DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE, DER WISSENSCHAFTEN. rn ; JAHRGANG 1912. ERSTER HALBBAND. JANUAR BIS JUNI. STUCK I—XXXIN MIT FÜNF TAFELN UND DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER AM 1. JANUAR 1912. . Mo. Bot. Bardsı > 1913 © BERLIN 1912. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI GEORG REIMER. INHALT. Yasstielmn Ger MHsboder un L-dmmae 101... 5... ... 20 een I. Scuur: Über einen Satz von Ü. CARATHEODORY Frogexius: Ableitung eines Satzes von CARATREODORY "aus einer Dad 5 von ES RRERS ALDEYER: Ansprache. . . > rn a MAsESTÄT DES Kıeas UND Rünos. ara ee Koser: Fes ö Bi Ken die Belang wlinbinchen Ihe e ahresbericht über die Sammlung der lateinischen Inschriften Jahresbericht über die ren ie der römischen ae a. - Jahrhundert) Jahresbericht über den Index rei militaris imperii Rom Ta Jahresbericht über die Politische Correspondenz a ds ee os en Jahresbericht über die Griechischen Münzwerke . . . . . 2. 2. 2. 2 2 2... Jahresbericht über die Acta Borussica Baer. Jahresbericht über die Kant-Ausgabe . Jahresbericht über die Ausgabe des Ibn en ee S ahresbericht über das Wörterbuch der aegppschen Sprache Jahresbericht > das »Thierreich« . ericht über das »Pflanzenreich.« wear Jahresbericht ne die Geschichte des Ficsternklamnele ee Jahresbericht über die Ausgabe der Werke Wırueım von mare Jahresbericht über die Interakademische Leisniz-Ausgabe . . . » 2 2 2 2 2 2. Jahresbericht über das Corpus medicorum Graecorum -. . » 2» 2: 2 2 2 2 2 2. Jahresbericht der Deutschen Commission . . Jahresbericht über die Forschungen zur näuhoshdeitächen Spradh- ind 3 Bildungsgeschichte Jahresbericht der Humsorpr-Stiftung . Jahresböfieht der Bavsur Bun: . ,» . .. ,.,... 2. 2.. Jahresbericht der Hermann und Ess aueh, Basiaske Wexrzer-Stiftung Jahresbericht der Kirchenväter-Commission % Jahresbericht der Commission für das Wörterbuch ie deutschen Rechtssprache os Jahresbericht der Akademischen Juhiläumsstiftung der Stadt Berlin : oe Übersicht der Personalveränderungen . . . ai an von WiLamowırz-MoELLENDORFF: Mimnermos un Proc erz Russer: Über die Betheiligung endocellularer Fermente am Energieverbrauch der Zelle Nersst: Thermodynamik und specifische Wärme. . . A. Eucken: Die Molecularwärme des Wasserstoffs bei deln Temperaturen Orr#u: Über Rinder- und Menschentuberkulose Harnack: Geschichte eines eure Worts FR (Matth. 5 17) in der ältesten Kirche . . Adresse an Hrn. Forae as zum fünfigjährigen Doetorjubiläum a am a. Ferse 1912 Warzurs: Über den Energieumsatz bei photochemischen Vo n asen. II. Liesiscn: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Wilssligrupje im ullearicläiien Licht Adresse an Hrn. Pavı Gorpan zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum am 1. März 1912. . Inhalt. Hasertanpt: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe . Rusess und G, Hertz: Über den Einfluss der Temperatur auf die Ingwer estrahlen in einigen festen Isolatoren . i Herımans: Über den Charakter der Sommerregen in Morddentechl lan ne. Heınert: Die Erfahrungsgrundlagen der Lass vom allgemeinen Gleichgewichtsustande der Massen der Erdkruste . : W. Bas: Über die Räthsel des Cilek FRE (er Taf. I ua m. ‚ Burpacn: Faust und Moses. Erster Theil Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander i Meyer, K.: Ein mittelirisches Gedicht auf Bra, di Merfihre i Koser: Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae historion . Adresse an Hrn. CArı GrazBE zum fünfzigjährigen Senden am yes en 1912 . Frosenius: Über Matrizen aus nicht negativen Elementen ; r H. Erpxtansspörrrer: Über Mischgesteine von Granit und Bein ; J. Marquart: Guwaini’s Bericht über die Bekehrung der Uiguren . Adresse an Hrn. Erst Wırueım Besscke zum fünfzigjährigen Doctorabiläun. am 1 10. Mai 1912.. Adresse an Hin Monde RER zum , fünfzigjährigen Doctorjabiläum am 28. Mai 1912 Scauzze, F.E.: Die Erhebungen auf der Lippen- und Yin sterne der gegen I. Ruminantia (hierzu Taf. III —V) . i en ah von Wıramowırz-MoELLEnDoRFF: Neues von Kallima ich 08. Herrwic, O.: Veränderung der idioplasmatischen Beschaffenheit de Bamenfäden: due physikalische und durch chemische Eingriffe. Vierte ae Wörrruis: Das Problem des Stils in der bildenden Kunst. . - a: . 572 ige EN ren a en wu Mn 819: LLM SITZUNGSBERICHTE KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 11. Januar. (S. 1) Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 11. Januar. (S. 3) I. Scaue: Über einen Satz von Ü. CArArkeoporr. (S.4) Frosesivs: Ableitung eines Satzes von CARATHEODORY aus einer Formel von Krosecker. (S. 16) Gesammtsitzung am 18. Januar. (S. 33) MIT DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE AM 1. JANUAR 1912. BERLIN 1912. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. IN COMMISSION BEI. GEORG REIMER. Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften. n 15 Akademie gibt un s $Al,1 der Statuten zwei » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«. us $ 2. ede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die » Ahlers bestimmte Mittheilung muss in einer aka- gemischen Sitzung vorgelegt ee re in ig Regel ie mitglieder haben hierzu die » Ver rmittelung eines ihrem Fache angehörenden gern Mitgliedes zu benutzen. $ 3. on eiten in . keröhuliähen Schrift der Abhand- le . übersteigen. Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Ges ne arena oder der betreffenden n Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrüc beantragen as Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen ollen einer Mittheilung Abbildhngen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen n.s.w. ) gleichzeitig Aut 2 el jedoch auf geircanien Blättern, einzurei Die Kosten der vo Vorligen haben i der Regel die Verfasser zu en. Sind diese Kosten A- demie ber die voraussichtliche Höhe dieser Kosten St — wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt — Kostenanschlag eines Sachv ändigen beizufügen erschreitet dieser Anse ür die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichte ten 150 Mark, = n us : 5 d Einreichung des Soleländienn wen Manuseri Ar: ts an den zuständigen Secretar ode den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilang ; in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines er anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestim Mittheilungen von Verfassern, weiche nicht Mitglieder er Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die itzungsberichte aufgenommen Beschliesst eine Classe die Aufnahme — Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die u bestim eil » Iu ; so er dieser Be der Bestätigung durch die Gesammt-Akademie (Fortsetzung auf s. 3 des Aus‘ $ .® 6. N: +. 7 . p 7 ar wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, zu und die miese u: zur Tragung der entstehenden Mehr- kosten verpflich atgenomncnen w een Mittheilungen, Rede Adressen oder Berichten werden für die Ve rfasser, von w ieissschnflichen ee wenn deren Umfang im Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sonder- abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- _ ee eu Stücks ‚der SIROngsberichie ausgegeben werden | | = Aus $ 8. n allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen ; # % für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungsberichten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu TEBABONLER er "Verteilung ohne weiteres 50 Frei- ess be zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er au Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf der Genehmigung der Gesammt-Aka demie oder d treffenden Clas € w ® gern ya la : Sonder Ahiknckai aus den Abhandlungen er- hält eir Ze ee r, welcher - der Akademie ish zu Kresse Vertheilun ne weiteres 30 exemplare; er ist indess berecht er zu en Ei auf Kosten der Akademie weitere Exe ar Zahl von noch 100 und auf sein z n 2 ® f seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmi igung r Gesammt-Akademie oder der be- treffenden Classe, — Ni tmitglieder erhalten 30 Frei- exempi nd dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirend re un 100 Exemplare auf irenden Kosten abziehen las 1 Eine für die Ehudsmischen Schriften be- stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf - A keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs“ Umsehlags.) VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN AM 1. JANUAR 1912. I. BESTÄNDIGE SECRETARE. Gabi yon de Datum der Königlichen estätigung BE AMBM:. .....:. .ophyssmath, Classe . . . „1878 April 10. In, ED 5,505 5.3885 Nov. 27. # PERWE: >... ... payemail. -- .5..2::: 3808 Jan: 20: oe se... Dbll,-hint, none ss AL AUG, 28, Il. ORDENTLICHE MITGLIEDER. Physikalisch -mathematische Classe Philosophisch -historische Classe a Bestätigung BE 0 nein ec. 28066 Aus, IE: Hr. Alexander Conze . . . . 1877 April 23. Pa 2 en. 30 a ER. : . =>... 3, 0. 0.0 Be 3 Hermann Dis . . . . 1881 Aug. 15. -: When Waldley . . . :. . 25.2.0... 184 Be Heinrich Brunner. . . . 1884 April 9. Tome DE Se a. 5. u 3 / - Otto Hirschfld . . . . 1885 März 9. - Eduard Sachau . . . . 1887 Jan. 24. - Gustav von Schmolee . . 1887 Jan. 24. MOIN ee A 2: - Adolf Harnack . . . . 1890 Febr. 10. - Hermann Amandus Schwarz - : -: - » x 2 2... .:1892 Dec. 19. - Georg Frobenus . . . dr sinne BE I ea Er . . . rn . . . . . Den - Oskir Buraaig » ., cn een, Be scMas Powk, - . .. 2... 20.0.0000 I a in - Karl Sumpf . . . . . 1895 Febr. 18. Erich Schmidt. . . . . 189 Febr. 18. - Adolf Erman . . . .°. 1895 Febr. 18. Datum der Königlichen Physikalisch - mathematische Classe Philosophisch - historische Classe re een 1895 Aug. 13, Hr. Reinhold Koser . . . . 1896 Juli 12. - Max Lenz. . . 1896 Dec. 14, - Ulrich von Weis: Moellendorf. . . . . 1899 Aug. 2, a er “on, 2 25,31800 Dee 18. = I EHRE. a 20.3. I u 31: - Heinrich Müller-Bresiu . . . . .. ey, 1008 Jan 12 - Heinrich Dres . . . . 1902 Mai 9. - Konrad Burdach . . . . 1902 Mai 9 - Friedrich en a...» oieulen 5 - Guslan Roethe . “un, 0. sa en 5 - Dietrich Schäfir .. . 2... 1008 Aug. 4. - Eduard Meyr. . . . . 1903 Aug. 4. - Wiühelm Schulze . . . . 1903 Nov. 16. “A ARE > 1904 April 3. - Hormon Stw . .. ..: ale: Aug. 29. - Hermann Zimmermann . . . ser ri Aug. 29. - Adolf Martens . . a 1904 Aug. 29 - Walther Nernst . 1905 Nov. 24 - Max Rubner . . 1906 Dec. 2 - Johannes Orth . 1906 Dec. 2 - Albrecht Penck . ee 1906 Dec. 2 - Friedrich Müller . 1906 Dec. 24 - eas Heusir . . . . 1907 Aug. 8 - Heinrich Rubens . . . ey] Aug. 8. - Theodor Liebisch . . . ee en. Aug. 3, - Eduard Seler . 1908 Aug. 24 - Heinrich Lüders 1909 Aug. 5 - Heinrich Morf . - 1910 Dee. 14 en - Heinrich Wölfln.. . ; 21910: Des; 4. - Gottlieb Haberlandt . Be | - Kuno Meyer . 1911 Juli 3 - Benno Erdmann 1911 Juli 25 - Gustar Hellmann R a 1811 Dee. 3 (Die Adressen der Mitglieder s. S. IX.) III II. AUSWÄRTIGE MITGLIEDER. Physikalisch- mathematische Classe Philosophiseh - historiselie Ulasse eg na ara Bestätigung Hr. Theodor Nöldeke in Strass- et - Friedrich Imhoof- Blumer in Winterthur . . 1900 März 5 - ee Villari ın ER 1900 März 5 Hr. Wilhelm Hittorf in Münster i.W.. . . er . 1900 März 5. Kad Sen men: 5, nes... 1000 MiR.D, Hr. Adolfvon Baeyer inMünchen . . ». ». .» 2.2... 1905 Aug. 12. - Vatroslav von Jagie in Wien 1908 Sept. 25. - Panagiotis Kabbadias in Atlei. . . .. .. 1908 Sept. 25, F Lord Rayleigh in Witham, Essex. . .. -» . ..„.» . 1910 April 6. 4 IV. EHRENMITGLIEDER. Datum der Königlichen Bestätigung Earl of Crawford and Balcarres in Haigh Hall, IRB x .»...1888: Juli. 30, | Hr. Max Lehmann in Göttingen . . ; =...4887. Jan. 24: Hugo Graf von und zu Lerchenfeld in Berlin ne u ae I) Mrs 5: ; Hr. Richard Schöne in Grunewald bei Berlin. . . . . . 1900 März 5. ; Frau Elise Wentzel geb. Heckmann in Berlin . . . . . . 1900 März 5. ; Hr. Konrad von Studt in Hannover . . nein, Ba 1, ! - Andrew Dickson White in Ithaca, N. Y. a en 5 100 Ben 22, . Rochus Frhr. von Lilieneren in Coblenz . . . . .........1901 Jan. 14. E Bernhard Fürst von Bülow in Rom . . : » : 2... . 1910 Jan. 31. . Hr. V. CORRESPONDIRENDE MITGLIEDER. Physikalisch-mathematische Classe. Ernst Wilhelm Benecke in Strassburg Lewis Boss in albaıy, NY. Oskar Brefeld in Charlottenburg ; Heinrich Bruns in Leipzig . Otto Bütschli in Heidelberg Karl Chun in Leipzig en Giacomo Ciamician in Bologna Gaston Darboux in Paris 2, George Howard Darwin in Cambridge . William Morris Davis in Cambridge, Mass. . Richard Dedekind in Braunschweig & Nüs Christofer Duner in Upsala Ernst Ehlers in Göttingen i Roland Baron Eötwös in Ofen-Pest .. HE -j u i Gabriel Lippmann in Paris Friedrich Merkel in Göttingen. . . Max Fürbringer in Heidelberg David Gill in London . Archibald Geikie in Haslemere, Surrey . . Paul Gordan in Erlangen Kari Graebe in Frankfurt a.M. . Ludwig von Graf in Graz . Julius von Hann in Wien . Vietor Hensen in Kiel . a, Richard von Hertwig in München Vietor Horsley in London . . Adolf von Koenen in Göttingen Leo Koenigsberger in Heidelberg . . Wilhelm Körner in Mailand } Friedrich Küstner in Bonn . Henri Le Chatelier in Paris . . ; Philipp Lenard in Heidelberg. . . Hendrik Antoon Lorentz in Län . Hubert Ludwig in Bons. .:. a, Felix Marchand in Leipsk. . . . - 1910 Datum der Wahl 1900 1910 1899 Febr. Oct. Jan. 1906 Jan. 1897 1900 März Jan. Oct. Febr. Juni Juli März Febr. 7 Jan. Jan. Febr. Febr. Juni Juli \ ENTER Physikalisch-mathematische Classe. Hr. Franz Mertens in Wien . . - Henrik Mohn in Christiania : - Alfred Gabriel Nathorst in Stockholm ; - Karl Neumann in Leipzig . i - Max Noether in Erlangen . u - Wilhelm Ostwald in Gross- Borken. Kor Sachsen . - Wilhelm Pfeffer ın Leipzig . ee er - de Prard in Paris . . i - Edward Charles Pickering in Cambridge, un i - Henri Poincare in Paris. . . 2 - Georg Quincke in Heidelberg . - Ludwig Radikofer in München Sir William Ramsay in London Hr. Gustaf Retzius in Stockholm . ; - Theodore William Richards ın Oambeidee, ai. - Wilhelm Konrad Röntgen in München - Heinrich Rosenbusch in Heidelberg - Georg Ossian Sars in Christiania - Oswald Schmiedeberg in Strassburg . Gustav Schwalbe in Strassburg - Hugo von Seeliger in München : Hermann Graf zu Solms- Laubach ın Sesmubeie:.. Hr. Johann Wühelm Spengel in Giessen . - Eduard Strasburger in Bonn . : - „Johannes Striver in Rom . . Sir Joseph John Thomson in Cambridge. Hr. August Toepler in Dresden . - Gustav von Tschermak in Wien Sir William Turner ia Edinburg Hr. Woldemar Voigt in Göttingen . . i - ‚Johannes Diderik van der Waals in An : - Otto Wallach in Göttingen . rn - Eugenius Warming in Kopenhagen - Heinrich Weber in Strassburg . - August Weismann in Freiburg 1. Br. . . » - Wilhelm Wien in Würzburg ee - ‚Julius von Wiesner in Wien. - Ferdinand Zirkel in Bonn . Y Datum der Wahl 1900 1900 1900 1893 1896 1905 1889 1898 1906 1896 1879 1900 1896 1893 1887 Febr. 22. Febr. 22. Febr. 8. 8 18 19 8 Juli 28 März 13 März 3. März 10. März 8. Febr. 22 Juni 13 dan. 19 Jan. 30 März 11. ' Juli 14. Juni 8. Oct. 20. vi ’ Philosophisch-historische Classe. . Karl von Amira in München . . . . Ernst Immanuel Bekker in Heidelberg ; Friedrich von Bezold in Bonn . Eugen Bormann in Wien Emile Boutroux in ee James Henry Breasted in Chicago Ingram Bywater in London i Rene Cagnat in Paris. . Arthur Chuguet in Villemomble (Seine). Franz Cumont in Brüssel . . . Samuel Rolles Driver in Oxford . Louis Duchesne in Rom. . Julius Euting in Strassburg Paul Foucart in Paris I James George Frazer in Cambridge . Wilhelm Fröhmer in Paris . Percy Gardner in Oxford . . Ignaz Goldziher in Ofen-Pest . Theodor Gomperz in Wien. . . . Francis Liewelhn Griffith in Oxford . Ignazio Gwdi in Rom . . . . Georgios N. Hatzidakis in Athen . Albert Hauck in Leipzig Bernard Haussoullier in Paris . Barclay Vincent Head in London . Johan Ludvig Heiberg in Kopenhagen . Karl Theodor von Heigel in München . Antoine Heron de Villefosse in Paris . Leon Heuzey in Paris . . . 5 Harald Hjärne in Upsala Maurice Holleaux in Athen. Edvard Holm in Kopenhagen Theophile Homolle in Paris . Ohristi Hülsen in Florenz. Hermann Jacobi in Bonn . Adolf Jülicher in Marburg . . Karl Justi in Bonn > . 1900 1897 1907 1902 1908 1907 1887 1904 1907 1911 1910 1893 1907 1884 1911 1910 1908 1910 1893 Du 2 u) 1904 . . . e - m “ 1874 Jan. Juli Febr. Juli Febr. Juni Nov. Nov. Febr. April Dec. Juli Juni Juli Nov. Nov. Datum der Wahl EEE HE WEHRGIEN ERS . Philosophisch-historische Classe. Hr. Arnold Luschin von Ebengreuth in Graz - „John Pentland Mahafj y in Dublin ; - Gaston Maspero in Paris . . - Wilhelm Meyer- Lübke in Wien - Ludwig Mitteis in Leipzig . - Gabriel Monod in Versailles - Heinrich Nissen in Bonu - Axel Olrik in Kopenhagen . - Georges Perrot in Paris . - Edmond Pottier in Paris. - Franz Praetorius in Breslau . . - Wilhelm Radloff in St. ne - Pio Rajna in Florenz - Moriz Ritter in Bonn - Karl Robert in Halle a.S. - Richard Schroeder in Hekdelien - Eduard Schwartz in 1.:BR,; - Emile Senart in Paris . - Eduard Sievers in Leipzig . - Henry Sweet in Oxford . - Sir Edward Maunde Thompson in din “ Hr. Vühelm Thomsen in Kopenhagen . - Paul Vinogradof in Oxford . - Grirolamo Vitelli in Florenz. . - Jakob Wackernagel in Göttingen - Julius Wellhausen in Göttingen - Adolf Wilhelm in Wien - Ludvig Wimmer in Kopenhagen . - Wiühelm Windelband in Heidelberg - Wiühelm Wundt in Leipzig . i vu Datum der Wahl 1904 Juli 21. 1900 Jan. 18. 1897 Juli 15. 1905 Juli 6. 1905 Febr. 16. 1907 Febr. 14. 1900 Jan. 18. 1911 April 27. 1884 Juli 17. 1908 Oct. 29. 1910 Dec. 8. 1895 Jan. 10. 1909 März 11. 1907 - Febr. 14. 1907 Mai . 2. 1900 Jan. 18. 1907 Mai: 2, 1900 Jan. 18. 1900 Jan. 18. 1901 Juni 6. 1895 Mai 2. 1900 Jan. 18. 1911 Juni 22. 1897 Juli 15. 1911 Jan. 19. 1900 Jan. 18. 1911 April 27. 1891 Juni 4. 1903 Febr. 5. 1900 Jan. 18. INHABER DER HELMHOLTZ-MEDAILLE Hr. Santiago Ramon y Cajal in Madrid (1904). Emil Fischer in Berlin (1908). je 4 INHABER DER LEIBNIZ-MEDAILLE. a. Der Medaille in Gold. Hr. James ER in Berlin (1907). - Ernest Solvay in Brüssel (1909). - Henry T. von Böttinger in Elberfeld (1909). Joseph Florimond Due de Loubat in Paris (1910). Hr. Hans Meyer in Leipzig (1911). vıı d. Der Medaille in Silber. Hr. Karl Alexander von Martius in Berlin (1907). - A. F. Lindemann in Sidmouth, England (1907). - Johannes Bolte in Berlin (1910). - Karl Zeumer in Berlin (1910). - Albert von Le Cog in Berlin (1910). - Johannes Ilberg in Wurzen (1910). - Max Wellmann in Potsdam (1910). Robert Koldewey in Babylon (1910). Gerhard Hessenberg in Breslau (1910). - Werner Janensch in Berlin (1911). Hans Osten in Leipzig (1911). a a Sa rs ae a BE aa ei a ars ee ER ER A TE ER BEAMTE DER AKADEMIE. Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke. Bibliothekar und Archivar der Deutschen Commission: Dr. Behrend. Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze. — Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. — Dr. Apstein, Prof. - ee —— — mi 2. . - - u TÄSETT ENEEE AREDTEETE ERTL DE an ' Li ' ı Hr. Dr. WOHNUNGEN DER ORDENTLICHEN MITGLIEDER UND DER BEAMTEN. Auwers, Prof., Wirkl. Geh. Ober-Regierungs-Rath, Lindenstr. 91. SW 68. Branca, Prof., Geh. Bergrath, Lutherstr. 47. W 62. Brandl, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kaiserin Augusta-Str.73. W 10. Brunner, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Lutherstr. 36. W 62. Burdach, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Schleinitzstr. 6. Conze, Professor, Grunewald, Wangenheinstr. 17. Diels, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Nürnberger Str. 65. W 50. Dressel, Professor, Kronenstr. 16. W 8. Engler, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Dahlem (Post: Steglitz), Altensteinstr. 2. Erdmann, Prof., Geh. Regierung-Rath, Dahlem (Post: Gross-Lichter- felde-West), Liebensteinstr. 1. Erman, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Dahlem (Post: Steglitz), Peter Lenne£-Str. 72. Fischer, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Hessische Str. 2. NA. Frobenius, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Charlottenburg, Leibnizstr. 83. Haberlandt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Charlottenburg, Lietzensee- ufer 1. Harnack, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Grunewald, Kunz Buntschuh-Str.2. Hellmann, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Margarethenstr. 2/3. W 10. Helmert, Prof., Geh. Regierungs -Ratlı, Potsdam, Geodätisches Institut. Hertwig, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Grunewald, Wangenheimstr. 28. Heusler, Professor, Vietoria Luise-Platz 12. W 30. Hirschfeld, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Charlottenburg, Mommsenstr. 6. Koser. Wirkl. Geh. Ober-Regierungs- Rath, Charlottenburg, Carmer- str. 10. Lenz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 39. W 50. Liebisch, Prof., Geh. Bergrath, Charlottenburg, Leistikowstr. 2. Lüders, Professor, Charlottenburg, Sybelstr. 20. Martens, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Dahlem (Post: Gross- Lichterfelde-West), Fontanestr. 22. Meyer, Eduard, Professor, Gross- Lichterfelde-West, Mommsenstr. 7/8. Meyer, Kuno, Professor, Charlottenburg, Niebubhrstr. 11a. Morf, Professor, Halensee, Kurfürstendamm 100 Müller, Professor, Zehlendorf, Berliner Str. 14. | u; Müller-Breslau, Prof., Geh. Re rierungs-Rath, Grunewald, Kurmär- kerstr. 8. | Munk, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 4. WM. Nernst, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Am Karlsbad 26a. Ww35. 2 X Hr. Dr. Orth, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 16. - = Penck, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Knesebeckstr. 48/49. W 15. ” = Planck, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Wangenheimstr. 21. - - Roethe, Pxof., Geh. Regierungs-Rath, Westend, Ahornallee 39. - = Rubens, Prof., Geh; Regierungs-Rath, Neue Wilhelmstr. 16. NW 7. - = Rubner, Prof., Geh. Medicinal-Rath, Kurfürstendamm 241. W 50. - = Sachau, Prof., Geh. Ober-Regierungs-Rath, Wormser Str. 12. W 62. - = Schäfer, Prof., Grossherzogl. Badischer Geh. Rath, Steglitz, Fried- richstr. 7. - - Schmidt, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 43. W 50. - - von Schmoller, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Wormser Str. 13. W 62. - = Schottky, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Steglitz, Fichtestr. 12a. - = Schulze, Franz Eilhard, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Invalidenstr. 43. N4 - = Schulze, Wilhelm, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Kaiserin Augusta- Str. 72. W 10. - =. Schwarz, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Grunewald, Humboldtstr. 33. En Schwendener, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Matthäikirchstr. 28. W 10 - = Seler, Professor, Steglitz, Kaiser Wilhelm-Str. 3. *' ..=2 Süd, Prof., Geh, Regierungs-Rath, Enckeplatz 3a. SW 48. - -. Stumpf, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Augsburger Str. 45. W 50. = = Waldeyer, Prof., Geh. Medieinal-Rath, Lutherstr. 35, W 62. - Warburg, Professor, Charlottenburg, Marchstr. 25 b. - - von Wiamowitz -Moellendorff, Prof., Wirkl. Geh. Rath, Westend, Eichen- allee 12, -. =. ‚Wölfen, Prof., Geh. Regierungs-Rath, Halensee, Kurfürstendamm 160. ” = Zimmermann, Wirkl. Geh. Ober-Baurath, Calvinstr. 4. NW52. Hr. Dr. Apstein, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Flemingstr. 5. NW 52. “ = Behrend, Bibliothekar und Archivar der Deutschen Commission, Gross- Lichterfelde-West, Knesebeckstr. 8a. = = Dessau, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Charlottenburg, Car- merstr. 8, = = von Fritze, Wissenschaftlicher Beamter, Courbierestr. 14. W 62. “= = „Harıns, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Friedenau, Ringstr. 44. - = Freiherr Hiller von Gaertringen, Professor, Wissenschaftlicher Beamter, Westend, Ebereschenallee 31; en Köhnke, Bibliothekar und Archivar, Charlottenburg, Goethestr. 6, “ = ‚Rılier, Wissenschaftlicher Beamter, Friedrichshagen, Seestr. 71. - = Schmidt, en Wissenschaftlicher Beamter, . W 62, Ä : as St 20 ei Bayreuther 0 Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei SITZUNGSBERICHTE 1912. DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ll. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Diers. l. Hr. Dıeıs las: Über die handschriftliche Überlieferung des Galen’schen Commentars zum Prorrheticon des Hippo- krates. (Abh.) Unter den acht Hss., die von diesem Commentar bekannt geworden, sind für die im Druck befindliche Ausgabe die drei ältesten: Reginensis 175, Laurentianus 75, 5 und Trivultianus 6385, alle S. XIV, als Grundlage ausgewählt worden. Sie gehen auf einen, wie es scheint, nicht viel älteren Archetypus zurück, der in einem sehr schlechten Zustand sich befunden haben muss, so dass mehrere Blätter theils ganz, theils für die Mehrzahl der Hss. ausgefallen sind und der Text an vielen Stellen stark gelitten hat. 2. Hr. von Wıramowırz überreichte den Sonderabdruck seiner Ge- schichte der griechischen Literatur und Sprache aus Bd.I, 8 der »Kultur der Gegenwart«. 2. Aufl. Berlin und Leipzig 1912 und Hr. Kuxo MEver seine Ausgabe und Übersetzung des altirischen Gedichts Hail Brigit. Halle a. S. und Dublin ı9ı12. Ferner wurde vorgelegt J. Hırsca- BERG, Deutschlands Augenärzte 1800— 1850 (Geschichte der Augen- heilkunde IV). Leipzig ıg11. Ausgegeben am 25. Januar. Sitzungsberichte 1912. | | 1 | ; | | i ; 3 SITZUNGSBERICHTE 1912. I. KÖNIGLICH PREUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. ll. Januar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe. Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers. *]. Hr. Prauck las über die Begründung des Gesetzes der schwarzen Strahlung n dem gegenwärtig noch vielfach umstrittenen Problem der Strahlungsgesetze scheint wenigstens so viel jetzt ziemlich allgemein anerkannt zu sein, dass die Prin- cipien der celassischen Dynamik zu einer rationellen Begründung der Thatsachen nicht ausreichen und daher an irgend einer Stelle modifieirt werden müssen. Die vom Vor- tragenden zu diesem Zwecke aufgestellte Quantenhypothese ist in ihrer Anwendung auf ein System von idealen periodischen Oscillatoren nunmehr zu einem gewissen Ab- schluss gekommen; sie beruht auf der Annahme, dass die Absorption der Strahlung von seiten eines Oseillators stetig, nach einem einfachen Schwingungsgesetz, die Emission dagegen unstetig, nach ganzen Vielfachen eines bestimmten Energiequantums, erfolgt. Hieraus ergibt sich eindeutig das durch die Erfahrung bis jetzt gut bestätigte Gesetz der Energievertheilung im Speetrum eines schwarzen Körpers. 2. Hr. Frogenıus legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. I. Schur hierselbst vor: Über einen Satz von Ü. ÜARATHEODoORY. Bei seinen Untersuchungen über Potenzreihen mit positivem reellem Theil macht Hr. CARATHEoDoRY von einem gewissen algebraischen Satz Gebrauch, zu dem er durch geometrische Betrachtungen gelangt ist. In der vorliegenden Arbeit wird für diesen Satz ein neuer, rein algebraischer Beweis angegeben. 3. Im Anschluss an diese Mittheilung gab Hr. Frogenivs eine Ab- leitung desselben Satzes aus einer Formel von Kronecker. Der in der Arbeit des Hrn. Scuur behandelte Satz des Hrn. CArArneopory wird aus einer von KroNnEckER gefundenen identischen Gleichung abgeleitet. Dieser Be- weis wird dann mit den Beweisen der HH. Fischer und Scaur verglichen. 4 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912. Über einen Satz von (. CARATHkoDORY. Von Prof. Dr. I. Scuur in Berlin. (Vorgelegt von Hrn. Frosenxtus.) Ba seinen Untersuchungen über Potenzreihen mit positivem reellem Teil ist Hr. Cararu£onorr! zu einem sehr interessanten Ergebnis ge- langt, das sich unter Benutzung einer von Hrn. O. Torrrırz? gemachten Bemerkung folgendermaßen aussprechen läßt: I. Man bezeichne, wenn a,,a,,-:-, a, gegebene Zahlen sind und a_, die zu a, konjugiert komplexe Größe bedeutet, mit M(Q,,Q,,++-,a,) die größte unter den (sämtlich reellen) Wurzeln der Gleichung u, dı s Ag : er, An a_ı, 4, 4ı, = On ö: O-ny A_nrı5 A_nya, 5 L Dann liefert (1.) »(@1,02,.-,a,) < 1 die notwendige und hinreichende Bedingung dafür, daß sich eine im Innern des Einheitskreises reguläre analytische Funktion (2) angeben lasse, deren reeller Teil für |z|<1 positiv ist, und deren Entwicklung nach Potenzen Ausdruck von z mit dem 1 yrhrtraet top 0,8 " Über den Varinbilitätsbereich der Koeffizienten von Polenzreihen, die gegebene Werte -93—115, und Über den Variabilitäts- positiwen Funktionen, Rendiconti del Circolo S.193— 217 (diese Arbeit wird im folgen- Br ; certains systömes singuliers d’&quations tegrales, Annales Seientifiques de l’Ecole Normale superieure, Serie UI, Bd. 28 (rgrı), ler quadratischen Formen von unendlich vielen V, lichen, Nach- richten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften rungen ' der Wissenschaften zu Göttingen, math.-phys. Klasse, Jahr- gang 1910, 3.489 — 506, und Über die Fovrrersche Entwickelung positiver Funktionen, Rendi- eonti del Circolo Matematico di Palermo, Bd. XXX (1911), S.191— 192. I. Scuur: Über einen Satz von Ü. CARATHEODORY. 5 beginnt. Ist insbesondere u(a,,a,,'-",a,) = 1, so gibt es nur eine Funk- tion f(2), die den beiden genannten Bedingungen genügt. Hr. Cararn£oporv beweist diesen Satz in eleganter Weise auf geometrischem Wege durch Betrachtung des kleinsten konvexen Kör- pers K,, im 2n-dimensionalen Raume, der die Kurve x se rey, ae W—=1,2,..,") enthält. Daß die Bedingung (1.) für die Existenz einer Funktion f(2) von der verlangten Art notwendig ist, hat Hr. Torruırz in sehr ein- facher Weise direkt bewiesen und ebenso den umgekehrten Satz: ge- nügen die Koeffizienten @,,@,,--- einer gegebenen Potenzreihe Su). = taste + für jedes n der Bedingung (1.), so ist die Reihe für |2| < I konvergent und ihr reeller Teil positiv. Dieses schöne Resultat beweist Hr. CarA- THEODORY (R., Abschnitt IV) mit Hilfe des Satzes I. Einen algebraischen Beweis dieser Sätze verdankt man Hrn. E. Fıscher'. Eine genauere Betrachtung des Cararn£oporyschen Beweises für den Satz I läßt aber erkennen, daß es in erster Linie darauf ankommt, folgenden rein algebraischen Satz zu beweisen, den Hr. CARATHEODORY (R., Abschnitt II) auch ausdrücklich angibt: II. Sind a,,a,,:--,a, beliebige reelle oder komplexe Größen, so lassen sich auf eine und nur eine Weise höchstens n voneinander verschiedene Größen &,,&,,*'',&, vom absoluten Betrage T und ebensoviele reelle posi- tive Zahlen r,,r,,*'-,r, bestimmen, die den n Gleichungen (2.) Ba nsrnst +96 I 1,2, 00} genügen. Setzt man, wenn a_, (wie oben) die zu a, konjugiert komplexe Größe bedeutet, 7, a; REITEN a D(e,a,:--,%) = eis X, Be re | Bin: Biss Diwam Yin oc so ist (3-) a ee a eindeutig bestimmt als die größte unter den (sämtlich Kens Wurzeln der Gleichung (4.) Ds = 0. ı Über das Cararnkoporrsche Problem, Potenzreihen mit positivem reellen Teil be- treffend, Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo, Bd. XXXI (1g11), S. 240—256. 6 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912. Die Zahl p ist dadurch charakterisiert, daß D(a) = %>0, D(a,a)>0,:--, D(@,a,:--:,a,-,)>0, D(@,a,-:- a) ist; ferner sind e,,&,,..-,e, die Wurzeln der Gleichung 0 MM. dp-15 An a4]; Ggy ''', Ap-2; a,-ı a (5.) FKla)=|- - - —0. Q-p+15 A_p425°°', Ay a l, | 2er”, ar Den ersten, wesentlicheren Teil dieses Satzes leitet Hr. CaraA- THEODORY aus den Eigenschaften des konvexen Körpers X,, ab. Ein algebraischer Beweis ist in der erwähnten Arbeit des Hrn. Fischer enthalten. Im folgenden soll ein neuer Beweis angegeben werden, der den eigentlichen algebraischen Ursprung des Satzes deutlicher her- vortreten läßt. Am Schluß der Arbeit gebe ich an, wie sich auf Grund des Satzes II der Beweis des Satzes I gestaltet. 1. Nimmt man die Gleichungen (2 .) als erfüllt an, und ist r, > 0, Wie so wird a en a Be a a „on Die mit Hilfe der Zahlen a,, a_, und der durch (3.) definierten Zahl a, gebildete Hrrmresche Form Hn= N, ,a3_. 0.83 (m =0,1,.-.,n) a,6 der konjugiert Romplexen Variabeln Kar a, UDO 2,2... 0 läßt dann offenbar die Darstellung p Mn Drlekestzz a 5 “4 zu. Da °1> 82, °°',€, voneinander verschieden sein sollen, so sind unter den p Linearformen E +8, 2 +--: TE, für m +1
| P genau p linear unabhän ig. Daher ist (wegen r, > 0) H,, eine nicht F negative Form’, deren Rang ! Der triviale Fall a, — dä,» % "se0sell A = schlossen bleiben. | u. = nel Betrachtung ausge- Eine Herurresche Form H nennt man nicht negativ, 5 a = sr ne man ; negativ, wenn sie bei jeder spe- ‚ziellen Wahl der Variabeln einen nicht negativen Wert erhält. Ist a a re en ‚so nimmt H nur dann den Wert en 5 awinden; in diesem Fall wird H ein tive For genannt. Eine Herurresche Form ist ferner dann und nur dann en ii unter den (sämtlich reellen) Wurzeln ihrer charakt ee 1 4 4 : ’ t : 3 : ; l. Schur: Über einen Satz von Ü. Cara Tukopory. 7 für m+1
p
gleich p ist. Unter den Determinanten
D(a,), D(a,,a,),---, D(a,,a,,---,a,
der n+1 Formen H,,H,,---,H, sind folglich die ersten p von Null
verschieden (positiv), die folgenden gleich Null. Insbesondere ergibt
sich, dap<.n sein soll, daß a, der Gleichung (4.) genügen muß.
Da ferner jede Wurzel y der charakteristischen Gleichung
D(as—y,a,,::-,a,) = 0
der nicht negativen Form H, eine reelle, nicht negative Zahl ist, so
ist a, die größte Wurzel der Gleichung (4.). Daß endlich die Größen
€, 83, °°',&, der Gleichung (5.) genügen müssen, ergibt sich unmittel-
bar, indem man beachtet, daß auf Grund der Gleichungen (2.) und (3.)
-1
rı, T3, De Tas 0 ae Er
1 4, . er Pe p
r,£, ’ TyE&y ’ TzEn b) 0 1,8, . En Pr Er
F,(z) = ee ee re ey
er RR die u ie.
f,E, ‚Tat, r 78, „oO l,8,, ui, 48,
0, DB, ..., 0, 1 1
wird.
& 2,
Es sei umgekehrt a, die größte unter den Wurzeln der Gleichung (4.).
Die charakteristische E D(a,—-y,a,,---,a,) = 0 der Hernrte-
schen Form
H, een 0
aß
hat dann keine negative Wurzel. Daher ist H, und folglich auch jede
der Formen
H. = N) as-.2u2 (mn
eng +rfi, re +4,
wird. Beachtet man noch, daß in unserem Fall
rn, trn+ +, = mm=]1
ist, so erhält man für /(z) die Darstellung
)=zt 2% matnastetng)e
s=ı
Ey a. ur Be,
Ay Lö
Die Funktion f(z) ist also in der Tat eindeutig bestimmt.
1)
16 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
Ableitung eines Satzes von CARATHEODORY
aus einer Formel von KROoNECKER.
Von G. FRoBEnIDS.
Sind @,,Q@3, a, irgend m gegebene Größen, so kann man m reelle
positive Größen 7,,r,,---r„ und m verschiedene Größen &
vom absoluten Betrage 1 so bestimmen, daß
tg
u, z=ndtrsit:-- + rmEh
wird. Die m Tensoren r, sind durch diese Bedingungen vollständig -
bestimmt, und falls n derselben von Null verschieden sind, etwa
rTı,''-T,, So sind es auch die entsprechenden Versoren e,,--:e,.
Ist a_, die zu a, konjugiert komplexe Größe und ist a, die größte
Wurzel der Gleichung
ee a (kr = 0,1, m),
so ist n der Rang dieser Determinante und auch dadurch bestimmt,
daß
An ae laı-.| MHAEDL+:)
verschwindet, während
A=A, = las-.]| (.,B=0,1l,-.n-B
von Null verschieden ist. Die n Versoren &,'+-e, sind die Wurzeln
der Gleichung
Fa) la, FB. | ed,
Es ist also zu zeigen, daß unter den gemachten Voraussetzungen
erstens diese n Wurzeln alle untereinander verschieden sind, zweitens
Jede den absoluten Betrag 1 hat, und drittens die Versoren Pe,
die durch die n Gleichungen
a —engH+t +re R=1,2,..n)
vollständig bestimmt ‚sind, reell, positiv und von Null verschieden
sind. Das letztere schließe ich aus der Auflösungsformel
An-ı 1
Frosenıus: Über einen Satz von ÜARATHEODORY. 17
Für die drei Behauptungen, die in diesem Satz des Hrn. CAra-
THEODORY ausgesprochen sind, hat Hr. Schur in der vorausgehenden
Arbeit einen rein algebraischen Beweis gegeben, der auf den Eigen-
schaften der linearen Substitutionen beruht, die eine positive Heruıtesche
Form g in sich selbst transformieren.
Ich habe bemerkt, daß man den Satz fast unmittelbar aus einer
Identität ablesen kann, die Kroxecker am Ende seiner Arbeit Zur
Theorie der Elimination einer Variabeln aus zwei algebraischen Gleichungen,
Sitzungsber. 1881, abgeleitet hat,
F.(z) Fa-1(y) - Fuly) Fa-ı(2) = C(z-y)H,(z,y),
wo |
Gi us], F.(2) = las+2 2 -Aar+2+ı | (a, =0,1,:..n—1),
oder
“= ee
a Het.
.t ) An-ı An ... Adon-ı ’ ( Y) Un-—1 ... Gen Yarı
1 er 1 ge! 0
ist.
Hr. Scaur benutzt ausschließlich die positive Form p, in welche
die Form
v= rıYıyı nn Yu Yalı
durch die Substitution
Yı rn + €E,fı + mas “r a
transformiert wird und wahrt dadurch seiner Entwicklung den Vorzug
einer großen Geschlossenheit und Durchsichtigkeit. Ich aber bediene
mich mehr der (zur reziproken von p konjugierten) Form ®: A, welche
durch die transponierte Substitution
La — ei Yı ee En Yn
in die zu Y reziproke Form
1.2 >
n ee. ap ;
übergeht.
52.
Ersetzt man in der Formel von Kronecker jedes «a, en we
so geht sie über in |
(1.) F(2)G (y)- F(y)G(z) = A(#-y)H(x,y).
Hier ist, wenn man die n ersten Zeilen in der umgekehrten Reihen-
folge schreibt, |
Sitzungsberichte 1912. 2
18 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912. } |
“
(2.) A les-.}; F(x) nn le3-a2-ag-.rı] (a, 0,1. n—1l) \
oder \
Av 4ı ... Ass An E
A_ı ao rn A E
2
== EB
(3.) F(x) |
@_n+1 A_n+2 er 470 aı E
E
1 a ae Ku 7 aa E
und {
n—]1 Rn
do An—ı Y |
" H xy) ee : /
(4-) (2. 4% > 3. ;
1 RL 0
In dieser Funktion H (2,y) ist G(x) der Koeffizient von u ‚u.
des letzten Elementes der ersten Zeile.
Zum besseren Verständnis der folgenden Entwicklung wieder-
hole ich den Beweis von Kronecker für die in dieser Gestalt geschrie-
bene Identität. Die darin vorkommenden Größen x, YıQazı,,..Q,,
@_1,°**Q_„;, betrachte ich als unabhängige Variable. Dann bestimme
ich a_, so, daß die Determinante (rn +1)ten Grades
(5-) Are. WR 0,1,..n)
verschwindet. Ist nun
| Air) > b,x*,
so ist 65, = A und
(6.) Da. = 0 Kinn
x
Addiert man in der Determinante
er An-ıbn y"b,
ar le igeni
AyH(z,y) = _ - u ;
Guy. **- Go
1 Es 0
zu den Elementen der erste
> ersten Zeile die der zweiten, mit b,_, multi-
pliziert, ---, die der nten,
mit 5, multipliziert, so erhält man
IT@-nbo ++» -4a_,b, F(y)—b,
RE
tn. ... Ana Y _
S
!
.
=,
o
se
FroBenıvs: Über einen Satz von ÜARATHEODORY. 19
Darin ist das letzte Element der ersten Zeile mit G(x) multipliziert.
Daher ist, wenn A, = 0 ist,
AyH(z,y) = F(y)6G(2)+(-1)"6.H-.(z,y),
wo
G_ı 7 Me fr
H(z,y)=-lann 0 0 y
BE uns #- 1
1 as x#-1 0
aus H(x,y) hervorgeht, indem man Jedes «a, durch a,_, ersetzt.
Nun ist H(ax,y) = H(y, x) symmetrisch, und folglich auch
H_,(x, y). Um dies zu erkennen, braucht man nur die ersten n Zeilen
in der umgekehrten Reihenfolge zu schreiben oder H auf die Form
(7) Hlz,y) = las-.(e+y)-as-.n-as-..ı2y| (0, =0,1,..n-2)
zu bringen. Folglich ist
AyHiz,y)- F(y)G(z) = ArH(z,y)- F(x)G(y),
und zwar identisch, weil hier a_„ nicht vorkommt.
Ein zweiter Beweis geht aus von der Matrix
(0) i 1) @) ()
en rei JE
Bi Un ++ Ga; ao 1 0
1 e Se er m 0 1
von 2n+1 Zeilen und n-+3 Spalten. Von den Spalten sind 4 mit
0,1,2,3 bezeichnet. Nimmt man zu den übrigen n-1 Spalten zwei
davon hinzu, etwa 0 und l, so möge die Determinante (n+ l)ten
Grades aus diesen n+1 Spalten mit D,, bezeichnet werden. Dann ist
Do = F_,(z); Dos = —H_.(2,9); Da = An,
Da = G(y), DA, Da = -rH(z,y).
Nun ist bekanntlich
Da Da+ Da Da + DaD. = 0,
und mithin ist identisch |
F_(2)@(y)+AH_,(2,y)-A_,xH(z,y) 6;
In der verschwindenden Determinante (?+1)ten Grades
ao a, ee a,
B_;, Mr: Bes Man
A, = . . . oT
ja Ass a 0,
I En er
ern a a ee
20 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
verhalten sich die Determinanten nten Grades aus den ersten n Zeilen
wie die entsprechenden aus den letzten n Zeilen. Daher ist
F(2):4,:A = F,(®): A:A.,, :
wo A, = (-1)”b, aus A hervorgeht, indem man jedes a, durch ars Ä
ersetzt. Mithin ist |
F(x) G(y)+Aı H_ı(z,y)-ArH(z,y) = 0. |
Einen dritten Beweis, worin die Hilfsgrößen «_, und 5, nicht be- |
nutzt sind, habe ich in meiner Arbeit Über das T) rägheitsgesetz der s
quadratischen Formen, Sitzungsber. 1894, $ Iı gegeben, einen vierten
werde ich in $6 entwickeln.
8.2.
Seien @,,Q,,-.-aq, gegebene Größen, und sei a_, die zu a, kon-
Jugiert komplexe Größe. Dann kann man, und nur in einer Weise,
4, So bestimmen, daß die Determinante (rn + l)ten Grades
(1.) | 4 el] WR 0,1,--..")
verschwindet, und daß die Hernmırzesche Form
(2.) | er 2,2,
keine negativen Werte annimmt.
Diese Größe a, ist reell und positiv
(Schur $ 1).
Ei
Ich mache nun zunächst die Voraussetzung, daß die Determinante 3 |
nten Grades. :
(3-) se Ar [a.,]
von Null verschieden ist.
zeichnungen der Satz:
Jede Wurzel der Gleichung F(x)
Nach (3.) sind durch die n erst
(a, ß = 0, 1, Be n—1)
Dann gilt bei Anwendung der obigen Be-
= (0 hat den absoluten Betrag 1.
en der n + I linearen Gleichungen
(4.) Sa ln)
A
die Verhältnisse der n +1 Größen b,,b,,
und d, ist von Null verschieden. We
auch der letzten Gleichung.
Ist c,_, a8 zu b, konjugiert komplexe Größe, so folgt daraus
>“, ae nt, y
%
durch n—-x und
A ;
‘+, vollständig bestimmt,
gen A,= 0 genügen diese Größen
oder wenn man x und A ersetzt
2 2 & y
Rn LEE RBRSSEICUO C-ESRURTEEER En ee ans ne
a
en
be SÄaBn ni pen Ehen hasaei ana ren" je sr nn na ET a a a ae ar Se bean zen Ah
Frosenıvs: Über einen Satz von ÜARATHEODORY. 2]
Demnach ist
b:b2n 2. dic
und weil d, von Null verschieden ist, so ist es auch «, und mithin
auch Ö,. Daher sind die n Wurzeln der Gleichung nten Grades
F(x) = 0 oder
>52 — 0
f - 1 . ee
alle von Null verschieden, und wenn & = n die zu x konjugiert
komplexe Größe ist, so ist
> Gn-,y7* =0, be er =N, 2 by’ =0.
Da die Heruıtesche Form
(5) P—= Dap-.Fure E=0,1,--n-1)
positiv ist, so ist es auch die (zur adjungierten konjugierte) Form
re Be
:. Be
( ) Gr ... [77 ci
Wo Ln-ı
folglich hat die Determinante
Ay u 1
-a+1 MH x — $ u
Y ( Y) ae Be Ay ge
T „as zer-l 0
einen positiven Wert, und demnach ist H(x,y) von Null verschieden.
Da ferner F(x) = F(y) = 0 ist, so folgt aus der Gleichung
7.) F(2)G(y)- F(y)G(2) = Alz-y)H(z,y),
daß x = y ist. Daher ist
ii | 1 a
Een ee EST,
Y wi a
Ist also « eine Wurzel der Gleichung F(x) — 0, so ist e”' die zu e
konjugiert komplexe Größe, und folglich ist,
0 0: Duo, 1
8. ee nn
(8.) | € (e,:) een
I ge )
positiv und von Null verschieden. a 2 .
Setzt man in der ‚Gleichung (7.), worin z und y unbestimmte
. Größen bedeuten, y= e, so erhält man
(9.) Ela) no nn Au Hte, >
22 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
Die Funktion H(x,e) verschwindet nicht für & = e, ist also nicht
durch 2-e teilbar. Daher ist e eine einfache Wurzel der Gleichung
F(«) >= 0:
Die n Wurzeln der Gleichung F(x) = 0 sind alle untereinander ver-
schieden.
Werden sie mit &,,&,, :-- e, bezeichnet, so sind die n Größen
"1,72, 7, durch die n linearen Gleichungen
(10.) a ereitraar+-- +re K=1,2,.9
vollständig bestimmt, und weil
> bs, =60, > b,a, =0
ist, und 5, von Null verschieden ist, so gilt die Gleichung (10.) auch
füri=0. Ist also H(x, Ey > 2°, 80. ist
ZUR erDBaı)e red Hl),
weil nach (7.), falls x von A verschieden ist, H(e,, &,) = 0 ist.
Nun ist aber
=
ao An-ı 2
> hate = — em A,
Gar °: do l
Gy ... Os. 0
wie man erkennt, indem man die Elemente der ersten Zeile von denen
der letzten abzieht. Folglich ist
fi3.) de
Zen een
Nach (8.) ist daher r, reell und positiv, und demnach gilt die Glei-
chung (10.) auch für ee
Oben ist von der Annahme, daß (2.) eine nicht negative Form
ist, kein Gebrauch gemacht, es ist nur benutzt, daß (5.) eine positive
Form ist, und daß die Determinante A, von (2.) verschwindet. Jene
Annahme folgt aber aus diesen beiden Voraussetzungen. Denn wählt
man die Größen b, so, daß b,=-I wird, so zeigt eine leichte Rech-
nung, daß
2 Bann = N ap „(&,+b,.2,)(25 4 bax,)
ist. ar
de
. Eine nicht negative Form, deren Determinante von Null verschieden
ist, ist positiv. Umgekehrt ist in ej iti
= ee Ä einer positiven Fo: icht nur
die Determinante, sondern a - nn
uch jede ihrer Hauptunterdeterminanten
TE Te BE TE Ta re Bee
Een u 2 ö ist = ee us Br
ER NEED ER De ar EEE EEE RT RER Se SRH N BE Se TEE Be A EEE UT le
a . x \ ‚ 4
Frogenivs: Über einen Satz von ('ARATHEODORY. 23
positiv (> 0). Wenn daher eine Hauptunterdeterminante C von A,
verschwindet, so verschwindet auch jede Hauptunterdeterminante B,
die € enthält. Denn sonst wäre B die Determinante einer positiven
Form, und als Hauptunterdeterminante von B wäre U >0. Ist also
Ayo ... 777
A :52 5 2 74,
RS PR do
so ist in der Reihe der Determinanten A,,ÄA,,--- A„, deren letzte
Null ist, eine gewisse Anzahl n der ersten von Null verschieden,
während alle folgenden verschwinden. Den Fall n = 0, wo die Größen
a, sämtlich Null sind, schließe ich aus. Insbesondere ist A, = 0 und
A,_, die Determinante einer positiven Form.
Dann will ich, und zwar nur aus Determinantenrelationen, zeigen,
daß n der Rang der Determinante A, ist. Dazu genügt es, nach einem
Satze von Kroxecker nachzuweisen, daß die Überdeterminanten (n+ |) ten
Grades von A,_,
nee u a,
3
G-nar41::°°° ur) Ar—n+ı
QÜ_s A_s+n-ı Ar—s
sämtlich verschwinden. Ich zeige dies zunächst für die Determinanten
D,.= D,. Nach Voraussetzung ist D, = A, = 0. Bei dem Beweise
dafür, daß D, = 0 ist, kann ich daher die Gleichung D,_, = 0 schon
als bewiesen ansehen. Nun verschwindet die Determinante
dog 4ı ee An A;
4-1 Ao es An-ı d,-ı
G_n 4-41 N Ao ER
Ar A_r+1 nn A-r+n do
als Überdeterminante von D,. Den 4 in den Ecken stehenden Ele-
menten seien komplementär die Determinanten (n+ l)ten Grades
2, 8
c I,
Dann ist D,_,=0,D,=0,D,_,‚D,-BC=0,BC =, und folglich,
weil B und € konjugiert komplex sind, B= (= 0. Die Determi-
nante nten Grades A,_,, die nach Streichung der ersten und der
letzten Zeile und Spalte übrigbleibt, ist von Null verschieden, ihre
4 Überdeterminanten (n-+1)ten Grades verschwinden. Daher ver-
schwinden alle Unterdeterminanten (rn + l)ten FREIEN, und mithin ist
2 =0,
24 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
Die Determinante (nr + 2)ten Grades
Ayo An-ı a, a;
Ü_y+ı do Ar_n+ı As-u+1
d_, A_r+n-1 Ao As-r
A_; A_s+n-1 Ars do
verschwindet als Überdeterminante von D.. Den 4 letzten Elementen
sind komplementär die Unterdeterminanten
I: =D;
“BB... DD.
Daher ist D,D,-D,,D,, = 0 und folglich D,, =D.
Daß n der Rang von A, ist, kann man auch so einsehen: Aus
D,= 0 ergibt sich, wie eben, daß auch D,.= 0 ist. Setzt man der
Reihenahr =n+1,n+2 ‚"'*, So findet man aus dieser Gleichung
Qn+1>@,42,°'* Wenn nämlich diese Größen schon bis a,_, bestimmt
sind, so ist D,,— 0 eine lineare Gleichung für a,, worin der Koef-
fizient Q von a, nicht Null ist. Denn sind in der Determinante A, — 0
den 4 in den Ecken stehenden Elementen die Unterdeterminanten
An-ı Q
R Au
komplementär, so ist QR= A? ,, und mithin ist Q von Null ver-
schieden.
. Da A,_, die Determinante einer positiven Form und A, — 0 ist,
so kann man nach $ 2 n positive Tensoren rı,T,, + r, und 2 ver
schiedene Versoren 2,4 bestimmen, daß für A — 0 De
u, _eng+--- + re
wird. Setzt man dann für ?— 0,1 m, -Ll,:..oMm
Kent mer,
so hat die Matrix Ä
i en (x, % => 0,1,.-.m)
den Rang n, und daher verschwinden die Determinanten (n+I)ten
Grades, die den Determinanten D,. aus den Elementen a,_, analog
sind. Da aber 5, = ee auch u
Gun, 770 = aus, Mithin. ist.u:.der Rang der Matrix. A... Damit ist
. zugleich der Cararmoporxsche Satz auch. für den Fallm>n+ I be-
wiesen. 2 Ä
7
Frosenius: Über einen Satz von ÜARATHEODORY. 25
Endlich läßt sich nach Hrn. Schnur ($ 4) das erhaltene Ergebnis
auch so aussprechen: Wenn die größte Wurzel a, der Gleichung A, — 0
dieselbe ist wie die der Gleichung A, = 0, so gilt die Relation (10.)
$2 auch fürri=n+1,n+2,---m.
54.
Hr. Erst Fischer hat in seiner Arbeit Über das CaraTHEoporrsche
Problem, Potenzreihen mit positivem reellen Teil, betreffend Rend. del Circ.
Mat. di Palermo, iom. 32, für den hier behandelten Satz einen Beweis
entwickelt, worin er von einer reellen positiven rekurrierenden Form
ausgeht, die sich als Herumrtesche Form betrachtet, in g transfor-
mieren läßt. Er hat es aber (S. 254) als wünschenswert hingestellt,
analoge Untersuchungen für die Form g selbst anzustellen. Dies will
ich hier auf einem möglichst elementaren Wege ausführen, ohne die
Ergebnisse der Theorie der Formenscharen zu benutzen.
In der Determinante
(1.) F(z2) = Ja;.„x-as-.;| (,8 =0,1-.-n-])
sei F,,(x) die dem Elemente @a;_.&-@;_,;, komplementäre Unter-
determinante. Dann ist
(2.) F’(@) = N, a9... Kuse).
a,ß
Ferner ist
do a; ee An-ı
= uw ur Ha Fa BE.
> as Fo; (x) Sr 1 0 N) 1 n-2 1
AEG ü-ı 70), rn Uns = Os
Addiert man hier die Elemente der ersten Zeile zu denen der
zweiten, dann die der zweiten Zeile nach Absonderung des Faktors x,
zu denen der dritten usw., so erhält man
(3.) Sa Male) Ari.
Ist nun F(e) = 0, so kann man x,, &,,-*-2,„_, so bestimmen, daß
(4.) - > (as-. eur Aß-a+ı) x; = 0 (e=0,1,--.n-]) |
ßB ’
wird. Vertauscht man & mit 8 und i mit -i, so erhält man
(5.) > (as-.: - a9-a-1)%a = 0.
« ©
Nun sei, wie in$ı | i ee
| >, 00-.53 = nl («=0,1,..n—1,n).
er DE, Bi
26 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
Multipliziert man dann (5.) mit 5, und summiert nach $ von 0 bis
n-1, so erkennt man, da db, = A nicht verschwindet, daß diese Re-
lation auch für © = n gilt. Ersetzt man 8 durch $ +1, so ist also
(6.) Dre 0a.) 0 B=0,1,-.n-)).
Multipliziert (6.) mit x; und summiert nach $, multipliziert man
(4.) mit x, und summiert nach «, so erhält man
FB re a) = Br — PR
> AB-alatp = E > AB-ar Fatih = 2: N Ad_-atatßı:
und mithin ee = I. Nach (6.) ist daher
(7.) D(as-u: -035-041)8. = MR,
Die n? Größen F,,(e) können nach (3.) nicht alle Null sein und
sind also nach (4.) und (7.) den Produkten x, X, proportional. Da nun
2 Aa_„&%,%g positiv ist, so kann > QA5_.Fas(e) = F’(e) nicht ver-
ß
schwinden, und folglich sind die n Wurzeln &,),&,,.++e, der Gleichung
F(x) = 0 alle untereinander verschieden.
Durch die umkehrbare Substitution
gi 2 er up
3
und die konjugiert komplexe geht p in eine ganz bestimmte positive
Hernuıtesche Form »2 r..Y.%, über. Darin sind die Koeffizienten
r,.=r, reell und positiv.
Wie in $ 2 ergibt sich die Formel
wi Bude,
P)
Folglich gilt die Gleichung
(8.) Ap-u ir Pa Ar (,E=0,1,..n-—I1)
”,x
auch für B zawnle=0;,1,.n-1), Aus den konjugiert kom-
plexen Gleichungen folgt, daß sie auch für x — n und B>0,1,--.
n-1l,n) gilt. In jeder der n? Gleichungen (8.), auch in denen, wo
oder 8 gleich n-1 ist, kann man daher x und 8 durch «+1 und
B+1 ersetzen, und erhält so
Ru — > 8x r.,
a,‘
wo
- * 4 ai
FroBEnıus: Über einen Satz von (ÜARATHEODORY. 27
ist. Da aber die n* Größen r,, durch die n? Gleichungen (8.) völlig
bestimmt sind, so ist s,, = r,, und mithin, falls x von A verschieden
ist, , = 0. Demnach ist
(9.) AB-« ZUR bei @,E =0,1,--n-—-LIın).
$5-
In eine reelle rekurrierende Form läßt sich die Hrrmırzesche Form
y, wie Hr. Fischer gefunden hat, durch eine Substitution, die von
den Koeffizienten von g unabhängig ist, überführen: Seien p und g
zwei Konstanten, e eine Variable. Aus der Formel
(1.) I, 20° = % (p +Be)""P (g+Ge)®ys
erhält man durch Koeffizientenvergleichung für x,, &,, --- z,_, lineare
Funktionen von %, Yı>:-- %-ı- Setzt man
2.) - ner ra" e ZI
so ergibt sich aus der Formel
(3) (PI-0P I Sys =D, (G-PP) (pr gr
die umgekehrte Substitution, falls pg—-gp nicht verschwindet, also
p:qg nicht reell ist. Alsdann ist
9 = » 2 But = > (2 E," Ze) 2 en 2)
= Dr (ö+pijt- ürge. ie. )r1=8 (g+Ge,)® ya
= Nr (pr Be )irrent(g+ ge )et®jeye,
oder wenn man
4) a = % rer! (p+ Pe)?" (g+ge) O=61,--2n-2, 20-1)
setzt :
(5-) =. = > Ca+B YaYa-
Hier ist ec, =e, reell, und, falls keine der Größen p + pe, ver
schwindet,
Gray = Ir Dt = A na ar («-e).
p+tp:n
Daher sind die Wurzeln der Gleichung
(6.) |ea+8 2 Ca+s+1| = 0
28 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
die reellen Größen
u: 204
(7-) Ir KEER p+Pp:. s
Die Transformation (1.) lautet für n = 2
(8.) zo = py + qyı, Xı = py + gyı
und fr n = 3
#0 Pr Yat BG: Yık G. 9
2 = 2ppyo+(p9 +gPp)Yyı + 2999:
a Pur eg Yra 9
und ist allgemein nach der von Hrn. Hurwırz eingeführten Termino-
logie die (n -1)te Potenztransformation von (8.). Sind Yo»Yıs*** Ya-ı
reell, so sind x, und x,_,_. konjugiert komplex (Fischer, $ 7).
$ 6.
Der in $ 4 gegebene Beweis fließt aus den Eigenschaften der
Matrix Px-Q, wo
E= (a3-.) , u (@5-2+1)
ist. An ihrer Stelle benutzt Hr. Schur die äquivalente Matrix
P-1(Ps-Q) = Er.
Er hat entdeckt, daß die Substitution L— PQ die positive Form P
(oder g) in sich transformiert,
(1) LPL=P.
Für diese Relation oder
(2.) VEN -3
will ich hier einen Beweis geben, der auf einem allgemeinen Satze
über die Untermatrizen einer Matrix beruht. |
In der Matrix mten Grades
ee E (a,,) (nv=1,2,.-. m)
wähle ich n (< m) Zeilen mit den Indizes Pı»fas':-p, und nSpalten
91>,02,°°:0, aus. Die aus ihren gemeinsamen Elementen gebildete
Untermatrix nten Grades von M bezeichne ich mit
z ee
een
ee a a. Bere
en
..n— ..0..0...8 .- (9) = ah.
5 a si = (r„) = I Sau
I
a
>
= ©
s =
eg
29
FRoBEnIVUsS: Über einen Satz von ÜARATHEODORY. 2
Ist n der Rang der Matrix M, so besteht zwischen den Determinanten
dieser vier Matrizen die bekannte Beziehung
IPl:|QI=|R]:|S|.
Unter der Voraussetzung, daß eine von ihnen, etwa | P|, von Null
verschieden, besteht zwischen den Matrizen selbst eine analoge Relation.
Der Rang einer Matrix bleibt ungeändert, wenn man die Reihen
untereinander vertauscht, oder eine Reihe mehrfach schreibt. Daher
hat auch die Matrix 2nten Grades
PQ
R:8
den Rang n. Folglich ist die Determinante (n-+l)ten Grades
Pr > Pre GB
Paı Fe Pru In
Vai Re Tan Saß
Setzt man P”' = (t,,), so erhält man durch Entwicklung dieser
Determinante nach den Elementen der letzten Zeile und Spalte
SaBß — > Var ZN I1B
“Ar
oder
(33 BPrHID 3.
Zu diesem Resultat kann man auch gelangen, indem man die
bilineare Form > a,,2,y, durch zwei lineare Substitutionen
Ur =, Ü, I Ah (=1,2..n)
7 v
in > u,®, transformiert. Setzt man
Bis) ir: +B, _
(‘ En 4, g 1 a =B,
1() ... Ei Ye h 1
Ne 6)
PAD, = AD,
R —= BG,;; S = BD.
so wird
In dem hier betrachteten Fall st m =n-+1 und
‚P= (a-., Q= lasın-e)»
R = (ag_(.41)) = Q' E De (a(&+1)-(«+1)) a
und mithin
2.) WPpQ = P.
30 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 11. Januar 1912.
Ist x eine positive oder negative Zahl, und entsteht P, aus P,
indem jedes a, durch a,;, essetzt wird; oe st Q= P,, R=P,,
und es ist P’P,=L°! die zu P"P,=L reziproke Matrix. All-
gemeiner ist
(4.) P-ıP, = (P-ı P,)*.
Die Matrizen L und L’' sind z.B. fürn 4
000 -b,:b, —5,:5, 100
10.0 -5:B, -b,:5 w:.0
en 1:04 Fr 2:09
0 0 —b,:b, ? Le —b,:b, 0 0 1
0.8 1 —b,:b, —b,:b, 0 0 0
$ 7.
Zum Schluß will ich zeigen, wie man aus der Relation ( 3.) $6
BED ES, QS-R = P
die Identität von Krosecker ableiten kann. Ist unter den Voraus-
setzungen des $ ı
?P= (a3-.), = (aß-a+ı)» = (as
so ist, weil S—= P ist,
RP-"Q = QP-ıR — p,
B-a- 4,
Nun ist identisch
(£Ey- 1)? -fEx- 1) — (-y)((Er-L)(Ey-L))'
oder
(E'y- E)!-(Lr— E)-ı — (?=y)(L"zy-E(z+y)+ L)-"
und wenn man
% re e2Q, 5 = P-ıR
setzt,
(1) (Ry-P)"-(Rz-P)"— _(r -WP(z+y)-Q-Rzy)'.
Die Matrix V' erhält man, indem man die zu V adjungierte Matrix
durch die Determinante von V dividiert. Ist also
F(x) — |IPx-Q| nr IR=z—-P||Z| ee IPlJExz-L|,
so hat jedes Element von (Rx P)-: die Gestalt G(z) : F(x), wo G
eine ganze Funktion (n- I)ten Grades ist. Die Determinante von
P(@+y)-Q- Ray — -R(Ezr—-L)(Ey-L)
_ ist bis auf einen konstanten Faktor gleich F(z)F(y).
Frogents: Über einen Satz von (ÜARATHEODORY. 31
In der dazu adjungierten Matrix ist nach (7.) $ ı das letzte Ele-
ment der letzten Zeile gleich H(x,y). Bestimmt man dasselbe Element
auf der linken Seite der Gleichung (1.), so ergibt sich eine Relation
von der Gestalt
G(y) G(2) _ Alx-y) H(z,y)
Fly) Fe) For) °
Für G@(xz) erhält man eine Darstellung, indem man in der Formel
(2.) Fa@a)@(y)-Fiy)@(e) = Alz-y) H(z,y)
auf beiden Seiten die Koeffizienten von y" vergleicht.
Ausgegeben am 25. Januar.
33
SITZUNGSBERICHTE 1912.
In.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
18. Januar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*]. Hr. Hırscarero las: »Beiträge zurrömischen Geschichte.«
Die Beiträge betreffen: ı. den Treuschwur der Italiker für Livius Drusus;
2. typische Zahlen in der Überlieferung der Sullanischen Zeit; 3. ein Senatuscon-
sultum vom Jahre 20 n. Chr.; 4. Velleius Paterculus und Atticus; 5. die Beseitigung
der Centuriateomitien für die Beamtenwahlen. — Die heute mitgetheilten Beiträge
sollen mit anderen der Akademie vorgelegten später veröffentlicht werden.
2. Hr. Epvarn Meyer legte eine Mittheilung von Hrn. Prof. Dr.
M. Linzsarskı in Greifswald vor: »Phönieische und aramäische
Krugaufschriften aus Elephantine.«- (Abh.)
Die Nachprüfung der Kruginschriften aus Elephantine hat gezeigt, dass in diesen
phönieischen Aufschriften bereits die Anfänge der späteren neupunischen Cursive vor-
liegen, und hat eine Reihe neuer Lesungen und namentlich zahlreiche interessante
aegyptische Namen ergeben.
3. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt. Von den Acta
Borussica zwei neu erschienene Bände: Die Handels-, Zoll- und Akzise-
politik Brandenburg-Preußens bis 1713. Darstellung von H. Racneı,
und Das Preußische Münzwesen im ı8. Jahrhundert von F. Frhr.
vos Schrörrer. Beschreibender Teil. Heft 3. Berlin 1911; vonder
Gesamtausgabe derSchriften Wieland’s, welche die Deutsche Commission
unternommen hat, Bd. 7 der Abteilung »Werke«, enthaltend Vers-
erzählungen, Gedichte und Prosaschriften, hrsg. von S. MAuERNAnN.
Berlin 1911; von den Monumenta Germaniae historica Tom. v.ras2
der Constitutiones et Acta publica imperatorum et regum (Legum
Sectio IV). Hannoverae et Lipsiae ıgI1. a
Ferner wurde eine von der Turiner Akademie zum Gedächtniss
von Avosapro geprägte Medaille übergeben, sowie ein von Hrn. Prof.
Grorers Herv£ in Paris eingesandter Sonderabdruck: Les Correspon-
dantes de Maupertuis. Dix lettres de Madame du Deffand. Coulom-
miers IQII. a | ee
Sitzungsberichte 1912.
34 Gesammtsitzung vom 18. Januar 1912.
Seine Majestät der Kaiser und König haben durch Allerhöchsten
Erlass vom 2. December ıgıı die Wahl des ordentlichen Professors
an der Universität Berlin und Directors des Kgl. Meteorologischen In-
stituts Geheimen a Dr. Gustav HeLımanv zum ordentlichen
Mitglied der physikali tischen Ulasse zu bestätigen geruht.
7 a & % a 1. q
Das correspondirende Mitglied der phy
Classe Mıcaer Levy in Paris ist Ende September ıgı1 verstorben.
Ausgegeben am 25. Januar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
eise oder auch in w grIFERE ne in
desseahen Sprache in oder
werden. Sollte eine dig eilikfehis Kerle
m
sedächtnissreden anderweitig zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestat
us $ 21.
Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stüe
in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder ee
Aus $ 22.
Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die
in der Sitzung vorgetragenen wissenschattlichen Mitthei-
lungen und über die zur es rsuns geeigneten ge-
schäftlichen Angelegenheit
Hinter den Fe der w sachen Mittheilungen
bersicht kurze Inhal tsar ngaben derselben,
iter
n den Scheiften der Akademie erscheinenden
ee, werden mit vorgesetztem Stern bezeichnet,
bei den für die Abhandlungen bestimmten wird »(Abh.)«
zugefügt
Wissenschaftliche Eee fremder Verfasse
werden in dem Bericht über diejenige Sitzung RE
in welcher deren er ere in die akademischen Schriften
endgültig beschlossen wird
u N
Das Manuseript einer in einer akademischen Sitzung
am Donnerstag zur Aufnahme in a gen zu-
gelassenen Mittheilung, nen am nächsten Donners
gedruckt erscheinen soll, muss der R el nach in der
Sitzung selber Beat bis ee eit: ag
dem redigireı ae Secretar oder
e- zugestellt tere, Später ge Mania
” mit dem Präsentationsvermerk des ee
Seeretars oder des Archivars versehen, für ein spätere
Stück zurückgelegt.
Dasselbe kann von vorn herein mit Mittheilungen ge-
schehen, deren Satz aus Sa ran wer Gründen be-
sondere Schwierigkeiten erwarten läs ( ER en
in$$ 3 und 4 es Kehren icht
ur ar ichsdruckerei versendet en am Montag
we, an die hier v nden oder an-
erfas oder an die A welche die
Sakalıen,
lie Verfasser verziehten damit auf Ers en
ihrer Nıcheitang nach aclıt Tagen. Fre Be Veh
zur Revision unterbreitet werden m
u am nächsten Ausgabetage Ghechaapt nicht zuge-
sichert werden
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich ai Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
Abhandlungen. Jahrg.
Ph ysikalisch- Enstindätische Nioeyg, er
Philosophisch-historische Class wi
Abhandlungen. J: ahrg. 2a
Physi sikalisch-mathematische Classe .
Phllosophisch-historische Che... -
Einzelne Abhandlungen
aus den Jahren 1908,
Mürer: igurica we ie A
Loors: Das Glaubensbekenntniss de Homousianer "von Bardiea a ee ae ee
Warpeyer: Der romastoide Dee aan. u
Meyer: Gedächtnissrede m auf B Eberhard Sehrader a a „sus DE
von Wıramowırz-MoE : Nordionische See. ee en en
ScHULzE, W.: Gedä ae: sr Richt Pchel ,. 2. 22. 2. -» 1—
Seen, Gedächtnissrede auf Friedrich Kohlraus Dun ea, ein
Lasporr +: Über die E are ung der Masse bei en Umsetzungen” ee...
Kekurk von Srua ONITZ: nköpfe ie een
ıLTtuky: Der Aufbau ‚der pöschichtiichän Welt in den Geisteswissenschaften. Erste Hälfte ee
van’t Horr: Gedächtnissrede auf Hans Heinrich Landol sam. h—
Mörrer: Ui igurica II en
EnsLer - K. Knaus: ‘Über den Anatomischen Bau der baumartigen Cyperacee Schoenodendron
eri Exet ae ger 5 2 a Be
Fischer: aueh auf Jacobus Honrieus Yan "Hoff. ei. en, ehe
Schuze, W.: Gedäe ge auf Heinri = = mer en ns
Erman: Hymnen an das m der Phara . A os : a
Morr: Zur sprachlichen we Frankreichs ea ame
J. Warreer: Die Sedimente der Taubenbank im Golfe von Neapel ae
A. Bersericn: Tafeln für die heliocentrischen Coordinaten von 307 klei n Planete
Ta. re Siebenter vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Tr in Milet und
ma
unternommenen Ausgrabungen
J. Daraus Kaiiewsnsisstelliee erthe du Funetionen Sinus und Cosinus®
c. : Die Handschriften des Corpus agrimensorum Romanorum . i
R. Pe Zur Kenntniss der Grosshirnrinde der Maus
P. Röruıs: Zellanordnungen und Faserzüge im Vorderhirn vo n Siren lacertina
M. Neipmwe: Über die Be des ar wen bei einigen Sängetieren »
K. "hg e Kerne des menschlichen Kleinhirn ;
H. Junker: Der Aus u ge Bathor -Tefnut aus Nubie Bag
ni Peeher HirLer von GAERTRINGEN und H. an Arkadische "Forschungen &
- Tu. Wıesann: Erster vorläufiger Bericht über die von den ee Museen unternommenen
Ausgrabungen in Samos .
Sitzungsberichte der Akademie.
Preis des Jahrgangs . ... . . .
Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1911.
Nersst und F. A. Linpexann: ii über die N Wärme bei tiefen Fire ss
1
raturen
rınaum: Messun ng der" Sonnentemperatur .
Een und BEIBLER: zur Kenntni iss a Warpe’schen Umkehru ung VE
C. Cararırzoporr und E. Beit zur Cor a von Funetionenfolgen
Z, a! über he. ai rdlacher inearer Substitut En
5 : Inschriften aus Rantidi in Kypros (hierzu
Rusens ind O. vos Barver: en ie Ene ne Ar von der r Quaraquecksilberlampe a aus-
trahlung end
Frosentus; über die unzerlegbaren deerstin Bewegu ngs ppen 0
Baskakien: gruppentheoretische Ableitung der 32 gen lelassen eh }
SORRNIRBOFOCHE: u. ahr 1911.
Prasck: zur Hypothese der Quantenen
Jacosı: zur Frühgeschichte der ee Philos sophie . a ach
Warsurs: über den Energieumsatz bei photochemischen Vor gän en in Gasen . . nr
Vox We Man in Stück aus dem atus ge male ee
3 Bern der mittleren freien Weglänge der Kanalstr
von WıLasowırz-MoELLENDORFF ke KER: zwei Edicte des Germanen auf einem Papyrus
des Berliner Mus
“
(hierzu Taf.
A. Torsguisrt: die Tektonik dee Seleree Untergr rundes Norddeutse hl
€
lands .
an meiinggise) Fun ein experimenteller Beweis für die
ioplasmanatur der Kernsub
=
Scaortky: über das Eurer oa Dr Drehungaproben :
zen über die vier Jac hen ann ge
Ermax: ein Denkmal mensch Theolo a ee,
Jacont: Cult tur-, Sprach- und Litterarhi f 2
ogie
storisches 3
E. Lirruass: die Inschriften des Königs Kalum s aus dem Kanfliya es
i e von Acanceh in Yucaı ;
Ei Mesen: cu den Kaas ceh in ucatan „(ierzu it. VI- x)
: | im
RMAN: Brgege he der m Gräb erstadt (hierzu Pe; som.
EC :
Mauss: ‚Über die © Messung gro “ı. er Kräfte i im en “ erde \
. €. Bao en des Königs Kalumu 2 ;
Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1912.
Ä > Baker : über einen Satz von €. Cararm; NEODORY
Frosesvs: Ableitung ne Satzes von CARATHLoDoRY. aus einer "Formel von Kronzeken ES J
s = s 3 s 3 E} 1 »
A; E} Ei 6 7 z = = = = = E; =” ”
a de, a De Dr Nennen ze EEE u 2 DE Bee En
1912. vw
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Festsitzung am 24. Januar. (S. 35)
WaArpever: Ansprache. (S. 36)
Ansprache Semer MasestÄt oes Kaisers. (S. 38)
Koser: Festrede, (S.41)
Jahresberichte über die akademischen Unternehmungen und Jahresberichte der Stiftungen. (S. 55)
Übersicht über die Personalveränderungen. (S. 97)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften.
Aus $ 1
e Akademie gibt gemäss gal, 1 der Statuten zwei
ass kann heraus: ne sberichte
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften «
Aus $ 2.
Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« ‚oder die
demischen Si
das druckfertige Manuscript zugleich ee ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
ng
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
3.
mfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in en Regel i in den Sitzungsberichten n_ Mitglie 32
ist nur mit Zustimmung
der mt-Akademie Be der Beenden Classe statt-
haft, we ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
Lässt der Umfang eines Manuserip
muthen, dass diese Zustimmung erford
as vorlegende Mitglied es vor dem Hihreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen
ollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeiehnungen, photographische Original-
aufnahmen n. s. w. . gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung der Vorlägen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen erheblichen Betrag : zu veranse
die Aka
Aus $ S 6.
ry®: ry 1 » Fig I ut d
wenn es sich nicht bloss um glatten ee handelt, aus-
A tzes
Fremde haben diese e
Mitglied Bee
ie Berichtigung von Druckfehlern
n. än
Kies]
a
girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei,
\ und die nn Be zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflich
Aus 8 8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
hten werden für die Verfass
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a hergestellt.
BUENSEN Stücks der PIRRENGRDELIONIE ausgegeben } werden
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, ae ir
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
n den Endes diueken aus den Su n
e ist, a
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von not
_ . lage bei den Sitzungsberich
bei andlungen 300 Mark, so ist erg
Br er se geboten
Aus
orlegung und Einreichung des
vollständigen druckferigen 3 Mais an den
zuständigen Secretar oder an den
erlangt, verdeckt abgestimm
Mi the von Verfassern en nicht Mi lied
der Akademie sind, sollen der Ra 5: ah
ef dieser m der Bestäti :
ee igung dureh die
(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)
Secretar weitere 200 Exemplare auf
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n den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er
g ihre
n Secretar weitere
100 Exemplare auf
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Eine für die akademischen Schriften .
| stimmte wissenschaftliche Mittheilung
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an Be
Stelle anderw eine, sei es aueh nur auszug®
Rn:
35
SITZUNGSBERICHTE 1912.
IV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
24. Januar. Festsitzung zur Feier des 200. Geburtstages König
Friepric#'s Il. im Weissen Saale des Königlichen Schlosses.
Deiie Majestät der Kaiser und König hatten für die diesjährige
Friedrichssitzung der Akademie die Bestimmung getroffen, daß diese
Sitzung, anläßlich der 200. Wiederkehr des Geburtstages FRIEDRICHS
DES GROSSEN, am 24. Januar im Weißen Saale des Königlichen Schlosses
stattfinden solle, und zwar in besonders festlicher Weise. Seine Ma-
jestät nahmen mit dem Königlichen Hause an der um 4 Uhr nachmittags
beginnenden Sitzung teil und hatten dazu die höchsten Würdenträger
des Preußischen Staates in der Zivil- und Armeeverwaltung geladen,
während der Akademie die Einladung ihrer auswärtigen, Ehren- und
korrespondierenden Mitglieder, soweit sie Preußen angehörten, und
ihrer wissenschaftlicien Mitarbeiter und Beamten überlassen war.
Über zwanzig der auswärtigen, Ehren- und korrespondierenden Mit-
glieder waren der Einladung gefolgt.
In der Mitte des Weißen Saales waren auf einer Tafel Erinne-
rungen an FRIEDRICH DEN Grossen, insbesondere solche, die an seine
Beziehungen zur Wissenschaft und Kunst und zur Akademie anknüpften,
aufgestellt. Hinter dieser Tafel, gegenüber dem Throne, befanden sich
die Plätze für die Akademiker und die von der Akademie Geladenen,
rechts vom Throne die für die Prinzen des königlichen Hauses, links
für den Reichskanzler und die Minister, während die übrigen Fest-
teilnehmer an den beiden Schmalseiten des Saales ihre Sitze hatten.
Ihre Majestät die Kaiserin mit den Königlichen Prinzessinnen wohnte
der festlichen Sitzung auf der Kapellentribüne des Saales bei. a.
Seine Majestät nahmen unter Vorantritt des Großen Hauptquartiers
auf dem Throne Platz und die Feier begann mit einem Gesangvor-
trage des Königlichen Opernehors, worauf der für die Feier den Vorsitz
führende beständige Sekretar, Hr. Waıorver, nachstehende Eröffnungs-
worte sprach: | ; ei
Sitzungsberichte 1912. or
36 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Zum zweitenmal erweisen Eure Majestät der Königlich Preußi-
schen Akademie der Wissenschaften in Huld und Gnaden die hohe
Auszeichnung, eine ihrer Festsitzungen im Königlichen Schlosse, in
diesem an geschichtlichen Erinnerungen so reichen Saale halten zu
dürfen. Unvergeßlich in unser aller Gedenken haftet noch die erhabene
und schöne Feier, die Eure Majestät Allerhöchstihrer Akademie zu
deren Zweihundertjahrfeier an dieser Stätte bereitet haben. Und heute,
wo es sich wieder um eine Zweihundertjahrfeier handelt, wo die
Akademie sich anschickt, die 200. Wiederkehr des Geburtstages ihres
zweiten Stifters, weiland König Frieprıcnhs DES Grossen, festlich zu
begehen, dürfen wir uns wiederum unter den Augen unseres König-
' lichen Schirmherrn in diesem hohen Festsaale versammeln. Zu ganz
besonderem Danke fühlen wir Akademiker uns aber dadurch ver-
pflichtet, daß Eure Majestät geruht haben, diesen Festakt ausdrücklich
als Festsitzung der Akademie der Wissenschaften zu bezeichnen und
zu gestatten, daß wir ihn in dem gewohnten Rahmen unserer »Fried-
richssitzung« begehen dürfen. Wollen Eure Majestät die Versicherung
entgegennehmen, daß die Akademie die hohe Ehre voll zu würdigen
weiß, die ihr hierdurch angetan wird, daß sie aber auch ebenso das
allen Herzen wohltuende Gefühl der Pietät würdigt, welches, Eure
Majestät damit gegen Allerhöchstihren großen Ahnherrn kundgeben.
Die Akademie hatte an jenem denkwürdigen 24. Januartage des
Jahres 1712, eben erst ins Leben getreten, noch keine feste Gestal-
tung und Wirksamkeit finden können; dieser Tag schenkte ihr erst
den Mann, der ihr beides bringen sollte und den sie deshalb als ihren
zweiten Stifter ehrt und feiert. Begeht sie in ihrer Hochsommer-
sitzung in Erinnerung an den Geburtstag ihres ersten Begründers
ihren »Leibniztag«, so begeht sie in ihrer Hochwintersitzung ihren
»Friedrichstag« und darf damit seit Eurer Majestät Regierungsantritt
die Feier des Geburtstages Eurer Majestät — Gott walte, daß ihr dies
noch viele Jahre beschieden sei — verbinden. Ihrer Gepflogenheit
gemäß hält an diesem Tage ein Mitglied der Akademie die Festrede,
welche für heute Hr. Kosrr übernommen hat, und
gen Sekretare, zu dem diesmal mich ein günstiges Geschick bestimmte,
berichtet über ihre wissenschaftliche Jahresarbei
abgelaufenen Jahre dahir
Feier auch heute folgen, alles einzelne aber dem zu druckenden Bericht
überlassen. ;
Wenn die wissenschaft;
s chen Arbeiten der A a .
_ freulicherweise festgestellt we er Akademie, wie
einer ihrer beständi-
den kann, in sicherem Fortschreiten be-
EN DE ER u
BT.)
Waroever: Ansprache. 3
griffen sind, wenn die großen Unternehmungen ihrer beiden Klassen
dauernd und ergebnisreich gefördert wurden und neue in Aussicht
genommen werden konnten, so ziemt es uns heute, dem beglückenden
Bewußtsein Ausdruck zu leihen, wieviel Anteil auch hieran unserem
Allergnädigsten Kaiser gebührt. Eure Majestät haben nicht nur unserm
Volke das heilige Gut des Friedens bewahrt, der aller Gesittung und
Wohlfahrt Quelle und Grundlage ist, sondern mit immer regem Auge
nicht minder über dem Fortschritt der Wissenschaft gewacht und unsere
Unternehmungen teilnehmend gefördert, ja oft genug durch Bewilli-
gung der erforderlichen Mittel erst zum erwünschten Ziele geführt.
Dreizehn neue Stellen zur Pflege besonderer Wissensgebiete verdankt
Eurer Majestät die Akademie, und durch die bereits angebahnte Ver-
bindung mit der von Eurer Majestät begründeten Kaiser-Wilhelm-Ge-
sellschaft, deren Aufgaben sich den Zielen der Akademie anschließen,
werden für diese neue Kräfte gewonnen werden können. Möchte zu
Nutz und Frommen beider so hochbedeutenden wissenschaftlichen Korpo-
rationen diese Verbindung immer inniger sich gestalten!
Daß Eurer Majestät Huld und Gnade uns fürder nicht fehle, ist
unsere ehrfurchtsvolle Bitte und unsere Hoffnung. —
. Wenn wir heute nach geheiligtem Brauche unserer Toten ge-
denken, so beklagen wir unter den Abgeschiedenen des vergangenen
Jahres vor allen unsern verehrten Senior und langjährigen beständigen
Sekretar Jomannes Vanzen. Auch allen übrigen Verblichenen eine
treue Erinnerung!
Dann aber geziemt es heute mir, ohne dem akademischen Fest-
redner vorgreifen zu wollen, des großen Kol zu E Bedenken, dessen
Namen die Akademiesitzung trägt. Einhund g Jahre
sind seit seinem Tode dahingegangen; er gehört nicht mehr dem (re-
dächtnisse der einzelnen an, er lebt weiter nicht nur im Gedächt-
nisse seines treuen Preußenvolkes, sondern dieser große Fürst ist einer
von den wenigen, die der ganzen Menschheit, die der Weltgeschichte
dauernd angehören. Und so gedenken wir seiner am heutigen Tage
mit Stolz und Freude, daß er unser Fürst war. Und wenn irgendein
Jemand Anlaß hat, den heutigen Tag in Stolz und Freude zu be-
gehen, so ist es die Königlich Preußische Akademie der Wissen-
schaften, deren Mitglied der große Frıeprıcn hat sein wollen und
dessen Schätzung der Wissenschaft seine Worte kundtun: _
»Die Wissenschaft«, so lauten König Frırprıcns Worte, »ist
unsere treue Gefährtin in jedem Alter und in jeder Lage. Und wen
alle anderen Freuden verschwinden, sie bleibt doch.« '
Trügen nicht die Zeichen, die das Weltgeschehen uns vor on
führt, so stehen wir mitten in einem am Ringen, dureh welches
4
38 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
vielleicht ein neues Zeitalter der Weltgeschichte zum Anbruch kommen
soll. Das zeigt sich nicht nur auf politischem Gebiet, sondern auch
im Felde der Wissenschaft, nehmen wir, welche Seite wir wollen:
das Gebiet der Religionswissenschaft, der Rechtskunde, der Medizin,
der Naturwissenschaften, der Technik und — last not least — der
Philosophie, zeigt uns, in eine kurze Spanne Zeit zusammengedrängt,
Wandlungen und Fortschritte, wie wir sie seit langem nicht mehr
erlebt haben. In solcher Zeit frommt es, sich derer lebendig zu er-
innern, die ihren Schöpfungen die Stetigkeit eines festen Haltes und
Rückgrats gegeben haben. Jede gesunde organische Entwicklung hat
einen solchen, ihr eigenen inneren Halt, ihr Gesetz, geht ihren festen
Weg; weicht sie von diesem ab, so führt sie nicht zum Aufbau,
sondern zur Zerstörung. Daß wir dieses richtig vorgezeichneten
Weges und dieses Haltes uns erinnern, uns seiner bewußt bleiben,
darin liegt die höhere Bedeutung der festlichen Gedenktage an unsere
Stifter und Förderer, wie wir einen der würdigsten für uns alle
heute begehen.
Unser zweiter Stifter hat ein Jahrzehnt hindurch seinen Aka-
demikern in seinem Königsschlosse eine Heimstätte gegeben, wo sie
ihre Sitzungen halten konnten; Eure Majestät haben mit der Aller-
höchsten Entschließung, die heutige weihevolle Gedenkfeier an die-
selbe erhabene Stätte zu verlegen, der Akademie ins Herz geschrieben,
daß sie dem Vermächtnisse, welches der. große König ihr als Richt-
schnur und festen Weg für ihre Arbeiten gegeben hat, treu bleibe;
sie wird nicht den Geist Frirprıcns pers Grossen aus ihrer Mitte lassen!
Das sei der beste Dank, den wir heute darbringen können.
Hierauf erhob sich Seine Majestät der Kaiser und König zu fol-
gender Ansprache:
Wie einst König Frıiepriıchs Majestät am Vorabende
seines Geburtstages 1744 die erneuerte Akademie der
Wissenschaften in diesem Schloß bei Sich willkommen
hieß, so habe Ich ihre Mitglieder heute um Mich ver-
sammeln wollen, um an dem zweihundertsten Jubeltage
Meines großen Ahnherrn die Feier, mit der die Akademie
seit alters alljährlich Seinem Gedächtnis huldigt, mit ihr
gemeinsam zu begehen.
_— Mit Mir und Meine
Vaterland den 24. Jan
| A Erinnerung. Einen besonderen Anlaß aber zu dank-
m Hause feiert heute das ganze
uar als einen Tag weihevollster
;
a nn Lit
a nn una u a u Dh nn un n 31 Lan ud an a un ne
De giled 3 Et Im nn) Tr nalen at ae Sun
Ansprache Seıer Masestär Des Kaisers. 39
barem Gedenken haben diejenigen Glieder unseres Ge-
meinwesens, deren Geschichte mit dem Namen des
Großen Königs unmittelbar verknüpft ist. Hat der Morgen
des heutigen Tages der Feier des Heeres und vor allem
derjenigen Truppenteile gehört, die ihre Stiftung auf
den »König-Connetable« zurückführen, so grüße Ich
hier die Akademie der Wissenschaften als die geistige
Elitetruppe, die FRIEDRICH DER (RossE angeworben und
auf ihren Ehrenposten gestellt hat. Hat doch der jugend-
liche König, noch ehe Er der Mehrer Seines Reiches an
kriegerischen Erfolgen geworden ist, die Wissenschaft
und Sich Selbst mit dem unvergeßlichen Worte geehrt,
dal? Er die Gewinnung des deutschen Philosophen, den
Er zunächst für den Vorsitz in der Akademie in Aus-
sicht genommen hatte, als eine »Conquete im Lande
der Wahrheit« betrachten wolle. So gilt für die Aka-
demie insbesondere das Zeugnis, das Mein in Gott ruhen-
der Herr Großvater in bezug auf FRIEDRICH DEN (GROSSEN
bei festlichem Anlaß abgelegt hat: » Alles, was wir Großes
und Gutes in unserem Lande bewundern, ist auf den
Fundamenten begründet, die Er gelegt.«
Die Akademie setzt ihre Ehre darein, ihre Dankes-
schuld gegen ihren Wiederhersteller abzutragen durch
ihre Betätigung für die Aufhellung Seiner Geschichte,
für die Sammlung und Erforschung der urkundlichen
Zeugnisse Seiner Geistesarbeit und Seiner Taten. An die
ihr durch König Frieprıch WiLHeLm IV. gestellte Auf-
gabe, die literarischen Schriften des Philosophen von’
Sanssouci in einer Gesamtausgabe zu vereinigen, schloß
sich der Auftrag Kaiser WILHELMS DES GrRossEn zur Her-
ausgabe der »Politischen Korrespondenz« und der »Denk-
mäler der preußischen Staatsverwaltung im achtzehnten
Jahrhundert«. Es freut Mich, der Akademie für diese
ihre umfassende Aufgabe an dem heutigen Tage neuen
Stoff zur Verfügung stellen zu können, nämlich die reiche
Sammlung des amtlichen und persönlichen Schrift-
80 die alte Gleichheit in den
40 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
wechsels zwischen dem Großen Könige und einem seiner
treuesten Diener und Gefährten, dem nachmaligen Gene-
ralfeldmarschall von MOoELLENDORFF, dessen Erbe Mir
diese wertvollen Schriftstücke soeben in patriotischem
Sinne als Geschenk für Mein Staatsarchiv dargeboten hat.
Nieht nur der Wiederhersteller und Schutzherr der
Akademie, auch ihr ständiger Mitarbeiter ist König
FRIEDRICH gewesen. Ich erinnere die Akademie daran,
daß in einer ihrer Sitzungen die Abhandlung zur Ver-
lesung gelangt ist, in welcher der erlauchte Ver-
fasser gegen eine materialistisch gerichtete Geschichts-
betrachtung der Auffassung Ausdruck gegeben hat, daß
Reichtum und materielle Güter ein toter Stoff seien, der
erst durch die Intelligenz und die Geschicklichkeit Leben
und Bewegung erhalte. Und diese Abhandlung birgt
zugleich das erkenntnisreiche Wort, daß die Stärke der
Staaten auf den großen Männern beruht, welche die
Natur ihnen zur rechten Stunde geboren werden läßt.
Ein Wort, das wir dankerfüllt heute auf Ihn Selbst an-
wenden, und das unserer Feier den Grundton gibt.
Uns aber ziemt es, des Großen Königs Werk aus-
zubauen und die Kräfte zu nutzen, die Gottes Weisheit
und unendliche Güte in Ihm unserm Preußenvolk ge-
schenkt hat. Dazu an Meinem Teile zu wirken, wird
man Mich stets bereit finden. Und so will Ich auch
die Akademie der Wissenschaften weiter in Meinen be-
sonderen landesväterlichen Schutz nehmen, und ihr zur
Erreichung ihrer Ziele ein Helfer sein. Des zum Zeichen
> = N eg ihr die ersehnte Ver-
rischen Klasse vor Se en m = Philosophisch-histo-
Er En ür die historischen und staats-
ächer zuteil werden zu lassen und
Sitzen der beiden Klassen
1. Des weiteren werde Ich darauf be-
aß ihr die erforderlichen Mittel zur Er-
ihr obliegenden bedeutsamen Aufgaben,
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Ansprache SEInEer MasesrÄr DES Kaisers, 41
namentlich auf dem Gebiete der deutschen Sprach-
forschung, in auskömmlichem Maße gewährt werden.
Die Akademie aber wird, so vertraue Ich, den großen
und freien Geist, in dem ihr zweiter Begründer in ihr
und auf sie gewirkt hat, in ihrer Mitte stets lebendig
halten zum Segen der Wissenschaft und zum Heile des
Vaterlandes.
Darauf hielt Hr. Koser die nachstehend mitgeteilte Festrede.
Eure Kaiserliche und Königliche Majestät!
Erlauchte Prinzen des Königlichen Hauses!
Hochansehnliche Versammlung!
In den hellen Ton, auf den unsere heutige Feier durch die soeben
ehrfurchtsvoll und bewegt von uns vernommenen Worte gestimmt ist,
klingt das warme Gefühl unserer Herzen freudig ein bei Erneuerung
‚einer Huldigung, welche die Akademie der Wissenschaften von den
Altvordern her als teure Pietätspflicht betrachtet. Seit dem ersten
Jahre nach König Frrenrıcas Tode hat die Akademie ohne Unterbrechung
alljährlich zum Tage seiner Geburt sein Gedächtnis gefeiert, ohne Unter-
schied der Klasse und des Fachs haben unsere Festredner dem allge-
meinen Dankgefühl Ausdruck zu leihen gesucht.
Ein weiteres für das Andenken ihres erlauchten Wiederherstellers
zu tun, ist der Akademie lange Zeit versagt geblieben. Der hervor-
ragende Staatsmann, der, damals einer unserer tätigsten Mitarbeiter, in
der Festsitzung vom 25. Januar 1787 die Reihe unserer Huldigungen
für Frreprıcns Manen eröffnete, Graf EwArn Frıenrich von HERTZBERG,
hatte der Akademie die Aufgabe vorgezeichnet, den festen urkund-
lichen Unterbau für eine Geschichte FrıepricHs DES (zRossEn herzustellen.
Als Minister der auswärtigen Angelegenheiten glaubte HErTzBERe es
verantworten zu können, die Schätze der Archive alsbald für diesen
vaterländischen Zweck zu erschließen. Die Staatsmänner, die den
Grafen Hertzeers ablösten, sind andrer Meinung gewesen; sein Plan
wurde zunächst verworfen und dann vergessen. Erst dank dem »großen
und freien Sinne«, der die Regierung unseres ersten Kaisers kenn-
zeichnete', erhielt die Akademie jenen ehrenvollen Auftrag, als Grund-
ei ii die Geschichte des friderizisnischen Zeitalters die Urkunden : aus
! Aus dem von Max Drucker verfaßten Vorwort zu dem erste Bande =
„Politischen Correspondenz F RIEDRICHS DES GRossen« (1879).
42 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
König Frieprıcns Nachlaß in monumentalen Sammlungen der Öffentlich-
keit vorzulegen. Der hochherzige, enge Bedenken von sich weisende
Entschluß hat sich voll gerechtfertigt und reich belohnt. Nunmehr
gewann die Geschichtsforschung die Möglichkeit und den Mut, an die
Abtragung einer Ehrenschuld heranzugehen, und der Zuwachs an zu-
verlässiger Kunde, die Vertiefung unseres Verständnisses haben dann
die Wirkung in die Breite nicht verfehlt, die in deutschen Herzen tief-
eingewurzelte Volkstümlichkeit des »alten Fritz« lebendig zu halten und
immer zu steigern. Wir alle aber, denen es vergönnt war, an diese
Arbeit Hand anzulegen, wir machen uns das Bekenntnis zu eigen:
Meine Lust hab’, meine Freude ich,
Frei und für mich im Stillen unabhängig,
An Deiner Trefflichkeit und Herrlichkeit,
An Ruhm und Wachstum Deines großen Namens.
Unsere Feier steht im Zeichen der Dankbarkeit — der Dankbarkeit
für das, was der große König uns gewesen ist, und für das, was er
noch heute uns ist oder sein kann. |
Frieprıcas dauerndes Erbe in der Gegenwart gehört seinem Volke,
gehört uns allein; sein Bild in der Geschichte ist das Gemeingut vieler
geworden, der Besitz aller derer, deren Teilnahme durch dieses Leben
in seinen heroischen Umrissen und mit seinem rein menschlichen Gehalt,
mit seinen Wechselfällen, Steigerungen und Gegensätzen angezogen
wurde und gefesselt wird.
Den Kronprinzen Frıeprıcn hat bisweilen der trübselige Gedanke
beschlichen, daß seinem Leben nur eine kurze Frist zugemessen sei.
Wäre er gestorben, ohne die Krone getragen zu haben, er würde ewig
betrauert und ewig ersehnt in unserm Andenken fortleben. Denn seine
Jugend in dem hellen Licht der zahlreichen, schon aus erster Frühzeit
N n, das nach rauhem Sturm in ein sonniges Idyll
ausgemündet war, dort in Rheinsberg, wo nun doch der Zögling der
Musen und Grazien, anscheinend ganz einem verfeinerten Lebensgenuß
ergeben, insgeheim in heißer Ungeduld sich verzehrte, in steter Sorge,
Er en Stunde der Ansprüche seines Staates ungenutzt vorübereilen
könnte. | |
Kaum ist er zum Thron gelangt, da schlägt ihm diese mit Spannung
sich in seine erste große Unter-
be di ai a aan nn il ie Hallen kalender nn > ea a en
ER RR SE ER DER TERIIARTEN,
Koser: Festrede. 43
Wer Mut sich fühlt in königlicher Brust,
Er zaudert keineswegs, betritt mit Lust
Des Stufenthrones untergrabne Bahn,
Kennt die Gefahr und steigt getrost hinan;
Des goldnen Reifes ungeheure Last,
Er wägt sie nicht, entschlossen wie gefaßt
Drückt er sie fröhlich auf das kühne Haupt
Und trägt sie leicht, als wie von Grün umlaubt.
Immer wieder beruft sich‘der junge Fürst auf die Stimme im
Innern, die ihm Glück verheißt. Und das Glück lacht ihm zu. Als
er aus zwei Feldzügen in die Heimat zurückkehrt, darf der Dreißig-
Jährige sich rühmen, mehr als einer seiner Vorfahren für die Größe
seines Staates erreicht zu haben. Er hat die größte Grenzverschiebung
erzwungen, die in der Kriegsgeschichte der neueren Jahrhunderte sich
vollzogen hatte.
Ein zweiter Krieg bringt den ersten Rückschlag des Glücks. Aber
aus einer ernsten Prüfung geht er gereift und gefestigt hervor und schreitet
neuen Siegen zu. Der Glanz von Hohenfriedberg und Soor überstrahlt
die Tage von Mollwitz und Chotusitz. Aber nicht geblendet durch
den Erfolg, gewinnt und bewahrt er die klare Einsicht in die Grenzen
seiner Hilfsmittel und erkennt, daß ein Entwurf zur völligen Nieder-
werfung der feindlichen Macht über das Maß seiner Kräfte hinausgehen
würde. Für eine Urkundenveröffentlichung zur Geschichte seiner Frie-
densverhandlungen darf er das Motto wählen: Sich selbst besiegen,
königlicher Sieg -—— sui vietoria indicat regem. |
Im Siegerkranz glüht er den Aufgaben des Friedens sich zu weihen.
Er widerlegt die Meinung derer, die vorschnell geurteilt hatten, daß
seine Vorliebe ausschließlich dem Heerwesen gelte. Er bekennt in
der Freude seines friedlichen Schaffens, daß wahrhaft regieren das
Glück des Volkes fördern heiße, daß wahrhaft sich nur im Frieden
regieren lasse.
Nun verbündet sich Europa gegen den König von Preußen — »ihn
zu bekämpfen und ihn zu bewundern«, wie der Franzose p’ALENBERT
gesagt hat. » Auch der Überzahl gewachsen« — nec pluribus imp
Jubeln seine Bewunderer, aber einer aus ihrer Zahl, der Brite Cuester-
FIELD, setzt hinzu: »Wenn irgendein anderer Mann in seiner Lage wäre,
so würde ich unbedingt sagen, er ist verloren; doch er ist solch ein 4
Wunder von einem Mann, daß ich nur sagen will: ich fürchte, er ist
verloren.« Neuer Ruhm, Lorbeer in überreicher Fülle fällt ihm
aber auch für ihn wird der Lorbeerkranz »ein Zeichen mehr des Leidens
als des Glücks«. Fortunas glücklichstes Schoßkind, wie er sich in
seinem ersten Kriege ers Mundes Bun .n win von immer
an "Weisungen an seine Gehilfen entwirft, in
44 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
wuchtigeren Schicksalsschlägen getroffen und gebeugt. Gebeugt, aber
nicht gebrochen. Als der Held des Jahrhunderts, doch frühzeitig zum
Greise geworden, geht er aus dem ungleichen Kampfe hervor, in
Schlachten überwunden, im Kriege unbesiegt.
In neuer Friedensarbeit werden die Fäden alle wiederangeknüpft,
die der Krieg zerrissen hatte. Nicht bloß das Zerschlagene aufrichten
und das Alte wiederherstellen, auch Neues schaffen wird dieLosung. Der
alte König entfaltet die umfassendste Verwaltungstätigkeit. Nicht
immer gleich erfolgreich und nicht überall gleich glücklich in der
Wahl seiner Mittel und seiner Werkzeuge, aber immer selbstbewußt,
zielbewußt, stetig, lenkt er das Schiff in geradliniger Fahrt, ohne
Schwankungen, ohne Kurswechsel, »mit festem Maß«.
Derweil behauptet er in Europa die Großmachtstellung, die er
seinem Staate errungen hat. Indem er die Wage des Gleichgewichts
zwischen zwei aufeinander eifersüchtigen Nachbarn, seinen Gegnern
aus dem großen Kriege, in starker Hand hält, setzt er es durch, daß
Preußen nicht leer ausgeht, als in Osteuropa eine große Verschiebung
der Besitzverhältnisse sich vollzieht. Er gewinnt dank dem Ansehen,
das sein Schwert ihm verschafft hat, durch eine diplomatische Ver-
handlung nochmals eine große Provinz, die Landverbindung zwischen
den auseinanderliegenden Teilen seiner Monarchie. Und als am Aus-
gang seiner Regierung jene beiden Nachbarn sich ein zweites Mal
gegen ihn verbünden, da versteht er es, mit einem neuen Bundes-
verhältnis, das ihm zunächst nur als ein kärglicher Notbehelf erscheinen
konnte, durch den deutschen F ürstenbund, am Abend seines Lebens
eine große moralische und nationale Wirkung zu erzielen. Freudig,
wie nach dem Tage von Roßbach, richten sich die Augen der
Deutschen auf den preußischen König. Noch sein sinkendes Gestirn
erscheint dem nachwachsenden Geschlechte, wieder nach Gorrnss
Ausdruck, als »der Polarstern, um den sich Deutschland, Europa, ja
die Welt zu drehen schien«.
Die Tat Anfang, Mitt’ und Ende seiner Regierung, seines Tages,
seines Lebens. Zugleich aber führte dieser starke Gewaltige im Reiche
der Tat ein Doppelleben im Reiche der Betrachtung, im unendlichen
Raume des Gedankens.
en ; n fttum zurück. Nicht genug, daß er
Tag für Tag, vom ersten bis zum letzten Jahre seiner Regierung, die
die Feder diktiert oder eigen-
ar 4 an lH hr
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)
Koser: Festrede. 45
händig niederschreibt. Auch nach Erledigung dieses Dienstes sucht
er den Schreibtisch auf, nicht mehr aus Pflicht, sondern aus eigenem
Trieb, um des Schreibens willen, daheim, auf Reisen, im Feldlager und
im buchstäblichen Sinne zwischen den Schlachten. Als nach seinem
Tode eine Auswahl seiner literarischen Schriften in 25 Bänden er-
schien, wurde mit Recht gesagt, daß hier von einem Manne der Tat
die Fruchtbarkeit der schreibseligsten Schriftsteller erreicht oder über-
troffen worden sei. Er selber hat von seinem Schreibkitzel, seiner
demangeaison d’ecrire, gesprochen. Er scherzt: wäre er nicht dureh
seine Geburt zum König bestimmt gewesen, so würde er ein Schrift-
steller, ein Gelehrter geworden sein. Er vergleicht sich in seiner Seß-
haftigkeit am Schreibtisch den gelehrten Benediktinern, nur daß er
über Büchern und Papier nie ein Asket oder gar ein Pedant geworden
wäre. Seine Frohnatur hat ihn auch im höchsten Alter nicht ganz ver-
lassen. Er blieb in der Mitte seiner Tischgenossen der Gesprächige,
Mitteilsame, Muntere, ihr »alter Zauberer« (le vieux soreier), so daß die
Tafelrunde von Sanssouei uns noch heute das klassische Beispiel einer
veredelten Geselligkeit ist, wo Geist und Witz den Vorsitz führen.
»Seine Heiterkeit kam von seiner Überlegenheit«, hat die Zarin Katharina
von FRIEDRICH gesagt.
Man weiß, wie diese Überlegenheit auch in ätzendem Spott Aus-
druck gefunden hat, in einem Spott, der, einmal entfesselt, sich nicht
gern Halt gebieten ließ und der doch die im tiefsten Innern dieses
reichen Gemüts verborgene Frömmigkeit wohl bisweilen übertönt, nie
aber überwuchert oder gar erstickt hat. Denn wieder und wieder ist
der Philosoph von Sanssouei aus Herzensbedürfnis zurückgekehrt zu
lem grübelnden Nachdenken über die großen letzten Fragen und Rätsel,
über die »Ordnung, die der Welt von droben ward zu eigen«, um am letz-
ten Ende, in einer Frömmigkeit jenseits von Überlieferung und Dogma,
die engen Grenzen unserer Einsicht einzugestehen:
Nicht darfst du Gottes Weisheit schuldig nennen,
2 Statt deiner Einsicht Schwäche zu bekennen.
Er, der Allmächt’ge, setzte dir die Schranken,
Die all dein Fürwitz nimmer bringt ins Wanken.
Vielleicht will er durch solehe Hindernisse
Demüt’gen die Vernunft, die selbstgewisse,
Die schon frohlockte, wenn sie hier und da
Im Streiflicht eine Wahrheit dämmern sah.
Daß ganz du Gottes Weisheit könntest preisen,
Müßt’ er dir erst sein ganz Geheimnis weisen.«!
!I Vers sur l’existence de Dieu. (Euyres de Friverıc Le Granp XIV, 19.
46 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Es war eine Frömmigkeit, die auf das engste verwandt war mit
den Harmonien, die der Rex tibicen in seiner Seele trug. Denn
auch die Musik diente ihm zur Herzenserhebung und ward ihm eine
Friedensvermittlerin, wenn es um ihn und in ihm stürmte.
Einen Querpfeifer und Poeten hatte einst den Kronprinzen Frırp-
rıcHn sein Vater gescholten. Der Querpfeifer und Poet ist auch der
König Frieprich allezeit gewesen, auch als er der Vater des Vater-
landes, der Feldherr und Staatsmann, der Gesetzgeber und Volks-
wirt, sein eigener Finanzminister und sein eigener Handelsminister ge-
worden war.
»Friepricns Augenblicke gelten Jahre«, mit diesem Worte, das
damals in ganz Europa widerhallte, hat in unserer Akademie ihr Präsi-
dent Mavperruss die glänzende Formel gefunden für eine auf atem-
loser Zeitausnutzung beruhende Arbeitsleistung.
Gewiß ist Vielseitigkeit nicht immer ein Lob, und immer nicht
das höchste Lob. Hier aber lag neben der nach allen Seiten aus-
greifenden geistigen Regsamkeit, der vielfältigsten geistigen Veran-
lagung die glücklichste Ergänzung nach der Seite des Charakters, des
Willens. Neben der erstaunlichsten Beweglichkeit die Fähigkeit zu
straffester Zusammenfassung. Die Fähigkeit, von der einen Tätigkeit
ganz unvermittelt und ganz gesammelt zu einer anderen, oft völlig
entgegengesetzten überzugehen. FrirpricH hat selber bezeugt, daß er
die Arbeit mit der Feder, die literarische Produktion nicht bloß zur
Abwechslung, sondern ganz eigentlich zur Erholung aufgesucht habe,
zu einer Erholung, die ihn nach dieser Pause zu der strengen ihm
obliegenden Königsarbeit geeigneter gemacht habe; daß ihm, wenn
er träumerisch auf seiner Flöte improvisierte, oft die glücklichsten
Gedanken für seine Staatsgeschäfte gekommen seien.
Diese Spannkraft eines wuchtigen Willens, diese Geschlossenheit.
und Straffheit seines ganzen Wesens hat sich dann, wenn er vor
Ä ‚großen, nicht den alltäglichen Aufgaben stand, ihm bewährt in dem
nie versagenden Mut zum Entschluß, in dem hellen Blick für die
Aufspürung und Erfassung des günstigen Zeitpunktes, in dem Augen-
maß für das Erreichbare, in dem bisw.
a 2 | eilen fehlgreifenden, aber immer
entschiedenen Urteil über Brauchbarkeit oder Unbrauehbarkeit der
ausmachen.
0. Voll aber offenbarte
® kräfte erst im Unglück.
ch die Stärke und Tiefe seiner Seelen
Beh ae a a GEN a er Bas Eat nal nu ala na EN rad Ir a A Ale Sat di ES an
Koser: Festrede. 47
Seine Widerstandsfähigkeit gegenüber einem feindlichen Geschick
erscheint um so bewunderungswürdiger, als dieser Fürst von der
Natur weich geschaffen war und weich geblieben ist trotz der starken
Legierung von Härte, Strenge und Rauheit, die das Leben und der
Beruf dem edlen Golde zugesetzt haben‘. Von Sorge, Zweifel und
Gefahr umringt, klagt er, daß er innerlich unendlich leidet, aber er
setzt hinzu, daß er seiner Seele Stockschläge gibt, auf daß sie ge-
duldig und still werde. Er hält die Probe durch, auf die seine Ner-
ven gestellt werden, während jener schier endlosen Schreckenszeit,
von Erwartung zu Erwartung, Spannung zu Spannung, Enttäuschung
zu Enttäuschung, Niederlage zu Niederlage, über ein Trümmerfeld
von Entwürfen und Hoffnungen dahinschreitend, dem Leiden vertraut,
dem Tode vertraut, dem Tode im Schlachtgewühl unerschrocken sich
preisgebend, ja für den letzten dunkelsten Augenblick dem Tode sich
weihend. Und scheint er einmal unter der Wucht der Schicksals-
schläge zusammenzubrechen, er richtet sich am neuen Tage riesen-
groß wieder auf und hält sich fest an dem kategorischen Imperativ
seiner Königspflicht. Sein sechster Feldzug endet mit dem Verlust
zweier Festungen, weiterer Widerstand will ihm zuerst kaum mög-
lich erscheinen. Aber er wird den ihm anvertrauten Posten nicht
aufgeben und leiht dem Schwunge seiner Seele in erschütternden
Versen Ausdruck: »Vaterland, geliebter Name, dir weiht sich in
deiner Bedrängnis mein Herz, mein trauerndes Herz, und opfert dir
die erlöschenden Reste eines unheilvollen Lebens; statt mich zu
verzehren in unfruchtbarer Sorge, werfe ich mich alsbald wieder in
das Feld der Gefahr.« Mit diesem Hort von Trotz und Tapferkeit
in der Brust, mit diesen unerschöpflichen Kräften moralischen Wider-
standes behauptet er sich sieghaft als der Mann, »der, da alle wank-
ten, noch stand«’.
Die persönliche Größe Frreprıcns haben vor hundert Jahren, nach
dem jähen Falle seines Staates, auch Preußens Feinde nicht in Zweifel
ziehen wollen. Aber in dem Frankreich Napoleons wurde die Frage
aufgeworfen, ob nieht die Nachwelt, die mit einem so ruhmvollen
Titel geize, den Namen des Großen einem Fürsten versagen werde,
dessen Schöpfung ebenso vorübergehend gewesen sei wie er selber.
Und auch bei uns wagte damals ein so warmer Verehrer Friepricns,
wie SCHLEIERMACHER, bei dem Versuch, das Bleibende und Vorbildliche
! Der König schreibt am 8. Juli 1774 an den Prinzen Heinrich: »J’aime & etre
emu et sentir que j’ai un ceur; il n’y a que trop d’objets qui endureissent l’äme, il
est bon de temps en temps de l’amollir.« Politische Correspondenz XXXV, qrı.
?2 Aus Gorruss Versen auf den Tod Frreprıcns Des GROSSEN: -
buch 13, 227.
48 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
an seinem Werke von dem Zufälligen und Vergänglichen zu scheiden,
doch nur die allgemein menschlichen Tugenden der Arbeitsamkeit,
Sparsamkeit, Gerechtigkeit, Duldsamkeit, Humanität zu rühmen, die
für sich allein den großen Regenten noch nicht ausmachen‘.
Wenn wir am heutigen Tage die Frage nach dem Gegenwarts-
wert von Frierprıcns Erbe uns von neuem stellen, so haben wir vor
der Generation von 1812 den zwiefachen Vorteil voraus, daß das
finstere Gewölk nicht auf uns lastet, das damals den Blick trübte und
das Urteil unsicher machte, und daß der größere zeitliche Abstand
unser Gesichtsfeld erweitert hat.
FRIEDRICH DER GrossE hat einmal gesagt: »Die Dekoration eines
Gebäudes kann sich ändern, ohne daß die Fundamente und die Mauern
benachteiligt werden.« So hat in seinem Staat die Regierung aus dem
Kabinett, wie er sie geführt hatte, zwei Jahrzehnte nach seinem Tode
aufgehört, und so ist nach weiteren vierzig Jahren die absolute Regie-
rungsform durch den Verfassungsstaat abgelöst worden, ohne daß das
Fundament, das kraftvolle preußische Königtum uns verloren gegangen
wäre. So hat die Heeresverfassung und die Strategie andere Formen
angenommen, aber Frreprıcn selber hatte den Nachfolgern in bestimm-
tester Weise gesagt, daß die durch ihn eingeführten »Evolutionen«
nur so lange beizubehalten seien, als die Kriegsführung die gleiche
bleiben werde; andernfalls müsse man sich den Zeitumständen anpassen
und sich mit ihnen wandeln’. Eine Vorschrift, die seine militärischen
Nachbeter von 1806 zu ihrem schwersten Schaden nicht beachtet und
wahrscheinlich nicht einmal gekannt haben. Mit der fortschreitenden
Zeit sieh wandeln und mit ihr wachsen, das ist überall der gegebene,
der von dem großen König selber gewiesene Gesichtspunkt für eine
seines freien Sinnes würdige Fortführung seines Lebenswerkes.
Nicht träges, starres Beharren, sondern fortbildende Entwicklung,
Fortschritt ohne gewaltsamen Bruch, das ist dann auch, uns zum Heile,
der Verlauf unserer weiteren Geschichte geblieben: wir haben nicht
zertrümmert, was unsere Väter schufen. Als dann der Feldzug von 1813
die unerschöpfliche Leistungsfähigkeit des Preußischen Staates der über-
raschten Welt offenbart hatte, urteilte einer der besten Männer des
neuen Preußen, Wırseın von Humsorpr: »NaroLeon gab sich das An-
sehen, als wenn Frieprica II. nur für einen Augenblick seinen Staat
Vgl. R. Koser, Friedrichsfeier h d - buch
a ee . Kege ehe vor hundert Jahren; Hohenzollern-Jahrbuch,
Expose du gouvernement
1
prussien von 1777: »Je crois que la diseipline doit
en ainsi que les &volutions introduites, & moins que
la guerre ne change, car a in see :
ng ‚car alors il n’y a de parti qu’ä s ; or ‚es etä
ehanger avec elles« (Eu X, 186). parü qua se plier aux circonstances ;
Koser: Festrede. 49
aufgebaut hätte. Was er getan hat, wird erst jetzt recht sichtbar; denn,
was man auch sagen mag, der Grund des jetzigen Impulses in Preußen
kommt noch unleugbar von ihm her'«.
Mochten die Werkmeister am Umbau unseres Staatswesens vor
hundert Jahren das, was sie von der Vergangenheit schied, in den
Vordergrund stellen vor dem, was ihnen mit ihr gemeinsam war, die
Auffassung dürfte bestehen bleiben »daß die Kluft zwischen dem Alten
und dem Neuen gar nicht so groß war, als jene es sich dachten,
und die Ähnlichkeiten jedenfalls größer als die Verschiedenheiten’«.
Im Bereiche der geistigen Kultur ein ähnliches Verhältnis. Auch
hier hat das Aufklärungszeitalter, das Frıeprıcnhs Züge annahm, die
grundlegende Erziehungsarbeit geleistet, den Boden bereitet, auf dem
das Bildungsideal unserer klassischen Literaturperiode Gestalt gewinnen
konnte’.
Am deutlichsten tritt uns der Zusammenhang mit der Vergangen-
heit entgegen in unserer Stellung nach außen, in unserer Großmacht-
stellung. FRIEDRICH DER GrossE hat seinen Staat den entscheidenden
Schritt tun lassen, indem er ihn einführte in den geschlossenen Kreis der
alten großen Mächte. Das neue Deutsche Reich steht im Staatensystem,
mit gesteigerten Machtmitteln, lediglich auf dem alten Platze Preußens,
auf dem Machtfundament, das Frıeprıca gelegt hat. Auf dieser Grund-
lage ist der Turmbau Ring für Ring emporgeführt worden, und schon sind
die Aufgaben gelöst, auf die der Begründer unserer Großmachtstellung
seine Nachfolger noch selber, unmittelbar oder unter bestimmten Voraus-
setzungen, hingewiesen hatte. Der Körper des Preußischen Staates verlor
allmählich die unregelmäßige Gestalt, die den »König der Grenzen «,
wie die Zeitgenossen scherzten, mit Sorge erfüllte, sobald die Land-
karte vor sein Auge trat. Die Kaiserkrone ist seinem Hause gewonnen
worden, deren Erwerbung er erst für den Zeitpunkt als ein erstrebens-
wertes Ziel bezeichnet hatte, wo der Staat durch neuen Landzuwachs
! W.von Humsorpr und Karorınze von Humsorpr in ihren Briefen IV, 160.
2 Lenz, Geschichte der Kol. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin I], 8.
® H. Baumgarten hat in seinem Buche von 1870 »Wie wir wieder ein Volk ge-
worden sind«, die tiefste Bedeutung der Jahre 1807—ı3 darin gesehen, »daß der preu-
Bische Staat und der deutsche Geist sich in ihnen unzertrennlich vermählten«, und
H. vos Trerrscake hat in seiner Deutschen Geschichte diesen Gedanken der Versöh-
nung des preußischen Staates mit dem Reichtum deutscher Bildung näher ausgeführt.
Dabei aber darf nicht übersehen werden, daß die deutsche Bildung des Aufklärungs- |
zeitalters, d. h. eine geistige Bewegung, wie nach A. Harnacks Urteil (Geschichte der
Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. I, 431) keine seit der Reformation »in Norddeutschland
tiefer eingegriffen und kraftvoller umgebildet« hatte, sich mit dem Geist. des ag
Bischen Staates in bewußter Weise verwandt fühlte. Vgl. auch Lenz a. a. 0. I
Hays, WıiruerLm von Humsorpr S. 260; Dirrney in der Deutschen Rundschau XXVI,
Heft 10, S. 118,
Me. Bot, Garden
16183
50 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
noch stärkere Festigkeit erreicht haben würde, und also ist die Ab-
folge der Vorgänge eben die gewesen, die sein vorschauender Blick
als die gegebene bezeichnet hatte, anders als im ausgehenden Mittel-
alter, dessen Kaiser zunächst nach der Krone und dann erst nach
einer Hausmacht gestrebt hatten.
Auf dem Wasser ist König Frreprıicn der Begründer unserer
Handelsmarine geworden; denn aus kleinen Anfängen hat sich während
seiner Regierung die preußische Babyflotte, wie man in England da-
mals spöttisch sagte, zu bereits stattlichem Umfang entwickelt. Der
König hat aus gewichtigen Gründen an den Bau einer Kriegsflotte
nicht herangehen wollen, aber doch schon einen ersten Anfang für
den Zeitpunkt ins Auge gefaßt, daß Danzig in preußischen Besitz
gelangen würde. Danzig ist dann, zu viel späterer Zeit, in der Tat
die Wiege unserer Seemacht geworden, die Wiege, der sie jetzt längst 5
entwachsen ist. Denn wie einst in einer Zeit lang andauernden Friedens
das Heer geformt und geschult worden ist, das Frıeprıcns Schlachten
geschlagen hat, Frieprıch Wırnerns I. eiserne Saat, so ist in unsern :
Tagen eine neue eiserne Saat aufgegangen und herangereift: Deutsch- i
lands gepanzerte Schutzwehr zur See, die ehernen Mauern, hinter denen
wir uns verteidigen können wie einst die Athener hinter jenen »höl-
zernen Mauern«.
Das alles waren und sind Akte der Testamentsvollstreckung, die
Fortführung seines Werkes in der Richtung, die der große König
gewiesen hatte, allerdings weit hinaus über die Strecke des Weges,
die sein Auge noch zu erkennen vermochte. Und der seither zurück-
gelegte Teil der Fahrt ist so ausgedehnt gewesen, daß die unmittelbare
Empfindung für den Zusammenhang mit der Vergangenheit uns schon
verloren ging und daß ‘der Ausgangspunkt erst durch die historische
Betrachtung uns wieder nahegebracht werden muß.
Heller und lebendiger stehen vor unserm Blick die großen Bilder,
für die Frieprıicns Leben den Rahmen geboten hat, so viele im vollsten
Sinne volkstümlich gewordene Szenen dieses gewaltigen historischen
Schauspiels. Ein republikanischer Staatsmann und Geschichtsforscher :
hat sich zu der enthusiastischen Auffassung bekannt, daß über allen
materiellen Gewinn ihres geschichtlichen Lebens hinaus eine Nation
unberechenbar reicher sei durch ihre großen Erinnerungen, daß jede
grimme Feldzug, jede heißumstrittene Schlacht eine nationale Be-
reicherung darstelle. Solehen Reichtums haben wir bei uns die Fülle
Immerhin sind Erinnerungen Imponderabilien, rein ideale Güter
DE Fleisch und Blut übergegangen ist, wenn auch
Aber
\ Tnwovonz Rooseven, American Ideals and other essays (1904), p- 25 fl.
abe Fa SE ES An. i0 4.0 Al se a len ein La las nn ana nt nn A En Zn anal
N u N: ”
Koser: Festrede. 51
den Meisten heute unbewußt, das ist der Niederschlag, den Frieprıcas
Wesen und Wirken in unserm Nationalcharakter hinterlassen hat.
Preußens Geschichte ist von einem Vertreter der Rassentheorie! als
Beispiel dafür angeführt worden, wie im hellen Licht der Geschichte
eine neue Rasse, mit neuen Eigenschaften ausgestattet, emporkommen
kann. Unsere aus so verschiedenen deutschen Stämmen gemischte
»neue Abart der germanischen Rasse« hat einen ihr wesentlichen
Zug doch erst erhalten in der Epoche, da alle Einwohner des Hohen-
zollernstaates sich als Preußen zu fühlen und ohne Unterschied sich
Preußen zu nennen begannen. Zu der Disziplin der harten Schule
FRIEDRICH WILHELMS I. traten Selbstbewußtsein, Schwung und Stolz, da-
mals als nach Gorrues Wahrnehmung der geborene Preuße sein Teil an
der Glorie des großen Königs sich zueignete und als neben » Tüchtig-
keit, Strenge, Schärfe, Tätigkeit und Ausdauer« auch » Wert, Würde und
Starrsinn« die hervorstechenden Züge des preußischen Nationalcharakters
wurden. Daß die Preußen sich seitdem als ein Volk, ein einheit-
liches Volk, ein ruhmvolles Volk fühlen, hat Erwst Morırz Arspr,
dessen Urteil über die Persönlichkeit Frieprıcns so befangen war, in
unbefangenster Weise anerkannt, wenn er den Preußen nachrühmte,
daß sie nach dem tiefen Fall von 1806 im Gegensatz zu den übrigen
Deutschen, »den Bürgern kleiner Staaten und Teilnehmern kleiner Ver-
hältnisse«, ohne Ehre nicht mehr glücklich sein konnten, weil sie einen
unsterblichen Namen, einen großen Ruhm wiedereinzulösen hatten.
So ist der große König seinem Volk ein Erzieher gewesen. Was
aber weiß uns dieser Erzieher noch heut zu lehren und zu raten?
Nicht daß wir im einzelnen Falle die Frage stellen dürfen, wie
FRIEDRICH DER GroszE sich bei dieser Gelegenheit verhalten haben
würde; denn der Satz ist unbestreitbar, daß die großen Männer nicht
als Vorbilder in die Weltgeschichte hineingesetzt sind, sondern als
Ausnahmen’. Wohl aber wird jeder Staat aus dem Schatze seiner
Überlieferungen eine Summe von allgemeinen Grundsätzen, Erfahrungen,
Lehren und Beispielen, von Antrieben und Warnungen sich entnehmen
können. Und was Fkrırprıcn zu diesem Schatze politischer Erb-
weisheit beigesteuert hat, das ist zum guten Teil bis heute als
laufende Münze im Verkehr geblieben, dank der scharfen Prägung,
die seine goldnen Worte durch die Verbrüderung von treffendem
Urteil und unnachahmlichem Ausdruck erhalten haben. |
Worte, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichen
Klang und ‚gleichen Wert haben werden. Sein Gebot, daß keine Kon-
a ER Stewart CuanserLam. Die preußische |
Rasse
2 J. Bureruarpr, Die historische Größe (Weltgeschiehtliche Betrachtungen
S. 234).
Sitzungsberichte 1912. | a 5
52 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
fession der andern Abbruch tun dürfe, weil hier ein jeder nach seiner
Fasson selig werden müsse, wird für alle Zeiten einem jeden eine
Mahnung sein, nicht bloß vom Staate Duldung für sich zu verlangen,
sondern selber gegen Andersgläubige duldsam zu sein; wie denn
das aus Frıeprıcnus Geist geborene preußische Landrecht neben die
Bürgschaft für eine »vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit«
die Verpflichtung gestellt hat zu »Gehorsam gegen die Gesetze, Treue
gegen den Staat und sittlich guter Gesinnung gegen die Mitbürger«.
Ein preußischer Richter hat dieser Tage als »die schönste deutsche
Übersetzung des alten Pandektensatzes Suum euique« Frıenrıcns Worte
bezeichnet: »Die Gerichte müssen nur wissen, daß der geringste Bauer,
Ja, was noch mehr ist, der Bettler, ebensowohl ein Mensch ist, wie
Seine Majestät, indem vor der Justiz alle Leute gleich sind'«. Auch
unsere moderne soziale Gesetzgebung hat manchen Grundgedanken schon
in Frieprıcns Herrscherbrevier vorgezeichnet gefunden. Und sein Wort,
daß Erfahrung und Sachkunde die sichersten Führer auch in volks-
wirtschaftlichen Dingen seien, ist wieder zu Ehren gekommen, als
unsere Wirtschaftspolitik vor einem Menschenalter sich aus dem dog-
matischen Banne einer als klassisch gefeierten Lehre zu lösen begann
und den Schutz der nationalen Arbeit auf sich nahm, nicht einer
Theorie zuliebe, sondern weil ihr, wie einst dem großen Könige,
diese Fürsorge von Staats wegen dem praktischen Bedürfnis am besten
zu entsprechen schien. Den Bestrebungen unserer inneren Kolonisation
hält der Gründer so vieler Hunderte von Dörfern ein glänzendes Muster
vor, und von dem Rüstzeug seines erfolgreichen Kampfes im Ödlande
gegen Sumpf und Sand erweist sich selbst einer weit vorgeschrittenen
Technik heute noch vieles als beachtenswert und nutzbar.
Die Politik hat der König in seinem politischen Testament? um
schrieben als »die Wissenschaft, stets die Mittel anzuwenden, die
den eigenen Interessen entsprechen«: »um seinen Interessen gemäß
zu handeln, muß man sie kennen, und um zu dieser Kenntnis zu
gelangen, bedarf es des Studiums, der inneren Sammlung, der Appli-
kation’«. Das klingt selbstverständlich, und doch hat die Politik der
Nachfolger nach 1786 sich von dem größten Sachverständigen die
Kritik gefallen lassen müssen, daß klare Ziele ihr entweder gefehlt
hätten oder daß sie ungeschickt gewählt worden seien. Und schon
am Vorabend des Krieges von 1806 hat ein französischer Diplomat
nur zu richtig festgestellt, daß Frieprıcns Epigonen Geist und Grund-
1 2 % {
Ä Fr. Horrze in der Deutschen Juristenzeitung vom 15. Januar 1912.
s = Acta Borussica (»Serie Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung«),
» 359- ;
* Bismarck, Gedanken und Erinnerungen I, 270.
nn unnnu unn u dl alunn ı un u Be a
Das na zn ee
2 a a NE Sn TE a kl u a Lu Ta tr nn are an nm
Koser: Festrede. 53
sätze seiner Regierung nicht ergriffen hätten. Vergessen waren vor
allem seine beiden großen Leitsätze, daß, wer nicht vorwärtskommt
in Europa, zurückkommt und daß die Reputation eine Sache von un-
bezahlbarem Wert sei und mehr gelte als selbst die Macht. Vergessen
auch seine Anschauungen über den Wert und Unwert von Bündnissen
mit dem ewig gültigen Endurteil: »Die besten Alliierten, so wir haben,
sind unsere eignen Truppen’. «
Was für unser Heer der »König-Connetable« bedeutet hat und be-
deutet, das ist zur Vorfeier seines Geburtstages den Angehörigen des
Heeres aus berufenem Munde dargelegt worden. Weit aber über den
Kreis des Heeres hinaus reicht heute, wie vor anderthalb Jahrhunderten,
Frrepricns Mahnruf an die Kleinmütigen, die da zagen, noch ehe im
Krieg oder im Frieden eine Schlacht verloren, und sein Sammelruf
an das letzte Aufgebot nach einer verlorenen Schlacht.
Unsere Feier ist eine Erinnerungsfeier an ernste Zeit — in ernster
Zeit. König Frırvricn hatte die Hoffnung ausgesprochen, daß dereinst
sein Staat auf stärkerer Machtgrundlage und mit besseren Grenzen
der straffen Anspannung eher werde entbehren können; bis dahin
werde die Losung lauten: » Toujours en vedette!« Die Losung gilt weiter.
Noch heute müssen wir wie damals, um Frırprıcns Worte zu wieder-
holen, scharf »auf unsere Nachbarn achten, und bereit sein, uns von
heute auf morgen gegen die verderblichen Anschläge eines Feindes zu
verteidigen«.
In der Überlieferung seines Hauses fand König Frreprıcn die
Devise vor: Meine Pflicht ist mein Vergnügen — mon devoir est
mon plaisir. Diesem Wahlspruch der Großmutter, der philosophischen
Königin Sorte CHARLOTTE, stand zur Seite die Mahnung des Vaters:
»Zur Arbeit sind die Fürsten geboren.« Der Sohn hat das Wort
weitergegeben. Indem er sich als den ersten Diener des Staates
bezeichnete, sagte er sich auch, daß der Dienst am Staat nicht aus-
geübt werden kann ohne die gewissenhafteste Stetigkeit und ohne
die sorgfältigste Vorbereitung. Deshalb warnte er seinen Thronfolger:
Entweder soll man an die Regierung der Staaten sich nicht heran-
wagen oder man soll den hochherzigen Entschluß fassen, sich der
Aufgabe würdig zu machen und alle Kenntnisse zu erwerben, die zur
Ausbildung eines Fürsten gehören, und soll sich in edlem Ehrgeiz
dazu anfeuern, keiner der Mühen und keiner der Sorgen sich zu ent-
ziehen, die das Regieren erfordert.« Wer hat mehr sich auf heitere |
Lebenskunst, auf einen verfeinerten Lebensgenuß verstanden, als der
oh von Sanssouci, der sich selbst wohl als eine epikureisch
! Politische Correspondenz IV, 187.
5*
54 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
gerichtete Natur bezeichnet hat! »Zu Sparta hielt ich hoch Athens ge-
gepflegte Sitte!« Aber die Schule von Athen lehrte neben der Freude
am Leben und an der Schönheit auch den herbsten politischen Idealismus,
und den größten aller Athener läßt der große attische Geschichts-
schreiber das heroische Wort sprechen, daß das die edelsten Seelen
sind, die bei voller Empfänglichkeit für den Genuß und klarer Vor-
stellung von bevorstehenden Mühsalen und Opfern sich doch nicht
verleiten lassen, der Gefahr aus dem Wege zu gehen. Dieser in der
edelsten Bedeutung antiken Gesinnung hat der Held des 18. Jahr-
hunderts nichts nachgegeben, wenn er in dunkelster Stunde erklärte:
»Gewiß, ich kenne den Wert der Ruhe, den Reiz der Geselligkeit,
die Freuden des Lebens. Auch ich wünsche glücklich zu sein, wenn
irgend jemand. Aber so sehr ich diese Güter begehre, sowenig mag
ich sie durch Niedrigkeit oder Ehrlosigkeit erkaufen. Die Philosophie
lehrt uns, unsere Pflicht zu tun, unserem Vaterlande treu zu dienen,
auch mit unserem Blut, ihm unsere Ruhe, Ja unser ganzes Dasein
aufzuopfern'«. Als ein halbes Jahrhundert später abermals Preußens
letzte Stunde zu nahen schien, da haben die Besten in unserem Vater-
lande dieses Königswortes sich erinnert und es wie ein Panier auf-
gepflanzt, um das sich die Gleichgesinnten scharen sollten. ‘
Was Frıeprıcn sich selber als Gesetz vorschrieb und unverbrüchlich
gehalten hat, das hat er jedem einzelnen zur Aufgabe gesetzt: »Die
erste Pflicht jedes Staatsbürgers ist, seinem Vaterland zu dienen.«
Dieser staatsbürgerlichen Gesinnung, diesem vaterländischen Gesamt-
gefühl, das nicht den Acker oder fünf Joch Ochsen und auch nicht
Weib und Kind als Hindernis ansieht?, dieser Vaterlandsliebe als der
alles zusammenhaltenden Kraft im Staatsleben hat der »erste Diener
des Staates« den ergreifendsten Ausdruck gegeben in einer seiner letzten
Schriften, den »Briefen über die Vaterlandsliebe« von ı 779. Nach
einer begeisternden Aufzählung all der Wohltaten, die jeder einzelne
dem Vaterlande verdankt, weiht er sich dem Vaterlande mit dem Ge-
lübde: »Ich bekenne, daß ich dir alles schulde, auch bin ich dir auf
das innigste und unlösbarste verbunden. «
Das ist es und vieles andere, was uns der große König heute noch
zu sagen weiß.
Dem Vaterlande gilt in der Urkunde seines letzten Willens das
letzte Wort, das Wort, das auch das Schlußwort unserer Feier, hier
an dieser durch historische Erinnerungen geweihten Stätte, sein soll:
‚Meine letzten Wünsche im Augenblick meines letzten Atemzuges
& ' Das Zitat schließt das »Bekenntnis« aus
für sich und die ihm gleichgesinnten Männer aufse
“ ®2 Worte des Briefes Bismarcks an
dem Februar 1812, das Clausewitz
tzte, Vgl. Perrz, Gneisenau 3, 628.
A. von Roow vom 20. November 1873.
|
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|
i
|
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|
en ins u m a uni ein Eur ande au aan
a a En ee ae an nn u El An mluind Ta
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 3%)
werden dem Glücke dieses Reiches gelten. Möge es der glücklichste
aller Staaten sein durch die Milde der Gesetze, der bestverwaltete in
seinem Haushalt der am tapfersten verteidigte dank einem Heere, das
nur Ehre und edlen Ruhm atmet, und möge dieses Reich blühen
und dauern bis an das Ende der Zeiten.«
Die Feier schloß mit einem auf Seine Majestät ausgebrachten Hoch
des vorsitzenden Sekretars und mit dem vom Königlichen Opernchor
ausgeführten »Salvum fac regem!«.
An den vorstehenden Bericht über den Verlauf der Feier werden
die vorgeschriebenen Berichte über die Tätigkeit der Akademie und
der bei ihr bestehenden Stiftungen sowie über die Personalveränderungen
im verflossenen Jahre angefügt:
Sammlung der griechischen Inschriften.
Berieht des Hrn. voxw WıL amowIıTz-MOELLENDORFF.
Von dem Bande V ı, Lakonien und Messenien, sind 27 Bogen
fertig oder doch gesetzt; damit ist der Hauptteil, Lakonien, im wesent-
lichen fertig.
Als erstes Ergebnis der Bereisung Arkadiens für V 2 sind in
den Abhandlungen der Akademie erschienen » Arkadische Forschungen
von F. Freiherrn HırıLrer von GAERTRINGEN und H. LATTErmanne.
Von Bd. XI, Delos, der gemeinsam von den Akademien von
Paris und Berlin herausgegeben wird, sind dank der unermüdlichen
Energie des Bearbeiters, Hrn. F. Dürrsaca in Toulouse, bereits ı 3 Bogen
teils fertig, teils in Korrektur. Es kommt diesem bedeutsamen Werke
sehr zu statten, daß nicht nur der wissenschaftliche Beamte unserer
Akademie, Freiherr Hırıer von GAERTRINGEn, namentlich durch die
Revision der Abklatsche, sondern auch die Mitglieder der Pariser Epi-
graphischen Kommission an der Korrektur tätigen Anteil nelımen.
Im übrigen sind mehrere Abteilungen so weit gefördert, daß
der Beginn des Druckes für das nächste Jahr erwartet werden kann.
Sammlung der lateinischen Inschriften.
Bericht des Hrn. Hırsc#reı».
Die Arbeiten für den Abschluß von Band VI (Rom) sind in diesem
Jahre durch Hrn. Bane so weit gefördert worden, daß der Druck so-
wolıl des etwa 3000 Nummern betragenden Auktariums als auch der
Namenindizes demnächst wird beginnen können.
56 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Hr. Bormass hat auf drei Reisen in Italien die Berichtigung und
Ergänzung der in Band XI (Mittelitalien) veröffentlichten Inschriften
zu fördern gesucht, insbesondere die zahlreichen neuen Funde in Fe-
rento und Cervetri aufgenommen und die ersteren zum Druck gebracht.
Von den Abteilungen des Band XIII hat Hr. HıirschreLn die
Addenda zu Gallien, Hr. Fmee in Heidelberg die zu Germanien im
Manuskript fertiggestellt; letzterer hat zur Vervollständigung des
Materials die wichtigeren, von ihm noch nicht erledigten Inschriften-
sammlungen von Trier bis Leyden besucht. — Die Nachträge zu
XIH, 3 (Instrumentum) hofft Hr. Bons noch im Laufe dieses Jahres
der Drucklegung zu übergeben. — Die Bearbeitung der Ziegel von
Obergermanien und der Belgica hat Hr. Sreiser (jetzt in Trier) dem
Abschluß nahegeführt. — Hr. SzLarorawer hat den Namenindex ab-
geschlossen und die Arbeit an den Sachindizes fortgesetzt. — Die
von Hrn. Krerscnuer ausgeführten Karten von Gallien und Germanien
sind nunmehr zum Stich gebracht; zwei Separatkarten für das gallische
Instrumentum, die sich als notwendig erwiesen, sind in Ausarbeitung.
Für Band XV (Instrumentum von Rom) hat Hr. Dresser, die Aus-
sonderung der falschen und verdächtigen Exemplare durchgeführt,
insbesondere die Gruppe der Gemmenfälschungen bearbeitet.
Hr. Lommatrzsch (München) hat den Druck der Neubearbeitung
des ersten Bandes (Inschriften der Republik) bis Bogen 81 gefördert
und die Vorarbeiten für die Indizes begonnen.
Das Auctarium des VIII. Bandes (Afrika) haben die HH. CAasnAr
und Dessau bis zu Bogen 195 fortgeführt, womit der Druck der neu-
gefundenen Inschriften von Thugga vollendet ist, deren Zahl während
des Druckes bis auf etwa 900 gestiegen ist. Auch im vergangenen
Jahr ist die Unterstützung der HH. Mrrııy und Poıssor dem Werk
in reichem Maße zuteil geworden.
Das im vorjährigen Bericht erwähnte, für die Ephemeris epigraphica
bestimmte Supplement des Hrn. HaverrıeLn zu Band VII (Britannia) be-
findet sich im Druck.
Zur Herstellung eines provisorischen Supplements zu Band IX
und X hat Hr. Barrner. (z. Z. in Frankfurt a. M.) die wichtigsten Fund-
oe Unteritaliens besucht; er ist mit der Abfassung des zunächst für
die Ephemeris bestimmten Manuskripts beschäftigt.
Prosopographie der römischen Kaiserzeit.
| Bericht des Hrn. Hırscarert».
| Den in Aussicht gestellten Druck der Magistratslisten haben die
; HH. Dessau und Kress im vergangenen Jahr noch nicht in Angriff
nehmen können. in
te ee ne ee ne
=}
en
wo
jerichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie.
Index rei militaris imperiü Romani.
Bericht des Hrn. Hırscnreun.
Hr. Rırrertiss ist infolge seiner Berufung nach Frankfurt a. M.
zur Leitung der römisch-germanischen Kommission auch in diesem
Jahr an der Fortführung seiner Arbeit verhindert gewesen.
Politische Korrespondenz FRIEDRICHS DES GROSSEN.
Bericht der HH. von ScHamoLLer und Koser.
Der 35. Band der Sammlung ist bis auf das Sachregister durch
Hrn. Dr. Vorz im Druck fertiggestellt und wird somit binnen kurzem
ausgegeben werden können. Die 625 Nummern dieses Bandes liegen
zwischen dem ı. Januar und 31. August 1774.
Das wichtigste Freignis auf dem Gebiete der auswärtigen Politik
während dieses Zeitraums war der Friede von Kutschuk-Kainardsche
(21. Juli 1774), der Abschluß des im Jahre 1768 begonnenen russisch-
türkischen Krieges, dessen Lokalisierung durch die zwischen Rußland,
Österreich und Preußen im Jahre 1772 auf der Grundlage allseitiger
Kompensationen in Polen erzielte Verständigung ermöglicht worden
war. Die diplomatischen Verhandlungen wegen endgültiger Festsetzung
der polnischen Grenze sowohl nach der preußischen wie nach der öster-
reichischen Seite nahmen auch im Jahre 1774 die preußische Politik
noch in erster Linie in Anspruch.
Griechische Münzwerke.
Bericht des Hrn. Conze.
Das nordgriechische Münzwerk. Nachdem der ı. Band,
enthaltend Dakien und Mösien, seit dem Vorjahre vollständig ge-
worden ist, ist Hr. Reeiıss weiterbeschäftigt, die Nachträge dazu zu
liefern, und hat im September v. J. das Museum zu Sarajevo, das be-
sonders für Dakien und Moesia superior reichhaltig ist, dafür durch-
gearbeitet.
Von dem 2. Bande, Thrakien, der HH. Müxzer und Strack
ist Heft ı des ı. Teiles im Druck vollendet. Es enthält die Münzen
der Thraker und der Städte Abdera, Ainos, Anchialos, bearbeitet
von Hrn. Srrack, unter Mitwirkung des Hrn. vox Frıirze und mit
Unterstützung des Hrn. Resrıss, welcher auch für die Bortseirangs: die
Jahresliteratur ausgezogen hat.
Das kleinasiatische Münzwerk. Die Besibeikieg der Münzen
Mysiens hat Hr. vox Faırzz mit Benutzung der von Hrn. Ku-
BITSCHEK gelieferten Literaturexzerpte so weit gefördert, daß ein erstes
58 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Heft in Auflage der Tafeln und im Manuskript fertig vorliegt, der
Druck auch begonnen hat. Hr. vox Frızze hat ferner die chronologi-
schen Vorarbeiten für das Elektrongeld von Kyzikos so gut wie zum
Abschlusse gebracht.
Von dem Bande über Karien stellt Hr. Kusırschek sein Ma-
nuskript bis gegen Ostern d. J. in Aussicht.
Nachdem Hr. Dessen aus der Kommission ausgetreten ist und
seine Mitwirkung bei der Leitung der Münzwerke aufgegeben hat,
ist zum Vorsitzenden der Kommission Hr. Coxnze gewählt worden.
Acta Borussica.
Bericht der HH. von SconmoLter, Koser und Hitze.
Über das Jahr ıgıı ist folgendes zu berichten:
Der Band Behördenorganisation, den Dr. W. Stortze bearbeitet,
IV, 2, der bis zum Tode Friedrich Wilhelms 1. reicht, liegt gedruckt
fertig; es fehlt nur noch das Register, zu dessen Fertigstellung
Dr. Srorrze (Königsberg) bisher verhindert war, nach Berlin zu kommen.
Dr. Freiherr vox Schrörrer hat das dritte Heft der Münzbeschrei-
bung, das die Münzen von 1786—1806 enthält, fertiggestellt; es
ist eben versendet worden. Das Manuskript der historischen Dar-
stellung des Münzwesens von 1769-1806 nebst Akten hat er der
Kommission eingereicht, so daß 1912 dieser Teil unserer Publikation
fertig werden wird.
Von einem neuen Teil derselben, der Handels-, Zoll- und Akzise-
politik, liegt der erste Teil, der bis 1713 reicht und von Dr. Racneı
hergestellt ist, fertig vor; er gelangte ebenfalls in diesen Tagen zur Ver-
teilung.
Dr. Skarweır ist noch mit der Getreidehandelspolitik von 1756
bis 1786 beschäftigt.
Im Tode von Dr. Hass, der die Behördenorganisation von 1756
bis 1786 in Bearbeitung hatte, beklagt die Kommission den Verlust
eınes ganz selten begabten und fleißigen Mitarbeiters, eines .unge-
wöhnlich hoffnungsreichen Jungen Historikers. Ein Ersatz für ihn
ist noch nicht gefunden.
‚In Dr. Erıcn Paur Reımanw hat die Kommission einen neuen Mit-
arbeiter gewonnen. Er hat durch eine recht gute archivalische Arbeit über
das preußische Tabaksmonopol von 1767—ı 796 unsere Aufmerksamkeit
auf sich gelenkt. Wir haben ihm die brandenbureis: Bisahe
= Wollindustri ad ndenburgische preußise
soll eine Parallele zu Hınrzr’s Seidenindustrie werden.
ee En
18. Jahrhunderts als Aufgabe gestellt. Die Arbeit
j
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Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 59
Kuant- Ausgabe.
Bericht des Hrn. Ernmann.
Von der Abteilung der Werke wird der im Druck nahezu fertige
Band VIII noch im Laufe dieses Winters ausgegeben werden. Der
Text von Band IX, dem letzten Bande dieser Abteilung, ist vollständig
gedruckt. Wegen einiger noch offener Fragen über die Gestaltung der
Anmerkungen zu JÄscnes Ausgabe von Kants Logik und insbesondere
zu Rınks Ausgabe der physischen Geographie wird sich die Veröffent-
lichung verzögern. Es ist zu hoffen, daß der Band noch in diesem
Jahre herausgegeben werden kann.
Von dem revidierten Neudruck dieser Abteilung liegen die Bände
I, HI und IV vor; Band II wird demnächst erscheinen. Die folgen-
den können nach Bedarf ohne Verzug neugedruckt werden.
Die Fertigstellung des vierten und letzten Bandes der zweiten
Abteilung, der Briefe, (Band XII) hat sich verzögert. Doch besteht
begründete Aussicht, daß der Druck dieses Bandes im Oktober d. J.
begonnen und schnell fertiggestellt werden kann.
Von der dritten Abteilung, dem handschriftlichen Nachlaß,
ist der erste Band (XIV) erschienen. Band XV soll gleichfalls noch
in diesem Jahre zur Veröffentlichung gelangen und daran sich der
Druck von Band XVI unmittelbar anschließen.
Wann der erste Band der vierten Abteilung, der Vorlesungen,
zum Druck gestellt werden kann, ist infolge des wiederholten Wechsels
in der Leitung dieser Abteilung sowie der unerwarteten Schwierig-
keiten, die in der Konstitution der vorliegenden Handschriften liegen,
noch nicht mit ausreichender Sicherheit zu sagen.
Ibn Saad-Ausgabe.
Bericht des Hrn. Sacnar.
An den letzten drei Bänden der Ibn Saad-Ausgabe ist in dem
verflossenen Jahre die Arbeit mit Erfolg wieder aufgenommen. Der
von Hrn. Prof. Dr. ScuwarLy (Gießen) bearbeitete letzte Band der
Lebensbeschreibung Muhammeds ist in Text und Anmerkungen bereits
fertig, und wird demnächst ausgegeben werden können.
Hr. Prof. Dr. B. Meıssser (Breslau) hat nach Beschaffung einer
Photographie des Codex Constantinopolitanus die Arbeit an seinem
Teil des Ibn Saad, den Biographien der ältesten, in Basra, Syrien
und Ägypten lebenden Überlieferer, wieder aufgenommen und Br
denkt mit Anfang des neuen Jahres den Druck fortzusetzen.
Hr. Prof. Dr. E. Mrrrwocn (Berlin) ist mit der Bearbeitung des
zweiten Bandes der Biographie Muhammeds beschäftigt und hofit eben-
falls mit Anfang 1912 den Druck weiterführen zu können.
60 .Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Wörterbuch der ägyptischen Sprache.
Bericht des Hrn. Ernman.
Die Ausarbeitung des Manuskriptes wurde von Hrn. Erman unter
_ Mitwirkung des Hrn. Grarow fortgesetzt. Dabei wurde __ı zu Ende
geführt und ein beträchtliches Stück von » (bis wbd) erledigt; auch
darüber hinaus wurden größere Abschnitte vorgearbeitet. Bis zum
Ende des __ı ergaben sich etwa 2412 Worte un 235, | 1344,
-——ı 833), die etwa 160000 Zetteln entsprechen und 1350 Seiten
des provisorischen Manuskriptes einnehmen.
Hr. Junker konnte gelegentlich einer Reise, die er für die
Wiener Akademie unternahm, die wichtigsten Inschriften von. Kom
Ombo durch den in Philä und Edfu geschulten Photographen Koc#
aufnehmen lassen. Wir haben somit auch für diesen großen Tempel
ein gesichertes Material, und zwar mit relativ geringen Kosten ge-
wonnen. Für Mitteilung einzelner kleinerer Inschriften sind wir den
HH. Borcuaror, GarDiner und Maurer zu Dank verpflichtet.
Die Verzettelung erstreckte sich vor allem auf die Tempel der
griechisch-römischen Zeit, auf Edfu (HH. Jusxker und Bovran), auf
Philä (Hr. Juseer) und Theben (Hr. SETHE). Außerdem wurden ver-
zettelt: das Pfortenbuch (Hr. Aser) — der Londoner medizinische
Papyrus (Hr. Wreszısskı) —. verschiedene kleinere Texte, meist
Fortsetzungen und Ergänzungen schon verarbeiteter (HH. BurcHArpT,
DEvAUD, GARDINER, GRAPOW, Horrmann).
Die Zahl der verzettelten Stellen betrug 1858, die der alpha-.
betisierten Zettel 45180. Im ganzen wurden bisher verzettelt
54140 Stellen und alphabetisiert ı ı6 5729 Zettel.
Die Nebenarbeiten wurden von den HH. Devaun, Horrmann,
Srork und. Frl. MoRGENSTERN erledigt. Ä
Das Tierreich.
Bericht von Hrn. F. E. Scavurze.
Am ı. April übernahm nach dem Tode von Hrn. Prof. vos Männes-
THAL provisorisch Hr. Prof. Arsteıs aus Kiel das Amt des wissen-
schaftlichen Beamten für die Herausgabe des »Tierreich«. Zum 1. Juli
erfolgte seine definitive Anstellung als solcher. Als Hilfsarbeiter waren
> tätig: ai rl. Marrua Luruer, die schon seit 10 Jahren an der Redaktion
n des »Tierreich« beschäftigt ist, ferner Frl. Tuıere und Frl. Bons.
wo ‚Im laufenden Berichtsjahre erschienen folgende Lieferungen: 26.
| Txodidae von Hrn. Prof. Dr. G. Neumans (Toulouse), 27. Chamaeleontidae
nl a dd Lan.
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 61
von Hrn. Prof. Dr. F. Werner (Wien), 29. Chaetognata von Hrn. Dr. von
Rırrer-Zanony (Görz), 28. Megachilinae von Hrn. Dr. H. Frıes£ (Schwerin).
Im Druck befinden sich zwei Lieferungen: 30. Evanüdae von Hrn. Prof.
J. J. Kırrer (Bitsch) und 31. Ostracoda von Hrn. Geheimrat Prof. Dr.
G. W. Mürzer (Greifswald).
Für das nächste Jahr stehen eine Reihe von Arbeiten in Aus-
sicht, so daß ein schnelles Erscheinen von Lieferungen gewährleistet ist.
Plan und Ausführung des als notwendiges Parallelwerk zum » Tier-
reich« unternommenen »Nomenelator animalium generum et sub-
generum« wurde im vergangenen Jahre von Grund aus revidiert und
geändert. Die im Mai erfolgte Herausgabe einer ersten, die Primaten
umfassenden Probelieferung unter dem Titel »Primatium genera et
subgenera« war die Veranlassung zu mannigfachen Anregungen seitens
der für den Nomenklator lebhaft interessierten Zoologen. Erhöhten
Wert, gegründete Aussicht auf allgemeine Anerkennung und weiten
Vorsprung vor allen bisher erschienenen Nomenklatoren erhielt das
Unternehmen durch den Entschluß, ausnahmslos allen Namen das
Zitat der erstmaligen Veröffentlichung direkt beizufügen. Bisher war
bei der Ausarbeitung und auch noch in der Probelieferung nur ein
kleiner Teil der Namen in dieser direkten und erschöpfenden Weise
fixiert. Die weitaus meisten Namen hatten nur Hinweise erhalten auf
Nachschlagewerke, in denen alsdann nachträglich das Originalzitat auf-
zusuchen war. Die Vorschrift, jeden Namen mit dem Zitat seiner
Originalveröffentlichung zu versehen, involviert als weitere, in die
Arbeitsmethode tief eingreifende Forderung das strenge Gesetz, für
jeden Namen die Originalstelle selbst nachzuschlagen und kritisch zu
identifizieren, soll anders ein Nomenklator entstehen, der nicht ba-
siert ist auf kritikloser Entnahme aus anderen Zusammenstellungen.
Die erneute Durchmusterung aller seit 1758 erschienenen Original-
veröffentlichungen von Gattungen und Untergattungen wird manchen,
von Buch zu Buch und von Generation zu Generation verschleppten
Irrtum aufdecken.
Als wertvolles Resultat entspringt aus dieser strengeren Methode
zugleich die größtmögliche Garantie der Vollständigkeit unseres Namen-
verzeichnisses; denn nur das persönliche Durchforschen der literarischen
Quellen ermöglicht hinreichende Ergänzung der bisher herausgegebenen, ;
nicht gleichmäßig aus diesen Quellen geschöpften und vielfach recht
lückenhaften, Nachschlagewerke. Vollständigkeit ist aber eine Haupt-
bedingung für die Brauchbarkeit eines Nomenklators. Vollständigkeit
wird nach dem neuen Plan nun auch für die Berücksichtigung der
62 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Namen rein fossiler Gattungen und Untergattungen gelten, die anfäng-
lich nur gelegentlich mitaufgenommen werden sollten. Unser Nomen-
klator wird gleichzeitig ein Lexikon für die Zoologie und alle ver-
wandten Wissenschaften werden.
Die Zitate werden nach wie vor in den, durch das »Tierreich«
und durch den in London jährlich erscheinenden »Zoologieal Record«
eingebürgerten, Kürzungsformen gegeben. Desgleichen werden auch
die jedem Namen beizufügenden Bezeichnungen der systematischen
Stellung nur so weit gekürzt, daß sie jedem Zoologen und Paläozoo-
logen, auf welchem Spezialgebiet er auch tätig sei, ohne weiteres
Nachschlagen sofort verständlich sind. Dagegen sind Kürzungen von
Autorennamen, wie sie noch in der Primatenprobelieferung angewandt
wurden und die Benutzung erschweren, nach dem neuen Plane aus-
geschlossen. Darüber hinaus werden, um jede Verwechslung unmög-
lich zu machen, gleichlautende Namen verschiedener Autoren mit einem
oder, wenn nötig, zwei zugehörigen charakteristischen Vornamen ver-
sehen. Zum ersten Male wird ein Nachschlagewerk entstehen, das
bei bequemer Handhabung auf den ersten Griff erschöpfende Aus-
kunft gibt über den Bestand an Gattungs- und Untergattungsnamen
und über alles, was hinsichtlich Bibliographie und systematischer
Stellung wissenswert ist.
Schon bei dem Abschluß unserer Probelieferung aus dem Gebiete
der Mammalia stellte sich der dringende Wunsch nach Heranziehung
eines in dieser Gruppe versierten Spezialforschers ein, und wir ver-
danken bei dieser Lieferung der freiwilligen Mitarbeit des Hrn. Prof.
Matscnıe vom Berliner Zoologischen Museum manche wertvolle Er-
gänzung und Berichtigung. Geradezu unentbehrlich ist die Mitwirkung
der Spezialforscher jetzt, wo der neue Plan des Werkes eine bis ins
minuziöse gehende Kenntnis der jeder Tiergruppe zugrunde liegenden
Literatur sowie die zur kritischen Sichtung nötige sachliche Kenntnis
der Tiergruppe selbst verlangt. Dazu kommt noch, daß sich mittler-
weile unsere anfängliche Schätzung von der Anzahl der bekannten
Gattungs- und Untergattungsnamen als viel zu niedrig herausgestellt }
hat. Entgegen unserer anfänglichen Annahme von etwa ı 50000 Namen
haben wir neuerdings gegründeten Anlaß, mit über 200000 Namen zu
rechnen. Schon rein zeitlich ist es ganz unmöglich, daß ein einzelner
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wie es die von unserm Plane verlangte kritische und exakte Ausar-
beitung erfordert. Daraus hat sich die Notwendigkeit ergeben, den
ganzen ungeheuren Stoff für die Durecharbeitung in solehe Arbeits-
en 5 er
eh ga ee
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 63
portionen zu zerlegen, wie sie sich aus der Gliederung des zoologi-
schen Systems von selbst ergeben, und diese unter bewährte Spezial-
forscher zu verteilen. Schon jetzt ist ein Stab von 39 Zoologen und
Paläozoologen des In- und Auslandes im Dienste des Unternehmens
beschäftigt. Um völlige Gleichmäßigkeit der Bearbeitung zu gewähr-
leisten, erhalten die Beteiligten gedruckte »Anweisungen«, die in
knapper Form jede nötige Information erteilen.
Der Aufwand an Zeit und die nicht geringen, aus der notwen-
digen Beschaffung der Originalliteratur erwachsenden Kosten hat eine
Honorierung der Mitarbeiter notwendig gemacht. Obwohl das Honorar
in Rücksicht auf die Knappheit der dem Unternehmen zur Verfügung
stehenden Mittel mit nur 20 Mark für jedes Hundert vorschriftsmäßig
aufgenommener Gattungsnamen angesetzt ist, so sind doch angesichts
der 200000 zu erledigenden Namen nach und nach rund 40000 Mark
notwendig, soll anders in nicht gar zu langer Zeit etwas zustande
kommen, was unserer Akademie Ehre macht. Durch den im März
des Jahres von der Akademie bewilligten Fonds von 7000 Mark ist
inzwischen die Drucklegung des Werkes gesichert. Auch soll hier
nicht unerwähnt bleiben, daß die Berliner Gesellschaft naturforschen-
der Freunde in Anerkennung der Bedeutung des Unternehmens im
vergangenen Jahre eine Beihilfe in Höhe von 5000 Mark gewährt hat.
Groß sind ferner die Unkosten, welche die Schriftleitung an Remune-
rationen der nötigen Hilfskräfte für die kaum zu bewältigenden Zu-
sammenstellungen, Abschriften, Korrespondenzen und für vielerlei an-
dere Bureauarbeiten verursacht. Speziell hierfür hat auf Antrag des
Herausgebers das Ministerium für geistliche und Unterrichtsangelegen-
heiten für das kommende Jahr die Summe von 3000 Mark bewilligt.
Ferner hatte eine Notiz in der Presse zur Folge, daß der bekannte
Herausgeber des Handbuchs zur Geschichte der Naturwissenschaften
und der Technik, Hr. Prof. Dr. Lupwıs Darustaepter in Berlin, in
Würdigung speziell der historischen Bedeutung des Werkes aus seinen
privaten Mitteln für die Jahre ı912—1916 je ı000 Mark, also im
ganzen 5000 Mark, zur Verfügung stellte.
Großes Entgegenkommen fand das Unternehmen bei den Verwal-
tungen der Berliner Bibliotheken und wissenschaftlichen Institute. Mit
Herleihung seltener, in Berlin nicht erhältlicher Literaturwerke unter-
stützten uns: die Universitätsbibliothek in Göttingen, die Bibliothek
der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Natur-
forscher in Halle, die Stadtbibliothek in Hamburg, die Kgl. users
Hof- und Staatsbibliothek in München.
Die Schriftleitung führt im Auftrage des Herausgebers He Dr.
Tu. Kunnsarz. Als zoologische Hilfsarbeiter waren außerdem im ver-
64 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
gangenen Jahre im Bureau tätig die HH. cand. zool. W. STENDELL,
. Dr. R. Srersrerp, Dr. H. H. WounpscH, als paläozoologischer Hilfs-
arbeiter Hr. Dr. W. O. Dietrich. Bibliographische Hilfsarbeiterin ist
Frl. E. RorHENBÜCHER.
Fertiggestellt oder nahezu fertiggestellt wurden: die Reptilia von
Hın. R. Stersrern (Berlin), einige Familien der Coleoptera von Hrn.
S. Schenkuing (Dahlem), die Ascalaphidae von Hrn. H. Sorvasskı (Berlin),
einige Familien der Hymenoptera von den HH. R. Lucas (Berlin) und
E. Stırz (Berlin), die Phoridae von Hın. Tu. Becker (Liegnitz), die
Crustacea und Pantopoda von Hrn. W. Srenperr (Berlin), die Tremato-
des von Hrn. H. H. Wunoscn (Berlin), die Echinodermata recentia excel.
Echinoidea von Hrn. H. Lupwıs (Bonn). — In Arbeit sind die folgen-
den Gruppen: Leptocardia, Cyclostomata, Pisces, Insecta fossilia, Arach-
noidea fossilia, Araneae, IIymenoptera, Tenebrionidae, Trictenotomidae, Pho-
ridae, Muscidae-Acalypterae, Dolichopodidae, Nemestrinidae, Nematocera,
Rhynchota, Rutelidae, Melolonthidae, Chrysomelidae, Coccinellidae, Trich-
optera, Collembola, Copeognatha, Mollusca recentia et fossilia, Echinoidea
recenlia, Echinodermata fossilia, Appendiculariae, Aseidiaeformes, Vermes,
Haemosporidia. Also nur ein recht geringer Teil der Gesamtarbeit
konnte bisher in Auftrag gegeben werden. Schuld daran ist der au-
genblickliche Mangel verfügbarer Mittel. Eine besonders empfindliche
Folge dieses Mangels war das Scheitern unseres Versuches, den un-
bestritten besten Kenner der Vogelliteratur, Hrn. Cuarues WautacH
Rıcnnoxp, Assistant Curator am National Museum in Washington, für
die Zusammenstellung der Gattungen und Untergattungen der Aves
zu gewinnen. Leider konnten wir Hrn. Rıcumoxp das Honorar von
2000 Mark, das er für diese Arbeit fordert und billigerweise fordern
kann, nicht in sichere Aussicht stellen. Unter der Voraussetzung recht-
zeitiger hinreichender finanzieller Unterstützung zu weitgehender An-
werbung von Mitarbeitern würde der Abschluß des Werkes in etwa
drei oder vier Jahren zu hoffen sein. Es wird in Lexikonformat in
einem Umfange von etwa 200 Druckbogen erscheinen.
Das in Form eines Zettelkataloges angelegte Manuskript — für
jeden Namen einen Zettel — bleibt als nomenklatorisches Archiv be-
stehen. Die Verwaltung dieses Kataloges entwickelt sich zu einer
Auskunftsstelle für nomenklatorische Fragen aller Art für die gesamte,
speziell für die deutsche, Zoologenwelt und wird nach Maßgabe immer
größerer Vervollständigung der Zettelsammlung und ständig zunehmen-
> n der Erfahrung in allen nomenklatorischen Fragen mehr und mehr an
a Bedeutung zunehmen. Unser jetzt in Vorbereitung befindlicher Nomen-
klator schließt zwar ab mit der Berücksichtigung aller bis zum Jahre
1910 veröffentlichten Namen; aber nicht so unser nomenklatorisches
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 65
Archiv. Dieses Archiv wird nicht nur dauernde nomenklatorische
Zentrale sein, sondern auch die Basis für von Zeit zu Zeit notwendig
werdende Ergänzungsausgaben unseres Nomenklators. Mindestens ein
zoologisch durchgebildeter wissenschaftlicher Beamter wird nötig sein,
um den Zettelkatalog ständig auf dem laufenden zu halten. Es handelt
sich um eine dauernde Überwachung aller Neuerscheinungen auf dem
(Gresamtgebiete der zoologischen und paläontologischen Systematik. Kein
neu aufgestellter Gattungsname, keine Kritik oder Ergänzung älterer
Gattungsnamen darf dieser Überwachung entgehen. Dabei ist das
Nachrichtenwesen über Veröffentlichungen neuer Namen keineswegs
jetzt schon so ausgebildet, daß alle Nova mit Sicherheit auf ein bal-
diges allgemeines Bekanntwerden zählen können. Nomenklatorisch
völlig gültige Namen, wie sie in den verschiedenartigsten Publikationen,
in Reisewerken, in Forst- und Jägerblättern, in Landwirts-, Gärtner-,
Fischerei- und Unterhaltungsblättern, ja sogar in politischen Zeitungen
versteckt und oft schwer zugänglich sich finden, müssen sorgfältig
aufgesucht und gewertet werden. Ferner muß mit Sicherheit ange-
nommen werden, daß in solchen wenig bekannten und schwer erhält-
lichen Schriften vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte noch Namen
verborgen sind, die, ans Licht gezogen, wesentliche Änderungen in
der zoologischen Nomenklatur bewirken werden. Besondere Schwierig-
keiten entstehen selbstverständlich durch die große, ständig wachsende
Zahl der verschiedenen minder bekannten Kultursprachen, in denen
oft wichtige zoologische Arbeiten erscheinen.
Aus diesen und vielen anderen Gründen kommt es bei der Lei-
tung unseres nomenklatorischen Archivs auf technische Übung und
nur allmählich zu erwerbende Erfahrung an. Nur ein wissenschaft-
licher Beamter, dem durch definitive Anstellung ermöglicht wird, seine
ganze Kraft ohne Rücksicht auf andere Erwerbsmöglichkeiten dem
Unternehmen zu widmen, ist hier am Platze. Jeder Personalwechsel
beim Nomenklator ist gleichbedeutend mit dem Verlust einer erst
allmählich wieder zu ersetzenden Summe von Erfahrungen. Es ist
dringend zu wünschen, daß das große Werk endlich der Möglichkeit
störender und seinen Erfolg in Frage stellender Wechselfälle entzogen
werden möchte, indem unsere Akademie es aufnimmt in die Reihe
ihrer eigenen Unternehmungen.
Das Rflanzenreich.
Bericht des Hrn. Enerer.
Im Laufe ‚des Jahres ıgrı wurden folgende Hefte veröffentlicht:
47. F. Pax, Euphorbiaceae-Cluytieae. 8 Bogen ge enthaltend
ehe ‚Cephalotaceae. _ I 7 ropehie |
66 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
48. A. Enter, Araceae-Lasioideae (unter Mitwirkung von Dr. Genr-
MANN). 9 Bogen.
49. J. Perkıns, Nachträge zu Monimiareae. 4 Bogen.
50. F. Kränzuım, Orchidaceae-Dendrobiünae, pars 2, und Orchidaceae-
Thelasinae. ı2-+ 3 Bogen.
51. C. WaRrnsToRF, Sphagnaceae. 35 Bogen.
Im Drucke befinden sich zur Zeit (Ende Dezember ıg11):
Geraniaceae von R. Kxur# (hiervon fehlt nur noch das Register,
so daß dieses über 37 Bogen umfassende Heft zu Beginn des nächsten
Jahres erscheinen kann); Euphorbiaceae-Gelonieae und Hippomaneae von
F. Pax (auch dieses Heft ist dem Abschlusse nahe); Goodeniaceae von
K. Krause; Umbelliferae-Sanieuloideae von H. Worrr.
Dem Abschlusse nähern sich außerdem folgende Arbeiten, mit
deren Drucklegung voraussichtlich noch im Laufe des Jahres 1912 be-
gonnen werden kann:
K. Krause, Brunoniaceae.
A. Brannp, Hydrophyllaceae.
E. Girs, Draba.
Außerdem sind für mehrere wichtige Bearbeitungen neue Mit-
arbeiter gewonnen.
Geschichte des Fixsternhimmels.
Im Jahre ıg9ıı sind weitere 27043 Sternörter auf den Zetteln
eingetragen: 13060 aus dem Washington Zone Catalogue durch Dr.
Partscn, der mit dem ı. April in den Dienst des Unternehmens ein-
getreten ist und neben der Leitung des Bureaus den Auszug dieses,
jetzt bis 19"25” erledigten Catalogs besorgt hat, und 13983 durch
Hrn. Marress, hauptsächlich aus dem Greenwicher Second Nine year
Catalogue (11118 Nummern) und dem Edinburger Zodiacaleatalog für
1900 (2713 Sterne).
Die Berechnung der fehlenden Praecessionen wurde bis 15"15"
fortgesetzt, für 3844 Sterne durch Hrn. MARTENS, für 712 Sterne durch
den zeitweilig im Bureau beschäftigt gewesenen Dr. Drurscnrann und
für 2682 Sterne durch den seit Mai 1911 ständig, jedoch nur mit
beschränkter Arbeitszeit, dort mit thätigen Hrn. Roscn.
Die erste Revision der Nordzettel hat das geschäftsführende Mit-
glied der Commission weiter bis zu dem Anfang der Stunde 18" fort-
gesetzt, dann aber einstweilen abbrechen müssen. Dagegen hat nach
dessen Angaben Hr. Martens eine vollständige Liste der nur in einem
einzigen der ausgezogenen Cataloge vorkommenden, zwischen dem
Aequator und Deel. + 81°0 (für 1875) gelegenen Sterne zusammen-
* [77 ” “ £} * ur
;erichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. b4
gestellt, die die überraschend große Zahl von fast 47000 bisher nur ein-
mal im Meridian beobachteten Sternen der Nordhalbkugel ergeben hat.
Es sind diess
8702 Sterne aus Bonn VI, und
34959 in anderen Quellen vorkommende Sterne der Bonner
Durchmusterung; ferner
2255 nur in den AG-Zonen beobachtete Sterne, die in der
Bonner Durchmusterung nicht enthalten sind, und
1059 Sterne, die weder in den AG-Üatalogen, noch in der
B.D. vorkommen.
Es wird beabsichtigt, diese Liste als ein Ergänzungsheft zu den
Astronomischen Nachrichten herauszugeben, um neue Beobachtung der
Sterne zu veranlassen. Für die Zone + 50° bis + 65° ist eine solche
bereits von der Königsberger Sternwarte übernommen, und die nur im
AG-Catalog von Christiania vorkommenden Sterne dürften inzwischen
in der der Catalogisirung noch harrenden neuen Reihe dieser Stern-
warte erledigt worden sein. Dann bleiben immerhin noch weitere
rund 40000 der Wiederbeobachtung bedürftige Nordsterne übrig.
Der Berliner Catalog, den Hr. Struve nach den Beobachtungen
1855— 1868 anfertigen läßt, ist für die ersten 18 Stunden zusammen-
gestellt, bedarf aber noch einer Revision. Beendigung der Arbeit
ist um die Mitte d. J. zu erwarten.
Der neue Bradley-Catalog, von 4218 Sternen, für Aeq. 1745 ist
zusammengeschrieben, die Declinationsmittel sind aber für die sowohl
bis Juli 1745 als auch später beobachteten Sterne neu zu bilden,
indem es sich nachträglich als nothwendig ergeben hat, die vor einer
am Quadranten im Juli 1745 ausgeführten Verbesserung beobachteten
Zenithdistanzen auf halbes Gewicht zu beschränken. Von dem ersten
Bande der Bearbeitung, der sich auf die Beobachtungen am Mittags-
fernrohr bezieht, sind ı5 Bogen mit den einzelnen beobachteten Rect-
ascensionen bis 15"54” gedruckt.
Kommission für die Herausgabe der „Gesammelten rt Maas
Wilhelm von Humboldts‘“.
Bericht des Hrn. Scanipr.
Die Drucklegung des 9., Humboldts Dichtungen umfassenden
Bandes hat sich wegen der langwierigen Arbeit, namentlich an den
vielen Sonetten, fast durch das ganze Jahr hingezogen und wird eben
jetzt vollendet. Band ı4 (Tagebücher) ist in Vorbereitung.
Die Auffindung von Humboldts ursprünglich auf seinen Sohn
Hermann vererbter Bibliothek auf Günthersdorf bei Neusalz, im Be-
Sitzungsberichte 1912. ie re
68 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
sitze des sehr entgegenkommenden und uns zu lebhaftem Dank ver-
pflichtenden Hrn. von pErR LAncken-WaRenıtz, bedeutet für unsere
Ausgabe den sehr erwünschten Zuwachs eines für verloren gehaltenen
Werkes, der bis zur Widmung ganz druckfertigen Schilderung der bas-
kischen Reise von 1801. Diese Handschrift wird in dem für Supple-
mente bestimmten 13. Band erscheinen. E
(Wir hoffen, daß der im Januar plötzlich erfolgte Konkurs ds
Verlegers keine längere Stockung herbeiführt.) |
Interakademische Leısnız- Ausgabe. E.
Bericht des Hrn. Lenz. |
Das Manuskript zum ersten Bande der Briefe und Denkschriften |
ist abgeschlossen, so daß der Druck beginnen kann. Im übrigen hat : |
auch das letzte Jahr einige neue Leisniız-Funde gebracht. Besonders 4 |
fruchtbar erwies sich eine Durchmusterung der Bestände desk.u.k.
Haus-, Hof- und Staatsarchives und der Kais. Hofbibliothek zu Wien. |
Die Kgl. Bibliothek zu Berlin wurde durch die Liberalität des Hrn.
Prof. L. Darnstäpter in den Stand gesetzt, zwei im Autographen-
handel erscheinende Lrissiz-Briefe zu erwerben.
Corpus Medicorum Graecorum.
Bericht des Hrn. Dirıs.
Mit dem Druck der Galenkommentare ist Ende vorigen Jahres
begonnen worden. Der Band V 9, 2 wird die Kommentare zum TIror-
pHrikön (bearb. von Hrn. Dieıs) und zu TTeri xvmön des Hippokrates
(bearb. von Hrn. Prof. Kausrıeisch) umfassen. Auch der Druck der
hat, arbeitet, soweit es sein Schulamt gestattet, zunächst an Buch I
und II. Die handschriftliche Grundlage für diese Bücher ist jetzt,
‚nachdem der Paris. 2174 in Berlin verglichen werden konnte, beschafft.
en ‚Für das II. Buch ist und bleibt die handschriftliche Grundlage ver-
| schollen. Aber Hr. Weskesacn hat in der Markusbibliothek die Editio
bereits in Arbeit sind, beginnen.
eis
* .. * ‘ . r £}
3erichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 69
princeps von Johannes Sozomenus, Prof. in Padua, 1617, aufgefunden
und verglichen, die also eodieis instar sein wird. Bei der Textkon-
stituierung des I. Buches stellte sich heraus, daß die ersten fünf Seiten
des Proömiums der Künsschen Ausgabe eine F älschung CnArTıErs dar-
stellen. Da nämlich der Archetypus aller Hss. das erste Blatt verloren
hatte, so hat Cuartıer das Fehlende aus der alten lateinischen Über-
setzung griechisch ergänzt. Eine Bestätigung dieses Ergebnisses bietet
die arabische Überlieferung (cod. Seorial. arab. 804), deren Anfangs-
stück Hr. Dr. Kerv (Berlin) in dankenswerter Weise in deutscher
Übersetzung wiedergegeben hat. Die durch die beispiellose Ver-
derbtheit der Hss. nur langsam fortschreitende Feststellung des Textes
des Buches hofft Hr. Wexkesacn im nächsten Sommer vollenden zu
können.
Hr. Dr. A. Nrrsox (Upsala) hat für Galens Kommentar zu rer)
rposAc ermittelt, daß die bisherigen Angaben über die verschollene
Editio princeps irrtümlich sind; da eine Hs. dieser Schrift nicht existiert,
so wird sich die neue Ausgabe vorläufig auf Cnarrier stützen müssen.
Hr. Dr. Hees (München) hat die Kollationen zu Galens Kommentar
zum Prognostikon des Hippokrates beschafft und mit der Texther-
stellung begonnen. Der wiehtige Cod. Vatie. 1063 muß im Herbst
dieses Jahres noch einmal revidiert werden, da der schlechte Zustand
der Hs. eine erneute Prüfung wünschenswert macht. Von der la-
teinischen Übersetzung des Kommentars sind die fünf Münchener Hss.
benutzt worden. Er hofft Ende dieses Jahres die Ausgabe druck-
fertig vorlegen zu können. Von dem von Guinterius Andernacus ver-
öffentlichten Kommentar des Pseudoribasius zu den Aphorismen des
Hippokrates hat Hr. Here vier weitere im Medizinerkatalog noch nicht
verzeichnete Hss. aufgefunden: ı. Cod. Aug. CXX s. IX/X. 2. Cod.
Monae. lat. 16487 s. XVI. 3. Cod. Cassinensis lat. 97. 4. Cod. Paris.
lat. 7027. In den meisten Hss. erscheint dieser Kommentar anonym,
hat aber jedenfalls mit Oribasius nichts zu tun. a
Hr. Prof. Orıvıerı (Neapel), der mit Hrn. Prof. Weıımans zusammen
die neue Aötiosausgabe vorbereitet, hat im vergangenen Jahre die
Photographien der alten Hss. Paris. gr. 2228 und Suppl. gr. 630—63 1
und 1240 erhalten und ist mit deren Kollationierung beschäftigt. Hr.
Prof. M. Weıımans (Potsdam) hat nach vorläufiger Feststellung des
Abhängigkeitsverhältnisses der Hss. Hand an die Bearbeitung des
XII. Buches gelegt. ee an cc
Hr. Oberlehrer Dr. Rasens, (Berlin) hat den Text von [Galen?]
TTepi Ton Eemaccmon (V 11). bearbeitet. Der Druck wird nach Be-
endigung der übrigen zu dieser Abteilung gehörenden Schriften, die
6*
70 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Hr. Dr. O. Vıepesantt, der sich der Bearbeitung der ärztlichen
Maß- und Gewichtstraktate widmet, wurde zum Studium der betreffenden
Handschriften auf ein halbes Jahr nach Italien entsandt.
Hr. Rektor J. Iugere (Wurzen), der Vertreter der Kgl. Sächs. Ges. i
d. Wiss., hat leider wegen Übernahme seines neuen Amtes am Soran i
im abgelaufenen Jahre nicht viel tun können. Er hofft nach Ostern
freiere Hand dafür zu bekommen.
Hr. Prof. J. L. Hrıgers (Kopenhagen) sendet folgenden Bericht
über die Arbeit der Kgl. Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften ein: |
»Hr. Direktor Dr. Hupe (Frederiksborg) hat in diesem Herbst in |
Italien Vatie. 286 und Neapol. III D 2ı des Aretaios ganz kollationiert.
Ambr. B 157 Sup. und Laur. 75, ı5 sind untersucht worden. « 3
»Ich habe in den Sommerferien die Kollation der Pariser Hss. ds
Paulus Aegineta fast beendet; die zwei teilweise noch ausstehenden |
werde ich hier im Laufe von Januar-Februar erledigen. Der Pat-
miacus ist, wie Dr. Marc am 12. Dezember 1911 schrieb, vollständig
von ihm photographiert worden. «
»Im Laufe des Jahres 1912 kann die Recensio des ersten Bandes
von Paulus (Buch I—IV) begonnen werden. Von den Athoi habe ich
drei vollständig in Photographie, von den anderen genügende Proben.
Für Bd. II (Buch V— VI) fehlen mir noch einige Laurentiani und vor
allem der Matritensis.«
»Die lateinische Übersetzung Is. Sitzungsber. ıgı 1, S. 103] wird
demnächst ausgedruckt vorliegen. «
Hr. Dr. Raeper hat im Frühjahr ıg91 ı in Florenz und Venedig die
Haupthss. zu den kleineren Schriften des Oribasius verglichen, nämlich
die Laur. 74, 15 und 74, 17 (zur Cynoric, teilweise zu TTröc EyYnArtion)
und den Mare. 294 zu TIrdc ExnAnon. Damit ist die Kollation der
Hss. zu Oribasius in der Hauptsache zu Ende geführt und die Arbeit
hat neu bearbeiten lassen.
So sind bisher als Marburger Dissertationen
erschienen:
I. 8. Voet, De Galeni in libellum Kat’ iHTpeion commentarüs (1910).
2. A. Mmor, De Galeni libris TTepi avernoiac (1911).
3 F ‚ Ausrecut, Galeni libellus An in arterüis natura sanguis com-
tineatur (1911). Ä er
4. W. de Borr, In Galeni Pergameni libros TTer) vYxÄc TIABÖN Kal
ÄMAPTHMÄTUN observaliones eriticae (1911).
_
u
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie.
Deutsche Kommission.
Bericht der HH. Burpvacn, Heuszrer, Rortne und Scnnipr.
Die Inventarisation der deutschen Handschriften und ihre archi-
valische Bearbeitung wurde rüstig gefördert; sowohl im äußeren wie im
inneren Betriebe wurden die Kräfte so weit angespannt, als es möglich
war und als die verfügbaren Geldmittel es gestatteten.
Aus der Schweiz sandte Dr. Rorn eine größere Anzahl Be-
schreibungen von Handschriften der Baseler Universitätsbibliothek
ein; seine Tätigkeit wird voraussichtlich die durch den Fortgang von
Prof. Bınz gerissene Lücke schließen. Die Handschriften der Gruppe F,
welcher Rorz vornehmlich seine Fürsorge widmete, sind zumeist mu-
sikalischen Inhalts und waren bereits durch Julius Richters Katalog
der Baseler Musiksammlung im allgemeinen bekannt. Hervorhebung
verdient außerdem das Notizbuch Ludwig Iselins (Handschrift um 1400),
in das zahlreiche deutsche Sprüche und Verse eingetragen sind. Zu
eingehenderer Untersuchung reizt ein lateinisches Repertorium poeticum
des 15. Jahrhunderts, bei dem nach der Meinung des Beschreibers
zum Teil die Hand des Johannes de Lapide zu erkennen ist; nicht
weniger die deutsche Bearbeitung der Summa Confessorum des Lese-
meisters Johanns von Freiburg durch Berthold Huenlen (um 1380).
Aus der Gruppe E sei hingewiesen auf eine Weltchronik in deutschen
Reimen, die bis 1603 fortgesetzt ist.
Aus Österreich ist wiederum der Zufluß spärlich gewesen, doch
ist hier wie in der Schweiz nach vielfachen Verhandlungen für eine
nahe Zukunft kräftigerer Fortgang zu erwarten. Zwei lateinische Sammel-
handschriften der Wiener Hofbibliothek beschrieb Dr. Bertaror mit
‚erprobter Sorgfalt. In Vorau nahm Dr. Porazım eine wichtigere Hand-
schrift auf, die das Buch von der Himmelstraße, das sogenannte Königs-
bad und schließlich Andreas Kurzmanns deutsche Wiedergabe des Spe-
culum humanae salvationis vereinigt. Die Mitwirkung Dr. Pornems ver-
spricht dadurch besonders ertragreich zu werden, daß er zugesagt hat,
in seinen Grazer Übungen jüngere Gelehrte zum Handschriftenbe-
schreiben anzuleiten, ein Beispiel, dem auch bei anderen jungen ger-
manistischen Dozenten Nachfolge zu wünschen wäre. Ein interessantes
Formelbuch aus Melk beschrieb cand. GeEnsErL, unter Benutzung ein-
gehender früherer Notizen des Hrn. Burvıcn. “
In Ungarn wurde die Arbeit um ein gut Stück u |
RosenHAsen aus Hamburg gefördert. Er hat die deutschen Hand-
schriften der Bibliothek des Domkapitels zu Kaloesa, eines achtung-
'gebietenden Denkmals der Josephinischen Zeit, systematisch durch-
gearbeitet und verzeichnet. Nicht weniger als 20, zum Teil umfäng-
72 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
liche Beschreibungen liegen uns von ihm vor, die er mit einem ein-
gehenden Bericht über seine Tätigkeit und über die Zusammensetzung
und Geschichte der dortigen Bibliothek begleitet hat. Im Vordergrunde
seines Interesses stand wie billig die wichtige Novellen- und Beispiel-
Handschrift, die bereits für Rosexnasens fruchtbare- Handschriften-
untersuchungen in der Einleitung zu Bd. XVII der deutschen Texte,
damals noch ohne Autopsie, sehr wesentlich in Betracht kam: ferner sei
auf das große religiöse Lehrbuch Lamprechts von Wallsee hingewiesen,
von dem sich ein ansehnlicher Teil erhalten hat. Daneben manches
Chronikalische! Außer einer Salzburger Chronik von ı 551 findet
sich eine der Publikation würdige Nürnberger Chronik von 1626.
Gut ist die Reiseliteratur vertreten (das Evagatorium des Ulmers Felix
Fabri, als Vagabuch in freier Weise gedeutscht; Konrad Becks aus
Memmingen Pilgerreise nach Jerusalem vom Jahre 1483). In das
17. Jahrhundert gehört eine Übersetzung der Susanna des Ferrante
Pallavieini (Nürnberg 1663), während Hilleckers Geheimbüchlein um
1700 ältere alchimistische Werke aussehreibt. Von älteren Stücken ver-
dienen ferner ein mittelhochdeutsches gereimtes Lied von den 7 Tages-
zeiten sowie zwei Gebetbücher des 15. Jahrhunderts aus Böhmen Be-
achtung. Bei seiner Arbeit wurde RosennAsEn in dankenswerter Weise
unterstützt durch den Erzbischöflichen Archivar und Bibliothekar Hrn.
Pavs Wıskter, der sich um die Ordnung und Katalogisierung der
Bibliothek besonders verdient gemacht hat.
In Bayern arbeiteten mit gewohnter Zuverlässigkeit die HH.Dr.Lrı-
DINGER und Dr. Prrzrr fort, aus den reichen Schätzen der Münchener
Hof- und Staatsbibliothek schöpfend. Die Verstärkung der dor-
tigen Arbeitskräfte läßt für das kommende Jahr eine Beschleunigung
des Tempos erhoffen. Einige musikalische Handschriften, die in unser
Gebiet fallen, untersuchte Prof. Jonasses Worr in Berlin; einen latei-
nischen Sammelkodex beschrieb Dr. BErTALorT.
Die wiehtige Würzburger Liederhandschrift der Mün chener Uni-
versitätsbibliothek wurde in dankenswerter Weise zum Archiv ge-
sandt und ist hier von Dr. Krürr durchgearbeitet worden. Auch aus dem
| Münchener Reichsarchiy liegen Beschreibungen vor: die Memminger
Chronik Laminits (161 3
die goldene Bulle und Regensburger Reichstagsakten (1429—1469)
durch Dr. Dorcn.
Beschreibungen ein aus Maria-Medingen, die das Leben der Christine
anns mit zahlreichen Versen, im Gewahrsam der
beschrieb Dr. Beurenn. Von ihm.
alles vor, was sich handschriftlich
’
:
. . . . 7° ‚ . -.
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. (3
in Ulm über den dort bis ins 19. Jahrhundert fortdauernden Meister-
gesang erhalten hat. Die wertvollen Dokumente, die jetzt Eigentum
der Ulmer Liedertafel sind, wurden ihm dureh deren ı. V orsitzenden,
Hrn. Juneineer, bereitwillig auf das Archiv der Akademie zur Be-
arbeitung übersandt.
Einen höchsterfreulichen Zuwachs bilden die von Pater Koxran
Euser aus dem Minoritenkloster zu Würzburg beigesteuerten Be-
schreibungen: unter anderem eine deutsche Übertragung von Bona-
venturas Leben Franzisei, ein alter deutscher Psalter, ein von Udalrich
Oswald von Röttingen (um 1600) selbst geschriebener Codex, der
über den Studiengang dieses Priesters Aufschluß gewährt. Über die
typischen Erzeugnisse der kirchlichen Sphäre hinaus weist ein Buch
von der Astronomie. Überall bieten die gelegentlich eingestreuten
deutschen Verse literarisch und sprachlich Interessantes. Einen latei-
nischen Sammelkodex, der nach Berlin geschickt wurde, beschrieb
Dr. ScnıLımann. — Als neuen Mitarbeiter für die reichen Nürnberger
Schätze begrüßen wir Prof. Dırrtmar, den wir in den letzten Wochen
gewonnen haben. Musikceodices der Kgl. Bibliothek zu Bamberg und
der Regierungsbibliothek zu Ansbach beschrieb Prof. Jon. Worr.
Im Elsaß arbeitete Hr. Rırrer, Hilfsarbeiter an der Kaiserlichen
Landesbibliothek zu Straßburg, für uns; sein Beitrag konnte infolge
anderer von ihm übernommener Arbeiten nur spärlich sein. Gebucht
seien hier einige historische Lieder, ein niederdeutscher Eluzidarius, -
eine »tafel van den boke der Kerstene gheloven«.
Aus Baden ist die Universitätsbibliothek Heidelberg durch
eine umfänglichere Beschreibung Dr. Gırres vertreten. Die Arbeit in
Karlsruhe konnte in die Hände Dr. Senmters gelegt werden, dessen
eingereichte Proben eine energische Mitarbeit erhoffen lassen.
Nach Württemberg mußten wir auch in diesem Jahr von
Berlin einen jüngeren Gelehrten, Dr. Pransmürter, entsenden, der sich
während seiner mehrmonatlichen Arbeit an der Kgl. Landesbibliothek
zu Stuttgart des dankenswerten Entgegenkommens der Verwaltung
erfreuen durfte. Seine Arbeit galt in der Hauptsache deutschen Gebets-
handschriften, deren Bedeutung erst durch die umfassende Sammlung
und Verzettelung gleichartiger, aber doch meist variierter Fassun-
gen zutage treten wird. Von den übrigen Handschriften — im ganzen
sind 36 zum Teil recht umfangreiche Beschreibungen eingegangen _ s
— sei eine Sammlung «deutscher Facetien, die dem Grafen Eberhart
gewidmet war, und eine ähnliche BER Sammlung. von 1566 her; A
vorgehpben.
Aus Tübingen der Dr. A. GrURER einige Probebeschreibungen ein-
gesandt.
74 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Für Mitteldeutschland hat wiederum Prof. Dr. Enwarn aus
der ihm unterstellten Gothaer Herzoglichen Bibliothek eine reiche
Spende geliefert: 33 Beschreibungen, die überall das bisher Bekannte
nachprüfen, verbessern und ergänzen. Unter den bisher weniger be-
achteten Handschriften heben wir hervor die Übersetzung des Valerius
Maximus von Heinrich von Mügeln (1360); eine deutsche Chronik nach
Jacob Twinger von Königshofen; die Darstellung der Pilgerreise von
Konstanz nach Jerusalem (1486), die der Ritter Conrat Grünemberg
unternahm. Reich ist die Übersetzungsliteratur vertreten; wir finden da
außer bekannten Sachen (Pontus und Sidonia, Dietrieh von Pleningens
Sallust) auch eine kaum beachtete Handschrift der Übersetzung Hartliebs
von Ovidii Buch von der Lieb. Für die Frage nach dem Verhältnis E
zwischen Handschrift und Blockbuch ist der Kodex A 225 von Belang, x
der Fragmente vom »Entchrist« aus einer Handschrift bietet, die dem
bekannten Blockbuch zugrunde liegen könnte.
Im Königreich Sachsen arbeitete während seiner Schulferien
Dr. Marruaeı aus Hildesheim die ihm freundlich zur Verfügung ge-
stellten Schätze der Dresdener Kgl. öffentlichen Bibliothek von neuem
an der Hand unserer Grundsätze durch; dank den zuverlässigen ge-
druckten Katalogen konnte diese Nachlese sich in engen Grenzen halten.
Nach seinem Bericht hat er die Klasse der Dresdener Sachsenspiegel-
handschriften und verwandten Rechtsbücher erledigt, außerdem eine
Reihe Sammelhandschriften rein literarischen Inhalts (darunter das
Dresdener Heldenbuch und drei deutsche Gesta Romanorum), schließ-
lich einige jüngere Absehriften (meist aus Gottscheds Besitz) von mittel-
hochdeutschen Gedichten, wobei die von verlorenen älteren Texten be-
vorzugt wurden. Einige Meisterliederhandschriften derselben Bibliothek
beschrieb Dr. Beurenn. Einen Musikkodex der Leipziger Universitäts-
bibliothek untersuchte Prof. JoHannes Worr (Berlin). Den deutschen
eine deutsche Bibel des 14. Jahrhunderts und eine deutsche Rechts-
handschrift des 15. Jahrhunderts seien erwähnt. on
Den Mitteilungen über die Reisen, die Dr. Scuisumans im Interesse
der Münchener Akademie in Sachsen, Schlesien und Posen unternahm,
danken wir erwünschte Winke.
Aus Schlesien liegt im Berichtsjahr nur die Beschreibung einer
Handschrift der Ritterakademie zu Liegnitz durch Dr. Schumann vor.
Wenn unser bewährter Mitarbeiter Dr. Krapper infolge anderer Auf-
träge der Deutschen Kommission sich nicht selbst der Handschriften-.
beschreibung widmen konnte, so hat er doch Fürsorge getroffen, daß
' In Zukunft Ersatzmänner eintreten können.
* E73 ” * “ [3 E3 .
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. id
In Ostpreußen war Dr. Erruiserr mit Erfolg bemüht, Beschrei-
bungen Steffenhagens und anderer nachzuprüfen und durch Beigaben
zu erweitern. Interesse erregen vor allem die geistlichen Lieder Hein-
richs von Miltitz, die Herzog Albrecht von Preußen gewidmet sind,
sowie der Brief des Rabbi Samuel in der deutschen Übersetzung des
Pfarrers Vrynhart zu Straßgang (zugrunde liegt die arabische “Ifeham
al-Jehud’ genannte Schrift eines vom Judentum zum Islam überge-
tretenen Samuel ben Jehuda, die 1338 von einem Spanier Alfonso
Buenhombre ins Lateinische übersetzt wurde).
Zu einer systematischen Bearbeitung der Handschriften der Kgl.
Bibliothek zu Berlin hat Hr. Dr. Desrriss, der sie plant, auch im
vergangenen Jahre noch nicht die Muße gefunden. Doch sind einzelne
größere Handschriften beschrieben worden, eine Predigthandschrift von
Dr. BerrAror, ein Meistergesangbuch des Hans Sachs und eine Spruch-
sammlung des ı5. Jahrhunderts von Dr. Nırwönxer, ein Gebetbuch
von Dr. Börsıne und vor allem sieben musikalische Codices von Prof.
Jon. Worr.
Derselbe Gelehrte hat Musikhandschriften der wichtigen Biblio-
theca Amploniana zu Erfurt behandelt. Berichte über zahlreiche
lateinische Predigtsammlungen deutscher Herkunft und über die hessische
Chronika des Joh. Nohen (16. Jahrhundert) steuerte Prof. Emır, Kerrser
aus dem Stadtarchiv zu Mühlhausen in Thüringen bei. Eine ver-
einzelte Handschrift der Gießener Universitätsbibliothek erledigte
cand. phil. Buske. Aus den Handschriftenschätzen Cassels bearbeitete
Dr. Lessann diesmal die deutschen und lateinischen Dichtungen des
gekrönten Poeten Herm. Fabronius, meist Gelegenheitscarmina, die, nur
zum kleinsten Teil gedruckt, mehr historisches als poetisches Interesse
erwecken; auch zwei lateinische Dramen (Esther und Daniel) sind da-
bei. Die von Prof. Bınz in Aussicht gestellte Aufnahme der Stadt-
bibliothek zu Mainz konnte noch nicht gefördert werden; doch hat
auch hier Prof. Worr einige musikalische Codices behandelt. Aus der
Stadtbibliothek zu Frankfurt a. M. beschrieb Dr. Berraror neben
einigen geistlichen Stücken eine 1402 in Padua von Nie. Rotenstein aus
Jena niedergeschriebene interessante lateinische Sammelhandsehrift, die
neben kanonistischen Traktaten auch Epigramme, Memorialverse, Sprüche
und ähnliche Erzeugnisse der spätmittelalterlichen Kleinkunst bietet. _
_ Die Inventarisation der Rheinprovinz hat, obgleich ihr dies-
%
mal keine Reisetätigkeit gewidmet wurde wie in früheren Jahren, . e
doch wenigstens an zwei Orten wichtige Fortschritte gemacht. ‘Hr. cand.
phil. An. Breker hat, sasgiebig: unterstützt durch den Stadtbibliothekar
Hrn. Dr. Kentenich, der die früher sorgloser behandelten Trierer Hand-
schriften jetzt in getreue Obhut genommen hat, die deutschen und >
I
Ville). Niederdeutsche geistlich
Altstädter Kirche und aus
schrieb Prof. Tünprı, (in der
Seuses). a
j) Festsitzung vom 24. Januar 1912.
lateinischen Codices der Stadtbibliothek zu Trier aufgearbeitet. Im
Vordergrunde steht natürlich die Andachtsliteratur, in der Legenden
und Heiligenleben besonders reich vertreten sind und die mit einem
geistlichen Lebensbronn, Spaziergarten u. a. bis ins 17. Jahrhundert
sich erstreckt, dem auch eine Anzahl von Jesuitendramen angehört;
außerdem fanden sich neben den bekannten Trierer Denkmälern noch
Fragmente aus Rudolfs von Ems W illehalm, aus Philipps Marien-
leben, dem Lueidarius, einer Margaretenpassion, einem Lehrgedicht von
Schlangen; auch A. v. Harffs Reisebuch, die Vision des Heinr. Busch-
mann war zu notieren. Cand. Becker hat im Anschluß an seine Inven-
tarisationsarbeiten einen Katalog der deutschen Handschriften Triers
vorfaßt, der soeben im Druck erschienen ist (An. Becker, Die deutschen
Handschriften der Stadtbibliothek zu Trier, Trier 1911). Auf das un-
gewöhnlich schön geschriebene Bruchstück eines deutsch-lateinischen
Missaletextes aus dem ı 5. Jahrhundert, das sich im Besitz des Wein-
händlers Hrn. Osk. Schross in Trier befindet, wies uns Hr. Stadtbiblio-
thekar KentenicH hin; es wurde hier auf dem Handsehriftenarchiv von
stud. Künse untersucht und beschrieben. —_ Weiter danken wir es
der tatkräftigen Hilfe des Hrn. Archivdirektors Prof. Dr. Hasen, daß
endlich die lange gewünschte Aufnahme der Handschriften Cölns be-
gonnen werden konnte. ‚Hr. cand. NeukırcHex beschrieb außer einer
Anzahl wohlbekannter Handschriften ein Papierfragment der Kaiser-
chronik, das Bruchstück eines Alexanders, einer Diehtung von ‘Paris
und Helena’, die niederrheinische Erzählung von Morant und Galie; von
Prosastücken stieß er auf Loher und Maller, Belial, einen prosaischen
Balaam, einen Sydrach, eine Beschreibung des Heiligen Landes; auch
von Spees Trutznachtigall war eine bisher nicht benutzte Handschrift
vorhanden. — Über eine Sachsenspiegelhandschrift aus dem Museum
des Altertumsvereins zu Duisburg (früher im Besitz des Bürger-
meisters SCHLEGTENDAL) berichtete Dr. Nırwönner, der namentlich auf
ein vorangeschiektes niederdeutsches dialogisches Lehrgedicht über
Der mehrjährige eifrige Inventarisator der Handschriften West-
falens, Prof. Dr. Bömer, hat, so fern ihn seine ‚ Versetzung nach
biete gerückt hat, doch seine Tätig-
Berichtsjahr brachte von seiner Hand
eutscher Soester Handschriften (außer
niederdeutschen Psalmen und Gebeten einen Seelentrost und einen Mande-
der Gymnasialbibliothek zu Bielefeld be-
a)
De Al a a ni ne he Fuchs
2 Kalel ai ae SE = u u RE ERST 37 2
Fan ab ÄFEDE BE DaF Sen a En Me un ah
e Handschriften aus der Bibliothek der
Kirche ein niederdeutsches Exemplar” |
3erichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie, 171
In der Provinz Hannover war Oberlehrer Dr. Bari. tätig auf
der Kgl. und Provinzialbibliothek zu Hannover; er beschrieb dies-
mal vorzugsweise deutsche Gebete, Hymnen, Psalter. Ebenso fuhr
Dr. Marrnmäı in Hildesheim fort; die Handschriften des Stadtarchivs
sind meist bekannt; doch sei auf ein deutsches Bruchstück hingewiesen,
das die Geschichte von Irminfried und Iring nach Witekind erzählt;
die Beverinsche Bibliothek bot mit Andachts- und Geschichtsliteratur
manche Ausbeute; im Museum waren Lieder auf die Sehlacht bei
Soltau (1519) zu verzeichnen, wie Hildesheim denn auch sonst für
das Handschriften-Material historischer Lieder nicht ohne Ertrag blieb.
— Auf der Universitätsbibliothek zu Göttingen sind nach Wiırn.
Meyers vortrefflichem Kataloge neue Funde nicht zu erwarten; aber
die Grundsätze unserer Aufnahme verlangten doch weithin eine aus-
führliehere Neubeschreibung, mit der Dr. PrannmüLzer und stud. phil.
Prenıo begonnen haben; eine einzelne Rechtshandschrift mit nieder-
deutschen Versen beschrieb Hr. Rorrne.
In ruhigem, aber kräftigem Fortgang bewegt sich die Bearbeitung
der Stadtbibliothek zu Lübeck durch Dr. Hasen. Die mystische und
Erbauungsliteratur behält nach wie vor die Führung: hervorzuheben
sind etwa ein Rosengarten Christi, ein geistlicher Palmbaum; nieder-
deutsche Auszüge aus des Henrieus de Vrimaria De quattuor instineti-
bus; neben anderen poetischen Kleinigkeiten eine neue Handschrift
der Begine von Paris; vor allem der Schlußabschnitt der mittelnieder-
deutschen poetischen Apokalypse. Abermals ergaben sich interessante
Beziehungen Lübecks zu den Niederlanden (zumal zu der Paffraetschen
Druckerei in Deventer); Dr. Hasen hat daran Beobachtungen geknüpft,
durch die er die nähere Verbindung des Lübischen Michaeliskonvents
mit der Mohnkopfdruckerei glaubt stützen zu können.
Prof. Hesrıcıs unermüdliche Kraft rückte in der Beschreibung der
Helmstedter Handschriften auf der Herzogl. Bibliothek zu Wolfen-
büttel wieder um etwa ı50 laufende Nummern fort, von denen die
große Mehrzahl umfängliche ee 208: ESSEN, Allegorien,
Traktaten und sonstigen kleinen niederd tücken nötig
machte; bemerkenswert hebt sich heraus Nr. ı 169, eine ; Handschnift
mit ne und Predigtmärlein aus dem Melanchthonschen Kreise,
der noch nicht ausgeschöpfte Cod. 1233, sowie Übersetzungen aus
Augustin und Thomas a Kempis; auch an der Kleinliteratur der Sprüche,
Gelegenheitslieder, Rezepte usw. fehlte es wieder nicht. Von sonstigen ö =
poetischen Stücken wurde die niederdeutsche Apokalypse, Gedichte
über die Messe, die 10 Gebote vermerkt; aus dem üblichen Rahmen
fällt das kleine Bruchstück eines niederdeutschen Reisetagebuchs. Zu
den Helmstedter Handschriften trat der cod. Novi a nr ein
18 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
niederdeutsches geistliches Buch). Zehn musikalische Handschriften
beschrieb Prof. Worr. Stammbücher des 16. und 17. Jahrhunderts
lieferte für Prof. Hrxrıcı neben der Herzogl. Bibliothek auch das
Landeshauptarchiv zu Wolfenbüttel, das sie aus Friedr. Warneckes
Nachlaß besitzt; ebenhier liegt auch eine bisher nicht genügend be- |
achtete Sammlung geistlicher Schriften aus Kloster Marienberg‘.
Auch in Braunschweig setzte Prof. Henrıcr seine erfolgreiche
Tätigkeit fort. Im Städtischen Museum fand er mehrere hundert Bruch-
stücke, von denen jedoch nur eins für uns zu beschreiben war; außer-
dem fanden sich in zweien von den 26 Druckwerken aus dem Nach-
lasse des Landwirts Vasel lateinische Verse handschriftlich und in einem
auch ein deutsches geistliches Gedicht des 16. Jahrhunderts. Aus der
Stadtbibliothek waren nur noch Kleinigkeiten nachzutragen. Die Bi-
bliothek der Technischen Hochschule ergab an wenigen Finbänden
alte Handschriftenbruchstücke, ohne Bedeutung für uns. — Einen von
ihm handschriftlich verbesserten und ergänzten Druck des Handschriften-
kataloges der Braunschweiger Stadtbibliothek und einen handschrift-
lich hergestellten Katalog der Abteilung »Neue Handschriften« hat
Prof. Hexrıcr dem Handschriftenarchiv, zunächst als Depot, überwiesen.
Endlich hat der rührige Gelehrte seine Wirksamkeit noch auf
eine neue Stätte erstreckt: er hat die Abteilung »Manuscripta Ger-
manica« der Stadtbibliothek zu Hamburg aufgearbeitet, was ihm durch
die gründlichen Vorarbeiten Dr. Bures wesentlich erleichtert wurde;
erwähnt sei des Hans v. Soest Gedicht von der unbefleckten Emp-
fängnis Mariä, eine Melusinenprosa, Loher und Maller, Historienbibeln
usw., dazu Lieder des 16. und ı7. Jahrhunderts, Dichtungen von
Mushart, Ruthenus, Jorman (ein Theuerdank in Alexandrinern). Mit den
Theologischen Handschriften hat er einen Anfang gemacht. Die Ham-
burger Fragmente des Väterbuchs beschrieb Oberlehrer Dr. Brruckr.
Die Handschriften und Fragmente des Kunstgewerbemuseums zu Flens-
burg, die meist aus dem Kgl. Staatsarchiv zu Schleswig zu dauernder
Aufbewahrung überwiesen sind, untersuchte stud. Aurr. Krüser.
Auch für Mecklenbur gist endlich ein Fortschritt zu verzeichnen,
dank zumal den Bemühungen des Direktors der Universitätsbibliothek
Prof. Dr. Gorruer in Rostock. Die Handschriften der dortigen Univer-
sitätsbibliothek hat Oberbibliothekar Dr. Konrerpr zu beschreiben be-
gonnen (prachtvolle Pergamenthandschrift des »Theuerdank«); die
Schweriner Handschriften hat Dr. Crams einer vorläufigen Durchsicht
unterzogen. |
.- Mitteilungen aus und über Wolfenbüttler Handschriften ließ Prof. Heseıcı im
Braunschweigischen Magazin ıgrı Nr. 2 und Nr. 12 drucken.
* .. ” [3 * + wi
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 9
Für das Ausland konnte im Berichtsjahre nicht viel geschehen.
Um die Arbeit in Rußland zu organisieren, fanden Verhandlungen
mit Prof. Ivan Vasınsevi6 Sarovorskıs von der Universität Kiew statt.
Auch der Slawistin Frl. Dr. van ver Kor danken wir nützliche Winke.
Bedeutungsvoller war eine Orientierungsreise, die unser Archivar
Dr. Benrenn während des Augusts und Septembers in England und
Schottland gemacht hat. Nachdem er sich aus den Handsechriften-
katalogen und den Berichten der historischen Handschriftenkommis-
sion der Vereinigten Königreiche (The Historical Mss. Commissions
Reports 1870—1907) vorläufig unterrichtet hatte, besuchte er zu-
nächst St. Andrews; die Universitätsbibliothek bot lediglich eine bisher
nicht ausgenutzte Handschrift der Schweizer Chronik des Reformators
Bullinger. Ganz unergiebig waren die Bibliothek der Townhall in Crail
und die Laing Library zuNewbury. Die Royal Observatory Library
auf Blackford Hill bei Edinburgh, deren Handschriften aus den lang-
Jährigen Sammlungen des Lord CrAwrorn stammen, trug etwa zwölf
Beschreibungen ein (lateinisch-deutsche Vagantenverse, Pflanzennamen,
Astronomisches); von dem Buchhändler Hogg in BRBNE sh sh ein
lateinisches Hymnar holländischer Herkunft
Perth wurde. besucht, um auf einer dort stattfindenden Bibliothekar-
tagung Auskünfte einzuziehen und durch ein Referat Interesse zu er-
wecken; die dortigen Bibliotheken Burgh Library und King James’ Ho-
spital Library, sowie die Bibliothek von Sir John A. Dewar zu Dupplin
Castle brachten für uns keinen Ertrag, wenn auch die erstgenannte für
die deutsche Handelsgeschichte wichtige Materialien birgt. In Glasgow
durchsuchte Dr. Brurenn den Palace of History der Scottish exhibition
mit geringem Gewinn; er kopierte lediglich einen Brief von Wilhelm
Wallace vom ıı. Oktober 1297, der Beziehungen Schottlands zu Ham-
burg und Lübeck erweist. Aus der Bibliothek des Benediktinerklosters
Fort Augustus, die allerlei alte Handschriften Regensburger Ur-
sprungs besitzt, interessierte besonders ein Kodex um 1100 mit einer
langen Reihe deutscher Personennamen. Während Inverness und
die Kirchenbibliothek zu Dunblane unfruchtbar war, bot die Biblio-
thek des alten Kings College zu Aberdeen mancherlei, besonders eine
niederländische Gebetshandschrift; auch kopierte Dr. BEHREnD dort
einen Brief Friedrichs des Großen vom Jahre 1748. Endlich besuchte
er auf den guten Rat des Bibliothekars Hexey Gurpy die an Hand-
schriften deutscher Herkunft reiche John Rylands Library zu Man-
chester; die meisten dieser Hss. befanden sich früher in der Biblio- :
theca Lindesiana zu Wigan, sind aber von Prıessca nur gestreift worden.
Die Bibliothek besitzt geistliche Codices aus Kloster Altenburg (zwi-
schen Cöln und rer aus Prüm, Walbeck; einen en
80. Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Briefwechsel über Hermann von Wieds Reformationsversuche in Cöln;
deutsche Wappenbücher des 16. Jahrhunderts; allerlei deutsche Feder-
‚proben. Leider reichte die kurze, für Dr. Beurenp noch verfügbare
Zeit zu erschöpfender Beschreibung nicht aus; doch hofft er, daß
der Rest an Ort und Stelle nach unseren Grundsätzen aufgenommen
werden wird. Das Schwergewicht der Reise lag in Schottland. Es
hat sich leider ergeben, daß die einst reichen Handschriftenbestände
des Landes in den zahllosen inneren Kriegen großenteils vernichtet
worden sind. Es war nicht immer möglich, über die adligen Privat-
bibliotheken verläßliche Auskunft zu erhalten, manche Anfrage blieb
unbeantwortet, und insbesondere waren die Bibliotheken der katho-
lischen Erzbischöfe zu Edinburgh, St. Andrews und Glasgow unserm
Beauftragten bisher unzugänglich. Aber daran ist doch kaum mehr ein
Zweifel, daß es sich in Schottland nur um vereinzelte Zufallsfunde
deutscher Handschriften handeln kann. |
Für den Katalog des gedruckten handschriftlichen Ma-
terials zog der Archivar in der ihm freibleibenden Zeit die Alemannia,
Stöbers Alsatia, das Serapeum, v. Aretins Beiträge vollständig aus,
und beganıı mit dem Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit.
In die Handschriftenbeschreibung und in die Verzettelungsarbeiten
wurden wie früher jüngere Doktoren und ältere Studenten von ihm
eingeführt. An der Verzettelung beteiligten sich die HH. stud. Bıvrs,
Dr. Böunr, Dr. Böısıne, stud. Buskr, stud. GENsEL, Dr. Gitwe, stud.
KARSTEN, stud. Korte, Dr. Korzexgere, Dr. Krürr, stud. KrÜcer,
Dr. Nıewönner, stud. ÜBERBECK, Dr. PrANNMÜLLER, stud. Srecuer. Neu
in den Kreis der Verzettelung einbezogen wurden die wichtigen, voll-
ständig gedruckten Handschriften, wie die große Heidelberger Lieder-
handschrift, die Jenaer Liederhandschrift, das geistliche Liederbuch
des Stiftes Hohenfurt, die Handschriften, die in den ‘Deutschen Texten’
der Akademie zum Abdruck gelangt sind. Die Zahl der von aus-
wärts an unser Handschriftenarehiv geliehenen Handschriften beläuft
sich auf mehr als 30; unsere Leihgesuche sind stets von Behörden
wie Privatbesitzern bereitwillig genehmigt worden. In das Archiv
wurden außerdem gesandt von der Kgl. öffentlichen Bibliothek zu
Dresden Briefe von Karoline Schlegel für Hrn. Erıcn Scampr, aus
E : i Sa a
REEL
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 81
dem wurden alle von der Deutschen Kommission mit Sonderelditionen
beauftragten Gelehrten dauernd über die sie interessierenden Materialien
unterrichtet. Zahlreich waren die besonderen Anfragen, nicht karg
die positiv beantworteten.
Versuche zur photographischen Aufnahme der Wasserzeichen haben
noch keine abschließenden Resultate gezeitigt.
Die Büchersammlungen der Deutschen Kommission belaufen sich
insgesamt auf 1500 Bücher; der Mangel an altdeutschen Texten hindert
die Arbeit zur Zeit noch empfindlich.
An Geschenken ist mit Dank außer Dissertationen und Programmen
zu nennen das Verzeichnis der Handschriftensammlung des Hospitals
zu Cues bearbeitet von Prof. Marx, $owie Prismenphotographien einiger
Blätter der Würzburger Handschrift, übersandt durch Prof. vox Kraus
in Bonn.
Während der Ferien vertraten in einigen Stunden den Archivar
die HH. Dr. Börsıne und Dr. Krürr; bei den Ordnungsarbeiten wirkten
mit Frl. VoLkmann, Frl. SchwErDFEGER, Frl. Voısr.
Von den ‘Deutschen Texten des Mittelalters’ wurde ausgegeben
nur Bd. XIX ‘Daniel, eine deutsche Ordensdichtung aus der Stutt-
garter Handschrift, herausgegeben von Arrnuur Hüsser’; im Drucke
befinden sich zwei sehr umfängliche Bände, Bd. XX Rudolfs von
Ems Weltchronik, aus der Wernigeröder Handschrift herausgegeben
von Gustav Eurısmann’ und Bd. XXU ‘Das Väterbuch, aus der Leip-
ziger Handschrift mit Ergänzungen aus der Hildesheimer und der Straß-
burger Handschrift herausgegeben von Karı ReıssEnBERGER’, sowie das
dünne Heft XXIH: Konrads von Megenberg Deutsche Sphära,
aus der Münchener Pergamenthandschrift herausgegeben von Orro
Marrnär. In kurzem soll der Satz der Heidelberger Minnereden
beginnen, die Hr. Oberlehrer Dr. K. Marrnäı herausgeben wird, sowie
der Berleburger ‘'Pilgerfahrt des träumenden Mönchs'’, die Prof.
Böner bearbeitet hat. Dr. Marceıı Eıgesscnürz hat seine Abschrift des
Märtyrerbuchs aus der Klosterneuburger Handschrift (nebst Kolla-
tionen aus andern Handschriften) der Deutschen Kommission käuflich
überlassen, die sie als Grundlage eines künftigen Textbandes zu ver-
werten gedenkt. \
Die Wieland-Ausgabe hatte im letzten Jahre unter unvorge-
sehenen Stockungen zu leiden. Nachdem der Abschluß der Jugend-
schriften wegen einer an Ort und Stelle nötigen Nachkollation der
Züricher Diktathefte durch Dr. Bizger, die inzwischen erfolgt ist, hinaus-
geschoben worden war, scheiterte die zunächst geplante Herausgabe
0 Historischen Wörterbuchs der
82 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
des V. und VI. Bandes an dringenden Gesundheitsrücksichten des Be-
arbeiters, und wir mußten froh sein, daß Hr. Dr. Maurrmann rasch für
den nunmehr ausgedruckten VII. Band in die Bresche sprang. Außer
Kleinerem sind darin »Idris«, »Musarion«, »Nachlaß des Diogenes«,
»Beiträge zur geheimen Geschichte der Menschheit« enthalten. Die
zweite Abteilung, Wielands nach dem Shakespeare fast ausschließlich
der Antike gewidmete Übersetzungen, wurde plötzlich durch den Rück-
tritt des Hrn. Dr. C. Fries verwaist, der sich für schonungsbedürftig
erklärte und seine homerisch-orientalischen Studien fördern wollte.
Für ihn wurde Hr. Dr. Sracner, gewonnen. Ein neues Lehramt in
Frankfurt a. O. ließ ihn nicht sofort und nicht ununterbrochen die Arbeit
betreiben; auch mußte eine von Srurrerr weislich aufgeworfene Grund-
frage für den Horaz erst untersucht werden. Aber der Band, den
hauptsächlich die »Briefe« des Horaz füllen, nähert sich jetzt dem
Abschluß und wird noch im Frühjahr erscheinen. Ein paar äußerliche
Inkongruenzen sind beim Druck in den Ferien eingedrungen.
Über die Arbeiten am ‚Rheinischen Wörterbuche’ berichtet das
außerakademische Mitglied der Deutschen Kommission, Hr. Franck:
"Von unsern Mitarbeitern schied am 1. April ıgı ı Frl. BeversporrFr
aus; an ihre Stelle trat am gleichen T age Frl. M. Prraumer aus Bonn.
Am ı. Mai ı911 begann Hr. Dr. Turovor Frınes aus Dülken, zugleich
Seminarkandidat am hiesigen Städtischen Gymnasium, seine Tätigkeit
am Wörterbuch. Hoffentlich werden die Verhältnisse gestatten, ihn
für längere Zeit uns zu erhalten. Hr. Dr. TREnsE mußte seine Mit-
arbeit seit diesem Sommer krankheitshalber abermals einstellen.
Ausgegeben wurden die Nummern 14—16 der Fragebogen an
die Seminare, Präparandenanstalten und andere Mitarbeiter. Frage-
bogen 15 war zum größten Teil mundartengeographischen Fragen ge
widmet. Ferner erschien als Sonderdruck aus dem Eifelvereinsblatt
ein von Hrn. Dr. Mürwer in der Ortsgruppe Bonn des Allgemeinen
Deutschen Sprachvereins gehaltener Vortrag »Das Rheinische Wörter-
buch und die rheinische Volkssprache«.
Die Verzettelung älterer Texte nahm ihren Fortgang. Ein großer
Teil der gedruckten Quellen der poetischen und Geschäftsliteratur sind
erledigt. Von einer kleineren Anzahl, die von Studierenden im An-
Kölner Mundart « erweitert und arbeitet
Jetzt im Auftrage der Stadt Köln, hat sich jedoch verpflichtet, sein
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 83
ganzes Material auch uns zur Verfügung zu stellen. Die Tätigkeit
des Hrn. Dr. Haperer am Kgl. Staatsarchiv zu Düsseldorf blieb aus
Zeitmangel bis jetzt beschränkt, Ergebnisse derselben liegen hier noch
nicht vor, und auch von der Aussicht auf Beiträge des Hrn. Dr. Kruv-
pEwIG hat sich bis jetzt wenig verwirklicht.
Die Eingänge aus den lebenden Mundarten haben zwar allmählich
wieder nachgelassen, bleiben aber doch immerhin noch ganz beträchtlich
und stellen sogar, da sie großenteils bezahlt werden, an unsere Kasse
verhältnismäßig recht hohe Anforderungen. Mit ihrer vorläufigen
Bearbeitung sind wir nunmehr nachgekommen. Dagegen ist das Material
aus den Fragebogen so reich und vielgestaltig, daß wir bei unsern
jetzigen Hilfskräften mit der Ordnung andauernd weit zurückbleiben.
So sind die Vorarbeiten doch noch recht weit von der Aussicht
auf eine einigermaßen erschöpfende Sammlung des Stoffes und von
seiner Ordnung entfernt, und es geschieht nicht leichten Herzens,
wenn die Leitung sich aus gewissen Rücksichten entschließen muß,
trotzdem der systematischen Bearbeitung jetzt schon näherzutreten.
Die kartographische Darstellung einer größeren Anzahl Wörter
ist ziemlich fertiggestellt worden. Die Absicht, eine "Geographie
der rheinischen Mundarten’ zu veröffentlichen, stößt zwar, wie es
scheint, auf unüberwindliche Schwierigkeiten, da die beabsichtigte
Publikation des Sprachatlas des Deutschen Reiches gerade zunächst
auch das rheinisch-hessische Gebiet umfassen soll; wir wollen aber
trotzdem die Arbeit unsererseits nicht ganz aufgeben, weil sie zu
unserer eigenen Orientierung dienen und uns doch vielleicht eine
Handhabe bieten kann, das Wörterbuch von einer allzu umständlichen
Angabe der Einzelformen zu entlasten. Zu gleichem Zweck ist die
Bearbeitung von Lauttafeln nach dem Vorbild des Siebenbürger Wör-
terbuchs in Angriff genommen worden.
Dr. Mürzer hat mit einer vorläufigen Bearbeitung des Buchstabens
B — A hatte Dr. Trexse auf sich genommen — begonnen. Sie zeigt,
wenn sich auch recht viele Nachfragen zur Anfüllung von Lücken
und zu Richtigstellungen nötig erweisen, doch die Reichhaltigkeit
des vorhandenen Stoffes. Eine Aufgabe der nächsten Zukunft wird
es außerdem sein, die schwierigen Fragen, die Anordnung, Auswahl,
Druckeinrichtung usw. stellen, gründlich zu erwägen. |
Der Bestand unseres Archivs, der das letztemal auf etwa 190000
Zettel angegeben wurde, hat sich trotz Ausscheidungen um etwa 30000
vermehrt. Der aus den Fragebogen bearbeitete Stoff beläuft sich ng =
etwa 50000 Zettel.
Die uns von der Universität gewährte Räumlichkeit ist ho
seit längerer Zeit für das Material und die Zahl der Arbeiter zu eng
Sitzungsberichte 1912. | 4
84 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
geworden. Die uns gleichfalls von der Universität gemachte Aussicht
auf einen weit größeren Arbeitsraum konnte vorläufig nicht verwirk-
licht werden, weil das vorgeordnete Ministerium die nötigen baulichen
Arbeiten noch nicht angeordnet hat.’
In der Überzeugung, daß die Sammlung unserer mundartlichen
Schätze eine der dringendsten Aufgaben der Wissenschaft ist, und daß
da jedes Jahr des Aufschubs schwere Verluste bedeutet, hat die Deutsche
Kommission beschlossen, alsbald der Vorbereitung zweier weiteren
Idiotika näherzutreten.
Sie hat sich zu diesem Zwecke zunächst mit Prof. Wrepe in
Marburg in Verbindung gesetzt, und dieser hat sich bereit erklärt,
die Leitung eines ‘Hessen-Nassauischen Wörterbuchs’ in die Hand zu
nehmen. Das Idiotikon soll die Provinz Hessen-Nassau, ferner den
von ihr umschlossenen Kreis Wetzlar der Rheinprovinz umfassen; es
steht nach einer Besprechung, die Prof. Wrepz mit Prof. BEHAGHEL
in Gießen hatte, zu hoffen, daß auch die Provinz Öberhessen des
Großherzogtums Hessen in den Plan mit wird einbezogen werden
können. Der Boden ist durch ältere Arbeiten von Vırmar, KeHrem,
ÜRECELIVS, Schmidt besonders wohl vorbereitet; dazu kommt, daß dem
Leiter des Werkes infolge seiner langjährigen Tätigkeit an WENnkeErs
we a ü RE DIE Wir BT ee e M
B RT ni DER a r D DE ERS ART HER 2
ir EN RSS TE UTN RE
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EN TR RENT VERS TEICHEENS
weit es gelingt, die bescheidenen Mittel
“Hessen-Nassauische Wörterbuch’
namentlich provinzielle Unterstützung zu ergänzen. Vorläufig hat das
vorgesetzte Ministerium sein Interesse für das Idiotikon dadurch be-
wiesen, daß es Prof. WerepE gestattet hat, seine dienstliche Tätigkeit
| und Idiotikon zu teilen. Der beklagenswerte Tod
des verdienstvollen Begründers des 'Sprachatlas’, Prof. Wenkers, dem
= die Akademie erst in ihrer letzten Leibniz-Sitzung die silberne Leibniz-
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 85
Medaille verliehen hatte, hat es mit sich gebracht, daß der "Sprach-
atlas’ bisher für Prof. Wreve durchaus voranstehen mußte. So wird
eine intensivere Förderung des “Hessen-Nassauischen Idiotikons’ erst
im Folgejahr möglich sein.
Weiter vorgerückt sind bereits die Sammlungen für ein "Preußisches
Wörterbuch’, dessen Vorbereitung Hr. Privatdozent Dr. Warruer Ziesemer
zu Königsberg i. Ostpr. übernommen hat, mannigfach gefördert durch
das Interesse der HH. Prof. Brzzengereer und Meıszxer. Das ‘Preußische
Wörterbuch’ soll sich erstreeken ebenso auf die mittel- und nieder-
deutschen Gebiete Ost- und Westpreußens, wie auf die sprachlich ge-
mischten, in denen neben deutsch auch litauisch, masurisch, polnisch,
kassubisch gesprochen wird. Wir erhoffen gerade von diesem Werke
eine erfreuliche Stärkung gesunden Heimatsgefühls in jenen Grenz-
landen des deutschen Ostens. Am 11. August wurden die ersten ge-
druckten Werbeblätter versendet; jetzt haben sich bereits 120 Mit-
arbeiter gefunden, von denen etwa 10000 Zettel alphabetisch einge-
ordnet sind. Die Organisation hat sich möglichst an den Vorgang
des ‘Rheinischen Wörterbuchs’ angeschlossen. Es darf freudig aus-
gesprochen werden, daß der Plan der Akademie in den beiden Pro-
vinzen lebhafte Zustimmung gefunden hat; so haben einige Kreisschul-
inspektoren (in Heilsberg, Elbing, Pr.-Stargard) auf Konferenzen die
Lehrer ihrer Bezirke auf die Bedeutung dieses akademischen Unter-
nehmens hingewiesen, und einige Lehrervereine haben sich zur Mit-
arbeit bereit erklärt. Mit der Exzerpierung gedruckten Materials sind
zur Zeit beschäftigt Oberlehrer Dr. Bauszus in Königsberg (Königs-
berger Illustrierte Zeitung), Prof. Dr. Branpes in Dt.-Krone (Reicher-
mann, Ut Noatange), Apotheker Jon. Semeritzkı in Memel (Memelsches
Wochenblatt; Memeler Anzeiger; Der Pilgrim; Reichardt, Leben des
berühmten Tonkünstlers H. W. Gulden). Eine wichtige Ergänzung
findet das Zettelmaterial durch die Arbeiten des Gymnasialdirektors
Dr. Srunkmann in Dt.-Krone, der nach grammatischen Gesichtspunkten
sammelt und bisher das starke Verbum in der Gegend von Seeburg
bis Heilsberg bearbeitet hat.
Mit besonderem Dank sind einige Zuwendungen an das ‘Preußische
Wörterbuch’ zu buchen. So wurde überwiesen ein etwa 500 Quart-
seiten umfassendes Wörterbuch, das der verstorbene Hofprediger Horr-
HEINZ in Königsberg angelegt hat und das wertvolle Varianten zwi
Frischbiers Materialien bietet. Hr. Redakteur Dr. Lupwıs GOLDSTEIN
in Königsberg übergab einen Zettelkasten mit etwa 1200 mundart-
lichen Wörtern aus dem Nachlaß des verstorbenen Prof. Dr. Maror,
7*+
86 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
und gestattete die Benutzung eigner handschriftlicher Nachträge zu
Frischbier und Lemke und den Einblick in ein ebenfalls handschrift-
liches “Etymologieum parvum’. Hr. Kreisschulinspektor a. D. Schul-
rat Dr. Zıyr in Oliva schenkte 50 Berichte von Lehrern des Kreises
Stuhm aus dem Jahre 1906, in denen sprichwörtliche Redensarten,
Derbheiten, Spracheigenheiten niedergeschrieben sind, wie sie sie unter
den Leuten ihres Dorfes gehört hatten.
Über die Zentralsammelstelle des ‘Deutschen Wörterhuchs’ in
Göttingen berichtet ihr Leiter Dr. Jowannes Lochner das Folgende:
»Am 31. März ıgıı schied der erste Assistent Dr. WAGNER aus
seiner Stellung, um in den Schuldienst überzugehen. An seine Stelle
rückte der bisherige zweite Assistent Dr. Frask Fıscuer auf ; als zweiter
Assistent trat Hr. ALrren VoerL am 16. Mai I9gII neu ein. Die dritte
Assistentenstelle ist noch nicht wieder besetzt. Die Hilfsarbeiterin Frl.
H. Borpr trat, wie bestimmt, mit dem 31. März ıgıı wieder aus.
Die Zahl der Exzerptoren konnte in letzter Zeit wieder erhöht
werden. Augenblicklich sind 93 tätig (im ganzen bisher 343). Von
den 4ııı durch Exzerptoren zu bearbeitenden Bänden sind 2378 er-
ledigt, und zwar mit einem Ertrage von 1094600 Zetteln. Aus dem
alten Zettelmaterial, das bis auf eine im Juli IQII eingegangene Sen-
dung von Hrn. G. Scnorrr im Haag erledigt ist, erhielten wir im
ganzen 189100, aus den »Lexikalischen Hilfsmitteln« 100000 Zettel
(seit 1. April 1911: 44000), so daß die Zentralsammelstelle Jetzt über
insgesamt 1383700 Belege verfügt (+ 407 500)
An altem Material erhielten wir auch im Berichtsjahre erneute
Zuwendungen, außer den genannten besonders von den HH. DDr. Cronr
und Heır. Meyer. Die Beendigung des Hauptquell ichni
das nach dem vorjährigen Berichte schon zu
sollte, wurde durch die neuen Ein
bis Anfang Oktober verzögert.
Verweise und wurde am ı8. Okto
Ostern ıg11 fertig sein
gänge an altem Material nochmals
Es umfaßt nahezu 7800 Titel und
ber an die Mitarbeiter versandt. In-
ntralsammelstelle verfügt, so unzu-
reichend, daß an die Beschaffung eines neuen Raumes ernstlich gedacht
werden muß.
Dr. Locnser gab auf der
am 9. Oktober einen öffentlich
S wiederum vierteljährlich
64500 Zettel.«
Be BR iR äh 2: ET TEE RE
2 SE sin Re ee "Seal ld are vrinsehaluriemg ten har aaa ln rien
|
|
Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. 87
In die Zahl der Mitarbeiter des Wörterbuchs ist Prof. Dr. Rosrx-
HAGEN zu Hamburg jetzt definitiv eingetreten; er hat die Schlußpartie
des Z (Zo—Z2) übernommen. Für die Schlußpartie des @ (G0o—G)
sind die HH. Prof. Dr. Heım in Gießen und Dr. A. Hüsser in Berlin
geworben worden; doch stehen die Probeartikel noch aus; auch ist
die feste Abgrenzung der Gebiete noch nicht vorgenommen.
Es erschienen im Berichtsjahre für G (Bd. IV Abt. ı) von Prof.
Wunperuich die 12. Lieferung des 3. Teiles, der damit abgeschlossen
ist (gewitzigt— gewöhniglich); für W (Bd. XII) von Prof. vos Banper und
Dr. Sıcker die 10. Lieferung des ı. Teiles (wandeln — wank), sowie von
Dr. Görze die ı. Lieferung des 2. Teiles (wer—wehr). Von S (Bd. X) ist
die 7. Lieferung des 2. Teiles (stattlich — staupe) herausgekommen; da-
gegen konnte die 8. Lieferung noch nicht ausgegeben werden, obwohl
der Artikel stehen von Dr. Meyer bereits gesetzt ist, da Dr. Crone die
Reihe siec—-sieg noch nicht abgeschlossen hat; doch steht der Ab-
schluß nahe bevor. Ebenso ist die 8. Lieferung des XU. Bandes (ver-
sitzen — versprühen, bearbeitet von Prof. Meıszyer und Dr. LroroLn) im
Druck fertig. Der Druckbeginn des U (Bd. XI 2) und des Z (Bd. XIV)
steht unmittelbar bevor; der Anfang des Manuskripts liegt für beide
Bände bereits vor.
Forschungen zur neuhochdeutschen Sprach- und Bildungsgeschichte.
Bericht des Hrn.’ Burvacn.
Die beiden im Druck vollendeten Teile der von dem Bericht-
erstatter und Paur Pıur herausgegebenen Rienzoedition wurden bisher
nicht veröffentlicht, weil die Einleitung innerlich und äußerlich so an-
wuchs, daß sie als ein selbständiges Ganzes abgetrennt und außer-
dem in zwei Bände zerlegt werden mußte. Der darstellende, kultur-
geschichtliche Teil dieser Einleitung, von dem Berichterstatter
allein verfaßt, eröffnet nunmehr unter dem Titel: Rienzo und die
geistige Wandlung seiner Zeit als erster Teil das Werk und erscheint,
nachdem sein Druck bis zum 22. Bogen fortgeschritten ist und die
Drucklegung des Restes von 7 bis 8 Bogen nahe bevorsteht, voraus-
sichtlich demnächst zusammen mit den beiden fertigen Textbänden,
die jetzt Teil 2 und Teil 3 des Werkes bilden und auf je 3ı und
23 Bogen den kritischen Text, Lesarten und Anmerkungen des eigent- _
lichen Briefwechsels des Cola di Rienzo und der Urkundlichen Quellen
zur Geschichte des Rienzo nebst einer kurzen Übersicht der zugrunde
gelegten Handschriften und mehreren Registern enthalten. Die zweite
Hälfte der Einleitung, welche eine genaue Beschreibung aller Benutzien
Handschriften bringt und Teil 2 des Werkes bildet, wird etwas später,
gefördert worden.
88 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
möglichst zusammen mit dem Schlußteil (Teil 5: Sachlicher und
historischer Kommentar, Glossar), veröffentlicht werden. — Die ange-
kündigte Publikation des ersten Teils der kritischen und kommentierten
Ausgabe des Ackermanns aus Böhmen hat sich aus mehreren Gründen
verzögert: hauptsächlich weil der Mitherausgeber Prof. Dr. Aroıs
Bernt als Direktor an das Gymnasium in Gablonz versetzt und durch
die mannigfachen Ansprüche des neuen Amts abgehalten wurde, die
Arbeit so nachdrücklich wie bisher zu fördern. — Die übrigen
von dem Berichterstatter unternommenen oder unter seiner Leitung
stehenden Arbeiten sind aus verschiedenen Ursachen, teils sachlicher
teils persönlicher Behinderung, nicht wesentlich gefördert werden.
Humsoror- Stiftung.
Bericht des Hrn. WaLverer.
Die für das Jahr ı9rı verfügbaren Stiftungsmittel im Betrage
von 8500 Mark sind an Hrn. Prof. Dr. vox BurteL-Rerren in Olden-
burg zu einer Forschungsreise nach Ostindien zwecks biologischer
Studien an staatenbildenden Insekten vergeben worden. Hr. von Burter-
Rerpen hat die Reise angetreten. Aus früheren Bewilligungen er-
schienen als Ergebnisse: Bd. 2 der Werke der Planktonexpedition
Fe: Schıemenz, P., Die Heteropoden. He: von Rırter-ZAnory, R.,
Die Chaetögnathen. Bd. 3. Le: Ruunster, L. Die Foraminiferen (Tha-
lamophoren) ı. Lh: Die Tripyleen Radiolarien. Borserrr, A., Chal-
lengeridae. Bd. 5. O: Hessen, V. Das Leben im Ozean nach Zäh-
lungen seiner Bewohner. Kiel und Leipzig, 1911. Über die so reichen
Ergebnisse, welche die gleichfalls von der Humboldtstiftung unterstützte
Tendaguruexpedition bis jetzt geliefert hat, berichtete seinerzeit
Hr. Branca der Akademie.
Für das Jahr 1912 werden 35500 Mark zur Verfügung stehen.
Sarıenr- Stiftung.
Bericht des Hrn. Brunser.
Vom Vocabularium Jurisprudentia Romanae sind unter Leitung
des Hrn. Prof. Dr. Berswarp Küsıer Druck und Ausarbeitung bei allen
vier zunächst in Angriff genommenen Bänden im Berichtsjahre 1911
= Bei Band I (D—-6) ist der Druck
' zur Zeit vor dem umfangreichen Wortar
Skript Hr. Grupe bis Mitte Januar 1912
u Von Band III (H—M) sind zwei weit
so weit vorgeschritten, daß er
tikel »et« steht, dessen Manu-
einzuliefern in Aussicht stellte.
ere Bogen (ignavia—impello),
£
|
Jahresberichte der Stiftungen. 89
von Band IV (N—Q) etwas mehr als vier Bogen (nam —-nihil) gedruckt.
Bei Band V ist der Druck von »sed« bis »servo« abgeschlossen, der
Artikel »si« so weit ausgearbeitet worden, daß die Einlieferung des
Manuskripts demnächst erwartet werden darf.
Für die Neubearbeitung von Honevers » Deutschen Rechtsbüchern
des Mittelalters« hat Hr. Borcarıne eine druckfertige Reinschrift der
‚auf seinen Arbeitsanteil entfallenden 673 Nummern des Handschriften-
verzeichnisses hergestellt und dafür fünf Register ausgearbeitet, zwei
systematische Register über die Rechtsbücher und ihre Beigaben und
drei alphabetische über die Schreiber der Handschriften, über die
früheren Besitzer und über die früheren Aufenthaltsorte der Hand-
schriften. Hr. Juuiıvs v. Gierke hat — abgesehen von einigen Nach-
‚trägen zu etlichen Nummern — den Verbleib einer größeren Reihe
von Handschriften durch schriftliche Anfragen festgestellt. Für eine
Revision der Bestände von Berlin und München ist zum Herbst 1912
eine Reise in Aussicht genommen, nach deren Abschluß beide Mit-
arbeiter zusammentreffen wollen, um das Werk für den Druck zum
Abschluß zu bringen.
Bopr-Stiftung.
Bericht der vorberatenden Kommission.
Die Kgl. Akademie der Wissenschaften hat am 16. Mai ıgıı den
Jahresertrag der Borr-Stiftung in Höhe von 1350 Mark dem Assistenten
an der Kgl. Bibliothek zu Berlin, Hrn. Dr. WALTER SCHUBRING, zur
Fortsetzung seiner Jaina-Studien zuerkannt.
Hermann und Erıse geb. Heckmann WeEnTzeL-Süflung.
Bericht des Curatoriums für 1911.
Aus den im Jahre ı9ı1ı verfügbar gewordenen Erträgnissen der
Stiftung wurden bewilligt:
6000 Mark zur Fortführung der Bearbeitung des Wörterbuchs
der älteren deutschen Rechtssprache;
4000 Mark zur Fortführung der Berg der ältesten griechi-
schen christlichen Schriftsteller; |
4000 Mark zur Fortführung der Bearbeitung der Prosopographie ;
der römischen Kaiserzeit, Jahrh. IV—VI; |
6000 Mark als erste Rate für eine unter Leitung des Hrn.
EnsLer auszuführende Bearbeitung der Flora von 5 zu
und Mikronesien.
90 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Über den Fortgang der Arbeiten an der Kirchenväter- Ausgabe
und der Prosopographie berichtet die hier folgende Anlage I, über
das Rechtswörterbuch Anlage I.
Von dem Vorırzkow’schen Reisewerk sind im Berichtsjahre zwei
Hefte: Bd.I Abth. II Lief. ı und Bd. IV Heft 3 erschienen. Von Prof.
Pıntiprson’s »Reisen und Forschungen im westlichen Kleinasien« ist
das zweite Heft: Ionien und das westliche Lydien mit einem Blatt
der geologischen Karte als Ergänzungsheft Nr. 172 zu Prrermann’s
Geographischen Mittheilungen erschienen.
Aus dem Curatorium schied das von der philosophisch-histo-
tischen Classe als Seeretar gewählte Mitglied Hr. Vanten mit Nieder-
legung seines Amtes am 30. September aus. An seine Stelle trat der
neue Secretar der Classe Hr. Rortne und wurde vom Curatorium,
gleichfalls in Nachfolge für Hrn. VARLEN, zum Stellvertreter des Vor-
sitzenden gewählt.
Anl. 1.
Bericht der Kirchenväter-Commission Jür 1911.
Von Hrn. Harnack.
I. Ausgabe der griechischen Kirchenväter.
Ausgegeben wurde:
die Chronik des Eusebius nach dem Armenier (hrsgeg. von
Kuarsr).
Im Druck befinden sich:
die Kirchengeschichte des Philostorgius (Bınrz),
das Werk des Origenes Dei dpxav (Korrscnav) und
die Demonstratio evangelica des Eusebius (Heıke:)).
Von dem »Archiv für die Ausgabe der ältesten christlichen
Schriftsteller« wurden elf Hefte ausgegeben, nämlich:
Bd. VI (XXXV]I) Heft ıa: Voszıs, Die Harmonistik im Evan-
gelientext des Codex Cantabrigiensis. |
Bd. VI(XXXVI) Heft ıb: SCHER
von Der Balyzeh.
Bd. VI(XXXVI) Heft 2: Horı, Die handschriftliche Überliefe-
rung des Epiphanius.
Bd. Mi (AXXVI) Heft 4: Herkeı, Kritische Beiträge zu den
Constantin-Schriften des Eusebius. [NB.: Heft 3 dieses
Bandes erscheint später.]
Bd. vu (XXXVIN Heft ı:
Untersuchungen zu den j
MANN, Der liturgische Papyrus
SCHMIDTKE, Neue Fragmente und
udenchristlichen Evangelien.
i
E
i
;
:
E
|
|
Jahresberichte der Stiftungen. 91
Bd. VII (XXX VID Heft 2: von Dosscrürz, Die Akten der
edessenischen Bekenner Gurjas, Samonas und Abibos, aus
dem Nachlaß von Oskar von GEBHARDT.
Bd. VIL (XXXVI) Heft 3: Barrn, Die Interpretation des Neuen
Testaments in der valentinianischen Gnosis.
Bd. VI (XXXVI) Heft 4: Harnack, Kritik des Neuen Testa-
ments von einem griechischen Philosophen des 3. Jahr-
hunderts.
Bd. VII (XXXVIN) Heft ı: Diosovnsorıs und Beis, Hippolyts
Schrift über die Segnungen Jakobs. Diosovniorıs, Hippolyts
Danieleommentar in Handschrift Nr. 573 des Meteoron-
klosters, mit einem Vorwort von BONWETSCH.
Bd. VII (XXXVII) Heft 2: Bırut, Zur Erklärung und Text-
kritik des ı. Buches Tertullians » Adversus Marcionem«.
Bd. VII XXXVIN) Heft 3: Diosovnıorıs und Harnack, Der
Scholien-Commentar des Origenes zur Apokalypse Johannis,
nebst einem Stück aus Irenäus, lib. V, Graece.
Im Druck befindet sich ein Heft, nämlich
Bd. VII (XXXVIM) Heft 4: vow Dosscnürz, Das Decretum
Gelasianum.
Eine größere Unterstützung bei seinen Arbeiten erhielt Hr. Biprz.
2. Prosopographia imperii Romani saec. IV—VI.
Hr. Jürıcner hat das umfangreiche Material aus der afrikanischen
Kirche bereits ziemlich vollständig für die einzelnen Artikel bear-
beitet; die mangelhafte Überlieferung der Namen, besonders der Orts-
namen, machte hier große Schwierigkeiten. Auch wurde die Chrono-
logie der Briefe, Predigten und Schriften Augustins von ihm her-
gestellt.
Unter Leitung des Hrn. SeEck setzten die HH. RırrArort, Kantec,
Gros und Frl. Nacı, ihre Exzerpte aus der profanen Literatur fort.
Hr. Seecx selbst arbeitete an den Regesten der römischen Kaiser von
Constantin bis Justinian. |
Anl. I.
Bericht der Kommission für das Wörterbuch der deutschen Rechtssprache,
für das Jahr 1911. en ı
Von Hrn. Brunner. ie
Zwischen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften
und der Verlagsbuchhandlung Hermann Böhlaus Nachfolger in Weimar
ist im Sommer dieses Jahres ein Verlagsvertrag zustande ‚gekommen,
92 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
durch den dieser das ausschließliche Verlagsrecht des im Auftrage der
genannten Akademie in Angriff genommenen Wörterbuchs der älteren
deutschen Rechtssprache übertragen wurde. Das Werk soll in Liefe-
rungen von je zehn Druckbogen zu 8 Seiten (16 Spalten) erscheinen und
etwa acht Bände zu je ungefähr tausend Seiten umfassen. Die Akademie
gewährleistet die feste Abnahme von 80 Exemplaren zum Buchhändler-
nettopreis.
Die akademische Kommission hielt am 21. September ıg1 1 zu
Heidelberg ihre zehnte Sitzung ab. Anwesend waren als Mitglieder
der Kommission die HH. BRUNNER, VON GIERKE, FrENsporFF, Hüser,
RoETHE, SCHROEDER, von Schuwino und als Mitarbeiter die Freiherren
von KüÜnssßEr6 und von Schuwermw. Man beschloß, das preußische Land-
recht, die Constitutio eriminalis Theresiana, das österreichische bürger-
liche Gesetzbuch und die Codices Maximalianei Bavariei in die Ver-
zettelung hineinzuziehen.
Von den Wortartikeln sind für das erste Doppelheft, dessen Er-
scheinen 1913 zu erhoffen ist, 416 fertiggestellt.
Der Bestand des Zettelarchivs, das durch Stichproben geprüft
wurde, hat sich seit der neunten Kommissionssitzung (April I9IO) um
etwa 90000 Zettel vermehrt.
Mit der Redaktion des Rechtswörterbuchs sind die HH. Schrorper,
von Künssßere und Prrers betraut worden.
Bericht des Hrn. SCHROEDER.
Seit der zehnten Sitzung der Kommission ist der Zettelbestand des
Archivs beträchtlich gewachsen, so daß er Ende IgII etwa 840000
Zettel betragen wird. Das Gesamtverzeichnis der Abkürzungen (Quellen-
verzeichnis) ist mit Ende 1911 druckfertig. Zu den in der Herbst-
sitzung vorgelegten Wortartikeln ist seither eine Reihe weiterer von
Dr. Gustav Wanr, Dr. Ausust Eıssässer und Dr. EBERHARD Freiherrn
Das Interesse, das immer weitere Kreise unserem Unternehmen
entgegenbringen, zei
schaftlichen Anfragen von Gelehrten und Praktikern,
darin, daß die von der Akademie z
Feen
Jahresberichte der Stiftungen. 98.
Unterstützungen erwähnen, die uns durch einzelne Beiträge und Hin-
weise zuteil geworden sind von den HH. Rechtskandidat PauL Auranam,
Berlin; Dr. E. Agr, München; Prof. Dr. K. vow Amıra, München; Dr.
J. L. BRANDSTETTER, Luzern; Karı Cnarıst, Ziegelhausen; Direktion des
k.u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Wien; Prof. Dr. A. EHRENZWEISG,
Wien; Dr. Frieprıcn Grarre, Heidelberg; Prof. Dr. Jon. Hoors, Heidel-
berg; Dr. jur. LAmgerr Graf ÖOBERNDORFF, Heidelberg; Privatdozent
Dr. Ernst Pereıs, Berlin; Prof. Dr. G. RAnsruch, Heidelberg; Prof.
Dr. Max Rınteten, Prag; Lehramtskandidat C. ScHamBacH, Heidelberg;
Privatdozent Dr. CLauvivs Freiherr vox Schwer, München; Oberbiblio-
thekar Prof. Dr. J. Wırır, Heidelberg; Privatdozent Dr. Frırprich
von Worss, Wien.
Prof. Dr. F. Lieserwans, Berlin, hat uns in freundlichster Weise
gefördert durch Überlassung der Druckbogen des Glossars zu seiner
Ausgabe der angelsächsischen Gesetze.
Bei den Archivarbeiten haben wir uns seit Mitte Oktober der
eifrigen Mithilfe des Hrn. Rechtskandidaten stud. phil. Grore EscHEN-
HAGEN zu erfreuen gehabt.
Der Stand der Handbibliothek hat einige kleine Erweiterungen
erfahren.
Verzeichnis der im Jahre ıgır ausgezogenen Quellen.
Die Beiträge des österreichischen Komitees sind mit ** gekennzeichnet.
‚ Alemannia. 1906. 7. 8. (teilweise): K. Onkısr, Ziegelhausen.
Altenburger Stadtrecht 1256 und seine Erneuerungen 1356 und 1470 (Mitt. der
Gesellschaft des Osterlandes. II3.): Prof. von Moetrer, Berlin.
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. 6. 7. NF. 2. 3. 4. 6.: Pu. Tuors,
Stuttgart. \
J. Baader, Chronik des Marktes Mittenwald, Nördlingen 1880: cand. jur. M. Reı-
SINGER, München.
tsformel, in: Sitzungsbericht der kaiserl. Akademie der Wissenschaften
in Wien. 1886: jur. Frrrz Zırrwirz, Leipzig
Göttinger philos. Diss. 1906: Dr. LeoroLp Prreıs, Heidelberg. =
Beiträge zur Geschichte der Stadt Essen. 2o.: jur. H. Spırzwer, Leipzig.
**Beiträge zur oberösterreichischen Landeskunde. 1895 —1910: Pa. Tuorn, Stuttgart.
Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg, bearb. Holstein. 1879: Dr. Rosex-
stock, Berlin.
Die Lübecker Bergenfahrer und ihre Chronistik: Admiral Bacnzm, Heidelberg.
E. Berneker, Slavisch-etymologisches Wörterbuch. Heidelberg ı910f.: Dr. von Künss
BERG.
H. Beschorner, Das Amt Freiberg und seine Verwaltung um die Mitte des 15. Jahr-
K. Beyerle, Deutschrechtliche Beiträge. I. U. IH: Frau J. Bercer, Rheinsberg.
2 Oselenie Privatdozent Dr. Cr. Frhr. vos Schwein,
München. a a
**F. Bischoff, Österreichische Stadtrechte und Privilegien. Wien 1857: jur. Herm Ann,
RÜHE, u en Be en
**Blätter des Vereins für Landeskunde von: Niederösterreich: ‚Pr. Tuors, ._..
Böhme, Diplomatische Beiträge zur Untersu hung der. schlesischen Rechte und Ge-
schichte. 1774f.: jur. Farrz Zrrrwirz, Leipzig
94 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
C. Bökelmann, Aufkommen der Großindustrie usw. 1905: Dr. von Künsssere.
Seb. Brant, Narrenschiff: phil. G. Börrcuer, Steglitz.
“*Bregenzer Stadtbrauch (Arch. f. Voralberg. 5.): Dr. Heısor, Bregenz.
Bremisches Urkundenbuch. 3-—5.: phil. G. Börrcaer, Steglitz.
Breslauer Urkundenbuch: phil. G. Börrcaer, Steglitz.
Festschrift Heinrich Brunner zum 70. Geburtstag, Weimar ı910: Dr. von Künsspere.
Buch der Rügen. 1277 (Zeitschr. f. deutsches Altertum. 2.): Dr. A. Ersässer,
Heidelberg.
Hans von Bühel, Die Königstochter von Frankreich, hrsg. Merzdorf, Oldenburg
1867: Prof. Goerrerıcn, Konstanz.
Urknndenbuch von Stadt und Kloster Bürgel, hrsg. P. Mitzschke. 1895: cand. phil.
G. Börrcner, Steelitz.
Calbe, Wetebok (Magdeburger Geschichtsblätter. 20. 21.): jur. Frıtz Zrrrwirz,
Leipzig.
Calenberger Urkundenbuch, g. W. von Hodenberg, Hannover. 1855—58: cand.
Jur. Max Reısıseer, München.
Codex Diplomaticus Fuldensis: phil. G. Börrcuer, Steglitz.
**Codex Diplomaticus Morawiae. 13: jur. H. Früne, Wien. 2
Codex Diplomatieus Prussieus. 1.—6.): Rechtskandidat stud. phil. Grore EschEx- a
HAGEN, Heidelberg.
Codex Diplomaticus Silesiae. 8.: cand. jur. M. Reısıseer, München.
Urkundenbuch zur Geschichte des deutschen Ordens. 1845. 61.: Börrcher,
teglitz.
Diepholzer Urkundenbuch, hrsg. W. von Hodenberg, Hannover. 1842: jur. M. Reı-
SINGER, München, =
Urkundenbuch zur Geschichte des Landes Dithmarschen. 1834: cand. phil. 1
Börrcner, Steglitz.
Eberbach, Urkundenbuch der Abtei: jur. Laxomans, Mannheim.
""Erbbergwerksordnung über Eysenärtzts, Grätz 1670: Ingenieur Dr. jur. Runorr
Zankı, Brüx,
Eranien zum deutschen Recht. 1825—28: Rechtsanwalt Axrox GLOBERGER, Miesbach,
akten. 1902
p ipzig.
Frankenthaler Monatsschrift (teilweise): En Carıst, Ziegelhausen.
-—19. 34.: Dr. Augusr Eısässer, Heidelberg. 28. bis
, 30. 33.: Lehramtskandidat H. Poren, Heidelberg.
Die Zunftordnungen Freiburgs i.B. 1879: cand. phil, Ronranp, Leipzig.
Friedländer, Das Einlager. Münster 1868: eand. jur. G. Kıscn, Pra
Festschrift Otto Gierke zum 70. Geburtstage, Weimar 1 R
Geschichtsquellen der Grafschaft Glatz. 1883-91: jur. Hans Merser, Leipzig.
‚Görlitzer Ratsannalen, hrsg. Th. Neumann: eand. hist. C. Rouasn Leipzig.
Gu denus, Sylloge variorum Diplomatariorum usw. 1728: K.C
Hai gerlocher Statutarrecht 1457, hrsg. Birlinger (Mitt. d. Ver. f. Altertumskunde
n Beroer.
kasse 17. und ı8. Jahrhunderts: Admiral Bach R
Se : EM, Heidelberg.
Kae von Hameln. I: stud. phil. Beckmann, Leipzig; I.: W. Tuonmas,
H ww & * = ‘ - " . {
en Stadtrecht, hrsg. Frhr. y. Grote. 1844: cand. phil. G. Börtoner,
heim, hrsg. R, Döbner. a : P f. Gö
Hohenlohisches Urkumdenbdake IL: ee
4
EN RS
Jahresberichte der Stiftungen. 95
Ilsenburger Urkundenbuch, ‚hrsg. Jakobs. 1875. 77: Dr. Scuixseck, Heidelberg.
**Jahrbuch der u. Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. 10—24.:
Pan. Taorn, Stutt
J de _ die Geschichte des Herzogtums Oldenburg. 14.: Prof. Görrzrıch,
Konst
Jelinek: Wittehomndetiuie Wörterbuch. ıgıı: Dr. von Künssgere.
Kasseler Stadtrechnungen. 1468—ı1553: Dr. W. Dırss, München.
**G. Kisch, Das Einlager im ee wg Mährens. ı911: G. Kıscn, Prag.
Klenz, Schalten wissiehucn. er SSBERG.
Kosnanr, Das Statuarrecht 3 Stadt erg 1845: Dr. von Künsssere und
berg.
S. A. Krafft, rg gr Wörterbuch, nebst Spitzbubensprache. 1821:
Dr. von Kün
**Die alten und Verkehrsordnungen der Stadt en = Bucher, Wien
1889 ff.: Ingenieur Dr. jur. RupoLr ZaskL
Kretschmann, Geschichte des Sächsischen Oberhofgerichts zu Leipzig. 1804:
R. TueverkAur. Leipzig.
**Upkundenbuch. des ee Clarissinnenklosters in Krummau. 1904: Dr.
Franz Zankır, Wie
K.H.vonLan 18» Bechidie des Fürstentums Ansbach-Bayreuth. 2. Aufl. ıgıı: Dr.
von KünssBEre.
*"B. Lecher, Das Verfachbuch in Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 1885: Privatdozent
Dr. von Woess, Wien.
Leipziger Innungsordnungen, hrsg. G. Berlit, Leipzig 1886: cand. jur. Reisinger,
München
Lünig, ‚Corpus juris militaris, Leipzig 1723: Admiral Bacnen, Heidelberg.
agdeburger Urkundenbuch: Dr. ScHiEBEck, Heidelber
Urkundenbuch der Klöster in der Grafschaft Mansfeld, hreg. Krühne: Dr. Scair-
BECK, Heidelber:
Ausgabebuch des Marienburger Hauskomthurs. 1410—20, hrsg. Ziesemer: Dr.
Meppener Urkundenbuch. 3. 4.: Dr. W. Diss, München.
Mitteilungen A Geschichte im Österlandes. 1. 2. 3.: ie Goerrerich, Konstanz.
Monumenta Boi a3. 33, : Dr. Sımow Hörrt, Münch
Deutsche Mysti eg des 14. hands hrsg. Franz Pfeifer, 1943: Dr. W. Korzex-
BERG, Berlin
Urkundenbuch u ee Neuenwalde, hrsg. Rüther, Hannover 1905: eand. phil.
. Böttcher, Ste :
Mones Lauch en 53 a Rage G. Börrcner, Steglitz; 71: Dr.
von Künssgere und Iopa Berser, Rhein
Öberkircher Bahssuhuche Kar Ca Deyekanes
Ostfriesisches Urkundenbuch. I. I. (teilweise): Rechtskandidat stud. phil. G. Escnex-
HAGEN, Heidelberg.
B. Paumgartners ee mit seiner Gattin Magdalena. 1582—98: Prof.
Görrenich, Konstan a,
L. Philippi, Die Osnabrücker Laischaften. 1896: Dr. vos Künsssere und Ina
Bercer, Rheins ;
Das Erbbuch des ae Plauen. 1506, hrsg. ©. von Raab. 1902: cand. phil. Jens,
Lei
ipzig.
J. Poetsch, Die Reichsacht im Mittelalter. Breslau ıgıı: Dr. von Künsspere.
Stadtbuch von Posen, hrsg. Warschauer: cand. phil. G. Börrcaer, Steglitz.
ie Urkundenbuch, hrsg. Philippi. I. 1882: jur. J. Gropsisskı, Königs-
erg I
FEB von. : 05 edlinburg, hrsg. Janicke. 1882: Dr. ScHiEBEcK, Heidelberg. ne,
_ Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, hrsg. Janicke. 1873. 1882: Dr. Seen, :
eidelberg. Dr. Lan Frank-
en zur Frankfurter Geschichte, hrsg. Grotefand. 1884. 88; Dr. zeoBeN, ;
Guetas zur Geschichte von Hamburgs Handel und Schiffahrt im 17., 18. und 19. Jahr- |
hundert, hrsg. Baasch. _ Dr. ScueBeck, ._.
96 Festsitzung vom 24. Januar 1912.
Rappoltsteinisches Urkundenbuch, hrsg. K. Albrecht, Colmar. 1890—98: cand.
phil. G. Börrcazr, Steglitz.
v. Rohr, Nützlicher Vorrath usw. (begonnen): jur. Feırz Zirrwırz, Leipzig.
v. Rotschitz, Processus juris Deutzsch. 1561: Dr. A. ErsÄsskr, Heidelberg.
Rusch, Das Gaugericht auf der Müsinerwiese. 1870: Dr. Heızor, Bregenz.
A.Saur, Faszieulus judieiarii ordinis 1589 (begonnen): Dr. A. Eısässer, Heidelberg.
A. Schirmer, Wörterbuch der Kaufmannssprache. ıgı1: Dr. Leororo Pereıs,
Heidelberg.
Schleswig-Holsteinische Urkundensammlung. 1.: Referendar Weicerr, Rheinsberg.
Schöpflin, Alsatia Diplomatiea. I. I. Mannheim 1772—75: Rarı Carıst, Ziegel-
usen
ausen.
Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees. 11.—ı 5.: Fürsprech Dr.
ÄsaRr Kınkeum, Rorschach.
Schreiber, Urkundenbuch von Freiburg i.B. 1.: Karı Cnrıst, Ziegelhausen.
Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch (soweit erschienen): Dr. von Künssgers.
Simon, Geschichte von Erbach. 1858: Karı Cnarıst, Ziegelhausen.
**Span, 600 Bergurthel. 1673: Ingenieur Dr. jur. Runorr Zankr, Brüx
**Die landesfürstl. Gesamturbare der Steiermark, hrsg. A. Mell und A. Dopsch. 1910: e
Dr. Auanmer, Leoben. |
Urkunden des Klosters Stötterlin genburg, hrsg. C. von Schmidt-Phiseldeck. 1874:
hi
Urkunden der Stadt Torgau, hrsg. Knabe. 1896. 97: Prof. Görrericn, Konstanz.
Tübinger Stadtrechte. ı 388 und 1493: Dr. von Künsssere und Ina BERGER,
Rheinsberg. 3 |
Tristan als Mönch, Gedicht aus dem ı 3. Jahrhundert, hrsg. Paul; Dr. von Künsspere. n
Das rote Buch der Stadt Ulm, hrsg. Mollwo: Archivrat Dr. MenrıxG, Stuttgart.
Urkundliche Geschichte der Abteien und Klöster in Rheinbayern. II. 1836:
Karı Carıst, Ziegelhausen.
Vierteljahrshefte des Zabergäuer Vereins. 1909: Kar Cnrıst, Ziegelhausen.
Westfälische Landrechte. IL: Prof. Dr. vox Mortrer, Berlin.
Widder, Versuch einer vollständigen Beschreibung der Kurfürstlichen Pfalz. =
hausen.
**Wörterbuch der Diebs-, Gauner- oder Kochemersprache. 1864: Dr. von Künssgere.
Merkerbuch von Wiesbaden, hrsg, Otto: Kar Cnrısr, Ziegelhausen.
Willirams deutsche Paraphrase des hohen Liedes, hrsg. Seemüller. 1878: Dr. e
. Ersässer, Heidelbere.
Wreden, Gemma juris Palatini. 1740: Karı Carıst, Ziegelhausen.
Würdtwein, Chronicon Diplomaticum monasterii Schoenau. 1792: Kart, Cnrıist,
Ziegelhausen.
Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte,
Heidelberg.
**Zeitschrift des deutschen Vereins für Geschichte Mährens und Schlesiens:
Taorn, Stuttgart.
Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. 1886: stud. jur. Haus
ERKER, Leipzig.
Zeitschrift für Rechtsgeschichte. 2. 4 —11. 13. 35.—44.: Dr. von Künssper6;
Einzelnes davon Dr. A. Ersässer, Heidelberg und Dr. Runorr Zankı, Brüx.
Zeitschrift für Wortforschung bis Band XI: Schroever und Ina Bereer.
1.-14.: Admiral Bacnen,
Akademische Jubiläums -Stiftung der Stadt Berlin.
Bericht des Hrn. Diels.
| g über die Verwendung der Stiftungserträgnisse
aufenden einjährigen Periode wird erst Ende dieses Jahres 1912
erst im nächsten Bericht darüber eine Mit-
ri
Übersicht über die Personalveränderungen. 97
Seit dem Frıepricns-Tage 1911 (26. Januar) sind bis heute unter
den Mitgliedern der Akademie folgende Personalveränderungen ein-
getreten:
Die nn = 2 den Tod verloren das ordentliche Mitglied
der physikalisch hen Classe Jako Heinrich van’T Horr; die
ordentlichen Mitglieder der philosophisch-historischen Classe Reıynarn
KEKULE VON STRADONITZ, are Dirrtuey sr JOHANNES VAHLEN; das
auswärtige Mitglied der physikalisch-math hen Classe Sir Josern
Darrton N in Sunningdale: die correspondirenden Mitglieder der
physikalisel tischen Classe ALgerr LApengure in Breslau und
Mic#er Levy in Paris und die correspondirenden Mitglieder der philo-
sophisch-historischen Classe Wırueın Wırmanss in Bonn, Ente LevAsseur
in Paris, Anton E. SchöngAch in Graz und Gustav Größer in Strassburg.
Neu gewählt wurden zu ordentlichen Mitgliedern der physikalisch-
mathematischen Classe GortLıeß HABERLAnDT und Gustav Herımans;
zu ordentlichen Mitgliedern der philosophisch-historischen Classe Kuno
MEYER, BEnno Eromann, Em SEckEL und JoHAnN JAKOB MARIA DE GROOT;
zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch-historischen Classe
JAKOB WACKERNAGEL in Göttingen, Hermann Jacogı in Bonn, FRANZ ÜumoNT
in Brüssel, James GEoRGE Frazer in Cambridge, Anoır Wırneım in Wien,
AxEL Orrık in Kopenhagen und Paur Vınoeranorr in Oxford.
Ausgegeben a am =: Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
in der Regel nerstags acht Tage nach a a
ehe n rfasser ee und für Welche: 2 =:
antwor lich nr Diese Inhaltsangaben sollen FeY in
der Regel auf 5—6 eng beschränken, kein inesfalls
10 era a
le >.
weise oder aueh in weiterer Ausfü ührung, in
deutscher Sprache veröffentlicht sein oder
werden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent-
lichung redigirenden Secretar vor der Aus in
den akademis "hrii zur Kenntniss kommen, so
Mittheilung aus diesen zu entfernen.
asser ei enommenen ‚wissen-
schaftliche ittheilung dies: g
en beabsichtigt, als ihm diess ee el-
ter n Rechtsregeln zusteht, so Ag er dazu der Ein-
willigu ng der Gesammt-Akad =
Gedächtnissreden „anderreiig zu veröffentlichen ist z
den eg un
er 21-
Die ei escheintn in einzelnen Stücken
R Donn
nn = 22.
n Si er eröffnet: eine Übersicht über di e
rgetr. Witsensehafllichen mare
li e -
et a
Aihelungen werden mit vorgesetztem ‚Stern bez eichnet,
i den für e Abhandlı lungen bestimmten wird Ba h.)«
werden in Bde Bericht über üjnge Sit un,
n we Sr dere nahme
War. Die Sedimente der Taubenbank im Golfe von Neape ae
je "ae Tafeln für die heliocentrischen Coordinaten von Br Lass Plansis
zB RR: reg vorläufiger Bericht über die von den ie Tee in Milet und
idyma un ngen
J. Peters: Einundzwanzigstellige Werthe Functionen Sinus und I Cosimus
C. Tuer, e Handschriften des Corpus agrimensorum Romanoru ;
R. Isexsc : Zur Kenntniss der eg nde der Maus
B eg duges und Faserzüge im Vorderhirn vo n Siren lacertin
M. Neipise: Über die Kerne des Diencephalon bei einigen Säugeilioen “
K. Asanscnantanz: Über die Kerne des Ar leinhirn R
t
i R:
F. Freiherr Hırıer von GAERTRISNGEN und H. m ran: Arkadische "Forschungen
Ta. Wırsanp: Erster Re Bericht über die von den en Museen unternommenen
Ausgrabungen in Samos
Sitzungsberiehte der Akademie.
Preis des Jahrgangs
Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1911.
Nersst und F. A. Lispemans: eine über die ann) Wärme bei tiefen Erpr
F. Kunınaun: Messung der "Sonnentemperatur
Fischer . SCHEIBLER: zur —- ir Warpew’schen Umkehru ung v1.
C. Giyeräkoboer un u: Beiträge zur Convergenz von Funetionenfolgen
I. Scaur: über Gruppen perodischer baren Substitutionen -
. MEISTER Inschriften aus Ranti ypros (hierzu Ta Yo
Rusess un O. vos Baryer: über die: A eg der von der r Quaraquecksilberlampe a aus-
ten Jangwelligen Strahlu i .
NEE Saar über die unzerlegbaren ren Bewe ee a ee
Frosestus: höre e Ableitung der 32 ungern
Sonderabdrucke. I. an 1911.
Prasck: zur Hypothese der Quantenemission .
Jacosı: zur ang msn der indischen Philosophie . .
er den Energi eumsatz = „Photochemischen Vorgängen in Gasen .
moy ENDORFF: ein em Ancoratus des Epiphanios
Wırx: Bestimmung der mittleren Bei Weglänge der Kanalstrahlen .
von Wıramowırz-MoELLEnDoRFF und F. Zucker: zwei Ediete des Germanicus auf, einem Papyrus
rliner Museums (hierzu Taf. V
A. zu: die Tektonik des Feen Untergrundes Norddeusschlands .
Hear 47: en wi an on en ren ein experimenteller Beweis für "die
ioplas
Scnorrky: über das Eurer’sche Ben .
ScHortkyY: über die vier Jacopr’se|
Ermax: ein Denkmal memphitischer Theolo SE
Jaconı: zuaes Sprach- und Literarkitorisches a aus dem RR:
.L NN: die nschriften des Königs
J. Hzee: he bliches Diokleszitat
are die Suckhgale
von Acaneeh in Yucatan „bierzu "Taf. VI-XV )
EYER: zu den aramäischen Papyri von Elepha : :
age e und die ee im Marss stem .
Ersman: Denksteine aus der hebmeischen. ER (hierzu Taf. An
F. Feeen und ©. Renz: Kreide und Trias i a- und Ötagebiet Ofirtelgriechenland)
Marrexs: über die ] Mas rosser Kräfte im Materilprüfungsn
C. Brockermass: zu den Inschriften des Kör nigs Kalum
Sonderabdrucke, £ Halbjahr 1912.
Scaur: über einen Satz von C. Caraımk
ROBENIUS: Ableitung eines Sea von er Ks diver Fennel von Kronzcker . + J
= =” s ” 7 E73 ” u,
AL
ana u ni.
a Ta a |
EIERN. SW
1912. | VE
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 1. Februar. (S. 99)
vox Wıramowrrz-MortLexporrr: Mimnermos und Properz. (S. 100)
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 1. Februar. (S. 123)
Russer: Über die Betheiligung endocellularer Fermente am Energieverbrauch der Zelle. (S. 124)
Nersst: Thermodynamik und speeifische Wärme. (S. 134)
A. Evcxes: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. (S. 141)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
.
Die Akademie gibt Fi Er 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende Vebndihnnet heraus:
der Fe Preussischen Akademie der
Abhand n der Königlich Preussischen Akademie
ungen
ba ehe.
Aus $2
de zur Aufnahme in die ‚Sitzungeberiche: ‚oder die
Alihgen bestimmte Mittheilung m
1
Tzu rmittelung eines ihrem
Fache angehörenden Peer Mitgliedes zu re
andlungen 12 Druekbogen
von je 8 Seiten in we gew Feen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen
erschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffende
ı Druck abschätzen zu lassen.
Sollen einer Mittheilung Abbildun ngen im Text oder
auf besonder beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, phot ographische Original-
ahmen u.s. w. ) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf getrennten Blättern, einzurei n.
beiz füg =
ei den Slksngsbörteheen 150 Mark,
en } ee An Mark, so ist Vorberathu ung
durch das Seeretariat En
Nach der V Sr un ng nd Einreichung d
.. » ” ® ®
vollständigen Yorlauae u erh pts den
var
ÄÜ Aufnahme der Mittheilung in > akademischen
Schriften, und zwar, wenn der anwesenden Mit-
timmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel na
Sitzungsberichte au n aan
Classe die Aufnahme der Mittheilu
edärf . green
. 8 6.
N Bes
ri; I:.,Nn 1
enn es sich nicht bloss . um en Text ha indes It, Pe:
Die erste ur ihrer Mittheilungen besorgen die
rfasser. Fremde haben dies e rectur an das
vorlegende lied einzusenden. Die Correetur soll nach
Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und leichten Schreibversehen hinausgehen.
Correeturen Fremder bedürfen
e Druckerei,
und die . Big zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflich
Aus $ 8.
Von allen in die Kiachseibisishie oder Abhandlungen
aufgenommenen wissenschaftliehen Mittheilu ungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfass ser, von
wissenschafilichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
Druck 4
h Erscheinen des be-
ragen Beache ‚der Sitzungsherichte ausgegeben W werden,
für den Buchhandel hergestellr. indess nur dann, w
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
Von den hen aus den ae
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu unentgeltlicher Verheöimng ohne weiteres 50 Freie
exemplare; er ist indess bere echtigt, zu glei
auf Kosten der Akademie weitere Exe emplare bis zur Zahl
noch = und auf seine Kosten noch weitere bis
200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
sofern er a nn tig dem redigirenden Seeretar an-
= igt hat; nscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Verteilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der ei Akademi
treffenden Classe.
e
Niehtm
emplare und dürfen nach ee Anzeige se dem
redigirender ee weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosten Basen re
Yon u s den Abhandlungen er-
lt ein ass r, welcher Mitelei der ER Be
zu ie iid nenn. Vertheilung ohne weit 30 Fre
exemplare; er ist indess bere echtigt, zu ee Zuecii
auf Kosten der See mie weitere Exemplare b
von noch _ und auf seine Kosten we weit
zur Zahl von 100 Ar ganzen er 230) abziet
sofern er diene rechtzeitig g dem Heiden. Secreiiz
osten noch mehr
se. — Niel elite erhalten 30 Frei-
ınd dürfen nach recht tzeitiger Anzeige bei dem
ee nn weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen
$ 17,
Eine für die akade
Stelle anderweitig, sei es aueh nur auszugs’
8.3 des Umschl: ags.)
chem a :
ı Schriften be
Stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
99
SITZUNGSBERICHTE 1912.
DER V.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1: Febman Sing Air phrase Older
Vorsitzender Secretar: Hr. Diexs.
“1. Hr. Sacnau las über die christliche Gesetzgebung für
die Persis, vertreten durch die Erzbischöfe Jesubocht und
Simeon.
n besonderen wurden ihre Ansichten über Recht und Rechtspilege, ihre Be-
mühungen um die Einrichtung der Ehe der persischen Christen nach christlichen Grund-
sätzen, ihr Kampf gegen die Magierehe und Leviratsehe sowie ihre Bemühungen um
die Sicherstellung Es Wittwe im Erbrecht erörtert.
. Hr. von WıranowıTz-MOoELLENDORFF legte eine Abhandlung vor:
a und Properz.
Es wird untersucht, wie man sich das Gediehtbuch Nanno des Mimnermos zu
denken hat. Da nach diesem Properz das seine Cynthia genannt hat, wird wahr-
scheinlich, dass er sich in der Darstellung der eigenen Liebe an die classische Elegie
der Griechen angeschlossen hat.
3. Hr. Kuno Meyer legte eine Abhandlung des verstorbenen Mit-
gliedes Zimmer vor: Auf welchem Wege kamen die Goidelen
vom Continent nach Irland. (Abh.)
Der Verfasser bekämpft im einzelnen die hauptsächlich von Ruys vertretene An-
sicht, dass die Goidelen zunächst Britannien erobert haben und von den nachrücken-
den Britten nach Irland hinübergetrieben worden sind.
4. Hr. Harvack überreichte das ı. Heft der neu begründeten »Mit-
teilungen aus der Königlichen Bibliothek«, enthaltend Briefe Friedrichs
des Grossen an Thieriot hrsg. von E. Jacoss. Berlin 1912.
iS
Sitzungsberichte 1912. | %
100 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
Mimnermos und Properz.
Von ULrıcH von WILAMOWITZ-MOELLENDORFF.
Von Mimnermos steht bei Stobäus Flor. VIL ıı eine merkwürdige
Versreihe.
Of MEN AH KEINOY TE MENOC Kal ÄFHNOPA 8YMOöN
TOION EMme? TIPOTEPWN TTIEYEOMAI, Of MIN TAON
AYaQn INTIomAxWN TIYKINÄc KAONEONTA ®ÄHAATTAC
"EPMION ÄM TIEAION SÜTA BEPEMMEAIHN.
5 TOP MEN ÄP’ oYTIOTE TIÄMTIAN EMEMYATo TTarnic AsanH
APIMY MENOC KPAAIHC, efo’ ör ANA TIPOMÄXOYC
CEYAIG AIMATÖENTOC EN FCMinHi TTOnEMOIO
TIKPA BIAZÖMENOC AYCMEN&WN BEAEA.
07 TÄP TIC KEINOY AHiwN ET’ ÄMEINÖTEPOC »Üuc
10 ECKEN ETTEPXEeCcEAI ®YAÖTTIAOC KPATEPÄC
EPFON, OT’ AYrÄlcın #erer W@KEeoc Henloıo.
Sehen wir von dem allein anstößigen' Verse 9 zunächst ab, so
ergibt sich, daß der Dichter das Andenken eines Verstorbenen gegen
den Vorwurf der Feigheit verteidigt; der Name mußte vorher genannt
unter den Sonnenstrahlen bewegte, gab es keinen besseren Kämpfer. «
Es ist mir schlechthin unerfindlich, weshalb man den letzten Vers
mit gewaltsamen Änderungen heimsucht und Hesse ihn nur stehen
läßt, weil Stobäus ihn so verstanden hätte, wie er allein verstanden
a leiden wollte, ist nieht unsere
Sache ihm vorzuschreiben. a |
‘6.7 hat Scasrivewin 67° und ceYHe’ verbessert:
Bersx sah die Tapferkeit des Mann
8 irgendwer BIAZoMenoY.
er und ließ ihn sieh dafür »gleich d
es darin, daß er den (ieschossen auswich (ANAZÖMENOcC),
en Sonnenstrahlen « bewegen (11 eikenoc für &reoc).
von WıramowrrZz-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 101
V. 9 scheint zu stehen, daß keiner der Feinde (arıön) tüchtiger
war; das wird mit Recht beanstandet, da es den Mann gegen seine
Kameraden offenbar herabsetzt‘. Brrek hat die leichte Verbesserung
aHön gefunden, aber aufgegeben, und wenn es nötig wäre, wie er
wohl annahm, da er »i. q. naön« zusetzt, noch weiter zu ändern, so
wäre es freilich um die Probabilität geschehen. Aber gerade den
Ionismus begrüßen wir mit besonderer Freude, denn a#6ı ist für Hip-
ponax bezeugt und stand wohl auch bei Hekataios’, der den Herakles
Eypvce&wce aHön nannte, seinen Dienstmann. Eben diese Stelle erklärt
die des Mimnermos am besten. Der Mann, von dem er spricht,
war ein seremmenikc, ein Hoplit: die Kolophonier waren vorwiegend
Reiter, und nur die zahlreiche hochbegüterte Bevölkerung besaß die
bürgerlichen Rechte”. Die raoi Homers leben am Ende fort in den
barbarischen rAol, die mit dem Boden, den sie bebauen, den Königen
Lydiens oder Persiens oder aber den griechischen Städten gehören,
hörig sind‘: hier schen wir einmal in die Verhältnisse der Zwischen-
zeit. Das vorsolonische Athen würde den Mann einen AHmöTHc ge-
nannt haben, und auch seine rechtliche Stellung wäre dort ziemlich
dieselbe gewesen.
Der Kampf, in dem sich jener Hoplit so brav hielt, hatte mehr
als ein Menschenalter früher in der Ebene nördlich von Smyrna statt-
gefunden; das führt auf die Kriege mit Gyges, die Mimnermos in
einem Gedichte behandelt hatte, das umfänglich gewesen sein muß,
da es eine Einleitung hatte, in der er die älteren Musen, Töchter des
Uranos, von denen des Zeus unterschied’. Man kann sich nicht leicht
denken, daß die Ehrenrettung eines einzelnen sich in ein solches Ge-
dicht fügte; aber unmöglich wird man es nicht nennen.
Der besondere Wert der Versreihe liegt darin, daß sie uns zeigt,
a die altionische Elegie sich durchaus nicht bloß in den Gremein-
Be ER muß auch das folgende &r’ Ameinörteroc eüc werden, da Erı sinn-
los ist; aber TöTe ist Flickwerk und arıon Em kann ich überhaupt nicht für griechisch
halten. Ich glaube, daß &rrameinöteroc das Wahre ist. Als Eigenname ist ‘Er AMEINWN
} SO gebräuchlich, daß man seine Verwendung als Adjektiv erschließen muß. Gewib
eißt es »einer der als besserer herzukommt«, und es ist hübsch, wenn so ein
| Vater seinen Sohn nennt. Aber wen man vergleicht, der kommt auch herzu, und
ErIaeYTeroc wird ja mit gleicher Verwendung der Präposition gesagt; "ErrAraeoc ist
auch alt. Kühn, aber verständlich, heißt in einem Geschlechte, das seine Namen vom
Wolfe zu nehmen pflegte, ein Sohn ‘Eriaykoc, ein altattischer Name. Br
Herodian in den homerischen Epimerismen, ÜRAner, An. Ox. 1265. Das über-
aeg ae6n ist nicht glaublich. Lrw'rz, Herod. 1208 hat stillschweigend AAön gesetzt.
ud
. ‚der herrschenden Klasse bei Aristoteles entsprechen. u
y * Ros rowzEw, Kolonat 261, wo auch die Stelle des Hekataios nicht überschen Be
» Er.ız, Pausanias IX, 29, 4 aus . Tradition.
B.
x Aristoteles Pol. A 1290b, im Auszuge der Politieen Herakleides 51. Xeno- ie n
| a bei Phylarch (Athen. 526), wo die Tausend, deren Üppigkeit: ir en .
102 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
plätzen bewegte, die naturgemäß in den Florilegien vorwiegen, son-
dern ganz wie der lambus persönliche konkrete Dinge behandelte.
Wir sehen in die Gesellschaft hinein, der Mimnermos selbst angehört,
der zwar hoch über dem Gassendichter Hipponax rangiert, aber doch
nicht nur unterhalb von Kallinos, der die Jugend von Ephesos zu
den Waffen ruft, und Semonides dem Führer einer Kolonie, sondern
auch unter dem Bastard eines adligen Pariers Archilochos. War er
doch ein Flötenspieler von Beruf, der bei den Ioniern sowenig wie
in Athen oder Sparta zur Gesellschaft gehörte (Böotien und Argos
denken darin anders), und seine Geliebte mit dem asiatischen Namen
Nanno trieb dasselbe Handwerk; eine solche movcoypröc war überall
deklassiert. Das beste Zeugnis für die Umgebung des Mimnermos
gibt sein Landsmann Hermesianax
KAlETO men NANNOoFc, TIonidı A” em TOAnÄKı AWTOı
KHMWeeic KWMoyc Eixe cYn "EzamvH,
Hpese A’ "EpmöBion TON Äcl BAaPpyn Ha DepeknÄn
4° EXEPÖN, MICHcAc OT ÄNeTIEMYeNn Errm!.
Die Personen stammen selbstverständlich aus den Gedichten des
Mimnermos, der Examyes mit dem karischen Namen (der vielleicht auch
Iydisch war) stimmt zu Nanno: Pherekles war also auch als Dichter
Konkurrent des Mimnermos. Kolophon ist ja für die Poesie der
ältesten Zeit entschieden die Hauptstadt Ioniens; da sind Homer
oder doch Melesigenes zu Hause, und der Margites macht den Über-
gang vom heroischen Epos zum Iambus. Von da stammt Polymnestos’,
der einzige Dichter von lonıxa, dessen Werke ins Mutterland dringen;
über einen Theodoros kannte Aristoteles noch eine Geschichte, die er in
die kolophonische Politie aufnahm, und wußte, daß ein laszives Ge-
dicht von ihm noch im Volksmunde lebendig war (Athen. 618f.). Man
muß sich klarmachen, daß die Elegie und das Lied in Kolophon ge-
pflegt Würden, in Lesbos nur das Lied; in Paros wendet Archilochos
di Elepie mit vielen Nebenformen und den Iambus an, und dieser
39 ist überliefert Hanxeee A’ 'Erm. 7
; i nn -A.B. OYAE ©. Das läßt sich heilen,
wenn man an die Athenäusüberlieferung
fast von selbst in eee um - i BER i a
f ei ‚ und in Hxese ist dann in Wahrheit nur ei chstabe zu
ändern. Der Schreiber, der, a a
sich von dem folgenden &xerön leiten und hielt sein &
von EXew. Epeew ist zwar.
das homerische Wort keinen Anstoß
Textgesch. d. Lye.r, 0. ;
x8ee für eine poetische Form
was er als HPpeee las, verständlich machen wollte, ließ
en ganz durch &peeizw ersetzt, aber in Kolophon gibt
Be SER a na ar a ae ee er 5 er 2 ET en Kae rer a Ba ri: ae Al
von WILAMowITZ-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 103
Reichtum ist freilich Lesbiern und Ioniern überlegen. Indessen das
Leben, dem diese Dichtung dient, sieht nur verschieden aus, weil
die Diehter ihrer nächsten Umgebung, dem Momente und ihrer eigenen
Natur sich völlig hingeben. Eben darum stehen sie ihm ganz gleich
gegenüber, und es ist auch im Grunde dasselbe Leben; sie nehmen
nur eine andere Stellung darin ein. Dura navis, dura fugae mala,
dura belli suchen den Archilochos ebenso heim wie den Alkaios, während
Mimnermos behaglich im Schutze der großen Stadt lebt und, seiner
sozialen Position gemäß, an der Politik des Tages keinen tätigen
Anteil nimmt; aber das Gedächtnis an tatkräftigere Zeiten hielt er
doch in Ehren. Wesentlich ist dagegen der formelle Unterschied, den
in Kolophon die homerische Tradition hervorruft, die auf Lesbos und
den Kykladen fehlt. Sie hat auch bewirkt, daß die Heldensage be-
rücksichtigt wird, die den Lesbiern fast ganz gleichgültig ist, doch
ist mindestens nicht nachweisbar, daß Mimnermos Geschichten erzählt
hat wie Antimachos und die hellenistische Elegie'.
Es ist bezeichnend, daß die Grammatiker den Vater des Mimner-
mos nicht kannten, so daß ein seltsames Mißverständnis ihn in der
solonischen Bezeichnung aıryaıcräanc suchte. Seitdem Diers” diese kühne
Wortbildung schön erläutert hat, wissen wir, daß die Anerkennung
der Vorzüge des Dichters die Stelle des Geschlechtsnamens einnimmt,
dürfen dann aber auch nicht zögern, die Folgerungen für die soziale
Stellung des Dichters in seiner ständisch geordneten Gemeinde zu
ziehen. Daß er ein Plebejer war und ein Flötenspieler dazu, brauchte
nicht zu hindern, daß er die Mittel zu einem Leben des Grenusses
besaß oder fand. Mit Recht hat Epvarn Meyer’ getadelt (auch ich
habe mich getroffen gefühlt), daß in der Anrede Solons etwas anderes
! Fr. ıı fängt an »auch lason würde nieht zurückgekommen sein«. Die Be-
dingung re wir nicht, aber offenbar war die heroische Geschichte als Beispiel für
etwas herangezogen, das den Dichter selbst anging, und dann verweilte er länger bei den
Argonauten, wirklich wie in der römischen Elegie. Über die wenigen Stellen, welche
die Sammler mythographischer Varianten notiert haben (Fr. 19, 21, 22), ist natürlich
nichts zu wissen, so wertvoll jedes solches Zeugnis aus vorattischer Zeit ist. Sehr
seltsam ist der Gew ur Mimnermos, den nur die Lykophronscholien 610 für eine
Geschichte bieten, die in den Homerscholien BT D zu E yı2 ebenso steht. Da wird
man sich hüten, zuviel “ Mimnermos in Anspruch zu nehmen. Im Ven. A ist das
Blatt ausgerissen, aber man darf zum Ersatze aus T die Notiz Tön KomhtorY rIbeon 0oYKk
Ölen d noımTäc für aristarchisch rıpde ToYc newteroyc halten; dann mag Mimnermos. 2
mit diesen gemeint sein, wodurch aus der langen Geschichte ihm gerade so viel ZU
ällt, wie man ihm zutrauen kann, daß Aphrodite den Diomedes für ihre Verw rn
durch en Ehebruch seiner ge init dem Sohne des Sthenelos bestrafte.
Herin. 37,452. Dort sind auch die Datierungen bei Suidas richtig an das
Zitat ” Solon zurückgeführt, , RT die einen ihn mit Solon. auf die en
W se gen die Kader n eine rn früher. a er
: a N
e Altertums I,
©. onides die Disticha vor den anderı
104 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
gefunden ward als die Mahnung des berühmten alten Mannes an den
Jungen Mann, der sich den Tod mit sechzig Jahren wünschte, weil
er für ihn noch so weit in der Ferne lag. Es hat also der antike
Ansatz recht, der Mimnermos auf die Epoche der sieben Weisen, d.h.
auf die Sonnenfinsternis des Thales, 58 5, datierte, und keine andere
als eben diese wird er erwähnt haben (Fr. 20). Hätten sich die antiken
Gelehrten um die Kritik und Erklärung der Gedichte bekümmert, so
hätten sie sicherlich genaueres ermitteln können‘.
Ich habe Kolophon als Heimat des Mimnermos behandelt, wie
wir das gewohnt sind; es wird wohl auch schon klar geworden sein,
daß seine Elegie nieht auf dem ursprünglich äolischen Boden von
Smyrna wachsen konnte. Wenn Strabon ihn als Kolophonier führt und
dasselbe in der Chrestomathie des Proklos steht, bei Suidas-Hesych
an erster Stelle, so ist es die geltende Lehre der alexandrinischen
Grammatik gewesen, und man soll es sieh zweimal überlegen, ehe man
von dieser abweicht. Aber auch schon für Hermesianax von Kolophon
ist Mimnermos offenbar der berühmteste Landsmann gewesen, wenn er
hinter Homer und Hesiod »«en Erfinder der Elegie’« Mimnermos und
den Antimachos aufführt; daß er bei diesem die Heimat Kolophon
nennt, hat den zufälligen Grund, daß er sich seine Geliebte aus dem
fernen Lydien holte. Wenn bei Suidas die Varianten stehn A Cmve-
naioc A Actyrıanaıerc, so ist das letztere ganz unverständlich; ein Smyr-
näer konnte gewiß zum Kolophonier werden, sei es weil Smyrna von
Kolophon besiedelt war, sei es weil er sich nach Smyrnas Vernich-
tung durch die Lyder (die in die Lebenszeit des Mimnermos fällt?)
dorthin rettete. Aber genau ebensogut konnte sich in der Kaiserzeit
Smyrna, die Großstadt, einen berühmten Kolophonier annektieren, weil
Kolophon ganz verkommen war. Das wird wirklich geschehen sein,
wenn der Stein CIG. 3 376, auf dem ein Mimnepmeion erwähnt wird, aus
' Smyrna stammte, yon wo er im 17. Jahrhundert nach England ge-
kommen ist. Aber die gebildeten Kreise haben diese Annexion nicht
mitgemacht, sonst würde der beredte Verkünder von Smyrnas Ruhmes-
titeln Aristeides nicht von diesem Mitbürger schweigen. Gegen die
Autorität der Zeiten, welche (den Mimnermos lasen, kommen diese In-
stanzen wahrhaftig nicht auf.
; Freilich wenn seine eigenen Verse ein unzweideutiges Zeugnis ab-
gäben, müßten alle solche Erwä
ah extgesch. d. Lyriker 51 ff. ’
® Das hat gewiß wenig
Ilermesianax kein älterer Elegiker bekannt war, d.h. daß bei Archilochos und Semo-
Man; kan ala : ie ganz verschwanden und Kallinos obskur war.
& 2 sie nieh u f SH j ? 4 .
ee = wo : Mudlers als unter Alyattes ansetzen. Sitz.-Ber. 1906
Ben gungen schweigen. Aber was ist daran
zu bedeuten, aber doch so viel, daß den Lesern des
ENG
von Wıramowıirz-MoELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 105
wunderbar, wenn ein Kolophonier ein Gedicht auf die alten Lyder-
kämpfe der Smyrnäer macht, und von einem Hopliten erzählt, der
sich in diesem Kriege brav gehalten hatte? Dieser Mann mag ein
Smyrnäer gewesen sein; wir wissen das nicht; notwendig ist es auch
nicht; denn wer sagt uns, daß die Nachbarn nicht den Smyrnäern bei-
standen? Ist Archilochos nicht aus Paros, weil er sagt knalw TA Baclun
0oY TA MarnHtwn KakA? Mimnermos hat von den Amazonen erzählt,
vielleicht weil Smyrna nach einer Amazone heißt'; er hat auch An-
draimon, den Gründer von Kolophon, erwähnt (Fr. 10). So hängt am
4 Ende alles an der Versreihe, die Strabon oder vielmehr Artemidoros
1 von Ephesos” für die alte Geschichte von Smyrna anführt (Strab. 634,
Fr.9) xai Mimnermoc En TAı Nannol »rAzeı MNHCeEIc TI TIEPIMÄXHTOC ÄeI,
erreite TTYyaon NHanıon ÄctY AITMÖNTECc
IMePTHN ÄCIHN NHYCIN ÄPIKÖMESA
&c A’ Epatın Konoo@nA BIHN YTIEPOTIAON EXONTEC
Ezömee’ ÄPFARAEHC YBPIOC HrEMÖNEC,
KEIBEN AIACTHENTOC” ÄTIOPNYMENOI TIOTAMOIO
BEON BOYAHI CMYPNHN EirAOMEN Älonliaa.
Es ist Nıeszs Verdienst (Emendd. Strabon. Marburg 78), die Über-
lieferung gegen die interpolierte Vulgata in ihr Recht eingesetzt zu
haben; nur meinte er noch, daß sie der Verbesserung bedürfte. Und
doch liegt der Anstoß allein darin, daß Strabon die Verse in seine
Rede verflicht; wenn wir nieht die Sitte hätten, sie als solche abzu-
! Zu dem Sprichwort ÄPıcTa xwndc cisel (bei den Gröttingern Bee il 3),
fügt das a Bruchstück des Zenobios (Urvusıvs, Münch. Sitz.- I 4, 15)
die Anga % MEMNHTAI TÄC TrAPoImiac Mimnermoc. Das braucht nicht hr zu ee
als eine Anspielung, aber es kann auf die niedliche Geschichte von der Amazonen-
ee Antianeira gehen, > mit dieser Hindeutung auf ihre Sclaven die Werbung
der Skythen abweist, deren unverstümmelte Körper ihr gar nicht imponieren. Nar
eins ist klar, daß die we nicht von Mimnermos herr ühren, erstens me oiwein
den »halbverwischten Spuren« von Jamben bei Mimnermos,. von denen Ürusıus S. 77
redet, wird man schon deshalb nicht trauen, weil er gleichzeitig den falschen Hexa-
meterschluß ArıcTa rAP oieei zur Wahl stellt
5 un: zeigt. ae a darin, ii Suyron auf. einen nn Fleck in
demn ach wird die ganze KTicic 'loniac bei Ateakun Anne Her un in.
Daß hier ein ee stand, ist niemals zweifelhaft gewesen; den Bach, von
em man a t, um Smyrna von Kol er on zu | hat are OB:
griechischen Flußnamen noch zur Überlieferung des Girsbonkiniien: Danos hat er =
vermutet, was anspree ‘hend ist, weil es das ac zu ak macht; es =. freilich ee :
von Äkt4 Küste, sondern von Acta Hollunder her ‚kommen. A Ansprechendes
könnte en mehr Vorträgen, wenn es nicht allein auf die Wall ankäne
kein ionisches, sondern ein dorisches Wort ist, zweitens weil es lamben sind. Denn
106 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912,
setzen, würde sich niemand wundern, daß das Zitat mitten im Verse
einsetzt; an dem Fehlen des Verbum substantivum ist doch nichts
verwunderlich; daß das so gut ionische, herodoteische &neire zerstört
wird, ist wahrlich viel weniger entschuldbar. Strabon berichtet also,
daß bei Mimnermos stand: »Um Smyrna wird immer gekämpft, seit
wir, die Auswanderer von Pylos, die nun in Kolophon sitzen, es den
Äolern abgenommen haben.« Der Gegensatz von &zömeea und einomen
ist ganz unzweideutig; jedes natürliche Verständnis kann nur schließen,
daß hier ein Kolophonier redet, und als den Redenden werden wir.
doch den Mimnermos ansehen, wenn das auch nicht absolut not-
wendig ist. Aus dem Ael merımAxHToc folgt weiter, daß andere genannt
waren, denen Smyrna begehrenswert war, also die Lyder. Es ist
sehr gut denkbar, daß sie Smyına bereits genommen hatten, und daß
die Verse aus dem Gedichte über die Kämpfe mit Gyges stammen,
ist nicht minder denkbar; es läßt sich nur nicht entscheiden.
Ganz besonders merkwürdig dünkt mich, daß Jemand, der zu ihrem
Volke gehört, von den Pyliern, die sich in Kolophon festsetzten, sagen
konnte Apranenc Yarıoc hremönec. Ein übles Kompliment, denn wer
denkt nicht sofort an Theognis ı 103 Yarıc ka) MÄTNHTAcC Ärwnece Kal Kono-
ona Kal Cuypnun’; zu dem Ausdruck stellt sich 1082 Anara YBPICTÄN,
XAAETIÄC Aremöna cTÄcıoc. Wer so an den Kolophoniern die arge, freche
Überheblichkeit hervorhebt, der erzählt nicht die Gründung von Sınyrna,
sondern leitet einen Schaden der Gegenwart aus den Sünden der Väter
her. Gewaltige Kraft, ein Yrıeporraoc, hatten seine Vorfahren, aber
! Durch ein seltsames Mißverständnis hat Inmisc#, Klaros ı
Gewaltsamkeit der Besitzergreifung bezogen. Und wenn die
schlugen, so war dies grausame Kriegsrecht keine
für sie keine Apraneh.
Es folgt die Anwendung rIÄnTwc KYPpne Kai YmM' Ärıonei,
den wohl mancher in mancher Stadt beim W
erstens daß die Mahnungen des Ritters 'T
gegriffen waren, daß jede allgemeine 1
Diese Voraussetzung macht ja die
43, dies auf die
Ansiedler alle Karer tot-
Yepıc, und wenn YePic, immer noch
Das war ein Spruch,
ein vortragen konnte; er setzt aber voraus,
:n die alten Klagen um den Untergang der ionischen
im Gedächtnis leben.
| die ihn miterlebten, diese K]
in kleinen Stücken selbst, meist aber umgearbeitet, in der Spruchpoesie weitergegeben
wurden. An dem Buch, das wir als Theognis lesen, ist ja mindestens ebenso in-
teressant wie das Gut des. Theognis, dessen Buch, weil es das in
Grundstock bildet, was sich aus einer iel i
6 MET ganz anonym war, vermut-
FRI er > Wir rauchen dringend einen Kommentar, der jedes einzelne
Stück richtig einreiht; erst dann wird selbst das, was von vielen ganz richtig beobachtet
ist, für die allgemeine, namentlich auch die historische Forschung fruchtbar werden.
von WILAMOWTTZ-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 107
sie gingen auch voran auf dem Wege der Zuchtlosigkeit: deutet das
nicht auf eine Zeit, die Rückschläge erfahren hatte? Wird nicht, wer
an die rpye# der Kolophonier denkt, die Xenophanes schildert, und
an die Oligarchie der 1000, die Aristoteles beschreibt, in diesen Worten
die Stimmung eines Mannes aus dem Volke finden, der den Adel
seiner Zeit, der ihn drückt, mit der Charakterisierung der Ahnen
treffen will? Wahrlich, die Verse beweisen keineswegs, daß Mimnermos
Smyrnäer war; sie lehren vielmehr, wie der Kolophonier über die
Aristokratie dachte, die zwar ihre Macht rücksichtslos zu genießen,
aber dem Lyder gegenüber das Feld nicht zu behaupten verstand und
Smyrna zugrunde gehen ließ.
Mimnermos hatte am Staate keinen Anteil; er begehrte ihn aber
auch nicht, sondern genoß, was das ionische Leben ihm bot. Hübsch
sagt das ein Spruch, der Gott weiß wie in die Anthologie IX, 50
geraten ist (Fr. 7)
THN CAYTOY ®PENA TEPTIE, AYCHAETEWN A& TIOAITÜN
ÄANOC TIC CE KAKÖC, ÄAAOC ÄMEINON EPei.
Die Eehtheit ist glaublich, und hübsch ist der Sinn: »Lebe nach
deinem Pläsir, die lieben Nächsten werden doch mehr oder weniger
lästern.« Bei Theognis 793 steht davor
MÄTE TINÄ ZEINWN AHAEYMENOC EPFMACI AYFPOIC
MHTE TIN ENAHMWN, AANA AIKAIOC EWN — THN CAYTOY ®PENA TEPTIE.
Nun ist es durch eine gedehnte Mahnung zur Gesetzlichkeit für
die moralische Paränese zugerichtet, aber man merkt die Appretur.
Statt auf die Vermehrung der Reste der älteren Dichter sollte man
auf die Entlarvung der moralisierenden Überarbeitung sein Augen-
merk richten, die so vieles in der Ey ri flach und fade
gemacht hat'.
Bei Stobäus 116, ı4 stehen die anmutigen Verse des Mimnermos,
die Euripides Herakl. 638 vor Augen hat.
ÄAN ÖANITOXPÖNION TIFNETAI WCTIEP ÖNAP
HBH TIMHeccA, TÖ A ÄPFTAAEON Kal ÄMOPSON
rAPAac YrIep Kesanfc AYTix" YIIEPKPEMATAI
Exerön Ömbc Kal ÄTIMoN, 6 T ÄFNWCTON TIeet ÄNAPA,
BAÄTITEI A’ ÖoeAnmoYC Kai NÖON Aneixyacn.
ss
Gut darüber HEINEMANN, Herin. 34, 590, wo auch der oben zitierte Ve ers 1082 2
i *
mit Recht auf efeyntAra Karhc Yerioc AmEeTePHc, 40, zurückgeführt wird: da erwartet Be
‚sorgte Aristokrat, daß ein Tvrann die Yerıc der führenden Männer seines. ‚Standes
ur Raison bringen werde.
D. h. oYkertı rırnöckeraı ÄNHP ÖN.
108 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
Das ergänzt man aus Theognis 1017—24 vorn um die Verse
AYTIKA MOI KATÄ MEN XPOoIhNn Peei ÄcrieToc Tapuc,
TTTOIÖMAI A EcoP@N ÄNEOC ÖMHAIKIHC
TEPTINÖN ÖMÖC KA! KAAÖN, ETTEI TINEON Denen EINAI.
Aber das erste Distichon kann man, Sapphos eingedenk, doch
nur auf die Erregung durch den Anblick der Schönheit deuten: und
doch zwingt der dritte Vers, der mit &riel rıneon üsenen einaı den Über-
gang zu den Mimnermosversen bildet, zu der Auffassung »ich ver-
gehe vor Bedauern, wenn ich jugendliche Schönheit sehe, weil ich
an das drohende Alter denken muß«. Das ist nichts als eine Miß-
deutung, und der Vers 1019, im ersten Teile über den Leisten von
' Mimnermos 4 geschlagen, im zweiten geradezu schäbig, ist nichts als der
Gips, der die beiden alten Stücke des Pasticeio zusammenklebt'!. Von
anderen Versuchen, Mimnermos aus T heognis zu bereichern°, schweigeich,
weil sie nicht in die Fragmentsammlungen Eingang gefunden haben.
Mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, daß wir im Theognis-
buche Verse des Mimnermos und Solon lesen, ist eben praktisch auch
nicht das mindeste gewonnen.
Der Spruch TAN caYToP orena Terrıe ist in sich abgeschlossen; das
berühmteste Stück des Dichters, Fr. ı, ric ae Bloc, TI A& TEPTINÖN ÄTep
xpychc Aoroaituc, das mit oYTwc Apraneon rÄPac konke ecöc schließt, gibt
auch einen vollkommen abgerundeten Gedanken. Wir haben freilich
so wenig von der alten Elegie, daß die Möglichkeit offen bleibt, die
Stücke hätten in längeren Gedichten gestanden; aber das einzige Buch,
das wir haben, die Theognissammlung, gibt solche Stücke, große und
kleine; hintereinander stehen sie, gesondert einst durch die Paragra-
phos, und ein verbindendes a& steht auch oft genug, wo eine neue
Gedankenreihe anfängt. In solcher Gestalt haben die Alexandriner ohne
Zweifel den Mimnermos gelesen; und wenn wir keine Antwort erlangen,
so ist es doch schon ein Gewinn, daß wir angesichts der antiken Hand-
schriften, z. B. des Alkaios, der inschriftlichen längeren Gedichte, der
aufgerollten Bücher auf den Vasenbildern die Frage aufwerfen können,
ob der Dichter selbst seine Verse so veröffentlicht hat, oder sie doch
in solcher Weise aufgezeichnet schon zu Solon und Euripides kamen,
und mindestens für die Zeit des Euripides muß die Frage bejaht werden.
Ich habe mich wohl gehütet, mehr als die echten V.
vor zwanzig Jahren die Euripidesstelle erklärte; sie ist
Geltung des Mimnermos in Ath
2
erse anzuführen, als ich
der einzige Beleg für die
en.
So hat Brasz Theogn. 1069, 70 mit Fr. 6 verbinden wol
jeden Anhalt für die Verbindung, sondern auch dafür, daß der
unvollständig wäre,
len, nieht nur ohne
Spruch bei Theognis
RER ee EB N
von Wıramowrrz-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 109
Die meisten Zitate fügen den Titel Nanno bei; kein anderer, auch
kein en &nerelaıc kommt daneben vor. Aber Porphyrio zu Horaz
Ep.II ı, 102 gibt an, daß Mimnermos zwei Bücher geschrieben hätte,
und wie sollte er sich das aus den Fingern gesogen haben? Nur
vermögen wir nicht zu sondern. Daß ein Dichter solonischer Zeit
seinem Buche, falls er eins machte, einen Titel gab wie Immiac TTaATwnoc,
Korıannö &erekpAtovc ist undenkbar; dagegen ist Avan Antımäxov der
Zeit dieses Diehters ganz angemessen, und Acönrıon "EPMHCIANAKTOC Setzt
sie voraus: auch gebraucht Asklepiades IX, 63 den Titel Ayar. Nach
diesem Vorbilde ist das Elegienbuch des älteren Kolophoniers be-
nannt, wenn nicht zusammengestellt. Wir dürfen nicht vergessen,
daß das ursprüngliche, von dem Diehter, wie der Epilog lehrt‘, selbst
zusammengestellte Buch des Theognis mit Fug und Recht den Titel
Kvpnoc tragen könnte. Die Alexandriner haben also die Gedichte des
Mimnermos weder zusammengestellt noch den T itel erfunden; beides ist
älter, der Titel konnte aber auch dem Elegienbuche, ohne daran zu än-
dern, nach der Lyde gegeben werden. Wie dem auch sei, wir werden
nieht fehlgehen, wenn wir die Nanno uns dem Kyrnos ähnlich denken,
die Lyde? eher nach der Leontion, also breiter ausgesponnene Ge-
dichte, vielleicht bis zur Einheit des Buches wie in den Aitia; den
erotischen Charakter mußte die Trauer um den Verlust der Geliebten
dämpfen, wo nicht aufheben, und diese Stimmung wenigstens lehrt
Hermesianax.
In der augusteischen Zeit ist Mimnermos zum mindesten ein
klangvoller Name; Strabon bringt die Verse freilich wohl alle aus
zweiter Hand’, und wenn Horaz Ep. 16,65 den Bekenner des sioc
sinfhaonoc nennt, so zeigt Plutarch de virt. moral. 445e, daß die Popular-
philosophie ihm das liefern konnte. Auch wenn Properz (19, 12)
den Erotiker Mimnermos dem Epiker entgegenstellt, beweist das noch
keine Kenntnis der Gedichte. Aber bei Philodem werden wir sie nicht
bezweifeln, wenn er, Anth. AU ı68, beim Symposion befiehlt
I 237fl. Schon daß er ein solches B
zeit des T’heognis auf dieselbe Zeit, die auch durch 775 garantiert wird. i
2 Wir können über das Gedicht, das mindestens zwei Bücher hatte, in Wahrheit
gar nichts sagen, als daß es der toten Lyde gewidmet war und viel Mytbisches ent-
hielt. Schon das darf unser Urteil nicht beirren, daß sich so viele Fragmente auf
die Argonautensage beziehen; es liegt ja daran, daß die Apolloniosscholien der einzige
Kommentar sind, der die Lyde ausgiebig benutzt. Außer Grammatikern, die ihre
Zitate immer älteren Arbeiten verdanken können, kenne ich niemand nach Philodem,
der die Lyde gelesen haben müßte. nn
3 Aus Demetrios von Skepsis nimmt er Fr.ır, das lange Stück über die Argo-
n stammt Fr. 18 bei Athenäus. Die Einführung des Zitates
die zweite Versreihe
uch machen konnte, bestimmt die Lebens-
fahrt, 146; aus demselbe nn
bei Strabon habe ich bei Gaepe, Demetr. Skeps. 46 gerechtfertigt;
ist allerdings sehr salopp angefügt, wenn nieht etwas fehlt.
110 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
Nannofc Kai Ayahc Ertixeı AYO Kal ®InEPÄCTOY
Mımn&pmoY Kal TO? CWEPONOC ÄNTIMAXOY.
Und wahrscheinlich ist es gewiß auch von Properz und Horaz, wäh-
rend aus der späteren Zeit mir nicht die geringste Spur bekannt
ist'. Ich teile die Ansicht, welche es auf den dem Horaz not-
wendig antipathischen Properz bezieht, wenn er im Florusbrief' 100
den römischen Elegiker zuerst als Kallimachos bekomplimentiert, si
plus adposcere visus, fit Mimnermus et optivo cognomine crescit, d. h. er
avanciert in derselben Gattung vom »Alexandriner« zum Klassiker.
An die Klassiker hatte sich eben Horaz mit energischer Abkehr von
der hellenistischen Weise angeschlossen; er wird den Abstand der
properzischen Dichtung von der alten Elegie der Griechen stark emp-
funden haben, und das optirum cognomen war eine treffende Bosheit,
um so treffender, wenn Properz oder seine Bewunderer ihn als neuen
Mimnermos gegen den neuen Alkaios ausspielten.
Properz selbst hat häufig als seine Vorbilder Kallimachos und
Philitas® bezeichnet, aber schon ehe er selbst Aitia zu diehten anfängt,
bezieht er sich auf diese Elegien, wenn er non inflati somnia Callimachi
sagt‘. Die Aitia konnten für einen Erotiker wie Properz in der Tat
ergiebig sein, wie die Kydippe gelehrt hat‘; aber von eignen Lieb-
schaften des Kallimachos war aus ihnen nichts zu holen; die steckten
allein in den Epigrammen und galten außerdem der sinöraic Nöcoc, wie
sie Kallimachos selbst nennt, und von der war Properz frei. Die
Zusammenstellung mit Kallimachos führt also nicht von fern darauf,
! Die Funde in Ägypten, Korinna, Kerkidas, Satyros, so manches Seltene, das
Athenäus aus eigener Lektüre hat, endlich die unschätzbaren Mitteilungen des Simplikios
beweisen freilich die Existenz ‘einer Menge von Werken,
die im allgemeinen nicht
mehr bekannt waren.
Was aber in den Bibliotheken vorhanden war, konnte immer
'inmal ein fleißiger Mensch zur Hand nehmen. Die Chronik
des Eusebius verzeichnet
den Mimnermos nicht.
2
Daß ein Grieche sehr wohl ®inAtkc heißen konnte und mancher so geheißen
hat, bedurfte keines Beweises, kann aber unmöglich etwas daran ändern, daß der
Sohn des Telephos aus Kos ®iirac hieß. Die lateinische Überl
Eigennamen öfter vorkommt. bei Properz das Richtige bewahrt.
ı bei Athenäus zu n geworden ist, wird durch N
allein durch diesen, gesichert.
1 34, 32. Ganz feierlich beginnt III ı Callimachi manes et Coi sacra poetae. Ähn-
lich III 9, 44 (aus treffender Konjektur) und IV 6, 35 Properz wiederholt sich ja kaum
weniger als Ovid. Alle diese Bekenntnisse zu den beiden Elegikern finden sich erst vom
zweiten Buche an, d.h. als ihn Maecenas an sich gezogen hatte und ihm mit der Zu-
mutung, patriotische Epen zu dichten, lästig fiel, wie das seine Art w
* Mit dem Gegensatze von subjektiver und
keinen Hund vom Öfen, wie
N ER „1 I hai :
ieferung hat, wie das bei
Auch "Hpwıaac, dessen
Plinius Epist. IV 3,4, allerdings nicht
| objektiver Liebeselegie lockt man
denn solche Schlagwörter dem Verständnis der lebendigen
vi he gen immer schaden. Was der Kydippe und aller kallimacheischen
Poesie allein Reiz verleiht, ist die subjektive Behandlung des einst um seiner selbst
‚willen, also objektiv, behandelten Stoffes,
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> 0 u
ED
von WıLamowrrz-MOoELLENDORFF! Mimnermos und Properz. 1ll
in Philitas einen Erotiker im Stile des Properz zu finden, und wenn
die Muse diesen Philitea aqua zum Dichter der erotischen Elegie weiht
(IH 3, 51), so ist nicht gesagt, daß sie nieht aqua Callimachea eben-
sogut hätte nehmen können.
Ovid Trist. I 6 beginnt den ersten Brief an seine Gattin:
non tantum Clario Lyde dilecta poetae,
nee tantum Coo Bittis amata suast,
und redet Ex Ponto III ı,68 ähnlich. Daraus habe ich immer ge-
schlossen, daß Bittis die Frau des Philitas war, da ich Ovid nicht
zutraue, die seine mit einer Dame vom Schlage der Nanno oder Cyn-
thia zu vergleichen'. Birric ist ja auch ein guter bürgerlicher Name,
der noch dazu auf Kos in Bıriäc, Birun, Birraroc seine Verwandten
hat. Hermesianax läßt freilich den Philitas Bırtiaa sohn” besingen;
aber darum braucht sie keine Hetäre gewesen zu sein (Leontion übri-
gens auch nicht); er wollte dem Zeitgenossen, der wohl gar noch lebte,
ie Ehre erweisen, in der Reihe der erlauchten Dichter zu figurieren®;
dazu mußte er ihn als Verliebten einführen. Zur Rechtfertigung 8°
nügte ein Gedicht auf seine Frau, wie er eins auf seinen Vater Tele-
phos gemacht hat, und das kann meinetwegen Bittis geheißen haben.
Nikias von Milet wird doch wohl auch auf seine Theugenis Epigramme
gemacht haben, als die Musen ihn in seiner Verliebtheit stärkten.
Diese Parallele drängt sich mir auf: den spindeldürren Stubengelehrten
ı Daß Lyde nicht anstoße, bedenke man den cwePwN Anrtimaxoc Philodems
XI 168. |
2 soH ist ein so vieldeutiges Wort, daß man zweifeln mag, ob man mehr als
darf. »Hurtig« ist für eine Dame oder
ein Mädchen gleich seltsam; in den Epimerismen Cram. An. Ox.1 200 .. ar die
Deutungen und Mißdeutungen zusammen; darunter aus Antimachos Alaoc @00N A er
was ohne Zweifel menana war (nach nyKri eoAı): das würde z. B. angehen, aber auch
MErÄAHN, was man ebenda belegt findet.
Se oicea A& Kai TON ÄOIAÖN, ÖN EypynYaoy TONIÄTAI
Köoı xÄnKelon OHKAN yrö TIAATANOI,
BirTiaa MonTIÄZONTA BONN TIEPI rmÄnTa ®INITAN
BUuMATA KAl TIÄCAN TPYÖMENON AAAIHN.
st. hat für den lebenden, noch nicht überall aner-
Vokabeln
ein schönes episches Beiwort darin suchen
und Geschichten kommen charakteristisch zum Ausdruck. Binıtan Ewa
daß Evpyrtaoy moAIATAl noch Karol neben sich hat, erklärt sich daraus, da ge
pylos ein auch anderswo (Pergamon, Kyrene) vorkommender Heros ist. Seltsam er m -
hängnisvoll ist ram von Postenz (XArırec 111) „die Koer haben in ihrem Stan 3
bild eine Situation ans der Bittis festgehalten, haben ihn ‚dargestellt, .. En
alten Platafie ein Lied. singt“ Wie der Philologe sich über die V ergewaltigung
des Satzbaues wundert, wird der Archäologe sich über diese Ehrenstatue wundern,
deren Erz auch die Platane bildete. Das Gedicht Bittis, das er es „Hauptwerk- nn
zeichnet wird, ist ein reines Erzeugnis des Glanbens an die subjektive erotische Elegie,
die damit bewiesen werden so E.
sı2 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
Philitas als Vorbild des Erotikers Properz kann ich dagegen kaum
ernst nehmen. Alle Versuche, auch nur stofflich etwas für Philitas zu
ermitteln, sind gescheitert. Wir können ehrlicherweise nur sagen,
daß er Gedichte unter Einzeltiteln in Distichen, den Hermes in Hexa-
' metern, verfertigt hat, also Eidyllia wie Theokrit, der ja für seinen
Sehüler gilt, auch nairnıa (nugae; Catull braucht den Namen nicht von
ihm zu haben, kann es aber) und Epigramme. Eine erotische Ge-
schichte, die Parthenios 2 für Gallus aus dem Hermes ausgezogen hat,
gibt wenigstens einen Beleg für eine Dichtung, die ähnlich wie die
Aitia dem Properz für seine erotische Elegie Motive zuführte. Ich
weiß nicht, wie Philitas war und was er taugte, aber dem Theokrit
ähnlich, von Mimnermos und Properz ganz verschieden denk ich ihn
mir. Für das Verständnis der hellenistischen Diehtung muß man vor
allen Dingen immer im Auge behalten, daß sie für die Rezitation
bestimmt ist; daher schwinden die lyrischen Formen; zum Ersatz be-
mühen sich die rezitativen Dichter, den Eindruck der gesungenen
Lieder mit ihren Mitteln zu erzeugen. Eine andere Bedingung ist,
daß man nie vergißt, Epos, Elegie und Epigramm sind alles Er, es
gibt keinen Gattungsunterschied, der sie trennte: die noytpA TTannAaoc
sind genau so gut ein Hymnos wie der xAnaeoc AhmHrtroc und sogar
nach demselben Schema komponiert. Die Hekale ist durchaus der-
selben Art wie die Aitia. Und was Elegie und Epigramm angeht,
so sagt die Poetik des Horaz, daß die ewigui elegi zuerst für die Toten-
klage (falscher Schluß aus der Etymologie von &reroc), dann für die
voti senlentia compos, das anathematische Epigramm, angewandt wäre.
Von einem elegischen Stile der Griechen zu reden, ist ein Unding,
den gibt es nicht einmal für das Epigramm, oder was hätte Leonidas
mit Asklepiades, Meleager mit Theokrit gemein? KEuphorion, der
Nachtreter des Kallimachos, macht nur Hexameter: der Dichter von
Theokr. 8, ein wirklicher Dichter, legt Disticha in ein episches G
dicht ein. Nikander schreibt neben seinen epischen gelehrten G
diehten "Osıarä in Distichen. Die astrologische und die medizinische
Dichtung lehrt, daß sich diese Gleichwertigkeit von epischer und ele-
gischer Form bis in die spätesten Zeiten gehalten hat. Ein Gedicht,
das selbständig rezitiert wird, ist ein efaoc oder eiavanıon und bleibt
es, auch wenn ein Dichter oder nach des Dichters Tode ein Sammler
eine Anzahl in einem Buche zusammenfaßt; darin ist kein Unterschied
zu einem Buche pindarischer efas. So ist es dem Theokrit gegangen,
aber man hat nicht aufgehört, die Einzeltitel zu brauchen. Schon im
Titel wird nicht selten einem Gönner oder Freunde die Aufmerksam-
keit erwiesen, seinen Namen zu wählen. Der Art sind der Telephos
des Philitas, viele Titel des Euphorion. Wir können nicht entscheiden,
a a En DuÖ Su Su un u a ee ee
|
|
|
von WiLAMoWTTZ-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 113
wie weit der Inhalt etwas mit dem Menschen zu tun hatte, den der
Titel nannte: die Anrede, die von alters her sowohl im Epos wie in
der Elegie üblich war, ist wenigstens öfter nichts als Widmung, so
redet Theokrit 6 seinen Aratos, das anonyme Gedicht »Die Fischer «
einen Diophantos an. Auch dies findet sich im Epigramm: ai MoY-
cal TON EPpwra KATICXNAInontı ®inrre, Kallimachos 46. Wir können die
Kontinuität nicht verfolgen; aber Parthenios, der mit den römischen
Dichtern um Gallus zusammengelebt hat, bildet Titel genau wie die
des Euphorion. Von einem Gediehtbuche der klassischen Zeit wie Nanno
oder Kyrnos ist das ganz verschieden; natürlich, denn die hellenistische
Kunst geht ja immer vorwärts, man mag sagen abwärts, jedenfalls
immer weiter weg von dem klassischen. Die &pwryaa des Bion mochten
mit dem Adonis, der ein elaYanıon ist, in einem Buche stehen und
sind doch nieht selbständig; aber wenn sie im Buche hintereinander
stehen, machen sie es einem Epigrammenbuche ähnlich '.
In der catullischen Zeit machen eine Anzahl junger Römer den
ernsthaften Versuch, unter der Führung der Grammatiker, deren sie
ja nicht entraten konnten, sich der raffinierten hellenistischen Technik
zu bemeistern. Natürlich waren die Dichter um Kallimachos ihre
Hauptmuster, aber die späteren, auch die Zeitgenossen, konnten un-
möglich ganz ohne Einfluß bleiben, wenn wir ihn auch festzustellen
außerstande sind. Bei irgendeinem Spätling muß doch Catull das un-
erfreuliche Verschränken der Gedanken und Geschichten gelernt haben,
das er in seinem epischen Gedichte und seiner größten Elegie gleicher-
maßen anwendet. Man sieht, er wußte niehts von einem Gegensatze
der beiden Sorten &rın. Sein Gediehtbuch hat er mit sorgsamster Über-
legung geordnet (wer’s nicht merkt, tant pis pour lwi?). Weil er
‘» von mehr als 200 Jahren eine Menge Kreuzungen
! Es hat natürlich im Laufe ar i RE
der Stilformen gegeben wie das Epigramm 4 in der theokritischen Sammlung, das ich
erläutert habe. Namentlich die inschriftlich erhaltenen Epigramme werden eine stili-
es im 4. Jahrhundert, das in der Geschichte
n Epigrammen, die sich
gefordert wird. weit in das »Elegische«
289, von dem niemand mehr bezweifeln darf, daß es auf einem attischen Stein ge-
standen hat; die beiden Gedichte der Erinna, mit denen das stolze Grab der Baukis
von Telos geschmückt war, auch an diesen ist kein Zweifel mehr erlaubt; endlich a
beiden dem Simonides (wie ja auch das Epigramm auf Chaironeia) KaRBehreen nn
dichte auf Anakreon A. P. VII 24. 25, die zu denen Erinnas eine schöne I arallele bi en,
aber das Grabmonument fingieren. Alles Gedichte von großer eigentümlicher Schön ge
Dafür ist ganz gleichgültig, ob der Buchhändler es auf eine Rolle Bun
ließ oder in einer Kapsel mit mehreren Rollen verkaufte; das Buchgewerbe kam sie
in Rom eben erst auf und genügte 7. B. dem (icero nicht. Ein Menschenalter, e
würde Catull die Sammlung in Bücher geteilt haben; hätte er s getan, würden die ns e
her zählen se |
114 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
keine Lieder dichtete, d.h. nicht für den Gesang, aber wohl auch die
Formen griechischer Lieder übernahm, hat er alles Polymetrische zu-
sammengefaßt, auch die Iamben. Dazu gehörte auch das Hochzeits-
lied in Hexametern, nicht nur, weil es die Gesänge von Chören imi-
tierte, sondern auch, weil es auf Hochzeitslieder Sapphos zurückging,
welche Hexameter enthielten. Dazu gehörte der Attis, dessen Vorbild
in den merH des Kallimachos stand. Dieser hatte mean Tamsoı ErtirPAMMATA
streng gesondert; aber in dem Buche des Theokrit, wie es doch
wohl Catull schon gelesen hat, standen elaYanın, meaH, ETTITPAMMATA
genau so vereinigt. Wer weiß, ob es nicht mit den nairnıa nugae
des Philitas ähnlich stand? Catull stellte dann an den Anfang seiner
ern sein einziges Gedicht in Hexametern, dann längere Elegien (es
könnten vier eiaYanıa sein) und eine große Zahl kürzerer, die er selbst
unmöglich anders als Epigramme hätte nennen können; es sind ja
auch Stücke darunter, auf welche dieser Name in engster Bedeutung
zutrifft. Aber mitten darunter steht multas per yentes et multa per
aequora vectus, und siqua recordanti benefacta priora voluptas und surripui
tibi dum ludis mellite Iuventi. Das sind unmittelbare Äußerungen der
Empfindung, nicht anders als smiser Catulle desinas ineptire und Caeli
Lesbia nostra Lesbia illa, die iambische und lyrische Form tragen.
Catull fragte eben nicht danach, ob er es dürfte, wenn ihm in der
schöpferischen Stimmung des Augenblicks diese oder jene Form der
griechischen Poesie auf die Lippen kam. Er hatte sich in ernster
Arbeit aller dieser Formen bemächtigt, und wenn er ein mühselig
gelehrtes Stück zimmerte, schaute er ängstlich nach den Regeln der
Grammatiker und der Technik seiner Vorbilder. Aber nicht auf dieser
Arbeit beruht seine Größe: ein Dichter, wie es seit den klassischen
Zeiten der Griechen keinen mehr gegeben hatte, ward er dann, wenn
er dichtete, nicht weil er wollte, sondern weil er mußte. So hat er
denn dem Phaläceus und dem Skazon, im Gegensatze zu seinen Vor-
bildern, den Charakter verliehen, den wir um seinetwillen zuerst mit
diesen Massen notwendig verbunden glauben. Wenn wir uns den
elegischen Teil seines Buches so geschrieben vorstellen, wie er nach
allem, was man wissen kann, geschrieben war, so sieht er genau so
aus wie Kyrnos oder Nanno, und die Folge kürzerer und längerer
elegischer Stücke ist auch formell genau derselben Art. Kein Gedanke
an bewußte Nachahmung der klassischen Elegie, keine Spur davon,
daß er sie gekannt hätte: nur weil er sich mit voller Freiheit der
elegischen Form bediente, kam er unwillkürlich den Klassikern nahe,
die dasselbe getan hatten. |
Als dieses lateinische Gediehtbuch und zugleich dieser Dichter
mit seiner Leidenschaft und seinem Freimut einmal da war, ward er
a Dt 3 un = mia 2 ET u all nn nn a u Er
=
4:
4
a
“
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vow Wıramowrrz-MOELLENDoRFF: Mimnermos und Properz. 115
seinen Landsleuten Voraussetzung und Vorbild der Diehtung nicht
minder als die Griechen. Wir wissen nur zu wenig von den nächsten
Nachfolgern. Varro Atacinus nannte das Mädchen, dem er für uns
völlig verschollene Elegien widmete, Leucadia: der Anschluß an Lesbia
Sappho liegt zutage. Calvus ließ seiner Frau ihren Namen, als er
um ihren Tod klagte wie Antimachos um den seiner Lyde; auch
Bittis, die Frau des Philitas, hatte in der Poesie ihren Namen be-
halten. Dann kam Gallus, der zugleich der Begründer der Elegie
und Nachahmer Euphorions heißt, der doch keinen Pentameter ge-
macht hat. Schwerlich darf man die Angabe des Servius zu Buc. X
genau nehmen, daß Gallus den Euphorion übersetzt und vier Bücher
auf Lycoris gedichtet hätte, sondern die Gedichte nach Euphorion wer-
den mit in den vier Büchern gestanden haben‘. Als dann Vergil zehn
Eiayanıa in einen Band sammelte, die ihr Sonderleben zum Teil noch
in Sondertiteln zeigen (Titeln, wie Pollio und Varus, die den Titeln
des. Euphorion ganz entsprechen), wird das Publikum in diesen Studien
nach der griechischen gelehrten Poesie schwerlich eine andere Gattung
erblickt haben als in denen des Gallus, auch wenn diese elegische
Form hatten.
1
ı Wenn Vergil Buc. X 50 den Gallus sagen läßt, er wollte die Weise des
Euphorion mit der des Theokrit vertauschen, so kann man jene Weise nur auf ‚die
Gedichte an Lycoris beziehen, denn an die richtet sich Gallus. Aber das Gedicht
auf den grynäischen Apollon, das einzige, dessen Stoff Vergil angibt (VI 70), war
episch, wenn es Übersetzung war, wie Servius angibt, und Vergil lobt es ja auch als
“Hei6saoy Aeıcma, nämlich weil Euphorion seine Geschichte von Kalchas aus der Melam-
podie entlehnt hatte: es ist eine sehr gelehrte Anspielung. Lyeoris heißt nach dem Apollon
AYKwPreyc (danach Cynthia vom Kyneıioc), den Gallus bei Euphorion ‚gefunden hatte, frei-
lich bei Kallimachos (Hymn. 2,19) finden konnte, den jener wie gewöhnlich abge-
schrieben hatte. Die Verse des Euphorion setze ich her, weil ich ihre Verbesserung zu
vollenden hoffe (Proll. ad Pind. Pyth. S. 3 Drachm. Fr. 53 Mein. 92 SCHEIDWEILER).
örraorepoy T’ Axınhoc ÄKOYOMEN EYPYAöX0I0,
Nenreiaec Öl Yrıo KANON iHıon AÄNTEBÖHCAN
En [2
KPICAN TIOPBHCANTI Aykwreoc oiklaA PolBoY.
So hat Borcke im wesentlichen vorzüglich verbessert was als ÄNTHT@NICAN TIOPO. über-
liefert ist. Aber die Stelle war in der Vorlage unserer jungen Handschriften schwer
lesbar; eine hat daher Lücke gelassen. ÄNTHFÖNICAN und ÄNTETÖNHCAN (wie eine andere
von zweiter Hand gibt) sind schlechte Deutungsversuche der Schreiber. Daß Krican in
der Vorlage ausgefallen und der Rest korrupt war, wir c gen
wenn sich ıcan zu Krican ziehen läßt. Ich glaube, da stand ANTHC, darüber ein ] om-
ht. was von KPican kenntlich war: eın byzan-
tinisches k und ein können ganz ähnlich anfangen. ÄNTHC ÄnTE
und der Spondeiazon paßt für Euphorion. Der Jungfrauenchor sang unter der Führung
des Eurylochos den Päan: da paßt soAn auch schlechter als Alaeın. Übrigens ist es
nicht schön, wie Krisas Zugehörigkeit zu Delphi, die es hatte abschütteln en
hier bezeichnet ist. Wer ein Haus des Apollon zerstört, sieht wirklich nicht nae
einem Wohltäter des Gottes aus.
Sitzungsberichte 1912. 9
116 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
In den ersten Jahren des Prinzipates wird die römische Poesie, was
sie zu werden bestimmt war; dazu gehörte, daß Properz und Tibull in
den ersten fruchtbaren Zeiten des befestigten Weltfriedens je mit einem
Buche Elegien vor das Publikum traten. Erst von da an gab es eine
römische Elegie. Zwar die Form, die die Jahrhunderte beherrscht, die
auch wir anwenden müssen, wenn wir lateinische Elegien dichten, hat
erst Ovid geschaffen; aber er ist ohne das Vorbild der beiden gar nicht
denkbar, die sein unvergleichliches Geschick zusammenschmelzte, leider
unter Beihilfe der Rhetorik, die ihn (aber ihn zuerst) in ihrem Bann
hielt und dann den Untergang der Poesie ganz ebenso wie jeder wahren
Bildung herbeiführen sollte.
Properz und Tibull sind verschieden bis zum Gegensatze; so sind
es auch ihre Bücher. Tibull bringt kaum anders als Vergil zehn Eklogen;
sie könnten als Eidyllia ein selbständiges Leben führen, und das
Gedicht auf Messallas Triumph hat es geführt. Sein zweites Buch mit
seinen sechs Gedichten zeigt diesen Charakter fast noch deutlicher.
Wie wenig er daran gedacht hat, das Buch zu einer Einheit zu machen,
zeigen gerade die Gedichte am deutlichsten, die dem Namen Delia nach
derselben Geliebten zu gelten scheinen, denn sie machen über diese
Delia ganz unvereinbare Angaben. Es steht mit ihr wie mit Milon und
Amaryllis bei Theokrit. Lange nicht überall tritt die Person des
Dichters hervor, aber immerhin überwiegend, indessen so, daß nur
wenige Stimmungen und Neigungen einen wirklich individuellen Charak-
ter tragen. Und wir wissen durch seinen Freund Horaz, daß er sich
auch da recht anders gab, als er lebte. So steht’s auch um seine Liebe:
Ovid, der sich darauf‘ verstand, hat ihn als praeceptor amoris (auch der
Knabenliebe) gefaßt (Trist. II 447) und in der Tat ihm für seine Ars
den Anstoß verdankt. Gleichwohl wäre es Stumpfsinn, zu verkennen,
daß Tibull in seinen städtischen Liebschaften und seiner Liebe zum Leben
auf dem väterlichen Landgut und dem unvermeidlichen Konflikt dieser
beiden Neigungen wahre Empfindungen gibt; freilich hat er dann alles
stark stilisiert. Dagegen Properz hat sein Buch Cynthia genannt, und es
ist eine Einheit, wesentlich durch das Mädchen, nach dem es heißt. Die
Liebe zu Cynthia ist der Leitstern seines Lebens und seine Dichtung
dieses Lebens Widerklang. Dem tut es nicht im mindesten Abbruch,
daß die einzelnen Gedichte ihren Adressaten haben und das erste und
das letzte den Freund Tullus so anreden (wie Theokrit den Aratos), daß
das Ganze diesem gewidmet scheint. Denn sein ganzes Leben ist in
dem Buche, und dazu gehören die Freundschaften auch und die gemein-
samen Studien; Cynthia spielt doch in alles hinein. In seinem Schluß-
gedichte hat sich Properz selbst dem Publikum vorgestellt. AlsLeo' den
' Gött. Nachr. 98, 469.
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; -
von Wıramowtrz-MOELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 117
Nachweis erbrachte, daß das Gedicht am Schlusse verstümmelt ist, wies
er darauf hin, daß Nikander sich so am Schlusse der beiden erhaltenen
Epen nennt und schloß aus den späteren Beispielen ähnlicher Selbst-
vorstellung (Horaz Ep. 120, Ovid Am. III ı5) auf griechischen Brauch,
dem Properz gefolgt wäre. Aber er wies die Analogie des Nikander
ebenso ab wie die entsprechenden persönlichen Äußerungen am Schluß
von Ovid Ars II. II. Remed. Amor., weil sie nicht in einem besonderen
Gedichte stünden, was sie beim besten Willen der Dichter nicht
konnten, und suchte das Vorbild in den Biographien, mit denen die
Grammatiker ihre Kommentare zu beginnen pflegen. Die scharfe
Trennung der verschiedenen Arten ErrH hat für die antike Anschauung
keine Berechtigung und der Appell an die kommentierten Ausgaben
der alten Dichter ist eine meräsacıc efc Anno renoc. Die Wurzel der ganzen
Sitte konnte vor zwölf Jahren freilich noch niemand sicher fassen:
Timotheos hat gelehrt, daß sie das »Siegel«, die coraric, des kitharo-
dischen Nomos ist; wir finden sie wieder in dem homerischen Hymnus
an den delischen Apollon und in dem Elegiebuche des Theognis (da frei-
lich kaum am Schlusse). Aber zu Gebote stand immer schon die beste
und für Properz wirklich bestimmende Analogie, das Epigrammen-
buch: sind doch die beiden Schlußgedichte von Properz I schlecht
und recht Epigramme. Lro bestreitet das freilich für das letzte, ob-
wohl er es paraphrasiert: »Nach Herkunft, Heimat und Vaterhaus fragst
du mich. Der Name meines Geburtsortes möchte dir unbekannt sein;
aber wenn du Perusia traurigen Angedenkens kennst, SO kann ich dir
seine Lage leicht beschreiben usw.« Das ist ja gerade eine Form des
Grabepigramms, so gewöhnlich, daß ich mich scheue, Belege zu
bringen. Was Lro dagegen einwendet, ist, daß die Form, d.h. die
Stilisierung der Gedanken, die genau denen eines Epigramms ent-
sprechen, elegisch wäre, nicht epigrammatisch. »Das Epigramm ver-
langt ein scharf disponiertes, dem Leser sich aufdrängendes Her-
eascheite des Gedankens,“. Bei: dem. sp; dann. ist Immer noch
nicht gesagt, daß jeder, der ein Epigramm macht, sich dem Ver-
langen fügt. Leonidas, Antipater, recht viele und wahrlich nicht
die schlechtesten Epigramme auf Stein aus hellenistischer Zeit
ü en schlecht genug bestehen. Die
Weise, in der Properz sein Schlußepigramm behandelt, ist 'seine
1 Ob solche ren# schon damals in den Handschriften der Dichter standen, weiß
ich nicht zu sagen, noch weniger ob ihr Platz am Schlusse war, was Leo voraus-
setzen muß. In den mittelalterlichen Handschriften ist diese Stellung jedenfalls seltene
Ausnahme, und von der Vita des Aischylos, auf die sich Leo wegen des Mediceus be-
ruft, kann ich gerade beweisen, daß sie vor dem Kommentar zum Prometheus ihren
richtigen Platz hat.
9*
118 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
Weise, und wenn sie in unsere ästhetische Schablone nicht paßt,
so hat sich die Schablone zu ändern. Lro nennt es für die Elegie
charakteristisch, den Gedanken so zu führen, daß er seheinbar willen-
los dahingleitet. Das ist für Tibull charakteristisch ; bei Properz schon
scheint es doch Leo nicht gar so häufig zu finden, und wo kämen
Kallimachos oder Hermesianax hin, wenn dieser Stil notwendig zur
Elegie gehörte. Es ist eben mit der äußeren Form die innere keines-
wegs bestimmt; Tyrtaios und Kallimachos und Andromachos und
Gregorios sind alle vier Elegiker gerade wie Theokrit und Meleager
und Lueillius und Agathias Epigrammatiker sind, Homer und Hesiod
und Timon und Theokrit und die Sibylle Epiker. Und schließlich,
wenn Properz ein Gedicht macht, das wir eine Kreuzung von Epigramm
und Elegie nennen mögen, wer will es ihm wehren, wer darf es ihm
verdenken? Hat sich Catull gefragt,in welches Fach der eidographischen
Registratur sein Gedicht paßte, als er surripui tibi, dum ludis dichtete?
Und was sind die Verschen der Sulpieia? In ein Schema passen sie
nicht; aber in den Theognidea finden sich ein paar solcher naiven
Mädchenverse, 257. 861.
Durchschlagend ist doch wohl, daß wir trotz unserer Armut noch
solche Epigramme besitzen, in denen der Dichter eines ganzen Buches
sich vorstellt; und daß sie am Schlusse standen, läßt sich in mehreren
Fällen noch erschließen.
Nossis VII 414 6 zein ef 14 re maeic rori Kannixopon MyTinfinan
TAn Cariso?c xaPitwn ÄNeoc ENAYCÖMENOC,
eimein wc MoYcaici oina T’ An. X Te Aokric rA
TIKTEe M’* Tcaıc A’ örTı moı Tofnoma Noccic Teı.
Was ist das anders als das Gedicht, mit dem die Dichterin, eine
meromoiöc wie Sappho, ihre Sammlung von Epigrammen (wenn sie nicht
auch ihre Lieder mit umfaßte) beschloß, denn sie nimmt ja Abschied;
es ist kein &rmıtymsion, aber die Anrede an den Wanderer ist dieselbe
wie dort und die Nennung des Namens auch.
Kallimachos hat diese Form des Grabgedichtes selbst gewählt,
für seinen Vater, wo sie berechtigt war, ihm aber schon Gelegenheit
gab, von sich zu reden, und dann für sich selbst in einem Distichon,
das sich durch die Form als Zusatz des Gedichtes auf den Vater aus-
weist, das am Ende verstümmelt ist; ich habe zu den Gedichten das
Nötige angemerkt, und es genügt, die Anfänge herzusetzen.
21 ÖcTIc Emön TIAPÄ cHmA #ereıc MÖ6AA, Kannımkxov Me
iceı Kypunalov rIalaa Te Kal renerän. — —
35 Barttıäaew rrapA cAma sereıc moan.
ll LE nn a nn ln all Öl lnölLz 20 nd la ln En a LE Mn un ll nn | nm nu ums: 22 Dale Be Te
Pla bin 3 Hi tl a un ann) u
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3
E
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nicht mehr genannt zu werden brauchte.
von WıLamowırz-MoELLENDORFF: Mimnermos und Properz. 119
Hier können wir über den Platz in der Gediehtsammlung nicht
mehr sagen, als daß diese Epigramme beisammenstanden'.
Der Stephanos des Meleagros hat eine lange Vorrede in elegischer
Form: ; ;
Mo®ca »ina, TINI TÄNAE »EPEIC TIÄTKAPTION ÄOIAAN,
A TIC d Kal TEYEAC” YMNOBETÄN CTESANON;
Änvce M&n Menearpoc, Apızknwiı ae A1oknei
MNAMÖCYNON TAYTAN EZETIÖNHCE XÄPIN.
Folgt die Aufzählung der Blumen, die er zum Kranze gewunden hat.
Das Schlußgedicht ist ans Ende der moPca naıaıkk des Straton?’ ver-
schlagen, XII 257, und führt die Koronis redend ein, welche diesen
Schluß im Buche bezeichnete: neben ihr stand es. Wer ein Schluß-
blatt eines alten Buches gesehen hat, dem muß es gefallen.
L
Ä TIYMATÖN KAMITTÄPA KATATTEAAOYCA KOPWNIC
EPKOFPOC TPATITAIC TIICTOTÄTA CEAICIN
®AM| TÖN &K TIÄNTWN ÄBPOICMENON EIC ENA MÖXBON
YMNOBETÄN BYBAWI TÄIA ENEAIEÄMENON
Exten&caı Menearpon, AEIMNHCTON Ae Alokrel
ÄNGECI CYMTTAEEAI MOYCOTTÖAWN CTESANON.
OFaA A erw KAMSBEICA APAKONTEIOIC ICA NWTOIC
CYNSPONOC TAPYMAI TEPMACIN EYMABIAC.
Endlich das Gedicht, das der Sammler der Ausgabe des Theokrit
beigegeben hat; gemäß der Sitte, daß der Titel als Subskription steht,
hat es auch am Ende seinen Platz gehabt.
ı Von den Aitia stand immer fest, daß der Dichter im Eingange erzählte, wie er
zu dieser Dichtung berufen ward. Durch die Kydippe haben wir gelernt, daß er immer
in Person das Wort führte und den Übergang von Geschichte zu Geschichte machte.
Am Schlusse des Ganzen konnte er sich natürlich nicht nennen, aber Abschied nimmt er
ausdrücklich
xAipe Ze? mera Kai ct, cAw A’ [EMö]N OIkoN ÄNÄKTUN,
AYTÄp Erb Morcewn TIeZÖC Erreimi NOMÖN.
Es ist bedauerlich, daß der Vers trotz der richtigen Erklärung mißdeutet wird, von
der auf Unkenntnis der Schrift beruhenden Anzweiflung von rezöc zu schweigen.
Das Mitglied des Museions sagt, er wollte nun seine Gelehrsamkeit in prosaischer Form
vortragen: es ist nicht erfreulich, daß ein Philologe bezweifelt, daß Philologie Musen-
dienst ist. In dem Kodex stehen die Jamben hinter den Aitia: darauf baut man die
Hypothese, Kallimachos bezöge sich auf diese Ordnung, hätte also wohl seine Werke
zu einem solchen mera sıgnlion machen wollen, hätte die Gattungen hintereinander ge-
pflegt und das Versmaß des Hipponax für Prosa gehalten. &mön mit der kühnen,
aber auch im Drama häufigen Enallage des Adjektivs hatte ich sofort vermutet, glaubte
aber, da Huwr an önon festhielt, die Lücke faßte die ein wenig längere Ergänzung
nicht. Angesichts der Photographie kann ich &mön festhalten. Er
2 Eine bemerkenswerte Inversion für # TIe Kai d TEYzAc. Be a - ; =
® Auch von dem Buche des Straton sind die Gedichte des Anfangs und Schlusses
erhalten, XII r und 258; aber er nennt seinen Namen nicht: damals war also der
Titel außen an der Rolle so fest und so in die Augen fallend angebracht, daß der Name
120 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
a:
Annoc d Xioc, Erw AL OeöKrıtoc Öc TÄA ErpaYa
eic ArIO TON TIoAnÖN eimi CyYPHKociun,
viöc TTpazaröpao TIerIıKReitHc Te DininHc.
MOFCAN A’ ÖBNEIHN OYTIN &BEAKYCÄMHN!.
Das sind Gedichte, von denen mehrere dem Properz bekannt ge-
wesen sind, und wie sollte es der Art nicht für ihn mehr gegeben
haben als für uns. Da ist wohl klar, wo er sein Schlußgedicht her
hat. Gewiß hat er so wenig ein Buch Epigramme gemacht wie ein
Buch Eiavanıa; aber ebenso gewiß ist, daß er von beiden Seiten her
Anregungen genug empfangen hat; das ist hier nicht zu verfolgen’.
Der Titel Cynthia aber weist noch anderswohin. Daß die Eigennamen,
die wir bei Euphorion und Parthenios als Titel finden, ganze Bücher
bezeichneten, ist weder erweislich noch wahrscheinlich, und nirgend
stoßen wir auf den Namen einer Geliebten wie bei den drei Kolo-
phoniern, von denen wieder Hermesianax sicher, Antimachos wahrschein-
oben herab geäußert; das macht mir keinen Eindruck. Poutenz (XAriıtec 90) erklärt,
der Bau des Epigrammes widerstrebe. Am Ende soll der Verfasser »die Vorlage des
Suidas« in Verse gebracht haben. In der Tat, ein Homonymenlexikon müßte zugrunde
liegen; wie man so etwas diesem Dichter zutrauen kann, ist mir unfaßbar. Aber sei's
drum. Ich bleibe dabei, daß es wirklich zu dumm wäre. »Der von Bouillon ist ein
anderer; ich, der Gottfried, der dies gedichtet hat, bin aus Straßburg.« So kann doch
_ nur geredet werden, wenn die Verwechselun möglich war. War sie es für den Buko-
liker gegenüber dem Rhetor und allenfalls Publizisten, der nie in der Literatur gezählt
hat, geschweige in der Dichtung? Es folgt »aber fremde Dichtung habe ich keine
hineingezogen«, d. h. in meiner Poesie ist kein fremdes Element. Soll das zu dem
Annoc d Xloc in keiner Beziehung stehen? Oder geht er auf den Chier Theokrit?
Oder sagt es gar nichts: in dem Konversationslexikon, das die Quelle sein soll, stand
es doch nicht. Dabei habe ich die Stellen angegeben, wo Theokrit den Homer 5 Xioc
nennt, und eine davon betont seine eigne Originalität. Als Epiker aber stand er ohne
i Pigrammes verlangt, daß Ännoc und moFca
Ö@nela korrespondieren, ist das Unterscheidende die Dichtung und nicht das Vaterland.
2 Nicht nur das Epigramm Martials, der so oft von den Lemmata redet, schon
das des philippischen Kranzes ist sehr oft ein Gedicht auf ein gestelltes Thema. Wie
viele sind das von den Gedichten des Properz, wie oft gibt er das Thema selbst an.
Wie oft merkt man die Erweiterung und Auskleidung des einfachen, für ein Epigramm
zureichenden Gedankens. Darauf kommt mehr an als auf die Entlehnung bestimmter
Motive. Di Auskleidung ist seine Kunst, di
arten scheint; mühselige Arbeit sehe ich au
war er dem untreu geworden, was ihm
. Ri Bi (d.h. bei VaLckenAer, nicht bei GoETHE)
mit der regina elegiarum mehr Glück gemacht haben als mit Cynthia. Die hat er
Tele =”
von Wıramowirz-MoELLENDoRFF: Mimnermos und Properz. 121
lich ausfällt‘, bleibt nur Mimnermos mit der Nanno. Ich habe oben
konstatiert, daß wir keinen Beweis für die Benutzung des Mimnermos
durch Properz haben, aber auch keinen gegen sie. Jetzt sage ich,
daß die Benennung des Gedichtbuches dafür spricht, und jetzt erst
erhält das horazische fit Mimnermus et oplivo cognomine creseit volle
Bedeutung. Aber die ganze Art des Properz steht dem Klassischen
so fern. Von Tibull, dem Freunde des Horaz, glaubt man es leicht,
daß er die klassische Elegie studiert hat, so viel er auch selbst dem
Kallimachos dankt. Aus ihr hat er jene Weise, die Leo schon vor
Jahren so treffend analysiert hat, daß sie gegen Verunglimpfung ge-
schützt sein sollte, die Weise, für die Platen das schöne Bild ge-
funden hat
Im Wasser wogt die Lilie die blanke hin und her,
doch irrst du, Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her:
es wurzelt ja so fest ihr Fuß im tiefen Meeresgrund,
ihr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her.
Wenn der verständnislose Verstand über die große Elegie Solons”,
das einzige umfängliche Gedicht, das wir vollständig besitzen, herfiele
wie der Fuchs in Goethes Parabel über das Täublein, so würde es
auch bald heißen »Mißgeburt, und in Fetzen«. Die tibullische Weise
liegt dem Properz freilich nicht. Aber ein Künstler kann sich
wahrlich auch an dem bereichern, was er reproduzieren weder kann noch
mag. Darstellung der eigenen Liebe boten ihm Epigrammenbücher des
Asklepiades und Meleagros und andere; Spiegelungen von Erotik aller
Art fand er bei Philitas und Kallimachos; aber das Verweilen bei
dem eigenen Empfinden und das Reflektieren darüber war doch noch
etwas anderes, und das gab es nur in der klassischen Elegie; wenn's
nicht zu lang wäre, schriebe ich Theognis 693—708 ab, wo sich auch
die bei Be so beliebten mythischen Exempel finden. Freilich
dialektische Erörterungen über die Liebe und das Treiben der Mädchen,
die aus ihr ein Gewerbe machen, konnte ihm schwerlich ältere Dichtung
liefern als die Komödie; da er die Thais des Menander zitiert (er hat
auch die Antiope des Euripides direkt benutzt), so ist nicht einmal
die Vermittelung hellenistischer Eidyllia (wie Theokrit 14) immer nötig.
Wieder ist es Leos Verdienst, die Fäden, die zur Komödie führen,
zustatten gekommen.
® Da ich immer noch nicht dazu gekommen bin, ihre Erklärung vorzulegen,
muß ich er Arist. und Athen II 314 verweisen.
122 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 1. Februar 1912.
verfolgt zu haben. Natürlich soll damit dem Selbstzeugnis des Properz
Callimachi manes et Coi sacra poetae kein Abbruch geschehen. Noch viel
stärker wirkte das Vorbild Catulls, dessen Gedichtbuch auch Studien
nach den gelehrten Dichtern darbot, aber vor allem eine Leidenschaft
jener Art, welche den Menschen erhebt, wenn sie den Menschen zer-
malmt; die hatte es bei den Griechen seit Archilochos nicht gegeben.
Weder Properz noch Sulpieia würden ohne Catull gewagt haben, zu
sagen, was sie litten oder doch, ihm nachstrebend, zu leiden glaubten.
Mit dem Nachweise ihrer Vorbilder tut man nur Dichter ab, die
keine sind. Die römischen Dichter der kurzen goldenen Zeit, die
noch nicht beim Rhetor die billigen Rezepte holten, mit denen man
alles oder auch nichts sagen konnte, lernten in ernster Arbeit bei dem
Grammatiker viele und sehr verschiedene Dichter der Griechen kennen.
Aus den verschiedensten Blüten sogen sie edelste BildungdesGesel ]
1i
aber was sie erzeugten, war eigener Honig. Und wenn Alkaios und
alle neun Lyriker aus dem Grabe erstünden, würde Horaz Horaz bleiben,
einerlei, wie viel sie von ihm heimforderten. So sind denn Properz
und Tibull die Schöpfer einer neuen Elegie geworden, ihrer Elegie,
jeder der seinen, obwohl wir teils wissen, teils ahnen, daß sie in
Stoff und Behandlung den Griechen unendlich viel verdanken, zu
denen sie stehen wie GortsE zu den Triumvirn Amors, ja viel freier
als er, da sie Dichter sehr verschiedener Zeiten und Kulturen, sehr
verschiedener Arten und Stile vor sich hatten. Allein von dem abso-
luten Werte der Dichter und der Gedichte habe ich hier Ja überhaupt
nicht zu reden; ich habe zu den beiden Römern gar kein innerliches
Verhältnis. Unter deren Vorbilder rechne ich nun den Mimnermos
und schlage seine Bedeutung für Properz hoch an, obgleich ich keine
direkte Berührung zu zeigen weiß. Die Cynthia hat dadurch sofort
einen entschiedenen Erfolg gehabt, daß sie das Leben schilderte, das
Properz trieb, mit seinen Freunden und seinem Mädehen. Ein solches
Lebensbild bot auch die Nanno des Mimnermos. Die Bücher waren
so verschieden wie das Kolophon des Alyattes von dem Rom des
Augustus; aber Properz empfand, daß er als Dichter zum Leben
stand wie Mimnermos und benannte sein Buch Cynthia nach dem
Vorbilde der Nanno. Und die Gedichtbücher hatten auch mehr ver-
wandtes als den Titel, atmeten sie doch beide denselben sıntaonoc Bloc:
TIC A& Bioc, TI A& TEPIINÖN ÄTEP xPYchc AsroAitHc;
laus in amore mori.
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Ausgegeben am 8. Februar.
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SITZUNGSBERICHTE 1912.
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DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1. Februar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. AuweErs.
1. Hr. Russer las über die Betheiligung endocellularer
Fermente am Energieverbrauch der Zelle.
Der Vortragende zeigt an Versuchen, die an Hefezellen angestellt worden sind,
dass diese nur Wärme entwickeln, wenn sie in Zuckerlösung sich befinden, und dass
dabei nicht mehr Wärme gebildet wird, als auf Grund von thermochemischer Be-
rechnung der Alkoholgärungsgleichung erwartet werden kann. Ein Theil des vergo-
renen Zuckers muss also dem Stoffwechsel der Hefe dienen. Es kann nicht einfach,
wie bisher angenommen wurde, die ganze Gärung auf Fermentwirkung beruhen.
Dies wird dann durch weitere Versuche näher dargelegt und ferner durch besondere
Untersuchung der Fermentwirkung gezeigt, dass die überwiegende Menge der von der
Hefe erzeugten Wärme auf vitale Processe zurückzuführen ist.
2. Hr. Nernst legte eine Arbeit »Thermodynamik und spe-
eifische Wärme« vor.
r vom Verfasser aufgestellte Wärmesatz wird aus der experimentellen That-
sache abgeleitet, wonach die specifischen Wärmen fester Körper bei tiefen Tempera-
turen verschwinden. Zugleich wird auf diesem Wege eine etwas allgemeinere Fassung
jenes Wärmesatzes gewonnen.
3. Hr. Nerssr legte ferner eine Arbeit des Hrn. Dr. A. Eucken
vor: Die Moleeularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Tem-
peraturen.
Es wird der Nachweis geführt, dass im Sinne der Vorhersagung der Quanten-
theorie das Wasserstoffmolekül bei sehr tiefen Temperaturen seine Rotationsenergie
verliert und dass der gasförmige Wasserstoff bereits bei 50° (abs.) die Molecularwärme
eines einatomigen Gases annimmt. In quantitativer Hinsicht ist der Abfall der speci-
fischen Wärme allerdings viel rascher, als die bisherige Theorie erwarten liess.
124 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Über die Beteiligung endozellularer Fermente am
Energieverbrauch der Zelle.
Von Max RUuBNeEr.
Die Umsetzungen und Stoffwandlungen, wie sie in jedem lebenden
Organismus beim Ernährungsakte eintreten, sind, das weiß man schon
lange, teils als Wirkungen der lebenden Substanz, teils als solche
von Fermenten aufzufassen. Am frühzeitigsten waren die Verdauungs-
fermente, also die Nahrung vorbereitenden, erkannt worden, welche
durch Drüsen in den Verdauungskanal ausgeschieden werden. Auch
bei den einzelligen Organismen gibt es solche zur Ausscheidung be-
stimmte extrazellularwirkende Enzyme. Das Zellinnere stellte man
sich vielfach als eine unumschränkte Domäne der Protoplasmatätig-
keit vor und bezweifelte das Vorkommen endozellularer Fermente
überhaupt.
Mit dieser letzteren Annahme oder doch mit ihrer Verallgemeinerung
ging man zu weit, denn bei den einzelligen Wesen spielen sich doch
Verdauungs- wie Stoffwechselvorgänge unter Umständen innerhalb der
Zelle ab. Aber auch hiervon abgesehen war der Gegensatz zwischen
einer ausschließlichen Protoplasmaarbeit in der Zelle und einer Be-
grenzung der Fermente auf extrazellulare Prozesse nicht aufrechtzu-
erhalten, und nun sind wir im Verlauf der letzten Jahrzehnte all-
mählich dahin gelangt, daß endozellulare Fermente in immer stei-
gender Zahl entdeckt werden, deren Wirksamkeit sich nicht mehr
auf nebensächliche und nahrungsvorbereitende Prozesse, sondern auf
solche Spaltungen bezieht, die wir bisher als besondere Eigenart des
typischen Stoffwechsels einer Spezies angesehen und als Hauptenergie-
quelle der lebenden Substanz betrachtet haben.
Vielen erschien diese Entwicklung der Zellchemie als die end-
liche Bestätigung älterer Hypothesen, die den Stoffwechsel überhaupt
auf Fermente hatten zurückführen wollen, und als ein wichtiger Schritt,
um das Fremde und Eigenartige der Lebenserscheinungen leichter fassen
zu können; am radikalsten ist der Umschwung auf dem Gebiete der
Russer: Endocellulare Fermente und Energieverbrauch der Zellen. 125
Gärungsorganismen geworden, wo man deren gesamte Gärleistung nur
als die Wirkung der vorgebildeten Fermente erklärt hat.
Indes stehen aber einer solchen Verallgemeinerung rein fermen-
tativer Vorgänge doch eine Reihe von Bedenken entgegen, die sehr
schwerwiegender Natur sind.
Wer diese Detailarbeit der Fermente vom biologischen Standpunkt
aus erfassen will, wer die ungeordneten zusammenhanglosen Ferment-
vorgänge zu einem Ganzen zu schmieden versucht, wer fassen will,
wie diese Prozesse innerlich zusammenhängen und ineinandergreifen,
und wie daraus die geordnete, wohl regulierte und selbständige Arbeit
eines Organismus entsteht, sieht sich dem Ziele nieht näher als sonst.
Mit dem Tode steht zwar nicht die Arbeit des Ferments, wohl aber
der Organismus als solcher still.
Die Ausdehnung der Fermenttheorie auf umfangreiche Zellreak-
tionen bringt uns nicht allein hinsichtlich des Zusammenarbeitens und
der Ordnung dieser Arbeit in einen schweren Konflikt mit dem Ver-
ständnis biologischer Vorgänge im allgemeinen, sondern auch hinsicht-
lich der energetischen Seite des Problems in ernste, unüberbrückbare
Schwierigkeiten. Die aus dem lebenden Verband gelösten Fermente
zerlegen und zerstören die Stoffe vielfach unter Entwicklung von Wärme.
Wir wissen aber mit Sicherheit, daß die Wärme, als Temperaturgrad
von Flüssigkeiten betrachtet, nur steigernd oder mindernd auf den Le-
bensprozeß und die Zelleistungen Einfluß üben und den Verbrauch von
Nahrungsstoffen mehren oder herabsetzen kann. Weder für den ru-
henden noch für den mechanische Arbeit leistenden Organismus ist
Wärme eine nutzbare Energieform. Je umfangreicher im Organismus
fermentative Umsetzungen werden, um SO größer ist, von den ho-
möothermen Tieren abgesehen, die nutzlose Energievergeudung. Die
Energievorräte müssen in anderer Weise als auf dem Umwege
über die Wärmebildung für die lebende Substanz nutzbar gemacht
werden.
Den heutigen Stand der Fermentlehre, die fast schrankenlose Wirk-
samkeit, die man dem Ferment für alle möglichen Zellprozesse zu-
schreibt, stellt uns allmählich in einen Konflikt mit den prinzipiellsten
Grundlagen der Biologie. Wir müssen uns daher ernstlich fragen, ob
die tatsächliche Beteiligung der Fermente an dem Ablauf der Lebens-
erscheinungen den heute geltenden Anschauungen entspricht. Nicht
die qualitative Seite des Problems der endozellularen Fermente steht
zur Diskussion, sondern nur die quantitative Seite. In letzter Hin-
sieht aber werden wir vergeblich nach einer experimentellen Basis
suchen, die einen Anhaltspunkt für eine bestimmt zu formulierende
Auffassung bieten könnte.
126 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Inwieweit fermentative, inwieweit spezifisch vitale Prozesse zu-
sammenwirken, wir wissen es nicht, nicht in einem einzigen Falle.
Es kann ja freilich auf den ersten Blick scheinen, daß das Problem
die Grenzen unserer heutigen experimentellen Hilfsmittel überschreitet.
Eine solche pessimistische Auffassung erscheint mir unberechtigt;
die Lösung vieler Probleme der Biologie ist von der Auswahl eines
geeigneten Versuchsobjektes abhängig. So auch hier. Unter den höheren
Organismen bietet sich kaum eine geeignete Möglichkeit für entscheidende
Experimente, wohl aber unter den einzelligen Mikroorganismen. Wenn
man nach solchen Lebewesen, in deren Dasein den fermentativen Re-
aktionen eine besonders umfangreiche Rolle zugeschrieben wird, Um-
schau hält, so drängt sich uns neben Bakterien vor allem die Alkohol-
hefe auf, die schon bisher nach manchen Richtungen hin als Forsehungs-
objekt gedient hat, deren Geschichte gewissermaßen das allmähliche
Vordringen naturwissenschaftlicher Methodik auf die Gebiete biolo-
gischer Erkenntnis wiederspiegelt, angefangen von den Arbeiten eines
THENARD, Gay-Lussac, ScHwann, LieBig, PASTEUR bis auf die Zeit unsrer
Tage.
Um darzulegen, nach welcher Richtung uns die Alkoholhefe
gerade zur Lösung des gestellten Problems dienen kann, muß ich in
Kürze versuchen, die heute gültige Anschauung über die biologischen
Vorgänge in der Hefe an der Hand eines kurzen historischen Rück-
blicks darzulegen.
Die erste zusammenfassende Darstellung über das Leben der Hefe-
zelle verdanken wir Pasrzur. Er sah in der Alkoholgärung eine
Leistung der wachsenden Hefe, erzwungen durch die Sauerstoffentzie-
hung, bei Gegenwart von Sauerstoff sollte der Zucker glatt verbrannt,
im anaöroben Leben aber eine intramolekulare Verschiebung des Sauer-
stoffs unter Bildung von Kohlensäure und Alkohol eintreten. Aus
späteren Untersuchungen ScHÜTzENBERGES ging dann weiter hervor,
daß neben der Zuckerzerlegung den Wandlungen der N-haltigen Stoffe
Beachtung geschenkt werden müsse.
Pasteur dachte sich die Gärwirkung der Hefe mit deren Lebens-
prozeß, vor allem dem Wachstum, in Konnex, wenn schon er diesen
Gedanken nicht nach allen Richtungen konsequent durchgeführt hat;
später hatte dann Näsruı zwar den Beweis geliefert, daß die Sauer-
stoffentziehung nicht die Ursache der Gärwirkung sei, aber er folgte
den Spuren PAstrurs wenigstens in der Richtung, daß er die Gärung
als Wirkung der lebenden Substanz der Hefezelle auffaßte und diesen
Standpunkt vor allem auch gegen die von Trausz schon im Jahre
1858 aufgestellte Fermenttheorie, nach welcher der Alkohol durch
ein endozellulares, damals allerdings völlig hypothetisches Enzym
Ruswer: Endocellulare Fermente und Energieverbrauch der Zellen. 127
erzeugt werden sollte, verteidigte. Näszrı bemerkte, Fermente hätten
immer den Zweck, Nahrungsstoffe für die Zelle verwertbar zu machen,
ein Gärungsferment würde aber gerade das erzeugen, was der Zelle
selbst hinderlich sei. Fermentwirkungen verliefen auch, wie er meint,
stets unter Wärmebindung, während die Alkoholgärung gerade Wärme
zu liefern vermöge. Näeruı sah als Ursache der Gärung Molekular-
bewegungen an, die sich weithin im Umkreis der Zelle verbreiten und
den größten Teil des Zuckers vor dem Eintritt in die Zelle zersetzen
sollten. Außer der Gärung, meinte er, sei auch noch ein anderer Lebens-
vorgang, die Bildung von Glyzerin und Bernsteinsäure, vorhanden.
Nigerı war sich auch bereits bewußt geworden, daß die von PASTEUR
mit großem Nachdruck verfochtene Beziehung der Gärung zu dem
Wachstum der Hefezelle nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Sehen
wir nun von der molekular-physikalischen Gärungstheorie Näeruis als
solcher ganz ab, da uns hier nur die rein biologischen Gedanken über die
Art der Hefefunktion interessieren, SO wär für ihn zwar das Proto-
plasma gewissermaßen der Keil, der den Zucker spaltete, aber seine
Wirkung war größtenteils eine Fernwirkung selbst über die Grenzen
der Zelle hinausreichend, damit entfiel aber für den größten Teil
der Zuckerzersetzung die Möglichkeit einer energetischen Verwertung,
denn die außerhalb der Zelle frei werdende Wärme kann nun und
nimmermehr als nährend, d.h. in diesem Falle energieliefernd, in Be-
tracht kommen. So hat wohl Nigerı selbst für einen großen Teil
der Zuckerzerlegung eine mehr sekundäre Bedeutung, eine Sehutz-
wirkung in der Konkurrenz mit anderen Mikroorganismen, in Anspruch
genommen; es bleibt unsicher, inwieweit er den Zucker als Energie-
träger im modernen Sinne für die Zelle auffaßte, und welche Be-
deutung er den sonstigen Umsetzungen in der Hefe für deren Er-
haltung zusprach.
Die Anschauungen über das Leben der Hefe hab:n in neuester
Zeit nochmals eine prinzipielle Umänderung erfahren. Die schon I 858
von Trauer für die Hefe behauptete und auch später namentlich von
Horrr-Sryter auf die Vorgänge im Tierkörper und auf die Gärungen
im allgemeinen übertragene Fermenthypothese, welche die Anwesen-
heit von endozellularen Fermenten zur Voraussetzung hatte, ist durch
die wirkliche Darstellung des Alkoholgärungsfermentes und einer Reihe
ähnlicher Fermente bei anderen Mikroorganismen durch E. Buchner und
seine Mitarbeiter plötzlich zur allgemeinen Geltung gelangt.
Die alkoholische Gärung wird von vielen ausschließlich auf die
ı Auf die in jüngster Zeit von E. Bucuner gegebene Besprechung über die nähere
Art der Zuckerzerlegung braucht hier nicht näher eingegangen zu werden.
128 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
lebenden Zellsubstanz ist. Die neuere Auffassung läßt sich am besten
erkennen, wenn ich eine Darstellung zitiere (nach Larar, Bd. I, S. 22 I),
die sich in einem modernen Handbuch findet.
Die Gärungserscheinungen, heißt es, »sind also nicht... der Aus-
druck des Gesamtstoffwechsels der Gärungsorganismen, sondern sie sind
das Ergebnis der Wirkung eines bestimmten einzelnen Bestandteiles der
Zellen und können auch ohne diese selbst in allen Fällen hervorge-
rufen werden, in denen es gelingt, das spaltende Enzym in wirkungs-
fähigem Zustande abzuscheiden und für sich allein in Tätigkeit zu
bringen«. Die Gärung steht somit außerhalb des eigentlichen Zell-
lebens, ist eine Zerlegung von Substanzen, wobei aber weder das Material
noch das Spaltungsprodukt für die Zwecke des Zellaufbaues in großem
Maße herangezogen werden.
Unter dem Zwange einer teleologischen Betrachtung hat man sich
ziemlich allgemein einer ökologischen Theorie zugewandt, die schon
Nieeuı angedeutet hatte, und in der Gärung nur die Bildung von Schutz-
und Kampfstoffen der Hefe sehen will.
Diese gedrängte Darstellung zeigt uns, an welcher Stelle unsere
Untersuchungen einsetzen müssen.
Wenn die mächtige Alkoholgärung nur eine N ebenerscheinung des
Lebens der Hefe ist, so werden wir uns vom biologischen Stand-
punkte aus fragen müssen, was denn sonst in einem Organismus vor-
geht, der solche gewaltigen Umsetzungen nur zu seinem Schutze vor-
nimmt, der reichlichst Fermente bildet und alle Funktionen eines leben-
den Organismus unter lebhaftem Wachstum erfüllt.
Das Protoplasma eines Organismus kann nicht als eine im ruhenden
Gleichgewicht befindliche Masse betrachtet werden, das widerspricht
aller Erfahrung. Wo Leben ist und Lebensfunktionen sich äußern,
kann nur ein labiles Gleichgewicht vorhanden sein, das durch be-
sondere Ernährungsvorgänge mit einem genau für die Spezies und
die jeweiligen Leistungen fixierten Verbrauch von Stoff und Energie
unterhalten werden muß. Was geschieht denn in dem Protoplasma
der Hefezelle an solchen unerläßlichen Vorgängen? Worin besteht
Wir erfahren aus
| 2 em von größter Tragweite vor.
Wie ist es zu erklären, daß der eigentliche Lebensprozeß der Hefezelle,
das also, was das Räderwerk der Organisation im Betriebe hält, trotz
endloser Experimente bis Jetzt ganz unentdeckt geblieben ist, zum min-
desten aber mit der Gärung nicht in einem nähern Zusammenhange
steht? Nehmen wir aber die letztere Behauptung einmal als zu Recht
bestehend an, dann scheint mir der Weg zur Lösung, von den me-
Rusner: Endocellulare Fermente und Energieverbrauch der Zellen. 129
thodischen Schwierigkeiten abgesehen, doch ganz klar. Es müßte
sich dann der wahre Lebensprozeß in vollster Reine wahrnehmen
lassen, wenn man die Hefe in ganz zuckerfreien Nährlösungen be-
trachtet. Denn wenn sie den Zucker nicht vergärt, um davon zu
leben, sondern aus ökologischen Gründen nur zum Schutze gegen kon-
kurrierende Keime, so bietet die moderne Bakteriologie bequeme Mittel,
um die dem Leben der Hefe gefährliche Konkurrenz aus der Welt
zu schaffen.
Vielleicht aber will man behaupten, der eigentliche Lebensprozeß
der Hefe sei quantitativ im Verhältnis zur gewaltigen Gärung so
gering, daß man ihn aus Mangel an geeigneten Methoden nicht auf-
gefunden hat. Diese Annahme hält keiner berechtigten Kritik stand;
ihr steht unvereinbar die eine wichtige, leicht zu beweisende Tat-
sache entgegen, daß die Hefe unter geeigneten Bedingungen ein enormes
Wachstum aufweist, und wo Wachstum gegeben ist, muß auch ein
entsprechender Stoff- und Kraftwechsel sich nachweisen lassen. Das
zeigen nicht nur unsere Erfahrungen an allen möglichen Tierspezies,
hoch- wie niedrigstehenden, das zeigen auch unsere experimentellen
Erfahrungen an Bakterien, für welche ich die entsprechenden Tat-
sachen gesammelt habe.
Aus diesen rein biologischen Gründen, das kann man a priori
sagen, dürfen wir uns die wirklichen Lebensvorgänge der Hefe (die
Dissimilation) keineswegs von allzu geringer Größenordnung vorstellen.
Wie mag also wohl dieser noch unbekannte Kraftwechsel der
Hefezelle, der die zu ihrem Unterhalt nötige Energie liefert, beschaffen
sein? Welches sind die Stoffe, die als die Energiequellen anzusehen
sind? Und wie gestalten sich die Quantitätsverhältnisse?
Eine Antwort auf alle diese Fragen läßt sich mit aller Bestimmt-
heit geben. Der Weg dazu ist folgender:
Wir müssen, um einen Anfang zu machen, messen, wie groß der
Energieumsatz in einer Gärflüssigkeit oder, da ja auch Hefe ohne Gä-
rung untersucht werden kann, in einer Hefekultur überhaupt ist.
Hierfür steht uns in der von mir ausgebildeten Mikrokalorimetrie
ein völlig exakter Weg zu (Gebote.
Die Methode selbst habe ich schon vor mehreren Jahren publi-
ziert und zum Studium des Bakterienkraftwechsels und einiger die
Hefe betreffenden Fragen angewendet, deren Resultate hier mit verwen-
det werden sollen.
Wir sind mit aller Sicherheit und mit größter Schärfe in der
Lage, die von den Hefezellen produzierte Wärme zu messen, genau
so, wie wir etwa die Wärmeentwicklung beim Warm- oder Kaltblüter
zu messen pflegen. Da kein anderer Energieverlust als der von Wärme
130 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
in Frage kommt, so messen wir also auch den Gesamtenergieumsatz.
Es kann uns also kein mit dem Leben verlaufender thermischer Prozeß
entgehen. Die Genauigkeit der Messung ist leicht so weit zu treiben,
daß man noch die Entwicklung von 0.03 g/cal. während einer Stunde
auffinden kann, ja man kann nach Bedürfnis — für die Hefe liegt
ein solches nicht vor — die Methodik auf die zehnfache Empfind-
lichkeit verschärfen. Die vorher angegebene Grenze entspricht etwa
0,2 mg Zuckerumsatz pro Stunde bei der alkoholischen Gärung.
Es lassen sich daher auch mit größter Sicherheit neben den.
Beobachtungen an lebender Hefe solche an den Hefefermenten aus-
führen. Was aber neben der Schärfe des Nachweises der mikrokalori-
metrischen Methode die Überlegenheit vor den bisher angewandten
sichert, ist die Möglichkeit, in jedem beliebigen Zeitintervall, ohne
den Versuch zu unterbrechen, die Vorgänge in einer gärenden oder
mit Ferment beschickten Flüssigkeit verfolgen zu können, wodurch
sich eine ungeheure Erleichterung für die Pläne einer biologischen
Betrachtung ergibt, zumal die Hefe stets unter völlig normalen Lebens-
bedingungen gehalten werden kann.
Außer dem Energieumsatz benötigen wir unter Umständen der
Kenntnis des umgesetzten und vergorenen Zuckers; hierüber ist nichts
Weiteres zu sagen, denn die Methoden zu diesem Nachweis sind längst
bekannt und exakt.
Für den Nachweis, ob neben der Zuckerzerlegung bei der Gärung
noch eine andere Wärme- und Energiequelle vorhanden ist, bedürfen
wir weiterhin einer Feststellung der Wärmetönung des Zuckers bei
der Spaltung in die Produkte der Gärung. Man könnte daran denken,
zur Feststellung dieser Konstante eine Zerlegung des Zuckers durch
das Ferment der alkoholischen Gärung nach Tötung der Zellen vor-
zunehmen, dies empfiehlt sich vorläufig nicht; die Grundlagen können
aber aus einer rein thermochemischen Berechnung gewonnen werden.
Die alten Angaben über die Verbrennungswärmen sind dazu aller-
dings nicht zureichend, sie haben unter sich schon zu den differen-
testen Ergebnissen geführt.
Doch verfügen wir über eine Reihe modernerer Messungen be-
treffs der Verbrennungswärme des Zuckers und seiner Spaltungspro-
dukte, wie sie aus den bekannten Gärungsgleichungen zu entnehmen
sind. Daraus läßt sich die Gärungswärme mit genügender Sicherheit
theoretisch ableiten.
An der Hand aller dieser Messungen wird sich also feststellen
lassen, ob die in einem Gärversuch mit lebenden Zellen gefundene
Wärme sich mit jener Wärmemenge deckt, die sich aus dem Ver-
brauch an Zucker und den thermochemischen Konstanten für die Al-
Rusner: Endocellulare Fermente und Energieverbrauch der Zellen. 131
koholgärung ableiten läßt. Dabei sind dann nur zwei Fälle möglich:
entweder wir finden bei der Gärung mit der lebenden Hefe mehr
Wärme, als der Berechnung entspricht; dann könnte dieses Mehr ein
Ausdruck für den gesuchten bisher unbekannten Lebensvorgang der
Hefezelle sein, oder wir finden genau soviel Wärme, als der thermo-
chemischen Berechnung entspricht, dann müßte man annehmen, daß ein
solcher hypothetischer besonderer Stoffwechsel der Hefe überhaupt nicht
existiert. Nach diesem Plane bin ich vorgegangen und habe zahlreiche
nach den verschiedenen Lebensbedingungen variierte Gärversuche ange-
stellt, deren Resultate, soweit sie zahlenmäßiger Natur sind, schon an an-
derer Stelle berichtet worden sind (Arch. f. Hyg. Bd. XLIX, S. 355).
Ohne weiter in das Detail der Experimente einzutreten, berichte
ich kurz über die Ergebnisse. Die Versuche sind mit verschiedenen
Zuekerarten bei verschiedener Gärtemperatur, bei wachsender und nicht
wachsender Hefe, also unter Variation aller hier in Betracht kommen-
den biologischen Bedingungen, ausgeführt.
Für die Hexose erhält man auf Grund der modernen thermo-
chemischen Angaben pro ı Molekül als Spaltwärme für die Gärungs-
gleichung (also einschl. Glyzerin und Bernsteinsäurebildung) 25.6 kg/eal.
auf Grund meiner Messungen als direkte Gärwärme der lebenden Hefe
24.00 kg/cal. Dies kann als eine fast völlige Übereinstimmung gelten,
wenn man bedenkt, welch kleine Differenzen in der Bestimmung der Ver-
brennungswärme, und welche geringe Änderung etwa der »Gärungs-
formel« oder welch geringe Abweichungen vom mittleren Gärverlauf
dazu gehören, solche Unterschiede hervorzurufen.
Aus diesen Tatsachen ergibt sich mit absoluter Sicherheit, daß
in der gärenden Flüssigkeit, gleichgültig ob die Hefe wächst oder
nieht, ob viel oder wenig Hefe in Aktion tritt, ob schnelle Gärung bei
hoher Temperatur oder langsame bei niedriger Temperatur gegeben
ist, ob die Lösungen konzentrierter oder verdünnter sind, keine andre
Wärmequelle nachzuweisen ist, als der vergärende Zucker liefern kann.
Diesen Experimenten kann ich zur Kontrolle die Versuche anfügen,
welche mit Hefezellen, die einfach in Wasser oder in Peptonlösungen
gebracht worden waren, angestellt worden sind. Die Hefe liefert unter
solehen Umständen, abgesehen von minimalen Wärmemengen, die einer
sogenannten Nachgärung entstammen mögen, keinen weiteren Energie-
umsatz und fällt mehr oder minder rasch der Autolyse anheim. Die
Hefe zeigt nur normale Lebenserscheinungen, wenn sie Zucker zur
Verfügung hat. | |
Für den Biologen sind die Experimente in ihren Ergebnissen ein-
deutig und zwingend; da bei der Hefe kein andrer energetischer Vorgang
nachweisbar ist als die Zuekerspaltung, so muß der Gärprozeß ent-
- . Sitzungsberichte 1912. en
132 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
weder in seiner Totalität oder zum Teil die Energiequelle für das Leben
des Organismus der Hefe sein. Jedenfalls aber kann nicht aller Zucker
nur den Weg des fermentativen Zufalls gegangen sein, da hierbei stets
sofort die Wärme frei auftritt, letztere aber für die Zwecke des Organis-
mus nicht verwendbar ist. Wir setzen daher voraus, daß ein Teil des
vergorenen Zuckers unter dem Einfluß der lebenden Substanz, also vital,
zerfallen ist und so dieser die nötige Lebensenergie zugeführt hat.
Damit soll nicht gesagt sein, daß überhaupt neben der Zucker-
gärung nicht auch andere Stoffwechselvorgänge sich abspielen können ;
sicher nachzuweisen sind z. B. gewisse geringe Umänderungen stick-
stoffhaltiger Bestandteile, allein für die geti Beurteil
finden sich nicht.
Eine Scheidung in diese beiden Gruppen fermentativer und vitaler
A EU
5 WIUCHLISE
ich der Gärungs-
Natur ist, sogar leicht
Toluol abgetöteter Hefe nebenein-
ander gemacht werden. Erst durch diese Scheidung lassen sich dann
Russer: Endocellulare Fermente und Energieverbrauch der Zellen. 133
die biologischen Faktoren in ihrer Rückwirkung auf die Hefe mit aller
Schärfe studieren. Die Fermentwirkung erschöpft sich zumeist rasch
in den ersten Stunden der Gärung, bedingt namentlich den stürmischen
Beginn der letzteren und kann in dieser ersten Periode der Gärung
30 und 40 Prozent des gesamten Energiewechsels ausmachen. Ein be-
liebig aus meinen Versuchen herausgegriffenes Beispiel wird dies er-
läutern.
g/eal. in 2 Stunden.
Stunde Lebende Hefe Ferment Vitale Wirkung
12 791 295 496
3— 4 601 36 565
0 465 20 445
= 447 11 436
9—1I0 388 6) 388
Es widerstreitet kaum den Tatsachen, in dieser kräftigen Wirkung
des Ferments zu Beginn der Aussaat der Hefe ein Sehutzmittel der
letzteren gegen die Einnistung fremder Mikroorganismen in den Nähr-
lösungen zu sehen, um so mehr, als das Protoplasma erst nach einiger
Latenz zur vollen Gärkraft sich zu erheben scheint.
Der Nachweis einer vitalen Wirkung der Hefe bei der Gärung
erlaubt uns erst von einem spezifischen Energieverbrauch zu reden,
der sich dann mit dem Kraftwechsel anderer Organismen, und besonders
einzelliger Mikroorganismen, in Vergleich stellen läßt. Dabei zeigt sich,
daß die Hefe bei optimaler Temperatur in der Intensität ihres Energie-
verbrauchs sehr nahe mit den verwandten Bakterien übereinstimmt.
Die in der Einleitung aufgeworfene Frage über die Bedeutung
endozellularer Fermente kann hiermit als beantwortet gelten. Ich will
die gewonnenen Ergebnisse nicht allzusehr verallgemeinern. Aber
wenn wir hier bei dem typischsten Beispiel für den Nachweis endo-
zellularer Fermente und einer nur auf der Zuckergärung basierenden
Stoffwechselgleichung haben erkennen müssen, zu welch unberechtigten
Schlüssen der Mangel an quantitativer Messung führen kann, so werden
wir uns im übrigen in der Einschätzung der Bedeutung ähnlicher Bazyme
überhaupt eine sehr erhebliche Zurückhaltung auferlegen müssen .
ı Die ausführliche Publikation erfolgt im Archiv für Physiologie.
134 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Thermodynamik und spezifische Wärme.
Von W. NerNST.
Meines Wissens ist die Frage, ob die Erreichung des absoluten Null-
punktes der Temperatur experimentell realisierbar ist, noch wenig
diskutiert worden. Die allgemeine Annahme ist wohl fast überall die
gewesen, daß hier eine Unmöglichkeit vorliegt.
Nun ist kürzlich als ein experimentell neuartiges und früher
wohl kaum erwartetes Ergebnis hinzugekommen', daß die spezifische
Wärme fester Stoffe bei sehr tiefen Temperaturen verschwindend klein
wird, wobei wir hier und im folgenden unter »festen Stoffen« sowohl
kristallisierte Substanzen wie auch unterkühlte Flüssigkeiten (z. B. Quarz-
glas) verstehen wollen.
Unerwartet können wir dies Ergebnis nennen, weil es mit den
Anschauungen der klassischen kinetischen Theorie der Materie un-
vereinbar ist. Erst die Quantentheorie, die ja eine Reihe von Kon-
sequenzen der älteren kinetischen Theorie sozusagen durch einen Ge-
waltakt aufhebt, hat dies Resultat nicht nur verständlich gemacht,
sondern zugleich auch mit den Strahlungsphänomenen in enge Beziehung
gesetzt. Die betreffenden Betrachtungen von Pranck und Eısstem sind
jetzt wohl so allgemein bekannt, daß dieser bloße Hinweis hier ge-
nügen kann.
Für unsere Frage schafft der Umstand, daß die spezifische Wärme
bei tiefen Temperaturen nicht nur stark abfällt, sondern schon vor
Erreichung des absoluten Nullpunktes praktisch Null zu werden scheint,
und daß im Sinne der Quantentheorie die Wärmekapazität als Funktion
der Temperatur betrachtet, sogar Null von beliebig hoher Ordnung
werden soll, eine neue Situation. Wenn es einen festen Stoff gibt,
der bei adiabatischer Ausdehnung oder Kompression auch bei tiefen
Temperaturen sich abkühlt, so würde hiernach, wie wir weiter unten
sehen werden, die Erreichung des absoluten Nullpunktes sogar äußerst
leicht sein.
Nun werden wir aber zeigen können, daß, falls die Erreichung des
absoluten Nullpunktes durch endliche Volumenänderungen, durch end-
! Vgl.darüber z.B. Nernst, Ann. d. Physik [4] 36, 395 (igır).
Nerssr: Thermodynamik und specifische Wärme. 135
lichen chemischen oder elektrochemischen Umsatz oder irgendeinen
anderen Prozeß möglich wäre, der zweite Wärmesatz verletzt werden
würde. Daraus ergibt sich dann sofort der Schluß, daß die mit solchen
Prozessen verbundenen latenten Wärmen bei tiefen Temperaturen ver-
schwindend klein von höherer als erster Ordnung werden müssen, und
dies ist gerade der Inhalt des von mir aufgestellten Wärmesatzes.
Es ist nämlich in der Fundamentalgleichung
(1.) Pe
A-—U (= Differenz von maximaler Arbeit und Wärmetönung) die la-
tente Wärme; wird nun im Sinne meines Satzes
(2.) im 9, = 0 ar. 2740,
so muß in der Tat die latente Wärme von höherer als der ersten
Ordnung Null werden.
Wir werden also das Resultat erhalten, daß dieser Satz mit Not-
wendigkeit aus der experimentellen Tatsache folgt, wonach die spezi-
fischen Wärmen fester Stoffe bei tiefen Temperaturen verschwinden,
ein Ergebnis übrigens, das mir von vornherein zweifellos erschien".
Da mir aber von theoretischer Seite auf der Brüsseler Konferenz (» Con-
seil Solvay«) diese Beziehung kürzlich bestritten wurde, so erschien
eine eingehendere Untersuchung nützlich, und ich hoffe, daß die nach-
folgenden Betrachtungen geeignet sind, jeden Zweifel auf diesem Ge-
biete zu beseitigen.
$ 1. Über die Möglichkeit, aufdem Wege eines umkehrbaren
Kreisprozesses zu dem absoluten Nullpunkte zu gelangen.
Wir wollen uns vorstellen, daß es einen Kreisprozeß gäbe, bei
welchem die untere Isotherme (vgl. das beistehende in üblicher Weise
gezeichnete Diagramm) beim ab-
? soluten Nullpunkt verläuft. Wir
könnten uns etwa vorstellen, daß
“ ein fester oder flüssiger Körper
B bei der Temperatur AT sich ex-
© pandiert, während er mit einem
R Wärmereservoir in dauernder Be-
rührung erhalten wird; daß er
a u u pierauf von dem Reservoir ent-
136 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
fernt wird und sich adiabatisch so weit stärker expandiert, bis er
zum absoluten Nullpunkt sich abkühlt. Sodann wird er beim absoluten
Nullpunkt komprimiert, schließlich durch eine unendlich kleine Zufuhr
äußerer Arbeit unendlich wenig erwärmt, so daß es möglich wird, ihn
durch adiabatische Kompression wieder auf die Temperatur AT und
das ursprüngliche Volumen zu bringen.
Bei einem derartigen umkehrbaren Kreisprozeß würde nun eine
gewisse endliche äußere Arbeit geleistet werden, die durch den Inhalt
des von den 4 Kurven begrenzten Flächenstückes gegeben ist; da auf
den Kurvenstücken BC und DA keine Wärme aufgenommen wird, und
da nach Gleichung (1.) auch auf dem Kurvenstück CD wegen Ver-
schwindens der latenten Wärme beim absoluten Nullpunkte keine Wärme
aufgenommen werden kann, so folgt also, daß die äußere Arbeit auf
Kosten der dem Wärmereservoir von der vielleicht ungeheuer niedrigen,
aber immerhin noch endlichen Temperatur AT entnommenen Wärme
geleistet werden muß. Da dies aber dem zweiten Hauptsatze wider-
spricht, so gelangen wir zu der Schlußfolgerung:
Es darf keinen in endlichen Dimensionen verlaufenden
Prozeß geben, mit Hilfe dessen ein Körper bis zum absoluten
Nullpunkte abgekühlt werden kann.
Dieser Satz ist vielleicht deshalb bisher noch nie besonders betont
worden, weil es unter der früher allgemein üblichen Annahme, daß die
spezifische Wärme auch bei beliebig tiefen Temperaturen endlich bleibt,
von vornherein klar zu sein schien, daß eine Erreichung des absoluten
Nullpunktes nicht möglich wäre. Da, wie schon erwähnt, die latenten
Wärmen nach dem zweiten Wärmesatze bei sehr tiefen Temperaturen
unendlich klein werden, so erschien es ohne weitere Rechnung selbst-
verständlich unmöglich, den auch bei tiefsten, aber endlichen Tempera-
turen immer noch endlichen und der Temperatur (annähernd) proportio-
nalen Wärmeinhalt einem Körper zu entziehen.
In eine ganz andere Beleuchtung aber wird die Frage gerückt, wenn
wir die Voraussetzung einführen, wonach in dem allgemeinen Ausdruck
für die spezifische Wärme
(3.) . era + tt...
nicht nur c,, sondern auch höchstwahrscheinlich die Koeffizienten der
folgenden Glieder sehr klein werden. Wir werden übrigens im folgenden
mit der Voraussetzung auskommen, daß nur das erste Glied der rechten
Seite der Gleichung ( 3.) verschwindet: wenn wirklich, wie es die von
LinDEmAnn und mir gefundene Formel verlangt, sogar alle Koeffizienten,
die mit endlichen Potenzen von T multipliziert werden, verschwindend
klein sind, so gelten die nachfolgenden Betrachtungen lediglich a fortiori.
Nernsr: Thermodynamik und speeifische Wärme. 137
$2. Adiabatische Kompression fester Körper.
Die Theorie dieses Vorganges ist bekanntlich leicht zu entwickeln.
Gleichung (1.) lieferte hierfür
(4.) ae Fi
Die zugeführte Wärme beträgt nach dem ersten Wärmesatze
oU
Q = C,dT +7 do+pdv;
durch Kombination der beiden letzten Gleichungen ergibt sich für die
: adiabatische Kompression oder Dilatation O =0);
op
o= (,dT+T 7500.
Setzen wir nun allgemein für den Spannungskoeffizienten
(5-) r— a,+a,T+4,T’+:--,
so folgt
dT 2 a,+aT+ N
Fa ee
Für tiefe Temperaturen wird also
— dl dr,
a
d.h. es entspricht auch bei den tiefsten Temperaturen einer endlichen
Volumenänderung auch eine endliche Abkühlung, wobei man sich
natürlich die Volumenänderung in dem Sinne abspielend denkt, in
welchem sie mit Wärmeabsorption verbunden ist. Dies bedeutet aber
nichts anderes, als daß die Erreichung des absoluten Nullpunktes
durchaus möglich wäre.
Dies Resultat wird verhindert, wenn
(6.) a,=0
ist; dann wird nämlich
2, AL
(7.) Ar= . Ta
d.h. es bedarf einer unendlich großen Volumenänderung, um von
einer beliebig kleinen, aber endlichen Temperatur AT bis zum abso-
luten Nullpunkte 7= 0 zu gelangen. Die Folgerung a, = 0, wonach
der Spannungskoeffizient bei tiefen Temperaturen verschwindet, läßt
sich aber auch unmittelbar aus meinem Wärmesatze (vgl. Gleichung 2
138 Sitzung der/physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
und 4)ableiten', und zwar ist sie nichts anderes, als der Ausdruck meines
Wärmesatzes für den in diesem Abschnitte betrachteten Vorgang. Es
läßt sich mit anderen Worten für diesen Fall mein Wärmesatz ein-
fach aus der experimentell wohl bereits vollkommen sichergestellten
Tatsache beweisen, wonach die spezifischen Wärmen fester Körper
bei sehr tiefen Temperaturen verschwinden. Es leuchtet wohl jetzt
bereits ein, daß dies Resultat für jeden beliebigen Prozeß gelten wird.
S 3. Stofflicher Umsatz.
Das obige Resultat gewinnen wir für diesen Prozeß in folgender
Weise.
Wenn nach Voraussetzung für alle reagierenden Stoffe
ne,
wird, so liefert Gleichung (1.) für die latente Wärme bei tiefen Tem-
peraturen
A—U=CT
(C die Integrationskonstante). Betrachten wir, um die Ausdrucksweise
zu erleichtern, einen beliebig einfachen Fall, etwa die Umwandlung
von Graphit in Diamant, und nehmen wir an, um die Ideen zu
fixieren, daß C eine positive Größe sei. Dann würde mit dem rever-
siblen Umsatz dv die Wärmeabsorption C'Tdv verknüpft sein, und wir
bekommen für die adiabatische Umwandlung,
CTdav+(aT+bT’+..)dT=o,
oder integriert, bei hinreichend tiefen Temperaturen
a
Aav=-—-(T—T):
B ( 2 a b3
d.h. schon bei einem unendlich kleinen Umsatz dv
lute Nullpunkt erreicht werden,
ausgeht.
würde der abso-
wenn man von der Temperatur dT'
Setzen wir jedoch im Sinne meines Wärmesatzes
50,
so folgen die Gleichungen
A=A—aT:,
U=A-+aT’;
die latente Wärme würde also bei tiefen Temperaturen
a A— U= — 24T:
L.Vgh darüber ee, Thermodynamik, II. Aufl. (tg11), und N
30.
phys. chim. ıgır, S. 2 ron
Nernsr: Thermodynamik und specifische Wärme. 139
werden, und es folgt, wie oben,
18
(8.) A, u
24
d.h. der absolute Nullpunkt (T, = 0) ist durch einen endlichen Stoff-
umsatz nicht zu erreichen. Umgekehrt läßt sich natürlich, wenn wir
diesen letzteren Satz als richtig annehmen, mein Wärmetheorem auch
für diesen Fall ableiten.
Als allgemeines Prinzip, aus dem mein Wärmesatz sich ergibt,
können wir also hinstellen:
Es ist unmöglich, durch irgendwelche stoffliche Ver-
änderungen von einer selbst beliebig tiefen Temperatur bis
zum absoluten Nullpunkt zu gelangen.
Dies Resultat ist gewiß merkwürdig, weil anderseits dadurch,
daß die spezifische Wärme der festen Körper bei tiefen Temperaturen
so überaus klein wird, eine gewaltige experimentelle Erleichterung
gegeben ist, sich dem absoluten Nullpunkt möglichst weitgehend zu
nähern.
Im Sinne der Quantentheorie besteht der Wärmeinhalt fester Kör-
per bei sehr tiefen Temperaturen darin, daß fast alle Atome ruhen
und nur einige ganz wenige mit bestimmten Energiequanten versehen
um ihre Ruhelage rotieren. Der obige Satz würde sich von diesem
Standpunkte aus also auch so aussprechen lassen: es ist nicht mög-
lich, einem festen Stoff die letzten Energiequanten zu entziehen.
Betrachten wir, was für manche Zwecke erlaubt ist, die schwin-
genden Atome als in verdünnter Lösung befindlich, wobei die ruhenden
Atome das Lösungsmittel bilden'!, so erscheint die erwähnte Folgerung
als völliges Analogon zu dem bekannten Satze: es ist nicht möglich,
einer Lösung die letzten Spuren gelöster Substanz zu entziehen (Heın-
HOLTZ).
$ 4. Einige andere Prozesse.
Daß weder mit Hilfe der Verdampfung noch mit Hilfe der Wärme-
strahlung ein Körper bis zum absoluten Nullpunkt gebracht werden
kann, im letzteren Falle etwa dadurch, daß wir einen auf beliebig
tiefe, aber endliche Temperatur abgekühlten festen Körper in einen
sich beliebig stark, aber natürlich nur endlich sich vergrößernden ideal
_ spiegelnden Hohlraum bringen, ist ohne Rechnung klar. Dampfdruck
sowohl wie Strahlungsdichte, geliefert von einem monochromatisch
strahlenden Stoffe, werden bei sehr tiefen Temperaturen klein von
unendlich hoher Ordnung.
ı Nersst, Physik. Zeitschr. 12, 976 (1911).
140 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912,
Von sonstigen Vorgängen wäre wohl nur noch an den Peltier-
effekt zu denken. In diesem Falle könnte die Schlußweise an Sicher-
heit verlieren, wenn etwa die Wärmeleitung beim absoluten N ullpunkt
unendlich groß werden sollte. Dies ist nun erstens nicht wahrschein-
lich, und zweitens sind wohl allgemein thermodynamische Schluß-
folgerungen von dem absoluten Betrage physikalischer Eigenschaften,
welche die Zeit enthalten, unabhängig. Somit können wir wohl mit
großer Sicherheit schließen:
Der durch die absolute Temperatur dividierte Peltiereffekt wird
bei sehr tiefen Temperaturen von gleicher Ordnung unendlich klein,
wie die spezifische Wärme.
Ich habe diesen Schluß bereits kürzlich', von andern Gesichts-
punkten geleitet, gezogen, doch mußte ich die frühere Schlußfolge
als nicht völlig bindend bezeichnen. Jetzt haben wir dies Resultat
als Ergebnis meines noch etwas verallgemeinerten Wärmesatzes er-
halten.
Zusammenfassung.
Von der experimentellen Tatsache ausgehend, daß die spezifische
Wärme fester Körper bei tiefen Temperaturen gegen Null konvergiert,
wurde gezeigt, daß der vom Verfasser aufgestellte Wärmesatz auch
folgendermaßen formuliert werden kann:
Es ist nicht möglich, durch in endlichen Dimensionen verlaufende
Prozesse einen Körper bis zum absoluten Nullpunkt abzukühlen.
Auf diesem Wege wurde einerseits eine wohl zwingende experi-
mentelle Begründung des erwähnten Wärmesatzes gewonnen, ander-
seits eine Fassung gefunden, die ihn noch etwas erweitert und z.B.
auch auf den Peltiereffekt anwendbar macht.
I Nernst a.a.0.
A. Euckex: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 141
Die Molekularwärme des Wasserstofis bei tiefen
Temperaturen.
Von Dr. A. Eucken.
(Vorgelegt von Hrn. Nerxsr.)
ı. Die neueren Untersuchungen des Energieinhalts fester Körper
sowie der Gesetze der schwarzen Strahlung haben ergeben, daß die
Grundlagen der klassischen Molekularmechanik (Gesetz von der gleich-
mäßigen Energieverteilung) sich nicht aufrechterhalten lassen, und haben
in der Aufstellung der Energiequantenhypothese vorläufig ihren theore-
tischen Ausdruck gefunden. Zwar gilt die Energiequantenhypothese
zunächst nur für schwingende Gebilde mit einer ausgesprochenen Eigen-
frequenz (z. B. für die Atome eines festen Körpers), doch wies Nerxst'
darauf hin, daß die Betrachtungen in geeigneter Modifikation not-
wendigerweise auch auf andere Energieformen, insbesondere auf die
Rotationsenergie gasförmiger Moleküle zu übertragen seien. Es ließ
sich bereits qualitativ mit Sicherheit voraussagen, daß auch der durch
die Rotationsbewegung bedingte Anteil der Molekularwärme eines Gases
einen Abfall bei tiefen Temperaturen zeigen muß, der indessen nach
den bisherigen Berechnungen als weniger steil als bei festen Körpern
zu erwarten war. Wegen seiner geringen Masse (hohen Umdrehungs-
zahl) war am ehesten, d.h. noch bei bequem erreichbaren Temperaturen,
ein Abfall der Molekularwärme des Wasserstoffs vorauszusehen.
Was das bisherige experimentelle Material anlangt, so zeigt ein
Vergleich der gefundenen Werte der Molekularwärme für Luft mit
denen für Wasserstoff, daß Wasserstoff bereits bei Zimmertemperatur
eine merklich kleinere Molekularwärme als Luft besitzt. Hr. Prof. Nerst
stellte mir hierüber folgende Ausführungen gütigst zur Verfügung:
»Der Wert der Molekularwärme der Luft ist für Zimmertemperatur
von Keuter? aus den bisherigen Messungen wie aus denen der Schall-
geschwindigkeit zu 4.90 (auf konstantes Volumen umgerechnet) er-
ı Zeitschr. f. Elektrochem. 17, 270 und 825 (191 1).
2 Dissertation Berlin 1910.
142 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
mittelt worden; ich selber möchte aus der bisherigen Literatur einen
etwas höheren Wert, nämlich 4.92, für richtiger halten.
Reenaurt, P. A. MÜLLer, Lummer und Prisesueim, alles Beobachter,
deren Zahlen besonderes Vertrauen verdienen, finden nach ganz ver-
schiedenen Methoden für Sauerstoff einen etwa ı Prozent höheren Wert
als für Luft, so daß für dieses Gas 4.97 folgen würde.
Dies ist aber praktisch genau der für starre Moleküle geforderte
Wert (5/», R= 4.963); daß Luft einen etwas (etwa 0.5 Prozent) kleineren
Wert besitzt, war übrigens wegen ihres Argongehaltes zu erwarten.
Und daß beide Werte dem theoretischen äußerst nahekommen müssen,
folgt daraus, daß die spezifische Wärme der Luft von der Temperatur
innerhalb weiter Grenzen unabhängig ist. Es ist ein Temperatureinfluß
von — 200° bis + 200°, wenn die Luft auf den idealen Gaszustand re-
duziert wird, bisher wohl kaum mit Sicherheit nachgewiesen worden.
Für die Molekularwärme des Wasserstoffs hingegen finden sowohl
ReesavLr wie E. Wıepemann merklich (1.2 bzw. 1.4 Prozent) kleinere
Werte als für Luft (bezogen auf konstanten Druck); auf konstantes
Volumen umgerechnet würde im Mittel C, für Wasserstoff also 4.92
(1—0.018) = 4.83 betragen. Zu genau dem gleichen Ergebnis führen
auch die Versuche von Lunmer und Prisesuem. Auch Pier! konnte
aus seinen Explosionsversuchen schließen, daß Wasserstoff einen merklich
kleineren Wert der Molekularwärme als Luft besitzt (4.75 gegen 4.90,
somit 4.77 gegen 4.92). Doch beziehen sich diese Messungen aller-
dings auf die mittlere spezifische Wärme zwischen Zim
und hohen Temperaturen.
Als wahrscheinlichster Wert folgt wohl für Wasserstoff 4.82 bei
Zimmertemperatur.
Angesichts des Umstandes, daß sich die ganz verschiedenartigen
Messungen gegenseitig so vortrefflich kontrollieren, möchte ich die
oben für Luft, Sauerstoff, Wasserstoff (4-92, 4.97, 4.82) gewonnenen
Werte für auf etwa 0.5 Prozent sicher ansehen.«
Bei tiefen Temperaturen liegen noch keine direkten Messungen
der Molekularwärme des Wasserstoffs vor, doch ließ sich aus dem
experimentell bekannten Temperaturverlauf (von 80° abs. aufwärts)
der Wärmeleitfähigkeit (k) und des Reibungskoeffizienten (r), mit denen
die spezifische Wärme C durch die Formel
mertemperatur
k = konst. Cy
verknüpft ist, bereits mit eini
ger Wahrscheinlichkeit eine starke Ab-
nahme der Molekularwärme
des Wasserstoffs voraussagen’. Durch
' Zeitschr. f. Elektrochem. 15, 537 (1909).
” A. Eucken, Phys. Zeitschr. 12, rıor (1grı).
A. Euckex: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 143
die im folgenden mitgeteilten Versuche wird diese Vermutung be-
stätigt und der Temperaturabfall der Molekularwärme des Wasser-
stoffs nunmehr quantitativ möglichst genau festgestellt.
2. Die Untersuchung der Temperaturabhängigkeit der spezifischen
Wärme des Wasserstoffs erfolgte mit Hilfe einer Apparatur, die auf
dem gleichen Prinzip beruht wie die von Nersst' für feste Körper
verwendete: In einem kleinen, dünnwandigen, thermisch möglichst
isolierten Stahlgefäß befindet sich komprimierter Wasserstoff. Durch
elektrische Heizung wird dem Gefäß eine bestimmte Wärmemenge
zugeführt. Die Temperaturmessung erfolgt durch einen Platinwider-
standsdraht. — Das verwendete Stahlgefäß war aus bestem nahtlosen
Stahlrohr ("/; mm Wandstärke) durch Auflöten von zwei passenden
Stahlkappen hergestellt, sein inneres Volumen betrug 39 eem, sein
Gewicht 40o g. Zum Einfüllen des Gases diente eine Neusilber-
kapillare von 0.9 mm äußerem und 0.4 mm innerem Durchmesser,
ihre Länge betrug bis zum Einfüllventil 30 em; das Volumen der
Kapillare war somit gegen das des Gefäßes zu vernachlässigen, und
die Messung lieferte daher direkt C, die spezifische Wärme
bei konstantem Volumen. Zum Heizen wurde ein dünner Kon-
stantandraht von etwa 500 ® Widerstand benutzt; der Widerstand
les Platindrahtes betrug 300—350 2 bei 0°. Die Trennung von Heiz-
und Thermometerdraht macht die ganze Anordnung nur wenig kom-
plizierter; da indessen der Widerstand des Konstantandrahtes sich
zwischen + 20° und 273° abs. praktisch nicht ändert, vereinfacht sich
die Handhabung der Apparatur (z. B. braucht während des Heizens die
Spannung bzw. der Widerstand nicht nachreguliert zu werden), wo-
dureh indirekt ein Gewinn an Genauigkeit erzielt wird. Die beiden
Drähte waren um den zylindrischen Teil des Stahlgefäßes einfach
herumgewicekelt und mit Hilfe eines Farblackes festgekittet, der zur
elektrischen Isolation und gleichzeitig zur Herstellung eines guten
thermischen Kontaktes diente. Das Stahlgefäß befand sich in einem
evakuierbaren Glasgefäß; die Neusilberkapillare wurde durch eine mit
Siegellack zugekittete Glaskapillare eingeführt”.
Bei einer Reihe von Versuchen, die in einem konstanten Tempera-
turbad vorgenommen werden konnten (Tabelle ı), war das Stahlgefäß
mit innen gut geschwärzter, außen blanker Silberfolie umgeben. Man
erreichte hierdurch eine sehr erhebliche Verminderung des Tempera-
turganges; da indessen die Silberfolie, wenigstens bei tiefen Tempe-
raturen (80° und 90°), nur in schlechtem Wärmekontakt mit dem
1 Diese Ber. ıgro, S. 262; Ann. d. Phys. (4) 36, 395 (1911).
2 Hrn. Prof. von WArTENBERG bin ich für seine Beihilfe bei den Vorarbeiten zu
den Versuchen, insbesondere bei der Herstellung des Stahlgefäßes zu Dank verpflichtet.
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Tabelle ı.
Molekularwärme des Wasserstoffs bei 273°1, I95°, 91° und 82°.
144
U RIRERBDRRICHE des ag MOekRlar-
a . en ee
leer mit H, gefüllt des H,
- 5.159 5.636 | 0.0966 4.94
ee { 5.051* 5.851 0.1661 4.81
199 | 4.400 4.883 0.1095 4.41
194 4.524° 5.275 0.1710 4.39
3-481 0.3550 3.44
3.112 0.2513 3.39
91 2.260 2.978 0.2132 3237
2.744 0.1453 3-33
2.697 0.1315 3.32
1.986 2.387 0.1268 3.30
a | 1.914* 2.520 0.1836 3.30
* Mit der darüberstehenden Zahl nicht vergleichbar.
Tabelle 2.
Molekularwärme des Wasserstoffs zwischen 35° und 110°.
| Wärme- Wärme- Wärme-
‚Wärme kapazität kapazität kapazität
| - u leku-
ı kapazität | des Gefäßes es des Gefäßes . des Gefäßes zu ag n
| des Gefäßes mi en rme u arwärme ie arwärm
| deer) 0.1909 vr 0.1794 des H, 0.1040 des Hs
Mol. H, Mol. H, Mol. H,
31 2 0310 0.963 3-42 _ _ 0.644 3.20
05 | 0.420 1.046 3.28 — — 0.751 3.18
4 | 0.567 1.197 3.30 1.155 3.28 0.893 3.135
50 | 0.735 — — — = 1.061 3.135
60 | 1.085 — -- —_ — 1.406 3.09
65 | 1.268 1.881 3.21 — — 1.595 3.145
70 1.459 2.082 3.26 Eu — 1.788 3.165
0.2585 0.1295
Mol.H, Mol. H,
80 1.839 2.690 3.29 2.287 3.23 2.472 3.20
85 2.020 2.884 3.34 2.443 3.27 2.365 3.32
90 2.190 3.075 3.42 2.618 338 _ —
100 2.517 3-458 3.64 2.953 3-37 er =
110 2.811 3.800 3.82 3.280 3.04 _ —
Stahlgefäß stand, dauerte es verhältnismäßig lange, bis der Tempera-
turgang konstant wurde. Ließ man die Silberfolie fort, so stellte
sich bereits etwa ı’ nach Unterbrechung des Heizstromes der konstante
Temperaturgang ein, doch war derselbe nunmehr beträchtlich größer,
so daß keine Messungen bei höheren Temperaturen mehr damit an-
gestellt werden konnten. Bei der Temperatur der flüssigen Luft hob
A.Evckex: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 145
sich der Nachteil der Vergrößerung des Ganges gegen den Vorteil
der rascheren Einstellung etwa auf.
Von Wichtigkeit war die rasche Einstellung für Messungen bei
Zwischentemperaturen. Diese gelangen, indem man das äußere Glasgefäß
nicht vollständig in die betreffende Badflüssigkeit eintauchen ließ. Dann
wurde von oben her Wärme zugeleitet (durch die Kapillare usw.)
und zugestrahlt, während sie nach unten abgegeben wurde. Das
Gefäß befand sich somit in einem Temperaturgefälle; dabei war bei
gutem Vakuum und tiefen Temperaturen die im stationären Zustand
durchströmende Wärmemenge so gering, daß sich das Stahlgefäß
praktisch vollständig auf gleichförmiger Temperatur befand. Indessen
ließ sich bei diesen Messungen (Tabelle 2) in der Regel kein ganz
konstanter Temperaturgang erzielen, da das Niveau der Badflüssigkeit
durch die Verdampfung dauernd im Sinken begriffen war. Da sich
aber die Wärme sehr rasch ausglich, war die hierdurch bedingte
Unsicherheit nur gering. Die tiefsten Temperaturen wurden mit Hilfe
von flüssigem Wasserstoff hergestellt; zu einer einzelnen Messungs-
reihe wurde etwa ein halbes Liter gebraucht.
Die elektrische Energie wurde einer Akkumulatorenbatterie ent-
nommen, deren Spannung mit Hilfe eines empfindlichen Nullinstru-
ments gegen eine Anzahl von Westonnormalelementen abgeglichen
war und stets nachreguliert wurde; die Berechnung der Energie er-
folgte aus Spannung und Widerstand.
Der Widerstand des T hermometerdrahtes wurde mit Hilfe einer
Wheatstoneschen Brückenanordnung (Spiegelgalvanometer als Nullin-
strument) gemessen.
Aus den Widerständen des Platindrahtes wurde nach der von
Nersst! angegebenen Tabelle die Temperatur berechnet. Eine Wider-
standsmessung bei der Temperatur des flüssigen Wasserstofis ergab,
daß die für den benutzten Platindraht geltende Korrektionsgröße «
(in bezug auf die obenerwähnte Tabelle) den Wert 0.0138 hat. Die
Temperatur des flüssigen Sauerstoffs wurde dann nach den Angaben
des Widerstandsdrahtes mit befriedigender Genauigkeit ("/r0°) angezeigt.
— Befand sich in dem Stahlgefäß komprimiertes Gas, so stieg infolge
der Dehnung des Gefäßes und des Drahtes der Widerstand. Diese
Korrektion machte einige '/ıo-Grade aus, ihre Größe wurde bei ver-
schiedenen Temperaturen ermittelt.
3. Obgleich die Versuchsbedingungen infolge der verhältnismäßig
großen Oberfläche des Stahlgefäßes ungünstig waren, gelang es trotz-
dem, eine für den vorliegenden Zweck ausreichende Genauigkeit zu
erzielen. Die in den Tabellen ı und 2 angegebenen Mittelwerte, die
1 Ann. d. Phys. (4) 36, 405 (19! 1).
146 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
wegen der starken Temperaturveränderlichkeit der Wärmekapazität des
Gefäßes graphisch ermittelt wurden, sind aus einer größeren Anzahl
von Einzelversuchen entstanden; z. B. wurde zur Festlegung der Wärme-
kapazität-Temperaturkurve des leeren Gefäßes zwischen 30° und 110°
(Tabelle 2) 48 Einzelversuche angestellt. Die in den Tabellen enthal-
tenen Werte für die Wärmekapazität dürften bei den meisten Tempe-
raturen auf ı bis 2 Promille sicher sein; Abweichungen der Einzelver-
suche > 0.5 Prozent kommen nur vereinzelt vor. Da bei der Tempe-
ratur der flüssigen Luft die Wärmekapazität des mit Wasserstoff gefüllten
Gefäßes durchschnittlich um 20 bis 40 Prozent größer als die des leeren
(Gefäßes war, würde der Molekularwärme des Wasserstoffs eine Unsicher-
heit von weniger als ı Prozent zuzuschreiben sein; bei tieferen Tempe-
raturen liegen die Verhältnisse weit günstiger, bei höheren ungünstiger.
Zu dem durch die Differenzmessung zweier Wärmekapazitäten mög-
lichen Fehler kommen noch systematische Fehler (z. B. Unsicherheit
des Temperaturkoeffizienten des Widerstandsdrahtes, Fehler bei der
Analyse des H,), deren Summe indessen gleichfalls ı Prozent keinesfalls
übersteigen wird. Am genauesten (vermutlich genauer als ı Prozent)
sind die Versuche bei 91° (fl. Sauerstoff), am wenigsten genau die-
jenigen bei 100° und 110°, verhältnismäßig unsicher sind ferner die
Versuche zwischen 190° und 200°.
4. Aus Tabelle ı und 2 ist deutlich zu erkennen, daß bei tiefen
Temperaturen die Molekularwärme des Wasserstoffs mit abnehmender
Dichte kleiner wird. Die Größe der Veränderlichkeit der Molekular-
wärme ist aus den Versuchen bei 91° (Tabelle ı) und denen bei 36°
(Tabelle 2) — in der Nähe dieser Temperatur wurden im ganzen sechs
Messungen gemacht — mit einiger Genauigkeit angebbar. Bei den
dazwischen liegenden Temperaturen sind die Versuche zu wenig zahl-
reich und daher die angegebenen Werte nicht genau genug, um für
Jede Einzeltemperatur die Dichteabhängigkeit der Molekularwärme direkt
feststellen zu können. Doch läßt sich aus der Gesamtheit der Ver-
suche zwischen 35° und 91° für Jene Korrektion eine kontinuierliche
Zahlenreihe ableiten (Tabelle 4, 2. und 3. Spalte), deren Anwendung
auf die Einzelwerte zu keinerlei Widersprüchen führt und daher an-
genähert richtig sein dürfte.
Thermodynamisch läßt sich die Dichteabhängigkeit der spezifischen
Wärme durch die Differentialgleichung: |
°C, 0°»
dv oT,
darstellen. Ist daher die Zustandsgleiehung des Gases genau bekannt,
so ist die Dichteveränderlichkeit von C, zu berechnen. Geht man von
” .. r ” * ” Ehren ud
A. Evucken: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 144
einer für reale, verdünnte Gase sehr gut bestätigten Zustandsgleichung
aus, die sich von der vaw per Waarsschen durch ein Glied von der
Gestalt
a a
Tr statt — unterscheidet, so gelangt man nach D. BerrueLor'
Eu 2
BR Ep. Eh er,
worin E das mechanische Wärmeäquivalent, R die Gaskonstante, (,
die Molekularwärme bei der Konzentration c, ©, die im idealen Gas-
zustand, p, den kritischen Druck, T; die kritische Temperatur bedeutet.
Führt man statt p die Konzentration c (Mol/Liter) ein, setzt für Wasser-
stoff die von Orszewskı gefundenen kritischen Daten (p, = 20 Atm.,
T,= 28°5) ein und zieht die Zahlenfaktoren zusammen, so erhält
man:
zu der Beziehung:
1
G,—(C, =1.6- 10 7°
Nach dieser Beziehung ist in Tabelle 3 die vierte Spalte berechnet
(für c—= 5). Die Übereinstimmung zwischen der dritten und vierten
Spalte ist bei höheren Temperaturen befriedigend, da indessen die
kritischen Daten des H, nicht hinreichend sicher bekannt sind, ist
der Übereinstimmung kein allzu grosser Wert beizumessen. Bei sin-
kender Temperatur ergibt die Formel eine größere Korrektion als die
Beobachtung, hier gelangt man offenbar außerhalb des Gültigkeitsbe-
reiches der zugrundeliegenden, nur für schwach komprimierte Gase
geltenden Zustandsgleichung.
Tabelle 3.
Reduktion von C, auf den idealen Gaszustand.
Durchschnittswerte Berechnet
T nach Tabelle ı und 2 nac
0,0 D. BERTBELOT
100 me C; —(0o (kal.) Os Bon (kal.)
35° 14-5 0.45 0.65
40 ı1 0.33 0.50
45 9.5 0.28 0.40
50 8 0.24 0.32
60 6.3 0.20 0.22
70 5.04 0.16 0.16
80 4.0 0.13 0.13
90 3.2 0.11 0.10
! Sur les Thermomötres a Gas. Paris. 1903.
Sitzungsberichte 1912. 11
148 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Tabelle 4.
Molekularwärme des H, im idealen Gaszustande.
E Mittel
368 2.99 = 2.97 2.98
| 40 2.96 — 3.00 2.98
| 45 3.02 3.01 2.98 3.00
nach 50 _ — 3.01 3.01
Tabelle 2 60. —_ Fr 2.99 2.99
| 65 3-04 ar 3.05 3.04
70 3.11 — 3.08 3.10
80 3,13 3.15 3.13 3.14
Tabelle ı 82 3.18 3.21 — 3.19
f 85 3.19 3.19 3.25 3.21
ee t 90 3.28 3.24 ar 3.26
.25 3,3% 3.2
Tabelle ı 3 N 3.25
2 il, 2 3.25 =
fi 100 3.49 3.30 — 3.42
Zen 2 | 110 3.66 3.54 _ 3.62
Fabelle ı fi 96-5 4.40 4.38 ni 4:39
U 273.1 4.94 4.80 _ 4.84
5. Reduziert man nach Tabelle 3, zweite Spalte, die in Tabelle
ı und 2 angegebene Molekularwärme auf den idealen Gaszustand, so
gelangt man zu Tabelle 4; bei der Bildung der Mittelwerte wurde
den Versuchen mit höherem Wasserstoffgehalt des Stahlgefäßes ein
entsprechend höherer Wert beigemessen. Die gefundenen Zahlen sind
in der Figur durch Kreuze bezeichnet; die ausgezogene Kurve gibt
den tatsächlichen, zur Zeit wahrscheinlichsten Verlauf der Molekular-
wärme des Wasserstoffs wieder. Es zeigt sich, daß bald unterhalb
273° der steile Abfall beginnt, bei etwa 140° ist der veränderliche
r.
» | j | | | |
rd
x | | | | a
® |Miztel pr Lärapirwprten | I Ba
N a a
| a ee
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ERST - Lindemann Le
4 a = 4
j a ee
2 u
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25 RER E
7 ge
es 1
RE
a
a 2 Bee 7 z 2 2 o
A. Evckex: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 149
Anteil bereits auf die Hälfte gesunken, und schon bei der Temperatur
der flüssigen Luft ist der Grenzwert 3 bereits bis auf einige Prozent,
bei 60° praktisch vollständig erreicht. Unterhalb 60° besitzt der
Wasserstoff genau die Molekularwärme einatomiger Gase.
Zum Vergleich mit dem gefundenen T emperaturverlauf ist die PLAnck-
Eissteissche Kurve (gestrichelt) gezeichnet:
wobei für $» der Wert 430 benutzt wurde.
Während die spezifische Wärme fester Körper weniger rasch ab-
zunehmen pflegt, als nach dieser Formel zu erwarten wäre, so zeigt sich
hier ein steilerer Abfall der Molekularwärme, als dieser Formel ent-
spricht. Noch weniger als die Eısteinsche Formel ist daher die von
Nerssr und Lispemann' vorgeschlagene Modifikation dieser Formel zur
Darstellung der Molekularwärme des Wasserstoffs geeignet (in der Figur
gepunktet; ßv = 570). Indessen war eine unmittelbare Bestätigung
einer der erwähnten Formeln im vorliegenden Falle nicht zu erwarten,
da diese für Resonatoren mit einer Eigenfrequenz gelten. Die bis-
herigen, auf sichergestellten, möglichst allgemeinen Voraussetzungen
beruhenden Berechnungen des Temperaturverlaufs der Rotationsenergie
führen zu einem erheblich weniger steilen Abfall’, wie er mit
den Beobachtungen gänzlich unvereinbar ist.
So bestätigt sich die theoretische Voraussage einer Abnahme der
Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen nur in quali-
tativer Hinsicht. Ein Weiterkommen scheint an dieser Stelle allein
dureh die Einführung einer neuen Hypothese möglich zu sein. Zur
Auffindung des richtigen Weges wird die Untersuchung der Moleku-
larwärme anderer Gase bei tiefen Temperaturen von großer Wichtig-
keit sein.
6. Eine Möglichkeit der Erklärung des Temperaturverlaufs der
Molekularwärme des Wasserstofis besteht im folgenden:
Um die Praxex-Eissteissche Formel” mit dem beobachteten Tempe-
raturverlauf der Molekularwärme des Wasserstoffs einigermaßen zur
ı Diese Ber. 1911, 496.
® Diese Berechnung ist von den HH. Nerssr und Bıerrum ausgeführt worden
und wird demnächst veröffentlicht werden.
3 Das Festhalten an dieser Formel als Grundlage scheint durch die Über-
legung (vgl. Nerssr und LinDEMANN, Zeitschr. f. Elektrochem. 17, 825 [191 ı]) geboten,
daß ein polar geladenes Gasmolekül in unendlich dicker Schicht wie ein schwarzer
Körper strahlen muß, daß ferner die "beobachteten Gesetzmäßigkeiten der schwarzen
150 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 1. Februar 1912.
Deckung zu bringen, bedarf es der Annahme einer streng monochroma-
tischen Bewegung (konstante Umdrehungszahl des Moleküls); eine
breite Schwingungsbande, wie sie z. B. eine Geschwindigkeitsverteilung
nach dem Maxweııschen Gesetz mit sich bringen würde, führt unter
Anwendung jener Formel stets zu einem weniger geneigten Abfall
als eine schmale Schwingungsbande. Eine derartige, gleiehförmige Um-
drehungszahl der Moleküle läßt sich durch eine elastische, der Zentri-
fugalkraft entgegenwirkende Kraft zwischen den Atomen des Mole-
küls erklären, die also derart beschaffen ist, daß bei einer Temperatur-
steigerung (Energievermehrung) nicht die Umdrehungszahl, sondern
das Trägheitsmoment des Gebildes sich vergrößert. Die Annahme
einer konstanten Umdrehungszahl scheint zwar zunächst einigen Er-
gebnissen von Rusens und von WARTENBERG' zu widersprechen, die
'im langwelligen ultraroten Gebiet bei polar geladenen Gäsen eine
sehr breite Absorbtionsbande fanden; diese ist, wie sich durch sche-
matische Berechnung nachweisen läßt, durch jene Rotationsbewegung
der Moleküle verursacht. Durch folgende, etwas speziellere Annahme
über die erwähnte elastische Kraft zwischen den Atomen läßt sich
indessen dieser Widerspruch vermeiden: die Kraft ist nur bei tiefen
Temperaturen streng elastisch, wächst bei steigender Temperatur nicht
proportional dem Abstande der Atome an, sondern stärker und wird bei
Annäherung an einen Grenzwert des Atomabstandes unendlich groß. Die
Atome können sich daher nicht weiter als auf‘ einen bestimmten Ab-
stand voneinander entfernen, d. h. bei höheren Temperaturen ist das
Molekül praktisch starr. In diesem Gebiet würden die Annahmen der
klassischen Kinetik (Maxwerrsches Verteilungsgesetz usw.) ihre Gültig-
keit behalten, in diesem Gebiet sind ferner die Messungen von Rusess
und vox WARTENBERG angestellt. Bei tiefen Temperaturen dagegen
herrscht infolge jener elastischen Kraft eine bestimmte Umdrehungs-
zahl vor; hier ist daher die Praxck-Eissteissche Formel anwendbar.
Der Anstieg der Molekularwärme, d.h. der Übergang beider Grenz-
fälle ineinander, ist durch das Verhalten der Kraft zwischen den Atomen
bedingt und läßt sich daher nieht ohne Willkür voraussagen; ein
steilerer Anstieg der Molekularwärme, wie der der Eissteısschen Funk-
tion, ist ebenso wahrscheinlich wie ein sanfterer.
Die Hypothese einer bei tiefen Temperaturen elastisch wirkenden
Kraft zwischen den Atomen deutet selbstverständlich nur einen pro-
visorischen Ausweg aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten an.
Strahlung gerade durch die Praxck-Eissreissche Gleichung gut wiedergegeben werden;
ein Unterschied zwischen polar geladenen und ungeladenen Molekülen ist nicht wahr-
scheinlich.
ı
Phys. Zeitschr. 12, 1080 (1911).
A. Euckex: Die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen. 151
Eine experimentelle Entscheidung über ihre Richtigkeit könnte
die Untersuchung der Absorption polargeladener Gase bei tiefen Tem-
peraturen, in Gebiete des Abfalls ihrer Molekularwärme, erbringen,
doch dürften sich die hierzu erforderlichen Bedingungen schwerlich
realisieren lassen.
Zusammenfassung.
ı. Es wird eine zur Untersuchung spezifischer Wärmen von Gasen
unter höherem Druck bei beliebigen Temperaturen geeignete Anordnung
beschrieben.
2. Messungen von Wasserstoff zwischen 35° und 27 3° abs. ergaben,
a) daß die auf den idealen Gaszustand reduzierte Molekularwärme
bei sinkender Temperatur zunächst stark abfällt, daß sie unterhalb
von 60° abs. konstant wird und 3 Kal. beträgt (Molekularwärme ein-
atomiger Gase), h
b) daß der Einfluß der Dichte auf C, bei tiefen Temperaturen
größer ist als bei höheren. In einem gewissen Temperaturbereich
wird die aus der D. Berruerorschen Zustandsgleichung abgeleitete
Diehteveränderlichkeit von C, quantitativ bestätigt.
3. er 'Temperaturverlauf der Molekularwärme wird durch die
bisherigen Theorien nur qualitativ wiedergegeben; es wird eine pro-
visorische Hypothese beschrieben, mit deren Hilfe es möglich ist, den
Temperaturverlauf richtig darzustellen.
Hrn. Prof. Nersst bin ich für sein lebhaftes und förderndes In-
teresse an der vorliegenden Untersuehung zu aufrichtigem Dank ver-
pflichtet.
Ausgegeben am 8. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
Sitzungsberichte 1912. 12
weise oder aueh in weiterer EBENE in
deutscher Sprache veröffentlicht sein oder
tenden en Auge so nn r dazu der Ein-
nie
- CE üb isireden anderweitig zu ı veröffentlichen ist
den Verfassern es gestattet.
Aus $ 21.
i Die en erscheinen. in einzelnen Stücken.
in der Regel Do: st ht Tage nach jeder Sitzung.
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folgen in has oreralehe k e In en ee n derselben,
welche die Verfasser Gesläben che sie ver-
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werden Correeture
J. Warreer: Die Sedimente der Taubenbank im Golfe von Neapel er
A. Berzerion: Tafeln für die heliocentrischen Coordinaten von 307 kleinen Planet ten.
Ta. Wıreann: Siebenter en. Bericht über die von den en Museen in Milet und
Didyma unternommenen Ausgrabungen . un
J. Peress: Hinmäswaraigsiälfige erthe der Functionen Sinus und I Cosimus
Handschriften anoru
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P. Röruıe: Zeiiirdunigee U Pas üge im Vorderhirn Fer Siren lacerfina
M. Neipise: Über die Kerne a re bei einigen re ;
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U uszug der Hathor-Tefut a aus Nub
F. Freiherr ine voN GAERT Er: Arkadische Forschungen .
- Tu. Wıesanp: Erster verufger Bericht über die von den Königlichen _ unternommenen
Ausgrabungen in Samo
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Sitzungsberichte der Akademie.
Preis des Jahrgangs
Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1911.
C. Cararn£oporr und E. Laxpau: Beiträge zur Convergenz von IR IENNE
I. Scaur: ie er Gruppen periodische —n Substitutionen . :
. Meıste Kypros (hierzu Taf. IV) .
Rusens a O. vos Barver: über nn erh der von der Quarz uecksilberlampe a aus-
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Feopenius: über die unzerlegbaren dis ereten Bewegun ngse N ee
Froszntus: ee Ableitung der 32 Krysta we
Sonderabdrucke II. en 1911.
Prasck: zur Hypothese der Quantenemisgio
JAcosı: zur Frühgeschichte der indischen Phi sophie Ms u
Warsurs: über den enge bei photochemischen Vorgängen in Gas asen R
vox Wiramowırz-MoELteE n Stück aus dem Ancoratus des Epiphanios®
IEN: Bestimmung Pas mit sten: Pen Weglänge der Kanalstrahlen
voN Ne rer „Zuexe ER: zwei Edicte des Germaniens auf“ einem Papyrus
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RNQUIST: die k des Woferen Untergı ‚undes Norddeutschlands.
an thierischen Keimzellen, ein experimenteller Beweis für die
Idioplasmanatur der Kernsubstanzen 2
: über das Eurer’sche Dr ehungsproblem .
ScHortky: über die vier Jacopr’schen Thet ;
RMAN: ein Denkmal Brose Theolo u
Jacosı: Cultur-, Sprach- und Litte ee een aus dem m Kaufliya
E. Lırru i ie chriften des Königs Kalun
un
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"BR
J. ze. G: über ein angebliches Diokleszita
SELE ” Stuckfagade von Acanceh in Yucatan (hierzu Tat. VIXV)
E. Mine zu den aramäischen Papyri von Elephant x
STRUVE: “über ie Lage der Marsachse und die Kane im ı Marse stem
Ermax: Deinkstoine aus der thebanischen ig ea (hierzu Taf.
F. Feeca und C. Rexz: Kreide und Trias n Kiona- und Öta tagebiet Odin) .
MaRrTeEss: über die Messung grosser K räfte im Matrialprüfutgsese
ce. Deirsee: zu den Ts
riften des Königs Kalun
Sonderabdrucke, Il. Halbjahr 1912,
I. Scaur: über einen Satz von C. Carar ns
Frorzxivs: Ableitung eines Siacs von Feen TREODORY aus einer "Formel von KRoNEOKER we }
Mer bee arg en RFF: Mimnermos und Pr
UBNER: über di heiligung endocellularer Fermente am- Ener: ev erbra h
Nerssr: Thermodynamik u nd speeifische Wärm e are: a Zeile,
A. Evckex: die Molskulrnäen: des Wasserstoffs Be ‚tiefen Temperaturen
wer Er Ei
AM 12.—
ses.
= x = E3
WB
1912. VL.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Gesammtsitzung am 8. Februar. (S. 153)
Orrn: Über Rinder- und Menschentuberkulose. (S. 155)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus $ 1.
Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zw ei
ren Veröffentlichungen —— » Sitzungsberi
er Königlich Preussischen Akademie der 5 ee «
und » Abhandlungen der Königlich et Akademie
der Wissenschaften «
. 82.
Jede zur Aufnahme in die Fe era oder die
Abhandlungen« eher Mittheilung m n einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt —. wobei in er Regel
t. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
ache angehörenden ordentlichen ie zu Banden,
r mfang einer aufzunehmenden nt soll
Regel in Io Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
Ba Nichtmitgliea rn 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
= Sitzungs aeg in den Abhandlungen 12 Druckbogen
n je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
nicht übersteigen
erschreitung dieser Green | ist nur mit eg
r Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
r und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
beantragen. Fr der Umfang eines Manuseripts ver-
se Zustimmung erforderlich sein werde,
ern Mitglied es vor
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Se oder
auf besonde eren Tafeln beigegeben werden, ind die
ür (Zeichnungen, ioisgräphische Or riginal-
«5. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf ru Blättern, einzureichen
Die Kosten der sie der Vorlgen haben in
der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
aber auf einen se Betrag zu veransch , so
kann die Akade u eine Bewilligung beschliessen. Ein
darauf gerichteter An i r der He n, be-
treffen ’orlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage
eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zu ver eln
Die Kosten der Vervielfältigung übernimm ka-
demie. Über i
bhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Secretariat geboten.
Aus
Nach der Vorle ung nd Einreichung des
elektadigen druckferigen wa pts an den
zuständigen Seceretar ode
wird über Aufnahme = Miteitung in die akademischen
Schriften, und zwar, nes der gung Mit-
glieder es verlangt, a re
Mittheilungen von Verfassern, weiche nieht] Mitglieder
der Akademie sind, _— der Regel nach nur in die
Abhandlungen «,
chluss der Deitkigrine durch die
Gesammt-Akademie
Aus s ee
wenn es sich nicht blöss um einen Text handelt, aus-
et Kar für die Anordnung des Satzes
und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendungen
Fremder on die g n
bs hat sich
ie ers
Verfasser.
hn
girenden ee vor := Essig an die Druckerei,
Ve _. er zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflich
us $ 8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen v nn Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichte erden für die Verfasser, von
SERREAUERRENEN EN Aichilungen, wenn derer n Kafı fang 1 im
Druck 4S auch
abdrucke hergestellt, die alsba ld nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
vv Ganächtni 1 ı % 1. © 1 u 1
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrü ch damit einverstanden erklären.
Von den Sonde ae aus den ee
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu ee Vertheilung ohne weitere = Frei.
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gle en Zwecke
auf Es der Akademie weitere Exem
ar €
redigirenden Seecretar ner 200 Exemplare auf ihre
as
Von den Sonderahirucken aus den Abhandlungen er-
hält ein Verfasser, welcher nor u er ae
zu unentgeltlicher Velen ohne 30 Fre
exemplare; er ist indess beree ehtigt, zu ie Er Zweck
auf Kosten der Akademie w weitere Exemplare bis zur Zahl
von noch 100 und auf e Kosten noch weitere bis
zur Zahl von 100 (im ganzen as 230) abziehen zu lassen,
wünscht er auf seine Kosten
Abdrucke zur Vertheilung zu eRalen so
der Genehmigung der Gesammt-Akade
'effen c
ige
redigirenden Seeretar weitere 100 E xemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen
Eine für die i Ss ten be-
stimmte winsenschaftliche Miitkeilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle re eitig, sei es auch nur auszugs-
(Fortsetzung auf S.3 des Umschlags.)
Carton
überzukleben über das Verzeichniss der Beamten der Akademie Seite VID.
Bibliothekar und Archivar der Akademie: Dr. Köhnke.
Bibliothekar und Archivar der Deutschen Commission: Dr. Behrend.
Wissenschaftliche Beamte: Dr. Dessau, Prof. — Dr. Harms, Prof. — Dr. von Fritze.
Dr. Karl Schmidt, Prof. — Dr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Prof. —
Dr. Ritter. — Dr. Apstein, Prof.
153
SITZUNGSBERICHTE 1912.
vn.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
8. Februar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
l. Hr. Orru las über Rinder- und Menschentuberkulose.
Es wird der Gang der Forschungen über die Beziehungen zwischen Rinder-
und Menschentuberkulose geschildert und gezeigt, dass die Zahl der Erkrankungen
von Menschen durch Rinderbaeillen nachweislich so gross ist, dass auch vom Stand-
punkte der menschlichen Pathologie und Hygiene aus eine Bekämpfung der Perlsucht
und der Bacillen, welche sich in von perlsüchtigen Thieren stammenden Nahrungs-
‚mitteln befinden, geboten erscheint, ganz abgesehen davon, dass vieles dafür spricht,
dass noch häufiger, als man es unmittelbar nachweisen kann, menschliche Erkran-
kungen unter Mitwirkung von Perlsuchtbacillen erzeugt werden können.
2. Hr. Lenz überreichte die 3. Auflage seiner »Geschichte Bis-
marck’s«, Leipzig 1912, und Hr. Warpever ein von Hrn. Prof. E. Hor-
LÄNDER hierselbst übergebenes Werk: Plastik und Medizin. Stutt-
gart 1912.
3. Als Fortsetzung des akademischen numismatischen Unterneh-
mens wurde vorgelegt: Die antiken Münzen Nord-Griechenlands. Bd. 2.
Thrakien. Tl. ı, Heft ı bearb. von M. L. Strack. Berlin 1912. Ferner
wurde das mit akademischer Beihülfe bearbeitete Werk vorgelegt:
P. V. NeueeBAvErR, Sterntafeln von 4000 vor Chr. bis zur Gegenwart.
Leipzig 1912.
Von weiteren Verstendikiungeh über Unternehmungen der Hum-
boldt-Stiftung wurden folgende Stücke vorgelegt:
Ergebnisse der Plankton-Expedition der Humboldt-Stiftung. Bd. II.
Fa.: G. Prerrer, Die Cephalopoden der Plankton-Expedition. Nebst
Atlas. Kiel und Leipzig 1912; L. Scuurtze, Zoologische und anthro-
pologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zen-
tralen Südafrika ausgeführt in den Jahren 1903— 1905. Bd. 5, Lief. ı.
Jena 1912; W. Sırwers, Die heutige und die frühere Vergletscherung _
Südamerikas. Vortrag. Leipzig 1911; W. Voız, Nord-Sumatra. Be-
richt über eine in den Jahren 1904— 1906 ee FOEHÄUNGE
reise. Bd. 2. Die Gajoländer. Berlin 1912.
BD a.
154 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
4. Die Witwe des weiland Professors der Psychiatrie an der Uni-
versität Halle Geheimen Medieinal-Raths Dr. Envarn Hırzıs Frau ErraA
Hırzıc, geb. Rasse in Marburg hat der Akademie ein Capital von
85000 Mark übereignet, um damit eine Stiftung zu begründen, die
zur Erinnerung an die Arbeiten Envarn Hırzıs’s wissenschaftliche Ar-
beiten auf dem Gebiete der Funetionslehre des Gehirns belohnen und
zu solehen anregen soll. Die Allerhöchste Genehmigung zur Annahme
dieser Schenkung ist unter dem 20. Januar 1912 ertheilt worden; die
Stiftung führt den Namen »Eduard Hitzig-Stiftung«. Das im Ein-
vernehmen mit Frau Hırzıs aufgestellte Statut derselben, welches unter
dem 24. Januar 1912 die Genehmigung des vorgeordneten Ministe-
riums erhalten hat, wird in dem Jahresbericht der Abhandlungen
KOT mitgetheilt werden.
5. Der philosophisch-historischen Classe der Akademie stand zum
26. Januar d.J. aus der Dr. Carl Güttler-Stiftung ein Betrag von 2300
Mark zur Verfügung; sie hat beschlossen, diese Summe Hrn. Privat-
docenten Dr. Erıch JaenscH in Strassburg zur Förderung seiner wissen-
schaftlichen Arbeiten auf dem Gebiete der Psychologie zuzuwenden.
Die nächste Zuertheilung aus der Dr. Carl Güttler-Stiftung findet
am 26. Januar 1913 statt. Es SRaen ee... 2300 Mark zur Ver-
fügung, und zwar diessmal der physikali tl tischen Classe.
Der Betrag kann in einer oder mehreren Raten vergeben werden. Die
Zuertheilungen erfolgen nach $ 2 des Statuts der Stiftung zur Förderung
wissenschaftlicher Zwecke, und zwar insbesondere als Gewährung von
Beiträgen zu wissenschaftlichen Reisen, zu Natur- und Kunststudien,
zu Archivforsehungen, zur Drucklegung grösserer wissenschaftlicher
Werke, zur Herausgabe unedirter Quellen und Ähnlichem.
Bewerbungen müssen bis zum 25. October d. J. im Bureau der
Akademie, Berlin W 35, Potsdamer Str. 120, eingereicht werden.
Seine Majestät der Kaiser und König haben durch Allerhöchsten
Erlass vom 4. Januar die Wahlen des ordentlichen Professors der Rechts-
wissenschaft an der Universität Berlin Geheimen Justizraths Dr. Enıt.
SECKEL und des ordentlichen Professors der Sinologie an derselben
_ Universität Geheimen Regierungraths Dr. Jonans Jako MARIA DE GRoOT
zu ordentlichen Mitgliedern der nos Classe zu
bestätigen geruht.
Zu correspondirenden Mitgliedern der physikali :h-mathematisch
Classe sind gewählt worden: der Professor der Allgemeinen Pathologie
und Histologie an der Universität Pavia Cantro Gorcı und der Professor
der Geophysik an der Universität. Göttingen Emm Wiecnert.
ÖrTH: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 155
Uber Rinder- und Menschentuberkulose.
Eine historisch-kritische Betrachtung.
Von J. OrRTH.
Die Frage nach den Beziehungen zwischen der Rinder- und
Menschentuberkulose ist in dem letzten Jahrzehnt dank einer von
dem berühmten Entdecker der Tuberkelbaeillen, R. Koch, ausgegan-
genen Anregung ganz besonders eifrig studiert worden, weil von der
Beantwortung dieser Frage ein Teil wenigstens der Antwort auf die
andere Frage abhängt, welche das ganze Menschengeschlecht unmittel-
bar interessiert, die Frage nämlich, wie man die menschliche Tuber-
kulose, jene häufigste und schlimmste aller Krankheiten, am besten
und aussichtsvollsten bekämpfen könne. Bei allen Kulturnationen sind
Forscher eifrig an der Arbeit gewesen, teils Einzelforscher, teils For-
schergenossenschaften, zu denen sich auch einige staatliche Anstalten,
wie das Kaiserlich Deutsche Gesundheitsamt und das Department of
health in New York, gesellten. Ganz besonders waren die Augen
der Tuberkuloseforscher und -ärzte auf eine mit reichen Mitteln aus-
gestattete Kommission hervorragender englischer F orscher [British Royal
Commission on Tubereulosis (Human and Bovine)], gerichtet, welche
in königlichem Auftrage auf breitester Grundlage die Beziehungen
zwischen Tier- und Menschentuberkulose studierte. Nach 10 jähriger
eifriger Tätigkeit hat diese Kommission im verflossenen Jahre ihren
Gesamtbericht erstattet', und es ist damit zweifellos ein Markstein auf
dem Forschungswege gesetzt, zwar nieht ein Abschluß, aber doch ein
Abschnitt der Forschungstätigkeit erreicht. So dürfte also nun, .nach-
dem ganz kürzlich auch über die Arbeiten im New Yorker Gesund-
heitsamt ein Schlußbericht erschienen ist?, der Zeitpunkt gekommen
Sein, um Rückschau zu halten über das, was überhaupt geleistet worden
‚ist, um festzustellen, wie für die Gegenwart der Stand der Frage sich
gestaltet hat, und um Ausschau zu halten auf die Aufgaben der Zu-
kunft. Es scheint mir das um so notwendiger und nützlicher zu sein,
! Abgedruckt in Tuberculosis, Bd. X, Nr. 9, September 1911.
” Journ. of med. Researches, Dezember 1911, S. ae .
156 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
als Meinungsverschiedenheiten über die Entwicklung und den Stand
der Fragen hervorgetreten sind.
Selbstverständlich kann es hier nieht meine Aufgabe oder Ab-
sicht sein, das ungeheure Forschungsmaterial im einzelnen zusammen-
zustellen und zu würdigen, sondern es sollen nur in großen Zügen
der Gang der Untersuchungen und ihre Hauptresultate vorgeführt
werden.
Die hier in Betracht kommende Krankheit des Rindviehes ist bei
uns hauptsächlich unter dem Namen Perlsucht bekannt. Schon vor
100 Jahren ist sie, besonders in Frankreich, als eine Form von Tu-
berkulose angesehen worden, und der Name der Cachexia tubercu-
losa oder der Tubereulosis serosa hat, wie Virchow in seinem Ge-
schwulstwerk sich ausdrückt', mehr und mehr Bürgerrecht gewonnen.
Aber nicht nur das, sondern, so wie man die menschliche Tuberkulose
mit der Lungenschwindsucht in Verbindung brachte, so hat man auch
Perlsucht und Lungenschwindsucht der Tiere als zusammengehörig, als
eine einheitliche Krankheit betrachtet.
Freilich nieht ohne Widerspruch seitens Vertreter sowohl der
humanen wie der veterinären Pathologie; insbesondere hat Virchow
selbst in seiner Onkologie wie Gurlt auf die Ähnlichkeit der Perl-
suchtprodukte mit Sarkomen hingewiesen und erklärt, daß die Perl-
suchtwucherungen sich zunächst den Lymphosarkomen anschlössen,
welche er mit der Tuberkulose zwar unter der gleichen Überschrift
»Lymphatische Geschwülste« abhandelte, aber eben doch von ihr ab-
trennte. Außer acht darf freilich nicht gelassen werden, daß Vir-
chow Analogien mit der Skrofelkrankheit des Menschen zuließ, mit
einer Krankheit also, welehe man heute im wesentlichen der Tuber-
kulose zurechnet, so daß also doch auch er im Grunde genommen
Analogien mit tuberkulösen Erkrankungen des Menschen anerkannte.
Es dürfte ohne weiteres klar sein, daß die morphologische For-
schung ebensowenig imstande war, die Gleichwertigkeit der Perlsucht mit
menschlicher Tuberkulose endgültig nachzuweisen, wie sie imstande war :
. die Abgrenkung er menschlichen Tuberkulose vorzunehmen. Zwar hat
die V kroskopischen Technik nicht verfehlt, immer deut-
licher wesentliche Ähnlichkeiten der perlsüchtigen Knoten beim Rindvieh
und der tuberkulösen Wucherungen beim Menschen aufzudecken, aber das
entscheidende Wort konnte nur die ätiologische Forschung sprechen, so-
wohl in bezug auf die Frage, was gehört alles zur menschlichen Tuber-
kulose, als auch in bezug auf die andere, was ist die Perlsucht und in
welcher Beziehung steht sie zu der menschlichen Tuberkulose. Nach-
a Onkologie, #3, S. 74
ne _ daß die Perlsucht eine übertragbare I
nn tiger Produkte selbst wie vor allem nach
ÖrTrH: Über Rinder- und Mensehentuberkulose. 157
dem Villemin 1865 den glücklichen Anfang mit experimenteller Er-
zeugung von Tuberkulose gemacht hatte, mehrte sich bald die Zahl der
Experimentatoren, sowohl derer, welche mit tuberkulösen Stoffen vom
Menschen arbeiteten, als auch derer, welche von perlsüchtigen Tieren
stammende Massen prüften.
In bezug auf die menschliche Tuberkulose schritt die Kennt-
nis ununterbrochen und unaufhaltsam, wenn auch keineswegs ohne Ir-
rungen und Wirrungen, weiter, denn der Versuch Friedländers, der
experimentell erzeugten Krankheit die tuberkulöse Natur abzusprechen
und sie als eine besondere Erscheinungsform chronischer Pyämie hin-
zustellen, hatte keinen Erfolg. Immer deutlicher zeigte sich, daß das
Gebiet der menschlichen Tuberkulose viel weiter reichte, als es morpho-
logisch durch die Entwicklung kleiner Knötchen, der Tuberkel, um-
grenzt wurde, immer klarer trat zutage, daß die Tuberkulose des Men-
schen eine ansteckende Infektionskrankheit ist, eine durch einen
besonderen Infektionsstoff (Virus tubereulosum) erzeugte Krankheit,
welehe nicht nur Knötchen, sondern auch allerhand andere, bisher viel-
fach als skrofulöse bezeichnete Veränderungen, hervorrufen kann. Schon
1879 konnte Cohnheim in großen Zügen die Pathologie der Infektions-
krankheit Tuberkulose feststellen unter Betonung des Satzes, daß zur
Tuberkulose alles gehört, durch dessen Übertragung auf geeignete Ver-
suchstiere Tuberkulose hervorgerufen wird.
Komplizierter gestalteten sich die Verhältnisse bei den Pe rlsucht-
forschungen, denn bei ihnen griffen verschiedene Fragen ineinander.
Es mußte festgestellt werden, ob auch die Perlsucht eine übertragbare
Infektionskrankheit sei, ob sie als Tuberkulose angesehen werden dürfe,
ob sie zutreffendenfälles mit der menschlichen Tuberkulose identisch
sei, ob sie auf den Menschen übertragen werden könne und wenn ja,
dureh welche Mittel (Milch, Fleisch) und auf welchem Wege die Über-
tragung etwa stattfinden könne. Die widerstreitendsten Anschauungen
wurden, nicht ohne persönliche Schärfe, von Tier- wie von Menschenpatho-
logen vertreten, aber schließlich kam doch auch hier diejenige Anschau-
ung immer mehr zur Geltung, welche in der Perlsucht eine über-
tragbare tuberkulöse Erkrankung erblickte. Auch ich habemich,
wie ich glaube, nicht ohne Erfolg an der Befestigung dieser Lehre be- e
teiligt durch eine Experimentaluntersuchung, welche ich im Jahre 1876. |
in dem Virchowschen Institut ausführte'. Ich kam zu dem Resultat,
Infektionskrankheit ist, und daß sie
sowohl nach dem Resultat der mikroskopischen Untersuchung perlsüch-
| : dem Erfolg der Übertra-
Es Virchows Archiv, Bd. 76, 1879. |
158 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
gung auf Kaninchen — ich hatte bei diesen durch Fütterung eine Er-
krankung erzeugt — auf Grund sowohl des makroskopischen als auch
vor allem des mikroskopischen Befundes als eine Tub erkulose ange-
sehen werden müsse. Ich wies dabei darauf hin, daß die morphologi-
schen Befunde bei den künstlich tuberkulös gemachten Tieren erheblich
abwichen von den Befunden bei der Ausgangskrankheit, der Perlsucht des
Rindviehes, dagegen die größte Übereinstimmung mit den bei der
menschlichen Tuberkulose festgestellten Veränderungen darboten.
Daraus schloß ich, daß die Perlsucht des Rindviehes und die Tu-
berkulose des Menschen trotz der Verschiedenheiten in ihrer Er-
seheinungsweise doch identische Krankheiten sind, und aus der
Möglichkeit, die Perlsucht auf Tiere zu übertragen, schloß ich weiter,
daß auch eine Übertragung auf den Menschen stattfinden könne.
Ob dureh Milch und Fleisch perlsüchtiger Kühe, also mittels der Nah-
rung diese Übertragung stattfände, darüber hatte ich selbst keine Beob-
achtungen gemacht, aber, daß Milch und Milchprodukte den Giftstoff
enthalten könnten und daß dieser durch diese Nahrungsmittel auf
andere Lebewesen übertragen werden könne, dafür wurden von allen
Seiten, trotz aller Widersprüche in den Resultaten verschiedener Expe-
rimentatoren, immer mehr Beweise herbeigeschafft.
Es würden aber sicherlich weder die neuen Anschauungen über
die menschliche Tuberkulose noch auch diejenigen über die Natur
und Bedeutung der Perlsucht so schnell, wie es tatsächlich geschehen
ist, allgemeine Geltung erlangt haben, wenn nicht im Jahre 1832
R. Koch der große Wurf gelungen wäre, den Erreger der Tuberkulose,
den Tuberkelbaeillus zu entdecken. Es erübrigt sich hier, die große
Bedeutung dieser Entdeckung ins rechte Licht zu setzen, denn jeder-
mann ist heutzutage von ihrer Bedeutung für die Wissenschaft so-
wohl wie für die Praxis überzeugt, wohl aber muß darauf hingewiesen
werden, daß Koch sowohl beim tuberkulösen Menschen als auch beim
perlsüchtigen Vieh die Tuberkelbaeillen nachweisen konnte und daß
sie bald auch in der Kuhmilch, in der Butter usw. aufgefunden wurden.
Koch selbst konnte keine wesentlichen Unterschiede
zwischen den vom Menschen oder vom Rinde stammenden
Bacillen bemerken und stellte deshalb in seiner berühmten Tuber-
kulosearbeit vom Jahre 1834', da auch eine morphologische Über-
einstimmung in bezug auf die primäre Struktur der Tuberkel vor-
handen sei, die völlige Einheit und Zusammengehörigkeit der
tuberkulösen Prozesse verschiedener Tierspezies und des
Menschen fest. Er zog auch die praktischen Folgerungen aus dieser
BR Koch, Mitteilungen aus dem Kais. Gesundheitsamt, Bd. II, 1884.
Örrn: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 159
Anschauung, indem er zwar das baeillenhaltige Sputum tuberkulöser
Menschen als die wichtigste Ansteckungsquelle für den Menschen be-
zeichnete, aber doch meinte, die Perlsucht des Rindes, die käsigen
Veränderungen in den Lymphdrüsen der Schweine seien ein so häufiges
Vorkommnis, daß sie volle Beachtung verdienten, selbst für den Fall,
daß noch eine Verschiedenheit zwischen den vom Menschen und vom
Tier stammenden Baeillen festgestellt werden sollte. »Sollte sich also
auch wirklich«, so schreibt Koch wörtlich, »noch im Laufe weiterer
Untersuchungen wieder eine Differenz zwischen den tuberkulösen und
den Perlsuchtbaeillen herausstellen, welche uns nötigen würde, die-
selben nur als nahe Verwandte, aber doch als verschiedene Arten
anzusehen, dann hätten wir gleichwohl alle Ursache, die Perl-
suchtbaeillen für im höchsten Grade verdächtig zu halten.
Vom hygienischen Standpunkt aus müssen dieselben Maßregeln da-
gegen ergriffen werden wie gegen die Infektion durch Tuberkel-
baeillen,« (d.h. menschliche) »solange nicht bewiesen ist, daß der
Mensch ungestraft Hautwunden mit Perlsuchtbaeillen in Berührung
bringen, daß er dieselben inhalieren oder ihre Sporen in seinen Ver-
dauungstraktus bringen kann, ohne tuberkulös zu werden.«
Dies war denn auch die in den achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts herrschende Ansicht, auf Grund deren Vorsichtsmaß-
regeln zum Schutze der Menschen gegen die Perlsucht-
bacillen ergriffen wurden. Man mag sich deshalb das Erstaunen
der wissenschaftlichen Welt vorstellen, als Koch im Jahre 1901 auf
dem Tuberkulosekongreß in London, wo er über die Bekämpfung
der Tuberkulose sprach, den Perlsuchtbacillen so ziemlich jede
Bedeutung für den Menschen absprach und demzufolge jede
Maßregel gegen die Perlsucht des Rindviehes, soweit das In-
teresse der Menschen in Betracht kommt, für überflüssig erklärte‘.
Diese Schlußfolgerung war es vorzugsweise, welche Gegner auf den
Plan rief, viel weniger die Begründung dieses Ausspruches, daß nämlich
»die Tuberkulose der Menschen sich von der der Rinder unterscheidet
und nicht auf das Vieh übertragen werden kann«, denn mit der Mög-
lichkeit einer Verschiedenheit der beiderseitigen Tuberkelbaeillen hatte
ja auch Koch schon ı884 gerechnet und trotzdem erklärt, wir hätten
alle Ursache, die Perlsuchtbaeillen für im höchsten Grade verdächtig |
zu halten — und nun auf einmal sollten sie ganz unverdächtig sein,
so unverdächtig, daß es als ganz überflüssig erscheine, Maßregeln e
gegen sie zu ergreifen. In unserer schnellebigen Zeit wird leicht ver
gessen, was der Ausgang eines über ein Jahrzehnt sich nun schon
! Deutsche Medizinische Wochenschrift 1901.
160 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
hinziehenden Streites gewesen ist, darum ist es notwendig, sich an
dokumentarisch festgestellte Tatsachen zu halten. Bei der Besprechung
der auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ergreifenden
Maßnahmen sagte Koch in London betreffs der Bedeutung der Ver-
erbung: »so können wir diese Entstehung der Tuberkulose für unsere
praktischen Maßnahmen ganz außer acht lassen«, und da er weiter sagte,
daß er den Umfang der Infektion durch Milch, Butter und Fleisch
von perlsüchtigen Tieren kaum größer schätzen möchte als denjenigen
durch Vererbung, so mußte jedermann Koch so verstehen, daß man
seiner Meinung nach auch die Entstehung der Tuberkulose durch Milch,
Butter, Fleisch von tuberkulösen Kühen für unsere praktischen Maß-
nahmen ganz außer acht lassen könne, und wer doch noch einen
Zweifel in dieser Beziehung hätte haben können, dem nahm er ihn,
indem er fortfuhr: »und ich halte es deswegen für nicht ge-
boten, irgendwelche Maßregeln dagegen zu ergreifen«. Es
ist also nicht davon die Rede, daß angesichts der von den Bacillen
tuberkulöser Menschen drohenden Gefahr in erster Linie gegen die
Verbreitung der vom Menschen stammenden Tuberkelbaeillen Maß-
nahmen ergriffen werden müßten, an die in zweiter Linie zweckmäßiger-
weise auch gegen die Perlsuceht Maßnahmen sich anschließen könnten,
sondern es heißt klipp und klar, es sei nicht geboten, gegen die Perl-
sucht irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.
Es ist angesichts dieser unzweideutigen Meinungsäußerung völlig
unverständlich, wie einer der späteren Schüler und Mitarbeiter Kochs
(Möllers) kürzlich hat behaupten können!: »Die Zweckmäßigkeit von
Maßnahmen gegen die durch die Milch perlsüchtiger Kühe bedingte
Infektionsmöglichkeit ist von R. Koch niemals? geleugnet worden. «
Diese Behauptung ist um so auffälliger, als Koch selbst auf der Inter-
nationalen Tuberkulosekonferenz in Berlin 1902 aus der Feststellung,
wie wenig sichere Beweise für die Übertragung der Tuberkulose durch
Kuhmilch auf Menschen vorhanden sind, den Schluß zog: » Wenn irgend-
welche Maßregeln im Interesse der Landwirtschaft ergriffen werden
sollen, dann mag man das tun; aber sie können nur vom veterinär-
ärztlichen Standpunkte, vom landwirtschaftlichen Standpunkte aus be-
gründet werden, nicht aber vom Standpunkte aus, daß man
meint, die Tuberkulose des Menschen damit bekämpfen zu
können’.« Auch noch weitere 3 Jahre später hat Koch in seiner am
' Berl. Klin. Wochenschr. 1911, Nr. 4, 8 2117.
® Von mir gesperrt. | a
= ° I. Internationale Tuberkulosekonferenz, Berlin 1902, Bericht von Pannwitz,
1903, S. 360. en
ÖOrr#: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 161
12. Dezember 1905 gehaltenen Nobelvorlesung die Unschädlichkeit der
Perlsuchtbaeillen für den Menschen als erwiesen erklärt'.
In dieser Vorlesung sprach Koch nach der Ansteekung von Mensch
zu Mensch auch von einer zweiten Möglichkeit, nämlich von der An-
steekung des Menschen mit Rindertuberkelbaeillen. »Diese zweite Mög-
lichkeit«, so fuhr er fort, »können wir nach den Untersuchungen, welche
ich gemeinsam mit Schütz über das Verhältnis zwischen Menschen- und
Rindertuberkulose angestellt habe, fallen lassen oder doch so gering
ansehen, daß diese Quelle der Ansteckung gegenüber der anderen ganz
“in den Hintergrund tritt.« Die kleine Reservation verliert völlig ihre
Bedeutung durch den folgenden Satz: »Für die Tuberkulosebe-
bekämpfung kommen mithin nur die vom Menschen aus-
gehenden Tuberkelbaeillen in Betracht’.« Kein klar denkender
Mensch kann aus dieser Äußerung etwas anderes entnehmen, als daß
Koch hat sagen wollen, Maßnahmen gegen die Übertragung des Perl-
suchtbaeillus halte ich nicht für nötig; von der Anerkennung einer
Zweckmäßigkeit von Maßnahmen gegen die durch die Milch perlsüch-
tiger Kühe bedingte Infektionsmöglichkeit seitens Kochs kann danach
gar keine Rede sein.
Anders lautet der von Koch gebilligte Bericht von Pannwitz
über den von Koch auf dem Kongreß in Washington 1908 vertretenen
Standpunkt?. Da heißt es von Koch: er wendet sich nur dagegen,
daß diese an sich sehr nützlichen Maßnahmen (nämlich gegen
die Rindertuberkulose) bei der Bekämpfung der Menschentuberkulose
in den Vordergrund gestellt werden. Das ist etwas ganz anderes
und so formuliert wird kaum jemand heute noch etwas einzuwenden
haben, auch die Gegner von früher nicht, denn diese haben nur gegen
die völlige Vernachlässigung der von der Perlsucht drohenden Gefahr
opponiert. Daß Koch damit in dieser Frage seine Ansicht geändert hat
zugunsten derjenigen seiner Gegner, das hat der obengenannte Mit-
arbeiter infolge meines Hinweises auf die Irrigkeit seines »Niemals«
zugegeben‘, und ich kann ihn als unverdächtigen Zeugen zitieren. Nach
Anführung einer Anzahl Koch’scher Äußerungen schreibt er: »Aus
diesen Zitaten ergibt sich, daß Koch selbst die von ihm in dem Lon-
doner Vortrag im Jahre 1901 gebrauchten ... Worte später auf
Grund weiterer Erfahrungen hat mildern wollen. Diese veränderte
Anschauung’« usw. | |
! Deutsche Med. Wochenschr. 1906, Nr. 3, S. 89.
Von mir gesperrt. '
. ® Berl. Klin. Wochenschr. 1908, Nr. 44, S. 2001.
'* Berl. Klin. Wochenschr. ıgrı, Nr. 49, S. 2236.
#
162 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
Diesem Zugeständnis gegenüber nimmt sich die Behauptung
Gaffkys in seiner Gedenkrede auf Koch! »auch in einer anderen wich-
tigen Tuberkulosefrage ist Koch über die Gegner Sieger geblieben «
sehr merkwürdig aus, denn es ist damit die Perlsuchtfrage gemeint.
Wenn zur Begründung gesagt wird, »denn kaum kann heute noch seine
Lehre ernstlich bestritten werden, daß den sog. Perlsuchtbacillen für
die tuberkulöse Infektion des Menschen nur eine untergeordnete Be-
deutung zukommt, und daß im besonderen für die Entstehung der
Schwindsucht, dieser verbreitetsten und verheerendsten Form der Tuber-
kulose, nicht der Genuß von Milch perlsüchtiger Kühe, sondern die von
dem Menschen ausgeschiedenen Tuberkelbaeillen verantwortlich zu
machen sind«, so wird damit nur ein Teil der Perlsuchtfrage berührt,
‚dagegen jener Teil, der in London das große Aufsehen erregte und der
der Ausgangspunkt des Streites war, nämlich die Behauptung, daß man
sich bei der Bekämpfung der Tuberkulose um die Perlsucht nicht zu
kümmern habe, achtlos beiseite gelassen. In dieser Frage ist aber
Koch nicht Sieger geblieben, sondern seine Gegner, die, wie ich, gesagt
haben, »ob klein, ob groß, jeder Gefahr, welche der menschlichen Gesund-
heit droht, muß mit allen Mitteln begegnet werden?«. Ich kann mich
unmöglich als Besiegter fühlen, nachdem Koch seine Ansicht geändert
und die Maßnahmen gegen die Perlsucht als sehr nützlich anerkannt hat.
Leider haben nicht alle seine Anhänger diese Anschauungsände-
rung Kochs mitgemacht, sondern noch in jüngster Zeit ist bedauer-
licherweise gelegentlich der Tuberkuloseausstellung Berlin-Wilmersdorf
ı9ıı von dem Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur
Bekämpfung der Tuberkulose, Prof. Dr. N ietner, dem Publikum die
alte, von ihm selbst verlassene Kochsche Lehre vorgetragen worden’,
indem der Redner behauptete, alle Männer der Wissenschaft müßten
zugeben, »daß, wenn eine Ansteckung durch die Milch, Butter usw.
für den Menschen möglich ist, daß sie nur so selten vorkommt, daß
es für die große Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit gar
nicht in Betracht kommt«. Wenn der Redner in einem und demselben
Satze erklärt, es seien einzelne Fälle bei Kindern beobachtet worden,
wo die Ansteckung durch Milch erfolgt zu sein scheine, und daß die Perl-
suchtbaeillen, die sich in der Milch der an Eutertuberkulose leidenden
Kuh befinden, nicht den menschlichen Körper anstecken, so ist das
_ ein unlösbarer Widerspruch, und wenn nun weiter trotzdem Abkochung
der Milch \ perlsüchtiger Kühe verlangt wird, weil es vom en.
' Deutsche Med. Wodeakhe: ‚1910, Nr. 50, S. 2321.
?® Berl. Klin. Wochenschr. 1902, Nr. 3
4:
| er NENNEN Berlin-Wilmersdorf 1911. .. Wilmersdorfer Zei-
| tung, 1912 S. 30. | ; 5
Orr#: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 163
Standpunkte unstatthaft sei, die Milch von kranken Kühen unabge-
kocht zu genießen, so wird das auf das Publikum gar keinen Ein-
druck machen, sondern dieses wird sich nur merken, daß man sich
um die Perlsuchtbaeillen nicht zu kümmern brauche. Solche Dar-
legungen werden deshalb dazu beitragen, die Maßnahmen gegen die
durch die Milch perlsüchtiger Kühe bedingte Infektionsmöglichkeit in
Mißkredit zu bringen, deren Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit Koch
selbst anerkannt hat.
Ganz anders haben sich die maßgebenden Behörden zu dieser
Frage gestellt, denn der Reichsgesundheitsrat hat in seiner Sitzung
am 7. Juni 1905 festgestellt', daß der menschliche Körper zur Auf-
nahme der Ansteckungskeime aus tuberkelbaeillenhaltigen Ausschei-
dungen (z. B. Milch) oder tuberkulös verändertem Fleisch der Haus-
säugetiere befähigt ist, daß nicht nur örtlich beschränkte, sondern
auch Fälle. bei welchen die Erkrankung von der Eintrittspforte aus
auf entferntere Körperteile übergegriffen und den Tod der betreffen-
den Person erzeugt hatte, beobachtet worden sind, daß daher der
Genuß von Nahrungsmitteln, welche von tuberkulösen Tieren stammen
und lebende Tuberkelbaeillen des Typus bovinus enthalten, für die
Gesundheit des Menschen im Kindesalter nicht als unbedenklich zu
betrachten sind. In folgerichtiger Weise wird auf eine gewissenhafte
Fleischbeschau, gründliches Kochen des Fleisches tuberkulösen Rind-
viehes hingewiesen und in bezug auf die Milch gesagt: »Die Möglich-
keit der Übertragung der Tuberkelbaeillen mit der Milch und den Milch-
produkten auf den Menschen wird durch wirksame Bekämpfung der
Tuberkulose unter dem Rindvieh erheblich verringert. Die in der
_ Milch enthaltenen Tuberkelbacillen können durch zweckentsprechende
Erhitzung abgetötet werden.« Diese Leitsätze wurden in der Mitte
desselben Jahres beschlossen, an dessen Ende Koch erklärte, daß die
Rindertuberkulose nicht auf den Menschen übertragbar sei, so daß
generalisierte Tuberkulose (und vor allem Lungenschwindsucht) ent-
stehe, und kurzweg behauptete, für die Tuberkulosebekämpfung kämen.
nur die vom Menschen ausgehenden Tuberkelbacillen in Betracht!
nn Der Reichsgesundheitsrat hat seine Erklärungen abgegeben auf
Grund der im Reichsgesundheitsamt angestellten Untersuchungen, denen
halb alsbald etwas genauer angeben werde. ee
Ich habe bisher nur die für die öffentliche Gesundheitspflege
Sucht ergreifen bzw. beibehalten solle, erörtert, diese hängt aber aufs
‘ Deutsche Med. Woch. 1905, Nr. 40, S. 604. |
auch Koch volle Beweiskraft zuerkannt hat, deren Resultate ich kei | . a
Wichtigste Frage, ob man Schutzmaßnahmen auch gegenüber der BR
164 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
innigste mit einer ganzen Anzahl anderer Fragen zusammen, deren
Beantwortung erst die Grundlage für die Beantwortung jener Frage
gewährt.
Da ist zunächst die Frage der Identität von Perlsucht und
menschlicher Tuberkulose. Daß die Verschiedenheit der morpholo-
gischen Befunde für diese Frage keine Bedeutung haben kann, das ist
schon vor der Entdeckung der Tuberkelbaeillen erkannt worden, das be-
darfaber auch deswegen keiner neuen Auseinandersetzung, weil wir durch
tausendfältige Experimente mit Tuberkelbaeillen wissen, daß alle Tier-
gattungen gegenüber demselben Bacillenstamm ganz typische Verschie-
denheiten der erzeugten Krankheit darbieten. Dieselbe Ursache bewirkt
je nach der infizierten Tiergattung ganz verschiedene Erkrankungen,
folglich kann man aus der Verschiedenheit einer Erkrankung bei ver-
schiedenen Tiergattungen (Mensch und Rindvieh) nicht auf eine Verschie-
denheit der Ursachen schließen. Ebensowenig kann aber auch auf eine
Gleichheit der Ursache geschlossen werden, wenn Infektionsstoffe ver-
schiedener Herkunft bei derselben Tiergattung eine anscheinend gleiche
Veränderung hervorrufen. Der von mir bei früherer Gelegenheit in
bezug auf Perlsucht und Menschentuberkulose angewandte Satz, wenn
zwei Größen einer dritten gleich sind, sind sie untereinander gleich,
kann heute nur noch als bedingt richtig anerkannt werden; richtig
ist er auch heute noch in bezug auf den allgemeinen Charakter der
menschlichen Tuberkulose und der Perlsucht, denn an der Anschauung
ist nichts geändert worden, daß auch die Perlsucht eine T uberkulose
ist, daß es also beim Menschen- und beim Rindergeschleeht (und an-
deren Tiergeschlechtern) eine verwandte, zu derselben Gruppe gehörige
Erkrankung gibt, die man Tuberkulose nennt. Aber ob die beiden
Krankheiten völlig identisch sind, das kann ‚um so weniger aus dem
Resultat der Experimente erschlossen werden, als sich im Laufe der
Untersuchungen herausgestellt hat, daß zwischen den Erfolgen der Ex-
perimente mit Perlsuchtmaterial oder mit vom Menschen stammenden
tuberkulösen Massen’ ebenso wie bei denen mit reingezüchteten Bacillen
Verschiedenheiten vorhanden sein können und in der Mehrzahl der
Fälle tatsächlich vorhanden sind. Man mußte also statt des indirekten
Beweises einen direkten zu gewinnen suchen, indem man unmittelbar
von Mensch auf Rind oder umgekehrt die menschliche bzw. die Rinder-
tuberkulose zu übertragen versuchte. |
5 Koch hat den ersten Weg eingeschlagen, und weil in 19 mit
Schütz zusammen angestellten Versuchen mit vom Menschen stam-
menden Baeillen Vieh nicht tuberkulös gemacht werden konnte, schloß
‘ Bei meinen Fütterungsexperimenten hatte ich bereits Unterschiede Befunden.
Örrn: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 165
er, »daß die Tuberkulose der Menschen sich von der der
Rinder unterscheidet und nicht auf das Vieh übertragen
werden kann«.
Die letzte Behauptung ist nicht vollständig richtig, denn in den
verschiedensten Ländern, an den verschiedensten Orten, von den ver-
schiedensten Experimentatoren sind im Laufe der Zeit eine ganze
Anzahl von Experimenten ausgeführt worden, bei welchen durch vom
Menschen stammende Bacillen eine fortschreitende schwere
Tuberkulose bei Kälbern erzeugt werden konnte.
Da Koch selbst einen besonderen Wert auf die im Reichsgesund-
heitsamt ausgeführten Untersuchungen legte, so will ich zunächst einige
Zahlen, die hier gefunden wurden, angeben‘. Voraus bemerke ich nur
noch, daß die bei Rindern vorkommenden Bacillen als Typus bovinus,
die bei den meisten Menschentuberkulosen vorkommenden als Typus
humanus bezeichnet werden. Auf die Bedeutung dieser Ausdrücke
komme ich später zurück, hier sei nur noch bemerkt, daß alle die-
jenigen menschlichen Tuberkulosen, bei welchen Bacillen vom Typus
bovinus vorhanden sind, auch auf Rindvieh übertragen werden können
und darum umgekehrt als auf Infektion vom Rindvieh her beruhend
betrachtet werden müssen. Diese menschlichen Tuberkulosen sind also
ätiologisch mit der Rindertuberkulose identisch.
In 67, allerdings in Rücksicht auf das mögliche Vorkommen von
bovinen Bacillen ausgesuchten Tuberkulosefällen vom Menschen wurde
56mal Typus humanus, gmal, d.h. in 13.43 Prozent, reiner Typus
bovinus und zmal sowohl Typus bovinus als auch Typus humanus
gefunden, d. h. Bacillen vom Typus bovinus, Bacillen, welche vom
‚Menschen auf Kälber übertragen werden konnten und Tuberkulose
bewirkten, überhaupt in 16.57 Prozent aller untersuchten Fälle. Unter
den neun reinen Bovinusfällen, welehe ausschließlich Kinder unter
acht Jahren betrafen, befanden sich drei mit generalisierter Tuber-
kulose, unter den beiden Fällen mit gemischten Baeillen fand sich
eine 30jährige Frau. Besonders bemerkenswert ist der Befund bei
ı2 Kindern unter zehn Jahren, bei denen der Darm als Eintrittspforte
für die Bacillen anzusehen war: nur fünf davon ergaben Typus hu-
manus, sechs reinen Typus bovinus, und ein Fall beide zugleich, so
daß nicht weniger als 58.33 Prozent dieser Fälle bovine Baecillen ent- .
‚hielten, durch welche die menschliche Tuberkulose auf Kälber über-
tragen werden konnte. Bei sechs dieser Fälle handelte es sich um
eine verallgemeinerte Tuberkulose, und auch bei diesen sechs Fällen
waren 2mal bovine Baeillen allein, ımal diese mit humanen zugleich
! Deutsche Med. Wochenschr. 1905, Nr. 40, S. 603. ;
166 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
vorhanden. Angesichts solcher Befunde zu behaupten, die Tuber-
kulose des Menschen könne nicht auf das Vieh übertragen werden,
ist sicherlich ungerechtfertigt, denn hier handelte es sich doch auch
um Tuberkulose des Menschen!
Auch weitere im Gesundheitsamt vorgenommene Untersuchungen
haben bemerkenswerte Resultate ergeben. Oehlecker' hat 50 chirur-
gische Tuberkulosen untersucht und insgesamt in 10 Prozent der Fälle
Typus bovinus gefunden. Unter ı2 Fällen von kindlichen Halsdrüsen-
tuberkulosen zeigten 33'/, Prozent Bacillen vom Typus bovinus. Solche
fanden sich auch in einem Falle von Knochentuberkulose bei einem
Kinde, welches seit mindestens 6°, Jahren krank war; Zeichen einer
Umwandlung des Typus bovinus wurden nicht bemerkt.
Die gleichen allgemeinen Erfahrungen wurden an anderen Orten
gemacht. Kossel, den ich besonders erwähne, weil er ein Haupt-
vertreter der Kochschen Schule ist, hat unter 35 Fällen von Tuber-
kulose nicht lungenschwindsüchtiger Menschen 6mal, d.h. in 17 Prozent
der Fälle, auf Rinder übertragbare Tuberkulose gefunden’, und in dem
Laboratorium des New Yorker Department of health haben Park und
Krumwiede folgende Ergebnisse erzielt’: Unter 46 Fällen von Cervikal-
drüsentuberkulose bei Individuen unter ı6 Jahren waren 2ımal auf
Rinder übertragbare Baeillen vorhanden (— 45.65 Prozent), desgleichen
in neun Fällen zu einem Drittel generalisierter Abdominaltuberkulose
6mal (= 66.67 Prozent), in 49 Fällen (nicht primär abdominaler) ge-
neralisierter Tuberkulose 5mal (= reichlich ı0 Prozent). Besonders
beachtenswert ist, daß in dem einen dieser letzten Fälle auch eine
Knoehentuberkulose vorhanden war, die sonst nur humanen Typus
zu geben pflegt. Unter sieben Urogenitaltuberkulosen befand sich ein
Fall von Nierentuberkulose mit für Rinder pathogenen Bacillen.
Ganz besonders häufig fand sich in New York auf Rinder über-
tragbare Tuberkulose bei Kindern unter fünf Jahren, nämlich unter 88
verstorbenen tuberkulösen Kindern ı ımal, d.h. in ı 2'/, Prozent aller
Fälle. Dabei wurde ein besonders bemerkenswerter Unterschied zwischen
verschiedenen Kinderhospitälern festgestellt, indem in dem Findelhause,
wo die Kinder mit Kuhmilch genährt werden, unter neun Fällen nicht
weniger wie fünf, d.h. 55.5 Prozent, mit auf Rinder übertragbarer Tuber-
kulose behaftet ‚gefunden wurden. Die Zahl dieser Beobachtungen ist
Ja nur eine kleine, aber das Ergebnis doch ein so auffälliges, daß es
jedenfalls die höchste Beachtung verdient. 2 oe
.: 'Tuberkulosearbeiten aus dem Kais. Gesundheitsamt, H. 6, 1907, S. 22.
® Deutsche Med. Wochenschr. ıgır, Nr. 43. ee
3 Journ. of ned. research, Dec. 1911, p. 313.
ÖrrH: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 167
Die englische Kommission hat bei 108 Fällen von menschlicher
Tuberkulose ohne die Lupusfälle ıgmal rindervirulente Baeillen allein
und noch 5mal solche zugleich mit nicht auf Rinder übertragbaren
gefunden, d.h. nur Rinderbaeillen in 17.6 Prozent der Fälle, Rinder-
bacillen überhaupt in 22.2 Prozent. In den Fällen mit Rinderbacillen
handelte es sich hauptsächlich um sogenannte alimentäre Tuberkulose,
d.h. um tuberkulöse Erkrankungen im Bereiche des Verdauungs-
kanals; unter 38 solcher Fälle fanden sich ı7 mit Rinderbaeillen
allein, 19 mit Menschenbaeillen allein, und 2 mit beiden Baeillenarten,
also Rinderbacillen überhaupt in 50 Prozent aller Fälle und allein
in 44.74 Prozent. Läßt man die durch Operation gewonnenen Zer-
vikaldrüsen, von welchen !/; (3 von 9) ausschließlich Rinderbaeillen
enthielten, weg und berücksichtigt nur die 29 Fälle von primärer Ab-
dominaltuberkulose, so stellt sich der Befund folgendermaßen: 14 mal
Rinderbacillen, 13 mal Menschenbaeillen, 2mal beide gemischt. Sehen
wir von diesen beiden letzten ab, so handelte es sich ausnahmslos
um Kinder bis zu ı5 Jahren; die meisten standen im ı. bis 3. Lebens-
Jahre. Von den 14 Rinderbaeillenträgern wurden bei 6 mehrere Stellen
auf Baeillen untersucht, stets mit dem gleichen Resultat. Während
3 von den ı4 nicht an ihrer Tuberkulose gestorben sind, war für
ıı die Rinderbacilleninfektion -tödlich. Unter den ı3 Fällen mit Men-
schenbaeillen waren ı2 an ihrer Tuberkulose zugrunde gegangen, so
daß von den 2 3 an primärer Abdominaltuberkulose und ihren Folgen
gestorbenen Kindern nicht weniger als 48 Prozent an einer Rinder-
tuberkulose zugrunde gegangen sind.
Es ist also auch durch die englische Kommission die Tatsache
bestätigt worden, daß vorzugsweise Kinder durch Rinderbacillen ge-
fährdet sind, und daß solche besonders bei Intestinaltuberkulose ge-
"funden werden. &
Für die Frage, wie oft überhaupt eine Infektion mit Rin-
derbaeillen bei Kindern vorkommt, können natürlich nur solche |
Untersuchungsreihen maßgebend sein, bei welchen nicht ausgesuchte
Fälle, sondern wahllos alle tuberkulösen Kinderleichen untersucht wur
. den. Außer in New York sind derartige Untersuchungen auch ander-
2 Wärts gemacht worden, u.a. durch Beitzke in meinem Institut. Dieser :
> fand in 8 Prozent sicher bovine Infektion; wahrscheinlich muß SDR ;
_ ein etwas höherer Prozentsatz genommen werden, da auch noch un-
Zu viel sagen, wenn wir 10 Prozent bovine Tuberkulose bei Kindern
annehmen. Unter den Zehntausenden tuberkulöser Kinder es -
Tausende mit vom Rinde stammenden Baeillen, und eine Bainhıe Z& ee
Sichere Fälle mit atypischen Baeillen hierhergehören. Da an Hagen ee on
Orten bis 20 Prozent gefunden wurden, so werden wir sicher nicht
168 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
soll gleichgültig und zu vernachlässigen sein? Das soll keine Volks-
krankheit sein?
Nun hat man diesen Zahlen die Resultate einer Untersuchung
von Gaffky und Rothe' entgegengestellt, welehe von 400 Kinder-
leichen je Mesenterial- und Bronchialdrüsen verimpften. In 78 =
19.5 Prozent aller Fälle wurden die Impftiere tuberkulös, aber nur
3.85 Prozent ergaben Rinderbaeillen. Diese Untersuchungen können
aber mit jenen gar nicht in Parallele gestellt werden, denn die Frage-
stellungen waren verschieden. Hier lautete die Frage: In wieviel Kinder-
leichen findet man lebende Bacillen? gleichgültig, ob die Kinder an
Tuberkulose erkrankt waren oder nicht; dort wurde danach geforscht,
wie oft Rinderbaeillen bei tuberkulös erkrankten Kindern vorkommen.
Wie bei so vielen anderen Infektionskrankheiten, gibt es auch bei
der Tuberkulose sogenannte Baeillenträger, d. h. Individuen, welche
den Infektionskeim beherbergen, aber keine Zeichen von Krankheit
darbieten, nur daß bei den Tuberkelbaeillen die Mikroorganismen
nicht in den schleimhäutigen Kanälen, sondern innerhalb der Körper-
gewebe, also für andere Menschen unschädlich, ihren Aufenthalt haben.
Man könnte von endophoren Bacillenträgern sprechen. Es ist
kein Beweis dafür geliefert, ist im Gegenteil sehr unwahrscheinlich,
daß alle diese Baeillenträger später noch an Tuberkulose erkranken
müßten. Der menschliche Körper kann sicherlich auch eingedrungener
Bacillen noch Herr werden. Wie oft Kinder durch Rinderbaeillen
tuberkulös gemacht werden, wie oft Rindertuberkulose auf Kinder
übertragbar ist, das kann also nur durch Untersuchung tuberkulöser
Kinder festgestellt werden.
Unter den mit Perlsuchtbaeillen behafteten Kindern befanden sich
eine große Zahl von Abdominaltuberkulosen, und so lag der Ge-
danke nahe, daß man aus der Zahl der vorkommenden Intestinaltuber-
kulosen einen Rückschluß machen könne auf die Häufigkeit der In-
fektion mit Rinderbaeillen. Es stellte sich nun aber heraus, daß die
statistischen Feststellungen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen
Zeiten an demselben Orte durchaus nicht übereinstimmende Resultate
ergaben, und da zudem ein großer Teil der daraufhin untersuchten
Intestinaltuberkulosen sich als vom menschlichen Bacillentypus erzeugt
herausstellte, so kann meines Erachtens auf diesem Wege die Bedeu-
tung der Perlsuchtinfektion für den Menschen nicht festgestellt werden.
Da Perlsuchtbaeillen hauptsächlich bei anscheinend alimentärer
Infektion gefunden wurden, da Kinder die hauptsächlichsten Milch-
konsumenten sind, und da es am nächsten liegt, anzunehmen, daß durch
! Deutsche Med. Wochensehr. 1911, Nr. 8, |
Orr#: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 169
Milch der Import von Perlsuchtbaeillen in den menschlichen Körper be-
wirkt werden kann, so ergab sich die Aufgabe, nach Fällen zu forschen,
bei welchen man Beziehungen zwischen Milchgenuß und Tu-
berkulose überhaupt sowie Perlsuehttuberkulose im besonderen
feststellen konnte. Koch hat mit Recht darauf hingewiesen', daß man
bei diesen Forschungen mit scharfer Kritik vorgehen müsse und daß
die älteren Fälle einer solchen Kritik nicht standhalten. Leider hat
auch die weitere Forschung die widersprechendsten Resultate sowohl in
bezug auf die Beziehungen zwischen Milchgenuß und Häufigkeit der
Tuberkulose überhaupt als auch in bezug auf nachweisbare Entstehung
einer bovinen Tuberkulose durch Milchgenuß beim Menschen ergeben.
Die Tuberkulose ist eine oft so chronisch und latent verlaufende Krank-
heit, die Anwesenheit virulenter Baeillen in der genossenen Milch
ist so wenig zu kontrollieren, die Disposition der einzelnen Menschen
zur Tuberkulose ist eine so verschiedene, daß man von vornherein
erwarten konnte, durch derartige Untersuchungen werde man nicht
viel erreichen. Das war auch die Meinung Kochs, denn in seiner
Tuberkulosearbeit von 1884 heißt es auf S. 84: »Es ist deshalb sehr
die Frage, ob jemals ein Fall von menschlicher Tuberkulose einwurfs-
frei auf den Genuß von Fleisch oder Milch von tuberkulösen Tieren
zurückgeführt wird.«e Wenn also auch die im Deutschen Reich ver-
anstaltete Sammelforschung’, bei der unter Hunderten von Personen
nur zwei Fälle von durch Milch perlsüchtiger Kühe entstandener Perl-
suchttuberkulose beim Menschen festgestellt werden konnten, noch
negativer ausgefallen wäre, so würde meines Erachtens daraus doch
noch nicht der Schluß gezogen werden dürfen, daß dem Menschen
durch den Genuß perlsuchtbazillenhaltiger Milch nur eine sehr geringe
Gefahr drohe, denn gegenüber dem positiven Nachweis von mindestens
10 Prozent Perlsuchttuberkulosen unter den zur Sektion gekommenen
mit Tuberkulose behafteten Kindern können derartige negative Be-
sultate keine ausschlaggebende Bedeutung beanspruchen. Die bovine
Infektion muß stattgefunden haben, denn die bovinen Bacillen waren
vorhanden; bis uns nicht ein anderer Infektionsweg nachgewiesen wird,
werden wir mit größter Wahrscheinlichkeit die Milch als den Über-
trager ansehen dürfen. Auch die englische Kommission hält an dieser
Anschauung fest und nicht minder ‘die amerikanische, deren merk-
Würdige Erfahrungen am Findelhaus ich schon erwähnt habe.
| Bisher ist nur von dem Vorkommen der Rinderbaeillen bei
Kindern die Rede gewesen, und es fehlt nieht an Behauptungen, daß =
. 2 1. Internationale Tuberkulosekonferenz, Berlin 1902, Bericht von Pannwitz,
; a ei. N beiten aus dem Kais. Gesundheitsamt, Heft 10, 1910, S. ”
Sitzungsberichte 1912. | a. a
170 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
sie bei Erwachsenen überhaupt nicht vorkämen. Das ist ein Irrtum.
Kossel, ein Hauptvertreter der Kochschen Ansichten, hat selbst schon
vor Jahren einen solchen Fall mit tödlichem Ausgang beschrieben,
ebenso andere Forscher, und die englische Kommission hat in 55 Fällen
von Tuberkulose bei Adoleszenten und Erwachsenen 5 mal Rinder-
bacillen festgestellt, welche in 2 Fällen den Tod, in den anderen
wenigstens Behinderung der Arbeitsfähigkeit bewirkt hatten. Dazu
kommen aber bei der englischen Kommission auch noch 9 Fälle von
Lupus, welche teilweise wenigstens Erwachsene betrafen.
Auf diese Fälle muß ich gleich noch zurückkommen, denn sie
bieten noch nach einer andern Richtung hin ein besonderes Interesse.
Hier habe ich zunächst noch einen andern Punkt zur Sprache zu
bringen. Die Gegner der Anschauung, daß die Perlsuchtbaeillen auch
Menschen tuberkulös machen können, haben, als sich die Fälle von
nachgewiesener boviner Tuberkulose beim Menschen immer mehr häuf-
ten, sich schließlich auf die Behauptung zurückgezogen, daß die Perl-
suchtbacillen bei der Lungenschwindsucht keine Rolle
spielten. Koch‘ selbst hatin Washington 1908 darauf hingewiesen,
daß bisher kein Fall von Perlsuchtbaeillenbefund bei menschlicher
Lungenschwindsucht bekannt sei, und bemerkt: »Wenn bei weiterer
Untersuchung festgestellt werden sollte, daß Lungentuberkulose aus-
schließlich durch den Tuberkelbacillus des humanen Typus verursacht
wird, dann wird die Frage entschieden sein zugunsten des Stand-
punktes, den ich einnehme« usw. Wir haben schon gehört, daß Gaffky
erklärt hat, »für die Schwindsucht sei nicht der Genuß von Milch
perlsüchtiger Kühe, sondern die von dem Menschen ausgeschiedenen
Tuberkelbaeillen verantwortlich zu machen«, indessen, wenn das —
soweit man nach dem Baeillenbefund urteilen kann — auch der Haupt-
sache nach zutrifft, so hat es sich doch nicht als ausnahmslos zu-
treffend erwiesen, denn es sind seitdem mindestens zweimal, wahr-
scheinlich dreimal Tuberkelbaeillen des Typus bovinus allein und ein-
mal solche des Typus humanus und des Typus bovinus gemischt bei
wiederholter Untersuchung festgestellt worden. Ich rechne dazu noch
einen Fall von einem Kinde mit käsig-pneumonischen, also phthisischen
Lungenveränderungen, bei welchem in meinem Institut von Beitzke
nur Rinderbaeillen in Bronchialdrüsen gefunden wurden. Das sind ja
gegenüber den vielen hundert Fällen von Schwindsucht mit Typus hu-
manus nur verschwindend wenige Fälle, aber sie genügen, um den
Beweis zu liefern, daß auch die Rinderbaeillen von der direkten Er-
zeugung einer Lungenschwindsucht nicht ganz aus geschlossen sind.
' Berl. Klin. Wochensehr. 1908, Nr. 44, S. 2001.
Örr#: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 171
Es kommt aber noch eine andere Möglichkeit in Betracht, zwar
vorläufig nur eine Möglichkeit, aber doch eine Möglichkeit, die nicht
ganz in der Luft schwebt. Es haben sich in der letzten Zeit die
experimentellen Beweise dafür gehäuft, daß durch Überstehen einer
tuberkulösen Erkrankung die Reaktion des betreffenden
Tierkörpers gegenüber einer neuen Infektion mit virulen-
teren Tuberkelbaecillen geändert werden kann. Ob es sich da-
bei um eine gewisse erworbene Immunität handelt oder um andere
Vorgänge, steht noch dahin; das Wesentliche ist, daß dabei nicht
nur die Art und Stärke der durch die zweite Infektion bedingten
Veränderungen verändert wird, sondern auch ihre Lokalisation, und
daß dabei bemerkenswerterweise bei gewissen Tieren gerade die Lungen-
veränderungen ganz besonders in den Vordergrund treten. So konnte
ich Meerschweinchen, welche im Gegensatz zu Kaninchen bei einmali-
ger tödlicher Infektion mit Tuberkelbaeillen keine eigentliche Lungen-
schwindsucht darbieten, nach vorgängiger Behandlung mit Fried-
manns Schildkrötenbacillus typisch lungenschwindsüchtig machen‘.
Aus solehen und ähnlichen Befunden bei Experimentiertieren kann
man sicherlich keinen Rückschluß auf den Menschen machen, aber
ein Grund, an eine solehe Möglichkeit zu denken, ist doch sicher vor-
handen. Das käme dann etwas auf v. Behrings Theorie heraus, daß
eine im Säuglingsalter erworbene erste Infektion die Grundlage ab-
gebe für eine aus einer späteren Infektion hervorgehende Lungen-
schwindsucht. Ich habe schon in meinen für die Tuberkulosekonferenz
in Wien 1907 aufgestellten Leitsätzen® bemerkt, wieweit eine zur
Heilung gelangende Infektion durch sie, die Perlsuchtbaeillen nämlich,
prädisponierend für Lungenscehwindsucht wirken kann, bedarf noch
der weiteren Untersuchung. In der Tat halte ich es wohl für mög-
lich, daß eine in der Kindheit überstandene Infektion mit bovinen
Baeillen in ähnlicher Weise beim Menschen wirken könnte wie die
Schildkrötenbaeillen bei meinen Meerschweinchen, und daß diesem
Punkte bei den weiteren Forschungen Aufmerksamkeit geschenkt werden
muß. Sollte sich aber so etwas wirklich feststellen oder auch nur
wahrscheinlich machen lassen, welche neue ungünstige Bedeutung
würden dann die Perlsuchtbaeillen für den Menschen erlangen und
wie müßte die Behauptung, daß die Lungenschwindsucht ausschließ-
lich durch Tuberkelbaeillen des humanen Typus hervorgerufen werde,
eingeschränkt werden! —
wurde schon im vorhergehenden von Rinderbaeillen und
Menschenbaeillen gesprochen und ein gewisser (Gegensatz zwischen
! Berl. Klin. Wochenschr. 1906, Nr. 20. =
2 VI. Internat. Konf. Wien 1907, Bericht von Pannwitz, 8.67.
ae
172 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
beiden angenommen, jetzt muß ich auf die Frage, inwieweit ein solcher
Gegensatz zwischen einem Typus bovinus und einem Typus
humanus der Tuberkelbacillen besteht, noch etwas näher eingehen,
Es ist zweifellos ein großes Verdienst der Kochschen Schüler
im Kais. Gesundheitsamt gewesen, daß sie' durch eingehende Unter-
suchungen feststellten, daß es beim Menschen Tuberkelbacillen gibt;
welche sich sowohl kulturell, als auch in Bezug auf ihre Patho-
genität für Tiere in charakteristischer Weise von den bei Rindern
vorkommenden Baeillen unterscheiden und welche man zweckmäßig
als Typus humanus und Typus bovinus einander gegenüberstellt.
Diese Angaben haben von allen Seiten Bestätigung gefunden und
darin stimmen nun alle Untersucher überein, daß die aus perlsüch-
tigem Rindvieh zu züchtenden Tuberkelbaeillen von den aus den meisten
tuberkulösen Menschen gewonnenen Tuberkelbaecillen durch charak-
teristische Merkmale zu unterscheiden sind, die zwar jedes einzelne
an und für sich nicht zur Trennung hinreichen, aber in ihrer Gesamt-
heit doch eine solche in verschiedene Typen gestatten. Wenig be-
deutungsvoll sind morphologische Unterschiede der einzelnen Baecillen,
denn es kommen in dieser Beziehung in demselben Typus. große
Schwankungen vor, dagegen spielen eine große Rolle Verschieden-
heiten des Wachstums auf bestimmten Nährböden (der Humanus
wächst rascher, er ist eugonisch, der Bovinus wächst langsamer, ist
dysgonisch, nach der Bezeichnung der englischen Kommission), Ver-
schiedenheiten des biologischen Verhaltens in bestimmten Nährböden
z. B. in bezug auf Säurebildung, und vor allem auf Verschiedenheiten
der Virulenz für verschiedene Tiergattungen. Während z.B. Affen,
auch Anthropoide, und unter den gewöhnlichen Versuchstieren das
Meerschweinchen für beide Typen gleiche Empfänglichkeit zeigen und
auch in gleicher Form erkranken, verhalten sich Kaninchen und Kälber
wesentlich verschieden, indem Kälber dureh Baeillen des Typus humanus,
auch wenn diese in großer Menge ihnen beigebracht wurden und ob-
gleich sie monatelang lebend in dem Rindviehkörper anwesend bleiben,
doch keine fortschreitende Krankheit erlangen, während bei Kaninchen
die durch humane Bacillen entstehende Krankheit viel milder verläuft,
so daß die Tiere durch eine Menge von 0,01 g Baecillen bei sub-
kutaner Injektion nur eine örtliche Affektion bekommen, während sie bei
gleicher Zufuhr der gleichen Menge boviner Bacillen einer fortschreiten-
den, tödlichen Tuberkulose zu verfallen pflegen. |
Auch in bezug auf die Virulenz ist das eben Erwähnte nur die
Regel, von. der es aber Ausnahmen gibt. So wurden z.B. aus Rin-
' Kossel, Weber und Heuss, Tuberkulosearbeiten aus d ui &
‚heitsamt, Heft 1, 1904 und Heft 3, 1905 en Kaie. Ben
OrtH: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 173
dern Bacillen gezüchtet, welche sonst den Typus bovinus darboten,
während sie sich trotzdem im Experiment für Kälber wenig oder
gar nicht virulent erwiesen. Immerhin kann man sagen, daß bis jetzt
im perlsüchtigen Rindvieh niemals Bacillen vom Typus humanus ge-
funden wurden, so daß man daraus den Schluß ziehen muß, daß dem
Rindvieh seitens der mit Typus humanus behafteten Menschen keine
Gefahr droht, daß also das Rindvieh sich selbst mit Perlsucht ansteckt,
aber nicht von der gewöhnlichen Tuberkulose des Menschen angesteckt
wird. Auf der Bezeichnung »gewöhnliche« Tuberkulose des Menschen
liegt der Nachdruck, denn nachdem, wie wir schon gehört haben,
immer zahlreichere Fälle bekannt werden, bei denen nicht die ge-
wöhnliche, sondern eine bovine Tuberkulose vorlag, haben sich selbst-
verständlich auch die Fälle gemehrt, bei denen es gelungen ist, diese
Tuberkulose des Menschen auf das Rindvieh zu übertragen, welches
genau so erkrankte, wie wenn es mit von Tieren stammenden Massen
infiziert worden wäre. Es liegt aber hier nur eine rein bakteriolo-
gische, keine morphologische Verschiedenheit der menschlichen Tuber-
kulose vor, und die in der Literatur beschriebenen perlsuchtähnlichen
Formen menschlicher Tuberkulose haben nur eine morphologische,
nicht notwendig auch eine ätiologische Ähnlichkeit mit den Perlsucht-
veränderungen der Rinder. Morphologisch ist also die menschliche
Tuberkulose nach unseren jetzigen Kenntnissen eine einheitliche Er-
krankung, aber ätiologisch gibt es zwei Formen, von denen die eine
durch Baeillen vom Typus humanus, die andere durch solche vom Typus
bovinus ausgezeichnet ist. Schon aus dieser doppelten Empfänglich-
keit des Menschen für Tuberkelbaeillen der beiden verschiedenen Typen
ließ sich von vornherein erwarten, daß die Frage, ob die zweifellos be-
stehenden charakteristischen Verschiedenheiten stabile, unverrückbar
'feststehende seien, so daß die beiden Typen als zwei verschiedene
Arten von Tuberkelbaeillen anzusehen seien, zunächst vorzugsweise
durch Untersuchungen der bei tuberkulösen Menschen vorkommenden
Baeillen der Entscheidung entgegengeführt werden konnte und mußte.
Diese an den verschiedensten Orten unternommenen Untersuchun-
gen haben nun das Resultat ergeben, daß es beim tuberkulösen
Menschen gleichzeitig die beiden Typen von Baeillen geben
kann, sei es an demselben Orte, sei es an getrennten Stellen im
kranken Körper. Es ließen sich dabei aber die typisch verschiedenen
Formen isolieren, ohne daß Übergangsformen zu bemerken waren.
Weiter aber wurde festgestellt, daß es noch viel häufiger und in noch
viel höherem Grade wie bei den Rindern Abweichungen vondem
gewöhnlichen Typus gibt, daß Baecillenstämme vorkommen, welche
in dieser oder jener Beziehung wesentlich von den typischen abweichen.
174 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
Auch aus dem Material meines Instituts sind von Frau L. Rabino-
witsch derartige abweichende Stämme gezüchtet worden, für welche
die Forscherin den Namen »atypische Stämme« eingeführt hat‘,
den ich für besser halte als den von der englischen Kommission be-
nutzten »intermediäre Formen«, da gerade diese Kommission außer
intermediären auch solche Stämme vom Menschen gezüchtet hat, welche
mit ihren Eigenschaften nicht eigentlich zwischen dem Typus bovinus
und humanus stehen, sondern ganz aus den beiden Typen heraus-
fallen, indem z. B. für Affen und Meerschweinchen die Virulenz ge-
ringer gefunden wurde, als sie es bei den typischen Formen, sei es
bovinen oder humanen, ist. s
Diese Befunde wurden bei Lupuskranken gemacht und ver-
dienen die allergrößte Beachtung, weil sie mit der Lehre von einer
stabilen Verschiedenheit des Typus bovinus und Typus humanus nicht
in Einklang zu bringen sind. Dabei haben die englischen Forscher
gefunden, daß diese atypischen Stämme unter ihren Lupusfällen bei
weitem die Majorität bildeten, denn bei 20 Lupuskranken verschiede-
nen Alters und Geschlechts und mit verschieden langer Dauer der
Krankheit konnten nur 3mal regelrechte Baeillentypen, 2mal Typus
humanus, ımal Typus bovinus, nachgewiesen werden, 17mal dagegen
abweichende Formen, die $mal mehr dem bovinen, gmal mehr dem
humanen Typus sich näherten, aber auch unter sich wieder Verschieden-
heiten darboten. Schon dieser Umstand läßt keinen Zweifel darüber, daß
es sich nicht um neue, besondere Typen handelt, sondern, wie die
englische Kommission annimmt, um Modifikationen der gewöhnlichen
Typen. Dafür spricht aber auch eindringlich der weitere Umstand,
daß es den englischen Forschern gelang, bei mehreren dieser Bacillen-
stämme (4 dem Typus bovinus, ı dem Typus humanus nahestehen-
den) die Eigenschaften (und zwar die Virulenz) zu verändern, also neue °
Modifikationen zu erzeugen und bei zweien der den bovinen Baeillen
nahestehenden durch längeren Aufenthalt in einem Kaninchen im einen,
durch mehrmaligen Durchgang durch Kälber und längeren Aufenthalt
in diesen im anderen den Bacillen die typische Virulenz der
Rinderbaeillen anzuzüchten. Dies ist eine Tatsache von der
allergrößten Wichtigkeit, denn sie erschüttert die Lehre der Kochschen
Schule von der völligen Verschiedenheit der beiden Bacillentypen bis
in die Grundfesten hinein. Wenn es Modifikationen dieser Typen,
wenn es Übergangsformen gibt, wenn man künstlich aus einzelnen
wenigstens dieser Modifikationen typische Formen erzeugen kann, so
können die Rinder- und gewöhnlichen Menschenbaeillen nicht als zwei
" Berl. Klin. Wochenschr. 1906, Nr. 24 und Arbeiten d :
Berlin, Festschrift 1906, S. 365. aus dem Pathol. Institut zu
ÖrTH: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 175
verschiedene Arten gelten, so kann, auch ganz abgesehen von: der
typischen bovinen Tuberkulose des Menschen, eine scharfe Trennung
zwischen der menschlichen und der Rindviehtuberkulose nicht gemacht
werden, d.h. die Lehre von der Einheit der Menschen- und der Rinder-
tuberkulose muß wieder hergestellt werden und es darf nicht mehr
von zwei verschiedenen, wenn auch verwandten Krankheiten, sondern _
nur noch von verschiedenen Modifikationen einer und derselben Krank-
heit gesprochen werden.
Wenn dem aber so sein sollte, so müßte es auch möglich sein, die
Modifikationen, die Übergangsformen, mit einem Wort, die atypischen
Stämme selbst aus den typischen künstlich zu erzeugen. Das gelingt
noch nicht ohne weiteres. Wie die englischen Forscher bei einem Teil
ihrer atypischen Lupusbaeillenstäimme eine Änderung der Eigen-
schaften, eine weitere Modifikation nicht haben erzielen können, so ist
es ihnen auch nicht ein mal gelungen, aus typischen atypische Stämme
zu erzeugen. Gleiche Resultate haben auch andere Forscher gehabt,
aber abgesehen von älteren Ausgaben, z. B. von von Behring, sind
sehr beachtenswerte neue Untersuchungen, insbesondere von Eber,
bekannt geworden, welche mit Bestimmtheit beweisen, daß es unter
Umständen gelingt aus schwindsüchtigen Menschenlungen gewonnene
Bacillenstämme aus typisch humanen in typisch bovine um-
zuwandeln. Eber' hat von 7 von schwindsüchtigen Menschen stam-
menden, die Eigenschaften des Typus humanus darbietenden Stämmen
durch fortgesetzte Übertragungen auf Tiere 3 derart umwandeln können,
daß sie nicht nur die Virulenz, sondern auch die Wachstumseigen-
schaften des Typus bovinus darboten. Es kann bei solchen Experi-
menten eine Reihe von Fehlerquellen vorhanden sein, es könnten u. a.
von vornherein beide Typen vorhanden gewesen sein, von denen der
vielleicht in der Minderzahl gewesene Rinderbazillus allmählich den
menschlichen überwucherte, so wie es die englische Kommission unter
Abänderung ihrer früheren Ansicht bei ihren anscheinend positiv aus-
gefallenen Variationsversuchen mit typischen Stämmen annimmt, aber
bei den Eberschen Versuchen erscheint diese Erklärung ausgeschlossen.
Daß Eber einen besonderen Infektionsmodus benutzt (gleichzeitig sub-
kutane und intraperitonäale Injektion der Baeillen), kann nicht in Be-
tracht kommen, denn es handelt sich nicht hauptsächlich darum, ob
leicht oder schwer, ob auf einfachem oder kompliziertem Wege die
Überführung des einen in den andern Typus möglich ist, sondern zu-
nächst um die Grundfrage, ob eine solche Variation überhaupt künstlich
herbeizuführen ist. Sehr bemerkenswert ist dabei, daß es Eber nur
einmal bei Bazillen vom Typus humanus, welche aus Kniegelenks-
: Zentralblatt für Bakteriologie (Originale) Bd. 59, Heft 3, ıgıı, S. 193.
176 Gesammtsitzung vom 8. Februar 1912.
granulationen eines gjährigen Kindes stammten, geglückt ist, durch
Übertragung einer Reinkultur auf Kälber eine Umwandlung in Typus
bovinus zu erzielen, während ihm dies in 3 Fällen mit Bazillen aus
schwindsüchtigen Lungen nur gelang, wenn er tuberkulöses Material
von den geimpften Meerschweinchen übertrug. Bei einem dieser Stämme,
dessen Reinkultur kein Resultat gab, wurde ein solches erzielt, als mit
dieser Reinkultur infiziertes Meerschweinchenmaterial zur Übertragung
verwendet wurde, ein Beweis, daß nicht etwa von dem kranken
Menschen stammende Stoffe zur Erlangung der positiven Resultate not-
wendig sind.
Für mich sind diese Feststellungen um so interessanter, als es mir
vor 10 Jahren schon geglückt ist, auf ähnlichem Wege ein Kalb mit
Baeillen aus sehwindsüchtiger menschlicher Lunge tuberkulös zu
machen. Ich hatte erst ein Meerschweinchen infiziert, dann aus diesem
Baeillen rein kultiviert, mit einer Reinkultur ein Kaninchen infiziert
und nun durch Übertragung von Stückehen einer tuberkulösen Niere
dieses Kaninchens ein Kalb infiziert, welches an einer fortschreitenden
Tuberkulose erkrankte.
Sollten auf solehe oder andere Weise noch öfter gleiche Resultate
erzielt werden, so wäre die Dualitätslehre ihrer Hauptstütze beraubt,
es bliebe aber immer noch die Tatsache bestehen, daß die Baeillen der
Perlsucht und diejenigen der gewöhnlichen Menschentuberkulose ty-
pische Verschiedenheiten darzubieten pflegen. Koch selbst legte, wie
er in Washington 1908 äußerte, auf die Frage, ob es sich dabei um
Arten oder nur um Varietäten handele, gar keinen Wert, er bestritt gar
nicht, daß eine kulturelle Umwandlung möglich sei, behauptete ‘aber,
das sei für die Beurteilung der praktischen Bedeutung der Perlsucht
ganz gleichgültig, denn der Mensch könne sich eben nur mit dem beim
Rinde allein vorkommenden reinen Typus bovinus vom Tiere aus in-
fizieren, praktisch habe man es nur mit ihm zu tun. Das ist schon
richtig, allein ich kann trotzdem den Kochschen Standpunkt nicht
teilen. Wie ich schon ausgeführt habe, können wir die Größe der
Gefahr, welehe dem Menschen von den tuberkulösen Tieren droht,
nur bestimmen aus der Häufigkeit, mit der man vom Rindvieh her-
zuleitende Baeillen beim tuberkulösen Menschen findet. Wenn man
die Möglichkeit einer kulturellen Umwandlung von Typus humanus
in Typus bovinus zugeben muß, so muß man auch die Möglichkeit
einer Umwandlung von Typus bovinus in Typus humanus zugeben,
und es ist, mag auch der bovine Typus Jahrelang im Menschen sich
rein erhalten können, doch kein Grund ersichtlich, warum eine solche
Umwandlung nicht auch im Menschen vor sich gehen könne, viel-
leicht nicht sofort, sondern etwa nach mehrmaliger Übertragung. Die
Örrn: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 177
aufgefundenen atypischen Stämme könnten solche in der Umwand-
lung aus bovinem in den humanen Typus begriffene Stämme sein.
Wenn dem aber so wäre, so würde sofort die Zahl der Fälle, bei
welchen eine Tuberkulose bei Menschen von Rindvieh stammen könnte,
beträchtlich in die Höhe schnellen und die Bedeutung also der Rind-
viehtuberkulose für den Menschen eine erheblich größere sein, als
sie aus dem Befunde reiner Bovinusstämme beim Menschen erschlossen
werden könnte. Erst recht aber würde die Perlsucht an Bedeutung
gewinnen, wenn man damit rechnen müßte, daß mindestens ein Teil
der Stämme vom Typus humanus umgewandelte, dem Menschen ak-
kommodierte Bovinusstämme wären. Nach der Größe der Gefahr
richtet sich aber die praktische Bedeutung der Perlsucht und die
Dringlichkeit ihrer Bekämpfung.
Überschauen wir noch einmal das vorliegende tatsächliche Ma-
terial, so kommen wir zu folgenden Schlußfolgerungen:
Es ist richtig, daß es zwei Typen von Tuberkelbaeillen gibt, von
denen der eine dem Rindvieh, der andere dem Menschen eigentümlich
ist; es ist aber nicht nachgewiesen, im Gegenteil nach den neuesten
Untersuchungen besonders des Lupus und nach den Resultaten neuerer
Experimente unwahrscheinlich, daß es sich dabei um zwei verschiedene,
mit bleibenden Eigenschaften versehene, also nicht zusammenhängende
Organismen handelt; es ist richtig, daß der typische genuine mensch-
liche Tuberkelbaeillus nicht für Rinder pathogen ist, es ist aber ebenso
richtig, daß das Gegenteil nicht der Fall ist, daß vielmehr der ty-
pische Rinderbaeillus auch den Menschen krank machen kann; die
Behauptung, die Rindertuberkulose könne nicht auf den Menschen über-
tragen werden, ist also ebenso falsch wie die andere, daß Tuberkulose
überhaupt vom Menschen auf Rindvieh nicht experimentell übertragen
werden könne, denn es gibt eine bovine Tuberkulose beim Menschen.
Es ist richtig, daß diese bovine Tuberkulose, die vielleicht nur eine
Modifikation der genuinen menschlichen Tuberkulose ist oder umge-
kehrt, vorzugsweise im Kindesalter vorkommt, es ist aber nicht richtig,
daß sie nur bei Kindern vorkomme. Es ist richtig, daß die durch
bovine Bacillen erzeugte Menschentuberkulose häufig nur lokale, wenig
progrediente Veränderungen erzeugt, es ist aber nicht richtig, daß
sie von ganz geringfügiger Bedeutung sei, denn es sind eine ganze
Anzahl von Fällen bekannt, in denen Rinderbaeillen den Tod von
Menschen herbeigeführt haben. Es ist richtig, daß die überwiegende
Mehrzahl der Lungenschwindsüchtigen bei der Untersuchung Bacillen
vom Typus humanus zeigt, es ist aber nicht richtig, daß die Lungen-
schwindsucht ausschließlich durch Baeillen vom Typus humanus
erzeugt wird, und es besteht die Möglichkeit, daß auch in den ge-
Sitzungsberiehte 1912. . 15
178 Gesammtsıtzung vom 8. Februar 1912.
wöhnlichen Fällen ein boviner Baecillus, sei es durch Erzeugung einer
Disposition zu Lungenschwindsucht, sei es durch Umwandlung, eine
Rolle spielt. Es ist richtig, daß bei der Bekämpfung der Tuberkel-
bacillen und der Tuberkulose der Kampf in erster Linie gegen die
Baeillen. welche vom Menschen stammen und in der größten Mehr-
zahl aller Fälle dem Typus humanus angehören, gerichtet werden
muß, es ist aber nicht richtig, daß man den Menschen nicht gegen
die vom Rinde stammenden Bacillen besonders zu schützen brauche,
da die von ihnen drohende Gefahr zu gering sei, ganz im Hinter-
grunde stehe. Sind die beiden Baeillentypen nur Modifikationen der-
selben Art, können, wie es im Experiment bei Rindern mit Menschen-
bacillen geglückt ist, so auch beim Menschen umgekehrt aus Rinder-
bacillen solche vom Typus humanus werden, worauf die atypischen
Formen hindeuten, so ergibt sich die große Gefährlichkeit der Rinder-
tuberkulose für den Menschen ganz von selbst, aber auch wenn man
zwei scharf getrennte Typen anerkennt, bleibt die Tatsache bestehen,
daß typische Rinderbaeillen den Menschen krank machen und töten
können und daß, von dem Lupus ganz abgesehen, die Zahl der an
boviner Tuberkulose leidenden Menschen nicht gering ist, da bei einem
Prozentsatz von auch nur ıo Prozent unter den Zehntausenden von
tuberkulösen Kindern Tausende von Perlsuchtkranken vorhanden sein
müssen. Und wie nun, wenn sich als tatsächlich herausstellt, was
vorläufig nur als Möglichkeit gelten kann, daß Überstehen einer Perl-
suchtinfektion in der Jugend die Disposition zu einer chronischen
Lungenschwindsucht verleiht oder doch verleihen kann, wer möchte
dann noch sagen, für die Bekämpfung der Tuberkulose als mensch-
liche Volkskrankheit sei der Kampf gegen die Produkte tuberkulösen
Rindviehes ganz in den Hintergrund zu stellen?! Wozu gründet man
denn eine Gesellschaft zur Bekämpfung des Lupus, der nach der eng-
lischen Kommission in 45 Prozent durch typische oder atypische bo-
vine Bacillen erzeugt wird, wenn man nicht die Hauptquelle für bo-
vine Baeillen, die baeillenhaltigen Produkte perlsüchtigen Viehes, mit
Energie bekämpfen will?
Die Aufgaben für die Zukunft ergeben sich von selbst. Im
Vordergrund steht die Frage der Variabilität der beiden Bacillentypen;
es müssen die atypischen Formen genau erforscht, es müssen mit ihnen
vor allem Umzüchtungsversuche gemacht werden, es müssen die Versuche,
typische menschliche Baeillen in atypische oder gar in typische bovine
umzuwandeln, fortgesetzt und es muß versucht werden, bovine zu mo-
difizieren, oder in humane umzuwandeln, es muß in allen Ländern der
Lupus bakteriologisch studiert werden, es müssen die Forschungen über
die Häufigkeit des Vorkommens boviner Baeillenformen bei Kindern
Örra: Über Rinder- und Menschentuberkulose. 179
und Erwachsenen, insbesondere bei schwindsüchtigen Erwachsenen,
fortgesetzt werden, es muß Material für die Frage, ob Perlsuchtinfektion
in der Kindheit Beziehungen zu späterer Lungenschwindsucht hat, her-
beizuschaffen versucht werden, es muß weiter geforscht werden über
die Wege, auf welchen Bacillen von Tieren, insbesondere Kühen, in den
menschlichen Körper hineingebracht werden.
In der Bekämpfung der Tuberkulose darf auch in Zukunft
nichts versäumt werden, was dazu beitragen kann, die Zahl der Tuber-
kelbacillen zuvermindern und die Übertragung von Bacillen auf Menschen
zu verhindern. Die Übertragung von Mensch zu Mensch spielt sicher
eine hervorragende Rolle, vom Menschen stammende Baeillen, wie sie
besonders im Auswurf enthalten sind, müssen daher in erster Linie un-
schädlich gemacht, ihre Übertragung auf andere Menschen muß durch
geeignete Vorkehrungen soviel wie möglich erschwert werden. Aber
daneben darf auch der Kampf gegen die Rindviehbaeillen nicht gering
geachtet werden, wobei sowohl auf die Verminderung der Perlsucht
beim Vieh als auch auf die Verhinderung der Übertragung lebender
Rinderbaeillen auf den Menschen durch sanitätspolizeiliche Maßnahmen
gegenüber dem Kadaver sowie gegenüber der Milch und den Milch-
produkten Bedacht zu nehmen ist. Nach allem, was ich dargelegt habe,
kann ich mit Kleine!', der offenbar den Standpunkt des Instituts für In-
fektionskrankheiten vertritt, nieht übereinstimmen, wenn er schreibt: »So
wünschenswert und wichtig auch im Interesse der Landwirtschaft alle
Maßnahmen zur Ausrottung der Perlsucht sein mögen, eine Herab-
minderung der menschlichen Tuberkulose wird durch sie nicht erzielt
werden.« Etwas anders drückt Kossel einen ähnlichen Gedanken aus
in den Worten” »gelänge es wirklich, durch prophylaktische Maßnahmen
die Gefahr der Infektion aus tierischer Quelle völlig zu verhüten, so
würde die Tuberkulose immer noch dieselbe verheerende Volkskrankheit
bleiben«. Nach Wegfall der bovinen Krankheitsfälle würde die Tuber-
kulose beim Menschen zwar nicht mehr dieselbe, aber sicherlich noch
‚ eine verheerende Volkskrankheit bleiben; aber eine mit allen Mitteln zu
bekämpfende Volkskrankheit (Kindertuberkulose, Lupus) würde noch
übrigbleiben, auch wenn alle Baecillen vom Typus humanus vernichtet
wären, denn es kann die Tuberkulose unter dem Menschen-
geschlecht nicht verschwinden, solange noch immer von
neuem Perlsuchtbacillen von Tieren auf den Menschen über-
tragen werden können.
! Ztschr. f. Hyg. u. Inf. Bd. 52, S. 512, 1906.
2 Deutsche Med. Wochenschr. rg11, Nr. 43.
2 Ausgegeben am 15. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
weise oder auch in weit
deutscher veröblin tlicht ode
werden. Sollte e dem zuwiderlaufende Verse
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Die Sitzungsberichte echeinen in einzelnen Stücken
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Jeden Sitzungsbericht ger t eine Übersicht über die
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fertig zugestellt werden. Per eingereichte M: nuseript
werden, mit dem dem Präsentationsvermerk des
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J. Warner: Die Sedimente der Taubenbank im Golfe von Nea
A. Bersericn: Tafeln für die heliocentrischen Coordinaten von u yon Planeie ten
Ta. Wıesanp: Siebenter vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Museen in Milet and
idyma unternommenen Ausgrabungen
J. Perers: Einundzwanzigstellige Wertlie » Funetionen Sinus un und "Cosinus”
i i rum
M
C. Tau: Die Handschriften des Corpus agfimene
R. Isesscumip: Zur Kenntniss der Grosshirnrinde der
Fe era Zellanordnungen und Faserzüge im Vorderhirn n Siren lacerti
M. Neı ber die Kerne des Diencephalon bei einigen "Stugeihiren \
"Aonoscnassas ber die Kerne des menschlichen Kleinhir :
H. Jusker: Der na, = Harbor -Tefnut aus Nubien .
F. Fre Be Hırter von GAERTRINGEN un rrensasn: Arkadische "Forschungen
N
Ta. Wırsasp: Erst er voriger Bericht über die von den Königlichen Museen unternommenen
Ausgr ee in Samos . :
Sitzungsberichte der Akademie.
Preis des Jahrgangs
Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1911.
R. Meister: zen aus Rantidi in Kypros (hierzu Taf. IV) .
Rusess und O. vos Barver: über = Feel ggg der von der Quaraquecksilberlampe a aus-
gesandte ılangwellign Stra er
Frogentus: über die nen ee Bewegun ıgsgruppen ae ig =
Frosentus: ee Ableitung der 32 Krysta lelassen“ ae
Sonderabdrucke. I. an 1911.
Praser: zur Hypothese der Quantenemission
ee zur Früh ischichte nn bee Philos sophi
tz bei
ophie >. =
Be een en ae Pen i pho otochemischen Vorgäng en in Gas er
vox Wiramowiırz-MoELLENDOR n Stück aus dem Ancoratus des Eoichanioe- es
Wıirx: Boden der a feden en der Kanalstrahlen
vos Wıramowırz-MoeLLexporrr und F. Zucker: zwei Edicte des En auf einem Papyrus
des Berliner Muscuns in Taf.
A. Ba, die Tektonik des tief eren Untergrundes Norddeutschla: u
Herrwıs: Moesihoriuhereeniche an thier
dioplasmanatur der Kernsubstanz i
Scaortky: über das Euzer’sche Dr rehungsproblen .
ScHoTtky: über die vier Jacorı’schen The
Erman: ein Denkmal memphitischer Theolog
ach-
schen ee ein experimenteller E Beweis für "die
Jacosı: Cultur-, Spr un iterkeligiärzachee aus dem Rauiliya i .
E. u. die Tnschrifien des Königs eg lumu a
J. Hess: über ein angebliches Diokleszita :
Be die Stuckfagade von Acanceh in Ycatan (hierzu Taf. E.VI-XY) es
‘. Mever: zu den aramäischen Papyri ie Elephar 2 ;
Srauve: über die Lage der Marsiehss u d die Kon 2 en im Marssystem ET
Ernan: Denksteine aus der 'hebanischen. Fi Fee rel Taf. X
F. Fre d C. Resz: Kreide und d
H un ı Kio agebiet (Mitelgriechenland)
Martens: über die Messung grosser Kräfte im Naterilprüfungswesen
©. Brockeimasn: zu den Inschriften des Königs Kal
Bone seendeucke. I. ee 1912,
I. Schur: über einen Satz von ©. Cararn R es
Fropesivs: Aug eines Satzes von ds neben aus einer ‚Formel von | Kaosroxen
Koser: Festre # i
vos Wir.asowrrz-MoeLLEnDoRFF: Mimnermos "und Properz -
Russer: über die Betheiligung Bars :ellularer mn am _ Energieverbraneh der Zelle .
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Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
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Die Akademie gibt a N 41,1 der Statuten zwei
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und »Abhandl me n der Königlich arte ala
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Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die
» Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-
demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel
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mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
che angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benntzen.
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in der Regel in = Sitzungsberiehten bei Mitgliedern 32,
bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
der Staungsherich, in den Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der ee Schrift der Abhand-
lungen SR heil eiger
erschreitung r: 6 renzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu
Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Dank abschätzen zu lassen.
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
a. ea (Zeichnungen, phötoprhpkische Öriginal-
en u.s. w.) gleichzeitig mi ie — jedoch
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Die Kosten der ee de * Vorlagen haben in
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’orlegung u d Einreichung des
vollständigen ürncklertiren Kirn seripts an den
zuständigen Secretar oder an den Archiv
wird. a Aufnahme der an, m in > eo...
Schriften, und zwar, wenn enden Mit-
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itthei lunge von Verfassern, weiche nicht Mitglieder
der Abkas mie sind, sollen der Regel nach nur in >
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wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
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Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
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und die Verfasser er zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichte
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n allen in die Sitzungsberichte ed Abhandlungen
ee wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
a Mittheilungen, wenn deren Umfang im
ruck 4 Seiten . age auch aa = Buchhandel Sonder-
En ıcke herges e alsbal h Erscheinen des be-
Beenden Stücks a Sizungsberiehe ausgegeben \ w Bing
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
n den Sonde mbdrusken aus den Sitzungsberichten
N ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist,
zu en Vertheilung ohne weiteres 50 Frei-
exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten er Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl
zur Zahl von 200 (im nn also 350) abziehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Vertheilung zu ge so bedarf es dazu
igung der Gesam emie oder der be-
Classe. — Nie nt ee erhalten 50 Frei-
er und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre
Kosen abziehen lassen.
on den enlarge aus den Abhandlungen er-
hält au Verfasser, welcher Mitglied der eng =
zu unentgeltlicher Verth eilung ohne weiteres 30 F
exemplare; er ist inıess berechtigt, zu Yiehhen Zwecke
ee Bat wünscht er auf seine Kosten noch mehr
ige
redigivenden Seeretar weitere 100 Exemplare .auf ihre
en.
Kosten abziehen lasse
T:
Eine für die skademischen Schriften be-
lle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es aueh nur auszugs-
(Fortsetzung auf $S.3 des Umschlags.)
181
SITZUNGSBERICHTE 1912.
DER vn.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
ı *1 7 +1 2 e Re
15. Februar. Sitzung der y Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*1. Hr. Pencx las: Über die Schliffkehle.
Oberhalb des Trograndes bezeichnet die Schliffkehle in den glacial ausgestal-
teten Alpenthälern das Einsetzen einer neuen starken glacialen Erosion. In der Mont-
Blanc-Gruppe ist dieselbe am »Plan« im wesentlichen durch kleine Nebengletscher
des grossen Arvegletschers bewirkt worden, die wie Kargletscher wirkten und ihr
Hintergehänge untergruben. In der Regel jedoch gehört die Schliffkehle zu den
Unterschneidungsformen des Hauptthalgletschers, und ihr Auftreten ist mit einer starken
Zerrüttung des Gesteines durch glaciale mechanische Verwitterung in Zusammenhang
zu bringen. Die Schliffkehle gehört dann zu den Formen der seleetiven Erosion, der
Trog zu denen der dirigirten.
2. Hr. Prof. Braux in Königsberg, dem vor längerer Zeit von der
Classe die Mittel zu einer Studienreise nach den Fär Oern bewilligt
wurden, berichtet über die Veröffentlichungen, zu denen seine dor-
tigen Untersuchungen Anlass gegeben haben, mit Einsendung der
neuesten: Über die Brustflosse der Wale. Von Dr. ArwoLn Kunze.
(SA. Zoolog. Jahrbücher 1912.)
Ausgegeben am 22. Februar.
Sitzungsberichte 1912. ms
183
SITZUNGSBERICHTE 1912.
IX.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
15. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.
l. Hr. Harnack las über die Geschichte eines program-
matischen Worts Jesu (Matth. 5,17) in der ältesten Kirche.
Der Spruch Jesu, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern
zu erfüllen, ist für die älteste Christenheit, die sehr bald die Gesetzesbeobachtung bei
sich einstellte, ein schweres Problem gewesen. Deßhalb hat sie an den Spruch eine
grosse Arbeit gesetzt; auch haben Versuche nicht gefehlt, ihn durchgreifend zu corri-
giren. Beruhigung trat erst ein, als man den Kern des Gesetzes mit dem natür-
lichen Sittengesetz identifieirte und auch sonst Unterscheidungen im Begriff des Ge-
setzes machte. In dem Gedanken, dass die Liebe die Vollendung des Gesetzes sei,
blieb die Kirche aber dem Sinne Jesu nahe.
2. Hr. Sacuau legte vor Bd. 2, Th. 2 der von der Akademie unter-
nommenen Ausgabe des Ibn Saad, hrsg. von F.Scuwarıy. Leiden 1912.
184 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
Geschichte eines programmatischen Worts Jesu
(Matth. 5,17) in der ältesten Kirche.
Eine Skizze von ApouLr HArnAck.
Der Sinn des Spruchs und die Anstöße, die er bot. Die Urgemeinde. r. Paulus.
2. Lukas. 3. Johannes. 4. Der Hebräerbrief. 5. Mareion (und die Maniehäer). 6. Die
gnostischen Ebioniten, die klementinischen Homilien und die Enkratiten. 7. Ptolemäus.
8. Der Jakobusbrief. Der Barnabasbrief. Die Testamente der zwölf Patriarchen.
Hermas. Die Predigt des Petrus. 9. Justin. 10. Irenäus. Clemens. Origenes. Tertullian.
Die Didaskalia. Hippolyt (Der Kaiser Julian. Der Traktat Schabbath). rt. Schluß-
ausführungen.
»Wähnet nicht, daß ich gekommen bin, niederzureißen
das Gesetzoder (und) die Propheten; ich bin nichtgekommen,
niederzureißen, sondern zu vollenden (maHr&caı).«
Dieses Wort Jesu hat, obgleich es nur durch Matthäus überliefert
ist, allen Anspruch auf Echtheit. Ob es schon in der Spruchsamm-
lung gestanden hat, die Matthäus und Lukas benutzt haben, muß man
dahingestellt sein lassen; wahrscheinlicher ist es, daß Lukas den Spruch
gekannt, aber beiseite gelassen hat; denn den folgenden Spruch
(s. Matth. 5,18), der den unsrigen zur Voraussetzung hat, hat er wieder-
gegeben (s. Luk. 16, 17).
Die Echtheit soll hier nicht begründet werden! — genug, daß der
Spruch sehr frühe in die christliche Tradition gekommen ist. Auch
über den Sinn soll hier nicht verhandelt, vielmehr vorausgesetzt werden’,
daß raHröcaı nicht bedeutet »durch Gehorsam erfüllen« (so Zaun u. a.),
sondern »vollkommen machen’.« Wie das zu verstehen ist, lehrt der
! Vgl. über sie meine Abhandlung: »Ich bin gekommen.« Die ausdrücklichen
Selbstzeugnisse Jesu über den Zweck seiner Sendung und seines Kommens (Zeitschr.
f. Theol. u. Kirche, 22. Jahrg., 1912, Heft ı S. ıff.). Die Verwerfung des Spruchs
als Wort Jesu bei Horrzmans, Neutest. Theol. 1? S. 502f. u.a. scheint mir vorschnell.
2 VeL.22.0,.8168%
® Demgemäß kann raHpäcaı, auf die Propheten bezogen, nicht bedeuten, daß
Jesus ihre Weissagungen erfüllen, sondern daß er ihre das Gesetz ergänzenden Be-
stimmungen vollenden wolle. Vielleicht sind übrigens »die Propheten« ein Zusatz
des Matthäus. Der Kontext legt diese Annahme nahe, und Matthäus liebt den Aus-
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 185
bei Matthäus sofort folgende große Abschnitt 5, 20—48 mit seinem:
»Ich aber sage euch«. Jesus erklärt, daß er das Gesetz vollkommen
mache (vollende), indem er es, auf die Gesinnung — letztlich auf die
Liebe und die innere Wahrhaftigkeit — zurückgehend, vertieft, ja
sogar gewissen Zulassungen des Gesetzes im Interesse der sittlichen
Vollkommenheit entgegentritt. Ebendeshalb hat er sich nicht damit
begnügt, dem »Niederreißen« ein bloßes »Konservieren« oder »Be-
glaubigen« entgegenzusetzen, sondern hat das Wort »Vollenden'« ge-
wählt. Er bezeichnet sich also selbst indirekt als Gesetzgeber, und
zwar als konservierenden, weil abschließenden Gesetzgeber. Die ganze
Aussage tritt aber endlich einem Mißverständnis gegenüber, nämlich
dem Wahne, er sei zur Vernichtung des Gesetzes gekommen. Dieses
Mißverständnis konnte leicht aus dem Kampf Jesu gegen die Pharisäer
in bezug auf die Gesetzesbeobachtung entstehen, es konnte aber auch
aus dem Verhalten Jesu gewissen gesetzlichen Bestimmungen gegen-
über erwachsen, und Lukas berichtet, daß es bereits während der Wirk-
samkeit Jesus entstanden sei”.
In seinen direkten Aussagen in bezug auf den Zweck seines Kom-
mens bezeichnet sich Jesu als Erretter® und als Gesetzgeber, also als
einen Mann mit einer Sendung wie die des Moses’. Während aber
die Sprüche, welche die Errettung verkündigen, von den Gläubigen
ohne Bedenken und Zweifel aufgenommen worden sind und nicht nur
keinen Anstoß gaben, sondern vielmehr eine Fülle von zustimmenden
Ausführungen hervorriefen, hat das Wort vom Nichtniederreißen, son-
dern vom Vollenden des Gesetzes, soweit wir zu urteilen vermögen,
der Gemeinde bald mehr Verlegenheit bereitet als Zustimmung ab-
gewonnen. Die Entwicklung der Dinge in der Kirche hat überall
über dasselbe hinausgeführt, und aus den verschiedensten, zum Teil
druck: »das Gesetz und die Propheten«. — Abzulehnen ist die Meinung von Rescn,
(der Paulinismus und die Logia Jesu, in den Texten und Untersuchungen Bd. 27, 1904,
S. 280), rmaHpo®n bedeute wie das hebräische 753 auch Tenein, und der Sinn BRERn
Spruchs sei, die im Gesetz gegebene Typik und in den Propheten geschehene Weis-
sagung soll in Jesus ihre Erfüllung und zugleich ihr Ende finden.
! Einen »Superlativ« (s. WELLHAUSEN z. d. St.).
2 Fin Teil der Mss. bietet Luk. 23, 2 als Worte der Ankläger Jesu vor Pilatus!
TOYTON EYPAMEN .... KATAAYONTA TÖN nöMoN Kal TOYC TIPO®ÄTAC. Mir scheint diese Über-
lieferung, die schon Mareion bezeugt, sehr beachtenswert.
S. Mark. 2,17; Matth. 9,13; Luk. 5,32; Luk. 19,10; Luk.9,55; Matth. 15,245
3
Matth. 11, 3 ff.: Luk. 7,20 ft. & F ä
* Der Anspruch der Messianität liegt in diesem Selbstzeugnis noch nicht — ne
zu erkennen, ist wichtig —, wohl aber liegt das Selbstzeugnis auf der Linie Keen;
Propheten zum Messias, zumal wenn man erwägt, daß die Parallele zu aa en MN
zugleich eine versteckte Antithese ist, die in den Ausführungen zum Begrift TIIRBEN
noch stärker zum Ausdruck kommt als in dem Begriff selbst.
186 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
entgegengesetzten Gründen vermochte man sich in das Wort nicht
zu finden. Den einen war es anstößig, daß Jesus das Gesetz nicht
aufgehoben, den anderen umgekehrt, daß er dem vollkommenen Ge-
setz Gottes etwas hinzugefügt bzw. es erst vollendet haben soll. Die
Dritten nahmen schon daran Anstoß, daß er überhaupt den Zweck
seines Kommens mit dem Gesetz in Verbindung gebracht hat, und
die Vierten vermochten es nicht zu verstehen, warum er nicht Unter-
schiede im Gesetz gemacht und nicht einiges für aufgehoben, anderes für
verbessert und vollendet erklärt habe. Gewiß ist uns nur ein kleiner
Teil der verschiedenen Stellungen bekannt, die man zu dem Worte
in der ältesten Kirche einnahm, und auch nur ein kleiner Teil der
Mittel, mit denen man es zu verändern oder unwirksam zu machen
versucht hat. Was sich noch erkennen läßt, soll im folgenden zur
Darstellung kommen. Stets muß man sich dabei gegenwärtig halten,
daß es sich um ein Wort von bedeutendster Tragweite handelt. Jesus
hat mit ihm die alttestamentliche Schrift und Religion — denn sie
sind in dem Gesetz gegeben — ausdrücklich bejaht und in ihrer Voll-
endung seine Mission erkannt. Daß aber darin ein Problem steckte,
davon verrät er selbst bei seiner absolut positiven Art, d. h. bei
seinem Gehorsam, kein Bewußtsein. Und doch steckte es darin; denn
ein Gesetz, das »vollendet« werden muß und vollendet wird, ist in
irgendeinem Sinne unvollkommen, wird in diesem Sinne also nicht
mehr behauptet. Diese Erkenntnis wurde bereits der ersten christ-
lichen Generation durch den Gang der Dinge aufgezwungen; sie floß
aber schon aus der Sache selbst, wenn man zu tun versuchte, was
der Meister geboten hatte.
Der Spruch Jesu enthält also in Wahrheit zwei Gedanken, und
die Folgezeit konnte ihn daher auch zur Hälfte annehmen und zur
Hälfte umgehen bzw. verwerfen, oder sie konnte ihn ganz fallen lassen
oder ganz akzeptieren. Der eine Gedanke lautet: Das Gesetz besteht
noch, es ist von Jesus bestätigt worden; der andere aber lautet:
Das Gesetz war noch nicht vollkommen, es hat durch Jesus seine
Vollendung erhalten.
' Der Begriff der »Vollendung« läßt es an sich offen, in welchem Zustande
sich das Unvollendete befindet. Ob die Vollendung eine Sache überhaupt erst zu
dem macht, was sie sein soll, oder ob sie eine bereits in Kraft stehende Sache ledig-
lich krönt bzw. vervollkommnet, darüber kann allein der Kontext entscheiden. In
unserem Falle ist im Sinne Jesu gewiß das letztere anzunehmen; aber die Ausfüh-
rungen, in denen er selbst das maHpöcaı näher bestimmt, legen das erstere nahe, und
so hat man ihn bald verstanden. Es kommt hinzu, daß schon die Spruchsammlung
(Matth. rı,12f.; Luk.16,16) ein anderes Wort Jesu darbot, welches so ausgelegt wer-
den konnte, daß das Gesetz und die Propheten, weil sie nur bis Johannes reichen,
nunmehr abgelöst sind. Dieses Wort ist in der altkatholischen Kirche — und viel-
leicht schon früher — häufig gegen den Gedanken von Matth. 5,17 ausgespielt worden.
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5,17). 187
Die Urgemeinde von Jerusalem hielt an der Beobachtung des
Gesetzes fest — ein deutlicher Beweis, daß auch Jesus das Gesetz
bis zuletzt beobachtet hat. Eine Gesetzesfrage hat es am Anfang in
den Kreisen der Jünger Jesu nicht gegeben; sie waren alle »Eifrer um
das Gesetz« (Act. 21,20). Allein der naive Zustand hat nur sehr
kurze Zeit gedauert. In den Kreisen bekehrter hellenistischer Juden
zu Jerusalem begann die Bewegung, die mit der Loslösung vom Tem-
peldienst und vom Gesetz endigen mußte, und bald gewann sie in
Paulus ihren Führer. Der Gang der Dinge wird hier als bekannt
vorausgesetzt; es handelt sich an dieser Stelle lediglich darum, welche
Auslegungen bzw. welche Geschichte das Wort Matth. 5,17 nunmehr
erlebte.
1.
Gal. 6,2 schreibt der Apostel Paulus: »Einer trage des anderen
Lasten, und so erfüllt ihr das Gesetz Christi.« Der Begriff » Gesetz
Christie, den er hier gebildet hat, ist auf der Linie zu suchen,
den das Wort Jesu bezeichnet: »Ich bin gekommen, das Gesetz zu
vollenden«; denn auch Jesus meint, daß er das Gesetz durch aus-
schließlichen Rückgang auf die Gesinnung und die Liebe, vor allem
die dienende, zur Vollkommenheit bringe. Paulus kennt also ein Gesetz
Christi neben dem mosaischen; er wird also auch an dieses Gesetz
Christi denken in solehen Sprüchen, in denen er sagt, daß das Gesetz
»erfüllt« werde durch Liebe — Sprüche, in denen allerdings nicht
von der vollendeten Gestalt des Gesetzes die Rede ist gegenüber einer
unvollkommenen, sondern von der vollkommenen Gesetzeserfüllung
gegenüber dem Zurückbleiben hinter dem Gesetz. Somit darf man in
Sprüchen wie Gal. 5, 14', Röm. 13,8°, Röm. 13, ı0° doch auch einen
Nachklang von Matth. 5, ı7 erkennen. Sie haben zwar an und für sich
nichts mit der »Vollendung« des Gesetzes zu tun, sondern lediglich
mit seiner »Erfüllung«; aber weil sie die Erfüllung von der Liebe
ableiten und Paulus ein »Gesetz Christie der Liebe neben dem mo-
saischen kennt, scheinen die Sprüche nicht unabhängig zu sein von
dem Gedanken, daß Jesus das Gesetz zu seiner Vollendung gebracht habe.
Jesus selbst aber hätte seine Vollendung des Gesetzes niemals
als »mein« Gesetz bezeichnet und dadurch vom alten Gesetz unter-
schieden. Indem Paulus den Begriff »Gesetz Christi« gebildet hat,
beweist er bereits, daß er über das alte Gesetz anders denkt als Jesus,
! »Das ganze Gesetz wird in dem ei
deinen Nächsten wie dich selbst.«
? „Wer seinen Nächsten liebt, der hat das Gesetz erfüllt. «
° »Erfüllung (rmaAPpoma) des Gesetzes ist die Liebe.«
nen Wort erfüllt (merraHPoTa)): Liebe
188 _ Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
und das kommt zum unzweideutigsten Ausdruck in dem Spruche Röm.
10,4: »Christus ist des Gesetzes Ende.« Das Gesetz ist also abge-
tan, ist aufgehoben. Das lautet wie ein dezidierter Widerspruch zu
Matth. 5, ı7 und ist es auch; aber Paulus hat den Widerspruch, den
er bemerkte und nicht gelten lassen wollte (Röm. 3, 31: »Heben wir
das Gesetz auf? Das sei ferne; wir richten es vielmehr auf«), durch
eine eigentümliche Spekulation zu beseitigen versucht. Auf diese Spe-
kulation brauchen wir hier nicht einzugehen‘. Es kann uns genügen,
daß Paulus den in Matth. 5, 17 unzweifelhaft enthaltenen Gedanken:
»das Gesetz besteht fort«, in kühner Glaubensgewißheit respecetu erueis
Christi aufgehoben und ihm den Satz entgegengestellt hat: »Das alte
(sesetz besteht für den Christen nicht mehr; er ist in den Stand der
Freiheit versetzt.« An einem entscheidenden Punkt also, dem Ver-
hältnis zur alten Religion, hat der Heidenapostel sich entschlossen von
dem Boden entfernt, den Jesus behauptet hat. Und auch an solchen
Stellen hat er sich von ihm entfernt, wo er durch allegorische Er-
klärung das Gesetz konserviert; denn alle Allegoristik ist Preisgebung
dureh Vertauschung.
2.
Lukas, den selbständigen Begleiter des Paulus, findet man hier,
wie so oft, nicht völlig auf den Spuren des Paulus. Wir haben es
oben offen gelassen, ob Lukas den Spruch in der Spruchsammlung
vorgefunden hat. Las er ihn dort und ließ ihn weg, so geschah es
wohl nicht, weil er ihm zu gesetzesfreundlich schien, sondern viel-
leicht umgekehrt, weil er bei seiner großen Devotion dem Gesetz gegen-
über an dem »vollenden« Anstoß genommen hat. Zu den falschen
Anklagen gegen Jesus rechnet er es (c. 23,2, s. 0.), daß er das Ge-
setz und die Propheten niederreiße. Er findet sich also an diesem
; Man hat zu beachten, daß Paulus niemals sagt, Christus habe das Gesetz auf-
gehoben, vielmehr erklärt: »Christus ist des Gesetzes Ende.« Die Begründung dieser
Behauptung wird Gal. 3,13 (»Christus hat uns vom Fluche des Gesetzes losgekauft
dadurch, daß er für uns zum Fluch geworden ist«) und Gal. 4,4 (Christus, der Sohn
(zottes, trat unter das Gesetz, damit er die unter dem Gesetz Stehenden loskaufe«)
gegeben (s. auch Röm. 8, 2f.). Aus ihr entspringen die weiteren Behauptungen, daß
das Gesetz von Anfang an nur für eine bestimmte Epoche erlassen war, also »zwischen-
ein gekommen ist« und eine pädagogische Bedeutung gehabt hat (Gal. 3, 19; 3, 23.
24; Röm. 5, 20). Sehr drastisch ist Koloss. 2, 14 (vgl. Eph. 2, 15) der Vorgang vor-
gestellt, wie Christus das Gesetz, indem er es in seinem Kreuzestode ans Kreuz ge-
nagelt, weggeräumt hat. So ist dem Gesetze Genüge geschehen: &zaneivac Td Kae’
HMÖN XEIPÖrPAGON Tolc AÖrMacın d ÄN YTIENANTION HMIN, Kal AYTd firen &k To? MECOY,
TIPOCHAGCAC AYTö TO cTaYpd. — Daß Paulus übrigens innerhalb seiner zahlreichen Ideen
auch eine solche noch kennt und festhält, nach der der Besitz des Gesetzes (ebenso
wie der der viosecia, der alaeAkaı, der aATpeia und der errarreniaı) ein bleibendes Gut
der Juden bedeutet (Röm. 9, 4), sei hier nur konstatiert.
Harsack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth, 5, 17). 189
Punkte in voller Übereinstimmung mit Jesus, und pünktliche Gesetzes-
beobachtung empfindet er, der Heidenchrist, bei einem Juden als etwas
Ehrwürdiges (s. e. ı, 6 und sonst), so gewiß er vollkommene Ge-
setzeserfüllung mit Paulus für unmöglich hält (Act. 15, 10) und ge-
wisse Grenzen des Gesetzes Mosis in bezug auf die Rechtfertigung
kennt und würdigt (Act. 13, 38£.). Daß den Christen aus den Heiden
das Joch des mosaischen Gesetzes nicht auferlegt werden soll, darin
stimmt er mit Paulus überein und erzählt sogar, daß auch Petrus und
Jakobus dieser Meinung gewesen seien. Allein er läßt den Jakobus
diese Konzession mit der Motivierung geben, daß das Gesetz Mosis
bei den geborenen Juden ja seine Geltung behalte (Act. 15), und er
berichtet an mehreren Stellen nicht ohne Absicht, daß auch Paulus
(als geborener Jude) die Gesetzesbeobachtung für seine Person nicht
völlig eingestellt habe. Lukas, der geborene Grieche, steht dem Jjü-
dischen Gesetze innerlich näher .als Paulus.
3.
Ganz anders Johannes. Zwar sind seine Äußerungen über das
Gesetz nicht eindeutig; aber sie müssen nach den fortgeschrittensten
gedeutet werden, und da zeigt es sich, daß Johannes dem Paulus sehr
nahesteht, ja noch über ihn hinausgeht. Er läßt Jesus den Juden
gegenüber von »euerem« Gesetz sprechen (8,17), als ginge dasselbe
ihn selbst und die Seinigen nichts mehr an, und er hat im Prolog
den programmatischen Satz gebildet (1, 17): »Das Gesetz wurde durch
Moses gegeben, die Gnade und Wahrheit wurde dureh Jesus Christus. «
Die Antithese ist nicht nur durch die Gegenüberstellung von Moses
und Christus eine scharfe, sondern in noch höherem Grade dadurch,
daß dem Gesetz nicht das Evangelium‘ oder ein formaler Begriff,
sondern die Gnade und Wahrheit entgegentritt. Dadurch wird dem
Gesetz Gnade und Wahrheit geradezu abgesprochen. Es war und ist
also etwas ganz anderes als das, was Jesus gebracht hat. Somit hat
Jesus das Gesetz nicht vollendet, sondern beendigt und damit auf-
gehoben. Das Gesetz ist abgetan’. Das geht auch klärlich aus dem
Worte Jesu an die Samariterin (ec. 4,21) hervor: »Glaube mir, Weib,
daß die Stunde kommt, daß ihr weder auf diesem Berge (Garizim)
noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.« Fällt der Tempel, so
fällt auch das Gesetz. Wie aber Paulus vom Gesetz des Moses das ; e\
! Dieses Wort findet sich niemals bei Johannes. ee
® Johannes hat also die verborgene Antithese zu Moses (8. 0.) herausgearbeitet,
die in Matth. 5,17 ff. und in den Sprüchen steekt, in denen sich Jesus als Se
bezeichnet. Indem er aber diese Antithese auf das Gebiet der Gnade und en .
hinüber führt, hat er die Gegenbildlichkeit in einen entschiedenen Gegensatz verwande t.
190 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
Gesetz Christi unterschieden hat und unter ihm das Liebesgebot ver-
steht, so spricht auch Johannes von einem »neuen Gesetz« (bzw. dem
»neuen Gebot«) und läßt es förmlich von Jesus gegeben sein (8. c.
13, 34f.): »Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt,
wie ich euch geliebt habe, auf daß auch ihr einander liebt. Daran
wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe
untereinander habt.« Dieser Titel »das neue Gesetz« wird in der
Folgezeit eine wichtige Bedeutung in der Kirche erhalten.
4.
Daß Johannes dem Gesetz auch einen typischen bzw. pädago-
gischen Charakter beigelegt (wie Paulus) und durch diese Betrachtung
den Gegensatz von Gesetz und Evangelium gemildert hat, geht aus
anderen Stellen hervor. In klassischer Weise aber ist der feinsinnige
Verfasser des Hebräerbriefs der Vertreter der Lehre vom typischen
Charakter des Gesetzes: »Einen Schatten der zukünftigen Güter hatte
das Gesetz, nicht aber die Gestalt der Dinge selbst« (cKıAn &xun 5 nömoc
TON MEAAÖNTWN ÄTABON, OYK AYTHN TAN EIKÖNA TON TIPATMÄTWN; IO, I). Danun
dieses Neue gekommen ist, erscheint das Frühere als veraltet und muß
verschwinden (8, 13). Hätte man ihn nach seinem Verständnis von
Matth. 5, 17 befragt, so hätte er geantwortet: Gewiß hat Jesus das
Gesetz nicht niedergerissen, sondern durch Vollendung zum Aufhören
gebracht, nämlich so, daß er das Symbolische des Gesetzes in eine
höhere Wirklichkeit übergeführt hat. Diese Antwort, die einfach eine
meräsacıc eic Anno renoc bedeutet und dem wirklichen Sinn des Worts
Jesu ganz fern steht, ist später in der Christenheit auch einer der
Rettungsanker geworden gegenüber dem Eindruck des auffallenden
Spruchs; aber bis es dahin kam, hat man noch verschiedene Wege
eingeschlagen.
D.
Paulus und noch mehr Johannes haben die Aufhebung, d. h. die
Ungültigkeit des Gesetzes, eingesehen und verkündigt. Ein ehrliches
und einfaches Gemüt, welches von der Autorität dieser Männer ebenso
überzeugt war wie von ihrer vollen Übereinstimmung mit Jesus, mußte
daraus den Schluß ziehen, daß Jesus das Wort Matth. 5, 17 nicht ge-
sprochen haben könne. Dieser Überzeugung gab Mareion, der Paulus-
schüler, den deutlichsten Ausdruck. Da er unter allen Evangelien
nur das Lukasevangelium (nach einer sorgfältigen Säuberung der ver-
meintlichen judaistischen Interpolationen) gelten ließ, war er für seine
Person und seine Kirche gar nicht genötigt, das nur bei Matthäus
sich findende Wort noch ausdrücklich zu verwerfen. Allein in den
a
Me
ERMRTeSReN 0 ai ergo vu 5 n
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 191
Auseinandersetzungen mit den großkirchlichen Gegnern hat er es doch
für angemessen erachtet, den seiner Lehre so tödlichen Spruch zu be-
kämpfen, d. h. für unecht zu erklären. Das geht aus Tertullians
Gegenschrift gegen Mareion deutlich hervor. Ausdrücklich bemerkt
er (V, 14): »Frustra de ista sententia neganda Pontus [= Ponticus]
laboravit«, und auch an anderen Stellen wirft er ihm vor, diesen
Spruch beseitigt zu haben (IV, 7.9. 12.36). Nicht nur um den Grund-
gedanken des Spruchs handelte es sich also für Mareion, sondern um
den Spruch selbst, und wenn es feststeht, daß er in seinen » Anti-
thesen« den Nachweis erbracht zu haben glaubte, daß die Zwölf Jünger
Jesu dem Evangelium »legalia« beigemengt haben —, an welchem
Spruche durfte er weniger vorübergehen als an Matth. 5, 17?
Mareion begnügte sich noch damit, die Unechtheit des Spruches
zu behaupten und nachzuweisen; aber seine Schüler sind noch einen
“ dreisten Schritt weitergegangen. Sie haben sich nicht gescheut zu be-
haupten, Jesus habe vielmehr gesagt: »Ich bin nieht gekommen, das Ge-
setz zu vollenden, sondern niederzureißen.« Das teilt uns der unbekannte
Antimareionit » Adamantius« am Anfang des 4. Jahrhunderts mit. Er
läßt den Mareioniten sprechen': »Das haben die Judaisten geschrieben,
nämlich das Wort: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz niederzu-
reißen, sondern zu vollenden; aber Christus hat nicht so gesprochen;
denn er sagt: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz zu vollenden,
sondern niederzureißen « (To?To of 'lovanicTal ErPAYAN, TO OYK ÄneoN KATANTCAI
TON NÖMON ÄAnnA TIAHPOCAI" 0Yx oYrwc A& einen d Xrictöc, AEreı räp’ OYK
Äneon MAHP&cAı TON N6Mon AnnA KATaAnScaı). So lasen also Mar-
eioniten um das Jahr 300, und daß ein soleher Text auch später noch
zirkulierte, wird bestätigt durch Isidor Pelusiota?. Die Manichäer des
Abendlandes nämlich übernahmen die marcionitische Evangelienkritik;
auch sie verwarfen daher entweder den Spruch Matth. 5, ı7 oder kehrten
ihn in sein Gegenteil um’. Sie erklärten, wie einst Mareion, daß man
! Dialog II, ı5, $. 88 (ed. van DE Sanpe-BAKHUYZEN).
5 ? Epp. I, 37ı (Mıene, T. 78, col. 394): Aokelte Brı Äneon rIAHPÖCAI TON NÖMON A
ToYC TIPO®ATAC; ÄineoN KATANTCAI, AAN’ 0Y TIAHPÜCAI. ;
® Der Manichäer Faustus bei Augustin (l. XIX, 5): »Indeficientes eg0 praeceptori
meo refero gratias, qui me similiter labentem retinuit, ut essem hodie ,
Dam ego quoque cum capitulum hoc (Matth. 5, 17) imprudens legerem, quema ws L
fu, paene ieram in consilium ludaeus fieri. nec immerito; etenim si Christus egem
non venit solvere sed adimplere, vide, si quid impedire iam poterat, quin factus essem
Iudaeus. sed huie periculo me Manichaei vene 3
»Nee immerito nos ad huiusmodi seripturas, tam ineonstantes et varıas ns
sane sine iudicio ac ratione aures afferimus, sed contemplantes owniM, nn
alia eonferentes, perpendimus, utrum eorum quidque a Christo diei potuerit neu
multa enim a maioribus vestris eloquiis domini nostri inserta verba sunt, quae anne
Signata ipsius cum eius fide non congruant, praesertim quia ... nee ” een
192 _ Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
Jude werden müsse, wenn Jesus wirklich gesagt habe, er sei nicht
gekommen, das Gesetz niederzureißen, sondern zu vollenden; in Wahr-
heit aber sei das Wort eine Interpolation oder Verkehrung der Juda-
isten'. So war hier der Wortlaut des Spruchs Jesu in sein Gegenteil
umgekehrt — und doch war der Sinn Jesu hier weniger verfehlt als
von denen, welche auf Grund dieses Spruchs die Lasten des Gesetzes
als Christen glaubten weiter tragen zu sollen und denen die Selig-
keit absprachen, welche sich nicht beschneiden und gesetzlich leben
wollten”. Die strengen und engen Judenchristen zeigten einen sehr
unchristlichen Haß gegen Paulus und alle Heidenchristen, die sie auf
jede Weise zu verlästern suchten; die Mareioniten aber predigten die
»summa et praeeipua bonitas« des geistigen Gottes und rückten, dem
Geiste Christi folgend, die Liebe und Barmherzigkeit in den Mittelpunkt.
6.
Die Mareioniten sind nicht die einzigen gewesen, welche, in der
Überzeugung, daß das Wort Matth. 5,17 eine Fälschung sei, es durch-
greifend zu korrigieren sich erlaubt haben. Epiphanius hat uns über-
liefert, daß in dem Evangelium der gnostischen Ebioniten das Wort
gestanden habe: »Ich bin gekommen, die Opfer aufzulösen, und wenn
ihr nicht vom Opfern ablaßt, wird der Zorn Gottes von euch nicht
ablassen« (*Haeon Katanscaı TÄC evYciac, Kal EAN MA TIAYCHCEE TOY BYEIN,
0Y TAYCETAı Äo Ymön K örra’). Die Zusammenstellung der beiden Worte
Aneon und Katan?caı lassen schwerlich darüber einen Zweifel aufkommen,
daß dieser Spruch nach Matth. 5,17 gebildet ist. Ist er aber nach ihm
gebildet, so sollte er ihn ersetzen. Diese gnostischen Ebioniten hielten
an gewissen Teilen des Gesetzes, die sie für mosaisch hielten, streng
fest, ja erklärten, daß in bezug auf sie die Gesetzgebung des Moses
und Jesu einfach zusammenfälle: » Jesus lehrt wie Moses, und Moses lehrt
wie Jesus«. Aber, dem Zuge einer neuen Zeit folgend, verwarfen sie
sunt nec ab eius apostolis scripta, sed multo post eorum assumptionem a nescio quibus,
et ipsis inter se non concordantibus, semi-Iudaeis per famas opinionesque comperta
sunt.« Vgl. Augustin, de util. ered. 3: »Volunt nescio quos corruptores divinorum
librorum ante ipsius Manichaei tempora fuisse; eorrupisse autem illos, qui Iudaeorum
legem evangelio miscere cupiebant.«
"Siehe auch was Hegemonius (Acta Archelai ed. Beeson, 8.65) über die Mani-
ehäer berichtet: »Ego dicebam ei sermonem evangelicum ... ‚Non veni solvere legem,
sed adimplere.‘ ille vero ait nequaquam eum hune dixisse sermonem ; eum enim ipsam
invenlamus eum resolvisse legem, necesse est nos hoc potius intellegere quod feeit.«
Siehe Gal. 5,6; Justin e. Tryph. 47 usw.
° Epiph., haer. 30,16. Scnmiporke (Texte u. Unters. Bd. 37,1, S.193f.) hat sich
vergebens bemüht zu zeigen, daß hier kein Zitat aus dem Ebionitenevangelium vor.
liegt, sondern daß Epiphanius willkürlich einen Text zurechtzemacht hat.
|
ee
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 193
mit Entschiedenheit, die blutigen Opfer und hielten diese Verwerfung
für so wichtig, daß sie sie Jesus in einem ausdrücklichen Wort in
den Mund gelegt haben. Durch dieses Wort ersetzten sie Matth. 5,17.
Nach ihnen ist Jesus gekommen, um das Opferwesen abzuschaffen,
aber das übrige Gesetz Mosis zu bestätigen. Dies geht auch aus den
klementinischen Homilien (III, 51) hervor. Hier erklärt Petrus dem
Simon Magus: »Wenn Jesus sagt: ‚Ich bin nicht gekommen, das Ge-
setz aufzulösen‘, während er doch offenbar auflöste, so wollte er da-
mit sagen, daß das, was er aufgelöst hat, nicht zum Gesetze gehörte.
Und wenn er sagt: ‚der Himmel und die Erde werden vergehen, aber
kein Jota noch ein Häkchen vom Gesetz wird vergehen‘, so bezeich-
nete er das, was vor dem Untergang des Himmels und der Erde ver-
gangen ist, als nicht zum wirklichen Gesetz gehörend'.« Auch hier
sind vor allem die Opfer gemeint, und es muß daher die in dem
Ebionitenevangelium vorliegende Textänderung im Sinne des klemen-
tinischen Petrus gewesen sein.
So kühn diese Textänderung ist, sie bleibt dem Gedanken Jesu doch
etwas näher als die marcionitische, und es kommt ihr auch viel mehr
Recht zu als einer dritten Korrektur, die auch schon in ältester Zeit
an dem Spruche Matth. 5,17 vorgenommen worden ist. Man weiß,
wie frühe die christliche Predigt auf heidenchristlichem Boden in
enge Beziehung zu einer prinzipiell asketischen Denk- und Lebens-
weise getreten ist. Nicht nur einzelne, sondern weite Kreise ver-
standen das Evangelium dualistisch-asketisch und sahen demgemäß
in der Aufhebung jeder geschlechtlichen Verbindung das Hauptstück
der neuen Ethik?. Aus diesen Kreisen stammt das Ägypter-Evange-
lium, und Clemens Alexandrinus berichtet uns, daß in diesem alten
Evangelium folgendes Herrnwort gestanden habe: »Ich bin gekommen,
die Werke des Weibes aufzulösen« (*Haeon KATANFCAI TÄ tpra TAc eHnelac').
Wiederum ist es sehr wahrscheinlich, daß dieser Spruch in Erinnerung
an Matth. 5,17 gebildet ist; ob er ihn verdrängen sollte, läßt sich
allerdings mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht behaupten. »Die Werke
des Weibes« sollen die Sexualität mit allen ihren Folgen bedeuten;
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Kai Ffc TIAPEPXÖMENA ECHMANEN MA ÖNTA TOY ÖNTWC NÖMOY.
? So auch die mareionitische Kirche.
Clemens, Strom. III, 9, 63: Oi ae ÄNTITACCÖMENOI TH
EYoHMoY ErKPATeiac KÄKEINA ndrovcı TA TIPÖC CANÜMHN EIPHMENA,
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194 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
daß sie nach dem Weibe bezeichnet werden, bedarf keiner näheren
Erklärung. Wie groß ist hier der Abstand vom Gedanken Jesu! denn
wenn Jesus auch das Wort von den um des Himmelreichs willen Ver-
schnittenen gesprochen hat (Matth. 19,12), so ist nicht nur ein weiter
Weg von diesem Spruch bis zu dem Programm: »Ich bin gekommen,
die Werke des Weibes zu zerstören«, sondern es liegt auch eine Kluft
zwischen beiden Worten. Das eine Wort sieht in der Begründung der
vollkommenen geschlechtlichen Askese den Hauptzweck der Sendung
Jesu, das andere bezeichnet die Eunuchie als Ausnahme.
»Ich bin gekommen, niederzureißen das Gesetz, die Opfer, die
Werke des Weibes«: diese Programme hat man an die Stelle der
Worte: »Ich bin nicht gekommen, das Gesetz niederzureißen « gesetzt!
So rücksichtslos ist man mit der echten Überlieferung umgesprungen in
der festen Überzeugung, sie sei falsch und man müsse sie korrigieren!
7
Die gnostischen Ebioniten haben innerhalb des Gesetzes Unter-
schiede gemacht, das ganze Opferwesen beseitigt und seine Aufhebung
auf eine willkürliche neue Fassung des Spruchs Matth. 5, 17 zurück-
geführt. Anders sind die Valentinianer verfahren. Sie haben den Spruch
bestehen gelassen, aber durch gewagte Distinktionen ihm einen neuen
Inhalt gegeben. Aus dem Brief des Valentinianers Ptolemäus an die
Flora‘ kennen wir ihre Theorie. Zugrunde liegt ihr eben unser Spruch
Matth. 5, 17.
Ptolemäus zeigt zuerst, daß das Gesetz in seiner Totalität nicht
von Gott selbst herrühren könne. »Das ist die einfache Konsequenz
aus dem Charakter des Gesetzes, welches unvollkommen ist, der Voll-
endung (naHpweAnaı durch einen anderen bedarf und Gebote
enthält, die mit der Natur und Gesinnung des vollkommenen Gottes
und Vaters streiten« (I, 4). Hier ist also aus dem: »Ich bin gekommen
zu vollenden« (Arson naHPöcaı), zum ersten Male mit voller Entschie-
denheit der Schluß auf die Unvollkommenheit des alten Gesetzes ge-
zogen! Weil das Gesetz der Vollendung durch einen anderen bedarf,
darum ist es ungenügend. Ptolemäus weist dann nach, daß das Gesetz
in drei Teile zerfalle: Urheber des einen Teiles sei Moses, Urheber
des zweiten »Die Ältesten«, Urheber des dritten Gott. Aber das
Drittel, welches man Gott zuzuschreiben habe, zerlege sich wiederum
in drei Teile; der erste sei »die reine Gesetzung (nämlich der De-
kalog), die mit dem Bösen nicht verflochten ist und auch im eigent-
' Siehe meine Untersuchung über den Brief (bei Epiph., haer. 33) in den Sitzungs-
berichten vom 15. Mai 1902, S, 507 ft.
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5,17). 195
lichen Sinne Gesetz heißt; diese nicht aufzulösen, sondern zu vollenden
ist der Heiland gekommen; denn das Gesetz, welches er vollendet hat,
war ihm nicht fremd; es besaß nur noch nicht den vollkommenen
Abschluß«'. Der zweite Teil ist noch mit dem Schlechteren und der
Ungerechtigkeit verflochten; diesen Teil hat der Heiland aufgehoben’.
»Der dritte Teil ist das Typische und Symbolische, welches als Ab-
bildung des Pneumatischen und Wertvollen gegeben worden ist; diesen
Teil hat der Heiland aus dem Sinnlichen und der Erscheinung ins
Geistliche und Unsichtbare umgewandelt«° (II, ı).
Hier ist also aus dem Spruch: »Ich bin nicht gekommen, das
Gesetz aufzuheben, sondern zu vollenden«, die Behauptung geworden
und als Sinn des Spruchs dargelegt: Jesus hat das Gesetz zum größeren
Teil doch aufgehoben (nämlich 7 Neuntel); ein Neuntel hat er voll-
endet und ein Neuntel umgewandelt. Destruere (abrogare), per-
ficere, demutare: so hat sich Jesus dem Gesetz gegenüber ver-
halten! Um diese differenzierende Theorie aber mit dem Wortlaut von
Matth. 5, ı7 in Einklang zu setzen, wird behauptet, in Wahrheit sei
nur der Dekalog das Gesetz (III, 2: &crın 5 TO? eco? nömoc, d KAasardc Kai
ÄCYMTIAOKOC TÖ xeiponı, aYtl H aekAnoroc). Den Dekalog allein habe auch
Paulus gemeint, wenn er sagt: »Das Gesetz ist heilig, und das Gebot
ist heilig und gerecht und gut«. Zuletzt aber erfährt man zur Über-
raschung noch, daß auch die Teile des Gesetzes, welche von Gott
stammen, nicht vom höchsten Gott d. h. nicht von Gott selbst her-
rühren, sondern vom Weltschöpfer, der ein mittleres Wesen ist, nicht
gut, und nicht schlecht, sondern gerecht.
Diese Theorie wird der verschiedenen Höhenlage der alttestament-
lichen Gesetze in ausgezeichneter Weise gerecht; aber sie tritt in
Widerspruch zu dem, was Matth. 5, 17 besagt, und sie war in der
großen Kirche vollends unannehmbar durch die Unterscheidung zwischen
dem höchsten Gott und dem Weltschöpfer-Gott. Dennoch werden wir
sehen, daß eben diese Kirche unserm Spruche schließlich eine Auslegung
gegeben hat, welche der valentinianischen sehr nahe kommt.
1 Oyk Än Änndtpioc AYToF Ön Errahpwcen: of rÄP EIxen TO TEneION..... Oi Aeka
Aörol Mi EXoNTec Td TEAEION, EAEONTO TÄC TIAPÄ TOY CWTÄPOC TTAHPÜCEWC.
2 Aneinen d CWTHP ÄNDIKEION ÖNTA TA &AYToY »Yceı. Gemeint ist vor allem das
Jus talionis.
3 Mereenken (scil. Opfer, Beschneidung, Sabbath, Fasten, Passah, Ungesäuertes).
Vgl. 3,10: »Was die Erscheinung und den materiellen Vollzug betrifft, ist es auf-
gehoben worden, nach dem Pneumatischen aber ist es wieder aufgenommen (verwirk-
licht); dieselben Namen sind geblieben, aber die Sachen sind umgewandelt«.
2
196 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
8.
Daß die »Vollendung« des Gesetzes (maHro®n), von welcher Jesus
gesprochen, in dem souveränen Liebesgebot zu erkennen, und daß dieses
als »neues« Gesetz aufzufassen sei, hatte »Johannes« nach Andeutungen
des Paulus bestimmt zum Ausdruck gebracht. In der großen Heiden-
kirche fiel dieser Gedanke, der sich auch unabhängig von »Johannes«
einstellte, gleich anfangs auf einen fruchtbaren Boden. Sofern es in der
neuen Religion noch ein »Gesetz« gibt — und welche höhere Religion
könnte ohne ein solches sein? auch hatte Jesus selbst das Gesetz als
solches bejaht —, muß dieses, eben weil es das vollendete Gesetz
ist, neue Züge tragen. Worin ist das Neue zu suchen? In dem
Charakter der Vollkommenheit und Freiheit, den es besitzt, sagt
»Jakobus«', und er fügt hinzu, daß eben dieses »königliche« Gesetz
in dem Worte beschlossen sei: »Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst«’. Es sind also Paulus, »Johannes« und »Jakobus« derselben
Überzeugung, daß das vollendete Gesetz, welches zugleich das neue
(Gesetz und das Gesetz Christi ist, eben deshalb das vollendete ist,
weil es ganz auf die Liebe gestellt ist, von der es auch seinen Frei-
heitscharakter erhält. Den letzteren hat »Barnabas« ebenfalls betont,
wenn er das jetzt gültige »neue« Gesetz als ein solches charakterisiert,
das »das Joch des Zwanges« nicht kennt’. Ganz allgemein bezeichnet
der Interpolator der » Testamente der zwölf Patriarchen« Jesus als den,
der das Gesetz »neu gemacht« habe‘. Auch er denkt vielleicht an
das Liebesgebot. |
Hier liegen durchweg sehr beachtenswerte Versuche vor, die das
Bewußtsein von dem höheren Charakter der christlichen Religion
gegenüber der alttestamentlichen zum Ausdruck bringen wollen, ohne
den Zusammenhang mit dieser zu verlieren und in dem deutlichen
Bestreben, dem Worte Jesu von dem durch ihn vollendeten Gesetz
gerecht zu werden. In der Liebe und der Freiheit soll die Vollendung
liegen. Sofern sich aber die Liebe in dem Wirken Jesu selbst als
! Ep.1,25: d nömoc Teneioc 5 TAc &nevYeeplac, 2,12: NÖMoc dnevoerlac.
2 Ep. 2,8: ei nömon TEAEITE BACIAIKÖN KATÄ TÄN TPASHN* ÄFATIÄCEIC TON TTAHCION COY
ÖC CEAYTÖN, KAAGC TIOIEITE.
® Barnabas, Ep. 2,6: d kaındc nömoc Äney zyro? AnArkHc. Da Barnabas den Wort-
sinn des alttestamentlichen Gesetzes, wie ihn die Juden festhalten, für ein teuflisches Miß-
verständnis erklärt (er steht übrigens mit dieser Annahme allein), so empfand er die
Fragen, wie Christus sich zum Gesetz gestellt habe und wie die Christen sich zu ihm
stellen sollen, überhaupt nicht als Probleme. Das Gesetz darf nur allegorisch-geistlich
verstanden werden, und mit dieser Annahme erscheint jede Schwierigkeit beseitigt.
* Testam. Levir6: ’AnAPA ÄNAKAINOTIOIOFNTA TÖN NÖMON EN AYNÄmel YYicToY TIAÄNON
TIPOCAFOPEYCETE KA TENOC... ÄTIOKTENEITE AYTÖN. |
Harsack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 197
vollendet darstellt und eben dieses Wirken seinen Gläubigen vorbild-
lich sein soll, ist man weiter zu der kühnen Formulierung geschritten,
Jesus selbst sei das (neue) Gesetz. So lehren Hermas' und der Ver-
fasser der »Predigt des Petrus«’. In dem Momente freilich, wo diese
Aussage erreicht war, mußte sie ihre eigene Logik geltend machen
und zu Spekulationen über die Gleichung: »der Herr = das Gesetz«
führen, die sich von dem Ausgangspunkt weit entfernten. Das zeigt
bereits die Zusammenstellung von Logos und Nomos in der Predigt
des Petrus (nach Jesaj. 2, 3).
9.
Alle diese Schriftsteller — mit Ausnahme vielleicht des Ver-
fassers der »Predigt des Petrus« — konnten sich freier in ihren er-
baulichen Gedanken ergehen, weil sie noch nicht genötigt waren, vor
dem Forum der Griechen Rechenschaft von ihrem Glauben abzulegen.
Aber Justin, der Apologet, sah sich dazu genötigt; er mußte rund und
deutlich zum Ausdruck bringen, wie die Christenheit zum alttesta-
mentlichen Gesetze steht. Er hat dies in seinen beiden Hauptschriften,
vor allem in dem Dialog mit Trypho, getan. Den Spruch Matth.
5,17 hat er dabei einfach unterschlagen; er war ihm sichtlich
unbequem’. Statt seiner benutzte er die verschiedenen Spekulationen,
die in Anlehnung an den Spruch bereits vorhanden waren, nämlich,
daß die Vollendung des Gesetzes in der Aufstellung eines neuen Ge-
setzes zu suchen sei, daß im Zusammenhang mit der Vollendung ge-
wisse Bestandteile des Gesetzes wirklich abgeschafft seien, daß die
Vollendung auch darin liege, daß das Symbolische und Typische des
Gesetzes in Wirklichkeit und Kraft umgewandelt sei, und daß Christus
selbst das Gesetz sei.
Demgemäß führt er, wie der Gnostiker Ptolemäus, aus, daß vieles
im Mosaischen Gesetz nur um der Herzenshärtigkeit angeordnet und da-
her offenbar nur für die Juden bestimmt gewesen sei, also auch nur zeit-
weilige Geltung habe; speziell habe die Aufstellung des goldenen Kal-
bes Gott veranlaßt, besondere Kultusgesetze zu geben, die eben des-
halb transitorisch seien‘; ja der größere Teil des Gesetzes, einschließlich
der Beschneidung, sei den Juden um ihrer Sünden willen als Last
! ‚Simil. VIII, 3,2: Td Aenaron Toto Tö Mera TO CKETIÄZON TIEAIA Kal ÖPH Kal
TIÄCAN TÄN FAN NömMoc 80? &crin d Aogeic eic Bnon TÖN Köcmon" d A& NÖömoc oYToc Yidc
ve0? Ecrin ö Aoeeic eic ÖnoN TON KÖCMON.
2 Bei Clemens, Strom. I, 29, 182 und II, 15, 68: 5 «Yioc NÖMOC KAI AÖrOC ECTIN.
3 Das ist auch sonst zu bemerken: Cyprian zitiert den Spruch in den uns
erhaltenen Werken überhaupt nicht, Clemens Alexandrinus nur ein einziges Mal
(Strom. II, 6, 46); auch bei Origenes ist er nicht so häufig, wie man erwarten sollte.
* Dial.45. 43. 46. 47. 11. 19. 40. 18. 22. 19. 20.
'Sitzungsberichte 1912. 19
#
198 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
und Zuchtmittel auferlegt worden’; daher haben auch die gerechten
Patriarchen vor Moses diese Gesetze nicht zu beobachten gebraucht’.
Mit der Gerechtigkeit, d.h. also mit der Religion, können diese Ge-
bote niemals etwas zu tun gehabt haben; denn sonst brächte man
die Religion mit sich selber in Widerspruch’. Zusammenfassend müsse
man sagen: »Im Gesetze Mosis sind einige Gebote als religiöse und
moralische (eic eeoc&seıan Kal AIKAIOTIPAzIAN) gegeben — diese bleiben —,
einige sind symbolische Darstellungen in bezug auf Christus (eic mv-
cTAPıon TO? XPıcro?)‘, und wieder einige sind um der Herzenshärtigkeit
des jüdischen Volkes willen erlassen (eic ckaHpoKApaıon TO? ano? "loy-
AAiko?)’.« Diese letzteren haben ihre Bedeutung schlechthin verloren,
da der Bund Gottes mit diesem Volke überhaupt aufgehört hat. Das
Gesetz ist also als Ganzes nicht »ewig«*, und eben weil die Christen
das wissen und die Motive kennen, aus denen es den Juden gegeben
worden ist, halten sie es nicht. Die Christen haben mit dem
alten Gesetz nichts mehr zu tun. Das »alte« Gesetz ist dahin,
aber es gibt ein »neues« Gesetz. Schon die Propheten haben es an-
gekündigt’; dieses endgültige Gesetz und dieser höchste Bund (Tenev-
TAlOcC NÖMOC Kal AlABaKH KYPIWTÄTH rracon) ist allen Menschen gegeben.
Wenn aber Gesetz gegen Gesetz steht, so hebt das neue das frühere
auf. Als letztes und ewiges Gesetz ist uns Christus gegeben; nach
ihm gibt es kein Gesetz, keinen Befehl und kein Gebot mehr‘. Chri-
stus aber als Gesetz ist so zu verstehen, daß nun nur noch ‚geistige
und sittliche Gebote gültig sind, wie sie der Anlage des Menschen-
geschlechts entsprechen, und daß man nun ohne Furcht lebt?.
Der geschichtliche Sinn des Spruchs Matth. 5, 17 ist hier verlassen,
und etwas anderes ist an seine Stelle getreten. Ein in dem »Voll-
enden« enthaltener Keim ist ‚ausgewachsen und hat alles andere er-
stickt, ja in sein Gegenteil verwandelt. Am empfindlichsten aber ist,
daß bei der Entwicklung, die aus dem »Vollenden« ein neues Gesetz
‘ Dial. 27 und sonst.
Dial. 29 und sonst.
® Dial. 33.
* C.42 werden diese also spezialisiert: TA Ynd MwyYc&wc AIATAXSENTA AYNAMAI
KATAPIGMÖN ÄTIOAEIKNYNAI TYTIOYc Kal CYMBonA Kal KATATTEAIAC TON TO XPICTÖ rINeCBAl
MEAAÖNT@N KAI TON Eic AYTÖN rIcTeYein TIPOETNWCMENON KAl TÖN Yrr AYrTo? To? Xricro?
ÖMolwc FINECBAI MEAAÖNTUN.
. 40.
” Hauptstelle ist Jesaj. 2,3: ’Ex Ceiön dzenercera NÖMoC Kal Aöroc KYPioy €
lerovcaahm. Es war den Vätern sehr beruhigend, daß sieh im Alten Testament selbst
Stellen nachweisen ließen, die auf die Abschaffung des alten und die Aufstellung
eines neuen Gesetzes gedeutet werden konnten.
Dial. ı1, vgl. 43. 51. 118. 30, 183.
° Dial. 67.
Harwack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 199
gemacht hat, hier das Liebesgebot fast vollständig vernachlässigt ist
(auch der Freiheitscharakter des neuen Gesetzes). Justin spricht sehr
selten von ihm. Daß an seine Stelle das sittliche Naturgesetz der
Stoiker einziehen wird und daß in Wahrheit dieses älteste Gesetz die
»lex novissima« ist, kündigt sich bereits bei Justin deutlich an. Er
ist daher der Herold, ja in wichtigsten Beziehungen bereits der Be-
gründer des philosophischen Hellenismus innerhalb der großen Kirche.
10:
Von Justin, dessen Anschauung mit der des Ptolemäus sich be-
rührt, sind die leitenden Gesichtspunkte in die Theologie der altka-
tholischen Kirche übergegangen. Indessen finden sich doch insofern
bedeutende Nuancen, als die altkatholischen Väter in ihrem heißen
Kampfe mit den Gnostikern und Mareioniten die Kühnheit dämpfen
mußten, mit der Justin sich über das »alte« Gesetz hinweggesetzt
hat, und somit dem Standpunkt des Lukas näher kommen. Justins
einfache Formel: »das alte Gesetz ist dahin; wir stehen unter dem
neuen Gesetz«, hat sich Einschränkungen im Interesse des Alten Testa-
ments gefallen lassen müssen, wenn sie auch im wesentlichen bestehen
blieb. Und auch darin hat die Formel des Justin eine bedeutende
Verbesserung erfahren, daß einige Väter sich doch wieder des Lie-
besgebotes erinnern und daß sie, von Paulus belehrt, den Frei-
heitscharakter der neuen Gesetzgebung gegenüber der Knechtschaft
der alten sicherer und mit mehr Verständnis betonen als Justin.
Die reichhaltigste Theorie vom Gesetze mit durchgehender Be-
ziehung auf Matth. 5, ı7 findet sich bei Irenäus; ja er kommt sogar
auf einem weiten Umwege über Justin an einem Hauptpunkte dem
wirklichen Sinn des Spruches Jesu wieder nahe. Die Unterscheidung
des alten und des neuen Gesetzes steht an der Spitze. Das »alte« Gesetz
ist aber den Patriarchen noch nicht gegeben worden; denn sie waren
»gerecht«, d. h. sie hatten den Dekalog in ihren Herzen geschrieben
und liebten Gott und den Nächsten; sie brauchten daher kein anderes
Gesetz als das »natürliche« (d.h. das »älteste«). Erst als in Ägypten
das Volk Gerechtigkeit und Liebe verloren hatte und sich gar ein
goldenes Kalb machte, erhielt es das Gesetz. Dasselbe umfaßte erst-
lich die »naturalia legis«, die das Volk vergessen hatte, nämlich eben
die im Dekalog sich ausprägenden Gebote der Gottes- und Nächsten-
liebe, zweitens knechtende Gebote, die das stets zum Abfall geneigte
Volk bei Gott halten sollte — »per typica ad vera, per temporalia
ad aeterna, per carnalia ad spiritalia, per terrena ad caelestia«‘. Diese
ı Iren. IV, 14,3.
19°
200 _ Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
»legisdatio in servitutem«, die eine notwendige und heilsame Sklaverei
bedeutete, aber wirkliche Gerechtigkeit nicht schaffen konnte', dauerte
bis auf Johannes den Täufer’; aber die Apostel haben auch später
noch mit Recht eine Zeitlang das Gesetz beobachtet, damit der Irr-
glaube nicht aufkäme, das Gesetz sei nicht von Gott selbst, sondern
von einem anderen gegeben’. Mit Christus endete das alte Gesetz.
Matth. 5, ı7 wird von Irenäus also erklärt und paraphrasiert‘:
»Daß der Herr die Naturgebote des Gesetzes, durch welche der
Mensch gerechtfertigt wird’, welche auch vor der Gesetzgebung die-
jenigen beobachteten, welche durch den Glauben gerechtfertigt wurden
und Gott gefielen, nicht aufgehoben, sondern erweitert und
vollendet hat, erhellt aus seinen Worten: ‚den Alten ist gesagt...
ich aber sage euch‘ (folgt Matth. 5, 21. 22. 27. 28. 33. 34. 37). Alles
dieses nämlich enthält keine Entgegensetzung und Aufhebung
des Früheren, wie die Mareioniten schreien, sondern Vollendung und
Erweiterung... Worin aber bestand das Mehr? Erstens in dem
Glauben nicht bloß an den Vater, sondern auch an seinen bereits
erschienenen Sohn; denn er ist es, der den Menschen zur Gemeinschaft
und Einheit mit Gott führt°; dann — sich nicht auf das bloße Sagen
zu beschränken, sondern es auch zu tun; denn jene sagten es, taten es
aber nicht, endlich — sich nieht bloß von bösen Werken zu enthalten,
sondern auch vom bösen Begehren. Dies aber lehrt er nicht im Gegen-
satz zum Gesetze, sondern um das Gesetz zu vollenden und die Ge-
rechtigkeitswirkungen des Gesetzes in uns tief einzuprägen. Dem Ge-
setz wäre es entgegen gewesen, wenn er irgend etwas, was das Gesetz
verboten hätte, seinen Jüngern befohlen hätte zu tun. Was er aber
von der Enthaltung von den Begierden sagt, soll das Gesetz nicht
auflösen, sondern vollenden, ausdehnen und erweitern. Denn
das Gesetz, als für Knechte bestimmt, unterwies durch das Äußere und
Körperliche die Seele, sie gleichsam durch Seile und Bande hinziehend zum
Gehorsam gegen die Gebote, damit der Mensch lerne Gott dienen; das
»Wort« aber, die Seele befreiend, lehrte auch die freiwillige Rein-
haltung des Körpers durch die Seele. Infolgedessen mußten die Bande
! Iren. IV, 16,2:
Hier liegt die stärkste Abweichung von Paulus vor.
Das ist in diesem Zusammenhang ein ganz neues Element, welches aber viel-
leicht aus der Überlieferung entstanden ist: Christus selbst ist das Gesetz.
2
3
* Iren. IV, ız.
5
6
1 nn at
EEE LT NETT
HarnAcK: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 201
der Knechtschaft hinweggenommen werden ..., weiter ausgedehnt
werden aber die Satzungen der Freiheit und vermehrt werden die Unter-
_ würfigkeit unter den König, damit nieht der Mensch durch Wieder-
umkehr als unwürdig erscheine seines Befreiers; die Pietät aber und
der Gehorsam gegen den Hausvater mußten zwar gleich sein bei den
Knechten wie bei den Freien, ein größeres Zutrauen jedoch die Freien
haben, weil größer und ehrenvoller das Handeln der Freiheit ist als
die Folgeleistung in der Knechtschaft. «
»Darum hat der Herr die Gebote des Nichtbegehrens gegeben und
die anderen alle, die Matth. 5, 21—43 stehen, damit wir uns dem
Nächsten dienlich erweisen, nicht ihre Torheit anschauen, sondern
unsre Güte ausüben. Darin liegt nicht eine Aufhebung des Gesetzes,
sondern eine Vollendung und Ausdehnung und Erweiterung
in uns... Nicht darum hat er uns freigemacht, daß wir ihm ent-
laufen, sondern damit wir, als seiner Gnade reichlicher teilhaftig ge-
worden, um so mehr ihn lieben.«
„Weil also alle natürlichen Gebote uns und jenen (den Juden)
gemeinsam sind, so haben sie in jenen zwar Anfang und Aufgang
gehabt, in uns aber Zuwachs und Vollendung. Denn Gott an-
hangen und seinem Worte folgen, über alles ihn lieben und den Näch-
sten wie sich selbst (des Menschen Nächster aber ist der Mensch), sich
von allem bösen Tun enthalten und alles dergleichen, was uns und
jenen gemeinsam ist, bekundet einen und denselben Gott. Dieser aber
ist unser Herr, das Wort Gottes, das zuerst (jene) als Knechte zu
Gott hinzog, sodann aber die ihm Untergebenen befreite (folgt Joh.
15, 15); es hat also zuerst den Menschen die Knechtschaft, Gott
gegenüber, durch das Gesetz auferlegt und ihnen dann die Freiheit
geschenkt«.
Ursprünglich schrieb Gott den Juden nur die zehn Gebote vor,
die übrigen Gesetze erst später als Zuchtmittel wegen ihrer Hals-
starrigkeit!. Sie dienen nicht der Rechtfertigung, sondern sind »signa«.
»Für das ewige Leben den Menschen vorbereitend, hat der Herr selbst
dureh sich selbst die Worte des Dekalogs zu allen auf gleiche Weise
. gesprochen, und darum gelten sie auf gleiche Weise auch für uns,
f indem sie Erweiterung und Zuwachs, aber nicht Aufhebung er-
| hielten durch seine Ankunft im Fleisch ... Was zur Knechtschaft
und zum Zeiehen jenen gegeben wurde, hat er aufgehoben durch den
neuen Bund der Freiheit. Die natürlichen, freiheitsmäßigen und
für alle gemeinsamen Vorschriften aber vermehrte und erweiterte
er, indem er neidlos geschenk weise durch die Adoption den Menschen
ı Iren. IV, 15. 16.
202 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
verlieh, Gott als Vater zu wissen und ihn zu lieben aus gan-
zem Herzen«'.
Diese Gedanken des Irenäus — so kompliziert sie sind, da sie
Paulinisches, Stoisches und Antignostisches zur Erklärung von Matth.
5, 17 hinzuziehen — versuchen dem Spruch unter Beachtung des
Gesamteindrucks der Predigt und Erscheinung Jesu wirklich gerecht
zu werden. Sie kehren insofern zum wirklichen Sinn des Spruchs
zurück, als sie in dem neuen Gesetz, d. h. in der Vollendung des
Gesetzes, das Liebesgebot erkennen. Sie haben großen Eindruck auf
die älteste Kirche gemacht und bezeichnen zunächst den Abschluß
der Bemühungen, sich mit Matth. 5, 17 auseinanderzusetzen. In der
Folgezeit sind die Differenzierungen, die (nach dem Vorgang des Pto-
lemäus und Justin) Irenäus vorgenommen hat, in Kraft geblieben,
aber in bezug auf die Erkenntnis der Bedeutung des Liebesgebots
und der Freiheit haben die Späteren ihn nicht erreicht’. So schreibt
Tertullian®: »Das Frühere ist entweder verwandelt worden (demu-
tatum), wie die Beschneidung, oder ergänzt worden (suppletum), wie
das übrige Gesetz, oder erfüllt worden (impletum), wie die Prophetie,
oder vollendet worden (perfeetum), wie der Glaube selbst«. Weder
die Liebe noch die Freiheit ist hier berücksichtigt, und statt der Voll-
endung des Gesetzes tritt hier der Begriff der Ergänzung ein. Der
Verfasser der Didaskalia ermahnt‘: »Unser Erlöser ist um keiner
andern Sache willen gekommen, als um das Gesetz zu vollenden und
uns von den Banden der Wiederholung des Gesetzes (d. h. des Zere-
monialgesetzes) zu befreien... Ihr wißt ja, daß Gott ein einfaches,
* Iren. 1V, 10,4. 5.
® In bezug auf die Alexandriner bemerke ich nur, daß Clemens (Strom. III, 6, 46)
es verbietet, aus dem Spruche zu folgern, das Gesetz sei »&naehc« gewesen; die Er-
füllung, sagt er, könne sich nur auf die im Gesetz enthaltenen Prophetieen beziehen;
denn das richtige Lebensgesetz sei schon den Patriarchen bekannt gewesen. Dagegen
sagt Origenes (Comm. in ev. Matth. X, 12: Tom. II, S.33 ed. Lomm.), daß dem Ge-
setz noch etwas gemangelt habe, nämlich die Evangelien und das Apostelwort. Er
bezieht aber den Begriff »Gesetz« in dem Spruch ausdrücklich auf das ganze Ge-
setz, welches durch die Liebe seine Erfüllung erhalte (Hom. in Num. 3 3.8, 109
An anderen Stellen versteht er unter rIaHPpäcaI »beobachten « (wie Zaun, bzw. »be-
obachten nach dem geistlichen Sinn«), s. Hom. in Jesu Nave XV, er xT, S. 138 ff.
und Comm. in ep. ad Rom. II, 13, T. VI, $S. 122 und macht an der letzteren Stelle
eine merkwürdige Unterscheidung zwischen »observare« (THPEIN) einerseits und »per-
ficere« (TEREIN) und »adimplere« (AHPoYn) anderseits: »Ille, qui secundum literam
vivit, eustodire dieitur legem; iste vero, qui secundum spiritum, perficere: per-
fectio autem legis in Christo est, qui dixit: ‚Non veni solvere legem, sed adimplere.‘
adimplere autem legem, hoe est perficere legem. eustodit ergo legem carnalis Iudaeus,
perfieit autem spiritualis et qui in oceulto Iudaeus est.« |
3 en u. Be c.11 en legem«); an anderen Stellen spricht Tertullian
von »superstruere«, »adjicere« usw. raescr. 13: »Christus icavi legem.«
Texte und Unters. Bd. 25 H. 2s. 6. a a.
Harsack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5,17). 203
reines und heiliges Gesetz des Lebens gegeben hat, in welches unser
Erlöser seinen Namen gesetzt hat. Die Zehn weist nämlich auf das
Jod (10. Buchstabe im Alphabet) hin, Jod aber ist der Anfang des
Namens Jesu... Er hat gesagt: ‚Ich bin nicht gekommen, das Ge-
setz und die Propheten aufzulösen, sondern sie zu erfüllen.‘ Das Ge-
setz also wird nicht aufgelöst, die Wiederholung aber des Gesetzes
gehört der Zeit an und wird aufgelöst. Das Gesetz also sind die zehn
Gebote.« Der Verfasser glaubt alle Schwierigkeiten durch die Unter-
scheidung von Dekalog und Gesetz überwunde nzu haben. — Als eifriger
Gegner der Gnostiker und Mareioniten ist Hippolyt wie Irenäus darauf
bedacht, das alttestamentliche Gesetz zu schützen. Er deutet in seinem
Kommentar zu Genes. 49, 14 das »EranartayoNTaı ÄNÄA MECON TÖN KAHPWN«
auf diejenigen, welehe sowohl die Gebote (Jesu) als die Vorschriften
des Gesetzes (welche?) halten, versteht unter ihnen nicht etwa die
sektiererischen Judenchristen, sondern die kirchlichen Christen und’be-
ruft sich dafür auf Matth. 5, ı7. So einfach und so gesetzesfreund-
lich hat sich Irenäus in bezug auf den Spruch nicht verhalten; doch
sind uns die Worte des Hippolyt nur fragmentarisch erhalten’; wir
kennen daher seine Meinung nicht vollständig.
Den ursprünglichen, einfachen Sinn von Matth. 5, ı7 hat kein
Kirchenvater mehr zu konstatieren gewagt, weil die Entwicklung der
Kirche über diesen Sinn hinweggeschritten war. Nur Griechen er-
innerten die Kirche zuweilen in unbequemer Weise an ihn. So schreibt
der Kaiser Julian in seinem polemischen Werk gegen die Christen:
»Christus selbst hat gesagt, das Gesetz solle beobachtet werden, da
er spricht: ‚Ich bin nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten
aufzulösen, sondern zu erfüllen‘. Demnach hat Christus ohne Wider-
rede die Beobachtung befohlen’.« Julian tadelt die Christen bitter,
daß sie die Beobachtung des Gesetzes eingestellt haben, und zeiht sie
des Abfalls von Christus’. Auch bei den Juden erhielt sich das Ge-
dächtnis an Matth. 5, 17, s. Traet. Sehabbath e. XVI f.116°: »Da sagte
der Philosoph zu ihnen: Ich habe den Schluß des Evangeliums’ nach-
gesehen; da heißt es: Ich, Evangelium, bin nicht gekommen, wegzu-
! Hippolyts Werke (hrsg. von Bonwersch und Acneuıs) I, 2. Äbt 9. 68.
2 Juliani Imp. libr. c. Christ. quae supersunt, collegit C. J. Nrumans (1880) p.
229. 236.
3 So aueh schon Porphyrius; ist übrigens der Satz in der Schrift de abstin.
II, 33: &rö TÄ Men KEKPATHKÖTA TIAP’ EKÄCTOIC NÖMIMA AYCON OYK EPXOMAI etwa von
Matth. Ri 17 abhängig?
* Resch in den Texten und Unters. Bd. ro H. 2 S. 72.
5 Der »Schluß« des Evangeliums ist auffallend und bedarf einer besonderen
Untersuchung.
204 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
tun vom Gesetz Mosis, sondern hinzuzufügen zum Gesetz Mosis bin ich
gekommen.« Aus manröcaı ist hier »addere« geworden, eine Wieder-
gabe, wie sie sich auch bei Tertullian findet (»supplere«). Der Jude
Trypho (bei Justin, Dial. 10) erklärt dementsprechend, die christlichen
(sebote seien so schwer, daß niemand sie beobachten könne.
Ir:
In der Auslegung des Spruchs Matth. 5,17 spiegelt sich das Be-
. wußtsein, welches die Jünger Jesu von dem Verhältnis ihres Glaubens
zur alttestamentlichen Religion besessen haben. Aus dem »TraHPücaı«
haben sie das herausgearbeitet, was sie bedurften, um ein bis zum
Gegensatz gesteigertes Stufenverhältnis ihres Glaubens im Vergleich
mit der alten Religion zu gewinnen. Wenn sie dabei entscheidendes
Gewicht darauf legten, daß das »raHPpöcaı« so geschehen sei, daß
die Souveränität des Liebesgebotes nun zum Ausdruck gekommen, so
folgten sie damit den Anweisungen Jesu selbst. Aber der Gedanke
hat schließlieh in der Kirche nicht mit voller Kraft durchgeschlagen.
Stärker hat der andere (paulinische) Gedanke gewirkt, der aus dem
»rmaHp&caı« die Umwandlung eines knechtischen Zustandes in den Zu-
stand der Freiheit entnahm. Allein auch dieser Gedanke ist nicht
kräftig und rein erfaßt und durchgeführt worden, weil man, hinter
Paulus zurückbleibend, die Freiheit schon erreicht sah, wenn die
Äußerlichkeiten des Gesetzes entfernt waren. In dieser Richtung ist
der Spruch Matth. 5,17 weiter bearbeitet worden, indem man den Be-
griff »Gesetz« näher beleuchtete und differenzierte. Hier geriet man
auf den Gedanken, der sich bei Paulus mindestens nicht deutlich findet,
aber doch schon im Judentum verbreitet war, daß der Dekalog das
eigentliche Gesetz sei und daß sich daher das Wort Jesu, er löse das
Gesetz nicht auf, lediglich auf ihn beziehe. Damit gewann man die
Möglichkeit, an Matth. 5,17 festzuhalten und doch zu behaupten, Jesus
habe das übrige Gesetz aufgehoben bzw. umgewandelt; aufgehoben
habe er die »pädagogischen«, um der Herzenshärtigkeit willen er-
lassenen Gebote, und umgewandelt habe er die »typischen« und »sym-
bolischen« Einrichtungen'!. Mit dem ersteren Satze glaubte man der
Spekulation des Paulus gerecht zu werden, der freilich viel mehr be-
hauptet hatte, nämlich den transitorischen Charakter des ganzen Ge-
setzes; mit dem „weiten Satze meinte man den geistigen und Freiheits-
charakter der neuen Religion genügend zu wahren, obgleich man die
vergeistigten Einrichtungen als »neues Gesetz« promulgierte.
? Daß die Gebote als pädagogisch-transitorische und die Einrichtungen und Ze-
remonien als symboliseh-typische einst gegeben worden seien, ist natürlich eine un-
geschichtliche, willkürliche Voraussetzung
Hıarnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 205
- Der Abstand von Paulus und Johannes, deren Kühnheit überhaupt
in der großen Kirche nicht wieder erreicht worden ist, vergrößerte
sieh vollends, als man den Dekalog mit dem »natürlichen« Gesetz
der Stoa identifizierte und damit auf die Spur des Gedankens kam,
daß das »neue« Gesetz vielmehr das.»älteste« ist, weil das deutlich
erkannte und wiederhergestellte sittliche Naturgesetz. So einleuchtend
es nun war, daß Christus dieses nicht aufgehoben, vielmehr bekräftigt
und vollendet habe, so sehr drohte hier die Gefahr erhabener Tri-
vialitäten. Aber diese Gefahr wurde nicht empfunden; denn es war
nun die ganze Frage von dem geschichtlichen und jüdischen Niveau
auf das philosophische und allgemein menschliche gehoben. Dieser
ungeheure Vorteil entschädigte für alles. Nun ließ sich auch dieses
ganze widerstrebende Gebiet der vernünftigen Theologie einordnen:
Christus hat als Logos das sittliche Naturgesetz (das älteste Gesetz)
restituiert, erweitert, vollendet und verdeutlicht; alles bloß Zeitge-
schichtliche aber hat er beseitigt und alle »Symbole« in geistliche
Realitäten verwandelt. Der Spruch Matth. 5, 17 wurde nun so ver-
standen: »Ich bin gekommen das wahre, älteste Gesetz zu vollenden,
aber abzuschaffen bzw. umzuwandeln, was fälschlich für das Gesetz
gehalten worden ist. « i
In der großen Gedankenarbeit, die zu diesem Ergebnisse geführt
hat, ist ein Gedanke des Paulus in der Kirche des 2. Jahrhunderts
unberücksichtigt geblieben, daß Christus die Menschen vom Gesetz los-
gekauft habe. Dieser zu Matth. 5,17 sich ganz disparat verhaltende
Gedanke wird zwar (nachdem die paulinischen Briefe kanonisiert waren)
in homiletisch-rhetorischen Darlegungen aufgenommen, bleibt aber bei
der prinzipiellen Beurteilung des Verhältnisses des neuen Zustandes
zum alten und zum jüdischen Gesetz unberücksichtigt . Nur Mareion
hat ihn kräftig erfaßt und in den Mittelpunkt gerückt. Für Paulus
und Mareion ergab sich im Zusammenhang dieses Gedankens irgend-
wie die Vorstellung, daß Christus dem Gesetze, indem ® unse das-.
selbe trat, auch Genüge geleistet und es eben dadurch für die anderen
für immer unwirksam gemacht habe. Aber diese Vorstellung hat sich
niemals zu der ganz anderen entwickelt, die erst in viel rn Zeit
eine große Bedeutung erhalten sollte, daß Christus durch seine ..
erfüllung (obedientia activa) allen anderen die Gesetzeserfüllung stell-
vertretend abgenommen habe”. i
' 1 Anders erst wieder Origenes, s. Hom. in Jesu Nave XV, 4 T. X, 2 ae
»Omnia quae lex mandabat, implevit, ut noS redimeret a maledieto legis. $ pse
de se dicit ete.« (folgt Matth. 5, 17)-
: —_ - £ Von der Gesetzeserfüllung Jes
eu Vätern die Rede.
Sitzungsberichte 1912.
u durch Gesetzesbeobachtung ist natürlich öfters
20
206 _ Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 15. Februar 1912.
Eine ganz neue Beleuchtung schien endlich der Spruch Matth. 5,17
dadurch zu erfahren, daß in der nachapostolischen Zeit Christus selbst
als das »Gesetz« bezeichnet worden ist. Aber in Wahrheit ist diese
hohe Spekulation recht einflußlos gewesen — auch die Auslegung
von Matth.5,1ı7 hat sie nicht berührt — und offenbart sich bei näherer
Würdigung als ziemlich hohl; denn sie ist in der Regel so zu ver-
stehen, daß das Evangelium mit dem gepredigten Sohne Gottes zu‘
identifizieren sei, daß aber das Evangelium auch als Gesetz, nämlich
als das neue Gesetz, bezeichnet werden könne und daher auch der
Sohn Gottes.
Das, was sich um das Jahr 200 als das orthodoxe Verständnis
des Spruchs Matth. 5, 17 niedergeschlagen hat, war etwas außerordent-
lich Kompliziertes, ja Verwickeltes'; aber es spiegelt sich in ihm der
komplizierte, synkretistische Charakter, den die Kirche und die Kirchen-
lehre von Anfang an und in steigendem Maße besessen haben. In
diesen großen Gebilden verklagten und entschuldigten sich die Ge-
danken und Einrichtungen gegenseitig, und doch besaßen sie eine
mächtige Anziehungs- und Stoßkraft; denn es war gelungen, das Alte
und das Neue, das Notwendige und das Widerstrebende in einen
Organismus zu zwingen, und in diesem Organismus lebte noch immer
der Gedanke, daß die Liebe die Erfüllung des Gesetzes sei. Aber
es lebte in ihm auch die nun gewonnene Einsicht, daß das Christliche
mit dem Humanen, die christliche Lehre mit der Vernunft letztlich
identisch sei und daß man sich daher der christlichen Religion auf
dem doppelten Wege des geschichtlichen Glaubens und der Philosophie
bemächtigen könne. Diese Überzeugung verwandelte die Mission einer
weltfremden Sekte in die Mission der Kirche, die die geistige Kultur
Harnack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu (Matth. 5, 17). 207
‚der Welt bejahte und die von ihrem Stifter verkündigte, er sei nicht
gekommen, um aufzulösen, sondern um das eingepflanzte höhere Ge-
setz der Menschheit zu vollenden. Nimmt man seinen Augenpunkt
hoch genug, so darf man diese Entwicklung nicht schelten, sondern
muß bekennen, daß der Grundgedanke des Spruchs Matth. 5, 17 trotz
seiner Transformierung' nicht preisgegeben ist: die neue Religion er-
kennt das vorhandene geistige und sittliche Kapital an; sie will es
nicht auflösen, sondern vollenden, und sie sieht die Vollendung in
dem gesteigerten Ernst und der Heiligkeit des Lebens und in der
Kraft der Liebe.
! Die Kosten der Transformierung trug das Judentum.
"Ausgegeben am 22. Februar.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
weise oder auch = ER UNITORFORE: in
Breher Sprac ht
rden. Sollte eine a zuwiderlaufende Veröffent-
ee dem redigirenden Seeretar vor der Aus in
den akademischen Schriften zu i
€
nn der Verfas einer aufgen enen wissen-
Aa Mifkheii dieselbe Se früher zu
veröffentlichen beabsichtigt, als ihm diess nach den gel-
tenden Rechtsregeln zusteht, so en er dazu der Ein-
G t ” dem
Gedächtnissreden ander ae zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestatt
Aus $ 21.
Die Sitzungsberichte ne in einzelnen Stücken
in der Regel Donnerstags Tage nach jeder Sitzung.
Aus $ =
Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die
der Sitzung ns ragenen a Mitthei-
ee und üb e zur ger geeigneten ge-
en Angelegenet
nter den Titeln der w euchafälehen Mittheilungen
et in dieser Übersicht are Inhaltsangaben derselben,
welche die Verfasser einreichen, und für welche sie ver-
antwortlich sind. Diese tohalkahakhen sollen sich in
d eg en beschränken, keinesfalls
Die nicht in den Schriten der Akademie erscheinenden
Michilungen w erde t vorgesetztem Stern bezeichnet,
i den für die A alnngen bestimmten wird »(Abh.
ER ügt.
Wissenschaftliche Mittheilungen fremder Verfasser
ee = dem = richt über diejenige Sitzung aufgeführt,
in w er deren Aufnahme in die akademischen Schriften
s a wird.
; mit
Secretars oder Si Archiva
u
zu a. einer in einer akademischen Sitzung
am Donnerstag zur Aufnahme in die Sitzungsberichte zu-
ERS Michele wele - am nächsten Donnerstag
Sitzung selber, spät s bis Freitag 10 Uhr N
dem redigirenden arseH oder der Reichsdruckerei dru
fertig zugestellt werden. Später eingereichte ek
werden, dem Präsentationsvermerk des ayserzen
ars versehen, für ein
Stück zurückgel
Dasselbe es von vorn herein mit Er ge-
schehen, deren Satz aus irgend welchen Gründen be-
in $$ 3 und 4 enthaltenen .— ungen
i i rei versendet spätestens am ‚ Montag
. die rer an "die hier wohnenden oder an-
asser, Be: an die Br aan w
ne a haben, mit der Angabe, dass sie
jedoe i
n zu lesen, so muss sie die Correetur bereits
Dienstag früh an die Druckerei zurückliefern. Wird die
d
Correetur länger als bis Dienstag Abend von der damit be-
trauten Person behalten, so hat diese es zu v &
wenn n Mittheilung in einem — ger: erscheint,
auswärts werden Correeturen nur erlange
Ge die Verfasser ih damit at Pie
ihrer Mittheilung nach = Tagen. ern,
deren Correeturen erst
zur Revision ee werden müssen, kann das Er-
scheinen am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge-
sichert werden
us 8 37,
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
See Jahrg. 1909:
Phys ikalisch-mathematische Classe . . - -
Philosophisch-historische Glasse .:.
gm Jahrg. 1910:
Physikalisch-mathematische Glaser... 0%
Philosophiseh-historische Classe . . . » -
Möürier:
Loors: Das te der Homonsianer von Sardica en, nu
Warperer: Der Processus retromastoideus 2
Mkxyer: Gedächtnissrede - Eherhard Schrader
von WıLAmowıTz- MoELLEN
Scauzze, W.: Gedäc Tee er Richard rare
Rusens: ee auf Friedrich Kohlraus
Lanporr I ber die Erhaltung der Mass
Kekurxz von Strapoxıtz: Stra ge
Dirrezy: "Dar Aufba
van’r Horr: ee ie auf Hans Heinrich
ÜLLER: Uigurica 2
EnsLer und K. Kra
6
Fischer: Gedächtnissrede auf 1e Ja
eg W.: —. auf rich Zimm
A Hymnen n das Diadem der Peickoien
Morr: Zur et Gliederung Frankreichs
Einzelne Abhandlungen aus den Jahren 1908, m 1910 und 1911.
: Nordionische Be, i
au der geschichtlichen Y Welt i ae den ‚Geisteswissenschaften. E Erste Hälfte . .
: Uber den anatomischen Bau der baumartigen Cyperacee Schoenodendron
acobus Henricus vant Hof ne en
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en: "Berich über die von den en ı Museen unternommenen
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Sonderabdrucke. I. Halbjahr 1911.
iev er der von der rent aus-
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Adresse an Hrn. Juurus Eurm
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1L.,
Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften.
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e Akademie gibt 2 .$ 41,1 der Statuten zwei
fort x al de Veröffe innen herank: » Sitzungs
der Königlich Preussischen Akademie der gegen
und ee der Königlich Preussischen Akademi
der Wissenschaften
a.
Jede zur Aufnahme & »Sitzungsberichle« oder die
» Abhandlungen « ee Mitthei eilung muss in einer aka-
Bemischen Sitzung vorgelegt werden, went in er Regel
icht-
mitglieder haben hierzu die Vermit ittelung eines rd
Fache angehörenden u Mitgliedes zu benutzen.
mfang einer na Mittheilung soll
öh n t
Be Sitzungsberichte, in ungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in — ewehnlehen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen
Überschreitung ech. Grenzen ist nur mit Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt-
a dass diese a erforderlich sein werde,
hat das on. e Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen
Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original-
u. 5. w.) gle ichzeitig mit dem Manuscript, jedoch
auf .. Blättern, einzureichen
Die Kosten der ee der Enger haben in
= Regel die. Verfasser tragen
er auf einen a
wen die Akadem
darauf RETER >
-Akademie zu verhandeln.
rvielfältigung übernimmt die Aka-
voraussicht liche Höhe dieser .
um wenige einfache Textfigure
Kostenanschlag eines Bachs fee
beizufügen. 'hreitet dieser Anschlag für die er-
forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 a. so ist Vorberathung
durch das Seeretariat er sg
re er d Einreichung des
vollständigen üruklene Manuseripts an den
eines der en Mit-
glieder es verlangt, verdeckt abgestim
Mitt heilunge n von . rn, I uch Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Regel nach mur in die
in die dazu bestimmte en der » Abhandlungen «,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie,
Aus x 6.
nn: 2» Ty q f a} RT
wenn es sich nie cht bloss um glatten Text handelt, aus-
für die Anordnung des Satzes
sselbe hat sieh zu vergewissern, dass
seine Mittheilung als vollkommen drı a t
ie erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
Verfasser. Fremde h diese erst ectur
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll
Möglichkeit nicht über die von Druckfehlern
und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche
tars vor der Einsendung an die Dru
und die Verfasser - zur Tragung der eikatehenden Mehr-
Foaal verpflichte
Aus $ 8.
allen in = Sitzungsberichte oder ee
en,
ee aa ann A. der Dinfan g
aue
ae hergestellt, die er nach Erscheinen des be-
en SAUCE ‚der RGHRRUERIEHEE ‚ausgegeben \ = u
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklieh damit einverstanden erklären.
Von den Eandarihdrucken aus den een
erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akadem
zu rn .. lung ohne weiteres ° Frei,
exemplar: s berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Ei er er weitere Exem
0 (im ganzen - 350) abziehen zu ee
sofern er diess rechtzeitig de
gezeigt = wüns nn er auf seine
Abdrucke zur Verthei zu erhalten, so
der ee pi Cum mt-Akademie oder der be-
s himitglieder erhalten Frei-
e ar Exemplare auf ihre
a ein Verfas welcher a
zu unentgellicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-
Secretar weitere 100 Exemplare auf i
irenden
Kosten abziehen lassen.
1
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-
(Fortsetzung auf S.3 des Umschlags.)
209
SITZUNGSBERICHTE 192.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
22. Februar. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*], Hr. Stumer las über die Veränderlichkeit central be-
dingter Gefühlsempfindungen.
ie rein sinnlichen Gefühlswirkungen gleichzeitiger Töne haben sich seit dem
Alterthum nachweislich in bestimmter Richtung verändert. Ferner hat seit der Ein-
führung von Dreiklängen der Molldreiklang, der auf das unbeeinflusste Gehör geradezu
unangenehm wirkt, für Musikalische diese Eigenschaft verloren, da er als Schluss-
accord gebraucht werden kann. Der Vortragende hält es nach Beobachtungen an
Kindern für nicht unwahrscheinlich, dass auf diesem Gebiet eine Vererbung erworbener
Dispositionen, wenigstens zu rascherer Ausbildung prechender Gefühlsempfind
mitwirke.
9. Hr. E. Meyer überreichte seine Schrift: Der Papyrusfund von
Elephantine. Leipzig ı912. Ferner wurden vorgelegt: Morrke’s Mili-
tärische Werke. Hrg. von der Kriegsgeschichtlichen Abtheilung I des
Grossen Generalstabes. IV. Kriegslehren. Th. 3. Berlin 1912, und
Bd. III, Abth. ı des früher von der Akademie unterstützten Werkes:
Antike Schlachtfelder. Von J. Kromaver. Berlin 1912.
3. Das correspondirende Mitglied der philosophisch-historischen
Classe Hr. Juzius Eurıns in Strassburg hat am 21. Februar das fünfzig-
Jährige Doctorjubiläum begangen; aus diesem Anlass hat ihm die Aka-
demie die unten abgedruckte Adresse gewidmet.
Sitzungsberichte 1912.
210 Gesammtsitzung vom 22. Februar 1912.
Adresse an Hrn. JuLıus Eutıns zum fünfzigjährigen
Doktorjubiläum am 21. Februar 1912.
Hochverehrter Herr Kollege!
Der 2ı. Februar, an dem Sie vor fünfzig Jahren in der Universität
Ihrer schwäbischen Heimat die Doktorwürde erlangten, bezeichnet den
Anfang einer für die orientalische Wissenschaft reich gesegneten Ge-
lehrtenlaufbahn. Es ist Ihnen beschieden worden, den in den Idealen
Ihrer Jugend wurzelnden Baum Ihrer Lebenspläne durch fünf Jahr-
zehnte mit Erfolg zu pflegen und kostbare Früchte an ihm zur Reife
gedeihen zu sehen. Die rückwärts wandernden Gedanken des heutigen
Tages dürfen Sie mit hoher Freude und Genugtuung erfüllen. Die
Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, welche die Ehre
hat Sie zu den Ihrigen zu zählen, und gern daran denkt, daß sie
Gelegenheit gehabt hat, Ihnen bei einigen Anlässen ihre hohe Wert-
schätzung Ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu bezeugen, sendet Ihnen
zu Ihrem heutigen Gedenk- und Ehrentage die herzlichsten Grüße und
Glückwünsche.
Auf dem Gebiet der von unserem Mitgliede PrErErmann neu an-
geregten Mandäischen Studien haben Sie in Ihrer @olasta-Ausgabe,
von der ein in dem Archiv der Akademie aufbewahrter Bericht außer
anderem besagt, daß sie mit unübertrefflicher Sauberkeit ausgeführt
sei, der semitischen Philologie nach Form und Inhalt eine Muster-
ausgabe beschert, welche eine sichere Grundlage für die Erforschung
der Sprache und des religiösen Systems der Mandäer bietet und bis-
her unerreicht geblieben ist. Dann aber haben Sie sich der Haupt-
aufgabe Ihres Lebens zugewendet, der Erforschung der semitischen
Schrift und der semitischen Epigraphik. War diese Wissenschaft da-
mals noch verhältnismäßig wenig über die verdienstlichen Arbeiten
von Gesenıus hinaus gediehen, so ist der große und vielseitige Fort-
schritt, den sie seitdem erfahren, in hohem Maße als ein Ergebnis
;
i
Adresse an Hrn. Junivs Evrine zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum. 211
Ihrer Forschungen anzuerkennen und anerkannt worden. Ein im Er-
kennen schriftgeschichtlicher Details besonders scharfes Auge, reiche
Sprachkenntnisse, eine besonnene kritische Methode und eine kunst-
geübte Hand haben Sie in den Stand gesetzt, auf verwitterten Fels-
wänden halb zerstörte Schriftzüge zu erkennen, zu erklären und zu
reproduzieren. Jedes Ihrer Inschriftenwerke, die Punischen Steine,
die Phönizischen Inschriften aus Idalion, die Sammlung der Cartha-
gischen Inschriften, die Nabatäischen Inschriften aus Arabien, die Sinai-
tischen Inschriften, die Notice sur un papyrus egypto-arameen, anderer
Detailpublikationen nicht zu gedenken, haben der Wissenschaft viel-
fache Anregung und bedeutsame Förderung gebracht. Wir gedenken
mit besonderer Anerkennung des vielseitigen Inschriftenmaterials, das
Sie aus Arabien heimgebracht haben, durch das wir neue, bis dahin
fast gänzlich unbekannte oder ungenügend bekannte Schriftarten und
Sprachdenkmäler kennen gelernt haben, gedenken speziell auch der
von Ihnen interpretierten nabatäischen Inschriften, welche lehrreiche
Einblieke in die verschollene Kultur des Nabatäerreiches gestatten,
auf die Völkerverhältnisse und Völkerwanderungen ein ungeahntes
Lieht werfen und auch wegen der nahen schriftgeschichtlichen Be-
ziehungen der jüngsten nabatäischen Kursive zur ältesten arabischen
Schrift wichtige Zusammenhänge erkennen lassen. Daß Sie neben
solchen epigraphischen Arbeiten die Entwickelung der semitischen
Schrift in allen ihren Verzweigungen in zahlreichen Tafeln mit Meister-
hand zur Anschauung gebracht haben, wird Ihnen in der Geschichte
der Wissenschaft unvergessen bleiben.
Sie sind, hochverehrter Herr Kollege, in einer Beziehung weniger
günstig gestellt gewesen als alle, welche neben Ihnen auf dem gleichen
Studienfelde arbeiteten. Ihr Hauptamt war seit Ihrer Promotion der
Bibliotheksdienst, der es Ihnen zwar ermöglicht hat, kräftig fördernd
in die Entwickelung der Straßburger Bibliothek einzugreifen, Ihnen
aber nur Nebenstunden des Tages für die Pflege Ihrer Wissenschaft
übrig gelassen hat. Was Sie indessen diesen Nebenstunden abge-
wonnen haben, ist das volle und keineswegs von jedem erreichte Maß
des Erträgnisses einer lebenslangen ungeteilten Gelehrtentätigkeit.
Schließlich gedenken wir noch eines Ruhmestitels besonderer Art,
an dem außer Ihnen kein anderer in gleichem Maße teilzuhaben be-
anspruchen darf. Es ist ein anderes in der Gelehrtenstube der euro-
päischen Heimat, ein anderes auf dem Rücken des Kamels in den
Wüsteneien Arabiens der Wissenschaft zu dienen. Wie Sie unter Ein-
setzung Ihrer Gesundheit und Ihres Lebens den Felsen Innerarabiens
ihre Inschriften abgewonnen haben, wie Sie vor Krankheit und vor
den mörderischen Anschlägen raubsüchtiger Barbaren bewahrt geblieben
21*
212 Gesammtsitzung vom 22. Februar 1912.
sind, dessen werden sich mit uns alle Ihre Freunde und alle Gleich-
strebenden an diesem Tage mit aufrichtiger Anerkennung und Dank-
barkeit erinnern. Möge es Ihnen beschieden sein, manches weitere
Jahr über ‘diesen Tag hinaus in ungetrübter Schaffenskraft auf dem
Arbeitsfelde Ihrer Wahl tätig zu sein!
Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften.
Ausgegeben am 7. März.
213
SITZUNGSBERICHTE 1912.
DER | xl.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
29. Februar. Sitzung der philosophisch-historischen Ülasse.
Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.
*], Hr. Sonmivr las »Beiträge zur Chronologie von Wilhelm
Meisters theatralischer Sendung«.
Nach prineipiellen Erwägungen stellten die Beiträge vorweimarischen Ursprung
nur für die losen Aesthetica II 5 und im Zusammenhang damit für Grundlagen des
Abschnittes über Corneille und die Einheiten als wahrscheinlich hin; abgesehen natür-
lich von den Monologen aus dem »Belsazar« und der »Königlichen Einsiedlerin«,
denn auch dieser muss der Leipziger Jugend zugetheilt werden, wie Inhalt (vgl. Meta-
stasio, Chr. E. v. Kleist) und Form (Apostrophirung, Einerlei der Epitheta, der Alexan-
drinerart gemässe Reimtechnik) beweisen. Die Iyrischen Einlagen wurden überschaut,
an die Zusatzstrophe »Ihm färbt der Morgensonne Licht« und was ihr vorausgeht der
Schluss auf späte Erfindung der ganzen italienischen Vorgeschichte des Harfners sammt
seiner Katastrophe geknüpft.
9%. Hr. FE. W.K. Mürter legt eine Abhandlung des Hrn. Prof. W.
Bıne aus Löwen (Belgien) vor: »Über die Räthsel des Codex
Cumanieus.« (Ersch. später.)
Sie bringt eine kritische Edition der in diesem Codex enthaltenen Räthselsamm-
lung sowie eine Interpretation der meisten dieser schwierigen, aber für Linguistik
und Volkskunde wichtigen komanischen Sprachreste.
nn
Ausgegeben am 7. März.
215
SITZUNGSBERICHTE 1912.
xu.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
29. Februar. Sitzung der physikalisch-matl tischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. ÄUWERS.
1. Hr. Rusens las über den Einfluss der Temperatur auf
die Absorption langwelliger Strahlen in festen Isolatoren.
(Ersch. später.)
Nach Versuchen, welche der Vortragende in Gemeinschaft mit Hrn. G. Herrz
angestellt hat, zeigen Steinsalz und Sylvin sowohl vor wie hinter dem ultrarothen Ge-
biete anomaler Dispersion eine starke Abhängigkeit des Absorptionsvermögens von
der Temperatur, derart, dass der Extinetionscoeffieient mit sinkender Temperatur ab-
nimmt und in der Nähe des absoluten Nullpunkts vollkommen verschwindet. (uarz
und Flussspath verhalten sich in Bezug auf ihre langwelligsten Absorptionsstreifen
ebenso wie die zuvor genannten Substanzen. Bei den unterkühlten Flüssigkeiten trat
nur ein geringer Einfluss der Temperatur auf die Absorption hervor.
9. Hr. Warsure las: Über den Energieumsatz bei photo-
chemischen Vorgängen. U.
Sauerstoff von 130 Atmosphären Druck absorbirt auf einer Wegstrecke von
2 cm Wellenlängen von o.2 u fast vollständig, 46 Procent der absorbirten Strahlung
werden zur Ozonisirung verwandt, eine Theorie von Erxstein liefert hierfür 50 Procent.
316 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 29. Februar 1912.
Über den Energieumsatz bei photochemischen
Vorgängen in Gasen. Il.
Von E. WARBURG.
Mitteilung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt.
ı2. In einer früheren gleichbetitelten Mitteilung! habe ich ge-
zeigt, daß die photochemische Ausbeute — d.h. der Bruchteil der
gesamten absorbierten Strahlung, welcher in chemische Energie ver-
wandelt wird — bei der photochemischen Zersetzung des Ammoniaks
durch Wellenlängen zwischen 0.203 und 0.214 u ungefähr 2 Prozent
beträgt. Dieser Wert wurde sowohl für reines Ammoniak von 80—90 cm
Quecksilberdruck als auch für ein Gemisch gefunden, das aus 50 Volum-
prozenten reinen Ammoniaks und 50 Volumprozenten eines Gemisches
aus ı Vol. Stickstoff und 3 Vol. Wasserstoff bestand.
Es schien zunächst von Interesse, den letztgenannten Versuch
auf kleinere Ammoniakkonzentrationen auszudehnen. Unterwirft man
nämlich Ammoniakgas der stillen Entladung, so hört die Zersetzung
auf, wenn die Ammoniakmenge auf 5.6 Prozent der ursprünglich vor-
handenen oder maximal möglichen gesunken ist. Dies rührt daher,
daß die stille Entladung aus Stickstoff Aue Masseratoff Ammoniak
bildet und daß bei der erwähnten A tion die ammoniak-
bildende der ammoniakzersetzenden Wirkung das Gleichgewicht hält.
Indessen kann Strahlung einer Wellenlänge größer als o.2 u, weil
sie von Stickstoff und Wasserstoff nicht absorbiert wird, kein Ammoniak
aus Stickstoff und Wasserstoff bilden; hier fällt also die Ursache,
welche bei der stillen Entladung die Zersetzung zum Stillstand bringt,
fort. Es war deshalb von Interesse, zu untersuchen, ob die ammoniak-
zersetzende Wirkung jener Strahlung bei der erwähnten kleinen
Ammoniakkonzentration noch stattfindet. |
13. Fügt man zu V, Volumteilen Ammoniak von dem aus ı Vol.
Stickstoff und 3 Vol. Wasserstoff bestehenden Gemisch so viel hinzu,
! Diese Berichte für ıgır, S. 746. Die zur: der vorliegenden Mitteilung
sind mit denen der ersten fortlaufend numerier
Wuanrsurs: Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. IE 247
daß das Volumen V erreicht wird, wobei alle Yolumins unter dem-
selben Druck gemessen sind, so erhält man eine Mischung, welche
p = 200/(1ı + V/V,) Prozent des maximal möglichen Ammoniaks ent-
hält. Die Stickstoff-Wasserstoffmischung wurde aus Bombengasen,
welehe Holzkohle und flüssige Luft passierten, in einem Wassergaso-
meter bereitet und über [rockenapparate in ein 200 cem fassendes Queck-
silbergasometer übergeführt, in welchem die Mischung mit Ammoniak
erfolgte. Als ich den Zersetzungsapparat mit einer Mischung, für welche
p= 5 war, beschickte, erhielt ich bei der ersten ıı’ lang dauernden
Bestrahlung eine starke Kontraktion, entsprechend Ap, = 0.23’; bei
den folgenden acht je 10° dauernden Bestrahlungen nahm die Kon-
traktion mehr und mehr ab, verschwand alsdann und ging in eine
kleine Ausdehnung über. Die Kontraktion rührt von einem kleinen
Sauerstoffgehalt der Gasmischung her, durch welchen Ammoniak unter
der Wirkung der Strahlung oxydiert wird ($ ı4). Es war deshalb
nötig, das Gas von Sauerstoff möglichst zu befreien. Die Stickstofl-
Wasserstoffmischung wurde zu diesem Zweck über Schwefelsäure und
Phosphorpentoxyd durch ein Rohr mit glühendem Kupfer, dann wieder
durch Phosphorpentoxyd in das Quecksilbergasometer geleitet und
der Zersetzungsapparat vor der Füllung aus dem Quecksilbergasometer
mit der sauerstofffreien Mischung gespült; p war gleich 4.9 Prozent.
Auch in diesem Fall führten die beiden ersten ı 1 bzw. 16° dauernden
Bestrahlungen Kontraktion herbei, aber eine viel schwächere als in
dem vorigen Fall, nämlich entsprechend Ap, = 0.054 und 0.023.
Dann trat Ausdehnung ein, deren auf die Zeiteinheit bezogener Betrag
bald einen konstanten Wert annahm. Indem die Bestrahlung 100’ lang
in Absätzen angewandt wurde, ergab sich Ap, = 0.0137, dabei A = 0.44,
E,= 28.5-10”°, W= 0.475.107, s=W/E, = 0.475/28.5 = 1.67
Prozent. Der Druck des Gemisches im Apparat betrug 80.5 em Queck-
silber bei 16.5°. Noch bei einem Ammoniakgehalt gleich 4.9 Pro-
zent des maximal möglichen wirkt also die angewandte Strahlung
(A =.0.203—0.214) ammoniakzersetzend mit einer Ausbeute, die nicht
viel kleiner ist als bei reinem Ammoniak. Ein ganz anderes Ergebnis
würde man wahrscheinlich erhalten haben, wenn man sehr kurz-
wellige Strahlung angewandt hätte, die von Stickstoff und Wasser-
stoff absorbiert wird und möglicherweise in der bei der stillen Ent-
ladung auftretenden Strahlung enthalten ist.
ı4. Als Ursache der Kontraktion in Gegenwart von Sauerstoff
ist im $ ı3 Ammoniakoxydation angegeben. Um diese direkt nach-
zuweisen, wurde der Zersetzungsapparat mit einem Gemisch aus 67 cem
! $ 3 der vorigen Mitteilung.
218 _ Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 29. Februar 1912.
Ammoniak und ı17 cem trockener Luft beschickt. Nachdem die
Strahlung 43’ lang in Absätzen gewirkt hatte, war Kontraktion ent-
sprechend Ap = 21.27 eingetreten, wobei auf der einen Quarzplatte
Flüssigkeitströpfehen sichtbar wurden.
15. Im $ ıo der vorigen Mitteilung wurde bemerkt, daß die Aus-
beute bei photochemischer Ammoniakzersetzung (2 Prozent) von der-
selben Größenordnung sei, wie der Bruchteil der einer Ozonröhre zu-
geführten elektrischen Energie, welcher nach Porz‘ zur Ammoniakzer-
setzung durch stille Entladung verbraucht wird; daß dagegen bei der
Ozonisierung des Sauerstoffs durch die stille Entladung dieser Bruch-
teil weit größer ist, nämlich bis ı5 Prozent beträgt, und daß es da-
her von großem Interesse sei, die Versuche über die photochemische
Ausbeute auf andere Gase auszudehnen.
Meine Aufmerksamkeit war nach dem Gesagten in erster Linie
auf die photochemische Ozonisierung des Sauerstoffs gerichtet. Nun
konnte KrrusLer” auf einem Wege von 30 cm nur bei Wellenlängen
kleiner als ungefähr 0.19 x Absorption im Sauerstoff entdecken, man
hätte also die kürzesten Wellen der Aluminiumfunkenstrahlung be-
nutzen müssen, deren Energie verhältnismäßig klein ist und bei welchen
überdies auf dem verfügbaren Wege von höchstens 2 em nur auf einige
Prozent Absorption zu rechnen war; selbst bei 100 Prozent Ausbeute
wäre es unmöglich gewesen, unter diesen Umständen Messungen zu
machen.
Indessen haben Liveme und Dewar’ in einem ı8 m langen Rohr,
das mit Sauerstoff von 97 Atmosphären Druck gefüllt war, vollständige
Absorption des Ultraviolett bis hinauf zu X = 0.28 u gefunden, und
es schien mir zwar keineswegs sicher, aber immerhin möglich, daß
Versuche bei einem derartigen Druck zum Ziel führen könnten. Ich
war deshalb sehr überrascht, zu finden, daß bei dem Druck der käuf-
lichen Bomben die Absorption der breehbarsten Zinklinien (A = 0.214
bis 0.203) bereits auf dem Wege von 1.7 em eine nahezu vollständige
ist. Da außerdem diese Strahlen kräftig. ozonisieren, so erwies sich die
gestellte Aufgabe leicht lösbar.
ı6. Bei der Konstruktion der Druckzelle erfreute ich mich der
Hilfe des Hrn. Dr.-Ing. Jacos. Die Zelle besteht (Fig. ı und 2) aus einem
stählernen, mit Gewinde versehenen Mittelstüick M und zwei stähler-
nen, als Muttern ausgebildeten Endstücken E. Die Abdichtung er-
' R. Poaut, Ann. d. Phys. 21, 879. 1906.
® H. Kreuster, Ann. d. Phys. 6, 412. 1901.
® G. D. Liverse und J. Dewar, Proc. Roy. Soe. Vol. XLVI, 222. 1890.
Wuansurg: Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. 1. 219
folgt durch Kupferringe K. Das Mittelstück hat eine kreiszylindrische
Bohrung von 1.5 em Durchmesser, die Endstücke haben entsprechende
kreisrunde Löcher, welche dureh 0.7 em dicke Quarzplatten Q ver-
schlossen werden. Die Platten sind mit einigen Tropfen des zähen
Wachskolophoniumkitts auf den ebenen Flächen F befestigt, gegen
welche sie durch den Druck von innen gepreßt werden. Diese Dich-
tung hat nie versagt. Das Mittelstück trägt zwei Bohrungen, B, und
2/z nat. Gr.
B.. Von B, führt eine 0.5 mm weite, 65 em lange Stahlkapillare S
mit Kupferflansch k zur Sauerstoffbombe, an welcher ein Manometer
angebracht ist; von B, führt eine sehr enge 6—10 em lange Platin-
kapillare P von ı.2 mm äußerem Durchmesser mit Platinflansch p
zu einem Glasrohr, in das sie eingeschmolzen ist. An das Glasrohr
ist mittels ungefetteten Glasschliffs die Jodkaliumvorlage zur Ozon-
bestimmung angesetzt. Die inneren Metallflächen der Zelle sind stark
vergoldet.
ı7. Anstatt der früher benutzten Anlage zur Erzeugung der
Funken ($ 2) ist eine größere und zweckmäßigere, für 4 Kilowatt
berechnete angewandt, welche Hr. Dr. Boas für mich gebaut und in
seinem Preisverzeichnis beschrieben hat. Die Leidener Batterie ist
auf acht 159 em hohe, ı2 em weite Flaschen von zusammen 72000 cm
Kapazität gebracht. Die Funkenstrecke befindet sich in einer Kammer,
welche nach vorn'zu durch eine Kollimatorlinse aus Quarz von 5.2 cm
Durchmesser und ı5 em Brennweite für Natriumlieht verschlossen ist.
220 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 29. Februar 1912.
Vor der Funkenstrecke befindet sich vorn, auf Seite der Kollimator-
linse, eine Abschlußdüse von 5 mm Weite, welche zugleich als Spalt
dient. In die Kammer wird aus einem durch Elektromotor betriebenen
Hochdruckgebläse durch ein 3.5 em weites Rohr Druckluft eingeführt,
welche durch die Düse hindurch die Aureole nach hinten zu fort-
bläst und durch ein 3.5 em weites Rohr in einen Auspufftopf gelangt.
Der Funke bildet sich zwischen zwei rechteckigen 14 mm breiten,
4 mm dicken Zinkstäben, welche in Führungen oo. m von außen
durch ein mit Speichenrad versehenes Recht winde
einander genähert und voneinander entfernt werden können. Während
des Betriebes erfolgt die Regulierung durch ein Glasrohr, welches in
die Speichen des Rades eingreift. Durch eine Linse in der einen
Seitenwand der Kammer wird der Funke auf einer Skala abgebildet.
Hält man die Funkenlänge in der beschriebenen Weise während des
Betriebes konstant, so gelingt es, die am Bolometer gemessene Strah-
lungsenergie in viel befriedigenderer Weise konstant zu halten, als
dies früher möglich war; die Abweichung der Intensitäten vor und
nach dem Versuch vom Mittel belief sich auf ı —6 Prozent.
Die Primärleistung beträgt ungefähr 2.4 Kilowatt, der Leistungs-
faktor cos $ ungefähr 0.39.
18. Mit diesen Einrichtungen wurden zunächst einige Absorp-
tionsversuche gemacht. Die aus der Kollimatorlinse kommenden Strahlen
fielen durch die Druckzelle hindurch auf einen kleinen Quarzspektro-
graphen, das Spektrum entstand auf einer Uranglasplatte, auf welcher,
wenn kein Überdruck in der Zelle war, die ultravioletten Zinklinien
sich zeigten. Öffnete man nun die Sauerstoffbombe von ı 30 kg/qem
Druck, wobei in der Minute etwa 31 Gas von Atmosphärendruck aus
der Platinkapillare entbunden wurden, so verschwanden die vier brech-
barsten Linien des Zinkspektrums und kamen nach Fortnahme des
Drucks wieder zum Vorschein. In der von Hrn. Dr. Janıckı vorge-
nommenen photographischen Aufnahme des Absorptionsspektrums bei
diesem Drucke war Absorption bis A= 0.240 u bemerklich.
Ein etwas anderes Ergebnis erhält man, wenn man nach Ent-
fernung der Platinkapillare die Druckzelle verschließt. Nach Zulassen
des Drucks, wobei jetzt der Gasinhalt nicht erneuert wird, verschwindet
auch hier zunächst die brechbarste Liniengruppe I des Zinkspektrums,
mit der Zeit aber verblaßt auch die Liniengruppe II (A = 0.250 und
0.256), um schließlich zu verschwinden. Verringert man den Druck in
der Zelle allmählich durch Ablassen von Sauerstoff etwa bis 25 kg/gem,
so kommt I allmählich mehr und mehr wieder zum Vorschein, während
II ausgelöscht bleibt. Diese Erscheinungen rühren von dem unter
Einwirkung der Liniengruppe I sich bildenden Ozon her, welches in
Warsurg: Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. 1. 221
der Nähe von A=0.250 « an der Liniengruppe II ein starkes Ab-
sorptionsmaximum besitzt (vgl. $ 21).
Die unzerlegte Funkenstrahlung, durch eine Quarzlinse von der
Größe und Brennweite der Kollimatorlinse gesammelt und dem Gase
zugeführt, erzeugte in 6 Minuten !/, mg Ozon.
Stickstoff von 130 kg/gem Druck, weniger als 0.2 Volumprozent
Sauerstoff enthaltend, zeigte keine durch das Auge bemerkliche Ab-
sorption in Ultraviolett; ebensowenig Kohlendioxyd von 50 kg/gem
Druck. Beim Herauslassen des Kohlendioxyds verschwindet auf kurze
Zeit das Spektrum vollständig vermöge der vorübergehenden Konden-
sation des Gases. |
ı9. Die Bestimmung der photochemischen Ausbeute bei der
Ozonisierung wurde mit spektral zerlegter Strahlung für die Linien-
gruppe I des Zinkspektrum A= 0.203— 0.214) ausgeführt. Die
Messung der absorbierten Energie geschah so, wie es $ 2 und 4—6 der
ersten Mitteilung beschrieben ist. Nach Austritt aus der Öffnung im
Fluoreszenzschirm passierten die Strahlen eine vor die Öffnung ge-
schlagene Sammellinse aus Quarz von 2 em Durchmesser und 2 cm
Brennweite, die Verbreiterung des Strahlenbündels wurde dadurch so
eingeschränkt, daß es die Wand der Zelle nicht erreichte; eine Uran-
glasplatte, welche von den aus der Zelle tretenden Strahlen getroffen
wird, läßt dies mit Sicherheit erkennen. Die Druckzelle war auf einem
Stativ an beweglichem Arm montiert, mittels dessen sie vor- und
zurückgeschlagen werden konnte, um im letzteren Falle durch das Bolo-
meter ersetzt zu werden. Die Strahlung war in der Regel so intensiv,
daß in den Galvanometerzweig der $ 4 beschriebenen Anordnung 900 2
aufgenommen werden mußten. Zur Bestimmung des im Gase der Zelle
absorbierten Bruchteils der Strahlung wurde diese durch die Zelle
hindurch auf das Bolometer gesandt. Seien @, und a bzw. die Inten-
sitäten, je nachdem in der Zelle Atmosphärendruck oder der Versuchs-
druck herrschte, so ist A = 1—4j@.
Vor dem Ozonisierungsversuch maß man das Volumen V der Gas-
masse, welche von der Druckzelle durch die Platinkapillare hindurch
pro Minute entbunden wurde (aufgefangen über Wasser, unreduziert).
Die Ozonbestimmung geschah durch die Jodkaliummethode nach den
Vorschriften von Lanexgure'. Die Jodkaliumvorlage hatte dreiRammern,
die Gelbfärbung erstreckte sich schwach bis in die zweite. Die verwandte
Natriumthiosulfatlösung war !/so n, bereitet aus einer Normallösung,
welche pro Liter einem halben Mol Jod entsprach; sie trat aus der
Bürette in ein Tropfröhrehen, das Volumen eines Tröpfehens betrug
ı A.Lapenzure und R. Quasıe. Ber. d. Deutsch. Chem. Ges. XXXIV, S. 1184, 1901.
222 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 29. Februar 1912.
0.0118 cem; die Tropfspitze taucht, wenn nicht gebraucht, in Natrium-
thiosulfat. Um zu finden, wieviel Jod zur Hervorbringung der Stärke-
reaktion unter den angewandten Bedingungen erforderlich ist, wurde
in einer Jodkaliumlösung von der Stärke der benutzten (10og KJ in
0.5 1) so viel Jod gelöst, daß 9.98 cem ı2 Tropfen der 1, n Natrium-
thiosulfatlösung entsprachen. Von ee Jodlösung waren 0.282 ccm
entsprechend 0.34 Tropfen der 3 5on N lich
um in einer mit Stärke versetzten angesäuerten Jodkaliumlösung von
der Konzentration und dem Volumen der benutzten eben sichtbare
Blaufärbung hervorzurufen. Die Korrektion ist also unbedeutend und
beträgt 0.34 Tropfen. Der Gasstrom ändert den Titer einer Jodlösung,
wie sie bei den Ozonisierungsversuchen gebildet wurde, nicht in zu
berücksichtigendem Maße. 10° cem '/so n Natriumthiosulfatlösung ent-
sprechen einem Mol Ozon, dessen Bildungswärme nach den neueren
Versuchen von Jaun' 34100 g-Kal. beträgt. Ist also v das zur Ent-
färbung nötige Volumen der Natriumthiosulfatlösung und f die Dauer
der ozonisierenden Strahlung in Minuten, so ist die pro Sekunde in
chemische Energie verwandelte Strahlungsintensität in g-Kal.
O4“
nr 341-v
60+t
{ war immer gleich ı5.
Die mittlere Ozonkonzentration in der Druckzelle ist
m .i2l) P
ar ern
Mol/ebm,
wo P der Druck in der Zelle in kg/gem bedeutet und nach dem
Marıorteschen Gesetz gerechnet ist.
20. In der folgenden Versuchstabelle bedeutet E£, die pro Sekunde
durch das Gas in der Zelle absorbierte Strahlung in g-Kal. P ist
der vom Manometer an der Bombe angegebene Druck, welcher wegen
des Druckverlustes in der Stahlkapillare bei V= 31/Min. um einige
Atmosphären größer ist als der Druck in der Zelle. Nr. 1—3 sind
mit kleiner, Nr. 4—ı2 mit großer Geschwindigkeit des Gasstromes
angestellt. Zu ı—5 diente eine kleine Bombe von ı1.1] Inhalt und
einem Anfangsdruck P= ı20, welche 94.2 Prozent Sauerstoff ent-
hielt; zu 6—1ı2 eine große Bombe von 40 1 Inhalt und einem Anfangs-
druck P= 150, welche 95.5 Prozent Sauerstoff enthielt.
21. Diskussion. ı. Der Vergleich von Nr. ı und 3 mit 2 sowie
von 9 und ı2 mit ı0 und ıı zeigt, daß die Ausbeute s unabhängig
‘ Stern. Jaun, ZS. für anorg. Chemie 60, 337. 1908.
r.) * ”- * . * fe „
Wuarsurg: Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. 1. 223
Vers.- re Vv A h E,- 10° | W,. 10° c 8
Nr. | kg/gem | cem/Min. | Prozent yeah | g-Kal./Sek.|g-Kal./Sek.) Mol/cbm Prozent
I 104 194 95 0.425 473 161 0.152 34.0
2 104 207 950 0.154 168 58.5 0.052 34.0
3 102 208 93 0.405 483 154 0132 121328
Mittel 33.3
4 98 1840 95 0.507 428 193 4. 002 | 450
5 95 u 95 0.527 435 200 | =
6 150 3000 99 0.425 412 | 161 | 0015 ı 391
7 147 2800 99 0.491 393 186: 21 0017 | 47-4
8 145 2800 99 0.445 361 169 0.015 46.8
9 136 2850 98 0.406 333 154 0.013 46.3
10 333 2850 98 0.134 112 50.8 0.0042 45-5
11 133 1930 98 0.134 116 50.8 0.0062 44.0
12 132 2890 98 0.393 343 149 | 0.012 43:5
| Mittel 44.8
von der angewandten Strahlungsintensität, mit anderen Worten, daß
die gelieferte Ozonmenge der Strahlungsintensität proportional ist.
2. Der Vergleich von ı—3 mit 4—-12 zeigt den Einfluß der
Geschwindigkeit auf den Wert von s. Hierbei ist zu bedenken, daß
die beobachteten Werte der Ausbeute aus zwei Gründen zu klein aus-
fallen müssen. Erstens ist bei der Empfindlichkeit des Ozons Des-
ozonisierung in Zelle und Platinkapillare durch Kontakt mit Fremd-
körpern anzunehmen. In der Tat zeigte sich nach frischer Reinigung
der Zelle die Ausbeute bei Wiederholung des Versuchs zwar zuerst
konstant, aber alsdann abnehmend und nach frischer Reinigung der
Zelle auf den anfänglichen Wert steigend. Bei der Reinigung be-
merkte man einen schwärzlichen Beschlag, der besonders auf den Quarz-
platten sichtbar wurde. /
Ferner absorbiert das in der Zelle gebildete Ozon auch Strahlung;
der vom Ozon absorbierte Anteil geht einerseits für die Ozonisierung
des Sauerstoffs verloren und wird anderseits Ozon desozonisieren, WOT-
über besondere Versuche in Aussicht genommen sind. E. Mever'
hat aus Versuchen über die Absorption von Sauerstoff mit einigen
Zehntel Volumprozenten Ozon den Extinktionskoeffizienten & — d.h.
den umgekehrten Wert des Weges in Zentimeter, auf welchem die
Intensität auf '/. des ursprünglichen Wertes geschwächt wird — für
reines Ozon unter der Annahme berechnet, daß die Absorption der
Ozonkonzentration proportional ist. Die Ozonkonzentrationen in der
Druckzelle liegen bei den obigen Versuchen zwischen €, = 0.15 und
c, = 0.01 Mol/ebm, reines Ozon enthält 1000/22.4 = 44.6 Mol Ozon
! E. Mever, Ann. d. Phys. 12, 849. 1903.
224 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 29. Februar 1912.
im cbm und der Weg der Strahlen in der Zelle betrug d= 1.7 cm.
Daraus ergeben sich die Absorptionskoeffizienten A des Özons in der
Zelle zu 1 —e-*°"24$ In der folgenden Tabelle sind dieselben für
e=c, (A) und c=e, (A,) nebst den Mrverschen Werten von « ver-
zeichnet.
! A
ee | ® a Prozent
0.200 17-9 9.7 0.7
0.210 26.4 14 I
0.250 2834 80 ii
0.260 291 82 11
0.270 267 78 Io
0.280 169 62 6.7
Die hohen Werte von & bzw. A, am Maximum der Ozonbande
erklären den Erfolg eines im $ ı8 beschriebenen Versuchs. Ander-
seits ist um A=0.21, d. h. in dem Wellenlängengebiet, in welchem
die Versuche der Tabelle ı angestelltwurden, A, unbeträchtlich (1 Prozent).
Im allgemeinen sollten die Korrektionen, welche wegen der beiden
besprochenen Fehlerquellen an den gefundenen Werten der Ausbeute s
anzubringen sind, der Geschwindigkeit oder V umgekehrt proportional
sein. Unter Annahme dieser Beziehung und daraus, daß nach Tabelle ı
bei Steigerung der Geschwindigkeit auf den ı4fachen Wert s von 33
auf 45 Prozent wuchs, folgt für den größeren Wert 45 Prozent noch
eine Korrektion von etwa 2 vom Hundert. Für die photochemi-
sche Ausbeute bei der Bildung des Ozons in Sauerstoff von
100-150 kg/gem Druck durch Strahlung von den Wellen-
längen 0.203 bis 0.214 ergibt sieh mithin in runder Zahl der
Wert von 46 Prozent. Dies entspricht der im $ ı5 angedeuteten
Erwartung.
22. Nach Hrn. Eınstem soll unter gewissen Voraussetzungen die
Zahl der‘ photochemischen Elementarprozesse gleich der Anzahl der
für die benutzte Wellenlänge genommen Pranckschen Energieelemente
sein, welche in der absorbierten Strahlung enthalten sind'. Bei jedem
Elementarprozeß mögen u Moleküle einer Substanz M entstehen (oder
im Falle der Zersetzung verschwinden), dann werden durch n Ele-
mentarprozesse m = nu/N, Mol von M gebildet, wo N, die Anzahl
der Moleküle im Mol. Nach dem Eissteisschen Satz ist n = EJ/hv,
wo E die absorbierte Strahlung in g-Kal., J das mechanische Wärme-
! Diesen Satz teilte mir Hr. Eınsreın auf dem Brüsseler Kell ıgıı mit,
eine ausführliche Begründung erscheint demnächst in den Annalen der Physik.
Warsurg: Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gasen. I. 225
äquivalent, also m = EJ u/hvN,. Setzt man N, = R/k (R Gaskon-
stante, k Prancksche Strahlungskonstante), klh= vle, wo » die Licht-
geschwindigkeit und « die bekannte Konstante des Wirn-Pranogschen
Strahlungsgesetzes, endlich v = v/A, so wird m= uEJ A/Re oder
m A
Eee
Ist H die Wärmetönung in g-Kal. bei der Bildung eines Mol von M, so
it md = W und s= W/E oder
(1)
(2)
Bei der Ozonisierung des Sauerstoffs sind die nächstliegenden An-
nahmen über den photochemischen Elementarprozeß O0, = O+0 oder
30,= 20,. In beiden Fällen liefert der Elementarprozeß zwei Ozon-
moleküle (x = 2). Für die bei den obigen Versuchen benutzte Strah-
lung von der mittleren Wellenlänge 0.209 ist das Prancksche Energie-
element Av = 94.3: 10" Erg, ungefähr doppelt so groß als die Bil-
dungswärme von zwei Ozonmolekülen! 2- 34100 -4.189 - 107/6.175 - 10°
— 46.10", wobei die Zahl N, = 6.175: 10°” gesetzt ist.
Die Gleichung (2) liefert nun mit u = 2, H = 34100, A = 0.209
c—= 14400 für s 50 Prozent, während 46 Prozent experimentell ge-
funden sind.
Für die Bewertung dieser Übereinstimmung bleibt die Unter-
suchung anderer Beispiele abzuwarten. Jedenfalls ist die weitere ex-
perimentelle Prüfung des Ernsteinschen Satzes von größter Bedeutung,
als einer Fundamentalregel, aus welcher der Erfolg eines photochemi-
schen Prozesses quantitativ sich ergeben würde, sobald der photo-
chemische Elementarprozeß bekannt ist.
ı Nicht identisch mit der Wärmetönung des Elementarprozesses.
Ausgegeben am 7. März.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
Sitzungsberichte 1912. m
e oder aueh in weiterer Ausführung, in us $ 27.
Das Manuseript einer in einer akademischen Sitzung
deutscher Sprache veröffentlieht sein oder |
erden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent- | am Donnerstag zur Aufnahm in die Sitzungsberichte zu-
liehung dem redigirenden Secretar vor der Ausgabe in | gelassenen Mittheilung, weich am nächsten Donnersta
n akademischen Schriften zur Kenntniss re so | gedruckt erscheinen soll, muss der Regel nach in der
hat er > Mittheilung aus diesen zu entfer | Sitzung selber, spätestens his Freitag rgens
Ww er Verfasser einer aufgenommenen wissen- | igirenden Seeretar oder der Reichsdruckerei druck
|
g em re
schaftlichen Mittheilung dieselbe anderweitig früher zu fertig zugestellt werden. Später eingereichte Manuseripte
pP
veröffentlichen beabsichtigt, als ihm a nach den gel- werden, mit dem Präsentationsvermerk des redigirenden
nden Rechtsregeln zusteht, so eg r dazu der Ein- Seeretars oder des Archivars versehen, für ein späteres
willigung der Gesammt-Akaden Stück zurückgelegt.
Gedächtnissreden anderv a zu veröffentlichen ist Dasselbe kann von vorn herein mit eg ge-
den Verfassern unbesehränkt gestattet. schehen, deren Satz aus irgend welehen Gründen be-
8 sondere Sch wierigkeife rwarten lässt, ae welche _.
Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stücken men. een = eier
in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung. Di: Boichsäruckerel ‚rerzeiäit ppAEeBeREESMn "Montag
Abend die Correeturen an die hier wohnenden oder an-
Aus $ 22. ‚ wesenden Verfasser, De an die Mitglieder, welche die
Jeden en... eröffnet eine Übersicht über die Zar ge haben, ‚nie der Angabe, dass sie
in “rr Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei- dieselben ee be end w bhol .. werde,
lungen und über die zur re tlichung geeigneten ge- wünscht Ehe die mit der "Correetur betraute Person
shätlichen Angelegenhei Revision zu lesen, so muss sie die Correetur ale
er den Titeln der w u Mittheilungen Dienstag früh an die Druckerei zurückliefern. Wird die
folgen er dieser Übersicht kurze Inhaltsangaben derselben, Correetur länger als bis Dienstag Abend von der damit be-
welche die Verfasser einreichen, und für welche sie ver trauten Person behalten, so hat diese es zu ve orten,
antwortlich De Diese Inhaltsangaben sollen sieh in wenn die Mittheilung in einem spätern Stück erscheint.
der Regel au Sep ne. beschränken, keinesfalls Nach auswärts werden Correeturen nur auf Verlangen
10 Zeilen er sandt; die Verfasser verzichten damit auf Erscheinen
Die nicht in den Seiten der Akademie erscheinenden ihrer Ninheitung San re Tagen. Fremden Verfassern,
ae a mit vorresetztem Stern bezeichnet, deren Correeture och dem vorlegenden ? Mitgliede
bei den für die nllungen bestimmten wird »(Abh.)« zur Revision unter ee werden müssen, kann das Er-
zugefü scheinen am Be Ausgabetage überhaupt nicht zuge-
Wissenschaftlich Mittheilungen fremder Verfasser sichert wer
rden in dem Bericht über diejenige Sitzung aufgeführt, Aus $ 37.
in welcher deren Aufnahme in die akademischen Schriften Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
endgültig beschlossen wird. griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
See Jahr
A 11.50
1909:
aihomatische Case 2 um a meer nn 2
ze; Tg-
mern ee ee
Abhandlungen. Jahrg. 1
sikalisch- Fe De M a.
Philosophisch-historische Classa . » : «+ + m 2 r n.t 1 2 ent ne
ne Abhandlungen aus den Jahren 1908, 1909, 1910 und 1911.
Mörier: Ui igurica : ns AM I
Loors: Das Glaubensbekenntnis der Homonsianer ‘von Sardicn Be ee en a
ALD : Der Processus retrom : een or
Keinen Beiichtsiswrede at an Schra der a ee na ar
vox Wıramowırz-Moe rrr: Nordionische Se. u em - yE
Scaurze, W.: Gedächtnissrede auf Richard Pischel. . » ern nen! , Re
upens: Gedächtnissrede auf Friedrich Kohlrausch onen,
un +: Über die Erhaltung der Masse bei chemischen Umsetzungen -- sa sen een
ULE VON STRA : Strategenköpfe een
Dirraurr: Der Aufbau der geschichtlichen V Welt in den Geisteswissenschafien Erste Halte er
van’t Horr: ee auf Hans Heinrich Landolt a hot
Mürzer: U igur = un
Exerer und K. Kunst: Über, den inatomischen Ban der baumartigen Oyperacee Schoenodendron .
ücheri En us Kamerun w * Ben
Fiocnen: Gedächtnissrede Re obus Henricus van x BE. 2. une. ae
ScuuLze, W.: > „ äch —n auf nr inrich Zimm ne nun e
") haraon eu er
AN! Hymn n das Dia ;
Morr: Zur ee Ener Frankreichs eye ne
m. , Sedimente der Taubenbank im Golfe von Neapel I
. Tafeln für die heliocentrischen. Ben von 307 kl n Planete
: Siobenter keine ufiger Berie richt r die e von den Königlichen Mus in Milet und
Ss ee ıternommenen Ausgrabu 5 s 1
sE Perens: Einundawanzgselige Werthe. Me ar Functionen Sinus und Domina 2.8...
C. Tauuıs: Die Handschr Em, des Corpus agrimensorum Roman orum . ee
N Teeeeihee Im 9 er Maı ee neh
im Vorderhirn von Siren lacertina ;
M. Neioise: erne des Dieskehbalon bei einigen "Singethieren a A
K. Aoansonas : Über die Kerne rss ren Klei nhirn men
H. Junker: ‚Der Aubıng der BR un = De
ER VON (GAERTRINGE ee Fkslische "For: schungen
„Ersten _n ger Bere über die von den ge chen Museen unternommenen
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27
U
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Die er Statuten zwei
trtauend nen heraus: »Sitzungsberichte
öniglich Preussi n Akademie der Wissenschaften «
und ren gen = Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschatten.«.
#88
ademie gibt ar $4Al,i1d
Ss
582,
Jede zur Aufnahme in ie »Sitzungsberichte« ‚oder die
demischen Sitzung vorgelegt werden
das druckfertige Manuseript zunn einzuliefern ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
Der Umfang einer hufaunehmenden Mittheilung soll
in ‚der Regel ir in a Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,
ich rn 16 Seiten in ae gewöhnlichen Schritt
nor ee in den Abhandlungen 12 Druckbogen
n je 8 Seiten in = Seen Schrift der Abhand-
u nicht übe
Überse hreitung ce Grenzen ist nur mit eng
der Ge t-Akademi r betreffenden Clas
haft, und “ bei Vorige = Nichelung enaklie zu
beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver-
muthen, dass diese ii we RE erlich sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lassen.
en einer Mittheilung Abbildungen im Text oder
auf a eher n Tafeln beigegeben werden, so sind die
un en (Zeiehnungen, re 18) nn
aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript. jedoch
auf Bere Blättern, einzureichen.
Die Kosten der Herstellung == huge haben in
zu tr: Sind
richten, gr zunächst im ria
iter in der Gesammt-Aka r# mie zu verhan
Die ae der Vervielfältigung been: die Aka-
demie, ber die euer e Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht u m wenige einfache Textfiguren
Aa — der Kosten anschlag . aeg
beizuf
Überschreitet dieser Anschlag fü
fo erfiche Auf lage bei den Sitz Acer nie Mark,
bei den Abhandlungen 360 Mark, so ist Vorberathung
durch das Seeretariat er
s$5.
hderV u und Einreichung des
vollständigen druckferügen er an a
en Seere de ehiv
nahme ges ie $ in die: he
zwar, wenn eines = erg Mit-
verlangt, verdeckt abge
Mittheilungen von Verfassern, mega nicht Mitglieder
der Alskenke sind, a ze sh nur in die
Sitzungsberichte au werden schliesst ar
€ asse die Aufnahme 3 " Michäitung eines eanade
in die dazu bestimmte Abtheilung der ne,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie,
(Fortsetzung auf S.3 = Umsehlags.)
|
Aus 5 6.
nn: I: ._n 1 ® nr
wenn es sich nicht bloss um ee Text handelt, aus-
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Dasselbe zu en kei dass der Verfasser
seine sine ii vollkom r
Die erste Correetur ihrer Micchöiluigen Brenn die
Fremde en diese _ Corree n das
e Correetur u: nach
ie
und le Schreibversehen hinausgehe ngliche
Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-
girenden vor der Einsendung e Druckerei,
und die nt a zur Tragung der nie Mehr-
kosten verpflich
Aus $ 8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
aufgenommenen u wisenschafichen Mittheilungen, Reden,
rs: oder n werden für die Verfasser, von
richt
wissenschaflichen Misheilungen, wa deren Umfang. im
ai ck AS
je:
auch
rucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Auen der BiERUngnbErIChIe ' ausgegeben rd
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Vertasser sich I damit ai erklären.
ker Sonderabdrue aus den Sitzungsberichten
ee, welcher Mitglied der Akademie ist,
erhält e
zu Verthe
redigirenden nn Ile re
a zes: hen las
Vo ande aus den ee er-
200 Exemplare auf ihre
xemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere ‚Exem > ii zur Zahl
eitere bis
retar
sin mehr
gezeigt hat; Fünzehk r auf seine Kos
eke zur Vertheilung zu erhalten, so Bedart es dazu
enehmi der ammt-Ak oder d
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-
retar weite
Kosten a a
8 it.
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliehe Mittheilung darf
ee keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
elle anderweitig, sei es auch nur auszugS-
.
&
:
227
SITZUNGSBERICHTE 1912.
x
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
7. März. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Liesiscn las über die Fluorescenz der Sodalith- und
' Willemit-G@ruppe im ultravioletten Licht.
Unter den Mineralien der Sodalith- und Willemit-Gruppe sind namentlich Soda-
lith, Hauyn und Troostit ausgezeichnet durch lebhafte sichtbare Fluorescenz währen
der Bestrahlung durch das von einem Wood’schen Filter hindurchgelassene Ultra-
violett oder durch Belichtung mit ausgedehnteren Gebieten von spectral zerlegtem
Ultraviolett.
2. Im Auftrage des auswärtigen Mitgliedes Hrn. NöLvere legte
Hr. EpuAro Meyer eine Abhandlung des Privatdocenten Dr. Carı Frank
in Strassburg vor »Zur Entzifferung der altelamischen In-
schriften«. (Abh.)
Auf Grund einer bilinguen Inschrift des Ba$aSuSinak von Susa (etwa 2400 v. Chr.)
und eingehender Analyse der einzelnen Texte versucht der Verfasser, den Lautwerth
der Schriftzeichen der zehn bei den Ausgrabungen in Susa gefundenen altelamischen
Steininschriften zu bestimmen und den Inhalt der Texte zu ermitteln.
3. Hr. Eserer überreichte das 52. Heft des » Pflanzenreichs«:
F. Pax, Euphorbiaceae-Gelonieae und Euphorbiaceae-Hippomaneae. Leipzig
1912.
4. Hr. von Wiramowırz übergab eine Druckschrift des Hrn. Prof.
Crartes Micner in Lüttich: Recueil d’Inscriptions Greeques. Supplement.
Fase. ı. Bruxelles ı912, und Hr. WALDEYER das Werk des Professors
der Anatomie an der Universität Lyon M. L. Testur: Traite d’Anatomie
humaine. Tome I—IV. Paris 1911-1912.
das fünfzigjährige
PR
5. Das correspondirende Mitglied der phy ikali
Classe Hr. Pavı Gorvaw in Erlangen hat am 1. März
Sitzungsberichte 1912. 23
228 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
Doctorjubiläum gefeiert; aus diesem Anlass hat ihm die Akademie eine
Adresse gewidmet, die unten abgedruckt ist.
Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der philosophisch-
historischen Classe Hemeıcn Nissen in Bonn am 29. Februar, und das
Ehrenmitglied Rochus Frhrn. von Liziencron am 5. März durch den Tod
verloren.
Liesiscn: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe. 229
Über die Fluoreszenz der Sodalith- und Willemit-
gruppe im ultravioletten Licht.
Von Th. LiegiscH.
Die Anzahl der Mineralien, in denen schon durch elektromagnetische
Wellenstrahlung von kurzen Wellenlängen relativ intensive sichtbare
Lichtemissionen erregt werden, ist nieht groß. Daher ist eine hier-
her gehörige Mineralgruppe von Interesse, an der, soviel ich weiß,
Fluoreszenzerscheinungen bisher noch nicht beobachtet worden sind.
Es handelt sich um Sodalith, Nosean und Hauyn, die schon bei
der Bestrahlung mit dem eng begrenzten Gebiet ultravioletten Lichtes,
das aus einem Woodschen Filter austreten kann, lebhaft fluoreszieren.
Auf dieses Verhalten kann in vielen Fällen eine Fluoreszenzanalyse
der Mineralgemenge begründet werden, an denen Glieder der Soda-
lithgruppe beteiligt sind.
Die Prüfung der Lichtemissionen von Mineralien der Willemit-
gruppe im ultravioletten Licht wurde veranlaßt durch das reichhal-
tige Material von Troostit, das von M. Berowsky auf der Taylor
Mine zu Franklin Furnace in New Jersey im Sommer 1911 gesammelt
worden ist.
I. Erregung der Fluoreszenz mit Hilfe von Filterultraviolett.
Zur Erregung der Fluoreszenz diente zunächst ein Woodsches
Absorptionsfilter in der Ausführung, die nach Angaben von H. Len-
MANN! in der optischen Werkstätte von C. Zeiß hergestellt wird. Als
Lichtquelle wurde eine Eisenkohlenbogenlampe oder eine Quarzglas-
Queeksilberbogenlampe benutzt. Um bei der Prüfung des Fluoreszenz-
lichtes den störenden Einfluß des violetten Lichtes zu vermeiden, das
in Spuren von dem Filter noch durchgelassen und von dem zu unter-
suchenden Körper reflektiert werden konnte, wurde vor das Auge
eine mit Auramin-O gelbgefärbte Gelatineplatte gehalten.
' 11. Leusans, Verhandlungen d. Deutschen Phys. Gesellsch. 12, Nr. 21, 1910.
15, Nr. 23, ı9ıt.
23°
230 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
Das durch Bestrahlung mit diesem Filterultraviolett' erregte
Fluoreszenzlicht wurde durch ein Handspektroskop mit Wellenlängen-
skala analysiert.
Bei Zimmertemperatur kann die Prüfung von Mineral- oder Ge-
steinsstücken auf Fluoreszenz ohne weiteres stattfinden. Um den Ein-
fluß tiefer Temperaturen festzustellen, wurden Körner in Röhren aus
Uviolglas von Schott u. Gen. gefüllt und darauf in ein aus derselben
Glasart hergestelltes und mit flüssiger Luft gefülltes Drwarsches Ge-
fäß getaucht.
A. Sodalithgruppe.
Ausgezeichnet durch prachtvolle orangefarbige Fluoreszenz ist
der meist farblose, zuweilen blaßgrüne Sodalith, der als Bestandteil der
Sommaauswürflinge am Vesuv in Drusenräumen von Kalkblöcken,
in Aggregaten von schwarzer Hornblende, grünem Augit und Glimmer
oder als Gemengteil der Sanidinite auftritt. Hierdurch ist der Soda-
lith sofort zu unterscheiden von anderen farblosen Mineralien dieser
Auswürflinge. Insbesondere ist der Anteil, den er an der Zusammen-
setzung der Sanidinite nimmt, durch Bestrahlung mit ultraviolettem
Licht leicht festzustellen. Das kontinuierliche Emissionsspektrum ent-
hält Orange und Grün; es erstreckt sich bei Zimmertemperatur und
bei der Temperatur der flüssigen Luft von etwa 620 bis 520 un.
Sehr schwach ist die Fluoreszenz der kleinen Sodalithkristalle,
die zuweilen auf den Wänden von Hohlräumen in Laven des Vesuvs
sitzen. Dasselbe gilt von dem Sodalith in Trachyten der Phlegräi-
schen Felder und der Insel Ischia.
Dagegen fluoresziert sehr stark der hellgraugrüne Sodalith des
großkörnigen Eudialytsyenits von Julianehaab in Grönland. Die
Durchsehnitte der Dodekaeder heben sich orangefarbig leuchtend mit
scharfer Begrenzung von den übrigen Gemengteilen des Gesteins ab.
Ihr Emissionsspektrum stimmt überein mit dem des Sodaliths vom
Vesuv.
Dasselbe ausgezeichnete Verhalten zeigen der Sodalith im Eudialyt-
syenit von Elluaiv im Lujavr Urt auf der Halbinsel Kola und der So-
dalith aus den Eläolithsyenitpegmatiten des südlichen Norwegens.
Sehr schwach fluoreszierte ein dunkelblauer Sodalith aus Eläolith-
syenit von Bancroft in der Provinz Ontario in Kanada.
Auch die dunkelbraunen Noseane in den grobkörnigen Sanidiniten
aus dem Gebiete des Laacher Sees werden nur schwach erregt; zu-
! Die Bezeichnung rührt von P. Lexaro her, Ann. d. Phys. (4) 15, 245, 1904-
Liesıscn: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe. 231
weilen ist die Hülle wirksamer als der Kern. Dagegen leuchten stark
die aus wechselnden hellgrauen und weißen Schichten aufgebauten
Noseane, die in Drusen mit Sanidin, Magnetit und Spinell sitzen.
Lebhaft orangefarbig fluoreszieren ferner der hellblaue Hauyn in Sani-
diniten von Laach, die auch Augit und Titanit führen, und der blaue
Hauyn im Tephrit von Niedermendig.
Sehr schön ist die Fluoreszenz der blauen Hauyne in den Somma-
auswürflingen am Vesuv, sowohl in Aggregaten, die vorherrschend
aus feinkörnigem Augit und Glimmer bestehen, wie in Drusenräumen
von Kalkblöcken. Genau so verhalten sich der blaue Hauyn und der
weiße Berzelin in Auswürtlingen aus dem Albanergebirge, der in
hellblauen Oktaedern ausgebildete Hauyn in Auswürflingen vom See
von Braceiano und:der blaue Hauyn, der mit Titanit und Augit in
Auswürflingen der Isleta an der Nordostspitze von Gran Canaria
auftritt.
Der Hauyn im Hauynophyr von Monte Vulture bei Melfi in
Lucanien leuchtet namentlich in hellgrauen oder hellblauen Kristallen
lebhaft orangefarbig; dagegen werden dunkelgraue Kristalle nur schwach
erregt.
Deutliche Fluoreszenz bietet der graue Ittnerit aus dem Phono-
lith vom Steinriesenweg am Horberig bei Oberbergen im Kaiser-
stuhl dar.
B. Willemitgruppe.
Die Mineralien dieser Gruppe fluoreszieren unter der Einwirkung
von ultraviolettem Licht mit sehr verschiedenen, von ihrer chemischen
Zusammensetzung abhängigen Graden der Helligkeit. An den kleinen
Kristallen des typischen braunen Willemits von Altenberg bei Aachen
konnte ich Fluoreszenz nicht wahrnehmen. Auch die Phenakite
zeigten keine oder nur eine Spur von Liehtemission. In hohem Grade
‘wirksam sind dagegen die als Troostit bezeichneten Mischkristalle,
die aus den Lagerstätten von Zink- und Manganerzen zu Stirling und
Franklin in New Jersey stammen. Ihre mannigfachen Farben deuten
auf wechselnde Konzentrationen ihrer Komponenten hin!. Lebhafte
Fluoreszenz und Phosphoreszenz wurden am grünen Troostit von
G. F. Kunz und Ch. Baskervirze schon 1903 festgestellt”. Als Er-
regungsarten wurden dabei außer ultraviolettem Licht und Röntgen-
! Vgl. die Analysen von G. C. Sroxe, School of Mines Quarterly 8, 148, 1887.
2 G. F. Kunz und Cn. BAsSKERVILLE, Seience N. S.18, Nr. 468, S. 769, 1903.
(Hier wird der grüne Troostit als Willemit angeführt.) Referat im N. Jahrb. f. Min.
usw. 1905, I, 8. — G. F. Kunz, Fortschr. auf d. Gebiete der Röntgenstrahlen. Hamburg
1905. — Das Abklingen der Phosphoreszenz wurde von E. L. Nıcnors und E. MerRITT
verfolgt; Phys. Rev. 23, 37, 1906.
232 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
strahlen auch Radiumstrahlungen benutzt. Vergleichende Untersuchun-
gen der verschiedenen Varietäten des Troostits sind, soviel ich weiß,
bisher nicht ausgeführt worden.
In der Helligkeit des Aufleuchtens unter der Einwirkung von
Filterultraviolett wird der grüne Troostit wohl nur noch übertroffen
von Kalkuranit und Bariumuranit. Einen prachtvollen Anblick ge-
währen außer den derben Massen insbesondere die schmalen, wenige
Millimeter bis 2 em breiten gangförmigen Aggregate, die in feinkörnigen
Gemengen von Troostit, Rotzinkerz und Franklinit auftreten. Auch
die kleinsten Körnchen des Troostit verraten sich hier durch ihr hell-
grünes Fluoreszenzlicht. Das Emissionsspektrum erscheint im Hand-
spektroskop bei gewöhnlicher Temperatur kontinuierlich von etwa
620 bis 5ıo uw mit einem Maximum der Helligkeit im Grün bei
etwa 530 uu. Kühlt man Körner auf die Temperatur der flüssigen
Luft ab, so zerfällt das Spektrum in zwei Gebiete, die durch eine
schmale Lücke im Gelb bei 575 vu voneinander getrennt werden.
Derbe Massen von durchsichtigem, gelbem Troostit fluoreszieren
erheblich schwächer. Während der Erniedrigung der Temperatur än-
dert sich die Farbe dieses Minerals in Gelblichweiß. Das Emissions-
spektrum läßt dabei wieder eine Lücke bei 575 vu erkennen.
Hellbraune, allseitig ausgebildete Kristalle von Troostit, die von
manganhaltigem Kalkspat (Spartait) umschlossen werden, heben sich
durch ihr grünes Fluoreszenzlicht von der orangefarbig leuchtenden
Umgebung ab. Auch die körnigen Aggregate von gelblichbraunem
Troostit mit rötlichbraunem Granat oder graubraunem Tephroit ge-
statten eine leichte Unterscheidung ihrer Gemengteile durch Fluores-
zenzanalyse, denn im Filterultraviolett fluoresziert Granat nicht und
Tephroit nur äußerst schwach.
Der weiße, radialstrahlige Troostit fluoresziert schwächer als der
grüne, ist aber dadurch ausgezeichnet, daß er nach der Bestrahlung
viel länger nachleuchtet. Das Emissionsspektrum erstreckt sich nur
von etwa 560 bis 510 un.
Es schien von Interesse, zu prüfen, ob die am grünen und gelben
Troostit bei der Abkühlung auf die Temperatur der flüssigen Luft beob-
achtete Gliederung des Emissionsspektrums in zwei Gebiete durch eine
Lücke bei 575 vu auch bei anderen fluoreszierenden Zinkverbindungen
eintritt. In der Tat ergab sich dasselbe Verhalten bei Zinkblende
(Cleiophan) von Franklin, Zinkoxyd von der Königshütte, Zinkspat
von Alston und Kieselzinkerz von Bleiberg.
Liesisch: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe. 233
II. Erregung der Fluoreszenz durch Belichtung mit spektral zer-
legtem ultraviolettem Licht.
Um eine schärfere Kennzeichnung der Fluoreszenzerscheinungen
zu gewinnen, wurden Leuchtschirme aus gepulvertem Material her-
gestellt und mit den ausgedehnten Gebieten des Ultravioletts belichtet,
die in dem spektral zerlegten Licht einer Quarzglas-Quecksilberbogen-
lampe oder einer Eisenkohlenbogenlampe enthalten sind. Obwohl die
Spektren dieser Lichtquellen diskontinuierlich sind, waren sie geeignet
für den vorliegenden Zweck einer Vergleichung von Mischkristallen
verschiedener Konzentrationen während der Erregung der Fluoreszenz
dureh Lichtarten mit bestimmten Wellenlängen.
Fig. 1.
K
E Be L x
FIR“
1 r
Quarzspektroskop mit Leuchtschirm.
Die Versuchsanordnung wird durch Fig. ı erläutert. Die Licht-
quelle Z wurde durch eine Quarzlinse Z oder durch zwei gekreuzte
Quarzzylinderlinsen abgebildet auf dem Spalt S eines Quarzspektro-
skops, das aus einer Kollimatorlinse O,, einem Corsuschen Doppel-
prisma C von Rechts- und Linksquarz und einem Objektiv O, bestand.
Das Spektrum wurde projiziert auf einen Karton X, der mit dem
Pulver des zu untersuchenden Stoffes bestreut war. Die Länge des
Spektrums betrug etwa ı em von Rot bis Violett und etwa 6 cm in
dem durch grünes Fluoreszenzlicht sichtbaren Gebiet des Ultravioletts
auf einem Leuchtschirm von grünem Troostit (vgl. Fig. 2, )).
Führt man streifenförmig geschnittene und nebeneinander be-
festigte Leuchtschirme unter dem Spektrum vorüber, so treten die
von der chemischen Zusammensetzung der Pulver abhängigen Ver-
schiedenheiten in der Erregung von Fluoreszenzlicht durch überein-
stimmende Lichtarten anschaulich hervor (vgl. Fig. 2). Das erregte
Licht wurde mit einem Handspektroskop analysiert.
234 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
A. Sodalithgruppe.
Die Sodalithe in den Sommaauswürflingen und in dem grön-
ländischen Eudialytsyenit sind dadurch bemerkenswert, daß durch
ultraviolette Liehtarten von verschiedenen Wellenlängen verschieden-
farbiges Fluoreszenzlicht erregt un Bei der Bestrahlung mit
dem Spektrum der Quarzglas-Quecksilb 1 sind im Ultra-
violett deutlich zwei Bereiche zu unterscheiden: Am das sichtbare
Quecksilberspektrum schließt sich zunächst ein Gebiet mit intensivem
orangefarbigen und schwächerem gelben Fluoreszenzlicht an. Jen-
seits 300 uu bis etwa 235 uw wird grünes Licht erregt (vgl. Tab. ı
und Fig. 2, V). Das Emissionsspektrum des durch die besonders
Tabelle ı.
Fluoreszenz von Sodalith im Quecksilberbogenspektrum.
Wellenlänge | Inten- Sodalith, N BORN
E Vesuv Grönland
sität Vesuv :
ka (e) Fig. 2, V
238 = — sehr schwach
248 4 BER u chwach
253.67 30 deutlich er stark = deutlich =
265.23 20 deutlich != deutlich 4 stark z
275.30 20 sehr schwach * schwach = schwach
296.75 200 schwach deutlich )J * sehr schwach
302.17 200 deutlich deutlich sehr schwach
312.58 200 =
5 Do [21 2
313.17 100 deutlich Er stark = schwach in)
313.20 ı00 | 3 & 2%
334.18 50 schwach — 3 sehr schwach
365.03 100 © A
366.32 Ee } sehr stark 5 sehr stark | 2 sehr stark \ &
En >
404.69 100 stark ° _ t stark 5
wirksame Quecksilberlinie 365 uu hervorgerufenen Lichtes dehnt sich
von etwa 640 uu im Orange bis 440 uu im Blau aus und ist am roten
Ende relativ lichtstark, während das durch die Linie 26 5 au erzeugte
lichtschwächere Spektrum nur aus einer grünen Bande von etwa 550
bis 505 uu besteht. Hierdurch erklärt es sich, daß diese Sodalithe
im Filterultraviolett, das sich nur von etwa 400 bis 300 un erstreckt,
orangefarbiges Fluoreszenzlicht darbieten. Analog verhalten sich der
Hauyn von Niedermendig und der Ittnerit aus dem Kaiserstuhl.
Etwas abweichende Fluoreszenzfarben wurden am Sodalith (e)
vom Vesuv beobachtet; die Quecksilberlinie 365 un erzeugte in ihm
ein blaßblaugrünes Fluoreszenzlicht, dessen Spektrum aus einer Bande
Liesısch: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe. 235
Fig. 2\.
ei Ss a e& ma + ın ın
a an + nn re} No ee en D °
had es N 8 a ann Bil 4 °
1.
IL H
5
I.
IV.
v.
vi.
11
Fluoreszenz durch Belichtung mit dem ultravioletten Spektrum einer (Quarzgl: s-Q
lampe. I. Grüner Troostit. — II. Gelber Troostit. I. Weißer gg zen IV. Zinkoxyd. =
. Sodalith aus Grönland. — VI. Tephro
von etwa 540 bis 460 un bestand. Auch der schwach fluoreszierende
Sodalith von Baneroft wurde in dieser Weise erregt.
Unter der Einwirkung von Röntgenstrahlen habe ich an den Mi-
neralien der Sodalithgruppe Fluoreszenz nicht beobachtet”.
ichnet von Hrn. Dr. M. Bere, dem ich für seine Mitwirkung an den
I Gez
Be ecke zu Dank verbunden bin.
2 Das Wernerwerk von Siemens und Halske gestattete mir, diese Prüfung mit
Unterstützung des Hrn. Dr. BAnGERT vorzunehmen.
Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
B. Willemitgruppe.
Das in den Troostiten durch ultraviolette Strahlen erzeugte
Fluoreszenzlicht ist stets grün. Aber die erregenden Strahlenarten
bilden zwei durch eine Lücke voneinander getrennte Gruppen. Einem
schmalen Gebiet schwach erregender Strahlen mit größeren Wellen-
längen gehören die Quecksilberlinie 365 #u und die Eisenlinien 372 bis
375 vu an. In dem darauffolgenden Bereich nichterregender Strahlen
ist selbst die Eisenlinie 344 ua unwirksam. Das große, von etwa 340
bis 220 uu sich erstreckende Gebiet erregender Strahlen mit kleineren
Wellenlängen umfaßt z. B. die sehr stark wirkenden Quecksilberlinien
265 und 254 uw und die Eisenlinien 249 und 260 bis 293 un.
Über das Verhalten verschieden gefärbter Troostite geben Tab. 2
und Fig. 2, I—-II Auskunft.
Tabelle 2.
Fluoreszenz von Troostit und Tephroit im Quecksilber-
bogenspektrum.
|
Wellenlänge | Inten- | Grüner Troostit | Gelber Troostit | Weißer Troostit Tephroit
un sität Fig. 2, I Fig. 2, U Fig. 2, II Fig. 2, VI
226 2 sehr schwach _ sehr schwach —_
230 — sehr schwach — sehr schwach —_
238 _ schwach sehr schwach schwach schwach
248 4 stark deutlich deutlich deutlich
253.67 30 sehr stark stark stark stark
265.23 20 sehr star stark stark stark
275.30 20 deutlich schwach deutlich schwach
296.75 200 schwach pur — —
302.17 200 schwach sehr schwach sehr schwach —
312.58 200
313.17 100 | sehr schwach _ _ _
313.20 100
334.18 50 Spur E= _ --
65.0 I
i u. . } deutlich sehr schwach schwach Spur
Die zum Vergleich beigefügte Fig. 2, IV erläutert das Verhalten
des Zinkoxyds von Königshütte; hier wird grünes Fluoreszenzlicht
in dem ganzen Gebiet des Ultravioletts erregt, am stärksten durch
Strahlen mit großen Wellenlängen, insbesondere auch durch die Eisen-
linien 372 bis 375 und 382 bis 386 un. Das Emissionsspektrum er-
streckt sich von etwa 580 bis 460 un.
Die Bestrahlung des Tephroit mit dem Quecksilberbogenspektrum
(vgl. Fig. 2, VI) gestattet die Erscheinung aufzuklären, daß dieses Mi-
Liesisch: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe. 237
neral im Filterultraviolett nur äußerst schwach fluoresziert: es wird
Tephroit erst lebhaft erregt durch ultraviolette Strahlen mit kleinen
Wellenlängen, die von dem Filter nicht mehr durchgelassen werden.
In diesem Zusammenhange ist es interessant, daß unter der Einwirkung
von Röntgenstrahlen nicht nur Troostit, sondern auch Tephroit
stark fluoresziert.
III. Phosphoreszenz.
Zur Beobachtung der Phosphoreszenz diente die in Fig. 3 skizzierte
Vorrichtung. Der positive Krater einer Kohlenbogenlampe L wurde
abgebildet durch eine Quarzlinse O, auf der Peripherie einer mit rand-
ig. 3.
In
Phosphoroskop.
lichen Durehbohrungen versehenen Scheibe P, vor der sich eine Iris-
blende J befand, und darauf durch eine zweite Quarzlinse 0, auf dem
zu untersuchenden Mineral oder Leuchtschirm K. Ein Teil des hier
erregten Lichtes wurde durch die Linse O, wieder auf der Peripherie
von P vereinigt und gelangte dann in das Handspektroskop $. Die
Rotation der Scheibe P wurde durch den Motor M bewirkt.
Die Mineralien der Sodalithgruppe phosphoreszieren in sehr
geringem Grade bei Zimmertemperatur, etwas stärker bei der Temperatur
der flüssigen Luft. Das Emissionsspektrum reicht von etwa 560 bis
51Io uu im Grün.
Ä Willemit von Altenberg ist unwirksam. An den Phenakiten
ist eine sehr schwache Lichtemission bei etwa 530 uu wahrzunehmen.
Unter den Troostiten leuchtet am stärksten die grüne Varietät. Ihr
Emissionsspektrum erstreckt sich bei Zimmertemperatur von etwa 640
im Orange bis 550 uu im Grün, in flüssiger Luft von etwa 640 bis
515 uw mit einer Lücke im Gelb bei 575 HM. Dasselbe Verhalten mit
geringerer Helligkeit bietet die gelbe Varietät dar. Weißer Troostit und
- "Tephroit liefern ein lichtschwaches Spektrum von etwa 560 bis 510 um:
238
Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
Tabelle 3.
A. Bogenspektren von Mineralien der Sodalithgruppe.
Aufgenommen von G. EBERHARD.
; x { Hauyn Hauyn
. | Sodalith, | Sodalith, | Sodalith, | Nosean ID) 90
n Wellen- |Intensi- ? 2 . : ; . “
Element ke ir Vs Grönland | Ontario Laach Aioder ARE
änge tät mendig gebirge
E I. III. IV. Ve YI
Silber....... Ag | 3280.83 500 \ ..
3383.0 300
Aluminium... | Al | 3082.3 500 \ sehr sehr sehr sehr sehr sehr
3961.7 1000 stark stark stark stark stark stark
= schwach schwach
Berlins; . ;» >. Ba 4554.2 500 — — schwach — bissichtbar | bissichtban
Berylli B h
en a a er \ - schwach _ _ schwach schwach
333.5 20
Caleium ..... Ca | 3933-8 500 |} sichtbar ; i sehr
4336:5 ar Be RR siehtbar sichtbar stark stark BR
kuünfer,.....;. Cu 247. 1000
P . 2 } schwach vn schwach schwach sichtbar schwach
Biseu 2.0 Fe | 4277.0 {e) ; i
43837 - \ sichtbar sichtbar sichtbar sichtbar sichtbar sichtbar
Gallium ..... Ga| 4172.2 30 | schwach | sichtbar | schwach. | schwach _ schwach
Kalum...;;.. K |] 4044.4: 200 sichtbar
RER . Na RE schwach schwach sichtbar sichtbar stark
: \
Magnesium Mg| 2795-6 200 \ sichtbar ihibnr sichtbar siehtbar schtb sehr
2852.2 500 Vbis stark " Ibis atark | bis stark | stark
Mangan ..... Mn] 4030.9 100 : sichtbar
4033; DE } sichtbar | sichtbar sichtbar Ks stark schwach schwach
Molybdän ... | Mo| 3170.5 20
1941 = \ schwach _ —_ schwach sichtbar schwach
Natrium..... Na | 3302.6 100 ee sehr sehr sehr sehr sehr
3303-1 100 = stark stark stark stark stark
Biel „2.20 Pb | 3639.7 500 En
3683.6 ARERR: ee —_ == eig u:
Silizium „er... Si 2881.7 30 } sehr sehr sehr sehr sehr
3905-7 15 stark stark stark stark stark stark
Strontium Sr | 4077.94 | 1000 \ sichtbarbis
4215.7 un schwach _ schwach schwach sichtbar schwach s
IHaa......5 Ti | 3989.9 20
3998.8 20 I - —_ _ stark FEN sichtbar
4306.1 20
Zirkonium ... | Zr | 3392.1 10
3438-4 8 hs - — schwach _ schwach
3496.4 10 2.
Liesisch: Über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemitgruppe.
B. Bogenspektren von Troostit und Tephroit.
Tabelle 4.
Aufgenommen von G. EBERHARD.
239
El : Wellen- |Inten- | grüner gelber |hellbrauner | weißer Tephroit
ae länge | sität | Troostit Troostit | Troostit | Troostit p
Silber ...... Ag | 3280.83 | 500 N en er Spur Br Spur
3383.0 | 300
Ammon... |21 | 739823 | 5o© } schwach | schwach | schwach | schwach | schwach
3961.7 | 1000
Barium ..... Ba | 4554.2 | 500 _ _ » Spur -— —
mn.) Do] 31305 = h Spur sichtbar Spur stark _
3321.5 20
Wismut .... | Bi | 3067.8 | 500 Spur Spur Spur Spur _
Caleium .... | Ca| 39338 | soo|l chwach | schwach | SB" | sichtbar | stark
4226.9 | 1000 stark
nr ee en a en N schwach | schwach | schwach | schwach Spur
3274-1 800
Eisen ,..;.: Fe | 4272.0 30 N h achbis EB schwach bis Br Br
4383.7 100 j sichtbar sichtbar
Magnesium.. Mg| 2795.6 | 200 } stark stark age schwach | stark
2852.2 | 500 stark
Mangan .... |Mn| 4030.9 | 100 sehr sehr sehr sichtbar sehr
4033-2 100 stark stark stark bis stark| stark
Natrium .... |Na | 3302.6 | 100 h so s ie _ sichtbar
3303.1 | 100
Bis... Pb | 3639.7 | 500 } = schwach Spur schwach Spur
3683.6 | 1000
Silizium .... | Si | 2881.7 30 } stark aterk stark stark stark
3905-7 15
Strontium... | Sr | 4077.9 | 1000 u schwach a
4215.7 | 100 = bissichtbar
BR: 2.v, Zn | 3282.5 | 200 sehr sehr sehr sehr eichtbar
3302.8 | 100 stark stark stark stark j|bisstark
Im wesentlichen stimmt also das erre
Filterultraviolett hervorgerufen
gte Licht überein mit dem durch
en Fluoreszenzlicht.
In bezug auf die Dauer des Nachleuchtens übertrifft der weiße
Troostit die übrigen Varietäten bedeutend.
240 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
IV. Bogenspektren.
Die von Mineralien der Sodalith- und Willemitgruppe vorliegenden
quantitativen Analysen gestatten noch nicht, die Abhängigkeit der
Fluoreszenzerscheinungen von der chemischen Zusammensetzung weiter
zu verfolgen. Hr. Prof. Dr. G. Eseruarp in Potsdam hat sich auf
meine Bitte der dankenswerten Mühe unterzogen, zunächst mit Hilfe
von Bogenspektren die Metalle zu ermitteln, die in Zukunft bei ana-
lytischen Untersuchungen nicht übersehen werden dürfen. Seine Er-
gebnisse‘ sind in den Tabellen 3 und 4 zusammengestellt”.
A. In den sechs untersuchten Mineralien der Sodalithgruppe waren
nach der Beschaffenheit ihrer Bogenspektren nicht vorhanden die Ele-
mente: Arsen, Chrom, Kobalt, Germanium, Indium, Lanthan, Lithium,
Nickel, Niobium, Tantal, Wolfram, Yttrium, Zinn und Zink.
Sehr bemerkenswert ist u. a., daß in dem Bogenspektrum des
dunkelbraunen Nosean IV aus den grobkörnigen Sanidiniten von Laach
starke Linien von Caleium und Titan beobachtet wurden. In allen
Fällen konnten Magnesium, Eisen und Mangan, in der Mehrzahl der
Fälle auch Kupfer nachgewiesen werden.
B. Im Troostit und Tephroit wurden die Linien folgender Elemente
vergeblich gesucht: Cadmium, Kobalt, Chrom, Gallium, Germanium,
Indium, Kalium, Lanthan, Lithium, Molybdän, Niobium, Nickel, Anti-
mon, Scandium, Zinn, Titan, Thallium, Vanadium, Wolfram, Yttrium,
Zirkonium. Wahrscheinlich fehlen also alle Metalle der seltenen Erden.
Von besonderem Interesse ist die Auffindung des Beryllium,
das in dem Bogenspektrum des weißen Troostit starke Linien erzeugt.
Nach den Analysen von Srose war im Troostit eine Beimischung
des Phenakitsilikats nicht zu erwarten.
Diese Ergebnisse des Hrn. G. Eserr#Arn enthalten wertvolle An®
regungen zu neuen Analysen und Synthesen der Mischkristalle, die
in den Mineralien der Sodalith- und Willemitgruppe vorliegen’.
! In allen Aufnahmen sind die Linien des Bor sichtbar, das in den Kohlen
der gerreen vorhanden war.
e darin angegebenen Wellenlängen und Intensitäten sind entnommen aus
F. Exner Be E. Hascher, eu mug auf Grund der ultravioletten Bogen-
spektren der Elemente. Leipzig und Wien 1904
® Berichtigung. Sitzungsberichte or S.420 und 421 ist an Stelle von
Böhmen IV zu setzen Grönland IV.
Adresse an Hrn. Pur Gorpan zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum. 241
Adresse an Hrn. PauL GoRDAN zum fünfzigjährigen
Doktorjubiläum am 1. März 1912.
Hochverehrter Herr Kollege!
7 dem Tage, an dem fünfzig Jahre seit Ihrer Doktorpromotivn ver-
flossen sind, sendet Ihnen, ihrem hochgeschätzten Mitgliede, die Aka-
demie der Wissenschaften ihre herzlichen Glückwünsche. Die Frage,
die Sie damals in Ihrer Dissertation »De linea geodetica«, wohl an-
geregt durch Kummer und indirekt durch Jacosı, mit großer Gründ-
lichkeit und in origineller Weise behandelten, wieweit die auf einem
abgeplatteten Rotationsellipsoid gezogene geodätische Linie als kürzeste
zu betrachten sei, gehört zu denen, die jeden Mathematiker inter-
essieren. Ein größeres Verdienst haben Sie sich erworben, als Sie,
zusammen mit Ürzgsch, die Rırmanssche Theorie der algebraischen
Integrale ergänzten. Ganz von algebraischen Grundlagen ausgehend,
drangen Cresscn und Sie vor bis zu den transzendenten Funktionen
mehrerer Variabeln, die Rırmans die Jacosıschen Umkehrungsfunk-
tionen nannte. Rırmann selbst hatte einen andern Weg eingeschlagen,
der wohl direkter ist; Sie nennen ihn einen synthetischen. Aber
diese synthetische Betrachtung, welche die wichtigsten Vorstellungen
schnell herbeiführt, beruht auf einem Satz, der zwar den Physikern
schon vor Rırmann und Dirıcnter geläufig war, dessen strenger ma-
thematischer Beweis jedoch erst später geführt wurde und jetzt selbst
eine umfangreiche Theorie darstellt. Deshalb war es ein notwendiges
Werk, das Cresscn und Sie verrichteten, als Sie zeigten, daß jene
sehr richtigen und interessanten Voraussetzungen, die Rıemanw macht,
nicht unumgänglich notwendig sind, um die von RıEmann dargelegten
Beziehungen zu erkennen. — An diese ersten Arbeiten schließt sich
eine fast unabsehbare Reihe algebraischer Untersuchungen, die Sie in
rascher Folge veröffentlichten. Es ist wohl kein Irrtum, anzunehmen,
aß sie wenigstens teilweise durch den Gedanken hervorgerufen sind:
der Bau, den Rırmanv gegründet, und den er mit geistigem Auge
wohl vollendet vor sich sah, den er aber, durch Krankheit dahin-
gerafft, uns unvollendet zurückließ, werde noch die größten algebrai-
242 Gesammtsitzung vom 7. März 1912.
schen Anstrengungen erfordern, um ganz zu Ende geführt zu werden;
deshalb sei die Ausbildung der Algebra ein unbedingtes Bedürfnis.
Erkennbar ist in Ihren algebraischen Arbeiten das Streben nach Ver-
einfachung der Rechnung, durch Einführung von Symbolen, die das-
Jenige bedeuten, worauf es bei der Rechnung hauptsächlich ankommt.
Und daß Sie wichtige Dinge so einfach wie möglich darzustellen
suchten, haben Sie auch gezeigt, als sich durch die Arbeiten anderer
die von den Mathematikern längst vermutete Unmöglichkeit der Qua-
dratur des Zirkels ergab. Die Beweise hierfür, zuerst auf komplizier-
ten Gedankengängen beruhend, vereinfachten sich nach und nach, da
sie das Interesse vieler scharfsinniger Mathematiker erweckten. Die
Form, die Sie dem Beweise zuletzt gaben, kann an Kürze und Ein-
fachheit kaum überboten werden. Die Akademie wünscht und hofft,
daß Sie sich inmitten der zahlreichen in Ihrer Wissenschaft wirkenden
Jüngeren Kräfte noch lange der Ihnen zuteil werdenden Anerkennung
erfreuen.
Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften.
Ausgegeben am 14. März.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
weise oder aueh in weiterer Ausführung, in
deutscher Sprache veröffentlicht
werden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent-
lichung dem ee Secretar vor der Ausgabe in
= nn... Schriften zur Kenntniss kommen, so
er die Mitt i 'ernen.
n der ee e genommenen wissen-
schaftlichen Mitth ee Base anderweitig früher 2
veröffentlichen beabsichtigt, als ihm diess nach den gel
Er so bedarf er dazu der Ein-
er Gesam ie.
G edächtnise reden anderweitig zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestattet.
Aus $ 21.
erscheinen in einzelnen Stücken
in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung.
Die Sitzungsberichte
Aus $ 22.
Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die
in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei-
en und über die zur ee geeigneten ge-
schäftlichen Angelegenheit
Hinter den Titeln der w Inendchältlichen Mittheilungen
folgen in dieser Übersicht kurze een ee
welche die Verfasser einreichen, und f
antwortlich sind. Diese RER so He n sich. ee
der Regel auf 5—6 a beschränken, keinesfalls
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Die t inden Schriten = Akademie erscheinenden
Mihelungen werder setztem Stern bezeichnet,
bei - für die ren Yes wird »(Abh.)«
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Mittheilungen fremder Verfasser
werden in dem über diejenige Sitzung aufgeführt,
in welcher dere Kufialos in die akademischen Schriften
endgültig bee wird
Ans.$ 27.
Das Manuseript einer in einer akademischen
m Donnerstag zur en in Se Sitzungsberichte zu
Be .n.
gedruckt e en sol
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werden, mit dem Besen des redigirenden
Secre oder des Archivars versehen, für ein späteres
Stück zurückgelegt.
Dasselbe kann von vorn herein mit Mittheilungen ge-
schehen, deren Satz aus irgend welchen Aeenen be-
sondere Schwierigkeiten erwarten lässt, oder welche den
in $S : - & enthaltenen en nice, entsprechen.
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SSET, ar an die Be welche die
Miuhellung Auer haben, mit der Angabe, dass sie
Dienstag früh an die Druckerei zurtisphiefdin: Wird die
Correetur . ke bis Dienstag Abend von = ee be-
trauten Per halten, so hat diese es zu v orten,
wenn Er Shehung in einem spätern Sick "erhein
Nae wärts werden Correeturen nur Verlangen
ale "die Verfasser Musa en dam Eau ee
ihrer Mittheilung nach acht Tagen. mden Verfassern,
a Correeturen erst n = dem Vorteilen Mitgliede
zur Revision unterbreitet werden müssen, kann das Er-
ee am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge-
sichert werden
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
Abhandlungen. Jahrg. 19
Physikalisch- sbhsnäche Classe .
Philosophisch-historische Classe . . » . » »
Fe Jahrg. 1910:
ikalisch-mathematische Classe .
Ph era historische Classe . . » » » »
*
”
”
.
Einzelne Abhandlungen
aus den Jahren 1908,
*
.
1909, 1910 und 1911.
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Mörier: igurica ae . 4
Loors: Das Glaubensbekenntnise „der Homousianer von Sardica een an 2
ALD : Der Processus retromastoideu er eek er
Meyer: Gedächwmisede auf Eberhard ee ee . har
vos Wıra -MoELLEND : Nordionische Steine i en en er 5
CHULZE, W.: Ged dadteharede. auf Richard Pischel. ee un ad . Ss
Rupens: Tg auf Friedrich er en ai nr bw
Lanporr +: Über die Erhaltun - der e bei lachen Umsetzungen as en
Keavıx von Srraponırz: . - un
Dirrury: Der Aufbau der riegenkpte Welt in den Geisteswissenschaften Erste Hälfte . . - —
van’r Horr: Gedächtnissrede auf Hans Heinrich dolt a 7
ÜLLER: Uigurica —
Exouer u se K. Krauss: Über den anatomischen Bau der baumartigen Cyperacee Schoenodendron .
i Ener. aus Sr ki
eg ee Kar: Ess ie Henricns vantı ‘Hoff. en A a
Sammzz, W.: Gedächtnissrede auf Heinr a u a ee se a
Man Hymnen an das Diadem der een ae, es : .
ORF: Zur itraaklehe, Gliederung Fessikreiche 2% or . . . .
: 3 Wierind: Die ne der Taubenbank im Golfe von Neape ern
Berserıcn: Tafeln für die meer Coo: rdinaten von. Y ‚kleinen Planete re
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über die von den Königlichen Museen unternommenen
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1912. xıv.xıv
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 14. März. (S. 245)
HaABERLAnDT: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. (S. 244)
Rusens und G. Hertz: Über den Einfluss der Temperatur auf die Absorption langwelliger
Wärmestrahlen in einigen festen Isolatoren. (S. 256)
Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 14. März. (S. 275)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus 3 6.
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ungheice | wenn es Een nicht bione | um glatten Text handelt,
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und die Verfasser sind zur g
kosten verpflichtet.
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Von allen in die Sitz erichte oder Abhandlun;
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Berichten n Verfasser, von
wissenschaftlichen Mirtheilun Umfang im
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£ es n Buchhar ndel hergestellt, indess nur dann, wenn di
Vertasser sich ausdrü ekli ich damit einverstanden erk
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ser, sn Mitgliec ed der Akademie
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Gr den Se
erhält ein Verfas
zu —.
243
SITZUNGSBERICHTE 1912.
DER XIV.
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
14. März. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
“
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
Hr. Hagerranor las: Über das Sinnesorgan des Labellums
der Pterostylis-Blüthe.
Zahlreiche Arten der Orchideengattung Pterostylis besitzen ein für mechanische
Reize empfindliches Labellum. Bei Pterostylis curta und verwandten Arten ist die
Lippenplatte an ihrer Basis mit einem pinselförmigen Anhängsel versehen. Es wird
gezeigt, dass dieses Anhängsel das Perceptions- oder Sinnesorgan des Labellums dar-
stellt, durch dessen Berührung die ‚Reizbewegung des letztern ausgelöst wird. Nach
Besprechung der hierauf bezüglichen Versuche wird der anatomische Bau des Perceptions-
organs beschrieben.
Sitzungsberichte 1912.
244 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
Über das Sinnesorgan des Labellums
der Pterostylis-Blüte.
Von G. HABERLANDT.
Die Vertreter der in Australien, Neuseeland und Neukaledonien ein-
heimischen Orchideengattung Pterostylis sind der Mehrzahl nach durch
den Besitz eines für mechanische Reize empfindlichen Labellums aus-
gezeichnet. Das mediane Sepalum der Blüte bildet mit den seitlichen
Petalen einen Helm, die paarigen Sepalen sind mehr oder weniger
zu einer Unterlippe verwachsen. Das Labellum ist sehr verschieden
gestaltet und besteht bei den uns hier interessierenden Arten aus einer
schmalen »Platte« und einem kürzeren »Nagel«. An der Basis der
Platte, dort, wo sie in das Bewegungsorgan des Labellums, den Nagel,
übergeht, befindet sich auf der Oberseite ein bei den einzelnen Arten
sehr verschieden geformtes Anhängsel, dessen Bau und hypothetische
Funktion ich in der 2. Auflage meiner Arbeit über »Sinnesorgane im
Pflanzenreich zur Perzeption mechanischer Reize«'! eingehend erörtert
habe. Da mir bei meinen damaligen Untersuchungen nur Herbar-
material zur Verfügung stand, so konnte zwar der anatomische Bau
des Anhängsels bei den verschiedenen Arten mit hinlänglicher Genauig-
keit festgestellt werden, hinsichtlich seiner Funktion mußte ich mich
aber auf bloße Vermutungen beschränken. Erst vor kurzem fand ich
Gelegenheit, diese Vermutungen experimentell zu prüfen. Im Kgl. Bo-
tanischen Garten zu Dahlem bei Berlin wird nämlich gerade jene Art,
die in bezug auf die hypothetische Funktion des Anhängsels als Per-
zeptionsorgan für mechanische Reize das größte Interesse darbietet,
Pierostylis curta R. Br., mit Erfolg kultiviert und gelangt alljährlich im
Februar bis März zur Blüte. Dem freundlichen Entgegenkommen des
Direktors des Botanischen Gartens, meines verehrten Kollegen Hrn.
Geheimrat Prof. Enezer, verdankte ich die Möglichkeit, im Februar
l. J. mit Mia: wohlentwickelten Blüten dieser Pterostylis-Art experi-
i ug isn ein usw., 2. Aufl., Leipzig 1906, $. 85 ff.
HaBertLAnNDT: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 245
mentieren zu können, die Reizbarkeit des Labellums kennen zu lernen
sowie die Funktion seines Anhängsels endgültig festzustellen.
Nach den Beobachtungen von Tu. F.Cuezseman' u.R.D. FıTzeERALD?
wird die Reizbewegung der Lippenplatte durch kleine Insekten aus-
gelöst, die sich auf ihr niederlassen. Durch plötzliche Einkrümmung
des Nagels wird die Platte zurückgeschlagen (Fig. B)’ und das Insekt
wird in der Blüte eingeschlossen. Es kann nur entweichen, indem
es auf der Säule emporkriecht und eventuell mitgebrachte Pollen-
massen auf der ungefähr in der Mitte der Säule gelegenen langen
Narbe (Fig. A, st) abstreift. Wenn es dann weiter emporkriecht, muß es
sich zwischen den beiden flügelartigen Anhängseln durchzwängen, die
sich am oberen Ende der Säule (f) befinden. Es streift dann das
Rostellum und nimmt die Pollinien mit.
A B
Pterostylis-Blüten nach dem Typus der Pt. curta; halbschematisch mit Benutzung Fırzorrauo’scher
Figuren gezeichnet. Helm und Unterlippe sind wegpräpariert. A Blüte mit ungereiztem, B Blüte
mit gereiztem Labellum, 8 Säule, an Anthere, F flügelförmige Anhängsel der Säule, st Stigma,
I Lippenplatte, n Nagel (Bewegungsorgan), @ Anhängsel des Labellums (Sinnesorgan).
Weder Cureseman noch Fırzerrarp haben sich darüber geäußert,
ob die Lippenplatte in ihrer ganzen Ausdehnung oder nur an gewissen
Stellen empfindlich ist. Bei Pterostylis curta und anderen Arten ist
das Labellum teilweise im Helm der Blüte eingeschlossen und schräg
aufgerichtet. Nach Fırzezrar» soll in diesen Fällen auch die Unter-
I! Typ. F. Cueeseman, On the Fertilization of the New Zealand Species of Ptero-
stylis. Transact. New Zealand Institute, Vol. V, 1873, S. 352.
® R.D. Frrzezrarn, Australian Orchids, Vol. I, Sydney 1882. \
® Die Figuren sind der 2. Auflage meiner »Sinnesorgane im Pflanzenreich usw.«
entnommen. i
2%
246 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
seite des Labellums reizbar sein. Wenn also das Insekt die nach
außen gekehrte Unterseite der Lippenplatte als Anflugstelle benutzen
würde, so wäre die Reizbarkeit des Labellums bei diesen Spezies
eine nutzlose, ja nachteilige Eigenschaft. Denn die Lippenplatte würde
sich zurückschlagen, ohne das Tier in der Blüte einzuschließen. Man
darf demnach von vornherein bezweifeln, ob die Angaben FırzeErALns
betreffs der Reizbarkeit der Unterseite des Labellums richtig sind.
Schon On. Darwın hat sich in diesem Sinne ausgesprochen.
ÜHEESEMAN hat nur Beobachtungen über die Blüte von Pterostylis
trullifolia angestellt. Er ist der Ansicht, daß anfänglich das Gewicht
des Insektes, das sich auf dem Ende der Lippenplatte niedergelassen
hat, dem Bestreben dieser, sich einwärts zu schlagen, entgegenwirke;
erst später, wenn das Insekt auf der Platte weitergekrochen ist,
wird jener Widerstand überwunden und die Lippenplatte schnellt zu-
rück. Bei dieser Annahme geht er von der Voraussetzung aus, daß
die Lippenplatte in ihrer ganzen Ausdehnung, also auch an der Spitze,
reizbar sei. Die näherliegende Annahme, daß der obere Teil der Platte
unempfindlich ist, wird von Cuerseman nicht diskutiert. Experimentelle
Untersuchungen über die Verteilung der Empfindlichkeit von der Spitze
des Labellums bis zu seiner Basis hat er nicht ausgeführt.
Bei Pterostylis curta R. Br. weist der Blütenschaft nur eine einzige
terminale Blüte auf. Der Helm ist von weißlich-transparenter Farbe,
nur der obere Teil ist rötlich angehaucht; die Nerven sowie die auf-
wärtsgeschlagene, von den zwei vorderen Sepalen gebildete »Unter-
lippe« sind lichtgrün gefärbt. Das schräg aufwärts gerichtete Label-
lum ragt nur mit seinem nach außen gebogenen Endlappen aus der
Blüte hervor. Er ist nach Fırzerrarn lebhaft karminrot gefärbt; an
den im Botanischen Garten zu Dahlem gezogenen Pflanzen zeigt er
nur eine rotbraune Farbe, die gegen die Basis der Platte zu allmäh-
lich verblaßt. Immerhin bildet das aus dem Helm hervorragende
Endstück der Platte eine sehr auffallende Anflugstelle. »Würde nun
schon dieses Endstück der Platte auf seiner Oberseite reizbar sein,
so würde bei der Reizbewegung das Insekt nicht in das Innere der
Blüte eingeschlossen werden, sondern zu hoch oben, an das Ende der
Säule bzw. an die beiden zusammenneigenden Flügel angedrückt werden
oder die Säule überhaupt nicht berühren. Es würde rasch entweichen,
ohne die Anthere gestreift zu haben. Die Lippenplatte ist nämlich
so lang, daß ihr Endlappen in der Reizstellung über das Ende der
Säule um etwa 4 mm, d.i. fast um ein Drittel der Lippenplatte, hinaus-
ragt. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß schon das Endstück
der Platte auf seiner Oberseite hinlänglich reizbar ist, um bei der Be-
rührung des anfliegenden Insektes die Reizbewegung herbeizuführen.
Haserrannr: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 247
Es ist vielmehr zu erwarten, daß das Insekt erst später, wenn es auf
der Platte weiterkriecht, die Reizbewegung auslöst; dann erst wird
es sieher in der Blüte eingeschlossen und muß nun, auf normalem
Wege entweichend, die Pollinien mitnehmen. «
»Die Perzeptionsstelle für den von dem eindringenden Insekt aus-
geübten mechanischen Reiz ist also nicht am oberen Ende der Lippen-
platte, sondern weiter unten zu suchen. Da stellt sich nun an ge-
eignetster Stelle dem Tiere das bogig nach aufwärts gekrümmte An-
hängsel entgegen und versperrt ihm den Weg. Dasselbe besteht bei
Pt. eurta und allen Arten, die diesem Typus angehören, aus einem
bandförmigen unteren Teil, der bogig gekrümmt ist, und einem am
Rande in zahlreiche Lappen und Zipfel aufgelösten oberen Teil, der
dicht mit kurzen zartwandigen Haaren bedeckt ist; das Anhängsel
gleicht so einem flach ausgebreiteten Pinsel. Das weiterkriechende
Insekt muß unfehlbar an das Anhängsel anstoßen und die Zipfel und
Haare verbiegen. Unter diesen Verhältnissen halte ich es für höchst
wahrscheinlich, daß das pinselförmige Anhängsel das Perzep-
tionsorgan des Labellums vorstellt«.
Mit diesen Worten habe ich mich in der 2. Auflage meines oben-
genannten Buches über die mutmaßliche Funktion des Anhängsels ge-
äußert. Die Grundlagen für diese Annahme lieferten mir ausschließ-
lich der morphologische und anatomische Bau der Blüte.
Seit der Veröffentlichung meiner Untersuchungen über das La-
bellum der Pterostylis-Blüte sind drei Arbeiten erschienen, die sich
gleichfalls mit der Funktion des Anhängsels beschäftigen.
Zunächst hat Oswarp H. Sarernt' über Beobachtungen berichtet,
die er an den Blüten verschiedener Pterostylis-Arten (Pt. reflexa, con-
strieta, nana, pyramidalis, recurva, vittata, Sargenti, rufa und turfosa) in
ihrer Heimat (Westaustralien) angestellt hat. Die Arbeit CnEESEMANS
sowie die von mir veröffentlichten Untersuchungen sind ihm unbekannt
geblieben. Sarsenr beschreibt, ohne sich auf mikroskopische Beob-
achtungen zu stützen, ziemlich eingehend die Blüte von Pterostylis
reflexa; das bogig gekrümmte Anhängsel seines Labellums endigt wie
bei Pterostylis curta pinselförmig. In ungereiztem Zustande ragt das
Endstück des Labellums aus dem Helm heraus und bildet eine sehr
geeignete Anflugstelle. Wenn das Insekt die Basis des Labellums
erreicht hat, springt dieses zurück und schließt das Tierchen in der
Blüte ein. Diese Angabe deckt sich im wesentlichen mit jener ÜHEESE-
Mans über den Eintritt der Reizbewegung bei Pterostylis trullifolia. Am
ı
0. H. Sırsewr, Notes on the Life-History of Pterostylis, Annals of Botany,
Vol. XXIII, 1909, S. 265 ff.
248 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
wichtigsten sind für uns die Mitteilungen, die Sarernr über seine Ver-
suche betreffs der Lokalisation der Reizbarkeit des Labellums gemacht
hat. Wenn man die Reizung mit dem Finger oder irgendeinem
gröberen Instrumente (heavy instrument) vornimmt, so hat es den An-
schein, als sei das Labellum überall reizbar. Vorsichtige Experimente
mit einer Borste lehren aber, daß die Reizbarkeit nur auf das An-
hängsel beschränkt ist'. Dementsprechend hat Sarernt beobachtet,
daß sich Insekten auf dem Labellum von Pterostylis rufa, Sargenti und
vittata niederlassen und wieder fortfliegen, ohne die Reizbewegung aus-
zulösen. Daß das Anhängsel sehr empfindlich ist, schließt Sarsent
aus dem geringen Gewicht der in die Blüte eindringenden Insekten
— es handelt sich um kleine Dipteren —, von denen eine etwa ein
Milligramm schwer ist.
Leider hat es SAarsent unterlassen, seine Versuche betreffs der
Reizbarkeit des Labellums genauer zu beschreiben. Er sagt nichts
darüber, ob er das Labellum mit der Borste auf der Ober- oder Unter-
seite gereizt hat, ob er die eventuelle Empfindlichkeit seines Randes
prüfte, und ob er auch mit der Möglichkeit rechnete, daß wenigstens
der untere Teil der Lippenplatte reizbar ist. Immerhin darf ich in
seiner sehr bestimmt ausgesprochenen Angabe, daß nur das Anhängsel
reizbar sei, eine Bestätigung meiner drei Jahre vorher ausgesprochenen
Vermutung erblicken, daß das Anhängsel des Labellums der hier in
Betracht kommenden Pierostylis-Arten ein Perzeptionsorgan für me-
chanische Reize darstelle.
In einem kleinen Aufsatze über Pterostylis curta R. Br. hat dann
F. Lepıen® den Bestäubungsvorgang im Anschluß an Fırzerrann ge-
schildert. Bezüglich des Anhängsels sagt er, daß es »augenscheinlich
den Reiz, welcher das Hochklappen der Unterlippe” hervorruft, ver-
mittelt«. Genauere Beobachtungen werden nicht mitgeteilt, auch sind
dem Verfasser meine Angaben über die Pterostylis-Blüte sowie die Arbeit
von SARGENT unbekannt geblieben.
In der letzten, erst vor kurzem erschienenen Mitteilung über » Das
Perzeptionsorgan der Pterostylis-Blüte« von E. Werrn* kommt der Ver-
fasser in bezug auf die Reizbarkeit des Labellums und seines Anhängsels
zu wesentlich andern Resultaten. Er kennt zwar meine Untersuchungen
über die Pterostylis-Blüte, die Arbeit von Sarsent ist ihm aber ent-
* »But careful experiments with a bristle have convinced me that the sensitive-
ness is really localized in the appendage.« |
” F. Levıen, Pterostylis curta, Gartenflora 1910, S. 100ff.
° Statt »Unterlippe« soll es richtig heißen »Labellum«
* E. Werrn, Das Perzeptionsorgan der Pterostylis-Blüte, Berichte der Deutschen
Bot. Gesellschaft, Jahrg. ıgır, S. 728 ff.
Haservanpr: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 249
gangen. E. Werra hat verschiedene Pterostylis-Arten bereits vor vielen
Jahren in Australien beobachtet. Bei Pt. longifolia, die übrigens nicht
zu jener Sektion gehört, bei der das Anhängsel von pinselförmiger
Gestalt ist, soll das ganze Labellum reizbar sein. Ein eigenes Per-
zeptionsorgan ist nach E. Werrn nicht vorhanden, und auch die teil-
weise Behaarung des Labellums soll in keiner Beziehung zu seiner
Reizbarkeit stehen. Aus der Sektion Antennaea hat der Verfasser Pt.
eurta und nutans lebend untersucht. Sonderbarerweise leugnet er bei
diesen Arten die Reizbarkeit des Labellums überhaupt und gibt nur
zu, daß nach den Beobachtungen FrrzeErALDS »bestimmte Individuen
der dem Typus curta angehörenden Arten eine wenigstens geringe
Reizbarkeit des Labellums aufweisen«. E. Werr# ist ferner der An-
sicht, daß die Blütenkammer von Anfang an geschlossen sei. Er bildet
das Labellum von Pt. curta in der Reizstellung ab, wobei es also an
die Säulenflügel angepreßt ist und behauptet, daß es nach seinem Be- .
funde »gar nicht beweglich« sei, sondern nur mit seinem schmalen
Nagel »federnd« in Verbindung stehe. Die Nichtreizbarkeit des La-
bellums von Pt. eurta wie mehrerer anderer Arten desselben Typus
soll auch Hr. Dr. SCHLECHTER festgestellt haben, der viele Arten selbst
gesammelt und im lebenden Zustand untersucht hat.
E. Werru stellt sich nun den Bestäubungsmechanismus folgender-
maßen vor: Das Insekt kriecht vom oberen Ende des Labellums ab-
wärts und gelangt so in den Winkel, den die Platte mit den Flügeln
der Säule bildet. Es drückt nun das an die Flügel angepreßte La-
bellum zurück, was ihm bei der federnden Anheftung des letzteren
leicht gelingt und schlüpft in die Blütenkammer hinein.
Da E. Werru die Reizbarkeit des Labellums von Pt. curta und
den verwandten Arten überhaupt in Abrede stellt, so kann er natür-
lich in seinem pinselförmigen Anhängsel auch kein Perzeptionsorgan
für mechanische Reize erblicken. Er hält es vielmehr nur für ein
Anlockungsmittel, eine Ansicht, die übrigens lange vor ihm schon
OLiver ausgesprochen hat‘. —
Bei dieser widerspruchsvollen Sachlage war es mir sehr erwünscht,
daß ich mit zwei lebenden Blüten von Pterostylis curta, die, wie er-
wähnt, aus dem Botanischen Garten zu Dahlem stammten, selbst eine
Anzahl von Experimenten anstellen konnte. Es sei mir gestattet, über
die Ergebnisse dieser Versuche im nachstehenden zu berichten.
Am 12. Februar 1. J. vormittags ‘brachte der Obergehilfe des Uni-
versitätsgartens einen Topf mit mehreren Pflanzen, von denen zwei
ı F.W. Orıver, On the sensitive Labellum of Masdevallia muscosa, Rch. f. Annals
of Botany, Vol. I, 1888.
250 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
offene Blüten aufwiesen, aus dem Gewächshaus zu Dahlem in das
Botanische Institut. Der ganze Topf war während des Transportes
sorgfältig in Papier gehüllt, zumal die Temperatur im Freien nur
4—5° GC betrug. Nach Entfernung der Papierhülle ergab die Be-
sichtigung der beiden Blüten, daß sich in einer das Labellum in
jener Lage befand, die nach FırzerraLn für seine Stellung im un-
gereizten Zustande charakteristisch ist. In der zweiten Blüte dagegen
befand sich das Labellum in der Reizstellung. Es soll gleich bemerkt
werden, daß in dieser Blüte am nächsten Tage einige Blattläuse ent-
deckt wurden. Es kann sonach wohl kaum einem Zweifel unterliegen,
daß das Labellum dieser Blüte nur deshalb die Reizstellung angenom-
men hatte, weil während der Fahrt eine Blattlaus darauf gefallen oder
darüber gekrochen war. Daß in der anderen Blüte das Labellum trotz
der dreiviertelstündigen Wagenfahrt ungereizt blieb, beweist an und
für sich noch nicht, daß bloße Erschütterung nicht als Reizursache
wirkt. Die Pflanze könnte sich ja ähnlich wie Mimosa pudica ver-
halten, bei der bekanntlich die Laubblätter trotz fortgesetzter Erschütte-
rung infolge Abstumpfung der Empfindlichkeit allmählich in die Aus-
gangsstellung zurückkehren'. Daß ein derartiges Verhalten bei Pie-
rostylis nicht vorliegt, geht aber aus der Tatsache hervor, daß im
Laboratorium ruhig aufgestellte Pflanzen bei mäßiger Erschütterung
keine Reizbewegung des Labellums zeigten.
Mit der letzterwähnten Blüte, deren Labellum sich, wie erwähnt,
in der Ausgangsstellung befand, wurden nun sofort einige Reizver-
suche vorgenommen. Zur Reizung diente mir ein menschliches Bart-
haar von ungefähr 2 em Länge und 140 u Dicke, das an einem langen
dünnen Holzstäbchen befestigt war. Zunächst wurde die Unterseite
des oberen Teiles des Labellums berührt und gestreift, um festzu-
stellen, ob die Angabe Fırzerrarns betreffs der Reizbarkeit der Unter-
seite der Lippenplatte richtig ist oder nicht. Es trat keine Reiz-
bewegung ein, und zwar auch dann nicht, wenn durch den Druck des
Haares die Lippenplatte etwas zurückgebogen wurde. Dasselbe Er-
gebnis wurde bei Wiederholung dieses Versuches in den nächsten
Tagen bei beiden Blüten erzielt, so daß die Behauptung FırzerrALos,
wonach auch die Unterseite der Lippenplatte reizbar sein soll, als
irrig erwiesen ist. Damit fällt natürlich auch die Annahme des ge-
nannten Forschers, daß die Reizbarkeit des Labellums bei Pt. curta
und den verwandten Arten eine nutzlose, der Fremdbestäubung hinder-
liche Einriehtung vorstellt. Nun suchte ich die Oberseite des Label-
lums durch wiederholtes Darüberstreifen mit dem Barthaar zu reizen.
‘ Vgl. Prerrer, Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., II. Bd., S. 443-
HaperLanvr: Über das”Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 251
Das Ergebnis war ein negatives, die Reizbewegung trat nicht ein.
Erst nach Berührung des Anhängsels, das aber in der intakten Blüte
nicht gut und nur teilweise siehtbar ist, schnellte das Labellum rasch
zurück.
Um das Labellum und sein pinselförmiges Anhängsel in seiner
ganzen Ausdehnung gut überblieken und mit Sicherheit an jeder be-
liebigen Stelle reizen zu können, brachte ich bei einer Blüte an einer
Seite des Helmes einen fensterförmigen Ausschnitt an, der ungefähr
ıo mm hoch und 5 mm breit war. Das Labellum befand sich schon
vor der Operation in der Reizstellung. Nach Ablauf einer Stunde
hatte es wieder die Ausgangsstellung angenommen. Da bei intakten
Blüten die Rückkehr in diese Stellung nach meinen Beobachtungen
35—60 Minuten erfordert (Temp. 20° C), so hat bei der operierten
Blüte der Wundshock die rückläufige Bewegung des Labellums nicht
oder nur unbeträchtlich verzögert.
Weitere Versuche wurden dann in den nächsten Tagen vorge-
nommen. Der Topf mit den Versuchspflanzen stand auf meinem Ar-
beitstische vor einem Südfenster des Botanischen Institutes, ohne aber
direkt besonnt zu werden. In den Pausen zwischen den einzelnen
Versuchen sowie auch nachts war eine große Glasglocke, die teilweise
mit feuchtem Filterpapier ausgekleidet war, über den Topf gestülpt.
Wenn man die Ober- oder Unterseite des Labellums durch Be-
rührung oder Streifung mit dem Barthaare zu reizen versuchte, so
trat wie bei jenem ersten Experimente niemals eine Reizbewegung
ein. Dieses Verhalten zeigte sowohl die intakte wie die mit dem
Fensterausschnitte versehene Blüte. Bei letzterer löste auch die Be-
rührung und Streifung des Plattenrandes sowie des gekrümmten Stieles
des Anhängsels die Reizbewegung nicht aus. Diese erfolgte erst,
wenn der pinselförmige obere Teil des Anhängsels gereizt
wurde. Dabei genügte schon eine ganz sanfte Berührung mit dem
Barthaare, um diesen Erfolg zu erzielen.
Bei der intakten Blüte kam es zweimal schon dann zur Aus-
lösung der Reizbewegung, wenn der Rand des untersten Teiles
der Lippenplatte mit dem Barthaare gerieben wurde. An der
»Fensterblüte« ließ sich derartiges nicht beobachten. Auch die in-
takte Blüte reagierte später (am 17- Februar) erst dann auf den Reiz,
wenn das Anhängsel berührt wurde. Die Reibung des Plattenrandes
blieb erfolglos.
Wenn nach 35—60 Minuten das Labellum in die Ausgangsstel-
lung zurückgekehrt ist, so befindet es sich zunächst noch in einem
Starrezustand. Auch eine kräftige und wiederholte Berührung des An-
hängsels mit dem Barthaare führte zu keiner Reizbewegung. Auf diese
252 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
Eigentümlichkeit hat übrigens schon FırzezrrArn hingewiesen. Ihr Ana-
logon findet diese Erscheinung in dem Verhalten der Blattgelenke von
Mimosa pudica, deren Reizbarkeit, wie Prerrer' gefunden hat, nach
Vollendung der Rückkehrbewegung des Blattes auch nur langsam
wiederkehrt.
Nach Ablauf einiger Tage nahm die Empfindlichkeit des Labellums
beider Blüten allmählich ab, und zwar in der operierten Blüte rascher
als in der unverletzten. Bei ersterer war die Reizbarkeit am 17. Februar,
d.i. 5 Tage nach Beginn der Versuche, vollständig erloschen; das
Labellum hatte nun dauernd die »Reizstellung« angenommen. In der
intakten Blüte war an diesem Tage das Labellum nicht ganz in die
normale Ausgangsstellung zurückgekehrt, so daß das Endstück der
Lippenplatte kaum mehr aus dem Helm hervorragte. Wie schon oben
erwähnt wurde, führte das Labellum jetzt nur nach Berührung des
Anhängsels die Reizbewegung aus.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen ergibt sich zunächst, daß
bei Pterostylis curta, wie nach den Angaben von FrrzerrArn und SARGENT
von vornherein zu erwarten war, das Labellum reizbar ist; Erschütte-
rung wirkt nicht als Reiz, erst durch Berührung mit einem festen
Körper wird die Reizbewegung ausgelöst”. Die Behauptung von
E. Werra, daß das Labellum der Prerostylis-Arten vom Typus der
Pterostylis curta nicht reizbar sei, ist demnach vollkommen unrichtig.
Wahrscheinlich hat dieser Autor bei Beobachtung der Pflanze in der
freien Natur zufällig immer nur solche Blüten gefunden, deren Labellum
sich in der Reizstellung befand; da dies zugleich die Stellung dieses
Organs in älteren Blüten ist, deren Labellum seine Empfindlichkeit
schon verloren hat, so kann auch dieser Umstand dazu beigetragen
haben, daß E. Werru sich getäuscht hat.
Meine Beobachtungen lehren ferner, daß die Unterseite des La-
bellums, entgegen den Angaben FırzerrauLos, auch für kräftige mecha-
nische Reize unempfindlich ist. Das gleiche gilt für die Oberseite und
den gebogenen Stiel des Anhängsels. Nur der Rand des untersten
Teiles der Lippenplatte ist bei hochgradiger Empfindlichkeit des La-
bellums reizbar. Das ist blütenbiologisch deshalb von Vorteil, weil
auf diese Weise auch Insekten, die auf der Lippenplatte abwärts
kriechend nicht direkt auf das eigentliche Perzeptionsorgan, das An-
hängsel, zusteuern, sondern schon vorher seitlich ausweichen wollen,
' W.Prerrer, Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., II. Bd., S. 443.
” Ob die Bewegung auch durch einen genügend kräftigen Wasserstrahl aus-
gelöst werden kann, wie dies nach Barrour bei den Fühlborsten von Dionaea der
Fall ist, habe ich nicht untersucht. Unter natürlichen Verhältnissen kommt jedenfalls
nur die Reizung durch einen festen Körper, das einkriechende Insekt, in Betracht.
Hasertannr: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 253
bei Berührung des Lippenrandes doch noch mit Sicherheit in der
Blüte eingeschlossen und so der Fremdbestäubung dienstbar gemacht
werden.
Der empfindlichste, bei geringerer Reizbarkeit des La-
bellums allein empfindliche Teil desselben ist sein pinsel-
förmiges Anhängsel, das deshalb mit Recht als das Sinnes-
oder Perzeptionsorgan der Blüte bezeichnet werden darf.
Nur der obere reichverzweigte und mit einzelligen Haaren versehene
Teil des Anhängsels ist empfindlich, sein Stiel ist nicht reizbar.
Der Umstand, daß auch der Rand des untersten Teiles der Lippen-
platte, und zwar in geringerem Grade, sensibel ist, kann gegen die
Auffassung des Anhängsels als Perzeptionsorgan nicht geltend gemacht
werden. Auch die Fühlborsten des Blattes von Dionaea muscipula sind des-
halb nicht weniger scharf ausgeprägte Sinnesorgane, weil das Zusammen-
klappen der beiden Blatthälften auch durch kräftige Reibung der ober-
seitigen Blattepidermis bewirkt werden kann.
So haben die experimentellen Beobachtungen die Richtigkeit meiner
Annahme betreffs der physiologischen Funktion des Anhängsels am
Labellum der Blüte von Pterostylis curta vollkommen bestätigt. Es
kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß auch bei den ver-
wandten Arten mit gleichgebautem Labellum das pinselförmige Anhäng-
sel als Perzeptionsorgan für mechanische Reize fungiert. Bei Pterostylis
reflexa hat dies, wie oben erwähnt wurde, Sırsent bereits experimentell
nachgewiesen. Nach den Beschreibungen und Abbildungen Fırz6ErALDS
kommen hier noch folgende Arten in Betracht: Pi. Baptisii Fırze., pedo-
glossa Fırze.., striataFırze., coccina Fırze., truncata Fırze., pedunculata R. Br.,
acuminala R. Br., ophioglossa R. Br., concinna R. Br., nutans R. Br., his-
pidula Fırze. und obtusa R. Br.
Über den anatomischen Bau des Labellums und seines Anhängsels
habe ich bereits in meiner früher erwähnten Arbeit (S. 97; 98) berichtet.
Ich möchte hier noch einige ergänzende Bemerkungen hinzufügen.
Der untere bogig gekrümmte Teil des Anhängsels ist bandförmig,
etwa 2.5 mm lang, an seiner Basis 0.8 mm breit, gegen oben zu ver-
schmälert; sein Rand ist hier beiderseits nach oben zu umgeschlagen.
Dieser bandförmige Stiel, der oberseits in der Mitte eine schmale Längs-
leiste trägt, wird von 5 Tracheidenbündeln durchzogen, einem stär-
keren medianen und zwei schwächeren lateralen. Sie enden an der
Stelle, wo sich das Anhängsel in die Zipfel zu verteilen anfängt. In
das Parenchym des Stieles sind außerdem ziemlich zahlreiche Raphi-
denschläuche eingestreut. Die Anzahl der Zipfel, die ı bis 2 mm lang
sind, schwankt zwischen 28 bis 32. Ihre Dicke beträgt 70 bis 90 u.
Sie bestehen aus nur wenigen Reihen gestreckter, zartwandiger Par-
254 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 14. März 1912.
enehymzellen, deren Querwände meist schräg gestellt sind. Die sie
umgebenden Epidermiszellen sind gleichfalls gestreckt, mit sehr zarten
Außenwänden versehen und wachsen an ihren basalen Enden häufig
zu schräg abwärts gerichteten Haaren aus. Nicht selten sind zwei
Haare an den Enden benachbarter Zellen, ähnlich wie bei den Fühl-
haaren der Centaureafilamente, zu einem Doppelhaare verwachsen; die
beiden miteinander verwachsenen Zelläste sind in der Regel von sehr
ungleicher Länge. Das obere Ende der Zipfel ist meist dicht mit
widerhakenförmigen zartwandigen Haaren besetzt; nur ausnahmsweise
ist ein Haar vollkommen gerade‘.
Ob nun die an den Zipfeln auftretenden zahlreichen Haare als
die eigentlichen Perzeptionsorgane fungieren, oder ob die Reizbewe-
gung durch die Verbiegung der Zipfel ausgelöst wird, wobei die
Haare nur als Reizüberträger, als Stimulatoren wirken würden — diese
Frage läßt sich natürlich nicht sicher beantworten. Ich möchte die
letztere Annahme für die wahrscheinlichere halten, da die widerhaken-
förmigen Haare gegen ihre Basis zu verbreitert sind; für ihre Ver-
biegung ist das keine günstige Form, als Stimulatoren sind sie aber
ganz zweckmäßig gebaut. Jedenfalls wird schon ein kleines Insekt
die zarten Zipfel leicht verbiegen können.
Die Epidermiszellen der Oberseite der Lippenplatte sind sämtlich
zu zartwandigen, zahnartigen Papillen ausgewachsen, die alle basal-
wärts gerichtet sind. Am größten sind diese Papillen an der Spitze
der Platte; gegen die Basis zu werden sie immer kleiner. Daß diese
Papillen das Hinabkriechen des Insektes erleichtern, ist nicht zu be-
zweifeln; sie stellen gewissermaßen Widerhaken vor, an denen das
Tier sich leicht festklammern kann. Der beiderseitige Rand des unter-
sten Teiles der Lippenplatte, der, wie wir gesehen haben, gleichfalls
einen gewissen Grad von Empfindlichkeit besitzt, ist etwas empor-
gekrümmt, wulstförmig verdiekt und dicht mit kleinen, basalwärts ge-
richteten Papillen besetzt. Ihre Außenwände sind besonders zart, nur
etwa 0.5 u diek”, während die Außenwände der weitaus größeren Pa-
pillen am obasch Ende der Lippenplatte etwa doppelt so dick sind.
Die zu erfolgreicher Reizung erforderliche Deformation der anliegen-
den Plasmahaut wird also überaus leicht erfolgen können.
Bei Pierostylis nutans ist das Anhängsel des Labellums nach meinen
früheren Untersuchungen im wesentlichen ebenso gebaut wie das von
Pt. curta. Bei Pt. reflexa, mit der SARrsEnT experimentiert hat, besitzt
' Abbildungen des Anhängsels und seiner Zipfel habe ich in meiner zitierten
en Taf. VIII, Fig. 3 und 4 veröffentlicht.
ie zarten Wände der Fühlpapillen von Opuntia vulgaris besitzen eine Dicke
von bis 0.8 u.
Hapertanvr: Über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe. 255
das Anhängsel einen langen, schmalen Stiel. Die Zipfel des Endteiles
sind mit kürzeren Haaren versehen als bei Pt. curta und nutans. Oft
kann man nur von Papillen sprechen. Bei den übrigen Arten, die
oben aufgezählt worden sind, ist das Anhängsel noch nicht genauer
anatomisch untersucht worden, doch ist nieht anzunehmen, daß we-
sentliche Verschiedenheiten im anatomischen Bau zu beobachten sein
werden.
Nach den vorstehenden Darlegungen stellt das Anhängsel des
Labellums von Pterostylis curta und den verwandten Arten eines der
größten, auffälligsten und am zweckmäßigsten gebauten Sinnesorgane
für mechanische Reize vor, die wir im Pflanzenreiche kennen.
a a
256 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Über den Einfluß der Temperatur auf die Absorp-
tion langwelliger Wärmestrahlen in einigen festen
Isolatoren.
Von H. Rusens und G. Hertz.
(Vorgetragen am 29. Februar 1912 [s. oben S. 215].)
Über die Änderung des Absorptionsvermögens fester Körper mit der
Temperatur liegen bereits zahlreiche Arbeiten vor. Soweit sich diese
Untersuchungen auf breitere Absorptionsgebiete im sichtbaren und ultra-
roten Spektrum beziehen, liefern sie das Ergebnis, daß mit steigender
Temperatur eine Verschiebung des Absorptionsstreifens nach längeren
Wellen erfolgt, daß diese Verschiebung um so geringer ist, je weiter
das betreffende Absorptionsgebiet im Ultraroten liegt und daß meist
bei Temperaturerhöhung eine schwache Verbreiterung des Absorptions-
streifens auftritt‘. Bekannt ist ferner, daß in dem Absorptionsspektrum
mancher festen Körper, z.B. der seltenen Erden, relativ scharfe Banden
beobachtet werden, welche bei abnehmender Temperatur noch viel
schmaler und schärfer werden, ohne ihre Lage wesentlich zu ändern”.
Bei der Temperatur der flüssigen Luft erreichen diese Banden eine
solche Schärfe, daß sich das Zerman-Phänomen leicht beobachten läßt.
Es deutet dies zugleich darauf hin, daß es sich hier um schwingende
Elektronen handelt, durch welche die betreffenden Absorptionsstreifen
hervorgerufen werden.
Über den Einfluß der Temperatur in denjenigen Gebieten des
Absorptionsspektrums fester Körper, in welchen ausschließlich durch
die Resonanz der Ionen Absorption ausgeübt wird, ist bisher nichts
' Siehe insbesondere die zahlreichen und sorgfältigen Messungen von J. Könıgs-
BERGER, Ann. d. Phys. 4, $. 796, 1901, und J. Könıgsperser und K. Kırcazıne, Verh.
d. Dt. Phys. Ges. 1908, S. 537, sowie Ann. d. Phys. 28, S. 889, 1909, und 32, $. 843, 1910.
— Siehe auch R. A. Hovsroun, Ann. d. Phys. 21, 535, 1906.
® Jean Becquereı, Physik. Zeitschr. 8, S. 929, 1907. Auch diese Banden wandern
meist um einen geringen Betrag bei abnehmender Temperatur nach kurzen Wellen.
Ihre Breite ist der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur angenähert proportional.
Rusens und G. Herz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 257
bekannt. Und doch beanspruchen gerade diese Spektralgebiete erhöhtes
Interesse, weil die Periode und Dämpfung der Eigenschwingungen
der Atomgruppen des Moleküls mit einer Reihe von wichtigen Eigen-
schaften der Körper in Zusammenhang gebracht werden können, unter
welchen in erster Linie die spezifische Wärme zu nennen ist.
Im folgenden sollen einige Versuche beschrieben werden, welche
den Zweek haben, zur Ausfüllung der genannten Lücke einen Beitrag
zu liefern.
Wir begannen mit der Untersuchung des Reflexionsvermögens,
welches Quarz und Kalkspat im Gebiet ihrer kurzwelligen ultraroten
Reststrahlengebiete bei verschiedenen Temperaturen besitzen. Solche
Messungen bieten verhältnismäßig geringe Schwierigkeit, weil es sich
hier um Spektralbereiche handelt, welche unterhalb A = 10 u liegen,
in welchen also die spektrothermometrische Methode noch leicht an-
gewendet werden kann. Die Versuchsanordnung, deren wir uns bei
diesen Messungen bedienten, ist, soweit es zum Verständnis der Me-
thode erforderlich ist, in Fig. ı dargestellt. Die Strahlen einer Nernst-
lampe A werden von dem Hohlspiegel B zu einem Bilde A’ vereinigt
und gelangen weiter nach Reflexion an dem Planspiegel C in das
Innere eines ı0 em tiefen, 5 em weiten Glaszylinders E, welcher mit
einer ebenen Steinsalzplatte D verschlossen ist. Auf dem Boden des
Zylinders, welcher durch Ausgießen mit Woovschem Metall eben ge-
macht ist, liegt der Hohlspiegel F aus dem zu untersuchenden Ma-
terial (Quarz oder Kalkspat) und wird in seiner Lage festgehalten
durch Korkstücke, welche zwischen die Ränder des Spiegels und die
Seitenwände des Zylinders eingeklemmt sind. Nach Reflexion an dem
Hohlspiegel F werden die Strahlen in einem konvergenten Bündel
258 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
abermals an dem Planspiegel © reflektiert und dann auf dem Spalt S
eines mit Steinsalz- oder Flußspatprisma versehenen Spiegelspektro-
meters zu einem Bilde des Nernstfadens vereinigt. Das Spektrometer
war nach der Angabe von Wansworrk mit festen Spiegeln und Spal-
ten konstruiert. Als Strahlungsempfänger diente ein Mikroradiometer,
dessen luftdicht schließende Glocke mit einer Steinsalzplatte verschlos-
sen war. Spektrometer und Mikroradiometer sind in Fig. ı nicht ge-
zeichnet. |
Der Glaszylinder E war mit einem Ansatzrohre J versehen, welches
mit einer rotierenden Kapselpumpe nach Garne in Verbindung stand.
Ferner war der obere Teil des Glaszylinders mit einer Heizspirale 7
umwunden, und unmittelbar darunter befanden sich zwei horizontale
Pappscheiben X, welche den Glaszylinder E dicht umschlossen. Über
den unteren Teil des Glaszylinders konnte ein mit flüssiger Luft ge-
fülltes Drwarsches Gefäß G geschoben werden. Der Hohlspiegel F
nahm dann nach einigen Minuten gleichfalls die Temperatur der flüs-
sigen Luft an, was mit Hilfe eines den Hohlspiegel berührenden
Thermoelements aus Eisen und Konstantan festgestellt werden konnte.
War der Glaszylinder EZ gut evakuiert und floß in der Heizspirale H
ein Strom von passender Stärke, so wurde die Verschlußplatte D
während der Versuchsdauer auf Zimmertemperatur gehalten und da-
durch vor dem Anlaufen geschützt. Die Versuche wurden stets in
der Weise angestellt, daß zuerst an einer Reihe von Punkten des zu
untersuchenden Spektralgebiets Ausschläge gemessen wurden, wenn
sich der Hohlspiegel F auf Zimmertemperatur befand. Dann wurden
diese Messungen wiederholt, während der Hohlspiegel auf die Tem-
peratur der flüssigen Luft abgekühlt war, und endlich wurde die In-
tensitätsverteilung der Nernstlampe in dem betrachteten Spektralgebiet
gemessen, wobei der Planspiegel € durch einen versilberten Hohl-
spiegel ersetzt wurde, welcher die von A’ kommenden Strahlen direkt
nach S gelangen ließ. Bezeichnet man den für eine bestimmte Wellen-
länge im ersten Falle beobachteten Ausschlag mit z, im zweiten mit
. £3 5 ” &
ß, im dritten mit y, so ist or das Reflexionsvermögen der Substanz
bei Zimmertemperatur, se ihr Reflexionsvermögen bei — ı86°. Der
Faktor q ist innerhalb einer solchen Versuchsreihe konstant. Aus dem
bekannten Reflexionsvermögen' der untersuchten Substanzen bei Zim-
mertemperatur ließ sich qg mit genügender Genauigkeit bestimmen.
! O.Reınkoger, Dissert. Berlin 1910; Jous Koca, Arkiv för Matematik, Astron.
och Fysik, Bd. 7, Nr. 9, ıgrr.
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 259
Das Verhältnis der Reflexionsvermögen bei hoher und tiefer Tempe-
&
ratur B’ auf dessen genaue Bestimmung es Uns in erster Linie ankam,
ist natürlich von g unabhängig. Die Resultate dieser Messungen für
Quarz und Kalkspat, beide senkrecht zur Achse geschliffen, sind in
den Kurven der Fig. 2 wiedergegeben, welche das Reflexionsvermögen
als Funktion der Wellenlänge darstellen. Die ausgezogenen Linien be-
ziehen sich auf Zimmertemperatur, die punktierten Linien auf — 186°.
Man sieht, daß die Änderung, welche das Reflexionsvermögen mit der
Kalkspat. Fig. 2.
Temperatur aufweist, in bei
dem Kalkspat scheint das R
peratur etwas zu. wachsen, eine
nicht erkennbar. Bei dem Quarz
eine schwache, aber in jeder Versuchsreihe doch merklich hervor-
tretende Wanderung des Streifens nach kürzeren Wellen, welche je-
doch nur 0.02 bis 0.03 # beträgt. Auch wächst in dem kurzwelligeren
Maximum das Reflexionsvermögen mit sinkender, in dem langwelligen
mit steigender Temperatur um einen geringen Betrag. Dieselben Eigen-
tümliehkeiten traten auch bei einer Versuchsreihe hervor, bei welcher
der Quarzspiegel F dureh flüssigen Wasserstoff bis — 252° abgekühlt
wurde. Die Meßgenauigkeit wurde hier leider durch den Umstand
beeinträchtigt, daß die Versuchsreihe in verhältnismäßig kurzer Zeit
ausgeführt werden mußte, weil es nicht möglich war, das Beschlagen
der Steinsalzplatte auf die Dauer zu verhindern. Immerhin konnte
Sitzungsberichte 1912. 25
260 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
festgestellt werden, daß sich das Reflexionsvermögen des Quarzes in
dem betrachteten Spektralgebiet zwischen — 186° und — 252° kaum
merklich ändert.
Der zu diesem Versuche verwendete flüssige Wasserstoff wurde
uns von Hrn. Nersst freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür wir
ihm an dieser Stelle herzlichen Dank aussprechen.
Wir mußten leider darauf verzichten, Flußspat, Steinsalz und
Sylvin in gleicher Weise, wie dies hier für Quarz und Kalkspat ge-
schehen war, auf die Änderung des Reflexionsvermögens mit der
Temperatur im Reststrahlengebiet zu untersuchen, weil die spektro-
metrische Methode in jenen Spektralbereichen versagt. Wir gingen
deshalb dazu über, die Absorption in diesen und einigen anderen
Substanzen als Funktion der Temperatur zu messen. Freilich ist uns
hierbei ein Eindringen in das eigentliche Reststrahlengebiet wegen der
großen Stärke der Absorption nicht möglich gewesen, und wir mußten
uns auf die Untersuchung von Spektralgebieten beschränken, welche
erheblich, oft mehrere Oktaven von dem Absorptionsmaximum ent-
fernt sind. Immerhin erwies es sich als ausführbar, bei sämtlichen
Substanzen die Änderung der Absorption mit der Temperatur sowohl
vor wie hinter dem Reststrahlengebiet zu messen.
Je nach der Lage ihres Reststrahlengebiets mußten für die ein-
zelnen Substanzen die Absorptionsmessungen an verschiedenen Stellen
des Spektrums vorgenommen werden. Außer dem mit dem Spektro-
meter zugänglichen Wellenlängenbereich kamen hier die Reststrahlen
von Flußspat und Steinsalz und die mittels Quarzlinsen isolierten
langwelligen Strahlenkomplexe des Auerbrenners und der Quarzqueck-
silberlampe in Betracht.
Bei den Reststrahlen von Flußspat wurde ein Auerbrenner als
Lichtquelle und drei reflektierende F lußspatflächen benutzt. Es befand
sich stets eine Sylvinschicht von etwa ı cm Dieke im Strahlengang,
wodurch die Strahlen bedeutend homogener werden und ihre mittlere
Wellenlänge auf etwa 23 u herabsinkt.
Zur Erzeugung der Reststrahlen von Steinsalz dienten vier Stein-
salzflächen und wiederum ein Auerbrenner als Strahlungsquelle. Durch
Benutzung eines Steinsalzschirmes wurde die kurzwellige Verunreinigung.
der Reststrahlen in der bekannten Weise unschädlich gemacht. _Im
Strahlengang befanden sich stets etwa 3 mm Quarz. Die mittlere
Wellenlänge betrug etwa 52 w!.
Die mittels Quarzlinsen isolierte langwellige Strahlung des Auer-
brenners hatte eine 28 mm dicke Quarzschicht und einen Schirm aus
...*% H. Rusens und H. Horısaser, Diese Berichte 2910, 8. 36...
Rusens und G. Hertz: Absorption. langwelliger Wärmestrahlen. 261.
schwarzem Papier. zu durchdringen und besaß eine mittlere Wellen-
länge von etwa 110".
Die langwellige Strahlung der Quarzquecksilberlampe? wurde
durch eine 2 mm dicke Platte aus amorphem Quarz filtriert und da-
durch von der Hauptmenge ihres kurzwelligeren Bestandteiles befreit.
Außerdem befand sich hier, ebenso wie bei der zur Isolierung der
langwelligen Strahlung des Auerbrenners dienenden Versuchsanordnung
stets ein Schirm aus schwarzem Papier dauernd im Strahlengang.
Die mittlere Wellenlänge war für die von der Quarzquecksilberlampe
herrührende Strahlung von der Größenordnung 300 u; eine genauere
Angabe hätte hier nur geringen Wert, weil die Strahlung sehr in-.
homogen ist, sich über mehr als eine ganze Oktave erstreckt und
im wesentlichen aus zwei Streifen besteht, von welchen der schwächere
bei:218 u, der stärkere bei 343 # ein Maximum besitzt.
M | 79.8.
er
o”
le Sale al
Fig. 3 zeigt die verwendete Quarzlinsenanordnung, welche mit der-
jenigen früherer Arbeiten in der Hauptsache übereinstimmt, sodaß auf
diese verwiesen werden kann. Die Platte F aus dem zu untersuchenden
Material befand sich im Inneren eines Absorptionsgefäßes R und war an
derjenigen Stelle in den ‚Strahlengang eingeschaltet, an welcher die
Quarzlinse Z, die von der Lichtquelle A kommende, das Diaphragma B
durehdringende, langwellige Strahlung zu einem scharfen Bilde des
Diaphragmas B. vereinigt. Hinter dem Absorptionsrohr R haben die
Strahlen noch das Diaphragma @, welches mit der amorphen Quarz-
platte P verschlossen: ist, und den Papierschirm H zu durehdringen,
bevor sie durch .die Linse Z, auf die Lötstelle T. des Mikroradio-
meters M konzentriert werden. Der Papierschirm H erfüllte in Ge-
meinschaft mit der Platte P den Zweck, den Strahlungsaustausch des
erhitzten bzw. auf tiefe Temperaturen abgekühlten. Absorptionsgefäßes
4 H, Rusens und R.W. Woop, Diese Berichte 1910, S. 1122. Die mittlere
Wellenlänge wurde mit Hilfe des Interferometers neu gemessen. ° an “
2.H. Rusens und OÖ. von Barver, Diese Berichte 1911, 8.339 und S. 66
95°
262 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
mit dem Mikroradiometer möglichst zu verhindern. Daß dieses Ziel
in der Tat erreicht wurde, ging daraus hervor, daß beim Abkühlen
bzw. Erhitzen des Absorptionsrohres nur eine geringe Verlegung des
Nullpunkts im Mikroradiometer eintrat. Diese war auf die beobachteten
Ausschläge ohne Einfluß, weil der Klappschirm D, dessen Entfernen
aus dem Strahlengang die Ausschläge hervorrief, unmittelbar hinter
dem Diaphragma B angebracht war.
Je nachdem Versuche bei Temperaturen unterhalb oder oberhalb
der Zimmertemperatur ausgeführt werden sollten, wurden zwei ver-
schiedene Absorptionsgefäße verwendet, welche in Fig. 4 dargestellt
sind. Das für tiefe Temperaturen bestimmte Absorptionsgefäß (A, A’)
besteht hauptsächlich aus einem 20 cm langen, 5 cm weiten Messing-
rohr R von 0.5 mm Wandstärke. An seinen Enden sind dicke Messing-
ringe aufgelötet, um das Aufkitten der Verschlußplatten P zu erleich-
tern. In seinem mittleren Teile ist das Rohr auf eine Länge von
IO cm von einem II em weiten Messingzylinder N umgeben, dessen
Grundflächen das Messingrohr R exzentrisch durchsetzt, wie dies be-
sonders deutlich aus der Seitenansicht A’ zu ersehen ist. Im Inneren
des Rohres R befindet sich ein Blendensatz Q, dessen mittlere Blende,
welche die zu untersuchende Platte trägt, einen Durchmesser von
ı5 mm besitzt. Die Größe der übrigen Blenden ist so bemessen, daß
von allen Punkten der Mittelblende aus noch gerade die Ränder der
Verschlußplatten sichtbar sind. Das Messingrohr R besitzt einen seit-
lichen Rohransatz 7, durch welchen es sich mit Hilfe einer Kapsel-
pumpe evakuieren läßt. Auf die Enden des Rohres R sind zwei Heiz-
spiralen S und $’ aufgewunden. Es bleibt endlich noch zu erwähnen,
daß sich das Absorptionsrohr R zur besseren Wärmeisolierung in einem
mit Watte angefüllten Holzkasten befand, aus welchem nur die Rohr-
enden mit den Heizspiralen herausragten.
Wird der Zylinder N mit flüssiger Luft gefüllt, nachdem das
Absorptionsgefäß gut evakuiert ist, so läßt sich der Strom in den
Heizspiralen S und 8’ leicht so regulieren, daß die Verschlußplatten
P und P’ dauernd auf Zimmertemperatur bleiben, während die Platte F
sich nach etwa 10 Minuten auf — 186° abgekühlt hat.
Die Verschlußplatten P und P’ mußten für die verschiedenen
Strahlenarten in verschiedener Größe und aus verschiedenem Material
gewählt werden. Bei der mittels Quarzlinsen isolierten langwelligen
Strahlung des Auerbrenners und der Quarzquecksilberlampe wurden
senkrecht zur Achse geschnittene Quarzplatten von 3 mm Dicke und
5 em Durchmesser verwendet. Bei den Versuchen mit Reststrahlen
von Steinsalz, welche von Quarz sehr stark absorbiert werden, war
es nötig, die Dicke der verwendeten Verschlußplatten auf 0.7 mm
Rugens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 263
zu verringern. Damit war aber zugleich die Notwendigkeit einer
Verkleinerung ihres Durchmessers auf 25 mm verbunden, weil die
Platten andernfalls dem äußeren Luftdruck nicht hätten standhalten
können. Da der Öffnungswinkel des Strahlenkegels, welcher das Ab-
sorptionsgefäß durchdringt, bei den Reststrahlenversuchen bedeutend
kleiner war als bei der Quarzlinsenanordnung, so war mit der Ver-
kleinerung der Verschlußplatten hier kein erheblicher Energieverlust
verbunden.
Für die Versuche mit Reststrahlen von Flußspat kam als Mate-
rial für die Verschlußplatten nur Sylvin in Frage. Auch hier konnten
kleinere Platten, welche auf Messingrahmen gekittet waren, Verwen-
dung finden, da der Öffnungswinkel der Strahlen nur 5° betrug.
Bei den Versuchen im kurzwelligen ultraroten Spektrum endlich,
bei welchen die spektrothermometrische Methode zur Anwendung kam,
wurden Steinsalzplatten benutzte.
Für unsere Messungen bei hohen Temperaturen wurde ein ein-
faches Kupferrohr (B, Fig. 4) von 8 cm Länge, 3 em lichter Weite und
4 mm Wandstärke mit offenen Enden verwendet. Dasselbe war mit
einer Heizspirale S aus Nickeldraht versehen und mit Asbest um-
wunden. Im Inneren dieses kleinen elektrischen Ofens befand sich
wiederum ein Blendenrohr Q, auf dessen Mittelblende die zu unter-
suchende Platte F ebenso wie in dem Absorptionsgefäß A mittels zweier
Federn befestigt war. Ein Thermoelement T aus Eisen und Konstantan,
dessen temperaturempfindliche Lötstelle sich in unmittelbarer Nähe
der Platte F befand, gestattete die Temperaturmessung mit genügen-
der Genauigkeit auszuführen.
264 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Fig. 5.
Steinsalz. sr
Kurve a: d= 1.50 mm, Kurve 5: d= 0.60 mm, |
A=23u. A= etwa 300. .
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-20° 100° 0 +10° +200° +300°
' Um bei den Versuchen mit der Reststrahlen- und Quarzlinsen-
anordnung die mit beiden Absorptionsgefäßen (A und B) angestellten
Messungen vergleichen zu können, war es erforderlich, die auf dem
Absorptionsgefäß A befestigten Verschlußplatten P und P’ auch bei
Anwendung des Absorptionsgefäßes B in den Strahlengang einzu-
schalten, weil die mittlere Wellenlänge und Energieverteilung dieser
ziemlich inhomogenen Strahlenkomplexe durch das Einschalten ab-
sorbierender Medien merklich geändert wird. we "oa
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 265
Fig. 6.
Sylvin.
Kurve a: d= 4.49 mm, Kurve 5b: d= 0.86 mm,
A=23u. A = etwa 300 MW.
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Die Kurven der Figuren 5 bis 9 enthalten die Resultate unserer
Absorptionsmessungen. Als Abszissen sind die Temparaturen in Celsius-
graden, als Ordinaten die Absorptionen in Prozenten der eindringen-
den Strahlung aufgetragen. Die Korrektion für die an den Ober-
flächen der Platte reflektierte Intensität wurde mit Hilfe der bekannten
Brechungsexponenten der betreffenden Materialien vorgenommen’. Bei
ı Da der Brechungsexponent des Quarzes für A = 16.5 » nicht bekannt ist,
mußte das Reflexionsvermögen experimentell bestimmt werden. Es ergab sich zu
6.3 Prozent. a u
266 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Fig. 7.
Fluorit.
Kurve a: d= 0.47 mm, Kurve db: d= 0.59 mm,
=12u. A = etwa 300 u.
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- 200° - 700° age ig +700° +200° 300°
den jenseits des Absorptiongebiets angestellten Messungen wurde der
Wert des Brechungsexponenten der Quadratwurzel aus der Dielektrizi-
tätskonstanten gleichgesetzt.
Betrachten wir zunächst die Figuren 5 und 6, welche die Ab-
hängigkeit des Absorptionsvermögens von der Temperatur für Stein-
salz und Sylvin darstellen. In beiden F ällen bezieht sich Kurve a auf
‚die Reststrahlen von Flußspat (A = 23 u) und Kurve 5 auf die lang-
wellige Strahlung der Quarzquecksilberlampe (1 etwa 300 u). Zwischen
4
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 267
Fig. 8.
Quarz, L.
Kurve a: d= 0.14 mm, Kurve b: d= 0.0245 mm,
A=.7% 11
Kurve ce: d= 0.14 mm, Kurve d: d= 1.41 mm,
45.16.54; A=52MW.
Kurve e: d= 6.05 mm,
1104.
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a + B
=200° 100° 0° +700° +200° +300° :
diesen Wellenlängenbereichen liegt das eigentliche Absorptionsgebiet |
beider Stoffe. Die Dicke der verwendeten Platten betrug bei dem
Steinsalz 1.50 mm für A = au und en für A= 300u. Bei
dem Sylvin waren die ttendicken 4.49 bzw. 0.86mm.
Man Mehl, daß die Absorptionskurven in allen Fällen denselben Cha
268 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
rakter zeigen und mit sinkender Temperatur dem Werte Null zu-
streben, d. h. daß beide Stoffe an den betrachteten Stellen des Spek-
trums bei — 273° vollkommen durchlässig werden.
Dieses einfache Verhalten zeigen Flußspat und Quarz, wie aus
den Kurven ‘der Figuren 7 und 8 hervorgeht, nur auf der langwelli-
gen Seite ihres gesamten Absorptionsgebiets. Kurve b, Fig. 7, welche
die Temperaturabhängigkeit der Absorption einer 0.59 mm dicken
Flußspatplatte für die langwellige Strahlung der Quecksilberlampe
darstellt‘, und die Kurven d und e der Fig. 8, durch welche diese Ab-
hängigkeit für eine Quarzplatte von der Dieke d= 1.41mm bei? =52u
und für eine 6.05 mm dicke Platte aus gleichem Material bei A= ııo u
wiedergegeben wird, zeigen durchaus den gleichen Verlauf wie die
Kurven a und 5 der Figuren 5 und 6. Denn auch die Kurve 5 der
Fig. 7 sowie d und e der Fig. 8 lassen bei dem absoluten Nullpunkt
vollkommene Durchlässigkeit erwarten. Dies ist aber bei der a-Kurve
der Figur 7 und bei den Kurven a, b und c der Figur 8 keineswegs
der Fall. Kurve a, Fig. 7, welche bei ı2 u aufgenommen ist und die
Absorption einer 0.47 mm dicken Flußspatplatte darstellt, zeigt zwar
in dem Bereich der höheren Temperaturen einen ziemlich steilen Ver-
lauf, aber ihre Neigung gegen die Abszissenachse vermindert sich
rasch in dem Gebiet der tiefen Temperaturen, so daß in der Nähe des
absoluten Nullpunkts noch eine ererhebliche Absorption von etwa
28 Prozent übrigbleibt. Dieselbe Eigentümlichkeit tritt in Kurve a
der Fig. 8 noch stärker hervor. Hierin wird der Absorptionsverlauf
einer 0.14 mm dicken Quarzplatte bir = 7 u dargestellt, d. h. bei
einer Wellenlänge, welche auf der kurzwelligen Seite des ersten ultra-
roten Streifens metallischer Reflexion gelegen ist. Die Änderung der
Absorption ist hier auf dem gesamten durchmessenen Temperatur-
bereich nicht bedeutend, und die Kurve läßt auch bei den tiefsten
Temperaturen noch eine Absorption von fast 70 Prozent erwarten.
Die Kurven bund ce der Figur 8 gelten für die Spektralgebiete A= ııu
und A= 16.5 u und für Quarzplatten von der Dicke d— 0.024 mm
bzw. d= 0.14 mm. Bekanntlich besitzt Quarz drei Gebiete anomaler
Reflexion, nämlich bei 8.8 u, 12.7 » und 20.7 4. Die Kurve 5 be-
zieht sich also auf eine Stelle im Spektrum, welche zwischen dem
ersten und zweiten, Kurve c auf eine Stelle, welche zwischen dem
zweiten und dritten Absorptionsgebiet liegt. Beide Kurven verlaufen
‘ Für Reststrahlen von Steinsalz erwies sich die benutzte Fluoritplatte als un-
durchlässig, im Gegensatz zu einer früheren Angabe (H. Ruszns und E. Ascnkınass,
Wied. Ann. 65, S. 241, 1898), nach welcher für eine 5.6 mm dicke Platte eine merk-
liche Durchlässigkeit beobachtet worden war. Diese Angabe hat sich mit dem uns zur
Verfügung stehenden Material nicht bestätigen lassen,
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 269
zwar wesentlich steiler als die Kurve a für A= 7 u, aber auch sie
lassen bei der Temperatur des absoluten Nullpunkts noch eine be-
trächtliche Absorption vermuten. a
Um eine Deutung dieses Tatbestandes zu geben, ist das vorhan-
dene Beobachtungsmaterial noch nicht ausreichend. Es liegt jedoch
nahe, zwei verschiedene Typen von ultraroten Absorptionsstreifen in
festen Körpern anzunehmen‘. Die Streifen des ersten Typus, von
welchen die Absorptionsstreifen der zweiatomigen Körper Steinsalz
und Sylvin sowie die langwelligsten unter den Absorptionsstreifen der
dreiatomigen Körper Quarz und Fluorit Beispiele sind, werden mit
abnehmender Temperatur immer schmäler und schärfer. Die Streifen
des zweiten Typus zeigen geringere Änderung ihrer Breite und Stärke
mit der Temperatur. Zu dieser Kategorie sind sowohl nach unseren
Reflexionsmessungen als auch nach unsern Absorptionsmessungen die
kurzwelligsten ultraroten Streifen der vier- bzw. dreiatomigen Körper
Kalkspat, Quarz und vielleicht auch Fluorit zu rechnen‘.
Wenn diese Annahme zweier verschiedener Typen von ultra-
roten Absorptionsstreifen zutrifft, so wird man wohl den weiteren
Schluß ziehen dürfen, daß die von der Temperatur weniger beein-
flußte Streifenart von Schwingungen solcher Teile des Moleküls her-
vorgerufen werden, welche durch quasielastische Kräfte vorwiegend mit
anderen Teilen desselben Moleküls in Verbindung stehen. (Innere
Schwingungen.) Dagegen wird man annehmen dürfen, daß die tem-
peraturempfindlichen Streifen der ersten Art den Schwingungen solcher
Ionen ihre Entstehung verdanken, welche nicht nur von den Ionen
desselben Moleküls, sondern auch in erheblichem Maße von denen be-
nachbarter Moleküle in ihrer Ruhelage festgehalten werden. (Äußere
Schwingungen.) Daß in letzterem Falle die Bewegung der Nachbar-
! Auch im Gebiete der Elektronenresonanzen haben die HH. KönıssgErser
und Kırcarıne bereits zwei Arten von Absorptionsstreifen angenommen, welche im
wesentlichen durch die verschiedene Zahl der schwingenden Teilchen in der Volum-
einheit charakterisiert sind. Die hier betrachteten beiden Typen der ultraroten Ionen-
streifen sind nach anderen Gesichtspunkten gekennzeichnet. Bei sinngemäßer Über-
tragung der von den HH. Köntssserser und Kırenzine gewählten Einteilung auf
Ionenstreifen würden die von uns unterschiedenen Typen beide der ersten Streifenart
angehören. Es soll hiermit nicht gesagt sein, daß sich nicht auch Ionenstreifen zweiter
Art im Spektrum vieler Stoffe vorfinden. Vermutlich sind die kurzwelligen Ab-
sorptionsstreifen des Sylvins hierfür Beispiele. en
2 Bei dem, Flußspat bleibt neben dieser Art der Deutung auch die Möglichkeit,
anzunehmen, daß der eigentümliche Verlauf der Kurve a, Fig. 7, durch ein Schmäler-
werden und gleichzeitiges Wandern des benachbarten Streifens nach kürzeren Wellen
mit abnehmender Temperatur hervorgerufen wird. Bei dem Quarz aber scheint diese
Möglichkeit nicht vorzuliegen, wenn auch die Temperaturabhängigkeit der Absorption
vor und hinter dem Streifen von einer geringen Wanderung des Streifens beeinflußt
270 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
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Fig. 9.
Amorpher Quarz. Glas.
Kurve a: d= 0.90 mm, Kurve c: d=0.15 mm,
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Kurve b: d= 0.90 mm, Kurve d: d= 0.15 mm,
A= etwa 300 u. A= etwa 300 u.
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-0°. +00° +200° +300°
moleküle auf die Dämpfung des schwingenden Ions einen Einfluß aus-
üben muß, geht aus einer von Hrn. Eıssreix herrührenden Betrach-
tung hervor'.
Außer den im vorstehenden genannten Kristallen haben wir auch
einige unterkühlte Flüssigkeiten, nämlich geschmolzenen Quarz und
' A. Eınsreis, Ann. d. Phys. 35, S. 679, 1911.
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. 271
Spiegelglas, in den Bereich unserer Betrachtung gezogen. Die Ergeb-
nisse dieser Messungen sind in den vier Kurven der Fig. 9 zusammen-
gestellt, von welchen sich zwei auf amorphen Quarz und zwei auf Glas
beziehen. Die untersuchte Glasplatte war ein mikroskopisches Deck-
glas' von 0.15 mm Dicke; sie wurde vor und hinter dem Absorptions-
gebiet innerhalb des Temperaturbereichs zwischen Zimmertemperatur
und 300° auf ihre Absorption geprüft. Kurve C zeigt den Verlauf
der Absorption bei kurzen Wellen (A= 5 u), Kurve d bei langen Wellen
(A = etwa 300 u). In beiden Fällen ist die Änderung der Absorption
mit der Temperatur nur eine geringe.
Für unsere Messungen am geschmolzenen Quarz stand uns eine
Platte von 0.9 mm Dicke zur Verfügung. Der amorphe Quarz be-
sitzt ebenso wie das Glas und im Gegensatz zu der kristallinischen
Modifikation ein sehr ausgedehntes Absorptionsgebiet, welches sich
über mehr als sieben Oktaven erstreckt. Die beiden Wellenlängen-
bereiche, für welche die Absorption gemessen wurde, liegen deshalb
im Spektrum sehr weit voneinander entfernt, nämlich bei 4.5 « und
300 u. Bei 4.5 u (Kurve a) zeigte sich eine fast lineare Abnahme der
Absorption mit sinkender Temperatur, derart, daß sich bei gerad-
liniger Extrapolation der Kurve die Absorption bei dem absoluten Null-
punkt zu etwa % der bei 200° C beobachteten ergeben würde. Für die
langwellige Strahlung der Quarzquecksilberlampe dagegen war zwi-
schen — ı86° und + 300° überhaupt kaum ein Einfluß der Tempe-
ratur auf die Absorption zu erkennen. Immerhin schien die Absorption
im Bereich der tiefen Temperaturen hier etwas größer zu sein, im
Gegensatz zu allen anderen von uns untersuchten Fällen. Daß die
Durchlässigkeit des geschmolzenen Quarzes für lange Wellen von der
Temperatur nur sehr wenig abhängt, geht übrigens schon aus früheren
Versuchen? hervor, durch welche festgestellt wurde, daß ein Kolben
aus amorphem Quarz bei Zimmertemperatur und bei 500° O die lang-
wellige Strahlung der Quarzquecksilberlampe gleich stark absorbierte.
Die Änderung, welche die Absorption bei den unterkühlten Flüssig-
keiten mit der Temperatur erfährt, ergibt sich in den untersuchten
Fällen stets als geringfügig, insbesondere wenn man sie mit der Ab-
sorptionsänderung vergleicht, welche die Kristalle in dem Gebiet langer
Wellen aufweisen. Dieser Befund erinnert an den verschiedenen Ein-
fluß der Temperatur auf das Wärmeleitvermögen von Kristallen und
unterkühlten Flüssigkeiten, welcher von Hrn. A. Eucxex kürzlich auf-
! Die Glassorte enthält 72 Prozent SiO,, 14 Prozent Na,0, ı2 Prozent CaO und
ı bis R Prozent Al,O, + Fe, 0;.
H. Rusens und H. von WARTENBERG, Verh. d. Dt. Phys. Ges. XII, S. 796, ıgrı.
272 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
gefunden ‘worden ist‘. Auch hier zeigt sich bei den Kristallen eine
bedeutende Abnahme des Wärmewiderstandes mit sinkender Tempe-
ratur, während bei den unterkühlten Flüssigkeiten der Einfluß einer
Temperaturerniedrigung ein geringerer ist und im entgegengesetzten
Sinne wirkt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sowohl die Abnahme
der Absorption als auch die Zunahme des Wärmeleitvermögens mit
abnehmender Temperatur bei den Kristallen auf eine gemeinschaftliche
Ursache, nämlich auf eine Verminderung der Dämpfung der Molekular-
schwingungen, zurückzuführen ist”.
- Neben einer Verringerung der Dämpfung könnte für die Ab-
nahme der Absorption mit sinkender Temperatur auch eine Vermin-
derung der Zahl der schwingenden Teilchen in der Volumeinheit zur
Erklärung herangezogen werden. Ob eine der beiden hier genannten
Annahmen oder vielleicht auch beide als Ursachen in Betracht kommen,
läßt sich aus dem vorhandenen Beobachtungsmaterial noch nicht mit
Sicherheit schließen, doch ist eine Änderung der Zahl der schwin-
genden Teilchen wenig wahrscheinlich.
Geht man davon aus, daß die Zahl der schwingenden Teilchen
und ihre Eigenfrequenz konstant bleibt, so kann man die Abnahme
ihres logarithmischen Dekrements unter Voraussetzung eines einzigen
ultraroten Absorptionsstreifens aus der Druneschen Dispersionstheorie
berechnen. Hieraus ergibt sich nämlich das logarithmische Dekrement
der schwingenden Teilchen als proportional mit dem Extinktionskoefäi-.
zienten an einer von der Mitte des Absorptionsstreifens hinreichend.
entfernten Stelle, eine Bedingung, welche für die von uns unter-
suchten Spektralbereiche in genügendem Maße erfüllt ist. In der
folgenden Tabelle sind die tausendfachen Werte des Extinktionskoeffi-
zienten = nx der untersuchten Kristalle für einige Temperaturen
zusammengestellt.‘ Die erforderlichen Absorptionswerte wurden den
Kurven der Figuren 5 bis 9 durch Interpolation entnommen. :
Die Tabelle I lehrt, daß die Änderung des Extinktionskoeffizienten
mit der Temperatur bei Quarz und Flußspat im Gebiet der kurzen
und langen Wellen sehr verschieden ist, worauf auch schon früher
hingewiesen worden ist. Im Quarz wächst der Extinktionskoeffizent
bei 7 « mit steigender Temperatur auf das Doppelte, bei 110 u aber
auf das 40fache. Nicht ganz so groß sind die Unterschiede bei dem
ı. A. Evcxen, Ann. d. Phys. 34, S. 185, 19
® Auch von seiten der HH. Nerxst Sn Lanka > Zeitschr: f. Elektro-
chemie ı81, S. 817, ıgıı) ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das verschieden
hohe Wärmeleitvermögen der Kristalle und amorphen Körper bei tiefen Temperaturen
mit der I ee een, der molekularen EEE in ge zu
bringen sei: -
Rusens und G. Herrz: Absorption langwelliger Wärmestrahlen. . 273
Tabelle I.
Extinktionskoeffizienten k- 10°.
i Quarz L Fluorit Steinsalz Sylvin
A=rulA = 52u|A=rıoy A=12u|X= ca. 3064 JA = 23u|X = ca. 3004| = 23u/A = ca. 3004
— 186° 4:98 0.29 0.034 0.73 1.74 0.13 5.35 0.038 4.24
[6) 6.50 2.10 0.43 1.17 20.7 0.77 26.4 0.18 23.3
100 7-45 4.13 0:71 166 31.4 1.16 39.0 0.27 35.0
200 8.81 4.17 1.01 2.28 40.8 1.51 47-7 0.36 46.0
300 9.95 5.35 1.36 2.85 51.5 1.85 59.8 0.46 54.8
k
E >= 2.0 18.4 40.0 3.9 29.6 14.2 11 12.1 12.9
— 186 ;
Flußspat. Aber auch bei Steinsalz und Sylvin ergeben sich vor
und hinter dem Absorptionsstreifen merklich verschiedene Werte für
die Veränderung von k. Bei 23 u wächst der Extinktionskoeffizient
des Steinsalzes von — 186° bis + 300° auf das 14.2 fache, bei A = 300 u
nur auf das ı1.2fache. Die entsprechenden Zahlen sind für Sylvin.
in etwas besserer Übereinstimmung, nämlich 12.1 und 12.9. Diese
Verschiedenheit der Änderung des Extinktionskoeffizienten vor und
hinter dem Streifen könnte auf eine Wanderung des Streifens mit ver-
änderter Temperatur zurückgeführt werden. Daß jedoeh die Drunr-
sche Theorie nur qualitative Gültigkeit besitzt, geht: aus folgender
Überlegung hervor.
Die Drupesche Dispersionsformel für eine ultrarote Eigenschwin-
gung kann in der Form geschrieben werden':
g’ .
2 12 a ° = — = —
"ii—ık’ =m+ ii 2= 2re
do To
T ” z = 2m
worin n der Brechungsindex, nx = k der Extinktionskoeffizient, T,
die Periode der ultraroten Eigenfrequenz, &, das Dämpfungsglied ist.
n, ist der Wert der Dielektrizitätskonstanten nach Abzug des Beitrags,
welcher von dem ultraroten Streifen herrührt. Die vorstehende Formel
ergibt durch Trennung der reellen und imaginären Größen zwei Glei-
chungen, aus denen man den gesamten Verlauf des Brechungsex-
ponenten und des Extinktionskoeffizienten berechnen kann, wenn man
die empirisch bestimmten Konstanten der Krrreier-Hernnorrzschen
Dispersionsformel und außerdem den Extinktionskoeffizienten für eine
bestimmte Wellenlänge zugrunde legt. Verwendet man z.B. die von
ı P. Drupe, Lehrbuch der Optik, 2. Aufl., 1906, S. 368.
274 Sitzung der phys.-math. Classe v. 14. März 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Hrn. F. Pıscnen berechneten Konstanten! und den für A=18u be-
obachteten Extinktionskoeffizienten? von Steinsalz, so erhält man die
in der folgenden Tabelle angegebenen Werte des Extinktionskoeffizienten
für Zimmertemperatur nach der Drupzschen Formel. Die beobachteten
Werte sind zum Vergleiche daneben gestellt.
Tabelle I.
2 k.103 beobachtet k.103 berechnet
15 4 0.020 0.098
18 0.185 0.185
23 0.765 0.465
300 | 26.4 1.70
Man sieht, daß sowohl vor wie hinter dem Streifen von einer quan-
titativen Wiedergabe des Verlaufs der Absorption nicht die Rede sein
kann. Auch bei der Annahme zweier ultraroter Absorptionsstreifen,
welche durch die Reststrahlenversuche gestützt wird, ist es uns nicht
gelungen, wesentlich bessere Übereinstimmung zu erzielen. Es bietet
sich daher zunächst noch keine Möglichkeit, aus den beobachteten
Änderungen des Extinktionskoeffizienten die funktionale Abhängigkeit
des logarithmischen Dekrements der schwingenden Ionen von der
Temperatur zu berechnen, wenn auch eine solche Abhängigkeit durch
die mitgeteilten Versuche sehr wahrscheinlich gemacht worden ist.
! F. Pascren, Ann. d. Phys. 26, S. 120, 1908,
® H. Rusens und A. Trowsrıner, Wied. Ann. 60, $. 733, 1897.
Ausgegeben am 21. März.
275
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
14. März. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Dieıs.
1. Hr. Mürrer las eine Abhandlung, betitelt: Ein Doppelblatt
aus einem manichäischen Hymnenbuch (mahrndmag). (Abh.)
Das erste Blatt enthält einen Segensspruch für den regierenden Herrscher, sein
ganzes Haus und seinen Hofstaat, sodann einen Bericht über die Entstehungsgeschichte
des Hymnenbuches. Das zweite Blatt enthält einen Theil des Inhaltsverzeichnisses,
genauer der Versanfänge.
9. Derselbe legte vor eine Abhandlung des Hrn. Prof. MARQUART
in Berlin: Guwaini’s Bericht über die Bekehrung der Uiguren.
(Ersch. später.)
Ausgegeben am 21. März.
Berlin, gedruckt in der Keichsdruckerei
Sitzungsberichte 1912. _
weise e:oder auch in-weiterer Ausführung, in
deutscher m veröffentlicht der
rden. Sollte ER zuw iderlaufende Veröffent-
dem
N re
derv ie zu veröffentlichen ist
den v erfass sern unbes chränkt gestattet.
ee
erscheinen in einzel
EREEIER nach jeder Sitzung.
i Die Sitzungsberi erichte
Me ‚der ge Donnerstags a
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Veröffentlichung geeigneten Br
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Hin ıter den Titeln der resp ee re
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nden Schritten der Akademie Bee
werden mit vorgesetztem Stern bezeichnet,
den. für ie: en EEE Be ‚ah. g
in üben
nen Stücken
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= der eng nach
dere
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San selber, spätestens bis ra Io Une Morgens
nden
dem redigi ır oder der Reichs
ee NRAF Später eingereie
werden, mi Präsentationsvermer
Seeretars Sie des Archivars versehen,
ee zurückgelegt.
Ihe kann von vorn herein
Sa
ehe, dere: aus FRE
sondere i en
‚Comeeinren erst. noch dem
unterbre
J. ee Die Se ... der Taubenbank im Golfe von Neapel . ...... “m
n.
H. WıEGanD: Siehenter ee Bericht über die von den Runge Museen in Milet und
ne
J. Perers: Einundzwanzigstellige e Warte ie Functionen Sinus und "Cosinus”
C. Taurın: Die .—. des Corpus agrimensorum Romanorum :
an
R. Isenscummp: Zur Kenntniss der Brig a See
P. Rörnıc: Zellanordnungen and Faserzüge derhirn von en Ineerlina
M. Neipine: Über die Kerne des Dias Balom bei einieen ee .
K. Acanschanıanz: Über die Kerne ‚des ne Rle nhirn ;
- Junker: Der Auszug der Hathor-
F. Freiherr Hırıer vox GAERTRINGEN un ee Ar ka die Posachun ıgen
Ta. Wıesannp: Erster un Bericht abe die von den rasen Museen uhternommendn
Ausgrabungen in San en
Sitzungsberiehte der Akademie,
Preis des Jahrgangs . .
Sonderabdrucke. II. 1911.
Praxck: zur Hypothese der Quantenemissio Er : ee
Jacopı: zur Früh — der indischen Philos sophie . . ee
WARBURG: über arpercBumegnggen bei en Vorgang en in Gasen ;
voN Wo Mas RFF: ein Stück aus dem ratus des Epiphanios
Wien: Bestimmun ge alters freien Weglänge der Kunslaere ılen
von WiLamowiırz- OELLENDORFF U eo F. Zucker: zwei Edicte des Gormanicus auf einem Papyrus
Taf
A. Torxauist: die Tektonik des "tiefe eren Unter, rgrundes Norddeutschla nds
Hexrwio: Mesothoriumversuche an un Keimzellen, ein . ihienteller Beweis für "die
Idioplasmanatur der substan &
HOTTKY: über das Krimsicchs Diiinbgsirohlenn
ScHortky: über cogi’schen T
uckfagade von Acanceh in Yucatan (hierzu Taf. VI-XV)
zu den aramäischen von Elephan +
Struve: über die Lage der Marsachse und die En im Marss stem .
Erman: Denksteine aus der erg nn ge ran (hierzu Taf. X
und ©. Fa ide Trias im und Öta nenne 25 telgriechenland)
Marrtexs: über ie Nasen rosser Kräfte im Matrilprüfungswe
c. oe zu den 18 rose des Königs Kalun
>
1
E
5
=
ga
S
r
;
©
[3
2E
”
Sonderabdrucke. 1. Halbjahr 1912.
I. Schur: über einen Satz von C. Cararusonory
Faonmsus: Ableitung eines Satzes von elene aus einer ‚Formel | von ı Kuonsexen . }
OSER: Festrede .
von Wirano wırz-MOELtENDORFF: Minmermos "und Pro oper .
Russer: über die Bet etheiligung endo gi Fermente a am ' Energieverbrauch der Zelle .
Nersst: Thermodynamik und specifische ; -
. Euckex: die Molekularwärme des Wa Ders bei tiefen Temperaturen i -
Orrn: über inder- und Menschentuberkulose .
Harsack: Geschichte eines nn Worts Jesu (Matth. 5, ‚17 in in der ältesten Kirche
Warsurg: über ‚den Energieumsatz bei nn Vorgängen in Sr
F enz der Sodalith- und Wi emitgruppe im uralten Licht
HaBertanpr: über we eg des Labellums der Pterostylis-Blütl
den
Rvsrns und G. Her influss > ee auf die Absorption langwelliger Wärme-
strahlen in dinishehi fort Isolatorer
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Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Be
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Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende rung nee wre ee a
der Königlich P kad ssenschaften «
und ee der Königlich Beobestacheh Akademie
der Wissenschaften «
Jede zur Aufnahme in et Ve oder die
en bestimmte a u. muss in einer aka-
emis Sitzung vorgelegt w wobei in ‚der Regel
Bin Grneklertire Misasipt zu siert n ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
n
von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht übersteigen
Jberschreitung dieser Grenzen ist nur 2 Zustimmung
der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe gel
haft, und ist bei Yolae der Mittheilung ER eklie
Umfang eines Manu zug ver-
muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,
at das vorlegende Mitglied es vor inreichen
von sachkundiger
Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
ı Druck abschätzen zu lassen.
Sollen einer inne Abbildungen im . oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, sind die
Vorlagen dafür ee oe Original-
aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch
auf gi Blättern ichen
Die Kosten der Herstelinng der * Vorlagen haben in
der Regel die Verfasser zu
ffen
eines Sachv
zu verhandeln.
ten der Vervielfältigung übernimmt di
Über die
riehten 150 Mark,
bei den Abhandlungen 300 Se so ist Vorberathung
ch das Secretariat gebote
Einreichung des
vullstindieen iruchferigen zeoeipu an den
zuständigen Secretar od an den
glieder es ee a ee mmt.
Mittheilungen von eemseregere welche nicht ee argren
der Akademie sind, sollen u Regel nach n ie
Sitzungsberichte iso
Classe die A
Aus $ Ss
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nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
ie Anordnung des Satzes
wenn es sich
nd diese Anweisungen vor
Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehmen.
Dasselbe hat sich zu ve ergewissern, dass der Verfasser
seine et als vollkommen druckreif ansieht.
Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die
"Fremde h
girenden Secretars vor der RRSINE an die Druckerei,
und die Verfasser a zur Tragung der entsteh
verpflicht
Aus $ 8.
n allen in die Sitzungsberichte oder Abhandlungen
EEE w ee Mittheilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, vr
wissenschaftlichen Be lungen, wenn deren 1 Umfan;
drucke hergestellt, die alsbald nach
wetenien DEBeNe ‚der Sitzungsberichte ausgegeben \ ware
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn pr
Verfasser sich ausdrü Ren. damit einverstanden erklären.
den Sonderbirucken aus den Sitzungsberichten
erhält ein Verfasser, weleher Mitglied der re ist,
zu uieiigekihe icher Ver theilung ohne weitere
exemplare; er ist indess berechtigt, zu let Zwecke
auf Kosten der Akademie weitere Exemp bis zur Za
1 noe ' seine or weitere bis
asse t
exemplare und dürfen neh rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden nn weitere 200 Exemplare auf ih
Kosten eragees las
Vo n So iruken aus den Abhandlungen er
der Akademie =
; indess berechtigt, zu gleichem Zwecke
auf Kosten der laser weitere Exemplare bis zur Z c
seine Kosten noch weitere b
Abdruck Vertheilung zu erhalte b
der Genehmigung der G a Aladde mie oder der 3
treffenden Classe. — Nichtmitglieder erhalten 30 Frei
exemplare und dürfen nach en ae ih bei Ps
redigirenden Secretar weitere 100 Ex auf
Kosten abziehen lassen.
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8 17.
Eine für die akademischen Schriften R
‚dar
in keinem Falle vor ihrer Ausgab Fr
Stelle ee sei es auch nur z aunzug
en auf S.3 des Umsehlags.)
277
SITZUNGSBERICHTE 1912.
DER XV
| KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
ee ee
91. März. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
*1. Hr. Lenz las über die Kämpfe des Ministers Eichhorn
mit der Berliner Universität.
Die Politik Eichhorn’s gipfelte, ganz conform der Gesammttendenz der Regierung
Friedrich Wilhelm’s IV., in der Ausrottung des Hegelianismus und der Einführung
sogenannter »positiver« Freiheit und »christlicher Wissenschaft«. Wie hierin die Con-
fliete des Ministers mit der Berliner Universität wurzeln, wird an einer Reihe von Bei-
spielen (Berufung Gelzer’s und Huber’s, Maassregelung Bruno Bauer’s und Nauwerck’s,
Beeinflussung der Presse u. A.) gezeigt. Das Ergebniss war das gleiche, das die ge-
sammte Politik des romantischen Königs hatte: wachsende Verwirrung und Ohnmacht.
9. Hr. Zimmersians überreichte die b
seiner Mitwirkung herausgegebenen Zeitschrift
schaft«.
eiden ersten Hefte der unter
»Luftfahrt und Wissen-
Eu
” ” * [4 EN FR m + Fe N
Das correspondirende Mitglied der phy sikalisch-math
Classe Aususr Torrıer in Dresden ist am 6. März verstorben.
Ausgegeben am 11. April.
ER a ETET
Sitzungsberichte 1912.
279
SITZUNGSBERICHTE 1912.
xv
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
38. März. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.
*Hr. Koser las: Preussen und Österreich im Jahre 1358.
Die aus Bismarck’s Berichten vom Bundestage bekannten Zwistigkeiten zwischen
Preussen und Österreich wegen der Besatzung der Bundesfestung Rastatt führten die
preussische Regierung auf grundsätzliche Erörterungen über das gegenseitige politische
Verhältniss, die in einer Instruetion für die zur Inspection des österreichischen Bundes-
contingents nach Wien gehende militärische Abordnung (September 1858) Ausdruck
fanden.
Ausgegeben am 11. April.
21°
281
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
_ BI PER ER DIRRERIERRERRI ER ER EEE ET EEE en PIE ne re
98. März. Sitzung der physikalisch mathematischen Classe.
nn ae a |
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Hrrımans las: Über den Charakter der Sommerregen
in Norddeutschland.
Aus zehnjährigen Registrirungen von Pluviographen eigener Construction werden
Gesetzmässigkeiten bezüglich der Dauer und Häufigkeit der Sommerregen in Nord-
deutschland abgeleitet sowie die Hauptzüge ihrer täglichen Periode festgestellt. So-
dann wird der Versuch gemacht, die Sommerregen nach ihrer Herkunft in solche des
grossen und des kleinen Kreislaufes des Wassers zu classifieiren.
9, Hr. Eneıer überreichte zwei weitere Hefte des Werkes >» Das
Pflanzenreich«: 53. R. KnutH, Geraniaceae, und 54. K. Krause, (G00-
deniaceae und Brunoniaceae, Leipzig 1912.
282 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
Über den Charakter der Sommerregen in
Norddeutschland.
Von G. HELLMANnN.
#F
Unsere Kenntnis von der Dauer und Häufigkeit der Niederschläge ist
noch gering, weil zu ihrer Ermittlung die gewöhnlichen meteorolo-
gischen Terminbeobachtungen nicht ausreichen, sondern Registrier-
apparate erforderlich sind. Deren gibt es zahlreiche der verschieden-
sten Konstruktion, aber die Zahl der Stationen, an denen sie dauernd
funktionieren und von denen die Aufzeichnungen eingehend bearbeitet
und veröffentlicht werden, ist sehr klein im Verhältnis zu der großen
Zahl von Orten, an denen die Niederschlagsmenge täglich direkt ge-
messen wird. Deshalb beziehen sich die meisten Untersuehungen über
atmosphärische Niederschläge auf die herabfallenden Mengen, während
Studien über ihre Dauer und Häufigkeit bisher über Gebühr zurück-
stehen mußten. Es ist das bedauerlich; denn bei vielen theoretischen
und praktischen Fragen eignet sich die Häufigkeit besser zu Vergleichen
als die Menge, bei der sich lokale starke Regenfälle störend bemerk-
bar machen.
Nun sollte man glauben, daß aus der täglichen Messung der
Niederschlagsmenge wenigstens vergleichbare Angaben über die Zahl
der Tage mit meßbarem Niederschlag abgeleitet werden können, allein
die Erfahrung lehrt, daß dies nicht der Fall ist, und zwar hauptsächlich
wegen der ungleichen Aufmerksamkeit der Beobachter. ‘Allerdings hat
die Einführung einer unteren Grenze für die Niederschlagsmenge an
Niederschlagstagen in dieser Hinsicht einige Besserung gebracht, aber
wirklich vergleichbare Zahlen erhält man erst dann, wenn diese untere
Grenze ziemlich hoch gewählt wird, 0.5 mm oder gar mehr, wobei
natürlich die Gruppe der für manche Klimate höchst charakteristischen
Tage mit wenig ergiebigem Niederschlag (Nieselregen oder Sprühregen,
engl. drizzle, franz. bruine) ganz außer acht bleibt. Schon im nord-
deutschen Binnenland beträgt die Zahl der Tage mit weniger als 0.5 mm
Niederschlag etwa 20 Prozent aller Tage mit meßbarem Niederschlag,
in manchen Klimaten höherer Breiten sogar erheblich mehr.
Herımann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 283
Aber selbst, wenn es gelänge, genau vergleichbare Angaben über
die Zahl der Tage nicht bloß mit meßbarem Niederschlag, sondern
auch mit Niederschlag überhaupt zu erhalten, würden diese doch keinen
richtigen Maßstab für die Häufigkeit und Dauer der Niederschläge ab-
geben; denn Tage mit einem Regenschauer von einigen Minuten Dauer
sind nieht gleichwertig mit solchen, an denen es stundenlang ununter-
brochen regnet. Der Tag von 24 Stunden ist offenbar eine viel zu
große Zeiteinheit für die Beurteilung der Häufigkeit und Dauer der
Niederschläge. Er muß durch ein kleineres Zeitmaß, die Stunde, er-
setzt werden.
So genaue Zeitangaben lassen sich natürlich nur aus den Auf-
zeichnungen von Registrierinstrumenten ableiten, da selbst der eifrigste
Beobachter nieht imstande ist, sie dureh direkte Beobachtung zu be-
schaffen. 2
Nachdem Pluviographen meines Systems, die eine so große Zeit-
skale haben, daß die Zeitbestimmung bis auf 2 Minuten genau erfolgen
kann, an mehreren Stationen des norddeutschen Beobachtungsnetzes
ein Jahrzehnt lang in Tätigkeit waren, liegt genug Material vor, um
aus ihren Aufzeichnungen den Charakter der sommerlichen Regenfälle
schärfer als bisher zu erfassen und darzustellen. Denn während die
Registrierungen von selbstschreibenden Regenmessern gewöhnlich nur
soweit bearbeitet bzw. publiziert werden, daß man die in den einzel-
nen Stundenintervallen gefallenen Mengen und vielleicht noch die
Gesamtdauer der Niederschläge am Tage bekanntgibt, bin ich gerade
bemüht gewesen, die Diagramme viel mehr auszuwerten und ihnen
weitere interessante Angaben zu entnehmen.
Eine Ausdehnung der Untersuchung auf das ganze Jahr wäre höchst
erwünscht gewesen, läßt sich zur Zeit aber noch nieht ausführen, weil
der genannte Registrierapparat nur ZUF genauen Aufzeichnung der Regen-
fälle bestimmt ist und der von mir später (1 906) konstruierte Chiono-
graph erst kurze Zeit in Gebrauch steht. Die Untersuchung beschränkt
sich daher auf die fünf Monate Mai bis September, die hinsichtlich
der Regenverhältnisse einen ziemlich einheitlichen Charakter aufweisen
und als sommerliche Regenzeit aufgefaßt werden können.
Die Stationen, deren Registrierungen benutzt wurden, sind Memel,
Schivelbein, Putbus, Schwerin i. Meckl., Westerland auf Sylt, Lennep,
Von-der-Heydt-Grube bei Saarbrücken und Gießen, gehören also vor-
zugsweise dem norddeutschen Flachlande an. Gelegentlich sollen aber
auch die kürzeren Beobachtungsreihen der beiden Gipfelstationen
Schneekoppe und Brocken zum Vergleich herangezogen werden, so-
wie die langjährigen Aufzeichnungen in Potsdam und auf einigen aus“
wärtigen Stationen, an denen gleichfalls Pluviographen meines Systems
284 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
im Gebrauch sind. Dagegen bleiben ganz außer acht die auf einigen
norddeutschen Stationen mittels des zuerst eingeführten Pluviographen
von HoTTinser gewonnenen Registrierungen, aus denen die Dauer der
Niederschläge weniger genau ermittelt werden kann. Die Differenz
kann namentlich bei älteren Apparaten dieser Art, die auf dem Prinzip
der Federwage beruhen, leicht auf 20 und mehr Prozent anwachsen.
Einen fast ebenso großen Unterschied zwischen den Angaben ver-
schiedener Pluviographen fand man neuerdings auf einer englischen
Station (in Yorkshire), wo 1910 drei Apparate verschiedener Konstruk-
tion nebeneinander funktionierten.
Der besseren Vergleichbarkeit wegen habe ich im folgenden lieber
Prozentwerte als absolute Zahlen gegeben. Da ferner bei dem Vor-
handensein einer natürlichen unteren Grenze, nämlich Null oder kein
Niederschlag, das arithmetische Mittel vom häufigsten oder Scheitelwert
stark abweicht und da die Streuung der Werte eine ziemlich große
ist, habe ich meist Häufigkeitszahlen nach Stufenwerten abgeleitet.
Das der Untersuchung zugrunde liegende umfangreiche Zahlen-
material wird später zusammen mit weiteren Einzelausführungen in
den Veröffentlichungen des Kgl. Meteorologischen Instituts bekannt-
gegeben werden, so daß ich mich hier auf die Mitteilung einiger all-
gemeiner Resultate beschränken kann.
2.
Die Pluviogramme können zunächst zur Beantwortung der Frage
nach der Anzahl der Regenfälle an einem Regentage dienen.
Auch ohne genauere Aufzeichnungen weiß man schon aus der bloßen
Erfahrung, daß der Regen nicht selten an einem Tage zu wiederholten
Malen einsetzt und aufhört, ja daß gerade darin eine Eigentümlich-
keit mancher Wetterlagen besteht. Die Registrierungen lehren uns
stellt die durchschnittlichen Verhältnisse um so richtiger dar, als auch
in den einzelnen Jahren der allgemeine Verlauf der Zahlen jedesmal
Die Zahl der Regentage, an denen es nur einmal regnet, ist über-
raschend klein, jedenfalls kleiner, als man nach der bloßen Erfahrung
erwartet hätte. An knapp einem Drittel aller Regentage ist dies der
Fall, und an reichlich doppelt soviel Tagen regnet es in mehr oder
Hermann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 285
Tabelle ı.
Zahl der Tage mit n Regenfällen in den Monaten Mai bis
September, ausgedrückt in Prozenten aller Regentage.
Schivel- REN | Wester- | | Von-der- | Mittel
n | Memel | ein Putbus |; Meckl land | Lennep | Heydt- Gießen | aus 8
: £ i | auf Sylt |’ Grube | Stationen
I 38.8 27-6 33:2 32.6 33-1 29.3 348 | 26.8 32.0
2 24.I 24.2 22.0 21.8 22.8 20.8 22.2 | 209 22.4
3 15.5 17-1 16.1 14.7 16.3 14.7 | 174 28 15.7
4 8.5 |. 120 12.3 10.9 11.2 i83 |. 108 7 94 1 110
5 5.2 | 5.7 6.3 10.1 6.8 8.6 | 56 | u 1
6 2.8 | 5.8 52] 4-7 4-5 43. | 38 | 60 4.6
7 16 100008 a 2.6 2.7 2.8 | ee 2
8 1.0 | 1.9 | 0.7 | 0.7 0.7 2:7.) 7.1 2.5 1.5
9 1.2 0.8 | 3 1.09 0.7 1.6 | 09 | 24 1.2
10 0.6 | 6 1,063 | 0.6 0.4 08 | 07 | 06 0.6
11 2 1. 08 0,8 ; 0.3 io 4 014.91 0.4
12 0.2 | Be. | ae | 05 0.2
13 0.2 0.2 | a ee | 03 0.1
14 . : | | 0.2 | Be 0 0.1
15 , 0.1 | . | | | vo | 02 0.05
16 . | er | 0.2 | er el | 0.02
17 i i | | - | 5 0.1 | | 0: | . 0.02
18 . | 0.2 | | E | : 0.2 | | 0.05
minder zahlreichen Absätzen!. Eine obere Grenze für die Zahl der
zeitlich getrennten Regenfälle an einem Tage ist theoretisch zwar nicht
vorhanden, nach den bisher vorliegenden 10 jährigen Aufzeichnungen
ist sie aber mit der Zahl 18 schon erreicht worden.
Wie man am besten aus der Kurve in Fig. ı ersieht, erfolgt die
Abnahme in der Häufigkeit der Zahl der Regenfälle an einem Regen-
tage außerordentlich regelmäßig, und zwar ziemlich genau in einer
geometrischen Progression. Das erste und wichtigste Stück der Kurve
läßt sich durch eine Gleichung von der Form «= a-b"" darstellen,
in der a den Anfangswert, b den zu bestimmenden Quotienten (das
Dekrement) und n die Zahl der Regenfälle am Regentag bedeutet.
Bei Zugrundelegung der ersten 6 Zahlenwerte der Reihe ergibt sich
für b der numerische Wert 0.697 oder rund 0.7, so daß die Formel
lautet © 32%x0.7"'. Beobachtung und Rechnung stimmen bis auf
durehschnittlich 0.5 Prozent überein, doch nehmen bei größeren Wer-
I Ihre Zahl würde noch größer sein, wenn die Registrierapparate jeden feinsten
Sprühregen, Regentropfen usw. anzeigten, was bekanntlich nicht möglich ist. Darum
ınuß auch die wahre Regendauer etwas größer sein als die registrierte.
286 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912,
Fig. 1.
a a ee Te "BR U u En
Zahl der Regentage, an denen es I, 2, 3 ... mal regnet.
ten von n die aus der Beobachtung abgeleiteten Häufigkeitsprozente
etwas rascher ab als die nach der Formel berechneten.
Die Tage mit nur einem Regenfall sind zu einem großen Teil
die Gewittertage und die Tage mit Platzregen. Erstere machen in
Monaten Mai bis September zwischen 60 bis 75, je nach der Gegend,
schwankt. Tage aber, an denen der Regen wiederholt unterbrochen
treten. Sind diese so weit nach Osten vorgeschritten, daß sie sich
nördlich oder nordöstlich von der Station befinden, so stellen sich
Regenpausen ein, und kommt das sogenannte Rückseitenwetter noch
mehr zur Geltung, dann fällt der Regen in Schauern, die um so seltener
werden, je mehr das Minimum sich entfernt und von Westen her
hoher Luftdruck heranrückt. Eine derartige Wetterlage zeigen die
synoptischen Karten auch in allen extremen Fällen, in denen es mehr
brachte, im Nordosten, seltener im Norden der Station, während sich
ein Hoch von Westen oder Südwesten her nähert. Besonders inter-
Da nur von Regentagen die Rede ist, hat die Formel für » — o natürlich
keinerlei Bedeutung. u
Hesrımann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 287
essant in dieser Beziehung ist der ı. August 1903, an dem an den
beiden etwa ı50 km auseinander liegenden Stationen Putbus und
Schivelbein übereinstimmend ı5 bzw. 14 Regenpausen aufgezeichnet
wurden: Solche Pausen haben oft nur eine Dauer von 5 bis 10 Minuten,
können aber auch Stunden andauern.
3.
Die zweite und nächstliegende Frage, deren Beantwortung die
Analyse der Pluviogramme gestattet, ist die nach der Dauer der
Regenfälle.
Schon die Bearbeitung des ersten Jahrgangs der Registrierungen
zeigte, daß die Gruppierung nach einstündigen Intervallen nicht aus-
reichte, da auf das erste Intervall ı Minute bis I Stunde reichlich zwei
Drittel aller Regenfälle kamen. Es wurde daher die erste Stunde in
Tabelle 2.
Häufigkeit der Regenfälle in den Monaten Mai bis September, geord-
net nach ihrer Dauer und ausgedrückt in Prozenten der Gesamt-
zahl der Regenfälle.
m —
Dauer | . | . : | Wester- \Von-der-| Mittel Iodnao-
es Memel Sevel Putbus N land ‚ Lennep | Heydt- aus7Sta-| Gießen | ae
Regenfalls bein | | 1. Meckl. | auf Sylt | Grube | tionen | p
you
' 28.8 35.2 28.3 30.9 | 33-3 | 29.2 | 32.6 31.2 488 | 173
18.5 22.0 20.2 23.6 20.6 | : 23.2 21.1 21.3 19.7 | 20.0
12.4 10.3 11.8 11.6 10.6 9.9 | 13.3 11.1 83 | ı14
9.2 8.3 8.1 54 | 84
68.9 | 18 | 6 | 76 | 7 Pu ae er | 823 | 57
14.2 12.6 15.9 | 13.3 | 14-1 18.114.305 14.1 99 | 180
6.8 5.8 7.2 re 6.6 | 6.0 6.2 4.0 | 1.2
3.6 2.3 2.7 2.7 | 3.4 a 6 3.0 1.2 | a
1.8 1.2 2.0 3) 20 | 8 1.8 | m
1.4 0.5 1.2 0.8 1.0 0. It 1.0 0.5 | 5
0.9 0.6 0.9 0.8 | 0.6 0.3 0.7 0.7 030 1.6
0.6 02 | 04 | 0.1 | 0.6 0.3 | 0.6 0.4 0.2 | 1.3
= | 0.2 0.4 | 04] 0.4 | 0.3 | 0.3 0.3 0.1 1.4
0.3 | 0.3 : | 0.2 | 0.2 03 | al 0.2 1:1. 08
0.5 0.1 o.1 0.2 0.2 0.1 | 0.2 .2 | =
0.1 0.1 0.1 0.1 | \ | 0.1 0.1 .9
0.1 0.1 0.1 03, 0.1 a
0.3 01 0.1 | ; 0.3 | 0.1 =
0.1 ; 0.1 01 | 0.
0.1 | ; | 0.1
0.1 | | | 0.1 | 0.2
| ö : | =: | 5
| 02 | ‘ | | Es Bm
288 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912,
vier gleiche Teile zerlegt, wodurch viele interessante Einzelheiten auf-
gedeckt wurden, ja es wäre gut gewesen, auch das zweite Stunden-
intervall wenigstens in Hälften zu teilen.
Die in Tab. 2 niedergelegten Ergebnisse lassen bei den ersten
sieben Stationen eine weitgehende Übereinstimmung erkennen, so daß
sie zu einem Gesamtmittel vereinigt werden konnten, dagegen weisen
Gießen und Schneekoppe, d.h. eine trockene und eine nasse Station,
andere numerische Verhältnisse auf.
Überraschend wirkt das Resultat, daß bei allen Stationen des
Tieflands Regenfälle bis zu ı 5 Minuten Dauer, auf der Schneekoppe
— und ebenso auf dem Brocken und in Flinsberg — solche von 16 bis
30 Minuten Dauer am häufigsten sind; denn allgemein neigt man zu
einer Überschätzung der Regendauer, die in Laienkreisen häufig über-
trieben hoch angenommen wird!.
Die Abnahme der Häufigkeit bei den drei ersten Intervallen ($
#3 $3—3 Stunden) erfolgt, wie Fig. 2 deutlich zeigt, geradlinig,
d.h. in arithmetischer Progression, dann tritt bei allen Stationen der
Ebene eine Verlangsamung: in der Abnahme ein.
Bei den sieben norddeutschen Stationen, deren Werte zu einem
Gesamtmittel vereinigt werden konnten, haben 72 Prozent aller Regen-
fälle eine Dauer bis zu ı Stunde, nur noch 14 eine solehe von ı bis
regnet. Regenfälle von ı 2stündiger Dauer sind schon eine große Selten-
heit, die vielleicht alle drei bis vier Jahre an einer Station einmal vor-
kommen, und, wie Tab. > zeigt, wurden Regenfälle von 24 Stunden
Dauer an den meisten Stationen in den zehn Sommern überhaupt nicht
registriert. Dies gilt auch für die 18 Jährige Beobachtungsreihe von
otsdam, aus der ich folgende mittlere -und absolute Maxima ab-
Mai Juni Juli August Sept.
Mittleres Maximum der 7.6 6.3" 8.0" e u
Absolutes $ Dauer eines Regenfalls 20.6 16.0 19.3 13.3 20.7
Das rasche Anwachsen des mittleren Maximums vom August zum
September steht in Übereinstimmung mit der längeren Dauer der
Regenfälle im September im allgemeinen und findet auch in der nach-
. Die Überschätzung der Regendauer ist psychologisch wohl dadurch zu er-
klären, daß der Regen als störend empfunden und seine Dauer darum länger an-
genommen wird, als sie in Wirklichkeit ist,
Hermann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 289
Fig. 2.
nnd
5
FE 7 a a R x IN E\ nr nr [) n a ” 2, a
no ca en
Se re ae ee a
Dia din 8 td | el
a o Eu aa + no”
u — — _ — —
Zahl der Regenfälle von verschieden langer Dauer.
folgenden Zusammenstellung der besonders lange dauernden Regenfälle
eine Bestätigung. Der September ist nämlich reich an ihnen und er-
weist sich insofern als ein Übergangsmonat zur kalten Jahreshälfte
mit ihren Niederschlägen von langer Dauer.
Regenfälle von ungewöhnlich langer Dauer.
Dauer Regenhöhe in mm
en — in Stunden insgesamt pro Stunde
Schwerin i. Meckl. . - 2.3. Juli 1899 12.0 2.5
u ee 14.— 15. Sept. 1903 134 34.6 2.5
a © Ve 13.— 14. Sept. 1906 15.8 18.7 1.2
Pod 5 a en 20, Juni 1906 16.0 15.5 1.0
w land auf Sylt . 15.— 16. Sept. 1906 16.9 84.7 5.0
Schivelbein . . . - - 7. Sept. 1902 17.3 35-5 a
Potsdam . . ie 7. Sept. 1902 16.6 44-9 2.7
a 6.—7. Juli 1906 19.3 25.0 1.3
Due. : 8.—9. Juli 1903 19.4 14.2 0.7
Von-der-Heydt-Grube . 28.— 29. Sept. 1904 20.7 29.3 1.4
Das... 2, 21 20.7 28.7 1.4
RE ge 20.8 27-4 1.3
26.9 13
Bad. 2.02 21.8
290 Sitzung der :physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
Dauer Regenhöhe in mm
Ort Datum : ;
in Stunden insgesamt pro Stunde
Von-der-Heydt-Grube . 20.—21. Mai 1906 22.8 9.3 0.4
N 6.—7. Juni 1902 23.0 38.8 %.7
Von-der-Heydt-Grube . 6.—7. Juni 1902 19.8 17.5 0.9
N 27.—28. Sept. 1899 24.2 20.4 0.8
Von-der-Heydt-Grube . 4.—5. Sept. 1901 26.0 22.6 0.9
Sehivelbein. . . , = 9.— 10, Mai 1903 26.8 57-5 2.1
a BR 26.—27. Mai 1899 40.9 47-3 1.2
Schivelbein . . . .. 26.—27. Mai 1899 29.2 18.2 0.6
Von-der-Heydt-Grube . 14.—ı6. Sept. 1901 47-8 32.6 0.7
Alle vorstehend aufgeführten langdauernden ununterbroclhenen
Regenfälle, ja nahezu alle Regenfälle von mehr als fünfstündiger Dauer
gehören den sogenannten Landregen an, die in der kalten Jahreszeit
zwar häufiger als in der warmen vorkommen, aber auch in dieser
einen hohen Prozentsatz aller Regenfälle ausmachen. Natürlich gibt es
auch sommerliche Landregen von weniger als fünfstündiger Dauer,
wie umgekehrt bisweilen ein Gewitterregen länger als 5 Stunden an-
halten kann.
Drei typische Wetterlagen sind es, bei denen obige langdauernde
_ Regenfälle eintraten: 1. die Station liegt an der Vorderseite eines von
Nordwesten oder Westen heranrückenden barometrischen Minimums,
das nahe nördlich vorbeizieht oder unter Änderung seiner Bahn die
Station selbst passiert; 2. über ganz Zentraleuropa, einschließlich der
südlichen Nordsee und Ostsee, liegt ein ausgebreitetes flaches Tiefdruck-
gebiet, aus dem heraus sich Depressionskerne entwickeln, die langsam
nach.Norden oder Nordosten ziehen; 3. bei hohem Druck im Westen
befindet sich. im Osten von Zentraleuropa ein Tief, das ähnlich wie
auf der Zugstraße V® langsam nach Nordosten fortschreitet.
Die Regenfälle hielten um so länger an, je langsamer die De-
pressionen zogen oder wenn sie stationär blieben. Zu dem gleichen
Resultat hatte auch die Untersuchung über die starken Regen im öst-
lichen norddeutschen Binnenland geführt, welche die Sommerhoch-
fluten der Oder verursachen'. Während aber diese schlesischen Regen
bei langer Dauer auch so intensiv sind, daß sie oftmals Wolkenbrüche
genannt werden können, erweisen sich die oben angeführten längsten
Regenfälle als wenig ergiebig; denn nur selten geht die Regenintensität
pro Stunde über 2 mm hinaus. |
Um zu einer Vorstellung über die Dichtigkeit der norddeutschen
Landregen im Sommer überhaupt zu kommen, wurde für Potsdam die
mittlere Stundenmenge bei allen länger als 5 Stunden dauernden Regen
‘ Herımans und von Eısxer, Meteorologische Untersuchungen über die Sommer-
hochwasser der Oder. Berlin 1911, 3° und Atlas. lisa
Herımann: Über 'den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 291
ermittelt. Sie ergab sich für die Monate Mai bis September zu 1.4 mm,
so daß ein Landregen, der zwei oder mehr Millimeter in der Stunde
liefert, schon als stark bezeichnet werden kann. Bei den eben er-
wähnten schlesischen Sommerregen sind aber im Gebirge mittlere
Stundenmengen von 8 bis 10 mm öfters vorgekommen. Es sind dies
die ergiebigsten Landregen in ganz Norddeutschland.
Aus der Zahl und Dauer der Regenfälle an einem Tage läßt sich
die Gesamtdauer des Regens an einem Regentage ableiten.
Über diese gibt Tabelle 3 Auskunft.
| Tabelle 3.
Zahl der Regentage in den Monaten Mai bis September mit einer
Regendauer von n Stunden bzw. Minuten, ausgedrückt in Prozenten
aller Regentage.
n
Regendauer Schivel: Schwerin Wester- a Mittel
eines Tages | Memel Putbus !, land | Lennep | Heydt- | aus 7
in Stunden le i. Meckl. | zur Sn! Grube [Stationen
bzw. Minuten |
Een 9.6 8.3 7.4 9.2 7.4 6.7 7.9 8.1 13-3 2.3
1630” 8.4 8.7 8.8 9.1 11.1 7.1 8.4 88 | 11.7 6.2
31 —ı? 13:8 14.4 13.9 13.6 16.0 12.0 14.8 14.0 17-2 12.4
' min 325 | 31.4 30.1 31.9 34:5 25.8 | 31.0 30.9 42.2 | 20.9
1" —2" 18.9 21.7 20.5 21.0 } 20.6 180 | 20.6 20.2 20.6 | 14.9
ab ,b 12.5 13.8 15.5 9.2 | 12.7 13.0 13.2 13.0 | 11.4
ee 10.4 8.7 10.2 10.3 11.4 9.2 10.2 10.1 6.9 | 9.2
ge 5.8 6.7 6.8 6.7 5-9 | 9.0 7-4 6.9 4-3 7.6
Ken 5.1 4.7 5.6 3.7 5.5 7.2 4.8 5.2 3.2 2.8
zb 3.8 2.1 3.2 2.3 3.3 3.8 3-5 3.2 3.1 4.6
Tg" 3.6 2.1 2.6 2.6 3.1 3.6 2.3 2.8 2.1 4-3
rn —gh 2.6 1.4 1.9 2.2 33 2.4 2.2 Ei 14 3.0
Yı"—ioN 1.9 1.4 2.2 1.2 0.4 1.8 1.4 1.5 2.3
1" rt 1.6 1.1 1.0 0.9 1.7 1.3 I. hear ig -.
12° _ at 0.8 0.3 0.9 .0.4 1.0 1.0 0.1 0.6 2.1
LE FL 0.6 0.8 0.7 0.6 0.9 1.7 0.3 0.8 4.6
14m _ gb 0.7 0.5 0.5 0.7 0.2 0.7 | 1.0 0.6 | 0.8 | 2.0
1667 m__ gb 02 oz ; LE | 0.5 0.4 [20
86m _ „oh 0.5 - 0.6 0.2 | | 2.8
a0' m _ 226 63.71..03 0.1 0.7 1.3
22m _ 24 : 0.1 | 0.1 0.03 J | 2.0
Sieht man zunächst von Gießen und Schneekoppe ab, die ein
extrem trockenes bzw. feuchtes Klima repräsentieren, 80 herrscht bei den
anderen norddeutschen Stationen wieder eine große Übereinstimmung
im Verlauf der Zahlen. Die Abnahme der Häufigkeit der Regentage
mit dem Ansteigen der einstündigen Schwellenwerte erfolgt sehr regel-
mäßig (Fig. 3). An 31 Prozent aller Regentage beträgt die Regendauer
292 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
Fig. 3.
a re ee: a n ”» - > n
ee
„ee 2
Zahl der Regentage mit verschieden langer Regendauer.
bis zu ı Stunde, an 20 Prozent ı bis > Stunden, so daß rund die
Hälfte aller Regentage eine Regendauer bis zu 2 Stunden hat. Die
weitere Abnahme der Häufigkeitsprozente geht so rasch vonstatten,
daß Tage mit einer Regendauer von 2 bis 3 Stunden schon seltener
sind als solche, an denen es nur £ bis ı Stunde regnet. Desgleichen
gibt es ebensoviel Tage, die eine Regendauer von 3 bis 5 Stunden
haben, wie Tage, an denen der Regen bis zu 4 Stunde andauert.
In Gießen überwiegen die Tage mit kurzer Regendauer, auf der
Schneekoppe, wo die Zahlenwerte der höheren Stufen wegen der Kürze
der Beobachtungsreihe (6 Jahre) noch etwas unregelmäßig verlaufen,
natürlich solehe mit langer Regendauer. Hier regnet es an 65 Prozent
aller Regentage mehr als 2 Stunden.
Aus den der Tabelle 3 zugrunde liegenden absoluten Zahlen kann
die mittlere Dauer des Regens an einem Regentag berechnet werden.
Sie sagt zwar viel weniger aus als die Verteilung der Häufigkeit nach
Schwellenwerten in der genannten Tabelle, eignet sich aber zu einem
raschen Vergleich der Stationen untereinander. Man darf nur nicht ver-
gessen, daß der Wert der mittleren Dauer überall über dem häufigsten
liegt. Die Zahlenwerte sind folgende:
Mittlere Dauer des Regens an einem Regentage.
Mai Juni Juli August Sept. Mittel
a) nach Registrierungen mit Herımanss Pluviograph:
Memel a 2.9 2.3" 2. 3.4" 3.2» 2.9"
Schivelbein . . . . . 3.1 2.8 2.9 2.4 3.0 2.8
be N 2.6 3.0 31 30 3-1 3.0
‚Schwerin i. Meckl.. . . 2.3 2.6 a ee N
Herrmann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 293
Mai Juni Juli August Sept. Mittel
2.8
Westerland auf Sylt . 3.0 3.1 2.2 3.0 2.8
Linen2 . . 3... 7 3.8 3.7 3.8 2.9 3.9 3.6
Von-der-Heydt-Grube . 7,8 2.5 2.8 23 3.8 3.0
Gießen ae re 2.1 2.1 2.1 1.8 2,2 2.3
Nürnberg (11 Jahre) . 2.7 25 2.9 2.4 4.1 2.9
Wien (12 Jahre) . - - 33 2.8 2.9 2.8 2 3.0
Sarajevo (16 Jahre) . - 3.0 2.8 1.9 2.5 3.1 2.7
Mostar (16 Jahre) - - 3.0 2.1 1.5 2.0 3.6 2.4
b) nach Registrierungen mit anderen Pluviographen:
Potsdam (18 Jahre) . - 2.7 2.4 2.8 2.0 2.8 2.5
Basel (7 Jahre) . - - 3.6 2.5 2.9 2.8 3.5 3.1
Das Plateau des Bergischen Landes, auf dem Lennep liegt, wurde
bereits in meiner »Regenkarte der Provinzen Hessen-Nassau und Rhein-
land«, Berlin 1903, S. 17, als eines der regenreichsten Gebiete Nord-
deutschlands bezeichnet (Jahresmenge 1270 mm), obwohl es nur eine
durchsehnittliche Meereshöhe von 350 M hat: nun erweist es sich auch
als eine Gegend, welche die häufigsten und längsten Regenfälle ver-
zeichnet. An den Küsten der Nordsee und Ostsee ist die Dauer der
sommerlichen Regenfälle viel kürzer, und im Troekengebiet von Gießen
erreicht sie ein Minimum. Dagegen kann man von einer Abnahme der
mittleren Regendauer an einem Regentage bei den mehr kontinental
gelegenen Stationen Nürnberg und Wien nieht sprechen; erst Mostar
in der Herzegowina, das sich schon dem mediterranen Charakter der
Regenverteilung nähert, hat im eigentlichen Sommer Juni— August Tage
mit kurzer Regendauer.
4.
Eine weitere Gruppe von Ergebnissen, die sich aus den Aufzeich-
nungen der Pluviographen ableiten lassen, betrifft die tägliche Pe-
riode des Regens, und zwar hinsichtlich seiner Häufigkeit, Dauer,
Menge und Intensität. Hierbei treten mehr regionale Verschiedenheiten
auf als bei den in den vorhergehenden Abschnitten besprochenen Ver-
hältnissen, die sich auf die Häufigkeit und Dauer der Regenfälle im
allgemeinen bezogen, ohne Rücksicht auf die Tageszeit, in der sie fallen.
Zum besseren Verständnis des Folgenden will ich vorausschicken,
daß sich die tägliche Periode des Regenfalls, soweit sie bis Lg nament-
lieh bezüglich der Menge studiert worden ist, auf zwei Haupttypen
zurückführen läßt, die ich nach den Erdgebieten, in denen sie am
ausgeprägtesten vorkommen, den ozeanischen und den kontinentalen
nennen will. Der ozeanische Typus ist durch ein Maximum bei Nacht
und ein Minimum bei Tage, der kontinentale umgekehrt durch ein Maxi-
mum am Nachmittag und ein Minimum bei Nacht gekennzeichnet. Am
28
Sitzungsberichte 1912.
294 . Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
häufigsten kommen aber Übergangsformen vor: der ozeanisch-kontinen-
tale Typus mit einem Hauptmaximum in der Nacht und einem sekun-
dären am Nachmittag sowie der kontinental-ozeanische Typus, bei dem
das Hauptmaximum auf den Nachmittag und ein sekundäres in die
Nacht- oder frühen Morgenstunden fällt. Diesen beiden Übergangs-
formen begegnen wir auch bei den Sommerregen in Norddeutschland.
Zur Ableitung der täglichen Periode der Regenhäufigkeit
dient die Häufigkeit des Regens in den einzelnen Stundenintervallen
oder die Zahl der sogenannten »Regenstunden« (Tabelle' 4).
DER 13 Bla Eee
Tabelle 4.
Mittlere Zahl der Regenfälle in den einzelnen Stundenintervallen
in den Monaten Mai bis September Leg IeNe Periode der Regen
häufigkeit).
; i ._ | Wester- Von-der- . :
Memel m Putbus A land | Lennep | Heydt- | Gießen eu ge
auf Sylt Grube ı und 3 |2,4,6,8
I 2 3 4 5 6 7 8
o—ıa 13.2 12.3* 12.8 12.4 13.8 19.0 14.9 12.5 13.0 u
1—2 13.8 12.8 13.3 12.3 14.0 18.9 16.0 13.0 13.6 104
2—3 14.1 13.4 13.8 12.4 14.8 19.1 16.5 12.9 14.0 14.4
3—4 13.8 13.4 14.0 13.0 15.7 19.7 17.0 13.0 13.9 14.8
ı— 14.0 13.9 14.6 13-4 16.0 20.3 17.4 13.6 14-3 15.3
5—6 15.0 14.8 15.0 13.5 15.9 20.8 17.2 13.8 15.0 15-7
6—7 14.6 14.7 13.4 13.4 14.9 20.0 15.6 12.8 14.0 158
7—8 12.8 13.4 10.9 12.8 13.9 17.4 14.1 11.8 11.8 13.8
8-9 12.0* | 126 10.4* 12.3 14.2 16.1* 14.3 11.4 ın.2* | 131°
9—10 12.0 12.6 10.7 12.5 14.8 16.3 14.8 1123 14 13-2
10-53 12.2 13.5 10.6 14.1 14.2 17.0 14.6 11.4 11.4 18
11— 128 13-4 14.8 11.2 15.4 13-6 18.6 14.5 12.4 12.3 15-3
122—ıp 14.3 15.8 12.1 16.0 12.8 20.6 14.5 13.6 13.2 16.5
—2 14.1 16.9 12.9 17.0 11.4 21.4 14-7 14.8 13.5 17-5
2—3 13.2 17.5 13.6 16.9 10.6* 21.0 14.7 15.5 13.4 11.7
Eue,, 12.5 17.5 13.8 15.5 10.7 20.6 14.6 15.5 13.2 17-3
46 12.1 17.2 13.3 14.8 11.4 20.4 14.8 15.8 12.7 10
5—6 12.3 16.3 12.6 14.9 11.7 20.5 14.8 15.4 12.4 18
6—7 12.7 15.4 12.7 14.5 12.2 21.0 14-7 14.1 12.7 16.2
ie 13.3 14.8 13.4 13.4 13.4 20.4 14.0 13.7 13.4 15.6
8-9 14.0 14.2 14.1 12.8 14.0 19.1 13.8 13.8 14.0 15.0
9—ı10 13.7 13-4 14.2 12.6 14-4 18.5 13-6 13.8 14.0 14.6
10—11 13.4 13.2 13.5 11.8 14-4 18.8 2.3° 12.6 13.6 a.
11—12 13.4 13.7 13.0 11.8* 14.1 19.2 13.2 12.8 13.2 4
Mittel 13.3 14.5 12.9 137 13.6 19.4 14.9 13.4
' Bei den Zahlenwerten für die tägliche Periode (Tab. 4—6) fand eine Aus-
gleichung nach der Formel (a+25+c):4 statt.
Herimann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 295
Die binnenländischen Stationen Sehivelbein, Schwerin, Lennep und
Gießen zeigen denselben täglichen Gang, SO daß sie zu einem Gesamt-
mittel vereinigt werden können, das in Fig. 4 graphisch dargestellt
ist. Hiernach regnet es am seltensten in den Vormittagstunden von
$ bis 10", von da nimmt die Regenwahrscheinlichkeit regelmäßig zu
bis 3", wo sie das Hauptmaximum erreicht, sinkt zu einem sekundären
Minimum um Mitternacht herab und wächst wieder zu einem sekun-
dären Maximum um 6" morgens an. Es besteht also der kontinental-
ozeanische Typus.
An der fünften binnenländischen Station, Von-der-Heydt-Grube,
fehlt merkwürdigerweise das Hauptmaximum am Nachmittag vollstän-
dig; von 8° bis 7" verläuft die Kurve nahezu geradlinig, und nur in
den Morgenstunden 5—6 macht sich ein deutliches Maximum bemerk-
bar, das im Mai und September besonders hervortritt.
Von den Küstenstationen lassen sich Memel und Putbus zusammen-
fassen (Fig. 4); sie haben ein Hauptmaximum um 6" morgens und zwei
nur wenig davon verschiedene sekundäre Maxima zwischen ı und 2"
nachmittags und 9 bis 10° abends. Das Minimum fällt auch hier zwischen
8 und ı1" vormittags.
Am reinsten zeigt sich der ozeanisch-kontinentale Typus in Wester-
land auf Sylt, wo einem Maximum zwischen 4 und 5" morgens ein
tiefes Minimum zwischen 2 und 4" nachmittags gegenübersteht. Der
Aufenthalt der Badegäste im Freien wird hier also bei Tage relativ
am wenigsten durch Regen gestört. Der Grund dafür liegt in der
Seltenheit der Platzregen, Gewitter und gewitterartigen Regenfälle
(»stille Gewitter«), die im Binnenland um diese Tageszeit besonders
häufig sind.
Zieht man die Dauer des Regens in den einzelnen Stundeninter-
vallen in Betracht, so gelangt man zur täglichen Periode der Re-
gendauer, die ich hier aber nur benutzt habe, um aus ihr und der
Häufigkeit des Regens die wahre Dauer des Regens in den Stunden-
intervallen ‚abzuleiten. Die Zahlen der folgenden Tabelle 5 sagen also
aus, welchen Bruchteil eines Stundenintervalls mit Regenfall es durch-
schnittlich regnet. .
Wären verschieden lange Regen innerhalb einer Stunde gleich
häufig, was nach Tab. 2 aber nieht zutrifft, dann müßte die wirkliche
Regendauer fast genau halb so groß sein wie die Zahl der »Regen-
stunden «, oder, anders ausgedrückt, der Reduktionsfaktor zur Reduktion
der »Regenstunden« in wahre Regendauer wäre nahezu 4}. Das ist
nicht der Fall. Der Faktor fällt im allgemeinen größer aus und er-
reicht auf der Schneekoppe® besonders hohe Werte. Aber auch in
der Ebene sind die Zahlenwerte dieses Reduktionsfaktors SO ungleich
; 98*
296 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
Tabelle 5.
Mittlere Regendauer in einem Stundenintervall mit Regen (»Regen-
stunde«) in den Monaten Mai bis September.
| Schivel- Schwerin ..n ei Binnen-
Memel bein Putbus iMeckl,| and |Lennep| Heydt- | Gießen | Küste RR Schnee
: "auf Sylt Grube koppe
! 2 3 4 5 6 7 8 1(1,3.5),,4,6,78]
0o—ıIa 0.65 0.62 0.64 0.59 0.60 0.69 0.64 0.56 0.63 0.62 0,84
1-2 0.62 0.63 0.65 0.62 0.60 0.67 0.67 0.56 0.62 0.63 0.84
2—3 0.63 0.62 0.64 0.64 0.60 0.66 0.68 0.56 0.62 0.63 08
3-4 0.66 0.63 0.64 0.64 0.60 0.66 0.68 0.55 0.63 0.63 084
45 066 | 065 | 066 | 0.65 0.60 | 0.65 0.68 | 0.54 | 0.64 0.63 083
5—6 0.64 0.66 0.64 0.64 0.60 0.65 0.68 0.53 0.63 0.63 084
6—7 0.61 0.65 0.60 0.63 0.62 0.66 0.64 0.51 0.61 0.62 0,82
7—8 0.60*| 0.64 0.58 0.63 0.64 0.66 0.61 0.49 0.61 0.61 078
8-9 0.61 0.60 0.58 0.63 0.62 0.66 0.61 0.48 0.60 0.60 0
9—Io 0.63 0.56 0.58 0.60 0.59 0.63 0.61 0.49 0.60 0.58 04
10—11 0.63 0.53 0.56 0.57 0.59 0.60 0.59 0.50 0.59 0.56 04
11— 124 0.62 0.50 0.58 0.56 0.58 0.58 0.56 0.48 0.59 0.54 070
12&—1p 0.61 0.48 0.61 0.54 0.56 0.55 0.54 0.43 0.59 0.51 0.68
1—2 0.60* | 0.48* | 0.60 0.50 0.56 0.54 0.52 0.41*| 0.59 0.49 068°
2—3 0.62 0.50 0.57 0.48* 0.54 0.54*| 0.,50* | 0.42 0.58 0.49* 0.68
3—4 0.64 0.52 0.55°| 0.48 527... 054 0.52 0.42 0.57* 0.50 0.69
4—5 0.66 | 0.53 | 0.56 | o.sı 0.54 | 056 | 0.53 | 042 | 0.59 0.51 ne
5—6 0.66 0.54 0.60 0.53 0.57 0.58 0.55 0.44 | 0.61 0.53 ur
ya. as] | vasgeräsgr | 64 1 0.6 054 (0
7—8 0.64 0.56 0.60 0.54 0.56 0.62 0.56 0.52 0.60 0.56 0.7
8—9 0.62 0.56 0.57 0.54 0.57 0.64 0.56 0.53 | 0.59 0.57 a0
9-10 | 060" | 055 | 055") 054 | 056 | 066 | 058 | 0.52 | 0577| 0.7 joM
10—11 0.61 0.60 | 0.58 | 0.57 058 | 067 | 0.63 | 0.52 | 0.59 0.60 8
11—12 0.64 0.62 0.62 0.58 0.60 0.68 0.64 0.54 | 0.62 0.61 0.82
Mittel 063 | 057 | 060 | 0.37 0.58 | 0.62 | 060 | 0.50 | 0.60 0.57 an
Schwankung 0.06 0.18 0.11 0.17 0.12 0.15.1- 0.18 0.15 0.07 0.14 0.16
groß, daß man nicht daran denken kann, mit dem für eine Station
ermittelten Faktor die »Regenstunden« einer anderen Station in Regen-
dauer verwandeln zu können. Dagegen zeigt sich eine weitgehende
Übereinstimmung im täglichen Gang, sowohl bei den binnenländischen
wie bei den Küstenstationen (Fig. 4). Im Binnenland, die Gipfelstation
auf der Schneekoppe nicht ausgenommen, haben Nachtregen längere
Dauer als Tagregen; an der Küste besteht noch dieselbe Gesetzmäßig-
keit, aber der Unterschied zwischen den Regenfällen beider Tages-
zeiten ist geringer.
Die Begründung für dieses Verhalten muß wieder in der ungleichen
Häufigkeit der Gruppe der kurzdauernden Regenfälle gesucht werden.
Die ganz kurzen Platzregen und die auch nicht lange dauernden Ge-
Herrmann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 297
Fig. 4.
Vormittag. | Nachmittag.
ERTL EEE FRE, BE ZUERN NE MER AL SE, BER
Binnenland
Ostseeküste
Nordseeküste
— | Küsten
Fe -#} Binnenland
I
Mi
a
2
B
LBELBLT
Lennep
Westerland auf
1 Sylt
ERER u. 8.0 2
6
Tägliche Periode des Regenfalls.
witterregen treten im Binnenland in den Mittags- und Nachmittags-
d sie an der Küste selten sind.
stunden am häufigsten auf, währen
Tir müssen daraus schließen, daß an der Küste der größte Teil der
Regenmenge im Sommer von Landregen herrührt, die von der Tages-
zeit weniger abhängig sind. Die ergiebigen Gewitterregen sind hier
seltener, worauf die von mir früher nachgewiesene Regenarmut unse-
‘rer deutschen Flachküsten beruht (vgl. diese Sitzungsberichte Bd. 42,
S. 1422).
Zum Studium der täglichen Periode der Regenmeng® be-
darf es eigentlich längerer als 10 jähriger Beobachtungsreihen, da ein-
ar zelne starke Regengüsse auf den Verlauf der Zahlen störend einwirken;
298 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe vom 28. März 1912.
indessen kommen bei Zusammenfassung der fünf Monate Mai bis Sep-
tember die großen charakteristischen Züge deutlich genug zum Vorschein.
Immerhin zeigen sich gerade hier so erhebliche Verschiedenheiten von
Station zu Station, daß lokale Verhältnisse eine viel größere Rolle
spielen müssen als bei den bisher behandelten Elementen der Häufig-
keit und Dauer der Regenfälle.
Tabelle 6.
Tägliche Periode der Regenmenge in Prozenten für die
Monate Mai bis September.
| | |
| Schivel- | Schwerin | u | Von-der- |
Memel 2:4 Putbns-.}- | land Lennep | Heydt- | Gießen
in i. Meckl. ’
| | | auf Sylt | Grube |
| | | |
0—ıa 4:4 4.0 43 56-3 4 EL 3-7
1—2 4.1 3.8 4.2 3.4 | 4-5 4.0 | 4.1 3.8
2—3 40 | 3.4 4.0 3.6 4.8 44: | 3.9 3-4
3—4 a ee 3.9 4.0 501044 3.0 3.2
4—5 Bu 0 4.1 | 4.0 ee 3-5 3-4
5—6 3.7 3-7 4.1 3-7 2 ca 36 | 36
6—7 4.1 | 3.9 3.8 | 3.8 5.6 4.2 3.4 3-3
7—8 4.1 3% En N a Re 5.5 3.8 33 3.0
8—9 3.9 2.9* ee, 5.2 3.2 3.8 3.0*
9—ı10 3-8 | 3.1 2.8 | el 28° 4-3 3.0
10—11 3.8 re a | 5.1 3.6 3.0 4.6 3.4
11—124 42 | 4-4 4.2 5,6 38 3.4 4-7 3-5
122—ıp 4.7 45 5.1 | 5.4 3-7 4.0 45 3.6
1-3 4.6 SS 4.7 5.1 3-7 4.6 4.3 4-9
2—3 4:4 6.2 4.2 4.6 3.2 5-4 4-5 5.9
34 4-3 5.9 4-7 4-4 2.7* 6.0 5.2 5-5
nn 3-8 5.3 5.3 5.0 2.8 5.3 5,8 5.6
5-6 3.8 5.0 38 5,3 3-7 4:5 5.6 6.0
7 4.6 4-7 44 4-3 4-3 4-4 4.8 5.6
7—8 5.2 4-4 4-7 3.6 4.4 43 4.0 5.3
8—9 4-8 4.1 4.6 3-5 4.0 4.2 4-3 5.0
9—10 4.0 3-7 4-3 3.6 3-5 4-1 4-3 4.6
30-11 3-9 3-7 4:4 3-4 3-6 a 41
11—12 4.4 4.0 4-4 | 3.4* 3.8 3.8 | 24° 3.6
Es ist darum als unzweckmäßig zu bezeichnen, daß man bis jetzt
mit Vorliebe den täglichen Gang der Regenmenge studiert hat; denn
es lassen sich aus ihm allein wenig allgemeine Gesetzmäßigkeiten
ableiten. a ,. |
Die größten Gegensätze weisen Westerland und Lennep auf: hier
der scharf ausgeprägte kontinental-ozeanische Typus mit einem Haupt-
maximum zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags, einem sekundären Maxi-
mum zwölf Stunden früher und einem tiefen. Minimum von ıo bis
Herrmann: Über den Charakter der Sommerregen in Norddeutschland. 299
11 Uhr vormittags, dort der ozeanisch-kontinentale Typus mit kleinerer
Schwankung. Bei einigen binnenländischen Stationen teilt sich das
nachmittägliche Hauptmaximum in zwei, bei anderen tritt das sekun-
däre Nachtmaximum stark zurück, wie namentlich in Gießen, wo fast
der reine kontinentale Typus herrscht.
Es ist längst bekannt, daß das Maximum der sommerlichen Regen-
menge am Nachmittag im Binnenland von den starken Regenfällen
herrührt, die meist in Begleitung von Gewittern eintreten, und daß
auch die oft ohne elektrische Erscheinungen herabfallenden Platzregen
einen großen Anteil daran haben. Da die Station Von-der-Heydt-Grube
keine Vermehrung in der Zahl der Regenfälle am Nachmittag zeigte,
während in der täglichen Periode der Regenmenge das Maximum am
Spätnachmittag sehr wohl vorhanden ist, kann es nur durch häufige
starke Regen in diesen Stunden hervorgerufen sein. Um dies an der
Hand der Registrierungen zu prüfen, wurden alle Fälle, in denen es
in einem Stundenintervall mindestens 5 mm geregnet hat, ausgezogen.
Dasselbe geschah auch bei den Stationen Lennep, Westerland und
Potsdam (18 Jahre). Es ergab sich, daß in den fünf Monaten Mai
bis September durchschnittlich 5.7 mal in Westerland, 8.2 mal in Von-
der-Heydt-Grube, 9.0 mal in Potsdam! und ı1.4 mal in Lennep Stun-
denmengen von >5 mm vorkommen. Ihre prozentische Verteilung
auf die Tageszeiten ist folgende:
Tägliche Periode der starken Regen (Stundenmenge = 5 mm)
in Prozenten.
ah en ee 37° 6-9..,9—-12
Von-der-Heydt-Grube 93 56. 83 120 130 a u 83
Be ea ee ee 108 110
Potsdam 8 6.2 4.1 a: 0
an eiet -
Westerland auf Sylt 17.5 125 17.5 15;2332 838 138 112
Diese Zahlen bestätigen die gemachte Annahme, zeigen auch für Pots-
dam die interessante Eigentümlichkeit des späten Eintretens der starken
Regen von 3" nachmittags bis gegen Mitternacht. In der täglichen
zwischen 7 und 8? bemerkbar, mit dem diese starken Regenfälle offen-
bar zusammenhängen. Dagegen haben die Platzregen, d.h. starke
Regenfälle von kurzer Dauer, in Potsdam? einen ‘davon etwas Ver
schiedenen täglichen Gang, der zeigt, daß ihr Eintreten vorzugsweise
an die wärmste Tageszeit gebunden ist.
t In Potsdam kommt es in IO Sommern (gerechnet von Mai bis September) durch-
schnittlich 13 mal vor, daß es zwei Stunden hintereinander mindestens je 5 mn regnet.
? Seit 1893 werden in Potsdam Regenfälle von mindestens o.2 mm in ı Minute
als starke ausgesondert.
300 Sitzung der physikalisel 1 ischen Classe vom 28. März 1912.
ji
Tägliche Periode der Platzregen in Prozenten.
0-32 3—6 6—9 9—12 0o—3P 3—6 6—9 9—12
Potsdam 7.6 4.0 4.9 8.4 22.1 21.9 18.9 12.2
Damit in Übereinstimmung steht auch die Tatsache, daß auf den
. wärmsten Monat die meisten Platzregen entfallen; denn von allen Platz-
regen in den Monaten Mai bis September kommen auf den Mai 14.4,
Juni 18.0, Juli 30.2, August 21.7 und September 15.7 Prozent.
Die Verteilung der starken Regenfälle auf die Tageszeiten in
Westerland, die mit derjenigen der Gewitter Hand in Hand geht, zeigt
deutlich ihr Vorherrschen in der Nacht und in den frühen Morgen-
‚stunden.
Die tägliche Periode der Regenintensität (Stundenmenge
dividiert durch die zugehörige Dauer) schließt sich so eng an die der
Regenmenge an, daß ich auf die Mitteilung der henden Tabelle
hier verzichte. Es genüge hervorzuheben, daß im Binnenland die In-
tensität am Nachmittag (3—5") am größten und früh morgens (4— 6")
am kleinsten ist. An der Küste gibt es zwei Hauptmaxima gegen
8" morgens und abends sowie ein sekundäres zwischen 2 und 3" nach-
mittags. Der Quotient Maximum :Minimum schwankt zwischen 1.5
in Westerland und 2.5 in Von-der-Heydt-Grube, d.h. am letzteren
Ort ist der Regen von 5—6? zweiundeinhalbmal so intensiv als der
von 5—6* fallende.
5.
‚ Auf Grund der im tehend thalt Ergebnisse ı0jähriger
R des R falls sowie anderer von mir schon früher ge-
wonnenen Resultate der Regenforschung, wie sie namentlich in dem
Werke »Die Niederschlagsverhältnisse in den norddeutschen Stromge-
bieten« (Berlin 1906, 3 Bände 8°) niedergelegt sind, will ich versuchen,
eine allgemeine Charakteristik und Klassifikation unserer Sommerregen
zu geben. Sie hat nicht bloß für INAOHLER ROLL, sondern auch für
einen großen Teil Zentraleuropas Gültigkeit, da, hen von ganz
lokalen Ausnahmen, gewisse Gesetzmäßigkeiten des Regenfalls für weite
Gebiete annähernd gleich bleiben.
Eine Klassifikation unserer Sommerregen gründet sich am zweck-
mäßigsten auf ihre verschiedene Herkunft, je nachdem sie dem großen
oder dem kleinen Kreislauf des Wassers angehören. Mit letzteren wer-
den zugleich die dem Sommer charakteristischen Formen von denen
geschieden, welche das ganze Jahr vorkommen.
Unter dem großen Kreislauf des Wassers verstehe ich diejenigen
Niederschläge, bei denen der größte Teil des zur Kondensation gelan-
genden Wasserdampfes in den barometrischen Depressionsgebieten durch
Herrmann: Über den Charakter der S in Nordd hland. 301
die Winde vom Ozean herbeigeführt wird, um später in flüssiger Form
zu diesem zurückzukehren. Hierher gehören die langdauernden und
weit; Landregen, die gewöhnlich in Regenschauer und Regen-
böen von kurzer Dauer übergehen, wenn die Station auf die Rück-
seite des Depressionsgebietes zu liegen kommt; Auch die Graupelfälle
des Frühjahrs und Frühsommers, die besonders in Nordwestdeutschland
und in den Hochregionen unserer Mittelgebirge häufig auftreten, sind
hier einzurechnen.
Wenn dagegen ein erheblicher Teil des kondensierten Wasser-
dampfes von der Verd g in der Nacht haft oder an Ort und
Stelle herrührt, kann man von einem kleinen Kreislauf des Wassers
sprechen. Charakteristisch für ihn ist, daß er sich mehrere Tage hinter-
einander in fast derselben Form wiederholen kann, und daß er natür-
lich nur Niederschläge von kurzer Dauer verursacht, da der lokal vor-
handene Wasserdampf, wenn keine kräftige Advektion stattfindet, bald
erschöpft ist. Regen solcher Herkunft sind die strichwei ft d
Gewitterregen, Gewitterböen und Hagelfälle sowie die lokalen Platz- -
regen.
Was nun den Anteil betrifft, den diese verschiedenen Formen des
Regenfalls an der Gesamtregenmenge des Sommers haben, so läßt er
sich genau nicht angeben, da häufig die eine Form in die andere über-
geht und eine strenge Scheidung der anteiligen Mengen kaum möglich
ist. Indessen kann man doch die Gewitterregen als unsere ergiebigsten
Ss g h : denn, obwohl im Binnenland nur der vierte
bis dritte Teil der Regentage Gewitter haben, stammt nahezu die Hälfte
der vom Mai bis September fallenden Reg ge von Gewi g
her. In den Küstengebiet tlich der Nordsee, wird der an-
teilige Betrag der Gewitter erheblich kleiner, während er in einigen
Berglandschaften Mitteldeutschlands bis zu 75 Prozent ansteigt.
Gewitterregen haben durchschnittlich eine kürzere Dauer, als oben
für die Sommerregenfälle im allgemei festgestellt wurde; sie be-
trägt in der Ebene etwas mehr als ı Stunde, im Gebirge ungefähr 14.
Ihre Intensität ist aber groß. Gewitterregen mit einer Stundenmenge
von 5 bis 15, ja mehr Millimetern können bei Frontgewittern auf große
Erstreckungen hin niedergehen, dagegen kommen Maximalmengen immer
nur nesterartig auf relativ kleinen Gebieten vor. Man darf annehmen,
daß überall in Norddeutschland, die Küstenstriche ausgenommen, ein
mehrstündiger Gewitterregen bis zu 150 mm liefern und daß die Maxi-
malstundenmenge go mm erreichen kann. Das sind die eigentlichen
Wolkenbrüche, d.h. ungewöhnlich starke Regenfälle von etwas längerer
Dauer. Sie treten mit Vorliebe in den trockenen Gegenden Ostdeutsch-
lands auf, wo sich infolge der hohen Temperaturen ein kräftiger auf-
29
Sitzungsberichte 1912.
302 Sitzung der physikalisel 1 ischen Classe vom 28. März 1912.
steigender Luftstrom entwickeln kann. Indessen sind sie auch hier
so selten, daß mehrere Jahrzehnte vergehen können, ehe sie sich am
selben Ort wiederholen. Der Grund dafür liegt in ihrem geringen
räumlichen Umfang: denn das Gebiet maximaler Regenmenge bei einem
starken Gewitterregen kann auf ı qkm herabgehen, beträgt aber bis-
weilen das ıo bis 30fache.
Im Mai und Juni, seltener im Hoch- und Spätsommer, beginnt
der Gewitterregen öfters mit einem Hagelfall, der noch enger begrenzt
strichweise auftritt als das Gewitter selbst. Auch dürfte mancher groß-
tropfige Regen der warmen Jahreszeit nichts anderes sein als Hagel-
körner, die geschmolzen sind, ehe sie den Erdboden erreichen.
Einen kurz n gewöhnlich i i Regenfall
nennen wir einen Platzregen (Gußreg S Eine Definition
des Platzregens mit Angabe der unteren Grenzwerte für Zeitdauer und
Regenmenge läßt sich nicht geben, da ich schon früher nachgewiesen
habe, daß die Intensität der Platzregen mit ihrer Dauer abnimmt. Es
gibt zwei Arten von Platzregen: die eigentlichen Platzregen, die selb-
ständig auftreten, und solche, die nur eine Verstärkungsphase eines
Regens, und zwar meistens eines Gewitterregens, bilden. Wie diese,
kommen die Platzregen am häufigsten in der wärmsten Tages- und
Jahreszeit vor. Das von ihnen betroffene Gebiet ist sehr klein.
Aus einigen Tausenden von eigentlichen Platzregen, welche die
hlreichen Regenb Norddeutschlands in den 20 Jahren von
1891— 1910 gemeldet haben, ergeben sich folgende mittlere und ab-
solute maximale Intensitäten des Regenfalls pro Minute!.
: 1=5 6—i15 16-30 3145 4660 Min. Dauer
Mittleres Maximu, 3.2 3: 2. 1.4 u mm
Absolutes f der Intensität 6.7 5.0 47 2.3 1.5 mm
An einer einzelnen Station liefern 20jährige Beobachtungen natur-
gemäß viel kleinere Extremwerte, aber die Abstufung der Intensität
bleibt im wesentlichen dieselbe.
Zur Erklärung der Platzregen hat man Übersättigung der Luft
mit Wasserdampf angenommen. Obwohl diese meines Wissens höchst
selten in der Atmosphäre wirklich beobachtet worden ist, Könnte sie
doch wohl nur zur Erklärung der eigentlichen Platzregen dienen, nicht
aber derjenigen, die in der Mitte oder am Ende eines Regenfalls auf-
treten.
Die Intensität der Landregen, die während der kalten Jahreszeit
häufiger und ausgedehnter als im Sommer vorkommen, ist zwar gering
. “ Wegen. der zugrunde liegenden unteren Grenzen der Intensität vgl. mein Werk
»Die Niederschlagsverhältnisse in den norddentschen 8 bi Bd. 1, 8. 144-
Herrmann: Über den Charakter der S in Nordd hland. 303
und stark wechselnd, durchschnittlich nur wenig mehr als ı mm pro
Stunde, doch erreichen die Gesamtmengen wegen der langen Dauer
des Regenfalls so erhebliche Beträge, daß ihnen nächst den Gewitter-
regen der größte Anteil an der Regenmenge des Sommers zukommt.
An den Küsten liefern sie sogar die Hauptmengen.
Da bei den sanft niedergehenden Landregen ein relativ großer
Teil des Wassers in den Boden eindringt, tragen sie am meisten zur
Erhaltung der Bodenfeuchtigkeit und zum Wachstum der Pflanzen bei.
Dagegen hen die ungewöhnlich kräftigen Landregen, die im öst-
lichen Binnenlande gar nicht selten eintreten, die gefürchteten Sommer-
hochwasser der Oder und oft auch solche der Weichsel und Elbe.
Die meisten Überschwemmungen der westdeutschen Flüsse Weser, Ems
und Rhein rühren von Winterregen her, deren Charakter ich später
einmal zu erörtern gedenke.
"Ausgegeben am 11. April.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
weise oder auch in weiterer ne in
en Sprache veröffentlicht
en. Sollte eine da zuwi er Veröffe nt-
Be dem redigirenden Seeretar vor der Ausgabe in
den akademischen Schriften zur Kenntniss u so
hat er die as ttheilung aus diesen zu et
w r Verfasser einer leeasramease wissen-
en littheilung dieselbe anderweitig früher zu
ie
veröffentlichen beabsichtigt, ae ihm diess nach den gel-
tenden Rechtsregeln zusteht, so bedarf er dazu der Ein-
Gesammt-Akademie.
ı anderweitig zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestattet.
Aus $ 21.
Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stücken
in der Regel Donnerstags acht Tage nach jeder Sitzung.
Aus $ 22.
Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über die
in a Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei-
en und über die zur ee geeigneten ge-
schäfiliche en Angelegenheit:
ee, den en der Wissenschaften Mittheilungen
folgen in dieser Übersicht kur derselben,
ee. die Ve Ede Bueishen und für welche sie ver-
antwortlich sind. Diese Inhaltsangaben sollen sich in
er Regel auf 5—6 Druckzeilen beschränken, keinesfalls
10 Zeilen hesahre 'eiten.
Die nicht in den Schriften der ei erscheinenden
en werden mit vorges n Stern bezeichnet,
bei den für die Abhandlungen ee wird »(Abh.)«
zug.
ante Mittheilungen fremder Verfasser
Bericht über diejenig. 'e Sitzung aufgeführt,
in wel n Aufnahme in die akademischen Schriften
endgültig Tidenlosten wird.
827.
Das ne einer in einer akademischen Sitzung
ım Donners ur Aufnahme in die Sitzungsberichte zu-
Galerie Mitheihung, welche am alkdhten Donnerstag
gedruckt Bekiage a muss der Regel nach in der
Sitzung s selber s bis 2. 10 Uhr Morgens
dem = 6 druck-
fertig men a: Später eingereichte ke
werden, Präsentationsvermerk des
Secretars u a Archivars versehen, Fre ein Se
Stück zurückgelegt.
a a von vorn herein mit Mittheilungen ge-
schehen, deren aus irgend welchen Gründen be-
sondere A ae erwarten lässt, oder welche den
in Ss 3 a 4 een Bestimmungen nicht entsprechen,
rci versendet spätestens am Montag
a = Core an die hier Sohnähiioe = an-
wesenden V an die Mitglieder, welche die
Mittheilung Be abet n, mit der Angabe, dass sie
dieselben am Dienstag Abend wieder abholen lassen werde,
er su nd mit der Coı
Rev uss
ie
ruckerei ae die
bend von der en be-
Correetur länger als = Dienstag Abt
trauten Person behalten, so hat diese es zu verantworten,
wenn die ee in einem spätern Stück erscheint.
ch auswärts werden Correeturen nur auf Verlangen
Ferandk; "he vr 'erfasser verzichten damit auf Erscheinen
= Mittheilung nach acht Tagen. Fremden Verfassern,
n Correeturen er en Bi ee I
zur 2 Revalon unterbreitet werden
‚cheinen am nächsten Augaheuge ee lt ee
che rt werden.
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
Abhandlungen. 1909:
'h-mathematische u a ae
hysikalisc
Phllosophisch- historische Class en
aa Jahr;
g- 1910:
Physikalisch-mathematische Olasse . . . - -
Philosophisch-historische Classe . . -» » » -
411.50
se
M34—
. 38.—
Einzelne anne aus den Jahren 1909, 1910, 1911 und 1912.
Der Proc: mastoideus ” Pe 9
ne Gödächinissrede u af Eberhard Schra« De ee
von Wıramowırz-MorıLExn Nordioni: ni Seine. N ee
Scaurze, W.: Ge Aehtoeiede- auf Richard Pi n a Se
Roses: See auf Friedrich Kohleauie a ee re 2
Lasporr +: Über die a der Masse bei chemischen Umsetzungen A en
Kekurx von m. = ee
Dirzuev: Der Aufn 4 der geilen wat in des Geisteswisenschaften. Erste | Hälfte ee
van’r Horr: ıtnissrede auf H: 'h Landolt . en
ÜLLeR: Uigurica -» 1
Exozer und Karen Uber den den anatomischen Bau der baumartigen Cyperace Schoenodendron R
us Kam * ee » ee
Fiscner: er auf ns bus Henri ar vant "Hof. a =
Scuuzzz, W.: ei E aut es a ee Er
Exsan: Hymnen an das Diadem der Phara ee
Morr: ne sprachlichen indernng | Frankreichs u
Disis: Die g x Galen‘ ’schen Commentars "zum Prorrhetieum des 5
Hippokatea 2.2, 2 es =
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
us$1l.-
Die Akademie gibt ar s Alt der Statuten er
fortlaufende i i
der Königlich Preussischen ae lemie eder ea
und ee der Königlich Preussischen Akademi
der Wissenschaft
Aus $ 2
jede: sor Keen a die »Sitzungsberichte« oder die
muss in einer aka-
demischen Sitzung er werden, wobei in = ur
ich einzuliefern ist. Nich;
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
'ache angehörenden ee Mitgliedes zu benutzen.
Der Umfang einer Auen Mittheilung soll
2 der Regel in den ei sberichten bei SEE. 32,
6 Sei 3, =
in der
ie Sleungsberehe, in = Abhandlungen 12 Druckbogen
von je 8 Seiten in der 'ewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht überstei
Aus $ 6.
sich nicht bloss um glatten a a
iahande Anweisungen Satzes
ei sind diese eisungen von ar
2. vor -—— des Manu: Se ran
Dass at zu v en Sr a Verfasser
ich
seine Niheing als vollkom:
Die erste engen ihrer Mihelngen Emas die
Verfasser. mde haben diese erste Correetur das
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur Ar nach
a er nicht über die Bee von :
leichten Schreibversehen ‚gehen. Umfäng]i
Camekiren gs bedürfen ae Genchnigung des ae
girenden Seeretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser ind zur Tragung der entstehenden Mehr-
Hosen verpflichtet,
s$8
„von allen in die Siteungberichte oder Abhandlungen
an Reden,
muthen, dass diese Zustimmung erford«
hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einrei
Ai a ae :
im Druck abschätzen zu lassen,
en Sg Sven asp im Text oder
eigegeben werden, so sind die
Vorlagen ee age Photographische Original-
En anu
ahmen u. s. w. eript, jedoch
er ee Blättern, einzureichen.
ie Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in
der Ba die Verfasser zu tragen. Sind diese en
aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen,
die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. "Ein
darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be-
treffenden Vorlagen mit dem ee Kostenanschlage
eines er verständigen an den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im ERE at vorzuberathen und
alien "E der Gesammt-Akademie zu verhandeln.
Die Kosten der Vervielfältigung Ballen die A
demie. me die voraussichtliche ie dieser are
ist — wenn . sich nicht um a inte Textfiguren
handelt —
beizufügen. De 'hreitet dieser a schlag für die er-
we Auflage bei En Sitzungsberichten 150 Mark,
n Abhandlungen so ist Vorberathung
Ans Ans Secretariat got.
s$5
Nach der Vorlegung und Bee ..
zuständigen Seeretar oder an de
wird über Aufnahme der Mittheilung in die ak en
un ne zwar, wenn eines der anwesenden A
erlangt, Be year
ID, ehe nieht Mitglieder
der Aladenie sind, ge der Regel nach nur in die
Si richte ee werden. Beschliesst ‚eine
Classe ie. Aufnahı
Ahr
a er der » Abhandlungen«,
bedarf dieser egäne der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademii
Adressen oder Berichten werden 8 die Verfasser, von
wissenschattlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
rucl aue! d
‚ke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
iefinden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben v werden.
'n Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich einverstanden erklären.
‚ht
ee ein ee welcher es der Akademie ist,
'rei-
lare bis ‚ahl
e Boden noch bis
Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen,
rechtzeitig dem redigirenden Secretar an-
ch mehr
es dazu
-Ak ie oder der be-
Nis hmiietieder erhalten 50 Frei-
plare auf
A den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
ie nie Sg der Akademie =
0
pn a er lass
17.
Eine für die akademischen Schriften
stimmte wissenschaftliche Mittheilung dar
elle anderweitig, sei es
(Fortsetzung auf S.3 des Umschlags.)
305
SITZUNGSBERICHTE 1012
XIX.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
11. April. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers.
1. Hr. Waroever las: Über einen Fall von Mikrocephalie.
(Abh.)
Im Anschlusse an den im vorigen Jahre iel Fall von ) halie bei
einem 16jährigen Mädchen wird über einen neu zur ne een gleichen
Fall bei einem 52jährigen Manne berichtet, und es werden insbesondere die Windungen
dieses Gehirns mit denen von normalen reichgegliederten Gehirnen verglichen.
2. Von der Gesammtausgabe der Werke Lroxuarn Evrer’s wurde
Bd. 4 der Serie III vorgelegt: Dioptrica hrsg. von E. CnersuLiez. Vol. 2.
Lipsiae et Berolini 1912.
3. Hr. E. Horn, direndes Mitglied, ü det sein Werk:
Danmark-Norges Historie fra den store nordiske ie Slutning til
Rigernes Adskillelse (1720—ı814). Bind 7, Afd. ı. 1800 —1807.
Kjobenhavn 1912.
4. Die Akademie hat durch ihre phys.-math. Classe ihrem Mit-
gliede Hrn. F. E. Scuusze weiter 10000 Mark zur Bearbeitung des
»Nomenclator animalium generum et subgenerum« bewilligt, und durch
ihre phil.-hist. Classe Hrn. Professor Arson Oskar Mrver in Rostock
600 Mark zu einer Reise nach England behufs Studien für die Fort-
setzung seines Werkes »England und die katholische Kirche unter
Elisabeth und den Stuarts«.
Hr. Hersrıcn Wörrrum, bisher ordentliches Mitglied der philo-
sophisch-historischen Classe, hat am ı. April seinen Wohnsitz von
hier fort nach München verlegt und ist damit statutengemäss in die
Reihe der Ehrenmitglieder der Akademie übergetreten.
hisch-} isch Classe
Das correspondirende Mitglied der phil
GaBrıeL Monop in Versailles ist am 10. April gestorben.
_ Ausgegeben am 25. April.
Sitzungsberichte 1912.
307
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XX.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER nn...
18. Sitzung der physikalisch-mathematiscl RE
Vorsitzender Seeretar: Hr. Auwens.
Hr. Scuwarz las: Über eine, wie es scheint, bisher nicht
bemerkte Eigenschaft der reellen Configurationen (9,, 9,).
Jede reelle ebene Configuration (9,, 9,) kann, entweder durch eine Centralpro-
jection oder durch eine Parallelprojection, in eine andere Configuration derselben Art
übergeführt werden, welche die Eigenschaft besitzt, mit sich selbst zur Deckung
zu gelangen, wenn sie unter Festhaltung eines bestimmten Punktes in ihrer Ebene
um einen Winkel von 120° gedreht wird.
Im Anschlusse an den Vortrag legte Hr. Scuwarz Zeichnungen von 34 in to-
pologischer Beziehung von einander verschiedenen, sich selbst zugleich einbeschriebenen
(95, 9,) bilden. Diese Zeichnungen hat Hr. stud. math. DerLer Caver angefertigt und
dem Vortragenden mitgetheilt. Bisher waren, wie es scheint, nur 10 von einander
verschiedene Neunecke der angegel Beschaffenheit bekannt.
308 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Die Erfahrungsgrundlagen der Lehre vom allge-
meinen Gleichgewichtszustande der Massen der
Erdkruste.
Von F. R. Hernerr.
(Vorgelegt am 2. November 1911 [s. Jahrg. 1911 S. 913].)
1:
Seit etwa fünfzig Jahren hat sich allmählich die Lehre von der Isostasie
der Erdkruste gebildet, wonach diese auf dem Erdinnern sozusagen
schwimmt. Das Erdinnere wird hierbei zwar nicht als flüssig, aber
doch als nachgiebig gegen die von der Erdkruste ausgeübten hohen
Drucke vorausgesetzt. Unterhalb der Kruste muß also eine Niveau-
fläche gleichen oder doch nahezu gleichen Druckes bestehen: die Aus-
gleichsfläche'. Abgesehen von der Änderung der Schwerkraft mit
der Höhe innerhalb der Kruste werden somit über gleichen Teilen
der Ausgleichsfläche gleich große Massen lagern — allerdings infolge
der Festigkeit der Kruste nur bei größerer Ausdehnung dieser Teile
und nicht auch für kleinste Stücke. Die lineare Dimension derselben
beträgt erfahrungsmäßig nicht non einigen ea Kilometern. Inner-
halb dieser Ausdehnung ist die I g der Erdkruste mehr
oder weniger von der isostatischen Lagerung öreichend,
Vollkommene Isostasie ist auch für Massen von kontinentaler Aus-
dehnung fraglich, da geringe Abweich vom hyd ischen Gleich-
gewicht wegen der Zähigkeit des Erdinnern er wohl denkbar sind
und auch die fortdauernden Massenverlagerungen an der Erdoberfläche
den Eintritt völliger Isostasie hinausschieben.
Bekannt ist, wie Prarr zur Lehre von der Isostasie gelangte. Er
begann mit rechnerischen Studien über die Einwirkung der Massen
des Himalaja und des tibetanischen Hochlandes auf den meridionalen
indischen Gradmessungsbogen; entscheidend war schließlich dieMessung
der Schwerkraft auf Mor& im Himalaja in 4696 m Höhe durch eng-
! Sitzungsberichte 1908, $. 1058 u. ff.
Herxerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 309
lische Offiziere (Basevı 1871). Weiterhin folgten die Untersuchungen
von FAyE, HELMERT, von STERNECK, ScHigtz, Hecker und Hayrorv; der
letztere kam erfolgreicher als Prarr auf Krümmungsstudien zurück!.
2.
Die Schweremessung auf der Höhenstation Mor& hatte schon im
ı8. Jahrhundert einen Vorläufer in Bovevers Messung der Schwere
zu Quito gelegentlich der peruanischen Gradmessung, deren ähnliches
Ergebnis Larrace auf Dichtigkeitsdefekte unterhalb der Bergmassen
zurückführte’. In beiden Fällen ist die Beweiskraft für die Isostasie
nicht sehr groß wegen der möglichen Größe der Beobachtungsfehler.
Aber Fayr fühlte sich 1880 doch veranlaßt, unterstützt durch weitere
Ergebnisse, zu empfehlen, bei der Reduktion der beobachteten Schwere-
beschleunigung aufs Meeresni von der Anziehung der Gebirgsmassen
abzusehen. Ich fand die Ansicht Fayzs 1834 bestätigt.
Eine g Unt hung gab vox Sterneek 1898 durch
Betrachtung von nahezu 500 Messungen in Österreich-Ungarn. Gegen
900 solche aus verschiedenen Gegenden der Erde behandelte ich 1903
und fand für Zentimeter:
1 1
9 = + 0.009— 0.0002961 (H in m),
während in freier Luft ist
9 = 9,— 0.0003086 (H in m).
Hierin bezeichnet y, die sog te normale Schwerebeschleunigung im
Meeresniveau. Auf Bergkuppen und in Tälern weicht g nach der posi-
tiven bzw. negativen Seite ab nach Maßgabe der Erhebung bzw. Senkung
gegen eine mittlere Erhebung der Gegend für einen Umkreis von
mehreren hundert Kilometern Radius (Enzyklopädie S. 146).
Dieses Verhalten von g auf dem Festlande im allgemeinen spricht
sehr für eine Ausgleichung der Massen der Fı 'estländer über dem Meeres-
niveau im großen und ganzen durch Dichtigkeitsdefekte unterhalb des-
selben. Im einzelnen kommen allerdings beträchtliche Abweichungen
vor, am stärksten wohl im zentralasiatischen Hochl M: g
des russischen Obersten Zarzsskı®. Doch ändert dies nichts an der
allgemeinen Regel.
! Vgl. Enzyklopädie der math. Wiss. VI, ıB.: F.R. Heınerr, Die Schwerkraft
und die Massenverteilung der Erde, S.85 u. fl.
2 Mee. eel.t.5 l.ı1, S. 56. : .
® Vgl. E. Borrass, Bericht über die relativen Messungen der ‚Schwerkraft mit
Pendelapparaten in der Zeit von 1808 bis 1909 usw. (Teil III der Verhandlungen d.
Intern. Erdmessung 1909 in London und Cambridge. 1911), S. 155 u. #f.
310 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Über die Verteilung der Dichtigkeitsdefekte nach der Tiefe läßt
sich noch wenig sagen. Genau angeben läßt sich nur, soweit Schwere-
messungen reichen, die Dicke der »ideellen« störenden Schicht im
Meeresniveau (nach Heınerr). Die wirkliche Störungsmasse bzw. der
Ausgleichsdefekt liegt, wie man glauben muß, bis 100 oder einige
hundert Kilometer tiefer und ist daher größer als die ideelle Masse.
3.
Wäre Isostasie im allgemei nicht vorhand tsprächen ins-
b lere den sichtb Gestaltsunregelmäßigkeiten der festen Erd-
oberfläche in vollem Betrage Massenanhäufungen oder Defekte, so müßte
sich dies in starken Unregelmäßigkeiten des Verlaufs der Schwerkraft
längs der mathematischen Erdoberfläche, sowie in großen Abweichungen
der Gestalt der letzteren von einem abgeplatteten Umdrehungsellipsoid
äußern‘. Bei ganz gleichmäßiger g dkörp beträgt
nach E. Wırcnerr und G. H. Darwıx diese Abweichung dagegen höch-
stens 3 m.
Zur Prüfung der Isostasie gibt es also zwei Wege: Schwere-
messungen und Krümmungsmessungen. Von diesen beiden hat der
erstere am meisten zur Förderung der Erkenntnis beigetragen.
Aus den Schwerebeobachtungen auf dem Festlande leitete ich 1901
für Zentimeter und auf das Potsdamer System reduziert die Formel ab:
SSEEHt des E
: Y% = 978.030 (1+ 0.005302 sin? #— 0.000007 sin’ 29), (1)
oder
Y = 980.616 (1— 0.002644 cos 2 + 0.000007 cos’ 24), (2)
worin y, die Schwerebeschleunigung im Meeresniveau und &$ die geogra-
phische Breite bezeichnet, die Konstante — 0.000007 aber den theoreti-
schen Ableitungen der obengenannten beiden Forscher entnommen wurde.
Die nach der Regel für freie Luft aufs M i duziert
Schwerebeschleunigungen des Festlandes, die Werte I, zeigen eine
mittlere unregelmäßige Abweichung gegen den »normalen« Wert y
von etwa =#0.035 cm, abgesehen vom Hochgebirge und von der Nähe
der Steilküsten, wo größere systematische Abweichungen auftreten.
Durch die im letzten Dezennium im Auftrage der Internationalen
Erdmessung 1901 und 1904 ausgeführten Schwerebestimmungen auf
dem Weltmeere durch O. Hzcxer hat sich die Gültigkeit der Formel
für y, auch dort herausgestellt. Wenn auch die Sicherheit der Be-
obachtungen weit geringer als auf dem Festlande ist, so genügt sie
doch, um die allgemeine Regel zu erkennen. Wir gehen hierauf näher
ein, um festzustellen, daß Heckers Rechnungsmethoden genügend sind.
! Heıserr, Theorien der höheren Geodäsie I, S. 364 u. ff.
Heımerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 311
4.
Heckezrs Reisen auf dem Weltmeere erstreckten sich auf die Linien
Hamburg-Rio de Janeiro und Rio de Janeiro-Lissabon, Bremerhaven-
Melbourne, Sydney-San Franeisco und San Franeisco-Yokohama. Eine
kurze Notiz gab ich der Akademie 1902 über die erste Reise. Die
endgültigen Ergebnisse veröffentlichte Hecker 1910, nachdem bereits
zwei Veröffentlichungen vorausgegangen waren'. Die letzte Veröffent-
Hug end a der endgäluigen Ableitung den Einfluß der
der g auf die Quecksilber-
ee welcher vorher nicht in Rechnung gezogen worden
war. Eine wesentliche Änderung der Ergebnisse hinsichtlich des Nach-
ze der allgemeinen Isostasie tritt dadurch sowie durch die anderen
des R gg jedoch nicht ein.
Von diesen ist b lers her heben, daß Beobacht bei
ruhendem Schiffe mit solchen bei bewegtem Schiffe nicht mehr ver-
bunden wurden, weil sich nach den Erfahrungen auf dem Schwarzen
ea da ein BREHIRONEDER Unterschied zeigt, der wohl in den Schiffs-
bei bewegtem Schiffe wurzelt. Demgemäß konnten Be-
obachtungen auf dem Schiffe in den Häfen nur dazu rung
finden, die zeitliche Veränd g der Quecksilb im
Vergleiche zu denen der Siedethermometer festzustellen, nieht aber
zur Entscheidung der Hauptfrage. ur Haus aus schon war ver-
mutet worden, daß nur solche Beob g leichbar seien, die
unter gleichartigen Verhältni fänden; in der Tat hat sich bei
id Reise auf dem Schwarzen Meere gezeigt, daß sogar eine geringe
g in der Installation der Apparate Änderungen der Angaben
erzeugt, die ein Zerfallen der Beobachtungsreihen herbeiführt, wo-
durch ihre gemeinsame Verarbeitung erschwert oder gar unmöglich
gemacht wird.
5.
Die große Ausdehnung der Tiefsee beim Großen Ozean macht
die Ergebnisse der Reisen von Sydney nach San Francisco und von
hier nach Yokohama besonders interessant, denn hierbei kommen ge-
B der ‚kraft ni dem Atlantischen Ozean usw.
(Veröft, d. Kg. Preis. Geod. Inst.,. N. F. Nr. ır), 19 ;
uf dem Indischen und Großen Ozean usw. (Veröff.
4.2 entralbureaus d. Intern. Erdmessung, N. F. Nr. 16), 1908.
auf dem Schwarzen Meere und an dessen Küste
sowie neue A ‚lei der Sel ] auf dem ee Indischen
und Großen Ozean ek d.Z 1b d. Intern. d N. F.Nr. 20), 1910.
Die drei Abhandlungen werden hier im ee mit I, I und m Yeah
werden.
312 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
rade die ausgedehntesten Tiefseeflächen zur Geltung. Wir betrachten
daher diese Reisen zuerst.
Die Fahrt von Sydney nach San Francisco 1904 führte anfangs
über sehr hselnde M: iefen bis Samoa, dann aber von 500 km
weiter nördlich an auf einer nahezu geraden Strecke von etwa 3000 km
bis 300 km vor Honolulu über zehn Tiefseestationen von 4200 m bis
5500 m Tiefe (Mittel 5200 m). Auf der im ganzen geraden Linie Hono-
lulu-San Franeiseo folgen von 500 km hinter Honolulu an bis 400 km
vor San Franeisco 10 Tiefseestationen auf 2500 km Länge mit 4700 m
bis 5500 m (Mittel 5100 m) Tiefe.
Die Fahrt San Franeisco-Yokohama 1904 enthält bis Honolulu
annähernd dieselben Stationen wie die vorige Fahrt; von Honolulu
bis Yokohama folgen zunächst Stationen in der Nähe der Hawaii-Insel-
kette, dann von etwa 2000 km westlich Honolulu ab bis etwa 800 km
vor Yokohama ıı Tiefseestationen auf einer Strecke von 3000 km mit
4500 m bis 6400 m (Mittel 5300 m) Tiefe.
Zum Anschluß der Tiefseebeobachtungen an das Festland liegen
drei Flachseestationen vor, nämlich zwei in der Nähe von San Fran-
eisco und eine in der Bucht von Yokohama. Die ersten beiden fallen
bis auf wenige Kilometer geographisel Die Beobachtung
auf der Flachsee erfolgten ebenso wie die auf der Tiefsee bei rascher
Fahrt. Das Wetter war günstig bis auf die letzten Tage vor Yoko-
hama, wo Sturm eintrat (II, 2).
Unter der Annahme, daß g, auf der Tiefsee bis auf kleine unregel-
mäßige Variationen der Normalformel (1) für y, entspreche, wurden die
Einflüsse der Schiffsschwankungen abgeleitet; diese Größen konnten
dann dazu dienen, die Beobachtungen auf der Flachsee zu verbessern und
so den Unterschied der Schwere zwischen Flachsee und Tiefsee herzu-
leiten. Da man aber aus Pendelbeobachtungen von Küstenstationen,
die nicht allzu weit von den Flachseestationen entfernt sind, die Schwere-
beschleunigung g, für letztere mit leidlicher Sicherheit ableiten kann,
so ist damit auch die Schwere auf der Tiefsee ermittelt.
Ist S der Luftdruck aus den Siedethermometern, reduziert auf die
normale Schwere in 45° geogr. Breite, B der reduzierte lokale Queck-
silberbarometerstand und g, die Schwerebeschleunigung des Beobach-
tung: ‚ So ist, abgesehen von Beobachtungsfehlern, 9,8 = 9," B.
Mit Rücksicht auf Verbesserungen der Beobachtungen gelangt man zu
der Gleichung (I, 75, IL, 193, III, 52 und 132): ;
dB
S-B-)+Kr+aT + t)Hop+dr+ectfark, —=$, (3)
Herserr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 313
worin s die sogenannte Schwerekorrektion des Quecksilberbarometer-
standes B ist:
we „+28 95.980.010, W=0,—Y, : . (4)
4
mit 2
5 = (— 0.002644 cos 2 + 0.000007 cos’ 29) B; (4)
ferner bezeichnet:
K, eine Korrektion wegen der ostwestlichen Schiffsgeschwin-
digkeit,
a eine Konstante für den Einfluß der Geschwindigkeit der Luft-
druckänderung zur Zeit der Beobachtung,
b eine Konstante zur Berücksichtigung der der Zeit proportio-
nalen Veränderung des kleinen systematischen Unterschiedes
der Angaben S und B, der für die Zeit #, gleich A, gesetzt ist;
c, d, e und f sind Konstanten zur Berücksichtigung der Schiffs-
schwankungen, die sich äußern im Pumpen p der Queck-
silbersäule im Barometer, ferner als Schlingern r und als
‘ Stampfen r des Schiffes, sowie in einer Ungleichheit A der
Periode für steigenden und fallenden Barometerstand.
Eine Tafel der normalen Schwerereduktion s, gibt II, 226.
Wegen verschiedener Fehlerbeeinflussungen ist der Wert der linken
Seite von (3) nicht Null, sondern eine kleine Größe d, wie in (3) an-
gegeben ist. Abgesehen davon kann man (3) zur Bestimmung von Ag
benutzen. Denn löst man von s den Teil Ag-B/g,, ab und bringt ihn
nach rechts, so gibt (3) eine Bestimmungsgleichung für Ag- B/g,, mit
dem Fehler d, dessen mittlerer Betrag zu schätzen ist. Für B/g, ge-
nügt bei der Kleinheit von Ag die Annahme von 760/981, d.h. man
hat, um Ag zu erhalten, mit 1.29 zu multiplizieren, wenn B in mm,
9 in cm verstanden werden.
6.
HECKER ermittelt in I, 159, in der angedeuteten Weise aus den
beiden Reisen auf dem Großen Ozean:
Ag (Flachsee — Tiefsee) = + 0.052 em } für die Küste bei
und +0.045 >» San Franeisco
und +0.054 » für die Bai von Yokohama.
Die Konstante b des Zeitgliedes wurde bei der Reise Sydney-
San Franeisco aus der Vergleichung der Hafenbeobachtungen bei ruhen-
dem Schiff in Sydney und San Franeisco ermittelt; für diese Orte ist
9 aus Pendelmessungen bekannt, die Hecker selbst in Sydney und
Berkeley bei San Franeiseo ausführte (vgl. hierzu Abschnitt ı2 weiter-
314 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
hin). Die wegen des Zeitglied j Werte von ($—B—s)
+adBj/dt stimmen daher in diesen Häfen überein bis auf eine uner-
hebliche Größe (vgl. III, 129 und 130, Juni 26 und 27, sowie Juli 18,
2. Reihe, und Juli 19. Siehe auch II, 157, 196).
Bei den Werten der Reise San Franeisco-Yokohama zeigen aller-
dings die Hafenmittel für (S— B—s) noch einen Unterschied von
+0.05 mm, der aber durch Berücksichtigung von adB/dt auf + 0.02 mm
herabsinkt, was in Ag +0.03 cm entspricht (vgl. II, ı3ı und 132,
Aug. 23—29 und 30, 1. Reihe, sowie Sept. ı8, 2.—4. Reihe und Sept. 19.
Siehe auch II, 178, 198). Dieser Betrag ist gering und um so eher
zu vernachlässigen, als er bei der nahezu symmetrischen Lage der
Flachseestationen zu den Tiefs i den Unterschied Ag (Flach-
see — Tiefsee) nicht beeinflußt. Auf die Einzelwerte von Ag kommt
es uns nicht an; sie werden auch nicht viel mehr als um 0.01 cm
betroffen. Die zur Bereel g von s erforderliche Schwerkraft in Yoko-
hama entnahm Hecker seiner Pendelbeobachtung in Tokio (vgl. Ab-
schnitt 12).
Die Fehlergleichungen aus den Tiefseebeobachtungen haben nach
Maßgabe von (3) nunmehr die Gestalt
dB
S-B-s+K)+an, +ep+dr+ec+fa+k, =v, 65)
wobei
=v (6)
gesetzt ist und der Klammerausdruck eine kleine Zahl in mm ergibt.
Die Ag kann man sich jetzt für eine Gruppe von Tiefseebeob-
achtungen um eine zunächst beliebige Konstante & verändert denken,
wenn man der Größe k, zugleich gegenüber seiner früheren Bedeutung
einen Zuwachs von u/1.29 erteilt. Die Werte Ag-+-u, welche nun in
(6) anstatt Ag einzuführen sind, haben die Bedeutung relativer Schwere-
störungen, die wir mit Ag* bezeichnen.
Die sechs Konstanten a, rc, d, e, f und k, wurden von Hecker für
jedes Barometer bei jeder der beiden Reisen aus der Bedingung [vv]
ein Min. unter Benutzung von ungefähr 20 Tiefseegleichungen (5) be-
stimmt. Die Ergebnisse für die v sind Näherungswerte für die Größen
Ag*/ı.29, die durch Mittelbildung aus den einzelnen Barometern ver-
bessert werden. Allerdings ist dabei zu beachten, daß für alle Baro-
meter auf jeder Station nur ein einziger Mittelwert $ benutzt ist, dessen
Unsicherheit also durch die Mittelbildung nicht indert wird.
Da nun [v] = o ist, so wird bei dieser Bestimmung der Schwere-
störungen auch [A9*]=o, d.h. im Mittel ist für die Ausgleichungs-
Heınert: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 315
gruppe von Tiefseestationen die Schwerestörung gleich Null gesetzt.
Wendet man dann (5) auf eine Beobachtung an, die nicht in der Aus-
gleichung enthalten ist, so ergibt die linke Seite von (5) mit 1.29
multipliziert die Schwerestörung dieser Station relativ gegen die Aus-
gleichungsgruppe der Tiefseestationen.
12
Für die Reise Sydney-San Franeisco benutzt Hecker je 20 Fehler-
leich für B ter I, I und V sowie ı8 solche für Baro-
meter ıv (vgl. II, 138 u. ff.). Wir stellen die wichtigsten Ergebnisse
zusammen:
Tabelle I.
Sydney-San Franeisco.
$ Tiefe EEE NS N Mitte | Ag"
& | Breite Länge \ en LE er |;
a" in m in 0.01 mm In 0.01 mm in 0.001 cm
|
1 | — 9°37'| 169° r0'W| 5000 o 44 —4 ° o | °
2 | — 828 | 168 48 5000 ; ou. ° —1.0 | —13
3 | =4 6| 167 32 5500 Fee 39
4 —- 259 | 167 6 5000 3 2-64 -3 | —3.5 | 45
5 | +1 34 | 165 29 5500 3 0-0 | 3.3 | Zug
6 | +245 | 165 ı2 5400 3.34 -| —o | 26
7 | +12 19 | 161 38 5400 HE o ° o °
8 | +13 33 | 161 14 5500 +2 4 4 ° +18 | +23
9 | +17 45 | 159 42 5300 o 4 5 + +2.5 | +32
10 | +18 48 | 159 18 4200 4 #5 +4 + +4.0 +52
ıı | +24 7 | 153 52 5000 4 —2 o.-5 —2.8 36
12 | +24 53 | 152 44 5500 o +4 + ©: +2.5 +32
13 || +27 26 | 148 23 5400 +10 —4 0.43 °© °
14 | +28 7|147 15 5300 4-3 + o 0.3 3
15 | +30 29 | 142 ı8 5100 4 U EN | +3-3 +42
16 | #312 15 | 14r 10 | 5000 +1 o + + | +15 +19
17 || +33 38 | 136 8 | 5000 +2 er +2 | +13. | +17
18 | #33 57 | 134 54 | 5ıoo IR le 4 | —4.7 61
19 | +36 5 | 129 19 | 4800 Ze] —2.3 30
20 || +36 36 | 127 36 | 4700 +4 4 +4. +6.3 +81
| [w]= | 189 227 361 216 ! 158.71 |
Die Tabelle I gibt die 20 Tiefseestationen, nördlich von Samoa be-
ginnend, nach geographischer Breite ®, Länge ? und Meerestiefe; Nr. I
bis 10 liegen südlich von den Hawaii-Inseln, dann folgen Nr. ı ı bis 20
weiter östlich bis San Franeisco. Unter I bis V stehen die v in Hun-
dertstel-Millimetern, dann ihre Mittelwerte und die daraus berech-
neten Ag*, diese in 0.001 cm. Wegen des Umstandes, daß bei IV die
Stationen ı7 und ı8 fehlen, haben die Durchschnittswerte Ag* der
316 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
letzten Spalte etwas verschiedene Gewichte, jedoch kann man der
systematischen Beobachtungsfehler wegen davon absehen.
Daß in den v etwas Systematisches zum Ausdruck kommt, zeigt
die Vergleichung der Reihen der vier Barometer sofort. Hauptsäch-
lich tritt es hervor in den Quadratsummen der v und der ihrer Stations-
mittel. Letztere müßte bei rein zufälligem Charakter viel kleiner sein
als erstere, etwa nur 65 statt 159. Den v derselben Station ist aber
das Ag* gemei und allerdings auch der Fehler von S, den Hecker
aber in II, 188, zu nur #0.016 mm bestimmt, während Ag* etwa
doppelt soviel geben dürfte. Der systematische Vorzeichenverlauf in
den Vertikalreihen ist wohl auf einen systematischen Verlauf von Ag*
mit dem Orte zurückzuführen, der mit der Massenverteilung zusammen-
hängt, aber kaum zu ergründen ist. Eine erheblich irrige Annahme
im Reduktionskoeffizienten auf 45° Breite dürfte nicht vorliegen, da das
Mittel der Ag* der zehn südlichen Stationen nur —0.006 em, das der
zehn nördlichen -+0.006 cm ist, Beträge, die ganz unsicher sind.
Die der Ausgleichung zugrunde liegende Voraussetzung über den Ver-
lauf von g, auf der Tiefsee ist also für das in Betracht kommende
Gebiet erfüllt.
Bildet man aus den Quadratsummen der Vertikalreihen » durch
Division mit der Anzahl der überschüssi das mittlere
Fehlerquadrat, so folgt
je}
je}
8 2
H=7,=135 kı= = 402
so i 216 m
ME w= 14 = 15.4.
Für das Stati ittel ist ähernd bei 0.01 mm bzw. 0.001 em
als Maßeinheit:
u R
wei und = 1881; (8)
es ist also der mittlere Fehler einer Gleichung, auf Schwerkraft re-
duziert, bei Anwendung des Barometermittels:
4, = 0.043 cm. i
Würde man Barometer IV weglassen, weil seine Angaben sehr
viel ungenauer als diejenigen der drei anderen sind, so ergäbe sich
#, = =E0.043 em unverändert. Deshalb wurde es beibehalten. Woher
die geringere Genauigkeit der Angaben von IV kommt, ist nicht er-
sichtlich, da die hauptsächlich maßgebende Trägheit nach II, 98, als
nahezu gleich für alle Barometer, nicht Ursache sein kann.
Hermerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 317
Durch Anwendung der aus den Ausgleichungen folgenden Kon-
stanten auf die am 18. Juli bei San Franeisco absolvierte Flachsee-
station fand sich in 0.01 mm (vgl. II, 147):
=+3 G=+5 w=+3 yw=+5,
Mittel + 4.0,
das gibt
Ag*= +0.052 cm, (9)
bei = 37°44', A= 122°44 W, Meerestiefe 80 m. Auch hier gäbe
die Weglassung von Barometer IV keine wesentliche Änderung.
Um die Genauigkeit dieser Bestimmung zu erkennen, wurde auf
die in den Akten des Geodätischen Instituts befindlichen Normalglei-
chungen zurückgegangen und für die Funktion der 6 Unbekannten
+ 0.314+0.090+1.5d+0.5e—0.08f-+k,, (10)
die dabei zur Geltung kommt (II, 130), das reziproke Gewicht nach
bekannten Formeln der Methode der kleinsten Quadrate bestimmt. ‘Es
fand sich zu 1.07 für die Barometer I, I und V; für IV würde es
wegen der geringeren Anzahl der Fehlergleichungen in der Ausglei-
chung kleiner sein, jedoch nur wenig; das wurde nicht weiter be-
rücksichtigt.
Als mittleres Fehlerquadrat der Gewichtseinheit wird man den
Wert u; = 1881 aus (8) anwenden, der für das Mittel der vier Baro-
meter gefunden wurde und der sich (nahezu) auch ergeben haben
würde, wenn man für jede Station das Mittel der Angaben der vier
Barometer gebildet und dafür eine Ausgleichung bewirkt hätte.
Das mittlere Fehlerquadrat, soweit es von den Konstanten her-
rührt, ist also für (9) gleich 1.07 + 1881 = 2013 für 0.001 cm als
Einheit. Hierzu tritt aber noch das mittlere Quadrat des eigentlichen
Beobachtungsfehlers, das wir zu 1000 annehmen können, vgl. weiter-
hin Abschnitt 9. Dies ergibt im ganzen 3013, d.i. nahezu 55’. Also
hat man aus (9) für die Flachseestation bei San Francisco aus der
Reise Sydney-San Franeisco:
Ag*= +0.052=0.055 em. (11)
8.
Für die Reise San Franeisco-Yokohama ergeben sich je 21 Fehler-
gleichungen bei den Barometern I, II, IV und V, 20 solche bei III.
Da sich in den Normalgleichungen, welehe die Akten enthalten, ein
Koeffizient nicht ganz richtig zeigte, wurden sie nach Richtigstellung
318 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
neu aufgelöst. Für die Unbekannten ergaben sich jetzt folgende Werte
in 0.001 mm:
I u II IV iv mitt]. Fehler
kn + 20 + 745 +126.9 + 83.4 — 37.2 #52
a —113.8 —102.7 —156.0 — 516 —104.6 + 48
e — 160.1 —450.4 —671.1 —776.6 + 70.9 #159
d + 02 + 54 — 75.0 — 32.6 - 05 = 67
e — 474 — 60.1 — 54.8 — 96.0 — 49.6 #51
F — 45.0 — 521 — 83.7 —115.2 — 56.9 = 46.
Diese Werte weichen aber nicht sehr von den Angaben in II,
147, ab. Tabelle II gibt die Fehler v und die Ay*.
Tabelle I.
San Francisco-Yokohama.
I u II IV Vv Mittel Ag*
g Breite Länge Ei in in
% Zeigt in 0.01 mm 0.01 mm | 0.001 cm
7
1 36° 117! | 127°33'W| 4800 | +14 +15 +01 —0.5 +LıI +07 EN
2 35 48 128 26 4800 | +09 +26 — 3.7 +0.2 -+o.1 | 0.0 o
3|| 34 8 | 133 42 5I0 | +15 —34 —03 —1.7 +37 0.0 °
4 33 40 | 135 8 5100 | —0.3 35 —68 —36 +17 —2.5 — 32
5 31 49 139 40 5000 | +28 +20 +24 +1.2 +21 +2.1 + 27
6 31 ı2 | 140 56 4900 | +0.5 —2.5 2.5 —0.2 —1.2 -ı
7 28 53 145 24 5000| +15 +0.1 — 30 —4.6 +29 —0.6 8
8 28 10 146 35 5Ioo | —-17 —.I +03 —I5 —I4 —0.9 ir
9 || 2542 | 150.24 5300 |-56 -51 —25 -82 —23| —47 or
10 | 24 53 | 151 38 5500| —07 —40 — 15 —52 —13| —25 TR
11 29 30 177 14 | 5500| 47-1 447 +22 +90 +83 +8.3 +107
12 29 56 | 178 36 5300 | —4.2 +02 +12 -0,2 —3.0 —1.2 —ı15
13 3ı ı2 176 18 E| 5000 | +#0.1 —-1.0 — 2.6 —3.4 +0.2 —1.3 TE
14 || 32 33 | 174 48 5000 +42 46.3 +65 +8.4 +20| +55 Bel
15 32 36 169 48 5200 |-40 —26 +02 +L1 —73 —2.5 ER
16 | 33 43 | 163 34 5000 | —19 —47 —80 +04 —1| —37 — 48
17 33 53 162 o 5000 | #L.I #08 +29 +0.1 +3.2 +16 + 21
; 34 21 156 30 4500 | -66 —54 —45 -—02 —5.3 44 = 9
19 || 34 30 | 155 0 50001435 +23 +24 #73 —03| +31 +40
20 34 57 149 55 6100 | +3.8 +31 +08 +12 +18 +2.1 + 27 x
21 34 56 | 148 27 6400 | —0.2 +05 +52 +23 -09 | +14 + 18
| [eo] = | 337:..232 409 369 234 | 202.21
! | I
Die Ag* stimmen gut überein mit den in III, 157, 158, angegebenen
Werten der Hrexerschen Berechnung. Der Mittelwert der 10 östlichen
Stationen gibt —0.012 cm, derjenige der 11 westlichen +0.011 em, was
hinsichtlich systematischer Einflüsse als günstig zu betrachten ist. Die
mittleren Fehlerquadrate werden bei 0.01 mm als Einheit:
Herxerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 319
ER PER 2 RS BELA
Ps. =15.1 er =143 Mı= 14 ee
12
234
— —er niet w=-——- =156.
Kıv 5 24 kv 15 15.6
Barometer III und IV zeigen sich weit ungünstiger als die an-
deren; für IV war dies schon im vorigen Abschnitt festgestellt (II
fehlte dort). Sieht man ab von den konstanten Anteilen in den v, die
sich nur stationsweise ändern, so folgt auf Grund einer Annäherungs-
rechnung für die Gewichte der Barometerangaben die Zahlenreihe
Behalten wir aber gleiche Gewichte bei, so ist fürs Stations-
mittel annähernd bei 0.01 mm bzw. 0.0oıem als Maßeinheit:
= ns =13.5 und ı = 2246,
1
also der mittlere Fehler einer Gleichung aus 5 Barometern: (13)
Y, = 0.047 em.
Würde man Barometer III und IV ganz weglassen, so würde der
m.F. einer Gleichung aus den 3 Barometern I, II und V gleich #0.045 cm,
also wenig verändert. Daher wurde es vorgezogen, III und IV mitzu-
nehmen. Die mittleren Fehler der Konstanten sind mit dem Mittel-
wert von u’ für die 5 Barometer berechnet, d. i. #” = 20.0 (bei Baro-
meter III ist keine Rücksicht auf das Fehlen von Station 6 genommen).
Die Konstanten sind schr ungenau, weil sie zum Teil schlecht voneinander
getrennt aus der Rechnung hervorgehen; nichtsdestoweniger wird die
Anwendung auf die Flachsee, zu der wir jetzt übergehen, recht günstig.
Auf der Flachsee bei San Franeisco wurde am 30. August, bei
Yokohama am ı8.8 ptember beobachtet. Wie schon bemerkt, ist bis
auf ein paar Kilometer ersterer Ort derselbe wie bei der Hinreise nach
San Franeiseo. Bei der Revision der Zahlen zeigte sich, daß bei Hecker
die Schwerereduktion für die Gleichung (3) mit der aus Pendelmessun-
gen an den benachbarten Küstenorten folgenden Schwerkraft ermittelt
worden war (vgl. II, 178 und 179). Um aber der Gleichförmigkeit
wegen auch hier mit Formel (5) zu rechnen — auch weil dies besser
dem später zu bewirkenden Anschluß von der Flachsee ans Festland
entspricht, habe ich die normale Schwerereduktion eingeführt. Damit
verändern sich die numerischen Glieder der Gleichungen um die ge-
ringen Beträge +0.016mm bzw. +0.014 mm.
320 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Die Glieder ($— B— s,+ Ky7) werden bei den angewandten Ba-
rometern (siehe auch II, ı3ı und 132) in Millimetern:
I u II IV Y
für San Franeisco: +0.126 -+0.116 -+0.136 -+0.176 —_
für Yokohama: +0.014 -+0.II4 0.164 -+0.094 —0.006
und die funktionalen Ausdrücke (III, 131 und 132) bei
San Franeiseo: +0.2404 +o.IIc +05d -+0.7e +0.28/+kn
Yokohama: —0.180 +0.14c +05d -+o05e —0.02f-+ kn. (14)
Damit ergeben sich die Werte von v in 0.01 mm:
I u II IV Me Mittel
San Franeisco: 43.7 +61 +53 +47 —_ +5.0
Yokohama: -08 +18 +62 +15 —38 +5.0.
Hierzu gehört
Ag*= +0.064 cm (15)
bei $ = 37°45', A= 122°42’W, Meerestiefe 80 m und
Ag*= +0.064 cm (15*)
bei = 35°10', A= 139°45’E, Meerestiefe 100 m.
Das reziproke Gewicht ergab sich aus den Normalgleichungen für
das arithmetische Mittel der Funktionen (14) zu 0.187. Die Ungleich-
heiten in der Anzahl der Barometer wurden nicht berücksichtigt. Als
mittleres Fehlerquadrat der Gewichtseinheit wurde 2246 für 0.001 em
als Maßeinheit angenommen, siehe (13). Das gibt anbi
Hierzu tritt das mittlere Quadrat des eigentlich bacht:
fehlers, das wir für das arithmetische Mittel der. beiden Flachseestationen
zu etwa 500 annehmen können. Das gibt zusammen 920. Also erhält
man aus (15) und (15*) im Mittel für die beiden Flachseestationen bei
San Franeisco und Yokohama aus der Reise vom ersten nach dem
letzten Orte:
Ay* = +0.064 50.030 em. (16)
Da bei jeder Reise in konstanter M. j beobachtet wurde,
so kann man (11) und (16) ittelbar aufs M i beziehen'.
Würde man nur die Barometer I und II benutzen, so bliebe das
Ergebnis (16) nach Größe und mittlerem Fehler nahezu ungeändert.
9.
Das mittlere Quadrat der Beobachtungsfehler in der Bestimmung
' eines Ag* wurde im vorigen zu rund 1000 für 0.001 cm als Maßeinheit
angenommen. Hierbei lagen Berechnungen Hecxers zugrunde. Nach
' Wie mir Hr. Hroxer mitteilt, sind die Höhen der Siedethermometer über
dem Wasser etwa 2.5 bzw. 4m gewesen.
Hernerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 321
Il, 224 und 225, ist der m. F. aus den 6 Siedethermometern gleich
#0.021cm und der m. F. aus 4 oder 5 Barometern etwa +0.023 em,
zusammen =E0.031 cm. Da bei dieser Schätzung die Übereinstimmung
der betreffenden Inst te unter sich benutzt ist, wird der m. F.
vielleicht etwas größer sein. Doch stimmt der Betrag gut mit dem-
Jjenigen überein, der sich aus 6 Doppelbestimmungen auf der zweimal
bereisten Linie San Franeisco-Hawaii ergibt (I, 225 und III, 160).
Hier liegen die Stationen 14, 16, 18, ı9, 20 und die auf der
Flachsee bei der Hinreise nach San Franeisco im Mittel nur ein paar
Zehnerkilometer von den Nummern 8, 6, 4, 2, ı und der Station auf
der Flachsee bei der Rückreise entfernt und geben die Unterschiede
in 0.001 cm +9, +34, —29, —30, +72, —ı2. Die Quadratsumme
durch ı2 dividiert ergibt 692. Diesen Wert muß man noch etwas
vergrößern, da die beobachteten Ag* bis auf den Fall der Flachsee-
station Ausgleichungsreste, also im Durchschnitt kleiner als wahre
Werte sind. Der Vergrößerungsfaktor ist 20:14 bei der Hinreise,
21:15 bei der Rückreise, im Mittel 20.5:14.5. Es folgt 974, was
mit dem vorigen Ergebnis #0.031 cm für den m. F. selbst gut stimmt.
Wir behalten den abgerundeten Wert 1000 fürs Quadrat des mitt-
leren Beobachtungsfehlers eines Ag* bei.
Das mittlere qi einer Gleichung war nach (8) für die
Reise Sydney-San Franeisco gleich 1881 bei 0.001 em als Einheit; nach
(13) war es für die Reise San Franeisco-Yokohama gleich 2246. Beide
Werte beziehen sich annähernd auf die gleiche Anzalıl Stationen und
auf gleich viel Barometer. Nehmen wir also einfach das Mittel, so
folgt 2064. Ziehen wir hiervon 1000 ab für den reinen Beobachtungs-
fehler, so bleibt als Rest 1064, dessen Quadratwurzel zu dem Werte
=#0.033 cm (17)
führt. Dieses ist der mittlere Betrag der Variation der Schwerestörung
Ayg* längs der Tiefsee. Er stimmt nahezu mit dem Werte =+0.035 em
überein, der die mittlere Variation von Ag auf dem Festlande angibt.
Jedoch ist er wohl in Wirklichkeit etwas kleiner, da bei den obigen
Betrachtungen noch keine Rücksicht auf den theoretischen Fehler im
Ansatz der Gleich gen (5) g ist.
SEI an
10.
Den Rechnungen zur Ableitung der Ergebnisse (11) und (16) liegt
die Annahme einer bestimmten Funktion zur Berücksichtigung der
Schiffsschwankungen zugrunde, siehe (3) und (5). Die Gestalt der
Funktion ist nun zwar als eine erste Annäherung ganz plausibel; auch
Spricht für ihre Brauchbarkeit die Übereinstimmung der Ausgleichungs-
Sitzungsberichte 1912. 31
322 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
reste v auf derselben Station; es könnte aber immerhin eine andere
Funktion, z. B. mit quadratischen Gliedern, besser sein. Frei von der
Gestalt der Funktion würde man werden, wenn man unter den Tiefsee-
beobachtungen solche hätte, die bei derselben Schiffsschwankung statt-
fanden wie auf der Flachsee. Das ist nun ig ähernd
der Fall.
Bei der Reise Sydney-San Franeisco geben die Nummern 5, 6,
14 und ı5 der Tabelle I nach III, 139, sehr nahe die oben unter (10)
aufgeführte Funktion, nämlich im Mittel
— 0.104 + 0.1556 +1.60d + 0.75e + 0.14f.
Das Mittel ihrer Ausgleichsreste Ag* ist —0.007 em. Diese 4 Tiefsee-
stationen allein würden also Ag* für die Flachseestation um 0.007 cm
größer ergeben als (11), wobei die Verbesserungsfunktion eingeht mit
dem Betrage
+ 0.414 — 0.0650 — 0.1d — 0.25e — 0.22.
Nach Maßgabe der Konstanten gibt dies in Ag* etwa 0.13 cm (vgl.
III, 146), doch haben die Glieder mit d und e (Schlingern und Stampfen)
nur verschwindenden Einfluß. Das Glied mit a (das von dB/dt abhängt)
ist wohl überhaupt seiner Form nach gesichert. So bleibt nur der
etwas stärkere Einfluß von c und f (Pumpen und Periodendifferenz).
Doch dürfte auch dieser nicht so erheblich sein, daß man nicht bei
dem Ergebnis (11) nach Größe von Ag* und Betrag seines mittleren
Fehlers stehenbleiben könnte.
Bei der Reise San Franeisco- Yokohama entsprechen die N I,
2,7,8,9,11,12,15 und ı9, Tab. II, gut dem Mittel der Funktionen (14)
der beiden Flachseestationen, besonders in den Koeffizienten von c, d
und e, vgl. II, 141:
+0.060+0.160C+0.59d+0.71e+0.33 f.
Der Unterschied gegen das Mittel von (14) ist nur:
— 0.034 — 0.0356— 0.09d— 0.11e— 0.20/.
Das gibt etwa +0.05 cm. Dabei ist das Mittel der A 9* gleich +0.003 cm.
Hier kann man mit vollem Recht das Ergebnis (16) festhalten,
da mit Ausnahme von f alle Koeffizienten wenig Einfluß haben.
Was letzteren Koeffizienten anlangt, also die Unsymmetrie der
Auf- und Abwärtsbewegung des Schiffes, so hat Hrcxer bei der ersten
Bearbeitung der Reisen auf dem Großen Ozean in II, 20 3 u.f. auch
eine Ausgleichung ohne Mitführung des Gliedes / bewirkt, welche zu
nicht wesentlich anderen Ergebnissen führte. Die Änderungen in den
Ag* gehen nur bis zu 0.03 cm; sie liegen also noch innerhalb der
Unsicherheit der Ergebnisse.
Herverr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 323
11.
Es möge hier noch das Ergebnis einer Ausgleichung für die Reise
San Franeisco-Yokohama aufgeführt werden, bei welcher in der Funktion,
die zur Berichtigung der Beobachtungen wegen der Schiffsschwan-
kungen dient, nur das Glied mit ce aus dem Pumpen benutzt: ist,
Schlingern, Stampfen und Periodenungleichheit aber nicht beachtet sind.
Die Herleitung dieses Ergebnisses ist insofern von Wert, als Hecker
bei der Reise auf dem Atlantischen Ozean den gleichen Rechnungs-
gang einschlug; erst bei den folgenden en gelangte er dazu, das
Schlingern und Stampfen durch si ht zu messen.
Die Periodenungleichheit allerdings hätte = auch nachträglich aus
den Photogrammen ermitteln lassen; davon ist aber wohl abgesehen,
nachdem der nicht sehr starke Einfluß derselben durch die am Schlusse
des vorigen Abschnitts erwähnten Ausgleichungen festgestellt war.
An Stelle von (5) tritt also nun die Fehlergleichung
dB
S-B—.+K)n+a, +Pp+h=. (18)
Die Methode der kleinsten Quadrate ergab folgende Werte der
Konstanten in 0.001 mm!':
I u II IV V-
kn — 38.1 +26.8 +343 —194 —80.8
a —100.7 — 86.6 -106.0 — 90° —89.8
€ —231.7 -—500.0 —834.6 -948.2 — 0.2.
Tab. II gibt die Fehler vo und die entsprechenden Ag*.
In der letzten Spalte sind die Ag* aus Tab. II mit aufgenommen.
Die Übereinstimmung ist nicht gerade gut; aber es wird doch auch
durch 3 Konstanten der Verlauf der Schwereanomalien leidlich gut
dargestellt.
Es ergeben sich nun für die beiden Flachseestationen die Werte
von vo in 0.01 mm:
I u IH IV Sf Mittel
San Franeisco: +38 +67 +53 +51 _ +35.2
Yokohama: 38 487 +00 -56 —7.I +0.4-
Hierzu gehören die Werte
Ag*—= +0.067 cm und -+-0.006 em, (19)
die an Stelle von (15) und (15) treten.
Das reziproke Gewicht für das arithmetische Mittel folgt aus den
Normalgleichungen gleich 0.087. Als mittleres Fehlerquadrat der Ge-
! Diese Berechnung wie auch die Ausgleichung für Tab. ]I hat Hr. Dr. Borrz
vom Geodätischen Institut bewirkt.
gir
324 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Tabelle IH.
San Franeisco-Yokohama.
a I u II IV. v Mittel Ag* in 0.001 cm
x in 1 nor
$ in 0.01 mm o.ormm | 3 Konst. | 6 Konst.
I +26 430 +03 +18 +25 +2.0 + 26 +9
2 +24 +50 —23 +36 +21 +2.2 + 28 o
3 +9 —383 —01I —20 +34 —0.3 ER o
4 FRI BE 1399 50 40 eh 32
5 449 448 +72 +69 445 +57 +74 + 27
6 +13 —13 —1.2 +08 —o.1 -ı — 15
7 +3 0.8 —48 —66 +20 —2.0 — 26 - 8
8 u a ee re 43 N} 12
) 58 —51 .—-30 -79 —23 4.8 62 — 61
10 —0.6 —32 +04 —41 —LI 1.7 — 22 — 32
1 +1 42 +12 489 +84 +3.2 +106 +107
12 -33 +6 +32 +25 —18 +0.4 +5 - 15
13 +47 #5 -01 +03 +18 +10 +13 —- 17
14 +33 +58 +61 +70 +10 +4.6 +59 + 71
15 N ee 5.4 — 70 — 32
16 6 51.68 01 —4B —3.9 — 50 — 48
17 —.0 -1.0 +04 —3 +06 —nI _ 14 + 21
18 Sr 35 u Te 3.2 gt 57
19 440 +36 +30 +92 +07 +41 +53 +40
20 +.6 +0.2 —19 —3.1 —05 0.5 - 6 + 27
21 +03 +43 +70 +45 +01 +2.8 + 36 + 18
[vv] = 261 273 509 555 280 276.13
wichtseinheit nehmen wir wieder den Wert, der aus den arithmetischen
Mitteln der v aller Barometer für jede Nummer folgt, d.i. entsprechend (13):
6276.13 Er
EN RR
es wird also der mittlere Fehler einer Gleichung: eo)
%, = =E0.051 em.
Das gibt 222 als mittleres Fehlerquadrat des Mittels der beiden Werte(19)
aus den Konstanten.
Fügen wir hierzu noch 500 fürs mittlere Quadrat des eigentlichen
Beobachtungsfehlers, so folgt, vgl. (16):
Ag* = +0.037 # 0.027 em. (21)
Aus der Vergleichung der mittleren Fehler (13) und (20) geht
deutlich hervor, daß die Anwendung einer Reduktionsformel mit 6 Kon-
stanten besser ist als einer solchen mit nur drei. Daran ändert auch
der Umstand nichts, daß das Schlußergebnis (21) einen etwas geringeren
Hernert: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 325
m.F. aufweist als (16); denn hierbei ist die Unsicherheit in der Kenntnis
der Funktion nicht voll berücksichtigt. Im ganzen kann man aber
wohl annehmen, daß a er Atlantischen Ozean mit 3 Konstanten a,
cund A, ei hl g noch genügt haben wird, zu-
mal dort zahlreiche Flachseestationen benutzt sind.
12.
Die Ergebnisse (11) und (16) haben an sich schon Bedeutung.
Diese wird noch erhöht, wenn es gelingt, die Flachseestationen auf
das Festland zu beziehen, so daß man dann durch Verbindung der
Ergebnisse auch die Tiefsee aufs Festland bezogen erhält. Hecker
bedient sich hierzu der Größe 0.036 em, um welche ich bei früheren
Berechnungen Ag bei Küstenstationen im Mittel größer fand als bei
Inlandstationen. Die Anwendung dieser Mittelzahl ist aber sehr un-
genau; fürs Mittel zweier Flachseestationen muß man einen m. F.
wegen lokaler Störungen von #0.035/V/2 = #0.025 cm erwarten;
außerdem wäre noch die Lage zum Rande des Steilabfalls zu beachten,
da für 1okm Annäl g an denselben die Störung um etwa+0.0023 cm
wächst und die Zahl 0.036 für etwa 50 km Abstand gilt‘. Ferner
kommt bei der Flachsee noch die Wassertiefe als eine die Schwer-
kraft vermindernde Ursache in Betracht.
Nun scheinen bei beiden Flachseestationen größere lokale Störungen
nach Maßgabe von je zwei benachbarten Pendelstationen ausgeschlossen
zu sein. Man wird daher besser die Ergebnisse für Ag aus den Pendel-
beobachtungen mit geeigneter lokaler Reduktion auf die Flachseesta-
tionen übertragen, wobei nur wenige Einheiten Fehler zu erwarten sind.
Nach Hecker ist in Berkeley:
$ = 37°52!2 A= 122°15!/4W I. —% = + 0.016 50.0014 em.
In San Franeisco ist 5-mal zu verschiedenen Zeiten beobachtet;
das einfache Mittel gibt:
#= 37°47:5 1=122%2517W g—%=+0.013#0.0035 em.
Die Einzelwerte sind hier nicht ganz einwandfrei; ihr Mittel
ist immerhin brauchbar’. Für die Flachseestationen ist im Mittel
$ = 37°44!5, A=122°43'W. Da hier Ag SI=RTI ist,
wurden für die Pendelstationen die nach Bousver ermittelten 9, —%.
angegeben, weil diese erfahrungsmäßig gleichmäßiger als die, —%;
verlaufen. Zu dem Werte von g’—y = +0.015 em, der sich im
en aus Berkeley und San Franeisco für die Flachseestation ergibt,
2 : Enzyklopädie, S. 137.
? E. Borrass, Bericht.
326 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
treten noch + 0.0023 mal 4=-+0.009.cm wegen größerer Annäherung
der letzteren an den Rand des Steilabfalls. Ferner ist zu beachten, daß
die Flachsee eine Wassertiefe von etwa 33 m hat (nach der englischen
Admiralitätskarte, Heexer gibt 8o m an). Damit ergibt sich noch
eine Verminderung der Schwere von — 0.002 cm. Es wird somit für
die Flachseestationen bei San Franeisco
y=g—y,=1—Yy = +0.022 em. (22)
Der mittlere Fehler dieser Größe dürfte einige Einheiten nicht über-
schreiten. Wir setzen # 0.005 cm an.
Für die Flachseestation in der Bai von Yokohama mit $ = 35°10',
?=139°%45'E und 100 m Wassertiefe kommen zwei Pendelstationen
in Betracht:
Tokio $ = 35°%42:6 A=139%6l0E g’—y,=-+0.014 cm,
Kamakura $ = 350192 ?%= 139°34'E %—y=-+0.025 cm.
Der Unterschied der Störungen erklärt sich durch die größere
Nähe von Kamakura zu dem Steilrand. Noch etwas näher liegt diesem
die Flachseestation. Berücksichtigt man dieses sowie die Wassertiefe,
so folgt für die Flachseestation bei Yokohama:
Y=g-%=R—%,=+0.021em, (23)
zufällig fast derselbe Wert wie (22); m. F. etwa =.0.005 em.
Für die Störung Ay = 9,—y, auf der Tiefsee der Linie Sydney-
San Franeisco folgt nun aus (22) und (11) der Wert
— 0.030*#0.055 em; (23)
für die Tiefsee auf der Linie San Franeisco-Yokohama ferner aus (22)
und (23) mit (16):
— 0.043 #0.030 cm. (24)
Diese beiden Beobachtungsergebnisse können hinsichtlich der
Hauptfehlerquellen äls inand bhängig aufgefaßt werden. Da-
mit folgt im Mittel mit Rücksicht auf die mittleren Fehler die Störung
Ag=9—Y auf der Tiefsee im Gebiete nördlich von Samoa bis zur
Linie San Franeiseo-Yokohama gleich
— 0.0400.026 em. (25)
Es ist wichtig zu bemerken, daß dieser Wert ganz allgemein
gilt und nicht etwa nur für eine besondere Annahme der Massen-
lagerung. Zu seiner Ableitung sind nur Beobachtungsdaten benutzt.
Macht man aber die Voraussetzung der isostatischen M; ilung
nach Prarr-Havrorp, so erklärt sich die Hälfte des Betrags — 0.040 em
ungezwungen, da bei derselben auf dem inneren Festlande die isosta-
tische Störung im Durchschnitt etwa +0.010 cm, auf der Tiefsee aber
etwa — 0.010 cm ist.
Hernert: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 327
13.
Weit weniger als die soeben besprochenen Reisen auf dem Großen
Ozean ist die Reise Bremerhaven-Mell 1904 geeignet zur Prüfung
der Isostasie. Hecker wählt hier die Tiefsee des Indischen Ozeans
zwischen Ceylon und der Westküste von Australien aus, wo 16 Stationen
mit der mittleren Wassertiefe von 4870m (von 2900 bis 6100 m) liegen,
welche Gleichungen der Form (5) geben, wobei jedoch auch das Zeit-
glied mit in die Ausgleichung aufgenommen wurde. Der Anschluß an
das Festland wird direkt mittels Gleichungen der Form (3) gewonnen,
die sich für Schiffsorte ergeben, die in der Nähe von 6 Pendelstationen
zwischen Messina und Aden sowie bei Melbourne liegen. Der Unter-
schied der k, aus (3) und (5) für dasselbe Barometer ergibt dann im
Mittel für 5 Barometer die Störung Ag auf der Tiefsee (III, 150) gegen
die Normalformel (vgl. Abschn. 6):
+ 0.031#0.044 em. (26)
Der mittlere Fehler ist aber viel zu klein. Zunächst deshalb, weil
bei seiner Ermittelung die Ergebnisse der benutzten 5 Barometer als
inand betrachtet sind (III, 144); schon aus diesem
Grunde ist er etwa doppelt so groß. Dann kommt noch in Betracht,
daß für die Gleichungen (5) die Koeffizienten von «, dund e sehr klein
sind, für (3) dagegen recht bedeutend, was mit dem auf dem Indischen
Ozean während der Reise l hend ünstigen Wetter zusammen-
hängt. Diese Ungleichheit der Koeffizi nt bewirkt an sich schon
einen großen m. F. in (26); es geht dann aber noch die ganze Un-
sicherheit in der Kenntnis der Funktion ep + dr +es ein, die nicht
genau zu schätzen ist.
Anstatt (26) muß man nun ansetzen mit starker Erhöhung des
mittleren Fehlers auf etwa +o.1em:
+0.031#0.100 em, (26*)
und hiermit verliert das Ergebnis für sich allein seine Beweiskraft
für die Existenz der Isostasie. Deshalb gehen wir auch auf weitere
inzelhei der B g nicht ein.
14.
Bei der Reise auf dem Atlantischen Ozean von Hamburg nach
Rio de Janeiro im Jahre 1901 konnte der Anschluß der Tiefsee zwischen
Lissabon und Rio an das Festland mittels mehrerer Flachseestationen
gewonnen werden: 6 in der Schelde und im Ärmelkanal, 3 an der
spanisch-portugiesischen Küste und 5 an der brasilianischen. Bei der
328 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Rückreise nach Lissabon kommen infolge der Ungunst der See aller-
dings überhaupt nur zwei nahe benachbarte an der letzteren Küste in
Betracht. Zu diesen im ganzen günstigen Umständen tritt noch hinzu,
daß das Pumpen der Barometer sich für die Flachsee annähernd im
gleichen Betrage äußerte wie für die Tiefsee. Hierdurch wird der Übel-
stand einigermaßen ausgeglichen, daß von der Funktion zur Verbesse-
rung der Beobachtungen wegen der Schiffsschwankungen nur das Pum-
pen berücksichtigt wurde. In die Ausgleichung gingen bei der Hinreise
29 Tiefseestationen mit der mittleren Tiefe 4200 m (3500 bis 5600)
ein, bei der Rückreise deren 33 mit der mittleren Tiefe 4100 m (2000
bis 5600). Sie wurde unter Benutzung der Gleichung (5) geführt, in
Zusammenfassung von Tiefsee und Flachsee, aber mit Einführung einer
Konstanten für den mittleren Unterschied der Ag beider Gruppen, so-
wie mit Bestimmung des Zeitgliedes durch die Ausgleichung. Es
fand sich hiermit für die Flachsee die Schwerestörung im Vergleich
zur Tiefsee (III, 149)
aus der Hinreise: Ag*= +0.015=+0.021 cm, (27)
» » Rückreise: + 0.037 50.059 ».
Man wird auch hier, um die Genauigkeit nicht zu überschätzen, den
m. F. annähernd verdoppeln müssen. Denn betrachtet man die übrig-
bleibenden Ausgleichungsreste in III, 142 und 143', so bemerkt man
leicht wie in den früheren Fällen, daß im Mittel die Reste der Sta-
tionsmittel kaum kleiner sind als für die einzelnen Ausgleichungen.
Wir setzen daher mit Abrundung der m. F.
Ag*= +0.015 40.040 cm bzw. + 0.037 30.100 cm. (27*)
Bei dem Übergang von der Flachsee zum Festland kommen die
g er tehenden Ausgleichung in Betracht. Diese
Voraussetzungen bestehen in Gleichheit von Ag für die Flachseesta-
tionen einerseits und für die Tiefseestationen and b h
von unregelmäßigen Schwankungen.
Für die Flachsee im Ärmelkanal ist aber mit Rücksicht auf die
Wassertiefe von etwa 8om nach Maßgabe von Pendelstationen jener
Gegend A9” =-+-.0.009 cm. An der Küste von Nordspanien und bei
Lissabon findet sich etwa Ag” =+0.055 cm. Endlich an der brasi-
lianischen Küste gibt Bahia Ag” — +0.041cm. Hier liegen die Flach-
seestationen sehr nahe an einem steilen Abfall zur T, iefsee, so daß man
für sie etwa Ag’ = +.0.050 cm setzen kann (mit Benutzung einer iso-
fo}
3 Hier wie auch $. 133 und ı 51 bis 153 sind einige Zahlen zu berichtigen.
Herserr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 329
statischen Schätzung). Im Mittel wird somit bei der Hinreise für die
Flachsee etwa
Ag=+0.037 em. (28)
Der mittlere Fehler dieser Größe dürfte #0.010 em nicht überschreiten.
Bei der Rückreise kommt nur der Anschluß an die brasilianische
Küste in Betracht und zwar für eine zwischen Bahia und Rio de Ja-
neiro gelegene Gegend. Im Mittel aus den Pendelergebnissen ist Ag”
=-+0.020 cm. Wegen der Nähe des Steilabfalls setzen wir für die
Tiefseestationen bei etwa 200 m Wassertiefe:
Ag = -+.0.030 cm. (28°)
Der m. F. mag auch hier zu #0.010cm veranschlagt werden.
Aus (27*) und (28) bzw. (28*) folgt jetzt die Störung auf der
Tiefsee des Atlantischen Ozeans zwischen Lissabon und Bahia bzw.
Rio de Janeiro gegen die Normalformel:
Ag=+0.022#0.041 cm bzw. —0.007&0.100cm (29)
und im Mittel:
Ag=+0.018#0.038 cm. (30)
19:
Die Ergebnisse von Hecxers Ozeanreisen stellen sich für die mitt-
lere Schwerestörung auf der Tiefsee im Vergleiche zum Fest-
lande, abgesehen von der Nähe der Küsten, nunmehr wie folgt, nach
(25), (26*) und (30):
Großer Ozean: —0.040 =+0.026 cm,
Indischer Ocean: +0.03I1 =*0.100 »
Atlantischer Ocean: -+0.018 0.038 ».
Dies gibt zusammen:
—0.019 0.021 cm. (31)
Wie schon bei (25) bemerkt wurde, erklärt sich ein Betrag von
etwa —0.020 ungezwungen durch die Isostasie bei Annahme der Prarr-
Havrornschen Hypothese. Das mittlere Ergebnis der drei Ozeane
stimmt also sehr gut damit, und der mittlere Fehler ist auch befrie-
digend klein. Er ist aus den m. F. der drei Einzelergebnisse berech-
net. Die Widersprüche derselben geben zufällig fast denselben Wert
=0.020 cm.
Diesem mittleren Fehler pricht eine G hicht von etwa
#200 m, um welche sich die Massen der Erdkruste bei den Fest-
ländern und den Ozeanen unterscheiden würden.
330 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
16.
Das vorstehende allgemeine Ergebnis für die Schwerestörung auf
der Tiefsee im Vergleich zum Festland ist, wie schon beim Großen
Ozean im Abschnitt 12 bemerkt wurde, noch unabhängig von jeder
Annahme über die Art der isostatischen Massenverteilung. Es bildet
mit dem im 2. Abschnitt erwähnten Ergebnis für die Änderung von
g mit H auf dem Festlande den Beweis dafür, daß die orographische
Gestaltung der festen Massen nur einen geringen Einfluß auf die Schwere-
beschleunigung hat, daß also im großen und ganzen Isostasie besteht.
Will man eingehender prüfen, so muß man eine Hypothese über die
Art einführen, wie sich die Diehtigkeit der Massen mit der Tiefe än-
dert. Es ist wohl ganz zweckmäßig, zunächst die Hypothese von Prarr
mit gleichmäßiger Verteilung der Kompensationsmassen nach der Tiefe,
die Hayrorn als Arbeitshypothese vorteilhaft fand, zu prüfen und dabei
die Tiefe der Ausgleichsfläche zu etwa 120 km anzunehmen.
Die Schwerestörungen erklären sich zum Teil durch die der oro-
graphi g entsprech Höhenstörungen der Massen-
lagerung, zum Teil sind Unvollkommenheiten im Gleich icl t
anzunehmen'!. Für die Vereinigten Staaten von Amerika hat Havrorn,
nachdem er die Lotabweichungen zur Untersuchung der Isostasie her-
angezogen hatte, auch die Schwerestörungen geprüft und sie mit der
Isostasie gut verträglich gefunden’.
Die an den Festlandsküsten beobachtete positive Störung von im
Mittel +0.036 cm und die von Scuiorz aus Hecxers Messungen für den
Atlantischen Ozean abgeleitete negative Störung von rund —0.060 em
über dem Küstenfuß stimmen auch gut zur Prarı-Havroroschen Hypo-
these; erstere allerdings, wie ich kürzlich in Erfahrung brachte, nur
unter der Annahme, daß von der Erhebung der Kontinentalmassen
übers M. iveau abgesehen wird. Dies tritt besonders scharf an
der Westküste von Südafrika hervor, wo nach Oberleutnant Lorschs
Messungen vom Jahre 1898 die totale Schwerestörung etwa +0.040 em
beträgt, während man nach der isostatischen Hypothese (abgesehen
von Kapstadt) annähernd Null erwarten müßte.
Es wird noch zu untersuchen sein, ob generell an den Küsten
eine von Prarr-Hayrorn abweichende 1 } ist.
(o} o°
Ich hoffe darauf zurückzukommen, wenn Berechnungen von Ag nach
dieser Hypothese in noch größerer Anzahl vorliegen. Jedenfalls han-
delt es sich dabei aber nur um regionale Abweichungen, wie sie schon
! Sitzungsberichte 1908, $. 1058; 1909, S. 1192; ıgrı, S. 10 u.fl. und Enzy-
klopädie.
® Verhandlungen der I. E. in London und Cambridge 1909, I, S. 365 u. ff.
Hernerr: Gleichgewichtszustand der Erdkruste. 331
früher fürs Festland nachgewiesen wurden und wie sie neuerdings
E. Kontscnürrer aus seinen eigenen Beobachtungen in Ostafrika und
aus Hrckers Messungen für den südlichen Teil des Großen Ozeans
aufgefunden hat.
17:
Das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts brachte der Geodäsie
zur Prüfung des Bestehens der Isostasie außer der Untersuchung der
Schwerkraft auf dem Weltmeere noch die wirklich großartige Unter-
suchung der Lotabweichungen in den Vereinigten Staaten von Amerika
durch die unter Leitung von O. H. Tırrmans stehende Coast and Geo-
detic Survey. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden den Allge-
meinen Konferenzen der Internationalen Erdmessung von 1906 und 1909
vorgelegt und erschienen in zwei Teilen 1909 und ıg1ı0°. Ich hatte
schon zweimal Anlaß, mich mit den wertvollen Ergebnissen dieser Unter-
suchungen zu beschäftigen®. Durch mehrjährige Überlegungen und Vor-
arbeiten gelangte Hayrorn zu dem Entschluß, die isostatische Hypo-
these von Prarr auf die Ableitung des Referenzellipsoids in den Ver-
einigten Staaten von Amerika anzuwenden, und dieser Entschluß fand
die Billigung Tiırrmanns.
Geht man zunächst von der Tatsache aus, daß die für einen Teil
des Geoids in bezug auf ein ihm angepaßtes Referenzellipsoid abge-
leiteten Lotabweichungen in der unregelmäßigen sichtbaren Massen-
verteilung wurzeln, so kann man versuchen, durch sogenannte topo-
graphische Reduktionen die Lotrichtungen zu verbessern. Seit langem
schon ist es bekannt, daß dieses Verfahren nicht recht zum Ziele führt.
Havyrorpv berücksichtigtedi hische G l biszu4126km
Distanz; aber bei der Ableitung des Referenzellipsoids stieg die Quadrat-
summe der Lotabweichungen DE an En bis Sechsfache im Ver-
gleiche zum Falle duzi Durch Anwendung
der ERmEKBBENEN m =: dagegen für die günstigste Tiefe
er Ausgleichsfläche die Q der Lotabweichungen auf wenig
mehr als die Hälfte herab. Die Lotabweichungen er im et
schnitt nur ein Zehntel der topographischen Red Hi h
wird die Existenz von Kompensationsmassen zweifellos; sie liegen wahr-
scheinlich nicht ausschließlich sehr nahe unterhalb der mathematischen
! Über den Bau der Erdkruste in Deutsch-Ostafrika (Nachr. d. K. Ges. d. W.
zu Göttingen, ıgrr).
® Joun J. Hayroro, The Figure oL the Earth And. Isostasy from Measurements
: in 1909 of the Figure of
in the United States, 1909. — Suppl y
the Farth und Isostasy, 1910.
® Sitzungsberichte 1909, S. 1196, und 1917, 8. to u. *
332 Sitzung der phys.-math. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 2. Nov. 1911.
Erdoberfläche, wie es dem Falle unreduzierter Lotrichtungen entspricht,
sondern sind bis zu einer Tiefe von mehr als 100 km verteilt.
Wir können hier die zahlreichen, eingehenden Untersuchungen
Hayrorvs, um die zahlenmäßige Begründung der Isostasie für die
Vereinigten Staaten von Amerika vollständig zu liefern, nicht zur
Darstellung bringen, erwähnen aber noch, daß er S.59 der 2. Ab-
handlung die Abweichung von der Isostasie einer Massenschicht von
etwa 76 m Dicke entsprechend schätzt. Die mittlere Erhebung der
Vereinigten Staaten über das Meeresniveau ist nämlich 760 m, das
Verhältnis der mittleren topographischen Reduktion zur mittleren Ab-
weichung der isostatisch reduzierten Lotabweichung im Betrage von
rund 3” etwa 10:1; bei 76 m mittlerer Erhebung würde es also etwa
ı:ı sein. Diese Schlußfolgerung ist nicht recht zwingend, schon weil
die Meerestiefe dabei nicht in Betracht gezogen ist. Rechnet man vom
Meeresboden aus etwa 6000 m als mittlere kontinentale Erhebung, so
käme man auf 400 m als Dicke der verbleibend törenden Massen-
schicht.
Wie dem auch sei, so kann man wohl sagen, daß der Gegensatz
der orographischen Gestaltung von Festland und Meer durch isostatische
Kompensation bis auf wenige hundert Meter — wie es die Schwere-
messungen auf am Meere ah Abachrikt 15 ergeben — auch nach
Hayroros Lotal gen in den Vereinigten Staaten
von Amerika ausgeglichen sein dürfte.
Ausgegeben am 25. April.
333
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XXL
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
18. April. Sitzung der philosophisch-historischen Classe.
Vorsitzender: Hr. Coxz£ (i. V.).
*1. Hr. von Wir M las: Über das Symposion
des Platon.
Die Antworten des Sokrates zeigen, dass Platon die Rede der Diotima durchaus
nicht als Ausdruck seiner etrachtet wissen will. Die
Prophetin spricht zur Sache nicht anders als Arzt und Dichter. Offenbarungen mögen
noch so Grosses und Schönes enthalten, Wahrheit wird nur in wissenschaftlicher Dia-
lektik gefunden. Das Verständniss des Platon, auch das philosophische, hängt daran,
daß Poesie als Poesie behandelt wird.
2. Hr. Erman legte die 18. Wissenschaftliche Veröffentlichung der
Deutschen Orientgesellschaft vor: »Der Porträtkopf der Königin Teje
im Besitz von Dr. James Simon in Berlin.« Leipzig ıgıı.
334 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Über die Rätsel des Codex Cumanicus.
Von Prof. W. Bane
in Löwen (Belgien).
(Vorgelegt von Hrn. F.W.K. Mürrzr am 29. Februar 1912 [s. oben S. 213].)
Hierzu Taf. I und Il.
Mit fewe worde wis mon
fele biluken wel con.
(King Alfred’s Proverbs.)
Wenn es dem Verfasser zwar noch nicht gelungen ist, alle Schleier
zu lüften, die die Rätsel des Codex Cumanicus! umgeben, so liegt
dies, abgesehen ganz davon, daß es eben Rätsel sind, zunächst an
unserer Unkenntnis der Sprache, dann aber auch am Zustande der
Überlieferung.
Über diese belehrt das Faksimile sowie die folgende Mitteilung
des Hrn. Dr. Frarı, des Direktors der Mareiana:
se l’etat de ce feuillet 60 du Codex Cumanicus est, sur-
tout en certains endroits, presque desesperant. Il n’est pas possible
de lire avec suret& ce que l’on pourrait lire, sans savoir prealablement
ce qulil faudrait y lire. Je crois que ce feuillet 60 a &te quelque
temps le premier d’une partie du ms., qui &tait alors sans couverture
et qui a &t& consequemment tres deteriore par le frottement et l’usage.
Certainement ce precieux ms. a &t& longtemps dans les poches peu
propres d’un ancien possesseur; et cela a contribu& a rendre encore
moins lisible une £eriture, par elle-meme &vanouie. La marge gauche
du f. 60° est peu lisible par effet surtout de ce frottement; et la marge
droite du f.60”, par effet d’une bande de papier transparent, qui a
et© collee sur la marge pour la reparer.
Zu dieser Schwierigkeit gesellt sich noch die andere, größere,
daß die Rätsel wohl kaum Originaleinträge sind, sondern nach einer
älteren Vorlage kopiert ‚wurden, wobei der Abschreiber hier und da
' Vgl. Kuus, Codex Cumanieus, Budapest 1880, S. 143 ff, Ranvrorr in den
Memoires de l’Academie Imp. des Seiences de St-Petersbourg, VII Ser. T.XXXV,
N° 6, 1887, S. 2 ff, auf die ich hier ein für allemal verweise.
W. Baus: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 335
vergaß, die Auflösung beizuschreiben. Dadurch wird aber die aycıc
geradezu unmöglich'.
Und dann noch eins: unsere Rätsel gewähren uns ja zweifellos
lehrreiche Einblicke in das Kulturleben der Komanen, die für die Ge-
schichte des Codex Cumanicus von hervorragender Wichtigkeit sind’;
anderseits aber liegt doch gerade in der Kulturstufe, die die Rätsel
widerspiegeln, eine Klippe für den modernen Interpreten, solange er
nicht über reichere S lungen aus d ben Kreise verfügt und daher
der Gefahr ausgesetzt ist, in das betreffende Rätsel etwas hineinzu-
deuten, das nach seiner Herkunft vielleicht gar nicht darin liegen kann’.
Ich habe daher auch bei den Rätseln, die wie z.B. »das Ei«
oder »das Schiff«, Gemeingut aller Literaturen* sind, von der Aufführung
außertürkischer Parallelen abgesehen, da ein wahrer Nutzen für die Er-
klärung meines Erachtens nicht daraus zu gewinnen gewesen wäre.
Dagegen erwiesen sich für die Erklärung überhaupt sowie für die
i g der verletzten Stellen sehr nützlich: die metrische Form, die oft
ftretende Alliteration, die symmetrische Anordnung der Versglieder
(Parallelismus) und schließlich der Umstand, daß sich auch in mehreren
unserer Rätsel die Gegenstände derselben personifiziert selbst schildern.
Hrn. Dr. Frarı sage ich auch an dieser Stelle herzlichen Dank
für wiederholt freundlich erteilte Auskunft.
Fol. 60",
I (2. 1—2).
tap tap tamyzik
tamadirgan tamizik
kolägä altar??]
kojedirgan tamyzik.
ol kobelek.
! Vgl. Fünrer in ZDMG. 39, S.99 und besonders Meıszor, Die Dichtung der
Afrikaner, 1911, S.140: »Eigentlich kann man die Auflösung nicht raten, sondern
man muß sie wissen. Denn das Rätsel deutet nur an, was gemeint ist, und läßt unter
Umständen mehrere Lösungen zu.«
2 Wenn z.B. in Nr. IX der weiße Kranich als Gegenstand eines Rätsels er-
scheint, so geht daraus mit Sicherheit hervor, daß der Missionar, der es aufzeichnete,
€s nicht aus dem Munde eines in Ungarn angesiedelten Komanen gehört haben '
ann. Es weist aber wohl über die Sitze der Polowzer hinweg nach Osten.
’gl. Have in den Münchener Sitzungsberichten, 1875, Bd. II, S. 465.
* Über die uferlose Literatur des Rätsels orientiert am besten Turrer, The
Se of the Exeter Book, 1910, S. XI—LIN; Dorn Parallelen findet ee
er klassischen Sammlung Wossınros (Mecklenburgi Volksüberlieferungen 1; vgl.
besonders die re S. 272 ff.); weiteres wird der zweite im Druck befindliche
Teil von Worre. Scnurrz, Rätsel aus dem hellenischen Kulturkreise, bringen. Auch
für die türkischen Rätsel und ihre Analyse sind von grundlegender Wichtigkeit Eserrs
Aufsatz in den Berichten über die Verhandl. der Kgl. Sächs. Ges. der Wiss., 1877,
Ba. 29, S.20 fl. und Perscn, Neue Beiträge zur Kenntnis des Volksrätsels (Palästra IV).
336 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Das Schallwort Zap kommt nur noch in Nr. XXXIX vor, wo es von dem Ge-
räusch der sich öffnenden Tür gebraucht wird; kolägä — kölägä scheint sicher, da-
gegen ist das folgende Wort so gut wie verloren. koje° lies kojä® < goja° mit Über-
gang von @a>ä nach j.
Zu kobelek (doch wohl — köbäläk) vgl. jetzt immerhin das merkwürdige Kumük.
gobelek »Schmetterling« (Kel. Szemle, XI, rgrı, S. 114; daneben ebenda ı15: gumelek),
das auf eine Zi hinzudeuten scheint, jedenfalls aber ursprünglich mit
unserem kobelek identisch ist.
Wort findet sich CC 222 im Verein mit dur (d.h. bür) = »en knospe« und
wird durch »en czue walde« interpretiert. In czue kann (man vergleiche das vorher-
gehende »Anospe«) nur ein adjektivischer Gebrauch von czu — »geschlossen« vorliegen,
der also viel älter wäre, als wir bisher angenommen haben; walde ist die bekannte
zum Gelbfärben benutzte Pflanze Reseda Iuteola, jetzt Wau genannt; dazu würde der
Vergleich mit tamyzik vorzüglich stimmen.
Wi diese Erklärung richtig ist, so wären Nr. I—III dem Inhalte nach (»Färb-
mittel«) geordnet.
Knister-knaster Feuerbrand,
Ein Feuerbrand [ist's], der tropfen kann,
Schatten [wirft er? ?];
Ein Feuerbrand [ist’s], den man auflegen kann.
ösung: der gelbe Farbstoff.
II (Z. 3—4).
biti biti bitidim
bes agalga bitidim
konesuum juurd[im]
kök jibekim &irmadim.
2?
ol kinädir.
biti vgl. bitiv in Nr. XII < bitik. konesuum lies könäsu’ym (CC 30 von deutscher
Hand: fonefiu); su wurde also noch als selbständiges Wort gefühlt !; suum < *subym;
ebenso tar. sutmt Prob. V1, 136,21 < *subyny. juurdim = juurdim < Juyur- mit Schwund
des intervokalischen -y-, der uns noch so oft begegnen wird.
_ Über den Gebrauch von Quecksilber bei der Präpari g der H hmink
scheint in Europa nichts bekannt zu sein; Wıesser, Rohstoffe des Pflanzenreichs?,
II, 1903, 602 sagt nur: »Der zum Bemalen der Fingernägel dienende Farbstoff wird
wahrscheinlich durch Einwirkung von Kalk auf die Blätter dargestellt«.
Scauyzer, Turkistan, I. 181 sagt: »The leaves and flowers are bruised, mixed
with a little alum, and at night bound (vgl. unser dirmadim) about the nails of the
fingers and toes«.
Einen Brief, einen Brief habe ich geschrieben,
Auf fünf Hölzer habe ich ihn geschrieben ;
Mein Quecksilber habe ich geknetet,
Meine blaue (?) Seide herumgewickelt.
uflösung: Henna.
2 Dagegen soll nach W. B. II, 1245 ein uig. könüksü im Chin.-Uig. Wrtb. 68a vor-
kommen; ist es dort umschrieben? [Im Berliner Exemplar — Hırra, Ms.ı, 5 $. 68a
steht deutlich aa _ _saasos — kinük suv (in chinesischer Umschreibung 3 R
ik k*u-nu su), worin künük = dem gewöhnlichen kümüs — Silber bedeuten wird, also:
»Silber-Wasser«, chinesische Übersetzung IK ER eigentlich — Wasser-Silber.
F.W.K. M.]
aaa iS che nn a
W. Bang: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 337
IIL (2. 5).
///!/tä kara kula juvsap dir.
? “red:
ol jslikdir.
Im ersten Worte steckt vielleicht ein Lokativ. juvsap ist bisher ganz unbekannt;
ich vermute Zusammenhang mit kumük. jiusap »still, ruhig« (Kel. Szemle, XII, 1911,
S. 125). Dieses selbst ist aber etymologisch unklar, da der Diphthong zu sonst im
Kumükischen nicht vorkommt; man wird an Zusammenhang mit juwcas, jawas usw.
denken dürfen, das, von Pferden gesagt, »zahm, folgsam« bedeutet. x
jelik, d. h. islik, ist unverständlich; ich schlage vor, iglik zu lesen; der Abschreiber
hätte also $ und g verwechselt (vgl. meine Anmerkung zu julusna in Bull. Ac. Roy.
de Belgique, ıgır, Nr. 9—10, S. 466). Zu iglik stelle ich schor. iünik »rote Schminke«,
tob. inlik; nachträglich finde ich das Wort in der Form iglyk bei Schuuvrer, Turkistan I,
S. 181: Rouge (iylyk) is prepared by soaking cotton wool in an infusion of the root
of some boraginous plant. Das Rätsel muß sich auf die Art der Herstellung oder
des Auftragens der Schminke beziehen. h
Auf cn, ist der Schwarzfalbe zahm geworden.
Auflösung: rote Schminke.
IV (29).
Jjtip jtip jrgalmäs
jüindägi täyhalmäs.
ol urulh].
?
Mit j wird hier, wie sonst, der Vokal i wiedergegeben; irgalmäs < yryalmaz;
vgl. yrya-, tar. iryan- usw. däykalmäs mit äy< aj. ; Be
Die Auflösung ist verstümmelt und daher unsicher; uruh ist die gewöhnliche
Schreibung des CC für uruq.
Wenn Du es auch stößt und stößt!, so wird’s doch nicht bewegt;
In seinem Innern wankt es nicht (wörtlich: wird’s nicht bewegt).
Auflösung: der Samen.
V (Z.7 und 8 rechts).
siloüsin jägi[m] silkip bolmäs
?
sirma tonum bügüp [boljmäs
ol ju[murtka].
silovsin — kaz. siläwsin »Luchs«; CO 98 silausun »lupi ceruerij« an dieser Stelle
von einem Italiener eingetragen, so daß wir es durch siläüsün interpretieren dürften ;
silovsin also silöüsin zu lesen.
Mein Luchs (-farbenes) Fett (oder Öl) kann man nicht schütteln,
Meinen gesteppten Rock kann man nicht falten (zusammenlegen).
Auflösung: das Ei.
i * sr Y öde Jjanar
! Die Form auf -p auch hier konditional. Vgl. kumük. kuruya kodulup ei
(Kel, Szemle XII, Die 167) = »wenn Du es mit dem Dürren vereinigst, brennt
auch das Grüne«.
+ Sitzungsberichte 1912, ”2
338 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
VI (2. 8).
ak küy, ie avzu[’] joh.
ol dumertka,
In küy = kii sehe ich das qui »F jurte« der J iinschriften, — chin,
kui. In palataler Form wie im Ritanlschen, liegt das Wort wohl auch im
AEnen vor in Proben, III, 183,579 küimö, in der Übersetzung S. 222 durch
1 Ist küimö eine ra Weiterbildung auf -mö oder
gibt es im Chinesischen einen Komplex qui-mo?
Von N in mänin nur Spuren; m von avzum vergessen oder abgesprungen.
Sachlich vgl. Karvrz, Unter Kirgisen und Turkmenen, Leipzig ıgır, S. 97:
Weiße ern ohne Tür und Fenster (Ei).
‚Eine weiße Jurte, einen Eingang (Öffnung) habe ich nicht.
Auflösung: das Ei.
VI (Z2.9—ı2 und ı3 rechts).
alan bulan tuv -turur
ayri agaödän jav tamar
kulan alan tuv turur
kuv agaldän jav tamar
kün altundän älei keliyrir
kömis birgitän keliyr
ay altundäfn] el&i keliyr
altun birgitäln] keliyr.
ol nozil.
alan korr. aus alan.
ayri lies air’; kulan, nicht ganz sicher zu lesen, ist der Alliteration wegen nicht
zu bezweifeln; vgl. karatschajisch goldn »bunt, scheckig« (Kel. Szemle, X, 1909, 119),
kulan alan also = alan bulan.
a verschrieben a keliyr; in dieser Form steht iy offenbar für betontes i;
öl
kömis (oder könus ae ?) mit ö für sonstiges Be kümis, kümüs; vgl.
kumük. A neben gumus (Kel. Szemle, 1911, IT4—15).
kuv (<* a = karatschajisch gz erg dürr, Terkockneti (a. a. O. 120);
weitere Verwandte uig. qubur-, quwar-, kir.
birgitän = *birgit-dän? ' rege ankam
ay ren; korr. aus aldun®
' Das kirg. küimö entspricht im allgemeinen unserm »Wagendach« usw. [Ist
vielleicht an Aui-mu u zu denken? mu — Vorhang lautete aber ursprünglich auf
-k aus. F.W.K.
2 Dies *quy go wohl noch vor in güyäq »dürr (hohl)« bei vox Le Cog, En
wörter aus Turfan S.95b; vgl. dschag. goyla- »am Feuer ‚trocknen«; lies quyla-?
® Sie verhalten sich zu *yuyur wie z. B. gowus zu . Rn i
W. Band: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 339
Es hängt eine bunte Fahne,
Von vielästigem Baume tropft Öl;
Es hängt eine schillernde Fahne,
Von dürrem Baume tropft Öl.
Unter (?) der Sonne kommt ein Bote,
Aus silbernem Behälter (?) kommt er;
Unter (?) dem Monde kommt ein Bote,
Aus goldenem Behälter (?) kommt er.
Auflösung: der Wein.
VII (2. 13).
butu butu uzun
?
butundän arek
ol uzum.
Sein Schenkel, sein rer ist lang
Vom Schenkel an ist’s ma;
Aufl in die Rebe.
R (2. 14).
ap ac eli jabovli
altun basli &ohmarli.
ol turna dir.
Die drei ersten Wörter sind schwierig, aber meines Erachtens jetzt sicher; eli
li.
Über grus leucogeranus vgl. Mareo Polo, ed. Yule-Cordier, I, 296: „There are
five different kl kinds of eranes found in those traets ....... the s second kind again is
all white ,...... whilst the head is red and black on a white ground« und die
Binary zur Stelle. Brenms Tierleben+, ıgrı, VII, 190: »Durch nackte Wangen
unterscheidet sich yon der Gattung Grus der prachtvolle ostasiatische Mönchs- oder
Schneekranich, 8 Pall (Grus), der einigemal auch in
Europa erlegt wurde. Er i ist bis auf die schwarzen Steuerfedern blendend weiß, der
nackte Kopf blutrot ...... Von der Gestalt der Flügel sagt Brenm S. 185 bei der
allgemeinen Beschreibung = Familie: »große, lange, breite Flügel mit elf Hand-
wingen, von denen die dritte die längste, und deren letzte Oberarmfedern sich über
alle übrigen verlängern, auch wohl sichelförmig gebogen sind, sich überhaupt durch
eigentümliche Gestaltung auszeichnen«.
un. *Yjabug; FR tar. jopug, osm. japyg, dsch. jabig, Alt. usw. jabü, karatsch.
Zabi; jak . saby.
In dem vierfachen -Z könnte das Adjektivsuffix Te Gi aber zu Nr. XXXII,
wodurch das koordinierende -4 als komanisch erwiesen wird.
Schneeweiße Hände: eine Decke;
Ein goldener Kopf: eine Keule.
Auflösung: der Kranieh.
*
340 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
X (Z.15—16).
sendä mendä joh
sengir tavdä joh
ütlü tasde joh
kipeäkdä joh.
ol kus süt dir.
üllü zu üt; des Gegensatzes halber ist dann sengir — sänir etwa durch »spitz,
hervorspringend« zu übersetzen.
kipeäk mit @ aus betontem a nach €; ich sehe in dem Worte hier nicht den
Landesnamen, sondern die ursprüngliche Bedeutung desselben: »Wüste«; vgl. Brer-
SCHNEIDER, Mediseval Researches, London 1910, II, 681; dort Verweis auf Cuarmov,
Exped. de Timour, in M&m. Acad. St-Petersbourg 1836, S. 125, die mir unzugängig sind.
Zur Auflösung vgl. das osm. qu$ süd-ü »chose introuvable« usw.
Nicht in Dir und mir,
Nicht auf dem spitzen Berg,
Nicht im ausgehöhlten Stein,
Nicht in der Wüste.
Auflösung: Vogelmilch.
XI (Z2.17— 18 und ı9 rechts).
kockar müzi kojürmak
kojurmakdän kojurfmak]
tegä müzi tiyrmak
tiyrmakdän tiyrmak.
ol [ ] müzi den [ dir].
Über dem zweiten Verse ein wohl den ersten Vers glossierender Eintrag:
kockar müzi ku. Das Folgende undeutlich. Ergänze zu ku[ca müzi], d.h. kockar müzi
= kuca müzi?? kojürmak verschrieben für kojurmak.
liyrmak lies Wirmak < tiyirmak — tyyyr-.
In der Auflösung ist ol selbst sehr zweifelhaft; vor müsi muß wohl kockar oder
tgä gestanden haben. Die Auflösung selbst ist leider bis auf zwei oder drei un-
leserliche Zeichen verloren; das was dasteht wäre zu übersetzen: der dem [ -]
Horn gleiche [ k
XU (Z.17—18 und ı9 rechts).
: Es ist mir nicht gelungen, diese Nummer befri digend zu rek i und
‚in das nur zweifelhaft Gelesene einen annehmbaren Sinn zu bringen.
Zu lesen wäre etwa: usun agad [,] dasindä, wo das Zeichen hinter agad, wenn
es gelten soll und überhaupt ein Buchstabe ist, jedenfalls sinnlos ist. Es folgt der
zweite Vers: urguul atli kus olturur (wohl oltrur gesprochen) — »sitzt der Urguul
genannte Vogel«. Dieser Vogelname ist unbekannt; wenn er türkisches Sprachgut
ist, so ist er vielleicht aus ur »Kropf« und guul zusammengesetzt, wo denn -rg-
' Vgl. W.B. 3gqyp ll, 839 und "qypcag ebenda 843.
en .
W. Ban: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 341
aus -rg- entstanden wäre. In dem so erschlossenen *guul würde lautgesetzlich ein
türk. *goyul vorliegen müssen; vgl. tuurdi < toyurdi usw. In diesem *goyul »Taube«
sehe ich das Grundwort zu tel. goyoljyn »Taube«, alt. kögöreün, kir. kögörsün, karatsch.
Kögüreün, kumük. gogureun; auch das kkir. kögöl »Enterich« gehört wohl hierher, so
daß es wahrscheinlich wird, daß der Übergang aus der gutturalen in die palatale
Reihe durch Einfluß von Aök »blau, taubenfarbig« gefördert, wenn nicht veranlaßt
worden ist.
Den dritten Vers glaube ich ani atma är kerek — »ihn zu schießen ist ein Mann
nötig« lesen zu sollen; atma — atmaga, wie häufig in unseren Texten. Vor ani steht
ein nun ua euen 14 oder € zu gleichen scheint, aber wohl nur ein vielleicht
kb v:
vom [M} = ur Nr. ESS
Den vierten Vers hatte der Aber sodann fe ieb
eki udunä t[..]ke. Er Fer dann, daß er sich verlesen hatte, expungierte eki udunä
und verwies durch # auf den Rand, wo wir unten auf der Seite jüreginä finden.
Unter eki ucunä schrieb er du noch das den vierten Vers vervollständigende Aerek,
wobei er vergaß, daß der Schluß von {f..]ke schon die folgende Zeile beginnt. Da
das Metrum für [..]ke ein zweisilbiges Wort verlangt, so kann doch wohl nur tänkä
dagestanden haben.
Wie der Abschreiber dazu gekommen ist, für jüreginä sein eki ucunä einzusetzen,
ist nur dann klar, wenn wir annehmen, daß sein Original einen Text enthielt, der
die Wörter eki udunä in der Tat in einem folgenden Rätsel bot.
Wir hätten also mit vielen Zweifeln zu lesen:
uzun agat basindä
urguul atli kus oltrur
ani atma är kerek
jüreginä Br kerek.
ol vl. er].
Wohl eine Frucht?
XIU (Z.21—22 und 23—24 rechts).
uzun agad basindä
ulu bitiv bitidim
kensän ovlu[m] kelgay dep
kensän turup sahladim.
ol karfmak] bile balik er
Statt dasindä würden wir eher basinä zu erwarten haben!; in ovlu ist offenbar
die Tilde (ovlü) vergessen; kensän in der dritten Zeile vielleicht kensan geschrieben;
von dir nur schwache Spuren.
In dem mir unbekannten känsän sehe ich eine Fortbildung zu kom. känsi, kökt.
käntü, osm. kändi vermittels än; vgl. das entsprechende ör und dazu ösän, özön
(= özök); vgl. uig. ösänintin — öränintin bei F.W.K. Mürzer, Uigurica II, 44, 32.
sahla- wohl in der Bedeutung »warten«, wie im Karatschajischen; oder lies
sahlandim sag der Tilde könnten vorhanden sein) — »versteckte mich«??
! Vgl. aber Bull. Acad. Roy. de Belgique ıgrr, S. 22, Anm. 3.
aaa
342 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
An die Spitze eines langen Holzes |
Habe ich eine große Schrift geschrieben; 4
Da mein eigner Sohn sagte »ich werde kommen«, ;
Stand ich selbst und wartete. i
Auflösung: Angel(haken) und Fisch.
XIV (Z. 23—25).
ahtä kaydä kislämis
kanli jerdä ki$lämis
kani ne&ik juhmamis
hap ortadä kislämis
a ol En jav dir.
;
|
Es ist nicht ganz bestimmt auszumachen, ob karin (< garyn) oder karun (dies
eher — *garun) zu lesen ist. ;
Das Weißliche wo hat’s überwintert?
Auf blutiger Stelle überwinterte es;
Ihr Blut wie ist’s nicht kleben geblieben,
Gerade in der Mitte überwinterte es [doch].
Auflösung: das Bauchfett.
XV (Z. 26).
bes basli el&i keliyr.
ol etikdän bes barmak bafr??].
Es kommt ein Bote mit fünf Köpfen. j
Auflösung: die fünf Zehen aus dem Stiefel.
XVI (Z. 27 und 28 rechts).
Auch diese Nummer habe ich nicht sanieren können wie ich gewollt hätte.
Lies etwa:
tav ustindä talaman tayagi bar
bes batman balsir??] tulkukigi.
?
Es folgt noch: tup.[ ]?
?
lasman kommt an einer Stelle des Kodex vor, die selbst keineswegs über
allen Zweifel erhaben ist!. Ddatman hier wohl »Pfund«, wie z. B. bei Hovrs. 60.
i zu “tulkuöik = *tulgueyg; vgl. tel. Zulgucag »rund, abgerundet«; hier
nach Ausweis des Suffixes -i substantivisch. Kiga tulı u
rsetze vielleicht:
Auf dem Berge ist des Bösen Keule Sa
Fünf batman [wiegt??] ihre Rundun,
# Vgl. 1 Bull. Acad. Roy. de Belgique ıgır, 8. 413.
W. Bang: ‚Über die Räthsel des Codex Cumaniens. 343
In- tup ,... müßte der Anfang der Auflösung stecken; ??tupda — tüpdä »auf
dem Boden« und dann. vielleicht kuun »die Melone«?? vgl. Nr. XXI.
«u Ganz ‚unsicher!
XVI (Z. 28).
Offenbar unvollständig überliefert.
Erhalten ist nur araba $ak ta$ araba ak; im ersten Gliede fehlt also wahr-
scheinlich ein Qualifikativ zu araba:
NEE TEN araba Sak,
ta$ araba Sak.
Auflösung fehlt.
XVII (Z. 29).
j??' käläfim menim karumä tüsti.
ol tovä.
rt
Das erste Wort unleserlich; vielleicht jany oder järi usw. zu lesen, wie in
Nr. XXVI. Hinter karumä stand wohl noch te; dies scheint jedoch ausgestrichen zu sein,
ist mir auf alle Fälle unklar. Wenn tovä = tövä (Hours. 69: töwä) wirklich dasteht,
so haben wir zweifellos noch ein Wort wie bota »Füllen« zu ergänzen, für das auf
dem unversehrten Blatte Raum genug vorhanden war.
Meine ...... Braut sank in meine Arme.
Auflösung: das Kamel[füllen] (bei der Geburt) ?.
XIX (Z. 30).
Von dieser Nummer ist außer zwei oder drei unleserlichen Buchstaben nur die
Auflösung erhalten: ol keregidir. Dies ist wohl eine bisher nicht belegte Nebenform*®
zu kärägä usw. »das Jurtengitter«. Als ein dem Nomaden naheliegender Gegenstand
kommt dieses als Vorwurf eines Rätsels bei Karurz, a. a. O0. S. 97 und in Proben I,
Übers. 261, 5 vor.
XX (Z. 30).
siyr sirti
koy konati.
??
ort]
siyr — str < sigir = syyyr »Kuh«; daneben ‚CC 134 syr = str. sirti für sirtti aus
sirit- für syryt- wie silk- < silik-. Meines Wissens ist syryt- heute nur aus dem Ösmani-
schen bekannt und nur in der Bedeutung »murmeln«; hier wohl = muira oder manra?
ı Vor diesem Worte noch Reste eines anderen, das die Auflösung der vorher-
gehenden Nummer oder den’ Anfang dieser Nummer bildet.
2 Umgekehrt in Proben III, 388, 5 oben und 5 unten (Übers.):
Das Kamelfüllen mit dem Kupferpflocke,
Ist jemand, der es gesehen hat?
De Kamelfüllen mit dem Kupferpflocke,
Ist es nicht eine jüngst verheiratete Braut?
3 Vgl. jetzt das alte küräkü bei Tuonsen, Journ. Roy. Asiat. Soc., Jan. 1912,
S. 199, 27.
344 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. -— Mitth. v. 29. Febr.
In konati muß ein Verbum gonat- vorliegen; lies gonrat- »läuten«?? Dies könnte
bedeuten: »das Schaf setzt sein Glöckchen in Bewegung«. Da aber CC 136 ein kom.
congranirmen »ich murmele« vorkommt, so könnte konati = konrat-t auch als Synonym
zu sirt- aufgefaßt! und das Ganze durch
Die Kuh brüllte
Das Schaf blökte
übersetzt werden.
Da die Auflösung fehlt und die Überlieferung zu wünschen läßt, ist die oben-
stehende Erklärung nur als möglich, nicht als sicher anzusehen.
XXI (Z. 31).
karä ulahim kegemdä semirrir.
2???
ol huun.
In kegemdä gibt e den türk. Laut y wieder; es entspricht also einem *qyyymda;
vgl. osm. qyy, kir. qyi. semirrir für semirir.
In Auun liegt eine lautg lich g aus goyun »Melone« vor, im
CC 126 von italienischer Hand coun geschrieben; vgl. tuus < toyus$ im Hymnus A Solis
ortus cardine ], 1?; tuurdadi < toyurdadi IV, ı usw. Zu sprechen also huun; vgl. etwa
karatschajisch xa’n (Kel. Szemle X, 1909, S. 105).
Entwick]
Mein schwarzes Lasttier wird auf meinem Misthaufen fett.
Auflösung: die Melone.
XXII (Z. 32).
[kälte kirir kara ulah
2?
erte kellir kara ulah. -
Auflösung unleserlich.
üce — käcä wird durch den Parallelismus mit erte gefordert; vgl. CC 80: sero
= chezä (im italienischen Teile).
Spät geht das schwarze Lasttier,
Früh kommt das schwarze Lasttier.
Fol. 60°,
XXIL (Z. 1).
.. butu ki3 kislär
err
buu jäy jäylär.
ol sirik.
. 74 %
kis und jäy (< qy$ und jai) formelhafte Akkusative.
In sirik steht das k nicht ganz fest, es könnte auch A sein. CC 235 steht sirih
= en querder (sie; nach freundlicher Mitteilung Dr. Fraris); da querder unser »Köder«
ist, dürfen wir für sirik vielleicht an die osmanische Bedeutung von syryg »Angel-
rute« denken?
Halb ist's im Winterlager (d. h. in der Kälte,
en im Wasser),
alb ist's im Sommerlager
(d. h. in der Wärme, in der Luft).
ae Auflösung: die Angelrute
' Vgl. kürlä- und sogran- in Nr. XLIV.
® Tuonsen-Festschrift $. 39-
hing en de lan end
FREENET TEEN
W. Bang: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 345
XXIV (2. 2).
olturganim oba jer
baskanim bagir &änäk.
ol üzengi. 3
Man beachte, daß jär außer »Stelle« auch die Bedeutung »Sattel«, danag außer
»Schüssel« auch die von »Steigbügel« haben kann.
canak > lünak > lünäk, unter Einfluß des palatalen Anlauts.
oba wird CC 88 durch np. grioua, lat. podius erklärt.
Mein Sitz eine bergige Stelle (ein Bergsattel, Bergpaß),
Mein Tritt eine kupferne Schale.
Auflösung: (Sattel und) Steigbügel'.
XXV (2. 3).
täptacik ustundä Cäpcacik.
ol hamis dir.
cäpcadik Diminutiv zu dapdag; ä aus betontem a nach e.
Über dem Fäßchen ein Fäßchen.
Auflösung: das Schilfrohr.
XXVLI (Z. 4).
jäzdä jäni kelin jugunädir.
ol hamis basidir.
Hier und in den folgenden Nummern jäz aus jax des anlautenden j wegen; eben-
so järi aus jani; vgl. den Hymus A solis ortus cardine X, 4: jänla < *jänilä — janyla?.
In jugunädir ist ä der unbetonte Bindevokal. Für jugun- wäre besser jugun- = jügün-
geschrieben worden —
Dies Rätsel ist ein ganzes Gedicht!
Auf der Ebene verbeugt sich die neue Schwiegertochter.
Auflösung: die Schilfähre.
XXVI (Z. 5).
äzdä javli tokmak jatir.
ol kirpidir.
Sachlich vgl. Nr. XLIll.
Auf der Ebene liegt ein fetter Hammer.
Auflösung: der Igel.
4 vg. Proben I, 239, Nr. 18: fäkpänim täräk, otturyanym oiduq. Auflösung:
attyn üzönü, äri. täkpän mielsihetisch für täpkän; täräk < täyäräk; übersetze: Mein
Tritt ein Kreis, mein Sitz ein Talkessel. Auflösung: Steigbügel und Sattel des Pferdes.
2 Vgl. Tuomszn-Festschrift S. 42.
346 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth..v. 29. Febr.
XXVII (2.6).
Jjäzdä javli hays jatir.
ol ylan dir.
hays lies ha’is mit Schwund des intervokalischen 5 < d: *gadys > gajys.
Sachlich vgl. Proben III, 321, 13—14 und 322, 13—14:
ai dalada d3el’ argan, In der Steppe der Füllenstrick,
onü körgön barma ekän? Hat ihn jemand gesehn?
ai dalada dzel’ argan, In der Steppe der Füllenstrick,
diylanynyz bolmasa? Ist’s nicht eure Schlange?
' Auf der Ebene liegt ein fetter Riemen.
Auflösung: die Schlange.
XIX (Z. 7).
jeer jer
Jjninä kirer.
ol bitak dir.
Sachlich vgl. dasselbe Rätsel bei Karurz, Unter Kirgisen und Turkmenen,
Leipzig ıgr1, S. 97: Es ißt und trinkt und geht dann in seine Höhle (Messer).
Es trinkt und ißt und geht in seine Höhle.
Auflösung: das Messer.
XXX (2. 8). |
salp kesim
sansis ohum.
ol kokbile juldus dir.
salp wohl zu sal-, wie alp zu al-; etwa »ausgedehnt, gewaltig«?? Oder ist an
dschag. usw. salt »seul, unique« zu denken?
i
;
;
Gewaltig (einzig?) ist mein Köcher, zahllos meine Pfeile.
Auflösung: Himmel und Sterne.
XXXI (Z. 9).
burunsis buz te3er.
ol koy..bogu.
Ohne Schnabel hackt es (durchlöchert es) das Eis auf.
Auflösung: der Schafmist. .
W. Ban: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 347
XXXI (Z. 10).
oAlu solulu ayrgan
otus tümen oneydim.
ol kujas ay.
In orlu solulu haben wir das bekannte koordinierende Suffix -% usw., das unter
den älteren Dialekten zunächst im Köktürkischen und dann besonders in der Sprache
der Turfanfragmente auftritt.
otus (otus) mit Schluß-8 geschrieben. Das Wort, welches ich zweifelnd oneydim
gelesen habe, ist ganz unverständlich; ich möchte es in ortafide, ortafide emendieren
= ortasynda, -dan; der Ablativ würde eine Assonanz zu ayrgan herstellen.
Rechts und links ein einzelner,
300000 in ihrer Mitte.
Auflösung: Sonne, Mond und Sterne.
XXXII (Z.ı1 und ı2 rechts).
altun ayrgan tura tüser
al torhan jäyli tüser.
ol bey klunlagan.
Hier läßt einmal die Auflösung an Klarheit nichts zu wünschen übrig und trotz-
dem ist das Rätsel in der überlieferten Form wenig klar.
bey — schor. päi > pä, wozu bä (d.h. b@?) bei Hovrs.; dann auch gekürzt zu
be (z. B. Proben V, 529,94 usw.), das wieder zu biä und bijä wird. Proben III, 121, 5u
usw. bedäü. Guttural: bajtal?
klunlagan < qulunlayan mit Schwund des unbetonten Vokals wie in klie < qylye
usw. ee S. 39):
n tura durch »Haus« zu übersetzen ist, steckt in jäyl vielleicht ein Ver-
wandter de älteren m Jajlag »Sommersitz«; das ayrgan parallele torhan (= torgan?)
müßte dann wohl zu {ör-, tor-, türa-, toyra- »zerspalten« gehören? Letzteres demnach
imeathetisch aus ea (tor- -ya; zum Suffix vgl. kom. jarilga) ??
Die zahlreichen Fragezeichen entheben mich einer Übersetzung.
XXXIV (Z.12—13).
oy otemis otemis
jiy koldä kislamis.
ol it dir; avzun artinä sohup ujur.
In otemis — ötämis sehe ich eine Fortbildung zu öt- »hindurchgehen«, der laut-
lich das kir. ötö- entspricht.
jiy ist ganz unklar; es könnte ein Wort wiedergeben, das wir ji umschreiben
würden; ich vermute daher, daß es für isi, issi verlesen ist.
Zwischen dir und avsun ein Zeichen, in dem der merci ein t ‚gesehen zu
haben scheint; es kann sich nur um einen 'h handeln
(/), wie auch wohl in Nr. XI
348 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Wenn meine Erklärung richtig ist, so macht dieses Rätsel der Beobachtungs-
gabe seines Erfinders alle Ehre.
Die Niederung passiert es, passiert es,
Am heißen(P) See überwintert es.
Auflösung: der Hund; denn er steckt die
Schnauze in den Hintern und schläft.
XXXV (Z. 14).
tümä tüdim
tücgängä saldim.
ol us dir.
tümä wohl = *tüvmä (CC ı19 und 122: tuuma, im italienischen Teile des Kodex);
Hours. 68: tügmä. Ebenso tüdim < *tüvdim, *tügdim zu tüg-, tül-, tü-? Zur selben Wurzel
wird man doch wohl auch tücgän zu stellen haben, obwohl die Erhaltung des Gutturals
große Schwierigkeiten bereitet. Allerdings würden wir ja auch tütgän lesen dürfen,
tüt- seinerseits scheint jedoch in keiner der bekannten Bedeutungen herzupassen.
Schließlich macht die Auflösung selbst schon insofern Schwierigkeiten, als us
der einzige vollständig abstrakte Begriff wäre, der in unseren Rätseln vorkäme.
Unter allem Vorbehalt übersetze ich:
Einen Knoten habe ich geknotet
Und auf das Geknotete gelegt!.
Auflösung: der Verstand.
XXXVI (Z. 15— 16).
kasartkite kan tammis
kara ulusgä jäylmis.
ol ot dir.
Die folgende Zeile enthält noch die Wörter: kasartkide sare altın a. Ich ver-
mute, daß kasartkide durch sare altun — sary altun erklärt werden soll, muß aber gleich
hinzufügen, daß mir a durchaus unklar ist. Wir bekämen also: »kasartkice = gelb-
golden«, Es scheint daper, daß uns in kasartki eine gutturale Nebenform des ku-
mükischen kesertki »Eidechse« (Kel. Szemle XII, 1917, S. 130) vorliegt, das Verwandte
in anderen Türksprachen hat; zum Suffix -ki vgl. tel. käläski »Eidechse« neben Aälär,
käläs in anderen Dialekten, sowie das karatschajische Aeselekke? (Kel. Szemle X, 1909,
S. 109). Bei Hours. 98 käläz neben kältä »Salamander« (vgl. tuwas. Aalpa usw.).
kasartkice, < -kica, -qyca durch regressiven Umlaut, — »wie eine Eidechse«.
5 In jäylmis liegt zunächst Übergang in a von ä nach j vor: y=i; phonetisch
wäre das Wort also j@lmis zu schreiben gewesen. Es entspräche demnach mit
Schwund des intervokalischen -y- dem uig. @adiey, jayyl- »hängen bleiben«. Vielleicht
»An dem Geknoteten befestigt«? »An das Geknotete geknüpft«?
2 Metathetisch erweitert aus käläskä, alt. usw. küläskän? Die von Pröntz auf-
genomme tschajischen Texte enthalten übrigens zahlreiche, etymologisch unklare
Geminationen, über die er sich bisher nicht ausgesprochen hat.
W. Base: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 349
ist jedoch das dritte Zeichen nicht y, sondern ji zu lesen; in diesem Falle entspräche
unser Wort dem uig. @42«& jajyl-, kumük. jajll-, karatsch. Zajil »sich ausbreiten«.
(Goldgelb) wie die Eidechse ist das Blut herabgetröpfelt
Und hat sich über das schwarze Land verbreitet.
Auflösung: das Feuer.
XXXVU (Z. 17— 18).
uzun uzun sirgalak
uöunä deyri sirgalak
kizga kiz[ga] sirgalak
krivinä deyri sirgalak.
ol bitak bile bfiläü?].
krivinä, kriv-inä aus kirio; vgl. köi aus kisi usw. kiriv < *kirik = qyryg, qyryy
usw. — »Ende, Rand«. Vgl. meine Anm. zur koman. Bearbeitung des Hymnus A so-
lis ortus cardine I, 2: Arivgä (Tuomsen-Festschrift S. 39).
Eine lange, lange Rutschbahn,
Bis zu seinem Anfang eine Rutschbahn,
Eine kurze, kurze Rutschbahn,
Bis zu seinem Ende eine Rutschbahn.
Auflösung: Messer und Schleifstein.
XXXVII (Z. 19).
bu bardi; izi joh.
ol kemä dir.
Dies geht und hat doch keine Spur,
Auflösung: das Schiff.
XXXIX (Z. 20).
tap artindä karp.
ol esik dir.
Knarr! dann krach!
Auflösung: die Tür.
XL (Z. 21/22 rechts).
avzum alsän öpkäm korunir.
ol esik atsä ot korungan dir.
Zu avzum »meinen Mund« vgl.z. B. Nr. XXXIV avzü — avzun, wie ja auch hier
gelesen werden könnte, und avzing »dein Mund« im Marienpsalter 46, 2; ich glaube
daher nicht, daß das undeutliche Wort an unserer Stelle abzü zu lesen ist, obwohl
so dazustehen scheint.
350 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
Daneben eine Form mit g, z.B. CC 168, 15 agisna' (agisnä?) — ayizna usw.;
vgl. Bull. Acad. Roy. de Belgique 1911, Nr. 7, S. 410.
In korunir und korungan fehlen die Zeichen der Palatalität; lies: Aörünir, körüngän.
Sachlich ist zu bemerken, daß, während die Feuerstelle im allgemeinen in der
Mitte der Jurte liegt, es doch auch eine andere Einteilung gibt, bei der die Feuer-
stelle sich zwischen Tür und Mitte befindet (Karvız, Unter Kirgisen und Turkmenen,
Leipzig ıgı1, S. 69).
Wenn Du meinen Mund öffnest, ist meine Lunge zu sehen.
Auflösung: wenn man die Tür öffnet, erscheint das Feuer.
XLI (Z. 22).
al savri jändigim
alti tovram askinem.
. ol hoz. x
In jäncigim, zu tar. usw. jandyg, ist a nach j palatal geworden.
tovram wird CC ı82 durch bolus, d.h. frustulum »Bröckchen« usw., preti
vgl. Hours. 84: togram = toyram < toryam. savri entspricht also lautgesetzlich dem
dschag. usw. sayrı < sayry »Bug« usw., während das CO 106 aufgeführte sagri = npers.
sagri — neulat. camutum gestellt wird. Über diese vgl. Yures Marco Polo, ed. Corvıer,
London 1903, I, 394/95.
Das Diminutivsuffix -kine = -yyna, -ginä liegt z.B. in dem Hymnus Saginsamen
bahasiz kanini III, 3 in hanginam (Bull. Acad. Roy. de Belgique 1910, Nr. 5, S. 232)
vor; das e in ajkinem = askinäm < a$kinam < asqynam erklärt sich durch regressiven
Umlaut (vgl. unsere Osttürk. Dialektstudien — Abhandl. d. Kgl. Ges. d. Wiss. Göttingen,
£ S. 8).
Es wäre also zu übersetzen: »ein roter Bug ist meine Tasche (d. h. meine
Hülle; die Hülle, in der ich mich befinde), oder: meine Schale ist rundlich erhöht
wie ein roter Bug; sechs Stückchen sind meine kleine Speise. Auflösung: die Nuß«.
An dieser Übersetzung glaube ich jedoch die »sechs Stückehen« beanstanden
zu sollen! und schlage daher vor, in alti einen Fehler des Abschreibers zu sehen für
altü = altun »golden, goldgelb«; dadurch wird zugleich der Parallelismus zu al
hergestellt:
Ein roter Bug meine Tasche
Ein goldnes Bröckchen mein Speischen.
Auflösung: die Nuß.
XLI (Z. 23/24 und 25/26 rechts).
sen sen ayri basindä
segiz koyan jni bar
sen ani tapmäsäfi
senek iyn ylagil
avluübile tapmäsän
ayruy iyn ylägil.
ol kl. .]mi& dir.
' [Inzwischen finde ich in dem soeben erschienenen Heft 3 von Kel. Szemle XII
das kumük. Sprichwort ($. 276 Nr. 33): alt? xapsa er tojar, altmuS yapsa at t'ojar
& h sechzig«, wonach es den
Anschein hat, als könne alt für »wenig, winzig« usw. gebraucht werden? Korr. Note.]
u ai: ar Er er | 2% en
W. Bass: Über die Räthsel des Codex Cumäanicus. 351
Soweit ich. dieses schwierige Stück zu verstehen glaube, wird das eigentliche
Rätsel nur durch die beiden ersten Verse gebildet. Zu den einzelnen Wörtern kann
je ange bemerken:
iyn darf wohl zn ‚ausgesprochen werden. Es ist mit Abfall des anlautenden 3*
== Schrund des intervokalischen 9 -y- aus *igin < jyyyn entstanden; außer diesem
ist das] lich. daraus entst. schor. dyyyn und dyn sowie kaz. kir. dyjyn
und kaz..dim zu vergleichen. Für. senek iyn vermutet Hr. Rapzorr eine Bedeutung
wie in russ. nomoms (spr. pom@36);' vgl. besonders russ. nomous (spr. pöm®t). und das
daraus entlehnte bar. pomats (Proben IV, 6, 2; hier »Erntefest« übersetzt). Wenn wir
demgemäß unter senek iyn die geinsinschäftliche Arbeit beim Heuen verstehen dürfen,
so könnte auruv (< ayrug?) iyn das gemeinsame Einbringen der Heuernte bedeuten.
Alles das muß vorläufig als ganz unsicher bezeichnet werden.
ylagil und ylägil sind ilagil, dägil zu lesen, < *yla- > üa-, ilä-; Bedeutung »suchen«
oder »fragen«, »rufen« oder ähnlich ?.
Im dritten Verse wird der Missionar zwar ani gehört haben, das ee,
ist aber doch wohl zweifellos anlar gewesen, vgl. segis und besonders das Met
XLIN (Z. 25/26).
teüridän tüSgen tokmalik
dort ayäkli mäymäßik.
ol kirpi.
tüSgen wohl korrigiert, aus tisgen. dort — dört mit dialektischem d (für das von
der Alliteration verlangte 1), wie in der Sprache des von Hoursua edierten Glossars.
age be ur ajdgly.
iymäcik unbekannt. Es ist offenbar Diminutiv zu *mäymäk. Dieses kann von
ge aus zur palatalen Reihe gehören oder erst durch den Übergang ai > ä in die-
selbe gekommen sein, also für maymag stehen. Ich glaube, daß an das sagaische
maimag »Stiefel« gedacht werden muß (Casrren, Koib. und 'karagass. Sprachlehre;
vgl. Karanorr, Bull. Acad. St-Petersbourg XXXI, 1887, S. 179).
Ein vom Himmel gefallenes Hannehn
Ein vierfüßiges Stiefelchen.
Auflösung: der Igel.
XLIV (Z. 27—29 und Glossen).
ol tutgan kitidir bugovli -
bugänäkli £ärt terek
ol kiskata kilägandir
buga tongus kislämis
ol re! sohrangan- dir
küd bugasi kürlämis
a anasi ylagan dir
kutmen kara &iülämis
ol eki sä[..] ylagan dir
eki säl. .] setelär
sete tübü bürküldär.
! Vgl. meine Bemerkungen im Bull. Acad. Roy. de Belgique, ıgrı, S. 93-
2 Vgl. unten zu‘ Nr. V.
352 Sitzung der phil.-hist. Classe v. 18. April 1912. — Mitth. v. 29. Febr.
So, glaube ich, muß dieser sehr schwierige Text gelesen werden. Die Auflösung
fehlt; vielleicht beginnt mit Vers 5 ein neues Rätsel?
Die Ausbeute an neuen Wörtern ist nicht gering: dugovli < *buyag-li (kar. buydu);
kiskata glossiert kislämis, gehört also zu alt. usw. qysqyda; kilägandir zu qyla- »schnarchen,
röcheln«; in kara steckt doch wohl das dschag. gara » Vieh« ; dinlämis zu dyüyr- »schnauben,
schreien, grunzen«, vgl. dyy, &iy »Schrei« und Kunos dyynamag »rufen, lärmen« (SuLesmans
W.-B., S. 44: ses ve avaz etmek)!. tongus ist versehentlich mit Schluß-8 geschrieben
worden; für bürküldär der Hs. vermute ich bürkülär.
XLV (Z. 29—33).
jogartin kelgan nekjik
jolabars kijk desirlär
jotasincu su jinc[u]
tama kellir desirlär.
?
küjürtin kelgan nekjik
kulabars kijk desirler
kuyruhuntu su jincu
tama kellir desirlär.
ol bezergendir.
Wie neben kom. jogartin (kar. oyart''n mit Schwund von j) das palatale kökt.
Jögrü steht, so das palatale küjürtin neben *qujurtyn zu quju, quji, gody, gojy, goji
»unten« usw.
nekjik, wohl aus nekük korrigiert, ist unklar, ebenso Jjotasineu (jotas-ineu), kuy-
ruhundu (kuyruh-undu) und su jindu ?sujineu = su + ineu?).
Jolabars — jolbars; neben kulabars glaube ich mich des Eigennamens Kulbars zu
erinnern (?).
Das palatale dezergen auch im Jarlik des Toktamys (bei Hrn. Raprorr, Zapiski
der K. Russ. Archäol. Gesellsch. II, 1888, S. 15)
Ich kann dieses Rätsel nicht übersetzen.
XLVI (Z. 34—35).
beltirdägi bes kuvluk
besibile kulunlamis
saralyldägi sare äygir
savlavlati kisnämiß.
ol kazan [ )
Über dem unbekannten Auoluk (kuyluk?) steht die Glosse: ol jil kelgandir — »dies
bedeutet das Herauskommen der Luft«, d.h. des Dampfes (?). De Parallelismus zu
äygir < aiyyr »Hengst« macht es wahrscheinlich, daß kuvluk »Stute« bedeutet; vgl.
kulunlamis der folgenden Zeile. Bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse wage
ich nicht, das Wort anzutasten, verweise aber immerhin auf quzarag, qysrag, sülük als
" Beachte die Gleichung: eirlämi$ = ylagan, das also wohl »rufen« bedeuten wird.
W. Bass: Über die Räthsel des Codex Cumanicus. 353
Wörter für »Stute«, die bei einer eventuell nötigen Emendation in Betracht gezogen
werden könnten. Da ich über tiefergehende Kenntnisse in der komanischen Kessel-
kunde leider nicht verfüge, vermute ich, daß bes ganz indifferent gebraucht ist.
Spuren von y in saray über der Linie; der auslautende Diphthong könnte auch
äy = äi sein; sare äygir lies sar’ äigir. Das bisher unbelegte savlavlati (< *saglaglaty)
dürfte, wie das parallele besibile, einen adverbialen Begriff ausdrücken; ich e
»heimlich« vor. Den ganzen Vers beziehe ich auf das Geräusch des kochenden,
»singenden« Kessels!.
An der Flußmündung? haben fünf Stuten (?)
Zu fünft Füllen geworfen;
Im Schlosse hat der gelbe Hengst
Heimlich (?) gewiehert.
Auflösung: der Kessel.
! Wenn W.B. II 1394 dem entsprechenden alt. kistä auch die Bedeutung »braten«
(doch wohl nur intransitiv?) beigelegt wird, so ist, wenn kein Mißverständnis vorliegt.
die Auffassung fast dieselbe; vgl. Grimm s. singen 1084 und aus den Türkdialekten
etwa noch külbürä und külbrä. $
® D.h. an der Zotte, Tüte, Gefäßmündung mit fünf Löchern.
= Ausgehen am 25. April.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
Sitzungsberichte 1912, 3
Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1912. Taf. 1.
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W. Bang: Über die Rätsel des Codex Cumanieus.
Sitzungsber. d. Berl.. Akad. d. Wiss. 1912. Taf. II.
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W.Bans: Über die Rätsel des Codex Cumanieus.
weise oder auch in weiterer Ausführung, in
deutscher Sprache veröffentlicht sein ode
werden. Sollte eine dem zuwiderlaufende Veröffent-
Mes dem redigirenden en vor der A:
'n akademischen Schriften zur Kenntn
den gel-
eln zusteht, so = arf er dazu der Ein-
ern a Gain mt-Akademic
Gedächtnissreden anderweiti ie zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestattet.
Gt s21.
Die Sitzungsberi cheinen in einzelnen Stücken
in der Regel Bene ehe Tage nach jeder Sitzung.
s $ 22.
Jeden a oe eine Übersicht über die
in der Sitzung vorgetragenen wissenschaftlichen Mitthei-
lungen und über die zur Er Koniikhuig geeigneten ge-
schäftlichen Russlegeäbel
Hinter den Titeln der w: Seinen Bene
folgen in dieser Übersicht kurze Inhaltsa n derselben,
welche die Verfasser einreichen, und für. ae sie ver-
i Diese Inhaltsangaben sollen sieh in
zeilen beschränken, keinesfalls
10 Zeilen überschreiten.
Die nicht in den Se = ne erscheinenden
nee werden tztem Stern bezeichnet,
= für die a ers wird »(Abh.)«
ügt.
Wissenschaftliche en fremder Verfasser
len in dem Bericht r diejenige Sitzung aufgeführt,
in welcher deren Aufkähie in die akademischen Schriften
eschlossen wird.
Aus $ 27.
Das en N in einer akademischen Sitzung
am Donnerstag zur Aufnahme in ge zu-
gelassenen Aaeneng, wele] = ten Donnerstag
gedruckt erscheinen soll, mn: Gr BR nach in der
aa .. ee bis Freing 10 Uhr Morgens
in N ee
fertig a werden. Später eingereichte Manuseripte
werden, it dem Präsentationsvermerk des redigirenden
Searelara Modes sen Archivars versehen, für ein späteres
Bun en es
selbe age von vorn
Sr en, deren Satz aus irgend we hen
sondere Schwierigkeiten erwarten
'haltenen Bestimmungen nicht
n herein mit Mittheilungen se
elchen Gründen
ee ie
us früh an zurücl ird di
‚OIT
versandt; die Verfasser Mare ee damit auf Erscheinen
ihrer er jr acht Fremden Verfassern,
deren Corre: rst noch a Bronegiikn: Mik1ikde
zur a a werden müssen, kann das Er-
scheinen am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge-
sichert werden.
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen der Akademie.
Abhandlungen. Jahrg. ang:
Physikalisch-mathem; 6 -Olasse ... 00 ee : ee ot
Philosophisch-I Thekerache, ee EEE S Er Be Te
rn. Gr 1910: .
Physikali mathematische Classe . . . » . Br en ONE, Eee
eH Ieemmestir historische Classe . . » - » a » 38.
Einzelne Abhandlungen aus den Jahren 1909, 1910, 1911 und 1912.
= cessus ii . » .. —
Meran; Gedächtnissrede auf Eberhard Schrader . - - : ER 2. le
W.: Gedäch!
Ruszns: Gedächtnissrede m Friedrich K.
B Er]
K r die
ULE VON ne St ategenköpfe .
Duzuar: Der Aufbau ‚der Sechlehtlichen Welt in den Geitenwissenschaften.
VAN’T Horr: Gedächtnis BR uf Hans Heinrich Landolt
Mürter: Uieuri
‚ohlrausch 5
ung der Masse bei chemischen Uimsetzungen” =
Ente Maine >
Exorer und K. Krauss: Uber den anatomischen Bau der baumartigen Cyperacee Sehoenodendron om 3:
Excr.
M 'ymnen 'hara
BR: Zur sprachlichen Gliederung ee
Diers:
RS age :
ncobus Henricns van Hof. ee
Galenischen Commentars "zum Prorretium des cd
J. eu a lien oa: der Functionen ‚Bomann a Cosimma A
©. Tau manorul 2
R. rare Zur Babe der Groskirainde der c
P. Rörnıs: Zellanordnungen und Faserzüge im Vorderhirı n Siren lacertina
M. Neipise: Über die Ker his des NERHne, bei eini; = "Slugetieren E SE
K. Acansowantaxz: Über die Kerne des menschlichen Kleinhirns BER re
Juszer: Der Auszug | der Hathor-Tefnut aus *
F. Freiherr Hırırr vox und H.L = Arkı adische "Forschungen
Tu. Wıeeann: Erster er Bericht über die von den en Museen unternommenen
rabungen in
L. 1 fern n Bere a Satzes, dass jet hinreichend kleine, im wesentlichen stetig ge-
ie singnlaritätenfreie Flächenstück auf einen ae einer Ebene Aenugen!
in den kleinsten Theilen ähnlich Abgebildet werden ee
M. ee Phönieische und aramäische Krugaufschriften aus e Eleplientine Bee £tee
Sitzungsberiehte der Akademie.
Preis des Jahrgangs . . .
ke I. Halbjahr 1911.
Warsurs: über den Energi bei Vorgängen in Gasen . . . . »
voX se -MOoELLENDORFF: ein Sal aus dem aba es Epiphanios . . . -
a der mittleren freien Weglänge der Kanalstrahlen .
voN un OELLENDORFF und F. Zucker: zwei Edicete des Germanicus auf einem ' Papyrus
es Berliner Museums (hierzu Tat. v) ?
A. Tornquist: is Tektonik a tiefere: d dd
RTWIG: Mes
Scuorisr: über das Eoanrs sche Dr« Ya sproblem .
Scuortky: über = vier JAcopr’se] The
Ersan: ein De, eng "Theologi
Jacost: Cultur-, S ach und terarhsorschen aus gem Kanye
die Inse en a Königs Kal
Stuckfagade von heaiesh in Yucatan „Aerzu Taf. vI-v)
zu den Bene Papyri von Elep! ’ 5
Srauve: über die Lage der Marsachse und die‘ ee im Marss stem . .
Ersan: Denksteine aus der litehen Gräberstadt (hierzu Taf. .
F. Freon und C. Rexz: Kreide und Trias im Kiona- und Öta, BER Mirelgriechentand) B
ARTENS: über die Mesuns rosser Kräfte im Meterilprfungewe x
C. Broerztatans: zu den Inschriften des Königs Kalumı
Bondssabärucke L ae 1912,
* 1. Scaur: über einen Satz von C. Cararnsoporr
Frosenxius: RUE eines Satzes von Canaruionony aus “einer Formel von " Kaouronen . . Es
A. Euckex: die Molekularwärme des Wa: narekoe 'bei tiefen T at : ur oo.
Orrn: über Rinder- und Menschentuberkulose SR wer sr ehe
Harnack: Geschichte eines Ingerenimalchen Worts Jesu. Mari. 5, 17) in der ältesten Kirche
Wanrpuri BB: über den Energieumsatz bei pho otochemischen Vorgängen in .
Liesiscn: über die Fluoreseenz der Sodalith: und Willem; mitgrune im Hlkreyiglckten Licht .
Hasertaspr: über das Sinnesorgan des Labellums der Pterostylis-Blüthe
Rusens . Hertz: über den Einfluss der aenpersige Be 2 AeBEDen Tangn eliger Wärme-
ren E ee
ss: über den Charakter der dd hland
Heer: de Erfahrungs undlagen der Lehre vom algeeinen Gleichgewichtszustande der Massen
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W. Bass: über die Räthsel des Codex" Cumanicns” (hierzu Taf. FE und im.
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1912. XXI. XXI. XXIV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Gesammtsitzung am 25. April. (S. 355)
Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 2. Mai. (S: 357)
Burpacn: Faust und Moses. Erster Theil. (S. 358)
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. (S. 404)
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 2. Mai. (8. 433)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
(4
Aus dem en für die Redaction der akademischen Druckschriften.
Aus
Die Bes gibt Kemklk Ht a L der Statuten : zwei
fortlaufen.
der Erle Preussischen RT de Wissenschaften «
und » ee der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaft
Aus $ 2
..gbdei I Me in La »Sitzungsberichter Sr die
s in einer aka-
denlechn Sing Torgelegt nen Se in der Regel
liefern ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die V: ae eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Migliedes zu benutzen.
imfang einer ed Mittheilung soll
“ der Rage in den ee bei een 3
I Sigebericn in a Ab bhandlungen ee
von je 8 Seiten in = ee Schrift der Abhand-
lungen nicht überste
Aus $ 6.
wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus-
für die Anordnung des Satzes
Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegenden
Mitgliede vor Bin eichung des Mannserips ee
at sich zu verge: Ben. dass der Verfasser
seine Siheung a vollkommen druckreif ansieht.
Die erste Cor ihrer Nittheilungen besorgen die
Verfasser.
vorlegende Mitglied re Di
ee nicht über die Berichtigung von Druckfehlern
und lei
DERSER Secretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Ver sind zur Tragung der entstehenden Mchr-
kosten verpflichi
s$8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder A
dieser Grenzen ist nur
ler 6 Akad de der heuekend
haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung amadrdeklich ı zu
beantragen. Lässt lang ipts veı
0 hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen
Seite auf 'h i Umfang
im Druck abschätzen zu wa
Sollen einer ee Abbildungen im Text oder
auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die
Vorlagen dafür (Zeichnungen, nn en
i ichzeitig mi loch
lättern, einzureich:
tellung dee Vorlagen. haben. in
en. Sind diese Kosten
ung beschliessen. Ein
darauf nee Aue ist vor der He er Benselung der be-
treffenden Vorlag:
eines Bechversiinäigen an Be vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen
demie, Über voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um wenige Sinfiche Textfiguren
handelt — der K eines
beizufügen. schreitet dieser Anschlag für die er-
bei den Abhandlungen 300 nn so ist Vorberathung
durch das Secretariat g. a
Nach der Forlager und Einreichung des
zuständigen Seeretar oder
nes der Kia: Sie
glieder es verlangt, verdeckt an mmt.
Mittheilungen von Verfassern, welche nicht ed
der Akademie sind, sollen der Regel nach nur
ae aufgenommen er Beschliese „eine
Classe die Aufnahme der Mitth.
in die dazu bestimmte Abthei ae er »Abhandlungen«,
so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
Mittheilungen, Reden
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
a en Mittheilungen, wenn deren Umfang im
auch
er hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werden.
Y Kähent h ra
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann. wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
erhält ein Verfasser, welcher hg der Br ae,
zu en Vertheilung o weiteres 50 Frei
mplare; er ist indess ge zu eielenda Br
= Kosten der re a ee bis zur Zahl
von noch 100 auf sı noch weitere bis
ur Zahl von 200 Ha anzen ao naeh: abriehen zu lassen,
sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar an-
‚ten mel
redigirenden a Bu 200 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen las:
Von den Elerabäradken aus den Abhandlungen er-
Verfasser, welcher Mitglied der Akademie 2
Frei
tar
gezeigt hat; scht er auf seine Kosten noch mehr
Abdrucke zur Verteiung zu erhalten, so bedarf es dazu
‚ammt-Akademie oder der be
treffenden Cl _ Nic itmitglieder erhalten 30 Frei-
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirend. jecretar ere 100 Exemplare auf
Kosten abziehen lassen.
s 17.
Eine für die akademischen Schriften be-
mte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs
(Fortsetzung auf $.3 des Umschlags.)
355
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XXI.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
25. April. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Auwenrs.
*1. Hr. Deesser las über römische Medaillons aus der Samm-
lung des Königl. Münzcabinets.
Die Darstellungen auf acht Medaillons aus der Zeit von Hadrianus bis Commodus
wurden im Projeetionsbild vorgeführt und eingehend erklärt. Das wichtigste Stück
ist ein Medaillon des jugendlichen Marcus Aurelius (Zeitschr. für Numismatik XV
Taf. I, 13), auf dem das Penatenopfer des Aeneas nach der Landung an der latini-
schen Küste dargestellt ist. Das Münzbild ist eine etwas freie, in allen wesentlichen
Punkten jedoch übereinsti de Wiederhol eines M iefs von der unter
Augustus in Rom errichteten Ara Paeis Augustae (Platte VIII. VIII’). Es wird ver-
muthet, dass die auf dem Medaillon neben Aeneas befindliche Figur des Ascanius
ursprünglich auch auf dem Relief vorhanden war; ihre Stelle dürfte durch die grosse
Bruchfläche bezeichnet werden, die sich vom linken Unterarm des Aeneas bis an das
untere Ende der Reliefplatte hinzieht.
2. Hr. Sıcnau legte eine Arbeit des Hrn. Prof. Friepricn Scuurr-
HESS in Königsberg vor: Zurufe an Thiere im Arabischen. (Abh.)
3. Hr. Coxze legte im Auftrage der Deutschen Orientgesellschaft
das von der Gesellschaft herausgegebene Werk vor: Boghasköi, die
Bauwerke, von Orro Pucnstei unter Mitwirkung von Heısrıcn Konz
und Danıer Kresorer. Leipzig 1912. .
Diese letzte grosse und bedeutende Arbeit, welche unter Orro Pucastein’s
Leitung entstand, ist von Hrn. Konz, pietätvoll ein Jahr nach Pucasteın’s Todestage
zum Erscheinen gebracht worden.
4. Die Akademie hat durch die philosophisch-historische Classe
Hrn. Prof. Dr. Orro Hörzscu in Posen zu Reisen im Interesse der von
ihm geplanten Herausgabe der Correspondenz des Botschafters Baron
Peter Meyendorff 1000 Mark bewilligt, und durch die physikalisch-
mathematische Classe dem Hauptmann in der 1. Ingenieur-Inspeetion
Hrn. W. Kranz in Swinemünde 90 Mark zur Drucklegung einer Karte
des Tertiärs im Vicentin. i
22 Adakägehen am 9. Mai. ae
Sitzungsberichte 1912,
357
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XXIH.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Vorsitzender Secretar: Hr. Roerrur.
1. Hr. Burvach las über »Faust und Moses«. Erster Theil.
Goethe plante schon 1781, den Schluss seiner Fausttragödie (Vermächtnis, Tod,
Grablegung, Kampf zwischen Engeln und Teufeln, Weghebung der Seele durch die
himmlische Heerschaar) nach der im Judasbrief (V. 9), in jüdischer und islamischer
Überlieferung lebenden Mosessage zu gestalten. Auf die Wiederaufnahme der lange
ruhenden Faustdichtung im Juni 1797 wirkte seine Studie über den historischen Moses,
ie in diesem den Typus des Befreiers und des gewaltsamen Thatmenschen sah. Die
Persönlichkeit des Moses, wie sie aus biblischer, hel tisch-jüdisch !bbinisch
pl ischer und kabbalistischer Auffassung geformt war zu einem Vorbild magischer
Theosophie, hat aber auch den Aufbau des ganzen Faustdramas beeinflusst: die Be-
schwörung des Erdgeistes, das Gespräch über den schaffenden Spiegel, den Spiegel
der Hexenküche, den Monolog in Wald und Höhle, die Sonnenaufgangsscene am Anfang
des zweiten Theils.
2. Das correspondirende Mitglied Hr. Roserr in Halle übersandte
eine Mittheilung: »Zu den Epitrepontes des Menander«.
Eins der neu gefundenen Fragmente des Kairenser Papyros hat Lerervre zur
Ergänzung des kreuzweise zerrissenen Blattes D 3/4, von welchem das äussere untere
Viertel fehlt, verwenden wollen, diesen Gedanken aber wieder aufgegeben. Das
Fragment gehört aber wirklich an diese Stelle; nur muss es eine Zeile höhergerückt
werden, als Ler£svre wollte. Aus dem sich dann ergebenden Zusammenhang fällt auf
die Führung der Handlung neues Licht.
3. Hr. Erıcn Scnmr übergab die 2. Auflage seiner »Charakte-
ristiken, Zweite Reihe« (Berlin 1912).
34°
358 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Faust und Moses.
Von Konrap Burbach.
Erster Teil.
Vor vierundzwanzig Jahren habe ich in einer Fauststudie (Vierteljal
schrift für Literaturgeschichte ı, S. 284) als Grundidee der Naturan-
schauung und Naturerkenntnis Goethes und als frühe, ja als die wich-
tigste Aufgabe seiner inneren Ausbildung den Drang, das Bemühen
und die Fähigkeit hingestellt, ‘das dem Menschen Zugängliche und
Unzugängliche in der Welt um uns zu unterscheiden’. In dem Problem
dieses Dualismus fand ich den eigentlich Angelpunkt der Faust-
tragödie. Und als Formel für dieses, freilich durch keine Formel zu
erschöpfende Lebensgedicht schien mir noch die einleuchtendste: "Ver-
hältnis des strebenden Menschen zur Natur”.
Die in jenem Aufsatz niedergelegten Ausführungen sind
geblieben. Und auch eine gelegentliche Neuprägung des Gedankens
in dem Satz: Goethes ‘Faust das ragende Siegeszeichen seiner natur-
wissenschaftlichen Lebensarbeit’ (Goethe-Jahrbuch 1896, Bd. 17, S. 3
7‘) rückte den von mir hervorgehobenen Gesichtspunkt ebensowenig
über die Schwelle des Bewußtseins der Faustforschung als es spätere,
verwandte Andeutungen in meinen Divanbeiträgen vermochten.
Und doch hatte ich damals kein bloßes Apergu bieten wollen,
vielmehr das Ergebnis zusammenhängender, mehrjähriger Betrachtung,
dem freilich noch die Reife fehlte. Heute komme ich darauf zurück,
nicht um das einstige Versprechen (a. a.0. S. 285f.) einzulösen und
zu zeigen, ‘inwiefern die Faustdichtung alle Wandlungen, welche
Goethes Ansichten über das Sittliche im Verhältnis zum bloßen Natu-
ralismus durchgemacht haben, abspiegelt und im letzten Grund eine
Kritik des Naturalismus gibt’ (verdeutlichend müßte ich heute hinzu-
setzen: eine Kritik auch gibt der Mystik). Viel engere Grenzen müssen
sich die Erörterungen stecken, die ich hier vorlege.
Meine frühere Skizze knüpfte an ein Faust-Paralipomenon (Weimar.
Ausgabe 14, 8. 293, Nr. 20), den Rat des Mephistopheles:
Dass
Burvacn: Faust und Moses. 359
Und merck dir ein für allemal
Den wichtigsten von allen Sprüchen,
Es liegt dir kein Geheimnis in der Zahl,
Allein ein großes in den Brüchen.
Den Sinn dieses Fragments erklärte ich aus einer von Boıssrr£e auf-
bewahrten Äußerung Goethes, über ein geologisches Buch: der Ver-
fasser — so urteilte Goethe — verderbe seine Sache durch das falsche
Bemühen, etwas zu erklären, was sich nicht erklären lasse, was man
zugeben müsse; wie man in ‘der Musik nie eine reine Oktave kriege,
sondern in der zweiten immer ein neuer Ton sich bilde, ein neunter
Teil, den man als Bruch in die ganze verteile’, so sei es dieser
Bruch, der einem in der ganzen Natur begegne, den man nicht auf-
lösen dürfe, den man als etwas Unauflösliches zugeben müsse.
Meinem Versuch, an dem dramatischen Aufbau der Faust-
tragödie die Durchführung jenes en vom Dualismus des Zu-
liel und U: ängliel isen, will ich in der nach-
tehenden U hung eine Stütze geben, die mir bisher nur teil-
weise erreichbar gewesen ist. Forschungen der letzten Jahre, die mich
in die Geschichte der mittelalterlichen Theosophie hineinführten, haben
mir das alte Problem wiederholt lebendig gemacht und den unmittel-
baren Anlaß gegeben, den früher nur eine kurze Strecke weit be-
schrittenen Weg nun wenigstens bis zum entscheidenden Ausblick zu
verfolgen.
Man hat längst gesehen, daß am Schluß der Goethischen Tra-
gödie die Grablegung des greisen Faust durch die Lemuren, desgleichen
der Kampf um die Seele des Toten zwischen den von Mephistopheles
herbeigerufenen Teufeln und der von oben niederschwebenden himm-
lischen Heerschar, die den bösen Dämonen Fausts Unsterbliches
entführt, ein Motiv der Moses-Sage gestaltet. Erıcn Scnuipr weist mit
bündiger Kürze (Jubiläumsausgabe Bd. 14, 8. 399 zu V. 11676) nach
K. J. Schrörrs' und von Lorrers? Vorgang auf einige Zeugnisse, die
lehren, wie vertraut Goethe diese Fabel gewesen ist, räumt ihr aber
für den Faust keine besondere Bedeutung ein, findet eine Beziehung
darauf nur in dem Kampf‘ guter und böser Mächte um die Seele und
! Faust von Goethe Sr eier von K. J. Scurörr, 2. Teil, Heilbronn 1881,
S. 371 zu V. 7001-7002; K.J. Scuröer, die Aufführung des ganzen Faust auf dem
Wiener Hofburgtheater, Heilbronn 1883, S. 55f.; endlich in der dritten Auflage seiner
Faustedition, 2. Teil, Leipzig 1896; S. cv fl. und S. 368 zu V. 11614 f. (die zweite Auf-
lage ist mir nicht zugänglich).
® Goethes Werke, 3. Band, Gedichte 3. Teil. Mit Einleitung und Anmerkungen
von N voN EUNERE, Berlin 1884, Gustav Hempel, S. 221 zu den Zahmen Xenien
Nr. 3,
360 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
bemerkt ganz richtig: ‘der Kampf guter und böser Mächte um die
Seele ist häufiger ein Gegenstand mittelalterlicher Literatur und Ma-
lerei. Das entspricht wohl auch der herrschenden wissenschaftlichen
Meinung. Meiner Ansicht nach geht der Zusammenhang zwischen dem
Faustdrama Goethes und dem Mosesmythus viel weiter und reicht viel
tiefer. Gewiß, das Motiv des Streites der bösen und guten Geister
um die Seele des Verstorbenen braucht man nicht aus der Sage vom
Tod des Moses abzuleiten. Dafür stehen zahlreiche andere und all-
gemeiner bekannte germanische Überlieferungen verwandter Art als
Vorbild zu Gebote. Aber die Analogie zwischen dem Tod des Faust
und dem Tod des Moses erschöpft sich nicht in dem Streit der bösen
und guten Dämonen um den Leichnam. Es kommt als Zweites hinzu
das übereinstimmende Motiv der Herstellung des Grabes durch
Mitwirkung von Geistern. Es besteht drittens eine Ähnlichkeit darin,
daß der hundertjährige Faust wie der hundertundzwanzig Jahre alte
Moses dem 'Tod Widerstand leisten, der nur durch geisterhafte Mächte
gebrochen wird. Es findet sich viertens ein Parallelismus, insofern
Faust wie Moses in ihrer schöpferischen Vollkraft, im unverdunkelten
Besitz ihres Geistes sterben mit dem sehnsuchtsvollen Blick in das
erhoffte nahe Zukunftsland, im Vorgefühl der sicheren Erfüllung
des Ideals, das selbst zu erreichen ihnen doch versagt bleibt, und
endlich fünftens: beide, Faust und Moses, sterben mit einem Ver-
mächtnis auf den Lippen. Die beiden letzten Übereinstimmungen sind
die eigentlich entscheidenden. Hier lebt die Seele der Sage vom Tod
des Moses. Diese Seele hat Goethe ergriffen und seine poetische
Phantasie zur Nachgestaltung angeregt. Faust gleich dem Begründer
des nationalen jüdischen Staates, dem Gesetzgeber und Bildner der
sittlich-religiösen Existenz des jüdischen Volkes, dem Bevollmächtigten
und Sprecher Gottes, dem priesterlichen Führer Israels stirbt auf der
Höhe eines titanischen Lebens, von Gott gerufen, von Gott bestattet;
er sieht das Land der Verheißung zum Greifen vor sich, aber er selbst
kommt nicht hinein, und im Scheiden denkt er nicht mehr an
sich, sondern der | len Geschlechter, denen er ein Gesetz sitt-
lichen Lebens hinterläßt.
Indessen, der alttestamentliche Volksleiter, Religionsgründer und
Prophet gab, wie ich nachweisen werde, viel viel mehr als dieses
Motiv seines Sterbens und dessen dargelegte fünf vorbildliche Züge.
Auch sein Leben, wie es die Sage sich mystisch-poetisch vorgestellt
hatte, schuf in Goethe Elemente des Faustdramas: nicht bloß für die
Idee dieses Dramas, sondern auch für die Architektonik seiner Hand-
lung. Gleichwohl muß die Untersuchung zunächst jenes eine Motiv
scharf ins Auge fassen.
Burvacn: Faust und Moses. 361
R
Die Sage vom Tod des Moses, was erzählt sie? Woher stammt
sie? Auf welchem Wege ward sie Goethe zugänglich?
Der herkömmlich dem Apostel = een u a erg Brief be-
kämpft ketzerische Strömungen der inde: gottlose
Menschen, die — wie es scheint nach den Lehren der Gnostiker —
die Majestät Gottes, wohl des Weltschöpfers und Herrn des alten
Testaments, herabsetzen und schmähen, obgleich doch selbst der Erz-
engel Michael im Streit mit dem Satan das Urteil über diesen nicht
selbst ausgesprochen, sondern Gott überlassen hatte. Nach Luthers
Übersetzung (V. 9): »Michael aber, da er mit dem Teufel zankte und
mit ihm redete über den Leichnam Mosis, durfte er das Urteil der
Lästerung nicht fällen, sondern sprach: ‘der Herr strafe dich’ «.
Der Verfasser des Briefes schöpft hier aus einem apokryphen
isch oder hebräischen Buch über Moses, das unter dem Titel
Hinmeifshrt Mosis’ oder ‘Vermächtnis Mosis’' von mehreren
Kirchenvätern und anderen älteren Schriftstellern (Clemens Alexan-
drinus, Origenes, Euodius, in der Kompilation des Gelasius von Cy-
zicus über das Nizaeische Konzil usw.) sowie in Apokryphenverzeich-
nissen erwähnt, benutzt und seinem Inhalt nach beschrieben wird.
Während zu Goethes Zeit von dieser Adscensio oder Assumptio Mosis
(Anäanrıc Mwoyvce&uc, Arseikn Mwrvc&uc) nur solche Zitate und Anfüh-
rungen der genannten Quellen bekannt waren, wurde nach der Mitte
des 19. Jahrhunderts ein umfangreiches Bruchstück einer altlateinischen
Übersetzung? aufgefunden, das, obzwar ohne Titel, sich als einen Teil
der Adscensio Mosis durch einen darin vorkommenden Satz erweist,
der sich deckt mit einem Zitat aus der Anännrıc Mwyc&wc bei Gelasius
von (Cyzieus. Im übrigen berührt sich dieses Fragment nicht mit
dem Bericht und den Zitaten der alten Gewährsmänner über das
apokryphe Mosesbuch: denn es enthält nur dessen erste Hälfte, das
' Die knappste und dabei reichhaltigste Darstellung der an dies Werk sich
knüpfenden wissenschaftlichen Fragen mit vollständigen Nachweis des Materials bei
Enır Schürer, Geschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christis, Bd. 3
(Leipzig 1909), S. 294—305.
® Lateinisch und deutsch herausgegeben von Vorkmar, Mose en und
Himmelfahrt, Leipzig 1867; lateinisch von Carı. Cremes, die Himmelfahrt des Mose,
Bonn 1904 (kleine Texte für theolog. Vorlesungen und Übungen, hrsg. von Pr Lierz-
"ann Heft 10); deutsch mit Kommentar von (©. Crrmen in Kaurzsen’ Apokryphen
und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Freiburg i. Br. 1900, S. 311—331.
362 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Vermächtnis, während jene Berichte und Zitate fast allein die zweite
Hälfte, die Himmelfahrt, betreffen. Für Goethe kommt dieser Fund
nicht in Betracht. Nur auf die schon seiner Zeit vorliegenden Zitate
und die mit ihnen verbund Nachrichten über das Werk konnte
die Kenntnis, die Goethe davon haben mochte, zurückgehen, natür-
lich nicht direkt, sondern durch Mittelglieder. Außerdem aber gab
es eine üppig wuchernde jüdische und islamische Sagentradition
über den Tod des Moses. Auch aus dieser konnte Goethe schöpfen
und hat er, wie sich später zeigen wird, geschöpft.
Was wußte Goethe vom Tod des Moses, was überhaupt von dem
mythischen Moses jüdischer, christlicher, islamischer Überlieferung?
Ich will die wesentlichen Aussagen seiner Briefe und Gedichte der
Reihe nach zusammenstellen'.
1.. Dem Malerdichter Friedrich Müller schreibt er am 21. Juni
1781 in einer umfassenden und tief eindringenden Kritik der von
diesem nach Weimar eingesandten Gemälde und Zeiehnungen auch
ein Urteil über dessen den Tod des Moses darstellendes Bild (W. IV,
Bd. 5, S. 140, 19 bis 141, 19):
In der Wahl Ihrer Gegenstände scheint Sie auch mehr eine dunkle Dichterlust
als ein geschärfter Malersinn zu leiten. Der Streit beider Geister über den
Leichnam Mosis ist eine alberne Judenfabel, die weder Göttliches noch Menschliches
enthält. In dem alten Testament steht, daß Moses, nachdem ihm der Herr das gelobte
Land gezeigt, gestorben und von dem Herrn im Verborgenen begraben worden sei;
dies ist schön. Wenn ich nun aber, besonders wie Sie es behandelt haben, den kurz
vorher durch Gottes Anblick begnadigten Mann, da ihn kaum der Athem des Lebens
verlassen und der Abglanz der Herrlichkeit noch auf seiner Stirn zuckt, dem
Teufel unter den Füßen sehe, so zürne ich mit dem Engel, der einige Augenblicke
früher hätte herbeieilen und den Körper des Mannes Gottes von der scheidenden Seele
in Ehren übernehmen sollen. Wenn man doch dieses Sujet behandeln wollte, so konnte
es, dünkt mich, nicht anders geschehen, als daß der Heilige, noch voll von dem an-
muthigen Gesichte des gelobten Landes, entzückt verscheidet und Engel
ihn in einer Glorie wegzuheben beschäftigt sind; denn das Wort: »Der
Herr begrub ihn«, läßt uns zu den schönsten Aussichten Raum, und hier könnte
Satan höchstens nur in einer Ecke des Vordergrundes mit seinen schwarzen
Schultern kontrastiren und, ohne Hand an den Gesalbten des Herrn zu legen, sich
nn nur umsehen, ob nicht auch für ihn etwas hier zu erwerben sein
möchte.
. Die Sage setzt Goethe, wie man sieht, zunächst als alberne Juden-
fabel herab. Und doch hat sie ihn gepackt und bewegt! Dann, offen-
bar mit tiefstem inneren Anteil holt er, um zu zeigen, “wie man dieses
Sujet behandeln sollte’, ihren edeln poetischen Kern heraus. Der
Plan einer künstlerischen B lung des Motivs, den er dabei ent-
wirft, ist — man beachte die in meinem Abdruck gesperrten Worte —
, ," Die Zitate, wo nichts anderes bemerkt, nach der Weimarischen Ausgabe der
Werke Goethes (W.), und zwar die Briefe mit vorgesetzter Abteilungsziffer (IV).
BurvacH: Faust und Moses. 363
im Grunde von ihm selbst ausgeführt worden in der Szene seines
Dramas, die Fausts Tod darstellt.
2. Am 7. November 1808 dankt er Zelter für musikalische und
kulinarische Gaben und verbindet damit den Dank für Höheres, für
des Freundes belebende Einwirkung auf den jungen Karl Eberwein
(W.IV, Bd. 20, S. 204, Z.1—17):
Wir haben uns gestern an manchen Ihrer Gaben ergetzt, an Ihren Kompo-
sitionen so wie an Ihren Rüben; auch habe ich Ihrer dankbar gedacht, indem Eber-
wein etwas von Ihrem Ernst mitgebracht zu haben scheint. Er kommt mir vor wie
Moses der vom Berge kam und dessen Gesicht glänzte. Wenn das auch nur
eine äußerliche Wirkung ist, so läßt sich vermuthen, daß doch auch etwas ins Innere
eingedrungen seyn mag. Ich danke Ihnen, daß Sie ihm so gütig fortgeholfen haben:
denn seine Wiederkunft ist für ihn und für uns günstig. Unser kleiner Chorgesang
wäre den Winter ganz zu Grunde gegangen; nun mag er sich fassen und prüfen und
etwa auf Palmarum wieder zu Ihnen wallfahrten
Für so vielerley Gutes Ihnen auch was freundliches zu erzeigen, war lange mein
Wunsch usw.
3. Am 27. Juli 18i2 aus Teplitz an seine Frau (W. IV, Bd. 23,
»:40,27 D18 47, 5):
Grüße Hofr. Meyer schönstens und sage ihm: ich habe eine Nachbildung des
Moses von Michelangelo in Bronze gekauft, die sehr schön und wahrscheinlich
aus dem ı6ten Jahrhundert ist. Wie er sitzt, ist die Figur 13 Weimarische Zoll hoch.
Also eine schöne Größe. Das Nakte ist wohl verstanden. Bart und Gewänder von
der größten Ausführung.
Es handelt sich um eine Kopie des bekannten K ks. Nicht
die historische Person des Moses will diese Schöpfung Michelan-
gelos verkörpern, sondern den gehörnten Gehilfen Gottes, den Inbe-
griff dessen, was die christliche Phantasie im Einklang mit der
mittelalterlichen Bibelexegese und unter halbbewußter Nachwirkung
mythischer Überlieferung von dem göttlichen Abglanz auf dem
Haupte des Propheten Gottes aus dem geschichtlichen Moses gemacht
hat. Dieses künstlerische, mythisch-poetische Bild gestaltete der sich
ihm verwandt fühlende Titan. Und dieses Bild zündete in der Seele
des Dichters, der in sich Elemente von Muhammed und Moses, von
Prometheus und Faust trug, empfand und zum Ausdruck brachte.
Auf diese Bronzeskulptur bezieht sich wenige Wochen später,, am
14. August 1812, ein Brief aus Karlsbad an Heinrich Meyer (W.IV,
Bd. 23, S. 59, ı bis 60, 3):
Sie erhalten hiebey, mein theurer Freund, eine Silhouette des neu age
Moses, die, obgleich etwas roh, Ihrem Seherblick auf einmal mehr eröffnen Is
viele meiner Worte thun könnten. Ihre Vermuthung ist bey mir zur eriäheie
worden. Die Nachbildung deutet auf einen großen Respect fürs Original und zugleich
auf die Absicht, die Kopie’ zu einem selbstständigen Werke zu machen. Dem Künstler
derselben hat es nicht an Sinn und Gefühl für die Großheit des Marmorbildes gefehlt;
aber mich dünkt, es ist schon eine gewisse Eleganz einer späteren Zeit bemerkbar,
besonders an den nackten Armen, welche jedoch sehr wohl verstanden sind. Die
364 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
nackten Theile sind mit Einfalt und Wahrheit gebildet, aber unglaublich ist die Aus-
führung der übrigen: Haare, Bart, Nägel, die daeische Strumpfhose des rechten Fußes
mit ihren Manschetten, der schwere wollene Mantel; an jener sind die Maschen, an
diesem das wollene Gewirke mit großem Geschmack und Gehörigkeit ausgeführt. Es
fielen mir dabey die gewissen Eischen ! des Cellini ein; denn man sieht deutlich, daß
sie sich verschiedene Instrumente zugerichtet haben, um schon durch die Form der-
selben ihre Zwecke zu erreichen. Wenn diese nun durch eine geschickte Hand ge-
führt und durch einen geistreichen Hammer begünstigt worden, so begreift man, daß
sie Effeete hervorbringen konnten, die man sonst nur dem Pinsel zutraut.
In den Tag- und Jahresheften (1812, W. 36, S. 77, 1— 11) redet
Goethe dann auch vor der Öffentlichkeit davon:
Ich aequirirte eine nicht gar ellenhohe alttlorentinische Copie des sitzenden Moses
von Michelangelo in Bronze gegossen und im Einzelnen dureh Grabstichel und andere
eiselirende Instrumente fleißigst vollendet: ein schönes Denkmal sorgfältiger, beinahe
gleichzeitiger Nachbildung eines höchst geschätzten Kunstwerkes jener Epoche und
ein Beispiel, wie man dem kleinen Bilde, welches natürlich die Großheit des Ori-
ginals nicht darstellen konnte, durch eine gewisse Ausführlichkeit im Einzelnen, einen
eigenthümlichen Werth zu geben wußte.
Noch zwei Jahre vor seinem Tode ist Goethe die Schöpfung Michel-
angelos der vollend und vorbildliche künstlerische Ausdruck des
Charakters des Moses. In dem Aufsatz ‘Christus nebst zwölf alt- und
neutestamentlichen Figuren den Bildhauern vorgeschlagen’ empfiehlt
er folgende plastische Gestaltung (W. 49, 2. Abt. S. 91, 13 —23):
Moses. Diesen Heroen kann ich mir freilich nicht anders als sitzend denken,
und ich erwehre mich dessen um so weniger, als ich, um der Abwechselung willen,
auch wohl einen Sitzenden und in dieser Lage Ruhenden möchte dargestellt sehen.
W hrscheinlich hat die überkräftige Statue des Michel Angelo, am Grabe Julius des
Zweyten, sich meiner Einbildungskraft dergestalt bemächtigt, daß ich nieht von ihr los-
kommen kann.
4. Im Jahre 1817 erwirbt Goethe für die Weimarische Bibliothek
die Handschrift eines magisch-alchemistischen Werkes, das in die an
den Namen Moses sich knüpfende Zauberliteratur hineinführt
und Moses als einen Kollegen des Geisterbeschwörers Faust zeigt.
Das meldet ein Brief an Voigt, Jena den ı6. Mai 1817 (W. IV,
Bd. 28, S.90, 9 bis gı, 3):
Ew. Exeellenz
werden gewiß lächeln, wo nicht gar mich tadeln, daß ich 52 Thaler Sächs. für eine
magische Handschrift gezahlt, unserer Bibliothek einzuverleiben. Die Aufschrift findet
sich auf beyliegendem Blatte. Ich feilschte schon 4 Wochen darum, konnte es aber
doch am Ende nicht aus Händen lassen. Eine auf dem Lande Oppburg bey Neustadt
wohnende Alchymisten Familie hält es im Geheim seit mehreren Jahren für den größten
Schatz und bringt es nur an Tag, weil der Glaube sich mindert, und die Noth sich mehrt.
Futteral darüber machen zu lassen, denn bisher ward es immer in Teppichen aufbe-
ı Eischen = Eisenchen: ebenso Benvenuto Cellini 1. Teil, 10. Kapitel, W. 43,
5.136, 19 f. "vom feinsten Stahl ein Eischen‘.
Burvacn: Faust und Moses. 365
sam genug, un Bibliotheksbesuchende in Verwunderung zu setzen, und einen treflichen
Aufsatz in die Curiositäten zu veranlassen. Nachsicht! und Theilnahme!
Diesem Brief liegt ein Blatt bei, darauf‘ von Schreiberhand genau der
Titel verzeichnet ist (a.a. O0. S. 387f. zu Nr. 71743):
Bibliae magicae Das ist die ganze heilige Abschrift alten. Testaments von Hans
Weymar des sechsten und siebenden Buchs Mosis, Summarien der magischen biblischen
Bücher richtiger Eintheilungen u 'hwörungen, nützlich zugerichtet im Jahre
Christi 1505 auf 22 Pappetafeln und 2 durchscheinenden Blättern. In Hebräischer,
Syrischer und Deutscher Sprache mit großen farbigen Lettern geschriebenes Werk.
Einen Monat später, den 18. Juni, übersendet er, wie es scheint, die
Handschrift selbst an Voigt (W.IV, Bd. 28, S. 132, 1—10):
Als einen Gegensatz von Verwirrung lege zu dem kleinen heitern Gedicht die
zauberhaften Seltsamkeiten bey. Jedes Jahrhundert hat seine Fratze und wenn wir
unsere Preßfreyheits-Gespenster in Chiffern brächten, so ‘würden sie vielleicht nicht
klüger aussehen als wie diese Zeichen. Haben Sie die Gnade dieses Werk nach ge-
nugsamer Beschauung auf die Bibliothek zu geben, wo Vulpius wohl überlegen wird,
inwiefern das Publikum damit unterhalten werden könne.
Und daß er wirklich diesem späten Machwerk niedriger Art nicht nur
eine kulturhistorische Wichtigkeit, sondern auch eine gewisse mensch-
liche Bedeutung beilegt, zeigt sich in dem Nachdruck, mit dem er
nochmals darauf zurückkommt (Jena 23. Juni 1817, W.IV, Ba. 28,
S. 142, 24— 28):
Ew. Excellenz Beyfall zur magischen Acquisition macht mich sehr glücklich.
Es ist wirklich ein ganz eigen Sachsen-Weimarisches Monument von der wunder-
lichsten Art. Der Bibliothekar wird schon deshalb Recherchen machen.
5. Ernsthafter, und was wichtiger ist für unsere Frage, mit un-
mittelbarer Beziehung auf sich selbst ruft er den Propheten
herbei in einem Brief an Schubarth (Jena 21. August 1819). Der
hatte ihm von der Hagens Schrift über die Bedeutung der Nibelung
gesendet, die gegen Schubarth gerichtet war, und von Goethe Partei-
nahme in diesem Streit der feindlichen Kunstanschauungen, und zwar
im Sinne der klassizistischen Auffassung erbeten. Goethe lehnt das
ab. Er, der soeben den Westöstlichen Divan vollendet hat, fühlt
sich den Nibelungen entfernt, ohne doch gegen sie das Wort ergreifen
zu wollen (W.IV, Bd. 31, S. 272, 2ı bis 273, 6):
Von den Nibelungen habe ich seiner Zeit so viel zu mir genommen, als mir
frommte, Mögen sie jetzt und künftig hin einem jeden auch das Seine bedeuten; für
den Augenblick kann ich mich nicht. damit: befassen. Übrigens komme ich mir
i Gelegenheit des zurückkehrenden Heftes abermals wie der Leichnam Aa
vor, um welchen sich die Dämonen streiten. Thun Sie von Ihrer Seite das
Mögliche, daß der Altvater bei seinen’ Ahnen im Haine zu Mamre anständig beige-
Setzt werde. i
: 6. Zwei Jahre später steigert Goethe diesen Gedanken der Ana-
logie seiner Persönlichkeit mit Moses zu einem poetischen Be-
366 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
kenntnis, das äußerlich die Form eines Scherzes hat, aber ernsten und
stolzesten Sinn verkündet. NE den Falschmünzer Pustkuchen, den
Verfasser der parodistisch hen “Wanderjahre’, und ihm verwandte
Gegner erhebt sich der alte Dichter. Der Streit der Meinungen um
seinen Diehterwert weckt das alte Bild des toten Moses auf, um dessen
Leichnam die Engel und Teufel stritten. Aber Goethe greift hier,
was die Interpreten übersahen, auf die rabbinische Legende über
den Tod des Moses zurück. “Der Stab des Meisters’ ist der Stab des
Moses, mit dem er dem Felsen die Quelle entlockte und mancherlei
andere Wunder vollführte, mit dem er nach jüdischen Sagen ae
Satan Sammael, der ihn zum Tode mit sich ppen wollte, abwel
ein Auge ausstößt. Zahme Xenien 5, 2.1585 bis 92 (W.Bd. 3, S. 349):
Über Moses Leichnam stritten
Selige mit Fluch-Dämonen;
Lag er doch in ihrer Mitten,
Kannten sie doch kein Verschonen!
Greift der stets bewußte Meister
Nochmals zum bewährten Stabe,
Hämmert auf die Pustrichs-Geister !;
Engel brachten ihn zu Grabe.
7. Von einer treugesinnten stillen Gedächtnisfeier im Garten des
Schlosses Sanssouci am hundertjährigen Todestag Friedrichs des Großen,
auf der Stätte seines Sterbens, meldet im Jahre 1826 ein Brief Zelters
(Briefwechsel Nr. 497, bei Reclam Bd. 2, S. 414f.):
Der königliche Gartendireetor Lenn& gestern [17. August] in Potsdam konnte
gar nicht aufhören Gutes zu sagen von Deinen morphologischen Heften, indem er
sagte: Deine Buchstaben kämen ihm vor wie die Blätter des Baumes der Natur
u.8.w. Er hat in Sanssouei einige recht malerische Aussichten durchgeschlagen und
sagte: er habe sich stets dabey gedacht wie sie der alte König selbst würde beliebt
haben wenn er noch lebte. Nun zog ein anständiges Gewitter nahe, der Himmel ward
zu einer Wolke und ein dicker Regen, senkrecht herab, erinnerte uns an’ den
17. August 1786, da eben solch ein Himmel war, und so pilgerte man die heiligen
Terrassen hinauf bis an den Fleck wo Er am heutigen Tage die Welt verlassen hat.
— Da man bald dies bald das denken muß, was sollte man nicht auch des vergan-
genen oft mißkannten wie seiner selbst gedenken, da noch immer die alten derb ge-
sponnenen Fäden den Ballon über der Erde erhalten? Giebt es ja denn auch genug
die ihre Zeit (und zwar nicht ohne Grund) für die goldne halten.
Diesen das Datum von neun Tagen tragenden Brief, der einen
reichen Inhalt umfaßt, beantwortet Goethe sofort. Die Mahnung des
greisen Freundes an die Nähe des Scheidens, an das Erlöschen des
großen Königs, der Bericht über die Huldigung, die einer der treuen
Diener und Verehrer dieses großen Königs dem großen Dichter dar-
BRHEEN RE mußte ihn tief bewegen. Tag und Ort dieser weihe-
a Ober diesen Ausdruck wird unten zu sprechen sein: er kettet diese Xenie
fest an die Konzeption der Grablegung des Faust!
Burpacn: Faust und Moses. 367
vollen Erinnerung weckten das erschütternde Bewußtsein, daß auch
den Genien der Menschheit eine letzte Erdenstunde komme. So stellt
Goethe denn die Erwiderung auf die Erzählung des Potsdamer Er-
lebnisses an den Schluß seines Antwortbriefes (26. August 1826) und
läßt diesen in eine bedeutungsvolle Anspielung ausklingen (W. IV,
Bd. 41, S. 130):
Herrn Gartendireetor Lenn& empfiehl mich gelegentlich. Ich möchte wohl mit
einem solchen Manne das Feld durehwandern, wohin ich jetzt nur, wie Moses, vom
Berge hinsehe. Diesseits und jenseits des ‚Jordans der Deine. Goethe.
Zelter wird den vollen Sinn dieser Worte schwerlich verstanden
haben. Ihm erschienen sie wohl, wie jedem Leser, der nicht den
ganzen Zusammenhang überblickt, als ein geistreiches Kompliment.
Wir, sofern meine Darlegungen die Wahrheit erfassen, sehen tiefer.
Vor der Seelenphantasie Goethes, die so unendlich fein auf jeden ihr
verwandten Reiz reagierte, hatte Zelters Schilderung das erhabene
Bild jener Stunde heraufbeschworen, da der Schöpfer des nationalen
deutschen Kulturgedankens en dannen ging. Der sterbende große
König Preußens, der A der ischen Sümpfe und der
sterbende Faust, der dem Meer Wohnräume für Millionen abzwingen
will, der dem letzten Erdentag entgegengehende Dichter des ‘Pro-
ee und ‘Mahomet’, der zugleich der Bahnbrecher der modernen
len ist — sie bilden in der Phantasie Goethes
eine ‚ Reihe, ja gewissermaßen eine Pe, So et wir den ge-
heimen, den ifenden Sinn jener schei Höflichkeitsp Für
das irdische Ende Friedrichs II., Fausts wie für sein eigenes, das er mit
dem vielerprobten Freunde in der stillen Demut unermüdeten Schaffens
erwartete, war der letzte Blick des Moses auf‘die unerreichbare Herr-
lichkeit des Landes jenseits des Jordans, in die einzuziehen er sein
Volk geleitet und tüchtig gemacht hatte, das ausdrucksvollste Gleichnis.
Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage: als Goethe dem Gartendirektor
Friedrichs des Großen durch Zelter jenen Dankesgruß bestellen ließ,
weil er seine naturwissenschaftliche, insbesondere seine botanische
Lebensarbeit gepriesen hatte als "Blätter des Baumes der Natur‘, war
vor seinem inneren Auge die Szene lebendig, da Faust gleich Moses
von der Höhe das ersehnte Zukunftsland erblickt, das er den kommen-
den Geschlechtern bereitet hat, da er im Vorgefühl eines unerreich-
baren Glücks den höchsten Augenblick erlebt: den Tod mit dem “Ab-
glanz der Herrlichkeit’ auf’ der Stirn, das Eintreten in das Land jen-
seits des Jordans des Lebens'.
! Hingewiesen sei wenigstens auf eine briefliche Äußerung Goethes vom 18. April
1828 (W.IV, Bd. 44, S. 65, 15— 24), worin er dem Verfasser eines epischen Gedichts
"Moses, Hofrat Bußler in Berlin, die Ablehnung des erbetenen Urteils motiviert: “Das vor-
368 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
1:
Angesichts der tehenden Übersicht erhebt sich die Frage:
das poetische Phantasiebild, das Goethe, wie sich gezeigt hat, so viele
Jahrzehnte durch lebendig in sich trug und hegte, wurzelt es in ge-
schichtlicher Kenntnis? hat Goethe seinen mythisch-poetischen Begriff
des Moses gewonnen aus einer Kenntnis der gleichzeitigen gelehrten
Forschung, der Bibel- und Religionswissenschaft? Man muß darauf
mit ja antworten.
Die Gestalt des Moses ist für Goethe seit früher Jugend ein Be-
standteil jenes andächtigen, eigentlich niemals ganz erlöschenden Wer-
bens um das volle, innerste Verständnis des Orients. Dieses Ver-
ständnis sollte, wie stets bei Goethe, sich auf Einfühlen und Anschau-
ung gründen. Und es war ihm, seit der Kindheit fast bis in das
höchste Alter, nur das Instrument einer tieferen Einsicht in die Natur
des Menschen überhaupt. Seine naturwissenschaftliche Forschung, sein
Bemühen um den Orient, sein dichterisches Schaffen — miteinander
ringen sie nach demselben Ziel: nach dem Begreifen der Grundlagen
des Menschen, seines Ursprungs und seiner Entwicklung, seiner Kräfte
und Aufgaben und nach der allseitigen, vollstä digen Ausbildung der
eigenen Individualität als eines vom Weltgeist zum Führer und Lehrer
berufenen Gestalters und Deuters künstleri hei
Wie aus der Teilnahme an der gleichzeitigen orientalistischen For-
schung Goethes dichterisches Vermögen sich befruchtet, auf welch
breitem Boden gelehrter, allerdi gs sprunghafter Lektüre sein Maho-
met, seine Übersetzung des Hohenlied ‚ der ersten Muallaga, sein
Westöstlicher Divan erwachsen, das ist im Laufe der letzten Jahre
durch sorgsame Feststell zum Gemeingut der Goetheerkenntnis ge-
oO
worden und soll hier nieht wiederholt werden. Nur an Goethes kri-
tische Arbeit über die geschichtliche Wahrheit des Lebens Mosis will
ich erinnern. Eine Reihe von Zeugnissen, meist aus dem Briefwechsel
zwischen Goethe und Schiller, möge sie hier vergegenwärtigen.
8. Hier folgt Cellini, der nun bald mit einer kleinen Sendung völlig seinen
Abschied nehmen wird. Ich bin, indem ich den patriarchalischen Überresten
nachspürte, in das alte Testament gerathen und habe mich auf’s neue nicht genug
über die Con fusion und die Widersprüche der fünf Bücher Mosis verwundern
können, die denn freilich, wie bekannt, aus hunderterley schriftlichen und
liegende Werk redlich und gründlich zu beurtheilen, müßte ich erst jene uralte Über-
lieferung mir völlig vergegenwärtigen und in ihre Natur und Eigenschaft wieder
aufs neue einzudringen suchen, um sodann erst mit Wohlwollen und Genauigkeit
zu ermessen, wie der spätere poetische Arbeiter ‚jene Angelegenheit und die davon zu
uns gelangte Kenntniß angesehen, auch wiefern er dem würdigen Original neuen
dichterischen Gehalt zu verleihen und das Ganze in glücklicher Sprache mitzu-
theilen gewußt habe‘.
Burpacn: Faust und Moses. 369
mündlichen Traditionen zusammengestellt seyn mögen. Über den Zug der
Kinder Israel durch die Wüste habe ich einige artige Bemerkungen gemacht und es
ist der verwegne Gedanke in mir aufgestanden: ob nicht die große Zeit welche sie
darinne zugebracht haben sollen [40 Jahre], erst eine spätere Erfindung sey? Ich will
gelegentlich, in einem kleinen Aufsatze, mittheilen was mich auf diesen Gedanken ge-
bracht hat.
9. Ihre Entdeckungen in den fünf Büchern Mosis belustigen mich sehr. Schrei-
ben Sie ja Ihre Gedanken auf, Sie möchten des Weges sobald nicht wieder kommen.
Soviel ich mich erinnere haben Sie schon vor etlichen und zwanzig Jahren [1773]
mit“ dem neuen Testament Krieg gehabt [‘Brief des Pastors zu **” und die zweite
der ‘Zwo biblischen Fragen’]. Ich muß gestehn daß ich in allem was historisch ist,
den Unglauben zu jenen Urkunden gleich so entschieden mitbringe, daß mir Ihre
Zweifel an einen einzelnen Factum noch sehr raisonable vorkommen. Mir ist die
Bibel nur wahr wo sie naiv ist; in allem andern was mit einem eigentlichen
Bewußtseyn geschrieben ist, fürchte ich einen Zweck und einen späteren Ursprung.
(Schiller an Goethe, 14. April 1797: Schillers Briefe hrsg. von F, Jonas Bd. 5,
S. 176f.)
10. Zugleich habe ich noch immer die Kinder Israel in der Wüste begleitet, und
kann, bey Ihren Grundsätzen, hoffen, daß dereinst mein Versuch über Mose Gnade
vor Ihren Augen finden soll. Meine kritisch-hi torisch-poetische Arbeit geht
davon aus: daß die vorhandenen Bücher sich selbst widersprechen und sich selbst
verrathen, und der ganze Spaß den ich mir mache läuft dahinaus, das menschlich
wahrscheinliche von dem absichtlichen und blos imaginirten zu sondern und
doch für meine Meinung überall Belege aufzufinden. Alle Hypothesen dieser Art be-
stechen blos durch das Natürliche des Gedankens und durch die Mannigfaltigkeit der
Phänomene auf die er sich gründet. Es ist mir recht wohl, wieder einmal etwas, auf
kurze Zeit, zu haben bey dem ich, mit Interesse, im eigentlichen Sinne, spielen
kann. Die Poesie, wie wir sie seit einiger Zeit treiben, ist mir eine gar zu ernsthafte
Beschäftigung.
(Goethe an Schiller, 15. April 1797, W. IV Bd.ı2, $.87, 18 bis 88, 11.)
11. Ich studiere jetzt in großer Eile das alte Testament und Homer, lese zu-
gleich Eichhorns Einleitung in’s erste und Wolfs Prolegomena zu dem letzten.
Es gehen mir dabey die wunderbarsten Lichter auf, worüber wir künftig gar man-
ches werden zu sprechen haben.
(Goethe an Schiller, 19. April 1797, W. IV Bd.ı2, S.89, 23 bis 90, 4.)
12. Da ist unser Woltmann, dem nichts rechts recht ist, was andre schreiben,
dems kein Mensch zu Danke machen kann. Jetzt habe ich seine Menscheng di
ei heraus ist, durchblättert. Nein, das ist ein Greuel von einem Geschichtbuch,
eine solche Impudenz und Niaiserie zugleich und Tollheit können Sie Sich nicht denken.
Das Buch macht Fronte gegen Philosophie und Geschichte zugleich, und es ist schwer
zu sagen, welcher von beiden es am meisten widerspricht.
(Schiller an Goethe, 18. April 1797, Jonas 5, $. 178.)
13. Woltmanns Menschengeschichte ist freylich ein seltsames Werk. Der Vor-
bericht liegt ganz außer meinem Gesichtskreise, das ägyptische Wesen kann ich nicht
eilen, aber wie er bey Behandlung der Israelitischen Geschichte das alte Testa-
ment so wie es liegt, ohne die mindeste Kritik, als eine reine Quelle der Begeben-
heiten annehmen konnte, ist mir unbegreiflich. Die ganze Arbeit ist auf Sand gebaut,
und ein wahres Wunderwerk, wenn man bedenkt, daß Eichhorns Einleitung
schon zehen Jahre alt ist und die Herderischen Arbeiten schon viel länger wirken.
Von den unbilligen Widersachern dieser alten Schriften will ich gar nicht einmal reden.
(Goethe an Schiller, 22. April 1797, W. IV, Bd. 12, $. 94, 12——24.)
370 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
14. Für die übersendete Menschepgeschiehte schreibe ich hiermit meinen ver-
späteten Dank, ich habe sie mit vielem Vergnügen [!] gelesen und wünschte mich mit
Ihnen darüber nun auch mündlich unterhalten zu können; denn für die Betrachtungen,
die bey einem solchen Werke entstehen, ist in einem Briefe kein Raum. So wünschte
ich z. B. die Ursache zu wissen, warum Sie bey der Darstellung der Israelitischen
Geschichte den alten jüdischen Schriften mehr historischen Werth beygelegt haben,
als sie je behaupten können, da es doch vielmehr wie mir scheint selbst Ihrem Plan,
eine allgemeine Menschengeschichte di tellen, günstiger gewesen wäre, wenn nicht
Ein Volk und in diesem Ein Mensch eine so große Rolle spielte. Doch das ist
eben das worüber man nicht schreiben sondern sprechen, nicht aburtheilen sondern
hören soll.
(Goethe an Carl Ludwig Woltmann, 26. April 1797, Konzept, W.1V, Bd. r2,
S. 102, 1—16.)
15. Gestern habe ich angefangen an meinem Moses zu dictiren. Güßefeld ver-
langt für eine Charte [die zur Verdeutlichung des Zuges in der Wüste dem für die
“Horen’ bestimmten Aufsatze beigegeben werden sollte] in klein Folio zu zeichnen
4 Louisd’or und will den Stich derselben für etwa 2 Carolin in Nürnberg besorgen.
Glauben Sie daß der Spaß die Auslage werth sey, so will ich gleich Anstalt machen,
es gehn doch immer ein paar Monate hin bis die Charte fertig wird. Mein Aufsatz
kann recht artig werden, um so mehr als in der neuern Zeit die Theologen selbst die
Bibelchronologie verdächtig machen und überall eingeschobene Jahre zur Ausgleichung
gewisser Cyklen vermuthen.
(Goethe an Schiller, 3. Mai 1797, W.1V, Bd. ı2, S. 115, 1—ı2.)
16. Was die Charite zum Moses betrift, so wollen wir, wenn es Ihnen recht ist,
den Zenzischen Aufsatz, den ich in das 5' Horenstück einrücken lasse, dazu bestimmen,
daß die Ausgabe für jene Charte davon [von dem Honorar, das für den “Waldbruder
Lenzens zu zahlen gewesen wäre, wenn er noch gelebt hätte] bestritten wird. Ich
habe Cotta versprochen, daß ihm kein Bogen mehr als 4 Ldors kosten solle... Sorgen
Sie nur, daß’ wir den Moses und auch das Kupfer bald können abdrucken lassen.
(Schiller an Goethe, 5. Mai 1797, Jonas 5, S. 190.)
17. Daß wir den Ertrag von Lenzens Mumie auf die Karte von Palästina an-
wenden wollen, ist mir ganz recht. Doch will ich noch einen Augenblick inne halten,
bis ich sehe ob auch mein Moses wirklich fertig wird. Bisher hatte ich mich von
der Idee Italiens fast ganz los gemacht, jetzt, da die Hoffnung wieder lebendig wird,
so sehe ich wie nöthig es ist meine Colleetaneen wieder vorzunehmen, zu ordnen und
zu schematisiren.
(Goethe an Schiller, 6. Mai 1797, W. IV, Bd. ı2, S. 118, 13—2r.)
} 18. Es sollte mir leid thun, wenn Sie Ihren Moses zurücklegten. Freilich ist
es eine sonderbare Collision, in die er mit den italienischen Dingen kommt: aber nach
dem, was Sie mir schon davon sagten, hätten Sie däucht mir wenig mehr zu
thun, als ihn zu dietieren.
(Schiller an Goethe, 10. Mai 1797, Jonas 5, S. 192.)
19. Seitdem die Hoffnung das gelobte, obgleich- jetzt sehr mißhandelte, Land
Italien] zu sehen bey mir wieder auflebt, bin ich mit aller Welt Freund und mehr
als jemals überzeugt: daß man im theoretischen und praktischen, und besonders in
unserm Falle im wii haftliel nd dichterischen immer mehr mit sich selbst eins
zu werden und eins zu bleiben suchen müsse... Den Schluß des Cellini will ich
in Jena gleich zum Anfange vornehmen, vielleicht findet sich auch sonst noch etwas
und vielleicht wird Moses durch die Unterhaltung wieder lebendig.
(Goethe an Schiller, 17. Mai 1797, W. IV, Bd. ı2, S. 125, 4—11, 16—19.)
Burpacn: Faust und Moses. 371
e beyden handfesten Pursche Moses und Cellini haben sich heute zu-
same Ähnlichkeit. Sie werden doch gestehen, daß dieß eine Parallele ist, die selbst
Plutarchen nicht eingefallen wäre.
(Goethe an Schiller, Jena, 27. Mai 1797, W. IV, Bd. ı2, S. 130, 5—ıo0.)
21. Moses so wie Sie ihn genommen haben ist dem Cellini wirklich gar nicht
so unähnlich, aber man wird die Parallele greulich finden.
(Schiller an Goethe, 27. Mai 1797, Jonas 5, S. 196.)
22. Ich habe diese Tage mancherley angegriffen und nichts gethan. Die Ge-
schichte der Peterskirche habe ich besser und vollständiger schematisirt und sowohl
diese Arbeit als der Moses und andere werden schon nach und nach reif werden.
(Goethe an Schiller, Weimar 21. Juni 1797, W.IV, Bd. ı2, S. 162, 20 bis 163, 3.)
Ich habe diese Verhandlungen über Goethes Mosesaufsatz voll-
ständig vorgeführt, weil sie sehr merkwürdig, ja beinah seltsam sind.
Nebenher gingen freilich noch mündliche Besprechungen über diese
Arbeit während Goethes Aufenthalt in Jena (s. u.), und ihre Briefe
weisen ja auch darauf zurück. In den Briefen stellt Goethe das Ganze
wiederholt als Spaß hin. Es soll ihm eine Ablenkung, eine Erholung
ermöglichen, deren er bedürfe. ein der ER, die durch den
Bund mit Schiller, durch die gemei g um die Theorie
des Künstlerischen und deren bewußte Verwirklichung sich so um-
gestaltet hatte, daß sie anfing, ihm ‘eine gar zu ernsthafte Beschäftigung”
zu werden, sucht er nach der Gelegenheit, im vollen Sinne des Worts
zu spielen (Nr. 10). Und dieser wissenschaftliche Versuch soll sie
ihm geben. Man glaubt nicht me . angesichts der zähen An-
strengung, mit der hier tändliche B und genaue geogra-
phische Überlegungen angestellt und auch die kritischen Arbeiten der
Theologen, sogar die schwierigen chronologischen (Nr. 11. 13. 15) be-
rücksichtigt werden. Schiller zeigt sich dabei, wie stets, wenn er in
Goethes Arbeitspl iht wird, als der zu Produktion und
Abschluß Anregende, Treibende. Aber sonderbar ist es: mit keinem
Wort erinnert er an seine eigene historische Studie ‘die Sendung
Moses’, die 1790 erschienen war und die Tat des Stifters der alt-
jüdischen Religion aus den ägyptischen Mysterien hergeleitet hatte.
Ebenso spricht auch Goethe nicht davon. Ob er diese rationalistisch-
konstruktive Freimaurerträumerei! nicht gekannt hat oder sie nur
' Vgl. darüber Rıon. Fester, Schillers Sämtliche Werke, Säkularausgabe, Bd. 13,
S. 301f. — Ein sehr scharfes Urteil über Schillers Moses-Studie fällte BR von
Ranke, Weltgeschichte 3. Teil, 2. Abteil., Analekten, 3. Aufl., Leipzig 1883, S. ı
Recht nimmt er Anstoß an der Erklär ärung, "Moses habe die ägyptische en
von dem Einen wahren Gott kennen gelernt, aber dann doch in der Überzeugung,
daß das Volk unfähig sein würde sie so aufzufassen, sich entschlossen, den wahren
Gott auf eine fabelhafte Art zu verk also doch die Wahrheit zu ver-
fälschen‘. Aber den Wunsch, ‘Schiller hätte das poetisch zu einem Monologe des Moses
verarbeiten können wird nicht jeder teilen. Übrigens scheint Schiller 1797 die Me-
Sitzungsberichte 1912, 35
372 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
nicht kennen wollte? Man empfängt den Eindruck, als suche Goethe
sich eigentlich vor dem Gefährten auf der Bahn künstlerischen Schaffens
und kunsttheoretischen Nachdenkens zu entschuldigen wegen dieses
Seitensprungs und als drücke er darum seine Studie über den alt-
testamentlichen Heros möglichst herab. Es war das einer jener Akte
freundschaftlicher Diplomatie, deren die Vereinigung dieser beiden
Ungleichen, namentlich in den ersten Jahren, bedurfte. Auch auf
seiten Schillers war wohl etwas Ähnliches bestimmend, wenn er fast
geflissentlich reges Interesse an diesen Fragen zur Schau stellt. Und
doch sieht er diese biblische Welt mit so ganz andern Augen an als
Goethe. Schiller steht dem Ziel Goethes, durch pragmatische Kritik
das historische Wesen von dem bloß Imaginierten abzusondern, augen-
heinlich skeptisch gegenüber. Er hatte wohl die methodische Schwäche
des Versuchs und die Unzulänglichkeit der wissenschaftlichen Aus-
rüstung erkannt. Mochte Goethe sich auf Friedrich August Wolfs
Homerkritik berufen (Nr. ı1) und auch wirklich durch sie sich an-
geregt fühlen, die philologischen Mittel der Pentateuchkritik hat er
doch kaum anzurühren begonnen, geschweige denn irgendwie reich-
licher und tiefer genutzt. Heute wirken diese Mängel auf uns natürlich
noch stärker. Doch scheint mir von Lozrzrs Urteil (Ausgabe des West-
östlichen Divans, Hempel 4, S. XLII), daß der Aufsatz ‘schon 1797
nicht mehr zeitgemäß’ gewesen sei, unbillig, und ebenso die Begründung,
es sei "unzulässig, die biblische Darstellung als reine Geschichte und
Moses nur als Herrscher und Feldherrn aufzufassen’ (s. unten S. 378).
Die Skizze der Pentateuchforschung des ı8. Jahrhunderts, die z. B.
ein Kenner und Bahnbrecher wie Envarn Reusz (Die Geschichte der
heiligen Schriften alten Testaments, 2. Aufl., Braunschweig 1890,
S. 70ff.) geliefert hat, und das Lebensbild, das er selbst von Moses
entrollt, lehren, daß Goethes Auffassung einen gesunden Kern hatte.
Mit sicherem Instinkt geht er von einer richtigen positiven Erkenntnis
aus, wenn er vielleicht auch zu weitgehende Schlüsse daraus zog: die
40 Jahre der Wüstenwanderung sind ein mythisches Element. Diese
Zahl — das ist eine frı Beob g von prinzipieller Be-
deutung, die noch in den Tagen der Segen und Fluch in sich bergenden
modernen Religionswissenschaft herlei Aufschlüsse bringt — be-
trachtet er als überlieferte typische Zahl von bolischer Bedeut
y je}
und spricht ihr den Wert eines genauen chronologischen Maßes ab'.
thode jenes Aufsatzes selbst nicht mehr gebilligt zu haben. Er schweigt, wie oben
bemerkt, über ihn nicht nur, auch seine Äußerung, die Bibel sei nur wahr, wo sie
naiv ist (oben Nr. 9), stimmt nicht zu seinem früheren Verfahren, die im Pentateuch
berichteten historischen Fakten ohne kritische B tand hi }
. F 7 Fi =
2 ! Auf die Rolle ‚der ‚typischen Zahl 40 im Leben des Moses (Tod mit 120 Jahren;
Nomadenzug durch die Wüste 40 Jahr’; im 80. Jahr Heerführer; im 40. Jahr flüchtig
Burpaca: Faust und Moses. 373
Den ‘Moses’ hat Goethe nicht in den Horen veröffentlicht. Aus
welchen Gründen, bleibe dahingestellt. Fast scheint die Honorierung
des Kartenstechers aus dem Lohn für die Mumie Lenzens (Nr. 17)
das Stocken veranlaßt zu haben, gewiß nicht erlahmendes Interesse.
Das ergibt eine Prüfung des ergötzlichen Auf und Ab in dem Noten-
wechsel der beiden Freunde über diese Angelegenheit. Erst redet
Goethe von ihr als ‘verwegenem Gedanken’ (Nr. 8), und Schiller fühlt
sich belustigt (Nr.9). Dann retardiert Goethe, zweifelnd, ob er sich auch
von der Idee Italiens werde losmachen können (Nr. 17). Sogleich stimmt
Schiller höflich ein und befürchtet bedauernd die Zurücklegung des
Moses wegen der sonderbaren Kollision mit den italienischen Dingen
(Nr. 18). Aber da entgegnet Goethe fast eifrig: die Hoffnung auf
Italien stärke ihm nur die Überzeugung, immer mehr mit sich selbst
eins werden und bleiben zu müssen; dazu — scheint es — soll nach
dem Gellini nun der Moses dienen, den Unterhaltung mit Schiller bei
dem bevorstehenden Aufenthalt in Jena wieder lebendig machen werde
(Nr. 19)'. In Jena nennt sie dann ein Billett Goethes zwei handfeste
Pursche von wundersamer Ähnlichkeit. Und Schiller beeilt sich, sofort
seine Zustimmung in einem Antwortbillett zu erklären. Am Abend
desselben Tags besiegelte danach die mündliche Konferenz das neuer-
liche Übereinkommen.
Man glaube nicht, daß Schiller hier die Rolle des Polonius spiele
und die Wolke, um Hamlet-Goethe nicht zu widersprechen, bald für
ein Kamel bald’ für einen Walfisch halte. Die Metamorphose, die im
suchenden Geiste Goethes damals die Gestalt des Moses durchmachte,
war in der Tat fast so seltsam als jene Wolkenwandelbilder in Hamlets
höhnender Suggestion. Und in dieser Metamorphose lag wohl auch
aus Ägypten) hatte allerdings schon J. G. Eıcnnorn (Einleitung in das Alte Testament,
2. Aufl., Leipzig 1787, Teil 2, S. 241 Anm.) hingewii und hervorgehol wi
nach ‘alle 40 Jahre eine Hauptbegebenheit seines Lebens vorgefallen' und ‘das Runde
in den Zahlen doch einigen Verdacht gegen ihre Richtigkeit erwecken .
! Goethe war vom 19. Mai bis 16. Juni 1797 in Jena und, wie das Tagebuch
verzeichnet, mehrmals bei Schiller. Aber den Moses nennt es nur einmal, am 27. Mai:
“Früh Cellini und Moses ... Abends bey Schiller’. Das bezieht sich also auf den oben
als Nr.20 abgedruckten Brief, der am Morgen geschrieben und vielleicht auf der
Stelle, jedenfalls aber im Laufe des Tages von Schiller beantwortet wurde (Nr.2r).
Diese innere Verbindung von Cellini und Moses konnte Goethe dann später in einem
Kunstwerk sich täglich symbolisch vor Augen führen. Am 12. Dezember 1812 schreibt
er an Zelter (W.IV, Bd. 23, S. 198, 18—26): ‘Ich wollte sodann, wie das vorige
Mal, meine Gedanken aufrichtig darüber mittheilen, und das Beste was ich zu geben
habe dagegen [für eine ihm zum Tausch angebotene Jupiterbüste] anbieten. So be-
sitze ich eine Medaille vom Cellini doppelt, es ist diejenige vom Moses und der
Umschrift: ut bibat populus, die ich wohl hochschätzen muß, weil ich dreyßig Jahre
vergebens darnach getrachtet habe und sie alsdann durch sonderbare Zufälle in
einem Jahre doppelt erhielt.’
la-
35*
374 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
der tiefere Grund, warum Goethe 1797 den nahezu fertigen Moses-
aufsatz vorläufig beiseite legte. Aber man hat kein Recht, zu bezweifeln,
daß Schiller — trotz seinen anfänglichen inneren Bedenken — sich von
Goethe zu der neuen Auffassung des Moses hat bekehren, mindestens
von deren persönlicher, relativer Berechtigung hat üb gen lassen.
Um den einer mehr rationalistischen Kritik der Bibel geneigten
Freund, der bekannte, den Inhalt der alttestamentlichen Schriften,
soweit er nicht naiv sei, aus bewußten Zwecken herzuleiten (oben
Nr. 9), durch den rein menschlich-poetischen Gesichtspunkt seiner
Mosesstudien nicht zu befremden, bezeichnete Goethe sie als einen
Spaß, als ein Spiel. Im Grunde war es ihm eine sehr ernsthafte An-
gel heit. Im mündlichen Gespräch wird das Schiller völlig klar
geworden sein, wie es sein lieb ürdiger Takt von herein geahnt
oder vermutet hat. Wir mögen heut bereit sein, mit Hrn. vow Lorrer
die Nase zu rümpfen über diese veralteten! dilettantischen, so überaus
umständlichen Versuche, durch geographisches Nachrechnen und aus
allgemeinen Voraussetzungen ursprüngliche und spätere Bestandteile,
Wahres und Erfabeltes im Bericht der Exodus zu scheiden. Wir sind
geschichtlicher geschult und gewohnt, die Grenzen zwischen Sage und
Historie schärfer zu ziehen, Kulturvorgänge weniger entschieden als
! Doch möchte ich hervorheben: Goethes Reduktion der 40 Jahre Wüsten-
wanderung auf vier oder später auf anderthalb Jahre kehrt fast oder ganz entsprechend
wieder bei Heıyrıcn Ewarn, Ernest Rexan, und wenn auch unsere modernen alt-
testamentlichen Kritiker über Goethes Versuche ziemlich hinweggleiten, so beziehen
sich doch — wie mir Hriyrıcn Axz nachweist — auch noch die neuesten Kommen-
tare, z.B. H. Horzıneer, Exodus, Tübingen 1900, Einleit. S. X und Br. Bänrscn, Exo-
dus-Levitieus-Numeri, Göttingen 1903, S. 497, mit einer gewissen Zustimmung auf
Goethes Bedenken gegen die Ursprünglichkeit der Redaktion jenes die Zeitangabe
bietenden Abschnittes. Goethes Nachweis aber, daß der eigentliche und echte De-
kalog nicht Exod. 20, ı—19, sondern Exod. 34, 11—26 erhalten sei, hatte Weır-
HAUSEN und seine Schule für längere Zeit zur Anerkennung gebracht (vgl. z.B. noch
. F . Fi * 8,
rücksichtigung der inzwischen durch A bung alten Kultur und
Rechtennellen“des bafslonie)
älterer verwandter q Landes völlig neue Maßstabe ge-
schaffen ‚haben. Vgl. die gut orientierende Schrift von Runorr on Die Art
liche Wissenschaft in ihren wichtigsten Ergebnissen, Leipzig ıgro, auch HorzınGer,
bei Kavrzscn, Die Heilige Schrift des Alten Testaments, 3. Aufl., Bd. r, Tübingen 1909.
i x Wenn allerdings mit Berufung auf Srapr der Versuch, den Wüstenzug Israel zu
lokalisieren und näher zu beschreiben, abgelehnt wird mit dem Urteil, es habe denselben
Wert, als etwa den von den Burgunden bei der Reise zu König Etzel zurückgelegten
Weg zu untersuchen (G. Beer, “Wüstenwanderung': H. Gurses Kurzes Bibelwörter-
buch 1903, S.
Burvacn: Faust und Moses. 375
das Werk eines einzelnen, sondern mehr auch als ein Ergebnis langer
Tradition, der sozialen Lage und der geistigen Bedürfnisse seines Volkes
aufzufassen. Aber es bringt glücklicherweise für das Problem, das
ich behandle, keinen wesentlichen Nutzen, Schwächen und Vorzüge
dieser Arbeit Goethes abzumessen an der gleichzeitigen und späteren
Bibelforschung der Fachgelehrten. Die persönliche Bedeutung des
Mosesaufsatzes für Goethes innere, für seine künstlerisch-menschliche
Entwicklung kann man kaum hoch genug schätzen. Einerlei, ob und
wieweit er durch seine konkrete und lebendige Auffassung des Schau-
platzes, der primitiven Zustände namentlich der Zeit von Mosis Exil,
die hist he Bibelkritik befruch sie aus dem unsolide fundierten
Universalismus der Herderschen Vergleichungstendenz in die Enge
einer philologischen, die nationale Einzelexistenz und Einheit Israels
betonenden Betrachtung gezogen und so einen notwendigen Durch-
BSEBRROREN für die Entwicklung der Forschung geschaffen hat'!. Für
Faktums, für die Frage, ob die Burgunden überhaupt und wie die Burgunden gezogen
sind, hat diese Untersuchung gar keinen Wert, wohl aber einen sehr großen Wert
für die Frage nach Herkunft und Zeit, Verfasser und literarischem Charakter des
Gedichts oder seiner Quelle, worin dieser Zug erzählt wird. Allen Philologen und
Historikern, die sich mit diesem in der Kritik epischer Sagen und ihrer poetischen
Gestaltung, ihrer literarischen Aufzeichnung und Verbreitung überall wiederkehrenden
Problem des historischen Schauplatzes beschäftigen ‚müssen, sei als methodisch
lehrreich empfohlen Frıeprıcn Zarnckes Untersuchung über die im Nibelungenlied
vorliegenden östlichen deutschen Grenzbestimmungen (Beiträge zur Erklärung und
Geschichte des Nibelungenliedes, Leipzig 1857 [8. Band d. Berichte d. Kgl. Sächs. Ge-
sellsch. d. Wissensch., phil.-hist. Kl.]J, S. 170— 211). Übrigens hat Goethe 1808 “im
Sinne der Vossischen Charten zum Homer Hesiodus Aeschylus eine Pegel zu den
Nibelungen gezeichnet, die auf sehr hübsche Reflexionen führt’: Fr. W. Rırmer,
Mitteilungen über Goethe 2, S. 666.
! Während der Niederschrift dieser Zeilen geht mir zu Ruvorr Kırrer, Ge-
schichte des Volkes Israel, r. Band, 2. Aufl, Gotha ıgr2. Die Vorgeschichte der
ii haftlich P hkrii die tastende Bemühung des 18. Jahrhunderts, die
E. Revusz (s. o. S. 372) ziemlich eingehend berücksichtigt, ist darin S. 244f. nur
gestreift. Aber das vierte Buch dieses Bandes “Mose und der Wüstenzug (S. 456
bis 564) läßt den Kriegsschauplatz der modernen Exodusforschung voll überblicken.
Nur wer sich in dieses Getümmel mit guter Rüstung hineinwagt, um die erstaunlich
wechselnden Vorstöße, Rückzüge und Niederlagen alter und neuer Hypothesen (von
Spinoza, Astruc, Herder, Eichhorn, Vater, de Wette zu Ewald, Vatke, Graf und
weiter zu Wellhausen, Eduard Meyer) aus der Nähe zu prüfen, kann daran denken,
dem geschichtlichen Verdienst der Mosesarbeit Goethes und seiner Jugendschrift mg
den Dekalog wirklich gerecht zu werden. Dies muß den dazu Berufenen überlasseı
aber auch wärmstens ans Herz gelegt werden. Einstweilen ist man Peer
2. B. auf Lupwie Diester, Geschichte des Alten Testaments, Jena 1869, S. 460ff. und
A. Könter, Lehrbuch der Biblischen Geschichte des Alten Bundes 1, S.7ff. Nicht ohne
Interesse wäre es, zu ermitteln, wie weit Goethe wirklich von Friedrich August
Wolf i in seiner Methode beeinflußt ist, Die in der modernen alttestamentlichen Diszi-
g g der (Redaktion älterer Schriften
mit Einschiet (Ver-
einigung rer Stücke ohne en er feste Ordnung), der Grund-
376 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
ihn selbst reifte hier ein köstlicher Ertrag. Sonst wäre ja auch nicht
zu begreifen, daß er später zweimal die Voraussetzungen, Wege und
Resultate des im Jahre 1797 unvollendet zurückgelegten Aufsatzes
mit stärkstem Nachdruck in einem großen Zusammenhang an die
Öffentlichkeit gebracht hat: 1811 und 1814 in ‘Dichtung und Wahrheit’
(1. Teil, 4. Buch, W.26, S.203ff.; 3. Teil, 12. Buch, W. 28, S. 100 ff.)'
bei der Darstellung der Frankfurter und Straßburger Werdejahre und
1819 in den ‘Noten und Abhandlungen zum bessern Verständnis des
Westöstlichen Divan’ (W. 7, S. 154— 182). Die Vorarbeiten für den
alten Aufsatz über Moses erscheinen hier in einer nur wenig umge-
staltenden, aber doch auch sachlich (die Dauer des Wüstenzugs)
ändernden und einzelnes (das Priestertum der Leviten) beiseite lassenden
Ausführung?. Durch Seurrerrs Sorgfalt sind wir in der Lage, den
alten Bestand und sein Verhältnis zu der für den Divan ihm gegebenen
schrift- und Ergänzungshypothese scheint, soweit meine Kenntnis reicht, das Verhältnis
zu der verwandten Entwicklung der Kritik des Epos in der klassischen Philologie
wenig oder gar nicht h iehen und t Es hat lange gedauert, bis die
I insch zwischen Pent: hkritik und H itik von der strengen
Fachwissenschaft anerkannt und fruchtbar gemacht wurde. Ich verweise auf H. Gunkers
Betrachtungen über den Erzählstil der Genesis (Handkommentar zum Alten Testament
Bd. r, Göttingen 1901) und den Beifall, den ihm jetzt E. Berne (Gercke-Norden, Ein-
leitung in die Altertumswissenschaft Bd. ı, Leipzig 1910, S. 441f.) spendet. Die Theo-
rie des Epos war das Problem, das Goethe und Schiller im Jahre 1797 bewegte,
das sie damals von Homer auf Genesis und Exodus führte. So, scheint mir, bewährt
sich im höheren Sinne Goethe doch auch hier als Bahnbrecher und Befruchter der
zunftmäßigen Forschung. Denn für die Geschichte der wahren, inneren Bewegungs-
kräfte aller Wissenschaft gilt als Grundgesetz das Wort: Im Anfang war die Intuition.
* Tagebuch 1811: 25. Juli. Erstes Buch Mosis und Geographie von Palästina;
29. Juli Schema der hebräischen Urgeschichte; 30. Juli jüdische Antiquitäten; 31. Juli
Biblische Urgeschichte; r. August Zweyte Hälfte der Urgeschichte, Abends Hebraica;
2. August, Palästina Hebräische Sprache; 4. August Israelitische Urgeschichte. Tage-
buch 1812: 25. März Anfang des Aufsatzes über Mosen; 26. März An der Fortsetzung
des Aufsatzes über die Wanderung der Kinder Israels nach dem gelobten Lande,
Ch briand Genie du Christianisme; 27. März Genie du Christianisme. Die früheren
Blätter den Zug der Kinder Israels betreffend durchlesen und durchdacht; 28. März
Genie du Christianisme. Fortsetzung der Israelitisch Wand hich Vgl.
Tag- und Jahreshefte 1812 (W. 36, S. 75f.): “Der Biographie zweiter Band wurde
gearbeitet und abgeschlossen, auch der dritte Band eingeleitet, im Ganzen entworfen,
im Einzelnen ‚ausgeführt. In Gefolg der Darstellung Mosaischer Geschichte im ersten
® Bereits 1849 veröffentlichte H. Düxrzer eine besondere Abhandlung über
Goethes “Moses: Herrigs Archiv für das Studium der neueren Sprachen Bd. 6, S. 140ff.
Jä fi Unter-
suchung beleuchten die folgenden von mir (W. 6, S. 335) aus den damals noch unge-
druckten Tagebüchern ausgezogenen Vermerke: 1819 21. 22. April “Älterer Aufsatz
über die Kinder Israel in der Wüsten; 23. April zu redigieren angefangen’; 24. April
Redaktion und Abschluß und 26. April Abschrift des Aufsatzes.
Burpacn: Faust und Moses. 377
Fassung zu überblicken (W. 7, S. 309—335, dazu Goethe-Jahrb. 1889
Bd. 10, S. 276£.). ;
Der menschliche Charakter des Moses ist der eigentliche
Mittelpunkt der ganzen Betrachtung. Die Rechnerei über die Dauer
der einzelnen Wüstenstationen auf Monate und Tage mochte wirklich
Spaß und Spiel sein. Die Charakteristik des Schöpfers der national-
israelitischen Kultur ist es nicht. Für sie trifft wirklich das schöne
Wort aus ‘Dichtung und Wahrheit’ (II, 12, W. 28, S. 102, ı0f. 103, ıf.)
über das auf diese Studien verwendete ‘Gemüt’: sie ist ‘aus Glauben
und Schauen ent üÜt 2
je} he -
“Endlich stehet aus einem gewaltsamen Stamm ein gewaltsamer Mann auf, leb-
haftes Gefühl von Recht und Unrecht und heftige That zeichnen ihn aus. Einen
Ägypter, der einen Israeliten mißhandelt, erschlägt er, sein patriotischer Meuchelmord
wird entdeckt und er muß entfliehn’ “Als einen kräftigen, kurzgebundenen, ver-
schloßnen, der Mittheilung unfähigen finden wir ihn auch in der Verbannung wieder
(W.7, S. 322, 1—5. 10—12).
Man fühlt sich an Tell erinnert. Und die Ähnlichkeit wird
dadurch bedeutungsvoll, daß Goethe ja vielleicht schon damals, jeden-
falls ein Vierteljahr später (Brief an Schiller vom ı4. Oktober 1797)
sich mit dem Plan trug, die ihm seit der Schweizerreise von 1775
vertraute ‘Fabel vom Tell episch zu behandeln’. Wem aber dies Bild
des Moses, das solche Analogie nahelegt, ichnet vork ‚ der
nenne es deshalb nicht mit vow Lorrer schon für Goethes Zeit unzeit-
gemäß. Denn auch ein modernes, für ein wissenschaftliches Publikum
bestimmtes Porträt! des Moses bringt diesen Zug zur Geltung. Aber
hören wir weiter, wie Goethe den Charakter des Moses darstellt.
“Alle vorherige Cultur, die er möchte gehabt haben, hatte nicht gewirkt, seinen
gewaltsamen Charakter zu bändigen’... “Zugleich erfahren wir seine Unfähigkeit
sich durch die Rede deutlich zu machen, alles ist bey ihm auf That concentrirt
(W.7, 8. 316, 1.2.8.9). “Moses Ungeschicklichkeit in Verwaltung der bürgerlichen Ge-
schichte’... “Das Volk will nicht angreifen, und er nimmt mit seiner gewöhnlichen
Ungebärdigkeit zu Fluchen und Drohen seine Zuflucht’ (S. 317, 1 f. 25— 27). ‘Ein starker,
gewaltsamer, das rechte und große wollender, ein Mann der That und nicht des Raths,
von seinem Wege abzuleiten, aber von seiner Idee nicht... immer gewaltsam, aber
auch gewaltsam zur rechten Zeit und dem zur Ausführung seiner großen Absicht für
sein Volk alles erlaubt schien. Rettung desselben gegen den Vorwurf der Grausamkeit;
Vergleichung mit den neuern Franzosen’ (W.7, 8. 319, 22—24. 26 bis 320, 2).
! von Oreıuı, Real klopädie für p tische Theologie, 3. Aufl. 1903, Bd. 13,
8.488, Z. 6ff.: ‘Der gewalttätige Streich, durch welchen er [Mose] einen unmensch-
lichen Fronvogt aus der Welt schaffte (Exodus 2, ırff.) verrät den künftigen
Volksbefreier.” — So verschieden Schillers und Goethes Mosesaufsätze erscheinen Fe
jener faßt nur das geschichtliche Ereignis, dieser nur den Charakter des Helden ins
Auge —, einig sind beide in der Betonung des Gesichtspunktes, daß Moses sein Volk
befreit, aus Sklaven zu einem Volk der Freiheit gemacht und ihm einen Gott
der Freiheit gegeben habe. — Dem entspricht auch später der durch Rossinis ver-
unglückte Oper hervorgerufene scherzhafte Plan einer historischen Mosesoper: ‘So wie
378 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Hier ist mehr als das Bild eines ‘'handfesten Purschen’. Mehr
als Cellini, mehr auch als Tell. Hier ist etwas vom Schlage des
Mahomet. Hier ist etwas von Faust: von dem Faust, wie ihn der
Tragödie zweiter Teil zeigen sollte in der großen Welt, am Hofe des
Kaisers, als Kriegsführer, als Herrscher. Von dem Faust, der die
Mystik magischer Naturbeschwörung überwunden und die Übersetzung
geprägt hat ‘Im Anfang war die Tat’.
Eine kritisch-historisch-poetische Arbeit hat Goethe seine
Moses-Studie genannt (oben Nr. 10). Wohl hält sie sich nicht frei von
dem Geist der rationalistischen Kritik und bedeutet insofern einen
Rückschritt gegen Herders mehr volkspsychologisch-genetische Me-
thode. Aber es ist eine Übertreibung, wenn von Lorper ihr vorwirft,
daß sie die biblische Darstellung als reine Geschichte auffasse. Der
alte Entwurf vollends spricht sich darüber in einer Weise aus, die
eher in der starken Betonung des nichtgeschichtlichen Elementes zu
weit geht. “Schriften in welchen alte Traditionen zusammengestellt
sind, bleiben immer eine Art von Poesie, nicht gerechnet daß ihr
größter Theil selbst der Form nach Lied war, so ist ihr Inhalt meist
poetisch, das heißt es ist gerade nur der Sinn wahr, das ausge-
sprochene Facktum ist meist nur Fabel’ ($. 328, 6—10). Aber das
befremdet uns allerdings in hohem Maße, daß Goethe hier wirklich,
wie von Lorrer bemerkt, über Mosis eigentliches Wirken als Religions-
stifter und Prophet stillsel igend hi ggeht.
Nimmermehr hätte der junge Goethe, der Schüler des Jungen
Herder der Straßburgischen Zeit, der Schüler des Fräuleins von Kletten-
Ba
berg, der fromm gen Gottesglauben predigte, der das Pfingst-
wunder des Zung d hfühlen und nachleben wollte, der es
in trunkenen Enkomien auf den Erbauer des Straßburger Münsters
und Shakespeare nachzustammeln suchte, nimmermehr hätte Goethe,
als er den Mahomet begann, den Charakter des Moses so gezeichnet.
Auf jener hlichen und künstlerisch Entwicklungsstufe, da er den
der Vorhang aufgeht, stehen die Leute da und beten!... Ich hätte Euch einen ganz
andern Moses machen wollen und das Stück ganz anders anfangen lassen. Ich hätte
Euch zuerst gezeigt wie die Kinder Israel bey schwerem Frohndienst, von der
Tyrannei der egyptischen Vögte zu leiden haben, damit es nachher desto anschau-
licher würde, welche Verdienste sich Moses um sein Volk erworben, das er aus so
schändlichem Druck zu befreyen gewußt. (Gespräche mit Eckermann, 7-Oktober 1828,
Houben S. 226.) Wieder also ein Telldrama! ;
Burpaca: Faust und Moses. 379
Töne des Alters sich einmischen. Aber gewiß greift fehl, wer etwa
deshalb nun diese Schilderung überhaupt für ung dig, für eine
anachronistische Projektion späterer Beschäftigung in die Jugendzeit
halten will. Das Verhältnis zu dem poetischen und mythischen Ge-
halt des Alten Testaments hat sich im Laufe seiner menschlichen und
künstlerischen Entwicklung gewandelt. Im Bann der pietistischen
Mystik des Fräuleins von Klettenberg und ihrer gläubigen ärztlichen
Berater, die sich aus Kabbala, Alchemie und Heilkunst eine fromme
Magie zusammenbrauten, hatte er aus der biblischen Tradition eine
geheime Theosophie schöpfen wollen. Jetzt hatte ihm Weimar und
Italien, hatte ihm Shaftesbury, Spinoza, Kant und die naturwissen-
schaftliche Arbeit, hatte ihm die Verbindung erst mit Moritz und
Herder, dann mit Schiller die Jugendeindrücke befreit von der Wolke
mystischer Andacht und ihm ihren objektiven geschichtlichen Kern
enthüllt. Das T gesicht, empfangen einst ‘in holder Dunkelheit der
Sinne’ war den hellen Bildern des Tages gewichen. Der Wirrwarr des
Gefühls der Klarheit. Die poetische Beichte der Weimarischen Anfänge,
Wilhelm Meisters Lehrjahre, lag hinter ihm. Er kam von der Vollen-
dung eines epischen Gedichts, in dem der Idealismus der klassizistischen
Form den realistischen Stil sich erobert hatte, wo “unter dem mo-
dernen Kostüm die wahre echte Menschenproportion und Gliederform’
erkennbar werden sollte: Hermann und Dorothea. Der Drang nach
poetischer Produktion brach jetzt übermächtig hervor. Die Ballade
und die Elegie lockte, es lockten neue epische Entwürfe. Es lockte
so vielerlei anderes. Mit strengem Eifer wurden Beobachtungen über
das Wachstum und die Metamorphose von Schmetterlingen und Pflan-
zen fortgeführt, morphologische, galvanische, chemische und chroma-
tische Untersuchungen gingen daneben. Im Briefwechsel und Gespräch
mit Schiller werden die Grundzüge einer Theorie des Epos und des
Dramas entworfen: die Eigenschaften des künstlerischen Stoffes, die
Arten der gattungsgemäßen Motive. Eine 'vielgeschäftige Zeit’! Aber
dies treffende Wort Srurrerrs ist dennoch zu schwach. Es kann sogar
mißverstanden werden. In diesem Frühling und Sommer des Jahres
1797, der die Sehnsucht nach Italien wieder entzündet und sorg-
fältige Rüstung auf die zweite Hegire herbeiführt, kommt nach langer
Vorbereitung eine tiefe Wendung in Goethes Denken und Schaffen
zum Durchbruch. Wie eine Flut steigt in ihm der vom Vater er-
erbte Drang zum Schematismus empor. Der Begriff des Typus,
des Urphänomens durchdringt die sch de Hingabe an die Fülle
des Lebens, an die Welt des Persönlichen, an die Erscheinungen der
Natur. Man weiß, wie die Briefe der dritten Schweizerreise im Herbst
dieses Jahres den Charakter von ‘Relationen’ annehmen und Karl August
382 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912,
Noch schärfer spricht Goethe das Ziel seines ‘Moses’ aus, in der
Umarbeitung für die Noten zum Divan.
Hätten wir uns so vieler fruchtloser Stationen entledigt, so würde sogleich der
große Heerführer, gegen das was wir ihm zu erinnern gehabt, in seinem ganzen
Werthe wieder hergestellt. Auch würde die Art wie in diesen Büchern Gott er-
scheint uns nicht mehr so drückend sein als bisher, wo er sich durchaus grauenvoll
und schrecklich erzeigt; da schon im Buch Josua und der Richter, sogar auch weiter
hin, ein reineres patriarchalisches Wesen wieder hervortritt und der Gott Abra-
hams nach wie vor den Seinen freundlich erscheint (W. 7, 8. 180, 4—15).
Hier erklingt in vollen Tönen der Grundgedanke der Phantasmagorie
des Westöstlichen Divan: der Glaube an die Reinheit des Patriarchen-
alters, an die ihr eigene Humanitätsreligion'. Und wieder wendet
der Divandichter sich zum Charakter des Moses.
Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich
den Mann der That, die Persönlichkeit ist’s, von der in solchen Fällen alles ab-
hängt. Der Charakter ruht auf der Persönlichkeit, nicht auf den Talenten. Talente
können sich zum Charakter gesellen, er gesellt sich nicht zu ihnen; denn ihm ist
alles entbehrlich außer er selbst. Und so gestehen wir gern, daß uns die
Persönlichkeit Mosis, von dem ersten Meuchelmord an, durch alle Grausamkeiten
durch, bis zum Verschwinden, ein höchst bedeutendes und würdiges Bild gibt,
von einem Manne, der durch seine Natur zum Größten getrieben ist (W. 7,
S. 181, 3—15).
Das ist freilich keine wi haftliche Betrachtungsweise im
Sinne der modernen Philologie. Aber gewiß nichts Geringeres. Es
ist die Weisheit und die künstlerisch-sittliche E pfindung, die das
gängliche Vermächtni aussprach :
Alles könne man verlieren,
Wenn man bliebe was man ist.?
So gewahren wir, daß diese Untersuchung über Moses und den
Wüstenzug in das zentrale Problem des Goethischen Denkens und
Schaffens führt, an die Quelle, daraus im Juni 1797 dem Faustdrama
neues Leben kam. Diese Studien über den Charakter des Moses, die
sich um die Begriffe des Typus und der Persönlichkeit drehten, sie
lenkten zurück in die große Schatzk hlicher Typen von
poetischer Urkraft: in das Alte Testament. Das Erste, das Goethe
am ‘Moses’! Ich zweifle nicht, daß es Leser gibt. die auch diesem Urteil zustimmen.
Denn das Niedrige verliert niemals seinen Kurs,
- 2 er diese Divanverse und das Gedicht, in dem sie stehen, s. meine Darlegung
im 26. Band der Schriften der Goethe-Gesellschaft (Goethes eigenhändige Reinschrift
des Westöstlichen Divan), Weimar 1911, 8. 35f. zu Tafel XXI.
Burvacn: Faust und Moses. 383
nach der Wiederaufnahme des eigentlichen Dramas ‘Faust’ daran schuf,
war der Prolog im Himmel. Und er ruht auf dem Hiobmotiv, also
auf einem Motiv des Alten Testaments. Aber dieses Hiobmotiv steht
zugleich, wie ich. unten nachweisen werde, in nächster ideeller Ver-
wandtschaft mit einem Motiv der rabbinischen Mosessage. Die
Wette im Himmel um den Knecht Gottes und die Entscheidung der
Wette über der Leiche Fausts hängen innerlich fest zusammen. Und
auf beide hat die M ge besti d eingewirkt
Am 22. Oktober 1797 traf Goethe in Zürich der Pfarrer Georg
Geßner und schrieb darüber:
Ich ging in den Schönenhof, in der sonderbaren Erwartung, da vielleicht Goethe
zu sehen. Er kam. Stirne und Augen Mose’s, lauter Geist und Feuer (von Bıeper-
mann, Gespräche mit Goethe? ı, S. 261 Nr. 528).
Der Vergleich kann dem geistlichen Gesichtskreis des Berichtenden
entsprungen sein. Aber er könnte Geßner auch gekommen sein, weil
Goethe selbst damals von seinen Gedanken über Moses gesprochen
hat. Jedenfalls traf der ihn prägte in wunderbarer Weise die Wahr-
heit und leuchtete in die innere schöpferische Arbeit, die Goethe er-
füllte, tiefer als er ahnen konnte. Denn in der Tat, der Dichter des
Faust, der damals sich anschiekte, nach dem Menschheitstypus, den
in seiner Phantasie der ideale Moses darstellte, den Magier des 16. Jahr-
hunderts zu formen, in der Großheit, wie sie Michelangelos Bild-
werk den Sinnen offenbart hatte, der wuchs nach dem Willen des
Schieksals nun selbst in die Rolle des Moses und wurde allmählich
gleich diesem ein Führer, Priester, Prophet seines Volkes, der Gründer
eines neuen Bundes mit Gott und einer neuen nationalen Kultur.
11.
Ich sagte bereits oben (S. 360), die Szene, die Fausts Ende und
Grablegung darstellt, bildet das sichere Fundament unserer Unter-
suchung. Doch muß es, damit jedem Zweifel der Zutritt fehle, von
allen Seiten freigelegt werden. Sconrörr erkannte richtig, daß zwischen
der Konzeption dieser Szene und dem brieflichen Programm einer
künstlerischen Neugestaltung der Moses-Legende, das Goethe dem Maler
Müller entwarf, ein Zusammenhang besteht. Aber er hätte seine Er-
kenntnis viel entschiedener aussprechen und viel schärfer formulieren
sollen. Nicht genug, ‘daß wir die Vermutung kaum abweisen können’,
wir müssen es mit all der Gewißheit annehmen, die in solchen Fragen
überhaupt erreichbar ist: als Goethe dem Maler Müller vor Augen
führte, wie man dieses Sujet aus der Sphäre der ‘albernen Judenfabel
herausheben und in edlerem Sinne behandeln könne, muß ihm die
384 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
poetische Konzeption jener Schlußszene des Faust in ihren Grund-
zügen, ja sogar in einer sehr charakteristischen Einzelheit fest-
gestanden haben. Drei Momente setzen das außer Frage: ı. ‘daß
der Heilige noch voll von dem anmutigen Gesichte des gelobten Landes
entzückt verscheidet‘, entspricht genau den letzten Worten und Emp-
findungen des sterbenden Faust (V. 11559— 11586); 2. daß ‘Engel
ihn in einer Glorie gzuhel beschäftigt sind’, entspricht der Er-
scheinung nach V. 11675 ‘Glorie von oben rechts. Himmlische Heer-
schar.’ bis in den Wortlaut des Szenars; 3. daß Satan vor den
Engeln weichend 'nur in einer Ecke des Vorgrundes noch Platz findet
und sich höchstens noch umsehen’ kann, ‘ob nicht auch für ihn etwas
hier zu erwerben sein möchte’, entspricht genau dem Szenar nach
V. 11979:
Engel.
Wir kommen schon, warum weichst zu zurück?
Wir nähern uns, und wenn du kannst, so bleib.
(Die Engel nehmen umherziehend den ganzen Raum ein.)
Mephistopheles (der in’s Proszenium gedrängt wird).
(Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.)
Mephistopheles (sich umsehend).
11835 Doch wie? — wo sind sie hingezogen?
Goethe besaß, als er in der Form eines scheinbaren Rats den
Schleier über dem Webstuhl seiner dichterischen Phantasie lüftete
und sein eigenes Gewirk in seinem Werden ahnen ließ, eine genaue
Kenntnis der Moses-Sage. Er p sie als Judenfabel. Aber der
in ihr verborgene edle Kern hatte sich tief eingedrückt in sein Gemüt
und empfing daraus neues Leben und Wachstum. Woher kam Goethe
diese Kenntnis, und wie weit drang sie in den damals bekannten Stoff
der Moseslegende ein?
Die Briefstelle vom 21. Juni 1781 steht zeitlich sehr nahe einer
Veröffentlichung Herders. Im September desselben Jahres erschienen
von ihm “Jüdische Diehtungen und Fabeln’, freie Übersetzungen rabbi-
nischer Sagen. Den Anfang macht ‘Die Schöpfung des Lichts und
der Liebe’, ein Motiv, das Goethe bekanntlich später in dem Divan-
gedicht “Wiederfinden’ (Ist es möglich, Stern der Sterne) in halb
orphisch-platoniseh ientalischer Mystik gestaltet hat. Dann
phisch-r ‚ hal
folgen ‘Die Schöpfung der Sonne und des Mondes’, ‘Die Schöpfung
des Mannes und des Weibes’, weiterhin unter anderem ‘Lilith und
Eva’, ‘Sammael’ (die Verstoß g des hochmü igen Engels, der dann
als Schlange Eva verführt und fortan durch Gottes Fluch zum Engel
des Todes wird), als Nr. ır ‘Der Tod Moses’. Davon gebe ich hier
Burpaca: Faust und Moses. 385
den vollen Wortlaut, genau nach dem ersten Abdruck (Teutscher
Merkur 1781, 3. Vierteljahr, September, S. 239— 241)".
Der Tod Moses.
Als Moses, der Vertraute Gottes sterben sollte und seine Stunde heran-
nahte, versammelte Gott die Engel um sich. »Es ist Zeit, sprach er, die Seele meines
Knechts abzufodern, wer will mein Bote werden?« Die edelsten unter ihnen,
Michael, Raphael, Gabriel baten und sprachen: » Wir sind seine und er ist unser Lehrer
gewesen, laß uns nicht fodern des Mannes Seele«. Der abgefallene Sammael aber trat
hervor: »Hier bin ich, sende mich.«e Mit Zorn und Grausamkeit bekleidet, stieg er
hinab, das Flammenschwert in seiner Hand, und freute sich schon der Schmerzen des
Gerechtesten der Erde. Als er aber nahe hinzutrat, erblikte er Moses. Seine Augen
waren nicht dunkel worden und seine Kraft war nicht verfallen. Er
schrieb die Worte seines letzten Liedes und den heiligen Namen; sein Angesicht
glänzte, bewafnet mit ruhiger Himmelsklarheit. Der Feind der Menschen
erschrack und ließ sein Schwert fallen und eilte zurück: »Ich kann dir die Seele
des Mannes nicht bringen, denn ich habe an ihm nichts Unreines funden.« Da stieg
Jehovah selbst hernieder, die Seele seines Knechts von ihm zu nehmen und seine
getreuen Diener, Michael, Gabriel und Raphael kamen mit ihm. Sie bereiteten Moses
sein Sterbelager, und standen bey ihm zu Haupte und zu Füßen, und eine Stimme
sprach: »Fürchte dich nicht, ich selbst will dieh begraben.« Da bereitete sich Moses
zu seinem Tode, und heiligte sich, wie Einer der Seraphim sich heiligt, und Gott rief
seine Seele: »Meine Tochter, hundert und zwanzig Jahre hatte ich dir bestimmet
im Hause meines Knechts zu wohnen. Sein Ende ist gekommen, gehe heraus und
säume dich nicht.« Die Seele Moses antwortete: »O du Herr der Welt, ich weiß,
daß du bist ein Gott aller Geister und aller Seelen und daß in deiner Hand sind die
Lebendigen und die Todten. Aus deiner Hand empfing ich das feurige Gesetz, und
sahe dich in den Flammen und stieg hinauf und gieng den Weg des Him-
mels. Durch deine Macht trat ich in den Palast des Königs und nahm ihm die
Krone von seinem Haupt und that Wunder und Zeichen in Ägypten, und führte
dein Volk hinaus, und spaltete das Meer in zwölf Spalten, und verwandelte das bittre
Wasser in süßes, und offenbarte deine Geheimnisse den Menschenkind Ich wohnte
unter dem feurigen Thron, und hatte meine Hütte unter der Feuersäule, und redete
mit dir von Angesicht zu Angesicht, wie der Freund mit seinem
Freunde redet. Und nun, es ist genug; nimm mich, ich komme zu dir!« Da
küssete der gnädige Gott seinen Knecht, und nahm ihm im Kusse seine Seele.
Moses starb am Munde Gottes, und Gott begrub ihn selber, und niemand weiß
die Stäte seines Grabes.
Herder hat im ersten Abdruck die Herkunft und den Charakter
seiner Nachdichtungen nur unb t bezeichnet als ‘eine kleine
Probe von der Mythologie der Ebräer”. In der Vorrede zu den Zer-
streuten Blättern, wo die Zahl der Stücke stark vermehrt ist, nennt
er sie ‘völlige Apokryphen, entweder alte Sagen mehrerer morgenlän-
discher Völkern oder wenigstens aus Samenkörnern dieser Art ent-
sprossene Gewächse”. In ihrer Ausbildung, behauptet er, gehören die
meisten ihm völlig zu, und unter den Beispielen der wenigen ganz
! Später erschien ‘Der Tod Moses’ mit den übrigen und noch weiteren jüdischen
Stücken in den Zerstreuten Blättern, 3. Sammlung, Gotha 1787, S. 264—266 (Suphans
Herderausgabe 26, S. 346 f.).
386 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
in der Tradition gegebenen’ nennt er seinen ‘Moses’ nicht. Trotz-
dem ist seine Erzählung vom Tod des Moses im wesentlichen aus
rabbinischen Quellen geschöpft. Zunächst bleibe die Quellenfrage in-
dessen auf sich beruhen. Man kann es aber wohl mit Sicherheit an-
nehmen, daß Goethe diese Nachdichtung Herders vor ihrem Abdruck
gekannt hat. Ja, es ist mir sogar wahrscheinlich, daß sie auf jenen
brieflichen Abriß einer künstlerischen Darstellung des Todes Mosis ein-
gewirkt hat.
Aber Goethe kannte mehr von diesen Legenden, als er
bei Herder fand. Der Kampf zwischen Engeln und bösen Geistern,
der im Faust ein wichtiges Rad der dramatischen Handlung ist, der
gegen den Satan Sammael zur Abwehr gebrauchte Stab, auf den die
Zahme Xenie (oben Nr. 6 S. 366) anspielt, fehlen in Herders Re-
daktion, und die tätige Teilnahme der Engel bei der Bestattung, auf
die es in jenem brieflichen Programm besonders ankommt, hat nichts
von jenem ‘in einer Glorie wegheben’, wie es Goethe ausmalt und
später dargestellt hat. Herders Nachdichtung verharrt hier streng
im altjüdischen Vorstellungskreis: die drei Engel begleiten zwar den
Herrn, als er herniederfährt, um die Seele seines Knechts einzuholen.
Aber sie bereiten nur das Sterbelager, stehen Moses zu Häupten und
Füßen. Sie führen also, wie man sieht, die Rolle der Lemuren des
Faustdramas aus. Von einem Aufwärtstragen ist nichts gesagt. Dieser
Jüngere, von der christlichen Mythologie, Dogmatik und Kunst fest
und reich ausgebildete Zug der Engeltätigkeit bleibt hier fern.
Allerdings bietet anderseits Herders Fassung Züge, die an funda-
mentale Motive der dramatischen Handl g des Goethischen Faust
anklingen, und zwar in einer Häufung, die einen Zufall auszuschließen
scheinen. Gott nennt Moses ‘meinen Knecht’ und beratschlagt über
das Schicksal seiner Seele mit den drei Erzengeln Michael, Raphael,
Gabriel. Alle drei wollen Mosis Seele ihm nicht abfordern, da sie
seine, er ihr Lehrer gewesen sei: man sieht hier Moses durchaus
in die übermenschliche, halbgöttliche Höhe gesteigert. Aber der Satan
Sammael tritt in den Kreis, und er will es tun. Das erinnert an den
‘Prolog im Himmel’, wo ja auch in den Kreis des Herrn und der
ihm huldigenden drei Erzengel Raphael, Gabriel, Michael der Satan
Mephistopheles eintritt und die Erlaubnis erhält, sich Faust zu ge-
sellen, um Gewalt über seine Seele zu erlangen. Allein der Kern
der Handlung des Faustprologs stammt ja bekanntlich aus dem Ein-
gang des “Hiob’”. Immerhin bleibt zu beachten, daß in diesem nur
‘die Kinder Gottes’ auftreten, die drei Erzengel nicht unterschieden
sr nicht mit Namen genannt werden. Möglich also, wenn auch
+ 1
g ig und nicht einmal wahrscheinlich, daß Goethe
Burnacm: Faust und Moses. 387
durch Herders Nachdichtung bestimmt wurde, die freilich längst durch
das christliche Dogma, die christliche Kunst und Dichtung in den
Bestand des göttlichen Hofhalts aufgenommenen drei Erzengel ein-
zuführen.
Aber man lese das übrige. “Seine Augen waren nicht dunkel
worden und seine Kraft war nicht verfallen.” Ist es Zufall, wenn
Goethe am Lebensende des Faust dieses Motiv umkehrt oder vielmehr
im Grunde nur tiefsinnig steigert?
Faust (erblindet).
Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht.
Was ich gedacht, ich eil’ es zu vollbringen.
‘Das Schwert entsank ihm und er eilete hinweg’, heißt es bei Herder
von Sammael, der näher trat und das Angesicht Moses ansah. Wie-
derum fragt man: Ist es ein Zufall, daß vor Fausts Ende die vier
grauen Weiber ihn zu bezwingen trachten, drei — Mangel, Schuld,
Not — vergeblich, die vierte, die Sorge, ihn innerlich auch nicht
überwältigt, sondern nur durch ihren Anhauch blind macht, damit
nun der Tod freien Lauf hat?
Mosis Seele spricht vor dem Tode zum Herrn: “Ich sahe dich
in den Flammen und stieg hinauf (auf den heiligen Berg Sinai)
und ging den Weg des Himmels. Durch deine Macht trat ich in den
Pallast des Königs und tat viel Zeichen und Wunder in Ägypten und
verwandelte das bittere in süßes Wasser und offenbarte deine Geheim-
nisse den Menschenkindern. Ich wohnte unter dem feurigen Tlıron
und redete mit dir von Angesicht zu Angesicht, wie der
Freund mit seinem Freunde redet.’
Man höre daneben Fausts Monolog in Wald und Höhle (V. 3217
bis 24):
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freunds zu schaun.
- Um die Übereinstimmung richtig einzuschätzen, muß man be-
denken, daß zwar Moses mit Gott wie mit einem Freunde, Faust mit
der Natur wie mit einem Freunde zu verkehren bekennt. Aber im Sinne
des hier redenden Faust ist ja die Natur nur die Erscheinung Gottes.
Soll die Ähnlichkeit des Dankgebets, das Faust in der wilden Ein-
samkeit an Gott richtet, und des Dankgebets Mosis vor seinem Tode
Sitzungsberichte 1912. “
388 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
auf der Höhe des Berges Nebo zufällig sein? Dabei muß man frei-
lich scharf betonen: dieses Gebet Fausts enthält biblische Motive.
Längst hat man für diesen Vers angemerkt Exodus 3,2: “Und der
Engel des Herrn erschien ihm (Moses) in einer feurigen Flamme aus
dem Busch. Und er sahe, daß der Busch mit Feuer brannte und
ward doch nicht verzehret.’
Dieser ‘Engel Gottes’ ist natürlich der Erdgeist, den Faust in
der Flamme erblickt und nicht ertragen kann. Ist aber diese Glei-
chung richtig, dann erhalten wir eine Einwirkung der Moses-Sage auf
dieK ption des Faustd schon für die erste Szene, für einen
der ältesten Bestandteile der ganzen Dichtung.
Auch das wundervolle Bild, Gott habe mit Moses von Angesicht
zu Angesicht geredet wie der Freund mit dem Freunde, ist biblisch.
An einer Stelle der Exodus, deren geschichtliche Bedeutung für das
philosophische und religiöse Denken der Menschheit durch die Jahr-
hunderte hindurch geradezu unermeßlich gewesen ist, heißt es (33, 11):
‘Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein
Mann mit seinem Freunde redet.’ .
Und weiter: Moses in jenem Dankgebet der Herderischen Nach-
dichtung stellt sich hin als Magier und Weisheitslehrer, der Wunder
und Zeichen getan und die Geheimnisse Gottes offenbart hat. Auch
das stimmt zum Charakter des Faust, des Vielgelehrten, des Theo-
logen, Naturforschers, Magiers. Endlich, daß dies im Palast des Königs
geschehen sei, mahnt an die Rolle, die Faust als Zauberkünstler am
Hofe des Kaisers spielt.
Es bleibt noch ein Zug in dem Dankgebet Mosis, wie es Herder
gestaltet, übrig, der nur verständlich ist, wenn man den tiefen Hinter-
grund kennt, der zu ihm gehört. “Ich stieg hinauf und ging den
Weg des Himmels.” Gemeint ist das wiederholte Aufst igen zum hei-
ligen Berg Sinai, auf dessen Höhe Moses mit Gott redet, Gott sieht
und den Glanz Gottes in sich saugt, daß er leuchtend auf seinem Ant-
litz und seiner Stirn liegt und mit einem Tuche verdeckt werden muß.
Vorgreifend will ich gleich hier prechen: dieses Aufsteigen, dieser
Weg des Himmels — das ist das Motiv des großen Sonnenaufgang-
monologs auf dem Gebirge am Anfang des zweiten Teiles der Faust-
tragödie, davon werde ich später selır eingehend reden müssen.
Es wäre methodisch verkehrt, aus der Nachdichtung Herders
allein oder auch nur überwiegend die M ive im Goethisch
Faust abzuleiten. Soviel Goethe auch Herders Anregung im münd-
lichen Verkehr und in dessen Schriften schuldet — worauf ich noch
zurückkommen werde -—, die entscheidenden Eindrücke der biblischen
und außerbiblischen Mosesmythe empfing er sicherlich schon vor der
Burpacn: Faust und Moses. 389
EP YERı RI}
großen die in S
erneuerer an ihm vornahm.
Goethes frühzeitige eingehende Bibelkenntnis ist, wie er in Dich-
tung und Wahrheit bezeugt, hauptsächlich durch zwei exegetische
Werke seiner Jugend gefördert worden: durch das sogenannte eng-
lische Bibelwerk ‘und durch die lateinische Übersetzung des
Straßburger 'Theologieprofessors Sebastian Schmid, der in der Ge-
schichte der Bibelinterpretation eine rühmliche Stelle behauptet'.
In Kap. 34 des Deuteronomiums, das Mosis Ende erzählt, bringt
Schmids Übersetzung gegen Luthers Text nur zwei Eigenheiten:
V. 5 Ita mortuus est ibi Moses, servus Iehovae, in terra Moabi iuxta os Iehovae
und am Rande die Inhaltsangabe zu V. 6,7 Qui ipsum in eadem valle sepelivit eiusque
sepulerum occuliavit, procurans ut terra ipsius corpus reciperet. Mortuus autem est non
defectu naturae, sed singulari Dei ordinatione, cum nec sensus erant hebetati
nec corpori vigor fractus.
Dem Lutherschen ‘er starb nach dem Wort des Herrn’ gegenüber
haben wir hier das von der rabbinischen Legende im wörtlichen
Sinn verstandene ‘er starb am Munde des Herrn’, ein schönes und
tiefes Bild, das auch Herders Nachdichtung der rabbinischen Sagen
sich aneignet, das aber die Quelle seltsam verstiegener theoso-
der ostpreußische Menschheits-
[3
! Dichtung und Wahrheit I 4, W. 26, S. 202: ‘Alles dergleichen ward nun
aufgeregt, indem ich mich, um von dem Hebräischen Meister zu werden, mit dem
Alten Testamente ausschließlich beschäftigte, und solches nicht mehr in Luthers
Übersetzung, sondern in der wörtlichen beigedruckten Version des Sebastian
Schmid, die mir mein Vater sogleich angeschafft hatte, durchstudierte” Vox Lorrer
(Hempel 20, S. 326, Abs. 107) hat keinen bibliographischen Nachweis dazu gegeben.
Schmids Übersetzung erschien unter dem Titel: Biblia sacra sive testamentum vetus
et novum ex linguis originalibus in linguam latinam translatum. Argentorati 1696
(andere Exemplare 1697), davon eine Editio secunda priori emendatior Argentorati 1708.
Goethe hat hier jedoch die Ausgabe des Alten Testaments im Sinn, welche in zwei
Spalten, nebeneinander den hebräischen Text und die lateinische Übersetzung Schmids
enthielt: Biblia Hebraica secundum editionem Belgicam. Everardi van der Hooght
collatis aliis bonae notae codieibus una cum versione latina Sebastiani Schmidii. Lipsiae,
umptibus Wolfgangi Deer, 1740. Auch in Dichtung und Wahrheit II, ı2 (W. 28,
S. 100, Z. 8—ı8) ist nur die Rede von Schmids Übersetzung des Alten Testaments,
wie die Wendung lehrt: ‘und suchte mein weniges Hebräisch dabei so gut als möglich
zu benutzen’, also auch hier ist nur das zuletzt angeführte Werk mit der daneben-
stehenden lateinischen Version gemeint, nicht die ganze lateinische Bibel Schmids.
— Das englische Bibelwerk führt den Titel: Die Heilige Schrift des Alten und
Neuen Testaments nebst einer vollständigen Erklärung derselben, welche aus den
1 A 1 hiad Engländischen Schriftsteller zusammen-
8 'n und zuerst in der französischen Sprache an das Licht gestellet, nunmehr
aber in dieser deutschen Übersetzung auf das neue durchgesehen und mit vielen An-
merkungen und einer Vorrede begleitet worden von D. Romanus Teller, Leipzig,
Bernh. Christ. Breitkopf, 1749— 1770. Das Alte Testament umfaßt Teil Til. Neben
Teller wirkten in den Bänden des Alten Testaments hieden i di ig‘
später übernahm die Leitung der Ausgabe Jakob Brucker. Die fünf Bücher Mose
füllen den ersten und zweiten Teil.
36*
390 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
phischer Mystik geworden ist. Und über den Grund des Todes er-
halten wir eine eigentümliche Formulierung: nicht die Natur
brachte ihm den Tod, nicht Altersschwäche, sondern der besondere
Befehl Gottes. Das läßt sich zwar recht wohl mit der biblischen
Erzählung vereinbaren. Aber es schimmert doch eine Annäherung
durch an die Auffassung der rabbinischen Sage; die Herder wieder-
gab: Gott forderte zu von ihm bestimmter Zeit Moses seine Seele
ab, obwohl er noch lebenskräftig war. Unwillkürlich liest man da
zwischen den Zeilen die steigernde rabbinische Tradition über Moses
Widerstand gegen den Tod: Gott rief ihn ab, obwohl er noch nicht
sterben wollte. Die biblische Darstellung ist in bezug auf die Ur-
sache seines Todes unklar und widerspricht sich hier: Deuteronom.
31, 2 motiviert Moses seine Amtsniederlegung mit seinen hundert-
undzwanzig Jahren und einem ‘ich kann nicht mehr aus- und ein-
gehen’, «dagegen behauptet 34, 7: ‘seine Kraft war nicht verfallen’
(Seb. Schmid: nee fugit humor eius, Kautzsch: ‘seine Frische nicht ge-
schwunden’).
Goethe hatte in Straßburg den wesentlichen Inhalt seiner Unter-
suchung über die Tafeln Mosis der theologischen Fakultät als Doktor-
di i ingereicht. Wenn sie auch zurückgewiesen worden war,
so kann man nicht zweifeln, daß er dazu auch wissenschaftliche Lite-
ratur herangezogen hatte. Und er bezeugt es in Dichtung und Wahr-
heit selbst'. Jene zweite der Zwo biblischen Fragen zitiert des Fabrieius
Bibliotheca Graeca (W. 37, S. 186, 24—2 7). In den Frankfurt-Straß-
burger Ephemeriden ist desselben Fabrieius Bibliographia antiquaria
(Hamb. et Lips. 1713) gebucht mit einem Verweis auf die Behandlung
der Pythagoreischen Zahlenlehre (W. 37,7f.; 38, S. 228). Aus den-
selben Ephemeriden (W. 37, ı8. 27; 38, S. 228) wie aus Dichtung
und Wahrheit wissen wir, daß Goethe das große kritisch-enzyklo-
pädische Wörterbuch von Pierre Bayle? studiert hat. Und neben
des Göttinger Professors Joh. Matthias Gesner völlig elementaren
Primae lineae isagoges in diti i 1 (Göttingen 1756
und 1760) hat er nach der Aussage seiner Selbstbiographie (Dicht.
u. Wahrh. II, 6, W. 27, S. 39, ıf) Daniel Morhofs mächtigen Quar-
tanten ‘Polyhistor’ (Lübeck 1688, 4. Aufl. 1747) benutzt. Er kannte ferner
=; * Dicht. und Wahrh. III, ı2, W. 28, S. 104,4—6: “Ich arbeitete mich mit un-
säglicher Mühe, mit unzulänglichen Hälfsmitteln und Kräften durch die fünf Bücher
[Mosis].’
* Ich benutze Pierre Bayle, Dictionaire historique et eritiqus. 4. edition par
Des Maizeaux. Amsterdam-Leide 1730. Der Giordano Bruno gewidmete Ab-
schnitt (Tom. r, $. 679—681), voll blinder Kritik, macht doch immerhin den Versuch,
die Hauptschriften durch Angabe des Titels und der G lcedank ini: zu
charakterisieren. 2 =
BurvacH: Faust und Moses. 391
MosheimsInstitutionum historiae ecelesiastieae libri quatuor, Helmstadii
1755, wie das noch in dem bekannten Divangedicht nachklingende
Abraxaszitat der Ephemeriden (W. 37, 8.110, 15; 38, S. 233) lehrt.
Gottfried Arnolds Unpartheiische Kirchen- und Ketzer-Historie,
Frankfurt a. Mayn 1729, der Goethe in Dichtung und Wahrheit (II, 8,
W. 27, S. 217, ı2 bis 218, 3) einen so großen Einfluß auf die Aus-
bildung seiner wunderlichen Phantasie-Religion einräumt, vermittelte
mancherlei positiven Stoff aus der altchristlichen Literatur. Wie weit
die Kenntnis und Lektüre des Griechischen reichte, ist zweifelhaft.
Nach Dichtung und Wahrheit II, 6, W. 27, 8.39, ı8f. erstreckten
sich seine griechischen Kenntnisse vor dem Abgang nach Leipzig nicht
über das Neue Testament hinaus. Dem widerspricht kaum, daß er
noch in derselben Frankfurter Zeit an der Hand des ‘kleinen Brucker',
d.h. des Leitfadens der Geschichte der Philosophie von Jacob Brucker
(Fragen aus der philosophischen Historie, Ulm 1731— 36, oder auch
der Institutiones historiae philosophieae, Lipsiae 1747 und öfter) die
griechi i 7 sieh deutlich zu machen versuchte, daß er den
herbeigeschafften "Epiktet mit vieler Hingabe studierte’, d. h. ihn selbst
im Original oder in Übersetzung las (Dicht. u. Wahrh. I, 6, W. 27,
S.ı2, 6—21). Wir besitzen aber, allerdings nur fragmentarisch, eine
von Riemers Hand geschriebene ältere Gestalt dieser Schilderung,
worin Epiktet fehlt, dafür aber Plotin und die Neuplatoniker als
Gegenstände eifrigster Lektüre schon für die letzte Frankfurter Zeit
vor der Übersiedlung nach Leipzig auftreten (W. 27, S. 382).
h ... Neuplatonikern, da mir denn auf einmal wie durch eine Inspiration Plotin
ganz außerordentlich gefiel, so daß ich mir seine Werke borgte und nunmehr zum
größten Verdruß meines Freundes Tag und Nacht darüber lag. Er versicherte mir
dagegen anhaltend, daß diese Werke ganz unverständlich seyen und gerade das Un-
verständliche bey jungen und schwärmerischen Personen einen solchen unwidersteh-
lichen Reiz hervorbringe. Ich suchte ihn durch Übersetzung von solchen Stellen
zu überzeugen, die mir am besten gefielen und die ich vollkommen zu verstehen
glaubte; allein auch damit konnte ich nichts über ihn gewinnen: denn er behauptete
entweder, daß er es auch im Deutschen nicht verstehe, und wenn es verständlich war,
daß es im Grundtext nicht also laute. Er war kein sonderlicher Grieche, ich auch
nicht; ich suchte mich dem Text durch die lateinische Übersetzung zu nä-
hern, und kam wohl zu eigner Überzeugung, aber blieb mit jenem immerfort im
Zwiespalt, so daß er zuletzt der Sache müde wurde und wir unsere Studien, jeder
für sich, weiter führten. Eine Zeitlang hielt mich Plotin noch fest: denn ‚diese
Sinnesart war doch mit dem auf das Judenth gepflanzt ı Christen.
thum, dem ich doch auch den größten Theil meiner Bildung schuldig war, ge-
pflanzt; allein es häuften sich nach und nach so viele Schwierigkeiten und mir ver-
ging die Geduld in dunklen Stellen zu wühlen und mir heimlich zu bekennen, daß
der Freund doch nicht so ganz unrecht haben möchte.
Man hat diese ganze Erzählung für eine Erfindung gehalten (Rıch.
M. Meyer, Jubiläumsausgabe Bd. 23, S. 285), darin nur eine Projektion
des späteren Plotinstudiums in die Jugend erblickt. Ich kann das
392 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
nicht billigen. Die Angaben bieten zu bestimmte Einzelheit Aber
allerdings verschiebt hier Goethe Bemühungen und Eindrücke der
Jahre 1769 und 1770 oder noch späterer Zeit schon in das Jahr 1765.
Die Plotinstudien haben nach der obigen Schilderung sich aufgebaut
auf einer Ausgabe, die den griechischen Text und eine lateinische Über-
setzung enthielt. Diese Übersetzung rührt von Marsilius Ficinus
her, und Ausgaben, die Text und Übersetzung verbanden, erschienen
Basel 1580 und 1615. Eine dieser beiden Ausgaben müßte dem jungen
Goethe vorgelegen haben. Denkbar wäre aber auch, daß Goethe da-
mals nur Auszüge aus Plotin kannte, vielleicht gar nur feindselige Dar-
tellungen seiner Philosophie, wie etwa bei Pierre Bayle', und solcher
aufklärerischen Kritik des großen Schwärmers sich widersetzte.
Diese immerhin problematischen neuplatonischen Studien, diese
Versuche, mittels der lateinischen Üb g des Plotin von Mar-
silius Fieinus oder aus abgeleiteten Quellen in den schwierigen Sinn
dieses letzten großen antiken Phil phen einzudringen, hingen offenbar
zusammen mit jenen mystischen Bestrebungen während der Frankfurter
Zeit, die auf den Verkehr mit Susanne von Klettenb erg und ihrem
Kreise zurückgehen. Im achten Buch des zweiten Teils von Dichtung
und Wahrheit (W. 27, S. 203ff.) führt uns Goethe in diese Welt ein,
die uns heute wie ein Spuk erscheint, damals aber in breiten Schichten
auch der Gebildeten und höchsten Stände noch eine reale, sehr lebendige
und wirksame Macht war. Die “mystischen chemisch-alehimischen
Bücher‘, wie Wellings Opus mago-cabbalistieum, die Schriften des
auch in den Ephemeriden (W. 37, 8. 86,17; 87,15 bis 88,6; 38,
$. 229) exzerpierten Theophrastus Paracelsus, Basilius Valen-
tinus, von Helmont, Starkey, die Aurea catena Homeri, konnten,
* P. Bayle, Dietionaire 4. ed. Tom. 3 S. 757—760. Der Artikel “Plotin’ ist
i hisch-Anekdotisct bringt fast nur
Summarien des Inhalts, aber keinen Kommentar gebe. Den Standpunkt Bayles cha-
rakterisiert etwa S. 758 Anm. D: Que vouloit dire Plotin quand il fit deux Livres
Pour prouver Unum et idem ubique totum simul adesse? N’ &toit-ce pas enseigner
que erat quo aciem mentis intenderet propinquare coniungique ipsi Deo omnibus ubi-
que praesenti; quater autem dum eum ipso versarer, hune finem est assecutus, non
potentia duntaxat, inguam, sed actu quodam ineffabili eonsecutus. Das war freilich
für die Verehrer der visionären Mystik eines Swedenborg das Wichtigste!
Burpacn: Faust und Moses. 393
nach Goethes sehr zutreffender Bemerkung (W. 27, S. 204, 6f.) ‘wie
alle Schriften dieser Art’ ihren ‘Stammbaum in gerader Linie bis zur
Neuplatonischen Schule verfolgen’. Die meisten davon waren zugleich
mehr oder minder auch erfüllt von der seltsamen christlichen Um-
bildung der jüdischen, in der Kabbala niedergelegten Mystik, die ihrer-
seits gleichfalls stark neuplatonische Einflüsse mit sich führt. Und
ebenso brachte Arnolds eben erwähnte Ketzergeschichte manches
gnostische Gedankengut neuplatonischer oder jüdisch-hellenistischer
Mystik. Ob und wann Goethe von den Werken und Gedanken der
beiden großen italienischen Neuplatoniker Marsiglio Fieino und Pico
della Mirandola eingehendere Kenntnis erhalten hat, bedarf dringend
der Untersuchung. Es wird ja immer eine schwierige kritische Frage
bleiben, wieviel von dem wunderlichen theosophischen System, das
Goethe am Schluß des achten Buchs seiner Autobiographie ausein-
andersetzt, wirklich den Ausdruck seiner religiösen Anschauungen
während des Umgangs mit der schönen Seele darstellt. Ich will hier
darauf nicht näher eingehen. Aber eine bloße Fiktion oder ein purer
Irrtum des alten Goethe kann es nicht sein.
Unter diesen christlichen Kabbalist diesen mystischen Theo-
sophen und Pantheisten ist der einzig wirklich geniale Giordano
Bruno. Ihn hat Goethe nach Ausweis der Ephemeriden in Frankfurt
und Straßburg kennen gelernt, zunächst freilich in Bayles Auszügen (s.
oben 8. 390 und Anm. 2). Viel später hat er sich dann in seine Schriften
vertieft: Tag- und Jahreshefte 1812 (W. 36, 8.77, 26 bis 78,7)‘. Neuer-
dings mehr beachtet hat die Goethewissenschaft dank den Hinweisen
von Erıcn Scnnipr, Nirsamr, Morris einen jüngeren Vertreter der christ-
lichen Magie: Swedenborg. Und ohne Zweifel hat er insbesondere
auf die Faustdichtung Goethes eingewirkt. Doch glaube ich, man geht
in der Annahme von Entlehnungen aus ihm zu weit. Die Schriften
dieses Mannes sind so abschreekend durch ihren Wortschwall und
vielfach so abstrus, daß Goethe schwerlich sie jemals im Zusammen-
ang und mit eindringendem Verständnis hat lesen können.
Gilt es, die literarischen und gelehrten Quellen für das Dichten
und Denken Goethes vor der italienischen Reise zu ermitteln, so ist
natürlich als persönlichstes lebendigstes Repertorium die Anregung des
genialen Viellesers, Herders, in Anschlag zu bringen. War er ja doch
ein Schatzgräber versunkener geistiger Herrlichkeiten. Durch münd-
lichen Verkehr, durch Briefe, durch seine Schriften, die fertigen wie
! Vgl. auch Goethes Tagebuch, Jena, den 18., 19, 20. Januar 1812 W. II,
Bd. 4, S. 254). Doch erklärt er am 1. Februar 1812, J. F.G. Schlosser für die über-
sandte Übersetzung des Jordanus Brunus dankend: “Dieser außerordentliche Mann ist
mir niemals ganz fremd geworden’ (w. IV, Bd. 22, S. 258, 8—ır).
394 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
die werdenden, die er mitteilte, hat er ja auf Goethe unberechenbar ge-
wirkt. Auch die apokryphe Mosesgeschichte, die ich oben abdruckte,
mag durch ihn mit manchen andern jener im Teutschen Merkur und
nachher in den Zerstreuten Blättern herausgegebenen Nachdichtungen
Jüdischer Legenden Goethe bekannt geworden sein, bevor Herder sie
an die Öffentlichkeit brachte. Und Herder könnte Goethe auch auf
die einschlägigen Quellenpublikationen hingeleitet haben: Johann
Andreä Eisenmengers Entdecktes Judenthum, Königsberg 1711; Kab-
bala denudata seu doetrina Hebraeorum transcendentalis et metaphy-
sica atque theologica, Sulzbach-Frankfurt 1677—84; Christiani Schött-
genii Horae Hebrai et Talmudicae Dresdae et Lipsiae 1733, 1742.
Das wissenschaftliche Material für die Geschichte der Moses-Sage
konnte Goethe ziemlich vollständig finden in der obenerwähnten engländi-
schen deutschen Bibel (Teil 18, S. 768—772), wo der neunte Vers des
Judasbriefs mit reichen Belegen erläutert und in den vorausgehenden
inleitungen auch die Frage nach der Benutzung der apokry-
phen Adscensio Mosis (s. oben S. 36 1) gelehrt erörtert wird. Goethe konnte
hier sowohl Verweise auf die “Vita Mosis’ des Philo, auf die Jüdische
Archaeologie des Josephus und die Zeugnisse der Kirchenväter über
jenes Mosesbuch kennen lernen als auch die gelehrte Literatur über
all diese kirchenhistorischen Materialien: lich des Joh. Alb.
Fabrieius' noch heute tbehrliche Sammlung alttestamentlicher
Pseudepigraphen, desselben Ausgabe der lateinischen Üt g des
Midrasch von dem Hinscheiden Mosis (Petirath Mosche) und Spezial-
untersuchungen® über die Epistel Judae.
Grab gewußt. Darum saget Philo De vita Mosis lib. 3, p- 538D, er sey nicht durch
Menschen, sondern durch Engel begraben worden. Daß aber zwischen Michael dem
Erzengel und Sammael dem Fürsten der Teufel, über den Leib des Moses ein Streit
gewesen ist, das erkennen wir aus den Überlieferungen der Juden ... weil er wie Enoch
und Elias weggenommen ward und nicht des gemeinen Todes starb (wie der Satan
behauptete, daß er wegen der Ermord ung des Aegypters so sterben mußte, Liber de
‚M sondern nur verschwand. Deswegen sagen die Juden: ascendit
ad ministrandum excelso »er ist aufgefahren, dem Herrn zu dienen«. S. 77ob Bey
den 70 Dolmetsehern steht: "sie begruben ihn’, welches Philo und andere Juden da-
durch erklären, daß sie sagen, Gott habe Engel gebraucht, dieses zu thun... Michael
setzte sich auf eine bescheidene Weise wider ihn und vollzog den göttlichen Befehl...
[Fußnote:] Origenes, Clemens von Alexandrien, Epiphanius berufen sich darauf [auf
5 Codex pseudepigraphus veteris Testament: colleetus eastigatus testimoniisque
censuris et animadversionibus illustratus aJohan. Alberto Fabrieio. Ed. secunda Hamburgi
1722. er De vita et morte Mosis libri tres cum observationibus Gilberti Gaulmini eum
praefatione J. A. Fabrieii. Hamburgi 1714.
. * Johann Samuel Hanke, Analysis logica epistolae eatholieae $, Judae apostoli,
Lipsiae 1748, und andere,
Burvacn: Faust und Moses. 395
das alte jüdische Buch “Enoch’ oder das Buch “Die Aufnehmung oder Auffahrt Mosis'.
Besonders Grotius. Edw. Bernhard zu Josephus Alterth. lib. IV p. 323, dessen Stelle
auch Fabricius Cod. pseudepigr. vet. test., p. 841 seq. anführt. Der Herr Hanke hat
noch eine andere Stelle aus dem Buche Rabboth p. 92 angeführet. Aus welchen allen
ganz unleugbar ist, daß eine alte allgemeine Sage unter den Juden für ungezweifelt
wahr angenommen worden, der Teufel habe mit dem Erzengel Michael über dem
Leibe Mosis disputiret.
Man beachte, welche Rolle in dieser Legende dem von Moses
begangenen Meuchelmord an dem Ägypter zufällt. Der Satan will
ihm daraus den Strick drehen, aber Michael verteidigt ihn deswegen
vor Gott. Und Goethe, als er 1797 seine Charakteristik des Moses
schrieb, machte daraus ein Tellmotiv, einen Beweis des Heldentums,
eine rühmliche Tat des Befreiers, einen Rechtstitel auf den Anspruch
einer ‘'höchst bedeutenden und würdigen Persönlichkeit’, die durch ihre
Natur ‘zum Größten getrieben ist’ (s. oben S. 377. 382). Ferner: nach
dem Wortlaut des griechischen Grundtextes' handelt es sich bei dem
Tode und der Bestattung Mosis um eine Disputation zwischen Michael
und Satan, die Entscheidung aber über Recht und Unrecht zwischen
den sich mit Gründen bekämpfenden Gegnern fällt der Herr selber.
Dieses Motiv hat Goethe, als er im Jahre 1797 die Arbeit am Faust
wieder aufnahm und das ausführliche Schema entwarf, der Konzeption
des Schlusses zugrunde gelegt. Wie man längst weiß (s. z.B. O. Pxı-
ower, Goethes Faust, Berlin 1899, S. 287), sollte Mephistopheles nach
dem Tode Fausts mit dem Pakt vor den Thron Gottes eilen und dort
seine Ansprüche geltend machen. Da aber findet er den Reichsver-
weser auf dem Thron sitzend, Christus (Paralipomenon Nr. 95 der
Weim. Ausgabe). Es scheint Goethes Absicht gewesen zu sein, diese
Szene der Entscheidung eng anzuknüpfen an den Himmelsprolog.
Wie in diesem sollte wieder der Erzengel Michael auftreten. Und ihm
lag es ob, die Sache Fausts zu führen, bis dann Christus den Teufel
und sein Gefolge wie Ratten in die Flucht jagt.
t Ep. Jud. 9 ‘O a& Mıxahn 6 ApxÄrrenoc, ÖTe TO AlaBba AlAKPINÖMENOC alenereTo
Meri TOP Mwrcewc CÜMATOC, OYK ETÖAMHCEN KPICIN ErIENEFKEIN BAACSHMIAC, AnnÄ einen:
“Enmtimfcaı coi KYpioc. Vulgata des Hieronymus: Cum Michael Archangelus eum diabolo
disp utans, altercaretur de Moysi corpore, non est ausus iudieium inferre blasphemiae,
sed dixit: Imperet tibi Dominus. Ebenso hat Sebastian Schmids lateinische Über-
setzung das de Wort disy Dazu halte man die von der gelehrten
Exegese des 18. Jahrhunderts in vielfach widersprechender Weise zur Erklärung der
Judasstelle } ianisch Verse des Sacharja nach der Goethe vor-
liegenden Übersetzung Seb. Schmids (Zach. 3, 1—4): »Postea ostendit mihi Iehoschuam
Sacerdotem magnum, stantem coram Angelo lehovae: Satan autem stans ad dextram
eius, ad adversandum illi. Sed dixit Iehovah ad Satanam: “Increpet te Iehovah, o Satan,
inerepet, inquam, te Iehovah, eligens Hierosolymam. Nonne hie est titio, ereptus ex
igne?” Tehoschua autem fuit indutus vestibus pollutis, sieque stabat coram Angelo.
Respondit ergo dixitque ad stantes coram ipso, dicendo: “Removete vestes pollutas
a super ipso’; ad ipsum autem dixit: “Vide, transire feci a super te iniquitatem tuaın
et induendo te quidem vestibus mutatoriis. «
396 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912,
IV.
Ich nähere mich nun dem eigentlichen Ziel meiner Untersuchung.
Die Moses-Sage hat mitnichten bloß den Abschluß der Fausttragödie
beeinflußt. Als Goethe, von Cellini und von Hermann und Dorothea
kommend, das Ideal des schaffenden Helden im Sinne hegend, das be-
rühmte Verse der Achilleis (V. 365 ff.) bald nachher verkörperten, den
Faust zum Repräsentanten des Menschen, zu einem “Flügelmann’ gei-
stigen Strebens steigerte, da gab er ihm etwas von dem Blute des
Moses, wie ihn damals seine dem Symbol, dem Urphänomen nach-
trachtende Phantasie aus der vertrauten patriarchalischen Vorzeit hatte
auferstehen lassen: etwas von dem Volksführer und Volksbefreier,
dem Kolonisator und Landgewi ‚ dem sittlichen Gesetzgeber, dem
Wegweiser diesseitigen Lebens. Auch dieser Faust mit den Moses-
zügen der gewaltsamen Tat freilich stößt den Seufzer aus: “Könnt
ich Magie von meinem Pfad entfernen!” Er hat noch nicht die Zauber-
sprüche ganz verlernt, hat sich noch nicht ins Freie gekämpft. Er
steht noch nicht vor der Natur ein Mann allein. Immer noch um-
spinnt ihn das Düstere (V.11403— 11411). Scheint hier nicht der
alte Faust von jenem Moses, von jenem greisen Heroen, wie ihn Goethe
1797 sich vorgestellt hatte und wie er ihn im Bildwerk Michelangelos
paradigmatisch gestaltet fand, sich weit zu entfernen? Von jenem
Moses, den Goethe wohl als Heerfüh ‚ Gesetzgeber, Organisator, Be-
freier, aber so wenig als Propheten und Religionsstifter charakterisiert?
Die Antwort, die ich schon oben (S. 387) andeutete, lautet nein.
Auch der Faust, den die Magie umstrickt, der sich vergeblich von
ihr loszumachen strebt, den die vier Dämonen Mangel, Schuld, Not,
Sorge bedrängen wollen, der zwar drei in die Flucht schlägt, auch
von dem vierten, der Sorge, deren Macht er anzuerkennen sich weigert,
nicht innerlich bezwungen, aber doch körperlich geblendet wird, auch
er hat Elemente des Mosestypus. Und ebenso auch der Faust der
früheren Entwicklungsstufe, der den Erdgeist beschwor, der auf den
Brocken hinaufstürmte, der im Alpengebirge vor Sonnenaufgang die
Einsicht gewann, die der entscheidende Schritt zur inneren Überwin-
dung der Magie ist, die Einsicht, daß der Mensch das Sonnenlicht
nicht unmittelbar, daß er es nur im farbigen Abglanz sehen und nur
in diesem das Leben finden kann, die Einsicht, die der Sterbende
wiederholt (V. 11442£.):
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet.
Auch dieser Faust, der scheinbar vom Göttlichen si 'h abwendet, der
es nur sucht in irdischer Tüchtigkeit und Tätigkeit, der es im Werden
Burvacn: Faust und Moses. 397
des Geschaffenen gewahrt, an dem seine Persönlichkeit eingreifend
teilnimmt, auch er ist ein Abbild und allerdings auch ein Gegenbild
jenes Moses, der im Laufe alter Traditionen der theosophischen Mystik,
der magisch-pantheistischen christlichen und jüdischen Naturphiloso-
phie aufgegangen war.
Ich habe oben die beiden entscheidenden Monologe, die Beschwö-
rung des Erdgeistes und das Dankgebet in Wald und Höhle als Re-
flexe der Mosesmythe nachgewiesen. Mir liegt nun der oben ange-
kündigte wichtigste Beweis ob, daß auch der Anfangsmonolog des
zweiten Teils aus der Mosessage befruchtet ist.
Der Moses des Alten Testaments hat sehr früh Züge des Magiers,
des Trägers geheimer göttlicher Weisheit und übernatürlicher Kräfte
pfang ‚Griechi und römische Schriftsteller des Altertums be-
haupten, er habe aus Ägyptens Wissensborn geschöpft und die griechische
Philosophie befruchtet.
Schon Philo von Alexandria schildert den Herrscher, Gesetz-
geber, Oberpriester, Propheten Moses als Philosophen, als Kenner
göttlicher Geheimnisse, als Weisen, dessen Wort ohne Falsch ist wie
das Wort der Natur. Er gibt sein Lebensbild in der Art eines philo-
sophischen Romans, in der Manier der hellenistischen Biographie, die
nicht den Verlauf eines individuellen Einzelleb darstellt, sondern
das Exempel für einen Typus des Lebens'. Ob Goethe mehr als
Auszüge aus diesem Werk gekannt hat, weiß ich nicht. Eine leid-
liche deutsche Übersetzung hätte er einsehen können’.
Bereits in Philos Mosesbiographie waltet eine weitgehende Alle-
gorese, Die einzelnen Werke seiner Gesetzgebung werden gefaßt als
Darstellungen eines philosophischen Gedankens. Viel tiefer ist die
Symbolik, in die der christliche Neuplatoniker Gregor von Nyssa
das Wesen und das Leben des alttestamentlichen Heros einhüllt. In
seiner Vita Mosis wird der Gesetzgeber vom Sinai der Typus des
mystischen Theosophen. Sein Besteigen des heiligen Berges ver-
sinnlicht die allmählich fortschreitende Annäherung an Gott. Ich gebe
einen zusammenfassenden Auszug und lasse den Wortlaut des Textes
nur in der lateinischen Übersetzung unten folgen, weil Goethe, falls
er die Schrift des großen Kappadoziers selbst gelesen haben sollte,
sicher nur diese alte lateinische Version benutzt haben kann.
Die Kontemplation, das Schauen Gottes, bedarf keiner leiblichen
Sinne. Wer zu ihr gelangen will, muß seinen Geist reinigen von
ı Vgl. Leororo Corn, Die Werke Philos von Alexandria r. Teil, Breslau 1909,
S. zı8£.
: 2 Philo vom Leben Moses, das ist: von der G
tischen Geiste. Dresden 1778.
ottesgelahrtheit und dem prophe-
398 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
aller sinnlicher und unvernünftiger Regung. Wenn er davon frei
geworden ist, dann kann er den Berg des Moses besteigen. Der Berg
ist steil, sein Zugang schwierig. Der Berg ist das Wissen von Gott.
Zu seinem Gipfel vermag die große Menge nicht zu gelangen. Wer
aber ein Moses ist, der wird gleich diesem, wenn er höher steigt,
die Töne der Posaunen mit seinen Ohren vernehmen, die, wie die
biblische Geschichte erzählt, im Fortschreiten anschwellen'.
Es ist das die symbolische A tzung von Exodus 19, 16:
Als nun der dritte Tag kam, und Mo rgen war, da erhob sich ein Donnern und
Blitzen, und eine dieke Wolke auf dem Berge, und ein Ton einer sehr starken
Posaune... der ganze Berg Sinai aber rauchte, darum daß der Herr herab auf den
Berg fuhr mit Feuer... Und der Posaunen Ton ward immer stärker ... Als nun
der Herr hernieder gekommen war auf den Berg Sinai, oben auf seine Spitze, forderte
er Mose oben auf die Spitze des Berges und Mose stieg hinauf.
Gregorius fährt fort den Vorgang des Eindringens in die Gottheit am
Bilde des Moses vorzuführen. Wer ohne die Befleckung seines
früheren Lebens abgewaschen zu haben, ungebadet und im
schmutzigen Kleide den himmlischen Aufstieg gewaltsam erreichen
will, der wird von seinen Gedanken gesteinigt werden’.
Moses hat Gott einmal im Lichte gesehen, einmal im Dunkel.
Die Erkenntnis Gottes umstrahlt den frommen Menschen anfangs als
Licht. Aber je mehr er fortschreitet zur Vollend g, je mehr er zum
wirklichen Schauen Gottes kommt, desto mehr erkennt er, daß die
göttliche Natur unsichtbar und unfaßbar ist. Denn wenn er alle sinn-
liche Wahrnehmung, alles geistige Sehen zurückgelassen hat und immer
vordringt ins Innere, dann umfängt ihn von allen Seiten undurch-
sichtige und unbegreifliche Dunkelheit und dann sieht er — Gott.
! Gregorius von Nyssa, Vita Mosis, Ed. Morelli, Parisiis 1638, Tom. ı, S. zıgAB,
Mixe, Patrologia Graeca Tom. 44, 8. 374 CD: Speculatio autem, qua Deum contem-
plamur, nee visn nee auditu, quantum in se est, indiget: neque consueta quadam
prehensii intellectioneque pereipitur: oeulus enim non vidit, nee auris audivit
[Isaia 64, 4; 1. Cor. 2,9]: non est enim quiequam eorum, quae in cor hominis ascen-
dere consueverunt. Quare oportet, si quis ad contemplationem eius aeccedere velit,
ab omni sensuali et irrationali motu mentem suam permundare: ac ita cum omnem
opinionem quae ex sensibus originem habeat, ex mente abstruserit, consuetudineque
eontugis suae caruerit (coniunx vero hic sensus intellegitur, qui coniunetus naturae
nostrae nobiseum habitat) haec igitur cum carnerit, sie denique poterit ad montem
accedere. Mons autem arduus vere ac accessu diffieilis, Theologia est: euius vix
multitudo ad radices pervenire potest. Si quis vero Moses fuerit, cum altius ascen-
derit, poterit sonitus tubarum auribus sentire, quas narrat historia procedendo fieri
fortiores.
? Gregorius von Nyssa, Vita Mosis, Ed. Morelli, $. 220 A, Micnz, 2.2.0.
S. 3750: Nam multi cum adhuc prioris vitae maculam non absterserint, ipsi
illoti, ac amietu vitae sordido utentes, irrationalem sensum in omnibus pluris fa-
_. divinum hune ascensum rapere audent, unde ipsi suis cogitationibus lapi-
dabuntur.
Burvacn: Faust und Moses. 399
Denn darin besteht die wahre Erkenntnis Gottes, daß man sieht, was
nicht gesehen werden kann, weil über alle Erkenntnis die Erkenntnis
dessen hinausgeht, die von allen Seiten in das Dunkel der Unfaßbarkeit
eingehüllt ist!.
Wer nach dem Vorbild des Moses den Aufstieg zum Berg unter-
nimmt, der wird von einer Spitze zur andern fortschreiten, immer
höher aufwärts. Während alle anderen die Kräfte verlieren, wird er
allein schließlich emporsteigen zum Gipfel. Dann wird er mit seinen
Ohren den wunderbaren Klang der Posaunen hören. Dann wird er
hineinschreiten in das unsichtbare Innere der Anschauung Gottes. Und
er wird eintreten in das Zelt, das keine Hand gemacht hat?.
Die Natur des Guten selbst reißt alle, die mit gesunden Augen
die Strahlen der Schönheit erblicken wollen, an sich. So kommt
es, daß der Mosesnachfolger von Sehnsucht nach dem Himmlischen
immer zu Größerem sich erhebt und immer zu Höherem sich auf-
schwingt. Denn durch das, was er schon genossen, wird er befähigt,
immer Größeres zu schauen und zu genießen, und glüht von stärkerer
und immer stärkerer Begierde und wird so unablässig aufwärts ge-
tragen, durch das Erreichte gekräftigt. Denn allein das tugendhafte
Handeln mehrt die Bemühung und steigert die Kraft. Darum blieb
Moses, nachdem er einmal die göttliche Jakobsleiter zu ersteigen be-
gonnen hatte, niemals stehen; darum kannte er niemals ein Ende seiner
! Gregorius von Nyssa, Vita Mosis, Ed. Morelli ı, $S. 220: Quid signifieat, quod
in caliginem seipsum prius Moyses intromisit, deinde in ea Deum prospexit? Contrarium
enim id quodammodo videtur primae visioni: nam tunc in luce, nune in caligine Deum
videt. Sed id quoque a serie anagogiei sensus abhorrere non putamus: per hane enim
diversitatem historiae docemur, quod religionis cognitio lux est ab initio illis, a quibus
percepta est: quamobrem quod religioni oppositum intelligimus, tenebrae sunt, quarum
depulsio non nisi lueis partieipatione fit. Verum mens ominis ad maiora semper et
perfectiora procedens, quanto magis ad Dei speeulationem accedit, tanto magis per-
spieit, quod divina natura invisibilis atque ineomprehensibilis est. Nam cum reliquerit
non solun omnia quae sensu pereipiuntur, verumetiam cuneta guae mente inspici re)
ac semper ad interiora progrediatur, tunc caligine undique eircumseptus invisibili et
ineomprehensibili, Deum videt. In hoc enim consistit Dei vera cognitio, in hoc est
eius visio, ut videas quod videri non possit, quod omnem cognitionem cognitio eius
excedit, quasi caligine quadam ipsa incomprehensibilitate undique contenta.
® Gregorius von Nyssa Vita Mosis, Ed. Morelli 1, S. 221 D u. 222 A.B, Mine,
deficerent, radices montis solus supe! itur. Deinde tubarum sonitus auribus per-
vatus, ad haee invisibilia di-
t, sed in tabernaculum nulla
e finem pervenit, qui huius-
modi ascensibus exaltatur.
400 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Bewegung, sondern klomm immer von Stufe zu Stufe. Sein ganzes
Leben ist eine solche Stufenfolge von herrlichen Taten. Er rächte den
bedrückten Hebräer. Erbegab sich in die Einsamkeit der Wüste.
Er sah auf dem heiligen Berg das göttliche Licht und zog die Schuhe
ab. Er vernahm den Schall der Posaune. Er trat in die Finsternis,
er schritt in das Innere des göttlichen Zeltes, er lernte das Geheimnis
des Priestertums. So oft und so herrlich erhoben, glüht er immer-
fort vor Verlangen, gleichsam hungernd und dürstend, als ob er das
entbehrte, was er doch schon genossen hat, und bittet, daß er Gott
schaue. Er, der Liebhaber der höchsten Schönheit, hielt, was
er schon gesehen hatte, nur für ein Abbild dessen, was er noch nicht
gesehen hatte und begehrte dieses selbst, das Urbild, zu genießen.
Das also erstrebt jene kühne Bitte auf‘ dem Berge: sie will nicht
durch Spiegel und Bilder, sondern das wahre und eigentliche
Antlitz der Schönheit genießen'.
Und Gott, indem er diese Bitte abschlägt, erfüllt sie doch zu-
gleich. Er sagt zu, zu tun, worum Moses bat. Aber er verspricht
nicht ein Ende und ein Aufhören des Verlangens. Denn niemand
kann so Gott schauen, daß die Begierde nach dem vollkommenen
Sehen jemals erlösche. Gerade darin besteht die Anschauung Gottes,
desiderio semper ardet, ac sic indesinenter sursum fertur, his quae peracta sunt ro-
bustior facta: solum enim virtutis actio nutrit laborem, viresque auget. Quapropter
ascendere coepisset, numquam stetit, numquam terminum motus novit, sed semper
de gradu in gradum ascendebat, nec enim deficere unquam potest altior gradus. Ne-
gavit falsam A ti inae iuneti qua filius eius putabatur: Hebraeum
EyP ZOBB H
ultus est, ad desertam et solitariam se transtulit vitam, quam humanae perturbationes
non vexant, pavit cicurium animalium gregem, vidit resplendentem lucem divinam,
abieeit calceos, ut facilius ad lucem accederet, in libertatem vindicavit suos, hostem
undis vidit submersum, lucida nube duetus est, sicco lapide sedavit sitim, e coelo de-
duxit panem. Praeterea extensione manuum alienigenam fudit, sonitum tubae audivit,
caliginem subiit, ad penetralia divini tabernaculi ingressus est, sacerdotii didieit my-
steria, simulachrum destruxit, propitium Deum reddidit, legem Iudaeorum pravitate
dirutam restituit, gloria effulsit. Ac tot tantisque sublimationibus elatus adhuc ardet
compelleret: quocirca supremae pulehritudinis amator, quod iam viderat, tam-
quam imaginem eius quod non viderat credens, ipso frui primitivo desiderabat.
ld ergo vult audax in monte illo petitio, ne per specula et imagines, sed per
veram et propriam faciem frui pulchritudine posset. ?
Burpach: Faust und Moses. 401
daß man niemals aufhört, verlangend mit dem Blicke ihn zu suchen.
Darum sagt: Gott zu Moses: Du kannst nicht mein Angesicht sehen,
denn niemand wird mein Antlitz sehen und leben. Nicht als ob
Gottes Angesicht den es Sehenden den Tod brächte, sondern weil,
obgleich Gott durch die Natur lebendig macht, es zu seinem Wesen
gehört, daß er über alles Schauen hinausgeht. Wenn die Leben
spendende Natur über alle Anschauung hinausgeht, dann ist das,
was erkannt wird, nicht Leben. Was aber nicht Leben ist, kann
auch nieht Leben geben. So also wird das Verlangen dem Moses auf
solche Weise erfüllt, daß es ungesättigt bleibt!.
Es lehrt die Geschichte des Moses, wie viel und wie Großes er
im Leben vollbringen mußte, daß er in seinem Geiste den Mut fassen
konnte, den Berg der Anschauung Gottes zu besteigen, das Getöse
der Posaunen auszuhalten, in das Dunkel einzutreten, wo Gott ist
und die auf Tafeln geschriel göttlichen Gebote in Empfang zu
nehmen’.
Ich mache hier zunächst Halt und stelle fest, was diese mystische
Mosesbiographie des neuplatonisch gestimmten Kirchenvaters an Mo-
tiven bietet, die in Goethes Faust anzuklingen scheinen.
Der Aufstieg auf das hohe Gebirg am Morgen, das begleitende,
hsende P getön, das voraufgehende Läuterungsbad, das
Schauen des Lichtes der aufgehenden Sonne, das heißt der Gottheit
oder der göttlichen Natur, das dem Auge des Schauenden als Dunkel-
heit erscheint, die Unstillbarkeit der Begierde nach erhöhtem Empor-
stieg, nach gesteigertem Genuß der Schönheit, das ewige Hunger- und
en SE RIRTEBR
! Gregorius von Nyssa, Vita Mosis, Ed. Morelli 1, $. 238 A—C, Mıcxe, a. a. 0.
S. 402 D—403 D: Divina vero vox per ea qux negat, concedit quod petitur, pauculis
verbis immensam tenti: profundii subaperiens. Annuit enim facturum se
quod petebatur: finem autem atque cessationem huius desiderii futurum non promisit,
nec enim ita quispiam Deum videre potest ut videndi desinat desiderium. ‚Nam in hoc
profecto Deus videtur, ut numquam desinas ad eum respicere. Quare, inquit: Non
poteris videre faciem meam, nec enim videbit homo faciem meam et vivet [Exodus
33; 20]: non quia causa mortis videntibus sit illa facies (nam quomodo vitae facies
Causa appropinquantibus mortis esse poterit?), verum quoniam etsi vivificat quidem
Deus natura, proprium tamen suum est, ut omnem cognitionem excedat: Ideirco qui
orum quae cognoscuntur, Deum esse opinatur, quasi deviasset ab eo qui est, ad id
quod esse putatur, vitam non habet. Nam qui vere est, is vera vita est, et hie eogni-
tione non comprehenditur. (Quare si haec vivificans natura cognitionem omnem excedit,
non est profecto vita id quod cognoseitur: quod vero vita non est, id vitam
Praebere non potest. Sie igitur desiderium Moysi adimpletur, ut insatiabile per-
inaneat.
* Gregor von Nyssa, Vita Mosis, Ed. Morelli, S. 217 D, Mıone, aa. 0.8.371 D:
Docet igitur nos his omnibus historia, quot quantaque in vita gessisse illum oporteat,
u eognitionis Dei montem ascendere mente audeat, et tubarum vocem sustinere,
atque in caliginem ingredi, ubi Deus est, divinaque praecepta tabulis impressa suseipere.
402 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Durstgefühl des unendlichen Strebens, die Gleichsetzung des mensch-
lichen Lebens mit diesem Streben, die Frage nach dem, was ‘Leben’
sei und heiße — alles dieses sind Züge, die in der Anfangsszene des
zweiten Teiles der Fausttragödie hervortreten als Wegzeichen für den
weiteren Gang des Dramas. Diese Züge kehren wieder in dem heilen-
den, reinigenden Schlaf Fausts, den die Genien herbeiführen, in dem
von Ariel geschilderten Posaunenton des Sonnenaufgangs (V. 4666 —7 2),
in dem Monolog, der das Sichtbarwerden des Sonnenballs und gleich-
zeitig die plötzliche Verdunkelung der Augen, die Verwandlung des
göttlichen Lichtes in die Dunkelheit ausspricht. ‘So bleibe denn die
Sonne mir im Rücken!’ und ‘Am farbigen Abglanz haben wir das
Leben’ — das ist die Erkenntnis, die Faust davonträgt. Sie gibt
der folgenden aswicklung des Ben die Richtung. Sie ist die Palin-
odie der B g des E istes, die Berichtigung und Umbie-
gung der elegischen N: hwä i des früheren Monologs in Wald
und Höhle, der für die zwiespältige Gabe des Erdgeistes Dank
und Klage ausspricht, das Erwachen auch aus jenem Unendlichkeits-
rausch, der ihn einst im Frühlingssturm der Maiennacht auf den Pepe
des Brockens trieb. Diese vier Szenen, Grundsäulen der F:
wurzeln in Motiven der biblischen Moses-Sage und ihrer neuplatonisch-
christlichen Ausdeutung durch die Vita Mosis des Gregor von Nyssa.
Die Erkenntnis, daß für den Menschen allein der farbige Abglanz
des Lichtes das Leben ist, bringt den Verzicht auf das Schauen
des Lichtes der (Gott-Natur von Angesicht zu Angesicht und ohne
Spiegel (s. oben S. 388. 398) und berichtigt, wie sich unten zeigen wird,
Fausts einstiges Verlangen nach dem ‘schaffenden Spiegel’' (Pa-
ralipom. Nr. 11, W.ı4, S. 291, 20), dem Mephistopheles als diaboli-
schen Ersatz den Zauberspiegel der Hexenküche unterschob. Meine
spätere Darlegung wird die Frage erörtern, ob und wie hier auch
! Dies Motiv des Spiegels — von tiefster Bedeutung! — wurzelt in einer ungeheuer
verbreiteten Tradition, die Goethe längst berührt haben mußte, che er die Disputation
zwischen dem Jesuiten und dem Chinesen aus Erasmus Franeisei kennen lernte (Goethe
an Schiller 3. 6. Januar 1798). Nicht erst aus diesem Buch, wie man vermutet hat,
stammt jene Frage Fausts nach dem Spiegel. Wie der junge Goethe darüber dachte,
lehrt der Schluß des zweiten Briefes im Werther (W. 19, S. 8,9—25): “Wenn ich.
fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wesen
des Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält, wenn's
dann um meine Augen dämmert und die Welt um mich her und der Amndl ganz
in meiner Seele ruhn wie die Gestalt der Geliebten; dann sehne ich mich oft und
denke: ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das
einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner
Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes! — Aber
ich gehe darüber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser
Erscheinungen.
Burpacn: Faust und Moses. 403
Plotin mit eingewirkt habe, auf welchem Wege oder durch welche
Mittelglieder Goethe die allegorische Behandlung kennen gelernt haben
mag, durch die Gregor von Nyssa in seiner Mosesbiographie Mosis
Besteigung des Sinaigipfels bei Sonnenaufgang zum Ausdruck für das
höchste Mysterium des Lebens gestaltet und dieses auffaßt als
ein immer gesteigertes Suchen nach Gott, nach der göttlichen Natur
und nach der niemals erreichten Anschauung Gottes.
Sitzungsberichte 1912.
404 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Zu den Epitrepontes des Menander.
Von Car RoßErT.
Das Blatt D 3/4 der ‘Enirperiontec, das siebente des ersten der beiden
gefundenen Quaternionen, ist kreuzweise durchgerissen. Die beiden
Teile der oberen Hälfte sind uns in NT, der innere Teil der unteren
in M erhalten, den äußeren hat Lrresvr£ unter den neuerdings hinzu-
gefundenen Stücken in zwei aneinanderschließenden Fetzen VX er-
kannt!. Leider ist er selbst an dieser schönen Entdeckung irrege-
worden, aber nicht auf Grund des äußeren Befundes, sondern seiner
Vorstellung von dem Verlauf der Handlung. Darüber später. Hier
sei zunächst nur hervorgehoben, daß, wie ich zu meiner Freude bei
Leregvre lese, M. Crosser auch jetzt noch geneigt ist, dieser Kombi-
nation zuzustimmen, wie ich zu zeigen hoffe, mit vollem Recht. Auf
jeden Fall aber verdient sie eine ernsthafte Prüfung und darf nicht
mit einer eleganten Handbewegung abgefertigt werden, wie es soeben
von A. Körre in der zweiten, übrigens an schönen Ergebnissen über-
reichen Ausgabe seiner Menandrea geschehen ist?.
Als Indizien für die Zugehörigkeit von VX zu D 3/4 bezeichnet
LeEregvre£: les caracteres extrinsöques de cette bande de papyrus, sa couleur, son
etat d’usure, also lauter sehr schwer ins Gewicht fallende Dinge. Zu den
Caractires extrinseques muß auch gerechnet werden, daß die oberen Rand-
linien von V zu den unteren von T vortrefflich passen (s. pl. XXXVI,
XXXVIH und pl. XLI). Zwar lassen sie sich nicht ittelb
fügen, aber sie verhalten sich doch zueinander wie etwa die Ostküste von
Amerika zu der Westküste von Europa und Afrika, also wie Ränder ur-
sprünglich zusammengehöriger Stücke, die aber infolge tausendjähriger
Trennung abgefasert und verschlissen sind. Alles hängt also von der
Frage ab, ob sich die Textreste auf VX mit denen auf M in Ver-
bindung bringen lassen. So, wie Lerssvre früher wollte, geht das
" Papyrus de Menandre $. IXff. pl. XLI.
. ” Praefatio $. XVII n.ı: VX non posse coniungi cum fragmentis TNM quater-
nionis prioris nemo negabit, qui textum ex eis conglutinatum in editione Lefeburiana p. XI
accuratius inspexerit. rectissime Lefeburius ipse reprobat illam coniecturam, acceptam Oroiseto.
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 405
nun freilich nicht; soweit muß man A. Körrte vollständig recht geben;
aber man braucht den Text von VX nur eine Zeile höher zu rücken',
als es LErEBVRE getan hat, und man erhält einen Zusammenhang, wie
man ihn bei der 'Trümmerhaftigkeit der Verse wohl kaum zu hoffen
gewagt hätte. Denn mehr darf man nicht erwarten als den Nachweis,
daß die Versanfänge zu den vorausgehenden Versenden passen und
daß sich aus ihrer Verbindung ein der Situation entsprechender Sinn
ergibt. Die entscheidende Probe aber wird sein, ob sich die letzten
Versreste auf VX”’ mit den ersten Versen auf Y” in ungesuchter und
natürlicher Weise werden verbinden lassen. Denn der neugefundene
Fetzen Y gehört, wie Leresvre gesehen hat, zu demselben Blatte wie
R; der Inhalt von Y beweist aber, daß dieses Blatt auf D 3/4 folgen
mußte. Somit behalten v. Arsın und Körrz recht, die R schon immer
an diese Stelle gesetzt haben, während Oroıser und ich es mehr an
den Anfang des Stückes rücken wollten. Weiter hat aber A. Körre
noch erkannt, daß dies neugewonnene Blatt YR das letzte des ersten
Quaternio ist und daß somit nach der wichtigen von ihm über die
Folge von Rekto und Verso im Cairensis gemachten Beobachtung” das
Verso voranstehen muß. Da nun von VX der untere, von Y der obere
Rand erhalten ist, so schloß der erste Vers von Y’ an den letzten
von VX* unmittelbar an.
Ich drucke nun auf S.406—409 den Text dieser beiden Blätter,
deren zweites ich D 5/6 nenne, ab, indem ich VX an die Stelle rücke,
die ihm nach meiner Ansicht zukommt. Bei den Lesungen folge ich
meist Jensen und Körrr, auf dessen kritischen Apparat ich auch für die
Ergänzungen verweise’; die dort nicht aufgeführten habe ich vorläufig
eingesetzt, um sie später bei der Besprechung zu rechtfertigen, wo ich
auch auf die Lesung der kritischen Stellen näher eingehen werde. Per-
sonenbezeichnungen führe ich nur an, wo sie überliefert oder, besser
gesagt, erhalten und erkannt sind; ebenso halte ich es natürlich mit
den für unsere Untersuchung besonders wichtigen Paragraphoi. Um
bequemer zitieren zu können, habe ich den Versen ihre eigene Nume-
rierung gegeben, füge aber die Zahlen der Körreschen Ausgabe in
Klammer bei.
ı Daß dabei der erste Vers erst von VX*v eine Zeile höher zu stehen kommt
als der von VXr, ist ganz in der Ordnung; denn NT enthält auf dem Rekto 8, auf dem
Verso 7 Zeilen, M auf dem Recto 3, auf dem Verso 2. Auch Leresvre hat dem
Rechnung getragen, denn bei ihm kommt der Anfang von XVr in die 13., der von
XV* in die ı1. Zeile zu stehen. Das Umgekehrte ist bei dem folgenden von mir als
D 5/6 bezeichneten Blatt der Fall, wo R auf der Vorderseite in der 4., auf der Rück-
seite in der 5. Zeile einsetzt.
? Bericht. d. Sächs. Ges. 1908, 87 fl.
® Selb ändliche Ergä habe ich als solche nicht bezeichnet.
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406 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom
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desunt versus fere 15.
409
410 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Ehe ich auf den Zusammenhang eingehe, hebe ich als Stichproben
ein Paar Stellen von M+ VX heraus, indem ich, zunächst nur probe-
weise, ergänze:
15 META TÄC) YAATPIAC
zAn AYTöN ....Hc (Name oder Stand) Eon
tıaeon hm(eran (Zahl)
22 ayt oder Asrortön)oy TO?T6 re
TIYNean(Ömenoc.
24 TPÖTI@
enarw(nio
#8 ÄPICT)OCI KA)
meleyoycı
59 Ti a’ &xeıc cY) TÄc deP?c
EmAnw; eleneıc -
Hoffentlich lehren diese Beispiele, daß der Versuch zu wagen ist,
auf Grund der vorgeschlagenen Zusammensetzung den Verlauf der
Handlung zu ermitteln. Dabei wird es vor allem darauf ankommen,
die sprechenden Personen festzustellen und die einzelnen Verse auf
sie zu verteilen.
Die ersten Verse auf D° spricht bekanntlich noch Onesimos', ehe
er vor dem herankommenden Smikrines die Flucht ergreift. Und
zwar läuft er nicht, wie ich früher fälschlich annahm, seitwärts ab,
sondern ins Haus. Denn erstens ist er dort vor Smikrines am sicher-
sten, und zweitens gehört sich’s doch, daß er'beim Frühstück seinem
Herrn aufwartet; er hat sich nur V. 202 auf einige Zeit davonge-
stohlen, um dem Publikum seine Not zu klagen. Endlich hat er auch
das dringendste Interesse daran, das Vorgehen der Abrotonon aus der
Nähe zu beobachten. Wiranowırz’ Ergänzung von V. 7.8:
oYa’ TaeIN AYTON) Aokein'
rPö(Teron rAp Asrötonon TI APA TNÖNA)| me Aei
trifft daher dem Sinne nach gewiß das Richtige und vielleicht sogar
den Wortlaut.
Die vielbesprochenen Verse ı. 2 (358. 359) sind, abgesehen davon, daß man
mit Wirasowirz entweder Ann’ streichen oder dai statt oYToci einsetzen muß, meiner
Ansicht nach ganz in Ordnung. Allerdings erwartet man, daß Onesimos, wie d
alte Euclio in der Aulularia 250ff.: si hercle ego te non elinguendam dedrro usque ab ra-
dieibus, impero auctorque ego sum, ut tu me cuivis castrandum loces, von seinem Örxeic
sprechen wird; AI6TI ol Ö6aöntec oYK EKTEMNONTAI, Ann EzeAKoNTAl. Aber wir haben es
mit dem Schema rıaP’ Yrıönosan zu tun. Der Sch pieler soll deklami : EKTEMEIN
Alaum &mayTo? ToYc 6-AönTac. Etwas genau Entsprechendes fällt mir im Moment nicht
ein, aber eine gewisse Analogie bietet die Aposiopese in den Vögeln V. 442 ff. MHA”
ÖPYTTEIN: OYTI TIOY TON (Sc. TIF@KTEN) ; OYAAmöc: oYk, AnnA TOssanmo Aero, wo Valkenaers
Änderung Töna’ schwerlich richtig ist. e
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 41l
Vor V.9 steht die Paragraphos, und obgleich die Personenbe-
zeichnung durch einen tief in den Seitenrand eingreifenden Riß ver-
lorengegangen. ist, kann dem Zusammenhang nach der Sprecher nur
der von Onesimos angekündig ikri sein. Das Ende von V. 10
und der Anfang von V.ıı ist bei Orion erhalten (fr. 882 KR):
er
kmönıc)
önn r(Ap Älaeı TO KAKÖN.
Smikrines hat also bei seinem Gang nach der Stadt (V. 4) den
Zweck verfolgt, sich nach dem Treiben seines Schwiegersohnes, der ihm
bisher als ein sittsamer, ernster, junger Mann bekannt war (V. 487 fi.),
näher zu erkundigen‘. Die Auskunft lautet niederschmetternd V.ı0:
Kcot(6c Ecrı); vgl. fr. 615 6 a’ Äcwröc Ecri, TIOAYTEANC, @PACYC CoÖapa,
das aber selbstverständlich in ein anderes Stück gehört. Die ersten
Worte V.g können etwa &znı[peenn TOn öknon gelautet haben; vgl.
V.62 ökn#röc. Auch im folgenden wird von dem liederlichen Treiben
des Charisios gehandelt: V. 14 rinen, V. 15 f. merA TAC) YAnTPIAc ZAN
ANTÖN en... nc (d Acina) Eon rıneon Am(eran — seit drei Tagen hat er sich
des Umgangs mit Abrotonon enthalten (V. 223), vorher aber doch
einige Zeit gewiß ihre Liebe genossen; vgl. 217 f. oYKerı m’ ER rAP oYac
KATAKEICBAI TÄMAN TrAP° AYTON »jetzt duldet er mich nicht einmal beim
Symposion in seiner Nähe«, — also etwa ron hm(erßn dKto. V.15
oYnoma geht vielleicht darauf, daß der Alte den Namen des Mädchens
noch nicht kennt und auch nicht in Erfahrung bringen konnte. In
diesem Falle ist es möglich, daß rAc vantriac nicht zu dem folgen-
den, sondern zu tofnoma gehört und dann asyndetisch fortgefah
wurde. Übrigens scheint es nach diesem allem, daß auch Smikrines,
wie früher Charisios, eine Zeitlang abwesend war und erst an dem
Tage, an dem das Stück spielt, zurückgekommen ist.
Da an dem von V.ıo bis V.25 noch erhaltenen linken Seiten-
rande keine Spur von einer Personenbezeichnung sich findet, auch eine
Paragraphos nirgends zu entdecken ist, so vermutet Jensen (Rhein.
Mus. 1910, 548), daß Smikrines bis V. 25 weiterspricht. Da nun aber
notorisch V. 35 noch eine zweite Person auf der Bühne ist, so müßte
diese zwischen V. 26 und 34 aufgetreten sein, wo die Versanfänge
fehlen. Indessen ist die Paragraphos entweder so unregelmäßig ge-
setzt gewesen oder so häufig verschwunden, daß JEnsens Schlußfolge-
rung keineswegs zwingend erscheint. Es kommt hinzu, daß die er-
haltenen Reste V. 2ı mrochne(on oder Ane(en, V. 22 öTe TAN, "W220
ToFT6 re mynean(ömenoc nieht nach Reflexion, sondern nach Erzählung
! Siehe auch A. Körrz, S. XXI.
412 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
aussehen, die an dieser Stelle im Munde des Smikrines befremdlich
ist. Auch dürfte oimoı TAnac schwerlich anders als am Anfang einer
Rede gebräuchlich sein, vgl. Sam. 253, fr. 567 K. und namentlich das
Fragment aus dem °E des Pherekrates 5ı K.
KÄN MEN CIWTI®, TEIPETAI KAl TINITETAI
KAl @HcI: TI CIWrAc; EAN A r’ Amokpıeß'
OIMOI TÄNAC, ®HCIN, XAPÄAAPA KATEAHAYBEN.
Es bleibt also doch sehr zu erwägen, ob die neue Person nicht
schon V.ı9 mit den Worten oimoı TAnac auftritt. Daß diese Person
der Koch ist, hat man mit Recht allgemein aus V. 39 geschlossen.
Wie war dessen Auftreten motiviert? Wenn Supnaus V. 35 mit Ver-
wertung von fr. 185 K. richtig zu oYaeic &xinoc Ereroc vmin ergänzt hat,
würde er ein größeres Geschirr verlangen, und hierauf müßte sich dann
die B kung des Smikrines roıkinon Ärıcron Arıcröcın beziehen. Aber
warum tritt der Koch zu diesem Behufe aus dem Hause heraus? Von
Smikrines kann er doch nicht erwarten, daß dieser zufällig einen großen
Topf bei sich habe, und weiter ist ja niemand auf der Bühne. Oder
spricht der Koch die Worte etwa hinter der Szene? Oder beim Her-
austreten in das Haus zurück? Beides gleich unwahrscheinlich. Und
warum ist er denn, wenn anders die Worte V. 36f. ihm wirklich ge-
hören, so unglücklich & Trıckeneoc &rü KarA rroanA? Nur weil er keinen
größeren Topf bekommen kann? Man sieht, die Ergänzung von Sun-
HAUS paßt, obgleich sie A. Körre in seinen Text aufgenommen hat,
in keiner Weise zur Situation.
Erwägen wir nun, unter der Voraussetzung, daß der Koch schon
bei V.19 aufgetreten ist, welche Vorgänge sich unmittelbar vorher im
Innern des Hauses abgespielt haben müssen. Wenn alles programm-
mäßig verlaufen ist, hat sich Abrotonon dem Charisios genähert, hat
wie zufällig den Ring sehen lassen und dadurch dessen Aufmerksam-
keit erregt. Er fragt, woher sie den Ring habe. Nun muß aber not-
wendig eine Störung eingetreten sein; denn ganz so, wie sie geplant
ist, darf die Intrigue nach den elementarsten Gesetzen dichterischer
Komposition nicht verlaufen. Diese Störung oder Retardierung zu
bewirken, ist nun der Koch die gegebene Persönlichkeit. Er hat sich
schon in der ersten Szene des Stückes selbst als sehr neugierig ein-
geführt, fr. 2*. 3* Kör.
OYAEN TAYKYTEPÖN ECTIN A TIÄNT” elaenaı.
Daher wird er sich, als er den Ring sieht und die Aufregung des
Charisios bemerkt, leise näher geschlichen haben. Dieser Hypothese
fügen sich die Fragmente. Es kann z.B. dagestanden haben:
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 413
olmoı TÄnAC, (KAINÖN TI KYKÜCI AHAAA)H.
KoINWNÖö(c EINAIı BOYAömenoc Wc Heyx)A
mrochne(on,
und dann entweder von sich selbst aYTo)? ToPTö re riYneancömenoc oder
von Charisios ABPoTöno)yY ToPT6 re tiyneancömenoc, Vorschläge, die natür-
lich nieht den Anspruch erhalten, den wirklichen Wortlaut des großen
Dichters herzustellen, sondern nur zeigen wollen, wie die Verse gelautet
haben können, und daß die Reste zu der gesetzten Situation passen.
Aber dem Koch scheint seine Neugier schlecht bekommen zu sein;
denn mit dem Schrei ofmoı TÄnac ist er aus dem Hause gestürzt. Wie es
weiter ging, ist leicht zu erraten. Man wird sein Heranschleichen be-
merkt und ihn auf nicht gerade sanfte Weise weggewiesen haben,
nach Turnerart, wenn V.25 enaro' von Körrz richtig gelesen und
von mir richtig zu Trörıw &narw(nig) ergänzt ist. Das kann Charisios
selbst gewesen sein; dann wäre am Ende von V.23 5 at Aecmö)THc
me zu ergänzen; oder Onesimos, der durch die Neugierde des Kochs
das Spiel der Abrotonon gefährdet sieht. Auf jeden Fall scheint eme
zum folgenden zu gehören und eiaoı Anrede zu sein; also entweder
sincı eeoi oder, wie sonst Anarec (Er. 466, Sam. 54. 114. 338), An-
rede an die Zuschauer, was ich zwar anderweitig nicht belegen kann,
was mir aber in seiner impertinenten V' lichkeit für diesen unver-
schämten Gesellen sehr passend erscheint. Solche Behandlung läßt
sich natürlich der Koch nicht bieten. Aus Zorn sowohl über die un-
befriedigte Neugier als über die erhaltenen Schläge läuft er davon:
V.28 An)aA xaıperw. Mit den folgenden Versschlüssen läßt sich nicht
viel anfangen, zumal V. 30, wo Leresvre hinter # keine Spur eines
Buchstabens erkennen konnte; er schreibt: »je ne vois aucune trace de
lettre apres H final, mais si la lecture EMH est ewacte (€ et H douteux),
il faut probablement conjecturer la disparition dun C, & TAc &mfc«. Un-
bedingt nötig ist das freilich nicht, da man auch wn &krtHc &mA trennen
kann; in welchem Zusammenhang aber diese Worte gestanden haben
könnten, vermag ich nicht anzugeben. Immerhin läßt sich soviel er-
raten, daß der Koch mit Emphase von sich und seiner Kunst ge-
sprochen hat: 29 ronnAN er, 32 H Mol MÖNH und vielleicht V. 30 &« TAc
@mAfc) (Texnnc). Danach läge es nahe, V.35 oYaeic (mAre)ı(roc) Ereroc
Ymin zu ergänzen, und wenn man die maßgebenden Lesungen mitein-
ander vergleicht, scheint diese Ergänzung in der Tat nicht ausgeschlos-
sen: .K..ı... Jensen, .N..ı.. KöRtE, AN ss Leresvee, der
hinzufügt: »A me parait assez sür, N ensuite est possible, au milieu de
la lacune peut-etre un autre N (en tout cas une lettre avec haste verticale).
! enare (vel ®) Kö., enant Ler.
414 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Es käme also darauf an, ob der von Lrresvr£e als A gelesene Buch-
stabe ein M, der von ihm und Körre als N, von Jensen als K ge-
lesene Buchstabe ein A sein kann. Das zu entscheiden, muß der Nach-
prüfung des Papyros überlassen bleiben. Die Möglichkeit dieser Er-
gänzung vorausgesetzt und angenommen, daß das allein von Körre
auf der Photographie am Schluß von V. 34 gelesene cw auch ro sein
kann, würde sich der hübsche Satz ergeben:
AEINöc, üc Er)o,
oYaelc (mAre)ılroc) Ereroc Min.
Dann können mit Ymin Charisios und seine Gäste, aber nach dem oben
Bemerkten auch me Zuschauer gemeint sein.
ber vorh t offenbar Smikrines noch einmal das Wort genommen.
Denn was sollen in dem Bericht des Kochs die «veoı! V.27? Wenn
man nämlich an dieser Lesung Leregvres festhält, so läßt sich in den
Vers des Fr. 9gı4K einsetzen: möroı cynexeic «yeoı. Also z.B. V. 26ff.
KÖNAKEC) Kal YÄATPIA,
(rerwc, BoR, möToı eYnexeic), KYBOI’ TYXW
(£rreikAcac Kal Meizon;)”,
falls dies für den cholerischen Alten nicht zu tragisch ist. Ich möchte
also glauben, daß die erste Rede des Kochs von V. 19 bis zur Mitte von
V.26 reicht; dann Smikrines von da bis zur Mitte von V. 28; dann,
von ÄnnA xaıpetw an, wieder der Koch.
In V.35 zeigt ein Doppelpunkt hinter Ymin Personenwechsel an.
Seit die Lesung Arıcröcın statt des früher gelesenen Arıcrömen feststeht,
kann es nicht ifelhaft sein, daß Smikrines die Worte: rioıkinon ÄPIcTon
Arıcräcın spricht. Wenn der Koch, wie wir annehmen, vorher seine
Künste gerühmt hat, könnten sie sich auf das bunte Menü beziehen,
aber wahrscheinlicher und mehr im Charakter des Smikrines ist es, daß
sie ironisch gemeint sind: »ein abwechslungsreiches Frühstück, bei
dem der Koch geprügelt wird und dann davonläuft«; vgl. Kithar.
fr. 8 Kör. oc noıkiaon rıPArm’ ecri Kal TIAANON TYXH.
Die folgenden Worte: & rrickenioc ru «ra. lassen sich aber hier-
mit in keiner Weise verbinden, am wenigsten die doch wohl in V. 39
steckende Verwünschung des Kochs, der ja den Smikrines gar nichts
angeht, und obgleich hinter ärıcröcın kein Doppelpunkt steht und die
Paragraphos vor V. 37 ‚nach MANS FEER Anbe unsicher ist, wird
man doch einen ab h müssen, wie
es auch A. Körre tut. Aber daß der Koch diese Worte sprechen sollte,
ER. Kbarz glaubt = der Photographie «Ysoy zu erkennen, wovon ich mich
nicht habe überzeugen kön:
Vgl. Choeph. 14 Amarpi A Tand TÄCA’ ErIeIKÄCAC TYXw XoAC BEPOFCAC;
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 415
ist wenig glaublich. Wie sollte der dazu kommen, sich selbst zu ver-
wünschen? Der weinerliche Ton paßt mehr für Onesimos, dem man
ja auch früher, als man noch Arıcrömen las und dahinter keinen Per-
sonenwechsel annahm, die ganze Versreihe zu geben pflegte. Die Her-
stellung von V.38 bis V. 40 ist noch nicht geglückt, aber der Gedanke
scheint zu sein: »Diesmal bin ich noch glücklich durchgeschlüpft;
aber wenn es einer noch einmal mit solch einem nichtswürdigen Koch
zu tun hat, soll man ihn totschlagen«, auch im Aufbau ganz ähnlich
den Worten desselben Sklaven V.355ff. (=D 3, ıff.): Kai nn xaPıentwc
EKNENEYKENAI AOKD . ... - » ÄN A& TIC AÄBHI m’ ETI TIEPIEPFACÄMENON Ä AAAHCANT/;
erremein alaunı crn. Diesen Gedanken bekommt man in Körres Lesung:
all)JackeaA n.... (m)yxyoc nicht hinein, die auch darum bedenklich
scheint, weil sowohl Rıccı als Jensen die Möglichkeit, ara zu lesen, be-
streiten. JEnsens eigene Lesung A.cKen.N ..... x.oc führt auf
-usu= ou. Am Anfang wird das Verbum in der ersten Person 'ge-
standen haben, dann vielleicht Aenrr)oc. In V.40 muß .aneit eic
makaplac die Apodosis sein; also doch wohl K)aneit’; denn das Futurum
BJaneit’ ist unverständlich, wenn man es nieht mit Carrs als Frage
faßt; dann aber müßte oy vorhergehen, während von allen Augenzeugen
€, von JENSEN ıe gelesen ist. Also, wenn man Wiramowırz’ schöne
Emendation annimmt x)aneir’, eic Makaplan'. Das sännere ist, wie Aristo-
phanes’ Ritter 1751 zeigt, überflüssig.
Es würde also, wenn ich mit dieser Vermutung Recht habe,
nach dem Koch, der sich V. 35 gleich aus dem Staube macht, Onesimos
herausgekommen sein, glücklich daß die Störung der Intrigue durch
den Koch noch so glimpflich abgelaufen ist. Warum er herauskommt?
Vielleicht um zu sehen, ob der Koch auch wirklich fort ist, vielleicht,
um nach Art der Komödiensklaven, dem Publikum seine Empfindungen
mitzuteilen, wie er es schon zweimal vorher getan hat.
Neben V. 4ı finden wir die Personenbezeichnung Smikrines. Da
diese aber am rechten Rande steht, muß den Anfang des Verses ein
anderer gesprochen haben, also entweder noch Onesimos oder eine neu-
auftretende Person. Im ersteren Falle könnte man einen Augenblick
daran denken, hier das Verbum zu eic Maxkapian also sAnnere oder
BÄnne einzusetzen. Aber es leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß bei
diesem Fluch das Verbum wohl fehlen, aber nicht nachgestellt werden
kann, und daß die Rede des Onesimos mit eic Maxarian eindrucksvoll
schließen muß. Erwägen wir also die andere Möglichkeit. Nach
den am linken Rande erhaltenen Personenbezeichnungen spricht Smi-
krines V. 47, Charisios V. 48, und zwar spricht Smikrines von oder
zu Charisios. Daß er ihn mit diesem Vers erst aus dem Hause ruft,
scheint ausgeschlossen. Selbst wenn der junge Mann geneigt sein
416 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
sollte, einem solchen Rufe ohne weiteres Folge zu leisten, kann er,
da er im Kreise seiner Freunde beim Zechgelage sitzt, so schnell
nicht erscheinen. Also muß Charisios schon vor V. 47 aufgetreten
sein, und wahrscheinlich aus eigener Initiative. Da haben wir also
die Person, die den Anfang von V.4ı sprach. Wie kommt er aber
auf die Bühne, wenn er nicht von Smikrines gerufen ist? Machen
wir uns wieder den Verlauf der Vorgänge im Hause klar. Die Ex-
plosion muß jetzt erfolgt sein. aapatoheh ba% das Findelkind für ihr
eigenes, von Charisios st; geg Aber was sie vorher
in der summarischen Darlegung ihres Planes (V. 296 ff.) nicht erwähnt
hat, sie muß, um ihre Lüge glaubhaft zu machen, beweisen, daß der
Ring bei dem Kinde gefunden worden ist, und ihr Zeuge hierfür ist
Onesimos. Als Charisios diesen im Speisesaal nirgends erblickt, tritt
er aufgeregt heraus, ihn vor der Tür zu suchen. Also mag V. qıf.
etwa gelautet haben:
(CHAR. ’Onäcım’, ieröcyne mal. SMIK. BoR)c') Tinoc
(AKovca;)
Die folgenden Wortreste sind zu trümmerhaft und zu unsicher
gelesen, um eine auch noch so problematische Herstellung zu gestatten’.
Nur errät man leicht, daß nach dem Zwisch f des Smikri Chari-
sios wieder das Wort ergreift und dem Sklaven befiehlt, ihm ins Haus
zu folgen. Wenn auf das Fehlen der Paragraphos vor V. 44,45 etwas
zu geben ist, müssen diese dem Charisios gehören, vorher aber Onesimos
eine kurze Replik gehabt haben. Wenn also am Ende von V. a5
m)az ergänzt werden darf, liegt es trotz des Fehlens der Paragraphos
nahe, dies Wort und den folgenden Vers dem Onesimos zu geben
(s. Anm. 2).
nee: der während dieser ganzen Szene beobachtend im
Hi tanden hat und weder von dem Koch noch von
Onesimos noch. bisher von Charisios bemerkt worden ist, ruft nun
seinem Schwiegersohn den V.47 zu, der sowohl oben wie unten die
Paragraphos hat:
RE. TAc vYan)TPiac.
Da nur die beiden Schlagworte erhalten sind, wäre es vermessen,
mL Vers STERIREN zu wollen. Aber eine kräftige Bosheit muß er
' Allerdings liest Jensen oTInoc, was indessen kaum irgendwelche Ergänzung
Aue
. . Ler., en Kör.; 45 A.A= nur Kör.; wenn richtig gelesen, viel-
leicht nicht Xinaz, sondern A.mAz. Das letzte Wort könnte dann Onesimos sagen,
ebenso V. « und dann im Haus verschwinden, 46 Enon JENSEN (rINÖmenoN?), enoc LEr.,
enoaoc Kör
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 417
enthalten haben. Hat Smikrines seinen Schwiegersohn höhnisch nach
dem Befinden der Zitherspielerin oder nach ihrem Namen (vgl. V. 15)
gefragt? Oder gar ihn gebeten, ihm das Mädchen zu zeigen? Ihm
Zutritt zu ihr zu gewähren'? Auf etwas derartiges scheint nämlich
die Antwort des Charisios hinzudeuten, wenn wir sie etwa folgender-
maßen ergänzen:
NOF(n oYK Exeıc. Oi a’ Enaon ÄPIcT)ücı Kal
me(syoycı’ TAFe’ dPAN eeneıc evr’;
Vor jedem der drei folgenden Verse steht die Paragraphos.
Mithin gehört V. 50 dem Smikrines, V. 5ı dem Charisios, V. 52
wieder dem Smikrines, also lebhafte Rede und Gegenrede, aber nicht
stichomythisch, denn mit Ara re” V.49 kann keine Rede schließen,
vielmehr beginnt hier die Replik des Smikrines. Dasselbe gilt von dem
folgenden Versschluß &xoycı at, der offenbar den Anfang von Chari-
sios Erwiderung enthält, und rmenmriein INA, welche Worte wieder dem
Smikrines gehören müssen. Somit ist diese Versgruppe folgender-
maßen zwischen die beiden Personen zu verteilen:
7 Sm Kalpla 2 RAR TAc YanTpiac.
CHAR. noF)n oYK &xeic. ol a’ EnaoN ÄPICT)OCI Kal
me(eyoycı’ TAFe’ DPÄN e&neic cyr’;) Sm. ApA re
a CHAR. Tap)exoycı AH
OlHMeia?) .. SM... er. ceeee me)nmein Ina KA.
Bei V. 5ı scheint Charisios ins Haus zurückgekehrt zu sein.
Smikrines bleibt auf der Bühne allein zurück. Der Inhalt seiner
nächsten Worte läßt sich aus dem Erhaltenen leicht erraten: V. 51
etwa Act TÄHN EYrATep” ÄTIOME)MTIEIN INA KTA. Nun wo er, was er in der
Stadt gehört, mit eignen Augen bestätigt sieht, will er energisch auf
die Herausgabe seiner Tochter und der Mitgift (V. 52 TA xPAmata)
dringen; aecron’ otklac (V. 55) geht entweder auf Pamphile, der diese
Stellung versagt wird, oder auf Abrotonon, die sie sich, nach dem
Wahn des Smikrines, anmaßt.
Mit V. 56 tritt eine neue Situation ein; das lehrt der verwun-
derte Ausruf: ö "HrArneıc. Daß der am Schluß desselben Verses ge-
nannte Simmias nicht der Koch sein kann, brauche ich nach dem
Gesagten nicht noch ausführlich auseinanderzusetzen. Darin aber hat
A. Körre recht, daß mit der Personenbezeichnung zu V. 90: c./ die-
Wenn V. 520f. TOIAYTHci TAP OYK Anecxet’ ÄN keinoc, ET TOT’ olaA, wie es den
Anschein hat, auf Smikrines geht (vgl. unten S. 33), so war dieser, unbeschadet seiner
Bärbeißigkeit, als Freund des weiblichen Geschlechts gezeichnet.
Daß so zu lesen und nicht etwa mi)apA re zu ergänzen ist, bedarf wohl keiner
besonderen Begründung.
418 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
selbe Person gemeint ist. Es ist dort also C(l)/ zu ergänzen. Dieser
Simmias ist also V. 90 auf der Bühne, und da Smikrines V. 56 mit
einem Ausruf der Verwunderung seinen Namen nennt, muß er an
dieser Stelle aufgetreten sein; jedoch nicht allein, denn V. 71.sagt
jemand: vmön &raipoc ofroc, womit natürlich nur Charisios gemeint
sein kann. Also müssen mindestens zwei von Charisios’ Zechkum-
panen auf der Bühne und bei V. 56 aus dem Hause getreten sein,
beide natürlich von Smikrines dort mit Namen bezeichnet. Der des
zweiten ist ausgefallen; setzen wir einen beliebigen, der dem Vers-
maß entspricht, ein:
ö "HpAlkaeıc, d Mocxion x) Cımmiac.
Am Anfang des nächsten Verses 57 ist arııwm gelesen und Äniwmen mit
Sicherheit ergänzt. Wir werden also diesen Vers trotz der fehlenden
Paragraphos' dem Simmias geben, und das um so zuversichtlicher,
als V. 63 die Personenbezeichnung CMI/ und Paragraphos hat, vorher
also jemand anders gesprochen haben muß. Innerhalb dieser Verse
muß Smikrines von Simmias erfahren, was im Hause vorgegangen
ist; denn V. 72 weiß er es: rrA1aAPıon &k tröpnHc; aber wohl bemerkt,
er braucht nur diese angebliche Tatsache selbst, nicht die Details der
Entdeckung zu erfahren. Von dem Ring braucht er nichts zu wissen,
auch nicht, daß es sich um dasselbe Kind handelt, das er als Schieds-
richter dem Syriskos zugesprochen hat. Die Verse 57—62 scheinen
diese Mitteilung nicht enthalten zu haben. Aber V. 65 steht Teroxer’,'
was man wohl nicht mit Leregvre und KörteE in Teroxe «k, sondern
in Teror’ &k zerlegen muß; also Teror’ &« (Xarıclov). Diese Worte
können dann aber nicht mehr zu der mit V. 63 einsetzenden Replik
des Smikrines, sie müssen trotz der vor V.65 fehlenden Paragraphos
dem Simmias gegeben werden, so daß innerhalb von V. 64 Ben
wechsel war, vermutlich nur durch den Doppelpunk wie
auch sonst bei lebhaftem Dialog häufig im Cairensis, z. ;B, auf B 2.
Doch wir müssen zunächst wieder zum Anfang der Rede des
Simmias zurückkehren: V. 57 Arlamlen zen neneaseeen NA T)On "Hain.
Nachdem das Kind in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist, wird
es den beiden drinnen ungemütlich; an eine lustige Fortsetzung der
Zecherei ist nicht mehr zu denken, darum verlassen sie das Haus.
V.58 z. B. mıkpo? (r? Ärennirhn reAön). TAYTHN erö TIPOHN AP... scheint
! Übrigens glaube ich auf der Photographie die schwache Spur einer solchen
zu erkennen.
Dieses TEToKe, das an dieser Stelle des Stücks, wie ich oben zu zeigen hoffe,
ganz an seinem Platz ist, trägt die Schuld zu daß Lerepvre an seiner wunder-
schönen Entdeckung irre geworden ist (S. XI).
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 419
sich auf’ Abrotonon zu beziehen. Hat der Sprecher vielleicht gesagt,
daß er sich an dieser, die sich jetzt als junge Mutter entpuppt, kürzlich
beinahe vergriffen hätte!? Übrigens scheint es nicht ausgeschlossen,
daß hier beide Freunde durcheinandersprechen, was dem aufgeregten
Charakter der Szene noch angemessener sein: würde, wie es ja von vorn-
herein wahrscheinlich ist, daß »Moschion« kein kwsön TIPöCWTION War.
Dann wäre innerhalb des Verses 57 Personenwechsel gewesen, vor
nA Ton “Haion nur durch einen Doppelpunkt bezeichnet. Bei V. 59
erblieken sie den Smikrines. Man könnte, wie schon oben (S. 3) an-
gedeutet, versuchsweise ergänzen:
TI a’ &xeıc cY) TÄc ÖeP?c
EÄNW; BlEreic 2.2...
Die beiden nächsten Versanfänge 61 &rur’ Amöawna und 62 ÖrnHpöc
gehören offenbar wieder dem Smikrines. Da nun neben V.63 CMI/
und vorher Paragraphos steht, muß innerhalb des V. 62 Personen-
wechsel gewesen sein und eine kurze Replik des Simmias den Schluß
des Verses gebildet haben; denn mit &meira an beginnt Smikrines
offenbar eine neue Rede. Möglich ist, daß an dem verlorenen rechten
Rand mehrfach Personenbezeichnungen standen. Die Verteilung dieser
Verse stelle ich mir also folgendermaßen vor:
56 SMI. & ‘Hp(Axneıc, & Mocxiwn x0) Cımmiac.
SIM. Aniom(en 22... ..- MOS. nA r)ön “Haon,
mikpo® (r’ Ämernirhn ren@n)' TAYTHN Er&
TIPÖHN ÄP . une» TI a’ &xeıc cr) TAC Öer?c
Errino, eleaeic....nnorenreerenenener
SMI. Erur’ Anönlana) urn reeeerreer rennt
ÖKNHPÖLC) «ee re rer SM... ....0:--
SIM:. Ereitan An een er See
Hierauf scheint Smikrines den beiden sein Leid geklagt und von
dem traurigen Los seiner Tochter gesprochen zu haben. Und dann
folgt sofort der Donnerschlag: »Und du weißt wohl noch gar nicht,
daß die Dirne von Charisios ein Kind geboren hat?« V.66 sprach,
wie die Paragraphos zeigt, Smikrines, er muß aber schon in der Mitte
von V.65 eingesetzt haben, da mit AnABONT’ Alrmararein, wie KÖRTE vor-
züglich ergänzt, keine Rede beginnen kann; also z. B.:
eror’ ex (Xarıcioyv. SM. Ti ah me Kwayeı)
AABÖNT” Ä(TIATATEIN TAN oyraTera;)
ı Vielleicht bezieht sich das auf V.
lästigt, aus dem Hause stürzt: &Ate m, IketeY@ CE,
Sitzungsberichte 1912.
212f., wo Abrotonon, von den Gästen be-
Kal Mm Mol KAKÄ TIAPEXETE.
38
420 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Von nun an wird die Verteilung schwieriger, da V.71 vman Eraipoc
gleichfalls dem Smikrines gehört, dazwischen aber nur einmal, vor
V.69, die Paragraphos steht. Seglich muß, trotz des Fehlens der
zweiten Paragraphos, noch einmal ein P‘ hsel ttgefund
haben, vermutlich mitten im Vers. Mir ist am wahrscheiniidieten,
daß dies in V. 69 oder 70 der Fall war, da die zwiefache Bezeich-
nung derselben Person V.69 als Xaricioc, V. 71 als yman Eraipoc oYToc
so kurz hintereinander im Munde desselben Sprechers recht unge-
schickt wäre. Ich vermute daher, daß die Rede des Smikrines bis
V.68 weiterging, dann mit V.69 Xar(icıoc «ta. Simmias oder der
andere Freund ein Wort der Entschuldigung einschaltete, und Smi-
krines von der Mitte des V. 70 an weitersprach, so daß die Worte
Ymon Eraipoc oYroc den Schluß seines ersten Satzes bilden. Beim zweiten
Teil dieses Verses ist wieder die Lesung unsicher: » Apres oytoc trace
d’une lettre rotonde (o?); apres la lacune nc ou uc« L£r., A... Hc KöRrTE,
dessen Ergänzung A(tyx)äc wohl für den Koch, dem er die Worte
geben will, nicht aber für Smikrines paßt; (eal)ner(aı ist ansprechend,
muß aber dann zu dem Folgenden gezogen werden: (sAi)ner(aı) TTAIAAPION
€ mIÖPnHc (MoHcac).
Hier sind wir nun bei der Stelle angelangt, die nach dem oben
(S. 2) bemerkten die Probe für die Richtigkeit der Einordnung von VX
liefern sollte. Ich denke, wir können mit dem Resultat zufrieden
sein. Die Situation auf Y” ist dieselbe wie auf VX’ und der An-
schluß so eng wie möglich.
Bis V.74 regt sich Smikrines noch weiter über Charisios auf.
Dann steht am Ende von V. 79 Doppelpunkt, mit dem die Para-
graphos vor V. 80 korrespondiert, hinter V. 80 abermals Doppelpunkt,
während doch vor $ı die Paragraphos fehlt, ein Beweis dafür, wie
unregelmäßig . nun ist. Due ist also zwischen V. 75 und
81 ein RP l. Da indessen zwischen V. 77
und 80 in Y ein ne Riß ist, dem die Versanfänge zum Opfer
gefallen sind, müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß noch
öfter Baronshyenhael stattgefunden hat. Und in der Tat muß ein
dritter Pı bedingt angenommen werden, da die
Verse Sıff. ihrem Inhalt nach nur von Smikri gesprochen werden
können. Für diesen Personenwechsel kommen in Betracht V. 76 und
77; denn V.78 und 79 sind durch die offenbar zusammengehörigen
Worte: To? Blov — T09 ayctvxoFc eng miteinander verklammert und ge-
hören offenbar dem Smikrines. Also sprach V. 75 bis Mitte 76 oder
77 Simmias oder »Moschion«; dann erwidert Smikrines bis V. 79-
Der Vers 80, in dem rön avcryxA deutlich auf die Worte des Smikrines
To? alov — To? avcrvxo%c Bezug nimmt, gehört dem Simmias oder
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 421
»Moschion«. Dann setzt mit V.8ı Smikrines wieder zu längerer Rede
ein, die bis zur nächsten Paragraphos vor V.90 reicht. Er legt darin
seine schon vorher kundgegebene Absicht (V. 51—55, 63—64), seine
Tochter und die Mitgift zurückzufordern, nochmals dar, begründet sie
und ruft die Freunde seines Sohnes für die Rechtmäßigkeit seiner
Handlungsweise zu Zeugen an. V.82 hat Leo durch die Umstellung
TON &man rırArtw geheilt, Wıramowırz durch morymPpAarm(on® mael)w TE TON
mon mr. schön ergänzt. Danach darf aber nicht interpungiert wer-
den, denn das Folgende bringt die Begründung dafür, daß Smikrines
seine Kompetenz nicht überschreitet: KaTA aöron &zön. . . EI)N THN OYrATepa
AABÖNTA. ÜROISETS Ärtararein ist in der Tat das, was man in der Lücke
erwartet, zumal damit deutlich auf V.66 Bezug genommen würde;
da aber der Platz für diese Ergänzung nicht ausreicht, wird Körre
mit seiner Annahme, daß infolge von Haplographie Arrreın dastand,
das Richtige treffen. Mit ro?to beginnt ein neuer Satz; für eme.
eıcw weiß ich keine Ergä hlagen; es kann kaum richtig
gelesen sein; aber das Folgende ist doch wohl kai cxeadn aeaormenon N(PN
TAPamE)neı. Dann MarTYpomaı YMAc A ”dmo(norein TAPTA..... mee’ On E(kei-
noc kta. V.gof. spricht wieder Simmias; Karteplıköc iceı hat Körte
schlagend richtig ergänzt.
Der untere Teil des Blattes, etwa ı4 Verse, fehlt, und nach
dieser Lücke finden wir Smikrines in andrer Gesellschaft. Es lohnt
sich aber, vorher einen Rückblick auf die rekonstruierte Szene zu
werfen. Die Aufgabe des Dramatikers war, einmal das Publikum
über ‘den Verlauf der Intrige der Abrotonon zu unterrichten, dann
den Smikrines in die vermeintliche Tatsache einzuweihen, daß Cha-
risios mit einer Dirne ein Kind erzeugt habe. Ein Stümper hätte
einen Augenzeugen aus dem Hause treten und den Verlauf aus-
führlich erzählen lassen, so daß das Publikum im wesentlichen das-
selbe noch einmal erfahren hätte, was es schon aus dem Munde
EL Sonn geuget hatte. Anders Menander: er läßt das schon
itete Publikum den Verlauf der Intrige tropfen-
weise Gaietiander aus den Reden des Kochs, des Onesimos, des
Charisios und des Simmias mehr erraten als erfahren, so daß es
den Vorgang gleichsam miterl bt; dem Smikri aber läßt er durch
Simmias nur das Punetum saliens mitteilen und die wechselvollen auf-
geregten Szenen, in denen sich die Repliken wie Fechterhiebe folgen,
in ein verhältnismäßig ruhiges Gespräch efereeige Smikrines und den
Freunden des Charisios kli So iert der Meister.
Bei der Besprechung der Rückseite des zweiten Blattes D6 empfiehlt
es sich, von dem Wichtigst h was uns der neue Fund
gebracht hat, der neben v. 102 am Fohlen Rande stehenden Personen-
38*
422 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
bezeichnung XAIP/. Also die längst bekannten Verse von R, die man
allgemein dem Smikrines zugeteilt hat, gehören dem Chairestratos.
A. Körrz findet das so unglaublich, daß er lieber Xar(icıoc) lesen,
diesem den Schluß von V. 102 geben und von V. 103 an wieder
Smikrines sprechen lassen will. Seine Gründe basieren fast ausschließ-
lich auf dem Platz, den er dem Fetzen VX anweist, nämlich hinter
YR. Aber auch das Unglaubliche muß man erst daraufhin prüfen,
ob es nicht dennoch möglich ist.
Da die Personenbezeichnung XAIP/ am rechten Rande steht, muß
die Rede des Chairestratos in der Mitte von V. 102 eingesetzt haben.
Die folgenden Verse 103ff. einer andern Person zu geben, ist nicht
statthaft; denn ofm&zeın steht regelmäßig am Anfang eines Satzes. Bei
Personenwechsel zwischen 102 und 103 würde also den Worten vrhaöc
ön rıc das Prädikat fehlen. Dieses muß mithin notwendig am Schluß
von V.ıo2 gestanden haben. Ich ergänze also, indem ich annehme,
daß die Rede des Smikrines mit dem von Wıramowırz gefundenen kekh-
sev(koc schließt:
hmin Kekhaleyküc. CHAIR. Ti aereic cY; »AineTaı
Yrunde ün Tıc, (ni Al’!
Über die folgenden Sätze bekenne ich, bisher immer gedankenlos
hinweggelesen zu haben. Jetzt glaube ich sie verstanden zu haben,
was bedingt, daß anders interpungiert werden muß als bisher, soviel
ich weiß, allgemein geschehen ist. Mit dieser, wie ich zu zeigen hoffe,
einzig möglichen Interpunktion habe ich sie oben (S. 7) abgedruckt
und setze sie hier nochmals her:
OYK OMWEETAI
KATAGBAPEIC T’ EN MATPYAEIW TON BION
105 METÄ TÄC Kanfc TYNaıköc, HN Erreicärei,
Biöcee’; HMAC A’ .... AE TINÜCKWN AOKÖN
Zunächst das re hinter Kataseareic. So lange die zweite Hälfte von
V.105 unbekannt war, konnte man hen, ein it
te dort unterzubringen, z. B. merA TAc xanfc TIinwn T’ Äcı Hhlachihe.
wie ich in meinem Neuen Menander vorgeschlagen hatte. Jetzt geht
das nicht mehr an; es stellt sich heraus, daß dies te nicht zwei Parti-
zipien, sondern die beiden Verba finita oimwzeraı und siwcetaı mitein-
ander verbindet und daß die Negation zu beiden gehört. Beide Satz-
glieder stehen trotz ihrer Ungleichheit einander parallel, das zweite
re er erste näher aus. Also muß das Fragezeichen hinter sıöcee’
2 u nach Leresvers Zeugnis den Raum gerade füllend; Arnims ofroc
ist ao: zu lang.
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 423
rücken. Eben dies Futurum sıöcee’ hätte eigentlich schon früher auf
die richtige Spur treiben müssen. Aber nur Oroıser hat ihm durch
die Ergänzung HmAc ct’ An Amoavch TrAny Rechnung getragen, die sich
jetzt durch den neuen Fund als unzutreffend erweist. Und was ist
mit matpyneion gemeint? Das Haus des Charisios? Das könnte nur
in übertragenem Sinne geschehen und müßte deutlicher gesagt sein.
Dieselbe Schwierigkeit bleibt, wenn man sich mit J. Karr das Haus
eines Freundes des Charisios, den sie mit Croıser und Sunpkaus in
Chairestratos sehen will, als Schauplatz der Orgie denkt (Herm. XLVII
1912, 318). Wenn nun Harpokration und Suidas unter Berufung auf
diese Menanderstelle das matpyneion als Törton TINA, EN Ö rPAec AIATPIBOYCAI
BEXONTAI TOYC BOYAOMENOYC KATA A definieren, so zeigt dies
schlagend, daß hier marpyaeion im eigentlichen Sinne gebraucht ist.
Bliebe also einzig die Hypothese von Carrs, daß es sich um ein zweites
Haus des Chairestratos, den er für den Vater des Charisios erklärt,
handelt, das dieser als Bordell vermietet hätte. Aber wenn diese An-
nahme schon an sich im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, auch
wegen der Rücksichtslosigkeit, die darin gegen Pamphile liegen würde,
so ist sie durch die Worte merk TAc Kanhc rynaıköc An Erreicäreı ab-
solut ausgeschlossen. Diese Worte beweisen, daß wenigstens während
des ersten Teiles des Stückes Abrotonon in demselben Hause sich
aufhält wie Pamphile, und auch der von J. Karr eingeschlagene Weg
ist aus demselben Grunde ungangbar. ;
Liest man nun die Stelle mit der von mir empfohlenen Inter-
punktion, so erkennt man, daß matpyaeion nicht nur in der Tat im
eigentlichen Sinne zu verstehen ist, sondern daß gerade auf diesem
Wort der Hauptnachdruck liegt: »Mag er doch zum Henker gehen
und sein Lotterleben in einem Bordell fortsetzen«, also nicht in dem
Hause, wo er es jetzt führt. So kann aber nur einer sprechen, der
über dies Haus zu verfügen hat und der es nicht zum Bordell herab-
gewürdigt sehen will. Also nicht Smikrines, dem ja Charisios sogar
den Eintritt verwehrt (V. 48 fl.), sondern der Vater des Charisios.
Und die Personenbezeichnung zu V. 102 gibt uns nun den urkund-
lichen Beleg, daß dieser Chairestratos hieß, womit die alte Kontroverse
hoffentlich endgültig erledigt ist!.
ı Nach meinem Dafürhalten war sie es allerdings schon längst. Das durch-
schlagende Argument hat kürzlich wieder A. Körre gut und scharf formuliert, Me-
nandr.2, S. XIX Anm. 3, vgl. auch Supraus Rhein. Mus. LXIII, 1908, S. 302, Der neue
Menander S, 1. Demgegenüber kann es nicht ins Gewicht fallen, daß Chairestratos
anderweitig als Name des Liebhabers bezeugt ist, Schol. Pers. V, 161, Chorieius de
mimis (Rev. de phil. 1877, S. 228); vgl. A. Humpers Mus. Belge 1909, S. 345, J. Karr,
a.a. 0. 8. 318. Vielmehr lernen wir, daß sich bei der Namengebung die neuere Ko-
mödie auch Ausnahmen erlaubte. Gegen den Gedanken von Croiser, Rev. d. et. gr.
424 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
Die Lücke in der Mitte von V. 106 beträgt nach Leresvres Zeugnis
vier Buchstaben, so daß er selbst seine Ergänzung ov)a&, die A. KörrE
sehr verführerisch durch das Eupolisfragment 180 koYa& rirnückein
AOKÖN zu stützen sucht, wieder fallen gelassen hat. Auch wenn
man mit Körtze annehmen wollte, daß a& oYat dastand, würde noch
immer ein Buchstabe fehlen. Dagegen füllt oY rA)ae genau die Lücke.
Natürlich muß das Partizipium rınockun mit Körte in den Infinitiv
rınockeın emendiert werden, und hierfür kann das Eupolisfragment in
der Tat als Beleg dienen. Wir erhalten also: kmAc a’ (0% TÄ)ae rınackein
Aokön »und indem er wähnt, ich merke das nieht —«. Möglich ist
übrigens, daß auch dieser Satz noch Frage war und das Prädikat in
Hzeı nason (V. 107) steckt. Wieviel von den folgenden Versen noch
dem Chairestratos gehört, ist nicht zu sagen, da die Anfänge ver-
loren sind. Aber zur Ergänzung von V. 109. .110 darf vielleicht das
Fragment 738 K
OYK EcT’ Änolac OYAEN, üc) EMoi Aokei,
TOAMHPÖTEPON)
herangezogen werden. Dann würde Chairestratos mindestens bis V. 110
weitergesprochen haben.
Die V. 102 mit xexnalevküc) schließende Rede des Smikrines
scheint am Ende von V.94 mit &xeı, vor dem ein Doppelpunkt Per-
sonenwechsel anzeigt, eingesetzt zu haben'. Am Schluß hat er natür-
lich von seinem Schwiegersohn gesprochen und sich, wie aus der
Antwort des Chairestratos hervorgeht, über dessen hochmütiges Ge-
baren, wohl mit Rücksicht auf die Szene V. 47—51, beschwert.
Vorher aber muß er von dem Kinde erzählt haben, und wirklich
läßt sich V. 96 am Schluß £r)exen, am Anfang AY(tH ergänzen, und
die ganze Rede könnte mit &xeı (kai rraıaArıon) begonnen haben. V.98
doch wohl Ana(T@n oder Arra(röca oder AnA(tH; V. 101 ist meıc natür-
lich metrisch unmöglich und nur A m# me sicher.
1008, 264, Supsaus und Karr, in den V. 160, 161 den Namen XAIP&cTPAToN zu TON
TPdoImon zu ziehen ist außer dem eben bemerkten noch folgendes einzuwenden: r. daß
Tp6eImoc niemals in Verbindung mit einem Eigennamen vorkommt, 2. daß TP6IMoc
nur von einem jungen Mann gebraucht werden kann, dessen Vater noch am Leben
ist. Wäre also der V. 160 erwähnte TP6sımoc Chairestratos, so müßte sein Vater noch
leben und dann selbstverständlich in dem Stücke auch vorkommen. Wir besitzen
aber yon dieser Komödie jetzt so viel, daß wir kühnlich behaupten können, dies sei nicht
der Fall gewesen. Umgekehrt folgt daraus, daß Charisios, abgesehen von V. 160,
auch in fr. ı* Kör. vom Koch als TP6sımoc des Onesimos bezeichnet wird, daß auch
der Vater des Charisios in e Stück Person gewesen sein ınuß, 3. daß man, wenn
V- 160. 161 } n gezogen wird, weder weiß an wen
Syriskos die AnosorA zu ae hat, noch warum er erst am folgenden Tage zur Ar-
beit zurückkehren kann.
! So auch A. Körrk.
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 425
Die beiden ersten Verse dieser Seite und den größten Teil des
dritten (92 bis 94) wird man nun zunächst geneigt sein, dem Chaire-
stratos zu geben. Aber die große Schwierigkeit besteht darin, zu er-
mitteln, in welchem Zusammenhang und mit Bezug auf wen die Worte
Mmicel TON HAYN nerömenon TOFTON sion gebraucht waren. Von Charisios,
wie er früher war (V.487ff.)? Aber dann dürfte doch nicht das Prä-
sens stehen, und was soll das Demonstrativum? Oder weiß Chaire-
stratos noch nichts von dem Sinneswandel seines Sohnes? Aber die
Rede des Smikrines, falls wir sie riehtig rekonstruiert haben, scheint
doch vorauszusetzen, daß er, wenn auch noch nicht über das Kind,
so doch über den neuerlichen Lebenswandel des Charisios unterrichtet
ist? Und was sollen mit Bezug auf Charisios die Worte &crrerac und
ayeion? Vielleicht aber kann uns gerade dies letzte Wort auf die
richtige Spur leiten. Onesimos hat V.1ı97 den Syriskos auf AYpıon
vertröstet. Könnte davon nicht hier die Rede und Syriskos der
Sprecher sein? In der Tat läßt sich dieser Gedanke in V.94 hinein-
bringen, wenn man z. B. ergänzt:
Eneein mAnın eim)en A’ AYpıö(n me AJeiN,
womit die Lücke genau ausgefüllt wird. Dann würde also auch Sy-
riskos auf der Bühne sein, und einmal aufmerksam gemacht, wird man
in den Worten mıcet TÖn HaYn nerömenon ToFTon sion den Stil des ne-
Trioc bärwp (V.19) unschwer wiedererkennen. Überraschen kann das
eigentlich nicht. Daß er, wie Daos, nur ein mPröcurron TIPOTATIKÖN ge-
wesen sein sollte, war von vornherein nicht wahrscheinlich. Er hat
uns V. 245ff. bei seinem Abgange zur Stadt seine baldige Rückkehr
in Aussicht gestellt:
Hzw AIAAPAMON, Eic TIÖAIN TÄP EPXOMAI NYNI
meri TOYTWN elcömenoc TI xPH TIOEIN.
Die letzten Worte pflegen mit Hzw alaapamun verbunden zu werden,
aber natürlicher ist es doch, sie mit efc mönın rAP Erxomaı nvni zu ver-
binden. Ursprünglich war es die Absicht des Syriskos gewesen, die
Ankunft seines Herrn Chairestratos auf dem Dorfe abzuwarten: V. 161
XAIPECTPATON NON rAP meno9men EneAae. Wenn er jetzt plötzlich seinen
Vorsatz ändert, so mußte der Dichter das motivieren, und er tut es
lurch die Worte: mer) ToYtwn eicömenoc TI xPH TIOEIN. Durch das Be-
nehmen des Onesimos mißtrauisch gemacht, will er in die Stadt gehen,
um sich bei rechtskundigen Leuten Rats zu erholen. Ob er dabei
von vornherein an seinen Herrn Chairestratos denkt, mag dahingestellt
bleiben. Jedenfalls konnte es der Dichter so einrichten, daß er diesem,
dessen Ankunft auf dem Dorfe ja gerade heute erwartet wird, auf
dem Wege zur Stadt begegnet und mit ihm umkehrt. Natürlich
426 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
hat er nichts Eiligeres zu tun, als dem Chairestratos die Geschichte
von dem Ring zu erzählen. Dabei wird diesem auch die erste Kunde
von dem Umschlag in dem Lebenswandel seines Sohnes geworden
sein; denn offenbar lebt er in der Stadt und kommt nur monatlich
einmal aufs Dorf heraus, um die ArıosorA einzukassieren. Das lieder-
liche Leben des Charisios kann aber noch keinen ganzen Monat wäh-
ren, da die Aussetzung des Kindes erst vor dreißig Tagen geschehen
ist (V. 26) und darauf noch die Heimkehr des Charisios und die De-
nunziation des Onesimos folgen mußten.
Wenn nun in V. 94 von Onesimos die Rede ist, muß dies auch
in den beiden vorhergehenden Versen der Fall sein, obgleich es schwer
ist, deren Sinn zu fassen: &xeinoc &cxen, vielleicht Onesimos den Ring,
der sich aber nicht in diesen Vers hineinbringen läßt, also schon vor-
her erwähnt gewesen sein müßte; &crerac wird vielleicht zum folgen-
den zu ziehen sein; &crıerac (Ensein mAnın eim)en a’ aYpıö(n me a)ein. Das
entspricht freilich nicht ganz dem Sachverhalt; denn es war nur vom
morgigen Tage, nicht vom morgigen Abend die Rede; doch ist eine
solche Übertreibung dem ungeduldigen, verschlagenen und auf Onesimos
erbosten Syriskos wohl zuzutrauen. Aber für den Anfang von V.93
weiß ich keinen Rat. Lrresvr£ schreibt: » Au debut [..]H, ou [..] Il,
ensuite NEM ou MEN«. So nahe &e)h nem oder &e)hn em zu liegen scheint,
so ist doch der dahinter noch zu füllende Platz von sechs Stellen für
zwei kurze oder eine lange Silbe zu groß. Der Vers scheint mit einem
Daktylos begonnen zu haben. Der vorhergehende Vers mıcet Tön Hayn
nEröMenoN TOPTON Bion paßt aber weder auf Charisios noch auf Onesimos;
es kann aber eine Negation vorangegangen sein, z. B. (07 rAe aYTöc
0Yaamöc) m. T. #1. Tr. 8. Dann ließe sich der Zusammenhang ungefähr
so rekonstruieren: »Er konnte den Ring seinem Herrn nicht gleich
zeigen, denn es war gerade ein großes Gelage; übrigens ist er auch
selbst diesem sogenannten Wohlleben gar nicht abgeneigt (kleiner _
Hieb auf Onesimos). So behielt er den Ring und hieß mich morgen
Abend wiederkommen.«
Der szenische Verlauf würde demnach folgender gewesen sein:
Nachdem Simmias und sein Genosse abgegangen sind, bleibt Smikrines
kurze Zeit allein auf der Bühne und hält einen seiner üblichen kleinen’
Monologe. Dann tritt Chai in lebhaftem Gespräch mit Syriskos
auf, Smikrines gesellt sich zu ihnen, und es folgt der erhaltene Dialog.
Hiermit sind wir am Ende des ersten erhaltenen Quaternio an-
gelangt; es fehlen auf der letzten Seite etwa noch 14 Verse. Den
zweiten Quaternio hat A. Körrr schlagend richtig rekonstruiert, ab-
gesehen davon, daß er den Fetzen VX dem ersten Blatt dieses Qua-
ternio zuteilt. Danach ist H die dritte Blattlage, das jetzt durch U
- Abrotononszene geschlossen habe. Was sollte diese
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 427
erweiterte Fragment Q das erste Blatt der vierten. Es fehlen also
zwischen D6 und Hı zwei ganze Blätter. Die auf D6 fehlenden
14 Verse eingerechnet, beträgt somit der Abstand von V.431, (nach
Körre’s Bezifferung —= ı12 der meinigen) etwa 154 Verse.
In diese Lücke muß vor allem das Gespräch zwischen Smikrines
und Pamphile fallen. Wie dies vermittelt wurde, können wir jetzt
leicht erraten, seitdem wir wissen, daß bereits vor diesem Gespräch
Chairestratos in die Handlung eingegriffen hat. Dem Smikrines hat
Charisios V.48ff. den Eintritt ins Haus schroff verweigert, Chaire-
stratos geht einfach hinein. An dieser Stelle muß der Akt, der be-
reits über 270 Verse lang ist, geschlossen haben. Es ist ja auch ein
h punkt in der Handlung. Chairestratos wird es nun
gewesen sein, der im nächsten Akt die Pamphile zu ihrem Vater
herausschickt. Denn daß diese noch im Haus ihres Gatten weilt,
wird jetzt durch V. ı05 bewiesen‘. Natürlich lebt sie dort in ihrem
Frauengemach still verborgen, so daß Abrotonon sie noch nicht er-
bliekt hat’. Daß das Gespräch zwischen Vater und Tochter auf der
Bühne stattgefunden hat, scheint jetzt auch A. Körrz zuzugeben; Cha-
risios belauscht es von der Haustür aus: mPöc TAlc eYpaıc ENAoN AlA-
xyrıran (V. 462f.). Was Charisios V. 499 ff. aus diesem Gespräch re-
kapituliert, ist so wenig, daß es als überflüssige Wiederholung wirk-
lich nicht gelten kann, zumal es nicht Erzählung, sondern Reflexion
ist, bestimmt, sein eigenes Benehmen zu dem seiner Gattin in Kon-
trast zu stellen. Aber verkehrt war es, wenn ich früher aus den
von Charisios rekapitulierten Worten der Pamphile V. 499 ff. koınanöc
HKeIN TO? Blov Trap’ ÄNAPA KoY AeIN TÄTYXHM’ AYTHN @Yrein TO CYMBEBHKÖC
. gefolgert habe, daß sie dem Befehl ihres Vaters erfolgreichen Wider-
stand entgegengesetzt habe. Das liegt in diesen Worten durchaus
nicht, und seit wir von Jensen und WıLamowiTz gelernt haben, daß
in der Abrotononszene V.433 ff. Pamphile die eine Sprecherin ist,
hat sich die Grundlag hob Wir müssen nun annehmen, daß
Smikrines die Pamphile trotz ihres Protestes mit mehr oder minder
sanfter Gewalt gezwungen hat, in ihr Vaterhaus zurückzukehren’. Aus
% Vgl. S.422. Auch die Worte der Abrotonon V. 451f. TAN NYHOHN THN ENAON
oFcan konnten dies schon beweisen. Ferner, wäre Pamphile schon im Hause ihres Vaters,
so brauchte dieser nicht erst in der Stadt über das Treiben seines Schwiegersohnes Er-
kundigungen einzuziehen. Auch wäre sein Gespräch mit Pamphile gänzlich überflüssig.
er neue Menander S. 3.
3 A.Körre nimmt a. a. O0. S.XXVIN an, daß Smikrines am Ende des vorher-
gehenden Akts ins Haus des Charisios eingedrungen sei, um seine Tochter heraus-
zuholen, und am Anfang des folgenden Akts aufs neue mit ihr aus seinem eigenen
Haus getreten sei, woran sich dann, nach dem Abgang des Smikrines, die erhaltene
Duplizität für einen dramatischen
Zweck gehabt haben?
428 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
diesem wird sie dann im letzten Akt, jedenfalls im Einverständnis,
vielleicht mit direkter Unterstützung des Chairestratos, wieder entführt.
Darauf beziehen sich, wie Leo zuerst ausgesprochen hat, die Worte
des Smikrines V. 542 T6 e’ Apmacm', "HpAKneic, eAYMAcTöN olon. Da nun aber
Smikrines in unserm Akte die Pamphile wieder verläßt, muß er ihr
doch eine Wache zurückgelassen haben, und das kann wohl nur
Sophrone gewesen sein, mag man in ihr nun eine alte Dienerin
oder, was ich noch immer nicht für ausgeschlossen halte, ihre Mutter
sehen'. Deshalb richten sich auch gegen diese die Vorwürfe des Smi-
krines nach der Entführung, V. 522 ff. Darum muß sie schon früher
aufgetreten sein, und zwar in dem Akt, von dem wir eben sprechen.
Ich denke, Smikrines wird vor seinem Abgang die Pamphile ihrer
Obhut übergeben haben und bei dem Gespräch zwischen dieser und
der Abrotonon wird sie noch auf der Bühne sein. Darauf deuten,
wenn ich nicht irre, auch die Worte V. 453 Tun eYpan TON reITönwNn
TIe Eröonken Ezıön, die im Munde der Pamphile unmöglich sind und
auch in dem der Abrotonon sich nur gezwungen erklären lassen?.
In den Mund der Sophrone würden sie sehr gut passen, aber frei-
lieh ist weder von einer Paragraphos noch von einem Doppelpunkt
eine Spur zu entdecken, was aber bei dem jammervollen Zustand
gerade dieses Blattes vielleicht nicht allzuviel beweist.
Indessen zur Füllung von 154 Versen reicht die bisher ermittelte
Handlung schwerlich aus. Es muß noch Anderes vorgegangen sein. Da
möchte ich zunächst auf einen schon früher? hervorgehobenen Punkt
aufmerksam machen. Wenn man nämlich, wie es meist mit Recht ge-
schieht, die Worte der Abrotonon Nr. 444 f. dpäc TI, einTÄTH, coı FNÖPIMoN
Ön TOPT’ Exeı; auf die rnwricmara des Kindes bezieht, so müssen diese doch
vorher in den Besitz der Abrotonon gelangt und das Publikum muß
in einer besonderen Szene von diesem Umstand unterrichtet worden
sein. Diese rnwpicmara befinden sich aber in dem Besitz des Syriskos,
und dieser ist, wie wir sehen, am Ende des vorhergehenden Aktes
zurückgekommen. Aber daß dieser habsüchtige Geselle die mühsam
erkämpften Schätze gutwillig der Abrotonon sollte abgetreten haben,
ist kaum anzunehmen. Ein dritter muß ittelnd oder gebiet
dazwischengetreten sein. Wer dies gewesen ist, läßt sich unschwer
! Der neue Menander $.1. Wie wenig es beweist, daß bei Terenz Sophrone
zweimal der Name einer alten Dienerin ist (Körtr, a. a. 0.8.XV, ); kann jetzt der
Gebrauch des Namens Chairestratos lehren, s. $.423 Anm. ı.
” »De vos voisins.« Il sagit de la porte de la maison de Charisios. Abrotonon,
etant alors devant la maison de Smikrines et parlant & Sophrond, peut s’exprimer ainsi.
Croiser. Zugegeben; aber wenn sie diese Worte nicht zu Sophrone, sondern zu
Phamphile spricht, so wird die Sache doch bedenklich.
® Der neue Menander S. 3.
Roserr: Zu den Epitrepontes des Menander. 429
erraten: Chairestratos. Sein Erstes wird es gewesen sein, im Hause
Ordnung zu schaffen. Zwar ist das Gelage abgebrochen, der Koch
ausgekniffen, die Gäste zerstoben. Aber noch weilt die Dirne in dem
Bürgerhaus. Sie hat es zu verlassen, natürlich mit dem Kinde, das,
wie Chairestratos glaubt, ihr eigenes ist, freilich von seinem Sohn
erzeugt, aber den Bastard will er in seinem Hause nicht dulden.
Dem Kinde aber und seiner Mutter gehören die rnwricmara. Also ge-
bietet Chairestratos dem Syrikos, sie der Abrotonon zurückzugeben.
Auch im übrigen mag Chairestratos der Abrotonon zwar energisch,
aber nicht brutal gegenübergetreten zu sein. In Frieden mag sie ab-
ziehen. So erklärt sich ihr Auftreten in der ersten Szene nach der
großen Lücke (V.432 ff.), für das wir bisher noch keine rechte Moti-
vierung hatten, und so erklärt es sich auch, wie das Kind wieder zu
seinen rnoricmara kommt. Allerdings wird Abrotonon, indem sie es
damit schmückt, die geheime Absicht gehabt haben, auf diese Weise
seine wahre Mutter ausfindig zu machen.
Der Akt mag also mit einer Szene zwischen Chairestratos und
Syriskos oder auch mit einem Bericht des Syriskos über die von dem
alten Herrn im Hause getroff‘ Verfügungen begonnen haben. Der
Kohlenbrenner hat von jetzt an im Hause und im Stücke nichts mehr
zu suchen. Nachdem er seine ArososA bezahlt hat, von der ihm
vielleicht sein Herr als Ersatz für den Verlust der Schmuckstücke
etwas erlassen hat, mag er sich schon heute in seinen Wald zurück-
trollen. Abrotonon schon vor der großen Erkennungsszene, etwa im
Gespräch mit Chairestratos noch einmal auftreten zu lassen, würde
ein schwerer dramatischer Fehler gewesen sein, den wir dem Menander
nicht zutrauen dürfen. Nach dem Abgang des Syriskos wird Chaire-
stratos mit Pamphile herausgetreten sein, um sie dem Smikrines zu
übergeben, muß sich dann aber irgendwohi gbegeben haben; denn
während des Reueausbruchs des Charisios ist seine Anwesenheit im
Hause undenkbar. Dann kam die große Szene zwischen Vater und
Tochter, an deren Schluß diese der Obhut der Sophrone übergeben
wird, und hier schloß das erhaltene an.
Über den weitern Verlauf des Stückes urteilt Körre meiner An-
sicht nach richtig, und mit F reuden sehe ich, daß er sich meiner Hy-
pothese, daß Chairestratos vor der Schlußszene V. 520f. die wieder zu
Ehren gekommene Abrotonon zur Stadt zurückgeleitet, um sie frei-
zukaufen', angeschlossen hat. Nur wenige Punkte möchte ich etwas
t Der neue Menander S. 5, vgl. oben S. 417 A:2.x Auf die Hypothese andrer,
daß sie dem Onesimos zur Frau gegeben wird, gehe ich nicht ein. Dies iebenswür-
dige, durchtriebene Ding, in dem das Zeug zu einer Phryne und Lais steckt, wird
sich hüten, einen alten Freigelassenen zu heiraten.
430 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
bestimmter formulieren. Mit Recht nimmt Körte an, daß noch ein-
mal Aktschluß gewesen ist, schwankt aber, ob dieser nach 510 oder
nach 519 anzusetzen sei. Mir scheint der erste Ansatz, nach der auf-
geregten Szene zwischen Charisios und Abrotonon, unbedingt geboten.
Denn hier ist die Peripetie zu Ende und somit ein tiefer Einschnitt
in der Handlung. Da die Szene zwischen Abrotonon und Charisios
in der letzten Zeile von Q”, unter welcher der Rand erhalten ist,
noch nicht zu Ende geht, hat der letzte Akt auf der oberen Hälfte
von U’Q" begonnen, und zwar mit einem Gespräch des V. 486 durch-
gebrannten Onesimos und des schon früher abgegangenen Chairestratos
(s. oben S. 429). Beide haben sich offenbar außerhalb getroffen und
kehren nun zusammen zurück, da Onesimos unter dem Schutz des
alten Herrn sich vor seinem verrückt gewordenen Tröeımoc sicher fühlt.
Aber diese Furcht scheidet wohl überhaupt aus. Denn wie der In-
halt des Blattes lehrt, wissen beide bereits von der glücklichen Lösung
(V.510, und 514 f.), an der sich Onesimos in starker Übertreibung
auch ein großes Verdienst zuschreibt, eine Renommage, die ihm die
Freilassung einzutragen scheint. Diese Kunde aber, daß alles glück-
lich gelöst ist, kann ihnen nur das Gerücht zugetragen haben, da sie
selbst dem Schauplatz während der Katastrophe fern waren; und so
scheint sich denn Menander in der Tat die Sache gedacht zu haben.
Das verlorene fünfte Blatt, die andere Hälfte von UQ, muß dann
die Rückführung der Pamphile und die Szene zwischen Chairestratos
und Abrotonon enthalten haben, deren letzte Verse auf H3 stehen.
Noch müssen wir zu dem Petersburger Fragment Stellung nehmen.
Denn es könnte scheinen, daß die Ergebnisse unserer Enteruchung
die Indizien für seine Zugehörigkeit zu den °€
Zwei Freunde des Charisios, wie wir sie oben S. 418 in Simmias ne
dem Anonymos gefunden haben, treten auch in dem Fragment auf,
und der eine ist, wie wir es für er vermutet haben, gleich-
falls auf die Weiber wie toll versessen'. Und doch wird gerade
ag ‚die RR Funde die Zugehörigkeit, auch abgesehen von den
bi d die Körte gut entwickelt hat, völlig aus-
geschlossen. Denn in dem Fragment ist der Schwiegervater über das
Treiben des Charisios so genau unterrichtet, daß er sogar den täg-
lichen Preis für die Hetäre kennt; und was er etwa noch nicht wissen
sollte, will er im Hause erkunden W. 25f.). In den *Enıtpenontec ist Smi-
krines über das Treiben seines Sch hnes noch ziemlich im dunkeln,
ke}
" V. 30 rIonnÄc &soyadmun Kma, TroAnAc, natürlich Hetären. Daß hier nicht
zwei Lebemänner, sondern ein Sklave und der Bordellwirt spreche n sollen, wehEnlt
mir, wie die ganze von A. Körr« vorgeschlagene Rel
unwahrscheinlich.
Rorerr: Zu den Epitrepontes des Menander. 431
kennt vielleicht nicht einmal den Namen der Hetäre (S. 411) und be-
gibt sich, um Näheres zu erfahren, nieht ins Haus, sondern in die
Stadt. In dem Fragment machen sich die jungen Lebemänner über
den alten Herm lustig; Simmias und sein Freund behandeln Smi-
krines offenbar mit einem gewissen vertraulichen Respekt. Sollte
also am Anfang des Epitrepontes, was auch mir wahrscheinlich ist,
ein Akt fehlen, das Petersburger Fragment darf für ihn nicht in An-
spruch genommen werden.
Zum Sehluß sollen noch zwei einzelne Stellen besprochen werden.
In der Szene zwischen Abrotonon und Onesimos sind die Verse
2604. durch den Scharfsi 'hied Gelehrten gewiß richtig
folgendermaßen hergestellt worden:
M)aıchn rAP Eyannon KÖPAIC
„ash ©’ (mo? cY)nemazon’ oYa’ Erb TöTE
oYrw rAP Änap’ Hacın TI EcTi-
Doch bleiben hierbei noch einige Schwierigkeiten. Erstens ist in
diesen Versen von Charisios gar nicht die Rede, was man doch er-
warten sollte. Zweitens, wenn Abrotonon zum Tanze aufspielt, kann
sie doch nicht selbst mittanzen. Drittens, warum betont sie so stark
ihre damalige Unschuld? Viertens, und das ist die Hauptschwierig-
keit, Abrotonon sprieht von mehreren Mädchen, Onesimos aber in
seiner Replik fragt plötzlich nach einer einzelnen, V. 263:
Tan A& malakA r’, Hric An
olceac;
und nur von dieser einen, der präsumtiven Mutter des Findlings,
ist auch im folgenden allein die Rede. Man sollte nun doch erwar-
ten, daß diese schon in den Worten der Abrotonon ausdrücklich be-
zeichnet und hervorgehoben wäre. Das ist aber jetzt nicht der Fall.
Man erhält es indessen leicht dureh Änderung der Interpunktion:
maIcIn TÄP Erannon KÖPAIC'
ASTH ©’ bmoP. cyn&mazon- oYa Erb" TÖTE
ovmw rAp Änap’ Hacın TI Ecri.
Das ist geradezu ein Schulbeispiel für die nezıc BIANENYMENH Kal YTIO-
Krırıkä, welche Demetrios m. &pm. 103 dem Menander nachrühmt. Man
muß sich nur, um die Worte zu verstehen, vergegenwärtigen, was
Abrotonon kurz vorher gesagt hat, als sie hört, daß Charisios den
bei dem Kinde gefundenen Ring in der Trunkenheit an den Tauro-
polien verloren hat (V. 256 ff.):
AHAAAH
elc TÄC FYNAIKAC TIANNYXIZOYCAC MÖNOC
enerrece' KAmo? FÄP TIAPOYCHC ErENETO
TOIOFTON ETEPON
432 Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 2. Mai 1912.
mit dem Harhymans: auch da hat er eine aus dem Reigen heraus-
Serien, sie weggeführt, vergewaltigt; also ayr# (oder vielleicht aYTrH)
e’ömo? »und sie, an die ich denke, war dabei« omor (An TAIC TIAICIN KÖ-
Paıc)‘ cynerrazon (Al Köpaı Karıciw EMTIecönTı AYTAlc)' oYa’ Erw (CYNETTAIzon);
»denn ich war damals noch unschuldig«.
In der großen Moralpredigt, die Onesimos dem Smikrines hält,
lassen sich die V. 554ff. auf Grund einer Lesung von Jensen, deren
Mitteilung ich der Freundlichkeit von Supnaus verdanke und die
jetzt auch von Leregver in seiner großen Ausgabe bestätigt wird,
noch viel schöner herstellen, als es bisher gelungen war. LErEBvrE
druckt: ofroc &nao|.]e..| und bemerkt, übereinstimmend mit JENsENs
Zeichnung: apres e, je vois les restes d’ume haste transversale, puis d’une
haste verticale, les deux assez rapprochdes Tune de l’autre’. Es war also
ein a, und es hat entweder enaenelxic] oder Enaenelxöc| dagestanden ;
und in der Tat glaube ich auf der Photographie das von JENSEN und
Lerepver zweifelnd gelesene o deutlich als e und hinter dem letzten
e zu beiden Seiten des halbrunden Bruchs Reste des x und des c zu
erkennen. Ich schreibe also
EKÄCTW TON TPÖTION CYN(KICAN)
SPOYPAPXON’ OYToc Enaenex(H)c (MAPÜN oYnAz)
EMETPIYEN, ÄN AYTD KAKÜC xPAlcenı BeaHc),
ETEPON A’ Ecwcen.
Ausgegeben. aın 9. Mai.
433
SITZUNGSBERICHTE 1912.
XXIV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
2. Mai. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER.
*1. Hr. Exerer las: Über die Verbreitung der afrikanischen
Burseraceen im Verhältniss zu ihrer systematischen Gliede-
rung und die Eintheilung der Gattung Commiphora.
Die Kenntniss der Burseraceen, denen man wegen der werthvollen von ihnen
abstammenden Harze immer viel Beachtung schenkte, ist durch neuere Forschungen
im tropischen Afrika ganz erheblich erweitert worden. Von der lange Zeit nur aus
dem Monsungebiet bekannten Gattung Canarium kennt man jetzt mehrere Arten im
tropischen Afrika, und ziemlich stark entwickelt sind in Westafrika die Gattungen
Pachylobus und Santiriopsis. Während man früher Boswellia nur von Vorderindien,
Arabien und dem Somalland kannte, sind jetzt solche in grösserer Zahl in Ostafrika,
einige aber auch im westlichen Sudan nachgewiesen worden. Den xerophytischen
ein u die rein hygrophile Gattung Aucoumoea Gabuns. Eine ganz
klung erreicht Commiphora, deren 129 Arten entsprechend dem
ee in subzerophilen und xerophilen Gebieten eine grosse Verschiedenheit in
zeigt sich, das A einen ar Dberganz von
der Blattentwicklung aufweisen. Es
fiederblättrigen Formen zu solchen mit einem
Die Abhandlung wird im 48. Band von Enerer’s Botanischen Jahrhlichern
erscheinen.
2. Hr. Liesiscn legte eine Mittheilung des Hrn. Prof. Dr. O. H. Ern-
MANNSDÖRFFER in Berlin über »Mischgesteine von Granit und
Sedim en te n« vor. (Ersch. .
H ht sich m
Aufnahme einzelner Gemengtheile, theils durch chemische Auflösung.
zonen und Injeetionsadern reihen sich endogen die Granitfeldspate an und local
12:
Sr theils d RER
In den Misch-
entstehen pegmatitähnliche Varietäten.
Ausgegeben am 9. Mai.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
een
weise oder auch in weiterer Ausführung, in
deutscher une veröffentlicht sein oder
e dem ee Veröffent-
A)
mmenen wissen-
schaftlichen Mittheilung dlörelhe, ae nn zu
en beabsichtigt, als ihm diess nach den gel-
echtsregeln zusteht, so Pen er dazu ER Ein-
erne der Gesammt-Akadem;
Gedächtnissreden anderw. er zu en ist
den Verfassern unbeschränkt gestattei
Aus $ 21.
Die Sitzungsberichte erscheinen in einzelnen Stücken
in der Regel aa acht Tage nach jeder Sitzung.
s $ 22.
Jeden ee eröffnet eine Übersicht über die
in der es N orgetragenen wissenschaftlichen Mitthei-
lungen und über die zur Veröffentlichung geeigneten ge-
en Angelegenheite n.
ter den Titeln der wissenschaftlichen Mittheilungen
Men in dieser Übersicht kurze Per en
e die Verfasser einreichen, 'er-
Diese ee en eh in
—6 Druckzeilen beschränken, keinesfalls
10 re er ten.
'ht in den Schriften > Akademie erscheinenden
Sihelungen werden mit vı etztem Stern bezeichnet,
bei den für die A enähtngen ee wird »(Abh.)
zigefit
Pa etatliene: Mittheilungen fremder le
t über diejenige Sitzung au
wele] ker Fan ren me in die akademischen ee
ee beschlossen wird.
Aus $ 27.
Das Manuseript einer in einer akademischen Sitzung
Donnerstag zur Aufnahme in die en zu-
gelassenen Mittheilung, wäiche am rstag
des ee
Secretars oder des Archivars versehen, für ein spätere;
Stück zurückgelegt.
Dasselbe kann von vorn herein mit ae 32
es deren Satz aus irgend welch.
sondere Schwierigkeiten erwarten
in$$3und4e
Correctur länger als bis Dienstag Abe: n der damit
Nach auswärts we uren nur auf Verlangen
versandt; die Verfasser verzichten ee inet Erscheinen
ihrer Mittheilung nach acht Tagen. Fremden Verfassern
deren Correeturen erst noch dem one Mitgliede
zur Revision unterbreitet werden müssen, kann das Er-
scheinen am nächsten Ausgabetage überhaupt nicht zuge-
sichert werden,
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ve,
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu beat
Abhandlungen der Akademie.
em Jahrg. 1:
Physikalisch-ı a hernaiche Classe. 2..2..%
Philosophisch-historische Classe . . - - -
Abhandlungen. Jahrg. 1910:
Ph hysikalise isch-mathematische Classe . . - -»
Philosophisch-historische Classe . . - » +»
BEN)
en een er
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Einzelne Aa na aus den Jahren 1909, 1910, 1911 und 1912,
Waıperer: Der Proc: h i 8
Meyer: Gödkehtnisarede ae auf ? Eberhard. rn ; nr : -» 1—
yon Wiramowırz-MoELLENDORFF: Nordionische Steine 2 " . 5 « » NE
» W. le auf . . NEE . be
s: Gedächtnissrede auf Friedrich Kohlrausch a . .- 1-
Lasporr “ Üb Erhaltung der Masse bei chemischen Umsetzungen” ee ae 2
Sa TRADONITZ: Strate, a
Dee Aufbau der eeerlentlichen Welt in den Geisteswissenschafien. Erste Hälfte .» 3
var ‚Bor: Gedächtnissrede auf Hans Heinrich Landolt . - » 1
Mi; ULLER: ca I a
Exorer iR ‚Ruauss: Uber den anatomischen Bau der baumartigen Cyperacee Schoenodendron ‚
Fischer: "Gelkchninrede auf Tacabos Henriens "van’t Hör ee ea Ja
Scnurze, W. en a ae Hennen ABER . ER a im
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Diers : Die} sprachlichen Giederug De ini Commentars zum Prorrheticum des en
Hippokrates . .
J. Peters: Einundzwanzigstellige Werthe der Funetionen Sinus und Cosimus . 2...»
C. Tuvum: a Handschriften des Corpus agrimensorum or Kamgsrn Baar
R. Iseuscum: Zur Kenntniss der nehme der a
P. Rörus: elenanla en und Faserzüge im Vorde: hen von ı Siren lacertina r
M. Neipmwe: Über die Kerne = Dienejhalon bei einigen Säugethieren . . » .. . -
K. Asapscuanıanz: Über die (e des menschlichen lethkurae.. #0... 0: an ws ni
H. Jus Der Auszug ji Hathor-Tet e
F. Freiherr Hırıer von GAERTRINGEN STERMANN: Arka dische "Forschungen
Tu. eyes Erster vornhger. Bericht über se von den RONBlENeN Museen unternommenen
abungen in Samı
L. et Be eweis 32 "Sat dass ‚jedes hinreichend teine, im wesentlichen stetig ge
mmte, singularitätenfreio Flächenstäck auf einen Theil einer Ebene anıhen bogen
krür
und in den kleinsten Theilen. ähnlich abgebildet w erde n ie Bo
M. Livzsarskı: Phönieische und aramäische Kr gaufkelriften aus Elephantine ee
Sitzungsberichte der Akademie,
Pros: dbs dnhrganga 2 u ee ee ne ee ne ee ehe ehe
en. I. Halbjahr 1911.
x Wirasowrrz-MoeLtenporrr: ein Stück aus dem Ancoratus des Epiphanios . . » » »
Wie: Bestimmun; an mittleren freien Weglänge der Kanalstrahlen
vos Wıramowırz-MoeLLesoorrr und F. Zucker: zwei Edicte des Germanicus auf einem | Papyrus
des Berliner Meine (hierzu Taf. V) Er
A. Torxquist: die Tektonik des tieferen Unter; rgrundes Norddeutschla: de
Herrwig: Mesothoriumversuche an thierischen Keimzellen, ein oxperimentller E Boweis für "die
der
Schorrkv: über das Euer’ sche Den sproblem ER a
ES aber die vier Jacorı n Theta re en
man: ein Denkmal memphii erden "Theolosi 6: Be ee
a: Äh, Sen und a aus dem Kanzliya ee
E. Lirrmass: die Inschriften des Köni r re ee
J. Heee: Aber ein angeblich en Dioklsriar 5 a ne ee
SeELer: Fe ne le von we ceh in Yucatan (hierzu "Taf. £VI-RV)
E. Meyer: zu den aramäischen Papyıi von Elephan wi. re
Shan: abe die Lage der Marsachse und die Koetanie en im Marseystem 5
Erman: en aus der thebanischen Gebet (hierzu Taf. XVI) .
F. Fax C. Rexz: Kreide und Trias im Kiona- und Ötagebiet ‚Mirtelgriechenland)
Ma idee die Messung grosser Kräfte im Naterapräfung ‚west
C. Brookermann: zu den Inschriften des Königs Kalum ur ee
POBASEHBÄINSER I ae 1912.
cHür: über einen Satz von C. CArATHkoporY H
Frames: leitung eines Satzes von Canarnfoponr aus einer Formel von ı Kaosscnen .
Koser: Festrede . R
voX Won wırz-Moetzesporrr: Mimnermos und Pro operz GL
Russer: über die a IEnIE endocellularer Fermente am Energieverbrauch der Zelle . -
Nersst: Thermodynamik u eeifische Wärm« =
A. Euckex: die ek e des Wasserstofls bei tiefen Tenperaturen ee
Orrn: über Rinder- und Mensch entuberkulo:
Harnack: Geschichte eines programmatise Jesu " (Matth. 5, 'uy in der ältesten Kirche
Warsurs: über den Energieumsatz bei photochemischen Vorgängen in Gas
Liesisch: über die Fluorescenz der een und Mae: im Silo Ticht
Hasen; über das Sinnesor; ellums der Pterostylis-Bl
n des ütl
Rusens und G. Hertz: über den Einfluss de Kae auf die Absorption Tangwelliger W Wärme-
son ılen in einigen festen Isolatoren
LL, : über den Charakter der ;.
Deere die EEE RINUNENRE undlagen der Lehre vom ee Gerichte der 3 Massen
der Erd
W. Baus: über ee Räthsel des Codex Cumanicus eier Taf. I und iy.
Rosert: zu den Epitrepontes des Menander
M12.—
ggE| ||
0.50
sSP2-r22
ss le
1912. XXV.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Gesammtsitzung am 9. Mai. (S. 435)
K.Mever: Ein mittelirisches Gedicht auf Brendan den Meerfahrer. (S. 436)
Koser: Jahresbericht über die Herausgabe y Monuumsnta Keinen historica. (S. 444)
m 30. April 1912. (S. 452)
Adresse an Hrn. Carı GrArse zum gjährig
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
7
Aus dem Reglement für die Redaction & der akademischen Druckschriften.
s$1
Die Akademie > gibt Be $ 41,1 der Statuten zwei
fortlaufende eo
der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «
und ee der Königlich ee Akademie
der Wissenschaften«
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ed ze Aufnahme in ie »Sitzungsberichte« ‚oder die
bestimmte Mi iner aka-
demisehien Sitzung vorgelegt werden, lan in der se
mitglieder haben hierz: rg De
Fache angehörenden en Mitgliedes zu re
3.
Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
in der Regel in den Sitzungsberichten bei ee 32,
” tn 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift
ichte, in den Ahandlungen 12 Druckbogen
von ir "85€ Seiten ı in der gewöl n Schrift der Abhand-
Jungen nicht en
Aus 86.
wenn es sich nicht bloss um Ss Text handelt, aus-
ung Sr Satzes
Bei Einsendungen
dem Knreche
is dass der
seine Mittheilung als olkmiieni raekreif ansi
Die erste Correctur ihrer Mittheilungen besorgen .
Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur
vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur son aa
rei! Umfängliche
Correeturen Fremder Dedürf 'en der Genehm; ing: des redi-
girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei,
und die Verfasser na zur Tragung der entstehenden Mehr-
kosten verpflichte:
Aus $ 8.
Von allen in die Sitzungsberichte oder Anlisnälungen
Mittheil
Grenzen
der Gesammt-A Ban Gr der Beenden rs statt-
haft, und ist bei Vorlage der neue re zu
beantragen. eines Manuscripts ver-
muthen, dass diese Zusimmung erforder] lich © sein werde,
so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Hiwelchen
von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang
im Druck abschätzen zu lasse
Sollen einer Mittheilung Abbildungen, im ae
auf besonderen Tafeln beigegeben werd. d die
u dafür (Zeichnungen, ee Original.
u. 8. w.) gleichzeitig mit dem Manuscript, jedoch
auf srrennten Blättern, einzureichen.
ie Kosten der Eee der Vorlagen haben in
ei Reel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten
auf einen erheblichen ir zu veranschlagen,
kam. = Akademie dazu eine eene ken Ein
f gerichteter Antrag ist vor der der be-
einen Vorlagen mit dem er Een
den vorsitzenden Secretar zu
richten, dann zunächst im Secretariat nn und
um we Er a. Sei
beizufügen. Überschreitet dieser
jark, so ist Vorberathung
urch das Secretariat geboten.
Aus .
Nach der Vorlegung und Einreichung des
M i an den
Zubtindigen Becketar Oder un den Arckiver
ra über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen
Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit-
glieder es yalangk verdeckt abgestimmt.
Mittheilungen von Verfassern, a nicht Mitglieder
der Akademie sind, sollen der Reg
(Fortsetzung auf
eilungen, Reden,
Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von
wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang im
'k 4 Seiten ü igt, auch fürd d
abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be-
treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
Vasen
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
erhält ein Verfasser, welcher ee der ug ist,
zu natgeiäkiher 'hne weitere:
Abädrucke zur Verthei Saar zu
der ee der mm-Aka mie oder der be-
treffenden Classe. — Nic) ee erhalten 50 Frei-
exemplare er dürfen Ran ee ‚er Anzeige bei dem
redigirenden . 200 Ex xemplare auf ihre
Kos: östen un iehen las:
SCnderaydideken aus den Abhandlungen er-
er, welcher Mitglied der Akademie ist,
g als
sofern er nn rechiieitig dem elighendin Seer:
gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten nat mehr
Abdrucke zur Verein zu zu re so bedarf es d:
igung dı
treffenden Classe. — Na re erhalten 30 Frei-
exemplare und dü: ch rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden in weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lasse:
$ 17.
Eine für die akademischen Schriften be-
stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf
in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener
Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-
S.3 des Umschlags.)
435
SITZUNGSBERICHTE 192:
XXV.
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
9. Mai. Gesammtsitzung.
Vorsitzender Secretar: Hr. Rorrnr.
1. Hr. F.E. Scuuzze las über »Die Erhebungen auf der Lip-
pen- und Wangenschleimhaut der Säugetiere«. I. Ruminantia.
(Ersch. später.)
Nicht bei allen Säugetieren ist die Innenfläche der Lippen und Wangen so gleich-
mässig glatt wie beim Menschen. Besonders reichlich treten papillenförmige Er-
hebungen an der Lippen- und Wangenschleimhaut der Wiederkäuer auf. Die mit
spitzer apikaler Hornkappe versehenen Papillen, welche bei einigen Thieren, wie z.B.
der Giraffe, bis 2 cm hoch werden, sind meist rückwärts gebogen und formieren an
der Innenfläche jeder Wange eine horizontale, der Kauspalte entsprechende Furche,
suleus buccalis, in welcher der zu kauende Bissen geformt und von aussen
zwischen die Mahlzähne gedrängt wird. ü
2. Hr. Kuso Meyer legte eine Mittheilung vor: »Ein mitteliri-
sches Gedicht auf Brendan den MASttAlizNR
Das bisher ungedruckte Gedicht wird hier mit [ h ben und
der Versuch gemacht, ihm seine Stellung innerhalb der Brendansage zuzuweisen. Aus
sprachlichen Gründen ist es in das ır. Jahrhundert zu setzen, so dass es als das
älteste auf uns gekommene Denkmal der Sage in einer Vulgärsprache zu bezeichnen ist.
3. Hr, Be erstattete den Jahresbericht über die Herausgabe der
iae historica.
4. Das correspondirende Mitglied der p
Classe Hr. Carı, Grarge in Frankfurt a. M. hat am 30. April das Be
Jährige Doctorjubiläum gefeiert; aus diesem Anlass hat ihm die Akadenıe
eine Adresse gewidmet, welche unten abgedruckt ist.
5. Vorgelegt wurden drei neu erschienene Bände akademischer
Unternehmungen : die Lieferungen 30 und 32 des »Tierreich«, ent-
haltend die Evaniidae bearb. von J. J. Kırrrer und die Desmomyaria
bearb. von J. E. W. Inte, und der Neudruck des 2. Bandes von Kant’s
gesammelten Schriften, sämmtlich Berlin 1912; von den Monumenta
Germaniae historiea Tom. 6, Pars 2, Fase. ı der Abtheilung Epistolae,
Berolini 1912, und endlich Vol. ı, Annee 1910 der Tables annuelles de
eonstantes et donn&es num6riques de chimie, de physique et de techno-
logie, zu dessen Bearbeitung die Akademie eine Unterstützung gewährt hat.
M,
RR th r
Sitzungsberichte 1912. “
436 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
Ein mittelirisches Gedicht auf Brendan den
Meerfahrer.
Von Kuno Mrryer.
Bisher hat ein um 1120 verfaßtes anglonormannisches Gedicht', welches
die Meerfahrt und Abenteuer Brendans zum Gegenstand hat, als das
älteste Denkmal der Brendansage in irgendeiner Vulgärsprache gegolten.
Dieser Anspruch wird ihm aber durch ein aus dem Heimatlande der
Sage stammendes mittelirisches Gedicht streitig gemacht, das, aus der
Mitte des ı2. Jahrhunderts überliefert, der Sprache nach ins ı1. Jahr-
hundert zu setzen ist. Bei dem großen Interesse, welches die For-
schung seit langem der Brendansage zugewandt hat, ist es merkwürdig,
daß dieses freilich nur kurze und mangelhaft überlieferte Gedicht noch
keine Beachtung gefunden hat. Der Grund mag darin liegen, daß
seine einzige Niederschrift, die uns das um etwa 1160 geschriebene Buch
von Leinster bewahrt hat, halb versteckt und zum Teil unleserlich auf
dem unteren Rande zweier durch ein Blatt t
Seiten (366 und 369) steht”, so daß auch Arkınsox in seiner Einleitung
zu dem von der Königlich irischen Akademie herausgegebenen Fak-
simile der Handschrift seiner nicht Erwähnung tut. Zimmer ist meines
Wissens der einzige, der auf das Gedicht N hat, ohne frei-
lich weiter darauf einzugehen’,
ı Hieikgeider von Sucuier in Bönners Romanischen Studien I, S. 555 ff.
(1875) und von Fraxcısqur Micher, 1878. Cuarees Prunmer hat in der Zeitschrift
für celtische Philologie V, S. 139 nachgewiesen, daß die Quelle des Gedichts in der
sogenannten zweiten Vita Brendani zu suchen ist, welche, nach der Oxforder Hand-
schrift Bodl. e Musaeo 3 herausgegeben, jetzt im Anhang seiner Vitae Sanctorum Hiberniae
(Oxford 1910) S. 270—299 vorliegt.
Diese Blätter gehören zu den sogenannten ‘Isidore leaves’, die, aus dem Buch von
Leinster losgetrennt, lange Zeit in SER Konvent des hl. Isidors zu Rom gelegen haben,
bis sie in unseren Tagen in dem F: zu Dublin nied legt worden sind.
® In seiner Abhandlung ‘Brendans Meerfahrt‘, ZfdA. XXXIN, S. 143, Anm. Hier
hat Zisen sich auch mit dem Namen des Heiligen beschäftigt, doch bedürfen seine
ler Berichtigung. Wir müssen von dem Vollnamen Brenaind ausgehen,
der sich etymologisch in ein bahuvrihi Kompositum Bren-find ‘Stinkhaar’ zerlegt, wobei
das a die nichtpalatale Färbung des n bezeichnet. Ebenso gebildet ist z. B. der Frauen-
name Uanaind "Schaumbnar, hs LL 363 g ‚etymologisch Uanfind geschrieben. Vgl. dazu
den Beinamen köpfig, RC XII, 104. Zu dem Vollnamen ist dann
Brenddn Koseform und diese liegt dem Aatäinischkd Brendanus, Brandanus zugrunde.
K. Mever: Ein mittelirisches Gedicht auf Brendan den Meerfahrer. 437
Die Veranlassung zur Aufzeichnung des Gedichts bot der auf
S. 366 der Handschrift in der Liste von gleichnamigen irischen Heiligen
(Comainmnigud noeb nErenn) vorkommende Name des Brenaind mocu
Altai, des berüh Seefal Daß der Schreiber nicht etwa aus
dem Gedächtnisse geschrieben, sondern eine Vorlage benutzt hat, zeigen
deutlich mehrere von ihm begangene Lesefehler, so besonders doinmsi
(Str. 2) und abferaib (Str. 7). Das Gedicht scheint vollständig über-
liefert zu sein, denn sämtliche Strophen sind durch sogenanntes fidrad
‚Freccomail miteinand bunden, d. h. das letzte Wort jeder Strophe
alliteriert mit einem der ersten Wörter der nächstfolgenden. Nur
zwischen der ersten und zweiten Strophe fehlt diese Alliteration, und
zwar deshalb, weil beide mit demselben Worte anfangen'!. Das Metrum
ist die bekannte rannaigecht chetharchubaid recomarcach, welche sieben
Silben in jedem der vier Verse, zweisilbigen Versausgang, Reim des
zweiten und vierten Verses und Übereinstimmung der Quantität der
Endsilben des ersten und dritten Verses mit den Reimworten verlangt.
Fehlt diese Übereinstimmung (Assonanz), so wird sie durch Alliteration
ersetzt (Brenaind: breö, chomsid: Cliana, Gree: rogabais). Auch sonst
findet sich Alliteration und in folgenden Fällen Binnenreim: Cliana®:
bilada, ratımar: cathrach, glend: tend, -fane: dge, Iordanän*: deoradan,
-sceuchtha: luchra, slebe: grene, apstail: astair, trebaib Gree: feraib‘ dee,
ri: Hi, rwrech: twirech, aillege: fäilte, aileon: chrideon®.
Was die Sprache betrifft, so gehört unser Gedicht offenbar der
Übergangsperiode aus dem Altirischen zum Mittelirischen an. Ich
möchte es nicht früher als in den Anfang und nicht später als ins
Ende des ı1. Jahrhunderts setzen. Von Sprachformen, die zur Da-
tierung dienen können, erwähne ich die folgenden.
In Str. ı skandiert breo als einsilbig, während es im Altirischen,
z.B. im Felire Oingusso, stets zweisilbig ist. Ebenso zählt leoman in
In altirischer Zeit sind die latinisierten Formen Brendinus (Thes. Pal. II, 283, 284) und
Brendenus (ebenda 280) gewöhnlicher, welche irischen Koseformen auf -in und -en
(ebenda 281, 5) entsprechen.
! Diese Eigentümlichkeit der irischen Verskunst ist bisher noch nicht fest-
gestellt worden. So erklärt sich auch, daß im Epilog zum Felire Oingusso die dreißig
sämtlich mit Romsoerae a Isı anfangenden Strophen nicht durch Alliteration verbunden
sind. Dieselbe Regel galt auch bei den kymrischen Barden. So zeigt ein Gedicht
Cynddelws (Srracuan, Introduction to Early Welsh, S. 234) adyymeriad in allen Strophen
außer in den sechs ersten, die alle mit ‘asswynaf’ anfangen.
2 So leicht aus dem fehlerhaften c/u@ der Handschrift zu bessern.
® Die Form Eordandn, CZ. VII, 106, würde noch genauer entsprechen. '
* Die Handschrift hat abferaib, wofür ich dib feraib zu lesen vorschlage.
® D.h. chraideon.
° Stores setzt das Wort Gorm. Aug. 6 fälschlich als zweisilbig an. Es ist zu
lesen: Mochuä breo bäghach.
39*
440 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
7. In den Wohnsitzen der Griechen hast du geweilt, mit zwölf
Männern bist du ausgezogen, viele Inseln hast du geschaut außer der
MBel. u.
8. Das wonnereiche uralte Rom und Tours stehen unter deinem
Sehutz'; dir, o König der Könige, eignet ein Turmhaus” in Iona und
in Ailech.
9 Lieber als Mettrunk und Jubel beim Festgelage ist dir (die
Fahrt) in deinem Schiff von Insel zu Insel — willkommen meinem Herzen!
Hier folgen zunächst noch einige erklä g
Str. 1, breö “Flamme? ist häufige dichterische Bezeichnung für einen
Heiligen, so daß das Wort in der berla na filed genannten Sprache
geradezu an die Stelle von ndeb ‘Heiliger’ tritt”. Der Ausdruck stammt
wohl aus der Bardenpoesie.
ıb. Zetha kann entweder Latium oder Aremorica (Letavia, kymr.
Liydaw) bedeuten, hier wohl das letztere; denn der Kult Brendans war
und ist in der Bretagne weit verbreitet‘ und gleich in der nächsten
Strophe ist mit dem Kloster des Gildas gewiß Ruys gemeint. In
weiterem Sinne bezeichnet Letha überhaupt Gallien (la Germän andes
i ndeisciurt Letha, Fiacs Hymn. 5) und schließlich den Kontinent.
Str. 2, Gillas ist die irische Form des Namens Gildas, indem
schon im späteren Altirisch (Ml.) /d zu U geworden ist. Siehe Tuurnevsen,
Handbuch $ ı150f£.
Str. 4, deoraddn Fine ‘an exile of the Irish’. Hier sind die Iren
mit dem alten St Fene bezeichnet, wie in Fiacs Hymnus
(do thıtathaib Fene).
Str. 5, fot ist wohl als /ot ‘Scholle, Stätte” zu fassen.
Str. 6, da fresdul — dia frestul, proleptisch auf Rig grene bezüglich.
Str. 8, Torinis f., der irische Name für die Stadt Tours, ist mit
Volksetymologie (gleichsam “Turminsel’, vgl. Torinis, inis in tuir, LL 7b 10)
aus dem gallo-romanischen Toronis gebildet. Siehe Horver, Altkelt.
Sprachschatz s. v. Turoni.
Str. 9, mochen-on kommt auch bei Gorman, Jan. 6, vor.
' 'Wörtlich “unter deiner Ehre’.
. = Das heißt wohl eine mit einem Turm versehene Kapelle oder Kirche. Das
ir. tuirech ist von tor “Turm’ weitergebildet wie ailech ‘Felsenort' von ail.
® Siehe CZ. VII, 558.
* Siehe Barıns-Gourp and Fısuer, Lives of British Saints I, S.233ff. Es gab
auch ein bretonisches Gedicht über Brendan, wenn wir dem Verfasser des Roman du
renard glauben dürfen (ed. M&ox II, 96):
Je fot savoir bon lai breton
istan,
de chievrefoil, de saint Brendan.
K. Meyer: Ein mittelirisches Gedicht auf Brendan den Meerfahrer. 441
Es ist nun nicht leicht, diesem kurzen Gedichte seine Stellung
innerhalb der Brendansage zuzuweisen. Bekanntlich sieht die Brendan-
legende in irischer Form ganz anders aus als in den lateinischen
Fassungen, die in die Literatur des Mittelalters übergegangen sind',
und auch unser Gedicht geht seine eigenen Wege.
Es stimmt aber auch nicht zu der irischen Vita des Heiligen’,
die freilich nur ein Bruchstück zu nennen ist, da sie mit der Auf-
findung des Paradieses unvermittelt abbricht und weder von der Heim-
kehr noch dem Tode Brendans berichtet. Anderseits enthält es Züge,
die sich in der von Pıumner herausgegebenen Vita Prima Sancti Brendani®
wiederfinden.
Der Form nach ist das Gedicht eine Begrüßung des Heiligen
und scheint irgend jemand in den Mund gelegt, dem er auf einer
seiner Fahrten begegnet oder der ihn bei seiner Rückkehr in die
Heimat willkommen heißt. Es wird demnach wohl aus einer irischen
Vita oder Navigatio stammen; denn derartig in die Prosa eingestreute
Gedichte sind ja eine bekannte Erscheinung in der irischen Erzähler-
kunst, und die irische Hagiographie hat das der profanen Sage nach-
geahmt. So sind z. B. in die von Sroxzs herausgegebene Betha Brenaind
elf solcher edichte ‚Bingelagbs aganiet eines (Z. 3809 ff.), welches
ebenfalls eine Beg des h enthält und ähnlich wie
unser Gedicht mit den Worten Dia do betha, a Brenainn, sunn ‘sei ge-
grüßt an dieser Statt, Brendan!” anhebt.
Was nun die einzeln aufgeführten Erlebnisse und Örtlichkeiten
betrifft, so erwähne ich zuerst diejenigen, die sich mit schon bekannten
der Sage decken. In Str. 2 und 3 spielt unser Verfasser offenbar
auf den Besuch Brendans bei Gildas an, der in $ 83 ff. der Vita Prima
erzählt wird. Was der Dichter die Herrschaft (Autorität, ir. commus)
Brendans über das Kloster des Gildas nennt, wird dort von Gildas
selber dem Brendan mit folgenden Worten angeboten: ‘Homo Dei,
aceipe me diseipulum atque obedientem monachum tibi in perpetuum....
Mane hie et aceipe regimen huius plebis tibi et locum istum custodi.’
Dort findet sich auch das Abenteuer in der Bergschlucht der Löwen
(= desertum ubi leo et leaena habitant $ 85), welche Brendan zähmt und
dem Kloster des Gildas dienstbar macht. In Str. 5 tritt der Berg Zion
an die Stelle der terra repromissionis, deren Auffindung ja der Zweck von
Brendans Meerfahrt war. Dies kehrt in dem auf der zweiten Version
beruhenden mitteldeutschen Gedichte Von sente Brandan‘ wieder, wo
r Siehe darüber besonders Eeärgzee Zur Brandanuslegende, S. 27.
® Mit U g‘ n Wu. Sroxes, Lives of Saints from the Book
of Lismore. Oxford 1890.
3 In seinen Vitae Sanctorum Hiberniae, vol. I, S. 98—
* Herausgegeben von Karı ScHRÖDER, Sant ee 5. en.
442 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
v. 1113—1244 den Besuch auf Munda Sion schildern. Ferner bezieht
sich Str. 8 auf die in $ 86 der Vita Prima erzählte Gründung eines
Klosters in insula quadam Britanniae nomine Ailech, das wohl in Schott-
land und nicht in der Bretagne zu suchen ist. Was dagegen die
Erwähnung von Iona betrifft, so mag sie durch die Erinnerung an den
von Adamnan Kap. ı7 erwähnten Besuch Brendans bei Columba veran
laßt worden sein. Die Anspielung auf die Insel par excellence in Str. 7
bezieht sich gewiß auf die paradiesische Insel, welche Brendan zuerst
von Sliab Aidche im westlichen Meere erblickte (Betha Brenaind. 3565).
Neben diesen aus der lateinischen oder irischen Fassung der Sage
bekannten Episoden wird nun aber auf eine Reihe von Örtlichkeiten
angespielt, die sonst in der Brendansage nicht vorkommen. Da fällt
es sofort auf, daß wir es hier mit Dingen zu tun haben, die sämtlich
zum Gemeingut des alt- und mittelirischen Erzählerrepertoires gehören,
wo Gelegenheit geboten ist, sich mit der großen Welt außerhalb Irlands
zu beschäftigen. Diese Züge sind hier einfach auf den berühmten
Pilger übertragen.
Die Kenntnis von Taprophane (Ceylon) stammt aus der Trojasage,
mit der die Iren seit dem 10. Jahrhundert durch Übersetzungen be-
kannt waren!. In der von Sroxes herausgegebenen Togail Troöi (Kal-
kutta 1881) wird Z. 633 die Insel (inis Taprofani) als das Ende der
Welt im Osten, wo die Sonne aufgeht, bezeichnet (airm i turgaib grian
in-airthiur in domain), und als solches gilt sie allgemein in der mittel-
und neuirischen Sage. In der auf Josephus beruhenden mittelirischen
Erzählung ae fola ae Die Rache für Christi Blut” finden wir zu-
erst die durch Voll beeinflußte Form Tiprafäne (LB 150a 24,
153b 57), woraus im Laufe £ Zeit Tipra Fane ‘Quelle des Morgenrots’
geworden ist (z.B. Agall. na Senorach, ed. Srorzs, Z. 2774).
Der ‘Sonnenbaum’ stammt wiederum aus der Alexandersage, die
ebenfalls seit dem 10. Jahrhundert bei den Iren im Umlauf war. Hier
wird er in der mittelirischen Version (BB 488a 30 = Ir. Texte II, S. 103)
erwähnt. Auch er gilt als Markstein des östlichen Endes der Welt,
so daß es bei einem irischen Dichter des ı2. Jahrhunderts heißt:
“Wenn der Wind vom Westen bläst über die stromschnelle See,
so strebt er ostwärts an uns vorüber nach dem Sonnenbaume hin in
den breiten weitentfernten Ozean.’?
Daß die Insel Taprophane auf dem Sonnenbaum wie auf einem
reise. oder Piedestal ruht, ist aus altirischen Sp herüber-
! In einem aus diesem Jahrhundert st: den S b wird unter den
a d. h. ‘Zerstörungen’ an erster Stelle Togail Troi ‘die ren Trojas’ auf-
geführt.
2 Siehe Otia Merseiana II, S. 82.
K. Meyer: Ein mittelirisches Gedicht auf Brendan den Meerfahrer. 443
genommen. Sowohl in der ‘Meerfahrt Brans’' als in der des Maelduin
lesen wir von Inseln, die auf einem bzw. vier Pfeilern ruhen’. Pfahl-
bauten mögen diesen Gedanken veranlaßt haben.
Der in Str. 4 erwähnte Jordan wird, freilich in anderer Weise,
in einem irischen Prosafragment über Brendan (LL 37ıb) mit dem
Heiligen in Zusammenhang gebracht. Hier heißt es, daß sich zu
seiner Taufe ein Wasserguß aus dem Jordan auf sein Haupt nieder-
gelassen habe (dothaäet broen dian do thopur Iordanen co rothinsan fair
indenus a baiste). Die Anekdote ist erfunden, um eine Volksetymologie
des Namens Brendain (aus broen und dian) anzubringen.
Daß in Str. 5 und 6 der Berg Zion an die Stelle des verheißenen
Landes getreten ist, habe ich schon bemerkt. Er galt den Iren als
der Ort des Jüngsten Gerichts (Sliab Sion baile i ndingne Crist mes for
clainn nÄdaim, Lism. Lives 622)*.
Ob das in Str. 6 erwähnte Fasten eine Vorbereitung auf den
Anblick Gottes oder Christi auf Zion bedeutet oder sich auf das vierzig-
tägige Fasten vor der Ausfahrt Brendans bezieht (Scuröper, a. a. 0. S. 5),
muß dahingestellt bleiben. Auch von dem in Str. 7 erwähnten Aufent-
halt in Griechenland berichten die Vitae und Navigatio nichts. Griechen-
land spielt schon in altirischen Sagen von wandernden Heroen eine Rolle.
So besucht es z. B. der Sagenheld Cüröi mac Däiri (CZ III, 38). In
derselben Strophe werden die Begleiter Brendans auf zwölf angegeben,
im Gegensatz zu aller sonstigen Überlieferung, wonach es bald sieb-
zehn, bald dreißig oder sechzig waren. Die Zwölfzahl ist aber bei
Auszügen und Pilgerfahrten irischer Heiliger die übliche, nach dem
Vorbilde Christi und der Apostel. So ziehen sowohl Columba als
Columban mit zwölf Gefährten in die Welt hinaus.
Die Erwähnung von Rom und Tours in Str. 8 bedarf keiner Er-
klärung. Es waren die g lichsten Zielpunkte irischer Pilgerfahrten
von frühester Zeit an, letzteres besonders um das Grab des hl. Martin
zu besuchen.
Ich möchte also dahin OHBERER: Re eg Gedicht aus einer
irischen Prosa-
verloren gegangenen, dem 11. g
erzählung von der Meerfahrt Brendans ER in welcher der Verfasser
zu den bel Abent seines Helden andere aus den oben an-
Beinen, jedem irischen Erzähler vertrauten Quellen hinzugefügt hatte.
! Siehe meine Ausgabe S. 47-
2 Siehe ROX, S. 62 (inis aile for denchois -i- denchos oc a Julang),
3 In der Vita prima, Kap. 6 wird Brendan ‘puer tanquam mons 8yon in fide
stabilis genannt.
444 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
Jahresbericht über die Herausgabe der Monumenta
Germaniae historica.
Von Remnorn Koser.
An der 38. Plenarversammlung der Centraldireetion der Monumenta
Germaniae historica, die vom ı8. bis 20. April d. J. in Berlin tagte,
beteiligten sich die HH. Prof. BressLau aus Straßburg i. E., Hofrat
Prof. Luscnum Ritter von EBENGREUTH aus Graz, Prof. von OTTENTHAL
aus Wien, Geheimrat Prof. vox Rırzıer aus München, Geh. Hofrat Prof.
VON STEINMEYER aus Erlangen sowie die hiesigen Mitglieder Wirkl.
Geh. Rat Prof. Brunser Exzellenz, Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Koser
als Vorsitzend Geheimrat Prof. Scnärer, Geh. Hofrat Prof. von Sın-
son, Prof. Taner, der das Protokoll führte, und Prof. Zrumer. Am Er-
scheinen verhindert waren durch dringende Berufsgeschäfte Hr. Archiv-
direktor Geh. Archivrat Kruscn in Hannover und Hr. Prof. Dr. Repricn
in Wien, zur Zeit Rektor der dortigen Universität. Als Leiter der ihm
durch Beschluß der Centraldireetion ‘vom 18. April übertragenen Ab-
teilung Antiquitates wohnte ferner an den beiden letzten Sitzungstagen
Hr. Prof Strecker von der Berliner Universität den Verhandlungen bei.
Zum ersten Male seit ihrem Bestehen tritt die Centraldireetion
in ein neues Arbeitsjahr, ohne auf die Mitwirkung des Mannes zählen
zu dürfen, der seit 1875 als unser Mitarbeiter, seit 1888 als unser
Mitglied seine ganze Lebensarbeit ausschließlich in den Dienst der
M 6 historiea gestellt hatte. Am ı. November ıg11
wurde der Geh. Regierungsrat Hr. Prof. Dr. Oswaın Howprr-Esser im
61. Lebensjahre durch einen frühzeitigen Tod unserer Gemeinschaft
und der Wissenschaft entrissen. Einen Nachruf auf den von uns Ge-
schiedenen aus der Feder des Hrn. Prof. Zeuner, des ihm durch 33 jährige
Arbeit engverbundenen Kollegen und Freundes, enthält das nächste zur
Ausgabe gelangende Heft unseres »Neuen Archivs«.
Behufs Herbeiführung einer Entscheidung über die durch diesen
Todesfall erledigte Stelle eines etatmäßigen Mitgliedes der Central-
direction hat in deren Auftrage der Vorsitzende dem Reichsamt des
Innern einen Bericht erstattet.
Koser: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 445
Seit Erstattung des letzten Berichtes erschienen:
In der Abteilung Seriptores:
Seriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim
editi: Einhardi Vita Karoli Magni ed. sexta. Curavit O. Hoıver-
Esser. — Ottonis Episcopi Frisingensis Chronica. sive historia de
duabus ceivitatibus ed. altera. Recognovit AnoLrus HornEister.
In der Abteilung Deges:
Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Tomi V
pars altera. Ed. J. Schwarm.
In der Abteilung Epistolae:
Epistolarum tomi VI partis alterius fascieulus primus (Nicolai I.
papae Epistolae. Edidit E. Prrers). — Tomi VI pars prima (Registrum
Johannis VII. papae. Edidit E. Casrar).
Vom Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts-
kunde:
Bd. XXXVI Heft 3 und Bd. XXXVI Heft ı.
Im Druck befinden sich sechs Quart- und vier Oktavbände.
In der Serie des Seriptores rerum Merovingicarum ist unter Leitung
des Hrn. ‚Geh. Archivrats Kruscn der Satz des von ihm und Hrn.
Prof. Levisox bearbeiteten Schlußbandes VI vom 24. bis zum 57. Bogen
vorgeschritten. Zugleich ist der Herr Abteilungsleiter mit der Be-
arbeitung der ältesten Vita Corbiniani (von Bischof Arbeo von Frei-
sing) auf Grund der Londoner und der von ihm in Karlsruhe auf-
g | alten Reich H RR ER häftigt gewesen. Für
die dem Mönch Hrotrohe zugeschrieb Überarbeitung des 10. Jahr-
hunderts, die für das Verständnis des Urtextes nieht wohl zu ent-
behren ist, waren nicht weniger als 2ı Handschriften zu unter-
suchen. Durch Z dung von Handschriften unterstützten die Edi-
tionsarbeit die Bibliotheken von Admont, Bern, Brüssel, Einsiedeln,
Heiligenkreuz, Kremsmünster, Leipzig, Lüttich, Luxemburg, Mons,
München, Prag, St. Gallen, Wien. Zu besonderem Danke verpflich-
tete dem Herausgeber die k. k. Lyzealbibliothek in Linz, die aus-
nahmsweise eine nach den Vorschriften sonst ausgeschlossene Hand-
schriftenversendung eintreten ließ. Der zu früh verstorbene Bollan-
dist Hr. P. Arserr Poxczrer, in welchem die M G i
einen warmen Freund verloren haben, hat bis zuletzt die Mero-
vinger-Serie durch Kollationierungen Brüsseler Texte unterstützt.
Sein kurz vor seinem Tode erschienener Katalog führte auf die Spur
wichtiger hagiographischer Handschriften des Museums Mermanno-
Westreenianum im Haag, wie der Virtutes Iuliani und Martini Gregors
von Tours und der Vitae Trudonis et Eucherü, die Hr. Prof. Levısox,
446 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
durch den Direktor der Kgl. Bibliothek in Haag, Hrn. Dr. Byvancx, und
seinem Sohn Hrn. Dr. A. W. Brvanck auf das entgegenkommendste
unterstützt, an Ort und Stelle verglichen hat.
Die Leitung der sämtlichen bisher Hrn. Geheimrat HoLper-EssEr
unterstellten Serien der Seriptores hat die Centraldireetion in die Hände
des Hrn. Prof. Bressrau zu legen beschlossen, und zwar auf seinen
Wunsch vorläufig für die Dauer eines Jahres, während dessen er einen
Arbeitsplan für die Fortführung der großen Aufgabe entwerfen wird.
Von den zahlreichen unvollendeten Arbeiten, die sich im Nachlaß des
gsleiters vorgefunden haben, wird die dringendste,
d.h. die Einleitung zu der im XXXII. Bande der Scriptores enthaltenen
Ausgabe der Chronik des Minoriten Salimbene de Adam, durch den
Privatdozenten Hrn. Dr. Schwerer in Leipzig fertiggestellt werden.
Als erste Vorarbeit für die Sammlung der Geschichtsschreiber Deutsch-
lands im 14. Jahrhundert hat Hr. Privatdozent Dr. Horneıster eine
Prüfung der Überlieferung für Mathias von Neuenburg begonnen.
In Fortsetzung seiner Arbeiten am Liber Pontificalis hat Hr. Prof.
Levisox u. a. eine Handschrift mit Papstviten aus Evreux herangezogen,
deren Texte sich aber für seine Aufgabe als wertlos erwiesen. Nach-
forschungen nach dem Verbleib des Codex Farnesianus, an denen
sich Hr. Dr. Bonarra, Kustos der Universitätsbibliothek in Wien,
hilfsbereit beteiligte, sind ergebnislos geblieben.
In der Sammlung der Seriptores rerum germanicarum erschien die
im vorigen Berichte angekündigte sechste, durch Hor.ver-Esser durch-
greifend revidierte Auflage von Einhardi Vita Karoli Magni als letzte
Arbeit, die dem Herausgeber abzuschließen beschieden war. Für die
gleichfalls im Berichtsjahr erschienene neue Ausgabe der Chronik
Ottos von Freising dient zur Ergänzung die von dem Herausgeber Hrn.
Dr. Horneıster im ersten Hefte des Neuen ‚Archivs veröffentlichte
Untersuchung, der zwei weitere Studien folgen werden. Zu besonderem '
Dank hat ihn bei Lösung seiner Ausgabe Hr. Oberbibliothekar Dr. Ler-
DINGER in München verpflichtet. Die von Hrn. Geheimen Hofrat vox
Smson besorgte dritte Ausgabe der Gesta Friderici von Otto und Ra-
hewin befindet sich im Druck, ebensb die aus St. Blasien stammende
Fortsetzung der Chronik Ottos, als deren Verfasser jetzt der Mönch
Otto gesichert ist und deren Text durch die von dem Bearbeiter
Hrn. Dr. Hormeister herangezogene, bisher vernachlässigte Wiener Hand-
schrift eine wesentlich veränderte Gestalt erhalten hat. Hr. Privat-
dozent Dr. Schmeipzer hat für die Neubearbeitung des Adam von Bremen
die Klassifizierung der Handschriften und die erstmalige Herstellung
des Textes und Apparats für alle vier Bücher durchgeführt, auch für
das Register und das Glossar vorgearbeitet. Die von Hrn. Dr. Wzı-
Koser: Monumenta Germaniae historiea. Jahresbericht. 447
BERGER unterstützten Arbeiten des Hrn. Landesarchivdirektors Prof.
Brernorz in Brünn für Cosmas von Prag sind dadurch wesentlich ge-
fördert worden, daß nach der wiedergefundenen B H fi
neuerdings Dank der Bemühungen des Hrn. Kanonikus P. Dr. Pon-
zama nunmehr auch die Prager Kapitelhandschrift wieder zum Vor-
schein gekommen ist. Im Zusammenhang seiner Arbeiten für die
Annales Austriae bietet Hr. Prof. Unzisz in Graz in seinen Beiträgen
für die von A. Cmroust herausgegebenen Monumenta Palaeographica
Faksimiles, welche die wichtigsten dieser Annalenhandschriften be-
rücksichtigen. Durch Ausleihungen nach Graz unterstützten Hrn.
Unrırz die k. k. Hofbibliothek in Wien und der hochwürdige Hr.
Bibliothel des Benedikti tiftes Admont, P. Frıeprıcn Fıenrer.
Hr. Dr. Rıcnarn Saromon begann unter Mitwirkung von Hrn. Prof.
Zevmer mit dem Druck des Berichts des Johannes Porta de Annoniaco
(vgl. Jahresbericht 1909) über die Reise zur Kaiserkrönung Karls IV.,
die der Verfasser mit dem vom Papste zur Vollziehung der Krönung
delegierten Kardinalbischof von Ostia und Velletri, Petrus von Co-
lombier, im Februar 1355 von Avignon antrat und von Pisa aus
gemeinschaftlich mit Karl IV. fortsetzte. Zwei in des Verfassers Hei-
matstadt Annonay (Departement Ardöche) neu aufgefundene Hand-
schriften hat Hr. Dr. Saromox auf der dortigen Stadtbibliothek durch-
beitet, Kollati einer Pariser Handschrift besorgten Hr. H. Lr-
’
BEGUE und Hr. Dr. Horneister.
In den durch Hrn. Wirkl. Geh. Rat Prof. Brunner geleiteten Serien
der Abteilung Leges ließ Hr. Geh. Justizrat Prof. Srexer von dem Cod.
lat. 4635 der Pariser Nationalbibliothek, dessen Ausleihung uns als
unzulässig bezeichnet, wurde, für die Zwecke der Ausgabe des Bene-
dietus Levita eine Photographie herstellen, unter deren Hinzuziehung
die Quellenstudien für Liber III und Additio I—IV nunmehr zum Ab-
schluß gebracht werden. Zur Lex Baiuwariorum ist die dritte kritische
Studie des Hrn. Prof. Freiherrn vos Scnwiso im Neuen Archiv Bd.XXX VI
gedruckt. Hr. Privatdozent Dr. Freiherr von Scuwerm in München hat
den Text der Lex Thuringorum und der Leges Saxonum auf Grund der
erhaltenen Handschriften und der Drucke von Tilius und Herold be-
arbeitet; für das Vorhandensein bisher nicht benutzter Handschriften
hat sich nicht der geringste Anhaltpunkt ergeben.
Unter Leitung des Hrn. Prof. Zrumer hat in derselben Abteilung
zunächst Hr. Dr. Kramner das Manuskript seines Textes der Lex
Salica so weit hergestellt, daß es nach einer letzten Revision in
Druck gegeben werden kann. Die Textgeschichte wird abschnitts-
weise im Neuen Archiv veröffentlicht werden. Der Druck der von
Hın. Privatdozenten D. Dr. Huserr Basteen in. Straßburg i. E. für die
448 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
Serie der Concilia bearbeiteten Libri Carolini hat begonnen. In der
Serie der Constitutiones et acta publica regum et imperatorum ist der zweite
Teil des fünften Bandes (bis Dezember 1324) erschienen; eine Schluß-
lieferung mit Titel, Vorwort, Inhaltsverzeichnis und Register wird der
Bearbeiter Hr. Prof. Scnwarn im Laufe dieses Jahres folgen lassen.
Gleichzeitig mit dieser Ausgabe ist eine Abhandlung des Hrn. Prof.
Zeumer über die darin enthaltenen Appellationen Ludwigs des Bayern
erschienen (Neues Archiv XXXVI, ı). Der Druck des von ihm und
Hrn. Dr. Rıcnarn Saromon bearbeiteten achten Bandes der Constitutiones,
der bis zum Schluß des Jahres 1348 führen wird, ist bis zum 70. Bogen
vorgerückt. Auch für den neunten Band liegt bereits umfangreiches
Material in fertiger Bearbeitung vor. Auf einer im Herbst ıgıı unter-
nommenen Forschungsreise besuchte Hr. Dr. Saronon die Archive zu
Sondershausen, München, Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt a. M., Mar-
burg, Rudolstadt und Dresden. Den Verwaltungen dieser Archive,
sowie den Herren Archivdirektoren Dr. Diererıcn in Darmstadt und
Dr. Wırrmans in Büdingen und den Staatsarchiven in Berlin, Coblenz,
Hannover, Magdeburg . i AWeimar, den Bezirksarchiven
in Colmar und Straßburg, den Fürstlichen Archiven in Donaueschingen,
Amorbach und Wolfegg, den RERLEEEN von Augsburg, Koesfeld,
Donauwörth, Dortmund, Hagenau, Mühlhausen i. Th., Oberehnheim,
Schlettstadt, Ulm und Worms spricht die Abteilangsleitimg ihren ver-
bindlichen Dank aus.
In der Abteilung Diplomata war Hr. Prof. Taxer u. a. mit dem
Abschluß einer Arbeit über die Kanzlei Ludwigs des Frommen be-
schäftigt. Sein bisheriger ständiger Mitarbeiter Dr. Mürzer kann sich
infolge seiner Ernennung zum Archivar am Berliner Geheimen Staats-
archiv nur noch als Hilfsarbeiter an den Editionsaufgaben beteiligen und
wird durch den Archivhilfsarbeiter Dr. Hrıy ersetzt, der seine Tätig-
keit bereits am ı. Dezember ıgıı mit Vorarbeiten für die Urkunden
Lothars I. begonnen hat und mit Urlaub von der Archivverwaltung
seine Arbeitskraft vom künftigen Herbst ab ausschließlich den Mo-
numenla Germaniae widmen wird.
Die Arbeiten für die Ausgabe der Diplome Heinrichs III. wurden
in Straßburg durch Hrn. Prof. Bressrau, der er han Besuch in
Acqui für die einer Urkunde jenes H h kunden zu-
grunde liegenden Ottonendiplome die er ci Überlieferung
verglichen hat, und durch seinen ständigen Mitarbeiter Hrn. Prof.
Wise fortgesetzt.
Für die Diplomata saec. XII. konnten eine weitere Anzahl Gruppen,
die mit Originalen Konrads III. einsetzen, abermals in Wien aufge-
nommen werden, weil das Material in zuvorkommender Weise dorthin
Koser: Monumenta Germaniae historica. Jahresbericht. 449
ausgeliehen wurde, und zwar Selz-Hagenau (aus dem Generallandes-
archiv zu Karlsruhe); St. Waldburg (aus der Universitätsbibliothek zu
Heidelberg); St. Remy zu Rheims (aus der Landesbibliothek zu Stutt-
gart); St. Ulrich und Afra, Mönchsmünster, Neumünster in Würzburg,
St. Peter in Salzburg (sämtlich aus dem Reichsarchiv zu München);
endlich die Originale der österreichischen Stifter Garsten (aus dem
Museum Franeisco-Carolinum zu Linz), Klosterneuburg, Zwettl; das
ganze Material fiel dem ständigen Mitarbeiter, Hrn. Privatdozenten Dr.
Hırscrn, zu. Aus Norddeutschland wurde in Wien durch Hrn. Prof.
von OrrentuAar das dem Staatsarchiv zu Hamburg gehörige Kopial-
buch von Neumünster benutzt; einige jüngere Überlieferungen für
Magdeburg und Nivelles bot das k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv.
Vornehmlich aber erstreckte sich die Tätigkeit des Herrn Abteilungs-
leiters auf die Untersuchung der Diktate der Kanzlei Lothars und die
Fortsetzung der Arbeit an den bereits aufgenommenen Gruppen aus
Norddeutschland, Belgien und Nordfrankreich. Hr. Dr. Samasex be-
teiligte sich an den Arbeiten u. a. mit größeren Ausarbeitungen für
die Gruppe Neumünster-Segeberg-Corvey und setzte die bibliogra-
phischen Auszüge fort. Endlich entstanden im Zusammenhange der
Wiener Editionsarbeiten eine bereits druckfertige Monographie des
Hrn. Dr. Hırscn über »Immunität und Vogtei im ı2. Jahrhundert« und
eine Untersuchung desselben Verfassers über die Geschichte des Codex
Udalriei und seine Verwendung in der Reichskanzlei unter Konrad III.
und Friedrich I.
In der Abteilung Zpistolae veröffentlichte Hr. Privatdozent Dr.
Perers als zweiten Halbband von Bd. VI die Briefe des Papstes: Nico-
laus I. und im Anschluß an seine Ausgabe eine Erörterung über die
handschriftliche Überlieferung dieser Briefe (Neues Archiv XXXVI.
Hrn. Prof. Wernisenorr in Königsberg i. Pr., der nach seinem Rück-
tritt von der Leitung der Abteilung die Aufsicht über diese Edition
beibehalten hatte, spricht die Centraldirection auch an dieser Stelle
für seine hingebende und sachkundige Mitwirkung an der Lösung
dieser wichtigen Aufgabe ihren wärmsten Dank aus. Die Vorarbeiten für
den Schlußteil des sechsten Bandes, der die Briefe Hadrians II. sowie
die Register zu dem ganzen Bande enthalten soll, hat Hr. Dr. Prrers
zum tli Teile abgeschl Von ausländischen Handschriften
konnte er für seine Zwecke dank dem Entgegenkommen der beteilig-
ten Verwaltungen hier in Berlin vergleichen die Codd. Taurinensis 903
und Bruxellensis reg. 5413/22 sowie den Cod. 10 aus Alencon.
Gleichzeitig mit diesem Berichte gelangt das Registrum Iohannis VIII.
in der Bearbeitung des Hrn. Privatdozenten Dr. Casrar als erster Teil
des siebenten Bandes der Zpistolae zur Ausgabe; der zweite Teil dieses
+
450 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
Bandes soll die Epistolae Iohannis VIII. papae passim collectae (ed. Caspar),
die Briefe des Anastasius Bibliothecarius (ed. Prrers) und die Papst-
briefe aus dem Ausgang des neunten Jahrhunderts enthalten sowie
den durch Hrn. Gymnasialdirektor Henze bereits für den Druck her-
gestellten Brief Kaiser Ludwigs II. Seine im vorigen Bericht erwähnten
Untersuchungen über das Register Gregors VII. wird Hr. Dr. Caspar im
Neuen Archiv demnächst vorlegen. Hrn. Geheimrat Prof. Srexen ist
die Abteilung für seinen Beirat bei der Feststellung kanonistischer
Quellen zu Dank verpflichtet.
Auf Antrag des Abteilungsleiters beschloß die Centraldireetion die
Herausgabe von Epistolae selectae in usum scholarum ex Monumentis
Germaniae historieis separatim PiRAS a Sammlung wird mit den von
Hrn. Prof. Taneı. bearbeit briefen eröffnet werden.
Für die Abteilung Antiquitates hat ihr nunmehriger Leiter Hr. Prof.
STRECKER in Berlin die in dem Euiton Teil des vierten Bandes der
Poetae Latini aufzunehmende S g der karolingischen Rhythmen
für die Drucklegung fertiggestellt. Es "unterstützten den Herausgeber
durch Photographien aus einer Eskorial-Handschrift Hr. Dr. Joseen
SCHWEIZER, der zur Zeit, im Auftrage des preußischen Historischen
ge zu Rom, spanische Archive und Bibliotheken bereist, durch
1 nach gli 1 Handschriften Hr. Prof. Levisosn, durch
n r Bereitwilligkeit Hr. H. Lesisur in Paris und
mit erheblichem Aufwand an Zeit und Mühe Hr. Prof. Dr. Bruno Arzers
0. S..B. in Monte Cassino. Der Bibliothekar und Archivar Dom Antoxıo
SPAGNOLO vom BEN zu Verona hat sich der schwierigen Auf-
gabe unt die reskribi Seiten des Veroneser Rhythmen-
kodex XC (85) zu entziffern, und Hr. Pavı Lisaerr, Serittore della
Biblioteca Vaticana, verpflichtete uns durch eine Abschrift interessanter
merovingischer Rhythmen, die er in Paris am Schluß eines Kodex des
Gregor von Tours gefunden hat und den Monumenta zur Veröffent-
lichung überlassen will. Handschriften wurden zur Benutzung über-
sandt aus Arras, Brüssel, St. Gallen und München, eine Photographie
Fa die Bibliothek zu Bern. Hr. H. Brrwer in Brüssel gestattete
llichst die Benutzung seiner Photographien aus Monza.
In Bezug auf von dem verstorbenen Prof. von WINTErrELD in
Angriff g lung der Sequenzen Notkers und verwandter
Dichtungen hatte die Centraldireetion nach dem Tode des ersten Be-
arbeiters mit dessen Nachf , Hrn. Bibliothekar Jacos WERNER in
Zürich, ı ee wesentliche Einschränkung ”“ Aubgale gegenüber dem ur-
ü Plane bredet (vgl. Jah icht von 1906). Inzwischen
haben. die Arbeiten von Creuens Brune und Hrxry Bansıster in ihrer
Ausgabe der dem Notker Balbulus zugeschriebenen Sequenzen (Analeeta
Kollati
Koser: Monumenta Germaniae historica. “Jahresbericht. 451
+ hönft
hymnica Bd. 5 3) den Stoff in der I da somit eine
erneute B g etwas Neues nicht bringen könnte,
werden die Monumenta Germaniae von der geplanten Sequenzen-Aus-
gabe ganz absehen.
Bei: der fortgesetzten Drucklegung des fünften Bandes der Necro-
logia (Passauer Diözese österreichischen Anteils) unterstützten den
Herausgeber, Hrn. Pfarrer Dr. Anaıserr Fuchs O.S.B. in Brunnkirchen,
neben der Abteilungsleitung die HH. Prof. Repzicn in Wien und
Prof. Taneı in Berlin. Der Satz des vierten, durch den Erzbischöflichen
Bibliothekar Hrn. Dr. Fastuiseer in München bearbeiteten Bandes (für
den bayrischen Anteil der genannten Diözese) erlitt infolge des Wechsels
in der Abteilungsleitung einen Aufschub, soll aber nunmehr beginnen.
Den Druck der Werke des Aldhelm von Sherborne hat Hr. Prof.
EnwaAın in Gotha bis zum neunten Bogen gefördert.
Im Redaktionsausschuß für das Neue Archiv ist an Stelle O. Hoıner-
Essers Hr. Prof. Bresstau den HH. Taxeı und Zevmer zur Seite ge-
treten.
Die Traube-Bibliothek, zu deren besonderer Dotation die Central-
direction aus den für die allgemeine Verwaltung bestimmten Mitteln
einen Zuschuß leistete, erhielt eine wertvolle Erweitung durch die
Erwerbung des größten Teiles der Horner-E hen Bibliothek, mit
dessen Einordnung der Hr. Bibliothekar Dr. Jacoss zur Zeit noch be-
schäftigt ist.
Wir schließen unsern Bericht wie alljährlich mit dem Dank für
so vielfache Unterstützung, die uns außer den bereits genannten Be-
hörden, wissenschaftlichen Anstalten und einzelnen Gönnern die hohen
Reichsbehörden, das Kgl. Preußische Historische Institut zu Rom, der
Herr Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, P. Franz Eure, und die
Herren Beamten der Handschriften- und der Zeitschriftenabteilung der
Berliner Kgl. Bibliothek zuteil werden ließen.
I
1:1
Sitzungsberichte 1912. ; 40
452 Gesammtsitzung vom 9. Mai 1912.
Adresse an Hrn. CarL GRAEBE zum fünfzigjährigen
Doktorjubiläum am 30. April 1912.
Hochverehrter Herr Kollege!
Zn dem Tage, an dem Sie vor 50 Jahren an der Universität Heidelberg
die philosophische Doktorwürde erwarben, entbietet Ihnen die Preußische
Akademie der Wi haften herzlichen Glückwunsch und Gruß.
Nachdem Sie als Assistent Ihres großen Lehrers Busse reichlich
Gelegenheit gehabt, alle Feinheiten der Experimentierkunst kennen zu
lernen, führte Sie die vom Vater ererbte Wanderlust über die chemische
Industrie nach Berlin, an die Stätte, wo Sie Ihren ersten großen wissen-
schaftlichen Erfolg haben sollten.
In dem von Anorr Baryer geleiteten bescheidenen Laboratorium
an der Gewerbeakademie fanden Sie treffliche Gelegenheit, mit der in
frischer Entwieklung befindlich ganischen Chemie Fühlung zu neh-
men und Ihr erfinderisches Talent darin zu betätigen.
Hier beginnt alsbald die lange Reihe von Versuchen, die Sie von
der Chinasäure zu der breit angelegten Arbeit über Chinone und schließ-
lich zu den komplizierten Bestandteilen des Steinkohlenteers führten.
Mit genialem Blick erkannten Sie die Zugehörigkeit des Alizarins,
des wichtigen Farbstoffs der Krappwurzel, zur Gruppe der Chinone,
und, nachdem Sie sich mit 0. L bunden, um diesen Gedan-
ken zu prüfen, gelang es Ihnen sofort, den Farbstoff als Abkömmling
des Anth zu k iel
Daran schloß sich der noch kühnere Gedanke, umgekehrt aus dem
Anthracen das Alizarin künstlich zu bereiten. Durch seine glückliche
Verwirklichung wurde nicht allein die erste Synthese eines wichtigen,
natürlichen Farbstoffs bewerkstelligt, sondern auch die Grundlage für
eine neue Industrie geschaffen.
Die Übertragung Ihrer Synthese in den technischen Betrieb war
der erste durchschlagende Erfolg, den die in Frankreich und England
entstandene Industrie der Teerfarbstoffe auf deutschem Boden erzielte,
und bezeichnet den Anfang der glä Ent g, um die Deutsch-
land jetzt von anderen Völkern beneidet wird.
u
Adresse an Hrn. Cart, Grazse zum fünfzigjähri D jubilä 453
5J 5
Die neue nn a ihrem Beprandee dadurch ER daß sie
umgekehrt durch Vv g des Steinkohlenteers man-
cherlei Produkte zugänglich machte, die Ihnen Anregung und Gelegen-
heit zu neuen Entdeckungen gaben.
Nachdem Sie schon früher durch 'eine meisterliche Untersuchung
die Struktur des Naphthalins festgestellt und bei dieser Gelegenheit
auch wichtige Beiträge zur Ortsbestimmung aromatischer Verbindungen
geliefert hatten, sind die hochsiedenden Stoffe des Steinkohlenteers, das
Phenanthren, Pyren, Chrysen, Acenaphthen, Akridin und Karbazol von
Ihnen entweder entdeckt oder durch Aufklärung der Struktur dem all-
gemeinen System der hen Chemie ei iht worden.
Aber nicht allein der Arbeit des Forschers, auch der Tätigkeit des
akademischen Lehrers dürfen wir rühmend gedenken. Ein Vierteljahr-
hundert war es Ihnen vergönnt, an der Universität Genf einen großen
Schülerkreis um sich zu versammeln und in glücklichster Weise ein
Bindeglied zwischen deutscher und französischer gen zu werden.
Jetzt, wo Sie das Lehramt und die E iment fgegeb
haben und in Ihre Vaterstadt zurückgekehrt sind, um das Otium. cum
dignitate zu genießen, ist Ihr Interesse dem Werdegang der Wissenschaft
zugewandt, und Ihr feines Verständnis für die schaffende Arbeit des
Naturforschers läßt Sie den Fortschritt chemischer Erkenntnis nicht so
sehr in der Konzeption und Ausbildung der Theorien, als vielmehr in
der Verfeinerung der Methoden und der konsequenten Verfolgung der
Erscheinungen erblicken. Zeugnis dafür gibt der treffliche Nekrolog, den
Sie dem genialen und überaus fruchtbaren französischen Chemiker
M. Bert#eLor gewidmet haben.
Ähnliche Produkte historischer Forschung hoffen die Chemiker
noch öfters von Ihnen geschenkt zu erhalten.
Daß Ihnen für solche Arbeiten ein gütiges Geschick noch lange die
Frische des Geistes und Körpers erhalten möge, ist der Wunsch, den
wir zum heutigen Jubeltage darbringen.
Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften.
Ausgegeben am 23. Mai.
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
weise oder auch in weiterer er in
deutscher Sprache veröffentlicht r
erd Sollte eine dem euwiderutende Veröffen.
lichung dem rı vor der Ausgabe in
kommen, so
hat er die Mittheilung aus Ey zu entfernen.
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Aus $ 27.
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willigung der Gesam. kadem
Geirkinitreien a es velle zu veröffentlichen ist
den Verfassern unbeschränkt gestattet.
s $ 21.
Die Sizungsberehe er in einzelnen Stücken
in der Regel Donnerstags acht t Tage nach jeder Sitzung.
Aus $ 22.
Jeden Sitzungsbericht eröffnet eine Übersicht über d;
in der Sitzung v kein: agenen wissenschaftlichen Mitthei-
lungen und über die zur vs une geeigneten ge-
ee Abeeenhan
ter den Titeln der Wienschäfichen Bee
a in dieser Übersicht kurze Inhaltsan, ‚gaben
en für aa sie ver-
aben sollen si
5—6 Drucksehlän: ae keinesfalls
10 SR Überheien.
bezeichnet,
(Abh.)«
m Stern
für die Abhandlungen eek wird »
Wissenschaftliche Mittheilungen fremder Verfasser
werden in dem Bericht über diejenige Sitzung aufgeführt,
in Flle: deren Aufnahme in die akademischen Schriften
endgültig beschlossen wird.
werden, mit dem Poleeniafonse 'ermerk = later
Secretars oder des Archivars versehen, für ein späteres
| Stück zurückgelegt.
Dasselbe kann von vorn herein mit en n
schehen, deren Satz aus irgend welchen Gründen be-
sondere Sue aa Ts, auge wi alas den
ins$ : und 4 enthaltene:
ie Rei Pe se spätestens am Mo
Aland: die Correeturen an die hi
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Wird
die Atiheilung in in einem spätern Stück Are
Nach auswärts weı rreci langeı
versandt; ai ie Ver!
scheinen am nächsten Ausgabe
sichert werden.
tage Aser ie zuge-
Aus $ 37.
Die Akademie behält sich das Recht vor, von einer ver-
griffenen Abhandlung eine zweite Auflage zu veranstalten,
Abhandlungen
en Jahrg. 1909:
der Akademie.
Physikalisch-mathematische Classe EN Eee Ei -. 41150
Philosophisch-t historische Classe . . . ee Ne N ee IE
Abhandlungen. Jahrg. 1910:
ee mathematische Classe . . . » 22.2... e Es M34—
Philosophisch-historische Classe - . . . . . . . are En k er
Einzelne Abhandlungen aus den Jahren 1909, 1910, 1911 und 1912.
: Gedächtnissrede auf eng de Schrader : AM 1—
VON Wiramowrrz.) -Mo: : Nordionische Steine. ee ee RT
.: Ged ae auf Rich Pisch« & Pr = 2, » 1—
Russ: Gedächtnissrede auf Bee Kohlrausch” = Es 1
Laxoorr +: Übe, = e r Masse bei chemischen Umsetzungen Be < ee
Bes vos S: öpfe Le
Dırraı Der Aufbau de Geochkchtie en Welt in den Geisteswissenschaften Erste Maine .5—
VAR’T en: Ged Aehtuinntede anf uf Hans Heinrich Landolt . I
Mörter: Uigurica RE
Exorzr und R. Krause: Über gen anatomischen Bau der Daumartigen Cyperacee Schoenodenäron 5
ücheri En sK » 2—
Fischer: Gedächtnisrede auf Ji Tocsbns Henrieus van’t Ho : EN SER ee
Scuvsze, W.: edächtnissrede auf Heinrich ar Fa? ie m dee
Enwax: Hymnen an das jadem der Ph : eg
Monr: Zur sprac achlichen G liederung Fran Be Ei » 3,50
Dieis: Die ee Gberkieung des Galen’schen Commentars zum Prorrheticum des si
250
Hippo)
Zimmer +; Auf welchem Wege kamen die Goidelen vom Continent nach Irland? .
R. Isesscanip: Zur Kenntniss oahnrnde der M BEE IE.
P. Röruıe: Zn nordnun Faserzüge im Vordaitar, von Siren lacertina
M. Nzipise: Über die Kerne” ne ie Diencephalon bei eini; En asien a eng
K. eg : Über die Kerne des menschlichen Kleinhirn: SER
H. Jus‘ De: A ge Hathor-Tefnut aus Nubie:
F. es Hırrer von GAeRTRIngen und H. De "Arkadische "Forschung gen
Ta. Wireanp: Erster Pa Ber Bericht über die von den Königlichen Museen unternommenen
Ausgrabungen in Sam
L. Licntessteis: FBiree rg Satz zes, dass ‚Jeis hinreichend kleine, im wesentlichen stetig ge
krümmte, singularitätenfreie Flächenstück auf einen Bi einer Ebene ne
und in Be k feinsten Treden ähnlieh gel bildet werden n 5
M. Livzsarskr: Phönieische und aramäische le aus * Bophanine n
A.vox Le Cog: Türkische Manichaica aus
M. vay Berc#en: Die muslimischen ee von ee
Sitzungsberichte der Akademie.
a a en ern
Sonderabdrucke. II. Halbjahr 1911.
Wıex: Bestimmung der mittleren freien Weglänge der Kanalstrahlen .
VoX ee -MoELLENDORFF un UCKER: zwei Ediete des Germanicus auf einem | Papyrus
d erliner Museums (hierzu Taf. V) £ ®
A. Ne die Tektonik des tieferen U: Nordd hl:
Herrwi
: Mesothoriumversucl e an thierischen äinzele, ein Osperimemiier Beweis für "die
r das Eurer’sche Deko) sproblem . ee et
abe die vier Jacopr’sel ee R a ee 5
jenkmal ee "The gie FR
-, Sprach- und Litterarhistorisches aus dem Raurliya Be ee
Ann: die Be en des Königs Kalumu RE
in es Diokleszitat Wera er ee .
SELER: > Smktug Re von ee in Yucatan (hierzu "Tal. vv ER
E. Mer u den aramäischen Papyri von Elephantin; e
rl "über die Lage der Marsachse und die Konstah ten” im Marseystom - .
Ernan: Denksteine 2 an ern Gräberstadt (hierzu Taf. a
; m und C. Rex
C. A zu den Inschriften Fig Königs, Kalumu DE
Sonderabdrucke. I. ee 1912,
I. Scaur: über einen Satz von C. Carara£opo; A
a Ableitung eines Sarıc von CArsrafoporr aus "einer ‚Formel von \ Raouscxen .
OSER: ee B
vox owırz-MOELLENDORFF: Mimnermos "und Pro roperz
Re über die Betheiligung endocellularer Fermente am Energiev erbrauch der Zelle
Nersst: Thermodynamik und specifische Wärme 2 z
A. Eucxex: die Molekularwärme des Wasserstoffs bei tiefen Tenperaturen . BE Bus
Orra: über Rinder- und nes ws
Harsack: Geschichte eines programmatischen Worts Jesu. (Matth. 5, in in ı der ältesten Kirche
Warzurg: über den Due bei photochemischen Vorgängen in Gasen. .
Liesisor: über die Fluorescenz der Sodalith- und Willemi tgruppe im altravioleten Licht
Hasertaspr: über das Sinnesorgan des Labellums der Pferos tylis-Blütl
Rusens und G. Hertz: über den The er ers auf die Absorpion Iangwelliger Wärme-
trahlen in einigen Be er Ki
Herrsays: über den Charaktı dd hl:
en die Ertahrungsgrundlagen der Lehre vom algeneinen Gleichgewichtszustande der Massen
WW. Bis: über e Rächs el des Codex” Cumanieus“ (hierzu Taf. I und im. :
Rosert: zu den Epi Basar 's des Menan n
K. Meyer: ein mittelirisches Gedicht auf Beiden den Meerfahrer e
: me om o
ira. 8
SEI
1912, XXVIXXVI.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe am 23. Mai. (S. 455)
Frosexius: Über Matrizen aus nicht negativen Elementen. (S. 456)
.H.E r Mischgesteine von Granit und Sedimenten. (S. 478)
Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 23. Mai. (S. 485
J. Marquart: Guwaini’s Bericht über die Bekehrung der Uiguren. ($. 486)
BERLIN 1912.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.
Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.
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Die ie gibt lee sa s der Statuten ae
fortlaufen«
der Kö: en Preussischen er ler Wissenschaften «
und et der Königlich Preussischen Akademie
der Wissenschaften
Aus $ 2
ge ke en in er »Sitzungsberichte- oder die
uss in einer aka-
demischen ee ee werden, wobei in der Regel
i i ich einzuliefern ist. Nicht-
mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem
Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.
imfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll
a der Rage in den See bei RBEUe >
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von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand-
lungen nicht U eRmEeIBEN:
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wenn es sich nicht bloss um glatten Text a aus-
reichende Anweisungen für die Anordnung
und die Wahl der Schriften enthalten.
girenden Secı
und die aueh er zur Tragung deı
kosten verpfli
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Von allen in die Sitzungaberichte oder Abhandlungen
Mittl
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der’& Akademie oder dä
haft, und ist bei we der eng ausörcklich 2 zu
beantragen. ee der Umfang ei
wmuthen, dass diese Zustimmung ei ef
hat das vorlegende sp: nen: s= es vor dem iheeleniie
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im Druck abschätzen zu ee
Sollen einer ne Abbildungen im Text oder
auf Baar Tafeln beigegeben werden, s
Vorlagen ir (Zeichnungen, photographische Ori
ee u.s.w.), ende mit Kae Manuseript, jedoch
tellu ie Vorlagen haben’ in
der Regel die eelaaner zu tragen. Sa: diese a
aber auf einen erheblichen er zu veranschlagen,
kann die Akademie dazu eine Bewilligung Beschliesen, "Ein
eines Sachverständi; vorsitzend zu
ichten, dann u im Sceretariat vorzuberathen und
weiter in der Gesammt-Akademie zı
de: u verhandeln.
Die Kosten der Vervielfsligung übernimmt die Aka-
demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten
ist — wenn es sich nicht um _.n a Textfiguren
elt — der K
en Überschreitet dieser ee für die er-
terliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark,
er den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung
durch das Seeretariat res
5.
Nach der Korlasıne und Einreichung des
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zuständi ige n den chivar
wird über elaline vs les in die Er emischen
Schriften, und en a eines der anwesenden Mit-
Es es verlangt, abgestimm:
theilungen von er va nicht an gms
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schliesst eine
s0 bedarf dieser Beschlu.
ss der Bestätigung durch die
Gesammt-Akademie.
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sen oder Berichten werden für die Verfas: von
wi iienshnichen en wenn deren Umfang im
für de:
jrucke hergestellt, die al a Erscheinen des be-
ee Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden.
Nr 1 dssshisnch;
für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die
Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären.
Von den ;
erhält ein Verfasser, ee nei 2 en ist,
zu en Vertheil s 50 Frei-
exemplare; eı indess ee zu gleichem Zwecke
auf Kosten = ne weite! ran is zur Zahl
von noch 100 und an Kosteı och weitere bis
en er diese ie je
emplare und -. nach rechtzei
eigen ‚eretar weitere 200 Ex
er abzlähen
n den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er-
a ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie I
zu ie ra Vertheilung ohne weiteres
ichem Zwecke
emplare auf ihre
Hötane din zechkseiige dein kace Seeretar an-
gezeigt hat; wünscht er auf seine K eh
Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu
der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der ber
en Classe. — Nie] ii Iten
exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem
redigirenden Seeretar weitere 100 Exemplare auf ihre
Kosten abziehen lassen.
SIR.
‚Eine für die usdemischen Schriften be-
mte ae Mittheilung darf
in keinem Falle r ihrer Ausgabe an jener
Stelle nee sei es auch nur auszugs-
(Fortsetzung auf 8.3 des Umschlags.)
455
SITZUNGSBERICHTE _ 1912.
DER XXVL
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
23. Mai. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.
EUJ
Vorsitzender Secretar: Hr. WALDEYER.
Hr. Frogenisus las Über Matrizen aus nicht negativen Ele-
menten.
Die Theorie der nicht negativen Matrizen wird auf den besonderen Fall zurück-
geführt, wo die Matrix unzerlegbar ist. Dann bleiben fast alle Eigenschaften der
positiven Matrizen bestehen, nur braucht die Maximalwurzel nicht grösser zu sein als
jede andere Wurzel, sondern kann auch einigen derselben gleich sein. Diese sind
dann die sämmtlichen Wurzeln einer reinen Gleichung. In diesem Falle nenne ich die
Matrix imprimitiv, im andern Falle primitiv. Es werden eine Anzahl von Regeln
entwickelt, nach denen man diese verschiedenen Arten von Matrizen unterscheiden kann.
Sitzungsberichte 1912. >
456 Sitzung der physikalisch ischen Classe vom 23. Mai 1912.
Über Matrizen aus nicht negativen Elementen.
Von G. FRoBEntus.
In meinen Arbeiten Über Matrizen aus positiven Elementen, Sitzungs-
berichte 1908 und 1909, die ich hier mit P. M. zitieren werde, habe
ich die Eigenschaften der positiven Matrizen entwickelt und durch
Grenzbetrachtungen mit den nötigen Modifikationen auf nicht negative
übertragen. Die letzteren aber erfordern eine weit eingehendere Un-
tersuchung, worauf ich durch die in $ ıı behandelte Aufgabe ge-
kommen bin.
Eine nicht negative Matrix A, die unzerlegbar ist, hat fast alle
Eigenschaften mit den positiven Matrizen gemeinsam ($ 5). Nur
wenn r die größte positive Wurzel oder Maximalwurzel ihrer charak-
teristischen Gleichung p(s) = 0 ist, kann der absolute Betrag einer
andern Wurzel zwar nie >r, wohl aber = r sein. Jede der k Wur-
zeln r,r’,r”,.--, die absolut gleich r sind, ist einfach, und ihre Ver-
hältnisse, 1,Z, Z, + sind die k Wurzeln der Gleichung r* = 1.
Ist k= 1, so nenne ich die Matrix A primitiv, ist k>1, im-
primitiv. Jede Potenz einer primitiven Matrix ist wieder primitiv,
eine gewisse Potenz und jede folgende ist positiv.
Ist A imprimitiv, so besteht A” aus d unzerlegbaren Teilen, wo
d der größte gemeinsame Divisor von m und k ist, und zwar zerfällt
A” vollständig. Die charakteristischen Funktionen der Teilmatrizen
unterscheiden sich nur durch Potenzen von s untereinander.
Die Matrix A* ist die niedrigste Potenz von A, deren unzerleg-
bare Teile alle primitiv sind. Die Anzahl dieser Teile ist dem Ex-
ponenten % gleich. Ist
Yls) = Ss" +as” + as"? +... +0,
die charakteristische Funktion eines dieser k Teile, so ist
pls) = Ss" + ask agsn-2tr ... Haysmk — sr-mkuy(sk)
die von A. Die Maximalwurzel r‘ der Gleichung &(s) = 0 ist ab-
solut größer als jede andere Wurzel.
Fropenıus: Über Matrizen aus nicht negativen Elementen. 457
In $ ıı dehne ich die Untersuchung auf zerlegbare Matrizen aus,
und in $ ı2 zeige ich, daß eine solche nur auf eine Art in unzer-
legbare Teile zerfällt werden kann. Dabei ergibt sich der merkwür-
dige Determinantensatz:
I. Die Elemente einer Determinante nten Grades seien n’ unabhängige
Veränderliche. Man setze einige derselben Null, doch so, daß die Deter-
minanle nicht identisch verschwindet. Dann bleibt sie eine irreduzible Funk-
tion, außer wenn für einen Wert m