ABHANDLUNGEN KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ZWANZIGSTER BAND VOM JAHRE 1875. MIT EINER STEINDRUCKTAFEL. GÖTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG, 1875. Mo. Bot. Varden, 1901, Viðrtode Der vorliegende Bd. XX. der Schriften der Königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen enthält die in dem J. 1875 in den Sitzungen derselben vorgetragenen oder vorgelegten Abhandlungen. Die der Societät mitgetheilten kleineren Arbeiten sind in dem Jahrgange 1875 der „Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften und der G.-A.- Universität“ ver- öffentlicht worden. Es wurden folgende Abhandlungen und klei- nere Mittheilungen vorgetragen oder vorgelegt: Am 9. Januar. Marx, Zur Anerkennung des Arztes Dr. Daniel Ludwig, des Reformators der Pharmacologie und Pharmacie. Bd. XX. Marx, Zur Anerkennung des Arztes und Schulmannes Dr. Georg Henisch. Bd. XX. Waitz, Ueber die Annales Petaviani und Mosellani. Nn. 1, Wieseler, Ueber einige vorgelegte, bisher nicht bekannt gewesene geschnittene Steine. Nn. 18. Benfey, Vedisch vrad — griech. Fo«d und Feod. Nn. 33. Kohlrausch, Corresp., Ueber die elastische Nachwirkung. Nn. 41. Drude, Zwei botanische Mittheilungen. (Vorgelegt von Grisebach.) Nn. 49. Mittag - Leffler, Beweis des Cauchy’schen Satzes für com- plexe Functionen. (Vorgelegt von Schering.) Nn. 65. *) Nn. bedeutet »Nachrichten 1875« mit der Seitenzahl. IV VORREDE. Am 6. Februar. Wüstenfeld, die Statthalter von Aegypten zur Zeit der Am 6. März. Chalifen. Bd. XX. Benfey, Die Quantitätsverschiedenheiten in den Samhitä- und Pada-Texten der Veden, 2te Abhandl. Bd. XX. Benfey, Vedisch ridüdära, ridüpe, ridůvrídhå. Nn. 189. Enneper, Bemerkungen über die Biegungen einiger Flä- chen. Nn. 129. Husemann, Ueber das Rabuteau’sche Gesetz der toxischen Wirkung der Elemente, und die Action des Lithiums (Vorgelegt von Grisebach.) Nn. 97. Merkel, Ueber die Endigung der sensibeln Nerven in der Haut. (Vorgelegt von Henle.) Nn. 123. Voss, Ueber eine Fundamentalaufgabe der Plückerschen Geometrie. (Vorgelegt von Fuchs) Nn. 101. Hübner und Wiesinger, Ueber das Verhalten einer schwa- chen Säure zum Salze einer stärkeren. Nn. 241. Reinke, Ueber Fucus vesiculosus. (Vorgelegt von Grise- bach.) Nn. 230. Bezzenberger, Etymologische Mittheilungen. (Vorgelegt von Benfey.) Nn. 225. Fromme, Untersuċhungen über den Magnetismus von Stahl- stücken. (Vorgelegt von Riecke.) Nn. 297. Himstedt, Ueber die Schwingungen eines Magnets unter dem dämpfenden Einfluss einer Kupferkugel. (Vorgelegt von Riecke.) Nn. 308. Schrader, Ueber den speeifischen Widerstand der Gas- kohle. (Vorgelegt von Riecke.) Hübner, Mittheilungen aus dem chem. Laboratorium. Nn.165. (Burghard über Bibrombenzoösäuren. Glass- ner über Jodsulfitoluol. Hübner, Bemerkung zu einer Gen aee von Gates und Pagel. Ebell über e 7 . 3 etc. Meinecke über Ben- zanilid und Brom. B oyes über Xilidinverbindungen.) Am 1. Mai. Am 5. Juni. Am 10. Juli. Am 7. August. VORREDE. V Königsberger, Corresp., Beziehungen zwischen den Perio- dicitätsmoduln zweier hyperelliptischen Integrale. Nn. 327. Ewald, Die Phönikische Inschrift von Gaul. Nn. 353. Wüstenfeld, Die Statthalter von Aegypten zur Zeit der Chalifen. 2. Abtheilung. Bd. XX. Wieseler, Zur Kunstmythologie Pans. Nn. 433. Schubert, Ueber die Ausartungen der Curven 3. Ordnung (Vorgelegt von Stern.) Nn. 359. Tonelli, Zur Lehre vom Zusammenhange. (Vorgelegt von Schering.) Nn. 387. Einneper legt vor: Ch. Faà de Bruno: Tables des fonc- tions symétriques de poids XI. Nn. 390. Waitz, Die Redaction der Lex Wisigothorum von König Chindasuinth. Nn. 415. Conwentz, Beitrag zur Kenntniss des Stammskelets ein- heimischer Farne. (Vogel von Grisebach). Nn. 421. Lang, Vulkanische Asche von Turrialba (Vorgel. von Wöhler). An. 397. Riecke, Ueber die electrischen Elementargesetze.. Bd. XX. Husemann, Notiz. über die Wirkung der Phenole, inson- derheit des Thymols (Vorgel. von Grisebach.) Nn. 481. Ludwig, Ueber das Rötteken’sche Auge der Actinien (Vor- gel. von Ehlers). Nn. 491. Fromme, Notiz über das Maximum des temporären Mag- netismus beim weichen Eisen. (Vorgelegt von Riecke.) Nn. 500. Tonelli, Ueber die Potentialfunction in einem mehrfach aus- gedehnten Raume. (Vorgelegt vonSchering.) Nn.521. Henle, Ueber Linsenfasern. "Non. 553. Fuchs, auswärt. Mitglied., Ueber die linearen Differen- zialgleichungen 2. Ordnung, welche algebraische Integrale besitzen, und eine neue Anwendung der Invarianten- theorie. Nn. 568. VI # VORREDE. Hübner, Mittheilung aus dem chem. Laboratorium. Nn.585. (Hübner, Hall und Wattenberg, Zwei Nitrosalicyl- säuren und ihre Verwendung zur Bestimmung der Na- tur der Wasserstoffatome im Benzol. Taylor, über Nitro- und Amidophenyl- und Toluyl-suceinimid. 601. Mears, Einwirkung des Jodeyans auf Orthodiamidobenzol. 603. Hintzmann, Trennung der Para- und Ortho-Bromben- zoösäure. 603. Smith, über eine hoch gechlorte Verbin- dung aus Toluol. 604. Ders., Einwirkung von Brom auf Benzyltrichlorid. 606. Ders., Para-Brom-meta-Brom- ortho-nitro-Benzoösäure. 607,) Wöhler, Mittheilung, dass Frau Platner 150 Briefe von Gauss an ihren Vater, Prof. Gering, der Societät zum Geschenk gemacht hat. Am 6. Novemb. Wüstenfeld, Die Dynastie der Tuluniden in Aegypten -und Syrien. Bd. XXI. Am 4. Decbr. Fuchs, auswärt. Mitgl., Berichtigungen zu seiner Notiz über die linearen Differenzialgleichungen zweiter Ordnung sto... Nn. 612. Benfey, Beitrag zur Vedanmetrik: Nn. I. Der zweite Fuss in elf- u. zwölfsilbigen Stellen. Wöhler, Notiz über den Pachnolithvon Grönland. Nn. 609. Marme, Vergleichende Versuche über die giftige Wirkung der arsenigen und der Arsensäure, Nn. 614. v. Brunn, Die Bildung des Zahnbeins. (Vorgelegt von Henle.) Nn. 616. Feier des Stiftungstages der K. Gesellschaft und Jahres- bericht. Nn. 629. Benfey, Ueber die syrische Uebersetzung des indischen Fürstenspiegels.. Bd. XXI. | Wieseler, Ueber ein Votivrelief. Nn. 635. VORREDE. VII Die für den November d. J. von der physikalischen Classe gestellte Preisfrage hat einen Bearbeiter nicht gefunden. Für die nächsten drei Jahre werden von der K. Societät. folgende Preisaufgaben gestellt: | Für den November 1876 von der mathematischen Classe: Nachdem die von Siemens dargestellten Widerstandsmaaße und Wider- standsskalen allgemeinere Verbreitung und Anwendung gefunden, und dieselben von Kohlrausch mit großer Sorgfalt und Genauigkeit auf absolutes Maaß zurückgeführt worden sind (siehe Poggendorffs Annalen 1873. Supplementband VID), ist es möglich geworden, auch die Stromarbeit nach absolutem Maaße genau zu bestimmen. Die > Königliche Societät verlangt nun eine Untersuchung über Strom- arbeit, d. i. über die von den elektromotorischen Kräften durch ihre Wirkung auf die strömende Elektricität geleistete Arbeit, insbesondere über das Verhältniß und den Zusammenhang derselben mit der vom Strome erzeugten Wärme, und über die von ihr unmittelbar in der strömenden Elektricität oder mittelbar in an- dern im Leiter enthaltenen beweglichen Theilchen erzeugte lebendige Kraft. Für den November 1877 von der historisch-philolo- gischen Classe: Die K. Societät verlangt, daß gezeigt werde , was die bildenden und zeichnenden Künste bei den Griechen und Italern den Künsten der Nichtgriechen und Nicht- italer verdanken, und hin wiederum, wo sie außerhalb der Griechischen und Italischen Länder Wurzel getrieben und wiefern sie einen Einfluß auf die Ent- wickelung der Künste bei Nichtgriechen und Nichtitalern gehabt haben. Für den November 1878 von derphysikalischen Classe: Die Fragen, ob und welche besondere Wirkungen auf den thierischen Organismus das Athmen in reinem Sauerstoffgase von der dem gewöhnlichen Luftdruck entspre- chenden Dichtigkeit hat, sind durch die bisher hierüber angestellten Untersuchungen nicht mit befriedigender Uebereinstimmung beantwortet; es werden daher neue Un- tersuchungen, sowohl an homoiothermen, als auch, so weit thunlich, an poikilothermen Thieren gewünscht, bei denen neben etwa äußerlich am Thier wahrnehmbaren Er- scheinungen ganz besonders die Beschaffenheit des Blutes und des Stoffwechsels (Kohlensäure-Ausscheidung, Beschaffenheit des Harns) iws Auge zu fassen sind; mit Rücksicht auf gewisse Angaben wird die Reinheit des anzuwendenden Sauer- stoffgases von allen bei dessen Bereitung etwa zugleich auftretenden fremdartigen VITI VORREDE. Stoffen sorgfältig zu beachten sein, während eine vielleicht kaum zu vermeidende, in engen Grenzen zu haltende Beimengung von atmosphärischem Stickstoff dem Sinn der Aufgabe nicht entgegentreten würde. Die Concurrenzschriften müssen vor Ablauf des Sept Zei ers der bestimmten Jahre an die K. Gesellschaft der Wissenschaften portofrei eingesandt sein, begleitet von einem versiegelten Um- schlag, welcher den Namen und Wohnort des Verfassers enthält und auswendig mit dem Motto zu versehen ist, welches auf dem Titel der Schrift steht. Der für jede dieser Aufgaben ausgesetzte Preis beträgt min- destens funfzig Ducaten. ” X * ¥ Der Bericht über den dritten Verwaltungszeitraum der W e- dekind'schen Stiftung für deutsche Geschichte, welcher mit dem 14. März 1876 abläuft, wird seiner Zeit in den Nachrichten er- scheinen. Nachdem nun die Gauss'schen Werke in erster Ausgabe vollendet erschienen sind, hat die K. Gesellschaft in den Nach- richten und ausführlicher in öffentlichen Blättern bekannt gemacht, dass mit dem 1. Januar 1876 die im Jahre 1862 eröffnete Sub- scription auf diese Werke geschlossen ist und dass von da an der Vertrieb auf dem Wege des Buchhandels zu erhöhten Preisen eintritt. Band I. enthält die Disquisitiones arithmeticae. Band IL höhere Mathematik. Band III. Analysis. Band IV. Geometrie und Methode der kleinsten Quadrate. Band V. mathematische Physik. Band VI. Astronomie. Von diesen sind im Augenblick nicht vorräthig Bd. II IH und V. — VORREDE. IX Nur von der Ausgabe auf Velin-Schreibpapier sind voll- ständige Exemplare vorräthig, von denen aber einzelne Bände nicht ausgegeben werden. Die K. Gesellschaft ergreift mit Vergnügen diese Gelegenheit, ihrem Mitgliede, dem Herrn Professor Schering, für die mühe- volle, schwierige Arbeit, der er sich als Redacteur bei der Her- ausgabe dieser Werke unterzogen hat, ihren Dank auszudrücken und sich der Hoffnung hinzugeben, dass er mit gleichem Eifer seine einsichtsvolle Thätigkeit auch den neuen Auflagen zuwenden werde. Das Directorium der Societät ist zu Michaelis d. J. von Herrn Marx in der physikalischen Classe auf Herrn Weber in der mathematischen Classe übergegangen. En Die Societät betrauert den Verlust zweier ihrer ältesten Mitglieder: Ewald und Bartling. Heinrich Ewald Dr. der Theologie und Professor der ori- entalischen Sprachen, starb am 4. Mai im 73. Lebensjahre. Friedrich Gottlieb Bartling, Professor der Botanik und Director des botanischen Gartens, starb am 19. November im 77. Lebensjahre. Von ihren auswärtigen Mitgliedern und Correspondenten verlor die Societät in diesem Jahre durch den Tod: Den Professor der Astronomie in Bonn Geheimerath Friedrich Wilhelm August Argelander, gestorben am 17. Februar im t, Den General - Secretär der K. Akademie der Wissenschaften in Wien Anton Schrötter, Ritter von Kristelli, gest. am 15. April im 73 J.; b x VORREDE. Den Bergrath Theodor Scheerer in Dresden, gest. am 19. Juli im 62 J.; Den Professor der classischen Philologie in Halle, Geheime- rath Gottfried Bernhardy, gest. am 15. Mai im 75. J.; Den Physiker Charles Wheatstone in London, gest. am 19. October im 73 J.; | Mit Bedauern sah die Societät aus der Reihe ihrer hiesigen Mitglieder den Professor der Mathematik Herrn Ludwig Fuchs scheiden, der einem Rufe an die Universität Heidelberg folgte. Von der K. Societät neu erwählt wurden Zu hiesigen ordentlichen Mitgliedern: ; Reinhold Pauli, hister.-philol. Classe. Hr. Carl Hermann Amandus Schwarz, mathem. Classe. Ë Zu auswärtigen Mitgliedern: Hr. Alexander Braun in Berlin, (seit 1861 Corresp.) Hr. Heinr. Lebrecht Fleischer in Leipzig. Zu Correspondenten. Hr. Ferdinand von Richthofen in Berlin. Hr. Ferdinand von Hochstetter in Wien. Hr. Wyville Thomson in Edinburgh. Hr. Heinrich Weber in Königsberg, Hr. James Clerk Maxwell in Cambridge, Hr. August Kundt in Strassburg. Hr. Carl Joh. Malmsten in Mariestad, Schweden. Hr. Eugenio Beltrami in Bologna. Hr. Ferdinand Justi in Marburg. Hr. Alexander Conze in Wien. Göttingen im December 1875. F. Wöhler. Verzeichniss der Mitglieder ; der : Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Januar 1876. Ehren-Mitglieder. Peter Merian in Basel, seit 1862. Adolph von Warnstedt in Göttingen, seit 1867. Johann Jacob Baeyer in Berlin, seit 1867. Freiherr F. H. A. von Wangenheim auf Waake, seit 1868. r Graf Sergei Stroganoff in St. Petersburg, seit 1870. Ignatz von Döllinger in München, seit 1872. Michele Amari in Florenz, seit 1872. Joachim Barrande in Prag, seit 1873. Giuseppe Fiorelli in Neapel, seit 1873. Ordentliche Mitglieder. Physikalische Classe. C F. H. Marx, seit 1833. F. Wöhler, seit 1837. Beständiger Secretär seit 1860. A. Grisebach, seit 1851. í ` F. G. J. Henle, seit 1853. W. Sartorius von Waltershausen, seit 1856, G. Meissner, seit 1861. E. Ehlers, seit 1874. Mathematische Classe. W. E. Weber, seit 1831. G. C. J. Ulrich, seit 1845. J. B. Listing, seit 1861. M. Stern, seit 1862. E. Schering, seit 1862. (Assessor seit 1860). C. H. A. Schwarz, seit 1875. b* XII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Historisch - philologische Classe. C. Hoeck, seit 1841. G. Waitz, seit 1849. H. F. Wüstenfeld, seit 1856. (Assessor seit 1841.) H. Sauppe, seit 1857. J. E. Wappäus, seit 1860. (Assessor seit 1851.) Th. Benfey, seit 1864. F. Wieseler, seit 1868. H. Brugsch, seit 1869. G. Hanssen, seit 1869. G. R. Pauli, seit 1875. Assessoren. Physikalische Classe. E. F. G. Herbst, seit 1835. C. Boedeker, seit 1857. C. von Seebach, seit 1864. W. Krause, seit 1865. W. Henneberg, seit 1867. H. Hübner, seit 1871. W. Marmé, seit 1871. : Mathematische Classe. E. F. W. Klinkerfues, seit 1855, A. Enneper, seit 1865. E. Riecke, seit 1872. . Historisch - philologische Classe. A. Fick, seit 1869. Auswärtige Mitglieder. Physikalische Classe. Carl Ernst von Baer in St. Petersburg, seit 1851. Jean Baptiste Dumas in Paris, seit 1851. (Correspondent seit 1849.) Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin, seit 1851. Ernst Heinrich Weber in Leipzig, seit 1851. Robert Bunsen in Heidelberg, seit 1855. Richard Owen in London, seit 1859. Adolf Brongniart in Paris, seit 1860. August Wilh. Hofmann in Berlin, seit 1860. DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XII H. Milne Edwards in Paris, seit 1861. Hermann Kopp in Heidelberg, seit 1863. (Corresp. seit 1855.) Carl Theodor von Siebold in München, seit 1864. (Corrresp. seit 1850.) Michel Eugène Chevreul in Paris, seit 1865. Joseph Dalton Hooker zu Kew bei London, seit 1865. Theod. Ludw. Wilh. Bischoff in München, seit 1866. (Corresp. seit 1853.) Hermann Helmholtz in Berlin, seit 1868. (Corresp. seit 1859.) Henri Sainte Claire Deville in Paris, seit 1869. (Corresp. seit 1856.) - Franz von Kobell in München, seit 1870. (Corresp. seit 1861.) Ernst Heinrich Carl von Dechen in Bonn, seit 1871. Carl Claus in Wien, seit 1873. (Zuvor hies. ordentl. Mel, seit 1871.) Eduard Frankland in London, seit 1873. William Sharpey in London, seit 1874. (Corresp. seit 1868.) Max von Pettenkofer in München, seit 1874. Alex. William Williamson in London, seit 1874. James Dwigt Dana in Newhaven, seit 1874. Alexander Braun in Berlin, seit 1875. (Corresp. seit 1861.) Mathematische Classe. U. J. Leverrier in Paris, seit 1846. George Biddel Airy in Greenwich, seit 1852. Joseph Liouville in Paris, seit 1856. E. Kummer in Berlin, seit 1856. (Corresp. seit 1851.) F. E. Neumann in Königsberg, seit 1356. Henri Vietor Regnault in Paris, seit 1859. William Hallows Miller in Cambridge, seit 1859. Edward Sabine in London, seit 1862. (Corresp. seit 1823.) Richard Dedekind in Braunschweig, seit 1862. (Corresp. seit 1859.) Aug. Robert Kirchhoff in Berlin, seit 1862. Heinrich Wilhelm Dove in Berlin, seit 1864. (Corresp. seit 1849.) Johann Christian Poggendorff in Berlin, seit 1864. (Corresp. seit 1854.) William Thomson in Glasgow, seit 1864. (Corresp. seit 1859.) Ferdinand Reich in Freiberg, seit 1864. Heinrich Buff in Giessen, seit 1865. (Corresp. seit 1842.) Carl Weierstrass in Berlin, seit 1865. (Corresp. seit 1856.) Enrico Betti in Pisa, seit 1865. Leopold Kronecker in Berlin, seit 1867. (Corresp. seit 1861.) Carl Neumann in Leipzig, seit 1868. . (Corresp. seit 1864.) XIV VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Francesco Brioschi in Mailand, seit 1870. (Corresp. seit 1869.) Arthur Cayley in Cambridge, seit 1871. (Corresp. seit 1864.) Carl Aug. Friedr. Peters in Kiel, seit 1874. (Corresp. seit 1851.) Charles Hermite in Paris, seit 1874. (Corresp. seit 1861.) Ludwig Fuchs in Heidelberg, seit 1875. (Zuvor hies. ord. Mitgl. seit 1874.) Historisch-philologische Classe. G. H. Pertz in Berlin, seit 1837. Leopold von Ranke in Berlin, seit 1851. Justus Olshausen in Berlin, seit 1853. Christian Lassen in Bonn, seit 1860. (Corresp. seit 1850.) Georg Friedr. Schömann in Greifswald, seit 1860. (Corresp. seit 1850.) Friedrich Ritschl in Leipzig, seit 1860. (Corresp. seit 1854.) Samuel Birch in London, seit 1864. Friedrich Diez in Bonn, seit 1864. Theodor Mommsen in Berlin, seit 1867. (Corresp. seit 1857.) Riehard Lepsius in Berlin, seit 1867. (Corresp. seit 1860.) Ernst Curtius in Berlin , seit 1868. (Zuvor hies. ordentl. Mitglied seit 1856.) George Bancroft in Washington, seit 1868. Franz Miklosich in Wien, seit 1868. Ludolf Stephani in St. Petersburg, seit 1869. Wilhelm von Giesebrecht in München, seit 1871. (Corresp. seit 1863.) Carl Hegel in Erlangen, seit 1871. (Corresp. seit 1857.) Heinrich von Sybel in Berlin, seit 1871. (Corresp. seit 1863.) Johann Nicolaus Madvig in Kopenhagen, seit 1871. Rudolph Roth in Tübingen , seit 1872. (Corresp. seit 1853.) August Dillmann in Berlin, seit 1872. ` (Corresp. seit 1857.) Sir Henry Rawlinson in London, seit 1872. Alfred Ritter von Arneth in Wien, seit 1874. (Corresp. seit 1870.) Max Duncker in Berlin, seit 1874. Heinrich Lebrecht Fleischer in Leipzig, seit 1875. Correspondenten. Physikalische Classe. E. Eichwald in St. Petersburg , seit 1841. Robert Willis in London, seit 1844. Hermann Stannius in Rostock, seit 1850, DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. Theodor Schwann in Lüttich, seit 1853. Wilhelm Duncker in Marburg, seit 1853. L. Zeuschner in Warschau, seit 1857. Johannes Hyrtl in Wien, seit 1859. Nicolai von Kokscharow in St. Petersburg, seit 1859. Rudolph Leuckart in Leipzig, seit 1859. Alfred Wilh. Volkmann in Halle, seit 1860. F. H. Bidder in Dorpat, seit 1860. Carl Schmidt in Dorpat, seit 1860. F. C. Donders in Utrecht, seit 1860. Joh. Jap. Sm. Steenstrup in Kopenhagen, seit 1860. Bernhard Studer in Bern, seit 1860. Heinrich Limpricht in Greifswald, seit 1860. (Assessor seit 1857.) Ernst Brücke in Wien, seit 1861. Emil du Bois Reymond in Berlin, seit 1861. Carl Ludwig in Leipzig, seit 1861. Archangelo Seacchi in Neapel, seit 1861. Quintino Sella in Rom, seit 1861. Thomas H. Huxley in London, seit 1862. Albert Kölliker in Würzburg, seit 1862. Ferdinand Römer in Breslau, seit 1862. Charles Upham Shepard in Amherst, V. St., seit 1862. Heinrich Credner in Halle, seit 1863. Alexander Ecker in Freiburg, seit 1863. Bernhard von Cotta in Freiberg, seit 1864. Alvaro Reynoso in Havanna, seit 1865. Ferdinand Müller in Melbourne, seit 1867. Anton Geuther in Jena, seit 1367. A. L. Descloizeaux in Paris, seit 1868. Asa Gray in Cambridge, V. St., seit 1868. Jean Charles Marignac in Genf, seit 1868. Alex. Theodor von Middendorff auf Hellenorm bei Dorpat, seit 1868. Adolph Wurtz in Paris, seit 1868. August Kekule& in Bonn, seit 1869. Robert Mallet in London, seit 1869. Wilhelm Hofmeister in Tübingen, seit 1870. Carl Friedrich Rammelsberg in Berlin, seit 1870. Adolf Erik Nordenskjöld in Stockholm, seit 1871. XV XVI VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Anton de Bary in Strassburg, seit 1872. Eduard Pflüger in Bonn, seit 1872. Wilh. Philipp Schimper in Strassburg, seit 1872. J. S. Stas in Brüssel, seit 1873. Henry Enfield Roscoe in Manchester, seit 1874. Johann Strüver in Rom, seit 1874. Ferdinand von Hochstetter in Wien, seit 1875. Ferdinand von Richthofen in Berlin, seit 1875. Wyville Thomson in Edinburgh, seit 1875. Mathematische Classe. Humphrey Lloyd in Dublin, seit 1843. John Couch Adams in Cambridge, seit 1851. Thomas Clausen in Dorpat, seit 1854. Ludwig Seidel in München, seit 1854. Georg Rosenhain in Königsberg, seit 1856. Peter Riess in Berlin, seit 1856. John Tyndall in London, seit 1859. Julius Schmidt in Athen, seit 1862. Carl Wilhelm Borchardt in Berlin, seit 1864. Andreas von Ettingshausen in Wien, seit 1864. Wilhelm Gottlieb Hankel in Leipzig, seit 1864. Philipp Gustav Jolly in München, seit 1864. Carl Hermann Knoblauch in Halle, seit 1864. Georg Gabriel Stockes in Cambridge, seit 1864. James Joseph Sylvester in Woolwich, seit 1864. Heinrich Eduard Heine in Halle, seit 1865. Rudolph Jul. Emmanuel Clausius in Bonn, seit 1866. Erik Edlund in Stockholm, seit 1866. Georg Quineke in Heidelberg, seit 1866. Charles Briot in Paris, seit 1867. Benj. Apthorp Gould in Cambridge, V. St., seit 1867. Rudolph Lipschitz in Bonn, seit 1867. Benjamin Peirce in Cambridge, V. St., seit 1867. Siegfried Aronhold in Berlin, seit 1869. E. B. Christoffel in Strassburg, seit 1869. Luigi Cremona in Mailand, seit 1869. Wilb. Theod. Bernhard Holtz in Berlin, seit 1869. DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. George Salmon in Dublin, seit 1869. Friedrich Kohlrausch in Würzburg, seit 1870. (Assessor seit 1867.) Paul Gordan in Erlangen, seit 1870. Hermann Grassmann in Stettin, seit 1871. Ludwig Schlaefli in Bern, seit 1871. Arthur Auwers in Berlin, seit 1871. Felix Klein in München, seit 1872. Sophus Lie in Christiania, seit 1872. August Mayer in Leipzig, seit 1872. C. A. Bjerknes in Christiania, seit 1873. J. Thomae in Freiburg B., seit 1873. Leo Königsberger in Dresden, seit 1874. Wilhelm Förster in Berlin, seit 1874. Bernhard Minnigerode in Greifswald, seit 1874. (Assessor seit 1873). Eugenio Beltrami in Bologna, seit 1875. August Kundt in Strassburg, seit 1875. Johann Malmsten in Mariestad, seit 1875. James Clerk Maxwell in Cambridge, seit 1875. Heinrich Weber in Königsberg, seit 1875. Historisch-philologische Classe. F. E. G. Roulez in Gent, seit 1841. Adolph Fried. Heinr. Schaumann in Hannover, seit 1853. Joh. Gust. Droysen in Berlin, seit 1857. Wilh. Henzen in Rom, seit 1857. G. C. F. Lisch in Schwerin, seit 1857. A. R. Rangabe in Berlin, seit 1857. B. von Dorn in St. Petersburg, seit 1859. L. P. Gachard in Brüssel, seit 1859. Johann Gildemeister in Bonn, seit 1859. Franz Palacky in Prag, seit 1859. Theodor Bergk in Bonn, seit 1860. Carl Bötticher in Berlin, seit 1860. Georg Curtius in Leipzig, seit 1860. K. Lehrs in Königsberg, seit 1860. Giovanni Battista de Rossi in Rom, seit 1860. Leonhard Spengel in München, seit 1860. Heinrich Ludolph Ahrens in Hannover, seit 1861. XVII XVII VERZEICHN. D. MITGLIEDER D. KÖN. GESELLSCH. D. WISSENSCH. Max Müller in Oxford, seit 1861. Arnold Schäfer in Bonn, seit 1861. Friedr. Ferdin. Carlson in Stockholm, seit 1863. Martin Haug in München, seit 1863. Ludwig Lange in Leipzig, seit 1863. Theodor Nöldecke in Strassburg, seit 1864. (Assessor seit 1860.) Hermann Bonitz in Berlin, seit 1865. Jacob Burckhardt in Basel, seit 1865. Adolph Kirchhoff in Berlin, seit 1865. Leo Meyer in Dorpat, seit 1865. (Assessor seit 1861.) Matthias de Vries in Leiden, seit 1865. Wilhelm Wattenbach in Berlin, seit 1865, Jean de Witte in Paris, seit 1865. Leopold Vietor Delisle in Paris, seit 1866. Julius Ficker in Innsbruck, seit 1866. Jacob Bernays in Bonn, seit 1867. Ernst Dümmler in Halle, seit 1867. Wilhelm Nitzsch in Berlin, seit 1867. William Nassau Lees in Calcutta, seit 1868. Theodor Sickel in Wien, seit 1868. William Wright in London, seit 1868. Theodor Aufrecht in Bonn, seit 1869. Ulrich Köhler in Athen, seit 1871. Ludwig Müller in Kopenhagen, seit 1871. Carl Müllenhoff in Berlin, seit 1871. E. A. Freemann zu Sommmerleaze, Engl., seit 1872. M. J. de Goeje in Leiden, seit 1872. Giulio Minervini in Neapel, seit 1872. William Stubbs in Oxford, seit 1872. Xavier Heuschling in Brüssel, seit 1874. Friedrich Stumpf in Innsbruck, seit 1874. Alexander Conze in Wien, seit 1875. Ferdinand Justi in Marburg, seit 1875. 1818h4841% Vorrede. Verzeichniss der Mitglieder der K. Gesellschaft der Wissenschaften. Januar 1876. Physikalische Classe. K. F. H. Marx, Zur Anerkennung des braven Arztes Dr. Daniel Ludwig, des Reformators der Pharmacie. K. F. H. Marx, Zur Anerkennung des Arztes und Schulmannes Dr. Georg Henisch. Mathematische Classe. E. Riecke, Ueber die electrischen Elementargesetze. Historisch- DENE Classe. Th. Benfey, Die Quantität ; iedenheiten in den Samhitä- und Pada- Texten der Veden. 2. Abhandlung. F. Wüstenfeld, Die Statthalter von Aegypten zur Zeit der Chalifen 1. Abtheilung. F. Wieseler, Ueber ein Votivrelief aus Megara. F. Wüstenfeld, Die Statthalter von Aegypten. 2. Abtheilung. ABHANDLUNGEN DER PHYSIKALISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ZWANZIGSTER BAND. Phys. Classe. XX. | A Zur Anerkennung des braven Arztes Dr. Daniel Ludwig, des Reformators der Pharmakologie und Pharmacie. Von Dr. K. F. H. Marx. Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 2. Mai 1874. Hiis es schon von Lebenden: ‚aus den Augen aus dem Sinne“, um wie viel mehr von Verstorbenen, wenn der ganze Gesichtskreis ein anderer geworden. Die Welt glaubt Wichtigeres zu thun zu haben, als sich mit Menschen zu beschäftigen, die längst in Staub zerfallen sind, und wozu keine äussere Verpflichtung auffordert. Durch die unmittelbare Gegenwart werden alle Anlagen und Kräfte, Gemüth und Geist, so sehr gespannt, dass in der Regel Neigung und Zeit fehlen, sich um Dinge, die nicht mit jener nothwendig zusammen- hängen, kümmern zu können. Ein Ereigniss drängt das andere; das Unerwartete wechselt mit der Gewohnheit, Freude mit Leid, Belobung mit Beschämung, die ruhige Stimmung mit leidenschaftlicher Aufregung, die Hoffnung mit der Enttäuschung. Berufsarbeiten, Noth, Sorge gebieten eine Concentration der Stunden, der Aufmerksamkeit und Thätigkeit. Der Trieb, Neues zu erfinden und auszuführen, das Bedürfniss, einen wesentlichen Fortschritt im Erkennen und Schaffen ins Werk zu setzen, erhalten Nachdenken, Versuche, Wünsche ebenso in Erregung, wie das Verlangen, den mannigfachen Lockungen des Lebens nah und fern, theils zu folgen, theils zu widerstehen. In dieser steten Unruhe richten sich wohl Blick und Gedanken auf glänzende, kommende Tage, nicht aber auf umschattete, vergessene. Zeigt so die Mehrheit der Lebenden vorzugsweise Interesse an den Vorkommnissen des unmittelbaren Daseyns oder der Zukunft, so gebicht A2 4 K.F.H.MARX, es doch auch nicht an Ausnahmen, wo den Empfindungen für die ent- schwundene alte Zeit innere Hingabe und lebendiger Ausdruck verstattet werden. Diejenigen, welche mit Andacht Feste der Erinnerung feiern, sich sogar gedrungen fühlen, dem Andenken verehrter Todten Denkmale der Liebe zu stiften, oder aus Wissbegierde über die Vergangenheit sich auf- zuklären suchen, werden deswegen an der Theilnahme und den Genüssen der Gegenwart nicht ärmer, sondern reicher; denn es erschliesst sich ihnen, neben der bekannten Existenz, eine unbekannt gebliebene im bunten Spiele von Personen und Zuständen, und verschafft eine Fülle neuer Er- werbungen von Ansichten, Urtheilen und Begriffen. Dazu kömmt, dass, aus näherem Eingehen in fremde, unberücksich- tigt gebliebene Leistungen und aus anerkennender Würdigung nicht gehörig belobter Verdienste, das Verständniss des eigenen Wollens und Wirkens, gleichsam als Dank und Lohn für die aufgewandte, freiwillig geopferte Mühe, deutlicher hervorkeimt. Auffallend ist es, dass die Aerzte jetzt so wenig N eigung zeigen, rückwärts zu schauen und vom längst Geschehenen, von der Geschichte, Notiz zu nehmen. Die Vermuthung, dass die Rückblicke in das eigene Leben und Treiben mehr Niederschlagendes als Erfreuendes, mehr Vorwürfe als Ermunterungen bieten, und so das genauere Vertrautwerden mit der Vergangenheit anderer Personen verleiden, wäre zu hart und beleidigend. Hinderungsgründe sind wohl die Bedingungen und Folgen des Be- rufs, indem Denken und Thun, vom drängenden Augenblick zur Hülfe- leistung in Anspruch genommen, keine Freiheit gestatten nach eigener Wahl sich zu beschäftigen; dann, weil die Meisten meinen, das Alte wäre hinreichend benutzt und überflüssig, nur das Neueste das Beste; und weil sie fürchten, durch eingehende Berücksichtigung der früheren Ansichten, für Liebhaber der Gelehrsamkeit, für Buchmenschen, gehalten zu werden, womit gewöhnlich das Vertrauen der Menge auf praktische Tüchtigkeit verloren geht. Auch macht sich ohne Zweifel die Besorgniss bei Vielen geltend, dass ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL: LUDWIG. 5 sie selbst durch Anerkennung der Vorzüge des Alten und durch die For- derung, dass die Medicin, als Doctrin der Wahrnehmung von Thatsachen, nach der Erfahrung sich zu richten habe, nicht als Selbstdenker und wissen- schaftliche Forscher, sondern für blosse Empiriker angesehen würden, obgleich eine vernünftige Empirie, welche fortschreitende Beobachtung und Versuche nicht ausschliesst, geistige Verarbeitung des Ueberlieferten begünstigt und bedingt. Nun könnte aber ein sorgfältiges Studium der pragmatischen Ge- schichte — das Werk des betrachtenden Gedankens, um die Vorgänge der Welt nach ihren Ursachen und Wirkungen zu begreifen — mehr als Andern, den Aerzten, Nutzen verschaffen, denn es würde sie von der drückenden Herrschaft der Tagesmeinungen, von dem Fetischdienste der gemachten Götzen und der von Zeit zu Zeit angerühmten Wundermittel befreien; es könnte sie anleiten, den Werth der Hypothesen, dieser vorüber- schwirrenden Meteore, von dem der dauernden, sichern, Thatsachen zu unterscheiden, nur Bedeutendes zu bewundern, nur dem tüchtig Durch- gebildeten zu vertrauen; es könnte sie unterrichten in der Erkenntniss der Macht wie der Beschränktheit des Individuums und in der Einsicht, wie eine Entdeckung allmälig, bewusst oder unbewusst, aus der andern sich entwickelt; auch könnte dasselbe beitragen zur Begründung und Befestigung der durch Einflüsse aller Art erschwerten, selbständig erwor- benen Beurtheilungen und Ueberzeugungen, * Biögraphische Angaben, wenn auch durch den Mangel der Ueber- lieferungen, nur dürftig, sind zur richtigen Auffassung eines berühmt gewordenen Individuums ebenso beachtenswerth, wie zur Abschätzung dessen Werke. Eine Biographie, die volle Darstellung eines Lebens in allen Bezie- hungen, ist zu unterscheiden von der Charakteristik, der Zeichnung des- selben in wenigen allgemeinen Zügen. | Jedes Individuum, wie jede geistige Leistung erscheinen, mehr oder weniger, als Produkte ihrer Zeit und der Umstände. ` Eichbaum. 6 ) K. F. H. MARX, Mögen Jene von der Mitwelt wenig verstanden und kaum berücksich- _ ; tigt werden, indem sie der Zukunft voraneilen; ihre Wurzeln zogen sie aus den gegebenen Verhältnissen, nur die innere Verarbeitung ist Eigenthum. Die Beweise des Verdienstes sind meistens darin zu suchen, dass für die ertheilten Anregungen die Empfänglichkeit Statt fand, und die Ge- legenheit zur weiteren Ausbildung nicht versäumt wurde. Die unscheinbarsten Einflüsse vermögen, gleich Saamen, als mäch- tige Kräfte zu wirken. Aus der winzigen Eichel ersteht der gewaltige Lauten auch noch so entgegengesetzt die Meinungen über das Voll- brachte und den Vollbringer, die prüfende Zeit bringt endlich den ent- scheidenden Spruch zum Abschluss. Ein guter Gedanke ist der, welcher herrschendes Dunkel aufhellt, ein glücklicher Griff, welcher ein tiefgefühltes Bedürfnis befriedigt. Beim Helden und beim Schriftsteller wird nicht gefragt, wie lange, sondern was sie gewirkt haben. Schon in einer kurzen Spanne Zeit. kann ihnen ein unverwelklicher Lorbeer erwachsen. Ueber die äussere Geschichte eines Menschen kann Jeder berichten, über die intellektuelle Entwicklung nur ein Geistesverwandter, über die sittliche nur ein Vertrauter. Wird schon in der Beurtheilung Lebender die Wahrheitsliebe auf eine harte ‘Probe gestellt, um wie viel mehr in der von Todten. Sieht die Schilderung auch aus wie ein Gemälde, so ist es doch nur Mosaikäarbeit. EE a ee 5 ES E E = Wer weiss, wie noch jetzt, trotz der verbreiteten Bildung, nicht nur das Volk, sondern auch das Heilpersonal mit zäher Gewohnheit an her- gebrachten Mitteln und Vorschriften festhalten, der muss ebenso über die Kühnheit wie über die Einsicht erstaunen, mit der ein Praktiker vor zwei Jahrhunderten auf die Ausscheidung des Verkehrten und Ueber- flüssigen im Arzneischatze hinwiess. Nach der Schlussfolgerung : post hoc ergo propter hoc, wo die wider- Sınnigsten Meinungen als Beobachtungen sich breit machen, wurde der ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 7 Vorrath der Arzneimittel (%4n Zezgıxn, Materia medica) zur ungeheuerlichen Ansammlung der abgeschmacktesten, widerlichsten Dinge, und die Apo- theke zum angestaunten Museum von absonderlichen Curiositäten, zur privilegirten, hochgefeierten Residenz der wunderlichsten Kostbarkeiten. Der Vereinfachung und Verbesserung der offieinellen Gegenstände wirkten und wirken entgegen angeerbte Vorurtheile, sowie Liebhabereien für den überlieferten Hausrath, Rücksichtnahme auf die seltsamsten Wünsche, Bedenklichkeiten vor Neuerungen, Angstgefühle vor Beein- trächtigung der Interessen, lauter Schwierigkeiten, die nur durch eine, vermittelst besserer Erkenntniss gewonnenen, unabhängigen Ueberzeugung, ein freigerungenes Urtheil, den Drang hoher Berufspflicht und - einer treuen Sorge für das allgemeine Wohl überwunden werden können. So war es der Fall bei den mit Muth unternommenen und vom Er- folge begünstigten Unternehmungen des Daniel Ludwig, die er übrigens nur als Rathschläge betrachtet wissen wollte, nicht als Vor- schriften 1). Daniel Ludwig (gewöhnlich Ludovicus oder Ludovici ge- nannt) zu Weimar 1625 geboren, besuchte die dortige gelehrte Schule, bis er, gehörig vorbereitet, 16 Jahre alt, 1641 auf die Universität Jena sich begab, um Medicin zu studieren. Zu diesem Fache hatte er schon frühe Neigung empfunden, weil sein Vater, ein Gewürzkrämer, zugleich auch Apotheker-Waaren führte), und der dortige Apotheker, Johannes Zelck, ihm freien Zutritt 3) zu seiner Officin gestattet hatte. 1) Consilia non Praecepta: Am Schlusse der Introductio p. 19. zu seiner Pharmacia. 2) G. W. Wedel bemerkte in der Vita, welche er den Operibus Ludovici vor- setzte (Lips. 1712. 8.): Ad medieinam invitabat simplieium consideratio et lustrandi occasio apud parentem. 3) Ludwig bemerkt in der Widmung seiner Inaugural Dissertation de Angina (Jenae. 1647, 4): Johanni Zelcken, Pharmacopoeo Vinariensi, fidelissimo, fautori suo honorando. 8 ` | K. F. H. MARX, Unter seinen Jenaischen Lehrern: G. Rolfinck 4), G. Moebius 5), P. M. Slegel®) hielt er sich besonders an letztern, und als dieser 1642 SR Physikus nach Hamburg berufen wurde, wollte er ihm folgen. Da sein Plan durch die Kriegsereignisse Störung erfuhr, ging er vorerst nach Wittenberg in die Vorlesungen von Konrad Victor Schneider 7) und gäe nach Hamburg, wo er sich weiter ausbildete und unter Anleitung Slegels praktizirte. | Nach einem Aufenthalte in Belgien kehrte er nach Jena zurück, und schloss sich hauptsächlich an C. Schelhammer 8) an, unter dessen Decanat er auch 1647 promovirte. Im Jahre 1650 liess er sich als Arzt zu Königsberg in Franken nieder, an welchem Orte er sich vielen Ruhm erwarb 9), 1658 wurde er Physikus zu Salzungen, 1662 Landphysikus zu Gotha, 1666 eben- daselbst Leibarzt. 1680 starb er, 55 Jahre alt. So angelegentlich Ludwig seinem Berufe in Behandlung nicht nur 4) Werner Rolfinck, der zuerst in Deutschland Harvey’s Entdeckung des Blut- kreislaufs vertheidigte, war nicht nur ein ausgezeich der Krankheiten, wie solches aus seinem Ordo et vorgeht, sondern auch der Gründer einer kunstge mia in artis formam redacta bekundet. 5) Gottfried Moebius zeichnete sich nicht nur als fundamenta medicinae physiologica, sondern auch durch sein Compendium über Pa- thologie und Diätetik: Epitome’ institutionum medicarum. 6) Paul Marquart Slegel (Schlegel) verfasste die berühmt gewordene Schrift de sanguinis motu. 7) Ueber diesen s. meine Schrift: C. V. Schneider und die Katarrhe. Göttin- gen. 1873. 4. 8) Günther Christoph Schelhammer ragt Arbeiten, namentlich aber durch die mit Zu neter Anatom und genauer Kenner Methodus Medicinae specialis her- mässen Chemie, wie dies seine Chi- Physiolog aus durch seine e hervor durch viele eigene gute sätzen versehene Herausgabe des Buchs Darin bespricht er Ludwig’s Phar- Falsches oder Geschminktes, sondern ihil falsi, nihil fucati, sed sincera et ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 9 seines Fürsten, sondern der ihm verstatteten Privatkranken oblag, und zwar in der uneigennützigsten, aufopferndsten Weise 19), so wusste er doch auch Zeit zu gewinnen für wissenschaftliche Beschäftigungen, namentlich für viele Beiträge zu den Schriften 1!) der Societas Naturae Curiosorum. Auf höheren Wunsch verfasste er, ohne seinen Namen, in deutscher Sprache 12), 1644, eine Abhandlung von den Feld-Krankheiten und, 1666, eine von der Ruhr. Im Jahre 166713) erschien von ihm die Dissertatio de Volatilitate Salis Tartari. Sein Epoche machendes Werk: Pharmacia moderno seculo appli- canda trat zu Gotha 1671 an das Licht 19. Dasselbe besteht aus 3 Dis- sertationes, nemlich: 10) Wedel a. a. O. sagt: Medici sunt eleemosynarii publici, eminentissimus inter hos Ludovici, nunquam quod par est, ut lucraretur aliquid quemquam curans, sed ut sanaret. 11) Ich bemerke ausdrücklich, dass ich diese in den einzelnen Bänden selbst einsah und darnach citire, nicht nach der veranstalteten Sammlung der Schriften Ludwig's. 12) J. C. Michaelis, der Herausgeber der Schriften Ludwig’s, hatte beide ‚ Abhandlungen in das Lateinische übersetzt und (Opp. p. 561) bemerkt: Tractatus de Morbis castrensibus cum designatione Myrothecii castrensis editus est, cum Gothani milites ad expeditionem Hungaricam tenderent; posterior, cum en per istas Provincias grassaretur. 13) Eine neue Ausgabe kam, wie die erste zu Gotha, 1674 heraus. 14) Viele Ausgaben folgten zu Amsterdam, Hamburg, Kopenhagen, Leipzig, Frankfurt. ` | Eine französische, mit einem Commentar versehene, Bearbeitung hat den Titel: Traité du Bon Choix des Medicamens, avec la maniere de bien procéder a leur com- position, avec des Remarques et des Observations sur les effets qu'ils peuvent pro- duire dans diverses especes de Maladies. Und auf der folgenden Seite: Traite du bon choix des Medicamens de Daniel Ludovicus, commenté par Michel Ettmuller- Pont-a-Mousson. 1757. 2 Voll. 8. Die zweite Diss: Abhandlung von Moderation der Apotheker -Taxe übersetzte ins Teutsche Johann Heimreichen. Gotha. Ohne Jahreszahl. 8. (angeblich 1714). Die daselbst gelieferte kurze Biographie Ludwig’s scheint ganz nach der von Wedel angefertigt. Phys. Classe. XX. B 6 o K. F. H. MARX, I, De Remebiorum Selectu, selectorum sufficiente Praeparatione, ac Myrothecii contractioris constitutione. II, De Taxarum moderatione. III, De Privata Remediorum Dispensatione. Die Schriften Ludwig’s erschienen gesammelt von zwei verschie- denen Herausgebern, von J. C. Michaelis!5) und G. W. Wedel!ß) indem gleichen Jahre. Da die Octavausgabe Wedel’s handlicher ist, so citire ich darnach. Die von Ludwig gelieferten Andeutungen, Vorschläge und Berich- tigungen zeugen von reifem Nachdenken, scharfem Urtheile und einer ` Fülle von Wissen. Er erscheint stets als Beherrscher seines Gegen- t standes, der es versteht, ihm die interessantesten Seiten abzugewinnen und sie zur Geltung zu bringen. Schade, dass dem vortrefflichen, reichen Inhalte die er nicht entspricht; diese ist schwerfällig. Schon C. G. Kestner bemerkte, dass die Schriften grösseres Lob erreicht haben würden, wenn die Schreibart einfacher und deutlicher wärel?). Ohne Zweifel trägt die nichts weniger als anziehende, sondern oft verworrene und undeutliche Darstellungs- und Ausdrucksweise die Haupt- schuld, dass den in Ludwig’s Schriften niedergelegten neuen Gesichts- punkten und dem gesunden Gedankensamen die Allgemeine Aufnahme und 15) Francofurti ad Moenum 1712. 4. Er äussert, dass die Anmerkungen zur Pharmacia von Ludwig herrühren, indem sie handschriftlich, nach seinem Tode, vor- gefunden wurden: Annotationes in Pharmaciam, quae post mortem ipsius demum ad- jectae sunt, ex ejus Manuscriptis collectae: Praefatio Editoris auf der 27. (nicht pa- ginirten) Seite. 16) Lipsiae. 1712. 8. In dem Exemplar der hiesigen Universitäts - Bibliothek fehlen die Blätter von Seite 848 bis 981, worin die Abhandlungen de Morbis cas- trensibus und de Dysenteria enthalten sind. ` 117) Nisi per obscurum illud nimisque frequentibus parenthesibus intricatum ie genus, nimium quantum deformatae essent (Bibliotheca medica. Jenae. -1746. 8. p. 257). ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 11 Verbreitung, nicht in dem Grade, Së sie, der Sache nach, verdienten, zu Theil wurden. Möglich freilich, dass gerade, der Sache wegen, die unbedingte An- erkennung zurückgehalten und unterdrückt wurde, denn weder die Aerzte noch die Apotheker mochten wünschen, dass der Glaube sich verbreite: das Heilen verlange nicht sowohl gehäufte Mittel, als weise Beurtheilung und Respekt vor der Natur. Es ist begreiflich, dass die schonungslose Kritik sowie die gegen die allgemein herrschende Meinung verstossenden, tadelnden, ja wegwerfenden Aussprüche Ludwig's nicht ignorirt bleiben konnten, sondern Aufsehen erregen, Stoff zu leidenschaftlichen Diskussionen liefern, Liebe für und Hass gegen den Verfasser hervorrufen mussten. Wie übrigens gerade die tüchtigsten und berufensten Männer seinen in Aussicht gestellten Umgestaltungen nach und nach zustimmten und seinen Leistungen den vollen Preis zu spenden wussten, das zeigten, vor allen, die Aeusserungen G. E. Stahl's, des tiefen Denkers mit dem umfassendsten Wissen, des grössten Arztes und des erleuchtetsten Chemi- kers seiner Zeit. Dieser sagt: er selbst sey an die Sichtung des Heilungs-Materials nicht gekommen; sollte es ihm aber noch möglich werden, so würde er in die Fussstapfen des unsterblichen Ludwig treten, welcher zuerst muthig über jenes Gebiet sich ausgesprochen und in unvergleich- licher Art den Augias Stall zu reinigen unternommen habe 13), 18) Materiam Medicam adhuc aggredi non sustinui. Non sum Hercules; et hujus ipsius jam posteriorum laborum unus fuit, Augiae stabulum purgare. Si ego ad hunc laborem me accingere, vel adhuc animum inducerem et per reliquas circumstantias valerem Ludovici (cujus unicum in hac re prostat cordatum tentamen) vestigiis insisterem (De Medicina Medicinae necessaria. sung Lucae Schroeckio. Halae. 1702. 4. p. 34). Vir, qui de materia vere practica, efficacia materiae medicae, non tralatia, sed solidae experientiae respondente, primus omnium cordate loqui agressus est (De impostura Opii. Resp. J. G. Brunschwitz. Halae. 1707. 4. §. 34. p. 21). Notum est, quid in immortalem sui memoriam praestiterit Ludo- * 12 : K. F. H. MARX, Einer der mit Recht gefeiertsten Repräsentanten der früheren Phar- macie und der damit verbund Wissenstheile, Michael Ettmüller, bemerkt, indem er Ludwig's Uebersicht, Aufrichtigkeit und unabhän- giges Urtheil hervorhebt, dass dessen hohes Verdienst nicht blos darin be- stehe, die Vorrathskammern gesäubert zu haben, sondern dass er es auch verschmähte, in seiner trefflichen Schrift, Namen der Autoren zu nennen, um weder durch deren Lob sich Wohlwollen, noch durch deren Tadel in Kleinigkeiten einen Ruhm zu erwerben 19). Er habe es verstanden, unter ähnlich wirkenden Mitteln die geeig- netsten hervorzuheben 20). Da der Arzt bei der Ueberfüllung Heilung versprechender Präparate in der Wahl zweifelhaft bleibe, sey es ein hoher Vorzug, ihm diese zu erleichtern ?!). | Welchen Werth er auf Ludwig’s Pharmazie legte, bewiess er auch dadurch, dass er einen ausführlichen Commentar dazu schrieb ??). Haller, welcher, wie wenige, das wirklich Ausgezeichnete vom Scheinbaren zu unterscheiden und die Beförderer der Heilkunde zu wür- digen verstand, bezeichnete Ludwig als genievoll, beherzt, vorur- theilsfrei 25), dessen Ziel es gewesen sey, die unnützen Arzneimittel zu vici, et quomodo hoc Augiae stabulum repurgare, animo incomparabili susceperit (De infantum affectibus. Resp. Chr. Hoenisch. Halae. 1705. 4. Cap. 4. De re- mediis ad infantum affectus necessariis. p. 29). 19) Laureolam in mustaceo quaerere: Collegium Pharmaceuticum in Ludovici Pharmaciam. Opera medica theorico-practica. Ed. J. J. Mangetus. Genevae. 1736. FI fok p 102 20) Ex pluribus syubölisankibns selectum prudenter instituit: Ebend. 21) Sub remediorum tanta farragine fluctuat Medicus et dubitat, quid eligere debeat? Hanc fluctuationem removemus selectu et genuino examine remediorum com- positorum: Ebend. 22) Ebend. M. vergl: S. 9 oben, bei den Ausgaben von Ludwig’s Pharmacia, die angeführte französische Bearbeitung. 23) Vir exeitati ingenii cordatus et praejudicatis opinionibus purus (Bibliotheca practica. T. IH. p. 300). ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 13 verwerfen und die guten so darzustellen, dass sie im Stande wären, die besten Wirkungen hervorzubringen 271. Ludwig hatte es, nach dem Zeugnisse unpartheiischer Forscher, dahin gebracht , für einen zuverlässigen Berather und Führer angesehen zu werden, dem es gelungen, Zweckmässiges vorgeschlagen, auf Mängel aufmerksam gemacht und Irrthümer nachgewiesen zu haben. Man sollte nun glauben, dass F. A. C. Gren in seinem viel be- nutzten Buche über Pharmakologie, zumal da, wo er deren Geschichte und Literatur abhandelte25), ausführlich über die Wirksamkeit Ludwig's sich ausgelassen habe; allein nichts weniger als das. Weder er selbst, noch die späteren Bearbeiter der beiden Bände, wissen davon zu reden; nicht einmal sein Name wird genannt. Dieser Mangel ist ein trauriger Beweiss, wie zuweilen neuere deut- sche Autoren in ihrem eigenen Studienkreise die berühmtesten Vor- gänger im Vaterlande nicht kennen und zeigen, dass sie weder von Ge- rechtigkeit gegen die Landsleute, noch vom Quellenstudium einen Begriff haben. ` Nach den zu Rathe gezogenen Verzeichnissen von Scribonius Largus, Dioscorides, Lucius Apulejus, Sextus Placitus, Marcellus Empiricus, Sere- nus Samonicus, Macer Floridus, Marbodus, Nicolaus Praepositus, ‘war neben guten Substanzen, der Grauen erregende Wust von eckelhaften, unwirksamen und verderblichen, einfachen und zusammengesetzten, Arznei- mitteln zu einer furchtbaren Masse angeschwollen. Kein Wunder, dass es endlich einem selbstständig prüfenden und gewissenhaften Arzte beikam »bis hieher und nicht weiter« auszurufen und es zu wagen, soweit es möglich schien, die Spreu vom Weizen zu sondern. 24) Scopus viro fuit medicamenta inutilia rejicere, quae bona sunt, ea ita prae- parare, ut optimum effectum edant (Bibliotheca botanica. T. I. p. 553). 25) Lehrbuch der Pharmakologie, kritisch bearbeitet. Dritte Auflage, be- reichert von J. J. Bernhardi und C. F. Bucholz. Halle und Berlin. 1813. 8. 8. 33 - 87. 14 K. F. H. MARX, Das Unternehmen war kein leichtes. Solange Einbildung und Aberglaube die Kräfte der Mittel bestimmten und deren angebliche Wirkungen von der rohen Menge, wie von den halbgebildeten besseren Ständen, ja selbst von den Aerzten, ohne strenge Prüfung vertrauensvoll angenommen und hartnäckig vertheidigt wurden, erhielten sich traditionelle Vorurtheile und Gebräuche. Daniel Ludwig ging von dem Satze aus: der Arzt solle nicht nur schnell, sicher und angenehm, sondern auch mit wenigen und wohl- feilen Mitteln heilen 26). Daher sein selbstbewusstes, kräftiges Ankämpfen gegen überflüssige und theure Substanzen, sowie seine offen ausgesprochene Vorliebe für einfache, gelind wirkende und einheimische 27). Mit den einfachsten und gewöhnlichsten Arzneistoffen, behauptet er, vermöge man glücklich zu verfahren, wenn es nur mit richtiger Beur- theilung, der Natur der Kranken und den Umständen gemäss geschehe 8). Ein gedrängter Vorrath reiche zur Verordnung vollkommen aus 29). Um eine Vorstellung gewinnen zu können von der erdrückenden Menge der damals in der Officin vorräthigen und verordneten Arznei- mittel, welche Ludwig auszuscheiden hatte, dient vielleicht die folgende von mir getroffene kleine Blumenlese. Es gelingt ihr wohl, Manche der jetzt lebenden Aerzte mit ihnen unbekannt gebliebenen therapeutischen Kräften bekannt zu machen: 26) Non solum eito, tuto ac jucunde, verum etiam parvo compendioseque curare: Praefatio ad Lectorem p. 3. 27) Notavimus quod Materia Medica indefinitis fere supervacaneis exundet: exu- berantia quoque illa, citra ullum reale commodum, quamplurima incommoda Com- parantibus scilicet superfluos labores et expensas, Medicis in delectu pene confusio- nem; Aegrotis, quo expensae redeant, mercimoniaque denuo distrahantur, damnum non unum in bursa vel sanitate, praeter ullam necessitatem creet: Diss. I. De Remed. Selectu. p. 20, 28) Simplicissimis atque vulgaribus aeque feliciter curari, dummodo cum judicio, sucundum subjecti naturam atque conditionem adhibeantur: Praefatio ad Lectorem p. 6- 29) Myrothecium parvo constans et compendiosum, at sufficientissimum tan- tisper ordinare: Introductio p. 14. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 15 Acetum hystericum Seite 320 — Anticolicus liquor 287 — Antihypo- chondriaca essentia 305 — Antipodagrica mixtura 193 — Aqua Acovistica 386 — Aqua apoplectica 404 — Aqua Castitatis 473 — Aqua Chrysu- licae 288 — Aqua Dominarum 330 — Aqua gradatoria 288 — Aqua Magnanimitatis 451 — Aqua de pulmone vitali 480 — Aqua sanguinis Serophae 480 — Aqua pro Epithemate Cordis 387 — Aqua Spermatis ranarum 482 — Aqua Typhorum Cervi 192 — Aqua Vermicularis 306 — Aqua Virtutum 385 — Aqua Vitae antipestilent. 175 — Aqua Vitae Mulierum — Assaireth 122 — Balsamus Catellorum 431 — Balsamus hypnoticus 444 — Bezoardicum venereum 220 — Branca ursina 511 — Buttleri lapis 84 — Cahurvee emasculans 474 — Calcatrippa 328 — Cerberus triceps 112 — Ceroneum 417 — Confectio antiscorbutica 317 — Crocus cachecticus 347 — Dianae liquor 869 — Diaphryges pulvis 358 — Diarhodon 470 — Dulech 280 — Electuarium diabelzemar 109 — Elec- tuarium papae 183 — Elixirium pneumonicum 55. Elixirium vitae vul- gare 385 — Emplastrum antiquartium 654 — Empl. de arietis pelle 511 — Empl. catagmaticum 510 — Empl. diachalciteos 509 — Empl. incognitum 472 — Empl. tetrapharmacon 466 — Essentia bellidis 363 — Extractum diasatyrium 476 — Extr. matrisylvae 309 — Fel lucii 343 — Gummi Myrmeciorum 420 — Herniaria 502 — Hirudinum Lapilli 423 — Hispidula 500 — Hypocistis 504 — Leporis martii oculus 343 — Loch de caulibus 335 — Loch de pulmone vulpis 342 —- Lyncis lingua 425 — Magisterium ungulae alcis 423 — Menstruus sanguis 1059 — Morsuli ex caudis cancrorum 278 — Oleum alexipharmacum 163 — Ol. aranea- rum 202 — Ol. lacertarum 515 — Ol. scorpionum 203 — Perlarum _ Jac 480 — Pilulae aggregativae 101 — Pil. de octo rebus 101 — Pil. sine quibus 103 — Pinguedo cati sylvestris 431 — Pinguedo muris al- pini 431 — Pulvis ad casum 205 — Pulvis pannonicus 189 — Sanguis talparum 514 — Serpentum lingua 343 — Spiritus cerebri humani 194 — Spiritus secundinarum 344 — Stercus murium 341 — Terra Strigonensis 212 — Trochisci Ramich 507 — Unguentum Agrippae 131 — Ung. diapompholygos 448 — Ung. resumptivum 451 — Urina embryonis 278. 16 K. F. H. MARX, Ludwig verstand es ebenso sehr, abzuweisen als festzuhalten; mit der Aeusserung des Missfallens über Unpassendes und Untaugliches geht seine Billigung und Anerkennung des Guten und Heilsamen Hand in Hand. Universal-Heilmittel, bemerkt er, gäbe es nicht; so oft auch solche ausposaunt und gläubig hingenommen würden, zeige es sich, nach nur einiger Prüfung, dass man Schein, eitel Lug und Trug, für Wirklichkeit und Wahrheit gehalten habe30), Auf Specifica dürfe kein zu grosser Werth gelegt werden, indem sie zu oft den an sie Glaubenden im Stiche liessen 31). Die chemischen Mittel seyen allerdings äusserst starke, selbst gefähr- liche, aber für den Kundigen 52) höchst wichtige. Ueber die Zulässigkeit der Einbringung von Arzneien in die Blut- adern müsse erst noch die Erfahrung weiter abgewartet werden33). Verschiedene Bereitungsarten, z. B. die der mannigfachen Lecksäfte oder dicken Brustsäfte (Loch, Lochoch, Eclegma) wären entbehrlich 34). Wie sein Niederkämpfen gleichgültiger oder schädlicher Mittel, so _ geschieht seine Vertheidigung unentbehrlicher und kräftiger an so vielen Stellen, dass nur auf einen kleinen Theil derselben aufmerksam gemacht werden kann. Unter den schlafmachenden, schmerzstillenden und mildernden (Epi- cerastica) verdiene Opium die erste Stelle 29. 30) Plures hoc seculo apparuisse Elias, promissis graves, verae universalis Me- dieinae Menstruique professores fidelesque doctores, qui non unum solum, sed aliquot etiam in numerato quasi habebant promittebantque Universalia. Verum postquam hanc Junonem amplecti volebamus, plerumque nubes erat: Diss. I. De Select. Remed. in genere p. 48. 31) Specifica et plane singularia notissimis, cum ad examen ventum est, cedentia : Diss. I. De Selectu Rem. in genere p. 24. 32) Non omnia esse Graeca, quae a non possunt: Diss. III. De privat. Rem. dispensat. p. 602. 33) Infusorum in venas certior adhuc expectatur experientia: Diss. I. De Pur- gant. exter. p. 132. 34) Diss. I. De Selectu Rem. in genere p. 44. 35) Primum et praestantissimum: Diss. I. De Anodyn. p. 437. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 17 Reines Vorurtheil sey es, dass dasselbe nicht lange fortgesetzt werden könne, ohne seine Wirkung einzubüssen oder Nachtheil zu verursachen. Seine eigene Erfahrung 36) habe ihm vielfache Beweise geliefert, dass dieses unvergleichliche Mittel, längere Zeit fort gegeben, die grössten Dienste zu leisten vermöge. Um die Haut in vermehrte Thätigkeit zu setzen, eigne sich, als Zu- satz zu einer andern Arznei, der Mohnsaft 37). Gegen Blutspucken bewähre sich der Samen des, Bilsenkrauts in geringer Gabe 58). Bei schmerzenden Hämorrhoidalknoten verdiene Bilsenkrautöl GES Hyoscyami) 59) oder Leinkraut (herba Linariae) 20) Anwendung. Mit Abführungsmitteln, ohne gehðrige Auswahl, richte man Unheil an. Kindern dürften nur milde verordnet werden 3211. Uebrigens erwähnt der Verfasser ausser Rhabarbersyrup, Mandelöl, Ialappe, sogar eine in der Muttermilch aufgelöste Aloepille. Obgleich er den drastischen Purganzen, also auch dem Gottes- gnadenkraut ‘(herba Gratiolae) nicht hold ist, verwirft er sogar dieses nicht #2), Als Freund vaterländischer Arzneimittel empfiehlt er auch die, vor einigen Jahren bei uns officinell gewordene, Faulbaumrinde (cortex Frangulae #3)). | 36) De innoxia Opiatorum continuatione: Misc. Nat. Cur. Dec. L A. 4 u. 5 1673 u. 74. p. 290. Cent. 1 u. 2. App. p. 189: Attentiores non potuere non de- prehendere, quod Opiata perdiu securissime, praesertim sub módatatiori dosi conti- nuari queant. 37) Ob insignem figendi et hinc attemperandi vim: Diss. I. De Diaphoret. veget. p. 182. 38) Hyoscyami semen ad pauca grana in Haemoptysi potest aliquid: p. 661. 39) Diss. L De Vulnerar. Adstringent. p. 511. 40) Diss. de Diaph. p. 274. 41) Diss. L De Purgant. veget. p. 128. 42) haud penitus contemnenda: Diss. I. De purgant. veget. p. 107. 43) Ebend. p. 99. Phys. Classe. XX. C = 18 K.F.H.MARX, Auf die Genitalien wirkten zuweilen Abführmittel ganz seltsam 44). In Folge des Gebrauchs spanischer Fliegen könne selbst noch nach dem Tode Erection Statt*5) finden. Ueber die damals angepriesene blutstillende Flüssigkeit stellte Ludwig Versuche an und fand, dass das Wesentliche darin Alaun war #6). Gegen Mutterblutfluss habe er den günstigsten Erfolg von der Zimmtrinde beobachtet 4*7). Deren Kraft sey nicht immer die gleiche. Ob der Wechsel von der Witterung, oder von andern Einflüssen, bedingt werde, das wisse er nicht; allein die Thatsache habe er schon im Laden seines Vaters kennen gelernt 48). Intensive Aetzmittel wären nicht blos die Alkalien, sondern auch die concentrirten Säuren 49). Die Spiessglanzbutter tauge deswegen nicht zum Aetzen, weil sie auf das Nachbargebilde sich ausbreite 50). | Der arsenikalische Magnet!) eigne sich nicht zur Erzeugung von Fontanellen 52). 44) De purgantibus singularia quaedam: Misc. N. C. Dec. 1. A. 9 u. 10. 1678 u 19. pP 342. ; 45) De tentigine mortuorum: Misc. N. C. Dec. 1. A. 9u. 10. 1678 u. 79. p. 92. 46) Circa Hafniensem stypticum liquorem observationes particulares. Misc. N. C D: 1 A # u. 10. 1678 u: 79. p. 827. 47) De Cinnamomi decocto in mensium profluvio. Ebend. p. 100. 48) De periodica nonnumquam vigoris in Cinnamomo variatione. Ebend. A. 4. u. 5. 1673 u. 74. p. 278: Saepius olim apud parentem observavi, optimae notae allatas cannas saporem nativum aliquando exuisse fere penitus; librum aeque ac crassiorem corticem post aliquot temporis eum spatium recuperasse denuo satis vegetum. 49) Vis escharotica non solum alcalina sed acidis concentratioribus: p. 1022. ` 50) Inaequalis interdum extensionis: Diss. I. De Diuret. mineralibus p. 298. 51) Aus gleichen Theilen Arsenicum crystallicum, Antimonium crudum und Sulp- _ tur flavum. ; 52) Magnes arsenicalis sale pro caustico ad fonticulos excitandos est incommodus: Misc. N. C. Dec. 1. A. 9 u. 10. 1678 u. 79. p. 385. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 19 Die grosse Zahl der Pflaster müsste vereinfacht werden. Mit 6 ver- schiedenen reiche man fast in allen Fällen aus 55). Auch enthielten viele derselben unzweckmässige Ingredienzen und blieben zu lange liegen 54). Gegengifte dürften nicht allzusehr zusammengesetzt seyn 55). Es ist wohl nicht zu viel behauptet, dass, trotz bereits erschienener, mannigfacher, verdienstvoller, pharmaceutischer Schriften, wie von An- gelus Sala, Arnold Weickhard, Johann Rudolph Glauber, Johann Schroe- der etc., Ludwig 6) das erste gute Apothekerbuch geliefert, wichtige dahin einschlagende Anleitungen ertheilt und Anordnungen getroffen habe, welche in späterer Zeit gesetzliche Gültigkeit erlangten. Die we- sentlichen Punkte finden sich von ihm besprochen. So dringt er auf das Heranbilden und Halten er, vorsich- tiger Pharmaceuten; aus Rücksicht auf die Kranken und den Ruf der Aerzte dürften nur solche zugelassen werden 57). Die Nothwendigkeit gebiete, über das Material in der Apotheke, so- wie über die darin vorzunehmenden Arbeiten, eine Controle zu schaffen, um die Versicherung zu erlangen, dass nur ächte und gute Waaren, und nicht minder richtige Präparate gehalten würden. Visitationen durch Sachverständige, von der Obrigkeit angeordnet, vermöchten in dieser Beziehung viel Schlimmes zu verhüten 58). Dieselben könnten zu einer bestimmten Zeit oder unerwartet vor- genommen werden 59). 53) Vix ultra sex forsitan in chirurgieos aliosque usus in rei veritate requiruntur: Diss. I. De Selectu Remed. in genere p. 74. 54) Diss. I. De Cordial. Nervin. et. Resolvent. p. 416. 55) Diss. I. De Diaphoreticis vegetabilibus p. 183. 56) Mit seiner Pharmacia moderno seculo applicanda. 57) Pharmacopoliorum errores non solum aegrotorum sanitatem, sed Medici quoque famam affligentes: Introductio p. 17. 58) Severiores Inspectiones insolidum cavent: Diss. II. De Taxar. moder. p. 532. 59) Obviae inconvenientiis videntur Visitationes Inspectionesque certo tempore solennes aut ex insperato supervenientes: Diss. II. De priv. Remed. Dispens. p. 588. * 20 KE F. H. MARX, Um der Willkühr in der Preisbestimmung und der Habsucht zu steuern, bedürfe es einer gesetzlichen, billigen Taxe. Ein Ver- hältniss müsse bestehen zwischen dem Werthe des Einkaufs und Ver- kaufs 60), Indem Ludwig damals geforderte, unerhörte Preise für ganz ge- wöhnliche Gegenstände anführt, sagt er, dass er mit seiner gelieferten Auseinandersetzung nicht beabsichtige, eine feste Taxe zu liefern, sondern dass er nur denen, welche mit sehenden Augen blind wären, das Maass- ` lose zeigen wolle 61). Er beneide Keinem seinen Vortheil, Keinem wolle er seine Meinung aufdringen; er wäre zufrieden, wenn Viele seiner Rathschläge nicht be- dürften, und Einige die gegebenen auf die rechte Weise deuteten 62). Zur Warnung der Uebelthäter fügt er die Bemerkung bei, dass Schätze, von übermässigem Gewinne gesammelt, sich selten vererbten 65). Zahlreich sind auch seine selbständigen pharmaceutischen Unter- suchungen z. B. über den Geist der Tannzapfen 64); über Gewinnung des Rosenöls 65); über die Bezoartinctur 66); über Bereitung der Bern- steinessenz 67); über Reinigung des Zinnober’s 68); über Bereitung des eisen- haltigen Spiessglanzkalks69) etc. 60) Venditorum et Exemptorum proportio: Diss. IL De Taxar. Moder. p. 533. 61) Nec enim, sub relata hactenus determinatione, Taxam quandam condimus, sed Excessus saltem, quasi per transennam subterversantibus ostendimus: De Taxar. : Moder. p. 573. 62) Nemini suum invidemus commodum; nemini opinionem nostram obtrudimus. Bene sit omnibus, qui forsitan consiliis Ken non indigent, optime, qui singula dextre interpretabuntur: Autoris praefatio ad Lectorem p. 7. D D PR P E ) Raro Gazophyl 1 tructa, haeredibusstabilia fuisse: Ebend. p. 531. 64) Abietis Den quantum spiritus seu olei, a vulgaris terebinthinae spiritu nil differentis: Misc. N. C. Dec. LA 4 u. 5. 1673 u. 74. p 272 65) Tentamina circa majorem olei rosarum veri copiam. Ebend. A. 8. 1677. p- 109. 66) De tinctura bezoardica parabiliore. Ebend. A.4 u. 5. 1673 u. 74. p. 288. 67) De essentia Suceini. Ebend. A. 9 u. 10. 1678 u. 1% pr 102. 68) De Cinnabari nativa ejusque purificatione. Ebend. p. 337. 69) De Antimonio martiali compendioso. Ebend. A. 8. 1677. p. 108. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 21 Unter den von ihm verbesserten Präparaten erhielt sich die wein- steinsaure Eisentinktur lange unter seinem Namen ?9). Erscheint die eben abgehandelte Wirksamkeit Ludwig’s in der Auswahl guter und wohlfeiler Arzneistoffe, wie Präparate, als die haupt- sächliche, so darf doch seine sonstige pathologisch-therapeutische Begabung und Ausführung nicht unterschätzt werden. Von der practischen Medicin hatte er einen hohen Begriff und er liess keine Gelegenheit vorübergehn, ohne auf eine fördernde Weise seine Gesinnung wie sein Interesse für die Aufgaben und Pflichten seines Berufs kund zu thun. Nur der Arzt, sagt er, sey der rechte, welcher die Natur, die Hei- lerin der Krankheiten, dann, wenn sie zu schwach sich äussere, unter- stütze, sie aber nicht mit täglich gehäuften Mitteln in ihren BEBEIMREER störe oder hindere "71. Schriften über die Wiederherstellung der Gesundheit sollte man, wenn nicht, eine allgemeine Belehrung dazu dränge, nimmermehr in deutscher Sprache schreiben, weil aus unrichtiger Beurtheilung dadurch leicht Schaden angerichtet werde 72). Ungewöhnliche Vorkommnisse spannten seine Aufmerksamkeit und er versäumte nicht sie zu verwerthen, sich und Anderen darüber Auf- klärung zu verschaffen. Seiner Erfahrung gemäss blieben im 7ten Monate geborne Kinder, als unzeitige 73), meistens schwächlich 74). 70) Als Tinctura Martis Ludovici. 71) Qui naturam morborum curatricem tunc tantum, ubi deficit, juvat, neutiquam vero accumulatis indies pharmacis in lucta sua turbat vel impedit: Praefatio ad lec- torem p. 5. 72) Introductio p. 13. 73) Septimestris partus suo modo quasi quidam adhuc abortus est: Misc. N. C. Dec. I. A. 8. 1677. p. 17. 74) In perfectionis consummatione aliquantulum deficientes, aut alias debiliores, valetudinarii, breviorisque vitae. Ebend. 22 RIED MARA, . Auf die Aussagen in Betreff des Kapitels sinnlicher Befriedigung, was und wann etwas dieser Art geschehen oder nicht geschehen sey, dürfe nicht viel gegeben werden; sie lauteten höchst seltsam 75). Während der Geburt seyen bei einer Dame die Schambeine aus- einander getreten 75), Bei der einen und anderen seiner Patientinnen habe er merkwürdige Missgeburten beobachtet 77). | Erstaunlich blass habe ein Kind ausgesehen, welches geboren wurde, nachdem die Mutter während der Schwangerschaft am Tertianfieber ge- litten 73). Einem jungen Mädchen, das wiederkäuete, wären ohne Erfolg bittere, Brech- und Laxirmittel beigebracht worden 79). Leide der Mensch an dieser Verrichtung, so sey das beklagenswerth; höre dieselbe aber bei Thieren auf, so wäre es gefahrvoll 89). Die Menge der von ihm gelieferten überlegten Rathschläge zur Verhütung und Heilung der verschiedenartigsten Uebel zeugen von rei- cher Erfahrung und wohlwollender Theilnahme. Bei herrschenden ansteckenden Krankheiten dürfe man, ohne gefrüh- stückt zu haben, nicht nüchtern bleiben; die Luft müsse man durch Essigdämpfe verbessern 3). 75) Homo est animal socijabile; et si Respublicae ex hoc fundamento. nascuntur, quidni et puellus? faciunt et non dicunt, aeque ac alii dicunt et non faciunt. Ebend. 76) Ossium pubis commissurae non solum divulsae sunt, verum etiam, uti infe- licioribus nonnunquam in fracturis accidit, utrinque seorsim occaluerunt: De dislo- catione ossium pubis in partu: Ebend. A. 3. 1672. p. 458. 77) Miscell: N. CA 40. b. 1673 u. 74. pn 293. 78) Ebend. A. 9 u. 10. 1678 u. 79. p. 341. 79) De ruminatione humana brutorumque: Ebend. A. 9 u. 10. 1678 u. 79. p- 353. 80) Ut taediosus hie affectus est, ita si in brutis cesset, non solum morbi in- dicium, sed ipsemet morbus est, saepeque lethalis.. Ebend. 81) De morb. castr. Cap. 3 ` ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 23 Gegen Verstopfung in hitzigen Krankheiten sey es unzweckmässig starke Abführmittel anzuwenden; heilsam erwiesen sich milde, wie Molken mit Weinstein 32). Das Blasenpflaster aus spanischen 85) Fliegen eigne sich nicht bei der Gicht. så Zur Beseitigung des Wasserbruchs bei Erwachsenen, aus äusserer Ursache entstanden, wären zertheilende Mittel und schwefelsaures Kali von Nutzen 84). Als beruhigendes Mittel beim Hodenabscesse verdiene das Bilsen- krautpflaster empfohlen zu werden 85). Nach dem Platzen eines Lungengeschwürs, einer Vomica, habe er von Ruhe und Aderlass guten Erfolg beobachtet 86). / Verschaffen seltne Krankheitsfälle einem Arzte Gelegenheit seinen Scharfsinn und sein practisches Talent auf die Probe zu setzen, so ist zum Erstaunen, wie, nach den gelieferten Mittheilungen, Ludwig sie bestand. Ein Jüngling von 18 Jahren wurde, ohne bekannte Ursache, eines Morgens sprachlos, am ganzen Körper gefühllos, bei übrigens ungestörten Sinnen, im Bette gefunden. Nachdem, um zunächst die Sprache frei zu machen, die Froschadern geöffnet waren, kehrte nicht nur die Sprache, sondern auch das Gefühl zurück 87). Bei einem zehnjährigen Mädchen, welchem die Mutter einen Kopf- ausschlag durch eine trocknende Salbe vertrieben hatte, kam es zu einer 82) Ebend. Cap. 13. 83) Miscell. N. C. Dec. I. A. 9 u. 10. 1678 u. 79. p. 9. 84) Intra paucos dies et resolventium quorundam nervinorum topicorum appli- cationem, cessit semper aliquot Arcani duplicati dosibus: Misc. N. C. D. I. A. 9 u..10. 1678 u. 79. p. 348. 85) Ebend. 86) Sub quietori vitae genere praeservatoriaque venaesectione: Ebend. p. 344. 87) Sub mediocri sanguinis profluvio non solum loquela integre, verum etiam eadem opera sensus undiquaque in tantum rediit, ut levis saltem stuporis qualia- cunque vestigia superessent: Misc. N. C. Dec. I. A. 3. 1672. p. 454. 24 K.F.H.MARX, Lähmung der Augenlieder 88). Nach vergeblichem Versuche verschiedener Mittel half Weinsteinöl 82). Als das Wirksamste gegen den oft von dem Verfasser beobachteten heftigsten periodischen Schmerz der Augenbraunen erwiess sich ihm, ein anhaltendes Blasenpflaster 90). Ein 7 jähriger Knabe, welcher auf den Genuss von Mohnsyrup in . einen 5 tägigen Schlaf verfiel 91), gelangte wieder zum vollkommenen Wohlseyn 9). Eltern hatten ihr mit verschlossnem After gebornes, umsonst ope- rirtes, Knäblein bereits aufgegeben; nachdem aber wiederholt weit tiefer eingeschnitten wurde, stellte sich die natürliche Ausleerung ein 9). Interessant sind die Angaben von Tod durch Schlagfluss während des Beischlafs 94). Häufig habe er bei hypochondrischen Personen, ohne dass sie Fett zu sich genommen, ein Erbrechen fettiger Massen gesehen 95). Gegen Atrophie der Kinder beobachtete er von der Eisentinctur %) günstigen Erfolg. Eine kurz vor der Niederkunft sich einstellende starke Geschwulst der äusseren Genitalien könne zwar durch erweichende Mittel, besser aber durch einen Einschnitt beseitigt werden 97). 88) Ita hic peculiare istud malum supervenit, ut Japonensem, aut a media Tar- taria quendam in solio suo quasi verecundantem videre crederem: Misc. N. C. Dec. I. A.4u.5. 1673 u. 74 p. 29. 89) Oleum Tartari nigri. 90) Iuvamentum percepi e vesicatorio retro autem; ita tamen ut materia per dies aliquot in fluore servaretur, applicato: Ebend. A. 3. 1672. p. 455. 91) Jacuit fere per quintiduum: Mise. N. C. Dec. I. A. 8. 1677. p. 113. 92) integrae valetudini restitutus, eitra residuae cujusdam stupiditatis notam. Ebend. 93) De intestini recta perfecta et profunda coalescentia. Ebend. A. 3. 1672. p. 459. 94) De apoplectieis in venere: Ebend. A. 9 u. 10. 1678 u. 79. p. 351. 95) De vomitu hypochondriacorum sebaceo: Ebend. A. 3. 1672. p. 456. 96) Tinctura Vitroli Martis oder Martis tartarisata: Ebend. A. 3. 1672. p. 453. 97) De hydrope pudendorum in gravidis. Ebend. p. 458. | CZ gr E: Æ | 2 = K å Pi "2 ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 25 Bei einem jungen Menschen ging nach einem Brechmittel ein Spul- wurm von ganz ungewöhnlicher Grösse ab 98). Die Kunst, Krankheiten in pathologischer und therapeutischer Hin- sicht monographisch kurz und treffend zu schildern, offenbarte Ludwig bereits in seiner Inauguraldissertation über die Bräune 99), Zur Wahl dieses Themas bewog ihn wahrscheinlich die eigene An- lage zu diesem Leiden, an welchem er auch in späterer Zeit wiederholt 100) schwer erkrankte, einmal so sehr, dass er 4 Tage lang nicht das Min- deste geniessen konnte 101), Nach vorausgeschickter guter Definition 102) setzt er auseinander, dass Hinderniss im Athmen!03) gefährlicher sey, als das im Schlingen. Einschnitte leisteten viel 19). Um drohende Erstickung zu verhüten, müsse die Luftröhre geöffnet werden 105). Bei völligem Unvermögen zu schlucken, müsse man suchen Etwas durch eine Röhre in den Magen zu bringen und nährende Klystiere anwenden 106), 98) lumbricus teres tres ulnas nostrates longus, semivivus: Ebend. A. 5. 1672. p. 457. 99) Diss. de Angina, quam sub Praesidio Christophori Schelhammeri exercitii gratia proponit Daniel Ludwig. Jenae. 1647. 4. (12 Seiten.) 100) Wedel (a. a. O. auf der 9. nicht paginirten Seite) bemerkt: bis terque an- gina periculosa decubuit, in abscessum verso tumore. 101) Er selbst redet davon gelegentlich: Cum ante annos aliquot Cynanche ex- quisitissima laboraremus, per quatriduum nil nisi solum aërem intromittentibus, post tot tantasquae faucium elutriationes rupto tumore: Misc. N. C: Des L ` A: 3 1672. p. 456. 102) Angustia faucium seu principii gutturis ac gulae, ab Inflammatione ejus orta, spirationis ac deglutitionis difficultatem cum febre continua inducens. 103) §. 28: In acutis cibo facile, respiratione vero nunquam carere possumus. 104) 8.36: Scarificati b maxillisptofondi i a rn 1 105) $. 38: audacter Asperae arteriae compages dissolvatur. 106) §. 52: Fistula quidpiam in stomachum compellatur; clysteres nutrientes adhibeantur. Phys. Classe. XX. D 26 K. F. H. MARX, Die Schrift über die Ruhr, ursprünglich in deutscher Sprache, zum Zwecke allgemeiner Belehrung, von Ludwig verfasst, wurde später, wie bereits angegeben, von Michaelis in das Lateinische übersetzt. Herrsche diese schlimme Krankheit als Epidemie, so sey Vorsicht im Essen und Trinken nothwendig. - Besonders wären unreifes Obst, nicht gehörig gegornes Bier und blähungtreibende Substanzen zu meiden. Es müsse Sorge getragen werden für Warmhalten der Füsse und des Unterleibs. | | Zur Verhütung von Nichtärzten angerathene Purganzen brächten Nachtheil. Beim Gefühl von Unruhe in den Därmen solle man mässig Pfeffer- münzwasser nehmen. Wer, gegen sonstige Gewohnheit, mit Schmerzen und Zwang im ‚After zu Stuhle müsse, der dürfe nicht ausser Bett bleiben, auch die Befreiung davon nicht blos von der Hülfe der Natur erwarten. Wo möglich müsse man sich in einer warmen Stube aufhalten. Zur Nahrung eigneten sich schleimigte Abkochungen, besonders von Gerste. Hauptmittel seyen ausser solchen, welche Schweiss befördern, Opiate. Ohne Noth dürfe man in den Wohnungen solcher Kranken, zumal da, wo deren Ausleerungen sich fänden, nicht verweilen. Leztere seyen an abgelegenen Orten unter zu bringen, mit Kalk oder Asche zu bedecken. Die gebrauchten Betten, das Weisszeug, die Kleidungsstücke müssten ‚sorgfältig gewaschen werden. eag Bevor die Wohnungen, worin solche Kranke sich befanden, wieder bezogen würden, dürfe man nicht unterlassen : > , sie auszuräuchern und sorgfältig zu reinigen. ; Aus den vorstehenden Mittheilungen erhellt wohl zur Genüge, dass L ud wig die Wisssensgebiete, welche er vorzugsweise bearbeitete, die der Pharmakologie und Pharmacie, zuerst in die rechte Richtung gebracht und wesentlich gefördert hat; weswegen sein Name nicht der Vergessen- heit anheimfallen darf, sondern ehrenvoll erhalten werden muss. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 27 Denjenigen, welche als Pfleger und Stimmführer bestimmter wissen- schaftlicher Abgränzungen angesehen seyn wollen, kommt zwar, noch mehr als den allgemeinen Geschichtschreibern, die Verpflichtung zu, die in jenen gelieferten Leistungen und Werke nicht blos der Männer der Gegenwart in das gehörige Licht zu stellen, sondern auch schuldige Rücksicht zu nehmen auf die längst Verstorbener, und Gerechtigkeit zu üben in der Abschätzung eigenthümlicher, nicht genugsam bekannter Vorzüge. Da jedoch eine Klage über derartig Unterlassenes nicht leicht zu befürchten ist, wird nur zu oft dagegen gefehlt, und Unbekümmert- heit um die Vorgänger dem Gerechtigkeitsgefühle, sowie Bequemlichkeit in der Forschung der Gründlichkeit vorgezogen. Ein Glück ist es, dass die noch so lange unbeachtet gebliebenen Verdienste, trotz einer anerkennungslosen Zwischenzeit, in ihrem Werthe ebenso wenig etwas einbüssen, als verscharrtes Gold, trotz der ungün- stigsten äussern Einflüsse. Insofern jedes tüchtige Thun nach Vergeistigung strebt, besteht das höchste Lob desselben darin, wenn es noch spät als geistiges Vermächtniss gewürdigt und hochgehalten wird. ‘Die Reformation, welche Daniel Ludwig begonnen, wird hoffent- lich damit endigen, dass die dickleibigen Bücher der Arzneimittellehre und der Pharmakopöen 197) zu wenigen, aber sicher leitenden, Blättern um- gewandelt werden. Das Wissen von der Wirkungs- und Anwendungsweise der Arznei- substanzen darf kein solches bleiben, um als Gedächtnisslast, nach dem 107) Hält man diese gemeinschaftlichen Angaben auch künftig für nothwendig, so möge man sie, wie früher in einfache (Simplicia, Materia pharmaceutica) und zu- sammengesetzte (Praeparata et Composita), in Gesetzesvorschriften für Apotheker und Anleitungen für Aerzte theilen. Für den ersten Abschnitt wären die neuesten Mittheilungen der Naturforscher, Materialisten, Chemiker und kunstgeübter Pharmaceuten zu benutzen, für den zweiten nur die zuverlässigsten Ergebnisse von vorurtheilsfreien, allseitig prüfenden und er- fahrenen Praktikern. D2 28 K.F.H.MARX, Examen, wieder vergessen zu werden, sondern als der nothwendigste, werthvollste Besitz des Arztes für das ganze praktische Leben. Um ein derartiger zu seyn und zu bleiben, kann die Auswahl nicht streng genug getroffen werden. Fasst man das Bemühen Ludwig's, die Apotheken von ihrem unge- gehörigen Ballast zu befreien, die Bearbeitung guter Dispensatorien zu ermöglichen, nicht blos von der materiellen Seite auf, sondern auch von der, die damit zusammenhängenden Wahnvorstellungen zu bekämpfen und zu verjagen, so stellt sich dasselbe weit bedeutender dar; denn der erscheint als Wohlthäter der Menschheit, welcher beiträgt sie von ver- kehrten Begriffen und vom Aberglauben, gleichviel welchem, zu erlösen. Nachbetrachtung. Dass Daniel Ludwig, erst 16 Jahre alt, academischer Bürger wurde, wird den nicht Wunder nehmen, welcher weiss, dass Morgagni in ‚demselben Alter bereits Doctor der Medicin war. Eine Verordnung über Erlangung eines Maturitätszeugnisses fesselte damals so wenig an die Schule, als eine über Beendigung der gesetz- lichen Studiendauer an die Universität. Der Einzelne genoss das beneidenswerthe, unbewusste, Glück sich selbst bestimmen und, ohne äussere Controle, nach eigener Schätzung seiner erlangten Kenntnisse, verfahren zu können. Je schwieriger es war, solche sich anzueignen, um so eifriger musste darnach gerungen werden; dafür aber wurde die mühsam er- langte Erweiterung von Wissen und Einsicht , weit eher als bei reichlich gebotenen Gelegenheiten, innerstes, dankbar empfundenes Eigenthum. ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 29 Bei dem früheren geringen Lehrpersonale und dem Mangel der In- stitute konnten nur durch angestrengte Benutzung der schwach gebotenen persönlichen Anleitungen und der besten Druckschriften, sowie durch con- centrirten Fleiss, grössere Hülfsmittel ersetzt werden. Da der Kreis der Unterrichts-Gegenstände auf die unentbehrlichen beschränkt war, und das Gedächtniss mit überflüssigen Dingen nicht überladen wurde, blieb die Möglichkeit, das Gebotene gehörig in sich aufzunehmen und zu verarbeiten, das mit eigenen Augen Gesehene treu zu bewahren, selbständig zu beurtheilen, das Material zu beherrschen. Der so erreichte Standpunkt der Cultur wurde ein natürlich entfalteter, nicht ein im Treibhause gepflegter, kein Artefact. Noch im vorigen Jahrhunderte erstanden in England aus ganz be- scheidenen Bildungselementen die geschicktesten Aerzte. Der Aufenthalt bei einem Lehrherrn, welcher aber den Schüler immerfort auf die nächsten Bedürfnisse hinwiess, diesen zur sorgfältigen Beobachtung der nicht nor- malen Erscheinungen anleitete, ihn in allen Handleistungen sich ver- suchen liess und ihm, nachdem derselbe mit Klagen über körperliche Leiden bekannt, zu deren Linderung und Abhülfe aufgefordert worden war, die Behandlung von Kranken, unter Aufsicht, anvertraute, genügte, um eindringende Erwägung der gestörten Gesundheitsbedingungen und rich- tige Leitung des Heilgeschäfts zu erzielen. Dieses wurde Lebensauf- gabe und Krystallisationskern des Daseyns, an den sich jede andere Unter- weisung anschloss. Vorhandene Lücken in der allgemeinen Bildung wurden nach und nach durch wissenschaftliche Lectüre ausgefüllt. Je mehr in der Jugend die Befriedigung einer umfassenden Belehrung ver- sagt blieb, um so lebendiger steigerte sich mit zunehmenden Jahren die Sehnsucht nach Erweiterung des Wissens, Vervollkommnung der Be- griffe, sicher leitenden Principien. Aus kleinen Verhältnissen gingen tüchtige Männer hervor, welche dauernd auf die wesentlichen Punkte der praktischen Medicin ihr Augen- merk richteten und ebenso für die Begründung wie für die Erweiterung derselben thätig blieben. Es ist anders geworden, nachdem man angefangen, weit mehr Inte- 30 K.F.H.MARX, resse für‘ die Wissenschaft als für die Kunst zu zeigen, ja als man den Plan verfolgte, die Mediein in die Naturwissenschaft aufgehen zu lassen. ` Man hätte sich freilich von vorneherein sagen müssen, dass es beim Heilen nicht bloss auf allgemeine Ansichten und Gedanken ankomme, auch nicht auf eine Masse an einander gereihter Vorstellungen und Ein- drücke, sondern auf Vervollkommnung in den concreten Beziehungen zum kranken Organismus, auf die genaueste Kenntniss aller Dienstlei- stungen am Krankenbette, auf scharfe Auffassung und Durchdringung der einzelnen Störungen, auf eingeübtes Kunstverfahren, angemessene Ausführung der vom Augenblick gebotenen Indicationen, und vor Allem auf die Meisterschaft im Individualisiren und die vorsichtigste Auffas- sung wie Behandlung jeder Besonderheit. Um das Verständniss von der Bedeutung der Medicin zu beweisen, wurde zwar verlangt, dass Jeder, der sich ihr zu widmen beabsichtige, viele Jahre auf das Studium derselben verwenden und aller ihrer Theile gleichmässig sich bemächtigen solle. Dabei hätte jedoch bedacht werden müssen, dass mit zu langer Studiendauer consequenter Fleiss selten Schritt hält, dass jede neue gei- ` stige Beschäftigung die frühere zurückdrängt, ja nicht selten vergessen macht, dass statt Gründlichkeit Vielwisserei erworben wird, und dass ein noch so ausgedehnter Aufenthalt auf der Universität oder in einem Ho- spitale keinen Praktiker bildet, denn nur die eigene Verantwortlichkeit lehrt überlegtes und gewissenhaftes Thun, wie die Noth Beten. Da bei der Mehrzahl die begonnene umfangreiche Ausbildung, nach dem Abschiede von der Hochschule, nicht fortgesetzt werden kann, bleibt eine Halbheit, gleich einem kunstvoll angelegten Torso, einem Rumpfe ohne Kopf oder Arme. Eine Vereinigung aller Theile der Medicin in Einer Person ist nur theoretisch, für den Unterricht gerechtfertigt; denn die Ausübung aller übersteigt, in der Regel, die Fähigkeiten und Kräfte des Einzelnen; auch hat der geschickteste Arzt für innere Krankheiten, oft weder Neigung noch Geschick zur Chirurgie; oder er wird durch diese active Behandlung un- willkührlich zu Eingriffen verleitet; und ein beschäftigter Chirurg behält ZUR ANERKENNUNG DES BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. 31 für die Geburtshülfe kein Interesse, weil die Natur die operative Hülfe meistens entbehrlich macht. Die gesetzlichen Anforderungen der Examina stimmen nicht immer mit den eigenen Anlagen, auch nicht mit dem Massstabe der gesell- schaftlichen Beurtheilung. a Den grossartigen Absichten der Ausbildung entsprach wachsend der abgeänderte Massstab der Hülfsmittel. Anstatt eines einzelnen Werk- meisters kam es zu gedehnten Fabriken des Unterrichts, und zwar nicht blos der einzelnen Theile der Medicin, sondern aller mit jener verbun- denen Gebiete der Naturforschung. Die mannigfachsten Anstalten er- hielten so reiche Sammlungen von Stoffen, Instrumenten, Apparaten etc., dass um sie kennen zu lernen und blos mit ihnen umzugehen zu ver- stehen, viele Zeit erforderlich wird. Die Universität wurde aus einem Freistaate von Liebhabern eigener Nei- . gungen und Studien zum Conglomerate souverainer Instituts-Direktoren, von denen jeder für sich volle Theilnahme voraussetzt und als Examinator erzwingt. Unverkennbar erfährt jedoch durch die zu grosse Zahl der obliga- torischen Besuche in den Anstalten die individuelle Entschliessung eine Beschränkung, und, durch das Anhäufen gesonderter Bestrebungen, die harmonische Ausbildung von Wissen und Charakter eine Beeinträchtigung. Die Freudigkeit der Selbstbestimmung und der moralische Gehalt‘ eigener Achtung können durch den Zwang der buntesten Vornehmungen und einer widerwillig ausgedehnten Studienzeit nur Einbusse erleiden. Anstatt nun inne zu halten mit den Anforderungen an die Studi- renden: activ an der Zersplitterung des Fachs sich zu betheiligen, werden sie verstärkt, und anstatt die zur glücklichen Ausübung nothwendigen Kenntnisse und Uebungen als unerlässliche hinzustellen, werden sie, wenn nicht gerade als Nebendinge, doch nicht als die Hauptsache und das Ent- scheidende betrachtet. Es ist aber die Frage, ob, in Folge der grossartigen Einrichtungen und Voraussetzungen weit vorzüglicher als in früherer Zeit, Aerzte sich finden, welche, als Meister in der Gesammtkunst, nicht nur die ehemals für unheilbar erklärten Krankheiten nun zu heilen vermögen, sondern 32 K.F. H. MARX, ZUR ANERKENNUNG D. BRAVEN ARZTES DANIEL LUDWIG. auch die ganz gewöhnlich vorkommenden der Seele wie des Leibes, und die an sich unbedeutend scheinenden, aber immerhin lästigen Fehler und Gebrechen, leichter zu verhüten, schneller und sicherer zu heben im Stande sind? - Nicht geringfügiger ist "die Frage, ob es ein Fortschritt sey, dass Viele, verwöhnt durch das überreiche Unterrichts-Material und die mannig- fachsten gleich zu Gebote stehenden, Hülfsmittel, in die nothdürftigen, kümmerlichen Beziehungen des bürgerlichen Lebens sich nicht zu schicken vermögen; zur Ausführung drängender, aber widriger, Unternehmungen, mit aufopferungsfähiger Hingebung, schwer sich entschliessen;; statt selbst- vergessener Theilnahme äussere Berechnung kund geben; für das Gering- fügige sich zu vornehm dünken; mehr Sinn für das Gemachte, als für das Natürliche zeigen: sich für fertig und durch Bekanntschaft mit den neuesten Entdeckungen für bevorzugt halten; in der Auffassung der Er- scheinungen leicht das Nächste übersehen, dafür aber das Verschieden- artigste überdenken und vornehmen, um »exacte Beobachtungen« zu erlangen; sowie durch minutiöse Untersuchungen ihre Kräfte vergeuden; die Effectmacherei mit neuen Worten, seltsamen Bezeichnungen und Ein- druck machenden Erklärungen nicht verschmähen; ja sogar den durch die Erfahrung bewährten Behandlungs-Methoden und Mitteln weniger Ver- trauen schenken, als den kürzlich erst ‚vorgeschlagenen und in Mode ge- , kommenen? Sollten, bei genauer Bekanntschaft mit der Noth und den Forde- rungen der Tage, sowie bei einer eindringenden, ohne vorgefasste Mei- nung, unbefangen vorgenommenen Prüfung, die Antworten keineswegs befriedigend lauten, so würde der jetzigen prunkenden, zusammengesetzten, naturwissenschaftlichen Medicin eine heilsame Medicin zu verordnen seyn, damit sie eine schlichte, einfache, praktische werde. ert Ca? TEE e E (a v aE Zur Anerkennung des Arztes und Schulmannes Dr. Georg Henisch. Von RK RK H Mare. Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften am 5. December 1874. Kant wie Conrad Gesner D durch sich selbst bewiess, aus einem Schulmeister ein berühmter Arzt werden, dann wohl auch aus einem Arzte ein berühmter Schulmeister. In den Kinderstuben muss der Arzt am meisten verweilen, und bis von ihnen ein reifes Alter erreicht wird, hat er so anhaltend Anleitung und Rath zu ertheilen, damit das Nachtheilige gemieden, das Angemessene gethan werde, dass es nicht als Sprung erscheint, wenn er das Verord- nen von Heilmitteln mit dem Anordnen heilsamer Lehren vertauscht. Im Interesse der Einzelnen wie des Gesammtwohls wäre zu wün- schen. dass die gültige Rangliste nicht als hindernde Macht für einen Doctor der Medicin wirkte, um statt der hohen Schule die niedrige als Berufskreis zu wählen. Ein Glück wäre es, wenn für die Anstalten, wo die ersten Funda- mente der Bildung, Gesittung und des Geschmackes’ gelegt werden, die Wahl nur auf Männer fiele, welche durch Einsicht, Wissen, Willens- stärke und Humanität hervorragen, denn die Eindrücke, welche durch sie Pe OBEREN BERG 1) Wie sich die äussere Lage und Aussichten eines Pädagogen gegen ehemals verbessert haben, das ergiebt sich aus seiner Mittheilung, dass die Stelle ihm keine andere Hoffnung gewährte, als gehörig hungern zu können: in publicae scholae an- gulum detrusus aliquamdiu bona diei parte pueros Grammaticae rudimenta docebam, minimo interim stipendio, unde nisi esuriturum me satis spes nulla euer geret (Bibliotheca Universalis. Tiguri. 1545. fol. p. 180). Phys. Classe. XIX. A ú Es K. F. H. MARX, auf Gemüth, Geist, Gesinnung und Character der Jugend hervorgerufen werden, sind die tiefsten, entscheidendsten und bleibendsten. Eine musterhaft eingerichtete Schule vermag am besten den Sinn „u wecken für Verfeinerung und Veredlung der Gewohnheiten „ für das Rechte und Gesetzliche der Lebenserscheinungen, für das Maass und die Bedeutung der Dinge, für Achtung des früher Geleisteten, für die Mu- ster der Tugend, der Thatkraft, des schöpferischen Genius, für tiefe Ge- fühle und hohe Gedanken, und, bei noch so billiger Beurtheilung der ` Eigenschaften und Vorzüge fremder Nationen, für Begründung wahrer Vaterlandsliebe. Hat überhaupt die Schule den grössten Einfluss auf das Gedeihen und die Zukunft der Lernenden, dann um so mehr, wenn die Lehrer mit gründlichen medicinischen Kenntnissen ausgerüstet, ja erfahrene Praktiker sind, indem es ihnen dann möglich wird, empfänglichen Ge- müthern für das ganze Daseyn die erprobtesten prophylaktischen Re- geln zur Erreichung und Behauptung einer gesunden Seele im gesunden Körper einzuprägen. Da dem Arzte seine Vertrautheit mit der Abschätzung der leiblichen Bedingungen, sowie seine Uebung im Individualisiren nach der temporä- ren Leistungsfähigkeit, zu gute kommen, so ist er am besten im Stande, je nach dem Eindrucke der Constitution, der Beschaffenheit und dem Aus- sehen einzelner Theile, sowie nach den charakteristischen Zeichen des ` Befindens, das angemessene Verhältniss der Studien zu bestimmen, irrige Annahmen, sowohl in den Anforderungen, als in den Schlussfolgerungen, zu berichtigen, bereits begangene Fehlgriffe auszugleichen, und dauernd eine Harmonie zwischen wissenschaftlichem Streben und den Reactionen des Organismus zu sichern. Bei seiner genauen Kenntniss, wann geschont und gewartet, oder nachgeholfen und mit Mitteln unterstützt werden muss, dient er als 3 Schützling gegen verkehrtes oder gewaltsames Thun, gegen unbillige oder unzeitige Ansprüche. ‚ Ihm ist bekannt, dass die wohlerzogensten Individuen durch Ge- WË g Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D GEORG HENISCH. 3 hirnreitzung unartig sich benehmen können, und dass die Ursache einer auffallenden Beschränktheit im Begreifen und Behalten, in gehinderter oder beschleunigter Entwicklung einzelner Theile und Verrichtungen zu suchen ist. Die Rückwirkung schädlicher Gewohnheiten, übertriebener Vorneh- mungen, sowie die Vernachlässigung angemessener Beschäftigungen auf die Entfaltung der Anlagen und des Charakters, versteht der Arzt am sichersten abzuschätzen. Bleibt seine Beobachtung stets auf den ganzen Menschen gerichtet, so wird sein Verfahren als ein naturgemässes, den innern Bedingungen entsprechendes, wohlthätig sich bewähren, und es wird im einzelnen Falle, wenn nicht genützt, wenigstens nicht geschadet werden. Wie weit häufiger, als geglaubt wird, Doctoren der Medicin ihre Thätigkeit in der Krankenstube mit der in der Schulstube vertauschten, das zeigen folgende blos aus Bremen und deren Nachbarschaft stam- mende ?), nemlich Tobias Andreä geb, 1633 + 1685], welcher Professor der Philoso- phie am Gymnasio zu Bremen, später zu Franeker, wurde; Chr. Fr. Crocius [geb. 1623 + 1673], der am Gymnasio zu Bre- men eine Professur der orientalischen Sprachen erhielt; C. H. Thulesius seh, 1771 zu Delmenhorst], der als Präceptor des Pädagogii zu Bremen wirkte. Wer aber zur Berichtigung seiner Vorstellungen in dieser Hinsicht, sowie zu seinem Erstaunen, eine weit grössere Zahl von solchen Aerzten kennen lernen will, welche mit ihrem eigentlichen Berufe andere, damit verwandte, Fächer verbanden, oder ganz zu diesen übergingen, der findet ` in einem schon vor mehr als 100 Jahren erschienenen Buche von C. W. Kestner 5) eine reiche Ausbeute. So z. B. war 2) M. s.: H. W. Rotermund, Lexikon aller Gelehrten, die seit der Refor- mation in Bremen gelebt haben. Bremen. 1818. Erster Theil. S. 9. 89. 205. 3) Medicinisches Gelehrten Lexicon. Jena. 1740. 4. A2 ken K. F. H. MARX, Th. J. Almeloveen [geb. 1657 + 1712] nicht blos Professor der 4 Medicin, sondern auch der Beredsamkeit. H. Arnisäus [+ 1636] verband mit der Professur SÉ Arzneige- ` lahrtheit die der Philosophie. Caspar Bartholin [geb. 1585 + 1629] hielt nicht blos Vorträge über die Arzneikunst, sondern auch über schöne Wissenschaften und die Theologie. Jacob Bartsch {f 1633] war nicht nur Arzt, sondern auch Pro- ` fessor der Mathematik. ~ J.J, Becher [geb. 1635 + 1682] erhob sich vom Informator zum Arzte, Philologen, Mathematiker, Chemiker. Oswald Berus |} 1568] zeichnete sich als Heilkünstler und Schul- mann aus. | Jacob Bordingus {+ 1560] brachte es vom Schulmanne zum Leibmedicus. Olaus Borrichius [geb. 1626 + 1690) ging von der Medicin zum Schulunterricht, darauf zur Professur der Philologie, Chemie und Botanik über. ` Otto Brunfels [+ 1534], der zuerst Theologie trieb, wurde Schul- meister und später Physikus. | Oswald Croll [+ 16091 zeichnete sich als Arzt, Hofmeister und Chemiker aus. J. C. Dieterich [p 1669] wurde aus einem Arzte Professor der griechischen Sprache. Heinrich Fabricius d 1612] erhob sich vom Doctor der Medi- cin zum Rector eines Gymnasiums. J. C. Fromann hatte eine Anstellung als Landphysicus und als Professor am Gymnasium. "JL Havenreuter [+ 1618] bekleidete die Professur der Medi- Ea cin, der Logik und Physik. Joh. Heinrich [+ 1730) nahm statt der Professur der Medicin die der orientalischen ESEI und eine Bibliothek-Stelle an. Ze RE FEN. P E R tt De AE EE rigen = ee BR Re de Wee, AR, y Ge n Tii ðn ait ES ka, ` Ee EE RN RU EE Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 5 Joachim Jung [+ 1657] wechselte seine Professur der Medicin mit der Rectorstelle an einem Gymnasium, Michael Kirsten [7 1678] wurde aus einem Arzte Professor der Poesie und Physik. Adrian Pauli [+ 1622] theilte sich in die Professur der Medicin und Metaphysik. Jacob Tollius [f 1696] war Arzt und Schulrector. Hieronymus Tragus (Bock), der Botaniker, [+ 1554] lebte als praktischer Arzt, Sthulmann und Prediger. Ohne Zweifel richtet sich hauptsächlich nach den Motiven zur Um- wandlung einer Berufsthätigkeit das Ergebniss des Erfolges. Es wird darauf ankommen, ob ruhige Ueberlegung oder zufällige Laune, ob freier Entschluss oder die Gewalt der Umstände, ob Neigung oder Verzweif- lung den Ausschlag geben; und ob im Laufe der Jahre das Innere von Zufriedenheit erfüllt oder von Reue gequält wird; ob der Anforderung neugewählter Pflichten Vorwurf oder Segen entspricht. Nur durch Liebe zur Sache, vollkommne Hingabe in die übernom- mene Thätigkeit, Förderung ihrer verschiedenen Theile, heiteren Gleich- muth, nie ermattenden Eifer und tiefempfundene, treue Sorge für die ` Pflegbefohlenen, finden die ausgestreuten Saamen des Lehrers einen frucht- baren Boden und gehen auf zur Freude der Welt. In der neueren Zeit hörte die Vertretung verschiedener Fächer und die Cumulation mehrerer Stellen in Einer Person dadurch auf, dass die einzelnen Gebietestheile zu sehr anschwollen, und jeder für sich concen- _ trirte Kräfte verlangte. Fälle, wo Aerzte, aus reiner Liebhaberei, zugleich einem völlig an- dern Wirkungskreise sich widmen, gehören nun zu seltenen Ausnahmen. Die Vereinigung getrennter Berufsarten ehemals war mit durch die geringen Gehalte geboten, wo nur mehrere zur Fristung der Existenz ausreichten. Uebrigens bleiben für die vom Einzelnen selbst auferlegte Beschrän- 6 K. F.H.MARX, kung in der neueren Zeit nicht ohne Einfluss die erwachten grösseren : Ansprüche an die Genüsse des Lebens, verlockendere Zerstreuungen, Ab- nahme des Fleisses, die Nothwendigkeit der Rücksichtnahme auf das zur Mode gewordene encyclopädische Wissen, die geforderte Vertrautheit mit mehreren lebenden Sprachen, und die erleichterte Betheiligung an den ` mannigfachen wissenschaftlichen und politischen Vorgängen in den fern- sten, jedoch durch Telegraphen, Eisenbahnen, Dampfschiffe nahe ge- rückten, Ländern. Ein Hauptgrund, warum jetzt ein Arzt sich besinnt, Lehrer an e+ 7 ner Schule zu werden, ist der, weil die meisten an ihr Wirkenden sehr unterrichtet sind, und ohne eine Summe tüchtiger Kenntnisse das Unter- nehmen, sich ihnen gleich zu 'stellen, nicht gewagt werden darf. Einer von den Doctoren der Medicin, welche Schulmänner wurden. war Georg Henisch 4), ein Name, der in den jetzigen Gymnasien ebenso unbekannt ist, wie in den ärztlichen Anstalten. Aus seinem früheren Leben weiss man nichts weiter, als dass er aus Ungarn stammte und 1549 geboren wurde. | | Sein Geburtsort war Bartfelden (Barthfam, Bartpha) 5), eine frühere Freistadt in der Grafschaft Zips, den Aerzten und Kranken als, berühm- ter Eisensäuerling, wie Spaa oder Pyrmont, von gutem Klange. | Das auf mehreren Titeln seiner Schriften hinter seinem Namen ste- hende B bedeutet aus Bartfelden. Der Verschollene muss Deutschland in früher Jugend kennen ge- lernt und eine solche Zuneigung zu ihm gefasst haben, dass er dasselbe nie wieder verliess. 4) Auf seiner Grabschrift steht zwar Henish (Dan. Praschii Epitaphia Au- ‚gustana Vindelica. 1624. 4. Pars Í p- 180); allein Steinhauer, wie Kupferstecher | und Setzer , nehmen es mit einem Buchstaben weniger oder mehr nicht sehr ` genau. - Ss 5) Am Schlusse der Dedication seines Thesaurus Linguae germanicae an die ` _ Landstände ober und unter der Ens sagt er: Bartphae in Hungaria natus, cujus regni quam arcta sit cum Austria vestra conjunctio non prorsus ignoro. = P : | f: | Be A = 3 4 Á 4 Ë K A E E EE Ee EE D TT Wi 3 Øk E a R Da ee E 7? SCENE Z. ANERKENNUNG D. ARZTES' U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 7 ‘Seine Vorliebe für die neue Heimath spricht sich in seiner warmen Bewunderung der deutschen Sprache aus. Diese erklärt er in jeder Bezie- bung für die schönste, reichste und vollkommenste; auch widmete er sein umfassendstes literärisches Werk, worin er sich darüber aussprach, den deutschen Ständen Oesterreichs ®). In Basel erwarb er sich 27 Jahre alt, 1576, die medicinische Doc- torwürde 7). | Die bei dieser Gelegenheit von ihm erwähnten Lehrer gehörten zu den trefflichsten der Universität, welche, wie es scheint, durch ihre Viel- seitigkeit, auf die Richtung seiner Studien einen besondern Einfluss aus- übten. Theodor Zwinger [+ 1588], Professor der Medicin, der Moral- philosophie und der griechischen Sprache, erlangte vielen Ruhm durch sein Theatrum vitae humanae, sowie durch seine Ausgaben von Pet. de Bayro Vade mecum oder Enchiridion de medendis humani corporis malis, und dem interessanten Werke des Santes Arduinus de Venenis (m. vrgl. meine geschichtliche Darstellung der Giftlehre. Abth. I. S. 56). Johann Nicolaus Stupanus [+ 1621], Professor der Medicin und Logik, verfasste nicht bloss medicinische Schriften, sondern auch mathematische, astronomische und historische. Machiavelli's Buch il Prin- cipe hatte er in das Lateinische übersetzt. Henisch, musste, als junger Mann, nicht bloss in seinem gewählten medicinischen Berufsfache, sondern als denkender, vielseitiger Gelehrter bekannt geworden seyn, denn er wurde als ordentlicher Professor der 6) Vobis, tam amplae, tam florentis, tam conspicuae Germaniae partis proce- ribus (in der Dedication seines Thesaurus Linguae germanicae). 7) In die Matrikel des Collegii medici zu Augsburg, (wovon nachher Mehreres mitgetheilt werden soll) hatte er selbst Folgendes geschrieben: Hoc Autographo Geor- gius Henisch, Bartfeldensis Pannonius, ut uvnuocvyw fido testor, me in Academia Basiliensi sub Decurionatu Theodori Zwingeri, Philosophi et Medici, Doctorem M e- dicum designatum et creatum, osculoque Pacis in Medicam civitatem rece p- tum a Joanne Nicolao Stupano, Promotore A 1576 anno aetatis 27. ae | | ERR MARX, Logik 8) und Mathematik, angeblich auch der Redekunst 9) in Augsburg Ë an einem Institute angestellt, das theils dem Schulunterrichte, theils der Wahrung ärztlicher Interessen diente, nemlich am Gymnasium bei St. Anna. | Seine Anstellung geschah zuerst auf ein Jahr als Probe; da diese aber über Erwarten gut ausschlug, für beständig. Wahrscheinlich waren die äusseren Bedingungen günstig, denn in demselben Jahre (1576) promovirte er zu Basel unter dem Rectorate von Simon Sultzer und heirathete 10), Seine Ankunft war für die Stadt, welche ihren Stolz fand in Auf- rechthaltung der Denk- nnd Glaubensfreiheit, sowie in Ausbreitung tüchtiger Kenntnisse, um so wichtiger, als kurz darauf (1577) ein Mann starb, welcher ihr lange Zeit als geistiger Mitstreiter zur hohen Zierde gereichte, nemlich der Stadtphysicus Achilles Pyrminius Gasser, Zög- ling von Melanchton, berühmter Arzt und Schriftsteller 11), Freund von _ Conrad Gesner. Die Schule bei der Kirche zu St. Anna, er welche Henisch an- gewiesen blieb, konnte gleichsam als Mittelpunkt ner reformatorischen _ Bestrebungen betrachtet werden 12), 8) In der Dedication an die Landstände Oestreichs nennt er sich Logices et Mathematum Augustae Professor publicus. 9) In Martin Crusii Schwäbischer Chronik fol. Buch 12. Cap. 37. 3.386 wird er unter den berühmten Doctores Medicinae als Professor in der Mathesi und Oratorie aufgeführt. 10) Martin Crusius a. a. O. B. 12. Cap. 22. S. 335 Ate unter den dortigen Hochzeiten: Georg Henisch und Regina Wirsungen. Diese war, wie J. Brucker vermuthet, die hinterlassene Tochter des berühmten Arztes in Augsburg Christoph Wirsung, der 1571 starb (Prolusio de Medicis Augustanis saeculo XVI celebribus. ` Bei Historia Vitae Adolphorum Occonum. Lipsiae. 1734. 4. p. 19). 11) Verfasser der Curationes et Observationes medicae, der Collectanea prac- tica etc. Herausgeber der Aphorismen des Hippokrates etc., Geschichtschreiber von Augsburg durch sein Quellenwerk: Annales civitatis ac rei GE Augstburgensis. M. vergl.: F. Frensdorff, die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg. Erster Band. Leipzig. 1865. 8. S. XLIV. 12) M. vergl. Ph. J. Crophius Kurtze und gründliche Historische Erzehlung `Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 9 ` Als Luther, noch Augustinermönch, im Jahre 1518 in Augsburg sich aufhielt, um sich wegen seiner in Wittenberg angeschlagenen The- sen vor dem Cardinal Kajetan zu verantworten (der aber einzig auf Wi- derruf bestand), wohnte er im Karmeliterkloster bei St. Anna und las daselbst Messe. Së Schon 1522 wurde darin die evangelische Lehre gepredigt. 1526 erklärten sich die Besitzer des Klosters, die Karmelitermönche, für die Reformation und verliessen dasselbe, nachdem sie es der Hospi- talstiftung geschenkt hatten. 1531 entstand im Kloster eine neue Schulanstalt, das Gymnasium. Dadurch, dass die Jesuiten ihr Gymnasium herstellten, hielten es die Protestanten für gerathen, das eigene zu vervollkommnen. Damit aber auch besser für die leibliche Gesundheit gesorgt wer- den konnte, wurde 1582 ein Collegium medicum errichtet 15), welches zugleich als Lehranstalt wirkte 14). Während Henisch dem Gymnasium vorstand, wurde er auch in dieses ärztliche Collegium aufgenommen, verwaltete 4 mal das Decanat von dem Ursprung, Einrichtung und Schicksalen des Gymnasii zu St. Anna und dem Leben der darinnen ehemahls lehrenden Professoren und Rectorum, Augsburg. 1740. 8. — Eugen von Seida und Landensberg. Historisch-statistische Beschreibung aller Kirchen „Schul-, Erziehungs- und Wohlthätigkeits-Anstalten in Augsburg. 2 Bände. Ohne Jahrszahl [1826]. Augsburg. 8. 13) Paul von Stetten (Geschichte der Stadt Augspurg. Frankfurt. 1743. 4. Th. 1. S. 643) bemerkt: „Es begaben sich die hiesige ächte Augsburgische Medici, sonderlich auf Antrieb D. Lucae Stenglings, eines erfahrnen und gelehrten Mannes, um sich besser von denen Quaksalbern und andern Betrügern , `so sich der Artzney-Kunst berühmet, zu unterscheiden, mit Genehmigung des Rahts zusammen in ein Collegium, machten auch eine besondere Ordnung und Statuta“. Derselbe (Th. 2. S. 559) fübrt an, dass im Jahre 1649 auch „die auswär- tigen diesem Collegio einverleibten Aerzte“ aufgeführt werden. 14) Lucas Schroeck (Hygea Augustana seu Memoria secularis Collegii Me- dici Augustani. Aug. Vindel. 1682. 4. p. 107) hebt hervor: Per elapsi hujus se- culi decursum praeter 64 Augustanos 45 aliunde advenientes Doctores nomen suum Albo nostro inscripserunt. : Phys. Classe. XIX. B 10 F. K. H. MARX, und begann zuerst, vor Allen, im Jahre 1609 die Vorkommnisse und merkwürdigen Ereignisse desselben aufzuzeichnen 15), Bedenkt man, dass Henisch, seiner Ausbildung wegen, wie es ` scheint, hauptsächlich in Basel sich aufgehalten, wo eine gewaltige wissen- | schaftliche und religiöse Bewegung Statt fand, und einem Rufe nach Augsburg folgte, wo der Eifer für die Reformation nicht schwächer war, S und zwar an eine Schule, welche als Gegengewicht gegen die Bestre- ` bungen der Jesuiten dienen sollte, so darf wohl mit einiger Gewissheit geschlossen werden, dass er selbst der neuen Lehre angehörte. Uebrigens findet sich darüber nirgends ein deutlich ausgesprochenes _ Wort, und ein Zweifel könnte sogar dadurch entstehen, dass er eine seiner Druckschriften einem Abte, als seinem gnädigsten Herrn, wid- mete 16), und zur Lebensbeschreibung des Erzbischofs Ivo von Jo. Fronto 4 Anmerkungen verfasste 17), Allein es ist nicht zu übersehen, dass dieser Erzbischof zu Char- 1 tres, weswegen Carnotensis genannt [+ 1115], nicht nur so äusserst fromm ` gece Taa Se = ‚ war, dass ihn der Pabst Pius V. heilig sprach, sondern dass er als einer 4 der kenntnissvollsten Männer 18) seiner Zeit, als ein Wunder der Gelehr- samkeit, glänzte. Wahrscheinlich ist, dass Henisch, als ächter Humanist, von ` | dem Streite der Partheien sich ferne hielt und, in die ruhige Schönheit der alten Klassiker versunken, ausschliesslich seinen Berufs - Pflichten lebte. 15) L. Schroeck (a. a. O. p. 108) erwähnt lobend: Actorum medicorum, cuncta Ordinem nostrum concernentia fideliter eisd _ bore non minus necessario et proficuo, quam maxime laudando. em inserendo, fecerat initium, la- ` ~ 16) In seiner Ausgabe der Poemata Hesiodi: Hulderico a Rathnau, Abbati _ er si et Luthrensi domino suo clementissimo, mit der Unterschrift: T. Reve- _ Yendae Amplitudinis studiosiss. Georgius Henisch. 47) Vita B. Ivonis, Carnotensis Episcopi, cum notis Godfridi Henischii. In Jo. Frontonis Epist | ` Murbacensi | riften gab J. B. Bouch d het 1647 zu Paris in folio herans. oiae et Dissertationes Ecclesiasticae. Hamburgi. 1720. 8. P- ` Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U, SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 11 Zur Sicherstellung seines kirchlichen Bekenntnisses dürfte nicht un- berücksichtigt bleiben, dass er in seinem Hauptwerke über die deutsche Sprache sich vorzüglich an die Bibelübersetzung von Luther hielt 19). Da keine genauen biographischen Mittheilungen über Henisch auf- zufinden sind, so können, wie über seinen religiösen Standpunkt, so über manches Andere seiner Denk- und Handlungsart, nur Vermuthungen geäussert werden. Seine Gesinnungen und Ansichten muss man grösstentheils aus den Dedicationen seiner Schriften entnehmen. Die obwaltende Dunkelheit über seine Abstammung und Jugendzeit, sowie über sein Kommen nach Augsburg, berührte schon Crophius 20) mit den Worten: »Von seinen Eltern, Geschlechte, Erziehung und Stu- dien ist nichts bekannt, und eben so wenig weiss ich anzuzeigen, wie er nach Augsburg gekommen, und daselbst Dienste anzunehmen Ur- sache gefunden habe«, In ähnlicher Weise klagt auch Jacob Brucker ?la): »So gründlich gelehrt dieser Arzt gewesen, so viel Verdienste er sich auf mancherley Weise um die Gelehrsamkeit erworben, und so berühmt er dadurch sei- _ nen Namen gemachet hat, so sehr ist doch seine gelehrte Geschichte vergessen worden«. Bevor Henisch in Basel sich aufhielt, scheint er, nach einer An- gabe in der Vorrede seines Enchiridion, welches zuerst in Paris erschien, _ in dieser Stadt gewesen zu seyn; allein nirgends weiter ist eine Andeu- tung darüber zu entdecken. Wie in unsern, so schreibseligen Tagen, mancher Treffliche und 19) Sehr richtig. heisst es in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen des Jahrs 1733. Th. 1. Leipzig. 8. S. 366: „Er suchte den wahren Sinn und Ge- brauch eines jedweden Wortes aus der deutschen Bibel Luther’s zu bestimmen“. 20) a. a. O. . S. 169. 21a) M. s. dessen Ehrentempel der deutschen Gelehrsamkeit. Augsburg. 1747. 4, wo auch das Bildniss von G. Henisch sich findet, ein Schwarzkunstblatt von Johann Jacob Haid. e B2 SECH PER MARK, Hochverdiente aus dem Leben scheidet, ohne dass dem Andenken ein - a hitörasisches Denkmal gesetzt wird, so unterblieb es auch ehemals; die Leichenpredigt wurde, zumal in einer politisch unruhigen, von äusserer Noth bedrängten, Zeit, für hinreichend erachtet. Es fehlte die Behag- lichkeit des Daseyns, um sich viel mit der Erkundigung nach fremden Lebensumständen abgeben zu können, und die durch Fanatismus aufge- regten Leidenschaften gestatteten keine besonnene Schilderung. Uebrigens kömmt es bei einem Schriftsteller weniger darauf an zu erfahren, wie er seine Bildung erlangte, als wie er sie verwerthete. Ha- ben Mitlebende und Spätere von seinen Verdiensten gesprochen, sind diese selbst, gegenwärtig noch, den gelieferten Arbeiten nicht abzuläugnen, so gestaltet sich für den Beurtheiler ein hinreichendes Bild zum Ver- ständnisse der Persönlichkeit. > welchem Umfange ini mit welchen Resultaten Henisch die Medicin praktisch ausgeübt, schriftstellerisch darüber, noch weiter als in | seinem Handbuche 2!b), sich geäussert und durch persönlichen Unterricht — gewirkt habe, kann mit Bestimmtheit nicht ermittelt werden. S Ausgesagt wird über 27 ihn, dass er »neben Treibung der Artzeney-Kunst« dem Gymnasium als Professor vorgestanden. Er selbst nennt sich Arzt 25), bezeichnet sich auch als Doctor der Medicin 24). Seine Praxis kann nicht gering gewesen seyn, weil sie angeblich 25) den Schuldienst beeinträchtigte. 21b) Enchiridion Medicinae, Medicamentorum tam simplicium, quam composito- rum, in tertos titulos distinctam sylvam continens, quorum in Pharmacopolijs et me- ` dicinis praecipuus est usus. Basileae. 1573. 22) Stettena.a. O I. 8; 826. 23) So auf dem Titel seiner Ausgabe des Aretaeus: Medicas Augustanus. 24) Am Ende der Widmung seines Thesaurus an die Moda unterschreibt er sich: Artis Medicae D. 125) Crophius (a. a a. 0. S. 43) bemerkt: „Er trat in das Collegium Medi- i am, =y Kote, Was aber Beranalı der ‚Schule manchmal hinderlich wor: — en ` ING | D. ARZTES. U. , SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 13- Es Virð sogar angemerkt 26), dass er »stark practicirte«, und Kranke bis zu seinem Tode behandelte 27). Er habe durch seine glück- liche Praxis sich einen grossen Beifall und Vertrauen bei der Bürger- schaft erworben 28). Dass er, wie in der lauten Beschäftigung als Lehrer, so in der stummen 2°), der Heilkunst, in hohem Grade sich ausgezeichnet habe, das wird sogar preisend hervorgehoben 50). Das Handbuch der Medicin, welches Henisch anonym 31) heraus- gab, und das zu Basel 32) gedruckt wurde, ist eine Art Noth- und Hülfs- buch, um das zu lehren, wann und wie Arzeneimittel zu gebrauchen sind. Ein s könne, seiner Ansicht nach, nicht kurz 5+) genug seyn. 26) Crophius (a. a. O. 8. 171). 27) Crophius (a. a. O. 8. 170) führt an: „Er practicirte bis ans Ende“. 28) J. Brucker, Ehren-Tempel S. 179. 29) Medica ars per me dicatur muta, quae saluberrima dona sua non tam lingua, quam ipso opere distribuit (Lucas Schroeck a. a. O. p. 99). 30) So äussert sich L. Schroeck (a. a. O. p. 108): Georgius Henischius, non uno nomine celebrandus, quem et felicior in medendo solertia et fructuosae studiosae juventutis in Annaeano Gymnasio, Matheseos fundamenta publice docendo, informatio et utilissima variorum, librorum, tum medicam artem, tum aliarum liberalium artium notitiam concernentium, in lucem emissio omnibus bonis aetate illa viventibus adprime commendaverat, atque apud posteros etiam Anria morituram famam conciliaverat. 31) Nicht. auf dem Titel, sondern im Anfange a Dedication an einen ch in Krain nennt er sich Georgius Henischius Bartphanus. 32) Aus der Vorrede p. 6 geht hervor, dass diese Ausgabe von 1573 der Ab- druck ist einer zu Paris erschienenen: Typographo autor fui ut hanc sylvam denuo excuteret, cum ejus Lutetiae antea collectae e impressae exemplaria in his locis desiderentur, 33) Ebend. p. 7: babe semper in ein variorum medicamentorum indi- cationibus medicis servientium paratam sylvulam. 34) Ebend.: Quo minus est, eo animos studiosorum ad ediscendum evolven- dumque magis alliciat et provocet. 14 F. K. H. MARX, Da dasselbe eine grosse Seltenheit 35) geworden, so scheint es ge- 4 boten, den Hauptinhalt anzugeben. Die Medicin sey himmlischen Ursprungs; Apollo habe sie für seine ` Erfindung erklärt und der Heiland 56) sie ausgeübt. Ihre Aufgabe bestehe nicht blos darin, für die Wiederherstellung der Kranken zu sorgen und die Gesundheit zu erhalten, sondern auch die Ungestörtheit des Gemüthes und Geistes zu behaupten 37). Gemäss der Sitte des 16ten Jahrhunderts wird eine solche Unzahl ` von Arzneimitteln zusammengestellt, dass eine Auswahl zur Nothwendig- ` keit wird. Fast ausschliesslich werden vegetabilische genannt, nur wenige ani- ` malische, und von mineralischen blos Vitriol und Blei. Es wird im Einzelnen der Unterschied hervorgehoben zwischen 3 milden, mässig und stark wirkenden. ‚Bei vielen finden sich die Dosen bestimmt. Die den Geruch und Geschmack verbessernden Zusätze sind nicht . übersehen 58), Als Formen der Bereitung kommen genaue Beschreibungen yor — von der des Juleps, des Zuckerwerkes, der Pillen und Bissen, der In- fusion und Abkochung 39), 35) Auf der hiesigen Universitäts-Bibliothek befindet es sich nicht, auch nicht - auf der zu Basel, wo es gedruckt wurde. Das Exemplar, welches ich benutzen De ee at t See Ee, DER 3 T SEN konnte, verdanke ich der gütigen und bereitwilligen Verwaltung der Hofbibliothek ` zu Darmstadt. : 36) Servator noster nihil exerceret, cujusdam vulneribus oleum et vinum infundendo, sputo terrae commixto visum restituendo, febricitantes, paralyticos et lepra affectos liberando, aliosque om- ` ` nis generis morbos curando (Vorrede p. 4). ` 87) Necessario animos mentesque hominum curare solet (Ebend.). oo o e Apozema. ` magis egit, nihil frequentius, quam quod medicinam E 38) So werden z. B. Gewiürze als Corrigentien für Aloe angerathen (die Pillen S ‚man dann pilulae Alefanginae) p. 17; für Rhabarber-Zimmt, für Agaricus e SC 3. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISOH. 15 Unter den die Galle auflösenden 40) Mitteln werden die Worseh der Quecken und Cichorien angeführt. Gegen die schwarze Galle solle man Tamarinden und Citronen- syrup gebrauchen, gegen die Verdickung derselben Sauerhonig. Den Lungenauswurf befördernde Mittel seyen Eibisch und Fenchel. Der Veilchensyrup und der vom Frauenhaar beruhigten Lunge und Luftröhre. Gereinigter Zucker mit Stärkemehl bestreut 41), wäre ein an- gemessenes Leckmittel. Um Schleim aufzulösen , eigne sich besonders Süssholz. Als Niesemittel #2) dienten die Veilchenwurzel, Majoran, Pfeffer, Senf und beide Arten Niesewurzel. Von Harntreibenden Substanzen 45) werden Spargeln, Petersilie, ge- kochte bittere Mandeln empfohlen. Die Menstruation werde befördert durch Feigen mit Mandelöl an- gebrüht +4), durch die Artemisia, Sabina, den Safran, auch durch Can- thariden 45), Für Blutreinigende Mittel, welche auch gegen die Lustseuche sich bewährten #6), dürfe man Guajakholz = die Rinde der Wachholderstaude halten. Die Kräfte würden gehoben 47) durch die Wurzeln des Kalmus, des Enzians, der Tormentille, durch Campher, Minze, Gewürznelken #8) mit Moschus, Hopfen, Siegelerde, Vitriol, Blei 49). 40) Praeparantia Humores, quae Digestiva vocant. 41) Penidium. 42) Per Nares Purgantia errhinis et caput purgiis destinata (p. 31). 43) Urinam Proritantia, quae arenulas et lapides rumpunt (p. 27). 44) Certissimum est experimentum p. 26. 45) Raro, quia vesicam exulcerant p- 26. 46) Sanguinem a putridis, salsis, serosis et adustis humoribus lastina. quae et prosunt morbo Gallico p. 22. 47) Confortantia morbis frigidis destinata, quae intus et foris adhibentur p. 34. 48) Dianthos (p. 37). 49) Plumbum extrinsecus adhibetur (p. 38). h F. K. H. MARX, Bilsenkraut eigne sich zur Herabstimmung, und Opium, um Schlaf zu veranlassen 59). | å Das Vermögen, Wasser auszuleeren 31), besässen die Meerzwiebel, die Wurzeln der Zeitlose 52), der Saft aus der Wurzel der Zaunrübe und der Springgurke. ; Starke Schleim ausleerende Mittel seyen die Coloquinte 55), das Elaterium und der Lärchenschwamm 54). Beim Purgiren müsse man dreierlei 55) berücksichtigen: das Geeig- nete vorzunehmen, ehe man das Mittel gebrauche; das richtige Mittel zu treffen, und die Zufälle, welche darnach eintreten könnten, zu beseitigen. Zur Ausscheidung der Galle solle man nehmen die Cassia Fistula, Myrobalani, Manna, Sennesblätter, Rhabarber, Aloe, präparirtes Scam- monium. : Das Hervorrufen des Erbrechens 56) sey oft erforderlich, aber es ` müsse mit grosser Vorsicht 57) geschehen. j Man könne es zu Stande bringen durch laues Gerstenwasser, Oel mit warmem Wasser, die Rinde des Hollunderbaums, Meerzwiebel, Sauer- honig, Brechnuss, Niesewurzel 58). _ Arzneistoffe, welche das Blut'an eine bestimmte Stelle zu locken 50) Quando valde refrigerandum est et Somnus conciliandus (p. 8). 51) Aquam ceitrinam purgantia, quae hydropicis conveniunt. 52) Hermodactyli p. 21. 53) Trochisci Alhandal p. 19. 54) Agaricus recens trochiscatus. 55) In purgando tria consideranda sunt, per quae medicamenta humores sint. : ad expulsionem praeparandi ante cathartici sumtionem; deinde per quae e ` E ‚expellemus; denique quibus remediis corrigemus ON, er post pharmad — sumtionem eveniunt (p. 41). 56) Vomitio est exeretio per superiora, facta contentione ventriculi (p. 45). 57) Habenda ratio conformationis corporis, quia inutilis est vomitio iis, qu — = presso et angusto sunt pectore aut cervice gracili et oblonga, ut et iis qui sunt asthmatici, aut qui proni et proclives ad tabem. ` 58) Uterque helleborus. Sed hodie veremur uti helleboro (p. 24). Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 17 vermögen, gäbe es nicht; dasselbe sey überall nothwendig, um Wärme und Leben zu erhalten 59). Wenn die äusseren Hämorrhoidalknoten durch leichte Mittel nicht zu entfernen wären, müsse zum Messer und zum Feuer gegriffen 60) werden. Nachdem Henisch zu seinen übrigen Amtsgeschäften auch die Stadtbibliothek unter seine Aufsicht erhalten und in ihr den griechischen Text des Aretaeus, wenn gleich nicht unversehrt, entdeckt hatte, war sein Entschluss gefasst, durch Mitbenutzung fremder Codices denselben, -so vollständig wie möglich, und mit Bemerkungen von ihm begleitet, zu veröffentlichen. Wer durchdrungen ist von der Bedeutung dieses Arztes für die er- theilten Aufschlüsse über Erkennung, Unterscheidung und Behandlung der musterhaft geschilderten hitzigen und chronischen Krankheiten, der versteht das Verdienst zu würdigen, welches sich der Herausgeber da- durch erwarb, dass er, unter den Deutschen PI) zuerst, den EE Text mit einem Commentar sehr schön drucken 6?) liess. Das Unternehmen war schon dadurch kein leichtes, weil das Ma- 59) Nullum est medicamentum haemagogum, quod delectu quodam sanguinem ad se pellectet, quia sanguis thesaurus est naturae, et quo vita continetur et calor (p- 45). 60) Ferro igne utendum est (p: 27). 61) Der sprachgelehrte Arzt Jacob Goupyl (Gopil, Goupylus, Joupylus) [t 1560] hatte zu Paris, nach dort befindlichen Handschriften, den griechischen Text 1554 in Octav drucken lassen. 62) Aostaov Kannadoxos HIaroma. Aetiologica, Semeiotica et Therapeutica morborum acutorum et diuturnorum Aretaei Cappadocis. Graece et Latine conjunc- tim edita Tribus mss. codicibus Veneto, Bavarico, Augustano collatis. Cum commen- tario, quo obscura doctrina de nominibus et parte affecta morborum singulorum cum suis signis perspicua methodo illustratur. Autore Georgio Henischio B. Me- dico Augustano. Aug. Vindel. 1603. fol. (Die Edition von 1627 ist ein blosser Abdruck mit geändertem Titel). ` Phys. Classe. XIX. ` verstehen und den ersten deutschen Sn in Schatten stellen >. FD. MARX, haft Es war und er Ka nach REAUS Aushülfe umsehen f Anstatt nun, dass die Nachfolger in der Bearbeitung des Autors, ` _ denen, zur Feststellung der Correctheit des Textes und zur deutlicheren ` Erklärung, die fortgeschrittene Wissenschaft, sowie neu erschlossene um fassende Hülfsmittel zu Gebote standen, die ursprüngliche aufgewandte _ Mühe und den geoffenbarten guten Willen dankend hätten anerkennen ` sollen, überboten sie sich im Tadel und in der Ueberhäufung von Vor- würfen so sehr, dass es wie ein Wettstreit erscheint, es immer besser wollen. Eet Petit (F 1687] nennt die Uebersetzung höchst unpassend em. Johann Wigan wirft dem Herausgeber Sorglosigkeit und U schicklichkeit vor F 68) Im Catalogus Gtmegküni Codicum qui sunt in Bibliotheca Reip. Aug tanae Vindelicae, Quadruplo quam antea auctior.. Aug. Vindel. 1595 steht pag. 54 Aretaei Cappadocis, de acutis et diuturnis morbis, horumque curatione, capi quaedam. Charta fo. In dem äusserst seltenen 1600 in schmal folio erschienenen Bibliothecae in- clytae Reip. ‘Augustanae utriusque tum Graecae tum Latinae Librorum et impre rum et manu exaratorum Catalogus. Aug. Vindel. heisst es auf der nicht pagi i 26ten Seite: Aretaei Cappadocis de rn dignoscendis et curandis libris. weer M. S. Graece, principio mutilus. - Ebenso findet sich die Angabe im Catalogus Bibliothecae RR? blieae Augustanae. Studio et Opera Eliae Ehingeri. Aug. Vind. 1633. fol. P TÐ Aretaeus Cappadox de morbis DEE Msc. Graece, principio ilus. 64) Henischii OR re et ineptissima versio: PetriPetiti in tres j ; or SE Commentarii, nunc primum editi. ` Londini. 1726, 4. R 38. Kä _ 65) So sagt er (Praef. p. IO. In obeundo sno munere ita se gessit, ut sw , = veli incuriae, vel inscitiae, vel utriusque, merito accusari. Und p. quidem Versionem Gier Pauli er sine minima emendatione Ee Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. H. Boerhaave äussert sich in seiner Ausgabe 66) nicht nachthei- lig, sondern erklärt nur in der Vorrede, dass die 50 Verbesserungen, welche zu der Edition von Henisch, Jos. Scaliger beigeschrieben, be- nutzt worden seyen. Desto mehr aber ereifert sich C. G. Kühn 67) in wegwerfender Zu- rechtweisung, auf eine ungerechtfertigte, unerlaubte Weise 68), F. Z. Ermerins stimmt zwar im Ganzen dem geringschätzenden Urtheile von Wigan bei, doch berücksichtigt er die Lesarten, welche Henisch aus dem Augsburger Codex beifügte 69). Von Dem jedoch, was Kühn für diesen Autor meinte geleistet zu haben, ist er, als ungehörig zur Sache, sehr unbefriedigt 79). Von Geschichtschreibern macht Dan. le Clerc [+ 1728] dem Her- _ ausgeber den Vorwurf, dass er den Autor nicht nach den Grundsätzen der pneumatischen Schule, sondern nach denen des Galen, beurtheilt und ihm auch fremdartige Ansichten zugemuthet habe 71). taei de Causis et Signis acutorum et diurnorum morborum libri quatuor. Cum Mss. duobus, Harleyano et Vaticano, contulit: novamque Versionem dedit Johannes. Wigan. Aedis Christi Alumnus. Oxoniae. 1723. fol. 66) Lugd. Bat. 1635. fol. 67) Aretaei Cappadocis Opera omnia. Lipsiae. 1828. 8. 68) In der Einleitung p. XX: Inscium hominem et incurium se gessit. . . Ne uno emendavit fere loco .. Commentarii, quos adtexuit, auctorem non illustrant, sed res continent, ab Aretaei ingenio alienissimas, quae nonnisi ex stolido capite profectae existimari possunt. Einzig der äusseren ge [übrigens schon von Wigan Praet. p. IV hervorgehoben] lässt er G lerfahren: Typi solum lau- dem merentur. Hi majusculi sunt, oculisque age grii Las ex aliis in tex- tum recepta leguntur, minore typo distincta sunt. . 69) Aretaei Cappadocis quae supersunt. Recensuit et illustravit F. Z. Erme- rinus. Traj. ad Rhenum. 1847. 4. Aus der Praefatio: Henischianam editionem acriter sane reprehendit Wiganus; non tamen immerito. Ego nunc id unum dicam, non eam habere, quo se commendet, quum ad Aretaei intelligentiam vix prosit, nisi forte excipias unam alteramque lectionem codicis Augustani in margine adjectam. 70) Ebend.: A.Kühnio ipso hic nihil accepimus; nam quae accedunt, omnia ali- - ena sunt. 71) Histoire de la Médecine. ` Amsterdam. 1723. 4. p.508: Il semble n’avoir C2 20 = RR HB, MARX; Von Literarhistorikern fällt L. Choulant 72) folgendes Urtheil: »Der Text ist verschlechtert, die Uebersetzung die des Crassus, der Com- mentar bezieht sich kaum auf Aretäus, und ist auch an sich wenig brauchbar«. Auf eine nachsichtsvolle Beurtheilung des gelieferten griechischen Textes mit lateinischer Uebersetzung und Commentar hätte man deswe- gen schon hoffen sollen, weil der Bearbeiter, ohne irgend eine Aeus- serung von Anspruchnahme eines Verdienstes, sich nur als Arzt und Mathematiker, nicht als Alterthumsforscher oder Philologen bezeichnete. Die Thatsache, dass es nicht geschah, muss mit Bedauern erfüllen. | In der Ordnung und nothwendig ist es, Mängel nachzuweisen, Ver- besserungen vorzunehmen; aber dieses in unwürdigen Ausdrücken zu thun, kann nicht gerechtfertigt werden. Auch müsste sich der Kritiker die Mühe geben, den Mann, über den er als Richter zu sprechen sich unterfängt, nicht blos nach Einer seiner Arbeiten, sondern im Zusammenhange mit seinen übrigen kennen zu lernen, eine Vorstellung von dessen Gesammtthätigkeit zu gewinnen, um eine zuverlässige Schätzung des Geleisteten zu erwerben, billige An- erkennung zu erlangen und zu einem gerechten Spruche befähigt zu werden, Dass Henisch unter den mannigfachen vorhandenen griechischen Manuscripten gerade den Aretäus auswählte, ist characteristisch für ihn als Arzt, und beweist, dass er das Reelle liebte. Die Theoreme des Cappadociers sind dünne gesäet; er ist fast so einfach wie Hippokrates; als sein einziger Zweck leuchtet die sicher leitende, heilsame Belehrung für das Handeln am Krankenbette hervor. E _ fait ces Commentaires que pour faire dire à Aretee des choses auxquelles celui-ci ES jamais pensé. Au lieu d'expliquer les endroits difficiles de son Auteur, il a tå- = de supplóer ce qui manquoit au texte, pour achever de traiter chaque matiere, non pas au sens d’Aretee, mais à celui de Galien, ou au sien propre. a 72) Handbuch der Bücherkunde für die ältere Medicin. Zweite Auflage. Leip- ag. 1841. 8 ae _ | Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 21 Es muss durchaus als ein Verdienst bezeichnet werden, dass der Herausgeber, in der Periode der wieder erwachten klassischen Literatur, dieses Muster der Darstellung von Krankheitsbildern und der Behand- lungsmethode seinen Landsleuten, den Aerzten, in der Ursprache zu- gänglich machte. Wie übrigens Henisch den Werth eines ausgewählten Studiums erkannte, so auch den eines angemessenen Lebens. Er erklärt nemlich die Nothwendigkeit einer behaglichen Existenz mit dem Bemerken, dass derjenige, welcher elendiglich lebe, lebendig täglich sterbe 73). Die weit grössere Thätigkeit unseres Augsburgschen Gelehrten war seine nicht ärztliche, und ist es für den Freund der Culturgeschichte interessant, auch daraus zu erfahren, mit welchen Hülfsmitteln und auf welche Weise man damals den Bedürfnissen geistiger Ausbildung der heranwachsenden Jugend, und der nach wissenschaftlicher Einsicht Stre- benden, am Ende des l6ten und im Anfange des 17ten Jahrhunderts zu genügen suchte. Jene Periode ist in ihren einzelnen Beziehungen noch keineswegs so erforscht, wie sie es verdient, und liegt die Schuld der noch obschwe- benden ungenügenden Kenntniss mit darin, dass die zu jener Zeit er- schienenen Bücher jetzt äusserst selten zu erhalten, bei der Verwöhnung durch die neueren, weit reichhaltigeren, schön und deutlich gedruckten, nicht ohne scientifische Selbstverläugnung und einer a der Augen zu benutzen sind. Gilt die Mathematik als Wissenschaft von der Bestimmung der Grössen, so darf Henisch unter ihren Anhängern und Pflegern gezählt werden, indem er die reine wie angewandte cultivirte 74), und sich ebenso mit Berechnung der Münzen wie der Weltkörper beschäftigte. 73) In der Dedication seiner Ausgabe des Aretaeus: Non homini satis est vi- vere, nisi et commode vivat: cum qui misere vivit, hic non vivat, sed vivus moriatur quotidie. 74) Er schrieb: De numeratione multiplici vetere et recenti. Aug. Vind. 1605. 8. 99 K. F. H. MARX, thematiker, oder allein ER Mathematiker. Die Methode der Zahl, sagt er, sey der erste und vorzüglichste Theil der menschlichen Weisheit 77). Die Arithmetik nähme unter den mathematischen Künsten die oberste i Stelle ein 78). Er ertheilt den Rath: den Erfolg der Tugend und die Uebel dei Vergnügens zu zählen, um demgemäss alle Fehler zu vermeiden 7°). _ Zur Wiedererlangung der Einsicht, welche durch den Fall der er- sten Menschen verloren gegangen. könne nur das Studium dieser edlen ` Künste verhelfen 80), Darum wäre auch, wie er versichert, sein angelegentliches Bemühen darauf Be gewesen, diese Kenntniss auszubreiten und zu erleich- e tern de e RE bemerkt J. C. Heilbronner Historia Matheseos universae. Lipsiae 1142. ` 4 + Methodum adhibuit novam, qua doctrinam hanc per propositiones exposuit. De Asse et partibus ejus opusculum. Ebend. 1606. 8. Arithmetica perfecta et demonstrata. Ebend. 1609. 4. Hinsichtlich der eben genannten beiden Schriften äussert Heilbronner a. & | O. p. 801: Habet in sua Arithmetica id singulare, quod demonstrationes in syllo gismos resolverit. l Commentarius in Sphaeram Procli Diadochi. Cui adjunctus est Computus Ecclesiasticus, cum Calendario Ppa et prognostico SR ex ortu et occasu stellarum. Ebend. 1609. 4. 75) So z. B. auf den de numeratione, de Asse. und Weissheit: Mathematicus Augustanus. | en 77) In der Widmung des Buchs de Asse: sapientiae humanae pars prima ot praecipua est modus numerátionis multiplex. e 78) Ebend.: Artium Mathematum Arithmetica primum locum obtinet. at 79) Ebend.: mais EE virtutis et mala voluptatis et omnia vitia vitabis r 80) Ebend. > 1) E Ta Ííðsraløm dE non tantum propagare, sed et faci | rem et planiorom reddere eme stuðio conatus sum. Die Astronomie pitne. unter dea Fige Künsten. gleich dem Hesperus unter den Sternen 82). x Um zu ihrer Verallgemeinerung beizutragen, habe er die Schrift von Proclus zu erläutern gesucht 85). Zur Annahme des Gregorianischen Kalenders hat Henisch das Seinige treulich beigetragen. Nachdem der von Julius Cäsar eingeführte Kalender (der Julia- nische) über 1600 Jahre gegolten, wurde er von dem Arzte Aloysius Lk einer sorgfältigen Prüfung unterworfen und verbessert. Da die Umänderung der Zustimmung der berühmtesten Mathema- tiker sich erfreute, empfahl sie der Pabst Gregor XIII., im Auftrage des Tridentiner Conciliums, der Christenheit. Auf dem Reichstage von 1582 zu Augsburg erregte diese Angele- _ genheit grosses Aufsehen. Die evangelischen Stände weigerten sich auf den Vorschlag einzu- gehen. Sie hielten Alles, was vom Römischen Hofe kam, für gefähr- lich. Die Danaer. auch wenn sie Geschenke ‚brachten, wurden ge- fürchtet. Nur in Folge eines beifälligen Gutachtens von Henisch 84) ge- schah die SE der Neuerung an einigen Orten. * 82) Aus der Widmung seines Commentars zum Proclus: Inter caeteras SS ‚ Astronomia, velut Hesperus inter stellas, elucet. = 83) Ebend.: Librum quem de Sphaera scripsit, prae caeteris selegi, quem et publice jam multos annos in schola praelegerem, et commentariis necessariis illu- _ strarem, tandemque in lucem emitterem: ut et auditorum meorum et aliorum quique exterorum studiis prođessem. Dieser berühmte Mathematiker rá 485 nach Chr] war Nuke der Syria- nus, weswegen Diadochus genannt. M. vrgl.: J. C. Heilbronner Historia Matheseos, p. 383. 84) Nach Paul von Stetten (Gesch. von Augspurg Th. 1. S. 659) erkun- ` digte sich Pfalz-Graf Philipp Ludwig von Neuburg bei dem Rathe zu Augsburg, was er in dieser Sache zu thun gesonnen sey, ersuchte ihn auch, den a tuy K. F. H. MARX, Zu welchen Zerwürfnissen in Augsburg die zugelassene Neuerung führte, das geht z. B. daraus hervor, dass der anerkannte Arzt und Münzkenner Adolph Occo, weil er sich zu jener nicht bequemen wollte, seine Stelle als Physicus aufgeben musste 85), — In der Philosophie beschäftigte sich Henisch mit der des Plato ` und Aristoteles, und hat die darauf Bezug habende Streitschrift des aus 4 Constantinopel gebürtigen, im 15. Jahrhundert lebenden Mathematikers, 2 Gemistus Pletho 86), welcher zu Florenz sich aufhielt, aus dem Grie- _ chischen in das Lateinische übersetzt und anonym herausgegeben, Wie Henisch die Uebung, seiner Gegner durch versteckte Fehl- Mathematicum Dr. Georg Henisch hierüber zu vernehmen und ihm dessen Mei- nung zu entdecken. „Als nun dieser hierüber befraget worden und in seinem auf- gesetzten Bedenken gezeiget, dass diese Veränderung nicht ungereimt sey, über ` | schickte der Rath dem Pfalz-Grafen sein Gutachten“. E C. J. Wagenseil (Gesch. der Stadt Augsburg. Bd. 2. Augsb. 1820. 8. S. 223) bemerkt über diese Angelegenheit Folgendes: „Der Magistrat zu Augsburg, ` dem sein geschickter MathematikerDr.Georg Henisch wegen des neuen 4 Kalenders ein vortheilhaftes Gutachten gestellt hatte, war ganz geneigt, ihn einzu- `` führen, aber es widersetzte sich die evangelische Geistlichkeit“. „Der Rath erklärte, ` dass zwar die Evangelischen ihre Fest- und Feyertage nach dem alten Kalender be ` — gehen könnten, rücksichtlich der bürgerlichen und Staatssachen aber müsse der neue beobachtet werden‘. SS 35) „Weil er dem Willen des Magistrats, welcher die Annehmung des neuen ` ` Kalenders als eine politische Sache ihren Bürgern anbefohlen, sich nicht unterwarf, `a sondern die Sache als eine Kränkung der evangelischen Gewissensfreyheit ansah, und also ohne Verletzung seines Gewissens nicht nachgeben zu können vermeinte, so wurde er, wie einige andere aus dem Rath und den vornehmsten Aemtern, seines Physicats 1584 entlassen“ (Brucker Ehren-Tempel S. 95). ` 86) Man sehe Acta Philosophorum, das = storia Fhilosophica. Halle. 1719. 8. Stück 10. S. 539: Georgii Gemisti Plethonis Í liber de Platonicae et Aristotelicae differentia. Ex graeca lingua in Latinam versus a Georgio Chariandro, id est, Henischio. Basil. 1574. ist: Gründl. Nachrichten aus der Hi- Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 25 schlüsse zu täuschen 87), die Dialektik, ferner die Theorie der Rede- kunst 88) seiner Bearbeitung unterzog, so besonders die Erdkunde. ` Einer eigenen übersichtlichen Auseinandersetzung der wesentlichen Punkte 89) dieser Lehre fügte er das geographische Compendium von Pomponius Mela 80) [aus der Mitte des lten Jahrh. nach Chr.) mit verbesserten Lesarten 9!) bei. Die Geographie nennt er 9%) das Auge der Geschichte. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass der tüchtige Schulmann, dem die Oberaufsicht über das Gymnasium übertragen war 95), bei jeder dargebotenen Gelegenheit die genaueste Bekanntschaft mit der Ge- schichte offenbart, und als Philologe, was Fleiss, Sorgfalt, Kennt- niss der Idiome betrifft, den Besten seiner Zeitgenossen ebenbürtig er- scheint. 87) Institutionum Dialecticarum Libri VII et Repetitionum Libri IL Aug. Vindel. 1590. 8. Sein Vorgänger im Amte, der treffliche Hieronymus Wolf, hatte in einem Gutachten über Henisch erklärt: „er sey im Stande, nicht nur die Mathematische Wissenschafiten, sondern auch die Hebräische und Griechische Sprache zu lehren, und die Dialectische Regeln Geometrisch zu beweisen; auch die Jugend im Disputiren geschickt zu üben; und seye von ihm und seiner Geschicklichkeit alles, was man nur wünschet, sich zu versprechen“ (bei Crophius a. a. O. 88) Praeceptionum Rhetoricarum Libri V et Exercitationum Libri II. Ebend. Lan. & 89) und 90) Epitome Geographiae veteris et novae; Et Pomponius Mela de Situ Orbis: Edita in lucem, cum Indice, omnium locorum tam veterum quam recen- tium secundum seriem literarum nomenclaturam continente, utili ac necessario: Georgii Henischii Medici et Mathematici Augustani studio et labore. Aug. Vindel. 1577. 8. 91) Aus der Dedication : Melae libellum, quam vulgo circumfertur, correctiorem, adjunximus. 92) Ebend. 93) J. Brucker sagt in seinem Ehren-Tempel (S. 179): „Beinen Fleiss, Ver- stand und Redlichkeit, womit er manchem wichtigen Fehler, dem Hieronymus Wolf nicht genug begegnen können, abgeholfen, kann man nicht genug erheben“. Phys. Classe. XX. 96 F. K. H. MARX, Eine bevorzugte Hingabe widmete er nur solchen Schriftstellein, welche durch eigenthümliche Schönheit und praktischen Nutzen sich auszeichnen, Bei seiner Ueberzeugung, dass, erst nach Wiederaufnahme der grie- chischen Sprache 94), die elegante Literatur ihr Auferstehungsfest feierte, wirkte er, nach besten Kräften, für die Erwerbung griechischer Werke und die Einführung der griechischen Sprache in den Unterricht. Er erkor sich, zur Cultur des Verstandes und Gemüthes, den epi- schen Dichter Hesiod und übersetzte die dazu von Johannes Tze- tzes veröffentlichten Scholien aus dem Griechischen in das Latei- nische 95), Wie hoch Hesiod (geb. in Askra, am Fusse des Helicon in Böo- tien im 9ten Jahrh. vor Chr.) gehalten wurde, das beweisst die Sage, dass er in Chaleis mit Homer um den Preis des Gesanges gerungen habe. Henisch bemerkt %), schon die jüngsten Schüler hätten einzelne Verse von ihm, gleich heiligen Sprüchen, auswendig gelernt. Die Dichtung »Werke 97) und Tage«, worin Vorschriften über Er- ziehung, Thätigkeit, Rechtlichkeit, kluges Benehmen etc. enthalten sind, wurde besonders beherzigt. Bald nachdem Henisch 98) die dazu gelieferten kurzen Erklä- 94) Er sagt in der Widmung seines Aretaeus an die Raths-Mitglieder,, welche für Anschaffung griechischer Werke und die Einführung des Griechischen in die Lehr- gegenstände gesorgt hatten: Renata Graeca lingua , renasci aut potius restitui cepit omnis literatura elegantior. 95) Poemata Hesiodi Ascraei, quae extant, omnia, graece, cum varia interpre- tatione Latina. Una cum Doctissimis Joannis Tzetzis Grammatici in omnia Poemata ejusdem Scholiis, nunc primum ex Graeco sermone in Latinum conversis, et in lucem editis, a Georgio Henischio B. Basileae. 1574. 8. 96) In der Dedication seiner Edition: Tantam fuisse Hesiodi authoritatem , m pueri cunabulis egressi versus ipsius ediscere sint soliti, non aliter quam in Ecclesia elementa doctrinae Christianae ex vulgo vocatis catechesibus a rudi et nullis adhuc disciplinis imbuta juventute „memoriae mandantur. 97) Eoyæ zæı Bnsge, Opera et Dies. 98) Aus der Dedication zu seinem Hesiodus: Cum nuper in Tzetzis Com- Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 27 rungen des angesehenen Grammatikers aus Konstantinopel (im 12ten Jahrh. nach Chr.) kennen lernte, beeilte er sich, sie der allgemeinen Be- nutzung zugänglich zu machen. Für die Stadtbibliothek war es ein Ereigniss, dass Henisch die Aufsicht über sie erhielt, denn er liess es sich nicht blos angelegen seyn, Mehrer des Reichs zu werden, sondern er verfasste ganz wahr- scheinlich den ersten, nach den Fächern geordneten, Catalog 99). Ob ihm dazu Vorarbeiten vorschwebten, ist eine Frage, denn der von ihm zu Stande gebrachte scheint, wenn nicht der erste, überhaupt einer der ersten vollständigen einer öffentlichen Bibliothek gewesen zu seyn. Unbescholtene Gewährsmänner 100) bezeugen seine Autorschaft. mentaria incidissem, non potui non ea in usitatiorem Latinum sermonem conver- tere . . ne videlicet, juxta proverbium, sibi soli et Musis cecinisse videretur. Von diesem Polyhistor wird auch eine Schrift de urinis erwähnt (Haller Bibl. pract. T. I. p. 318). 99) Bibliothecae inclytae Reip. Augustanae utriusque tum Graecae tum Latinae- Librorum et impressorum et manu exaratorum Catalogus. Aug. Vindel. 1600. fo- lio. oblig. 100) M. A. Reiserus Index Manuscriptorum Bibliothecae Augustanae. 1675. 4. bemerkt auf der 2ten Seite der Vorrede: Integer totius Bibliothecae Catalogus prodiit, primo quidem anno seculi post decimum sexti ultimo vel terminali , nomine Collectoris non adscripto, qui tamen fuisse putatur Georgius Henischius, Medicus et Professor in Gymnasio Mathematices, scripto non uno celebris. Joann. Christoph. Wendler (Diss. de meritis Reipublicae Augustanae in rem literariam. Jenae. 1713. 4. 8. XL p- 46) gibt an: Integrum totius Biblio- thecae Catalogum primus edidit Augustae 1600. Crophius (a.a0. a 172) bemerkt: ‚Er verwaltete eine Zeitlang die Auf- sicht der gemeinen Stadt-Bibliothek, und ist kein Zweiffel, dass das erste gedruckte Verzeichniss des Bücher-Vorraths in derselbigen von Henischen verfertigt seye“. Die Autorschaft wird auch bezeugt von G. W. Zapf in seiner Augsburgischen Bibliothek. Bd. 2. Augsburg. 1795. 8. S. 853. D2 e 28 b EFKE MARX, Vor allen Arbeiten Henisch's drängt zur Bewunderung das gross- artige Unternehmen, welches nur durch seinen Tod unterbrochen wurde, nemlich sein reichhaltiges, umfassendes Wörterbuch der deutschen Sprache "9. Die Vorläufer 102) in Bearbeitung dieses Gegenstandes, welche Bahn brachen, können mit seinem Werke, worin auf die Eigenthümlichkeiten unserer vaterländischen Begriffs- und Ausdrucksweise Rücksicht genom- men wurde, die Vergleichung nicht aushalten. Es muss hervorgehoben werden, dass der Verfasser überall das Wort Deutsch mit einem D schreibt und die Bezeichnungsart auf dem Titel: »Teutsche Sprache« als Liebhaberei des Setzers zu nehmen ist. Die Vorzüge unserer vaterländischen Mundart kann er nicht genug prei- sen; auf dem ganzen Erdboden käme ihr keine gleich in Reinheit, weitläu- figem Gebrauche, männlicher Würde, Kürze und anderen Schönheiten 105), Entgegen diesen Angaben wird von Joh. Vogt (Catalogus historico-eriticus Librorum rariorum. Francof. 1793. 8. p. 232) David Hoeschel als Verfasser genannt. Jedoch in dessen Leben von Jacob Brucker (Ehren-Tempel S. 99) ge- schieht davon keine Erwähnung. 101) Teutsche Sprach und Weissheit. Thesaurus Linguae et Sapientiae Get: manicae. In quo vocabula omnia Germanica, tam rara, quam communia, cum suis Synonymis, derivatis, phrasibus, compositis, epithetis, proverbiis, antithetis, continen- tur, et Latine ex optimis quibusque antoribus redduntur, ita, ut hac nova et per- fecta methodo quilibet cum ad plenam utriusque linguae cognitionem, tum rerum prudentiam facile et cito pervenire possit. ` Adjectae sunt quoque dictionibus pleris- _ que Anglicae, Bohemicae, Gallicae, Graecae, Hebraicae, Hispanicae, Hungaricae, Ita- licae, Polonicae. Pars Prima. Studio GeorgiiHenischii B. Medicinae Doctoris, et Mathematici Augustani. Augustae Vindelicorum. M. D. C. XVI. fol. 102) Petrus Dasypodius (Haas, Hase, Häslein?) [+ 1559 zu Strasburg] Dictionarium Latino-Germanicum et vice versa Germanico-Latinum. Argentorati. 1535. 8. Die Teutsch spraach. Alle wörter, namen und arten zu reden in Hochteutscher spraach, dem A B C nach ordentlich gestellt, unnd mit gutem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleichen bisshär nie gesähen, durch Josua M aa- ler [Pietorius] burger zu Zürich. Tiguri. 1561. 8. ‘(Conrad Gesner schrieb dazu eine lateinische Vorrede von 10 Seiten). 103) Aus seiner lateinischen, 7 Folioseiten füllenden Zuschrift des Werks an Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 29 Sie sey so rein 1%), wie eine keusche Jungfrau. Bei ihrer Kürze werde Weitschweifigkeit vermieden 105), Es konnte nicht fehlen, dass das Urtheil der Sachverständigen 106) über dieses Werk äusserst günstig lautete; auch wurde beifällig bemerkt, dass der Inhalt nicht nur die Sprache, sondern auch die Weisheit der Deutschen abhandle. Der erschienene erste Theil erstreckt sich bis zum Buchstaben H. Der Verfasser hoffte, die Fortsetzung bald nachfolgen zu lassen 107), allein sie unterblieb, weil er zwei Jahre darauf starb. Der Verlust war ein empfindlicher, der auch, wie von Morhof 108), von Vielen beklagt wurde. die Oesterreichischen Landstände ober und unter der Ens (florentissimis Archiduca- tus Austriae supra et infra Anasum Ordinibus ac Statibus): inter duleissimae nos- trae patriae laudes non infimam esse hanc judico, quod linguam habet tum dignitate, tum praestantia, quam exceptis Hebraea, Graeca, Latina, nulla gens, nulla natio, nullus populus merito sibi vindicare potest. 104) Ebend.: Quod hujus linguae encomium unicum sit neminem non videre arbitror. Excellit tanta puritate, ut sola virgo illibata dicenda sit. 105). Ebend.: Lingua nostra omnem moram excludit, nullam prolixitatem ad- mittit. Als seltsamer Beweis dient Heintz statt Henricus. 106) So heisst es in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen des Jahrs 1733. Leipzig. Th.1. S.366: „Der Autor hat nicht allein meistentheils das Eng- lische, Böhmische, Französische, Holländische, Griechische, Ebräische, Spanische, Un- garische, Italiänische und Polnische beigefügt, und sonderlich alle Wörter und Re- dens-Arten im bewährtem Latein erklärt und zugleich auf die alten Autores dieser Sprachen verwiesen, sondern auch die Kenntniss der Wörter mit der Kenntniss der Sachen genau verbunden und bei jedem Stamm-Worte dessen Synonyma , Derivata, Epitheta, die gebräuchlichsten Redens-Arten und Sprüchwörter, wie auch die klugen Denk-Sprüche aufs sorgfältigste angemercket“. 107) Aus der Dedication an die Stände: Primam hujus laboris partem nunc in lucem edimus: alteram si propitium Numen, permiserit, non diu dilaturi, 108) A. 1616 in lucem prodiit G. Henischii, viri docti, liber Thesaurus; utinam totus prodiisset, usui haud contemnendo futurus (Polyhistor literarius. philo- sophicus et practicus. Lubecae. 1714. 4. ed. 2. L. IV. Cap. 4. $.8. p. 753). 30 AEH MARX, 1618 schied Henisch, 69 Jahre alt, aus dem Leben 109), nachdem er 42 Jahre lang seine amtliche Stelle bekleidet, und dafür, wie für Ver- breitung gelehrter Bildung, nach besten Kräften gewirkt hatte 110), Wer die voranstehenden Blätter mit Aufmerksamkeit durchgelesen, : wird sich überzeugen, dass sie keiner Rechtfertigung bedürfen, um einen : Mann, der durch Wort und That zur Ausbreitung von Kenntnissen und d edler Bestrebung beigetragen, vor der Vergessenheit zu bewahren. Dass diese zu befürchten steht, beweisen die meisten literärischen 77 Nachweisungen, in denen man ihn vergebens sucht. Bei einem seiner Bücher, wo die späteren Bearbeiter nicht umhin konnten, seinen Namen zu nennen, schien es nothwendig, die ihm ge 7 wordene harte Behandlung zu rügen und vor einer ungerechtfertigten ` üblen Nachrede zu warnen. Gleich der Art und Weise von Henisch, lebten und wirkten un- 109) Es zeugen davon folgende Grabschriften: a) Georg. Henish Med. D. Dicendi Artes et Mathem In Schola Aug. Docuit. A. XLH Fideliter. Feliciter Vix. An. LXIX Ob. Prid. Cal. Jun. An. MDCXVIII Labore et Gratia Dei. b) Gehört weil: D. Georgen Henisch, der Artzney Doctor und Mathematico, so allhie begraben liegt: und weil: Fraw Regina W yrsingin seiner eher ` lichen Haussfrawen, beider Seel’: und ihren Erben und Nachkommen. Danielis Praschii Epitaphia Augustana Vindelica. Pars I. 1624. 4. P: _ 180 und p. 297. 110) Paul von Stetten (Gesch. von Augspurg. Th.1. 8. 826) theilt mit: „Den 31. May 1618 starbe zu Augspurg der gelehrte Medicus, Mathematicus und Philologus, D. Georg Henisch aus Hungarn gebürtig, welcher neben Treibung der Artzney-Kunst dem Gymnasio bei St. Anna 42 Jahr lang als Professor vorgestanden, und sonderlich in denen mathematischen Wissenschaften und der Griechischen Sprache viele geschickte Schüler erzogen, wie er dann auch einer der ersten gewesen, so die ` Teutsche Sprache in bessere Reinlichkeit zu bringen sich bemühet“. en N E E E a EROA Niy Ta E E ROI EN E EE eg A I le AE E FE FE Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 31 zählige Männer zum Segen ihrer Zeitgenossen, ohne dass ihr Ruf bis in die Gegenwart sich erstreckte. Werden ihre Namen nicht zufällig von der Fackel der Geschichte beleuchtet, bleiben sie in Nacht gehüllt. Unbekannt und unbekümmert mit den Verdiensten längst Verstor- bener schreitet man über die Begräbnissstätte der Edelsten und Besten: nur wo ein Monument die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird verweilt. Da das Wahre und Schöne, was Jene ausgestreut, in die Lebens- elemente der Menschheit, als Gemeingut, überging, so nimmt Jeder, wenn gleich unbewusst, einen Theil davon in sich auf. Der Dank dafür kann nur dadurch gezollt werden, dass Jeder, nach seinen Gaben, sich beei- fert, das geistige Erbe zu achten und zu vermehren. aa F. K.H. MARX, Nachträgliche Bemerkungen. Es ist gut, dass die Zeit da war, wo Aerzte durch ihre allgemeine und gelehrte Bildung zum Schulamte, zum Unterrichte der alten Spra- chen, übergehen konnten, denn sobald wird sie nicht wiederkehren. Die Meisten jetzt sind froh den Schulsack für immer weggeworfen zu haben, von den Regeln der Grammatik erlöst zu seyn, an lateinische und grie- chische Klassiker nicht mehr denken zu müssen. Da Doctor Lehrmeister bedeutet, so könnte man glauben, dieser sonst die Mediciner bezeichnende Titel wäre deswegen als obligatorisch — aufgehoben worden, weil sie seiner Wortbedeutung nicht mehr, wie frü- her, zu entsprechen vermögen. Das Publicum hatte ehemals grosse Achtung vor gelehrten Aerzten, nun eine geringe. Da es die neumodischen, eleganten, durch Collegien- hefte und Journalartikel gebildete Praktiker vorzieht, so ist nicht zu ver- wundern, dass bei den lebenden Aeskulapiden vielseitiges Studium, der Rückblick in die Vergangenheit, Benutzung der griechischen und römi- schen Schriftsteller, einem horror vacui verursachen. Weil Literärgeschichten für ungelesen und langweilig gelten, Jour- nale aber für unentbehrlich und unterhaltend, so wird auf den Ruhm, in jenen nicht blos als Beherrscher des gewählten Fachs, sondern auch als gründliche Kenner der alten Lehrmeinungen, zu glänzen, gerne ver- _ Zichtet, wenn die Tagesblätter an Lobeserhebungen der eigenen Person nicht ser sich verhalten. An der möglichen Auferstehung der Autoren darf man zweifeln, nicht an der ihrer Werke. Liegen diese auch noch so lange in der Zeit vergraben , sind sie vergessen und verkannt — unerwartet können sie ans Licht gezogen, gewürdigt und anerkannt werden. Unterscheidet sich der Recensent vom Untersuchungs - Richter da- Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 33 durch, dass dieser die vita anteacta, jener, isolirt, blos das vorliegende Werk berücksichtigt, so begreift es sich, warum so häufig dort die Will- kühr, hier das Recht entscheidet. Den Grundkräften und Saamen ist bei ihrem Schaffen kein Ver- ` dienst zuzuschreiben, weil dasselbe nicht aus freier Wahl und Selbstbe- stimmung, sondern aus ursprünglicher, innerer Nothwendigkeit hervor- geht; aber was der Mensch zuerst durch Nachdenken, Versuche, Mühe zu Stande bringt, verdient Dank, und zwar nicht nur für das, was er gethan, sondern was er veranlasste. Das Forterzeugen des Natürlichen ist einfach, dagegen das des Geistigen mannigfach, ja unberechenbar. Um den Werth einer älteren Leistung richtig zu bestimmen, ist unerlässlich in die Periode ihres Entstehens mit strenger Vorsicht und Pietät sich zu versenken, die mitwirkenden eigenthümlichen Verhältnisse, die gebotenen Hülfsmittel und hemmenden Einflüsse zu ergründen und gegen einander abzuwägen. Bei der Prüfung im Einzelnen kann man nicht objectiv genug und durchaus fern bleiben vom Maassstabe der Gegenwart. Der Bergmann kehrt oft, nach langer Zwischenzeit, zu verlassenen Stollen zurück, nicht weil er glaubt, es habe sich neues Erz erzeugt, sondern weil er vermuthet, das vorhandene sey unberücksichtigt geblie- ben. Aehnlich verhält es sich mit Untersuchungen des Historikers. Berechtigter als die Märtyrer sollten die verkannten Schriftsteller an geweihten Stellen Verehrung finden. Ohne Beeinträchtigung der kosmopolitischen Gesinnung, der theil- nahmvollen Bewunderung fremder Gedanken und Leistungen, ist der deutsche Forscher seiner Nation schuldig, jede Verdunklung oder Igno- rirung wahrer Verdienste, jede Antastung des guten Namens und der Ehre seiner ERROR als begangenes Unrecht überzeugend Phys. Classe. XX. : 34. KEF H MARX, nachzuweisen. Unterlassung und Schonung in dieser Hinsicht müssten wie Verrath am Vaterlande angesehen werden. Ein Gelehrter, der in allen Zeiten sich umsah und mit allen Vor- stellungen des höchsten Wesens sich vertraut gemacht hat, muss ent- schuldigt werden, wenn sein Eifer in Cultivirung einer bestimmten Re- ligion nicht stark erscheint. Treiben die Aerzte humanistische Studien, so wird ihr geistiger E) Blick schärfer, ihr Urtheil freier, ihre Stimmung gehobener; durch die Bekanntschaft mit dem Schönsten und Gediegensten wird ihr Sinn fei- ner, ihr Selbstgefühl edler; durch Erfassen der erlaubten Ziele erhöht und befestigt sich ihr Wollen und Können: auch bleiben sie möglichst bewahrt vor Oberflächlichkeit, Unwahrheit und der Neigung, blos ein- zelne Kunstfertigkeiten auszubilden. Je mehr sich ihnen die Ueberzeu- gung erschliesst, dass sie es mit dem Erkennen und Unterstützen des rein Menschlichen zu thun haben, entscheidet bei ihnen gefühlvolle Ueberlegung, nicht Verlass auf eingeübte Fertigkeiten. Die Entfernung von der hohen Gesammtaufgabe des Faches würde sie dem Techniker nähern. Dem Auge das Durchstöbern vergilbter Schriften, dem Geschäfts- manne das Bekanntwerden mit gleichgültigen Gegenständen zuzumuthen, scheint ebenso seltsam wie unnütz. dass, trotz der herrschenden Gleichförmigkeit in Sitten und Gebräucher, immer Individuen sich finden, welche, unbekümmert um Lob oder Ta- del, einzig dem Compasse freigerungener Einsicht folgend, ihren eigenen Weg gehen = In den älteren Büchern entdeckt man mehr, als in den neueren, die unverhüllten, selbstständigen Ansichten der Verfasser. Die früheren äusserten sich unabhängiger in ihrer Stellung, unumwundener in ihren Meinungen, aufrichtiger in ihren Voraussetzungen. Abgesehen davon, Dass es dennoch geschieht, beweisst, Ba £ PA 13 DENE E, EE EE E E Ee SÉ E E EN E Eh Eege Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 35 dass die neueren, durch den Einfluss der Presse und der geselligen Ver- bindungen, ein viel grösseres Material fertiger, gangbarer Lehrsätze und Glaubensartikel in sich aufnehmen, wirkt bei ihnen die Rücksichtsnahme auf die Beurtheilung in den öffentlichen Blättern, auf herrschende Schul- begriffe, auf Liebe und Hass der Partheien so sehr, dass sie sich zu der Farbe und Sprache eines Stimmführers unbewusst bekennen. So zeigen sich denn statt der originellen Naturen Metamorphosen, statt der eigenen Gedanken modificirte Ueberlieferungen. Indem zugleich nach dem Beifall der Menge gerungen und so auf den äusseren Zuschnitt ein grösserer Werth als auf den Inhalt gelegt wird, leidet die Darstellung an unbefangener Einfachheit, sowie an ausgesprochener persönlicher Ueberzeugung. Bei der nur zu gerechten Klage der Einsichtsvollen, dass die jetzige Generation der deutschen Aerzte um die Geschichte ihres Faches sich nicht kümmere, fast nur den äusseren Zweck, nicht die ideelle Auf- gabe desselben, die Verlockung des Egoismus, nicht das Pflichtgefühl der Gemeinschaft im Auge habe, bleibt zu fragen, ob die Schuld des Versäumnisses und der Rücksichtslosigkeit an ihnen oder an allgemein wirkenden Ursachen liege; ob der gleichgültige, getrübte Blick in die Vergangenheit in träger Abgeschlossenheit oder in der Verwirrung und Noth der Umstände gesucht werden müsse? Erscheinen die veranlassenden Vernachlässigungen und Hindernisse als unverdiente, vorübergehende, so wird im neuen Reiche, nach erwach- tem nationalem Selbstgefühl, bei der Wahrscheinlichkeit eines dauernden Friedens, wenigstens bei der Befestigung der staatlichen Verfassung, so- wie nach Wiederherstellung der natürlichen Verhältnisse im Leben und in der Wissenschaft, sowohl für die Förderung des historischen Studiums, als für das Ansehen der Standeswürde, der Anbruch einer besseren Zeit zu verkünden seyn. k Nur bei arger Bedrängniss konnte das kostbare, durch die Gunst des Schicksals bewahrte Eigenthum von Jahrtausenden. der Schatz des Geschehenen und Gedachten, gering geachtet und so leichtsinnig Preis E2 36 K. F. H..MARX, gegeben werden, dass man denken konnte, die Epigonen seyen des Er- bes unwürdig geworden. Kaum hatte die Cholera aufgehört zu drohen, als sich zu den vie- len alten Krankheiten mannigfache neue gesellten, wie Nackenkrampf, | Diphtherie, Trichinenleiden etc., und als durch furchtbare Schlachten mit neu erfundenen Mordmitteln, Wunden und Zerstörungen in einer Zahl vorkamen, dass Nachdenken und Bemühung der Heilkundigen so voll- auf in Anspruch genommen wurden, dass sie weder Ruhe noch Zeit _ fanden, mit Anderem, am wenigsten mit längst abgethanen Lehren, sich zu beschäftigen, um nur den nächsten, dringenden Pflichten mit ganzer Hingebung dienen zu können. Es war ein Aufgebot durchgreifender Hülfsbedürftigkeit an die schaffende Kunst wie an das theilnehmende Gefühl, dem sich Keiner zu entziehen vermochte, | Zum, Erstaunen war es nur, dass, trotz dieser ununterbrochenen Inanspruchnahme der Kräfte und Empfindungen, bei Tag und Nacht, einzelne Theile der theoretischen und praktischen Medicin, mit ebenso grossem Geschick als Erfolg, neu begründet, und andere so entwickelt wurden, dass sie zur Meisterschaft gelangten. Wurde auf diese Weise die Rücksichtnahme auf das Alte zur Un- möglichkeit, so zwangen die verschiedenartigsten,, ungünstigen, auf ma- terielle Vortheile gerichteten Einflüsse und Vorgänge in den gesellschaft- lichen Kreisen, wollend, nicht wollend, das gerade Gebotene zu ergrei- fen und auf die unmittelbare Gegenwart sich zu beschränken, um, im aufgedrungenen Kampfe mit fremdartigen Richtungen und Interessen, die eigene Persönlichkeit zu einer gewissen Geltung zu bringen. Da das Mitsprechen und die Eingriffe von Unberufenen in medi- cinische Dinge an der Tagesordnung waren, das Publicum für Magneti- seurs, Homöopathen, Hydropathen ete. schwärmte, suchten viele Jünger des Aesculap, von der bevorzugten Werthschätzung technischer Arbei- ten angelockt, als kluge Berather oder diensteifrige Specialisten zu glän- zen. Für den Vorwurf des einseitigen Treibens entschädigten Lobeser- hebungen in öffentlichen Blättern und reichliche Einnahmen. Z. ANERKENNUNG D. ARZTES U. SCHULMANNES D. GEORG HENISCH. 37 Durch Aufsehen erregende Ansichten wurden von den tonangeben- den Chorführern die traditionellen Lehren, als hinter der fortschreitenden Zeit zurückgebliebene und unbrauchbare, in Miscredit gebracht; nur die von Gönnern angepriesenen Schriften lebender Autoren wurden für preis- würdig erklärt und empfohlen. Je mehr man die Hülfsdoctrinen der Medicin als deren wesentliche Theile ansah und mit Eifer betrieb, trat eine Entfremdung von den herkömmlichen leitenden Regeln ein, und je mehr Misstrauen und Miss- achtung des Alten so sich zu benehmen verstanden, dass sie wie Er- leuchtung und Vervollkommnung galten, kam es bei den unselbstständigen Naturen zum Zweifel an dem erworbenen Wissen und zum Abfall von den bewährten Autoritäten. Es wurde nach subjectiv ersonnenen, aber gefallenden, Prinzipien verfahren, oder nach specifischen Mitteln gestrebt, oder ein Thun beliebt, das sich in Nihilismus auflöste. Zu dem Ignoriren oder Verhöhnen ursprünglicher Weisheit und gründ- licher Forschung kam die Unsicherheit des politischen Lebens, indem man Revolution im Vaterlande oder Hereinbrechen des lauernden Nach- barvolkes befürchtete, und darum blos diejenigen Fähigkeiten und Fer- tigkeiten cultivirte, welche man, selbst beim Auswandern in eine an- dere Heimath, für zuverlässige Garantien des Fortkommens erachtete Der Zustand der trübseligen Periode glich einer beständigen Un- sicherheit, Unruhe und Angst, wodurch die Meisten, nur die eigene Er- haltung berechnend, gegen die grosse, allgemeine Bestimmung, indiffe- rent sich verhielten. Ist darum erst unser Vaterland im Innersten beruhigt und befe- stigt, wird ohne Unterlass dahin gezielt, Licht zu verbreiten, Vorurtheile und Aberglauben zu zerstreuen, Schein von Wahrheit zu unterscheiden, so wird ohne Zweifel das Studium der Geschichte der Medicin als Be- dürfniss sich bemerklich machen, starke Wurzeln schlagen und der Be- griff von der Hoheit des Standes zur lebendigen That sich gestalten. Ganz von selbst aber kann dieser Fortschritt nicht kommen: er muss, wie alles Gute, errungen, durch die Freunde des ächten Wissens und einer charaktervollen Gesinnung, erkämpft werden. Diese dürfen 38 K. F. H. MARX, nie ermüden, sich selbst immer mehr zu vervollkommnen und tüc tige Genossen zu sammeln, um durch eine geeinigte, feste Ordnung das Ziel einer organisch abgeschlossenen, das Heilpersonal ehrenden Kunst erreichen. | Bei jeder Gelegenheit müssen sie die Pfleger der Civilisation an die Verpflichtung eindringlich erinnern: wach zu bleiben; Individuen, welche sich als Dolmetscher der Naturgeheimnisse ausgeben, und Behauptungen, die zur Aufklärung und zum Verständnisse derselben dienen sollen, vor- sichtig zu prüfen; durch den Tageslärm und die zufällig gefeierten Ko- ryphäen nicht irre zu werden; die blos Nutzen bringenden Thätigkeiten ` nicht zu hoch zu halten; der Willkühr im Rühmen zweifelhafter Unter- suchungen durch besonnene Kritik eine Schranke anzuweisen; von Nei- dern verdunkelte Verdienste an das Licht zu ziehen; die Wahrheit zu vertreten und zu beschützen. Den Aerzten muss immerfort an das Herz gelegt werden: den Entwicklungsgang ihres Faches nicht zu vernachlässigen; die Quellen der Lehrmeinungen und Beobachtungen aufzusuchen, um das längst Be- kannte vom angeblich Neuen unterscheiden und Gerechtigkeit üben zu können in Anerkennung der Verdienste vergessener oder todtgeschwie- gener Wohlthäter; mit den einflussreichen Autoren selbst Bekanntschaft zu machen, nicht blos mit Auszügen oder Bearbeitungen ihrer Werke, theils um im Stande zu seyn sich ein freies, klares Urtheil über den Wechsel der Meinungen und die Bedingungen der gesetzlichen Vorgänge zu bilden, theils um die Gesundheit der Beurtheilung einzig in der vol- len Würdigung wie Berechtigung der Vergangenheit zu erkennen. Nur dadurch, dass die Aerzte mit aufopfernder Anstrengung, vom Wahrheitstriebe geleitet, in das innerste Getriebe und in die Annalen ihres Berufs dringen, werden sie das gesunkene Ansehen ihres Standes heben, Achtung vor sich und von der Welt erlangen. EE Durch die allgemein verbreitete Lectüre und eine Unzahl interes- santer Schriften, welche fast Jedem ins Haus gebracht werden, wird das Selbstdenken selten, weil für überflüssig gehalten, Um zu gelten, be Ki Z. ANERKENNUNG D ARZTES U. SCHULMANNES D GEORG HENISCH. 39 darf es nicht des Producirens, sondern blos des Reproducirens. Ver- mittelst reichlicher Collectaneen, eines guten Gedächtnisses und des Fer- tigseyns mit dem Worte, wird, ohne anstrengendes Ueberlegen, eindringen- des Forschen, sinniges Vergleichen, der Titel: grosser Geist, Genie, tie- fer Denker erworben. Dem Wahrheit Liebenden bleibt nur übrig, um den zu Theil gewordenen unverdienten Schein zu tilgen, sich viel in sich selbst zurückzuziehen und auf das Aeusserste sich zu bemühen, dunkle Punkte des Wissens zu erhellen, zweifelhafte Fragen erschöpfend ` zu beantworten, complicirte Untersuchungen zu vereinfachen, für Wider- sprüche Ausgleichung und Gesetze zu entdecken. Die Weihe reiner Forschung für die Jugend und neue Richtungen wird nur durch Verständniss und Anerkennung der Alten und der Ver- gangenheit erlangt. ABHANDLUNGEN DER MATHEMATISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSEN SCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ZWANZIGSTER BAND. Mathem. Classe. XX. 1. Ueber die electrischen Elementargesetze von Eduard Riecke. Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. am 3. Juli 1875. I. Das Amp£re’sche Gesetz. 1. Verschiedene Formen des Ampereschen Elementargesetzes. Die den folgenden Betrachtungen zu Grunde liegenden Annahmen sind im wesentlichen dieselben, welche C. Neumann bei den im fünften Abschnitte seines Werkes »die elektrischen Kräfte« ausgeführten Rech- nungen benützt; gegeben sind zwei leitende Körper A und B welche durchflossen sind von irgend welchen galvanischen Strömen. Es soll die Wirkung, weiche ein Element des Körpers B auf ein Element des Kör- pers A ausübt zuerst in der ursprünglichen Form des Ampere’schen Ge- setzes aufgestellt und dann auf verschiedene andere Formen transformirt werden, welche für eine nähere Erforschung des Gesetzes von Bedeutung zu sein scheinen. Ebenso wie bei Neumann seien die beiden Körper A und B begriffen in irgend welchen Bewegungen und werden mit hierauf folgende Bezeichnungen eingeführt: Dv, und Dv, seien zwei Volumelemente der Körper A und B; r ihre Entfernung; Zo Yo, Zo und z,, Yy,, 2, seien ihre Coordinaten mit Bezug auf ein im Raume absolut festes System. fa, Ha, 3, und Ti; Du, A ihre Coordinaten mit Bezug auf zwei Systeme, deren eines in fester Verbindung gedacht wird mit dem Körper A, das andere fest verbunden ist mit dem Körper B. A" 4 EDUARD RIECKE, i, und í, seien die Stärken der zu irgend einer Zeit tin den menten Dv, und Dv, vorhandenen Strömungen, sọ und s, die Richtun- gen derselben. tp Do Wy und u,, Du, w, seien die Componenten von i, und ` genommen nach den mit den Körpern A und B fest verbundenen Axen systemen. 7 Die Zeit soll, sofern die räumliche Lage der Körper A und B von derselben abhängt, bezeichnet werden durch r und zwar specieller durch Tọ», sofern sie als Argument in Za, Yo» Zu, durch z, sofern sie als Argu- ment in &,, Y,» 2, auftritt. In so fern andererseits die Strömungen W Do W, und 113, d,, W, mit der Zeit sich ändern, werde dieselbe bezeich- net durch T, specieller durch T, und T, je nachdem sie sich auf die Aenderung von to, Da, Wo Oder von 11,, d,, Ww, bezieht. | Die abstossende Wirkung, welche das Volumelement Dv, auf das Volumelement Dv, ausübt, lässt sich unter diesen Umständen dem Am- pereschen Gesetz entsprechen durch folgenden Ausdruck darstellen. Ss ôy PA 2 R = RA h Ð,“ Rr E Dv, Ð, wo Ý die von C. Neumann eingeführte Funktion, welche für den Fall beträchtlicher Entfernungen übergeht in Vr; für die X Componente dieser abstossenden Kraft ergiebt sich der Werth E, ð? X, = 8471,1, = : —. Dv, Dv, Zo . Oé to ein Ausdruck der durch eine leichte Umgestaltung in folgenden übergel Ou ` Cu — __ p Zë X, = Aa E SCT De, De, 1 1 E ð dy du 2 WE pai rð igt, st Rj De, Dv: í vrO Jo dp ++ 2 ee Ýa Bei der weiteren Umformung des letzteren für de X Component 3 ÜBER DIE ELECTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 5 gegebenen Ausdrucks möge an der Vorstellung festgehalten werden, dis der Körper B eine im Raume unveränderliche Lage besitze, der Körper A hingegen allein verschiebbar sei in der Richtung der X Axe des im Raume festen Coordinatensystems; unter dieser Voraussetzung können dann Aa, Ts Yo» 3, als die 4 unabhängigen Variabelen, durch welche die Lage des Elementes Dv, im Raume bestimmt ist, betrachtet werden. Während nemlich im allgemeinen r,, Yo. 3, und z, die 4 Argu- mente sind, von welchen die räumliche Lage des Elements Dv, also auch die Entfernung r von dem Elemente Dv, abhängt, kann in dem Falle, dass y,, 2, bei der Verschiebung des Elementes Dv, konstant bleiben, T, ersetzt werden durch ®,, so dass also Zo, Da, 3,, und 2, als die 4 unabhängigen Veränderlichen erscheinen. Da ) ð. 2, SH 8. dé ð. d] Üs, ` Ge 77 T Oy, ` ds, Sp ð% de, gës gp dë % _ Se und ` ee Eeer EE ee $ so kann der zweite Term des für die X Componente gegebenen Aus- drucks in die Form gebracht werden: ~ EH coa 0 Joy 9y ð i Op 2 2 wë K e ai MES sch, aj tA Wee EEN 3 = Ea d Lë . Gab 2 HT Beil u. + a bopa: ôs, 2 Iy KL +44 ek GE ` oder d D R y Ou Sch, ie S 11 86: a R zul de öz, A A? i St = 44: o dE: Or, > Ð Ben + le) R ðv x i ôy Ou SE + 4 l viri. a Set 6 EDUARD RIECKE, Wenn wir ganz dieselbe Transformation auch anwenden auf den ten Term des für die X Componente gegebenen Ausdruckes, so er sich dann folgender Werth dieser Componente: X, = CH t Gét 5 Dv De ee tr = .Dv ‚De, — LASS SC De, Dr, 9 ôy ôy ð . Ou Oy ð Seed SI ES sl, d Si r) 2 L) Se - 2 lw į ww Óp V 1 03n Sal Dv, Dv, sch = x ðn) + Schi 2 sl Dv, Dv, 4 421? T x(w i "T vi Á EA 0 "1 ðs, Öz, hier haben e, und e, folgende Bedeutungen: e, = æ +æ +ð dt EE Es ist also, wenn mit s, und £1, die Dichtigkeiten der freien Ele trieitäten bezeichnet werden, welche sich in dem betrachteten Augenblick in den Elementen Dv, und Dv, befinden | Ze ds | Co mg 5 3 = — a Die weiteren Transfı i R e x3 rer beziehen sich auf den Ausdruck A | ) Ð= Arien > .Dv, Dv, peher à das electrodynamische Potential der beiden Elemente Dv, und repråsentirt, und beruht auf der Anwendung der Formeln: A P KiC oti Við +2i,í, 5 ðs, aA ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 7 und: r, R Ý D He = —i i = =i en wo ë der Winkel, welchen die Richtungen s, und s, mit einander ein- , schliessen. Die erste Formel gilt für jedes beliebige w, die zweite nur für den speciellen Werth y = vr. Die Anwendung der ersten Formel führt zu folgendem Ausdrucke für das elektrodynamische Potential: P = —4 A?i siy ‚Dv, Do, + 24A?.y2e,e,.Dv,Dv, E — 2420, fiz y?) + 50, v2) + zw, gl Dv, De, — Zäre, Ech, v?) + 5 (b, 2?) + zum, v?) Do, Dv, alt Eee Sal 5 + al r ta et Së cl u + ur T amw) Æ At- Zo vc + ar" + = E áa ta + a) a + V Die zweite Formel gibt folgende nur für y = yy gültige Darstel- lung des Potentiales: | 8 EDUARD RIECKE, + Gë P = — 41 i, i, —.Dv,Do, j + Ate, e, Y? Dv, De, 2 p Arie (u ea) Do, De, ðmy? ðn y? om J - 4 2 0 ! ð : H I ) e I ) i ( Öko Öh Öo eo. | AL Ë JN Rn = +) 2 / €) | — 442 + ð D SE Se ge De 4 z) a! Y n, On? + Ce [w sl to ar” L ki + & A ð r EE GE el Gah or, += mr LES + Se]. Dr + ada + se p) Eine Darstellung des Potentiales, welche die drei durch die Au drücke A, B, C gegebenen als specielle Er nn erhalten Fa wenn wir die in A gegebenen multipliciren mit 1 en die in C mit =% und die beiden Produkte addiren. Hier ist E eine willkürliche Con- stante und es ergiebt SEN dann für k = — 1 die Form A, für k= + die Form C und für k = — 5 die Form B; diese allgemeinste For des elektrodynamischen Potentiales der beiden Elemente Dv, und . ` auf einander wird demnach: ` | / ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. P = — Ati, í, (E Af X Do, De, — AtA A y? e, e; Dv, Dv, 2 2 + ZE LÝ A 27 e + ER Dv, Dv, Æ LE aba, aut q Bat Da Do, Dv, H) ð "CA DC A See | m 1 iF 42 ð IM SR m — A +, + Dv, Dv, ð Räis RSR Sé T a: KE E "a D On, E H Ce + 5%) D h Dn Öz v, Dv ð ðu y’ ++ + 9) + |” Er? zı I+k 42 Rn ya TT. = sl CH, Oh, Gei 1 DM A1 EE | | | und für die von dem Element Dv, auf Dv, ausgeübte X Componente ergiebt sich dann mit Hülfe dieses Potentiales der allgemeinste Ausdruck in der Form: or” X = — en. 0 2E Dv, Dv, — 4 A? e K Si, Dv, I) + 442 R = geg S al! Se Co 9 Dv, Dv, beið v A $ zb, to SS ð +`“ Óp dy ð . Op By zul 106," ð, tal Dv, Dv, ð . Ou ôy + zum ti ðs, pa Mathem. Classe. XX. 1. FEX B 10 EDUARD RIECKE, die von dem Element Dv, auf das Element Dv, in der Richtung der Y und Z Axe ausgeübten Componenten ergeben sich aus dem vorher: gehenden Ausdruck, indem wir überall an Stelle der Differentiation nach ` æ, die Differentiation nach y, und z, setzen. Ist der Körper A und mit ihm das Element Dv, nicht verschiebbar in der Richtung einer der drei im Raume festliegenden Coordinatenaxen, sondern drehbar um eine im Raume feste Axe, so treten als die 4 unabhängigen Veränderlichen durch welche die Lage des Elementes Dv, bestimmt ist auf die Coor- ` dinaten $, Yo» 3, und der Drehungswinkel 9, und es ergiebt sich dem- nach für das Drehungsmoment der Ausdruck: D, = — Are E ” De, De, Gab Gu — E h äer Dv, Dv, du Op + gel un) KRAH De, Dv, . ôy dp cb EE E e) +. S (De, Dv, ` Wenn endlich das Element Dv, während einer kleinen Zeit di irgend welche Verschiebung erleidet, so ergiebt sich die bei dieser Ver schiebung von Dv, auf Dv, ausgeübte ponderomotorische Arbeit, wenn ` die Differentiation nach dæ, in dem Ausdrucke III ersetzt wird durch die Differentiation nach t, na der so gebildete Ausdruck noch multi- plieirt ` mit dt. Diese letztere Arbeit wird demnach, wenn die Operation $- „ ðt Gage wird durch ð,, gegeben durch folgenden Ausdruck: | S dT, = — ô, £ = drei dE? ôy Dv, 2 — 4A? eiia- y Do, Dv, - See varð ø) +. < ]Do, Do, + Zar Ju d VS mð gl, i | Dv, Dv, ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. eg Vom mechanischen Standpunkte aus können wir den im Vorher- gehenden befolgten Weg zur Transformirung des Ampereschen Gesetzes bezeichnen als eine Zerlegung der von dem Element Dr, auf das Ele- ment Dv, ausgeübten Wirkung in eine immer grössere Zahl einzelner Componenten; es ist einleuchtend dass sich weitere Transformationen dadurch ergeben müssen, dass wir einzelne dieser Componenten in ver- änderter Combination wieder zu einer Resultanten vereinigen. Gehen wir hiebei aus von der unter III gegebenen Form der X Componente, so ist dieselbe hier dargestellt durch eine Summe von 5 Kräften; die erste derselben hängt ab von dem elektrodynamischen Potential P. Was die vier übrigen Kräfte anbelangt, so sieht man sofort dass eine gewisse Analogie besteht zwischen der zweiten und vierten einerseits, der dritten und fünften andererseits, sofern die zweite und vierte allein den Ausdruck dr die dritte und fünfte allein den Ausdruck i, Si enthalten und es liegt somit nahe entweder zu bilden die Resultante aus der ersten, dritten und fünften oder aus der ersten, zweiten und vierten Componente. Nehmen wir die erste der beiden Combinationen und setzen wir die Summe der ersten, dritten und fünften der in der Richtung der X Axe wirkenden Einzelkomponenten gleich &,, so haben wir für &, zunächst den Werth: = — EC AR L 4 A? er E: Dr, Dr, . ôy Gi ð . ðy Guy u er ak E E Ka + 442 5 Ze $ “A Dy, Dv, - y ôy R isan ae) Substituiren wir für P den in A gegebenen Werth, so wird = =) = — 4425 í, í, 32.5) . Dv, Do, + 442, ili 32-32] Do, Do 0 1 ðs, ' ð € ðw "Gu: i + 4420, dE = „Do, + 4420, 5, «58.22 Do, Do A p 12 2 EDUARD RIECKE, oder 25.2, Dv, E 2i % ZS, SC 4 A? i Kä SS ke e De, ôy Se, Zä +421 te er oder endlich wenn wir an Stelle der gesammten Strömung í, wieder di di er u, Ww, einführen: Er ð |. Oy ðwO f. 2 s, = 4Æ 1, 07 lz ðs, Ef E] Dr, Dv, + 44° ne liae "i ðs, =. 3z i, |D», Dv, = Ss wa le al — Ká æI Dv, Dv, es _ Für Sn gesammte in der Richtung der X Axe wirken Kraf ergiebt -sich somit der Ausdruck: ôy O j. Ou, ð R ec er = 44? U, He, Dr, Ze, T SÉ ër," Ze, ae) = nn : z = Re u EC Dv, a ig) — = GG Gel + 4A? w, SCH Dv Pa [o al) — i a] — EE + Dv, Do, e E a Aajt Í E ôy BU +44 Eh, ian 3s OC? De woraus durch Vertauschung von Ze mit y, und zə die entsprechenden A ar era Y, und Z,. Schreiben wir diese Glei- ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 13 X, = Ey — 4420, 1092.52 Dv, Dv; += EMS u, ig gE gr) + . |Dv | o Dv, Ko =Æ H WE - De Dv, "bt ae Ze = 2, — 4 A e foge Do, Dv, + 44? Eh, dr SÉ a) +.. l Dv, Dv, wodie Werthe von H„, Z, sich unmittelbar aus dem für Æ, gegebenen Werthe ergeben, so können wir die drei Componenten &,, H,, Z, ver- einigen zu einer Resultante und es lässt sich dann leicht zeigen, dass diese Resultante senkrecht steht gegen die Richtung der Strömung 84: Lassen wir nemlich die Coordinatensysteme Vr Ho, 2, Und týr Han 3, zusammenfallen, so ergeben sich für jene Componenten. A, Ho Z, fol- gende Werthe: ôy ð le) — E mli 291 - Do, Do RA le. ; sch, Si D — Sch, aÐ) pe oy ð H = däi: By zul al gi De: ‚+ 44?w, 1 ðs, ôy ô ôy ê|. Gë, "ës, dës ðz, ` Ty, i z) Dv, Dv, úg 3 e)] De. De, + 44? w ie mii) — au Sch, ae) | Dv, rs, WO Man Vos W, die Strömungskomponenten nach den Axen: X, ES - somit Ba ge + Hv, +Zuw = o. 14 EDUARD RIECKE, Ebenso würde sich natürlich eine gegen die Richtung der Strómun s, senkrecht gerichtete Kraft von ganz analogem Baue ergeben haben, wenn wir zu der Umformung des in Gleichung III gegebenen Werthes der X Componente die zweite der angeführten Combinationen, d. h. die Combination der ersten, zweiten und vierten Componente benutzt haben würden. 2. Gesammtwirkung des Körpers B auf ein Volumelement Í des Körpers A. | Für die X Componente der Wirkung, welche der ganze Körper B auf das Element Dv, des Körpers A ausübt ergiebt sich unter Zu- grundelegung derselben Vorstellungen wie im Vorhergegenden der Werth =P š OO X e Se — 4 4?e, Dv, fi, 38, ' 82, ' DV 1 B 8 Lt: dp öp a . öp ðY ) frist tE Do) + Eha ED V) + 44? Dv 5 | N rl, w Gen ETA M 186 ða Di = p Oy en E er 4A Do le, AS. Do, B ; . p Oy un 2 ae nda R 4A Do ð $ 4 du dm, DO 1. Hier ist: fi = ni cos (n, F) + b, cos (n, 4,) + w, cos (n, 3,) Do, ein Element der Oberfläche des Körpers B. und n, die in dem- selben errichtete innere Normale. > P ist das elektrodynamische. Potential des Körpers B auf das Ele ment Dv, und kann durch folgenden Ausdruck in allgemeinster Weise dargestellt werden , ` ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 15 P = — Ai De fi, (S Lia 58} Do, B -— Ltt Ate, Bu Dv, — I+ 4: e, Dv, Sf w? Do, ð EE e + e Pp | =- (veje Y Doi) ð lt. SS Ye Doi) + (bo SJ; w? po) k — 1t 42 Dv, j ; + HVH Do!) oder, wenn wir zur Abkürzung setzen: je, y? Dr, + Sfi w? Do, = E, Á . (1-4k cos e 1— 4°% ôy BEER 2 ft tt per P A 1 P = — Ari, Deh, | — 4 ða Dh, D 1+k EE e SE e, Dv, £, rS = -k 42 Dv Sat + viði ee SC Der in Gleichung V gegebene Werth der X Componente er- scheint als eine Summe von 5 einzelnen Kräften, von welchen nur die ersten drei abhängig sind von den in dem Körper B ablaufenden galva- nischen Strömungen, die beiden letzten von den im Inneren und an der Oberfläche des-Körpers B stattfindenden Anhäufungen freier Elektricität; eine andere Darstellung der ersten drei Kräfte ergiebt sich durch Be- nutzung der Formeln IV oder IV! und dem entsprechend folgende Form der X Componente: 16 | EDUARD RIECKE, A = 4 A? u, Dv, IG sch, lie, aa in r B B + 44?v,Dv, | Ge m Si, — d (i Æ)Dv, r - B B VI) + tA m, Dv, | Ð Dr, — "KR: EEN i ED», | B —- 4 A? Dv he, dE = .Dv, B — 442 DoS f, i, St. E Do, B 0 85, ` Oz, Die drei ersten Terme dieser Componente und die analogen Terme der Componenten Y, und Z, geben ebenso wie die Elementarwirkun- gen selber eine gegen die Stromrichtung s, senkrechte Resultante. Ist der Körper A und mit ihm auch das Volumelement Dv, drehbar um irgend eine Axe, so ergiebt sich für das Drehungsmoment, welches von dem Körper B auf Dv, ausgeübt wird der Werth : a, = — S= — Aen Do, dt ða, ZZ pe ` falefa an Do) + sloof Dën vm Paa Dad A £ | | + (w N ôs, EES 55, Dr 3 dy Do, = 442 De I ie N f, ASS wo 9, der Drehnngswinkel. ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 17 Eine ganz analoge Formel giebt schliesslich noch die ponderomoto- rische Arbeit welche von dem Körper B auf das Element Dv, bei irgend einer kleinen Verschiebung des Körpers A geleistet wird. Wie sich aus den Formeln V, VI, VII ergiebt, kann die Gesammt- wirkung, welche der Körper B nach dem Ampereschen Gesetze auf das Element Dv, des Körpers A ausübt, zerlegt werden in drei Com- ponenten von wesentlich verschiedenem Charakter; die erste derselben erscheint allein als abhängig von den galvanischen Strömungen, welche in den Volumelementen des Körpers B vorhanden sind; die zweite Componente erscheint als abhängig von den Abscheidungen freier Elektricität, welche in jenen Volumelementen stattfindet; die dritte Componente endlich ist dargestellt durch ein über die Ober- fläche des Körpers B hinerstrecktes Integral; es ist also bei dieser Com- ponente die von den einzelnen Volumelementen des Körpers B herrüh- rende Wirkung ersetzt durch eine scheinbare Wirkung der Ober- flächenelemente, und zwar hängt diese scheinbare Wirkung ab von den in den Öberflächenelementen stattfindenden Anhäufungen freier Elektriceität. Gehen wir zurück auf die Einzelwirkungen der Volumele- mente, aus welchen die dritte Componente zusammengesetzt ist, so sehen wir, dass diese Einzelwirkungen abhängen von den Ansammlungen freier Elektricität, welche an den Grenzen der Volumelente stattfinden würden, falls diese Elemente pou isolirende Schichten von einander getrennt wären. Diejenige Wirkung, welche herrührt von den galvanischen Strömun- gen des Körpers B und welche gegen die Richtung s, der in dem Ele- ment Dv, vorhandenen Strömung senkrecht gerichtet ist, kann noch in anderer Weise dargestellt werden; lassen wir zunächst die Coordinaten- systeme (tos Yos 30): (is Y,, 3,) und (æ, y, z) zusammenfallen, und be- zeichnen wir mit &,, H,, Z, die Componenten der in Rede stehenden Wirkung nach den Axen z, y, z, so ergiebt sich aus Formel VI Mathem. Classe. XX. 1. C 18 EDUARD RIECKE, A, = [| á Ae," m Gg +. tun A2, De ôy ô ôy ôy LS Zu: ð ST trat |, + 44A? w, Dv, ji - H at E ið ds R T W |" WO Ma, Vas W, und Mu, fu, w, die Stromkomponenten in Dv, und nach den Coordinatenaxen x, y, z; wenn wir hier für w den Werth einführen, so ergiebt sich durch Ausführung der Differentiationen. Hy =E Á siðu fur" —ı, 275) Do, + At, Di lk CH oder wenn wir der von Helmholtz eingeführten Bezeichnungen benützel D ze ES Eescht, W, A Ee SS oV, 2 U, S] + 4 w, Dv, I A, = ` #Kókúrek die: Componenten der zur Stromrichtung s, senkrechten Wi Ge auf de von Helmholtz gegebene Form gebicht sind. $ ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. CR 3. Die von dem Körper B auf den ganzen Körper A aus- geübte ponderomotorische Wirkung. Denken wir uns den Körper A allein verschiebbar in der Richtung der X Axe und verstehen wir unter æ, etwa die dem Schwerpunkte desselben angehörige æ Coordinate, so ergiebt sich für die gesammte Kraft mit welcher der Körper B den Körper A in der Richtung der X Axe zu verschieben sucht der Werth . Gë Ge: R tarjjh te KG De, Di Dv, VIN) — 1428) SÉ ar Do, Dv, A H == 14 | Sio Í e, Do,: Hier hat /, mit Bezug auf den Körper A ganz dieselbe Bedeutung wie f, für B; P ist das elektrodynamische Potential der beiden Körper auf einander und ist gegeben durch folgenden allgemeinen Ausdruck : I+k cose 1—k , 0y oy); 1" Se ec e UE ees 3 4 ba: ðs, E t, Dv, Dv, A u 25 42 Í f eo e, w? De, De, AB ; VT — F. Age, f, w? Dv, Do, 48 ; n 2 g Jat y? Do, Dv, ap — 1424289 f, fı v2 Do, De, AB Die von dem Körper B auf den Körper A bei irgend einer Ver- schiebung des letzteren ausgeübte ponderomotorische Arbeit stellt sich, wenn wir entsprechend den zu Anfang gemachten Festsetzungen die C* 20 EDUARD RIECKE, Zeit sofern die räumliche Lage des Körpers A von ihr abhängt durch: und gleichzeitig die Operation == dr, durch ð, bezeichnen, dar d den Ausdruck: dT = — ô,P 4A art E i p] a Dv, Dv, . ô ENU 52.0, Y Do, Dv, B | 12 DE .f1ð, Y Dv, Do, Das zwischen den beiden Körpern A und B vorhandene Potential setzt sich zusammen aus sehr verschiedenartigen Elementen. In dem durch Gleichung VIII gegebenen Ausdruck desselben ist nur der erste Term abhängig von den in den Körpern A und B vorhandenen EE mungen, alle übrigen dagegen abhängig von den Ansammlungen Elektricität, welche im Innern und an an der Oberfläche der Körper A und B stattfinden. Bezeichnen wir diese beiden Theile des Poten tiales durch W und F, so dass also P=W+F So ist W identisch mit dem von ‚He des elektrodynamischen Potentials. Mit Bezug auf den Potentialantheil F mag bemerkt werden i dass er sich sehr leicht darstellen lässt mit Hülfe der von Helmholtz eingeführten Funktion P es ist nemlich P, nm B fre, Dv, —_ Srf, Do, B B Imholtz gegebenen Ausdruck und ZA P, Do, + Sf, Æ, Do,] EE ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 21 4. Beziehungen zu den experimentellen Thatsachen. In den vorhergehenden Abschnitten wurde das Amperesche Gesetz aufgelöst in eine Reihe von einzelnen Componenten, und es ergiebt sich somit, dass zu dem Nachweis dass das Ampere’sche Gesetz wirklich als der mathematische Ausdruck der zwischen zwei Stromelementen wirksa- men Kräfte zu betrachten ist, zwei verschiedene Untersuchungen erfordert werden. Es wird sich einmal fragen, ob allen jenen Einzel- Componenten messbare Wirkungen entsprechen, ob also alle jene Componenten wirklich von einem Stromelement auf ein anderes ausge- übt werden; und zweitens wird der Nachweis erfordert werden, dass jene in dem Ampereschen Gesetze enthaltenen Compo- nenten die einzigen Kräfte sind, welche zwischen zwei Stromelementen thätig sind, dass also das Amperesche Gesetz auch der vollständige Ausdruck der zwischen zwei Stromelementen vorhandenen Wirkung ist. Es möge noch untersucht werden, in wie weit die zur Zeit vorhandenen experimentellen Thatsachen zur Entschei- dung dieser Fragen beizutragen geeignet sind. Diese Thatsachen können in drei Gruppen gesondert werden; die erste Gruppe bezieht sich auf die Wechselwirkungen zweier geschlos- sener Ströme von unveränderlicher Gestalt, und es sind daher die hieher gehörigen Thatsachen in erster Linie repräsentirt durch die von Weber in den Massbestimmungen I. Abhandlung beschriebenen Versuche. Die zweite Gruppe wird gebildet durch die Versuche über Rota- tionen starrer Leiter unter der Wirkung geschlossener Ströme, die dritte durch Versuche über Biegung leichtbewegli- cher und dehnbarer Leiter unter der Einwirkung geschlos- sener Ströme; in dieser dritten Gruppe sind also insbesondere anzu- führen die Plückerschen Versuche über die Einwirkung des Magnetes auf die positive Entladung in Geisslerschen Röhren. Die von Zöllner neuerdings ausgeführten Versuche können als eine Combination der Ver- suche der zweiten und dritten Gruppe betrachtet werden. Die Versuche der ersten Gruppe entsprechen den Formeln VIII, da aber diese Versuche sich nur beziehen auf die Wechselwirkung ge- -— 22 EDUARD RIECKE, schlossener und gleichförmiger Ströme, so ist durch dieselben nur d Existenz des von den Strömungen abhängenden Potentialantheiles- bewiesen. Darüber ob der Potentialantheil F existirt oder nicht ge diese Versuche keinen Aufschluss, und dasselbe gilt natürlich auch m Bezug auf die Elementarwirkungen selbst, welche in den beiden P | tialantheilen enthalten sind. Ebenso wenig geben diese Versuche darüb Aufschluss, ob die übrigen nicht von einem Potentiale abhängende Wirkungen vorhanden sind, oder nicht, Wirkungen welche in Form VIII dargestellt sind durch zwei Doppelintegrale, die sich über die Ve lumina der beiden Körper A und B hinerstrecken und durch zwei Int grale, welche je über das Volumen des einen und die Oberfläche de anderen Körpers auszudehnen sind. Die beiden ersten Integrale hänge ab von den Abscheidungen freier Elektrieität, welche in den Volumele- schiedenen Elektrieitätsmengen. Die in den letzteren Integralen en! haltenen Elementarwirkungen eines Volumelementes von A auf ein Vo flächenelementen des einen Körpers, beziehungsweise den in di Elementen angehäuften freien Elektricitäten ausgeübt werden auf Volumelemente des anderen Körpers, Bei den Versuchen der zweiten Gru ppe handelt es sich um Wirkung eines geschlossenen gleichförmigen Stromes auf ein bewegliches aber starres Stück eines anderen Stromes; die in Anwendung kommend Formel ist gegeben in VII. Dieselbe reducirt sich aber, wenn sich | Potential bei der Drehung nicht ändert, und wenn der Strom in den rotirenden Leiter ebenfalls ein gleichförmiger ist, auf: — ð . Gut, Gu ð LC Gu äu v ee er te Sud au 1 ds," 89, De + sch ðs, ge CD A, = 442 Dv, P Re ; OY Ge ZS SE BR hh sac Ðv) ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. ers Da indessen die Rotationsversuche bis jetzt auf Untersuchung der qualitativen Verhältnisse sich beschränkt haben, so dürfte aus denselben auch nur auf die Möglichkeit geschlossen werden, dass die in dem obigen Ausdruck enthaltenen Elementarwirkungen vorhanden sind; ob dieselben in Wirklichkeit existiren, bleibt unentschieden. Das Resultat der Versuche der dritten Gruppe lässt sich viel- leicht in folgender Form darstellen. | Es ist gegeben ein geschlossener von einem gleich- förmigen Strome durchflossener Kreis A, in welchen an irgend einer Stelle einabsolut biegsamer und dehnbarer Faden eingeschaltet ist; ausserdem ist gegeben ein ge- schlossener gleichförmiger Strom B. Wennu nter diesen Umständen die Endpunkte jenes Fadens auf einer magne- tischen Kraftlinie des Stromes B liegen, so folgt der- selbe dieser zwischen seinen beiden Endpunkten verlau- fenden Linie. Es steht dieser Satz in vollkommenem Einklang mit dem in Glei- chung VI gegebenen Ausdruck für die von dem Körper B auf ein Ele- ment des Körpers A ausgeübten Componenten, wenn wir beachten dass e, und f, = o sind also die beiden letzten Terme jenes Ausdruckes wegfallen; unbestimmt bleibt nur der Werth der Constanten A?, da die in Rede stehenden Versuche nur die Richtung nicht die Grösse der auf ein Element Dv, des Körpers A ausgeübten Kraft bestimmen. Die in Gleichung VI gegebene Gesammtwirkung erscheint aber in Formel V wieder aufgelöst in ihre einzelnen Componenten, und diese Formel kann mit dem durch die Versuche der ersten Gruppe bestimmten Werth des Potentiales W nur dann zusammenbestehen, wenn die Constante A? den- selben Werth besitzt wie in W. Durch die Versuche der dritten Gruppe wird also bewiesen, dass die ersten drei der durch die rechte Seite der Formel V gegebenen Componenten existiren, also auch die denselben | entsprechenden Elementarwirkungen. Gehen wir somit zurück auf die in Gleichung III gegebene allgemeinste Form der von einem Elemente Dv, auf ein Element Dv, ausgeübten Wirkung 24 EDUARD RIECKE,: dia E 2 Gr — $ 4 A?e BE? EDV, Dv, lið) Sch, A SS u + 10,1, 5 Kee 1 D + A 42 PA D Los, Gs Oh, dp Ot DH Ch, 00.38) | EI? (MES , dv Oy 2 — 44 1613 o gr Sc), Dr, Dv, ð ( . dv Ou . 0yðy sel, =) +3 ke) ce OD, e Ve so ist durch die Versuche der dritten Gruppe in Verbindung mit denen der ersten bewiesen, dass von den Componenten in welche die Gesammt- wirkung in der Richtung der X Axe durch die rechte Seite der obigen Gleichung aufgelöst ist, die drei ersten existiren; dann verlangt aber das Gesetz der Gleichheit von Aktion und Reaktion auch die Existenz der beiden letzten Componenten, d. h. des ganzen auf der rechten Seit der Gleichung stehenden Ausdrucks. Da aber dieser Ausdruck nichts. anderes ist, als eine Transformation des Ampereschen Gesetzes, so leuchtet ein, dass durch die Experimente der dritten Gruppe nach- gewiesen ist, dass das Amp£resche Gesetz in der That als Ausdruck der zwischen zwei Elementen Dv, und Dv, wir kenden Kraft zu betrachten ist. Es bleibt dann noch die Alter- native, ob wir das Ampöresche Gesetz als ein nicht weiter zu reduci- rendes Elementargesetz betrachten wollen, oder ob wir es zeriegen wollen in einzelne Componenten, welche dann möglicherweise ganz verschiede- nen Ursachen ihre Existenz verdanken können; eine solche Zerlegung würde in allgemeinster Weise gegeben sein durch die Formeln II und UI: mit Bezug auf welche noch hinzugefügt werden muss, dass der Werth . der Constante E vorläufig als völlig unbestimmt zu betrachten sein würde, Wenn sich aus dem vorhergehenden ergeben hat, dass das Ampere- sche Gesetz als der thatsächliche Ausdruck der zwischen zwei Elementen Dv, und Dv, vorhandenen Wirkung zu betrachten ist, so fragt sich EE, E EE E sad ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 25 nun ob nicht ausser den Ampere’schen noch andere Wirkungen zwischen zwei Elementen Dv, und Dv, existiren, ob also die ersteren auch als der vollständige Ausdruck der beobachtbaren Wirkungen zu betrachten sind. Mit Bezug hierauf können wir bemerken, dass schon im Ampereschen Gesetz selbst scheinbar Wirkungen enthalten sind, _ welche zwischen Ansammlungen freier Elektrieität einerseits und galva- nischen Strömungen andererseits oder zwischen Sammelstellen freier Elektricität unter sich stattfinden. Da über die Wirkung ungleichför- miger und ungeschlossener Ströme keine experimentellen Thatsachen vorliegen, so bleibt vollständig unentschieden, ob nicht in Wirklich- keit besondere Kräfte noch zu den Ampereschen hinzu- treten, welche von Sammelstellen freier Elektricität aus- geübt werden entweder auf Stromkomponenten oder auf andere ebensolche Stellen. Soweit sich also das Helmholtzsche Gesetz wenigstens in der ihm neuerdings gegebenen Gestalt von dem Ampereschen nur durch Hinzufügung solcher Kräfte unterscheidet, sind von experimentellem Standpunkte aus keine Einwände gegen dasselbe zu machen. Was die Versuche der zweiten Gruppe anbelangt, so würden diese Versuche für sich allein unentschieden lassen, ob die hierher gehörigen Erscheinungen herrühren von den Ampereschen auf die einzelnen Ele- mente des rotirenden Leiters wirkenden Kräften oder von einer einzelnen Kraft, welche ihren Ursprung der Gleitstelle verdankte: aber wenn auch durch die übrigen Versuche die Existenz jener Ampereschen Kräfte bewiesen wird, so ist doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen dass zu den Ampereschen Kräften noch besondere Wirkungen hinzutreten, ausgehend von solchen Punkten, in welchen plötzliche Geschwindigkeits- änderungen der strömenden Elektricität stattfinden. Endlich dürfte auch mit Bezug auf die Versuche der dritten Gruppe noch genauer zu untersuchen sein, in wie weit durch dieselben die wir- kenden Kräfte in eindeutiger Weise bestimmt sind. Die Existenz lon- gitudinaler Kräfte wenigstens ist durch dieselben nicht ausgeschlossen und eine vierte Gruppe von Versuchen, welche sich auf diese longitu- .Mathem. Classe. XX. 1, D 26 EDUARD RIECKE, dinalen Wirkungen bezieht dürfte vorläufig noch nicht den wünschens- _ werthen Grad von Genauigkeit besitzen, um sichere Schlüsse auf die- selbe gründen zu können. Il. Das electromotorische Elementargesetz und das Gesetz der Erhaltung der Energie. Die Vorstellungen, welche den Betrachtungen dieses zweiten Ab- schnittes zu Grunde liegen, sind im wesentlichen dieselben wie im ersten Abschnitte. Das elektromotorische Elementargesetz wird in demselben zuerst in einer etwas allgemeineren Form aufgestellt, und es wird sodann untersucht werden, welche näheren Bestimmungen nothwendig oder genügend sind, wenn dasselbe in Verbindung mit dem Ampereschen ponderomotorischen Gesetz dem Princip der Erhaltung der Energie ge- nügen soll. ; Die nach der Richtung s, genommene Componente derjenigen elek- tromotorischen Kraft, welche in dem Element Dv, hervorgerufen wird durch seine relative Bewegung gegen Dv, kann dem Weber'schen Gesetz entsprechend dargestellt werden durch den Ausdruck: 2 Py 2 N! (ua dr DV, Dv, wo t die Zeit bezeichnet, sofern die räumliche Lage der beiden Elemente Dv, und Dv, von derselben abhängt. Eine einfache Transformation vollkommen analog der in I, 1 ausge- führten giebt: | S, = 4421, Sc - (Do, Do, — 4421, sl Dt, Dv, . Oð Lë d + AA li Lie, De, T ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 27 Andererseits ist dieselbe elektromotorische Kraft nach dem F. Neu- mannschen Gesetze gegeben durch ðw ô% SE Wed S, = — 841, i duir Do, Dv, oder durch es EH SSC) Deo, Dv, 2 ðy öp — 4A dr es Dv, Dv, . ô (ën — FA in [ar ani De, Dv,. Wir kombiniren beide Gesetze durch Multiplikation mit d und = und Addition und erhalten dann: eg Cu E ji Ze S o = 4A Eat Ka? Dv, = 4 A?i, sl Dv, Dv, À ðy öy +4k Ari, lael Dv, De, Ganz analoge Formeln ergeben sich natürlich für die elektromo- torische Kraft, welche umgekehrt von dem Element Dv, durch die in demselben vorhandene Strömung i, hervorgerufen wird in Dv,. Ausser den durch die relative Bewegung der beiden Elemente indu- cirten elektromotorischen Kräften kommen auch die durch Aenderung der Stromintensitäten hervorgerufenen Kräfte in Betracht. Wenn wir die Zeit, sofern dieselbe Argument der in Dv, und Dv, vorhandenen Strömungen ist bezeichnen durch T, und T,, so ergiebt sich für die von dem Element Dv, in dem Element Dv, nach der Richtung s, indu- cirte Kraft nach dem Weberschen Gesetze der Werth: S, = 4422-52. Do, De 28 _ EDUARD RIECKE, Fügen wir zu dieser Kraft noch den Ausdruck j Av Ðt SD Dv, so erhalten wir eine allgemeinere Darstellung der SE e N dv ôy F Ee Fø Sonn 8', = An. De, Dv, as E bg GE: Dr, Dv, welche für q = 1 in die zweite von F. Neumann gegebene Form des elektromotorischen Elementargesetzes übergeht. Durch eine ganz analoge Formel wird umgekehrt die durch die Stromschwankung in Dv, in dem Element Dv, inducirte elektromotorische Kraft gegeben. Für die gesammte elektromotorische Wirkung welche von dem Ele- — Dv, auf das Element Dv, nach der Richtung s, ausgeübt wird, ergiebt ` — sich somit der Werth: S = we ti ðy Dy y dy 2 Ki Sin, Dv, — 4 A?i, SET. r| Dv, De, , , . ð (dv Ou I 2 Ener a + 4X Ari r "lm, Do, d + 44%. = e v, Fr De, Dv, + q 42. Sc T Di, Dv, Sind, wie diess schon im Vorhergehenden stillschweigend angenom- men war, s, und s, die Richtungen, in welchen die Strömungen i, und î, in den beiden Elementen Dv, und Dv, in Wirklichkeit stattfinden, so ist die von sämmtlichen Kräften S, und S, während eines kleinen ` — Zeitelementes dt geleistete RT Arbeit bezogen auf die Ein- , heit der Zeit gegeben durch Mr e E AIE E O E BE E T A A TEN 2 Dee r S T: ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 29 Si, + 8,1, = 84,1, V. V] Do, Do, — AE, a Ðo, Do, — 4 A?i i o * 189, le “s xл, Dv, + 4KA?i,í dE SES, | Do, Dv, + ZE Ari i ar ; a- Dv, Dv, o*i a + 4At? Yi % Do, D ën, ` ds To AT, ES + 4422. e, Do, Dv, ` Ós, 1 O? (y?) H / + q 4? Os, ðs, ' to dT, r Dv, Dv, (yr) . di, + 942 mi, gr De, De, Beachten wir dass die vollständige Differentiation nach der Zeit t, . sich zusammensetzt aus den 3 partiellen Differentiationen nach z, To, T, so dass: ð ð ð ð VERIR IM so kann die obige Gleichung auf die Form gebracht werden: aa d az ; OY ôy R= St Adel a Dv, De, | jt Ai, SS De, Dv, | EFE 2 4 A? i, les E — 44?i le “2 SD, Dr, SZ Lie, Dv, + 4KA?i,í Sale: Ð a GER dy (Dr, Dv, ð js > + 14 al de Dv,. 30 EDUARD RIECKE, Hier ist dQ die von den elektromotorischen Kräften in der Zeit dt geleistete Arbeit, d. h. die in dieser Zeit erzeugte Wärmeenergie. Die von dem Elemente Dv, auf das Element Dv, ausgeübte pon- deromotorische Arbeit ist auf der anderen Seite gegeben durch dT, ð . Ou Gu E SE toti Ja ge Po De, 0 Ce a Gg . 2 Kë E + 44 h Se Eed Dv, ryg len. Ou ; + 44 isi zu jan ae Do, De, wobei als hypothetischer Ausdruck der vollständigen zwischen den Ele- k menten Dv, und Dv, vorhandenen ponderomotorischen Wirkung das Amperesche Gesetz zu Grunde gelegt ist. Die Formel für die entsprechende von Dv, auf Dv, ausgeübte pon- ; deromotorische Arbeit ist: l a 4 42 i i, SÉ. 7 Dv, Do, | a 4 A? i, í, St, ar | Dv, Dv, + 442 i, EEGEN Du in diesen Gleichungen bezeichnet T, und z, die Zeit, liche Lage der Elemente Dv, und Do, von derselben abhängt und ist demnach Bn Æ ð. oR í 7 ; Für die Summe der von den elektromo torischen Kräften bei der Bew Arbeiten ergiebt sich somit: dQ + dT = YP | ' Ari; (Í [ðv Ge ð (ënn Gu = 4k A dE 3 — á sl Dv, Do, „dt TS #tys + gli, i, 25, Do, Do, Jar sofern die räum- 3 torischen und ponderomo- S egung der beiden Elemente geleisteten ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 31 Der von C. Neumann in seinem Werke »die elektrischen Kräfte« ausgeführten Untersuchung zufolge muss aber in jedem sich selber über- lassenen Systeme die Summe der ponderomotorischen und elektromoto- rischen Arbeiten elektrodynamischen Ursprungs für sich allein gleich einem vollständigen Differentiale sein; diese aus dem Princip der Er- haltung der lebendigen Kraft fliessende Forderung kann aber durch den oben gegebenen Werth von dQ + dT offenbar nur erfüllt werden, wenn die Constanten E und q beide gleich Null sind, und wir werden somit zu folgendem Ausdrucke des elektromotorischen Elementargesetzes hingedrängt: S = 4A? i (ala - = TE ali. a)l Do, Dv, 0 Şe 442 3. = r Dv, De, Ein Gesetz welches auch in die Form gebracht werden kann: ôy öy V 2 S, = 848, aere, Dv, + 4 422. 23 De, Dv, . ô Lë Oy Lé, 2 ZA" ðs, Kl ` ðs, 5 | Dv, Dv in welcher seine Beziehung zum Weberschen Gesetze unmittelbar zu Tage tritt. Dass das Gesetz zu welchem wir hier gelangt sind, identisch ist mit demjenigen zu welchem ©. Neumann durch seine umfassende und scharfsinnige Analyse geführt worden ist, ergiebt sich unmittelbar, wenn wir die Componenten der elektromotorischen Kraft S,, welche von dem Element Dv, in dem Element Dv, inducirt wird, nach den Axen yọ, Yo ĝo des mit dem Körper A fest verbundenen Coordinatensystems be- rechnen. Es ergiebt sich, wenn wir diese Componenten bezeichnen durch 34, J, 3 a EA A Kë ae 5 32 -EDUARD RIECKE, . (ð [ðw Dy ð [ðw Oy $, = 4421, EIS 2 LA elt. a) De, Dv, _ 4 42,6% “Do, Dv, ðs, ds, ` AT; oder da far) + an = ie žo dt = 4 A2[d(i, 32.30) Ch, .0w)]Do, Do, Dodt = 1.4 [a(o 2.2) AE zl 3,4 = 44? [d(í, ne xl ax - Oy) | Dv, Dos wo Dy — EE. dr Die letzteren Formeln sind aber im Wesentlichen identisch M denjenigen, welche C. Neumann auf Seite 205 seines Werkes »die dé trischen Kräfte» gegeben hat. Gegenüber der von C. Neumann dur geführten Untersuchung haben die im vo Rechnungen lediglich den Zweck, Wenn also - 2 Das Amperesche Gesetz als vollständiger Ausdruck der eege Wechselwirkung zweier Stromelemente betrachtet wird, Ü ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 33 2. die Anforderung gestellt wird, dass das Princip der Erhaltung der Energie für je zwei Elemente der Körper A und B gewahrt bleiben soll, so wird man mit Nothwendigkeit hingeführt zu dem von Carl Neu- mann aufgestellten elektromotorischen Elementargesetze. | In Betreff der Berechtigung der ersten Hypothese kann hingewiesen werden auf die Bemerkungen, welche wir am Schlusse des ersten Theiles der vorliegenden Untersuchung gemacht haben. Es bleibt daher nur übrig auch die zweite Forderung einer näheren Untersuchung zu unter- werfen. Es sind mit Bezug auf dieselbe zwei Alternativen möglich ; man kann entweder verlangen, dass das Princip der Erhaltung der Energie für zwei von galvanischen Strömen durchflossene Leiterelemente Dv, und Dv, unter allen Umständen gelten soll, also auch dann, wenn die beiden Elemente zwei grösseren leitenden Körpern A und B angehören, oder aber kann man sagen: das Princip der Energie braucht für ein Elementenpaar Dv, und Dv, nur dann erfüllt zu sein wenn dasselbe isolirt ist, d. h. jedes Element rings umgeben von einem nicht- leitenden Körper. Im erstern Falle würde das C. Neumannsche Gesetz in der That die zwischen irgend zwei Elementen stattfindende elektro- motorische Gesammtwirkung repräsentiren; im zweiten Falle dagegen können wir folgendes bemerken, wenn zwei Leiterelemente rings um- geben sind von nichtleitender Substanz, so ist eine galvanische Strömung der Elektrieität in denselben nicht denkbar ohne gleichzeitige elektro- statische Ladungen, welche durch die Strömung an der Oberfläche und im Innern erzeugt werden. In diesem Fall kann also die elektromoto- rische Kraft, welche von dem einen Element auf das andere ausgeübt wird herrühren einmal von der in Strömung befindlichen Elektricität, dann aber auch von den entstehenden oder verschwindenden statischen Ladungen. Nun lässt sich die nach dem C. Neumann’schen Gesetze stattfindende gesammte elektromotorische Wirkung zerlegen in zwei Com- ponenten; die erste derselben ist identisch mit der Weberschen Kraft, die zweite hat den Werth B = 4 A? i, 5 Í SZ De, Dv Mathem. Classe. XX. 1. E 34 EDUARD RIECKE, Diese Zusatzkraft zu der Weberschen elektromotorischen Kraft kann auf Grund der im ersten Abschnitt eingeführten Bezeichnungen auf die Form gebracht werden: a (n D óv) | ê fy ër dv aAa d + En Si, SÉ 2 = — TE Dv, Dv, 0 ð | ôy ôy TK 1 Gu: Ou 1. Æ + 44 613s, dr .Dv, Dv, oder wenn wir eine Integration über die Oberfläche des Elementes Dv, in den ersten drei Termen ausführen: ôy ô : X, = 442187, Do, + e, Dv; 175. g Doa: Wir sehen also geg diese Neumann sche Zusatzkraft in der That nur abhängt von den freien Elektricitäten, welche sich in dem Element Dv, ansammeln. Wenn also das Princip der Erhaltung der Energie nur für zwei physisch isolirte Leiterelemente gelten soll, so kann das C. Neumannsche Elementargesetz auch ersetzt werden durch ein anderes Gesetz, welchem zufolge die von einem Körper B, welcher Träger irgend welcher elektrischer Strömungen ist, auf einen Punkt eines leitenden Körpers A ausgeübten elektromotorischen Wirkungen zwei ganz ver- schiedenen Ursachen ihr Dasein verdanken; nemlich erstens den in B vorhandenen galvanischen Strömungen, zweitens den in P stattfindenden Ansammlungen freier Elektricität. Die vn den galvanischen Strömen herrührenden elektromotorischen Kräfte be- stimmen sich dann nach dem Weberschen Gesetz. Wenn aber ausser- dem eine Stelle des Körpers B ein Sammelpunkt freier Elektricität ist, so wird von derselben auf irgend einen Punkt des Leiters A eine wei- tere elektromotorische Kraft ausgeübt, deren Componente nach der Rich- tung s, gegeben ist durch: de dv Gau = e Sen, Zei A hA Kë E dt: SCH ÜBER DIE ELEKTRISCHEN ELEMENTARGESETZE. 35 wo ë, die ganze Menge freier Elektricität bezeichnet, welche an der betrachteten Stelle zur Zeit t koncentrirt zu denken ist. Es wird also, wenn wir diese Auffassung adoptiren, bei Zugrunde- legung des Ampereschen ponderomotorischen Gesetzes das Princip der Energie dadurch gewahrt, dass zu dem Weber’schen elektromotorischen Elementargesetz noch eine Zusatzkraft gefügt wird, ausgehend von den Stellen, welche Sammelpunkte freier Elektricität bilden. Es leuchtet ein, dass man auch umgekehrt das Amperesche Gesetz als voll- ständigen Ausdruck der ponderomotorischen Wirkungen fallen lassen, das Webersche Gesetz als den vollständigen Ausdruck der elektromotorischen Wirkungen adoptiren könnte; das Princip der Energie würde dann gewahrt werden durch eine Zusatz- kraft zu dem Ampereschen Gesetz, welche ihren Ursprung ebenfalls in den Sammelstellen freier Elektricität haben würde; eine genauere Be- trachtung zeigt, dass diese Zusatzkraft zu dem Ampereschen Gesetze aus zwei Componenten bestehen würde, von welchen die eine entspräche einer Wirkung der im Elemente Dv, stattfindenden Ansammlungen freier Elektricität auf die Strömung im Elemente Dv,, die andere um- gekehrt einer Wirkung der Strömung des Elementes Dv, auf die An- sammlung freier Elektricität in Dv,- Bezeichnen wir durch së, die ganze Menge freier Elektricität, welche sich zur Zeit t im Inneren oder auf der Oberfläche des Elementes Dv, befindet, durch e, ebenso die freie Elektricität des Elementes Dv,, so ergiebt sich für die Componente der Zusatzkraft zu dem Ampereschen Gesetz nach der X Axe des im Raume festen Coordinatensystemes der Werth 243 EEE Di ðt “o ðs, Gs," 0 ðs, ôy ôy AR ef as D 4 ðt ti 08, 08 Vo und zwar ist diess die X Componente der von dem Elemente Dv, auf Dv, ausgeübten Wirkung. et Je bi F V a e ABHANDLUNGEN DER HISTORISCH - PHILOLOGISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ZWANZIGSTER BAND. Hhstor.-philolog. Classe XX. 1. A Die Quantitätsverschiedenheiten in den Samhitä- und Pada-Texten der Veden von Theodor Benfey. Zweite Abhandlung: Wortauslautende á í ú in der Samhitä statt entsprechender Kürzen im Pada in der 6ten Silbe achtsilbiger und in der 8ten und lOten Silbe elf- und zwölfsilbiger Stollen. Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. vom 6. Februar 1875. Xiri. SA Di. Dehnung von wortauslautenden aí u des Pada- Textes zu á, 1, ú in der Samhitä in der 6ten Silbe achtsilbiger sowie in der Bien und 10ten elf- und zwölfsilbiger Stollen, wenn das folgende Wort nicht mit einem Vokal und nicht mit mehr als einem (vgl. 1ste Abhdlg. in Bd. XIX S. 231) Consonanten beginnt, wird im Rigveda-Prätigäkhya (M. Müller'sche Ausg.) Regel 523 ff. (vgl. 433) gelehrt und näher bestimmt. Ob- gleich in den drei übrigen Präticäkhya’s nicht in derselben Form, wie in dem des Rigveda, vorgetragen findet sie doch auch in denjenigen Veden, zu denen diese gehören, ihre Anwendung (vgl. die hieher gehörigen Dehnungen in dem Väjasaneyi-Präticäkhya III. 96 ff., im Taittiriya-Prätig. III. 8 f. und Whitney zum Atharva-Prätic. III. 16.) Bei der Zählung der Silben ist nicht der Pada-Text, sondern der der Samhitä massgebend; z. B. Rv I. 32, 5 lautet der Pada-Text skändhämsi-iva külicena vivriknä darin ist das auslautende na in kúligena die 9te Silbe und der Stollen A2 i THEODOR BENFEY, zwölfsilbig; jenes na würde demnach, wenn der Pada-Text gier wäre, nicht zu dehnen sein; allein in der Samhitä wird skändhämsi-wa _ E zu skandhämsiva zusammengezogen; in Folge davon wird jenes Ona in der ` ; Samhitä zu der achten Silbe in einem elfsilbigen Stollen und sein Vokal ? demnach gedehnt skändhämsiva külicenö vivriknä. 2 Diese Dehnung ist — abgesehen von den weiterhin anzuführenden ` Ausnahmen — so durchgreifend, dass es genügen wird, sie durch einige Beispiele zu belegen. 1. Dehnung in der 6ten Silbe achtsilbiger Stollen : E eines a, z. B. Rv. III. 29, 10 = VS. III. 14 = TS. I. 5. 5. 2. =Z Ath. III. 20, 1 (die drei letzten mit Varianten, welche jedoch nicht S die Dehnung berühren): | Rv. Pada: ätha nah vardhaya girah — Samhitä: áthá no vardhayd girah Die VS. und TS. lesen rayım statt girah; der Ath. zugleich ádhá statt dthd. ferner Bv. VIII. 45, 22 = Sv. 1. 2.2.2.7 — Ath. XX. 22, 1 Rv. Pada: abhi tvá vrishabha sutó — BSamhitå: abhí två vrishabhá sute ferner in der VS. XI. 72,d = TS. D 1. 9. 3, 1. d. in einem nicht iM Rv. vorkommenden Verse (vgl. VPr. II. 198: LE. ILL 8.) Pada: ägne tvám tara mridhah Samh.: ágne tvám tará mrídhah f zu lesen tuám, oder nach indischer Weise tuvám (s. § 3). eines iz. B. Rv. VIII. 84 (73), 3 = Sv. IL 5.1.18. 3 = VS. XIIL 52 Rv. Pada: nrin pähi crinudhi girah — Samh.: nriwh pähi grinudh7' girah Der Samaveda hat die spätere Form £rinuhf‘. ferner Rv. V. 24, 3 = VS. III. 26 Rv. Pada: säh nah bodhi crudhi hävam. — Samh.: sá no bodhi çrudhř hävam. vgl. auch Rv. V. 9, 5°, eines u, z. B. Ry. I. 10, 11 QUANTITÅTSVERS( EN IN D.SAMHITÄ-U.PADA-TEXTENETC. 5 Rv. Pada: nävyam ä’yuh prä sú tira — Samh.: nävyam ä’yuh prä sd’ tira. ferner TS. IV. 1. 10.3 (= VS. XI. 82, wo jedoch VL.) TSamh. úd värca üd ú balam während der Pada-Text u hat (vgl. TPr. III. 14). Die VS. hat statt úd ú die Leseart átho, vor welchem natürlich statt vdrca der phonetischen Regel gemäss vdrco erscheint. Beiläufig bemerke ich, dass in beiden Samhitä’s varca wahrscheinlich dreisilbig mit einem Vokallaut zwischen r und c zu sprechen ist, über dessen eigentlichen Klang die vedischen Phonetiker nicht übereinstimmen !). 2. Dehnung der Sten Silbe in elfsilbigen Stollen: emes a, 2. B, Br. IX. 97, 36 = Sr. IL 2. 2. 10.3 Rv. Pada: vardhäya väcam janäya püram-dhim. — Samh.: vardhäyä& väcam janäyd püramdhim. ferner Ev, X. 53, 8 = VS. XXXV. 10 = Ath. XII, 2, 26 (V. L) Rv. Pada: út tishthata prä tarata sakhäyah — Samh.: út tishthata prá taratá sakhäyah Der Ath. liest statt der beiden ersten Wörter virdyadhvam. rer Hv. A 180, T= TS IE EE Rv. Pada: Indra å bhara dákshinena vásúni — Samh.: Indr& bhara dákshinená vásůni. Dass auch der Pada - Text der TS. dakshinena hat, bezeugt deren Prätig. III. 10. eines n z. D. Re, V: 81, 10 Rv. Pada: grinite agnih etári ná cüshaih — Samh.: grinite agnir etárí ná cüshaih ferner Sv. I. 5. 2.2.9 Sv. Pada: pivarim isham krinuhi nah Indra — Samh.: pi'varim isham krinuhi’ na Indra eines u, z. B. Rv: VI. 63, 10 1) vgl Whitney zum Atharva-Prätigäkhya S. 67. 68 und meinen Aufsatz ‚Ueber ri, rí und l? in ‘Orient und Occident’, III. 25. 6 THEODOR BENFEY, Rv. Pada: bharät-väjäya vira nú gire dät — Samh.: bharädväjäya vira nú gire dät. ferner Rv. V. 83, 10 Rv. Pada: ävarshih varshäm út úm sú gribhäya Samh.: ávarshir varshám úd u-shú' gribhäya. 3. Dehnung der 8ten Silbe in zwölfsilbigen Stollen: eines o z. B. Be L 94 1 = Sr. L LS S A Rv. Pada: ágne sakhy& mäi rishåma vayám táva — Samh.: ágne sakhy& má’ rishámá vayäm táva Bem. risháma in meiner Ausgabe des Sv. ist Druckfehler. ferner Ry. IL ap 3 = VS. XXVI. 24. Rv. Pada: ni barhishi sadatana ränishtana — Samh.: ni barhishi sadatand ränishtana. ferner Rv. VILL 89 (78), 7 = Sv. Il. 6. 2. 19. 3 = TS. I. 6. 12. 2. Rv. Pada: gharmäm ná sä’man tapata suvriktibhih — Samh.: gharmäm ná säman tapatá suvriktibhih ferner Re I. 102, 4 = Ath. VII 50, 4. Rv. Pada: asmäkam äscam úd ava bhäre-bhare — Samh.: asmäkam ä.cam úd avá bhärebhare. eines u z. B. Rv. VIII. 27, 9 Rv. Pada: ná yäd dürät vasavo nú cid äntitah — Samh.: ná yád dürä’d vasavo nd cid äntitah ferner Rv, VI. 18, 8 Rv. Pada: säh yäh ná muhé ná mithu jänah bhů't — Samh.: sa yó ná muhé ná mithz jäno bhů't. vgl. ähnlich TS. IV. 6. 9. 4. 4. Dehnung der Lüten Silbe in elfsilbigen Stollen: eines a z. B. Rv. I. 186,1 — VS. XXXIII. 34. Rv. Pada: ápi yäthä& yuvänah mätsatha nah — Samh.: ápi yáthå yuväno mätsath@ no ferner Rv. VII, 59, 8 = TS. IV. 3. 13, 4 (wo V. L., jedoch nicht m ` Bezug auf diese Dehnung) a ý QUANTITÄTSVERS TEN IN D. SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 7 Rv. Pada: täpishthena hänmanä hantana tám — Samh.: täpishthena hänmanä hantand tám Die TS. hat statt Aanmand die V.L. tápasá, bezüglich der Dehnung in hantanä vgl. TPr. 3, 10. eines 3 z. B. Re III. 54, 22, Rv. Pada: ähä vigvä su-mänäh didihi nah — Samh.: ähä vievä sumänä didih? nah ia Rv. X. 12; A: Ath ARD: L, 82 Rv. Pada: svä’vrik deväsya amritam yádi göh — Samh. : svä’vrig deväsyämritam yädi göh. Bem. In devdsydmritam ist beim Lesen die Contraction der aus- und anlautenden a zu á wieder rückgängig zu machen (vgl. $. 2 und 3). eines u z. B. Be VI. 18, 8 Rv. Pada: purä'm cyautnä’ya cayäthäya nú cit — Samh.: purå'm cyautnäya gayäthäya nú cit. 5. Dehnung der 10ten Silbe in zwölfsilbigen Stollen : eines a z. B. Rv. II. 34, 9 Rv. Pada: áva rudräh acäsah hantana vädhah — Samh.: áva rudrä acäso hantand vädhah ferner Ath. VIII. 82, 3 Samh.: ihafvä’gne ädhi dhärayd rayim Der Pada-Text hat dhäraya und es ist mit Aufhebung der Con- traction thaívd agne zu lesen (vgl. $. 2. 3). eiges iz. B. Be VL 6L 13 = Sv I 2.1. 1. 9 Rv. Pada: dävishtham asya satpate kridh? sugäm — Samh.: dävishtham asya satpate kridh? sugäm. eines u z. B. Rv. VI. 15,5 = VS XVIL 10 = TS. IV. 6. 1. 2. Rv. Pada: túrvan ná yäman etagasya nú ráne — Samh.: túrvan ná yå'mann étaçasya nd ráne. $. 2. Wenn man die Silben in dem uns überlieferten Samhitä-Text so spricht, wie dieser sie giebt, dann scheint die Dehnung nicht selten an falscher Stelle zustehen, wie diess schon in einigen der in $. 1. aufgeführten Bei- ® 8 THEODOR BENFEY, spielen hervortrat. In solchen Fällen ist, wie diess von den Verfassen ` des Rig-Präticäkhya, der Rig- und Väjasaneyi-Anukramani, sowie Pingala bemerkt ist, der Samhitä-Text anders zu lesen, als die Form, in E welcher er vorliegt, eigentlich fordert. Sie schreiben vor. dass man, um ` die richtige Silbenzahl in unvollständigen Stollen zu erlangen, Vokal- ` contractionen der Samhitä wieder aufheben — wie diess in mehreren Fällen auch von uns im vorigen Abschnitt geschehen ist — und in Consonanten- Gruppen, welche ein y oder v enthalten vor diesen den verwandten Vokal, bezüglich ? u, lesen soll (vgl. Rig- Prätic. r. 527. 973. 974, bei Regnier ` IL p. 20; ITI. 193—196; speciell p. 193; sowie Weber VS. L p. ` LVII und LIX). Es ist nun aber nicht dem geringsten Zweifel zu unterwerfen, dass der Rigveda zu der Zeit, als der Samhitå-Text fixirt ward, nicht in dieser Weise vorgetragen wurde. Denn wäre diess der Fall gewesen, dann würden ihn die Diaskeuasten uns sicher auch in dieser Form überliefert haben. So gut wie sie eine Menge andre Inconsoquenzen im Vortrag des Rigveda bewahrt haben, würden sie auch iy und uv in den Stellen fixirt haben, wo die Vf. des Präticäkhya diese Aussprache zur richtigen Lesung des Metrum für nothwendig hielten, wenn sie sie in ihnen von ihren Autoritäten gehört hätten; ist diess doch bekanntlich in vielen Fällen die überlieferte Aussprache und Schreibweise der Taittiriya - Samhitä ; warum hätten die Diaskeuasten der Rigveda sie verschmähen sollen, wenn sie sie bei ihren Geranten vorgefunden hätten? Hatten die Diaskeuasten des Rigveda die Samhitä desselben aber nur in der Form gehört, in welcher sie sie fixirt und uns überliefert haben, dann haben sie sie, wie sich auf das stricteste beweisen lässt, nicht in einer metrischen Form gehört, sondern in einer Vortragsweise, in welcher das Metrum vollständig oder wenigstens fast vollständig ver- dunkelt war Allein eben diese Diaskeuase scheint wesentlich den Anfang 28 einer nicht einzig rituellen oder religiösen Benutzung dieser Lieder gè- bildet zu haben; sie eröffnete vielmehr, oder, wenn dieser schon irgend- wie eröffnet war, erweiterte den Weg zu einer wissenschaftlichen Be- _ Ee QUANTITÅTSV NHEITEN IND. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTENETC. 9 handlung derselben. Dabei mussten die Versuche ein grammatisches Verständniss durch Zerlegung des Samhitä- Textes in die ihn bildenden einzelnen Wörter zu gewinnen, zu manchen andern Vortragsweisen führen, bei denen in unzähligen Versen oder wenigstens Stollen das durch die überlieferte Vortragsweise verdunkelte Metrum in seiner Gesetzmässigkeit wenigstens in so weit hervortrat, dass es sich in seinen Hauptzügen einer eindringenden Forschung nicht mehr zu entziehen vermochte. Dabei konnte denjenigen, welche sich mit dem verhältnissmässig so umfangreichen Rigveda beschäftigten kaum entgehen, dass unter den vielen Quantitätsverschiedenheiten überaus häufig Dehnungen in sonst völlig regelmässigen Stollen erscheinen, in denen das Metrum fast ausnahmlos eine prosodische Länge zeigt, So z. B. fanden sie in achtsilbigen Stollen fast stets die 6te Silbe lang, z. B. Rv. I. 2, 1° in darç?, 1? in PramkP: was lag da näher, als anzunehmen, dass in dem 3ten Stollen desselben Verses, dem im übrigen regelmässigen téshám pähi çrudhťř hävam, das lange í in grudhí statt des grammatischen kurzen (erudhi) nur dem Ein- fluss des Metrum verdankt werde. Aehnlich verhält es sich mit den in diesem Abschnitt zu besprechenden Dehnungen in der 8ten und 10ten Silbe elf- und zwölfsilbiger Stollen. Wenn von diesem Gesichtspunkte aus dieses Resultat ihrer Forschung als ein nahe gelegenes erscheinen muss, so giebt es doch Umstände, welche das Festhalten desselben sehr erschweren mussten und es ist als ein Beweis des sichern Blickes der indischen Forscher anzuerkennen, dass sie sich durch alle diese Schwierigkeiten an dem, was sie erkannt hatten, nicht irre machen liessen. Unter diesen Umständen nehmen eine hervorragende Stelle ein zu- nächst die vielen Fälle, wo die Dehnung wie schon bemerkt, wenn man dem Samhitä-Text unverändert folgt, nicht auf die von der Regel vorge- schriebene Silbe fällt; ferner eine nicht geringe Zahl von Ausnahmen. $. 3. Wie sie die Bedeutung des ersten Umstandes wegräumen, ist im Allgemeinen schon im vorigen $. angedeutet; doch müssen wir uns eine, Histor.-philolog. Classe XX. 1. B 10 ; THEODOR BENFEY, wenn auch nicht erschöpfende, doch etwas mehr eingehende, Darstellung. und Erläuterung durch einige Beispiele verstatten. Die Regeln werden im Rv.-Pr. an zwei Stellen gegeben. Zuerst in der Ausgabe von M. M. r. 527 = Regnier zu Pr. VIII. 22 (beson- drer Abdruck T. II. p. 20) in unmittelbarem Anschluss an die vorher (M. M. 523—526) vorgeschriebene Dehnung der 6ten, Sten und 10ten Silbe. Hier begegnen sie also dem Einwande, welchen man dem Sam- hitä-Texte gegen die Richtigkeit dieser Regeln in den Fällen entnehmen könnte, wo er, unverändert ausgesprochen, die Dehnung in einer andern Silbe zeigen würde. Sie schreiben vor, wie dieser Text dann im Vor- _ trage zu ändern sei, damit die Dehnung auf die regelrechte Silbe falle. Zum zweitenmal erscheinen sie in der Ausgabe von M. M. r. 975 und 974 — Regnier XVII. 14 (vgl. die dazu gehörigen Erläuterungen im besonderen Abdruck III. 193—196); hier bilden sie einen Theil der — Vedenmetrik und lehren, wie man zu verfahren habe, um wo der Sam- ` hitä-Text, unverändert vorgetragen, die richtige Silbenzahl eines Metrums d nicht ergeben würde, diese durch Veränderung des Vortrags zu erlangen. | Die Mittel sind an beiden Stellen wesentlich dieselben. Sie be- stehen darin, dass zu diesem Zweck | l., Zusammenziehungen von zwei Vokalen zu einem (ekabhävindm RPr. 527, ekäkshartbhävan 973), welche den Sandhigesetzen gemäss — d. h. im Aus- und Anlaut zusammentreffender Wörter oder Composi- tionsglieder — in der Samhitä Statt gefunden haben, wieder rückgängig gemacht werden. Als ein Beispiel führt der Scholiast an Rv. X. 103, 13" = Sv. Il-9. 3. 5. 2, = VS. XVIL46 == Ath IL 19 u Dei Samhitä des Rv. und ebenso der verglichenen, des SV., der VS. und des ; Ath. liest hier K pretä jáyatå nara Der Auslaut in jáyatá erscheint im Pada-Text kurz; die Dehnung ist aber in Rv-Pr. nicht besonders vorgeschrieben, wie diess z. B, r. 518 für die des tá (statt Ota im Pada) in pret4 geschieht. Die Verfasser ` des Prätig. haben also angenommen, dass sie kraft der allgemeinen Regel ` Statt gefunden hat. Der Vers, welchem dieser Stollen angehört, ist als f QUANTITÄTSVE TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 11 Anushtubh erkannt, d. h. er besteht aus vier achtsilbigen Stollen. In einem achtsilbigen Stollen wird aber, der allgemeinen Regel ($. 1) ge- mäss, ein grammatisch kurzer wortlauslautender Vokal gedehnt, sobald er die 6te Silbe schliesst und nicht unter die weiterhin ($. 10—15) zu erwähnenden Ausnahmen fällt, was hier nicht Statt findet. Spricht man nun den Vers in der Form, wie er in der Samhitä erscheint, dann bildet dieses Otá die fünfte Silbe und die Dehnung würde dem Pråtiç. wi- dersprechen. Hebt man dagegen die in prótá vorliegende Contraction der beiden Wörter prá od nach Pr. 527 und 973 wieder auf, und spricht demnach prä itä jäyatä nara dann fällt die Dehnung in die 6te Silbe und entspricht der allgemeinen Regel. Als zweites Beispiel giebt der Scholiast Rv. VI. 12, 4°, wo die Samhitä lautet säsmäkebhir etári ná cüshafr dem auslautenden í in tant entspricht in Pada ř und auch diese Deh- nung ist im Rv-Pr. nicht besonders angemerkt, d. h. sie ward von den Verfassern ebenfalls als eine der allgemeinen Regel entsprechende be- trachtet. Der Vers ist eine Trishtubh d. h. er besteht aus vier elfsil- bigen Stollen. In diesen wird regelmässig ein grammatisch kurzer wort- auslautender Vokalin der 8ten Sibe gedehnt; allein wenn man dem Samhitä- Text folgt, ist? nicht die Ste sondern 7te Silbe; sie wird jedoch zur 8ten sobald man die Zusammenziehung sd’smä’kebhir aus, wie die Inder annehmen, säh asmäkebhir rückgängig macht. Wie aber nun nach indischer Ansicht zu lesen sei, darüber schweigt der Scholiast, obgleich eine Angabe da- rüber nicht ohne Werth und kaum zu umgehen gewesen wäre. Wollte man nämlich nach Aufhebung der Contraction den in der Samhitä herr- schenden Sandhi-Regeln folgen, dann hätte man sprechen müssen só asmä kebhir. Ich zweifle sehr, dass die Verfasser des Pr. dem überlieferten Vortrag gegenüber eine so völlig verschiedene Aussprache gewagt haben würden, kenne jedoch kein Mittel, die von ihnen gewählte mit Sicher- heit zu bestimmen. Für uns dagegen ist es nicht dem geringsten B2 12 THEODOR BENFEY, Zweifel zu unterwerfen, dass hier, wie in so unzählig vielen Fällen, ein Rest des ursprünglichen Vortrags der ältesten Lieder bewahrt ist, in 7 denen die den Sandhi-Gesetzen entsprechenden Wortverschlingungen erst 7 in selteneren Fällen angefangen hatten hervorzutreten. Man kann daher E höchstens schwanken, ob in Uebereinstimmung mit der indogermanischen "2 Urform sá (= goth. sa, griech. Ai gesprochen ward, oder zwar schon Í sáh aber mit so fast völlig unhörbarem Visarga, dass die Recitirer, wel- ` che vor der Zeit der Diaskeuase, insbesondre durch eine immer mächtiger 5 werdende Scheu vor Hiatus, die alte Aussprache in ihrer Vortragsweise S umwandelten, durch ihn nicht abgehalten werden konnten hier, wie in ` vielen ähnlichen Fällen, Contraction eintreten zu lassen (vgl. die 1ste Abhalg. in Bd. XIX. S. 251 und 246 ff). Beachtenswerth ist hierbei ` noch, dass die eine oder die andre Aussprache so sehr gesichert war, a dass die Recitirer nur zur Contraction getrieben wurden, nicht aber die : fast allgemeine Regel geltend machen konnten, wonach só asmd’® hätte ` entstehen müssen. | 3 Ich will hierbei nicht unbemerkt lassen, dass zu den durch Sandhi S zu einem gewordenen Vokalen auch die Fälle gehören, wo anlautende ` ? a hinter auslautendem e oder o in der Samhitä eingebüsst sind. Auch dieses ist ein eins werden zweier Vokale, vgl. RPr. 138 ekibha- vati. Auch diese Verbindung darf somit nach r. 527 , 973 zur Er- gänzung der Silbenzahl eines Stollens wieder aufgehoben werden und diess ist nicht selten geschehen, z. B. stets wo a auf diese Weise im Anfang eines Stollens in der Samhitä eingebüsst ist; denn nur dadurch ` kann die Silbenzahl eines so in der Samhitä verstümmelten Stollens ver- 4 vollständigt werden; vgl. auch Rv. V. 41, Being 12 und Rv. I. 86, 12 2 in § 15 unter ásti.- Der neueren Forschung Weise in der Samhitä eingebüsstes a fast durch genauere in der Lautlehre), 2. Das zweite Mittel besteht, ähnlich wie das erste, darin, das _ die in der Samhitä den Sandhi-Regeln gemäss eingetretene Verwandlung von í und ü zu bezgl. y und v wieder rückgängig gemacht wird. 50 lautet Rv. I 161, 11° in der Samhitä: = gemäss ist ein in dieser S weg zu sprechen (vgl. das BY e QUANTITÄTSVERSt TEN IN D.SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 13 udvátsv asmå akrinotanå trinam mit Dehnung des grammatischen Ona in akrinotaná. Diese Dehnung ist wiederum im Rv-Pr. nicht besonders bemerkt, also von den Verfassern desselben angenommen, dass sie unter die allgemeine Regel fällt. Das Metrum des Verses ist Jagati d. h. vier zwölfsilbige Stollen; in diesen wird ein auslautender Vokal in der 10ten Silbe gedehnt; allein in dem Samhitä-Vortrag ist Oná nicht die Lite, sondern erst die 9te Silbe. Jene erhält man aber sobald man die Sandhi- Regel, wonach v in udvatsv aus u entstanden ist, rückgängig macht. Dann treten an die Stelle der vier Silben, welche udvatsv asmä in der Samhitä bilden, deren fünf. 3. Wenn die Silbenzahl der Ergänzung bedarf, soll man über- haupt y und v, welche in einer Consonantengruppe erscheinen, auf die entsprechenden Vokale i, u zurückführen und so eine Silbe gewinnen. Das Beispiel, welches der Scholiast in Bezug auf diese Regel anführt, findet sich Rv. I. 61, 12° = Ath. XX. 35, 12. Eslautet in der Samhitä gör ná pärva vi radä tiraced” Auch hier ist die Dehnung des auslautenden á in radá im Prätic. nicht besonders angemerkt, also von den Verfassern desselben für eine unter die allgemeinen Regeln fallende genommen. Das Metrum des Verses ist Trishtubh und diess wird noch ausdrücklich vom Scholiasten zu Prätic. 976 bemerkt; der Stollen müsste also elfsilbig sein und die regelmässige Dehnung in der Sten Silbe eintreten. Allein in der Form der Samhitä ist 0d4 erst die siebente; sie wird jedoch zur achten, wenn man parva, stattzweisilbig, dreisilbig spricht (vgl. jedoch $ 4). 4. Zwar nicht an der ersten Stelle (Rv.-Pr. 527), wohl aber in der zweiten (974) wird in Bezug auf die Verwandlung von y und v vor- geschrieben, dass jenes, im Fall einer durch sie herbeizuführenden Sil- benergänzung, zu iy, dieses zu uv werden, also das Beispiel in 2 udvatsuv asmä, das in 3 pdruva gelesen werden soll. §. 4. Zu dem vorhergehenden Poragraphen mögen mir einige Bemerkun- gen verstattet sein, Was zunächt das erste und zweite Mittel betrifft, so gilt die Zu- XU Er Bai Dën. 14 THEODOR BENFEY, rückführung der Sandhi-Umwandlungen auf die ursprüngliche Form, der deutschen Vedenforschung zufolge, in weit grössrem Umfang als das Rv-Prätic. mit Bestimmtheit lehrt. Was die Contraction eines ein Wort oder Compositionsglied schlie- ssenden $ mit einem nachfolgend anlautendem Vokal oder Diphthong betrifft, so ist sie zwar im Allgemeinen die Regel, erleidet aber so viele Aus- nahmen, dass man sieht, dass sie eigentlich nur ungefähr so eintrat, wie bei uns die Elision eines auslautenden e vor nachfolgenden Vokalen. Manche Wörter giebt es sogar, bei denen die Nicht-contraction so vor- herrschend ist, dass man fast vermuthen darf, dass sie in älterer Zeit ` die Regel war, so z. B. bei ná in der Bedeutung ’gleichwie‘. Hier lässt sich auch vielleicht der Grund erkennen. Denn es hat bekannt- lich diese Bedeutung nur, wenn es dem verglichenen Worte nachfolgt; es scheint demnach , ‚obgleich es seinen Accent bewahrt, so eng — fast enklitisch; wie auch aus einer andren phonetischen Erscheinung (der Lingualisirung des n) geschlossen werden darf — mit dem vorhergehen- den Wort zusammengesprochen zu sein, dass dadurch eine kleine Pause "hinter ihm entstand, welche zu neuem vokalischen Einsatz — hiatus — Zeit gewährte. Doch erscheint na, wie ich nicht verhehlen darf, mehrfach auch in der Bed. "nicht: uncontrahirt. Detaillirte Regeln in dieser Bé ` ziehung aufstellen zu wollen, wird bis jetzt um so mehr verfrüht sein, da unzweifelhaft das verschiedene Alter der vedischen Lieder, die Ver- schiedenheit der Verfasser, der Oertlichkeit und andere noch dunkle Um- stände hier, wie in vielen andern vedischen Fragen, von Einfluss waren. Was die in der Samhitä fast durchgreifende Liquidirung auslauten- der 7, ü betrifft, so ist umgekehrt so gut wie gewiss, dass sie bei me- trischem Vortrag fast ausnahmslos wieder aufzuheben ist. Es giebt nur wenige Fälle, wo sie mit etwas grössrer Regelmässigkeit Geltung hat; so z. B. in der Zusammensetzung zweisilbiger auf © oder u auslautender Präfixe mit den zu ihnen gehörigen Verben (wie ádhi, dnu), seltner, wenn Me unzusanimengesetzt voranstehen!). In jenem Fall hat die innige | 1) Das genauere in Bezug auf die in diesem Abschnitt angedeuteten phoneti- = schen Erscheinungen werden die Abhandlungen über die 'vedischen Lautgesetze‘ liefern. : QUANTITÄTSVERS( TEN IN D.SAMHITÄ- U.PADA-TEXTEN ETC. 15 begriffliche Zusammengehörigkeit beider Elemente die engere, hiatuslose, Verbindung derselben herbeigeführt, in diesem augebahnt. Wo Liqui- dirung sonst in einem Liede häufiger erscheint, ruft sie den Verdacht einer verhältnissmässig spätern Abfassung desselben hervor. Zu dem einen in $ 3 dem Scholiasten entlehnten Beispiele erlaube ich mir, des besseren Verständnisses wegen, noch zwei nachzutragen. Rv. IV. 18, 3t hat die Samhitä ná nä’nu gäny ánu nú gamäni Die Dehnung des ú in nú ist im Prätig. nicht besonders Ge der Vers ist Trishtubh; damit sie an der regelmässigen Stelle, in der Sten Silbe, eintrete, ist gáni dnu (oder gäniy dnu) auszusprechen. Rv. VIL 31, 12° = Se IL 9. 1. 11. 3 lautet die Samhitä häryacväya barhayå sám åpřn Die Dehnung des auslautenden á in barhayá ist wiederum im Prätic. nicht besonders angemerkt; der Stollen müsste elfsilbig sein, dann würde die Dehnung der Regel gemäss auf die achte Silbe fallen; nach der Samhitä ist Gud die Tte Silbe; sie wird jedoch zur 8ten durch Vokalisi- rung des y in häryagva, welches den Auslaut des vorderen Gliedes dieses Compositums, eigentlich hari-agva, bildet; es ist sonach Aari-arväya oder häriy-agväya zu sprechen. Was endlich die Regel betrifft, nach welcher man y und v in einer Consonantengruppe überhaupt aus metrischen Gründen vokalisiren soll, so ist durch die deutsche Vedenforschung festgestellt, dass ursprüngliches 7 und å zwar im Sanskrit vor unähnlichen Vokalen zu y und v geworden ist, in den Veden aber gar nicht selten noch die ursprüngliche Gestalt herrschte und gewöhnlich nur in so fern eine leichte Umwandlung erlitten hat, als mit wenigen Ausnahmen lange 7 und vor Vokalen verkürzt wurden!). 1) Schon die Declination der Themen auf í, ú bietet für diese Verkürzung sehr viele Beispiele; hier möge nur eines angeführt werden Rv. I. 43, 6° lautet in der Samhitä sugäm meshä’ya meshye. Der Stollen gehört einer Gäyatri an, hat demnach regelmässig 8 Silben und zum Schluss eine Dipodia iambica. Die Samhitä würde aber nur 7 Silben und als Schluss v — — gewähren. Um nach Drëtte, 974 die richtige Silbenzahl zu erhalten» 16 THEODOR BENFEY, Doch herrscht wegen der oben angedeuteten Umstände in den Veden keine vollständige Consequenz in Bezug auf die hieher gehörigen Wörter, ` Es giebt nur sehr wenige, bei denen die Aussprache mit i, u (statt y, v) oder mit y, v durchgreifend erscheint, wohl aber ist die eine oder die andre die vorherrschende; theils danach, theils und zwar bisweilen noch mehr durch die Vergleichung der verwandten Sprachen lässt sich mit Sicher- `" heit oder mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit bestimmen, welche Aus a sprache in den hieher gehörigen Wörtern in der Vedenzeit die herrschende, oder wenigstens vorherrschende war!). Beurtheilt man das von dem indischen Scholiasten für diese Regel gegebene Beispiel (Rv I. 61, 12°) nach diesem Criterium, dann wird man über die Richtigkeit desselben sehr bedenklich. Casus des Thema paärvan erscheinen ausser an dieser Stelle noch 10 mal im Rv. aber an keiner derselben wird das v zum Vokal; ausserdem erscheint es in der Zusammensetzung catd-parvan 5 mal nur mit v; in a-parvan lmal; in so- mapdrvan 1mal; in vrishaparvan 1 mal; und in dem aus parvan abge- stumpften parva in der Zusammensetzung vi-parva 1 mal. Ferner findet sich das davon abgeleitete Adverb. parvagas viermal und ist ebenfalls nur mit v (nicht u) zu sprechen; dann erscheint das daraus, jedoch aus der Urform "parvant: in der geschwächten Gestalt parvat, abgeleitete párvata (eig. von parvan ’Knoten’ mit der Bed, ’knotig, knollig’, bergig, und als Substantiv 'Berg') im Rv. 121mal und ebenfalls stets nur mit v; eben so erscheint nur v in dem davon abgeleiteten parvatia (Samh. parvatyà) einmal und in den Zusammensetzungen mit parvata nämlich, parvata-cyút 2 mal, parvatá-vrídh 2 mal, parvate-shthá' 1mal und Indräparvata 3 mal. Demgemäss ist in parvan und den dazu gehörigen Wörtern 153 mal v muss man meshye durch Vokalisirung des y dreisilbig machen; dadurch erhält man zugleich den richtigen Stollenschluss wenn man nach indischer Weise meshiye oder, wie wir vorziehen, meshye liest; in letzterem Falle ist nach einer fast allgemein menschlichen Neigung das í vor dem folgenden Vokal verkürzt. 1) Ich verweise in dieser Beziehung für jetzt auf meine Abhandlg. über das Suffix ya in Bd. XVI (1871), hist.-phil. Cl. S. 91 ff, Genaueres werde ich in den Abhandlungen zur vedischen Lautlehre geben. QUANTITÄTSV TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 17 (nicht wi zu sprechen; dem gegenüber ist es der neueren Vedenforschung gemäss fast so gut wie gewiss dass in der ganzen Vedenzeit nur parvan gesprochen ward und fast völlig unglaublich, dass in einem einzigon Fall die Aussprache mit Vokal statt v (parua oder paruva) gebraucht wäre. Freilich ist es nicht unmöglich, dass in der späteren Zeit, in Folge davon dass in nicht wenigen Wörtern und Wortelementen die vokalische und con- sonantische Aussprache fast in gleicher Zahl, oft in demselben Vers vor- kam, sich die Ansicht zu bilden anfing, dass es in vedischer Poësie er- laubt sei promiscue, nach dem Bedürfniss des Metrums, bald die eine bald die andre Aussprache anzuwenden; allein wer diesen 6lsten Hymnus genauer betrachtet, wird sich schwerlich dem Eindruck entziehen können, dass er zu den ältesten Liedern gehört, in denen derartige Anschauungen schwerlich schon herrschten. Wir werden also kaum umhin können, dieses Beispiel schon nach dem bisher geltend gemachten Moment als ein irriges betrachten zu müssen. Ob es vom Scholiasten herrührt, oder der alten mündlichen Erläuterung des Präticäkhya’s angehört und in den Schulen überliefert war, lässt sich zwar bis jetzt nicht mit vollständiger Sicherheit ent- scheiden. Allein ich bin bei meinen Untersuchungen zu der mir höchst wahrscheinlichen und durch manche hier zu weit führende Momente unterstützten Vermuthung gelangt, dass im Allgemeinen die vom Scho- liasten angeführten Beispiele der Schulüberlieferung angehören und zwar schon von den Verfassern der Regeln ausgingen. In diesem Fall hätten wir hier ein Beispiel dafür — noch viele andre werden uns in Laufe unserer Untersuchungen entgegentreten — dass die Verfasser des Prä- ticäkhya durch ihre metrische Forschungen noch keinesweges zu einem metrisch richtigen Vortrag der Veden zu gelangen vermochten. Wie der Vers richtig zu lesen sei, ist im Wesentlichen erst durch die neuere Forschung erkennbar. Diese hat nämlich in sehr vielen Fällen nachgewiesen, dass an die Stelle der in der Samhitä erscheinenden gewöhnlichen Sanskritformen nicht selten ältere, diesen vorhergegangene zu setzen sind. Gerade wie hier der Stollen mit gör beginnt, dann 2 Worte — ein Histor.-philol. Classe. XX. C 18 THEODOR BENFEY, einsilbiges und ein zweisilbiges — dann sechs Silben folgen, so auch in Rv. ` I. 181, 8; davon unterscheidet sich I. 180, 5 nurdadurch, dass die drei _ auf das anlautende gör folgenden Silben durch ein Wort gebildet werden und die dann folgenden Silben in der Samhitä zwar nur fünf sind, aber die beiden ersten, durch das Wort taugryó repräsentirten, nach Prätie. 974 taugriyö (nach uns faugriö) zu sprechen sind. Vergleichen wie die drei Stollen — I. 61,12 gór ná pärva vi radä tiraçcã I. 181,8 gór ná séke mänusho dacasyän I. 180,5 gór öhena taugri6 (oder taugriyó, Samh. taugryö) ná jivrih. — so erkennt man, dass die richtige Lesung in allen dreien auf gleiche Weise herzustellen ist, ferner dass diese Berichtigung innerhalb der ersten vier Silben vorzunehmen ist. In diesen ist aber allen drei Stollen nur das Wort gór gemeinsam; darf man diess zweisilbig lesen, dann haben alle drei Stollen die richtige Silbenzahl — nämlich 11. und die Dehnung des a in radá tritt auf die der Regel entsprechende Silbe: die Ste. Diese Berichtigung hat Grassman in seinem Wörterbuch gewählt; ob aber die specielle Veränderung, welche er voıschlägt, zu billigen sel, scheint mir sehr, ja mehr als zweifelhaft. Er willnämlich an die Stelle von gös die, abgesehen vom Accent, ursprüngliche indogermanische Form — das reine Spiegelbild des grieshischen Bocde (Boos), lateinischen bovis, — nämlich gávas (accentuirt nach Analogie von gává, gave, gavi, góbhis göbhyas, göndm) setzen. Dass aber diese noch für die vedische Zeit an- zusetzen sei, scheint mir kaum annehmbar. Zwar will ich kein Gewicht darauf legen, dass, wenn sie ursprünglich an diesen drei Stellen existirt hätte, vielleicht an einer derselben deren regelmässige Sandhiform gávo | bewahrt sein würde; denn es wäre nicht unnatürlich, wenn in dem das Metrum ganz verdunkelnden Vortrag der Recitirer die gewöhnliche, ihnen geläufige Sanskritform gór sich an deren Stelle gedrängt hätte. Allein der Sprung von der ursprünglichen Form gavas zu der gewöhnlichen gés ist zu gross, als dass wir nicht genöthigt wären, eine beide vermittlende Form anzunehmen, und die Vergleichung von avocam u. s. w., mehreren QUANTITÄTSVERS( EN IN D.SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 19 Casus von maghävan, sowie g6s selbst machen es höchst wahrscheinlich, dass der vedischen Zeit nicht mehr gavas, sondern die vermittelnde Form und die daraus hervorgegangene des gewöhnlichen Sanskrit angehören. Es ist nämlich unzweifelhaft dass avocam, vocam u. s. w. für ur- sprüngliches avavacam, varvacam u. s. w. = griech. &-eFenov, &repene, später elnov, eine, Fepenov, Ferne, dann Feinov, Feine, und sinor, eine) stehen; ebenso maghönas u. s. w. für ursprüngliches maghävanas u. s. w. Dass diese Formen dadurch entstanden sind, dass va in ihnen (in avavacam das zweite), wie im Sanskr. so oft, zuerst zu u und dann mit dem vorhergehenden a, wie ebenfalls so sehr oft, zu o contrahirt wurden, wird eben so wenig zu bezweifeln sein. Wir haben also die Folge dvavacam, dvaücam, dvocam, maghävan-, maghaäün-, maghön-. Wir dürfen also auch in Bezug auf das zu besprechende Wort die Folge gavas, gaüs, gós ansetzen, Formen welche zu voc? in avocam u. s. w. gehören kommen 120 mal im Rv. vor; allein in allen ist das vo? einsilbig zu sprechen, also in so vielen Fällen nicht eine Spur der ursprünglichen Form avavacam be- wahrt. Dadurch wird es wenigstens sehr unwahrscheinlich, dass statt der analogen Formen maghön-, gós in den Veden noch die Urform be- wahrt sei. Allein — kann man hiergegen einwenden — sowohl in Bezug auf maghon- als gós zeigen sich wirklich Stellen, in denen das o in ihnen zwei Silben vertritt. Freilich steht die Anzahl dieser Stellen in einem solchen Missver- hältniss zu denen, in welchen es einsilbig ist, dass man auf den ersten Anblick fast, wie oben bei párva daraus schliessen möchte, dass auch für sie nicht erlaubt sei, Zweisilbigkeit anzunehmen: maghon- erscheint nämlich nur an drei Stellen, in denen das Metrum für 0gho° Zweisilbig- keit fordert, nämlich 2mal in Genetiv Sing. maghönas und einmal im Genetiv Dualis maghönos, während es sich 62 mal einsilbig zeigt 1), Ebenso erscheint ode Gen. Si. nur an drei Stellen zweisilbig, während es — Abl. und Gen. Sing. — an 37 Stellen einsilbig erscheint!). 1) Die Stellen findet man bei Grassmann. C2 20. THEODOR BENFEY, Allein genauere Erwägung wird uns überzeugen, dass hier die Sache dennoch ganz anders liegt, als bei parva. Beachten wir nämlich zunächst, dass o im Sandhi durchweg aus a der Zusammenziehung von à und ü entsteht; ebenso bisweilen auch im Ë | einfachen Wort, wie gerade in gós, maghon- und den Vokativen aghos, 7 bhagos, bhos (aus den nach vedischer Weise gebildeten aghavas, bhagavas, _ bhavas von aghavant, bhagavant, bhavant), vermittelst aü? für Cava? ; ferner dass _ o sowohl im Sandhi, als im einfachen Worte fast ausnahmslos ganz so ` behandelt wird als ob es aü wäre — z. B. adhvaryo d wird adhvaryav Sr á, gerade wie pátu á zu pátv á; go mit dem i des Locativ Sing. wird a gavi gerade wie diu mit demselben í zu diví wird — dann werden wir 3 ohne irgend ein Bedenken behaupten!) dürfen, dass dieses o ursprünglich und selbst noch zu der Zeit, als die Sandhi-Regeln sich ausbildeten ` nicht o sondern au lautete. Dann ist aber ein so unbedeutender Unter- schied zwischen der einsilbigen und zweisilbigen Aussprache dieser Com- bination, dass unter dem Druck des Metrums (vgl. d. 1ste Abhandlung in Bd. XIX S. 233 f.2) sich die eine oder die andre mit Leichtigkeit geltend machen konnte. In dem einen Fall sprach man mit enger Ver- bindung beider Vokale gewissermassen «u, in dem andern mit loser ge- wissermassen aü. Für diese Auffassung spricht aber das Verhältniss der zweisilbigen zu der einsilbigen Ausprache in gós. Unter den 37 Stellen, in denen gós einsilbig zu sprechen ist, sind nämlich nicht weniger als 28, in denen es den Schluss eines elfsilbigen Stollens bildet, in welchem das Metrum Einsilbigkeit fordert, wie z. B. IV. 22, 4° & mätärä bharati gushmy $ gór worin gushmy für grammatisch çushm? steht und das lange í wegen des folgenden Vokals kurz zu sprechen ist (vgl. Cåkalya bei Pån. VI. 1. 127. Auch in Bezug auf die 9 übrigen Fälle der Einsilbigkeit liesse sich 1) vgl. auch Whitney zu Ath.-Prätig. I. 40. * 2) Beiläufig bemerke ich, dass die dort gegebnen Beispiele für den Einfluss des Metrums an einer andern Stelle bedeutend vermehrt werden sollen. H QUANTITÄTSY TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 21 ein und das andre bemerken, wodurch die Bedeutung des Missverhält- nisses zwischen 3 zweisilbigen und 37 einsilbigen noch mehr vermindert würde. Allein wenn man mit mir die zweisilbigen Fälle gaür die ein- silbigen gaur spricht, ist die Differenz so gering, dass mir weitre Be- merkungen in Bezug auf die Fälle der Einsilbigkeit unnöthig scheinen. Ebenso sprechen wir natürlich auch maghaunas , maghaundm naghauni, maghaunt, maghaunts , wo der betreffende Lautcomplex einsilbig ist, da- gegen maghaünas, maghaünos in den drei Fällen der Zweisilbigkeit. Grass- mann will in letztren Fällen natürlich ebenfalls maghavanas maghavanos oder gar mit völlig anomaler Dehnung maghävanas, Onos lesen. Zu der letzteren Annahme liess er sich dadurch bestimmen, dass in diesen drei Stellen (Rv. V. 16, 3; 86 3 und IX. 32, I = Sv. I. 5. 2. 5. 1, wo je- doch V. L.) das Wort den Schluss achtsilbiger Stollen bildet, welcher vorwaltend aus einer Dipodia iambica besteht. Doch kann ihm, welcher mit den Veden so genau bekannt ist, schwerlich entgangen sein, dass neben diesem Schluss noch manche andre erscheinen. Der durch unsre Aussprache maghdünah, Onoh entstehende vvv— ist schon von M. Müller (in Rig-Veda-Sanhita. The sacred hymns of the Brahmans, translated etc. I. p. CXV) hervorgehoben und durch mehrere Beispiele belegt. Da demnach das von dem Scholiasten für die Regel angeführte Beispiel Rv. I. 61, 12 nicht passt, verstatte ich mir zwei andere an dessen Stelle zu setzen: zunächst Rv. I. 161, 11, welches auch in den Scholien zu Rv-Prätic. v. 974 benutzt wird. Dieser Stollen lautet in der Samhitä ägohyasya yäd äsastanä a Er gehört einer Jagati an, muss also 12silbig sein; gelesen, wie ihn die Samh. darbietet, hat er aber nur 11 Silben; ferner erscheint statt des langen Auslauts á in asastand im Pada dessen Kürze. Diese Dehnung ist aber im RPr. nicht besonders aufgeführt, also als eine regelmässige aufgefasst; nach dem Samhitä-Text wäre diess aber nicht der Fall; denn danach findet sie sich in der 9ten Silbe. Liest man dagegen Ohya? in agohyasya zweisilbig agohiasya (oder dgohiyasya), so wird der Stollen voll- zählig — 12silbig — und die Dehnung trifft die regelmässige — die 10te 22 THEODOR BENFEY, Silbe. Da schon in der Einleitung zum Sämaveda p. LIV bemerkt in der Abhdlg. über das Suffix ya (Abhdlgen der Kön. Ges. d. Wi XVI S. 91 ff.) weiter ausgeführt ist, dass dieses in den Veden fast stets ia zu RER ist, wie es auch ursprünglich lautete, so erlaube ich mir noch auf ein anderes Beispiel aufmerksam zu machen, welches ich in der Abhandlung über die indogermanischen Genetive auf fans u. 8. W. (Abhdlgn XIX. S. 16) besprochen habe, nämlich Rv. I. 162, 19 = W XXV. 42 = TS. IV. 6.9. 3. Die Samh. lautet: ekas tväshtur äcvasy& vicastä’ da der Stollen aber elfsilbig sein soll und die ungrammatische Län des auslautenden 4 in áçvasyá nach der Ansicht des RPr. eine regel mässige (denn sie wird nicht besonders erwähnt), so ist vor diesem á ein Silbe zu ergänzen. Nach der Vorschrift des RPr. hätte man nun die Wahl ob man tva in tváshtur, oder cva oder sya in dçvasyá zweisilbig lesen will; denn sie passt für alle drei Fälle und es findet sich in de Pr. keine Stelle, aus welcher man entnehmen könnte, auf welchen hier und bei ähnlichen Zweifeln die Vorschrift anzuwenden sei. Der deut- schen Vedenforschung ist es gelungen Regeln zu finden, welche über í Wahl zwar nicht in allen derartigen Fällen, wohl aber in den meisten mit Sicherheit oder theils grösserer theils geringerer Wahrscheinlichkeit eine Entscheidung zu treffen verstatten. Diese Mittel werden einerseits, > wie schon angedeutet, dadurch geboten, dass die vokalische Aussprache von y und v in einigen Wörtern durchweg oder wenigstens sehr häufig, in andern gar nicht oder sehr selten eintritt; andrerseits durch genauere Berücksichtigung des Metrums. An unsrer Stelle würde z. B. das Me- trum allein keine volle Entscheidung gewähren. Denn spräche man | túashtur (tüvashtur), so würde die metrische Form des Stollens sein Eu Er —t— |!— — |o= 5 eine zwar schleppende und nicht sehr häufige, aber doch nach dem heu- | tigen Stand unsrer Kenntniss der Vedenmetrik nicht abzuweisende. Lan | man áçuasyá, dann klänge Ee Stollen em ln - - |ı—— und von Seiten des Metrums würde gar nichts einzuwenden sein; er QUANTITÅTSVERS( TENIN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 23 der Jonicus a minore im zweiten Fuss ist auf jeden Fall der zweithäu- figste, vielleich ebenso häufig, oder selbst häufiger, als der Choriamb an dieser Stelle. Diesen würde uns die dritte Leseweise dçvasiá bieten. Wir würden also hier aus dem Metrum keine Entscheidung ge- winnen; glücklicherweise aber durch das erste Mittel. Denn weder für tva? in dem Thema tvdshtar noch für Pcva® in deva lässt sich eine Voka- lisirung ihres v nachweisen, wohl aber ist die Genetivendung sya — in Uebereinstimmung mit ihrem Ursprung (vgl. die erwähnte Abhandlung über die Genetive auf fans, fas, fa Bd. XIX. S. 14 ff.) — in den Veden noch mehrfach sia (siya) zu sprechen (ebds. S. 16 und 22; mehr Bei- spiele wird die vedische Declination liefern). 8. 5. Wir haben im vorigen Abschnitt nicht die Frage zu entscheiden gewagt, ob in den Fällen, wo y, v zu vokalisiren ist, bloss i, u, oder iy, uv dafür zu sprechen sei. Da die Entscheidung derselben für die richtige Aussprache des ganzen Veda von grösster Bedeutung ist, in Bezug auf den hier behandelten Gegenstand aber — die Quantitätsver- schiedenheiten — nur eine Nebenrolle spielt, so ist hier auch gar nicht der Ort für eine erschöpfende Behandlung dieser Frage. Dass nach meiner Ansicht bloss der Vokal, ohne y oder v dahinter, zu sprechen sei, habe ich schon 1848 in der Einleitung zum Sämaveda und später mehrfaeh, insbesondre in der Abhandlung über das Suffix ya (Abhandl. Bd. XVI S. 125 und sonst), theils angedeutet, theils aus- geführt, und auch Grassmann so wie andre Vedenforscher haben sich für diese Aussprache entschieden. Hier möge mir verstattet sein, nur noch einen bisher nicht hinlänglich gewürdigten Punkt hervorzuheben, welcher mir fast dafür zu entscheiden scheint, dass jene Aussprache die allein berechtigte sei und die mit hinzugefügtem y und v, welche ohne Zweifel dem Einfluss von Volksspradhen, speciell dem Päli oder ver- wandten, zuzuschreiben ist, vielleicht, wenigstens in den als älteste er- kennbaren Hymnen, in einem noch viel weiteren Umfang zu entfernen ist, als man bis jetzt anzunehmen geneigt sein möchte. Die vielen mit dem gewöhnlichen Sanskrit übereinstimmenden Um- 24 THEODOR BENFEY, wandlungen von 7 zu řy, u zu uv vor Vokalen, welche in allen Ved erscheinen, die Schreibart suvita für su-itá (aber im Pada-Text ungetrenn im Rigveda, Sv., der Vs. und TS., so wie im Ath. (vgl. Rv. V.O, DS Sv, IL 3: i 6-1 = VS. XV. 27 = TS: IV. 4. 4. 2; Rv VET — VS. XXXIII. 69 = TSI. 4-24; Rv: VIL 35, 1 = VS XAS it = Ath. XIX. 10, 1; Be, IX. 41, 2 = Sv. IL 3. 1. 3. 2; Bv J 86,21 — Ath: X. 126; 21; Rv. X. 148, 1 = Sv. L 4. 1. 3. 4); G neben in der VS. V. 5 svité in der Mâdhyandina Recension, wofür ` aber die Känva ebenfalls suvité liest!) ; endlich die häufige Schreibweise ` iy und w in der TS., wo die andern Veden y und v haben (vgl. auch Sv. I. 3. 1. 5. 6 sudrúvam wo Rv. VII. 32, 20 sudrvam hat) — aber e auch umgekehrt blosses y, v, wo in den andern iy, uv (vgl. Weber Ind. : Stud. XIII. 104 ff.) — zeigen, dass der Uebergang von í ü in iy, uv zur S Zeit der Diaskeuase in mehreren Fällen existirte und von den Gewährs- männern derselben in diesen gesprochen ward; wir können daraus folgern, dass, wo er in der Diaskeuase nicht erscheint, er auch von den Ge- = währsmännern derselben nicht gesprochen ward, dass demnach im Rig- | : veda in allen den hieher gehörigen Fällen, wo ein y oder v zu vokali- \ siren ist, nicht iy oder uv dafür eintreten darf, sondern nur der ent- _ sprechende Vokal. Diesen haben die Diaskeuasten — nachdem ihre Vortragsweise das Metrum ganz verdunkelt hatte — der im Sanskrit herr- ` schend gewordenen Scheu vor Hiatus gemäss, durch Synizese in Ueber- _ einstimmung mit dem Sanskritgebrauch einfach in die entsprechende LES quida übergehn lassen. Wir lesen also unbedenklich in Rv. L 161, 11 udvátsu asmá, nicht udvátsuv asmá und ebenso mitten im Worte z. B. _ Rv. IV. 18, 5", wo die Samhitä lautet 1) Ich würde auch die auf den ersten Anblick so sehr einnehmende, auf we: 3 Fall höchst geistvolle, Auffassung von suwrikti als eine Zusammensetzung von st- 5 mit hinter ú vor dem Vokal ri, wie in suv-itá, entwickeltem v, welche im Ptsburget — Wörterbuch gegeben wird, anführen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass aus Dr, ` L 116, 1 barhiriva prá vrinje stömän ‘wie einen Opferteppich streue (ordne) ich meine Loblieder aus (an) mit Entschiedenheit gefolgert werden muss, dass sie irrig und die indische Auffassung als su-vrikti von varj die richtige sei. QUANTITÄTSVERSCHIEDENHEITEN IN D.SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 25 Indram mätä’ viryenä nyrishtam, damit die Dehnung des Auslauts in viryend (Pada: viryena) an die rich- tige Stelle — die Ste Silbe des elfsilbigen Stollens — gelange und der Stollen seine volle Silbenzahl erhalte Indram mätä’ viríenâ nirishtam, nicht wie das RPr. 974 vorschreibt Undram mä viriyenä niyrishtam. Diese Umwandlung ist, wie bemerkt, Folge des Einflusses von Volks- sprachen, welche die gewöhnliche Sprache einiger Recitirer und Ver- fasser des Präticäkhya waren. §. 6. Hätten die Verfasser des Rv-Pr. vollen Ernst mit den in 527; 973; 974 gegebenen Regeln gemacht, dann würde auch eine beträchtliche Anzahl von Fällen unter der allgemeinen Regel begriffen gewesen sein, und keiner besonderen Erwähnung bedurft haben, welche in dem Präti- gäkhya besonders aufgeführt werden, also von ihnen so aufgefasst wurden, als ob sie nicht unter die allgemeine Regel gehörten. Einer der Art ist schon am Schlusse des letzten Paragraphen mit- getheilt, nämlich Rv. IV, 18, 5’. Der Vers ist als Trish/ubh in dem Anukrama erkannt, muss also der Regel nach im Stollen elf Silben haben; er hat eine nicht grammatische Länge im Auslaute des dritten Wortes, welche der Regel nach nur in der 8ten oder 10ten Silbe elf- silbiger Stollen eintritt. Zählt man nun die Silben in der Samhitä-Ge- stalt, dann hat der Stollen nur deren neun. Wendet man aber das in 527; 973; 974 für unvollzählige Verse vorgeschriebene Verfahren an, so erhält man durch Auflösung von viryend in víríená zunächst die richtige Stelle für die ungrammatische Dehnung — nämlich die Ste Silbe —; ferner durch Zurückführung der Sandhi- Verbindung von nyrishtam auf die ursprüngliche Form nirishtam die volle Silbenzahl des Stollens — nämlich elf. Dass den grossen Kennern des Rigveda, welche das Prätigakhya abgefasst haben, diess entgangen sei, ist nicht anzunehmen; im Gegen- theil zeigt die Regel über Dehnung in viryend (R-Pr. 442) recht deut- Histor.-philolog. Classe XX. 1. D 26. THEODOR BENFEY, lich, dass es ihnen bekannt war; denn sie lehren hier dass viryöna seinen Auslaut ekäkshare pade kshaipribhävye dehnt, d. h. wenn ein einsilbig Wort folgt (hier ní), welches seinen Auslaut (hier) den Sandhiregeln mäss vor einem Vokal (hier ri) in seine Liquida (hier y) verwandelt hat; nach r. 527 wird aber gerade in diesem Fall (kvhaipra — bhávinám)” die Silbenzahl durch Aufhebung der Liquidirung vervollständigt. T Es scheint mir, dass sie sich zu ihrer Darstellung dadurch bestimmen liessen, dass sie andern Falls gegen die allgemeine Ausnahme, dass keine metrische Dehnung vor folgender Position eintrete (r. 465 = VIT. 19. | und dazu Uvata, s. Regnier II, 18) eine Ausnahme zu dieser Ausnahme hätten aufstellen müssen, wonach sie bei Auflösung derartiger Consonan- “ tengruppen nicht gelte (das ny in nyrishitam keine Position mache, — weil des Wort nirishtam zu lesen sei). Dann wären sie aber wieder ge nöthigt gewesen, eine neue Ausnahme zu dieser Ausnahme aufzustellen, nämlich für Fälle wie Rv. I. 96, 4°, wo die Samhita lautet | vidad gätum tänayäya svarvit. SE Auch dieser Stollen muss ein elfsilbiger sein, ist aber in der Sam- = hitä-Form nur zehnsilbig. Zur Vervollständigung der Silbenzahl ist statt > svar? ; wie fast ausnahmslos, suar? (in der ST. stets suvar) zu sprechen. E Dann ist aber das auslautende ya in tanaydya die Ste Silbe eines elf- S silbigen Stollens und müsste nach der allgemeinen Regel seinen Vokal 2 dehnen, was in der Samhitå nicht der Fall ist. 2 Ueberhaupt war ja die Aufgabe der Präticäkhya’s eine rein prakti- ` sche; in dem hier in Betracht kommenden 7ten 8ten und 9ten Capitel ` des R-Pr. kam es einzig darauf an, genau and auf eine dem Gedächt ` niss leicht fassbare Weise die Quantität ‘sdenheiten zwischen det Sambitä- und Pada-Text aufzuführen, und es lässt sich kaum verkennen, S dass das indische Verfahren wenige Hauptregeln zu geben und im übri- 5 . gen sich der alten empirischen Weise anzuschliessen eher zur Erreichung 7 dieses Ziels geeignet war, als eine Häufung von Ausnahmen Zü Au 5 nahmen u. s. w., welche nur verwirrend gewirkt haben würde. | | Für uns jedoch giebt es keine andre Rücksicht als die Erkenntnis ` der Thatsachen und deren Gründe. Wir betrachten demnach alle Fälle QUANTITÄTS NHEITEN IN D. SA MHITÄ- U. PADA-TEXTENETC. 27 nach Analogie von IV. 18, 5’ als regelmässige, haben sie jedoch — da- mit in diesen Abhandlungen alles zu finden sei, was die Präticäkhya’s besprechen — ebenfalls besonders aufgeführt und zwar in demjenigen alphabetischen Verzeichniss, welches den XV Abschnitt bilden wird. Sie finden sich daselbst unter den Wörtern: dtra, adya, u, ritina, kd'vyena, kira, krinutha, gha, cakrimd, jaya, tanvi, drävaya, dhdnva und dhanva. dhäraya , piprita, bibhritd, bhaja, bhara, mada, mahaya, munca, muncata, yacchata, ruhema, vanuyáma, vaha, viryena, sana. Die Fälle dagegen, welche, wie der schon oben erwähnte Rv. L 96, 4’, dann als Ausnahmen zu betrachten sind, hab ich für das erste nicht berücksichtigt; vorzugsweise, weil die Beurtheilung derselben ganz und gar von einer genaueren Kenntniss der Vedenmetrik bedingt ist. So wird sich in einer nächstens zu veröffentlichenden Arbeit ("Beiträge zur Vedenmetrik. lte Abhandlung: Der zweite Fuss der elf- und zwölf- silbigen Stollen im Rigveda’) ergeben, dass eine Kürze der Bien Silbe dieser Stollen so überaus selten vorkömmt, dass man fast zweifeln darf, ob sie überhaupt ursprünglich an dieser Stelle erlaubt war. Dieser Zweifel erhält um so grössere Berechtigung, da in vielen — ich glaube in den meisten — Fällen, in denen der überlieferte Text bei richtiger Lesung eine kurze Silbe zeigt, sich die Entstehung derselben aus einer ursprüng- lich langen erklären lässt; doch wage ich keine Entscheidung dieser Frage ehe ich, in gleicher Weise wie die des 2ten, auch die metrischen Formen des 3ten Fusses der zwölf- und elf-silbigen Stollen, so wie die des 2ten der achtsilbigen vollständig vorgelegt haben werde, was ich in der zweiten und dritten Abhandlung jener Beiträge zu thun beabsichtige. Ist jener Zweifel berechtigt, dann werden wir, wenn keine bedeu- tende Gegengründe in einzelnen Fällen dagegen sprechen, z. B. Rv. I. 96, 4 tánayáyá suarvit lesen; ebenso VII. I, 18° surabhi'ni (statt surabhfni) viantu, ja selbst, trotzdem dass auf den zu dehnenden Vokal nicht ein Con- sonant, sondern Vokal folgt, I. 36, 16» jahi drävanah (statt jahi, in der Samh. jahy árávnah). Doch diese Untersuchung ist, wie gesagt, an einem andern Orte vollständig zu führen. D2 28 THEODOR BENFEY, H : Die neuere Forschung hat festgestellt, dass die Leseweise der Veden auch in manchen anderen Fällen, welche den indischen Vedenforschern 2 entgangen sind, von dem Texte der Samhitä sich zu entfernen hat, ` Durch Anwendung dieser Resultate werden manche Dehnungen zu re- _ gelmässigen, welche die Vf. des Präticäkhya besonders erwähnen, also als unregelmässige betrachten. So z. B. ist die Endung des Gen. pl. ` dm nicht selten zweisilbig zu sprechen. Dadurch erklärt sich adhá (für ` ` ádha) in Rv. V. 52, 3° (vgl. RPr. 463). Der Samhitä-Text lautet Marütäm ädhä mäho S es ist ein Anushfubh- Stollen muss also achtsilbig sein, ist aber in der 4 Samhitä nur siebensilbig und die Dehnung in Odhá fällt in die Ste Silbe ` Liest man aber Marútám viersilbig, so hat der Stollen seine volle Silben- ` zahl und die Dehnung fällt auf die der Regel entsprechende — die 6te — Silbe. ` ` Ebenso ist die Endung án des Acc. pl. msc. der Themen auf a bisweilen zweisilbig zu lesen (vgl. z. B. deván VIII. 75 (64), 2; X. 12,2). Der dritte Stollen in X. 61, 27 lautet nun in der Samhitä yé väjä» änayatä viyänto es ist ein Trishtubh-Stollen, muss also elf Silben haben; in dieser Form hat er aber nur zehn und die Dehnung des "tá in dnayatä (Pada : dnayata) fällt auf die 7 Silbe; das Präticäkhya betrachtet sie demnach als un- regelmässig und führt sie besonders auf (in r. 517). Liest man vájás aber dreisilbig dann wird der Stollen vollzählig und die Dehnung tritt ? auf die regelmässige, die Ste Silbe. : Ich darf jedoch nicht unbemerkt lassen, dass dasselbe sich auch durch eine andre Leseweise ergiebt, welche hier wegen des 4ten Stollens vielleicht sogar vorzuziehen ist. Das Pronomen relativum ya ist nämlich _ mehrfach id zu lesen (vgl. ids X. 16, 8 — Ath. XVIII. 3, 53; tád 1 6, 11513; 15 = Ath. XX. 35, 11; Lë: 16: iena 1. 61,6 = Ath XX, 35, 6; Rv. VI. 17, 10); liest man demgemäss hier dé statt yó, so ist ` es nicht nöthig vájá» dreisilbig zu sprechen; für ió in diesem Stellen spricht aber der Umstand, dass im Aren Stollen, welcher in der Samhitå lautet: ` QUANTITÄTSY NHEITEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 29 yé sth’ nicetä ro ämüräh auf jeden Fall ié gelesen werden muss; auch das folgende sth4', dessen 4 ebenfalls eine ungrammatische Dehnung ist (Pr. 502), ist zweisilbig zu sprechen, oder hat wenigstens den Werth eines zweisilbigen Wortes; dann erst wird der Stollen vollzählig. In der ’Einleitung in die Grammatik der vedischen Sprache‘ (Ab- handlungen XIX. 155 n. ff.) ist nachgewiesen dass, wo die Samhitä in Uebereinstimmung mit dem phonetischen Gesetz des Sanskrits suván9 hat, grösstentheils svdn® zu sprechen ist. Unter den angeführten Fällen ist auch X. 35, 2? aufgezählt, wo die Samhitä lautet bhadräm sömah suvånó adyä’ krinotu nah. Der Stollen gehört einer Jagati an, musste also 12 Silben haben; nach dem Samhitä-Text gelesen enthält er aber 13 und die Dehnung des auslautenden á in adyd’ (Pada: adya) fällt in die 9te Silbe. Liest man dagegen svánó, dann ist die Silbenzahl des Stollens die richtige — nämlich 12 -— und die Dehnung tritt der allgemeinen Regel gemäss in die 8te Silbe. Hätten die Verfasser des Prätic. diese Lesung gekannt, oder gelehrt, dann würden sie diese Dehnung in adyd’ nicht nöthig ge- habt haben besonders aufzuführen (in r. 453. 454). Ferner ist es jetzt bekannt, dass der in dem Zitterlaut r ruhende Vokal sich nicht bloss, wie diess auch von den Indern erkannt ist, hinter ihm vor folgenden Consonanten geltend macht, sondern auch, was ihnen entgangen zu sein scheint, vor ihm bei vorhergehenden Consonanten. In beiden Fällen wird er — was von den indischen Grammatikern nicht be- merkt zu sein scheint, wenigstens, soviel mir bekannt, nirgends von ihnen angemerkt wird — bisweilen so mächtig, dass er eine metrische Silbe bildet. So ist diess z. B. überaus häufig in dem Gottesnamen Indra der Fall, welcher dadurch dreisilbig, etwa /ndara zu sprechen, wird (vgl. Grassmann Wörterbuch des Rv. S. 214). Wenden wir diese Aussprache in Rv. IV. 16, 21 an, dessen erster Stollen in der Samhitä lautet nů’ shtutá Indra nů’ grinänä und lesen das erste nd, wie es oft gelesen werden muss, zweisilbig, oder vielmehr als zwei Wörter nd’ u (vgl. Grassm. a. a. O. 746), dann er- 30 THEODOR BENFEY, halten wir für den Stollen, welcher als Trishtubh Ilsilbig sein müsste, 4 in der Samhitä aber nur 9 Silben hat, und die ungrammatische Länge im _ 2ten nú (Pada: nú) in der 6ten Silbe, sowohl die volle Silbenzahl als ` auch die regelmässige Silbe — nämlich die Ste — für die Dehnung, so _ dass von diesem Standpunkt aus auch diese Dehnung unter die allge- meine Regel fällt und keiner besonderen Erwähnung bedurft hätte, Grassmann liest (S. 746) diesen Stollen zwar anders, nämlich nú u shiutä Indra nú u grinänä; dadurch erhalten wir aber in der Sten Silbe die so sehr gemiedene Kürze. Man könnte dann zwar, mit Anwendung der allgemeinen Regel, u dehnen und erhielte dann als zweiten Fuss den ziemlich häufigen — v——, oder vor diesem — da hier kein Grund zur Dehnung von nú vorliegt — nú lesen, wodurch sich der häufigste Fuss —vv — ergäbe; allein, obgleich ich die letzte Leseweise, bei welcher die Dehnung ebenfalls an die rich- tige Stelle kommen würde, nicht als unzulässig erweisen kann, scheint mir doch die zuerst vorgeschlagne nü u shiutä Indara nú grinanä die einfachste und, weil nicht so klaffend (hiatusvoll), rhythmisch am meisten passende. Dass ich nú u im Anfang schreibe geschieht, weil nú im Anfang eines Stollens stets lang — und zwar selbst vor Position (Pr. 465) und Vokalen (vgl. Pr. 174 und Rv. I. 132, 4; VII. 19, H 2 Ath. XX. 37, 11 und Rv. VIII. 24, 11) — erscheint. Schliesslich ist in der lsten Abhandlung Bd. XIX S. 246 ff. darauf aufmerksam gemacht, dass der Visarga im Veda nicht selten spurlos verschwunden ist und der ihm vorhergehende Vokal mit dem das fol- gende Wort anlautenden zusammengezogen wird. Lesen wir demgemäss in I. 133, 6°, wo die Samhitä | avär mahä Indra dädrihi crudhi’ nah lautet, mahendra (Pada: mahdh | Indra), dann ist der Stollen elfsilbig _ und die Dehnung in dhi fällt auf die der Regel entsprechende j0te Silbe. Beiläufig bemerke ich, dass M. Müller in der Vorrede zu seiner Uebersetzung p. CXLVIII dieselbe Silbenzahl durch eine Art Synkope oder Ekthlipse, oder, wie er es nennt, Synizese von mah QUANTITATSVERS( TEN IN D. SA MHITAÅ- U. PADA-TEXTEN ETC. 31 zu einem einsilbigen Wort herbeiführen will; ich kann mich jedoch von der Berechtigung derartige Umwandlungen vorzunehmen nicht überzeugen. Sie ist weder durch eine heimische Ueberlieferung noch Analogien in der Samhitä — wie deren mehrere in Bezug auf die spurlose Einbusse des Visarga, des Uebergangs von ah in á von mir nachgewiesen — gestützt; auch lassen sich die Stellen, deren Metrum M. Müller durch diese Le- seweise herstellen will, theils auf andre durch Ueberlieferung geschützte Weise sprechen, theils gehören sie mit nicht wenigen andern zusammen, welche durch die Recitirer corrumpirt sind. ie Corruption des ursprünglichen Textes ist überhaupt durch Einflüsse, welche wir an einem anderen Orte in Betracht ziehen werden, bis zu der Zeit der Diaskeuase nicht zu vermeiden gewesen und natürlich in nicht wenigen Stellen von dieser selbst in gutem Glauben fixirt. Wären wir im Stande sie aller Orten zu erkennen und den Urtext zurückzuführen, so würden sich wahrscheinlich auch sonst noch manche Dehnungen als regelrechte erweisen, welche die Verfasser des Präticäkhya besonders angemerkt haben; so z. B. lautet X. 78, 8.» subhägä’n no deväh krinutä surätnän asmänt stotri'n maruto väyridhänäh. Die Dehnung von %ä4 in krinutå ist Pr. 517 besonders angemerkt; denn im Samhitä-Text fällt sie auf die 9te Silbe des Stollens, welcher zwölf Silben hat. Trotz dieser 12 Silben wird der Vers in dem Anu- krama als Trishtubh bezeichnet und, wie die übrigen drei Stollen und der rhythmische Schluss dieses zwölfsilbigen zeigen, mit vollem Recht. Denn die übrigen drei sind elfsilbig und der Schluss des zwölfsilbigen ist nicht v—v—, wie regelmässig in den 12silbigen, sondern v——, wie regel- mässig in den elfsilbigen. Beachten wir nun, dass inihm no ganz über- flüssig ist, da asmán im 2ten Stollen vollständig genügt, und seine Bedeutung bestimmter hervortreten lässt, so werden wir unbedenklich uns berechtigt fühlen, es zu streichen; dann wird der Stollen ein regelmässiger elfsil- biger mit der vorherrschenden Cäsur nach der Sten Silbe und die Deh- nung in Otá fällt, der allgemeinen Regel gemäss, in die Ste Silbe. 32 THEODOR BENFEY, Einen wohl unzweifelhaften Fall von Corruption — vielleicht g willkürlicher Aenderung ohne Gefühl für Metrum und Rhythmus — bi det VS. XXVII. 21 = TS. IV. 1.8. 3. Hier lautet die Samhitä vänaspate va srijä räränas tmänä deveshu agnir havyä, gamitä’ südayäti 18 mit unregelmässiger Dehnung des 4 in srijá, wo Pada srija hat (vgl. VPr. HT. 128; TPr. III. 12). Vergleichen wir!) Rv. IV. 10, 10 a. und b, welche lauten S vánaspaté va srijópa devå'n agnir havih camità' südayäti, so ist die wesentliche Uebereinstimmung unverkennbar. Der Hauptun — terschied beruht darin, dass die VS. und TS. noch ein tmanä deveshu zeigen, Sr | von welchem der Rigveda keine Spur hat. Lösen wir diese beiden Wörter ab, so bietet, abgesehen von in Bezug darauf unerheblichen Varianten, a die VS. und TS. gerade wie der Rigveda zwei elfsilbige Stollen — denn E dass das hinter vánaspate abgefallene anlautende a des folgenden Wortes ` | áva zu sprechen ist, ist bekannt, schon oben ($. 3.) berührt und wird ` ? eingehend in der Abhandlung ’über anlautendes a hinter auslautenden ` o und e’ behandelt werden. Der erste Stollen unterscheidet sich vom E Rigveda dadurch, dass er die Leseart srijá ráránas hat, während Rv. 2 statt dessen srijópa der n bietet; der zweite dadurch, dass er das gleich- ` bedeutende havyam statt havis bietet. Es sind das augenscheinlich Vá: 7 rianten, wie sie sich auch sonst in Versen zeigen, die in dem Rv. und einem oder mehreren der andern Veden zugleich erscheinen. Denn wie — die Diaskeuasten des Rv. den für die zuverlässigsten Autoritäten gehal- | tenen Reecitirern des Rv. folgten, so die der übrigen den Ueberlieferem ` von diesen. Es war aber nichts natürlicher als dass sich in der langen : Zeit, welche bis zur Diaskeuase verflossen war, theils unabsichtliche theils — absichtliche Veränderungen der ursprünglichen Fassung bildeten. Streichen wir demnach tmáná devéshu in der VS. und TS. dann- S bietet uns deren Leseart 3 1) Diese Vergleichung fehlt in Weber's Ausgabe der TS. QUANTITÄTSVERS( TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 33 vänaspat& va srijä räränah gesprochen vänaspate Aen srijä räränah einen regelrechten elfsilbigen Stollen, in welchem die Dehnung des aus- lautenden a von srija der Regel gemäss auf die Ste Silbe fällt. Welche Leseart die bessere sei, will ich hier nicht entscheiden und nur bemerken, dass mir manche Momente für die der VS. und TS. zu sprechen scheinen. Allein, wird man einwenden, die VS. und TS. giebt ja ihre Lese- weise als einen ganzen Vers, welcher in der Sarvänukramani der VS. als ushnig vishamapdda bezeichnet wird (Weber Ausg. der VS. Appendix p. LXIX). Danach bestände er, nach der Samh. gelesen, aus einem Stollen von 7, einem von 8 und einem von 11 Silben, oder, da statt va im ersten ava zu lesen, wäre er vielmehr eine fast regelmässige ushnih. Allein gerade dadurch verräth sich die willkürliche Einschiebung von tmand deveshu. Denn alsdann tritt die Dehnung des a in srija an das Ende eines (hier des ersten) Stollens und in dieser Stellung finden sich Dehnungen, wie ich schon in den ’Nachrichten von der Königl. Ges. d. Wiss. u. s. w. zu Göttingen ’1874 Nr. 10. S. 244 bemerkt habe, höchst wahrscheinlich nur dann, wenn die Länge der ursprüngliche grammatische Auslaut war, welcher sich hier bisweilen erhielt; diess ist aber bei srija nicht der Fall; hier ist kurzes a der ursprüngliche Auslaut. Wir können also sagen, dass sich trotz der Erweiterung des ursprünglich 11 silbigen Stollens zu 2 Stollen von ursprünglich 8 Silben, glücklicherweise die Dehnung behauptet hat, um den ursprünglichen 11silbigen Stollen und den willkürlichen Zusatz von tmáná deveshu verrätherisch kund zu geben; einen ganz ähnlichen Fall bietet TS. I. 8. 3. 1 im Verhältniss zu VS. III. 45. Uebrigens sind derartige metrische Differenzirungen ursprüng- lich identischer Verse in den verschiedenen Veden keinesweges ganz selten. Sie werden ihre Behandlung in den Beiträgen zur Vedenmetrik finden. 9 Dass auch in diesen Quantitätsverschiedenheiten die gedehnte Form -~ nicht immer durch das Metrum hervorgerufen, sondern nicht selten die ursprüngliche und nur durch das Metrum bewahrte ist (vgl. Iste Abhdl. Histor.-philol. Classe. XX. 1 E 34 THEODOR BENFEY, Bd. XIX. S. 246),bedarf kaum einer Bemerkung. Dass diess z. B. in Bezug auf ady@ (für ursprüngliches a-divá') der Fall ist, ist schon in der Abhdlg über fans u. s. w. Bd. XIX, S. 59. 60 n. bemerkt. Auch in arca Rv. III. 54, 2°, für welches der Dada "Test arca giebt, ist das ; auslautende á nicht metrische Dehnung, trotzdem es der Sten Silbe 28 eines elfsilbigen Stollens angehört, sondern wie me zeigt, die Vedische ` | Form für arcäni; ebenso in ríradhá (Pada: riradha) Rv. X. 30, 1 und ` | brand (Pada brava) Rv. X. 39, 5 u. s. w. (vgl. Abhdl. I. S. 262). ? Dass yodháyá Rv. UL 46, 2 (Pada: yodhaya) für grammatisch yo- 7 dhayas stehe ist ebendaselbst S. 261 bemerkt. hð In diesem Abschnitt auf die hieher gehörigen Erscheinungen näher ` einzugehen würde jedoch zu keiner Entscheidung führen, da in allen / zu ihm gehörigen Fällen das Metrum unzweifelhaft auch ursprüngliche ` Kürzen zu dehnen vermochte. E x 10. = Von der in §. 1 gegebenen allgemeinen Regel treten folgende Aus nahmen ein: S 1. In der Taittiriya-Samhitä findet keine Dehnung Statt, oder genau gesprochen, sie wird wieder aufgehoben, wenn das Wort, welches sie im Verse hatte, das Ende derjenigen Abtheilungen, kandik4, eines Anuväka ; bildet, welche je 50 Wörter umfassen (vgl. Whitney zu TPr. 1. S. 83). S So z: B. lautet Rv. IX. 96, 11 va XIX. 53 "2 virebhir áçvair maghävä bhavä nah mit regelrechter Dehnung des auslautenden a in bhava, weil es der 10ten Silbe eines elfsilbigen Stollens angehört, In der TS. dagegen, wo dieser Stollen II. 6. 12. 1—2 erscheint, lautet er virebhir ägyair maghävä bhava I| 1. || nah ||. = Whitney führt p. 83 als Beispiel I. 3. 6. 1—2 an, wo die TS, 7 ebenfalls mit Kürze liest E té te dhë'måny ucmasi || 1 || gamádhye während das TPr. in II. 13 für diese Stelle urmasi mit Dehnung des Auslauts vorschreibt. Whitney schliesst daraus ‚ dass das Prätigäkhy® ; die kandiká's ignorire. SE Ð QUANTITÄ TENIND.SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 53 In der That würde nach der allgemeinen Regel der Auslaut von ucmasi im unzerrissenen Verse gedehnt sein müssen, da er in die 8te Silbe eines elfsilbigen Stollens fällt. Allein der Vers, welchem dieser Stollen angehört, entspricht trotz einiger Varianten Rv. I. 154, 6 und der VS. VI. 3 a. In diesen erscheint aber ucmasi ebenfalls mit kurzem Auslaut, und, wie im Rv. Pr. 532 diese Kürze ausdrücklich unter den Ausnahmen von der allgemeinen -Regel angeführt wird, so fehlt in dem VPr. eine Regel für Dehnung dieses i. Sollte demnach eine Grundlage der TS. in unzerrissenen Versen existirt haben, in welcher im Gegensatze zum Rv. und der VS. dieses i gedehnt gewesen wäre? Der Fall wäre dem in Bezug auf vi ($ 15 unter vi) ähnlich, wo wir im Sv. die regel- mässige Dehnung finden, während sie im Rv. durch das Prätic. verboten ist. Wenn wir in diesen Fällen ein Moment für die Annahme erblicken dürfen, dass es Ueberlieferungen gab, in denen nicht diese Ausnahmen, sondern die allgemeine Regel galt, dann kann dadurch die schon oben ($ 6 zu Ende) angedeutete Berechtigung die allgemeine Regel weiter auszudehnen, als die Präticäkhya’s verstatten, nur noch verstärkt werden. $. 14 2. Ueberhaupt tritt, wie schon bemerkt, keine Dehnung ein, wenn das folgende Wort mit einer Consonantengruppe beginnt, also die vor- hergehende auslautende Kürze durch Position den Werth einer metrischen Länge erhält. Scheinbare Ausnahmen von dieser Ausnahme sind $ 6 besprochen. Eine, welche auf den ersten Anblick, wie eine wirkliche aussieht, bietet dagasyáthá Rv. VIII, 20, 24, vorgeschrieben durch Rv. Pr. 519. Der Stollen ist achtsilbig und lautet y&bhir dagasyäthä& krivim. Die Dehnung des a (Pada: dagasyatha) fällt in dessen 6te Silbe, würde also regelmässig sein, wenn nicht Position folgte. Aber auch hier ist die Ausnahme nur scheinbar. Es giebt drei Mittel, sie zu erklären. Zwei derselben scheinen mir hier nicht nöthig und es würde zu weit führen, sie hier auseinanderzusetzen. Sie werden in den folgenden Abhandlungen über die Quantitätsverschiedenhei- ten und in den Beiträgen zur Vedenmetrik hervortreten. Ich beschränke E2 36 THEODOR BENFEY, mich daher hier darauf das dritte anzugeben, welches wohl auch all mein als das richtige anerkannt werden wird. Es Es ist bekannt, dass neben ri nicht selten der Vokal ri erscheint, ` so z. B. rishti und rishti, rigya und rigya, riktha und riktha; auf diesem — Verhältniss beruht im Wesentlichen auch der Uebergang von ri in trí S in riin tritfya; ebenso erklärt sich daraus, nicht aus der hier anomalen An- ` knüpfung durch i, das vedische Ptcp. Pf. red. von var nämlich var. vans 1), statt vaurivdns (wie cakrivdns, jägrivans, dadrivans , mamrivans, ` sasrivans. Von dem hier in Betracht kommenden Worte erscheinen nun gerade beide Formen krivi und Arivi und zwar in dem alten ` Vedenglossar dem Naighantuka III. 23; ausserdem hat der Säma- _ veda an den zwei Stellen, in welchen sich dies Wort in ihm findet, die Form mit dem blossen Vokal, während der Rv. an den entsprechen- den Stellen und sonst stets die mit dem Consonanten und (í zeigt. Jene beide Stellen sind I. 20, 1 = Sv. I. 3. 1. 3. 1 und Rv. I. 17, 6 = Sv. H. 6. 3. 18. 3. Die andern Stellen, in denen krwi im Rv: vom kommt, sind V. 44, 4; VIII. 22, 12; 51 (Vál. 3), 8; 87 (76), 1; IX. 9, 6. In allen ausser der uns beschäftigenden verstattet des Metrum beide Leseweisen. In II. 17, 6 entsteht zwar der häufigste Fuss, der Choriamb, wenn man die Position durch Lesung von kri? aufhebt, allein auch der bei der Position entstehende Epitritus secundus (zu lesen ——v—) ist keinesweges selten. Wenn man in krivirdati I. 166, 6 das erste Glied Arivis = krivi nimmt, erhalten wir freilich auch eine Stelle, wo das Metrum den Consonanten schützt; denn hier ist für den Auslaut des vorhergehenden Wortes rddati nachfolgende Position noth- wendig, da dessen i der 8ten Silbe angehört und der Stollen zwölfsilbig ist, so dass es, wenn nicht Position folgte, hätte gedehnt werden müssen. Uebrigens ist es bei der Fülle von Inconsequenzen in der Samhitä des Rv. die sich mit Leichtigkeit aus der Verschiedenheit der Zeit, des Ortes, der Verfasser und endlich Corruptionen erklären, gar nicht noth- wendig, eine und dieselbe Aussprache dieses Wortes für alle Stellen, in denen es vorkömmt, anzunehmen; auch konnte bei der unzweifelhaft 1) Grassmann S. 1322 hat irrig vavrivdns (bei ihm vavrvás geschrieben). QUANTITÄTS TEN IN D. SAMHITÄ-U.PADA-TEXTENETC. 37 einst sehr ähnlichen Aussprache von ri und ri selbst ein und derselbe Dichter je nach dem Bedürfniss des Verses bald die eine bald die andre gewählt haben. Nach allem diesen dürfen wir wohl unbedenklich an- nehmen, dass in unsrer Stelle Rv. VIII. 20, 24 Arivim mit Vokal ri zu sprechen sei. Dadurch fällt die Position weg und die eingetretene Deh- nung des auslautenden á davor ist eine ganz regelrechte. $. 12. 3. Die Dehnung fehlt ferner, wenn in der Samhitä die folgende Silbe natura oder positione lang ist (RPr. 523, 525 und 526). Bemerkung 1. Wie in $ 1 ist auch hier natürlich die Samhitä, nicht der Pada-Text massgebend; so z. B. hat Rv. X. 56, 1° der Pada- Text in der neunten Silbe te vor dem schliessenden “kam; in der Sam- hitä& wird es aber, den Sandhi - Regeln gemäss, zu ta und hindert also nicht dass das vorhergehende u des Pada in der Samhitä zu ú wird. Umgekehrt hat Rv. X. 77, 2 der Pada vavridhuh, die Samhitä aber vävridhuh; das diesem vorhergehende a in na bleibt demnach kurz; doch liegt der Grund nicht darin, sondern, wie wir noch in diesem N sehen werden, im Metrum. Bemerkung 2. Diese Ausnahme wird sich fast durchweg durch die genauere Kenntniss der vedischen Metrik erklären. Doch auf eine überzeugende Weise kann diess erst in den Beiträgen zur vedischen Me- trik geschehen. Ich beschränke mich daher hier auf die Betrachtung der zum Präticäkhya gegebenen Beispiele. Für die 6te Silbe in einem 3silbigen Stollen wird in Pr. 526 an- geführt Rv. IX. 67, 30°; da c, weil der Vs puraüshnih ist (cid ist wohl darin zu streichen), auch dazu gehört, füge ich es ebenfalls bei. Sie lauten in der Samhitä & pavasva deva Soma | äkhüm cid evá deva Soma |]. Das auslautende a in deva fällt in die 6te Silbe, ist aber nicht gedehnt, weil das folgende so natura lang ist. Der wirkliche Grund ist, dass hier statt des gewöhnlichen Schlusses ein trochäischer oder Epitritus secundus (—v— ð, oder —v——) ein- getreten ist, was sehr häufig vorkömmt. Eine beträchtliche Anzahl Bei- 38 <: THEODOR BENFEY, spiele dafür hat M. Müller in seiner Uebersetzung des Rigveda (T. Preface CXVI ff.) gegeben, welche sich noch bedeutend vermehren] Für die Ste in einem Ilsilbigen Stollen wird Pr. 523 gegeben Be, V. 33, 4 vrishä samätsu däsäsya nä ma cit. Das auslautende a in däsdsya gehört der Bien Silbe eines Wës Stollens an, bleibt aber kurz weil das folgende ná? lang ist. Das Metrum dieses Hymnus hat mehrere Eigenthümlichkeiten; i 1° ist der erste Fuss entweder nur dreisilbig oder man muss ió 8 yó, oder asmäi statt asmai lesen; in 2 ist der 2te Fuss nur dreisilbig; ebenso in 5° und in 7°; zugleich ist in 7° der Schluss scheinbar vvvë, aber in Wirklichkeit v— vi; denn ir wird, wie ich in den Beiträgen zeigen werde, sehr häufig lang gebraucht. Elfsilbige Stollen haben SE sehr häufig als 2ten Fuss nur 3 Silben und zugleich als 3ten v—v-”. Diesen Versbau hat, um hier nur ein Beispiel zu geben, fast der ganze 11te Hymnus des 10ten Mandala. In diesem ist das Metrum von 1*"4, äs, 3*%4 Ar und 5? nnnm | VA sy | v— v>, Br von 1°, 2=21), 3b, A neun | en | v— v =>; das von Ai, 5? „nun | VvV— — | v= E das von AN, 5° WER | vv— | v— v ~>; endlich das von 4° "nun | ` KEIER : Hierauf jetzt näher einzugehen, ist weder dienlich noch nöthig; ` denn erschöpfen liesse sich diese Aufgabe hier doch nicht, und die ` Beispiele scheinen wohl hinlånglich genügend, um zu erkennen, dass wir S in dem besprochenen Stollen V. 33, 4 das treue Abbild von X. "P ; 1) 2% ist der oben Bem. 1 erwähnte Stollen und man erkennt nun warum das QUANTITÅTSV TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 39 und 5* haben, dass also das auslautende a in däsdsya nicht gedehnt ist, weil der Schluss dieses Stollens eine iambische Dipodie sein soll. Wohl vollständig entschieden wird diese Auffassung durch die Vergleichung von X. 23, 2%, wo derselbe Schluss in einem Verse erscheint, dessen drei übrige Stollen zwölfsilbig sind, also die letzte Silbe von d4sasya mit dem folgenden nd’ma cit unzweifelhaft eine Dipodia iambica bildet, Dieser Schlussfuss erklärt zugleich, warum auch das auslautende a in nd'ma, trotzdem es der 1Oten Silbe in einem elfsilbigen Stollen angehört, nicht gedehnt ist. Diese letztere Ausnahme wird im Rv. Pr. 529 gelehrt. Für die 8te Silbe in einem zwölfsilbigen Stollen wird zu Prätic. 523 als Beispiel Rv. IV. 33, 1 gegeben prä ribhübhyo dütäm-iva vä’cam ishye Diess ist so wenig hieher passend, dass man seine Verwendung kaum zu begreifen vermag. Zählt man die Silben so wie sie in der Samhitä geschrieben oder gedruckt erscheinen, dann enthält der Stollen freilich 12 und das auslautende a in iva gehört der Sten an. Sollten aber die indischen Vedenforscher gegen diese Zählung nicht dadurch stutzig ge- worden sein, dass der Anukrama für den Hymnus Trishtubh (vier elf- silbige Stollen) als Metrum angiebt und dieses auch in allen übrigen Stollen — 43 an Zahl — unzweifelhaft erscheint? Sollte ihnen wirklich entgangen sein, was bei uns jetzt allbekannt, dass auslautendes gramma- tisches à oder á mit folgendem anlautenden ri fast ausnahmslos nur eine Silbe bildet, zumal dieses auch in diesem Hymnus in Vs. Dr, 9°, 10%, 11? geschieht und nur in 3° á vor ri bleibt, aber zugleich nasalirt wird? Lesen wir demgemäss die ersten beiden Silben prá ri? als eine, etwa wie im späteren Sanskrit und schon in der TS. (vgl. T-Pr. X. 8) und im Ath. (Ath. Pr. III. 46) ar, dann lautet der Stollen prärbhübhyo dütamiva väcam ishye ist also, gleich den übrigen in diesem Hymnus, elfsilbig und a in iva gehört nicht der 8ten sondern Tten Silbe an —— — — | geb | v——. Für die 10te Silbe in einem elfsilbigen Stollen wird im Präticäkhya (525) V. 41, 5° als Beispiel gegeben: ` råyá éshé vase dadhita dhřh 40 THEODOR BENFEY, Um elf Silben heraus zu bringen, muss man entweder råiá lesen schwerlich verstattet ist -— da unter den sehr vielen Stellen, in der Casus von rai vorkommen, höchstens zwei sind, in denen vielleicht statt y zu sprechen ist — oder, wie fast immer, das hinter e einge- büsste ursprünglich anlautende a in dvase wieder herstellen. Dann tritt das auslautende a in dadhita in der That in die 10te Silbe und der Stollen ist der Zahl nach elfsilbig. Nicht aber dem Bau nach; er augenscheinlich nach Analogie der eben angeführten Stollen in Rv. X. 11, ]>-b.4 är, Sri 45.2 und 5° gebaut, die übrigens ziemlich häufig auch S sonst in den Veden wiederkehrt; er ist also zu lesen —v— — |vo— |u—v S so dass dieses a der ten Silbe der schliessenden Dipodia iambica : = gehört und darum kurz sein muss. Beiläufig bemerke ich, dass auch in ` 5%, 12°, 15° und 19° dieses Hymnus der 2te Fuss dreisilbig ist, jedoch ` ohne iambische Dipodia, sondern, wie vorwaltend in den 11silbigen Stollen, S mit Bacchius (v——) im Schlussfuss. Diess hängt damit zusammen, ` dass überhaupt elf- und zwölfsilbige Stollen nicht selten in demselben Verse erscheinen. =- Als Beispiel für die 10te Silbe in einem zwölfsilbigen Stollen wird ` endlich Rv. VIII. 97 (86), 15° gegeben. Dieser Vers ist augenscheinlich _ spät; denn im 4ten Stollen ist viçvápsnya mit y zu sprechen, während es in den drei übrigen Stellen, in denen dieses Thema im Rv. vorkommt ` IL 13, 2; VIL 42, 6 (wo der Genetiv vievdpsniasia zu sprechen ist) ` und VII. 71, 4, der herrschenden Analogie gemäss, mit Vokal statt J» ` vigvápsnia lautet; eben so ist in diesem Verse sprihayd'yya zu sprechen: ` ebenfalls gegen die herrschende Analogie und gegen die beiden übrigen S Stallen (VI. 7, 8; 15, 12), wo es richtig sprihayd'yia lautet. Ferner wird er in der Anukrama als Jagati bezeichnet, hat aber in allen vier Stollen ` = S einer Trishtubh; der erste Stollen hat zwar in der Samhitå, ` a sn Sage 12 Silben; der zweite aber hat 13 und de ee aa. wie für die Trishtubh vorgeschrieben. Ich ge | En ne u betrachten und jede was g man doch auch später ur BE eg pkt e a i S tige Verse gemacht, und zwar, wenigstens vor QUANTITÄ TEN IN D. SAMHITÅ- U. PADA-TEXTEN ETC. 41 waltend, mit der in dieser Zeit geltenden Aussprache; die Corruptionen treffen ferner nur die beiden ersten Stollen und, wenn man bedenkt, dass sich Einschiebungen gar nicht selten in den Veden erkennen lassen und hier nur solche anzunehmen sind, die sich überaus leicht eindrängen — zumal zu einer Zeit, wo der Vortrag so eigenthümlich war, dass dadurch das Metrum ganz verdunkelt ward —, nämlich Epitheta, so möchte es wohl erlaubt sein, die beiden Wörter, citra im ersten Stollen und bAdri im 2ten als Einschiebsel zu betrachten und statt des Samhitä -Textes tán ma ritäm Indra güra citra pätv apó ná vajrin duritä’ti parshi bhuri | zu lesen und auszusprechen: tän ma ritäm Indara güra pätu apó ná vajrin duritä'ti parshi. Dann sind diese beide Stollen gleich wie die folgenden ächte elfsilbige und der Sinn ist wesentlich derselbe, nur dass zwei unnöthige Epitheta fehlen. Allein die Wiederherstellung des Metrum im ersten Stollen kann auch mit Bewahrung von citra durch eine andere Aenderung gewonnen werden, welche auch von Seiten des Sinnes zu empfehlen wäre. Die ge- gebene Umwandlung giebt den Sinn ’ dieses mein Opfer, o Held Indra! möge schützen! wie über Fluthen, o Blitzschleudrer! führe uns über Ge- fahren hinweg’. Statt mein hätte man lieber mich; denn schütze ohne Object steht sehr luftig da. Sollte man es wagen dürfen, anzu- nehmen, dass die jalte feine Aussprache mit der Svarabhakti d. h. dem Nachklang eines leisen Vokals hinter r vor den meisten Consonanten, also etwa maratdm für die späte grobe martdm, von den Recitirern so verändert sei — was sicherlich leicht geschehen konnte — dass sie wie ma mit folgendem ri klang? dann würde sich ergeben, dass das ma ritdm der Samhitä nicht, wie bei Zweisilbigkeit von ma ri? anzunehmen war, für grammatisches me ritim stehe, sondern für ursprüngliches má ritam, in welchem die alte einsilbige Aussprache durch die Recitirer unbewusst oder vielleicht mit Bewusstsein in eine zweisilbige umgewandelt war. Bei dieser Annahme würde citra beizubehalten sein, eben so die Schreib- weise ma ritám (da in der Rv-Samh. auslautendes á vor ri bekanntlich Histor.-philolog. Classe XX. 1. F 42 THEODOR BENFEY, kurz wird) und Indra; aber auszusprechen würde sein ! tán martám Indra cúra citra påtu und zu übersetzen 'Dieses Opfer o Indra, Held glänzender, soll mich schützen! Möge man aber jene Ausstossung oder diese Aussprache wählen, e beiden Fällen — und einer ist sicherlich anzunehmen — erhalten wir statt des zwölfsilbigen einen elfsilbigen Stollen und das auslautende ai citra steht nicht in der 10ten Silbe eines 12 silbigen sondern in der ten ` eines elfsilbigen Stollens, würde also gar nicht zu dehnen sein. S 13. Ueberblicken wir den vorigen § so wird man nicht verkennen, dassin den zum Rv-Pr. angeführten Beispielen die Kürzen, durch welche die te Ausnahme der Regel belegt wird, sich nicht aus der nachfolgenden Länge, sondern aus andern, nämlich metrischen, Gründen erklären. Dennoch habe ich mit gutem Grund in der 2ten Bemerkung daselbst ein fast gebraucht. Denn es finden sich in der That auch hieher gehörige Stellen, ` welche ich wenigstens bis jetzt nicht aus andren Gründen zu erklären ` vermag. Da sie in den Beiträgen zur Vedenmetrik vorkommen werden, ` will ich mich hier einer Aufzählung derselben enthalten und beschränke mich für jetzt darauf eine hervorzuheben, nämlich Rv. I. 147, 4 | mäntro gurüh pünar astu só asmä | wo das auslautende u in astu vor dem nachfolgenden só nicht g% ` dehnt ist, trotz dem es die 8te Silbe eines elfsilbigen Stollens schliesst; vgl. auch VI. 1, 4? und Sv. II. 9. 2. 12. 3°, in einem nicht im Rv. vor ` kommenden Verse. S Sollen wir es wagen — gestützt auf die im folgenden $ zu wähnenden Ausnahmen von dieser Ausnahme (vgl. auch $ 6) — in de artigen Fällen die Quantität in dem Versuche die ursprüngliche Aus — sprache der vedischen Hymnen wiederherzustellen zu ändern? Ich habe, e bis jetzt wenigstens, wo ich noch nicht im Stande bin alle Fälle u ` übersehen, nicht den Muth dazu. | ` §. 14. — a. Die erste Ausnahme zu der Sten Ausnahme in § 12, wo s QUANTITÄ TEN IN D. SAMHITÄ-U.PADA-TEXTENETC. 43 trotz der Länge der folgenden Silbe, der allgemeinen Regel gemäss, der grammatisch auslautende Vokal eines vorhergehenden Wortes gedehnt wird, bilden die Fälle, wo no oder nas (letzteres mit folgendem Conso- nanten) für grammatisches nah folgt (RPr. 524). Es sind im Rv. deren nur wenige und ich will sie desshalb alle aufzählen. In der 8ten Silbe eines elfsilbigen Stollens Rv. X. 59, Ar dyúbhir hitó jarimä’ sg no astu (Pada: sú). Ferner Rv. VI. 44, 18% Indra súrin krinuhf små no ardhäm (Pada: sma). In der Sten eines zwölfsilbigen Rv. VIII. 18, 10° = Sv. 1.5.1.1. 7°. ädityäso yuyötanä no á.hasah (Pada: yuyötana). Diese drei Fälle bilden Gegenstücke zu dem in $ 13 erwähnten Fall aus Rv. I. 147, 4° (vgl. auch, unter b, III. 53, 5; VIII 21, 7). In allen übrigen tritt die Dehnung in der 10ten Silbe elfsilbiger Stollen ein; sie dient also dazu den regelmässigen Schluss dieser Stollen vi% — herbeizuführen. So zunächst Rv. V. 57, 8& = 58, Sr hayé näro märuto mrilätä nas | tuvi? (Pada: mrilata). ferner Rv. I. 186, 1° = VS. XXXIII. 34° ápi yäthä yuväno mätsathä no | vi? (Pada: mätsatha). vgl. noch Rv. II. 27, o tenädity& ádhi vocatä no | yaccha® (zu lesen tóna ádityá u. s. w.; Pada: vocata). Ev. VIL 47,8% tó sindhavo várivo dhátanå no | yú? (Pada: dhátana). Rv. VIL 48, 4° néi devaso värivah kartanä no | bhú? (Pada: kartana). Bv. VII 86, 5* F2 44 THEODOR BENFEY, áva drugdhåáni pítryå srijä nó | 'va S (zu lesen pítriá und no | áva oder vielmehr, worüber an einem an- dern Orte, nah | áva. Pada: srija). Rv. VIII. 48, 14° trätäro devä ädhi vocatä& no | mâ’ (Pada: vocata). endlich Re X. 34, Lis miträm krinudhvam khälu mrilätä no | mä: (Pada: mrilata). 3 Bemerkung: drei jedoch nur scheinbare Ausnahmen zu dieser ` Ausnahme siehe $ 15 unter abhi, jä’su, pähi. | b. Ferner bilden Ausnahmen einige einzelne Fälle, welche RPr. ` besonders anführt, ich aber sogleich hier zusammenstellen will, weil sie E | denen unter a, wesentlich gleich sind. | Re HI. 53, 5° E Indra bhråtar ubhayátrå te ártham = S Pada: ubhayatra; Auslaut gedehnt trotz der folgenden langen Silbe (RPr. 522); der Fall (Dehnung der 3ten Silbe) ist den dreien unter a, E analog; da jedoch das Suffix fra unzweifelhaft ursprünglich trá lautete, ` so könnte hier auch die ursprüngliche Länge durch das Metrum geschützt A sein, so dass es keine Ausnahme wäre. Entscheiden lässt sich diese | Frage jedoch nicht; denn diess ist die einzige Stelle, in welcher ubhayatra a im Rv., und ich glaube in den Veden überhaupt, vorkömmt. Vielleicht _ ist auch beachtenswerth dass die Dehnung vor te eintritt, vgl. weiterhin Br. VIE. 21,7. Rx X. 18, 14° praticim jagrabhä vä’cam S (Pada jagrabha). Dehnung der 6ten Silbe in einem 8silbigen Stollen ` trotz der folgenden Länge (RPr. 520). Da der achtsilbige Stollen m _ Bezug auf seinen Schluss in den Veden noch eine grosse Mannigfalig _ ? ‚keit zeigt, speciell auch die Form vv—7 mehrfach erscheint (vgl. M. 7 Müller, Translation, Preface CXVIII), so ist man eigentlich nicht voll- | ständig berechtigt diese Dehnung, durch welche die Form v — —7 ent ` | QUANTITÄTSV TEN IN D.SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 45 steht, als eine metrische zu betrachten ; allein es ist doch beachtenswerth, dass sie — abgesehen davon, dass sie verhältnissmässig schon oft in den Veden vorkömmt (vgl. auch M. Müller a. a. O. CXX) — gerade die- jenige ist, welche in der sskritischen Form des vedischen Anushfubh, dem gewöhnlichen Cloka, im jeten und 3ten Stollen die vorherrschende ist; ausserdem ist im Xten Mandala des Rv. unzweifelhaft vieles, was eine verhältnissmässig späte Zeit verräth. Rv. VIII. 21, 7 úti abhüma nahí nů’ te adrivah. Hier ist nü in der 8ten Silbe eines 10 silbigen Stollens gedehnt, trotz dem eine lange Silbe (te wie oben in III. 53, 5°) folgt (RPr. 458). Re V. AL 18 yé cAkänanta cäkänanta nů’ te hier ist nú in der 10ten Silbe eines 11silbigen Stollens trotz der fol- genden Länge gedehnt (vgl. die Stellen in a, von Rv. V. 57, 8 an und RPr. 458). ` Ebenso in der 10ten Silbe Rv. VI. 22, 5? = Ath. XX. 36, 5 I'ndram vepi väkvari yäsya nů’ gih (R. Pr. 458). Ferner Rv. IV. 26, 1° (vgl. RPr. 502) ahäm kavir Ucänä päcyatä må Auch hier ist tá in páçyatá die 10te Silbe eines elfsilbigen Stollens und trotz der folgenden Länge aus demselben Grunde gedehnt wie nú in den beiden vorhergehenden und anderes in den 9 letzten Stellen in a. Rv. X. 83, 7° (RPr. 461) abhí prehi dakshinat6 bhavä me Im Ath. IV. 32, 7, wo dieser Vers wiederkehrt, erscheint statt me die Variante no (statt nah), so dass die Dehnung von grammatisch bhavä (vgl. Wh. ad Ath. Pr. III. 16) nach Ausn. a eintritt. Rv. X. 12, 3 = Ath: XVIIL 1, 32 (RPr. 495; im Ath-Pr. II. 16. S. 134, 2, $ hinzuzufügen) svä'vrig deväsyämritam yádi göh (Pada: yddı). Ich glaube es ist devdsya amritam zu lesen, nicht sud’vrig; sonderbarer Weise wird diess Wort im Pada auch nicht getrennt. 46 THEODOR BENFEY, §. 15. 4. Endlich findet sich eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Aus- nahmen von der allgemeinen Regel sporadisch. Bei ihrer Aufführung folge ich dem Vorgang Regniers, indem ich, wie dieser, ein alphabeti- sches Verzeichniss der Wörter gebe, deren Auslaut gegen die Regeln überhaupt oder in bestimmten Stellen im Rigveda nicht gedehnt wird. _ Leider hat mir meine Zeit bis jetzt nicht erlaubt, auch die Ausnahmen in der Taittirtya-Samhitä und im Atharva-Veda zusammenzusuchen. Ich a gebe also nur diejenigen, welche den ihnen mit dem Rigveda gemeinsa- men Versen angehören und einige, welche mir zufällig aufstiessen. Wären a diese Veden in dieser Beziehung von grosser Wichtigkeit, dann würde i ich die Mühe nicht scheuen, sie noch jetzt zu sammeln. Allein wie denen, — welche sich mit den Veden beschäftigen, nicht entgangen sein wird, ist 2 diess überhaupt für die nicht dem Rv. entlehnten Verse nicht der Fall und S so möge diese Ergänzung für eine etwas Deiere Zeit aufgespart werden. a Ich werde die Wörter zum leichteren Nachweis mit fortlaufenden `` Zahlen versehen. Ä E 1. anudrícya oder anudícya TS L 1. 9.3, 1* Gm dhiråso anudricya yajante. Das auslautende ya bildet 8 in 11. S Der Vers erscheint auch VS. I. 28 mit der Variante anudigya und ` ausserdem mit u hinter dem anlautenden tá'm, wodurch das Metrum um eine Silbe zu gross wird. 2. angá Re, VI. 72, 5° (RPr. 531) (3 in 11) Indräsom& yuväm angá tärutram. 3. abhí (RPr. 529). a Rv, X. 149, 4°, wo die Samhitä lautet: pätiriva jäyäm abhí no ny ètu, | | Diess soll nicht eine Ausnahme von der allgemeinen Regel seit, sondern von der Ausnahme in $ 14 a. Mechanisch gezählt gehört der ` Auslaut von abhí in der That der Sten Silbe eines elfsilbigen Stollen le Eet bere Ce QUANTITÄTSV NHEITEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTENETC. 47 an; aber dieser Stollen erscheint in einer Trish/ubh, deren regelmässigen Schluss v— — bildet. Diesen erhalten wir, wenn wir, dem in den Veden fast durchgreifenden Gesetz gemäss, den Sandhi in ny ètu wieder auf- heben und ni etulesen; die vollständig reine und vorherrschende Form des Trishtubh-Stollens gewinnen wir aber erst durch die schon in der ersten Abhdlg. (Bd. XIX. S. 248) besprochene Umwandlung von patiriva (für patih-iva) in pdtiva. Der Stollen ist dann zu lesen pätiva jäyd’'m abhí no ni etu | v—v— | —vv— | v—v und der Auslaut von abhí fällt nun in die 7te Silbe, war also der Deh- nung überhaupt unfähig. b. Eine wirkliche Ausnahme von der allgemeinen Regel würde Rv. VIII. 23, 26° (RPr. 531), bilden, wo das i in der 6ten Silbe eines 8 sil- bigen Stollens ungedehnt bleibt: mahö vicvä» abhi sható allein wir haben schon $ 14 auf die Mannigfaltigkeit des 2ten Fusses in den 8silbigen Stollen aufmerksam gemacht und der hier erscheinende vvv-— ist keinesweges selten (vgl. M. Müller Translation, Pref. CXV). In allen andern Fällen — abgesehen von § 14, a — folgt abhí der allgemeinen Regel, vgl. z.B. Rv. V. 9, 7°; IX.101, 3 = Sv. II. 1. 1. 18.3. 4. avadyäni (RPr. 528) nur in Rv. VI. 66, 4° antäh sänto 'vadyä&ni punänäh. Mechanisch gezählt gehört der Auslaut von avadyd'ni der 7ten, nicht der 8ten Silbe an. Da dieser Stollen aber im Pr. als Ausnahme zu der allgemeinen Regel angeführt wird, so haben ihn die Verfertiger desselben so gelesen, dass er in die Ste fällt, d. h. sie lasen ihrer Regel (vgl. $ 3) gemäss 'vadid'ni, oder avadyd'ni. Wir wissen jetzt, dass dem fast durch- greifenden Gesetz gemäss das anlautende a° wieder hergestellt werden muss, zumal da avadya zu den Themen gehört, in denen im Rv. stets y, nie í zu lesen ist (das Thema erscheint unzusammengesetzt und in den Zusammensetzungen avadyagohana, avadyabhl', mithöavadyapa , ana- vadya, anavadydripa, guhddavadya 31 mal). Wir lesen diesen Stollen also 48 _ THEODOR BENFEY, _ antäh sánto avadyåni punänäh so dass in der That die regelmässige Dehnung (in 8 in 11) fehlt. So dess Folge davon sein, dass in der Vortragsweise der Recitirer, wie sie in der Samhitä vorliegt, das ö der 7ten Silbe angehörte? 5. avri (R-Pr. 539) nur in Rv. IV. 55, Dn deväsya tråtúr avri bhägasya. = Der Fall ist ähnlich, wie der vorige. Das í gehört, mechanisch ge- ` zählt, der 7ten Silbe an, muss aber, wie dort, von den Verfassern des Prätic. als zur Sten gehörig betrachtet sein; wie sie diese herausgebracht ` haben, wage ich kaum näher zu bestimmen; sie wandten wahrscheinlich ; die Regel in § 3 an; nur weiss ich nicht wie; denn aüri konnten sie gewiss nicht, und avuri schwerlich sprechen. Wir sprechen avari ent- ` weder mit phonetisch entwickeltem a, wie in Indara für Indra ($ OS oder mit aus dem ursprünglichen a-var-i bewahrtem. Die unregelmässige ` Bewahrung der Kürze in der 8ten Silbe liesse sich in derselben Weise, ` : wie im letzten Fall, natürlich ebenfalls nur mit Wahrscheinlichkeit, ` e erklären, E 6. asanäma (R-Pr. 534) nur in Rv. VIII. 25, 22° (3 in 12) rätham yuktäm asanäma sushä’mani. 2 7. asi (R-Pr. 532) Die Ausnahme betrifft zwei Fälle: Rv. IL 1, 5 (8 in 12) tvám narå'm çárdho asi purüväsuh S Scheinbar ist ö in asi in der 7ten Silbe. Die Vf. des Pr. lasen Ss (nach § 3) Zuvdm, wir lesen tudm, dadurch kömmt es in die Ste, Die gë: regelmässige Bewahrung der Kürze würde sich wie in avri fassen lassen. Ferner Rv. V. 9, 4° (6 in 8) purü’ yó dägdhä’si vänä. sar Der Mangel der Dehnung lässt sich wie in abhi aus der Mannig- a faltigkeit des 2ten Fusses in 8 silbigen Stollen erklären, zumal da dei 7 bier eintretende —vv— nicht selten erscheint (vgl. M. Müller Transla- tion Pref. CXXI). 8. asti (R-Pr. 529) nur Rv. I. 36, 12 råyás pürdhi svadhåvó ’sti hí te QUANTITÄ TEN IN D.SAMHITÄ- U.PADA-TEXTENETC. 49 In diesem Samhitä-Text ist Osti in der That die Ste Silbe; allein der Stollen hat weder 11 noch 12 Silben und doch müssen ihn die Vf. des Prätic. für einen 11- oder 12silbigen genommen haben; sonst hätten sie dieses í in dsti nicht als eine Ausnahme von der allgemeinen Regel betrachten können. Einen elfsilbigen konnten sie zwar dadurch heraus- bringen, dass sie der in § 3 erwähnten Vorschrift gemäss, statt svadhdvo, viersilbig suvadhävo lasen; dann würde aber das í von dsti in die 9te Silbe gerathen sein und der Mangel der Dehnung wäre nicht gegen die allgemeine Regel. Sie lasen sicherlich aber zugleich das hinter o einge- büsste a (s. $. 3), nämlich: räyäs pürdhi suvadhävo ästi hi te; dann trat das © in die Lite Silbe eines 12silbigen Stollens und hätte der Regel gemäss in der That gedehnt werden müssen. Allein diess Verfahren war sicherlich nicht richtig.. Dem heutigen Stand der Vedenforschung gemäss ist zwar das d in asti unzweifelhaft zu lesen; dagegen dürfen wir nicht wagen, das erste v in svadhävo zu vokalisiren; denn svadhá’ in allen Casus, eben so svadhäd’vant, svadhú van, svadhävari, anushvadham und svadhápati haben allenthalten — und zwar in 129 Fällen — die Liquida, nirgends statt ihrer den Vokal u. Es ist demnach zu lesen räyäs pürdhi svadhävo ásti hi te — — — — | v — — — | vv— und darin tritt ¿ in ásti in die 9te Silbe, verstösst also nicht gegen die allgemeine Regel. Nun tritt zwar hí in die 10te eines elfsilbigen Stollens, allein dessen ë — könnten wir mit den Inder sagen — wird wegen der folgenden Länge (nach $ 12 Ausn. 3) nicht gedehnt. Doch ist die rich- tige Erklärung auch hier anders zu fassen. Es ist schon gelegentlich bemerkt und wird in den Beiträgen zur Vedenmetrik eingehend behandelt werden, dass elf- und zwölfsilhige Stollen oft in demselben Verse vorkommen; vgl. z. B. Rv. VII. 96, 2°, wie der besprochene Stollen, ebenfalls in einem Prägätham Bärhatam und zu lesen séi no bodhi avitr? marütsakhd — -— — | vv— — | v—v—; ferner VIII. 46, 15 (vgl. RPr. 892), zu lesen Histor.-philol. Classe. XX. 1 G Mo Bot. Garden, i901. 50. THEODOR BENFEY, yádi róknas tanúe dadir vásu v—— | —vv— | v—v— und sonst vielfach, so dass auch in dem besprochenen die Elfsilbigkeit `“ nichts auffallendes hat. Auffallender könnte der metrische Schluss vv— scheinen ; dieser erscheint aber überaus häufig in elfsilbigen Stollen, so 2 8. Rr VE.24.8° vrikshäsya nú te puruhüta vayå — —vv | —vv— | vv— ferner VI. 24, 7: vriddhäsya cid vardhatäm asya tanüh ——v— | —v—— |v 7 ferner Rv. VI. 67, 11° ; dhrishnúm yád ráne vríshanam yunájan ———v | —vw— | w— vL 68, 7 prá sadyó dyumnå' tiráte táturih v——— | —vv— | vv- und mit, wie so häufig (vgl. § 12), nur drei Silben im ten Fuss VI. 24, 3°, zu lesen äksho na cakrioh cüra brihán —— v— | v—— | w— Sad viele andre, zB. IL. 103,.4%;. 117,22; 121,:9%; 15°; 126, 208 IE 107, E 38. 186, 2°: 1,20, 1°; 133.292 A: 30, 6%. ` Dieser Auseinandersetzung gemäss ist in dem Mangel der Dehnung des í in asti kein Verstoss gegen die allgemeine Regel zu erkennen. 9. asya (RPr. 530) nur ein Fall, Rv. X. 132, 3° sám v äran näkir asya maghäni zu lesen (8 in 11) sám u äran näkir asya maghä’ni. Vielleicht nicht gedehnt aus demselben Grund wie in asi und den analogen Fällen. 10. äyushi (RPr. 532) nur ein Fall Rv. IV. 4, T (8 in 11) piprishati svá äyushi durone. 11. Indra (RPr. 529) nur ein Fall Rv. VIII. 52 (Vál. 4), d (8 in 12) yáthå tritó chända Indra jújoshasi Die Válakhilya enthalten zwar viele Anomalien, allein schon in der Abhandlung über die indogerm. Genetivendungen fans u. s. W. (Abhandl. XIX. S. 21) habe ich auf die Häufigkeit des Mangels der Dehnung = Vokativ Sing. aufmerksam gemacht; vgl. noch unter deva, pavamána F AÐ QUANTITÄTSV TEN IN D. SAMHITÄ-U.PADA-TEXTENETC. 51 prithivi, varuna, vasaväna, samidhäna, Sarasvati, Soma, haryagva. Hinter jedem Vokativ tritt eine kleine Pause ein, welche dem auslautenden Vokal desselben die Dauer einer Länge verschafft, fast gerade wie am Ende eines Stollens. Uebrigens ist zu dem a.a. O. angeführten Vokativ mit gedehntem Auslaut noch vrishabhá Rv. VIIL 45, 38 zu fügen. 12. invasi (R-Pr. 531), nur ein Fall Rv. VIII 13, 32 (8 in 12) vrishä yajnö yám invasi vrishä hävah. Der Vokal ri scheint in den Veden, wegen des r-Elements bisweilen Position zu machen; genaueres darüber in den Beiträgen zur Metrik und in der Lautlehre; vgl. auch $ 11. 13. iva (RPr. 530; 533; 534); in drei Fällen: Rv. VI. 16, 38°, æ Sv. II. 8. 2. 18. 2* (6 in 8) úpa echäyä’miva ghriner vielleicht wie das auslautende % in /nvasi aus dem ri in ghriner zu erklären. (8 in 11) Rv. IV. 57, # = TS. I. 1. 14. 8 madhuccútam ghritámiva súpútam. (8 in 12) Rv. X. 25, A dhåráyå camasä’.iva vivakshase. Das letzte Wort bildet den Refrain des 4ten, wie vi vo made des Sten Stollens und wir finden Bewahrung der Kürze vor erstrem noch in X. 21, 8? (vgl. jämishu) und vor letzterem in unserm Hymnus X. 25, 2° (siehe máma) und X. 24, 1° (vgl. dhdraya und ranyası). Trennt man die beiden Refrain ab, so hat der Vers vier achtsilbige Stollen und es sieht demnach fast aus, als ob die beiden Refrain nicht als zum eigentlichen Vers, sondern als Zusätze betrachtet sein. Doch darf ich nicht bergen, dass in unserm Hymnus X, 25, 7° die allgemeine Re- gel — Dehnung — vor dem Refrain (mä’ no duhrdmsa ígatá vivakshase) beobachtet ist; allein Inconsequenzen sind in den Veden häufig. 14. ishanyasi (RPr. 534) ein Fall, Rv. X. 99, 1° (8 in 11) kám nag eiträm ishanyasi eikitvä'n. 15. ihä (RPr. 531) ein Fall Rv. VII. 55, 6° — Ath. XIX. 10, 6° (8 in 11) cám nas tváshtå gnä’bhir ihá grinotu. Vielleicht wie in iva vor ghriner aus dem ri in gri® zu erklären, G nus unwahrscheinlich würde. Die einzig richtige gewährt eine Bemerkung: e Si . weisen werde, nämlich dass der Vokal ri in der Vedenzeit bald ~ bald lang gebraucht wird, speciell in dem Verbum mrid (mril) wer 52 THEODOR BENFEY, [raya mit auslautendem à findet sich bei M. Müller in’ be Ausgaben Rv. VIII. 96 (85), 11°, ist aber in frayá zu verwandeln, auch Aufrecht hat]. 1 16. u (RPr. 355) ein Fall Rv. X. 161, 4 = Ath. III. 11,47 (8 in 11) catäm hemantä’n chatám u vasanti'n. | Lag in der Aussprache des auf u folgenden v etwas wodure ‚ Dehnung unnöthig ward? a 17. utá (RPr. 529) Das Beispiel, welches im RPr. angeführt wird, nämlich Rv. II. 2 ädite mitra värunotä mrila hat das Dia nur dann unregelmässiger Weise ungedehnt, wenn man 1 Aufhebung des Sandhi varuna utá liest. Dann hat nämlich der Stollen 12 Silben und dieses fa bildet die 10te. Allein der ganze Hymnu steht ohne Ausnahme aus 11 silbigen und zwar, wie selten in eine langen — erhat17 Verse —, regelmässig schliessenden (v — ~) Stollen d. h. diesen fürs erste auslassend — aus 67. Diesen 67 gegen dürfen wir schwerlich wagen, hier einen zwölfsilbigen, man möchte fast sagen, einzig um noch eine Ausnahme von der allgemeinen Regel erhalten, anzunehmen. Wäre die Annahme nothwendig, dann sich der Mangel der Dehnung, wie in iAd und den analogen aus dem in mrila erklären lassen, | Allein sie ist nicht nothwendig, ja allen übrigen Stollen dieses Hyı | nus gegenüber fast völlig unzulässig. Man könnte nun zunächst einen elfsilbigen Stollen mit dem schon erwähnten ziemlich häufigen Schlus Cp hier sehen wollen. Diese Auffassung würde ich wählen, wenn sie _ nicht durch die sonst durchweg regelmässigen Schlüsse in diesem Hy deren Berechtigung ich jedoch erst in den Beiträgen zur Vedenmetrik S _ Ursprung aus mrish-dha gemäss (vgl. ’Jubeo und seine Verw: p ` en Abhdlgen XVIL S. 22), fast durchgehends lang. Der Bewe! ergieb sich aus. grammatischen Regeln (z. B. Nicht-Dehnung Y QUANTITÄ TEN IN D.SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 58 wo a, i, u gedehnt werden), Differenzen (z. B. im Genetiv Plur. von Themen mit auslautendem ri), und dem Metrum einer ausserordentli- chen Menge von Vedenstellen (vgl. z. B. die im RP. 529 dicht neben der hier besprochenen erwähnte Rv. X, 128, 8°, welche unter haryaçva besprochen werden wird). Wir betrachten also den im Pr. Deeg: Stollen II. 27, 14* als einen ganz regelrechten, dessen Ota in utá, weil die neunte Silbe bildend, nichts weniger als einen Verstoss gegen die allgemeine Regel enthält. Diess ist der einzige Fall, welcher von den indischen Forschern für ihre Ausnahme von ihrem Standpunkte aus geltend gemacht werden konnte. Beiläufig bemerke ich, dass es noch einen Fall giebt, in welchem wir von unserm Standpunkt aus eine Dehnung des a erwarten würden ; nämlich Rv. VIII. 70 (59), 5 = Sv. L 3. 2. 4. 6 =- Atb. XX. 81,1 und 92, 20 gatäm bhü’mir utá syuh. Es ist nämlich ein achtsilbiger Stollen und um diese Zahl zu gewinnen ist siuh zu lesen, mit Bewahrung des ursprünglichen Charakteristikums des Potentials í (statt des spätern y), wie gerade vorwaltend in dem von as). In Folge davon wird das a von utá Auslaut der 6ten Silbe eines 8 silbigen Stollens und hätte der allgemeinen Regel gemäss gedehnt werden müssen. Allein die Inder, wie wir $ 6 gesehen haben, nehmen an, dass in solchen Fällen die Ausnahme in $ 11 gelte, wonach vor einer Position nicht gedehnt wird, und betrachten die Fälle, in denen gegen diese Ausnahme gedehnt wird, nicht als Folgen der aligmpsinen Regel, sondern als Ausnahmen zu dieser Ausnahme. Kaum erwähnenswerth ist der Fall Rv. X. 85, 10 — Ath. XIV. 1, 10. in M. Müllers und Aufrecht's Drucken dyaúr åsid utá chadíh da diaúr zu lesen, so ist a in utá ebenfalls die 6te Silbe in einem Sal 1) vgl. ‚Ueber die Entstehung des Potential u. s. w? im XVIten Bd. der Ab- handlungen, insbesondre S. 170 ff. und Grassmann, Wtbch. S. 150. 54 THEODOR BENFEY, bigen Stollen. Allein es ist nach dem RPr. 1) cchadih zu schreiben; folgt also Position. 18. úpa (RPr. 532) vier Fälle; betreffen alle die 10te Silbe 11sil- biger Stollen, nämlich Rv. IV. 16, P — Ath. XX. 77, 1; zu lesen drävantu asya häraya?) úpa nah RIV 2, => VS. XX, 47 zu lesen & yätu Indro ävasad) úpa na ur. VIa, 4° = KR VI. 7: == SL 44 und Deg & väyo bhüsha çucipå úpa nah Bv: VII. 93, 6 mé m u shú sömasutim úpa na. Alle vier Beispiele sind entschiedene Ausnahmen von der Haupt- regel; aber um so auffallender, da nach $ 14 gerade vor dem hier in allen vier Fällen folgenden nah, selbst wenn es schwer ist (no, nas mit folgendem Consonanten), die allgemeine Regel beobachtet wird. Es liegt hier eine der stärksten Inconsequenzen im Text des Veda vor. Es ent- steht dadurch der zwar mehrfach vorkommende, aber doch im Verhält- niss zu dem gewöhnlichen ®——-), welcher durch die hier regelmässige Dehnung eingetreten wäre, seltene Schluss (vv=). Wenn dies wirklich die ursprüngliche Aussprache, d. h. die der Verfasser selbst, war, dann hätten sie hier die entschiedene Absicht gehabt den regelmässigen Schluss ` zu vermeiden. Dafür vermag ich zwar keinen Grund zu erkennen; allein in Bezug auf die Constitution der Vedentexte müssen wir bis jetzt und vielleicht noch lange auf die Möglichkeit alle Erscheinungen des- selben begründen zu können, Verzicht leisten. 19. ugmasi (RPr. 532). Der einzige hieher gehörige Fall ist Rv. LA e VS. VE 20 18.1368 (beide letztere mit Varianten); zu lesen (8 in 11) t& väm vö’stüni uçmasi gamädhyai. 1) vgl. Einleitung in die Grammatik der ved. Spr in Bd, XIX. 148. = wahrscheinlich härayä worüber in den "Beiträgen zur Vedenmetrik‘. ) wahrscheinlich dvase zu lesen, worüber a. a. O. QUANTITÄTSVERSÍ TEN IN D. SA MHITÂ- U. PADA-TEXTEN ETC. 55 Das Verhältniss der TS. istin § 10 besprochen. 20. ushási (RPr. 522) in zwei Fällen; im ersten 8 in it, m zweiten 8 in 12. Rv. VII. 3, 5°: tám íd doshä’ tám ushäsi yávishtham und Rv. VIII. 22, 14*: ix íd doshå' tå’ ushäsi gubhäs pátí. 21. ûrnuhi (RPr. 528) nur ein Fall, Rv. IX. 91, 4° (8 in 11) punåná inda úrnuhi ví vä’jän. 22. kiräsi (RPr. 532) ein Fall Rv. VIII. 49 (Vál. 1), 4 A yáthå mandasånáh kirð'si nah. Der Verstoss gegen die allgemeine Regel ist nur scheinbar. Bei mechanischer Zählung fällt zwar das auslautende í von kirási in der That in die 10te Silbe eines elfsilbigen Stollens; allein dieser elfsilbige Stollen ist der 7te einer Pragâtha-Strophe und vertritt demnach eigent- lich einen zwölfsilbigen , wie denn im ganzen übrigen Hymnus der Tte, gleich wie der 3te und 5te, der Regel gemäss, durchweg 12silbig sind. Dass er einen zwölfsilbigen in der That vertreten soll, zeigt auch der metrische Schluss , welcher, wie in den zwölfsilbigen regelmässig, durch eine iambische Dipodie (kirási nah) gebildet ist. Statt der 8 Silben der beiden ersten Füsse erscheinen also hier, wie nicht selten (vgl. für jetzt § 12 und S. 49), nur 7; ob wir von diesen nur drei (statt vier) dem ersten oder zweiten Fuss zuzutheilen haben, will ich noch nicht entscheiden; mir scheint dass hier der erste mangelhaft ist; genauer werde ich darüber zwar erst in den Beiträgen handeln; doch vorausgesetzt, dass meine Lesung richtig, würde das Metrum sein —v— | —v — — [v—v— darin ist die Silbe, welche das auslautende í in kirá'si enthält, die Kürze des letzten Jambus und vertritt also die 11te Silbe eines 12 silbigen Stollens. 23. krinuhi bildet Ausnahmen, nach der Bestimmung des RPr. 529, wenn ihm ein zweisilbiges Wort vorhergeht. Hieher gehören zwei Fälle, beide 8 in 11; nämlich Rv. VI. 44, 9 värshiyo väyah krinuhi gäcibhih und Rv. VII. 25, 2: 56 THEODOR BENFEY, dré tám çámsam krinuhi ninitsóh. Bemerk. 1. Die allgemeine Regel tritt dagegen ein Rv. VII. 25, 2: (8 in 11) jahí vrishnyäni krinuhi páråcah, wo ein dreisilbiges Wort vorhergeht. Natürlich ist diese Bestimmung nach der Silbenzahl des vorhergehenden Wortes nicht der Grund, son- dern nur ein äusseres Zeichen der Ausnahme. Bem. 2. In Kv. IV. 22, 9 asme värshishtha krinuhi jyeshzhä fehlt die Dehnung trotz dem dass das í der Sten Silbe angehört, weil die folgende (vgl. $ 11) mit einer Consonantengruppe anlautet. Dies Gesetz bleibt hier auch bei richtiger Lesung in Geltung. Denn es ist nicht, statt jy@shtha wie Grassmann (Wörterbuch S. 503) angiebt, jieshtha, sondern jydishtha zu lesen (vgl. bei ihm selbst daishtha für deshtha $. 638, dhaishtha für dheshtha S. 696), d. h. die organischere Form des Superlativs bewahrt. 24. gopithyäya (RPr. 534) ein Fall, nämlich Rv. X. 95; IR jajnishä itthä’ gopt'thyäya hi. Es ist gopť thiäya, oder nach indischer Weise gopf'thiydya, zu lesen und dass die Inder so gelesen haben, zeigt eben die Aufnahme dieses Wortes unter die Ausnahmen ; denn nur durch diese Lesung kömmt das auslautende a desselben in die 10te Silbe eines. elfsilbigen Stollens. Allein sie beruht, wie die von kirási und a. a., auf Verkennung des Me- trums ; auch hier enthalten die beiden ersten Füssen nur 7 Silben — wie in demselben Hymnus auch 6°; 9°; 10° und 13° —; der 3te Fuss ist eine Dipodia iambica, d. h. der ganze Stollen vertritt nicht einen elf- silbigen, sondern zwölfsilbigen, gemäss der so häufig — in diesem Hym- nus in 12% — eintretenden Verbindung beider. Das Metrum ist also -u— ] + I ge ähnlich dem $ 12 aus X. 77 erwähnten. Ob der mangelhafte — drei silbige — Fuss der erste oder zweite ist, will ich, wie bei kirá'si noch nicht entscheiden. Doch neige ich mich hier zu der Annahme, dass der 2te mangelhaft sei und diess ist in den meisten Fällen der Art das Wahrscheinlichere: ich skandire demnach: QUANTITÄTSVERS( TEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 57 jajnishä it- | thä gopi- | thiäya hi. Die Kürze des auslautenden a ist also auch hier Folge davon , dass es der ersten Silbe des letzten Jambus angehört; vgl. caranti. 25. eäranti (RPr. 531) nur ein Fall Rv. VI. 47, 31° — VS. XXIX. 57 = TS. L4.6.7 = Ath. VI. 126, 3 (V.:L.). sam äcvaparnäc cäranti no näro Der Fall ist eine Ausnahme zu $ 14, a, aber wesentlich dem vo- rigen gleich. Auch in diesem Hymnus sind 12silbige Stollen in demsel- ben Verse mit elfsilbigen verbunden, nämlich 18%; 29; 30° und 31°. Ebenso enthalten mehrere Stollen nur 7 Silben in den beiden ersten Füssen, nämlich 28° und 31? entschieden, andre zweifelhaft. Im vor- liegenden Stollen sind beide Abweichungen von der allgemeinen Regel der Trishtubh wieder verbunden. Ich skandire sám äcvapar-|näg cäran-|ti no näro |[v-—v— | —v— |v—v— 26. eiketa (RPr. 532); nur ein Fall, Rv. IX. 102, 4 (= Sv. I. 2. 1.1.5, wo aber eine V. L. durch welche die Anomalie, wenn eine anzuerkennen wäre, wegfallen würde) ayam dhruvö rain om ciketa yäd. Die Verfasser des Prätic. haben, wie oft, nur mechanisch gezählt und dadurch das auslautende a in ciketa als der 10ten Silbe eines elfsilbigen Stollens angehörig betrachtet. Allein es ist der 3te Stollen einer Ushnih, welcher regelmässig — und so auch in diesem Liede — 12 Silben ent- hält. Erst die europäische Vedenforschung hat erkannt, dass die Endung des Genetiv pl. ám sehr oft zwei Silben vertritt und das ist auch hier der Fall. Dadurch tritt jenes auslautende a in die l1te Silbe, d. h. die erste des schliessenden Jambus und muss kurz sein. Der Sämaveda liest ciketad d. 27. cetati (RPr. 532) nur ein Fall Rv. IX. 106, 2° = Sv. IL 1.1.17. 2 (8 in 11) sömo jaitrasya cetati yäthä vide. 23. jämishu (RPr. 532) nur ein Fall, Rv. X. 21,.8° (8 in 12) gärbham dadhäsi jämishu vivakshase, Die Kürze ist vor dem Refrain bewahrt, vgl. unter wa zu Rv, X.25, 4°. 29. jäsu (RPr. 532); nur ein Fall Rv. VII. 46, 2° Histor.-philolog. Classe XX. 1. H 58 THEODOR BENFEY, anämivö rudra jäsu no bhava. Es ist diess, bei mechanischer Silbenzählung, zwar nicht eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel, sondern vielmehr zu der Ausnahme von der dien Ausnahme (vgl. § 14, a). Denn bei dieser mechanischen Zählung ist das auslautende u in der Bien Silbe eines elfsilbigen Stollens und müsste nach $ 14 vor no, trotz des Diphthongs in diesem, gedehnt werden. Allein diese mechanische Zählung entspricht, wie so oft, nicht der durch das Metrum gebotenen. Die drei ersten Verse dieses Liedes sind näm- lich, wie die Inder richtig erkannt, Jagatis; elf Stollen derselben sind entschieden ganz regelmässig; der vorliegende wäre der einzige unregel- mässige. Die neuere Forschung hat aber festgestellt, dass, wie Indra häufig dreisilbig, etwa Indara, so auch rudra sehr oft rudara zu lesen ist (vgl. Grassmann Wtbch. S. 1174 ff.); wendet man diese Lesung auch hier an, so wird auch dieser Stollen ein regelmässiger zwölfsilbiger, schliessend mit Dipodia iambica und das auslautende u fällt nicht in die Ste sondern 9te Silbe, die erste der Dipodia, muss also kurz bleiben: o= |ovo— |vo—o— j. 30. jighämsasi (RPr. 528) ein Fall Rv. VII. 86, 4 (8 in 11) yät stotä’ram jighämsasi säkhäyam. 31. tämasi (RPr. 533) ein Fall Rv. VII. 6, 43 (8 in 11) yó apäcind tämasi mädantih. 32. tirasi (RPr. 533) ein Fall, Rv. IV. Ý (8 in 11) prá vedhásac cit tirasi manishá'm. 33. dadåtu (RPr. 530) ein Fall, Rv. VIII. 71 (60), 13° agnir ishä’m sakhyé dadätu nah ist, wie schon so viele, nur scheinbar eine Ausnahme. Die Inder haben nach $ 3, 3 sakhiy& gelesen; dadurch ist das u von dadätu in der 10ten Silbe eines elfsilbigen Stollens und hätte nach der indischen Fassung gedehnt werden müssen. Allein der Stollen ist der 5te einer Pragätha- Strophe und dieser ist regelmässig zwölfsilbig, mit einer iambischen Di- podie als Schlussfuss, Die neuere Forschung hat aber, wie schon be- merkt, festgestellt, dass die Endung des Gen. Pl. ám sehr häufig zwei- silbig erscheint, Wenden wir nun diese Lesung hier an, so wird der QUANTITÄTSVERS( TEN IND. SAMHITÄ-U.PADA-TEXTENETEC. 59 Stollen zwölfsilbig und die Silbe Op die llte, oder erste des letzten Jambus, muss also kurz sein. 34. dadhätu (RPr. 530, vgl. 162) ein Fall, Rv. V. 51, 11° svasti püshä’ äsuro dadhätu nah, Der Anukrama schwankt ob Vers 11—13 dieses Liedes Trishtubh oder Jagati; dh 4 x 11, oder 4 x 12 Stollen habe. Im erstren Fall würde tu die 10te Silbe eines elfsilbigen Stollens sein. Es sind aber alle drei Verse regelmässige Jagati's mit schliessender iambischer Dipodie ; in allen ist das svasti geschriebene Thema, wie fast immer suasti zu lesen; dadurch wird Op die 11te Silbe, d. h. die erste des letzten Jam- bus und muss kurz bleiben. Dieses Schwanken in diesem allereinfachsten Fall zeigt recht deut- lich, wie wenig man selbst zu der Zeit der schliesslichen Redaktion des RPr. vom Vedenmetrum erkannt hatte. In diesem besonderen Fall ist noch beachtenswerth, dass die Verfertiger des Rv-Pada das unzweifelhaft aus su und asti zusammengesetzte svasti nicht (durch avagraha) zu theilen wagten: in dem so häufig gebrauchten Wort hatte sich die Aussprache mit der Liquida gewiss schon lange so sehr fest gesetzt, dass die Pada- Verfertiger die Zusammensetzung nicht mehr erkannten. 35. dadhimahi (RPr. 531) ein Fall, Rv. VIL 40, r (8 in 11) práti stómam dadhimahi turånåm. 36. didhisheya (RPr. 530) ein Fall, Rv. VII. 32, 18° = Sv. I 4. A S S = Ath. XX. 382, i (8 in 12) stotä’ram íd didhisheya radåvaso. 37 diví (RPr. 533) ein Fall, Rv. IV. 35, 8 (8 in 11) cyenáivæd ádhi diví nishedá. 28 didihí (RPr. 528); diese Ausnahme findet nur Statt Rv. VII. 60 (49), 6* (8 in 12) cócå gocishtha didihí vige mäyo. Dagegen gilt die allgemeine Regel Rv. III 54, 22 (10 in 11) áhå vicvä sumänä didihi nah. 40. deva (RPr. 531) ein Fall, Rv. X. 93, 9 kridhi’ no ährayo deva savitah 60 THEODOR BENFEY, Mechanisch gezåhlt ist der Auslaut von deva in der That der Schluss der Sten Silbe eines elfsilbigen Stollens; allein das Metrum dieses Stol- lens ist schwerlich richtig aufgefasst. Die Silben des ganzen Verses sind mechanisch gezählt 40, nämlich 11 + 7 + 8 + 6 + 8. Die Silbenzahl des 2ten und 4ten Stollens ist aber sehr unregelmässig; nach dem schon erwähnten Gesetz, wonach die Endung ám des Gen. pl: sehr oft zweisilbig ist, so wie durch die regelrechte Aufhebung des Sandhi in ny &shdm in dem Aren Stollen ergeben sich aber auch für diesen und den 2ten 8 Silben. So gelangen wir zu einem Verse von 11 und 4x8 Silben; ein solcher ist mir aber bis Jetzt noch nicht vorgekommen und ich neige mich desshalb zu der Vermuthung, dass savitah im 1sten Stollen ein Zusatz ist, wie sich davon eine Menge insbesondre durch die Varianten zwischen der VS. und TS. nachweisen lassen. In diesem Falle wäre der Vers die sehr beliebte Parkti, d. i. 5 x 8. Doch will ich nicht bergen, dass man gegen diese Annahme vielleicht dadurch schwan- kend werden könnte, dass dieser Vers (der te) auf eine Prastärapankti (di. 12 +12 +8 + 8) folgt und eine eben solche hinter sich hat. Es ist diess jedoch kein erheblicher Einwand; denn hinter dem letzteren Verse (dem 10ten) folgt auch ein Vers eines andern Metrums; dann ist der 12te wieder wie 11: der 13te wieder ein andres Metrum; der Lie wieder wie 12; der 15te wieder ein andres Metrum; — vgl. übrigens auch unter Indra. 41. dhäraya (RPr. 530) ein Fall, Ry. X, 24, -10 (8 in 12) asm& rayim ni dhäraya vi vo mäde _ Die letzten vier Silben sind Refrain (vgl. bei iva und jämishu). 42. dhäva (RPr. 531) ein Fall, Rv. IX. 86, 48° (8 in 12) ävyo våre päri dhäva mädhu priyäm. 43. näma (RPr. 529). Die beiden hieher gehörigen Stellen, Rv. V. 33, 44 und X. 23, ?' smd in § 12 vollständig erörtert; die Bewahrung der Kürze im Auslaut ergab sich als Folge der schliessenden iambischen Dipodie, in welcher Oma die Kürze des letzten Jambus bildet. QUANTITÄTSVERSCHIEDENHEITEN IN D. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 61 44. ní (RPr. 533) ein Fall, Rv. X. 84, 7? = Ath. IV. 31, 7 (8 in 11) päräjitäso ápa ní layantäm. Der Mangel der Dehnung erklärt sich vielleicht daraus dass Prä- position und Verbum von einigen Recitirern für unzertrennlich verbunden gehalten wurden, wie in der TS., wo II. 6. 6.1; V. 1. 1. 4 u. sonst (Weber Ind. St. XIII. 45) 1) niläyata im Pada nicht getrennt wird. Der Grund der Nichttrennung wiederum liegt, wie sehr oft, darin dass man nicht wusste, wie zu trennen sei, ob die Präposition ní und das Verbum lí sei, oder die Präposition nis und das Verbum ay (i), wobei nir ay zu nil ay geworden sei (s. Siddh. K. Bl. 119. a. in Böhtlingk Dän. zu VIII. 2. 19, Bd. II. S. 362). Hatte der Recitirer nun, auf dessen Autorität sich die Diaskeuasten verliessen, der letzteren Ansicht gemäss vorgetragen, ` also níl-ayantám , so war i gar nicht der Auslaut und durfte also der herrschenden Regel gemäss nicht gedehnt werden. Die Pada-Verfertiger folgten alsdann zwar der erstren Ansicht und trennten dem gemäss ni layantim, aber die in der Samhitä der Diaskeuase überlieferte Kürze stand schon ein für allemal fest. 45. mp (RPr. 533) ein Fall, Rv. I. 172, 3 (6 in 8) trinaskandäsya nú vicah. pänca (RPr. 531). Es könnten drei, vielleicht vier Fälle hieher gezählt werden, aber alle vier mit Unrecht. Der erste scheint in der Schule als Beispiel gedient zu haben; er wird von Uvata zu der Stelle des Prätic. angeführt, aber von ihm selbst als unrichtig bezeichnet. Sein Grund ist zwar vom indischen Stand- dunkt aus nicht triftig, allein die Richtigkeit des Beispiels ist dennoch sehr zweifelhaft. Er findet sich Rv. I. 89, 10° — VS. XXV. 30 = Ath. VII. 6, 1 vieve devä’ A’ditih pänca jänäh. Uvata tadelt das Beispiel (s. M. Müller zu der angeführten Stelle des en 1) Beiläufig bemerke ich, dass die im Petersb. Wtbch unter ü mit Ár ni Bd. VL S. 551 für TS. V. 1. 4. 3 angegebene Form aniläyata (sic!) irrig ist (s. Web. Ausg.). 62 THEODOR BENFEY, Prätig.), weil man, um Deg in die 10te Silbe zu bringen, vieve dreisilbig lesen müsse, d. h. nach indischer Weise (s. § 3 ff.) víçuve. Allein vom indischen Standpunkt aus steht dieser Lesung (nach Prätic. 527; 974) nichts entgegen, und ich glaube, dass die, welche diess Beispiel auf- stellten, sie und es für richtig hielten. Für uns dagegen ist die Drei- silbigkeit von vígve unannehmbar ; denn das Thema vieva, welches im Rv. einfach, in weiteren Ableitungen, und Zusammensetzungen unzähligemal vorkömmt (s. Grassmann Wtbch 8. 1297—1306), hat auch nicht an einer einzigen Stelle Dreisilbigkeit, sondern ist stets nur mit v zu spre- chen. Dadurch wird Oca unbedingt zur 9ten nicht zur 10ten und zwar eines elfsilbigen, nicht aber zwölfsilbigen Stollens. Es ist hier also kein Verstoss gegen die Regel zu erkennen, sondern — in Uebereinstimmung mit der Anukr. und mit den übrigen dieses und der beiden vorherge- henden Verse — ein elfsilbiger Stollen, welcher aber nicht den gewöhn- lichen Schluss hat v——, sondern vu—. Derselbe Schluss wird vermittelst Janäh oder jánán auch herbeigeführt in I. 173, 8: (———v|vvu——|w—); IT. 20, 2 (v—v— | v—v— | w—); III. 46, 24 (v—v— | —vw— | w—); v2 u [oe wa) VI 10, Ee oo] tm); EI b VL HOLE In 49, 15° (—v—v | vio—— | vv—); 51, 11? (——v— | vvu | vv—); 67, Ai (———— | —vw— | vv —). Grassmann will in alllen diesen Stellen, um den gewöhnlichen Schluss (v——) herauszubringen , já'náh, Jánán, oder gar jánnáh, Jánnán lesen. Ich kann derartige Kühnheiten um so weniger für gerechtfertigt halten, da die Zahl dieser Stellen einmal nicht unbeträchtlich ist, jana mit entschieden kurzem à in der ersten Silbe gerade hinter panca sich nicht selten findet (z. B. VIII. 32, 22), ferner der gewöhnliche Schluss der elfsilbigen Stollen (v——) keinesweges der einzige ist und endlich gerade der hier auftretende auch sonst und zwar keinesweges so sehr selten vorkömmt, Man vgl. S. 50. Genaueres s. in den Beiträgen zur Vedenmetrik. Das Metrum des Beispiels ist also — — —_ _— | 99. — — | vv—- Das zweite Beispiel schlägt M. Müller am angeführten Orte vol. TEN IN D.SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 63 weil er und Regnier das eben besprochene zufällig im Rv. nicht finden konnten. Es ist Rv. VI. 51, 11°, und schon oben erwähnt: püshä’ bhägo äditih pänca jänäh und passt noch viel weniger, da hier durch keine Kunst das °ca in die 10te Silbe eines 12 silbigen Stollens gebracht werden kann; das Metrum ist wesentlich wie im Lsten Beispiel — 9 — | vu —— | ve — Ein eben so gutes, oder vielmehr schlechtes würde der ebenfalls schon erwähnte 4te Stollen in Rv. VII. 11, 4 sein anjänte suprayäsam pänca jänäh. Ein andres Beispiel ist von Uvata an die Stelle des von ihm ge- tadelten ersten gesetzt. Es findet sich Rv. X. 93, 14° (6 in 8) yé yuktvä’ya páńca gatä und bildet vom indischen Standpunkt aus in der That eine Ausnahme. Allein nicht so für uns. Denn es ist hier, wie nicht selten in Ssilbigen Stollen, als Schlussfuss —vv— eingetreten (vgl. M. Müller, Translation, Preface p. CXXI) 47. pavamåna (RPr. 534) zwei Fälle Rv. IX. 79, 3° (8 in 12) sóma jahí pavamåna durådhyàh zu lesen durädhiah. Ferner IX. 79, 5° (8 in 12) nidamnidam pavamäna ni tärisha vgl. unter Indra S. 50. 48. päti (RPr. 532) ein Fall Rv. X. 1, CN (8 in 11) jåtó brihánn abhí päti tritřyam. In den Beiträgen zur Vedenmetrik wird sich wohl als unzweifelhaft herausstellen, dass das consonantische Element in dem Vokal ri mehr- farh noch -consonantisch in den Veden wirkte; vgl. ‚auch oben unter ihá S. 51 und weiterhin unter prá, mäsva; auch x. 2, 7 pánthåm ánu pravidvän pitriyä’nam wo das Metrum des 2ten Fusses, welches, wenn man pi? in pitri? kurz liest, die sehr bedenkliche Form v——v hat, die ziemlich häufige v— —— erhält, sobald man dem geed Positionskraft zuerkennt. In unserm speciellen Falle ist es ausserdem bekannt, dass tritfya für 64 THEODOR BENFEY, älteres fri-tíya steht. Eingehend behandle ich diesen Gegenstand in der vedischen Lautlehre unter Vokal rí. 49. pähi (RPr. 534) ein Fall, Rv. III. 31, 20° Indra tväm rathiräh pähi no rish6. Wiederum, wie in abhi, j@su, vom indischen Standpunkte aus eine Ausnahme nicht zu der Regel, sondern zu der Ausnahme in § 14, a; jedoch irrig. Bei mechanischer Zählung ist zwar das í? von páhi in der That in der achten Silbe eines elfsilbigen Stollens; allein tvám ist in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle noch tudm zu lesen und ` der Schluss des Stollens ist augenscheinlich die iambische Dipodia, so dass keinem Zweifel zu unterwerfen, dass dieser Stollen als ein zwölf- silbiger aufzufassen ist, in welchem die Silbe 0% also die 9te ist. Es ist zwar auffallend, dass das der einzige zwölfsilbige in diesem ganzen langen Hymnus ist; allein bei der so häufigen Vermischung von elf- und zwölfsilbigen Stollen liegt darin kein Grund gegen diese Auffassung; wohl aber mag es die Verfasser des Prätic. entschuldigen , wenn sie die Aussprache tuvam, trotz Regel 974, hier nicht anzunehmen wagten; zeigt aber zugleich, wie gering ihre Bekanntschaft mit der Vedenmetrik war. 50. pitäri (RPr. 533); ein Fall, Rv. X. 61, 6 (8 in 11) kå'mam krinvine pitäri yuvatyä/m. 51. puruprajätäsya (RPr. 529) ein Fall, Rv. X. 61, Lë (8 in 11) vidät Ppuruprajätäsya gúhå yät. 52. prithivi (RPr. 533) zwei Fälle Rv. V. 66, 5° (6 in 8) täd ritäm prithivi brihác; ferner Ry: I. 22, 15 vg XXXV. 21 = Ath. XVII. 2, 19 (6 in 8) syonä’ prithivi bhava zu lesen sound (siyond') ; vgl. unter Indra: für den ersten Fall vergleiche man auch unter páti. 58. prä (RPr. 532). Unter der grossen Menge von Stellen, in Genen prd vorkömmt — drei mehr als in M. Müllers Index. nämlich I. 40, 3 zweimal und VH. 94, 8 giebt es nur eine, die zum Pratiç. angeführte , welche die Inder im Auge gehabt haben können, nämlich Rv. VII. 81 (70), 6 QUANTITATSVERS( TEN IN D.SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 65 (6 in 8) abhí savyéna prä mrica. Er erklärt sich wenn wir mp Positionskraft zuschreiben, vgl. unter páti. Einen zweiten könnte auf den ersten Anblick Rv. X. 97, 13* = VS. XII. 87 = TS. IV. 2. 6. 4 zu bilden scheinen säkäm yakshma prä pata. Nicht aber bei den Indern; denn bei deren mechanischer Zählung würde prd die Šte Silbe eines 7 füssigen Stollens sein und sie hätten ihn als mangelhaften bestehen lassen müssen. Wir würden — mehr vom Metrum als der Silbenzahl geleitet — entweder säkdm yaksh? als Vertreter von vier Silben betrachten, oder vielleicht gar wagen iaksh® zu lesen, und dadurch die Silbenzahl — acht — vervollständigen; dann würde prá die Gite Silbe eines 8silbigen Stollens werden; allein der Mangel der Dehnung würde sich dadurch erklären, dass die achtsilbigen Stollen oft mit —vv— schliessen (vgl. M. Müller Transl., Pref. CXXTI). 54. pradivi (RPr. 533) zwei Fälle Rv. III. 46, 4° (8 in 11) I'ndram sömäsah pradivi sutäsah und Rv. VI. 21, 8° (8 in 11) tväm hy äspih pradivi pitrinäm; es ist nämlich /uam und hi äpih zu lesen. 55. bhava ein Fall, TS. I. 5. 6. 3° (8 in 12) utá trätä’ çivó bhava varüthyah. So Webers Ausgabe und die von Whitney gebotenen Hülfsmittel, da er zu TPr. III. 8 (S. 91 Z. 9—12) diese Stelle nicht unter denen mit Dehnung (bhavd) anführt. Im Rv. V. 24, 1 und VS. III, 25, wo der Vers ebenfalls sich findet, erscheint, der Regel gemäss, bhavá; Sv. I. 5: 2. 2. 2 hat die V. L. bhuvo (für bhuvas) statt dessen. Sollte TS. nicht auch in bhavá zu ändern sein? 56. bhavantu (RPr. 529) ein Fall, Rv. V. 51, 12! svastäye ädityäso bhavantu nah aber irrig gefasst, vgl. unter dadhätu; wie dort ist auch hier suastaye zu lesen: der Stollen ist zwölfsilbig mit schliessender iambischer Dipodie, in welcher Ofu die 11te Silbe, d. h. die Kürze des letzten Jambus ist. Histor.-philol. Classe. XX. 1. I 66 THEODOR BENFEY, 57. mádhu (RPr. 533) ein Fall, Rv. VIII. 26, 20°: ` (6 in 8) ån no väyo mádhu piba. Der Schlussfuss des 8silbigen Stollens ist wie oft vvv— (vgl. M, Müller Transl. Pref. CXV). 58. mama (RPr. 533) ein Fall, Rv. X. 25, 2: (8 in 12) ädhä kä’mä ime máma vi vo mäde. Der Mangel der Dehnung erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass der folgende Fuss den Refrain bildet; vgl. unter Jámíshu. 59. märtasya. Aus dem Commentar des Uvata zu RPr. 528 (vgl. M. Müller zu dieser Regel und Regniers Ausg. des RPr. Bd. II. 22. n.) geht hervor, dass, wie in den Ausgaben des RPr. von Regnier und M. Müller, so auch in dem Texte, welcher Uvara vorlag, nicht märtasya, sondern vd’tasya gelesen ward. Es giebt nur einen Fall, in welchem in vátasya der allgemeinen Regel gemäss vielleicht der Auslaut hätte gedehnt werden müssen, aber in dem Samhitä-Text kurz geblieben ist. Es ist diess Rv. X. 22, A yujänö äcvä vätasya dhünt. Als Metrum des Verses, welchem dieser Stollen angehört, wird im Sar- vänukrama, gleich wie für die drei vorhergehenden, so wie für den Dien, Sten, und 10ten bis 14ten Purastädbrihati angegeben, d. h. vier Stollen, der erste von 12, die drei folgenden von 8 Silben (RPr. 905); allein der häufige Wechsel von 12 und llsilbigen Stollen hat sich in diesem Hymnus so sehr geltend gemacht, dass der 12 silbige nur im Arten und liten Verse erscheint, dagegen im Iten, 2ten, 6ten, Sten, 10ten, 12ten, 13ten und Liten elfsilbige.. Der 4te ist der hier zur Sprache kommende. Augenscheinlich haben die Verfasser des Prätic., welche vdtasya als Ausnahme von der allgemeinen aufstellten, diesen Stollen, welcher, mechanisch gezählt, nur 10 Silben darbietet, durch Anwendung von í. 973; 974 zu einem der Regel der Purastädbrihati entsprechenden zwöl- silbigen vervollständigt, indem sie | yujänö äcuvä vötasiya dhúní lasen. Darin ist das auslautende a in wátasiya die 10te Silbe eines * QUANTITATSVERSCHIEDENHEITEN IN D. SAMHITÀ-U. PADA-TEXTEN ETC. 67 12silbigen Stollens und hätte der allgemeinen Regel gemäss gedehnt werden müssen, würde also in der That eine Ausnahme bilden. Allein der Verfasser der Chandonukramani!) betrachtete den Vers, wesentlich der mechanischen Zählung gemäss (d. h. 10 + 8 + 8 + 8 nur mit mit Aufhebung des Sandhi in stoshy ádhvanah, d. h. Wieder- herstellung des ursprünglichen stoshi ádh9), als einen 34 silbigen, speciell entweder als eine um zwei Silben vermehrte (svaráj) Anushtubh (d. h. 10 + 8 + 8 + 8 statt 4 x 8), oder als eine um zwei Silben ver- minderte (viräj) Brihati (d. h. 10+ 8+8 +8 statt 12 + 8 + 8 +8 d. i. statt einer Satobrihati)?). In diesem Fall ist das auslautende a in vátasya zwar in der 8ten Silbe, aber eines zehnsilbigen Stollens, und eine Dehnung nicht verstattet. Das Beispiel ist demgemäss, wie Uvata sich ausdrückt, anarthakam nicht dem Zwecke entsprechend’, ‘werthlos. Man suchte demnach nach einem anderen und glaubte dieses in dem Worte märtasya in Rv. VIII. 11, 4° gefunden zu haben. Der Stollen lautet sammt dem vorhergehenden änti cit säntam äha yajnäm märtasya ripöh. Der Vers, welchem diese beiden Stollen angehören, wird als eine Gäyatri gefasst, d. h. soll der Regel nach aus drei achtsilbigen Stollen bestehen. Diese Zahl erhält man, wenn man — der Vervollständigung wegen — már- tasiya liest; dann tritt das auslautende a desselben in die 6te Silbe eines 8silbigen Stollens und hätte gedehnt werden müssen. Der Mangel der Dehnung würde eine Ausnahme von der allgemeinen Regel bilden. 1) Sie wird demselben Caunaka zugeschrieben, welcher auch für den Verf. des RPr, gilt (vgl. M. Müller, A history of ancient Sanskrit Literature p. 216 u. 218 u. sonst). Wenn er demgemäss für den gesammten Inhalt beider Werke verant- wortlich zu machen wäre, würde er in dem zu besprechenden Falle in auffallendem Widerspruch mit sich selbst stehen. Allein einerseits ist die Verfasserschaft keines- weges ganz sicher und andrerseits ist das Prätigäkhya zu der Gestalt, in welcher es uns vorliegt, erst nach und nach gelangt und eine Verbindung von Arbeiten ver- schiedener Zeiten und Männer. 2) s. Uvafa bei M. Müller zu Pr. 528 p. CLXXII. I2 68 THEODOR BENFEY, Diese Auffassung konnte dem Gewissen der indischen Forscher, welche bei den Metren fast nur die Silbenzahl berücksichtigten, von ihrer rhythmischen Gestaltung fast noch gar nichts erkannt hatten, voll- . ständig genügen; allein völlig eben so berechtigt würde vom indischen Gesichtspunkt diejenige Auffassung von Rv. X. 22, 40 sein, nach welcher vá'tasya eine Ausnahme von der Regel bilden würde. Wir müssten also, wollten wir wie die Inder verfahren , sowohl vdtasya als märtasya als Ausnahmen aufstellen und annehmen, dass die Verfasser des Prätic. eines übersehen hätten; eine Annahme, welche bei der wunderbaren Sorgfalt, welche vor allem das Rv.-Prätic. auszeichnet, so gut wie un- denkbar ist. Es ist mir daher kaum zweifelhaft, dass sie martasya nicht im Auge hatten, dass sie in dem Stollen, welchem dieses Wort angehört, vielmehr, wie diess gerade in der Gäyatri oft vorkommt, einen sieben- silbigen Stollen sahen; und dazu liessen sie sich wohl durch den vor- hergehenden bestimmen, welcher ebenfalls siebensilbig ist und durch keine Kunst in einen achtsilbigen verwandelt zu werden vermag. Da- gegen sehe ich keinen Grund, weswegen diejenigen, welche in X. 22, £ den ersten Stollen einer Purastädbrihat! sahen, — und dafür sprechen die drei vorhergehenden und mehrere oben angegebene folgende Verse des Liedes — nicht die indischen Mittel hätten anwenden sollen, durch welche die nöthige Zwölfzahl vervollständigt werden konnte. So wie sie sich aber dazu entschlossen, bildete der Auslaut von vd’tasya in seiner Kürze in der That eine Ausnahme von der Regel. Wir glauben dess-, halb, dass die Veränderung von vátasya in martasya völlig irrig ist. Eine andre Frage ist aber, ob die Inder ein Recht zu dieser Ver- vollständigung von unserm heutigen Gesichtspunkt aus hatten. Wir räumen zwar ebenfalls der Silbenzahl eine grosse Bedeutung ein, aber eine noch grössere dem rhythmischen Bau der vedischen Verse, und hier sprechen eine grosse Menge von Analogien — welche theilweis schon angedeutet sind, aber erst in den Beiträgen zur Vedenmetrik SÉ nauer erörtert werden können — dafür , dass beide hier besprochene Sollen, sowohl X. 22, 4°, als VIII 11, 4°, unverändert zu bewahren sind; dafür entscheidet für die erstere Stelle auch der Umstand, dass QUANTITÄTSVERS TEN IN D. SAMHITÂ- U. PADA-TEXTEN ETC. 69 ácva in den unzähligen Stellen in denen es vorkommt, stets zweisilbig, nie dreisilbig zu lesen ist (vgl. S. 23). In Bezug auf X. 22, 4* ist ausserdem schon bemerkt, dass in dem ganzen Liede die ersten Stollen nur zweimal zwölfsilbig, sonst immer elf- silbig sind; wir haben aber schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sowohl in zwölf- als elfsilbigen Stollen nicht selten die beiden ersten - Füsse nur aus sieben (statt 8) Silben bestehen; endlich giebt es keines- weges wenige Beispiele, in denen elfsilbige Stollen vv— schliessen vgl. S. 50 und 62. Das Metrum von X. 22, 4* istsonach v rr Ueber die Art, wie es zu lesen ist, kann ich erst an einem andern Orte mich aussprechen. Was VIII. 11, 4° betrifft, so ist, ähnlich wie in den elf- und zwölf- silbigen Stollen, auch in der Gäyatri nicht selten der vordere Fuss um eine Silbe zu kurz und der hintere hat, wie schon erwähnt, mehrfach die Form — vo—. Beide Stollen dieses Verses sind fast ganz gleich gebaut; der erste —v— | — vv», der zweite ——— | — vv —. 60. mänushasya (Bir, 534) ein Fall Rv. I. 121, 4° (8 in 11) ápa druhö mänushasya düro vah. 61. mäsva (RPr. 532) ein Fall, Rv. IX. 93, 5 (8 in 11) nů’ no räyim úpa mäsva nrivantam. Vermuthlich macht nr Position (vgl. unter invasi und páåti). 62. mürdhäni (RPr. 532), ein Fall Rv. VIL 70, 3° (8 in 11) ni pärvatasya mürdhäni sädantä. [yata hat M. Müller in beiden Ausgaben Rv. VIII. 57 ders 9), w Aufrecht hat richtig yäta]. 63. raksha RPr. 530) ein Fall Rv. X. 53, 6° (8 in 11) jyötishmatah pathó raksha dh kän. Im RPr. wird bemerkt, dass dieser Mangel der Dehnung nur vor dhiy@' erscheine. Diess setzt einen oder mehrere Fälle voraus, wo raksha der Regel folgt. Es giebt nur einen, nämlich Rv. X. 81,20” = Ath. FUEL 8,19. Dieses Gegenbeispiel konnte Uvata sonderbarer Weise nicht finden; ` auch bei M. Müller fehlt es noch und Regnier glaubte sogar, es gebe. 70 THEODOR BENFEY, keins. Ich erwähne dieses nur, um darauf aufmerksam zu machen, um wie viel besser die alten Vedenforscher im Veda bewandert waren, als ihre späten heimischen Commentatoren. 64. räjasi (RPr. 533) ein Fall Rv. X. 82, 4° — VS. XVIL 8 (= TS. IV. 6. 2. 2, wo aber V. L.) (8 in 11) asü’rte sü’rte räjasi nishatte. 65. ränyasi (RPr. 531) ein Fall, Rv. VIII. 12, 18° — Ath. XX. 111,3 (8 in 12) ukthe vå yäsya ränyasi sám indubhih. Dieses Lied ist im Metrum Ushnih gedichtet, d. h. der Vers be- steht aus drei Stollen, deren beide erste acht Sılben enthalten, der dritte 12. Es tritt darin die Besonderheit hervor, dass stets (mit zwei sehr unwesentlichen Ausnahmen) drei Verse mit denselben Wörtern en- den und mit einer, wahrscheinlich zu ändernden, Ausnahme diese Wörter durch Cäsur von den vorhergehenden 8 Silben getrennt sind, also Re- frains bilden; so enden Vers. 1. 2. 3 tám Imahe; Vers 4.5.6 va väkshitha; Vers 10. 11. 12 mimita it; Vers 13. 14. 15 ritäsya yat; 16. 17. 18 sám indubhih; Vers 19.20. 21 vy @nacuh (zu lesen ví ánaçuh); Vers 25: 26. 27 vavakshatuh; Vers 31. 32, 33 prädhvare (zu lesen prá adhvare). Etwas abweichend sind Vers 7. 8. 9, wo 7 dvardhayat, 8 und 9 prá vävridhe schliessen, und Vers 22. 23. 24, wo die beiden ersten sám ójase schliessen, der dritte sám ójasah (wahrscheinlich zu ójase zu ändern). Vers 28. 29. 30 haben die Cäsur nicht vor den letzten vier Silben, sondern schliessen bhúvanáni yemire; vergleichen wir aber Vers 29 yádå te mä’rutir vicas tübhyam Indra niyemire åd it te vicvä bhüvanäni yemire so scheint kaum zweifelhaft, dass statt bhúvanáni yemire zu lesen 1st bhüvand ni yemire. Wir dürfen danach sagen, dass dieser Hymnus eigentlich in M S Trica's von 3 Stollen zu 8 Silben mit einem viersilbigen Refrain zerfällt; der Refrain aber scheint, wie unter iva (vgl. máma) bemerkt, bisweilen ge? als Theil des vorhergehenden Stollens betrachtet zu sein (vgl. unter iva). _ QUANTITÄTSVERS( TEN IN D.SAMHITÄ-U. PADA-TEXTEN ETC. 71 Doch wie am a.a. O. will ich auch hier nicht bergen, dass die Dehnung in unserm Hymnus in Vers 2* (ávitha) und Vers 22 (anúshatá) vor dem Refrain der Regel gemäss eingetreten ist, was vielleicht als eine der vielen Inconsequenzen in der Samh. zu betrachten ist. 66. varanta (RPr. 532) ein Fall Rv. II. 24, 5 mädbhih carädbhir duro varanta vah. Mechanisch gezählt ist das auslautende Ota in der That die 10te Silbe eines 11silbigen Stollens; allein der ganze Vers ist mit vollem Recht, wie fast der ganze Hymnus, in der Anukr. als Jagati bezeichnet und dass auch dieser Stollen so zu fassen ist zeigt der Schluss, welcher in varanta vah eine regelmässige iambische Dipodie darstellt Die beiden ersten Füsse haben, wie so oft nur 7 statt 8 Silben; die sieben letzten Silben haben genau denselben Rhythnus, wie der in $ 12 erwähnte 07,4. 67. varuna (RPr. 533). Hieher gehören jedenfalls drei Fälle; fraglich ist ein vierter. Die drei ersten sind Rv. I. 24, 14 = TS. I. 5. 11. 3 (8 in 11) áva te hólo varuna nämobhir; ferner Rv. VII. 86, 3° (8 in 11) pricche tád éno varuna didrikshu eigentlich didrikshuh (s. Erste Abhalg Bd. XIX S. 249); endlich Rv. VIII. 27, 7° (8 in 12) sutäsomäso varuna havämahe. Fraglich ist ob hieher zu rechnen Rv. II. 28, 6* apó sú myaksha varuna bhiyäsam mát. Folgen wir der Samhitä und bestimmen das Metrum bloss nach der Sil- benzahl, dann bildet Ona freilich die Ste Silbe eines 1? silbigen Stollens und der Mangel der Dehnung ist gegen die Regel. Allein der ganze Hymnus ist in Trishtubh und so sind auch die übrigen 3 Stollen dieses Verses nur elfsilbig; der Schlussfuss vv—v ist ebenfalls auffallend und wir werden dadurch berechtigt, wenn eine leichte Umwandlung diese Unregelmässigkeit wegschafft, sie nicht von der Hand zu weisen. Das Thema bhiyas ist aus bh durch Affix as entstanden; seme Ur- 72 THEODOR BENFEY, form war demnach bhids, dann, mit Verkürzung vor dem folgenden Vokal, blás und endlich der spätren Aussprache gemäss bhiyás Es ist nun zwar keine Frage, dass bhiyds der organischeren Form näher steht als bhyas ; allein es ist keinem Zweifel zu unterwerfen, dass zu der Veden- zeit die Liquidirung liquidirbarer Vokale vor nachfolgenden unähnlichen schon oft eintrat. Speciell ist das aus diesem Nomen entstandene Ver- bum schon im Rv. II. 12, 1 entschieden bAyas gesprochen und erscheint auch so im Samhitä-Text; eben so im Sv. I. 4. 2. 4. 2. Auch im Naighantuka, dem Nirukta und Dhätupätha wird es nur bhyas geschrieben. Die dazu gehörigen zusammengesetzten Nomina, ud-bhyasd und sva-bhyasa erscheinen im Ath. XI. 9, 17 und zwar entschieden mit Y zu sprechen. bhiyas selbst ist zwar im Rv. an 13 Stellen zweisilbig zu sprechen; an einer aber entschieden bAyas, nämlich Rv. IX. 19, 6 und ich nehme darum keinen Anstand, diese Aussprache auch für unsre Stelle vorzu- schlagen. Wie leicht unter dem Druck des Metrums, dem Einfluss des Accents, durch welchen í in die schwächste Stelle gerieth, durch die Analogie des Verbums bhyas und schon an und für sich durch die im Sans- krit früh begonnene Feindschaft gegen den Hiatus Synizese von ia zu ya an einzelnen Stellen eintreten konnte, bedarf wohl kaum einer weit- läuftigen Ausführung (vgl. übrigens meine Abhdlg über das Suff. ia in Bd. XVI S. 91 eu : Lesen wir demgemäss bhydsam, so erhalten wir einen elfsilbigen Stollen und die Silbe Ona ist von einer Position gefolgt, also die Dehnung nicht verstattet. In Bezug auf die übrigen Fälle vgl. man das über die Vokative unter Indra bemerkte, 68. vavrityäma (RPr. 528) ein Fall Rv. VII. 27, 5 (8 in 11) & te mäno vavrityäma maghä’ya. 69. vasaväna (RPr. 530) ein Fall Rv. X. 22, 15 (8 in 11) mëi rishanyo vasaväna väsuh sän. Vokativ vgl. unter Indra. [vaha hat M. Müller in beiden Ausgaben und ebenso Aufrecht in Re, HE 25 = in QUANTITATSVERS( TEN IN D.SAMHITÄ- U. PADA-TEXTEN ETC. 73 sá no devä éhá vaha puruksho; 0a als Auslaut von vaha ist 8 in 11 und müsste gedehnt sein. Das Prätic. kennt diese Ausnahme nicht. Denn Regel 456 gehört nicht hieher; es ist daher schwerlich Missverständniss derselben, sondern sicherlich Fehler, wie oben iraya und yäta bei M. M., und in vahd zu eorrigiren]. 70. vahasi (RPr. 533) ein Fall Rv. VIII. 60 (49), 15° = Sv. I. k k. 0 2. (8 in 12) ätandro havyå' vahasi havishkrita. 71. vätasya, s. unter martasya. 72. vävridhanta (RPr. 528) ein Fall Rv. X. 93, 12° dyutädyämänam vävridhanta nrinäm. Das Metrum des Verses ist, der indischen Annahme gemäss, Prastära- pankti d. h. es besteht aus vier Stollen, deren beide erste je 12 Silben enthalten sollen, die beiden folgenden 8 (RPr. 919). Demgemäss nah- men der Scholiast Uvata und sicher auch die Verf. des Prätig. an, dass der vorliegende Stollen 12 Silben enthalten müsse und um sie heraus- zubringen, griffen sie zu dem gewöhnlichen Mittel statt dyutad? zu lesen diyutad® (vgl. §. 2. 3). Dadurch kömmt das auslautende a von vävri- dhanta in die Lüte Silbe eines 12silbigen Stollens und hätte gedelint werden müssen. Der Mangel der Dehnung würde also eine Ausnahme bilden. Allein wir haben schon bemerkt, dass elfsilbige und zwölfsilbige Stollen überaus häufig wechseln und dieses geschieht gerade in unserm Liede in den ebenfalls als Prastärapankti gefassten Versen lin a und: b; ebenso in 4 in a und b und in 14 in a; es ist also kein Grund den zu besprechenden Stollen nothwendig zwölfsilbig zu machen. In den eben erwähnten 5 elfsilbigen Stollen ist ferner der Schlussfuss der regel- mässige der elfsilbigen v— —; wir dürfen denselben demnach auch in dem vorliegenden erwarten. Ich habe nun schon gelegentlich bemerkt (S. 52), dass ri in den Veden auch lang gebraucht wird; insbesondre ist diess überaus häufig bei dem Genetiv nrind’m der Fall (vgl. Grossmann Wtbch. S: 750), welcher ja auch im gewöhnlichen Sanskrit beide Formen nrinam Histor.- philolog. Classe XX. 1. K 74 THEODOR BENFEY, und nrindm hat (Dän, VI. 4. 6). Demgemäss hat der Stollen das regel- mässige Metrum eines elfsilbigen et Sien dna in welchem das in Frage kommende auslautende a der 9ten Silbe ange- hört und gar nicht gedehnt werden darf. 73. ví (RPr. 533) vier oder, wenn man den zweimal erscheinenden doppelt zählt, fünf Fälle, zunächst Rv. I. 62, 5° (10 in 12) grinänö än’girobhir dasma vi var. Vielleicht ist an die Stelle des gewöhnlichen Schlusses der schon mehrfach bemerkte v»— getreten; vgl. jedoch das zu dem 4ten Fall zu bemerkende; ferner Rv. VII. 59, 2° = VII. 27, 16 (8 in 12) prä sá kshäyam tirate vi mahir isho; dann Rv. IX. 97, 38° (— Se II. 6. 1. 4. 2) (8 in 11) óbhé aprä ródasi vi shá ävah Sy. hat aber der Regel gemäss vf, gedehnt. Endlich Se, L41.39= VS. mt 3- = TS. W.2 82 ==: Ath: Makil Sy. satáç ca yónim ásatac ca ví vah. Dass ví vah in meiner Ausg. nur durch Druckfehler verbunden ist, habe ich im Druckfehlerverzeichniss bemerkt; ich füge hier hinzu, dass es im Mscpt des Pada-Textes EJH. 2130 entschieden getrennt ist; wahrscheinlich auch in dem der Berliner Bibliothek; doch habe ich das nicht notirt. Im Ath. ist in Roth und Whitney's Ausgabe ví getrennt, also fand die Trennung wohl auch im Pada -Text Statt. In der TS. aber ist vivah als ein Wort gefasst (vgl. Webers Ausg. a. a. O. und Ind. St. XIII. 45). Wie es in der VS. damit steht, lässt sich aus Weber? Ausgabe nicht entscheiden, da in ihr nach der alten Weise die Präposi- tionen mit dem Verbum stets verbunden sind. Die Verbindung mit vah in der TS. erinnert an das was unter _ ní bemerkt ist; sollte nicht, wie in Bezug auf dieses, auch in Bezug auf das Verhältniss von ví zu var ein Zweifel unter den Recitirern der Veden bestanden haben und wie bei ní so hier auch bei ví der Mangel der Dehnung daraus zu erklären sein? Ich wage nicht die Frage ae: QUANTITÄTSVERS( TEN IN D.SAMHITÄ- U.PADA-TEXTEN ETC. 75 entscheiden — denn als vedischer Aorist des Causale liess es sich schwer- lich fassen, da dieser gerade vivar gelautet haben würde; auch würde dann kein Accent haben eintreten können; ‘doch giebt es Anomalien ge- nug in den Veden, um selbst diese oder eine andre ungrammatische Auffassung in der Zeit der Corruption für nicht unmöglich zu halten. Wie man übrigens über diesen Fall urtheilt, so wird man auch ví vah im ersten Fall Rv. I. 62, 5" aufzufassen haben. 74. vimadäsya (RPr. 530) ein Fall, Rv. X. 23, T täva cendra vimadäsya ca risheh. So wie der Samhitä-Text vorliegt, fällt in der That das auslautende a in die Ste Silbe eines elfsilbigen Stollens und hätte also gedehnt wer- den müssen. Allein die neuere Forschung hat unzweifelhaft festgestellt, dass auslautendes X mit folgendem anlautenden ri zu einer Silbe wird (vgl. Grassmann Wtbch. Vorr. S. VII); so ist hier ca risheh nur Re- präsentant von zwei Silben, und um die Zahl von 11 Silben vollzu- machen, ist der obigen Regel gemäss (s. § 2. 3) die Contraction in cendra wieder aufzuheben und zu lesen täva ca Indra vimadásya cärsheh dadurch erhält der elfsilbige Stollen erst eine rhythmische und regelmässige Form vvv— | vvv— | v—— und das in Frage kommende auslautende a fällt in die 9te Silbe, durfte also gar nicht gedehnt werden. 75. vishtäpi (RPr. 532) ein Fall, Rv. IX: 107512 = Se L 6. 3. 3. 8) ` samudrásyð'dhi vishtápi manishíno. Das auslautende í steht in der 8ten Silbe eines zwölfsilbigen Stollens und ist demgemäss eine Ausnahme von der Regel. Aber ist die Lesart richtig? Der Sämaveda hat statt dessen vishfdpe. Das Thema vishtapa ist eben so gut belegt, wie vishtap, und es ist gar nicht unwahrschein- lich, dass zu der Zeit der Corruption, welche nicht zum wenigsten aus dem das Metrum verdunkelnden Vortrag hervorging, durch Einfluss der beiden Stellen Rv. VIII. 97 (86), 5 und IX. 12, 6 = Sy. II. 5.1. 4. 6, welche samudrásyá'dhi vishtapi haben, die letztere, das Metrum schä- digende, Form an die Stelle von vishtdpe gekommen ist. K2 76 THEODOR BENFEY, 76. vihi (RPr. 533) ein Fall Rv. II. 26, 2° (8 in 12) yájasva vira prä vihi manâyató. 77. vocemahi (RPr. 534) ein Fall Rv. I. 167, 10? (8 in 11) vayám çvó vocemahi samarye. Die Verfasser des Prätic. haben statt gvó (nach der Regel in § 2. 8) und gelesen; sonst würde Oi die Tte Silbe sein und keine Ausnahme von der allgemeinen Regel bilden. Da çvás mehrfach zweisilbig zu lesen ist (s. Grassmann, Wtbch. S. 1434), so lesen auch wir ähnlich end. Die Unregelmässigkeit erklärt sich wohl wie in awri (S. 48). 78. gatäsya (RPr. 532) ein Fall Rv. I. 43, 7° ni dhehi catäsya nrinä’m. Es giebt zwei Möglichkeiten den Mangel des Dehnung zu erklären; entweder wirkte nri? wie eine Position (vgl. S. 69, 61), oder der Schlussfuss des achtsilbigen Stollens ist, wie oft (M. Müller Transl., Pref. CXXI), —vv—; auch der vorhergehende sowohl als der folgende haben von der gewöhnlichen Form abweichende Schlussfüsse ; jener vvvr (vgl. M. Müller ebds. CXV), der folgende vv— — (ebds. CXVIII), und ich neige mich desshalb zu der zweiten Erklärung. i 79. grömatena (RPr. 534) ein Fall Rv. VIIL 66 (55), 9° — Ah, AS 97,3 (8 in 12) keno nú kam crömatena ná cucruve. 80. sakhyä’ya (RPr. 534) siebenmal, aber in einem Refrain, also eigentlich nur einmal, Rv. I. 101, 1—7, wo Vers 1 = Sv. LA 2. 4. 11. = (8 in 12) marütvantam sakhyä’ya havämahe. Die Verfasser des Prät. haben sakhiydya (vgl. § 2. 3) gelesen, sonst hätte das auslautende a in der ten, nicht der Sten Silbe gestanden. sakhyd gehört zu den Themen, welche, wie fast alle auf ya, überaus häufig noch die ursprüngliche Zweisilbigkeit des Suffixes haben (vgl. über das Suffix ia in den Abhdlgen XVI. S. 111 und Grassmann Wtbch S. 1442—43); wir lesen demnach sakhiä ya. 81. sädanäya (RPr. 529) ein Fall Rv. X, 93, 5 : (8 in 12 oder 11) súryåmå'så sädanäya sadhany‘. QUANTITÄTSVERS( TEN IND. SAMHITÄ- U. PADA-TEXTENETC. 77 Wenn sadhaniä zu lesen (vgl. Grassmann Wtbch 1463), dann ist der Schlussfuss vvv—. Doch ist wahrscheinlich — denn ich bezweifle sehr, dass die Jagati mit diesem Fuss schliessen darf — hier die häufig ein- tretende Synizese von d zu y (vgl. die Abhdl. über Suffix ia a. a. O. S. 129) anzunehmen; dann liegt hier, wie so oft, statt des zwölfsilbigen, ein elfsilbiger Stollen mit dessen regelmässigem Schluss v— — vor. 82. sadma (RPr. 532) ein Fall Rv. I. 173, 3° (8 in 11) näkshad dhötä pári sädma mitä’ yän. 83. samidhäna (RPr. 531) ein Fall Rv. X. 150, 2° (3 in 12) märtäsas två samidhäna havämahe. Bem. 1. Das Prätic. bestimmt die Ausnahme von samidhäna durch Hinzufügung eines davor gesetzten tvá, wie es in dieser Stelle erscheint. Danach sollte man annehmen, dass es auch einen Fall gäbe, wo sami- dhäna der allgemeinen Regel folgte. Einen solchen Fall giebt es nicht, wie denn auch der Scholiast hier mit Recht kein Gegenbeispiel an- führt; wohl aber kömmt samidhäna noch einmal vor ebenfalls mit kurzem Auslaut, aber an einer Stelle, wo er nicht gedehnt werden durfte, nämlich Rv. IV. 6, 11 in der 9ten Silbe eines elfsilbigen Stollens. Sollte einer der Verfasser dennoch diese Stelle im Auge gehabt haben und also durch jenen Zusatz haben sagen wollen: ’eine Ausnahme von der allgemeinen Regel bildet samidhäna nur wo ihm tvá vorhergeht, nicht das andre‘. Es wäre diessin der That unnütz und widerspricht der sonst in dem RPr. herrschenden Methode; vielleicht aber ist es ein Ueber- bleibsel einer früheren, welches die schliessliche Redaktion nicht entfernt hat. Vielleicht jedoch ist auch eine Ausnahme in einem praisha gemeint (vgl. RPr. 58 und Regnier zu I. 14. 57, T. I. p. 58). Bem. 2. vgl. unter Indra. 84. Sarasvati (Bir, 531) zwei Fälle, Rv. VII. 95, 5° und 6°; der erste lautet | (8 in 11) práti stöomam Sarasvati jushasva; der zweite (8 in 11) ayäm u te Sarasvati väsishtho; vgl. unter Indra. 78 THEODOR BENFEY, 85. sästu (RPr. 534) ein Fall Rv. VII. 55, 5* — Ath. IV. 5. 6 (6 in 8) sástu mä’tä sástu pit. Der achtsilbige Stollen schliesst, wie so oft —vv— (vgl. M. Müller, Transl.. Pref. CXXI). Ath. hat svuptu statt sástu. 86. sahäsräni (RPr. 534) zwei Fälle; erstens Rv. VII. 32, Be = Sr. IE 698.42 (8 in 12) sadyäc cid yäh sahäsräni catä’ dädat; ferner Rv. VIII. 61 (50), 8° (8 in 12) tväm purú sahäsräni catä’ni ca (zu lesen tudm). 87. (sasahyäma (RPr. 523) ein Fall Rv. I. 132, 1° (8 in 12) I'ndratvotäh säsahyäma pritanyatö. pri? wirkt wahrscheinlich wie eine Position (vgl. zu páti). 88. sú (RPr. 531) ein Fall Rv. II. 20, 1° (10 in 11) vayäm te väya Indra viddhi shú nah. Der Stollen ist ein elfsilbiger, aber mit dem schon mehrfach bemerkten (vergl. z. B. unter pänca) Schluss vv—; ganz ebenso schliesst auch der 2te Stollen. Das Metrum. des Halbverses ist Bort. lep v] J p. [vv— ||. 89. sümakhäya (RPr. 530) ein Fall Rv. IV. Sr (8 in 11) kád rudrä’ya súmakháya havirdó. 90. suvitäya (RPr. 531) ein Fall Rv. VI. 40, 3% (8 in 11) Tndr& yâhi suvitä’ya mahé nah. 91. srija (RPr. 530) ein Fall Rv. IIL-16, 6 (8 in 12) sám råyå' bhú'yaså srija mayobhúnå. 92. soma (RPr. 532) ein Fall Rv. IX. 110, 22 = Sv. I. 5. 1. 5. 6 (8 in 12) ánu hí två sutám soma mädämasi vgl. unter Indra. 93. smasi (RPr. 532) ein Fall Rv. VIIL 18, 19° (8 in 12) yushm& id vo ápi shmasi sajätye (zu lesen sajdtie). 94. SVAPtU s. unter sástu. QUANTITÄTSVERS( TEN IND. SA MHITÀ- U. PADA-TEXTEN ETC. 79 95. hanati (RPr. 533) ein Fall Rv. VI. 29, 6? (8 in 11) purü ca vriträ hanati ní däsyün. 96. haryacva (RPr. 529) ein Fall Rv. X. 128, 8* = TS. IV. 7. m í = Ath. V. 3, 8 sá nah prajäyai haryagva mrilaya. Der Auslaut von haryagva befindet sich in der That in der 8ten Silbe eines elfsilbigen Stollens, sobald man es dreisilbig liest wie es sich im Texte findet. Der Mangel der Dehnung liesse sich dann entweder da- durch erklären, dass das folgende mri? Positionskraft hat, oder nach Analogie von Indra, wo man vergleiche. Allein das Thema háryagva ist durchweg hariagva zu sprechen (s. Grossmann Wtbch. S. 1653); in diesem Fall gehört der Auslautvocal der 9ten Silbe an und ist nicht zu dehnen; der Stollen wäre nun ein zwölfsilbiger unter elfsilbige gemischt, wie in Gre, Dassaber der Vokal ri in dem Verbum mrid in den Veden fast immer lang gebraucht wird, ist schon oben unter utá angedeutet und damit er- halten wir in dem vorliegenden Stollen einen zwölfsilbigen mit regel- mässigen Schlussfuss und dem Metrum v—v— | —vv— | v—v—. Im Atharva tritt an seine Stelle ein regelmässiger elfsilbiger durch die V. L. mrida statt mrilaya. Beiläufig bemerke ich dass im 1sten Stollen uruvyäcä no mahishäh cärma yamsad urvydcå zu sprechen ist, gerade wie in der TS. tú oder nú mit folgenden vaí oder vå'vá sich zu tvaí nvaí u. s. w. zusammenziehen (vgl. TPr. V. 13)1) und im Rv. suváná fast durchgehends svänd zu lesen ist (vgl. “Einleitung in die Grammatik der vedischen Sprache' in den Abhandl. Bd. XIX. S. 154 f). 97. hi (RPr. 533) vier Fälle, erstens Re 1. HS (8 in 11) yó gå' udåjad ápa hi valám väh; ferner V. 2, 4° (10 in 11) ná tå” agribhrann äjanishta hi shäh; dann V. 2, 7 3 für tú vá'vá gegebene Beispiel ist irrig ci- 1) Das einzige von Whitney zu TPr. V. 1 doch noch ein zweites TS. II. 1. 5. 4 tirt; es muss heissen VII. 5. 71. Es findet sich je 80 THEODOR BENFEY, (10 in 11) yü’päd amunco äcamishta hi shäh; endlich V. 2, Ss (8 in 11) hriniyämäno ápa hi mäd aiyeh. $. 16. In den im vorigen $ aufgeführten Ausnahmen ist die Berechtigung zur Aufstellung derselben bei nicht wenigen von mir angezweifelt. Rech- nen wir diese ab, so bleiben von den 97 Nummern nur 42, also noch nicht einmal die Hälfte übrig, oder von den 117 Stellen, in denen diese Ausnahmen sich finden würden, nur 50, angeführt unter anudicya oder anudricya, angá, asanäma, äyushi, iva, ishanyasi, ucmasi, ushadsi, ürnuhi, krinuhi, cetati, Jighämsasi, tdmasi, tirasi, dadhimahi, didhisheya, diví, didihi, dhäva, ni, pitari, puruprajätasya., pradivi , mänushasya, mürdhani, raksha, rajasi, vavrityäma, vahasi, vi, vihi, crömatena, sakhyd'ya, sadandya, sadma, sahasräni, simakhäya, suvitä'ya, srija, smasi, hanati, hí. Selbst unter diesen hätten aber vielleicht noch einige angezweifelt werden können; doch sind schon ursprüngliche Inconsequenzen in den Veden als Folge der verschiedenen Zeiten und Verfasser, denen sie ihren Ursprung verdanken, unzweifelhaft anzuerkennen und für weitere Zweifel, welche sich aufdrängen mochten, ergaben sich doch keine derartige Ana- logien, wie sie sich zur Stütze der vorgebrachten darboten. So. z. B. wird es jedem auffallen, dass unter den von mir nicht angezweifelten Fällen so viele Wörter mit auslautendem í sich befinden; nämlich unter den eben aufgezählten 42 nicht weniger als 25, also weit über die Hälfte; es drängt sich da unzweifelhaft wohl mit Recht die Frage auf: liegt in dem Vokal í etwas, oder wurde er in der Vedenzeit so gespro- chen, dasser in der Cäsur wie ein schweres (d. h. natura oder positione langes) í gelten konnte? Ich kann die Frage vom sprachlichen Stand- punkte aus nicht entscheiden, da mir die vedischen Lautgesetze keine Analogien dafür gewähren und habe desshalb alle hieher gehörigen Fälle unangezweifelt gelassen. Nachtrag. S. 36 Z. 9 füge man hinzu: So auch TS. I. 7. 10. 1 jágriyáma Jágriyåma und vielleicht Br. X. 32, 9 kriyäma. N 1. Abtheilung. Von Omar I. bis Marwän IL. 'Amr ben el-'Å ci, aus einer angesehenen Familie der Kureisch zu Mekka, hatte an ihren Handelsreisen nach Palästina Theil genommen und war von dort auch einmal in Begleitung eines Christlichen Mönches, dem er das Leben gerettet hatte, nach Alexandria gekommen !); er ge- hörte zu denen, welche wegen der Zwistigkeiten, die bei Muhammeds Auftreten entstanden, nach Habessinien auswanderten, ohne schon für ihn ‘und seine Lehre Parthei genommen zu haben; dort bekannte er sich offen zum Islam, kam aber erst im J. 8 d. H. nach Medina zurück, wurde von Muhammed mit mehreren wichtigen Streifzügen und Sen- dungen betraut und befand sich bei dessen Tode in 'Omän, wo er die neue Lehre eingeführt hatte?). Abu Bekr übertrug ihm den Befehl über einCorps, welches nach Syrien auszogund er hatte unter Omars Regierung einen Hauptantheil an der Eroberung von Palästina. Auf der Rückkehr von Jerusalem, wohin sich Omar selbst begeben hatte, in dem Lager bei el-Gäbia nicht weit von Damascus bat Amr den Chalifen um eine geheime Unterredung und drang dann in ihn, ihm ein Corps anzuver- trauen und die Erlaubniss zu einem Zuge nach Ägypten zu geben, um dies Land zu erobern. Omar liess sich nach langem Weigern endlich überreden und übergab ihm 3500 bis 4000 Mann, sämmtlich vom Stamme "Akk, jedoch mit der Bedingung, dass er seinen weiteren Verfügungen unbedingt Folge leisten müsse. »Wenn dir, sagte Omar, mein Schreiben, 1) Vergl. meine Geschichte der Copten. S. 50. 2) Vergl. mein Register zu den genealog. Tabellen. S. 71. Hist.- phil. Classe. XX. 2. A 2 F. WÜSTENFELD. welches dir bald nachfolgen wird, den Befehl zur Rückkehr bringt und du hast den Boden Ägyptens noch nicht betreten, so kehrst du um, hast du aber die Gränze schon überschritten, so ziehe in Gottes Namen weiter.« In Medinaangekommen fand der Chalif nur bei wenigen derälteren Ge- fährten Muhammeds die Billigung dieses kühnen Wagnisses, die meisten, _ besonders’Othmän, riethen davon ab, und aus Besorgniss vor dem Misslingen und vor dem Verluste eines so vortrefflichen Corps von Gläubigen schickte er den ’Okba ben ’Ämir el-Guheni mit einem Briefe an Amr ab, um ihn zurückzurufen. ”Okba traf ihn noch diesseits der Gränze bei Rafah, Amr nahm ihm aber den Brief nicht ab, da er den Befehl zur Umkehr darin zu finden erwarten musste, sondern marschirte noch etwas weiter bis zu einem Orte zwischen Rafah und el-’Arisch, welcher, wie er sich sagen liess, bereits zu Ägypten gehörte. Nun liess er den Boten rufen, öffnete den Brief und theilte den versammelten Muslim den Inhalt mit und forderte sie dann auf, da sie die Gränze überschritten hätten, vor- wärts zu gehen. | Sobald Gureih ben Minä gen. el-Mukaukas, der Griechische Statt- halter in Alexandria, von dem Anzuge Amr’s Nachricht erhielt, eilte er nach der Festung Babylon !) nicht weit von Memphis und brachte eiligst eine Armee zusammen, welche er Amr entgegenschickte. Der erste Ort, wo die beiden Heere zusammenstiessen, war bei el-Faramd, Abdallah ben Omar, der Sohn des Chalifen, damals kaum 24 Jahre alt, comman- ` 1) Bei den Arabern Bäbliün, Bäb el-jün, Bäb Aljûn oder bloss el-Jüna. Sie lag hart am Ufer des Nil, nach welchem auf der Westseite das sog. eiserne Thor hinausführte, wo, theils durch eine aus dreissig Schiffen bestehende Brücke, theils durch eine Fähre die Verbindung mit der gegenüberliegenden Nilinsel, später Raudha genannt, unterhalten wurde. Dort stand auch der alte Nilmesser, von welchem Macrizi im J. 820 (1417) noch die Ueberreste sah. Vor der Festung breitete sich eine weite Ebene aus bis an den Berg el-Mukattam, welche mit schönen Gärten, Bäumen und Reben bedeckt war, in deren Mitte die so gen. Lichterburg cagr d schama hervorragte, in welcher die Römischen und Griechischen Statthalter, wenn sie aus Alexandria hierher kamen, zu residiren pflegten. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 3 dirte hier wie in allen folgenden Treffen unter Amr den linken Flügel, Abdallah ben Bad ben Abu Sarh den rechten; die Griechen leisteten fast einen Monat lang heftigen Widerstand, bis sie mit Hülfe der Copten zurückgedrängt wurden, welche sich von dem Griechischen Joche zu be- freien hofften, zumal da ein Bischof von Alexandria, Benjamin !), ihnen verkündet hatte, dass die Herrschaft der Griechen zu Ende sei, sie möchten zu Amr übergehen. Der: erste, welcher bei dem Sturme auf das Thor in die Festung Faramä eingedrungen war, hiess Sameifa’?) ben Wala el-Sabåàí. Amr rückte nun mit leichter Mühe bis el-Kawägir 5) vor, wo er ein Lager aufschlug, und erschien dann bald vor Bilbeis, wo die Griechen sich wieder fast einen Monat lang tapfer vertheidigten, bis sie auch hier weichen mussten. Sie suchten darauf noch einmal bei Umm Dunein, später el-Maks genannt und am Nil gelegen, sich fest zu setzen und da ihr Widerstand ein hartnäckiger und langdauernder war, sah Amr sich genöthigt, von demChalifen sich Verstärkung zu erbitten, welcher ihm auch 4000 Mann nachsandte. Mit ihrer Hülfe wurden die Griechen hier geschlagen und zogen sich in die Festung Babylon zurück, welche Amr nun zu belagern anfing. Um weitere Erfolge zu erreichen, waren aber seine Kräfte wiederum nicht gross genug und er musste abermals von Omar Hülfe verlangen, welcher dann noch 4000 Mann schickte unter vier Anführern, deren jeder, wie Omar ihm schrieb, noch für tausend Mann zu rechnen sei; sie waren: el-Zubeir ben el-Awwäm, der mit seinem Corps unter den Hauptleuten Busr ben Artä und ’Omeir ben Wahb el- Gumahi, über Dakahla, vier Parasangen von Dimjät (Damiette) marschirte, el- Mikdäd ben el-Aswad, "Obäda ben el-Cämit und Maslama ben Muchallad oder, statt des letzteren, Chäriga ben Hu- dsäfa, — Als die Belagerung sich in die Länge zog, selbst nachdem eine Verschanzung (Chandak) durch Verrath bei einem Ueberfalle von 1) vermuthlich der Patriarch dieses Namens; 8. Geschichte der Copten, S. 51; im Arabischen verschrieben Abu Majämin. 2) verschiedene Lesarten: Sameika’, Asmeika’. 3) so in dem Gothaer Codex des Sujüti und Jåcüt IV. 197; in dem Bulaker Sujüti I. 52, 1 el-Kawähir, AT 4 F. WÜSTENFELD. fünfhundert Reitern, die Chariga anführte, genommen war, erklärte el- Zubeir endlich, er wolle sich aufopfern und in die Festung einzudringen suchen in der Hoffnung, dass dann Gott den Muslimen den Sieg ver- leihen werde. Er hatte eine Mauerlücke bemerkt an der Stelle, wo später das Haus des Abu Cälih el-Harräni stand neben dem Badehause des Ibn Nacr el-Sarräg am Bäder-Markt; hier richtete er eine Leiter an die Mauer und befahl seinen Leuten, wenn sie sein »Allah akbar« hörten, insgesammt diesen Ruf zu erwiedern. Er kam unbemerkt hin- ‚auf mit dem Schwerdt in der Hand und sowie sein Ruf erschallte, stimmten aussen die Seinen darin ein und drängten sich, wer ihm zuerst nachfolgen solle, so dass sie Amr zurückhalten musste, um die Leiter nicht zu zerbrechen. Nachdem so etliche ihm gefolgt waren, unter denen als der erste Mälik ben Abu Salsala el-Azdi namentlich aufgeführt wird, zweifelten die erschreckten Belagerten nicht, dass schon ein ganzes Corps eingedrungen sei und zogen sich zurück, so dass Zubeir zum Thore ge- langen, dasselbe öffnen und die Aussenstehenden einlassen konnte. Auch Schurahbil ben Hasana el-Murädi war an einer anderen Stelle mittelst einer Leiter in die Festung gelangt. Auf dem linken Flügel hatte Mubarrih ben Schihäb el-Jåfií oder el-Rweini commanditt. Mukaukas hatte sich bei Zeiten mit den angesehensten Copten auf die Nilinsel begeben, die Brücke abbrechen lassen und dem Griechen el-Mandakür!) ben Kurkub, den die Araber el-A’rag oder in der De- minutivform el-O’eirig nennen, das Commando in der Festung übertragen, welcher nun ebenfalls mit Hülfe der Schiffe, die auf der Flussseite bereit lagen, sich auf die Insel zurückzog, so dass die Einnahme nach einer siebenmonatlichen Belagerung erfolgte. Mukaukas wünschte jetzt Frieden zu schliessen und schickte Abgeordnetean Amr und liess ihm vorstellen, dass die Griechen grössere Streitkräfte herbeizögen, welche mit der kleinen Schaar der Araber leicht würden fertig werden, denen dann bei der inzwischen eingetretenen Ueberschwemmung des Nil der Rückzug abgeschnitten sei, so dass sie alle in Gefangenschaft gerathen würden. Var gegen Tee en S IOEIRERERREE 1) Verschiedene Lesarten: Mandsakür, Mandsafür, Mandakül. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 5 Amr hielt die Gesandten zwei Tage bei sich zurück, so dass Mukaukas schon anfing für ihr Leben besorgt zu werden; Amr hatte aber nur die Absicht, dass sie das Leben und Treiben und den Geist seiner Krieger kennen lernen sollten, und er entliess sie mit der Erklärung, dass zwischen ihnen nur drei Möglichkeiten beständen: »entweder ihr nehmt den Islam. an und werdet als unsere Brüder behandelt, oder ihr bezahlt die Kopf- steuer und seid unsere Untergebenen, oder wir setzen den Krieg fort und überlassen Gott die Entscheidung« Mukaukas war zwar nicht Willens sich sogleich zu unterwerfen, aber er sah doch ein, dass er es mit einem Gegner zu thun habe, der nicht nachgeben werde, und bat Amr, Abgeordnete zu ihm zu schicken, mit denen er die Friedensbedin- gungen feststellen könne. Zehn Gesandte setzten nun nach der Insel über, an ihrer Spitze stand als Wortführer 'Obåda ben el-Cämit, welcher durch seine schwarze Farbe und seine Grösse von zehn Spann einen im- ponirenden Eindruck machte und welchem Amr einschärfte, auf einer von den drei Bedingungen zu beharren. Als sie eingeführt wurden und 'Obäda vortrat, fürchtete sich Mukaukas vor ihm und sagte: »Entfernt diesen Schwarzen und lasst einen andern vortreten, der mit mir rede.« Da erwiederten die anderen: »Dieser Schwarze ist der klügste und beste von uns und an unsere Spitze gestellt, seinem Rathe folgen wir und ihm, nicht uns hat der Emir seine Befehle gegeben.« Mukaukas bat dann, dass ’Obäda sanft mit ihm rede, um seine Furcht vor ihm nicht zu vermehren, und es entstand ein langes Zwiegespräch, in welchem Jeder von beiden seine Ansicht festzuhalten und zu vertheidigen suchte, bis Mukaukas, da 'Obäda in nichts nachgeben wollte, sich an seine Um- gebung wandte und ihr anrieth sich zu unterwerfen. Allein die Griechen erklärten, dass sie lieber in den Tod gehen würden, entliessen die Ge- sandten und hoben jede Verbindung zwischen der Insel und der Festung auf. Die Muslim fingen nun die Feindseligkeiten wieder an und tödteten eine Menge von Griechen und Copten, die sich in der Festung befanden, und machten andere zu Gefangenen, während alle Schiffe nach der Insel gebracht wurden und die Muslim sich alsbald ringsum von Wasser 4 F. WÜSTENFELD. fünfhundert Reitern, die Chariga anführte, genommen war, erklärte el- Zubeir endlich, er wolle sich aufopfern und in die Festung einzudringen suchen in der Hoffnung, dass dann Gott den Muslimen den Sieg ver- leihen werde. Er hatte eine Mauerlücke bemerkt an der Stelle, wo später das Haus des Abu Cälih el-Harräni stand neben dem Badehause des Ibn Nacr el-Sarräg am Bäder-Markt; hier richtete er eine Leiter an die Mauer und befahl seinen Leuten, wenn sie sein »Allah akbar« hörten, insgesammt diesen Ruf zu erwiedern. Er kam unbemerkt hin- ‚auf mit dem Schwerdt in der Hand und sowie sein Ruf erschallte, stimmten aussen die Seinen darin ein und drängten sich, wer ihm zuerst nachfolgen solle, so dass sie Amr zurückhalten musste, um die Leiter nicht zu zerbrechen. Nachdem so etliche ihm gefolgt waren, unter denen als der erste Mälik ben Abu Salsala el-Azdi namentlich aufgeführt wird, zweifelten die erschreckten Belagerten nicht, dass schon ein ganzes Corps eingedrungen sei und zogen sich zurück, so dass Zubeir zum Thore ge- langen, dasselbe öffnen und die Aussenstehenden einlassen konnte. Auch Schurahbil ben Hasana el-Murädi war an einer anderen Stelle mittelst einer Leiter in die Festung gelangt. Auf dem linken Flügel hatte Mubarrih ben Schihäb el-Jäfi’f oder el-Ru’eini commandirt. Mukaukas hatte sich bei Zeiten mit den angesehensten Copten auf die Nilinsel begeben, die Brücke abbrechen lassen und dem Griechen el-Mandakür!) ben Kurkub, den die Araber el-A’rag oder in der De- minutivform el-O’eirig nennen, das Commando in der F estung übertragen, welcher nun ebenfalls mit Hülfe der Schiffe, die auf der Flussseite bereit lagen, sich auf die Insel zurückzog, so dass die Einnahme nach einer siebenmonatlichen Belagerung erfolgte. Mukaukas wünschte jetzt Frieden zu schliessen und schickte Abgeordnete an Amr und liess ihm vorstellen, dass die Griechen grössere Streitkräfte herbeizögen, welche mit der kleinen Schaar der Araber leicht würden fertig werden, denen dann bei der inzwischen eingetretenen Ueberschwemmung des Nil der Rückzug abgeschnitten sei, so dass sie alle in Gefangenschaft gerathen würden. NE 1) Verschiedene Lesarten: Mandsakür, Mandsafür, Mandakül. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 5 Amr hielt die Gesandten zwei Tage bei sich zurück, so dass Mukaukas schon anfing für ihr Leben besorgt zu werden; Amr hatte aber nur die Absicht, dass sie das Leben und Treiben und den Geist seiner Krieger kennen lernen sollten, und er entliess sie mit der Erklärung, dass zwischen ihnen nur drei Möglichkeiten beständen: »entweder ihr nehmt den Islam. an und werdet als unsere Brüder behandelt, oder ihr bezahlt die Kopf- steuer und seid unsere Untergebenen, oder wir setzen den Krieg fort und überlassen Gott die Entscheidung« Mukaukas war zwar nicht Willens sich sogleich zu unterwerfen, aber er sah doch ein, dass er es mit einem Gegner zu thun habe, der nicht nachgeben werde, und bat Amr, Abgeordnete zu ihm zu schicken, mit denen er die Friedensbedin- gungen feststellen könne. Zehn Gesandte setzten nun nach der Insel über, an ihrer Spitze stand als Wortführer 'Obäda ben el-Cämit, welcher durch seine schwarze Farbe und seine Grösse von zehn Spann einen im- ponirenden Eindruck machte und welchem Amr einschärfte, auf einer von den drei Bedingungen zu beharren. Als sie eingeführt wurden und 'Obäda vortrat, fürchtete sich Mukaukas vor ihm und sagte: »Entfernt diesen Schwarzen und lasst einen andern vortreten, der mit mir rede.« Da erwiederten die anderen: »Dieser Schwarze ist der klügste und beste von uns und an unsere Spitze gestellt, seinem Rathe folgen wir und ihm, nicht uns hat der Emir seine Befehle gegeben.« Mukaukas bat dann, dass ’Obäda sanft mit ihm rede, um seine Furcht vor ihm nicht zu vermehren, und es entstand ein langes Zwiegespräch, in welchem Jeder von beiden seine Ansicht festzuhalten und zu vertheidigen suchte, bis Mukaukas, da ’Obäda in nichts nachgeben wollte, sich an seine Um- gebung wandte und ihr anrieth sich zu unterwerfen. Allein die Griechen erklärten, dass sie lieber in den Tod gehen würden, entliessen die Ge- sandten und hoben jede Verbindung zwischen der Insel und der Festung auf. Die Muslim fingen nun die Feindseligkeiten wieder an und tödteten eine Menge von Griechen und Copten, die sich in der Festung befanden, und machten andere zu Gefangenen, während alle Schiffe nach der Insel gebracht wurden und die Muslim sich alsbald ringsum von Wasser 6 : F. WÜSTENFELD. umgeben und von aller Communication abgeschnitten sahen, da die jähr- liche Nilüberschwemmung eingetreten war. Mukaukas fuhr unterdess fort den Copten zuzureden sich in Güte zu unterwerfen, ehe sie mit Gewalt gezwungen würden und noch härteres erfahren müssten, bis sie endlich einwilligten sich zu ergeben und die Kopfsteuer zu bezahlen. Nun aber wollten Amrs Begleiter nicht mehr hierauf eingehen, sondern bestanden darauf, das ganze Land zu erobern und Alles als Beute zu betrachten. Indess Amr verwies sie auf den Befehl des Chalifen und es wurde Friede geschlossen unter der Bedingung, dass jeder Erwachsene, mit Ausnahme der Greise, Frauen und Kinder, Jährlich zwei Dinare Kopfsteuer bezahlen und die Muslim im ganzen Lande einzeln oder mehrere zusammen eine freie gastliche Aufnahme für drei Tage finden, sonst aber keinen Anspruch auf Länderbesitz oder das Vermögen der Einwohner machen sollten. Für die Griechen, deren eine grosse Anzahl besonders in Alexandria und der Umgegend ansässig war, hatte Mukaukas ausbedungen, dass es ihnen freistehen solle, ungehindert das Land zu verlassen, oder, wenn der Griechische Kaiser seine Einwilligung gäbe, unter denselben Verhältnissen wie die eingeborenen Copten zu bleiben. Er berichtete hierüber, wie über alles Vorgefallene an den Kaiser, doch dieser missbilligte sein ganzes Verfahren und machte ihm Vorwürfe, dass er es nicht mit den 12,000 Arabern habe aufnehmen können, denn wenn die Copten keine Lust hätten den Krieg fortzusetzen und lieber Tribut bezahlen wollten, so habe er doch über 100,000 Griechen unter seinem Befehle, mit denen er die Araber hätte bekämpfen und entweder sterben oder siegen müssen. Als Mukaukas dies Schreiben des Kaisers empfing, sagte er zu den ihn umgebenden Griechen: »bei Gott! diese Araber sind bei ihrer geringen Anzahl stärker und mächtiger als wir mit unserer Menge; ein Mann von ihnen ist soviel als Hundert von uns, denn sie suchen den Tod, der ihnen lieber ist als das Leben; Jeder von ihnen dringt kämpfend vorwärts, sie haben gar kein Verlangen in ihre Heimath zu den Ihrigen zurückzukehren; für Jeden, den sie von uns tödten, erwarten sie einen grossen Lohn und sagen, wenn sie ge- tödet würden, so kämen sie ins Paradies; sie haben keinen Wunsch in DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 7 dieser Welt, wenn ihre nächsten Bedürfnisse an Nahrung und Kleidung befriedigt sind. Wir dagegen scheuen den Tod und lieben das Leben und seine Freuden; wie können wir gegen sie Stand halten? Ich sage euch, dass ich den mit den Arabern geschlossenen Frieden nicht brechen werde, und bin überzeugt, dass ihr schon bald einsehen werdet, dass ich recht habe, dass ihr wünschen werdet, mir gefolgt zu sein und dass ich die Verhältnisse richtiger beurtheile als der Kaiser. Sollte denn keiner von euch damit zufrieden sein, dass er für zwei Dinare jährlich für sich, seine Habe und seine Kinder in seinem Hause in Sicherheit leben kann%« — Er begab sich dann zu Amr und sagte ihm, dass der Kaiser sein Verfahren missbilligt und befohlen habe, den Krieg fortzusetzen; er aber wolle sein Wort halten, indem er sich von den Griechen los- sage; er habe nur drei Wünsche: erstens, dass der Vertrag mit den Copten nicht gebrochen und er selbst mit ihnen in Verbindung gelassen werde; zweitens, dass in der Folge mit den Griechen kein Friede ge- schlossen werde, bis sie alle zu Sklaven gemacht und ihr Vermögen als Beute erklärt sei, denn so verdienten sie es; drittens, dass er, wenn er stürbe, in der Kirche zu Abu Hanas!) in Alexandria begraben würde. Amr gestand dies zu und machte seiner Seits die Bedingung, dass die beiden Brücken zwischen der Festung Babylon und der Insel wieder hergestellt würden und alle Haltestellen, Hospize, Märkte und Brücken zwischen der Festung und Alexandria bestehen blieben, was auch ge- schah, und so wurden die Copten die Bundesgenossen und Helfer der Muslim. Während alle diese Unterhandlungen EE hatte. Amr meh- rere Corps abgeschickt, um das Land zu unterwerfen; Chäriga ben Hu- dsäfa ging nach el-Fajjüm, Oschmunein, Ichmim, den Bascharüd und den Dörfern von el-Ca’d; 'Omeir ben Wahb wandte sich nach Tinnis, Dimjät, Tüna, Damira, Schatä, Dakahla, Banä& und Bücir, ’Okba ben Amir oder Wardin nach den übrigen Dörfern des Unterlandes; und wiewohl diese Corps einzeln wohl kaum über 1000 Mann stark sein ee ae a 1) wi at, yo ail, U= (lies WI) St. Johannes. 8 F. WÜSTENFELD. konnten, so fanden sie doch nirgends Widerstand, nirgends kam es zum Kampfe und überall wurde mit der Coptischen Bevölkerung unter den- selben Bedingungen der Kopfsteuerzahlung, wozu noch einige Natural- lieferungen kamen, der Friede geschlossen. Darüber waren nach der Einnahme von Babylon fünf bis sechs Monat!) verflossen und nachdem Amr seine Truppen wieder vereinigt hatte, setzte er im zweiten ’Gumädä des J. 19 (Juni 640) seinen Zug gegen Alexandria fort. Lakit ben ’Adi el-Lachmi führte immer die Truppe in der Armee, welche vorzugsweise dazu verwandt wurde, den Feinden einen Hinterhalt zu legen. Die Griechen hatten indess bedeutende Verstärkungen erhalten und stellten sich dem weiteren Vormarsch der Araber entgegen. Während Amr mit dem Hauptcorps bei dem Dorfe Tarnüt?) stand, sandte er den Scharik ben Sumeij el-Guteifi mit der Vorhut vorauf: er stiess auf eine Abtheilung der Griechen, die ihn zurückdrängte bis zu einem Hügel (kúm), der nach ihm den Namen Küm Schartk erhielt, wo er sich ver- theidigte. Als er aber bemerkte, dass die Griechen ihn einzuschliessen versuchten, befahl er dem Abu Nima Mälik ben Näima el Cadefi, der einen ausgezeichneten Fuchs ritt, sich von dem Hügel herab durch die Griechen durchzuschlagen; sie verfolgten ihn zwar, konnten ihn aber nicht einholen, und er brachte Amr die Meldung von der misslichen Lage der Seinen, worauf dieser sogleich vorrückte, so dass die Griechen sich zurückzogen. Die beiden Heere stiessen dann bei Sulteis 3) auf einander, die Griechen wurden nach heftiger Gegenwehr in die Flucht geschlagen, stellten sich aber nochmals bei el-Kirjaun, einem Orte nicht 1) Nach einer anderen Nachricht nur zwei bis drei Monat, was offenbar zu wenig ist. 2) Tegsvoödıg zu Jächt’s Zeit ein grosses Dorf am Nil mit Marktplätzen, einer Hauptmoschee, einer grossen verfallenen Kirche, Zuckerrohrpressen und vielen schönen Gärten; der grösste Theil der Früchte, welche nach Alexandria gebracht werden, kommt von hier und die Einwohner erreichen ein ungewðhnlich hohes Alter. Vergl. hierzu und zu den folgenden Orten Et. Quatremöre, mémoires geogr. et hist. sur l'Égypte. 3) Bei de Sacy zu Abdallatif, pag. 665 Sunteis; vergl. aber Jäcüt s. v. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 9 weit von Alexandria, von welchem ein Nilarm den Namen hat, wo vier- zehn Tage lang gekämpft wurde; Amrs Sohn Abdallah commandirte hier. die Vorhut und wurde schwer verwundet, Amr's Freigelassener Wardän trug die Fahne. Am Entscheidungstage betete Amr das Gebet der Furcht aus dem Koran Surn IV. 102, die Muslim richteten unter den Griechen ein grosses Blutbad an, schlugen sie vollständig und ver- folgten sie bis unter die Mauern von Alexandria. ` ‚Auf dem ganzen Marsche hatten es die Einwohner von Bilhib, Cheis, Sachä (bei diesen beiden Orten focht besonders Chäriga ben Hu- dsäfa mit seinem Corps), Sulteis und Kartasä mit den Griechen gehalten und ihnen Hülfe geleistet, sie wurden desshalb zu Gefangenen gemacht und als Sklaven nach verschiedenen Gegenden von Arabien, besonders nach Medina geschickt, indess der Chalif schenkte ihnen die Freiheit und entliess sie wieder in ihre Heimath unter denselben Bedingungen wie die übrigen Copten. Alexandria war sehr stark befestigt, es hatte viele Thürme, die sich gegenseitig deckten und die Araber mussten sich zu einer regelmässigen Belagerung entschliessen, konnten aber nur die Seite von Hulwa bis zur Perser-Burg und was darüber hinauslag einschliessen, so dass die See- seite ganz offen blieb; dagegen fanden sie bei den Copten eine allseitige Unterstützung, die sie mit Lebensmitteln und Futter versorgten. Nach- dem die Einschliessung schon zwei Monate gedauert hatte, und bei den Arabern einige Sorglosigkeit eingetreten war, machten die Belagerten von der Seeseite her unter dem Schutze der Festung einen Ausfall, wobei zwölf Muslim getödtet wurden 1). Der Kaiser Heraclius war sehr besorgt und hatte einmal geäussert: »wenn Alexandria verloren geht, so ist es mit den Griechen zu Endes; 1) Ein ander Mal waren die Araber schon in die Festung eingedrungen, wurden dann aber wieder hinausgeworfen bis auf vier Mann, unter denen sich Amr selbst und Maslama befanden, die sich zu weit vorgewagt hatten und von den Ihrigen ab- geschnitten wurden. Sie flüchteten sich in ein Badehaus, wo sie erfasst wurden; da man sie aber nicht kannte, bot man ibnen an, sie gegen gefangene Griechen auszu- Hist.-phil. Classe. XX. 2. B 10 F. WÜSTENFELD. er meinte die Griechische Kirche, denn seit dem Verluste von Syrien war die Hauptkirche der Griechen in Alexandria. Er liess desshalb grosse Rüstungen machen und die Nachricht verbreiten, dass er sich selbst an die Spitze der Armee stellen wolle, — da starb er plötzlich (im Februar oder März 641), nachdem die Belagerung bereits fünf Monate gedauert hatte, und sowie sein Tod die Muslim von einer grossen Besorgniss be- freite, ebenso sank den Griechen der Muth und viele, die schon auf dem Marsche waren um mit der Flotte überzusetzen, kehrten um. Indess zog sich die Belagerung noch sehr in die Länge, bis der Chalif ungeduldig und unwillig über die Zögerung einen allgemeinen Sturm befahl, es solle dazu ein Freitag gewählt werden. Amr stellte den ’Obäda ben el-Cämit an die Spitze der Stürmenden, nachdem er seinen eigenen Turban an dessen Lanzenspitze befestigt hatte, und Alexandria fiel Freitags am 1. Muharram des J. 21 (10. December 641) neun Monate nach dem Tode des Heraclius in die Hände der Muslimen N, Muäwia ben Hudeig brachte die frohe Botschaft mündlich dem Chalifen nach Medina und Amr liess einen schriftlichen Bericht nachfolgen. wechseln, was Amr ablehnte; dann schlug man ihnen einen Zweikampf mit einem Griechen vor, den Maslama nach einem edlen Wettstreit mit Amr annahm, und nachdem er seinen Gegner besiegt hatte, wurden sie in Freiheit gesetzt. Macrizi Th. 1. S. 164 fg. Ich erwähne dies nur in einer Note, weil ich es mehr als alles andere für eine romanhafte Ausschmückung halte. 1) Diese bestimmte Angabe leidet nur an der Schwierigkeit, dass der 1. Mu- harram 21 nicht ein Freitag, sondern ein Dienstag war; setzt man den Tod des Kaisers in den Monat März, so stimmen die neun Monate genau. Rechnet man die einzelnen festen Zeitbestimmungen bei den verschiedenen Belagerungen zusammen und nimmt die unbestimmt gelassenen Zwischenzeiten nach einer muthmasslichen Schätzung hinzu, wobei besonders die Verhandlungen mit den Griechen und die mehrmaligen Benachrichtigungen an, und die Antworten und Befehle von dem Chalifen in Medina zu berücksichtigen sind, worüber jedesmal einige Wochen vergingen, SO wird man finden, dass dadurch fast vier Jahre, welche von dem Aufbruche aus dem Lager bei Damascus im Anfange des J. 17 bis zur Eroberung von Alexandria am l. Muharram 21 verflossen sind, wirklich ausgefüllt werden. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 11 Die Griechen flohen zu Wasser und zu Lande und nachdem Amr 1000 Mann als Besatzung in der Stadt zurückgelasseu hatte, setzte er die Verfolgung zu Lande fort. Jetzt kamen die Griechen vom Meere zurück und nahmen Alexandria wieder in Besitz, Amr kehrte um und eroberte die Stadt zum zweiten Male durch den Verrath einer Schild- wache, welche das Thor öffnete. Die damalige Bevölkerung der Stadt wird auf 600,000 Einwohner angegeben, unter denen 200,000 Griechen und 40,000 Juden, nachdem bereits 70,000 Juden vor der Einnahme die Flucht ergriffen hatten. Die Mehrzahl der Muslimen verlangte von Amr, dass er die Stadt preisgeben und das Vermögen der Einwohner unter die Sieger vertheilen solle; allein der Chalif, bei welchem Amr ` desshalb anfragte, verweigerte dies, und wiewohl die Stadt nicht durch vertragsmässige Uebergabe, sondern mit Gewalt eingenommen war, wurde ihr doch nur die gewöhnliche Steuer von zwei Dinaren für jeden Er- wachsenen auferlegt ond danach jährlich 600,000 Dinare erhoben. Nach dieser zweiten Einnahme von Alexandria und der Vertreibung der Griechen leistete das übrige Land nirgends mehr einen bedeutenden Widerstand, da in Oberägypten keine befestigten Städte mit fremder Besatzung waren und die Copten sich gutwillig den Bedingungen der Sieger unterwarfen, und bald stand ganz Ägypten in der Breite von Aila bis Barca und in der Länge von el Arisch bis Uswän (Suwän, Syene) unter Muslimischer Herrschaft. Amr wünschte seinen bleibenden Aufenthalt in Alexandria zu nehmen und fing an sich in dem Schlosse einzurichten und seinen Corps- führern Mw&äwia ben Hudeig el-Tugibi, Abu Dsarr und anderen beson- dere Wohnungen anzuweisen und die verlassenen Quartiere an die Truppen iu vertheilen. Indess der Chalif war damit nicht ON weil er nicht für die Regenzeit durch die Überschwemmungen des Nil die Verbindung mit seiner Armee abgeschnitten sehen wollte, ebenso wie Sad ben Abu Wakkäc nach der Einnahme von Madäin von jenseits des Tigris in die Gegend von Kufa und der Anführer der Bacrischen Truppen für den Winter nach Bacra zurückkehren musste. Amr liess also nur eine Grenzwache unter dem Befehle des Abdallah ben Hudsäfa B* 12 F. WÜSTENFELD. in Alexandria und zog sich nach Babylon zurück, wo sein Zelt ( Fustät) stehen geblieben war, weil während der Belagerung Tauben darauf ge- nistet hatten, die er beim Abzuge nicht hatte stören wollen, und er liess hier neben der Festung Babylon den Grund zu einer Stadt legen, welche davon den Namen el-Fustät erhielt. Hier blieb für die F olge der Sitz der Regierung, der Name des Landes Micr wurde auf diese Hauptstadt übertragen, welche dann nach mehrmaliger Erweiterung erst im J. 358 (Chr. 969) bei einer wiederholten Vergrösserung el-Kähira (Kairo) ge- nannt wurde. Amr ernannte vier Bauaufseher: Mu'àwia ben Hudeig, Scharik ben Sumeij, Amr ben Mucharram el-Chaulänf und Gabril ben Bäschira el- Maöäfiri; diese steckten die Strassen und Quartiere der Stadt ab und vertheilten sie nach den Stämmen unter die Soldaten. Ein Platz, auf welchem Cuteiba ben Kulthüm el-Tugibi zur Zeit, als bei der Belage- rung von Babylon das Lager dort stand, eine Bude errichtet hatte, worin er Waaren feil hielt, wurde für den passendsten gehalten, um dort eine Moschee zu bauen; Cuteiba war auch gern bereit den Platz zu räumen und bekam dafür eine Reihestelle unter seinen Stammesgenossen Banu Süm von Tugib, und noch im J. 21 wurde die Moschee aufgeführt. Sie war 50 Ellen lang und 30 Ellen breit und 80 Männer aus der Begleitung Muhammeds, darunter el-Zubeir ben el--Awwäm, el Mikdâd ben el-Aswad, ’Obäda ben el-Cämit, Abul-Dardä, Abu Darr el-Gifärf, Abu Nadhra el-Gifäri und Nubeih ben Cuwäb, waren zusammengetreten, um die Kibla, die Rich- tung nach Mekka beim Gebet, zu bestimmen. Aber einen erhöhten Minbar oder Pult zum Vorlesen des Korän musste Amr auf Befehl des Chalifen wieder abbrechen lassen, weil er nicht wollte, dass die gläu- bigen Zuhörer niedriger stehen sollten. Die Nachrichten über die ver- schiedenen Veränderungen, Erweiterungen und Verschönerungen dieser Moschee des Amr sind von den Geschichtschreibern sorgfältig gesammelt und sie ist noch jetzt die Hauptmoschee von Kairo. Sie lag ursprüng- lich ganz frei und dem Haupteingange gegenüber stand die Wohnung Amr’s, die Strasse dazwischen war nur sieben Ellen breit. Anr- machte alsbald einen Bericht an den Chalifen über die grossen DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 13 Vorräthe der Landbebauer und über die unermesslichen Reichthümer der Ägypter, und wie bedeutend diese sein mochten, geht schon aus dem einen Beispiele hervor, dass das Vermögen eines Copten, welcher über- führt wurde den Griechen die Schwächen der Muslim verrathen zu haben, in dem Betrage von dreizehn Millionen Dinaren eingezogen wurde. An- fangs war Omar zu grosser Milde geneigt und befahl Amr, die Acker- bauer in aller Weise zu schonen, nichts von ihrem Eigenthum zu ver- kaufen, um sie nicht in Noth zu stürzen oder sie zum Ungehorsam und zur Rache zu reizen, im Gegentheil solle er ihre Aecker beschützen und, wenn nöthig, ihnen durch Zufuhren helfen, um sie zu beruhigen, wer aber sich einer Ungerechtigkeit gegen sie schuldig mache, der werde er- fahren, was es heisse, seinen Befehlen nicht Folge zu leisten !), Amr war desshalb nachsichtig in der Beitreibung der mässigen Kopfsteuer und die Einnahme betrug im ersten Jahre eine Million, dann vier und in der Folge acht Millionen Dinare. Dazu kamen einige Naturalliefe- rungen an Getreide, Oel und Honig und für die Wohlhabenden eine geringe Vermögenssteuer, wobei indess mit einiger Strenge verfahren wurde, indem auf Verheimlichung von Schätzen die Confiscation und Todesstrafe stand2). Ausserdem musste an die Muslimische Armee die 1) Codex Gothan. Nr. 325 u. 367: lw Al Jv) ll ua cl par u > À 23 w Dn elt do Kla> Sale Ai al d að SÁ VS MS va r Ha, Ayla Ci ve? A rb od wäh, LS La kel A8 Ai lol as sien Mes K Mel; de hoy „all u J= padi A Rð Lä Pa ce Sai W IUI o Gei EN den zg dé een Kö! u Seit Anl Seen Sint? Lesl wule Dh mb "9 2) Es war zur Anzeige gebracht, dass ein Copte Namens Petrus seine Schätze verborgen habe; Amr liess ihn vorfordern und da er hartnäckig leugnete, wurde er ins Gefängniss gesteckt. Amr hörte sich dann um, ob Petrus wohl nach irgend Jemand gefragt habe, und erfuhr, dass er sich nach einem Mönche in el-Tür (Sinai Kloster) erkundigt habe. An diesen schrieb nun Amr: »schicke mir, was du bei dir hast», und versiegelte den Brief mit dem Siegelringe des Petrus, den er ihm hatte vom Finger abziehen lassen. Der Bote brachte dann eine Syrische Kanne zu- 14 F. WÜSTENFELD. Bekleidung geliefert werden, jeder Krieger erhielt jährlich wollenes Unterzeug, einen Burnus, Beinkleider und ein Paar Schuh. Da aber der Wohlstand Ägyptens darauf beruhte, dass die Canäle, Dämme und Brücken immer in gutem Zustande erhalten blieben, so mussten für diesen Zweck 120,000 Arbeiter mit Hacken, Schaufeln und anderen Geräthschaften Winter und Sommer unterhalten werden. Auch ging Amr von dem richtigen Grundsatze aus, dass, je weniger er die Bewohner durch Steuern bedrücke, umsomehr sich ihr Wohlstand heben und um so eher ein gutes Verhältniss zwischen ihnen und den Siegern hergestellt werden würde, was diesen indirect wieder zum Vortheil ge- reichen müsse. Daher kam es, dass von den bedeutenden Einkünften verhältnissmässig nur wenig in den Staatsschatz nach Medina abgeliefert werden konnte, und der habgierige Chalif drückte dann auch bald genug seine Verwunderung darüber aus, dass ein so reiches Land, wie ihm Ägypten immer gepriesen sei, nur einen so geringen Ertrag liefre, und Amr reiste zweimal nach Medina, um sich persönlich über seine Ver- waltung zu rechtfertigen. Auch für die bürgerliche Ordnung hatte Amr dadurch gesorgt, dass er bei Zeiten einen Cädhi anstellte. Er hatte dazu den Keis ben Abul- "Act bestimmt, der Chalif wollte aber die Stelle dem Ka’b ben Jasär ben Dhinna el-Absi übertragen!), welcher schon vor Muhammed die Streitigkeiten der Araber geschlichtet hatte; da indess dieser ablehnte, rück, welche mit Zinn zugelöthet war, und als sie geöffnet wurde, fand sich darin ein Blatt mit der Aufschrift: »euer Geld befindet sich unter dem grossen Wasserbehälter.> Nun wurde in der Wohnung des Petrus der Wasserbehälter abgelassen und die Steinplatten im Grunde aufgehoben, und man fand darunter 52 Irdabb (grosses Maass für trockne Sachen) gemünztes Gold, d. i. über zwölf Millionen Dinare. Amr liess dem Petrus am Eingange der Moschee den Kopf abschlagen und aus Angst, dass es ihnen ebenso ergehen möchte, brachten nun die Copten ihre Schätze zum Vorschein. ` 1) Dies kann aber nicht erst im J. 24 geschehen sein, wie Su jüti berichtet, da Amr in diesem Jahre in Ägypten nichts mehr zu sagen hatte und Omar schon im J. 23 gestorben war. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 15 so erhielt das Amt der Sohn des erstgenannten, Othmän ben Keis ben Abul-Äct. Zum Aufseher über die öffentlichen Märkte und zum Ein- nehmer der davon zu erhebenden Abgaben hatte Amr den Chälid ben Thäbit el-Fahmi ausersehen, welcher aber dies Amt ausschlug, worauf Schurahbil ben Hasana dazu bestellt wurde!). — Die Aufsicht über die Mühlen wurde Maslama ben Muchallad übertragen?) — Chäriga ben Hudsäfa war Oberst der Leibwache und nach ihm el-Säib ben Hischäm, welcher diesen Posten bis zum J. 40 bekleidete. Ungeachtet der grossen Verdienste, welche sich Amr schon durch die erste Anregung des Planes zur Eroberung von Ägypten und dann noch mehr durch die Ausführung desselben erworben hatte und unge- achtet er hierauf diesen Plan weiter verfolgt und weit über die Gränzen von Ägypten hinaus Barca, Tripolis und einen grossen Theil von Nord- africa theils selbst, theils durch seine Unterfeldherrn unterworfen hatte, ` konnte er es nur mit Mühe erreichen, dass er nicht ganz abgesetzt wurde; er behielt nur Unterägypten, und die Verwaltung von Ober- ägypten, el-Ça'fd 5), wurde dem Abdallah ben Sa'd ben Abu Sarh ben el-Härith el- Åmirí über- tragen. Nicht lange nachher in den letzten Tagen des Jahres 23 (An- fangs October 644) wurde Omar ermordet und sein Nachfolger 'Othmàn liess Amr nur noch kurze Zeit auf seinem Posten, dann übertrug er dem 1) So Sujüti II, 86; nach anderen dagegen soll Schurahbil schon im J. 18 an der Pest von Emmaus gestorben sein. Nawawi pag. 312. Ibn el-Athir, asad el-gäba II. pag. 391. 2) Sujüti a. a. O. macht die nähere Bezeichnung („aut „„>1,b »die Mühlen von el-Balcasc. In dem Verzeichniss der Ägyptischen Ortsnamen Cod. Goth. Nr. 258 werden in der Provinz el-Scharkija zwei besondere Orte el-Tawähin »die Mühlen» aufgeführt, eine mit dem Beisatz Sb »bei Ikräsch«; derselbe Ort wird in dem Verzeichniss von de Sacy u A bdallatif pag. 606 erwähnt und daneben el- Tawähin im Gebiete von Fäcüs. 3) Es wurde in drei Distriete getheilt, der südliche reichte von Uswän bis Jchmim, der mittlere von Jchmim bis el-Bahnasa und der nördliche von hier bis in die Nähe von Fustät. 16 F. WÜSTENFELD. Abdallah, der sein Milchbruder war, die Regierung von ganz Ägypten. Das betreffende Schreiben des Chalifen traf ihn in Schadmüh oder Müscha (Damüscha), einem Dorfe bei el-Fajjüm; er liess unter die Be- wohner des benachbarten Dorfes Atwäb!) Geschenke austheilen und diese führten ihn im Triumphe nach Fustät, wo Amr sein Amt niederlegen musste. Bald darauf im J. 24 erschien eine Griechische Flotte vor Alexan- dria und es brach ein Aufstand der Griechischen Bevölkerung aus. Als Veranlassung wird Folgendes erzählt: Talamä, Ortsvorsteher von Ichnä in der Nähe von Alexandria, kam zu Amr und verlangte von ihm zu wissen, wie viel Kopfsteuer ein Jeder bezahlen solle, wonach er sich ein für allemal zu richten habe. Amr erwiederte, indem er auf die Mauer einer Kirche zeigte: »und wenn du mir einen Berg Goldstücke von der Grundmauer bis ans Dach gäbest, würde ich doch nicht sagen, dass es genug sei; ihr seid unsere Schatzkammer, brauchen wir viel, so nehmen wir viel, brauchen wir wenig, so nehmen wir wenig.« Hierüber aufgebracht reiste Talamä nach Griechenland und vermochte den Kaiser Konstantin eine Armee in 300 Schiffen unter Anführung des Eunuchen Manuel nach Alexandria zu schicken. ` Bei hrer Ankunft erhob sich die Griechische Bevölkerung und da der inzwischen zum Statthalter ernannte Abdallah nicht fähig war den Aufstand zu unterdrücken. und die Grie- chische Armee hinauszuwerfen, wandten sich die Copten an den Chalifen Othmän mit der Bitte, Amr ben el-Äci wieder an die Spitze der Re- gierung zu stellen, was eben so sehr für sein tüchtiges Feldherrntalent, als für die Milde seiner Verwaltung spricht. Während dann Abdallah in Fustät blieb, rückte Amr zu Wasser und zu Lande gegen Alexandria vor und als Chäriga ben Hudsäfa zur Eile drängte, ehe die Griechen sich sammeln könnten, da man nicht sicher sei, dass ganz Ägypten sich erhebe, erwiederte Amr: »ich will sie gewähren lassen, bis sie zu mir heran kommen, dann sollen sie erfahren, mit wem sie es zu thun haben; erst mögen sie sich selbst unter einander zur Last Zellen. Der aus 1) so Jäcüt I, 312; oder nach Macrizi I. 299, 8 v. u. Atwäf. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 17 Alexandria ausrückenden Armee schloss sich die Griechische Land- bevölkerung an, überall wo sie durch ein Dorf kamen, tranken sie den Wein aus, verzehrten die Lebensmittel und stahlen, was ihnen vorkam. Erst als sie nach Nakjüs!) kamen, stellte sich Amr ihnen entgegen; die Griechen sandten vom Wasser her einen Pfeilregen gegen die Muslim, ` wobei selbst Amrs Pferd am Halse verwundet wurde, so dass er absitzen musste. Dann stiegen sie aus den Schiffen und vereinigten sich mit den Truppen auf dem Lande und überschütteten die Muslim mit Pfeilen, bis sich diese bei einem Gesammtangriffe zurückziehen mussten; selbst Scharik ben Sumeij mit seinem Renner ergriff die Flucht. Während dann die Griechen sich in Colonnen formirten, forderte ein Griechischer Oberst zu Pferde in goldener Rüstung zu einem Zweikampfe heraus und Abu Madshig Haumal vom Stamme Zabid stellte sich ihm entgegen. Nachdem sie längere Zeit mit den Lanzen gekämpft hatten, warf der Oberst die seine weg und zog sein Schwerdt, und Haumal that ein Gleiches; Amr rief ihn bei Namen: »Abu Madshig« um ihn anzufeuern, und er antwortete: »zu Befehl«; die Truppen standen in Reihe und Glied am Ufer des Nil. Der Zweikampf mit Schwerdtern dauerte nun eine Stunde lang, bis bei einem erneuten Angriffe des Griechen, dem Haumal mit seinem schlanken Körper gewandt auswich, dieser zugleich ein Messer aus seinem Gürtel zog und es seinem Gegner in die Kehle rannte, so dass er tödlich getroffen vom Pferde sank; Haumal stürzte sich auf ihn, zog ihm die Rüstung ab und trug sie als Beute davon. In diesem Augen- blicke griffen die Muslim wieder an, schlugen die Griechen in die Flucht und. verfolgten sie bis nach Alexandria hinein, wo Amr befahl den Kampf einzustellen, und an der Stelle, wo dies geschehen war, wurde nachher die danach benannte »Moschee des Erbarmens« errichtet. Manuel hatte in dem Kampfe das Leben verloren. Talamä wurde gefangen genommen 1) So ist der von Weil, Gesch. der Chalifen Bd. I. 158 zweifelhaft gelassene Name zu lesen nach Jäcüt IV, 810 und dem Verzeichniss der Ägyptischen Orts- namen Cod. Gothan. Nr. 258 in der Provinz Gazirat beni Nacr, jedenfalls vorn mit Nün nach dem Alphabet; bei Macrizi I. 167, 3 v. u. 168, 12 v. u. Nafjüs. Hist. -phil. Classe. XX. 2. | C W F. WÜSTENFELD. und Amr's Umgebung verlangte seinen Tod, er aber erwiederte: »ich schenke ihm die Freiheit, er mag dann mit einem anderen Heere wieder kommen.« Er wurde mit Armspangen, einer Krone und einem Purpur- mantel bekleidet und so entlassen. Er hätte jetzt gern die Kopfsteuer bezahlt und als ihm Jemand sagte: »du kannst ja zum Kaiser gehen«, entgegnete er: »dann lässt er mich tödten, ich bin Schuld an dem Tode so vieler meiner Landsleute.« | Amr liess jetzt die Mauern der Stadt zerstören, wie er geschworen hatte, dass sie von allen Seiten zugänglich sein solle, wie das Haus einer H...; dann aber trat er freiwillig wieder ab und kehrte nach Medina zurück, da er auf das Anerbieten des Chalifen, den Oberbefehl über die Truppen zu behalten ohne zugleich die Verwaltung des Landes zu haben, nicht eingehen wollte, indem er sagte: das wäre so, als wenn ich die Kuh an beiden Hörnern festhielte und ein anderer melkte sie. Dies geschah im J. 25. — Nach einigen war Mukaukas vor diesem Auf- stande gestorben, nach anderen erlebte er ihn noch, hatte sich aber nicht daran betheiligt und wurde von den Muslim unbehelligt gelassen. In demselben. Jahre drang Abdallah weiter in Africa vor, unter ihm dienten Abdallah ben Omar, Abdallah ben el-Zubeir und Abdallah ben Amr ben el- Act. Es wurde unermessliche Beute gemacht, sodass davon ein Reiter 3000, ein Fusssoldat 1000 Mithkäl Gold (Ducaten) erhielt; ein bleibender Erfolg wurde indess nicht erreicht. — Im J. 27 unter- nahm er einen neuen Feldzug nach Nordafrica gegen Gregorius, welcher getödtet wurde; die Araber gingen dann weiter vor und einige sollen jetzt schon nach Spanien hinüber gesetzt sein, Im nächsten Jahre unter- stützte Abdallah den Mu’äwia bei der Eroberung von Cypern und im J. Əl zog er gegen die Neger in Nubien, wo er bis Dongola vordrang und eine Schlacht lieferte, in welcher der Anführer Ma Zeie ben Hudeig ein Auge verlor. Indess war der Erfolg nur der, dass ein Vertrag geschlossen wurde, wonach Abdallah gegen eine gewisse Anzahl Nubischer Sklaven eine Quantität Weizen und Linsen liefern wollte. Wichtiger war der Kampf gegen eine Flotte des Kaisers Konstantin, welche aus 700 oder gar 1000 Schiffen bestehend im J. 34 vor Alexandria erschien, denen die e... DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 19: Muslim nur 200 Schiffe entgegenführen konnten. Nachdem sie die grossen und kleinen Pfeile verschossen hatten, griffen sie zu Steinen und als auch diese zu Ende waren, enterten sie die feindlichen Schiffe und kämpften mit dem Schwerdte, bis die Griechen in die Flucht ge- schlagen waren. Von der grossen Anzahl von Masten (gawäri),. welche hier vereinigt waren, erhielt diese Seeschlacht den Namen Dsul-gawäri. Allen diesen Erfolgen mag es zuzuschreiben sein, wenn Abul-Ma- häsin und Makrizi die Regierung des Abdallah eine lobenswerthe nennen, denn auf der anderen Seite gab er in Bezug auf die Verwaltung dem Verlangen des Chalifen nach einer grösseren Einnahme willig nach und bedrückte die Copten mit übermässigen Abgaben, die er auf 14 Millionen steigerte, während sie unter Amr ben el-Åci nur 12 Millionen betragen hatten, und als sich Othmän gegen diesen darüber äusserte : »die Camelin giebt jetzt mehr Milch als früher«, erwiederte Amr: »ja! aber zum Schaden ihres Jungen«. Die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölke- rung, welche noch durch Sektirer und sonstige Gegner Othmäns geschürt wurde, veranlasste den Abdallah im Ragab des J. 35 (Jan. 656) nach Medina zu reisen, um sich Selbst mit dem Chalifen zu berathen, nach- dem er den ’Okba ben "Amir el-Guheni oder el-Säib ben Hischäm el- 'Åmirí zu seinem Stellvertreter und den Suleim ben 'Itr el-Tugibi zum Steuerverwalter eingesetzt hatte. Drei Monate nachher lehnte sich. Mu- hammed ben Abu Hanifa gegen 'Okba auf, vertrieb ihn aus Fustät, wie- gelte das Land auf, erklärte Othmän für abgesetzt und suchte durch alle schlechten Mittel die Gemüther gegen ihn aufzureizen. Die jüngeren Anhänger Othmäns, darunter Mwåwia ben Hudeig, Chäriga ben Hudsäfa, Busr ben Abu Artä, Maslama ben Muchallad und viele andere, sprachen sich offen dagegen aus und sandten einen Bericht über das Vorgefallene an Othmän, welcher dann den Sa'd ben Abu Wakkäc abordnete, um’ die Streitigkeiten zu schlichten. Allein die Aufrührer zogen ihm entgegen, stiessen sein Zelt über den Haufen und misshandelten ihn, bis er um- kehrte und sich wieder davon machte. Nicht besser ging es dem Ab- dallah ben Sa'd, als er zurückkam; auch ihm verwehrten sie den Eintritt in die Stadt, er musste sich zurückziehen und begab sich nach ’Ascalon Be 20 F. WÜSTENFELD. oder Ramla!). Jetzt brachte Muhammed ben Abu Hudseifa eine Schaar von sechshundert Reitern zusammen, angeführt von Abd el-Rahman ben 'Odeis el-Balewi, aber unter der Oberleitung von Muhammed ben Abu Bekr; sie zogen nach Medina?) und verlangten von dem Chalifen die förmliche Absetzung des Abdallah ben Sæd und die Ernennung des Muhammed ben Abu Bekr zum Statthalter von Ägypten. "Othmän, auch von anderen Seiten sehr bedrängt, gab nach einigem Sträuben hierzu seine Einwilligung, indess auf dem Rückwege bei dem Orte Himmic griff diese Schaar einen Postreiter auf, in welchem sie Warsch, einen Diener des Othmän erkannten und bei dem sie bei der Durchsuchung ein Schreiben fanden, von dem Staatssecretär Marwän ben el-Hakam im Namen des Chalifen geschrieben und mit dessen Siegel versehen, worin er dem Abdallah, von dessen Vertreibung er nichts erfahren hatte, den Befehl ertheilte, Muhammed ben Abu Bekr und seine Begleiter aus dem Wege zu schaffen. Voll Erbitterung kehrten sie nach Medina zurück; der Chalif leugnete von der Abfassung jenes Schreibens Kenntniss ge- habt zu haben und verweigerte jede Genugthuung; er wurde von den Ägyptiern, denen sich die Empörer aus Kufa und Baçra angeschlossen, hatten, mehrere Wochen belagert, dann drangen sie in seinen Pallast ein und Aswad ben Hamrån5) versetzte ihm den Todesstoss, fiel aber auch sogleich unter den Streichen der Vertheidiger. Hiernach haussten die Ägyptier in Medina ärger als Perser und Griechen und plünderten den Pallast des Chalifen und dann auch die reichgefüllte öffent- liche Schatzkammer rein aus. Dies geschah am 18. Dsul-Higga des J. 1) wo er im J. 36 gestorben ist. 2) Nach Mas’üdi T. 1. pag. 338 (Bulak.) wären sie damals nicht nach Medina hineingekommen, sondern während sie in dem Wädi Chuschub eine Tagereise von der Stadt lagerten, sei ’Ali ben Abu Tälib von dem Chalifen zu ihnen geschickt und habe mit ihnen die Unterhandlungen geführt. 3) Abu Rumàn Aswad ben Hamrän gen. Hammär (Eseltreiher) vom Stamme Kinda; nach anderen hiess der Mörder Südän ben Rümän el-Murädi, der durch seine vöthliche Farbe und blauen Augen kenntlich war, oder Kinäna ben Bischr ben Gajjäth el-Tugibi.. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 21 35 (17. Juni 656); drei Tage lang blieb Othmän unbeerdigt liegen und fünfTage war Medina ohne Chalifen. Die Ägyptier wollten "A ben Abu Tälib wählen, aber er zog sich vor ihnen zurück; die Kufaner, welche an dem Aufstande Theil genommen hatten, wollten el-Zubeir ben el-Awwäm zum Chalifen ausrufen, konnten ihn aber nicht finden; dieBacraner wandten sich an Talhaben Obeidallah, der gab ihnen eine ab- schlägige Antwort. Nun beriethen sie sich untereinander und beschlossen, keinen von diesen dreien zu nehmen, sondern sie gingen zunächst zu Sad ben Abu Wakkäc und als auch dieser ablehnte, zu Abäallah ben Omar, der ebenfalls nicht wollte. Da kamen sie endlich wieder zu 'Alí und drangen in ihn, bis er das Chalifat annahm. Als die Nachricht von der Ermordung Othmäns nach Ägypten kam, trugen seine Anhänger dem Mu’äwia ben Hudeig den Oberbefehl an unter der Bedingung Othmäns Blut zu rächen. Sie sammelten sich in el-Caid und Ibn Abu Hudseifa sandte ihnen ein Reitercorps entgegen, das aber in die Flucht geschlagen wurde. Ibn Hudeig wandte sich dann zunächst nach Barka und kam von hier nach Alexandria zurück, _ während Ibn Abu Hudseifa ein neues Corps zusammengebracht hatte; bei Charibtä in der Nähe von Alexandria kam es zur Schlacht, die Ägyptier wurden abermals geschlagen und die Anhänger Othmäns setzten sich in Charibtä fest. 3 - Nun hatte auch Mwåwia ben Abu Sufjån in dem beginnenden Kampfe mit 'Alí um das Chalifat sein Augenmerk auf Ägypten gerichtet; er eilte dorthin und lagerte bei Salmunt in der Nähe von ’Ain Schams (Heliopolis); Ibn Abu Hudseifa ging ihm aus Fustät entgegen um ihn am weiteren Vordringen zu hindern, es kam indess nicht zum By sondern zu einem Vergleiche, dass man die Feindseligkeiten einstellen und gegenseitig Bürgen für die Erhaltung eines guten Einvernehmens stellen wolle. Ibn Abu Hudseifa ernannte el-Hakam ben el-Calt zu seinem Stellvertreter in Ägypten und stellte sich selbst als Bürgen zu- gleich mit Ibn ’Odeis und einigen anderen, die an der Ermordung | Othmäns Theil genommen hatten, und sie gingen mit Mwäwia nach 22 | F. WÜSTENFELD. Syrien. Als sie nach Ludd D kamen, liess sie Mw’äwia ins Gefängniss werfen und reiste weiter nach Damascus; sie entkamen zwar, allein der Emir von ‚Palästina liess sie ‘verfolgen und, als sie eingeholt wurden, tödten im Dsul-Higga 36 (Mai 657).2) Unterdess hatte "A den Keis ben Sa’d ben "Obäda zum Statthalter von Ägypten ernannt, welcher, als er nur mit sieben Begleitern in Fustät eintraf, sofort in die Moschee eilte, seine Ernennung durch ’Ali vorlas und einen Vortrag hielt, an dessen Schlusse er aufforderte 'Alí zu huldigen, was auch sogleich geschah. Mit Umsicht suchte er dann zunächst mit den Anhängern Othmäns, welche in Charibtä schon etwa 10,000 Mann unter Anführung des Jazid ben el-Härith el-Mudligi versammelt hatten, : dadurch auf einen guten Fuss zu kommen, dass er ihnen Geschenke machte und einige Abgeordnete von ihnen sehr ehrenvoll empfing, und nachdem 'Amr ben el-’Äct und Mu’äwia ben Abu Sufjän sich vergebens bemüht hatten ihn zu vertreiben, um sich selbst in den Besitz von Ägypten zu setzen, machte ihm Mu’äwia sogar das Anerbieten, dass, wenn _ er auf seine Seite treten ‚und sich gegen "AH und die Mörder Othmän’s erklären würde, er seinen Posten in Ägypten behalten und später sein Stellvertreter in ’Iräk werden solle, sobald er seinen Kampf gegen AN glücklich beendigt habe. Keis ging anscheinend auf diese Verhandlungen ein, weil ihm Mu’äwia mit seiner Armee in Syrien viel näher stand, als “Ali, indess wusste er durch List und Schlauheit einer bestimmten Er- klärung auszuweichen, bis Mu’äwia selbst das Gerücht verbreiten liess, 1) Lydda zwischen Jerusalem und Ramla. 2) Sujût í berichtet nach Tabari den Hergang etwas anders: Als Abdallah ben Sa’d bei seiner Rückkehr aus Medina von Fustät zurückgewiesen wurde, erfuhr er auf dem Rückwege, dass Othmän ermordet sei, und begab sich ‚nach Syrien zu Mu’äwia und berichtete ihm, wie es ihm ergangen sei und dass Muhammed ben Abu Hudseifa sich der Regierung in Ägypten bemächtigt habe. Mu’äwia eilte dann mit Amr ben el-"Aci dorthin, sie konnten aber nichts ausrichten, bis Ibn Abu Hudseifa mit 1000 Mann nach el-’Arisch vorging und sich darin verschanzte; "Am schloss sie ein: und stellte die Belagerungsmaschinen auf; Ibn Abu Hudseifa machte mit dreissig seiner Begleiter einen Ausfall, wobei sie sämmtlich getödtet wurden. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 23 dass er mit ihm in Verbindung getreten sei und zwischen ihnen heim- lich ein Briefwechsel stattfände. Die Spione 'Alfs meldeten diesem so- gleich, was sie gehört hatten, und Muhammed ben Abu Bekr und Ab- dallah ben Ga’far liessen nicht ab in 'Alí zu dringen, bis er bes ben Sad aus Ägypten zurückrief.!) Seine Uneigennützigkeit in der Ver- waltung zeigte sich unter anderen dadurch, dass er in Fustät der Moschee 1) Keis merkte sehr wohl, dass er bei 'Ali angeschwärzt sei, und erhielt ihm seine Anhänglichkeit; ebenso wusste ’Ali, dass eran ihm einen treuen Anhänger habe und bereute es später sehr ihn nicht auf seinem Posten in Ägypten gelassen zu haben; er übertrug ihm das Commando über die Avantgarde seiner Armee gegen Mu’äwia namentlich in der Schlacht bei Giffin. Auch unter el-Hasan stand er an der Spitze eines Corps von 5000 Mann, welche sich aus Trauer über "Alte Tod die Köpfe geschoren hatten, und als auch el-Hasan fiel und dessen Truppen zu Mu’äwia übergingen, weigerte sich Keis diesem zu huldigen und redete sein Corps an: »Was wollt ihr? Wenn ihr wollt, so kämpfe ich mit euch aufs äusserste, bis wir als die ersten sterben; oder wenn ihr lieber wollt, so werde ich für euch eine sichere Ca- pitulation erwirken.« Sie wählten das letztere, und nachdem dies geschehen war, zog sich Keis nach Medina zurück, wo er im J. 59 gestorben ist. — Aus der Reihen- folge der Begebenheiten, besonders aus der Erwähnung der Schlacht bei Çiffin geht deutlich hervor, dass mehrere bestimmte Zeitangaben bei Macrizi Bd. II S. 300 falsch sind; er setzt die Schlacht bei Charibtä auf den 1. Ramadhän 36 (21. Febr. 657), die Ankunft Mu’äwia’s bei Salmunt in den Schawwäl und die Verwaltung des Keis in Ägypten vom 1. Rab? I. bis 5. Ragab 37 (17. Aug. bis 17. Dec. 657) und bemerkt noch besonders, dass seine Ernennung vom 4. Gafr 37 datirt gewesen sei. Nun steht aber fest, dass bei Giflin vom 1. bis 13. Gafr 37 (19—31. Juli 657) ge- kämpft wurde und es ist nicht wahrscheinlich, dass ’Ali in diesen critischen Tagen über die Besetzung der Statthalterstelle in Ägypten verfügt, und noch weniger, dass er einen so bewährten Freund "und tüchtigen Anführer wie Keis vom Schlachtfelde fortgeschickt habe. Wenn aber Sujüti das Anstellungsdecret des Keis genau ein Jahr früher als Abul-Mahäsin vom 4. Gafr 36 (3. August 656) datirt sein lässt, so ` ist das zu früh, weil da erst sechs Wochen seit der Ermordung Othmän’s verflossen waren, ein Zeitraum, welcher für die Ereignisse, die sich in Ägypten zutrugen, zu kurz ist; Sujûti sagt aber selbst: »Keis kam nach Medina zurück, begab sich hier- auf zu "A. entschuldigte sich bei ihm und nahm dann Theil ap der Schlacht bei Qiffin.« Seine Verwaltung in Ägypten muss desshalb in die zweite Hälfte des J. 36 (erste Hälfte d. J. 657) gefallen sein. 24 F. WÜSTENFELD. gegenüber ein Haus hatte bauen lassen und als nach seiner Absetzung darauf hingedeutet wurde, dass es sein Eigenthum sei, sagte er: »Ich habe keinen Antheil daran, das Haus ist von dem Gelde der Muslim gebaut und zur Wohnung für die Statthalter bestimmt.« Zu seinem Nachfolger wurde Muhammed ben Abu Bekr ernannt, welcher bei seiner Jugend (er war kaum 26 Jahre alt,) den Gegnern in Ägypten nicht gewachsen war; Keis soll mit ihm, als sie sich ablösten, zusammengetroffen sein und sich gegen ihn über sein Verfahren gegen Mu’äwia und wie er ihn immer zu täuschen gewusst habe, ausgesprochen haben; Muhammed glaubte ihm nicht, that von allem das Gegentheil und liess sich bald ganz von den Anhängern Mwäwia’s leiten. Sobald daher "AH nach der Schlacht bei Ciffin sich wieder etwas mehr mit den auswärtigen Angelegenheiten beschäftigen konnte und von den Vorgängen in Ägypten Kenntniss erhielt, liess er den ` Mälik ben el-Härith gen. el-Aschtar, welcher nach jener ` Schlacht auf seinen Posten als Statthalter von Mesopotamien zurückge- kehrt war, aus Nacibin (Nisibis), wo er sich aufhielt, nach Kufa zurück- kommen und nachdem er ihm die Lage der Dinge auseinander gesetzt ħatte, erklärte er ihm, dass er der einzige sei, dem er die Verwaltung von Ägypten übertragen könne, da er klug und umsichtig die nöthige Strenge mit Milde zu vereinigen wisse !). Während dann el-Aschtar die Vorbereitungen zur Abreise machte, setzten Mu’äwia’s Freunde diesen in Kenntniss von seiner Ernennung, und da Mu’äwia wohl wusste, dass er an el-Aschtar einen gefährlichen Gegner seiner Absichten auf Ägypten bekommen würde, schrieb er an el-Chänsir, den Steuereinnehmer in ‚Culzüm (oder el-Arisch), wo el-Aschtar passiren musste, dass er ihm für 1) Einige Geschichtschreiber lassen el-Aschtar unmittelbar auf Keis folgen, es er nicht wahrscheinlich, dass bei dessen Abberufung nicht sogleich sein Nach- folger ernannt und Ägypten mehrere Monate ganz ohne Statthalter geblieben sei; dur muss man dabei annehmen; dass Abul-Mahäsin (Bd. I. S. 120, 4 v. u.) eine falsche Angabe mache, dass auch Muhammed ben Abu Bekr bei Ciffin zugegen ge- wesen sei, wovon auch die übrigen nichts erwähnen. ist ab DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 25 ` seine Lebenszeit die von ihm zu erhebenden Steuern schenken wolle, wenn es ihm gelänge, el-Aschtar aus dem Wege zu räumen. Als nun el-Aschtar nach Culzum kam, lud ihn der Einnehmer zu sich ein und setzte ihm Speisen vor und ein Getränk von vergiftetem Honig, nach dessen Genuss el-Aschtar augenblicklich starb. el-Chänsir gab Mu’äwia sogleich Nachricht hiervon. und Amr ben el-Äct soll dazu geäussert haben: »Allah hat im Honig eine ganze Armee.« — Es blieb 'Alí nun nichts übrig, als Muhammed ben Abu Bekr auf seinem Posten zu lassen, ja er bestärkte ihn noch in seiner unsinnigen und grausamen Verfolgung der Othmänier, so dass es Muwäwia um so leichter wurde, diese ganz auf seine Seite zu ziehen. Nachdem er sich nämlich mit Amr ben el- 'Åct, Habib ben Maäslama, Busr ben Abu Artä, el-Dhahhäk ben Keis und anderen seiner Corpsführer in Syrien berathen hatte, richtete er ein Schreiben an Maslama ben Muchallad und Muäwia ben Hudeig, sprach ihnen Muth ein und stellte seine Unterstützung in Aussicht. Diese, welche sich längst von Muhammed ben Abu Bekr ganz losgesagt hatten und mit 10,000 Mann bei Charibtä standen, antworteten auch sogleich, ` dass er ihnen eiligst Hülfe senden möchte, und Mu’äwia schickte Amr mit 6000 Mann nach Ägypten, die sich mit den Othmäniern vereinigten. Jetzt verlangte auch Muhammed von "A Verstärkung, erhielt aber statt derselben nur den Befehl, mit seiner ganzen Macht vorzugehen. Er er- liess desshalb, nachdem er noch Mu’äwia ben Hudeig und Amr in einem verächtlichen Schreiben recht gegen sich aufgebracht hatte, einen Aufruf an seine Anhänger, sich unter dem Befehl des Kinäna ben Bischr gegen den Feind zu vereinigen, es fanden sich aber nur 2000 Mann zusammen, mit denen Muhammed ausmarschirte. Amr traf zuerst auf die von Ki- näna geführte Vorhut, welcher ein Corps nach dem anderen ausschwärmen liess, so dass sich Amr zurückziehen und von Mu’äwia ben Hudeig Ver- Stärkung verlangen musste. Dieser ging nun vor und umzingelte Kinäna, welcher, als er dies bemerkte, seine Leute absitzen liess, sie mit einem Koranspruch 1) in den Kampf führte und sich vertheidigte, bis er, nach- n SE 1) Sure 3 Vers 139: Kein Mensch kann sterben ausser nach dem Willen Hist.- phil. Classe. XX. 2. E 26 F. WÜSTENFELD. dem sie unter den Syrern ein grosses Blutbad angerichtet hatten, ge- tödtet wurde. Als Muhammeds Begleiter dies sahen, suchten sie das Weite, er selbst stieg vom Pferde und suchte zu Fuss davon zu kommen, bis er in einer Ruine einen Versteck fand. Amr hielt seinen Einzug in Fustät, während Mu’äwia die Verfolgung fortsetzte; als er von vorüber- ziehenden Copten den Versteck erfuhr, zog er den vor Durst fast ver- schmachtenden heraus und schleppte ihn nach Fustät, wo Muhammeds Bruder Abd el-Rahman ben Abu Bekr, der in Amr’s Gefolge war, ihn durch dessen Verwendung zu retten suchte. Amr befahl auch Mu’äwia, den Muhammed zu ihm zu führen, er kehrte sich aber nicht an diesen Befehl und zeigte sich unerbittlich; er liess ihn in den Cadaver eines Esels stecken und so verbrennen. Dies geschah am 14. Cafr 38 (22. Juli 658) und damit erreichte "Alte Herrschaft in Ägypten ein Ende. Er, wollte zwar noch einen Versuch machen Ägypten wieder zu gewinnen und erliess in Kufa ein allgemeines Aufgebot, es fanden sich indess nur 2000 Mann zusammen, welche er unter dem Befehle des Mälik ben Kab absandte, und welche ihren Weg durch den District Hismä!) nahmen. Da aber bald darauf nähere Nachrichten über Muhammeds Tod und den - Stand der Sachen in Ägypten bei ihm eingingen und er fürchtete, dass seine Truppen von den Syrern würden erreicht werden, ehe sie nach Fustät kämen, schickte er dem Mälik einen Eilboten nach und liess ihn zurückkommen. ` Gottes, wie es in dem Schicksalsbuche bestimmt ist; wer den Lohn in dieser Welt haben will, dem werden wir ihn darin geben, wer aber den Lohn im anderen Leben haben will, dem werden wir ihn darin geben und die Dankbaren werden wir ge- nügend belohnen. 1) Luz im Text bei Abul-Mahäsin I. pag. 126, 15 bedeutet nichts, die Variante > gäbe den Sinn: »er marschirte fünf Tage«; ich vermuthe, dass nach der Vo- ealisation des ersten Lw> für m zu lesen ist, der Gränzdistriet zwischen Syrien ünd Arabien am rothen Meere; denn da "Alte Truppen nicht durch Syrien und Palästina, wo Mu’äwia stand, marschiren konnten, so mussten sie von Arabien aus durchzukommen suchen, und das Corps war bis Hismä gekommen, als es den Befehl zur Umkehr erhielt. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. t ’Amr ben Abul-'Å ct wurde hierauf von Mu’äwia förmlich zum Statthalter von Ägypten ernannt, das Anstellungsdecret datirte vom I. Rab? 38 (August 658) und zum Lohn seiner aufopfernden und erfolg- reichen Dienste erhielt er die Einkünfte des Landes für sich, nach Ab- | zug der Besoldung der Truppen und der Verwaltungskosten. Aber er sollte Muw’äwia noch einen anderen ungleich grösseren Dienst leisten, in- dem er in seinem Streite mit’Ali um das Chalifat von ihm zum Schieds- richter erwählt wurde. Nachdem er seinen Sohn Abdallah, oder den Chäriga ben Hudsäfa, zu seinem Stellvertreter in Ägypten während seiner Abwesenheit ernannt hatte, begab er sich in Begleitung von 400 Mann nach Adsruh eine Meile von el-Garbä in der Gegend von el-Balkä an der Syrisch-Arabischen Gränze, wo er verabredetermassen mit Abu Müsä 'el-Asch’ari, dem Schiedsrichter "Als mit einer gleich grossen Escorte, im Ramadhän 38 (Febr. 659) zusammentraf. Wenn es nun auch hier nicht zu einer endgültigen Entscheidung kam, weil "AN sie nicht aner- kannte, so erreichte doch Amr soviel, dass Mu'åwia in Syrien und Ägypten als Chalif ausgerufen wurde. — Gerade zwei Jahre nachher verschworen sich drei fanatische Chärigiten, dass jeder von ihnen eines der damaligen Oberhäupter der Muslim ermorden wolle: Abd el-Rahman ben Mulgam el-Murädi den "AN. el-Burak ben Abdallah el-Tamimi den Mu’äwia und Amr ben Bukeir el-Tamimi!) den Amr ben el-Åçf, und sie verabredeten, dass sie die That an ein und demselben Tage Freitags den 15. Ramadhän 40 (22. Januar 661) ausführen wollten. Ali allein wurde tödlich getroffen und starb zwei Tage darauf den 21: Ramadhän 2); Mu’äwia wurde nur leicht verwundet und Amr kam ganz unversehrt davon, weil er an jenem Tage wegen Unpässlichkeit das Haus nicht verliess und Chäriga ben Hudsäfa beauftragt hatte, statt seiner das Gebet in der Moschee zu halten, welcher hier von dem Mörder, der ihn Eed 1) Abul-Mahäsin und Macrizi nennen statt der beiden letzten mit einfachen Namen Keis und Jazid und Macrizi setzt hinzu, dass alle drei vom Stamme Lachm 8ewesen seien, 2) Daher bei vielen die falsche Angabe, dass das Attentat Freitags den 17. Ramadhän stattgefunden habe, während der Freitag auf den 15. fiel. p 28 F. WÜSTENFELD. für Amr hielt, erstochen wurde. — In demselben Jahre hatte Amr den Schärik ben Sumeij gegen den Berberischen Stamm Lawäta gesandt und nach ihrer Besiegung mit ihnen Frieden geschlossen; sie empörten sich aber bald darauf wieder und 'Okba ben hän musste sie im folgenden Jahre aufs neue bekriegen. Derselbe unternahm auch einen Zug gegen die Hawwära und Schärik gegen die Labda, welche im J. 43 unterworfen wurden. _ Im J. 42 war der Cädhi Othmän ben Keis, welcher das erste Gast- haus in Fustat hatte bauen lassen, abgesetzt und seine Stelle erhielt für die nächsten zwanzig Jahre Suleim ben ’Itr el-Tugibi, ein durch seine Frömmigkeit allgemein geachteter Mann, der mit Amr aus el-Gäbia aus- gezogen war; er war der erste, welcher seine Erkenntnisse schriftlich abgab und ist im J. 75 gestorben!). Amr starb 90 Jahre alt in der Nacht des Festes der beendigten Fasten d. i. 30. Ramadhän 43 (5. Jan. 664); sein Sohn liess die Leiche in die Moschee bringen, sprach hier zuerst das Leichengebet, woran alle schon zur Festfeier Versammelten Theil nahmen, und liess das Festgebet dahinterher folgen. Seinen Nach- lass von 70 Buhär (rindslederne Säcke) voll Dinare, jeder zwei Irdabb enthaltend, wollten seine beiden Söhne Adallah und Muhammed nicht annehmen, weil zuviel unrecht erworbenes Gut darunter sei; Muw’äwia aber, als er davon hörte, war sogleich zur Annahme bereit. Amr hatte seinen Sohn Abdallah zu seinem Nachfolger bestimmt, er behielt aber den Posten nur wenige Wochen, bis der Chalif seinen Bruder 'Otba ben Abu Sufjän zum Statthalter von Ägypten ernannte, welcher daselbst im Dsul-Ca’da 43 (März 664) eintraf; derselbe kehrte aber schon nach einigen Monaten nach Damascus zurück, nachdem er den Abdallah ben Keis ben el-Härith zu seinem Stellvertreter eingesetzt hatte. Dieser erregte alsbald durch seine Härte die allgemeine Unzu- friedenheit, und 'Otba sah sich genöthigt seinen Posten wieder einzu- nehmen, hielt aber bei seiner Ankunft in Fustät eine derbe Ansprache | 1) Nach Abul-Mahäsin I, 214 wäre dieser der erste Cädhi von Ägypten ge- wesen und im J. 39 angestellt. Ki DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 29 an die Einwohner, welche sie zur Ruhe brachte. Nach einiger Zeit schickte er den 'Alkama ben Jazid als Präfecten nach Alexandria in Begleitung von 12,000 geborenen Arabern, welche dort ihren bleibenden Aufenthalt nehmen sollten, und er selbst folgte ihnen im Dsul-Ca’da 44 nach, um ebenfalls dort zu bleiben; er starb dort aber schon in dem- selben Monate (Febr. 665). Er hatte ’Ocba ben "Amir el-Guheni zu seinem Nachfolger ernannt, welcher auch von Mu’äwia bestätigt wurde. ’Ocba war viel in nächster Nähe des Propheten gewesen, hatte ihn auf seinen Zügen begleitet und öfter dessen Camel am Zügel geführt; er hatte daher mehrere besondere Aussprüche Muhammeds selbst gehört und nahm sie in die Sammlung des Korän auf, welche er veranstaltete und welche von der durch Oth- män sanctionirten abwich; durch ihn sind die beiden letzten Suren des Korän 113 und 114 bekannt geworden, auch war er in dem religiösen Ceremoniell und in den juristischen Satzungen sehr bewandert und selbst Dichter. — Nachdem er bereits zwei Jahre im Amte gewesen war, fand sich Mu’äwia veranlasst, den Maslama ben Muchallad, der sich bei ihm in Damascus aufgehalten hatte, zum Statthalter von Ägypten zu er- nennen, jedoch sollte ’Ocba vorläufig nichts davon erfahren. Er erhielt also den Befehl eine Expedition zur See nach Rhodus zu unternehmen und Maslama begleitete ihn nach Alexandria unter dem Scheine, als wenn er daran Theil nehmen werde, nachdem er aber abgesegelt war, übernahm Maslama die Regierung und als ’Ocba dies erfuhr, sagte er: »wenn auch abgesetzt, führe ich doch den Krieg weiter« Er war der erste, welcher auf Muslimischen Schiffen Flaggen aufziehen liess!). Seine Entfernung erfolgte am 20. des I. Rab? 47 (20. Mai 667) und 2) Maslama ben Muchallad vereinigte in sich alle Regierungs- zweige, Cultus, Verwaltung und Krieg, und leitete den letzteren zu Wasser 1) Er starb im J. 58 und wurde auf dem Karäfa begraben. S 2) Sujüti lässt hier vom J.47 bis 50 Mu’äwia ben Hudeig als Statthalter von Agypten folgen, derselbe war aber gewiss nur Commandeur der Leibgarde unter mehreren Statthaltern und einige Jahre selbständiger Corpsführer in Magrib. 30 F. WÜSTENFELD. und zu Lande. Er war die Haupttriebfeder, dass im J. 49 von Damascus aus ein Feldzug gegen Konstantinopel unternommen wurde, wiewohl er nicht selbst daran Theil nahm. Da umgekehrt fortwährend Landungen der Griechen in Ägypten zu besorgen waren, so wurde eine besondere Küstenwache errichtet und der Oberbefehl über dieselbe im J. 51 dem Chälid ben Thäbit el-Fahmi übertragen, und wirklich erschien im J. 53 eine Griechische Flotte vor Beryllos, gegen welche die Muslim harte Kämpfe zu bestehen hatten, worin viele ihren Tod fanden, unter anderen Wardän, der Freigelassene des Amr ben el-Äct, und ’Äids ben Tha’laba el-Balewi, welcher bei der Huldigung unter dem Baume bei el-Hudei- bia zugegen gewesen war; der eben genannte Chälid wurde im J. 54 von Maslama an die Spitze eines Corps gestellt, welches einen Feldzug nach Africa unternahm. Da an den Aussenseiten von Fustät sich auch Copten angesiedelt hatten, so entstand für sie das Bedürfniss einer Kirche und Maslama ertheilte die Genehmigung zum Bau einer solchen hinter der Brücke, und als die Muslimischen Soldaten darüber ihren Unwillen zu erkennen gaben, sagte er: »sie bauen nicht in eurem Bezirk, sondern aussen auf ihrem Grund und Boden«; womit sie sich beruhigten. — Maslama liess die Moschee Amr’s abbrechen und neu aufführen mit einem Thurme und er war der erste, welcher den Thurmbau bei den Moscheen einführte, und alle erhielten Thürme mit Ausnahme derjenigen in den Quartieren der Chaulän und Tugib. — Die ihm übertragene Regierung von Africa trat er nicht selbst an, sondern schickte dahin im J. 55 einen Frei- gelassenen Abul-Muhägir Dinär, welcher bis Tilimsän vordrang. Im J. 59 hatte der Chalif seinen Neffen Abd el-Rahman ben Ab- dallah el-Thakefi gen. Ibn Umm el-Hakam, da seine Mutter Umm el- Hakam die Schwester des Chalifen war, zum Emir von Kufa ernannt, er wurde aber wegen seines schlechten Betragens gegen die Einwohner von dort weggejagt, und als er nach Damascus zurückkam, sagte sein Oheim, der Chalif: »ich werde dir eine bessere Provinz geben«, und er- nannte ihn zum Statthalter von Ägypten. Auf dem Wege dahin kam ihm Mu’äwia ben Hudeig, der sich schon im J. 50 als Eroberer von DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. ` 31 ` Magrib einen Namen gemacht hatte, auf zwei Stationen von Fustät ent- gegen und verwehrte ihm die Weiterreise mit den Worten: »kehre zu deinem Oheim zurück, du sollst bei uns nicht ein solches Leben an- fangen, wie du es in Kufa geführt hast.« Nach einiger Zeit kam Ibn Hudeig nach Damascus und traf bei dem Chalifen dessen Schwester Umm el-Hakam, die Mutter des von ihm in Ägypten zurückgewiesenen Abd el-Rahman. Als der Chalif seiner ansichtig wurde, rief er ihm : entgegen: »sieh da! da ist ja Mwäwia ben Hudeig.« Darauf erwiederte Umm el-Hakam: »Der Mensch ist eines freundlichen Grusses nicht werth; von ihm zu hören ist noch besser, als ihn zu sehen.« Nun ent- gegnete ihr Ibn Hudeig: »Mit Erlaubniss, Umm el-Hakam! du bist ver- heirathet gewesen, aber nicht in einer angesehenen Familie, und du hast einen Sohn geboren, der aber nichts von Anstand weiss; du möchtest diesen Nichtsnutz gern zu unserem Statthalter gemacht sehen, dass er bei uns ein solches Leben führen könnte, wie er es in Kufa geführt hat; so etwas würde Allah nicht ansehen können, und wenn es geschähe, würden wir deinen Sohn durchprügeln, dass er davon laufen sollte, auch wenn der hierneben sitzende darüber ungehalten würde.« Der Chalif brach gegen seine Schwester gewandt das Gespräch ab: »genug davon !« Im J. 60 ernannte Maslama den Obersten seiner Leibwache und Cädhi el-Säib ben Hischäm zu seinem Stellvertreter in Fustät und sie- delte nach Alexandria über; hier traf ihn die Nachricht von dem im Ragab (April 680) erfolgten Tode des Chalifen Muäwia und von der Thronbesteigung seines Sohnes Jazid, welcher ihn in seinem Amte be- stätiste und ihm befahl die Huldigung für ihn entgegen zu nehmen. Erer- theilte dann wiederum el-Säib den Auftrag, die Einwohner und die Truppen in Fustät huldigen zu lassen und dieser fand keinen Widerstand ausser bei Abdallah ben Amr ben el-Äct, welcher sich weigerte. el-Säib be- richtete hierüber an Maslama, welcher dann die Aufforderung wieder- holte, und da el-Säib mit Güte nichts ausrichten konnte, sandte Maslama den "Ate ben Rabta el-Murädi!) nach Fustät. Auch jetzt noch weigerte a aL 1) nach anderen: 'Àbis ben Sa’id el-Catifi. 32 F. WÜSTENFELD. sich Abdallah vor ihm zu erscheinen, als aber 'Å bis Ernst machte und Feuer herbeischaffen liess, um sein Haus in Brand zu stecken, kam er und huldigte. Maslama kam dann im Anfange des J. 61 aus Alexan- dria zurück und übertrug dem 'Åbis ausser der Commandantur auch die Stelle eines Cådhi, und nachdem er ihn auch zu seinem Nachfolger be- stimmt hatte, starb Maslama am 25. Ragab 62 (9. April 682), der Chalif aber ernannte zum Statthalter Sa'id ben Jazid ben 'Alkama el-Azdi, welcher am 1. Ra- madhân 62 (14. Mai 682) in Fuståt eintraf. Zu seiner Begrüssung waren ihm die Bewohner der Stadt mit den angesehensten Männern an der Spitze entgegen gegangen, sie scheinen aber mit der Ernennung nicht sehr zufrieden gewesen zu sein, denn als sie ihn trafen, sagte 'Amr ben Mucharram el-Chaulâní, dem er vermuthlich zu jung schien: »Verzeihe Gott dem Emir der Gläubigen! sind nicht unter uns Hundert junge Männer wie du, von denen er einem die Regierung über uns hätte über- tragen können% Sie begleiteten ihn dann zwar in die Stadt, behielten aber einen Hass und eine Abneigung gegen ihn, die ihm seine sonst schon schwierige Stellung noch schwieriger machte. Denn der Berbern Häuptling Kusila ben Lamram !), welcher sich zum Islam bekannt und unterworfen hatte, war wieder abgefallen und brachte den Muslimen schwere Niederlagen bei, wodurch Så&id mehrmals genöthigt wurde, sich selbst nach Barca zu begeben. Von der anderen Seite drängten die Anhänger des Abdallah ben el-Zubeir, und als der Chalif Jazid am 15. des I. Rab? 64 (11. Nov. 683) plötzlich starb und sein schwacher Sohn Mu’äwia den Thron bestieg, in Arabien aber Abdallah zum Chalifen aus- gerufen wurde, erklärten sich auch die Ägyptier nothgedrungen für diesen, Said ben Jazid musste seinen Posten verlassen und der von Abdallah ernannte Statthalter Abd el-Rahman ben 'Otba ben Gahdam hielt im Scha'bån (April 684) mit einem grossen Gefolge von Chawärig seinen Einzug in 1) so buchstabirt die beiden Namen Ibn el-Athir, asad el-gäba IH, 431; bei anderen Kuseila und Lamzam oder Lamlam; vergl. Ibn el-Athir, Chron. IV. p. 90. 3 DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 33 Fustät. Er war klug genug, ’Äbis in seiner Stellung als Anführer der ` Leibwache und als Cädhi zu lassen, um sowohl die Truppen, als auch die Bevölkerung, die im Herzen doch ihre Anhänglichkeit an die Omei- jaden bewahrte, für sich zu gewinnen. Indess dauerte dieser Zustand _ nieht lange, denn bereits war Mu’äwia nach einer Regierung von kaum drei Monaten gestorben oder vergiftet und bald nachher bemächtigte sich Marwän ben el-Hakam des Chalifats in Syrien. Er sandte seinen Sohn Abd el-’Aziz mit einem Corps nach Eila, um den weiteren Zuzug von Truppen aus Arabien zu verhindern und von hier in Ägypten ein- zudringen, und Ibn Gahdam verschanzte sich vor Fustät östlich von dem Karäfa Berge hinter einem in Zeit von einem Monate aufgeworfenen Walle. Bald folgte Marwän selbst mit einer grösseren Armee nach und drang bis ’Ain Schams vor; Ibn Gahdam ging ihm entgegen, eine zwei- tägige Schlacht, die von beiden Seiten viele Opfer kostete, wurde erst dadurch entschieden, dass Amr ben Said ben el-Äct mit dem Beinamen el-Aschdak mit einem Corps Syrer den Feind umging und im Rücken angriff, wodurch Ibn Gahdam zur Flucht gezwungen wurde!), worauf Marwän am 10. Gumädä I. 65 (23. Decbr. 684) in Fustät einzog. Auch die Arabischen Truppen mussten jetzthuldigen und thaten dies mit Aus- nahme von 80 Mann vom Stamme Ma’äfir, welche ihrem Eide für Ibn el- Zubeir nicht untreu werden wollten; sie wurden sämmtlich am 15. Gu- mäda II. (27. Jan. 685) enthauptet, nachdem sie wahrscheinlich sich offen aufgelehnt hatten, denn an demselben Tage starb Abdallah ben Amr ben el- Å ct und seine Leiche konnte wegen einer Revolte der Truppen gegen Marwän nicht nach dem Begräbnissplatze am Karäfa geschafft, sondern musste in seinem Hause beigesetzt werden. Auch Okeidir ben Hamäm, Anführer des Corps vom Stamme Lachm und einer der Mörder des Chalifen Othmän, wurde enthauptet. Marwän hatte gegen ihn den = Ð Es ist wenig glaublich, dass nach anderen Nachrichten ein Friede geschlossen sei, wonach Marwän als Chalif anerkannt werden und Ibn Gahdam seinen Posten be- halten und eine gewisse Summe und die übliche Ehrenkleidung bekommen sollte. Von einer späteren Entsetzung desselben ist nicht die Rede, im Gegentheile wird seine Verwaltungszeit nur auf neun Monate angegeben und sein Vermögen wurde eingezogen und unter das Volk vertheilt. Hist.- phil. Classe. XX. 2. E d 34 ; F. WÜSTENFELD. Argwohn, dass, wiewohl er sich jetzt unterworfen hatte, er doch wieder abfallen würde, und brachte einige Syrische Soldaten auf, welche ihn anklagen mussten, einen von ihren Leuten getödtet zu haben. Er liess ihn desshalb zu sich rufen und da allgemeine Straflosigkeit zugesichert war, ging Okeidir, ohne etwas böses zu ahnen, zu ihm; er wurde sofort festgenommen, die Zeugen verhört, nach kurzem Process das Todesurtheil gesprochen und auf der Stelle vollzogen. Sobald dies ruchbar wurde, riefen seine Soldaten : »Okeidir ist ermordet!« sie eilten ihre Waffen an- zulegen und es rotteten sich über 8000 Mann vor Marwâns Wohnung zusammen, dieser liess das Thor schliessen, die Soldaten gingen nach und nach wieder auseinander und Okeidirs Blut blieb ungerächt. — Den ’Äbis ben Sa'id, welcher weder lesen noch schreiben konnte, hatte Mar- wän zu sich rufen lassen und fragte ihn: »Hast du den Koran gelernt% — Nein! — »So bist du wohl in den Verordnungen bewandert% — Nein! — »Aber wonach giebst du denn deine Urtheile ab?« — Ich ent- scheide nach dem, was ich weiss, und frage nach dem, was ich nicht weiss, — »Da bist du der rechte Cädhi.« — Er liess ihm dies Amt, nahm ihm aber den Befehl der Leibgarde und ernannte Amr ben Said zum Obersten derselben, und nachdem er seinen Sohn Abd el-’Aziz zum Statthalter eingesetzt und dann zum Abschiede ihm ein mildes Regiment empfohlen hatte, brach er am 1. Ragab (11. Februar 685) auf und kehrte nach Damascus zurück, wo er aber schon am 3.Ramadhän (13. April)!) von seiner eigenen Frau umgebracht wurde. Ihm folgte sein Sohn Abd el-Malik, welcher seinen Bruder Abd el-'Aziz als Statthalter bestätigte. — Gleich im J. 66 brach in Ägypten die Pest aus, welche viele Opfer forderte2), ungleich verheerender war aber die Epidemie, welche im J. 69 von Bacra anfing und im J. 70 sich über 1) desshalb kann er nicht erst am 1. Ramadhän von Fustät abgereist sein, wie Macrizi I, 302 berichtet. 2) Man zählte bis dahin seit dem Erscheinen des Islam fünf Pest- Epidemien: die erste noch zu Muhammeds Zeit; 2. die von Emmaus im J.18; 3. in Kufa unter Abu Müsä el-Asch’ari ums J. 40; 4. ebenfalls in Kufa zur Zeit des Mugira ben Schu’ba ums J. 50; 5. die Pest, in welcher Zijäd ben Abihi im J. 53 starb. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 35 Ägypten verbreitet; es sollen ihr täglich 70,000 Menschen erlegen sein; an Verlusten in einzelnen bekannten Familien von Bacra werden ange- geben: 70 bis 80 Kinder des Anas ben Mälik, 40 Kinder des Abd el- Rahman ben Abu Bakra; die Zahl der hingerafften Heirathsfähigen be- trug 20,000. — Um ihr zu entgehen verliess Abd el-'Aziz Fustät und begab sich nach dem zwei Parasangen davon gelegenen Hulwän; dort stand ein von zahlreichen Mönchen bewohntes Kloster bei dem Dorfe Tamweih dicht am Nil, und die Lage und gesunde Luft gefiel ihm so sehr, dass er hier seinen bleibenden Aufenthalt nahm und den Ort, den er den Copten für 20,000 Dinare abkaufte, durch prächtige Neu- bauten vergrösserte, so dass er seine Leibwache und die ersten Beamten aufnehmen konnte; auch Moscheen wurden errichtet und schöne Gärten und Palmen- -und Rebenpflanzungen angelegt. Hier liess er auch im J. 76 die ersten Münzen mit Muhammedanischen Gepräge schlagen. Als besondere Veranlassung hierzu wird folgendes erzählt: Eine Zuschrift des Chalifen an die Griechen begann mit dem Koranverse »Sprich: Allah ist einer«, und mit der Erwähnung des Propheten, dann folgte das Da- tum. Darauf hatte der Griechische Kaiser erwiedert: »Ihr fanget eure Briefe immer so und so an, lasset das gut sein, sonst werdet ihr auf unseren Münzen euren Propheten in einer Weise erwähnt finden, die euch unangenehm sein wird.« Das verdross denChalifen, er liess den Ge- lehrten Chälid ben Jazid ben Mu’äwia rufen und fragte ihn um Rath, was dabei zu thun sei; dieser erwiederte: verbiet ihre Dinare und lass selbst Münzen schlagen, auf denen der Name Allah’s ausgeprägt ist. Dann fragte der Chalif auch bei seinem Bruder Abd el-’Aziz an, welcher ihm denselben Rath ertheilte und dann sofort Gold- und Silbermünzen schlagen liess. — Im J. 72 hatte Abd el-Aziz eine Expedition zur See gegen Abdallah ben el-Zubeir ausgerüstet, über deren Erfolg indess nichts näheres bekannt ist. — Das Commando über die Besatzung von Alex- andria, welche hier die Grenzwache bildete, war dem Kureib ben Abraha el-Acbahi übertragen, einem Veteranen, welcher mit Amr aus el-Gäbia ` ausgezogen war; er starb im J. 78. — Im J. 84 wurde Jjäd ben Ganm el-Tugibi zum Commandanten von Alexandria ernannt. E* 36 F. WÜSTENFELD. Abd el-'Azfz war zum Nachfolger seines Bruders Abd el-Malik im Chalifat bestimmt. Als nämlich "Amt ben Said ben el-’Äct, nachdem er Mug’ab ben el-Zubeir geschlagen hatte, nach Damascus zurückkam, _ hatte er zu verstehen gegeben, dass er Marwän’s Nachfolger werden würde und Marwän hatte hierüber gegen den alten Dichter Hassän ben Thäbit seine Besorgniss geäussert, welcher darauf erwiederte, er werde ihm ’Amr gegenüber schon Genugthuung verschaffen. Am Abend, als der Hof bei dem Chalifen versammelt war, erhob sich Hassän und sagte: »Ich habe in Erfahrung gebracht, dass manche Leute meine Meinung über die gesicherte Erbfolge zu erfahren wünschen, steht auf und hul- digt dem Abd el-Malik und nach ihm dem Abd el-’Aziz!« Sie huldigten alle bis auf den letzten Mann. In der Folge wünschte aber Abd el- Malik, dass seine Söhne el-Walid und Suleimän ihm folgen sollten und er hatte mehrmals darüber mit Abd el- Aziz unterhandelt, welcher aber nicht zurücktreten wollte. Im J. 84 machte Abd el-Malık dieserhalb einen neuen Versuch und schickte den 'Åmir ben Scharähil el-Scha’bi nach Ägypten um Abd el-Aziz zum Verzicht zu bewegen, und da auch dies nicht zu dem gewünschten Ziele führte, ging der Chalif zu der Drohung über, dass er ihm die bis dahin genossenen Einkünfte von Ägypten abliefern solle. Nun schrieb ihm Abd el-Aziz: »Wir beide haben ein so hohes Alter erreicht, wie noch keiner aus unsrer Familie, und wir wissen nicht, zu wem von uns der Tod zuerst kommen wird; wenn du willst, dass mir der Rest meines Lebens verbittert werden soll und der Tod mich erst erreicht, nachdem du schon heimgegangen bist, so führe dein Vorhaben aus.« Dies stimmte Abd el-Malik zur Nachgiebigkeit und er sagte zu seinen Söhnen nur: »Wenn Allah euch das Chalifat will zu Theil werden lassen, so kann es kein Mensch euch streitig machen.« Und Abd el-Aziz starb dann auch vier Monate früher als Abd el-Malik Montags den 12. Gumädä I. 861) (11. Mai 705) an 1) Nach dieser Angabe bei Sujuti I, 6 stimmen Wochentag und Datum Mey S men, nicht nach anderen am 13. od. 16. Gumådá I. oder an einem dieser Tage im J. 85. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 37 der damals wieder in Ägypten verbreiteten Pest, der achten im Islam. Um ihr zu entgehen, hatte er sich wieder nach Hulwän begeben und Ibn Hudeig beauftragt, ihm täglich über die Todesfälle und andere Vor- ‚kommnisse in Fustät Nachricht zu geben. Eines Tages fragte er den Boten: wie ist dein Name? er antwortete: Abu Tälib. Darüber wurde er aufgebracht und sagte: ich habe dich nach deinem Namen gefragt und du nennst mir deinen Vornamen; wie ist dein Name? nun antwortete er: Mudrik (d. i. am Ziele angelangt). Abd el-Aziz nahm dies als eine schlechte Vorbedeutung auf und erkrankte auch bald nachher; der Dichter Nuceib besuchte ihn noch und erhielt für einige Verse, die er auf ihn dichtete, 1000 Dinare; er starb aber gleich darauf. Nachdem ’Äbis im J. 68 gestorben war, erhielt Baschir ben el-Nadhr el-Muzeni die Stelle eines Cädhi und diesem folgte Abd el-Rahman ben Hugeira el-Chaulänf, dem auch die Verwaltung der Staatseinkünfte über- tragen wurde; seine Einnahme von dem Amte als Cädhi betrug jährlich 1000 Dinare, die er zu Almosen verwandte. Nach seinem Tode im J. 83 folgte ihm Mälik ben Scharähil el-Chauläni und als dieser starb, ‚wurde Jünus ben ’Atija el-Hadhrami zum Cädhi und Obersten der Leib- wache ernannt bis zum J. 86, dann kam auf kurze Zeit seines Bruders ‚Sohn Aus und nach diesem erhielt Abd el-Rahman ben Mu’äwia ben ‚Hudeig el-Kindi beide Stellen. — Im J. 85 oder in einem der drei nächsten Jahre starb Abdallah ben el-Härith ben Giz el-Zabidi, in Ägypten der letzte 1) von denen, welche noch den Propheten Muhammed gesehen und gehört hatten, und die Ägyptier kannten von ihm zwanzig Aussprüche desselben. 2) SEHR sagt. Sujüti ausdrücklich und wenn daher über Sufjän ben Wahb el- Chauläni, welcher auch Traditionen von Muhammed überlieferte und die Feldzüge in Ägypten mitmachte, berichtet wird, er sei im J. 91 gestorben, so ist dies viel- leicht ein Fehler für 71. Dagegen starb Tubei ben 'Åmir el-Himjari, welcher ein- mal dem Propheten als Wegweiser gedient hatte, aber den Islam erst nach dessen Tode annahm, erst im J. 101 in Alexandria. 2) Sujüti führt über 300 Personen mit Namen auf, welche Muhammed ge- kannt hatten und mit nach Ägypten gezogen waren, und auf die meisten derselben wurden Traditionen von ihm zurückgeführt. 38 F. WÜSTENFELD. Der Chalif ernannte seinen jüngeren Sohn Abdallah ben Abd el-Malik!) zum Statthalter von Ägypten; er war erst 28 Jahr alt, hatte aber schon mehrere Feldzüge unter- nommen und im J. 84 Maccica erobert; er hielt seinen Einzug in Fustät Montag?) den 11. Gumädä II. 86 (9. Juni 705). Sein Vater hatte ihm empfohlen, an der milden Regierung seines Oheims ein Beispiel zu nehmen, er aber wechselte sogleich alle Verwaltungsbeamten und seinen Hofstaat und liess sich die grössten Bedrückungen und Ungerechtigkeiten durch Erpressung von Abgaben zu Schulden kommen. Er verbot den Copten, den Burnus zu tragen und führte die Neuerung ein, dass alle Registra- turen und Steuerrollen, welche bis dahin in Coptischer Sprache geführt waren, Arabisch geschrieben werden mussten. Als der Chalif am 15. Schawwäl 86 (9. Oct. 705) starb und sein ältester Sohn el-Walid zur Regierung kam, bestätigte dieser seinen Bruder im Amte. Im J. 87 herrschte in Ägypten eine Noth und Theurung, wie man sie vorher nicht gekannt hatte, aber das hielt ihn nicht ab, sein bisheriges Verfahren fortzusetzen; er nahm von den Verwaltern Geschenke an, so dass diese ungestraft das Volk mit Abgaben bedrücken konnten, als dies indess all- gemein bekannt wurde und auch der Chalif davon Kenntniss erhielt, liess er ihn nach Damascus vorfordern und er begab sich im Cafar 88 dahin, nachdem er den Abd el-Rahman ben Amr ben Cahzam el-Chau- 1) Bei Sujüti IL pag. 7, 5, auch in der Göttinger und Gothaer Handschrift, findet sich hier erst noch die sinnlose Zeile: »Nach seinem (Abd el-’Aziz) Tode wurde Abd el-Malik zum Statthalter ernannt und blieb einen Monat weniger einen Tag, dann wurde er abgesetzt und ernannte seinen Sohn Abdallah ben Abd el-Malik zum Statthalter.«< Ein Sinn würde entstehen, wenn man die Auslassung eines Namens annähme: »Nach seinem Tode ernannte Abd el-Malik den N. N. zum Statthalter, er blieb einen Monat — und er (der Chalif) ernannte u. s. w. Allein die Zwischen- _ zeit von einem Monate wird damit verflossen sein, dass die Nachricht von Abd el- `Aziz Ableben von Hulwän nach Damascus kam und sein Nachfolger die Reise von Damascus nach Fustät machte, _ 21 Es muss Dienstag heissen, wenn der Wochentag mit dem Datum für das Jahr 86 zusammenstimmen soll. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 39 _ làni zu seinem Stellvertreter ernannt hatte. Er kehrte zwar nach kurzer = Zeit zurück, liess auch noch im J. 89 an der Hauptmoschee einen Bau | ausführen, indem das Dach erhöht wurde, da er sich aber nicht besserte, wurde er im J.‘90 ganz abberufen. Er nahm alle seine erpressten Schätze und die Geschenke mit sich, um sich nach Damascus zu be- geben, indess am Jordan angekommen, wurde er auf Veranstaltung des Chalifen umzingelt, aller seiner Habe beraubt und nach Damascus geführt. : Abdallah hatte den Ibn Hudeig von seiner Stelle als Cädhi ent- = heben wollen, scheute sich aber doch, dazu einen nichtigen Vorwand n gebrauchen, da er ihm keine Schuld oder Vernachlässigung seines Dienstes vorwerfen konnte, bis er ihn endlich doch nach Alexandria schickte, um den Befehl über die Grenztruppen zu übernehmen. An seine Stelle trat ’Imrän ben Abd el-Rahman ben Schurahbil als Cädhi und Oberst der Leibwache, und als er sich mit diesem im J. 89 über- warf, übertrug er den Posten an Abd el-A'lå ben Chälid ben Thäbit el-Fahmi. Der von el-Walid ernannte neue Statthalter Curra ben Scharik el-’Absi traf Montag!) den 13. Rab? I. 90 (30. Jan. 709) in Fustät ein, entliess den Cädhi Abd el-Alä und setzte Abdallah ben Abd el-Rahman Ibn Hugeira an seine Stelle, und für diesen wieder im J. 93 den ’Jjädh ben Adallah el-Azdi. Curra war ein ungerechter, gewaltthätiger und ruchloser Mensch. Die Verwalter in den Provinzen hatten dem Chalifen gemeldet, dass die Schatzkammern so überfüllt wären, dass sie die Abgaben nicht mehr fassen könnten; er = befahl also, von dem Gelde Moscheen zu bauen, und in Fustät wurde am der Stelle der alten Griechischen Burg am Thore el-Reihän dem Cálús-Platze gegenüber die sogen. Elephanten Moschee?) errichtet. Im Schabän 92 wurde auch mit dem Neubau der Moschee 'Amr's begonnen Ee 1) Dieser Wochentag stimmt nicht zu dem Datum. ~ 2) Sujútí II, 7. Wenn dagegen Macrizi II, 289 sagt, diese Mochsee er im J. 478 erba ut, so wird dies auf einen Neubau derselben zu beziehen sein.. 40 F. WÜSTENFELD. unter Aufsicht des Jahjá ben Handhala; während des Baues wurde der Gottesdienst in der so gen. Honighalle Keisarijat el-asal gehalten. Wenn die Arbeiter Abends aufhörten, liess Curra Wein in die Moschee bringen und Musikanten kommen, und zechte die Nacht durch, indem er sagte: »am Tage für sie, die Nacht für mich.« Die Vollendung der Moschee erfolgte im Ramadhän 93 und im J. 94 wurde darin noch ein eiserner Minbar aufgestellt. Die Bedrückungen der Statthalter fanden unter el-Walid in allen Provinzen statt, da. er sie begünstigte und darin mit seinem eigenen Beispiele voranging, so dass Omar ben Abd el-Aziz einmal sagte: »el- Haggäg in Iräk, el-Walid in Syrien, Curra in Ägypten, Othmän ben Hajjän in Medina und Chälid el-Casri in Mekka, o Gott! die ganze Welt ist voll von Tyrannei und Unrecht, gieb den Menschen Ruhe!« — Curra starb am 24. Rab? I. 96 (7. Dec. 714), die Nachricht kam an demselben Tage wie die von dem Ableben des Haggåg !) nach Damascus und el-Walid entblödete sich nicht, als er dies mit entblösstem und mit Staub bestreutem Haupte öffentlich ankündigte, hinzuzufügen: »o Gott! ich lege für beide eine Fürbitte ein, die ihnen nützen möge!« Omar ben Abd el-Aziz wurde hierdurch so aufgebracht, dass er ausrief: «seht diesen Elenden! möge Gott die Fürbitte Muhammeds für ihn nicht er- hören und ihn zu den beiden anderen gelangen lassen !« el-Walid starb dann kaum drei Monate nachher, nachdem er noch den von Curra zum Statthalter eingesetzten Abd el-Malik ben Rifä’a el-Fahmi im Rab? II. bestätigt hatte, welcher auch unter Walid’s Nachfolger Suleimän im Amte blieb. Er war ganz das Gegentheil seines Vorgängers, gottesfürchtig, gerecht gegen die Unterthanen, unbestechlich, und er liess sich keinen Eingriff in-ihr Vermögen zu Schulden kommen, denn er pflegte zu sagen: »Wenn die Geschenke zur Thür eintreten, geht die Redlichkeit zum Fenster _ 1) Abul-Mahäsin, welcher dies Th. I. S. 242 dem Jüsuf ben Kizugli Ibn el-Gauzi nacherzählt, sagt aber selbst S. 256, dass Haggäg schon im J. 95 gestorben sel, worin auch sonst alle übereinstimmen. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 41 hinaus.« Leider! hatte der von Suleimän ernannte Steuerdirector Usäma ben Zeid el-Tanúchí nicht dieselben Gesinnungen, und die Bedrückungen der Coptischen Unterthanen wurden immer unerträglicher!). Der Chalif hatte ihm die Weisung gegeben: »Melke die Milch, bis sie zu Ende ist, und zapfe das Blut ab bis auf den letzten Tropfen«, und Usäma folgte dieser Weisung nur zu gut, so dass der Chalif selbst sich darüber wun- derte, aber ihn entschuldigend sich einmal äusserte: »Dieser Usäma nimmt doch keinen Dinar und keinen Dirhem als Bestechung«, worauf ihm Omar ben Abdel-Aziz entgegnete: »Ich kann dir einen bezeichnen, der noch viel schlechter ist als Usäma und auch keinen Dinar und keinen Dirhem als Bestechung annimmt.« — Und der wäre? fragte Suleimän. — Iblis, der Feind Gottes«, erwiederte Omar, worauf der Chalif erzürnt aufstand und die Sitzung verliess. — Oberst der Leibwache war Abd el-Malik’s Bruder, el-Walid ben Rifäa, und an die Stelle des im J. 98 entlassenen Cädhi Jjädh trat wieder sein Vorgänger Ibn Hugeira. — Ungeachtet seiner humanen Gesinnungen, in denen er bis dahin mit Omar übereingestimmt hatte, wurde Abd el-Malik doch gleich nach dessen im Cafar 99 (Sept. 717) erfolgten Thronbesteigung abgesetzt und Ajjüb ben Schurahbil el-Acbahi nahm im folgenden Monate seine Stelle ein. Er ernannte zu Richtern Ga’far ben Rabfa, Jazid ben Abu Habib, Obeidallah ben Abu Ga’far und Abdallah ben Hudsäfa und zum Obersten der Leibwache el-Hasan ben Jazid el-Ru’eini. Die Ge- halte der Beamten wurden vermehrt und auf Befehl des Chalifen die Weinschenken ausgeräumt und abgebrochen; unter die Muslimen wurden 25,000 Dinare vertheilt zur Bezahlung ihrer Schulden und ihnen wurden noch manche andere Vergünstigungen zu Theil, aber zum Nachtheil der Coptischen Bevölkerung, da Omar als Chalif seine Ansichten geändert hatte und Ägypten als ein mit Gewalt erobertes Land betrachtete, an welchem die bisherigen Besitzer kein Recht mehr hätten. Diese E daher Ländereien unter sich nicht weiter vererben, sondern mussten sie an die Muslimen abtreten; auch schrieb Omar dem Steuerverwalter 1) Vergl. die Geschichte der Copten. S. 55. Hist.- phil. Classe. XX. 2. F 42 F. WWSTENFELD. Hajjän ben Schureih, die Kopfsteuer der verstorbenen Copten in den Dörfern den Ueberlebenden aufzulegen, weil die Steuer auf den Dörfern laste und durch einen Todesfall nicht verringert werden dürfe. Der Besuch der Bäder wurde den Copten verboten. Im Uebrigen herrschte Recht und Gerechtigkeit im Lande und die Zustände Ägyptens besserten sich etwas. Leider! nicht für lange Zeit, denn schon am 25. Ragab 101 (11. Febr. 720) starb der Chalif Omar plötzlich, und Ajjüb, der von dessen Nachfolger Jazid bestätigt war, überlebte ihn nur anderthalb Monate bis zum 11. Ramadhän und der neue von Jazid ernannte Statt- halter Bischr ben Gafwän‘el-Kalbi soll schon am 17. Ramadhän 101 (1. April 720) in Fustät eingetroffen sein. Er machte Schuweib ben el-Hamid el-Balewi zum Obersten der Leibwache. Um diese Zeit er- schien eine Griechische Flotte vor Tinnis ohne einen besonderen Erfolg zu erreichen. Der Chalif entzog den Beamten wieder die von Omar be- willigte Zulage und ordnete eine neue, die vierte, Aufnahme zum Behuf der Steuerbeschreibung an. — In Africa hatte Jazid ben Abu Muslim nach der Entlassung des Muhammed ben Jazid den Oberbefehl erhalten und glaubte ebenso rücksichtslos gegen die Eingeborenen, die sich zum Islam bekehrt hatten, handeln und sie bedrücken zu können, wie es sein früherer Vorgesetzter el-Haggäg, dessen Secretär er gewesen war, in 'Iräk gethan hatte. Allein die Africaner waren nicht so gutwillig, und nachdem sie ihm wiederholt Vorstellungen gemacht hatten, er aber nicht nachgeben wollte, fielen sie über ihn her und brachten ihn um, setzten dann den entlassenen Muhammed, der noch bei ihnen war, wieder ein und machten einen offenherzigen Bericht an den Chalifen mit dem Bemerken, dass sie sich keineswegs seiner Botmässigkeit entziehen wollten, dass sie aber Jazid mit einer so rücksichtslosen Willkühr behandelt habe, wie es Allah und die Muslimen nicht gutheissen könnten. Der Chalif missbilligte auch das Verfahren Jazids und bestätigte Muhammed, aber schon nach einigen Tagen hielt er es für besser, Bischr ben Cafwän den Oberbefehl in Africa zu übertragen und auf dessen Empfehlung dessen Bruder DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 43 Handhala ben Cafwän zum Statthalter von Ägypten zu er- nennen, welcher im Schawwäl 102 (April 721) diese Stelle antrat; es wird ihm eine gut geordnete Verwaltung nachgerühmt, während die Amtsführung seines Cädhi Jahjá ben Meimün el-Hadhrami (102—114) viel zu wünschen übrig liess. Im J. 103 begab er sich nach Alexan- dria und liess ’Ocba ben Maslama el-Tugibi als seinen Stellvertreter in Fustät zurück. Die Bedrückungen der Coptischen Christen nahmen jetzt immer mehr zu, der Steuerverwalter Obeidallah ben el-Habhäb zeichnete sich besonders durch sein grausames Verfahren aus und der Chalif Jazid befahl im J. 104 alle Götzen zu zerstören und die Heiligenbilder zu vernichten und sie wurden in Ägypten ebenso wie in anderen Ländern gänzlich ausgerottet!). — Als Jazid im J. 105 starb und ihm sein Bruder Hischäm folgte, setzte dieser den Handhala ab und schickte seinen jün- geren Bruder Muhammed ben Abd el-Malik als Statthalter nach Ägypten, welcher dort Sonntags den 11. Schawwäl 105 (12. März 724) eintraf und Hafe ben el-Walid el-Hadhrami zum Obersten der Leibwache ernannte. Aber wenige Tage nachher brach wieder die Pest aus, Muhammed flüch- tete sich nach Oberägypten, kam indess von dort bald zurück und ver- liess Ägypten ganz, nachdem er kaum einen Monat dort gewesen war; er begab sich nach dem Jordan und bat Hischäm um seine Entlassung, welcher an seine Stelle el-Hurr ben Jüsuf, einen Verwandten aus einer Seitenlinie der regierenden Familie, zum Statthalter machte, der am 3. Dsul-Higga 105 (4. Mai 724) in Fustät einzog. Unter dem Drucke des Verwalters Ibn Habhäb erreichten die Bedrängnisse der Christen einen solchen Grad, dass im J. 107 ihre erste grössere Erhebung erfolgte, besonders in den Distrieten Banu-Dimi, Curbeit, Taräbia und dem grössten Theil von el- Hauf. el-Hurr verlegte seinen Wohnsitz auf drei Monate nach Dimjät, um von hier aus den Aufstand zu unterdrücken, kam dann auf einige ei bu 1) Vergl. Geschichte der Copten. S. 53 fg. F* 44 F. WÜSTENFELD. Tage nach Fuståt zurück, begab sich darauf zum Chalifen nach Damas- cus, nachdem er Date ben el-Walid zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, und kehrte im Dsul-Ca’da auf seinen Posten zurück. Der Nil hatte in diesem Jahre seinen Lauf verändert und war von der Stadt Fustät weiter zurückgewichen, so dass das alte Flussbett bebaut werden konnte. el-Hurr hatte angefangen eine bessere Verwaltung einzuführen, gerieth aber darüber mit Ibn Habhäb in Zerwürfniss und bat desshalb genau ein Jahr nach seiner Rückkehr im Dsul-Ca’da 108 (März 727) um seine Entlassung, worauf Hafc ben el-Walid, wiewohl ungern, wirklicher Statthalter wurde. Er war einer der ältesten Emire, bei den Omeijaden sehr angesehen und bei der Bevölkerung beliebt, aber schon nach zwei oder drei Wochen, am 10. oder am letzten Dsul-Higga wurde er auf die Beschwerde des Ibn Habhäb und einiger nichtswürdigen Personen wieder enthoben und Abd el-Malik ben Rifä’a zum zweiten Male auf diesen Posten berufen. Er kam aus Syrien schon krank am 18. Muharram 109 (9. Mai 727) in Fustät an, nachdem ihn sein Bruder el-Walid seit dem ersten des Monats vertreten hatte; er erholte sich auch nicht wieder und starb schon funfzehn Tage nachher, worauf dieser el-Walid ben Rifä’a von dem Chalifen bestätigt wurde. Er ernannte Abdallah ben Sumeir el-Fahmi zum Obersten, ertheilte aber bald nachher dessen Stelle dem Abd el-Rahman ben Chälid el-Fahmi. Als Cädhi trat im J. 114 el-Chijär ben Chälid ‘el-Mudligi ein, welcher sich die allgemeine Zufriedenheit erwarb, aber schon im folgenden Jahre starb, worauf Tüba ben Namir el-Hadhrami (bis 121) eingesetzt wurde. Da die Copten sehr streng an ihrem Christenglauben festhielten und die Ausbreitung des Islam in Ägypten keine Fortschritte machte, liess Ibn Habhäb um diese Zeit 5000 Araber vom Stamme Keis aus Arabien nach Ägypten übersiedeln, welche sich in dem flachen Lande (el-hauf) östlich von Fustät niederliessen. Nicht lange nachher wurden die Copten von ihrer grössten Plage befreit, indem der Chalif den Ibn Habhäb als Statt- DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 45 halter nach Africa schickte. Nur auf diese Weise war es möglich, dass der milder gesinnte Walid sich längere Jahre auf seinem Posten halten konnte, und seine Nachgiebigkeit ging so weit, dass er den Copten ge- stattete, nicht weit von el-Hamrä die Kirche des Bu Mind zu bauen!), wodurch freilich auf der andern Seite wieder die Unzufriedenheit der Muslim veranlasst wurde, so dass Wuheib el-Jahcubi im J. 117 einen Versuch machte, einen Aufstand zu erregen. Es wurde auch als eine Strafe für diese Begünstigung der Gopten angesehen, dass el-Walid we- nige Tage nachher erkrankte und sein Lager nicht wieder verliess, bis er Dienstag den 1. Gumäda II. 117 (28. Juni 735) starb, nachdem er den oben erwähnten Obersten Abd el-Rahman ben Chälid zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, welcher noch in demselben Monate von dem Chalifen als Statt- halter bestätigt wurde und seine bisherige Stelle als Oberst an Abdallah ben Baschschär el-Fahmi übertrug. Die Griechen machten um diese Zeit mehrere Versuche an verschiedenen Punkten von Ägypten zu lan- den, belagerten sogar den Ort Tarůga im Gebiete von Alexandria und führten viele Gefangene mit sich fort. Abd el-Rahman war bei seinem milden Character einer kräftigen Führung der Geschäfte nicht gewachsen, und da er wahrscheinlich auch von anderer Seite sich beeinflussen liess undin den Verdacht eines heimlichen Einverständnisses mit den’Abbasiden kam, welche jetzt in mehreren Provinzen des Reiches mit ihren Ab- Sichten, den Sturz der Omeijaden herbeizuführen, immer offener hervor- traten, so wurde er nach einer Regierung von sieben Monaten und fünf Tagen?) entlassen und der Chalif Hischäm berief ; EE | 1) Vergl. Geschichte der Copten. S. 119. 2) so nach Abul-Mahäsin und Macrizi und es würde danach das Jahr 118 ganz ausfallen, da sogleich 119 folgt; es wird desshalb heissen müssen: ein Jahr 7 Monate und 5 Tage. Sujüti weicht ganz ab und hat für Bischr 101—103; Handhala bis 105; Muhammed ben Abd el-Malik; el-Hurr; Hafg bis 108; Abd el- alik ben Rif&a 109; el-Walid bis 119; Abd el-Rahman ben Chalid 7 Monate; Handhala 120. 46 F. WÜSTENFELD. Handhala ben-CGafwän zum zweiten Male, welcher am 5. Mu- harram 119 (12. Jan. 737) sein Amt antrat und 'Jjädh ben Heirama el-Kalbi zum Obersten der Leibwache ernannte. Im J. 121 bat der Câdhi Tüba um seine Entlassung und auf die Anfrage selbst seinen Nachfolger zu bezeichnen, schlug er dazu seinen Secretär Cheir ben Nu’eim el-Hadhrami vor, welcher den Posten bis zum J. 128 bekleidete. In demselben J. 121 brach wegen. zunehmender Steuerbedrückung wie- der eine Empörung gegen die Einnehmer aus, welche Handhala mit Waffengewalt unterdrücken musste, wobei viele Copten umkamen. — Zeid ben ’Ali Zein el-"Äbidin, welcher sich in Kufa im J. 122 empörte, erlag in dem Strassenkampfe; sein Haupt wurde zuerst nach Damascus, dann auch nach Fustät gebracht, wo es Handhala zur Abschreckung öffentlich umhertragen liess. Am 7. Rabi’ II. 124 (18. Febr. 742) wurde er seiner bisherigen Stelle enthoben und als Statthalter nach Africa und dann nach Spanien gesandt. Ihm folgte Hafe ben el-Walid zum zweiten Male, anfangs nur als Statt- halter, aber Freitags den 13. Scha’bän (22. Juni) wurde ihm auch die Steuerverwaltung übertragen. Er machte 'Ocba ben Nu’eim el-Rueini zum Obersten der Leibwache, Jahjä ben Amr el-’Ascaläni zum Staats- secretär und ’Isä ben Amr zum Aufseher über sämmtliche Hofdiener. Es herrschte in dem Jahre eine grosse Hitze in Ägypten, die durch Mangel an Regen noch fühlbarer wurde, und als Hafc eines Tages in dem öffentlichen Gebete um Regen gebeten hatte, war er kaum auf seinen Sitz zurückgekehrt, als er die Nachricht an dem am 6. Rabi’ I. 125 (7. Jan. 743) erfolgten Ableben des Chalifen Hischäm erhielt. Sein Nachfolger el-Walid ben Jazid bestätigte Hafe in seinen beiden Aemtern, bis er ihm am 22. Schawwäl die Verwaltung abnahm und an "Isa ben Abu ’Atä übertrug. Hafc begab sich dann in Person zum Chalifen, nachdem er 'Ocba ben Nweim zu seinem Stellvertreter eingesetzt hatte, und während er in Damascus war, wurde el-Walid am 24. Gumädä II. 126 (16. April 744) von seinem Vetter Jazid ben el-Walidermordet, welcher das Chalifat übernahm und Hafc eilig nach Ägypten zurückbeorderie, um dort die Truppen huldigen zu lassen. Indess starb Jazid schon am DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 47 7. Dsul-Higga desselben Jahres (20. Sept. 744), nachdem Marwän ben Muhammed ben Marwän bereits von mehreren Städten als Chalif aner- kannt war, und dieser erklärte dann auch bald darauf den Ibrahim ben el-Walid, der als nächstberechtigter das Chalifat angetreten hatte, für abgesetzt. Hafgc war noch von Ibrahim bestätigt, wollte aber unter Marwän nicht weiter dienen und bat um seine Entlassung, worauf Hassän ben 'Atähia el-Tugib{ zum Statthalter von Ägypten er- nannt wurde. Dieser hielt sich damals in Damascus auf und ernannte den Cheir ben Nu’eim zu seinem Stellvertreter bis zu seiner Ankunft in Fustät, welche am 12. Gumädä II. 127 (21. März 745) erfolgte. Er wollte alsbald die von Date erhöhten Besoldungen der Beamten und den Sold der Truppen verkürzen, darüber kam es zu einem Aufstande, sie rückten vor die Moschee, erklärten nur Hafç als Statthalter haben zu wollen und verlangten sogar die Absetzung des Chalifen Marwän. Sie belagerten Hassän in seiner Wohnung, zwangen ihn endlich die Stadt zu verlassen, und vertrieben auch den von Marwän im Amte belassenen Steuerverwalter ’Isä; ben Abu "At, Dies geschah am letzten des Gu- mådá II. (7. April) und ` Hafe ben el-Walid übernahm mit Widerstreben zum dritten Male die Statthalterschaft. Zwei Monate nachher kam Handhala ben Cafwän, der sich aus Africa hatte zurückziehen müssen, lagerte bei Giza westlich von Fustät und blieb hier ohne den Nil zu überschreiten, bis er von Marwän seine Ernennung zum Statthalter erhielt. Jetzt wollte er seinen Eintritt in die Stadt erzwingen, wurde aber von der Besatzung zurückgewiesen, und als er auf die Ostseite übersetzte, fand er auch hier einen kräftigen Widerstand, und nach einem Kampfe, der sich daraus entspann, musste er die Flucht ergreifen. Marwän liess für den übrigen Theil des Jahres die Ägyptier in Ruhe, indess am 1. Muharram 128 (3. Oct. 745) erklärte er Hafç für abgesetzt und ernannte el-Hauthara ben Suheil el-Bähili zum Statthalter, welcher Mittwoch Nachts den 12. Muharram mit einem Corps von 7000 Reitern vor Fustät erschien, Die Ägyptier wollten ihm den Eintritt in die Stadt 48 F. WÜSTENFELD. verwehren, da aber Hafc nicht damit einverstanden war und davon ab- rieth, fingen sie an mit Hauthara zu unterhandeln, und nachdem er ihnen völlige Straflosigkeit zugesichert hatte, ging Hafç mit den ersten An- führern zu ihm hinaus. Er liess sie sogleich festnehmen und in Ketten legen, fuhr die Soldaten mit einer drohenden Strafrede an, so dass sie Reisaus nahmen, und hielt dann mit dem Steuerverwalter ’Isä ben Abu 'Atà seinen Einzug. Hierauf liess er die Anstifter des Aufstandes ver- folgen und ihnen, als sie alle ergriffen waren, die Köpfe abschlagen. Dies Schicksal traf auch Ragå ben el-Uscheijim, einen der Ägyptischen Grossen, und endlich auch Hafg Dienstag den 3. Schawwäl 128 (28. Juni 746). Hauthara setzte den Cädhi Cheir ab und übertrug seine Stelle dem Abd el-Rahman ben Sälim el-Geischäni, und blieb dann in Ägypten, bis ihn Marwän im Gumädä II. 131 abrief, um ihn gegen die Parteigänger der 'Abbasiden in Choräsän zu schicken, und nachdem er den Hassän ben ’Atähia zu seinem Stellvertreter eingesetzt hatte, verliess er am 10. Ragab (5. März 749) Fustät, wo sein von Marwän ernannter Nachfolger el-Mugira ben Obeidallah el-Fazäri am 16. oder 24. des- selben Monats eintraf, welcher seinen Sohn Abdallah zum Obersten der Leibwache machte. Nach kurzem Aufenthalte, während dessen er sich durch seine Milde allgemein beliebt gemacht hatte, begab er sich nach Alexandria, indem er dem Abul-Garräh Bischr ben Aus seine Geschäfte übertrug, kehrte indess nach einiger Zeit zurück und starb Sonnabend den 12. Gumädä I. 132 (27. Dec. 749), nachdem er seinen Sohn el-Walid ben el-Mugira zu seinem Stellvertreter ernannt hatte. Diesen wollten aber die Agyptier nicht anerkennen und setzten den Abdallah ben Abd el-Rahman ben Mu’äwia ben Hudeig zum Obersten ein, bis die Be- fehle des Chalifen Marwän eintreffen würden, und el-Walid verliess des- halb Fustät am 15. Gumädä IL, als die Ernennung des bisherigen Steuerverwalters Abd el-Malik ben Marwän ben Müsä el-Lachmi zum Statthalter eintraf, so dass er beide Ämter in sich vereinigte. Er DIE-STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. ` 49 = wählte erst seinen Bruder Marwän, dann den ’Ikrima ben Abdallah el- _ Chaulåní zum Obersten der Leibwache und führte die für Ägypten neue Einrichtung der erhöhten Pulte, Minbar, in den Moscheen ein, da bis dahin der Vorbetende mitten in der Versammlung gestanden hatte. Nicht lange nachher empörten sich die Copten in der Gegend von Sa- ` mannüd unter Anführung eines gewissen Johannes, sie wurden aber in die Flucht geschlagen und viele getödtet. Hiernach erhob sich "Am ben Suheil ben Abd el-Aziz ben Marwiän, ein entfernter Verwandter des Chalifen, um sich selbst zum Herrscher emporzuschwingen; er sammelte um sich eine Schaar vom Stamme Keis in der östlichen Ebene und Abd el-Malik sandte ein Corps gegen ihn aus, indess kam es nicht zu einem Gefechte, und mittlerweile war der Chalif Marwän von Abu Müsä el-Choräsäni, dem Feldherrn der ’Abbasiden, geschlagen und ver- trieben und kam als Flüchtling nach Fustät, das er Dienstag den 21. Schawwäl 132 (2. Juni 750) betrat. Er fand die Bewohner der östlichen Ebene, von Alexandria, Oberägypten bis Uswän schon in schwarzer Kleidung zum Zeichen ihrer Anhänglichkeit an die 'Abbasiden, und nachdem er den Nil überschritten und seine Truppen nach Giza über- gesetzt hatte, wo er die beiden Brücken und das sog. goldene Haus der Familie Marwän verbrannte, sandte er ein Corps nach Alexandria, in dessen Nähe bei Kirjaun ein Treffen stattfand. Jetzt erhob sich auch die Coptische Bevölkerung von Raschid (Rosette), die aber noch von den unter el-Nu’män ben Nas’a gegen sie geschickten Truppen in die Flucht geschlagen wurde. Auch nach Oberägypten wurde noch ein Corps aus- gesandt, unterdess war aber die Syrische Armee unter Cälih ben AN mit seinen Unterfeldherrn Abu 'Aun Abd el-Malik ben Jazid und 'Amir ben Ismà'il el-Härithi zur Verfolgung Marwäns nachgekommen und la- = Berte am 18. Dsul-Higga 132 vor Fustät, welches noch von Mu’äwia fangen genommen, und diese verriethen dessen Versteck zu ben Bhueira ben Reisân vertheidigt wurde. Von einer zu..n Marwäns, die hier in die Flucht geschlagen war, wurden einige Sr Bücir in der berfiel ihn bei Nähe von Giza; Calih brach sogleich dahin auf und ü a er- Nacht, Marwän entkam noch, wurde aber auf der Flucht von seinen Bist. phil. Classe. XX. 2. G 50 F. WÜSTENFELD. folgern durchbohrt und starb auf der Stelle Freitag den 21. Dsul-Higga 132 (31. Juli 750). Cälih hielt seinen Einzug in Fustät Sonntag den 8. Muharram 133 (16. Aug.), der letzte Statthalter Abd el-Malik, welcher sich den ’Abbasiden nicht sehr abgeneigt bewiesen hatte, wurde begnadigt, dagegen zwei seiner Vorgänger, Hassän ben ’Atähia und Hauthara ben Suheil wurden hingerichtet. So ging die Herrschaft der Omeijaden im Orient zu Ende. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. Uebersicht der Chalifen und Statthalter. Omar ben el-Chattäb 13—23. Amr ben el-'Åci 18—24. Othmän ben ’Affän 23—35. Abdallah ben Sa’d ben Abu Sarh 24--36. Ali ben Abu Tälib 35—40. Keis ben Sa’d ben ’Obäda 36. Muhammed ben Abu Bekr 37—38. el-Aschtar Mälik ben el-Härith. Mu’äwia ben Abu Sufjän (38) 40—60. Amr ben el-’Äci 38—43, ’Otba ben Abu Sufjän 43—44. ’Ocba ben "Amir 44—47. Maslama ben Muchallad 47—62. Jazid ben Mu’äwia 60—64. Sa’ıd ben Jazid ben ’Alkama 62—64. Abdallah ben el-Zubeir 64. Abd el-Rahman ben ’Otba ben Gahdam 64—65. Mu’äwia ben Jazid 64. Marwän ben el-Hakam 64—65. Abd el-’Aziz ben Marwän 65—86. Abd el-Malik ben Marwän 65—86. Abdallah ben Abd el-Malik 86—90. el-Walid ben Abd el-Malik 86—96. Curra ben Scharik el-Absi 90—96. Abd el-Malik ben Rifä’a el-Fahmi 96—99. Suleimän ben Abd el-Malik 96—99. Omar ben Abd el-’Aziz 99—101. Ajjüb ben Schurahbil el-Agbahi 99—101. 51 Jazid ben Abd el-Malik 101—105. Bischr ben Gafwän el-Kalbi 101—102. Handhala ben Qafwän 102—105. Hischäm ben Abd el-Malik 105—125. Muhammed ben Abd el-Malik 105. el-Hurr ben Jüsuf 105—108. Hafç ben el-Walid 108. Abd el-Malik ben Rifä’a 109, el-Walid ben Rifä’a 109—117. Abd el-Rahman ben Chälid 117—118. Handhala ben Gafwän 119—124. Dat: ben el-Walid 124—127. el-Walid ben Jazid 125—126. Jazid ben el-Walid 126. Ibrahim ben el-Walid 126. Marwän ben Muhammed ben Marwän 126 — 132. Hassän ben ’Atähia el-Tugibi 127. N Hafg ben el-Walid 127. 47 | el-Hauthara ben Suheil el-Bähili 128—131. HP a el-Mugìra ben Obeidallah el-Fazârí 131—132. 48 Abd el-Malik ben Marwân el-Lachmí 132. 48 | DEE en M E a et A + = CH Statthalter von Agenten zur Zeit der Chalifen. Von F. Wüstenfeld. ‚Vorgetragen in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. am 6. Febr, 1875. Als ich vor dreissig Jahren die Ehre hatte, der Königl. Gesellschaft die Geschichte der Copten vorzulegen !), war es meine Absicht, alsbald e zur Ergänzung derselben auch eine Geschichte der Statthalter von Ägypten folgen zu lassen, indess war damals das Material hierfür noch nicht ausreichend vorhanden und es hätte nach Handschriften noch nicht viel mehr als die blossen Namen derselben und ihre Reihenfolge festge- stellt werden können. Herr Prof. Ewald hatte schon vorher die’ Geschichte der Eroberung Ägyptens durch die Araber nach Ibn Abd el- Hakam bekannt gemacht?) und sie wurde dann auch von Weil in seiner . Geschichte der Chalifen ziemlich ausführlich behandelt; bei diesem tritt aber in der Folge Ägypten immer mehr in den Hintergrund und nur die wichtigsten dort vorkommenden Begebenheiten. werden dann noch "EE 1) im dritten Bande der Abhandlungen der K. Ges. d. Wiss. 1845 und separat =- abgedruckt, 2) in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. Bd. 3. H. 3. 1840. meistens in den Noten, erwähnt. Jetzt liegen die vorzüglichsten Quellen- schriftsteller für die Geschichte von Ägypten gedruckt vor, nämlich Macrizi (gest. 845) bbi „Us Bulak 1270 (1853). Abul-Mahäsin, (gest. 874), Annales, ed. Juynboll. Lugd Bat. 1855. Sujüti (gest. 911) soL% «> „LS Cairo. Durch Zusammentragung der darin enthaltenen Nachrichten in meist wörtlicher Uebersetzung und mit Benutzung einiger anderen Hülfsmittel ist die nachfolgende zusammenhängende Darstellung versucht worden, deren erste Abtheilung die Zeit von dem zweiten Chalifen Omar bis zum Untergange des Omeijaden-Reiches oder die Jahre 17 bis 132 der Higra umfasst. Ueber ein Votivrelief aus Megara. Von Fr. Wieseler. Vorgelegt in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss, am 11. Juli 1874. Das auf der beigefügten Tafel abgebildete Relief fand ich im Jahre 1873 im Besitz des Russischen Gesandten zu Athen, Herrn von Saburoff, über dessen interessante Sammlung ich in dem archäologischen Berichte über meine Reise nach Griechenland, S. 34 fg. des besonderen Abdrucks aus den Abhandlungen der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen Bd. XIX, vom J. 1874, einige Mittheilungen gemacht habe. Herr von Saburoff wünschte, als er die Freundlichkeit hatte mir während meines Aufenthalts in Athen das Original zu zeigen, dass ich mich einer Er- klärung der bildlichen Darstellung, deren Wichtigkeit seiner Einsicht nicht entgangen war, unterziehen möge, und liess mir zu diesem Behufe einen Gypsabguss überschicken. Nach diesem ist das Relief von O. Pe- ters in Göttingen genau gezeichnet und in Leipzig mit zuweilen etwas zu scharfer Ausführung und einem Irrthum *) ]ithographirt. Dasselbe ist aus Marmor, dessen Art ich nicht genauer angeben "kann, indem mir nur soviel erinnerlich ist, dass es sich nicht um jenen weissen Muschelstein (A43os xoyxítns) handelt, welchen nach Fausanias die Megarer allein besassen!). Seine grösste Höhe beträgt 0,40, seine stärkste Breite 0,48, seine Dicke an der Einfassung wechselt zwischen 04, 0,5, 0,6. Die Erhaltung lässt wenig zu wünschen übrig, indem ausser den geringen, die Erklärung des Dargestellten nicht er genden gewaltsamen Beschädigungen, über welche die Abbildung genü- gende Auskunft giebt, nur hie und da von einer gewissen Verwaschen- Histor.- philolog. Classe. XX. 3. 2 FRIEDRICH WIESELER, heit der Figuren die Rede sein kann. Darstellung und Form erinnern zunächst an gewisse Votivreliefs mit einer Grotte und Gottheiten des Gedeihen gebenden Süsswassers und diesen eng verbundenen darin oder auch daran, zu denen auch ein erst jüngst durch Beschreibung be- kannt gewordenes, ebenfalls in der Sammlung des Herrn von Saburoff befindliches und aus Megara stammendes gehört ?). Auch das vorliegende Relief ist sicherlich als ein votives zu be- trachten. Da sich an ihm keine Spur findet, welche darauf hindeuten könnte, dass es durch irgend eins der bei ähnlichen Reliefs in Anwen- dung gebrachten mechanischen Mittel besonders befestigt gewesen wäre 5), so hat man wohl anzunehmen, dass es in.eine flache Nische von wesentlich derselben Grösse und entsprechender Form eingelassen war, wozu auch das passt, dass die Rückseite ganz unbearbeitet geblieben ist. Uebrigens weicht das in Rede stehende Relief von den mehr oder weniger ähnlichen nicht bloss hinsichtlich der figürlichen Darstellung ab, welche auch bei diesen hie und da wechselt, aber nie so reich an inte- ressanten Figuren ist, sondern — was ganz besonders beachtenswerth — auch in Betreff der Form. Während mehrere der in gegenständlicher Beziehung ähnlichen Re- liefs, unter ihnen namentlich auch die, welche selbst hinsichtlich der Form im Allgemeinen eine gewisse Aehnlichkeit haben, oben und an den Seiten mit einer Einfassung versehen sind, durch welche natürliches Felsgestein deutlich dargestellt ist, zeigt sich hier die Einfassung an den betreffenden Stellen nicht minder deutlich als die einer Schale der Kamm- muschel charakterisirt. Das ganze Werk macht durchaus den Eindruck einer solchen Muschelschale, deren nach unten gerichtetes Schloss hori- zontal abgeschnitten ist, nur dass dieselbe im Inneren nicht gewölbt, sondern flach und glatt ist. So viel wir uns erinnern, steht es hinsicht- lich der Form unter den Votivreliefs einzig da, und nicht bloss unter diesen, sondern unter allen erhaltenen selbständigen Marmorreliefs. Zu- nächst kommen ihm einige Stirnziegelreliefs aus Terracotta 5). Daran schliessen sich andere jüngst eindringlich behandelte Werke desselben und noch mehr anderen Materials, Griechische und Römische, unter UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 3 diesen namentlich mehrere Grabdenkmäler, welche ausnahmsweise ganze Figuren aus dem Kreise der Götter und Verstorbenen, häufiger Porträt- büsten der Verstorbenen auf einer Muschelschale in Relief zeigen ô). In den betreffenden Beispielen hat die Muschel nicht selten sym- bolische Beziehung, nämlich auf Aphrodite, nicht bloss in denen aus früheren, sondern auch in denen aus späterer Zeit". Doch findet sich unter den nicht eben zahlreichen Beispielen aus früherer Zeit eins, in welchem der Kopf Silens in der Muschel vorkommt8. Nimmt man also auch hier symbolische Beziehung an, so muss dieselbe eine andere sein. Für die spätere Zeit kommt man aber mit der Annahme symbo- lischer Beziehung der Muschel in der Mehrzahl der betreffenden Fälle nicht durch, und wir unseren Theils sind der Ansicht, dass dieser Umstand nicht sowohl auf Gedankenlosigkeit und Willkür beruhe, als darauf, dass allmälich die Muschel, entsprechend dem Schilde, ganz beziehungslos namentlich zu Porträtbüsten verwandt wurde. Zu dieser Annahme wird man wie mit Gewalt gedrängt, wenn man darauf achtet, dass an den Römischen Grabdenkmälern Muschelbilder und Schildbilder durchaus gleichstehen 9). Wie die Schildbilder ohne Zweifel auf Griechischen Brauch zurückgehen, so möchten wir wenigstens es nicht in Abrede stellen, dass Muschelbilder ohne irgendwelche Beziehung schon früher in Griechenland vorgekommen seien. Was das in Rede stehende Sabu- toff’sche Relief betrifft, so liegt es auf der Hand, dass auch für seine Form die Muschel, aus welcher Aphrodite hervorging, in keiner Weise veranschlagt werden kann. Dennoch ist es nicht unmöglich, dass bei ihm die Muschelform Bedeutung haben solle. Die hinsichtlich der Dar- stellung zunächststehenden Reliefs zeigen als Localität in der Regel eine Höhle. Erinnert man sich nun daran, dass die Griechischen Worte für Muschel, xóyxn und xdyyos, zur Bezeichnung von hohlen oder gewölbten Gegenständen dienen, dass den Wölbungen in der Architektur die deco- rative Charakteristik der Muschel gegeben wird, dass endlich in Byzan- tinischer Zeit die muschelförmig gewölbte Decke über dem Altar christ- licher Kirchen gradezu xöyyn heisst, so wird wenigstens gefragt werden dürfen, ob der muschelförmige Rand des Saburoff’schen TA entspre- SECH ME, ul AT H FRIEDRICH WIESELER, chend der Felseinfassung ähnlicher, etwa zur Andeutung einer Höhle dienen solle, oder ob der Künstler sich damit begnügt habe, auf eine solche lediglich durch die aus dem Felsen gehauenen Sitze und das rohe Felsstück unten links vom Beschauer hinzudeuten. Wem jenes wahr- scheinlich dünkt, der wird vielleicht auch geneigt sein, die Muschel, in welcher sich der oben erwähnte Silenskopf befindet, als Andeutung einer Grotte zu fassen 10), was uns inzwischen viel misslicher erscheint. Es ist vielleicht nicht blosser Zufall, dass die ältesten Beispiele der Reliefs in Muschelform in Werken aus Terracotta bestehen. Auch das Original des vorliegenden, vermuthlich nicht nur in diesem einen Exem- plare vorhandenen, könnte aus Thon gewesen sein. Dass zu Megara, des- sen Landschaft sich durch die Güte seines Thons auszeichnete, viel in diesem Stoffe gearbeitet wurde, ist bekannt !!). Die Reliefhöhe der dargestellten Figuren ist nicht durchaus dieselbe. Am Meisten springt die gerade in der Mitte sitzende, welche auch dem Range nach die Hauptfigur ist, hervor, am Wenigsten das linke Bein der rechts von dieser sitzenden Figur, welches kaum sichtbar wird, obgleich im Uebrigen diese Figur nicht zu denen von der mindesten Reliefhöhe gehört; dann das fackeltragende Weib links von ihr, die obere Partie der halbsitzenden halb liegenden Figur unten zumeist nach links vom Beschauer und ganz besonders die des Kopfs, oder richtiger der Maske, mit Stier- hörnern und Stierohren, während deren Bart naturgemäss weiter ausladet und die Platte, auf welcher die Maske steht oder zu stehen scheint, noch weiter als selbst die Figur in der Mitte. Diese Verschiedenheit der Reliefhöhe führt in Verbindung mit dem Umstande, dass mehrere Figuren ganz oder vorzugsweise von vorn. dargestellt sind, zu der An- nahme, dass das Werk verhältnissmässig späten Datums sei. Wir müs- sen es dahin gestellt sein lassen, ob es dem vierten oder dem dritten Jahrhundert v. Chr. angehört. Die Composition ist wesentlich symmetrisch. Um die Maske auf dem Tische, welche den Mittelpunkt bildet, reihen sich in etwas mehr als einem Halbkreise anscheinend sieben vollständige Figuren, von denen wiederum eine, nämlich die eben schon als die vornehmste bezeichnete, UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 5 grade die Mitte einnimmt. Dabei ist übrigens die Symmetrie keineswegs eine ängstliche oder gesuchte. Obgleich die Figuren im Halbkreise vor- zugsweise sitzende Stellung haben, findet man doch auch eine stehende, eine im Sitzen sich anlehnende und eine, deren Haltung zwischen Sitzen und Liegen die Mitte hält. Wäre die Figur in der Mitte auch ihrem unteren Theile nach mehr in der Vorderansicht gegeben, ferner die Fi- gur rechts von der in der Mitte sitzenden auch nur ähnlich in der Vor- deransicht, wie die stehende links von dieser, die rechts von jener aber in der Seitenansicht wie die links von der stehenden, so würde nicht nur die Symmetrie zwischen beiden Seiten, sondern auch die Raumaus- füllung auf der linken eine vollständigere geworden sein. Während drei der sitzenden Figuren Sessel haben, die, wenn auch aus dem lebendigen Felsen, doch bis zu einem gewissen Grade durch Kunst hergestellt zu denken sind, ja für das unter jenen befindliche Weib unten rechts in der Ecke auch ein besonderer Fussschemel gearbeitet ist, fehlt die | Andeutung solcher Sessel bei den beiden anderen, denen auf der Seite links vom Beschauer, obgleich doch bei der im Profil dargestellten männ- lichen Figur der Umstand, dass gar kein Sitz, selbst nicht einmal einer aus rohem Felsen, angedeutet ist, wenigstens auf einem Werke der Sculp- tur Befremden erregen kann, zumal wenn man beachtet, dass der halb- liegenden Figur auf derselben Seite ein Felsstück zur Unterlage gegeben ist. Man soll sich ohne Zweifel jene beiden Figuren als auf einem rohen Felsstück sitzend denken. Wenn nun hierin auch eine gewisse Incon- "Sequenz zu Tage tritt, so ist es doch keinesweges von vorn herein für unwahrscheinlich zu halten, dass durch die Verschiedenheit der Gegen- Stände, auf denen die Figuren sitzen oder liegen, auch Verschiedenheit des Wesens und der Beziehung angedeutet werden soll. Noch klarer er- hellt die Bedeutsamkeit hinsichtlich der halb sitzenden, halb liegenden Auch die Richtung und eigenthümliche Hal- = Stellung der einen Figur. tung des angelehnt dasitzenden Weibes oberhalb dieser Figur werden schwerlich allein auf den gegebenen Raum und dessen Ausfüllung zuräck- zuführen sein. Dass dasselbe für das Stehen der Fackelträgerin gilt, kam gar keinem Zweifel unterliegen. Endlich wird auch der Umstand, 6 FRIEDRICH WIESELER, dass die Figur in der Mitte sich, namentlich mit dem unteren Theile des Körpers, nicht nach ihrer Linken sondern nach ihrer Rechten hin- wendet und die rechts von ihr sitzende ihr zugekehrt ist, auf einem besonderen Grunde beruhen. Die meisten Figuren sind, ausser durch Bekleidung und Attri- bute, auch durch die Geberde und die Bildung des Körpers, namentlich des Kopfes, charakterisirt. Nur in Betreff der beiden sitzenden Weiber findet dieses nicht statt, da die Verhüllung des Hinterkopfes mehreren Göttinnen zukommt und die Weise, wie die Rechte an den Schleier gelegt wird, ganz irrelevant ist12). Dieselben sehen sich, obgleich die Haltung des linken Armes nicht ganz dieselbe ist, im Wesentlichen so gleich, dass man sie für Darstellungen von Wesen ganz derselben Art zu halten geneigt sein könnte. Und doch liegt es auf der Hand, dass das nicht der Fall sein kann. Ihre Deutung wird aus der Erkennt- niss des Götterkreises, um welchen es sich hier handelt, im Allgemeinen und aus dem Platz, den sie einnehmen, im Besonderen geschöpft werden müssen. Was nun die Beziehung der Darstellung im Allgemeinen anbetrifft, so ist es wohl klar, dass dieselbe nicht eine Handlung, sondern eine Zusammenstellung von göttlichen Wesen enthält, die im Cultus ver- einigt waren oder ihrem Wesen und Wirken nach zusammengehörten. Wir betrachten zuerst die bärtige Maske mit Stierhörnern und Stierohren in der Mitte. Es ist der Beziehung nach derselbe Gegen- stand, welchen wir ebenso als Maske oder auch als Kopf öfters auf den entsprechenden Relief dargestellt finden, welche Grotten Pans, der Nymphen u. s. w. zur Anschauung bringen, meist innerhalb der Grotte, aber auch dicht an derselben, theils mit den thierischen Hörnern und Ohren, einige Male auch mit dem Vordertheile des Stierkörpers, theils, aber seltener, in vollkommen menschlicher Bildung. Ueberall handelt es sich um Acheloos, den hervorragendsten und heiligsten unter den Flussgöttern, der von Dodona her bei allen Griechen Verehrung hatte und als Repräsentant der Flüsse und alles trinkbaren Wassers galt 15). Während aber der Kopf oder die Maske sonst regelmässig an dem UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 7 lebendigen Felsen angebracht oder auf rohem Gestein aufgestellt erscheint, erblicken wir diese hier auf einem Tische stehend. Der Tisch vertritt die Stelle eines Altars 14). Daraus erhellt, dass man im Irrthum war, wenn man die »bärtige Maske« auf verwandten Reliefs als »Andeutung der Quelle« fasste 15). Sie ist vielmehr als Cultusbild des Acheloos zu betrachten, der als höchster Schalter und Walter über das süsse, Ge- deihen verleihende Wasser in den Nymphengrotten verehrt wurde, nicht allein von Menschen, sondern auch von untergeordneten göttlichen und halbgöttlichen Wesen 16), Der meist roh ausgeführte Altar, welchen die betreffenden Reliefs ausser dem Kopfe oder der Maske, dann und wann auch ohne diese, zeigen, wird, wenigstens wo jenes der Fall ist, ebenfalls an erster Stelle dem Acheloos zuzuschreiben sein 17), Die beiden im Besitz des Herrn von Saburoff befindlichen Reliefs sind für den Erweis des Umstandes, dass der Kopf oder die Maske auf allen betreffenden Reliefs ganz dasselbe Wesen betrifft und dieses nicht etwa als der Flussgott der bezüglichen Landschaft, sondern als Acheloos zu fassen ist, von ganz besonderem Belange. Die Megaris hatte keinen eigentlichen perennirenden Fluss, sondern nur Giessbäche, die im Som- mer versiegten und vielleicht meist nicht einmal individuelle Namen führten; wenigstens ist uns nur der Name eines derselben überliefert, des Apis oder Iapis, welcher die Gränze zwischen Megaris und Attika bildete 18). Dass ein solcher Giessbach nicht in einem der Köpfe oder Masken jener beiden Megarischen Reliefs zu suchen sein wird, liegt wohl auf der Hand. Dagegen ist der Cult des Acheloos für die Megaris ausdrücklich bezeugt, und zwar so, dass man deutlich sieht, derselbe habe auch den Cult der einheimischen Nymphen mit vertreten. Als der Tyrann Theagenes sein berühmtes Brunnenhaus anlegte, leitete er das von den Bergen oberhalb der Stadt Megara herab zu dem Platze Rhus hin fliessende Wasser in jenen Köhrenbrunnen und errichtete gewisser- massen zur Entschädigung und Sühne an jenem Platze dem Acheloos einen Altar, wie Pausanias berichtet 19). Dieses Wasser ist gewiss das- selbe, von welchem der Perieget an der Stelle, wo er von dem Brunnen- hause besonders handelt20), angiebt, dass es das der Sithnides genannten 8 FRIEDRICH WIESELER. Nymphen sei. Neue Forscher glauben das Wasser dieser Nymphen in der noch jetzt etwa achthundert Schritt von dem ðstlichen Burghügel hervorsprudelnden Quelle, welche sie als am Platze Rhus befindlich be- trachten, wiedererkennen zu können 2!). Pausanias erwähnt diese Quelle gar nicht besonders. Wer seine Worte an der Stelle über den Platz | Rhus genauer erwägt, wird zugeben, dass er an mehrere, von verschie- denen einzelnen Stellen des Gebirges herabfliessende Quellbäche dachte. Dieses hiess im Allgemeinen Geraneia.. Nun hören wir in der That durch Alkiphron 22) von »Wasserquellen« in der Mehrzahl, welche »die Felsen der Geraneia träufeln. Man sieht aus der betreffenden Schrift- stelle, dass diese Wasser allgemeinere Beachtung gefunden hatten. Es ist wohl unzweifelhaft, dass grade sie den Sithnides gehörten. Wahr- scheinlich wurde diesen auch die noch jetzt vorhandene Quelle zuge- schrieben. Die drei Nymphen, welche wir auf dem anderen Megarischen Relief des Herrn von Saburoff dargestellt finden, sind mit Sicherheit als jene Sithnides zu betrachten, wenn auch die Darsteliung ursprünglich für die Athenischen Nymphen entworfen ist. Der Umstand, dass sie hier mit der Acheloosmaske verbunden sind, entspricht ganz ihrer Ver- tretung durch den von Theagenes errichteten Altar des Acheloos. Sicher- lich galten auch die Sithnides zu Megara wie die Athenischen Nymphen nach Platon 25) als Töchter des Acheloos. Die Figur, welche man grade oberhalb der Acheloosmaske in der Mitte der in vollständiger Gestalt vorgestellten Götter 24) erblickt, er- kennt man an der Bildung des Kopfes, an der Weise der Bekleidung und in Verbindung damit an dem Septer, das ausser ihr keiner anderen Gottheit gegeben ist, auf den ersten Blick als Zeus. Dieser wurde in der Megaris hoch verehrt, wo er selbst als Vater des Heros Eponymos der Hauptstadt galt 291. Auf dem östlichen höheren Hauptzuge der Geraneia stand ein Tempel des Zeus Aphesios, d. i. des Regengebers, der hier ganz besonders in Betracht kommt26). In der Hauptstadt selbst war das angesehenste Heiligthum des Gottes das Olympieion, welches in der Einsattelung zwischen den beiden Burghügeln nahe dem nordwestlichen Fusse des östlichen lag?7). Ausserdem befand UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 9 ‚sich auf der östlichen Akropolis, welche die Karia hiess, noch ein anderer Tempel des Zeus mit dem Beinamen Konios, welcher, wenn er sicher steht, den Stauberreger bezeichnet und so eine Eigenschaft des Zeus betrifft, welche der des Aphesios gewissermassen entgegengesetzt ist). Für das vorliegende Relief ist natürlich zunächst an Zeus in der ihm auch als Olympios zukommenden Eigenschaft als Regengeber zu denken, in welcher er auch als Vater der Nymphen und Flussgötter galt. Die rechts von der des Zeus folgende männliche Figur kennzeichnet sich durch die trotz der sonstigen Verwaschenheit des Kopfes doch deutlich wahrnehmbaren Bockshörner über der Stirne des normal ge- bildeten Menschengesichts bei auch sonst vollkommener menschlicher Bildung als Pan. . Zu diesem passt auch besonders gut der Stab, auf dessen oberes Ende die Figur in gemächlicher Ruhe beide Hände legt; wenn auch das untere Ende nicht zum Vorschein kommt, also unent- schieden bleibt, ob ein eigentliches Pedum gemeint sei oder eine Keule mit dünnem Stiele oder eine Art von langem Knotenstock; denn auch dieser steht dem Pan zu, welcher nicht nur Hirt und Jäger, sondern auch eiliger Bote und wirksamer Geleiter ist29). Die Ohren sind durch das Haar verdeckt. Man hat sich dieselben also als verhältnissmässig klein, als oben gespitzt oder als vollkommen menschlich zu denken 50), Auch ein Schwänzchen könnte durch das Gewand den Augen des Be- schauers entzogen sein; doch soll es von diesem vermuthlich gar nicht vorausgesetzt werden 51), Die verhältnissmässig kräftige und muskulöse Körperbildung entspricht wesentlich derjenigen, in welcher uns der jugendliche Pan auf Arkadischen, Sicilischen und unteritalischen Münzen, 80 wie in einigen Marmorsculpturen entgegentritt. Dass für den mensch- lich gestalteten ein Zeuggewand, welches selbst bei dem halbthierisch dargestellten vorkommt, besonders gut passt, bedarf kaum der Bemer- kung; eher etwa der Umstand, dass jenes trotzdem auf Marmorwerken grade bei solchen Pansfiguren nicht gefunden wird und dem Pan in dem vorliegenden Falle vermuthlich auch deshalb gegeben ist, um als den übrigen in Menschengestalt dargestellten Gottheiten gleich- artig zu bezeichnen se); Histor.-philol. Classe. XX. 3. B 10 FRIEDRICH WIESELER, Für die Megaris ist uns der Cult Pans von Seiten der Schriftsteller nicht ausdrücklich bezeugt. Indessen fehlt es nicht an einer Schrift- stelle über ein Bild Pans in der Landschaft, welches diesen, dessen Verbindung mit Zeus uns namentlich aus Arkadien bekannt ist55), als auch in der Megaris dem höchsten Gott gesellt bekundet: wir meinen die, in welcher Pausanias berichtet, dasssich auf der Höhe der Geraneia, wo der Tempel des Zeus Aphesios stand, Bilder der Aphrodite, des Apollon und des Pan befanden 54), Hier war Pan sicherlich zunächst nur als Berggott aufgestellt; auch Aphrodite und Apollon wurden be- kanntlich auf Höhen verehrt. Auf dem vorliegenden Relief erscheint Pan ohne Zweifel vorzugsweise wegen seiner Beziehung zu dem Süss- wasser und dessen Repräsentanten 55). Diese bestehen aber in der Me- garis hauptsächlich in Bergwassern. Dass Pan in der Megaris wie an- derswo in Griechenland als an den Quellgrotten hausend gedacht wurde, erhellt aus dem anderen, oben erwähnten Saburoff’schen Relief. In Ver- bindung mit Zeus finden wir ihn aber neben Repräsentanten des Süss- wassers nur noch einmal: auf einem im Britischen Museum aufbewahrten Relief aus späterer Zeit, dessen Herkunft leider nicht bekannt ist5®6). Wie wichtig die Darstellungsweise Pans auf dem vorliegenden Re- lief für die Kunstmythologie in historischer Hinsicht ist, haben wir an- derswo dargelegt 37). Indem wir jetzt zunächst zu den mit Attributen versehenen Fi- guren auf der rechten Seite übergehen, wird es zweckmässig sein, mit der sitzenden männlichen zu beginnen. Diese bärtige, bekränzte, mit langem Chiton und darüber geschla- genem Himation bekleidete Figur hält in der Hand des ausgestreckten rechten Arms eine Schale, im linken Arm ein Füllhorn; denn an ein solches, nicht aber an ein Trinkhorn, wird man doch zu denken haben, trotzdem dass die entscheidende Zuthat der dem Horn entquellenden Früchte oder Blumen nicht vorhanden ist. In Hinsicht auf die Bekleidung und das Attribut des Füllhorns wird nun Mancher vielleicht geneigt sein, die Figur auf den Zeus Chthonios oder Pluton zu beziehen, dem ja wiederholt im Gegensatz gegen den E SE RR E E da man ja die Andeutung dieser Gabe i nicht weniger als die anderer Früchte in de UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 11 oberweltlichen Zeus ausser dem Himation der Chiton gegeben wird und nach dem Dafürhalten eines namhaften Alterthumsforschers grade »ein Füllhorn, das seinen Inhalt verbirgt, nicht oben vordringen lässt,« be- sonders zusteht. Aber auf diesen Umstand ist sicherlich nichts zu geben 58). Was soll ferner die Schale, die, da sie nur dieser Figur zu- getheilt ist, offenbar eine besondere Bedeutung hat, nicht aber das ge- wöhnliche Zeichen einer Gottheit des Cultus ist, der allerdings dem Pluton nicht abgesprochen werden kann 59)? Wenn nun auch der Kranz, insofern als derselbe für einen Myrtenkranz gehalten werden kann, für einen Pluton wohl passen würde 40), so spricht doch gegen diesen, abge- sehen von dem vielleicht jetzt nicht mehr in Betracht kommenden Um- stande, dass von einem Cult dieses Gottes zu Megara bisher keine Spur nachgewiesen ist*!), der noch schwerer ins Gewicht fallende, dass er in keiner unmittelbaren Beziehung zu dem Süsswasser steht. So wird man etwa an Dionysos denken wollen; und es lässt sich in der That nicht leugnen, dass für diesen sich Mehreres sagen lässt. 'Zuvörderst gehörte er nicht allein zu den Göttern, deren Verehrung für Megara bezeugt ist #2), sondern er stand auch in dem engsten Verhältniss ‘zu dem Leben und Gedeihen spendenden Wasser und den Gottheiten, welche sich unmittelbar auf dieses beziehen #5). Dann passt auch die 'Gewandung, da grade der bärtige Dionysos besonders oft mit dem langen Chiton vorkommt, sowie die Bekränzung, namentlich wenn man sie als in Lorbeer bestehend betrachtet. Anders aber steht. es mit den beiden ‘wichtigeren Attributen, Füllhorn und Schale. Jenes konnte dem Dionysos recht wohl gegeben werden, ist indessen in den Bildwerken, die auf ‚uns gekommen sind, bei demselben mit Sicherheit nur ausserordentlich ‚selten nachzuweisen 44), Was die Schale betrifft, so könnte man etwa ‚sagen, dass sie neben dem vegetabilischen Segen, auf welchen sich das Horn bezieht, noch ganz besonders das durch künstliche Bereitung her- ‚gestellte Nass andeuten solle, welches als die vorzüglichste Gabe des Gottes betrachtet wurde. Doch wäre das immer eine Art von Tautologie, n Form einer Traube gewiss m Füllhorn vorauszusetzen hat. B* A 12 FRIEDRICH WIESELER, In der That ist es grade diese Schale neben dem Füllhorn und die Art und Weise wie sie gehalten wird, welche uns in Verbindung mit dem Umstande, dass wir für den Dionysos eine, wenn auch bärtige, doch blühendere und jugendfrischere Gestalt beanspruchen möchten, veranlasst, an ein anderes göttliches Wesen zu denken, welches übrigens dem Dio- nysos ausserordentlich nahe steht #5). Wir wissen, dass Euphranor eine statuarische Darstellung des Bonus Eventus, d.i. des Griechischen Daimon Agathos oder Agathos Dai- mon, wie man später sagte, verfertigte, welche in der Rechten eine Schale, in der Linken eine Aehre und Mohnstengel hielt 46). Dieselben Attri- bute findet man auch in den späteren Darstellungen dieses Wesens nicht selten 47). Dagegen tritt uns Agathos Daimon inschriftlich bezeugt auf einem Attischen Relief, mit Wahrscheinlichkeit auch auf einem Vasen- bilde in der Bildung eines bärtigen Greises mit langem Chiton und Hi- mation ein Füllhorn im linken Arme haltend entgegen +8). Bärtig, aber bis auf ein leichtes über die Arme geschlagenes Gewand nackt, stellt ihn vermuthlich ein geschnittener Stein mit Füllhorn im linken Arme und Schale in der rechten Hand dar #9). Auch andere spätere Bildwerke zeigen den ju- gendlichen, meist nur mit einem Obergewande, nie auch mit einem Unterge- wande bekleideten Bonus Eventus mit dem Füllhorn im linken Arm und der Schale in der rechten Hand. Dass das Füllhorn habituelles Attribut des Agathos Daimon war, bezeugt Cornutus 50), Während es sich ohne Zweifel auf das Verleihen tellurischen Segens bezieht, ist das Attribut der Schale minder klar. Fest steht inzwischen, dass sie nicht zur Entgegennahme einer Spende dienen soll. Sie kann nun entweder eine Spende von Seiten des Agathos Daimon, oder die Austheilung der Gaben desselben andeuten. Dass Schutzgottheiten spendend dargestellt werden, ist nichts Seltenes 51). Doch kennen wir keine Darstellung, durch welche das Spen- den für den Ag. Daimon unseres Reliefs sicher bezeugt wäre 52). Wohl aber giebt es mehrere, welche der anderen Auffassungsweise das Wort reden. Als die Gabe, welche zunächst durch die Schale bezeichnet wird, kann man aber schon nach dem oben über die Schale neben dem Füllhorn Bemerkten nicht etwa geneigt sein, sich den ungemischten Wein zu UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 13 denken, dessen Trunk als Beweis der Macht des guten Gottes betrachtet wurde 55). Diese Erklärungsweise ist auch deshalb nicht zulässig, weil sie auf alle diejenigen Fälle nicht passt, in welchen keine zur Aufnahme von Wein geeignete, sondern eine flache Schale deutlich dargestellt ist 5%). Ja es fehlt nicht an Bildwerken, die auf der vom Bonus Eventus hinge- haltenen Schale oder Platte Früchte liegend zeigen 5). Das kann für die Beziehung der Schale nicht etwa nur als Ausnahmsfall betrachtet werden. Im Gegentheil wird man sagen wollen, dass, wie das Füllhorn manchmal, so die Schale meist ohne Andeutung des Inhaltes dargestellt ist. Die Darstellung des Hinhaltens der Schale genügte zur Andeutung des Umstandes, dass man sich eine Gabe auf derselben zu denken habe. Ein Wesen wie Agathos Daimon konnte man sich ja nicht leere Schalen darbietend denken. Nicht selten findet man den Bonus Eventus ohne Schale in der Rechten, den Gegenstand, welchen er verleiht, un- mittelbar mit dieser Hand fassend 56). Die Schale steht also im engsten Zusammenhange mit dem Füllhorn. Dieses bezeichnet den ganzen un- erschöpflich reichen Segen, über welchen die Gottheit zu schalten hat; die Schale bezieht sich auf einen Theil dieses Segens, der an Sterbliche verliehen wird 57). Die Bekränzung wird man gewiss nicht gegen den Agathos Daimon veranschlagen wollen, wenn dieselbe auch auf den wenigen zunächst- stehenden bildlichen Darstellungen fehlt58) und es schwer halten dürfte, eine genauere Bestimmung und Erklärung des Kranzes mit Sicherheit zu geben59), Ebenso wird man schwerlich einen Anstoss daran nehmen, dass uns der Cult des Agathos Daimon für die Megaris nicht ausdrück- lich bezeugt wird, zumal da derselbe für das benachbarte und beein- flussende Attische Land feststeht und der Cult der Tyche in Megara nicht fehlt 60). Fragt man endlich noch, wie dieser Gott in eine Reihe von eg heiten kam, die zu dem Süsswasser in Beziehung stehen, so geben wir wohl die einfachste und befriedigendste Antwort durch die Erinnerung an das Gebet Varro’s: nec non deam precor Lympham ac Bonum Even- 14 FRIEDRICH WIESELER, tum, quoniam sine aqua omnis arida ac misera agricultura, sine successu ac Bono Eventu frustratio est, non cultura 61). Wenden wir uns jetzt zu den beiden Frauengestalten, welche neben der männlichen mit dem Füllhorn dargestellt sind, so würden wir, wenn in dieser Pluton oder Dionysos zu erkennen wäre, in Betreff jener zu- nächst an Demeter und Kora zu denken haben). Nun aber, da wir in der männlichen Figur den Agathodämon erkennen müssen, stellt sich die Sache schon von vornherein ganz anders. Wir haben für die Er- klärung des Weibes, welches links von diesem sitzend dargestellt ist, we- sentlich nur den Platz, welchen es einnimmt, zu veranschlagen, während bei der Deutung des anderen Weibes ausser den mehr als eine Be- ziehung zulassenden Fackeln noch einige andere Umstände massge- bend sind. Was nun den Platz des an erster Stelle erwähnten Weibes be- trifft, so kommt hinsichtlich desselben ein Doppeltes in Betracht, näm- lich dass das Weib unten in der F-ke des Reliefs und dass es grade neben dem Agathos Daimon sitzt. Ein solcher Platz unten ist auf Grie- chischen Werken, namentlich den Vasenbildern, nicht selten den Figuren, welche das Local repräsentiren, gegeben®). Danach könnte man etwa an die Repräsentantin der Stadt oder desLandes Megara denken. Dass diese auch so wie die betreffende Figur dargestellt werden konnte, un- terliegt keinem Zweifel6*). Indessen werden wir weiter unten einer an- deren Figur oder gar zweien begegnen, die als Localbezeichnungen zu fassen sind, aber viel wesentlicher in die Darstellung gehören. Auch deshalb wird es zweckmässig sein, einen anderen Weg zur Erklärung einzuschlagen, der ausserdem ein noch näher liegender ist. Da die Figur zur Seite des Agathos Daimon und, ebenso wie dieser, sitzend dargestellt ist, wird man seine Genossin Agathe Tyche zu erkennen haben; auch ganz abgesehen davon, dass Tyche zu Megara ein Heilig- thum hatte65). Dass auf diese die Bekleidung vollkommen passt, bedarf keines Nachweises 66). Eher könnte man an dem Fehlen der. habituellen Attribute der Tyche Anstoss nehmen. Aber derselbe Umstand findet sich auf dem schon oben erwähnten Attischen Relief, welches Agathos | | | ! | | 1 Å l Å UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 15 Daimon und Agathe Tyche neben einander stehend vorstellt. Da beide Wesen in innigstem Zusammenhange standen, so hat man sich begnügt, das eine, und zwar das männliche, durch die beiden gemeinsamen habi- tuellen Attribute zu bezeichnen 67). Die weibliche Figur mit den Fackeln kann in Betracht dieser — um anderer ferner liegenden Möglichkeiten zu geschweigen — entweder als Kora68) oder als Artemis (bezw. Hekate oder Selene) gefasst werden. Kora konnte allerdings recht wohl mit Agathos Daimon und Agathe Tyche verbunden werden 69). Aber es sieht gar nicht so aus, als ob das fackeltragende Weib mit den beiden sitzenden Gestalten an der linken Seite des Reliefs eine engere Gruppe bilden sollte. Kora würde ferner an sich viel besser in die Darstellung passen als Pluton 70), Allein es würde sehr befremdlich sein, wenn nur sie, nicht auch Demeter dargestellt wäre, zumal auf einem Megarischen Relief, da De- meter grade im Culte zu Megara so hoch stand, dass bei Pausanias nur sie, nicht auch die Tochter, erwähnt wird 71). Ganz anders verhält es sich mit der Artemis. Wir finden diese nach Pausanias als Soteira in der Stadt Megara, so wie in der zur Landschaft Megaris gehörenden Stadt Pegae (Pagae) ??); als Agrotera neben Apollon Agraios in der Stadt Megara 75) und, ohne weiteren Beinamen, in einem ebenda belegenen Heiligthume verehrt, welches auf Agamemnon zurückgeführt wurde "3. Der letzten Artemis steht zunächst die Iphigeneia, der Sage nach Agamemnons Tochter, deren Heroon in der Stadt Megara war. Hesiod hatte gedichtet, dass Iphigeneia nicht gestorben, sondern nach dem Willen der Artemis He- kate sei; nach Herodot erklärten die Taurer selbst, die J ungfrau, wel- cher sie die Schiffbrüchigen opferten, sei die Jungfrau Iphigeneia, Aga- memnons Tochter 75). Dasselbe gilt von der Iphinoö, der Tochter des Gründers der Stadt und des Heiligthums der Artemis Agrotera und des Apollon Agraios, Alkathoos, bei deren Grabe in Megara die Mädchen vor der Hochzeit Spenden und Haaropfer darbrachten , wie auch die Töchter der Delier einst der Hekaerge und Opis zu Ehren sich das Haar abschnitten 76), Die Artemis, deren Tempel von Agamemnon ge- 16 FRIEDRICH WIESELER, gründet sein sollte, ist, wie die Iphigeneia, mit der Tauropola und Hekate zusammenzustellen. Sicherlich ist die betreffende Artemis nicht verschieden von der Orthosia, über welche wir durch ein Epigramm hören 77). Von Megara her ward Artemis unter dem Beinamen Orthosia auch in Byzanz verehrt. Hier hatte sie als solche einen eigenen Tempel "91. Das wird auch in Megara der Fall gewesen sein, und so dürfen wir wohl den oben erwähnten Tempel der Artemis ohne besonderen Beinamen als den der Orthosia betrachten. Dagegen spräche nicht die Verehrung an anderen Stätten, welche man nach dem Epigramm angenommen hat, selbst wenn dieses mit Recht geschehen wäre 79). Wenn der Verfasser des Epigramms bezüglich der von ihm erwähnten Artemis von dem Fackelattribut ganz schweigt, so lässt sich daraus wohl schwerlich der Schluss ziehen, dass sie dieses in der That entbehrt habe. Jedenfalls war auch sie Mondgöttin und Wassergöttin. Beide Eigenschaften hatte aber auch die Artemis Soteira.. Dass diese als Mondgöttin galt, erhellt nicht bloss aus dem in der Legende berichteten Umstand, dass die Göttin bei dem Einfall eines Streifcorps der Perser Nachtdunkel bewerkstelligt habe 89). Für ihre Beziehung zum Wasser spricht, wenn wir uns nicht täuschen, der Umstand, dass sie zu Pegae, der Quellstadt, verehrt wurde®!) und auch das doch sicher ihr gehörende Heiligthum in der Stadt Megara, in welchem ihr von Strongylion verfertigtes Erzbild stand, nicht fern von dem berühmten Quellgebäude des Theagenes lag. Nun kennen wir das eherne Bild der Artemis Soteira, welches nach Pausanias von Strongylion für den Tempel zu Megara gearbeitet und für den zu Pagae in ganz gleichem Schema wiederholt wurde, durch Münzen von Megara und von Pagae. Es zeigt uns die Göttin mit je einer Fackel in den Händen, aber in der hochaufgeschürzten Tracht und mit Kothurnen, nach rechts ausschreitend mit vorgesetztem linken Beine 3). Aus dem Schweigen des Periegeten über das Vorhandensein eines zweiten Bildes der Artemis Soteira zu Megara folgt aber mit nichten, dass ein solches überall nicht dagewesen sei, namentlich eins von dem Aussehen der fackelhaltenden Figur auf dem in Rede stehen- den Relief. Diese macht ganz den Eindruck eines Cultusbildes 85). Auch : ? ; : E $ ` UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 17 das von Strongylion herrührende Bild kann allerdings ein solches ge- wesen sein. Allein das verschlägt durchaus nichts. Da Pausanias das betreffende Heiligthum zu Megara als „alt“ bezeichnet und nach dem von ihm Berichteten auch sonst noch wahrscheinlich ist, dass jenes schon vor dem zweiten Perserkriege vorhanden war 84), so wird doch schon vor . Strongylion ein Cultusbild dagewesen sein. Diente also das Werk die- ses Erzgiessers zu Cultuszwecken, so haben wir sicherlich den öfters vorkommenden Fall jüngerer Umgestaltung des alten Cultusbildes 85) vorauszusetzen. Weiter würde dann anzunehmen sein, dass der Ver- fertiger unseres Reliefs, da dieser sicherlich nicht vor Strongylion lebte, das ältere Bild entweder seiner grösseren Heiligkeit wegen oder deshalb nachbildete, weil in Votifreliefs ähnlicher Beziehung, die aus der Zeit vor Strongylion stammten, das ältere Bild zur Darstellung gebracht war. Freilich mögen auch die Cultusbilder der Orthosia und der Agrotera das Fackelattribut gehabt haben; aber diese — auch das der Orthosia, welche in dem vorerwähnten Epigramme ausdrücklich als „pfeilfrohe“ bezeichnet wird — waren gewiss ausserdem mit Bogen und Pfeil ver- sehen. Wenn es hienach recht wohl möglich erscheint, dass das in Rede stehende Bild auf Artemis Soteira zu beziehen sei, so wird doch durch die obige Annahme schwerlich in vollkommen genügender Weise erklärt werden können, warum der Urheber des vorliegenden Reliefs nicht viel- mehr das berühmte Bild Strongylions wiedergab, welches doch dem Stile nach zu dem übrigen Figuren viel besser passte. In der That macht der eben angedeutete Umstand der Stilverschiedenheit eine bedeutende Schwierigkeit, wenn man glauben soll, dass die fackeltragende Gottheit den sechs anderen im Halbkreise dargestellten wesentlich gleichstehe. Es fehlt allerdings nicht an Reliefs mit Figuren von verschiedenem Stile 86), Dass aber das vorliegende in dieselbe Kategorie gehöre, hat unseres Erachtens keine Wahrscheinlichkeit. Man wird also wohl an- nehmen müssen, dass die Figur nicht eigentlich zu den sechs anderen im Halbkreise dargestellten gehört, dass sie als das Idol der an dem dargestellten Orte zugleich mit Acheloos verehrten Artemis zu betrachten Hist.-philolog. Classe. XX. 3. C 18 FRIEDRICH WIESELER, ist, während die anderen sechs Götterfiguren nicht eigentliche Cultus- bilder sind. ; Für diese Annahme spricht auch das niedrige Relief der Figur, welches auf eine Stelle im Hintergrunde hindeutet, wofür auch der Umstand angeführt werden kann, dass keine andere Figur durch eine neben ihr. befindliche so stark verdeckt wird wie Artemis durch den Daimon Agathos. Wenn Jemand einwenden wollte, dass der Verfertiger des Reliefs besser gethan haben würde, das Cultusbild grade mitten zwischen die sechs anderen Figuren zu stellen, so ist dagegen zu sagen, dass er gewiss dem Zeus jenen Platz mit Absicht gegeben hat, nament- lich auch deshalb, weil er ihn als mit Pan in einer engeren Gruppe vereinigt darstellen wollte. Dieser Umstand, der erst jetzt sich mit grösserer Klarheit herausstellt, da man nach der Richtung des Gesichtes Pans auch auf eine nähere Beziehung dessen zu Artemis, wie sie. sonst- her zur Genüge bekannt ist 87), schliessen könnte, ist um so wahrschein- licher und beachtenswerther, als wir schon eine engere Gruppe von je zwei im Halbkreis angebrachten Figuren kennen gelernt haben und bald wiederum eine solche anzuerkennen haben werden. Damit hängt es auch zusammen, dass der Verfertiger des vorliegenden Bildwerks den unteren Theil der Figur des Zeus (welchen er übrigens auch des- halb im Profil ausführte, weil bei einer Darstellung in der Vorderan- sicht das Relief zu hoch geworden sein würde) nach dem Pan hin- richtete. Allerdings hätte das Cultusbild durch ein besonders ausge- führtes Postament noch deutlicher bezeichnet werden können; aber unum- gänglich nöthig war das nicht 88); auch hatte der Künstler wohl seine Gründe, die betreffende Figur nicht kleiner darzustellen, wodurch die Composition an Ebenmässigkeit verloren haben würde. Dass Artemis-Hekate und Selene auch sonstwo in Grotten verehrt wurden, ist bekannt 39), Betrachten wir jetzt die halbsitzende, halbliegende unbärtige jugend- liche männliche Figur unten zumeist nach links, so würde dieselbe, wenn es sicher stände, dass sie einen der angeseheneren Götter der Megaris darstellen solle, nur auf Appollon oder auf Dionyses bezogen werden UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 19 können. Allein gegen beide, namentlich gegen den ersteren, würden sich schon in Betreff der Darstellungsweise die gewichtigsten Bedenken erheben. Zudem spricht der Platz, welchen die Figur einnimmt, für ein Wesen ganz anderer Art, nämlich eineLocalgottheit, und auf diese passt auch der aufschauende Blick, wenn derselbe nicht etwa nur auf eine der dargestellten Figuren besonders gerichtet sein soll, so wie die halb- liegende Stellung vortrefflich. So denkt man wohl zunächst an einen Re- präsentanten des Berges, an welchem sich die Grotte befindet, oder eines Wassers, welches der Gegend angehört und von dem Berge herabströmt, vielleicht des Berg- und Bergwassergottes zugleich. Dass ausser dem Acheloos auch noch ein Wassergott dargestellt werden konnte, zeigt eine Abtheilung des Bildwerks an dem uns aus Pausanias bekannten Altar des Amphiaraos zu Oropos 9). Einem solchen Wesen steht auch die Behandlung des Haares und des Kopfes überhaupt, so wie die Bekleidung, welche wir an der betreffenden Figur unseres Reliefs finden, wohl an 77, Ein Berggott, welcher fliessendes Wasser entsendet, lässt sich nun in der That für die Landschaft Megaris nachweisen: der jener Berge über der Stadt Megara, von denen Pausanias berichtet, dass das von ihnen herabfliessende Wasser dem Platze Rhus den Namen ge- geben habe 92). Was schliesslich das Weib anbetrifft, welches oberhalb der eben besprochenen männlichen Figur angelehnt und nach rechts geneigt da- sitzt, so ist dasselbe so dargestellt, dass an ein mit Pan besonders eng verbundenes Wesen nicht wohl gedacht werden kann. Dagegen machen Platz und Richtung der Figur eine Zusammengehörigkeit von ihr und jener männlichen wahrscheinlich. Diese Annahme empfiehlt sich auch dadurch, dass sie uns auf dieser Seite des Reliefs eine in ähnlicher Weise enger verbundene Gruppe bietet, wie wir sie auf der anderen grade gegenüber und dann wiederum in der Mitte erkannt haben. Wenn nun ein zu dem Berggott ganz besonders passendes, in der engsten Verbindung stehendes Wesen des specifisch Megarischen Mythus und Cultus zu suchen ist, so wird man keine besondere Mühe Ce mit ihm 20 FRIEDRICH WIESELER, haben ein solches zu finden. Keins passt offenbar so, wie eine Reprä- sentantin der Sithnidischen Nymphen. Dass für eine solche das Sitzen in der erwähnten Haltung oberhalb des halbliegenden Gottes des Berges, von welchem das Wasser herabfliest, sehr wohl veran- schlagt werden kann, bedarf keiner weiteren Bemerkung. Die voll- ständige Bekleidung entspricht durchaus dem Griechischen, namentlich Attischen Gebrauch. Auch die Verhüllung des Hinterhauptes kann keinen Anstand erregen, da sie bei jungfräulichen Gottheiten mehrfach gefunden wird, ohne dass sie eine besondere Beziehung hätte 9), und derjenige, welchem die betreffende Figur als nicht jungfräulich erscheinen sollte, eben an jene Sithnis denken könnte, die der Sage nach von Zeus Mutter des Megareus war; wie denn in der That die Annahme, grade jene sei hier berücksichtigt, auch an sich Vieles für sich hat. Dass auch sonst Berggott und Bergnymphe zusammen dargestellt sind, ist bekannt 94). Anmerkungen. *) Der Irrthum des Lithographen betrifft das, was hinter dem rechten Unter- beine Pans zum Vorschein kommt. In dem Gypsabgusse ist nur das linke Knie, welches der unterhalb des rechten Unterbeins zum Vorschein kommenden Partie des linken Unterbeins naturgemäss entspricht, zu erkennen. 1) Vgl. Pausanias I, 44, 9, auch Hesychios u. d. W. Koztege, und H. Rein- ganum „Das alte Megaris“, Berlin 1825, S. 40 fg. 2) Von den betreffenden Reliefs sind einige nebst einem Vasenbilde, das einen bärtigen Kopf an der Spitze eines Felsens zeigt, abbildlich mitgetheilt und behandelt in Panofka’s Aufsatz „Ueber den bärtigen, oft hermenähnlich gestützten Kopf der Nympfenreliefs“ (Abhandl, der Akad. der Wissensch. zu Berlin, Jahrg. 1846); dann hat Ad. Michaelis die ihm bis zum J. 1863 bekannt gewordenen in der den Annali d. Inst. arch. Vol. XXXV, p. 292 fg. einverleibten gediegenen Ab- handlung : Il dio Pan colle Ore e con Ninfe su rilievi votivi greci, zusammenhän- gend besprochen. Einzelne entweder übersehene oder neu aufgefundene sind ver- UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 21 zeichnet von Schöne „Griech. Reliefs aus Athen. Sammlungen“ S. 58, Matz im Bull. d. Iust. arch. 1870, S. 68 und in den Götting. gel. Anz. 1873. S. 334, endlich in meinem „Arch. Bericht“ S. 28. Hierher gehört auch wohl das „Bruchstück eines Votifreliefs an Pan und die Nymphen“ im Häuschen hinter dem Erechtheion, bei Heydemann „Die ant. Marmorbildwerke zu Athen“ n. 533 und das allerdings etwas abweichende Basrelief votif de style grec archaïque, trös-degrad& bei Fröhner Notice de la sculpt. ant. du Louvre Vol. I, n. 289, wo die petite élévation doch wohl als der rohe Altar (wie die ‚verhältnissmässig kleine Erhöhung“ auf dem von Schöne a. a. O. beschriebenen Relief zu Rovigo) und die tête de taureau über dem orifice einer fontaine an einem rocher als die Acheloosmaske zu fassen ist. Ueber zwei der schon früher bekannten, in der Ephorie der Alterthümer im Cultusministerium aufbewahrten Reliefs kann jetzt auch Heydemann n. 737 und 779 verglichen werden. Ë 3) Ueber Aufstellung und Befestigung von Votifreliefs aus Stein ist in neuerer Zeit wiederholt gehandelt, vgl. Kekuló „Die ant. Bildw. im Theseion zu Athen“ n. 192, Schöne a. a. O. S. 37, Matz a. a. O. S. 347, Heydemann a. a. O. zu n. 554 und 737, auch meine Bemerkungen in den Götting. Nachrichten 1873, S. 531 und 1874 S. 607 fg. 4) Der Form nach steht am Nächsten das von Schöne a. a. O. Taf. XXVII n. 117 abbildlich mitgetheilte Relief. 5) Von den betreffenden Stirnziegeln sind mir augenblicklich nur vier mit je einem Kopf verzierte erinnerlich, von denen das längst bekannte Paar früher dem Vicomte de Beugnot gehörte, der dritte im K. Museum zu Berlin und der vierte im Museum Fol zu Genf sich befinden. Ueber das an erster Stelle erwähnte Paar berichtet J. de Witte Descr. de la collect. d’antiquites—Beugnot p. 97 fg., n.-231: Antefixe. Au milieu d'une espèce de coquille on voit une tête de Silene barbu u. s. w. und p. 98, n. 232: Antöfixe. Au milieu d'une espèce de coquille est une tête de femme de face, ornée d'un diadème u. s. w. Das Berliner Exemplar, aus Caere stammend, mit einem weiblichen Kopf, „eingebettet in einer breiten muschelförmig verzierten Umrahmung‘, ist besprochen und herausgegeben von Adler in der Arch. Ztg. 1871,5. 1 fg. u. Taf, 41. Das vierte Stück ist abbildlich mitgetheilt in dem eben erschienenen Werk: Le Musée Fol, T. I, pl. XXI. Im Texte p. 47 wird freilich nicht gesagt, dass es sich um einen Stirnziegel handele, wohl aber, dass die dargestellte tete est repré- sentée comme encadrée dans une coquille marine. Zu diesen eigentlichen Stirn- ziegeln halte man das von J. de Witte Notice sur les vases peints et à reliefs du Mus. Napoléon III, n. 33, S. 285, verzeichnete petit vase à goulot et à une anse, en forme d'antófixe appliqué sur une coquille. Une tëte de Venus entourée de fleurs et de feuillages décore Yantefixe. Es fehlt zudem nicht an nahestehenden 22 FRIEDRICH WIESELER. Stirnziegeln, deren Einfassung jedoch nicht deutlich auf eine Muschelschale hinweist. 6) S. Stephani Comte rendu de la comm. imp. arch. de St. Petersbourg pour 1870 et 1871, namentlich p. 129—140. 7) Auch der weibliche Kopf an den vier erwähnten Stirnziegeln ist wohl auf Aphrodite zu beziehen, deren Kopf auch sonst an jenen vorkommt, vgl. Campana Ant. op. in plast. tav. XI, J. de Witte Cat. Durand n. 1746 fg., wie denn auch an einem Stirnziegel Venus und Eroten in ganzen Figuren angebracht sind, vgl. Compte rendu p. 1870. 1871, Taf. II, n. 8. Der im Mus. Fol wird schon im Text p. 47 dieser Göttin zugesprochen. 8) Der in Anm. 5 erwähnte früher Beugnot’schen Stirnziegel, nach de Witte a. a. O., dessen Angabe Stephani a. a. O. p. 139, A. 1 sicherlich aus ungenügendem Grunde im Frage stellt. 9) An dem Gebäude auf dem Monumente der Aterier in den Mon. ined. d. Inst. arch. V, t. 8 findet man eine Muschel mit einer Mädchenbüste darin, inmitten zweier von je einem Kranz umgebenen Medaillons mit Kinderbüsten. — Ueber Schildbilder: O. Jahn Die Lauersforter Phalerae S. 8 fg., C. Friederichs Berlins ant. Bildwerke I, n. 838, J. Marquardt Rom. Privatalterthümer I, S. 248 fg. Neben den zahlreicheren runden oder auch ovalen Schildbildern finden sich auch solche in der Form der Pelta. Ein interessanter selbständiger clipeus mit der Porträtbüste des Claudius Drusus in Clarac’s Mus. de sculpt. II, pl. 162, n. 322 ist unten ähnlich abgeschnitten und zum Aufsetzen eingerichtet, wie die in Anm. 5 erwähnten Stirn- ziegel und das in Rede stehende Saburoff’sche Marmorrelief. 10) Dass Silen ein Wasserwesen ist und in Grotten haus’t und verkehrt, ist bekannt, vgl. Welcker Gr. Götterlehre II, S. 147 fg. — Auf einem Stich des Meisters mit dem Würfel nach Raphael ist Pan mit einer Nymphe in ganzen Figuren innerhalb einer Kammmuschelschale dargestellt. Ob nach irgend einem antiken Bildwerke ? 11) S. Reinganum a. a. O. S. 38 fg. 12) Auch für die Griechischen Grabsteine, auf denen diese auch sonst nieht seltene Geberde so häufig vorkommt, wird ihr schwerlich ein symbolischer Sinn unterzulegen sein, obgleich diese von Pervanoglu ‚Die Grabst. der a. Griechen“ S. 46 geäusserte Ansicht noch jüngst von Dütschke Ant. Bildw. in Oberital. I, S. 2, n. 2 gebilligt worden ist. 13) Ueber das hervorragende Ansehen des Acheloos vgl. Welcker Gr. Götterl. HI, S. 44 fg., über seine bildlichen Darstellungen O. Jahn Arch. Ztg. 1862, S. 320 fe, 330. — Nicht ganz so bestimmt urtheilt in Betreff der Anerkennung des UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 23 Acheloos noch Stephani „Die Schlangenfütterung der Orphischen Mysterien“, Peters- burg 1873, S. 22 14) Vgl. K. Bötticher Tektonik der Hellenen Bd II, S. 265 fg., O. Jahn Arch. Ztg. XXV, 1867, S. 79. Das Cultusbild steht auf dem Tische auch Denkm. d. a, K. H, 50, 626b, Ant. di Ercol. IV, p. 85 = Bötticher Baumcultus Taf. 12, Gerhard Ant. Bildw. Taf. LXXVI (der S. 313 mit Unrecht von einer „Lade“ spricht), auf den Medaillons in D. a. K. II, 61, 783 und Roman Med. in the Brit. Mus. by H. A. Grueber, ed. by R. St. Poole, pl. XX, n. 1, sowie auf dem im Text zu den D. a. K. an letzterer Stelle angeführten Relief. 15) So noch Michaelis a. a. O. S. 333, auch S. 317, Friederichs Berlins ant. Bildw. I, n. 392, Kekulö Thes. n. 192, S. 80. Ich bemerkte schon im Text zu D. a. K. II, 555, dass die Beziehung auf das Cultusbild einer Flussgottheit wahr- scheinlicher sei. Dass der Kopf oder die Maske sich daneben auch auf eine Quelle beziehen können, soll nicht in Abrede gestellt werden; nur dass man in jenem keine directe Andeutung dieser finden darf. Es bedarf kaum der Bemerkung, dass der Ausdruck xgyvns 8 devdov. nicht von einem solchen Quellhaupt (Welcker Gr. Götterlehre III, S. 49) zu verstehen ist. 16) Nach Schöne a. a. O: S. 58 zu n. 117 erhebt auf dem zu Rovigo befind- lichen Exemplar der auf die Maske zuschreitende Hermes „die Rechte wie adorirend,‘ Soll nicht auch der Hermes auf dem in Pittakis "Ae, Zen, 18, 389 ungenügend ab- gebildeten Relief (Michaelis a. a. O. p. 312, C, und p. 332) und der auf dem Relief der Wäscher von Athen (Michaelis a. a. O. p. 325 fg.) dieselbe Geberde machen? Auf dem Weihrelief des Telephanes (Ann. d. Inst. XXXV, tav. L, n. 3) legt Hermes die Rechte auf das Haupt der bärtigen Maske; auf einem anderen „packt“ derselbe Gott das betreffende Wesen, welches in diesem Falle nicht nur durch eine gehörnte Maske, sondern auch mit dem Vordertheil seines Stierkörpers. dargestellt ist, „am linken Horne“ (Matz, Göttinger gelehrte Anz. 1873, 8. 334). Vermuthlich han- delt es sich auch hier um Geberden der Adoration, die ich inzwischen nicht nach- zuweisen vermag. Etwas Anderes, aber der Beziehung nach Gleichartiges, ist es, wenn anf einem Vasenbilde in Gerhard’s Ges. Abhandl. Taf. LXIV, n. 5 ein Jüngling einer Herme wie es seheint den Bart streichelt. Vgl. Plinius Nat. hist. XI, 251; Antiquis Graeciae in supplicando mentum attingere mos erat. Bei der Aehnlichkeit der Gebräuche bei dem Gebete mit denen bei dem Eidschwure darf wohl darauf aufmersam gemacht werden, dass bei diesem das Götterbild Gato XXIV, 2) oder der heilige Baum oder der Altar gefasst wurde (C. Fr. Hermann's Lehrb. d. gottesd. Alterth. d. Gr. §. 22, A. 9 der zw. Aufl. von K. B. Stark). 17) Michaelis denkt a. a. O. p. 322 und 333 nur an: einen Altar Pans und der Nymphen, oder Pans allein. 24 FRIEDRICH WIESELER, 18) Scylax Peripl. $ 55, vgl. Stephanus Byzant. u. d. W. Tunis: xagadox "Aruzi sig Móyaga dndyovoa, de Kalliueyos “Exdln. Bei dem vermeintlichen Skylax bietet die Handschrift a. a. O. und in §. 57, wo der Name wiederholt vorkommt: “#mðoc, was Berkel nach Stephanos corrigirte. Indessen wäre es nicht unmöglich, dass beide Formen neben einander hergingen. Ueber Aehnliches: G. Curtius Grundz. der Gr. Etymol. H, S. 149 der ersten Aufl. Jedenfalls aber steckt in dem Ausdruck Janidos zugesg an der zweiten Stelle des Skylax ein Fehler; denn Gronov’s Versuch, 4s0«5 zu erklären, ist sicherlich als verunglückt zu betrachten. Gewiss war xagadgas geschrieben. Auch an dem dndyovo@ bei Stephanos nehme ich Anstoss. Wäre etwa dnolrfyovo@ zu lesen? 19) Pausan. I, 41, 2. — Durch eine andere Stelle dieses Periegeten, VE 19; 12 fg., erfahren wir, dass die Megarer eine Grnppe von mit Gold verzierten Figuren aus Cedernholz durch den Dontas, Schüler von Dipoenos und Skyllis arbeiten liessen, welche den Kampf des Herakles gegen den Acheloos darstellte. Sollte sich diese Gruppe, welche später in das Schatzhaus der Megarer zu Olympia geweiht wurde, nicht auf jene Wasserableitung durch Theagenes beziehen? 20) Pausan. I, 40, 1. 21) A. von Velsen in Gerhard’s Arch. Anz, 1853, S. 379, und Bursian Geogr. von Griechenland Bd I, S. 374 u. 376. Vgl. ausserdem über die Wasserleitungen zu Megara: Reinganum a. a. O. S. 70 und 127 fg. und Boeckh. zu Corp. Inser. Gr. n. 1801, Vol. I, p. 569. 22) Alciph. Epist. III, 45, 2. 23) Plat. Cratyl. p. 242 D. 24) Juppiter hier in der Mitte, wenn das stehende Weib mitzuzählen ist, noch im strengeren Sinne als auf der Buntwirkerei der Arachne nach Ovid. Metam. VI, 72 (vgl. Stephani Compte rend. de la comm. imp. archéol. pour lann. 1872, p. 93, Anm.) und auf dem Pompejan. Wandgemälde in Ann. d. Inst. arch. Vol. VI, t. d’agg. A, 2. 25) Pausan. I, 40, 1. Vgl. auch Etymol. Magn. u. d. W. Tegærsia. 26) Pausan. I, 44, 13. Der Cult ist von Megara oder Argos nach Byzanz verpflanzt, vgl. Frick „Byzanz“ in Pauly’s Realencyclopädie Bd I, Abth. 2, S. 2604, d. zw. Aufl. Ueber die Beziehung des Epithetons: E. Curtius Peloponnesos II, S. 505 fg. und Welcker Gr. Gëtter) II, S. 195. 27) Pausan. I, 40, 3, Bursian a. a. O. 28) Vgl. Pausan. I, 40, 6. Das Epitheton Kóvog ist übrigens so absonderlich und steht so vereinzelt da, dass wohl die Frage erlaubt ist, ob nicht ein Schreibfehler anzunehmen sei. Da Apollon als Kvvıos, Kivsıoc, Kuvvsıos verehrt wurde und auch Zeus unter den Beinamen Kuvasdevs (Pausan. V, 23, 5 und Lycophr. 400 nebst der UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 25 Schol. u. Tzetz.) vorkommt, liegt es nahe, an Avvıog zu denken. Auch so würde es sich um eine Eigenschaft des Zeus, die dem Regenverleihen gradezu entgegengesetzt ist, handeln, wenn Welcker’s Ansicht (Gr. Götterl. I, S. 464, u. II, S. 187), dass jene Epitheta auf den Siriushund zu beziehen seien, das Richtige träfe. Indessen können die Epitheta auch nur einfach auf eine Jagdgottheit hindeuten, was namentlich hin- ‚sichtlich des Zevs Kvvaıdevs wahrscheinlicher ist, auch nach E. Curtius? Annahme a. a. O. I, 5. 383 u. 399. Ausserdem lässt sich aber Kdugc bei Pausanias noch auf eine andere Art verändern, welche fast ebenso leicht ist und ein allbekanntes und der Bedeutung nach passenderes Epitheton des Zeus ergiebt. War ursprünglich XOONIO geschrieben, so konnte der wegen des folgenden O statthabende Ausfall des © unschwer jene handschriftliche Lesart veranlassen. Zeus Chthonios, der be- kannte Genosse der Demeter (Welcker Gr. Götterl. II, S. 487 fg.) passt auf die Karia, wo ja tic Anumtoos tò xaho/usvev péyagov sich befand, ganz vortrefflich. Es kommt hinzu, dass wir, wenn diese Herstellung gebilligt wird, für Megara einen Pluton bezeugt haben, dessen Vorhandensein an diesem Orte um so wahrscheinlicher ist, als er in Byzanz verehrt wurde (Dionys. Byzant. Anapl. Bospori fr. 10 u. 11 nach der Bearbeitung von Frick, Wesel 1860, p. 14 fg., fr. 9 u. 10 nach C. Müller Geogr. Gr. min. Vol. II, p. 22 fg., nach der Ausg. von Wescher XIV, p. 7) und selbst unter den zwölf Göttern am sogenannten Hieron vorkommt (schol. Apollon. Rhod. Arg. II, 531). Oder wollte etwa Jemand, der so eben, da diese Schrift zum Drucke kommt, laut gewordenen Ansicht von K. Lehrs Popul. Aufsätze aus dem Alterth., zw. Aufl., $. 298 beipflichtend, dafür halten, dass unter Zevs x9ovıog gar nicht Hades gemeint sei, sondern Zeus in seiner Eigenschaft als auf die Erde wirkender Gott ? — Der Zeus nebst den Musen von der Hand des Lysippos in einem Tempel zu Megara nach Pausan. I, 43, 6 kann für uns nicht in Betracht kommen. 29) Mit einem Knotenstock oder Knüttelstab erscheint selbst der bocksbeinige Pan, z. B. auf der Vase aus der Krimm bei Stephani Vasensamml. d. Kaiserl. Ermitage n. 1988, a. Wenn nach Mionnet Descr. de méd., Suppl. T. IV, p. 281 fg., n. 58 auf dem Revers einer unter Septimius Severus geschlagenen Bronzemünze von Megalopolis Pan marchant, la main droite sur une haste, et le pedum dans la gauche dargestellt ist, so denkt man betreffs der „haste“ doch wohl eher an einen Stab als an die Lanze des Jägers, wenn auch Jagdspeer und Pedum nebeneinander dargestellt sein könnten, wie z. B. auf dem Gemälde in Gerhard’s Apulischen Vasen- bildern Taf. E, n. 3 Pan neben der kurzen Keule zwei Speere hat. Vgl. den keulenähnlichen Stab der Artemis auf der unter Commodus geprägten Bronzemünze von Ikaria bei Dumersan Descr. d. méd. du Cab. Allier pl. XVI, n. 8 = Denkm. d. a. Kunst II, 15, 161, nebst Text. 30) Selbst bei den noch zarteren jugendlichen Darstellungen Pans in Marmor Histor.-philol. Classe. XX. 3. 26 FRIEDRICH WIESELER, zeigen sich spitze Ohren. So an dem Kopf im Vatican bei Gerhard Ant. Bildw. Taf. CCCXIX, 6 (Arch. Nachlass aus Rom, S. 111 fg., A. 81); an den beiden sta- tuarischen Werken des Ma«agxos Koooovnos K£odwv im Brit. Mus., welche zuletzt besprochen sind von Ch. Newton A Guide to the Graeco-Roman sculptures, London 1874, n. 188 u. 190; an dem Kopf im Lateran. Mus. bei Benndorf und Schöne n. 277, welche bemerken, dass die spitzen Ohren, ebenso wie die sich dem Haar anschmiegenden Hörner, mit dem sichtlichen Bestreben gebildet seien, das Auffällige zu vermeiden. Hinsichtlich des Münchener von Winckelmann Mon. ined. n. 59 en face abbildlich mitgetheilten Kopfes spricht Brunn Glyptoth. König Ludwigs n. 102, S. 132 von spitzen Ohren. Aber Winckelmann bemerkt p. 73, UI ausdrücklich, dass der oberste Theil durch das Haar verdeckt und dessen Bildung nicht zu erkennen sei, und damit stimmt überein die Abbildung in Profil bei Piroli Mus. Napol. II, 20, die in der neueren Ausgabe der D. a. K. II, 42, 523 wiederholt werden wird. Da- gegen findet man rein menschliche Ohren an der Statue bei Fröhner Louvre, sculp. ant. n. 260 (Comment. de Pane u. s. w. p. 15). Auch der von Conze Her.- u. Gött.-Gestalten S. 40 erwähnte Kopf der Villa Borghese zeigt keine thierischen Ohren. 31) Das Schwänzchen fehlt den in Rede stehenden Pansgestalten meist, selbst auf den bemalten Vasen. In dem Register zu Heydemann’s Werk über die Vasen- sammlungen des mus. naz. zu Neapel finden wir auf S. 914 unter den neunzehn „menschlich gebildeten“ Panen nur drei „mit Satyrschwanz“ aufgeführt, denen übrigens nach der Abbildung in der El. d. mon. cöramogr. II, 103 A, wo auch die Herausgeber im Text den Schwanz ausdrücklich erwähnen, noch der Pan auf der Vase St. Angelo n. 31 hinzugefügt werden muss. 32) Von den Schriftstellern wird, so viel mir erinnerlich ist, bei Pan nur Fell- bekleidung erwähnt, die ihm als Hirten und Jäger recht eigentlich zukommt: veßgis € regdein, von Cornutus de nat. deor. p. 150 ed. Osann., die Nebris (stellata), von Servius zu Vergil. Georg. II, 31, pellis grata tenerae de corpore damae, bei Silius Italicus Pun. XIII, 334 fg., zuerst das Fell des Luchses, von dem Verf. des Hymn. Homer. XIX, 23 fg. Auf den bemalten Vasen finden sich bei den jugendlichen menschlich gebildeten Panen Fell- und Zeuggewandung. Einmal (s. Gerhard Ant. Bildw. Taf. XLIV) bat von zwei Figuren die eine jene, die andere diese, obne Zweifel bloss der Abwechselung wegen, nicht etwa zur Unterscheidung des Pan von einem Pan. In den Marmorwerken überwiegt entschieden die Felltracht. Ein jugend- licher, nicht satyresker Pan mit Menschenbeinen, der ein Zeuggewand hätte, ist mir nicht bekannt. Betrefis der bocksbeinigen in ein weites Gewand eingehüllten Pane, welche in mehreren 'statuarischen Wiederholungen vorhanden sind (R. Kekule „Die ant. Bildw. im Thes. zu Athen“ n.48, Burkhardt „Der Cicerone“ II, S. 480 der ersten UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 27 Aufl., Archäol. Bericht über meine Reise nach Griechenland S. 124 — auch eine nur im Brustbilde ausgeführte Darstellung auf einem durch Photographie bekannten ge- schnittenen Steine des Brit. Mus, gehört sicherlich in diese Kategorie —), hat sich herausgestellt, dass die Tracht des am Meisten bekannten Exemplars (D. a. K. II, 43, 532) von Fell, nicht von Zeug ist. Einen Mantel aus Fell hat ebenfalls die aus Villa d’Este in das Capitolin. Mus. gebrachte entsprechende Statue bei Clarac Mus. de sc. IV. 1736, L, und P. Righetti Descr. del Campidoglio Vol. I, t. CLXXVIII, welche, zumal da sie von Pentelischem Marmor ist, sicherlich aus Attika stammt. So kann auch sonst, was wie Zeug aussieht, gegerbtes Fell sein sollen. Doch wäre es zuweit gegangen, wenn man Zeugbekleidung ganz in Abrede stellen wollte. Conze bemerkt hinsichtlich eines Pan in der Marciana zu Venedig (Arch. Ztg. 1873, S. 86, n. 121), derselbe trage nicht ein Fell, sondern eine Chlamys, die den Körper vorn ganz frei lasse, indem er hinzufügt, diese Tracht weise nach Attika, ein Ausspruch, der mir freilich so allgemein hin bedenklich erscheint. Fast durchweg handelt es sich bei den verschiedenen Pansgestalten nur um ein Obergewand, Znißinue. Ausnahmen finden sich in der Reliefdarstellung an der Marmorvase im Campo Santo zu Pisa bei Lasinio tav. LXI, Gerhard Ant. Bildw. T.XLV, n. 123, Dütschke A. Bildw. Öberitaliens I, n. 123, wo der bocksfüssige Pan „mit einem ziemlich enganliegenden kurzen Chiton mit kurzen Aermeln‘“ erscheint, und, in auffallender Weise, an der männlichen und der weiblichen Pansherme des Lateran. Mus., deren Gesichtstypus auf den des ziegennasigen und bocksbeinigen Pan zurückgeht (Garrucei Mus. Lateran. tab. XXVI, 1 u. 2, und Benndorf u. Schöne a. a. O. n. 181. 188, S. 105 fg.). 33) Vgl. Pausan. VII, 30, 2 und 38, 4. 34) Vgl. Pausan. I, 44, 13. 35) Ueber Pans Verbindung mit Quellen, Bächen, Flüssen und deren Gottheiten: Michaelis Ann. a. a. O. p. 317 fg., wo auch das Heiligthum des Gottes in der Nähe des Flusses Krathis bei Sybaris (Schol. z. Theocrit. V, 14) und die Panisken als Brunnenfiguren (Bronzi d. Ercol. II, 47, Gerhard Ann. d. Inst. III, Rapp. Volc. A. 290) hätten erwähnt werden können. Die Beziehung des Gottes zum Wasser rührt gewiss nicht bloss von seinen gewöhnlichen Aufenthaltsörtern (unter denen auch die ihm besonders genehmen Grotten, abgesehen von den Tropfsteinhöhlen, Ovid. Met. XIV, 514 fg., dann und wann Wasser enthielten, wie denn aus der besonders be- rühmten von Caesarea Panias nach Stephan. Byzant. u. d. W. Denge der Jordan hervorfliessen sollte), seiner Thätigkeit als Fischergott und seiner Eigenschaft als Befruchter im Allgemeinen her, sondern sie stellt sich für den Ursprung und dann wieder für die spätere Zeit als eine viel engere heraus. Vgl. Cornutus de nat. deor, c. XXVII, p. 149 ed. Osann., nebst den hier p. 328 beigebrachten Stellen. Belehrend ist in dieser Hinsicht namentlich die Vergleichung der Artemis-Selene als Wasser- p+ 28 FRIEDRICH WIESELER, góttin. Auch die Genealogie Silens als Sohn Pans und die enge Verbindung, in welche man später beide Götter setzte (Parmet a. a. O. p. 46, meine Comm. de Pane u. s. w. p. 23, ann. 11) gehört hierher. Eine interessante Gruppe des Palazzo Corsini al Prato zu Florenz, in welcher Silen und Pan als Brunnendecoration am Wasser erscheinen, haben wir so eben durch Dütschke Ant. Bildw. in Oberitalien, II, S. 109, n. 166 kennen gelernt. 36) Das andere Relief, auf welchem Pan dem Zeus gegenüber und in der Mitte von beiden drei Wassernymphen dargestellt sind, ist ein spät Griechisches oder Römisches Werk unbekannter Herkunft, welches sich im Britischen Mus. befindet; vgl. Michaelis in der Arch. Ztg. 1867, S. 6 fg., Anm. 24. 37) Vgl. des Verf.s Aufsatz „Zur Kunstmythologie Pans“ in den Nachrichten von d. K. Ges. d. Wissensch. zu Göttingen, 1875, S. 435; s. auch S. 465, Anm. 19. 38) Die Ansicht, dass ein „kahles“ Füllhorn für Pluton besonders bezeichnend sei, rührt von Welcker her, vgl. A. Denkm. II, S. 86 fg. u. III, S. 305 fg., Gr. Göt- terl. II, S. 484 fg. Die von Welcker nur nach Beschreibung veranschlagte sehr in- teressante Vulcentische Kylix, auf welcher Pluton mit leerem Füllhorn erscheint, ist in den Mon. ined. d. Inst. arch. VI, 58 abbildlich mitgetheilt und von Em. Braun in den Ann. 1853, p. 111 fg. besprochen. Die beiden in den A. Denkm. III, S. 305 fg. z. Taf. XIX, 1 u. 2 auf den Pluton mit kahlem Füllhorn bezogenen Vasenbilder gehen nach Preller Ber. d. K. Sächs. Ges. d. Wissensch. 1855, 8.23 fg. zu Taf. II vielmehr den Dionysosan. Vgl. auch Michaelis Ann. d. Inst. XLI, p. 204 fg. Auf dem von Welcker an erster Stelle erwähnten Vasenbilde (Denkm. d. a. K. II, 9. 110) wird die Figur mit vollem Füllhorn jetzt mit Wahrscheinlichkeit auf den Agathodämon bezogen. Dagegen hat Welcker selbst in den A. Denkm. V, 1864, S. 363 auf zwei Vasenge- mälden einen Hades-Pluton mit einem Füllhorne, dessen Inhalt vordringt, angenom- men und wenn es uns auch keinesweges sicher zu stehen scheint, dass in der be- treffenden Figur Pluton gemeint ist, so ist doch jüngst ein unzweifelhaftes Beispiel aus dieser Gattung der Kunstübung auf einem rothfigurigen Vasenbilde archaischen Stils, welches Pluton mit vollem Füllhorn zeigt, durch Beschreibung (Heydemann „Die Vasensamml. d. Mus. Nazion. zu Neapel“ n. 3091) und Abbildnng (Förster „Der Raub u. die Rückkehr der Persephone“, Taf. II) bekannt geworden. Was es mit der Figur mit Füllhorn auf dem von Müller Descr. des Antiq. du Mus.-Thor- valdsen, Sect. I et II, p. 49, n. 12, beschriebenen Vasengemälde , welche dieser als Dionysos-Hades, Welcker A. D. V, S. 363, A. 7 als Hades - Pluton fasst, für eine Bewandtniss habe, ob sie nicht etwa den Dionysos angehe und ein Trinkhorn statt es Füllhorns zu erkennen sei, müssen wir dahingestellt sein lassen. Andere später zur Kunde gekommene, dem Gebiete der Sculptur angehörende bildliche Darstellungen Pluto’s mit dem Füllhorn anlangend, so hören wir durch Conze zwar nicht im Arch. UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 29 Anz. 1867, S. 98*, wohl aber im Text zu den Her.- u. Gött.-Gestalten, S. 12, dass dieses bei der Statue des Mus. zu Catajo „voll mit Früchten“ ist, und finden wir dasselbe in der Reliefdarstellung des Lateran. Mus. bei Benndorf u. Schöne n. 460* u. Taf. XIV oben abgebrochen. — Dass auch bei anderen mythischen Wesen auf den Bildwerken nicht so gar selten das leere Füllhorn anstatt des vollen vorkommt, liesse sich leicht durch Beispiele erweisen. Um so mehr wundert es uns, dass Brunn in den Sitzungsber. d. philos. -histor. Kl. d. K. Bayer. Akad. d. Wissensch. 1875, I, 3, S. 339 an dem leeren Füllhorn, welches dem Nil auf der sogenannten Tazza Farnese gegeben ist, solchen Anstoss nehmen konnte, dass er dasselbe als Kriterium der Unechtheit jenes Werkes der Glyptik veranschlagte. — Was die Zeit, seit wel- cher dem Unterweltsgott das Füllhorn in der Kunst gegeben wurde, anbetrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass die Ansicht, nach welcher der Name Hien daher rührt, On 2% tils ys zaımdev ğvístær Ó mAovrog, sich jetzt allerdings zuerst in Platons Kratylos p. 409, a. e, ausgesprochen findet, dass aber jener Name viel früher nach- weisbar ist und recht wohl angenommen werden kann, dass die Deutung bei Platon nicht erst von diesem herrühre. Wenn Lehrs a. a. ©. S. 297 ganz anders ur- theilte, so erinnerte er sich nicht daran, dass nach Iamblichus de Pythagor. vita C. XVII, 8. 122 fg. schon Pythagoras den Namen Pluton kannte, der ihn freilich an- ders, aber sehr unwahrscheinlich deutete, und bedachte nicht, dass derselbe mehrfach im Cultus an Stätten vorkommt, an welchen er nicht wohl erst aus der Zeit des Sophokles herrühren kann. Oder liesse sich — um nur Eins anzuführen — das für den Pluton zu Byzanz, dessen Tempel schon von Philipp II zerstört wurde, und den in Hieron am Bosporos annehmen, auch vorausgesetzt, dass beide dem Zeus Chthonios von Megara entsprachen (Anm. 28) ? 39) Anders verhält es sich mit dem Hades, vgl. Welcker Gr. Götterl. II. S. 485. — Die Trinkschale in der r. Hand des Pluton auf dem Vasenbilde in Mon. d. Inst. VI, 58 kann natürlich nicht in Betracht kommen. Auf dem Relief in den D. d. a. K. II, 7, 76 und bei der Statue ebenda Taf. LXVII, 853 rührt die Schale von den modernen Ergänzern her. 40) Der Pluton der jüngst bekannt gewordenen Vase des Mus. naz. zu Neapel gilt als myrtenbekränzt, für welchen Umstand von Heydemann a. a. O. auf O. Jahn Telephos und Troilos S. 89, 100 verwiesen wird. 41) Was zuerst oben in Anm. 28 versucht ist. — Dass dem Movrsús als dxden ta zivsxa moions in dem Epigramme an einem zu Megara gefundenen Grab- stein (Corp. Inscr. Gr. n. 1057), Dank ausgesprochen wird, beweist natürlich nichts. 42) Vgl. Pausan. I, 40, 5, und besonders 43, 5, sowie Boeckh z. Corp. Inscr. Gr. n. 1052, 6, Vol. I, p. 921. 30 FRIEDRICH WIESELER, 43) S. Welcker Gótterl. I, S. 440, II, 586 fg. 612, III, 50; Stephani Compte r. p. 1868, p. 116, 122, 135, 138. 44) Während selbst Stephani früher das Füllborn bei Dionysos öfter entweder mit Bestimmtheit annahm (Compte r. de la comm. imp. arch. de St. Pötersb. pour 1859, p. 105, Anm. 2), oder doch die Entscheidung, ob das Horn bei diesem Gotte für ein Füllhorn oder ein Trinkhorn zu halten sei, dahingestellt sein liess (Vasen- samml. der Ermitage n. 71 u. 120), hat er späterhin (Compte r. pour 1869, p. 180 fg.) bemerkt, dass bei Dionysos in den älteren Vasengemälden nur ein grosses Rhyton vorauszusetzen sei, das Füllhorn aber in den späteren vorkomme. Dem er- sten Theile dieser Bemerkung schliesse ich mich nach eigenen Untersuchungen an, während ich, was den anderen betrifft, eher die mindere Bestimmtheit, mit welcher Stephani jetzt die von Preller an der oben in Anm. 38 angeführten Stelle behandelten Beispiele als genügend sicher stehend betrachtet, billigen kann, als die Sicherheit, mit welcher jener auf der von ihm a. a. O. herausgegebenen Vasenscherbe bei dem Dionysos ein Füllhorn voraussetzt. Mir scheint es sich hier ebensowohl um ein Trinkhorn zu handeln, wie auf dem Vasenbilde in den D. a. K. II, 23, 366, und dem in dem Catal. of the Gr. and Etr. Vases in the Brit. Mus. Vol. II, n. 1322 verzeichneten, öfters abgebildeten (auch in der Arch. Ztg. 1865, Taf. CCII, 2). Die zuletzt von Welcker, Preller und Michaelis a. a. O. besprochenen Darstellungen des bär- tigen Gottes mit Füllhorn, welcher von Herakles getragen wird, bedürfen noch einer ge- naueren Aufklärung. Dass der Epheukranz, mit welchem der getragene Gott auf dem von Preller bekannt gemachten, in der neuen Ausgabe der D. a. K. II, 37, 432, c, wiederholten Vasenbruchstücke, versehen ist, auch auf den als Dionysos ge- fassten Pluton bezogen werden kann, bedarf kaum der Bemerkung. — Ver- muthlich handelt es sich bei einigen anders bezogenen Darstellungen eines Knaben mit dem Füllhorne in Münztypen und in einer berühmten Marmorgruppe um Dio- nysos oder Iakchos Plutodotes, worüber ich in der neuen Ausgabe der Denkm. d. a. Kunst zu II, 8, 99, a, sprechen werde. Eine längst bekannte und richtig gedeutete, Münze von Nysa in Karien zeigt den Knaben Dionysos auf einem Füllhorne sitzend (Denkm. d. a. Kunst II, 35, 416). Mit den von ClaracIV, 678 D, 1641 B und 694, 1596 hiehergezogenen Marmorwerken steht es sehr misslich. Sollte die letztere Statue etwa auf einen Satyr zu beziehen sein? Die Statue eines Satyrs mit Füll- horn, der mit Dionysos gruppirt ist, giebt Clarac IV, 693, 1635 A. Auch in der Villa Ludovisi befindet sich ein Satyr mit dem Füllhorn (Burckhardt „Der Cicerone‘ II, 8. 477 d. ersten Ausg.). Dieses kommt auch bei Pan vor, z. B. an der Statuette bei Eduard Freih. von Sacken „Die ant. Bronzen des K. K. Münz- u. Ant. Cab. in Wien“ Taf. XXIX, fig. 7, wo schwerlich an eine Fackel (Sacken u. Kenner „Die Samm- lungen d. K. K. Münz- u. Ant. - Cab.“ S. 283, n. 515) zu denken ist. Die liegende a tenen Steinen und Pasten haben Toelken Erkl. UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 31 Statue im Louvre D. a. K. II, 32, 360 stellt sicherlich den Dionysos dar, aber nicht mit einem Füllhorn, nach Fróhner a. a. O. n. 228. Die Gemmendarstellung in den D. a. K. II, 2, 28 (der früheren Ausgabe, II, 69, 870 der nächstens erscheinenden) wage ich nicht zu veranschlagen, da, wenn sie auch den Dionysos angehen (wie Overbeck Kunstmythol. I, 1, S. 207 nach meinem Vorgange anzunehmen geneigt ist), dieser doch wohl als Dionysos Pluton zu fassen sein wird, so dass es unbestimmt bleibt, ob das Füllhorn auf den Dionysos, oder ob es auf den Pluton zu beziehen ist. 45) S. Stephani Tit. Gr. P. V, in dem Ind. schol. in Univ. Dorpat. per semestr. prius a. MDCCCL habend., p. 23. 46) Vgl. Plinius Nat. Hist. XXXIV, 77. Welche Attribute der Daimon Agathos des Praxiteles (Plin. N.H. XXXVI, 23) hatte, erfahren wir nicht: vermuthlich Schale in der rechten Hand und Füllhorn im linken Arme. Vgl. Anm. 67. E 47) Ueber die späteren Darstellungen des, wie Th. Mommsen in Gerhard’s Arch. Anz. 1860, S. 74* fg. nach Inschriftsteinen gezeigt hat, keinesweges bloss als die Gottheit des Erntesegens, sondern als Gottheit des guten Glücks überhaupt zu fas- senden Bonus Eventus (wie er namentlich auf Münzen, auch auf einem zuletzt von Aldenhoven Ann. d. Inst. arch. XLI, p. 129 besprochenen Relief aus Lapis Lazuli, wenn die betreffende Inschrift wirklich antik ist, genannt wird, während er auf einer unter der Salonina geprägten Münze von Ephesos als zð ”Ayadov täy ’Eysoimv be- zeichnet wird, Eckhel Doctr. anm. II, p. 516, Mionnet Descr. d. med. II, p. 123, 465) vgl. man, ausser Moreau de Mantour sur le dieu Bonus Eventus et sur les medailles qui concernent son culte in den Mém. de Acad. des Inscript. T. II, p. 448 fg., Ballhorn de Bono Eventu veterum deo, Hanover. MDCCLXV, Rasche Lex. univ. rei num. T. I, u. s. W. und Eckhel a. a. O., besonders T. V, p. 303: K. A. Böttiger Griech. Vasengem. I, 8. 211 fg., Hirt Bilderbuch ‘für Mythol., Archäol. u. Kunst S. 106, Müller Hab. d. Arch. $. 398, A. 2, Creuzer zur Gemmenkunde 8. 49 fg., meine Denkm. d. a. K. II, 73, 942—944 (mit 943 stimmt überein die Silber- münze des Titus bei Cohen I, p. 342, n. 9), K. Friederichs in der Arch. Ztg. 1860, S. 5 fg. und in Berlins ant. Bildw. II, S. 448. Mehrere Darstellungen auf geschnit- Verz. d. ant. vertieft geschn. Steine di K. Preuss. Gemmens. S. 232, n. 1355—1365 und L. Müller Descr. d. Intaill. et Cam. ant. du Mus. - Thorvaldsen, Copenhague 1847, p. 77, D. 610—617 verzeichnet. Eine Silbermünze des Galba mit dem Kopf des B. E., hat der Duc de Blacas in der Rev. num. Fr. 1862, pl. VII, n. 94 herausgegeben. Dieser B. = steht EC lich in Beziehung auf Kriegsglück , eine Beziehung, welche auf einem mir nicht zu- gänglichen , von Aldenhoven a. a. O. angeführten Gemmenabdruck (Cades XVII, 66) heint, dass dem mit Schale und Aehren dadurch noch besonders angedeutet zu sein sche versehenen Jüngling eine Victoria auf die Hand gegeben ist. Aehnliche, so zu sagen 32 FRIEDRICH WIESELER, militärische Beziehung hat der zu den Füssen des B. E. stehende Adler auf dem Achatonyx bei Toelken a. a. O. n. 1361, Interessant ist die in H. Hoffmann’s Catal. des méd. Rom. de Ten M. le marquis de Moustier auf pl. IV, n. 2029 zuerst ab- bildlich mitgetheilte Bronzemünze des Pescennius Niger, deren Revers innerhalb. der Umschrift BONI EVENTVS eine vollständig bekleidete weibliche Figur zeigt, welche mit der Rechten eine Schüssel mit Früchten hebt und hinhält und in der gesenkten Linken zwei Aehren hat. Der Beschreiber hat p. 129, n. 2029 weder richtig ge- deutet noch genau gesehen, wenn er sagt: La Foi debout a gauche, tenant une couronne et deux épis. Als Fides publica fassen von Sacken und Kenner Samml. d. K. K. Münz- u. Ant.-Cab. zu Wien S. 439, zu n. 575—578 auch die auf geschn. Steinen vorkommende Figur eines Weibes mit „Fruchtschale und Aehren“, neben welchem ein Mal ein Adler mit Kranz im Schnabel, ein anderes Mal eine Ameise erscheint. Die Uebereinstimmung mit dem Typus jener Münze, dann insbesondere auch der Adler (welcher hier deutlich auf Sieg in Beziehung gestellt ist) machen es wahrscheinlich, dass die Darstellungen auf den bonus eventus gehen sollen. Die weibliche Figur, welche mehrere Deutungen zulässt, thut man wohl gut zunächst als Fortuna oder als Ceres zu fassen, für welche letztere die Ameise besonders _ ‚spricht. 48) Das Relief ist schon von Stephani Compte rendu pour 1859, p. 111 er- ‚wähnt, der auch eine Zeichnung desselben herausgeben wollte. Jetzt ist es besser als in der ’Aox. `Eynu. n. 742 abgebildet in R. Schöne’sGr. Rel. Taf. XXVI, n. 109 und wird danach in der neuen Aufl. der D. a K. II, Taf. LXXIII wiederholt werden. — Das Vasenbild ist das schon oben in Anm. 38 gelegentlich angeführte, dessen be- treffende Figur in Conze’s Her.- u. Gött.-Gest. Taf. X, 2, nach S. 12 zu schliessen wohl nur aus Irrthum als Pluton gegeben ist. Ueber die Beziehung auf den Agathos Daimon vgl. Stephani Compte r. pour 1859, p. fg. und von Leutsch’s Philol. Anz. II, 1870, S. 525. Stephani hält a. a. O. für wahrscheinlich, dass auch eine Figur auf dem bekannten Sarkophag von Wiltonhouse (D. a. K. II, 10, 117) den Agathos Daimon darstelle, welche, jetzt durch Zeichnung und Beschreibung genauer bekannt, von R. Förster Raub u. Rückkehr d. Perseph. S. 267 für Dysaules, von H. Brunn in den Sitzungsber. der K. Bayer. Akad. 1875, I, phil. hist. Cl. 1, S. 25 für „eine beim Landbau beschäftigte Nebenfigur“‘ gehalten wird. Der sichere Agathos Daimon des an erster Stelle anfgeführten Reliefs hat weder das Füllhorn im linken Arme, noch ein Scepter in der rechten Hand, das allerdings bei Agathos Daimon sonst nicht nachweisbar ist, aber doch schwerlich gegen diesen veranschlagt werden kann. Es findet sich nebst dem Füllhorn auch bei der älteren Darstellung des Genius publicus in der Gestalt eines bärtigen Mannes, während die jüngere jenen als Jüngling mit Füllhorn und Schale giebt (Preller Röm. Mythol. S. 569 d. ersten Ausg.). UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 33 49) Es ist die Rede von dem sogenannten „Juppiter Dapalis“ auf dem Chal- cedon bei Toelken Erkl. Verzeichn. Cl. II, Abth. 2, n. 89. Dass die Figur einen spitzen Bart hat, überall den Eindruck eines archaisirenden Werkes macht , thut der von uns gemuthmassten Beziehung auch nicht im Mindesten Eintrag. 50) Cornut. de nat. deor. c. XXVII, p. 155 ed. Osann. 51) Freilich ist dieser Umstand von den Erklärern alter Bildwerke lange nicht genügend beachtet. Ein eigener betreffender Aufsatz ist von mir seit Jahren vor- bereitet: Vgl. einstweilen die Bemerkungen zu D. a. K. II, n. 226. 52) Darstellungen des libirenden Bonus Eventus lassen sich durchaus nicht in Abrede stellen (vgl. z. B. Hirt a.a. O. Taf. XIII, n. 16 und dieGemmen bei Toelken a. a. O. n. 1358 u. 1359, wo ein brennender Altar an der rechten Seite des Gottes zu sehen ist), obgleicb es in manchen Fällen so gut wie unmöglich ist, bei so kleinen Gemmenbildern zu entscheiden, (namentlich auch, wenn die Figur in Vorderansicht gegeben ist), ob es sich um ein Ausgiessen der Schale oder um ein Hinhalten der- ‘selben handelt. Dagegen glaube ich — um dies nebenbei zu bemerken — keines- weges, dass, wie Toelken zu n. 1364 meint, B. E. ein turibulum, oder, wie derselbe zu n. 1365 annimmt, dass jener einen Opferkuchen halte. Allein, wer da bedenkt, dass das Spenden aus der Schale für die individuellen Genien habituell ist, deren "Bedeutung und Darstellungsweise denen des B. E. so nahe steht (vgl. z. B. D. a. K. I, 73, 944, wo Toelken z. n. 1379 anstatt des von mir vorausgesetzten Bonus Eventus den Genius des Römischen Volkes erkannt wissen will), der wird sich wohl ‘zu der Annahme entschliessen, dass das Spenden erst von den Genien auf den B. E. übertragen sei. Hinsichtlich jener ist aber zu beherzigen, was Welcker Gr. Götter]. IH, S. 213 bemerkt hat. 53) Vgl. Philochoros Athen. II, 7 und weitere Anführungen bei Stephani Compte 'r. 1859, p. IH, G. 1 und in K. Fr. Hermann’s Lehrb. d. Gr. Privatalterth., zw. ‘Aufl. von Stark, 8. 28, Anm. 18 fg. — An das, was Plutarch Sympos. Qu. VII, 10, 3 berichtet, möchten wir weniger erinnern. Die Beziehung auf den Wein über- haupt tritt namentlich bei den Münz- und Gemmenbildern des Bonus Eventus be- sonders hervor. Auf dem Hyacinth der Thorwaldsen’schen Sammlung bei L. Müller a. a. O. n. 617 findet man ausser einem Weinstock hinter ihm sogar eine Amphora ‘vor ihm auf dem Boden stehend. : : 54) Auf dem Saburoff'schen Relief könnte die etwas abgeriebene Schale (dio n Omphalos versehen war) an sich immerhin ‘ursprünglich vielleicht mit einem kleine ; : fehlt es auf den Bildwerken nicht an als für ein Nass bestimmt gelten. Indessen ähnlichen Schalen, auf denen Früchte liegen, vgl. Z. B. Denkm. d. a. K. II, 8, 91. 55) So in der Berliner Bronze bei Friederichs a. a. O. n. 2009, auf dem Pa- iser Nicolo bei Chabouillet Catal. génér. et rais. des camées et pierres grav. de la Histor.-philolog. Classe XX. 3. 34 FRIEDRICH WIESELER, Biblioth. imp. p. 235, n. 1738, vgl. auch die oben in Anm. 47 am Schluss angel Münze des Pescennius Niger, sowie die eben dort angef. Wiener Gemme und die ‚bei Toelken a. a. O. n. 1362 fg. und L. Müller a. a. O. n. 615. 56) Vgl. z. B. Denkm. d. a. K. II, 73, 943, und Wiczay’s Mus. Hedervar. n. 4012, t. XVI, fig. 353, und mehrere Darstellungen auf Gemmen bei Toelken und L. ` Müller a. a. O. : 57) Vgl. Cornutus de nat. deor. p. 154 Osann: "äre äée dè deinen — d xóouoç ë Boidwv xal avtos voie xdonos j Ó moosoròçs avıod Aoyog, za” Zoo Jarsitar soi dıaweoilsı 10 Eupfdhlov, reide dıaıg&rng Gorderen, — Sicherlich ist die mit der Rechten hingereichte Schale bei der Tyche auf Attischen Bildwerken (Schöne Gr. Reliefs Taf. XXVI, n. n. 107, und Beul& Monn. d’Athenes p. 295, vgl. Schöne S. 54), auf denen die Göttin auch das Füllhorn im linken Arme hält, ganz ebenso zu erklären. 58) Auf dem Berliner geschnittenen Steine (Anm. 49) hat die von uns für Bonus Eventus gehaltene Figur nach Toelken a. a. O. eine Binde ums Haupt. Ebenso der Bonus Eventus auf dem Plasma bei L. Müller a. a. O. und der Kopf auf der in Anm. 47 angeführten, in d. neuen Ausg. d. D. a. K. II, 944, d. wiedergegebenen Münze des Galba _ 59) Am Besten würde für den Agathodämon als ewro mu oixsio» nach Cornut. a. a. O. p. 154 wohl der Lorbeerkranz passen. Den Bonus Eventus der Römischen Zeit findet man hie nnd da fichtenbekränzt (Friederichs Berl. ant. Bildw. II, a. a. O.), ebenso wie die ihm entsprechenden Laren (Friederichs a. a. O. S. 440, n. 2011). 60) Vgl. Pausan. I, 43, 6 61) Varro de re rust. I, 1, 6; vgl. Welcker Gr. Götterl. III, 8. 211. 62) Dass in den Gruppen von Demeter und Kora jene sitzend, diese stehend dargestellt ist, und zwar grade mit dem Fackelattribut, findet sich nicht selten, vgl. D. a. K. II, 10, 112 (Gerhard Ges. Abhdl. Taf, LXXI, n. 1), Compte rendu p. 1859, pl. II (Gerhard a. a. O. T. LXXVII), Welcker A. Denkm. III, Taf. XXHI, 1, das mehrfach herausgegebene Relief der Athen. Wäscher (Michaelis Ann. XXXV, p- 312 D und p. 327 fg., auch in der Arch. Ztg. 1861, n. 204, S. 120), das zweimal in der Arch. Ztg. 1852, Taf. XXXVIII, 3 und 1863, Taf. CXXVII, 6, abgebildete Ara-Relief, für welches auch Conze 1863, S. 97 das Stehen der Kora bezeugt, ein zu Catajo befindliches Attisches Relief (Conze Arch. Anz. 1867, S. 94*), endlich die Attische Münze bei Beulé Monn. d. Ath. p. 202, nach O. Jahn in der Arch. Ztg. E S, 133. 63) Belege bei Schlie „Zu den Kyprien“ Waren 1874, S. 32, A. 64) Vgl. z.B. die OHBA auf der Kadmosvase bei Welcker A. == III, 23,1. 65) S. Anm, 60. Pausanias berichtet, dass das Bild der Göttin von Praxiteles war. 66) Wir wollen nur bemerken, dass die Bekleidung ganz der der Agathe Tyche UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 35 auf dem in Anm. 48 erwähnten Relief entspricht, auf welchem auch das Fassen des Scheiergewandes mit der Rechten vorkommt. 67) Ob dasselbe auch in der Gruppe des Praxiteles (Anm. 46) statthatte, scheint uns zweifelhaft, durchaus wahrscheinlich aber, dass jener der Agathe Tyche das Füllborn in den linken Arm und die Schale auf die Hand des ausgestreckten rechten Armes gab. Ganz so finden wir es bei zwei Attischen bildlichen Darstellungen der Tyche, von welchen die eine die Göttin sitzend, die andere dieselbe stehend zeigt, vgl. Schöne Griech. Rel. Taf. XXVI, n. 107, und Beul& Monn. d’Athönes p- 295, nebst Schöne’s Bemerk. auf S. 54. 68) Auch Kora erscheint auf Griechischen Bildwerken mit zwei aufrecht ge- haltenen, in dem Epigramm im Corp. Inscr. Gr. n. 2388 ausdrücklich bezeugten Fackeln, wie sie bei der Artemis und Hekate regelmässig vorkommen. Soll aber Kora genauer bezeichnet werden, so wird ihr eine gesenkte und eine aufrecht ge- haltene Fackel gegeben (so auf der Kadmosvase und anderen Vasenbildern , vgl. Welcker A. D. II, S. 389 und Gerhard Ges. Abhandl. II, S. 392, Anm. 150, und auf dem schon oben in Anm. 62 angef. Relief zu Catajo) was sich auch in Be- treff der Hekate (vgl. J. H. Voss zu Hymn. auf Demeter VI. 52), und der Eileithyia (vgl. Text zu D. a. K. II, 729 der zweiten Ausg.) findet —, oder sie hält beide Fackeln gesenkt, z. B. auf der Attischen Ara, deren Abbildungen auch in Anm. 62 angeführt sind, und auf der Ath. Münze bei Beule Monn. d’Ath. p: 198, wo sicher- lich nicht eine Priesterin gemeint ist), — was ebenfalls bei der Hekate vorkommt, vgl. z. B. Denkm. d. a. K. II, 71, 886 u. 887 und 70, 885 der neuen Ausg. 69) Tyche zu Sparta im Cult verbunden mit Demeter und Kora: Corp. Inscr. Gr. n. 1462. Das bei Pausan. IX, 39 zu Lebadea erwähnte oïxņua Aaiuovog te `Ayæ200 soi Torge wageich nicht für eine Cultverbindung dieser beiden mit Demeter und Kora zu veranschlagen, da jene wesentlich nur in Beziehung zum Orakel ge- standen zu haben scheinen. Noch weniger möchte ich darauf hinweisen, dass im Homer. Hymn. in Cer. 420, vgl. Pausan. IV, 30, 3, Tyche als Okeanide neben der Persephone vorkommt. 70) Persephone-Kora, die auf feuchter Au mit den Okeaniden Blumen pflückende, die das Wachsthum der Pflanzen durch Feuchtigkeit befördernde, steht einer Nvugn cunvia (Biagi Mon. Gr. et Lat. p. 615) wesentlich gleich. Vgl. Mythogr. Vat. III, 7, 4: per Proserpinam humor terram fecundans figuratur. Auch in ihrer Beziehung zum Monde liegt die zur Feuchtigkeit, ebenso wie bei der später mit ihr ganz ver- schmolzenen Artemis-Hekate. Dass Herkyna, der Sage nach Gespielin der Kora, von dieser nicht verschieden ist, wird mit Recht angenommen, vgl. Welcker Gr. Götterl. I, S. 489. Wie neben dem Quellbache Herkyna ein Tempel der Herkyna stand (Pausan. IX, 39, 2), so muss, nach S. Justini Apolog. I, C. 64, p. 53, 25 fg. ed. B” 36 FRIEDERICH WIESELER. alt. Braun. zu schliessen, zò síðwlov Tjs Asyousvns Kúvons mehrfach ë zeig gn idaıwv nyyaic aufgestellt gewesen sein. 71) Dass übrigens Kora auch zu Megara neben Demeter verehrt wurde, erhellt doch wohl schon aus dem Culte zu Byzanz, über welchen zu vergleichen Dionys. Byzant. Anapl. Bospori fr. 9 nach C. Müller Geogr. Gr. min. Vol. II, p. 23, fr. 10 nach Frick, der freilich mit Gillius p. 15 annimmt, Proserpina sei keine andere als Hekate Pwogpogos (s. Anm. 84), und XIII nach Wescher. 72) Pausan. I, 40, 2; 44, 7. 73 Pausan. I, 41, 4. 5. — Frick in Pauly’s Realencyclop. Bd I, Abth. 2,5. 2614 d. zw. Aufl. hält die A. Diktynna am Bosporos für eine Specialisirung der Megari- schen "4. ”Ayoor&ga mit Bezug auf den Fischfang. Indessen ist es bedenklich, ohne dringende Noth Umwandlung des Beinamens vorauszusetzen. Besser ist es jedenfalls, den Gedanken an den Zusammenhang mit der Megar. Agrotera ganz aufzugeben. A.Diktynna, die als Göttin des Fischfangs der Text in Wescher’s Ausg. d. Dionys. Byz. LVI ausdrücklich erwähnt, scheint, nach der Lage ihres Heiligthums (Dionys. Byz. Anapl. fr. 34 u. 35 Müller, 36 u. 37 Frick) zu schliessen, zudem auch Hafengottheit und Schirmerin der Schiffahrt gewesen zu sein. Ihr Dienst kann recht wohl durch die Argiver (Antonin. Liber. Transf. XL) in die betreffende Gegend gebracht sein. 74) Pausan. I, 42, 1. Dienst der Artemis-Iphigeneia und auf Iphigeneia be- zügliche Sagen von Megara aus in Chrysopolis, Byzanz gegenüber: K. O. Müller „Dorier“ LS 385, Frick zu Dionys. Byzant. Anapl. fr. 65, p. 36. 75) Herodot. IV, 103, 76) Pausan. 1, 43, 4. 77) Vgl. Corp. Inser. Gr. n. 1064. Das Epigramm befindet sich an der Basis der Statue einer Priesterin der Göttin. 78) Vgl. Herodot. IV, 87, wo freilich nur ó Bwøuðs tis OgsIwaing ` Aorsuidos erwähnt wird, aber ohne Zweifel auch ein Tempel der Göttin vorhanden war, vor welchem der Altar gestanden haben wird. 79) Die betrefienden Worte lauten im Zusammenhang so: “Alouevn xovonv Anwide slogeaıpev "Aorem `OgSwoinv, nolewg ops) zeigen ndvra in Zenit dr "Aorinnudg. Boeckh bemerkt dazu Vol. I, p. 561: „Sacerdos haec Star Dianam venerari nołews negì eigen náviæ, in toto circuitu urbis: igitur variis Diana locis videtur sacra habuisse“. Ich weiss nicht, ob er nicht selbst nur an das Innere der Stadt dachte. Dass die Orthosia wenigstens auch — wir unseres Theils meinen: allein — n der Stadt Megara verehrt wurde, kann allerdings wohl keinem Zweifel unterliegen. ätte mån aber die betreffenden Worte von dem Local der Verehrung zu verstehen, UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 87 so würde dieses ausserhalb der Stadt vorauszusetzen sein. Man hätte dann wohl zunächst an Artemis, die als Schützerin an den Thoren der Stadt aufgestellt ge- wesen wäre, zu denken. Allein die Beziehung der Worte auf das Local der Ver- ehrung hat in sprachlicher Hinsicht durchaus nichts für sich, und in sachlicher be- fremdet das hinzugefügte navre. Sollte nicht Asklepias von sich sagen, dass sie die Artemis höher halte als alle Burgen der Stadt? Vgl. etwa Oppian. Halieut. V, 45: Baoıkjes, Ovunma reien yalns. 80) Pausan. I, 40, 2: vgl. I, 44, 6. Die von den Pfeilen der Perser herrühren- den Löcher und Vertiefungen an dem Felsen, welchen der Perieget erwähnt, hat Gell. Itin. p. 6 noch gesehen. 81) Ich sehe allerdings, dass, wie Forchhammer Halkyonia (Berlin 1857, S. 14), so auch Bursian Geogr. von Griechenland I, 8. 381, 3 der Ansicht ist, der Name Drei sei ursprünglich nicht von zt, sondern von rdyog herzuleiten; kann aber derselben mit nichten beistimmen. — Mit dem Megarischen I/nyai hängt gewiss der gleichnamige Ort bei Byzanz (Photios’ Lex. u. d. W. IInyai) zusammen. 82) Vgl. für Megara: Neumann Num. vet. ined. T. I, t. VII, n. 4; für Pagae; Sestini Mus. Hedervar. t. XI, n. 3 und bes. Fr. Streber Numism. nonn. Gr. ex Mus, Reg. Bavariae hactenus minus accurate descr., in Abh. d. philos.-philol. KI, d. K. Bayer. Akad. d. Wissensch. B. I, t. II, n 2 = D. a. K. II, 16, 174 a, welcher 8. 177 fg. die früher falsch gedeutete, zuletzt noch von Stephani im Compte rend. p. ann, 1869, p. 53, A. 3 besprochene Figur zuerst richtig bezogen hat, 83) Das Bild hat hinsichtlich der Gewandung und des Umstandes, dass die Füsse nicht unter demselben hervortreten, grosse Aehnlichkeit mit der sogen. Hestia Giustiniani (D. a. K. II, 30, 338, a) und der von Münzen der bekannten Leukadi- schen Artemis (D. a. K. II, 16, 175 u. 175, a), sowie dem der Aphrodite von Aphrodisias, II, 26, 285, d, auch wie es scheint, dem der ebenfalls mit zwei Fackeln versehenen Artemis Tauropolos von Amphipolis II, 16, 177. — Hinsichtlich der Gewandung und der Fackeln vgl. auch die Cultusbilder der Zerynthischen Hekate auf dem jetzt in Berlin befindlichen, in der Collez. di tutte la antichitä nel Mus. Naniano di Venezia unter.n. 234 abgebildeten Relief der Artemis auf dem Wandgemälde in den Denkm. d. a. K. I, 44, 206, und auf dem Relief im Vatican. Mus. n. 123, welches in der neuen Ausgabe d. Denkm. Bd. II, Taf. XV abbildlich mitgetheilt werden wird. 84) Wie wäre man dazu gekommen, das Bild der Artemis Soteira von Sur gylion in dem „alten Heiligthum“ aufzustellen, wenn dieses nicht der Artemis gehört hätte. Vermuthlich hatte diese auch schon früher den Beinamen Soteira. Wir finden auch sonst, dass dieser durch Legende eine besondere Beziehung erhielt (Welcker Gr. Gëtter), I, S. 396). — Frick ist in der Realencyclop. a. a. 0.8. 2614 der Ansicht, 38 FRIEDRICH WIESELE R. dass Artemis auf Münzen von Byzanz inschriftlich als Bvlevrtivn Zwreuge bezeichnet werde in Beziehung auf die Zurückschlagung eines nächtlichen Ueberfalls der Make- donier unter Philipp, worüber Hesychius Milesius in C. Müller’s Fragm. histor. Gr. 4, 27, p. 151 berichtet, und erinnert dabei an die Artemis Soteira von Megara. Ich will nicht betonen, dass Hesychius ausdrücklich die Hekate bezeichnet, sowohl durch die Angabe, dass jene Zurückschlagung in Folge nächtlichen Hundegebells und der Erscheinung von Feuerwolken stattgehabt habe, als besonders auch dadurch, dass er angiebt, die Byzantier hätten zum Dank dafür Aeurradnpogov "Exdrng Grein geweiht. Aber ich habe, trotz aller aufgewandten Mühe, in den mir zugänglichen numismatischen Werken keine Spur auch nur von einer solchen Münze auffinden können. Sollte dennoch die’Angabe Frick’s in dieser Beziehung wahr sein, so würde ich weit eher glauben, dass die Artemis Soteira von Megara nach Byzanz verpflanzt sei, und das doch wohl schon vor dem Perserkriege. 85) Vgl. O. Jahn Nuov. memor. d. Inst. arch. p. 23. 86) Man vgl. — um von anderen zu schweigen — namentlich das bekannte ‚Relief im Louvre bei Clarac Mus. de se. pl. 200, n. 26. Å 87) Pan und Artemis in Standbildern vereinigt: Pausan. II, 2, 40, und sonst auf Bildwerken: Gerhard Apul. Vasenbild. S. 7, Anm. 6 zu Taf. VI. Pan bei Hekate: Denke. d. a. K. II, 71, 893 b, und Götting. Nachricht. 1875, S. 640. Pans Verbindung mit Selene: Welcker Griech. Götterl. I, S. 456 fg., und besonders Dilthey in der Arch. Ze 1873, S. 73 fg. 88) Namentlich da man voraussetzen kann, dass man sich das Bild der Artemis auf dem lebendigen Felsboden aufgestellt denken soll. Ebenso verhält es sich z. B. auf dem in Anm. 83 erwähnten Vatican. Relief. 89) Besonders bekannt ist die Verehrung in einer Grotte von der Zerynthischen Hekate auf Samothrake und in Thrakien, worüber ich soeben in den Götting. Nach- richten 1875, S. 635 fg. zur Erklärung des in Anm. 83 erwähnten früher Nani’schea Reliefs gehandelt habe. Dass aber Hekate auch anderswo als in Grotten hausend gedacht wurde, erhellt aus Hom. Hymn. in Cer. 25 und Apollon. Rhod. Arg. Ill, 1213. Selene in einer Höhle verehrt nach Porphyrios de antr. Nymph. 20, und zwar zusammen mit Pan Lykaios. — Durch den Umstand, dass es sich auf dem in Rede stehenden Saburofschen Relief um ein Cultusbild der Artemis handelt (welches, auch wenn es nicht das in dem „alten Heiligthum‘‘ zu Megara vorauszu- setzende der Soteira selbst ist, doch nicht bloss am Meisten diesem zu entsprechen scheint, sondern auch am Wahrscheinlichsten auf dieselbe Göttin bezogen werden dürfte), erklärt es sich auch, warum die betreffende Figur stehend dargestellt ist. Denn Obgleich Darstellungen, welche die mit zwei Fackeln versehene Artemis oder Hekate sitzend zeigen, dann und wann vorkommen (z. B. Denkm. d. a. K. II, 14, 149, UEBER EIN VOTIVRELIEF AUS MEGARA. 39 Expód. scientif. de Morée III, 43 = Schöne Gr. Rel. T. XXVI, n. 108, Compte rendu de la comm. arch. p. 1859, pl. I = Gerhard Ges. Abhandlung. Taf. LXXIV), ist doch — mir wenigstens — ein sicheres Cultusbild, das jene Göttinnen in einer der gewöhnlichen Weisen (nicht auf einem Thiere) sitzend zeigte, unbekannt. 90) Pausan. I, 34, 2. — Einen Berg- oder Felsengott, der zugleich Wasser entsendet, zeigt uns der Pariser Actaeonssarkophag (Clarac Mus. de sculpt. T. II, pl. 114, 67). Zur Erklärung des betreffenden Reliefs: Pausan. IX, 2, 3. Vgl. auch Clarac pl. 216, n. 31. Sonst dienen zur Bezeichnung von Bergwassern meist Nympher, die auf dem Berge gelagert erscheinen. 91) Genaueres hierüber in dem Aufsatze „Einige Bemerkungen über die Dar- stellung der Berggottheiten in der classisehen Kunst“, welchen man in den Götting. Nachrichten, 1876, Sitzungsber. vom achten Januar, finden wird. Aus diesem wird auch erhellen, wie wichtig das vorliegende Relief für die Darstellungen der Berg- gottheiten überhaupt ist. 92) Pausan. I, 41, 2, vgl. I, 40, 1. — War das oben im Texte Angedeutete der Grund, aus welchem der Künstler den Berggott zur Darstellung brachte, so ist dieser nicht einmal als blosse Localpersonification zu betrachten, wie so häufig auf späteren Reliefs. 93) Auch die von mir unter Beistimmung von Michaelis Ann. d. Inst. XXXV, p. 333 auf Aglauros bezogene, noch stärker verhüllte weibliche Figur des in D. a. K. II, 43, 544 (545) abgebildeten Reliefs, wird wie von K. O. Müller, so von Frie- derichs Berl. ant. Bildw. I, S. 217, n. 393 als „Nymphe“ gefasst. Dass von Seiten der Bekleidung dieser Erklärung nichts im Wege steht, ist zuzugeben. Sonst finden wir Nymphen dann und wann mit einem Kopftuche versehen, vgl. Jahn Arch. Beitr. S. 64, A. 38, sowie die „Nymphe des Berges“ auf dem Pompejan. Wandgemälde in der Arch. Ztg. 1843, Taf. V, n. 2 (Helbig Wandgem. der vom Vesuv versch. Städte Campaniens n. 340), auch n. 823 bei Helbig. ; ; 94) Vgl. Jahn Arch. Beitr. S. 61 fg. (dessen Beispielen von Endymionreliefs auch das in Woburn Abbey marbles pl. IX hinzugefügt werden kann) und Helbig a, a. O., n. 821—823. Die Statthalter von Ägypten zur Zeit der Chalifen. Von F. Wüstenfeld. 2. Abtheilung. Von Abul-Abbäs el-Saffäh bis el-Musta’in Vorgetragen in der Sitzung der Königl. Ges. d. Wiss. am 1. Mai 1875. Nachdem Abul-Abbäs el-Saffåh am 13. Rab? I. 132 (30. Oct. 749) in Kufa zum Chalifen ausgerufen war, tobten zwar in den Asiatischen Provinzen die Stürme, welche den Wechsel der Dynastien begleitet hatten, noch lange Zeit nach, in Ägypten aber vollzog sich die Umwandlung nach dem Tode Marwäns rascher und es kamen nur noch vereinzelte Versuche vor, sich gegen die neue Regierung zu erheben, da die Ver- wandten und Anhänger der Omeijaden in steter Verfolgung bald sämmt- lich aus dem Lande vertrieben oder gefangen genommen und getödtet wurden. Der Sieger Cälih ben ’Ali, ein Oheim des ersten Abbasiden Chalifen, erhielt noch in demselben Monate seines Einzuges in Fustät (Muharram 133) die Bestätigung als Statthalter und schickte eine Gesandtschaft von ange- ` sehenen Männern an Abul-Abbäs, um ihm die Huldigung der Ägyptier zu überbringen. Unter den Mitgliedern der Familie der Omeijaden, Hist.- phil. Classe. XX. 4. 1 ag E, 15.3 2 F. WÜSTENFELD. welche gefangen genommen wurden, befanden sich 'Acim ben Abu Bekr ben Abd el-Aziz ben Marwän, sein Bruder Amr, seine drei Söhne Abd el-Malik, Abän und Maslama, Amr ben Suheil ben Abd el-Aziz und dessen .fünf Söhne Jazid, Marwän, Abän, Abd el-Aziz und el-Acbag; sie wurden nach Calansuwa, einer Festung in Palästina nahe bei Ramla, geschleppt und hier mit mehreren anderen Omeijaden hingerichtet. Ihr Vermögen liess Cälih als Sold unter die Soldaten und an deren Familien und als Unterstützung an Waisen, Arme und Pilger vertheilen. Die- jenigen, welche während des Kampfes ihre besondere Anhänglichkeit an die neue Dynastie bewiesen hatten, erhielten zur Belohnung Grundbesitz in Bulak, in den zu der Stadt Ahnäs auf der Südseite des Nil nicht weit von Fustät gehörigen Dörfern und an anderen Orten. Jazid ben Häni el-Kindi wurde Oberst der Leibwache; der bisherige Cädhi Abd el-Rahman ben Sälim wurde zum Steuerverwalter befördert und an seine Stelle trat wieder sein Vorgänger Cheir ben Nweim als Cädhi ein. — Schon am 1. Scha’bän 133 wurde Cälih von dem Chalifen abberufen, um das Commando in Palästina zu übernehmen; er nahm den begna- digten ehemaligen Statthalter Abd el-Malik ben Marwän als Gefangenen mit sich und eine Anzahl angesehener Ägyptier, welche in dem Gefolge des Chalifen Dienste nehmen sollten, und da ihm die Wahl seines Nach- folgers freigestellt war, bestimmte er dazu den Corpsführer Abu Aun Abd el-Malik benJazid. In der Ebene vor Fustät auf einem Platze, welcher el-hamrá und zum Unterschied von gleichna- migen Orten el-hamrä el-kucwa »der entferntere rothe Weg« hie, hatten schon gleich nach der ersten Eroberung die Soldaten von den Stämmen el-Azrak, Rübil und Jaschkur angefangen einige feste Häuser zu bauen, welche den Namen el--Askar »das Lager, erhielten, sie waren aber in der Folge wieder zerstört und an dieser verödeten Stelle hatten Cälih und Abu ’Aun bei ihrer Ankunft wieder ihr Lager aufgeschlagen und letzterer wieder einige Gebäude aufführen lassen, welche er selbst be- wohnte. Als Cälih Fustät verliess, wurde der grösste Theil jener Ge- bäude wieder abgerissen, indess blieb seine eigene Wohnung stehen, hier pflegten in der Folge die Statthalter zu residiren, das Quartier be- DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 3 hielt den Namen el-Askar unb wurde nach und nach durch Anbauten mit der Stadt Fustät verbunden. — Im J. 135 dankte der Cädhi Cheir ben Nueim ab aus folgender Veranlassung. Ein Soldat hatte sich an einem Manne thätlich vergriffen und dieser verklagte ihn bei dem Cädhi, konnte aber sofort nur einen Zeugen stellen; der Soldat wurde desshalb festgenommen, bis der Kläger einen zweiten Zeugen herbeigerufen haben ` würde. Abu Ann verfügte aber die sofortige Freilassung des Soldaten und Cheir forderte desshalb seine Entlassung, blieb zu Hause, hielt keine Gerichtssitzungen mehr und weigerte sich der besonderen Aufforderung des Statthalters sein Amt zu behalten Folge zu leisten, wenn nicht der Soldat wieder eingeliefert würde. Da dies nicht geshah, blieb er bei seinem Entschlusse und wurde dann nur noch ersucht, seinen Nachfolger zu bezeichnen, und er schlug dazu seinen Secretär Gauth ben Suleimän vor, welcher dann auch zum Cädhi ernannt wurde. Beim Ausbruche der Pest verliess Abu 'Aun Fustät und zog sich nach der Anhöhe der Banu Jaschkur in el-Askar zurück, (wo später die Tulunische Moschee erbaut wurde,) nachdem er dem Obersten der Leib- wache ’Ikrima ben Abdallah ben Amr ben Cahzam seine Ämter über- tragen hatte; nach dem Aufhören der Pest kam er zurück, begab sich aber im J. 135, indem er neben “Ikrima als obersten Regierungsbeamten den 'Atå ben Schurahbil zum Steuerverwalter ernannte, nach Dimjät, um der Gegend von Samannüd näher zu sein, wo die unruhigen Copten wieder einen Aufstand machten, den er mit Waffengewalt unterdrücken musste, Hier traf ihn ein Schreiben des Chalifen, welches ihm meldete, dass er \ Cälih ben ’Ali wieder zum Statthalter von Ägypten, zugleich auch von Palästina und Magrib ernannt habe, welcher am 5. Rab? II. 136 ankam und ’Ikrima in seiner Stelle als Obersten in Fustät bestätigte, für el-Askar aber den Jazid ben Häni zum Obersten der Leibwache einsetzte. Zugleich hatte der Chalif eine grosse Armee gesandt, welche nach Africa marschiren sollte; Cälih übertrug dem Abu ’Aun das Com- mando und dieser zog im Gumädä II. damit ab, während in Alexandria Schiffe ausgerüstet wurden, um nach Barca zu segeln. Da starb el- k A* 4 F. WÜSTENFELD. Saffåh erst 33 Jahre alt im Dsul-Higga 136 (Juni 754) an den Blattern, und sein Bruder Abdallah Abu Ga’far el-Mancür bestätigte Cälih, gab ihm aber Befehl, Abu ’Aun aus Africa zurückzurufen, welcher dann auch, nachdem er sich noch elf Tage!) in Barca aufgehalten hatte, mit seiner Armee wieder in Fustät eintraf. Von hier schickte ihn Cälih nach Pa- lästina, um gegen die Charigiten zu kämpfen, und er brachte ihnen solche Niederlagen bei, dass er 3000 Köpfe nach Fustät sandte. Dann reiste Çålih selbst ab, um sich nach Palästina zu begeben, nachdem er seinen Sohn el-Fadhl als seinen Stellvertreter eingesetzt hatte; er kam von Bilbeis noch einmal zurück und verliess dann am 4. Ramadhän 137 (21. Februar 745) Ägypten für immer. Er traf in el-Faramä mit Abu Aun zusammen und übergab ihm die Regierung, und dieser zog am 26. Ramadhän in Fustät ein; er bestätigte Ikrima als Obersten und übertrug ’Atä ben Schurahbil die Verwaltung. Der Cädhi Gauth ben Suleimän hatte mit Cälih Ägypten verlassen und es wurden dem Abu Ann drei Personen vorgeschlagen, aus denen er einen Nachfolger wählen solle: Heiwa ben Schureih, Abu Chuzeima Ibrahim ben Jazid el-Himjarf und Abdallah ben ’Ajjäsch el-Fitjäni (oder el-Gassäni). Abu Chuzeima befand sich damals in Alexandria und wurde von dort herbei- gerufen, dann erschienen alle drei zugleich bei Abu "Ann. welcher in einer Versammlung mit Heiwa ben Schureih die Verhandlungen begann und, als er ablehnte, das Schwerdt und die Henkerdecke (auf welcher die zum Tode Verurtheilten geköpft werden), zu bringen befahl. Als Heiwa dies sah, zog er einen Schlüssel hervor und sagte: Dies ist der Schlüssel zu meinem Hause, ich wünsche nichts mehr, als mich in das- ‚selbe zurückziehen zu dürfen, um meinem Gott zu dienen. Da sie sahen, dass er fest entschlossen war, liessen sie von ihm ab, und er fügte dann nur noch hinzu, dass sie den beiden anderen nichts über die Art und Weise, wie er abgelehnt habe, sagen möchten, damit sie es nicht ebenso machten wie er. Nun wurde Abu Chuzeima herein beschieden, und ihm die Stelle als Cädhi angetragen, und als auch er ablehnte, wurde 1) Macrizi I. 306, 16; nicht elfMonate, wie biAbul-Mahäsin L 367. Sr DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 5 wiederum befohlen, für ihn das Schwerdt und die Henkerdecke herbei- zuholen, da war er schwach genug nachzugeben und erklärte sich zur Annahme bereit. Er hatte bisher die Profession eines Riemer betrieben und Halfter verfertigt und verkauft. Als er nun einst zu Gericht sass, ging ein Mann vorüber, der ihn früher in Alexandria gekannt hatte, und verlangte Abu Chuzeima zu sprechen; dieser stand auf und der Fremde redete ihn an: ich habe eine Halfter für mein Pferd nöthig, worauf Abu Chuzeima wieder in seine Wohnung ging, eine Halfter herausholte und sie ihm verkaufte; dann setzte er sich wieder zum Gerichte nieder. — In diesem Jahre starb der Cädhi Husein ben Nweim ben Murra el-Hadhrami und im J. 139 der Rechtsgelehrte Chälid ben Jazid Abu Abd el-Rahman el-Gumahi. — Am 15. Rab? I. 141 berief der Chalif den Abu "Aun nach Jerusalem, wo er sich damals aufhielt, und behielt ihn auf seinen weiteren Feldzügen in seiner Näse. ’Ikrima, welcher interimistisch die Regierung führte, wurde von dem Chalifen durch Müsä ben Ka’b ben Ojeina el-Tamimi ersetzt, welcher am 15. Rab? II. nach Fustät kam. Er war in Choräsän schon seit dem J. 117 mit Abu Müsä für die Sache der Abbasiden sehr thätig gewesen, hatte dabei viele Mühen und Entbehrungen ertragen und war sogar in die Gefangenschaft des Omeijaden Statthalters Asad ben Abdallah el- Casri gerathen, welcher ihm das Kopfzeug eines Esels anlegen und die Zähne ausbrechen liess, dann ihm aber die Freiheit schenkte. Er stand bei el-Mancür in hohem Ansehen und war zum Obersten der Leibwache befördert, und nachdem er nun in die glänzende Stellung in Ägypten gekommen war, äusserte er: »Als ich noch Zähne hatte, fehlte mir das Brod, jetzt da ich Brod habe, sind die Zähne fort.« Er behielt Ikrima als Obersten und nahm seinen Wohnsitz in el-’Askar, wo das Militär lag, es war ihm aber lästig. dass die Officiere Morgens und Abends sich bei ihm meldeten, wie es bisher bei den Statthaltern geschehen war, und er führte desshalb die Ordnung ein, dass sie nur in wichtigen An- gelegenheiten zu ihm kommen sollten, so dass nun Niemand mehr zu ihm ging, der nicht ein besonderes Anliegen hatte und PUERA am Audienz bat. Es mochte dies eine Folge seiner Kränklichkeit sein 6 F. WÜSTENFELD. und er war überhaupt ungern nach Ägypten gegangen, desshalb rief ihn der Chalif nach sieben Monaten zurück, schrieb ihm aber, es solle dies kein Zeichen seiner Ungnade sein, sondern er habe gehört, dass ein Mann Namens Müsä in Ägypten würde ermordet werden, und er wünsche nicht, dass grade er dies sein solle, Nachdem also Müsä seinem Neffen Chälid ben Habib das Commando über die Truppen und dem Naufal ben el-Furät die Verwaltung übertragen hatte, verliess er am 24. Dsul- Ca'da (28. März) Ägypten und begab sich zu el-Mancür, starb aber kurze Zeit darauf. — In demselben Jahre starb auch der berühmte Traditions- lehrer ’Okeil ben Chälid Abu Chälid el-Aili in Äegypten. — Müsäs Nachfolger Muhammed ben el-Asch’ath ben ’Ocba el-Chuzäi kam Montag d. 6. Dsul-Hig’ga 141 (9. April 759) nach Fustät und machte erst el-Mahägir ben Othmän el-Chuz&'í, darauf Muhammed ben Muäwia el-Kalä’i zum Obersten der Leibwache. Der Chalif liess an Naufal den Befehl ergehen, die Pacht der Einkünfte an Ibn el-Asch’ath abzugeben, wenn dieser wollte, und darüber den Contract mit ihm abzuschliessen und einzusenden; wenn er nicht wollte, solle Naufal die Pacht behalten. Ibn el-Asch’ath schlug es aus, begab sich aber dadurch eines grossen Theils seines Einflusses ; denn wenn Naufal sich in die Bureaus begab und dann Ibn el-Asch’ath diesen und jenen sprechen wollte und nach ihm fragte, hiess es: »er ist bei dem Steuerverwalter,« und Ibn el-Asch’ath bereute es, ihm die Pachtung überlassen zu haben. — Er rüstete alsbald ein Heer aus, welches nach Africa marschirte, wo weder die Berbern, noch die flüchtigen Omeijaden, noch die Charigiten Anhänger ’Alfs die Oberhoheit des Chalifen anerkannten. Da aber dies Heer in die Flucht geschlagen wurde, sah sich Ibn el-Asch’ath genöthigt am 10. Dsul- Higga 142 sich selbst nach Alexandria zu begeben, indem er dem Obersten seiner Leibwache, Muhammed ben Mu’äwia, die Regierung übertrug. Aber, schon im Anfange des J. 143 erhielt er ein Schreiben des Chalifen, welches ihn von seinem Posten abrief. Sein Nachfolger | Humeid ben Cahtaba ben Schabib el-Täij traf aber erst Freitag d. 6. Ramadhän (19. Dec. 760) in Fustät ein mit einer Armee a Á i i DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 7 von 20,000 Mann, denen im folgenden Monate noch ein anderes Corps folgte. Von diesen sandte er 6000 Reiter unter Anführung des Abul- Ahwac el-Abdi nach Africa, um die Charigiten, an deren Spitze Abul- Chattåb el-Anmäti stand, zu bekriegen; er wurde aber bei Barca, wo die beiden Heere auf einander stiessen, geschlagen, und nun eilte Humeid mit Verstärkung herbei, überfiel el-Anmäti bei Surt, zwischen Barca und Tripolis, und tödtete ihn und eine Menge seiner Anhänger, worauf er nach Fustät als Sieger zurückkehrte. — Der Cädhi Abu Chuzeima hatte um seine Entlassung gebeten und sie erhalten, und sein Vorgänger Gauth war im J. 144 wieder zum Cädhi ernannt, liess aber seine Stelle durch Abdallah ben Biläl el-Hadhrami versehen, so lange er noch bei dem Chalifen in ’Iräk blieb, und selbst als er wieder nach Ägypten kam, bestätigte er Abdallah als seinen Stellvertreter, und nachdem dieser gestorben war und Gaut nach 'Iräk zurückzukehren wünschte, musste Abu Chuzeima wieder eintreten. Als ’Ali ben Muhammed ben Abdallah ben Hasan nach Ägypten kam, um für seinen Vater, gen. el-Nafs el- zakija, der sich in Medina empört hatte, Anhänger zu gewinnen, hatte Humeid eine ‚geheime Unterredung mit ihm, worauf 'Alí sich wieder entfernte; dies wurde aber doch dem Chalifen hinterbracht, welcher sehr aufgebracht wurde und Jazid ben Hätim ben Cabica el-Muhallabi mit Courier- pferden nach Fustät sandte, wo er Montag d. 16. Dsul-Ca’da 144 (15. Febr. 762) eintraf, worauf Humeid am 21. d. M. von dort abzog. Jazid bestätigte Abdallah ben Abd el-Rahman ben Mu’äwia ben Hudeig als Obersten der Leibwache und Mu’äwia ben Marwän ben Músá ben Nugeir als Steuerverwalter. Er war ein Freund der Dichter und ist von ihnen in vielen Gedichten besungen. Zu seiner Zeit gewannen die Nachkom- men der Familie ’Alis immer mehr Anhänger in Ägypten, es entstand eine allgemeine Bewegung und es war nahe daran, dass dort ein Glied dieser Familie, ’Ali ben Muhammed ben Abdallah, zum Chalifen ausge- rufen wäre; da brachte im Dsul-Higga 145 ein Eilbote den Kopf des ` Ibrahim ben Abdallah ben Hasan, der sich in Bacra gegen el-Mangür a empört hatte, nach Fustät; er wurde mehrere Tage in der Moschee auf- 8 F. WÜSTENFELD. gesteckt, und damit verloren die Aliden den Muth zum weiteren Vor- gehen. Wegen dieser Unruhen hatte Jazid die Pilgerreise verboten, im J. 147 stellte. er sich aber selbst an die Spitze der Pilgercaravane, in- dem er für die Zeit seiner Abwesenheit dem Obersten Abdallah ben Abd el-Rahman die Regierung übergab. — Um diese Zeit starb Amr ben el-Härith ben Ja’cüb Abu Omeija el-Ancäri, der beste Tradions- kenner seiner Zeit. — Nach seiner Rückkehr sah sich Jazid genöthigt, eine Armee nach Habessinien zu schicken, wo wieder ein Charigit sich aufgelehnt hatte; dieser wurde geschlagen und getödet und sein Kopf erst nach Fustät, dann nach Bagdad gebracht. Zur Belohnung erhielt Jazid im J. 149 die Statthalterschaft von Barca zu der von Ägypten, eine Vereinigung, welche vorher noch nicht stattgefunden hatte. Im folgenden Jahre erhoben sich die Copten von Sachä in dem See-Districte, schlugen das gegen sie ausgesandte Heer in die Flucht und vertrieben die Steuererheber; sis zogen dann nach Schabrä Sanbät und die Einwohner von Bascharüd, Arisia und Nugüm vereinigten sich mit ihnen. Jazid ben Hätim stellte den Nagr ben Habib el-Muhallabi an die Spitze der | Einnehmer und eines Corps, das er aus Fustät zur Hülfe schickte, aber die Copten umzingelten sie und tödteten eine Menge derselben, und wiewohl die Muslim Feuer zwischen die Copten warfen, mussten sie sich doch zurückziehen und kamen in voller Flucht nach Fustät. Indess wurde der Aufstand nachher unterdrückt und es folgten nur um so grössere Bedrückungen.!) — Im Rab? II. 1522) wurde Jazid als Statthalter nach Africa versetzt und an seine Stelle in Ägypten kam der genannte Oberst Abdallah ben Abd el-Rahman ben Mu’äwia ben Hudeig den 17. Rab? II., welcher aber auch seine bisherige Stelle als Oberst behielt und keinen anderen ernannte. Schon sein Grossvater Mu’äwia hatte sich als treuen Anhänger der Omeijaden bewährt und sein Vater 1) Vgl. Geschichte der Copten. S. 57. 2) So Macrizi I. 307; nicht im Rabi’ I. wie Abul-Mahäsin I, 393, da en von beiden auf 7 Jahre und 4 Monate angegebene Regierungszeit nicht zutrifft. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 9 und er selbst hatten in deren Diensten hohe Posten bekleidet und waren von el-Saffäh nur durch die Fürsprache seines Oheims Suleimän ben 'Alí begnadigt und dem Schicksale ihrer Parteigenossen entgangen. Ab- dallah war der erste,. welcher in schwarzer Kleidung auftrat, um das Kanzelgebet für die Chalifen zu sprechen. — Im J. 152 starb in Unter- ägypten der Traditionslehrer Jünus ben Jazid el-Aili. — Im J. 154 begab sich Abdallah zu el-Mangür nach Bagdad, indem er seinem Bruder Muhammed die Regierung übertrug. Kurz vorher war der Cädhi Abu Chuzeima Ibrahim ben Jazid el-Himjari gestorben und der Chalif fragte Ibn Hudeig, wen er an seine Stelle zu setzen denke, und er nannte _ Abu Ma’dän el-Jahcubi; der Chalif wandte ein, dass dieser taub sei und sich nicht dazu eigne, worauf Ibn Hudeig den Abdallah ben Laht’a vorschlug;; dieser erhielt die Bestätigung und war der erste Cädhi, welcher für Ägypten von dem Chalifen ernannt war und als Besoldung monatlich dreissig Dinare erhielt. — Ibn Hudeig kehrte am Ende des Jahres zu- rück und starb einige Wochen nachher am 1. Cafar 155 (12. Jan. 772). Ihm folgte sein Bruder Muhammed ben Abd el-Rahman, welcher el-Abbäs ben Abd el-Rahman ben Meisara zum Obersten seiner Leibwache ernannte. Man war mit seiner Regierung sehr zufrieden und er lies es sich besonders angelegen sein, das Heer, welches für Jazid ben Hätim zur Eroberung von Magrib ausgerüstet wurde, mit Pferden, Waffen und allen nöthigen Bedürfnissen zu versehen und für den Sold der Truppen zu sorgen. Indess erkrankte Muhammed nach einiger Zeit, er konnte sein Lager nicht mehr verlassen und starb in der Mitte des Schawwäl 155. Jazid hatte unterdess die Rebellen geschlagen und ihre beiden Anführer Abu 'Àd und Abu Hätim getödtet, und sandte noch einen Boten ab, um Muhammed davon Nachricht zu geben, die er dann weiter an den Cha- lifen befördern sollte; aber der Bote fand ihn nicht mehr am Leben, er war wenige Tage vorher gestorben. Der von ihm mit den Regierungs- geschäften beauftragte 'Müsä ben 'Oleij ben Rabäh el-Lachmi wurde von dem Chalifen als Statthalter bestätigt und machte Abul-Gahbä Muhammed Hist.- phil. Classe. XX. 4. | B 10 F. WWSTENFELD. ' ben Hassån el-Kalbi zum Obersten der Leibwache. Seine Regierung verlief ruhig, bis die Copten von Balhib im J. 156 sich empörten und mit Waffengewalt wieder unterworfen werden mussten, wobei viele von ihnen getödtet wurden; dann trat wieder eine allgemeine Ruhe ein. Müsä war sehr wohlwollend und herablassend gegen die Unterthanen, er pflegte zu Fuss in die Moschee. zu kommen, indem sein Oberst eine kurze Lanze in der Hand voranschritt, und wenn dieser die Leute in Reihen geordnet hatte, wandte er sich zu Müsä mit den Worten: »er- barme dich des Volks.« Dann sprach er das Gebet und hielt nach dem- selben öfter noch Vorträge über Aussprüche des Propheten, die von Zuhörern nachgeschrieben wurden, so dass er ein Hauptglied in der Kette der Ägyptischen Überlieferer geworden ist, ebenso wie der im J. 158 verstorbene Heiwa ben Schureih ben Gafwän el-Tugibi, der auch als Rechtskundiger in Ansehen stand. — Als der Chalif am 6. Dsul-Higga 158 (7. Oct. 775) starb, bestätigte sein Sohn el-Mahdi den Müsä im Amte, bis er ihn am 17. Dsul-Higga 161 entliess und Tsá ben Locmän ben Muhammed el-Gumahi an seine Stelle setzte, welcher aber schon nach fünf Monaten am 18. Gumädä I. 162 (12. März 779) wieder abgerufen wurde. Sein Nachfolger ` Wädhih, ein Freigelassener des Chalifen el-Mancür, traf am 24. Gumädä I. ein, ernannte Müsä ben Zarik zum Obersten der Leibwache, blieb aber nicht einmal vier Monate bis zum Ramadhän, wo er wegen grosser Härten, deren er sich schuldig machte und worüber bei dem ` Chalifen Klage geführt war, abgesetzt und zum Postdirector von Ägypten gemacht wurde. Als solcher war er bei seiner Hinneigung zu den 'Aliden dem Idris ben Abdallah auf seiner Flucht nach Magrib behülflich und als der Chalif dies erfuhr, liess er ihn aufsuchen, umbringen und ans Kreuz heften. Dies geschah im J. 169, nur ist zweifelhaft, ob der Chalif el-Mahdi oder el-Hädi war. — Der nächste Statthalter Mancür ben Jazid ben Mancür el-Ru’eini, ein Vetter des Chalifen el-Mahdi, trat seine Stelle am 11. Ramadhän 162 (2. Juni 779) an und wechselte in der kurzen Zeit seiner Regierung dreimal die Person des Obersten seiner Leibwache, indem er zuerst Häschim ben Abdallah DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 11 ben Hudeig, dann Abd el-A'lá ben Sa'd el-Geischäni, dann 'Assåma ben Amr dazu wählte, bis er selbst nach zwei Monaten abberufen wurde. Ihm folgte Abu Gälih Jahjä ben Dawüd gen. Ibn Mamdüd, von Tür- kischer Abkunft und in Choräsän geboren, ein Mann von Klugheit, Umsicht und grosser Willenskraft, aber auch von unerbittlicher Strenge, die sich bis zu blutdürstiger Grausamkeit steigerte. Der Chalif el-Mancür pflegte von ihm zu sagen: »er fürchtet mich, aber er fürchtet Gott nicht.« — Als er nach Ägypten kam, war das Reisen im Lande sehr gefährlich, da die Wege besonders in el-Hauf durch Räuber meistens aus Keis und den Stämmen von Jemen unsicher gemacht wurden; er fing also damit an, gegen diese einzuschreiten, und liess eine grosse Anzahl derselben hinrichten. Dann ging er so weit, dass er verbot, die Thore, Hausthüren und Weinbuden zu schliessen, da es nach seiner Meinung keine Diebe geben sollte, und man sah sich genöthigt, Tücher und Netze davor auszuspannen, um nur des Nachts den Hunden den Eingang zu verwehren. In den Badehäusern mussten die Wächter ab- geschafft werden und er liess bekannt machen, wem etwas abhanden komme, dem werde er es aus seiner Tasche ersetzen. Wenn nun Jemand ins Bad gehen wolite, legte er in dem Garderobe-Zimmer seine Kleider ab, sprach dann für sich: »o Abu Cälih! hüte meine Kleider!« dann badete er, und wenn er in aller Ruhe damit fertig geworden war, kam er heraus und fand seine Kleider so, wie er sie hingelegt hatte, Niemand hatte gewagt sie anzurühren. Dabei war aber das Gefühl der Sicherheit kein wohlthuendes, man fürchtete sich mehr als vorher, da andere Vor- schriften, auf deren Befolgung mit gleicher Strenge geachtet wurde, höchst lästig und drückend waren und ihre Nichtbefolgung mit der här- testen Strafe, ja mit dem Tode geahndet wurde. Die Vornehmen, Rechts- gelehrten und Beamten mussten lang herunterhängende Mützen tragen und darin ohne Mantel jeden Dienstag und Donnerstag vor ihm er- scheinen. Die Ägyptier fühlten sich daher im Herzen sehr erleichtert, als er am 1. Muharram 164 (6. Sept. 780) abgesetzt wurde. Während seiner Regierung im J. 163 starben der Rechtsgelehrte eg ben Ajjúb 12 F. WÜSTENFELD. el-Gäfiki und Othmån ben el-Hakam el-Gudsämi, welcher die Lehre Mälik’s in Ägypten eingeführt hatte. — Der Nachfolger des Abu Cälih Sälim ben Sawäda el-Tamimi traf am 12. Muharram ein; mit ihm kam Abu Catifa Ismäil ben Ibrahim als Steuerverwalter und zum Obersten der Leibwache wählte er el-Achdhar ben Marwän; der Cädhi Ibn Labia wurde abgesetzt und Ismäil ben Sumei’ el-Kufi kam an seine Stelle, der sich bei der Bevölkerung allgemeinen Beifall erwarb, nur folgte er der Lehre das Abu Hanifa, welche damals noch nicht sehr ` bekannt war, und als der Rechtsgelehrte el-Leith ben Sa’d hierüber an den Chalifen berichtete, wurde er wieder entlassen und Gauth ben Su- leimän musste das Amt wieder übernehmen. — Das eine Jahr der Re- gierung Sälim’s war durch viele Umstände für Ägypten und Magrib ein sehr bewegtes; er selbst sandte Truppen von Fustät zur Hülfe nach Barca, sie kehrten aber von dort zurück, ohne dass es zum Kampfe ge- kommen war, als bekannt wurde, dass die Parteien in Spanien sich gegenseitig bekriegten. Ibrahim ben Gälih ben ’Ali ben Abdallah ben el-Abbäs, ein Sohn des ersten Abbasiden Statthalters von Ägypten, kam nach Fustät am 11. Muharram 165 (5. Sept. 781); er nahm seinen Wohnsitz in der gewöhnlichen Residenz in el-’Askar, baute sich aber dann noch ein grosses Haus in dem Quartier el-Maukif. Oberst der Leibwache wurde wieder 'Assäma ben Amr. Zu seiner Zeit lehnte sich Dihja ben Mugab!) ben el-Acbag ben Abd el-Aziz ben Marwän im offenen Kampfe auf, nachdem er zu Ahnäs und Buweit bei Bücir-Cüridas in el-Ca'id sich einen grossen Anhang verschafft und sich selbst zum Chalifen ernannt hatte. Ibrahim, der ihm mit einer Armee entgegen ging, musste sich vor ihm zurückziehen und beachtete den Aufstand sowenig, dass er sich immer weiter ausbreitete, bis Dihja den grössten Theil von el-Ca’id sich unterworfen hatte und nahe daran war, ganz Ägypten für sich zu ge- winnen. Der Chalif war hierüber sehr aufgebracht, gab Ibrahim in schimpflicher Weise seine Entlassung und sandte 1) So Ibn Coteiba pag. 184. Ibn Doreid pag. 48. Jäcüt I. 410 und 766; dagegen Macrizi I. 307 und Abul-Mahäsin I. 442 al) el-Mu’cab. E DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 13 | Müsä ben Muc’ab ben el-Rabi el-Chath’ami als Statthalter nach Ägypten. Er traf am 7. Dsul-Higga 167 (1. Juli 784) vor Fustät Ibrahim schon im Abzuge begriffen, nahm ihn aber mit sich zurück in die Stadt, forderte ihm und seinem Verwalter auf Befehl des Chalifen eine Strafe von 350,000 Dinaren ab und liess ihn dann nach Bagdad abführen. Müsä schritt sogleich mit der grössten Härte ein: er forderte von jedem Acker das Doppelte der bisherigen Steuer, eine Abgabe von einem Dirham von den Landbewohnern, die zu Markte kamen, und eben so viel von ihren Lastthieren und liess sich bei richterlichen Entschei- dungen bestechen. Die Abneigung vor ihm war eine allgemeine; ein- mal hatte er in dem Kanzelgebete die Koranverse Sura 18, 28 gelesen: »siehe! wir haben den Ungerechten ein Höllenfeuer bereitet, dessen Rauch sie rings umgiebt«; da sprach der damals hundert Jahre alte Rechtsgelehrte el-Leith ben Sa'd dazwischen: »o Gott! behüte ihn nicht davor!« — Selbst die Soldaten wandten sich von ihm ab und lehnten sich gegen ihn auf, die Keis und Jemeniden wollten für ihre hingerich- teten Cameraden Rache nehmen und setzten sich deshalb mit der Be- satzung von Fustät ins Einvernehmen. Er sandte hierauf ein Corps gegen Dihja, um ihn zu unterwerfen, und rückte endlich selbst mit der ganzen Besatzung aus, um die Keis und Jemeniden zum Gehorsam zu bringen; als er aber auf sie stiess, ergriff seine ganze Armee die Flucht und liess ihn allein im Stich, er wurde getödtet und Niemand redete auch nur ein Wort darüber, und auf diesen Müsä wurde also die oben S. 6 erwähnte Ahnung el-Mangür's bezogen. Dies geschah am 7. Schawwäl 168 (22. April 785). Einige Wochen vorher im Gumädä II. war der Câdhi Gauth ben Suleimån gestorben. Als Beispiel seiner Be- reitwilligkeit zu helfen, wird erzählt, dass eine Frau aus der Umgegend ihm begegnete, als er sich in die Moschee begeben wollte; sie trug ihm er stieg vom Pferde ab, schrieb ihr den Bescheid auf Die Frau kehrte zurück, indem sie sagte: bei Gott! deine Mutter hat Recht gehabt, als sie dich Gauth (Hülfe) nannte, du bist Hülfe, sobald man nur deinen Namen nennt. — Er war der erste Cådhi, welcher an jedem Neumond mit den Notaren zu der öffentlichen ihre Klage vor, und ritt dann weiter. 14 F. WÜSTENFELD. Sitzung aufritt. Sein Nachfolger el-Mufaddhal ben Fudhäla ben 'Obeid el-Fitjäni (Kitbäni), ein vortrefllicher, wohlwollender Mann, war der erste Cädhi, welcher ausführliche Protocolle aufnehmen liess. Der von Müsä bei seinem Auszuge aus Fustät als Stellvertreter zurückgelassene Oberst ’Assäma ben Amr ben ’Alcama el-Ma’äfiri erhielt die Be- stätigung des Chalifen als Statthalter. Er fing seine Regierung damit an, dass er nach el-Ca'id gegen den aufständigen Dihja ein Heer schickte unter Anführung seines Bruders Bakkär ben Amr, dieser forderte den feindlichen Anführer Jüsuf ben Nuceir zum Zweikampfe heraus, sie stiessen sich gegenseitig die Lanze in die Seite, so dass sie beide todt auf dem Platze blieben, wonach auch beide Heere die Flucht ergriffen. Dies ereignete sich im Dsul-Higga 168 und wenige Tage nacher erhielt 'Assåma die Nachricht, dass el-Fadhl ben Cälih ben ’Ali el-’Abbäsi zum Statthalter ernannt sei, welcher ihn indess zugleich beauftragte, die Geschäfte noch bis zu seiner Ankunft fortzuführen. Noch ehe el-Fadhl von Bagdad abreiste, starb der Chalif el-Mahdi am 1. Muharram 169 (14. Juli 785), sein Sohn Müsä el-Hädi bestätigte el-Fadhl und dieser traf am letzten Muharram in Fustät ein und 'Assäma trat in seine frühere Stelle als Oberst zurück. Um dem Aufstande Dihja's ein Ende zu machen, der sich schon über el-Hauf und den See-District verbreitet hatte, sandte el-Fadhl gleich nach seiner Ankunft die frischen Truppen, welche er aus Syrien mitgebracht hatte, gegen ihn; Dihja wurde in mehreren Treffen in die Flucht geschlagen, endlich gefangen genommen und nach Fustät gebracht und im Gumädä II. enthauptet; sein Kopf wurde dem Chalifen zugeschickt und sein Körper ans Kreuz geheftet. el-Fadhl rühmte sich dieser Erfolge und äusserte sich darüber: »Mir kommt vor allen anderen die Regierung von Ägypten zu, ich habe dem Dihja Wider- stand geleistet, ihn in die Flucht geschlagen und getödtet, woran alle meine Vorgänger verzweifelten; fast hätte er seinen Zweck erreicht, weil die Sache schon so lange dauerte und alle sich ihm anschlossen, wenn ich ihm nicht widerstanden hätte.« Fast scheint es, als wenn der Chalif, welchem diese Aeusserungen hinterbracht waren, besorgt gewesen DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 15 wäre, el-Fadhl könnte sich selbst unabhängig machen wollen, denn un- erwartet traf diesen gegen das Ende des Jahres die Nachricht, dass er seiner Stelle enthoben sei, bei deren Empfang er unverhohlen aber zu- spät seine Reue darüber ausdrückte, Dihja getödtet zu haben. — Der Cädhi el-Mufaddhal war abgesetzt und Abu Tähir el-A'rag Abd el- Malik ben Muhammed el-Angäri an seine Stelle gekommen, mit dessen Amtsführung man sehr zufrieden war. 'Alí ben Suleimån ben ’Ali el-’Abbäsi, ein Vetter und Nach- folger des vorigen Statthalters, traf noch vor dem Schlusse des J. 1691) in Fustät ein und ernannte Abd el-Rahman ben Müsä, dann aber el- Hasan ben Jazid el-Kind{ zum Obersten der Leibwache. Nicht lange nachher kam die Nachricht von dem am 15. Rab? I. 170 (14. Sept. 786) erfolgten Ableben des Chalifen el-Hädi und der Thronbesteigung seines Bruders Härün el-Raschid, welcher 'Alí als Statthalter bestätigte. Er zeichnete sich durch Gerechtigkeit und Leutseligkeit gegen die Unter- thanen aus, wenn schon Lustbarkeiten und Weingelage verboten wurden, nur gegen die Copten verfuhr er zu hart dadurch, dass er ihre neuer- bauten Kirchen wieder zerstören liess; sie hatten ihm für die Erhaltung derselben 50,000 Dinare geboten, allein er liess sich nicht bewegen, seinen Befehl zurückzunehmen.?) Auf der anderen Seite machte er sich durch tägliche Spenden bei der Muhammedanischen Bevölkerung so beliebt, dass sie ihm ihre Anhänglichkeit deutlich zu erkennen gab, und dies regte in ihm den Gedanken an, nach der Chalifenwürde zu streben. Er war unvorsichtig genug, sich darüber zu äussern, und da ein Emir aus seiner Umgebung dies dem Chalifen hinterbrachte, ward dieser so aufgebracht, dass er sogleich seine Absetzung beschloss, welche am 26. Rab? I. 171 (14. Sept. 787) erfolgte, worauf Müsä ben 'Ísá ben Müsä el-’Abbäsi zum Statthalter ernannt wurde, der unter el-Mancúr und el-Mahdi lange Zeit Statthalter von Mekka 1) Abul-Mahäsin I. 456 »im Schawwäl 169« kann nicht richtig sein, weil dadurch seine eigene Chronologie verrückt wird. 2) Vergl. Geschichte der Copten. S. 57 fg. 16 . F. WÜSTENFELD. und Medina und unter dem letzteren auch Statthalter von Jemen gewesen war. Er nahm erst seinen Bruder Ismä’il, dann aber den alten 'Assåma ben Amr zum Obersten der Leibwache. Den Christen zeigte er sich dadurch gewogen, dass er ihnen nach eingeholtem Gutachten der beiden ältesten Rechts- gelehrten el-Leith ben Sad und Abdallah ben Laht’a gestattete, die auf Befehl seines Vorgängers zerstörten Kirchen wieder aufzubauen, freilich zum Verdruss der Muslimen, doch wusste er sich auch diese durch sein frommes und herablassendes Wesen geneigt zu machen. Sein Gefühl für Naturschönheiten sprach sich eines Tages aus, als er bei der Renn- bahn ganz in den Anblick der herrlichen Gegend am Nil versunken ge- fragt wurde, wonach er sähe und erwiederte: »Ich sehe eine Rennbahn, Palmenhaine, einen Park mit Bäumen, stille Wohnungen, lebendige Häuser, einen Todtenacker, einen murmelnden Fluss, Fruchtfelder, Vieh- weiden, einen Pferdeanger, einen Fischer, einen Jäger, einen Schiffer, einen Cameltreiber, eine Sandfläche, eine Ebene, einen Berg, dass alles auf weniger als einer (Arabischen) Meile ins Gevierte. — Am 14. Rama- dhän 172 (15. Febr. 739) wurde er von dem Chalifen abberufen, um erst in Kufa, dann in Damascus unter schwierigen Verhältnissen die Statt- halterschaft zu übernehmen; später kam er nach Ägypten zurück. Sein Nachfolger Maslama ben Jahjä ben Curra el-Bageli aus Choräsän ge- bürtig, der bisher in der Armee der Abbasiden eine hohe Stelle bekleidet hatte, kam mit einem Corps von 10,000 Mann nach Ägypten und machte seinen Sohn Abd el-Rahman zum Obersten der Leibwache. In der kur- zen Zeit seiner Regierung waren viele Unruhen in Ägypten, besonders in el-Hauf, und er musste auch eine Armee nach Alexandria führen, um die Gränze gegen Einfälle zu schützen, welche von Magrib her drohten. Maslama wurde aber schon am 5. Scha’bän 173 (29. Dec. 789) wieder abberufen und durch Muhammed ben Zuheir el-Azdi ersetzt, welcher erst Gank ben el-Alä, dann Habib ben Abän el-Bageli zum Obersten der Leib- wache und Omar ben Geilän zum Steuerverwalter machte. Der letztere bedrückte die Unterthanen durch Abgaben auf solche Weise, dass er DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 17 alle gegen sich aufbrachte, selbst die Soldaten lehnten sich gegen ihn auf und belagerten ihn in seiner Wohnung, ohne dass der Statthalter sich seiner annahm und ihn zu schützen suchte. Dadurch verlor Omar seine Macht und sein Ansehen, und seine Befehle an die Truppen wurden ' gar nicht beachtet. Als der Chalif hiervon Nachricht erhielt, war er sehr ungehalten, dass Muhammed ihn ganz im Stiche liess und zu seinem Schutze gar nichts that, und schickte ihm am letzten Tage des J. 173 seine Entlassung, liess ihn zu sich kommen und empfing ihn mit einem derben Verweis, nahm ihn dann aber in die Zahl seiner Corpsführer wieder auf. — In Alexandria starben in dem abgelaufenen Jahre die beiden Malikitischen Rechtsgelehrten Sad ben Abdallah ben Asad el- Maäfiri und Tuleib ben Kämil el-Lachmi aus Spanien. — Als Statt- halter von Ägypten kam Dawüd ben Jazid ben Hätim el-Muhallabi am 14. Muhar- ram 174 (3. Juni 790) nach Fustät und brachte den: früheren Statthalter Ibrahim ben Cälih als Steuerverwalter mit; ’Ammär ben Muslim el-Täij wurde zum Obersten der Leibwache befördert. Um die Ruhe in Ägypten leichter wieder herstellen zu können, liess Dawüd die Truppen, welche an der Auflehnung gegen Omar ben Geilän Theil genommen hatten, nach Magrib abmarschiren; ein Theil derselben schiffte sich ein, um die Reise zur See zu machen, und gerieth in die Gefangenschaft der Franken. — Sonntag d. 15. Rabi 174 (1. August 790) starb der ehe- malige Cädhi Abdallah ben Lahfa ben ’Ocba el-Hadhrami in dem Alter von 96 Jahren, und am Tage von ’Arafa d. i. den 9. Dsul-Higga Bekr ben Mudsar ben Muhammed ben Hakim 72 Jahre alt. — Der Cädhi Abu Tähir hatte im J. 174 um seine Entlassung gebeten und auf seinen Vorschlag wurde ‚sein Vorgänger el-Mufaddhal wieder angestellt. Dawüd erhielt von dem Chalifen den Befehl, die Ägyptier seinem da- mals fünfjährigen Sohne Muhammed el-Amin als seinem nächsten SE ` folger huldigen zu lassen, während er vorher bereits dem um einen Monat älteren Abdallah el-Mämün die Nachfolge zugesichert hatte; später kehrte Härün selbst dies Verhältniss wieder um und daraus entstand nach seinem Tode der Streit um die Thronfolge zwischen den beiden Hist.- phil. Classe. XX. 4. C 18 F. WÜSTENFELD. Brüdern. — Sonst herrschte während der Regierung Dawüd’s Ruhe im Lande, er wurde aber am 6. Muharram 175 (15. Mai 791) von dem Chalifen abberufen !) und der frühere Statthalter Müsä ben 'Ísá el-’Abbäsi wieder eingesetzt. Dieser schrieb von Bagdad aus an den Emir ’Assäma ben Amr die Regierungsgeschäfte bis zu seiner Ankunft zu übernehmen, danach traf Nacr ben Kulthüm als Steuerverwalter ein und am 7. Cafar folgte Müsä nach. Im Scha’bän starb der Rechts- und Traditionsgelehrte el-Leith ben Sa’d Abul-Härith el-Fahmi, Imäm von Ägypten und Cädhi in Fustät. — Es währte nicht lange, so stieg in Müsä der Gedanke auf, sich gegen den Chalifen auf- zulehnen, und als Härün dies erfuhr, rief er aus: bei Gott! ich werde ihn absetzen und einen von meinem Hofe, der von der niedrigsten Abkunft ist, an seine Stelle setzen. Der Barmakide Gafar ben Jahjä, welcher zugegen war, bestärkte ihn in diesem Gedanken und in dem er sich umwandte, sah er den Omar ben Mihrän, Privatsecretär der Cheizurän, Mutter des Chalifen, vorbeikommen, einen Mann von hässlichem Aeussern, mit grober Kleidung angethan, er ritt auf einem Maulesel und hatte einen Sklaven hinten aufsitzen. Ga’far ging zu ihm hinaus und fragte ihn: willst du Statthalter von Ägypten werden? er antwortete: o ja! So- gleich wurde seine Ernennung ausgefertigt, er reiste ab und kam nach Fustät auf einem Maulesel, hinter ihm sein Sklav Abu Durra auf einem anderen Maulesel mit dem Gepäck. Er begab sich nach der Wohnung des Müsä und setzte sich in die hinterste Reihe der versammelten Leute, und als diese auseinander gegangen waren, fragte ihn Músá, der ihn nicht kannte: hast du ein Anliegen? da überreichte er ihm das Schreiben des Chalifen und als es Müsä gelesen hatte, rief er aus: Verfluche Gott den Pharao, wo er sagt: bin ich nicht König von Ägypten? u. s. w. (Sura 43, 50). Dann übergab er ihm die Regierung, Omar ordnete die Angelegenheiten des Landes und kehrte hierauf nach Bagdad zurück, indem er Müsä an seinem Platze liess. Einige Geschicht- S 1) Anfang und Ende seiner Regierung geben Macrizi und Abul-Mahäsin übereinstimmend wie oben an, beide rechnen aber die Dauer auf ein Jahr und einen halben Monat, während ein Jahr weniger 1⁄2 Monat noch um einige Tage zuviel sein würde. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 19 schreiber sind der Meinung, der Chalif habe dies gethan, um Müsä zum Besten zu haben, andere geben an, dass Ga’far ben Jahjä selbst zum Statthalter ernannt sei und den Omar als Steuerverwalter abgeschickt habe, noch andere, dass Ibrahim ben Cälih den Omar als seinen Stell- vertreter habe voraufreisen lassen; gewiss ist, dass Ibrahim ben Cälih im Cafar 176 (Juni 792) zum zweiten Male zum Statthalter- von Ägypten ernannt wurde und Müsä abtreten musste. Ibrahim hatte in der Zwischenzeit zwischen seiner ersten und zweiten Anstellung in Ägypten die wichtigen Posten als Statthalter von Syrien und Palästina unter el-Mahdi und von Gazira unter el-Hädi bekleidet und da er nicht sogleich seine neue Stelle antreten konnte, beauftragte er 'Assåma ben Amr mit der interimistischen Leitung der Geschäfte und Nacr ben Kulthüm kam wieder am 1. Rab? I. 176 als Steuerverwalter nach Fustät. "Assäma starb aber am 22. Rab? IL, worauf Hoh ben Zinbä ein Enkel des gleichnamigen Wezirs des Chalifen Abd el-Malik ben Marwän, die Regierung übernahm, bis Ibrahim am 15. Gumäda I- eintraf; aber auch er starb schon am 3. Scha’bän und sein Sohn Cälih ben Ibrahim führte mit Unterstützung des Obersten Chälid ben Jazid die Geschäfte, bis der vom Chalifen ernannte Abdallah benel-Musajjab ben Zuheir el-Dhabbi am 19. Ramadhän ankam. Er machte Abul-Mukis zum Obersten seiner Leib- wache. — Im Cafar 177 wurde der Cädhi el-Mufaddhal entlassen und Muhammed ben Masrük el-Kindi aus Kufa kam an seine Stelle. — Schon am 1. Ragab 177 (12, Oct. 793) wurde Abdallah wieder abgesetzt, und Ishäk benSuleimän ben’Ali el-’Abbäsi trat an seine Stelle, welcher dem Muslim ben Bakkär el-Okeili den Befehl über die Leib- wache übertrug. Ishäk tadelte die bisherige Verwaltung, war mit dem, was seine Vorgänger genommen hatten, nicht zufrieden, und drückte die Landleute mit vermehrten Abgaben in einer Weise, dass die allge- meine Unzufriedenheit endlich unter den Keis und Cudhä’a in el-Hauf in offenen Widerstand gegen die Steuererheber überging. Er bekriegte sie zwar und tödtete eine grosse Menge der Grundbesitzer und ihrer Angehörigen, konnte aber doch des Aufstandes nicht ganz Herr werden C* 20 F. WÜSTENFELD. und macht desshalb einen Bericht an den Chalifen Härün, in Folge dessen er jedoch im Ragab 178 abgesetzt und der seitherige Statthalter von Palästina Harthama ben A’jan mit einem grossen Heere nach Ägypten gesandt wurde, wo er am 2. Scha’bän ankam. Die Bewohner gingen ihm entgegen, erklärten ihre Unterwürfigkeit und er stellte den früheren Zustand wieder her und machte seinen Sohn Hätim -zum Obersten. Dieser rasche Erfolg, welcher allein dem ihm vorangehenden Rufe einer durchgreifenden Thatkraft zu danken war, scheint den Chalifen veran- lasst zu haben, auch auf einem anderen sehr bedrohten Punkte des Reiches diese Eigenschaft zu erproben, denn schon am 12. Schawwäl des Jahres erhielt er seine Ernennung zum Statthalter von Africa, wohin er mit seiner Armee aufbrach, indem Abd el-Malik ben Cälih ben ’Ali el-’Abbäsi die Statthal- terschaft von Ägypten übertragen wurde. Er kam aber gar nicht dahin, sondern hatte den früheren Statthalter Abdallah ben el-Musajjab, wel- cher dort geblieben war, zu seinem Stellvertreter ernannt, und der Chalif machte schon am letzten Tage des Jahres 178 (26. März 795) die Ernennung rückgängig und. ersetzte ihn durch seinen eigenen Bruder Obeidallah ben el-Mahdi el-’Abbäsf mittelst Decret vom Montag d. 13. Muharram 179, welcher Abdallah ben el-Musajjab als Stellvertreter behielt, bis er selbst am 11. Rab? I. in Fustät eintraf und anfangs Mu'âwia ben Curad, dann ’Ammär ben Muslim zum Obersten der Leibwache ernannte. Um diese Zeit hatten die Christen in Spanien und Frankreich durch Abd el-Karim ben Mugith, den Feldherrn des Omeijaden el-Hakam ben Hischäm, mehrere bedeutende Niederlagen erlitten, und um sich zu rächen und den weiteren Zuzug von Muslimi- schen Truppen aus dem Orient zu hindern, wollten sie einen plötzlichen Einfall in Ägypten machen und landeten bei Alexandria. Desshalb be- gab sich Obeidallah selbst dahin, indem er dem Ibn Musajjab wieder die Stellvertretung übertrug, und hinderte die Feinde am weiteren Vor- dringen, so dass sie mit Schimpf und Schande wieder abziehen mussten. Nach einiger Zeit kehrte er zurück und wurde im Ramadhän des Jahres DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. d von Härün abberufen, verliess aber Ägypten erst am 2. Schawwäl nach- dem sein Nachfolger Müsä ben ’Isa, welcher zum dritten Male Statthalter wurde, seinen Sohn Jahjä ben Müsä am 3. Ramadhän voraufgeschickt hatte, während er selbst am letzten Dsul-Ca’da 179 (14. Febr. 796) nachfolgte. Er stellte die Ruhe im Lande besonders unter den Keis und den Jemeni- schen Stämmen in el-Hauf wieder her, blieb aber kaum zehn Monate im Amte, worauf er an den Hof des Chalifen zurückgerufen und Obeidallah ben el-Mahdi am 7. Gumädä 180 (18. Aug. 796) zum zweiten Male zum Statthalter eingesetzt wurde. Er schickte den Dawüd ben Hubeisch (oder Hubäsch) als Stellvertreter voraus und folgte am 4. Scha’bän nach. In diesem Jahre war ein heftiges Erdbeben, durch welches unter anderen die Spitze des Minaret von Alexandria heruntergestürzt wurde. — Im J. 181 starb der Cädhi und Traditions- gelehrte el-Mufaddhal ben Fudhäla ben Obeid el-Rueini. Obeidallah blieb bis zum 3. Ramadhän 181 (29. Oct. 797), dann kam Ismä’il ben Cålih ben ’Ali el-’Abbäsi, dessen Stellvertreter Ann (oder ’Auf) ben Wahb el-Chuzð'í am 7. Ramadhän die Regierung übernahm, bis er selbst am 15. des Monats eintraf. Er machte erst Suleimän ben el-Cimma el-Muhallabi, dann Zeid ben Abd el-’Aziz el- Hassäni zum Obersten seiner Leibwache und suchte durch eine kräftige, - aber auch weise Regierung die Ordnung im Lande herzustellen; er war ein in den Wissenschaften bewanderter Mann und ein ausgezeichneter Redner. Er blieb bis zum Gumädä II. 182, dann kam am 16. dieses Monats | Ismä’il ben 'Ísá ben Müsä el-Abbäsi bis zum Ramadhän des folgenden Jahres!), wo er an den Hof des Chalifen zurückgerufen und durch el-Leith ben el-Fadhl el-Abiwardi ersetzt wurde, welcher am 5. Schawwäl 183 !) (9. Nov. 799) in Fustät eintraf und seinen Bru- BC Steg I. 309 hat hier beide Male die Jahreszahl 183 ausgelassen, und nach seiner Darstellung würde 182 zu verstehen sein, da er el-Leith’s erste Reise nach Bagdad in das J. 183 setzt; allein die Erwähnung des Monats Schawwäl zwi- t 22 F. WÜSTENF ELD. der 'Alí ben el-Fadhl!) zum Obersten der Leibwache ernannte. Er ord- nete die Verhältnisse des Landes und sammelte die Steuern ein, und nachdem er davon den Truppen ihren Sold bezahlt und seinen Bruder 'Alí zu seinem Stellvertreter eingesetzt hatte, packte er den Überschuss zusammen und reiste am 7. Ramadhän 184 ab, um ihn mit anderen Geschenken dem Chalifen zu überbringen und ihm Rechnung abzulegen; am Ende des Jahres kehrte er wieder zurück. Im folgenden Jahre machte er es dann ebenso, indem er dem Häschim ben Abdallah Ibn Hudeig die Geschäfte übertrug; er reiste am 21. Ramadhän 185 ab ` und kam am 14. Muharram 186 zurück. Auch der Cädhi Muhammed ben Masrük, mit dessen Amtsführung man wegen seines Stolzes und Hochmuthes nicht zufrieden war, hatte im J. 184 eine Reise nach ’Iräk unternommen und seine Geschäfte an Ishäk ben el-Furät el-Tugibi über- tragen; der Chalif war indess damit nicht zufrieden und ernannte im Cafar 185 Abd el-Rahman ben Abdallah ben el-Mugabbar, einen Nach- kommen des Chalifen Omar ben el-Chattäb, zum Cädhi; dieser war der erste, welcher die Namen der Notare in einer Liste eintragen liess. — Die Bedrückung der Steuerbeamten und vielleicht noch mehr der Un- wille darüber, dass ihr sauer erworbenes Geld jährlich aus dem Lande weggeführt wurde, trieb die Bevölkerung von el-Hauf wieder zum Auf- stande; sie rückten gegen Fustät vor und nachdem el-Leith die Regierung an Abd el-Rahman ben Müsä ben ’Ali ben Rabäh übergeben hatte, zog er ihnen am 28. Scha’bän (1. Sept. 802) mit 4000 Mann entgegen, die aber beim Zusammentreffen am 12. Ramadhän die Flucht ergriffen und el-Leith mit etwa 200 Mann im Stiche liessen. Mit diesen machte er aber doch noch einen Angriff, schlug die Aufständigen bei el-Gubb?) schen den beiden Ramadhän setzt voraus, dass dazwischen auch ein ganzes Jahr verflossen sein muss. 1) Bei Macrizi steht »sein Bruder el-Fadhl ben "Alf, und da dies nicht angeht, meint der Herausgeber in einer Randbemerkung es müsse »sein Vater« heissen; die Umstellung der Namen hebt die Schwierigkeit leichter. 2) Gubb `Amira nicht weit von Fustät an der Hauptstrasse, wo sich die Pilger und Truppen beim Auszuge sammeln und ordnen. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 23 und verfolgte sie bis Geifal) und sandte achtzig Köpfe derselben nach Fustät. Die Landleute liessen sich indess durch diesen Misserfolg nicht entmuthigen und sobald el-Leith umgekehrt war, rotteten sie sich wieder zusammen und verweigerten die Abgaben. Dadurch sah sich el-Leith genöthigt, sich selbst im Muharram 187 nach Bagdad zu begeben, um von dem Chalifen eine grössere Armee zu fordern, da er ohne eine solche die Steuern nicht beitreiben könne. Härün wollte sich darauf nicht einlassen, zumal da Mahfüdh ben Suleim?) sich erbot, die Steuern in Pacht zu nehmen und bis auf den letzten Dirhem ohne Peitsche und Stock zu erheben. Der Chalif ernannte ihn zum Steuerverwalter und ` el-Leith kehrte mit ihm nach Ägypten zurück. Im Gumädä II. 187 liess ihn Härün wieder nach Bagdad kommen, wo er bald darauf einen entscheidenden Antheil an der Vernichtung der Barmakiden hatte, und am 25. des Monats (20. Juni 803) übernahm Ahmed ben Ismä’il ben Alt el-’Abbäsi die Regierung und Verwaltung von Ägypten, welcher Mu’äwia ben Curad zum Obersten der Leibwache machte. Um diese Zeit waren in Tripolis ernste Unruhen ausgebrochen. Ibrahim ben el-Aglab. welcher im J. 184 von Härün zum Statthalter von Africa ernannt war, sofort aber sich als unum- schränkter Herrscher benahm, hatte nach Tripolis schon verschiedene Präfecten, geschickt, gegen welche das Volk sich fortwährend auflehnte, so dass er sie absetzen und immer andere einsetzen musste. Als er endlich den Sufjän ben el-Madhä zum vierten Male hinsandte, verab- redeten sich die Einwohner ihn zu vertreiben und zu zwingen nach Keiruwän zurückzukehren. Sie rückten also vor seine Wohnung, er griff zu den Waffen und setzte sich mit einigen Leuten, die er bei sich hatte, zur Wehre, indess trieben sie ihn aus dem Hause und er zog sich immer noch kämpfend in die Moschee zurück; nachdem aber mehrere —Ý—§—q—jÜ 1) Ein Städtchen an derselben Strasse, die erste Station von Fustät in der _ Nähe von Bilbeis. 2) Macrizi I. pag. 81; dagegen pag. 309 Suleimän. 24 F. WÜSTENFELD. der Seinen getödtet waren, gab er nach und erhielt freien Abzug. Dies geschah im Scha’bän 187, als er 27 Tage dort gewesen war, und die Besatzung von Tripolis wählte den Ibrahim ben Sufjän el-Tamimi zum Präfecten. Dann kam és aber auch zwischen den Abnäl) zu Tripolis und den Banu Kinäna und Banu Jüsuf zu Streitigkeiten und Kämpfen, so dass die ganze Stadt verwilderte, und Ibrahim ben el-Aglab sah sich genöthigt, den Statthalter von Ägypten Ahmed ben Ismäil um Hülfe zu bitten. Dieser sandte ihm ein Corps, welches den Befehl erhielt, die Banu Kinäna, el-Abna und Banu Jüsuf nach Keiruwän zu führen, ` und als sie hier eingebracht wurden, sollten sie sämmtlich umgebracht werden; sie baten um Gnade und wurden unter dem Versprechen, sich in Gehorsam zu unterwerfen, wieder freigelassen. — Ahmed ben Ismäil blieb bis zum 18. Scha’bän 189 (20. Juli 805) auf seinem Posten, dann wurde er abgerufen und | Obeidallah ben Muhammed ben Ibrahim el-Abbäsi gen. Ibn Zeinab zum Statthalter ernannt, welcher sich durch Laht’a ben 'Ísá (oder Müsä) ben Lahf'a el-Hadhrami vertreten liess, bis er am 15. Schawwäl eintraf; er ernannte erst Ahmed ben Müsä el-Udsri, dann Muhammed ben 'Assäma zum Obersten der Leibwache. Ein Jahr nach- her setzte er Häschim ben Abdallah Ibn Hudeig zum Stellvertreter ein und kehrte am 18. Scha’bän 190 nach Bagdad zurück, wo ihn Härün unter seine Corpsführer aufnahm, und sein Nachfolger el-Husein ben Gamil kam Donnerstag den 10. Ramadhän (30. Juli 806) nach Fustät und ernannte el-Kämil el-Hunät, dann Mu’äwia ben Curad zum Obersten. Nachdem ihm der Chalif Mittwoch d. 7. Ragab 191 auch die Verwaltung übertragen hatte, fing er an, die Unter- thanen mit Abgaben zu bedrücken, so dass die Bewohner von el-Hauf in dem See-Distriet sich auflehnten und sich weigerten die Steuern zu bezahlen. Abul-Nadä brachte in Eile gegen tausend Mann zusammen, welche die Wege unsicher machten, wandte sich von dort nach Medina 1) So heissen die Nachkommen des Sa’d ben Zeidmenät ben Tamim; vergl. die genealog. Tabellen Z 12 und Register unter el-Abnä. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 25 und überfiel einige Dörfer von Syrien; mit ihm vereinigte sich eine grosse Menge von Gudsäm und anderen Stämmen, welche durch Plündern und Morden die ärgsten Gräuel verübte. Als Härün hiervon Nachricht er- hielt, schickte er von Bagdad ein Heer unter Jahjä ben Mu’äds ab, um sie zu bekämpfen. Gleichzeitig sandte el-Husein ben Gamil eine Armee unter Abd el-Aziz ben el-Wazir ben Cäbi el-Garawi!) von Fustät ab; dieser stiess bei Eila auf Abul-Nadä, schlug ihn in die Flucht und brachte ihm eine grosse Niederlage bei. Unterdess waren auch die Truppen des Chalifen im Schawwäl 191 nach Bilbeis gekommen, wo die Bewohner ohne Anführer waren und sich beeilten, ihre Unterwürfig- keit zu bezeigen und die ihnen auferlegten Abgaben vollständig zu be- zahlen, worauf die Truppen wieder nach Bagdad abzogen. — Im J. 191 starben der Malikitische Rechtsgelehrte Abd el-Rahman ben el-Cäsim - ben Chälid el-Ateki und der Koranleser Abu Sa'id Cikläb ben Schuneina. — el-Husein bemühte sich jetzt den Frieden im Lande herzustellen, wurde aber am 12. Rab? II. 1922) abberufen und sein Nachfolger Mälik ben Dalham ben 'Ísá (oder 'Omeir) el-Kalbi kam Donnerstag den 22. Rab? II. nach Fustät. Jahjä ben Mwäds hatte in- _ zwichen die Verfolgung des Abul-Nadä fortgesetzt, ihn gefangen genom- men und nach Bagdad geführt, wo ihn der Chalif umbringen liess; dann kehrte Jahjá nach Ägypten zurück, um die Beruhigung des Landes zu vollenden, und schrieb an die Bewohner der aufständigen Gegenden von el-Hauf, dass sie nach Fustät kommen sollten, wo er den neuen Statt- halter Mälik ihnen vorstellen und einführen wolle. Als die Häuptlinge der Keis und der Jemenischen Stämme von el-Hauf in die Stadt ein- gezogen waren, liess Jahja die Thore schliessen, die Häuptlinge fest- nehmen und in Fesseln legen, und führte sie mit sich fort. Dies ge- 1) D. i. von Garä ben "Auf vom Stamme Gadsäm; vergl. die genealog. Ta- bellen 5, 20 und unten bei ’Abdaweih im J. 215. 2) So Macrizi I. pag. 310; ‚dagegen pag. 80 und Abul-Mahäsin I. 540 im Rab? L, was nicht richtig sein kann, da dieser selbst ‚angiebt, el-Husein sei ein Jahr sieben Monate und einige Tage im Amte gewesen. Hist.- phil. Classe. XX. 4. D 26 F. WWSTENFELD. schah am 15. Ragab. — Mälik ernannte den Muhammed ben Tüba ben Adam el-Audi zum Obersten der Leibwache und blieb in seinem Amte, bis er Sonntag d. 4. Cafar 193 (27. Nov. 808) abgesetzt !) und el-Hasan ben el-Tachtäh (oder Bahbäh) ben el-Tach- takän zum Statthalter ernannt wurde, welcher sich durch el-Alä ben ’Äcim el-Chauläni vertreten liess, bis er selbst Dienstag d. 4. Rab? I. nach Fustät kam; er machte nach einander erst Muhammed ben Gald, dann Cälih ben Abd el-Karim, dann Suleimän ben Gälib ben Gabril zum Obersten der Leibwache. Als Härün am 3. Gumädä II. 193 (24. März 809) gestorben war und die Thronbesteigung el-Amin’s in Fustät bekannt wurde, empörte sich ein Theil der Besatzung und es entstand ein Kampf, in welchem von beiden Seiten eine Anzahl das Leben ver- ‘ lor, bis endlich die Ruhe wieder hergestellt wurde. el-Hasan liess die Steuererträgnisse sammeln und schickte sie dem Chalifen zu, allein in Ramla wurde die Escorte überfallen und ihr alles Geld abgenommen. Nicht lange nachher erhielt el-Hasan die Nachricht von. seiner Entlassung und nachdem er den "Auf ben Wuheib zum interimistischen Statthalter und Muhammed ben Zijäd el-Keisi zum Steuerverwalter eingesetzt hatte, verliess er Fustät am 22. Rab? I. 194 (3. Jan. 810) und kehrte über Higäz nach Bagdad zurück, da der Weg durch Syrien zu unsicher war. Sein Nachfolger Hätim ben Harthama ben A’jan marschirte von Bagdad mit 1000 Mann zunächst nach Bilbeis, wo er ein Lager bezog und die Be- wohner von el-Hauf zu verfolgen anfing; sie kamen aber zu ihm, baten um Frieden und versprachen die Steuern zu bezahlen, Die Einwohner von Natw und Tumeij?) hielten indess dies Versprechen nicht, sondern 1) Abul-Mahäsin I. 543 führt als Grund der Absetzung an, dass Mälik sich geweigert habe, den Befehlen el-Amin’s im Anfange seines Chalifats nachzu- kommen, in Ägypten seinen Sohn Müsä als seinen Nachfolger anerkennen zu lassen; dies kann nicht richtig sein, weil el-Amin erst im Gumädä II. 193 zur Regierung kam und Abul-Mahäsin I. 546 selbst angiebt, ones Mälik’s Nachfolger el-Hasan noch von Hàrün el-Raschîd ernannt sei. 2) Jacût nennt Tatå und Tumeij als einen District in el-Hauf. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 27 lehnten sich auf und Hätim sah sich genöthigt ein Corps gegen sie zu schicken, welches sie in die Flucht schlug und gegen hundert Gefangene als Geisseln mit nach Bilbeis brachte, mit denen Hätim am 4. Schaw- wäl 194 seinen Einzug in Fustät hielt. Zum Obersten der Leibwache ernannte er zuerst seinen Sohn, dann "AH ben el-Muthannä, dann "Obeidallah el-Tarsüsi. — Inzwischen war der Cådhi Abd el-Rahman ben Abdallah schon im Gumädä II. 194 abgesetst und Cäsim (Häschim) ben Abu Bekr el-Bekri, ein Nachkomme des Chalifen Abu Bekr, an seine Stelle getreten, welcher den Grundsätzen des Abu Hanifa folgte. — Das Land beruhigte sich allmälich und er erbaute den sogen, »Thurm in der Luft« cubbat el-hawä an der Seite des Berges Mukattam, wo später das Resi- denzschloss errichtet wurde. Hätim wurde im Gumädä II. 195 abge- -setzt und el-Amin ernannte Gäbir ben el-Asch’ath ben Jahjä el-Tätij zum Statthalter, welcher, nachdem er Jahjä ben Jazid el-Murädi zum interimistischen Vorbeter bestellt hatte, am 25. Gumädä II. in Fustät eintraf. — Als der Cädhi Cäsim am 1. Muharram 196 starb, übertrug Gäbir dessen Amt an Ibrahim ben el-Bakkä. — Der Bruderkrieg zwischen el-Amin und el-Mämün hatte bereits den Höhepunkt erreicht, el-Amin’s Stern fing an zu sinken, da Tähir ben el-Husein den grössten Theil der Asia- tischen Provinzen für el-Mämün gewonnen hatte. Jetzt glaubten auch die Ägyptier für el-Mämün Partei nehmen zu müssen; el-Sarij ben el- Hakam stellte sich an ihre Spitze und erklärte el-Amin für abgesetzt. Gäbir suchte zwar für diesen noch ein Corps zusammen zu bringen, mit welchem er el-Sarij entgegen zog und ein Treffen lieferte; er wurde aber in die Flucht geschlagen und in schimpflichster Weise aus Ägypten vertrieben, welches er am 21. Gumädä II. 196 verliess.. el-Mämün er- nannte dann im Ragab desselben Jahres ’Abbäd ben Muhammed ben Hajjän el-Balchi mittelst eines Schreibens von Harthama ben A’jan, dessen Landgüter in Agypten ”Abbäd verwaltet hatte, zum Statthalter und Hubeira ben Häschim Ibn Hudeig wurde bei ihm Oberst der Leibwache; der Cädhi Ibrahim ben el-Bakkä wurde entlassen und an seine Stelle trat Lahfa ben ’Isä el- 28 F. WÜSTENFELD. Hadhramí. — ’Abbäd war gegen die Unterthahen milde gesinnt, in den Regierungsgeschäften bewandert und im Kriegswesen erfahren. Beim Antritt seines Amtes war die allgemeine Stimmung noch für el-Amin, er wusste aber bald die Leute auf seine Seite zu ziehen und er war nahe daran, dass ganze Land für el-Mämün zu gewinnen, wenn sich nicht die Bewohner von el-Hauf hätten abwendig machen lassen. Als nämlich el-Amin von ’Abbäd’s Ernennung Nachricht erhielt, schrieb er an Rabia ben Keis, den Häuptling der Keis in el-Hauf, und übertrug ihm die Statthalterschaft; zugleich schrieb er an mehrere angesehene Ägyptier, dass sie ihn unterstützen sollten, und sie traten auch für el- Amin ein, erklärten el-Mämün für abgesetzt und zogen gegen ’Abbäd heran, welcher sich in Fustät verschanzte. Er lieferte den Aufständigen mehrere Treffen, wurde aber endlich gefangen genommen und zu el- Amin geführt, der ihn im Çafar 198 tödten liess. Diese Angabe bei Abul-Mahäsin I, 561 ist aber desshalb ungenau, weil el-Amin selbst schon am 25. Muharram 198 (25. Sept. 713) ermordet wurde; richtig mag sein, dass’Abbäd im Cafar gefangen genommen wurde, ehe Mämün ihm Hülfe schiken konnte. — Den Streit zwischen den beiden Brüdern be- nutzend, machten die Griechen um diese Zeit einen Versuch in Dimjät zu landen, welcher aber weiter keine Folgen hatte. — Im J. 197 starben Othmän ben Said gen. Warasch, der erste Koranleser seiner Zeit in Ägypten, und der Malikitische Rechtsgelehrte Abdallah ben Wahb ben Muslim el-Fihrf. — Inzwischen war el-Mämün zur Alleinherrschaft ge- langt und ernannte el-Muttalib ben Abdallah ben Mälik el-Chuzä’i zum Statthalter, welcher von Mekka am 15. Rab? I. in Fustät eintraf. Zu gleicher Zeit ward der Cädhi Laht’a entlassen und der’ aus ’Iräk einge- troffene el-Fadhl ben Gänim eingesetzt, welcher, als er etwa ein Jahr im Amte war, sich mit el-Muttalib überwarf und desshalb abgesetzt wurde, worauf Lahřa wieder als Cädhi eintrat. el-Muttalib bestätigte Hubeira ben Häschim Ibn Hudeig als Obersten der Leibwache, verlieh aber nach kurzer Zeit diesen Posten dem Muhammed ben ’Assäma, dann dem Abd el-Aziz ben el-Wazir el-Garawi, dann dem Ibrahim ben Abd el-Saläm DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 29 el-Chuzäi, zuletzt wieder dem Hubeira.. Der Grund dieses häufigen Wechsels in der Zeit von 7, Monaten waren die beständigen Unruhen und Kämpfe in Ägypten, die von el-Amin’s Parteigängern auch nach dessen Tode noch fortgesetzt wurden, und ungeachtet der Strenge, mit welcher el-Muttalib verfuhr, scheint er doch bei el-Mämün in den Ver- dacht gekommen zu sein, dass er es mit seinen Gegnern halte, denn el-Mämün ernannte plötzlich el-’Abbäs ben Müsä ben ’Isä el-’Abbäsi zum Statthalter, welcher seinen Sohn Abdallah als seinen Stellvertreter voraufschickte in Begleitung -von el-Husein (Hasan) ben ’Obeid ben Lüt el-Ancäri und Muhammed ben Idris el-Schäfli!), und sobald sie am 26. Schawwäl 198 (19. Juni 814) in Fustät eintrafen, begaben sich Abdallah und el-Husein zu el-Muttalib, nahmen ihn fest und führten ihn ins Gefängniss ab. Abdallah schritt dann mit aller Strenge ein, wodurch die Erbitterung nur immer mehr zunahm, und da selbst die Besatzung mit dem Volke gemeinschaftliche Sache machte, musste Abdallah mit bewaffneter Macht entgegen treten, und es kam mehrmals zu blutigen Kämpfen; zudem verweigerte el-Husein den Truppen die Auszahlung des Soldes und drohte ihnen, weil sie sich gegen Abdallah thätlich widersetzt hatten. Als el-Husein dann seine Bedrückungen noch steigerte und das Volk durch Drohungen einzuschüchtern suchte, rottete es sich zusammen, Abdallah ging ihm entgegen, es kam zum Kampfe, er wurde in die Flucht geschlagen und aus Fustät vertrieben. Nach anderen soll Ab- dallah schon am Opfertage d. i. 10. Dsul-Higga 198 in einem Kampfe gegen die Besatzung das Leben verloren haben. Nun zog der Haufen zu el-Muttalib, holte ihn aus dem Gefängnisse und setzte ihn am 14. Muharram 199 wieder als Statthalter ein. Als el-Abbäs ben Mie er- fuhr, wie es seinem Sohne ergangen sei, kam er selbst nach Agypten, ` lagerte bei Bilbeis und forderte die Keis auf, ihm Beistand zu leisten; er reiste zu diesem Zweck selbst in el-Hauf umher und nach Tinnis 1) So Abul-Mahäsin I 569; dagegen sagt Ibn Challikän Nr. 569, dass el Schatz? im J. 199 oder erst 201 nach Ägypten gekommen sei. 30 F. WÜSTENFELD. zu el-Garawi, kehrte krank nach Bilbeis zurück und starb dort am 16. Gumädä II. 199 (1. Febr. 815); man vermuthet, dass el-Muttalib ihn habe vergiften lassen. el-Mämün sah sich jetzt genöthigt, el-Muttalib zu bestätigen !), welcher ein mildes Regiment führte, reichliche Geschenke austheilte und sich die Truppen und die Bevölke- rung geneigt zu machen wusste, so dass seine Macht sich befestigte und er die Anhänger des 'Abbäs und Abdallah aus Ägypten vertreiben konnte; er hatte erst Ahmed ben Garä, dann Hubeira ben Häschim zum Obersten der Leibwache ernannte. Sobald aber el-Mämün das Chalifat vollständig in Händen hatte, sandte er am 1. Ramadhän 200 (3. April 816) el-Sarij ben el-Hakam ben Jüsuf, aus Balch vom Volks- stamme el-Zutt gebürtig, mit einer grossen Armee nach Ägypten, welcher sich el-Muttalib nicht gewachsen fühlte, um ihr mit Erfolg Widerstand ‚leisten und seine Absetzung vereiteln zu können; indess fragte er erst seine Anhänger um Rath und diese überredeten ihn Stand zu halten und es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Er sammelte also ebenfalls ein grosses Heer, der grösste Theil der Ägyptischen Truppen eilte ihm zu Hülfe, es wurden mehrere Treffen geliefert, in denen von beiden Seiten viele das Leben verloren, bis el-Muttalib mit seinen Anhängern in die Flucht geschlagen wurde, Ägypten verliess und sich nach Mekka wandte. Die Besatzung und Bevölkerung von Fustät leisteten noch einigen Widerstand, bis el-Sarij mit ihnen Frieden schloss und in die Stadt einzog. Er wählte Muhammed ben ’Assäma zum Obersten der Leibwache und fing damit an, die Verhältnisse des Landes zu ordnen und das Volk zu beruhigen, als plötzlich am 1. Rabř I. 201 die Truppen sich gegen ihn auflehnten und mehrere Gefechte vorfielen , bis er von el-Mämün abgesetzt wurde. Einige berichten, er habe selbst um seine 1) Abul-Mahäsin I. 561 fügt als Grund hinzu: »weil el-Mämün in dem Lea gegen seinen Bruder el-Amin zu sehr beschäftigt war«, als wenn dieser da- noch am Leben gewesen wäre, während el-Mämün nur noch den Rest der An- hänger desselben zu unterwerfen hatte. D DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 31 Entlassung gebeten, wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und den Truppen und der Bevölkerung, andere, er sei auf Befehl des Cha- lifen von den Truppen festgenommen und ins Gefängniss gebracht. Sein Nachfolger Suleimän ben Gälib ben Gabril el-Bageli übernahm die Regierung Dienstag den 4. Rab? I. (30. Sept. 816) und machte Abu Bekr ben Gunäda ben 'Ísá el-Ma’firi zum Obersten, da dieser aber gegen die Ägyptier zu streng verfuhr, setzte er el-’Abbäs ben Lahřa el-Hadhrami an seine Stelle. Nach einiger Zeit revoltirten die Truppen abermals und es kam zu mehreren blutigen Treffen, die damit endigten, dass Suleimän am 1. Scha’bän 201 entlassen und sein Vorgänger el-Sarij ben el-Hakam aus dem Gefängnisse geholt, mit dem vom Chalifen gesandten Ehrenmantel bekleidet und am 12. Scha’bän (4. März 817) wieder in sein Amt eingesetzt wurde. Suleimän begab sich ` zu Mämün, welcher ihn bald nachher gegen Babek el-Churrami sandte bei dessen erstem Auftreten in Adserbeigän. Oberst der Leibwache unter el-Sarij war zuerst Muhammed ben Osäma, dann el-Härith ben Zura, über den sich die Truppen beschwerten, wesshalb er seinen eige- nen Sohn Meimün an dessen Stelle setzte, ihm folgte Abu Dsikr ben el-Muchärik, dann nach einander seine Brüder Cälih, Ismäil und Dawüd. Dieser häufige Wechsel war die Folge seiner Nachgiebigkeit gegen die Bevöl- kerung, welche er zufrieden stellen wollte, bis seine Macht hinlänglich be- festigt war; dann fing er an, seine früheren Gegner zu verfolgen, von denen er einige gefangen setzte, andere vertrieb, so dass das Land nach und nach ruhig wurde. Nur die Bewohner von el-Hauf setzten den Wider- stand fort und viele derselben büssten dafür mit dem Leben. — Im J. 204 starben in Ägypten vier berühmte Gelehrte: der Malikitische Cädhi Ishäk ben el-Furät Abu Nweim el-Tugibi; Maskin gen. Aschhab ben Abd el-Aziz Abu Amr el-'Ämiri, erster Malikitischer Rechtsgelehrter seiner Zeit; am 1. Ragab der Imäm Muhammed ben Idris el-Schäfi’i, Stifter der Schäfitischen Sekte, und im Dsul-Ca’da der Cädhi Lahfa ben Isa, an dessen Stelle el-Sarij auf den Wunsch der Einwohner den Koranleser Ibrahim ben Ishäk, welcher wegen seiner Rechtschaffenheit 32 F. WÜSTENFELD. allgemein beliebt war, zum Cädhi ernannte; indess bat er bald darauf wegen einer Sache, die ihn verdross, um seine Entlassung, und Ibrahim ben el-Garräh trat in seine Stelle. Er war ein Anhänger des Abu Hanifa und führte sein Amt ohne Tadel, bis sein Sohn aus Irak kam, wo sich sein Benehmen änderte und seine Rechtssprüche schlechter wurden. el-Sarij starb am 30. Gumädä I. 205 (11. Nov. 820) und am ` folgenden Tage übernahm sein Sohn | Abu Nacr Muhammed ben el-Sarij die Regierung, welcher zuerst Muhammed ben Cäbis, dann seinen eigenen Bruder Obeidallah zum Obersten der Leibwache ernannte. Er wusste mit Einsicht und Klugheit die Ordnung im Lande herzustellen, verfuhr aber auch gegen die Widerstrebenden mit unnachsichtlicher Strenge. Schon vor seinem Regierungsantritt war der alte Parteigänger Abd el Aas ben el-Wazir el-Garawi in Unterägypten wieder aufgetaucht und hatte sogar mit Hülfe der Flüchtlinge, die aus Spanien gekommen waren, Alexandria in Besitz genommen und den Gehorsam aufgesagt. Muhammed rüstete eine Armee aus, die er ihm entgegenschickte, folgte bald selbst nach und lieferte ihm mehrere Schlachten. Da erkrankte er, verliess sein Lager nicht wieder und starb am 8. Scha’bän (6. Jan. 822) und sein Bruder Obeidallah ben el-Sarij empfing als sein Nachfolger am fol- genden Tage die Huldigung der Truppen. Er ernannte Muhammed ben 'Ocba el Maan zum Obersten seiner Leibwache und setzte den Krieg gegen Abd el-Aziz el-Garawi fort, dabei kam ihm aber der Gedanke, sich unabhängig zu machen, dem Chalifen den Gehorsam zu kündigen und die Einkünfte des Landes für sich selbst zu sammeln. Als el- Mämün hiervon Nachricht erhielt, liess er Abdallah ben Tähir zu sich kommen und trug ihm die Statthalterschaft von Ägypten an mit dem Auftrage die Rebellen zu unterwerfen; Abdallah erwiderte: dein Wunsch ist mir Befehl und ich hoffe, dass Allah dem Emir der Gläubigen alle guten Wünsche erfüllen wird. Der Chalif liess hierauf eine Fahne ent- falten, auf welcher Abdallah’s Beinamen standen, denen er noch el- Mangür »der siegreiche« hinzufügte, damit wurde er nach seiner Wohnung begleitet, indem zur Auszeichnung noch der Kammerherr el-Fadhl ben DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 33 el-Rab? voraufritt. Dann zog Abdallah mit seiner Armee von Bagdad aus bis in die Nähe von Fustät, wo Obeidallah ben el-Sarij sich zum Kampfe gerüstet, seine Truppen geordnet und einen Graben hatte an- legen lassen; er kam indess aus der Festung heraus, stellte sich Abdal- lah entgegen und die beiden Heere kämpften eine volle Stunde mit grosser Hartnäckigkeit, bis Obeidallah sich zur Flucht wandte. Abdal- lah verfolgte ihn, ein grosser Theil der Fliehenden kam in dem Graben um, Obeidallah erreichte mit einem kleinen Haufen die Stadt und schloss sich darin ein. Bei der nun folgenden Belagerung wurde die Einschlie- sung so streng ausgeführt, dass im Innern bald grosse Noth entstand und Obeidallah bat endlich um Frieden, wollte aber noch einige Be- dingungen machen. Er sandte zu dem Zwecke tausend Sclaven und Sclavinnen, von denen jeder und jede tausend Dinare in einem seidenen Beutel trug, bei Nacht ins feindliche Lager, allein Abdallah wies sie zurück und schrieb ihm: Nicht einmal bei Tage würde ich deine Ge- schenke annehmen, viel weniger bei Nacht, »habt vielmehr selbst an euren Geschenken eure Freude u. s. w.« (Koran, Sura 27, 36). Obei- dallah musste sich nun bedingungslos ergeben, die aufgehäuften Schätze abliefern und am letzten Cafar 211 (10. Juni 826) der Regierung ent- sagen. Abdallah ben Tähir hielt seinen Einzug in Fustät Dienstag den 2. Rab? I. 211 (12. Juni 826); über Obeidallah wurde die förmliche Absetzung verfügt und er begab sich am 15. Gumädä nach Bagdad zum Chalifen, welcher ihn begnadigte. Nachdem die Ruhe in Ägypten einiger- massen wieder hergestellt war, begann Abdallah die Reorganisation des Heeres und ernannte zuerst Mu’äds ben ’Aziz, dann ’Abdaweih ben Gabala zum Obersten seiner Leibwache. Der Cädhi Ibrahim ben el- Garräh wurde entlassen und begab sich nach ’Iräk, wo er gestorben ist; an seine Stelle kam 'Ísá ben el-Munkadir mit einer monatlichen Be- soldung von 4000 Dirhem und einem einmaligen Geschenke von tausend Dinaren. Abdallah rüstete sich dann zu einem Zuge nach Alexandria, wohin er am 1. Cafar 212 (2. Mai 827) aufbrach, indem er das Amt des Vorbetens in Fustät an 'Ísá ben Jazid el-Galüdi übertrug. Hist.- phil. Classe. XX. 4. E 34 F. WÜSTENFELD. Hier wird es nöthig, die Geschichte von Alexandria im Zusammen- hange nachzuholen !), welches über 10 Jahre der Botmässigkeit der Statthalter von Ägypten fast gänzlich entrückt war. Nachdem el-Hakam ben Hischäm den Aufstand der Geert der Vorstädte von Cordova im J. 182 unterdrückt und sie grösstentheils ver- trieben hatte, kamen mehr als 10,000 derselben zu Schiffe nach Alex- andria, der Statthalter erlaubte ihnen aber nicht, dass sie die Stadt be- treten durften, sondern sie blieben in der Ebene vor derselben, und die Städter, welche Waaren an sie verkaufen wollten, mussten zu ihnen hin- ausgehen. Von hieraus scheinen die Andalusier zuweilen Unterneh- mungen zur See gemacht zu haben. Im J. 199 versuchte der von dem Statthalter el-Muttalib entlassene Oberst der Leibwache, Abd el~- Aziz el-Garawi, die Bevölkerung von Tinnis aufzuwiegeln und el-Muttalib sandte desshalb ein Corps nach Alexandria unter dem Befehle des Muhammed ben Hubeira Ibn Hudeig, welcher einen älteren Ver- wandten, Omar ben Abd el-Malik Ibn Hudeig gen. Omar ben Malak, zum Stellvertreter nahm. Hiermit war indess el-Muttalib nicht einverstanden, sondern ernannte nach drei Monaten seinen eigenen Bruder el-Fadhl ben Abdallah zum Befehlshaber von Alexandria. Jetzt schrieb Abd el-Aziz el-Garawi an den abgesetzten Omar und forderte ihn auf, einen Angriff auf Alexandria zu machen und ihn zum Herr- scher auszurufen; Omar seinerseits sandte zu den Andalusiern und suchte sie zu bewegen, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen und el-Fadhl zu vertreiben. Sie gingen darauf ein, vertrieben el-Fadhl und huldigten dem Garawi. Nun aber stürzten sich die Einwohner von Alexandria auf die Andalusier, trieben sie wieder hinaus, tödteten eine Anzahl und schlugen die übrigen in die Flucht, so dass sie sich auf ihre Schiffe zurückzogen, und setzten el-Fadhl wieder ein. Indess ent- liess el-Muttalib seinen Bruder und übertrug im Ramadhän 199 den Befehl an Ishäk ben Abraha ben el-Cabah, darauf an Abu Bekr ben Gunäda el-Ma’äfiri; während dann aber el-Muttalib mit el-Sarij um die Herrschaft kämpfte und letzterer den Sieg davon trug, überfiel Omar 1) Vorzüglich nach Macrizi I. 172. rg Ve a r E IR e < Ja a ein IE i de Olga E EE a t n oe GEES LINO > ENAS UE ee E KS å DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. aa ` ben Malak den Abu Bekr, vertrieb ihn aus Alexandria und rief el- Garawi zum Herrscher aus. Die Andalusier kamen auch herbei und liessen sich allerlei Schlechtigkeiten zu Schulden kommen, so dass Omar ihnen befahl, sich auf ihre Schiffe zurückzuziehen, was ihnen sehr be- schwerlich fiel. Um dieselbe Zeit tauchte in Alexandria eine Sekte auf, welche Cotten genannt wurde; sie lehrten freilich Gerechtigkeit zu üben, thaten aber das Gegentheil und widersetzten sich den Befehlen des Herrschers. An ihrer Spitze stand ein Mann Namens Abu Abd el-Rahman el-Cüfi, sie machten mit den Andalusiern gemeinsame Sache und riefen die Lachm, den mächtigsten der Arabischen Stämme in der Gegend von Alexandria, zu Hülfe. Da wurde Abu Abd el-Rahman bei Omar wegen einer Frau verklagt und Omar entschied gegen ihn, dar- über aufgebracht begab er sich zu den Andalusiern und brachte zwischen ihnen und den Lachm ein Bündniss zu Stande. Indess besorgten die Andalusier, dass Omar an ihnen Rache nehmen würde, und um ihm zuvor zukommen, zogen sie 10,000 Mann stark vor seine Burg und belager- ten sie; er fürchtete, dass er sich nicht würde darin halten können und dass sie mit Gewalt eindringen und ihm in seiner eigenen Wohnung Schimpf anthun möchten. Er nahm desshalb noch ein Bad, liess sich salben, zog einen Todtenmantel an und befahl dann seinen Leuten, dass sie ihn hin- austreiben sollten; dies geschah und er stürtzte sich in den Kampf, bis er getödtet wurde. Nun stellten sich seine nächsten Verwandten einer nach dem anderen an die Spitze ihrer Getreuen, zuerst sein Bruder Muhammed ben Abd el-Malik gen. Gajüs, dann Abdallah el-Battäl ben Abd el-Wähid Ibn Hudeig, dann dessen Brüder Abu Hubeira el-Härith und Hudeig ben Abd el-Wähid; sie alle wurden getödtet, worauf das Volk sich entfernte. Dies geschah im Dsul-Cada 199. Bald nachher lockerte sich das Bündniss zwischen den Lachm und den Andalusiern, sie geriethen unter einander in Streit, die Lachm wurden in die Flucht geschlagen, die Andalusier machten sich im Dsul- ` Higga zu Herren von Alexandria und ernannten Abu Abd el-Rahman zum Regenten. Er verübte durch Rauben und Morden unerhörte Schand- thaten, wesshalb ihn die Andalusier wieder absetzen und einen der E* 36 EF WÜSTENFELD. ihrigen, el-Kinåní mit Namen, zum Oberhaupte wählten. Hierauf fingen die Banu Mudlig mit den Andalusiern Krieg an, wurden aber von ihnen besiegt und in die Flucht geschlagen, so dass sie nicht in das Gebiet von Alexandria zurückkehren konnten, bis der Statthalter el-Sarij sich ins Mittel legte und ihre Rückkehr bewirkte. Als Abd el-’Aziz el-Garawi die Nachricht von der Ermordung des Omar ben Malak erhielt, kam er mit 50,000 Mann herbei, belagerte die Festung von Alexandria und bedrängte die Besatzung sehr; dann erfuhr er aber, dass el-Sartj ben el-Hakam ein Corps nach Tinnis abgeschickt habe und er kehrte im Muharram 201 dahin zurück, worauf die Anda- lusier sich wieder für el-Sarij erklärten. Während alsdann die Ägyptier dem Chalifen el-Mämün den Gehorsam kündigten und Ibrahim ben el- Mahdi zum Chalifen ausriefen, kam el-Garawi wieder nach Alexandria und belagerte die Andalusier, bis sie Frieden schlossen, die Stadt über- gaben und ihn als Herrscher anerkannten. Hierauf brach er nach Fustät auf, lieferte el-Sarij eine Schlacht, in welcher dessen Sohn fiel, kehrte aber dann nach Alexandria surück, weil die Andalusier seinen Präfecten vertrieben, ihn selbst für abgesetzt erklärt und el-Sartj wieder anerkannt hatten. Auf dem Marsche dahin im Ramadhän 203 (März 819) stellten sich ihm die Copten, welche von den Banu Mudlig unterstützt wurden, mit einer Armee von 20,000 Mann entgegen, er trieb sie aber in die Flucht und schickte seine Truppen nach Alexandria, welches sie ein- schlossen, während el-Sarij mit den aufständigen Bewohnern von el- Ça'id beschäftigt war. Dann kam el-Garawi zum vierten Male selbst nach Alexandria, stellte die Wurfmaschinen auf und beschoss die Stadt sieben Monate lang vom 1. Scha’bän 204 bis zum letzten Cafar 205 (21. Jan. bis 14. August 820), wo er durch ein Stück eines Wurfge- schosses getroffen und auf der Stelle getödtet wurde. Sein Sohn ’Ali trat an seine Stelle und die Feindseligkeiten gegen die Andalusier hörten nicht auf bis Abdallah ben Tähir von el-Mämün als Statthalter nach Ägypten geschickt wurde, welcher Obeidallah ben el-Sarij absetzte, am 1. Cafar 212 (2. Mai 827) aus Fustät abmarschirte und mit seinen Per- sischen Officieren aus Choräsän vor Alexandria erschien. Nachdem die DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 37 Belagerung vierzehn Tage gedauert hatte, kamen die Einwohner heraus um sich zu unterwerfen und auch die Andalusier schlossen Frieden unter der Bedingung, dass sie freien Abzug hätten; sie verpflichteten sich auch auf ihren Schiffen weder einen eigenen, noch einen flüchtigen Sklaven mitzunehmen, und wer es thäte, solle der Todesstrafe verfallen sein. Als sie dann abfahren wollten, liess Ibn Tähir die Schiffe unter- suchen, und da sie mehrere fanden, welche den Vertrag nicht gehalten hatten, sollten ihre Schiffe verbrannt werden, indess wurden sie auf vieles Bitten frei gegeben und segelten unter Anführung des Abu Date Omar ben 'Ísá nach der Insel Creta und eroberten sie. Im Gumädä II. 212 kehrte Ibn Tähir nach Fustät zurück und be- kam hier von dem Chalifen den Befehl, die dortige alte Moschee zu erweitern und sie erhielt den doppelten Umfang. Es waren ihm sämmt- liche Einkünfte von Ägypten überwiesen, die sich auf drei Millionen Dinare beliefen, er vertheilte sie aber zu mildthätigen Zwecken. Er war Gelehrter und ein grosser Freund und Gönner der Dichter und hatte immer mehrere derselben in seinem Gefolge. Eine nur in Ägypten vorkommende Sorte Melonen soll von ihm den Namen ’Abdalli bekom- men haben, vermuthlich weil er sie durch die Vermischung von zwei Sorten züchtete. Wohl nicht ganz ohne Grund hatte ein Bruder des Chalifen bei ihm den Abdallah ben Tähir in den Verdacht zu bringen gesucht, dass er zu der Partei der Aliden hinneige; Mämün wollte dem keinen Glauben schenken, ‘schickte aber auf wiederholte Vorstellungen einen gewandten Mann nach Ägypten, welcher Ibn Tähir ausforschen sollte. Der Abgesandte wusste zum Schein zunächst einige hochgestellte Personen in Fustät dafür zu gewinnen, dass el-Cäsim ben Ibrahim Ta- bätab4 zum Chalifen ausgerufen werden solle, und suchte dann sich bei Ibn Tähir Zutritt zu verschaffen und ihn, nachdem er sich wegen einer wichtigen Mittheilung völlige Sicherheit für sich hatte versprechen lassen, zu überreden ihrem Plane beizutreten. Allein Ibn Tähir blieb fest und nur sein Versprechen schützte den Abgesandten, der aber so- fort aus Ägypten verwiesen wurde und der Chalif war sehr befriedigt durch diese Wendung. Nachdem die Rebellen unterdrückt, das Land 38 F. WÜSTENFELD. beruhigt und die Verhältnisse geordnet waren, ernannte Abdallah den 'Ísá ben Jazid el-Galüdi zu seinem Stellvertreter als .Vorbetender und verliess Ägypten am 25. Ragab 212 (21. Oct. 827) auf dem Seewege; in der Nähe von Bagdad kamen ihm el-Abbäs, der Sohn, el-Mu’tacim, der Bruder des Chalifen und die Würdenträger des Reiches entgegen und er hielt seinen Einzug in Bagdad, indem die Sieger von Syrien und Ägypten, wie Ibn Abul-Gamal, Ibn Abu Askar und andere ihm vor- angingen; der Chalif empfing ihn mit allen Ehrenbezeugungen und über- trug ihm in der Folge die Statthalterschaft von Choräsän und andere Provinzen, bis er 43 Jahre alt im J. 230 starb. Ísá ben Jazid el-Galüdi, wiewohl nur Stellvertreter des Ab- dallah ben Tähir und als solcher von el-Mämün bestätigt, vereinigte in sich alle Regierungsgewalten, bezog den Palast der Statthalter in el- 'Askar und ernannte seinen Sohn Muhammed zum Obersten der Leib- wache und den Ishäk ben Mutawakkil zum Untersuchungsrichter. Auch als der Chalif den Abdallah seines Postens als Statthalter von Ägypten enthob und am 11. Dsul-Cadda 213 seinen eigenen Bruder el-Mu’tacim Muhammed ben Härün el-Raschid die Stelle übertrug, liess dieser den 'Ísá in seinem Amte, übertrug aber die Steuerverwaltung an Cälih ben Schirazäd. Dieser fing das alte System der Bedrückung wieder an, ver- mehrte die Abgaben und liess sich allerlei Ungerechtigkeiten zu Schulden kommen; darüber empörte sich die Bevölkerung von el-Hauf und die Keis und Jemeniden rotteten sich zusammen, an ihrer Spitze Abd el- Saläm und Ibn Galfs. "Isa schickte seinen Sohn Muhammed mit einem Corps dem Qälih zu Hülfe, er wurde aber bei Bilbeis mit grossem Ver- luste im Gafar 214 in die Flucht geschlagen, so dass er selbst kaum das Leben rettete, und als el-Mu’tacim hiervon Nachricht erhielt, gab er 'Ísá seine’ Entlassung und ernannte 'Omeir benel-Walidel-Tamimi el-Badsagisi am 17. Cafar zum Statthalter, welcher seinen Sohn Muhammed zum Obersten der Leibwache machte. Kaum hatte er die Regierung übernommen, so er- hoben sich die früheren Aufständigen. wieder und er zog ihnen selbst mit einer Armee entgegen, in welcher sich auch sein Vorgänger Tei DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 39 ben Jazid befand. Nach mehreren blutigen Gefechten, die zu keiner Entscheidung geführt hatten, erfocht 'Omeir am 16. Rabt II.!) einen grossen Sieg, fiel aber bei der Verfolgung des Feindes in einen Hinter- halt und wurde getödtet, und Tsá ben Jazid trat wieder an seine Stelle. Er setzte den Krieg gegen die Rebellen und Wegelagerer fort, sammelte seine Truppen, zog ihnen entgegen und traf sie bei Munjat Matar oder el-Matarija in der Nähe von ’Ain Schams, erlitt hier aber im Ragab 214 eine furchtbare Niederlage und musste sich nach Verbrennung seines Gepäckes nach Fustät zurückziehen. Als el-Mämün dies erfuhr, liess er seinen Bruder Mu’tacim rufen und forderte ihn auf, selbst nach Ägypten zu gehen und den Aufstand zu dämpfen; er brach dann mit 4000 Türkischen Soldaten von Bagdad auf und kam in Eilmärschen nach Fustät, welches von den Keis und den Jemeniden eingeschlossen gehalten wurde. Ehe er die Stadt betrat, griff er sie an, schlug sie in die Flucht, tödtete ihre An- führer und verfolgte sie, wobei noch eine grosse Zahl den Schwerdt- streichen erlag. Dies geschah im Scha’bän und am 21. des Monats (24. Oct. 829) hielt Mu’tagim seinen Einzug in Fustät, wo 'Ísá und alle Ägyptischen Grossen sich zu seinem Dienste stellten. Er nahm seinen Wohnsitz in dem Palaste von el-Askar; in seinem Gefolge befand sich unter anderen auch Ahmed ben Abu Duwäd, der Ober-Cädhi von Bagdad, auf dessen Betrieb der Cädhi 'Ísá ben el-Munkadir seine Entlassung nehmen musste, und Ägypten blieb mehrere Jahre ohne Cädhi. Nachdem el-Mu’tacim die Ruhe und Ordnung im Lande wieder hergestellt hatte, zog er am 1. Muharram 215 (28. Febr. 830) mit seinen Türken wieder ab, indem er eine grosse Menge von Gefangenen mit sich nahm, welche in dem kläglichsten Zustande barfuss vor den Reitern hergehen mussten. "Ted ben Jazid war abgesetzt und an seine Stelle kam ’Abdaweih ben Gabala als Statthalter, welcher den Palast in 1) Mit der Angabe bei Abul-Mahäsin I. 625 »am 16. Rab? L« ist die andere, dass er gerade zwei Monate im Amte gewesen sei, im Widerspruch, und bei der Zeitbestimmung »Dienstag d. 13. Rab? I.« trifft auch der Wochentag nicht mit dem Datum zusammen. H 40 F. WÜSTENFELD. el-Askar bezog und seinen Sohn zum Obersten der Leibwache und Ishäk ben Ismäil ben Hammâd zum Untersuchungsrichter machte. Er bemühte sich im Sinne el-Mu’tacim’s fortzufahren die Verhältnisse des Landes zu ordnen, wurde aber schon sehr bald wieder darin unterbrochen, indem die Bewohner von el-Hauf abermals sich auflehnten; diesmal ge- lang es ihm indess, sie nach einigen Kämpfen wieder zu unterwerfen. Dann erschien der Präfect von Barca, el-Afschin Heidar ben Käwüs el- Cafedi am 3. Dsul-Higga in Fustät und in seiner Begleitung ’Ali ben Abd el-Aziz el-Garawi, ein Sohn des früheren Rebellen, welcher vor- mals als Anführer der Aufständigen bei Schattanauf eine Tagereise von Fustät die Regierungstruppen unter Ahmed ben el-Sarij in die Flucht geschlagen hatte; er wollte jetzt sein Vermögen herausfordern, allein ’Abdaweih gab ihm nicht nur nichts, sondern liess ihn umbringen 1), und el-Afschitn kehrte nach Barca zurück. Indess wurde 'Abdaweih unmit- telbar nachher von el-Mu’tacim abgesetzt und am 1. Muharram 216 (18. Febr. 731) kam an seine Stelle Ísá ben Mangür ben Müsä el-Räfi’i, welcher Abul-Mugith Jünus ben Ibrahim zum Obersten der Leibwache machte. Schon im Gumädä I. brachen die Unruhen in Unterägypten in den Seedistrieten wieder aus und diesmal verbanden sich auch die Copten mit den Ara- bischen Rebellen und rückten gegen Fustät vor. ’[sä sammelte alle seine Truppen, war aber gegen die Übermacht zu schwach und musste sich zurückziehen; selbst in Fustät konnte er sich nicht halten, da er wegen seines anstössigen Lebenswandels auch bei den Einwohnern ver- hasst war, und er wurde sammt dem Steuerverwalter mit Schimpf aus ÆR Nach dem Lobäb geschah dies schon im Monat Dsul-Ca'da. Sein Bruder Abu "AND el-Hasan ben Abd el-’Aziz el-Garawi, ein ausgezeichneter Traditions- und Rechtsgelehrter, wurde damals aus Fustät entfernt und eg Bagdad gebracht, wo w e e er im J. 257 gestorben ist. Lobab: en We pe > ET ER = al Aan o oc he Bell escht die o ot die vi eier o MN (y? Ser ër ër le dn À> de nel Aë Ai eh H aner MP ai A o ër ep La hp mëi las leið e SE de EE cijo Kim Bi) ai ef NO sell Aan DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 41 der Stadt gejagt und ihm der Gehorsam gekündigt. Nun kam Mitte Gumädä II. el-Afschin aus Barca, um den Aufstand zu unterdrücken; zu ihm begab sich "Ted und führte ihm die wenigen Streitkräfte zu, die er noch bei sich hatte. Sie zogen dann im Schawwäl den Rebellen ent- gegen, schlugen sie und machten viele Gefangene; darauf marschirte el-Afschin nach el-Hauf und trieb sie auch hier zu Paaren. Indess währten die Unruhen noch das ganze Jahr hindurch und der Chalif el- Mämün entschloss sich zuletzt selbst nach Ägypten zu gehen. Er brach in der Mitte das Dsul-Higga von Bagdad auf und kam am 5. Muhar- ram 217 (11. Febr. 832) in Fustät an; er war gegen 'Ísá sehr aufgebracht und mass ihm und den Verwaltern alle Schuld an der Empörung bei, er liess ihm die Fahne abnehmen, zur Strafe weisse Kleidung anziehen und setzte ihn ab; darauf wurde ’Abdüs el-Fihrí, welcher einen hervorragenden Antheil an dem Aufstande genommen hatte, vorgeführt und ihm der Kopf abgeschlagen. Zum Cädhi wurde Jahjä ben Aktham ernannt, welcher mit aus Bagdad gekommen war, er versah das Amt aber nur drei Tage. Der Chalif hatte seinen Wohnsitz in der »Burg in der Luft« ge- nommen, fühlte sich aber sehr enttäuscht über die ihm so sehr gerühmte Schönheit der Aussicht und der ganzen Umgebung. Er äusserte dess- halb gegen den Gelehrten Said ben ’Ofeir, welcher bei ihm erschienen war: »Verfluche Gott den Pharao, wo er sagt: bin ich nicht König von Ägypten? (Korän, Sura 43, 50) wenn er nur’Iräk und seine fruchtbaren Gegenden gesehen hätte !« Said erwiederte: »o Emir der Gläubigen! sage so ‚etwas nicht, denn Gott spricht auch: wir haben vernichtet, was Pharao und sein Volk künstlich erbaut und errichtet hatten (Sura 7, 133); und was glaubst du müssen das für Dinge gewesen sein, die Gott vernichtet hat und von denen dieses doch noch die Überreste sind!« und er beschrieb ihm dann weiter die Anlagen und Schönheiten des Landes. Ein gewisser el-Hadhrami hatte gegen Ibn Asbät und Ibn Tamim eine Klage erhoben. el-Fadhl ben Marwän (der nachherige Wezir des Chalifen el-Mu’tacim), welcher im Gefolge el-Mämün’s war, veranstaltete in der Moschee eine Sitzung, zu welcher die Rechtsgelehrten Jahjä ben Aktham, Ahmed ben Abu Duwäd, der Untersuchungsrichter Ishäk ben Hist.- phil. Classe. XX. 4. F 42 F. WÜSTENFELD. Ismá'il ben Hammâd und mehrere andere Traditions- und Rechtsgelehrte geladen waren, unter diesen auch el-Härith ben Maskin, welcher zum Cådhi ernannt werden sollte Während el-Fadhl sich noch mit diesem - unterredete, sprach el-Hadhrami dazwischen zu el-Fadhl: »frage doch den Härith über Ibn Asbät und Ibn Tamim.« Er erwiederte: »dazu habe ich ihn nicht hierher beschieden.« Auf die wiederholte Bitte fragte er dann doch den Härith über diese beiden Männer und er antwortete: »sie haben unbillig und ungerecht gehandelt,« worauf el-Fadhl entgeg- nete: »Dazu habe ich dich nicht hierher beschieden.«e Da entstand eine allgemeine Bewegung in der Moschee, welche ganz von Menschen an- gefüllt war, und el-Fadhl erhob sich und eilte zu dem Chalifen, um ihm darüber Nachricht zu geben, und setzte hinzu: »ich bin für mein Leben besorgt, wenn wegen des Härith ein Aufstand entsteht.« el- Mämün liess nun den Harith zu sich rufen, fing eine Unterredung mit ihm an und fragte ihn dann: »was urtheilst du über die beiden Männer % er antwortete: »sie haben unbillig und ungerecht gehandelt.« — Haben sie dir in etwas Unrecht gethan? — Nein! — Hast du mit ihnen Ver- kehr gehabt? — Nein! — Wie kannst du’ denn gegen sie zeugen? — Ebenso wie ich bezeuge, dass du der Emir der Gläubigen bist, ohne dass ich dich je vorher gesehen habe, und wie ich bezeuge, dass du Kriege geführt hast, ohne dass ich dabei zugegen gewesen bin. — Fort mit dir! du bist des Landes verwiesen, verkaufe alles was du besitzest, du sollst es nie wiedersehen. — Er liess ihn vorläufig in dem Thurm des Ibn Harthama auf der »Burg in der Luft« ins Gefängniss setzten und nahm ihn dann mit sich nach el-Bascharüd am Meeresufer, und als er diese Gegend unterworfen hatte, liess er el-Härith wieder vorführen und legte ihm dieselbe Frage vor und erhielt von ihm dieselbe Antwort. Dann fragte der Chalif: »was sagst du denn zu unserem jetzigen Aus- zuge% Er antwortete: Abd el-Rahman ben el-Cäsim hat mir erzählt, dass der Chalif Härün el-Raschid an Mälik ben Anas geschrieben und ihn über die Bekriegung der Bewohner von Dahlak !) gefragt habe, 1) Eine Insel im Meere von Jemen mit einer Hafenstadt, wo die zwischen Jemen und Habessinien fahrenden Schiffe anlaufen. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 43 da habe er geantwortet: wenn sie wegen eines Unrechts von Seiten der Regierung sich aufgelehnt haben, so ist ihre Bekriegung nicht erlaubt. Da sagte Mämün: Du bist ein Schafskopf und Mälik war noch ein grösserer Schafskopf als du, mach’, dass du aus dem Lande kommst! In’s Ausland? fragte er. —— In Bagdad sollst du internirt werden. — Jetzt fiel Abu Gälih el-Harräni ein: o Emir der Gläubigen! verzeihe ihm seinen Irrthum. — Er antwortete: da du, o Scheich! ein gutes Wort für ihn einlegst, so soll ihm verziehen sein. Während Mämün sich dann nach Sachä wandte und auch Alexandria besucht haben soll, liess er el-Afschin mit einer Armee nach el-Hauf marschiren, wo er in der Gegend von Bascharüd mit den Copten zu- sammenstiess und sie einschloss; sie mussten sich auf Gnade und Un- gnade ergeben, Mämün entschied, dass die Männer umgebracht und die Frauen und Kinder als Sclaven verkauft werden sollten, und von der Zeit an war der Widerstand der Copten gebrochen, sie waren nicht weiter im Stande sich gegen die Regierung aufzulehnen, die Muslim drängten sich auf dem Lande immer mehr in den Besitz der Grund- stücke und- die Copten blieben allen Ränken und Bedrückungen der Steuereinnehmer preisgegeben. Die Abgaben, welche zu Mämün’s Zeit nach einer billigen Abschätzung, zwei Dinare vom Acker, in Ägypten erhoben wurden, beliefen sich auf 4,857,000 Dinare. — Mämün kehrte nach Verlauf von 49 Tagen, die er zum Theil noch in Singär und Hul- wän zugebracht hatte!), am 18. Çafar?) 217 zurück, nachdem er ` 1) Dass Mämän die Pyramiden besucht babe, ist glaublich, auch noch, dass er einen Versuch habe machen lassen, die grössere derselben zu öffnen; vergl. Jäcüt IV. 967 ‚ dass darin ein Schatz gefunden sei, gehört dann zur weiteren Aus- schmückung der Sage, wie Cod. Gothan. Nr. 325 und 367: Je 3) oh} vy tð cs os opaa wël Leg Sp Kð Hi oui A el sl cl cr Sch ið der? y> IA KJ B> Cp ya) s Fe Àl ób, Lila cr ur an I, az Y A SJÓ ee KL sP Je vi) Le Se WH JS ES e lla! Ze va N 2 Se el 39 dee le S m E 2) Nach Sujüti II. 90 am 5. Galar, beides nicht genau; letzteres indess stimmt, wenn man die 49 Tage auf die Abwesenheit von Bagdad bezieht. F* 44 F. WÜSTENFELD. Nacr ben Abdallah Abul-Malik el-Gafedi!) gen. Keidar zum Statthalter eingesetzt hatte. Dieser wählte sich Ibn Isfendiär zum Obersten der Leibwache, der Chalif sandte aber Ahmed ben Bissäm el-Azdi für diese Stelle, da er sich indess manche Schlechtigkeiten zu Schulden kommen und durch Geschenke bestechen liess, wurde er nach einiger Zeit abgesetzt und im Innern der Moschee ausgepeitsht, und Keidar übertrug den Posten seinem Sohne el-Mudhaffar. Als Cädhi schickte el-Mämün den Malikiten Härin ben Abdallah el-Zuhri aus Damascus?), welcher sich bei der Bevölkerung durch seine Rechtschaffen- heit ‘sehr beliebt machte. Um diese Zeit hatte der Streit über die Lehre von der Erschaffung des Korän seinen Höhepunkt erreicht und el-Mämün, welcher sich da- für entschieden hatte, wollte sie mit aller Gewalt in seinem ganzen Reiche anerkannt wissen. Er liess desshalb auch nach Ägypten im Gumädä II. 218 die darauf bezügliche Aufforderung ergehen und der Cädhi Härün und die Notare nahmen die Lehre an, zugleich wurde festgesetzt, dass, wer sich nicht zu derselben bekenne, zum Notariat nicht zugelassen werden solle. Bevor indess diese Bestimmungen all- gemein bekannt gemacht waren, traf in Ägypten die Nachricht ein, dass el-Mämün am 16. Ragab 218 (7. Aug. 833) gestorben sei und sein Bruder el-Mu’tacim die Regierung übernommen habe, von welchem man eine grössere Toleranz erwartete. Drei Tage früher am 13. Ragab 218 war Abd el-Malik Ibn Hischäm, Verfasser der Lebensbeschreibung Mu- hammeds, in Fustät gestorben und in demselben Jahre starb auch der Rechtsgelehrte Ishäk ben Bekr ben Mudhar. el-Mu’tagim bestätigte Keidar, befahl ihm aber zugleich, die als Verwaltungsbeamten angestellten Araber zu entlassen und die Gehalte nicht auszuzahlen; darüber empörten sich die Lachm und Gudsäm unter 1) Hier und bei den folgenden Söhnen des Keidar hat Abul-Mahäsin statt el-Gafedi immer el-Cogdi. ~ 2) Nach Sujüti IE. 90 erst im J. 219, was dem folgenden widerstreitet, zu- mal da Mämün schon im J. 218 gestorben ist. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 45 Anführung des Jahja ben el-Wazir el-Garawi und kündigten den Ge- horsam auf, und während Keidar die Zurüstungen machte um sie zu unterwerfen, ereilte ihn der Tod im Rab? II. 219. Im Muharram dieses Jahres war der Cådhi Othmän ben Cålih ben Cafwän el-Sahmi gestorben; auch Abdallah ben el-Zubeir Abu Bekr el-Humeidi, ein Schüler des Ibn 'Ojeina und el-Scha’fii, der nach dem Tode des letzteren wieder nach seiner Geburtsstadt Mekka zurückgekehrt war, starb hier im J. 219. el-Mudhaffar ben Keidar, welcher die Regierung von seinem Vater übernommen hatte, wurde von dem Chalifen als Statthalter be- stätigt; er setzte den Krieg gegen Jahjá el-Garawi mit vermehrten Streit- kräften fort und brachte ihm im Gumädä II. 219 eine furchtbare Nieder- lage bei. Unterdess wurde aber der Türkische General Abu Gafar Aschinäs mit der Statthalterschaft von Ägypten belehnt!) und sein Name in das Kanzelgebet aufgenommen, und wiewohl el-Mudhaffar unablässig bemüht war, die Unruhen zu dämpfen, und es sich angelegen sein liess, dem erneuten Befehle des Chalifen wegen allgemeiner Annahme der Lehre von der Erschaffung des Korän nachzukommen, so dass er nie zur Ruhe kam, wurde er doch von Aschinäs schon im Scha’bän seines Postens enthoben und Müsä ben Abul-’Abbäs el-Hanefi kam am 1. Ramadhän 219 an seine Stelle. Es gelang ihm durch weise Mässigung die Aufständigen, besonders die Bewohner von el-Hauf nach und nach zum Gehorsam zurückzuführen und den grössten Theil der Rechtskundigen und Ge- lehrten für die Lehre von der Erschaffung des Korän zu gewinnen. Im J. 222 starb der Traditionslehrer Abdallah ben Cälih ben Muhammed el-Guhani. — Als Müsä nach einer Regierung von 4 Jahren und sieben Monaten im Rab? II. 224 von Aschinäs entlassen wurde, übergab er das Land in völliger Ruhe und Ordnung seinem Nachfolger en 1) Durch diese Belehnung entstand unter. Aschinäs, Itäch, el-Muntagir und el-Fath ben Chäkän eine Mittelstufe zwischen den Chalifen und den wirklichen Statthaltern, welche von den Belehnten, die nie selbst nach Ägypten kamen, ernannt wurden. 46 F. WÜSTENFELD. Mälik ben Keidar el-Gafedi, welcher am 22. Rab? II. (13. März 839) in Fustät eintraf. Die Steuerverwaltung wurde in diesen Jahren verschiedenen Personen unmittelbar von dem Chalifen übertragen. Von den Ägyptischen Gelehrten starben im J. 224 der Traditionslehrer Said ben Abu Marjam el-Hakam el-Gumahi; am 25. Schawwäl 225 der Fakih Acbag ben el-Farag el-Omawi, Mufti von Fustät, und im J. 226 Sad ben Kathir ben ’Ofeir, Cädhi von Ägypten, welcher als guter Genealog und Historiker bekannt war. — Auch Mälik zeichnete sich durch eine verständige, milde Regierung aus, wesshalb unter ihm die Ruhe nicht gestört wurde, indess erhielt er von Aschinäs nach zwei Jahren am 3. Rabi II. 226 seinen Abschied und wurde durch "Ali ben Jahjä Abul-Hasan el-Armeni!) ersetzt, welcher Donnerstag den 7. des Monats (3. Febr. 841) nach Fustät kam. Schon im Rabi I. war dem Cädhi Härün ben Abdallah die Praxis untersagt, weil er dem Obercädhi von Bagdad Ahmed ben Abu Duwäd ein Dorn im Auge war; jetzt kam mit dem Steuerverwalter Abul-Wazir auch die Ernennnng des Muhammed ben Abul-Leith zum Cädhi. — ’Ali setzte die Beruhigung des Landes und Unterwerfung der Übelgesinnten fort, und erhielt mit der Nachricht von dem am 18. Rab? I. 228 (25. Dec. 842) erfolgten Tode des Chalifen el-Mu’tacim zugleich seine Bestätigung durch dessen Sohn und Nachfolger Härün el-Wäthik. — Nuem ben Hammäd ben Mu’äwia el-Chuzäi aus Marw gebürtig und in Fustät wohnhaft, ein ausgezeichneter Traditionskenner, welcher zuerst die Ketten der glaubhaften Überlieferer aufstellte, hatte sich geweigert, sich zu der Lehre von der Erschaffung des Korän zu bekennen und war desshalb nach Sämarra, der Residenz der Chalifen, geschleppt; er starb hier im J. 228 im Kerker und wurde seiner letzten Bestimmung gemäss mit seinen Ketten begraben. In demselben Jahre starb zu Tinnis, wo er sich niedergelassen hatte, der Traditionslehrer Abdallah ben Jüsuf aus Damascus. — Ali wurde Donnerstag den 7. Dsul-Higga 228 abberufen, ohne in Ungnade gefallen zu sein, denn der Chalif empfing ihn in 1) Dieser ist von Guiot? II. 9 in der Reihe übergangen. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 47 Bagdad sehr ehrenvoll und betraute ihn mit wichtigen Posten. Aschinäs übertrug seine Stelle wieder dem früheren Statthalter Ísá ben Mancür el-Räfi’i, welcher Freitag d. 8. Muharram 229 (7. Oct. 843) in Fustät eintraf. Im folgenden Jahre starb Aschinäs und der Chalif belehnte den Türkischen General Itäch mit der Statt- halterschaft von Ägypten, welcher 'Ísá bestätigte. Im Rab? I. 230 be- gann er den Bau der Stadtmauer von Tinnis, sie wurde aber erst von ’Anbasa im J. 239 vollendet. — Jüsuf ben Jahjä el-Buweiti, der her- vorragendste Schüler des Schäfii und sein Nachfolger als Lehrer, hatte eben wegen seines hohen Ansehens den Neid des Hanefiten Cädhis Muhammed ben Abul-Leith erregt und wurde auf dessen Veranlassung, da er sich weigerte die Erschaffung des Korän zu bekennen, nach Bag- dad geschleppt und hier auf einem Maulesel durch die Strassen geführt, am Halse einen Ring und an den Füssen Schellen, beides mit einer eisernen Kette verbunden, an welcher ein vierzig Pfund schwerer Stein hing. Er starb dort im Gefängnisse im Ragab 231. In demselben Jahre starb in Ägypten der Traditionsgelehrte Jahjä ben Abdallah ben Abdallah ben Bukeir el-Machzümi. — Als el-Wäthik am 23. Dsul- Higga 232 (10. Aug. 847) starb, erhielt 'Ísá den Befehl, für dessen Nachfolger el-Mutawakkil die Huldigung der Ägyptier anzunehmen, doch schon am 15. Rab? I. 233 wurde er entlassen; er erkrankte und starb am 11. Rab? II. auf dem »Schlosse in der Luft«. Sein von Itäch er- wählter Nachfolger Harthama ben el-Nadhr!) el-Gabali2) schickte den ’Ali ben Mihraweih als seinen Stellvertreter voraus und folgte am 6. Ragab nach und ernannte Abu Cuteiba zum Obersten der «Leibwache. el-Wäthik hatte noch die Verordnungen wegen der Lehre von der Erschaffung des Koran anfangs wieder einschärfen lassen dann aber aufheben wollen, war aber darüber hin gestorben und es geschah dies von Mutawakkil 1) Makrizi I. 312 Nadhr, nicht so gut, da dieser Name fast immer mit dem Artikel vorkommt; daraus Abul-Mahäsin I. 691 Nagr. 2) Abul-Mahäsin a. a. O. el-Gili. 48 F. WÜSTENFELD. durch ein Ausschreiben vom 5. Gumädä II. 234, wonach die Lehre der Sunna wieder eingeführt werden sollte. Harthama, selbst ein eifriger Anhänger der Sunna, liess sich dies sehr angelegen sein, erndtete dafür das grösste Lob und die Freude darüber war allgemein. Bald darauf erkrankte Harthama und starb Mittwoch den 23. Ragab 234 (20. Febr. 849). Sein Sohn Hatim ben Harthama erhielt von Îtâch seine Bestätigung und nahm Muhammed ben Suweid zum Obersten der Leibwache, wurde aber schon am 6. Ramadhän entlassen und der ehemalige Statthalter 'Alí ben Jahjä kam wieder an seine Stelle und wählte Mu’äwia ben Nweim zum Obersten. Itäch, welchen der Chalif aus dem Wege zu räumen wünschte, wurde noch zu einer pomphaften Wallfahrt nach Mekka überredet, bei der Rückkehr im Muharram 235 in Bagdad von seinem Gefolge abgeschnitten und verhaftet und schmachtete fast ein Jahr lang im Kerker, bis er im Dsul-Higga verdursten musste. Seine Besitzungen in Ägypten, die er nie gesehen hatte, wurden mit Beschlag ‚belegt, sein Vermögen eingezogen und statt seiner el-Muntagir, der Sohn des Chalifen, mit Ägypten und anderen Provinzen belehnt, so dass nun dessen Name in dem Kanzelgebet genannt wurde. Er liess ’Ali auf seinem Posten, bis er ihn im Dsul-Higga 235 entliess und Ishäk ben Jahjä el-Chatläni!) mit dem Beinamen Chüt (d. i. kräftiger, gewandter Mann), welcher schon unter el-Mämün und den folgenden Chalifen Präfect von Damascus gewesen war, zum Statt- halter ernannte mit Einschluss der Steuerverwaltung; er kam am 11. des Monats in Fustät an und machte el-Hajjagi zum Obersten und 'Ísá ben Lahi’a el-Hadhramí zum Untersuchungsrichter. — Der lange gehegte Hass des Chalifen gegen die Anhänger "Als soll durch eine besondere Veranlassung in grausame Verfolgung derselben übergegangen sein. Eine 1) Abul-Mahäsin I. 711 setzt ausdrücklich hinzu:’ »aus Chatlän, einem Orte in der Nähe von Samarcand ,« also nicht el-Gabali, wie bei Makrizil. 312 und Sujüti IL 9, der ihn danach sogar einen Bruder seines Vorgängers A ben Jahjá el-Gabali nennt. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 49 Sängerin, Umm el-Fadhl, von der er sich gern die Zeit vertreiben liess, war eines Tages verschwunden und konnte nirgends aufgefunden werden; . nach einiger Zeit kam sie wieder mit Sonnenflecken im Gesicht, und als der Chalif fragte, wo sie gewesen sei, antwortete sie: auf der Wall- fahrt. — Aber jetzt ist ja gar nicht Zeit zur Wallfahrt. — Ich meine nicht die Wallfahrt nach Mekka, sondern die nach dem Grabmal "Als, welche Allah befohlen hat. Nun verbot der Chalif den Besuch dieses Grabmals, sowie überhaupt aller Gräber der ’Aliden, besonders noch das des Husein, welches zerstört, mit allen dasselbe umgebenden Häusern dem Erdboden gleichgemacht und in Akerland verwandelt wurde. Die Sectirer waren darüber sehr empört und gaben ihren Unwillen in satiri- schen Maueranschlägen und Spottgedichten zu erkennen. Jaküb Ibn el-Sikkit, welcher auch ein solches verfertigt haben soll, wurde noch von dem Chalifen gefragt, wer ihm lieber sei, seine beiden Söhne el- Muwajjid und el-Mu’tazz, oder Hasan und Husein, die Söhne Alte, und als er antwortete, dass Canbar, der Diener "Alte, ihm lieber sei als der Chalif und seine Kinder, befahl er den Türkischen Soldaten, ihm auf dem Leibe herum zu treten, worauf er nach Hause getragen wurde und am folgenden Morgen starb; nach anderen soll er ihm haben die Zunge ausreissen lassen. — Auch nach Ägypten erging an Ishäk ben Jahjä der Befehl, die 'Aliden von dort zu vertreiben, und da er diesem Befehle nicht eifrig genug nachkam, wurde er im Dsul-Ca’da 236 abge- setzt und starb wenige Monate nacher am 1. Rabf II. 237. Der von el-Muntacir ernannte Nachfolger Abd el-Wähid ben Jahjä ben Mancür traf am 21. Dsul- Ca’da (26. Mai 851) in Fustät ein und machte Muhammed ben Suleimän el-Bageli zum Obersten seiner Leibwache. Schon am 8. Gafar 237 wurde Abd el-Wähid durch ein Schreiben von el-Muntagir der Steuer- verwaltung enthoben und. behielt nur als Vorbetender in der Moschee die oberste Regierung. — Die grausame Verfolgung der Nichtorthodoxen nahm jetzt ebenso wie in Bagdad, so auch in den Provinzen ihren Fort- gang. Der Chalif erliess den Befehl, dem Obercädhi Muhammed ben Hist.-phil. Classe. XX. 4. G 50 F. WÜSTENFELD. Abul-Leith, einem der Hàupter der Gahmitischen Sekte 1), den Bart ab- zuscheeren, dann ihn auszupeitschen und auf einem Esel durch die Stadt zu führen, dies wurde auch im Ramadhän 237 ausgeführt?) und er dann ins Gefängniss geworfen. Sein Nachfolger, el-Härith ben Maskin, der nur mit Widerstreben die Stelle angenommen hatte, setzte das Aus- peitschen noch einige Tage fort und liess ihm täglich zwanzig Hiebe aufzählen, um ihn zur Herausgabe der nöthigen Gelder zu zwingen. Ausserdem trieb er die Anhänger des Abu Hanifa und el-Schäfii aus der Moschee, liess ihre Teppiche entfernen und setzte den grössten Theil der Gebetausrufer ab. el-Härith, welcher gelähmt war, und sich in einer Sänfte in die Moschee musste tragen lassen oder auf einem Lastesel dahin ritt, liess alle diejenigen, welche beim Vorlesen des Korän einen Fehler machten, auspeitschen und auf Veranlassung der Richter, welche die Untersuchung gegen den abgesetzten Cädhi Ibn Abul-Leith zu führen hatten und ihn nach seiner Absetzung verwünschten, wurde der Platz, auf welchem er in der Moschee gesessen hatte, abgewaschen. — Abd el-Wähid erhielt seine Entlassung am Ende des Cafar 238 und el-Muntacir ernannte 'Anbasa ben Ishäk ben Schamir zum Statthalter, dessen Ver- treter am 1. Rab? I. (21. Aug. 852) in Fustät eintraf, während er selbst Sonnabend den 5. Rab? II. nachfolgte. Die Steuerverwaltung musste er in den ersten Jahren mit Ahmed ben Chälid el-Carifini theilen; zum Obersten der Leibwache machte er Abu Ahmed Muhammed ben Ab- dallah el-Kummi. Er hielt die Verwalter an, die unrechtmässig erhobe- 1) Lobäb: naar Jod} (ð enfin Ale le AT Kamil] sÀ engel EUREN Í sað á EE ge m oe UN AS) ren ee Sa done Ne ie Sl ao, ul esi Sol Ale 5 ee pla A wé, liia nb La BA véi asi statt mw steht A. bei Schrastani ed. Curetonl.p. 60; übers. von Haarbrücker]l.p. 89. 2) Nach Sujüti II. 90 wäre dies schon im Scha’bän 235 geschehen und Ägypten dann bis zum Gumädä I. 237 ohne Obercädhi geblieben. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 51 nen Abgaben zurückzugeben, liess überall Recht und Gerechtigkeit walten und zeigte gegen die Unterthanen ein Wohlwollen, wie es zu seiner Zeit nicht erhört war. Den Weg von seinem Palaste in el-Askar nach der Moschee machte er zu Fuss und hielt auf ein strenges Ein- halten der Fastenzeit im Ramadhän, worüber jeden Abend ein öffent- licher Ausruf erfolgte. Nicht ahnend, dass ein Überfall bevorstehen könnte, hatte er, um namentlich seinen beiden Söhnen zum bevorstehen- den Opferfeste ein grossartiges Schauspiel zu bereiten, die Linientruppen, Bogenschützen und Lanzenträger aus Dimjät und Tinnis, sowie einen Theil der Besatzung von Alexandria nach Fustät beordert, da waren am Tage der Wallfahrt nach dem ’Arafa, 9. Dsul-Higga 238 (22. Mai 853) die Griechen unerwartet mit einer Flotte von dreihundert Schiffen vor Dimjät erschienen. Sie hatten die Stadt von allen Soldaten und streit- baren Männern entblösst gefunden, sich ohne Widerstand in ihren Be- sitz gesetzt, sechshundert Frauen und Kinder zu Gefangenen gemacht, . geplündert und Feuer angelegt und sich dann auf die Schiffe zurück- gezogen. Ein Officier der Besatzung, welchen ’Anbasa hatte ins Gefäng- niss setzen lassen, wurde von einer seiner Frauen daraus befreit, er brachte noch einige Mannschaften in der Stadt zusammen, griff die ' Griechen an und trieb sie aus der Stadt hinaus. Sie wandten sich dann noch nach Oschmüm bei Tinnis!), konnten hier aber nichs ausrichten und kehrten in ihre Heimath zurück. Sobald "Anbasa von der Landung der Griechen Nachricht erhielt, brach er noch am Opfertage, 10. Dsul- Higga, auf, traf aber die Griechen nicht mehr, und nachdem er die Ordnung in Dimjät wieder hergestellt hatte, kehrte er nach Fustät zurück. Dieser Vorfall gab indess Veranlassung, dass Mutawakkil be- fahl, in Dimjät ein Fort anzulegen und daselbst eine Flottenstation zu errichten. — Nicht lange nachher wurde ihm die Verwaltung der Steuern allein übertragen und sein bisheriger Theilhaber Ahmed ben Chälid entfernt. $ 1) Jäcüt L 282 nennt Oschmüm-Tannäh in der Nähe von Dimjät als Haupt- stadt des Districtes Dakahlia. G* 52 F. WÜSTENFELD. Der Volksstamm der Bagä, welcher die unwirthbaren Steppen zwischen Ägypten, Nubien und Habessinien am rothen Meere bewohnte, hatte sich gegen die Muhammedanische Herrschaft aufgelehnt, verweigerte die festgestellten Abgaben, welche jährlich unter anderen in fünfhundert Sklaven und Sklavinen, einer Anzahl Bagä-Camelen, zwei Giraffen und zwei Elephanten bestanden, und ging im J. 240 zu offenen Feindselig- keiten über, indem sie die Verwalter und Gruben-Arbeiter in den Smaragd-Bergwerken angriffen und sämmtlich niedermachten. Sie fielen dann in das Gebiet von Oberägypten ein, plünderten. mehrere Grenz- dörfer aus, wie Isnd, Udfu und andere benachbarte Orte, so dass die Bewohner aus ihren Wohnsitzen flüchteten. Die Steuerverwalter machten hiervon Anzeige bei 'Anbasa und dieser sah sich veranlasst, darüber einen Bericht an den Chalifen einzusenden. Mutawakkil war sehr auf- gebracht gegen die Verwalter wegen ihrer Nachlässigkeit, und liess sich von Männern, welche aus den Erzählungen der Reisenden das Land der Bag& kannten, eine Beschreibung desselben machen. Sie schilderten ihm die thierische Rohheit dieses Volkes und die Unzugänglichkeit seiner Wohnsitze, die zwei Monate weit durch eine unwegsame Wüste von Ägypten getrennt seien, worin eine Armee, wenn sie nicht mit allen Vorrä- then an Wasser, Proviant und Futter reichlich versehen sei, den sicheren Untergang finden würde. Nichts destoweniger gab der Chalif die Ab- sicht zu erkennen, dass dahin eine Expedition unternommen werden solle, und der General Muhammed ben Abdallah el-Kummi, welcher schon öfter die den Pilgercaravanen zum Schutz beigegebene Escorte angeführt hatte, erbot sich gegen den Wezir el-Fath ben Chäkän, wenn er in Ägypten die nöthige Unterstützung zur Ausrüstung einer Armee fände, einen Zug gegen die Bag& auszuführen, bis Nubien vorzudringen und die dortigen Reiche zu unterwerfen. Der Chalif ging darauf ein und gab dem Statthalter 'Anbasa Befehl, für die Herbeischaffung der nöthigen Mannschaften, Pferde, Camele, Waffen und aller Bedürfnisse zu sorgen, und als Muhammed el-Kummi nach Ägypten kam, war alles aus der Gegend von Kift, Kugeir, Isnä, Armant und Uswän zusammen gebracht; in Suweis (Suez) wurden sieben Schiffe ausgerüstet und mit DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 53 Mehl, Datteln, Öl, Spelz, Gerste u. d. gl. befrachtet, sie sollten an einem bestimmten Orte in der Nähe von ’Aidsäb!) zu einer bestimmten Zeit zusammen treffen; und nachdem die Soldaten eingeübt und die Reisevorräthe und das Gepäck fertig gestellt waren, brach Muhammed von Küc mit 7000 Streitern ohne den Tross auf, durchzog die Wüste, erreichte die Smaragdminen und drang bis in die Nähe von Dongola vor. Die Nachricht von seinem Anmarsche verbreitete sich bis in die äussersten Gegenden von Südän, dessen König ’Ali Bäbä alsbald zwar ein zahlloses Heer zusammen brachte, um sich den Eindringenden ent- gegen zu stellen, aber sie waren vollständig nackt, meistens nur mit kurzen Lanzen bewaffnet und ihre Nubischen Camele im höchsten Grade störrig und unlenksam. Wenn sie dagegen die blanken Rüstungen, die Pferde und Waffen ihrer Feinde betrachteten, sahen sie ein, dass sie gegen diese nicht würden Stand halten können, und sie suchten desshalb einen Kampf zu vermeiden in der Hoffnung, dass ihre Vorräthe erschöpft und ihre Pferde entkräftet würden, und so oft Muhammed ihnen nahe kam und sie angreifen wollte, wichen sie ihm mit List von einem Orte zum andern aus. Als dann die Vorräthe wirklich zu Ende gingen und 1) Ueber ’Aidsäb (oder ’Idsäb, wie nachher und in den Handschriften des Edrisi par Dozy et de Goeje pag. 27) sagt Abu 'Obeid el-Bekri in seinem grossen geographischen Wörterbuche Lti, LS) nach den Excerpten, welche Johannsen aus Lemming’s Abschrift der Pariser Handschrift (Codices orient. biblioth. reg. Hafniensis, Pars II. Nr. CiI) genommen und Herr Geh. Reg. Rath Olshausen mir kürzlich zum Geschenk gemacht hat: ie SUS an eg Aha) Loch deit Seil Od N SAL pn Ku ol Ku um BEI Ge? iE 2 ail Ju H dese de} ef bus zez Ai LO Lil sing Setz in BUS in HD a! > Je Kun ld, ill cy godi ls des Zeg & le mi on NI Jin Ude ët band ei in ëss ec) Al Lu vr el Bra 929 Säi 5 Å K> ë e að Ae Al sab vis ur cla) Ale vz) 0” a uya Je Bee RUM að) Bes Er Lë, GU Bad ic Am Së dus Lil >i, Jas Rail, I lee Lëck wall së Jas ls... All ai A mms al 54 F. WÜSTENFE LD. guter Rath theuer war, trafen endlich die Schiffe am Meeresufer ein !), die Muslimen bekamen neuen Muth und die Südän, welche sich ausser Stande sahen die Zufuhr abzuschneiden, entschlossen sich zum Angriffe. Muhammed hatte alle Glocken von den Camelen den Pferden an die Hälse hängen lassen und liess die Pauken und Trommeln bereit halten, er ordnete seine Truppen in einen linken und einen rechten Flügel, die Südän rückten vor und er liess sie so nahe kommen, dass ihre Lanzen fast die Hälse der Pferde berührten, dann befahl er mit einem Allah akbar! einen allgemeinen Angriff, von dem Geräusch der Glocken, Pauken und Trommeln wurden die Camele der Südän scheu, sie machten Kehrt und warfen die Reiter ab, von denen dann eine grosse Anzahl getödtet wurden, so dass die Leichen die Ebene bedeckten; erst die Nacht machte der Verfolgung ein Ende. "AU Bäbä war mit einigen aus seiner Familie und seiner Umgebung zu Pferde entkommen, war aber jetzt bereit Frieden zu schliessen und den seit vier Jahren rückständigen Tribut zu bezahlen. Muhammed bewilligte dies, liess ihn zu sich kom- men und neben sich auf seinen Teppich sitzen, beschenkte ihn, seinen Sohn und einige Angesehene aus seinem Gefolge mit kostbaren Klei- dungsstücken, und kam endlich mit ihm überein, dass er ihn zu dem Chalifen begleiten solle. "AN Båbå ernannte für die Zeit seiner Ab- wesenheit seinen Sohn Lias Bäbä?) zum Regenten, kam dann mit Mu- hammed zu ’Anbasa nach Fustät. und nach kurzem Aufenthalte begaben sie sich nach 'Trák zu Mutawakkil, Beim Empfange sollte 'Alí Bäbä vor demselben den Boden küssen, und als er sich weigerte, wollte der Chalif schon den Befehl geben ihn zu tödten, liess ihm aber noch durch den Dolmetsch vorstellen, dass er sich doch vor einem aus schwarzen Steinen gemachten Götzenbilde täglich zweimal niederwerfe, warum er ‚sich denn weigere, vor dem Chalifen den Fussboden zu küssen? Jetzt bequemte er sich und küsste den Boden dreimal, worauf er begnadigt 1) Ibn Miskaweih ed. de Goeje pag. 552 nennt den Landungsplatz Çanga. 2) Bei Ibn Miskaweih pag. 550 steht Bugschi. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. ` 55 und, nachdem ihm der übliche Ehrenmantel umgeworfen war, in sein Land entlassen wurde. 'Anbasa, welcher nach einer Nachricht den Feldzug mitgemacht haben soll, wurde bald nachher am 1. Gumädä II. 241 von der Ver- waltung der Steuern enthoben. Er hatte gegenüber dem Bethause im Stadtviertel der Chaulän ein anderes Bethaus bauen lassen, eins der schönsten Gebäude der Stadt. Im Rabi I. 242 wurde er durch ein Schreiben des Chalifen benachrichtigt, dass an die Stelle Muntacir's der Wezir el-Fath ben Chäkän mit der Statthalterschaft von Ägypten belehnt, ihm alle Hoheitsrechte übertragen und mithin sein Name in dem Kan- zelgebet nach dem des Chalifen zn nennen sei; schon am 1. Ragab des ‚Jahres (3. Nov. 856) folgte die Entlassung ’Anbasa’s nach. Er war der letzte Statthalter Ägyptens von Arabischer Abkunft und der letzte Emir, welcher in der Hauptmoschee vorbetete; er verliess ‚Ägypten im Rama- dhän 244 und begab sich nach Tråk. Sein Nachfolger Jazid ben Abdallah ben Dinär el-Turki!) schickte seinen Bruder el-Abbäs ben Abdallah als seinen Stellvertreter voraus und kam am 20. Ragab 242 selbst nach Fustät. Er suchte im ganzen Lande die Verhältnisse zu ordnen; er duldete keine Kastraten, sondern liess sie auspeitschen, in der Stadt umherführen und dann ausweisen; er verbot das laute Schreien bei Begräbnissen und ähnliches. — Im Schawwäl 242 starb Muhammed ben Rumh ben Muhägir Abu Abdallah el-Tugibi, der besonders in den Traditionen und der Geschichte von Ägypten be- wandert war. — Als die Nachricht eintraf, dass die Griechen bei Dimjät gelandet seien, eilte Jazid am 1. Muharram 245 (8. April 859) dahin, traf sie aber nicht mehr an und kehrte im Rab? I. nach Fustät zurück. Kaum hier angekommen erhielt er die Meldung, dass die Griechen in el-Faramä erschienen seien, und augenblicklich begab er sich wieder dahin, doch auch diesmal waren sie schon wieder abgezogen; indess 1) Abul-Mahäsin I. 740 widerspricht sich selbst, wenn er ihn noch von el-Muntacir ernannt sein lässt; dieser gab bei seiner Thronbesteigung nur seine Bestätigung. 56 F. WÜSTENFELD. blieb er dort etwas länger, bis er zurückkehrte. Jetzt verbot er auch das Wettrennen mit eingesetzten Preisen und liess die Pferde, welche zu diesem Zwecke auf Kosten der Regierung gehalten wurden, verkaufen, und bis zum J. 249 fand kein solches Rennen statt. Nachdem Jazid dann die Sekte der Rafidhiten verfolgt, ihre An- hänger bestraft und die Vorsteher vertrieben hatte, wandte er sich gegen die’Aliden überhaupt, welche schwere Bedrängnisse von ihm zu erdulden hatten, bis sie ganz aus Ägypten verbannt und nach ’Iräk geschleppt wurden. | Das furchtbare Erdbeben, welches im Jahre 245 ganz Vorderasien bis nach Choräsän erschütterte und von welchem besonders Antiochia und Laodicea schwer betroffen wurden, erstreckte sich auch über einen Theil von Ägypten, wo die Stadt Bilbeis am meisten davon zu leiden hatte. — Im Rab? II. 245 war der Obercädhi el-Härith ben Maskin gestorben und Duheim ben el-Jatim el-Dimischki, der sich in Ramla aufhielt, sollte sein Nachfolger werden, er starb aber unterwegs und nun wurde Bakkär ben Kuteiba aus Bagra auf diesen Posten berufen, welcher im Gumädä II. in Fustät eintraf. — Im Dsul-Ca’da 245 starb der Scheich Thaubän ben Ibrahim, gen. Dsul-Nün el-Micri. Geboren zu Ichmim und unter Mälik, el-Leith und Ibn Lahi’a gebildet, hatte er sich zum ersten Gelehrten seiner Zeit aufgeschwungen; er war der erste, welcher die Wissenschaften der Offenbarungen lehrte, die bei den Ägyptern als Neuerungen, von denen die Gefährten Muhammeds nichts überliefert hätten, Anstoss erregten. Sie verklagten ihn desshalb bei Mutawakkil und beschuldigten ihn des Zindikismus, und er liess ihn mit Postpferden von Fustät nach seiner Residenz Surrmanraa holen; hier hielt er einen Vortrag, der den Chalifen zu Thränen rührte, und er entliess ihn mit grossen Ehrenbezeugungen. _ Im Jahre 247 befahl Mutawakkil den grossen Nilmesser auf der Insel Raudha zu bauen und sandte dazu den Baumeister Muhammed ben Kathir el-Fargänf aus 'Iräk; die Christen, welche bis dahin die Aufsicht darüber gehabt hatten, wurden entfernt und der Rechtsgelehrte und Gebetausrufer Abdallah ben Abd el-Salim Ibn el-Raddäd dabei DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 57 angestellt, welchem von dem Steuerverwalter Suleimän ben Wahb mo- natlich dafür sieben Dinare ausgesetzt wurden. Ibn el-Raddäd starb im J. 266 und das Amt ist in seiner Familie erblich geblieben. Donnerstag den 4. Schawwäl 247 wurde Mutawakkil zugleich mit seinem Wezir el-Fath ben Chäkän auf Anstiften seines Sohnes el-Mun- tacir ermordet, welcher den Thron bestieg und Jazid ben Abdallah als Statthalter bestätigte, aber schon Sonnabend den 5. Rab? I. 248 (9. Mai 862) an Diphtheritis oder an Gift starb, worauf el-Musta’in zur Re- gierung kam. — Wegen grosser Dürre, welche in diesem Jahre besonders in ’Iräk herrschte, wurde im ganzen Reiche auf ein und denselben Tag ‚ein allgemeines Gebet um Regen ausgeschrieben und dazu der 17. Dsul- Cada bestimmt. — In demselben Monate starb der Traditionsgelehrte Ahmed ben Gälih Ibn el-Tabari. — Im J. 248 starb auch Abd el-Malik ben Schweib ben el-Leith ben Sa'd, und am 14. Dsul-Ca’da 250 Abul- Tähir Ahmed ben Amr Ibn el-Sarh, beide in den Sammelwerken des Muslim, Abu Däwüd und el-Nasäf als glaubhafte Überlieferer erwähnt. Ums Jahr 250 wurde Ahmed ben Muhammed ben Mudabbir zum Steuerdirector ernannt, ein verschlagener Mensch und ein wahrer Teufel von Verwaltungsbeamten. Man unterschied zwei Arten von Steuern: s>1;> Producten-Steuer, die jährlich von den Erzeugnissen des Landes erhoben wurde, von Getreide, Datteln, Trauben und Früchten aller Art und was die Bauern daneben aufziehen, wie Schaafe, Geflügel u. d. gl.; und 4M Monatssteuer, welche z. B. herumziehende Kaufleute und Mar- ketender bezahlen mussten. Abu Ga’far el-Mancür war der erste, wel- cher die Weinbuden besteuerte und die Aufsicht darüber dem Saïd el- Garasi (oder Haraschi) übertrug. Ahmed führte nun ganz neue Steuern ein, welche nicht wieder abgeschafft wurden: er schloss die Natronquellen ein, welche bisher jedermann zugänglich gewesen waren, und erhob davon eine Abgabe; + Weidesteuer hiess die Steuer für das Futter, welches das Vieh abweidete; Jla» die Steuer vom Fischfang. Statt Monats- steuern kamen die Benennungen + Gewinn- (oder Luxus-) Steuer und = Hülfssteuer auf. Als Musta'in am 11. Dsul-Higga 251 (4. Jan. 866) abdanken musste Hist.-phil. Classe. XX. 4. H 58 : F. WÜSTENFELD. und el-Mu'tazz im Anfange des Muharram zum Chalifen ausgerufen wurde, brachen in allen Provinzen Unruhen und Aufstände aus. In Alexandria empörte sich Gäbir ben el-Walid und Jazid ben Abdallah rüstete ein Heer aus und zog ihm entgegen; die Feindseligkeiten be- gannen im Rab? II. 252 und es wurde mit abwechselndem Glücke ge- kämpft, bis Jazid daran verzweifelte, seinen Gegner unterwerfen zu können und sich von dem Chalifen Hülfe erbat. Er sandte nun den Emir Muzähim ben Chäkän, den Bruder des Wezirs el-Fath ben Chäkän, mit einer furchtbaren Armee aus 'Iräk nach Ägypten, wo er am 17. Ragab eintraf; Jazid ging ihm entgegen, empfing ihn mit grossen Ehren und sie griffen nun vereint Gäbir an und schlugen ihn in die Flucht, so dass sein Heer ganz aufgelöst wurde. Auf den darüber an den Chalifen erstatteten Bericht erfolgte am 13. Rab? 253 das Decret von der Absetzung Jazids und der Ernennung des Muzähim ben Chäkän ben Ortüg el-Turki zum Statthalter, welcher Argüz!) zum Obersten der Leibwache machte. Von der Ver- folgung der Sectirer, womit er seine Regierung begann, wurde er bald abgelenkt durch die Unruhen, welche an verschiedenen Punkten von Ägypten zum Ausbruch kamen; zuerst hatte er einen Aufstand der Be- wohner von el-Hauf zu unterdrücken, und kaum war er von dort wieder in Fustät angekommen, so musste er nach Giza marschiren, hierauf nach Tarüga im Gebiete von Alexandria und zuletzt noch nach el- Fajjüm. Überall wurde viel Blut vergossen und viele Gefangene gemacht, da er mit der grössten Strenge verfuhr. Nach seiner Rückkehr setzte er die Bestrafungen und Belästigungen der Unterthanen fort und er- munterte dazu auch seinen Obersten Argüz. Dieser erliess die unsinnig- sten Verordnungen: die Frauen durften ihre Häuser nicht mehr ver- lassen, nicht einmal um ins Bad zu gehen oder die Gräber zu besuchen; Schauspieler und Klageweiber wurden ins Gefängniss gebracht; im Ragab 253 verbot er sogar beim Gebet in der Moschee das Basmala (im Namen Gottes) laut auszusprechen; die Besucher der Moschee mussten sich in D Bei Abul-Mahäsin I. 771 steht Urchüz. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. 59 geordneten Reihen aufstellen, im Hintergrunde stand ein Türke mit der Peitsche, welcher darauf zu achten: hatte; . Kissen zum Sitzen durften nicht mehr in die Moschee mitgebracht werden; statt der üblichen sechs Gebete in den Nächten des Ramadhän wurden nur fünf gehalten; der Ruf zum Beginn des Gottesdienstes durfte nur einmal erhoben und nicht wie bisher wiederholt werden; am Freitag wurden die Gebetstunden nicht von dem Minaret, sondern im Hintergrunde der Moschee abge- rufen; zum Zeichen der Trauer um einen Verstorbenen das Kleid zu zerreissen, oder dass Gesicht schwarz zu färben, oder das Haar zu scheeren, oder in Klagen auszubrechen wurde verboten. Diese Plagen hörten nicht auf, bis Muzähim erkrankte und am 5. Muharram 254 (5. Jan. 868) starb. Sein Sohn Ahmed ben Muzähim ben Chäkän, welcher noch sehr jung die Regierung übernahm und von el-Mu’tazz bestätig wurde, war ganz das Gegentheil seines Vaters und machte sich bei den Unterthanen be- liebt; leider! starb er schon nach drei Monaten!) am 7. Rab? II. 254 und ihm folgte der Oberst der Leibwache Argüz ben Ulug Tarchän el-Turki, welcher früher in dem Heere der Chalifen einer der ersten Emire gewesen war. Schon im Ramadhän desselben Jahres (Sept. 868) verliess er Ägypten, um die Wallfahrt zu machen, und begab sich von Mekka nach Bagdad; da aber ein so früher Aufbruch zur Wallfahrt nicht nöthig gewesen wäre, so ist die andere Nachricht wahrscheinlicher, dass er schon damals seines Postens enthoben wurde und am 1. Dsul-Ca’da abreiste, und an seine Stelle kam Ahmed ben Tülün. 1) Macrizi und Abul-Mahäsin geben übereinstimmend die Monate Muhar- ram und Rab? II. an, setzen aber dann nach ihrer gemeinschaftlichen Quelle, ohne selbst nachzurechnen,, die Regierungszeit nur auf zwei Monate und einen Tag an. H* F. WÜSTENFELD. Übersicht der Chalifen und Statthalter. Abul-"Abbäs Abdallah ben Muhammed el-Saffäh 132—136. Gälih ben ’Ali 133 . Abu ’Aun Abd el-Malik Jazid is 136 Abu Ga'far Abdallah ben Muhammed el- en. 136—158. Qälih ben ’Ali 136—137 Abu ’Aun 137—141 . Müsä ben Ka’b ben 'Ojeina > Tamimi 141 ne Muhammed ben el-Asch’ath ben ’Ocba el-Chuzä’i 141-143 Humeid ben Cahtaba ben Schabib el-Täij 143—144 . Jazid ben Hätim ben Cabica el-Muhallabi 144—152 . Abdallah ben Abd el-Rahman ben Mu’äwia ben Hudeig 152—155 ; Muhammed ben Abd el-Rahman Ibn Hudeig 155 . Müsä ben ’Oleij ben Rabäh el-Lachmi 155—161 Abu Abdallah Muhammed ben Abdallah el-Mahdi 158—169. 'Ísá ben Locmän ben Muhammed el-Gumahí 161—162 . Wähidh 162 . Mancür ben Jazid Kë Manche = Rw eini 162 SCH Abu Çålih Jahjá ben Däwüd Ibn Mamdüd 162—164 . Sâlim ben Sawäda el-Tamimi 164 er : Ibrahim ben Gälih ben ’Ali 165—167 . .. . Mûsá ben Muc'ab ben el-Rabi’ el-Chath’ami 167—168 ’Assâma ben Amr ben ’Alcama el-Ma'åfirí 168 . el-Fadhl ben Cålih ben ’Ali el-'Abbåsi 168—169 ’Ali ben Suleimån ben ’Ali el-Abbäsi 169—171 Müsä ben Muhammed el-Hädi 169—170. Härün ben Muhammed el-Raschid 170—193. Müsä ben 'Ísá ben Müsä el-"Abbäsi 171—172 . . Maslama ben Jahjä ben Curra el-Bageli 172—173. Muhammed ben Zuheir el-Azdi 173 . ; Seite. DIE STATTHALTER VON ÄGYPTEN ZUR ZEIT DER CHALIFEN. Däwüd bei Jazid ben Hätim el-Muhallabi 174—175 . Mûsá ben ’Isä el-Abbäsi 175—176 . . RER, Ibrahim ben Gälih 176 . . Abdallah ben el-Musajjib ben Zaheir el-Dhabbi 176—177 Ishäk ben Suleimån ben ’Ali el-Abbäsi 177—178 . . . ... Harthama ben A’jan 178 . . 200 Abd el-Malik ben Gälih ben ’Alı el?Abbåsi 178 Obeidallah ben el-Mahdi el-’Abbäsı 179 d Müsä ben 'Ísá 179—180 . . x Obeidallah ben el-Mahdi 180—181 r, Ismä’il ben Gålih ben ’Ali el-'Abbåsi 181—182 Ismä’il ben 'Ísá ben Müsä el-’Abbäsi 182—183 el-Leith ben el-Fadhl el-Abiwardi 183—187 . . . Ahmed ben Ismä’il ben ’Ali el-Abbäsi 187—189 . Obeidallah ben Muhammed ben Ibrahim el-’Abbäsi 189—190 . el-Husein ben Gamil 190—192 . Mälik ben Dalham ben ’Isä el- Kalbí 192—193 . el-Hasan ben el-Tachtâh ben el-Tachtakân 193—194 Muhammed ben Häran el-Amin 193—198. Hätim ben Harthama ben A’jan 194—195 i Gäbir ben el-Asch’ath ben Jahjá el-Tåâíj 195—196 : 'Abbäd ben Muhammed ben Hajjån el-Balchi 196—198 . Abdallah ben Hårün el-Mämün 198—218. el-Muttalib ben Abdallah ben Mälik el-Chuzä’i 198 el--Abbäs ben Müsä ben ’Isä el-'Abbåsi 198—199 el-Muttalib ben Abdallah 199—200 . . . : el-Sarij ben el-Hakam ben Jüsuf 200—201 : Suleimän ben Gälib ben Gabril el-Bageli 201 . el-Sarij ben el-Hakam 201—205. . ... . Abu Nacr Muhammed ben el-Sarij 205 Obeidallah ben el-Sarij 205—211 . . Abdallah ben Tâhir 205—211 _. . 'Îsá ben Jazid el-Galüdi 212—213 . . Omeir ben el-Walid el-Tamimi el- Badsagist 213—214 Ísá ben Jazid 214 . en Abdaweih ben Gabala 215 . i S "Té ben Mangür ben Müsá el-Räf’i 216—217 Naçr ben Abdallah Keidar el-Gafedi 217—219 . F . WÜSTENFELD. ré x Ishäk “Mohamed el-Mu’tacim 218—227. - Hårûn el-Mudhaffar ben Keidar 219 . . - ; Abu Ga’far ER 319—230. Müsá ben Abul-’Abbäs Thäbit el-Hanefi 219—224 . Mälik ben Keidar el-Gafedi 224—226 . . DS Al ben Jahjá Abul-Hasan el-Armeni 926998 SC ben Muhammed el-Wäthik 227—232. CH ben Mangür el-Räfi’i 229—233: . Itäch el-Turki 230—235. Ga'far ben Muhammed el-Mutawakkil. 232—247. Harthama ben el-Nadhr el-Gabali 233—234 . . .- Hätim ben Harthama 234 . . o 2... + + + +`“ ”Ali ben Jabjá 234—235 | Muhammed ben Get el-Muntagir 235—242. Ishåk ben Jahjá el-Chatläni 235—236 . ; e Abd el-Wähid ben Jahjå ben Mangür 236—238 "Anbasa ben Ishäk ben Schamir 238—242 el-Fath ben Chakän 242—247. Jazid ben Abdallah ben Dinär 242—253 . Muhammed ben Ga’far el-Muntagir 247—248. Ahmed ben Muhammed el-Musta’in 248—251. Muhammed ben Ga’far el-Mu’tazz 252—255. Muzähim ben Chäkän ben ’Ortüg el-Turki 253—254 Ahmed ben Muzähim ben Chäkän 254 . Argüz ben Ulug Tarchän el-Turki 254