernari. Amen.

Quatinus divinis monitis parentes, adversitatibus carentes, bonis omnibus ex- uberantes, tuo imperio fideli amore obsequentes, et in praesenti seculo tranquilli- tate fruantur et tecum aeternorum civium consortio potiri mereantur. Amen.

Quod ipse praesta.

Post comm.: Haec, Domine, salutaris sacrificii perceptio famuli tui ill. pecca- torum maculas diluat et ad regendum seeundum tuam voluntatem populum idoneum ilum reddat, ut hoc salutari misterio contra visibiles atque invisibiles hostes red- datur invictus, per quod mundus est divina dispensatione redemptus. Per.

In hac missa offerat rex ad manus archiepiscopi panem et vinum, et completa missa communicetur, et sic agat Deo gratias.

IL Krónungsformeln eines späteren Pontificale.

Ordo Romanus ad benedicendum regem vel reginam, impera- torem velimperatricem coronandos.

Cum rex in imperatorem electus venit Romam ad suscipiendam ibi imperii coronam , quando primo descendit de monte Gaudi et pervenit ad Ponticellum, con- suevit, libro euangeliorum coram se posito, hoc juramentum prestare Romanis, di- cens iia:

Ego N. futurus rex imperator juro, me servaturum Romanis bonas consuetudi- nes suas. Sic me Deus adjuvet et hec sancta Dei euangelia.

deducunt eum usque ad ecclesiam sancte Marie virtutibus, ubi, subd. euangelii textum anle altare tenente, rex ipse prestat super illum corporaliter hujusmodi juramentum: | Ego N. rex Romanorum, annuente Domino futurus imperator, promitto, spon- deo, polliceor atque juro coram Deo et sanctis ejus et beato Petro, me de cetero protectorem atque defensorem fore sancte Romane et apostolice ecclesie et tui talis summi et ejusdem ecclesie pontificis et successorum tuorum in omnibus necessitati- bus et utilitatibus vestris, custodiendo et conservando possessiones, honores et jura vestra, quantum divino fultus adjutorio potero secundum scire et posse meum recta et pura fide. Sic me Deus adjuvet et hec sancta Dei euangelia.

88 G. W AITZ,

[Er erhält auch sceptrum et pomum aureum Schluss]:

Consuevit autem imperator larga presbiteria omnibus illis ordinibus exibere, quibus ea cum coronatur summus pontifex elargitur, videlicet episcopis, presbiteris et diaconibus cardinalibus et omnibus prelatis, primicerio et cantoribus, subdiaconibus, basilicarüs, regionarüs et universitati cleri Romani, capellanis et cleris officialibus et ministerialibus curie, prefecto urbis, senatoribus, judicibus, advocatis et scriniariis ac prefectis novalium.

De regina Rubrica. Si vero regina im imperatricem benedicenda et coronanda sit, ipsa post regis

ingressum a duobis cardinalibus deducta ingreditur ecclesiam et tunc ad thalamum reducta ibi permaneat usque ad finem misse. ° De benedictione et coronatione aliorum regum et reginarum Rubrica.

Cum alius rex benedicendus et coronandus est, omnes episcopi regni conveni- unt ad civitatem metropolitanam vel regiam, in qua hoc fieri consuevit; ipse vero rez benedicendus et coronandus triduanum devote peragat jejunium in ebdomada precedenti, videlicet 4. et 6. feria ac sabbato. Die autem dominica, qua benedicen- dus et coronandus est, omnes episcopi conveniant mane in ecclesia, in qua hoc fieri debet, et metropolitanus paret se sollempniter cum ministris sicut missam celebraturus, episcopi vero parent se amictibus suppellicis, vel albis si velint stolis, pluvialibus mitris. Ipse vero totus ablutus esse debet corpore et mundus mente. Tune duo ex episcopis, priores videlicet, eum hinc inde deducentes offerunt metropolitano coram altari super faldistorium residenti, aliis episcopis coronam seu circulum facientibus, et coronando in medio illorum constituto, iunc alter deducentium dicit alta voce in tono lectionis: Reverende pater, postulat mater ecclesia, ut presentem egregium militem ad dignitatem regiam sublevetis. Tunc interrogat metropolitanus: Scitis, illum esse dignum et utilem ad hanc dignitatem? Illi vero respondent: Et novimus et credimus, eum esse dignum et utilem ecclesie Dei et ad regimen hujus regni. Et respondent omnes: Deo gratias. .Et moz instruitur ille publice; et diligenter admoneat de fide, dilectione Dei, de salubri regni et populi regimine, de defensione ecclesiarum et miserabilium personarum et similibus, exponendo sibi insuper condicionem digni- fatis sue et regalis status. Quo facto, publice facit hanc prephacionem:

Ego!) N. profiteor prestare. Et hec omnia super hec sacrosancta Dei euangelia tacta me veraciter observaturum juro. :

Hiis expeditis, eo se profunde inclinante, dicit excelsa. voce metropolitanus in modum orationis quod sequitur , et quodcumque ipse dixerit dicunt et alii episcopi voce submissa. Oratio:

l) Vergl das Formular des Pontificale Arelatense, Martene S. 634.

FORMELN D. DEUTSCH. KÖNIGS- U. D. RÓMISCH. KAISER-KRÖNUNG ete. 89

Omnipotens, eterne Deus, creator salusque populorum, qui tecum vivit et regnat. Resp.: Amen.

Post hec rege coram altari ad terram prostrato et metropolitano et episcopis super faldistoria cum mitris accumbentibus, cantores incipiunt; cumque dixerit: *Ut obsequium | servitutis nostre , tunc metropolitanus se erigens, producto super illum signo crucis, dicit:

Ut hunc electum in regem coronandum bene ^K dicere digneris, te.

Secundo dicit: benedicere et conse "K crare digneris, te.

Idemque dicunt et faciunt episcopi, et a choro responsio* redit ad accubitum, cantoribus resumentibus et prosequentibus letaniam. Qua finita, metropolitanus sur- gens, illo et episcopis prostratis remanentibus , annunciat:

Pater noster. Et ne nos in. Salvum fac servum tuum, Domine. Esto ei, Domine, turris fortitudinis. Nichil proficiat inimico in eo. Domine, exaudi. Domi- nus vobiscum.

Oratio: Oremus. Pretende, quesumus, Domine assequi mereatur, per Dominum. Resp.: Amen.

Alia oratio: Acciones nostras, quesumus, Domine, aspirando. Require supra in titulo de benedictione abbatis.

Post hec metropolitanus inungit in modum crucis cum oleo exorcizato dextrum illius brachium et inter scapulas, dicens legendo. Oratio:

Deus, Dei filius, Jesus Christus dominus noster etc. Require supra sub ordi- natione imperatoris.

Item alia oratio:

Oremus. Omnipotens, sempiterne Deus et gloriam tui nominis gloriosi; per dominum. Resp.: Amen.

Quo facto, scola inchoat et prosequitur. antiphonam ad introitum ad missam. Tune rez vel in sacristania* vel sub papillione ad hoc parato induitur regalibus indu- mentis; induit ei super vestes communes lineam sive amplam camisiam lineam ad similitudinem albe, amphibalum mundum, novum et candidum et est amphibalus vellosa vestis ac desuper marinam purpuram auro ac gemmis decoratam. Para- tus itaque rex et-ornatus procedit cum suis prelatis et baronibus ad solium suum eminentem. ornatum, sibi in ecclesia preparatum, et dicta collecta officio diei compe- tenti, dicit hanc orationem pro ipso rege:

Deus regnorum omnium etc. Require supra in titulo sub ordinatione imperatoris.

Deinde graduale et alleluia cantatis, regi coram altari reducto metropolitanus dat gladium sub forma in eodem titulo scripta, ubi sic fieri mos est. Deinde corona

a) responso Hs. b) sacristam Hs.

Histor.-philol. Classe. XVII. M

90 G. WAITZ,

ei imponitur hoc modo. , Omnes ei episcopi qui adsunt manibus suis eam de altari per metropolitanum sumptam tenent, ipso metropolitano illam regente et capiti illius imponente , dicendo. Oratio :

Accipe coronam regni cum Deo patre in secula seculorum. Resp.: Asie Postea dat ei ibidem sceptrum, dicens super eum genua flectentem. Oratio: Accipe virgam virtutis participibus suis Jesum Christum dominum

nostrum, qui cum eo vivit et regnat. Fesp.: Amen.

Post hec metropolitanus et unus episcoporum deducunt ilum ad solium sive thalamum, intronizantes sive ponentes eum ibi et dicentes:

Sta et amodo retine locum tibi dominus dominancium, qui cum Deo Patre et Spiritu sancto vivit et regnat. Resp.: Amen.

Deinde metropolitanus inchoat, scola prosequente: Te Deum laudamus. Quo finito, dicit super eum. Versus: Firmetur manus tua et exaltetur dextera tua. Resp.:

Justicia et judicium preparatio sedis tue. Domine, exaudi orationem meam. Oremus. Deus qui victrices Moysi manus timere condiscat per eundem. Resp.: Amen.

Item alia benedictio: Deus inenarrabilis, auctor. Require supra in coronatione imperatoris.

Omnibus igitur expeditis, eo in solio cum regalibus insigniis et regni magnati- bus ecclesiasticis et mundanis residente, legitur euangelium, ei dicto officio, vadit ad offerendum.

Secreta est: Suscipe Dass preces etc. Post communionem est: Deus, qui Ad predicandum ete. Require supra in titulo de coronacione imperatoris.

De benedictione et coronatione regine.

Si vero regina benedicitur. et coronatur , hoc ordine. proceditur. Rege enim presente et eam benedici et coronari jubente, ipsa statim, eo coronato, crine soluto et capite cohoperto a duobus episcopis deducitur ante altare Qui vivit et regnat.

[Darauf folgt:

f. 123%. De benedictione principis sive comitis palatini Rubr.]

IV. ° . Gebete für den König. Benedictio super principem. Deus?), qui congregatis in tuo nomine famulis te medium esse dixisti, corona vallante, gratiam sacerdotibus, quam Abrahe in holocausto, Moysi in exercitu,

1) Vgl. oben S. 66, wo ein correcterer Text sich findet.

FORMELN D. DEUTSCH, KÖNIGS- U. D. RÖMISCH. KAISER-KRÖNUNG etc. 91

Heliae in heremo, Samuhel meruit crinitus in templo. Concede, Domine, concor- diam, quam inspirasti patriarchis, predicasti prophetis, tradidisti apostolis, man- dasti victores.

Benedic, Domine, hunc principem nostrum ill, quem ad salutem populi nobis fuisti concessus, fac eum annis esse multiplicem, ut cum maximo roboris corpore vivat, [ad °] finem ultimum pervenire possit aetatis. Sit nobis fiducia obtinere [gra- tiam*] pro populo, quam Aáron in tabernaculo, Heliseus in fluvio, Echethias in lectulo, Zacharias vetulus? impetravit? in filio. Sit nobis regendi [auctoritas *], qualiter Josue in castris, Gedeon sumpsit in4 proelio, Petrus accepit in clave, Paulus est usus in dogmate, et ita pastorum cura proficiat, sicut Isaac in fruge, Jacob est dilatus in grege; per Dominum.

Benedictio regalis.

Deus, qui victrices Moysi manus in oratione firmasti, qui, quamvis aetate la- scesceret, infatigabili sanctitate pugnabat, dum Amelech iniquus vincitur, dum pro- fanus nationum populus subjugatur, ut exterminatis alienigenis hereditati tuae pos- sessio copiosa serviret °, habemus et nos apud te, sanctae pater, dominum Salvato- rem, qui pro nobis manus suas tetendit in cruce, per quem etiam precamur, Altis- sime, ut ejus potentia suffragante universorum hostium frangatur impietas populus- que tuus, cessante formidine, te solum timere condiscat. Per.

Deus?) inenarrabili, auctor mundi, conditor generis humani, gubernator im- perii, confirmator regni, qui ex utero fidelis amici tui patriarchae [nostri Abrahae] prelegisti reges 5 seculi profuturos^, tu presentem insignem? hunc! regem ill. cum exercitu suo per intercessionem omnium * sanctorum uberrime! locupleta et in so- lium regni firma stabilitate conecte?, ^ Visita eum interventu? sanctorum omnium, sicut Moysen in rubo°, Josue in agro, Gedeon? in agro, Samuhel crinitum in templo. Et illa eum promissione syderea* ac sapientiae tüae rore perfunde, qua beatus Da- vid rex* psalterio, Salomon filius* percepit e caelo. Sis ei contra acies" inimico- rum lurica, in adversis galea, in prosperis patientia, in protectione clyppeum sem- piternum. Et presta, ut gentes illi teneant" fidem, proceres" atque obtimates habe- ant pacem. Diligat* caritatem, abstineat se a cupiditate, loquatur jüstitiam ety

a) fehit Hs. b) vitulus Js. c) imperavit Hs. d) im Hs. e) servirit Hs. f) pa- triarcha Hs., wo n. A. fehlt. g) regem profuturis Hs. h) fehlt M. i) r. h.i. M. k)so.M. 1) uberi benedictione M. m) conecti Hs. n) interventum Hs. i. s. o. fehlt M. 0) rubro Hs. p) Jesu Nave praelio M. q) crinitus Hs. r) sydere Hs. s) ex Hs. in p. M. t) f. ejus te remunerante p. M. u) actus Hs. v) servent M. w) procedis Hs. p. sui h. p. M.

x) diligant abstineant loquantur custodiant M. y) fehlt M. 1) Das Folgende auch Martene S. 600 aus einem Cod. mon. s. Theodorici prope Remos,

92 (0 0. WAITZ.

ustodiat veritatem. Ita? populus iste pollulet, coalitus® benedictione aeternitatis, ut semper permaneant? annis gaudentes in pace victores per* Dominum,

Deus, pater gloriae, sit adjutor tuus, et Omnipotens bene dicat tibi, preces tuas in cunctis بجر‎ exaudiat et vitam tuam longitudine? dierum كل‎ adimpleat, thronum regni tui jugiter"K firmet. Et gentem populumque tuum in aeternum conservet. Inimicos tuos confusione induat, et super te Christi sanctificatio floreat, ut qui tibi tribuit in ter- ris imperium, ipse in caelis inferat meritum angelorum. Ille te bene K dicat, qui de caelo dignatus est descendere in terris, genus humanum redimere. Bene 3 dicat et JF custodiat in vitam aeternam, qui regnat cum Patrein unitate Spiritus sancti in se- cula seculorum. Amen.

2) et ita M. b) quodalitus Hs. c) maneant tripudiantes in M, d) Quod ipse M. €) longitudinem Hs. f) tribuet Hs.

Berichtigungen. S. 37 Z. 26 lies: dignetur.) S. 42 Z. 1 lies: verenter.

Das Gebiet von Medina.

Nach Arabischen Geographen beschrieben von

Ferdinand | Wüstenfeld.

Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. am 3. Mai 1873.

Dis von mir herausgegebene ‚Geschichte der Stadt Medina 1)“ beschränkt sich in topographischer Hinsicht auf die Stadt und ihre nüchste Umge- bung und die Abhandlung „über die von Medina auslaufenden Haupt- strassen' enthält die Beschreibung der bis dahin unbekannteren Rich- tungen und übergeht die Hauptstrasse nach 'Irák ganz, weil sie zur Zeit der Chalifen, welche die Pilgerreise von Bagdad über Kufa machten, die frequenteste gewesen und eben desshalb von mehreren Geographen beschrieben ist und bereits zu unserer Kenntniss gebracht worden war. Da indess ihre Nachrichten nicht viel mehr enthalten als die blossen Namen der Stationen für die Karawanen und ihre Entfernungen, so habe ich in der vorliegenden Arbeit den Versuch gemacht, ihre Anga- ben, soweit meine Quellen reichen, zu vervollständigen und damit eine Uebersicht über das ganze um Medina gelegene Gebiet zu verbinden, mit móglichster Vermeidung von Wiederholungen aus den beiden erwühnten Abhandlungen, welche also als Ergünzung hier hinzugenommen werden müssen. Die Quellen sind wiederum wie früher vorzugsweise Bekrí, Já- cit und Samhüdi. Es ist zu bedauern, dass von den älteren umfassen- den und auf eigener Kenntniss des Landes beruhenden Werken über die Geographie von Arabien keins erhalten ist und dass wir uns mit dem begnügen müssen, was die späteren durch Zerlegung derselben in

1) Im 9. Bande der Abhandl. der K. Gesellsch. der Wissensch. 1860. 2) Im 11. Bande. 1862.

94 F. WÜSTENFELD,

die einzelnen Artikel ihrer alphabetischen Verzeichnisse aufgenommen haben; besonders ausführlich muss das Buch des Acma’i, gest. im J. 216 (831 Chr), mit dem Titel ‚die Halbinsel Arabien“ gewesen sein. Einiges haben noch Bekri und Samhúdí aus ihren Vorgängern im Zu- sammenhange beibehalten und dies bildet oft eine gute Grundlage, um daran die Angaben aus den anderen einzelnen Artikeln anzureihen und zu einem Ganzen zu vereinigen. Da das Verständniss durch eine . Karte wesentlich erleichtert wird, so habe ich eine solche zu entwerfen versucht und mich genau an die Angaben meiner Quellen gehalten, wie sie in der Abhandlung wiedergegeben sind. Sie weicht in wesentlichen Punkten von unseren bisherigen Karten ab und welche Berichtigungen und Ergünzungen darin zu machen sein werden, muss einer spüteren Zeit vorbehalten bleiben, wo es Europäischen Reisenden möglich sein wird, Arabien ungehindert nach allen Seiten zu durchforschen. Gegen- würtig liegt noch am meisten daran, zum Verstündniss der ülteren Ge- schichte und wegen der zahllosen Erwähnungen von Oertlichkeiten bei den Dichtern sich ein richtiges Bild von dem Lande zu machen.

I. Der Süd -Westen von Medina.

Die Araber nennen ein langes hohes Gebirge, welches sich zwi- schen zwei grösseren Länderstrecken hinzieht und diese von einander trennt, Sarät „Rücken!)‘“, vorzugsweise heisst so die Bergkette, welche sich auf der Westseite von Arabien in einer Breite von vier Tagereisen und darüber von dem äussersten Jemen bis nach Syrien hinein erstreckt _ und die Gränze zwischen Nagd und Tihäma bildet. Genauer werden einzelne Abtheilungen dieser Kette entweder nach den Völkerschaften zubenannt, die sie bewohnten, wie Sarät der Maáfir, Banu Seif, Alhän, Azd-Schanüa, Bagila, "Anz, Zahràn, el- Hagr, Fahm, 'Adwán, Scha- bába, Suleim, Banu el- Karn, oder nach den Hauptorten, welche in ih-

1) Genau so wie wir ,Bergrücken' sagen, nach der Erklürung der Araber »Wie der Rücken eines Lastthieres“, daher nicht „Nabel“, wie bei Ritter, Erdkunde. Th. 12. S. 721, nach v. Hammers unrichtiger Deutung.

DAS GEBIET VON MEDINA. - | 95

nen liegen, wie der Sarát von Qam'á, el-Kurá, el- Macáni', el- Táif 1). Einige nehmen besonders drei Abtheilungen an, die erste von Can’& bis el-Täif, bei dem letzteren Orte nach den Bewohnern auch der Sarát der Banu Thakif genannt, die zweite bilden die Bergwerke Mädin el-Bu- rám im Gebiete der ’Adwän, die dritte das Hochland und die Berge, welche von Medina bis nach Syrien über dem Meere im Westen und über Nagd im Osten emporragen; dazu kommt der Sarát der Banu Scha- - bába in der Nühe von Mekka. |

Ein Theil dieses Bergrückens ist auch el-Cabalija „die vorge- kehrte höher liegende Gegend", welche sich von Saraf-Sajäla zwi- schen Malal und el-Rauhä nach el-Farz' (verschieden von Furu) eine Tagereise von Medina zwischen Suweica und Math'r bis nach Janbu und dem Berge el-H utt in dem Gebiete der Banu Arak von Guheina ausdehnt; die dem Meere zugekehrte Seite gehört zu el-Gaur oder Tihäma und an der Seeküste liegt der Ort el-Chabat fünf Tage- reisen von Medina. In diesen Bergen wird Bergbau getrieben, beson- ders an dem Gaschija und Kureis und bei dem Orte Dsát el-Nucb, vier Stationen (Barid) von Medina, wo wahrscheinlich ein Nucb „Götze“ aufgerichtet war. Die einzelnen Theile dieses Gebirges sind wieder durch besondere Namen unterschieden, vor allen die vorzugsweise so genann- ten „beiden Berge der Guheina", el-Agrad und el-Aschar, welche im Süden bei dem Dorfe el-Rauhä ihren Anfang nehmen und im Norden oberhalb Janb in den beiden Höhen Buwát enden, deren Fuss nahe bei einander steht, wührend die Spitzen weit getrennt sind; zwischen beiden liegt ein Hügel, über welchen die Handelsstrasse von Mekka nach Syrien führt, wesshalb Muhammed dahin einen freilich ver- geblichen Zug unternahm, um der Handelskarawane der Mekkaner dort aufzulauern. Diesen Zug beschreibt Ih Hischäm?) also: „Muhammed unternahm einen Zug gegen die Cureisch, ging zunächst durch die Schlucht der Banu Dinär von den Banu el-Naggär an Feifä el-Chabär vor-

1) vergl. Kämüs, Bd. IV. S. 352. 2) Das Leben Muhammeds. Bd. I. S. 421.

96 F. WÜSTENFELD,

über und lagerte sich bei Bathá Ibn Azhar unter einem Baume, wel- cher Dsát el-Sák genannt wurde, und verrichtete dort das Gebet und dort ist seine Moschee; daneben sind die Spuren von dem Dreifuss sei- nes Kessels, worin ihm Speise zubereitet wurde, noch bekannt; zu Trinken wurde ihm aus dem daselbst befindlichen Wasser el- Musch- tarib geholt. Dann brach er wieder auf, liess el-Chaläik (ein Land- gut des Abdallah ben Ahmed ben Gahsch) zur Linken, nahm seinen Weg durch eine Schlucht, welche noch heute den Namen dieses Ab- dallah führt, ging dann steil hinunter, bis er J aljal abwärts durch- schritten hatte, und lagerte sich bei der Vereinigung dieses Wádi mit dem Brunnen el-Dhabwa, aus welchem er sich Wasser holen liess. Hierauf nahm er seinen Weg nach el-Farsch d. h. Farsch bei Malal, bis er bei den kleinen Felsen el-Jamäm (andere: el-Thumäm) die Hauptstrasse erreichte, welche er weiter verfolgte, bis er bei el-Oscheira in der Niederung von Janbu sich lagerte. Hier blieb er den ersten und einige Tage des zweiten Gumädä, schloss mit den dortigen Banu Mudlig und ihren Schutzgenossen von den Banu Dhamra einen Frie- densvertrag und kehrte dann nach Medina zurück, ohne seinen Zweck erreicht zu haben.‘ Dieser Lagerplatz el-Oscheira war am Aus- gange des Gebirges bei den Höhen Buwát an der Stelle, wo noch im ersten Jahrhundert der Higra der Ort Janbu erbaut wurde, denn die Moschee von el-Oscheira liegt jetzt mitten in Janbu, der Lagerplatz aber unmittelbar neben dem Orte, nur durch die Strasse von ihm ge- trennt.

Die nordwärts nach el-Gals (d. i Nagd) gewandte Höhe Buwät ist der Ausläufer des Gebirges el-Agrad, die südliche der des Aschar, welches seinen Namen von schiár ‚Bäume‘ haben soll, weil es bewaldet ist. Beide Höhen Buwät werden von den verbrüderten Stämmen Dsub- jûn und el-Rab'a, Söhnen des Raschdán von Guheina?), bewohnt. Auch die Wädis, welche sich an diesen beiden Höhen hinziehen, haben

1) Nicht die jetzige Hafenstadt Janbu’, welche viel späteren Ursprungs ist. 2) s. meine genealogischen Tabellen, 1, 20.

DAS GEBIET VON MEDINA. 97

gleiche Namen, die südliche und die nördliche Haural); in der Folge wurde eins derselben durch das Diminutiv Huweira „klein Haura* unterschieden; speciell sind darin die Banu Kalb ben Kathir dad "Auf ben Dsuhl von Guheina ansássig. In der südlichen Haura ist ein . Wádi, welcher von Muhammed den Namen Dsul-Hudá „der rechte | Weg‘ erhielt; nämlich Schaddád ben Omajja el-Dsuhlí hatte ihm Ho- nig gebracht, und auf die Frage, wo er denselben gesammelt habe, antwortete er: in dem Wádi Dsul-Dhalála »lrrweg*; Muhammed erwiederte: im Gegentheil: Dsul- Hudá „der rechte Weg.“ Honig wird von dort noch immer nach Medina gebracht. In einem anderen Wádi, welcher den Berg el-Fakára, in der Folge Fakra genannt, bespült, wird auf bewüsserten Feldern schöner Weizen gebaut und von dort aus- geführt; er ist bewohnt von den Banu Abdallah ben el-Hucein vom Stamme Aslum und von den Chárigiten, d. h. den Nachkommen des Dichters Muhammed ben Baschir el-Chárigi von den Banu Adwán, welche vor dem Islam Schutzgenossen der Guheina waren. Am unte- ren Ende von Haura ist die Quelle des Abdallah ben el-Hasan, Su- weika genannt, mit einer schönen Besitzung, welche bei der Empö- rung seines Sohnes Muhammed el- Nafs el-zakija im J. 145 (Chr. 762) zerstórt wurde; dann von der Familie wieder hergestellt, traf sie das- selbe Schicksal bei der Auflehnung eines Urenkels jenes Abdallah, des Muhammed ben Cälih ben Abdallah ben Musá ben Abdallah, zur Zeit des Chalifen Mutawakkil, wobei der grösste Theil der Palmen abgehauen und die Wohnungen niedergerissen wurden, so dass sie nachher nicht wieder empor gekommen ist. Wenn man von hier am Fusse des Ber- ges den ebenen Boden durchschritten hat, kommt man nach Dsát el- Schucub, dann nach el-Milha oder Muleiha, an dessen unterem Ende der Hügel el-Hubajjä liegt, welcher von der Menge seiner Bienen den Namen hat, denn ei-hubajjá heisst ein Ort, wo Bienenhiu-

1) Wädi Hazra, welches öfter als in dieser Gegend gelegen vorkommt, scheint verschrieben zu sein, und dieser Wádi Haura ist nicht mit der Hafenstadt el-Haurá

zu verwechseln. Histor - philol. Classe. XVIII. N

98 F. WÜSTENFELD,

ser sind; er liegt zwischen Schuweila und Haura mit dem Engpasse el2O weikil. Dort ist auch el-Mächädha eine Gegend, welche Ei- . nigen von Guheina gehörte und dann in den Besitz des Abd el-Rahman ben Muhammed ben Guweir kam; sie ist sehr uneben und aus einer Bergspalte wird schabb Atramentstein gewonnen, wovon der Berg Dsul- Schabb benannt ist.

In der nördlichen Haura hatten die Banu Dinär Besitzungen; Dinär war ein Freigelassener des Kab ben Kathir el-Guhani und Arzt des Chalifen Abd el-Malik ben Marwän und zu seinen Nachkommen gehört der Schneider "Arára, welcher in Medina Sängerinnen unterhielt }). Abd el-Malik selbst hatte sich während seines Chalifats dort eine Woh- nung eingerichtet, welche er Dsul-Hamät nannte, weil dort viel ha- mát ,Sycomoren" wuchsen. Auch Muhammed ben Gafar el-Tälibi hielt sich dort auf in einer Gegend der Banu Dinär, während er mit Ibn el-Musajjib in Fehde war?) Nahe bei Dsul (oder Dsät) el- Hamät ist der Ort el-Dheica, wo eine Moschee stand, und zwischen diesem und el-Haurä liegen die schwarzen Berge el-Sitär drei Tagereisen von Janbu.

An die Nordecke der nórdlichen Haura grünzt unmittelbar der Wädi Hurádh mit dem gleichnamigen Brunnen, auf einer Anhöhe liegt die Burg des "Imrán ben Abdallah ben Muti^5); daneben der Wädi Hu- reidh, wo die Banu el-Rab'a wohnen, mit dem Wasser el-Thä'ga, welches ganz unbenutzt verläuft. An Hureidh stósst der Dhalim, ein hoher schwarzer Berg, auf welchem nichts wüchst, dessen vordere Seite die Banu el- Hárith, eine Familie der Murra von el- Raba, inne haben und an dessen unterem Ende der Brunnen des 'Oteil el- Muleihí

1) Ein solcher Arzt Dinár jM ist weiter nicht bekannt; Samhüdí hat dafür Dibän ديبان‎ , ein Name, der sonst nicht vorkommt, und es scheint hier eine Ver- wechslung mit dem Stamme Dsubjän ذبيان‎ : vorzuliegen, da Bekri sagt, Dinär sei ein Bruder des Rab’a gewesen, was nur auf Dsubjän passt; s. oben.

2) s. Fásí in den Chroniken der Stadt Mekka. Bd. II. S. 189. Weil, Gesch. der Chalifen. Bd. II. S. 209.

3) Der Vater Abdallah ben Muti’ ist bekannt aus der Zeit des Abdallah b. el-Zubeir; s. Register zu den genealog. Tab. S. 20.

DAS GEBIET VON MEDINA. | 99

liegt; Muleih ist gleichfalls eine Familie der Raba. Auf der Höhe des Dhalim liegt die Besitzung el-Cah wa, wo Abdallah ben 'Abbás das Vermächtniss stiftete, dass die dortigen Sklaven aus dem Bast des Cha- zam-Baumes Stricke flechten und diese nach Medina zum Gebrauche bei dem Brunnen Zamzam liefern mussten; diese Sklaven haben sich dort lange Zeit fortgepflanzt. An die nördliche Ecke des Dhalim gränzen die beiden Muleiha, nämlich Muleiha el-Rimth, nach dem Dornstrauche, und Muleiha el-Haridh so genannt, weil hier in einer engen Schlucht den Kamelen von dem Gebüsch, welches den Weg sperrt, die Haut haradha d. i. geschunden wird. _ Hier ist der Berg el-Sumár, welchen Ibn Ahmar in dem Verse erwühnt:

Wenn er nach Sumár kommt, werden wir ihn sicher tódten ;

beim Leben deines Vaters! er kommt nicht nach Sumár. Hier liegt auch "Oweisiga. Zwischen Dhalim und den beiden Muleiha ist der Wádi Dahl, welcher mit dem Wädi Sarár in Verbindung Steht, im Gebiete der Banu Mázin und der hohe Berg 'Ardh, an des- sen Nordseite das Wasser el- Waschal und an der Westseite Radha "Ácim; an die beiden Muleiha gränzen die erwähnten beiden Buwät.

Zu den Wädis von el-Asch'ar gehört noch Täsä, welcher an el- Cafrá vorüberfliesst und den Banu Abd el-Gabbár, einer Familie der Kalbiten gehórt. Auf der Seite von Gaur ist der Wádi Namlá, wel- cher an Janbu vorüberfliesst, darin sind zwei Brunnen, genannt Bir el-Carih, deren einer den Banu Zeid ben Chálid von Gudsám, der andere den Kalbiten gehört; am unteren Ende von Namlä besass Husein ben 'Alí ben Husein mehrere Quellen, wie Dsät el-Asil, und dort sind auch bei den von der Familie des 'Alí ben Abu Tâlib gegründeten Dörfern el-Balda und el-Buleid zwei Quellen im Besitz der Banu Abdallah ben "Anbasa. Chafeinan oder Hafeitan ist ein Gewässer in der Nähe von Janbu’ auf der Seite von Medina, welches durch zwei Schluchten theils nach Janbu, theils in dem Wädi el-Chaschrama ins Meer fliesst; in derselben Richtung zwischen el-Cafrá und Janbw liegt Da’än (bei Jácát unrichtig Rian) eine Quelle der Banu 'Othmán,

in dem Verse des Kuthajjir : N2

100 F. WÜSTENFELD,

Bis sie (die Karawane) mitten an Dhás vorüber war, vor welchem Daän, dann die beiden Höhen Dsul-Nugeil, dann Janbu’, und in derselben Nacht von dem Radhwá abbog.

Unter den von dem Agrad nach Gals abfliessenden Wádis ist von Buwät der nächste Mabk atha, (Jácát: Mankatha), dann folgt Gawä ,,Irr- weg‘‘, welchen Namen Muhammed nach der Behauptung der Guheina eben- falls in Raschäd „rechter Weg“ veränderte; er gehört den Banu Dsubján ; daran stósst el- Hádhira, wo das Grab des Abd el-Aziz ben Muhammed ? 'Imrán) ben Abd el-Aziz ben Omar ben Abd el-Rahman ben 'Auf!) ist mit einer Wasserquelle; in el- Hádhira ergiesst sich el-Buleij bei dem kleinen Berge Wábisch, wo Muhammed ben Ibrahim el-Lahabí Palmenpflanzungen besass; an el-Hädhira grünzt Tibriz mit kleinen Quellen, wie el-Adsniba (Jácát: Odseina, auch Teitad genannt), ebenfalls mit ausgedehnten Palmenpflanzungen, die beste unter den Be- sitzungen des Abdallah ben Muhammed ben ?Imrán el-Talhí 2, el-Dha- lil dem Mubárik el-Turkí gehórig, und andere Quellen, die sich in den Windungen der Berge hinziehen. Zu den Wädis, welche nach el- Gaur ihren Abfluss haben, gehört Huzar im Besitz der Banu Guscham, einer Familie der Banu Málik. Als Gewässer der Guheina in el-Agrad werden genannt: der Brunnen der Banu Sib in Ds åt el- Hará und der Brunnen el-Hawätika in dem Engpass el-Schuttán in der Mitte zwischen der Quelle der Banu Háschim bei Malal und der Quelle Idham.

Einzelne Höhen des Gebirges Cabalija werden noch unter besonde- ren Namen angeführt, wie el-Zagbá, el-Kiláda, el-Ku weira, el-Mukschairr, Cirár, Sakáb, Cis und el-Muheilia; Wädis in diesem Gebirge sind noch: Math’ar oder Mathgar, welcher von el-Fara herüberkommt undan welchem der Ort Muntachir liegt, eine Nachtreise von Medina in der Gegend von Farsch-Malal, im Besitz der Guheina; el-Rass, el-Baljä, Schumeisá Nácifa und Waswas;

1) genealog. Tab. S 26. 2) gest. 189 (805) s. genealog. Tab. R 27.

DAS GEBIET VON MEDINA. 101

letzteres kommt aus dem Agrad und fliesst an el- Hádhira und el- Thalbä vorüber, zwei Thälern mit Palmenpflanzungen, die den Gu- heina und anderen gehören; in el-Hádhira, am oberen Ende von el- Thäga nördlich von Math'ar, ist der Teich el-Charrär und eine Quelle, welche Eigenthum des Abd el-Aziz ben Omar war.

Eine Fortsetzung des Sarät-Gebirges und zweiter Hauptsitz der Guheina ist der Berg Radhwä 1), der sich von Janbu bis nach el- Haurä erstreckt; dies ist der Hafen, in welchem die Schiffe von Ae- gypten landen. Jácát hatte im J 626 (1228) von Jemand, der dort ge- wesen war, gehórt, dass er dort die Ruinen einer von Kamelknochen erbauten Burg gesehen habe, die Gegend sei günzlich verlassen und nicht mehr bebaut, das Wasser salzig. In der Nähe ist der Berg Kau- dam. Ein Mann von Guheina Namens Abd el-Där ben Hudeib wollte seine Stammgenossen bereden, hier ein der Ka’ba ähnliches Haus zu bauen, wohin die Araber ebenso wallfahrten sollten; als sie hierauf

nicht eingehen wollten, machte er auf sie ein Spottgedicht. Zwischen el-Haurá, Janbu' und Schagb-Badá ?) liegen die Bergwerke el- Ha- rádha. Zu el-Haurä gehört der Ort Dsul-March an der Küste

nicht weit von Janbu.

Der Hauptort Janbu wurde erst von den Nachkommen des Cha- lifen ’Ali angelegt; man zählte in seiner nächsten Umgebung 170 Quel- len, welche grosse Palmenpflanzungen und Saatfelder bewässerten. ` In der Folge wurde der Ort mit Festungsmauern umgeben. Verschie- den von dem Lagerplatze el-Oscheira vor Janbu’ und der danach be- nannten Moschee im Innern der Stadt ist Dsul-’Oscheira, eine kleine Festung zwischen Janbu' und el-Haurá in der Richtung nach Dsul- Marwa; die dortige Dattelart gilt nächst der Ceihání in Cheibar und der Burdí und Agwa in Medina für die beste und wird denen in Higáz vor-

gezogen.

l) vergl die von Medina auslaufenden Hauptstrassen, S. 46. 2) Eine sehr ungenaue Angabe, da Schagb-Badä an der Strasse nach Syrien weit im Norden von Haurä liegt.

102 | F. WÜSTENFELD,

Mabrak oder Birk ist der Name eines Berges mit einer Schlucht, durch welche vier bis fünf Meilen lang in den Engpässen. von Jaljal nach el-Cafrá der Weg zwischen Janbu’ und Medina hinlüuft; in der Dualform Mabrakán ist eine andere Schlucht eingeschlossen, Munäch genannt, durch welche man nach der Rückseite des Berges el- Asch'ar gelangt; zwischen Birk und dem Orte Wad’än liegt die schwarze Berg- spitze Mureich. Die Schlucht 'Abáthir, im Besitz der Banu 'Athm von Guheina, führt von dem Wädi Idham durch den Radhwá nach Janbu und die Gewässer von 'Abáthir, Cáíis, Munách und Manzil-Ankab fliessen an Janbu' vorüber ins Meer. An der Küste zwischen Janbu und der Mündung des Geica liegt der Ort Dhabja; der Dichter Keis ben Dsureih nennt von der Hauptstrasse nach Mekka eher in einer Reihenfolge die Orte:

Verlassen ist Sarif von seinen Bewohnern, dann Suräwi,

dann Wädi Kudeid und die abfallenden Hügel, Dann Geica, dann die abschüssigen Berge von Dhab ja,

wo ich Milch von Kamelen habe, die im Herbst und im Frühjahr gebären. Jenseits Janbu' nahe am Meeresufer ist die Anhöhe Buwäna, wo bis zur Zeit des Islam ein Götze stand, welchem Opfer dargebracht wur- den; in der Nähe sind zwei Gewässer el- Cuceiba und el-Magáz. Zum Gebiete von Janbuw nach Mekka zu CEBE. auch der befestigte Ort Chu bza.

el-Gär, die frühere Hafenstadt von Medina , nach welcher der ganze nördliche Theil des rothen Meeres von Gidda bis Culzum schlecht- hin el-Gär genannt wird, liegt zur Hälfte auf dem Festlande und zur Hälfte auf einer Halbinsel. Die Entfernung von Medina beträgt nach Jácát eine Tag- und Nachtreise, nach Ictachrí und Idrisi drei Stationen oder Ta- gereisen, ebensoviel von dem Ufer bei el-Guhfa, von Eila. 20 Stationen !), von Badr eine Nachtreise. Die Stadt ist sehr volkreich und hat eine Hauptmoschee mit einem Minbar und viele Schlösser, es fehlt ihr aber - günzlich an Trinkwasser, welches vielmehr zwei Parasangen weit von

1) Jácüt Bd. II. 5, 12 giebt unrichtig nur 10 Stationen an.

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DAS GEBIET VON MEDINA. 103

el-Buheir, einer Quelle am Wädi Jaljal, wo er sich in den Wádi Geica ergiesst, herbeigeschafft werden muss. Die Quelle sprudelt sehr

‚stark hervor, fliesst aber in den lockern Sand, so dass nur einige we-

nige Stellen desselben haben urbar gemacht werden können, wo Pal- men angepflanzt sind und Kohl und Melonen gezogen werden. el-Gär wird fast nur von Kaufleuten bewohnt, und die grosse Bedeutung sei- nes Handels ersieht man daraus, dass dort Schiffe aus Habessinien, Aegypten, "Aden, Çîn und Hind einlaufen. In einiger Entfernung vom Ufer liegt die Insel Caráf, eine Meile lang und ebenso breit, mit ei- nem gleichnamigen Dorfe; die Verbindung mit dem Lande wird durch Schiffe unterhalten, die Bewohner sind gleichfalls Kaufleute und dort ist vorzugsweise der Ankerplatz für die Habessinier. Zwischen el- Gár und dem Jaljal liegt das Dorf el-Odseiba mit dem Sandhügel Kathib-Jaljal. Charik ist ein Wädi bei el-Gär; der nach Janbu' führt. Dsät el-Suleim, ein Wasser der Banu Cachr ben Dhamra ist nicht sehr weit von el-Gär. Sechs Meilen von el-Gär liegen die beiden Hügel el-Barratán. el-Bazwä zwischen el- Gär, Waddän und Geica ist ein hoch an der Küste gelegener weisser Ort, wo es ungemein heiss ist, er wird von den Banu Dhamra ben Bekr von Kinána bewohnt, dem Stamme, welchem Azza, die Geliebte des Dichters Kuthajjir, angehörte, die er auch Su'dá nennt. In seinen Versen: Verlassen ist die Ebene Kulfá nach ihrem Abzuge, dann el-Agáwil, Dann die schwachen Quellen am Hasná, dann das mit Steinen und Sand

untermischte Land daneben, Als wäre Sudá nie in der Gegend von Geica gewesen

und nie dort ein Lagerplatz der Su'dá gesehen worden. ist Kulfá eine Sandebene mit kulfa „braunrothen Steinen“ neben dem Wádi Geica zwischen el-Gär und Waddán; el-Agäwil ein steiniges Feld zur Rechten von Kulf& nach Norden nahe bei Waddän mit parkartigen Anlagen, wo der Dichter Nuceib wohnte; Hasnä ein Berg zwischen el-Gär und Waddän. In dem anderen Verse desselben Dichters:

104 F. WÜSTENFELD,

Als sie anhielten bei Dawwa zur Rechten und Sureir- Budhei' zur linken Seiten. ist Dawwa ein Ort sechs Meilen über el-Guhfa hinaus; Sureir ein Hafenort nahe bei und links von el-Gár an dem kleinen Berge Bu- dhe?.unterhalb el-Nugh, einer Quelle der Banu Gifár. Sechs Mei- len von der Küste bei el-Guhfa liegt die Insel el-Kurr. Derselbe Dichter Kuthajjir nennt im Eingange einer Cacide eine Menge von Orten, welche in dieser Gegend nicht weit von einander liegen: Halt an! und begrüsse die noch sichtbaren Spuren an dem Hügel von Hurudh, sie sind schon veraltet, Dann die Giessbüche von Rima, die seit alter Zeit herabstrómen, am Fusse des Berges zwischen Othajjith und Thwäl! Als ich dort das junge Kamel anhielt, lief die Fülle der Thrünen wie aus der Oeffnung eines Wasserschlauches. Ich dachte an 'Azza, als ihre Wohnung nahe stand bei Ruhajjib, dann Orájin, dann Nuchäl, In den Tagen, da unsre Familien zusammen Nachbaren waren bei Kutána, Furäkid und Bal, Der Wádi Hurudhl) ergiesst sich in den Rahcán (Jäcät: Ruhcán), dieser in den Wádi el-Cafrá. Der Wádi Rima wird von den Banu Scheiba bewohnt. Statt Othajjith und Thwäl liest Jácát Othajjil und Baäl; das erste für el-Otheil oder Dsu Otheil, ein Wädi, welcher mit Rima in Verbindung steht, zwischen el-Cafrä und Badr, ist grósstentheils im Besitz der Banu Dhamra; eine grosse Palmenpflan- zung daselbst gehört der Familie Ga'far ben Abu Tálib. Dort wurde el- Nadhr ben el-Härith ben Kalada auf der Rückkehr von Badr, wo er in Gefangenschaft gerathen war, auf Muhammeds Befehl von 'Alí ge- tüdtet?. Thuwäl ist eine Bergschlucht zwischen el-Rauhá und el- Ruweitha. Die Niederlassung Orájin (Jäcdt: Oräbin) liegt auf ei-

1) Jácüt verwechselt ihn nach der Angabe des Ibn el-Sikkit mit dem weiter unten genannten Dsu Hurudh am Ohod bei Medina. 2) s. Ibn Hischäm pag. 509 u. 539.

. DAS: GEBIET VON MEDINA. 105

ner Sandebene bei Mabrak. Nuchäl ist eine Schlucht, deren Wasser in den Wádi Schwb fliesst, welcher sich mit dem Cafrá verei- nigt. Die Quelle Kutána zwischen el-Cafrá und el-Otheil gehörte der - Familie des Gafar ben Ibrahim von den Nachkommen des Gafar ben Abu Tálib und kam dann in den Besitz des Abu Marjam el- Salůlí. Furâkid ist eine Schlucht an der Seite von Geica, deren Wasser in den Wådi'el-Çafra fliesst. Dass Ba'ál oder Bu'dl hier nicht ein Ort bei 'Osfàn, sondern ein Thal sei, welches mit dem Geica in Verbindung steht und von den Banu Gifár bewohnt wird, zeigt der Zusammenhang und ein anderer Vers des Kuthajjir: | Ich kenne das Haus, welches den durchs Alter abgenutzten Kleidern gleicht,

zwischen der Ebene der beiden Gái' und Bul. ‚el-Gäf’än, die beiden GÂ, sind zwei Thäler, deren eines sich nach Geica, das andere nach Jaljal senkt.

Vom südlichen Thore von Medina führt die Pilgerstrasse nach Mekka drei Arabische Meilen von der Stadt an dem Teiche Tudhärw, der zur Rechten bleibt, vorüber und der erste Tagemarsch nach Dsul- Huleifa beträgt nur 6 bis 7 Meilen, damit die Pilger sich hier erst sammeln und ordnen können. Auch auf der Rückkehr von Mekka ist hier eine Hauptstation, weil hier die Pilger aus Aegypten sich trennen, um den Weg nach der Küste einzuschlagen. Die nächste Halte- stelle 8 Meilen von Dsul-Huleifa ist bei el-Hufeir, wo eine grosse Spina Aegyptiaca stand, wovon der Platz nur schlechthin e/-schagara „der Baum“ genannt wurde, unter welchem Asmä auf der letzten Wall- fahrt des Propheten den Muhammed ben Abu Bekr, nachmaligen An- führer der Mörder des Chalifen Omar, gebar. Hier ist ein Brunnen mit süssem Wasser, welchen Omar ben Abd el-Aziz hat graben lassen, und hier wird die Pilgerkleidung angelegt. |

Acht Meilen weiter folgt das Dorf Malal. | Weg über Malal nach Sajäla sei näher als die Hauptstrasse , er nennt aber keine anderen Orte, über welche diese führte. Die ganze Entfer- nung von Medina wird verschieden zu 18, 20 oder 22 Meilen angege-

Histor. - philol. Classe. XVIII. O

Bekri bemerkt, der

106 . F. WÜSTENFELD,

ben, oder zu zwei Nachtreisen; nach einer Ueberlieferung, die in dem Muwatta !) vorkommt, hielt der Chalif Othmán den Freitags-Gottesdienst noch in Medina und war nach einem scharfen Ritt zum nächsten Mor- gengebete schon in Malal. Der Wädi bei Malal hat seinen Ursprung in dem Warikán, dem Berge der Muzeina, nimmt die von Dsu Chuschub aus dem Oberlande und von dem Berge Dhalim kommenden Gewässer auf, und vereinigt sich mit den unter dem Namen Idham bei Medina zusammengeflossenen Büchen; dieser hat auf seinem weiteren Laufe die Zuflüsse Dsu Beidha, der von Birma und Balákith zwischen Cheibar und Wádil-Curá vom Norden herabkommt; dann Wádi Tura vom Sü- den, ebenso W 4011-1, dann die Zuflüsse eines Wádi Higr oder Hagr; el-Gazl und el-Ruhba, welche nicht weit von Dsul-Marwa aus dem Gebiete der Banu 'Udsra kommen (s. unten Cap. V), dann Wädi A mu- dán unterhalb Dsul-Marwa; zuletzt der Wádi Safán, nach dessen Auf- nahme der Idham bei dem Berge Aräk sich dem Meere zuwendet, in welches er sich dann in drei Armen el-Aibüb, el-Jantagat und Hakib ergiesst.

Der besondere Name des Wädi von Malal ist el-Farsch, mit ei- nem kleineren, el-Fureisch genannt; das erste zieht sich in dem rothen Berge Cafar?) hin, der schóne Pflanzungen hat, bei denen sich Zeid ben Hasan ein grosses Haus bauen liess; der Dichter Amr ben Aids el-Hudseili sagt:

Ich sehe den Cafar, wie das Haupt seiner Spitzen schon weiss ge-

worden ist, und weiss ist, weil er weiss geworden, auch el-A wákir.

Weiss ist der Canän in den beiden Alten, der noch nicht

weiss war, und weiss ist die benachbarte Mimose.

1) Málik ben Anas, Muwatta, edit. Tunis. pag. 3.

2) Von diesem Berge soll der Arabische Monat Çafar seinen Namen haben, weil dort während desselben Versammlungen stattfanden; dann wären die statt des- sen vorkommenden Lesarten Qagar und Dhafir entschieden falsch. Bekannter ist indess die Ableitung von gafıra „leer sein“ für den Monat, in welchem die Erde von Saaten und Früchten geleert ist, Jûcût I. 186,12, was freilich ein Sonnenjahr voraussetzt, in welchem die Monate immer in dieselbe Jahrszeit fallen.

DAS GEBIET VON MEDINA. 107 '

Awákir sind Berge am unteren Ende des Farsch zur linken desselben an der Seite des Berges Cafar; Kuthajjir sagt:

In Fluss gebracht sind die Seiten von el-Marábid früh morgens,

und in Fluss gebracht davon Dháhik und el-Awäkir.

„Die beiden Alten“ von Farsch sind die beiden Berge im Rücken des Cafar. Mimosen, Sajäl und Samur Bäume wachsen in der Ebene von Malal, die sich ein bis zwei Meilen weit ausdehnt. Im Farsch hatte sich Abu ’Obeida ben Abdallah ben Zama’a niedergelassen, nach wel- chem die dortigen Felsen Cacharät Abi’Obeida benannt sind; der Dichter Kuthejjir wohnte in el-Dhifän, zwischen beiden Orten liegen am unteren Ende von Farsch die Berge Dhähik und Dhuweihik, welche durch den Wädi Jein (oder Marr Jein, Marajein) geschieden sind; darauf beziehen sich die Worte des Ibn Odseina:

Ich erkenne nicht mehr die Niederlassuug der Schaar bei Dhähik;

vertilgt ist schon die Spur und verlassen ist von ihnen 'Abbüd. Der Berg 'Abbüd, zwischen Farsch und dem Eingange von Malal, liegt dem Gafar und Sajála gegenüber, zwischen ihnen geht die Hauptstrasse durch; am Fusse des ’Abbüd war eine Quelle des Hasan ben Zeid, welche versiegt ist. Der Dichter Ma'n ben Aus el-Muzení nennt meh- rere Orte, wo wahrscheinlich gute Weiden waren, von Medina herüber in den Versen:

Verlassen ist Läj von ihnen, dann sein ’Otäid,

dann Dsu-Salam mit seinen murmelnden Bächen, dann die Ebene des 'Abbüd, dann Chabrä-Cäif; auch Dsul-Gafr ist leer von ihnen und seine Ebenen.

Zu Farsch gehórt auch el-Garib, eine Strecke mitten in dem oben genannten Wádi Math'ar, vor dem Islam im Besitz der Banu Gani, dann der Fazára. Eine ganze Reihenfolge von Ortschaften nennt der Dichter el-Ahwac in den Versen:

Verlassen ist Math’ar von seinen Bewohnern, wie auch Thakib,

dann der Fuss des Berges von Liwä bei Säir, dann Garib.

Auch Dsul-Sarh ist leer, dann die Felder mit weissen und schwar-

zen Steinen, 02

* 108 F. WÜSTENFELD, .

als wenn in Haura kein Mensch mehr wohnte!).

Thakib ist gleichfalls ein Wádi von Fara, Säir ein Berg in jener Ge- gend. Seitwärts von Math'ar ist ein anderes Wasser der Guheina mit Namen Maschgar. In Fureisch haben die Banu Zeid ben Hasan Brunnen und dort ist ein langer Berg genannt 'Odna?), an welchem Dáwüd ben Abdallah ben Abul-Kirám und die Banu Gafar ben Ibra- him Niederlassungen besassen. Der Dichter Nuceib sagt:

Wahrhaftig! wenn ich Abends in el-Farsch plótzlich sterbe,

und deine Wohnung ist 'Abbüd und 'Odna oder Dhafir

Von Farsch kommt man an den kleinen Felsen el-Thumäma vorüber nach Sajála sieben Meilen von Malal; die ganze Entfernung von Medina wird übereinstimmend mit der Summe der einzelnen Stre- cken auf 29 bis 30 Meilen angegeben, und wenn es für die Einwohner von Medina als die erste Station nach Mekka bezeichnet wird, so ist dies von ihrem Sammelplatze bei Dsul-Huleifa zu verstehen. Sajäla ist ein grosses Dorf mit vielen Brunnen nicht weit von dem Wádi Gurán, daneben der rothe Berg 'Ofária. Dort nimmt der sehr hohe schwarze Berg Waricán, ein Theil des Sarát, seinen Anfang, welcher zur Linken des Weges bis zum Wädi el-Gij zwischen el-Ruweitha und ’A rg sich hinzieht, so dass an seinem Fusse Sajäla, el-Rauhä, el-Ruweitha und el- Gij auf einander folgen; el-Gij hat auch den Namen el-Muta@aschschi d.i. der Ort, wo das Abendbrod verzehrt wird, mit dem Platze Beima, wo eine Karawane Nachts im Schlafe von einer plötzlichen Anschwel- lung des Wädi überrascht wurde und im Wasser umkam. Der Berg ist mit verschiedenartigen Bäumen bewachsen, Obstbäumen und anderen,

1) Mit ganz ähnlichen Namen kommen ebenso gebildet zwei Verse des Nugeib vor: Verlassen ist Mankal von seinen Bewohnern, wie auch Nakib, dann der Wasserfall von el-Liwá bei Sáhir, dann Murib. Auch Dsul-March ist leer, dann die Felder u.s. w.

2) Die Vocalisation xaz bei Bekrí und nach Samhüdi 6.5 ° Adana passt nicht ins Versmass; im Alphabet hat Bekrí k,Xs 'Adsba.

DAS GEBIET VON MEDINA. 109

wie Acacien, Summák (rhus) und Chazam, dessen Stamm der Palme und dessen Blätter der Pflanze Bardi ähnlich sind und woraus vorzügliche Stricke verfertigt werden. An dem Berge, welchen die Banu Aus ben Muzeina bewohnen, finden sich kleine Gewässer und süsse Quellen, die sich 30 Meilen (3 oder 4 Barid) von Medina in den Wädi Rim er- giessen.

Dem Waricán zur Seite liegen die beiden hohen Berge Cuds, der weisse und der schwarze; der erste, welcher sich zwischen el-Arg und el-Sucjä ausdehnt und zu der Bergkette Sarát gehört, wird von dem Waricän durch den steilen Hügel Raküba, der zweite von demselben durch den Abhang Hamt getrennt; beide gehören den Muzeina, welche in zahlreichen Niederlassungen unter Zelten leben und deren Besitz in Schaaf- und Kamel-Heerden besteht. Auf den Bergen wachsen Acacien, Cypressen, Schauhat - und Chazam - Bäume, auch Feigen und anderes | Obst, und in den Thälern, in welche sich viele kleine Bäche ergiessen, sind schöne Parkanlagen gemacht; in den beiden Dörfern el-Arrüb sind zwei bedeutende Quellen mit zwei Teichen und prächtigen Gärten. Eine feste Niederlassung der Guheina im Gebirge hat den Namen Surr.

Weiter nach Osten liegt drei Tagereisen von el-Sucjä der Berg Ära in Higäz, in welchem sich der Sarät fortsetzt und dessen entgegen- gesetzte Seite an die Harra der Banu Suleim anstösst: derselbe hat mehrere Quellen, an deren jeder ein Dorf liegt, wie el-Furuw, el-Madhik, wo Zeid el-Cheil die unter Anführung des "Alcama ben "Olatha gegen ihn heranziehenden Banu ?Ámir erreichte und sümmtlich zu Gefangenen machte, darunter den Dichter el-Huteia, welcher für eine Cacide seine Freiheit wieder erhielt; ferner el-Mahdha, Chadhira, Umm el-Ijál, Wabra und el-Fa'w!); diese Dörfer sind von dem Ära von allen Seiten umschlossen und alle haben Palmenpflanzungen und Saatfelder; die Büche vereinigen sich in dem Wádi Hacl (Samhüdi: Hakil), welcher nach el-Abwä fliesst und von da an dem grossen Dorfe Waddän vor- über bei dem kleinen Dorfe el-Tureifa sich ins Meer ergiesst. Auch

1) Jácát und Samhüdi: Berg oder Dorf el-Fagwa.

110 F. WÜSTENFELD,

die beiden Orte Chalg; und Wabiän gehören zu diesem Gebiete und ein Dichter nennt folgende Namen in einem Verse hinter einander: in Chalg, dann el-Bureirä, dann el- Haschá,

dann Wakd bis an die beiden Nah b bei Wabiän.

Chal; eine Gegend des Berges Ära, mit einem Wadi, worin mehrere Dörfer und Palmenpflanzungen liegen, wie der Ort Baldüd; el- Bureirá sind Berge im Gebiete der Banu Suleim; el-Haschá ein Berg eine halbe Meile von el-Abwá; Wakd!) ein kleiner Berg, der über Chulätä em- porragt; das Dorf Wabiän?) an den Abhängen des Ära.

Den beiden Cuds gegenüber liegen zwei andere Berge, der untere und obere Nahb5), nur durch einen kleinen Raum von einander ge- trennt; sie gehören den Muzeina und Banu Leith und in dem oberen ist ausser anderen kleinen Gewässern ein Brunnen, bei welchem Palmen stehen, die den Namen Dsu Cheim führen; zwischen diesen beiden Nahb, Cuds und Waricän läuft die Hauptstrasse hin. Hierauf folgt der steile Abhang el-Arg, dessen Spitze el-Abjadh ‚der weisse Berg‘ heisst, mit dem Wádi Museiha; die Höhen sind mit March- (Cynan- chum viminale) und Arak-Bäumen und Thumäm-Kraut bewachsen.

Mit den beiden Cuds hängen viele kleine niedrige Berge zusammen, welche den Namen Dsirwa (Jäcüt: Dsara) haben, zu Tihäma gehören und auf deren Höhen einige Dörfer mit Ackerland liegen, welche von den Banu el-Härith ben Buhtha ben Suleim bewohnt sind, die grössten Theils unter Zelten leben. Ihre Aecker werden nicht künstlich, sondern nur vom Regen bewässert, da die dortigen Quellen zwischen Felsen entsprin- gen und nicht dahin geleitet werden können, wo sie besonders von Nutzen sein würden. Die Bäume, welche dort wachsen, sind der 'Afár zum Feueranmachen besonders nützlich, die Acacie, deren Früchte zum Ger-

1) oder Wakz, Rakd.

2) oder Walian, Wana ân.

3) النهبان‎ el-Nahbän, bei Bekrí Nuhb, Nuhbän vocalisirt, dann im Alphabet in النهيان‎ el-Nihjàn verschrieben und dieses an einer anderen Stelle nach seiner Be- deutung „zwei stagnirende Wasser“ mit dem gleichbedeutenden النقعان‎ el-Nak’än vertauscht, woraus dann auch bei Jäcüt النقعاء‎ „ebenes Feld“ geworden ist.

DAS GEBIET VON MEDINA. 111

ben gebraucht werden, die Acacia gummifera, Zizyphus lotus, Chadara velutina, Tálab, aus denen Bogen verfertigt werden, und اقرار‎ Athrär mit Blättern wie صعتر‎ Satureja und Dornen wie der Granatapfelbaum, dessen Holz, wenn es trocken ist, sich schnell durch Reiben entzünden lässt und woraus auch Pech gewonnen wird wie aus der Cypresse. West- lich von dem Dsirwa an dem Wädi Lacf (Jácát: Lahf) liegt das Dorf Gabala, der älteste Ort in Tihäma mit Befestigungen aus Felsstücken, die ein einzelner mit heben kann; daneben das Dorf Sitära mit dem gleichnamigen Wädi, welcher sich von dem Wädi Batn-Marr bis 'Osfán zur Linken des Weges nach Mekka zwei Tagereisen lang hinzieht. Oestlich von Gabala liegen mehrere Dörfer, wie el-Karä an dem Wádi Rachm oder Rucheim, an dessen unterem Ende der Berg Dhargad mit Burgen und Schlössern, welche den Banu el-Härith, Hudseil und Gädhira ben Ca’caa gehören.

An den Dsirwa schliesst sich der Berg Schamancir bei dem Dorfe Dhará; er besteht aus einem runden Felsen, dessen Gipfel noch von keinem Menschen erstiegen ist und von Affen bewohnt wird; er ist rings von Quellen umgeben, in der Höhe wachsen Nab- (Chadara tenaa), unten Schauhat-Bäume, auch Palmen und Kichererbsen, und man hat von dort einen Blick auf das Dorf Ruhát im Wádi Gurán zwischen Sája und Mekka, von welchem das Dorf el-H udeibia westlich liegt.

Sája ist ein grosser Wädi in der Nähe von Gabala, welchem mehr als siebzig Quellen zufliessen, zwischen zwei Ebenen mit schwar- zen Steinen mit vielen Dórfern unter besonderen Namen, und von meh- reren Seiten zugüuglich; es gehórte ursprüglich den Nachkommen des Al ben Abu Tâlib, wird aber von Leuten aus verschiedenen Stämmen, besonders von Muzeina und Suleim, und von Kaufleuten aus allen Ge- genden bewohnt; der Prüfect steht unter dem Statthalter von Medina. Man findet dort Palmen und Fruchtfelder, Pisang, Granatbiume und Weintrauben. Hier starb Leilá el-Achjalija, die Geliebte des Dichters Tauba ben el-Humajjir, als sie aus Kufa von el-Haggäg zurückkam. Der Wädi el-Mahw: in der Gegend des Sája ist ganz ohne Vegetation; höher hinauf ist der himmelhohe Berg el-Scharät, von Affen bewohnt

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und mit Nab-, Acacien- und Schauhat- Bäumen bewachsen; er gehört vorzugsweise den Banu Leith, dann auch den Banu Dhafar ben Suleim, links von ’Osfän, und wer von diesem Orte nach Higäz geht, passirt den sehr hohen, abschüssigen Abhang el-Charita, an welchem nichts wächst. Am oberen Ende des Wádi Säja liegt das Dorf el-Färi’ von Leuten aus verschiedenen Stämmen bewohnt, mit vielen Palmen und Quellwasser, welches aber unter der Erde fortfliesst. Weiterhin folgt das grosse, wohlhabende und volkreiche Dorf Mahäji’ in Tihäma, dessen Prüfect von dem Statthalter von Medina ernannt wird. Ein anderes grosses Dorf A mag hat viele Aecker und Palmen und einen Marktplatz, die Einwohner sind Chuzáa; von hier bis "'Osfán reicht der Wädi Beschamá, dessen unterer Theil mit dem Nebenarme Bascháim den Kinäna gehört. Von Amag führt ein Weg über el-Charrär bei el-Guhfa und über den Hügel el- Mara nach Lacf dicht an Rábig vorbei, wo das Wasser el-Ahja; diesen Weg nahm Muhammed .auf seiner Flucht von Mekka nach Medina und dorthin unternahm "Obeida ben el-Härith einen Zug und traf die Mekkaner bei el- Mara!) Der Wädi von Amag.uud der Gurên, an welchem die Banu Lihján ihre Niederlassungen haben, kommen aus der Harra der Banu Suleim, flie- ssen an 'Osfán und dem Såja vorüber und ergiessen sich ins Meer. In jenem Wadi hatte nach der Auswanderung der Azd aus Márib bei der Trennung der Cudháa eine Familie derselben Namens Dhubeia ben Harám ihr Nachtlager aufgeschlagen und wurde im Schlafe von einem Wasserstrome überrascht, welcher den grössten Theil mit sich fortnahm; der gerettete Ueberrest zog weiter und liess sich in der Umgegend von Medina nieder.

Das oben genannte el-Fur' oder Furu’ vier Tagereisen oder acht Barid von Medina links von el-Sucjá und in gerader Richtung auf Mekka, auf einem kürzeren Wege als die Hauptstrasse, der aber durch Wege- lagerer unsicher gemacht wird, ist ein grosses, wohlhabendes Dorf, in alten Zeiten von "'Áditen, dann von Cureisch, Ancár und Muzeina be-

1) Ibn Hischám pag. 333 und 416.

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- wohnt; es hat ‚eine Moschee mit einem Minbar und ein Absteigequaár- tier für den Statthalter, auch viele Brunnen und Quellen, wie el-Fár?àá und el-San&m von Abdallah ben el-Zubéir,?Ain el-Nülid'und "Ain "Askar von dessen Bruder "Urwa angelegt, welcher dort im J. 94 (713) starb, und el-Rubdh und el-Nagaf, welche Hamza’ ben Abdallah“ ans legen liess; diese bewässerten eine Pflanzung von 20,000” Palmen, él Furv ist der Hauptort eines Kreises, in welchem zahlreiche Dörfer lie- gen und der dortige Einnehmer erhebt die Steuern von “zwölf grossen Ortschaften mit ihren Gebieten, in denen sich ein Minbar befindet: el Furu mit Madhik el-Furu? d.i. Engpass von Furu, vier Parasangen davon entfernt, Suwärikia, Såja; Ruhät, el2Amk, el-Guhfa, el-Arg, el-Sucjä, el-Abwá, Cudeid, 'Osfán und Istära oder Sitára. Zu el-Furw gehören el-Mureist’ eine Tagstunde weit ent- fernt, wohin Muhammed einen Zug gegen die Bani Muctalik unter- nahm; der gleichnamige Bach fliesst von da nach Cudeid und dann ins Meer; Buhrän oder Bahrän, ein Bergwerk der Suleim, welche Mu- hammed dort zu überfallen dachte, die sich aber bei Zeiten zurückge- zogen hatten; el-Ab wá, el2Amk an einer Quelle in einem Wádi mit den zwei Bergen Chaschásch, an denen Parkanlagen gemacht: sind; von Muzeina bewohnt; Waddän ein grosses Dorf an der Pilgerstrasse fünf bis sechs Meilen von Harschá, sechs bis acht Meilen von el-Abwä und eine Tagereise von el-Guhfa; es wird von den Banu Dhamra, Gifár, Kinäna und Fihr-Cureisch bewohnt und war der Sitz des Oberhauptes der Banu Gafar ben Abu Tálib, welche hier viele Grundstücke besassen ; sie lebten aber mit den Banu Hasan in bestündiger Fehde und es wurde viel Blut vergossen, bis die Banu Harb aus Jemen heraufzogen und sich ihrer Besitzungen bemächtigten. i Ä | Ausschliesslich den genannten Banu Dhamra gehören auch die bei- den sehr hohen Berge der grosse und kleine Thäfil, von dem Radhwá und 'Azwar zwei Nachtreisen (nach anderen: sieben Stationen) entfernt; zwischen beiden liegt auf weniger als einen Pfeilschuss ein Hügel. Beide sind, wie alle Berge in Tiháma, mit Gadhwar-Bäumen bewachsen, tra- gen aber auch Oypressen, Acacien, Dhajjän, dessen Blätter zum Gerben Histor.-philol. Classe. XVIII. P

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gebraucht werden, Amyris opubalsamus und Aida’; dies ist ein Baum, welcher der Platane ähnlich ist, nur dass seine Zweige näher zusammen stehen; er hat eine rothe Blüthe, die aber keinen angenehmen Geruch hat und keine Früchte hervorbringt; Muhammed verbot die Zweige davon abzubrechen, sowie auch von Zizyphus lotus und T'andhub (einem Baume mit Dornen wie die Brombeere und einer Frucht, Aummak? genannt, wie die Pflaume, von angenehmem Geschmack), weil diese Bäume dichten Schatten geben und die Leute unter ihnen gegen Hitze und Kälte Schutz finden. Andere halten Aida für Crocus oder Drachenblut oder Brasil- holz, die erste Angabe verdient aber mehr Glauben, weil sie von ’Arräm gemacht wird, einem Beduinen aus jener Gegend, der die Bäume seines Landes am besten kennt. In dem grossen Thäfil ist der Wadi Jarthad oder Arthad, welcher von Abwä längs einer Hügelkette, . wo Zelte stehen, nach Waddän führt; als einst ein dort Vorüberziehen- der den Vers eines Dichters citirte: O Bewohner der Zelte von Arthad an bis zu den Palmen von Waddán! was macht Nu'm?

sagte zu ihm einer der Bewohner: blicke umher, ob du hier Palmen siehst. Er erwiederte: Nein! Da sprach jener: Es ist ein Fehler, es heisst in dem Verse nicht nachl „Palmen“, sondern nahl ‚bis an die Seite von Waddän“. Die Dhamra haben hier einen festen Wohnsitz, treiben Ackerbau und leben im Wohlstande. In jenem Wädi sind die Brunnen Dabäb, die nicht leer geschópft werden können und nur Mannslänge tief sind; sie liefern süsses Wasser. Mitten in dem kleinen Tháfil liegt ein rund gebautes Dorf, el- Cáha!) genannt, drei Tagereisen von Medina und etwa eine Meile diesseits el- Sucjá auf dem Wege von Mekka her); dort sind zwei Brunnen, welche ergiebig süsses Wasser liefern. Zwischen el-Cáha und Sucjá liegt noch der Ort Tikin, nach einigen indess drei Meilen von Sucjä.

1) oder el-Fäga, Ibn Hischäm p. 333. 2) Die Angabe „zwischen al-Guhía und Cudeid* ist ganz ungehörig.

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IL Das Land der Banu Suleim.

el-Gubeil „der kleine Berg", gewöhnlich SaP genannt, ist ein steiler Vorsprung zwei Meilen von Medina, an dessen Fusse der Wadi el-Madsäd sich hinzieht, wo ein grosser freier Platz, el-Süc ‚der Marktplatz“ sich ausdehnt. Dies war der Ort, wo Muhammed el-Chan- dac „den Graben“ ziehen liess und sich verschanzte, als die Mekkaner gegen Medina heranzogen. Das Lager der Mekkaner stand eine Meile nördlich von dort bei el-Gammä zwischen dem Orte el-Gurf, mit den Brunnen Guscham und Gamal, und zwischen Zagäba (fehler- haft Zwäba, el-Gäba) bei der Vereinigung der Bäche von Rüma, einem Landstrich, welcher .durch sein vorzügliches Wasser bekannt war; die Gatafán und die übrigen Verbündeten der Mekkaner lagerten bei Dsanab- Nacamä an der Seite des Berges Ohod. Nahe dabei an dem Wadi Dsu Hurudh zwei Meilen von Medina stand schon früher einmal ein . feindliches Lager, das des Abu Gubeila, welcher die Juden von Medina mit ihrem Könige el-Fitaun dorthin lockte und dann umbringen liess 1).

Die Harra genannten Gegenden auf der Südostseite von Medina?) sind weite Felder, auf denen vulkanische schwarze Steine ausgebreitet liegen, die öftere Erwähnung von „schwarzen Bergen“ weist deutlich auf ihren Ursprung hin und es wird auch von mehreren Eruptionen be- richtet, welche in der Nähe von Medina vorgekommen sind 5). Das nächste dieser Felder bei Medina ist Harra Wäkim, nach der Burg Wäkim benannt, wo bei der Belagerung der Stadt im J. 63 (683) die grossen Kämpfe stattfanden *. Dort hat ein reicher Kaufmann Nafis ein Schloss gebaut, welches nach ihm den Namen Cagr Nafis führt, und die beiden Schlösser Scheichän mit einem dritten el-Az rac

1) s. Geschichte der Stadt Medina, S. 34.

2) vergl. die Vulkanregionen (Harra’s) von Arabien nach Jäküt, von O. Loth; in der Zeitschr. d. DMG. Bd. 22. S. 365.

3) s. Gesch. d. St. Medina, S. 14.

4) Daselbst S. 18. P2

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liegen in der Gegend von el- Wálig an einem freien Platze, wo Mu- hammed die nach, Ohod. ausrückenden Truppen musterte und die noch zu jung waren, ausschied und zurückschickte; er selbst übernachtete in Scheichän und brach am andern Morgen nach Ohod auf, indem er seinen Weg durch die Harra der Banu Háritha nahm. Als er in der Schlacht verwundet war und die Seinigen zurückgedrüngt wurden, kamen einige der Fliehenden bis el-Munaccä diesseits el- A'wac. Ein Dichter nennt noch andere Orte jener Gegend in dieser Reihenfolge:

Dann bis zur Grünze von ’Akik, bis el-Gammä und Sal,

dann die Moschee el- Ahzáb, dann Mahic, Wäkim und Cuwär bis

zur Grünze des Berges Guräb. Nach dem glücklichen Ausgange der Schlacht verfolgte Muhammed den Feind am anderen Morgen bis nach Hamrä el-Asad am Berge Mun- schid acht Meilen von Medina auf dem Wege nach el-Furu.

Die grösste jener mit schwarzen Lavasteinen bedeckten Ebenen ist die Harra der Banu Suleim, welche sich durch ihr Gebiet in zwei langen Streifen, deren jeder nicht ganz zwei Meilen breit ist, hinzieht, zwischen beiden liegt ein breites freies Feld; einer von diesen Streifen hat den besonderen Namen Habs Sajal, weil er im Westen eine Tagereise von Suwärikia durch den Berg Sajal begränzt wird. Jenes Gebiet beginnt auf der von Mekka über Dsát-'Irk und Gamra her- aufkommenden Strasse nach Kufa bei der Station el-Muslih!) und reicht weit über Medina hinaus; in der Breite erstreckt es sich von dem Gebirge Ära über die Strasse nach Kufa hinüber bis nahe an die Strasse von Bacra.

‘Zwischen Muslih und der auf der Stasse nach Kufa nächsten, 34 Meilen entfernten Station bei Ofá'ja liegt ein kleiner Berg, Ga bal Bán genannt, weil er mit Bán- Bäumen bewachsen ist, von festem, har- tem Boden. Die Umgegend wird, von dem nicht weit davon entfernten

1) In der Volkssprache fehlerhaft Maslah; die Angabe bei Bekri »vier Meilen von Mekka« ist unrichtig statt »vier Tage« , denn es liegen die Stationen Bustän, Dsát-'Irk und Gamra dazwischen.

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Berge el-Sitár 1) anfangend, in folgender Weise beschrieben: gegenüber dem. Sitêr, einem rothen Berge- mit mehreren zugänglichen Hügeln, liegt der Berg el-Harrás, an dessen Seite die: beiden Quellen el-Thigär und Th ugeir?), deren Wasser nicht süss ist; ‘weiter hinunter (nach Mekka zu) folgen in einer ebenen Gegend zwei amid: hohe „säulenartige‘ Berge, deren Spitzen nur von Vögeln erreicht werden, sie heissen Am ûd el-Bán und ’Amdd el-Safh ‚letzterer zur Rechten: dessen, der von Kufa nach Mekka hinaufzieht, eine Meile von Of# ijab- Dieses ist ein grosser Hügel, gleichfalls rechts von der Strasse mit dem Dorfe O fe rija und zwischen beiden. das Dorf el-N agl; der eigentliche Halteplatz der Karawanen. Da hier nur salziges Wasser ist, "wird süsses (nach Jákdt IV, 762, im Wiederspruch mit sich selbst S. 763 und mit Bekri) aus der Quelle el-Nigära bei el-Nugeirund aus der Quelle Dsu Mahbala her: beigeschafft.. Seitwärts liegt das volkreiche Dorf Cufeina5) dessen Eim wohner Palmen ziehen und Aecker bestellen und süsses Wasser aus dem Brunnen el-Cubhija schópfen, "welcher der einzige im- Orte ist, der Weg: durch. die Schlucht ist sehr beschwerlich und doch biegen die Ka- rawanen nach hier ab, wenn sie an der Hauptstrasse in el-Zub eidia nicht genug Wasser finden. Eine andere Quelle Bard in der Nähe’ yon Cufeina gehórt den Banu el-Hárith von Suleim. Auf der linken Seite der Strasse liegt ein anderer grosser Hügel Namens Hudma oder Hu- dama und ein mit schwarzen Steinen bedecktes Feld genannt Maníha den Banu Gasr und Suleim gehörig, auf welchem nichts wächst, und von hier geht es hinüber nach den Orten Marrán und Cubä an der Strasse von Bacra, wo el-Dafina fünf Tagereisen von Mekka und el-Dathina vor dem Berge el-Chál und" westlich; von’ diesem die beiden Dörfer el-Asäs die äussersten Besitzungen der Suleim sind. 31

1) nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Berge in der Landschaft Dha- rija, wie ich es selbst durch Bekri verleitet gethan habe. DES s . . 9) bei Jácût el-Nugär oder el-Nigára und Nugeir; Behri giebt eine Ableitung von qîl, welches li »krüftig hervorsprudeln« bedeute, während Jácüt sagt, dass die Quelle nicht kräftig sei.

3) nach Jácüt »zwei Tage von Mekka« ist zu gering angegeben.

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Von Ofëija an Dsabu-Uchrugi vorüber, einem mit Bäumen be- wachsenen Platze, in deren Schatten die Pilger lagern, sind 32 Meilen bis zur nächsten Station am Berge 'Omak; in der Nähe ist der Berg Adam und nach dem Rahahán hinüber liegen die Hügel Scharaurá, den Banu Asad und Banu ?'Àmir gehörig, welche hier nach der Erwäh- nung bei den Dichtern gute Weide hatten. In der weiteren Beschrei- bung des Gebietes der Suleim folgen wir der bei den Arabern üblichen Weise von Medina nach Mekka hin.

Wenn man die in nördöstlicher Richtung von Medina auslaufende Hauptstrasse über den genannten Hügel Sal hinaus verfolgt, kommt man zu den prachtvollen Besitzungen, welche die Juden zu Muhammeds Zeit besassen, wie drei Meilen von der Stadt die beiden Schlósser Cirár mit einem schónen Brunnen und el-Rajján in der Gegend von el- Gawwánin an der Grünze der Harra Wákim, von denen die Banu Háritha ben el-Hárith Besitz nahmen, nachdem sie die Eigenthümer Banu Abd el-Aschhal nach Cheibar vertrieben hatten 1). Acht Meilen von Sal liegt el-Gäba, wo die Medinenser grosse Landgüter hatten; wenn "Abbás ben Abd el-Muttalib sich gegen das Ende der Nacht auf den Sal stellte und seinen Knechten bei el-Gába zurief, hórten sie ihn; el-Zubeir ben el-'Awwám besass dort ein grosses Gut, welches er für 170,000 Drachmen gekauft hatte und welches in seinem Nachlasse mit 1,600000 bezahlt wurde. 24 Meilen von Medina kommt man an die Poststation Dsul-Cacca; dorthin hatte der Prophet den Muhammed ben Maslama geschickt, um die Thalaba ben Sa'd zu unterwerfen, und dorthin begab sich Abu Bekr um die zum Auszuge nach Syrien versammelten Truppen in Corps einzutheilen und die Fahne zu entfalten.

Die erste Hauptstation der Pilger ist bei dem Wasser el-Taraf, nach verschiedenen Angaben einen Tag- und eine Nachtreise oder 25, 36 oder 42 Meilen von Medina entfert. Der Platz ist von drei Bergen eingeschlossen: Dhalim, Hazm Beni 'Owál und Schaurán, welche

1) Ausführliches über die Schlösser der Juden s. in d. Gesch. d. Stadt Medina, 8. 31 u. 91.

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von den Gatafán bewohnt werden; der Dhalim ist ein hoher schwarzer Berg ganz ohne Vegetation, der Hazm Beni ”Owäl ist sehr wasserreich, es sind darin die Quellen Aljat el-Schát (Schafschwanz), el-Kudr, Harma, Bir ’Omair und el-Sidra; el-Sudd „der Damm“, el-Car- cara und La’bä sind Ansammlungen von Regenwasser, welches aber nie darin zu Ende geht; an der Südseite von el-La'bá ist das Wasser Hamäma. Aus den beiden einzelnen Namen wird auch der zusammen- gesetzte Carcarat el-Kudr gebildet, 8 Poststationen von Medina in der Nähe von el-Arhadhija, wohin Muhammed einen vergeblichen Zug gegen die Suleim unternahm und bis wohin er auf dem so genannten Mehl-Feldzuge die Mekkaner unter Abu Sufjän verfolgte, nachdem diese in der benachbarten Gegend von el-Oreidh die jungen Palmen- pflanzungen verbrannt hatten !). Hierher gehören, noch einige andere Orte, welche der Dichter Kuthajjir in zwei Versen hinter einander nennt: Bewässre el-Kudr, dann el-La’bä, dann die Felder und Triften, dann Lauds-el-Hacä bei Taglamän, dann Adhlam, Dann Arwä südlich von el-Daunakän, dann Dhágr, dann Darr, dann Oblä, mit einer Wolke, die aufrichtig ihr Versprechen hält! Lauds-el-Hacá kann nicht in Jemen liegen, wie Jácát angiebt; neben Taglamán nennt Kuthajjir in einem anderen Verse den Wadi Rim im Gebiete der Muzeina, in welchen sich die Büche des Waridán ergiessen, 30 Meilen oder vier Poststationen von Medina; Adhlam ein Berg in der Nähe des Sitär, el-Daunak ein Gewässer, Dhági ein Wadi, welcher in der Harra aus dem Teiche Darr, der das ganze Frühjahr Wasser hat, ebflieést und wo viele Salamsträuche wachsen. Der dritte Berg, Schauràn, welcher zur Linken des Weges über el-Sudd emporragt, ist bewachsen und in demselben ist eine Ansammlung von Regenwasser, el-Bahar åt (Jacüt: el-Bugeirät, so Samhüdí oder el-Bagarát) genannt,

1) Ibn Hischám pag. 540 u. 543. Es ist zu bemerken, dass die Mekkaner bei ihren verschiedenen Angriffen immer erst weit über Medina hinaus zogen und dann

von Norden aus gegen die Stadt vorrückten.

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worin sich schwarze Fische bis zu Armeslünge finden, die einen ange- nehmen Geschmack haben und sehr gut bekommen. . Zur Rechten liegt der Berg °A cr, dann schliesst sich an den Schaurán der Berg Mitän (Jäcüt: Meitän) mit dem Brunnen Dhaffa, den Banu Suleim gehörig, ohne Vegetation; diesem gegenüber liegt der Berg Schij (Jácát ‘und Samhidi : el-Siüun) und andere hohe grosse Berge, el-Giläh!) genannt, auf denen nichts wächst und wo nur Mühlen- und Bau-Steine gebrochen werden, die man in Medina und der Umgegend benutzt. : Dann folgt el-Ruheidha, ein Dorf der Ancär und Suleim, welches zu Nagd ge- hórt und Saatfelder, Palmenpflanzungen und Brunnenwasser hat; Jácát und Samhüdi nennen den Ort el-Rihdhija,. er liegt in der Mitte des Weges zwischen Medina und den Bergwerken der Suleim, nach jeder Seite etwa 50 Meilen entfernt. Der Chalif Härün el-Raschid, welcher den Namen in. el-Arhadhija: veränderte, pflegte auf der Rückkehr von der Pilgerfahrt von Medina aus seinen Weg über hier und die Bergwerke zu nehmen und 2 Meilen von. diesen bei dem Orte el-Rajjän Station zu machen, wo desshalb Schlösser erbaut waren. Neben Arhadhija liegt das Dorf el-Higr?), nur von Suleim bewohnt, welches Quellwasser hat und einen hohen Berg zur Seite, genannt Cunnat (Samh. Cubbat) el-Higr ‚die Kuppel von Higr,“ in welchem der Wadi Dsu Wirlän (Jacút und Samhüdi: Rülän; Kämüs II, 416: Raulän) im Besitz der Suleim, mit vielen Dörfern und Palmenpflanzungen wie Calahä, (Calhä, Calahij, Calahajjä) am unteren Ende des Wadi Raudha ’Oreina, wo schon vor dem Islam ein Gehege für Pferde war; dorthin zog sich Sad ben Abu Waccác nach der Ermordung des Chalifen "Othmán zurück; indem er seinen Leuten verbot über irgend welche Vorkommnisse ihn zu benachrichtigen, bevor nicht alle Partheien sich ausgesöhnt hätten; ein anderes Dorf ist Tactud, zwischen beiden der Berg Odeima. Am

1) d. i. hohe Felsen, so Bekri hier im Text und im Alphabet unter زج‎ Jácát, Samhüdi und Kámás I, 13 el-Hiláa. . 555. 2) nach. Samhüdi in der Medinensischen Volkssprache el- Ha gr; Bekri voca- lisirt el-Hagar.

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obern Ende jenes Wadi liegen die Gürten el-Filág, wo die Leute im Frühjahr und Sommer, wenn es regnet, sich versammeln; es giebt dort weder Brunnen noch Quellen, aber viel stagnirendes Wasser, wie der Teich el-Magnabij, welcher von verschiedenen Arten von Dornsträuchen und Weidenbäumen umgeben, aber nur von zwei Seiten zugünglich ist. Ein anderes Wasser heisst Dsát el-Carnein, weil es zwischen zwei kleinen Bergen liegt; man kann nur mit Schöpfgefässen das Wasser herausschöpfen. Der Teich el-Sidra hat das reinste Wasser, aber ringsum keinen Baum. rst

Wer von hier der Richtung nach Mekka folgt, geht in dem Wadi "Oreifitán hinab, dessen Wasser von el-Rifda kommt; daneben zieht sich der Berg Oblá hin, welcher etwa vier Tagereisen von Medina entfernt ist. In diesem Berge sind viele Gewässer, wie der aus der Geschichte Muhammeds bekannte Bir Ma'üna ! zwischen dem Gebiete der Banu ’Ämir und der Harra der Banu Suleim, nicht weit von beiden, aber der Harra etwas näher; der Brunnen Dsu Gumägim (Gamägim,, Hamähim) eine Tagereise von 'Omak, Dsu Sûida und Dsul-Wasbá. Im Westen des Oblá liegt eine kleine Bergkuppe genannt el-Schaura (Jácút und Samhüdi: el-Sauda) den Banu Chufäf von Suleim gehörig; hier sind viele Quellen mit süssem Wasser, wie el-Ca’bia, und eine weite Fläche Landes, welches bestellt wird. Um den Besitz einer dieser Quellen, el-Názia?), welche besonders reichlich floss, stritten sich die Chufäf mit den "Amir lange Zeit; der Landesfürst bot, um den Streit beizulegen, einen hohen Preis um selbst in den Besitz derselben zu kommen, aber vergebens, und nachdem darüber viel Blut vergossen war, verstopften die Streitenden selbst die Quelle. |

Dem Oblä gegenüber nach Osten liegt der Berg el-Marca'a (Jáct: el-Mauca'a), der Aufenthaltsort vieler Steinbücke, am Fusse des- selben das Wasser Farán oder Fárán, welches seinen Namen hat von

1) Ibn Hischam, pag. 649. 2) Samhüdi ist der einzige, welcher darauf aufmerksam macht, dass diese Quelle

von dem gleichnamigen Orte bei el-Gafrä, in dessen Nähe Muhammed nach der Schlacht bei Badr die Beute vertheilte, verschieden sei. Histor.-philol. Classe. XVIII. Q

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einer Familie Farán ben Bali ben "Amr ben el-Häfi ben Cudhá'a, die aus Mesopotamien zurückkam, sich an die Familie "Ocajja ben Chufäf anschloss und sich besonders auf den Bergbau legte; denn hier sind die berühmten Bergwerke der Suleim Ma’ din bani Suleim, zugleich eine Hauptstation an der Pilgerstrasse von Kufa, 100 Meilen oder acht Post- stationen von Medina und 22 Meilen von Omak. Ausser Metall werden hier auch Lazursteine gefunden und es soll in jener Gegend in einem Jahre zweimal Winter und zweimal Sommer sein. In der Nähe ist das Land Sabáh mit schlüpfrigem Boden und das Wasser Dhab j. den Suleim und Gatafán gehórig; zehn Meilen davon nach Norden, westlich von der Strasse liegt der Berg Azwar. Am Fusse des Marca'a auf der Ostseite ist die Quelle el-Schakika oder Schafica, Schufeica, gegen Süden schliesst sich der Berg Ohämir an, der ins Röthliche fällt und mit Garb- und Gadhwar- Bäumen und Thumäm-Kraut bewachsen ist, und an der Pilgerstrasse folgt in geringer Entfernung nach Westen der Berg Habidh. Nach dieser Gegend liegen auch Burthum (oder Jar- thum), el-Achrab (Jäcüt: Charib) und Ti'ár, hohe Berge an denen nichts wächst und welche von Panthern bewohnt werden; in der Nähe des Tiàr giebt es kein Wasser.

Zwischen den Bergwerken der Suleim und Suwärikia liegen die beiden kleinen Anhöhen el-Schu'th und 'Oneizát und das Wasser Gurnuk oder Girnik und wenn man an der Quelle el-Názia vorüber ist, gelangt man zu den Gewässern el-Hadabija (Bekri: el-Hadanija oder el-Hudeiba); es sind drei Brunnen im Besitz der Chufäf bei denen nichts bebaut ist und keine Palme, kein Baum steht, in einer weiten Ebene zwischen zwei vulkanischen Feldern von drei Parasangen Breite und unbestimmter Länge, grösstentheils mit bittersalzigen Kräutern bewachsen. Dann kommt man drei Meilen von hier nach el-Suwärikia oder in der Deminutivform el-Suweirikia einem grossen, wohlhabenden und volkreichen Dorfe südöstlich von Medina, mit dem es, als an der Haupt- strasse von dort nach dem oben genannten Muslih liegend, im regen Verkehr stand, wesshalb das südliche Thor von Medina das Thor von Suwärikia hiess; es wurde indess in der Folge zugemauert und Samhüdi

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sah nur noch Spuren davon. In dieser Richtung eine müssige Tagereise von Medina hat im J. 654 (1169) ein grosser vulkanischer Ausbruch stattgefunden 1). Suwärikia hat eine Hauptmoschee mit einem Minbar und einen Marktplatz, welcher von Kaufleuten aus allen Gegenden be- sucht wird; da das Wasser dort etwas salzig ist, so wird süsses, weiches Wasser aus Brunnen von dem Wadi Suwärik und dem Wadi Abtun zugeführt. Die Einwohner treiben Ackerbau und eine bedeutende Pal- menzucht, ihre Anpflanzungen von Pisang, Feigen, Weintrauben, Granat- üpfeln, Quitten und Pfirschen reichen sieben Tagereisen weit bis an das Gebiet von Dharija und sie besitzen grosse Heerden von Kamelen, Pferden und Schafen. Der Ort gehört vorzugsweise den Suleim, aber nur die dort gebornen sind darin ansässig, während die vornehmeren Familien als Nomaden leben und an den Hauptstrassen von Higäz und Nagd die Pilger mit Proviant versehen. Es giebt aber auch in diesem ‚Gebiete noch mehrere feste Niederlassungen, wie der nach Medina hin nahe bei Suwärikia gelegene Ort Ahbäb oder Achbäb und auf der entgegengesetzten Seite neun Meilen von Muslih beginnend der Bezirk der drei Dörfer Nicjä, Kijjá drei Parasangen von Suwärikia und Hädsa, in dessen Nähe sich Löwen aufhielten, nicht weit davon das Wasser Calb. Diese drei Dörfer, zu denen von einigen noch ein viertes el-Muhdath gerechnet wird, führen auch nach einem Berge den ge- meinschaftlichen Namen el-Atm und: dazwischen liegt ein freies Feld, Nagil genannt, mit bestellten Aeckern, zu deren Bewässerung das Wasser auf Kamelen lhingeschafft wird. Diese Gegend war im Besitz der Gatafän, bis sie von den Suleint daraus verdrängt wurden. Ein anderes Dorf el-Malhä, nach einer Familie der Banu Heidän so be- nannt, einige Parasangen von Suwärikia, an dem Wadi Caurän, auch mit dem Zusatze Caurän el-Ricäf nach einem benachbarten Orte, in welches aus der Harra drei süsswasser Bäche fliessen, hat Palmen und Baumpflanzungen und ist von Hügeln umgeben, welche nach einem grossen Teiche in ihrer Mitte den Namen Hügel von Dsu Magar

1) s. Geschichte d. St. Medina, S. 18. 0

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führen. Oberhalb dieses Teiches ist das Wasser Lith oder Lacf eine Parasange von Suwärikia aus vielen süsswasser Brunnen entstehend, aber ohne bestelltes Land, weil der Raum zu eng und der Boden zu hart ist. Darüber ist das Wasser Schass, ebenfalls aus vielen Brunnen bestehend, und über diesem der Brunnen Dsät el-Gár etwa drei Para- sangen von Suwärikia, der reichhaltigste und grösste von allen, womit ihre Felder bewässert werden. Gegenüber liegt der sehr hohe Berg Acräh, auf welchem nichts wächst, welcher aber zahlreichen Panthern und Steinbócken zum Aufenthalt dient. An der Strasse von Atm nach Suwárikia liegt auch der Ort Iran.

Von el-Malhá gelangt man oberhalb Suwárikia zu dem Berge Mugär (Bekrí: Mun), in dessen Innerem sich mehrere Quellen be- finden, wie die Quelle el-Haddár, welche mit reichlichem Wasser her- vorsprudelt, zur Seite zwei schwarze Abhünge, am Fusse des einen das salzige Wasser el-Rifda rings von burgühnlichen Schlóssern und Palm- pflanzungen umgeben, in deren Schatten der Wanderer sich niederlässt. Das Alles gehórt den Banu Suleim und liegt an dem Wege der Zubeida, welchen sie Munaccá Zubeida „die (von Steinen und Gebüsch) ge- süuberte Strasse der Zubeida‘‘ nennen, zum Unterschiede von Munaccä zWischen Medina und dem Ohod (s. oben S. 116).

Neben el-Rifda mit seinem Salzboden und nicht weit von Suwárikia liegt der hohe Berg Schuwáhit, wo ebenfalls Panther und Steinbócke hausen und von welchem viele kleine Büche herabkommen, an denen Gadhwar-Strüuche und Thumám-Kráuter wachsen; er ist durch ein Treffen zwischen den Banu Muhárib und Banu ^Àmir bekannt!) Daneben folgt der Wadi Birk reich an Gewüchsen, besonders an stachlichten Salam- und 'Orfut- Bäumen, und darin das Wasser el-Buweira von süssem, angenehmem Geschmack. Hier ist auch der hohe Berg Burs gleichfalls von Panthern und Steinböcken bewohnt, daneben der Wadi Beidhän mit vielen Brunnen, an denen die Banu Chuzá'a Niederlas- sungen hatten und das Land bebauten, woraus sie von den Banu el-

1) Reiske, primae lineae hist. regn. Arab. pag. 235 u. 242.

DAS GEBIET VON MEDINA. 125

Scharid ben Suleim vertrieben wurden, welche auch das Wasser el- Nakischa in Besitz nahmen. Zur Seite liegt der Ort (Berg) Cahn im Lande der Suleim über Suwárikia mit dem Gewässer Habäal); es sind viele Brunnen, die schrüg unter einander gegraben sind, so dass der eine sich in den anderen ergiesst, mit süssem, wohlschmeckendem Wasser; hier wird Weizen, Gerste und ähnliche Getreide gebaut.

Ein anderes. Wasser el-Risás genannt, aus einem einzigen Brunnen bestehend, ist sehr reichhaltig, aber es kann daneben nichts bebaut werden, weil der Platz zu beschränkt ist. Unterhalb Beidhán und über Suwärikia liegt ein Ort Namens el?lc mit dem Wasser Dsinábat- (Jácát: Dsanabän-) ell €, wo sehr viele Salam- und Dhál-Báume wachsen, woher der Name ’Ie d. i. Dickicht. _ Daneben liegt der oben genannte schwarze Berg el-Harräs, auf welchem nichts wächst, an seinem Fusse das stagnirende Wasser Huwäk oder Hiwäk, den Banu Suleim ge- hórig, dann folgt der Berg Sitár, wie oben erwühnt ist.

Die Suleim wohnen noch weiter nach Norden hinauf, hier aber meist mit anderen Stámmen gemischt, wie der folgende Abschnitt zeigen

wird.

IIl. Die Landschaft el-Rabadsa.

Auf der nórdlichen Hauptstrasse von Medina ist hinter der ersten Station bei el-Taraf der nächste Ort el-Suweidä, zwei Tagereisen von Medina, dann nähert man sich der Gränze zwischen Higäz und Nagd bei dem Berge el-Aswad, welcher hier genau die Scheide bildet, so dass die eine Hälfte zu diesem, die andere zu jenem gehört; es ist ‚ein hoher Berg, auf welchem aber nichts. wächst als Futterkräuter wie eillijän und gadhwar. Nicht weit davon ist die zweite Pilgerstation Batn-Nachl in Nagd gelegen, wohin Muhammed den vergeblichen, sogen. Zug Dsát el-Rik gegen die Banu Muhárib und Thalaba von Ga-

1) nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen berühmten Schlachtfelde in Scharabba.

126 F. WÜSTENFELD,

tafan unternahm 1); dies Nachl?) ist ein Dorf in dem Wadi Scharg, von Fazára, Aschga, Anmär, Cureisch und Ancár bewohnt. Zur Linken von Batn-Nachl soll das Land el-Gamüm liegen, wohin Muhammed den Zeid ben Háritha gegen die dort ansässigen Suleim sandte 5), und wäre dies dann die nördlichste Niederlassung derselben gewesen. Bei Batn-Nachl theilt sich die Hauptstrasse nach zwei Richtungen, nord- östlich nach Feid und östlich nach el-Rabadsa, wohin der Weg über die kleinen weissen Hügel el-Afáhid führt in die Ebenen von Chur- gän, wo an dem Wasser Mahgür Parkanlagen gemacht sind; in dieser Gegend liegen auch die Wasser el-Hisä, die den Fazára gehören. Der mittlere Theil von Nagd, welcher durch zahlreiche Quellen und Brunnen der fruchtbarste war, zerfállt in drei Gebiete oder Land- schaften: Dharija®), Rabadsa und el-Schureif d. i. klein Scharaf; die beiden letzteren heissen auch das Gehege zur Rechten und das zur Linken und beide trennt der Wadi Tasrir, so dass el-Schureif nach Westen und el-Rabadsa nach Osten liegt; Dharlja und Rabadsa werden auch unter dem gemeinschaftlichen Namen el-Scharaf begriffen. Von dem Dorfe Rabadsa, drei bis vier Tagereisen von Medina an der Haupt- strasse von Feid nach Mekka und eine der schönsten Stationen der Pilger zwischen Mugitha-Mäwän und Salila 5), von beiden ziemlich gleich weit 24 bis 26 Meilen entfernt, hat die Landschaft den Namen „das Gehege von Rabadsa‘ erhalten. Rabadsa, Schucra und Zarüd

1) Ibn Hischäm, pag. 975.

2) an der Stelle des heutigen el-Henakie, wo Capt. Sadlier von der Haupt- strasse nach Westen sich wandte.

3) s. Ibn Hischäm pag. 975.

4) vergl. die Abhandl., »die Strasse von Bagra nach Mekka mit der Landsch. Dharija«.

5) Jácát II, 749 hat unrichtig »zwischen Salila und 'Omak« aus Nagr ent- nommen, und Samhüdi, welcher den Nagr gleichfalls citirt, fand in seinem Exem- plare den Namen العف‎ ’Omak in العقيقف‎ el Akîk verschrieben und macht deshalb einen Zusatz »zwischen Salila und dem ’Akik, welches bei Dsät "Irk liegt«, wodurch noch mehr Verwirrung entsteht.

DAS GEBIET VON MEDINA. 127

waren nach der Sage Tóchter des Jathrib ben Cánia und nach ihnen sind drei Orte benannt. Rabadsa mit dem Marktplatze Süca- Ahwá ist bekannt als Geburtsort des Gundub ben Gunáda Abu Dsarr el-Gi- fárí, welcher zu Muhammed kam und den Islam annahm und dadurch das Beispiel für seinen Stamm gab. Auf dem Zuge nach Tabük wurde sein Kamel so hinfällig, dass er ihm das Gepäck abnehmen und selbst auf dem Rücken tragen musste; so folgte er dem Zuge und als ihn Je- mand sah und sich an Muhammed wandte mit den Worten: ,,da geht ein Mann zu Fuss des Weges“, sagte Muhammed: das muss Abu Dsarr sein“, und als die Leute ihn näher ansahen, sprachen sie: „bei Gott! er ist es“, worauf Muhammed den Ausspruch that: ,Gott erbarme sich des Abu Dsarr! er geht zu Fuss allein, stirbt allein und wird allein auferweckt werden‘. Dies ging in soweit in Erfüllung, dass Abu Dsarr in Folge eines Zwistes mit dem Chalifen Othmán aus Medina ausgewie- sen wurde und bloss von seiner Frau und einem Sklaven begleitet sich nach Rabadsa zurückzog und dort im J. 32 (652) starb. Er hatte in dem Orte neben dem Brunnen der Moschee den Brunnen el-'Urf ange- legt. Die Einwohner gehürten zu den Banu Sad ben Bekr ben Fa- zára und die Familie el-Zubeir hatte dort Besitz. lm J. 319 (931) war ein Streit mit den Bewohnern von Dharija ausgebrochen, diese riefen die Carmaten zu Hülfe, welche den Ort, nachdem die Einwohner abge- zogen waren, zerstörten. Ganz nahe bei Rabadsa liegt der Berg "Áids und nach der Seite von Scharabba das Wasser Dhallál Auf einem anderen Berge Marwán in der Umgegend von Rabadsa stand eine Burg, welche nicht lange vor Muhammed von Gäbir ben Mälik gen. el-Schuleil erbaut und nach ihm 'Acr Banu Schuleil benannt war.

Der Chalif Omar ben el-Chattáb hatte jene Gegend als unverletz- lich nur zur Weide für die als Abgabe oder als Geschenke eingehenden und für den Kriegsdienst bereit gehaltenen Kamele bestimmt. Dies tstation (Baríd) lang und ebenso breit, den Chabira im Norden von Rabadsa, ben besassen die Banu Thalaba

Gebiet war anfangs eine Pos Mittelpunkt bildete das Wasser el- an welchem die Gatafán wohnten, dane

ben Sa'd ben Dsubján ein Wasser und die Aschga einen Brunnen. Die

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Berge dieser Gegend sind die ersten dieses Geheges, welche man von Medina her als Nebelbilder in der Ferne liegen sieht. In der Folge wurde es durch die Statthalter von Medina um das Doppelte vergróssert ; als aber zur Zeit des Chalifen el-Mahdi die Benutzung des Gebietes freigegeben wurde, schickten die Medinenser ihr Vieh dorthin auf die Weide. Zwar suchten Gafar ben Suleimán el-Abbásí wührend seiner zweiten Verwaltung von Medina im J. 163 (779) und Abu Bekr Bakkár el-Zubeirí,: gest. im J. 195 (810) das alte Recht aufrecht zu halten, um . es nur für ihre eigenen Kamelheerden zu benutzen; nachdem indess der letztere von seinem Posten entfernt war, ist das Verbot von keinem wieder erneuert.

Dieses Gebiet!) ist von Bergen eingeschlossen, deren erster Rah- rahán?) im Westen von Rabadsa und 24 Meilen oder zwei Barid von da entfernt liegt und von den Banu Thzlaba ben Sad bewohnt wird; der Berg hat viele schwarze Spitzen mit tiefen Spalten, am Fusse dehnt sich eine Ebene aus, in welcher weisse Disteln wachsen. Hier wurde vor dem Islam in dem Kriege der Keis eine grosse Schlacht geschlagen). Die nüchste Trünke von hier an der Strasse von Feid, el- Kadid, hat uralte Brunnen mit süssem Wasser; dort wurde Rabia ben Mukaddam durch Nubeischa ben Habib getödtet ^); sie gehört den Banu Näschira, einem Zweige der Thalaba, welche hier noch ein anderes Wasser A w a'g mit mehreren nicht ausgemauerten und einem grossen ausgemauerten Brunnen besitzen. Drei Meilen von el-Kadid kommt man an den Berg

1) Ich gebe diese Beschreibung, wie sie sich in diesem Zusammenhange bei Bekri und zum Theil auch bei Samhüdi findet, nur dass ich aus den einzelnen Ar- tikeln bei Jäcät Einiges zur Ergänzung hinzugesetzt habe; die Lage der einzelnen Berge zu einander ist aber nicht ganz deutlich.

2) Es ist ein arges Versehen, dass Jácát den Rahrahän in die Nähe von "Okàdh verlegt, was noch dadurch recht auffällig wird, dass er in derselben Zeile richtig die Gatafän als seine Bewohner angiebt. Die unrichtige Angabe rührt indess von älteren Autoren her, vergl. Meidäni, Tom. IH. pag. 326. Arab. prov. T. III. p. 558.

3) s. Reiske, primae lineae hist. Arab. p. 210. Ibn el-Athir I, 411.

4) Diese fehlerhafte Angabe kommt bei Bekri und Samhädi vor; der Ort, wo Rabi’a getódtet wurde, ist el-Kadid zwischen Amag und ’Osfän; s. Hamäsa pag. 411.

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DAS GEBIET VON MEDINA. 129

el-Sad, wo einige feste Wohnungen stehen mit einem Marktplatze und süssem Wasser; in der Nähe liegen die beiden Berge Badr und Arm ûm, drei Tagereisen (nicht drei Meilen, wie bei Jácát) vou Medina. An den Rahrahán grünzt auf seiner Westseite der Berg el-Giwä im unteren Theile von 'Adana an der Strasse von Rabadsa nach Medina, von Rabadsa 21 Meilen entfernt und von Banu ’Abs bewohnt; hier giebt es kein Wasser, das nächste ist drei Meilen weit, el-'Azzáfa genannt, bei Abrac el-Azzáf 12 Meilen !) von Medina im Besitz der Regie- rung. Auf el-Giwá folgen die Berge el-Cuhb in einer schönen Ebene, in welcher weisse Disteln wachsen, eine der besten Gegenden dieses Geheges etwa ein Barid von Rabadsa, wo die Banu Thalaba und Anmár ihre Wohnsitze haben, links von der Hauptstrasse von Feid nach Medina und rechts von der Sfrasse von ’Iräk nach Mekka. Das nächste Wasser von da heisst schlechthin el-G afr „der Brunnen“ d. i. Gafr el- Cuhb und wird von dem Dichter Wazir ben el-Gad, Bruder des Cachr ben el-Ga’d el-Chadhirí in den Versen erwähnt: Ich sah ziemlich früh, als die Sonne eben aufgehen wollte, mit den Augen eines Habichts mit weiten Schwingen, der auf Alles achtet, was sich bewegt, Nach Gafr in dem Grunde des Cuhb unter mir,

während el-Gurajjib und el-Batil noch verhüllt waren. Der Wadi Batil wird von Dsubján bewohnt. An el-Cuhb stösst rechts von der Strasse nach Mekka ein schwarzer Berg genannt Aswad el-Buram 20 Meilen von Rabadsa im Lande der Banu Suleim, wo schwarze Steine gebrochen werden, aus denen man buram Töpfe ver- fertigt; das nächste Wasser zwei Meilen weit sind die Brunnen, welche el-Mahdi graben liess und welche den Namen Dsu Bacar haben. Hierauf folgen links von der Strasse zwei Berge Arüm oder Urüm, auch Gandüra genannt, und Aräm in der Kibla (Richtung nach Mekka) von Rabadsa im Lande der Suleim, wo el-Hafäir liegt und ausserhalb des Geheges der Berg Schäba zwischen Rabadsa und Salila (?) gegen-

1) Diese Angabe bei Jácát III, 667 ist offenbar viel zu gering. Histor.-philol. Classe. XVIII.

130 : F. WÜSTENFELD,

über el-Schwaiba innerhalb des Wadi Rumma; el-Cattäl el-Kiläbi sagt: Ich liess Ibn Habbár an der Thür stehen,

am Morgen lag vor mir Schába und sein Urüm. Und Abu Dawûd el-Ijädi sagt: : Verlassen ist von meinem Stamm, der hin und herzieht, -

Ti’är, dann Arüm, dann Schába, dann el-Sitär. Das nächste Wasser von Arüm, mit Namen Dsabdsab, liegt innerhalb des Geheges und ist 12 Meilen von Rabadsa entfernt. Dann folgen die Berge von el-Ja'mala 13 Meilen von Rabadsa mit so ergiebigen Wasserquellen in dem Wadi el-Ja' mala, dass ein Dichter davon ver- gleichsweise sagt:

Wir haben gegraben für die Pilger den Brunnen Sunbula (in Mekka);

wie Regen aus Wolken, den der Erhabene sendet,

giesst er Wasser aus gleich dem Wasser von Jamala. Die Banu Suleim und Muhárib, welche hier wohnen, haben gleichen Theil an diesem Wasser. Hinter dem Jamala im Lande der Suleim aber ausserhalb des Geheges liegt der Ort el-Scharabba zwischen Rabadsa und Máwán in dem Winkel, der durch die beiden Wadi Rumma und el-Garib gebildet wird, von denen sich der letzte in den ersten ergiesst, und in seinem oberen Theile bis nach Haziz reicht. einem Wasser der -Banu Mubárib, welches von Samirá an der Strasse von Feid kommt; Andere rechnen das ganze Land zwischen Batn Nachl und den Bergwerken der Suleim zu Scharabba. Es wird von den Abdallah ben Gatafán bewohnt und ist die külteste Gegend in Nagd; darin liegen die beiden Berge Hibirr und Wähib, die Hügel el-Calib, der Ort Mureikib, der Brunnen Gafr el-Habäa und nach Batn Nachl zu das Wasser el-Ja marija, eine Gegend, welche in dem Kriege Dähis und Gabrä mehrmals der Schauplatz grosser Schlachten gewesen ist !). Das Wettrennen, welches diesen 40jährigen Krieg veranlasste, fand statt

1) s. Kitäb el-Agäni. Tom. XVI. pag. 32. Reiske, primae lin. pag. 226. Ibn el-Athir I, 420.

DAS GEBIET VON MEDINA. 131

im Gebiete der 'Abs an dem Wasser el-Icad in einem Thale zwischen den rothen Hügeln el-Calib, welches den Namen Schi'b el-Heis er- hielt, weil Hamal ben Badr dort einige Krüge mit heis d. i. einem aus Datteln, Butter und saurer Milch zubereiteten Gerichte hingestellt hatte als Getränk für die Leute, welche den Hengst Dáhis vom Ziele ablen- ken sollten, wenn er die Stute Gabrá überholte; und so kam es. Der Wadi Rumma macht hier zugleich die Grünze zwischen Scharabba und dem Gebiete 'Adana, indem jenes an der östlichen, dieses an der nördlichen Seite desselben liegt; in 'Adana finden sich die Bitterwasser Ocor den Gatafán, Kuneib den Banu Schamch von Fazára gehórig, "Oreitinát, el-Zaurä und ’Oräir und der Berg el-Firs eine Tage- reise von el-Nacra im Besitz der Banu Murra ben ’Auf. Zu Scharabba gehören das salzige Wasser Guschsch-A’jär auf der Seite von "Adana, der Ort Catan, der Ort Hämir bei Urul im Gebiete der Gatafän, wo dieses an die Banu "Udsra gränzt, der Wadi Dsu Huså, wo Gata- fån und "Abs wohnen, und der Brunnen Sadija mitten in Scharabba im Besitz zweier Trupps der Banu Asad, da wo die Wohnungen der Muhárib und Gatafán zusammenstossen.

An den Jamala schliesst sich links von der Strasse nach Mekka eine rothe Hügelreihe Cawäni genannt, einzeln im Singular Cania,. auf einem Felde mit schwarzen vulkanischen Steinen, den Banu Suleim gehörig, 12 Meilen von Rabadsa; das nächste Wasser von dort heisst el-Chidhrima. Auf diese Hügel folgt ein säulenartiger Berg, 'Amüd el-Muhdath ‚‚die Säule von Muhdath*, von Muhdath, einer nach Sonnenaufgang befindlichen Quelle so benannt, 12 Meilen von Rabadsa, wo die Familie Chudhr vom Stamme Muhärib ben Chagafa lagert, deren Verwandte Nacr ben Mu'áwia das nächstgelegene Wasser Hafira Nacr besitzen. Dann folgt in einer weiten Ebene 'Amüd el-Ac’as „die Säule el-Adas", an deren Fusse die Quelle A c'asija entspringt, gleich- falls den Banu Muhärib gehörend, zwei Barid oder 14 Meilen von Ra- badsa; dann in gleicher Entfernung und demselben Stamme gehórend die lang ausgedehnten Hügel el-Bulus (Jácút: Balas), der Sammelplatz von Strolchen, 20 und etliche Meilen von Rabadsa. Dann kommen

R2

132 F. WÜSTENFELD,

schwarze Kegel genannt el-Hamäza links von der Hauptstrasse in einer flachen Gegend im Lande der Thalaba, welche hier Brunnen aus vorislamischer Zeit besitzen, 18 Meilen von Rabadsa, dazwischen an der Strasse von Máwán die Hügel Sanâm mit dem Wasser Schucar, 15 Meilen von Rabadsa. An el-Hamäza schliessen sich andere Kegel genannt el-Häribija!) im Besitz der Banu Thalaba, wo auch die Banu Näschib ein Wasser haben, 14 Meilen von Rabadsa. Nahe dabei sind die lang ausgedehnten rothen Hügel Hadhb el-Manhar eben- falls im Gebiete der Thalaba links von der Strasse in einer flachen Ge- gend, welche Hakam el-Chudhri in dem Verse erwähnt: Oh meine Freunde! habt ihr nicht den Blitz beobachtet, von dem el-Curäd erglänzte und die Hügel el-Manhar? Fort zieht die Wolke und steigt immer höher hinan gleich einem edlen, schwerbeladenen Kamele auf weichem Boden. Hier liegt auch der rothe Hügel Teiman im Gebiete der Muhärib oder Fazära nahe bei Rabadsa, welchen derselbe Dichter erwähnt, mit dem unebenen Felde Dsul-Nubäh zur Seite, und an den Manhar reiht sich wieder der Rahrahän, zwischen beiden el-Chabira, von wo die Be- schreibung ausgegangen ist.

Zwischen den drei Bergen Rahrahan, el-Curäd mit dem Orte el- Cureid, wo die Thalaba ben Sad wohnen, und el-Dähina liegt das Wasser el-Thämilija im Besitz der Banu Aschg@, daneben der Berg el-Maraurät, bekannt durch eine Schlacht, worin die Banu Dsubjän die ’Ämir besiegten, und im Westen des Rahrahan heisst ein Berg Abräc, vielleicht einerlei mit Burca Rahrahan. Zwischen el- Rabadsa und Dharija liegt der Ort Dhilz el-Ganafä und der Berg

1) el-Häribija bei Jacut IV, 945, ein kleines Wasser nach den Banu Hä- riba ben Dsubjän benannt, einer kleinen Familie, welche wegen eines Streites sich von ihrem Hauptstamme Gatafän trennte und sich unter den Banu Tha’laba nieder- liess, zu denen sie dann gezählt wurde. So hat auch Samhüdi den Namen in die- ser Gegend, so dass el-Hädinija bei Bekri fehlerhaft ist.

DAS GEBIET VON MEDINA. 133

el-Garid am Ende des Wadi Garib, welcher sich in den Rumma er- giesst, von Muhárib und Fazára bewohnt.

Von Rabadsa kommt man auf der Pilgerstrasse nach Norden an dem Wasser el-Qulgula vorüber, welches den Muhárib gehórt, und gelangt dann bald zu der Station am Wasser Mäwän bei dem Berge Mugitha, daher Mugitha-Mäwän zum Unterschiede von Mugitha, der dritten Station von Kufa auf dieser Strasse. Bei Mäwän sind viele Brunnen mit Namen Bidha an den Bergen Odeima und el-Scha- cadsän und über Mäwän erhebt sich der dicke Berg Scha’r, worin die Suleim den Bergbau betreiben; zwischen hier, el-Nacra und den beiden Bergen Abän wohnen die Banu "Abs.

Von Máwán nach el-Nacra werden 90 oder 27 Meilen gerechnet; bei el-Muhdath, sechs Meilen vor Nacra, ist ein Lagerplatz, wo die Fürstin Zubeida ein Schloss mit mehreren Thürmen hat erbauen lassen, daneben ist ein Teich und zwei Brunnen mit süssem Wasser. Auf fünf Meilen von Nacra passirt man den Wadi Dsu Hurudh, wo die Abd- allah ben Gatafän wohnen, dann den Ort Angal und in diese Gegend scheint auch der Berg Áil zu gehören. el-Nacra selbst hat einen Teich nnd drei grosse Brunnen, von denen einer von dem Chalifen el- Mahdi, zwei von el-Raschid angelegt sind; mehrere kleine Brunnen, welche den Nomaden-Arabern gehören, werden bei einem grösseren Zu- sammenfluss von Menschen bald leer geschöpft; ihr Wasser ist süss, die Seile 30 Ellen lang Der Ort wird von zwei Bergen umschlossen, dem schwarzen und dem rothen Arik; die Hälfte des einen gehört den Muhärib, die andere Hälfte den Banu el-Cädir von Suleim. Auch hier sind wieder Bergwerke, die etwas zur Seite liegen, so dass von dem weiter unten zu nennenden Orte Caraurá zwei Wege abgehen, der eine zur Linken grade auf Nacra zu, der andere zur Rechten nach den Bergwerken, Madin el-Nacra. Abseits von der Strasse eine Tage- reise von Nacra ist das Wasser Dhu beij. el-Nacra ist ein Knotenpunkt, indem hier nicht nur die Pilgerstrassen von Mekka und Medina zusam- um nach Kufa weiter zu gehen, sondern auch von hier ein

mentreffen, dem einzeln stehenden Berge Dhabu im Gebiete der

Weg östlich an

134 F. WÜSTENFELD,

Gatafän vorüber nach el-Nibág an der Strasse von Baçra, ein anderer westlich nach Cheibar und Fadak führt.

Von Batn-Nachl an dem Orte el-Schibäk vorüber im Gebiete der Banu Ganí ben A’cur führt ein Weg durch die Wüste nach Bacra, dessen Richtung indess nur sehr unbestimmt angegeben wird. Zunächst kommt man an die oben erwähnte Station Abrac el- Azzáf mit einem Wasser im Besitz der Banu Asad ben Chuzeima; der Name wird von 'azlf „Geisterstimmen‘, welche man darin hört, abgeleitet. Hierauf folgt das Wasser Haumänat el-Darrág rechts am Wege nahe bei Cunna, einem Lagerplatze der Banu Asad, dann das Wasser el-Keicüma, eine Tage- und eine Nacht-Reise östlich von Feid und vier Tagereisen von el-Nibág, und eine Meile davon entfernt das Wasser Dagnija, zwischen beiden ein Hügel, von dessen Höhe man beide sehen kann, am Rande der Wüste, welche sich an dem Hazn der Banu Jarbi hin- zieht; sie werden zusammen in der Dualform des letzteren el-Dagni- jatän genannt und gehören den verbrüderten Stämmen Bekr und Tha- laba ben Sad ben Dhabba; jedes von beiden hat über hundert Quellen und ebenso reichlich ist das am jenseitigen Rande der Wüste gelegene Wasser Tischär, welches gleichfalls im Besitz der Thalaba zu dem Gebiete el-Waschm gehört. Von el-Keicüma ist das nächste Wasser el-Wacabä, wo mehrere grosse Schlachten zwischen Arabischen Stäm- men geschlagen wurden; drei Meilen von hier ist das Wasser el-Dhag ù und weitere drei Meilen 1) el-Salmán an dem Wege von Kufa nach Bacra.

Auf der nórdlichen Strasse von Batn-Nachl hat man zwei Tage oder 36 Meilen bis zu der Station bei dem Wasser el-’Oseila am Berge el- Canán, an welchem auch die Wasser el-Tarmus und Schirk, den

1) Vermuthlich ist statt drei Meilen beide Male »drei Tage« zu lesen; wenn Jácát II, 554 gegen die Angabe des Nagr das Bedenken äussert, dass el-Waschm (nicht Woschem, wie auf unseren Karten) mitten in Jemáma liege, so hat er selbst IV, 930 das Richtige, dass es zwei Nachtreisen davon entfernt ist, da das Gebiet Dharija dazwischen liegt.

DAS GEBIET VON MEDINA. 135

Banu Asad gehörig; ein anderer Berg in dieser Gegend, Hibs oder Hubs, (woraus Gibs sicher nur verschrieben ist, stösst an das Hoch- land der Gatafán. Von el-Oseila sind 46 Meilen, welche ebenfalls in zwel lagen zurückgelegt werden, bis el-Nacra.

Die nächste Station hinter el-Nacra auf der Strasse nach Kufa ist el-Gal’ä, bekannt aus der Geschichte des Doreid ben el-Cimma, wel- cher, um den Tod seines Bruders Abdallah zu rächen, dort die Gatafän zu überfallen dachte, jedoch waren sie schlauer Weise bereits abgezogen !). In der Nähe liegt an der Westseite der Strasse der Berg el- Chaschbá, Etwa zwölf Meilen von Nacra kommt man an den Brunnen el- Hasaní vorüber, welcher von der Fürstin Zubeida angelegt worden ist; dieselbe hat auch sechs Meilen weiter bei dem oben erwähnten Orte Caraurá, zwölf Meilen diesseits el-Hägir, einen Teich graben lassen, wo auch ein Schloss steht mit einem Brunnen mit süssem Wasser, dessen Seil etwa 40 Ellen lang ist; auch das salzige Wasser el- Caradija ist auf dieser Strecke. - Zwei Meilen vor el-Hägir ist bei dem Orte Akamat el- "?Ischrik die 36ste Poststation auf der Pilgerstrasse von Bagdad.

Nahe bei el-Hägir war el-Bucáta?) der Lagerplatz der Banu Fazára, wo Málik ben Zuheir, der Bruder des Keis ben Zuheir, getódtet wurde, wodurch der Krieg Dähis und Gabrá zum Ausbruch kam. Im Westen von Hägir liegt der Berg Canä, von den Banu Murra von Fazära bewohnt, wo ihr Gebiet an das der Tajji am Berge O wáridh anstösst; bei Dichtern werden diese beiden Berge zusammen in der Dualform des ersten Canawán genannt; auf der Südseite haben die Murra die Parkanlagen el-Rubáb und nach Norden schliessen sich die beiden kleinen Berge Cáiratà Caná an.

Auf der Ostseite zwischen Nacra und Hágir liegt der runde Berg Catan im Gebiete der Banu 'Abs, wohin Muhammed ein Corps unter

1) Dies drückt Doreid selbst in einem Gedichte aus, s. Jacut II. 414, 15; e dass er erst in einer anderen Schlacht einen Sieg erfochten haben muss; vergl. Kitáb el-Agäni IX, 3—6. Reiske, primae lineae hist. Arab. p. 247.

2) Hamása pag. 449 el-Lufádha.

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Abu Salama ben Abd el-Asad aussandte, wobei Mas'üd ben 'Orwa um- kam 1). Der Berg ist sehr reich an Quellen und Bächen, an denen zahl- reiche Palmenanpflanzungen gemacht sind, wie el-Sulei, el-A dfág, el-Thajjila, el-Akira, el-Mimhá, el-'Imára, el-Gureira mit dem Wadi el-Gureir, welcher sich nach Osten in den Wadi Thádik ergiesst, der sich dann mit dem Wadi Rumma vereinigt; ferner das Wasser Habgará mit dem Wadi Dsu Habgarä auf der Nordseite des Catan im Besitz der 'Abs, wo auch der Ort Cuheir liegt, und der Wadi Chaww, welcher zwischen den beiden Bergen el-Tin&n, an dem die Banu Facas wohnen, durchfliesst und sich in den Wadi Dsul- 'Oscheira ergiesst, an welchem die Banu Abdallah ben Gatafán einige Gewässer und Palmenpflanzungen besitzen; der Dsul-Oscheira wendet sich dann nach Süden und ergiesst sich in den Rumma; oberhalb des- selben ist der Wadi Mubhil el-Agrad, worin der Brunnen Bir Banu Bureima, in dessen Nühe die Abdallah ben Gatafán am Berge el-Mugeimir die Bergwerke Ma'din el-Bir besitzen. Nördlich von dem Catan erhebt sich die Bergspitze Dsu Farkein und der Berg Mischhads. |

Die Station el-Hägir ist von Nacra 30 Meilen entfernt; hier fand ein Treffen statt zwischen den Banu Fazára und Banu "Ämir, in welchem die letzteren in die Flucht geschlagen, aber der Anführer der ersteren, Hicn ben Hudseifa ben Badr von Kurz el-Okeilí getödtet wurde. An der Strasse nach Kufa ist das nächste Wasser Dsät el-Oneik und eine Meile seitwürts von diesem, vier Meilen von Hägir im Gebirge, westlich von dem Wege (von Bacra), der Wadi el-Nasch- näsch im Gebiete der Banu Numeir ben 'Ámir, wo zwischen den Banu 'Okeil und Banu Hanifa eine Schlacht vorfiel, in welcher die letzteren in die Flucht geschlagen wurden, so dass sie sich über den Berg Gumrán zurückzogen. Weiterhin auf der Strasse kommt man an das Wasser el-Hámidha, wo die Banu Abu Bekr ben Kiläb wohnen, und den Brun- nen Hulwa mit süssem Wasser, dessen Seil zehn Ellen lang ist, und

1) Ibn Hischám pag. 975.

DAS GEBIET VON MEDINA. T1

von hier bis el--Abbäsija!), wo zwei Schlösser erbaut sind und von der Fürstin Zubeida ein Teich angelegt ist, sind sieben Meilen, dann nach el-Huseinija drei Meilen; man passirt auf dieser Strecke den Berg Barräk. |

Der Ort Samirä (nicht so gut Sumeirä), 30 Meilen von Hägir, von schwarzen Bergen und Hügeln umgeben, woher es den Nauen hat (asmar schwarz und weiss), ist aus der Geschichte besonders dadurch bekannt, dass der Pseudoprophet Tuleiha hier seine Anhänger sammelte, dann aber von Chälid ben el-Walid geschlagen wurde?) Vier Meilen von Samírá erreicht man el-Sucjä, einen Teich in einer Ebene mit festem Boden; dicht an der Strasse gegen Osten sind die Wasser el- Achraga, Oräta im Besitz der Banu ’Omeila, el-Dahäsa, el-Zu- geiba, el-Tammähija und Haziz-Muhärib; der Wadi Thalabüt, welcher den Wadi Armám aufnimmt, macht hier die Gränze zwischen den Tajji und Dsubján und ergiesst sich in den Rumma; auf der West- seite der Strasse ist der Brunnen Talüb, das Gegentheil von seinem Namen „tief‘‘, da das Wasser mit einem kurzen Seile geschöpft werden kann, und das Wasser Gusla am Berge Gusl.

Der Berg Habaschä liegt von Samirä gegen Osten, dort leben verschiedene Familien der Asad zusammen und er ist von mehreren Gewässern umgeben. Der Weg von Habaschá führt zunächst nach el- Chawwa, wo die Hárith ben Thalaba wohnen, dann nach el-Scha- baka, el-Ragí'a, el-Dsanaba und Thaläthän. Hier liegt auch der Berg el-Rabäf, nicht weit von dem oben genannten el-Tín, und der Ort Wäridät, bekannt aus dem Kriege Basüs zwischen den Bekr

und Wäil, weil dort Bugeir ben el-Härith seinen Tod fand 5). Ein es fasst in zwei Versen die Namen zusammen: Ein zuckender Blitz schreckte mich auf diese Nacht, unter ihm lagen die beiden Tin und Rabär.

1) Es scheint, dass daraus 61-0 روط ؤم‎ von dem etwa dasselbe gesagt wird,

verschrieben ist. 2) Ibn el-Athir Tom. IL pag. 260. 3) s. Reiske, primae lin. pag. 188. 195. S

Histor.-philol. Classe. XVIII.

198 F. WÜSTENFELD,

Dann Wáridát, Canê und el-När, und von dem Gipfel des Rammán der hohe Bergzug.

Von Samirä führt der Weg nach Kufa an dem Berge el- Hamma vorüber, dort steht eine Moschee und mehrere Thürme; östlich liegt der Berg Tamíja, die beiden schwarzen Hügel el-Garratän und der Berg el- Gamr, der noch weiter nach Osten an den Å dsina grünzt, auf welchem etwa 20 Meilen von Feid entfernt die Grenzzeichen des Geheges stehen; der Ädsina stösst dann an den oben genannten Ha- baschá. Drei Meilen von Tüz liegt der Berg el-Nubeitä.

Am Berge Tüz 24 Meilen von Samirä ist eine Hauptstation der Pilger; nicht weit davon an der Strasse muss der Ort Lah j-Gamal liegen, da er 10 Parasangen von Feid entfernt sein soll; daneben ist dann der Berg Achram vier Meilen von Tüz und auf elf Meilen von Feid erreicht man den Brunnen el-Curnatän!) mit salzigem trübem Wasser zehn Ellen tief und einem runden Teiche.

IV. Das Gebiet von Feid und die beiden Berge der Tajji.

Die Stadt Feid etwa 30 Meilen von Tüz hat nach der Sage ihren Namen von Feid, einem Sohne des Häm, welcher sich hier zuerst nie- derliess. Nach el-Saküni bei Jäcüt liegt Feid auf der Mitte des Weges von Kufa nach Mekka und von Feid über el-'Oreima, einen Ort zwischen dem Aga und Salmä, der von den Fazära bewohnt wird, mit dem Wasser el-'Absia, bis nach Wadil-Curä sind sechs Nachtreisen. Um nach 'Irák zu kommen giebt es keinen anderen gangbaren Weg als über Feid, und selbst auf dieser Strasse ist Alles unwegsamer Sand, bis man nach Tu bála oder 'Acaba kommt. Etwa ein Drittel der Ein- wohner sind Banu Nabhän vom Stamme Tajji, ein Drittel 'Omariten?) und ein Drittel aus der Familie Abu Saläma von Hamdän mit einzelnen Familien von Asad und Anderen. Sie haben vorzugsweise ihren Unter-

1) Bekri: el-Carnän 16 Meilen von Feid; s. unten. 2) Vielleicht ’Amriten ebenfalls von Tajji.

DAS GEBIET VON MEDINA. 139

halt davon, dass sie das ganze Jahr hindurch Futter sammeln, welches sie zur Zeit der Wallfahrt an die Pilger verkaufen. Diese pflegen auch die für die weitere Reise nach Mekka ihnen entbehrlichen Vorräthe und Geschirre den Einwohnern von Feid zu übergeben und überlassen ihnen davon etwas als Zahlung, wenn sie dieselben bei ihrer Rückkehr wieder in Empfang nehmen. Der Ort hat einen Marktplatz, ein Schloss, meh- rere Teiche und Palmenpflanzungen. Der erste, welcher im Isläm hier einen Brunnen grub, der noch jetzt vorhanden ist, war Abul-Deilam ein Freigelassener vom Stamme Fazára; er brachte das Wasser in Fluss, pflanzte Palmen an und blieb im Besitz dieser Anlage, bis sie ihm von den 'Abbasiden abgenommen wurde. Unter den Quellen sind noch be- sonders drei zu nennen: 'Ain elNachl ‚die Palmquelle*, welche der Chalif 'Othmán ben 'Affán graben liess, el-Harra „die warme‘ in der Mitte zwischen dem Schloss und dem Markte, von dem Chalifen el- Mancür und el-Bärida „die kalte‘ an der Hauptstrasse ausserhalb des Lagerplatzes, von dem Chalifen el-Mahdi angelegt; ausserdem giebt es viele Brunnen von geringer Tiefe, so dass nur kurze Seile zum Auf- ziehen des Wassers nöthig sind. Schon von Alters her waren dort zwei laufende Quellen, welche ein Mann von den Banu Salläm, einer Familie der Tajji, zusammen leitete, die hier noch bis in die Zeit der Marwani- den ihre Heerden weideten, und dass hier ein alter Tränkort war, zeigt der Vers des vorislamischen Dichters Zuheir: | Dann zogen sie vorüber und sagten: euer Stelldichein !) ist

ein Wasser auf der Ostseite des Salmá, Feid oder Rakak.

Der Chalif Omar ben el-Chattáb war der erste, welcher das Gebiet von Feid ebenso wie Dharija und Rabadsa zu einem Gehege für die Kriegskamele bestimmte und "Omar ben Abd el-Aziz hielt die Unverletz- lichkeit desselben so hoch, dass er einen Jeden, welcher darin etwas, und wäre es nur ein einziger Zweig, abhaute, geisseln liess. Man sieht ngsum in einer Entfernung von 16 bis 20 Meilen die welche dieses Gehege begrünzen, und die Be-

von Feid aus ri -Berge wie Nebelbilder,

1) Andere Lesart: euer Tränkort. : T

140 F. WÜSTENFELD,

schreibung desselben beginnt nach Ibn el-Kalbi bei Bekri und Samhüdt von Norden nach Osten.

Der erste Berg auf dem Wege von Kufa zwischen el-Agfur und Feid ist el-Gubeil ‚‚der kleine Berg“, auch Gubeil'Oneiza genannt, 16 Meilen von Feid!), roth, steil, auf der Ecke des Gebietes der Banu Sad ben Thalaba von Asad ben Chuzeima; er -bildet die nördliche Grünze des Gebietes von Feid und an seiner Seite sind die. beiden Ge- wüsser el-Kahfa in geringer Tiefe und el-Ba’üdha in einer Sand- ebene. Hier machte Chälid ben el-Walid Halt, als er von Abu Bekr ausgesandt war, um die vom Islam abgefallenen Banu Jarbiü?, welche am Wasser Butäh lagerten, wieder zu unterwerfen, und wiewohl sie sich wieder zum Islam bekehrten, liess sie Chälid doch sämmtlich um- bringen, unter ihnen den Málik ben Nuweira, welcher durch die Ele- gien, die sein Bruder Mutammim auf ihn dichtete, zu einer besonderen Berühmtheit gelangt ist 2. Bei der bekannten Baumreihe von el- Ba'üdha, die sich von dem vom Winde zusammengewehten Sandhügel bei el-Marrüt bis zu dem Wasser in der Sandebene Guräd hinzieht, lagert ein Trupp der Banu Tuheija, weiter hinunter liegt die Ebene Baulän, die sich nach der Strasse von Bacra bei el-Nibág hinüberzieht, aber gänzlich ohne Vegetation ist, so dass man darin niemals die Spur eines lebenden Wesens findet.

An den Gubeil schliesst sich links von der Hauptstrasse a Mekka el-'Acr nämlich 'Aer-Salmá ‚das Schloss der Salmá“, den . Banu Nabhán gehórend; dann weiter zur Linken 20 Meilen von Feid el-Gamr, ein rother langer Berg, welchen eine Abtheilung der Banu Fachchásch (andere Lesart: Mucháschin) inne hat und an dessen Seite ein Wasser el-Rucheima genannt und ein anderes, el-Thalabija, (verschieden von der Station an der Hauptstrasse), sich befinden. Der

: 1) Diese bestimmte Angabe, dass schon in solcher Nähe von Feid die Berge aufhören und die Wüste beginnt, hat mich veranlasst, das Gebirge von Aga auf der Karte nicht so weit nach Norden zu zeichnen, als es von Neueren geschehen ist.

2) Ibn el-Athir II, 272. Nöldeke, Beiträge S. 87.

DAS GEBIET VON MEDINA. et

Dichter Zuheir gebraucht, indem er sich einen anderen Berg hinzudenkt, die Dualform:

Vertilgt ist die Spur der Wohnung der Salmä bei el-Gamrän

wie ein Traumbild, dort ist von ihren Bewohnern nicht einer mehr. Vielleicht gehört in diese Gegend Gamr-Guzeija, ein sehr reichhal- tiges Wasser der Banu Ganî eine Tagereise von Feid.

Der dritte Berg in dieser Richtung weiter zur Linken ist Ádsina oder Adsana, ein hoher schwarzer Kegel im Besitz der Banu el-Cartja (oder Farija), einem Zweige der Asad, mit dem Wasser Thagr; sein ganzes Gebiet gehört zu dem sogen. Gehege von Feid und ist von dieser Hauptstadt 16 bis 20 Meilen entfernt. An den Adsana stossen die langen Gebirge el-Wiräk ebenfalls zur Linken, den Banu Tammäh von Asad gehörig, in deren Gebiete die Gewässer A f'á und el- Wiräca sich befinden; dann folgen zwei schwarze Berge el-Carnán!), die 16 Meilen von Feid entfernt sind und über welche der Weg von Feid nach Mekka führt; sie gehören den Banu Härith ben Thzlaba von Asad und das nächste Wasser von da heisst Nabt und ist vier Meilen davon entfernt.

Auf diese beiden folgt rechts von der Strasse nach Mekka el- A'wal, ein schwarzer Berg im Gebiete der Tajji 16 Meilen von Feid; das nüchste Wasser von hier ist Obdha in einer Ebene voll schwarzer vulkanischer Steine 10 Meilen von der Heerstrasse ab im Gebiete der Tajji und einer Familie derselben, Banu Milcat, gehörig, welche hier Palmenpflanzungen besitzen. Zeid el-Cheil, ein Zeitgenosse Muhammeds, erwühnt diese Oertlichkeiten, indem er Agwal mit seiner Umgebung im Plur. Agá wil nennt, in den Versen:

Verlassen ist Obdha von seinen Bewohnern, dann el-Agáwil, dann Wadi Nudheidh?) und das weite Feld gegenüber; Mich erinnert daran, nachdem ich's schon vergessen hatte,

1) Jácát: el-Garijjän ist richtiger nach dem Metrum der dazu angeführten

Verse. 2) Verschiedene Lesart: Budheidh.

149 F. WÜSTENFELD,

Asche und eine kaum noch sichtbare Spur in Schabäbal); Dann Burca Af'á, das ich in früherer Zeit so oft besucht habe,

Als keineswegs nur Schafe mit ihren Jungen dort waren.

An den Agwal gränzt der Berg Dachnän, den Banu Nabhän gehörig, 12 Meilen von Feid; dann folgen auf einem unebenen Boden die Berge el-Gubr oder el-Gabar, welche ein Dichter in dem Verse erwühnt :

Als sichtbar wurde der Rücken des Gubeil und el-Gabar

und el-Gamar, der über Cuddá-Safar emporragt. el-Gubr ist 10 Meilen von Feid und gehórt den Banu Nu'eim, einem Zweige der Nabhän, welche hier Palmen und immerfliessendes Wasser haben.

An diese Berge schliessen sich zwei andere, Gäsch und G uldsia, welche sechs Meilen von einander abstehen, und hier dehnt sich das Gehege bis zu einer Entfernung von mehr als 30 Meilen von -Feid aus; sie werden von den Banu Mail, einem Zweige der Gadila-Tajji, bewohnt, deren nüchstes Wasser el- Ramdh sechs Meilen von den beiden Bergen entfernt ist. An diese gränzt der Berg el-Cadr 17 Meilen von Feid mit Gewässern in dem Wadi Mubhil2), gleichfalls den Banu Makil gehörig. Dann folgt die weite Ebene el-Challa, in welcher kein Berg ist, 36 Meilen von Feid rechts von el-Agfur; sie wird von den ‘Banu Näschira, einem Zweige der Asad, bewohnt und das nächstgelegene Wasser ist el-Gathgátha. An diese Ebene stossen mehrere sanft ansteigende Hügel von ähnlichem Aussehen, el-Thalam genannt, die über Agfur emporragen und gleichfalls den Banu Näschira gehören, 15 Meilen von Feid; das nächste Wasser von dort ist el-Zaubänia und el-Agfur liegt ausserhalb des Geheges.

Das Gebiet der Banu Tajji dehnt sich von Feid zehn Tage- ‘reisen weit aus nach Dumat-el-Gandal hinauf und einen grossen Theil

1) Verschiedene Lesart: Thutäna. 2) Verschiedene Lesart: Manhal.

DAS GEBIET VON MEDINA. 143

desselben nehmen die nach ihnen so benannten beiden Berge der Tajji!) ein, Aga und Salmá, welche sich von Feid südwestlich hinab- ziehen, der kleinere Salmá auf der Ostseite, der gróssere Aga auf der Westseite. Nach der Sage war Salmá eine Frau, welche mit einem Amalitiker Namens Aga ein Verhültniss hatte; sie trafen sich in der Wohnung ihrer Wärterin el-Aug&. Als dies ruchbar wurde, ergriffen alle drei die Flucht, wurden aber von dem Manne der Frau und ihren fünf Brüdern verfolgt und einzeln jeder auf einem anderen Berge ein- geholt und getódtet, und diese Berge erhielten nach ihnen ihre Namen; el-Augä ist ein Hügel zwischen dem Agä und Salmá. Die fünf Brüder Gamim, Mudhill, Fadak, Fäid und Hadathän zerstreuten sich und haben den fünf von ihnen erbauten Orten den Namen gegeben.

Diese Berge haben verschiedene Abtheilungen und hervorragende Spitzen, welche immer durch besondere Namen unterschieden werden; aber bei dem Mangel einer zusammenhängenden Beschreibung müssen wir uns damit begnügen, die an ihnen gelegenen Orte in einzelnen Gruppen zu verzeichnen, wozu theils die Angaben über ihre Bewohner, theils die Erwähnung bei den Dichtern die Anhaltspunkte darbieten.

Der Salmä tritt bis auf vier Meilen an Feid heran, so dass die nach dieser Seite hin liegenden oben erwähnten Berge des Geheges von Feid schon zu ihm gehören; nach Nordwest erstreckt er sich bis an das Dorf el-Muntahab und das Wasser el-Okeiliba, welche mitten zwischen dem Aga und Salmá und von jedem nur so weit, als ein Pferd in einem Rennen läuft, entfernt liegen und von einigen schon zu dem A'ga gerechnet werden, er fállt dann nach Westen zu ab und geht in

1) Der neuere gemeinschaftliche Name Gabal Schammar kommt hei den Arabischen Geographen nicht vor, ist aber sicher von Schammar, einem Zweige der Tajji, abzuleiten. Der von Amrulkeis (the Divans by Ahlwardt, pag. 131, vergl. unten S. 145) erwühnte Keis ben Schammar hiess Keis ben Tha’laba ben Salamän ben Thual oder Keis ben 'Abd ben Gadsima ben Zuheir (genealog. Tab. 6, 17 u. 19), so dass Schammar. die Mutter oder ein Beiname des Vaters des Keis war, und als

ursprünglicher Wohnsitz der Banu Schammar wird das Dorf Tuwárun im Aga

genannt.

144 | F. WÜSTENF ELD,

den Ram mán über. Der Aga beginnt zwei Nachtreisen nordwestlich von Feid und dehnt sich in südwestlicher Richtung bis auf eine Nacht von Fadak und fünf Nächte von Teimä!) aus, und die südlichen Aus- läufer sind von Medina auf geradem Wege drei Nachtreisen entfernt.

Der Salmá ist beschwerlich zu ersteigen, aber, besonders in dem Wadi Rakk (bei Dichtern Rakak), sehr reich an Quellen, Büchen und ausgemauerten Brunnen und mit Feigenbüumen bewachsen, hat indess keine mit Getreide bestellten Felder, obgleich der Boden nicht sandig ist, während der Rammän nur aus Sand besteht. An den beiden Seiten des Wadi Rakk erheben sich ein Paar rothe Berge, Hummajän und el-Gudät, und von einem Abhange stürzt sich der Giessbach el-S urrá herab in den Wadi von Orok, einer Stadt des Salmá. Der Dichter Zuheir erwáhnt diese Gegend in den Versen:

Halt an bei den Wohnungen, welche die Zeit nicht vertilgt, sondern die Winde und beständigen Regen nur verändert haben! Die Asmá hatte ein Haus in el-Gamr, dessen Spur verwischt ist wie die Schrift, es ist von ihrer Familie nicht einer mehr dort. Dagegen sehe ich sie zusammen unbestündig

da wo Surrä, dann Wadil-Hafr und el-Hidam.

Der Salmá wird vorzugsweise von den Banu Nabhán, einem Haupt- zweige der Tajji, bewohnt; der oben erwähnte Brunnen el-Okeiliba wurde bei dem schon vor der Ankunft der Tajji vorhandenen Brunnen Chulád angelegt und diese Gegend mit Palmen bepflanzt, und da sie als Wohnsitz der Banu Sinbis?) bezeichnet wird, so werden auch deren übrige Niederlassungen hierher zu setzen sein. Diese sind: Arkän, ein Wasser, welches zu dem Aga gerechnet wird; desgleichen das ge-- nannte Dorf el-Muntahab, bei dem der Brunnen el- H uceilia liegt, in welchen die Tajji einen Verwalter der Omajjaden Namens Mugälid,

1) Statt Teimä steht bei Jüeüt I, 123 Cheibar; da aber Medina nur drei Tage entfernt ist, so kann Cheibar nicht fünf Tage entfernt sein. 2) Sinbis war die Mutter des Nabhän und Thu’al, der Söhne des Amr ben el-Gauth ben Tajji.

t E.

DAS GEBIET VON MEDINA. 145

der sie schlecht behandelte, Nachts hineinwarfen; darauf beziehen sich die Worte eines Dichters:

Fraget el-Huceilia nach Mugálid;

wir haben ihn ohne Kopfkissen hinabgestürzt

in die Tiefe des Brunnens und den Sand der Grube. Ferner Bulta mit einer Quelle, Palmen und einem Wadi mit Gummi- Acacien an dem Aga, der Wohnsitz des 'Amr ben Darmá von Sinbis, bei welchem der Dichter Amrulkeis gastliche Aufnahme und Schutz fand, wie er es in mehreren Gedichten erwühnt, z. B.

Ich kehrte ein bei 'Amr ben Darmä in Bulta,

o welch ein vortrefflicher Schutzherr und welch schóner Wohnplatz! oder mit dem Doppelnamen Bulta-Zeimar zusammen mit dem Orte Mistah:

Sieh! in den beiden Thilern, die wir haben, eins bei Mistah und eins mitten in Bulta-Zeimar. oder in Verbindung mit anderen Ortsnamen: Ob ich nun zwischen Schüt und Hajja hinschreite? und ob ich dem Stamm des Keis ben Schammar entgegen gehe? Schau hin, mein Freund! ob du das Leuchten eines Blitzes siehst, der in der Finsterniss der Nacht das Lagér der Himjar erhellt? Dann Cuseis und el-Dhuhä und Mistah bewässert,

dann Gaww und die Palmen des Keis ben Schammar reichlich tränkt,

Und "Amr ben Darmä den hochherzigen, wenn er frühmorgens

mit dem schneidigen Flammberg wie im Löwenschritt naht. so auch: | Fortwührend lassen meine Milchkamele zwischen G a w w

und Mistah die jungen Kamele auf die Weide gehen. in Gaww wohnte die Familie Thalaba ben Darmá; endlich die Gewüsser el-Schatibija am Aga, el-Gubári mit seinen Acacien und el-Na- cabäna.

Die Wohnsitze der verwandten Banu Baulän ben ’Amr (Sinbis) ziehen sich gleichfalls nach dem Aga hinüber und hier haben sie die feste Niederlassung el-Achlifa, den Berg el-Güdi und das Dorf el-

Histor. - philol. Classe. XVIII. X

146 F. WÜSTENFELD,

Far’a und in ihrem Gebiete stand der von den Tajji verehrte Gótze Fils oder Fulus, dessen Priester aus dem Stamme Baulän war.

Nahe Verwandte der Banu Sinbis sind die Banu Farir, welche am Aga bei den Gewässern Ruhba, el-Hufeir und 'Ankab wohnten, dann aber auf der Strasse nach Kufa hinauf bis in die Nähe von el- Mugitha zogen, wo sie zwei Gewüsser mit den Namen aus ihrer frü- heren Heimath wieder Ruh ba und el-Hufeir benannten. Ebenso finden wir ihre Neffen Banu Buhtur erst mitten im Aga, wo der Park (Raudha) oder die Behausung Buhtur nahe bei Gaww von ihnen den Namen hatte; spüter zogen sie ebenfalls weiter gegen Norden nach Alig westlich von el-T'halabija.

Der Pseudoprophet Tuleiha, welcher sein Heer aus den Stämmen Asad, Gatafän, Fazära und Tajji zusammengebracht hatte, wurde von Chälid ben el-Walid bei Buzächa geschlagen; dieses Wasser lag nach einigen in dem Gebiete der Asad, nach anderen in dem der Tajji, mit- hin jedenfalls auf der nordöstlichen Seite des Berges Salmá, wo die Grän- zen dieser Stämme zusammenstossen. Chälid verfolgte die Fliehenden bis an den Sandberg Rammän, welcher als Aufenthaltsort von Löwen bezeichnet wird; er empfing hier auf seinem Lagerplatze bei Sunh den "Adí ben Hätim, welcher als Abgesandter der Tajji ihm die Erklä- rung von deren Wiederunterwerfung brachte, und kehrte dann nach el- Gamr im Gebiete der Asad östlich von Feid zurück.

Akbira ist ein Wadi des Salmä, welcher von den Banu Hudäd, einer Familie der Nabhän bewohnt wird.

Auf der Westseite des Salmä liegt zwischen ihm und dem Rammän . die Sandflüche el- Dhahí mit dem Wasser el- Athib und einer festen Niederlassung am Wasser Mahrama; an der Seite des Rammán ist das Dorf el-Cuweilia und die Wasser Gamiz und Gadh war, in der Nähe des letzteren der Berg Dsul-Cacca mit dem Tränkorte Sacf, von den Banu Tarif ben Mälik bewohnt.

Zwei Spitzen des Salmá, Fachch und Michzam, haben den ge- meinschaftlichen Namen el-Scharawein und davon scheint el-Sara- wän nicht verschieden zu sein, mit welchem Namen zwei Niederlassungen

DAS GEBIET VON MEDINA. 147

der Tajji am Salmá benannt werden; ein rother Berg des Salmá heisst Baschir. Dsu Cahä und el-Gubb mit Palmen und Quellen sind feste Niederlassungen der Tajji am Salmá; el-Oteim und Turaba Gewässer auf der Westseite desselben. Lacat ist ein Wasser zwi- schen dem Aga und Salmá.

In der Nähe des zwischen dem Salmá und Aga liegenden Berges el-Au ga zieht sich der Wadi Häil!) am Aga hin, der von den Dich- tern oft genannt wird; Amrulkeis sagt:

Meine Milchkamele übernachten sicher bei el-Curajja, und frei lasse ich sie ein um den anderen Tag auf den Hóhen von Häil umhergehen ; Die Banu Thwal sind ihre Nachbarn und Beschützer,

und sie werden gegen die Schützen der Sad und Náil vertheidigt. Curajja ist ein benachbarter Ort; Thwal ist der Bruder des Nabhán, und Sad und Näil die Söhne des Nabhán, so dass also damals die ver- ‚brüderten Stämme in Fehde lebten. Der Wadi Häil ergiesst sich so wie die übrigen Wadis dieser Seite der beiden Gebirge in die Ebene Kuräkir, welche im Besitz der Tajji und Asad ist, mithin nach Osten. In der Mitte des Wadi Häil ist das Wasser Tunga, an welchem der Wohnplatz des durch seine Freigebigkeit berühmten Dichters Hätim el-Täi lag, und dort ist er auf dem schwarzen Berge Owäridh begra- ben; westlich davon erhebt sich der einzeln stehende lange kahle rothe Berg Odhäif und gegenüber liegt der schwarze Berg Abadi auf der Grünze des Gebietes der Fazára, daneben die Sandebene el-'Oreima zwischen dem Aga und Salmá mit den Gewässern el-'Absija und el- Hattála.

Von Hátim el-Tái sind die folgenden Verse:

Noch fliessen die Wasserfälle von Nakib uud Tharmad, und verkünde den Leuten, dass W acrán noch fliesse,

1) Hier ist eine bleibende Niederlassung entstanden, und Häil ist jetzt der Hauptort jener Gegend, welchen Wallin in den Jahren 1845 und 1848, Palgrave im Jahre 1862 passirten.

T2

148 F. WÜSTENFELD,

Und dass die Banu Dahmá noch in 'A wálic wohnen,

wenn von dem Bogen die Pfeile schwirren.

Nakib, Tharmad und Wacrán sind Schluchten im Aga, letztere sowie der Berg 'Awálic von den Banu Thalaba ben Salámán, einer Sippe der Tajji, bewohnt, wesshalb auch statt Banu Dahmä vermuthlich Banu Darmä zu lesen ist, denn dies ist eine Familie jener Thalaba. Von ihnen stammt auch die Familie des Schei’a ben "Auf ben Thalaba, von welchem das Sprichwort sagt: ‚er macht's wie Schei'a'; sie lebten am Berge Dabáb mit einem gleichnamigen Wasser am Aga.

Am Berge Farda im Gebiete der Garm starb nicht weit von sei- nem Wohnsitze Zeid el-Cheil, Oberhaupt seines Stammes und Dichter, auf der Rückkehr von Medina, wo er Muhammed seine Huldigung dargebracht hatte, am Fieber; als er sein Ende nahe fühlte, sprach er noch einige Verse, in denen er Orte seiner Heimath erwähnt:

Brechen meine Begleiter frühmorgeus nach Osten ‘auf, * und ich werde in einem Hause (Grabe) bei Farda in Nagd zurück- gelassen? Bewüssre Gott die Gegend zwischen el-Cafil und Täba,

dann was diesseits Arm ám und über Munschid hinaus liegt 1) !

In einem früheren Gedichte sagt Zeid el-Cheil: Und sieh’! rings um Farda und 'Onácir

und Kutla, o Ibn Scheimá, ist ein zahlreicher Stamm.

Einen sicheren Anhaltspunkt für die Lage dieser Orte bietet Mau- kak, welches ebenfalls von Zeid el-Cheil erwühnt wird und nach den neueren Reiseberichten auf unseren Karten als an der Nordwestseite des Aga gelegen verzeichnet ist; es war ein Dorf mit Palmen und Frucht- feldern im Besitz der Garm. Zeid nennt noch in seinen Gedichten als ihrem Gebiete angehórend die Oertlichkeiten el-Ahwarán, Oräk, Dsu Aub, Bawázin, Schark, el-Matálí, Fatk, el-Chiláca, el-Nagl, Jadsbul, Muwásil und el-Rajján, die hóchste Spitze des Aga, von welcher in den Schluchten el-Galgala Giessbäche

1) Bekri: dann Ruh ba bei Irmäm und was um Murschid liegt.

DAS GEBIET VON MEDINA. 149

herabströmen; wenn oben ein Feuer angesteckt wird, kann man es drei Tagereisen weit sehen. Zwei andere besonders hervorragende Spitzen - heissen Dsul- Far und Gadid.

Mit dem oben als Grünze des Geheges von Feid genannten G ásch ist vielleicht einerlei Gaschsch Iram, ein Theil des Aga mit einer futterreichen Hochebene, die von Gazellen und wilden Eseln beweidet wird; den Gipfel bewohnten die Urvólker Iram und "Àd und man findet an ihm in die Felsen eingehauene Figuren. Da Gásch von dem Zweige Gadila-Tajji bewohnt war, so gehören hierher auch andere Orte, welche als in ihrem Gebiete am Aga gelegen genannt werden, wie el- Ahsá und el-Salámia, Gewässer; Bac’a ein Dorf, welches die Familie Kir- wäsch von Gadila bewohnt, und el-Thalabüt mit einem Park, wovon ein Dichter sagt; |

Denn zur Seite von Thalabüt ist ein Park,

in welchem viele gelbe Frühlingsblumen stehen.

Nach dem Register zu Jácút unter „sb und i2! könnte das Ver- zeichniss von Orten, Bergen und Gewässern, welche in dem Gebiete der Taji am Aga liegen, noch um mehr als 40 Namen vermehrt werden; wir übergehen dieselben, weil ihre Lage nicht näher bestimmt ist.

Von Feid nach Teimá sind fünf Tagereisen; der Weg führt zu- nächst nach der Quelle el-Hatma im Gebirge Salmá, wo eine Nieder- lassung der Tajjiten ist, dann folgt Muleiha, ein Berg auf der West- seite des Salmá mit vielen Brunnen und angenehmen Plätzen, im Nor- den davon liegt der Berg 'Abd-Salmá und zwischen beiden das Wasser Duma in der Richtung nach dem Aga, gleichfalls ein lieblicher Auf- enthaltsort. Von Muleiha gehen zwei Wege ab, der eine nach el-Scha- tanija!), der andere nach el- N ifjäna2), zwei Brunnen, welche eine

1) sicher einerlei mit el-Schatibija, wie oben nach Jácát ein Wasser dieser

Gegend im Gebiete der Sinbis vorkommt. 2) mit verschiedenen diacritischen Punkten derselbe Name wie oben el-Naca-

bûna nach Jäcät. ;

150 F. WÜSTENFELD,

Meile von einander entfernt liegen, und sie stossen bei el-Dwthür wieder zusammen. Von hier kommt man über Mithab nach el-Bu- weira, einem Dorfe am Fusse des Aga auf der Nordseite mit dem Brunnen el-Lakíta!) dann folgen ’Oräir, el-'Absija?), Dsu Orok5) Rifda, Chunäcira®), el-Thamad auch Thamad el-Falát ‚die Quelle in der Wüste“ oder Raudha el-Thamad genannt, im Districte von Muleiha, dann der Berg Hadad 5), der über Teimä emporragt. Ein zweiter Weg von Feid biegt bei el-Schatanija links ab nach ’Atica, dann nach el-Gamr®), einem Wadi mit einer Quelle, die aber nur wenig Wasser hat, zwischen Thagr und Teimä, dann Sacf oder Sucf?), wo einige Palmen stehen; Hätim erwähnt diese Orte in einer SEIEN: Du weinst? wie können die Spuren der verlassenen Wohnungen bei Sucf bis zum Wadi 'Am ûdån und el-Gamr, bis an die Schlucht nahe bei Maschár, dann Tharmad, dann der von Sinbis erbaute Ort dich weinen machen über die Tochter des 'Amr?

1) Dieser Name ist jetzt für den Ortsnamen im Gebrauch, nach Wallin ein grosses Dorf von mehr als 120 Familien; s. Narrative of a journey from Cairo to Medina in 1845, in dem Journal of the roy. geograph. Society. Vol.’24. 1854. Pal- grave, narrative of à year's journey through Arabia (1862—63) Vol.I. p. 101 sagt, es habe über 400 Häuser und etwa 2400 Einwohner.

: 2) Da Lakita schon auf der Nordseite des Aga liegt, so ist Jûcûts Angabe ` oben S. 147 ungenau, dass die Sandebene el-’Oreima mit dem Wasser el-'Absija zwischen dem Aga und Salmá liege.

3) Hiervon muss die oben genannte Stadt Orok am Salmá verschieden sein.

4) wahrscheinlich einerlei mit el-Hädhira, einem Dorfe im Bereich des Aga mit Palmen und Pisang; Jäcät.

5) Gudad bei Bekrí scheint nicht richtig zu sein, da er selbst den Vers eines Dichters anführt, in welchem Hadad und Teimä zusammen genannt werden.

6) Dieser Ort wird leicht mit dem oben S. 146° genannten verwechselt, wohin Chälid nach der Unterwerfung der Tajji seinen Rückmarsch antrat, der aber im Gebiete der Asad lag, welche nicht so weit westlich nach Teimá hin wohnten..

7) Auch dieser Name wiederholt sich mehrmals und da der Weg an der Nord- seite des Aga hinläuft, kann nicht das oben erwähnte Sacf hier gemeint sein.

DAS GEBIET VON MEDINA. 151

Auf Sucf folgt el-Dhuldhula, Gafr, el-Gufáf, Gunafá oder Ganafá, von wo Gesandte der Fazära während der Belagerung von Cheibar zu Muhammed kamen, dann M uleiha (von dem obigen verschie- den), el-Nakib am oberen Ende der Harra Leilá, Batn-Caww, Jumn.(Bekri: Tamanni) ein Wasser, an welchem Banu Gatafán woh- nen, zu deren Unterwerfung Muhammed ein Corps unter Baschir ben Sad el-Ancárí aussandte, dem sie bis Saláh oder Siláh entgegen gekom- men waren, wo sie geschlagen wurden. Von Jumn kommt man nach den beiden einzeln stehenden Sandsteinbergen Ruwäf (Bekrí: Räwa) und Bard oder Barid, zwischen denen eine öde Wüste ist, dann nach Teimä,

Dieser zweite Weg ist auf seinem grösseren Theile derselbe, auf welchem Wallin 1848 und Guarmani 1864 von Teimá nach Häil reisten. Wallin nennt den nächsten Berg, an welchem er eine Stunde von Teimä vorüberkam, Guneim, der also mit Hadad wahrscheinlich einerlei ist, und bis an den Berg Bird (d. i. Barid) gebrauchte er ohne Unterbre- chung 15 Stunden, dann bis zu dem einzeln stehenden Sandsteinhügel Irnän gegen 14 Stunden, von hier bis in das Thal el-Güta 21 Stunden, nach der Stadt Maukak 9%, Stunden, nach Häil 1215 Stunden.

Güta erwähnt Jäcüt als eine Stadt der Banu Läm von Tajji nahe bei den Bergen Cubh im Gebiete der Fazära, desshalb kann seine andere Angabe, dass die grosse Sandebene Galläl (Bekri: Guläl) im Westen des Salmä liege, nicht richtig sein, da sie im Süden durch Güta der Banu Läm, im Norden durch el-Liwá, im Westen durch °A rfa gâ, ein Wasser mit Palmenpflanzungen, im Osten durch Bac’a begränzt ist. Der Grossvater des Hirmäs ben Habib hatte darin mehrere Quellen ent- deckt, mit denen er sich von dem Chalifen Omar belehnen liess. Urfa sind einzelne Berge von Çubh und einige Hügel haben den besonderen Namen Mahádir. Zwischen Gûta und Çubh im Norden der Harra Leilá ist bei Dsu Urul eine künstliche Anlage gemacht, wodurch das Regenwasser aufgefangen wird. Der Irnán giebt auf dieser Strecke den Anhalt für die Lage mehrerer anderen Berge, indem zwischen den beiden Bergen der Tajji und Teimä die vier Berge Dabr, Irnán, Gasal und Laflaf in dieser Reihenfolge jeder eine Tagereise von dem andern

152 F. WÜSTENFELD,

entfernt ist, der م‎ an der Hauptstrasse und der Laflaf neben dem Barid liegt und an ihm sich die Harra Laflaf hinzieht!) Als Wasser in dieser Sandwüste werden genannt: Schunt, el-Hacán, O'eiridh und Cutajja. In südlicher Richtung zwischen den beiden Dergen der Tajji und Cheibar liegen in dem Gebiete der Gatafán die drei Berge Dhargad, nach welchem die Harra Dhargad benannt ist, el-Furs und Aul, dieser von dem erstgenannten zwei Tagereisen entfernt, und der Landstrich el-Ginäb von den Bergen Dabr und 'Irnán abwärts im Gebiete der Fazára, worin das Wasser Dhign; weiter nach Cheibar zu bewohnen sie die beiden Wasser Bagth und Bugeith mit den Dörfern Barc und Ta’nuc.

Der oben genannte Wadi Thalabüt macht mit seinem Nebenarme el-Rahaba die Gränze zwischen den Banu Dsubján und Tajji und an ihm wohnen auch die Banu Nacr ben Cu'ein; er kommt aus den beiden Bergen der Tajji, zieht sich nach el-Hágir hinunter und ergiesst sich in den grossen Wadi Rumma. Oberhalb Thalabüt liegt der Berg Fan â mit dem Wasser el-Fanát, im Besitz der Gadsima ben Málik.

el-Malá heisst die Gegend an der Nordecke des Aga zwischen Nac'á, einem Dorfe der Banu Málik ben Amr ben Thumáma von Tajji (wahrscheinlich dasselbe mit dem oben genannten Bac'á) am Rande der Sandwüste, wo diese mit dem festen Boden zusammenstösst, bis an den Fuss des Aga; der Vereinigungspunkt hat noch den besonderen Namen el-Charánik (oder el-Cha wánik) und Malá ist eine weisse Ebene, nicht Sand und nicht fester Boden, aber auch ohne Steine, auf welcher die Dornensträuche "Arfag und Catád, Birkán- und Rimth-Báume, Cacic- und 'Alcá-Pflanzen, Cilijián-Kohl uud Nacij-Disteln wachsen. Durch diese Ebene zieht sich der Wadi el-Sab'án, welcher aus den Bergen der Tajji kommt und nach Agfur hinunter fliesst, und sie ist der Wohn-

: 1) Nach dieser Angabe würde freilich die Entfernung zwischen Teimä und Feid nicht fünf, sondern mindestens sieben Tagereisen betragen; Wallin gebrauchte nur bis Häil acht Tage, dazwischen war ein Ruhetag.

DAS GEBIET VON MEDINA. 153

sitz der Banu Suwáa und Numeir von Asad geworden, nachdem sie die Gadsima ben Málik im Anfange des Islam daraus vertrieben hatten.

Ueber Feid hinaus ist bei el-Caráin an der Strasse ein Teich angelegt und daneben ein Schloss erbaut, seitwürts nach Westen liegen Scharg und Nadhira, zwei Gewässer, welche den Abs gehören; fünf Meilen diesseits Agfur kommt man an die vorzugsweise sogen. „Brunnen der Zeltaraber* Abár el-A'ráb, und die Station el-Agfur, 36 Mei- len (nicht Parasangen, wie bei Jácát) von Feid, ist ein Wasser, an wel- chem die Banu Jarbü’ eine Niederlassung hatten, bis sie durch die aus ihren Wohnsitzen verdrängten Banu Gadsima ben Mälik im Anfange des Islam von dort vertrieben wurden; in der Nähe liegt Ibn Alja, eine Ebene von hartem Sand mit Steinen untermischt, im Besitz der Banu Asad.

Von Agfur bis an den Teich el-Chälica an der Strasse sind elf Meilen 'und zwei Meilen weiter erreicht man die Cisterne el-Agarr, wo eine Burg mit Thürmen erbaut ist, dann führt der Weg an dem Sandberge el-'Abbásija hin, der auf der Westseite liegt, weiterhin folgt auf der Ostseite das Wasser Orätä, dann auf sechs Meilen das Wasser el-Häschimija, dann vier Meilen bis nach der Station el-Chuzeimija, von wo sich, ebenfalls gegen Osten, die Sandebene el-Acraba ausdehnt, und die ganze Strecke von el-Agarr bis Chuzei- mija beträgt 13 Meilen 1).

Eine Meile hinter Chuzeimija liegt der Teich von Zarüd mit einer Burg und einer Cisterne, daneben die beiden Sandwüsten von Zarüd und drei andere, el-Garr oder el-Agarrän, Marbach die beschwer- lichste, durch welche der Weg an dem Wasser el-Cana vorüber nach Thalabija führt, und el-Tarida die leichteste von ihnen; alle fünf werden unter dem Namen el-Schakik begriffen. Zarüd ist durch eine Schlacht zwischen den Banu Taglib und Banu Jarbü’ denkwürdig und

1) So wird man statt 3 Meilen, Jácót I, 319, 10, lesen müssen, wodurch man für die ganze Entfernung von Ajgfur bis Chuzeimija 26 Meilen erhält, welche von anderen auf 24 Meilen angegeben wird.

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in der unter dem besonderen Namen el-Habir bekannten Gegend dieser Wüste überfiel der Carmaten-Führer Ibn Abu Said el-Gannäbi am 18. Muharram 312 (27. April 924) die rückkehrende Pilgercarawane, welche theils getódtet, theils gefangen genommen und ihrer Habe beraubt wurde. Auf dieser Strecke passirt man auch den Teich el-Cuneia, welcher von der Prinzessin Zubeida angelegt ist, und die Sandebenen el- Wa sû. In der Nähe von Zarüd liegt das Dorf Tiba, und nach- dem man etwa zehn Meilen durch die Wüste zurückgelegt hat, erreicht man den Teich Hamd el-Sabil, dann die Station el-Thalabija, 32 Meilen von Chuzeimija. el-Thalabija hat seinen Namen von Thalaba el-Ancá oder von Thalaba ben Düdän ben Asad, welcher dort eine Quelle entdeckte, und es ist bekannt als zeitweilige Station der Banu Ijád bei ihrer Auswanderung aus Tiháma nach Syrien, indem sie dort die Perser nach Ablauf eines Waffenstillstandes schlugen und dann ihren Zug über Zubäla nach dem Euphrat fortsetzten. Der von . den Banu Asad bewohnte Landstrich, zu welchem el-Thalabija gehört, wird Gufäf el-Teir genannt, und es führt von dort ein Weg nach Bacra längs dem Wadi Dsu Achthäl, wo die Banu Asad Saatfelder bestellen, ein anderer etwa drei Tage durch die Sandwüste el-Chall nach Lina, von hier vier Tage nach Wäsit. Von der Moschee in Thalabija sind auf dem Wege Thukeib an der Hauptrasse nach Kufa acht Meilen bis zu einem Teiche, welchen el-Husein, ein Eunuch des Chalifen Härün angelegt hat, dann drei Meilen bis an den Teich des Gafar, zwischen beiden oder gleich hinter dem letzten (Jácát 9 Meilen, Ibn Chordadbeh 14 Meilen von el-Thalabija) liegt el- Gu- meis, wo bei einem verfallenen Schlosse die Abendrast gehalten wird, dann zwei Meilen bis el- Tanáhi, wo ein zerstórter und ein noch brauch- barer Teich ist, dann neun Meilen bis zu der Station Bitán, im Ganzen 22 Meilen; von anderen wird diese Entfernung auf 29 Meilen angegeben.

Bitán gehórt den Banu Náschira von Asad; hier ist das Grab des ’Ibädi. Nämlich Ruzbeh ben Buzurgmihr aus Hamadsin hatte vom Persischen Könige ein Commando an der Griechischen Gränze er- halten, liess es aber ungehindert zu. dass Waffen hinübergeschafft wurden

DAS GEBIET VON MEDINA. 155

und der König fürchtete ihn; aber auch Ruzbeh hielt sich nicht für sicher, bis Sad ben Abu Waccác kam und Kufa gründete, wobei ihm jener in der Anlegung des Schlosses und der Hauptmoschee behülflich war. Sad sandte ihn dann mit einer Empfehlung an Omar, und nachdem er den Islam angenommen hatte, wurde er reich beschenkt und mit Kamel- führern, welche aus ’Ibäd „Dienern‘‘!) von Hîra bestanden, an Sa'd zu- rückgeschickt. Ruzbeh starb unterwegs bei Bitän, seine Begleiter gruben ein Grab, warteten aber, ehe sie ihn hinein legten, bis andere Reisende vorüber kamen, welche ihnen bezeugen sollten, dass sie ihn nicht etwa ermordet hätten. Da diese den Todten auch für einen solchen 'Ibádí hielten, bekam die Stelle den Namen Cabr el-’Ibädi ‚Grab des’Ibädi“-

Sieben Meilen hinter Bitän kommt man nach el-Schagija, wo ein Teich und ein leerer Brunnen ist, dann nach dem Lagerplatze el- Rustamija mit einem von der Sultanin Zubeida angelegten Teiche, einem Schloss und einer Moschee, dann 29 Meilen von Bitän zu der Station Schucüc im Besitz der Banu Saläma von Asad. Von hier sind zwei Meilen bis Dsul-Cacca, wo Zeltaraber Vertiefungen ausgegraben haben, in denen sich das Regenwasser sammelt, welches darin frisch bleibt. Nach weiteren vier Meilen erreicht man el-Radhm mit einem Teiche und einem zweiten auf der Westseite, Eigenthum des Sultans; dann folgt el-Tanänir, ein Wadi mit Bäumen und Kräutern, welchen die Banu Saläma und Gädhira beweiden; bei einem Teiche, der eben- falls dem Sultan gehört, und einem daneben liegenden Brunnen wird die Abendrast gehalten.

Die nächste Station Zubäla, etwa 20 Meilen von Schucüc, mit einer Burg und einer Moschee, ist im Besitz der Banu Gádhira. Von hier führt ein Weg östlich durch die Wüste über Gauchá, im Besitz der Banu 'Igl, nach Ain Ceid, wo auch die Wege von Bacra und Kufa zusammentreffen, nach Chaffán, Janbuta, etwa 40 Meilen von

Zubäla, nach W ásit.

1) d. i. Diener Gottes, vergl. die Wohnsitze u. Wander. d. Ar. Stämme. S. 24.

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An der Strasse nach Kufa ist von Zubála der nüchste Ort elf Meilen weit el-Gureisi mit einem Teiche und einem zerstörten Schlosse; dann zwei Meilen nach el-Heitham mit einem Teiche und einem von Zubeida erbauten Schlosse; dann sechs Meilen nach der Station el- C4, deren Entfernung von Zubäla bei Anderen auf 24 Meilen angegeben ist; die Banu Asad und Tajjí haben sich lange Zeit den Besitz derselben streitig gemacht. ^ ;

Sechs Meilen hinter el-Cä’ folgt el-Galhä (Ibn Chordadbeh: el- Chalgá) mit einem Teiche und verfallenen Thürmen; westlich ist ein Brunnen mit wenigem süssem Wasser, dessen Seil gegen 40 Klafter misst; nach weiteren sechs Meilen gelangt man an den Teich el-Gu weir, wo die nach ihrer Stifterin benannten Thürme el-Zubeidija stehen; nicht weit von der Strasse nach Westen liegt das Schloss Humrán. Dann kommt man nach Schi b, wo ein Damm gebaut ist um das Wasser aufzufangen, daneben stehen verfallene Thürme und drei Meilen von hier erreicht man 24 Meilen von el-Cá die Station el-'Acaba, ein Wasser im Besitz der Banu 'Ikrima von Bekr ben Wäil. Von hier nach dem Orte Gull sind etwa 20 Meilen, da dieses von Wäkica noch acht Meilen entfernt ist und die ganze Entfernung von 'Acaba bis Wä- kica 27 oder 29 Meilen beträgt. Zwölf Meilen vor Wäkica ist der Brun- nen el-Hacw, dessen Seil 50 Klafter misst; sein weniges Wasser ist trübe und hat einen Schwefelgeruch; daneben ist eine Cisterne und ein zerstórtes Schloss. Sechs Meilen vor Wäkica ist das Wasser el-Caräri oder el-Fazárí, dessen Umgebung, namentlich einige kleine Thürme, in Trümmern liegt.

In dem Dreieck von Wäkica, 'Acaba und dem genannten ’Ain-Ceid an dem Wege nach Wäsit liegt die Station Salmán, von den beiden letzteren zwei Nüchte, von dem ersten etwas weniger entfernt; hier ist ein Wasser aus der Zeit des Heidenthums, an welchem vor Alters der - Weg von 'Irák nach Tiháma vorbei ging, und hier ist das Grab des Naufal ben Abd-Manát, eines Bruders des Háschim, welcher daselbst auf einer Handelsreise starb. Für diese noch günzlich unbekannte Gegend findet sich bei Jácát eine wichtige Angabe über einen Weg von

DAS GEBIET VON MEDINA. 157

Bacra nach Kufa durch die Wüste: Von Bacra nach ?"Ain-Gamal 30 Meilen, nach 'Ain-Ceid 30 Meilen, nach el-Achädid (der dritten Station von Wásit nach Mekka, die vierte ist Li na) 30 Meilen, nach Ucur 30, nach Salmán 20, nach Lala 20, nach Báric 20, nach Masgid Sa'd 40, nach el-Mugitha 30, nach el-Odseib 24, nach Cádisija 6, nach Kufa 45 Meilen.

Bei der Station Wäkica wohnen die Banu Schiháb von Tajji; sieben Meilen westlich von hier liegt el-Schibák und eine kurze Strecke davon der Ort el-Guweij, zwei Meilen von diesem der Teich Cubeib, drei Meilen von da der Teich Lacf; von el-Guweij sieben Meilen nördlich nach el-Mugitha zu ist das Wasser el-Nucheila, drei Meilen von diesem el-Hufeir, der neue Wohnsitz der Banu Farir von Tajjí und in gleicher Entfernung der Brunnen el-Manija.

Zwei Meilen hinter Wákica an der Hauptstrasse folgt der Brunnen el-Lauza im Besitz der Banu Wahb, wo Zubeida 'Thürme erbauen und Ishák ben Ibrahim el-Ráfif einen Teich anlegen liess; daneben liegt der Ort Scharáf, wo drei grosse Brunnen, deren Seile weniger als 20 Klafter messen, und viele ausgegrabene Vertiefungen, in denen sich das Regenwasser sammelt!) Hierauf kommt man an den Teich el-Dharib und zwei Meilen weiter zu den Ahsä ‚flachen Brunnen“ der Banu Wahb, nämlich ein Teich und neun grössere und kleinere Brunnen, deren Ehtfernung von Scharáf auf acht Meilen angegeben wird. Fünf Meilen weiter ist der Brunnen el-Murtamä 40 und etliche Klafter tief, mit wenigem, aber süssem Wasser, daneben eine Cisterne und ver- falene Thürme. Von hier sind noch drei Meilen bis zu der Station el-Car'a mit einem Teiche und mehreren Brunnen im Besitz der Banu Gudána ben Jarb ben Handhala, 8 Parasangen oder 24 Meilen von Wákica. Ein Mann von diesem Stamme Namens Abu Badr war in einem Sreite über einen Brunnen von einem aus dem nahe verwandten Stamme Därim ben Mälik ben Handhala getódtet; die Därim erboten sich die Sühne zu bezahlen, indess die Jarbü’ schlugen dies aus und es 1) So Jâcût II, 2704 dagegen sollen nach Bd. IV, 370 die Thürme bei Lauza von el-Car'á 9 Meilen und Scharáf von Lauza 11 Meilen entfernt sein.

158 - F. WÜSTENFELD,

kam darüber zwischen ihnen zum Kriege. Als nächster Ort von hier wird el-Chabrá genannt, dann Masgid-Sad ‚die Moschee des Sad“ ben Abu Waccäc mit einem Teiche und einem Brunnen von 85 Klafter Tiefe, dessen trübes Wasser nur im Nothfall getrunken wird.

Die Station el-Mugitha 32 Meilen von el-Cará, einst ein grosser von Banu Nabhán bewohnter Ort, liegt jetzt in Trümmern. Westlich von hier liegt das genannte Wasser el-Nucheila, wo die Scharmützel mit den Persern begannen, die der grossen Schlacht bei Cädisija vorauf- gingen. Vorüber an el-Cubeibät, wo eine Cisterne und ein Brun- nen mit wenigem süssem Wasser in einer Tiefe von 40 und etlichen Klaftern, kommt man nach Wadil-Sibä, wo ein Teich, eine Burg und zwei Brunnen mit süssem Wasser 40 und etliche Klafter tief. Drei Meilen weiter liegt el-Zubeidija, ein von der Sultanin Zubeida ge- stifteter Teich, welcher nach ihrem Vornamen auch Birka Umm G a- far genannt wird.

Bei der Station el-'Odseib mit Quellwasser, 32 Meilen von Mu- githa, ist das Ende der Arabischen Wüste und die Gränze von el-Sawád oder ’Iräc. Nachdem Sad ben Abu Waccäc von Cädistja Besitz genom- ` men hatte, veranlasste er die Bekr ben Wäil sich bei "Odseib niederzu- lassen und diese gruben östlich von dort die Brunnen, welche el-Okei- liba genannt werden. Nicht weit hinter 'Odseib liegt der Wadi M u- scharrik, das Schlachtfeld des- Entscheidungskampfes zwischen den Persern und Muslim, wo drei Tage lang gekümpft wurde; diese drei Tage werden Armáth, Agwáth und 'Amás genannt, man weiss nicht, ob darunter Oertlichkeiten jener Gegend verstanden wurden, oder ob diese Ausdrücke Beziehung auf den Gang der Schlacht haben. Die Muslim begruben ihre Todten an zwei hohen Ufern des Wadi, von denen das eine nach el-Odseib, das andere nach-dem Wasser 'Ain- Schams hin liegt; über letzteren Ort hatten sich die Perser zurück- gezogen und am vierten Tage wurde unter den Mauern von Cädisija ihrer Herrschaft ein Ende gemacht.

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V. Cheibar, Fadak, Teimá und Tabük.

Das über die Hauptstrasse von Medina nach Cheibar in der frühe- ren Abhandlung Gesagte kann noch in einigen Punkten ergünzt werden. Gleich am Thore von Medina hinter dem Hügel el-Wadä war eine grosse Trift, wo die Pferde weideten bis nach Heifä oder Hafjä 5 bis 6, oder nach anderen 6 bis 7 Meilen weit, und hier wurden Wettrennen gehalten. Die grossen Besitzungen der Medinenser bei el-Gäba sind oben S. 118 erwähnt. Hier hatte auch Muhammed Weideplätze für seine Kamele und bis hierher wagte sich unter Anführung des 'Ojeina ben Hicn el-Fazárí eine Reiterschaar der feindlichen Gatafän und trieb Mu- hammeds Kamele mit sich fort, nachdem der Hüter erschlagen war. Sobald dies in Medina bekannt wurde, rief Muhammed seine Reiter auf, deren sich auch sogleich acht stellten; sie holten die Gatafän ein und nahmen ihnen einige Kamele wieder ab. Muhammed folgte mit einem Corps Fussgänger und setzte die Verfolgung fort bis nach Dsu- Carad, einem Wasser an der Strasse nach Cheibar, welches Talha ben Obeidallah käufllich erworben und dann zum allgemeinen Gebrauch für die Vorüberreisenden vermacht hatte, und dessen Entfernung von Medina auf einen Tag, von anderen auf zwei Nachtreisen angegeben wird. Hier lagerte Muhammed an einem Berge einen Tag und eine Nacht und kehrte dann, da er an einem weiteren Erfolge verzweifelte und fürchten musste, auf eine stärkere Macht der Gatafän zu stossen, wieder nach Medina zurück. |

Oestlich von dem Berge und Wadi ’Içr, an welchem Muhammed auf dem darauf folgenden Zuge nach Cheibar am ersten Tage lagerte, an dem Wadi el-Cuceiba liegt Raudha el-Agdád, ein Dorf der Gatafán, an welches sich folgende Anekdote anknüpft. Der Dichter "Urwa war mit mehreren seiner Stammgenossen nach Cheibar gezogen um dort Vorrüthe einzukaufen; Cheibar war berüchtigt als Pestort und es herrschte der Aberglaube, dass, wer sich vor dem Thore der Stadt niederwerfe und wie ein Esel schreie, von der Pest verschont bleibe. Alle Begleiter "Urwas beobachteten diese Fórmlichkeit, nur er selbst

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nicht; nachdem sie dann ihre Einkäuffe gemacht hatten und auf der Rückreise nach Raudha el-Agdäd kamen, starb hier die ganze Reise- gesellschaft ausser ’Urwa. Auf diesen Vorfall bezieht sich eins seiner Gedichte). Der Wadi Cuceiba mit einer üppigen Vegetation ist der südliche Ausgang des Wadi el-Daum, welcher im Norden von Cheibar von Gamra herabkommt und die Grünze zwischen dem Gebiete von Medina und Cheibar macht.

Unter den Burgen von Cheibar hat Jácát für el-Camüg auch el- Gumüdh, statt Wagda unrichtig Wachda, und dann kommt noch bei ihm el-Dhihär vor. Durch die Felder der von Medina her näher gelegenen Burgen Schikk und Natä zieht sich der Wadi el-Schu- reir, die entfernteren Wagda, Sulálim, Katiba und Watih wer- den durch den Wadi Chác bewässert. Die Einwohner von Schikk mit dem gleichnamigen Dorfe waren bekannt durch ihre Geschicklichkeit in der Anfertigung von Zügeln mit Gebiss für Pferde. el-Rukeiba und Ki'ás sind zwei hohe Berge bei Cheibar. Bei dem Orte Thi- bár sechs Meilen von Cheibar tódtete Abdallah ben Oneis den Juden Oseir ben Rizám.

Die Lage des Dorfes Fadak wird nirgends bestimmt angegeben, und Samhidt, nachdem er die Entfernung nach ’Ijädh ebenso wie Bekrí auf zwei oder drei Tage von Medina angemerkt hat, findet es selbst auffallend, dass sich über diesen einst so bekannten Ort nicht einmal in Medina eine genaue Kunde erhalten habe, und er hat darüber nichts weiter gefunden als den Bericht (aus dem Klassenbuche) des Ibn Sad über den Zug des 'Alí gegen die Banu Sad ben Bekr bei Fadak, wel- chen er dahin auf Muhammeds Befehl unternahm, als dieser erfuhr, dass jene ihren Jüdischen Glaubensgenossen in Cheibar zu Hülfe kommen wollten. 'Alí brach mit 100 Mann auf, marschirte bei Nacht und hielt sich am Tage verborgen, bis er an das Wasser el- H amag kam, zwi- schen Cheibar und Fadak, welches letztere sechs Nächte von Medina entfernt ist. Dort traf er einen Mann , welcher ihm Auskunft gab,

1) s. Nöldeke, die Gedichte des "Urwa, Nr. XIII.

Qe Gu cene UEBER T

DAS GEBIET VON MEDINA. 161

worauf er die Sad überfiel, in die Flucht schlug und ihnen 500 Kamele und 2000 Schaafe abnahm. Die erste Angabe ‚zwei bis drei Tage von Medina‘ muss hiernach sicher heissen: „zwei bis drei Tage (nórd- lich) von Cheibar", dazu stimmen die sechs Tage von Medina und hier- mit lassen sich auch die sonstigen Nachrichten vereinigen. Von Cheibar liegen auf dem Wege dahin der Wadi Achthäl, dann die Gegend von Jadi mit Wasser und Quellen, an denen die Murra wohnen, dann das genannte Hamag nach Wadil-Curá hinüber, ebenfalls mit Quellen, an denen Palmen stehen, und in dieser Richtung wird auch der Ort el- Guthä als am Wege liegend genannt. Der Wadi Dsu Marach zwi- schen Fadak und el-Wäbischija zeichnete sich durch sein üppiges Grün und die Menge der Bäume aus. Die Berge der Tajji erreicht man von Fadak in einem Tagemarsche und die durch die grosse Entfernung anscheinend sehr unbestimmte Angabe, dass der Wadi el-G ars und der Berg Chabbän zwischen Madin el-Nacra und Fadak liegen, findet ihre Erklärung darin, dass der Steuereinnehmer aus Nacra nach jenen Gegenden hinübergeht. Ueber den Weg, welchen dieser zu nehmen pflegte, sagt Bekri: Von Nacra eine Tagereise an den Berg el- Hibála und el-Gazäl (oder el-Cadsäl), dann an einen Berg Namens Gubärl), - welcher auch in Verbindung mit dem oben erwühnten Berge Jumn vorkommt, dann Jarbag?), ein Dorf, welches den Nachkommen des Ridhä gehórt, reich an Obst und Quellen, dann zehn Meilen durch die Harra nach Fadak. Ein anderer Weg, welchen der Einnehmer verfolgte, wenn er die Steuern besonders bei den Banu Dsubján und Mubárib erheben wollte, ging von Medina eine Poststation nach el-Cagga, wo die Banu 'Owál von Thalaba ben Sad steuerten, dann nach Nachl zu den Banu Chudhr von Muhärib, dann nach el-Mugitha, wo die übrigen Mu- hárib zahlen, dann nach el- Thamilija zu den Banu Aschga', dann nach el-Racmatein zu den Banu el-Qárid, denen auch 'Otáid bei Dhargad und 'Ozeila gehört, dann nach Murtafac zu den Banu

1) Nach den Arabischen Schriftzügen liegt die Vermuthung nahe, dass der oben

genannte Berg Chabbán derselbe sei. 2) Die Schriftzüge ähneln sehr dem obigen Jadi' bei Jácüt.

Histor.-philol. Classe. XVIII.

162 F. WÜSTENFELD,

Cattál ben Jarbü (d. i. Rijäh ben Jarbü ben Geidh ben Murra, dessen Mutter Umm Cattäl hiess), dann nach Fadak, el-Hurádha, Cheibar, el-Cahbàá zu den Banu Aschga, dann Dûra.

Der grósste Theil der Einwohner von Fadak bestand aus Banu Aschga; die Burg hatte den Namen el-Schumruch. Da nach der Eroberung von Cheibar der Friede mit Fadak zwischen Muhaj- jiça ben Mas'üd, welchen Muhammed hinsandte, und dem damaligen Herrscher von Fadak, dem Juden Jüscha@ ben Nün, unter denselben Bedingungen wie mit Cheibar, dass die Hälfte der Ertrügnisse abgegeben werde, ohne jeden Kampf abgeschlossen war, so betrachtete Muhammed diesen Vertrag als einen persönlichen zu Gunsten seiner Familie. Aber schon Abu Bekr machte der Tochter Muhammeds Fátima ihre Ansprüche streitig, während Omar sie dann anerkannte, und so ünderte sich dieses Verhältniss für ihre Nachkommen fast bei jedem Regierungswechsel, so weit die Nachrichten reichen bis auf Mutawakkil.

Die Entfernung von Medina nach Teimä beträgt acht Tagereisen; der Weg dahin ist mit dem nach Cheibar derselbe bis an den Berg Aschmads, muss dann an der Westseite von Cheibar vorübergehn, da er hinter dem Orte Siláh drei Tage weit den Landstrich el-Giná b, welcher auf der Seite von Wadil-Curá liegt, durchschneidet, wobei der Berg Bard zur Richtschnur genommen wird, dann kommt man nach Teimá; zwischen jenem Landstriche und Teimá lag die berühmte Burg el-Ablak el-fard auf einem Sandhügel, nach ihrem äusseren Aussehen ablak , weiss und schwarz“ so benannt; die vorhandenen Trümmer von Gebüuden aus Backsteinen machen gerade nicht den Eindruck von der Grösse und Festigkeit, welche ausser der viel gepriesenen Treue ihres Besitzers Samuel, dessen Vater Àdijá sie gebaut hatte, zum Sprüchwort geworden sind.

Harra el- Nár und Harra Leilá sind zwei neben einander lie- gende Landstrecken mit vulkanischem Boden, welche den gemeinschaft- lichen Namen Umm Cabbär führen und von Teimá bis Wadil-Curá reichen, an der ersteren ziehen sich einige Wadi hin, welche el-Ba- wärid heissen, und die zweite wird durch den Wadi Barüd begränzt,

1 A 1 ] i

DAS GEBIET VON MEDINA. : 163

in welchem sich Brunnen befinden. Die Stümme Gudsäm, Bali, Balkein und "Udsra besassen darin Niederlassungen und die Banu Suleim haben den Bergbau betrieben, indem dort Borax und Smaragde gefunden werden. Die Harra el-Nár wird jetzt von den Banu ”Anaza bewohnt und an der Seite von Cheibar ist Ladhá eine Niederlassung der Guheina mit dem nahe gelegenen Berge Kirs; neben der Harra ist der Berg Dhubär. Zu dem Verse des Muzarrid:

Suweica-Balbál bis zu seinen Faragát, dann Dsul-Gucn, wo ich oft mit Salmá zusammen kam, bringen mich zum Weinen. giebt Bekri die Erläuterung: „Suweica-Balbäl ist ein bekannter Berg am unteren Theile von Dsu-T ulüh, einem Wadi der Banu Tha- laba ben Sad ben Dsubján, zwischen el-Chuschba und der Harra el-Nár; el-Faragát, im Singl Farga, sind Hügel und Anhóhen in den Bergen von el-Macáca; Dsul-Gucn ist einer von den Teichen in der Harra el-När neben el-Macáca, und dieses sind lange Hügelketten, die sich von dem festen Boden der Harra el-Nár óstlich bis zu dem Wadi von Nachl hinziehen“. In jener Gegend der Thalaba hinter der Harra liegt auch der Ort Geica und auf der Ostseite kommt aus der Harra der Wadi Dsaura und ergiesst sich in den Wadi von Nachl zwei

Tagereisen von Medina an der Hauptstrasse nach Tabük.

Zu dieser Hauptstrasse nach T ab ük ist noch folgendes zu bemerken.

An dem Wadi Dsu-Chuschub einen Tagemarsch von Medina besass Marwán ben el-Hakam ein Schloss und dort hatten auch andere angesehene Omajjaden Besitzungen und Wohnungen, wohin sie sich kurz vor der Schlacht bei Harra einer nach dem anderen zurückzogen, als die Empórung gegen Jazid im J. 63 in Medina zum Ausbruch kam; sie wurden aber von dort durch Abdallah ben Handhala schmählich ausgetrieben, ehe die Syrischen Truppen herankamen. Diese hatten dann bei Dsu-Chuschub in der grossen Ebene neben den beiden Anhóhen el-Fahlatän ihr letztes Nachtquartier, bevor sie vor Medina rückten, nachdem sie Tags vorher bei el-Suweidä gelagert hatten. Nicht weit davon liegt der Ort Teich oder Teicha, dann der Berg Balä- kith, an dem sich das grosse Feld Schabakat el-Daum ausbreitet

X2

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bis nach Birma, von wo ein Wadi herabkommt, welcher sich an Balá- kith vorüber in den Wadi Idham ergiesst. Dsul-Marwa, ein grosses Dorf mit Quellen, Feldern und Gárten zwischen Dsu-Chuschub und Wadil-Curá acht Poststationen von Medina, war besonders von Banu Guheina bewohnt und die Nachkommen des Sabra ben Mabad el-Guhaní, eines Begleiters Muhammeds, der sich dort niedergelassen hatte und unter dem Chalifat des Mu'áwia gestorben ist, bildeten einen Haupttheil der Bevölkerung. Bekri giebt an, dass der Name Dsul-Marwa mehrere grosse Dörfer umfasse, sicherer ist dies der Fall mit Wadil-Curá, welches nicht ein einzelner Ort ist, sondern, wie schon sein Name „Wadi der Dörfer“ andeutet, ein Thal von mindestens drei Tagereisen zwischen Dsul-Marwa und Higr, und je nachdem der eine den Anfang, der andere das Ende desselben versteht, wird die Entfernung von Medina auf sechs Nächte und die von Higr auf eine, oder wie von Abul-Fidä auf mehr als fünf Tagereisen angegeben. Samhidi sagt sogar, dass zu seiner Zeit auch die Umgebung von Dsu-Chuschub von den Medinensern Wadil-Curá genannt werde. el-Ruhba bei den Palmenpflanzungen von Dsul-Marwa im Westen, dann Majásir und el-Sucjá nahe bei Wadil-Curá sind in dieser Reihenfolge Niederlassungen der Banu’Udsra, bei letzterem, zum Unterschiede von gleichnamigen Orten nach dem vorüberfliessenden Wadi „Sucj& am G azl* genannt, ist das Grab des Castraten Sängers Tuweis. An el-Sucjä lehnt sich der Berg Dsahbän, . von Guheina bewohnt. Als einzelne Orte von Wadil-Curá werden erwähnt: Häit bani el-Midäsch, nach einer Familie so benannt, welcher Muhammed den Besitz zutheilte; Saff&n, el- Kifáf, Raka- bán, Schucca der Banu 'Udsra an der Strasse, mit dem Platze el- Rac'a, wo Muhammeds Moschee stand, und Gaid-Curh!) oder Dára- Curh, als Marktplatz im Heidenthum der Hauptort von Wadil-Curá, aber am oberen Ende desselben gelegen, da nicht weit davon el-’Olä folgt. Auch Haudhä ist der Name einer längeren Strecke Weges

1) Samhüdi scheint der Lesart Cuz ah den Vorzug zu geben; indess in das Metrum der Verse, in denen der Name vorkommt, passt nur Curh.

DAS GEBIET VON MEDINA.

165

in der Gegend von Hier, in welcher Dsul-Rumma mehrere Orte nennt: Ich erstieg él-Gazála, die höchste Spitze von Haudhá, um nach ihnen auszuspühen,

Als würe ich ein Falk, mit schwarzen Augen

auf der Höhe des Sajja, der scharf umherblickt ;

Da sah ich sie, schon hatten sie Fitách und

die Sandfláche daneben zur Linken,

Und schon hatten sie el-Sabija zur Rechten,

und bogen in die Sandebene ab.

Als Lagerplütze der Armee, welche unter Abu '"Obeida von Medina nach Syrien auszog, werden hinter Wadil-Curá in dieser Folge el- Acrz, el-Guneina, Tabük und Sarg genannt, letzteres zwischen el-Mugitha und Tabük auf der Gränze zwischen Higäz und Syrien, 13 Stationen von Medina. Von Tabük sieht man im Osten den Berg Scharaurä und im Westen das Gebirge Hismä, welches sich nach Eila und der Wüste Tih bani Isräil hinüberzieht.

Alphabetisches Ortsverzeichniss.

138. 141 آذنة‎ 109 s;

133 Jal

153 الاعراب‎ „Li 132 ial

ابرق العزاف 134 .129 أبضة 141

أبطن 123 الابلق الفرد 162 |„ 121 ,119 الابواء 113

110 (2423! 123 I!

الاقيم 147 الاتيب 146 «eS‏ 104

104 KS!

أجا 143 الاجاول 103 !5,23 100 .95 الاجفر 153 .149 )> 141

41 122 phl‏ 123 ذو JU!‏ 154 الاحراب 116 الاحساء 157 .149 الاحورأن 148 الاحياء 112 الاخاديد 157 „u>!‏ 123 أخثال 161 !23 122

166

الاخرجلا 137 )> 138

الاخلفة 145 ادش 147 الادفاغ 136 e»!‏ 118

120. 133 Xo! 100 X433! 153 „Dil 148 أرأق‎

اراک 106

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104 (33V

114 A3

الأرحضية 120 أرك 144

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أرل 131

151 J ذو‎ 129. 148 أرمام‎ 124 jl

أروم 129

133 ws, 115 (353! 122 jt

117 الاساس‎ 125 5,431 129 ppi! 5,44 99 الاسيل‎ wis

F. WÜSTENFELD,

الاشعر 95 Aus‏ 162 wo)!‏ 131 أضم 106 .102 أظايف 147 اظلم 119

أعوج 128 الاعوص 116 أعيرض 152 الاغران 153 أفاعية 116 Ausb}‏ 126 3l‏ 141

أفوعية 117

131. 157 js! 165 الاقرع‎ 131 اقعسية‎ 143.158 الاقبلبة‎ 146 8551 153 ابر الية‎ 119 الي الشاة‎ 112 el

ذو أوب 148 XL‏ 165

بارق 157 JJ‏ 129 بثاء أبن !25 96 الججرات 119 „I‏ 113 „sl‏ 103

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براق 137 35,4 103 هركم 122

117. 151 برك‎ 124 (ps

درف 152

برقة !23( 142 برك 104 .102 pl X$‏ جعفر 158 برمة 164 .106 ڊروف 162 555,4 110 بواخة 146 الجزواء 103 e X‏ 112 بشهر 147 (fasa‏ 141 eem‏ 104 بطاح 140 بطان 154 بطى قو 151 Sl:‏ هر 111 بطى X‏ 125 بعال 104 البعوضة 140 ax;‏ 152 اليقاطة 135 ذو بقر 129 بقعاء 152

149. 151 Aa; 106. 163 بلا كىت‎ 110 5,24;

99 SALJI

اليلس 131 باطخ 145

100 A

100 sL4LJI

الباليى 99 !5,44 162 بوازن 148

95 Die;

بواذة 102

140 بولان‎ 124. 150 البويرة‎ 136 a A? a 99 بير الصريى‎ 119 za بهر‎ 124 plaa 133 Ray

ذو بوضة 106 Kin‏ 108

تبالة 138

100 553

قبوك 163

147 £3

ترعة 106 الترهس 134 „ms‏ 126

105 go

DAS GEBIET VON MEDINA.

122. 130 ‚iss 134 تعشار‎ 152 تعنق‎ 114 عه‎ 119 تغلمان‎ 120 تقنك‎

151 نمنى‎ 138 Kar 136 „u! 155 التغانير‎ 154 $Uz! 147 Ks 143 l3 138 55 100 تيقد‎

ثيماء 162 .149

137 gl

165 بنى أسرايل‎ Aus 98 الثاجة‎

ثالدق 136

113 1b

الثاملية 132

160 „US

كنانة 142

التجار 117

141. 150 تجر‎ 117 „all 147 Ar,

تعال 104 التعلبية 154 .140

167

ثقيب 107 4533 137

الشلباء 101 الثلبوت 149 .137 الثلم 142 ٠‏

الثمام 96 الثمامة 108 Ast‏ 150

الغياة 136

اجار 102

جاش 149 .142 انجال 117

اجب 147 جبار 161

جبل بان 116 جبل شمر 143 X.‏ طىء 143 جيلخ 111 Je!‏ 140 .115 33 161

الجتحاثة 142 الجحفة 112 جحد 150 جديد 149 جراد 140

اجرف 115

407. 130 a2!

136 8,28 156 الجريسى‎ 106. 164 Jd!

168

جش el‏ 149 جش اعبار 131 جشم 115 الجفاف 151 جفاف „Bil‏ 154 جفر 151

جفر القهب 129 جفر الهياءة 130 ذو اجغر 107 جل 156

151 Jia

120 sX31

الجلحاء 156 جلذية 142 الجلس 96

115 sig

ذو جماجم 121 jl.‏ 136 جمل 115 اوم 126 „USt‏ 162 .152 جندورة 129 slü>‏ 151 الجنينة 165 جو 145

129 «231

118 X,3,21 155 جوخاء‎ 145 الجودى‎ 157 اچوی‎

F. WÜSTENFELD,

انجى 108

الاجر 136

حاذة 123

100. 150 ë polži 131 حامر‎

الخامضة 136

حايط بنى (AA‏ 164 حايل 147

حجعرى 136

حبر 130

ديس 135

حبس سیل 116 حبشى 137

97 slaai

122 jas

المت 95

106. 120. 164 ‚Ei 150 حدد‎

حدمة 117 الخديبية 111

112 „1,21

المخراس 117

الخراضة 162 .101 >,» 104

ذو خرض 133 .115 حرة A‏ سليم 116 حرة Ju)‏ 162

حرة الغار 162

حرة واقم 115

ذات 5,21( 100

حريض 98

حرم بنى عوال 118 > يربوع 134 BE‏ 130

137 دارب‎ Pj 126 slasi

ذو حساء 131 حسمى 165 حسنى 103 (ds‏ 135

137 الحسينية‎ 110 |, A31

152 guasi

الخصيلية 144 حضرة 109

129 „last

حفياء 159 حفيتن 99

105. 146. 157 „as! 131 حفيرة نصر‎ 109 حقل‎

الحقو 156

106 4

الخلاءة 120

حلوة 136

ذو الحليفة 105 الجازة 132

98 Dit ذو‎ السبيل"154‎ AZ : 116 243! sz

DAS GEBIET VON MEDINA.

156 „17

138 xg!

يبان 144 الجواتكة 100 حواق 125 shai‏ 101

حورة 97

164 „>

134 الدارج‎ le> M T

159 slä,>

حية 145

خاص 160 الخالصة 153 الخايع 105

خبان 161 الخبراء 158

107 صايف‎ sl „> 127 $,,31

خبزة 102

الخيبط 95

101 „1,28

الخرانق 152 خرب 122 خرجان 126 الخريطة 112 خريق 103 X4c;31‏ 153

خشاش 113

ذو خش 16.168

Histor.- philol. Classe. X

الحشباء 135 الحشية 163 الحشرمة 99 الخضرمة 131 خفان 155 خفينن 99 ال 154 خلاد 144 خلاطا 110 الخلاقة 148 الخلجاء 156 خاص 110 x131‏ 142 خناصرة 150 الخندق 115 خو 136 الخوانق 152 8,2% 137 >„ 159 ذو خهم 110 AM‏ قرح 164 xistaJt‏ 132 دباب 148 .114 50 151 الذثينة 117 دجنية 134 دحل 99

کر 119

دعان 99

150 åsa

169

دعية 149 Kia‏ 117 اللوم 160 الدونكان 119 8,5 104 الدعاسظة 137 ذبذب 130 8,3 110 gà‏ 110 ذنب نقمی 115 šiji‏ 137 ذورة 163 uo‏ 164 رابغ 112 ,8,1 151 „bt‏ 135 الربايع 137 X. I‏ 125 الربض 113 الرجيعة 137 الرحبة 152 ut‏ 164 .146 .106 رحرحان 128 .118 الرحضية 120 رحقان 104 ,> 104 الرحيضة 120 رم 111 الرخيمة 140 wc x95,‏ 99 z‏

170

الرس 100

الرساس 125

الرستمية 155

123 cibo

155 wo,

رضوى 101

,833 150 .124 .121 الرقعة 164

161 gil

الرقيية 160

رك 139

ركبان 164

ركوبة 109

الرمان 146 .144 الرمض 142

رواف 151

الروحاء 95

روضة الاجداد 159 روضة عرينة 120

و روان 120

رومة 115

108 Ki, JI

411 bis,

الربان 148 .120 .118 ريم 109

104 Re

155 ab;

الزبيدية 158 .156 .117 3,5 153

115 ls;

F. WÜSTENFELD,

الزغباء 100 الرغبب× 137 الزوراء 131 الزولانيخ 142 زيجو 145

ذو ساعدة 121 ساهر 108

ساير 107

ساية 113 .111 سباح 122 السبعان 159 السيبية 165 السقار 125 .117 .98

| ستارة 113 .111

السك 119 السدرة 121 .119

السراء 144

سرار 99

سراوع 102

| السراة 94

107 cem PR)

سرغ 165

سرف 102 .95

السروان 146

سرير 104

129 Anus

السعدية 131

سفان 164 .106

سقف 150 .146 السقيا 164 .137 .118

سكاب 100

سلا 162 .151 سلالم 160

السلامية 149

115 gi~

ذو سلم 107

سلمان 156

سلمى 143

السليع 136

سليلة 126

ذو السليم 103 السهار 99

سهوراء 137

120 y

113 gia Ji

146 d

سوارق 123 السوارقي* 122 .113 السودة 121

سوقة !559( 127 السويداء 163 .125 سويقة 97 .95 سويقة Jul‏ 163 XI‏ 108 .105 .95 Kam‏ 165

129 EU

ذو الشب 98

142 £i

- الشباك 157 .134

الشيكة 437

شبكة الدوم 168 at‏ 155 شراف 157 الشراة 111 الشربة 130 شرج 153 .126 الشرف 426 شرك 148

شرك 134 TT‏ 165 .118 الشروين 146 الشرير 160 الشريف 126 ذات الشصب 97 الشطان 100 الشطنية 149 Kuba‏ 145 شعب 105 Rui p‏ معب ايض tit‏ شعر 133 الشعيية 130 Kaas‏ 122 شف 160 الشقذان 133 شقر 132

شقوق 155

164 Xüz

الشقيف 153 الشقيقة 122

DAS GEBIET VON MEDINA.

الشمرخ 162 شمنصور 111 e‏ 100 Dis‏ 152 شواحط 124 شوران 118 الشورة 121 الشوط 145 .122 شويلة 98

120 شی‎ 115 „is 164 قرح‎ Jubo 135 US صايرتا‎ 162 صبار‎ e! 151 £7

157 rau 147 ذو كا‎ 136 كير‎ 107 Das صخرات أن‎ 142 الصدر‎ 142 صدى سفر‎ 132 الصراد‎ 100. 118 صرار‎ 132 الصريى‎ 121 الصعبية‎ 106 صقر‎ 117 £o 133 الصلصلة‎ 135 الصلعاء‎

116 ‚Iso

171

صهباء 162

الصهوة 99

ضاجع 119

107 >lo

100 „Wo

ضبار 163

ضبع 133

ضبع اخرجى 118

الضيوعة 96

الضاجوع 134

146 „all

هرغد 161 .152 .111

ضرية 126

152 „wo

الضفر 108

ضفة 120

127 Jo

ذو الضلالة 97

الضلضلة 151

ضلع الجنفاء .132

100 Jalali

ضوجدكه 107

الضها 145

الضيفان 107

الصيقة 98

ضابة 148

99 (ib

الطرف 118

الطريدة 153

109 الطريفة‎ Y2

172

طلوب 137

ذو طلوح 163

الطماحية 137

154 Kb

163 ib

133 (ab

122 cb

ظبية 102

الظرب 157

98. 106. 118 „lb 160 الظهار‎

العاقرة 136

لم 146

127 Je

عباثر 102

العياسية 137

149 سلەمی‎ Dun

العبسية 150 .147 .138 عبود 107

107. 161 As

عنيقة 150

108 As

129 &iXs

157. 158 all 103 العطذيبة‎

عراعو 150 .131

العرج 110 .109

عرض 99 العرف 127 عرنجاء 151

F. WÜSTENFELD,

عرفة 151

ذات عرق 116 عرنان 151

العروب 109 عريتنات 131 العريض 119 عريفطان 121 العريهة 147 .138 العزافة 129

عزور 113

عزيلة 161

عسفان 113 .111 العسيلة 134 العشرق 135 العشيرة 96

ذو العشيرة 136 .101 „as‏ 159

عفاردة 108

العقبة 156 .138 عقر 120

عقر سلمى 140 عقر A;‏ شليل 127 العقربة 153

العلا 164

العارة 136

مف 118

العف 113

عيود الاقعس 131 عورد „USt‏ 117

117 السفح‎ ope

131 esM عيود‎ 106. 150 ودار‎ 148 polis

146 عنكب‎ 122 cs

ذات Arial‏ 136 عوارض 147 ,135 العواقر 106 عوالص 148 العوجاء 147 .143 العوير 156 Kanye‏ 99

العويقل 98

أم العيال 109 اأعيبوب 106 العيص 125

157 جمل‎ oss 158 عین شمس‎ 155. 157 Aso عين‎ 113 عون عسكر‎ 139 عيين الكل‎ 113 Agili عين‎ 118 الغابة‎

ذات الغار 124 الغبارى 145

الغبر 142

الغداة 144

الغو 153

108. 111 95$.

الغرتان 138

E uL 1 :

الغرد 133 الغرس 161 غرنق 122 الغريان 141 الغريب 129 الغزال 161 الغزالخ 165 ms‏ 151 غسلة 137 Aus‏ 95 ذو الغصن 163 غضور 146 الغلغلة 148

الغمر 150 .146 .138.140 -

غمر غزية 141 غمرة 160 .116 الغموض 160 غمهز 146

الغميس 154

الغوطة 161 .151

غوى 100

102. 163 Aus

. 114 الفاجة‎ 121 955 7112 الفارع‎ 113 xe UI 165 فغاخ‎ 148 «Xx 163 „uls

فخ 146

DAS GEBIET VON MEDINA.

فدك 160

فراقك 104

121 gli

163 c^; 148 $5,

الفرس 152 الفرس 131 الفرش 108 .106 الفرع 112 .109

الفوع 108 .100 .95

ذو الفرع 149 الفرعة 146

ذو فرقين 136 الغريش 108 .106 الفزارزى 156 الفعو 109

الفغوة 109 الفقارة 97

الفلاج 121

فنا 152

2.3 149 .138 فيفاء الخبار 95 القاحدة 114 القادسية 158 gu‏ 156

100. 102 قاعس‎ 117

5„ العبادى 154 القباية 95

120 „Bis

173

158 القبيبات‎ 152 axs

قىس 109 قىيى 113 JO‏ 161

القرارى 156 قراف 103

147 21,5

153 gyl, 159 ذو قرد‎ 135 X501 163 قرس‎

القرءاء 157 القرقرة 119 القرتان 141 القرنتان 138 ذأت القرنين 121 قرورى 135 .133 ums‏ 95

القرية 147 ymas‏ 145 قصر نفيس 115 Xil‏ 161 ذو القصةخ 155 .146 .118 القصيبية 159 .102 قطن 131.135 قعاس 160 القفيل 148 soXài‏ 100

قلب 123

174

120 قلهى‎ 130 cui 160 القمدوص‎ 135 us

القنان 134 .106 القنع 153

قنخ 134

قنخ „Bi‏ 120 القنيعة 154 قوأنى 131 قوران 123 القويلية 146 gäl!‏ 129 القيصومة 134 قيا 123

104 Xi 148 aus 160 Rasis 103 کشیب يليل‎ 119 اندر‎ 128 الاديد‎ 104 ‚Si

164 afi 103 كلفى‎ 131 كنيب‎ 100 8,281 140 اللهفة‎ 107 لاى‎

حف 111 جى Je‏ 138

F. WÜSTENFELD,

لصف 157

نظى 163

لعياء 119

لعلع 157

اللفاضة 135

151 Als)

أقط 147

111. 112. 124 AU 150 الاقيطة‎

119 Lasi لون‎

اللوزة 157

اللوى 107

124 eJ

154. 157 Kial 126. 133 ماوان‎ 102. 105 هبرك‎ 100 Kåsa

142 Jesa

136 2,23! مبهل‎ 148 Auli

المتعشى 108

95. 100. 107 مثعر‎ 100 ‚ir

الجاز 102

کو جر 123

121 Ast

فو حبلة 117 wasi‏ 133 .131 .123

146 Xa 109 Kost

اتو 111 oa‏ 116 £L, M‏ 100 šalti‏ 98 e;‏ 146 المذاد 115 المرابك 107 هران 117 مربخ 153 مرتفف 161 EA‏ 157 ذو المرخ 161 .108 .101 A4‏ 148 المرقعة 121 loj‏ 127 المروت 140 المرورات 132 ذو المروة 164 sil‏ 112 مریب 108 مهريخ 102 gama ti‏ 113 ا مريقب 130 ^35( 107 مسجل سعد 157 alma‏ 145 المسلى 116 mn‏ 110 مشار 150

ترپ 96

108 A

136 Ss a

مشرق 158

163 &eLall

109 Aral!

مضيف الفرع 113 معان 124

معدن zul‏ 136 معدن بنى سليم 122 معدن النقرة 133 المعنية 157

121 Eia بير‎

مغار 124

126. 157. 161 XXXI! 100 ال مقشعر‎

الملا 152

الملحداء 123

97 š

ملل 105 .95

ملكة 151 .149 .97 ملكة !23,2( 99 ملكة الرمث 99 الممهى 136

مناخ 102

100 „šia

المنتهب 143

132 ‚lt

منزل انقب 102 Axa‏ 148 .116 منقل 108

DAS GEBIET VON MEDINA,

116 المنقى‎ 124 BA, هنقي‎ 100 X2XXa

142 Mir

117 ispa

مواسل 148 موقف 148 مهادر 151 مهايع 112 مياجور 126 میاسر 164 ^ 150

ميطان 120 النازية 121 Karol‏ 100

ناظرة 153

134 ge

ذو النيام 132 الخييطاء 138 الجارة 117 e‏ 14

117 الكل‎ 117 pA

123 =

ذو التجيل 100 Xs‏ 104

تلل 163 .161 .126 الخيلة 158 .157 النشناش 136 ذات النصبي 95

175

تضيض 141

نطاة 160

النغل 148

النفيانة 149

النقبانة 145

النقرة 133

فقعاء 152

النقعان 110

نقها 123

النقيب 151 .147 .108 النقيشة 125

99 Je

نهب 110

وابش 100

الوابشية 161

وادى احفر 144

وأدى p‏ 158 (sol,‏ العيص 106 وادى القرى 164 .138 وأردأات 137

واسط 155 .154 واقصة 157 .156 pl,‏ 130

وبرة 109

وبعان 110

وجدة 160

103. 109. 113 „io, 102 ودعان‎

الوراق 141

الوراقة 141

176

S.

39

LE

F. WÜSTENFELD, DAS GEBIET VON MEDINA.

الهياعة 125 ورقان 108 .106 الهبير 154 ذو ورڈ 120 Kaigli‏ 149 ذو الوسياء 121 الهدار 124 وسوس 100 الهدبية 199 الوشل 99 الهدم 144 الوشم 134

ذو الهدى 97 e,‏ 160 هرمة 119 الوعساء 154 هزر 100 الوقبى 134 الهطالة 147 وقرأن 147 الهم 160 X,‏ 110

الهيقم 156 الهاربية 132 يديع 161 الهاشمية 153 يذبل 148 الهبالة 161 Verbesserungen.‏

105, 12-13 1. Char und el-Chár'án |

116, 10 1. Mahîç

117, 3 1. el- 28 148, 1 1. Dhabu?

—, 14 Ll Gawwänia

142, 6 v. u. l. el-Zaulánia

147,7 l. el-Augä , 23 l. Adabi

—,4 v. u.l el-Hattála » 153, 5 1. Nádhira

يربغ 161 يرثك 114 Su‏ 122 المعرية 130 اليعلة 130 يليل 96 اليمام 96 يمن 151 gsi:‏ 101 ينبوقة 155 eilt‏ 106 بين 107

»

Das GEBIET von MEDINA. E Nach Arabischen Geographen r n ce entworfen von 1 : as oe * elAgarr F. WUSTENFELD. . el-Agfur. p Abar قا أ‎

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