FLORA ODER ALLGEMEINE BOTANISCHE ZEITUNG FRÜHER HERAUSGEGEBEN VON DER KGL. BAYER. BOTANISCHEN GESELLSCHAFT IN REGENSBURG_ u” u” NEUE FOLGE. ELFTER UND ZWÖLFTER BAND {DER GANZEN REIHE 111. UND 112. BAND) HERAUSGEGEBEN VON DR. K. GOEBEL . PROFESSOR DER BOTANIK IN MÜNCHEN FESTSCHRIFT STAHL MIT 7 TAFELN UND 169 ABBILDUNGEN IM TEXT 1ENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1918 Be „Fri FESTSCHRIFT ZUM SIEBZIGSTEN GEBURTSTAGE VON ERNSTSTAHL IN JENA MIT 7 TAFELN UND 169 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1918 Missouri BOTANIGAL Ganc EN LIBRARY ALLE RECHTE VORBEHALTEN ERNST STAHL WIDMEN DIESEN BAND ZUM 70. GEBURTSTAG IN HERZLICHER VEREHRUNG UND DANKBARKEIT FACHGENOSSEN, FREUNDE UND SCHÜLER oO Inhaltsverzeichnis. ‚Seite DETMER, W., Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker und seine Stellung” zu einigen Grundproblemen der Biologie... ... - 1-47 KARSTEN, 6, Über Kompaßpflanzen. (Mit Tafel) .... 48—59 MOLISCH, HANS, Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbrei- füng gelöster Oxalate im Pflanzenreiche. (Mit Tafel I . . . . 60-70 REINKE, J., Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen . . 71—84 MEYER, ARTHUR, Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. (Mit 17 Abbildungen im Text) . . . 85-127 KLEBS, GEORG, Über die Blütenbildung von Sempervivum. (Mit 5 Ab- bildungen im Text) 2.2 onen ne 128--151 NEGER, F. W., Die Wegsamkeit der Laubblätter für Gase. (Mit 3 Ab- bildungen im Text) . 2.2 Co Co 2 nor. 152-161 TISCHLER, G., Über den anatomischen Bau der Staub- und Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria mit Beziehung auf das „Ilegitimitätsproblem“. (Mit Tafel III und 8 Abbildungen im Text) . nn» 162—193 KLEBAHN, H., Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertrag gung von Kiefer zu Kiefer. (Mit Tafel IV und V und 1 Abbildung Tot) 2er . 194 207 DE VRIES, HUGO, Phylogenetische und gruppenweise Artbildung . . . 208—226 DRUDE, OSCAR, Licht- und Wärmestrahlung als dkologische Standorts- faktornm >20 or ernennen. . 227267 GOEBEL, K., Zur Kenntnis der Zwergfarne. (Mit 6 Abbildungen ; im Text) 268—281 FOCKE, W. O., Die nordwestdeutsche Küstenflora . . . 2... - 282—293 GIESENHAGEN, K., Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. (Mit 6 Abbildungen im Text) . . 222er. 2. . 294316 VON KIRCHNER, O., Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. und ihrer Verwandten. (Mit 6 Abbildungen im Text) ... ... . 317-326 SCHMID, GÜNTHER, Zur Kenntnis der Oseillarionbewegung. ie Ab. bildungen im Text) Deren“ . 327-379 KNIEP, HANS, Über die Bedingungen der Sehnallenbildung bei den Basidiomyzeten Deere enee Da EEE 330-305 MÖBIUS, M., Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. (Mit 11 Abbildungen im Text). ....... . 396-417 KLEBAHN, H., Impfversuche mit Pfropfbastarden. (Mit 9 Abbildungen im Tot) 2 on 418—430 MIEHE, HUGO, Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia nebst einigen Bemerkungen über dasMykorhizenproblem. (Mit Tafel VI und 2 Abbildungen im Text) . . . ... nn. 431-449 BENECKE, WILHELM, Pflanzen und Nacktschnecken . . . 2 .... 450—477 vin Inbaltsverzeichnis, Seite JOST, L.. Die Griffelhaare der Campanulablüte. (Mit 12 Abbildungen im Tel) Sonn 478—489 DIELS, L., Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. (Mit 3 Abbildungen im Text) . x 2 2. 2er 2e. Dorner 4909502 SCHENCK, H., Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln, (Mit 10 Abbildungen im Text)... 2 2 2 2 onen nenn 503—525 KOERNICKE, M., Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. (Mit Tafel VII und 4 Abbildungen im Text) 526540 RISS, M. M. Die Antherenhaare von Cyelanthera pedata (Schrad.) und einiger anderer Cucurbitaceen. (Mit 16 Abbildungen im Text) . 541—559 BIEDERMANN, W., Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodes, (Mit 19 Abbildungen im Text) ....... . . 560-605 BÜSGEN, M., Biologische Studien mit Botrytis einera .. 2.2.2... 606— 620 KÜSTER, ERNST, Über rythmisches Diekenwachstum. (Mit 13 Abbil- . dungen im Text) . 222.222 o ron. 621—640 RENNER, O., Weitere Vererbungsstudien an Önstheren . .. 2... 641—667 LUBOSCH, WILHELM, Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteo- logie der Säugetiere . . .. 2.22 rear nern. 668—702 SERNANDER, RUTGER, Subfossile Flechten. (Mit 7 Abbildungen im Text) 703—724 Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker und seine Stellung zu einigen Grundproblemen der Biologie. Von W. Deimer. I. Stahl’s Lebenslauf und seine Persönlichkeit. Christian Ernst Stahl wurde am 21. Juni 1848 zu Schiltigheim bei Straßburg i. E. geboren. Sein Vater, Christian Adolf Stahl, war Kaufmann. Seine Mutter trug den Namen Magdalena Stahl, geb. Rhein. Stahl besuchte das Gymnasium in Straßburg, erhielt im August 1867 den „grade de bachelier &s-lettres“, ein Jahr darauf den „bachelier ds-sciences“ und studierte dann zunächst bis zum Sommer 1870 an der facult& des sciences zu Straßburg. Zur Fortsetzung seiner Studien begab sich Stahl im Herbst 1871 nach Halle a. $., kehrte 1872 nach Straßburg zurück und erwarb an dieser Universität auf Grund einer Dissertation, die unter dem Titel „Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Lenticellen“ erschienen ist, die Doktorwürde (3. Juli 1873), arbeitete dann mehrere Jahre in den botanischen Instituten zu Straßburg und Würzburg und begann im Herbst 1877 seine Lehr- tätigkeit als Privatdozent der Botanik an der Universität Würzburg. Der Titel der Habilitationsschrift lautet: „Über die geschlechtliche Fortpflanzung der Collemaceen.“ Den nachhaltigsten Einfluß auf Stahl’s wissenschaftliche Ent- wicklung haben zwei ganz hervorragende Gelehrte, nämlich de Bary und Sachs, ausgeübt. Beider Männer gedenkt Stahl heute noch oft und spricht mit großer Verehrung und in dankbarer Gesinnung von ihnen. Im März 1880 leistete Stahl einem Ruf als Extraordinarius nach Straßburg Folge; Ostern 1881 übernahm er als Nachfolger Strasburger’s die ordentliche Professur der Botanik an der Universität Jena. Als sich ihm später Gelegenheit bot, nach München berufen zu werden, lehnte er von vornherein ab. Große Freude bereitete ihm die Er- nennung zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissen- schaften in München (1906). Stahl hat in Jena nunmehr länger als 3%, Dezennien eine aus- gebreitete Tätigkeit entfaltet. Er versteht es in ausgezeichneter Weise, die Studenten im Kolleg, im Laboratoriam und bei den botanischen Flora. ba. 11. 1 2 W. Detmer, Exkursionen zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit anzuregen. Unter seiner Leitung sind zahlreiche Dissertationen entstanden, von denen die meisten Fragen der Ökologie der Gewächse behandeln und wesentlich zur Förderung unserer Erkenntnis der Anpassungen der Pflanzen an die Umwelt beigetragen haben. Stahl’s Vortrag — er liest im Sommer über allgemeine Botanik, im Winter über Kryptogamen- kunde oder über Biologie und Geographie der Pflanzen — zeichnet sich durch Einfachheit in der Form, Klarheit, gute Gliederung des zu behandelnden Stoffes und in die Tiefe gehende Erfassung der wissen- schaftlichen Probleme aus. Der Pflege des wunderschönen botanischen Gartens in Jena widmete er stets ganz besondere Aufmerksamkeit, und das ebenfalls unter seiner Leitung stehende botanische Institut hat erst vor wenigen Jahren eine bedeutende Erweiterung durch einen wohlgelungenen Anbau erfahren. Man darf sagen, daß Stahl alle jene Qualitäten eigentümlich sind, die einen Naturforscher befähigen, Hervorragendes auf seinem Gebiet zu vollbringen. Er besitzt ein selten versagendes Gedächtnis, aus- gezeichnete Begabung zur Beobachtung, feinsinniges biologisches Ver- ständnis, große Ausdauer bei der Detailarbeit. Er übt stets strenge Selbstkritik, publiziert seine Untersuchungen erst, nachdem er die Probleme jahrelang immer wieder durchdachte und seine Ansichten über dieselben voll ausreifen ließ. Das weite Gesamtgebiet der Botanik beherrscht Stahl so vollständig, wie wenige andere Fachgenossen, so daß sich z. B, auch Männer, die sich ganz speziell mit der Systematik der Phanerogamen, mit Lichenologie und Bryologie beschäftigen, bei Gelegenheit von Exkursionen sehr erstaunt über sein umfassendes Wissen äußerten. Dazu kommen seine ausgedehnten chemischen, physikalischen und zoologischen Kenntnisse, die für den Pflanzenbiologen heute so großen Wert beanspruchen. Ein hohes Lebensglück ist es für Stahl gewesen, daß er Gelegen- heit fand, viele Reisen in Europa, die ihn namentlich in die Alpen und an die sonnenbeglänzten Küsten des Mittelmeeres führten, unter- nehmen zu Können. Besondere Bedeutung haben aber Studien- und Forschungsreisen nach Algerien, Mexiko und Java für seinen wissen- schaftlichen Werdegang gewonnen, denn sie brachten ihm die mannig- faltigsten Anregungen, erweiterten seinen Gesichtskreis gewaltig und veranlaßten ihn zu verschiedenen Untersuchungen, deren Resultate in meisterhaft abgefaßten Arbeiten niedergelegt worden sind. Stahl besitzt vortreffliche Eigenschaften als Mensch. Seine Freunde, Kollegen und Schüler schätzen und verehren ihn seiner Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 3 liebenswürdigen, feinen Persönlichkeit, seiner vornehmen Gesinnung und seiner wissenschaftlichen Arbeiten wegen gar hoch. Wohltuend berühren auch sein bescheidener Sinn und seine Anspruchslosigkeit, übrigens verbunden mit eigentümlicher Willensstärke, die ihn in den Stand setzt, Auffassungen, welche er nach reiflicher Überlegung als richtig erkannt hat, mit Zähigkeit festzuhalten und mit aller Energie zu vertreten. Vorurteilsfrei in seinen Anschauungen über Menschen und Verhältnisse, ein Mann von gründlicher Allgemeinbildung, widmet Stahl allen Kulturbestrebungen das lebhafteste Interesse. Ebenso wie er ein begeisterter Bewunderer der Naturschönheit ist, ziehen ihn hervorragende künstlerische Leistungen, besonders auf dem Gebiete der Literatur, in allererster Linie aber musikalische Kunstwerke und deren Vorführung, mächtig an. Zudem beschäftigt er sich häufig mit eingehenden philosophischen Studien. Den Problemen der Metaphysik gegenüber steht Stahl auf dem Standpunkt des Agnostikers; erkenntnis- theoretisch neigt er den Ansichten der Vertreter eines relativistischen Positivismas zu (E. Mach, Petzoldt!) 2)), verschließt sich aber dabei anderer Betrachtungsweise keineswegs, weil er genau weiß, daß Er- kenntnis nicht urplötzlich, und indem man sich nur von einem Gesichtspunkt leiten läßt, gewonnen werden kann, vielmehr für die Menschheit ein „Aufgegebenes“ ist, das erst allmählich zu werden, zu wachsen und sich zu entwickeln vermag. II. Stahl’s wissenschaftliche Arbeiten. Stahl hat während seiner langjährigen wissenschaftlichen Tätig- keit die folgenden Arbeiten publiziert: 1) Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Lenticellen. Botanische Zeitung 1873, Jahrg. 31. 2) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Flechten. (Vorläufige Mitteilung.) Botanische Zeitung 1874, Jahrg. 32. 3) Über künstlich hervorgebrachte Protonemabildung an dem Sporangium der Laubmoose. Botanische Zeitung 1876, Jahrg. 34. 4) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Flechten, Heft 1. Leipzig, 1877. 1} Vgl. namentlich Mach, Analyse der Empfindungen, 5. Aufl, Jena 1906; Mach, Erkenntnis und Irrtum, 2. Aufl. Leipzig 1906; Petzoidt, Das Weltproblem, 2. Aufl. Leipzig 1912. Letztere Schrift aus der Sammlung: Wissenschaft und Hypothese, 2) Besonders eingehend hat Wundt den Positivismus (Empiriokritizismus) in seinem wertvollen Buch: „Kleine Schriften“, Bd. I, pag. 353 kritisch beleuchtet, Vgl. auch Jokannes Volkelt, Die Quellen d. menschlichen Gewißheit, München, 1906; u. Bauch, Studien zur Philosophie der exakten Wissenschaften. Heidelberg 1911. 1* 4 W. Detmer, 5) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Flechten, Heft 2. Leipzig, 1877. 6) Über die Ruhezustände von Vaucheria geminata. Botan. Zeitg. 1879, Jahrg. 37. 7 Über den Einfluß des Lichtes auf die Bewegungen der Desmidiaceen nebst einigen Bemerkungen über den richtenden Einfluß des Lichtes auf die Schwärm- sporen. Verhandlungen der physikal.- medizin. Gesellschaft in Würzburg 1879, N. F., Bd. XIV. 8 Über den Einfluß von Richtung und Stärke der Beleuchtung auf einige Be- wegungserscheinungen im Pflanzenreiche. Botan. Zeitung 1880, Jahrg. 38. 9) Über den Einfluß der Lichtintensität auf Struktur und Anordnung des Assimi- lationsparenchyms. Botan. Zeitung 1880, Jahrg. 38. 10) Über die sogenannten Kompaßpflanzen. Jen. Zeitschr. f. Naturw, 1881, Bd. XV 11) Über einige Geo- und Heliotropismuserscheinungen. Vortrag auf der Versamm- lung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Eisenach, 1882. 12) Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Standortes auf die Ausbildung der Laubblätter. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1882, Bd. XVI. 13} Über den Einfluß der Beleuchtung auf das Wachstum der Pflanzen. Sitzungs- berichte der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft für das Jahr 1882. 14) Zur Biologie der Myxomyceten. Botan, Zeitung 1884, Jahrg. 42. 15) Einfluß des Lichtes auf den Geotropismus einiger Pflanzenorgane. Ber. der Deutschen botan. Gesellschaft 1884. 16) Über den Einfluß des Lichteinfalls auf die Teilung der Equisetumsporen. Tage- blatt der 58. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Ärzte in Straßburg, 1885. 17) Einfluß der Beleuchtungsrichtung auf die Teilung der Equisetumsporen. Ber. der Deutschen botan. Gesellsch. 1885, Bd. TIL. 18) Die biologische Bedeutung der Rhaphiden. (Vorläufige Mitteilung.) Biol. Zentralbl. 1887, Bd. VII. ’ 19) Pflanzen und Schnecken. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 1888, Bd. XXIL 20) Oedocladium protonema, eine neue Ödogoniaceengattung. Pringsbeim’s Jahrb. f. wissenschafti. Botanik 1892, Bd. XXI. 21) Regenfall und Biatigestalt. Ein Beitrag zur Pflanzenbielogie. Extrait des Annales du Jardin Botanique de Buitenzorg 1893, Vol. XI. Vorläufige Mit- teilung über diese Arbeit in Botan. Zeitung 1893, Jahrg. 5l. 22) Einige Versuche über Transpirstion und Assimilation. Botan. Zeitung 189%, Jahrg. 52. 23) Über die Bedeutung des Pflanzenschlafes. (Vorläufige Mitteilung.) Berichte der Deutschen botan. Gesellschaft 1895, Bd. XIII. 24) Über bunte Laubblätter. Ein Beitrag zur Pflanzenbiologie. Extrait des An- nales du Jardin Botaniyue de Buitenzorg 1896, Vol. XIII. 25) Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Botan. Zeitung‘ 1897, Jahrg. 55. 26) Der Sinn der Mycorrhizenbildung. Pringsheim’s Jahrb. f. wissenschaftl. Botan. 1900, Bd. XXXIV. 27) Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß, Festschrift zum 70. Geburtstag von E. Haeckel. Jena 1904, Verlag von G. Fischer. 28) Mexikanische Kakteen-, Agaven- und Bromeliaceen-Vegetation von Karsten und Stahl. und mexikanische Nadelhölzer und Xerophyten von Stahl. Beide in den von Karsten und Schenck herausgegebenen Vegetationsbildern, Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 5 1. Reihe, Heft 8, und 2. Reihe, Heft 3 und 4. Verlag von G. Fischer, Jena 1903 und 1904. 29) Laubfarbe und Himmelslicht. Naturwissenschaftl. Wochenschr. 1906. 30) Über das Vergilben des Laubes. (Vorläufige Mitteilung.) Ber. der Deutschen botan. Gesellsch. 1907, Bd. XXV. 31) Zur Biologie des Chlorophyl)s, Laubfarbe und Himmelslicht, Vergilbung und Etiolement, Jena 1909, Verlag von G. Fischer. 32) Blitzgefährdung der verschiedenen Baumarten. Jena 1912, Verlag von G. Fischer. 33) Matthias Jakob Schleiden, Rede gehalten bei der Säkularfeier seines Ge- burtstages am 18. Juni 1904. Jena 1904, Universitätsbuchdruckerei von G. Neuenhahn. Vgl. aueh Naturw. Wochenschr, 1904. In dieser Abhandlung kann es sich nicht darum handeln, die ein- zelnen Arbeiten Stahl’s ihrem Inhalte und ihrer wissenschaftlichen Be- deutung nach eingehend zu beurteilen. Solche Analyse würde viel zu weit führen. Es kommt vielmehr nur darauf an, den wissenschaft- lichen Standpunkt, die Richtung und Tendenz, in denen sich Stahl’s Studien bewegen, sowie die Förderung, welche die Botanik durch sie erfahren hat, im allgemeinen zu charakterisieren. Stahl’s Untersuchungen gehören den Gebieten der Entwicklungs- geschichte, der Pflanzenphysiologie und namentlich der Ökologie der Gewächse an. Stets im genauesten Kontakt mit dem Geschehen in der frei waltenden und webenden Natur stehend, besitzt Stahl ein merk- würdig feinsinniges Verständnis für die großartigen Zusammenhänge des gesamten Naturseins, die Wechselbeziehungen, welche zwischen verschiedenen Organismen bestehen, und für die heute immer mehr Boden gewinnende Auffassung, nach der jedes einzelne Pflanzenindivi- duum als einheitliches System, eben als Organismus (nicht nur einfach als Komplex von Zellen und Organen), aufgefaßt werden muß. Das Individuum ist mehr als die Summe der Elemente, aus denen es be- ‘steht, weil infolge des innigen Verbundenseins der Zellen, Gewebe und Organe sehr allgemein in diesen vorhandene Potenzen oder Dis- positionen erst ausgelöst, resp. unterdrückt werden, die für das Gesamt- system bedeutungsvoll sind ’), j Durch den intimen Verkehr mit der Natur empfing Stahl die bedeutendsten Anregungen zu Fragestellungen und Ausgestaltung seiner Forschungen. Mit eigentümlichem wissenschaftlichen Taktgefühl — man Y) Vgl. Pfeffer, Handbuch der Pfianzenphysiologie, 2. Aufl. Leipzig 1897 bis 1904. In diesem Werk, das in so vieler Hinsicht von grundlegender Bedeutung geworden ist, hat der Verfasser an zahlreichen Stellen den Gedanken von der ein- heitlichen Natur des Pflanzenindividuums begründet. Vgl. ferner Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, 3. Aufl. Jena 1913, pag. 393, 439, 453, und Fitting, Die Pflanze als lebender Organismus. ‚Jena 1917. 6 W. Detmer, darf sagen mit intuitiver Anschaulichkeit — vermag er das Wesen der Phänomene zu erfassen. Aber dann setzt für ihn die mühsame, stets wit strenger Selbstkritik durchgeführte Detailarbeit ein, und dabei kommen ihm seine gründlichen anatomischen und physiologischen Kenntnisse besonders zustatten. Handelt es sich doch darum, die durch Überlegungen allgemeinerer Art gewonnenen Arbeitshypothesen auf ihren Wert oder Unwert zu prüfen, eine Aufgabe, die nur auf induk- tivem Wege durch Beobachtung und Experiment zu lösen ist. Gewiß sind auch in Stahl’s Schriften Ansichten zu finden, die noch nicht hin- reichend verifiziert werden konnten, aber das hat im wesentlichen seinen Grund in den außerordentlichen Schwierigkeiten, die in der Sache selbst liegen. Auf jeden Fall haben Stahl’s Arbeiten besonders dazu bei- getragen, der Ökologie jene hervorragende Stellung zu sichern, welche sie heute im Kreise der Naturwissenschaften einnimmt. Das war nur möglich, indem er strenge Anforderungen an die Methodik der Öko- logie stellte. Stahl verlangt nach dieser Richtung hin: Beobachtung der Organismen unter natürlichen Lebensbediugungen und kritisch durchgeführte Experimente. Dabei unterschätzt er den Wert rein physiologischer Studien in keiner Weise. Er betont oft, daß die nämliche Lebenserscheinung einerseits vom physiologischen, andererseits vom ökologischen Gesichtspunkte aus beurteilt werden könne. Beide Betrachtungsweisen sind voll berechtigt; sie müssen nebeneinander hergehen und einander wechselseitig befruchten. 1. Entwieklungsgeschichtliche Arbeiten. Schon die ersten Studien Stahl’s, welche er im Jahre 1873 in seiner Inaugural-Dissertation publizierte (1), dürfen als solche von großer Bedeutung bezeichnet werden. Man wird diesem Urteil zu- - stimmen, wenn man in Betracht zieht, daß die vor 45 Jahren von unserem Autor durchgeführten Untersuchungen über die Lenticellen im wesent- lichen auch noch heute die Grundlagen für die Erörterung über diese Gebilde in den Lehr- und Handbüchern der Botanik bilden. Anknüpfend an die Arbeiten von Mohl und Unger, stellt Stahl zunächst mit aller Sicherheit fest, daß die Lenticellenbildung in der Mehrzahl der Fälle, z. B. bei Sambucus und vielen anderen Pflanzen, in genauer Beziehung zu den Spaltöffnungen steht, indem unter ihnen liegende Rindenzellen in „Verjüngungsgewebe“ (Phellogen der Lenti- eelle) übergehen, das alsbald auch Anschluß an das Korkcambium findet. Dies „Verjüngungsgewebe“ produziert nun nach außen die Füll- zellen der Rindenporen und zwar in so großer Menge, daß die Epider- Ernst Stahl, seine Bedentung als Botaniker usw. 7 mis über den letzteren infolge des zur Geltung kommenden Druckes zersprengt wird. Stahl kommt in seiner Arbeit weiter zu dem Er- gebnis, nach welchem die Lenticellenentwicklung z. B. bei Ginkgo in etwas anderer Art wie beim Holunder verläuft; er bespricht in ein- gehender Weise die Anatomie der Rindenporen und weist schließlich durch Experimente (Druckversuche) ilıre Bedeutung als Durchlüftungs- apparate der mit Periderm versehenen Zweige nach. Besonders bekannt ist Stahl’s Name durch die von ihm an- gestellten Flechtenuntersuchungen geworden (2, 4 und 5). Nachdem Tulasne den Bau des Thallus der Apothecien sowie der Spermogonien dieser merkwürdigen Organismen studiert und bereits in den Sper- matien männliche Geschlechtszellen vermutet hatte, während Brefeld sie für rückgebildete, funktionslos gewordene Elemente ansah, war Stahl bemüht, die Frage nach dem Vorkommen sexueller Prozesse bei den Flechten in seiner Habilitationsschrift (4) definitiv zu lösen. Sehr geeignet erwiesen sich für die Untersuchungen die Collemaceen, namentlich Collema microphyllum. Es konnte die Entwicklungs- geschichte des Carpogons, an welchem das Ascogon und das Trichogyn zu unterscheiden sind, verfolgt werden. Es war zu konstatieren, daß sich aus den Spermogonien frei gewordene Spermatien dem Trichogyn anlegen, mit diesem durch „eine Brücke“ in Verbindung treten, wodurch, wie Stahl meint, ein wirklicher Befruchtungsvorgang eingeleitet wird, der schließlich zur Ausbildung der Apothecien und der in diesen vor- handenen Asci führt. Ähnliche Erscheinungen wie bei Collema miero- phyllum ließen sich auch bei anderen Collemaceen und höher organi- sierten Flechten nachweisen, so daß unser Autor nicht an der Zulässig- keit der Auffassung zweifelte, nach welcher das Carpogon als weibliches Geschlechtsorgan, das Trichogyn als dessen Konzeptionsapparat, und die Spermatien als männliche Sexualzellen anzusehen sind). Im 2. Heft seiner Flechtenstudien behandelt Stahl die von de Bary angeregte und von Schwendener weiter verfolgte Frage nach der wahren Natur des Flechtenorganismus. Der zuletzt genannte Gelehrte war bekanntlich durch anatomisch-analytische Untersuchungen dahin geführt worden, denselben als symbiotischen Verband von Pilzen und chlorophyll- haltigen Lebewesen (Cyanophyceen oder echten Algen) zu betrachten. Reesund Bornet hatten bereits versucht, dies Resultat auf synthetischem Wege zu bestätigen, ohne daß es ihnen gelungen wäre, zu entscheidenden 1) Nach neueren Untersuchungen (vgl. Fünfstück in Engler’s natürlichen Pflanzenfamilien, 1. Teil, Abt. 1, pag. 38 u. 43), gibt es sicher manche Flechten, bei denen die Sexualität fehlt, die also apogam geworden sind. 8 W. Detmer, Ergebnissen zu gelangen. Hier setzen nun Stahl’s Forschungen ein. Viele Flechten sind durch den Besitz sogenannter Hymenialgonidien aus- gezeichnet, d. h. Algen, die, von Thallusgonidien abstammend, in den Sporenfrüchten zwischen den Asci auftreten. Stahl konstatierte nun für Endocarpon pusillum und andere Flechten, daß zugleich mit dem Freiwerden der Ascosporen auch Hymenialgonidien aus den Sporen- früchten ausgestoßen werden. Es bot sich ihm damit Gelegenheit, die Gonidien und Pilzsporen gemeinsam auszusäen und ihr weiteres Ver- halten zu beobachten. Unter günstigen Umständen entwickelte sich in der Tat aus den Keimen der für Endocarpon charakteristische Thallus; später traten auch Spermogonien auf, und schließlich Sporenfrüchte, die Aseosporen hervorbrachten. Die Studien haben also zum ersten Male den gewiß sehr bemerkenswerten Nachweis erbracht, daß die Möglichkeit besteht, den Flechtenkörper auf synthetischem Wege zu vollständiger Ausbildung zu bringen!). Im Anschluß an die vorstehend angeführten Untersuchungen Stahl’s sind hier noch seine unter 3,6 und 20 angegebenen Studien zu erwähnen, von denen namentlich diejenigen über Protonemabildung (3) ein all- gemeineres theoretisches Interesse beanspruchen. Sie haben in Über- einstimmung mit Arbeiten von Pringsheim den Nachweis erbracht, daß Sporogonien der Moose (Ceratodon) nach der Isolierung unter günstigen Kulturbedingungen das Vermögen besitzen, Protonema hervorzubringen, und zwar sind dazu sowohl Zellen des Stieles als auch der Kapselwand des Sporogoniums befähigt. . 2. Arbeiten auf dem Gebiet der Physiologie der Reiz- bewegungen. Stahl hat verschiedene Abhandlungen über lokomotorische Reiz- bewegungen der Pflanzen publiziert. Seine ersten Studien auf diesem Gebiet (7 und Schluß der unter 8 zitierten Arbeit) beschäftigen sich mit dem phototaktischen Verhalten der Desmidiaceen und der Schwärm- sporen. Es konnte konstatiert werden, daß sich die Längsachse von relativ schwachem Licht einseitig getroffener Desmidiaceen (speziell Ciosterium) recht schnell parallel zu den Strahlen einstellte. Dabei saßen die Algen mit dem einen von der Lichtquelle abgekehrten Ende auf dem Boden des Kulturgefäßes fest, während ihr dem Licht zu- gewandtes Ende frei schwebte. Die Closterien führen unter den be- 1) Zu dem gleichen Ergebnis führten später Untersuchungen von Bonnier. Firnst Stahl, seine Bedeutung ala Botaniker usw. 9 zeichneten Bedingungen auch Vorwärtsbewegungen aus, die freilich nicht wie bei Schwärmsporen den Typus von Schwimmbewegungen tragen, sondern dadurch zustande kommen, daß sich das freie Ende der Algen , nach unten neigt, bis es den Boden des Kulturgefäßes erreicht hat, während sich das entgegengesetzte Ende, indem es sich vom Substrat abhebt und einen weiten Bogen beschreibt, dem Licht zuwendet. Nicht nur die Richtung der Lichtstrahlen, sondern auch die Intensität des Lichtes ist von Einfluß auf die Orientierung der Desmidiaceen. Wenn stärkeres Licht auf die Organismen einwirkt, dann beschreiben sie nämlich einen Bogen von ca. 90°, so daß ihre Längsachse nun nicht mehr mit der Richtung der Lichtstrahlen zusammenfällt, vielmehr senk- recht zu derselben steht, Sehr eingehende Untersuchungen stellte unser Autor über die Bewegung der Chloroplasten an (8). Er ging dabei von möglichst ein- fachen Objekten, nämlich von den Algen, besonders Mesocarpus, aus. Er konnte für diesen Organismus in klarer Weise den Nachweis führen, daß die Stellung des großen, jede Zeile durchziehenden Chlorophyil- bandes in bedeutsamer Weise durch Richtung und Intensität des Lichtes beeintlußt wird. Bei diffusem Licht ist die Gleichgewichtslage der Chlorophyliplatte erreicht, wenn sie senkrecht zur Lichtquelle orien- tiert erscheint (Flächenstellung), während sie im direkten Sonnenlicht durch Drehung Profilstellung gewinnt, also den einfallenden Strahlen eine Kante zukehrt. Die sehr detaillierien Studien über Wanderung der Chloroplasten in den Prothallien der Farne, den Moosblättern so- wie den Blättern höherer Pflanzen führten in Verbindung mit kritischer Behandlung der Arbeiten von Borodin und Frank über den gleichen Gegenstand zu dem Resultat, daß die Chlorophylikörper bei diffusem Lieht im allgemeinen die zum Lichteinfall senkrechten Wandpartien der Zellen bedecken (Flächenstellung), im direkten Sonnenlicht aber an den Seitenwänden der Zellen in Profilstellung gruppiert sind. Nur in den Palisadenzellen der Blätter sind die Chloroplasten sowohl bei diffusem Licht als auch bei direkter Insolation in Profilstellung an den zur Organfläche senkrechten Seitenwänden der Zellen orientiert. Schließ- lich werden noch die Beobachtungen über Gestaltänderungen der Chlorophylikörper bei verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen be- sprochen, und es wird die Frage nach der ökologischen Bedeutung der Wanderung und des Formwechsels der Chloroplasten erörtert '). 1) Die Chiorophylikörperwanderungen sind reuerdings namentlich von Lins- bauer und Senn weiter studiert worden, 10 W, Detmer, Besonders wertvoll sind Stahl’s Untersuchungen über die Be- wegung der Myxomyceten (14), welche er unter Benutzung der Plas- modien von Aethalium septieam ausführte. Diese Plasmodien erwiesen sich als rheotaktisch reizbar. Sie reagieren aber auch positiv hydro- taktisch, und später, wenn sie sich zur Fruchtkörperbildung anschicken, infolge einer Stimmungsänderung, welche sie erfahren, negativ hydro- taktisch. Ferner ist die Chemotaxis der Schleimpilze beachtenswert. Manche Stoffe, z. B. konzentrierte Lösungen von NaCl und K,CO,, rufen negativ chemotaktische, andere (Loheextrakt bei Aethalium) positiv chemotaktische Bewegungen hervor. Geotaktisch reagieren die Plas- modien nicht, wohl aber negativ phototaktisch, positiv thermo- und a&ro- taktisch. Dies so überaus feine und mannigfaltige Reaktionsvermögen der zarten Plasmodien äußeren Einflüssen gegenüber ist für das Leben derselben von größter Bedeutung, indem dem Organismus durch sein physiologisches Verhalten die Möglichkeit geboten wird, gerade die- jenigen Orte im Substrat aufzusuchen, die für seine Existenz die günstigsten Bedingungen darbieten. In einer kurzen Mitteilung behandelt Stahl die Frage nach dem Einfluß der Beleuchtungsverhältnisse auf die Teilung der Equisetum- sporen (17). Die erste Scheidewand, welche bei der sowohl im Dunkeln als auch bei Lichtzutritt erfolgenden Keimung der Schachtelhalmssporen entsteht, ruft eine Gliederung in zwei Zellen hervor, von denen die eine zum Wurzelhaar auswächst, während aus der anderen das Pro- thallium hervorgeht. Die Scheidewandbildung wird durch Gravitations- wirkung nicht beeinflußt, Dagegen ließ sich eine sehr maßgebende Einwirkung der Richtung der Lichtstrahlen auf den Teilungsvorgang der Equisetumssporen konstatieren, indem die Bildung der ersten Scheidewand stets derartig erfolgte, daß die kleinere Rhizoidzelle nach der Schattenseite, die größere Prothalliumzelle aber nach der Licht- quelle gekehrt war. Unser Autor führte auch einige Untersuchungen über helio- und geotropische Nutationen der Pflanzen aus (10, 11, 15). Zu den ersteren dienten ihm Vaucheriaschläuche und dieinteressanten sogenannten Kompaß- pflanzen (Silphium laeiniatum sowie Lactuca Scariola) als Beobachtungs- material. Er stellte fest, daß die unter dem Einfluß starker Licht- intensitäten erfolgende Ausbreitung der Blätter der beiden zuletzt ge- nannten Gewächse in der Meridianebene Folge ihres eigentümlichen, durch Torsionen vermittelten heliotropischen Reaktionsvermögens ist. An den unter gewöhnlichen Umständen ein diageotropisches Verhalten zeigenden Rhizomen von Adoxa ließ sich eine Änderung ihrer geotro- Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 11 pischen Eigenschaften (Stimmungswechsel) durch Lichteinfluß erzielen. Die Pflanzenteile wurden positiv geotropisch; ihr diageotropisches Re- aktionsvermögen stellte sich aber, wenn sie abermals ins Dunkle ge- langten, nach längerer Zeit wieder ein. Die Nebenwurzeln von Keim- pflanzen (Phaseolus, Vicia usw.) reagieren derartig auf Beleuchtung, daß der geotropische Grenzwinkel ilrer wachsenden Enden durch dieselbe im Vergleich zu demjenigen ihrer im Finstern ausgebildeten Teile eine Verringerung erfährt. 3. Arbeiten auf dem Gebiet der Ökologie. Bei seinen Studien über Reizbewegungen ist Stahl, wie auch aus unseren Darstellungen hervorgeht, vielfach bestrebt gewesen, die Bedeutung der physiologischen Prozesse für die Entwicklung und Er- haltung der Organismen klar zu stellen. Je mehr sich Stahl in die Erforschung der Lebensphänomene der Gewächse vertiefte, um so größer wurde das Interesse, das er den ökologischen Erscheinungen widmete, die er stets vom Standpunkt der Selektionstheorie aus betrachtet hat. Für Stahl ist das Pflanzenindividuum ein einheitliches System, zwischen dessen Teilen die mannigfaltigsten korrelativen Beziehungen bestehen, und das in verschiedenartigster Weise von den Außenfaktoren beein- flußt wird. Die originellsten Untersuchungen, welche unser Forscher geliefert hat, gehören dem Gebiet der Ökologie der Pflanzen an. Sie sind im gleichen Maße ausgezeichnet durch die bedeutungsvollen, unter Benutzung höchst sorgfältig und kritisch ausgearbeiteter Methoden ge- wonnenen Ergebnisse, wie durch ihren Gedankenreichtum und die wertvollen Anregungen, die sie für fernere Studien darbieten. Zunächst gehen wir hier auf Arbeiten ein (9 und 12), denen die Aufgabe zufiel, festzustellen, inwiefern die Struktur vieler Laubblätter Anpassungen an die Beleuchtungsverhältnisse zeigt. Das Mesophyli sehr zahlreicher Laubblätter ist bekanntlich in das oberseitige Palisaden- und das unter diesem ausgebreitete Schwammparenchym gesondert. Im ersteren nehmen die Chloroplasten stets Profilstellung ein, in den Zellen des letzteren vermögen sie unter dem Einfluß wechselnder Be- leuchtungszustände Wanderungen in der auf pag. 9 dieser Abhand- lung angegebenen Art auszuführen. Die Palisadenzellen sind die für starke Lichtintensitäten, die in ihrem Schatten liegenden flachen Schwammparenchymzellen die für geringere Intensitäten angemessene Zellform. Die Chloroplasten des Schwammparenchyms vermögen selbst noch bei relativ geringer Liclhtintensität reclıt energische photosynthetische Assimilation zu vollziehen, weil sie unter solchen Umständen in Flächen- 12 W. Detmer, stellung orientiert sind, während die Chlorophylikörper des Palisaden- gewebes trotz ihrer Profilstellung bei schwacher Lichtintensität infolge der oberflächlichen Lage der Zellen dennoch sehr leistungsfähig bleiben, und zugleich durch ihre Stellung bei starker Insolation vor schädigen- den Wirkungen der intensiven Bestrahlung geschützt erscheinen. Pflanzen, die an sehr schattigen Orten wachsen (z. B. Oxalis), ent- wickeln in ihren Blättern zumeist nur sehr wenig Palisadengewebe; in „Sonnenpflanzen“ (z. B. Distelarten) waltet dasselbe dagegen vor. Die Blätter vieler Pflanzen (Buche usw.) bilden, wenn sie an schattigen Orten zur Entwicklung gelangen, reichlich Schwammparenchym aus, während dasselbe bei starker Besonnung zurücktritt und durch Pali- sadengewebe ersetzt wird. Andere Gewächse (z. B. Oxalis) besitzen nach der bezeichneten Richtung hin eine nur sehr geringe Accomo- dationsfähigkeit; sie gehen daher bei starker Beleuchtung leicht völlig zugrunde In dem Vermögen vieler Blätter (z. B. Buche usw.), während ihrer Entwicklungsperiode je nach den Beleuchtungsverhältnissen verschiedene Struktur zu gewinnen, prägt sich eine bedeutungsvolle Plastizität der Organe aus. Die Pflanzen haben die Potenz zu dieser Plastizität offenbar allmählich durch Variation erworben; sie ist durch Vererbung fixiert worden; sie besitzt hohen Selektionswert, hat sich im Kampf ums Dasein für den Organismus als ungemein vorteilhaft erwiesen, und muß daher als ein eigentümliches Anpassungsphänomen aufgefaßt werden. Darin, daß die Blätter je nach Umständen in der „Schatten- oder Sonnenform“ auftreten, kommt ein Regulationseffekt, keine direkte Anpassung zum Ausdruck (Detto). Nur in dem Vorhandensein der erwähnten Potenz haben wir es mit einer Anpassungserscheinung (offenbar mit indirekter Anpassung) zu tun!). Die Blätter zahlreicher „Schattenpflanzen“ zeichnen sich übrigens noch durch geringe Dicke ihrer Spreiten, dünne Zellhäute, schwache Ausbildung des Wasser- gewebes und reichliche Entwicklung des Interzellularsystems aus. Alles im Gegensatz zu den Blättern der „Sonnenpflanzen“, von denen manche (Laetuea Scariola, Geranium sanguineum usw.) sich auch bei zu starker Insolation durch Vertikalstellung infolge von Torsionen oder Krüm- mungen ihrer Blattstiele vor zu starker Bestrahlung zu schützen vermögen. Die eigentümliche Ausgestaltung der Blätter steht nicht nur im Dienst ihrer assimilatorischen Funktionen, sondern sie ist ebenso für 1) Kritisches bei Detto, Theorie der direkten Anpassung, 1904, pag. 173, wo auch besonders Küster’s Ansichten besprochen sind. Übrigens vgl. auch Esen- beck und Vischer in der Flora, N. F., Bd. VIE und Bad. VIIL Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 13 die Regulation anderer Prozesse, namentlich der Transpiration, von größter Wichtigkeit. Stahl’s bezügliche Abhandlungen (21,22, 28, 24, 25), in denen indessen auch noch manches mitgeteilt wird, was für die öko- logische Beurteilung der assimilatorischen Tätigkeit der Blätter Interesse beansprucht, und bei deren Ausarbeitung der Verfasser viele bei Ge- legenheit seiner weiten Reisen, namentlich nach Java, gewonnenen Er- fahrungen verwerten konnte, sollen nunmehr besprochen werden. In der Arbeit 22 macht Stahl Mitteilungen über die zuerst von ihm benutzte, heute bei Demonstrationsversuchen, aber auch bei wissen- schaftlichen Studien ganz allgemein verwendete Kobaltprobe. Mit Hilfe derselben läßt sich leicht die im Vergleich zur kutikulären Transpiration sehr starke stomatäre Wasserverdunstung der Blätter konstatieren. Ihre Resultate gestatten ein Urteil über Verteilung der Spaltöffnungen auf Blattober- und Unterseite, sowie über deren Zustand unter wech- selnden Umständen, ob sie nämlich geöffnet oder geschlossen sind. Mit Hilfe der Kobaltprobe konnte die Tatsache festgestellt werden, daß hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft die Transpiration unter Um- ständen (bei direkter Insolation) begünstigen kann, und sie gestattete es in bequemer Weise die freilich nicht bei allen Pflanzen vorhandene Regulierung der Wasserabgabe durch das Verhalten der Spaltöffnungen darzutun. Ebenso wie starke Transpiration ist ausgiebige photo- synthetische Assimilation nur bei geöffneten Spaltöffnungen möglich. Sehr anregend sind auch die Bemerkungen des Verfassers über die ökologischen Eigentümlichkeiten der Halophyten. Die unter 21, 23, 24 und 25 aufgeführten Abhanıllungen unseres Autors beschäftigen sich mit eingehenden Studien über Anpassungs- erscheinungen, welche an den Hygrophyten der Tropen und der ge- mäßigten.Zone wahrzunehmen sind. Den Hygrophyten stehen an den Standorten, welche sie bewohnen, reichliche Wassermengen des Bodens und der Luft zur Disposition. Infolge des hohen Wassergasgehaltes der sie umgebenden Atmosphäre ist ihre Transpiration im allgemeinen eine nur geringe. Vertritt man nun die Auffassung, nach der die Transpiration überhaupt in erster Linie im Dienst ernährungsphysiolo- gischer Prozesse steht, indem durch sie eine energische Wasser- strömung in den Pflanzen zustande kommen kann, welche ihrerseits einen schnellen und genügend ausgiebigen Transport der aus dem Boden aufgenommenen Mineralstoffe an die Orte ihrer Verarbeitung (die Blätter) vermittelt, dann gelangt man zu der Ansicht, daß die Hygrophyten, weil die äußeren Verhältnisse, unter denen sie leben, ihre Verdunstungsgröße sehr herabmindern, besonderer Organisationseigen- 14 W. Detmer, tümlichkeiten zur Erhöhung der Wasserabgabe bedürfen. Erhaltungs- gemäße Einrichtungen solcher Art konnte Stahl in der Tat auffinden und ihre Bedeutung auf experimentellem Wege feststellen. Es kommen hier in Betracht: Entwicklung großer Blattspreiten, Träufelspitzen, die rasche Trockenlegung der Spreiten nach Regen und damit Förderung der Transpiration (zugleich auch Entlastung der Baumkronen) herbei- führen‘), Buntblättrigkeit, indem namentlich das Erythrophyli als wärmeabsorbierendes Medium die Verdunstung (auch den Verlauf des Stoffwechsels) begünstigt, und Variationsbewegung, nämlich sowohl autonome wie auch besonders paratonische. Die Bedeutung der durch nyktinastische Bewegungen erzielten nächtlichen Vertikalstellung der Blätter ist vor allen Dingen darin zu erblicken, daß die Organe durch solehe Orientierung mehr oder minder vor Betauung geschützt werden, ein Umstand, der weiterhin (am Morgen) aus leichtverständlichen Gründen transpirationsfördernd wirken muß. In vielen Fällen wird rasche Wasser- strömung in den Hygrophyten auch durch Hydathodentätigkeit begünstigt. Es hat sich das interessante Resultat ergeben, daß bei manchen Papiliona- ceen, deren Blättern das Vermögen, Variationsbewegungen auszuführen, abgeht, Hydathodentätigkeit vikariierend eintritt (Vicia sepium, Lathyrus- Arten), während z. B. bei Phaseolus Wassersekretion durch Hydathoden und Variationsbewegungen im Dienste lebhaften Flüssigkeitstransportes in der Pflanze kombiniert sind). In seinen Schriften über Schutzmittel der Pflanzen gegen Tierfraß (18, 19, 27) macht Stahl von vornherein auf den wichtigen Unterschied aufmerksam, der zwischen Omnivoren und Spezialisten besteht. Den letzteren dienen vorwiegend nur bestimmte Pflanzen zur Nahrung; sie sind denselben angepaßt, während die Omnivoren sich den Gewächsen 1) In der Arbeit über Träufelspitzen (21) finden sich auch viele Beob- achtnngen mitgeteilt, die sich auf die Schutzmittel der Pflanzen gegen die schä- digenden Einflüsse starker Regengüsse beziehen. 2) Die Ansicht Stahl’s über die Bedeutung der Blattgelenke und Variations- bewegungen teilt Goebet (Biol. Zentralbi. 1916, pag. 48) nicht. Er sieht die primäre Funktion der Gelenke namentlich darin, daß sie den Blättern als Entfal- tungsorgane dienen. In den Bewegungen der Gelenke ausgewachsener Blätter prägen sich keine Anpassungserscheinungen aus (ebensowenig wie in der Kleisto- gamie der Blüten, vgl. Goebel, Biol. Zentralbl. 1904), weil sie für manche Pflanzen (pag. 73) keinen Vorteil bieten, für andere (pag. 115) zwar nützlich sein können, aber nicht nützlich zu sein brauchen. Dies mag für gewisse Fälle zutreffen, aber der Umstand, daß die Gelenke eben im ausgewachsenen Blatt noch beweglich bleiben, was freilich erfahrungsgemäß nicht immer geschieht, deutet doch, wenigstens für die von Stahl speziell stndierten Objekte, auf Anpassungen hin, aber auch hier wieder wohl nur in dem auf pag. 12 angegebenen Sinne. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 15 gegenüber wenig wählerisch verhalten. Durch sie droht der Vegetation besonders große Gefahr, und die Organismen haben daher in der Tat unter Beihilfe der Selektion allmählich mancherlei Eigentümlichkeiten erworben, um sich vor Vernichtung durch Tiere zu bewahren. Die Schutzmittel sind teils mechanischer Art (Stacheln, Dornen, Borstenhaare, Verkieselung der Zellmembranen, Rhaphiden), teils chemischer Natur (Gerbstoffe, gewöhnliche Pflanzensäuren oder lösliche Salze derselben, in verdünnten Alkali lösliche Flechtensäuren, ätherische Öle, Bitterstoffe, Alkaloide). Manche Pflanzenarten besitzen nur ein bestimmtes Schutz- mittel, andere mehrere. Nicht selten vikariieren die einzelnen Schutz- mittel auch miteinander bei verschiedenen Pflanzen. Daß mechanisch wirkende Einrichtungen sowie den Tieren durch ihren Geschmack un- angenehme Stoffe tatsächlich als Abwehrmittel für die Pflanzen in Betracht kommen, hat Stahl durch zahlreiche Beobachtungen in der freien Natur und durch eine lange Reihe von Experimenten erwiesen. Namentlich beanspruchen seine Versuche mit omnivoren Schnecken das größte Interesse. Es ist höchst auffallend, daß sich manche Botaniker gegenüber den von Stahl ausgesprochenen Ansichten über die hier in Betracht kommenden Schutzeinrichtungen der Pflanzen so sehr ab- lehnend verhalten. Sie begründen ihren Standpunkt gewöhnlich mit dem Hinweis darauf, daß doch tatsächlich viele Pflanzen durch Tierftraß zerstört werden, und daß z. B. manche Schnecken nicht in erster Linie lebende, sondern tote Pflanzenteile vertilgen, also die ersteren in diesem Falle gar keines Schutzes bedürfen. Diesen Biologen gegenüber muß geltend gemacht werden, daß sie zumeist die Differenzen im Verhalten der Spezialisten auf der einen- und der Omnivoren auf der anderen Seite nicht genügend würdigen, auch nicht bedenken, daß es sich stets nur um relativen, niemals um absoluten Schutz der Pflanzen gegen Tierfraß handeln kann, und daß manche Schnecken eben gerade deshalb tote Pflanzenteile verzehren, weil diese im Gegensatz zu den lebenden mehr oder weniger verändert, z. B. durch Auslaugung von Schutzstoffen befreit sind. Ohne den Besitz der Schutzmittel würden die Pflanzen weit mehr durch Tiere leiden als es tatsächlich der Fall ist; manche Arten würden wohl sogar längst völlig vernichtet oder überhaupt gar nicht zur Ent- wicklung gelangt sein. In ungemein feinsinniger Art behandelt Stahl das Mykorrliza- problem (26). Dasselbe ist freilich auch heute noch nicht in einer in jeder Hinsicht befriedigenden Weise gelöst, aber die Studien unseres Autors stellten doch manche Tatsachen fest, die für die Beurteilung der in Betracht kommenden Fragen sehr wichtig sind, und wirkten zudem 16 W. Detmer, köchst anregend, indem sie auf neue für die weiteren Forschungen wert- volle Gesichtspunkte aufmerksam machten. Nachdem Stahl die große Verbreitung der Mykorrhiza im Reich der Gewächse nachgewiesen hat, geht er zur Besprechung ihrer Bedeutung über. Dabei sind, was besonders hervorgehoben werden muß, in sehr angemessener Weise die gesamten biologischen Eigentümlichkeiten der Mykorrhizapflanzen berück- sichtigt worden. Die typischen Formen derselben zeichnen sich im Gegensatz zu den Pflanzen mit nicht oder nur wenig verpilzten Wurzeln namentlich durch folgende Besonderheiten aus. Sie sind meist auf nährstoffarmen humosen Böden angesiedelt. Sie entwickeln ein relativ schwach ausgebildetes Wurzelsystem. Ihre Transpriationsgröße ist relativ gering. Sie erzeugen meist wenig Stärke, hauptsächlich Zucker, als Assimilationsprodukt. Ihre Blätter enthalten wenig Nitrate und über- haupt relativ geringe Mengen an Aschenbestandteilen. Der „Sinn“ der Mykorrhizenbildung wird nun wie folgt gedeutet: Die im humusreichen Boden in großer Menge lebenden Pilze bedürfen sehr reichlicher Mineralstoffmengen zu ihrer Entwicklung. Die höheren Pflanzen des nämlichen Standortes befinden sich mit den Pilzen in einem Konkurrenz- kampf um die Nährsalze, bei welchem sich die Pilze gewiß oft, da sie so besonders energisch zersetzend auf mineralische Bodenbestandteile einzuwirken vermögen, im Vorteil befinden. Für die höheren Gewächse war es daher im Kampf ums Dasein förderlich, sich symbiotisch mit den Pilzen zu verbinden. Die ersteren liefern den letzteren in Form von Assimilaten organisches Material, aus welchem die Pilze unter Bei- bilfe der aus dem Boden stammenden Nährsalze Eiweiß formieren. Dieses Eiweiß kommt endlich den Pilzen sowie der höheren Pflanze zugute, so daß also beide Organismen aus der Symbiose Nutzen ziehen. Beachtung seitens des Pflanzengeographen und ebenso des Ökologen beanspruchen die schönen von Stahl in einem von Karsten und Schenck herausgegebenen Sammelwerk publizierten Vegetationsbilder aus Mexiko (28), Im Text werden die auf zahlreichen Tafeln dar- gestellten Pflanzentypen etwas näher besprochen, und ihm sind manche interessante Bemerkungen zu entnehmen, z. B. über die mannigfaltigen und so eigentümlichen Anpassungsphänomene, welche die Kakteen dar- bieten. Gleich wertvoll für den Pflanzenphysiologen wie für den Ökologen sind Stahl’s Beiträge zur Biologie des Chlorophylis (29, 30, 31). Unser Forscher legt sich die durchaus berechtigte Frage vor, die dem- jenigen, der nicht gewohnt ist, ökologisch zu denken, freilich sonderbar erscheinen mag. weshalb das der Photosynthese dienende Pigment Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 17 gerade eine grüne Farbe besitzt. Für die Beantwortung dieser Frage erscheint es wichtig, folgendes zu beachten. Der Chlorophyllapparat ist nicht in erster Linie dem direkten Sonnenlicht, sondern vor allen Dingen dem geschwächten Licht angepaßt, das vom blauen Himmel reflektiert wird oder eine Wolkenschicht passiert hat. In diesem „geschwächten“ Licht ist das Verhältnis der weniger und der stärker brechbaren Strahlen ein weit engeres als im direkten Sonnenlicht. In- folge der Absorption und diffusen Reflexion ist das „geschwächte“ Licht nämlich relativ reicher an Strahlen von geringerer Wellenlänge als das direkte Sonnenlicht. Die für die Assimilation erforderliche Absorption der weniger brechbaren Strahlen wird dem blaugrünen Anteil des Chlorophylifarbstoffs, diejenige der stärker brechbaren aber dem gelben (zum Teil auch dem blaugrünen) Anteil übertragen. Daß die der Assimilation dienenden Apparate der Pflanzen zumeist grün gefärbt sind, faßt Stahl als Anpassungserscheinung auf. Jenes Licht, welches als „geschwächtes“ bezeichnet wurde, ist arm an grünen Strahlen. Eine Absorption solcher Strahlen, welche durch rote Pigmente ver- mittelt werden könnte, hätte gewöhnlich wenig Vorteil für die Pflanze, weil damit nur ein geringer Energiegewinn verbunden wäre. Wenn die Pflanze direktes Sonnenlicht (und damit auch reichlich grüne Strahlen) empfängt, so muß die grüne Farbe der Chloroplasten ebenfalls nützlich sein, weil nur schwache Absorption des grünen Lichtes erfolgen kann. Starke Absorption dieses Lichtes würde übermäßige Erwärmung und damit manche Schädigung der Zellen bedingen, denn das bolometrisch gemessene Energiemaxinum des direkten Sonnenlichtes liegt nach Langley zwischen Gelb und Grün. Stahl konnte auch konstatieren, daß grüne Pflanzen in den an brechbaren Strahlen relativ reichem „geschwächten“ Licht unter Umständen in gemischtem blauen Licht (Glocke von Schott) fast ebenso stark assimilierten wie im gemischten gelben Licht. Den Schluß der Abhandlung (31) bilden Untersuchungen über Etiolement und herbstliche Vergilbung der Blätter. Die letztere beruht auf Auswanderung von Chlorophyllabbauprodukten aus den Blättern, während die gelben Pigmente ihnen verbleiben. Die Be- deutung der Auswanderung des Chlorophylis aus den Blättern vor ihrem Abfall ist darin zu erblicken, daß durch sie dem Organismus wertvolle stickstoff- und magnesiumhaltige Verbindungen nicht verloren gehen. Den Verlust der gelben Pigmente vermag die Pflanze leicht zu ertragen, da sie nur aus C, H und O bestehen, also leicht wieder in größerer Menge hergestellt werden können. Die Hauptresultate der Studien Stahl’s über Blitzgefährdung 2 Flora, Rd. I1L. 18 W. Detmer, der verschiedenen Baumarten (32) lassen sich wie folgt zusammen- fassen. Wenn der Ausgleich der zwischen Wolken und Boden be- stehenden elektrischen Spannungen unter Vermittlung der Bäume er- folgt, so erscheinen namentlich solelle Gewächse Schädigungen (Zer- splitterungen, ja völliger Vernichtung) leicht ausgesetzt, deren Wurzeln sich in wasserreichen Erdschichten ausbreiten und deren Stämme aus verschiedenen Gründen (Orientierung der Äste und Zweige, Beschaffenheit der Stammrinde) zugleich schwer benetzbar sind (Eiche, Fichte, Pappel usw.), während Bäume, die an trockneren Standorten gedeihen, und deren Stammrinde sich infolge leichter Benetzbarkeit zudem schnell mit einer den Blitz ableitenden Wasserhülle umgeben kann, weit weniger gefährdet sein werden (z. B. Buche, Hainbuche, Roßkastanie). Endlich ist hier noch auf eine Rede hinzuweisen, die Stahl in Jena zur Säkularfeier des Geburtstages Schleidens gehalten hat (33). In derselben werden die Leistungen des hervorragenden Botanikers kritisch gewürdigt. Namentlich erblickt Stahl darin mit Recht ein großes Verdienst Schleidens, daß er, ausgehend von der Philosophie von Kant und Fries, mit höchstem Nachdruck die kritisch-induktive Behandlung naturwissenschaftlicher Probleme forderte und die deduktiv- dialektische Methode, wie solche im Anschluß an Schelling, Oken und Hegel von manchen seiner Zeitgenossen geübt wurde, ablehnte. Seinen methodologischen Standpunkt brachte Schleiden hauptsächlich in dem bekannten Buch: „Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik“ zum schärfsten Ausdruck. Das erwähnte Werk hat übrigens auch noch nach mancher anderen Richtung hin sehr anregend gewirkt, indem z. B. in demselben auf die Wichtigkeit entwicklungsgeschichtlicher Unter- suchungen für die Biologie hingewiesen wurde. Eingehend würdigt Stahl ferner die Verdienste, welche sich Schleiden um die Zellen- theorie erworben hat. Manche seiner Anschauungen haben sich freilich später als durchaus irrig erwiesen, aber er wirkte dennoch ungemein befruchtend auf die Forschung ein und erfaßte mit genialem Blick viele Probleme, deren Lösung erst späteren Generationen gelingen sollte. Stahl hat das Lebenswerk Schleidens in sehr zutreffender Weise beurteilt. Jeder wird seine besonders anziehend geschriebenen Aus- führungen mit vielem Interesse lesen. III. Stahl’s Stellung zu einigen Grundproblemen der Biologie. Es ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, Stahl’s Stellung zu verschiedenen Grundproblemen der Biologie angemessen zu charak- Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 19 terisieren, da er sich in seinen Schriften nicht eingehend über den Standpunkt ausspricht, welchen er diesen allgemeinen Fragen gegen- über einnimmt. Indessen lassen sich Tendenz und Richtung seines biologischen Denkens doch wohl erschließen, wenn man bestrebt ist, sich über die Eigenart des Gesamteindruckes Rechenschaft zu geben, den man von seinen Studien empfängt. Ich glaube Stahl’s Stellung zu den hier in Betracht kommenden Problemen um so mehr einiger- maßen zutreffend bezeichnen zu können, als ich vielfach Gelegenheit hatte, mit ihm über dieselben zu reden, und äußere mich um so lieber, weil sich die von unserem Autor vertretenen Anschauungen im wesent- lichen mit den meinigen decken. Bemerkt sei noch, daß die folgenden Ausführungen, dem Charakter dieser Arbeit entsprechend, sehr kurz gehalten werden müssen. 1. Stahl’s Stellung zum Vitalismus und Biomeehanismus. Vergleicht man die Vorgänge in der unbelebten Natur mit den- jenigen, die sich im Reich der Organismen geltend machen, so wird man zu der Überzeugung gelangen, daß zwischen den Geschehnissen in jener ersteren und in dem letzteren in vieler Beziehung ganz be- deutsame Unterschiede bestehen. Der lebenden Substanz sind infolge ihrer spezifischen Qualität und der damit gegebenen Dispositionen oder Potenzen eine Reihe von Grundfunktionen eigentümlich, welche sie, wie besonders zu betonen ist, gemeinsam mit und nebeneinander zur Geltung zu bringen vermag. Als solche elementare Lebens- funktionen kommen namentlich in Betracht: Assimilation, Dissimilation, Sekretion, Wachstum, Formbildung, Reizbarkeit, Vermehrungsfähigkeit, Vererbung, selbstregulatorische Tätigkeit (vgl. die wertvolle Arbeit von Roux in Nova Acta, Abhandlungen der Leopold. Akademie der Natur- forscher, Bd. 100, 1915). Man darf sagen: Das Wesen des Lebens besteht darin, daß das Protoplasma infolge jener Grundfunktionen fortwährend Veränderungen seiner chemischen Konstitution, seiner Struktur und Energiezustände erleidet, ohne damit indessen seine spezifische Natur einzubüßen, weil Regenerationsprozesse jene Veränderungen der lebenden Substanz stets wieder auszugleichen vermögen. Eine ähnliche Definition gab auch schon G. H. Lewes, vgl. Spencer, Prinzipien der Biologie, deutsch von Vetter, Bü. I, pag. 64, 1876. Bei rein empirischer Betrachtung läßt sich also, um einen Aus- druck von Tsehermak (Allgemeine Plıysiologie 1916, Bd. I, pag. 42) zu gebrauchen, ein phänomenologischer Dualismus mit Rücksicht 2% 20 W. Detmer, auf das Geschehen in der unbelebten Natur einer- und der Welt der Lebewesen andererseits konstatieren. Ist dieser Dualismus nun nur ein scheinbarer oder ein prinzipieller? Kommt der lebenden Substanz in der Tat eine Autonomie, eine Eigengesetzlichkeit zu? Besteht ein Wesensunterschied im Verhalten der unbelebten und der lebenden Substanz? Existiert ein besonderer, allein in den Organismen walten- der Naturfaktor (Lebensprinzip)? Diejenigen Forscher, z. B. H. Hertz (Prinzipien der Mechanik, 1894, pag. 43), Bavink (Allgemeine Ergebnisse und Probleme der Naturw. 1914, pag. 189) und Tschermak, welche unserem Problem als Agnostiker gegenüberstehen, lassen dasselbe vorläufig völlig in der Schwebe und erwarten die Entscheidung erst von der Zukunft. Anders verhalten sich die Vitalisten und Biomeehanisten. Indem sie die rein naturwissenschaftliche Betrachtungsweise überschreiten und sich der Naturphilosophie zuwenden, sind sie bestrebt, von allgemeinerer Grund- lage aus wenigstens Hypothesen zu gewinnen, die es ihnen gestatten, zu der in Betracht kommenden wichtigen Frage eine bestimmte Stellung einzunehmen. a) Nach der Auffassung der Vitalisten besteht zwischen den Vor- gängen in der unbelebten Natur einer- und den Lebewesen anderer- seits ein prinzipieller Unterschied, eine reale Wesensverschiedenheit. Das Geschehen in den Organismen ist durch eine Autonomie oder Eigengesetzlichkeit ausgezeichnet, welche durch besondere, im Reiche des Unbelebten nicht wirkende Oberkräfte (Entelechie, Lebenskraft, force vitale, nisus formativus, Dominanten, Lebensprinzip, teleologisches Formalprinzip, &lan vital) vermittelt wird. Die Tätigkeit dieser nicht energetischen Kräfte soll von entscheidender Bedeutung sowohl für die phylogenetische Entwicklung als auch für die Ontogenese, für Qualität und Potenzen der lebenden Substanz (chemische Konstitution, Struktur und Reaktionsvermögen des Protoplasmas) und damit zugleich für deren schon oben bezeichnete Grundfunktionen sein !). Die vitalen Kräfte, welche in den Pflanzen und Tieren neben den physikalisch-chemischen Kräften zur Geltung kommen, und, die letzteren überlagernd, das Getriebe derselben leiten und in angemessene Bahnen lenken, sollen in den Organismen Erfolge erzielen, die ohne ihre Mitwirkung unmöglich wären. Die Lebensvorgänge sind nicht mechanisch, sie sind allein teleologisch zu begreifen, und der in jedem I) Namentlich werden nach Ansicht der Vitalisten die Regenerationen, Auto- regulationen, Formgestaltungen und „Zweckmäßigkeitseinrichtungen‘“ der Organismen erst durch das Lebensprinzip vermittelt. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. >21 Organismus waltenden causa finalis dienen die physikochemischen Prozesse nur als Mittel zur Realisierung ihrer Zwecke. Nach Meinung der Vitalisten besteht zwischen dem Reich der unbelebten Natur und demjenigen der Organismen eine tiefe Kluft. Das Lebensprinzip mag als ein bereits vor dem Auftreten der Organismen potentiell vorhanden gewesener Naturfaktor gedacht werden können; in Aktion ist es auf jeden Fall erst in den Lebewesen getreten. Es ist in jedem einzelnen Individuum tätig, die innere (oder absolute) Zweckmäßigkeit desselben hervorbringend, während in der unbelebten Natur nur äußere (oder relative) Zweckmäßigkeit herrscht, d. h. eine solche, welche sie ge- schiekt macht, die Existenz der Lebewesen überhaupt zu ermöglichen. Man unterscheidet bekanntlich einen älteren Vitalismus und eine neuere Richtung desselben (Neovitalismus), die etwa mit Bunge (1874) einsetzt. Für die älteren Vitalisten war die reale Existenz des Lebens- prinzips zumeist von vornherein einfach ein Dogma. Sie sahen das Lebensprinzip gewöhnlich als eine Tätigkeit an, die, den physikalisch- chemischen Kräften koordiniert, in den Organismen wirken sollte. Für den Neovitalismus sind im allgemeinen zwei Merkmale nebeneinander charakteristisch. Die Neovitalisten analysieren die Lebenserscheinungen in viel feinerer Weise als es ihre Vorgänger taten. Sie suchen das bestehende Problem durch genaue Beobachtung, oft auch unter Ver- wendung des Experimentes, induktiv zu lösen. Manche Erscheinungen im Leben der Pflanzen und Tiere mögen, so sagen sie, physiko-chemisch verständlich sein, aber es bleibt doch immer ein bedeutender Rest, der nur unter Voraussetzung vitaler Kräfte begreiflich wird. Ferner ist zu beachten, daß die Neovitalisten dem Prinzip von der Erhaltung der Energie Rechnung tragen, aber die Energien sollen dem Lebensprinzip in den Organismen subordiniert sein, indem dieses den Energiestrom lenkt und auf solche Art die Autonomie der vitalen Prozesse bedingt. Als Vertreter des älteren Vitalismus sind namentlich zu nennen: Aristoteles, Galen, Tertullian, Paracelsus, van Helmont, G.E. Stahl, Bordeu, Reil, Treviranus, Autenrieth, Blumenbach. Schelling, Schopenhauer, Johannes Müller, Liebig: Neovitalisten sind z. B.: Bunge, Rindfleisch, Reinke, Driesch, G. Wolff, Wasmann, Erhardt, Liebmann, Koschel, Neumeister, Camillo Schneider, Pauly, E. v. Hartmann. Boutroux, Bergson, Becher. Cossmann, Kroner!) 1) Einige weniger allgemein bekannte Arbeiten aus der neovitalistischen Literatur mögen hier zitiert werden: Liebmann, Analysis der Wirklichkeit 1900, pag. 341 und 300; Buutroux, Über den Begriff des Natnrgesetzes. Jena 1807. 22 W. Detmer, Manche Vitalisten, z. B. Galen (Pneumalehre), Tertullian, Reil, Treviranus, erblicken das Lebensprinzip in einem besonders feinen, kraftbegabten Stoff. Nach anderen, den Psychovitalisten, walten in den Organismen deren Stoff beherrschende psychische Kräfte, welche entweder von einer als immaterielle Substanz gedachten individuali- sierten Seele ausgehen sollen (Animismus von G. E. Stahl), oder als Äußerungen eines der Welt immanenten unbewußten, resp. bewußten überindividuellen geistigen Faktors aufgefaßt werden. (Aristoteles, Lehre von der Entelechie; Paracelsus, Lehre vom Weltgeist oder Archäus; Sehelling; Schopenhauer; E. von Hartmann; Pauly; Boutroux; Becher). Endlich sind noch Vitalisten zu nennen, die dem Lebensprinzip rein dynamischen (nicht psychischen) Charakter zu- schreiben: Bordeu (force vitale), Blumenbach (nisus formativus), Autenrieth und Joh. Müller (Lebenskraft), Reinke (Dominan- ten), Driesch (Naturfaktor der Entelechie, welcher den Organismen namentlich die Natur harmonisch äquipotentieller Systeme mit prospek- tiver Potenz erteilt), Bergson ($lan vital), oder die jenes Prinzip mit einer besonderen Energieform identifizieren (Dreyer). Was die Methode anbelangt, deren sich die Vitalisten zur Be- gründung ihrer Anschauungen bedienten, so gingen manche rein deduktiv (dogmatisch-dialektisch) vor (Schelling), andere induktiv (Driesch, Wolff Bergson meint, den Kern des Lebens auf. intui- tivem Wege oder, wie die Phänomenologen unserer Tage, z. B. Hus- ser I, sagen würden, durch eidetische Wesenserschauung erfassen zu können, und Cossmann sowie Kroner bedienen sich der transzenden- tal-logischen Methode (Logizismus). Sie gehen von der Gegensätzlichkeit der B egriffe: „unbelebte Natur“ und „Organismus“ aus. Aus derselben ergibt sich von vornherein für sie als logische Forderung oder Vor- aussetzung, als Bedingung der Möglichkeit für das Verständnis der er wähnten Differenz eine prinzipielle Verschiedenartigkeit zwischen den Vorgängen in der unbelebten Natur und den Lebewesen sowie die Annahme eines besonderen Lebensfaktors. Das Wesen dieses Faktors wird nicht festgestellt. Er ist eben selbst wieder nur ein Begriff. b Während die Vitalisten den auf pag. 19 hervorgehobenen Dualismus zu begründen bestrebt sind, suchen die Biomechanisten ihn besonders Pag. 73 und 74 und Kontingenz der Naturgesetze. Jena 1911, besonders Te 73—82, beide übersetzt von Benrubi; Bergson, Einführung in die Metaphysik, ena 1909 und Schöpferische Entwicklung. Jena 1912; Becher, Die fremddienstliche Zweckmäßigkeit der Pflanzengallen. Leipzig 1917; Cossmann, Empirische Tele- ologie. Stuttgart 1899, Kroner, Zweck und Gesetz in der Biologie. Freiburg 1913. Ernst Stahl, seine Bedentung als Botaniker usw. 23 im Gegenteil zu überwinden. Vertreter des Biomechanismus im 17. Jahrhundert waren die Jatropbysiker und Jatrochemiker; ferner sind als Biomechanisten zu nennen: Lotze (Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie 1842, Bd. I), Schleiden, A. von Humboldt, du Bois-Reymond, Bütschli, Verworn, Loeb, Roux, Pfeffer, Haeckel, Kern, Schaxel?), Der Biomechanismus braueht nicht mit einer materialistisch ge- riehteten Betrachtungsseite der gesamten Natur, welche bestrebt sein muß, die Lebensprozesse auf Bewegungen des als real existierend ge- dachten Stoffes zurückzuführen, verkettet zu sein. Denn der Biomecha- nismus ist auch mit den naturphilosophischen Standpunkten der Hylo- kinetik, Energetik, des Dynamismus und der elektrisch-kinetischen Auf- fassung verträglich, und schon für den Hylokinetiker, der sich von jeder materialistischen Metaphysik fern hält, seine Auffassung vielmehr allein als eine naturphilosophische Betrachtungsweise ansieht, stellt sich das- jenige, was wir Stoff nennen, vom erkenntnistheoretischen Gesichts- punkte aus nur als ein Zeichen, Symbol oder Repräsentant für Reali- täten dar, deren Wesen- zunächst unbestimmt bleibt. Die Grundüberzeugung der Biomechanisten besteht darin, daß die Natur als ein einheitliches System aufgefaßt werden muß, Kontinuität in ihr herrscht, und das Leben seinem Wesen nach nicht grund- verschieden von der Daseinsweise der unbelebten Natur ist. Es sind nicht besondere Oberkräfte für das Zustandekommen der vitalen Pro- zesse anzunehmen, sondern in der primär durch Archigonie aus unbe- lebter Materie hervorgegangenen lebenden Substanz waltet in demselben Sinne wie im Reich des Unbelebten allein physiko-chemisches Ge- schehen. Der kritische Biomechanismus würdigt auch vollauf die Schwierigkeiten, welche sich dem physikalisch-chenischen Verständnis der Lebensphänomene entgegenstellen. Angesichts solcher Schwierig- keiten geziemt ihm Bescheidenheit in seinen Ansprüchen, aber er hält sich nichtsdestoweniger berechtigt, seinen prinzipiellen Standpunkt 1) Naturphilosophisch dachte auch Kant (Kritik der Urteilakraft, II. Teil) durch- aus biomechanistisch; nur einige seiner Äußerungen erschweren das Urteil über seinen Standpunkt (vgl. auch König, Kant und die Naturw. 1907, pag. 168 und Stadler, Kant’s Teleologie 1912). Ähnlich wie Kant äußert sich Sigwart, Kleine Schriften 1881, Bd. II, pag. 24. Bei Fechner und Wundt (vgl. z. B. Wundt, System der Philosophie 1897, pag. 325) sind die naturphilosophischen Erörterungen so sehr durch psychologische und metaphysische Erwägungen beeinflußt, daß sie zur Frage des Vitalismus und Biomechanismus keine ganz bestinmte Stellung gewinnen. Vitalistische Tendenzen haben aber bei den beiden zuletzt genannten Philosophen offenbar die Vorherrschaft. 24 W. Detmer, nicht aufzugeben. Das „Neue“, was uns im Leben entgegentritt, ist nicht Folge besonderer Tätigkeiten in den Organismen; es hat seinen Grund vielmehr darin, daß in ihnen ganz eigenartige Relationen und höchst komplizierte Kombinationen der allgemeinen Naturfaktoren be- stehen, welche die spezifische Qualität sowie Potenzen der lebenden Substanz und damit ihre auf pag. 19 erwähnten gemeinsam neben- einander bestehenden Grundfunktionen bedingen !). In der gesamten Natur herrscht derselbe Grundtypus der Gesetz- lichkeit von physikalisch-chenischem Charakter. Die Gesetzlichkeit schwebt nicht als besonderes Prinzip über der Natur, sondern sie ist ihr immanent, d. h. stellt die allgemeingültige, notwendige und ein- deutig bestimmte Form des sich in ihr vollziehenden Geschehens dar. Die Geschehnisse in den Lebewesen und die dabei zur Geltung kom- menden Einzelgesetze müssen nun aber wesentliche Unterschiede von denjenigen in der unbelebten Natur darbieten, weil die wirksamen Faktorenkombinationen in den ersteren ganz andere wie in der letz- teren sind. Indessen auch schon innerhalb des Reiches der unbelebten Natur lassen sich Daseinsstufen mit sehr verschiedenartiger Einzel- gesetzlichkeit feststellen. Man denke nur an das Verhalten eines Gasnebels, an die Be- sonderheit der Vorgänge in einem glühenden, sich allmählich abkühlen- den Weltkörper, an die geologischen Phänomene und an die Eigen- tümlichkeiten, welche die Materie im kristallisierten oder kolloidalen Zustande darbietet. Für alle diese Fälle wird die essentielle Einheit der Gesetzlichkeit bei aller Mannigfaltigkeit der Einzelgesetzlichkeit all- gemein zugestanden. Angemessene Würdigung der Bedeutung der Vernunftsfunktion der Vereinheitlichung und der aus ihr erwachsenden Vernunftideen der Einheit sowie Kontinuität zwingt uns aber ebenfalls zu dem Postulat einer im letzten Grunde bestehenden Wesensidentität zwischen dem Reich der unbelebten und belebten Natur. c) Zugunsten des zum Vitalismus in einem kontradiktorischen Gegensatz stehenden Biomechanismus ist noch folgendes zu betonen. Der Biomechanismus hat hohen heuristischen Wert. Die Geschichte der Physiologie lehrt auch, daß die Wissenschaft beim Vorherrschen biomechanistischer Denkart vielfach besonders große Fortschritte er- zielte. Nicht nur dem kausalen Verständnis der Lebensvorgänge stellen 1) Die Ansicht, daß schon im Leben der Pflanzen und niederen Tiere eine individualisierte Psyche eine wichtige Rolle spielt, müssen wir ablehnen. Bei natur- philosophischer Betrachtungsweise der Frage nach dem Wesen des Lebensprozesses kann danach also das Psychische zunächst unberücksichtigt bleiben. Ernst Stabl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 25 sich sehr bedeutende Schwierigkeiten entgegen, sondern dasselbe ist ebenso mit Rücksicht auf die unbelebte Natur der Fall. In bezug auf die letztere werden die bestehenden Schwierigkeiten von Anhängern des Vitalismus aber gar oft unterschätzt, während in Wahrheit die letzten Rätsel der Natur gerade im Reich des Unbelebten zu suchen sind. Von größter Bedeutung erscheint es, sich stets gegenwärtig zu halten, daß die primäre Entstehung lebender Substanz nicht urplötzlich erfolgte, vielmehr als das Resultat eines lange Zeit in Anspruch neh- wenden synthetischen Prozesses aufgefaßt werden muß. Das Proto- plasma mit seinen spezifischen Qualitäten und Potenzen (also seiner chemischen Konstitution, seiner Struktur und seinem besonderen Reak- tionsvermögen) und den sich aus diesen ergebenden Grundfunktionen ist ebenso wie jedes andere Naturprodukt ganz allmählich geworden. Für die Form, in der sich das Werden oder die Entwicklung (über den Begriff derselben vgl. pag. 29) vollzog, mußten die einmal ge- gebenen, nicht weiter ableitbaren Qualitäten und Potenzen der Materie und die Außenfaktoren maßgebend sein. Weiter ist zu betonen, daß in der Welt der Organismen sehr häufig zahlreiche a- und dysteleologische Phänomene auftreten, die nur vom Standpunkt des Biomechanismus aus begreiflich werden. Je nach den im Organismus gegebenen Konstella- tionen muß Typisches oder Atypisches von ihm hervorgebracht werden‘). Bei vergleichender Betrachtung der Struktur und der Reaktionseigen- tümlichkeiten mancher Systeme der unbelebten Natur einer- und der Orga- nismen andererseits lassen sich, abgesehen von rein äußerlichen Analogien, gewiße Übereinstimmungen konstatieren, die auf im letzten Grunde be- stehende essentielle Identität hinweisen, und daher für den Biomechanisten hohes Interesse beanspruchen. Die Prinzipien der Erhaltung und Äqui- valenz der Energien gelten auch für die Welt der Organismen. Viele or- ganische Stoffe, welche der Organismus erzeugt, können sicher auch in der unbelebten Natur entstehen, oder, wie nachgewiesen ist, vom Menschen hergestellt werden. Es ist demnach keine Absurdität, wenn die Hoffnung ausgesprochen wird, daß es der Wissenschaft einstmals gelingen möge, durch Synthese einfachste lebende Substanz aus an- organischem Material zu gewinnen. Selbstregulationen finden auch in der unbelebten Natur statt. Man denke an die regulatorischen Prozesse, denen das Sonnensystem seinen hohen Stabilitätsgrad verdankt?), an 1) Vgl. die sehr wertvollen Studien von Schaxel, Jenaische Zeitschr. f. Naturw., Bd, LII, Heft 4 und Leistung der Zellen bei der Entwicklung der Metaaoen. Jena 1915. 2) Vgl. C. du Prel, Entwicklungsgeschichte des Weltalls, 3. Auflage. Leipzig 1882, besonders pag. 194 und 197. 26 W. Detmer, die Flamme oder intermittierende Quellen. Schon in der unbelebten Natur kommen komplizierte Systeme zustande, die in sich und der Außenwelt gegenüber den Charakter der Erhaltungsgemäßheit („Zweck- mäßigkeit“) tragen, d. b. den Bedingungen, unter denen sie existieren, angepaßt sind, mit ihnen im Gleichgewicht stehen !). Übereinstimmende Züge im Verhalten der unbelebten Natur und der Zellen lassen sich ferner bei der Betrachtung der wunderbaren radioaktiven Körper, der Katalysatoren, der Kolloide, der Traube’schen Zelle auffinden ?). Ein Reich mannigfaltiger Formgestaltungen treffen wir an, wenn wir die Kristalle ins Auge fassen, deren Morphotropie auch lehrt, daß die Form eine Funktion des Stoffes ist, und «deren unter Umständen zur Geltung kommendes Restitutionsvermögen ebenfalls bedeutungsvoll erscheint®). Viel zu weitgehende Schlüsse zieht freilich oft Leduc*) aus seinen Studien über Formbildung in der unbelebten Natur, dagegen beanspruchen die Untersuchungen Rhumblers u. a.5) über künstliche Gehäusebildungen hohe Beachtung. Bei diesen, ebenso aber auch bei anderen Vorgängen, nämlich bei Protoplasmaströmungen, spielen Ober- flächenspannungen die größte Rolle (Bütschli und Quincke)®). Weiter die fließenden und flüssigen Kristalle von Lehmann?), optisch anisotrope Gebilde mit höchst merkwürdigen Eigenschaften. Auch Nachwirkungsphänomenen begegnet man nicht selten in der unbelebten 1) Vgl. Marc, Vorlesungen über die chemische Gleichgewichtslehre. Jena 1911. 2) Für das Verständnis chemischer Vorgänge in der lebenden Substanz und deren Energiewechsel erscheint die von mir und manchen anderen Physiologen ver- tretene Biogenhypothese wichtig (vgl. Detmer, Pflanzenphysiologisches Prak- tikum 1912, 4. Aufl, pag. 142). Für die Beurteilung zahlreicher Lebensprozesse ist ferner die im Anschluß an Bütschli’s und Quincke's Schaum- oder Waben- theorie von Rhumbler geltend gemachte Auffassung bedeutungsvoll, nach der das Plasma im wesentlichen ein heteromorphes Kolloidsystem darstellt. Vgl. Rhumbler in Ergebnissen der Physiologie, herausgegeben von Ascher und Spiro 1914, 14, Jahrg. Daselbst sind auch die Arbeiten von Bütschli und Quincke zitiert. 3) Vgl. Linck, Grundriß der Kristallographie, 3. Aufl. Jena 1913 und Przibram, Archiv für Entwicklungsmechanik 1906, Bd. XXII, pag. 207. 4) Vgl. Leduc, Das Leben. Halle 1912. 5) Vgl. Rhumbler, Archiv für Entwicklungswechanik, Bd. VII, pag- 27. Ausführliche Zusammenstellungen gibt Biedermann in Winterstein’s Hand- buch der vergleichenden Physiologie, Bd. III, pag. 442. 6) Ausführliche Zusammenstellung gibt Biedermann in Ergebnissen der Physiologie, herausgeg. von Ascher und Spiro, 8, Jahrg., pag. 26. Vgl. auch Loeb, Dynamik des Lebens, pag. 92. Leipzig 1906. N) Vgl. Lehmann, Archiv für Entwieklungsmechanik, Bd. XXI, pag. 596- Zusammenstellungen im Handwörterbuch der Naturw., herausgeg. von Teichmann; Bd. V, pag. 1074. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 27 Natur (Pendelschwingungen, Phosphoreszenz, remanenter Magnetismus.) Besonders charakteristisch für die Organismen sind deren Reizvorgänge. Dieselben stellen spezielle Formen von Auslösungsprozessen dar, nämlich solche, die sich unter Vermittlung der lebenden Substanz (des Protoplasmas) vollziehen (Pfeffer). Auslösungsprozesse haben aber auch in der unbelebten Natur weite Verbreitung. Für manche Reizvorgänge, auch für solche in den Pflanzen, gilt bekanntlich das sogenannte Weber-Fechner’sche Gesetz: „Während der Reiz in geo- metrischer Progression zunimmt, wächst die Reaktion in arithmetischer Progression.“ Es ist daher gewiß beachtenswert, daß auch in der un- beiebten Natur in gewissen Fällen zwischen Ursache und Wirkung Relationen bestehen, die eine Zuordnung einer geometrischen zu einer arithmetischen Reihe gestatten ?). 4) Aus den vorstehenden Erörterungen dürfte zur Genüge her- vorgehen, daß wir gute Gründe zur Verteidigung des biomechanistischen Standpunktes haben, Die Zurückführung der Lebensvorgänge auf physikaliseh-chemische Prozesse erscheint als eine Aufgabe, deren Lösung heute erst in ihren Anfängen steht. Wir dürfen aber hoffen, daß mit fortschreitender Entwicklung der Physiologie, Physik und Chemie, wenngleich erst in ferner Zukunft, ein tieferes Verständnis des wunderbaren vitalen Geschehens gewonnen werden kann?) I) Solche Relationen bestehen z. B. zwischen Druck und Siedepunkt des absoluten Alkohols: Quecksilberdruck in Millimeter: 124%, 25, 50, 100, 200, 400, 800 (geometrische Reihe); Siedepunkt in Grad C: 0, 114, 24, 36, 39, 63, 78 (erithmetische Reihe). Diese Angaben verdanke ich meinem Kollegen F. Auerbach. 2) Die biomechanistische Auffassung ist mit verschiedenen naturphilosophi- schen Betrachtungsweisen von aligemeinerem Charakter vereinbar, von denen aber, wie es scheint, die dynamistische immer mehr an Boden gewinnt. Nach ihr muß dasjenige, was wir Materie, Energie, Naturgesetzlichkeit nennen, als Entfaltungs- formen der umfassenden Dynamis (natura naturans), die der Natur als Moment immanent ist, aufgefaßt werden, und man gelangt zu dem naturphilosophischen Standpunkt eines universellen, naturgesetzlich (d. bh, physikalisch-chemisch) deter- minierten Dynamismus. Auch darauf muß hier noch hingewiesen werden, daß der Biomechanismus nicbt, wie freilich oft angenommen wird, konsequenterweise allein mit einer naturalistischen Metaphysik verträglich ist. Er kann mit einer solchen in Verbindung treten; eine Notwendigkeit dazu liegt aber nicht vor. Er ist ebenso mit einer idealistischen Weltanschauung, nach welcher dem Geistigen in der Welt der Primat gebührt, und die zugleich überindividuelle Werte und Freiheit aner- kennt, vereinbar. Man vermag sehr wohl eine metaphysische Auffassung zu be- gründen, nach welcher freilich alles Geschehen in der unbelehten und belebten Natur physikalisch-chemisch bedingt wird, dieser „Mechanismus“ aber nur die Forn und das Mittel darstellt, in denen sich ein Werte in sich bergondes, fina} gerich- tetes Weltprinzip von geistiger Wesenheit durch kontinuierliche schöpferische 28 W, Detmer, Mit dem Gesagten ist auch Stahl’s naturphilosophischer Stand- punkt unserem Problem gegenüber einigermaßen zutreffend gekenn- zeichnet. Er lehnt gewiß in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Biologen mit Rücksicht auf die hier in Betracht kommenden Fragen einen extrem gerichteten Agnostizismus ab. Denn es besteht für ihn das naturphilosophisch durchaus berechtigte Bedürfnis, die verschiedenen Auffassungsmöglichkeiten zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen, um auf solche Art zu einer bestimmten Ansicht zu gelangen, die, mag sie selbst nur hypothetischen Charakter tragen, doch befruchtend auf die Spezialforschung einwirken kann. Ich glaube daher, Stahl wird der folgenden Formulierung seine Zustimmung nicht versagen. Die biomechanistische Betrachtungsweise ist der vitalistischen gegenüber unbedingt vorzuziehen, weil sie der naturphilosophischen Forderung der Einheit und Kontinuität im gesamten Naturgeschehen angemessen ist, mit den Erfahrungen der Biologen nicht im Widerspruch steht, und weil sie endlich hohen heuristischen Wert besitzt. Wie schon einmal betont wurde, würdigt der kritisch gerichtete Biomechanismus die Schwierigkeiten, welche sich einem pbysikalisch-chemischen Verständnis der Lebensprozesse entgegenstellen, durchaus; er ist sich auch darüber vollständig im Klaren, daß das von ihm erstrebte Ziel erst ganz all- möählich mit fortschreitender Entwicklung der Wissenschaft erreicht werden kann. 2. Stahl’s Stellung zur Deszendenztheorie und Selektionshypothese. Bezeichnet man die gesamte Lehre vom Auftreten der Organis- men sowie von den Bedingungen ihrer Entstehung, resp. Veränderung als Biogonie, so kann man innerhalb des Rahmens dieser Disziplin zwischen Bioplastik, Biogenetik und Biostatik unterscheiden. a) Bioplastik. Sie hat die Frage nach dem Modus des Auftretens der Organismen zu untersuchen. Sind die mannigfaltigen Formen der Aktualität zur Überwindung des zugleich mit den Werten in diesem Absoluten liegenden Irrationalen manifestiert („Kausalität durch Freiheit“. Es besteht nur der Schein, als ob alles Geschehen durch blinden Mechanismus vermittelt würde). Der metaphysische Standpunkt eines universell teleologisch determinierten und durch psychische Aktivität (Willenstätigkeit) vermittelten Evolutionismus, welcher sich in einem umfassenden Weltbewußtsein vollzieht, und durch dasselbe bedingt wird (Psychomonismus, Panentheismus), schließt die biomechanistische Betrachtungs- weise, zu der wir durch rein natarphilosophische Erwägungen gelangt sind, keines- wegs aus. Man muß eben zwischen metaphysischer und naturphilosophischer Auf- fassungsart der Erscheinungen stets streng unterscheiden. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker new. 29 Lebewesen, denen wir heute noch auf unserem Planeten begegnen, von Anfang an nebeneinander vorhanden gewesen? {Koordinationslehre.) Entstanden die Organismen nacheinander? (Sukzessionslehre.} Oder gingen sie im Sinn der Deszendenztheorie auseinander hervor? (Evo- Iutionslehre.) Cuvier vertrat die Koordinationslehre; sie wurde bei ilm nur etwas durch seine Katastrophentheorie eingeschränkt. Linne stand nach Fockes Ansicht, der sicher ein sehr genauer Kenner der Schriften des großen schwedischen Naturforschers ist, auf dem Standpunkt, daß ursprünglich eine Anzahl von Urtypen für Gruppen von Arten und Varietäten existiert hätten, aus denen sich die Arten und Varietäten dann fernerhin (durch Kreuzung) bildeten. Der Entwickelungsgedanke fehlt bei Linne. (Vgl. auch Almguist in Engler’s Jahrbüchern f. Systematik usw., Bd. 55). Eine wesentlich andere Stellung zu unserem Problem nehmen die Anhänger der Sukzessionslehre ein, nämlich Herder (Ideen zur Philo- sophie der Geschichte der Menschheit), Goethe während der ersten Periode seiner biologischen Studien, Schelling, Oken und Hegel") Nach ihrer Auffassung manifestierte sich die schöpferische Natur- kraft im Reich der Organismen in der Hervorbringung einer Stufen- folge von zunächst relativ einfachen, weiterhin aber fortschreitend komplizierter werdenden Daseinsgestaltungen, eine Betrachtungsweise, die bei Herder und Goethe dann noch mit ihrer Theorie der Ur- typen für Pflanzen und Tiere in Verbindung trat. Endlich die Evolutionslehre. Sie ist vor allem bemüht, nachzu- weisen, daß eine reale, eine genealogische (nicht nur ideelle) Ver- wandtschaft zwischen den Organismen besteht, daß also die höheren, mit komplizierterem Bau, ausgeprägterer Arbeitsteilung und mannig- faltigeren Funktionen ausgerüsteten Formen aus weniger differenzierten Typen hervorgingen, und somit phylogenetische Beziehungen zwischen den Lebewesen vorhanden sind. „Natura non facit saltum“2). 1) Vgl. F. W. Schelling, Sämtliche Werke, herausgeg. von A Schelling, 1. Abteil,, Bd. IV und Bd. VI; Oken, Lehrbuch der Naturphilosophie. Jena 1831; Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Ausgabe in der philo- sophischen Bibliothek, Bd. XXXIII, pag. 209. . 2) Als Evolution oder Entwicklung ist naturphilosophisch ein Prozeß zu be- zeichnen, der infolge der einmal gegebenen, nicht weiter ableitharen Natur des Seienden dahin führt, daß aus einem Komplex mehr oder minder gleichartiger Elemente durch Differenzierung ein System hervorgeht, dessen einzelne Glieder zueinander in barmonischer Wechselbeziehung stehen, und das als Ganzes in seiner Relation zur Umwelt relative Stabilität besitzt (Integration nach Spencer und 30 W. Detmer, Es ist bewunderungswürdig. mit welcher Klarheit schon Kant in der Kritik der Urteilskraft (besonders & 80), indem er von allgemeinen naturphilosophischen Gesichtspunkten ausging, die Bedeutung stammes- geschichtlicher Auffassung erkannte und ihre Berechtigung betonte. Als eigentlicher Begründer der Deszendenzlehre ist aber Lamarck (Philo- sophie-Zoologique 1809) anzusehen. Ihm schlossen sich in vieler Beziehung Geoffroy St. Hilaire und in seinen späteren Lebensjahren ebenso Goethe an. In ausgezeichneter Art vertrat dann Wallace (1855 — 1858) die Abstammungslehre. Er hob dabei auch schon das Prinzip des Kampfes uns Dasein sowie der Selektion hervor. Trotzdem blieb es erst dem genialen Charles Darwin, der ohne Frage als einer der hervorragendsten Naturforscher aller Zeiten anzusehen ist, vorbehalten, der Deszendenz- theorie jene grundlegende Bedeutung zu sichern, welche sie für die gesamte Biologie gewonnen hat und behalten wird. Überhaupt ist erst durch ihn und verschiedene seiner Nachfolger, namentlich Haeckel (Generelle Morphologie 1866} und Spencer (First Principles 1862 und Prineiples of Biology 1867) der Entwicklungsgedanke für sämtliche Wissenschaften zu voller Lebenskraft gelangt und fruchtbar geworden. Darwin hatte seine Ideen schon in einem Essay von 1842 und in einem anderen von 1844, die erfreulicherweise beide jetzt publiziert sind, niedergelegt. 1859 erschien dann sein Hauptwerk über die Ent- stehung der Arten, in welchem er unter Verwendung eines überaus reichen Materials bestrebt gewesen ist, die Deszendenztheorie zu ver- tiefen und die Selektionslehre zu begründen. Die Fundamente der Abstammungslehre waren durch Darwin und seine Anhänger, besonders Fritz Müller (Abhandlung desselben: „Für Darwin“) und Haeckel, gesichert. Aber auch heute noch ist unendlich viel Detailarbeit zu leisten). Tendenz zur Stabilität nach Fechner). Die für ein gegebenes System möglichen Entwieklungsriehtungen können sehr verschiedenartige sein; sie liegen aber dennoch stets innerhalb bestimmter Grenzen, welche darch die innere Natur des Systems (seine chemische Konstitution, Struktur und sein Reaktionsvermögen) gezogen wer- den. Daneben entscheiden zugleich die Außenfakteren sehr wesentlich darüber, welche Entwicklungsrichtung tatsächlich realisiert wird. Sie vermögen überdies unter Umständen die innere Natur des Systems zu modifizieren und damit den Anstoß dafür zu geben, daß die Evolution ganz neue Bahnen einschlägt. Verlauf und Richtung der Entwicklung sind somit stets durch das komplizierte Zusammen- wirken innerer sowie äußerer Bedingungen determiniert. 1) Von den mehr oder minder extrem gerichteten Gegnern Darwin’s seien bier gleich einige genannt: Moritz Wagner stellte der Selektionstheorie Dar- win’s, von der weiter unten die Rede sein wird, die Migrationstheorie gegenüber. Agassiz und Wigand vertraten die Ansicht, nach welcher jede Art aus beson- deren Spezieskeimzellen hervorgegangen sein soll. Fleischmann (Darwin’sche Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 31 Die Systematik der Botaniker und Zoologen, weit entfernt davon, eine erstarrte Disziplin zu sein, wie manche, die der heutigen Biologie Theorie 1903), ist reiner Empirist. Er legt nur auf genauestes Beschreiben der Tatsachen Gewicht, nicht auf weitergehende theoretische Bearbeitung des gewonnenen Materials. Wir sollen daher nicht einmal zu deszendenztheoretischen Erörterungen berechtigt sein. Das würde, meine ich, eine kümmerliche, eines jeden inneren Zu- sammenhanges entbehrende Wissenschaft ergeben. Auch die Einzelwissenschaften leben nicht nur von Tatsachen und Logik, sondern sie bedürfen zu ihrer Aus- gestaltung ferner gewisser Vernunftprinzipien (hier kommen zumal die Ideen der Einheit und die mit ihr eng zusammenhängende Idee der Kontinuität in Betracht), welche die Verstandestätigkeit lenken und auf solche Art überhaupt erst eine an- gemessene Beurteilung der Erscheinungen ermöglichen. Auf die armselige, ebenso verständnislose wie anmaßende Art einzugehen, mit der Nietzschein seinem „Jen- seits von Gut und Böse“ Darwin abtut, lohnt sich nicht der Mühe. Viel tiefer als Nietzsche (ebenso als Schelling, Oken und Hegel) hat z. B. der vom ersteren gering geschätzte Spencer das Wesen der Entwicklung erfaßt. Die Grundanschauungen Spencer’s lassen sich zudem ungezwungen mit der Forderung in Zusammenhang bringen, daß durch das Geistesieben Werte realisiert werden sollen. Was die Vitalisten anbelangt, so können sie ihrem prinzipiellen Stand- punkt nach Darwin nicht gerecht werden. Sie reden z. B. von einem völligen Niedergang und dem „Sterbelager“ des Darwinismus. Ich halte solche Ansichten für verfehlt. Liebmann (Analysis der Wirklichkeit, 3. Aufl, 1900) trägt durch Dialektik und transzendentalphilosophische Erwägungen in Darwin’s Lehre Ge- danken hinein, die ihr ihrem naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Cha- rakter nach völlig fremd sind, und dürfte so zu vielen Mißverständnissen Ver- anlassung geben. Liebmann ist Vitalist (vgl. Analysis, pag. 330 und 360). Wie es so oft der Fall, hat auch er die Grenzen zwischen naturphilosophischer und metaphysischer Betrachtungsweise nicht scharf genug gezogen. Seine Metaphysik führt zudem nur zu einem „Schattenreich“ der Begriffe oder Ideen; es fehlt ihr jede Kraft und Lebensfrische, weil die Natur der Ideen völlig unbestimmt bleibt. Es entsprechen ihnen nämlich nacb Liebmann und anderen Transzen- dentalphilosophen unserer Tage weder transzendente Wesenheiten, noch Daseins- arten-im Sinn des Naturalismus; sie repräsentieren weder Begriffe im Sinn der Psychologie, noch Fiktionen im Sinn der Philosophie des „Als-Ob“ von Vaihinger. Für die Transzendentalphilosophen sind die Begriffe oder Ideen nur die logischen Voraussetzungen oder Bedingungen der Möglichkeit für ein Reich überzeitlich geltender Weltwerte, aber eben, weil die Ideen eine rein formal logische Bedeutung haben, und nicht in einem als real existierend vorausgesetzten Weltbewußtsein ver- ankert sind, vermögen sie keine wirkliche metaphysische Kraft zu gewinnen. Das „Bewußtsein überhaupt“, da es selbst ebenfalls nur eine Idee ist, kann in keiner Weise Ersatz für jenes reale Weltbewußtsein bieten. Ähnlich urteilt auch Joh. Y olkelt. Johannsen (Kultur der Gegenwart, 4. Abteil., Bd. I), der so hoch verdiente Biologe, nimmt der Deszendenz- und Selektionstheorie gegenüber einen hyperkritischen Stand- punkt ein, wie ihn Hinneigung zum Positivismus und reinen Empirismus leicht er- zeugen können. Wenn O. Hertwig (Werden der Organismen 1916) Darwin als Ver- treter einer absoluten Zufallsiehre bezeichnet, ohne den Regriff des Zufalls angemessen zu definieren, so kann das nur zu Mißverständnissen führen. Absoluten Zufall gibt 32 W, Detmer, nicht näher stehen, zu glauben scheinen, ist in unseren Tagen rüstig damit beschäftigt, die zwischen den Organismen bestehenden phylo- genetischen Beziehungen aufzuklären, und diese Relationen durch die Art und Weise, in der die Gliederung des Systems durchgeführt wird, zun Ausdruck zu bringen. Auch Stahl, durchaus auf dem Boden der Deszendenztheorie stehend, vertritt die Ansicht, daß eine der wichtigsten Aufgaben der Systematik in der bezeichneten Richtung liegt. Zur Er- reichung des anzustrebenden Zieles stehen recht mannigfaltige Forschungs- mittel zur Verfügung, von denen man sich je nach Umständen bald des einen, bald eines anderen oder mehrerer, die miteinander zu kombinieren sind, bedienen wird. Hier kommen in Betracht: Paläontologische, syste- matische, embryologische (überhaupt entwicklungsgeschichtliche), pflanzen- und tiergeographische Untersuchungen, ferner Studien auf den Gebieten der vergleichenden Anatomie, Morphologie und Physiologie — nament- lich dürfte eine komparative Behandlung physiologisch-chemischer Fragen ein sehr wertvolles Material liefern — serologische Forschungen, die heute auch in der Botanik eine wichtige Rolle spielen, und endlich die Resultate der neueren experimentellen Untersuchungen über Variabilität und Ver- erbung. b) Biogenetik, Sie hat die Probleme zu behandeln, welche sich auf Entstehang und Transformation der Organismen beziehen. Ist die Kreations-, Panspermie- oder Archigoniehypothese zu vertreten? Welche Umstände veranlassen die Bildung neuer Arten? Nach Lamarck sind die ersten Organismen auf unserer Erde durch Urzeugung entstanden. Die lebende Substanz hat nach seiner Meinung infolge der ihr nun einmal eigentümlichen Qualitäten und Dispositionen das Vermögen, sich in bestimmter Richtung zu verändern, und dadurch es in der Welt überhaupt nicht. Wir nennen nur derartige Ereignisse „zufällig“, die im Treffpunkt solcher Kausalreihen liegen, deren‘ Verbindung wir nicht vorher zu bestimmen vermochten, obgleich dieselbe an sich mit Notwendigkeit, d. h. gesetzlich, erfolgen mußte (relativer Zufall). Auch der dem Darwinismus oft ge- machte Vorwurf, daß er von absoluter Richtungslosigkeit des Geschehens ausgehe, ist durchaus zurückzuweisen. Freilich lehnen die Darwinisten von ihrem biomecha- nistischen Standpunkte aus die Mitwirkung riehtender Prinzipien im Sinn der Neo- vitalisten beim Evolutionsprozeß ab; sie sind auch auf Grund der Erfahrung zu der Überzeugung geführt, daß die Variationen, als Einzelgeschehnisse betrachtet, zu- nächst ungerichtet erscheinen, aber die Darwinisten erblieken in der Natur- notwendigkeit und ihrer eindeutigen Bestimmtheit den das gesamte Einzelgeschehen umfassenden Rahmen, so daß für die Naturprozesse von vornherein jeder chaotische Verlauf ausgeschlossen bleibt, vielmehr ein jener Notwendigkeit angemessenes Ge- riehtetsein des universellen Geschehens gefordert werden muß und in der Tat auch im Werden (Evolution) zum Ausdruck gelangt. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 33 fortschreitend komplizierter gestaltete Daseinsformen hervorzubringen. Neben diesem die Evolution vermittelnden Faktor wird ferner die Art- bildung durch die auf das Soma der Organismen einwirkenden äußeren Verhältnisse in ganz erheblichem Maße beeinflußt. Es erfolgt eine direkte Anpassung der Lebewesen an die Umwelt, die in Gestalt passiver Anpassung (besonders bei den Pflanzen) und aktiver Anpas- sung (Gebrauch infolge des Bedürfnisses, das als Reiz wirken soll, und Nichtgebrauch der Organe namentlich bei den Tieren) stattfindet. End- lich betont Lamarck nachdrücklich die Erblichkeit der auf die ange- gebene Weise erworbenen Eigenschaften der Organe. Die Prinzipien der Selektion und der indirekten Anpassung waren ihm noch fremd. Eine ganze Anzahl derjenigen Biologen, die in den letzten Jahr- zehnten tätig waren, haben sich den Anschauungen Lamarck’s mehr oder weniger angeschlossen. Man kann sie sämtlich als Neulamarekisten bezeichnen. Es ist indessen wohl zu beachten, daß im einzelnen doch recht erhebliche Unterschiede zwischen den Standpunkten bestehen, welche diese Forscher dem Artbildungsproblem gegenüber einnehmen Sie vertreten aber sämtlich die Ansicht, nach der die Selektion höchstens untergeordnete Bedeutung für die Phylogenese haben soll. Als hervor- ragende Neulamarckisten sind namentlich Spencer, Nägeli, Askenasy, Eimer, O. Hertwig, Wettstein, Warming zu bezeichnen; ebenso manche Psychovitalisten (E. v. Hartmann, Pauly). Den Anschauungen Lamarek’s und der Neulamarckisten stehen nun diejenigen Darwin’s und der Neudarwinisten gegenüber, wobei frei- lich bemerkt werden muß, daß die Auffassungen Darwin’s selbst sich noch in manchen Punkten mit jenen Lamarck’s decken. Darwin’s wissenschaftliches Denken ist, wie er selbst hervor- hebt, sehr wesentlich durch die Entdeckungen des großen Reformators der Geologie, Lyell, und durch gewisse Betrachtungsweisen des Nationalökonomen Malthus beeinflußt worden, aber er hat keineswegs nur solehen Gedanken einen präziseren Ausdruck verliehen, die zu seiner Zeit bereits vorhanden waren, sondern als genialer Forscher wies er der Wissenschaft vor allen Dingen ganz neue Wege. Er ver- tiefte die Deszendenztheorie unendlich, und ist als eigentlicher Be- gründer der Selektionstheorie anzusehen. Die Vorsicht, mit der er bei der Ableitung allgemeinerer Schlußfolgerungen verfuhr, die unermüd- liche Arbeit zur Herbeischaffung des für seine Aufgabe erforderlichen Materials, das Vermögen, die festgestellten Tatsachen von den ver- schiedensten Gesichtspunkten aus zu beleuchten, sind gleich bewun- derungswürdig. Darwin hat nicht nur ein umfassendes naturphilo- Flora, Bd. ill. 3 34 W. Detmer, sophisches System durch die synthetische Kraft seines Geistes zu be- gründen vermocht, er hat auch, besonders auf dem Gebiet der Bo- tanik, aber ebenso auf denjenigen der Zoologie und Geologie, Spezial- arbeiten von 'außerordentlicher Wichtigkeit hervorgebracht. Dazu war Darwin ein Mann von unantastbarem Charakter und wundervoller Reinheit der Gesinnung (vgl. seine Autobiographie und Briefe). Die Lehre Darwin’s ist allbekannt. Es sei hier über sie nur das Folgende bemerkt. Der große Naturforscher war vollständig ver- traut mit den auch heute noch für die Biologie und speziell für die Phylogenie so wichtigen Phänomenen der Korrelation im Organismus, der Konvergenz, Homologie, Metamorphose, und ebenso der Reduk- tionsmöglichkeiten der Organe. Höchste Bedeutung legte er dem kon- servativen Prinzip der Vererbung bei; daneben aber gleich große dem transformierend wirkenden der Variabilität. Darwin unterscheidet zwischen bestimmten und unbestimmten Variationen (letztere auch von ihm individuelle genannt). Die bestimmten Variationen sind nicht erb- lich. Sie entsprechen den Abänderungen, die wir heute Modifikationen nennen, und prägen sich nach jetziger Ausdrucksweise nur in Umge- staltung des pbänotypischen Charakters der Organismen aus, ohne ihre genotypische Konstitution zu alterieren. Bei den nach Darwin erb- lichen unbestimmten Variationen unterscheidet er sehr wohl die „single variations“, die mit den sprungartig erfolgenden Mutationen (de Vries) übereinstimmen, und die fluktuierenden Variationen. Indem die Ab- änderungen, die ein Organismus (Art oder Varietät) erfahren hat, auf die Nachkommen erblich übertragen, in diesen noch verstärkt werden, und eventuelle weitere Variationen hinzutreten, muß die Differenz zwischen Stammformen und Deszendenten fortschreitend zunehmen (Akkumulationserscheinungen). Die Variationen, die sich übrigens zu bestimmter Zeit und an einem bestimmten Ort gewöhnlich nicht an sämtlichen Individuen einer Art und Varietät geltend machen, können nach sehr verschiedenen Richtungen erfolgen. Sie vermögen für den Bestand des Organismus Indifferentes, Nachteiliges oder Nützliches (Wertvolles) hervorzubringen, und wenn sie, sei es schnell oder erst nach längerer Zeit, einen gewissen bedeutenden Grad (Selektionswert) erlangt haben, dann treten der Kampf ums Dasein und die Selektion (natural selection) in Kraf. Das Endresultat aller dieser Vorgänge prägt sich im Überleben der den gegebenen Existenzbedingungen am meisten entsprechenden Individuen aus (Anpassungs- oder Adaptions- erscheinung). Selektion erhält auch einmal vorhandene Formen auf der Höhe ihrer Entwicklung. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 35 Die Grundvoraussetzung für die Entstehung der Organismen- formen ist und bleibt das Vermögen der Lebewesen, erbliche Varia- tionen zu erzeugen. Wir hezeichnen dieselben heute als Mutationen und Neukombinationen. Nur durch sie wird wirklich Neues hervor- gebracht und damit Phylogenese ermöglicht. Darwin kannte, wie schon bemerkt wurde, bereits Sprungmutationen (Sports, diskontinuier- liche Mutationen); vor allen Dingen legte er aber Gewicht auf seine fluktuierenden Variationen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß manche derjenigen Abänderungen, die Darwin in dieser Kategorie vereinigte, keine wahren Mutationen, sondern Modifikationen oder Oszillationen (Beinke) von rein phänotypischem Charakter gewesen sein mögen. Auf jeden Fall hatte er aber doch, indem er von individuellen Varia- tionen sprach, der Hauptsache nach Mutationen im Auge, und zwar solche, die man mit Lotsy als Schrittmutationen (kontinuierliche Mu- tationen) bezeichnen kann, weil sie den Organismus zunächst nur in sehr geringfügiger, aber erblicher Weise modifizieren. Dies betont auch Plate sehr nachdrücklich. Es ist ein großer Irrtum, wenn behauptet wird, Darwin hätte gesagt, die Selektion könne Neues produzieren. Dies hat er niemals getan. Wohl aber vertritt er energisch die An- sicht, nach welcher Selektion nicht nur Minderwertiges beseitigt, son- dern in ganz bestimmtem Sinn förderlich bei der Bildung neuer Formen beteiligt ist. Indem sich nämlich jene Schrittmutationen, die auch nach neueren Untersuchungen ganz gewiß existieren, geltend machen, wird die Tendenz in der einmal eingeschlagenen Richtung weiter abzuändern auf die Nachkommen erblich übertragen. Haben die Variationen ein gewißes Maß erreicht, dann greift die Selektion ein. Durch sie werden die für die gegebenen Verhältnisse geeigneten Formen ausgelesen. Sie wirkt richtend auf den Entwicklungsprozeß ein, lenkt ihn in geeig- nete Bahnen, fördert die Ausbildung des Unfertigen und gewinnt da- mit eine durchaus positive Bedeutung für den Evolutionsprozeß. Nicht direkte, wobl aber indirekte Anpassung ist der Erfolg, den Selek- tion erreicht !). 1) Ohne Zweifel besitzt Selektion auch für den durch Archigonie ver- mittelten Prozeß der Entstehung lebender Substanz größte Bedeutung. Der W irk- lichkeit, welche wir unter dem Bilde oder Symbol des Stoffes betrachten, ‚sind gewisse einmal gegebene, nicht weiter ableitbare Grundqnalitäten und Grunddispo- sitionen eigentümlich, von denen strenge Naturgesetzlichkeit und durch sie bedingte Entwicklungsfähigkeit die hervorragendste Wichtigkeit beanspruchen. Innerhall) des durch solche Urphänomene bestimmten Rahmens sind für die Bildung lebender Substanz aus lebloser Materie zahlreiche Verkettungen möglich, aber infolge der i iejeni; i ie d fähigen Selektion werden von denselben nur diejenigen erhalten bleiben, jn danerfähig. 36 W. Detmer, Übrigens hat Darwin das Problem der Artbildung sehr viel- seitig erfaßt, ganz im Gegensatz zu manchen seiner Nachfolger. Dar- win befand sich stets in innigstem Kontakt mit der schaffenden Natur. Er vermochte daher ihr Wirken so angemessen, wie es wenigen Bio- logen vergönnt gewesen ist, zu beurteilen, wußte ganz genau, daß die Natur nicht nur nach einem bestimmten Schema arbeitet, sondern mannigfaltige Mittel zur Lösung ihrer Aufgaben verwendet, und ver- stand es, jeden Dogmatismus fern von sich zu halten. So spielt z. B. in Darwin’s Theorie die geographische Isolierung der Organismen durch deren Wanderung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch die direkte Anpassung findet Beachtung, sowie Gebrauch und Nicht- gebrauch der Organe. Freilich müssen diese drei letzteren Faktoren in ihrer Bedeutung für die Deszendenz heute anders eingeschätzt werden, wie es Darwin tat. Das Hauptgewicht legt Dar win bei seinen Er- örterungen — abgesehen von Variabilität und Vererbung — freilich immer auf die Selektion und die durch sie vermittelte indirekte An- passung, während Lamarck und die Neulamarckisten in erster Linie die Bedeutung direkter Adaption für die Artbildung betonen. Unter den Neudarwinisten nimmt Weismann (Vorträge über Deszendenztheorie 1913, 3. Aufl.) dem sich z. B. Spengel, Detto und Ziegler im wesentlichen angeschlossen haben, eine ganz her- vorragende Stellung ein. Die wichtigsten Grundgedanken seiner Theorie sind die folgenden: Bei allen zu sexueller Vermehrung be- fähigten Organismen besteht eine scharfe Sonderung zwischen Keim- plasma und Soma. Mit dieser Anschauung verbindet Weismann die sehr speziell von ihm durchgeführte Lehre von der Kontinuität des ersteren und den Keimbahnen, aber weiter auch die Annahme von der Nichterblichkeit der vom Soma erworbenen Eigenschaften. Die letzten biologisch in Betracht kommenden Elemente des Keimplasmas sind die Biophoren. Sie treten zur Bildung der Determinanten zusammen. Komplexe der Determinanten bilden Ide, und die Gesamtheit der Ide einer Zelle sind die Idanten. Ursprünglich nahm Weismann an, daß bei der Entwicklung jeder befruchteten Eizelle, beginnend mit der Bildung der ersten Blastomeren und sich während der ganzen Onto- Charakter tragen, d. h. solche chemische Konstitution, Struktur und Kombination elementarer Lebensfunktionen (Assimilation, Dissimilation, Reizbarkeit, Vermeh- . rungsfähigkeit, Selbstregulation usw.) aufweisen, daß sie den gegebenen Umständen erhaltungsgemäß angepaßt sind. Existenzfähige lebende Substanz mit ihrer ge- samten spezifischen Eigenart ist das Produkt eines sehr allmählich verlaufenden Werdeprozesses (vgl. Roux, Nova Acta, Abhandlungen der Leopold, Akad. d. Naturforscher, Bd. 100, besonders pag. 77 und 88). Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 37 genese fortsetzend, eine durchaus erbungleiche Teilung der Ide zustande käme, und jede Somazelle also durch solche Zerlegung des Keim- plasmas allein mit den für ihre eigene Ausgestaltung unentbehrlichen Determinanten versorgt würde. Diese „Mosaiktheorie“ hat der Frei- burger Zoologe später aber, besonders mit Rücksicht auf die Erschei- nungen der Regeneration durch die Lehre vom „Nebenidioplasma“ er- gänzt (Bd. I, pag. 310 und 311; Bd. II, pag. 1.) Variationen der Or- ganismen können nach Weismann lediglich durch Veränderungen des Keimplasmas (niemals des Soma) vermittelt werden, indem dasselbe durch den Einfluß verschiedener Faktoren, namentlich der Ernährungs- verhältnisse, qualitative und quantitative Modifikationen erleidet (Bd. II, Pag. 111, 139, 140, 242). Amphimixis, welche zu Neukombinationen im Determinantensystem führen kann, vermag zudem fördernd auf den Prozeß der Transformation einzuwirken. Höchste Bedeutung für die Phylogenese schreibt Weismann dann weiter der Selektion: „Allmacht der Naturzüchtung“ zu. Sie tritt in den Formen der Germinal- und Personalselektion hervor. In der Richtung seines biologischen Denkens schließt sich Stahl jener von Weismann verfolgten in vieler Hinsicht an. Freilich ver- mag er dem Freiburger Zoologen nicht in seinen sehr weitgehenden Spekulationen über das Keimplasma zu folgen, und ebenso vermag er dessen Anschauungen über die Allmacht der Naturzüchtung nicht zu teilen, aber er ist mit Weismann fest überzeugt, von der Nichterb- lichkeit der vom Soma erworbenen Eigenschaften, sowie der ganz außer- ordentlichen Bedeutung der Selektion für die Phylogenese. Daß Ver- änderungen, die das Soma treffen, auf die Keimzellen übertragen werden können, mag vorstellbar sein; indessen ist eine durch das Medium des Soma vermittelte Affektion der letzteren kaum in irgendeinem Falle absolut sicher konstatiert. Dazu kommt, daß Variationen des Keim- plasmas ganz offenbar nicht selten entstehen, indem die Außenfaktoren dasselbe (besonders in der sogenannten sensiblen Periode) direkt be- einflussen, was auch Weismann (Bd. II, pag. 76) für möglich hält. Ebenso ist ja Parallelinduktion nicht ausgeschlossen (Detto). Die Lehre von der Allmacht der Naturzüchtung lehnt Stahl ab, weil den Organismen sicher mancherlei Eigentümlichkeiten indifferenter Art (ohne Selektionswert) zukommen). Dabei verteidigt er aber mit vollem 1) Auch Goebel (Organographie der Pflanzen 1913, 2. Aufl, Teil I pag. 39) und Neger (Biologie der Pflanzen, 1913) betonen mit Recht das Vor- handensein indifferenter Merkmale der Organismen, die oft den Charakter von Organisationsmerkmalen tragen, oder Eigentümlichkeiten der I,ebewesen darstellen, 38 W. Detmer, Recht die Ansicht sehr energisch, nach welcher nicht, wie die La- marcekisten meinen, direkte (funktionelle oder aktive und passive) An- passung, sondern indirekte Anpassung für die Entstehung der Arten in erster Linie Bedeutung besitzt. Stahl hat selbst durch seine öko- logischen Studien wesentlich zur Vertiefung unserer Vorstellung über die Selektionsprozesse beigetragen und betont oft, daß manche Ein- richtungen bei Pflanzen, z. B. die Pappusbildungen der Compositen- früchte, die Involukralblätter von Carlina, die Kohäsionsmechanismen usw. überhaupt uur unter Heranziehung des Prinzips der Auslese ver- ständlich werden. Denn sie gewähren den Gewächsen erst Vorteil, wenn die in Betracht kommenden Zellen schon abgestorben sind, und können deshalb vom biomechanistischen Standpunkte aus nicht als Produkte direkter Anpassung aufgefaßt werden. Die Wirkung der Se- lektion erfolgt nach Stahl in der auf pag. 35 angegebenen Weise, Sie vermag darnach nicht neue Biotypen zu erzeugen (dies kann nur durch Mutation oder Neukombination geschehen), sondern ist allein imstande, mit einem bereits vorhandenen Material abgeänderter Formen zu ar- beiten, indem sie die Entwickelung erhaltungsgemäß beschaffener Typen fördert und überhaupt richtenden Einfluß auf die Evolution geltend macht. Wenn ein Organismus eine vererbbare Umprägung erfährt, so beruht das stets auf Veränderungen der chemischen Natur und Re- aktionsfähigkeit seiner Gene. Seine genotypische Konstitution erleidet Modifikationen, und damit kann natürlich auch die Bedingung zur Ver- änderung des phänotypischen Charakters gegeben sein. Stahl steht, besonders im Anschluß an Johannsen und Klebs, auf dem heute durchaus zu rechtfertigenden Standpunkt, daß bei der Vererbung immer nur (rewicht auf die Übertragung genotypischer Anlagen von einem Individuum auf ein anderes gelegt werden darf. Die phänotypischen Merkmale (die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften) eines Lebewesens welche ihren Ursprung und ihre Erhaltung nur dem in denselben einmal waltenden Chemiemus verdanken. Im Gegensatz zu Anpassungsmerkmalen dürften wohl als indifferente Merkmale z. B. angesehen werden: Tetra- und Pentamerie der Blüten- kronen (Neger), Phosphoreszenz der Leuchtbakterien usw. Mehr ala es gewöhn- lich geschieht, sollte man mit Sachs und O. Hertwig (Werden der Organismen) nieht nur den Gegensatz von Keimplasma und Soma betonen, sondern daneben die embryonalen Gewebe (Verband der Blastomeren, die aus der befruchteten Bizelle entstehen, Vegetationspunkte der Pflanzen) unterscheiden. Keimzellen sowie Soma gehen aus embryonalem Gewebe heryor; zwischen letzterem und den beiden ersteren stehen Gewebe von Übergangscharakter, und das ldioplasma der Zeilen des embryo- nalen Gewebes kann somit, da es doch gewiß durch den Einfluß-äußerer Faktoren Veränderungen erfährt, die Veranlassung zur Entstehung erblicher Variationen der Organismen geben. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 39 sind etwas Sekundäres. Sie repräsentieren nicht das Ererbte, sondern sind Folge des eigentümlichen Reaktionsvermögens der Erbfaktoren auf die vorhandenen Außenbedingungen. Wenn das Keimplasma infolge autonomer oder induzierter Reizvorgänge zu Mutationen veranlaßt wor- den ist, seine genotypischen Grundlagen demnach nicht mehr genau dieselben wie seither sind, dann haben damit zugleich seine Potenzen Modifikationen erfahren. Diese Potenzen liegen immer nur innerhalb bestimmter Grenzen. Aus einem gegebenen Keimplasma kann, indem äußere Umstände auf dasselbe einwirken, und damit innere Zustands- änderungen in ihm vor sich gehen, nicht Beliebiges werden, sondern es besteht nur die Möglichkeit zur Realisierung einer mehr oder min- der großen Anzahl von Phänotypen (Modifikationen). Auf jeden Fall ist aber dem Keimplasma und infolgedessen auch dem Soma eine ge- wisse Labilität eigentümlich, wie namentlich die ausgezeichneten ex- perimentell-morphologischen Studien von Goebe] und Klebs klar dar- getan haben. Weder als Neulamarckist noch als Neudarwinist darf H. de Vries (Mutationstheorie 1901) bezeichnet werden. Er nimmt eine besondere Stellung ein, indem er bestrebt ist, die Deszendenz durch seine Muta- tionstheorie verständlich zu machen. Die Mutationen der Organismen erfolgen nach den verschiedensten Richtungen in kleinen Sprüngen Durch sie werden neue elementare Arten hervorgebracht, von denen aber nur die jeweilig erhaltungsgemäß beschaffenen weiter bestehen können, da Selektion die ungeeigneten beseitigt. Somationen (Modifi- kationen), d. h. Veränderungen, die das Soma erleidet, sind nach de Vries nicht für die Artbildung von Wichtigkeit. Seine Mutationen haben stets, ebenso wie es auch Weismann annimmt, rein blastogenen Ursprung. Die Mutationen des holländischen Botanikers entsprechen den „single variations‘ Darwins. Die fluktuierenden Variationen des letzteren kommen für die Phylogenese gar nicht in Betracht, eine offenbar viel zu weitgehende Behauptung von de Vries, da manche dieser Variationen, mit denen Darwin arbeitet, ganz sicher den Charakter solcher Abänderungen tragen, die man heute Schrittmutationen nennt, die erblich sind und ohne Zweifel Bedeutung für die Artbildung gewinnen können. Ansichten, die in mancher Beziehung Ähnlichkeit mit denjenigen von de Vries haben, vertraten schon vor diesem Kölliker und Korschinsky (Flora, 1901, Ergänzungsband 89). Endlich ist hier noch auf einige Forscher, zumal Haeckel, Lang, Maurer, Plate (vgl. Plate, Vererbungslehre 1913 und ferner Selektionsprinzip 1913 4. Aufl.) hinzuweisen, welche die Frage nach 40 W, Detmer, der Entstehung des Spezies im wesentlichen genau so wie es Darwin tat, zu lösen versuchen. Dabei wird auf die Selektion das größte Ge- wicht gelegt, den Lamarck’schen Prinzipien der direkten (inklusive der funktionellen) Anpassung sowie der Erblichkeit der vom Soma er- worbenen Eigenschaften aber doch zugleich eine gewisse Bedeutung bei- gemessen‘). Dagegen lehnen die genannten Zoologen die orthogene- tische Betrachtungsweise Nägeli’s, die Hypothese Weismann's über Germinalselektion und die Mutationstheorie von de Vries, wenigstens in ihrer extrem gerichteten Fassung, ab. In den. ersten Jahrzehnten nach dem Erscheinen der Hauptwerke Darwin’s suchte man die Deszendenzlehre und Biogenetik hauptsäch- lich durch rein vergleichende Studien über Entwickelung und Bau der Organismen zu fördern. Diese Forschungsrichtung hat auch noch heute ” ihre Bedeutung nicht verloren; sie erfuhr aber erfreulicherweise im Laufe der letzten Dezennien eine sehr wesentliche Ergänzung, indem zytologische Untersuchungen in ausgedehntem Maße angestellt wurden, und vor allen Dingen die experimentelle Behandlung biogenetischer Probleme einsetzte. Es entstand die Entwieklungsmechanik (diese hier im weitesten Sinne des Wortes gemeint), eine Disziplin, die bereits heute ungemein wichtige Resultate gezeitigt hat, und sich als- bald ganz naturgemäß in besonderer Art gliedern mußte. Während viele Biologen, z. B. Roux, O. Hertwig, Driesch, Wolff, Herbst, Schaxel, sich hauptsächlich mit den Fragen nach den Ursachen der Ontogenese (Erscheinungen der Differenzierung des Embryo, der Re- 1) Dabei ist indessen zu beachten, daß bestimmt gerichtete Veränderungen, welche die Organismen durch den Einfluß der Außenfaktoren erleiden können, und die man eben direkte, resp. funktionelle Anpassungen nennt, wenn durch sie sofort harmonische Beziehungen zwischen den Lebewesen und der Umwelt her- gestellt werden, nur unter der Voraussetzung möglich sind, daß der Organismus die Fähigkeit bereits besitzt, in jener bestimmten Art auf die äußeren Faktoren zu reagieren. Dazu sind aber Strukturen und Potenzen der Keimzellen erforder- lich, die ihren letzten Grund doch nur in „zufällig“ aufgetretenen Variationen haben können. Danach würde es am besten sein, von direkter Anpassung im Sinne Lamarck’s und der Nenulamarckisten überhaupt völlig abzusehen. Die für die Entstehung neuer Arten erforderlichen Variationen der Keimzellen, ihre geno- typischen Konstitutionsänderungen oder Mutationen erfolgen erfahrungsgemäß rich- tungslos. Es ist „Zufall“, wenn sie einmal bei vielen Individuen in recht über- einstimmender Weise ausfallen, und auf solche Art Erscheinungen resultieren, welche wir „direkte Anpassungen“ nennen. Diese und die indirekten Anpassungen stehen bei biomechanistischer (nicht teleologischer) Betrachtungsweise tatsächlich gar nicht in einem derartig prinzipiellen Gegensatz zueinander, wie oft behauptet wird. Ermst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 41 generation und Korrelation) beschäftigten, wandten sich andere (Klebs, Goebel) mehr experimentell-morphologischen Arbeiten zu. De Vries, Standfuß, Fischer, Tower, Kammerer, Johannsen, Rosen waren bemüht, die Bedingungen des Zustandekommens der Variationen, be- sonders der Mutation, zu erforschen, und um die Vererbungslehre haben sich, indem sie die schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Mendel eingeschlagenen Wege weiter verfolgten, in erster Liniede Vries, Correns, Tschermak, Baur, Bateson, Plate ganz hervorragende Verdienste erworben. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die von den genannten so- wie vielen anderen Gelehrten gewonnenen und für die kritische Be- handlung des Deszendenzproblems so wichtigen Erkenntnisse näher zu verfolgen. Nur darauf sei noch hingewiesen, daß uns die neueren biologischen Studien vor allem in den Stand setzen, die Formen und das Zustaudekommen der Variationen, deren Stattfinden ja für die Phy- logenese Grundbedingung ist, weit schärfer, als es Darwin und seinen Nachfolgern zunächst möglich war, zu bestimmen. Wir müssen heute unterscheiden zwischen: 1. Modifikationen, 2. Oszillationen, 3. Mutationen und 4. Neukombinationen infolge von Ampkimixis, 1 und 2 sind nicht erblich, 3 und 4 dagegen erblich. Jene verändern nur den Phäno- typus, diese die genotypische Konstitution des Organismus ')., Die Mu- tationen sind teils autonome, teils induzierte. Was die letzteren anbe- langt, so kann das Keimplasma direkte Beeinflussung erfahren, eventuell indirekt durch Vermittelung der embryonalen Gewebe oder des Soma affiziert werden (auch Parallelinduktion im Sinne Dettos ist nicht aus- geschlossen), oder endlich durch sexuelle Prozesse Umgestaltungen er- leiden, die aber nicht identisch mit den Neukombinationen zu sein brauchen. Die Disziplin der Biogenetik befindet sich heute im vollen Fluß; es ist daher zu erwarten, daß unsere Anschauungen über die Phylogenese durch sie fernerhin noch nach mannigfaltigen Richtungen hin Erweiterungen und Vertiefungen erfahren werden. e) Biostatik. In der Biologie wird vielfach von zweckmäßiger Organisation der Lebewesen gesprochen. In der Tat unterliegt es keinem Zweifel, daß die Organe der Pflanzen und Tiere sehr allgemein 1) Zusammenstellungen über benbachtete Mutationen findet man bei Gold- schmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft, pag. 41; Klebs, Zeitschr. für induktive Abstammungs- u. Vererbungslehre, Bd, XVII, pag. 69, 73 und 150. Ferner über Mutationen der Bakterien und Pilze bei Alexandrine Haenicke, Zeitschr. f. Botanik, 8. Jahrg., pag. 226, 319, 328 und 333; die Verfasserin weist auch auf die Übergangsformen zwischen Modifikationen und Mutationen hin. 42 W. Detmer, in ihrem Bau sowie ihren Funktionen Eigentümlichkeiten aufweisen, die für die Erhaltung des Individuums förderlich sind und die Existenz desselben sowie der Art unter den gegebenen Außenbedingungen über- haupt erst ermöglichen. Der Biostatik (Ökologie) fällt nun die Auf- gabe zu, das Bestehen der Anpassungszustände (Ökologismen) nach Detto genannt, vgl. dessen: Theorie der direkten Anpassung 1904, pag. 30) im einzelnen genau zu konstatieren, ihre Bedeutung für den Organismus und die Bedingungen ihres Zustandekommens („Ökogenese“) zu untersuchen. Es ist für die Biostatik von großer Wichtigkeit, die Begriffe: Zweck, Ziel, Zweckmäßigkeit, Zielstrebigkeit näher zu bestimmen. Von Zwecken und Zielen im wahren Sinne des Wortes kann man offenbar nur reden, wenn man von einem vernunftbegabten Bewußtsein aus- geht. Beide sind vorgestellte, gewollte, erstrebte oder erreichte Erfolge eines durch ein Bewußtsein vermittelten Geschehens. Der Erfolg wird Ziel genannt, wenn man nur auf die Richtung des Geschehens und den durch sie herbeigeführten Endzustand als solchen reflektiert. Da- gegen bezeichnet man den Erfolg als Zweck, wenn man in erster Linie die ihn veranlassende Motivation und den durch sie bedingten Sinn- und Wesenszusammenhang des den Endzustand ermöglichenden Ge- schehens in Betracht zieht. Man kann also den Erfolg je naeh dem Gesichtspunkt, unter den man ihn stellt, entweder als Ziel oder als Zweck bezeichnen, und demnach auch das zu seiner Erreichung er- forderliche Geschehen entweder als zielstrebig oder als zweckmäßig auffassen. Jede einzelne Etappe des Geschehens, die für die Reali- sierung des Endzustandes in Betracht kommt, ist in beiden Fällen als Mittel anzusehen. Wenn man den teleologischen oder finalen Charakter der Or- ganismen als eines ihrer wesentlichen Merkmale ansieht, wie es die Vi- talisten tun, so prägt sich darin ganz offenbar eine durchaus anthropo- morphische Auffassung aus, denn wahre Finalität kommt nur durch vernünftige und bewußte Willenstätigkeit zustande. Da aber die meisten Organismen derselben durchaus ermangeln, so kann es nur zu allen möglichen Mißverständnissen führen, wenn man den Begriff der Zweckmässigkeit auf sie anwendet. Indem wir von unserer biomecha- nistischen Grundanschauung ausgehen und dabei den naturwissenschaft- lichen, resp. naturphilosophischen Standpunkt nicht verlassen, betrach- ten wir die Ökologismen als Ausdruck dynamischer Gleichgewichts- zustände, welche den Organismen im Verhältnis zur Umwelt eigen- tümlich sind. Diese Zustände haben ihren Grund nicht in Finalität, Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 43 sondern Naturkausalität brachte sie hervor. Die Lebewesen bezeich- nen wir nicht als zweckmäßig, sondern als erhaltungsgemäß organi- sierte und funktionierende Systeme, d. h. als Komplexe, die sich unter den jeweilig gegebenen Außenbedingungen überhaupt als existenzfähig erweisen. (Vgl. auch Jensen, Organische Zweckmäßigkeit, Ent- wicklung. und Vererbung 1907.) Das Ganze eines Organismus stellt keine den Teilen übergeordnete und diese vermittels teleologisch tätiger Kräfte (Entelechieen, Dominanten) beherrschende Wesenheit dar. Auch ist das Ganze nicht einfach die Summe der Teile, sondern es entsteht dadurch, daß diese, indem sie miteinander verbunden sind, Wechsel- wirkungen und Korrelationen hervortreten lassen, die den inneren Zu- sammenhang des Systems bedingen und ihm ein einheitliches Gepräge verleihen. Viele der im Laufe der phylogenetischen Entwicklung auf- getretenen Lebenstypen besaßen keinen oder nicht genügend aus- gesprochenen erhaltungsgemäßen Charakter. Sie mußten daher im Kampf ums Dasein zugrunde gehen und solchen das Feld räumen, welche in ihrem Bau und ihren Funktionen den jeweilig gegebenen Außen- faktoren angemessener waren. Lehnen wir es vom naturphilosophischen Standpunkte aus ab, in allen jenen Fällen (Pflanzen, niedere Tiere), für welche keine echten finalen Beziehungen, d. h. durch ein Bewußtsein vermittelte, nach- gewiesen sind, mit dem Zweckbegriff zu operieren, so ist damit implizite gesagt, daß wir den Ausführungen von Cossmann (Elemente der em- Pirischen Teleologie 1899) nicht zustimmen können. Die Finalität ist für ihn eine naturwissenschaftliche Kategorie, trotzdem er pag. 62 aus- drücklich vor anthropomorphischer Betrachtungsweise warnt. Es soll neben dem zweigliederigen kausalen Geschehen ein dreigliederiges finales in der Natur, nämlich in den Organismen, geben (teleologische Gesetz- lichkeit), Beim teleologischen Geschehen ist das Medium (etwa Zu- sammenziehung der Pupille des Auges) nicht nur abhängig von Ante- cedens (starker Lichtreiz und Reaktionsvermögen des Organismus), son- dern zugleich vom Succedens (Schutz der Netzhaut). Es wird also die natürlich durchaus abzulehnende Annahıne gemacht, nach welcher das Medium von einem Zustand (Succedens) abhängig sein soll, der noch gar nicht existiert. Cossmann’s Irrtum beruht offenbar darauf, daß ihm, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, die alte Anschauung von einer geheimnisvollen Wirkung des „Ganzen“ auf die „Teile“ vor- schwebte, und daß er dieselbe nicht zu überwinden vermochte. Bei dem tatsächlich zwischen der teleologisch-vitalistischen und der biomechanistischen Auffassung bestehenden prinzipiellen Gegensatz 44 W. Detmer, erscheint es, wie hier weiter zu bemerken ist, nicht angemessen, wenn ein Vertreter der letzteren trotzdem von „teleologischer Mechanik“ redet, wie Pflüger es in einer 1877 erschienenen Abhandlung getan hat. Mit Pflüger erachten es auch manche andere Biomechanisten für zu- lässig, die Begriffe Zweck und Zweckmäßigkeit wenigstens im meta- phorischen Sinne in der Biologie zu verwenden, oder die Organismen nach Kant’s Vorgange so zu beurteilen, „als ob“ sie von einer causa finalis beherrscht würden. Wundt (System der Philosophie, 1897 2. Aufl, und E. König’s Buch über Wundt 1902, pag. 93) hält es aus heuristischen Gründen für wertvoll, die Zweckbetrachtung unter Um- ständen als Umkehrung der kausalen Betrachtungsweise zu verwenden, wobei die Wirkung zum Zweck wird, und die Ursache als Mittel er- scheint. Diese Auffassung deckt sich ungefähr mit derjenigen Sieg- wart’s (Kleine Schriften 1881, Bd. II, pag. 24), der die kausale Be- trachtungsart als die synthetische, die teleologische, die regressiv vom Zweek zum Mittel übergeht, als analytische bezeichnet. Was im übrigen Wundt anbetrifit, so hat derselbe, wie ich meine, die Grenzen zwischen Naturphilosophie und Metaphysik leider nicht scharf genug gezogen (vgl. System, besonders pag. 326), wodurch die Beurteilung seiner An- schauungen sehr erschwert wird. Von unserem Standpunkte aus er- scheint es geboten, den Zweckbegriff bei rein naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Untersuchungen völlig auszuschalten (vgl. übrigens die Anmerkung auf pag. 27). Dies darf um so mehr gefordert werden, als sich uns für jenen Begriff ein vortrefflicher Ersatz dar- bietet, indem wir vom erhaltungsgemäßen Charakter der Orga- nismen, ihrer Erhaltungsgemäßheit oder Erhaltungsfähigkeit sprechen, und damit zugleich Begriffe gewinnen, denen regulative Be- deutung sowie bei ihrer Anwendung heuristischer Wert nicht abzu- sprechen sind. Durch die vorstehenden Bemerkungen ist nun auch im allge- meinen die Stellung Stahl’s zu den so überaus schwierigen, noch lange nicht erledigten Fragen der Artbildung, speziell auch der Bio- statik, bestimmt. Er leugnet nicht, daß manche strukturelle und funk- tionelle Eigentümlichkeiten der Organismen indifferenter Natur sein mögen und somit nicht als Ökologismen angesehen werden können. Daneben aber bestehen tatsächlich sehr zahlreiche echte Anpassungen, d.h. durch Variation, Vererbung, den Kampf ums Dasein und Selektion herausgebildete Gleichgewichtszustände der Lebewesen in ihrer Be- ziehung zur Umwelt. Wie viele Arbeiten Stahl's sowie seiner Schüler zeigen, besitzt er ein besonderes Talent dafür, den Ökologismen auf die Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 45 Spur zu kommen und sich zunächst durch Erwägungen allgemeiner und kombinierender Art Vorstellungen über ihre Bedeutung für den Orga- nismus zu bilden. Auf solche Weise entstehen für Stahl Arbeitshypo- thesen, die den Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen ab- geben. Diesen fällt aber die Aufgabe zu, im Speziellen darüber Klar- heit zu schaffen, ob die vermuteten Relationen zwischen Organismen und Umwelt verifiziert werden können. Das Experiment und die Beobachtung der Pflanzen unter natürlichen Lebensbedin- sungen bilden dabei, wie schon pag. 6 hervorgehoben wurde, das Mitte] zur Lösung der in Betracht kommenden Fragen, und gerade durch eine solche kritische Behandlung ökologischer Probleme hat sich Stahl ganz besondere Verdienste um die Methode sowie den tatsäch- lichen Fortschritt der Biostatik erworben. Stahl ist auch noch heute fleißig an der Arbeit. Seit längerer Zeit beschäftigen ihn Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen, sowie über Sekrete der Gewächse, deren Re- sultate hoffentlich recht bald publiziert werden können. Möge es dem ausgezeichneten Gelehrten vergönnt sein, noch manches Jahr als Forscher und Lehrer an der Universität Jena zu wirken. Jena, im Dezember 1917. Verzeichnis der auf E. Stahl s Anregung entstandenen Dissertationen. l) Schorler, Bernh., Untersuchungen über die Zelikerne der stärkeführenden Zellen der Hölzer. Jena 1883. . 2) Scheit, Max, Über die Tracheidensäume der Blattbündel der Koniferen usw. Jena 1883. . 3) Klebahn, H., Die Rindenporen. Beitrag zur Kenntnie der Lenticellen. Jena 1884. 4) Mollberg, Alb., Untersuchungen über die Pilze in den Wurzeln der Orchi- deen. Jena 1884. I. . 5) Ortmann, Arnold, Beiträge zur Kenntnis unterirdischer Stengelgebilde. Jena 1886. 6) Aderhold, Rud,, Beiträge zur Kenntnis der richtenden Kräfte bei der Bewegung niederer Organismen. Jena 1888. . ?) Adler, Arth,, Untersuchungen über die Längenausdehnung der Gefäßräume, sowie Beiträge zur Kenntnis der Verbreitung der Tracheiden und der Gefäße im Pflanzenreich. Jena 1892. . 8) Dreyer, Ad., Beitrag zur Kenntnis der Funktion der Schutzscheide. St. Gallen 1892. 46 W. Detmer, 9) Stroever, Val, Über die Verbreitung der Wurzelverkürzung. Jena 1892. 10) Benecke, W., Die Nebenzellen der Spaltöffnungen. Leipzig 1892. 11) Gießler, Rud., Die Lokalisation der Oxalsäure in den Pflanzen. Jena 1892. 12) Lüstner, Gust., Beiträge zur Biologie der Sporen. Wiesbaden 1898. 13) Kamerling, Zeno, Zur Biologie und Physiologie der Marchantiaceen. Mar- burg 1894. 14) Hunger, Wilh., Über die Funktion der oberflächlichen Schleimbildungen im Pflanzenreieh. Leiden 1898. 15) Anheisser, Roland, Über die aruncoide Blattspreite. Ein Beitrag zur Blatt- biologie. Marburg 1899. 16) Rostock, Rich., Über die Aufnahme und Leitung des Wassers in der Laub- moospflanze. Erfurt 1902. 17) Marcuse, Max, Anatomisch-biologische Beiträge zur Mycorrhizafrage. Dessau 1902. 18) Detto, Carl, Über die Bedeutung der ätherischen Öle bei Xerophyten. 1903. 19) Andreae, Eug., Inwiefern werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen ? Jena 1903. 20) Hesse, Herm., Beitrag zur Morphologie und Biologie der Wurzelhaare. Greußen 1904. 21) Lohmann, C. E. J., Beitrag zur Chemie und Biologie der Lebermoose. 1903. 22) Kniep. H., Über die Bedeutung des Milchsafts der Pflanzen. Marburg 1905. 33) Müller, Arno, Die Assimilationsgröße bei Zucker- und Stärkeblättern. Leipzig 1904. 24) Schander, Rich., Über die physiologische Wirkung der Kupfervitrielkalk- brühe. Merseburg 1904. 25) Kunze, Gustav, Über Säureausscheidung bei Wurzeln und Pilzhyphen und ihre Bedeutung. Leipzig 1906. 26) Schoene, Kurt, Beiträge zur Keimung der Laubmoossporen und zur Biologie der Laubmoosrhizoiden. Dresden 1905. 27) Bierberg, Walter, Die Bedeutung der Protoplasmarotation für den Stoff- wechsel in den Pflanzen. Jena 1907. 28) Burgeff, Hans, Zur Biologie der Orchideenmycorrhiza. Jena 1909. 29) Liebmann, Willy, Die Schutzeinrichtungen der Samen und Früchte gegen unbefugten Vogelfraß. Jena 1910. 30) Räuber, Arnold, Die natürlichen Schutzmittel der Rinden unserer einheimi- schen Holzgewächse gegen Beschädigungen der im Walde lebenden Säuge- tiere. Jena 1910. 31) Schatz, Willy, Beiträge zur Biologie der Mycorrhizen. Jena 1910. 32) Seyd, Willy, Beiträge zur Biologie von Selaginella. Jena 1910. 33) Ußlepp, Karl, Vorkommen und Bedeutung der Stärkescheide in den oberirdi- schen Pflanzenteilen. Dresden 1909. 34) Peyer, Wiliy, Biologische Studien über Schutzstoffe. Jena 1911. 35) Schaefer, Rud., Heliotropismus der Wurzeln. Charlottenburg 1911. 36) worend Herm., Zur Ernährungsphysiologie mykotropher Pflanzen. Leipzig 1912. 37) Schmid, Günther, Beiträge zur Ökologie der insektivoren Pflanzen. Jena 1912. 38) Gerhardt, Karl, Beitrag zur Physiologie von Glosterium. Weida 1913. Ernst Stahl, seine Bedeutung als Botaniker usw. 47 39) Graevenitz, Luise v., Über Wurzelbildung an Steckholz, Weida 1913. 40) Jacob, Friedr., Studien über Protoplasmaströmung. Weida 1913, 41) Riedel, Georg, Das Verhalten der Grauerle (Alnus incana) und Schwarz- erle (Alnus glutinosa) auf trockenen Kalkbergen, Weida 1913. 42) Stein, Emmy, Über Schwankungen stomatärer Öffnungsweite. Weida 1913. 43) Michaelis, Hans, Biologische Studien über Schutzmittel gegen Tierfraß bei Süßwasseralgen. Schönberg (Mecklenburg) 1915. 44) Hermann, Wilh., Die Blattbewegungen der Marantaceen und ihre Beziehungen zur Transpiration. Weida 1914. 456) Ruschmann, Gertrud, Zur Ökologie von Pinguicula und Drosera. Weida 1914. 46) Salomon, Hans, Über das Vorkommen und die Aufnahme einiger wichtiger Nährsalze bei den Flechten. Leipzig 1914. 47) Sauerbrei, Friedr., Leitbündelverbindungen im krautigen Dikotylenstengel. Jena 1914. 48) Swart, Nicolas, Die Stoffwandefung in ablebenden Blättern. Jena 1914. 49) Rabitz, Paul, Die Peridermbildung von Holzgewächsen in ihrer Beziehung zum Bau der Rinde. 1916. Noch nicht gedruckt: 50) Oneken, Albin, Über eine Beziehung zwischen Milchsaft und Kalziumoxalat. 51) Friedel, Walter, Über verkieselte Zellmembranen bei höheren Pflanzen. 52) Rudolph, Konrad, Die Epidermis und epidermoidale Transpiration. 53) Patschovsky, Norbert, Studien über Nachweis und Lokalisierung, Verbrei- tung und Bedeutung der Oxalsäure im Pflanzenorganismus. 54) Ziegenspeck, Hermann, Über die Funktionen von Milchsäften und Schleimen von Pflanzen. Über Kompaßpflanzen. Von 6. Karsten. (Mit Tafel 1.) L Die Frage nach dem Einfluß der Vertikalstellung der Blätter, wie sie sich bei der Mehrzahl der australischen Bäume, den Eucalyptus- Arten, den Phyllodien der Neuholländer Akazien, den Metrosideros- Arten u. a. findet, auf die Ökologie der betreffenden Pflanzen, ist zwar im allgemeinen dahin beantwortet, daß eine Minderung zu intensiver Bestrahlung erreicht und damit die Erwärmung der Blattflächen unter den niederen Breiten jenes Kontinentes verhindert wird, so daß sowohl einer Beeinträchtigung ihres Chlorophyllapparates, wie einer übermäßigen Steigerung der Transpiration vorgebeugt wird. Eine genauere zahlen- mäßige Darlegung der Vorteile, weiche die vertikale Blattlage unter den obwaltenden Verhältnissen bietet, ist jedoch meines Wissens bisher nicht erfolgt, und diese Aufgabe stand mit auf dem Programm meiner australischen Reisepläne, die gerade im Beginn der Ausreise durch den Kriegsausbruch vereitelt wurden. Eine derartige Untersuchung etwa an Gewächshausexemplaren der genannten Pflanzengattungen durchzuführen, erschien weniger geeignet, da ein Zusammenwirken aller äußeren Faktoren, wie die Heimat sie darbietet, nicht herzustellen ist. So suchte ich nach einheimischen Ge- wächsen, die vielleicht die notwendigen formalen Bedingungen, wenn auch unter anderen äußeren Verhältnissen erfüllen konnten, und mein Blick fiel auf die durch Stahl’s!) Untersuchungen bekannt gewordenen Kompaßpflanzen, von denen die eine, Lactuca scariola, ja leicht zu be- schaffen ist. Stahl wies in der genannten Arbeit nach, daß die Orientierung der vertikalstehenden Blätter durch die Strahlen der Morgen- und Abendsonne bestimmt wird in der Weise, daß sich die Blattfläche senk- recht zur einen oder anderen Strahlenrichtung einstellt; dadurch muß sich also die Meridionalstellung der Blattflächen mit der Front nach Osten oder Westen ergeben. Nach der vorher genannten Fragestellung mußte 1) E. Stahl, Über sogenannte Kompaßpflanzen. Jen. Zeitschr. f. Naturw.. Bd. XV. N. F. Bd. VII. ’ Über Kompaßpflanzen. 49 es mir in erster Linie auf die Vertikalstellung für meine Versuche ankommen. Zu beantworten ist also: 1. Wie groß ist der Temperaturunterschied, den in voller Sonne befindliche Blätter aufweisen, je nachdem sie in Profilstellung oder in Flächenstellung von den Sonnenstrahlen getroffen werden? 2. Wie stellen sich die Transpirationsverluste der Pflanzen in der Sonne bei Profilstellung ihrer Blätter (oder wenigstens der Mehrzahl davon) und bei Flächenstellung? Da ich im Sommersemester zunächst von anderen Arbeiten in Anspruch genommen war, fand ich die im Mai ausgesäten Pflanzen bei Beginn der Versuche bereits in Blüte vor; die Blätter waren in den unteren Teilen mehr oder weniger vertikal gestellt, in der Region un- mittelbar unterhalb der Infloreszenz fand ich überwiegend Horizontallage. Nach Entfernung der Infloreszenz waren also beiderlei Blattlagen vor- handen. Eine neue Aussaat im August lieferte für den September Keimpflanzen mit 5—6 Blättern, deren letztentwickelte Vertikal- und zwar, da ihnen die Morgen- und Abendsonne zugekommen war, Meridional- stellung zeigten. In beiden Kulturreihen war natürlich jede Pflanze einzeln eingetopft und konnte so leicht für die Versuche benutzt werden. Zur vorläufigen Orientierung über die erstere der beiden Fragen wurden die von der Julinachmittagsonne 5 Uhr beschienenen Meridional- blätter, die gerade von der Fläche Sonne erhielten, schnell um die Kugel eines empfindlichen Thermometers gewickelt und bei 20° Zimmer- temperatur stieg das Thermometer auf 32,7 und 32,8°. Für genauere Beobachtung wurde der thermoelektrische Weg ge- wählt, der die Differenz der in Profilstellung und in Flächenstellung besonnten Blätter genauer festzustellen erlaubte, als auf andere Weise möglich gewesen wäre. Als Thermoelement diente ein von der Firma M. Kohl in Chemnitz speziell zum Einstechen in Tier- oder Pflanzen- körper gearbeiteter Apparat, der bei vorsichtiger Isolierurig und Schutz vor Besonnung hinreichende Empfindlichkeit zeigte. Einer Temperatur- differenz von einem Grad entsprach ein Ausschlag des Siemens-Schuckert Spiegelgalvanometers von 6,6 Teilstrichen. Meinem Kollegen, Herrn Professor Karl Schmidt, bin ich für die Liebenswärdigkeit, mit der er mich bei Prüfung des Elementes unterstützte, zu lebhaftem Danke verpflichtet. Die Versuche mußten im Zimmer unmittelbar am Fenster an- gestellt werden, wo die Pflanzen von der Sonne getroffen wurden, aber vor dem Winde geschützt waren, weil jeder Windstoß den Ausschlag des Galvanometers beeinflußt haben würde. Bei der ersten Versuchs- 4 Flora, Ba. 111, 50 G. Karsten, reihe wurden verschieden zur Sonne gestellte Blätter miteinander ver- glichen, bei der zweiten zog ich es vor, ein und dasselbe Blatt in ver- schiedene Lage zur Sonne zu bringen. Aus den Protokollen teile ich hier einige Daten mit: 27. Juli 1917, 10 Uhr. 1a) Horizontalblatt von der Sonne beschienen. Zimmertempera- tur 20°. Galvanometerausschläge: 2 a H Sonne verdeckt 44 35,5 Mittel 40,5. 45 43 Sonne wieder frei 45 46 1b) Profilblatt besonnt, 12 Uhr. 17 18 17 14 16,5 14,5 » Mittel 16,5. 17 16 19 17 Differenz a und b=24 Teilstriche. 6,6 Teilstriche = 1°. Somit ergibt sich 24/6,6 — 3,6° Wärmedifferenz zwischen Profil- und Hori- zontalblatt in der Sonne. 29. Juli 1917, 8 Uhr 15 Min. Zimmertemperatur 22°, 2a) In der Fläche von der Sonne rechtwinkelig getroffenes Vertikal- blatt. Galvanometerausschläge: 48 51 51 53 51 53 4 Mittel 51,6. 52 54 öl 53 2b) Genau im Profil zur Sonne stehendes Vertikalblatt 9%, Uhr 2 15 {9} 1 0 0,5 % Mittel 1,5. 05 2 15 6 Differenz a und b=50,1/6,6 —17,6°. Um 7,6° ist die Erwärmung des in der Fläche getroffenen Blattes höher als diejenige des Profilblattes. Andere Versuche sollen die Abhängigkeit der Blattemperatur von dem Winkel des Sonneneinfalles zeigen: "3. Meridionalblatt, bisher von der Morgensonne rechtwinkelig in der Fläche getroffen, kommt langfam in Profilstellung. 28. Juli 10 Uhr. Zimmertemperatur 20°, zu Über Kompaßpflanzen. 51 Galvanometerausschläge: 31 27,5 24,5 28 27,5 22,5 28,5 28 20 29,5 28,5 17,5 28,5 28 16 usw. 4. Und umgekehrt gelangt ein bisher im Profil von der Sonne getroffenes Blatt langsam in Flächenstellung zur Sonne. 29. Juli, 4411 Uhr. Zimmertemperatur 22°. Galvanometerausschläge: 2 5 8,5 25 34 3 5 11 35 34,5 5 7 12,5 39 35 4 85 12 31 34,5 4 8 12 33 34 usw. Wie aus 1b und 2b hervorgeht, hat die Sonne auf ein im Profil zu ihr stehendes Blatt sehr wenig Einfluß, die Ausschläge schwanken in geringen Abständen voneinander. Dagegen zeigt 1a, daß eine geringe Abnahme der Sonnenintensität die Temperatur des in der Fläche von ihr getroffenen Blattes stark beeinflußt. Die Ausschläge sinken um 14 Teilstriche, um bei Wiederhervortreten ebenso plötzlich in die Höhe zu schnellen. Derselbe Wechsel zeigt sich beim Übergange von der Flächenbesonnung in Profilstellung 3 und in umgekehrter Weise 4 von Profilstellung in Flächenbesonnung. Bei der Wiederaufnahme der Versuche im September befolgte ich einen anderen Weg. Es wurden zunächst die in Profilstellung be- findlichen Blätter beobachtet und dann dasselbe Blatt in Flächenstellung umgesetzt und die Änderungen der Ausschläge festgestellt. Auszug aus den Protokollen T. September. 1° wurde zu sechs Teilstrichen bestimmt. Der Unterschied gegen die Juliversuche ergibt sich daraus, daß jetzt mit eingeschaltetem Widerstand im Galvanometer gearbeitet wurde; die Teilstriche haben '/.. Wert der vorher angegebenen. Da es jedoch nur auf die Verhältniszablen an- kommt, spielt dieser Umstand für das Ergebnis keine Rolle. 5. Blatt in Profilstellung bei voller Sonne 9,30. Temperatur 21°. Mittel 3,6. wm aWO voonocsn Dasselbe Blatt mit der Fläch® in die Sonne gedreht. zeigt nach !; Stunde folgende Ausschläge: fü 52 G. Karsten, 25 27 26 % 27 3 . 28 30 Mittel 28,9. 29 32 30 31 Differenz 25,3. 6 Teilstriche—=1°%. 25,3/6 — 4,2°. 6. Ein zweites Blatt ebenso behandelt. Profilstellung Flächenstellung 5 5 30 50 5 5 32 51 4 6 R 34 5 r 4 gg Mittel 5,3. 35 52 Mittel 43,3. 5 6 40 53 6 7 39 53 Differenz 38. 6 Teilstrichke=1?°. 38/6 = 6,3°. In Flächenstellung erwärmt sich also das Blatt um 6,3°. 7. Ebenso 8. September, 11%. Zimmertemperatur 21°. Profilstellung Flächenstellung 16 18 45 50 15 19 46 en 15 20 R 50 5 n 15 19 Mittel 17,25. 49 53 Mittel 50,6. 15 20 51 54 15 20 52 55 Differenz 33,35. 6 Teilstricke=1°. 33,35/6 = 5,57°. In Flächenbesonnung wird das Blatt um 5,57° wärmer. Daß eine Feststellung der Temperaturdifferenzen von profilbesonnten und von flächenbesonnten Blättern auch für die durch Variationsbewegung sich einstellenden Leguminosen- usw. Blätter entsprechende Gültigkeit haben wird, ist ja einleuchtend. Die Temperatursteigerung beträgt, so- weit beobachtet werden konnte, also 3,6--7,6°. Diese verhältnismäßig geringe Erwärmung trotz der ansehnlichen zugeführten Wärmemenge hängt offenbar mit dem geringen Speichervermögen des dünnen Blattes und seiner Transpirationstätigkeit zusammen, die einer stärkeren Erwärmung entgegenarbeitet. Daß bei fleischigen Geweben mit sehr geringer Tran- spiration weit höhere Temperaturen erreicht wurden, wird später zu er- wähnen sein. Die zahlenmäßige Feststellung dieser Transpirationsgröße war die zweite Frage, die gestellt war. Für die Beantwortung eigneten sich die im September zur Ver- fügung stehenden jungen Pflanzen besonders gut. Es wurden vier möglichst gleichstarke Pflanzen ausgesucht, die je sechs Blätter ent- wickelt hatten. Blatt 1—3 waren klein und lagen dem Boden an, ur Über Kompaßpflanzen. 53 Blatt 4—6 standen mehr oder weniger vertikal aufwärts und hatten bereits die Meridionalstellung angenommen, bei der einen Pflanze mehr, bei der anderen weniger. Die für die Versuche genommenen September- tage zeigten wolkenlos klaren Himmel und auf den an der Südseite des Institutes vorgestreckten Tragbrettern konnte die Sonne von morgens 6 Uhr an bis abends 5 Uhr frei einwirken; nach 5 Uhr trat der Institutslage gemäß Beschattung ein, wenn die Pflanzen an Ort und Stelle bleiben sollten, was sich aus anderen Gründen als notwendig erwies. So entfällt die letzte '/,—1 Stunde Sonnenschein. Die Nächte waren bereits ziemlich kühl, das Minimalthermometer fiel bis auf 10°, die Tage recht warm, das Maximalthermometer zeigte 28°. Die mit ihren Meridianblättern genau ausgerichteten Pflanzen wurden morgens 71/,, mittags 12"/, und nachmittags 5 Uhr gewogen. Ihre Töpfe waren derart von Guttaperchapapier umschlossen, daß nur gerade die Pflanze selbst frei hindurchragte, damit jeder Wasserverlust, abgesehen von der Transpiration der Blätter, ausgeschlossen würde. Die beigefügten Protokolle geben die Gewichtsdifferenzen zu den angegebenen Zeiten an, die nach den getroffenen Vorsichtsmaßregeln also den Wasserverlust durch Transpiration der Blätter bedeuten. Zu- nächst wurde vergleichshalber und der Kontrolle wegen der Gesamt- verlust eines Tages festgestellt. Die Versuche zeigten dann überein- stimmend bei den Versuchspflanzen an den einander an Wärme und vollem Sonnenschein völlig gleichenden Tagen, daß die Transpirations- abgabe nachmittags, trotz der um !/, Stunde geringeren Zeitdauer, er- heblich größer war, als am Vormittag, was jedenfalls mit auf die größere Flächenerwärmung der rechtwinkelig von der Nachmittagssonne getroffenen Meridionalblätter zurückzuführen sein wird. Doch kommt andererseits in Betracht, daß die Temperatur am Morgen bei der vorgeschrittenen Jahreszeit zunächst kühl war, während an den Versuchstagen, bei vollem Sonnenschein wenigstens, nachmittags erheblich höhere Wärme- grade herrschten. Somit sind diese ersten Versuche nicht einwand- frei und, wenn sie auch den Schluß nahelegen, daß für die höhere Transpirationsabgabe die Flächenbesonnung die Meridionalblätter mit verantwortlich zu machen sei, bedurfte diese Deutung doch noch weiterer Belege. Zunächst mag aber die erste Reihe eine Übersicht über die Höhe der täglichen Wasserabgabe derartiger junger Pflanzen geben. Am Sehlusse dieser Versuche begannen sie, denen inzwischen kein Wasser zugeführt war, zu welken. 54 G. Karsten, Protokoll der Transpirationsversuche von Lactuca scariola: Größe der Wasserabgabe in Gramm. Pflanze 1 2 3 4 5. IX. morgens 714 bis abends 5 Uhr 11,97 10,15 11,35 10,5 5. IX. bis 6. IX. nachts „. . 2... 1,58 1,45 1,38 1,26 Morgens 712% .. 22.2408 4.26 3,95 4,04 Nachmittags 12% —5 . 5,02 5,94 5,17 5,85 6. IX. bis 7. IX. nachts . . ... 1,30 1,65 1,00 1,20 Morgens ZU—12% . 2... 2220. 3,72 4,06 3,48 4,06 Nachmittag 2 %u—5 ... 2.2... 5,83 5,89 4,70 5,57 Gesamtabgabe in 3 Tagen 33,50 33,40 31,03 32,48 Bei Vergleich der Pflanzen ergibt sich, daß die erste und zweite mit den best ausgebildeten Meridionalblättern, deren Wasserabgabe am Nach- mittag besonders stark ist, auch überhaupt am stärksten verdunsteten. Mängel zeigen sich darin, daß eventuell morgens die Temperatur zu niedrig war, um volle Transpirationsgröße zu erzielen, die mit der am Nach- mittag geleisteten vergleichbar wäre. Somit wurden weitere Versuche angestellt, bei denen die Morgenstunden bis 10 Uhr außer Betracht blieben, d. h. mit der Nachttranspiration zusammen gemessen wurden und für den Vergleich nur die Zeiten von 10—1!/, und von 1!/, bis 5 Uhr herangezogen wurden. Außerdem mußte die Temperatur zu den be- treffenden Zeiten sowie Minimum und Maximum berücksichtigt werden, da die Versuche leider nicht mehr von ebenso gleichmäßig gutem Wetter begünstigt blieben. Die hier folgende Tabelle enthält zunächst Pflanzen aus derselben Kulturreihe wie die vorher benutzten; die später eingefügten Nr. 10—12 sind im Garten aufgezogene etwas ältere Pflanzen, die ihrer besonders schönen Meridionalstellung wegen sorgfältig ausgehoben und eingetopft mit zu den Beobachtungen herangezogen wurden. Die Pflanze Nr. 7 war am wenigsten meridional orientiert; obschon ihre Blätter vertikal standen, konnte es doch nicht vermieden werden, daß ein oder zwei Blätter Flächenbesonnung erhielten, wenn ihre übrigen in Profilstellung gebracht wurden; daraus erklären sich einige sehr hohe Ausschläge vormittags. Im übrigen bestätigt die Tabelle die Voraussetzung, daß die Transpiration unter gleichen Verhältnissen am Nachmittag durch die Flächenbesonnung der Meridionalblätter stärker ist, als die am Vor- mittag. Solche Tage mit vergleichbaren Vor- und Nachmittagstempera- turen und Sonnenscheinmengen sind der 10. bis 13. und der 16, September. An diesen Tagen sind denn auch im allgemeinen die Zahlen für Trans- pirationsabgabe in der Zeit 11/,—5 Uhr höher als vormittags. Die Be- gründung für die Ausnahme Nr. 7 am 11. September ist vorher gegeben. Wenn aber die Sonne nachmittags ausbleibt, und auch die Temperatur Über Kompaßpflanzen. 55 Transpirationsversuche von Lactuca scariola. Größenangabe in Gramm. Temperatur Bemerkungen 5 1 Minimum 13° 6 1,47 | 2,07 10 Uhr 17° | Tag teils sonnig, teils bewölkt. 7 2,50 | 2,20 110.1X.|1%, Uhr 22°| Vormittags und nachmittags ziemlich 8 2,35 | 3,60 5 Uhr 19° gleichmäßig. 9 1,71 | 1,90 Maximum 23° 9 Minimum 8° o 17 635 2 11.1X les Vollsonniger Tag; von morgens bis Fi“ 6.68 6,52 [ $Uhr PrY) abends wolkenlos. ı Maximum 29° ” 08 1,8 Minim. 15° Trüber, fast sonnenloser Tag. j 1,87 227 2,32 12. 1X. 13% Uhr 20° Vormittags und nachmittags ziemlich gleichmäßig. 5 Uhr 16° 6 verunglückt Maximum 229 Meist bewölkt, nur hier und da etwas Sonne. Kühler Tag. Vormittags und nachmittags ziemlich gleichmäßig. [Minimum 7,5 10 Uhr 15° 1,18 | 1,65 | 3,22 13. IX} 11, Uhr 16° 0,81 | 2,23 | 2,90 5 Uhr 15° ‚Maximum 189 un wHrosoaonal soasoan]| sooo 5 7 ‚Minimum 8,5 9 8| 1,54 | 5,95 | 4,31 10 Uhr 17° |Bewölkt und sehr wechselnd. 9| 2,63 | 7,12 | 4,46 15. IX, Uhr 19,5 Nachmittags trüber als vormittags. 0| 1,73 | 328 | 3.45 5 Uhr 17° 1 Maxim. 21,5° 2 ea 5 7 , Minimum 7,5 j h 8) 0,89 | 3,40 | 5,12 10 Uhr Nachmittags und vormittags gleichartig 9| 125 | 5,65 | 5,55 16. IX. 1%, Uhr 21°|° "schwach besonnt. ri} 107 | 245 | 4,65 5 Uhr 20° Maxim.23,5* Sonnig klarer Vormittag bei erheb- 211, Minimum 11) licher Wärme. 6 Ga 81093 | 998 | 5,47 r 23,5 | Mittsgs 2 Uhr zieht Gewitter auf, das 9 | 115 | 7,78 | 5,06 17. 1X4134 Uhr 27°) zwar nicht hier zum Ausbruch 10 31 5,85 | 4,77 | 5 Uhr 14,5° kommt, aber beträchtliche Ab- ‚Maximum 819 kühlung verursacht. Die weiter folgenden Tage bewölkt, versprechen keine anderen Ergebnisse mehr. 56 G. Karsten, erheblich herunter geht, so sind die Verhältnisse vor- und nachmittags eben nicht mehr vergleichbar und das Verhältnis kehrt sich um. Das war besonders am 15. und 17. September der Fall, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Dann wurden die Versuche, da das Wetter am 18. noch nicht bessere Bedingungen bot, abgebrochen. Aus alledem folgt, daß die Kompaßpflanzen in ihrer ganzen Ökologie sich als typische Sonnenpflanzen zeigen; sie sind nicht nur, wie Stahl nachweisen konnte, in ihrer Blattorientierung auf direkte Be- sonnung angewiesen, sondern auch ihre Verdunstungsgröße und damit ihre Zufuhr organischer Nährstoffe ist in viel höherem Grade von der morgendlichen und abendlichen Besonnung ihrer Fläche abhängig, als vom diffusen Licht und das um so mehr, je besser die Einstellung der Blätter ausgefallen ist. Während die Biätter der Mehrzahl unserer heimischen Pflanzen sich nach dem Maximum des diffusen Lichtes orientieren und bei direkter Besonnung sich in Profilstellung begeben, soweit sie dazu befähigt sind, richten sich die Kompaßpflanzen nach dem Minimum des direkten Sonnenlichtes in ihrer Stellung ein und bei diesem Sonnenlichte, wie es morgens und abends herrscht, verrichten sie auch ihre Transpirations- und damit die Ernährungsarbeit am besten. Das wird sich im Sommer sicher noch besser erweisen lassen, als es mir im September möglich war, da die höhere Nacht- und Morgentemperatur im Hochsommer diesen Sonnenpflanzen für die Morgenbeleuchtung günstigere Verhältnisse schafft. U. Während unserer gemeinsamen Reise in Mexiko warf Stahl die Frage auf, ob etwa die in der Vertikale stehenden Flachsprosse von Opuntia ebenfalls eine Meridionalstellung besäßen, da sie vielfach ihre Sproßglieder andauernd in die gleiche Ebene einstellen. Doch schien bei weiterer Beobachtung dieser Umstand nicht auf eine Meridional- orientierung zurückführbar zu sein; jedenfalls war klare Entscheidung damals nicht zu erzielen. Daß eine solche Orientierung für die in ihrer Trenspiration beschränkten, und daher durch die hochstehende Sonne stark erhitzten Opuntien vorteilhaft sein könnte, liegt nach den vorher mitgeteilten Unterschieden der Erwärmung von in Profilstellung einer- seits, in Flächenstellung andererseits besonnten Blättern auf der Hand. Wurden doch an Opuntiagliedern von uns Temperaturen an der lebenden Pflanze von 49°, an auf dem Boden liegenden Sprossen von 52° ge- messen und nach anderen Angaben!) steigt die Innenerwärmung von 1) Zitiert nach Stahl, Mexikan. Xerophyten in Karsten und Schenck, Vegetationsbilder, Bd. II, pag. 3. Über Kompaßpflanzen. 57 Kakteen auf 50—60°, also Temperaturen, die für die meisten Pflanzen unbedingt tödlich wirken müßten. Unerwarteterweise hat sich mir jetzt Gelegenheit geboten, etwas zur Frage der Lichtorientierung der Opuntiaglieder beitragen zu können. Im Sommer 1914 ward das große, bisher als Überwinterungshaus für Neuholländer benutzte Kalthaus I, das älteste Gewächshaus des Hallenser Gartens, in der Weise besser ausgenutzt, daß die wertvolle, von Gr. Krauß herstammende große Suceulentensammlung im Verein mit den ebenfalls zahlreich vorhandenen Xerophyten nach Entfernung des Ziegelsteinbodens und Einbringung genügender, mit Sand gemischter Erdmasse ins Land ausgepflanzt wurde. Nach dem Vorbilde meiner Aufnahmen von Tehuacan, Mitla usw. ward vom Herrn Garteninspektor Örtel in sehr geschickter Weise eine charakteristische Xerophyten- landschaft von amerikanischem (zum anderen Teil von afrikanischem) Typus dargestellt, in der die hohen Yucca- und Dykiastämme mit den stattlichen Cereus-, Opuntia-, Mammillaria- und anderen Kakteen in mannigfaltigeın Durcheinander mit Agaven und Dasylirion sich vereinigten. Von der natürlichen Landschaft war diese künstliche nur durch die Raum- beschränkung unterschieden, da man alle diese Pflanzen enger zusammen vereinigen mußte, als es in ihrer Heimat der Fall zu sein pflegt. Hier haben sich die Pflanzen ohne Ausnahme seither überraschend gut weiter entwickelt, und die neuen Zuwachsmaße zeigen den günstigen Einfluß der durch freie Wurzelentfaltung verbesserten Ernähruug im Vergleiche mit Topfkulturen in auffallender Weise. Das genannte Gewächshaus liegt mit der vorderen Glaswand nach Süden, es besitzt ein Glasdach, ist aber an der Rückseite mit einer Ziegelwand versehen. Nachdem nun 2 Jahre verstrichen waren, machte sich an den Opuntien, die natürlich wahllos bald mit der breiten, bald mit der Kantenseite ihrer Glieder dem Lichte zugekehrt gepflanzt waren, das Bestreben geltend, ihre Sproßglieder in eine Profilstellung zur ein- fallenden Südsonne zu bringen. Ich nahm im Sommer 1916 Photo- graphien davon auf und beschloß die Frage weiter zu verfolgen, konnte doch hier vielleicht eine Entscheidung über beliebige oder festbestimmte Lichtorientierung der Opuntiaglieder erzielt werden. Im Laufe dieses Sommers 1917 nun erfolgte bei der ungewöhnlichen Wärme und dem andauernd sonnenklaren Wetter im Mai und Juni eine Weiterentwicklung, die meine Erwartungen weit übertraf. Ich habe die Pflanzen genau von der Vorderseite, also rechtwinkelig gegen die Ziegelwand photographiert und gebe hier einige Belege. 58 G. Karsten, Fig. 1 stellt eine Opuntia dar, die unter dem Gärtnernamen O. Labouretiana geht. Wenn man hier die neu zugewachsenen Glieder aufsucht, so wird man finden, daß sie fast ausnahmslos in der Süd- nordrichtung orientiert sind, also ihr Profilbild zeigen, ganz gleichgültig, wie die älteren Glieder gelegen waren. Nur das am weitesten zurück- liegende Glied vor der schlank aufsteigenden Opuntia cylindrica weicht von der Profilstellung ab. Für die üppige Weiterentwicklung der ganzen Anlage zeugt das seit Anpflanzen gebildete oberste Zuwachs- stück des schönen Cereus Hankeanus, etwas links von der Mitte des Bildes, im Vergleich zu den unteren in Topfkultur enstandenen Teilen. Im fast noch auffälligerer Weise hat sich die in Fig. 2 wieder- gegebene kleine Opuntia leucotricha P. DC. entwiekelt. Beiderseits des in der Mitte des Bildes aufstrebenden Pilo Cereus Celsianus Lem. und des dahinter stehenden Cereus macrogenus S.D. sieht man die weiß- bestachelten Triebe dieser Opuntia ihren gesammten Neuzuwachs in der Meridianebene Nordsüd einstellen, obgleich die älteren Unterglieder quer zu dieser Richtung orientiert waren. Auch einige der weiter zurückstehenden, also minder belichteten Opuntien zeigen an den Neu- zuwachsgliedern — denn nur auf diese kann es ankommen — dieselbe Lage. Endlich füge ich noch ein drittes Bild hinzu, das in der Mitte ein Exemplar der Opuntia Labouretiana, rechts unten kleinere Individuen von Opuntia tuna S.D. und O. hyptiacantha Web, endlich ganz links ein stattliches Exemplar von Opuntia spec. aus Veracruz zeigt. An allen diesen Opuntien erkennt man, daß die überwiegende Zahl der zu- gewachsenen Glieder die Nordsüdstellung angenommen haben. An Opuntia spec. Veracruz bricht sogar mitten aus einem älteren quer- stehenden Gliede ein Profilsproß hervor, an ganz ungewöhnlicher Stelle, da sonst nur die hohe Kante der bevorzugte Ort für das Entstehen eines Gliedes ist. Nun erhebt sich die Frage, warum diese Meridionalstellung nicht auch in der Heimat beobachtet werden konnte. Mir scheint der Grund kann nur daran liegen, daß bei der niedrigen Breite die Vertikalstellung vollkommen genügen wird, die Richtung Nordsüd fällt bei der mehr minder senkrechten Stellung der Sonne zu den Opuntiagliedern wenig mehr ins Gewicht. In höheren Breiten dagegen ist der niedrigere Stand der Sonne ausschlaggebend für eine. Profilstellung in Richtung des Meridians. Es ist die Vertikalorientierung der Glieder für Opuntia das weitaus wichtigere Moment, die Meridianstellung ist eine sekundäre Eigenschaft, die nur da in Erscheinung tritt, wo die äußeren Verhält- Über Kompaßpflanzen. 59 nisse sie als vorteilhaft erscheinen lassen. Auch die australischen Gewächse dürften aus dem gieichen Grunde sich an der Vertikalstellung ihrer Blätter genügen lassen. Wenn dieser Gedanke richtig ist, so wird man weitere wirkliche Kompaßpflanzen nur in den gemäßigten Zonen außerhalb der Wende- kreise erwarten dürfen; nur hier bei niedrigem Stande der Sonne hat die Meridionalorientierung Vorteile, die der lediglich vertikalen Blatt- lage überlegen sind. Sobald die Sonne stets mehr oder minder senk- recht von oben die Blätter trifft, ist der von Stahl für die Kompaß- pflanzen aufgestellte ökologische Vorteil des geringeren Wasserverlustes durch Transpiration und der Milderung des zu intensiven Sonnenlichtes auch schon durch einfache Vertikalstellung der Blattflächen erreicht. Halle, September 1917. Tafelerklärung zu Tafel L Fig. 1. Opuntia Labouretiana hort. Fig. 2. Opuntia leucotricha P. DC. Fig. 3. Links O. spec. Veraeruz. Mitte O. Labouretiana hort. Rechts unten ©. tuna 8.D. und O. hyptiacantha Web. Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbrei- tung gelöster Oxalate im Pflanzenreiche. Von Prof. Dr. Hans Molisoh. (Mit Tafel 11.) Unter allen pflanzensauren Salzen tritt keines dem Botaniker in der Pflanze häufiger entgegen als der oxalsaure Kalk, Daraus geht schon hervor, daß der Oxalsäure im Stoffwechsel der Pflanze eine be- sondere Bedeutung zukommen muß, denn es gibt ja bekanntlich nur wenig Pflanzenfamilien, wo die genannte Verbindung vermißt wird. Abgesehen von der an Kalk gebundenen Oxalsäure in der Pflanze gibt es aber auch noch gelöste Oxalate, deren mikrochemischer Nach- weis noch viel zu wünschen übrig läßt. Es wird daher nicht unwill- kommen sein, wenn hier einige neue mikrochemische Proben dafür in Vorschlag gebracht werden. I. Der Nachweis gelöster Oxalate. Wie freie Oxalsäure und daraus leicht lösliche Salze bisher mikro- chemisch nachgewiesen wurden, findet man in meinem Buche!) zu- sammengestelit. Der Nachweis wurde bisher gewöhnlich durch Fällung mit Kalzium-, Strontium- oder Silbernitrat erbracht. Die neuen Me- thoden, die ich hiermit in Vorschlag bringe, sind folgende: 1. Fällung mit gesättigter alkoholischer Natronlauge. Wird ein Tröpfchen einer verdünnten, etwa 3—5%igen Lösung von freier Oxalsäure mit einem großen Tropfen einer gesättigten Natren- laugelösung in 96 %igem Alkohol auf dem Objektträger durch das auf- gelegte Deckglas vereinigt, so entsteht sofort ein weißer, kristallinischer Niederschlag, bestehend aus Nädelchen, Doppelpinseln, Sternen und Dendriten, wie sie Fig. I zeigt. Die Dendriten erreichen oft, eine Länge von 0,2 mm und darüber. So wie die freie Oxalsäure verhalten sich auch die leicht löslichen Oxalate, z. B. oxalsaures Ammon, oxalsaures Kali u. a. Sie geben denselben kristallinischen Niederschlag. Die beschriebene Probe läßt sich mit Vorteil für den mikroche- mischen Nachweis löslicher Oxalate in der Pflanze verwerten. Wird 1) Molisch, H., Mikrochemie der Pflanze. Jena 1913, pag. 101-102. Vgl. auch Tunmann, O., Pflanzenmikrochemie. Berlin 1913, pag. 136. Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung gelöster Oxalate usw. 61 ein Schnitt durch den Blattstiel von Begonia vitifolia oder einer anderen Begonia-Art mit der alkoholischen Natronlauge behandelt, so tritt sofort der kristallinische Niederschlag in den Zellen auf. Das Parenchym erscheint mit Nadeln, Sternen und Dendriten von ganz derselben Be- schaffenheit, wie sie Oxalatlösungen geben, wie besäet (Fig. 2). Da die alkoholische Natronlauge fast augenblicklich in die Zellen eintritt und der Niederschlag fast momentan oder nach ganz kurzer Zeit entsteht, so wird die Oxalsäure bis zu einem gewissen Grade an Ort und Stelle ihres ursprünglichen Vorkommens angezeigt, was natür- lich sehr erwünscht ist. Die Reaktion ist nur dann für Oxalsäure bzw. Oxalate eindeutig, wenn der beschriebene kristallinische Niederschlag sofort oder im Laufe einer Stunde entsteht. Später fallen nicht selten auch ohne Oxalat im Grewebeschnitt lange Nadeln oder Nadelbüschel heraus, die aber mit Oxalaten nichts zu tun haben und deren Natur ich nicht kenne. — Gute Resultate lieferte mir auch eine gesättigte Natronlaugelösung in 90%igem Alkohol; die Kristallisation des Oxalates erfolgt noch Schöner als bei Verwendung von 96%igem Alkohol, doch empfiehlt es sich nicht, den Alkohol noch wasserreicher zu machen, weil sonst die Oxalate überhaupt nicht oder schwieriger gefällt werden. Man kann leicht beobachten, daß die Kristalle von Natronoxalat viel reichlicher an der Peripherie des Schnittes entstehen als im Innern. Der Grund liegt u. a. darin, daß das Reagens an der Peripherie noch relativ un- verdünnt wirkt, beim Vordringen gegen das Zentrum vermengt sich aber der Alkohol immer mehr mit dem Wasser des Gewebes, wird da- durch selbst wasserreicher und wirkt dann nicht mehr fällend. Hebt man das Deckglas und gestattet man dem unverdünnten Alkohol den Zutritt zum Innern des Schnittes, so tritt auch hier die Fällung des Oxalates ein. . In Zellen, die reichlich gelösten Kalk enthalten, entsteht mit alkoholischer Natronlauge ein Niederschlag, der von Natronoxalat wohl unterschieden werden muß. Er besteht aus Scheibehen oder abgerun- deten sechseckigen Plättchen, die im Profil kurze Nädelchen vortäuschen und die wahrscheinlich einer analogen Verbindung angehören, wie die sechseckigen Plättchen, die man mit gelösten Kalksalzen und Kalilauge erhält und die aus dem Kali-Kalk-Doppelsalz 2 CaCO, + 3K,C0, + 6H,0 bestehen‘). Als vorzügliche Objekte zur Einübung der Reaktion seien 1) Molisch, H., Beiträge zur Mikrochemie der Pflanze, Nr. 6: „Über den Nachweis von Kalk mit Kalilauge oder einem Gemisch von Kalilauge und kohlen- saurem Kali.“ Berichte der Deutsch. bot. Ges. 1916, Bd. XXAXIV. pag. 357-363. 62 Hans Molisch, Oxalis, abgesehen von Begonia, Mesembryanthemum und Bertolonia empfohlen. 2. Gesättigte alkoholische Kalilaugelösung gibt gleich- falls mit Oxalsäure oder leicht löslichen Oxalaten einen reichlichen Niederschlag, bestehend aus recht großen, wohl ausgebildeten Kristallen von Kalioxalat. Federige und treppenrandige Spieße, Rauten, vier- kantige Prismen und Aggregate von diesen sind vorherrschend (Fig. 3). Der Mineraloge, Herr Hofrat Prof. Dr. F. Becke, mein verehrter Kollege, hatte die Liebenswürdigkeit, diese und auch die später zu erwähnenden Kristalle von Bleioxalat und Baryumoxalat einer genaueren Prüfung zu unterwerfen, wofür ich ihm meinen herzlichsten Dank sage. Er teilt mir über die Kristalle, die mit Begoniasaft und gesättigter alkoholischer Kalilauge entstehen, folgendes mit: „In der Lösung zeigen sich kleine Kriställchen, anscheinend Prismen, durch eine Endfläche schief abgeschnitten unter einem Winkel von etwas über 60°. Mit der Längsrichtung bildet die Auslöschungsrichtung « einen nicht sehr großen Winkel; sie liegt im stumpfen Winkel der Endigung (Fig. 3a). Die Kristalle zeigen Neigung zur Verzerrung und Skelettbildung, wie die Fig. 3b andeutet.“ Soll die Reaktion rasch und schön verlaufen, so darf der Tropfen oder Schnitt nicht mit dem Deckglas bedeckt werden. Am vorteil- haftesten fand ich es, einen ausgehöhlten Objektträger mit dem Reagens zu füllen und den Schnitt «darin unterzutauchen, aber nicht mit einem Deckglas zu bedecken. Schon nach wenigen Minuten bilden sich, falls man einen Schnitt durch den Blattstiel von Begonia vitifolia verwendet, überall die erwähnten Kristalle so reichlich, daß das ganze Gewebe damit besetzt erscheint. Die Kristalle lösen sich in Wasser und Essigsäure. 3. Bleiazetat in 1—20 %iger wässeriger Lösung ruft auf einem Schnitt durch den Blattstiel von Begonia vitifolia, der viel lösliches Oxalat enthält, fast augenblicklich einen weißen Niederschlag hervor. Der Verlauf der Reaktion hängt u. a. von der Konzentration des Reagens ab. Ist die Lösung etwa 2%ig, so entstehen sofort Nädelchen oder aus verzweigten Dendriten bestehende Sterne, die sich hauptsächlich an den Wänden anlegen, so daß sich ein dem Verlauf der Zellwände entsprechendes Netz von solchen Kristallen ergibt. Am Umfang des ' Schnittes häufen sich die Kristalle. Alle erwähnten Kristalle samt dem körnig erscheinenden Niederschlag erleiden nach einigen Stunden eine allmähliche Umlagerung in relativ große, schön ausgebildete Kristalle, wie sie Fig. 4 zeigt. N Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung gelöster Oxalate usw. 63 Charakteristisch ist ihre starke Lichtbrechung. Sie erscheinen in- folgedessen an den Rändern dunkel bis schwarz. Ist die angewendete Bleizuekerlösung 20 %ig, so bildet sich zu- nächst ein feinkörniger, wenig charakteristischer Niederschlag, der aber schon oft innerhalb einer Stunde in die beschriebenen, wohl ausgebil- deten Kristalle übergeht (Fig. 4). Über diese Bleioxalatkristalle teilt mir Becke folgendes mit: „Kristallsystem rhombisch. Auftretende Formen: ein aufrechtes Prisma m und ein Querprisma e. Meist liegen sie auf einer Fläche m (Fig. 4a): auf der horizontal liegenden Fläche m schließen die Kanten m/m und m/e einen Winkel von 58° ein. Seltener liegen sie auf einer Fläche e: sie sind daun verzerrt (Fig. 4b), die Kanten m/e bilden einen Winkel von etwa 70°. Auf der Kante liegende Kristalle zeigen briefkuvertähnliche Ge- stalt (Fig. 4c). Aus den beiden gemessenen Winkeln der Kanten lassen sich graphisch die Kantenwinkel mm’ = 110- 110 88° und ee’ = 101 : 101 = 98° ableiten, woraus das Achsenverhältnis a:b:c—= 0,95:1:1,10 folgt, dessen zweite Dezimale nach dem Genauigkeitsgrad der Messungen unsicher ist. Daß das Prisma m nahezu rechtwinklig ist und die kürzere Kante desselben dem stumpfen Winkel entspricht, ergibt sich aus dem Anblick der auf m liegenden Kristalle (Fig. 4a) Auf m liegende Kristalle zeigen gerade Auslöschung, kräftige Doppel- brechung, a’ in der Längsrichtung. Auf e liegende Kristalle zeigen schwache Doppelbrechung und Andeutung von Achsenaustritt bei kono- skopischer Prüfung. Die Ebene der optischen Achsen geht hiernach parallel 010. Die c-Achse entspricht a und scheint erste Mittellinie zu sein.“ Diese auf der Fällung der Oxalsäure als Bleioxalat fußende Reaktion leistet für den mikrochemischen Nachweis der gelösten Oxa- late ebensogute Dienste wie die beiden vorhergehenden I und 2 und ist recht empfindlich. 4. Baryumchlorid gibt mit löslichen Oxalaten gleichfalls sehr charakteristische Niederschläge. Eine 5—20%jge Lösung von Chlor- baryum, mit einem Tröpfehen einer 2%igen Kaliumoxalatlösung zu- sammengebracht, gibt sofort eine weiße, körnige oder kleinkristallinische Fällung, die sich bald in große, federige oder sternartige Dendriten um- wandelt. — Bei Verwendung freier (5% iger) Oxalsäure entsteht nicht sofort ein weißer Niederschlag, aber schon nach einigen Minuten zigarrenartige, längsgestrichelte Formen, an den Enden schielbegrenzte schmale Pris- 64 Hans Molisch, men, Sterne, Warzen, Doppelpinsel von solchen und endlich schollige, unregelmäßig begrenzte Aggregate (Fig. 5). Diese letzten zeigen eine nach verschiedenen Richtungen weisende Strichelung, die auf eine Zu- sammensetzung aus verschieden orientierten Kristallen hinweist und den Kristallen ein Aussehen verleiht, als ob sie angeätzt wären (Fig. 5a und 6a). Dieselben Kristalle erhält man in Schnitten von Pflanzen, die reich an gelösten Oxalaten sind (Begonia usw.). „In solchen Präparaten“, schreibt mir Becke, „sind zweierlei Kristalle vorhanden. a) Elliptische Scheibchen (Fig.5a und 6a) von antimetrischem Um- riß, mäßig doppelbrechend, immer etwas trüb. Die Auslöschungsrich- tung a liegt ungefähr in der Richtung des längeren Durchmessers der Scheibchen. Andeutungen von geradliniger Begrenzung sind vorhanden, aber zu wenig deutlich, um Messungen zuzulassen; keiner dieser Rich- tungen scheint die Auslöschungsrichtung parallel zu gehen. Kristall- system wahrscheinlich monoklin oder triklin. b) Scharf ausgebildete lange Nadeln, manchmal zu sternförmigen Gruppen oder zu Büscheln vereinigt (Fig. 5 und 6). Kristallsystem wahrscheinlich monoklin. Die Kristalle lassen sich auffassen als vertikale Prismen, die ihre scharfe Kante nach vorne kehren. Am Ende zeigen sie eine oder zwei schief aufgesetzte Flächen aus der Zone der Symmetrieachse. Horizontal auf der Prismenfläche liegende Kristalle zeigen am Kopf häufig nur eine dieser Flächen, deren Kante mit der Prismenfläche 64° mit der Vertikalen einschließt. Mit dieser macht die Auslöschungsrichtung y’ einen Winkel von ca. 20° (18—22 gemessen) im spitzen Winkel der Endigung. Im Konoskop zeigt sich ein asymetrisches Interferenzbild. Auf der scharfen Prismenkante liegende Kristalle zeigen gerade Auslöschung und Achsenaustritt in der Symmetrieebene.“ Anstatt Baryumchlorid kann zur Fällung löslicher Oxalate auch Barytwasser verwendet werden, doch gebe ich dem Baryumchlorid den Vorzug. Es wird sich besonders für den Ungeübten empfehlen, beim Nach- weis gelöster Oxalate sich nicht mit dem Ausfall einer Reaktion zu begnügen, sondern tunlichst alle geschilderten Proben in Anwendung zu bringen, um Irrtümer zu vermeiden und die Schlüsse möglichst sicher zu gestalten. Man wird dann, falls lösliches Oxalat in nicht allzu geringer Menge vorliegt, alle angeführten Reaktionen eintreten sehen. Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung gelöster Oxalate usw. 65 IL. Die Verbreitung gelöster Oxalate. Ausgerüstet mit den geschilderten Reaktionen, habe ich nun eine größere Anzahl, etwa 240 lebende Pflanzenarten, wie sie mir gerade zur Hand waren, auf lösliche Oxalate geprüft, um eine beiläufige Vor- stellung über die Verbreitung löslicher Oxalate im Pflanzenreiche zu erhalten. Hierbei hat sich herausgestellt, daß die genannten Salze in gewissen Familien in besonders großen Mengen auftreten, was zum Teile schon bekannt, aber mikrochemisch noch nicht erwiesen war. Das Niehteintreten der Reaktion ist in der folgenden Tabelle mit —, sehr schwache oder schwache Reaktion mit +, mittelstarke mit -+ + und starke mit + -1--+ bezeichnet. Name der Pflanze Untersuchtes Organ Tösliche ZZ EEE Kryptoegamen: Navieula sp... rennen _ Cymbella 9. 2... ran. reee i _ Spirogyra Sp. 2-22. _ Vaucheria terrestris . 2220000: —_ Closterium 89... 22 _ Batrachospermum moniliforme . . - . : » _ Coprinus 3p. 2.2... FE Thallus 4 Marchantis polymorpha . . . 2.2. - ” | _ Fegatella eonia .. :.: ver 00. ” N + Mnium punetatum . » 22.200 Sproß _ ” stelere . 2.22 en. ner » | - Leueobryum vulgare . ». 2. cr... „ f _ Polytrichum ecommune . . . 2... - " i _ Sphagnum sp. Verereenenne ” | — Angiopteris evacta . 2-2. re. Blatt _ Gymnogramme sulphurea . 2... >» ” ; — Polypodium iriids . .-- 20... ” — Equisetum hiemale . . . . "u... 20. Stamm _ , telmateja ver re - » i _ Selaginella Martenü . 2222er. Stengel und Blatt | _ Phanerogamen: | Taxus bamwata . » 22er. Stengel und Blatt : z Abi int 2.220 een nu Fr Dre. ennen Junge "Blätter ++ Morus alba 2. oo 20 oeernne Biatt und Frucht _ Cecropia BP... cc rer nenn Blatt + Boehmeria argentes - - - er +. Stenge _ Urtiea dioica 2. een ” _ Prag \\ (1:7 Os Br ee) ” _ Humulus upulus ” u iscum album . . . » ” — Polygonum bistorte ” = + + i UM .:» 2.000. 2 (u # nid MIIIliid Stengel und Blatt + » amphibium . +»... ”. Rumex acetonella Darren neree Blattstiel + + + BMI een ” bb a 66 Hans Molisch, Name der Pflanze Rheum p. .. . Piper macrophylum . . . 222.220. Peperomia peltata . .. x. .00. Euphorbia duleis ....... » . amygdaloide . 2.2.2... » esula ... . Mercurialis perennis Rieinus communis . . 2220... Chenopodium album . 2... : 22.2 .. » hybridum Atriplex rosea . . v2 2 rennen. Salicornia sarmentosa . Beta vulgaris . . Amarantus silvestris „ retroflexus Achyranthes Verschaffeltii Mirabilis Jalapa . . Mesembryanthemum echinatum . . ... » Salmi » bulboesum .. .. .. hirtelum ...... Ph, ylocastus hybridus . . Ep-phylium truncatum Opuntia tomentoa . 2.2... " missouriensis . . . „ Schumanni .. Mamillaria caespitosa „ hystrix . , Echinopsis Penthiandii Echinocereus SP. - . 2.2... Pe Durangensis ........ Echinocactus Williamsii . . . > . or Rhipsalis Cassytba . . Rhipsalis Saglionis Stellaria media Silene nutans . . Dianthus Carthusianorum . . . Sapenaria officinalis Berberis vulgaris Ranunculus acer . ” aquatilis repens Helleborus foetidus Anemons hepatica Aquilegia vulgaris Adonis vernalis . Paeonia offieinalis Caltha palustris . . . Ceratophyllum demersum .. 2.0... Nuphar uteum . Nepenthes sp. . . . Chelidonium majus Capparis religiosa Diplotaxis muralis Alliaria offieinalis Dentaria bulbifere . . .... Untersuchtes Organ Blattstiel DI ” Stengel ” ” a ” ” Stengel und Blatt » Blatt Stengel und Biatt ” . ” „ ” ” ” » Stamm ” ” ” » ” ” ” ” »” ” „ Stengel und Blatt » Blatt und Sünge Frucht Stengel und Blatt, Blatt Blütenstie] Blattstiel Blütenstiel Stengel ” » Blatt Stengel und Blatt Blatt Stengel und Blatt ” H ! Lösliche Oxalate ar “ 0 Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung gelöster Oxalate usw. 67 Name der Pflanze Lepidium Draba . Reseda lutea . . Drosera capensis . Viola trieolor . . Begonia Rex ... » vitifolba . . » manicata Klugia sp... . .» Malva rotundifolia Abutilon Thompsonii Tilia parvifolia . . Oxalis acetosella . . „ eorniculata Fa (7 Vogpuuee » Orgiesü .. . ». hedysaroides Biophytum sensitivum Averrhoa carambola Pelargonium zonale „ peltatum Geranium Robertianum Tropaeolum majus . Impatiens parviflora Ruta graveolens . « Polygala chamaebuzus „ amaa .« Acer platanoides . . „ negundo . .. - Aesculus hippocastanum Staphylea pinnata Vitis vinifera . . » Ampelopsis quinquefolia Crassula sp. . . . + Bryophyllum erenatum calycinum Sedum boreale . . + „ album ... Sempervivum tectorum Echeveria Scheideckeri Kalanchoe Dyeri . » Dura . Blatt, Frucht u. Stengel| Tolmiea Menziesi . .. ce. - 0. Chrysospienium altemifoium . » - . . - Saxifraga buibifera . Bergenia crassifolia Adoxa moschatellina Ribes Iuteum . . - - „ mbrum ... Rosa sp 2.22.00: Crataegus oxyacantha Fragaria vesca . . . - Prunus avium . . . Mimosa pudiea .. Robinia pseudacacia Cytisus laburnum . Sophors japonica . . Phaseolus multiflorus . Untersuchtes Organ Stengel und Blatt » » ” ” ” ” ” „ ” ” Stengel und Blatt ” ” ” ” ” Stengel und Blatt ” ” ” ” ” ” ” ” ” » ” ” ” „ Blatt Stengel Frucht „ Frucht und Blatt Stengel und Blatt Reife Frucht Blatt a ” Stengel und Blatt Sr +++++ AH HH IF N | Lösliche Oxalate +4+ +++ +++++ ++t 44 N j BERHEREEENERETSGE 68 Hans Molisch, Name der Pflanze Medinilla magnifia .....- vo. Fi Curtis 2er. oo. Centradenia ra x 2er Bertolonia aenea . .- cr ee run. » pubescons - . 22 200. ” marmoraa ern » Vittata ann » Olendorfü . .. . . vorne Fuchsia globosa . .- 2.200. Oenothera biemis . -. » - - 2.2.2... Cireaea lutetiana . » - - 2... - er. Hippuris vulgaris . 2... 000... Gallitriche sp. . . - - rennen Myriophyllum vertieillatum 22... Hedera helix «2... 20er Siter trillebum ....». 222.0. Pa Rhododendron arboreum . . 2.2... Primula obeonia . .. - . - voran Ardisia erenulata . .-.... ern. Gonvolvulus arvensis . 2.2022... Symphytum offieinale . Pr taberosum .. Atropa belladonna . ... 2... .. Nieotiana affinis - 22-2200. Gratiola offieinalis . » 2 20220. Serophularia nodosa . . - 222.2. Veronica Sp. . vr... vennne Lathraea squamaria . .... veon.n Orobanche $p. . 2.2... Pa Usrienlaria vulgaris . ». - 2 22.2 02.. Pinguieula ©. 2... 20200. von. Streptocarpus Wendlandi . ....... Monophyllaea Horsfieldi -.-..... Achimenes Miltonü . 2. 2. 2-2 22.0. Tydaea Decaisneana ...... Dre Episcia bicolor . . 2.2.2... o.. Gesneria allagophylia . .. .. . . oo. Cyrtodeira fulgida . . . 2222220. Schaeria hybrida ... 2.2.2... .. Diastema pietum . .. 2222200. Strobilanthes anisophylius Verne " isophyllus . 2 2 22 22.0. ” glomeratus . 2.2.2220: Dyerinus . 22.2.2 .. Eranthemum nervosum Pa Pogostemon Patchuli . ...2...... Plectranthus fruticosus . . 2... . .. Ballota nigra . 2.2222 2200. .. Leonurus cardiacea . . vo 2 ron. Plantage media ...... . Fraxinus excelsior . . . 2... .. Coffea arabica - . . 2.22 22.. Sambucus nigra . . FE Eupatorium adenophorum or. . Ageratum mexicanum . 2 2. 22020. ÄAster SD. 2 oo ern. Untersuchtes Organ Stengel und Blatt ” ” ” ” ” ” ” ” » ” ” ” ” ” Blatt Stengel Stengel und Blatt ” » » ” ” ” » ” Blütenspindel Blatt “ Blatt und Sten gel Blatt ” ” ” Blatt und Stengel ” Blatt und Stengel Blatt Stengel Blatt und Stengel ” ” | Lösliche Oxalate + + + N T +4 44+t++++ +++ ++ ++ ++ + HIERRE SEESERRERRET + HH IH + + HH IHE+ + + Bor wi Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung gelöster Oxalate usw. 69 N Lösliche Name der Pflanze Untersuchtes Organ Oxalate Erigeron canadense . » «= 220. . . Blatt und Stengel + Pulicaria dysenterica . oo. 3 _ Stratiotes aloides . - 2 een een Blatt I ++ Vallisneria spiralis . ©... 2... .. » i +4+-- Elodea canadensis . 2. 2.00. Fr | _ Potamogeton lueens . 2... .. .. Blatt und Stengel ; Bowiea volubilis . . - - 2-2... .. ” _ Asparagus plumosus .» » 2.200. 3 | — Aloö saponaria . .. creme. Blatt | u Agave Sp 2 0 2er ” | _ Hemerocallis fuva . 2... 2.2.00. Blüte und Blatt ; _ Tulipa Sp... 2. 22:00. oo. Blatt und Stengel _ Hyazinthus orientalis . ... - . Pa „ i _ Dracaena Drao . .... Pa Blatt ! + Sanseviera maculata . 2... 00. » ! Vriesea splendens . x... 000: „ ; _ Nidularium 9. 22:20... oo. » i 1 Clivia miniaa . 222.000. PR » i I Nareissus poötius -. . - euro r« Blatt und Stengel ; Dioscorea 9. . 2». - rennen. » - Iris germania ...- er e. 0.0.0. » ! — Campelia 9. .. ce rernene Blatt ‚ u Dichorisandra intermedia . - - - - oo. „ ; + ” discolor ” \ = Tradescantia virginica Blatt und Stengel _ Callisia repens . ... ” ++ Cyperus alternifolius . . . ” | — Juneus lamprocarpus . “200 r „ | T Panicum variegatum ..- 000er Blatt ; ” Zea mais . 2002er Blatt etioliert ! _ Ravenala madagascariensis . . . - + - Blatt | + Musa Cavendihi ...- 0. „ ı ++ Canna Sp... 2.2... PP .. Blatt und Stengel +++ Maranta Kerchoviana . 2... vr 00er Blatt I ++ ripedium Sp. 2200 e en enn ” i = Oblırge apifera rer nen Blatt und Stengel | Coeloglossum viride . «ve re. . m. B — Amorphophallus Rivieri . . -..- «> Blattstiel ion Sauromatum guttatum . re. Blatt - Monstera delicioa ..». .-.-- ver a \ +- Caladium nymphaefolium . . . - - >» + . ” Fu Lemna trisulea ....- cr. re. - Stamm , H p Minor 2.2... 2er. ” Aus der vorstehenden Tabelle, die sich auf etwa 240 den ver- schiedensten Abteilungen angehörige kryptogame und phanerogame Pflanzenarten bezieht, lassen sich folgende Sätze ableiten: 1. Das Auftreten gelöster Oxalate ist bei Phanerogamen recht häufig. 2. Bei folgenden Familien enthalten die untersuchten Arten sehr viel von gelösten Oxalaten; Polygoneen, Chenopodiaceen, Amarantaceen, 70 Hans Molisch, Über den mikrochemischen Nachweis und die Verbreitung usw. Aizoaceen, Begoniaceen, Melastomaceen, Oxalideen, Cannaceen und Ma- rantaceen. 3. Es zeigt sich auch in bezug auf gelöste Oxalate wie in bezug auf andere Substanzen, daß die Verwandtschaft aller oder vieler Arten einer Familie auch im Chemismus zum Ausdruck kommen kann?). Doch ist dies nicht immer der Fall, denn innerhalb einer Familie können einzelne Gattungen recht viel lösliches Oxalat enthalten, andere nur wenig oder gar keines (Commelineen, Cactaceen usw.). Tafelerklärung zu Tafel II. Vergrößerung aller Figuren etwa 280. Fig. 1. Natronoxalatkristalle, gewonnen mit Oxalsäure und gesätligter Natronlauge in 90®/,igen Alkohol. Fig. 2. Blattstielparenchymzelle von Begonia vitifolia mit Sternen von Natronoxalatkristallnadeln. Diese entstanden durch Einwirkung der- selben alkoholischen Natronlauge. Die Kristalle bilden sich vorzugsweise an der Wand. Fig. 3. Kristalle von Kalioxalat, gewonnen aus dem Zellsafte von Begonia sp. mit gesättigter alkoholischer Kalilauge, Fig. 4. Bleioxalatkristalle, gewonnen in Parenchymzellen von Begonia vitifolia mit Bleiessig. Die Kristalle zeigen eine auffallend starke Lichtbrechung. Fig. 5. Baryumoxalatkristalle, erhalten mit Oxalsäure und Baryum- chlorid. Fig. 6. Baryumoxalatkristalle in einer Stengelparenchymzelle von Be- gonia vitifolia, erhalten mit Baryumchlarid, Vgl. auch den Text, 1) Moiisch, H., Mikrochemie der Pflanze. Jena 1913, pag. 8—10. us Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. Von J. Reinke, Zu den größten Rätseln der lebendigen Natur gehört die Mannig- faltigkeit der Tiere und Pflanzen. Wohl mag sie uns selbstverständ- lich erscheinen, weil wir mit ihr aufgewachsen sind; für die wissen- schaftliche Betrachtung ist sie darum nicht weniger merkwürdig. Wir könnten sie als etwas Gegebenes, Unerforschliches hinnehmen; doch fällt es uns allzuschwer, solche Entsagung zu üben, und wir suchen sie immer wieder als eine gewordene zu begreifen; denn welch’ kühne Phantasie vermöchte einen monophyletischen Ursprung der Pflanzen- typen vorzustellen von Nitrobacter bis zu Fucus, Tulipa, Senecio usw. War eine Vielheit der Typen von Anfang an gegeben, so braucht sie darum nicht unveränderlich gewesen zu sein. Im Gegenteil, wir sind alle mehr oder weniger fest davon überzeugt, daß Abänderungen und Umprägungen stattgehabt haben. Die Abstammungslehre der Pflanzen hat die Festigkeit eines Axioms angenommen: wie ich fest davon über- zeugt bin, daß die gerade Linie die kürzeste zwischen zwei Punkten war, ist und sein wird, ohne daß dies exakt beweisbar ist. Die aus Axiomen abgeleiteten Vorstellungen liefern insofern nur relative Wahr- heiten, als sie stets Wahrheiten unter Voraussetzungen sind. Doch wo finden sich absolute Wahrheiten? Wohl nur in den Deduktionen der Mathematik; denn alle durch unsere Sinne festgestellten Tatsachen bzw. Wahrnehmungen gelten nur unter Voraussetzungen. Auch die Wahrheit der geometrischen Axiome beruht auf Übereinkommen, da sie nicht beweisbar sind. Sie sind aber die Voraussetzungen der Wissen- schaft, die aus ihnen absolute Wahrheiten zu deduzieren vermag. Was wir Klassifikation, morphologisches System, phylogenetischen Zusammenhang nennen, haben wir erst ordnend zurechtgelegt und in die Mannigfaltigkeit der Pflanzen hineingetragen. Ist diese Vorarbeit ausgeführt, so stehen wir zwei Gruppen von Mannigfaltigkeitserschei- nungen gegenüber, die sich auf die Umwelt der Pflanzen beziehen. Zunächst tritt uns die Mannigfaltigkeit entgegen unter gleichen äußeren Verhältnissen, wenn wir z. B. die große Zahl verschieden ge- stalteter Meeresalgen beachten, die am gleichen Standort durcheinander 72 J. Reinke, wachsen, von denen wieder scharf umrissene Typen, wie die Diatomeen, wie die Caulerpa-Arten in ihrem engeren Kreise solche Mannigfaltigkeit zum Ausdruck bringen. Die andere Gruppe von Erscheinungen zeigt eine ins Auge fallende Uniformierung von Pflanzen, die in Beziehung zu besonderen Standorten stehen, sich auf diese gewissermaßen ein- stellen. Als Beispiel sei das Heer der Xerophyten genannt, in dem die so interessanten Konvergenzerscheinungen zum Ausdruck gelangen, wie bei den sukkulenten Euphorbien, Stapelien, Kakteen; und bei den 1000 Arten der letzteren, welche Mannigfaltigkeit der Ausprägung im einzelnen, wie denn alle Xerophyten mehr oder weniger voneinander ab- weichen, es sei noch an die 300 Arten phyllodiner Akazien Neuhollands erinnert. In diesen Erscheinungen erblicken wir Anpassungen, die auch au Besonderheiten der Ernährung sich zeigen können, wie bei den Parasiten, den Saprophyten, den Insektivoren. Und nicht einmal diese letztgenannte ökologischen Gruppe ist nach einheitlichem Schema organisiert, sondern umfaßt in Werkzeugen wie in deren Verrichtung große Verschiedenheit. Die Ähnlichkeit und der Zusammenhang der Pflanzentypen bildet den Gegenstand der Abstammungslehre, der Phylogonie. Auf einen exakten Beweis der Phylogonie muß leider verzichtet werden, nur Wahrscheinlichkeitsbeweise und Wahrscheinlichkeitsgründe können in Frage kommen. Der Phantasie ist hier ein größerer Spielraum ge- lassen, als auf jedem anderen Gebiete der Biologie. Nicht einmal eine Vorstellung bzw. Beschreibung des uns wahr- scheinlich dünkenden Ganges der Phylogonie ist zur Zeit durchführbar. Über die Feststellung von Beziehungen kommen wir nicht hinaus. Und eingestehen müssen wir ferner, daß wir über den Grund der Mannigfaltigkeit und damit auch der Phylogonie des Pflanzenreichs nichts wissen, sondern nur Mutmaßungen hegen können. Dennoch wird die Wissenschaft nicht darauf verzichten, sich provisorische Vor- stellungen über die Ursachen der Vielgestaltigkeit und der Ver- änderungen zu bilden; sie soll sich dieses Provisoriums nur immer be- wußt bleiben. Darum ist es eine der vornehmsten Aufgaben der Wissenschaft, Umschau zu halten nach den Kausalbeziehungen der Erscheinungen untereinander und nach außen, weil wir damit eine vertiefte Be- schreibung des Naturgeschehens anstreben. Faktoren, Bedingungen, Ursachen sind solche Kausalbeziehungen; diese Worte bedeuten im Grunde das gleiche. Wir kennen dynamische Beziehungen zwischen den Dingen und beschreiben sie als Ursache und Wirkung; wir kennen Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. 13 auch logische Beziehungen und beschreiben sie als Grund und Folge. Stoffe ohne innewohnende Kräfte sind wirkungslos; Kräfte ohne stoff- lichen Träger kennen wir nieht im Bereiche der Natur. „Das Gesetz als objektive Macht anerkannt nennen wir Kraft“ sagt Helmholtz; und nur die Ermittelung gesetzmäßigen Wirkens ist Gegenstand der Naturforschung. Die Phylogonie können wir auch auffassen als ein unabweisliches Postulat unseres Verstandes, als eine leitende Idee, die wir nicht auf Beweise, sondern nur auf Argumente stützen können. Eins dieser Argumente wurde aus der angenommenen Analogie zur Ontogonie ge- folgert. Darum setzen wir voraus, daß z. B. alle Liliaceen, Amarylli- daceen, Juncaceen, Iridaceen von einer Urlilie abstammen, die 8000 Le- guminosenspezies von einer Urleguminose Hierbei haben sich die Wandlungen von der Einheit zur Mannigfaltigkeit im wesentlichen auf gleicher Organisationshöhe bewegt. Wie solche Wandlungen vor sich gingen, vermag nur die Phantasie zu deuten, die natürlich leicht irregeht: wenn z. B, O. Hertwig in seinem interessanten Buche „Das Werden der Organismen‘ (Jena 1916), pag. 490 meint, den ge- trenntgeschlechtlichen Organismen sei der hermaphrodite Zustand in der Phylogonie vorausgegangen, so übersieht er bei dieser Vermutung das Pflanzenreich; denn für die zwitterblütigen Angiospermen werden in phylogenetischen Spekulationen unbedingt zweihäusige Pflanzen als historischer Unterbau zu gelten haben. Die hypothetische Antwort auf die Frage nach der Entstehung der Mannigfaltigkeit aus der Einheit fällt beinahe zusammen mit der Frage nach der Umwandlung einer Art in eine andere, und auf beide Fragen kann nach dem Stande unserer dermaligen Erfahrung nur lauten: durch Allogonie. Ist Allogonie möglich, so muß Mannig- faltigkeit daraus folgen; da sie aber wirklich ist, erfahrungsgemäß fest- steht, so ist sie als die Quelle der Mannigfaltigkeit anzusehen. Unter Allogonie verstehe ich Abänderungen, die sich vererben, mag der jeweilige „Sprung“ groB oder klein sein. Durch Kölliker und Korschinsky wurde die Allogonie Heterogenesis genannt, durch de Vries Mutation. De Vries sagte bei Anwendung dieses Wortes, er hole es aus der Vergessenheit hervor; er übersah dabei nur, daß es bis dahin lediglich von den Paläontologen und zwar in anderem Sinne gebraucht war, als Heterogenesis bedeutet‘). (leichviel, mein Begriff der Allogonie bedeutet dasselbe, wie Mutation bei de Vries 2) vol. dazu auch J. Reinke in Ber. d. Deutschen botan. Gesellschaft 1915, pag. 330 und 331. 74 T. Reinke, und denen, die ihm folgen. Alle bis jetzt beobachtete Allogonie be- wegt sich aber auf annähernd gleicher Organisationshöhe, wenn wir die Typen einer großen Gattung oder einer Familie als nivelliert denken; das gilt namentlich von den durch de Vries beobachteten neuen „Arten“, wie ich auch in der Organisationshöhe der 200 Unterarten von Draba verna keine wesentliche Verschiedenheit sehe. Auch Kreu- zung vermag neues nur zu bilden im Rahmen annähernd gleicher Or- ganisationshöhe. Wie in der organischen Chemie durch Affinitäts- wirkung zwischen C, H und O immer neue CHO-Verbindungen ent- stehen können, doch nie höhere, d. h. ein neues Element einschließende, so auch nicht in den uns bekannt gewordenen Fällen von Allogonie. Fraglich bleibt es daher, ob wir durch Analogieschluß aus solchen um Gleichgewichtslagen hin- und herschwankenden Typenverschiebungen folgern dürfen, daß auf gleichem Wege die Angiospermen aus den ein- fachsten, ein- und wenigzelligen Gewächsen entstanden sind. Damit fragt es sich zugleich, ob die Mannigfaltigkeit überhaupt ein Problem bildet, oder ob nicht die auf Erfahrung sich gründende Naturwissen- schaft sie lediglich als etwas gegebenes hinnehmen sollte. Ich möchte darauf antworten, daß innerhalb eines beschränkten Biotypus — Unter- arten innerhalb einer Art, Arten innerhalb einer Gattung — wir be- rechtigt sind, in der Mannigfaltigkeit ein Problen für unsere Forschung zu sehen. Bei dieser Umgrenzung dürfen wir auch die Allogonie als Ursprung der Mannigfaltigkeit gelten lassen, weil dies ein mit keiner Tatsache in Widerspruch stehender Analogieschluß ist. Jede Individualentwicklung innerhalb einer reinen Linie verkörpert ein besonderes Naturgesetz, dessen Auswirkung sich in der Konstanz der Generationenfolge geltend macht und wiederholt. Jede allogone, also erbliche Abweichung vom Typus ist darum eine Abweichung vom Gesetz, das streng genommen nur eine Regel von weitreichender Gültigkeit ist, wie anscheinend alle biologischen Gesetze. Indes wäre es pedantisch, das Wort Gesetz aus der Biologie zu verbannen, zumal es auch biologische Gesetze gibt, von denen wir bislang keine Aus- nahme kennen, wie das Grundgesetz: omne vivum ex vivo. Die Allo- gonie läßt sich zurückverfolgen bis auf das embryonale Gewebe, sei es eines Vegetationspunktes, sei es des aus der befruchteten Eizelle her- vorgegangenen Keims. Ersteres ist Knospenallogonie, letzteres genera- tive Allogonie. Daß eine generative Allogonie schon in der befruch- teten Eizelle Platz gegriffen hat, unterliegt wohl keinem Zweifel; . un- gewiß ist, ob sie bis zum unbefruchteten Ei oder bis zum Pollenkorn hinaufreicht. Wäre letzteres der Fall, so fiele der grundsätzliche a Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. 75 Unterschied zwischen vegetativer und generativer Allogonie hinweg; es mag dies vorkommen, daneben aber auch im Zeugungsakt selbst eine Bedingung der Allogonie erstehen, wofür manche Kreuzungen sprechen; das wäre dann wahre generative Allogonie. Wenn O. Hertwig meint {Werden der Org, pag. 238), zwischen vegetativer Fortpflanzung und Fortpflanzung durch Selbstbefruchtung liege „wohl kaum ein irgendwie erheblicher Unterschied in idioplasmatischer Hinsicht“ vor, so möchte ich daran festhalten, daß der Unterschied zwischen Fremdbefruchtung und Selbstbefruchtung bei Angiospermen sicher weit geringfügiger ist, als der zwischen Autogamie und vegetativer Fortpflanzung; das wich- tigere Moment ist, ob die Fortpflanzung mit der Kopulation zwischen Ei und Sperma ihren Anfang nimmt, oder mit dem Aussprossen eines neuen Vegetationspunktes aus „vegetativen“ Zellen. Damit wäre ich an den Bereich jener Begriffe gelangt, die mit den Worten Erbfaktor, Idioplasma, Gene, Dominanten bezeichnet wor- den sind. O. Hertwig gibt in seinem soeben zitierten Buche von dem durch mich aufgestellten Dominantenbegrilf auf pag. 22 eine ganz irreführende Darstellung, obgleich ich in der „Einleitung in die theore- tische Biologie“, II. Aufl, pag. 184 ff. (1911) mich wohl unmißverständ- lich darüber ausgesprochen habe, auch in meiner Arbeit „Bemerkungen zur Vererbungs- und Abstammungslehre* (Ber. d. Deutschen botan. Ges. 1916, pag. 37 f£) darauf zurückgekommen bin!) Ich möchte darum mit wenigen Worten den Sachverhalt hier nochmals klarstellen. Ich verstehe unter Dominanten die Erbfaktoren oder Gene, wenn wir sie lediglich dynamisch denken unter Verzicht auf phantastische korpuskulare Vorstellungen irgendwelcher Art; denn Kräfte kann man nur denken, nicht vorstellen. Weil ich meinerseits aber auch die Gene nur dynamisch denke, bin ich gern bereit, das Wort Dominante zu- gunsten des Wortes „gen“ fallen zu lassen. Mit Recht sagt O. Hertwig (l. e. pag. 80), das Wort „Anlage“ bedeute in der Vererbungslehre nur die unbekannte, in der Beschaffenheit der Keimzellen gelegene Ursache für den eigenartigen Verlauf eines Entwieklungsprozesses bis zur Or- ganisation des Endproduktes hin. Da haben wir die dynamische Auf- fassung der Begriffe Anlage, Erbfaktoren, Gene, Dominanten! Diese Auffassung bleibt bei Tatsachen stehen, während alle korpuskularen Vorstellungen Hypothesen oder vielmehr Phantasiegebilde sind. Das 1) Auch in meiner Arbeit „Über Deformation von Pflanzen durch äußere Einflüsse“ (Botan. Zeitung 1904, Heft V/VI habe ich mich unmißverständlich über den Dominantenbegriff ausgesprochen. 76 J. Reinke, gilt insbesondere auch vom Idioplasma, mag man es mit Nägeli als ein die Gewebe durchziehendes kontinuierliches Fadennetz oder mit Hertwig als ein in den Chromosomen der Zellkerne gegebenes System diskreter Korpuskel vorstellen. O. Hertwig (pag. 556) hält die Hypo- these für wohl gerechtfertigt, daß das Idioplasma „aus einem gesetz- mäßigen Verband kleinster, mit Wachstum und Teilbarkeit begabter Substanzteilchen“ besteht, die als „elementare Erbeinheiten“ zu be- trachten sind. Mit diesen Worten würden sich Weismann’s Biophoren definieren lassen, während Nägeli gerade die Kontinuität der Fäden als das wesentliche an seinem Idioplasmabegriff betrachtet. Und wenn Hertwig weiter sagt, daß die ererbte Eigenart auf der besonderen Beschaffenheit und Gruppierung der „biologischen“ Verbindungen des Protoplasma beruhen soll, so fragt man wiederum: was für ein Unter- schied besteht noch zwischen einer „biologischen Verbindung“ und einem Biophor? O. Hertwig selbst weist unmittelbar darauf auf die Identität dieser Vorstellungen hin. Mit Recht nennt Goebel in seiner Einleitung in die experimentelle Morphologie (1908), pag. 26 und pag. 184 das Idioplasma sowohl eine „theoretische Abstraktion“ wie eine „rein hypothetische Substanz“. Da nun Nägeli und O. Hert- wig mit dem Worte Idioplasma ganz verschiedenartige Vorstellungen verbinden, könnte man wohl in Zukunft auf den Gebrauch dieses Wortes verzichten. Ich bin der Meinung, daß man der „biologischen“ Verbindungen nicht bedarf, daß man mit Genen und mit chemischen Verbindungen auskommt; daß den Genen chemische Verbindungen als materielle Träger dienen, wird niemand bezweifeln. Der Begriff der Gene (oder Dominanten) soll die inneren, unbekannten Gesetze des Wachstums und der Entwicklung, deren Dasein niemand leugnen kann, bezeichnen, wenn man will gleichsam personifizieren, wie der Begriff Kraft auch nur den Begriff des Gesetzes personifiziert. Die Konstanz der Gene durch die Erbfolge der Generationen hindurch scheint erfahrungsmäßig festzustehen; für ihre Variabilität spricht keine bekannte Tatsache. Dennoch hat die Phylogonie der Pflanzen eine Phylogonie der Gene zur Voraussetzung. Wohl kennen wir in manchen Allogonien den Schwund von Genen; doch Neubildung von Genen ist im Experiment noch nicht geglückt. Dagegen ist Neu- kombination von Genen bei Kreuzungen sicher von hoher Bedeutung, weil dadurch genotypische Änderungen hervorgerufen werden können; immerhin werden durch solche Neukombination erfahrungsgemäß auch nur phylogenetische Abweichungen gleicher Organisationshöhe hervor- gebracht. Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen, 77 Ein Fundamentalsatz der heutigen Vererbungslehre ist, daß die Merkmale der Pflanzen in die Erscheinung treten durch Reaktionen, und daß dies Reaktionsvermögen es ist, das vererbt wird. Ein solches Reaktionsvermögen kann auch als Anlage gelten, und auch O. Hert- wig stimmt dem Satze zu, daß nur Anlagen vererbt werden (l. c. pag. 579). Setzt man die Anlagen stellvertretend für die Merkmale ein, so wird man wiederum auf eine Phylogonie der Gene hingewiesen. Die Vererbung wird meistens aufgefaßt als eine Reaktion der Gene auf die Umwelt; mit anderen Worten; Erbfaktoren und Außen- faktoren müssen in der Entwicklung zusammenwirken. Die Fort- pflanzung in reinen Linien ist Isogonie, sie bedeutet Konstanz der Typen. Berücksichtigen wir die erfahrungsmäßig feststehenden Fälle von Allogonie, so erscheint Ursprung von Mannigfaltigkeit aus isogenen Linien möglich. In der von mir beobachteten Knospenallogonie der Feuerbohne (Ber. d. D. Bot. Ges. 1915, Heft 7) ging unter Schwinden des Gens für Anthozyan vegetative Allogonie der reproduktiven vor- aus, ohne daß daraus ein verallgemeinernder Schluß gezogen werden dürfte. Von Neottia Nidus Avis nimmt die Deszendenztheorie an, daß sie unter Schwinden von Genen und unter Erwerb saprophytischer Kohlenstoffernährung aus einer Epipactisähnlichen Orchidee entstanden sei. Der Abstand zwischen Neottia und einer Epipactis ist aber ein weit größerer, als er bei einer tatsächlich beobachteten Allogonie jemals wahrgenommen wurde. Wir werden, strenge genommen, darum nur sagen dürfen: es sieht so aus, als ob Neottia aus einer Epipactis teils unter Schwinden von Genen, teils unter eigenartiger Reaktion anderer Gene auf die Umwelt entstanden sei, wenn wir nicht eine Neubildung von Genen zuhilfe nehmen wollen. Wir könnten auch sagen: es hat den Anschein, als ob die Außenfaktoren besondere, erblich gewordene Reaktionen des Organismus ausgelöst hätten. Was hier von einem Saprophyten gesagt wurde, gilt auch von Parasiten, von Xerophyten usw. Somit wären wir bei der Anpassung angelangt. Die Anpassungserscheinungen sind bislang nur Objekt der ver- gleichenden, noch nicht der experimentellen Morphologie; von beiden Methoden der Beobachtung ist die erstere stets der letzteren voraus- gegangen; beides sind Wege, die auf ein gemeinsames Ziel, die genaue Beschreibung von Tatsachen hinführen. Die Entstehung ‚der Au- passungen bildet darum eine offene Frage, wenn wir nur die experi- mentelle Methode, die an sich zweifellos den Vorzug verdient, in Rück- sieht ziehen (vgl. auch Johannsen, Elemente, II. Aufl, pag. 428). Von diesem Gesichtspunkte aus kann man sagen, daß die Anpassung 78 J. Reinke, sogut wie die Mannigfaltigkeit Tatsachen sind, die wir hinzunehmen haben, wie wir die Eigenschaften des Chlors und des Natriums hin- nehmen. Damit würden die Anpassungen gleich der Mannigfaltigkeit als wissenschaftliches Problem ausscheiden; lassen wir sie trotzdem als Problem gelten, so ist es sicher eins der schwierigsten Probleme, die dem denkenden Menschengeiste gestellt sind. Wir unterscheiden zwischen aktiver Anpassung und passivem An- gepaßtsein. Aktive Anpassung stellt im allgemeinen unter finalen Ge- sichtspunkt, was Reizreaktion unter kausalem betrachtet: bei letzterer können wir von einem Nutzen für die Pflanze absehen, während der Anpassungsbegriff diesen Nutzen einzuschließen pflegt. So können wir die aktive Anpassung definieren als Fähigkeit, auf die von der Um- gebung ausgehenden Reize in einer, dem Organismus nutzbringenden Weise zu reagieren‘). Solche aktiven Anpassungen können durch eine Veränderung der Umstände rückgängig gemacht werden, wie die Schließ- bewegung der Spaltöffnungen, der Blätter von Drosera und Dionaea, die Stellung der Chloroplasten und der Schwärmsporen im Licht; oder sie sind nicht rückgängig zu machen, wie die Lage einer Ranke, die gefaßt hat und in dieser Stellung durch Wachstum fixiert wurde, wie Wurzelbildung an der Basis eines Weidenstecklings usw. Jede Selbst- regulierung, jede nutzbringende Veränderung im Laufe der Ontogonie ist solche aktive Anpassung, und nur das Werden dieser können wir unmittelbar beobachten, nicht aber das der „historisch“ gewordenen passiven Anpassungen, wohin außer den erwähnten Xerophyten, Para- siten und Saprophyten schon die Laubblätter, die Kelchblätter, Kron- blätter, Staubblätter, Fruchtblätter usw. einer Angiosperme gehören, kurz alle als Werkzeuge am Organismus wirksamen Teile. Nur mit dem Zustandekommen dieser passiven Anpassungen wollen wir uns hier beschäftigen. Wenn ich die Anpassung einen Finalbegriff nannte, so sind mir die Worte nützlich, erhaltungsmäßig, zweckmäßig im wesentlichen gleichgeltend; alle diese Worte drücken Finalbeziehungen aus, auch das Wort Selbstregulierung, das einen eminent zweckmäßigen Vorgang bedeutet. Wollten wir die Finalbeziehungen und Finalbezeichnungen aus «er Beschreibung der Organismen und ihrer Lebensverrichtungen verbannen, so würden wir den uns zu Gebote stehenden Teil der Sprache unnötig verarmen lassen. Kein Botaniker wird aufhören zu sagen, daß Spermie und Ei-zur Fortpflanzung, die Wurzeln zur Auf- 1) Vgl. auch Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie, II. Aufl., pag. 119 ff. Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. 79 nahme von Wasser und Nährsalzen aus dem Boden, die Laubblätter zur Assimilation dienen. Wer vorurteilslos E. v. Hartmann ’s Kate- gorienlehre durchliest, wird zur Überzeugung kommen, daß neben der Berücksichtigung von Raum-, Zeit- und Kausalbeziehungen auch die Zweckmäßigkeitsbetrachtung zu unseren Denknotwendigkeiten gehört, daß eine erschöpfende Beschreibung neben den Kausalbeziehungen auch die Finalbeziehungen zu ihrem Rechte kommen lassen muß. Dieß möchte ich einschalten, um meinen Standpunkt (diesen methodologischen Fragen gegenüber klarzustellen. Doch wir können nicht dabei stehen bleiben, festzustellen, daß die Form eines Pflanzenteils in Beziehung zu einer Lebensverrichtung steht, daß sie durch ihre Aufgabe bestimmt ist, und daß in der Mannigfaltigkeit der Pflanzen uns zahllose Sonderanpassungen an die Lebensaufgaben entgegentreten, sondern wir möchten die Ursachen dieses Angepaßtseins kennen lernen. Wir bezweifeln nicht, daß die Anpassung eine notwendige Existenzbedingung der Pflanzen ist, die z. B. in den Xerophyten feste Beziehungen zu den äußeren Lebens- umständen zeigt. Von vollkommener Anpassung braucht nicht die Rede zu sein, sondern nur von einer ausreichenden, um für die Art erbaltungsmäßig wirken zu können; immerhin befinden sich die kon- stanten Biotypen der Gegenwart in einem relativen Optimum der An- passung. Angepaßt sein heißt somit daseinsfähig sein, und das mag als eine Selbstverständlichkeit gelten, womit sich das Problem wiederum zur Seite schieben ließe; doch wir wollen ihm nicht ausweichen. Die Abstammungslehre sucht in erster Linie die Entstehung der passiven Anpassungen zu begreifen. Diese vollzogen sich in einer Zeit, die unserer Beobachtung für immer entrückt ist, und deren Bedingungen wir im Experiment nicht mit Sicherheit zu wiederholen vermögen. Ob diese Bedingungen auch unserem Gedankenfluge ganz unzugänglich sind? Gewiß lassen sich durch bloßes Nachdenken biologische Probleme nicht lösen, wir sind auf Beobachtung und Experiment als Forschungsmethoden angewiesen; dennoch können wir auf Zuhilfe- nahme der Phantasie nicht verzichten, weil sie den Weg der For- schung zu erhellen vermag, und weil wir vielfach in der Wissenschaft auf Argumente und Hypothesen angewiesen bleiben, wo wir nicht zu beweisen vermögen. Wohl sollten wir Analogieschlüsse in der Natur- wissenschaft nach Möglichkeit einschränken; doch ganz ohne sie ist man niemals ausgekommen, und in der Anpassungsfrage sehen wir uns nahezu auf sie beschränkt. Alle Anpassungstheorien haben sich daher auch auf diesem Grunde aufgebaut. 80 J. Reinke, An anderer Stelle (Einl. in die theor. Biologie, II. Aufl., pag. 146) sagte ich: „Ich erblicke in jeder phylogenetischen Anpassung eine Reiz- reaktion des Organismus auf seine Außenwelt.“ Diese Auffassung ent- spricht wohl derjenigen der meisten Fachgenossen. Sie stimmt damit überein, daß auch die neueste Vererbungslehre die in der Ontogonie auftretenden Merkmale als Reaktionen auf die Umwelt erklärt. Ein wesentlicher Umstand trennt aber die phylogenetisch fixierten An- passungen von den ontogenetischen Reaktionen (die man auch onto- genetische Anpassungen nennen könnte), daß nämlich nach dem Stande unserer gesamten Beobachtungen und Experimente durch die Außen- faktoren an den Pflanzen keine solchen Wirkungen hervorgebracht werden, die sich vererben. Es entstehen durch Standort und Umgebung nur Modifikationen; wohl werden diese ausgelöst durch die als Reize auf den Genotypus einwirkenden Außenfaktoren, doch wird die Reizwirkung nicht erblich fixiert. Die Xerophyten, Saprophyten, In- sektivoren usw. sind aber heute keine Modifikationen mehr, sondern erblich befestigte Genotypen. Dennoch wagte Nägeli eine Theorie der Anpassung durch „direkte Bewirkung“, der auch O. Hertwig in seinem mehrfach erwähnten Buche zustimmt, z. B. pag. 482, 487, 495. Schon Goebel hat in seiner gehaltvollen Rede „Über Studium und Auffassung der Anpassungserscheinungen bei Pflanzen“ (München 1898), pag. 12, Nägeli’s Erklärung der Ausbildung von Blumenteilen durch Krabbeln von Insekten als völlig phantastisch bezeichnet, während Johannsen sich an verschiedenen Stellen seiner „Elemente“ gegen die Änderung der Biotypen durch direkte Bewirkung mit Entschiedenheit ausspricht. Indes schon Nägeli hat einen Faktor herangezogen, der zweifellos Beachtung verdient, das ist der Zeitfaktor; wenn das Krabbeln der Insekten Jahrtausende hindurch an der gleichen Stelle einer Blume fortgesetzt wurde, konnte daraus doch vielleicht eine erbliche Neu- bildung ausgelöst werden. Natürlich ist auch dies reine Phantasie; wenn wir aber z. B. die Xerophyten der neuholländischen Flora oder der Sahara und ihr erblich fixiertes Verhalten zu ihrer Umgebung ins Auge fassen, so wird es schwer, den Zeitfaktor ohne weiteres von der Hand zu weisen. In dieser Hinsicht ist es wichtig, was Goebel (Anpassungs- erscheinungen, pag. 18) über Mierococeus prodigiosus ausführt, dessen rote Farbe bei Agarkulturen in der Folge zahlreicher Generationen er- lischt und einer weißen Farbe Platz macht, die nach langer Züchtung auf Agar auch bei Übertragung auf Kartoffeln oft mehrere Generationen hindureh weiß bleibt, um dann wieder in Rot überzugehen; durch Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. 81 länger andauernde äußere Einwirkung ist somit eine Umstimmung im Organismus eingetreten, die um so fester haftet, je länger der sie her- vorrufende Außenfaktor eingewirkt hat. Goebel gelangt in Berück- siebtigung dieses Verhaltens und ähnlicher Erscheinungen bei anderen Bakterien zu folgendem Schlusse: „Es liegt kein Grund vor, warum wir nicht auch bei höheren Pflanzen die Annahme machen sollten, daß lange andauernde äußere Einflüsse erbliche Anpassungen hervorrufen können, und die vergleichende Untersuchung der Anpassungserscheinungen innerhalb eines und desselben Verwandtschaftskreises drängt, wie mir scheint, mit Notwendigkeit zu einem solchen Schlusse hin.* Auch ich habe mich der Hypothese einer Mitwirkung des Zeit- faktors bei der Ausprägung stabiler, erblicher Anpassungen nicht un- zugänglich gezeigt und ihn herangezogen, um eine genotypische Fixie- rung der Reaktionswirkung zwischen Genen und Außenfaktoren wahr- scheinlich zu machen. In meiner Einl. in die theor. Biol, II. Aufl, pag. 142 (1911) führte ich aus, daß die Ursachen der phylogenetisch befestigten und der ontogenetischen Anpassungen im wesentlichen die gleichen sein möchten, daß z. B. die Pflanzenwelt Neuhollands durch die Gestaltung der Assimilations- und der Transpirationsorgane dem dortigen Klima in zweckmäßiger Weise angepaßt sei, weil sie auf den Einfluß jenes Klimas als auf einen Reiz reagierte. „Natürlich ist ein solcher Reiz nicht ein kurzer, vorübergehender, sondern ein säku- larer oder vielmehr ein in Jahrmillionen konstant bleibender gewesen, und so kommt es, daß die von ihm hervorgerufenen Gestaltungen einen hohen Grad von Stabilität erreicht haben, die sich auch nicht durch Aufhebung des Reizes für kürzere Zeiten rückgängig machen läßt, Erwiesen sich doch auch in den Kulturversuchen Bonnier’s die im Höhenklima von Pflanzen der Ebene neu erworbenen Eigenschaften um so weniger vergänglich, je längere Zeit jene Pflanzen im Höhen- klima zugebracht hatten; ihre neu erworbenen Eigenschaften hatten sich durch die Dauer des Verweilens befestigt.“ In meinen Bemerkungen zur Vererbungs- und Abstammungslehre (Ber. d. D. Bot. Ges. 1916, pag. 63) kam ich auf den Gegenstand zu- rück und sagte: „Während die einmal oder zweimal oder ‚zehnmal her- vorgerufene Modifikation bei Aufhören des Reizes sofort in die Grund- form zurückgeschlagen wäre, hatte die tausendjährige Reizung im gleichen Sinne den Erfolg, daß die durch den Reiz entstandene Modi- fikation erblich, also genotypisch fixiert wurde. Es käme somit neben den Außenfaktoren auch der Zeitfaktor in Betracht, und wenn dieser in einer, dem Experiment unzugänglichen Dauer wirkt, würde es zu Fiora, Bd, 111. 6 32 J. Reinke, erblichen Modifikationen, zu beständigen Anpassungsformen kommen können.“ Dieser Meinung trat einer unserer hervorragendsten Erblichkeits- forscher, mein hochverehrter Herr Kollege Correns in einer brief- lichen Äußerung entgegen, die ich mit der freundlichen Erlaubnis des Herrn Verfassers hier folgen lasse; Herr Correns schreibt: „Die Wirkung eines lange dauernden oder oft wiederholten Ein- griffs kann ich mir nicht so wirksam denken, wenn Sie es hypothetisch annehmen. Entweder wirkt der Eingriff, dann haben wir gleich die Änderung erblieh, oder er wirkt nicht, dann wirkt er auch nicht, wenn Sie ihn tausendmal hintereinander einwirken lassen. Wenn Sie das Pendel auch noch so oft aus der Ruhelage bringen, es bleibt nach dem millionsten Male in der neuen Lage doch nicht länger als nach dem ersten Male. Etwas anderes wäre es, meiner Meinung nach, wenn man mit der Länge der Zeit insofern operieren würde, als man an- nähme, es trete nur ausnahmsweise, und deshalb nur nach langen Zeit- räumen, eine wirklich wirksame Kombination von Außenfaktoren auf. Dann ließe ich mir den Zeitfaktor eher gefallen.“ Das Gewicht dieses Bedenkens ist gewiß nicht zu verkennen. Schon Sachs wandte sich gegen die Wirksamkeit langer Zeiten wenn er sagte, es käme ihm so vor, daß, wenn man nur recht lange warten wolle, aus einem Dreieck vielleicht eine Ellipse würde. Indessen haben wir doch auch das Wesen der organischen Reizbarkeit noch lange nicht ergründet, und die sehr lange Generationen hindurch erfolgte Reiz- wirkung eines Außenfaktors auf lebendes Protoplasma konnte bislang kaum zum Gegenstande beweiskräftiger Experimente gemacht werden. Wenn ein Kind einen Vers auswendig lernt, haftet er auch nicht das erste Mal; durch unzählige Wiederholungen wird er erst dem Gedächt- nisse derart eingehämmert, daß er dauernd aufbewahrt bleibt. Das ist natürlich nur ein Vergleich, wie auch das Pendel nur ein Sinnbild darstellt. Dagegen befindet sich die Art, wie O. Hertwig in seinem er- ° wähnten Buche die Wirksamkeit äußerer Faktoren zur Erklärung einer erblichen Abweichung heranzieht (2. B. pag. 487. 495, 581, 579, 608), zu wenig im Einklang mit dem, was wir über das Wesen der Modi- fikationen wirklich wissen, als daß sich damit eine einigermaßen. ge- sicherte Theorie der „direkten Bewirkung“ stützen ließe. Wichtiger erscheint der von Hertwig pag. 591 hervorgezogene Befund Han- sens, daß die durch höhere Temperaturwirkung unterdrückte Sporen- bildung bei Hefen auch dann nicht zurückkehrte, wenn die Hefen Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. 83 wieder unter normale Lebensbedingungen gestellt wurden; die neue Form hatte das Vermögen, Sporen zu bilden, erblich verloren. Dieser Fall reiht sich den von Goebel geltend gemachten Fällen an, auf die oben hingewiesen wurde. Auch Bonnier’s Versuche scheinen in der gleichen Richtung Fingerzeige zu bieten. Die Anregung von Correns, bei den Anpassungserscheinungen z. B. der Xerophyten an eine gelegentlich einsetzende, also wohl zu- fällig zu nennende Kombination von Außenfaktoren als wirksame Ur- sache zu denken, verdient sicherlich alle Beachtung. Will man aber den Zeitfaktor, namentlich in der Auffassung einer säkular fortgesetzten Reizung durch Außenfaktoren als Anpassungsursache überhaupt fallen lassen, so bleibt die Allogonie durch innere Faktoren übrig. Die erbliche Abänderung einer Art kann dann nur auf Veränderungen beruhen, die unabhängig von der Umwelt in embryonalen Zellen aus unbekannten Ursachen entstehen. Mit Recht hat Goebel (Anpassungs- erscheinungen, pag.15ff.) geltend gemacht, daß nutzlose Reizreaktionen bei Pflanzen sogut vorkommen, wie nützliche, Streicht man den Zeit- faktor hinweg, so kommt nur die uns bekannte Allogonie bzw. Neu- kombination von Genen als Ursache der Mannigfaltigkeit und der An- passung im Pflanzenreiche in Betracht. Die Wirksamkeit der letzteren ist aber nur vorstellbar bei Annahme der Mitwirkung einer, die weniger gut angepaßten Formen ausmerzenden Selektion. Daß die Anpassungen darum durch Selektion entstanden, d. h. geformt wären, kann man gewiß nicht sagen. Mit Recht hebt Goebel (l. e. pag. 15) hervor, daß die Anpassungen bei Wegfall einer aus- tilgenden Selektion ebensogut da sein würden, wie jetzt, nur bestände daneben eine Anzahl weniger gut ausgerüsteter Typen. Tatsächlich vermissen wir in einer xeromorphen Pflanzenformation (ie ursprünglichen, weniger angepaßten Gestalten (Varietäten) sowie die Übergänge zwischen beiden; Formen, die veränderten Lebensbedingungen nicht angepaßt waren, wurden durch „Kampf ums Dasein“ aus einem Pflanzenbestande beseitigt. Indirekt vermochte daher die Selektion die Anpassung einer Lokalflora oder eines Biotypus zu fördern; in diesem Sinne darf man die weiße ‘Farbe der Polartiere mit Weismann für einen Erfolg der Naturzüchtung halten, während ihre Zurückführung auf „direkte Be- wirkung“ nur unter Zuhilfenahme des immerhin anfechtbaren Zeitfaktors versucht werden kann. Die Ausrottung von weniger angepaßten In- dividuen der „direkten Bewirkung“ auf Rechnung zu setzen, wie es O. Hertwig (l. c. pag. 502) zu tun scheint, dürfte kaum als ein glück- licher Ausdruck für die betreffenden Zusammenhänge gelten können. 6 84 J. Reinke, Bemerkungen über Mannigfaltigkeit und Anpassungen. Nach der hier vertretenen Ansicht muß bei phylogenetischer Um- prägung zuerst Allogonie Platz greifen; gewährt sie Vorteil als An- passung, so bleibt die Abänderung erhalten; ist sie nachteilig, so geht die Form zugrunde. Positiv Nützliches wird also durch Selektion gewiß nicht geschaffen, nur Unzweckmäßiges zum Verschwinden gebracht. Dies ist der unbestreitbare Wert einer Naturauslese im Sinne von Wallace und Darwin, der nicht zu tilgende Rest ihrer Selektions- theorie. Diese behauptet freilich ihre Stellung nur im Bereiche der theoretischen Biologie, sowie im Bereiche der Gedanken und der Hypothesen; denn alle in ihrer Entstehung bisher der Beobachtung zugänglich gewesenen Allogonien bewegen sich in kleinen Schwankungen ohne deutlichen Selektionswert. Die „Zufallstheorie* der Selektion ist darum ihren ursprünglichen und namentlich den von Weismann ver- tretenen Ansprüchen gegenüber wohl stark einzuschränken, doch keines- wegs in jeder Beziehung als „widerlegt“ anzusehen. Die Freude freilich, das Zustandekommen der Phylogonie derart entschleiern zu können, daß jedermann das Ergebnis als erwiesen an- erkennen müßte, wird dem Menschen wohl versagt bleiben; nur mehr weniger befriedigende Gedankenkonstruktionen sind der Ertrag unserer Arbeit. Dies gilt insbesondere von den Ursachen der Mannigfaltigkeit und der Anpassung. Jede Abstammungslehre bleibt daher eine Idee zur Erklärung dieser Tatsachen auf kausaler Grundlage. Den Verzicht, den wir bei solcher Einsicht üben, nannte Huxley Agnostieismus. Huxley erblickte aber im Agnosticismus kein „Faulbett für den mensch- lichen Geist“, sondern er erklärte ihn für eine Methode, die Welt zu studieren, die uns anleite, der Vernunft als Führerin soweit zu folgen, wie sie brauchbar sei, und die uns zur Vorsicht mahne im Anerkennen von Gewißheiten. Folgen wir Huxley, so müssen wir uns allerdings damit abfinden, daß wir die Welt, in die wir hineingeboren sind, zum größten Teile nicht begreifen. Sr Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. Von Arthur Meyer. {Mit 17 Abbildungen im Text.) 1. Die Farbenänderungen, welche die Laubblätter der normal vegetierenden Pflanze von dem Zustande des Ausgewachsenseins bis zu ihrem Tode erleiden. Die Pflanzen von Tropaeolum majus, welche zu dieser Arbeit benutzt wurden, waren meist unter Glas, im Kasten, in Töpfen aus Samen gezogen worden und wurden im Versuchsgewächshaus weiter kultiviert, sobald sie ungefähr sechs ausgewachsene Blätter besaßen. Es wurden meist Pflanzen einer Rasse benutzt, deren Hauptsproß sein Wachstum bald einstellte; nur solche mit rein grünen Blättern wurden verwendet, Gewöhnlich wurde der Hauptsproß der Pflanzen aufrecht an einen Stab gebunden und für die fortgesetzte Entfernung der Zweige und Blüten Sorge getragen. Außer den im Topfe gewachsenen Pflanzen wurden in einigen Fällen auch abgeschnittene Sprosse im Freien er- wachsener Pflanzen benutzt. Die schildförmigen, mehr oder weniger durch Wachs bereiften Blätter sind auf der Unterseite stark, auf der Oberseite fast nur auf den Nerven behaart. Sie haben 10 Hauptnerven, von denen die fünf nach der Spitze strahlenden stärker, die nach der Basis strahlenden schwächer sind. Zwischen den Hauptnerven bilden Zweige von unge- tähr fünf Größenordnungen ein Netz von immer feiner* werdenden Maschen. Die Mediane teilt das Blatt in zwei Hälften, die sich bei der Verfärbung manchmal etwas selbständig verhalten. Die Epidermen der beiden Blattseiten führen Spaltöffnungen und zahlreiche Zellen, welche Schleim enthalten und sich daher mit Methylenblauglyzerin färben. Das Mesophyli besteht aus einer einfachen Palisadenschicht und einem drei- schichtigen Schwammparenchym. 86 Arıhur Meyer, Die Laubblätter werden nicht abgeworfen und welken an der Achse. Eine Trennungsschicht wird nicht gebildet. Die gewelkte Spreite ist im trocknen Zustande brüchig. Wir wollen in diesem Abschnitt zuerst den Verlauf der Verfärbung der Blätter kennen lernen, wie ihn eine möglichst normal im Gewächs- hause kultivierte Topfpflanze zeigt. An jedem Blatte kann man nacheinander folgende Färbungen auftreten sehen, die wir meist mit den beigesetzten Abkürzungen be- zeichnen werden: dunkelgrün (dgr) grün (gr) hellgrün (hgr), manchmal gelbgrün (gegr) gelb (ge) hellgelb (hge); schließlich welkt (w) das Blatt. Der Name dunkelgrün soll zuerst nur das relativ tiefste Grün bezeichnen, welches an den Blättern eines normal wachsenden rein grünen Individuums auftritt, aber wenn man reingrüne Pflanzen aus- sucht, so ist allermeist das eben ausgewachsene Blatt schön dunkelgrün. Das Verblassen von dunkelgrün nach hellgrün hin geht ganz allmählich vor sich, so daß keine scharfe Grenze zwischen den verschiedenen grünen Zuständen besteht; doch sind bei direkter Vergleichung der Blätter einer Pflanze die Bezeichnungen für die Abgrenzung der gut ent- wickelten Färbungen zu brauchen. Wie wir sehen werden, ist das Hellerwerden des Grüns wahr- scheinlich zuerst auf eine Verminderung des ergastischen Eiweißes der Chloroplasten und die damit verbundene Abnahme des Chlorophyli- farbstoffes zurückzuführen. Der gelbe Stich, den das Grün annimmt, wenn es sehr hell wird, hängt dann wahrscheinlich damit zusammen, daß die gelben Farbstoffe sich nicht entsprechend der Abnahme des Volumens der Chloroplasten vermindern, sondern liegen bleiben. Wir werden das nur völlig verstehen können, wenn wir die späteren Kapitel studiert haben. Die Chloroplasten enthalten, wie wir wissen, zwei grüne Farbstoffe, das blaugrüne Chlorophyl! a (Willstätter) von der Formel C,,H,,0;N,Mg und das gelbgrüne Chlorophyli b (Willstätter) C;;H;00, N,Mg, ferner Karotin (C,.H;s) und zwei Xanthophylie (C,,H;s0). Die grünen Farbstoffe überwiegen stets. Das Verhältnis des Chloro- phylls (a: b) zu den gelben Pigmenten (Karotin +: Xanthophyli) in Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 37 Molen ausgedrückt, ist im Mittel der Bestimmung 3,56, bei Lichtblättern 3,07, bei Schattenblättern 4,68. Gewöhnlich findet sich doppelt soviel Xanthophyli wie Karotin. Vielleicht bieiben die gelben Farbstoffe wesentlich unverändert in den gelb gewordenen Blättern zurück, Eine sichere Entscheidung wäre dadurch zu treffen, daß man gleiche Blattflächen dunkelgrüner und dunkelgelber oder gelbgrüner Blätter von Tropaeolum gleich nach der Methode von Willstätter und Stoll (1913, pag. 99) behandelte und die gelben Auszüge kolorimetrisch und spektroskopisch direkt vergliche. Die Verfärbung von dgr zu ge geht auch bei ganz intakten Blättern, von denen wir hier allein reden, bis zuletzt nicht gleich- mäßig vor sich. Bestimmte Stellen der Spreite oder sogar bestimmte Einzelzellen einer Spreitenstelle, gehen meist in der Verfärbung voraus. Letzteres ist z. B. der Fall, wenn gelbgrüne Färbungen auftreten. Ge- wöhnlich bleiben die Blätter bis zum Eintreten von hgr Färbungen gleich- mäßig gefärbt, dann tritt bei kräftig wachsenden Pflanzen in der Mitte der Maschen, welche die gröberen Nerven bilden, eine hellgrüne, dann gelb werdende Färbung ein, während um die gröberen Nerven das gr oder hgr länger erhalten bleibt, so daß im Zentrum des Blattes, wo die Hauptnerven zusammenlaufen, das Grün zuletzt verschwindet. Es ist diese Verfärbungsweise schon von Stahl charakterisiert worden (1909, pag. 132 und Swart 1914, pag. 71). Wir wollen solche Blätter gegebenenfalls als hellgrün- oder gelb-fleckig (hgr- oder ge-fl) bezeichnen. Selten kommt es bei an der Pflanze’ sitzenden Blättern, häufiger bei abgeschnittenen, auf Wasser liegenden Blättern vor, daß ein Blatt am Rande und um die Nerven herum verhältnismäßig früh hgr oder ge wird. Nur bei sehr langsam wachsenden Pflanzen findet man ein ganz gleichmäßiges Hgr- oder Ge-werden. Der folgende Versuch soll als Beispiel für den Verlauf der Ver- färbung der Blätter einer im Lichte wachsenden Tropaeolumpflanze dienen. Versuch 1. Eine nicht kletternde, im Gewächshaus gezogene Pflanze, von welcher Zweige und Blüten dauernd entfernt wurden. Die Hauptachse war bei Beginn des Versuches 13 cm, nach Beendigung desselben 41 cm lang. Es waren bei Beginn des Versuches sechs erwachsene Blätter vorhanden, deren oberstes mit 1 bezeichnet wird. Die Pflanze wuchs nach und nach langsamer, so daß die neu hinzukommenden Blätter immer kleiner wurden. 88 Arthur Meyer, = I=|ls:|8E|3|8ı5 BFIEIE|E|IE|IEIE S Ss 1 ws =& & S - a a - m = 1 | dgr | der | der | der gr Igr-hgrihgr-fl| her | her |sehr her | ge 2 | dgr | dgr | dgr | gr | her | ker |hgr-filhgr-fl| ge-fl ge 3 | der | der | dgr | gr ! her |segr-fil ge 4 | dgr | dgr | her ge 5 | her | gegr | ge 6 | gegr | ge Mikroskopische Untersuchung des Blattes 1 am 20. VII. Die Palisadenzellen sind im Zustande a des gegr Blattes (s. Abschnitt 3), dabei sind die Chloroplasten über den Zytoplasmaschlauch völlig zerstreut. Ihre Farbe ist hell 3. Alle Sekrettröpfchen liegen noch in den Chloroplasten. Mit 23 %iger Salpeterlösung gelang die Plasmolyse noch. Mikroskopische Untersuchung des Blattes 2. Rein gelbe Stelle. Die Chioroplasten fast in allen Zellen zerfallen; nur in einzelnen noch völlig gelbe, unzerfallene Chloroplasten. Plasmolyse tritt nicht mehr ein. Zwischen den beiden untersuchten Zuständen liegt höchstens ein Zeitraum von 12 Stunden. Der Versuch lehrte, daß ein Blatt um so früher gelb wurde, je älter es war. Blatt 6 brauchte ungefähr 4 5=17,4=11, 3=36, 2—=41, 1—=52 Tage. Die starke Verlangsamung bei dem ersten Blatte rührte von dem zuletzt sehr verlangsamten Wachstum her. Alle Blätter durchlaufen dieselbe Skala von Färbungen. Im allgemeinen verläuft die Verfärbung bei gut wachsenden Pflanzen so, daß ein Blatt vom Zustande des Ausgewachsenseins bis zum Welken nach diesem und später mitzuteilenden Versuchen ungefähr 25 Tage dgr, 6 Tage gr, 12 Tage hgr und 3 Tage ge genannt werden kann. Der Umschlag von hgr zu ge geht in einer Blattstelle relativ schnell vor sich. 2. Die makroskopische Xanthoproteinreaktion und die Färbung der lebenden Blätter. Molisch (1916) wandte die Xanthoprotein-, die Millon’sche- und die Biuret-Reaktion nach dem Vorbilde der Sachs’schen Jod- probe auf ganze Pflanzenorgane, vorzüglich auf Blätter an. Die Methoden sind wegen des Vorkommens störender Substanzen nicht mit allen Blättern ausführbar, für die Tropaeolumblätter aber, wie Molisch zeigt, sehr geeignet. Ich führte die makroskopische Xanthoproteinreaktion, die ich allein verwendete, im wesentlichen wie Molisch aus, nur ließ ich das mindestens überflüssige Abkochen der Blätter weg. Die zu prüfenden Blätter wurden bis zur Entfärbung mit siedendem Alkohol von 80%, behandelt, dann ur Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum maju. 89 4 Stunden in Salpetersäure von 16,5 % eingelegt, schnell mit Wasser abge- spült und 10 Minuten lang in Ammoniak von 3,3%, gebracht. Mit einem weißen Kartonstückchen wurden die Blattstücke aufgefischt und auf diesem weißen Grunde betrachtet. Die Farbenprüfung wurde sofort vorgenommen, doch erhielt sich die Färbung gut, wenn man die Karton- stücke mit den Blattstücken in eine Doppelschale legte, auf deren Boden sich etwas 3,3 %,iges Ammoniak befand. Zur Beurteilung der Färbung wurde in folgender Weise eine Farbenskala hergestellt, auf welche sich alle unsere Angaben beziehen. Auf einem weißen Karton wurde durch wiederloltes Auftragen einer trans- parenten Anilinfarbe ein gelber Strich hergestellt, welcher die Färbung der dunkelsten Xanthoproteinreaktion, welche mit Blättern von Tropae- olum erhalten werden konnte, besaß und mit 5 bezeichnet wurde. Ferner wurde die Reaktion mit einem hellgelben Blatte, welches kurz vor dem Welken stand, angestellt und ein entsprechend gefärbter Strich aufgetragen. Seine Farbe war fast weiß, nur durch Vergleichung mit einem ganz weißen Karton als gelblich zu erkennen. Er wurde als 1 bezeichnet. Zwischen beiden Strichen wurden drei Farbenstriche an- gebracht, welche Übergänge zwischen 1 und 5 bildeten. Die fünf Farben- striehe bildeten die Farbenskala 1—2—3—4—5, mit welcher die bei der Reaktion erhaltenen Färbungen verglichen wurden. Neben dieser Vergleichung ist die der durch die Reaktion gefärbten Blattstücke unter sich von allergrößter Bedeutung, Man kann dann noch relativ feine Unterschiede feststellen. Wie schon Molisch erkannte, gibt ein ausgewachsenes Laubblatt dieselbe Xanthoproteinfärbung, wenn man ein Stück desselben morgens und wenn man ein Stück desselben abends untersucht, nachdem kräftige Assimilation stattgefunden hat. Molisch erklärt sich dieses folgender- maßen (pag. 131): „Der Umstand, daß der größte Teil des Eiweißes seinen Sitz in den Chromatophoren hat, ist auch der Grund, warum man Sehwankungen im Eiweißgehalt eines grünen Blattes nicht angezeigt er- hält; es ist eben mit dem Stroma der Chromatophoren schon so viel Eiweiß gegeben, daß man immer ein gutes positives Resultat erhält, und Änderungen in der Proteinmenge in der Zelle nicht erkannt werden können.“ Molisch hält darnach die Eiweißmenge des „Stromas“ für unveränderlich. Außerdem ist es klar, daß „ein gutes positives Resultat“ das Auftreten von Unterschieden in der Färbung nicht aus- schließt. Es werden bei derartigen Versuchen entweder gar keine Differenzen im Eiweißgehalt der Blätter geschaffen, oder es kommen 90 Arthur Meyer, nur so kleine zustande, daß sie wegen der ungenügenden Empfindlichkeit der makrochemischen Xanthoproteinreaktion nicht nachgewiesen werden können. Daß die zweite Möglichkeit zutrifft, werden wir später sehen. Trotzdem die Reaktion nicht so hervorragend empfindlich ist, kann man mit ihr zeigen, daß die Blätter, je nach ihrem Alter und der diesem Alter entsprechenden Färbung der Spreite, einen verschiedenen Eiweiß- gehalt besitzen. Im allgemeinen zeigte es sich, wie die aus den Versuchs- protokollen entnommenen Zahlen demonstrieren, daß den von uns unter- schiedenen und geschätzten Färbungen, welche die Blattspreiten während des Alterns annehmen, folgende Grade der Gelbfärbung entsprachen: Normal beleuchtete ansgewachsene Blätter. Blattfarbe Xanthoproteinreaktion dgr 54 4 Pr 434 3 3—4 her 33332—3 gegr 2—3 2—3 2-3 go 2222 hege 11-2 Verdunkeite Biatthälften. dgr 4434 3-43 gr 333334 gegr 2—3 2—3 ge 221-2 hege 11 Es entspricht also durchschnittlich der Färbung eines Blattes eine bestimmte Gelbfärbung der Xanthoproteinreaktion und zwar die gleiche bei den im Lichte gewachsenen und den dauernd verdunkelten Blättern. Wir sehen auch, daß schon die verschiedenen Pflanzen entstammenden, als dgr, gr, hgr bezeichneten Blätter, also die immerkin noch als gr anzusehenden, so deutliche Unterschiede der Reaktion zeigen, daß wir sie bei Vergleichung mit unserer Farbenskala entdecken. Die Tatsache, daß an einem Sprosse aufeinander folgende, noch grüne Blätter, die sich also nur wenig durch Farbe und Alter unter- scheiden, sich bei direkter Vergleichung der Xanthoprotein- reaktion als verschieden eiweißreich erkennen lassen, demonstrieren die nachfolgenden Versuche: Versuch 2. Ein im Freien gewachsener blühender Zweig wurde am 9. VIII. mittags 12 Uhr geerntet. Einige Blätter wurden der Xanthoproteinreaktion unterworfen; von allen wurde die Farbe notiert. In der Tabelle sind die noch nicht aus- gewachsenen Blätter des Sprosses mit a—d bezeichnet, die ausgewachsenen mit Zahlen. & ar Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropasolum majus. 91 2 ganz kleine Blätter Farbe Xanthoproteinreaktion a b 32 em Durchmesser n 4—5 © gr d 5 cm Durchmesser gr 45 15,5 cm Durchmesser dgr 2 der 4 3 dgr 4 der 5 dgr 6 6,4 em Durchmesser dgr 4 7 dgr 8 dgr 9 halb der, halb her 3—4 der dgr Teil 10 dgr 1 gr 12 & 3—4 13 gr 14 gr-hgr 3 15 gr-gegr 2-3 16 her 3 17 ge 1-2 18 hgr-gegr 19 gegr 2--3 Versuch 3. Ein am 14. VIII nachmittags 5 Uhr geernteter Sproß einer in einem Kasten auf einem sonnigen Balkon gewachsenen Pflanze, Von den neun wnausgewachsenen Blättern des Sprosses ist nur das älteste in die Tabelle aufgenommen und mit f bezeichnet worden. Blatt Farbe Xanthoproteinreaktion f er 3—4, fast 4 1 gr 3—4, bei direktem Vergleich eine Spur heller als f 2 gr 3-4, eine Spur heller als 1 3 gr 3--4, eine Spur heller als 2 4 gr 3—4, wie Blatt 3 5 gr 3—4, wie Blatt 3 6 er-hgr 3 7 gr-hgr 3, wie Blatt 6 8 her 2-3 9 ge 10 ge 11 heilge Es zeigt sich also, daß wir mittels der makroskopischen Xantho- proteinreaktion schon bei den grünen Blättern einer Pflanze allermeist Unterschiede zwischen den verschieden alten Blättern feststellen können. Die Reaktion zeigt wohl sicher Eiweiß an; Molisch hat ja neben ihr und der Millon’schen Reaktion auch die Biuret-Reaktion in gleich- sinniger Weise an den Tropaeolumblättern erhalten. Da Molisch keine eingehende Beschreibung des mikroskopischen Bildes einer nach der Xanthoproteinreaktion behandelten Zelle gibt, die uns über den Sitz des reagierenden Eiweißes in der Zelle genau unter- 92 Arthur Meyer, richtet, habe ich, wie wir sehen werden, die Palisadenzellen des Tropaeolum- blattes unter Berücksichtigung aller eiweißhaltigen Formelemente der Zelle untersucht. Wie schon Molisch annahm, sitzt das reagierende Eiweiß ganz wesentlich in den Chloroplasten. Ergastische, aus Eiweiß- stoffen bestehende Gebilde kommen in den Chloroplasten von Tropaeolum nicht vor. Kern und Nukleolen beteiligen sich an der Hervorbringung der Färbung nur wenig, ebenso das Zytoplasma und gewöhnlich die Allin- ante. Die Unterschiede im Eiweißgehalte der Blätter, welche wir mit der makroskopischen Xanthoproteinreaktion nachweisen, sind daher ganz wesentlich durch den Gehalt der Chloroplasten an ergastischem Organ- eiweiß der optisch homogenen Substanz der Chloroplasten bedingt. Aber für den makrochemisch bestimmbaren Stickstoff- und Phosphor- säuregehalt der Blätter sind die Eiweißstoffe des Kernes, der Nukleolen, des Zytoplasmas und der Allinaute keineswegs ohne Bedeutung. Unsere Reaktion zeigt also schon eine Verminderung des Eiweißes der Chloroplasten während des Alterns der noch grünen Blätter an. Es ist von Interesse für uns, daß sich das makroskopisch mittels der Xanthoproteinreaktion nachgewiesene Eiweiß ähnlich verhält wie der makrochemisch bestimmte Eiweißstickstoff. Schultze und Schütz (1909, pag. 325) bestimmten den Gehalt der Blätter von Acer Negundo an Eiweißstickstoff in verschiedenen Monaten und fanden für 200 Blätter ungefähr gleicher Größe in Grammen (Mittelwert): ZN. 0,64 6. VI. 0,96 5. VII 12 2. VII 0,78 3-6, IX. 0,81 25. IX. 0,50 Dabei muß man allerdings berücksichtigen, daß die 200 Blätter keine ganz konstante Größe sind, sowohl wegen der nicht genau fest- gestellten Größe der Einzelblätter als wegen deren nicht ganz gleichen Alters an den Zweigen. Wir haben also gesehen, daß die Abnahme der grünen Färbung der Laubblätter sowie das Hervortreten der gelben Färbung und die Abnahme des Eiweißgehaltes der Blätter beim Altern ungefähr parallel gehen und daß wir so aus der Färbung des Blattes einen ungefähren Schluß auf den Eiweißgehalt desselben bei einer Pflanze machen können. Der hauptsächliche Grund für diese Tatsache liegt, wie wir in dem 3. Abschnitte sehen werden, darin, daß gleichzeitig mit der Abnahme des in den Chloroplasten vorkommenden ergastischen Eiweißes das ergastische Chlorophyll der Chloroplasten mehr und mehr schwindet Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 93 8. Mikroskopische Untersuchung der Palisadenzellen des Laub- blattes von Tropaeolum majus, vom ausgewachsenen Zustande bis zum Absterben. In Abschnitt 1 haben wir gesehen, daß man die aufeinander fol- genden Färbungen dgr, hgr, gegr, ge, hge unterscheiden kann. Wo diese deutlich ausgeprägt an einer Pflanze beobachtet werden, entspricht jeder derselben ein besonderes mikroskopisches Bild. Wenn wir nun in diesem Abschnitte den Bau der Palisadenzelle eines dgr, hgr, gegr, hge Blattes schildern, so haben wir die wichtigsten Veränderungen, welche die Palisadenzelle zeigt, festgelegt und können uns die dazwischen liegenden Verhältnisse leicht: konstruieren. Wir wissen dann, wie sich die Palisadenzellen, überhaupt die Mesophyli- zellen, des vergilbenden Blattes vom ausgewach- senen Zustande bis zum Tode des Laubblattes verhalten. Dunkelgrünes Blatt. Die makroskopische Xanthoproteinreaktion ergab die Färbung 4. Stärke fand sich in den Chloroplasten in geringer Menge. In Wasser liegende lebende Palisaden- zelle. Die Zellen waren ungefähr 50-60 u lang und 10—15 « breit. Die Farbe der Chloroplasten der lebenden Palisadenzelle wurde nach einer Farbenskala be- stimmt, die folgendermaßen hergestellt wurde: Mit G. Wagner’s Aquarellfarben wurde ein Ge- misch von Saftgrün und Dunkelchromgelb her- gestellt, dessen Farbe der Farbe der Chloroplasten entsprach, wie wir sie mit Apochromat 2 mm, Apert. 1,3 von Zeiss und Kompensationsokular 12 bei halb geöffneter Blende sahen. Es zeigte sich, daß sehr viel Chromgelb mit wenig Saftgrün zu mischen war. Ferner wurde die Farbe der freien Tropfen der vollständig toten Laubblätter festge- stellt und als reines Chromgelb bestimmt. Zwi- schen diesen beiden Endfarben wurden ferner drei Gemische von Saftgrün und Chromgelb ein- Fig. 1. Skizze einer Palisadenzelle eines dgr Blattes von Tropaeolum majus mit Kern, Chloro- plasten, Allinanten. Chloroplasten und Alli- nante gehören der Zelle an, welche mit der Zell- membran nach einem in Wasser liegenden Prä- parate gezeichnet ist. Der Kern ist nach einem mit Osmiumsäure und Jod versetzten anderen Präparate eingezeichnet. 94 Arthur Meyer, geschoben. So entstand eine Reihe von fünf Färbungen, von denen das Grün mit 1, das Dunkelehromgelb mit 5 bezeichnet wurde. Die Farbe der Chromatophoren des dgr Blattes ist also mit 1 zu be- zeichnen. Die Chloroplasten enthielten in dem grün gefärbten, optisch homo- genen Stroma relativ kleine, schwer erkennbare Tropfen von Assimilations- sekret(ArthurMeyer 1917), die kaum merklich stärker lichtbrechend, wie es schien, selbst unter Umständen ein wenig schwächer lichtbrechend waren, als das verhältnismäßig stark lichtbrechende Stroma, welches sein Lichtbrechungsvermögen unter Umständen zu ändern schien. Man konnte nicht unterscheiden, ob die Ante des Sekretes farblos oder grün seien. In Fig. 2 sind die Chloro- plasten bei mittlerer Blenden- Fig. 2. Chromatophoren aus den in Wasser stellung und etwas hoher Ein- liegenden Palisadenzellen des dgr Blattes. stellung dargestellt. Der Durch- Apochromat 2 mn, Apest. 1,30 mm. Okular 12. messer der von oben gesehen ungefähr kreisförmigen Chloro- plasten war: kleinster Durchmesser — 4,5 u, Mittelwert aus 40 Messungen —= 5,3 u, größter Durchmesser 7 x. Die Kerne erkennt man selten. Allinante sieht man als rundliche oder etwas gestreckte, etwas stärker als das Zytoplasma das Licht brechende, verhältnismäßig leicht ver- quellende Ante, Osmiumsäure. Zu einem Schnitte mit intakten Palisadenzellen wurde während der Betrachtung 2°/,ige Osmiumsäure gegeben. In dem Stroma der _ sich, wie Fig. 3 zeigt, etwas kontrahie- nn N renden Chloroplasten traten die Sekret- . Ka tropfen etwas deutlicher, wie es schien, a b a ) dunkler geworden, hervor. Fig. 3. a Umrisse eines Chloro- Das Zytoplasma erschien völlig plasten einer in Wasser liegenden homogen. Kerne und Allinante waren 5 nüisadenzelle & Derselbe Ohloro- jetzt deutlich zu sehen, vorzüglich, wenn hiert. Zeiss’ Obj. Y,, Okul. 4 man etwas Jodjodkalium zusetzte, wel- Vergr. 1300. ches beide Dinge gelb färbt. Xanthoproteinreaktion plasmolysierter Zellen. Das dgr Blatt einer Pflanze, welche zur Entfernung der Stärke 3 Tage in schwachem Licht gestanden hatte, dann 1 Stunde in 5 °%/,iger Sr Biweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropasolum majus. 05 . Salpeterlösung im Vakuum plasmolysiert worden war, wurde mit sieden- dem Alkohol entfärbt und zur Herstellung von Schnitten benutzt. Diese wurden 1 Stunde in 16,5°/,ige Salpetersäure gelegt und zeigten mit Apochromat 2 mm, Apert. 1,3 von Zeiss und Kotmpensations- okular 8 oder 12, welche Optik stets benutzt wurde, wenn es sich um Entscheidungen über mikroskopische Färbungen handelte, die Chromato- phoren sehr deutlich gelb gefärbt. Diese grenzen sich sehr gut von dem in seiner Substanz anscheinend schwächer als die Chloroplasten gefärbtem Zytoplasma ab und erscheinen, wahrscheinlich durch die Höhlchen der herausgelösten Sekrettropfen, punktiert. Die Kerne sind viel schwächer gelb gefärbt als die Chloroplasten, die Kernkörperchen noch schwächer als die Kerne. Die Allinante sind gelblich. Setzt man zu den Präparaten 0,25°,iges Ammoniak, so werden die Elemente dunkler und bräunlich gefärbt, das Bild wird aber im allgemeinen un- klarer. Die nur noch sehr dünnen Membranen, von denen sich der Protoplast abgehoben hat, sind farblos. Liegen Stärkekörner in den Chloroplasten, so findet man sie angegriffen und sieht am Orte der- selben helle Stellen in den Organen. Millon’s Reagens. Legt man die mit Alkohol extrahierten Schnitte 1 Stunde auf dem Objektträger in Millon’s Reagens unter Deckglas, so werden die eiweiß- haltigen Organe und ergastischen Gebilde noch deutlicher als mit Sal- petersäure gefärbt und schön braunrot. Eisessig+ 15% Wasser. Setzt man die (so 81%ige) Essigsäure zu einer stärkefreien Palisadenzelle, so sieht man die Chloroplasten homogen werden und das Sekret in Tröpfehen austreten; dann entfärben sich Chloroplast und Tröpfchen völlig, und die Sekrettröpfchen treten scharf hervor. Eisessig, Wird er zu den möglichst trocken liegenden, lebenden Patlisaden- zellen zugesetzt, so treten schnell dieselben Reaktionen ein, nur werden die Tropfen, meist unter geringer Anschwellung, gelöst. Chloralhydrat (2-+5). Verhält sich wie Eisessig; es löst das Sekret in unverdünntem Zustande und löst es nicht, sobald das Reagens durch Aufnahme von Wasser etwas verdünnt wird. Bendafixage und Heidenhains Färbemethode. (Arthur Meyer, Erstes mikroskop. Praktikum, pag. 197, 198 u. 200). 96 Arthur Meyer, Blattstückchen kamen 5 Tage in Bendafixage usw.; die Schnitte wurden dann nach Heidenhain 2 Tage gebeizt, 2 Tage gefärbt und 5-10 Minuten differenziert. Passend differenzierte Stellen zeigten die dunkelgefärbten Chloro- plasten mit farblosen Stellen, den Höhlchen, aus welchen die mehr oder weniger flach gedrückten Sekrettropfen herausgelöst waren. Die Nukleolen der Kerne halten den Farbstoff relativ fest. Größe der gefärbten Kerne: Mittel des Durchmessers aus je 20 Messungen: kleinster Durchmesser 4,7 u, größter 7,0 u. Fig. 4. a Kerne und b Chromatophoren aus der Palisadenzelle von Tropaeolum mit Benda fixiert und nach Heidenhain gefärbt. Kompens. Okular 12, Apochr. zum Apert. 1,3. Vergr. 2600. Kleinster der gemessenen Kerne: kleiner Durchmesser 3,7, größter Durchmesser 5,4 u. Größter der gemessenen Kerne: kleiner Durchmesser 6,5 u, großer Durchmesser 8,0 4. Hellgrünes Blatt. An einem Sprosse, welcher eine Reihe Blätter besitzt, die Über- gänge von dgr bis hgr in Forın von gr Blättern trägt, läßt sich zeigen, daß . die Chromatophoren der Blattreihe keine direkt auffälligen Unterschiede aufweisen. Mit der Eisessig +15 % Wasser-Reaktion findet man nun leicht, daß die Sekrettröpfchen aus den Chromatophoren der gr Blätter etwas reichlicher austreten als aus denen der dgr Blätter. Sehr deut- lich treten aber die Unterschiede zwischen den dgr und bgr Blättern hervor. Das hgr Blatt besaß um 12 Uhr mittags noch Stärke in den Palisadenzellen. Die makroskopische Xanthoproteinreaktion ergab fast die Färbung 3. Wasser. Die Farbe der Chloroplasten ist 2—3, also noch relativ kräftig blaß gelbgrün. Der Durchmesser der gleichförmig über die Seiten- wände verteilten Chloroplasten beträgt: Durchschnitt 4,2, kleinster Durchmesser 2,9 u, größter 6,2. Der Chloroplast umhüllt, wie Fig. 5 zeigt, «lie in der Flächenansicht des Chloroplasten sehr deutlichen Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 97 Sekretiropfen. Man sieht, daß sie die Substanz der Chloroplasten noch nicht vorwölben und dieser deshalb noch glatte Konturen besitzt. Tropfen, die durch Zusam- menfließen von Sekrettröpfchen entstanden sein könnten, finden sich noch nicht im Zytoplasma. Osmiumsäure. Die Sekrettropfen in den Chloroplasten färben sich grau- braun. Nach Jodjodkaliumzu- satz tritt der. Kern gut hervor (Fig. 6). Eisessig+ 15% Wasser. Die Sekrettropfen lösen sich nicht. Kalilauge, 33 %ige. Die Sekrettropfen lösen sich nicht. Bendafixage und Eisenhämatoxylinfärbung. Die Sekrettröpfehen sind von einer noch ziem- lich dieken Eiweißschicht umbüllt. Die Chloroplasten halten die Farbe weniger stark zurück als der Kern, welcher die Nukleolen leicht erkennen läßt. Ver- einzelt finden sich im Zytoplasma dunkle Ante, welche Allinante sein können. Größe der gefärbten Kerne im Mittel: großer Durchmesser 5,9 u, kleiner 5,0 x. Größter Kern: kleiner Durchmesser 5,6 u, großer 7,7 u. Kleinster Kern: kleiner Durchmesser 8,8 u, großer 3,8 u. i Vol. gesättigte Kalilauge-+ 1 Vol. 25%iges Ammoniak. Verändert das Sekret nicht. Fettropfen bilden Kristalle. Rauchende Salpetersäure. Wird ein Schnitt mit dem Reagens mittels Harzes unter Deckglas eingeschlossen und 3 Tage Fig. 5. Drei lebende Chloroplasten aus den Palisadenzellen eines hellgrünen Blattes. Apochromat 2 mm, Apert. 1,3, Kompens.- Okular 12. Vergr. 2600. Fig. 6. Skizze einer Palisadenzelle eines hellgrünen Blattes nach Zusatz von 2%, Osmiumsäure. Kern aus einer anderen in Osmiumsäure liegen- den Zelle, nach Zu- satz von Jodkalium, eingezeichnet. Ob- jektiv '/,, (Ölimmer- sion von Zeiss). Vergr. 1300. liegen gelassen, so erscheinen die Sekrettropfen schaumig oder blasig. Fettropfen werden nicht verändert. Flora. Bd. 111. 7 98 Arthur Meyer, Gelbgrünes Blatt. Die makroskopische Xanthoproteinreaktion ergab die Färbung 2. Man unterschied in den Schnitten Zellen von zwei verschiedenen Zu- Fig. 7. ständen der Vergil- bung, zuerst solche im Zustand a, wo die Chloroplasten noch » auf den Zellwänden a Kern, b Chloroplasten aus den Palisadenzellen gleichmäßig zer- eines hellgrünen Blattes. Bendafixage, Färbung mit streut sind und die Eisenhämatoxylin. Apochr. 2 mm, Apert. 1,3, Kompen- sationsokular 12. Vergr. 2600. Die beiden hellen Stellen Farbe der Chloro- mit dem schwarzen Punkte in der Mitte sind durch einen plasten ungefähr mit Fehler des Klischees verursacht. Fig. 8. Skizze des Zustandes b der Pali- sadenzellen des gelb- grünen Blattes, in 2 %iger Osmium- säure liegend. Ob- jektiv %,,, Ölimmer- sion. Zeiss’ Okul. 4. Vergr. 1300. 3 bezeichnet werden kann. Dem gegenüber stehen die Zellen, die sich im Zustand b befinden, bei dem alle oder die meisten Chloroplasten um den Kern versammelt sind und die Farbe 4 zeigen. Der Zustand b ist aus dem Zustand a entstanden, und zwischen beiden findet man selbstverständlich Übergänge. Zustand a. Wasser. Die Empfindlichkeit der Chloroplasten gegen Wasser ist so groß wie bei den früheren Zuständen. Der Durchmesser der Chloroplasten beträgt 3——3,5 ze Wie man vorzüglich gut bei seitlicher Lage der Chloroplasten sieht, umhülit. die Masse des Chloroplasten die Sekrettropfen noch voll- & & kommen, welche die anschei- nend gefärbte Chloroplasten- substanz kaum vorwölten. ED Em Die Feststellung, ob Skrt oder Chloroplastenmasse ge- Fig. 9. Gelbgrünliche ä i ; i Trophoplasten der Pali- färbt ist, ist auch hier noch sadenzeiten der gelbgrü- schwierig. nen Blätter, welche sich Zerı B i im Zustande a befinden. Der Kern erscheint Apochr. 2 mn, Aperk blaß, homogen, transparent. 1,3, Kompens.-Okul. 12. Nukleolen sind kaum zu er- Vergr. 2600. kennen. Allinante fehlen. Zytoplasma homogen. TY yr Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 99 Osmiumsäure. Die Tröpfchen des Sekretes werden graubraun gefärbt. Nach Jodzusatz erscheint der Zellkern homogen, hellbräunlich, scharf begrenzt. Die Chromatophoren sind durch die Sekrettröpfchen höckerig. Mikroskopische Xanthoproteinreaktion. Die Trophoplasten kaum gelblich. Ebenso der Kern. Millon’s Ragens. Färbung kaum erkennbar, doch etwas deutlicher als mit Salpeter- säure. Eisessig+15% Wasser. Sekrettropfen unlöslich. Plasmolyse. Sie gelang mit 20%iger Salpeterlösung. Zustand b. Wasser. Die Chloroplasten haben die Farbe 4—5; ihr Durchmesser be- trägt 2—3 ;. Sie enthalten nur noch ungefähr 5—-10 Sekrettröpfchen, umhüllt von der geringen Menge Chloro- plastensubstanz. In dem Zellsaft schwimmen . _ Zr schon einige mehr oder weniger gelblich ge- GG & & färbte Sekrettropfen, die anscheinend aus . \ den Chloroplasten ausgetreten sind. Der Kern enthält einige Höhlchen, die Fig. I0. Gelbe Trophoplasten aus den in Wasser liegenden auch schon im Zustande a hier und da vor- Pyiisadenzellen, die im Zu- kommen. Nukleolen sieht man nicht. stande b befindlich sind, aus dem gelbgrünen Blatte. Apo- : PERE A ; chromat 2 mm, Apert. 1,3, Mit Alkohol fixiertes Material in Komp.-Okul. 12. Vergr. 2600. Wasser. Die sehr kleinen Trophoplasten scheinen aus 3-—-6 unregelmäßigen Körnchen zu bestehen, die durch etwas homogene Masse verbunden sind. Das Bild klärt sich nach Zusatz von Jodjodkalium ; die Chloro- plasten erscheinen nun als Massen mit einem oder mehreren Höhlchen. Kerne meist noch mit schärferen Umrissen, aber höhlig. Plasmolyse. Sie gelang nicht mit 20%;iger, wohl aber mit 50%iger Salpeter- lösung. Der kontrahierte Zytoplasmasack enthielt einen stark licht- pa 100 Arthur Meyer, brechenden Inhalt. Ist die Zelle ein wenig im Altern fortgeschritten, so tritt keine Plasmolyse mehr ein. Osmiumsäure, Salpetersäure, Millon’s Reagens wie bei Zustand a. Bendafixage und Eisenhämatoxylinfärbung. Zustand a. Man sieht die Höhlchen, welche die Sekrettropfen enthielten, schön. Die Sekrettropfen waren überall von der Chloro- plastenmasse umhüllt. Stärkekörner der Chloroplasten können tief schwarz wie die Kerne gefärbt bleiben. Wo die Autoplasten gut differenziert sind, sind die Kerne tief schwarz. Bei stärkerer Differen- zierung treten die Nukleolen gut hervor. Allinante sind nicht zu sehen. Größe der gefärbten Kerne: Mittel der Durchmesser von 20 Kernen: kleiner Durchmesser 3,4 4, großer Durchmesser 4,8 u. Kleinster Kern: kleiner Durchmesser 2,1 u, großer 4,0. Größter Kern: kleiner Durch- messer 5,0 u, großer 5,8 u. Zustand b. Die um die Kerne versammelten Chloroplasten sind nach der Differenzierung noch deutlich grau gefärbt, wenn der Kern fast schwarz erscheint. Die Nukleolen sind in stärker differenzierten Kernen noch gut zu sehen. Größe der gefärbten Kerne: Mittel der Durchmesser von 20 Kernen: kleiner Durchmesser 3,7 „. großer 40 u. Kleinster Kern: kleiner Durchmesser 2,9 «, großer 3,1 a. Größter Kern: kleiner Durch- messer 4,8 u, großer 5,6 u. a b Fig. 12. Chromatophoren und Kerne aus den im Zustande b befindlichen Palisadenzellen eines gelbgrünen Blattes. Bendafixage, Eisenhämatoxy- ® ©. 46 a b lin. a schwach differenzierter Fig. 11a u. b. a Kerne, b Ühromatophor aus Kern mit den um ihn ver- den im Zustande a befindlichen Palisadenzellen sammelten Chromatophoren. b eines gelbgrünen Blattes. Bendafixage, Eisen- stärker differenzierter Kern. hämatoxylin, Apochromat 2 mm, Apert. 1,3, Apochromat 2 mm, Apert. 1.3, Kompensationsokular 12. Vergr. 2600. Komp.-Okul. 12. Vergr. 2600. Hellgelbes Blatt, kurz vor dem Vertrocknen. Das Blatt ist fast völlig gleichmäßig hellgelb. Es gibt bei der makroskopischen Xanthoproteinreaktion die Farbe 1. Die Zellen sind y Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 101 in nur ganz wenig verschiedenen Zuständen. Das Zytoplasma ist mehr oder weniger zerfallen. Man erkennt durch Vergleichung, daß die durch Eiweißabgabe zusammenschrumpfenden Chloroplasten die Tröpfchen des Sekretes mehr und mehr austreten lassen und daß sich dieses Sekret mehr und mehr im Zellsaft in Tropfen ansammelt. Die Tropfen fließen zusammen und sammeln f j sich an der oberen Spitze der Pali- | sadenzellen, wenn das Blatt seine Unterseite nach unten kehrt, da ihre Substanz spezifisch leichter o ist als Wasser. Wasser. Gelbe Tropfen verschiedener In Größe schwimmen in der Zell- . flüssigkeit. Die Kerne erscheinen als relativ große, farblose und homogene Klumpen, die Chloro- plastenreste als relativ kleine kör- nige Massen, wenn sie nicht von den Tropfen des Sekretes verdeckt Pa > sind, in dem die gelben Farbstoffe ' \. ; . gelöst sind. wor i ie) Osmiumsäure. Färbt die Tropfen, die aus i Fig. 13. Palisadenzelle aus einem gelben Sekret bestehen, in dem gelbe Blatte, welches zu welken beginnt. « Farbstoffe gelöst sind, graubraun. Umriß einer in Wasser liegenden Zelle, : n . mit Kernrest ({vorderster Umriß unten Sind sie durch Osmiumsäure dunkel links) und gelben Tropfen (alle übrigen geworden, so lösen sie sich schwie- Umrisse}. Umriß derselben Zelle, nach- ie ji dem die Tropfen durch Zusatz von abso- rig in Alkohol. Nach Zusatz von lutem Alkohol gelöst sind. Unten vorn Jodjodkalium werden Kern und der Umriß des kontrahierten Kernes, die i übrigen Umrisse stammen hauptsächlicl Chromatophorenreste gelb, die von Resten der Trophoplasten., 4, Öl- Tropfen dunkelbraun. immersion. Zeiss’ Okul. 4. Vergr. 1300. Verhalten des mit Alkohol ausgezogenen Materials. Bei Zusatz von Alkohol zu den in Wasser liegenden Schnitten lösen sich die Tropfen leicht. Der Zellkern tritt als homogenes, auch höhliges Gebilde hervor. Was sonst bleibt, sind wesentlich Reste der Chromatophoren; das Zytoplasma scheint ganz zerfallen zu sein. 102 Arthur Meyer, Alkoholmaterial zeigt alle Reste nach Jodjodkaliumzusatz intensiv gelb gefärbt. Mit Millon’s Reagens werden die Reste kaum gefärbt, erhalten aber doch einen Schimmer von Färbung, ebenso mit Sal- petersäure. Reaktionen der Tropfen. Eisessig+15% Wasser. Löst nicht. Äther. Löst. Gesättigte Kalilauge. Die Tropfen bleiben gelb und lösen sich nicht. 20 %ige Kalilauge. Wie vorher. 10 ccm gesättigte Kalilauge mit 1 ccm absolutem Alkohol oder ein Gemisch von gleichen Volumen gesättigter Kalilauge und 25%igem Ammoniak. Verändert die Tropfen nicht mehr als vorher. Rauchende Salpetersäure. Wird ein Präparat mit rauchender Salpetersäure unter dem Deck- glase mit Harz eingeschlossen und 120 Stunden liegen gelassen, so erscheinen die Tropfen fein getrübt. Benzin. Trocknet man einen frischen Schnitt auf dem Objektträger und legt man ilın mit diesem in Benzin, so findet man die Substanz der Tropfen noch. Dieses Resultat ist vielleicht durch die Undurchdring- lichkeit der trockenen Membran für Benzin zu erklären. Karotin und Sekret sind in Benzin löslich, nur Xanthophylie nicht. Mer (1876, pag. 177) sagt von den „Öltröpfchen“ aus, daß Benzin sie nach einiger Zeit löse. Erhitzen auf 120 Grad. Wird ein frisches Präparat 30 Minuten auf 120° auf dem Objekt- träger erhitzt, so findet man die Tropfen, nach Zusatz von Wasser, noch erhalten. Auch hier wird wohl die Undurchlässigkeit der Membran eine Rolle spielen. Allerdings muß ein Teil der Substanz zurück- bleiben, denn Karotin und Xanthophylie sind bei 120° nicht flüchtig, aber es scheint alles erhalten zu sein, denn sonst wären die Tropfen wohl nieht so leichtflüssig. Das Sekret, wie es in den Öltröpfehen der %$r Eiwerßstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 103 Chloroplasten noch nicht vergilbter alter Blätter von Funkia Siebol- diana vorliegt, ist bei 120° flüchtig. Wird ein Schnitt dieses Blattes auf dem Objektträger 2 Stunden bei 100° erhalten, so treten danach doch bei Zusatz von Eisessig + 15 % Wasser Tropfen auf. Hat man den Schnitt I Stunde auf 120° erhitzt, so geschieht dies nicht mehr. Alkoholmaterial mit Bendafixage behandelt und nach Heidenhain gefärbt. Schon bei schwächster Differenzierung blieben fast nur die Kerne gefärbt. Sie waren höhlig und klumpig. Nukleolen waren bestimmt nicht mehr vorhanden (Fig. 14). Die Größe dieser mit Alkolıol fixierten und ® * @ gefärbten Kerne war: Durchschnitt von 20 n Messungen: kleiner Durchmesser 3,1 u, großer T 377 4,0 u. Kleinster Kern: kleiner Durchmesser 2,7 u, „82 % großer 2,7. Größter Kern: kleiner Durchmesser 3,9 a, großer 5,4 u. Mit Benda fixiert und mit Eisenhäma- toxylin gefärbt. Das Sekret kann teilweise grau gefärbt er- Fig. 14. Fünf Kerne aus den Palisadenzellen eines hellgelben Blattes. Das Material wurde mit kaltem 80 %igen Alkohol fixiert, mit Bendafixage gebeizt und mit Eisen- hämatoxylin gefärbt halten sein. Die Kerne sind meist homogen, Apochromat 2,0 mm, P R . ri Apert. 1,3, Kompens.- manchmal diffus fleckig und manchmal mit Höhl- Okul. 12 "Vergr. 2600. chen versehen. Nukleoten fehlen sicher. Bei schwacher Differenzierung sieht man dunkel gebliebene, körnige Fäden, die wohl die Reste der Chromatophoren sein müssen. Größe der mit Benda fixierten j und mit Eisenhämatoxylin & 3 nr) ” 3 > gefärbten Kerne: Durch- ” ”. sehnitt von 20 Messungen: a b kleiner Durchmesser 3,1 #4, Fig. 15. Mit Benda fixiert, mit Eisenhämatoxylin { i efärbt. Aus den Palisadenzellen eines hellgelben großer 4,4 M Kleinster Blatten, a Kerne, 5 Chromatophoren. Apochrom. Kern: kleiner Durchmesser 2 mm, Apert. 1,3, Komp.-Okul. 12. Vergr. 2600. 27 u, großer 3,3 u. Größter Kern: kleiner Durchmesser 4,0, „ großer 5,24. Die für uns wichtigste Tatsache, welche diese Untersuchung zu- tage förderte, ist, daß die Clloroplasten des lgr Blattes bedeutend größer sind, als die des hgr. Wir sehen und werden im Laufe der Untersuchung weiter sehen, daß die Durchniesser (er Chloroplasten der Palisadenzellen der verschieden verfärbten Blätter ungefähr sich ver- 104 Arthur Meyer, halten wie: der: gr: hgr:ge= 100:86:72:52, wozu noch das Verhältnis der durch das Experiment gewonnenen tiefdunkelgrünen (tdgr) Blätter mit 126 kommt. Das ungefähre Verhältnis der Volumen der verschiedenen Zu- stände wäre demnach: tdgr:dgr: gr: hgr: ge = 200: 100:64:38:14. Da das Eiweiß der Palisadenzellen hauptsächlich in den Chloro- plasten sitzt, so ist es selbstverständlich, daß die makroskopische Xantho- proteinreaktion der Blätter mit der Verfärbung der Blätter abnimmt. Der Kern spielt bei der Änderung der Gelbfärbung keine wesentliche Rolle, da er bis zuletzt relativ wenig an Größe abnimmt und sich selbst das Volumen der Nukleolen verhältnismäßig wenig ändert. Ebenso konmt eine Änderung des Eiweißgehaltes des Zytoplasmas nicht in Betracht. 4. Nenbildung ergastischen Organeiweißes in den durch Ver- dunkelung eiweißarm gemachten Chloroplasten. Es ist für die trophoplastenfreien Pilze wohl sicher festgestellt, daß ihre Protoplasten sowohl im Dunkeln wie auch im Lichte aus ar- organischen und nicht proteinartigen organischen N-Verbindungen Ei- weiß herstellen können. So viel ich sehen kann, weiß man noch nicht, ob bei Beleuchtung eines Pilzes mehr Eiweiß als im Dunkeln erzeugt wird. Und doch wäre eine Entscheidung dieser Frage sehr wichtig, denn es ist zu erwarten, daß es so ist, wenn nicht die Fähigkeit der erhöhten Eiweißerzeugung im Licht von allen drei Organen des Proto- plasten nur den Trophoplasten zukommt. Die Protoplasten der Trophoplasten führenden Gewächse können ebenso wie die der trophoplastenfreien Pilze im Dunkeln und im Lichte aus nicht eiweißartigen N-Verbindungen und passenden Kohlehydraten Eiweißstoffe herstellen. Das beweisen z. B. die Resultate der Ver- suche von Zaleski (1897), Prianischnikow (1899), Iwanoff, Schre- der, Schulow, die an Zwiebeln, Kartoffeln, Dahliaknollen, Runkel- rüben gewonnen wurden, und ferner die Erfahrungen, welche an Laub- blättern gemacht wurden. So z. B. arbeitete SapoZnikow (1894) mit Laubblättern von Vitis vinifera und Labrusca. Er analysierte die eine Blatthälfte der Blätter, stellte dann die Blätter mit den Stielen in Wasser oder Nährlösung, beleuchtete sie eine Zeitlang und bestimmte auch in den anderen Blatthälften den Eiweißstiekstoff. Das aus den Resultaten der Eiweißstickstoffbestimmung berechnete Eiweiß hatte bei den in Knop’scher Nährlösung stehenden Blättern um ungefähr 0,4 g für Quadratmeter und Stunde zugenommen. Bei schwacher Beleuch- Yr Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Trepasolum raafun, 105 tung und Darreichung von viel Nitraten wurden alle Kohlehydrate, welche das Blatt bildete, zu Eiweiß verarbeitet. Auf mikrochemischem Wege stellte Hansteen (1896 und 1898) fest, daß Lemna aus Asparagin 4 Dextrose, Harnstoff 4 Dextrose usw. im Dunkeln Eiweiß herstellen konnte, wenn er sie auf Lösungen dieser Stoffe schwimmen ließ. Zaleski (1897) ließ abgeschnittene Blätter von Helianthus an- nuus mit den Stielen, im Dunkeln, in Knop’scher Nährlösung stehen und fand Zunahme an Eiweißstickstoff. Nach Palladin (1899) bilden etiolierte Blätter von Vieia faba im Dunkeln auf Rohrzuckerlösung Ei- weiß, und ähnliche Resultate erhielt Suzuki mit etiolierten Gersten- keimlingen, In diesen Versuchen wurde nicht festgestellt, in welchem Organe des Protoplasten die Eiweißstoffe gespeichert werden. Bei den Pilzen kann nur Zytoplasma oder Kern der Ort der Bildung und Speicherung sein; hier können auch die Trophoplasten eine Rolle spielen. Es hat sich aber nun weiter herausgestellt, daß ein bestimmtes Laubblatt im Lichte in der gleichen Zeit eine größere Eiweißmenge bilden kann als im Dunkeln. Schon Schimper’s (1888) Nachweis, daß die Nitrate der grünen Laubblätter nur im Lichte verschwinden, ließ vermuten, daß nur im Lichte reichliche Verarbeitung der Nitrate der Blätter stattfindet. Palladin (1899) zeigte dann, daß etiolierte Blätter von Vieie faba in gleicher Zeit auf Rohrzuekerlösung im Lichte doppelt so viel Eiweiß erzeugten wie im Dunkeln. Als Laurent und Marchal (1903) Kresse in einer salpeterhaltigen 4%igen Nährlösung 10 Tage im Dunkeln und im Lichte stehen ließen, übertraf sogar der Eiweißgewinn im Lichte den im Dunkeln um das Dreifache. Die erwähnten Versuche bewiesen also zweifellos, daß Licht die Eiweißbildung in den Laubblättern begünstigt. Da Hansteen und andere gezeigt hatten, daß die Eiweißbildung aus Nitraten, Ammon und organischen N-Verbindungen nur bei Gegenwart von passenden Kohlehydraten eintrete, so konnte die reichliche Entstehung passender Kohlehydrate durch die Assimilation der Grund für die Steigerung der Eiweißbildung im Lichte sein. Über den Ort der Eiweißspeicherung oder Eiweißbildung in dem Protoplasten sagten auch die Resultate dieser Versuche nichts aus. Die eben erwähnte Hypothese der indirekten Verstärkung der Ei- weißbildung mußte aufgegeben werden, als gezeigt wurde, daß das Licht auch die Eiweißbildung fördert, wenn sich die Laubblätter bei 106 Arthur Meyer, genügendem Vorhandensein von Bildungsstoffen für Eiweiß in kohlen- säurefreier Atmosphäre befinden, wie es die Versuche von Godlewski (1903) zeigen. Dieser benutzte Weizenpflanzen, bei denen ungefähr 10 g Trocken- substanz von Wurzel- und Samenresten auf 17 g Trockensubstanz von Blatt- und Stengelresten kamen, bei denen also die Chloroplasten füh- renden Gewebe überwogen. Seine Versuche zeigten, „daß die in kohlen- säurefreier Atmosphäre im Lichte gezogenen Weizenpflanzen eine be- deutend größere Menge von Eiweißstickstoff enthielten als die Samen. Die Eiweißsynthese im Lichte hat also trotz der mangelnden Assimila- tion nicht nur die ganze Menge der Eiweißstoffe, welche während der Entwicklung der Keimlinge gespalten wurde, wieder hergestellt, son- dern noch darüber ein gewisses Plus ergeben. Im Dunkeln erreichte die Eiweißbildung kein einziges Mal die Höhe der Eiweißspaltung, so daß die geernteten Pflänzehen immer weniger Stickstoff enthielten als die Samen.“ Die Laubblätter führen also im Lichte eine stärkere Eiweißsynthese als im Dunkeln durch, auch wenn keine Kohlehydraterzeugung durch die Chloroplasten erfolgt. Zaleski’s (1904) Versuche scheinen mir nichts an diesen Resultaten zu ändern. Die Fragen, ob das Licht als Reizursache wirkt, welche als Reizwirkung die Verarbeitung nicht ei- weißartiger Stickstoffverbindungen mit Hilfe von durch chemische Spaltung frei werdender Energie hervorruft, oder ob das Licht direkt in die Eiweißmoleküle eintritt, zu chemischer Spannkraft des Eiweiß- moleküls werdend, sind nicht entschieden. Wo die Eiweißsynthese und die Eiweißspeicherung im Proto- plasten der Zellen des Laubblattes erfolgt, ist auch durch diese Ver- suche nicht erwiesen. Die Frage aber, wo im Protoplasten die durch die Lichtwirkung entstehenden Eiweißstoffe hauptsächlich auftreten, lösen meine im fol- genden beschriebenen Versuche, in denen gezeigt wird, daß in den am Lichte Kohlenstoff assimilierenden Zellen das ergastische Eiweiß sich in großen Mengen in den Chloroplasten ansammelt, während im Zyto- plasma nur wenig Eiweiß in Form der ergastischen Gebilde, der All- inante, auftritt, die Kerne sich kaum verändern. Die Chloroplasten sind also mindestens die hauptsächliehsten Organe, welche das Eiweiß speichern, das im Lichte entsteht, wenn sie nicht die hauptsächlichen Geburtsstätten des Riweißes sind, welches im Lichte gebildet wird. Möglicherweise stammt die geringe Menge des im Dunkeln erzeugten Eiweißes der Zelle aus dem Zytoplasma und dem Kern, % Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 107 Mit dem, was ich gefunden habe, stimmen auch die Resultate eines Versuches von Chrapowicki (1889), den ich leider nur aus dem Referate von Rothert kenne, überein. Der Autor ging von Zacharias’ Beobachtung aus, daß die Chromatophoren die eiweißreichsten Teile der Zelle seien. Sie brachte ihn zu der Vermutung, daß sie der Ort der Eiweißsynthese sein könnten. Er versuchte auch schon den Eiweiß- gehalt der Pflanze durch Verdunkelung in einer für die Versuche ge- nügenden Weise herabzudrücken, doch gelang ihm dieses nicht. Er züchtete deshalb die Pflanzen (Phaseolus, Cueurbita, Zea) 1—2 Monate in N-freier Nährlösung, um die Blätter „nahezu eiweißfrei” zu machen. „Werden siein Alkohol entfärbt und mit Raspail’schem, Fröhde’schem, Millon’schem oder Zacharias’schem Eiweißreagens behandelt, so färben sie sich gar nicht oder schwach.“ Hierauf ließ er die Pflanzen in normaler Knop’scher Nährlösung wachsen — und in ein paar Tagen hatten die Blätter ihren normalen Eiweißgehalt wieder erlangt. Und zwar erwies sich, daß die neu gebildeten Eiweißstoffe zuerst und haupt- sächlich in den Chromatophoren auftreten. Versuch 4. Topfpflanze IV mit 24 cm langer Hauptachse und acht erwachsenen Laub- blättern. Am 2. VII. alle Zweige und Blüten entfernt und die ausgewachsenen Blätter halbseitig verdunkelt, indem die halbe Spreite eines jeden Blattes in Stanniol gehüllt wurde, Am 7. VIE. wurde das Stanniol entfernt und die Pflanze unter eine innen mit befeuchtetem Fließpapier ausgelegte Glocke gebracht, Am 13. VII. wurdedie Glocke entfernt und die Pflanze im Glashause voll beleuchtet. In der Tabelle ist die Farbe der Blattspreiten, teilweise die Zahl für die Färbung der Chloroplasten (Chl. Farb.), der Durchmesser der Chloroplasten (D.d. Chl.) und die Nummer für die Intensität der Xanthoproteinreaktion (Xanth.) eingetragen. (Siebe Tabelle pug, 108 oben.) Die übrigen fünf Blätter waren schon zu weit ausgesogen und ließen kein Auf- füllen der Chleroplasten mit Eiweiß mehr zu. Bemerkungen über die mikroskopische Untersuchung. Blatt 2 wurde 1 Tag nach der Entfernung des Stanniols untersucht, also am 8. VII. In der verdunkelten Seite war die mittlere Größe der Chloroplasten, wie gesagt, 3,6 a, als Mittel von 30 Messungen. Der größte Chloroplast hatte einen Durchmesser von 5 £, der kleinste von 3 px. Am 18. VII. war der mittlere Durchmesser in der unverdun- kelten Blatthälfte 5,4 g; Maxim. 6,5, Minim. 4,5 p. Allinante klein. In der ver- dunkelten Blatthälfte war die mittlere Größe der Chloroplasten 4,7 a; Maxim. 6,5, Minim. 3,5 g. Allinante klein. Versuch 5. Topfflanze VI mit 12 cm langer Hauptachse und sieben erwachsenen Blättern, Am 8. VIII werden, nachdem die Blüten und Zweige entfernt sind, die Blätter halbseitig mit Stenniol verdunkelt,. Am 9. VIII. wird das Stanninol entfernt und 108 Arthur Meyer, 2. VII 7. VIL 18. VII Blatt | unver. ; _ver- ver- unver- ver- Aunkelt . dunkelt dunkelt gr & Xanth. 4 | Xanth. 3—4| Xanth. 4 Xanth. 4 ! (ganz gleich i dem unver- . dunkelten | Spreitenteil) 2 der | gr gegr- dgr gr fleckig D. d. Chr. | D. d. Chr. | D. d. Chr. | 3,6 2 54 u 47 u Xanth. 4 Xanth. 3 |Xanth. 3—4 | Xanth. 3—4 (ganz gleich dem unver- dunkelten Spreitenteil) 3 dgr hr, gegr- der gr fleckig Xanth. 4 Xanth, 3 | Xanth. 3—4 | Xanth. 3—4 (ganz gleich dem unver- dunkelten Spreitenteil) die Pflanze zuerst unter einer mit feuchtem Fließpapier ausgekleideten Glocke, dann frei im Gewächshaus weiter kultiviert. - 3. VII. 9. VIII. 17. VOL 24. VII. E unver- : ver- unver- , ver- unver- ver- unver- ' ver- dunkelt | dunkelt! dunkelt : dunkelt | dunkelt | dunkelt | dunkelt : dunkelt | | —ı 1| der | dgr dgr gr dgr gr der ; der | | am Rande; am Rande | H gr-her noch gr | Xanth. 4 Xanth. | Xanth. Xanth. | Xanth. : Xanth. | 34 3—4 3-4 fast 4 | fast d } fast 4 fast 4 | (ganz gleich i dem unver- | ; dunkelten | f |orretenn) 2| der der der ! gr—ber der v dgr | dgr am | | am Rande | Rande gr | gr-hgr D.d. Chr. : D.d. Chr.|D.d. Chr. |D. d. Chr. 5,8 4,2 5,4 ! 3,0 Xanth. 4 Xanth. 3| Xanth. | Xanth. | Xanth. | Xanth. i ! fast 4, fast 4 fast 4 : fast 4 ; \ ! ! (ganz gleich : dem unver- \ t dunkelten Spreitenteil) Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter des Tropaeolum majus. 109 Mikroskopische Untersuchung von Blatt 2. Am 9. VIII. 6 Stunden nach dem Aufdecken untersucht. Unverdunkelte Hälfte. Mittlerer Durchmesser (aus 40 Messungen) 5,8 g; Maxim. 7 a, Minim, 4,5 ». Farbe der Trophoplasten 1—2, Trophoplasten körnig, nach Zusatz von Essigsäure viele kleine Tröpfchen. Verdunkelte Hälfte. Farbe der Trophoplasten 3. Mittel aus 40 Messungen des Durchmessers der Tro- phoplasten 42 w; Maxim. 55 a, Minim. 3a. Trophoplasten sehr homo- gen, nach Zusatz von Essigsäure weni- ger Tröpfehen als im unverdunkelten Teile. Allinante sehr klein. Am 17. VIII. untersucht. Unverdunkelte Blattbälfte. Farbe , der Trophoplasten 1—2, fast 2. Mitt- lere Größe aus 30 Messungen 5,4 x; Maxim. 7 «, Minim. 4 «. Tropho- plasten körnig, nach Zusatz von Essig- säure viele kleine Tröpfchen. Kleine Allinante. Verdunkelte Blatthälfte. Farbe der Trophoplasten 2—3, näher 3. Mittlere Größe aus 35 Messungen 5,0 a; Maxim. 6 », Minim. 4 g. Tro- phoplasten im Leben fast homogen, nach Zusatz von Essigsäure weniger Tröpfchen als im unverdunkelten Blatteile.- Allinante sehr selten. Am 24. VIII. untersucht. Unverdunkelte Blatthälfte. Farbe der Trophoplasten 1—2, näher 2. Durchschnittsgröße 5,5 « (25 Messun- gen). Verdunkelte Blatthälfte. Farbe der Trophoplasten 2. Mittlerer Durch- messer 5,2 u (25 Messungen), Versuch 6. Am 16. VII. wurden von einer jungen Topfpflanze VIII mit 26 cm langer Hauptachse, die nur drei er- wachsene Blätter entwickelt hatte, die jungen Zweige entfernt und die Blätter. halbseitig verdunkelt. Kleine Allinante. 6 Fig. 16. Skizzen der Umrisse von Palisaden- zellen mit Trophoplasten nach Osmiumsäure- zusatz zu lebenden Zeilen. Der Kern ist nach Zusatz von Jodjodkalium aus einer anderen Zelle eingezeichnet. a) Nach 5tägi- ger Verdunkelung des Blattes 2 der Pflanze VI am 9. August gezeichnet (das Blatt hatte vor dem Zeichnen zur Zerstreuung der Tro- phoplasten einige Stunden im Tageslicht gestanden). b) Gezeichnet, nachdem das- selbe Blatt 2 Wochen beleuchtet worden war. Objektiv !/,,, Ölimmersion, Okular 4. Vergr. 1300. Am 21. VIII. wurde das Stanniol entfernt und von der Pflanze, deren Hauptachse jetzt 33,5 cm lang war, die Spitze in einer Länge von 20 em abgeschnitten, Sie wurde bis zum 25. VIII. unter die mit feuchtem Fließ- 110 Arthur Meyer, papier ausgekleidete Glasglocke gestellt, dann unbedeckt im Glashause weiter kulti- viert. Vom 25.—30. VII. war das Wetter trübe, dann sonnig. 16. VIRT 21. VII. 27. VI. 30. VIIL beide unver- | ver unver- ver- unver- | ver- Haälft.| dunkelt dunkelt dunkelt . dunkelt dunkelt | dunkelt - dgr dgr | gr der dgr dgr der Xanth, 4 !Xanth. 3—4| Xanth. 4 | Xanth. 4 | Xanth. 4 | Xanth, 4 ; {ganz gleich ! dem unver- h dunkelten | Spreitenteil) 2 | der dgr ' her dgr gr-hgr dgr gr, hg und ° | fast weiß- | fleckig Xanth. 4 | Xanth. 3 | Xanth. 4 |Xanth. 3—4| Xanth, 4. |Xanth. fast4 3 | dgr der | her dgr ear—hgr dgr gr-hgr ein Teil des! Rand stirbt Randes ab- ab H gestorben Xanth, 4 | Xanth. 3 | Xanth. 4 |Xanth. 3—4 | etwas helle: | ! als Blatt 2 i Die verdunkelte Hälfte von Blatt 2 war am 30. VIII. nach der Mitte des Blattes zu gr, dann etwain der Mitte des verdunkelten Blattstäckes waren hellgrüne und fast weiße Stellchen gemischt, der äußerste Rand war hellgrün. Im weiteren Verlaufe der Beleuchtung wurden die fast weißen Stellchen heilgrün, die hellgrünen gr, so daß am ?. IX. die weißen Stellchen zu vereinzelt waren. Aber schon am 30. VII. war kaum ein Unterschied zwischen den Blatthälften bei der Xantho- proteinreaktion zu bemerken. Wir haben in dem Kapitel 3 Erfahrungen über die Lösung und das Auswandern des ergastischen Eiweißes der Chloroplasten und die gleichzeitige Farbenänderung des Blattes kennen gelernt. Wir sahen, daß mit der Spaltung Auswanderung oder Veratmung des Eiweißes der Chloroplasten ein Kleinerwerden der Chloroplasten und danach eine Abnahme der Chlorophylimenge der Chloroplasten eintrat, während die Kerne ihr Volumen weniger änderten und ihre Nukleolen nicht merklich lösten, solange noch etwas Chlorophyli in den Chloroplasten vorhanden war. Dasselbe konnten wir wieder in diesen. Versuchen verfolgen, so lange wir die Blatthälften verdunkelten. Wir konnten auch feststellen, daß mit der Länge der Verdunkelung die Xanthoprotein- reaktion immer heller ausfiel, bis sie bei gr-hgr auf etwa 3 gesunken war. Wenn die Farbe der gedeckten Hälften durch die Verdunkelung hgr geworden war, so waren die Chloroplasten noch nicht so weit ge- schwächt, daß die Fiweißerzeugung in den nun beleuchteten Hälften Eiweißstoffwechsel und Vergliben der Laubblätter des Tropasolum majus. 111 kleiner sein mußte als die Eiweißlösung während der Nacht. Die zu große Schwächung der Chloroplasten bewirkt, wie wir sehen werden, vielleicht zuerst eine zu geringe Produktion von Kohlehydraten am Tage und dadurch eine stärkere Lösung des ergastischen Eiweißes der Chromatophoren während der Nacht, die nicht durch die am Tage stattfindende Synthese von Eiweiß ausgeglichen werden kann, wenn die Chloroplasten zu klein geworden sind. Bei guten Assimilationsverhält- nissen konnten die nicht zu stark gealterten Chloroplasten wieder Ei- weiß speichern und langsam ihren normalen Chlorophyligehalt wieder herstellen, In dem Versuche 1 war durch eine fünftägige Verdunkelung in der einen Spreitenhälfte des Blattes 2 die Eiweißmenge in den Chloro- plasten so verringert, daß die Xanthoproteinreaktion nur die Färbung 3 gegenüber der Färbung 4 der unverdunkelten Blatthälfte ergab, wäh- rend zugleich der Durchmesser der Chloroplasten von 5,4 auf 3,6 „a und die Biattfärbung von Dunkelgrün auf grün herabgegangen war. Die Verschiedenheit der Blattfärbung und die der Xanthoproteinreaktion ließen sich ganz genau erkennen, genauer feststellen als sie durch die Bezeichnung ausgedrückt werden können, wie sich auch das Gleich- werden der Reaktionsfärbung ganz genau verfolgen ließ, da die Xantho- proteinreaktion mit einem Streifen der Spreite vorgenommen wurde, in dem die verdunkelte Stelle direkt an die unverdunkelte grenzte. Als das Blatt 2 nun ganz beleuchtet worden war und die Assi- milation der Chloroplasten 11—12 Stunden angedauert hatte, hatten die Chloroplasten einen Durchmesser von 4,7 „ erlangt, und die Spreite gab die Xanthoproteinfärbung 3--4, die Färbung der unverdunkelten und der verdunkelten Hälfte der Spreite war dabei absolut gleich. Also: ungefähr 132 Stunden danach be- 120 Stunden verdunkelt Teuchtet und 132 Stunden dunkel Farbe der Spreite gr, teilweise gelbgrünflackig grün Durchmesser der Chloroplasten 3,6 . 4,7 Xanthoproteinfärbung 3 - 34 Bei Blatt 2 des Versuches 2 stellten sich die Verhältnisse folgender- maßen: danach ungefähr 96 Stunden be- 144 Stunden verdunkelt leuchtet und 96 Stunden dunkel Farbe der Spreitenhälfte gr—hgr . . - . - gr—har Farbe der Chloroplasten 3 . - rn 2--3, näher 3 Durchmesser der Chloroplasten “2 . 0, B ast Xanthoproteinfärbung 3 - - 112 Arthur Meyer, Bei Blatt 2 des Versuches 3 beobachteten wir: Q, ungefähr 108 Stunden beleuchtet 120 Stunden verdunkelt end 108 Stunden dunkel ron. gr, hellgrün und fast weißfleckig von einzelnen Zellen, welche ihre Chloroplasten nicht wieder auffüllten und die farblosen Klumpen enthalten. Xanthoproteinreaktiin 8 . 2 ...2...0. fastd. Schließlich will ich noch darauf aufmerksam machen, daß in den in diesem Kapitel beschriebenen Versuchen sich an den verdunkelten und unverdunkelten Stellen der Spreite eher Gleichheit der Xantho- proteinreaktion einstellte als Gleichheit der Grünfärbung der Blatt- fläche. Bei genauer Beobachtung sah man stets, daß die Bildung des Chlorophylls in den Chloropiasten der Aufspeicherung des Eiweißes nachhinkte. 5. Einfluß verschiedener Faktoren auf die Verfärbung der Blätter. Um uns über die Wirkung äußerer und innerer Einflüsse auf den Vergilbungsprozeß zu unterrichten, beginnen wir mit einem Versuche, welcher uns über die Wirkung der Saugung der wachsenden Pflanzen- teile aufklären soll. Versuch 7. Vergleichung der Farbenänderung der Blätter der Pflanze IV, deren Haupt- achsenspitze wuchs, mit der Pflanze V, deren Hauplachsenspitze abgeschnitten worden war. Pflanze IV: Topfpflanze mit 14,5 cm langer Hauptachse, sieben erwachsenen und sieben jüngeren Blättern. Am 20. VIII. ist die Hauptachse 54 cm lang und trägt außer den sieben Versuchsblättern neun erwachsene und acht junge Laub- blätter. Am 31. VIII. ist die Hauptachse 94 cm lang und trägt außer den sieben Versuchsblättern 14 erwachsene und 11 junge Laubblätter. Pflanze V: Topfpflanze mit fünf erwachsenen Laubblättern; die Hauptachse ist in 8,5 cm Höhe, vom Boden an gerechnet, abgeschnitten. Von beiden Pflanzen wurden Zweige und Blüten fortgesetzt entfernt. Bei beiden Pflanzen wurde jede Blattspreite der beim Beginn des Versuches ausgewach- senen Blätter halb mit Stanniol umhüllt, so daß eine am Tage beleuchtete und eine fortgesetzt verdunkelte Blatthälfte zu unterscheiden war. Mikroskopische Untersuchung der unverdunkelten Seite des tiefdunke)grünen Blattes am 30. IX, Ich habe dem Blatte die Bezeichnung tdgr gegeben, weil sie so dunkel war, daß man sie nicht mit dgr bezeichnen durfte. Die Chloroplasten dieses Blattes, welches anormal alt geworden war und relativ lange Zeit assimiliert hatte, waren auffallend groß und reich an sehr deutlichen Sekrettropfen. Der mittlere Durch- messer (30 Messungen) betrug 7,3 », der Durchmesser des kleinsten der unter- suchten Chloroplasten beirug 5 w, der des größten 9,5 x. Die Färbung war =2. In den allermeisten Mesophylizellen Isgen 1-3 große Sphäritenkomplexe. Wie Pr Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeoium majus. 3 11 Verdunkelte Blattseiten der Pflanze IV. = E 3. VIIL}6. VIIL| 9. VIII | 21. VI} 13. VEIL| 15. ViI.| 17. VIIL}20, Von. 1 dgr dgr der hgr R. ge gegr gegr-fl | M. her 2 dgr dgr gr R. gegr | R. gegr R. ge t. ge-w M.gr | M. ber | M. gegr | Al. gegr 3 der der R. gegr | R. ge ge M. her | M. gegr 4 der dgr hgr ge 5 dgr gr gegr 6 dgr gr gegr 7 dgr | gr-her ge Bei den gedeckten Hälften begann der Rand {R.} oft schneller gel» zu werden als die Gegend in der Mediane (M.) des Blattes, weshalb wir dann beide Partien besonders bezeichnet haben. Unverdunkelte Blatiseite der Pflanze IV. | hi inc virt| 24. VIIt.|25. VII |27. VII.) 5. IX. | 9. 1X. | 12. IX. 1 der der dgr dgr gr her ge-fl ge 2 der dgr dgr dgr gr gegr ge 3 der der dgr gr gr ge 4 der dgr her hgr gegr ge 5 der der ge-fi ge 6 dgr gr gegr gegr ge 7 dgr gr ge Verdunkelte Blattseite der Pflanze V. E 17. VIH. | 22. VII. | 24. VIII. | 28. VI. [3% VINn. 1 gr her R. gegr | R. gegr! R. ge M. her | M. her | M. gegr 2 hgr R. gegr | R. gegr R. ge M. her | M. her | M. her ’ er | her 4 R. gegr |. R. ge M. ber | M. her 5 hgr R. gegr | R. ge Mer | M. her s 114 Arthur Meyer, Unverdunkelte Blattseite der Pflanze V. Alle Blätter blieben bis zum 28. VIII. dunkelgrün. 31. VIIL. 30. IX. gr hegr ge überall fehlten auch hier Oxalatkristalle in den Mesophylizellen. Mit Millon’s Reagens färbten sich die Chloroplasten des mit Alkohol ausgezogenen Materials äußerst stark braunrot. Die makroskopische Xantho- ! _ Bu proteinreaktion des Blattes lieferte eine Färbung, die ü A . man fast als & bezeichnen müßte. P Die Sphäritenkomplexe (s. Fig. 17) wurden an BE Alkoholmaterial untersucht. Es zeigte sich, daß diese j N auch in der lebenden Zelle gleich reagierenden Sphä- rite kein Eiweiß und keine Kohlehydrate enthielten. Sie lösten sich in Pikrinsäure und in verdünnter Essigsäure. Mit Schwefelsäure bildeten sie Gipsnadeln und mit in Salpetersäure gelöstem molybdänsaurem Ammon reichliche Kristalle von phosphormolybdän- saurem Ammon. Beim Glühen wurden sie anfangs sehr schwarz gefärbt. Sie bestehen danach aus Kal- Fi zium, Phosphorsäure und einer organischen Substanz. ir \ ö Vielleicht sind sie Kalziummalophosphat (?) (Belzung u en 1893, pag. 265). | Bei Vergleichung der Tabellen sehen wir 4 deutlich, daß sowohl die verdunkelten als die Bu unverdunkelten Blatthälften langsamer gelb ; werden, wenn sie an einer Pflanze sitzen, 2 nn deren wachsende Spitze entfernt ist, als dann, F wenn sie eine Pflanze trägt, deren Spitze er- lit halten ist. Augenscheinlich wirkt die wach- ig. 17. SkizzeeinesStückes sende Spitze des Sprosses auf die Lösung des einer Palisadenzelle der un- uni verdunkelten Blattseite des Liweißes der Chloroplasten anregend. vier Plaites atophoren x An unserer intakten Versuchspflanze war Sphäritenkomplex einer in von den verdunkelten Blatthälften der sieben 2%iger Osmiumsäure lie- & ; F ge "Men lebenden Palisaden- Blätter die Blatthälfte des ersten nach 17 Tagen zeile. Vergr. 1300, von dgr auf ge gekommen. Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 115 Von den sieben unverdunkelten Blatthälften war die Blatthälfte des ersten Blattes nach 39 Tagen gelb geworden. An der geköpften Pflanze war von den verdunkelten Blatthälften der fünf Blätter die des ersten, welches der anregenden Wirkung mehr unterworfen war als das erste der intakten Pflanze, nach 28 Tagen von dgr auf gelb gekommen. Von den fünf unverdunkelten Blatthälften war die des ersten Blattes nach 43 Tagen noch dgr. Wenn wir zuerst nur die das Vergilben, also auch die Lösung des Eiweißes befördernde Wirkung der wachsenden Sproßspitze berück- sichtigen, so wird sie verständlich, wenn wir beachten, daß aus dem Blatte nach den wachsenden Organen der Sproßspitze eine Auswanderung der Spaltungsprodukte des Eiweißes stattfindet, die unterbleiben muß, wenn die wachsenden Teile entfernt sind. Die wachsende Spitze wirkt durch Wegnahme und Festlegung der Spaltungsprodukte des Eiweißes gleichsam ansaugend auf die Eiweißstoffe ein, ähnlich wie es die Speicher- organe der Pflanze tun. Wir können es ja direkt mikroskopisch sehen, daß die wachsende Spitze außer Stärke auch die Eiweißstoffe der Chloroplasten zur be- schleunigten Lösung veranlaßt, und nach Analogie unserer Erfahrung mit den Blättern der Laubhölzer, die unter dem saugenden Einfluß der Reservestoffe speichernden Achse stehen, müssen wir auch annehmen, daß die Eiweißstoffe bei Tropaeolum auswandern. Daß eine solehe Auswanderung z. B. aus den Blättern der Platane stattfindet, zeigen die Zahlen von Tueker und Tollens (1900). Sie fanden in 5000 gem Blattfläche der zwei ältesten Blätter an den Zweigen der Platane, die am 8. X. schon einzelne gelbe Flächen zeigten, am 5. XI. abgestorben waren, folgendes: Datum N KO BO, 15. VI. 090 032 019 @.vI. 071 031 018 7X 074 03 0,18 8x. O1 04 0,14 24. x. 030 0,17 0.09 3X. 019 020 0,07 Die drei wichtigen Substanzen wandern also vom Oktober ab, wahrscheinlich schon von Mitte September ab, stark aus den Blättern aus. Dasselbe zeigen auch die Versuche von Swart. welcher grüne Blätter kurz vor der Färbung mit solchen verglich, welche unmittelbar nach der Verfärbung, ungefähr 3 Wochen nach dem Pflücken der grünen Blätter, gesammelt worden waren. gr 116 Arthur Meyer, Grün Gelb No. 145 0,46 PO, : 0,47 0,26 X Liriodendron tulipifera KO. 0,87 0,68 N 1,80 0,59 P,0, 0,98 0,664 Ginkgo biloha K,0 0,78 0,44 N... 1,06 0,25 PRO, . 0,34 0,21 4 Parotia persica KO. 049 0,39 Daß der Stickstoff ganz oder teilweise von dem Eiweiß herrührt, lehren z. B. die Zahlen von Sehultze und Schütz (1909, pag. 325), die in 20Q Blättern von Acer Negunde am 2. bis 6. IX. 0, 811g Eiweiß-N, am 25. IX. 0,49 Eiweiß-N fanden. Vielleicht wandert auch der P ganz oder teilweise in Form organischer Verbindungen, die Spaltungsprodukte des Eiweißes sind. Wir kennen die Zusammensetzung des ergastischen Eiweißes der Chromato- phoren nicht, doch scheint es nach mikrochemischen Erfahrungen nicht unmöglich, daß es Nukleinsäure enthält. Ebenso sind wohl die Nukleolen P-haltig. Es wandert durchschnittlich so wenig P im Verhältnis zum N aus, daß N und P sehr wohl ganz von Nukleoproteinen herrühren könnten. Die abfallenden Blätter unserer Laubbäume enthalten immer noch N und P. Ramann {1912) sammelte grüne „und zugleich abgestorbene und abgetrock- nete Blätter desselben Baumes, die bei leichier Erschütterung der Äste abfielen“. Er fand in 1000 Teilen Troekensubstanz: Eiche Birke Ahorn Robinie grün abgest. grün ubgest. grün abgest. grün abgest. KO... 11,54 4,99 13,01 7,25 10,73 7,87 18,01 17,06 PO, ... 67 3,59 2,87 2,09 2,61 1,93 3,87 2,49 N..0.0.2188 11,49 25,16 13,82 16,05 4,64 29,01 14,67 Bei einer anderen Reihe von Untersuchungen fand er, daß von N in den Blättern zurückblieben bei der Eiche 54,6 %, Birke 49,4%, Ahorn 28,9%, Robinie 60,6 %- Die jährlich die Blätter abwerfenden Bäume sind vielleicht darauf eingerichtet, daß sie hauptsächlich die zur Synthese des Eiweißes besonders geeignete Spaltungsprodukte der Eiweißstoffe in die Achsen saugen, die Hauptmasse der übrigen N- und P-Verbindungen ihren Wurzeln durch die abfallenden Blätter wieder zuführen.” Die Pflanzen, welche die Blätter an der Achse verdorren lassen, schicken vielleicht auch nur die Spaltungsstücke der Eiweißmoleküle in die Achsen, könnten aber auch den anorganischen N untl die anorganische P,O, Eiweißistoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 117 mit zurücknehmen. Ganz ausgesogene Blätter dieser Art wurden noch nieht untersucht. Die Blätter von Laserpitium latifolium, welche Swart ünfersuchte, waren noch nicht genügend ausgesogen. Die gesonderte Untersuchung der nach Alter und Färbung geordneten, von großen Kulturen einer Rasse von Tropaeolum iajus gesammelten Blätter würde die Frage der Auswanderung aller wichtigen Stoffe beim Altern der Blätter einwandfrei lösen können. Das Chlorophyll verschwindet aus den Blättern vollständig mit der Lösung des ergastischen Biweißes der Chloroplasten. Die grüne Farbe des Blattes blaßt selten gleichmäßig ab, meist bleibt das Chloro- phyli in der Umgebung der Nerven am längsten erhalten. Stahl (1909, pag. 132) kommt durch dieses Verhalten der Blätter zu der Meinung, daß das Chlorophyll in ähnlicher Weise durch die Leitbündel auswandere wie die Stärke, und zwar in Form seiner Abbauprodukte. Als Beweis dafür betrachtet er die Tatsache, daß abgeschnittene Blätter langsamer vergilben als solche, die an der Achse sitzen, ebenso ausgestanzte Stücke, daß sich ferner über durchschnittenen Leitungs- bahnen das Grün länger hält. Er meint dann (pag. 530), daß der gelbe Anteil, der nur aus CHO besteht, in der Pflanze verbliebe, der grüne zerstört würde, weil er Mg und N enthielte und diese von der Pflanze gebraucht würden, daß also Mg und N des Chlorophylis auswanderten. Davon, daß der Chlorophylifarbstoff als solcher auswandere, sieht man nirgends etwas (s. auch Swart 1914, pag. 75). Daß Mg wahr- scheinlich nicht auswandert, zeigte Swart (pag. 78). Dafür, daß N des Chlorophylis auswandere, haben wir keinen Anhaltspunkt. Dennoch wäre es nicht unmöglich, daß die biologische Deutung, welche Stahl lem Verbleiben der gelben Farbstoffe und den Verschwinden der grünen Farbstoffe gibt, im wesentlichen richtig ist. Mir ist es jedoch wahrscheinlicher, daß sich die Sache folgendermaßen verhält. Das Grünbleiben der Chloroplasten in der Nähe der Leitungsbahnen hat seinen Grund darin, daß das Chlorophyll in dem Maße zersetzt wird, als ergastisches Eiweiß aus den Chloroplasten auswandert, und daß. kurz gesagt, das Chlorophyll sich ähnlich wie Stärke verhält. Bei Unterbrechung der Leitungsbahnen, welche die Spaltungsprodukte des Eiweißes abführen, verzögert sich dessen Verschwinden aus den Chloro- plasten und damit die Zersetzung des Chlorophyllfarbstoffes. Ehe wir uns auf die Besprechung der Tatsache einlassen, welche unser Versuch 7 auch lehrt, daß der Mangel ıles täglichen Lichtgenusses das Vergilben beschleunigt, wollen wir einen Versuch (8) beschreiben, welcher uns das Verhalten abgeschnittener und verdunkelter Blätter zeigt. 118 Arthur Meyer, Bei solchen Blättern entspricht einer bestimmten Färbung der vergilbenden Blätter ganz dasselbe mikroskopische Bild, wie es in Ab- schnitt III für die an der Achse normaler Pflanzen vergilbten Blätter geschildert wurde, und doch muß die Verminderung des Eiweißes des Proto- plasten hier von ganz anderen Faktoren bestimmt werden wie bei diesen. Wir haben früher (Deleano 1912) das makrochemische Ver- halten von im Dunkeln wachsenden Blätter untersucht. Wir arbeiteten mit Weinblättern. Die Blattspreiten wurden im Mediannerven durch- geschnitten, und jeder zu untersuchenden Portion gleich viele rechte und linke Hälften zugeteilt. Die eine Portion wurde getrocknet, die andere eine bestimmte Zeit atmen gelassen und dann ebenfalls ge- trocknet. Wassergehalt der Portionen und erzeugte CO, wurden be- stimmt. Ich teile ein paar Versuchsresultate mit. Für 100 g Frischgewicht fanden sich in Grammen: Direkt untersuchte Blatt- Nach der Direkt untersuchte Blatt- Nach der hälften Atmung hälften Atmung Atmungszeit. . . 22 Stunden Atmungszeit. , . 144 Stunden 5,48 Kohlehydrate . . 5,31 Stärkereaktion . . schwach 0,67 Gesamt-N. . . : 0,66 6,81 Kohlehydrate . . 3,99 0,55 Eiweiß-N. . . . 0,54 0,36 Gesamt-N . . . 0,64 0,12 Extrakt-N . . . 0,12 0,54 Eiweiß-N. . . . 0,49 Kohlensäure. . . 0,21 0,09 Extrakt-N . . . 0,15 Kohlensäure. . . 4,41 Atmungszeit. . . 45 Stunden Stärkereaktion . . stark Atmungszeit. . . 288 Stunden 5,67 Kohlehydrate . . 4,84 Stärkereaktion . . fehlend 0,67 Gesamt-N. . . , 0,66 7,54 Kohlehydrate . . 1,11 0,57 Eiweiß-N. . . . 0,56 0,64 Gesamt-N. . . . 0,66 0,10 Extrakt-N . . . 0,10 0,10 Extrakt-N . . . 0,24 Kohlensäure . . . 1,09 Kohlensäure. . . 9,20 Aus der Gesamtheit der gemachten Untersuchung ging hervor, daß bis zu ungefähr 100 Stunden Atmungszeit, wo in der nach der Atmung untersuchten Portion ungefähr 4 g statt der anfangs vorhan- denen 6 g Kohlehydrate gefunden wurden, die Eiweißstoffe annähernd intakt bleiben. Der Eiweiß-N bleibt bis zu 100 Stunden konstant. Die nach 288 Stunden gefundenen 0,45 g Eiweiß-N entsprechen ungefähr 2,81 g Eiweiß, davon waren in den 6 Tagen nach Beginn des Eiweiß- verbrauches 0,81 g verloren gegangen. Zugleich hatte der Extrakt-N zugenommen von 0,1 auf 0,24 g. Es waren also anscheinend alle N- haltigen Spaltungsstücke des Eiweißes noch in der Zeile vorhanden, denn die 0,14 g N entsprechen ungefähr 0,87 Eiweiß. Diese Zahlen können uns selbstverständlich nur einen Fingerzeig dafür geben, was in der Einzelzelle, ja in einem einzelnen Blatt, wäh- rend des Vergilbens durch die Atmung geschieht, da verschieden alte > Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 119 und verschieden stärkereiche Blätter gemischt waren, die sich in ver- schiedenen Vergilbungsstadien befanden, als die makrochemische Unter-, suchung der Probe stattfand. Einen klaren Einblick in die Verhältnisse, die in jedem Zustande der Verfärbung herrschen, würde man nur erhalten, wenn man der Blätter von Tropaeolum abschnitte und im feuchten Raume bis zu den Färbungen dgr, gr, hgr, sehr hgr, dunkel ge atmen ließ und die von gleicher Färbung gesondert sammelte und auf Kohlehydrate, Gesamt-N, Eiweiß-N, Extrakt-N untersuchte. Wir können aber nach unseren Zahlen schon voraussehen, daß der Eiweißstickstoff bis zu einem gewissen geringen Kohlehydratgehalt der abgeschnittenen Blätter erhalten bleiben wird, daß aber dann eine energische Zerspaltung des Eiweißes und eine Veratmung der C-haltigen Spaltungsstücke eintreten wird, während der N in irgendeiner Form, z. B. als Ammoniak, in der Zelle zurückbleibt. Die Kohlehydrate schützen also das Eiweiß vor Lösung infolge der Atmung. Was uns von den Resultaten des Versuches 8 zuerst interessiert, ist, daß 1. die abgeschnittenen auf Wasser liegenden Blätter beim Verdunkeln ganz denselben Farbenwechsel zeigen wie die an der Achse sitzenden, daß aber nicht regelmäßiges fl-werden eintritt, sondern, daß sich oft unregel- mäßige Bezirke ausbilden, die selbständig vergilben und verhältnismäßig oft gegr werden; daß 2. die abgeschnittenen Blätter laugsamer vergilben als die der Saugung des abgeschnittenen Sprosses ausgesetzten Blätter. Das abgeschnittene Blatt IV (Versuch 8) brauchte 31 Tage, das Blatt 3 desselben Versuches an dem abgeschnittenen Sprosse mit 15 Blättern 13 Tage, die verdunkelte Blatthälfte des an der intakten Pflanze mit 14 Blättern sitzenden Blattes 2 (Versuch 7) 14 Tage, die verdunkelte Blattseite des zweiten Blattes der geköpften Pflanze V, mit fünf Blättern (Versuch 7), 20 Tage. Durch die Tag und Nacht erfolgende Atmung des abgeschnittenen Blattes allein werden also die Kohlehydrate, welche das Eiweiß vor Lösung schützen, relativ langsam verbraucht, während durch die Atmung + die Saugung der wachsenden Spitze dieser Verbrauch schneller erfolgt, so daß Lösung des Eiweißes und Gelbwerden relativ bald eintritt. Es ist deshalb auch erklärlich, daß Tucker und Tollens (1900, pag. 41) fanden, daß 5000 gem Blattfläche der Platane (5,54) enthielten am 24. X. in ungedeckten Blättern 0,302 g N in gedeckten Blättern 0271g N am 9. XI. in ungedeckten Blättern 0,430 g N in gedeckten Blättern 03118 N Arthur Meyer, 120 Versuch 8. Am 14. August wurde von einer im Freien wachsenden Pflanze mittags ein Sproß mit 16 erwachsenen Laubblättern, von denen das unterste schon gelb war, wie die Tabelle zeigt, abgeschnitten, von Zweigen, Blüten und Früchten befreit und mit dem Die Blätter, die in der Tabelle mit römischen Ziffern bezeichnet sind (II, IV, VL, VII, X, XH, XIV), wurden vom Sprosse entfernt und, ohne Stiel, mit der Oberseite auf Wasser gelegt. Der Sproß und die Schale mit den abgeschnittenen Blättern wurden in den Dunkelschrank gestellt. Der Sproß wuchs eine Zeitlang. unteren Ende in ein Glas mit Wasser gestellt. 17. VIE 20. VIII Hu der 8 der IV dgr 5 der gr hgr vI dgr gr gt 7 dgr gr her vo der gr ‚M. gegr gr 8 dgr gr gegr x gr hgr und hgr und gegr gegt ıi her hgr ge Xu her her, gegı gegr Flecken 13 her ge gegr-fl XIV | her, gegr | hgr, gegr geogr Flecke Flecke 15 gegr ge 16 21. VIH. 22. VIM, hgr R. ge-fl her gr gr hgr her, ge Flecken gr gr her hgr und gegr-fl gegr gr. gegr gr, gegr Flecken Flecken gegr ge R. gr gegr M. gegr ge und ge gegr her und hgr und gest gegt ge und ge gegt gegt, 8° Fiecke ge, gest Flecke 23. VII. R. ge-fl her gr, har Flecken her, ge Flecken her hgr und gegr gr, gegr Flecken gegr R. gegr ge ge 24. VIIL R. gegr hrg hrg, gegr Flecken gr, gegr her, gegr Flecken hgr, gegr ge her, gegr Flecken fast ge ge 4. IX. 27. VIIL 15. IX. 80 gegr ge‘) ge gegr gegr ge ge ge teilw. faul ge | | Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 121 Beschleunigt wird selbstverständlich das Gelbwerden der auf Wasser liegenden, abgeschnittenen Blätter durch jeden Einfluß, welcher die Intensität der Atmung erhöht. So können z. B. Verletzungen des Blattes das Vergilben der verletzten Stellen oder des ganzen Blattes beschleunigen. Daß die Lösung des ergastischen Eiweißes der Chloroplasten kein Vorgang ist, den die Achse in irgendeiner Weise unterstützen muß, sondern ein Prozeß, der von dem Protoplasten des Blattes, vielleicht vorzüglich von den Chloroplasten, durchgeführt wird, sobald Mangel an Kohlehydraten eintritt, geht daraus hervor, daß dieser Prozeß auch in abgeschnittenen Blättern vor sich geht. : Wenn ich die Atmung und die Absaugung die Wegnahme zuerst der Kohlehydrate, dann der C-haltigen Spaltstücke des Eiweißes be- sorgen lasse, so daß die Wirkung des Protoplasten oder vielleicht seiner Enzyme voll einsetzen kann, so muß die Lösung des Eiweißes sehr schnell vor sich gehen. Daß das in der Tat der Fall ist, zeigt Versuch 9. Versuch 9. Das Blatt 3 einer gegeizten Topfflanze mit sieben erwachsenen Blättern und einer mit sieben noch nicht völlig erwachsenen Blättern besetzten Spitze von 80 cm Länge wurde in einen tubulierten Glaskolben, dessen einer Tubus mit einer Natron- kalkröhre verschlossen war und auf dessen Boden sich Kalilauge befand, luftdicht eingeschlossen und beleuchtet. Nach 4 Tagen war das Blatt völlig bell-ge, nur um die Nerven befand sich noch ein hellgrüner Rand von höchstens 0,3 mm Breite. Obgleich die Pflanze sehr stark wuchs, war Blatt 5 noch dunkelgrün. Unter normalen Verhältnissen kommt in den Blättern die Atmung als die Eiweißlösung beschleunigender Prozeß gar nicht zur Wirkung, da ja durch die Assimilation, wenn sie kräftig genug ist, immer wieder soviel Kohlehyrat gebildet wird, daß trotz Atmung + Alıleitung das Eiweiß vor dem Angriff durch Atmung geschützt bleibt. Nachdem, was wir bisher kennen gelernt haben, ist es sicher zu erwarten, daß man bei genauer makrochemischer Untersuchung des Ei- weißgehaltes der Blattspreiten normal vegetierender Pflanzen am Mor- gen weniger Eiweiß in den Spreiten finden wird als am Abend. Es muß eine Zunahme des Eiweißes am Tage erfolgen, in der Art wie wir sie in Abschnitt 4 kennen lernten, wenn die Chloroplasten nicht durch die ganztägige Absaugung des ergastischen Eiweißes mehr und mehr an Volumen abnehmen sollen. Schulze und Schütz (1909, pag. 325) haben in 200 annähernd gleich großen Blättern von Acer Negundo an Eiweißstickstoff gefunden, am: 122 Arthur Meyer, Morgens Abends TV. 0,81 8 0,67 8 6. VL 0,87 8 105 8 5.VI. Lig 125 g 2. VII 0,778 079 8 Hier tritt deutlich ein Unterschied im Eiweißgehalte der am Morgen und Abend gesammelten Blätter hervor. Bei Benutzung gleichaltriger und bei sorgfältiger Messung der Blattflächen würde man wohl noch größere Unterschiede feststellen und einwandfreie Zahlen erhalten können. Da die Lösung des Eiweißes der Chloroplasten ein Vorgang ist, der von dem Protoplasten selbständig durchgeführt wird, so ist zu er- warten, daß noch andere als die hier aufgeführten, hauptsächlich in Betracht kommenden Faktoren die Energie der Eiweißlösung und das Vergilben unter Umständen beeinflussen könnten. Was nun die Tatsache, daß die ältesten Blätter eines Sprosses stets zuerst vergilben, die anderen ihrem Alter nach folgen, welche wir in Versuch 1 und 7 klar hervortreten sehen, betrifft, so ist diese Er- scheinung schon lange bekannt. Stahl (1909, pag. 132) und ebenso Swart (1914, pag. 10) machen darauf aufmerksam. Swart bespricht die Bedeutung des „Alterunterschiedes“. Er sagt: „Die Arten, die im Frühling ihre Blätter in weit auseinanderliegenden Fristen entfalten, sehen wir gleichzeitig mit ganz vergilbten und noch frischen grünen Blättern versehen; andere Arten wieder, an denen sich sämtliches Laub fast zu gleicher Zeit entwickelt, haben sich dementsprechend auch gleichmäßig mit ihrer Herbstfarbe geschmückt.“ pag.113 finden wir: „Kurz zusammen- gefaßt können wir also unsere anfänglich gestellte Frage dahin beant- worten, daß das Ableben der Blätter in der Hauptsache selbstregulato- risch erfolgt und sich im allgemeinen als Alterserscheinung dokumentiert.“ Es ist selbstverständlich, daß die Lebensgrenze, welche (s. Arthur Meyer, 1906) jedes aus sich nicht mehr teilenden Zellen bestehende Organ besitzt, von Bedeutung für die maximale Zeit ist, nach welcher das Vergilben eines Blattes eintreten muß. Aber es vergilbt das Blatt oft normalerweise viel früher als es aus Altersursachen sterben müßte, sodaß wir den Blattfali nicht ohne weiteres als „Alterserscheinung“ be- zeichnen dürfen. Wir sehen z. B. in Versuch 7 das Blatt 1 der normalen Pflanze nach 40 Tagen gelb werden, das der geköpften nach 58 Tagen noch dgr, so daß es also frühestens nach 90 Tagen ge sein würde. Es tritt also bei ganz normalem Wachstum der Pflanze die Gelbfärbung in der Mitte der Lebenszeit des Blattes ein. Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 123 Es spielt aber doch die Zeit, welche der Protoplast gearbeitet. hat, vielleicht die Dauer der Abnutzung der Maschine, eine Rolle bei dem Gelbwerden der Blätter. Es ist Tatsache, daß mit dem Alter eine „Schwächung“ der Organismen eintritt, wie man eine solche „Schwächung“ auch künstlich durch „schädigende“ Mittel hervorbringen kann. Ich habe die Frage der Schwächung untersuchen lassen. Garbowski (1907) fand, daß die Schwächung durch die verschiedensten Agentien mit demselben Resultate hervorgebracht werden kann. Ich habe nun ein Blatt mit Ammoniak geschwächt und sah, daß es relativ früh vergilbte. Versuch 10 demonstriert dieses Verhalten des Blattes. Versuch 10. Die benutzte Topfpflanze hatte am 3. VIII. eine 13 cm lange, sieben erwach- sene Laubblätter tragende Hauptachse. Am 22. VIIL. war die Hauptachse 100 cm lang und trug außer den Blättern fünf neue erwachsene und 16 junge Blätter. Die sieben erwachsenen Blätter vom 3. VIII, waren an dem folgenden Tage und demnach nach folgender Anzahl von Tagen gelb geworden: Blatt Am Nach Tagen 2 17. VIE 14 6 22. VIIL 19 5 30. VIIL 27 4 2. IX. 33 3 5. IX. 36 2 9. IX. 40 1. 11.IX 42 Das jüngste der am 22. VIII. außer den sieben vorhandenen ausgewachsenen fünf Blättern, welches also fünf Blätter von Blatt 1 nach der Spitze zu entfernt war, wurde den Dämpfen einer 5 %igen Ammoniaklösung 10 Sekunden lang ausgesetzt; es sah am 24. durchaus gesund aus, bekam aber schon am 27. im dgr gr Stellen und wurde am 11. IX. gelb. Es war also anscheinend eine Schwächung eingetreten, welche zur relativ frühen Lösung des Eiweißes führte. Wir können aber diesen Einfluß der Schwächung durch das Alter verdecken, wenn wir ein Blatt einer Pflanze gegenüber den anderen Blättern derselben Pflanze kohlehydratarm oder überwiegend kohlehydrat- reich machen. Das lehren uns z. B. die Blätter 4 und 11 des folgenden Versuches. Das an Kohlehydraten reiche Blatt 11 sollte seinem Alter nach früher vergilben als das kohlehydratarme Blatt 4; 11 vergilbt aber am 4. X., 4 sogar schon am 3. X. Bei Versuchen, in welchen die Altersunterschiede der Blätter durch den Kohlehydratreichtum derselben ausgeglichen werden sollen, ist zu beachten, daß sie an genügend lichtreichen und warmen Tagen angestellt werden müssen und daß die Stärkefreiheit des Blattes nicht ohne weiteres eine genügende Kohlehydratarmut gewährleistet. Nach 124 Arthur Meyer, Gast (1917, pag. 28) enthielt die trockene Blattsubstanz von Tropaeolum majus am 25. VIL 3 Uhr vormittags 5,6% Stärke, 2,6%, Saccharose, 0,7%, Maltose, 2% Dextrose 4- Lävulose. Man muß also Blätter, nach- dem sie ihre Stärke im Dunkeln verloren hahen, noch einige Zeit weiter verdunkelt an der Pflanze halten, wenn sie genügend arm an Kohle- hydraten werden sollen. Der Versuch 11 lehrt uns aber auch, daß dann, wenn ver- schiedene Reihen an der Pflanze sitzender Blätter in verschiedene Assimilationsverhältnisse, überhaupt in Verhältnisse, in denen ihr Ver- mögen, Kohlehydrate zu erlangen, in gleicher Art beeinflußt wird, für jede Reihe der Unterschied in den Zeiten, in welchen das Vergilben einer Reihe der Blätter stattfindet, erhalten bleibt. Versuch 11. Die benutzte, im Glashaus wachsende, gegeizte Pflanze besaß 18 ausge- wachsene Laubblätter. Das 1. und 13. Blatt enthielt Stärke. Es wurden die Blätter 3, 5, 7. 10 abgeschnitten und am 17. IX. im Dunkeln mit der Unterseite auf Wasser gelegt (....). Die Pflanze wurde verdunkelt. Am 20. IX. war das gr Blatt 1 und das gegr 13 stärkefrei. Jetzt wurde das schon ge-fl Blatt 12, das vereinzelte gegr Flecke zeigende Blatt 9 und das hgr Blatt abgeschnitten und im Dunkeln auf Wasser gelegt (—). Die Pflanze wurde am 20. IX. geköpft und an das Licht gestellt. Am 24. IX. enthielt das Blatt 1 in den Palisadenzellen wieder Stärke. Es wurde im Dunkeln auf Wasser gebracht: das hgr-fl Blatt 11, das hgr etwas ge-fl Biatt 8, das gleich aussehende Blatt 6 und das Iıgr Blatt 2 (==). Die Blätter vergilbten an den im folgenden angegebenen Tagen: 2 3 4 5 6 7 9 10 1 12 8 ENDEN GEN BEN 5X 4X 5X 28 IX. EX. 4.X. 27. IX. Also die ursprünglich stärkehaltigen Blätter: . . . . 3 5 7 10 EX. 5.X 4AaX 2X Die nach der Verdunkelung wieder durch Beleuchtung stärkehaltig gemachten Blätter: . . 2.2.2... 6 8 11 6.X%.5.X 8X 4X. Die stärkefreien Blätter: . - . 2 2 220.2. 04 9 12 3.X%. 28. 1X. 27. IX. "Das Wasser war abgekocht und die Blätter mit der Brause sorg- fältig gewaschen; sie blieben deshalb völlig pilzfrei. Das Vergilben trat an verschiedenen Blattstellen, wohl weil sie das Wasser verschieden be- rührten, sehr verschieden schnell ein, doch war die Verschiedenheit des Endtermins deutlich zu erkennen. Wenn wir wissen, daß der verhältnismäßige Kohlehydratreichtum von Bedeutung für die Vergilbungszeit ist, so werden wir wohl recht ».. Eiweißstoffwechsel und Vergilben der Laubblätter von Tropaeolum majus. 125 haben, wenn wir annebmen, daß auch in jeder Reihe der Gesamt- kohlehydratgehalt in den älteren Blättern geringer ist als in den jüngeren und deshalb auch die Schutzwirkung für Eiweiß. So würde sich die Tatsache erklären, daß das Vergilben in der Reihenfolge des Alters der Blätter erfolgt. Den Einfluß des Alters müßten wir dann in der verhältnismäßig geringen Produktion von Kohlehydraten durch ältere Blätter suchen. Wir besitzen auch für die verhältnismäßig kleine Assimilationsenergie alter Blätter schon ein Zeugnis. Willstätter und Stoll (1915) erhielten folgende Resultate: In einer Stunde gem Blatt- assimilierte CO, ın & 2. XI. Populus pyramidalis, tiefgrüne Blätter . . 376 0,152 2. X1. Derselbe Baum, gelbgrüne Blätter. . . . 336 0,031 30. VII. Acer pseudoplatanus, tiefgrün . . . - . 271 0,050 5.X „ » grüne Blätter mit gel- ben Flecken Den 344 0,064 26. X. Robinia pseudacacia, jüngere tiefgrüne Blätter, . 2 2200 on. 340 0,083 24. X. Derseibe Baum, ältere geiblichgrüne Blätter 355 9,01 Schöner würde es sich wohl für unsere Zwecke bei Tropaeolum zeigen lassen, daß die Assimilationsenergie von dgr nach gr, her und ge hin abnimmt, wenn man den CO,-Verbrauch eines an der Pflanze sitzenden dgr, gr, hgr und ge Blattes unter denselben Licht-, Kohlen- säure-, Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsverhältnissen bestimmte. Es müßten vier möglichst gleiche und gleich wachsende Pflanzen ausge- sucht und gegeizt werden, an jeder nur ein Versuchsblatt gelassen werden, und die Pflanzen noch 1—2 Tage vor dem Versuche neben- einander im Gewächshause in Kultur gehalten werden. Aber durch diese Bestimmung der geringeren Assimilationsgröße älterer, selbst der hgr Blätter, hätten wir wahrscheinlich keine einfache Größe gemessen, denn (liese Assimilationsenergie «des Blattes ist be- dingt durch das Kleinerwerden der Chloroplasten und die Schwächung des Organes, die durch das Altern desselben bewirkt wurde. Wir müssen die Schwächung des Organes und den Erfolg des Schwindens des ergastischen Eiweißes auseinanderhalten. Die Schwächung des Or- ganes ist der ursprüngliche Anstoß, der Abbau des Eiweißes die Folge ılieses Anstoßes, dann aber ein Faktor, welcher «das Vergilben be- schleunigt. Ich denke, daß durch meine Untersuchung eine etwas größere Klärung unseres Wissens von dem Vergilbungsvorgang bewirkt worden 126 Arthur Meyer, ist, einem Vorgang, für welchen sich auch mein verehrter Kollege Stahl interessierte, zu dessen Füßen ich als lernbegieriger Student saß. . Eine Zusammenfassung will ich nicht geben, da eine genaue makrochemische Untersuchung der Vorgänge, die sich bei der Atmung abspielen, noch fehlt. Meine Assistenten, Herr Dr. Ch. Kiehn und Herr Dr. Fr. J. Meyer, sind mir bei den Versuchen in dankenswerter Weise zur Hand gegangen und haben die Zeichnungen angefertigt. Botanisches Institut der Universität Marburg, am 15. Oktober 1917. Literatur. Belzung, Nature des Spheroeristaux des Euphorbes caleiformes. Journal de Bo- tanique 1893, Tome VII, pag. 221. Chrapowicki, Beobachtungen über die Eiweißbildung in den chlorophyliführenden Pfianzen. Arbeiten der St. Petersburger Naturforscher-Geselisch., Bd. XVII, pag. 1-27 [Russisch]. Referat von Rothert in Botan. Zentralbl. 1889, Bd. XXXIX, pag. 352. Deleano, Nicolas T., Studien über den Atmungsstoffwechsel abgeschnittener Laubblätter. Jahrb. f. wissensch. Botanik 1912, Bd. LI, pag. 541. Garbowski, L., Über Abschwächung und Variabilität bei Baeillus luteus und Ba- eillus tumescens. Dissert. 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Vor allem ist die Steigerung der C-Assimilation von entscheidender Bedeutung; bei Ab- nahme der Lichtintensität wird die geschlechtliche Fortpflanzung durch das Wachstum ersetzt, wie es für Vaucheria (Klebs 1892), später für andere Algen, Spirogyra, Oedogonium usw. (Klebs 1896), ebenso für verschiedene Phanerogamen (Vöchting 1893, Curtel 1998 u. a.) nach- gewiesen worden ist. Ich habe den Gedanken ausgesprochen (Klebs 1904, pag. 546), daß die wesentliche innere Bedingung für die Blüten- bildung in der Ansammlung gewisser organischer Substanzen, einer Steigerung ihrer Konzentration besteht, und Loew (1905, pag. 127) hat dann auf die besondere Bedeutung des Zuckers hingewiesen (vgl. auch H. Fischer 1905). Die Konzentration richtet sich in der Pflanze nach dem Verhältnis des aufbauenden und abbauenden Stoffwechsels. Alle anderen äußeren Bedingungen wirken in Verbindung mit dem Licht je nach ihrer Quantität bei der Entscheidung mit, ob Wachstum oder Blütenbildung eintritt. Größere Feuchtigkeit befördert das Wachs- tum, hemmt die Blütenbildung (Möbius 1897, pag. 113, Gain 1895); geringere Feuchtigkeit, besonders lebhafte Transpiration wirkt um- gekehrt, weil die Konzentration gesteigert wird. Ebenso befördert vermehrte Nährsalzzufuhr das Wachstum und hindert die Blütenbildung. Daher wirkt eine Verringerung der Nährsalze (Klebs 1904, pag. 548), besonders der N-haltigen (Benecke 1898, pag. 89, 1906, pag. 103; Fischer 1905, pag. 482; Loew 1905, pag. 324; Klebs 1909, pag. 9; Montemartini 1910) fördernd auf die Blütenbildung (vgl. die zu- sammenfassende Darstellung Klebs 1913b). Diese allgemeinen Sätze sind nur als Richtlinien aufzufassen, nach denen die weitere Forschung vorwärts dringen kann. Denn es ist klar, daß wir heute weit davon ent- fernt sind, eine Einsicht in die äußerst verwickelten Vorgänge der Blüten- Über die Blütenbildung von Sempervivum, 129 bildung zu haben; wir müssen zunächst versuchen, die Wirkungen der äußeren Faktoren viel genauer zu erforschen. In dieser Arbeit gilt es vor allem, den Einfluß des Lichtes eingehender zu analysieren. Der Ausgangspunkt für die neue Untersuchung war das Problem der Blütezeit. Wenn Rosetten von Sempervivum Funkii im Laufe des Sommers und Winters blühreif geworden sind, entwickeln sich die In- floreszenzen unter den Bedingungen der freien Natur im Juni des fol- genden Jahres. Untersuchte ich mikroskopisch durch geeignete Schnitte, in welchem Zeitpunkt die allerersten Blütenanlagen erschienen, so ließ sich in den verschiedenen Jahren, (1904--1907) im Klima von Halle immer feststellen, daß die Anlagen Ende April (26.—30.) zuerst nachweisbar waren. In dem Klima von Heidelberg, in dem im Durehschnitt das Frühjahr um ca. 14 Tage früher eintritt, zeigten (1908— 1911) sich die Blütenanlagen bei dem gleichen Halleschen Material (sämtliche Rosetten waren Nachkommen einer einzigen Rosette) zu gleicher Zeit Ende April. Es schien, als hätten wir hier ein Beispiel für eine engbegrenzte, erblich fixierte Blütezeit, wie sie auch heute noch so vielen Pflanzen zugeschrieben wird. Nach allen meinen Erfahrungen über die weit- gehendsten künstlichen Variationen, nach meiner theoretischen Auffassung war die Annahme einer solchen erblich fixierten Blütezeit in höchsten Grade unwahrscheinlich, ja unbegreiflich. Im Laufe der Untersuchnngen konnte ich feststellen (Klebs 1905, pag. 269), daß die Blütenbildung und Blütezeit sehr wolıl sich verändern läßt: es gelang mir, Blüten in der Zeit von Ende April bis Dezember zu beobachten. Aber es gelang mir früher niemals, blühreife Rosetten während des Winters zur Blüten- bildung zu bringen, obwohl doch eigentlich alles in «ler Rosette dafür vorbereitet ist. Bringt man solche Rosetten von Oktober bis März in das warme Gewächshaus, so erfolgt nie eine Bilduug (der Infloreszenz, vielmehr wird der blühreife Zustand vernichtet, so daß die Rosetten auch im folgenden Sommer nicht zur Blüte gelangen. Erst solche Rosetten, die Ende März oder Anfang April in das Gewächshaus gestellt werden, erzeugen die Infloreszenz zur normalen Zeit im Juni. Wenn ich die Rosetten während des Winters bei niederer Temperatur halte, um 10° oder noch bei tieferen Graden, so bleibt der blühreife Zustand erhalten; aber es bildet sich keine Infioreszenz aus. So erschien es mir lange Zeit völlig aussichtslos, zum Ziele zu gelangen, bis ich auf den (redanken kam, ob nicht doch die ungenügende Lielitmenge des Winters dabei eine Rolle spielte. Ich versuchte den Finfluß einer Dauerbelichtung (Dezember 1912) mit Osramlampen und erreichte damit mein Ziel, Sempervivum Funkii in jeden Wintermonat zur Blüte zu Flora, Bd. 1il. Hl) 130 Georg Klebs, bringen (Klebs 1913b, pag. 21). In den aufeinanderfolgenden Jahren habe ich immer wieder die Sache nachgeprüft; ich will hier einen kurzen Bericht darüber geben. - Zu den Versuchen benutzte ich Rosetten, die nach dem Alter und der vorhergehenden Behandlung blühreif erschienen. Ein unzweifelhaftes Kennzeichen des blühreifen Zustandes ist mir bis jetzt nicht bekannt. Daher konnte es gelegentlich vorkommen, daß eine Rosette doch nicht blühreif war. Aber die immer wiederholten Versuche im Laufe der Jahre geben den Resultaten volle Sicherheit. In solchen blühreifen Rosetten gehen vom Spätsommer ab lang- sam innere Veränderungen vor sich, hauptsächlich im Zusammenhang mit der niederen Temperatur des Herbstes und Winters. Die Blüh- reife steigert sich allmählich. Infolgedessen braucht eine Rosette, die im Oktober dauerbelichtet wird, etwa 5—6 Wochen bis zur Öffnung der ersten Blüte, Ende Dezember und weiterhin nur 4 Wochen, bis- weilen auch nur 25—26 Tage. Es ließ sich aber die Entwicklungs- zeit trotz großer Lichtstärke im Februar bis März bisher nicht weiter ver- kürzen. Dieser verschiedene Grad der Blühreife machte sich auch bei jenen Versuchen bemerkbar, in denen die für die erste Anlage der Blüten nötige Zeit der Dauerbelichtung festgestellt werden sollte. Die blühreifen Rosetten, die in allen Versuchen auf kleinen Gläsern mit - Wasser saßen, wurden je 2, 3, 4 usw. Tage dauerbelichtet und dann in das geheizte Gewächshaus übergeführt. Während dieses Gewächshaus blühreife Rosetten nicht zur Blüte kommen läßt, ja die Blühreife zer- stört, ermöglicht es «lie Bildung der Infloreszenz, wenn die Rosette durch Dauerbelichtung die ersten Anlagen gebildet hat. Die Dauer- belichtung ist nur nötig für die ersten Anlagen der Blüten. Im Gewächshaus entwickelt sich die Infloreszenz langsamer als im Licht- raum; sie zeigt aber eine bessere Ausbildung und größere Zahl offener Blüten. In einem Versuch vom 28. XI. 1913 bei vier Osramlampen zu- sammen mit 200 H.K. (Entfernung 40 em) blieben die 4, 5, 6, 7, 8 Tage belichteten Rosetten im Gewächshaus steril; erst die 9 Tage belichtete bildete bis zum 22. II. 1914 eine Infloreszenz mit 18 Blüten resp. Knospen. Bei den Versuchen im Januar bis Februar genügten meist 4 Tage, im März 3 Tage; bei einem Versuch vom 11. April reichte 1 Tag aus. Ich will die Resultate eines solehen Versuches genauer angeben. Vier Rosetten seit 20. II. 1914 in 70cm Entfernung von einer Osramlampe (1000 H.K.). Die Durchschnittstemperatur betrug 25,4°, Minim. 24,7, Maxim. 26,2°; relative Feuchtigkeit 50—60% Über die Blütenbildung von Semperrivum. 131 Dawuerbelichtung Verhalten im Gewächshaus am 25. IV. 2 Tage Rosette kaum erhöht, vegetativ. 3, Keine Streckung, vier Blüten im Zentrum der Rosette, daneben zwei kleine Rosetten. » Achse ein wenig gestreckt, dicht beblättert, fünf gestielte Blüten, zwei Rosetten. 5m Achse deutlich gestreckt aber noch kurz, drei Wickel offene Blüten, einige rosettenartig, zwei Rosetten. Die Versuche zeigen (Fig. 1A—D), daß 2 Tage der Belichtung nicht genügten, daß bei 3—5 Tagen die Streckung der Achse von der Länge der Dauerbelichtung abhängt, während die Ausbildung der Blüten schon nach 3tägiger Belichtung erfolgen kann (Fig. 1A, D). In- dessen treten dabei vegetative Umbildungen der Blüten bis zum Ersatz dureh echte Rosetten auf, Metamorphosen, wie ich sie früher mit Hilfe anderer Methoden erhalten habe (1905, pag. 243, Fig. 1 usw.). Die weitere Untersuchung bezog sich auf die Fragen naclı dem Einfluß der Licht- intensität, der Lichtdauer pro Tag und der spek- tralen Zusammensetzung des Lichtes. Ü B Fig. 1. Sempervivum Funkii. Blühreife Rosetten von gleichem Alter auf Gläsern mit Wasser seit 29. IT. 1914 mit Osramlicht dauerhelichtet. A nach 2 Tagen in das Gewächshaus gestellt — 23. IV. nur vegetative Rosette; B nach 3 Tagen — 25. 1V. kurz gestielte Blüten neben Rosetten im Zentrum der Rosette: C nach 4 Tagen — 25. IV. geringe Streckung der Achse neben Blüten Rosetten; D nach 5 Tagen — 25. IV. Achse deutlich gestreckt mit mehreren Wickeln; an einem neben Blüten Rosetten. 34 natürl. Größe. Die Lichtintensität. Die Rosetten standen in gleicher Höhe, aber in verschiedenen Entfernungen von einer frischen Osramlampe (ca. 1000 H.K.); die Ent- fernungen 80, 120, 160, 200 em sind von der Mitte der Lampe ab ge- rechnet. Die Durchschnittstemperatur betrug in 80 em Entfernung 22,5° in 200 cm 19,8%. Der Versuch begann am 27. XTL 1913 9° 132 Georg Klebs, s8% !,E,® ” Pre Beschaffenheit der Blüte a 83385 es: fenheit der IL g2.338 nl 921 8 Blumenblätter schwach rosa. 74 6 Blumenblätter weißlich, Anthere fast sitzend. j 917 Blumenblätter grünlich mit weißlichem Schimmer, dicklich Eu | rosettenartig. 200: 259 AT 148 8 Keine Streckung der Wickel, nur zwei offene Blüten, ! . \ grünlich weiß, die anderen Knospen verkümmert. 2410 170 3; Kleiner Blütenkopf, alle Blüten verkümmert, sich auch nicht weiter entwickeind. Aus diesen Versuchen ergibt sich. daß noch in einer Entfernung von 240 cm die Anlagen der Blüten entstehen, daß aber die Aus- bildung der Infloreszenz, besonders der Zweige und Blüten, mit Ab- nahme der Lichtintensität abnimmt. Die Erregung der Blüten- anlagen erfordert bei Dauerbelichtung eine geringere Inten- sität als die Ausbildung der Infloreszenaz. Um die Grenze der Lichtintensität aufzufinden, benutzte ich einen besonderen Dunkelraum (s. Klebs 1914, pag. 56) im gleichen Licht- zimmer. Er bestand aus einem 2 m langen, 50 cm hohen und breiten Gestell, das nach außen durch schwarze Pappwände und schwarzes Tuch lichtdicht abgeschlossen war. An einem Ende hing eine kleine Osramlampe von ca. 10 Kerzen. Der Versuch dauerte vom 6. II. 14 bis 2. IIL 14; an diesem Tage wurden die Kulturen in das Gewächs- haus gebracht. Die Stärke der Lampe nahm in den letzten beiden Wochen bis auf 6 H.K. ab. Die Temperatur war in 25 cm Entfernung durchschnittlich 21,2°, in 200 cm 19,8°. Ent- ! Streckung fernung jder Achse bis in em 7. II. in m m | Verhalten im Gewächshaus seit 7, IIL, am 24. bis 25. IV. 25 9,5 drei Blüten offen, Krone weißlich 50 10 | kleine Blüten- | Achse 12 cm, dieht beblättert, vier offene rote ! knospen Blüten. 75 10,5 Inur Blattknospen! Achse 12,2 cm, zwei normale Blüten, drei ver- sichtbar kümmert, drei Blattrosetten. 100 16,6 ebenso Achse 17 cm, einige Blüten, wenig ausgebildet, neben Rosetten. 125 9,5 ebenso Achse 10,5 cm, rosettenartig beblättert; ein i Wickel mit einer offenen Blüte und einer > ; Rosette. 150 1,4 , ebenso Achse 8,4 cm, am Ende eine Rosette mit zen- i tralem Blütenköpfchen und einer kleinen L Rosette. 175 9,5 ebenso Achse mit vegetativer Endrosette. 200 10 ebenso Ebenso, unterhalb der Endrosette zwei kleine B osetten. Über die Blütendildung von Sempervivum, 133 In 25cm Entfernung bei einer Lichtstärke von ca. 160 H.K. kam die blühreife Rosette innerhalb eines Monates noch zur Bildung weniger offener Blüten; bei 50 cm sah man noch kleine Knospen, von B A c Fig. 2. Sempervivum Funkii. Blühreife Rosetten von gleichem Alter auf Gläsern mit Wasser vom 6. II. 1914 bie 7. III. von einer kleinen Ösramlampe (10 H.K.) dauerbelichtet in verschiedener Entfernung; am 7. III. in das (Gewächshaus gestellt: am 5. IV. photogr. A in 125 cm Entfernung, an der gestreckten Achse rosetten- artige Blätter, dann ein kurzer blühender Wickel; B in 150 cm Entfernung, an der gestreckten Achse eine Rosette mit sitzenden Blütenknospen; C in 175 cm Entfernung, an der gestreckten Achse eine vegetative Rosette. °/,, natürl. Größe, da ab anscheinend nur Blätter. Aber es waren «och die ersten An- lagen der Blüten entstanden, so daß im Gewächshaus sich noch Blüten ausbildeten, allerdings mit zunehmender vegetativer Umbildung der 134 Georg Klebs, Infloreszenz (s. Fig. 2A—C). Die Lichtintensität in 175 cm Entfernung (ca. 3-2 H.K.) war zu schwach und bedeutete im Monat Februar ungefähr die Grenze, die deutlich tiefer liegt als die für die typische Ausbildung der Infloreszenz. In den beiden aufgeführten Versuchs- reihen war bei ungenügender Ausbildung der Blüten die Streckung der Achse stets sehr deutlich. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Versuchsresultate von jenen bei zu kurzer Dauerbelichtung, da hier gerade die Streckung der Achse stärker behindert wird, als die Blütenbildung. Es besteht also ein Unterschied in der Wirkung des Lichtes, je nach dem ich bei hoher Lichtstärke zu kurz dauerbelichte oder bei langer Dauerbelichtung die Intensität zu sehr schwäche. Im Gewächshaus wie in der freien Natur im Frühling handelt es sich nicht um eine Dauerbelichtung, vielmehr um einen Wechsel von Licht und Dunkelheit. Es schien die Frage besonders wichtig, wieviel Stunden pro Tag ich die Rosetten mit dem Osramlicht be- strahlen müßte, um die Blütenanlagen hervorzurufen. Die Zahl der Lichtstunden pro Tag. Der erste Versuch dauerte vom 10. XI. bis 7. XIL bzw. 24. XII. 1913. Vier Osramlampen, jede zu 50 H.K., hingen 30cm über zwei Schalen mit je vier Rosetten auf Wasser. Die eine Schale wurde 12 Stunden pro Tag, die andere 18 Stunden belichtet, während sie die übrige Zeit unter je einem Dunkelzylinder standen. Die Temperatur betrug im Durchschnitt während der Versuchszeit 19,4°, Minim. 15,5, Maxim. 21,8%. Keine der Rosetten kam zur Ausbildung der Infloreszenz auch dann nicht, als die Rosetten teils am 7. XII. teils erst am 24. XII. in das Gewächshaus gestellt wurden. Dagegen fand eine gewisse Streckung der Achse 4—5 cm statt. Beim zweiten Versuch standen die Rosetten 70cm von einer Osramlampe von ca. 1000 H.K., je zwei Rosetten wurden 6, 12 und 18 Stunden belichtet und die übrige Zeit unter Dunkelzylindern gehalten; der Versuch mit 12 Stunden wurde etwas später an zwei anderen Rosetten wiederholt. Bei 18stündiger Belichtung pro Tag kam die eine Rosette im Versuch vom 5. I. bis 18. II. zur Bildung offener Blüten an einer kurzen Achse (4 cm), das zweite Exemplar blieb vegetativ. Die Versuche mit 12 und 6stündiger Belichtung hatten das gleiche negative Resultat, die Rosetten rührten sich nicht, sie hatten, wie die weitere Kultur bei Dauerbeliehtung bewies, ihren blühreifen Charakter verloren. Über die Blütenbildung von Sempervivum. 135 Im Januar reichte also die 18stündige Belichtung aus, um die Blütenbildung hervorzurufen. Als ich Ende Februar zwei Kulturen in gleicher Entfernung von der Osramlampe 15 Stunden pro Tag be- lichtete, streckten sich beide Rosetten, die eine öffnete die erste Blüte nach 30 Tagen (26. III), die andere wurde seit 2. III. 1914 dauer- belichtet und zeigte neben Blüten in der Infloreszenz Rosettenbildung. Der Versuch mit 12stündiger Belichtung vom 2. III. bis 23. III. führte wieder zu einem negativen Resultat. Ich wiederholte die Versuche im Winter 1914/15; seit 24. XII. wurden je vier Rosetten 14, 16 und 18 Stunden beleuchtet. Dabei nahm ich nach 10 Tagen je eine der Rosetten, nach 20 Tagen wieder eine und stellte sie in das Gewächshaus. Gleichzeitig und in gleicher Entfernung von der Lampe befanden sich vier Kontrollkulturen, die dauerbelichtet wurden. Zwei kamen in 31 bzw. 34 Tagen zur Blüte, die dritte, nach 10 Tagen, die vierte, nach 20 Tagen in das Gewächs- haus übergeführt, blühte hier ebenfalls. Bei 14stündiger Belichtung zeigten sich alle Rosetten vegetativ. Bei I6stündiger Belichtung er- wies sich nach 10 Tagen die Rosette steril; nach 20 Tagen kam die zweite im Gewächshaus zur Streckung und zur Blüte Die beiden anderen blieben der 16stündigen Belichtung unterworfen bis zur Öffnung der ersten Blüte, die nach 49 bzw. 50 Tagen erfolgte, während zu gleicher Zeit bei Dauerbelichtung nur ca. 30-34 Tage erforderlich waren. Entsprechende Resultate ergab die 18stündige Belichtung: Nach 1Otägiger Dauer des Versuches streckte sich die Rosette im Gewächs- haus ein wenig, bildete aber nur eine neue Endrosette; nach 20 Tagen kam die andere im Gewächshaus zur Blüte. Die letzten beiden Rosetten wurden so lange 18 Stunden belichtet, bis sie anfingen zu blühen, was nach 40 Tagen eintrat. . Im Frühjahr 1916 machte ich noch einige Versuche mit 13- und 1Ostündiger Belichtung. Die beiden Rosetten, die vom 16. IV. bis 22. IV, also nur 6 Tage, 13 Stunden belichtet wurden, blühten später im Gewächshaus. Dagegen erwiesen sich die zwei Rosetten, ie 20 Tage (1. IV. bis 21. IV) je 10 Stunden belichtet wurden, als vegetativ. Die Zahl der Lichtstunden pro Tag, die für die Erregung (der Blütenbildung nötig sind, ändert sich im Verlauf des Winters und Frühjahrs in Übereinstimmung mit der aus anderen Versuchen fest- gestellten Steigerung des blühreifen Zustandes. Aber eine I2stündige Belichtung im Dezember oder Januar, oder eine lOstündige selbst im April, reichte nicht für die Blütenbildung aus. Selbst 136 Georg Klebs, bei 18stündiger Belichtung im Januar genügten noch nicht 10 Tage, un die ersten Blütenanlagen hervorzurufen (s. vorhin); auch war die Entwicklungszeit bis zur Entfaltung der ersten Blüte länger als bei Dauerbelichtung. Die Versuche, die viel Zeit und Mühe verursachen, müßten in größerem Maßstabe wiederholt werden, um noch genauere Zahlen zu gewinnen. Aber die Resultate machen es doch sehr wahrscheislich, daß bier bei Sempervivum nieht eine so einfache Beziehung zwischen Intensität und Zeit besteht wie bei der photographischen Platte oder dem Phototropismus (vgl. Blaauw 1914, pag. Ill). Nach dem früheren Versuch können bei Dauerbelichtung die Blütenanlagen noch bei 4,4 H.K. Stärke entstehen; wir haben pro Tag 106 Meterkerzenstunden. Bei den Versuchen mit unterbrochener Belichtung herrschte eine Lichtintensität von ca. 2000 H.K; das er- gibt bei 12 Stunden 24000 Meterkerzenstunden, die nicht ausreichten. Daraus folgt, daß es nicht allein auf die Lichtmenge ankommt, sondern daß die Unterbrechung durch die Dunkelheit einen ge- wissen hemmenden Einfluß ausübt, der bei 12 Stunden nach einigen Wochen den blühreifen Zustand sogar zerstört. In der Tat erregt die Dunkelheit einen antagonistischen Prozeß, der aber nur bei mittlerer bis höherer Temperatur entscheidend wird, während niedere Temperatur umgekehrt den blühreifen Zustand erhält, ja för- dert. Wenn man im Januar bis März blühreife Rosetten im Kästchen mit einer Ebonitplatte von 1 mm Dicke von der Osramlampe bestrahlen läßt, entstehen keine Blütenanlagen; in 2—3 Wochen verschwindet der blühreife Zustand. Eine Menge blühreifer Rosetten befanden sich seit 23.XI1. 1914 in einem dunklen Thermostaten von konstant 15%. Vom 12. I. ab wurde alle 2 Tage eine Rosette in den Lichtraum gebracht. Die Rosetten kamen zur Blüte; diejenigen, die 32 und 34 Tage im Dun- keln zugebracht hatten, zeigten bereits eine vegetative Umbildung, und nach 36 Tagen trug die kurz gestreckte Achse eine Endrosette. Bei höherer Temperatur, z. B. in einem Thermostaten von 30° wurde in einer Versuchsreihe vom 27. I. 1915 der blühreife Zustand nach 16 Tagen, in anderen Versuchen bereits früher zerstört. Also wird auch bei den Versuchen mit unterbrochener Belichtung und bei Tem- peraturen von 22—25° die Verdunkelung langsam der Blütenbildung entgegen wirken, so daß schon bei 12stündiger Dunkelheit pro Tag ihr hemmender Einfluß stärker wird als der fördernde der 12 Lichtstunden. Es ist wohl wahrscheinlich, daß die Dissimilationsprozesse es sind, die ‚las Konzentrationsverhältnis im Sinne der vegetativen Umbildung ver- Über die Blütenbildung hei Senpervivum. 137 ändern. Dafür spricht auch die entgegengesetzte Wirkung der niederen Temperatur. Bringt man blühreife Rosetten anfangs April (also noch ohne Blütenanlagen) in den dunkelen Eiskasten (4—6°), so bleibt der blühreife Zustand ganz erhalten; die Dunkelheit übt keinen hemmenden Einfluß aus. Im Laufe des Sommers an das Licht gestellt, erzeugten die Rosetten z. B. nach 3monatlicher Dunkelheit ihre Infloreszenz. Die niedere Temperatur befördert direkt die Aus- bildung der Blühreife. 10 2jährige Rosetten, die im Frühsommer nicht blühreif waren, wurden am 6. VI. 1910 verdunkelt; sie befanden sich bis zum Oktober im Eiskasten, der alle 2 Tage mit frischem Eis gefüllt wurde. Vom Oktober ab wurde kein Eis mehr zugegeben, die Temperatur hielt sich während des ganzen Winters unter 10°. Am 11. III. 1911, also nach 9 Monaten der Dunkelheit, wurde die Schale hellgestell. Die neun lebend gebliebenen Rosetten kamen im Laufe des April, d. h. zu ganz ungewöhnlicher Zeit, zur Blüte. Die Infloreszenzachse war ganz kurz, mehrfach völlig reduziert; neben Blüten zeigten sich Rosetten. Die niedere Temperatur hat neben der Herabsetzung der Dissimilation (Atmung usw.) wahrscheinlich auch in der gleichen Richtung gewirkt wie in den bekannten Versuchen von Müller-Thurgau (1882, pag. 774, 1885, pag. 865) mit Kartoffeln, bei denen eine Ansammlung reduzierenden Zuckers infolge niederer Temperatur stattfindet. So ist es begreiflich, daß in den bei Beginn des Versuches noch vegetativen Rosetten allmäblich der blühreife Zu- stand erreicht wurde. Dagegen ist es bis jetzt nicht gelungen, die Entstehung der Blütenanlagen bei Ausschluß des Lichtes zu beobach- ten; man wird weiter probieren müssen, um diesen Einfluß zu er- setzen. Wenn man Rosetten mit ganz jungen Blütenanlagen (Anfang Mai) in den Eiskasten versetzt, so erfolgt im Dunkeln die Streckung und sogar eine Entfaltung einiger weißer Blüten (Fig. 3 s. Erklärung). Wir haben vorhin kennen gelernt, daß die Ausbildung der Infloreszenz, besonders der Blüten, sehr deutlich von der Lichtintensität abhängt; in schwachem Licht verkümmern die Blütenknospen oder gehen nicht über die ersten Anfänge hinaus. Aber das hängt zusammen mit der gleichzeitig wirkenden Temperatur von ca. 20°, Wenn wir jetzt zu dem Ausgangspunkt der Untersuchung zurück- kehren, d. h. zu der Frage, warum Sempervivum Funkii zu so be- stimmter Zeit Ende April seine Blütenanlagen in der freien Natur aus- bildet, so läßt sich ein gewisses Verständnis, wenn auch noch keine 138 Georg Klebs, definitive Lösung der Frage erreichen. Von dem 21. März ab, d. h. dem Datum der Tag- und Nachtgleiche, nimmt allmählich die Licht- menge mit den Tagen zu, bis sie die für die Erregung Jer Blüten- anlage nötige Größe erreicht bei der noch relativ niederen Durch- schnittstemperatur. Nach Mitte April sind bereits die wesentlichen inneren Veränderungen der Rosetten eingetreten: Ende April erscheinen die ersten Anlagen. Fig. 3. Sempervivum Funkii. Sieben Rosetten mit eben entstandenen mikroskopischen Blütenanlagen anı 5. V. 1915 in den dunklen Eiskasten gestellt. Kesultat am 29. VIIL: alle Rosetten gestreckt, an der Spitze einige offene weiße Blüten. Die Länge der Achse schwankte zwischen 6 und 13,5 cm; das stärkste Exemplar in der Mitte hatte vier offene Blüten, andere nur zwei oder eine; ein Exemplar hatte nur Knospen. In den Blüten waren die Staubblätter verkümmert. Vergr. 4, natürl, Größe. Die spektrale Zusammensetzung des Lichtes. Sehon in früheren Jahren in Halle (s. Klebs 1905, pag. 196) hatte ich den Einfluß des farbigen Lichtes auf die Blütenbildung von Sempervivum und anderen Pflanzen untersucht. Ich benutzte Glas- häuser aus weißem, rotem und blauem Glase, die der direkten Sonne ausgesetzt waren. Das rote Glas ließ Rot bis Gelb: äußerstes Rot — 580 u, das blaue Gelbgrün, Grün, Blauviolett von A 570-400 pw durch. Ich wiederholte die Versuche in entsprechenden Glashäusern in Heidelberg. Die Resultate in den aufeinander folgenden Jahren Über die Blütenbildung bei Sempervivum. 139 waren völlig übereinstimmend. Blühreife Rosetten, die Ende März oder Anfang April in das rote Glashaus versetzt wurden, kamen im Juni zur Blütenbildung; die Achse war stark gestreckt, die Zahl der A B c Fig. 4. Sempervivum Funkii, Drei blühreife Rosetten von gleichem Alter am 18. März 1909 in je einen Topf auf das weiße, rote und blaue Gewächshaus ver- teilt. Resultat am 9. VI. 190%: A weißes Haus, kräftige Infloreszenz, reichlich blühend; B rotes Haus, Infloreszenzachse etwas vergeilt, Blätter kleiner lockerer, horizontal bis etwas abwärts geneigt, am Gipfel mit kleinen Blütenknospen; C blaues Haus, Achse gestreckt mit konkav nach unten gekrümmten Blättern, Gipfel nur Blätter, keine Blüten tragend. /, natürl. Größe, offenen Blüten gegenüber dem weißen Haus deutlich vermindert. In den gleichzeitig angestellten Versuchen mit blauem Licht war die Blüten- 140 Georg Klebs, bildung verhindert. Die Achse streckte sich und wuchs den ganzen Sommer vegetativ weiter. (Klebs 1905, pag. 216), (Fig, 4A—C). Wenn man im April täglich eine blühreife Rosette in das blaue Glas- haus stellt. so bemerkt man, daß nach Mitte April der generative Cha- rakter der sich streckenden Achse allmählich deutlicher wird. Man kann die mannigfaltigsten Übergangsformen vom vegetativen zu dem blühenden Zustand beobachten. Von Anfang Mai ab entstehen im blauen Licht auch offene Blüten. Im Sommer 1904 stellte ich auch viele Versuche mit einjährigen Pflanzen, wie Lobelia erinus, Anagallis eoerulea, Specularia speculum usw. an. DBlühende Pflanzen fuhren fort im roten Licht weiterzublühen, wenn auch mit viel geringerer Zahl als im weißen Licht (Klebs 1905, pag. 201); junge Pflanzen gelangten ebenfalls zur Blüte. Dagegen im blauen Licht hörten die bereits blühenden Pflanzen in wenigen Tagen damit auf; junge Pflanzen blieben ganz vegetativ. Die Gewächse ver- hielten sich, als wären sie einem schwachen Licht ausgesetzt, genau so wie Mimulus Tillingii u. a. nach den Versuchen Vöchting’s (1893). Mikro- und makrochemische Untersuchungen (vgl. die Analyse von Sedum maximum, Klebs 1913a, pag. 290) lehrten unzweideutig, daß die C-Assimilation im blauen Licht schwächer war als im roten, in diesem schwächer als im weißen. Aus neueren Versuchen (vgl. Kniep und Minder 1909) wissen wir, daß der Grund für diese ver- schiedene Wirkung in der sehr ungleichen Durchlässigkeit der Gläser für die Energie besteht. Ich kam zu der Schlußfolgerung, daß die roten wie die blauen Strahlen keine irgendwie spezifische Wirkung auf die Blütenbildung ausüben; sie bedeuten nur verschiedene Grade der Lichtschwächung und damit. der Ernährungsschwächung (1905, pag. 222). Als ich aber entdeckte, daß bei Dauerbelichtung eine sehr geringe Lichtintensität für die Entstehung der Blütenanlagen nötig ist, mußte ich die Untersuchung von neuem aufnehmen. Ich brachte die blühreifen Rosetten teils unter Häuschen aus rotem und blauem Glas, teils in Holzkästchen in deren Deckel je ein Schott’sches Filter: Rotfilter, Blaufilter, Uviolglas eingelassen war. {Näheres Klebs 1917, pag. 8. Das rote und blaue Glashäuschen standen in gleicher Höhe mit der Lampe in 55 cm Entfernung; die Holz- kästchen standen 30-—40 em unterhalb der Lampe. Die Versuche in den verschiedenen Wintern (1912/13, 1914/15, 1915/16, 1916/17) stimmten darin überein, daß im roten Licht die Blütenanlagen gebildet wurden, im blauen Licht dagegen nicht. Im roten Licht streckte sich die Achse und zeigte am Ende Blütenknospen; sie Über die Blütenbildung von Sempervivum. 141 entwickelten sich aber meist kümmerlich und bildeten sich weit besser aus, wenn die Rosetten nach 2—3 Wochen in das Gewächshaus über- geführt wurden. Im blauen Licht, gleich ob ich den weiteren Spektral- bezirk des blauen Glases (A 610—400) oder den engeren des Blau- filters (A 530—400) benutzte, fand Anfang des Winters nicht einmal eine Streckung der Achse statt; in später angestellten Versuchen streckte sie sich auf wenige Zentimeter. Nach einem Aufenthalt von 3—4 Wochen im blauen Licht war der blühreife Zustand zerstört; in Osramlicht bei Dauerbelichtung wie im Tageslicht entstand am Ende eine neue Ro- sette. Wir sehen also eine weitgehende Übereinstimmung mit den Versuchen im Frühjahr bei Tageslicht. Nach den bolometrischen Bestimmungen (Trautz s. Klebs 1917a, pag. 11) läßt im Osramlicht das rote Glashäuschen 46,3 %, der Strahlungsstromstärke durch, das blaue 14,8, d. h. im Verhältnis von 3:1. Es kam darauf an zu entscheiden, ob dieser Unterschied in der Energiemenge die entgegengesetzte Wirkung des roten und blauen Lichtes erklärt oder ob hier eine besondere Wirkung der Strahlen verschiedener Brechbarkeit vorliegt, wie bei der Formbildung von Farnprothallien (Klebs 1917a und b). Ich suchte die Grenze der Lichtintensität zu bestimmen, bei welcher noch unter dem Rotglas Blütenanlagen entstehen können. Rosetten in kleinen Gläschen mit Wasser standen in gleicher Höhe aber in verschiedener Entfernung von der Lampe und zwar in 40, 80, 120, 160, 200 und 270 cm. Sie wurden bedeckt mit Würfeln aus rotem Überfangglas (durchlassend äußerstes Rot bis 4 590). In der Zeit des Versuches vom 3. I. bis 23. I. 1917 hatte die benutzte ältere Lampe eine Durchschnittslichtstärke von ca. 393 H.K. Nach 20 Tagen, in welcher Zeit die Rosetten sich etwas zu strecken be- gannen, wurden sie in das Gewächshaus gestellt. Alle Rosetten kanen zur Blüte. Ich wiederholte später, 23. III. 1917, den Versuch in 270 cm Entfernung, die Stärke der Lampe hatte sehr abgenommen (ca. 170H.K.), doch wurden die Anlagen der Blüten gebildet. Die Lichtintensität kann noch weiter vermindert werden, ohne das Resultat zu ändern. In dem besonderen Dunkelraum mit einer 10 Kerzenlampe wur- den zwei blühreife Rosetten unter das Rotglas in 50 cm Entfernung auf- gestellt. Versuch vom 10. III. bis 26. III. 1915: beide streckten sich etwas und kamen im Tageslicht zur Blüte. Dagegen bei dem gleichen Versuch in 100 cm Entfernung (6. IL bis 6. III. 1915) streekten sich zwar auch die Rosetten (eine bis 9,8, die andere 3,5 cm), waren aber ‚doch vegetativ geworden. Die eine wurde mikroskopisch untersucht 142 Georg Klebs, und zeigte keine Spur von Anlagen, die andere bildete im Gewächs- haus eine Endrosette. Die Grenze lag also zwischen ca. 40 und I0H.K. In dem gleichen Dunkelraum bei gleicher T,ampe und Tempera- tur lag die Grenze der Intensität des gemischten Osramlichtes für die Entstehung der Anlagen zwischen 150 und 175 em Entfernung (4,4 und 33 H.K.) Es liegt die Grenze für das rote Licht deutlich höher als für das gemischte Licht, und das könnte damit zusammenhängen, daß die Lichtenergie beim Durchgang durch das rote Glas um 54%, ver- mindert worden ist. Jedenfalls ließ sich bisher für Sempervivum nicht wie bei der Keimung von Pteris longifolia (Klebs 1917a, pag. 25) der Nachweis führen, daß die Wegnahme der blauen Strahlen trotz Schwächung der Gesamtenergie eine Förderung gegenüber dem ge- mischten Licht herbeiführt. Indessen sind eingehendere Versuche von mir noch nicht gemacht worden. Wesentlich anders als im roten Licht verhalten sich die Rosetten im blauen Licht bei Änderung der Licht- intensität. Es ist gleich, ob ich eine schwache oder starke In- tensität wirken lasse, die Hemmung der Blütenanlagen, später die Zerstörung des blühreifen Zustandes tritt über- all hervor. Auch wenn die Intensität der Osramlampe ca. 3000 H.K. beträgt, so daß die zugeführte Energie bei Berücksichtigung der Absorp- tion um ca. 85% sehr viel größer ist als im roten Licht bei 40 H.K. und einer Absorption von 54%, werden die Rosetten ebenso steril wie bei direkter Sonnenbeleuchtung in der ersten Hälfte des April. Es wäre möglich, daß sogar die Hemmung bei hoher Lichtintensität ge- steigert wird; doch fehlen mir bisher genauere Daten. Nimmt man schwaches Licht, so wirken die blauen Strahlen in gleicher Richtung wie geringe Lichtintensität überhaupt; eine untere Grenze konnte eben- sowenig wie eine obere bisher bestimmt werden. Aus den Versuchen folgt mit großer Wahrscheinlichkeit, daß die schwächer und stärker brechbaren Strahlen in bezug auf die Entstehung der Blüten gerade so antagonistisch wirken wie ich es für die Keimung und Formbildung der Farnprothallien nachgewiesen habe. Man könnte auch hier von einer photoblastischen Wirkung sprechen (Klebs 1917a, pag. 112) im Gegensatz zu der phototrophischen bei der C-Assimilation. Nach der heute geltenden Auffassung (vgl. das ausgezeichnete Werk Stahl’s 1909) bewirken rote wie blaue Strahlen in gleichem Grade die C-Assimilation entsprechend ihrer Absorption im Chlorophyll; bei gleicher Energie ist auch die assimilatorische Wirkung ungefähr gleich. (Kniep und Minder 1909, pag. 646). Hier bei Sempervivum rufen rote nnd blaue Strahlen entgegengesetzte Prozesse hervor, in gewissen Über die Blütenbildung von Sempervivum, 143 Grenzen unabhängig von der zugeführten Energie, abhängig von der uns unbekannten Absorption der Strahlen durch bestimmte Bestand- teile der Zellen. Da das Osramlicht relativ reicher an roten Strahlen ist als das diffuse Tageslicht, z. B. im Winter (Klebs 1917b, pag. 12), so fördert die Belichtung mit der Osramlampe die Blütenentstehung und unterstützt die Wirkung der größeren Lichtmenge. Es lag nahe, den Einfluß des Lichtes bei Hemmung der C-Assi- milation zu untersuchen. Die in mehreren Wintern angestellten Ver- suche in CO,-freier Luft hatten stets das positive Resultat, daß die Blütenanlagen ebenso entstanden wie in CO,-haltiger. Bei einem Ver- such vom 10. II. 1915 mit einer großen Glocke, unter der Iuftdicht nach außen abgeschlossen neben Kalilauge mehrere blühreife Rosetten sich in 60 cm von der Osramlampe befanden, wurde je eine Rosette nach 5, 10, 20 Tagen herausgenommen und in das (rewächshaus ge- bracht. Schon die 5 Tage dauerbelichtete Rosette kam zur Blüte ebenso wie die beiden anderen Exemplare. Zwei Rosetten blieben in der CO,-freien Luft, bis nach 31 bzw. 33 Tagen je eine halboffene Blüte sichtbar war. Infolge der sehr starken Transpiration und des Nahrungsmangels war die Achse ganz kurz; die Blüten waren in ganz geringer Zahl (3) vorhanden und meist verkümmert. Die Resultate dieser Versuche sind aber nicht eindeutig, weil bei dem eigenartigen Stoffwechsel der Sukkulenten die durch Atmung im Innern entstehende CO, zurückgehalten und bei Lichtzutritt sofort assi- miliert werden kann (Jost 1913. pag. 260). Man kann also nicht be- haupten, daß namentlich in den ersten Tagen die Ö-Assimilation ge nügend stark herabgesetzt worden sei. Die Frage muß unentschieden bleiben, ob die photoblastische Wirkung doch mit der phototrophischen irgendwie verknüpft ist, wie es für gewisse Farne wahrscheinlich ist (Klebs 1917, pag. 40), oder ob es nicht der Fall ist. Die Strahlen mittlerer Brechbarkeit wirken mehr im Sinne der blau-violetten als der roten Strahlen. Unter doppelwandigen Glocken mit gelbgrüner (4 620-545) und grüner Lösung (4 560 —500) ent- wickelten die blühreifen Rosetten im Osramlicht keine Blüten. Die Achse streckte sich im gelbgrünen Licht etwas mehr als im grünen. Nach mehrwöchentlichem Aufenthalt unter den Glocken geht der blüh- reife Zustand verloren. . Zur weiteren Prüfung des Einflusses der Strahlen verschiedener Brechbarkeit benutzte ich längliche Kästchen, die aus Miethe’schen Gelatinefiltern geklebt waren. Sie warden über kleine Gläser mit je einer Rosette gestülpt und in 60 cm Entfernung von der Osramlampe 144 Georg Klebs, aufgestell. Das dunkelrote Kästchen ließ das äußerste Rot bis 4 660 durch: diese rein roten Strahlen bewirkten Streckung und Bildung von Blütenknospen. Im hellroten Lieht (äußerstes Rot — 4 610) beobach- tet man das gleiche Resultat, während unter dem Blaufilterkästchen (4 510400) die Infloreszenzbildung unterbleibt und die Rosette vege- tativ wird. Als weiteres Beispiel führe ich die Versuche mit der Quarz- Quecksilberlampe an. Sie befand sich draußen vor dem Fenster und strahlte ihr Licht in den Versuchsraum durch ein kleines Glasfenster (s. genauere Beschreibung Klebs 1917a, pag. 91). Die Rosetten standen 20 cm von der Lampe entfernt und wurden deshalb sehr intensiv bestrahlt. Eine Rosette stand frei als Kontrolikultur, drei andere wurden verteilt A B G D Fig. 5. Sempervivum Funkii. Vier blühreife Rosetten von gleichem Alter im Licht der Quarz-Quecksilberlampe seit 3. I. 1917; am 20. I. in das Gewächshaus. Resultat am 24. IL: A frei dem Licht ausgesetzt, Achse gestreckt, am Gipfel blühend; B unter dem gelben Miethe’schen Gelatinefilter wie bei A; C unter dem grünen Gelatinefilter (rein gelbes Licht), Achse kürzer mit vegetativer Endrosette; D unter dem blauen Gelatinefilter, Achse ganz kurz mit Endrosette. °/, natürl. Größe. unter das gelbe, grüne und blaue Gelatinefilter. Die Lampe strahlte ununterbrochen vom 3. I. bis 20. I. 1917, an diesem Tage wurden die Rosetten in das Gewächshaus gestellt. Das Resultat am 24. II. ist in der Fig. 5 dargestellt. Im gelben Licht, das die Spektrallinien 695 (Rot), 615 (Orange), 579 (Gelb), 546 (Hellgrün) durchläßt, entstand wie bei der Kontrollkultur (Fig. 5A) eine Achse von 5,4 em, eine Über die Blütenbildung von Sempervivum. 145 offene hellrote Blüte (Fig. 5B) und drei Blütenknospen, die später auf- gingen. Das grüne Gelatinefilter läßt nur die gelbe Linie (579) durch; die Rosette streckte sich (4,5 cm), blühte nicht und bildete nur eine Endrosette (Fig. 50, Hinter dem blauen Filter mit der starken Spektrallinie 492 und den beiden schwächeren im Violett (405, 408) war die Achse nur 2,8 cm hoch und trug ebenfalls eine Endrosette (Fig. 5D). Am auffälligsten ist es, daß das reine Gelb nicht die Ent- stehung der Blütenanlagen ermöglichte; ich konnte bisher den Versuch nicht wiederholen. Bei diesen Versuchen waren die äußersten ultravioletten Strahlen des Hg-Lichtes durch das Glasfenster absorbiert. Die Wirkung solcher ultravioletten Strahlen untersuchte ich mit Hilfe der Schott’schen Uviollampe, bei der die ultravioletten Strahlen des Hg-Lichtes bis 4300 hervortreten. In einem besonderen Dunkelraum standen die Kulturen in 20, 30, 40 cm von der Lampe entfernt, so daß die Rosetten direkt bestrahlt wurden. Einige andere Kulturen standen in 20 cm Ent- fernung unter einer Glasglocke, die den größten Teil der ultravioletten Strahlen absorbiertee Die Versuche fanden im Januar und Februar 1914 statt; die Durchschnittstemperatur betrug in 20 em Entfernung 22,2, in 40 cm 19° (s. Klebs 1914, pag. 60); die relative Feuchtig- keit schwankte zwischen 40 und 50 % (unter der Glocke etwas höher). Von den beiden Exemplaren in 20 cm Entfernung starb das eine nach 18 Tagen ab; das zweite wurde nach 15 Tagen in das Gewächs- haus gebracht und erwies sich als nicht mehr blühfähig. In 30 cm Entfernung blieb die Rosette 12 Tage; sie starb bei Dauerbelichtung mit der Osramlampe ab. Die Rosette in 40 cm Entfernung wurden nach 20 Tagen dem Osramlicht ausgesetzt, sie gelangte nicht zur Blüte. Dagegen die beiden anderen Rosetten, die unter der Glasglocke 12 Tage von der Uviollampe bestrahlt wurden, hatten Blütenanlagen gebildet, da sie, in das Gewächshaus übergeführt, zur Bildung einer blühenden Infloreszenz kamen. Bei dem einen Exemplar traten neben Blüten Rosetten hervor. Die stärker brechbaren ultravioletten Strahlen üben daher eine hemmende, schließlich schädliche Wirkung auf die blübreifen Rosetten aus; der blühreife Zustand wird bald vernichtet. Es ist bis jetzt kein sicherer Fall bekannt. bei dem die ultravioletten Strahlen irgendeinen fördernden Einfluß auf das Wachstum oder die Formbildung ausüben. Die Angaben von Sachs (1887, pag. 300) und C. de Candolle (1892), nach denen gerade die ultravioletten Strahlen für die Blütenbildung notwendig seien, haben Flora. Ba. Ill. 10 146 Georg Klebs, sich nicht bestätigt (Klebs 1901, pag. 203, Montemartini 1903, pag. 3.) Die Versuche mit Sempervivum geben den klarsten Gegen- beweis. Ebensowenig sind die infraroten Strahlen befähigt, die Entstehung der Blütenanlagen hervorzurufen. Ich habe zahlreiche Versuche mit einem Kästchen gemacht, in dessen Deckel eine Ebonitplatte von I mm eingelassen war. Niemals trat bei Dauerbeliehtung mit einer Osramlampe (1000 H.K.) an den Rosetten in den Kästchen Blütenbildung ein. Vielmehr schien es, als würde der blühreife Zustand besonders schnell zerstört, was auf die innere Erwärmung wohl zurückzuführen ist. Andererseits war die Streckung deutlicher, als bei den gleichzeitigen Versuchen unter einem Dunkel- zylinder im gleichen Raum. Nach unseren heutigen Kenntnissen haben nur diejenigen Strahlen, welche unserem Auge als Licht‘ erscheinen, eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung der Pflanze. Allgemeines. Die gleichen Versuche, die für Sempervivum Funkii beschrieben worden sind, führte ich auch mit einer zweiten Spezies aus: S. albidum, von der ich, ausgehend von einer Mutterrosette, seit Jahren reichliches Material besitze. In allen Punkten zeigte S. albidum ein durchaus übereinstimmendes Verhalten mit S. Funki. Der Unterschied in der spezifischen Struktur beider Pflanzenformen prägte sich in physiolo- gischer Hinsicht darin aus, daß S. albidum in der freien Natur die Blütenanlagen erst nach Mitte Mai ausbildet und im Juli blüht, daß bei Dauerbelichtung mit der Osramlampe die blühreifen Rosetten län- gere Zeit brauchen bis zur Entfaltung der ersten Blüten, und daß der blühreife Zustand sich länger im Dunkeln bei mittlerer oder höherer Temperatur oder im blauen Licht usw. erhält. Doeh will ich hier auf diese quantitativen Unterschiede nicht weiter eingehen. Beide Arten, die unter den Bedingungen der freien Natur eine ganz bestimmte eng begrenzte Blütezeit haben, lassen sich auf Grund der Kenntnisse der äußeren Blütenbedingungen zu jeder Zeit des Jahres zur Ent- wicklung der Infloreszenz bringen. Die Sempervivum-Arten sind bisher die einzigen Beispiele, bei denen der Vorgang der Infloreszenzbildung in drei deutlich zu trennende Phasen verläuft: die Eintstehung des blühreifen Zustandes, die Bildung der Biütenanlagen, die Entwicklung der blühenden In- floreszenz. Alle drei Entwicklungsstufen weisen eine Abhängigkeit vom Licht auf, aber in verschiedenem Grade und Sinne. Über die Blütenbildung von Sempervivum. 147 1. Der blühreife Zustand. Der blühreife Zustand ist nach jahrelang durchgeführten Unter- suchungen das Produkt intensiver C-Assimilation bei lebhafter Tran- spiration und relativer Einschränkung der Nährsalzaufnahme. Alle die Faktoren wirken in gleicher Richtung, sie erhöhen die Konzentration der C-Assimilate und hemmen die Gegenreaktion des vegetativen Wachstums. Unter den gewöhnlichen Bedingungen verhindert die Ver- ringerung der Assimilation das Entstehen des blühreifen Zustandes; war er vorher vorhanden, wird er durch schwaches Licht zerstört. Größere Feuchtigkeit befördert, wie allgemein bekannt ist, das vege- tative Wachstum, wirkt der Blühreife entgegen. Noch stärker wird die Wirkung bei lebhafter Aufnahme frischer Nährsalze. Die Auffassung, daß die einseitige Steigerung der C-Assimilation, vor allem der Kohle- hydrate, die Blühreife bedingt, erklärt uns auch das Verhältnis zur Temperatur. Bei intensiver Sonnenbeleuchtung kann die Temperatur sehr hoch sein, ohne die Entstehung der Blühreife zu hindern. Diese wird um so sicherer erhalten, je länger im Sommer die Rosetten, die sich in sandigem Boden befinden, in glühender Sonne stehen. Bei solchen besonnten Sempervivum-Arten kann die Temperatur im Innern der Rosette über 50° steigen (Askenasy 1875, pag. 441; vgl. auch Stahle 1909, pag. 69). Je mehr die Lichtintensität sinkt, um so stärker hemmt höhere Temperatur die Blühreife. Bei dem Frühjahrslieht genügt eine mittlere Temperatur von 20° in Verbindung mit lebhafter Wasser- und Nährsalzaufnahme, um (en bereits gesteigerten blühreifen Zu- stand zu vernichten. Man kann auf diesem Wege Jahre hindurch vegetativ fortwachsende Rosetten erhalten. Noch leichter geschieht die Vernichtung der Blühreife im Dunkeln bei höherer oder mittlerer Tem- peratur (sogar bei 15%. Nicht die absolute Stärke des Lichtes oder der Temperatur entscheidet, sondern das quantitative Verhältnis der Assimilation zur Temperatur- wirkung, die sich besonders in der Steigerung der Dis- similation äußert. Daher erklärt sich auch, daß eine niedere Temperatur von ca. 6° entgegengesetzt wirkt. Sie erhält in unserem Winter trotz der geringen Lichtmenge die Blühreife der draußen leben- den Rosetten, sie erhält die Blühreife, selbst nach monatelangem Aufenthalt bei Lichtabschluß. Die niedere Temperatur kann sogar die Entstehung (des blühreifen Zustandes im Dunkeln bei einer gut ernähr- ten Rosette herbeiführen. Dabei wirkt wahrscheinlich die allmähliche Umwandlung von Stärke in Zucker mit. Unter solchen Umständen kann das Lieht bis zu einem gewissen Graile durch die niedere Temperatur 10* 148 Georg Klebs, ersetzt werden — ein deutlicher Beweis dafür, daß das Licht unter gewöhnlichen Bedingungen wesentlich durch seine assimilatorische Wir- kung, die von seiner Energie abhängt, den blühreifen Zustand hervorruft, 2. Die Blütenanlagen. Die Entstehung der eben mikroskopisch nachweisbaren Anlagen ist unter den bis jetzt benutzten Bedingungen notwendig an das Licht gebunden. Die Frage bleibt offen ob es gelingen wird, seine Wirkung durch andere Mittel zu ersetzen. Das Licht wirkt bei diesem Vorgang ebenfalls durch die Quantität seiner Energie. Denn (ie Dauerbelichtung mit einer starken Osramlampe muß einige Tage währen, bis die Anlagen erscheinen; die Zeit braucht um so kürzer zu sein, je stärker gegen das Frühjahr hin der blühreife Zustand durch das Tageslicht bei niederer Temperatur gesteigert worden ist. Ferner muß bei unterbrochener Belichtung die Zahl der Lichtstunden pro Tag auch bei großer Lichtstärke relativ groß sein; sie ist bei Versuchen im März kleiner als bei solehen im Dezember aus dem gleichen oben an- gegebenen Grunde. Aber auch im März durfte nach den bisherigen Untersuchungen die Zahl pro Tag nicht unter 12 Stunden sinken; schließlich durfte auch die Lichtintensität bei Dauerbelichtung nicht unter eine gewisse relativ niedere Grenze sinken (zwischen 4,4 und 3,3 H.K. im Februar bei ca. 20°). Eine einfache Beziehung zwischen der Zahl der Lichtstunden und der Lichtintensität besteht nicht, weil die Dunkelstunden bei der mittleren Temperatur von 20—25° anta- gonistisch wirken. Besonders charakteristisch für die Wirkung des Lichtes ist der Gegensatz der schwächer und stärker brechbaren Strahlen. Die roten Strahlen erregen die Entstehung der Blüten innerhalb weiter Grenzen der Intensität; die untere Grenze des angewendeten Osram- lichtes lag im Februar bei ca. 20° zwischen 40 und 10 H.K. Die blauvioletten Strahlen hemmen bei schwacher wie starker Lichtintensität den Vorgang und zerstören nach einiger Zeit den blühreifen Zustand. Daraus geht hervor, daß die trophische Wirkung des Lichtes, wenn eine solche überhaupt vorhanden ist, zurücktritt gegenüber einer blas- tischen, bei der es aber nicht wie bei den Farnprothallien auf eine bloße Beschleunigung bzw. Hemmung von Streckung und Zellteilung ankommt, sondern auf eine Umwandlung des blühreifen Zustandes in die eigentliche Blütenbildung oder umgekehrt in das rein vegetative Wachstum. Da im Osramlicht die roten Strahlen gegenüber den blau- violetten überwiegen, so ist es für die Erregung der Blütenbildung günstiger als das diffuse Tageslicht mit relativ mehr blauvioletten Über die Blütenbildung von Sempervivum. 149 Strahlen, während bei direkter Sonnenbeleuchtung ein solcher Unter- schied bedeutungslos ist. 3. Die Bildung der Infloreszenz. Die Entwicklung der Infioreszenz vollzieht sich in der Streckung der Achse, der Bildung von wickelartigen Seitenzweigen und in der Entfaltung der Blüten. Der ganze Vorgang hängt vom Lichte ab, aber mehr in dem Sinne, wie die Entstehung des blühreifen Zustandes. Sind bereits die mikroskopisch nachweisbaren Anlagen vorhanden, so kann die Entwicklung der Infloreszenz im Dunkeln erfolgen, vor allen dann wenn man eine niederige Temperatur (um 6° anwendet, Aber die Ausbildung der Wickel und Blüten ist im Vergleich zu den Licht. kulturen sehr gering, Je später im Mai der Versuch unter Licht- abschluß ausgeführt wird, um so besser wird auf Grund der vorher- gehenden Lichtwirkung die Ausbildung sein. Derjenige Prozeß, der gegen- über Lichtentzug wie gegenüber anderen Faktoren sich am empfindlich- sten erweist, ist die Farbe der Blumenblätter (Klebs 1905, pag. 272). Die Lichtintensität, welche bei Dauerbelichtung und einer Tem- peratur von ca. 20° nötig ist für die Ausbildung einer einigermaßen normalen Infloreszenz, ist größer als die für die Anlage der Blüten. Aber es hängt wie bei dem blühreifen Zustand nicht so sehr von der absoluten Lichtintensität ab, als von dem Verhältnis der nahrungs- speichernden C-Assimilation zu den abbauenden Prozessen der Dissi- milation. Auch bei starkem Osramlicht im Winter ist die Infloreszenz niemals so kräftig entwickelt und blütenreich wie bei Tageslicht im Juni; selbst die Kultur im Gewächshaus während des Winters bei geringer Lichtenergie wirkt etwas günstiger. Das liegt daran, daß bei der direkten Bestrahlung der Rosette durch das Osramlicht eine allmähliche Verarmung an Zucker und Stärke eintritt, wie sich zweifellos auf mikro- und makrochemischem Wege nachweisen läßt. Für die Buche wurde die einseitig gesteigerte CO,-Ausscheidung im Osramlicht gasanalytisch bewiesen (Klebs 1914, pag. 67). Dieses Überwiegen der Dissimilation tiber die Assimilation beruht wahrschein- lich auf der inneren Erwärmung durch die Bestrahlung; dazu kommt die Wirkung der spektralen Zusammensetzung des Osramlichtes. Noch kümmerlicher ist die Ausbildung der Infloreszenz im CO,-freien Raum oder bei hoher Temperatur (30—35 °) selbst in feuchter Luft. Die Be- deutung des Lichtes für die iypische Ausbildung der Infloreszenz liegt wesentlich in der Wirkung auf die C-Assimilation gerade wie beim blühreifen Zustand. Rotes und blaues Licht haben insofern einen 150 Georg Klebs, Einfluß als die vom Chlorophyll absorbierte Lichtenergie über die Größe der C-Assimilation entscheidet. Zu gleicher Zeit (Anfang Mai) im blauen, roten und weißen Glashaus kultivierte Rosetten mit jungen Blütenanlagen entwickeln ihre Infloreszenz am schlechtesten im blauen, besser im roten, am besten im weißen Licht, entsprechend den Unter- schieden der C-Assimilation in den drei Häusern. Zusammenfassend kann man sagen, daß bei der Wirkung des Lichtes in allen drei Stufen der Entwicklung der Infloreszenz die Quantität der Lichtenergie von entscheidender Bedeutung ist. Wenn daher heute noch bei solchen Entwicklungsvorgängen der Ein- fiuß des Lichtes auf eine nur auslösende Reizwirkung zurückgeführt wird, so entspricht diese Auffassung nieht mehr den eigentlichen Tat- sachen und ist hier ebenso abzulehnen wie bei zahlreichen anderen Wirkungen der äußeren Faktoren auf die Entwickelung von Pflanzen (Klebs 1904, pag. 456; 1917a, pag. 115). Die Wirkung des Lichtes auf die Entstehung der Blühreife und auf die Ausbildung der Inflore- szenz von kleiner Anlage aus können wir einigermaßen verstehen, weil es sich hier in erster Linie um phototrophische Prozesse handelt. Jeder weitere Fortschritt in der Kenntnis dieses Prozesses wird auch unsere Einsicht in solche Vorgänge der Entwicklung vertiefen. Dagegen die Lichtwirkung auf die Entstehung der Anlagen, wobei schwächer und stärker brechbare Strahlen antagonistische Prozesse erregen, ist nach unseren heutigen Kenntnissen unverständlich. Wenn man annehmen wolite, daß wie bei den Farnprothallien eine Förderung enzymatischer Prozesse durch die roten Strahlen, eine Hemmung durch die blauen erfolgt, so kann damit nur die Richtung angedeutet werden, in der die weitere Forschung versuchsweise vorzudringen hat. Die für Sempervivum-Arten gewonnenen Resultate führen zu der allgemeinen Frage, ob sich auch bei anderen Pflanzen die verschiedenen Entwicklungsstufen der Blütenbildung nachweisen und eine entsprechende Abhängigkeit vom Licht, wie von anderen Faktoren erkennen lassen. Die auffallend schnelle Hemmung der Blütenbildung im grünblauen Licht des Blauglases mit dem großen Spektralbezirk, selbst bei direkter Sonne, läßt es möglich erscheinen, daß neben dem Einfluß geringer C-Assimilation eine ähnliche Wirkung der blauen Strahlen vorliegt wie bei Sempervivum. Die mehrfach festgestellte Tatsache, daß Blüten- anlagen eine geringere Lichtmenge (Versuche bei Dauerbelichtung mit Osramlampe) erfordern als die Entfaltung der Blüten, weisen auch auf die Analogie mit Sempervivum hin. Doch alle diese Fragen bedürfen einer neuen eingehenden Untersuchung. Über die Blütenbildung von Sempervivum. 151 Literatur. Askenasy, E., Über die Temperaturen, welche die Pflanzen im Sonnenlicht er- tragen. Bot. Ztg. 1875. Benecke, W., Über die Kulturbedingungen einiger Algen. Bot. Ztg. 1898. Der«., Einige Bemerkungen über die Bedingungen des Blühens und Fruchtens der Gewächse. Bot. Ztg. 1906. Blaauw, A. H. E., Die Perzeption des Lichtes. Rec. tr. Bot. N&erl. 1909. Candolle, C. de, Etude sur l’action des rayons ultraviolets sur la formation des fleurs. Arch. se. nat. Gendve 1892. Curtel, G., Recherches physiologiques sur la fleur. Ann. sc. nat. 1898, Ser. VIII, 26. Fischer, H., Über die Blütenbildung in ihrer Abhängigkeit vom Licht. Fiora 1905. 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Weder Stahl noch Unger scheinen bei ihren Beobachtungen die Frage in Erwägung gezogen zu haben, ob sich die so ermittelten Interzellularraumsysteme über das ganze Blatt erstrecken oder ob die- selben in mehr oder weniger zahlreiche und scharf (luftdicht) vonein- ander getrennte Einzelsysteme zerfallen. Nun läßt sich die von Unger und Stahl angewandte Methode der Injektion der Blätter mit Wasser — unter der Luftpampe — wenn eie entsprechend modifiziert wird, recht wohl zur Entscheidung dieser Frage verwenden. Ich habe schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen ®). Der Schwerpunkt meiner damaligen Versuchsanstellung lag aller- dings in der Ermittelung des Öffnungszustandes der Spaltöffnungen. Immerhin konnte damals schon festgestellt werden, daß nach dem Ver- lauf der Injektion, zwei Typen von Blättern zu unterscheiden sind, die ich als homobarisch und heterobarisch bezeichnete, 1) Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaften, Bd. XVI, 1883. 2) Neue Untersuchungen über die Transpiration der Pflanzen (Sitz.-Ber. Kais. Ak. Wiss, Wien, Bd. XLVI, 1862. 3) Ber. Deutsche bot. Ges., Bd. XXX, 1912, 8. 179. Die Wegsamkeit der Laubblätter für Gase. 153 Bei ersteren — den homobarischen Blättern — stehen alle Inter- zellularräume eines Blattes untereinander in Verbindung, in allen herrscht demnach der gleiche Druck und die Injektion erstreckt sich daher von einem Punkt ausgehend auf das ganze Blatt. Der andere — heterobarische — Typus dagegen ist dadurch aus- gezeichnet, daß alle Interzellularraumsysteme hermetisch gegeneinander abgeschlossen sind. Demgemäß kann in jedem dieser Räume ein an- derer Druck herrschen, und wenn sich der eine mit Wasser injiziert, so breitet sich die Injektion von hier aus nicht auf die Nachbar- räume aus. Diese für Theorie und Praxis wichtige Erscheinung näher zu ver- folgen, ist der Zweck der nachstehenden Untersuchung. Zunächst möchte ich, ehe ich auf die neuen Beobachtungsresultate eingehe, noch folgendes voranschicken. Wenn ein Blatt von hetero- barischem Typus — nach Evakuation und Wiederzutritt von Luft in den Rezipienten — zeigt, daß einzelne von Nerven umschlossene Ge- biete injiziert sind, andere dagegen nicht, so darf daraus nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß in den nicht injizierten Inter- zellularraumgebieten eine weniger weitgehende Evakuation stattgefun- den habe — etwa infolge von vollkommenem Schluß der Stomata — und demgemäß die Injektion unterblieben sei. Bei den meisten Blättern (von homo- und heterobarischem Bau) beobachtet man, (laß sich die Blattfläche (Unterseite) während des Aus- pumpens der Luft vollkommen gleichmäßig mit gleichgroßen perlen- förmigen Luftblasen bedeckt, die sich nur dann ablösen, wenn ihr Auf- trieb die Adhäsionskraft überwindet. Daraus geht schon hervor, daß die Luft aus allen Spaltöffnungen ziemlich gleichmäßig hervortrit. Wenn dann die Infiltration sehr un- gleichmäßig erfolgt und demgemäß (bei heterobarischen Blättern) wasser- erfüllte und leere Injektionsgebiete in buntem Wechsel nebeneinander liegen, so kann dies zwei Gründe haben: Der eine ist, daß viele der aus den Spaltöffnungen hervortreten- den Gasblasen — durch Adhäsion — äußerst fest haften und sich nicht ablösen; wird dann der äußere Luftdruck wieder hergestellt, so schlüpfen die Gasblasen durch die Spaltöffnungen wieder in die Inter- zellularräume zurück und damit ist auch hier wieder der normale Luft- druck hergestellt, und Wasser tritt, selbst wenn die Spaltöffnungen weit offen stehen, nicht ein. Der andere Grund kann der sein, daß, selbst wenn die Gasblasen sich abgelöst haben, Wasser doch nicht einzutreten vermag, wenn die 154 F. W. Neger, Spaltöffnungen nicht weit genug geöffnet sind, um Wasser passieren zu lassen. (Es ist ja ohne weiteres klar, daß zum Durchtritt von Luft ein weit geringerer Offnungsgrad erforderlich ist als zum Eintritt von Wasser.) In diesem Fall wird man aber nachträglich noch Injektion er- zielen, wenn der zwar evakuierte, aber noch nicht injizierte Raum unter Wasser mit einer feinen Nadel angestochen wird. War dagegen (Fall I) die nicht abgelöste Luftblase wieder ein- getreten, so nützt natürlich auch das Anstechen nichts. Die Injektion wird jetzt unter allen Umständen ausbleiben. Bei Blättern von streng heterobarischem Typus wird man also Infiltration nur erreichen, wenn sich die Gasblasen bei der Evakuation losgelöst haben. Sind die Stomata weit geöffnet, so tritt das Wasser von selbst ein, anderenfalls nur beim Anstechen der kleinsten von Nerven umschlossenen Räume. Man beobachtet dann aber stets, daß zahllose Stiche nötig sind, um die Injektion eines größeren Blattbezirks zu erreichen, eben weil die kleinsten von Nerven umschlossenen Räume selbständige gegen- einander herinetisch abgeschlossene Kammern darstellen. Bei einem Blatt von homobarischem Typus dagegen genügt nach hinreichend kräftiger Evakuation — soweit die Injektion nicht durch die Spaltöffnungen erfolgte — ein einziger Stich an irgendeiner Stelle des Blattes, um sofort das ganze Blatt (oder wenigstens große Teile desselben) mit Wasser zu injizieren. Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse wird auch verständ- lich, warum Blätter von extrem heterobarischem Typus sich überhaupt oft so schwer injizieren lassen. Aus den sehr eng begrenzten Inter- zellularraumsystemen einzelner Luftkammern kann eben nur eine sehr kleine Blase austreten, deren Auftrieb oft nicht groß genug ist, um die starke, an ihr wirkende Adhäsionskraft zu überwinden. Noch aus einer anderen Erscheinung geht klar hervor, daß bei homobarischen Blättern alle Interzellularraumsysteme untereinander in Verbindung stehen, bei heterobarischen dagegen nicht. Bringt man ein Blatt des ersteren Typus so unter den Apparat (Rezipient), daß die eine Hälfte oder auch nur ein kleiner Teil des Blattes aus dem Wasser herausragt, so erfolgt in der Regel selbst bei weit geöffneten Spaltöffnungen keine Injektion — auch nicht nach dem Anstechen — weil sich dann der ganze Gasaustausch durch den aus dem Wasser herausragenden Teil des Blattes abspielt, in welchem (in- folge des Mangels einer Wasserbedeckung) der Widerstand geringer ist. Die Wegsamkeit der Laubblätter für Gase. 155 Bei Blättern von heterobarischem Bau hat das Herausragen eines Teiles des Blattes aus dem Wasser keinerlei Einfluß auf die Vorgänge der Injektion im untergetauchten Teil. Denn das ganze Blatt ist — dies soll eben mit dem Ausdruck heterobarisch angedeutet werden — ein aus zahlreichen, luftdicht gegeneinander abgeschlossenen und daher von einander unabhängigen Kammern zusammengesetztes System. Herrscht in einer Kammer ein Vakuum, so wird dadurch der Zustand in der benachbarten nicht beeinflußt. Man könnte daher Blätter von heterobarischem Bau vergleichen mit einem Haus, dessen in die tausende zäh- lende Innenräume der kommunizierenden Türen erman- geln, während homobarische Blätter Gebäuden gleichen, deren Zimmer alle untereinander durch offenstehende Türen verbunden sind. Allerdings können auch homobarische Blätter sich bis zu einem gewissen Grad dem heterobarischem Typus nähern, wenn sie stark ab- gewelkt sind. Sehr schön beobachtete ich dies bei welken Blättern von Evo- nymus japonica. Bringt man ein solches (mit angeschnittenem Rand) unter Wasser liegend, unter den Rezipienten, so strömt zuerst (beim Auspumpen) Luft nur aus dem Schnittrand aus. Bei Wieder- herstellung des äußeren Luftdrucks injiziert sich nicht das ganze Blatt vom Schnittrand aus (wie dies der Fall wäre, wenn das Blatt turges- zent wäre), sondern nur die Nachbarschaft des Schnittrandes. Evakuiert man nun von neuem, so bedeckt sich die Blattfläche gleichmäßig mit Luftblasen, offenbar weil das am Schnittrand ein- getretene Wasser dem Austritt von weiterer Luft an dieser Stelle ent- gegenwirkt. Die Injektion im übrigen Teil des Blattes erfolgt nun nur schrittweise, meist nur nach wiederholtem Anstechen (die Spalt- öffnungen sind offenbar infolge des Welkens zu eng geschlossen, um Wasser eintreten zu lassen), wobei sich auch hier von Nerven um- schlossene Injektionsgebiete zeigen, die freilich weit ausgedehnter sind als bei Blättern von extrem heterobarischem Typus. Unsere Aufgabe wird nunmehr sein, eine Reihe von Pflanzen daraufhin zu untersuchen, welchem Typus ihre Blätter angehören, so- wie, welche durchschnittliche Größe die einzeinen, voneinander unab- hängigen Luftkammern bei Blättern von heterobarischem Bau haben. Der einfachste Weg zu entscheiden, welchem Typus ein Blatt angehört, ist die folgende: Man legt das zu untersuchende Blatt, an 156 F. W. Neger, welchem ein kleines Randstück abgeschnitten wurde (mit der Unter- seite nach oben), in ein flaches mit Wasser gefülltes Gefäß, bedeckt das Blatt mit einem Stück Bleidraht (damit das Blatt durch den Auftrieb der festanhaftenden Gasblasen nicht an die Wasseroberfläche steigt) und bringt den ganzen Apparat unter den Rezipienten. Beim Auspumpen entweichen die Luftblasen nur aus dem an- geschnittenen Rand, wenn das Blatt dem homobarischen Typus angehört, dagegen aus der ganzen Blattfläche, wenn heterobarischer Typus vorliegt. Bei Luftzutritt füllt sich ein Blatt von homobarischem Typus vom angeschnittenen Rand her augenblicklich mit Wasser, während bei heterobarischen Blättern nur eine schmale Randzone mit Wasser in- jiziert wird, außerdem auf der Blatt- fläche zahlreiche kleine scharf umgrenzte Injektionsgebiete auf- treten (vorausgesetzt, daß die Spalt- öffnungen weit genug geöffnet waren). Bei heterobarischen Blättern wird die durchschnittliche Größe der abgeschlossenen Lufträume am besten wie folgt ermittelt: Man pumpt in der üblichen Weise die Luft aus dem Rezipienten — unter welchem das mit Wasser bedeekte Blatt liegt — aus und läßt wieder Luft zutreten. . . Haben sich einige der Luft- Fig. 1. Blatt von Syringa vulgaris mit ver- hältnismäßig großen Infiltrationsbezirken räume mit Wasser infiltriert, so (Luftkammern). Natürl. Größe. zeigt sich ohne weiteres, welche an- nähernde Größe die einzelnen Luft- kammern haben; im anderen Falle sticht man das Blatt (unter Wasser) mit einer feinen Nadel an, und wird nun die schrittweise Infiltration der Luftkammern beobachten. Bei Blättern mit sehr kleinen Luft- kammern muß diese Beobachtung unter der Lupe oder dem Präparier- mikroskop erfolgen. Um zahlenmäßig die Größe der Luftkammern festzustellen, ver- fährt man am zweckmäßigsten folgendermaßen: Man legt einen Karton, in welchem ein quadratisches Fenster von 1/, 1 oder 4 gem ausgeschnitten ist, auf das zu untersuchende Die Wegsamkeit der Laubblätter für Gase. 157 + weitgehend infiltrierte Blatt und zählt — eventuell unter der Lupe — wie viele mit Wasser erfüllte Lufikammern bzw. noch nicht infiltrierte Räume auf !/, 1 oder 4 gem kommen. Hieraus ergibt sich durch einfache Rechnung die Flächengröße der Luftkammern, gemessen in Bruchteilen von 1 gem. Natürlich erhält man bei wiederholten Zählungen Werte, die mehr oder weniger weit voneinander abweichen. Im nachfolgenden sind die Größen der Luftkammern als Mittel- werte aus 3—-4 Beobachtungen angegeben, wobei — namentlich bei sehr kleinen Kammern -—- die im Nenner stehende Zahl nach oben abgerundet wurde. Auf diese Weise wurden folgende Werte ermittelt: Größe der Luftkammern Quereus peduneulataY . . . .Yno—Yıoo gem “ rubral) 2220200. Yon m ” eoeeinea) . 2... Yo Nie » imbricaria) . . . annähernd — Q. coccinea n phellos).. . 2 2.2... Yo gem » dentatal 1 nigra) | ' ca. Yızoo ” Fagus silvatica (Lichtblatt) . . . . ca oo ” Carpinus betulus (Lichtblat) . . . Yısoo—"iso » Castanea vesea . . rn Yaso— Us Betula verrucosa (äctsat) ee alas 9 Alnus glutinosa . . ee a Ysoo ” Carya poreina (Lichtblatt) a Yayo “ Populus tremula . 2. 2.2.2.0. Yo m Ulmus montana . . .» 2.2.2.2. Yao ” Aesculus macrostachya . . : . - YWo—lio Acer platanoides und " Yo — Yaoo ” „ pseudoplatanus Tilia parvifolia . 2» 2 22020202000 Yısoo Evonymus latifolia . >» 2... YUss Liriodendrom tulipifera. . . . . Yyo—Yazo Magnolia stellata . . . 2.2.0. Mole m Hamamelis virginica . - . 22. Yo—Na Prunus padus . 22 22222000 Yaoo “ 1) Meist Lichtblätter. 2) Die Blätter dieser Art sind fast lederartig, tratzder streng heternharisch. 158 F. W. Neger, Prunus serotina . © 2 2 0 900 Yon gem Cornus mas Den ii ” Philadelphus coronarius . : . . Mulın Gytisus laburnum 2 2 22 0 5 Yan Ampelopsis hederacea . .» ... Yo " Halesia tetraptera . 2 2 00 Mast» Rhododendron maxinumd) . . . . Yon Fraxinus excelsior. . 02 + Yen» Yiburnum opulus . 2. 2220202 Yon Sambuceus nigra) . 2.0. Yo ls n Syringa vulgaris?). . ....- Yo—Us „ Unzweifelhaft (oder nahezu) homobarisch sind die Blätter folgen- der Bäume und Sträucher: Evonymus japonica Ilex aquifolium Prunus laurocerasus (1—!/, gem) Hedera helix Ardisia crispa sowie sämtliche Nadelhölzer! Aus obiger Zusammenstellung (in welcher nur Bäume und Sträucher, nicht krautartige Pflanzen berücksichtigt wurden) geht her- vor, daß die Größe der abgeschlossenen Luftkammern zwischen un- geheuer weiten Grenzen schwankt. Winzig klein (nur mit der Lupe erkennbar) sind sie bei den meisten Amentaceen (Eiche, Buche, Hainbuche) sowie bei den Ahorn- arten, Linden usw. Yon mäßiger Größe bei den Magnolien, Prunusarten, Caprifolia- ceen u. a. Zum homobarischen Typus leiten über: Cornus mas, Sambu- eus nigra, Syringa vulgaris. Homobarisch sind insbesondere immergrüne Laubblätter (indessen zeigt das Beispiel von Rhododendron maximum, daß auch leder- artige Blätter streng heterobarisch sein können). Ein weiteres Moment, das die Größe der Luftkammern bestimmt, scheint die Ausbildung des Blattes unter dem Einfluß der Belichtung I) Trotz des derb lederartigen Baues der Blätter deutlich heterobarisch. 2) Fast homobarisch. Die Wegsamkeit der Baubblätter für Gase, 159 — Licht- oder Schattenblatt — zu sein, wie aus folgenden ver- gleichenden Beobachtungen hervorgeht ®): Lichtblatt Schattenblatt Gorylus avellana. . . 02. Yoo gem Han Yıoo gem Fagus silvatica . . 0 Yo m Yıso—Yıso » Primärblatt wie Schattenblatt, Kotyledonen homobarisch Carpinus betulus . . . ca. Yo gem Yon Ysoo gem Primärblatt wie Schattenblatt, Kotyledonen homobarisch Schattenblatt Lichtblatt Quercus pedunculata . ca. Yıroo gem Yaoo—Usoo gem Betula verrucosa.. . . ca Yon ca. Yo» Rhamnus frangula . . — ca Yo u Jugendblatt ca. Y,,, gem Acer platanoides . . . Yrooo—Yao acm Yo —Ysz, gem Primärblatt wie Schattenblatt, Kotyledonen hömobarisch. Die Größe der abgeschlossenen Luftkammern ist bedingt durch den Bau des Nervennetzes (s. Anm. pag. 159). In der Regel stellt der- jenige Raum eine in sich abgeschlossene Luftkammer dar, der voll- kommen von Nerven umgeben ist. Häufig scheinen allerdings zwischen den einzelnen benachbarten Luftkammern keine Verbindungsräume zu bestehen und man beobachtet dann, daß die Infiltration von einer Kammer auf eine benachbarte überspringt. Je größer die Luftkammern sind und je mehr Verbindungswege mit benachbarten Kammern vorhanden sind, um so mehr nähert sich das betreffende Blatt dem homobarischen '['ypus. Das dichteste durch unendlich viele Anastomosen ausgezeichnete Nervennetz finden wir bei den meisten Amentaceen, bei Ahorn, Linde u.a. und demgemäß sind die Blätter dieser Bäume (wie wir gesehen haben) 1) Bei manchen Blättern (namentlich Eiche und Spitzahorn) kann man leicht erkennen, daß der Unterschied in die Größe der Luftkammern auf folgende Er- scheinung zurückzuführen ist: .In den Schattenblättern verlaufen die feinsten Ver- zweigungen der Nerven vielfach blind, ohne an den die Luftkammer umrahmenden Nery anzuschließen. Bei den Lichtblättern sind die gleichen Nervenendigungen kräftiger entwickelt und münden in die ringförmig verlaufenden Nerven. Dadurch wird der Raum, der bei den Schattenblättern eine Luftkammer bildet, in eine An- zahl (2--4) kleinere Kammern zerlegt (Fig. 2). 160 F. W. Neger, extrem heterobarisch gebaut, und ihre Luftkammern oft winzig klein (häufig unter Yıooo gem.) Bis zu einem gewissen Grad kann offenbar die Größe der Luft- kammern als eine durch die Stellung im System bestimmte Eigen- schaft gelten. Außerdem steht sie aber zweifellos auch in Beziehung zur Öko- logie der betreffenden Pflanzen. Denn die meisten immergrünen Bäume und Sträucher besitzen homobarische Blätter, oder wenigstens — wenn die Blätter heterobarisch sind — sehr große Tuftkammern (unter Umständen über 1 gem), während ihre blattwechseinden Gattungs- genossen heterobarisch sind: vgl. Evonymus japonica, bzw. Ev. lati- folia, E. europaea, ferner Prunus laurocerasus bzw. P. sero- tina usw. Fig. 2. a Schattenblatt b Lichtblatt der Stieleiche Verhältnis der Anzahl der Luftkammern auf gleicher Fläche: 21:44. Vergr. 20. Ich ziehe vor, mich mit der Feststellung dieser Tatsachen zu be- gnügen, ohne auf die Frage näher einzugehen, welche ökologische Be- deutung die wechselnde Größe der Luftkammern haben könnte. Um hierauf eine verbürgte Antwort zu geben, wird es nötig sein, die ganze Erscheinung auf breiterer Basis — unter Berücksichtigung auch der krautartigen Pflanzen sowie der genau ermittelten Lebens bedingungen — zu untersuchen. In meiner früheren Mitteilung habe ich allerdings schon aus- geführt, daß man versucht sein könnte, die Verhältnisse bei den (meist homobarischen) immergrünen Holzgewächsen so zu deuten, daB diese Blätter sozusagen eine „innere Atmosphäre“ besitzen und sich dadurch von der äußeren Atmosphäre unabhängig gemacht haben, was für sie zweifellos von Vorteil ist, da derartige Blätter (Ilex, Hedera, u. a.) in der rauhen Jahreszeit sehr viel Unbilden von der Witterung zu er- leiden haben. Die Wegsamkeit der Laubblätter für Gase. 161 Daß die Schattenblätter — bei einer und derselben Art — größere Luftkammern besitzen als die Sonnenblätter, ist wohl ohne weiteres verständlich, da erstere ein lockereres Mesophyli besitzen und das Nervennetz zum Zweck der Wasserversorgung weniger intensiv ver- zweigt zu sein braucht als bei Lichtblättern. Dann ist es aber auch leicht verständlich, daß die Kotyledonen und Primärblätter ent- weder homobarisch oder ihre Luftkammern wenigstens verhältnismäßig groß sind. Die Primärblätter haben offenbar in dieser wie auch in anderen Hinsichten den Charakter von Schattenblättern. Zum Schluß sei nur noch auf eine Erscheinung hingewiesen, welche durch die obigen Feststellungen eine ungezwungene Erklärung findet. Man beobachtet bei Beschädigungen der Vegetation durch Rauchgase, daß die Flecken an sommergrünen Laubhölzern scharf um- schrieben sind und oft zahlreiche engumgrenzte Bezirke betreffen, während sie an den Nadeln der immergrünen Koniferen mehr diffus sind und große Teile der Nadel umfassen. Wie oben erwähnt, gehören die Nadeln der Koniferen sämtlich dem homobarischen Typus an. Giftige Gase, die durch die Spaltöffnungen eintreten, verbreiten sich daher leicht über große Teile des Assimilationsorgans, während die Giftwirkung bei heterobarischen Blättern mehr oder weniger loka- lisiert bleibt. Flora. Bd. 141. 11 Untersuchungen über den anatomischen Bau der Staub- und Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria mit Beziehung auf das „INegitimitätsproblem“. Von 6, Tischler. (Mit Tafel III und 8 Abbildungen im Text} In den letzten Jahren ist von verschiedenen Seiten versucht worden (Stevens 1912, Gregory 1914, Dahigren 1916), die Re- sultate zytologischer und histologischer Gametophytenforschung bei hetero- stylen Pflanzen für das seit Ch. Darwin (1862, 1877), H. Müller (1875) u. a. bekannte und vielfach dargestellte „Illegitimitätsproblem“ zu verwerten. Haben wir hier doch eine besondere und in verschiedenen Abstufungen vorhandene Äußerung von Selbststerilität, die auch in der morphologischen Ausbildung der Staub- und Fruchtblätter resp. ein- zelner ihrer Teile einen Ausdruck gefunden hat. Dies wurde bereits von den ersten Entdeckern der diesbezüglichen Tatsachen ökologisch gedeutet und die Erscheinung benutzt, um eine Erklärung für die mangelnde Autogamie anzubahnen. Wir brauchen an dieser Stelle altbekanntes über „di*- und „tri- morphe“ Blüten nicht zu wiederholen. Wir erinnern nur daran, daß nach der geltenden Ansicht allein „zusammengehörende“ Pollenkörner und Fruchtblätter eine zum vollen Erfolg führende „legitime* Befruch- tung gewährleisten. Ein äußeres Anzeichen dafür, daß auch die Frucht- blätter in gewissen Größenverhältnissen ihrer Zellen den verschieden großen Pollenkörnern „angepaßt“ erscheinen, pflegt man in der verschie- denen Größe der Narbenpapillen — wenigstens bei gewissen Hetero- stylen _ zu sehen: der langgriffligen Form kommen die größten, der kurzgriffligen die kleinsten zu. So ist's bei Primula, so soll’s auch bei Lythrum Salicaria sein. j Bisher hat aber noch niemand einen wirklichen Nutzen der Papillengröße für die „entsprechenden“ Pollenkörner nachgewiesen. Und allen Versuchen, einen solchen zu erschließen, ist seit Correns’ Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 163 (1889) klaren Auseinandersetzungen bei Primula eigentlich der Boden entzogen. Dieser Forscher führt nämlich aus, daß (pag. 270) sich die Längen der Narbenpapillen „wohl als Anpassung an die Dicke der Körner auffassen lassen, aber nur in dem Sinne, das Auffangen der Körner zu erleichtern. Zur Erklärung der weniger günstigen Resultate illegitimer Kreuzung kann diese Anpassung nichts beitragen ... Man könnte nur annehmen, die langen Papillen ließen die kleinen Körner, die kurzen Papillen die großen nicht so gut keimen, als die ihrer eigenen Größe entsprechenden.“ Aber gerade diese Möglichkeit sei schon durch Strasburger (1886) widerlegt. So sei höchstens daran zu denken, daß die großen Narbenpapillen eventuell besser zum Fest- halten des großen Pollens dienten; allein auch diese „Anpassung“ könne nur sehr unvollkommen sein, da die einen Körner nicht leichter oder nicht schwerer als die anderen auf der Narbe blieben. Völlig hat Correns bekanntlich den durch Delpinos Vermutung aufgekommenen Irrtum zurückgewiesen, als wenn die Größe der Pollenkörner eine An- passung „an die Länge des bei legitimer Befruchtung zurückzulegenden Griffelweges“ wäre, nachdem schon Darwin (1877, pag. 217) Zweifel an Delpinos Erklärung geäußert hatte. Nichtsdestoweniger pflegen die Blütenbielogen nach wie vor im Anschluß an H. Müller zu betonen, daß es verständlich erscheine, wenn Narbenpapillen, Griffellängen und Pollenkörner von so ungleichen Dimensionen nicht in gleichem Grade für einander „passen“ können. Und noch einer der Führer. moderner Blütenbiologie, v. Kirchner (1911, pag. 151) schließt sich dieser Auffassung vollinhaltlich an. Ja selbst Neger (1913), der durchaus bestrebt ist, stets nach Möglichkeit die kausalanalytische Seite der Anpassungsprobleme zu betonen und die „Gelegenheitsanpassungen“ scharf von den „direkten“ zu sondern, spricht (pag. 594) davon, daß „der für hochinserierte Narben bestimmte Pollen (aus hochinserierten Antheren stammend} auch durch etwas be- trächtlichere Größe ausgezeichnet und durch reichere Versorgung mit Reservestoffen besser geeignet (v. m. gesp.) sei, den langen Weg in langen Griffeln zurückzulegen als der Pollen aus tiefinserierten Staub- gefäßen.* Indes sind Versuche, diesen scheinbar gut fundierten Ökologis- mus kausal aufzuklären, relativ selten gemacht worden. Eigentlich kommt nur v. Nägeli (1884) in Betracht, welcher (pag. 162) dachte, daß sich die ungleiche Größe der Pollenkörner (und wir dürfen wohl hinzufügen: eventuell auch der Narbenpapillen) vielleicht „einfach aus 11* 164 6. Tischler, der bei den Vegetationsorganen allgemein gültigen und auch bei Fort- pflanzungsorganen zuweilen eintreffenden Erscheinung erklären“ lasse, „daß bei übrigens gleicher Beschaffenheit höher gelegene Teile stets rascher sich entwickeln und eine beträchtlichere Größe erreichen als die entsprechenden tiefer gelegenen Teile“. Bei Neger, der sich be- müht hat, alles wichtige Material zusammenzutragen, um das Zustande- kommen der Ökologismen „physiologisch" zu erklären, finden wir nichts über unser Problem und nur pag. 637 eine zusammenfassende ‚und sehr resignierte Diskussion darüber, wie allgemein die Ökomorphosen der zoidiogamen Blütenanpassungen entstanden seien, aus der wir leider spezielle Erklärungen nicht entnehmen können. Wir stehen also vor einem Dilemma. Der tatsächlich bei gewissen Pflanzen nachzuweisen- den Korrespondenz verschieden großer Pollenkörner und Narben- papillen steht kein greifbarer Nutzen dieser „Anpassung“ gegenüber. Der Ökologismus müßte also erst bewiesen werden. Und da wollen wir einmal radikal fragen: Ist er denn überhaupt vorhanden? In un- serer Skepsis werden wir noch bestärkt, wenn wir sehen, daß es tri- morph-heterostyle Gewächse gibt, die daneben kleistogam sein können, also gerade bei der sonst verpönten illegitimen Bestäubung Samen pro- duzieren. Das gab schon Darwin (1877, pag. 277ff.) für Oxalis und Biophytum an. Für dimorph-heterostyle Spezies haben nun Stevens (1912) bei Fagopyrum und (in geringerem Maße) bei Houstonia, sowie Dahlgren (1916) bei Primula gezeigt, daß höchstens unbedeutende Größenunter- schiede der Chromosomen von der heterotypen Teilung an als Unter- schiede in Frage kämen, keinesfalls aber an eine tatsächliche Scheidung zweier Chromosomenkomplexe zu denken sei, die als Grundlage für eine Scheidung zweier genotypisch verschiedener „Erbqualitätenträger“ vorausgesetzt werden müßte. Und Dahlgren (1916, pag. 10) sagt zusammenfassend: „Ich balte es für wahrscheinlich, daß die verschie- dene Größe der Chromosomen und Kerne der beiden Formen... kein morphologischer Ausdruck verschiedener Vererbungseigenschaften ist“ Schon vorher (Tischler 1915, pag. 238) hatten wir selbst den trophischen Charakter dieses Phänomens betont. Es wird auffallen, daß bisher noch keine trimorphe Spezies stu- diert wurde, die doch allein an ein und demselben Individuum zwei sehr verschieden große Pollenkornsorten produziert. Wenn hier wirklich an eine Scheidung der „Erbqualitäten“ zu denken wäre, die, nach allem was wir wissen, normal bei der Reduktionsteilung erfolgen würde, Unters. tib. d. anat. Bau d. Staub- n. Fruchtbiätter bei Lythrum Salicaria usw. 165 müßte die genotypisch einheitliche Pflanze doch aus sämtlichen Pollen- mutterzellen der größeren wie der kleineren Antheren noch beiderlei Pollenkornsorten bilden und in ersteren würden dann die „kleiner bleibenden“, in letzteren die „zu größeren bestimmten“ degenerieren, etwa wie sich das Correns (1916) bei der Bildung von zweierlei sexuell different determinierten Pollenkornformen zunächst dachte. So könnte wenigstens eine Scheidung eintreten und auch diese nur, wenn das Individuum in mindestens einem Gen heterozygot wäre (s. a. Dahlgren 1916, pag. 9). Untersuchungen von Barlow (1913) haben ja in der Tat gezeigt, daß zwar die langgriffligen Individuen von Lythbrum Salicaria und Oxalis Valdiviana homozygotisch, die mittel- und kurzgriffligen aber homo- und heterozygotisch sind?). Wenn wir den mittelgroßen und kleinen (gelben) Pollen von Lythrum als eine Sorte nehmen und diesem den großen (grünen) als eine zweite gegenüberstellen, wozu wir in gewisser Beziehung ein Recht hätten (Tischler 1917 b), da erstgenannter Pollen Fett, letztgenannter Stärke als Reservestoff führt, so würde unsere Annahme von einer Spaltung der „Erbqualitäten* wenigstens bei den mittel- und kurzgriff- ligen heterozygoten Formen immerbin möglich sein. Ich studierte zu diesem Zwecke eingehend die Teilungen der Pollenmutterzellen, aber ein Unterschied ließ sich bei Lythrum ebenso- wenig wie bei den von Stevens und Dahlgren untersuchten hetero- styl-dimorphen Spezies herausfinden. Die vier Abkömmlinge einer Pollenmutterzelle hatten untereinander gleich große Kerne und Chromo- somen. Freilich ist die Chromosomenbeurteilung, sowohl was die Zahl als auch was die Größe anlangt, bei dieser Spezies sehr schwierig. Ich habe mir große Mühe gegeben zu einem Resultat zu kommen, das jeden Zweifel ausschließt, kann mich aber nicht völlig befriedigt zeigen. Indes ist es mir ziemlich sicher, daß die haploide Zahl 24 ist.. Man wolle auf Taf. III die Fig. 1a—id näher vergleichen. Hier handelt es sich um Diakinesestadien der kleinsten Stamina eines langgriffligen Individuums. Im ganzen sind auf den vier Schnitten 17 Zellen zur Abbildung gekommen. Die Zellen I, 11, II, IV, und XI, XIV, XVII haben nur angeschnittene oder gar keine Kerne mehr. Im übrigen zählte ich für 1) Ganz Ähnliches gilt nach Bateson und Gregory (1905) auch für die dimorphe Primula sinensis. Hier sind die langgriffligen Pflanzen homo-, die kurz- griffligen homo- und heterozygot (vgl. dazu Tischler 1917h, pag. 462-463), 166 G. Tischler, P > oo F u» 8 8 3 FE FE BE u Zelle I=-1-+— _ -=- Pr I=-10 +— _ _-_—_— ” U= i1+- —_ _-_—_— » IV _ " v=17+7 --4 I MeRB+2 — ——-4 » OO vI=24 u = 2 vII=1-+- = „OO R=-2+-4+212 24 Xe- 7-34 1=4 " Xe- 1 " XlI=—- - 1417-4 mMi=- 0 —- 8+1=-% XV - 6 »„ MV=— 7 -+ 16 = 23 (ein Chromosom seheint zu Ichlen) » M=— —_ 4 + 18 = 22 (zwei Chromosomen scheinen zu fehlen) „Oxvu 15 NB. Die Figur 1b lag im Schnitt Ic (in einer anderen op- tischen Ebene) in den grau getönten Partien. Der Grund, warum ich nicht völlig von diesem anscheinend ein- deutigen Resultat befriedigt bin, ist der, daß ich die einzelnen sichtlich verschieden großen Chromosomen in den einzelnen Kernen nicht iden- tifizieren konnte. In einigen fiel mir nur ein besonders großes biva- lentes Chromosom auf. Dies müßte, streng genommen, überall vor- handen sein, und davon konnte ich mieh nicht überzeugen. Außerdem sind manche von den kleineren Chromosomen nur nach sehr gewissen- hafter Prüfung von Chromatinkörnchen zu scheiden. Die von Winge (1917) neulich gerügte Möglichkeit einer objektiv falschen Zählung, da man unwillkürlich nach „schönen“ Zahlen suche, mag auch hereinspielen, soviel Selbstkritik ich mich auch anzuwenden bemühte. Das Ideal, alle 24 Chromosomen in jedem Kern nach Größe und Form zu unter- scheiden, wurde leider auch nicht im entferntesten erreicht. Das aber sehen wir hier schon mit Sicherheit: die Kerne selbst sind nicht alle untereinander gleichgroß und noch weniger ihre Chromosomensätze. Trophische Einflüsse spielen also bereits hier eine Rolle. Mehr anmerkungsweise sei noch der diploiden Zahl gedacht. Diese aber gelang es mir trotz der vielen somatischen Teilungen, die ich an- sah, noch schwieriger festzulegen, da die Chromosomen ganz außer- ordentlich zusammen verklumpen. Schließlich habe ich mit !/,, Winkel- Ölimmersion, ganz starken Okularen und völlig ausgezogenem Tubus gearbeitet und die Linearvergrößerung auf 28002900 gebracht. So wurde auch Fig. 2 gezeichnet, in der man deutlich 48 Chromosomen Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 167 sieht. Meistens wurde diese Zahl nicht erreicht, mehr als 48 Chromo- somen sah ich aber nirgends. Daß die Größe der Chromosomen zur Kerngröße und diese zur Zellgröße bei sonst gleichen äußeren und inneren Verhältnissen in fester Proportion steht, lehren die Erfahrungen, welche zur Aufstellung der bekannten Regel von der „Kernplasmarelation“ führten. Um nun die extrem verschiedenen Pollenkörner an einem und demselben In- dividuum gleich nach ihrer Bildung miteinander vergleichen zu können, mußte ich mittelgrifflige Exemplare nehmen. Da es sicher sehr schwer ist, genau gleiche Stadien zu determinieren, wählte ich sie im Lepto- nema, der Synapsis und unmittelbar nach der homöotypen Mitose, wo der Pollen noch von der verschleimten Membran der Pollenmutter- zellen zusammengehalten wird und die Chromosomen noch als gesonderte Zentren zu erkennen sind. In Fig. 3a und 3b sehen wir Leptonema und Synapsis bei den kleinsten, in Fig. 4a und 4b desgleichen bei den größten Pollenmutterzellen. Größenunterschiede sind zwar vor- handen, aber nicht sehr bedeutend. Für die jungen Pollenkörner, die in Fig. 5 und 6 gezeichnet sind, habe ich, um möglichst verschiedenes nebeneinanderzustellen, Tetraden von dem größten Pollen kurzgriffliger und solche von dem kleinsten lauggriffliger zur Anschauung gebracht. In den von mir untersuchten mittelgriffligen Exemplaren maßen bei dem ganz jungen Pollen, der noch von der gemeinsamen Pollen- mutterzellmembran umgeben war, von den drei in einem Mikrotomschnitt jeweils zusammenliegenden Zellen einer Tetrade (in „ ausgedrückt) beispielsweise die Zellen und Kerne wie folgt — es werden die mitt- leren Durchmesser von je zwei Messungen angegeben: a) bei den größten Stamina. b) bei den kleinsten Stamina, zZ = u, Z = 984 zZ = Ma | Z — dhu K = 474 | K, = 47a RK - 413. | KR = fu zZ, = Wu | Z, = 98% zZ = u | 4, = 78 K= MR = 4 K, = 43% KL = 4 Zu = 98% | Zu= 984 Zu= 82. Zu= Tin Ku = 47 u: Ku - au Ku= 438 | Ku = 43 u Das beieutet aber, daß sowohl die Zell-, wie vor allem die Kern- inhalte nicht sehr verschieden in ihrer Größe bei beiden Polienkorn- sorten sind, wenn auch der größere Pollen etwas im Wachstum ge- fördert ist. Im vollkommen reifen Pollen maß ich z. B. für mittelgrifflige Blüten folgende Größen. (Ich gebe dabei wieder in mittleren Durch- 168 G. Tischler, messern an, bin mir aber klar, daß diese eigentlich noch weniger exakt sind, als vorhin, da hier die Kerne, zumal die generativen, sehr lang- gestreckt sind und das Mittel aus zwei Maßen für Länge und Breite noch sehr von dem „idealen“ differieren mag. Für die Größen- ordnungen, die in Betracht kommen, ist dieser Fehler aber ziemlich belanglos.) a) bei den größten Stamina. b) bei den kleinsten Stamina. I. Pollen = 4 u LPfllen ... = 185 a Inhalt = 3284 | Inhalt =-1 vegetativer Ken = Bu | vegetativer Kern = 5,4 # generativer Ken = 43 u generativer Ken = 39 u 1I. Pollen — 332 u Il. Pollen Inhat . . = 308 u Inhalt . vegetativer Kon = 62 u vegetativer Kern generativer Kern = 49 u generativer Kern IE. Pollen —= 28 u II Pollen Inhalt —= 308 u Inhalt Fu vegetativer Kern = 5,4 u vegetativer Kern generativer Ken = 41 u generativer Kern Mit anderen Worten: Während die Kerne in beiden Pollenkorn- sorten ziemlich gleiche Größe zeigen, unterscheiden sich die Zellgrößen jetzt außerordentlich. Es läßt sich dabei nicht bestimmen, wie viel von dem Inhalt auf Zytoplasma, wie viel auf die Reservestoffe (Stärke, Fett) kommt, so daß wir über eine eventuelle Verschiebung der Kern- plasmarelation nichts aussagen können. Unter den völlig reifen größten Pollenkörnern finden sich immer einige im Wachstum zurückgebliebene vor. An einem solchen maß ich z. B.: Zelle = 17,8 u, Inhalt — 15,8 u, vegetativer Kern = 4,5 u, generativer Kern — 3,2 u. Die Maße entsprechen also ganz denen des kleinsten Pollens. Unser Resultat harmoniert aufs beste mit den Beobachtungen von Correns (1889, pag. 270), wonach bei Primula acaulis die gene- rativen Zellkerne der beiden Formen in den Pollenschläuchen keine Größendifferenzen zeigten, von den vegetativen sagt unser Autor da- gegen nichts aus. Es scheint mir, als ob Dahlgren (1916) zu anderen Schlüssen für Primula offieinalis gekommen ist. Er erwähnt zwar im Text nichts davon. Aus seinen klaren Zeichnungen kann man aber deutlich er- sehen, daß dem größeren Pollen weit größere vegetative und genera- tive Kerne zukommen als dem kleineren. Wenn man seine Fig. 21 und 22, Taf. I (Pollen in Tetradenanordnung) miteinander vergleicht, Unters. üb. d, anat, Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 169 kann man auf der Zeichnung als mittlere Durchmesser für die Kerne 8,5 resp. 11 mm, für die Zellen 13,5 resp. 17,5 mm messen. Nimmt man zum Volumvergleich die dritten Potenzen, erhält man als Quotienten für das Kernverhältnis 2,17, für das der Zellen 2,18. Die Volumina sind bei dem größeren Pollen also schon ungefähr doppelt so groß wie bei dem kleineren. Für den reifen Pollen müssen wir bei der Berechnung berück- siehtigen, daß die Fig. 23 und 27 nicht bei gleicher Größe gezeichnet sind, nämlich erstere bei Vergrößerung 1450, letztere bei 1300. Bringen wir auch diese auf erstere Größe, ergäbe das für die vege- tativen Kerne 10 und 5 mm, für die generativen 5 und 3,6 mm, für die Zellinhalte 37 und 22,3 mm mitt- leren Durchmesser. Bei einem Ver- gleich der dritten Potenzen aber Fig. 2. Mittelgriffliges Indivi- Fig. 1. Mittelgriffliges Individuum, duum, kleinste Stamina. Epi- te Stamina. Epidermiszellen vom dermiszellen vom oberen Rande oberen Rande der Anthere. Vergr. 800. der Antbere. Vergr. 800. würden sich die Volumina der beiden vegetativen Kerne wie 8:1, die der generativen Kerne wie 2,6:1, die der Zellinhalte wie 4,6:1 ver- halten. Es liegt mir nun völlig fern, Dahlgren aus diesen nicht aus- dricklich dafür gezeichneten Bildern Schlüsse unterzuschieben, die in unserer Frage bindend sind. Aber zum mindesten möchte ich für Primula die Frage erneut zur Diskussion stellen, ob die Kerngrößen in der Tat bei beiden Formen annähernd gleich und nur die Zell- größen ungleich sind oder nicht. Bei Lythrum Salicaria sehen wir jedenfalls völlig deutlich, daß allein die Zellgrößen der kleineren Körner im Wachstum sehr stark gehemmt sind, und wir dürfen diese Hemmung wohl auf verschieden starke Ernährung zurückführen. 170 G. Tischler, Das nächste Ziel wird für uns nun sein, zu ergründen, wie diese Ernährungshemmung zustande kommt, und ob die Pollenkörner die einzigen Zellen sind, die in den beiderlei Antheren in der Größe so stark differieren. Zur letzteren Frage kann ich gleich bemerken, daß ich nur noch an gewissen Epidermiszellen Unterschiede nachwies; doch waren sie nicht sehr scharfe. An bestimmter Stelle, und zwar am oberen Rand der Anthere in unmittelbarer Nähe des Konnektivs, waren bei den größeren Staubblättern die Zellen wie in Textfig. 1, während sie in den kleineren wie in Textfig. 2 aussahen. Der Unterschied liegt auf der Hand: das eine Mal haben wir es mit breiten, hohen, fast papillösen, das andere Mai mit kleineren und deutlich flacheren zu tun. Fig. 3a. Fig. 36. Auf die gezeichneten Formen lege ich kein großes Gewicht, sie wechselten im einzelnen. Wichtig ist mir nur, daß in einer und der- selben Blüte zur gleichen Zeit sich die Epi- dermiszellen an angegebener Stelle in Form und Größe noch mehr unterscheiden können, als das die Zellen der beiderlei Archespore tun. Daß nicht etwa durchweg den Epider- miszellen der größeren Antheren die Zellgrößen wie in Textfig. 1 zukommen, lehrt uns gleich die Betrachtung der unmittelbar an diese nach unten anschließenden Oberhautzellen der Seiten- Fig. 3a. Mittelgriffliges In- tänder. Sie sind flach, und in keiner Weise dividoum. Epidermiszellen papillös (Textfig. 3a und b). Auch an leben- vom seitlichen Antheren- PR: rande der größten Stamin.. dem Material überzeugt man sich leicht von Fig.3b. Dei kleinsten der verschieden stark ausgeprägten Tendenz Stamina. Vergr. 300. zur Papillenbildung allein oder doch haupt- sächlich am oberen Antherenrande. Wie leicht den Epidermiszellen eine Papillenform aufgezwungen werden kann, das lehrt z. B. die vor kurzem publizierte Beobachtung Küsters (1917, pag. 13), wonach bei Blättern von Coleus die ober- seitigen Epidermen je nach Vorhandensein oder Fehlen von Antho- eyanen in der Vakuolenflüssigkeit papillös oder flach sein können. Hier ist jedenfalls der verschieden hohe osmotische Druck die Ursache der Formverschiedenheit. Daß allgemein die ungleiche Wasserzufuhr von entscheidender Bedeutung in dieser Richtung sein kann, besagten schon die Ausführungen Küsters (1916, pag. 357): „Pflanzen, die an wasserreichen Lokalitäten wachsen, haben häufig größere, höhere (V. m. gesp.) Epidermiszellen als die an trockenen Standorten wachsenden, Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 171 und die Vergrößerung der Epidermiszellen gibt diesen die vom Stand- punkt der physiologischen Anatomie aus oft behandelte papillöse Form (v. m. gesp.)“. Machen wir einen Querschnitt durch die Knospe einer mittel- griffligen Blüte, in der wir also die extremsten Staubblätter haben, so sehen wir schon im jugendlichen Stadium, daß gerade in puncto Wasserversorgung beide Filamentgruppen sich scharf unterscheiden. Trotzdem (Textfig. 4) eine deutliche Sonderung in Xylem und Phloem noch nicht eingetreten war, erkennen wir auf den ersten Blick, daß die Leitbündel der größeren Staubblätter wesentlich größer sind als die der kleineren, und daß ferner schon jetzt die Zahl der Gefäße etwas beträchtlicher ist. Die gezeichneten Bilder stammen natürlich aus ein und derselben Blüte und zwar ziemlich nahe dem Grunde der Fila- mente. Man kann bei einem Durchmustern sämtlicher zwölf Staub- blätter überall allein schon nach der Leit- bündelgröße sagen, welcher der beiden Staubblattsorten sie zu- . . am r Fig. 4a. Mittelgriffliges Individuum. Leitbündel aus gehören. In den völlig gem Filament eines der größten Stamina (nahe der gr‘ ausgewachsenen Staub- Basis geschnitten) zur Zeit der Tetradenbildung der blättern, zur Zeit der . Pollen-Mutterzellen. Vergr. 600. . Fig. 4b. Desgl. Leitbündel aus dem Filament eines Antherenreife, sind die der kleinsten Stamina. Vergr. 600. Differenzen noch +weit ausgeprägter. Unsere Textfig. 5 mag das näher illustrieren; zwar wech- selt die Zahl der Gefäße ebenso wie die der Gesamtzellen überhaupt, aber die von uns wiedergegebenen dürfen wir als völlig typisch an- sehen: d. h. die kleineren Leitbündel besitzen nicht mehr als 2--3 Gefäße resp. Tracheiden, die größeren das 3—4fache davon, ganz ab- gesehen von ihrer stärkeren Gesamtent wicklung. Solch ungleich große Gefäßbündel werden aber notwendigerweise auch ungleiche Mengen Wasser und darin gelöste Stoffe transportieren müssen. Und es erübrigt sich eigentlich noch besonders zu betonen, daß auf diese Weise die „größten“ Staubblätter gegenüber den „kleinsten“ außerordentlich in der Wasserversorgung wie der Gesamt- ernährung bevorzugt sind. Wir können letztere, verglichen mit ersteren Fig. 4a. Fig. 4b. 172 G. Tischler, als „Henmungsbildungen“, als Paravarianten im Detto-K üster’schen Sinne, auffassen (s. Küster 1916). Wir werden uns dabei aber davor zu hüten haben, den Begriff der Hemmung mit dem des einfachen Stehenbleibens auf einer Entwicklungsstufe gleichzusetzen. Das lehrt uns hier besonders eindringlich die Chemie der Pollenkörner. An an- derer Stelle (Tischler 1917 b) führten wir aus, daß allgemein zuerst ein „Stärkestadium“ existiert, daß dieses aber gerade bei dem kleinen Pollen, den wir soeben als Hemmungsbildung auffaßten, nur einen Übergang zum „Fettstadium“ bedeutet. Vom rein chemischen Stand- punkt könnte man also sagen, gerade die Pollenkörner, welche im Stärkestadium bis zum Auskeimen behbarren, sind in ihrer Entwicklung den anderen gegenüber gehemmt. Nun kennen wir aber Hem- Fig. 5b. Fig. 5a. Mittelgriffliges Individuum. Leitbü i i i t ‘ r . tbündelteil aus dem Filament eines der größten Stamina mit zahlreichen Gefäßen (nahe der Basis geschnitten) zur Zeit der völlig reifen Anthere. Vergr. 1200. Fig. 5b. Desgl. Leitbündelteil aus dem Filament eines der kleinsten Stamina mit nur zwei Gefäßen. Vergr. 1200. mungen, die trotzdem in ganz bestimmter Hinsicht spätere Entwicklungs- stadien vorzeitig wegnehmen, während sie in allem übrigen nicht mehr die volle Ausbildung zeigen. Eine Rose z. B, die im 1. Lebensjahr blüht, ist In puncto „Blühen“ gegen eine gleichalterige normale Rose entschieden gefördert. Und doch werden wir von einer Hemmung im Gesamtverhalten sprechen dürfen. So ist auch hier die Entwicklung der Anthere infolge der weniger genügenden Versorgung mit Wasser und Nährstoffen, also durch die schlechtere Gesamternährung, gehemmt, trotzdem wird das Stärkestadium des Pollens rasch „übersprungen“. Ja wir können jetzt vielleicht gerade diese uns früher rätselhaft ge- bliebene Tatsache verstehen lernen. Fr. Weber (1909) hat bei seinen Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 173 Versuchen, die Fettbildung ökologisch zu erklären, darauf hingewiesen '), daß eventuell „im Vorhandensein von Fett an Stelle der stark quell- baren Stärke oder des osmotisch kräftig wirkenden Zuckers eine An- passung au unzureichende Wasserversorgung‘ zu sehen sei, und er hat diese Vermutung mit einigen Gründen gestützt. Wir wollen nun nicht in den Fehler verfallen, etwa überall in dem Fettpollen jetzt einen be- sonderen Ökologismus zu sehen. Aber der Gedankengang Weber’s erlaubt vielleicht auch ein kausal-analytisches Verständnis derart, daß Wassermangel in der Tat die Fettbildung beschleunigen könnte. Wir wissen ja so wenig Exaktes über den Prozeß der Fettbildung auf Kosten der Kohlehydrate, daß jeder Fingerzeig benutzt werden muß. Also, um es noch einmal kurz zu sagen: der große Pollen, der reich- lich ernährt wird, behält die Kohlehydrate als Reservestoff, der kleine „gehemmte“ setzt die Stärke nach Abhau in Fett um. Ein starkes Indizium dafür, daß unser Gedankengang richtig ist, ja ein Indizium, das fast Beweiskraft hat, liegt in der Tatsache, daß die beiderlei Sorten von Filamenten in den langgriffligen Blüten sich anders verhalten. Hier, wo wir ja die „größten“ Antheren mit ihrem Stärkepollen nicht haben, unterscheiden sich auch die Leitbündel kaum voneinander und jedenfalls nicht in dem uns interessierenden Punkte. Die Zahl der Gefäße — natürlich müssen wir sie nahe der Filament- basis betrachten — ist bei beiden nahezu identisch, und das stimmt für alle 12 Stamina einer Blüte. Ich zählte in den von mir ge- musterten Präparaten je 2—-4 kleine Gefäße, sonit ungefähr soviel wie in den kleinsten Leitbündeln der mittelgriffiigen Blüten. Differenzen, die mir eine Identifizierung der Stamina, ganz abgesehen von der Lage erlaubten, waren sichtlich unbedeutender Natur, wie z. B. größerer Gerbstoffgehalt der Epidermiszellen bei den Mittelgroßen. Das mag variieren und hat vielleicht nur für einen speziellen Fall Gültigkeit. Die Hauptsache ist eben die: in den langgriffligen Blüten fehlt die bei den mittelgriffligen so ausgesprochene Leitbündeldifferenzierung. Und die „mittleren“ und „kleinen“ Filamente verhalten sich, was Wasser- versorgung anbelangt, einander im wesentlichen gleich. Daher dürfen wir wohl den Schluß ziehen, daß mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der „größte“ Pollen in seiner chemischen Eigenart durch das Mehr an zugeleiteten Stoffen ebenso kausal bedingt ist wie der „mittlere® und „kleinere“ durch das Weniger dieser Stoffe. Oder wir können dasselbe auch in der Form ausdrücken: bei sehr starker 1) Den Hinweis verdankte er, wie er angibt, seinem I,chrer K. Linsbauer. 174 G. Tischler, Zuleitung von Nährstoffen wird im Pollen der sonst zu beobachtende Stoffumsatz sistiert, die enzymatische Tätigkeit, welche die Stärke löst und die gelösten Kohlehydrate zur Fettbildung benutzt, findet sich nicht ein. Wer möchte hier nicht an Klebs’ Ausführungen denken (z. B. 1917, pag. 407—408), wonach bei zu starker Anhäufung gewisser Nähr- stoffe eine „Inaktivierung“ der Fermente, speziell der Diastase, ein- treten kann. Erst bei der Keimung würde dann durch den äußeren Reiz, der auf das Pollenkorn ausgeübt wird, die Hemmung überwunden (vgl. auch unsere Ausführungen 1917b.) — Die fraglichen Lythrum-Individuen unterscheiden sich also primär im Leitbündelbau ihrer Filamente. Die chemische Differenzierung des Pollens, die als „Merkmal“ besonders in die Augen fällt, würde nach unseren Ausführungen dann sekundär bedingt sein. Leider sind mir nie solche Fälle zu Gesicht gekommen, wie sie Koehne anführt (vgl. Tischler, 1917b, pag. 461). Dieser Forscher hat zweimal an kurz- griffligen Exemplaren sämtliche 12 sieh untereinander äußerlich nicht unterscheidenden Staubblätter mit gelbem Pollen aufgefunden. Es würde sehr interessant sein, zu sehen, wie sich bei diesen offenbar sehr seltenen Ausnahmen die Leitbündel der Filamente verhalten. Die „mittelgroßen“ und „kleinen“ Pollenkörner sind untereinander so ähnlich, daß spezifische Unterschiede bei ihrer Wasserversorgung nicht in Betracht kommen. Die geringen Größendifferenzen können sich auch im Polien innerhalb einer und derselben Anthere vorfinden. Wir werden uns also nicht wundern, wenn wir in dem Bau der ent- sprechenden Filamentleitbündel keine solch wahrnehmbaren Verschieden- heiten wie zwischen den vorher genannten beobachten. Hans Winkler (1907) hat in seiner grundlegenden Abhandlung „Über die Umwandlung des Blattstieles zum Stengel“ bekanntlich ge- zeigt, daß gerade die wasserleitenden Gewebe sich in ihrer Masse ver- ändern lassen, und teleologisch könnte man fragen, warum denn etwa die mittleren und kleinen Staubblätter ihren vollen Wasserbedarf nicht auch durch zweckentsprechende Wachstumsregulationen innerhalb der Filamente decken könnten, wie das in Winkler’s Versuchen der Fall war. Darauf ist zu erwidern, daß hier noch ein Kambium existierte, welches neue wasserleitende Zellen erzeugen konnte und daß der An- reiz dazu höchstwahrscheinlich durch eine Transpirationssteigerung ge geben werden mußte. In unserem Falle haben wir für diese keinen Anbaltspunkt und ein Kambium fehlt auch. Das Organ muß sich eben, bildlich gesprochen, mit dem vorhandenen einrichten. Warum freilich Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 175 die einen Filamente sich schwächer als die anderen in derselben Blüte entwickeln, das hängt, wie Klebs sich ausdrücken würde, von ihrer „spezifischen Struktur“ ab, oder wie wir in alter Weise auch sagen könnten, dazu müßten wir phylogenetische Gesichtspunkte heranziehen. Nach diesen Bemerkungen wenden wir uns zu einigen den un- seren analogen Erscheinungen. Und da werden wir zuerst an die nichtheterostylen, aber heterantheren Gewächse denken. Bei ihnen be- zieht sich, wie wir (Tischler, 1917 b, pag. 472) näher ausführten, die Hemmung im allgemeinen nur auf die Größe der Anthere. Aber es gibt doch auch Pflanzen, z. B. gewisse Cassia-Arten, die Größenunter- schiede in den reifen Pollenkörnern aufweisen. Das Interessante ist, daß bei Hemmung in der Funktion doch selbst eine Größenzunahme gegen die „normalen“ zu beobachten sein konnte (Cassia Fistula, C. bacillaris). Der Gegensatz dieser Heterantheren zu den Heterostylen kann vielleicht so definiert werden, daß bei letzteren die Funktion des Pollens nicht gelitten hat, während bei ersteren ein Übergangsstadium auf dem Wege nach dem „Staminodialwerden“ erreicht ist. Ähnliche Hemmungen wie bei Lythrum sind auch bei gewissen diözisch werdenden Arten beschrieben. Wir wollen hierauf noch weiter unten zu sprechen kommen, möchten hier aber schon auf gewisse Übereinstimmungen aufmerksam machen, wobei wir bereits einige für die Narbenpapillen beschriebenen Phänomene vorwegnehmen. Sie zeigen sich bei dem in der Entwicklung gehemmten Geschlecht, Ich greife z. B. das von Heckel (1890) beschriebene Solanum Duchartrei als gutes Beispiel heraus, von dem der Autor für die „physiologisch g Blüten“ sagt: die Narbe zeige sich in ihnen „couvert de papilles courtes et söches, tandis que dans la fleur physiologiquement femelle le style long est termine par un stigmate trös capite, de couleur vert et couvert de longues papilles humides“. Es ist hier eine „condition höterostylöe unisexude“ geschaffen. Trotzdem scheinen „les ovules... semblables dans les deux ovaires et &galement developpes“ Wir kennen auch dafür bei manchen Heterostylen ein vollkommenes Ana- logon, so bei der daraufhin viel untersuchten Primula (s. ausführlich bei Dahlgren 1916). Recht gut endlich lassen sich zum Vergleich die bei der Kleisto- gamie beschriebenen Erscheinungen heranziehen. Goebel (1904) hat, von breiter Basis ausgehend, bewiesen, daß wir es auch hier mit Hemmungsbildungen im Vergleich zu den chasmogamen Blüten zu tun haben und Fräulein Ritzerow (1908), seine Schülerin, hat diese Ge- danken noch weiter ausgeführt. Schon Rößler (1900) hatte für die 176 G. Tischler, kleistogamen Blüten der Oxalis Acetosella (pag. 493) eine mit Größen- unterschieden der Pollenkörner verknüpfte Heterantberie angegeben, während noch Darwin (1877, pag. 158) ausdrücklich bemerkt, daß die Pollenkörner der chasmo- und kleistogamen Blüten nicht in der Größe differieren. Außer den Größenunterschieden gegenüber dem Pollen der chasmogamen Blüten beobachtete Rößler fernerhin eine schwächere Entwicklung der Exine: „die Skulptur der kleistogamen Pollenkörner ist nicht so grob wie die der chasmogamen“ (vgl. dazu Tischler 1917 b, pag. 475). Und Fräulein Ritzerow hat num für eine ganze Anzahl kleistogamer Gewächse im Prinzip ähnliches gesehen; eine Ver- kleinerung des Pollens wird z. B. für Aristida gracilis (pag. 167), Sporo- bolus vaginiflorus (pag. 169), Halimium glomeratum (pag. 175), Ononis columnae (pag. 191), Houstonia spec. (pag. 204, vgl. dazu die Bemerkung auf pag. 203) und Specularia perfoliata (pag. 207) erwähnt. Die kleiner gewordenen Pollenkörner sind Hemmungsbildungen, und die Hemmung ist da noch weiter gegangen, wo nur zwei statt der vier Pollensäcke vorhanden oder gar wo die Staubblätter ganz zu Staminodien gewor- den sind. Dafür führen Goebel wie Fräulein Ritzerow zahlreiche Beispiele an. Goebel hat die kleistogamen Blüten bekanntlich mit den „Kümmer- zwergen“ (Sierp 1914) verglichen. Namentlich Gauchery (1899 verdanken wir sehr ausführliche Untersuchungen über deren Struktur. Er hebt hervor, daß bei ihnen stets eine starke Leitbündelreduktion im Vergleich zu den „normalen“ Individuen zu beobachten ist (s. z. B. die instruktiven Figuren für Rumex Acetosella, Papaver Rhoeas, Euphorbia strieta, Nicandra physaloides, Erigeron canadensis)‘). Das gleiche ist ja nun auch bei unseren „gehemmten“ Filamenten nachzuweisen. Hand in Hand mit der Veränderung der Pollenkörner kann eine Veränderung in gewissen Teilen der Fruchtblätter gehen und zwar vorzugsweise in der Narbe. Und damit hätten wir eventuell wieder ein Analogon zu den Verhältnissen hei den Heterostylen. Ich zitiere Rößler (1900, pag. 496), der für Oxalis Acetosella sagt: „Sind ferner die Narbenpapillen der chasmogamen Blüte lang schlauchförmig, so I) Herr Geheimrat v. Goebel hatte die Freundlichkeit, mich darauf auf- merksam zu machen, daß schon vor Gauchery die deutschen Forscher Frank und Sorauer (vgl. die Zusammenfassungen bei Frank, A. B., Die Krankheiten d. Pflanzen, 2. Aufl,, Bd. I, pag. 271 ff., 1895 und Sorauer, P, Handbuch der Pflanzenkrank- heiten, 3. Aufl., Bd. I, pag. 139 ff, 1909) zu gleichen Resultaten gekommen waren. Ich bedauere diese Angaben übersehen zu haben, um so mehr als sie auch bei Sierp AN) pag. 56 zitiert sind. (Anmerkung bei der Korrektur.) Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 177 sind sie hier ganz kurz“, und ich weise ferner auf Bilder hin, wie sie Fräulein Ritzerow in ihren Fig. 31 und 32 für Houstonia, in Fig. 35 und 36 für Specularia gibt. Wenn wir uns jetzt zu den Fruchtblättern unseres Lythrum Salicaria hinwenden, so begeben wir uns dabei des Vorteils, den wir bei einem Vergleich der Pollenkörner hatten. Denn wir können ja nun nicht mehr nur ein Individuum betrachten, sondern müssen mindestens zwei miteinander vergleichen. Wir sind also in der gleichen Lage wie - bei dem Pollen- und Narbenvergleich der Heterostyl-dimorphen. Das ist ein Übelstand, der, da es sich um sehr modifizierbare Zellen handelt, nicht allzuleicht genommen werden darf. Sehen wir aber einmal zu, ob wir trotzdem einen Analogieschluß wagen dürfen. Daß alle Teile der Fruchtblätter außer den Narbenpapillen in den drei Formen durchschnittlich gleichgroße Zellen haben, scheint man stets stillschweigend vorausgesetzt zu haben. Und diese Voraussetzung ist auch riehtig. Mit aller Deutlichkeit sieht man aber dabei (Tischier 1917a), daß die vielen Samenanlagen sehr ungleich an Größe sind, da rie sich offenbar gegenseitig die Nahrung wegnehmen. Infolgedessen finden wir starke Verschiedenheiten auch in der Größe der Embryosäcke und ihrer Zeilen‘. Diese Differenzen können aber innerhalb eines und desselben Fruchtknotens größer sein als zwischen Fruchtknoten ver- schiedener Formen. Auch Dahlgren (1916) war für Primula zu dem gleichen Resultat gekommen. Er weist schon auf das theoretisch Bedeutsame hin, daß sich somit Pollenkörner und Eizellen verschieden verhalten. Wir haben völlige Gleichheit aber auch, was die Zellen der Fruchtknotenwandung und des Griffels anlangt. Ja selbst die Leitbündel machen keine Ausnahme. Das wird uns nicht verwundern, soweit es sich um die Bündelteile innerhalb des eigentlichen Fruchtknotens handelt. In Analogie zu den Verhältnissen bei den Filamenten erwartete ich aber zunächst stärkere Unterschiede in der Bündelausbildung der Griffel. Diese sind in jugendlichen Stadien noch nicht einheitlich, weisen viel- mehr deutlich ihre Herkunft aus zwei Fruchtblättern auf und fusionieren 1) An anderer Stelle (19173) führten wir aus, daß diese Embryosäcke sekundär vierkernig geworden sind. Wir zeigten es auch entgegen den Angaben von Hofmeister und Guignard für die nahverwandte Gattung Cuphea. Inzwischen fand ich nun eine Notiz von B. Jönsson (Om embryosäckens utveckling hos Angio- spermerna. Lunds Univ, Ärsskr. 1880, XVI, pag. 45-46), der bereits das vorzeitige Zugrundegehen der Antipoden bei Cuphea Zinnapanii beschrieben hat. Dadurch gewinnt meine Annahme, daß Hofmeister und Guignard sich geirrt haben, an Wahrscheinlichkeit. (Anmerkung bei der Korrektur.) Flora. Ba. 118. 12 178 G. Tischler, erst im Laufe der Entwicklung zu einem soliden Gebilde. Selbst ein besonderer Griffelkanal ist in der Mitte dann nicht vorhanden. An seiner Stelle finden wir nur ein „Leitgewebe“, das aus langgestreckten englumigen Zellen besteht, deren Wände intensiv Farbstoffe speichern, und das so benannt ist, weil es die Pollenschläuche abwärts zu leiten bestimmt ist. Mit den in Vierzahl vorhandenen Gefäßbündeln hängt es in keiner Weise zusammen. In unserer Mikrophotographie (Textfig. 6)!) können wir die Zellen des Leitgewebes gut bis in den Narbenkopf ver- folgen, während die Ge- fäßbündel bereits in den Ecken der Narbe endi- gen, die von den spring- brunnenstrahlförmig verlaufenden Reihen des Leitgewebes um- schlossen werden (bei c). Wie die Endigun- gen der Bündel hier aussehen, ınag uns noch Textfig. 7 zeigen. Man sieht, hier ist kein wesentlicher Unter- schied in Form oder Anordnung auch der Fig.6. Mikrophot hie. Li ifliges Individ letzten Tracheiden. 6 ographie. Langgrifflige: ivi . » 2ucr Längssehnitt durch Yie Narbe nd“ den obersten Ganz instruktiv sind Griffelteil; bei a die Narbenpapillen als Endzellen ferner die Querschnitte der Reihen des Leitgewebes, bei b die sonstigen Epi- durch R . dermiszellen des Narbenkopfes, bei c die Stellen in ure die Narbe in denen die Gefäßbündel endigen. Vergr. 75. Textfig. 8a und b. . Ersterer ist unmittelbar am Ende des Leitgewebes geführt, während letzterer etwas tiefer liegt und die Zone des Leitgewebes in scharfer Begrenzung gegen das äußere Parenchym aufzeigt. Bilder der verschiedengriffligen Individuen zeigen auch im Leitgewebe keine spezifischen Differenzen. Mit der ähnlichen Ausbildung der Gefäßbündel in den drei Griffel- 1) Herr Kollege Linde-Braunschweig hatte die große Freundlichkeit, mir die Mikrophotographien anzufertigen. Auch an dieser Stelle möchte ich ihm dafür noch herzlichsten Dank sagen. Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 179 formen stimmt nun gut, daß die mittelgroßen und die kleinen Griffel nicht als Hemmungsbildungen im gleichen Sinne bezeichnet werden können wie die entsprechenden Filamente. Denn sie pflegen dafür erheblich breiter als die langen Griffel zu sein, zum mindesten unter- halb der Narbe. Als „Paravarianten“ dürfen wir sie auch ansehen, aber als solche, die ihr Wachstum in anderer Richtung entwickelt haben. Aus irgendeinem „ererbten“ Grunde können sie normal nicht in die Länge wachsen; sie verwenden ihre Nährstoffe vielmehr für ein Wachsen in die Breite. Die Endzellen der Reihen des Leitgewebes sind, wie unsere Mikro- photographie in aller Deutlichkeit zeigt, die Narbenpapillen (Textfig. 6 bei a). Wir dürfen Fig. 7a. ihre Form unbedenk- lich in ähnlicher Weise uns zustande gekommen denken wie vorhin die bei Küster (1916) zi- tieren Fälle, vor allem, weil wir auch sehen, daß die da- zwischen liegenden Epidermis zellen (bei b) erheblich kleiner sind oder gar keinen yig. 7a. Endigungen der Gefäßbündel im Griffel eines ) a U Papillencharakter langgriffligen Individuums. Vergr. 600. Fig. 7b. Desgl. eines kurzgriffligen Individuums. mehr haben. Vergr. 600. Daraus können wir schließen, daß wahrscheinlich bestimmte Stoffe, die mit den „leiten- den“ Zellen befördert werden, die unmittelbaren Veranlasser der Zell- form sind. Wir werden an gelöste Kohlehydrate in erster Linie denken, strotzen doch die Narben hier voll Glykose. Daß die eigentümliche „charakteristische" Flaschenform der Narbenpapille in sehr ähnlicher Ausbildung auch sonst innerhalb der Blüte vorkommt, lehren uns Bilder von gewissen Epidermiszellen der Kelchblätter, die man auf (uer- schnitten durch (die erwachsenen Blüten leicht auffinden kann. Somit werden wir bei der Betrachtung des morphologischen Bildes zu dem Analogieschluß gedrängt, daß außer den Zellen der Gefäßbündel noch andere Zellen Stoffe in den Narbenkopf transportieren müssen. Wenn wir im Gebiet der Fruchtblattgewebe bleiben, so wird uns beim 12° 180 G. Tischler, Anschauen der langgestreckten Zellen des Leitgewebes die Ähnlichkeit mit denjenigen Zellen auffallen, welche häufig die Verbindung des Fig. 8a. Mikrophotograpbie. Langgriffliges Individuum. Querschnitt durch die Narbe unmittelbar am Ende des Leitgewebes geführt. Vergr. 75. Fig. 8b. Desgl, etwas tiefer geschnitten. Das zentral gelegene L.eitgewehe und das die Gefäßbündelendigungen enthaltende äußere Parenchym sind scharf gesondert. Vergr. 75. Gefäßbündelendes mit dem Embryosack her- stellen und unmittel- bar an die Antipoden ansetzen. Und wir könnten den Vergleich noch weiter führen. Wie die Antipoden oft eine besondere Birn- form oder sonst eine unter dem Einfluß der gesteigerten Wasser- und Nährstoffauf- nahme zustande ge- kommene Gestalt an- nehmen (vgl, Löt- scher 1905, pag. 229 ff, Huß 1906), so hier die Narben- papillen. Ob es freilich zulässig ist, unseren auf morphologischen Daten aufgebauten Schluß zu ziehen, ist eine andere Sache. Der physiologische Be- weis von dem Cha- rakter der Leitgewebe- zellen steht allgemein noch aus. Jedoch ist es wohl erlaubt und beruht auf alter Er- fahrung, gerade bei solch spezialisierten Zellen aus der Zell- form gewisse Rück- schlüsse auf die Funk- Unters, üb. d. anat, Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 181 tion zu ziehen. Ich möchte meinen, daß wir eventuell selbst die bis- her allein angenommene „Bestimmung“ des Leitgewebes, den Pollen- schläuchen ein bequem zu durchwachsendes Gewebe zu präsentieren, als sekundär annehmen dürfen. Sehen wir doch immer mehr in unseren „anti-lamarckistisch“ gewordenen Zeitläuften, wie eine ökologische Ein- richtung nicht zum Nutzen für „fremde“ Zellgewebe geschaffen ist, sondern wie eine entwicklungsphysiologisch ganz unabhängig davon Jeterminierte Erscheinung erst später ökologisch verwertet wird. Und der Pollenschlauch ist doch für die Gewehe des Griffels und der Narbe auch etwas „Fremdes.“ Nach diesem Ausblick in zur Zeit noch unerforschte Gebiete bliebe uns jetzt noch übrig, die Narbenpapillen der drei Blütenformen bei Lythrum in ihrer Größe miteinander zu vergleichen. Hermann Müller (1873, pag. 198) wies zuerst darauf hin, daß ähnlich den Verhältnissen bei Primula die Papillen „der langgriffligen Form auffallend länger und mit ihren freien Enden weiter auseinanderstehend sind als die der mittel- und kurzgriffligen, die sich voneinander nicht so sehr unter- scheiden. Bei allen drei Formen bestehen nämlich die Narbenpapillen aus langen, beiderseits gerundeten Zellen, deren Ende durch eine hals- förmige Einschnürung als kugeliges oder elliptisches Köpfchen abgesetzt erscheint. Bei der langgriffligen Form sind diese Zellen 0 nm lang und stehen, da sie unter der halsförmigen Einschnürung etwa zur doppelten Dicke des freien Endes anschwellen, mit ihren freien Enden ungefähr ebensoweit auseinander, als diese freien Enden selbst dick sind; bei der mittelgriffligen Form sind diese Zellen nur 2 mm, 300 unter der halsförmigen Einschnürung nur weniger dicker sind als an ihrem freien Ende, zwischen ihren freien Enden sehr viel schmalere Zwischenräume. Daß Narbenpapillen, Griffellängen und Pollenkörner von so ungleichen Dimensionen nicht in gleichem Grade für einander passen können, erscheint selbstverständlich.“ (!) In Dezimalen übertragen, würden demnach die Zellängen für die drei Papillenformen nach H. Müller 0,135—0,2 mm, 0,1--0,167 mm und 0,083—0,15 mm betragen. Diese Angaben sin seitdem fast überall übernommen. Neuere Messungen kenne ich nicht. Trotzdem hätte man stutzig werden können, da man schon bei Darwin (1877, pag. 128) las: „Die Narbe des langgriffligen Pistills hat häufig (v. m. gesp.) mm lang, und lassen bei beiden, da sie bei der kurzgriffligen 182 G. Tischler, längere Papillen oder ist rauher als die des mittelgriffligen, und die letztere ebenso länger und rauher als die des kurzgriffligen, aber dieser Charakter ist, obgleich er in den zwei Formen von Primula veris usw. fixiert und gleichförmig ist, hier variabel (v. m. gesp.); denn ich habe mittelgrifflige Narben gesehen, welche rauher waren, als die der lang- griffligen.“ In einer Anmerkung weist ferner Darwin noch auf den Gegensatz zu H. Müller hin und bemerkt dazu: „Dieser scheint ge- funden zu haben, daß die Narbenpapillen in den drei Formen beständig in der Länge und Struktur differieren.“ Tatsächlich sind H. Müller’s Zahlen und andere gleichlautende Angaben (so z. B. bei Völker 1915) irreführend. Denn zu meiner großen Verwunderung kann die Differenz noch viel weniger ausgeprägt sein, als man selbst nach Darwin erwarten könnte. Mein Material stamınt von verschiedenen Standorten innerhalb des Rittergutes Losgehnen (Kr. Friedland) in Ostpreußen, sowie des Badeortes Cranz an der Samländischen Küste und wurde von mir im Juli und August 1917 in frischem Zustande untersucht. Ich habe stets mit dem Rasiermesser verschiedene Quer- und Längsschnitte von den Narben je einer Blüte angefertigt und nur diejenigen Zellen berück- sichtigt, welche völlig unversehrt und turgeszent waren. Gemessen wurde mit einem Okularmikrometer, bei dem die Entfernung zwischen zwei Teilstrichen einer Länge von 0,00715 mm entsprach. Von jeder Narbe wurden 20 Papillen willkürlich ausgewählt. Ich gebe die Maße in Teilstrichen. (Siehe Tabellen pag. 183.) Wie man aus unseren Tabellen ersieht, habe ich nicht etwa be- absichtigt, durch Auszählung besonders großer Mengen von Papillen variationsstatistische Unterlagen zum Berechnen von M oder o zu schaffen, sondern einfach nur zeigen wollen, wie außerordentlich stark die Zalılen transgressiv variieren. Sehen wir nach der Ursache dieser Variabilität, so scheint hauptsächlich die Gesamtausbildung der Blüten- größe schuld daran zu sein, ob im allgemeinen die Papillen mehr nach den Teilstrichlängen 12 oder 33, also nach 0,086 mm oder nach 0,236 mm Länge gravitierten. Das darf nur sehr „cum grano salis“ verstanden werden. Denn man findet ja in ein und derselben Narbe die stärksten Unterschiede. Und diese sind jedenfalls weit bedeutender als die zwischen den Papillen der verschiedenen Blütenformen. So hat uns der Zufall solche kurzgriffligen Narben in die Hand gespielt, die man nach H. Müller nur bei langgriffligen Pflanzen hätte erwarten können. Und ebenso ist es wohl Zufall, daß die untersuchten mittelgriffligen im all- Unters, üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 183 I Langgrifflige Individuen. Pflanzen a—d stammen aus Losgehnen, e—f aus Cranz. l 24185 Bl 2930| jsı 223 Teilstriche a alejsjslı 18 tt 74 »[2| |2| salaııı it ww © ılı!5lı/3| 2,2 1112) | 1) | d 21113 41/341 9 I, i ı| Zaı der e Fa; \ 1j 2 2 ı2\4| m 2 | Papillen || I; ıslalıalsjalejılalaı Sa.|2l0j6jals|sole jelısı 7[alalsie! 2| II. Mittelgrifflige Individuen. Pflanzen a—c stammen aus Iosgehnen, d—f aus Cranz. 2]13 14 ı5 18lırlıslıg olaıa2/23|24125'26| 2526 |Teilstriche al |; Isiılojsfale | | | 77 b 1111 3 3l a3 1a J111 1) P ıı /slalalois ja) | alıl2aja]e) 21112 4 | | \ Zahl der e | |5j2:4|2|j318 Papillen f ı| 5} 4 312 2j2}1 ; z 8a.|1,2]5 [17 J1olırlıs]ıa 7 HI. Kurzgrifflige Pflanzen a—d stammen aus Losgehn & e a % ü : f | ılalılalı 3 Sa{2.1ı1alalalılisj2lelejla h Zähle ich die drei Summen zusammen, erhalte ich: langgriffliger Individuen 3: Teilstriche Summa mittelgriffli- ger Individuen mn er um mn | 44 im IN 7, — Fu Zahl der Summa kurzgriffliger Individuen Total zen u 328 21 Papillen 184 G. Tischler. gemeinen die kürzesten Papillen hatten. Ich habe außer den 18 oben beschriebenen Blüten mit ihren je 20 gemessenen Narbenpapillen noch eine größere Menge von Narben anderer Pflanzen geschnitten und untersucht, wenn auch nicht planmäßig gemessen. Ich kann demnach nur glauben, daß H. Müller zu geringe Materialmengen vor sich ge- habt hat und diese zufällig mit der erwarteten Gesetzmäßigkeit stinımten. Ich habe jedenfalls andere Zahlen erhalten als er, und ein dritter Beobachter wird sicherlich wieder andere finden. Aber meine wenigen Messungen genügen schon, unf das Material so zu gruppieren, daß eine einigermaßen symmetrische Kurve resultiert. Wir brauchen nur je zwei unserer Klassen zu einer zusammenzunehmen, so erhalten wir für die Totalität aller gemessenen Narbenpapillen die Reihe 3, 27, 35, 43, 78, 50, 54, 28, 21, 16, 5. Ein deutlicher Hauptgipfel ist hier schon vorhanden, nicht drei, denn der Nebengipfel bei 54 tritt gegenüber 78 stark zurück. Ver- glichen mit der binomialen wäre unsere Kurve nur etwas zu „flach“, auch ist ihre Spitze etwas nach links verschoben, da der rechte Schenkel langsamer abfällt als der linke ansteigt. Aber es muß doch verwundern, daß schon die geringe Menge von 360 Papillen genügt, eine der binomialen ähnliche Kurve zustande zu bringen. Das beweist am besten, daß wir in der Papillenlänge ein leicht modifizierbares und nicht ein genotypisch wertvolles „Merkmal“ haben. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß auch die Breite eine sehr verschiedene ist, was eigentlich bereits von Behrens (1875, Taf. II, Fig. 22) in genügender Klarheit abgebildet wurde, Lythrum Salicaria verhält sich also nicht so wie Primula, sondern eher wie Linum grandiflorum, für das Darwin (1877, pag. 220) eine starke Variabilität der Narbenpapillengröße angibt. Mit dieser Konstatierung haben wir natürlich nicht an der Er- scheinung des Trimorphismus überhaupt gerührt. Gaston Bonnier (1884) hatte seinerzeit ja auch an dieser „traditionellen“ Auffassung Kritik geübt. Er glaubte an eine Polymorphie bei Lythrum, weil es sehr zahlreiche Übergänge zwischen den verschiedenen Formen geben sollte (pag. 242): „Il est bien facile de s’assurer quil n’y a pas trois formes de fleurs seulement chez cette espöce, mais une infinit6.“ Und ganz ähnliche Übergänge gebe es bei den nirgends als trimorph be- zeichneten Saxifraga granulata, Erodium cicutarium, Potentilla verna, Anemone Pulsatilla und Viola spec. Ja selbst anemophile Blüten zeigten Analoges (pag. 243) „D2s lors l’explication de la fecondation eroisee doit ötre modifise.“ Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 185 Diese Sätze Bonniers sind sicher übertrieben. Gewisse variations- statistische Untersuchungen, wie die von Gain (1905) für Pulmonaria, haben schon jetzt ergeben, daß trotz weitreichender transgressiver Variabilität der Griffel- und Staubblattlängen, und wir dürfen wohl hinzufügen: auch der Pollenkörner und Narbenpapillen, „le libre croise- ment maintient sensiblement la constance des dimensions moyennes du style et de l’&tamine, sans realiser la constance de la distance moyenne du stigmate a l’anthöre“. Wenn auch die Konstanz der Entfernung bei den Heterostylen nicht vorhanden ist, so ist für weitaus die meisten aber doch die Heterostylie selbst klar ausgeprägt, und ein Fall, wie der für Menyanthes trifoliata beschriebene, bei der in Grönland Homostylie gegenüber der sonst vorhandenen dimorphen Heterostylie vorkommt, ist jedenfalls selten (s. Knuth 1898, pag. 62; hier auch Angaben über sonstige „unvollkommen heterostyle“ Pflanzen). Speziell für Lythrum Salicaria wäre daran zu erinnern, daß diese Pflanze ein ungewöhnlich weites Areal besiedelt, nach Hensiow (1877, pag. 392) außer in Europa auch in Südaustralien, Tasmanien, Südafrika, Süd- und Nordamerika, Japan, Nordost- und Zentralasien vorkommt und m. W. überall als heterostyl-trimorph beschrieben wurde. Auch bei Penzig (1890, pag. 477) finden wir keine Angabe über „abnorme Ver- änderungen“ der Blüten in dieser Richtung. Fragen wir uns weiter, warum die drei verschiedenen Formen von Lytbrum unter gleichen äußeren Bedingungen sich verschieden entwickeln, so müssen wir auf eine verschiedene „spezifische Struktur“ (Klebs) schließen, die „phylogenetisch“ erworben sein muß. Wir können auch sagen, ihre „Erbformeln“‘ müssen differieren. Ein sehr schönes Beispiel nun, wie ein bestimmtes Gen, das zunächst ganz unabhängig von der fraglichen Erscheinung sein kann, auf die Reduktion der Griffel- längen einwirkt, verdanken wir Bateson und Gregory (1905). Sie fanden bei der gewöhnlich heterostylen Primula sinensis einzelne homo- style Exemplare, Die Pflanzen hatten die Stamina so lang wie sonst bei den kurzgriffligen Individuen, aber die Griffel waren gleichfalls nur so lang geworden. Es fiel den Autoren nun auf, daß die betreffenden Primeln eine ganz bestimmte Form des gelben Nagelfleckes auf den Petalen hatten, der hier außerordentlich vergrößert war. Dies „Merk- mal" war rezessiv und das ihm zugrunde liegende Gen war völlig un- abhängig von dem, daß die Griffellänge sonst beeinflußte. Aber überall, wo das Gen für den großen „Flush“ mit dem für „langgrifflig“ zusammenkam, da konnte der Griffel nicht „pass trough the anthers .... Why the development of the yellow flush in these flowers should entail 186 G. Tischler, the reduction of the style, we eannot in any way suggest“. Aber die Tatsache der Beeinflussung ist eben nur „genetisch“, oder was eigent- lich das gleiche bedeutet, „phylogenetisch“ zu verstehen. Jede Beweisführung, die phylogenetische Daten diskutieren will, muß „vorläufig“, d. h. bis wir die Erbformel wirklich „verstehen“, indirekt sein. Das güt also auch für die Versuche, die in bestimmten Pflanzengruppen bestehende Neigung zu Heterostylie mit der zu Diözie in Parallele zu setzen. Schon Darwin hat derartige Gedankengänge eingehend erörtert (1877, pag. 241 ff). Und seitdem ist das öfter ge- schehen, noch jüngst von Dahlgren (1916, pag. 9). Wir wissen ja, daß es zwischen Hermaphroditen und Diözisten Übergänge gibt, welche gewisse Erscheinungen in der Reduktion des einen Geschlechtes ähnlich wie die Heterostylen zeigen. Und manchmal wurden letztere anfangs nur irrtümlich angenommen, wie bei Asperula scoparia oder Aegiphila odorata u. a. (nach Darwin 1877). Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es sich nur um eine Art „Parallelfall“ (s. Baur 1917, pag. 209), nicht etwa um eine Art „Vor- stufe zu echter Diözie“ bei den Heterostylen handelt. Für Lythrum Salicaria sah das bereits Darwin. Rein morphologisch betrachtet, müßten die langgriffliigen Individuen den am meisten weiblichen, die kurzgriffligen den am meisten männlich ausgebildeten entsprechen. Aus physiologischen Gründen, da sie nämlich die größte Zahl von be- fruchtungstauglichen Samenanlagen produzieren und da ihre Pollenkörner ein etwas geringeres Befruchtungsvermögen haben sollen als die „ent- sprechenden“ in den anderen Blütenformen, will Darwin aber gerade die mittelgriffligen für die mit der stärksten weiblichen Tendenz an- sehen. Koehne (1885, pag. 43) macht schon darauf aufmerksam, daß relativ selten Diözisten und Heterostyle in unmittelbarer Verwandtschaft sind. Dagegen sind Kleistogame und Heterostyle öfters und speziell bei den Lythraceen, Oxalidaceen, Rubiaceen (Houstonia), Caryophylla- een (Silene), Primulaceen (Hottonia) und Polygonaceen innerhalb einer und derselben Gattung (s. Kunth 1898) gefunden worden. In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auch darauf hinweisen, daß ich (wenigstens die kleinen) Pollenkörner bei Lythrum genau so innerhalb der reifen Anthere auskeimend gefunden habe, wie das bei den Kleisto- gamen so häufig der Fall ist. Diese von den Systematikern erkannte Beziehung zwischen Ver- tretern der beiden genannten ökologischen Typen ist theoretisch insofern be- deutsam, als gerade die Kleistogamen extrem autogame, (lie Heterostylen Unters, üb. d, anat. Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 187 heterogame resp. selbststerile Arten sind. Bei konvergierender morpholo- gischer Entwicklungsrichtung besteht also ein starkes Divergieren bezüg- lich der ökologischen‘). Das läßt vermuten, daß die in Frage stehen- den Ökologismen „Zufälligkeiten“ darstellen, welche durch den morpho- logischen Aufbau bedingt sind. Wir haben in unseren oben gemachten Ausführungen besondere morphologische „Anpassungen“ bezüglich der Größe der Pollenkörner und Narbenpapillen geleugnet. Und wenn wir überhaupt noch Be- ziehungen zwischen morphologischem Bau und Notwendigkeit der Kreuz- befruchtung herstellen wollen, bleiben allein die ungleichen Längen von Filamenten und Griffeln bestehen, die gewissen Insekten, welche den Honig des Blütengrundes aufsuchen, die legitimen Kreuzungen erleich- tern könnten. Ein ganz genaues Zusammenpassen der Stellen, an denen die verschiedenen Pollensorten den Leib der Insekten bepudern und derjenigen, mit denen die ungleich hohen Narben berührt werden, wie es jüngst noch Völker (1915) beschrieb, würde aber nur dann eintreten, wenn alle Blüten der verschiedenen Stöcke und ihre einzelnen Teile genau die gleiche Höhe hätten. Das ist aber nach meinen wie nach Gaston Bonniers (1884) Funden durchaus nicht der Fall. Weit wichtiger als die morphologischen sind jedenfalls nach unserem Dafürhalten die physiologischen Anpassungen. Ihr Zustandekommen werden wir uns am einfachsten so zu erklären haben, daß parallel den Hemmungsbildungen in den Staub- und Fruchtblättern eine quantitative Veränderung gewisser „Reizstoffe* gegangen ist, wie sie Jost (1907) fordert, sei es, daß diese mit der geringeren Wasserversorgung in den „gehemmten“ Staubblättern zusammenhängt oder in sonstwie anderer Art. Wir kommen somit auf anderem Weg wie Jost zu der gleichen Annahme als der wahrscheinlichsten: „Es würde zur Erklärung des Tatbestandes (seil. weil nicht die Länge des vom Pollenschlauch zurück- zulegenden Weges und die Größe der Pollenkörner in Parallele zu setzen sind) genügen, wenn in den drei Griffelformen verschiedene Konzentrationen eines und desselben Stoffes vorhanden wären, und es würde damit in gutem Einklang stehen, daß auf den mittleren Griffeln viel eher eine illegitime Bestäubung von Erfolg ist als auf den extremen (Darwin). Selbstverständlich ist die Existenz einer größeren Kom- plikation möglich.“ 1) Vgl. auch Henslow (1877, pag. 363), welcher hier von Übergängen zwischen fremdbefruchteten und autogamen Spezies von Lythraceen (I,ythrum, Nesaea, Cuphes) berichtet. 188 6. Tischler, Sirks (1917) meint, daß schon bei isosmotischen Koeffizienten’ von Pollenschlauch und Zellen der Narbe resp. des Griffels das Wachsen des ersteren sistirt werden müsse, da ja nun nieht mehr das zum weiteren Fortschreiten des Schlauches nötige Wasser herbeigeholt werden könne. Wir (1917b) haben uns indessen nicht von spezifischen Differenzen in der Höhe des osmotischen Druckes bei den betreffenden Zellen überzeugen können, so sehr wir darnach suchten. Neger (1913, pag. 632) sagt zwar summarisch: „Die Pollenkörner aus den längsten Staubgefäßen keimen in einer konzentrierteren Zuckerlösung als die aus den kurzen und mittleren. Bekanntlich ist der Pollen aus den langen Antlhıeren bestimmt für die langen Griffel, und an diesen wird infolge stärkerer Verdunstung die Narbenflüssigkeit, welche die Keimung an- regt, konzentrierter sein als an den kurzen Narben.“ Mir scheint aber dies Postulat noch absolut unerwiesen. Und ich möchte meinen, daß speziell vom Standpunkte der Möglichkeit einer Wasserentnahme die Pollenschläuche stets in allen drei Formen zu wachsen vermögen. Dafür, daß nur quantitative und nicht qualitative chemische Differenzen die Ilegitimität einer Kreuzung bei Lythrum Salicaria bedingen, scheint m. E. vor allem auch die Tatsache zu sprechen, daß das Nichtgelingen einer illegitimen Befruchtung ja doch kein absolutes ist, also nicht wie z. B. bei den selbststerilen Cardamine-Individuen, welche Correns (1912) prüfte. Das hat bekanntlich schon Darwin (1877) gezeigt. Und neuerdings ist durch Barlow (1913) gleiches erwiesen. Die ausführlichen Mitteilungen des letzteren stehen aller- dings noch aus. Lythrum Salicaria bietet uns endlich auch ein Beispiel dafür, daß die aus Selbstbefruchtung hervorgegangenen Individuen in ihrer ganzen Konstitution schwächer sind, als die aus Kreuzbefruchtung entsprossenen. Die Einrichtungen, welche die Pflanze geschaffen hat, um die ungünstiger wirkende Selbstbefruchtung zu vermeiden, sind, wie wir zeigten, morpho- logisch unzureichend und allein chemisch für gewöhnlich genügend. In der Schädigung durch Selbstbefruchtung dürfen wir aber mit Baur (1917, pag. 311) wohl nur eine Sekundärerscheinung sehen. Mit diesen Bemerkungen wollen wir unsere kausalanalytische Arbeit über Lythrum schließen. Die nächste Aufgabe würde es sein, festzustellen, ob bei Lythrum oder anderen Heterostylen das Experiment willkürlich die Gestaltungen in den Blüten verändern könnte. Die Hoffnung, in prinzipiell wichtigen Dingen hier „Neues“ zu erreichen, scheint zunächst sehr bescheiden zu bleiben, wenn wir die letzten Untersuchungen Güntharts (1917) durchlesen. Zwar konnten bei den Unters. üb. d. anat. Bau d. Staub- ı. Fruchtblätter bei Lythrum Salicaria usw. 180 studierten Cruciferen „Blühzeit und Funktionsdaner der Fortpflanzungs- organe* beeinflußt werden. Aber die eigentlichen morphologischen Ver- hältnisse blieben unverändert und dürften als „erblich fixierte Rassen- merkmale“ anzusehen sein. Ich habe nun selbst bereits derartige experi- mentelle Versuche an Primula eingeleitet und hoffe in absehbarer Zeit darüber berichten zu können. Zusammenfassung. 1. Die Zahl der haploiden Chromosomen beträgt bei Lythrum Salicaria nahezu sicher 24, die der diploiden demnach 48. Die Chromosomen zeigen sehr ungleiche Größe. Etwaige Differenzen zwischen denen der verschiedenen Blütenformen sind als Ernährungs- modifikationen aufzufassen. Die genotypische Verschiedenheit der un- gleichgriffligen Individuen findet in der Chromosomengröße somit kaum einen entsprechenden Ausdruck. - 2. In den reifen Pollen der ungleichgriffligen Individuen sind die Kerne bei gleicher Chromosomenzahl ziemlich gleichgroß. Dagegen unterscheiden sich die Zelleninhalte sehr in ihrer Größe. Der Pollen der kleinsten und mittleren Stamina ist gegenüber dem der größten als im Wachstum gehemmt aufzufassen. 3. Nicht nur die kleineren Pollenkörner, sondern auch die gesamten mittleren und kürzeren Stamina stellen, verglichen mit den längeren, Hemmungsbildungen dar. Die Hemmungen sind letztenfalls durch un- genügende Zufuhr von Wasser und Nährstoffen bedingt, da die Leit- bündel in den Filamenten der mittleren und kürzeren Stamina erheblich schwächer ausgebildet sind als die der längeren in der gleichen Blüte. 4. Mit. der geringeren Wasserversorgung muß man wahrscheinlich auch die Unterschiede in den Inhaltsstoffen der reifen Pollenkörner zusammenbringen, die bei den mittel- und kurzgriffligen Individuen beobachtet wurden (Fett- und Stärkepollen). Denn bei langgriffligen Individuen, welche nur einerlei Pollen haben (Fettpollen), ist kein in die Augen fallender Unterschied im Bau der Filamentleitbündel zu beobachten. Es würde also, falls unsere Annahme richtig ist, die bessere Versorgung mit Nährstoffen zu einer Inaktivierung der Diastase im reifenden Pollen führen und so das „Stärkestadiun“ der im übrigen im Wachstum geförderten Pollenkörner bis zum Monent des Aus- keimens erhalten, 5. Charakteristische Größenverschiedenheiten «der Zellen in den Fruchtblättern der verschiedengriffligen Individuen sind weder in den Samenanlagen, noch in den Geweben der Fruchtknotenwandung oder 1% G. Tischler, des Griffels vorhanden. Selbst die seit H. Müller allgemein an- genommene Auffassung, daß die Narbenpapillen typisch in ihrer Größe differieren, ist nicht aufrecht zu erhalten. Mit leichter Mühe kann man z. B. kurzgrifflige Blüten finden, welche durchweg längere Narben- papillen besitzen als andere mittel- oder langgrifflige. Bereits eine relativ geringe Zahl von Messungen der Narbenpapillen aus den Blüten verschiedener Blütenformen erlaubte diese in eine Kurve zu gruppieren, die der binomialen nahe kam. Eine dreigipfelige Kurve, wie sie bei typischer Verschiedenheit gefunden werden müßte, existierte in meinem Material wenigstens sicher nicht. 6. Die Größe der Narbenpapillen wird ebenso wie die anderer papillöser Epidermiszellen im wesentlichen durch die Zufuhr von Wasser und den Jarin gelösten Stoffen bestimmt. 7. Die etwaigen bei Heterostylen zu beobachtenden Hemmungs- bildungen finden bei solehen Spezies, die auf dem Wege zur Diözie sind, manche Parallelen. Noch besser lassen sich vielleicht einige der bei kleistogamen Blüten beschriebenen Hemmungserscheinungen direkt mit denen der heterostylen vergleichen. Es wäre dazu zu bemerken, daß innerhalb der gleichen Pflanzenfamilien, ja der gleichen Gattung, u. a. bei den Lythraceen, Oxalidaceen, Rubiaceen, Caryophyllaceen, Primulaceen und Polygonaceen, Heterostylie und Kleistogamie vorkommen, während Heterostylie und Diözie seltener nebeneinander zu finden sind. Da die auf Heterostylie und Kleistogamie beruhenden Ökologismen aber absolut divergieren, handelt es sich doch im ersten Falle um extreme Einrichtungen für Heterogamie, im zweiten Falle um solche für Autogamie, kann allein die morphologische Entwicklung phylo- genetisch verwendet werden; die dabei resultierenden Ökologismen sind völlig sekundärer Natur. 8. Eine morphologische „Anpassung“ der Pollenkörner an bestimmte Narben resp. Griffel existiert nicht. Allein durch chemische Arbeit kann demnach die meist vorhandene, aber nicht absolute Selbststerilität bei Lythrum Salicaria aufgeklärt werden. Hohenheim (Württbg.), Botanisches Institut der landwirtschaft- lichen Hochschule, den 23. November 1917. Zitierte Literatur. 1913. Barlow, N. Preliminary note on heterostylism in Oxalis and Lythrum. Journ. of genetics, Vol. III, pag. 58-65. 1 Fig. 1905. Bateson, W. and Gregory, R. P., On the inheritance of heterostylisn in Prinula. Proe. Roy. Soe. London, B, Vol. LXXVI, pag. 581-586. Unters. üb. d. anat, Bau d. Staub- u. Fruchtblätter bei I,ythrum Salicaria usw. 191 1917. Baur, E., Physiologie der Fortpflanzung im Pflanzenreich. Kultur der Gegenwart, Teil III, 4. Abt., Bd. III. T. Bot. Teil, pag. 281—328, Fig. 92—119. Leipzig und Berlin. 1875. Behrens, W.I., Untersuchungen über den anatomischen Bau des Griffels und der Narbe einiger Pflanzenarten. Diss, Göttingen. 46 pag, 2 Taf. 1884. Bonnier, G., Sur les differentes formes des fleurs de la möme espdce. Bull. Soc. bot. France, T. XXXI, pag. 240-244. 1889. Correns, C., Kulturversuche mit dem Pollen von Primnla acaulis. Ber. d. D. bot. Ges., Bd. VII, pag. 265-272, 1912. Ders, Selbststerilität und Individualstoffe. Kestschr. d. mediz.-naturwiss. Ges. Münster i. W. zur 82. Vers, D, Naturf. u. Ärzte. 32 pag. 1916. Ders, Über den Unterschied von tierischem und pflanzlichem Zwittertum. Biolog. Zentralbl., Bd. XXXVI, pag. 12—24. 1 Fig. 1916. Dahlgren, K. V. 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Penzig, O., Pflanzenteratologie, Bd. I, 540 pag. Genua. Ritzerow, H., Über Bau und Befruchtung kleistogamer Blüten. Flora, Bd. XCVIIL, pag. 163-—212, 36 Fig. Roessler, W., Beiträge zur Kleistogamie. Flora, Bd. LXXXVII, pag. 479 bis 499, Taf. 16-17, 1 Fig. Sierp, H. Über die Beziehungen zwischen Individuengröße, Organgröße und Zellengröße, mit besonderer Berücksichtigung des erblichen Zwerg- wuchses. Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. LII, pag. 55—124, 3 Fig. Sirks, M. I, Sterilite, auto-inconceptibilit& et differenciation sexuelle phy- siologique. Archiv. Ne6erl. science. exact. et natur, Ser. B, Tome III, pag- 205 —234, Stevens, N. E., Observations on heterostylous plants. Bot. Gaz., Vol. LIIT, pag. 277—308, pl. 21—23. Strasburger, E., Über fremdartige Bestäubung. Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XVII, pag. 50-98. Tischler, G., Chromosomenzahl, -Forn und -Individualität im Pflanzen- reiche. Progr. rei Botan., Bd. V, pag. 164-284. 1917a. 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Die Figuren 1 und 3—6 sind bei einer Vergrößerung von ca. 1200, Fig. 2 desgl. bei ca. 2800 gezeichnet. Fig. 1a—d. Langgriffliges Individuum, kleinste Stamina. Diakinese der Pollenmutterzellen. Aufeinanderfolgende Schnitte, um die Chromosomenzahl zu bestimmen (vgl. Text), Die römischen Ziffern bezeichnen die 17 abgebildeten Zellen, die arabischen die einzelnen Chromosomenpaare. In den meisten Fällen sind 24 haploide Chromosomen zu erkennen. Fig. 2.° Zelle aus einem jungen Blatte nahe dem Vegetationspunkt einer nichtblühenden Pflanze. Äquatorialplatte mit 48 diploiden Chromosomen. Fig. 3a. Mittelgriffliges Individuum, kleinste Stamina. Leptonema. Fig. 3b. Desgl. Synapsis. Fig. 4a. Mittelgriffliges Individuum, größte Stamina. Leptonema. Fig. 4b. Desgl. Synapsis. Fig. 5. Kurzgriffliges Individuum, größte Stamina. Pollentetraden. Fig. 6. Langgriffliges Individuum, kleinste Stamina. Pollentetraden, Plora. Ba. Hl. 13 Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. Von H. Klebahn, Hamburg. (Mit Tafel IV und V und 1 Abbildung im Text.) Im Jahre 1788 beschrieb Willdenow!) den auf der Rinde der Waldkiefer (Pinus silvestris) lebenden Blasenrost unter dem Namen Lyeoperdon pini. Der Pilz stammte aus der Jungfernhaide bei Berlin. Persoon?) erkannte ihn als Aeeidium, L6veill&®) stellte die neue Gattung Peridermium auf. De Candolle*) vereinigte den Nadelrost mit dem Rindenrost, Link?) trennte sie wieder als Varie- täten, a-corticola und $-aeicola. Die Vereinigung wurde bis in die neuere Zeit beibehalten, auch von Hartig®, trotzdem Fuckel”’) die beiden Formen später als Arten unterschied und den Nadelrost Peridermium oblongisporium nannte. Dazu trug namentlich der Umstand bei, daß Wolff®), nachdem er den Wirtswechsel des Nadel- rosts festgestellt hatte, durch irgendeinen Versuchsfebler zu der An- sicht kam, daß der Rindenrost denselben Wirtswechsel habe, also auch zu Coleosporium senecionis (Pers.) Fries gehöre. Im Jahre 1886 gelang es aber Cornu°), mittels Rindenrosts aus den Wäldern von St. Germain bei Paris auf Vincetoxieum officinale das Cron- artinm asclepiadeum (Willd.) Fries hervorzurufen und somit für den Rindenrost einen ganz anderen Wirtswechsel aufzufinden. Eine heftige Epidemie der Weimutskiefern (Pinus strobus) in der Umgegend von Bremen lenkte im Jahre 1887 meine Aufmerksam- keit auf die Blasenroste 1%), Weder Vincetoxicum, das in Nordwest- 1) In Römer u. Usteri, Magazin f. d. Botanik 1788, Bd. IV, pag. 16. 2) In Gmelin, Syst. nat. Linn. 1791, Bd. II, pag. 1473, 3) M&m. soc. Linn. de Paris 1826, Tome IV, pag. 212. 4) Flore franc. 1815, Tome II, pag. 257. 5) In Willdenow-Link, Linne Spec. plant. 1824, ed. 4, pag. 66. 61 Symb. mycol. in Jahrb. Nass. Ver. f. Nat. 1869, Bd. XXII u. XXIII, pag. 42- 7) Wichtige Krankheiten der Waldbäume 1874, pag. 66; Untersuchungen aus dem forstbot. Institut München 1383, Bd. III, pag. 150. &) Landwirtschaftliche Jahrbücher 1877, Bd. VI, pag. 740. 9) Compt. rend. 1886, Tome XXXII, pag. 930. 10) Abhandl. naturw. Ver. Bremen 1887, Bd. X, pag. 145. Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 195 deutschland überhaupt fehlt, noch die Kreuzkräuter (Senecio) schienen als Zwischenwirte in Frage kommen zu können, Mikroskopische Unter- suchung ergab feine aber bestimmte Unterschiede zwischen den Sporen des Rindenrosts der Weimutskiefer (Peridermium strobi Kleb.), des Rindenrosts der Waldkiefer und des Nadelrosts. Im folgenden Jahre gelang es, durch Aussaatversuche auf Ribes-Arten den Zu- sammenhang des P. strobi mit Cronartium ribicola Dietr. fest- zustellen ), also einen Wirtswechsel, der dem von Cornu für den Rindenrost der Waldkiefer gefundenen ganz ähnlich ist. Um so auf- fälliger war es, daß alle Versuche, Vincetoxieum mit Blasenrost der Waldkiefer aus verschiedenen Gegenden zu infizieren, völlig ergebnis- los verliefen, ebenso die Aussaaten auf Ribes- und Seneeio-Arten, während die Infektion von Senecio mit Nadelrost wenigstens in einem Falle Erfolg batte®). Im Sommer 1890 erhielt ich aber durch die Vermittelung Cornu’s Blasenrost aus den Wäldern bei St. Germain, mit dem es ohne weiteres gelang, Vincetoxicum zu infizieren. Das gleiche Ergebnis brachte ein Material von Greiz®), Es war kein an- derer Schluß möglich, als daß der Blasenrost der Waldkiefer in zwei verschiedenen Formen auftrete, von denen nur die eine mit Cron- artium asclepiadeum in Zusammenhang steht. Ich nannte diese Form Peridermium Cornui Rostr. und Kleb. und behielt für jene den Namen P. pini (Willd.) Kleb. be. Da man bis dahin gewohnt war, Arten nur auf Grund morphologischer Verschiedenheiten auf- zustellen, suchte ich nach unterscheidenden Merkmalen, fand aber nur, daß bei Peridermium pini Peridie und Sporen im ganzen etwas derber und die schon von L&veill& erwähnten starren Fäden (fila ri- gida), welche die Peridie stützen, oft zahlreicher und kräftiger aus- gebildet sind ®). Das Vorkommen derartiger fast nur biologisch verschiedener Arten, das bereits in einigen Fällen bei andern Uredineen gefunden, aber wenig beachtet worden war, erhielt in den nächsten Jahren mehr- fache Bestätigung, zunächst durch meine Beobachtung), daß auch die Nadelroste der Kiefern eine Anzahl morphologisch nicht verschiedener, aber durch den Wirtswechsel unterscheidbarer Arten umfassen, durch 1) Ber. der Deutsch. bot. Ges. 1888, Bd. VI, pag. XLV. 2) Hedwigia 1890, Bd. XXIX, pag. 32. 3) Ber. der Deutsch. bot. Ges. 1890, Bd. VIE, pag. (59). 4) Hedwigia 1890, Bd. XXIX, pag. 27; Ber. der Deutsch. bot. Ges. 189%, Bä. VIII, pag. (67); Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1892, Bd. I, Taf. 5) Zeitschr. f. Pflanzenkrankl. 1892, Bd. II. pag. 204 und spä 13* sre Arbeiten. 196 H. Klebahn, Fischer’s!) sich daran anschließende Versuche, durch meine gleich- zeitigen Beobachtungen über die Kronenroste und besonders durch Eriksson’s?) Befunde über die Spezialisierung der Getreideroste. Der Nachweis der Verschiedenheit des Peridermium pini von P. Cornui war aber an sich kein befriedigendes Ergebnis; es mußte auch die Lebensgeschichte des Pilzes aufgeklärt werden. Diese Auf- gabe zu lösen habe ich in den inzwischen verstrichenen fast 30 Jahren alljährlich eine Anzahl Versuche angestellt und wohl alle Möglichkeiten durchgeprüft, die sich für einen Wirtswechsel vermuten ließen?) Am nächsten lag es, an die Wirte der anderen Cronartium-Arten zu denken. Ferner wurden, da Wolff mit dem Rindenrost auf Senecio Erfolg gehabt haben will, die Seneeio-Arten und die übrigen Wirte von Coleosporium-Arten herangezogen. Endlich habe ich alle mög- lichen Wirte von Pilzen aus der Gruppe der Melampsoraceen geprüft, aber alle hinsichtlich der Aufgabe, die gelöst werden sollte, ohne den geringsten Erfolg. Dagegen führten mehrfache gleichzeitig mit Peri- dermium Cornui ausgeführte Versuche zu sehr merkwürdigen Ergeb- nissen in bezug auf weitere Nährpflanzen des Cronartium asclepia- deum. Die Beobachtungen von Göneau de Lamarlidre‘) und Fischer°), wonach Cronartium asclepiadeum auch auf Paeonia- Arten übergehen kann, wurden bestätigt, und weiter wurde gefunden, daß noch eine ganze Reihe verschiedenartiger Pflanzen, Angehörige von nicht weniger als acht Pflanzenfamilien, darunter Pedicularis pa- lustris, im übrigen zum größten Teil Pflanzen aus Gegenden, wo der Pilz wegen des Fehlens der Kiefern gar nicht vorkommen kann (Süd- afrika, Ostindien, Peru, Chile), von Cronartium asclepiadeum be- fallen werden können ©). Auf einigen dieser Pflanzen, die als Garten- blumen gezogen werden, hatte bereits Dietrich”), der Entdecker des Cronartium ribicola, den Pilz in den Ostseeprovinzen gefunden und neue Arten daraus gemacht, die jetzt nebst Cr. flaccidum (Alb. und Schwein.) Wint., Cr. balsaminae Niessl, Cr. pedicularis Lind- 1) Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen in Beiträge zur Kryptogamen- flora der Schweiz 1898, Bd. I, pag. 94 und frühere kürzere Mitteilungen. 2) Ber. der Deutsch. bot. Ges. 1894, Bd. XII, pag. 292 und spätere Arbeiten. 3) Die wirtswechselnden Rostpilze 1904, pag. 379. 4) Assoe. frang. pour Pay. d. sc., 23. sesa., Tome II, pag. 628. Caen. * 9) Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen 1898, pag. 90. 6) Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1914, Bd. XXIV, pag. 13; 1916, Bd. XXVI, pag. 266 und frühere Arbeiten. ?) Arch. Naturk. Liv-, Esth- und Kurlands 1859, 2. Ser., Bd. I, pag. 287 ndu 495, % -.. Peridermium pini (Willd.) Kleb, und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 197 roth und einigen anderen später beschriebenen Arten sämtlich einzu- ziehen sind. Dieser auffälligen Pleophagie gegenüber, die unter den Rostpilzen nur wenige ihresgleichen hat, ist es um so auffälliger, daß keine der zahlreichen geprüften Pflanzen von Peridermium pini in- fiziert wird. Auch die naheliegende Frage, ob Peridermium pini nicht viel- leicht imstande sei, die Kiefer unmittelbar zu infizieren, wurde zu prüfen nicht versäumt. Wiederholt habe ich kleine 4—10Ojährige, in Töpfen wachsende Kiefern mit Sporen besät, ohne Erfolg zu erhalten !). Nach allen Erfahrungen, die über wirtswechselnde Rostpilze vorliegen, konnte auch kaum etwas anderes erwartet werden. Wir kennen keine wirtswechselnden Rostpilz, dessen Aecidiosporen den Aecidienwirt zu infizieren vermöchten. Nur Aecidium graveolens Shuttlew., die Aeeidienform der Puceinia arrhenatheri (Kleb.) Erikss., sol) nach Eriksson?) dies tun. Aber Eriksson hat nicht über Wiederholung und Bestätigung seiner auffälligen Ergebnisse berichtet und auf Zweifel an der Richtigkeit nicht geantwortet. Wohl gibt es einige Rostpiize, deren Aeeidiosporen nach der Aussaat auf die eigene Nährpflanze wieder Aecidien hervorbringen®), aber von diesen ist keiner wirts- wechselnd, keiner hat perennierendes Aecidienmyzel, und den neu- erzeugten Aecidien fehlen Spermogonien, die bei Peridermium pini vorhanden sind. Neuerdings hat der Schaden, den Peridermium pini durch Kienzopfbildung in den Waldungen mancher Gebiete besonders im nordöstlichen Deutschland verursacht, die Aufmerksamkeit forstlicher Kreise mehr als bisher auf den Pilz gelenkt‘), und Oberförster Haack ®), der leider dem Kriege zum Opfer gefallen ist, hat, angeregt durch A. Möller, sich die Aufgabe gestellt, die Lebensgeschichte des Pilzes mit besonderer Rücksicht auf die unmittelbare Infektion der Kiefer zu er- 1) Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1897, Bd. VII, pag. 345; 1899, Bd. IX, pag. 17; Jahrb. f. wiss. Bot. 1900, Bd. XXXIV, pag. 386; 1901, Bd. XXXV, pag. 694; Die wirtswechselnden Rostpilze, pag. 379; Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1916, Bd. XXVI, png. 269. 2) Beiträge zur Biol. 1898, Bd. VII, pag. 1—16; 1901, Bd. VII, png. I18. 3) Dietel, Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1893, Bd. II, pag. 258; Flora 1895, Bd. LXXXI, pag. 394. 4) Herrmann, Über den gegenwärtigen Stand der Kienzopffrage in Wissen- sehaft und Praxis. Vortrag, Versamml. d. preuß. Forstvereins in Braunsberg 1913. — Schultz, Zeitschr. f. Forst- und Jagdwesen 1915, Bd. XLVII, pag. 8. — Herr- mann, Ber. des Westpr. bot.-zool. Vereins 1914, Bd. XXXVII, pug. 353. 5) Zeitschr. f. Forst- und Jagdwesen 1914, Bd. XLVI, pag. 1—46. 198 H. Klebabn, forschen. Haack impfte junge Triebe an großen, im Walde wachsen- den Bäumen, meist nach Anbringung kleiner Wunden mittels des Messers oder durch Abreißen von Nadeln. In mehreren Fällen ent- standen nach 2 oder 3 Jahren genau an der Impfstelle neue Aeeidien- lager. Haack folgert daraus, daß sich der Kienzopfpilz ohne Zwischen- wirt unmittelbar von Kiefer zu Kiefer übertragen läßt. Wenn auch die Versuche so sorgfältig ausgeführt sind wie nur möglich, und wenn auch die Berechnung, die Haack über das Zahlen- verhältnis der mit und der ohne Erfolg geimpften und der nicht ge- impften Triebe anstellt, immerhin sehr zugunsten der Auffassung spricht, daß die Aecidienlager infolge der Sporenaussaat entstanden waren, als wirklich überzengend können die Versuche nicht gelten, da sie nicht nur im Freien, sondern obendrein in einem verseuchten Ge- biete und zum Teil absichtlich auf einem Baume angestellt sind, der bereits von dem Pilze befallen war?) Schon Fischer°) hat in seiner Besprechung geäußert, „daß er diese Versuchsergebnisse doch noch zurückhaltender beurteilen würde“. Wenn die Ergebnisse wissenschaft- lich begründet sein sollen, ist, strengere Absonderung und Beaufsich- tigung der Pflanzen nötig, als sie im Freien möglich ist. Die Versuche Haack’s regten mich an, meine eigenen Versuche über unmittelbare Infektion der Kiefer in umfassenderer Weise wieder aufzunehmen und dabei auf die Möglichkeit Rücksicht zu nehmen, daß die Infektion von einer besonderen Empfänglichkeit einzelner Bäume abhängig sein kanı. Wenn der Pilz sich unmittelbar von Baum zu | Baum übertrüge und alle Kiefern leicht und gleichmäßig empfänglich wären, sollte man annehmen, daß der Pilz sich rasch durch ganze Be- stände verbreitete und alle Bäume mehr oder weniger befallen wären. Das letztere ist keineswegs der Fall. Ohne Zweifel ist der Pilz stellen- weise stark und weit verbreitet und eine Plage für die Forstwirtschaft, wie die forstlichen Verfasser?) hervorheben. In den Gebieten um Hamburg und Bremen, die mir genauer bekannt sind, ist er aber eine verhältnismäßig seltene Erscheinung. Es ist allerdings für den Bo- taniker fast unmöglich, das Innere höherer Bestände abzusuchen; das mag einer der Gründe sein, weshalb ich den Pilz fast nur von Rand- bäumen kenne. Aber gerade die Bäume an Wegen und Waldrändern und niedrigere Bäume in lockeren Beständen in der Heide habe ich Da a O. pag. 35. 2) Zeitschr. f, Botanik 1915, Bd. VII, pag. 421. 3) Herrmann, a. a. O. 1913. Sonderdruck, pag. 1ff.; 1914, pag. 353. — Schultz, a. a. O. pag. 10ff. — Haak, a, a. O. pag. 38. % Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 199 vie] beobachtet und doch stets nur ganz vereinzelte kranke Bäume ge- funden, so daß ich oft Mühe gehabt habe, mir die zu Versuchen nötigen Pilze zu verschaffen. Hat man aber einen befallenen Baum gefunden, so trifft man fast immer mehrere kranke Zweige auf denselben an, die, da ein Zusammenhang des Myzels nicht besteht, auf ebenso viele voneinander unabhängige Infektionen hinweisen, und in den näclısten Jahren ist es immer nur derselbe Baum, auf dem sich der Pilz findet. Ich habe auf diese Erfahrung schon früher aufmerksam gemacht '!). Der Schluß liegt sehr nahe, daß einzelne Kiefern gegen den Pilz a} höherem Grade empfänglich sind als die Mehrzahl der Bäume. In diesem Sinne hat sich unter den Botanikern schon Lire (Lindroth)?) ausgesprochen, und auch von forstlicher Seite?) neigt man dieser An- sicht zu. So kam ich auf den Gedanken, mit Bäumchen, die aus Samen kienzopfkranker Kiefern herangezogen waren, Versuche zu machen; denn wenn eine besondere Empfänglichheit einzelner Bäume vorhanden ist, s0 ist es nicht unwahrscheinlich, daß diese Eigenschaft in mehr oder weniger hohem Grade auf die Nachkommen vererbt, wird. Gegen diesen Gedanken wandte zwar Herr Oberförster Haack ein, daß er sich nicht viel Erfolg davon verspreche, weil die Peridermium-Krank- heit keine Kinderkrankheit der Kiefer sei, und nach den Erfahrungen der Praxis könnte es auch scheinen, daß die Kienzopfkrankheit ein ge- wisses höheres Alter der Bäume bevorzugt‘); aber es fehlt keineswegs an Beobachtungen über das Auftreten des Pilzes an jüngeren, z. B. 5- oder 7jährigen Bäumen®), und vom botanischen Standpunkte aus liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß die jungen Triebe au jungen Bäumehen ein anderes physiologisches Verhalten zeigen als an alten. Die Herren Forstmeister Aschoff (Oberförsterei Munster, Hannover) und Oberförster Schultz (Gr. Bartel, Kr. Stargard) hatten die Güte, mir im März 1914 Zapfen kienzopfkranker Kiefern zu übersenden, die zum größeren Teil sehr kümmerlich aussahen, aber doch eine genügende Zahl keimfähiger Samen enthielten. Diese wurden sogleich ausgesät und die Pflänzchen später in Blumentöpfen weiter gezogen. Trotzdem 1} Wirtswechseinde Rostpilze 1904, pag. 380; Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1902, Bd. XII, pag. 139; 1912, Bd. XXI, pag. 338. 2) Acta soc. pro faun. et. flor, Fenn. 1904, Tome XXIX, Nr. 7, pag. 49. 3) Herrmann, a. a. O. 1913, Sonderdruck. pag. 19. — Schultz, a.a.0. pag. 14. — Haack, a. a O. pag. 24 und 33. 4) Herrmann, a. a. O. 1913, Sonderdruck, pag. 4. Schultz, a. a. 0. pag. 14ff. — Haack, a. a. O. pag. 31. 5) Schultz, a. a. O. pag. 20. 200 H. Klebahn, eine Anzahl eingegangen ist, habe ich gegenwärtig noch 101 Bäum- chen in 54 Töpfen in Kultur, die also jetzt im vierten Sommer stehen und im Aussehen den in den Photographien (Taf. IV u. Y) darge- stellten entsprechen. Da man nicht wissen kann, ob die vermutete Empfänglichkeit auf alle Nachkommen vererbt ist, und da es zunächst nur darauf an- kam, festzustellen, ob überhaupt einige der Bäurmchen infiziert werden würden, so habe ich, um möglichst viel Aussicht auf Erfolg zu haben, zwar 1915 zunächst nur einen kleinen Teil, 1916 aber und abermals 1917 sämtliche Bäumehen mit Sporen bepudert, und zwar wesentlich an den jungen Sommertrieben. Dabei wurden an einem Teil der Triebe nach dem Vorgange Haack’s mit dem Messer oder durch Ab- reißen von Nadelpaaren kleine Verletzungen angebracht. Die Pilze stammten von drei verschiedenen Stellen, von Lübeck, von Neugraben bei Harburg und von Niendorf bei Hamburg. Nach der Impfung standen die Pflanzen mehrere Tage unter Glasglocken und blieben später noch wochenlang im Gewächshause. Während des Winters kamen sie ins Freie. Ich war doch sehr überrascht, als ich im Juni 1917 feststellen mußte, daß sich an zwei der im Sommer 1915 geimpften Bäumchen Blasen von Peridermium pini entwickelt hatten. In dem ersten Falle (Nr. 202) fanden sich zwei größere Aecidienblasen im unteren Drittel des Haupttriebs von 1916 und zwei kleinere am Grunde eines Seitentriebs, gleichfalls von 1916 (s. die Photographie, Taf. IV). Im zweiten Falle (Nr. 206) waren zwei größere Aecidien am oberen Ende des Triebs von 1915 dicht neben oder fast unmittelbar unter den dort ab- gehenden Seitentrieben von 1916 vorhanden. An zwei weiteren Pflanzen (Nr. 72 und 439) war der Jahrestrieb von 1916 im unteren Teile stark geschwollen, ohne daß Aecidien hervorbrachen (Taf. V). Die Untersuchung eines kleinen Rindenstücks des einen Bäumchens (Nr. 72), das sich entnehmen ließ, ohne die Pflanze zu schädigen, ergab das Vorhanden- sein reichlichen Myzels in den Interzellularräumen, so daß auch in die- sem Falle der Befall durch Peridermium als erwiesen gelten konnte. Dies wurde völlig zur Gewißheit, als die beiden Pflanzen Mitte Sep- tember abermals besichtigt wurden. Es waren jetzt Spermogonien vor- handen, deren Inhalt in derselben Weise in Tröpfehen aus der Rinde hervortrat, wie ich es früher für den im Freien beobachteten Pilz und auch für Peridermium strobi beschrieben habe}). 1) Ber. der Deutsch. bot. Ges. 1888, Bd. VI, pag. XI; 1891, Bd. IX, pag. (7); Abbandl, naturw. Ver. Bremen 1892, Bd. XII, pag. 372; Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1905, Bd. XV, pag. 86 und Taf. III. ur Peridermium pini (Wild) Kleb, und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 201 Das Bänmchen Nr. 206 ging im Laufe des Sommers infolge des Pilzbefalls zugrunde, wie ich nicht anders erwartet hatte. Das andere {Nr. 202) würde wohl dasselbe Schicksal gehabt haben, wenn ich es nicht vorher, um es zu erhalten, für das Herbarium getrocknet hätte. Die Impfung sämtlicher Bäumchen wurde im Juni 1917 wieder- holt, und zwar mit Pilzen von Munster (Forstmeister Aschoff), von Niendorf bei Hamburg und von Escheburg bei Bergedorf. Außer ver- letzten und unverletzten jungen Trieben wurden auch durch Abreißen einiger Nadeln verletzte vorjährige Triebe geimpft. Die verletzten und unverletzten Triebe wurden gesondert bezeichnet, was im voraufgehen- den Jahre leider versäumt worden war. Dann blieben die Pflanzen bis Ende Oktober im Gewächshaus. Die Besichtigung im Oktober zeigte, daß jetzt eine ziemlich große Zahl von Bäumchen mehr oder weniger deutliche Anschwellungen hatte, und zwar teilweise an den Trieben von 1916, zum Teil aber auch schon an den Trieben von 1917. Die Einzelheiten sind folgende: Erste Gruppe. Trieb von 1916 nach vorgenommener Ver- . wundung geimpft. Ergebnis: An zwei Bäumehen (Nr. 518 und 524) sind Anschwellungen am Trieb von 1916 vorhanden, an Nr. 518 auch am Trieb von 1915. Zweite Gruppe. Trieb von 1916 nach Verwundung, Trieb von 1917 ohne Verwundung geimpft. Ergebnis: fünf Bäumchen haben An- schwellungen am Trieb von 1916 (Nr. 502a, b und c, 513 und 516b), zwei davon auch am Trieb von 1917 (Nr. 513 und 516b), eines an- scheinend nur am Trieb von 1917 (Nr. 516a). Dritte Gruppe. Triebgrenze 1916--17 nach geringer Spaltung in der Gabelung und außerdem Trieb 1917 ohne Verletzung geimpft. Ergebnis: drei Bäumchen, Nr. 437a und b und Nr. 504 zeigen An- schwellung im oberen Drittel des Triebs von 1916, Nr. 437a und b außerdem im unteren Teil des Triebs von 1917. Ferner haben Nr. 424 Anschwellung am Grunde des Triebs von 1917 und Nr. 404 und 422 daselbst vom Grunde an aufwärts. Vierte Gruppe. Trieb von 1917 nach Verwundung geimpft. Ergebnis: Die 10 Bäumchen Nr. 178, 180a und b, 20la und b, 432, 507, 515, 519, 521 und 525 haben Anschwellungen am Trieb von 1917. An Nr. 201a sind Spermogonien vorhanden, die Spermatien ent- leeren. Fünfte Gruppe. Trieb von 1917 ohne Verletzung geimpft. Ergebnis: Die fünf Bäumchen Nr. 210, 425, 433, 514 und 522 haben 202 H. Klebahn, Anschwellungen am Trieb von 1917, Nr. 522 auch am Trieb von 1916, Nr. 215 nur am Trieb von 1916. Die mikroskopische Untersuchung, zu der nur ein winziges Parenchymschnittchen unter dem Periderm entnommen zu werden braucht, ergab in den Anschwellungen sämtlicher 30 Bäumchen die Anwesenheit reichlichen Myzels. Färbung mit Bleu coton GBBBB in Laktophenol erwies sich als bequemes und zuverlässiges Hilfsmittel. Der Befall durch Peridermium pini ist also für 30 % der geimpften Bäumchen sicher gestellt. Eine Erhöhung dieser Zahl ist vielleicht noch zu erwärten, da noch einige zweifelhafte Anschwellungen vorhanden waren, die, um sie nicht zu stören, nicht mikroskopisch untersucht und einstweilen außer Betracht gelassen sind. Es ist zugleich gezeigt, daß schon 3—4jährige Sämlinge befallen werden können. Hinsichtlich der Deutung der festgestellten Tatsachen gibt es drei Möglichkeiten. Erstens. Der Pilz ist von den kranken Mutterpflanzen auf einen Teil der Nachkommen vererbt worden. Wer ein Anhänger der Myphoplasmalehre Eriksson’s ist, mag diese Deutung für die beste halten. Gegen die Annahme eines im Samen enthaltenen Krankheits- keims irgendwelcher Art spricht aber, daß der Pilz an den gleich- alterigen und gleichbehandelten Bäumchen zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenalterigen Trieben aber gleichzeitig zum Vorschein kam. Zweitens. Der Pilz ist während der Zeit vom Herbst bis zum ersten Frühling, wo die Bäumchen im Freien standen, vom Teleuto- sporenwirt auf die Kiefern gelangt. Dies ist im höchsten Grade un- wahrscheinlich. Ein Teleutosporenwirt ist nicht bekannt, die Perider- mium-Sporen sind zu jener Zeit nicht mehr keimfähig, das Perider- mium selbst ist in der Umgebung Hamburgs sehr selten, der nächste Standort 8'/, Kilometer entfernt. . Drittens. Der Befall ist die Folge der vorgenommenen Impfung. Diese Annahme gibt die einzige ungezwungene Erklärung der Tatsachen. Ich halte also die Übertragung des Peridermium pini mittelsder Aecidiosporen von Kiefer zu Kiefer jetzt für be- wiesen und die Versuche Haack’s für bestätigt. Durch neue genügend zahlreiche Versuche unter Übriglassung ausreichender Kontroll- pflanzen würde man jetzt nötigenfalls Beweise bringen können, die jeden Zweifel ausschließen. Für derartige und andere Versuche zur Aufklärung der Lebensweise des Pilzes ist der Weg gewiesen. Peridermium pini (Wiltd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 203 Die Erscheinungen ähneln in mehreren Punkten denjenigen, die ich bei der Sporidieninfektion der Weimutskiefer beobachtet und be- reits 1905 beschrieben habe). Auf einige Fragen, die sich anschließen, muß noch eingegangen werden. Die hauptsächlichste Eingangspforte des Pilzes sind, darüber kann kein Zweifel sein, die jüngsten Jahrestriebe. Es scheint sogar, als ob sieh der Erfolg hier schon im Herbst nach der Infektion bemerkbar machen kann. In nicht weniger als 23 Fällen waren die Triebe von 1917, und zum Teil wesentlich nur diese, angeschwollen und enthielten Myzel. Da ich die Bäumchen aber 1916 schon einmal geimpft hatte, ist die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß dieser Infektionserfolg auf Myzel zurückzuführen ist, das bereits im Jahre 1916 eingedrungen und damals in die Endknospen gelangt war, bei deren Entfaltung die Triebe von 1917 von Anfang an ergriffen sein mußten. Wenn es so wäre, sollte man allerdings erwarten, daß sich dann die Wirkung der In- fektion in höherem Grade, als es der Fall war, an den Trieben von 1916 gezeigt hätte; denn in mehr als 12 Fällen waren die Triebe von 1916 entweder gar nicht oder nur an der oberen Grenze ein wenig angeschwollen, Ich habe versucht, durch mikroskopische Untersuchung Aufschluß zu erhalten. Es wurden dazu ein paar Bäumchen ausgewählt, die nur im oberen Teil des Triebes von 1917 Anschwellungen hatten, und Querschnitte durch den obersten Teil der Triebe von 1916 gemacht, da für diesen Zweck die Entnahme von Rindenproben nicht ausreichte. An zwei Bäumchen war die Rinde fast frei von Myzel, das Mark war aber in allen Fällen von reichlichem Myzel durchwachsen. Man könnte vielleicht schließen, daB in diesen Fällen die Triebe von 1916 nicht ursprünglich infiziert gewesen sind, sondern daß das Myzel aus den Trieben von 1917 auf dem Wege durch das Mark eingedrungen war. Ferner wurden zwei Endknospen infizierter Triebe untersucht. Diese waren in auffallend hohem Grade von Myzel durchwuchert; die Hyphen drangen bis in die Gegend der jüngsten Seitenanlagen gegen den Vegetationspunkt vor (vgl. die Abbildung, pag. 204). Auch in den An- lagen der Nadelpaare und der Deckblätter derselben waren Hyphen 1) Kulturversuche XII. Zeitschr. f. Pfianzenkrankh. 1905, Bd. XV, pag. 86, Taf. III. v. Tubeuf, der über die Lücke in der Kenntnis der Biologie des Peridermium strobi „endlich Klarheit“ schaffen möchte, scheint diese Arbeit nicht zu kennen. Vgl. Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. 1917, Bd. XV, pag. 276, 204 H. Klebahn, enthalten. Es ist kein Zweifel, daß solche Knospen Sprosse ergeben, die von Anfang an stark befallen sind. Man wird also folgern müssen, daß ein Teil der Infektionen an den Trieben von 1917 sicher auf die schon 1916 vorgenommene Impfung zurückzuführen ist. Besser als es der mikroskopischen Untersuchung gelungen ist, werden künftige Infektionsversuche, bei denen man nur einmal und an bestimmten Stellen impft, zeigen, welche Möglichkeiten für die Infek- tion und die Geschwindigkeit der Entwicklung vorhanden sind. Im allgemeinen fällt bei der mikroskopischen Untersuchung die Reichlichkeit des Myzels in den befallenen Geweben auf. Im Mark und in der äußeren Rinde ist fast jede Zelle von Hyphen umsponnen. Etwas weniger zahlreich sind sie im Phloem. Im Holze findet man sie spärlicher, in den Markstrahlen und in den Harzgängen, nur seiten zwischen den Tracheiden. In das Innere der Zelien dringen hie und da Haustorien ein. Die Frage, ob das Myzel unmittel- bar in die Rinde oder Längssehnitt durch den obersten Teil der Endknospe auf dem Wege durch eines mit Peridermium pini infizierten Kieferntriebs (ie Nadeln eindringt, (ron 1917). Die Hyphen durchwuchern in den Inter- wird vielleicht nur zellularräumen die ganzen Gewebe des Sprosses und ge- langen gie in sie Nähe des Vegetationspunktes. Stellen- durch mühsame ana- weise dringen Haustorien in die Zellen ein. Etwa : _ schematisch. Vergrößerung 180:1. was tomische Untersu n , chung beantwortet werden können. Für Peridermium strobi ist gezeigt, daß die Nadeln befallen werden können), aber nicht, daß das Myzel aus den Nadeln in die Rinde wächst. Durch neue Versuche wird auch die Frage zu prüfen Kein, ob 1) Klebahn, Zeitschr. f. Pflanzenkrankh. 1905, Bd. XV, pag. 87. ur Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 205 Verwundung auf die Infektion einen Einfluß ausüben kann. Es ist immerhin bemerkenswert, daß unter den verwundeten Trieben von 1917 ein größerer Infektionserfolg vorliegt als unter den unver- wundeten. Das kann durchaus Zufall sein, zumal, wie eben erörtert, die Frage nicht entschieden ist, auf welchem Wege diese Triebe in- fiziert waren. Wenn auch die sonstigen Erfahrungen über Rostpilze dagegen sprechen, wäre es aber vielleicht doch nicht ganz unmöglich, daß Peridermiam pini durch Wunden eindränge. Die Verwundung legt Gewebe frei, in welchem das Myzel leben kann. Wenn die Keim- schläuche der Sporen sich rasch genug entwickeln, könnten sie in den Schutz tieferer Gewebeschichten vordringen, ehe die freigelegten Zellen absterben oder die Wunde durch Kork geschlossen wird. An Wund- infektion im gewöhnlichen Sinne, d. h. Ansiedelung des Pilzes auf ab- sterbendem Gewebe, ist selbstverständlich nicht zu denken. Als In- Sektionen in Wunden könnten die Fälle der Bäumchen Nr. 518 und 524 aufgefaßt werden, wo die der unmittelbaren Infektion wahrschein- lich nicht mehr zugänglichen Triebe des voraufgehenden Jahres (1916) durch die Impfung von 1917 infiziert sind, falls es sich hier nicht, was vielleicht wahrscheinlicher ist, um einen schon 1916 erfolgten, langsam weiter entwickelten Befall handelt. Endlich wäre noch zu erwägen, ob Wunden vielleicht den Ge- samtzustand der Triebe im Sinne einer größeren Empfänglichkeit be- einflussen. An einen solchen Einfluß könnte man auch hinsichtlich der Rindenlaus Chermes pini Koch denken, die einen Teil meiner Kiefern befallen hatte, und deren ich mich nur mühsam erwehren konnte. Über derartige Fragen werden vielleicht vergleichende Ver- suche künftig Auskunft geben; man müßte die Prozentsätze erfolg- reicher Impfungen an verletzten und an unverletzten Trieben ermitteln. Was die Empfänglichkeit im allgemeinen betrifft, so besteht kein Zweifel, daß ein Teil der von wir aus Samen gezogenen Kiefern in hohem Grade empfänglich war. Ob sie es alle waren, wird sich erst entscheiden lassen, wenn das Verhalten der bisher gesund gebliebenen weiter beobachtet wird oder neue Versuche mit ihnen angestelit werden. Von drei früher mehrfach geimpften größeren, jetzt 12—13jährigen Kiefern habe ich zwei in den letzten Jahren mit denselben Sporen, mit denen auf den jungen Bäumen Erfolg erhalten wurde, teils an verletzten und unverletzten jungen Trieben, teils an Wunden älterer Zweige mehrfach geimpft, aber völlig ohne Wirkung. Diese beiden 1) Nach gütiger Bestimmung durch meinen Kollegen Prof. Dr. L. Reh. 206 H. Klebahn, Kiefern schienen also wirklich unempfänglich zu sein. Allerdings muß bemerkt werden, daß diese großen Bäumchen nicht mehr unter Glas- glocken gestellt werden konnten, sondern ‚nur im Gewächshause stan- den. Um die Frage der Empfänglichkeit der Lösung näher zu bringen, wird es sich empfehlen, die Versuche jetzt mit Nachkommen von ge- sunden und mit Nachkommen von kranken Bäumen gleichzeitig und unter gleichen Bedingungen, aber im einzelnen mit verschiedenartigen Abänderungen zu wiederholen. Für die Biologie der Rostpilze ergibt das Verhalten des Peri- dermium pini einen ganz neuen und sehr merkwürdigen Fall. Keimungsversuche mit den Sporen zeigen, daß der Pilz ein echtes Aecidium, kein Endophyllum ist, denn es entstehen einfache Keim- schläuche, kein Promyzel wit Sporidien. Es gelang, reichliche Keimung hervorzurufen, wenn die Sporen mit einer dünnen Wasserschicht unter das Deckglas, von feuchten Kammern") gebracht wurden. Dagegen verweigerten dieselben Sporen die Keimung, wenn sie nur vorn feuchte: Luft umgeben waren, und ebenso unterblieb jede Keimung auf Salepagar. Von den Rostpilzen mit wiederholter Aecidienbildung unter- scheidet sich der Pilz, abgesehen von dem Perennieren des Aecidien- myzels, durch die Spermogonienbildung. Allerdings habe ich die den Aecidien an Bäumchen 202 und 206 vermutlich vorangegangenen Spermogonien seinerzeit nicht bemerkt, und ob den an Nr. 72, 439 und 201a beobachteten Spermogenien Aecidien folgen werden, bleibt noch abzuwarten. Aber daß durch die Infektion mit Aecidiosporen Spermo- gonien entstehen können, steht fest. Daß neben der sich wiederholenden Aecidienbildung noch Wirts- wechsel vorkommt, möchte ich nicht glauben, wenigstens in Mittel- europa dürfte der Pilz keinen Teleutosporenwirt finden. Vielleicht geht der Erwerb des Vermögens, Aeeidien aus Aecidiosporen hervorzubringen, in diesem Falle mit dem Verlust der wirtswechselnden Lebensweise und dem Fortfail der Teleutosporen Hand in Hand. Diese Frage wird sieh vielleicht indirekt durch Versuche mit Peridermium Cornui lösen lassen. Falls auch Peridermium Cornui imstande wäre, die Kiefern unmittelbar zu infizieren, dürfte auch Peridermium pini noch Wirtswechsel haben. Wenn es nicht der Fall wäre, würde das für den Verlust des Wirtswechsels sprechen. Man müßte Versuche mit einem für Peridermium pini empfänglichen Stamm von Kiefern 1) Von der Jahrb. f. wiss, Bot. 1905, Bd. XLI, pag. 489 beschriebenen Form. Am Peridermium pini (Willd.) Kleb. und seine Übertragung von Kiefer zu Kiefer. 2307 machen. Auch mit Peridermium strobi könnte man neue derartige Versuche einrichten. Die Weimutskiefern scheinen ja für ihren Blasen- rost alle und leicht empfänglich zu sein. Aber die bisher mit Aecidio- sporen ausgeführten Versuche haben zu einem Befall dieser Kiefer nicht geführt. Das-würde bis auf weiteres in dem Sinne sprechen, daß Wirtswechsel und Wiederholung der Aecidienbildung nicht zu- sammen vorkommen. Hamburg, den 25. Oktober 1917. Erklärung der Tafeln. Tafel IV. Vierjährige Kiefern, davon die eine nach Impfung mit Sporen von Peri- dermium pini infiziert. Zwei Aecidienblasen im unteren Drittel des Triebs von 1916, zwei weitere (nicht gut sichtbar) am Grunde des linken Seitentriebs von 1916, Juni 1917. Tafel V. Vierjährige Kiefer nach Impfung mit Sporen von Peridermium pini. Starke myzelhaltige Anschwellung im unteren Teil des Triebs von 1916. Juni 1917. Später entstanden Spermogonien. Phylogenetische und gruppenwelse Artbildung. Von Hugo de Vries in Lunteren (Holland). Um die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb von Familien und größeren Gruppen in klarer Weise darzustellen, benutzt man gegen- wärtig mit Vorliebe die Methode der Stammbäume. Der Physiologe erbliekt in diesen Figuren aber ein Mittel, um der Frage nach der Art- bildung in der Natur auch von seinem Standpunkte näher zu treten. Der Prozeß muß offenbar sowohl innere als äußere Ursachen haben und bestimmten Gesetzen unterworfen sein. Diese zu erforschen, bildet eine der Hauptaufgaben der Erblichkeitslehre. Sind in einem Stammbaum die einzelnen Arten vollständig oder doch nahezu vollständig eingetragen worden, so macht er den Eindruck einer Anzahl von Fächern, welche durch Linien miteinander verbunden sind. Die Fächer stellen zumeist die Gattungen dar; in ihnen sind die Arten zu einer kleineren oder größeren Gruppen zusammengedrängt. Die Ver- bindungslinien aber bilden die Hauptzüge der Entwicklungsgeschichte in der gewählten Abteilung. Die Entstehung der Arten innerhalb der Fächer kann man gruppen- weise Artbildung nennen, und im Gegensatz dazu jene auf den Ver- bindungslinien als phylogenetische bezeichnen. Die erstere liefert in der Natur den Reichtum der Formen, die letztere besorgt aber die eigentliche Gliederung des Systems. Beide sind teilweise progressiver und teilweise retrogressiver Natur. Diese Hauptformen des Prozesses gehen fast stets Hand in Hand, und sogar in der Abtrennung großer Abschnitte, wie z. B. der Monokotylen, sind die rückschreitenden oft ebenso wichtig wie die anderen. Das größte Hindernis für die physiologische Forschung bildet aber die Seltenheit der Erscheinung. Ohne Zweifel treten neue Formen alljährlich auf. Man beobachtet sie auf Exkursionen oder findet sie in «len Verzeichnissen der Handelsgärtner. Das genügt aber nicht für die Forschung. Die Blumensamen werden auf großen Äckern zu Hundert- tausenden ausgesät in der Hoffnung, von Zeit zu Zeit eine wertvolle Neuheit zu erlangen. In der Natur ist der Vorgang anscheinend ebenso selten. Wo Varietäten häufiger vorkommen, sind sie offenbar bereits alt und vermehren sie sich als erbliche Rassen, wie z. B. die weiß- blühenden Formen von Erodium eicutarium und Antirrhinum Orontinm. Wo solches nicht der Fall ist, sind sie sehr viel seltener Phylogenetische und gruppenweise Artbildung . 209 und darf man ihre Häufigkeit gewiß auf weniger als ein Exemplar auf 100000 oder gar auf einer Million schätzen. Von Lychnis diurna glabra ist nur ein einzelner Fundort bekannt, und Lychnis vesper- tina glabra habe ich nur ein einziges Mal gefunden. Gewisse Arten mit blauen oder roten Blüten weisen in Gegenden, wo sie überaus reichlich vertreten sind, nur höchst selten weiße Blumen auf, wie bei uns z. B. Succisa pratensis, Würde man nun eine solche Art in Kultur nehmen, so ist offenbar die Aussicht, sie eine oder mehrere Varietäten hervorbringen zu sehen, viel zu gering, als daß man auf ein geeignetes Material für eine eingehende physiologische Erforschung der Bedingungen des Prozesses hoffen dürfte. Dasselbe gilt in noch höherem Maße von der Entstehung syste- matischer Arten. Unter diesen sind die weitverbreiteten Formen offen- bar so alt, daß die Ursachen, welche sie hervorriefen, sich unserem Studium völlig entziehen. Zwar stellt die Nützlichkeitstheorie eine poetische Betrachtung ihrer Vorzüge im Kampf ums Dasein an die Stelle experimenteller Forschung; da wir aber die Umstände, unter denen sie tatsächlich entstanden sind, nicht kennen, bringt uns auch diese Methode nicht weiter. Nur von ganz jungen Arten, welche noch nicht die Zeit gehabt. haben, sich zu verbreiten, darf man annehmen, daß sie noch in derselben Umgebung leben, in der sie entstanden sind. Zahl- reiche lokale Formen, welche namentlich auf tropischen und subtropischen Inseln nur an einem einzigen Fundort, z. B. in einem Tale oder auf einer Bergspitze wachsen, müssen hierzu gerechnet werden. Aber auch hier muß sich die Forschung auf ein vergleichendes Studium beschränken, denn zu Versuchen liefern auch diese junge Arten noch kein Material. Entziehen sich somit die phylogenetische Artbildung und die zer- streute Entstehung von Varietäten noch unserem Experimente, viel günstiger verhält sich in dieser Beziehung die gruppeuweise Bildung neuer Formen, wie sie uns in so zahlreichen Gattungen entgegentritt. Auf diese sind wir vorläufig gezwungen, unser Augenmerk zu richten. Allerdings gibt es Übergänge. Phylogenetische und gruppenweise Art- bildung sind keineswegs scharf voneinander getrennte Vorgänge. Zu diesen Übergängen rechne ich z. B. das häufigere Auftreten derselben Abweichung innerhalb einer Art oder einer kleinen Gruppe von Arten. Als Beispiel führe ich die Entstehung der pelorischen Varietät von Linaria vulgaris an. Diese Form, welche ausschließlich pe- lorische Blüten mit fünf Spornen trägt, ist in den beiden letzten Jahr- hunderten hier und dort gelegentlich erschienen. Sie vermehrt sich durch Wurzelbrut und erhält sich dadurch während einiger Jahre, um Flora. 84. 111. 14 210 Hugo de Vries, dann wieder zu verschwinden. Sie bildet fast nie keimfähige Samen, und dieses schließt die Annahme, daß sie mittels Samen von einem Orte nach einem anderen übertragen werde, in einfachster Weise aus. Sie ist offenbar in der Regel an Ort und Stelle entstanden, wo man sie findet. Sie ist auch in meinem Garten aus einer mehrjährigen, gut isolierten und reinen Kultur der Art hervorgegangen, und hier ließ sich somit der Hergang des Prozesses unmittelbar beobachten. Die Varietät trat plötzlich auf, ohne sichtbare Vorbereitung und ohne Zwischenstufen oder Übergänge. Sie entstand in mehreren Individuen, deren Zahl in der fraglichen Linie verhältnismäßig bedeutend war, nähmlich etwa 1%, und der Vorgang wiederholte sich in der nächsten Generation. Aus den wenigen, künstlich gewonnenen Samen wiederholte sich die Neuheit in fast allen Individuen. Offenbar gab es eine innere Ursache für die ganze Erscheinung, aber weder diese zu erforschen, noch auch die äußeren Bedingungen kennen zu lernen, ist bis jetzt gelungen. Gefüllte Blütenkörbehen kommen bei vielen Kompositen mit Strahl- und Scheibenblütchen als gärtnerische Varietäten vor, offenbar infolge einer bestimmten inneren Vorbereitung zu dieser Abweichung sowie der günstigen Kulturbedingungen der Gärtnereien. Auch in meinen Versuchen ist eine solche Nenheit aufgetreten, und zwar aus Chrysan- themum segetum. Die gefüllte Form trat mit einem Schlage auf und war sofort samenfest, aber für weitere Versuche bildete auch sie kein geeignetes Objekt. Es bedarf dazu einer Anhäufung von Neubildungen und eine solche findet man wohl nur in der gruppenweisen Artbildung. Die beiden Begriffe decken einander fast genau. Zahlreiche neue Typen entstehen nahezu gleichzeitig, und die meisten unter ihnen in mehreren Individuen und zu wiederholten Malen. Die Häufigkeit soll ausreichen, um ‚Im beschränkten Raum eines Versuchsgartens zuverlässige pro- zentische Verhältnisse zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Einen solchen Fall bietet uns die Gattung Oenothera und zwar in etwa einem halben Dutzend von nahe verwandten Arten. Aus diesem Grunde habe ich seit etwa 30 Jahren diese als Paradigma für die Artbildung im Pflanzenreich ausgewählt und sie einer Reihe von Experimenten unter- a als derer N aber noch bei weiten nicht gelungen ist, den c eigen Erscheinungen auch nur annähernd zu er- schöpfen. Ist es aber erlaubt, eine einzelne Gattung als Vorbild für alle Formen der artbildenden Variabilität zu benutzen? Offenbar ist das aber nicht der Zweck der Untersuchung; diese kann ja nicht mehr be- Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 211 anspruchen als ein erster Anfang zu sein. Gerade die Häufigkeit des Auftretens neuer Formen muß eine besondere Ursache haben, welche bei der phylogenetischen Artbildung nicht vorhanden zu sein braucht. Auch könnte die Anhäufung in anderen Familien und Gattungen wohl ganz oder zum Teil auf andere innere Ursachen beruhen. Jedes Bei- spiel, das sich für eine experimentelle Bearbeitung darbietet, müßte untersucht werden, um zu allgemeinen Folgerungen zu gelangen. Anderer- seits ist es selbstverständlich, daß man mit einem Falle anfangen muß; dazu kommt, daß bis jetzt im Pflanzenreich noch kein’ zweiter ähnlicher Fall aufgefunden worden ist. Das Studium dieser bis jetzt einzig verfügbaren Gruppe hat nun zunächst zum Zweck zu prüfen, inwieweit ihre Formenbildung mit der Artbildung in der Natur verglichen werden darf. In zweiter Linie aber hat es die Gesetze zu erforschen, welche diese Vorgänge hier beherrschen. In beiden Richtungen sind im Laufe der letzten Jahrzehnte, und durch die Arbeit vieler Forscher, wie mir scheint, wichtige Ergebnisse erreicht worden. Ich brauche hier nur die Untersuchungen von Gates und Fräulein Lutz über die Verdoppelung der Chromosomen, von Bartlett über die systematische Gliederung der Gattung und über die Massen- mutationen, von Geerts über die unbefruchteten und von Renner über die befruchteten sterilen Samen, von Davis über den vermutlichen Ursprung der Oenothera Lamarckiana, von Stomps über die parallelen Mutationen, sowie von Klebahn über Oenothera biennis hervorzuheben, um zu zeigen, welche umfangreiche Arbeit erforderlich war, um in diesem einen Beispiele zu einer Einsicht in einige der Haupt- züge des Prozesses zu gelangen. Und werden später mehr Beispiele erkannt werden, wie viele Jahre angestrengter Arbeit, aber auch welche Fülle von Entdeckungen, wird man dann erwarten dürfen. Einstweilen aber müssen wir uns mit dem einen namhaft gemachten Falle begnügen. Die bei den Oenotheren beobachteten Mutationen können wir ein- teilen in allgemeine und spezielle. Die allgemeinen sind solche, welche mit den Vorgängen übereinstimmen, welche auch außerhalb dieser Gruppe bei der Entstehung von Arten und Varietäten vorkommen oder doch gewöhnlich vorausgesetzt werden. Die speziellen aber sind bis jetzt nur in der fraglichen Gattung beobachtet worden. Ob sie dieser eigen- tümlich sind, oder später auch in anderen Gattungen vorgefunden werden, wissen wir selbstverständlich nicht. Doch zeigen sie gewisse Züge, welche es wahrscheinlich machen, daß sie bei der phylogene- tischen Artbildung keine hervorragende Rolle spielen können. Ich 14* 212 Hugo de Vries, werde auf sie deshalb erst nach der Behandlung der allgemeinen Muta- tionen eingehen. Diese können wir entweder vom Standpunkte der Systematik oder von jenem der Erblichkeitslehre betrachten. Im ersteren Falle unter- scheiden wir parallele und taxinome Veränderungen, im letzteren aber progressive und retrogressive. Als parallele Mutationen bezeichnen wir, nach dem Vorgange von Stomps, jene plötzlich auftretenden Umänderungen, welche bei ver- schiedenen Arten dieselbe Neuheit hervorrufen. Von den zahlreichen einschlägigen Beispielen, welche ich im Laufe dieses Aufsatzes zu er- wähnen haben werde, hebe ich hier die Zwerge hervor, welche fast all- jährlich von Oenothera biennis und O. Lamarckiana erzeugt werden. Sie stimmen sowohl in ihrer niedrigen Statur überein — denn ihre erste Blüte wird nur etwa 10 cm oberhalb des Bodens angelegt — als auch in anderen Eigenschaften. Beide sind für die Angriffe gewisser Bodenbakterien in hohem Grade empfindlich und erkranken demzufolge, falls der Boden zu reich an stickstoffhaltigen Düngungsmaterialien und zu arm an Phosphaten ist. Ein lehrreiches Beispiel von Parellelismus bieten die mit schwefel- gelber Farbe blühenden Varietäten von Oenothera biennis und 0. suaveolens. Ihre Blüten sind so blaßgelb, daß sie von Sammlern, im Gegensatz zu dem hochgelben Typus der Arten, oft gradezu als weiß bezeichnet werden. Die Sulfureaform von O. biennis ist in den holländischen Dünen ziemlich häufig, aber starken periodischen Schwankungen unterworfen. In manchen Sommern sucht man sie ver- geblich, in anderen findet man Dutzende von Exemplaren an ver- schiedenen Fundorten. Sie ist samenfest, und könnte sich aus diesem Grunde ebensogut erhalten und vermehren wie die Art, dennoch muß man annehmen, daß sie häufig ausstirbt und entsprechend oft wieder aufs neue hervorgebracht wird. Wie letzteres geschieht, lehren die Kulturen, sowohl diejenigen von Stomps als jene von Klebahn und meine eigenen. In reinen, künstlich selbstbefruchteten Linien der Art treten sie gelegentlich plötzlich und ohne Vorbereitung oder Über- gänge auf, und so muß es somit auch im Freien geschehen. Und die Frequenz ist eine ziemlich bedeutende, denn ich fand sie in Kulturen von mehreren Hunderten von Exemplaren zu etwa 0,3%. Die Sul- fureavarietät von Oenothera suaveolens wächst im Freien im Forste von Fontainebleau, wo sie offenbar gleichfalls plötzlich aus der Art entstehen kann, denn in meinen reinen Linien trat sie in dieser Weise zu 0,1% auf. “ Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 213 Diese Versuche lehren unmittelbar, wie neue Formen im Freien entstehen können. Der Parallelismus ist aber nicht auf die Farbe be- schränkt, sondern erstreckt sich auch auf die inneren, dieser zugrunde liegenden, erblichen Eigenschaften, wie Kreuzungsversuche lehren. Der Parallelismus ist selbstverständlich nicht auf die Arten einer und derselben Gattung beschränkt. Er geht über deren Grenzen hinaus. Als Beispiel führe ich die sepalodische Varietät von Epilobium hirsutum an, welche von Rasor unweit Woolpit in England im Freiem beobachtet worden ist. Ihre Blumenblätter sind klein und schmal und von blasser Farbe, anstatt groß und schön rot. Sie ähneln den Kelchblättern sowohl in den äußeren als auch in ihren anatomischen Merkmalen. Daher der Name Sepalodie. Sie bilden ein kleines Kreuz in der Blüte, und auf dieses bezieht sich die Bezeichnung Epilobium hirsutum eruciatum. Diese Form bildet nun in gewisser Hinsicht eine Brücke zwischen dem Vorkommen desselben Charakters als Art- merkmal bei Oenothera erueiata Nutt. und O.stenomeres Bart- lett und als seltene Mutation bei Oenothera biennis cruciata. Die erstgenannte Art wächst in der Gegend des Hudson-Flusses in Nord- amerika im Freien, und wird von Systematikern allgemein als gute Art anerkannt. In unseren Dünen aber wurde bisweilen ein ganz ver- einzeltes Exemplar von O. biennis mit sepalodischen Blumenblättern gefunden und die mikroskopische Untersuchung hat dann die völlige anatomische Übereinstimmung nachgewiesen. Offenbar waren diese Exemplare jedesmal plötzlich aus der normalen Art hervorgegangen, denn ihre Fundorte werden wohl alljährlich von Botanikern durch- kreuzt, aber Übergänge hat man nicht beobachtet. Die neue Form war in Kulturen samenfest, dennoch ist sie im Freien bald wieder ver- schwunden. Auf Grund dieser Beobachtungen und des vollständigen Parallelis- mus der drei genannten Formen darf man annehmen, daß die Art und Weise der Entstebung für sie dieselbe ist, und daß somit sowohl Epilobium hirsutum erueiatum als auch Oenothera eruciata Nutt. in bezug auf dieses Merkmal mit einem Schlage aus ihren leuchtend blühenden Vorfahren hervorgegangen sind. Das angeführte Beispiel gehört eigentlich bereits zu der Gruppe der taxinomen Mutationen. Einen zweiten ähnlichen Fall liefert «as vollständige Fehlen der Blumenblätter. Dieses gehört zu den syste- matischen Artmerkmalen von Fuchsia macrantha und F. procum- bens in der Familie der Onagraceen und kommt bekanntlich auch außerhalb dieser gelegentlich als solches vor. Auf ein plötzliches Ent- 214 Hugo de Vries, stehen dieses Charakters lassen die Vorgänge bei Oenothera sua- veolens schließen, denn von dieser findet man bisweilen im Freien Blumen ohne Blumenblätter und im vergangenen Jahre ist in meinem Versuchsgarten ein solehes Exemplar unvermittelt aus einer reinen Kultur der Art hervorgegangen. Allerdings war das Merkmal hier nicht durchgreifend, denn dieselbe Pflanze trug neben apetalen Blüten auch solche mit 1—4, bisweilen teilweise verkümmerten Petalen, aber worauf es ankommt ist wesentlich nur die Tatsache, daß der Charakter plötzlich aus dem ursprünglichen Typus der Art hervorging. Betrachtet man die taxinomen Mutationen von einem allgemeinen Gesichtspunkte, so fällt es auf, daß sowohl Mutationen als Arten sich sehr oft nicht durch ein einziges Merkmal, sondern durch eine kleinere oder größere Gruppe von solchen von ihren nachgewiesenen bzw. ver- mutlichen Vorfahren unterscheiden. Für die Artmerkmale braucht dieses nicht betont zu werden, dagegen möchte ich hier diejenigen Gattungen hervorheben, welche je nur eine Art umfassen. Die ganze Gattung macht bier oft den Eindruck, daß sie mit einem Schlage aus ihren Vorfahren entstanden ist. Genau so ist es bei den Oenotheren. Vor mehreren Jahren trat in meinem Garten eine Form, Oenothera Lamarckiana mut. velutina auf, welche sich weit auffallender von der Mutterart unterscheidet als verwandte systematische Arten wie O. biennis und O. muricata. Man erkennt sie im Garten auf dem ersten Blick; sie hat eine niedrigere Gestalt, lange Internodien in der Blütenrispe, schmale, der Länge nach zusammen gebogene Blätter, denen die Buckeln der Mutterart abgehen, runde fast schüsselförmige Blumen, eine graue Behaarung auf allen Organen und einen Reichtum an roter Farbe, namentlich in den jüngeren Teilen. Auch die Form der Früchte und manche andere Punkte weichen ab. Alle diese Merk- male bildeten bei der ursprünglichen Mutation eine einzige Gruppe, und diese stellt ein einheitliches Bild dar, obgleich es möglich ist, durch Kreuzungen einzelne Faktoren daraus zu isolieren. Wäre diese Mu- tation im Freien aufgefunden worden, so würde sie wohl als eigene systematische Art beschrieben worden sein. Auf meinen Reisen in Amerika habe ich ein einziges Mal eine solehe Mutation im Freien beobachtet. Es war dieses in einer be- waldeten Gegend am Ufer des Missisippiflusses in der Nähe von Court- ney in Missouri. An einer offenen Stelle wuchs die amerikanische Form von O. biennis in vielen Dutzenden von reichblühenden Exem- plaren. Aber eine einzige Pflanze trug einen anderen Typus, mit schmäleren Blättern, etwas kleineren Blüten und einer langen Traube w Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 215 mit dicht der Achse angedrückten Früchten. Der Unterschied fiel schon in der Ferne auf, und da die Form neu war und nur in einem Exemplare vertreten, mußte sie offenbar an Ort und Stelle aus der dortigen Art hervorgegangen sein. Sie war aber in ihren Merkmalen völlig gleichwertig mit analogen Mutationen, welche seitdem in meinem Garten aus jener Form von O. biennis hervorgegangen sind. Weitere Beispiele könnten zahlreich angeführt werden. Oft werden Veränderungen in den sichtbaren Merkmalen von inneren be- gleitet, wie sich beim Aussäen der Samen oder durch Kreuzungen er- gibt. Oenothera Lamarckiana hat zur Hälfte taube Samen, doch führt der Mutant O. rubrinervis solche nur zu einem Viertel und fehlen sie durchaus bei O. mut. deserens, sowie bei der soeben be- schriebenen O. mut. velutina. In Kreuzungen folgen Mutanten bis- weilen der Mendel’schen Regel, auch wenn dieses Vermögen der O.La- marckiana für die analogen Verbindungen abgeht. Andere Beispiele werde ich noch zu besprechen haben; sie lehren alle, daß die Merk- male bei experimentellen Mutationen gar oft in ähnlichen Gruppen um- schlagen, wie sie in den Diagnosen verwandter Arten zur Unter- scheidung benutzt werden. Ich gelange jetzt zu dem Unterschiede zwischen progressiven und reirogressiven Mutationen. Beide sind im Vergleich mit den natür- lichen Stammbäumen wichtig; die ersteren aber bilden den Fortschritt bei der phylogenetischen Artbildung und beanspruchen dadurch unser Interesse in erster Linie. Leider aber sind sie sehr selten, aber auch in diesem Punkte stimmen sie mit den Vorgängen in der Natur über- ein, denn auch hier sind sogenannte Verlustmerkmale außerordentlich viel häufiger als klare Fortschritte, d. h. als dentliche Zunahmen in der Differenzierung der Formen. Dennoch gibt es Beispiele. So be- schreibt Bartlett eine O. stenomeres mut. lasiopetala mit be- haarten Blumenblättern, welche in seinen Kulturen entstanden ist, und bekanntlich fehlt die Behaarung den Petalen der sonst bekannten Oeno- theren durchweg. Aber ein sehr gutes Beispiel bietet sich uns in der Verdoppelung der Zahl der Chromosomen in den Kernen, und deshalb wollen wir dieses hier etwas ausführlicher besprechen. Betrachtet man die Listen der Chromosomenzahlen im Pflanzenreich, wie sie namentlich von Tischler und von Ishikawa veröffentlicht worden sind, so fällt es jedem auf daß in Gattungen, von denen mehrere Arten geprüft worden sind, in der Regel alle Arten dieselbe Zahl aufweisen. Daneben kommen aber Gattungen vor, in denen eine oder mehrere Arten dop- 216 Hugo de Vries, pelt so viel Chromosomen haben wie die anderen. Offenbar gehört die Zahl der Chromosomen zu den zuverlässigsten Merkmalen von Arten. Denn nur ausnahmsweise findet in dieser Beziehung ein Unter- schied zwischen Varietäten oder Rassen statt und die Beispiele dazu liefern kultivierte, formenreiche Arten und Gattungen wie Mays, Pri- mula und Musa. In der ganzen Liste sind die niederen Zahlen die Regel, die doppelten die Ausnahmen, und es ist völlig klar, daß diese von jenen abgeleitet sind und nicht etwa umgekehrt, Es handelt sich hier offenbar um einen Fortschritt, und ein Rückschritt, d. b. die Reduktion der normalen Zahl auf die Hälfte, scheint nicht oder doch höchst selten vorzukommen. Dieser Fortschritt ist aber überall im Pflanzenreich beschränkt und führt nur selten zur Ausbildung der vierfachen Zahl; das beweist aber nichts gegen seine Natur als pro- gressive Veränderung. In der Gattung Oenothera hat nun derselbe Fortschritt in ex- perimentellen Kulturen mehrfach stattgefunden, und zwar aus O. La- marckiana und OÖ. grandiflora in meinem Versuchsgarten und in demjenigen von Bartlett aus O. pratincola und O. stenomeres. Überdies wurde die entsprechende halbe Mutation für O. biennis von Stomps entdeckt, doch werde ich erst später die halben Mutationen behandeln können. Die normale Anzahl der Chromosomen in den Oenotheren ist 14, die doppelte somit 28. Die Mutationen, welche diese letztere auf- weisen, werden als mut. gigas beschrieben. Sie sind äußerlich leicht kenntlich. Boveri hat gelehrt, daß unter dem Einflusse der größeren Chromosonienzahl gewisse Dimensionen in den Zellen beträchtlich zu- nehmen, und daß dadurch die äußere Gestalt wesentlich beeinflußt werden kann. Emile Marchal hat dieses für Moose durch Experi- mente nachgewiesen, in denen die doppelte Anzahl künstlich erzielt wurde. Für die Gigas-Mutanten trifft diese Regel in schönster Weise zu. Ihre ganze Tracht ist. kräftiger ; die Blütenknospen sind etwa doppelt so diek, die Blüten größer, die Petalen dicker. Auch die Samen sind auffallend größer und die Blätter sind so breit, daß schon die jungen Keimpflanzen in den Saaten erkannt und ausgesucht werden können. Allerdings ist die Mutation nicht auf die Folgen der Verdoppelung der Chromosomenzahl beschränkt und ergreift sie namentlich auch innere Erblichkeitseigenschaften. So folgt z. B. Oenothera Lamarckiana gigas in Kreuzungen mit ihrem Zwerge dem Mendel’schen Gesetze, während O. Lamarckiana selbst sich in den analogen Kreuzungen ganz anders verhält, a. Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 217 Daß die Gigas-Formen den systematischen Wert von neuen Arten beanspruchen dürfen, ergibt sich auch aus der Sterilität ihrer Bastarde. Denn diese bringen. bei Selbstbefruchtung keine oder nahezu keine guten Samen hervor, und eine Bastardrasse läßt sich daraus nicht ab- leiten. Nur ein einziges Mal wurde von dieser Regel eine Ausnahme beobachtet, und in diesem Falle war wahrscheinlich eine nicht be- obachtete Mutation davon die Ursache. In Hinsicht auf diese Sterilität entfernen sich die Gigas-Mutanten sogar viel weiter von ihren Mutter- formen, als die bis jetzt bekannten guten Arten der Gattung unter- einander. Denn Artkreuzungen liefern hier in der Regel volle Ernten und kräftige Bastardrassen. Die Mutationen in Gigas aus den vier genannten Arten haben plötzlich und ohne jede Vorbereitung stattgefunden. Auch war ihre Mutter nicht ein Semigigas, denn die übrige Nachkommenschaft setzte die Art in der normalen Weise fort. Auf Grund dieser Tatsache darf man offenbar annehmen, daß die Verdoppelung der Chromosomenzahl in der Natur, bei anderen Gattungen in derselben Weise stattgefunden hat, und daß die betreffenden Arten ihre Entstehung somit einer Mu- tation verdanken, welche in erster Linie die Kerne umänderte, aber daneben auch, wie im Versuchsgarten, andere Merkmale ins Leben rief. Die Übereinstimmung der experimentellen Mutationen mit der Artbildung im Freien ließe sich hier noch in manchen Einzelheiten weiter ausarbeiten, doch würde mich das zuweit führen. Wie bereits hervorgehoben wurde, findet die Entstehung von Arten in der Natur zu einem großen Teile auf retrogressivem Wege statt. Dementsprechend kommen auch bei den Oenotheren retrogres- sive Mutationen vor. So beruht die Entstehung von O. brevistylis auf eine Verkürzung des Griffels; in O. rubrinervis bedingt das mangelhafte Diekenwachstum der Fasern einen holen Grad von Sprödig- keit; O. nanella hat die hohe Statur ihrer Mutterform verloren und schließlich gibt es eine prachtvolle Aureavarietät mit goldenem Laube anstatt der normalen grünen Farbe. Allerdings sind diese Umände- rungen mehrfach von weiteren Störungen in den Merkmalen begleitet, aber genau so verhält es sich in der Natur, wo die Arten in der Regel auch durch mehrere Merkmale voneinander unterschieden sind. Während Gigas als eine progressive Mutation nach Kreuzungen intermediäre sterile Bastarde zu geben pflegt, folgen die soeben ge- nannten retrogressiven Mutanten in Bastardverbindungen der Mendel- schen Regel, und zwar verhalten sie sich dabei als rezessiv. Sie sind, trotz ihrer komplizierten Natur, als richtige Verlustmutanten zu be- 218 Hugo de Vries, zeichnen. Am einfachsten sind die Verhältnisse bei O. brevistylis. Diese Neuheit ist allerdings nicht in meinem Garten entstanden, sondern auf dem Felde bei Hilversum, von welchem ich die Samen und Ro- setten für meine Kulturen genommen habe. Sie kommt aber nirgendwo anders vor. Ihr Griffel ist so kurz, daß die Narben kaum oberhalb der Kelchröhre hervorreichen, und ihr Fruchtknoten ist derart gebaut, daß eine Befruchtung nur ausnahmsweise erzielt wird. Sie folgt in ihren Kreuzungen genau dem Mendel’schen Gesetze für die Mono- hybriden, ja sie gehört zu den Arten, durch deren Studium ich zu der Wiederentdeckung dieses Gesetzes geführt wurde. Sie verhält sich in allen ihren Kreuzungen so, sowohl mit der Mutterart als auch mit an- deren Formen, wie z. B. O. biennis L. und O. Hookeri T. und 6. Wird sie von diesen in die beiden Zwillinge Laeta und Velutina ge- spalten, so folgen beide der Regel. Rückkreuzungen bestätigen das Ergebnis und wenn man den Bastard mit dem Pollen der Mutterart befruchtet, erhält man eine Rasse, welche bei stetiger Wiederholung des Verfahrens alljährlich zur Hälfte kurzgriffelige Individuen liefert. Es ist dieses namentlich deshalb wichtig, weil die Varietät selbst, wie bereits gesagt, nahezu steril ist. Das Verhalten von Oenothera brevistylis wirft ein Licht auf die Entstehung in der Natur von allen jenen Neuheiten, welche dem- selben Gesetze als rezessive Typen folgen, mögen diese nun Arten oder Varietäten oder gelegentliche Mutationen sein. Man nehme an, daß die Veränderung bei der Ausbildung der Sexualzellen stattfindet, und daß somit die reifen Pollenkörner oder Eizellen bereits mutiert sind. Aber diese Veränderungen sind höchst seltene, eine Zelle unter Hundert- tausend oder mehr ergreifend. Die Aussicht, daß zwei gleichsinnig mutierte Sexualzellen bei der Befruchtung zusammentreffen werden, ist somit eine sehr geringe, sie würde aber unmittelbar die volle Mu- tation liefern. Viel häufiger muß der Fall sein, daß eine mutierte Zelle sich mit, einer normalen verbindet, und daraus muß dann eine Verbindung wie jene eines Mendel’schen Bastardes entstehen. Diese wird sich nach Selbstbefruchtung spalten und so die volle Mutation mittelbar ins Leben rufen. Sollte im Freien Selbstbefruchtung fehlen oder doch zu selten sein, so würden neue Bastarde entstehen können, nach deren gegen- seitiger Befruchtung dann die Neuheit sich abtrennen könnte. Oder mit anderen Worten, es werden rezessive Mendel’sche Neuheiten in der Natur in der Regel nicht unmittelbar, sondern erst in der zweiten oder einer späteren Generation nach der eigentlichen Mutation siebtbar werden. Leider erschwert dieses das Studium ihrer m. Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 219 Entstehung in hohem Grade, denn die Bastarde sind gewöhnlich von den normalen Individuen der Art äußerlich nicht zu unterscheiden. Um sie aufzufinden, müßte man zahllose Exemplare künstlich befruchten und ihre Samen getrennt aussäen, aber dieses würde die Kräfte eines einzelnen weit übersteigen. Nur der Zufall kann uns hier aushelfen, wenn er in einer reinen Linie im Versuchsgarten auftritt. Einen solchen Fall hat mir die Ent- stehung der erwähnten Aurea-Varietät geboten. Allerdings ist sie nicht aus einer reinen Art, sondern aus einem Bastarde hervorgegangen. Ich hatte im Jahre 1913 O. suaveolens mit O. Hookeri befruchtet und erzog eine der erhaltenen Bastardformen während der folgenden Jahre durch drei Generationen, indem ich jedesmal nur die selbst- befruchteten Samen eines Exemplares aussäte. In der dritten Genera- tion trat plötzlich die goldene Form auf, und zwar in 18%, der In- dividuen. Offenbar war die Pflanze der zweiten Generation einem Mendel’schen Bastarde ähnlich gebaut, und hatte die Mutation somit im Jahre 1914 in einer Sexualzelle des Samenträgers der ersten Gene- ration stattgefunden. Die neue Aurea war sofort konstant, ich erhielt aus ihren Samen etwa 600 Keimlinge, welche alle ein goldenes Laub aufwiesen. Hätte diese Mutation im Freien stattgefunden, so wäre das Er- gebnis durch die Insektenbefruchtung verwischt worden. Umgekehrt kann man aber aus diesem Beispiele ableiten, was in der Natur ge- schehen sein muß, wenn einmal eine Verlustvarietät neu auftritt. Die Zwerge und die spröde Rubrinervis sind offenbar gleich- falls Verlustmutanten. Ihnen fehlt eine wichtige Eigenschaft der Mutterart. Die Resultate ihrer Kreuzungen sind aber sehr kompli- zierter Natur, da sie nur teilweise sich dem Mendel’schen Gesetze fügen. Zum anderen Teile pflegen sie dann bereits in der ersten Ge- neration eine Spaltung zu geben, deren Typen dann nachher konstant sein können. Sogar wo Bastardzwillinge auftreten, können die frag- lichen Merkmale in dem einen Zwilling mendeln, aber in dem anderen nicht. Auf diese komplizierten Erscheinungen will ich hier nicht ein- gehen, sondern nur einen Fall hervorheben, in welchem die Zwerge sich völlig dem Mendel’schen Gesetze fügen. Ich meine die Entstehung von Zwergen aus Oenothera La- marckiana mut. gigas. Diese sind gar nicht selten, denn sie treten in den reinen Linien der Mutterform alljährlich in etwa 1—2%, der Individuen auf. Nimmt man nun an, daß sie aus mutierten Sexual- zellen hervorgehen, so braucht es des Zusammentreffens zweier solcher 220 Hugo de Vries, um einen Zwerg zu bilden. Daneben müssen aber auch mutierte Ga- meten mit normalen kopulieren, und zwar viel öfter. Dieses ermög- licht das Auffinden solcher Individuen, denn man braucht nur einige Dutzende von Exemplaren auf die Zusammensetzung ihrer Nachkommen- schaft nach Selbstbefruchtung zu prüfen. Finden sich darunter solche, welche etwa 25%, Zwerge liefern, während die übrigen deren nur zwei oder weniger Prozent enthalten, so liegen die Verhältnisse völlig klar vor. Solche aus einseitiger Mutation hervorgegangenen Pflanzen wollen wir halbe Mutanten nennen. Sie verhalten sich in ihrer Nach- kommenschaft wie die Bastarde, sind aber nicht im eigentlichen Sinne Hybriden. Denn diese entstehen aus der geschlechtlichen Verbindung zweier Arten, oder Varietäten oder Rassen, während die halben Mu- tanten aus selbstbefruchteten Individuen innerhalb der reinen Linien des Versuchsgartens hervorgehen. Ihnen fehlt somit das wesentlichste Merkmal ler Bastarde. Da sie aber in der Kopulation ungleicher Sexualzellen ihren Ursprung finden, kann man sie auch Hybridmutan- ten nennen, wenn man nur darauf achtet, daß dieser Name nicht zu Verwechselungen führt. Die aus der reinen Rasse von O. gigas entstandenen halben Mu- tanten folgen genau dem Mendel’schen Gesetze. Sie spalten sich in etwa ein Viertel Zwerge, ein Viertel normale Gigas und bilden zur Hälfte neue halbe Mutanten, welche das Spiel wiederholen können. Die Zwerge, welche sie hervorbringen, sind in jeder Hinsicht, sowohl äußer- lich als innerlich, den unmittelbaren Zwergmutanten gleich, nur sind sie in anderer Weise entstanden. Die Tatsache, daß in diesem Falle volle und halbe Mutanten gleichzeitig aus einer reinen Mutterform entstehen, ist in vielen Be- ziehungen lehrreich. Erstens zeigt sie klar, daß Mutationen und Men- del’sche Kreuzungen durchaus verschiedene Vorgänge sind. Man kennt den Stammbaum von Oenothera gigas vom ersten Anfang an und man kennt die Zusammensetzung der Nachkommenschaft für alle die aufeinander folgenden Samenträger der verschiedenen Generationen. Halbe Mutanten wurden als solche nie gewählt, wo sie gefunden wurden, wurden sie getrennt untersucht. Unter den Vorfahren der vollen Zwergmutanten gab es somit weder Zwerge, noch auch in Zwerge mutierte Sexualzellen. Durch Bastardierung können sie somit nicht erklärt werden. Und dieser klare Fall darf offenbar auf alle die anderen Fälle angewandt werden, in denen einige Forscher versucht haben, die Mutationen als spezielle Fälle von Mendelismus zu deuten. Solche Versuche können unsere Einsicht nicht vertiefen. Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 221 Zweitens können wir aus der Entstehung der halben Zwergmutanten von Oenothera gigas ableiten, daß es auch in anderen Fällen halbe Muta- tionen geben kann, und sogar, daß diese in unseren Kulturen viel häufiger vorkommen müssen als volle. Es liegt auf der Hand, daß bisweilen nur die halben, und nicht auch die entsprechenden vollen angetroffen werden. Die halben Mutanten leiten uns zu der Gruppe der speziellen Mutationen herüber. Denn mit Ausnahme der mendelnden Merkmale, wo sie die Regel sein müssen, dürften sie äußerst selten sein. Sonst wären sie gewiß bereits aufgefunden wurden. In der Gruppe der Oenotheren sind sie aber keineswegs selten; gerade im Gegenteil ge- hören sie hier zu den gewöhnlichen Vorkommnissen, und bieten sie dementsprechend mancherlei Abänderungen dar. Das klarste Beispiel liefern die halben Mutanten von Oenothera Lamarckiana mut. gigas. Entsteht O. gigas durch die Kopulation von zwei Gameten mit je 14 Chromosomen, so müssen solche mutierte Sexualzellen offenbar viel häufiger von normalen befruchtet werden. Es entstehen dann Pflanzen, deren Kerne 7-14 = 21 Chromosomen führen, und diese nennt man Semigigas. Sie halten in ihren äußeren Merkmalen die Mitte zwischen der Art und der vollen Mutante, und können dadurch bereits früh erkannt werden. Aus einer Kultur von 20000 jungen Pflanzen von O. Lamarckiana habe ich zwanzig In- dividuen ausgesucht, deren Blätter breiter und am Grunde gerundet waren. Die Prüfung ihrer Kerne ergab, mit einer einzigen Ausnahme, 21 Chromosomen; die Ausnahme aber war eine andere Mutante: O. ob- longa mit 15 Chromosomen. Die übrigen 19 blühten als hohe kräftige Pflanzen, und konnten zu allerhand Versuchen benutzt werden. Es zeigte sich, daß sie sich dabei wie die Bastarde von O. gigas verhalten, und namentlich waren sie bei Selbstbefruchtung ebenso steril wie diese. In Bastardkulturen müssen zuweilen mutierte Sexualzellen zu- sammentreffen. Führen sie beiderseits die doppelte Anzahl von Chromosomen, so werden Gigas-Formen entstehen müssen. So ent- stand aus einer Kreuzung von O. grandiflora mut. lorea mit O. La- marckiana unter vielen normalen Hybriden ein einziges Exemplar mit dicken Gigasähnlichen Blütenknospen und 24 Chromosomen in seinen ‘Kernen, Es stellte einen unmittelbaren Beweis dar für den Satz daß in Eizellen von O. grandiflora und in Pollenkörnern von O. La- marckiana die Verdoppelungsmutation vorkommen kann. Semigigas-Formen müssen offenbar häufiger entstehen als echte Gigas. Dem entspricht die Tatsache, daß in O. biennis die erstere mehrfach, lie letztere aber bis jetzt noch nicht entdeckt worden ist. 222 Hugo de. Vries, Halbe Mutanten führen bisweilen zu einer ganz eigentümlichen Erscheinung, welche von Bartlett entdeckt und Massenmutation ge- nannt worden ist. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß eine bestimmte Mutation von der Mutterform nicht in 1—2%, oder weniger, sondern in viel größerer Menge alljährlich erzeugt wird. Ich werde, um die Sache näher zu beleuchten, zwei Beispiele anführen, deren eines eine wildwachsende Art, die andere aber eine in meinem Garten entstan- dene neue Form betrifft. Säet man die Samen der in Alabama wildwachsenden Art Oeno- thera grandiflora Ait. aus, so bekommt man nicht, wie sonst, einen einheitlichen Typus. Etwa zwei Drittel der Pflanzen sind grün und kräftig und der Mutter gleich. Das andere Drittel besteht ans gelb- lichgrünen Schwächlingen, von denen viele bereits in der Jugend zu- grunde gehen, während es nur bei sorgfältiger Kultur gelingt, die kräftigsten am Leben zu erhalten. Im Freien sterben wahrscheinlich alle bereits in den ersten Wochen ihrer Entwicklung, und erhält sich die Art dadurch rein. Die gelben nenne ich mut. ochracea, sie er- geben sich nach Selbstbefruchtung als samenfest und weisen keine Spaltung auf. Sie werden aber in den reinen Linien der grünen Form alljährlich und in annähernd gleichen prozentischen Verhältnissen ber- vorgebracht. Für die Erklärung der regelmäßigen Spaltung der Hauptform genügt es nun, eine einmalige anfängliche Mutation in Ochracea an- zunehmen. Kopuliert dann die so mutierte Sexualzelle mit einer nor- malen, so entsteht eine halbe Mutante, welche im wesentlichen die Merkmale der Art führen wird. Diese spaltet sich dann nach Selbst- befruchtung, dem Mendel’schen Gesetze entsprechend, in drei Typen, deren einer die Ochracea sein wird, deren zweiter reine Grandi flora sein müßte, und deren dritter zwar den Typus der Art führen, aber in ihren Nachkommen die Spaltung wiederholen würde. Reine, samenfeste Grandiflora findet man aber nicht, dafür hat aber die Art. regelmäßig zu etwa einem Viertel leere Samen. In diesen sind die Keime frühzeitig abgestorben und wir nehmen nun, nach dem Vor- gange Morgan’s an, daß die Ursache davon in der Unwirksamkeit irgend eines für die Entwicklung wunerläßlichen Faktors gesucht‘ werden muß. Eine solche untätige Eigenschaft nennt _ Morgan einen letalen Faktor. Der Übergang in den letalen Zustand eines bis dahin vitalen Faktors kann offenbar nur durch eine Mutation stattfinden, und wir müssen somit in OÖ. grandiflora eine zweite, jetzt aber latente an- Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 223 fängliche Umänderung dieser Art annehmen. Unsere Auffassung wird nun die folgende. Die jetzige O. grandiflora ist eine halbe Mutante einer ursprünglichen einförmigen Art und ihre Sexualzellen bestehen deshalb zur Hälfte aus der mutierten, au sich lebensfähigen aber sehr schwachen Form Ochracea und zur anderen Hälfte aus O. grandi- flora, verbunden mit einem letalen Faktor. Dieser tötet die rein be- fruchteten Keime, aber die aus der Kopulation von Grandiflora- Gameten mit Ochracea-Gameten entstehenden Keime sind lebensfähig, da der aktive Faktor der letzteren über den untätigen der ersteren dominiert. Dieser Auffassung entspricht die Erfahrung, denn die selbst- befruchteten Samen jeder Generation sind etwa zu einem Viertel leer; zu einem Viertel liefern sie Ochracea und zur Hälfte wiederholen sie die Mutterform. Es ist eine wichtige Frage, ob ähnliche Fälle von Spaltungen auch außerhalb der Oenotheren in der Natur vorkommen, und es würde sich wohl lohnen, darnach zu suchen. Unser zweites Beispiel läuft dem beschriebenen durchaus parallel. Es handelt sich um O. Lamarckiana mut. rubrinervis. Diese in meinem Garten fast alljährlich aus der Mutterform entstehende Mu- tante spaltet sich, wie die neueren Erfahrungen gelehrt haben, in etwa ein Viertel leere Samen, ein Viertel einer als O. deserens zu be- zeichnenden Mutante, und zwei Viertel O. rubrinervis, welche die Spaltung wiederholen können, Wir betrachten deshalb O. rubriner- vis als eine halbe Mutante, und O. deserens als die entsprechende völlig mutierte Form. Dann bestehen die Gameten der ersteren zur Hälfte aus nicht mutierten Abkömmlingen der O. Lamarckiana und zur Hälfte aus in O. deserens mutierten. Nur müssen die normalen, in Folge einer latenten Mutation, mit einem letalen Faktor verbunden sein. Die Selbstbefruchtung gibt dann, wie man leicht einsehen wird, die oben beschriebene Zusammensetzung der Ernte. O. rubrinervis ist eine meiner häufigsten Mutanten, aber O. de- serens habe ich bis jetzt noch nicht unmittelbar aus O. Lamarckiana hervorgehen sehen. Vielleicht liegt dieses daran, daß sie äußerlich der erstgenannten Form sehr ähnlich sieht und ebenso so spröde ist wie diese. Ihr sicherstes Merkmal ist das Fehlen erblich leerer Samen in ihrer Ernte, und dieses findet man selbstverständlich nur, wenn man eine Veranlassung hat, die Samen darauf zu prüfen. Haben nun O. grandiflora und O. rubrinervis stets zwei Typen in ihren Sexualzellen, so leitet dieses unmittelbar zu einer Er- klärung der bekannten Erscheinung der Zwillingsbastarde. Denn in 224 Hugo de Vries, der Kreuzung mit einer anderen Art müssen jedesmal zweierlei Bastarde entstehen, welche voneinander auch äußerlich verschieden sein können. Solches ist für die beiden namhaft gemachten Formen der Fall und Kreuzungen mit O. biennis, O,muricata, O. Hookeri, 0. Cocke- relli und einigen anderen Arten sind geeignet, die Zwillingsbastarde ins Leben zu rufen. Ich nenne die beiden Typen Laeta und Velu- tina. Die Ochracea- bzw. Deserens-Gameten liefern dann die Laeta- Bastarde, die normalen Gameten aber die Velutina. Ersteres läßt sich durch eine Wiederholung der Kreuzungen mit den vollen Mu- tanten unmittelbar beweisen, und dann bleibt für die andere Hälfte nur die gegebene Erklärung übrig. Die Laeta-Bastarde sind grün, breitblätterig und kräftig; die Velutina schmalblätterig, mehr oder weniger graufilzig und oft auffallend schwächer. Bastardzwillinge kommen aber nicht nur bei O. grandiflora und O. rubrinervis vor, sondern auch bei O. Lamarckiana und den meisten ihrer sonstigen Mutanten. Renner hat für diesen Fall ge- zeigt, daß sie einem Dimorphismus der Sexualzellen zuzuschreiben sind, der gleichzeitig das Vorhandensein erblich leerer Samen bedingt. Diese Beziehung der leeren Samen zu den Zwillingsbastarden bildet eine der wichtigten Entdeckungen auf dem Gebiete der speziellen Mu- tationen der Oenotheren, und führt in Verbindung mit dem Nachweise der Massenmutationen durch Bartlett und dem Morgan’schen Prin- zipe der letalen Faktoren zu einer Aufklärung vieler bis dahin unbe- griffenen Erscheinungen. In einfacher Weise können wir die jetzige Sachlage so angeben, daß wir sagen, daß die erblich leeren Samen auf innere sonst latente Mutationen zurückzuführen sind, und daß die Arten und Rassen, welche sie besitzen, in bezug darauf- als Halbmutanten aufgefaßt werden müssen. Oenothera Lamarckiana hat nicht, wie die beiden bereits besprochenen Formen zu einem, sondern zu zwei Vierteln oder zur Hälfte, leere Samen. Wir nehmen nun an, daß sie zwei Typen von Ga- meten hat, welche beide einen letalen Faktor führen, daß diese Fak- toren aber derart verschiedene sind, daß sie in gegenseitiger Verbin- dung ihre Wirkung aufheben. Die beiden Arten von Gameten nennt Renner gaudens und velans; zweckmäßiger können wir sie als typische und Velutina-Gameten bezeichnen. Ihr Vorhandensein er- klärt die Erscheinung der Bastardzwillinge, welche nach Verbindung mit den bereits genannten Arten auftreten. Die typischen geben dann die Laeta, welche in der Tracht und in vielen Merkmalen mit der Lamarckiana übereinstimmen, und die anderen geben den Velu- Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. 2235 tina-Zwilling. Bei der Selbstbefruchtung von O. Lamarckiana ent- stehen nun zu einem Viertel typische, einem anderen Viertel reine Ve- lutina-Keime und zur Hälfte Individuen, welche aus der Verbindung einer typischen und einer Velutina-Sexualzelle hervorgegangen sind. Die Keime der beiden ersteren Viertel haben beiderseits denselben le- talen Faktor und gehen somit früh zugrunde; sie liefern die leeren Samen. In den übrigen hebt sich die Wirkung jener Faktoren auf, die Keime werden lebensfähig und die aus ihnen hervorgehenden Pflanzen setzen die Art anscheinend rein und einförmig fort. Wie jede Art im Pflanzen- und Tierreich nach unserer Ansicht durch eine oder mehrere Mutationen aus einer vorhergehenden ent- standen sein muß, so dürfte somit auch Oenothera Lamarckiana ihre jetzigen Merkmale durch Mutationen erlangt haben, insoweit sie sie nicht unmittelbar von ihren Vorfahren geerbt hat. Den einen letalen Faktor könnte sie von O. grandiflora oder einer anderen Art herübergenommen haben, den anderen hat sie vermutlich neu er- langt. Die Differenzierung in typische und Velutina-Gameten ist gleichfalls vielleicht älter als die Art selbst, da sie ja auch bei O. grandiflora vorkommt. Ebensogut, wie die letalen Faktoren einmal entstanden sind, können sie auch gelegentlich wieder verschwinden, d. h. vital werden. Die betreffenden Keime werden dann nicht mehr im Samen sterben, sondern sich zu normalen Pflanzen entwickeln können. Wird der le- tale Faktor in einer Velutina-Gamete vital, so wird bei der Kopu- lation mit einer anderen Sexualzelle desselben Typus eine reine Velu- tina-Pflanze entstehen können, und dasselbe gilt für die typischen oder Laeta-Gameten. So erkläre ich mir das Auftreten einer Mutation in Velutina aus O. Lamarckiana, welche vor etwa 10 Jahren in meinem Garten stattgefunden hat, und so muß auch gewiß eine samen- feste Mutation in Laeta vorkommen können. Über die letztere kann ich noch keine Mitteilungen machen, denn vorher muß ihre Natur durch Kreuzungen festgestellt werden. Die O. Lamarckiana mut. velutina wurde oben schon erwähnt. Sie hat keine erblich leeren Samen und liefert nach Kreuzungen keine Zwillinge, sondern nur ein- förmige Bastarde und diese führen stets den Typus Velutina. Sie liefern einen unmittelbaren Beweis für die Richtigkeit unserer Er- klärung der Zwillingsbastarde und für die Auffassung von O. La- marckiana als eine Halbmutante einer früheren Art. Einen ganz besonderen Fall von speziellen, bis jetzt nur bei den Oentheren beobachteten Mutationen bildet die Erscheinung der Hetero- Fiora, Bd. il, 15 226 Hugo de Vries, Phylogenetische und gruppenweise Artbildung. gamie. Sie kommt teilweise bei anerkannten Arten, teilweise bei ex- perimentellen Mutanten, namentlich von O. Lam arckiana vor. Die fraglichen Aıten sind dabei einförmig, während die Mutanten sich in jeder Generation in zwei Typen spalten. Als Heterogamie bezeichne ich die Erscheinung, daß der Pollen einer Art oder Rasse andere erb- liche Eigenschaften überträgt als die Eizellen. Das ergibt sich daraus, daß ihre Pollenbastarde jedesmal andere Merkmale aufweisen als ihre Eizellenbastarde. In gewöhnlichen Fällen geben die Kreuzungen a> 31372|81°%3]33 JE BeN..... -19,1-23,5|-19.2]- 10,5] 2618,56 5,2)28,224,614,7' 1,8. — 102] 26 eN.... 115 90) 11,7) 18,126,031.885,2136,084,8 ih | 24,1 16° N... 2. | 251 234 253) 29,533,086, be. 480236: 33] 203] 31,7 ve II III 347 320 34,9] 36.4136,885,1b2,7181,532,5B4,6362] 36,0 34,6 Also am Äquator eine Amplitude von 5,3° C, unter 16° N von 13,0°, unter 30° N von 27,0° und unter 52° N eine solche schon von 50,7° C, die sich nordwärts noch mehr steigert! Glücklicherweise he- sitzen wir ein viel mehr ausgeglichenes Klima: aber wenn wir die Temperaturen einer aufeinander folgenden langen Reihe sonniger Sommertage auf ihre Insolationstemperaturen hin vergleichen, so rücken diese den theoretischen Wer- ten sehr nahe und können sie in kurzen Extremperioden übertreffen. So habe ich für die Pentade 20.—24. Juni 1917 die Mittel jedes Tages nach den Schattentemperaturen von Maximum und Minimum im botanischen Garten zu Dresden berechnet zu 24,7° C, 25,5°C, 21,2° C, 17,5° C, 19,5° C, dagegen aus den Angaben der Insolationsthermometer und dem nächtlichen Minimum in freier Strahlung zu 30,5° C, 32,2° C, 26,2% 0, 22,4° C. 25,3° C (s. unten!) Solche Temperaturmittel sonniger Tage bilden die mehr oder weniger regelmäßig während eines großen Teiles der drei Sommermonate anhaltende Klimalage an trockenen und der Sonnenstrahlung frei ausgesetzten Stand- orten in unserer Flora! Wie der Vergleich mit den oben nach Zenker mitgeteilten Mongtsmitteln des solaren Klimas lehrt, werden diese für gewisse kurze Zeiten in heißen Sommern noch übertroffen, wenn auch die Sicherheit der Berechnung von Solartemperaturen aus Thermometerangaben noch zu wünschen übrig läßt. Wie wichtig diese erhöhten Temperaturen für das Pflanzenleben, sei es zunächst bei kühleren Lufttemperaturen im fördernden, sei es 240 Oscar Drude, dann bei über dem Optimum (35° C) Hegenden Graden im Gefahr bringenden Sinne, sein müssen, erhellt aus einer doppelten Betrachtung. Zunächst aus der seit langem bekannten physikalischen Tatsache, daß die intensive Wärmestrahlung der Sonne grade in demjenigen Spektralteil der sichtbaren Spektralhälfte bereits dem Maximum nahe kommend einsetzt, wo das Chlorophyl! mit seinem Hauptabsorptions- streifen auftritt. Die Verhältniszahlen nach den Messungen der Physiker Mel- loni, Müller, Franz und Knoblauch sind kurz folgende: Wärmewirkung im Grün . 2. 2 2 2.2.0. ve... 0,65 » » Gelb und Orange .- . 2.2... 1,00 „ „ Rot bis zur Grenze... 2.... 20 Im Infrarot, und zwar in der ersten Zone jenseits Rot 2,83 s » zweiten „ » »„ 15 » » dritten „ » „ 0950 » „ vierten „ nn 000 Es beginnt also die starke Wärmewirkung gerade in denjenigen Spektralzonen, welehe von der chemischen Lichtintensitätsmessung nach dem J. Wiesner’schen Verfahren nicht mehr getroffen werden und gipfelt unmittelbar jenseits. Es erscheint an sich sehr wahrschein- lich, daß sich, wenigstens im kühleren Klima, die Lumineszenz mit der strahlenden Wärme in der Chlorophyllabsorption günstig vereinigt)). Der zweite Gesichtspunkt liegt in der Transpiration, welche be- kanntlich durch Licht stark gefördert wird. Schon im Jahre 1876 hatte J. Wiesner Untersuchungen über den Einfluß von Licht und Wärme- strahlung ([48]. — Siehe auch ({53} 1903, pag. 43) unter Vergleich von etiolierten mit grünen Maispflanzen angestellt und dabei gefunden, daß sich beim Wechsel von hell-diffusem Tageslicht zum Sonnenlicht die Steigerung in den etiolierten Pflanzen wie 1:1,8 verhielt, dagegen in den grünen wie 1:7,6, obgleich die Transpirationswiderstände in den 1} Vgl. dazu Ursprung ([41] 1903, pag. 67): „Nachdem Magnenne die Wärme absorbierende Kraft des Chlorophylis aufs deutlichste nachgewiesen hatte, wurde es durch die Versuche Mayer ’s wahrscheinlich, daß diese Absorption einen solchen Betrag erreicht, daß sie für das Blatt von Bedeutung sein kann. Die von mir gefundenen Resultate erheben diese Vermutung zur Gewißheit, zeigen aber auch, daß die Werte Mayer’s für die Absorption des Chloropliytis zweifelsohne zu hoch sind.“ pag. Ill: „Diejenige Substanz des Blattgewebes, welche den Haupt- teil an der Wärmenbsorption trägt, ist das Wasser.“ Die der Absorption gegen- überstehende Diathermansie des Blattes hat Ursprung im Mittel zu 70% der auffallenden Strahlen bestimmt. Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standorisfaktoren. 241 ersteren unzweifelhaft geringer sind. Er schloß daraus, daß nicht die Spaltöffnungen die früher ihnen zugeschriebene Hauptrolle dabei spielen, sondern die Chlorophylifunktion: die absorbierten Strahlen werden in Wärme umgesetzt und vermehren die Spannung der Wasser- dämpfe im Innern der Gewebe, so daß direkt bestrahlte Pflanzen so- gar in gesättigt-feuchter Atmosphäre transpirieren können. Nun bedarf es aber im Rot und Orange nicht einmal, wie Wiesner dabei vor- aussetzt, der Umsetzung leuchtender Strahlen in Wärme. Es ist sehr schwierig, hier die Licht- und Wärmewirkung voneinander zu trennen. Aber wir finden die Schlußfolgerung selbstverstänglich, daß die strahlende Wärme durch die sie begleitende Wassererfordernis derjenige Faktor ist, welcher für sich allein schon (und nicht nur durch die die Blätter umgebende trockenwarme Luft) bei Überschreitung gewisser Grenzwerte die xerophytischen Anpassungsstrukturen notwendig macht. Diese (direkt auf die Pflanze einstrahlenden hohen Wärmegrade zu messen und nun endlich auch neben der selbständig weitergehen- den Luminescenzmessung der chemischen Intensität zu Mittelnahmen und Durchschnittsangaben für die im Gelände sich bietenden Somen- standorte zu verarbeiten erscheint eine nicht länger abweisbare Auf- gabe. Die meteorologischen Stationen gehen an dieselbe nur zögernd heran, und zwar wegen der schwierigeren Vergleichbarkeit der Be- obachtungen von Station zu Station; für pflanzengeographisch wie für agrikultarphysikalisch arbeitende Forscher aber darf dies kein Hinder- nis sein, denn aus ihren an verschiedenartig liegenden Beobachtungs- orten gesammelten Messungen wird sich in gegenseitigem Ausgleich allmählich immer deutlicher die richtige Kenntnis des solar-thermischen Klimas herausbilden !). Die Instrumente dazu, wie sie z. B. von Hann-Jelinek ({18] 1884, pag. 89-94) für das österreichische Beobachtungsnetz seit langem beschrieben worden sind, sind das Radiationsthermometer mit geschwärzter Kugel im Vakuum, sowohl als Maximum- wie als Schwankungsthermometer ausgeführt, daneben aber auch eben- solche Thermometer mit geschwärzter Kugel ohne Vakuumhülle, auch zur Beobachtung der nächtlichen Strahlung, endlich zum Registrieren 1) Vgl. Drude [8], Bd. I, pag. 444-451. — Von vielen anderen, gleiche Ziele verfolgenden Floristen sind ähnliche Anregungen ergangen, so besonders von M. Rikli 1911 ([33] pag. 223): „Der Botaniker muß die Klimatologie seinen speziellen Zwecken dienstbar machen, sei es, daß er aus den meteorologischen Ta- bellen die notwendigen Daten sorgfältig auswählt bzw. verarbeitet, sei es, daß er mit verifiziertem Präzisionsthermometer ausgerüstet selbst im Felde bevbachtet.* Flora. Bd. ıl1. 16 243 Oscar Drude, der Sonnenscheindauer der Sonnenscheinautograph nach Camp- bell und Stokes (vgl. Hann ([18], pag. 92 mit Fig. XX). Diese Instrumente sind noch merkwürdig wenig in Gebrauch; eine neu mit großer Wetterwarte in eigenem Hause eingerichtete deutsche Bergstation besaß in diesem Jahre unter ihren Instrumenten kein Vakuumradiationsthermometer. Auch der Sonnenscheinautograph wird mehr an landwirtschaftlichen Versuchsstationen mit meteorologischem Arbeitsprogramm verwendet als an den offiziellen Wetterwarten; er leidet an dem Fehler, daß die Zeiten des Sonnenscheins nach den in Blaupapier eingebrannten Punkten, Flecken und unzusammenhängenden Linienstreifen der zwischen Bestrahlung und Bewölkung wechselnden Tage nur ungenau abgeschätzt werden können, und daß die verschleierte Sonne sich überhaupt nicht in der großen Glaskugel zur Brennkraft konzentriert. Dann sind also die abgelesenen Stunden solche von stärkerer thermischer Sonnenwirkung, und auf diese kommt es an. Auf diese Beobachtungen sich stützend, hat Helmuth König ([24] 1896) seine Ver- gleiche für Europa ausgearbeitet. Wichtiger ist ein Mangel, den Hann ([18], pag. 91) für die Strahlungstemperaturen folgendermaßen ausdrückt: „Das durch die Ab- lesung am Radiationsthermometer erhaltene Resultat ist unabhängig von der Dauer der Besonnung und der Höhe der Sonne. Diese beiden Verhältnisse müssen berücksichtigt werden, wenn man den Einfluß der Strahlung auf das Klima untersuchen will. Die Höhe der Sonne läßt sich allerdings leicht berechnen, allein eine sichere Methode, die Dauer les Sonnenscheines oder die totale Menge der durch Strahlung auf- genommenen Wärme zu bestimmen, ist ein bis jetzt noch nieht er- fülltes wissenschaftliches Bedürfnis.* Die Meteorologen beurteilen die Erfüllung eines solchen Bedürf- nisses nach der Möglichkeit sicherer Vergleiche für ihre Stationen und zur Berechnung von Mittelwerten; die klimatographisch arbeitende Pflanzengeographie ist freier, doch gleichfalls von letzteren abhängig. Es ist nicht einzusehen, an welchen Hindernissen die Anwendung genau registrierender Vakuumradiationsthermometer im Zu- sammenhang mit den Aufzeichnungen der Sonnenschein- autographen für eine Lösung dieser Aufgabe scheitern sollte. Haben doch diese Instrumente, wenn auch zögernd und mit einschränkenden Bemerkungen über ihren meteorologisch exakten Wert, allmählich Ein- gang in die naclı vergleichbaren Mittelwerten trachtende meteorologische Klimatologie gefunden (vgl. Hann ([19] 1908, pag. 13). Die mit ihnen allein zu erzielenden Berechnungen leiden nun aber für die rein standortsmäßigen Forschungsziele der Ökologie an der „Unnatürlichkeit“, d. h. an der momentanen Reaktion von Yakuum- Radiationsthermometern gegenüber auch nur ganz kurzzeitiger Insolation. Licht- und Wärmestrablung als ökologische Standortsfaktoren, 243 e. Meistens sind ja diese Instrumente als Maximumthermometer konstruiert zu einer einmaligen Tagesablesung. Haben sie aber frei beweglichen Quecksilberfaden, so findet bei jeder Trübung, bei jedem vor der Sonne herziehenden Wölkchen ein unaufhörliches Niedergehen statt, dem ebenso schnell ein rapides Aufsteigen folgt, ebenso an heiteren Tagen wie an solchen, wo die Sonne nur kurzzeitig durch Wolken bricht. Und an solchen Tagen kommt der schnell erreichte hohe Stand demjenigen der sonnigen Tage sehr nahe, wenn nur die Sonne ebenso hell strahlt. Dies hat die Aufmerksamkeit auf die sogenannten „freien Schwarz- kugelthermometer“ gelenkt, welche ebenso wie die Vakuumradiations- instrumente eingerichtet nur der umgebenden luftleeren Hülle ent- behren und sich daher auf ein mittleres Maß von Wärmegraden zwischen der Temperatur der sie umgebenden und ihnen Wärme entziehenden Luft einerseits und den Vakuumthermometern andererseits einstellen. Je kühler die Luft, je bewegter dieselbe durch abkühlende Winde, desto ähnlicher ist ihr Stand denen der Schattenthermometer, aber doch bei intensiver Sonne und sogar im Winter an Eistagen denselben be- deutend überlegen. Die Annahme liegt nahe und ist durch die ver- schiedensten von mir angestellten Proben bestätigt, daß diese „freien Insolationsthermometer mit geschwärzter kleiner Kugel“ den Temperaturen, denen die vom Winde frei umspülte Pflanzen- welt in der Sonne ausgesetzt ist, am meisten entsprechen. Be- sonders aber ist auch als Ergebnis physiologischer Versuche {s. Stahl .1909, Ursprung 1903) festgestellt, daß die Temperatur besonnter Blätter ziemlich nahe mit derjenigen solcher freier Schwarzkugelthermo- meter übereinstimmt. Diejenige Messungsmethode aber, die dieses Ziel möglichst erfüllt, hat ökologisch den größten Wert!). 1) Ich weiß sehr wohl, daß der Standpunkt der heutigen Klimatologie, wie sie z. B. ein führender Fachmann wie Julius Hann ([19] 1908, Bd. I, pag. 14) vertritt, ein anderer ist. Die Angaben der gewöhnlichen Blank- und auch Schwarz- kugelthermometer gelten als vage und als nicht verwertbar zu klimatologischen Untersuchungen. Dies absprechende Urteil bezieht sich aber wohl in erster Linie darauf, daß diese Instrumente sich nicht zu „homogenen Temperaturreihen“ eignen. „Ein Erfordernis vergleichbarer Mittel ist, daß sie homogen sein müssen, sich anf dieselbe Lokalität beziehen, bei ungeänderten Einflüssen der Umgebung derselben, auf dieselbe geeignete Aufstellung der Thermometer und ungeänderte etwaige Kor- rektionen der letzteren“ (Haun, Bd. I, pag. 42). Aber wie hätte nach diesen Grundsätzen A. Schade ([36] 1912) wohl die ökologischen Temperaturbedürfnisse und Gegenwirkungen in den Felsschluchten des Elbsandsteingebirges ermitteln sollen, wo es gerade darauf ankam, die Vielseitigkeit der Standortsbedingungen festzustellen und gegeneinander abzuwägen ? Was nützt dazu eine meteoro- logische Hauptstation im Bereich der sächsischen Schweiz ? i6* 244 . Oscar Drude, Ohne Kenntnis dieser Versuche erstrebte H. Hoffmann ([20, 21]) für das ihm vorschwebende Ziel der Errechnung „phänologischer Vege- tationskonstanten“ etwas Ähnliches; aber er hat bedauerlicherweise nur blanke, frei bestrahlte, und nicht Schwarzkugelinstrumente zur Er- mittelung der Tagesmaxima verwendet. Seinem Beispiel ist Julius Ziegler in seinen phänologischen Studien gefolgt, und so enthält die wertvolle Abhandlung über das Klima von Frankfurt a. M. ((55] 1896, pag. LITT und Tab. 41) wenigstens eine einzige Temperaturkurve aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts, die den Vergleich von Schatten- und Insolationstemperaturmaxima gestattet. Auch Hoffmann hat sich bei seinen Messungen ursprünglich der geschwärzten Thermometerkugeln bedient. Aber Siegmund Günther ([12]) schreibt in seiner, vom geographischen Standpunkte aus vortreff- lich verfaßten Phänologie im Jahre 1895 (pag. 26 Anm.): „Fraglich mochte es noch erscheinen, ob nicht ein Wärmemesser mit berußter Kugel (Schwarzkugelthermometer) einem gewöhnlichen Instrumente (Blankkugelthermometer) vorzuziehen sein möchte. Hoffmann, der auch diesen Punkt wohl beachtet hat, versichert jedoch, die Empfind- lichkeit eines Thermometers der ersten Gattung gehe so weit über die Grade hinaus, die man auch bei Pflanzen noch als wirksam an- nehmen kann, daß man besser bei der üblichen Beobachtungsweise verbleibe.“ Dies Urteil kann ich nicht bestätigen und es bezieht sich auch vielleicht nur auf die Vakuumstrahlungsthermometer. Die freie Schwarz- kugel entspricht nicht allein den ökologisch zu stellenden Anforderungen am besten, sondern sie wird in den mit ihr erzielten Ablesungen an heißen Sommertagen mit dauernder Insolation noch weit übertroffen von den Angaben solcher Blankkugelthermometer, welche auf xerophy- tisch beanlagten Standorten in die niederen Blättergewirre von Rasen- bildnern (z. B. Festuca ovina, Weingärtnera, Nardus, Poten- tilla argentea und verna) eingesenkt, deren Wärmeertragung an- zeigen. Die in freier Luft 1%—2 m über den Boden aufgestellten Blankkugelthermometer dagegen zeigen je nach ihrer reflektierenden Beschaffenheit und Größe eine schwankende Zahl von Graden unter den Angaben der berußten Kugeln, und diese letzteren stehen selbst- verständlich viel tiefer als die Vakuumradiationsthermometer. Das Spiel der Instrumente ist demnach an einem sonnigen Sommertage ein derartiges, daß die in der Sonne mit dem Schleuderthermometer in bewegter Luft gemessene Temperatur in langsamem Ansteigen von Stunde zu Stunde ihr Maximum etwa um 26 nachmitiags erreicht, um dann noch langsamer wieder zu Lacht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 245 sinken. Diese Angaben sind die niedrigsten. Das Vakuumradiationsthermo- meter steigt vom Sonnenaufgang an schnell zu viel bedeutenderer Höbe, die sich zwischen 9b und dem nahe 12h oder 15 liegenden Maximum nicht mehr stark ändert, um nachmittags (wegen der dann meist zunehmenden Dunstigkeit) rascher zu fallen, als es vormittags anstieg, Die freien Schwarzkugel- und Blank- kugelthermometer stellen sich auf zwischen der Luft- und der Vakuum- radiationstemperatur liegende Grade ein, erreichen aber ihr Maximum erst um 25 nachmittags oder noch später. Die auf dem bestrahlten Boden (Sand, Kies, Granit- schotter und dgl.) liegenden und ebenso die in Grasrasen oder niedere Stauden, Halbsträucher, eingesenkten Blankkugelthermometer zeigen nach der Kühle des frühen Morgens meist schon von 9» vormittags an eine höhere Temperatur als das frei aufgestellte Schwarzkugelinstrament, sind um Mittag noch der Temperatur der Vakuumradiation stark unterlegen, steigen aber weiter und weiter an, während jene fällt, und erreichen oft um 3& oder auch 4% ein Temperaturmaximum, welches dem der Vakuumradiation nahekommt oder dasselbe häufig sogar noch erklecklich übertrifft, um dann gegen Abend rasch zu sinken und in der klaren Nacht einen oft bedeutend tieferen Stand als die frei bewegte Luft in 1%,—2 m Höhe über dem Boden anzunehmen. Der frei bestrahlte Boden, und mit ihm die ihn deekende Chamäphytenvegetation und Grasrasen, zeigt also nicht allein die stärkste absolute Wärmeschwankung, sondern geht auch in seinem Maximum häufig noch über die Vakuunm- radiation hinaust). Das folgende, für die wichtigsten Stunden eines Tages auf Sach- sens höchstem Berge des Erzgebirges durchgeführte Beispiel mag das allgemeine Ergebnis zahlreicher Beobachtungen erläutern; es zeichnet einen Spätsommertag mit merkwürdig hohem Temperaturgange aus, hat aber neben der Vakuumradiation nur ein gewöhnliches Blankkagei- thermometer in bewegter Luft zum Vergleich. Die letzte Spalte (mit eingeklammerten Zahlen) gibt die Differenz zwischen der in fortgesetzter Einstrahlung höher als im Vakuum ansteigenden Bodentemperatur BR. — bzw. des im Rasen von Poa annua dort oben auf dem Kies um das Gasthaus eingeführten blanken Thermometers — und der mit Schleuderthermometer gemessenen Lufttemperatur t* an. 1) Vgl. dazu auch die Ableitungen von G. Kraus (1911), pag- 131-132: „Luft und oberflächliche Bodentemperatur sind in der Vegetationszeit morgens 6h völlig oder nahezu gleich; sehr rasch überholt die Bodentemperatur die der Luft, die Differenz vergrößert sich bie zu einem Maximum in den Nachmittagsstunden, un im Laufe der Nacht beinahe oder völlig sich auszugleichen.“ rr Gipfel des Fichtelbergs, den 8. September 1917, Freistation in 1214 m Höhe, Stunde Vakuumradiation Himmelsansicht ae En vos en Überschuß ber 1,60 m über Rasen Y Bu über Kugel im Rasen in Spalte 2 en eingesenkt 9h vorm. 17,0 35,2 (R—t’ = 18,2) 24,5 (BR-t= 7,5) iO „ 17,6 7A» 19,8) Klar nnd ganz 28,4 [ 10,8) 1b „ 18,7 320» 19,5) wolkenlos 31,2 (a 12,5) 12b mittags 200 ErAE Gr 17,6) 32,5 Cu 12,5) ib nachm. 19,7 375 „178 35,0 Ca 15,3) _ &%h „ 20,1 30( » 12,9) Maximum: _ 3 3 o„ _ 55 ?) j 26,0 38,8! » 18,8) Em, 18,0 Pr 7.) } etwas dunstig _ Die Sonne schwindet » 8 5b döm _ 20 » ?) _ 17° (Schatten) ö 660m 15,2 1900 „38 | Sonne sinkt in u Wen) 0» 0,8) 6b 15m _ 1680 „ ?) Nebel unter _ im Rasen: 6h 30. 13,8 400» 0,2) — 12,5 Cu .715 Nacht: Minimum der Nacht: Minimum: |} 11,0 _ } 8,0 ( —5,0) Im botanischen Garten zu Dresden gleichzeitig: Schwarze Kugel in Sonne 10h vorm. _ 38,0 34,5 ih „ - 39,0 heiter und 35,0 2 126 mittags 26,0 39,0 wolkenlos 34,0 a Maximum 29,0 46,0 375 Erdboden mit Rasen 36° @9 ‚ıcht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 247 Also selbst auf Bergen in der subalpinen Region, deren Insola- tionsstärke in Vakuumradiation ja noch durch diejenige hochalpiner Re- gionen weit übertroffen wird, wo sie im Gegensatz zu den meist sehr niederen Temperaturen der bewegten Luft bis gegen oder sogar über die dortigen Siedepunkttemperaturen anzusteigen vermag — vgl. J. Hann ([19] 1908, „Das Höhenklima“, Bd. I, 201 bis 211 — haben die obersten besonnten Fichten und Ebereschen an der Baumgrenze bis in den September mit zwischen 25° bis 30° C liegenden Temperaturen zu rechnen, welche ihre Assimilation unzweifelhaft sehr günstig beeinflussen werden. Aber auf Geröll wachsende Gräser und Stauden steigen so- gar dann noch auf gegen 40° C betragende Sonnentemperaturen, und die oft überraschend hohen Vegetationsgrenzen von Ruderalpflanzen wie Poa annua erklären sich ohne weiteres aus ihrer Ansiedelung auf solchen von der ursprünglichen Bergheide entblößten Standorten. Erscheinen diese unnatürlich und der Ergänzung bedürftig, so will ich aus fast gleicher Bergesköhe, nämlich 1160 m an der Keil- bergslehne mit unberührtem Nardetum, Myrtilletum und Cetra- rietum durchsetzt von Krüppelfickten, von abnorm warmen Tagen am 18.—19. Mai 1917 folgende Messungen angeben: 18. Mai, mittags 1b--1b30m; klare Sonne bei lebhaftem Ostwind. Maximum in Südlage eines '/;, m hohen Hügels bedeckt mit Calluna, Myrtillus und Vitis idaea in noch trockener Decke der vorjährig abgefallenen Blätter ...... .. 53°C do. Gleichzeitig im niederen Polster eines Nardeto-Callune- tums mit Vaccinium uliginosum und Amblystegium 44°C do. Gleichzeitig im torfigen Boden zwischen den oberflächlichen Wurzeln von Vaecinium Vitis idaea, schwach beschattet durch deren Blätter...» 2.2.2.2. rennen do. Lufttemperatur in derselben Zeit schwankend zwischen 17° bis 19. Mai, mittag 12P—1h; klar und windstill, nach voller Insolation während des ganzen Morgens. Erdoberfläche im voll bestrahlten, flachen Narduspolster, Maximum: . 2 2220er do. Eingesenkt zwischen die Flechtenheide von Cetrarin und Cladonia rangiferina, Südlage eines von früh an voll bestrahlten Heidehüges . - » > rennen. 87" do. _ Eingesenkt zwischen die feuchten Rasen von Amblystegium, Hypnum Schreberi inNordlage desselben Heidehügels 15°—-16° C do. Lufttemperatur — Maximum dieses Tages (Sehleuderthermo- meter in Sonne) .. en nen werner. 0°C Ein Wassertümpel im tiefen Torf zeigte gleichzeitig... . 95" C Diese Zahlen, mit Ausnahme der wie sonst mit Schleuderthermo- meter gemessenen Lufttemperaturen alle in natürlichen Bodenbedeckungen 25°C 18°C 46°C 248 Oscar Drude, gewonnen, sprechen für sich selbst. Sie zeigen unmittelbar nach der Schneeschmelze im Berglande (in der ersten Maiwoche lag dort oben noch alles unter Schnee!) Strablungstemperaturen, welche das phäno- logisch noch nicht sichtbar gewordene Pflanzenleben rasch zu erwecken vermögen, zugleich aber an den verschiedenen Expositionen eines und desselben niederen Heidehügels gen S. und N. derartige durch die Strahlung hervorgerufene Kontraste, daß es sofort zu verstehen ist, wenn diese schmalen Flanken von spezifisch verschiedenen Elementar- assoziationen besiedelt sind: nordwärts Moose bis zu Sphagnum- polstern zwischen den Heidehügeln, südwärts eine Flechtenheide, deren harte, trockene Thallome schon in dieser sengenden Maisonne spröde unter den Füßen knirschen. Im Lichte solcher Wärmeverteilung be- trachtet, finden wir hier wie an allen möglichen anderen Standorten jene Gruppenbildung thermischer Genossenschaften mit verschieden hohem Feuchtigkeitsbedürfnis, wie sie G. Kraus in seinem Versuch einer exakten Behandlung des Standorts auf dem Wellenkalk ([25] 1911, pag. 110—130) vortrefflich dargelegt hat. — Um auch der Kehrseite gerecht zu werden und daran zn erinnern, daß im Mai im Gebirge nahe der Baumgrenze, wo die Vegetation kaum erwacht ist, die Sonnenstrahlung früb am Morgen beginnend ganz allein die Assimilation daselbst, durch die höhere Temperatur unterstützt, schneli einleiten kann, folgen hier noch einige Messungen an demselben Tage in einem kleinen Bachtal um 1000 m Höhe. Das nächtliche Minimum (auf Sphagnetum) hatte + 1,2° C betragen; ein warmer Gewitterregen war niedergegangen, aber am Morgen strahlte die Sonne klar vom wolkenlosen Himmel, Luft —t° zwischen 6h und 7b vormittags: 6°--7° C. — Die folgenden Messungen in Sonne: Wiesenlehne mit schon erblühter Caltha palustris, von Schmelzwasser überspült . . 2-2» 20.2220. 2... 7-10°6 Am Rande des schmelzenden Schnees mit austreibenden Ranun- eulus aconitifolius . . vo 2 ven 10°C 15 em davon entfernt mit schon 1-2 dm hohen Stengeln des Ranunculus und großen grünen Rosetten der Luzula silvatica. . oo oo. FE 67° 6 1 m davon entfernt an einer schon länger schneefreien Lehne gegen die Sonne „2: en Cena. . 17°-18°6 7b 30m vorm. auf der Oberfläche des bestrahlten Sphagnetum 15°C Also: Die Lufttemperatur des frühen Morgens würde wahrschein- lich zur Einleitung der Assimilation nicht genügend gewesen sein; die Sonnentemperaturen leiten sie dagegen ein bis dicht an den Rand der schmelzenden Schneelager und bis auf den wasserüberspülten Wiesen- boden! Am gleichen Tage kann in kaum 150 m Höhendifferenz die Sonne einerseits allein «die Assimilations- und Wachstamsprozesse her- Ev Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 249 vorrufen, andererseits eine für dieselben gefährliche Übertemperatur und Dürre. Das ist die Ökologie des Standorts. — Die in freier Natur an den verschiedensten Standorten gewonnenen Erfahrungen sind unerläßlich zu dem Zwecke, Aufschluß über das Maß der den Pflanzen zu Teil werdenden Temperaturen in Verbindung mit der Lumineszenz zu erhalten, welche letztere sich ja auch schon einiger- maßen aus der eingestrahlten Wärme vergleichsweise beurteilen läßt. Aber so wie Rübel ([35]) erst dadurch, daß er seine Temperatur- und Insolationsbeohachtungen in mehr als 2200 m Höhe über ein volles Jahr ausgedehnt hat, seinen Mitteilungen über dieses Alpenklima den vollen Wert sichert, so bedarf es weitergehender Stationsbeobachtungen in zweckmässiger Verteilung. In Dresden wurde mit der vor 25 Jahren vollzogenen Eröffnung des neuen botanischen Gartens auch eine botanisch-meteorologische Be- obachtungsstation mit trefflichen Fueß’schen Instrumenten begründet, und seit jener Zeit liegen also Aufzeichnungen über Sonnenscheindauer und Insolationstemperaturen mit und ohne Vakuumkugeln, vergleichs- weise die letzteren sowohl an Blank- als an Schwarzkugelthermometern, vor, die einer genaueren Überarbeitung noch harren. Eine recht inter- essante Probe derselben geben aus dem jüngst vergangenen, durch einen der sonnenreichsten und regenärmsten Juni mit ähnlich sich an- schließendem Juli ausgezeichneten Jahre die hier in etwas kleiner Kurvendarstellung gezeichneten Vergleiche der täglichen maximalen Vakuumradiation VR, der am freien Schwarzkugelthermometer ab- gelesenen Maxima und der in einem an gleicher, ganz frei vom Winde umspülten Stelle stehenden Jalousiehäuschen (konstruiert nach Hann- Jelinek 18841893) abgelesenen Maxima der Schattenthermometer, dazu die Angaben der nächtlichen Minima in demselben Häuschen. Unterhalb der letzteren Kurve sind die täglichen Sonnenscheinstunden zusammen mit den Niederschlagshöhen angegeben, und zwar entspricht die Abszissenparallele von 5° C einer Sonnenscheindauer von 10 Stun- den (das Maximum beträgt also 7° C entsprechend 14 Stunden, in welchen die Glaskugel des Instruments den Sonnenlauf in das Blau- papier eingebrannt hat, das Minimum am 1. Juni beträgt 3 Stunden). Bei den an gleicher Stelle eingetragenen Niederschlägen bedeuten 5°0=10 1 auf das Quadratmeter Fläche (= 10 mm Regenhöhe), und diese Höhen haben an den vier Tagen: 1. Juni 7,0 mm, 8. Juni 17 mm, 22. Juni 0,2 mm und 27. Juni 0,2 mm, zusammen also nur 9,1 mm im ganzen Monat betragen! 250 Oscar Drude, Der Juli 1917 brachte glücklicherweise sogleich am 1. eine erlösende Nieder- schlagshöhe von 20,9 mm, der 2. Juli noch 2,9 mm und der 3. Juli 1,7 mm, welche die drohende Gefahr einer Vernichtung der Ernte mit 25", I auf den Quadrat- meter abschwächten und am 9. und 10. Juli mit zusammen 28 mm Regenhöhe er- wünschte Verstärkung erhielten. Außerdem regnete es im Juli noch am 12. 0,6 mm, am 18. 24 mm, am 19. 12,5 mm, am 20. 4,4 mm, und dann erfolgte nach einem Staubregen am 29. Juli von 1,4 mm am folgenden Abende ein furchtbares, aber ganz örtlich beschränktes Gewitter mit verwüstendem Hagelschlag und 385 mm gemessener Niederschlagshöhe. Im Vergleich mit diesem dureh drei große Regentage (davon einer: der 9. Juli, allein im Juni—Juli 1917 ohne Sonnenschein!) ausgezeich- Fig. 1 (entworfen und berechnet von Kanzleiassistent M. Metzner). Insolations- und Schattentemperaturen im botanischen Garten Dresden, Juni 1917, mit gleichzeitiger Angabe der Sonnenscheindauer nnd Höhe der Niederschläge. YR. == Vakuumradiation, /7. = Insolationsmaximum am freien Schwarzkugel- thermometer, S-4ax. = Maximum des Sehattenthermometers, M-Min. = nächtliches Minimum, Die Mittelwerte für den ganzen Monat betragen: YA, = 45,0° 0. — JT.= 312° C. S-Max, = 28,3° 0. — MMin. == 11,6° C. — Das übrige im Text. neten Juli zeigt nun in einer besonders lehrreichen Weise der Juni, was an strahlender Wärme die Vegetation aushalten muß in einem allerdings für unser Klima abnormen Monat mit dem höchsten Sonnen- stande, und was sie — wenn auch nicht ohne Beeinträchtigung — aus- halten kann. In der Dekade vom 10.--21. liegen sämtliche Va- kuumradiationsmaxima zwischen 45 und 50° C, die Schwarzkugelmaxima zwischen 36 und 44° C! Was will es dem gegenüber besagen, daß Ey Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 251 das Schattenthermometer ein mal 35° C erreicht hat? Die Leistungen der Vegetation können nur nach ihrem Aushalten im heißen Sonnen- brande während 11 bis 14 Stunden beurteilt werden, und es sei auch hier nochmals hervorgehoben, daß die an der Oberfläche des dauernd bestrahlten Bodens, auch in locker bestandenen Getreide- feldern, herrschenden Temperaturen sich zwischen den beiden obersten Kurven bewegen und öfters die Angaben der Yakuum- radiation in solchen niederschlagslosen Zeiten übertreffen! Um das Beobachtungsmaterial der strahlenden Wärme zur Be- urteilung der Jahresamplitude auch auf kalte Winterszeiten zu er- gänzen, sei erwähnt, daß auch an Eistagen mit sehr tiefliegendem Mini- Bee 5 3 nn wm u win 2 x B Di 8° EEIRTHE Fig. 2. Insolations- und Schattentemperaturen, Sonnenscheindauer und Höhe der Niederschläge im Juli 1917. Bezeichnungen wie in Fig. 1. Die Mittelwerte für den ganzen Mönat betragen: FR. = 40° C. — JT. = 34,0° ©. — S-Max. == 25,6° 0. — N-Min, — 12,8° C. — Das übrige im Text. mum die Vakuumradiation regelmäßig, klare Sonne vorausgesetzt, sich bis etwa 10° C über den Nullpunkt erhebt, während die freie Schwarz- kugel oft unter Null bleibt. Beispiel: 21. Januar 1917, Minimum der Nacht fast — 20° C, th mittags: VR.-+5,5° C, dagegen JT. — 1,0° € und S-Max. — 4,5° C. Eine lose mit grauer Leinwand umzogene Thermometerkugel zeigte 0° C, demnach etwas mehr als die freie Schwarzkugel. 9352 Oscar Drude, Geschützte, gegen die Mittagssonne offen liegende Standorte zeigen auch an Frost- und Eistagen bedeutend gehobene Temperaturen auf ihrer Oberfläche und Umgebung, zugleich auch durch Reflexion von der schützenden Wand eine bedeutende Erhebung der Vakuum- radiation über das am ungeschützten Ort frei stehende Stations- instrument. So folgende Angaben an dem Standorte eines Feigen- und Pfirsichbaums nahe einer Hauswand gen SSW. Ganz klarer Sonnentag. Luft ı° im Schatten 19. Dez, | Blank- |Schwarz- | Vakuum- 1917 kugel kugel | radiation Vakuumradiation in der Station Erdboden 10h | +2° +35°| +10° | (noch im) — 2,3 Jh Hr 3,1 +52 —+14,1 ]|Schatten]| — 1,5 Max. + 10,3 12% | +36 | +57 | +166 | + 40 | --1,0 | [+42 Max. der Ik +30 +51 +10] + 901 —07 freien Schwarz- a | +31 | +40 | 4146 | HL | —0,5 | kugel in der Station] ah +Ww| +18 | +68| +70) —15 go | 13 | -231 [1-80 |-+ 16 _ Ebenso wie an dieser Überwinterungsstelle im Garten gehen während der Vegetationszeit an den natürlichen Standorten die Tem- peraturen zwischen den Blättern der unmittelbar den Boden deckenden xerophytischen Stauden und Gräser, oder die steinigen Bodenstandorte des schotterigen Hügelgeländes selbst, schon bei horizontaler Boden- lage weit über die Ablesungen der in 1,60—2 m über dem Boden in bewegter Luft aufgestellten Blank- und Schwarzkugelthermometer und gehen meist dicht au die neben diesen abgelesenen Vakuumradiationen heran, wofür ich noch einige Belege aus den Exkursionen des letzten heißen Sommers beibringe. 25. August 1917. Bosel bei Meißen, in der granitischen Hügel- formation. Wetter bis 10h vormittags windig und halb heiter, von 10--11h 15m Sonne strahlend klar. Wind lebhaft. Ablesungen der verschiedenen Instrumgnte während dieser Zeiten I0—11h 15m vormittags ergaben: „ Luft —t? (Schleuderthermometer in Sonne), , 185 230 22,8 Vakuumradiation in 1,60 m Höhe (in Winde) 39 422 41,5--428 Blankkugel — t° 1 m über Oberfl. zwischen Rosa 23 238 22,5 » im Rosenschatten auf der Erde liegend, nachher Some . . 2. 22.2... 185 245 27,0 » zwischen den Grundblättern von Cen- taurea maculosa über Granitkies, bestrahlt Da ER 30,5 368 38,2--40,0 » zwischen dem Rasen von Festuca [2 2 57 En 265 36,5 37,0-37,8 se Lieht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 253 Gleichzeitige Ablesung im botanischen Garten Dresden, Stationsinstrumente: Vakuumradiation ....., 39-41 freie Schwarzkugel . ..... 81-325 17. Juni 1917. Liebstadt im Erzgebirge. Ganz. heiterer, heißer Sommertag. Messungen über den Einfluß der Bodendecke auf die Wärmestrahlung in verschiedenen Formationen. 1, Talwiese 400 m hoch mit Meum athamantieum. 9% vorm. Vakuumradiation 1 m über dem Wiesenboden . » ..... 450 Blankkugel frei auf Aulacomnium zwischen Meum . . 5L1 Luft —t° über der Wiese . ..... Pas » 24,1 Erdboden in 1-2 cm Tiefe im Meum-Rasen . .. . 23,5 2. Freie Feldhöhe bei 540 m (Feld mit noch jungem Hafer). 12h mittags. Vakuumradiation 1 m über Feldbodn - ....... 47,3 Blankkugel frei im kurzen Grasrasen am Rain... ... 454 Luft — t° (mit Schlenderthermometer, Wind) . .. . 2... 250 3. Lichtbewaldeter Hang bei 520 m, Gneisgeröllboden, mit Rubus idaeus und (in diesem fast regenlosen Monat welkendem) Hypericum perfo- ratum bewachsen. Sonnenlicht gebrochen. 12h 30m nachm. Vakuumradiation je nach dem Zutritt der Strah- lung . 2... 22.2220. Pan u. 27,85—35,0 Blankkugel frei auf besonntem Geröll neben R. idaens . 45,0 ” im beschatteten Rasen von Festuca ovina . 23,0 Luft — t° (mit Schleuderthermometer) über der Geröllfläche 24,2 4. Feuchte Talwiese bei 400 m, hochgrasig mit Hochstauden, Alope- curus u. a, Arten. 2h0m nachm. YVakuumradiation 1,20 m über dem Grasboden . . . 47,7 Blankkugelmaxima auf besonnten Blättern (Alchemilla, Bistorta) ».. 22.22.20. Pe © 7] „ eingesenkt in das Blättergewirr am Wiesenboden . 22,0 Luft — t° (im Winde) in der Höhe des Radiationsthermometers 27,0 5. Botanischer Garten Dresden, Ablesungen der Stationsinstrumente von 12b—-3h nachm. Vakuumradiation ....-- 46,5 480 492 49,5 freies Schwarzkugeltherm. . 40 40,5 43,0 41,5 ” Also nicht nur der Grasrasen am Rain 12% mittags, sondern auch der besonnte Geröllboden 12% 30% mit Himbeeren, beides in Berges- höhen über 500 m, hatten höhere Temperaturen auszuhalten, als sie die freie Schwarzkugel an der Station Botanischer Garten in 114 m Höhe etwa gleichzeitig aufwies! Jene Temperaturen gehen nahe an die Vakuumradiation heran, deren Bedeutung für die praktische öko- logische Temperaturbestimmung entsprechend wächst. Feine, zur Bestimmung der Temperatur im Innern von Blatt- flächen besonders hergerichtete Instrumente besaß ich nieht und die 254 Osear Drude, (durch Auflegen oder Umwickeln der Thermometerkugeln mit dünnen Blättern erzielten Resultate erschienen mir nicht sehr vertrauen- erweckend. Dagegen habe ich, nach Kenntnisnahme der entsprechen- den Stellen von E. Stahl’s so vielfältig anregendem und lehrreichen Buche über die Biologie des Chlorophylls ([40] 1909, pag. 68—77) in den Junimonaten mehrerer Jahre gleichfalls Versuche mit Cactaceen, Sempervivum und Alo& angestellt, weiche ganz ähnliche Zahlen in den Temperaturgraden lieferten, wie sie dort angegeben sind!), Die Pflanzen standen in Töpfen auf weiter kiesig-sandigen Beetanlage, oder ausgepflanzt zwischen Syenit und Urkalk. Die von E. Askenasy [I] schon 1875 einmal an Sempervivum alpinum, und zwar im Innern einer Rosette beobachtete Temperatur von 52° C habe ich einmal zwischen den Kanten eines Echinocactus abgelesen, gleichfalls ohne irgendeine spätere Schädigung als die Narbe an der durch das Ein- senken des Thermometergefüßes verletzten Stelle Temperaturen bis zu 50° C werden sicherlich auch auf den Standorten unserer Sukku- lenten alljährlich vorkommen, wenn die Vakuumradiationen nach 7 Stunden Sonnenschein am Vormittage mittags 50° C überschreiten. Im übrigen verweise ich auf den in A. Ursprung’s Abhandlung ([41} 1903, pag. 68 f) enthaltenen Hauptabschnitt über die Temperatur der Blätter in tabella- rischer Übersicht, mit dem in der letzten Dekade des August gewonnenen Resultat, daß Schattenblätter von Ulmus eine Temperaturschwankung zwischen 13° C und 27° C zeigten, besonnte von Saxifraga crassifolia eine solche zwischen 13° und 36° ©, und die von drei Sukkulenten 12°C bis 491,0 C. — Ich würde es für zweckmäßig halten, solche Messungen auszudehnen auf Zeiten höchsten Insolations- standes bei niederen Lufttemperaturen, um den auch in Ursprung’s Ziffernreihen hervortretenden Überschuß des besonnten Blattes gegenüber dem freien Schwarz- kugelthermometer als einen Nutzeffekt beurteilen zu können. Aber bei Versuchen, welche zwei oder drei Thermometer gleich- zeitig rings um den Scheitel derselben Pflanze (Mamillaria, Echi- nocereus, Echinocactus) oberflächlich eingesenkt ablesen ließen, zeigte sich zugleich die ganze Richtigkeit der von Stahl (a. a. O, pag. 72-75) geäußerten Meinung, daß in dem Bau prinzip derselben mit vorspringenden Kanten und Leisten, zu schweigen von dem dicht sich zusammenneigenden Stachelkranz über dem Scheitel selbst, ein nicht unwesentliches Schutzmittel gegen die zu lange Andauer der hohen, tödlichen Temperatur zu erblicken sei. Denn die Thermo- meterangaben wichen immer untereinander ab und näherten sich 50° stets nur an der gegen die Sonne zur Stunde unbe- 1) Im Auszuge mitgeteilt (Dr»de[9] 1913, pag. 128}. - Lieht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 255 schützten Stelle, um dann zu sinken. Mit dem Sonnenbogen am Himmel umkreist eine Zone intensivster Durchwärmung den Scheitel. I. Beispiel: 21. Juni 1917. 12h mittags. Eigene Thermometerablesungen am Platze der Kakteen: Luft — t° =29° C, freie Schwarzkugel 40% C, Vakuumradiation 46,5° C. Eingesenkte Thermometer in Echinopsis und Echinocereus sind auf ungefähr 40° gestiegen, zeigen aber an der Sonnenseite -4-1,5° und an der Schattenseite — 2,5° mehr bzw. weniger. Ih nachm. Luft — t? = 30,4° C, freie Schwarzkugel 41° C, Vakuumradiation 48° C. Echinopsis: Sonnenseite 44° C, Scheitelnähe 41,8% 0, Schatienseite 37,4° C. Echinocereus: Sonnenseite 46° C, näher am Scheitel 45° C, Kanten- schatten 40° C. 2h nachm. Luft — t°—=31,0° C, freie Schwarzkugel 39° C, Vakuumradiation 38° C. {Bmk. Durch atmospbärische Trübung ist die Radiation, welche überhaupt an diesem Tage, wie aus meiner Kurvendarstellung Fig. 1 ersichtlich, nicht sonderlich hoch war, rasch gefallen. Die durchhitzte Luft und die Pflanzen steigen aber noch weiter an. Taupunkt 13°C, relative Feuch- tigkeit 35%.) Echinopsis: Sonnenseite 45° C, Scheitelnähe 37,5° C, Schattenseite 36° C. Eehinocereus: abgerückte Sonnenseite 44°C, Scheitel noch 45° C, Kanten- schatten 38° C. 4b nachm. Wolken am Himmel. Luft — 1° = 29,0° 6, freie Schwarzkugel 30,8°, Vakuumradiation 31,5% C. Eehinopsis: frühere Sonnenseite 38° C, am Scheitel 32° C, Schattenseite 33,80 C. Echinocereus: abgerückte Sonnenseite 35,5* C, Kante jetzt bestrahlt 40°C. NH. Beispiel: 15. Juni 1917. Einzelnes gegen SSW gerichtetes Blatt von Sempervivum tectorum. Temperatur außen: 11 30m 47° C; 2hQm 48,8° CO; 2h 30m 50,0° C; 4h Om 420 C. Im Innern der Rosette: „ 42°C; „ 39270; „ 38,300; „ 33°C. An diesem Tage betrug die in der Station um 2h abgelesene Vakuumradiation nur 46° C, und das Maximum des freien Schwarzkugelthermometers 38° C. Man sieht also deutlich, daß mit Rücksicht auf bestimmte öko- logische Vegetationsformen und ihre Standorte die Angaben der Va- kuumradiationsthermometer, welche Hoffmann als zu hoch für praktische Verwendung in diesen Beziehungen verwarf, für bestimmte Durchschnittszwecke, und besonders für die Standortsökologie von ausgesprochen xerophytischem Charakter, zur direkten Ver- wertung mit heranzuziehen sind. Wie man das machen soll, ergibt sich aus Beachtung des oben besprochenen Umstandes, daß nur in Verbindung mit langwährender Sonnenscheindauer diese Vakuumradiation auf Pflanze und Standorts- erwärmung bedeutsam wirkt, während an Tagen mit kurzzeitigem Sonnenschein das freie Schwarzkugelthermometer in seiner dann von 256 Oscar Drude, den Schattenmaximis überhaupt sehr viel weniger abweichenden Höhe einen zutreffenden Maßstab für das Sonnenklima liefert, wie seine An- gaben überhaupt den am leichtesten in vergleichbarer Form zu fassen- den Ausdruck sowohl für Durchschnitts- als auch für Extremdarstellungen zur notwendigen Ergänzung der meteorologischen Tabellen von heute bilden, soll sich die Pflanzengeographie weiter mit fortschreitendem Nutzen derselben bedienen. Aber die Ökologie fordert mehr, und wir geograplischen Floristen wollen uns unsere eigenen Messungen in richtig zu treffender Aus- wahl denn auch gar nicht nehmen lassen. Zu diesen gehören Messungen der Bodeninsolation in verschiedenen Expositionen auf verschiedenem Substrat in erster Linie, auch unter Beachtung des Neigungswinkels der Hänge mit verstärkender oder abschwächender Wirkung‘). Natur- gemäß werden diese Exkursionsbeobachtungen wechselvoll sein und kurze Zeiten umfassen, wie wir das ja auch an J. Wiesners Studien über den Lichtgenuß sehen. Und deswegen bedarf es auch für solche einer geordneten dauernden Beobachtung an Stationen, welche dann die Methoden in Messung und Zahlenverwertung vervollkommnen können und den kursorischen Feldbeobachtungen erst ein festes Rück- grat verleihen. — Die hier in Fig. 1 (pag. 250) gegebene gesamte Juni- kurvendarstellung zeigt, daß bei einer Klimalage wie im vergangenen Sommer solche Ansprüche an die Ertragungsfähigkeit von strablender Wärme unter hoher Trockenheit nicht kurzzeitige Ausnahmen, sondern schwerwiegende periodische Erscheinungen darstellen. Die Berechnung einer solchen zweiten, die Angaben der Va- kuumradiation für die Standortsökologie direkt mit verwertenden thermischen Kurve neben den einfachen Registrierungen der freien Sehwarzkugelthermometer erfordert eine Erhöhung der letzteren für eine neue Bildung von Mittelwerten in Abhängigkeit von der am (in die Papierstreifen einbrennenden) Sonnenscheinautographen abgelesenen Strahlungsdauer. Es wird ein Bruch gebildet aus der im Sonnenklima möglichen und faktisch vorhanden gewesenen Sonnenscheindauer = und mit diesem Bruch (der in abgekürzter Form berechnet werden kann wegen der den Instrumenten anhaftenden, zu persönlicher Abschätzung der Stundendauer zwingenden Ungenauigkeit) wird multipliziert die Differenz d zwischen Vakuumradiation VR und freier Schwarzkugel- 1) 8. Peucker [31]. Licht- und Wärmestrablung als ökologische Standortsfaktoren. 257 insolation IT in Zentesimalgraden; diese Differenz addiert zu der letz- teren Angabe, also IT-+-d, ergibt dann erhöhte Temperaturangaben, besonders wichtig für die Gewinnung der Maxima, welche so genau, als es zunächst aus einfachen Zahlenreihen möglich erscheint, die dem bloßen, ebenen Boden und der ihn lückenhaft deckenden chamae- Phytischen Vegetationsdecke zukommende Wärmestrahlung wiedergeben. Beisplel für die Pentade 20.—24. Juni 1917. 8 = 16 Stunden. Temperaturmaxima. 23. Juni | 24. Juni E Tomi | 21. Juni | 22. Imi So... 12';, Std.]| 9 Std. |6',, Std. 7, Std. VR....... 50° 48° 42° 444° C | ) 411,0 420 331,,0 36,8* C FE Bar: 6° EYA) 7,6° C [: E27 7 DE 6° 40 3° 3,6° C IT+d4 ..... 47,5° 46° 36,5° 40,49% C (Schatten 9. .| 59% | 815% | @659% 085° C) [Nachtminimum] . | [14,5%] | [19,3°] | -[16°] [14,90 C] FTagesmittel] . . ! 247°] | 255% | 1212] 217° C] Tagesmittel aus IT-+d und dem nächtlichen Minimum des Erdbodens berechnet: | 305° | 392° | 26,2° 224° | 253° | 27,3° C Über den Vergleich dieser Mittelwerte mit denen des errechneten solaren Klimas nach Zenker’s Tahellen s. oben pag. 239. ‘ Der Vergleich des Pentadenmittels von 27,3° C mit dem nach früheren Methoden allein zur Geltung gekommenen Mittel nach Schattentemperaturen zu 21,7° C zeigt die klimatische Bedeutung dieser Sonderberechnung, mit welcher wir für unsere bestrahlten Hügel- landschaften in den Vergleich mit gemäßigt-sommerheißen Steppen- klimaten hineinrücken. Das aber zeichnet gerade unser mitteldeutsches Klima gegenüber dem atlantischen aus; die entsprechende Berechnung, für England ausgeführt, würde viel geringere Unterschiede aufweisen, eine solche für die Faroörinseln, auf denen nach Ostenfeld ([30] 1901, pag. 32—37) im 25jährigen Durchsehnitt der Juni 97° cC mit. nur 1,3 Sonnentagen (6 im ganzen Jahresdurchschnitt!) als klimatischen Ausdruck besitzt, noch sehr viel weniger. Und im Bereich der mitteleuropäischen Pflanzengeographie allein würde sich viel schärfer, als es die jetzigen klimatischen Mittelwerte und Extreme zu- lassen, das Klima des deutschen Nordwestens, das der sonnigen mittel- deutschen Hügellandschaften, der nebel- und regenreichen ‚oberen Mittelgebirgsregionen und endlich das der sonnenbestrahlten inneren Alpenlandschaften mit ihren hoch herauf geschobenen Baumgrenzen abheben. Flora. Bad. 111. 17 258 Oscar Drude, Deshalb über eine mit klimatischen Vegetationslinien zusammen- hängende Frage hier eine kurze Einschaltung: In einem kleinen, ge- drängt inhaltsreichen Vortragsreferat hat H. Brockmann-Jerosch ([5} 1918) über eine Vegetationslinie gesprochen, die schon von jeher das Interesse auf sich gezogen hat, über die obere Baumgrenze in den Alpen, welche in den zentralen Gebieten im Vergleich zu den nördlichen und auch den südlichen Randketten bedeutend gesteigert ist (Säntis 1725 m — Bernina 2350 m — Sottoceneri 1950 m.) Nach Abweisung früherer Versuche, eine Erklärung dafür im Verlauf ent- sprechender Temperaturlinien zu finden, weist er auch die 10°%-Jali- isotherme zurück. „Die am weitesten (wie der Verlauf der Baumgrenze) nach oben gebogene Temperaturkurve ist die Juli-Mittagstemperatur. Allein auch sie, wie überhaupt alle mittleren Temperaturen, reicht nicht aus, um die Baumgrenze zu erklären.“ Eine Figur erläutert, wie in den äußeren Alpenketten die Bäume schon bei einer verhältnismäßig hohen Temperatur aufhören, in den Zentralalpen dagegen erst bei einer niedrigeren. Es müssen also hier andere Klimaverhältnisse so günstig sein, daß bei einer tieferen Durchschnittstemperatur die Bäume noch möglich sind, und Brockmann-Jerosch will dafür in erster Linie den „Temperaturverlauf“ verantwortlich machen. „An Orten, die sich durch kontinentales Klima auszeichnen, ist die Temperatur während des Tages verhältnismäßig hoch, während der Nacht dagegen tief. In der Mittel- temperatur, die zudem im Schatten gemessen wird, kommt dieser Ausschlag nicht zum Ausdruck. Er ist es aber, der den Baumwuchs im Verein mit anderen Klimakomponenten (z. B. Lichtintensität) zu- sammen bei niederen Mitteltemperaturen ermöglicht. — Der Verlauf der Temperatur ist abhängig vom solaren Klima ..... Unter jedem Breitengrad gibt es nun sowohl ein Klima, das von großen Wasser- flächen abhängig ist, und ein solches, das seinen Stempel durch die großen Landmassen erhält.... Wir nennen dies den Charakter des (solaren) Klimas. Die Alpen haben in den Rangketten ein Klima, das mit dem ozeanischen der Küste in vieler Beziehung übereinstimmt, während die Zentralketten bekanntlich ein mehr kontinentales Klima zeigen. Es ist also im Grunde genommen der Unterschied zwischen kontinentalem und ozeanischem Klima, der die Baumgrenze in den Zentralalpen so stark über diejenige der nördlichen und südlichen Voralpenketten erhebt.“ Der Ver- fasser, der noch andere Belege beibringt, schließt dann mit dem sehr richtigen Ausspruch, daß viele bisher unerklärte Tatsachen der Ver- breitung sich verstehen lassen, wenn wir, statt sie mit einzelnen, zahlen- Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren, 2359 gemäß darzustellenden Klimafaktoren parallelisieren zu wollen, vielmehr den Klimacharakter als Ganzes ins Auge fassen, wie er zwischen seinen zwei Extremen, ozeanisch und kontinental, in zahlreichen Abstufungen ausgebildet ist. In der Art der Erklärung stimme ich, zumal gestützt auf Rübel’s treffliche Darstellung der ökologischen Faktoren des Bernina-Gebietes mit Sonnenstrahlung ([35] 1912, pag. 16) und photochemischen Messungen (pag. 43) und auf eigene dort im August 1913 gesammelte Anschau- ungen, vollständig mit Broekmann-Jerosch überein, nur nicht in dem gewissermaßen ausgesprochenen Verzicht einer konkreten, ziffern- mäßig zu erhärtenden Beweisführung. Dieselbe war bislang nicht mög- lich wegen der mangelhaften Darstellung der das Klima wirklich aus- machenden Einzelfaktoren und wegen der Vernachlässigung sowohl der Lumineszenz als auch der strahlenden Wärme; und gerade diese beiden Faktoren kommen hier in Betracht. Seit dem Erscheinen meiuer kleinen, nur als eigenes Arbeitsprogramm aufzufassenden Schrift über die Erklärung der Vegetationslinien nach physiologischen (jetzt „öko- logischen“) Gesetzen ([7] 1876, pag. 7—8 und pag. 26) habe ich diesen weiten Gegenstand beständig verfolgt und selbst zu fördern versucht. Daher meine eigenen Aufzeichnungen, wie sie hier mitgeteilt werden, aber auch die berechtigte Hoffnung, daß später einmal aus den Er- gänzungen klimatischer Mittelwerte durch Solarfaktoren eine schärfere Erfassung der thermischen Faktoren für das Gebäude der Pflanzen- geographie hervorgehen solle. Und ich bin der Meinung, daß gerade in der von Brockmann-Jerosch angeregten Lösung die hier er- brachten klimatischen Werte das entscheidende Wort mit zu sprechen haben werden, für das es jetzt nur noch an genügenden Vergleichs- zahlen fehlt, außer den allgemeineren, auch vom Verfasser selbst schon im Jahre 1907 (f4] Kap. II: Klimatologischer Überblick, pag. 13 —27) hervorgehobenen Verhältnissen und Temperaturmitteln, und ab- gesehen von der auch von H. König ([24] 1896, pag. 338) stark her- vorgehobenen Zunahme der Sonnenscheindauer mit 100 Stunden mehr gegenüber «den benachbarten Stationen des Hügellandes. Denn der Unterschied im „Temperaturverlauf“ von ozeanischem und kontinentalem Klima, oder sagen wir hier: zwischen nebelfeuchtem Höhenklima deutscher Mittelgebirge und Voralpen einerseits und dem durchstrablten Hochgebirgsklima der inneren Alpen muß sich noch in anderen neuen und greifbaren Momenten äußern. Und das wich- tigste darunter ist wohl das, daß an der Baumgrenze die Lumines- zenz, vermehrt in ihrer Wirkung durch die Wärmebildung (des Chloro- 17° 260 Oscar Drude, phylis im tiefen Rot und durch die eingestrahlten dunklen Wärme- wellen, schon im Mai in hoher Intensität einsetzend die Vegetations- periode genügend lang gestaltet — auch bei einer geringeren Mittel- temperatur im Schatten gemessen, sofern rechtzeitig genügend Wasser zur Verfügung steht. Und auch dafür sorgt die Wärmestrahlung durch ihre starke Einwirkung auf den Erdboden in günstiger Lage und Neigung‘). So kommen wir denn zum Schluß zu der Frage der die Pflanzen- welt begünstigenden oder ihr Leben gefährdenden, im letzteren Falle also besondere Schutzmaßregeln erfordernden Wirkungen der ver- einigten starken Lumineszenz und strahlenden Wärme. Sie kann aller- dings, der knappen Fassung dieses Aufsatzes entsprechend, hier nur in Andeutungen erörtert werden, denn sie steht in innigster Ver- bindung, wie eben schon erwähnt, mit der Frage der Wasserversor- gung, welcher nach den von Eug. Warming seit 1896 entwickelten Grundsätzen, neu dargestellt in seiner im Erscheinen begriffenen neuesten Ausgabe der ökologischen Pflanzengeographie ({44] 1914), die erste Entscheidung für die physiognomische Lebensform und ihren Kampf um den Raum zugesprochen wird. Allerdings läßt sich ja aueh mit gleichem Rechte behaupten, daß die ganze auf Wasserversorgung hinzielende Organisation nur unter für die Assimilation genügender Lumineszenz und den spezifischen Nullpunkten entsprechend hohen Temperaturen Zweck hat und zur Wirkung kommen soll. Alle diese Faktoren gehören im Wechselspiel gegenseitiger Unterstützung, in der Jahresperiode eng verbunden, zusammen. Wesentlich aber ist die Frage, welches Faktors Über- schreitung die pflanzliche Organisation offenkundig zunächst durch besondere Schutzeinrichtungen zu vermeiden sucht, und ob bei allen dreien eine Überschreitung der optimalen Intensität gleich gefahr- bringend ist? Die optimale Lichtintensität kennen wir wenig und zumeist nur aus Rückschlüssen unzuverlässiger Art?. Die optimale Tem- )) Auch diese „günstige“ oder „ungünstige“ Lage ist einer exakten Dar- stellung fähig, für welche K. Peucker in seinem Vortrage über den „Bergschatten“ die Gesichtspunkte entwickelt (131) 1897): Die Einschränkung solarklimatischer Faktoren durch ein Bergprofil, und ihre graphische Ermittelung. Der Ausdruck „orographische Begünstigung“ soll präziser unter „Einfluß der Bergformen auf solarklimatische Faktoren“ definiert werden. 2) Es wurden im Herbst 1917 im botanischen Garten einige überzäblige Stämme von Nadel- und Laubbölzern in 20--30jährigem Alter gefällt. Ich ver- Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren, 361 peratur bestimmen wir sicherer aus allen möglichen Experimenten, Keimung, Wachstum, Atmung, Reizerscheinungen. Es scheint sich aus ihnen allen — allerdings fast stets nach Bestimmungen im Labora- torium — ein Optimum um 35° C oder wenig höher zu ergeben, be- sonders auch unter Berücksichtigung der allgemeinsten notwendigen Tätigkeit: der Atmung, deren Temperaturabhängigkeit neuerdings von A. Kanitz ([23] 1915, pag. 13—28) neben der Assimilation fest- gestellt wurde. Auch in seiner Tabelle (pag. 25) ergibt sich ein rasches, mit jeder Stunde stärker zunehmendes Abfallen zwischen 35° und 40° C im mittleren Verhältnis von etwa 60 zu 45 mg gebildeter CO, pro Stunde. Und sehr beachtlich ist der (pag. 27) hervorgehobene Unter- schied zwischen Einwirkung zu hoher Temperaturen, deren Wirkung im allgemeinen eine irreversible ist, und dem Gegenteil; denn der bei Temperaturerniedrigung eingetretene Stillstand der Lebenser- scheinungen kann durch Erhöhung der Temperatur vielfach wieder be- hoben werden. Über Assimilationswerte unter hohen Temperaturen finde ich wenig An- gaben. So besonders bei Czapek ([6] 1905, Bd. I, pag. 439) die Versuche von Matthaei mit Prunus Laurocerasus: Optimum bei 38° C; von da ab fiel die Assimilationskurve steil ab, so daß bei 43° C etwa dieselbe Assimilationsmenge beobachtet wurde, wie bei 24° C. Es erscheint wünschenswert, derartige Versuche mit heimischen und exotischen Sukkulenten der Crassulaceen, Liliaceen und Mesembryanthemum anzustellen. Vgl. auch für obere Nullpunkte und supra- maximale Temperaturen bei Schimper ([37]), p. 47 und Neger ({29] 1913), pag- 80. Als optimale Wasserversorgung dürfte diejenige aufzufassen sein, bei welcher noch unter den höchst möglichen Temperaturen für Assimilation, Atmung und notwendigen Stoffwechselprozessen der Tur- gor der Organe nicht leidet, kein Welken eintritt. Hier bedarf es wohl noch vielfältiger Untersuchungen, wie ja überhaupt ein tiefes Ein- dringen in diese ökologischen Beziehungen, welche F. Neger [29] 1913) unter „Bionomie“ zusammenfaßt, eine fast unübersehbare Fülle von Einzelfragen als Arbeitsstoff für ein ganzes Jabrhundert schon jetzt mit sich gebracht hat. Für unsere Untersuchung des Eiffektes der strahlenden Wärme und seiner Gegenschutzmaßregeln ist wohl von emi- glich an Stammsehnitten und von meiner Tochter Hedwig zu diesem Zwecke ver- fertigten Präparaten die Dicke des Jahresringes 1917, erwachsen im hellsten Sonnen- sommer, mit den vorhergehenden Jahren. Wir fanden bei keiner Art einen besonders hohen Zuwachs, sondern im Gegenteil höchstens nur ®, der Dicke von dem dureh „schlechtes Wetter“ ausgezeichneten Jahrgang 1916. Aber wenn die Bäume viel Wasser im Boden gefunden hätten, während es seit Juni feblte, hätte das Resultat vielleicht ganz anders sein können. 262 Oscar Drude, went praktischer Bedeutung die Arbeit von H. Fitting ([10] 1911) über Wasserversorgung und osmotischen Druck bei Wüstenpflanzen, in welcher des Verfassers Voraussetzung, daß Wüstenpflanzen durch hohen osmotischen Druck befähigt werden müssen, ihren Wasserbedarf aus recht trockenen Bodenschichten zu decken, durchaus bestätigt wurde — eine Voraussetzung, welche, von E. Stahl auf unsere heimischen Xero- phyten ausgedehnt, durch eine Jenenser Dissertation von Th. Gante ([11] 1916) in der Assoziation der trockenen Muschelkalkberge gleich- falls Bestätigung fand; nur die Orchideen und die sich ökologisch als Frühjahrspflanzen ihnen anschließenden Arten besitzen nicht so sehr hohe osinotische Drucke. Überblicken wir den Gefahrenbereich der drei ökologischen Fak- toren Licht, Wärme, Trockenheit als Folge der Sonnen- strahlung, so erscheint der letzte Faktor am schwerwiegendsten. Ich bin geneigt, dem Lichte die geringste Gefährdung beizulegen, sO- fern Wasser genügend vorhanden. Das. folgt erstens aus dem Ver- halten der, voller Lumineszenz ausgesetzten Wasserpflanzen mit Schwimmblättern, zweitens aus der einfachen, im Verhältnis von Schatten- zu Sonnenblättern an der gleichen Pflanze sich bietenden Organisationsschutzmaßregel, drittens aus so vielen anderen sich in Wachsüberzügen, Behaarung, Reflexion und Dispersion des Lichtes bietenden Hilfsmitteln, zu denen die Pflanze im Bedarfsfall greifen könnte, ohne daß es geschieht‘. Es scheint demnach nicht nötig zu sein; die Spitzen der Blätterkronen unserer Laubwälder, deren Wurzeln im kühlen und schattigfeuchten Erdreich ankern, ertragen ja die volle Lumineszenz des Juni—Juli ohne weiteres. Von den Gefahren der durch Bestrahlung schon in unserer Vege- tationszone herbeigeführten hohen Temperatur habe ich ausführlich ge- sprochen; die Darlegung der meteorologischen Werte im verflossenen Jahre sollte diesem Zwecke dienen. Bei uns scheinen 50° C über- ragende Temperaturen in Sukkulenten nicht lange anzudauern, aber in 1) Der spiegelnde Glanz der Blätter gilt als ein häufiges Merkmal des länger ausdauernden Tropenblattes, wo das andere, im Hochgebirge häufigere Schutzmittel der Filzhaare fast ganz fehlt. Ygl. G. Haberlandt ([19] 1893, pag. 106). — Aus der subtropischen Xerophytenvegetation von Chile schildert K. Reiche ([32] 1907, pag. 136) den bedeutenden Spiegelglanz („Wenn man einen Wald von Quillaya, Uryptocarya, Bellota, wie er in den Zentralprovinzen bäufig ist, an einem sonnigen Tage aus der Höhe betrachtet, so kommt der unruhige Glanz der tausende im Winde bewegten Blattflächen zur physiognomischen Wirkung‘) — und den durch Lackschicht hervorgerufenen Firnisglanz an den Blättern von Haplopappus, Baecharis, Flourensia, Escaillonia u, a. Licht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 263 Mexiko, im tropischen Afrika, Australien werden sie oft noch höher ansteigen. Wie dem auch sei, es besteht der Ausspruch von E.Stahl 140] 1909, pag. 77) in voller Gültigkeit: „Der von Schimper in seiner Pflanzengeographie aufgestellte Satz, wonach Schutzmittel gegen übermäßige Erhitzung nicht nachgewiesen worden sind, kann nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Abgesehen von der Bedeutung, welche dem hellen Periderm als schützendem Mantel der Baumrinden gegen die Gefahr der Sonnenstrahlung und als isolierendem, schlechtem Wärme- leiter von im heißen Boden vergrabenen Pflanzenteilen zugeschrieben wird, fehlt es nicht an Eigenschaften, die nur von diesem Gesichts- punkt aus begreiflich sind: Stellung der Blätter und Achsen der Suk- kulenten zum Horizont, Oberflächengestaltung bei Cactaceen und Eu- phorbien, helle Flecke und Warzen der Aloinen und mancherlei andere Strukturen werden in ihren Eigentümlichkeiten dem Verständnis näher gerückt, wenn man sie als Schutzmittel gegen übermäßige Erwärmung betrachtet.“ — Ich möchte hinzufügen, daß dahin wohl auch der ver- schiedene Sättigungsgrad im Grün der Laubfarbe gehört, den E. Stahl in derselben Abhandlung (pag. 81—83) selbst als ein Mittel heran- gezogen sehen will, das die Pflanze befähigt, durch Minderung des Chlorophyilgehalts das Blatt vor den Gefahren zu starker, mit der Liehtabsorption verbundener Erwärmung und der damit verknüpften Transpirationssteigerung zu bewahren; und dann besonders die Schutz- decke kleiner, feiner Haare und Wölbungen, die Auflösung des Blattes in feine Zipfel, wie sie aus den Versuchen von J. Wiesner ([52] 1908) als so wirksam sich ergeben hat, u. a. m. So werden die be- treffenden Kapitel in Eug. Warming’s „Lehrbuch“ ([44) 1914, pag. 32 bis 47) und in F. Neger’s „Biologie“ ([2%2] 1913, pag. 80-87) auch nach der Richtung hin zu bereichern und schärfer zu fassen sein, daß ein gewisses Übermaß von Lichtschutzeinrichtungen ein- geschränkt und auf den Wärmeschutz übertragen wird, immer unter Berücksichtigung der wirklichen Strahlungstemperaturen, deren Nicht. berücksichtigung auch Warming ([44], pag. 42) als eine Quelle häufiger Irrtümer tadelt und den Mangel an genügenden Messungen beklagt. Das ist nach der Seite des Übermaßes von Licht und Wärme hin, der durch das Zuviel drohenden Gefahren. Und überblicken wir im Fluge die physiologisch-ökologische Literatur der letzten vier Jahr- zehnte, so sehen wir mit Freude, welehe Fülle von Erfahrungen einer- seits und von anregenden Fragestellungen für neue Arbeit sich an die Eingangs vorangestellte Abhandlung von E. Stahl angeschlossen hat, 264 Osesr Drude, Fragestellungen, die er selbst in seiner vielseitigen Arbeitsfreude immer gleichfalls zum Gegenstande eigener Forschertätigkeit nahm. Aber die strahlende Wärme in Verbindung mit Licht hat ja noch unzweifelhaft ihre höhere Bedeutung nach der Seite des Nutzeffekts, um bei niederen Durchschnittstemperaturen der Atmosphäre den Ein- tritt und die Energie der Assimilation im Chlorophyll zu ermöglichen und zu erhöhen, Wirkungen auszuüben, die noch an den äußersten Grenzen der Pflanzenwelt gegenüber eisigen Höhen oder polaren Breiten den Kampf um den Raum für sie siegreich gestalten, gestützt auf das Hochrücken und das lange Verweilen des strahlenden Himmels- gestirns. Nach diesen beiden Seiten hin, gegen Übermaß und gegen Mangel, wird sich die Blattorganisation mit ihrem das Wesen der aufo- trophen Pflanzenwelt in sich schließenden Chlorophyllapparat einzustellen haben, vielleicht oftmals wechselnd in den verschiedenen Jahreszeiten, oftmals am gleichen Tage zu verschiedenen Stunden. Das Verständnis für diese wechselnden Ansprüche und ihre Erfüllung zu gewinnen bildet das weiter vorgesteckte Ziel, für dessen Erreichung vorbildlich wirkt E. Stehl’s vielgenannte Abhandlung über die Biologie des Chloro- pbylis, in welcher die Anpassung von Laubfarbe und Lichtabsorption, wechselnd mit den Tagesstunden und den Lichtverhältnissen verschie- dener Tage, in ihrer hohen Vielseitigkeit zum Forschungsgegenstande gewählt wurde. Literaturverzeichnis. 1) Askenasy, E., Über die Temperatur, welche die Pflanzen im Sonnenlicht an- nehmen. Botanische Zeitung 1875, pag. 441. 2) Börnstein, R, Leitfaden der Wetterkunde, 3. Aufl. Braunschweig 1913. 3) Braun, J., Die Vegetationsverbältnisse der Schneestufe in den Rätisch-Leponti- schen Alpen. Neue Denkschr. d. Schweiz. Naturf. Ges. 1913, Bd. XLYIN (Kap. 3: Klimatische Elemente, pag. 13-69). 4) Brockmann-Jerosch, H., Die Pflanzengesellschaften der Schweizer Alpen. I. Teil: Die Flora des Puschlav und ihre Pflanzengesellschaften. Leipzig 1907. 5) Ders, Einfluß des Klimacharakters auf die Grenzen der Pflanzenareale. Viertel- jahrsschr. der Naturf. Ges. in Zürich, Bd. LVI, Sitzung 27. Jan. 1913. 6) Gzapek, Fr., Biochemie der Pflanzen. Jena 1905 (2. Aufl. 1913). n Drude, 0., Die Anwendung physiologischer Gesetze zur Erklärung der Vege- tationslinien. Habilitationsvorlesung. Göttingen 1876. 8) Ders, Deutschlands Pflanzengeographie. Stuttgart 1895. Bd. I, Abschn. 5 (pag. 425 fl). 9) Ders., Die Ökologie der Pflanzen. (Die Wissenschaft, Bd. L.) Braunschweig 1918 10) Fitting, H., Die Wasserversorgung und die osmotischen Druckverhältnisse der Wüstenpflanzen. Zeitschr. 1. Botanik 1911, Bd. III. pag. 209. Lieht- und Wärmestrahlung als ökologische Standortsfaktoren. 265 i1) Gante, Th., Über den osmotischen Druck einiger einheimischer Xerophyten und Beobachtungen über das Verhalten ihrer Stomata. Inaug.-Dissert., Jena. Weida 1916. 12) Günther, $., Die Phänologie, ein Grenzgebiet zwischen Biologie und Klima- kunde, 1895. [8.-A. aus Natur und Offenbarung. Münster, Bd. XLL) 13) Haberlandt, G., Eine botanische Tropenreise. Indo-malayische Vegetations- bilder und Reiseskizzen. Leipzig 1893. 14) Ders., Physiologische Pflanzenanatomie (2, Aufl., Leipzig 1896), pag. 234, Lit. pag. 260 Anm. 6, 11. 15) Ders., Die Lichtsinnesorgane der Laubblätter. Leipzig 1905. Kap. 2: Die Beleuchtungsverhältnisse in der Blattspreite, pag. 29—39, 120—131. 16) Ders., Über die Verbreitung der Lichtsinnesorgane der Laubblätter. Sitzber. K. Akad. Wiss. Wien 1908, Bd. CXVII, Abt. I, pag. 621—635. 17) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Jena 1912. Bd. VII (Physik der Sonne), pag. 839; Bd. IX (Strahlung), pag. 769-770, 801 u. a. 18) Hann, J., Jelinek’s Anleitung zur Ausführung meteorolog. Beobachtungen (mit Hilfstafeln), II. Abt. Beschreibung meteorologischer Instrumente, Wien 1884. Vierte Auflage, I. Teil. Wien 1893. 19) Ders., Handb. d. Klimatologie. 2. Ausgabe 1897, 3. Ausgabe Stuttgart 1908. Besonders Kap. 1: Strahlende Wärme und Luftwärme, Bd. I, pag. 6-38. Und: Das solare Klima, Bd. I, pag. 93—118. 20) Hoffmann, H., Über thermische Vegetationskonstanten. Abh. d. Senckenberg. Naturf. Ges., Bd. VIII, pag. 379. 21) Ders., Phänologische Untersuchungen. Gießen 1887, pag. 12 ff. 22) Jost, L. (Fitting, Karsten, Schenck), Lehrb. d. Bot. f. Hochschulen, 13. Aufl. 1917, pag. 291. 23) Kanitz, Ar., Die Biochemie in Einzeldarstellungen. 1. Temperatur und Lebens- vorgänge. Berlin 1915. (Allgemeiner Teil, pag. 1-28.) 24) König, H., Dauer des Sonnenscheins in Europa. Nova Acta d. Kaiserl. Leop.- Carol. D. Akad. d. Naturf., Bd. LXVII, Nr. 3, pag. 30°—395. (Mit Karte von Europa.) 1896. 25) Kraus, G., Boden und Klima auf kleinstem Raum. Jena 1911. 26) Livingston, B. E., A Radio-atmometer for Measuring Light Intensities. Plant World 1911, Vol. XIV, pag. 96—99. 27) Ders., Light Intensity and Transpiration. Botan. Gaz. 1911, Vol. LII, pag. 418 bis 438. 28) Ders., Climatic areas of the United States as related to plant growth. Proc. Amer. Philos. Soc, 1913, Vol. II (No. 209), pag. 257—275. 29) Neger, Fr., Biologie der Pflanzen auf experimenteller Grundlage (Bionomie). Stuttgart 1913. — Kap. I (Wärme als Lebensfaktor), pag. 30; Kap. II (Licht als Lebensfaktor), pag. 88; Kap. III (Wasser als Lebensfaktor), pag. 137. 30) Ostenfeld, C. H., in „Botany of the Faeröes, Bd. I, Kopenhagen 1901, pag. 32--37 (Klima). 31) Peucker, K., Der Bergschatten. Verkandl. d. XII. Deutschen Geographen- tages. Jena 1897, pag. 225—252 (mit Taf. 35). 32) Reiche, K., Grundzüge der Pflanzenverbreitung in Chile. Vegetation der Erde, Bd. VII. Leipzig 1907. 266 Osear Drude, 33) Rikli, M., Richtlinien der Pflanzengeographie. Fortschritte der Naturwiss. Forschung, herausgeg. von E. Abderhalden, Bd. III (1911), pag. 213—321. 34) Rübel, E., Photochem. Klima des Berninahospizes. Vierteljahrschr. Nat. Ges. Zürich, Jahrg. 53 (1908), pag. 1-78. — II. Canaren; a. a. O. Jahrg. 54 (1909), pag. 269. — III. Algerien; a. a. O. Jahrg. 55 (1910), pag. 9. 35) Ders., Pflanzengeographische Monographie des Bernina-Gebietes. Sonderabdr. aus Botan. Jahrbuch f. Syst. u. Pflanzengeographie, Bd. XLVIL, Heft 1-4. Leipzig 1912. Besonders Kap. 2: Das Klima, $. 9—70. 36) Schade, F. A., Pflanzenökologische Studien an den Felswänden der Sächs. Schweiz. Eugler’s Botan. Jahrb. f. Syst. u. Pflanzengeogr., Bd. XLVIN, 1912, pag. 117—210. S. bes. pag. 157—174. 37) Schimper, A. F. W., Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage. Jena 1898. 38) Stahl, E., Über d. Einfluß d. sonn. od. schatt. Standortes urw. Zeitschr. f. Naturwissensch., Bd. XVI, N. F., IX. Heft, pag. 1,2. Sonderabdr. Jena 1888. @9 S. m. Taf. X.) 39) Ders, Über bunte Laubblätter, Annales Jard. Botan. Buitenzorg 1896, Bd. XIH, pag. 2. 40) Ders, Zur Biologie des Chlorophylis. Laubfarbe und Himmelslicht. Jena 1909 (154 S. m. Tafel). 41) Ursprung, A., Die physikalischen Eigenschaften der Laubblätter. Stuttgart 1903. {Bibliotheca botanica, Heft 60.] Darin Abschnitt II, Thermische Eigenschaften, pag. 56—89 und pag. 110-115. 42) Vanderlinden, E., Etude sur les Phenomönes psriodiques de la vegstation dans leurs rapports avec les variations climatiques. Recueil de I’Institut botanique L6o Errera, Bd. VIII, pag. 248-328. Brüssel 1910. 43) Warming, E., Plantesamfund. Kopenhagen 1895. Lehrbuch d. ökolog. Pflanzen- geographie. Deutsche Ausgabe von E. Knoblauch. Berlin 1896. 44) Warming, E. und Graebner, P., Eug. Warmiug’s Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie, 3. Aufl. Berlin 1914. 45) Weberbauer, A., Die Pflanzenwelt der peruanischen Anden. Vegetation der Erde, Bd. XI. Leipzig 1911. $. besonders die Abbildungen in Kap. 7 (Punazone), pag. 192—227. 46) Wiener, Chr., in Schlömilch’s Zeitschr. f. Math. u. Phys. 1877, T. 22. 47) Ders, Über die Stärke der Bestrahlung der Erde durch die Sonne in den ver- schiedenen Breiten und Jahreszeiten. Zeitschr. d. österr. Ges. f. Meteorol,, Bd. XIV, pag. 113—130, April 1879. 48) Wiesner, J., Untersuchungen üb. d. Einfluß d. Lichtes u. d. strahlenden Wärme auf die Transpiration d. Pflanze. Sitzber. Akad. Wien 1876 (I, pag- 477), Bd. LXXIV. 49) Ders, Photometrische Untersuchungen usw., I. - Sitzber. Akad. Wien 1893, pag. 291. 50) Ders., II. Untersuchungen üb. d. Lichtgenuß d. Pflanzen m. Rücks. auf d. Vege- tation v. Wien, Cairo u. Buitenzorg. Sitzber. Akad. Wien 1895, pag. 605-711. 51) Ders., Der Lichtgenuß der Pflanzen. Leipzig 1907, 322 S. 8°, 52) Dera., Versuche über die Wärmeverbältnisse kleiner, insbesondere linear ge- formter, von der Sonne bestrahlter Pflanzenorgane. Berichte d. Deutsch. Bot. Ges. 1908, Bd. XXVia, pag. 702— 711. nr Licht- und Wärmestrahlung ale ökologische Standortsfaktoren. 267 53) Wiesner und seine Schule. Festschrift usw. von K. u, L, Linsbauer und L. v. Portheim. Wien 1903, Abschn VI, pag. 71--93 (Pflanze u. Licht). 54) Zenker, W., Der thermische Aufbau der Klimate. Nova Acta der Kaiserl. Leop.- Carol. Deutschen Akademie d. Naturforscher, Bd. LXVII, Nr. 1, pag. 1--252 {mit 5 Karten). Halle 1895. 55) Ziegler, J. und König, W., Das Klima von Frankfurt a.M. Frankfurt 1896, pag. LIII (Monatsmittel 1871/80) und pag. 41. Nachträge zum Literaturverzeichnis. Zu pag. 228-230: Für die Blattstruktur sind noch von Interesse: Raunkiaer, C., Nogle Jagttagelser og Forsögover Aarsagerne til Palissade cellernes Form og Stilling. Botanisk Tidsskrift 1906, Bd. XXVII, pag. 293-306; Resum& pag. 307—311. Nimmt bezug auf die Bauprinzipien Haberlandt’s, die Stoffableitung und Oberflächenvergrößerung. Woodhead, Th. W., Ecology of Woodland plants in the neighbourhood of Hudders- field; (Dissert. Zürich 1906). Journ. Linn. Soc. 1906, Bot., Bd. XXXVII, pag. 333--406. Bietet von Bäumen und Stauden der Waldflora eine Reihe trefflicber Darstellungen der Sonnen- und Schattenblätter. Zu Schade [36] 1912, pag. 243: Beizufügen als genau durchgeführtes Einzelbeispiel desselben Verfassers: Über den mittleren jährlichen Wärmegenuß von Webera nutans und Leptoscyphus Taylori im Elbsandsteingebirge. Berichte d. Deutsch. Bot. Ges. 1917, Bd. XXXV, pag. 490-505. Damit sind zu vergleichen die Temperaturmessungen in den Hochalpen: Diels, L., Die Algenvegetation der Südtiroler Doiomitriffe. Boden und Klima. Berichte d. Deutsch. Bot. Ges. 1914, Bd. 32, pag. 508-513. Zu pag. 254-255: Beispiele für die Wirkung der Sonne auf Cactaceae: Darbishire, C., Observations on Mamillaria elongata, Annals of Botany 190%, Bd. XVII, pag. 395404. Autökologische Studien über das physiologische Verhalten in der Sonne und den gegen Strahlung durch die Stachelpolster gewährten Schutz, welche als „Paraheliod“ bezeichnet werden. Zu pag. 258, Brockmann-Jerosch: s. auch die frühere Abh.: Über den Einfluß d. Klimacharakters auf die Verbreitung usw. Freie Vereinigung für Syst. u. Pflanzeng., Botan. Jahrb. Syst.. Freiburg 1912, Beiblatt 109, pag. 19—43. Zur Kenntnis der Zwergfarne. Von K. Goebel, (Mit 6 Abbildungen im Text.) Die Erscheinung des Zwergwuchses (Nanismus) tritt bekanntlich bei Pflanzen verschiedener Verwandtschaftskreise auf. Sie ist teils eine durch Standortsverbältnisse — namentlich durch geringe Wasser- zufuhr — bedingte, teils eine erbliche, vermutlich durch „Mutation“ entstandene. Auch bei Farnen treten die beiden verschiedenen als „Nanismus“ bezeichneten Wuchsformen auf. Allgemein bekannt sind die auf Fels- halden z. B. in Norwegen auftretenden Zwergforımen von Pteridium aquilinum, deren Blätter um ein Vielfaches hinter denen von auf gutem, feuchtem Waldboden gewachsenen Pflanzen zurückbleiben. Es sind diese Formen also durch äußere Verhältnisse bedingte Hemmungs- bildungen. Eine analoge, schon auf dem Primärblattstadium fruktifizie- rende Form von Asplenium ruta muraria hat der Verfasser früher be- schrieben und abgebildet‘). Hier sollen solche Standortsmodifikationen außer Betracht bleiben, und nur die erblichen (vermutlich) durch Mutation entstandenen Zwerg- farne besprochen werden. Selbstverständlich läßt sich zwischen Zwerg- und normalen Formen bei Farnen ebensowenig eine scharfe Grenze ziehen als anderswo. Es gibt unter den verschiedenen Mutationsformen der Farne alle möglichen Abstufungen bezüglich der Größe. Hier kommen nur die ohne weiteres durch Zwergwuchs auffallenden in Betracht. Auf die Literatur über „Nanismus* näher einzugehen, scheint nicht erforderlich. Für die Farne ist mir keine diesbezügliche Unter- suchung bekannt. Für die höheren Pflanzen sei auf die Angaben von Sorauer®), Frank®) und Sierpt) verwiesen. 3) Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen, 1908, pag. 57; Organographie, 2. Aufl., pag. 367, Fig. 365. 2) Sorauer, Bot. Zeitung 1873, Nr. 2. 3) A. B. Frank, Die Krankheiten der Pllanzen, p. 303. Leipzig 1880. 4) H. Sierp, Über die Beziehungen zwischen Individuumgröße, Organgröße und Zellengröße mit besonderer Berücksichtigung des erblichen Zwergwuchses. Jahrb. f. wiss. Botanik 1913, Bd. LIM. Zur Kenntnis der Zwergfarne. 269 Eine ausführliche Arbeit von Gauchery!) (welchem die deutsche Literatur ganz unbekannt geblieben ist) bringt zwar mancherlei ana- tomische Einzelheiten aber nichts prinzipiell Neues. Die Ergebnisse stimmen mit der von Sorauer und Frank früher erhaltenen überein. Die folgende Notiz erörtert zunächst die Zwergformen einiger europäischer Farne, bei denen nicht zweifelhaft sein kann, daß sie aus der „normalen“ Form hervorgegangen sind, wenn wir auch nicht wissen, wann und wie das erfolgt ist, dann sollen einige ausländische Farne besprochen werden, die als „gute“ Arten beschrieben wurden — walır- scheinlich aber auch durch „Verzwergung“ entstanden sind; zum Schluß soll noch auf einige Samenpflanzen hingewiesen werden, bei denen das- selbe der Fall ist. L Unter den zahlreichen Abänderungen von Farnen?), welche in Gärten, speziell in England, gezogen werden, finden sich auch Zwerg- formen. Die Erblichkeit dieser Formen scheint freilich nicht untersucht zu sein, indes liegt kein Grund vor, an ihr zu zweifeln. Genannt seien folgende: Aspidium filix mas. f. pu- milum 8). Die untersuchten Pflanzen besaßen fruktifizierende Fig. 1. Aspidium filix mas. Blattstielguer- Blätter, die nur LO—12 cm lang schnitte der Normal- und der Zwergform. und 5 cm breit waren, also etwa ein Zehntel der Blattgröße normaler Pflanzen erreichten. Dementspre- chend war auch ihr Bau ein vereinfachter. In Fig. 1 sind Querschnitte durch den unteren Teil des Blatt- stiels von der Normalform (a) und der Zwergform (b) abgebildet, bei derselben Vergrößerung. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß das Leitbündelsystem der letzteren gegenüber dem der ersteren eine be- 1) Gauchery, Recherches sur le nanisme vegetal. Ann. des Seiene. nat, Bot. 1899. 8. Serie, Tome IX, pag. Bl. 2) Eine kurze Schilderung der hauptsächlichsten Mutationsformen von Farnen findet sich in Goebel, Organographie, II, 2, 2. Aufl, pag. 1064-1070. 3) Die Pflanze ist sicher nicht eine durch Standsortsverhältnisse hervor- gerafene Verzwergung. Sie wächst im Münchener botanischen Garten in unmittel- barer Nachbarschaft normaler Formen und behielt ihre Zwergform bis jetzt schon 4 Jahre bei. 270 K. Goebel. deutende Verringerung erfahren hat — nicht nur an Zahl, sondern auch an Querschnittgröße der einzelnen Leitbündel. In einem anderen Blatte waren bei der Zwergform nur vier Leitbündel im Blattstielende vorhanden — weiter oben noch drei, eines war durch Anastomose verschwunden. Ebenso sind die Weiten der Tracheiden der Zwergform kleiner als bei der Normalform). Bei letzteren ergab sieh im Durchschnitt von 10 Messungen, ein Innenmaß von 47,29><59,36 u, bei der Zwergform an derselben Stelle der Blattstielbasis 31,06 >< 39,97, also annähernd ein Verhältnis wie 1,5:1. Die Länge der Tracheiden (an mazeriertem Material gemessen) ergab bei der Normalforn wie der Zwergform so bedeutende Schwan- gl Fig. 2. Aspidinm filix mas. Links Epiderntis der Normalform; rechts die der Zwergform in derselben Vergrößerung. kungen (von 10600 « mit 86,6 Durchmesser bis 1600 « mit 23,3 daß statt der Durchschnittswerte nur die Maximalwerte hier angeführt sein mögen. Die der Stammform sind schon genannt, bei der Zwerg- form betrug die größte Länge 5220 u, der Außendurchmesser 35,8 Von sonstigen Zellformen wurden die Spaltöffnungen gemessen. Es ergab sich für die Normalform eine durehnittliche Länge von 56,3 2, eine durchschnittliche größte Breite von 42,9 u. Bei der Zwergform betrugen diese Zahlen 38,9 und 31,3 — die Verhältniszahlen stimmen annähernd mit denen für die Tracheiden- 1) Die Messungen wurden von Herrn Assistent Dr, Hirmer ausgeführt, von dem auch die Abbildungen Fig. 1—4 entworfen sind. Zur Kenntnis der Zwergfarne. 271 weite oben angeführten. Daß auch die Epidermiszellen bei der Zwerg- form kleiner sind, zeigt Fig. 2, und es ist sehr wahrscheinlich, daß das auch für andere Zellen gilt. Ob etwa die Keimpflanzen der Normal- forın in ihren Zeilgrößen mit der Zwergform übereinstimmen, wurde nicht untersucht. Es wäre von Interesse das festzustellen, da, falls die Frage zu bejahen ist, das Zustandekommen der Zwergpflanzen durch Entwicklungsbemmung besonders klar zutage treten würde. Indes genügt die Abnahme der Zellgröße nicht, um die Ver- zwergung vertändlich zu machen, es hat auch eine bedeutende Ver- minderung in der Zellenzahl stattgefunden. Daß auch die Paleae bei der Zwergform bedeutend kleiner und weniger zahlreich als bei der Stammform sind, braucht kaum betont zu werden. Dasselbe gilt mit einer Einschränkung auch für die Sori. Zu- nächst tritt deren Verminderung an Zahl bei der Zwergform auffallend hervor. Bei der Normal- form sitzen an jeder Fieder 2. Ordnung eine größere Anzahl von Soris (Fig. 38). Und zwar sind diese Sori ungleich groß. Der größte ist der auf dem ersten nach oben abgehenden Seitennerv sitzende. Gegen das Ende der Fiedern erster Ordnung hin nimmt die Soruszahl ab, so daß schließlich nur noch einer oder zwei an der Fiederbasis erhalten bleiben. Damit ist die Reduktion erreicht, welche an der Zwergform (Fig. 3b) vorhanden ist. Wir sehen also hier deutlich, daß die Zwergform eine, auch im nor- malen Verlauf der Entwicklung auftretende, Hemmung zeigt. Nicht so beträchtlich wie die Reduktion in der Zahl ist die in der Größe der Sori. Diese ist, wie aus dem Mitgeteilten hervorgeht, bei der Normal- forın nicht überall gleich. Eine Messung der Indusien der größeren (basalen) sowie der Normalform ergab (im Durchschnitt von 10 Meß- ungen) 1444>< 1355 a, bei der Zwergform: 1222>< 1071 a, also etwa 1,2:1. Noch geringer waren die Verschiedenheiten zwischen den kleinen Soris der Normalform und denen «der Zwergform (erstere durchschnittlich 1261><1122, letztere 1222><1071) (also fast gleich groß). Die Sporangien zeigten hei der Stammform eine Länge von Fig. 3. Aspidium filix mas. Links Stück einer fertilen Fieder der Normal-, rechts der Zwergform. 2372 K. Goebel, 234,6, eine größte Breite von 194,7. Bei der Zwergform betrugen diese Maße 198,7><158,3 (also etwa 1,2:1). Die Sporen maßen: Stammform 52,2 4x35,6, Zwergform 42,5 u><28,7 (etwa 1,2:1). - Zusammenfassend läßt sich für Aspid. filix mas. f. pumilum sagen: Die Zwergform unterscheidet sich von der Stammform dadurch, daß die vegetativen Zellen (soweit sie gemessen wurden) nicht nur kleiner, sondern auch in geringerer Zahl vorhanden sind. Auch die Sori sind sehr an Zahl vermindert, aber an Größe ebenso wie die Sporen weniger gegenüber der Stammform reduziert, als die vegetativen Zellen. Ob die Zwergform — was nicht unwahrscheinlich ist — sich durch eine geringere Chromosomenzahl von der Stammform unterscheidet, wurde nicht festgestellt. Es schien wünschenswert, das Verhältnis zwischen Normalform und Zwergform noch bei einer anderen Form zu untersuchen, um zu ermitteln, ob zwischen beiden dieselben Beziehungen vorhanden sind, wie bei den oben genannten. \ Dazu wurde Aspidium angulare und die als „parvissinum“ be- zeichnete Zwergform gewählt. Die Länge eines Blattes der letzteren betrug 12 em, die größte Breite 4 em, die größte Länge der Fiedern 2 cm. Die Fiedern stehen (wie bei den „congestum-Formen) dicht zusammen. Ein Blatt einer in der Nähe stehenden Normalpflanze maß: Länge 75 cm, größte Breite 25 cm, größte Länge der Fiedern (nahe der Basis) 7,5 cm. Die Reduktion der Leitbündelquerschnitte ergibt sich aus Fig. #. Tracheidendurchmesser N. F. 34,9> 40,6 Z.F. 202x235 Spaltöffnungen N. F. 48,0 >< 36,4 zZ. F. 41,2>< 30,3 Sporangien N. F. 182,0 >< 155,3 2. F. 180,0 >< 148,0 Sporen N. F. 36,5 >< 27,6 2. F. 338249 Es ergibt sich daraus, daß zwar die Leitbiindel und Tracheiden bei der Zwergform eine erhebliche Verringerung erfahren haben, die Spaltöffnungen, Sporangien und Sporen aber nur eine ganz unerhebliche. Es bewegt sich das trotz der Verschiedenheit betreffs der Spalt- öffnungen immerhin in derselben Linie wie bei Aspidium filix mas, Zur Kenntnis der Zwergfarne. 273 denn auch bei diesem ergab sich, daß die Verkleinerung der Sori Sporangien und Sporen eine minder beträchtliche ist, als bei den Leit- bündeln und Tracheiden. Im allgemeinen stimmen also die Erscheinungen der erblichen Verzwergung bei den genannten Farnen überein mit denen, die Frank für höhere Pflanzen bei induziertem Nanismus angegeben hat: Die Kleinheit der Organe kommt teils auf die Verkleinerung der Zellen, teils, und zwar vorwiegend auf Rechnung von deren geringerer Anzahl. Die starke Reduktion des Leitungsgewebes ist offenbar eine un- mittelbare Folge der Verkleinerung. Wissen wir doch, daß die künst- liche Entfernung von Blattanlagen eine beträchtliche Verminderung in der Ausbildung des Gefäßteils der Blattspuren bedingt. Eine Ver- ringerung der Blattgröße wird eine ähnliche, wenn auch minder auf- Fig. 4. Blattstielquerschnitt von Aspidium angulare; rechts Normal-, links Zwergform. fällige Wirkung ausüben. Wie ferner bei den Samenpflanzen die Blüten der Zwerge sich meist nicht in demselben Verhältnis verkleinern wie die Vegetationsorgane, wohl aber erheblich an Zahl abnehmen, so fanden wir ein ähnliches Verhalten für die Sori und die Sporangien, und wie die Samen sich verhältnismäßig am wenigsten verkleinern, so läßt sich das auch von den Sporen aussagen. Von anderen europäischen Farnen, seien Zwergformen für Scolo- pendrium und Polypodium angeführt. \ Die Blätter von Scol. vulgare f. spirale sind etwa ein Zehntel so lang als die der Normalform. Eine „parvissimum-Form ist von Polypodium vulgare bekannt — leider konnte ich beide nicht untersuchen. Nach den Angaben von Druery®) sollen die Blätter kürzer als 1,3 cm bleiben, während sie 1) Ch. T. Druery, Choice British Ferus. London 1888, pag. 122. 18 Flora. Bd. 111. 274 K. Goebel, bei der normalen Form etwa neun mal so lang werden, und andere Formen noch bedeutendere Größe als die der Normalform erreichen. Die Abstammung der Zwergformen von den normalen ist, auch nach den obigen Untersuchungen, nicht zu bezweifeln. Es scheint, daß sie verhältnismäßig selten auftreten, jedenfalls seltener als andere Mu- tationen, I. Zwergformen tropischer Farne (Drynaria und Platycerium.) a) Drynaria. Die bekannteste Drynaria-Art mit hummussammelnden Nischen- blättern ist die weitverbreitete Dr. quereifolia, deren Nischenblätter so groß sind, daß die Malayenkinder sie zur Herstellung von „Drachen“ — den bekannten juvenilen „Flugapparaten“ — benützen. Die Nischenblätter erreichen nicht selten eine Länge von über U, m, eine Breite von mehr als 20 cm. Sie sind negativ geotropisch aufgerichtet. Im übrigen sei bezüglich ihrer Gestalt und Funktion auf früher Ge- sagtes verwiesen!), Ähnlich verhalten sich Dr. propinqua, Dr. rigidula und einige andere Arten des tropischen Südasiens. Andere aber bleiben wesentlich kleiner. Von der Firma May and sons erhielt der Münchener botanische Garten vor einigen Jahren eine als „Drynaria mieroptera“ bezeichnete, angeblich aus Brasilien importierte Drynaria.. Daß die Pflanze aus Brasilien stammt, ist sehr unwahrscheinlich. Denn für die Heimat der Drynarien gilt bis jetzt das, was Christ?) sagt. „Sie sind sämtlich Ostasien, und dem der Malaya vielfach tributären äquatorialen Afrika eigen und fehlen Amerika“ Wenn auch Fälle, wie z. B. das Vor- kommen von Platycerium andinum®), — während die anderen Platy- cerium-Arten alle Asien, Afrika und Australien angehören — das Vor- kommen einer Drynaria in Südamerika nicht als ganz ausgeschlossen erscheinen lassen, so wird man doch zunächst als wahrscheinlicher be trachten, daß die „Drynaria niieroptera* aus Ostasien stammt, die An- 1) Goebel, Morphologische und biologische Studien. I. Über epiphytische Formen und Museineen. Ann. du jard, bot. de Buitenzorg, Vol. VII und pflanzen- biologische Schilderungen, I (1889), pag. 266. 2) H. Christ, Die Geographie der Farne (1910), pag. 95. 3) Ich sah vor Jahren in Brüssel bei einem Orchideengärtner eine größere Anzahl dieser Pflanzen, die ein Sammler als mutmaßliche epiphytische Orchideen eingesandt hatte. Leider scheint die Art aus der Kultur wieder verschwunden zu sein. Zur Kenntnis der Zwergfarne, 275 gabe einer Herkunft aus Brasilien also auf einer Verwechslung be- ruht. Von den mir bekannten Drynarien steht sie nämlich der Dr. Fortunei am nächsten, vielleicht ist sie von ihr nicht einmal spezifisch verschieden. Indes würde zur Entscheidung dieser Frage reichlicheres Material notwendig sein, als es mir zur Verfügung steht. Die Pflanze gehört zu den Drynariaformen, von denen Christ’) (pag. 11) sagt: „In Nordindien und China verkleinert sieh der Drynaria- typus. Die Niederblätter — vielmehr Nischenblätter (G.) — sind kaum mehr zur Ansamm- lung von Erdreich geeignet.“ Das trifft für Dr. microptera vollständig zu. Die kleinen Nischenblätter (bis 5 cm lang und ebenso breit) sind vielfach gar nicht aufgerichtet, sondern liegen dem Rhizom an. Auch wo sie von ihm abstehen (ihre Orientierung ist im Gegensatz zu der von Dr. quereifolia u. a. keine konstante) können sie nur ganz unbedeutend als Humussammler in Betracht | kommen. Vermutlich wächst die Pflanze auf Felsen und | Mauern wie Dr. Fortunei, wo- bei die Nischenblätter das Fig. 5. Drynaria „mieroptera“. Habitusbild Rhizom bedecken und dessen stark verkleinert. Wasserabgabe heruntersetzen können. Das kann nicht als eine wichtige Funktion betrachtet werden, da das Rhbizom dicht mit Spreuschuppen bedeckt ist und wie alle Drynariarhizome auch einen starken Wasser- verlust ohne Schaden erträgt. Übrigens scheint die Pflanze eine Ruhe- periode zu haben, in welcher die Laubblätter ganz abgestorben sind. Es tritt hier also deutlich hervor, daß die Nischenblätter denen der größeren Drynaria-Arten gegenüber ihre ursprüngliche Funktion eingebüßt haben. Das kann auch ohne erhebliche Benachteiligung der ganzen Pflanze geschehen, weil die bedeutende Größenverringerung 1) HB. Christ, Die Farnkräuter der Erde (1897), pay. 119, 18* 276 K. Goebel, gegenüber Arten wie Dr. quereifolia, propinqua u. a. die Ansammlung größerer Humusmengen entbehrlich macht. Daß die abweichenden Eigenschaften wirklich durch Kleinerwerden bedingt sind, also „Minusvarianten“ darstellen, scheint mir kaum zweifel- haft. Die extrem heterophylien Drynarien leiten sich, wie früher dar- gelegt!) ab von Formen, die mit Blättern versehen waren, die, beide negativ geotropisch, und chlorophylihaltig aber durch die Beschaffenheit ihrer Basis verschieden waren. Die mit breiter Basis versehenen lieferten dann die Nischenblätter, wobei sie eine beträchtliche Ver- kürzung erfuhren. Es ist, wie anderwärts?) angeführt wurde, auch jetzt noch leicht bei Formen wie Dr. propinqua und Dr. quereifolia im spä- teren Alter die Blattformen hervorzurufen, wie sie sonst nur an der Keimpflanze auftreten. Dr. mieroptera und die verwandten Formen wurden kleiner und die Nischenblätter büßten ihren negativen Geotro- pismus ein. Da wir diesen Vorgang nur hypothetisch erschließen können, so ist es nicht möglich zu sagen, ob die beiderlei Blattformen in dem- selben oder in verschiedenen Verhältnis an Größe abnahmen. Übrigens entspricht der Auffassung dieser Formen als Zwergbil- dungen auch die Tatsache ihrer geographischen Verbreitung außerhalb dies Tropengebietes. Freilich wird man darauf nicht allzuviel Wert legen können, wie schon die Zwergformen europäischer Farne und die unter den Platycerium anzuführenden zeigen. Da die Pflanze wohl auch an andere Gärten gelangt ist, mag zu- nächst eine kurze Beschreibung folgen. Beschreibung der Pflanze: Drynaria „microptera® (?), Rhizom, ageotropisch mit ursprünglich hell-, später dunkelbraunen Schuppen bekleidet, bis 2 cm diek. Die Schuppen ca. I cm lang, an der Basis 2 mm breit, dann allmählich nach oben verschmälert. Am Rande gewimpert. Blätter dimorph. Laubblätter bis 40 cm lang, 18 em breit, Spreite am Stiel allmählich herablaufend, fiederschnittig. Die Fiedern abwechselnd, bis 5 cm lang und 2 cm breit?) Die untersten unvermittelt bis auf 1 em ver- ringert. Dickere Nerven dunkei, Neryatur in den Fiedern in ziemlich regelmäßige Vierecke abgeteilt, in denen im oberen Teile fertiler Blätter, je ein bis zwei (zu- weilen verschmolzene) Sori, sitzen. Zwei bis vier Sori sitzen in einer Reihe hinter- einander. In der Nachbarschaft. der Sori kurze, helle einzellige Haare, die dünn- 1} Vgl. Goebel, a. a. O. und Organographie, 2. Aufl., pag. 381. 2) Goebel, Organographie, 2. Aufl., pag. 382. 3) Nach Christ sollen die Fiedern bei Drynaria Fortunei sich abgliedern. Das einzige Herbarexemplar, das mir vorliegt, sieht aber so aus, als ob die F jeder ebenso wie bei Drynaria microptera sich nicht abgliedern würden. Die Fieder- blätter unseres Herbarexemplars von Drynaria Fortunei sind kürzer und schmäler als die von „microptera“, Zur Kenntnis der Zwergfarne. 277 wandig sind und ein Sekret zu enthalten scheinen. Im übrigen Blatt sind diese Haare spärlicher, auf den stärkeren Rippen kommen reduzierte Spreuhaare vor. An der Basis der Fieder finden sich öfters ein bis zwei später dunkel gefärbte Nektarien. Nischenblätter bis 5 cm lang und ebenso breit mit spitzen Lappen, in der Jugend biaßgrün, durchscheinend, später braun, wenig oder gar nicht vom Rhizom abstehend. Es braucht kaum betont zu werden, daß der Schluß, daß die kleinen ostasiatischen Arten durch Verzwergung entstanden seien kein so sicherer ist wie der, daß die oben erwähnten europäischen Farne Zwerg- formen darstellen. Er würde gestützt werden, wenn man einerseits eine — abgesehen von den Größenverhältnissen — weitgehende Über- einstimmung einer solchen kleinen Art mit einer großen, oder noch mehr, wenn man die Entstehung einer Zwergform bei der Sporenaussaat feststellen könnte. Beides ist nach den bis jetzt vorliegenden Tatsachen anzunehmen für eine andere Farnart: b) Platycerium pygmaeum. Nach einer Mitteilung der Firma May soll diese merkwürdige kleine Platyceriumart bei einer Aussaat von Pl. Willinkii aufgetreten sein. Dieser Art sieht P. pygmaeum auch sehr ähnlich. Beide unter- scheiden sich aber ohne weiteres durch ihre Größenverhältnisse be- deutend: Pl. Willinkii besitzt in unseren Gewächsbäusern Laubblätter von &5 cm größter Länge, und (oben) 60 cm Breite, Mantelnischen- blätter von 42 em Länge, 44 em größter Breite. Pl. pygmaeum bildete 3 Jahre lang nur Laubblätter, die längsten erreichten 9,5 em und besaßen eine Breite von 6,5 cm. Man könnte daraus schließen, daß die Fähigkeit auch Mantelnischenblätter zu bilden, dieser Form ganz verloren gegangen sei. Daß man mit solchen Sehlüssen indes vorsichtig sein muß, zeigt eine Beobachtung bei Dry- haria sparsisora (D. Linnaei). Diese Art kultivierte ich fast 20 Jahre, ohne daß sie Nischenblätter aufwies, obwohl die Laubblätter üppig ge- diehen und tausende von Soris hervorbrachten. Ich vermutete (trotzdem, daß (die fertilen Blätter unzweifelhaft mit denen von Drynaria spar- sisora übereinstimmen) es sei die Pflanze gar keine Drynaria. Aber Ende 1914 traten einzelne große Nischenblätter an unseren zwei Exemplaren auf — während andere unter denselben Bedingungen ge- zogen Drynaria-Arten solche alljährlich in Menge hervorbrachten. Ebenso traten auch bei Platycerium pygmaeum 1915 kleine, offenbar gänzlich funktionslose Nischenblätter zwischen den Laubhlättern auf, sie traten wenig hervor, waren dünn und maßen in der Länge 4,5 cm, in DIR K. Goebel, ıler Breite 9 cm. Offenbar waren sie für die Pflanze ohne Bedeutung als Humussammler. Pl. pygmaeum ist also eine Zwergform, welche etwa ein Zehntel ler Größe von Pl. Willinkii erreicht, Maße die selbstverständlich nach Alter und Ernährungsverhältnissen variieren können. Daß sie nicht etwa nur eine langsam wachsende Form der letzteren ist, ergibt sieh schon daraus, daß sie reichlich sich durch „Wurzelbrut“ vermehrt, wie denn bekanntlich‘ manche Platycerium-Arten die Fähigkeit haben, aus Wurzelspitzen Sprosse zu bilden. Die wurzelbürtigen Pflanzen behalten ganz den Zwergwuchs hei. Sporangienbildung allerdings ist an den Pflanzen bis jetzt nicht ein- getreten, es war deshalb auch nicht möglich, die Erblichkeit bei der Sporenaussaat zu prüfen. Es fragt sich also ob das P. pygmaeum zu den nicht eben seltenen steilen Farnmnutationen gehört!), oder ob Sporophylie hier nur sehr spät bzw. nur unter bestimmten Umständen auftreten. Ob die Zwergform wirklich bei der Aussaat von Sporen, die normalem Pl. Wil- linkii entstammten, entstanden ist, läßt sich natürlich mit Sicher- heit nicht mehr feststellen, wenn sie nicht etwa aufs neue bei einer Aussaat sicher reiner Sporen auftreten sollte. Bei Farnen ist ja be- sondere Vorsicht geboten — jeder der Farmaussaaten gemacht hat, weiß, wie leicht fremde Sporen (die den Blättern oder den Soris an- haften) sich dem Aussaatmaterial zugesellen können. Indes ist eine dem Pl. pygmaeum entsprechende wild wachsende Platycerium-Art bis jetzt nicht bekannt, wohl aber gibt es andere Zwerg- platycerien, die anderen Großformen nahe stehen. So das Pl. Ridleyi?). welches dem Pl. biforme (Pl. coronarium) nahe steht, aber viel kleiner ist, als dieser Riesenfarn, wenn es auch Pl. pygmaeum an Größe weit übertrifft. (Die Laubblätter sind 30 cm lang) Man hat also guten Grund für die Annahme, daß wenigstens zwei Platycerium-Arten: Pl. Willinkii und Pl. biforme Zwergformen abgegeben haben. Ob das zutrifft, kann nur durch Kulturversuche ermittelt werden, die selbst auszuführen Verf. derzeit nicht in der Lage ist. Indes ist diese Annahme um so wahrscheinlicher, als wie er- wähnt, das Pl. pygmaeum außerhalb der europäischen Gewächshäuser überhaupt nicht bekannt ist, Pl. Ridleyi aber nur an wenigen Standorten 1) Vgl. Goebel, Organographie, 2. Aufl., pag. 1065. 2) H. Christ, Deux espöces de Platycerium. Ann. du jard. bot. de Buiten- zorg. $eme Suppl., pag. 7. Leiden 1910. Zur Kenntnis der Zwergfarne. 279 (Bukit Timah auf Singapore, ‘Borneo und Lingga-Inseln) aufgefunden worden ist. Für Pl. Ridleyi, deren nahe Verwandtschaft mit Pl. coronarium (Pl. biforme) ohne weiteres hervortritt — obwohl die letztere Art ıneh- rere Meter lange Blätter besitzt — hat Wright?) angenommen. es liege eine Standortsform des Epiphyten auf besonders stark exponierten. hohen Bäumen vor. Indes müßte man, falls dies zuträfe, erwarten, daß die Pflanze häufiger auftreten würde, als dies der Fall is. Denn Platycerium biforme ist ein in Insulinde an manchen Stellen keines- wegs seltener Epiphyt, der Sporen in großer Menge hervorbringt. Wenn also Standortsformen besonderer Art sich bilden würden, müßte man sie in größerer Zahl finden. Sicherheit kanı allerdings nur die Sporenaussaat geben. Aber der „Indizienbeweis" spricht zu Gunsten der Annahme einer erblichen Zwergform. Im Anschluß an das über Farne Mitgeteilte mögen noch einige Notizen über Nanismus bei Samenpflanzen erwähnt. sein. Bei Gartenpflanzen kennt man Erscheinungen, die den oben für einige Farne angeführten entsprachen schon lange. Carriere’) hat 1865 eine Liste der da- mals bekaunten erbl- | 7. chen „Nanum“-Formen zusammengestelli. Er gibt von einigen auch ihr erstes Auftreten an. So sei die von Ageratum miexicanum (mit kurz gestielten Blü- tenköpfen) zufällig als Seitensproß an der ty- Fig. 6. Salvia pratensis f. acaulis. Verkleinert. pischen Pflanze aufge- treten — er führt auch schon an, daß „Pinus silvestris nana compaeta“ von einem Hexenbesen stamme — was bekanntlich auch v. Tubeuf neuerdings festgestellt hat. Ob die „Oenothera Drummondi nana“ etwa einen ähnlichen Ursprung hat, wie die Nanella-Mutation der Oen. La- marckiana? " 1) Val. das Zitat bei Christ, a. a. O. pag. 9. 2) E. A. Carridre, production et fixation des varietos dans les vögetaux, pag. 10. Paris 1865. Von neurer Literatur vgl.: Beguinot, il nanismo nel genere Plantago le sue cune. Nuovo giornale botanico italiano 1908, Vol. XV, pag. 205 ff. Sierp, a. a. O0. (Die Angaben von de Vries, Rateson u. a. werden als bekannt vorausgesetzt.) 280 K. Goebel, Es sei in diesem Zusammenhang noch eine merkwürdige Form von Salvia pratensis erwäbnt, die ich seit 5 Jahren kultiviere. $. pratensis ist zweifellos eine Sammelart, die sich in eine An- zahl von „Elementararten“ zerlegen läßt, wie jeder Blick auf eine mit dieser Pflanze bepflanztes Beet vermuten läßt. Die „Nana“-Form, die ich 1912 bei Hechendorf am Ammersee fand, und die seither in der Kultur ihre Eigenschaften beibehalten hat, ist so auffallend, daß man sie zunächst gewiß nicht für eine S. pratensis halten würde. Die Infloreszenzen sind nämlich ganz ungestielt, die Blüten stehen an ihr dicht gedrängt weil die Internodien ganz kurz bleiben. Der Blütenstand gleicht viel mehr etwa dem eines Horminum pyrenaicum (abgesehen von der Einseitswendigkeit des letzteren) als dem einer normalen $. pratensis. Um die Erblichkeit zu prüfen, wurden 1913 und 1914 Blüten selbstbestäubt. Sie ergaben auch eine Anzahl anscheinend normaler Samen- bzw. Teilfrüchtchen. Aber beidemal keimte keiner davon. Es wurde deshalb Bestäubung mit- einer „NOr- malen“ Form ausgeführt. Sie ergab in F, die Normalform, F, wurde aus äußeren Gründen nicht erzogen. Daß hier eine bei einer wildwachsenden Pflanze aufgetretene Mu- tation vorliegt, ist also nicht nachgewiesen, sondern nur wahrscheinlich. Ob diese etwa durch Kreuzung zwischen verschiedenen Elementararten von S. pratensis ausgelöst ist, läßt sich derzeit nicht sagen. Aber jedenfalls treten erbliche „nanum“-Formen auch bei Samenpflanzen häufig auf. Auch sie zeigen — wenigstens vielfach — einen Verlust von Eigenschaften, die ursprünglich nützliche waren. Denn wenn die Blütenstände von Salvia pratensis so zu sagen „stecken bleiben“, so sind sie den Insekten, welche die Bestäubung zu besorgen haben, jeden- falls viel weniger sichtbar, als die langgestielten typischen Infloreszenzen. Andererseits können solche Zwergformen unter anderen Umständen z. B. auf stark exponierten physiologisch wasserarmen Standorten von Vorteil sein. Salvia pratensis f. acaulis würde jedem „Alpinum“* zur Zierde gereichen, und wer ihren Ursprung nicht kennt, würde sie auch sicher für eine echte Alpine halten. Zusammenfassung: Unter den ursprünglich meist wild gefundenen Mutationen von Farnen befinden sich eine Anzahl von Zwergformen, an denen Aspid. ilix mas f. pumilum und Aspid. angulare f. parvissimum näher unter- sucht wurden. Es ergab sich Konstanz des Nanismus auch unter Zur Kenntnis der Zwergfarne. 281 günstigen Wachstumsbedingungen. Die Vererbung bei geschlechtlicher Fortpflanzung ist nicht untersucht. Anatomisch war ein bedeutendes Zurückbleiben der Leitbündel, geringere Zellgröße (gemessen an den Spaltöffnungen), geringere Zellenzahl und starke Verminderung der Soruszahl für die Zwerge eigentümlich. Weniger zurück trat Sorus- Sporangien- und Sporengröße. Während bei diesen Zwergformen ihre Entstehung aus der Stammform zwar nicht unmittelbar beobachtet aber doch unzweifelhaft ist, läßt sich bei einigen tropischen Farnen eine solche Entstehung von Zwergformen sehr wahrscheinlich machen. So bei Pl. pygmaeum (Zwergforın von Pl. Willinkii, Pl. Ridleyi (Zwergform von Pl. coronarium) und einigen Drynaria-Arten. Charakteristisch ist für alle diese Zwergformen, daß die für die Normalform so charakteristischen Humus sammelnden Nischenblätter bei ihnen kaum mehr von Bedeutung sind. Anschließend werden bei Samenpflanzen einige Zwergformen erwähnt, namentlich Salvia pratensis f. acaulis. Nachschrift. Für die Frage nach dem Auftreten der zum Humussammeln geeigneten Farnblätter ist nicht ohne Interesse eine neuerdings an Polypodium Xiphias gemachte Beobachtung. Dieser Farn besitzt normal kurzgestielte, also nicht zum Humussammeln geeignete Blätter. Bei einem Rhizom, das zufällig auf einen Baumfarnstanım gelangt war, trat aber ein ungestieltes, mit breit herzförmiger Basis versehenes Biatt auf, wie sie bei Polypodium (Drynaria) Heracleum, coronans u. a. bei älteren Pflanzen allein vorkommen, eine Blattform, von der sich die Heterophyllie der anderen Drynarien ableitet. Hier fand sich also als „zufällige“ Variation etwas, das bei anderen Farnen konstant auftritt. Die nordwestdeutsche Küstenflora. Von W. 0. Focke. Einleitung. Die Pflanzenwelt, welche das nordwestdeutsche Tiefland bedeckt, verhält sich auf trockenem und auf feuchtem Grunde, im Wald und in der Heide, auf bebautem Ackerlande und in blumigen Wiesen auffallend verschieden, aber die größeren Landschaften, in denen alle diese teils durch die Natur, teils durch die Benutzungsweise bedingten äußeren Ungleiehheiten nebeneinander vorkommen, stimmen nicht nur in den allgemeinen Charakterzügen ihrer Flora, sondern auch in den meisten Einzelheiten nahezu überein. Nur in einem schmalen Streifen längs der Nordseeküste bietet die Vegetation ein wesentlich abweichendes Bild. Sowohl auf einfache Pflanzenfreunde, als auch auf gelehrte Botaniker hat namentlich die reizende Flora der kleinen Düneninseln vielfach einen lebhaften Eindruck gemacht. Die bisherigen Untersuchungen (vgl. namentlich Buchenau, Flora der ostfriesischen Inseln, Einleitung, pag. 16ff,) beschäftigen sich zwar mit den Standorten, aber wenig mit den besonderen Erfordernissen der einzelnen Pflanzenarten, die in ihren Ansprüchen an Boden und Umgebung‘ eine viel größere Mannigfaltigkeit zeigen, als man gewöhnlich voraussetzt. Die zunächst für Unterrichtszwecke bestimmten „Floren“ legen den Hauptwert auf die „Merkmale“ und auf eine möglichst scharfe Unter- scheidung der „Arten“, Eine streng wissenschaftliche Untersuchung kann nicht allein morphologisch sein, sondern erfordert auch eine Prü- fung des Stoffwechsels der einzelnen Formenkreise sowie ihrer damit zusammenhängenden Lebensbedingungen und Wachstumserscheinungen. Unsere Kenntnisse über diese Dinge sind für die wildwachsenden Pflanzen noch recht spärlich und außerdem in der Literatur sehr zer- streut. Es bedarf noch umfangreicher Einzeluntersuchungen, um wirk- lich genaue Kenntnisse über die Bedürfnisse aller einzelnen Pflanzen- formen zu erlangen. ‘Man nimmt gewöhnlich an, die den Küsten eigentümlichen Gewächse: seien Halophyten, also Salzpflanzen, die zu ihrem Gedeihen einen ge- Die nordwestdeutsche Küstenflora. 283 wissen Betrag von Natriun- oder Magnesium-Chlorid erfordern oder ertragen. In Wirklichkeit handelt es sich bei ihnen jedoch kaum um größere Mengen von Chloriden, die sehr wohl durch Sulfate und Karbo- nate vertreten werden können. In anderen Fällen sind nicht chemische, sondern rein physikalische Verhältnisse für das Gedeihen bestimmter jewächse an der Küste von entscheidender Bedeutung. Zum Zwecke einer vorläufigen Umschau und eines allgemeinen Überblickes dürfte es sich empfehlen, zunächst die Bedeutung einzelner besonderen standörtlichen Eigentümlichkeiten zu betrachten. Nur in wenigen Fällen sind die Einwirkungen äußerer Einflüsse so tiefgreifend. daß sie den Eindruck spezifischer Verschiedenheit machen. Merkwürdig sind insbesondere die gleich selbständigen Arten erscheinenden Serpen- tinformen von Asplenium viride und A. adiantunı nigrum, Weniger auffällig sind Änderungen, die an einigen unserer Wasser- pflanzen durch den Einfluß des Meeres hervorgerufen werden, doch hat man in Salzformen von Ruppia maritima und Zannichellia palustris eigene Seewasserarten erblicken wollen. Man wird sich ferner der Veränderlichkeit von Cochlearia anglica erinnern, die in Gestalt und Größe der Früchte unter dem Einflusse des Salzwassers auch an der Nordsee in auffallender Weise abändert. Eine etwas eingehendere Be- trachtung verdienen die Beziehungen der Küstenpflanzen zu den be- sonderen Bodenbestandteilen, welche dem allgemein verbreiteten Quarz- sande und Ton beigemengt sind. 2. Moor und Küste. Sowohl im Verlaufe ihres Wachstums als auch insbesondere nach Beendigung ihres Lebens geben die Pflanzen dem Boden nicht allein die entnommenen mineralischen Baustoffe zurück, sondern hinterlassen auch einen Teil ihrer neugebildeten organischen, also kohlenstoffreichen Masse, In der Regel werden diese Bestandteile rasch zersetzt, so daß Kohlensäure und Wasser wieder als Endprodukte des Stoffwechsels ab- geschieden werden. Aber wenn die Zersetzung ohne wesentliche Be- teiligung des Luftsauerstoffs erfolgt, so bleibt sie unvollständig und 'iefert kohlenstoffreiche, torfähnliche Ablagerungen. Im Walde werden die abgefallenen Blätter und Zweige durch Wind und Wasser großenteils in die geschützten tieferen oder mit Unterholz besetzten Stellen entführt, wo sie namentlich in den feuchten unteren Lagen in „milden“ Humus (Moder) zerfallen. In den ebenen Heiden bleiben die abgefallenen Heideblätter unter dem Schntze der Sträucher liegen und bilden dort. eine langsam verwesende, mineralstoff- 234 W. 0, Focke. arme Humusdecke, die beträchtlich zur Feuchthaltung des Untergrundes beiträgt und dadurch das Fortkommen kurzliebiger Kräuter und einiger Moose ermöglicht. Günstiger für eine Moorbildung gestalten sich die Verhältnisse in versumpfenden Waldungen, in denen der Wasserabzug fast völlig stockt. Dort siedelt sich um die Stämme herum Torfmoos an, welches nach und nach den ganzen Grund überzieht und ihn von der Berührung mit der Luft abschneidet. Dadurch werden die Bedingungen zur Bil- dung sauren Moorbodens, also Torf, gegeben. In entsprechender Weise sammeln sich die Abfälle der Pflanzen auch an nichtbewaldeten Stellen in den Tälern träger Wasserläufe. In Verbindung mit der Vegetation der Oberfläche sperren die sich zersetzenden Massen den Luftaustausch zwischen Boden und Atmosphäre auch hier fast vollständig ab, so daß sich die unvollkommen zersetzte pflanzliche Masse anhäuft und allmäh- lich wirkliches Moor entstehen läßt. Der Gehalt an Mineralstoffen im Humusboden wird mit dem Wachsen desselben immer spärlicher, da er sich auf keine Weise merklich vermehren kann. Man hat den nahrungsarmen Torfgrund mit dem unfruchtbaren Heideboden verglichen, obgleich Humus und Quarzsand in ihren übrigen physikalischen und chemischen Eigenschaften wenig übereinstimmen. Als Pflanzenstandort zeigt das Moor manche Ähnlichkeit mit den Baumästen feuchter Tropenwälder, die eine nährstoffarme, aus zersetztem organi- schen Stoffe bestehende Unterlage bieten. Fast die einzigen dem echten Hochmoor eigentümlichen Blütenpflanzen unserer Flora gehören der Familie der Ericaceen (in weiterem Sinne) an, die auch unter den tropischen Baumbewohnern reichlich vertreten ist. Unsere sonstigen Moorpflanzen sind nicht dem fast rein organischen Torfboden eigentüm- lich, sondern gehören dem nassen humushaltigen Sande mit sehr lang- sam bewegtem Wasser an. Auf derartigem „anmoorigen* Grunde pflegt sich eine reichhaltige Flora anzusiedeln; es sind ziemlich zahlreiche Arten darunter, welche ausschließlich an solchen Standorten ihr Ge- deihen finden. An unserer Nordseeküste tritt nur an einer einzigen Stelle, und zwar am Ostufer des Jadebusens, wirkliches Hochmoor in unmittelbare Berührung mit dem Meere. An allen übrigen Stellen findest man höchstens geringe Anfänge von Moorbildung in der Nähe des Strandes. Auf den Nordseeinseln trifft man an nassen Dünenflecken nur in ver- einzelten Fällen Horste von Torfmoos an, und zwar an solchen Stellen, die völlig entkalkt sind, aber kaum Humus enthalten. An ähnlichen Standorten kann man in größerer Menge auch einige Blütenpflanzen Die nordwestdeutsche Küstenflora. 285 finden, welche festländische Moore zu bewohnen pflegen, insbesondere Drosera rotundifolia, Vaccinium uliginosum und Myrica gale (selten), auf Borkum auch Carex dioica, C. pulicaris und C. teretinscula. 3. Wald und Küste. Häufiger als die geringen Spuren von Moorbildung finden sich auf den ostfriesischen Inseln Erinnerungen an eine Waldflora, und zwar in völlig offenen Tälern und an Hügellehnen. Es ist dies um so auf- fallender, als am Seestrande, nach den Beobachtungen der Liebhaber- photographen, im Hochsommer die Lichtfülle (wenigstens die chemischen Strahlen) viel größer zu sein pflegt, als sie nach ihren Erfahrungen im Binnenlande erwarten; ihre Bilder werden viel zu dunkel. Auf die Haut empfindlicher Menschen, besonders Kinder, wirken die Sonnen- strahlen im Hochsommer am Strande oft ebenso schädigend, wie auf den Alpengletschern. Von noch größerer Wichtigkeit ist wahrscheinlich die reichlichere Luftfeuchtigkeit an der See, welche das Gedeihen von Waldpflanzen begünstigt. Nirgends auf dem benachbarten Festlande kommt z. B. Pyrola rotundifolia so massenhaft vor, wie auf den ost- friesischen Inseln (wenigstens vor dem Erscheinen der Badegäste als Blumenräuber). An diesen Standorten scheut sie weder den tiefen Schatten angepflanzter hoher Gebüsche, noch die hellen Flächen der offenen Dünentäler, in denen höchstens niedrige Kriechweiden den Blättern etwas Deckung gegen die Sonnenstrahlen verschaffen. Im Osten der Elbe wächst die Pyrola allerdings ohne Beschattung auf Moor- boden; es mag sein, daß für sie ein mäßiger Kalkgehalt des Bodens der entscheidende Umstand ist. Außer der Pyrola rotundifolia gedeihen auch einige andere Ge- wächse, die wir auf dem Festlande als Waldbewohner kennen, auf den Inseln an offenen schattenlosen Stellen, so insbesondere Pyrola minor, Monotropa glabra, Epipactis latifolia, E. palustris, Listera ovata, Carex Punctata, Ophioglossum vulgatum sowie die Laubmoose Hylocomium triquetrum, H. splendens, Hypnum purum, H. Schreberi, Antitrichia eurtipendula, Dieranum seoparium, die auf dem Festlande teils aus- schließlich, teils vorzugsweise im Walde wachsen. Dagegen fehlen der Küste die früh blühenden Schattenpflanzen, welche bald nach Eintritt der vollen Belaubung der Bäume ihre Vegetation abschließen, also z. B Gageen, knollige Corydalis, Anemone nemorosa. 4. Kalkpflanzen der Küste. In dem Muschelbrocken führenden Dünensande der ostfriesischen Inseln finden sich Pflanzenarten, die im übrigen nordwestdeutschen 286 W. OD. Focke, Tieflande kaum vorhanden sind und erst in den Kalkgebirgen des ent- fernten Binnenlandes vorkommen. Dahin gehören namentlich Anthyllis vulneraria, Hippopha&s rhamnoides und Rosa pimpinellifolia, die freilich angepflanzt im Garten nur geringe Ansprüche an Kalk machen. Im Schwemmlande Nordwestdentschlands finden sich zahlreiche Arten nur an Stellen, die etwas mehr Kalk führen, als die weitverbreiteten diluvialen und altalluvialen Sande; solche Pflanzen gedeihen auf den Inseldünen zum Teil in auffallender Menge, Dahin sind zu rechnen: Ophioglossum, Thalictrum minus, Cardamine hirsuta, Saxifraga tridactylites, Parnassia palustris, Rubus caesius, Ononis spinosa, OÖ. repens, Trifoium procum- bens und andere Leguminosen, Gentianen, Erythraeen, Orchideen usw. Viele dieser Pflanzen gelten im allgemeinen nicht als Kalk Jiebend, weil sie sich mit geringen Mengen dieses Stoffes begnügen, aber sie bedürfen doch etwas mehr davon, als ihnen in dem mageren Heidesande' zur Verfügung steht. Eine starke Vermehrung des Kalkgehaltes pflegt für (die Vegetation nicht immer von auffallender Wirkung zu sein, wenn auch die meisten Arten, welche den wirklichen Kalkbergen angepaßt erscheinen, sowohl in der nordwestdeutschen Ebene als auf den Insel- dünen fehlen. Entschieden kalkscheue Pflanzen kommen auf den ostfriesischen Inseln nur an wenigen Stellen fort. Es gehören dahin Calluna vulgaris und Empetrum nigrum; die sonst so häufige Calluna findet sich auf den Inseln in erheblicher Verbreitung fast nur in einem Teile von Wanger- 008, und hier erst seit einem halben oder dreiviertel Jahrhundert. 5. Physikalische Einwirkungen auf die Küstenflora. Die Beziehungen zwischen dem Meere und der Küstenflora werden teils durch klimatische Einflüsse, teils durch die chemischen Eigen- schaften des Seewassers vermittelt. Von Wichtigkeit ist besonders der Wind, welcher Baumwuchs nur bei wirksamem Schutze aufkommen läßt. Auf die krautigen Pflanzen scheint er kaum eine wahrnehmbare Ein- wirkung auszuüben, es sei denn, daß er bei Stürmen die empfindliche Oberhaut einiger Gewächse durch den mitgeführten mechanisch ver- letzenden Sand schädigt. Hansen (Abh. Natw. Ver. Bremen, Bd. XVIII, pag. 190) hat einen übertriebenen Wert auf die durch den Wind bewirkte Wasser entziehung gelegt. Die meisten einheimischen Pflanzen gedeihen indes sowohl im Zimmer oder im geschlossenen Glashause, als auch an luftigen Standorten im Freien ohne Schwierigkeit. Im windigen freien Lande leiden fremde und heimische Heiden während des Sommers nicht, aber Die nordwesideutsche Küstenflora. 287 die trockenere Luft der stillen Zimmer läßt sie bald zugrunde gehen; schneller noch erliegen viele Farne und Lycopodiaceen der Trocknis in Häusern. Die Wiesenflora au der Wattseite der ostfriesischen Inseln wird nicht durch Wind, sondern durch den armen Boden und besonders dureh Schafe niedrig gehalten. An der gegenüberliegenden Festlands- küste, welcher jeder Dünenschutz fehlt, fallen an vielen Stellen die Schädigungen durch Vieh weg, der Boden ist reicher, die Flora daher weit üppiger. — Die Schädigungen der Bäume und Sträucher an der See sind offenbar in erster Linie mecbanische. Durch zu starke Verdunstung verursachte Schädigung von Stauden und Sträuchern beobachtet man in hiesiger Gegend mitunter zu Anfang des Sommers, wenn nach trüben, warmen Tagen plötzlich bei trockener Luft heller Sonnenschein eintritt. Dann sieht man, auch an windstillen Orten, zur Mittagszeit Blätter und junge Triebe an den Pflanzen herab- hängen. Bei Sonnenuntergang oder doch am anderen Morgen ist der Schaden ausgeglichen und nach einigen Tagen pflegen bei anhaltender trockener Witterung die Pflanzen auch mittags frisch zu bleiben. An- scheinend passen sie sich durch Einschräukung der Verdunstung dem Wetter an. Umgekehrt welken im Frühling oder Herbste Blätter oder Zweige manchmal bei Frostwetter, welches die Wasserbewegung vom Boden her abschneidet. Durch Wind allein verursacht habe ich solches Welken nicht gesehen. Auffällige zerstörende Wirkungen kann man an der Küste durch andere, zunächst rätselhafte Ursachen hervorgebracht sehen. Sie fehlen an mehr landeinwärts gelegenen Stellen, zu deren Umgebung das See- wasser keinen Zutritt hat. Bäume und Sträucher gehen auf den Inseln manchmal an bestimmten Stellen, zuweilen auf ansehnlichen Strecken, plötzlich ohne sichtbare äußere Schädigung zugrunde. Es scheint, nach sonstigen Erfahrungen, als ob die Ursache im Zutritt von Seewasser zum Untergrunde liege. Sehr viel ist davon nicht erforderlich. Ver- gleichen kann man an der Weser das Verhalten solcher Bäume und Sträucher, welche mit Mykorrhizen versehen sind; sie gedeihen ohne Schwierigkeit an den aus dem Diluviallande kommenden Nebenflüssen ‚und Bächen. Das salzführende Weserwasser tötet sie, während es Eschen und schmalblätterige Weiden ohne Mykorrhizen vortrefflich ge- deihen läßt. An der See sind es namentlich Hippophaös sowie gepflanzte Erlen, Weiden und Kiefern, die man in der geschilderten Weise plötz- lich untergehen sieht. Eine schädigende Wirkung zeigt der Seewind am dentlichsten, wenn man die ihm ausgesetzten Bäume und Sträucher mit denen ver- 288 W. © Focke, gleicht, die schutzlos auf hohen Heidehügeln stehen und dort verhältnis- mäßig wenig leiden. Der Wind trifft sie an beiden Orten mit voller Wucht, aber er führt an der See bei genügender Stärke versprühten Salzstaub mit sich, im Innern der Heide jedoch nicht. Einige Gewächse finden sich in Nordwestdeutschland aussehließ- lich oder doch vorzugsweise an der unmitelbaren Seeküste oder auf den Inseln, sind aber keine Halophyten, bedürfen also weder Meerwasser noch Salzquellen zu ihrem Gedeihen. In einigen Fällen lassen sich klima- tische Ursachen, oder ein etwas ausgesprocheneres Kalkbedürfnis ver- muten. Derartige Küstenpflanzen sind: Thalietrum minus, Silene otites, Heliantbemum guttatum, Ononis repens, Liparis Loeselüi, Schoenus nigri- cans, Botrychii spec, Equisetam variegatum, Bryum-Arten usw. Ein besonders auffallendes örtliches Vorkommen zeigen: Cynoglossum officinale, eine Ruderalpflanze, die bis vor einigen Jahrzehnten sehr häufig in den Dünen des Ostendes Langeoog war. Dort lebten zahlreiche geschonte Kaninchen, welche die anhäkeligen Cynoglossum-Früchte in ihre unterirdischen Gänge verschleppten. Die dort abgestreiften und gewiß auch oft gelegentlich gedüngten Samen fanden auf solche Weise große Verbreitung. Nach Ausrottung der Kaninchen ist auch Cynoglossum verschwunden. Sonchus arvensis findet sich auf dem Festlande vorzugsweise auf tonreichem Lehm des Kulturlandes, ist daher häufig in den ein- gedeichten Marschen, aber gelegentlich auch am Flußufer oder hier und da auf Tonboden der Geest. Aufden ostfriesischen Inseln tritt er dagegen als eharakteristischer Dünenbewobner auf, also, wie auf dem Kultur- lande, in lockerem Bestande, aber auf Kalk führendem, tonfreien und sehr durchlässigen Quarzsande. Oenothera ammophila ist erst seit wenigen Jahrzehnten an der südöstlichen Nordseeküste aufgetreten, zeigt sich jetzt aber an be- stimmten Orten massenhaft. Sie bevorzugt auf den Inseln die Binnen- seite der Außendünen und die Hänge der nächsten Sandhöhen, manch- mal nur in einem 20 oder 30 Schritte breiten Streifen. Hier und da trifft man sie an ähnlichen, aber etwas weiter vom Außenstrande ent- fernten Stellen an, doch ist ein solches mehr zerstreutes Vorkommen meist unbeständig und verhältnismäßig nicht häufig. Im Binnenlande gedeiht die Pflanze bei lockerem Stande auf Sand ohne jede Schwierig- keit. Eine nahe verwandte, aber nicht genau übereinstimmende Oeno- tbera verhält sich im westlichen England an der Küste ebenso wie bei uns die O. ammophila. Die nordwestdeutsche Küstenflora. 289 Fast noch sonderbarer erscheint die Vorliebe von Torilis nodosa für die Binnenseite der Seedeiche an der Festlandsküste. Die Pflanze wählt gewöhnlich den mittleren Teil des Abhangs, findet sich auch hier und da an anderen Stellen in der Nachbarschaft, aber nirgends häufig und überall nur vorübergehend. Man wird unter solchen Umständen mit Erklärungsversuchen vorsichtig sein müssen. Als eine besonders charakteristische Pflanze für die Seeküste gilt Ammophila arenaria, der „Helm“ oder „Strandhafer“. In Wirklich- keit ist dies stattliche Gras weniger für die Meeresnähe als für den Flugsand bezeichnend. Es wächst häufig im Binnenlande auf Sanddünen, die noch eine lockere Pflanzendecke tragen. Künstlich hat man solche Flugsandstellen allerdings immer mehr einzuengen gesucht; auch ge- deiht der „Helm“ auf den Stranddünen im allgemeinen kräftiger als fern von der Küste. Etwas strenger sind Elymus arenarius und nament- lich Triticum juneeum an die Berührung mit dem Meere gebunden. Dentlicher als Ammophila ist Samolus Valerandi dem Salz- wasser angepaßt; ihr Auftreten ist indessen scheinbar launisch und nicht. recht zu erklären. Die Pflanze ist keineswegs häufig an der Küste, sondern findet sich nur hier und da, dann aber gesellig. Im Binnen- lande tritt sie in der Nähe von Salzvorkommen auf, aber keineswegs häufig in Gesellschaft der eigentlichen Salzpflanzen. Sie verlangt etwas freien und feuchten Grund, liebt leichte Beschattung der unteren Blätter und pflegt Lithium im Laube zu sammeln. Im allgemeinen zeigen sich die eigentlichen Küstenpflanzen an der Nordsee als wenig veränderlich, wenn man von den standörtlich be- dingten Verschiedenheiten in Größe und Wuchs, sowie von Schwankungen der Blütenfarbe, Fehlen von Strahlblüten usw. absieht. Formenreich sind indes Atriplex hastatum, Suaeda, Salicornia, Koeleria, Artemisia maritima sowie die gekreuzten Pflanzen Armeria ambifaria und Agrio- Pyrum junceum >< repens. 6. Küstenflora und Seewasser. Nach Ausscheidung der Gewächse, welche zwar mehr oder weniger ausschließlich Küstenbewohner sind, aber doch offenbar nicht des Meer- wassers bedürfen, bleiben diejenigen Arten zurück, welche wenigstens zunächst als Halophyten, wirkliche Salzpflanzen, erscheinen. Manche von ihnen treten auch im Binnenlande auf Salzboden auf, andere jedoch scheinen in ihrem Vorkommen von ganz anderen Bedingungen als vom Salz abhängig zu sein. Man hat daher auch bezweifelt, daß die Halo- phyten überhaupt mehr Salz bedürfen als andere Gewächse. Wenn Flora. Rd, itl. 19 290 WO. Focke, eine solehe Behauptung nur für das Kochsalz gelten soll, so dürfte sie allerdings im wesentlichen richtig sein. Aber die Entbehrlichkeit sämt- licher Meeressalze wird dadurch sicherlich nicht wahrscheinlicher. Manche Pflanzen verkümmern sofort, wenn man sie in gewöhnlichem salzarmen Boden anssäet. Andere gedeihen in erster Generation ganz gut, wachsen aber nicht in zweiter oder dritter, wenn man sie wieder auf demselben salzarmen Grunde heranzuziehen: versucht. Je nach ihrem Verhalten fern vom Seestrande kann man ver- schiedene Gruppen von Halophyten unterscheiden: 1. solche Arten, welche wildwachsend Küstenbewohner sind, aber als Nutz- oder Zier- pflanzen auf Gartenboden gleich anderen Kulturgewächsen gedeihen. Dahin gehören: Cochlearia officinalis, Crambe maritima, Apium graveolens, Avmeria maritima (Einfassung in Blumengärten). Vergleichsweise lassen sich auch Asparagus und Hippophaös hier anreihen, obgleich sie keine eigentlichen Halophyten sind. 2. Küstenpflanzen, die im Binnenlande an besonderen, etwas salzreicheren Standorten vorkommen. Als empfind- liches pflanzliches Reagens auf Salzvorkommen kann Seirpus maritimus dienen, der nicht nur an der Küste, sondern auch an den salzreicheren Flüssen und an etwas Salz führenden Plätzen des Binnenlandes wächst. Besonders üppig gedeiht er an der Niederweser bei einem durchschnitt- lichen Salzgehalte von etwa 1/,—!/, %, aber er begnügt sich auch mit viel geringeren Mengen. Ähnlich verhält sich Se. Tabernaemontani. Sodann ist Atropis distans ein guter Salzanzeiger, geht aber in der Nähe der Küste auch auf Düngerplätze über. Sehr geringe Ansprüche an Salz machen ferner Trifolium fragiferum und Erythraea pulchella; wahrscheinlich sind E. linaritfolia und die Küstenformen von Gentiana campestris und amarella ebenso genügsam. Nur scheinbare Halophyten sind die bereits erwähnten Dünengräser Ammophila und Elymus, welche den durchlässigen Sand der Dünen und des Strandes, die Fernhaltung aller Mitbewerber und deu vollen Licht- und Luftgenuß lieben. Sie bedürfen indessen zu gutem Gedeihen anscheinend etwas Kalk und etwas regelmäßige Feuchtigkeit im Boden. 3. Pflanzen, wie Aster Tripolium, geben sich schon dadurch als wirkliche Halophyten kund, daß sie nirgends dauernd auftreten, wo der Boden oder das Wasser nicht außergewöhnliche, wenn auch an sich geringe Mengen von Salz führen. In manchen Fällen scheinen weder Kali noch Kalk oder andere Stoffe für ihr Vorkommen wesentlich be- stimmend zu sein, während für andere Pflanzen allerdings ein besonderes Bedürfnis nach Substanzen, die das Salz begleiten, vorliegen mag. Aster findet sich an der Weser noch an Stellen, an denen kaum ein Über- Die nordwestdeutsche Küstenflora. 291 schuß von Salz nachweisbar ist; sie kehrt dann an binnenländischen Salzflecken wieder. Ähnlich verhalten sich auch Spergularia salina, . Glaux maritima, Triglochin maritima, Juncus Gerardi und Atropis distans. 4. Pflanzen des lockeren Sandes und der Dünen, wie Elymus arenarius, Agriopyrum junceum, Phleum arenarium, Salsola Kali, Honckenya, Cerastium tetrandrum, Lathyrus maritimus, Cochlearia danica, Eryngium maritimum, Cakile, Armeria.. Beachtenswert, aber schwerlich an Seewasser gebunden, ist das Dünenstiefmütterchen, Viola trieolor sabulosa, weil die ganze Formenreihe V. lutea >< tricolor >< altaica einer Prüfung durch umfassende Versuche bedarf. ö. Pflanzen des tieferen, zum Teil etwas schlickigen Bodens, wie Atropis maritima, Lepturus incurvatus, Blysmus rufus, Carex extensa, C. trinervis, C. distans, Juncus maritimus, J. balticus, J. atricapillus, J. Gerardi, Triglochin maritima, Plantago coronopus, Pl. maritima, Atri- piex littoralis, Odontites littoralis, Glaux maritima, Statice Limonium, Erythraea littoralis, Artemisia maritima, Apium, Oenanthe Lachenalii, Bupleurum tenuissimum, Cochlearia angliea (Kalipflanze), Spergularia salina, Sp. marginata, Lotus tenuis. Am Außenstrande sind verbreitet: Salicornia, Suaeda, Obione peduneulata, O. portulacoides, Agriopyrum junceum. In Wassergräben und Wattenflüßchen finden sich Batrachien, Ruppia und Zannichellia, in Meere selbst zwei Zostera-Arten. Ein Teil dieser Salzpflanzen ist durch Dickblätterigkeit ausgezeichnet, namentlich Arten der Chenopodiaceen, aber auch der Alsineen, Cruciferen, Kompositen usw. Viele andere Gewächse bedürfen indes den Schutz nicht, der durch. Wasserspeicherung geboten wird, z. B. Gramineen, Cyperaceen, Juncaceen, Umbelliferen und sonstige. Für sie sind noch keine Schutzmittel gegen Schädigung durch Salz nachgewiesen. Die einzelnen Vorgänge des Stoffwechsels in Tieren und Pflanzen sind noch viel zu wenig bekannt, um ein wirkliches Verständnis der Tatsachen zu vermitteln. Als der für den Pflanzenwuchs schädlichste Bestandteil des Meerwassers gilt bei den Landwirten das Chlormagnesium; es scheint auch bei keinem Organismus eine Speicherung dieses Stoffes stattzufinden. Das im Seewasser in äußerst geringer Menge enthaltene Jod sammelt sich in einigen Tangen beträchtlich an. Lithium findet sich in Spuren in manchen Bodenarten, aus denen es von einigen Pflanzen aufgenommen wird. Eine deutliche vorteilhafte Wirkung auf das Gedeihen solcher Gewächse ließ sich noch nicht nachweisen; etwas größere Mengen des Stoffes sind zweifellos schädlich. Anı Strande wachsen einige Lithium führende Pflanzen, doch sind diese an bestimmten 19% 392 W. 0. Focke, Stellen des Binnenlandes viel häufiger, ohne daß dort erhebliche Mengen von Kochsalz mit ihnen vorkommen. 7. Aufgaben der Forschung über die Küstenflora. Aus der vorstehenden Übersicht ergibt sich, daß wir über die chemischen Bedürfnisse der einzelnen Pflanzenarten recht wenig wissen. Was wir kennen, ist die äußere Gestalt; wir unterscheiden die einzelnen Arten nach den äußeren Merkmalen. Dagegen wissen wir nichts dar- über, weshalb von zwei ähnlichen Arten, wie z. B. Sedum acre und $. boloniense, oder Polygonum hydropiper und P. persicaria, die eine regelmäßig einen scharfen, die andere einen faden Geschmack besitzt. Wir wissen ferner, daß von zwei Pflanzenarten, die nebeneinander auf dem nämlichen Boden wachsen, die eine wie die andere besondere Bestandteile in verschiedener Menge aus dem Untergrunde aufnimmt. Nach Ursache und Zweck solcher Ungleichheiten zu fragen, ist zur Zeit aussichtsios. Man muß sich daher darüber klar werden, daß zu einer wirklichen Kenntnis des Pflanzenreichs Einsicht in die physikalischen und chemischen Vorgänge erforderlich ist, durch welche jedes Gewächs sich in seiner Eigenart entwickelt und behauptet. Linn& und seine Zeitgenossen führten in ihren floristischen Schriften bei den einzelnen Gattungen oder Arten neben den Be- schreibungen vielfach Angaben über sonstige Eigenschaften sowie über Schaden und Nutzen an. Heutzutage findet man in den systematischen Werken nur noch kurze Mitteilungen über Blütezeit und Standorte. Mag auch in Lokalfloren für Schulzwecke möglichste Kürze geboten sein, so sollte doch auf irgendeiner Stufe der floristischen Übersichten wenigstens ein gedrängter Überblick über alles, was von der besprochenen Pflanzen- art bekannt ist, geboten werden, also außer den Unterscheidungsmerkmalen Angaben über die Morphologie und die wichtigsten Lebensverhältnisse, Stoffwechsel und Bedingungen des Gedeihens (physikalische und chemische Erfordernisse, chemischer Gehalt, Fortpflanzung, Beziehungen zu anderen Pflanzen und Tieren, sowie endlich zum Menschen, also Nutzen und Schaden). Vgl. G. F. W. Meyer, Flora Hanov. exe. (1849); Abhandl. Naturw. Ver. Bremen, Bd. II, pag. 418 (1871). - Man würde dann bei jeder Pflanzenart das Wichtigste, was darüber bekannt ist, wenigstens in Literaturnachweisen gesammelt finden, während jetzt unsere Kenntnisse nicht nur lückenhaft sind, sondern auch sehr zerstreut, so daß sie sich schwer übersehen lassen. Zunächst müssen wir für die wichtigeren wilden Pflanzen ihre Be- dürfnisse an mineralischen Nährstoffen in annähernd ähnlicher Weise Die nordwestdeutsche Küstenflora. 293 kennen zu lernen suchen, wie sie für die Kulturpflanzen ermittelt sind, Vor allen anderen Stoffen werden es Salpetersäure und Ammoniak, Kalium und Phosphorsäure, dann aber auch Kalzium, Magnesium, Schwefelsäure, Chlor und Silieium sein, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen. In zweiter Linie verdienen auch solche Elemente Beachtung, welche in geringer Menge und nur bei einzelnen Arten vorkommen. Solche anscheinend nebensächlichen Bestandteile der Organismen können, wie wir im Tierreiche von Fluor, Jod und Kupfer wissen, für die Lebensverhältnisse bestimmter Klassen oder Arten von großer Bedeutung sein. In den Pflanzen werden wir zunächst auf solche Elemente achten, welche von ihnen in viel größerer Menge gesammelt werden, als sie in den zugeführten Nährflüssigkeiten vorkommen, so daß sie zurückgehalten sein müssen. In den Pflanzen werden wir zunächst an Aluminium, Lithium, Zink, Jod und Fluor denken, während die Rolle, welche Baryum, Strontiam und Blei in ihnen spielen, vermutlich eine neben- sächliche ist. Eine mühevolle, umfangreiche und praktisch zunächst wenig lohnende Aufgabe wird eine Untersuchung der festen und flüssigen Be- standteile frischer Pflanzen sein. Man wird jedoch zunächst bei den wichtigeren und eigenartig zusammengesetzten Organismen Aufschluß über die Besonderheiten ihrer Lebensverhältnisse zu gewinnen suchen, wird daher erst nach und nach einen tieferen Einblick in die chemische Werkstätte der einzelnen Arten erhalten. Dazu genügt eine Aschen- analyse natürlich durchaus nicht. Es handelt sich darum zu wissen, in welchen Verbindungen die Mineralstoffe in den lebenden Pflanzen vorhanden sind, sowie welche Umsetzungen in ihrer Wanderung durch die Organismen vor sich gehen. Es ist nicht unmöglich, daß derartige Untersuchungen auch für solehe Fragen von Bedeutung werden, die bisher besonders eifrige Forschungen veranlaßten. Die äußeren Änderungen der Gestalt, die wir bisher zu erforschen suchten, werden anscheinend mitunter, viel- leicht aber gar nicht selten, durch innere Lebensvorgänge bedingt. Eine planmäßige Ermittelung der wirklichen Ursachen, die den Ver- schiedenheiten der so überaus reichhaltigen Pflanzenwelt zugrunde liegen, ist daher eine bedeutungsvolle Aufgabe der Zukunft. Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. Ein Beitrag zur Entwieklungsmechanik des Farnwedels. Von K. Giesenhagen, München. (Mit 6 Abbildungen im Text.) Gegen das Ende meiner Tropenreise in den Jahren 1899/1900, die mich nach Java und Sumatra geführt hatte, fand ich Gelegenheit, der Insel Ceylon einen vierwöchentlichen Besuch abzustatten. Neben den allgemeineren Fragen, die zum Teil in meiner Monographie „Die Farngattung Niphobolus“!) verarbeitet worden sind, zum Teil noch der eingehenderen Behandlung harren, hatte ich mir für den Besuch der Insel die Erforschung einiger spezieller Fragen zur Aufgabe gestellt, die mir bei früheren Arbeiten aufgestoßen waren oder sich aus dem Studium der Literatur ergeben hatten. Die kurze Dauer des Aufent- haltes gestattete freilich nicht das Arbeitsprogramm in allen Punkten zu erledigen; immerhin gelang es mir auf zahlreichen Ausflügen in die verschiedenen Vegetationsgebiete der interessanten Insel einige der seltenen Pflanzen, deren ich für meine Arbeit bedurfte, an ihren oft weit entlegenen Standorten aufzufinden und das nötige Material einzu- sammeln. So konnte ich von einer Tour in das Zentralgebirge die eigentümlichen Hexenbesen an Pteris quadriaurita, deren Verursacher ich bereits im Jahre 1892?) an unvollständigem Herbarmaterial unter- sucht und als Taphrina Laurencia beschrieben hatte, in größeren Mengen und in allen Entwicklungsstadien heimbringen und daran gegenüber den Einwänden Sadebecks den einwandfreien Nachweis erbringen, daß der von mir beschriebene Pilz auf Pteris quadriaurita in der Tat ein Askonyzet aus der Gruppe der Exoasceen ist). Über einen weiteren derartigen Einzelfund sollen die nachfolgenden Zeilen berichten. In seinen Species filicum gibt Hocker bei der Beschreibung von Pteris quadriaurita“) in einer langen Anmerkung eine Übersicht der ihm zu Gesicht gekommenen Formen und Unterarten. Darunter findet 1) Giesenhagen, Die Farngattung Niphobolus. Jena 1901. 2) Flora, Ergänzungsband 1892, pag. 130. 3) Giesenhagen, Taphrina, Exoascus und Magnusiella. Bot. Zeitung 1901, pag. 127, 4) a. a. 0. Vol. II, pag. 180. Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon, 295 sich auch eine merkwürdig variabele Pflanze von Ceylon, die er mit folgenden Worten schildert: From Ceylon we have received, both from Gardner, n. 1133, and from Mrs. Gen. Walker, a remarkable abnormal state of this species, having only the middle of tie pinnae pinnatifid, and this in a very irregular and unequal manner, the segments beco- ming coufluent into a tail-like point, and below confluent and more or less decur- rent to the base. Auf die gleiche Abnormität weist auch Thwaites in seiner Enumeratio plantarum zeylaniae?) hin, indem er bei der Erwähnung von Pteris quadriaurita bemerkt: Et forma ludens; pinnulis plus "minus irregularibus, alis elongatis aliis abbreviatis vel ab- ortivis. In einem An- hang zu seiner Auf- zählung?) kommt Thwaites noch ein- mal auf diese Be- merkung zurück, in- dem er schreibt: „Pteris quadri- ig. 1. Pteris Otaria Bedd. Auf '/, verkleinerte Kopie "is nich Beddome, Ferns of South. Ind., t. XLL aurita, Retz“ Post „abortivis insere: P. Otaria, Bedd ome, Ferns of South. Ind. t. XLI. An hybrida inter P. quadriauritam Retz., et ere- natam Sw.? 1) a. a. O. pag. 386. 2) pag. 438. 296 K. Giesenhagen, Die Enumeratio plantarum zeylaniae von Thwaites ist in den Jahren 1858— 1864 erschienen. Das in der zweiten Anmerkung von Thwaites zitierte Werk Beddomes wurde in den Jahren 1863— 1864 veröffentlicht. Die beiden Publikationen liefen also zeitweilig nebeneinander her, und so war es möglich, daß die beiden Autoren wechselseitig aufeinander Fig. 2. Pteri Otaria (?), Auf '/, verkleinerte Kopie nach Beddome, Ferns of South. Ind., t. CCXIX. bezug nehmen konnten. Beddome kommt nämlich auch zweimal auf seine Pteris Otaria zu sprechen und gibt auch zwei verschiedene Abbildungen, die sich auf diese Art beziehen. Zu seiner Abbildung Nr. XLI, deren Hauptfigur in der umstehenden Textfig. 1 auf die Hälfte verkleinert reproduziert ist, schreibt er auf pag. 13: Pteris Bi Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 2397 Otaria(Beddome) Caudex short erect, frond oblong, coriaceo-membranaceous, below glabrous, above furnished with a few hairs on the costa, pinnate, pinnae 5—6 pairs, the upper pair generally .undivided, the others irre- gularly pinnatifid about the centre, the apex prolonged into a long tail-like acumination, individed at the base, but there furnished with a long tail-like segment, wich is obsolete in the upper pinnae and gradually larger in tbe lower ones, and pinnatifid in the lowest pair, sterile apex of the pinnae and pinnules serrated. Slopes below Puntaloor Wynad (Malabar). Die zweite Abbildung, auf die Hälfte verkleinert wiedergegeben in der nebenstehenden Textfig. 2, findet sich bi Beddome auf Taf. CCXIX und ist auf pag. 73 beschrieben. Es heißt dort: Plate No. CCXIX is a curious Pteris forwarded from Ceylon by Mr. T. W. Beckett. It is, I belive, a variety of my Pt. Otaria, and seems intermediate between Pteris Otaria and Pt. crenata-it is, I belive Pt. quadri-aurita var. Judens of Mr. Thwaites’ enumeration (C. P. 1351 and 3060) and Mr. Thwaites suggests that it may be a hybrid. Ich glaube annehmen zu können, daß Beddome die von Thwaites als Pteris quadriaurita var. Iudens bezeichnete Form als Vorlage für seine Taf. CCXIX benutzt hat. Aber wahrscheinlich hatte er durch Beckett nur einen oder zwei ähnliche Wedel zugesandt erhalten. Wenn er den ganzen Formenkreis der Varietät gekannt hätte, würde er sich wohl nicht mit der einen Figur und der kurzen Notiz begnügt haben. Ebenso dürfte Thwaites die Pteris Otaria Beddomes wohl nur aus der Abbildung Beddomes gekannt haben. Immerhin bleibt es auffällig, daß er seine interessante Pflanze einfach mit Pteris Otaria identifiziert. Man möchte fast annehmen, daß Thwaites 1864 auch erst wenige Wedel der Forma ludens gesehen und die Eigenart der- selben noch nicht erkannt hatte. Später hat Thwaites aber sicher den ganzen Formenkreis aus eigener Anschauung gekannt; denn 1874 schreibt Baker!)}: Mr. Thwaites sends from Ceylon a series of remarkable abnormal forms passing down gradually into a plant with narrow linear pinnae, the lowest with only two smaller similar pinnules on the lower side. Beddome blieb aber auch später noch, als er die wunderbare Variabilität der Forma ludens kannte, bei der Ansicht, daß seine Pteris Otaria dazu gehöre. 1883?) beschreibt er die Var. ludens 1) Hooker and Baker, Synopsis filicum 1874, II. Ed. pag. 158. 2) Beddome, Ferns of brit. India. 298 K. Giesenhagen, der Pteris quadriaurita mit folgenden Worten: „Pinnules verry abnor- mally cut, sometimes only with a waved margin for the greater length, then developing normal segments, then again narrowing into only the waved margin. Bedd. F. S. I. tabs. 41 and 219 (under Otaria). Malabar, Quilon ; Ceylon.“ Daß der von Beddome auf Taf. XLI abgebildete Farn in den Variationsbezirk der forma ludens fällt, oder was dasselbe bedeutet, daß einzelne Wedel von der Forma ludens die morphologischen Eigen- tümlichkeiten aufweisen, welche an Beddomes Figur auf Taf. XLI erkennbar sind und welche in seiner Diagnose der Pteris Otaria zu- geschrieben werden, ist unverkennbar. Ob aber der Pteris Otaria, deren Vorkommen von verschiedenen Punkten im südlichsten Vorderindien angegeben wird, die gleiche Mannigfaltigkeit in der Ausgestaltung der einzelnen Wedel zukommt wie der Forma ludens ist fraglich; jedenfalls erwähnt Beddome diese auffällige Tatsache nirgends. Es scheint deshalb geraten, die von Beddome in seinen Ferns of southern India auf pag. 13 beschriebene und auf Taf. XLI abgebildete Pflanze von Mala- bar zunächst als eigene Varietät von Pteris biaurita L.(—=P. quadriaurita Retz.) weiter bestehen zu lassen und die Bezeichnung „forma ludens“ auf die Pflanze von Ceylon zu beschränken, von welcher Thwaites die von Baker erwähnte „series of remarkable forms passing down gradualiy into a plant with narrow linear pinnae, the lowest with only two smaller similar pinnules on the lower side“ nach Kew gesandt. hat. Zu dieser forma ludens gehört dann allerdings wohl auch der von Beddome, a. a. O. auf Taf. CCXIX abgebildete und mit der Bezeich- nung P. Otaria? versehene, aus Ceylon stammende Wedel. Man darf daraus aber nicht schließen wollen, daß diese, meines Wissens, einzige Abbildung von Pteris biaurita f. ludens in der eng- lischen Farnliteratur eine charakteristische Vorstellung von der Pflanze geben kann. Sie stellt eben nur einen einzigen Wedel dar, neben dem vielleicht an demselben Rhizom fünf oder sechs oder noch mehr Wedel von gänzlich anderer Form gestanden haben. Es ist überhaupt nicht leicht, durch eine bildliche Darstellung eine richtige Anschauung von der seltsamen Pflanze zu vermitteln. Bevor ich an den Versuch gehe, habe ich zu erörtern, welches Material mir zum Studium der Form zur Verfügung steht. Als ich mich in den 90er Jahren mit den durch Taphrina Laurencia verursachten Hexenbesen an Pteris biaurita beschäftigte, war ich durch die oben mitgeteilten Anmerkungen in Hookers Spee. fil. und in Bakers Syn. fil. auf die variabele Form von Pteris biaurita aufmerksam Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 299 geworden, weil ich nach den Angaben der beiden Autoren bei ihr Auf- klärung über die abnorme Gestaltung der Wedel in den Hexenbesen glaubte erwarten zu dürfen. Geeignetes Untersuchungsmaterial war aber damals für mich unerreichbar. Ich mußte mich mit der Hoffnung trösten, vielleicht später bei einem Besuch in Kew die Serie von Thwaites studieren zu können. Früber als ich erwarten konnte, wurde mir durch die Verleihung des deutschen Buitenzorg-Stipendiums die Möglichkeit gewährt die Pflanze lebend an ihrem Standort in Ceylon aufzusuchen. Als ich im Frühjahr 1900 nach einem längeren Aufent- halt in Buitenzorg und nach mehrmonatlichen zum Teil etwas abenteuer- lichen Kreuz- und Querzügen durch Sumatra nach Ceylon kam, suchte ich zunächst bei den dortigen Botanikern Erkundigungen über den Standort des Farns einzuziehen, hatte aber damit keinen Erfolg. Schließlich fand ich in dem Herbarium des botanischen ‚Gartens in Peradenia einen Hinweis, der mich auf die rechte Spur leitete. Nachdem ich mehrere Wochen mit Studien in dem botanischen Garten in Peradenia, mit dem Besuch von Tee- und Kakaopflanzungen und mit Forschungsreisen in das Zentralgebirge und in das Gebiet der Patanas verbracht hatte, kam ich endlich am 25. März in der letzten Woche meines Aufenthaltes auf Ceylon dazu, einen Ausflug zur Aufsuchung des Standortes der Pteris biaurita f. Iudens zu unternehmen und hatte das Glück, nahe bei der alten Königsstadt Kandy unweit der als Lady Macarthys Road bezeich- neten Landstraße in einem lichten Walde das Gesuchte zu finden. Auf einem Raum von wenigen hundert Quadratmetern standen zahlreiche Exemplare verschiedenen Alters, von denen ich reichliches Material ein- sammeln konnte, ohne die interessante Vegetation zu beeinträchtigen oder gar in ihrem Bestande zu bedrohen. Ich habe im ganzen 27 Wedel an Ort und Stelle eingelegt und auch ein ganzes Exemplar lebend mit- genommen, um es in der Heimat zu kultivieren und daran die Ent- wicklung der abnormen Wedelformen zu beobachten. Leider ist es nicht gelungen, die durch die lange Reise geschädigte Pflanze längere Zeit am Leben zu erhalten, so daß ich mit, meinen Untersuchungen auf das getroeknete Material angewiesen bin. Die in meiner Sammlung vorhandenen Wedel, welche ich von einigen wenigen Exemplaren zusammengesucht habe, können leicht, wie seinerzeit schon Thwaites getan hat, in einer Serie angeordnet werden, in welcher die extremsten Formen durch sanft abgestumpfte Übergänge miteinander verknüpft sind. Um die bildliche Darstellung auf dem Raum einer Druckseite unterbringen zu können, habe ich die Herbar- blätter willkürlich io neun Gruppen eingeteilt, von denen die extremen 300 K. Giesenhagen, Formen mit A und B bezeichnet, die Zwischenformen mit I bis 7 nummeriert sind. In der nebenstehenden Textfig. 3 ist von jeder Gruppe Fig. 3. Serie von neun Wedeln von Pteris biaurita L. forma ludens . A entspricht der normalen Pt. biaurita, B ist die extremste Abweichung ganz ohne Fieder- abschnitte an den Fiedern. I—7 sind stufenweise verschiedene Zwischenformen zwischen A und B. Alle Figuren sind auf ';, verkleinert. Über einen seltsamen Farn der Flora von Caylon. 301 ein Wedel mit der angegebenen Bezeichnung auf 1/9 verkleinert photo- graphisch dargestellt. A ist ein Wedel von der typischen Gestalt der Pteris biaurita. Ich verstehe dabei mit Ohristensen (Index filieum) unter Pteris biaurita den ganzen Formenkreis, den die englischen Farnsystematiker ihrem Schema zu Liebe auf die beiden Arten Pt. quadriaurita Retz. und Pt. biaurita L. verteilen. Will man die Trennung beibehalten, welche sich auf das Vorkommen einer geschlossenen Nervenmasche am Grunde der Fiederchen (bei biaurita im Sinne der Eingländer) stützt, so würde der Wedel A zu Pt. quadriaurita Retz’ zu stellen sein. Auch die übrigen acht in der Figur dargestellten Repräsentanten der Serie und die nicht mit abgebildeten Wedel zeigen sich in vielen Punkten in Übereinstimmung mit den Angaben der englischen Diagnose von Pteris quadriaurita Retz., wie eine vergleichende Betrachtung ihrer wesentlichen Züge ergeben wird. Von einigen wenigen Wedeln, welche noch die Jugendform aufweisen, sehe ich dabei selbstverständlich ab. Der Wedelstiel ist, wo er in seiner ganzen Länge erhalten ist, von der Basis bis zum ersten Fiederchen gemessen 24 bis 38 em lang; er ist aufrecht, kahl, nur am Grunde gelegentlich mit ganz vereinzelten Schuppen besetzt, hellgelblich, nach unten bisweilen etwas dunkler “ werdend. In der englischen Diagnose in Hooker-Baker Syn. il. heißt es von ihm: st. 1—2 ft. L; strong, ereet, naked or slighly seabrous, straw coloured or brownish. Die Wedelfläche mißt von der untersten Seitenfieder bis zur Spitze der Endfieder 15 bis über 30 cm. Die größte Breite des Gesamtumrisses beträgt etwa ebensoviel. Die der Endfieder ähnlichen Seitenfiedern stehen in 5 bis 11 Paaren. Der Zwischenraum zwischen den Ansatzstellen der beiden untersten Fiederpaare beträgt 30 bis 45 em selten darüber. Die Seitenfiedern des untersten Paares, welche am längsten sind (bis zu 18 cm), tragen in der Regel nahe ihrer Basis einen nach abwärts gerichteten, ähnlichen aber etwas kleineren Gabelast. Selten folgt noch ein zweiter und selbst dichter ähnlicher Gabelast in abnehmender Größe an der Basalfieder; häufiger tritt ein solcher Gabel- ast auch bei den nächst höheren Seitenfiederpaaren auf. Bakers Diagnose beschreibt diese Gestaltverhältnisse der Wedel- fläche folgendermaßen: f. 6 in. to 2 or 8 ft. L, 4 im. to ft. or more br. with a terminal central pinna — — and below this several similar pinnae on both sides, wich are 6-12 in. or more l. — — the lowest 1—2 in. apart at the base, usually again comıpound, with 302 K. Gissenhagen, one or two similar but smaller pinnul. branching from them at the base on.the lower side, Bezüglich der Textur, der Nervatur und der Sori entsprechen die Wedel genau der Diagnose Baker’s: texture subcoriaceous; rachis and both surfaces naked; veins conspicuous, usually once forked, 1 lin. to ?/, in. apart at the base; sori often continuous along the whole margin of the segments. Die Wedel der forma ludens fallen demnach in allen bisher betrachteten Punkten ganz in den Rahmen der für Pteris biaurita L. (Christensen) gültigen Diagnose. Wenn man die englischen Maße 1 foot = ca. 30 cm, 1 inch—=ca. 2% em, 1 line = ca. 2 mm) mit den von mir angegebenen vergleicht, so ergibt sich, daß die forma Judens zu den minderstattlichen Rassen der Pt. biaurita gehört, während sonst auf Oeylon größere Varietäten mit armlangen Wedelflächen und darüber weiteste Verbreitung besitzen. . Auch hinsichtlich der Zwischen- räume zwischen den Ansatzstellen der äußersten Nervenverzweigungen weisen die englischen Maßangaben für die f. ludens einen zu großen Durchschnitt auf. Die Merkmale der forma iudens. welehe sich nicht oder doch nicht bei allen Wedeln der Diagnose Bakers fügen, beziehen sich aus- schließlich auf die Gestalt der Endfieder und der ihr ähnlichen Seiten- fiedern Es heißt dort: — a terminal eentral pinna cut down nearly to the rachis inte numerous close parallel linear oblong lobes %—1 in. 1. 2—3 lin. br., the barren ones entire or slightly serrated. Die Breite der Fiedern wird mit 1—2 inches (—=2%, bis 5 em) angegeben. Diese Angaben treffen nur für die Wedel der Gruppe A zu. Bei 1 endet jede Fieder in eine kaum 5 mm breite zum Ende hin allmählich verschmälerte Spitze mit ungeteiltem höchstens schwach und undeutlich gekerbtem oder gezähntem Laminarsaum und die Fieder- abschnitte nehmen gegen die Basis hin an Länge ab, während bei der typischen Pteris biaurita die Breite der Fiedern in der unteren Hälfte ziemlich gleichbleibt. Bei den Fiedern der Gruppe 2 tritt auch an der Basis der Fiedern ein schmaler ungeteilter Laminarsaum auf, wäh- rend die mittlere Partie der Fiedern noch die 2%, bis 4 em breite fiederspaltige Laminarfläche besitzt. Bei den folgenden Gruppen tritt die mittlere breite fiederspaltige Fläche gegenüber den schmäleren Teilen an Basis und Spitze der Fiedern schrittweise immer mehr zurück. Bei Gruppe 5 und 6 wird der breitere Teil nur noch durch vereinzelte unregelmäßige Fiederchen angedeutet; an einzelnen oberen Fiedern der Wedel fehlen die Fiederchen ganz. Das Exemplar, welches die Gruppe 7 Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 303 vertritt, zeigt noch ganz vereinzelt ein Fiederchen an einer der unteren Fiedern, der Gruppe B fehlen sie völlig, so daß die Fiedern in ihrer ganzen Länge nur die schmalen ungeteilten Laminarsäume tragen. Um eine Vorstellung davon zu geben, wie allmählich die Über- gänge von den breiten fiederspaltigen Fiedern der Gruppe A zu den schmalen ungeteilten Fiedern der Gruppe B hinüberführen, und um die Gesetzmäßigkeit dieser Erscheinung erläutern zu können, verweise ich auf die Textfig. 4, in welcher eine Serie von Fiedern in naturgetreuen Umrißbildern auf zwei Dritte] verkleinert dargestellt sind, Die einzelnen Bilder sind nach mittleren Seitenfiedern der verschiedenen Wedelgruppen meiner Serie gezeichnet, wobei ich hauptsächlich darauf Rücksicht ge- nommen habe, daß annähernd gleich große Fiedern zur Vergleichung herangezogen wurden. Die meisten Fiedern stammen von der rechten Hälfte des mit der sorustragenden Seite nach oben liegenden Wedels. Wo Fiedern der anderen Wedelhälfte benutzt wurden, sind sie des leichteren Vergleiches halber von der Blattoberseite aus dargestellt, so daß sie wie die übrigen ihre Spitze nach rechts wenden. Die gegen die Wedelbasis gewendete Hälfte der Fiedern ist also bei allen 10 Bildern übereinstimmend nach abwärts gerichtet. Nur die Fig. 4i stellt keine Seitenfieder der Rachis dar, sondern den Gabelast einer untersten Seitenfieder. Dieser Ersatz erscheint aber durchaus unbedenklich ein- mal, weil im allgemeinen der Gabelast der untersten Seitenfieder sich morphologisch genau wie eine höherstehende Seitenfieder der Rachis ver- hält und weiter, weil der Übergang zwischen den Fiedergestalten h und k auch ohne das Zwischenglied angesiehts der vorangehenden Serie keine Schwierigkeit bilden würde. Überblickt man die gezeichnete Fiederserie, so ergeben sich einige Regeln, die auch bei der Vergleichung des Gesamtmaterials ihre Be- stätigung finden: Die seitlichen Fiederabschnitte, welche bei der nor- malen Pt. biaurita von der Basis an gleichmäßig an beiden Seiten der Wedelfiedern auftreten und gegen die gezähnte Spitze hin an Größe ganz allmählich abnehmen, werden zuerst an der Spitze und an der Basis unterdrückt, während in der Mitte der Fiedern zunächst noch beiderseits je eine geschlossene Gruppe von Fiederabschnitten übrig bleibt. An Stelle der unterdrückten Fiederabscehnitte tritt ein schmaler gleichmäßiger, bisweilen am Rande gekerbter Laminarsaum. Die Gruppen der Fiederabschnitte verarmen dann allmählich mehr und mehr, bis zuletzt die ganze Seitenfieder nur noch aus der beiderseits von einem schmalen Flügelsaum begleiteten Mittelrippe besteht. Die beiden Hälften der einzelnen Seitenfieder verhalten sich dabei ziemlich gleichmäßig, 304 K. Giesenhagen, nur scheint die Unterdrückung der seitlichen Fiederabschnitte in der . apikalen Längshälfte schneller fortzuschreiten als in den basalen. Seiten- tiedern, die wie die in Fig. 4i gezeichnete nur noch einen oder einige Fig. 4 Serie von Wedefiedern der Pteris biaurita f. Judens. Mit allen Übergängen von der Normalform «a bis zur extremsten Ab- weichung #. Fiederabschnitte in der ba- salen Hälfte aufweisen, wäh- rend die apikale Hälfte der- selben gänzlich entbehrt, finden sich mehrfach; dagegen ist der umgekehrte Fall in meinem Material nicht ver- treten. Wenn wir die aus. der Vergleichung einer Seiten- fieder abgeleiteten Gesetz- mäßigkeiten an dem Gesamt- material prüfen, so läßt sich weiter konstatieren, daß die Seitenfiedern des gleichen Wedels um so weiter von der normalen Gestalt der Pt. biaurita abweichen, je näher sie der Wedelspitze stehen. Die zentrale Eindfieder ver- hält sich in dieser Beziehung wie eine mittlere Seitenfie- der, doch mit dem Unter- schied, daß ihre beiden Längs- hälften symmetrisch gestaltet sind. Die Ausbildung von Gabelästen an den unteren Seitenfiedern wird durch die Verarmung der Laubentwick- lung nicht beinträchtigt. Es scheint vielmehr, als ob die Befähigung zur Ausbildung von Gabelästen an den unteren Seitenfiedern bei den Formen, bei denen die Fiederabschnitte an den Seitenfiedern mehr oder weniger unterdrückt sind, bisweilen gesteigert ist. Bei den in Fig. 3 abgebildeten Exemplaren der Gruppen 4, 6 und 7 treten die Gabeläste an den drei untersten Fiederpaaren auf; das dort + men Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylen. 305 abgebildete Exemplar der Gruppe 5 zeigt die Gabeläste sogar in der rechten Wedelhälfte an 6, in der linken an 5 unteren Seitenfiedern, Hier treten beim untersten Fiederpaar sogar auch an der apikalen Seite Gabeläste auf., Der Wedel der Gruppe B hat aber die Gabeläste wieder nur an zwei Fiederpaaren, ein Verhalten, das in den meisten Gruppen, auch bei A und I an einzelnen Exemplaren der Gruppen wiederkehrt. Wir können demnach aus den bisherigen Beobachtungen den Satz ableiten: Die Verzweigung der Wedelfläche hält sich im allgemeinen bei den Wedeln der forma ludens innerhalb der Grenzen, welche der Diagnose der Gattung Pteris biaurita entsprechen. Abweichend und wechselnd ist lediglich die Ausbildung der Laubfläche an den Fiedern. Wenn nun die Frage aufgeworfen wird, welche Ursachen die ver- schiedenartige Ausgestaltung der Laubfläche der Wedelfiedern bedingen, so können äußere und innere Faktoren in Betracht gezogen werden. Zunächst liegt die Vermutung nahe, daß wechselnde äußere Verhältnisse die Gestalt der Wedel beeinflussen könnten. Wir wissen, daß bei gewissen Gefäßpflanzen das Blattgewebe anders ausfällt, je nachdem sie am salzhaltigen Meeresstrande oder in salzfreiem Boden wachsen, daß manche Arten verschieden gestaltete Lieht- und Schattenblätter bilden, daß unter dem wechselnden Einfluß der Beleuchtung neben chasmogamen auch kleistogame Blüten .an derselben Pflanze auftreten können, daß bei Wassergewächsen der Einfluß der verschiedenen Medien zur Aus- bildung verschieden geformter Tauchblätter, Schwimmblätter und Luft- blätter führen kann, daß die Unterschiede in der Luftfeuchtigkeit aus Blattrosetten an gestauchter Achse langgliederige Sprosse mit veränderter Blattform, aus bedornten Blättern unbewehrte entstehen lassen können. Ähnlich könnten ja wohl auch wechselnde äußere Umstände die Blatt- gestalt der Pieris beeinflussen und zum Anstoß werden für den Form- wechsel der Wedel an derselben Pflanze. Aber die Verhältnisse am "Standort der Pteris biaurita Iudens und die Art der Verteilung der verschieden gestalteten Wedel ’an den Pflanzen bieten für diese Auf- fassung keine Stütze. Da sich die verschieden gestalteten Wedel auf kleinem Raum nebeneinander in derselben Vegetationsperiode entwickeln, können wechselnde Einflüsse vom Boden aus oder durch Beleuchtungs-, Luftwärme- oder Feuchtigkeitsverhältnisse nicht zur Klärung heran- gezogen werden. Demnach müssen wir die Variabilität der Wedel auf innere Ursachen zurückzuführen suchen. Thwaites hat in seiner Enumeratio plantarum zeylaniae die Ver- mutung ausgesprochen, die forma ludens möchte ein Bastard zwischen Flora. Ba.ı. 20 306 K. Giesenhagen, Pteris quadriaurita Retz. und Pt. crenata Sw. sein. Was ihn dazu ver- anlaßte, war wohl der Umstand, daß die extremsten der Gruppe 7 und B unserer Abbildung Fig. 3 angehörigen Wedelformen in ihrer Gesamt- gestalt an die fertilen Wedel von Pt. erenata Sw, erinnern. Einer näheren Untersuchung hält aber diese Formähnlichkeit nicht stand. Pt. crenata hat nach den Diagnosen bei Hooker, Baker und Christ nur 2 bis 4 Paare von Seitenfiedern, während die forma iudens 6 und mehr und gerade bei den schmal gefiederten Formen meist 3 bis 11 Seitenfiederpaare aufweist. Ferner ist Pt. erenata Sw. entschieden dimorph. Die sterilen Wedel der Pt. crenata haben eine verbreiterte herablaufende Endfieder, auch die oberen Seitenfiedern ziehen sich an der Rachis herab. Von den unteren Seitenfiedern schreibt Baker: the lower ones subdeltoid, cut down to the rachis below into 2 to 6 obovato-oblong sharply-toothed pinnules, wich are ofter ®/, or even Y, in. br. Christ sagt darüber: Fiedern der sterilen Blätter herablaufend, unten deltoid, kurz in mehrere, eiförmige stumpfe Segmente geteilt, stark gezähnt. — Bei Pieris biaurita f. Iudens aber sind die sterilen Wedel den fertilen an Gestalt gleich. Die Endfiedern sind stets scharf und deutlich gegen die gänzlich ungeflügelte Rachis abgesetzt und die Gestalt der unteren Fiedern ist weder als deltoid noch als subdeltoid zu bezeichnen, abgesehen davon, daß ihre Gabeläste bei den Formen chne Fiederchen, gleichviel ob fertil oder steril, stets lang zugespitzt und kaum bis zu 5 mm breit sind. Der Modus der Verzweigung der Wedelfläche entspricht eben, wie oben gezeigt wurde, auch bei den extremsten Wedeln der forma ludens bis auf die Ausbildung des Laminarsaumes der Fiedern der Diagnose von Pf. biaurita und das wechselnde Verhalten des Laminarsaumes variiert nicht in der Richtung zu verbreiterten, stumpfen, herablaufenden Saumlappen, wie sie der Pt. erenata eigen sind. j Es ist auch an sich nicht wahrscheinlich, daß die verschiedene Ausgestaltung der Wedel an einer und derselben Pflanze die Folge einer Mischung des Erbgutes zweier Arten ist. Die Faktorenanalyse würde ja in einem solchen Falle mit einer wiederholten Änderung des Erbgutes von Wedel zu Wedel, ja von Fieder zu Fieder zu rechnen haben, was kaum den Anschauungen der modernen Genetiker entspricht. Man müßte wohl au eine immer wiederholte Knospenvariation denken, die jedem Wedel, jeder Seitenfieder ein besonderes spezifisches Erbgut vermittelte. Und auch damit wäre noch nicht geholfen, denn wie gezeigt wurde, herrscht bei den Seitenfiedern der Zwischenformen die Gesetz- mäßigkeit, daß die Verarmung der Seitenfiedern an seitlichen Fieder- a nn nn Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon, 307 abschnitten von unten nach oben fortschreitet. Die Knospenvariation dürfte also nicht, wie wir sie sonst auftreten sehen, eine zufällige sein, sondern in gesetzmäßigen Abstufungen gegen di6 Wedelspitze fort- schreiten. Mit einer solchen an sich schon gezwungenen Erklärung würde es aber nicht in Einklang zu bringen sein, wenn wie z. B. bei dem in- Fig. 3 als Nr.4 abgebildeten Wedel nach der Entstehung einer letzten schmalen Seitenfieder, die ganz ohne seitliche Fiederabsehnitte bleibt, wieder eine Endfieder angelegt wird, die jederseits fünf wohlaus- gebildete Fiederlappen trägt. ’ Die Annahme, daß die Vielgestaltigkeit der Wedelformen auf genetische Faktoren zurückzuführen sei, hat demnach keine Wahr- scheinlichkeit für sich. Nachdem ich lange Zeit an der Auffassung festgehalten hatte, daß die forma ludens ein Bastard sei, hat die sorg- fällige Analyse ihrer Eigentümlichkeiten mich überzeugt, daß kein zwingender Grund dafür vorliegt, die Form als heterozygot zu betrachten. Auf keinen Fall ist das wechselnde Verhalten der einzeinen Wedel ausschließlich durch eine Bastardierung zu erklären. Zu einer spezi- fischen regulatorischen Eigenschaft, welche allenfalls das Resultat einer Erbgutmischung sein könnte, mtißten immer noch wechselnde äußere oder innere Faktoren hinzutreten, um die Vielgestaltigkeit der Wedel an derselben Pflanze erklärlich zu machen und auf diese wechselnden Faktoren, nicht auf die gleichmäßig wirkende ererbte Voraussetzung ihrer Wirksamkeit, würde meines Erachtens bei der ‚entwicklungs- mechanischen Erklärung des Verhaltens der einzelnen Wedel haupt- sächlich Gewicht zu legen sein. Wenn wir unier den Formen Umschau halten nach Arten, bei denen unabhängig von äußeren Umständen verschiedene Wedelformen auftreten können, so zeigt sich, daß ganz allgemein bei den mit reicher verzweigten Wedelformen ausgestalteter Formen einfachere Jugendblätter gebildet werden. Das gilt auch für Pteris biaurita Goebel?) hat den Nachweis geliefert, daß die Jugendblattform eine Hemmungsbildung ist, daß ihre Anlage den gleichen Entwicklungsgang einschlägt wie die Folgeblätter, aber auf einer früheren Entwicklungsstufe stehen bleibt. Er hat auch. gezeigt, daß solche Jugendblattformen auch an der er- wachsenen Pflanze wieder auftreten können, wenn die Ernährung der Blattanlagen während ihrer Entfaltung unter das normale Maß herab- " sinkt. Es gelang ihm, diesen Rückschlag auf die Jngendform experi- 1) Goebel, Jugendformen von Pflanzen und deren künstliche Wiederhervor- rufung. Sitzungsber. der math.-phys. Klasse der kgl. bayer. Akad. der Wissensch. 1896, Bd. XXVI, Heft III. 20* 308 K. Giesenhagen, mentell zu erzwingen, indem er durch ungünstige Außenbedingungen eine Schwächung der Versuchspflanzen hervorrief und damit einen Mangel an den Baustoffen, welche für die normale Ausbildung der Blätter die Voraussetzung bilden. Wenn also die Jugendform der Pteris biaurita dem Typus B unserer Serie in Fig. 3 entspräche, so würden sich die verschiedenen Wedelformen wohl als Rückschläge gegen die Jugendblattgestalt erklären lassen, wobei freilich der Umstand, daß (lie vom normalen Wedel am wei- testen abweichenden Wedel- typen an Größe hinter ihnen nicht zurückstehen und wie jene reichlich fruktifizieren können, eine gewisse Schwie- rigkeit bieten würde. Aber dieser Erklärungsversuch wird schon dadurch hinfällig. daß die Voraussetzung nicht zu- trifft. Die Jugendform der Pteris biaurita f. ludens zeigt die Gestaltverhältnisse der normalen Wedel. Ich habe bei meinem Besuch des Stand- ortes auch ein junges Exem- plar beobachtet und einen Wedel, der noch die Jugend- form zeigte, eingesammelt. Seine Laubfläche ist in Fig. 5 nach einem Naturselbstab- druck in natürlicher Größe Fig. 5. Jugendform des Wedels von Pteris dargestellt. Der die Laub- hiaurita Iudens, nach Naturseibstdruck in natür- licher Größe. fläche an Länge übertreffende Wedelstiel ist der Raum- ersparnis wegen weggelassen. Leider ist das Exemplar nicht in allen Teilen vollständig, wie überhaupt manche der Wedel in meinem Material Verstümmelungen aufweisen. Das hängt damit zusammen, daß mein Besuch auf Ceylon in die letzte Zeit der Trockenperiode fiel, die Wedel also schon fast ein Jahr alt und den mancherlei Gefahren der ganzen Zeit der Dürre ausgesetzt gewesen waren. Aber man ersieht doch an der Fig. 5 ohne weiteres, daß die Endfieder wie die Seitenfiedern der Jugendform bis zu dem verschmälerten Endabschnitt mit Fieder- Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 309 abschnitten besetzt sind, wie sie der typischen Pteris biaurita zukommen, und daß die Fiederabschnitte an der Basis der Seitenfieder nicht an Größe hinter den nächstfolgenden zurückstehen. Daß auch in noch früheren Entwicklungsphasen die Jugendform der Wedel von Pteris biaurita nicht an die Form des Typus B der Serie erinnert, schließe ich aus einer Beobachtung, die ich vor 25 Jahren gemacht und in meiner Arbeit über Hexenbesen an tropischen Farnen?) mitgeteilt und durch eine naturgetreue Abbildung belegt habe, Ich fand an einem durch Taphrina Laureneia hervorgerufenen Adventivsproß an Pteris biaurita einen Erstlingswedel, der von der Infektion freigeblieben war und die normale Form der Erstlingswedel aufwies. Das Präparat, welches mir zur Vorlage für die Fig. 6 auf Taf. XIII bei jener Arbeit gedient hatte, ist noch in meinem Besitz. Eine erneute Vergleichung ergab, daß jene Figur auch mit Rücksicht auf die hier vorliegende Frage hinreichend genau wiedergegeben ist. Die Laubfläche dieses Erstlingswedels ist kaum 1 cm lang. Die Seitenfiedern lassen aber schon das Auftreten der Fiederabschnitte deutlich erkennen und erinnern nicht im geringsten an die mit gleichmäßigem schmalem Laminarsaum versehenen Seitenfiedern des Typus B unserer Wedelserie. Damit dürfte die Vermutung, daß die abnormen Wedel der forma ludens Rückschlagsbildungen zur Jugendform ‘seien, einwandfrei abgewiesen sein. Bei sehr zahlreichen Farnarten steht ein Dimorphismus der Wedel mit der Fruktifikation in Zusammenhang. Im periodischen Wechsel werden sterile und fertile Wedel gebildet, die oft in der Aus- gestaltung der Laubfläche der Wedel sehr weitgehende Unterschiede aufweisen. Ein solcher Zusammenhang existiert aber bei Pteris biaurita f. Iudens nicht. Ich besitze von allen neun Typen. die in der Fig. 3 dar- gestellt sind, fruktifizierende Wedel. Daneben sind von den Typen A, 1,2, 6, 7 und B auch sterile Wedel vorhanden. Man wird auch die Heterophyllie, welche bei den Platyceriumarten und den Humus sammelnden tropischen Polypodien in so ausgezeichneter Weise ausgebildet ist?), nicht zum Vergleiche heranziehen können. Die Arbeitsteilung, welche zwischen dem Humus sammelnden Blattgrund und dem fruktifizierenden oberen Wedelabschnitt des Polypodium Heracleum eingetreten ist, hat bei ihnen zur Entstehung zweier ver- schiedener Blattformen geführt, die von der Pflanze abwechselnd, aber obne bestimmte Reihenfolge gebildet werden. Ein solcher Zusammen- 1) Flora, Ergänzungsband zu Jahrg. 1892, Bd. LXXVI, pag. 130. 2) Vgl. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen I, pag. 2161. 310 K. Giesenhagen, hang zwischen Arbeitsteilung und Blattgestalt existiert bei Pteris biaurita ebensowenig als das serienweise abwechselnde Auftreten der normalen und der abnormen Wedel bei ein und demselben Exemplar. . Es gibt einige Farne -—- Polypodium phymatodes L. ist ein typischer Vertreter dieser morphologischen Gruppe — deren Wedel von einfachen ungeteilten Flächen durch maneberlei Zwischenformen bis zu regelmäßigen gefiederten oder fiederteiligen Laubflächen variieren. In Fig. 6 sind vier aus- gewachsene Wedel aus meiner Sammlung in star- ker Verkleinerung photo- graphisch dargestellt. Mau erkennt bei ilmen un- schwer, daß Größe und Gestalt der Wedel in einem geraden Verhältnis stehen; je größer die (Ge- samtfläche, desto reich- licher und damit regel- mäßiger ist die Verzwei- gung der Fläche Man geht wohl nicht fehl, wenn man die Vielgestaltigkeit in diesen Fällen mit Er- nährungsverhältnissen in Zusammenhang bringt. Je üppiger das Wasser und die Baustoffe der Wedel- anlage zuströmen, desto kräftiger und leistungs- Fig. 6. Vier verschiedene ausgewachsene Wedel fähiger wird der Wedel- von Polypodium phymatodes auf ';, verkleinert. Stiel ausgebaut, je reich- licher der junge Wedel mit Wasser und Nährstoffen versorgt ist, desto öfter und regelmäßiger gewinnt sein Vegetationspunkt die Kraft, die Anlage einer seitlichen Verzweigung abzugliedern und desto länger bleiben die ‚Spitzen der Blattabschnitte in wachstumsfähigem Zustande. Im Grunde genommen, könnte man die einfacheren Wedel des Polypodium phymatodes auch als Jugendformen ansprechen, wenn nicht ihre reichliche Fruktifikation sie als voll entwickelte Wedelformen legi- Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 311 timierte. Wir können das Verhalten wohl in folgender Weise deuten: Bei den meisten Farnen wird vor der Reife zur Sporenerzeugung das Höchstmaß der dem Typus möglichen vegetativen Entfaltung erreicht, oder was dasselbe sagt, die Konstellation der inneren Faktoren, welche die höchstmögliche Gliederung der Wedel ermöglicht, ist eine Vor- bedingung für das Eintreten der Fertilität. Bei Polypodium phymatodes aber und den Arten, die das gleiche Verhalten zeigen, tritt die Fertilität schon bei einer minder günstigen Konstellation der Bedingungen ein als die höchst erreichbare Gliederung des vegetativen Apparates. Wir haben also bei der Gruppe Phymatodes in der Tat etwas Ähnliches wie bei Pteris biaurita f. ludens. Nur dürfen wir den Ver- gleich nicht auf die ganzen Wedel der f. Iudens beziehen; denn bei ihnen bleibt, wie wir gesehen haben, die Gliederung durch die ganze Serie so gleichmäßig, daß sie in allen Fällen der Diagnose der Pteris biaurita entspricht. Stellen wir aber die einzelnen Fiedern der Pteris- Wedel den Wedeln des Polypodium phymatodes gegenüber, so gewinnt der Vergleich, und wir können die Erwägungen. die wir für das Ver- halten der Phymatodes-Wedel angestellt haben, auch für die Fiedern der Pteris-Wedel gelten lassen. Bei dem Typus A unserer Serie haben alle Fiedern das Maß der vegetativen Gliederung erreicht, das über- haupt der Art infolge ihrer erblichen Eigenschaften möglich ist. Bei ılen Zwischenformen und dem Typus B wird dieses Höchstmaß der vegetativen Gliederung der einzelnen Fieder nicht erreicht, ohne «daß dadurch die Entwicklung der Fertilität hintangehalten würde, Es liegt nahe wie bei Polypodium phymatodes so auch bei (den Wedelfiedern von Pteris biaurita f. Iudens das Zurückbleiben der Gliederung hinter dem für die Art charakteristischen Höchstmaß mit ernährungsphysiologischen Verhältnissen in Zusammenhang zu bringen. Um einen Einblick in diese Verhältnisse zu bekommen ist es nötig, etwas näher auf den Entwicklungsvorgang einzugehen. Die wesentlichsten Züge im Entwicklungsgang der Farnwedel sind durch zahlreiche Untersuchungen älterer Autoren einigermaßen klargestellt worden. Eine hervorstechende Besonderheit gegenüber «ler Blattentwicklung der Blütenpflanzen besteht bei den meisten Farnen darin, daß die Entwicklung streng akropetal fortschreitet, daß die Basis der Anlage, also der Wedelstiel, zuerst in den Zustand des Aus- gewachsenseins übergeht. Damit ist ein wesentliches Moment der endlichen Formgestaltung, die Maximalgröße, welche die Wedelober- fläche bei übrigens günstigen Entwicklungsbedingungen erreichen kann, im voraus festgelegt. Die verdunstende Oberfläche kann auch unter 312 K. Giesenhagen. den «denkbar besten, das Wachstum der Wedelfläche begünstigenden Umständen nicht größer werden, als der Wasserzustrom durch den zuerst ausgewachsenen Wedelstiel gestattet. Der unterhalb der Laub- ausbreitung gemessene Querschnitt des Wedelstiels oder richtiger des in ihn verlaufenden Leitungsgewebes muß demnach zur Gesamtaus- breitung der ausgewachsenen Laubfläche in einem bestimmten Größen- verhältnis stehen. Dieselbe Gesetzmäßigkeit gilt natürlich auch für die einzelnen Abschnitte des Wedels. Die Gesamtfläche einer Seitenfieder von Pteris biaurita kann demnach niemals größer werden, als daß ihr Bedarf an Wasser zum Ersatz des Transpirationsverlustes durch den Zustrom gedeckt werden kann, den das vor der Beendigung ihres Wachstums ausgebildete Stielchen an ihrer Basis gestattet. Das Wachstum und die erreichbare Endgröße der einzelner. Seitenfieder ist ferner abhängig von dem Vorhandensein der organischen Baustoffe und der organischen Substanzen, die ihre lebenden Zellen als Atmungsmaterial nötig haben. Es liegt auf der Hand, daß das or- ganische Material für die erste Anlage einer Seitenfieder von der Rachis aus zugeführt werden muß. Sobald aber an der jungen Seitenfieder Assimilationsparenchym entfaltet worden ist. wird das durch eigene Arbeit erworbene organische Material zu dem von der Rachis aus zu- geführten hinzukommen. Die Menge der durch die eigene Assimilation gewonnenen organischen Stoffe steigert sich entsprechend dem Flächen- zuwachs der Fieder. Der Bedarf an organischem Material für die Atmung steigert sich annähernd in gleichem Verhältnis. Da die Pro- duktion den Verbrauch durch Atmung übersteigt, so gelangt die sich weiter entwickelnde Seitenfieder zu immer günstigerer Versorgung seiner Wachstumszone mit organischen Baustoffen, je größer sie wird. Wenn trotzdem die Wachstumsenergie der Fieder gegen die Spitze hin geringer wird und schließlich erlischt, so kann dafür nicht ein Mangel an Baustoffen die Ursache sein, sondern lediglich die durch die Wegsanıkeit des Stielchens begrenzte Menge des Wassers und der in ihm enthaltenen anorganischen Rohnahrung. Die von den Assimilationsflächen gebildeten organischen Sub- stanzen werden demnach, wenn die wachstumsfähigen Teile der Fieder wegen der geringer werdenden für die Neubildung von Zellen dis- ponibelen Wassermenge ihr Wachstum einschränken und endlich ganz einstellen, sich in der Fieder anhäufen oder zur Rachis des Wedels abfließen. Es erhebt sich die Frage, ob neben den erblichen, für die Art spezifischen Eigenschaften der Zellen und den soeben besprochenen Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon, 313 quantitativen Verhältnissen der Versorgung des wachsenden Gewebes mit Wasser und organischen Baustoffen auch noch die Qualität der zu- geführten oder selbstgebildeten organischen Substanzen für die Form- gestaltung der heranwachsenden Seitenfieder eine ausschlaggebende Bedeutung besitzt. Für die Gewebedifferenzierung, also für die Aus- bildung des Assimilationsparenchyms, für die Anlage und Entwicklung der Sporangien u. a. ist die Bildung von qualitativ verschiedenen Bau- stoffen eine unentbehrliche Voraussetzung. Wenn wir aber unser Augenmerk zunächst lediglich auf die Formbildung durch das Wachs- tum richten, so hindert uns vorerst nichts an dem Versuch, ob wir bei der Erklärung ohne die Annahme solcher spezifisch formbestimmen- der Substanzen auskommen. Die Wachstumsvorgänge, durch welche die Anlage der Fiedern des Wedels von Pteris biaurita und vieler anderen Arten zu der End- gestalt übergeführt wird, sind zweierlei Art; wir können sie als Scheitel- wachstum und als Flächenwachstum unterscheiden. Das erstere läßt sich bei den meisten Formen auf das Funktionieren einer Scheitelzelle zurückführen, während das letztere auf Randzellwachstum beruht. Ich will hier auf die anatomischen Unterschiede der beiden Entwicklungs- vorgänge nicht näher eingehen und mich mit der auch makroskopisch wahrnehmbaren Verschiedenheit begnügen. Das Scheitelwachstum führt zur Entstehung einer mehr oder minder kräftigen Blattader. Mit ihm steht das Auftreten von Verzweigungen in entwicklungsgeschichtlichem Zusammenhang. Die dadurch gebildeten Seitenscheitel zeigen das gleiche Verhalten wie der Hauptscheitel der Fieder. Durch das Scheitelwachstum wird demnach die Gliederung der Fiedern bestimmt. Das Flächenwachstum tritt an den Flanken der durch das Scheitel- wachstum gebildeten Rippen auf. Es führt zur Entstehung eines schmalen Laminarsaumes an ‚beiden Seiten aller unverzweigten Ab- schnitte der Rippen und wird in gleichmäßigen Abständen von ein- fachen oder ein- bis zweimal gegabelten Nervillen durchzogen, die sich an die Leitbahnen der Blattrippe anschließen. Das Flächenwachstum ist aus inneren Gründen begrenzt, es geht nicht über ein gewisses Maß hinaus, selbst wenn die Zufuhr von Wasser und Baustoffen am günstigsten sind. Der Laminarsaum hat infolgedessen an der ganzen Fieder von der Basis bis zur Spitze die gleiche Breite und die Ner- villen sind nicht zahlreicher und erfahren keine kräftigere Ausbildung, wenn sie von der kräftigsten basalen Partie der Hauptrippe ausgehen, als wenn sie an das stark verschmälerte Ende einer Seitenrippe an- geschlossen sind. 314 K. Giesenhagen, Bei den abnormen Fiedern der forma ludens zeigt auch überall (das Flächenwachstum, d. h. die Ausbildung des Laminarsaumes an den Flanken der unverzweigten Teile der Rippen das gleiche Verhalten wie bei den typischen Formen der Pteris biaurit.. Nur die Gliederung der Fiedern, d. i. der Verzweigungsmodns der durch das Scheitelwachs- tum gebildeten Rippen, weicht von der Norm ab. Daß aber diese Gliederung von der Menge des zuströmenden Wassers nieht unabhängig ist, Jäßt sich daraus ableiten, daß die auch am normalen Wedel letzten Verzweigungen gegen die Fiederspitze schwächer angelegt sind und kürzer bleiben als die vorhergehenden. Neben der Abhängigkeit von dem gegen das Ende des Ent- wieklungsverlaufes geringer werdenden Wasserzustroms wirken Wechsel- beziehungen zwischen «den einzelnen Gliedern formbestimmend mit. Man kann diesen Zusammenhang in folgender Weise auffassen. Um eine seitliche Verzweigung bildern zu können, bedarf der fortwachsende Scheitel der Welelfieder einer gewissen Mindestmenge von gewissen Baustoffen. Sinkt die Zufuhr unter diese Mindestmenge herab, so unterbleibt die Verzweigung. Bei der Fieder des normalen Wedels ist die Voraussetzung für die Verzweigung sehr bald nach dem begounenen Wachstum der Scheitelanlage gegeben, und zwar verhalten sich ie beiden Flanken der Anlage in sofern verschieden, als in der Regel die erste Verzweigungsanlage an der basalwärts gerichteten Flanke ein- tritt, was mit der unsymmetrischen Ausbildung des im Querschnitt hufeisenförmigen Leitbündels der Fiederanlage in Zusammenhang stehen mag, Auch die oben bereits konstatierte Tatsache, daß im allgemeinen lie basalwärts gerichteten Fiederabschnitte etwas länger sind, kann durch diese Asymmetrie des Leitbündels erklärt werden. Die an dem Hauptscheitel angelegten Seitenscheitel wirken als Konkurrenten, die den Hauptscheitel in bezug auf die Versorgung mit den die Verzweigung bedingenden Baustoffen beeinträchtigen und zu- nächst die unmittelbare Neubildung weiterer Verzweigungsanlagen an dem Hauptscheitel hintanhalten. In dem Maße, als die Zuführung der nötigen Baustoffe gefördert wird, erlangt der Hauptscheitel nach einiger Zeit wieder die Befähigung zur Verzweigungsanlage. Das Spiel wiederholt sich und führt zu dem gleichmäßigen Rhythmus, dem die regelmäßige Fiederung der Wedel- tiedern ihren Ursprung verdankt. Da die Verzweigungsanlagen an der basalwärts gerichteten Flanke der Fiederanlage wegen der Asymmetrie des Leithündels etwas kräftiger ausfallen als an der apikalen Flanke, so ist es erklärlich, daß an dieser Seite der Fieder der Wiedereintritt Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. 315 der Verzweigungsmöglichkeit an dem Hauptscheitel um ein Geringes länger hinausgeschoben wird. Die Verzögerung in dem Auftreten der ersten Verzweigung an der apikalen Flanke der Fieder wird dadurch häufig in der Weise ausgeglichen, daß im mittleren Teil der Fiedern die Fiederabschnitte annähernd genau gegenständig werden und gegen die Spitze hin die Anlage der apikalen Verzweigung vor der ent- sprechenden Verzweigungsanlage der anderen Flanke auftritt. Daß dieses Verhältnis nicht die ausnahmslose Regel bildet und manchmal sogar ins Gegenteil verkehrt ist, spricht gewiß dafür, daß dieses Mo- ment der Formgestaltung nicht auf einer erblich fixierten Eigentüm- lichkeit der Art beruht, sondern von inneren, vom Zufall abhängigen Konstellationen quantitativer Natur bedingt wird. Auf die abnormen Wedelfiedern der forma ludens übertragen, würde die Erklärung also lauten: Aus inneren Ursachen, welche durch anatomische Verhältnisse und durch quantitative Beziehungen der Bau- stoffbildung erklärbar sind, besitzen die Scheitel der Fiederanlagen an- fänglich die materielle Beschaffenheit, auf welcher die Verzweigung be- ruht, nur in verringertem Grade oder ‚überhaupt nicht. Im ersteren Falle erscheinen die Fiederabschnitte an der Basis der Fieder kleiner als normal (Fig. 4b, ce), im letzteren Falle bleibt die Basis der Fiedern ungefiedert (Fig. 4d—k). Wenn im weiteren Verlauf der Entwicklung die Versorgung des Scheitels über das für die Verzweigung erforder- liche Mindestmaß steigt, so treten noch seitliche Fiederabschnitte in mehr oder minder regelmäßiger Folge auf (Fig. 4d—i). Kürzere oder längere Zeit bevor der Scheitel sein Wachstum einstellt, sinkt seine Versorgung mit Baustoffen wieder unter das für die Verzweigung er- forderliche Mindestmaß herab, was die Entstehung eines kürzeren oder längeren ungefiederten Endabschnitts zur Folge hat (Fig. 4b—i). Bei Fiedern, welche die Form k in der Fig. 4 aufweisen, wird das Mindest- maß der Versorgung des Scheitels mit den für die Verzweigung nötigen Baustoffen überhaupt nicht erreicht. Welche inneren, anatomischen und physiologischen Faktoren für die unzureichende Versorgung des Scheitels der Seitenfiedern an diesen abnormen Pteriswedeln verantwortlich zu machen sind, muß zunächst dahin gesteilt bleiben. Es fragt sich auch, ob die oben entwickelten Anschauungen von dem formbestimmenden Einfluß des anatomischen Baues des Wedelstiels, der Beziehung zwischen der Gestalt und der Versorgung des Scheitels mit Wasser und Baustoffen und der direkten korrelativen Beeinflussung der neuentstehenden Teile durch die vorher 316 K. Giesenhagen, Über einen seltsamen Farn der Flora von Ceylon. entstandenen, ohne weiteres auf die Gestaltbildung des ganzen Farn- wedels übertragen werden können; ob vielleicht in ihnen der Schlüssel gefunden werden kann für die überraschende Tatsache, daß in den verschiedensten durch ihre Sorusbildung sicher unterschiedenen phylo- genetischen Gruppen der Farne die gleichen Gestalten des vegetativen Apparates wiederkehren. Für diese allgemeinen Fragen von weittragender Bedeutung er- hoffe ich mir eine exaktere Beantwortung von anatomischen und ex- perimentellen Untersuchungen, die ich vor einiger Zeit in Angriff ge- nommen habe. > Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. und ihrer Verwandten. Von 0, von Kirchner. (Mit 6 Abbildungen im Text.) Die unter dem Namen Isnardia palustris L. bekannte Pflanze gehört mit etwa 30 ihr verwandten Arten, die mit ihr zusammen zu der Gattung Ludwigia L. vereinigt wurden (so auch von R. Raimann in Engler und Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien 1893, Bd. III, Abt. 7, pag. 208), zu denjenigen Formen unter den Onagraceen, welche die am meisten vereinfachten Blüten in dieser Familie besitzen. Es drückt sich das darin aus, daß eine merkliche Verlängerung der Blüten- achse über den Fruchtknoten hinaus fehlt, die Kronblätter eine Neigung zur Verkümmerung zeigen und die Staubblätter nur in einem einfachen episepalen Kreise vorhanden sind. Small hat (Bull. Torrey Bot. Club. 1897, Vol. XXIV, pag. 177) die Gattung Ludwigia wieder in drei Gattungen zerlegt, wobei die Gattung Isnardia mit I. palustris wiederhergestellt wurde, und Britton und Brown (Illustrated Flora of the Northern U. 8. usw. 1897, Bd. II, pag. 475 ff.) sind ihm hierin gefolgt. Die an sich ziemlich geringfügigen Unterschiede dieser Gattungen Is- nardia, Ludwigiantha und Ludwigia sind nicht vorzugsweise auf Merkmale des Blütenbaues begründet, vielmehr stimmt dieser bei ihnen überein, abgesehen davon, daß die Krone bald deutlich ausgebildet, bald sehr klein ist, bald endlich ganz fehlt. Isnardia besitzt sehr kleine nnd undeutliche oder gar keine Kronblätter, Ludwigiantha deutliche, und Ludwigia zerfällt in eine Gruppe mit ansehnlichen Kron- blättern und eine zweite, bei der sie sehr klein sind oder fehlen. Das Fehlen der Krone in der Gattung Isnardia (bzw. Ludwigia) ist schon lange bekannt, so daß z. B. De Candolle in seinem Prodromus (Ba. III, pag. 60) sie in zwei Sektionen teilt, von denen die eine (Ludwigiaria) Kronblätter besitzt, während sie der anderen (Dantia) fehlen. Auch eins der Synonyme für Isnardia palustris, nämlich Ludwigia apetala Walt., bezieht sich bereits auf diese Eigen- tümlichkeit. 318 0. von Kirchner, Das Fehlschlagen der Krone innerhalb größerer oder kleinerer Verwandtschaftskreise der Choripetalen ist eine allbekannte Erscheinung: wenn sie hier für Ludwigia (im weiteren Sinne) hervorgehoben wird, so geschieht das, weil die zu besprechende Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris damit im Zusammenhang steht. Die erste kurze Nachricht über die Bestäubung dieser Art findet sich bei Vaucher (Histoire physiologique des plantes d’Europe 1841, Bd. II, pag. 348), der ganz richtig angibt: Die Befruchtung ist innerlich (d. h. autogam). und in dem Augenblick, wo sich der Kelelı öffnet, sind die zweifäche- rigen Antheren gegen die Narbe geneigt; bald nacher fällt der Griffel mit den vertrockneten Staubblättern ab. Später macht G. Henslow (The origin of floral structures by self adaptation 1895, pag. 364) die Angabe, daß die Blüten ohne Zweifel autogam seien und sehr reichlich Samen ansetzen. Ausführlicher beschreibt Th. Meehan (Contributions to the life-history of plants, Vol. XIII, Proc. of the Acad. of Nat. Se. of Philadelphia 1899, pag. 95—97) die Blüteneinrichtung. Die Be- obachtung der ausnahmsiosen Fruchtbarkeit der Blüten brachte ihn auf die Vermutung, daß eine Selbstbefruchtung stattfinden müsse, und sie wurde durch seine Untersuchung bestätigt. „Nicht nur entlassen die Antheren den Pollen gleichzeitig mit der Ausbreitung der Kelchblätter, sondern sie bleiben auf der Narbe, so daß es für jedes äußere Agens unmöglich ist, ihre Wirksamkeit zu stören. Eine weitere interessante Beobachtung ist, daß bei der Ausbreitung der Kelchblätter reichlicher Nektar von den vier grünlichen buckelförmigen Drüsen ausgeschieden wird, die sich im Blütengrunde an der Stelle der fehienden Kronblätter befinden. Es erscheint aber kein geflügeltes Insekt, um diese kleinen Blüten zu besuchen“ Meehan weist darauf hin, daß diese selbst- befruchteten Blüten enorm fruchtbar sind, und daß die Nektarproduktion. sofern sie sich auf Insektenbesuche bezieht, überflüssig ist. . Im Münchener botanischen Garten, wo Isnardia palustris in der biologischen Anlage in großer Menge im Freien kultiviert wird. bot sich mir im Sommer 1917 Gelegenheit, die älteren Angaben über ihre Bestäubungseinrichtung nachzuprüfen und einige interessante Ergänzungen zu ihnen zu geben. Die Blütezeit dauerte in diesem warmen und sonnigen Sommer von Mitte Juli bis gegen Ende August; Pflanzen, die in einem Warmhause gezogen wurden, setzten das Blühen bis Ende Oktober fort. dann wuchsen die Pflanzen, wohl wegen des allmählich zu geringgewordenen Lichtgenusses, nur noch vegetativ weiter. Die Blüten (Fig. 1, 2) stehen einzeln in den Achseln der gegenständigen Blätter und entwickeln sich au den einzelnen Zweigen in akropetaler Reihenfolge so zasch, daß man Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. und ihrer Verwandten. 319 an einem Zweige meist nur eine, seltener ‚zwei gegenständige Blüten frisch geöffnet findet; denn gewöhnlich entfalten sich auch die beiden Blüten eines ziemlich gleichalterigen Paares nicht ganz gleichzeitig. Die in der Blattachsel sitzenden Blüten werden von den Laubblättern teil- weise verdeckt und sind dabei so klein und wegen ihrer grünlichen Farbe so unscheinbar, daß ich sie anfänglich übersah, obwohl ich nach ihnen suchte. Denn der Durchmesser der Blüte beträgt im ausgebreiteten Zustande des Kelches etwa 31/,—4 mm; von Kronblättern ist keine Spur vorhanden!). Auf dem 1*/, mm hohen Fruchtknoten stehen am Rande des ungefähr quadratischen Blütenbodens von etwa 1Y/, mm Seitenlänge die vier dreieckigen grünen, an der Spitze und am Rande rötlich gefärbten Kelchblätter, sie sind 11/, mm lang und in der Mitte kaum etwas breiter. “ Ander Knospe schließen sie sich über den Bestäubungsorganen pyramiden- förmig zusammen und wei- chen beim Beginn des Auf- blühens an ihren Rändern vom Grunde her allmäh- lich auseinander, so daß sich zuerst vier enge Spal- ten zwischen ihnen bilden, Fig. 1. Blüte von Is- Fig. 2. Isnardia palu- während ihre Spitzen noch nardia palustris im stris. piben aufgegan- 3 ä Längsschnitt, in einer gene Blüte von oben zusammenhängen. Nach- Biattachsel sitzend. gesehen. Öfach vergr. dem sich auch diese ge- öfach vergr. trennt haben, breiten sich die Kelchblätter allmählich fast in eine Ebene aus. In einer kurz vor dem Aufgehen stehenden Blütenknospe findet man die vier gelblich- weißen, etwa 0,3 mm langen Antheren, die auf dünnen weißen, kaum 1 mm langen Filamenten stehen, noch geschlossen, die mitten vor den Grunde der Kelchblätter stehenden Staubblätter nach der Blütenmitte eingekrümmt. In dieser steht auf einem niedrigen Buckel ein 0,5 mm langer Griffel, der an seiner Spitze eine rundliche Narbe von 0,3 mm Durchmesser trägt; sie ist durch zwei sich kreuzende seichte Furchen in vier flache Höcker geteilt und hat eine rötliche Farbe. Die Gestalt der Bestäubungsorgane läßt sich nur an Blüten, die sich noch nicht geöffnet haben, deutlich erkennen, und auf solche künstlich geöffneten Blüten beziehen sich ohne Zweifel die Abbildungen in den systematischen Werken; denn auch in der jüngsten offenen Blüte findet man die Antheren 1) Die Angabe von Britton und Brown (a. a. O. pag. 476): „Kronblätter klein, rötlich oder oft fehlend‘“ wird sonst nirgends bestätigt. 320 O. von Kirchner, bereits gebräunt und im aufgesprungenen Zustand der Narbe so dicht anliegen, daß diese von ihnen und der ausgetretenen Pollenmasse wie mit einer Kappe überzogen ist (Fig. 3). Die Antheren, die in ihrer Wand eine Faserschicht besitzen, sind auf ihrer Innenseite so weit geöffnet, daß ihre beiden Hälften zwei flache Schalen darstellen, der auf ie Narbe. die mit kleinen, kurz zylindrischen, an der Spitze abgerundeten Papillen dicht besetzt ist, entleerte Pollen haftet auf ihr fest und hat zahllose, in sie eindringende Pollenschläuche getrieben. Die Pollenkörner sind isoliert, vom Scheitel gesehen rundlich, von der Seite gesehen oval, mit dreiin einer Ebene liegenden, gleichmäßig angeordneten, vorgewölbten Austrittstellen; sie stimmen am meisten mit denen von Circaea überein (vgl. H. Fischer, Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Pollen- körner 1890, pag. 24) und unterscheiden sich von denen der näher ver- wandten Gattung Jussieua dadurch, daß sie nicht wie diese in Tetraden zusammenhängen. Kurze Zeit nach dem Aufgehen der Blüte sind die Staubblätter vertrocknet und lösen sich eins nach dem anderen von ihrer Einfügungsstelle ab; zuletzt gliedert sich auch der Griffel an seinem Fig. 3. Isnardia palu- Grunde ab und fällt samt den an ihm haftenden stris. Abblühende Blüte Staubblättern aus der Blüte heraus. Nur selten en legen sich die Antheren dem Narbenkopf in einer sehen. fach vergr. solchen Weise an, daß dessen Mitte von ihnen nicht überdeckt wird und an dieser Stelle nach der bereits vollzogenen Selbstbestäubung auch noch die Einwirkung von fremdem Pollen denkbar wäre, wenn eine Übertragung von solchem durch besuchende Insekten einträte. Aber mit Ausnahme von einigen wenigen Thripslarven, wie sie sich überall an den Blüten herum- treiben, konnte ich trotz sehr häufiger Beobachtung Insekten ebenso- wenig an den Blüten wahrnehmen, als dies anderen Beobachtern ge- lungen ist. Um so auffallender ist es, daß diese regelmäßig und ausschließlich sich selbst bestäubenden Blüten, wie Meehan bereits gesehen hat, die Absonderung von Nektar, die doch nur zur Herbeilockung von Insekten von Nutzen sein könnte, nicht aufgegeben haben. Auf dem Blütenboden befinden sich nämlich außer der zentralen, den Griffel tragenden Er- böhung noch vier mit den Kelchblättern abwechselnde flache Buckel von 0,4 mm Durchmesser, aus deren Oberfläche eine Nektarabsonderung stattfindet (Fig. 4). Sonderbarerweise hält sie Meehan für die Spitzen mit den Kelchblättern verwachsener Kronblätter, verführt durch eine Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. und ihrer Verwandten. 391 von ihm angenommene Analogie zu den Stipeln der Laubblätter. Sie bestehen aus einer linsenförmigen Gewebemasse von Zellen, die sich von ihrer Umgebung durch geringere Größe absetzen, und sind außen von der Epidermis des Blütenbodens überzogen, während dicht unter dem Buckel aus Spiralgefäßen bestehende Gefäßbündelenden liegen und auch bis in seine mittlere Partie streichen. Die Epidermis des Blüten- grundes trägt keinerlei Trichome und besteht aus Zellen von unregel- mäßig 4—6Geckiger Flächenansicht, welche Chlorophylikörner und häufig einen (durelt Anthocyan) hellrot gefärbten Zellsaft führen; ihre Außen- wand ist eben und nur schwach verdickt. Spaltöffnungen sind in dieser Epidermis nur über den Buckeln sorhanden, welche den Nektar absondern, und zwar auf jedem etwa 20; sie liegen in der Höhe der Epidermiszellen. Die Buckel zeigen also ganz den anatomischen Bau der so häufig vorkommenden Nekta- rien, bei denen die Nektarabsonderung durch Spaltöffnungen erfolgt, und deren Vorkommen insbesondere bei zahlreichen Onagraceen von G. Bonnier (Les Nectaires 1879, pag. 115 Anm. 3) erwähnt wird. Es ließ sich feststellen, daß die Aus- Fig. 4. Isnardia palustris. sonderung des Nektars in den Blüten schon Blütenboden nach Abschneiden Fi fi f % von Kelch, Staubblättern und beginnt, bevor sie sich öffnen, und noch Griffel, die vier Nektar abson- einige Zeit fortdauert, nachdem die Bestäu- dernden Buckel und die den bung und das Aufblühen erfolgt ist. Die Griffe de Pe Absonderung hat für die Herbeiführung der Bestäubung um so weniger Bedeutung, als diese nicht, wie Mgehan meinte, gleichzeitig mit der Ausbreitung der Kelchblätter erfolgt, sondern zu diesem Zeitpunkt regelmäßig bereits vorüber ist. Denn die Belegung der Narbe tritt in Wirklichkeit kleistogamisch ein, und nachher öffnet sich die Blüte. Wenn man eine größere Anzahl von solchen Blütenknospen untersucht, die unmittelbar über den obersten bereits ge- öffneten Blüten stehen, so gelingt es, den Zeitpunkt, in dem die Bestäu- bung erfolgt, genau festzustellen; besonders geeignet sind dazu solche noch geschlossnen Blüten, die gegenüber einer frisch geöffneten auf gleicher Höhe stehen. Denn da Bestäubungsakt, Austreiben der Pollenschläuche, Aufgehen der Blüte und Welken der Bestäubungsorgane sehr rasch auf- einanderfolgen, kommt es sehr häufig vor, daß in den Blüten eines Blattpaares diese Vorgänge bereits vorüber sind, in dem nächsthöheren Blütenpaar aber noch nicht begonnen haben. Diese Stadien spielen sich Flora. Bad. 11, 21 322 ©. von Kirchner, so ab, daß ungefähr zu der Zeit, wo die Kelchblätter an ihrer Basis spaltenförmig auseinanderzuweichen beginnen, an ihrer Spitze aber noch fest verbunden sind, das Aufplatzen der Antheren und die Belegung der Narbe mit Pollen stattfindet. Nachher, während bereits die Poilen- schläuche in die Narbe eindringen, weichen die Kelchblattspitzen völlig auseinander, der Kelch breitet sich aus und der Blütenboden fährt fort, Nektar darzubieten zu einer Zeit, wo eine Fremdbestäubung der Narbe gar nicht mehr stattfinden kann. Für den Eintrittder Befruchtung ist also sowohl die Nektarabsonderung wie das Aufgehen der Blüten ohne jeden Nutzen. In morphologischer Hinsicht beruht die Bildung der kleisto- gamisehen Blüten von Isnardia palustris auf einer Entfaltungs- hemmung des Kelches. Zieht man das Verhalten der verwandten Arten zu Rate, so kanı man die Vermutung aufstellen, daß stammesgeschieht- lich der Kleistogamie zuerst das Fehlschagen der Krone unter Bei- behaltung der Nektarausscheidung als Mittel zur Herbeiführung des Insektenbesuches, sodann die Ausbildung habitueller Autogamie voraus- ging. Denn es gibt jetzt noch Isnardia- und Ludwigia-Arten, welche diese Vorstufen der Blütenvereinfachung, zeigen. Ökologisch besonders beachtenswert ist bei I. palustris das Fehlen jeder Mög- “ lichkeit einer Fremdbestäubung, wodurch sich die Pflanze den wenigen bis jetzt bekannten ausschließlich autogamen Arten anreiht. Nützlich ist im vorliegenden Falle die Kleistogamie wegen der Standortsverhält- nisse der Pflanze: ihre offenen Blüten würden bei den geringsten Bewegungen des Wassers überflutet und verdorben werden. Die schon früher erwähnte außerordentliche, Selbstfertilität von L palustris kann ich ebenfalls bestätigen; soweit ich sehen konnte, setzte jede Blüte eine Kapsel mit zahlreichen Samen an, obwohl die ausdauernde Pflanze in der Lage wäre, sich auf vegetativem Wege zu erhalten und zu vermehren. Wenn sie trotz dieser gewaltigen Reproduktionsfähigkeit bei uns überall nur sehr zerstreut vorkommt und nicht selten an früheren Standorten verschwunden ist, so muß man zu dem Schluß kommen, daß sie an ihre Umgebung ganz besondere Anforderungen stellt, die nur selten erfüllt sind und denen näher nachzugehen gewiß von Interesse wäre. Eine auffallende Angabe in den floristischen Werken besagt, daß von Isnardia palustris auch eine einhäusige Form, die var. palu- dosa Rabenh., vorkomme; sie hat bei der Bearbeitung der Onagraceen durch Fiek in der Synopsis der deutschen und schweizer Flora von Koch (3. Aufl, Bd. I, 1892, pag. 883) sogar die Gattungsdiagnose EEE Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. und ihrer Verwandten. 323 beeinflußt. Diese Angabe geht auf eine Nachricht von L. Rabenhorst (Botanisches Zentralblatt für Deutschland 1846, pag. 247) zurück, wo von I. palustris eine Form „b. uliginosa m.“ (nicht paludosal) auf Grund von auffallenden vegetativen Organen beschrieben und hin- zugefügt wird: „Blüten meist monözisch.“ Weiter heißt es: „Die monö- zischen Blüten werden auch anderswo vorkommen, obgleich wir sie nirgends angeführt finden“. Diese Vermutung Rabenhorst’s hat sich nicht bestätigt, denn außer dem von ihm angegebenen Fundort (in schlammigen Gräben am Saume des Erlengebüsches bei Naundorf zwischen Luckau und Lübben in der Niederlausitz), der sich seitdem in den Floren fortgeerbt hat, ist die Pflanze, die Rabenhorst selbst nur für eine Standortsform hielt, niemals wieder aufgefunden worden. Ich muß auf Grund der sonstigen Blütenverhältnisse von Isnardia palustris sehr bezweifeln, daß die Pflanze monözisch vorkommen kann, und ver- mute, daß, wenn nicht irgendein Irrtum vorliegt, Rabenhorst vielleicht Blüten beobachtet hat, wie ich sie vereinzelt auch gesehen habe, die bei oberflächlicher Untersuchung für weibliche gehalten werden können. In solchen Blüten (Fig. 5) sieht man weder auf der Narbe haftende Fig. 5. Isnardia palu- noch auf dem Blütenboden eingefügte Staub- stris. Scheinbar weib- blätter, und erst eine genauere Untersuchung chen ach vu zeigte, daß die Narbe dicht mit Pollen belegt war, der bei dem absoluten Fehlen von Insektenbesuch unmöglich aus einer anderen Blüte herstammen konnte. In der Tat stellte sich bei mikroskopischer Untersuchung heraus, daß die Staubblätter aus der Blüte herausgefallen sein mußten, ohne daß der Griffel zu- gleich abgefallen war; denn auf dem Blütenboden waren die vier halbmondförmigen Stellen zu erkennen, von denen sich die Staubfäden abgegliedert hatten. Da es in der vorhergehenden Nacht und am Tage zuvor geregnet hatte, mögen die vertrockneten und unten abgelösten Staubblätter aus der Blüte herausgespült worden sein. Ähnlich wie die Blüteneinrichtung von Isnardia palustris seheint die der nordamerikanischen Ludwigia polycarpa Sh. u. P. zu sein, von der Ch. Robertson (Flowers and Inseets, IX. The Botanical Gazette 1892, Bd. XVII, pag. 272) angibt: „Die Blüten ent- behren der entomophilen Merkmale vollständig: es fehlen die Kronblätter und Nektar ist nicht vorhanden; die vier Staubblätter biegen sich ein- wärts und bringen die Antheren in Berührung mit der Narbe. Spon- tane Selbstbestäubung ist deshalb ein regelmäßiger Vorgang.“ Die 21* 324 ©. von Kirchner, Blüten sind übrigens erheblich größer als die von Isnardia palustris und stehen an den Zweigen eines aufrechten Stengels. Vielleicht ist von Robertson eine besonders stark reduzierte Form untersucht worden, da Britton und Brown (a. a. O. pag. 477) für diese Art das Vor- handensein von kleinen Kronblättern angeben. An Herbarexemplaren des Münchener Staatsherbars waren indessen keine Kronblätter vor- handen; der Blütenboden zeigt vier Buckel in derselben Ausbildung. wie sie weiter unten für L. repens Sw. beschrieben ist. Unter den nordamerikanischen Arten von Ludwigia befindet sieh noch eine, L. sphaerocarpa Ell., bei der die Kronblätter ge- wöhnlich, und zwei, L. glandulosa Walt. und L. alata Ell, bei denen sie immer fehlen; über die Einrichtung ihrer Blüten ist nichts Genaueres bekannt, doch können die von L. alata, die einen Durch- messer von 4!/, mn und eine weiße oder grünliche Farbe besitzen und zu langen lockeren Ähren vereinigt sind, nicht ganz unschein- bar sein. Von den mit deutlichen, und zwar gelben Kronen versehenen nordamerikanischen Arten hat Ch. Robertson (a. a. O. pag. 271) Ludwigia alternifolia L. näher untersucht, bei der zwar auch spontane Selbstbestäubung regelmäßig eintritt, aber die Narbe nur an ihrem Rande von den geöffneten Antheren berührt wird, in ihrer Mitte dagegen vom eigenen Pollen frei bleibt und der Freindbestäubung durch besuchende Insekten (Bombus americanorum F., Halictus stul- tus Cr.) zugänglich ist. Die Bläten sondern Nektar aus, der sich „in runden Tropfen an den Seiten des Fruchtknotens zwischen den Filament- basen in vier Gruppen ansammelt; die Gruppen werden oben durch einen Saum von Haaren etwas geschützt“... Die auf die Nektar- absonderung bezügliche Angabe wird verständlicher, wenn man beachtet, daß bei L. alternifolia das obere Ende des Fruchtknotens im Blüten- boden kegelförmig sich erhebt und allmählich in den Griffel übergeht; am Grunde dieses Kegels befinden sich abwechselnd mit den Staub- blättern vier Grübchen von der Form einer halbkugeligen Schale; die „schützenden“ Härchen fand ich nicht oberhalb, sondern unterhalb der Grübchen stehend. Diese Beschaffenheit des Blütengrundes, die an Herbarexemplaren deutlich zu erkennen war, ist weder aus der Be- schreibung, noch aus den Abbildungen bei Britton und Brown (a. a. O. pag. 479) zu ersehen; nach der dort gegebenen Beschreibung hat die Krone einen Durchmesser von 6°/,—9 mm, und ihre Blätter fallen bei Erschütterung leicht ab, doch wird eine in Westvirginia wachsende var. linariifolia Britt. erwähnt, deren Kronblätter dauerhafter seien. “u Die Bestäubungseinrichtung von Ismardia palustris L. und ihrer Verwandten. 325 Ein bemerkenswertes Schwanken in der Ausbildung der Kronblätter konnte ich bei der tropischen Ludwigia repens Sw. beobachten, die auch im Münchener botanischen Garten im Sommer im Freien gezogen wird, und deren Blüten den Eintritt von Selbst- und Fremdbestäubung gestatten (Fig. 6). Sie stehen zwar einzeln in den Blattachseln des ähnlich wie Isnardia palustris im Sumpfe kriechenden Stengels, besitzen aber Nektarabsonderung und meistens eine gewisse Augen- fölligkeit. Die vier spitzen grünen Kelchblätter sind 3'/, mm lang, 2 mm breit und legen sich nach dem Aufblühen in eine wagerechte Ebene auseinander. Die mit ihnen abwechseinden Kronblätter haben goldgelbe Farbe und längliche Gestalt, sind 3 mm lang und 1?/, mm breit und breiten sich so weit auseinander, daß der Durchmesser der Krone etwa 6 mm beträgt. Mitten in der Blüte steht ein kurzer Griffel, «ler mit seiner kopfigen, auf der Endfläche vierbuckeligen Narbe 1®/, mn hoch ist. Die mit den Kronblättern ab- wechselnden Staubblätter sind 13/, mm lang. haben rötlich überlaufene Filamente und Antheren, die sich nach innen öffnen, weißlichen Pollen entlassen und eine braune Färbung annehmen. Der 2 mm breite Blütenboden ist‘ von vier deutlich hervor- tretenden nierenförmigen Buckeln einge- nommen, die nur durch schmale Furchen voneinander getrennt sind, und in deren . u \ Mitte in einer Vertiefung der Griffel ein- er vn gefügt ist. Sie sondern an unbestimmten Stellen verhältnismäßig große Nektartröpfehen aus und sind von einer Spaltöffnungen führenden Epidermis überzogen. Sogleich nach dem Aufgehen der Blüte, noch ehe die Kelch- und Kronblätter sich auseinandergebreitet haben, springen die Antheren auf, und die Narbe glänzt von ausgeschiedener Flüssigkeit. Die Filamente bleiben nach innen gebogen, so daß die Antheren sick mit ihrer auf- gesprungenen Seite an den Rand der Narbe anlegen und sie bestäuben müssen. Aber die obere Fläche des Narbenkopfes wird nicht mit eigenem Pollen belegt und kann bei eintretendem Insektenbesuch Fremdbestäubung erfahren. Beim Abblühen verbleichen zuerst die Kronblätter und fallen dann ab, ebenso lösen sich die verwelkten Staubblätter, deren Antheren nicht wie bei Isnardia palustris an der Narbe haften bleiben, einzeln aus der Blüte, und etwas später fällt der Griffel ab. In zahlreichen 326 ©. von Kirchner, Die Bestäubungseinrichtung von Isnardia palustris L. usw. Blüten wurde eine Neigung der Krone zum Verkümmern beobachtet, insofern als einzelne oder alle Kronblätter eine Verringerung ihrer Größe bis auf eine Länge von !/, und eine Breite von '/, mm erleiden oder endlich ganz fehlen. So fand ich Blüten mit vier, drei, zwei ein- ander gegenüberstehenden, und einem sehr kleinen Kronblatt, und endlich auch ganz kronenlose. Aus den Beobachtungen an den Blüten (dieser Art glaubte ich den oben ausgesprochenen Schluß ziehen zu dürfen, daß bei der allmählichen Ausbildung der eigentümlichen Kleinstogamie von Isnardia palustris der erste Schritt die regelmäßige Autogamie, der zweite die Verkümmerung der Krone gewesen sein dürfte. NY Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. Von Günther Sohmid. (Mit XL Abbildungen im Text.) 1. Einleitung. - Von den ersten Betrachtungen Schrank’s über die „willkürlichen Bewegungen und die tierische Natur der Ostillarien“ in den Verhand- kungen der Kaiserl. Leopoldin.-Carolinischen Akademie der Naturforscher vom Jahre 1823 und den Bemerkungen Borys de St. Vincent 4 Jahre später im Dictionnaire classique d’histoire naturelle mit den Worten „nous avons renonc6 ä trouver leur mode de reproduction, et surtout & expliquer le möcanisme et les raisons de leurs mouvements“ bis zu den letzten Analysen der Bewegungserscheinungen dieser niederen Lebewesen durch Kolkwitz, Correns, Phillips, Pieper, Fechner und Nienburg im letzten Jahrzehnt ist ein langer Weg. Die Be- wegungsursache ist immer noch nicht erkannt, so, daß niemand etwas einzuwenden hätte. Die Arbeiten Kolkwitz’s und Correns’ brachten, wenn man von dem Studium des Membranbaues absieht, keine wesentlich neuen Tat- sachen zu einer Klärung. Die umfangreiche Literatur, welche vor ihnen bestanden hatte, gab ihre Befunde im allgemeinen auch schon. Die Ergebnisse früherer Verfasser werden durch sie gefestigter. Philipp’s Abhandlung nimmt eine Sonderstellung ein. Pieper und Nienburg hatten Fragen des Bewegungsverhaltens zum Ziele. Be- merkenswerte Fortschritte aber erfuhren unsere Kenntnisse durch die vor 3 Jahren erschienene Arbeit von R. Fechner. Fechner hat hier eingehend das chemotaktische Verhalten und die Bewegung des Sehleimes studiert und auf diesem Grunde eine Theorie der Oseillarien- bewegung zu errichten versucht. Ich selber begann im Frühjahr 1912 mich mit den Oscillarien zu beschäftigen. Meine Studien reichten bis in den Sommer 1913 und wurden da unterbrochen, ohne daß sie seitdem durch experimentelle Arbeit wieder aufgenommen werden konnten. So sind meine Unter- suchungen ein Bruchstück geblieben, und das Folgende ist nur ein Ver- 328 Günther Schmid, such, den ich unter besonderen Verhältnissen nicht weiter zurück- behalten möchte. I. Die Arten. Ich bemühte mich, das Bewegungsverhalten besonders einer an- sehnlichen Öseillarienart möglichst genau kennen zu lernen. Dies war eine nahe Verwandte oder Varietät von Oscillatoria curviceps Ag., die von der eigentlichen O. curviceps durch einen beständigen Färbungs- unterschied abweicht und der ich den Namen var. violescens gehen möchte. Sie soll der Einfachheit halber hier immer nur mit dem Art- namen eurviceps bezeichnet werden. Sie ist verhältnismäßig groß, und der einzelne Faden mit dem bloßen Auge gut sichtbar, ja zuweilen I em und darüber lang, ®,4 bis 24,8 « breit und wegen der haken- förmig gekrümmten Enden zu allerlei Bewegungsbeobachtungen aus- gezeichnet geeignet. Ich fand sie auf der feuchten Erde eines Blumen- topfes im Warınhause des Jenaer botanischen Gartens und konnte sie das ganze Jahr hindurch auf diesem Blumentopfe halten, indem ich nur ab und zu überwuchernde, andere Cyanophyceenformen beseitigen mußte. Es gelang mir nicht, die Art sonstwie auf Agargallerte oder im Wasser zu züchten, soviel verschiedene Nährsalzzusätze ich auch versuchte. O. eurviceps war an diesem Standort durchweg in starker Be- wegung. Nur nach mehreren Tagen trüben Wetters beobachtete ich stets eine auffällige Trägheit oder gar Stillstand. Neben O. curviceps prüfte ich eine Reihe anderer Formen, in dem Maße, als sich dazu gerade die Gelegenheit bot. Auf diese Weise kamen wir vor allem O. limosa Ag. uncinata (Ag.) Gom., tenuis Ag. numidica Gom., Phormidium autumnale (Ag) Gom., Retzii (Ag.) Gom., Symploca muscorum (Ag.) Gom. aus dem botanischen Garten oder der Umgebung Jenas zu Gesicht, die ich dann auch hin und wieder zu Versuchen benutzte. Ich habe über die Fundstellen dieser Formen an anderer Stelle (Hedwigia 1917, pag. 342—357) berichtet, sodaß ich hier darauf verweisen darf. II. Über die Geschwindigkeit der Bewegung. 1. Die regelrechte Geschwindigkeit. Die Osecillarien haben eine Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung, die sich in eine Übersicht der Geschwindigkeiten bei Bewegungen niederer Pflanzen durchaus eingliedern läßt. Beispielsweise legte Os- eillatoria curviceps in 1 Minute bei Zimmertemperatur (20° C} folgende Strecken zurück: “L, Zur Kenntnis der Öseillarienbewegung. 329 70,08 87,60 u 89.06 u, ein anderer Faden bei 22° C 57,00 u 68,40 u 83,60 u. Für Phormidium autumnale, einer bedeutend schmäleren und kürzeren Form, berechnete ich bei 20°C in 1 Minute: 3,24 u 327 1. ©. numidica, eine sehr schnelle Art, hatte eine Geschwindigkeit von 80 bis 100 « in der Minute bei 20°. Diese Werte wurden an Fäden gemessen, die im Wasser unter dem Deckglas des Objektträgers wanderten. Im freien Wassertropfen wurden keine größeren Werte erzielt: so rückte im hohlgeschliffenen Objektiräger ein Faden von O. curviceps im Laufe von 21 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 54 u vorwärts, andere Fäden ergaben für die Minute folgende Zahlen: 62,1 u oder 55,5 u 722 u 722 u - 422 u 38,8 u 592 u 592 u. Auch auf Agargallerte bewegte O. curviceps sich mit Geschwindigkeiten desselben Bereiches, z. B. auf 0,8%, Agargallerte mit 621 u 517 u 62,8 u 422 u. Auffällig größer sind die Zahlen, die Correns (pag. 148) an- gegeben hat, für O. princeps bei etwa 20° in 1 Minute 240 u, für O Froelichii var. fusca 150 #«. Besonders große Werte aber bringt Naegeli (pag. 90-91) für O. limosa, nämlich 660 « bis 1,0 mm (da- gegen für Phormidium vulgare durchaus regelrecht 3,1 bis 60 «). Diese Forscher haben es unterlassen zu bemerken, auf welche Weise sie solche Geschwindigkeiten ermittelt haben. Anzunehmen ist wohl, daß sie, statt wie ich, die unmittelbare geradlinige Vorwärtsbewegung, den gesamten Weg der schwingenden Fadenspitze maßen. In dem Falle vergrößern sich die Zahlen beträchtlich. So erhielt ich für den Weg der Fadenspitze in der Minute für 330 Günther Schmid, O. curviceps 147,1 «a für Ph. autumnale 60,8 w 134,0 u 68,4 u 182,7 u, 125,4 u. Die höchste Zahl, die auf diese Art bei Zimmertemperatur für O. curviceps erhalten werden konnte, war 255 « in der Minute! (nach Erschütterung, hierüber vgl. im nächsten Abschnitt), und der höchste Wert überbaupt ergab sich für O. curviceps in basischer Knopscher Nährlösung. Hier fand ich z. B. eine mittlere Geschwindigkeit von 445,3 ur in 1 Minute bei 20—20,5°. Hierzu die Geschwindigkeiten anderer niederer Pflanzen. In folgender Liste sind, ohne irgendwie mit dem Anspruch auf Voll- zähligkeit, Geschwindigkeiten mit denjenigen der Oscillarien verglichen und in eine Reihe gestellt worden (vergleichsweise auch die Protoplasma- strömung und einige Amöben, diese eingeklammert). Die Zahlen sind abgerundet, Werte in u. Thiothrix, Gonidien (nach Baeillen (nach Lehmann Winogradsky,pag. 35) 08 u. Fried, pag. 311). . 450 Myxobakterien (nach Be- Stauroneis Phoenicenteron, necke, pag. 1251). . . 2—3 Diatomee (nach Müller, Phormidium autumnale. . 3 wie oben). . 480 Myxobakterien (nach Be- Bacillus subtilis (nach Leh- necke, wie oben). . . 5--10 mann u. Fried, wie (Amoeba verrucosa) (nach oben) . 600 Rhumbler, pag. 123) . 30 Spirogyra, bei heliotropi- (Amoeba striata) (desgl.) . 60 scher Reizung (nach Oseillatoria eurvicepe . . 70-90 Winkler) . . ... ... 800--1600 » numidia . . 80-110 Choleravibrionen (nach (Amoeba geminata) (nach Lebmann u. Fried, Rhumbler, wie oben). 90--180 wie oben) . . 1800 Diatomee, unbestimmte Art Nitzschia sigmoides, Diato- (nach Müller, pag. 120) 116320 mee {nach Müller, wie Closterium acerosum (nach oben . . oo. 1020 Klebs, pag. 356). . - 220 (Protop! lasmastörung von Oscillatoria curviceps, er- Nitella hyalina) (nach schüttert . . . . 250 Naegeli, pag. 81) . . 600-2400 Pinnularia viridis, Distomee (desgl. von Nitella syncarpa, (nach Müller, wie oben) 420 nach Naegeli). . . . 1000-2500 Öscillatoria eurviceps in bas. Knopscher Lösung . . 440 Wie eingangs gesagt: die Bewegungsgeschwindigkeit ordnet sich völlig ein. Sie wetteifert bald mit derjenigen der Amöben, bald mit jener der Diatomeen und schließlich auch der Bakterien. Unsere Zahlenangaben für Oscilaria zeigten oben für ein und denselben Faden eine große Verschiedenheit der Geschwindigkeit. Es fragt sich, ob dies durch den Einfluß äußerer Umstände oder durch den Bewegungsmechanismus selber hervorgerufen wird. Hier zunächst eine Beobachtung, die für den äußeren Einfluß als Ursache spricht: Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 331 Die sehr lichtempfindliche und phototaktische Symploca muscorum wanderte auf 1%,iger Agargallerte geradlinig dem Licht entgegen. Es wurden zwei benachbart liegende Fäden zugleich auf ihre Geschwindig- keit beobachtet und diese gemessen. So ergab sich: 1. Faden: - 0--10 Minuten 2,5 Maßeinheiten = 0,25 in der Minute 10-5 „2 ” 040.» ” 1-2 „1 ” 04 5. » 2-0 „235 " = 0831, u > 2. Faden: 0—10 Minuten 2,5 Maßeinbeiten — 0,25 in der Minute 10—15 Pr 1,75 ” = 0,35 no ” 3-2 „ 13 „ = 0 u» 2-0 „2 » = 05 un m Die Schwankungen in den Geschwindigkeiten liefen durchaus gleich, wie auch bei diesen Messungen: 3. Faden: 0—12 Minuten 4 Maßeinheiten = 0,44 in der Minute 2-0 „3 n = 016, „ „ 30-64 „ 5,75 ” =016 ,,„. ” 4. Faden: 0-12 Minuten 3,2 Maßeinheiten = 0,26 in der Minute 12-90 „32 » = 017 4» ” 30-64 „ 3,6 „ 010 5,» ” Allein, Symploca ist besonders trägbeweglich, unvergleichlich viel langsamer als Oscillatoria curviceps und sogar als .Phormidium autum- nale. Andererseits ist sie ungemein phototaktisch und vielleicht auch sonst Einflüssen gegenüber sehr empfänglich. So läßt sich das parallele Schwanken in den Bewegungen bei dieser Alge zwanglos verstehen. Anders z. B. die schnelle O. curviceps. Sie ist auf Agargallerte völlig unempfindlich für Licht. Niemals habe ich phototaktische Erscheinungen wahrgenommen.. Und auch Phormidium autumnale hat nicht eine Photo- taxis, die man bezeichnend nennen könnte. Natürlich werden bei alledem äußere Umstände sich fortwährend geltend machen und Schwankungen in der Bewegung hervorrufen. Sie machen indes nicht jene Schwan- kungen verständlich, welche schon innerhalb kleinster Zeiträume sich ab- spielen. Nachfolgendes Beispiel gibt das allgemeine Bild hierfür: Ein einzelner Faden von OÖ. eurviceps lag in einem Tropfen Wassers unter dem Deckglas auf einem heizbaren Objektträger, welcher durch vorbeifließendes Wasser, dessen Temperatur ständig beobachtet werden konnte, in gleichmäßiger Zimmerwärme gehalten wurde. DieTempe- ratur maß 22° C. Ich erhielt, nachdem so der Faden etwa 15 Minuten unter dem Deckglas gewandert war, die Werte (1 Einheit = 7,3 a): 332 Günther Schmid, während 0—2 Minuten Vorwärtsbewegung in der Minute 8 ” 2—4 ” ” ” ” ” 9 „068 ,„ „ nn 165 „8-10 5 " vun MH „ 10-12 „ ” „nn 95 „ B-u 5 „ nn 16 Auffällig werden diese Schwankungen, wenn sehr kleine Zeit- abschnitte zur Bestimmung der Geschwindigkeiten herangezogen werden, etwa 1 Minute, '/, Minute. Bei Phormidium autumnale beobachtete ich in Abständen von je */, Minute. Das Abmessen der Wegstrecken geschah wie früher an der Bewegungsspur, die mittels Zeiss’schen Zeichenapparates auf dem Papier nachgezogen wurde. Die Zeit- abschnitte bestimmte ich mit einem genau arbeitenden Einstellchrono- meter. (Temperatur 20° C; 1 Einheit— 1,8 u). . } ı L.: ıL u | w. Weg der |Vorwärts-| Weg der |Vorwärts-} Weg der !Vorwärts-| Weg der |Vorwärts- Faden- |bewegung| Faden- |bewegung} Faden- |bewegung| Faden- !bewezung spitze | spitze | spitze | spitze H ! ! — 3 5 » |u Is 8 6:6 15 4), 21 10 8, 8, 8 8 21 3, 3.21% 8 8 9.08, 51, 2* 11 9 7 7 9 9 3 14 ’ 8 7 7 9 09 18 ı 01 18, 12, 9 i 8 6 | 6 9 3 13 u &,, &, 10 ı 9 1017, 4 18 12 9 8 10 9 35 ı 8 10 WA 7 7 Es Pr 1 10 6 \.6* ! 25 9 10 8 2 io 2 i 36 8 12 12 ? | 7 | Dies sind die fortlaufenden Schwankungen desselben Fadens, welche hier der schriftlichen Anordnung wegen in vier Reihen wieder- gegeben werden. Während der Beobachtung mußte ich den Objekt- träger einigemal verschieben, was peinlichst, bei Vermeidung jeglicher Erschütterung, geschah, Dazu wurde jedesmal etwa !/, Minute be- ansprucht. Die entsprechenden Stellen sind oben durch einen wage- rechten Strich gekennzeichnet. Bei * fanden Umkehrungen der Be- wegung statt. Es wird deutlich, daß vor einer Unikehr Verlangsamung eintritt und nach erfolgter Umkehr ein Anwachsen der Geschwindig- keit; das haben ja auch schon frühere Beobachter bemerkt. Die Geschwindigkeiten nehmen in der Versuchsreihe für Phormi- dium autumnale von vorn nach hinten ab, was sich aus einem all- mählichen Nachlassen der Betriebskraft erklären ließe, einem äußeren Einfluß zufolge, etwa dem längeren Verweilen des Fadens in einem von der Luft ziernlich abgeschlossenen Wassertropfen oder anderen Um- Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 333 ständen, «lie nicht übersehen werden können. Es bleiben überdies die eigentlichen Viertelminutenschwankungen; man vergleiche von 1 auf 3 oler von 4 auf 9 usw., oder bei den Schwankungen der Fadenspitze gar von 23 auf 15, von 10%, auf 35. Wir können nicht annehmen, daß dies durch entsprechende äußere Bedingungen verursucht wird, sondern müssen den Grund dafür in einem Hin- und Widerspiel innerer Kraftverläufe sehen. Wir haben solche Bilder auch sonst bei leben- ‚digen Vorgängen; ich verweise z. B. auf das fortwährende Schwanken der Atmungsgröße bei Pflanzen. 2, Erschütterung und Geschwindigkeit. Über den Einfluß äußerer Umstände auf die Geschwindigkeit der Oscillarienbewegung ist bis jetzt wenig bekannt geworden. Man hat nur einige Bemerkungen über die Wirkung der Wärme und des Lichtes gemacht. ' j Im Verlauf meiner Bestimmungen der Geschwindigkeiten empfand ich häufig als lästige Störung Erschütterungen, die zufällig durch Klopfen auf den Tisch oder heftiges Verschieben des Präparates her- vorgerufen werden; solche Störungen veranlaßten meist Veränderungen in der ‚Geschwindigkeit der Oscillarienfäden. Anfangs glaubte ich die Ursache dafür lediglick in einer leichten Verschiebung des Fadens suchen zu müssen, einer Verschiebung im Wassertropfen des Objekt- trägers, wodurch jeweils etwa eine günstigere oder ungünstige Lage für die Fortbewegung der Oseillarie geschaffen würde. Im weiteren Verfolg dieser Erscheinung stellte sich jedoch ein gesetzmäßiges Ver- halten heraus: nach einer einmaligen Erschütterung verlangsamte sich die Bewegung niemals; wenn sie nieht unbeeinflußt auf derselben Ge- schwindigkeitshöhe verblieb, verstärkte sie sich auffällig, und das war meist der Fall. Man kann einem träge wandernden Faden von O. cur- viceps fast stets wieder zu einigen Minuten ansehnlicher Bewegungs- tätigkeit verhelfen, wenn man das Präparat erschüttert, ein-, zweimal dureh heftigen Schlag auf den Tisch, auf dem das Mikroskop steht. Genauere Versuche zeigten das Verhalten klarer und eindeutig, wovon hier einige Beispiele: 1. Ein regelrecht beweglicher Faden von O. curviceps, der frisch dem Blumentopf des Gewächshauses entstammte, wurde beobachtet, nachdem er 10 Minuten unter dem Deckglase verweilt hatte. Die Temperatur schwankte um ein Geringes weniger 22° auf 22°C, 1 Ge- schwindigkeitseinheit = 7,3 u. 334 Günther Schmid, Von 0—2 Min. Geschwindigkeit—= 8 Von 16—18 Min. Geschwindigkeit 24 „ „ - 9 „» 18-20 „ „ » 46 „ ” =115 .r » 6-8. ” = 16,5 „ 20-22 „ E 810, » -1 2 mM „ » „ 1-12 „ ” = 9,5* „ 2426 „ » » 12-14 „ » —-1 „ 26—28 „ ” 14-16 „ —145 „28-80 „ » Bei * fand eine Umkehr der Bewegung statt, bei ** wurde er- schüttert. Durch die Erschütterung veränderte sich die Bewegungs- geschwindigkeit von 15 auf 34! Und zwar nahm hier nur die un- mittelbare, geradlinige Vorwärtsbewegung zu, die Schwingungen der Fadenspitze ließen kein Stärkerwerden erkennen. Auf die Richtung des wandernden Fadens hatte das Erschüttern ebensowenig Einfluß, so daß also auch keine Umkehr stattfand. Letzteres gilt auch für die folgenden Versuche. . 2. Ein schlecht ernährter Faden von 0. ceurviceps, der nur schwache Bewegungen zeigte — er hatte vorher 3 Tage in einem halb- dämmerigen Zimmer in basischer Knop’scher Lösung gelegen — wurde, nachdem er dann vorher 15 Minuten bei 20,5° C unter dem Deckglas gelegen hatte, zur Untersuchung verwendet. Während der Beobachtung sank die Temperatur auf 19,5° C herab. Hier der Ver- lauf des Versuches: Geschwindigkeit der Feitangabe " Tr " Vorwärtsbewegung Bemerkungen: in der Minute: 0-5 20,5 4 5-10 20,5 2,6 10—15 20,5 1,6 15—20 20,5 beinahe 0 20-25 20,5 0* 25—30 20 20 30—35 20 11,2 35—40 20 4,4 40-45 20 4,5* Umkehr der Bewegung 4550 20 11,6 ' 50--55 20 3,4* 55-60 20 12,6 60—65 19,5 9,2** Umkehr der Bewegung 65—70 20,5—28 12,4 0-75 29 —31 0,6 75—80 31 -—-32 0 Umkehr der Bewegung Bemerkung: Bei * wurde erschüttert, bei ** absichtlich erwärmt. 1 Geschwindigkeiteinheit = 7,3 u. Der Erfolg des Erschütterns ist hier sehr deutlich. Von der Ge- schwindigkeit 0 stieg sie auf 20, von 4,5 auf 11,6, von 3,4 auf 12,6. Es hatte mehr fördernden Einfluß als die nachfolgende Erwärmung, welche die Geschwindigkeit von 9,2 auf 12,4 steigerte (woraus aus vor- Zur Kenntnis der Oscillariendewegung. 335 liegendem Versuche natürlich kein weiterer Vergleich zwischen diesen beiden Einwirkungen auf die Bewegung gezogen werden darf.) 3. Den dritten Versuch schließen wir der Reihe Bewegungs- schwankungen an, welche bereits auf pag. 332 für Phormidium autumnale wiedergegeben worden sind. Es handelte sich, wie schon dort gesagt, um einen einzelnen. freiliegenden Faden, der sich bei einer stetigen Temperatur von 20° C bewegte. Die Geschwindigkeiten hatten nach Verlauf des ersten Viertels der Beobachtungszeit fortwährend unter Schwankungen abgenommen und waren schließlich auf die Größe 8%, bzw. 8 gekommen. Jetzt wurde das Präparat verschoben, was etwa eine Viertelminute in Anspruch nahm und dann der Erschütterungs- schlag ausgeführt, wodurch die Beobachtungspause abermals um 1/, Minute verlängert wurde. Darauf konnte — wie früher in Ab- ständen von 1/, Minuten — folgende Zahlenreihe der Geschwindig- keiten aufgezeichnet werden: Fadenspitze Vorwärtsbewegung Fadenspitze Vorwärtsbewegung 7 65 17 1 30%, 13 234, 7 19 9 26 1 20 7,8 27 6 24 9 19 12,5 35 9 28", 4,5 3 9 34 13 35 6 Der Versuch zeigt ein Anwachsen von 6,5 bzw. 7 auf 13 bzw. 30%. Die Bewegung, die vor dem Schlag einigermaßen gieichförmig gewesen wat, wird wieder schwankend wie im Anfang der Beobachtungsreihe und hat jetzt, im ganzen genommen, die ursprüngliche Geschwindig- keit wieder. In dem nachfolgenden gra- phischen Bild der Geschwindigkeiten, bei dem man sich eine Abzisse mit !/, Minutenabschnitten und die zugehörige Ordinate mit Ge- Fig. 1. schwindigkeitsein- heiten versehen zu denken hat!), wird dies noch deutlicher (die obere Kurve gilt für die Schwingungen der Fadenspitze, die untere für die 3) Die Kurven haben, damit sie nicht stellenweise zusammenliegen, ver- schiedene Ordinaten. 336 Günther Schmid, unmittelbare Vorwärtsbewegung; die senkrechte Strichelung gibt den Ort des Erschütterungsschlages an). Ich habe nur wenige Beobachtungen darüber zur Verfügung, wie der Oseillarienfaden sich bei wiederkehrenden Erschütterungen verhält. Die Ergebnisse waren sehr wechselnd. U.a. machte ich den Versuch, eine Stunde hindurch eine Anzahl in einem offenen Wassertropfen liegender Fäden von O. curviceps alle 5 Minuten heftig zu erschüttern. Darauf war die Bewegung stellenweise sehr schwach, im ganzen be- deutend geringer als im Anfang, jedoch waren auch einige regelrecht bewegliche Fäden zu sehen. Die gleichzeitig in einem ruhig gehaltenen Wassertropfen verweilten Fäden waren dagegen alle in regelrechter Bewegung. Man fragt sich, ob in der Beeinflussung durch Erschütterung ein Reizvorgang vorliegt oder aber etwa eine mehr mechanische Entspannung. Das nach der Erschütterung oft heftige Pendeln der Fadenspitze könnte für eine bewirkte Auslösung einer im Faden vorherrschend gewesenen mechanischen Spannung sprechen. Indes wurde die Schwingungsweite der Fadenspitze nicht jedesmal vergrößert, oft wurde lediglich die Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegnug stärker. Und andererseits ist zu beachten, daß nach dem Erschüttern immer 4, bis 1, Minute, zu- weilen sogar ®/, Minuten, verstrichen, bis die Wirkung sich zeigte. Zweifellos haben wir es hier mit einer Reizantwort zu tun. Meine Befunde stehen im Wiederspruch zu denjenigen, die Th. "W. Engelmann im Archiv für die gesamte Psysiologie 1879 gegeben hat und die von dort auch in Verworn’s Allgemeine Physiologie (5. Aufl., 1909, pag. 456) übergangen sind. Elektrische wie mechanische Reizung (Druck und Stoß) sollen hiernach für die an der Oberfläche der Oscillarien (und Diatomeen) haftenden Teilchen genau so wirksam wie auf Protoplasmaströmung sein, d. h. Verzögerung bzw. Stillstand der Bewegung hervorrufen. Verworn läßt dabei die Frage offen, ob dies als Lähmungsvorgang oder als Ausdruck tetanischer Erregung zu deuten sei. Beide Forscher suchten hierdurch Eigenschaften des Protoplasmas zu erweisen. Engelmann wolite damals durch seine Reizungsversuche die Protoplasmanatur der schleimigen Hülle des Oseillarienfadens auf- zeigen, Verworn die Gleichartigkeit der protoplasmatischen Lebensäuße- rungen bei Oscillarien, Diatomeen, Amöben usw. und der Protoplasma- strömung dartun. Ich will einen Vergleich über den Einfluß des Er- schütterns auf Protoplasmaströmung und niedere Organismen nicht ziehen. Entschieden fehlen dazu die nötigen Untersuchungen. Indessen Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 337 sind doch gewisse Ähnlichkeiten auffällig. Verworn (I) erschütterte Amoeba, Actinosphaerium und andere Formen durch eine besondere Vorrichtung. Dadurch war es möglich, einen „mechanischen Tetanus* zu erzeugen, wie Verworn diesen Zustand nennt, z. B. bei etwa 15—20 Stößen in der Sekunde nach 1—-2 Minuten alle Pseudo- podien zum Einziehen zu bringen, so daß eine vollkommene Kugelgestalt entsteht. Das war eine schnelle Aufeinanderfoige der Schütterungsstöße, wie sie bei den Oscillarienfäden meiner Versuche nicht vorliegen. Und bei schwacher Reizung erfolgte denn bei Verworn auch bedeutend langsameres Zurückgehen der Pseudopodien. Die Ähnlichkeit liegt darin, daß ja bei Amoeba usw. ebenso wie Oseillaria eine geschwindere Bewegung nach der Erschütterung auftrat, bei Amoeba in dem schnellen Einziehen der sonst ausgestreckten Pseudopodien. Erst die nach längerer Erschütterung verharrende Amoeba kann dann mit Engel- mann’s gereizten ÖOscillarien verglichen werden. Und gehemmte Bewegungen durch häufige ‚Erschütterungen sind wohl auch für Oseil- larien ganz allgemein anzunehmen. Dafür spricht außer meinen Beob- achtungen eine Bemerkung Hansgirgs (I. pag. 28) „Die durch Stoß und Kontaktreize, z. B. öfters wiederholtes*!) Rütteln, Klopfen usw. am Deckgläschen unter dem Mikroskope starr gewordenen Oscillarien- fäden können nach einer kürzeren oder längeren Ruheperiode ihre frühere Reizbarkeit und Bewegungsfähigkeit wiedererhalten“. Ferner an einer anderen Stelle Hansgirgs (II, pag. 86): „Durch wieder- holte) mechanische Erschütterungen gehen die lokomotorisch beweg- lichen Oscillarien in einen Starrezustand über“ usw. Es lag nahe festzustellen, ob denn auch die Diatomeen, welche nach Engelmann und Verworn bei häufiger Erschütterungsreizung Stillstand der Bewegung zeigen sollen, bei einmaliger Erschütterung einen Geschwindigkeitszuwachs der Bewegung erfahren. Dies ist in der Tat der Fall: 1. Eine große, nicht näher bestimmte Diatomee lag im Tropfen Wasser unter dem Deckglas. Nachdem sie einige Minuten verweilt hatte, beobachtete ich in den Zeitabschnitten von 0 —2%/, Minuten für die Minute 9,6 Einheiten der Geschwindigkeit Eu FE „nn 148 ” „ ” dann völliger Stillstand, nämlich von 7/,—10'/, Minuten für die Minute 0 Einheiten der Geschwindigkeit, worauf der Ersehütterungschlag ausgeführt wurde: 101/,,—12"/, Minuten für die Minute 18 Einheiten der Geschwindigkeit 1,10), nn Bd „» ” „ 2) Von mir gesperrt gedruckt. Flora. Bd. 111. 22 338 Günther Schmid, Die Reizantwort war unverkennbar; von O stieg die Geschwindig- keit auf 18 und erhöhte sich in der Folge noch bis 25. Oder 2. eine gleiche Diatomee wie vorher. Nach 8 Minuten Beobachtung der wandernden Alge von “ 0 — 3 Minuten für die Minute 10,3 Einheiten der Geschwindigkeit; hierauf Ersehütterung durch Stoß: 3 — 4 Minuten für die Minute 26 Einheiten der Geschwindigkeit 4 —5 ” von » 25: „ » ” 5 —8 „ von 196 ” ” ” 8,,—13 » »» „31 n ” ” ; hierauf abermals Erschütterung: 13 —ı8 Minuten für die Minute 29 Einheiten der Geschwindigkeit. Wieder eine Geschwindigkeitszunahme durch Erschütterung von 10,3 auf 26, von 23,1 auf 29. Die Kenntnis über den Erschütterungsreiz ist geeignet, die Ver- breitung beweglicher und unbeweglicher Öseillarienarten in der Natur dem Verständnis näher zu bringen. Ich prüfte Phormidium Retzii, das bei Jena in fließenden Bächen verbreitet ist und entnahm eine Probe einem kleinen Wasserfalle im Mühltal. Die meisten Fäden waren völlig ohne Bewegungen und die übrigen von geringer Beweglichkeit. Als ich sie dann im Zimmer auf feuchtem Papier hielt, war erst nach 3 Tagen eine geringe strahlige Anordnung bemerkbar, so daß der Rand des ursprünglichen Algenlagers nur etwa !/, mm überstrahlt wurde; im Thermostaten ging bei 26° C die Auswanderung 1—1?/, mm weit. Dagegen hatte zu gleicher Zeit Phormidium autumnale sich bei Zimmerwärme 18 mm vom Lager ent- fernt. Phormidium Retzii hat in dem fortwährend erschütterten Wasser der Bäche und Wasserfälle das Bewegungsvermögen nahezu eingebüßt, und es ist ökologisch leicht einzusehen, daß hier eine Ortsveränderung nicht notwendig ist. Einbußen der Bewegungsmöglichkeit im fließenden Wasser sind ja auch sonst nicht selten. Ich verweise u. a. auf Vau- cheria fluitans, welche im Gegensatz zu den Verwandten auf feuchtem Boden keine Schwärmsporen bildet, oder auf die Beggiatoacee Thiothrix, die Winogradsky eingehend beschrieben hat. Thiothrix sitzt in rasch fließendem Wasser auf steinigem Boden fest und bildet nur sehr träg bewegliche Hormogonien, während die lebhaft bewegliche Beggiatoa schlammigen Boden bewohnt, das von Wasser mit kaum merklicher Bewegung überflossen wird. Kützing unterscheidet an einer Stelle (Phycologia Generalis, pag. 190ff.) bei Phormidium einjährige und ausdauernde Arten und nennt einjährig diejenigen Arten, deren Lager aus einfacher Schicht Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 339 bestehen, während die mehrjährigen lamellöse Lager bilden, d. h. aus übereinanderliegenden Schichten gebildet werden, wovon nur die obersten Lagen lebendige Fäden beherbergen. Er fügt hinzu, daß die einjährigen Arten sämtlich eine größere Lebhaftigkeit der Bewegungen aufweisen. Sein System gründet sich bei Phormidium geradezu auf diese Unter- schiede, und er teilt die Gattung ein in: 1. annua: stratum tenue, non lamellosum, radians; 2. perennia: stratum compaetum, lamellosum, vix radians. Vergleicht man die Arten nach den Standorten, so findet man die perennierenden Arten vorzugsweise in schnellfließenden Bächen, in Mühlengerinnen, in Wasserfällen usw. 3. Wärme und Geschwindigkeit. Es ist von vornherein selbstverständlich, daß verschiedene Wärme- grade verschiedene Grade der Geschwindigkeit bei der Oscillarien- bewegung hervorrufen. Das ist wohl auch früher schon beobachtet worden. Mir kan es darauf an, die genauen Beziehungen zwischen Wärme und Geschwindigkeit festzulegen. O. curviceps erwies sich bei —12° C völlig unbeweglich, ebenso nach einem zwölfstündigen Verweilen bei + 7° Sie starb bei diesen Temperaturen nicht, denn ins 15° warme Zimmer gebracht, trat wieder Bewegung auf, ja einzelne Fäden waren dann besonders stark beweglich. Bei 10—12° war die Bewegung anfangs regelrecht, wurde aber im Laufe der Zeit schwächer, nach dreimal 24 Stunden zeigte sie sich immer noch beachtlich, nach viermal 24 Stunden war sie ganz gering oder meistens —O0 geworden. 31° C rief zwar eine beschleunigte Bewegung hervor, war aber bereits auf die Dauer schädlich, verlang- samte dann nicht nur die Geschwindigkeit, sondern brachte schließlich die Fäden zum Absterben. Dies zeigt z. B. folgender Fall: Klümpchen von O. curviceps wurden in senkrecht stehende Glasröhrchen gebracht. Beide wurden verdunkelt, Rohr a bei Zimmertemperatur (10—11,29), Rohr 5 im Thermostaten bei gleichmäßiger Temperatur von 31° auf- gestellt. Der Vergleich ergab, daß die Fäden aufgestiegen waren nach 20 Stunden bei « 1,3 cm, einzelne bis 2,7 em; bei 55,8 cm hoch, j „ 4 „ a5 ” „6 nm 558, „ einzelnebisßem, » a „nat m Pa EP: rer 2:7 Ser „nd Also bei 10—11° C gleichmäßiges Zunehmen der Weglänge, bei 31° C schon nach 20 Stunden durchweg Stillstand. Ähnliches Verhalten zeigte Phormidium autumnale. Trockene Erd- stückchen mit dieser Alge brachte ich in Glasschalen auf nasses Papier 29% 340 Günther Schmid, und verteilte die Schalen auf dunkle Räume von etwa 7%, 15—17,5%, 25-—28° und 39—41,5° C. Die Fäden strahlten aus: 7 nach 12 Stunden bei 7°: O mm; bei 15—17,5°: bis I mm; » 2» „ Tb „ 15-175%: „2 „ DB mid, „ l-1ms0:2[35 5 nach 12 Stunden bei 25—28°: 1 mm; |bei 39—41°: O mm WM 0:2 „ „ 39-4°:0 „ WR BR: 2 5 39-41°:0 Bei diesem Versuch mit Phormidium ist also schon die Temperatur von 25—28° auf die Dauer von schädigendem Einflusse hinsichtlich der Bewegungskraft. Fortwährend beschleunigend wirkte nur eine Wärme von 15—17,5°, Obige Zahlen sind geeignet, ein Bild vom Maximum der Geschwin- digkeit zu geben, das zugleich Optimum ist und somit ökologische Bedeutung hat. Das physiologische Maximum der Geschwindigkeit läßt sich nicht daraus ableiten. Dies ist nur bei dauernder Beobachtung eines einzelnen Fadens, der hintereinander unter verschiedenen Wärme- bedingungen gehalten wird, zu ermitteln. Ich legte jedesmal einen einzelnen Faden in einen Tropfen Wassers auf der Glaskammer eines heizbaren Objekttisches und bedeckte mit dem Deckglas. Beliebig ließ sich dann die Temperatur abändern. Die Glaskammer durchströmte fortwährend langsamfließendes Wasser, welches vorher auf die gewünschte Temperatur gebracht worden war. Das Maß der Temperatur konnte ich in jedem Augenblick durch ein kleines, genau geaichtes Thermometer ablesen, das in der Glaskammer in un- mittelbarer Nähe des aufgelegten Deckglases steckte. Bei den Ver- suchen war als Vorsichtsmaßregel zu beachten, daß der Wassertropfen mit dem Oscillarienfaden nicht etwa Luftblasen enthielt, die später bei Erwärmung größer werden und dabei den Faden hätten verschieben können. Ferner mußte der Wassertropfen reichlich bemessen sein, da- mit nicht bei nachfolgender Verdunstung das Deckglas sich zu sehr anpreßte und durch den Druck schädigte. Vorversuch. Der Vorversuch ergab das allgemeine Bild des nachher stets wiederkehrenden Verlaufes der Wärmeeinwirkung auf die Geschwin- digkeit. Aus einer Fadenanhäufung von O. curviceps, die einen Tag in hasischer Knop’scher Nährlösung gelegen hatte, nahm ich mit einer Nadel einen einzelnen Faden heraus und legte ihn in den Wassertropfen unter das Deckglas. Seine Bewegung war sehr lebhaft. Ich ließ Heiz- Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 341 wasser durch die Glaskanımer des Objekttisches laufen, sodaß die Temperatur von 20 zu 20,5° C wechselte und verfolgte mit dem Blei- stift auf dem Papier unter dem Zeichenapparat das nachwandernde Ende eines Fadens. Jetzt legte es, unregelmäßig hin- und herschwingend, im Verlauf von 5 Minuten insgesamt einen Weg von 2,2268 mm zurück: das entspricht einer Geschwindigkeit von 0,4453 mm für die Minute. Darauf erwärmte ich den Objekttisch, anfangs auf 38,5%, dann mit 39°C. Es entwickelte sich eine sehr heftige Bewegung, die so- wohl im wirklichen Vorwärtsrücken des ganzen Fadens, als auch besonders in weitausladenden Pendelschwingungen, vor allem des Vorder- endes, sich zeigte. Die Zeit der Handreichung zur Erwärmung (3—4 Minuten) genügte aber schon, um ein bedeutendes Nachlassen der Geschwindigkeit vorzufinden, ja sie wurde etwa viermal schwächer als vor der Temperatursteigerung. Im weiteren Verlauf wurde der Faden nahezu regungslos. Er weist nur schwache Zuckungen auf und kurze Bewegungen, bald in umgekehrter Richtung, bald in der ursprünglichen. 2 Minuten später kühlte ich ab. In 10 Minuten fiel die Tem- peratur auf 21,5%. Auch jetzt lag der Faden zunächst beinahe un- beweglich, dann schließlich ohne jedes Anzeichen irgendeiner Bewegung Zur besseren Übersicht von Zeit und Temperaturfolge eine kurze zahlenmäßige Wiederholung: 0— 5 Min. Temperatur 20—30,5° Geschwindigkeit 0,4453 in der Minute 5-10 ,„ Erwärmung bis auf 39° heftige, nicht gemessene Bewegung 10-17 „ Temperatur 39° schwache Bewegung, Geschwindigkeit 0,0212 in der Minute. 17-28 „ Temperaturverminderung um 18 Min. 27° i „ 23 „ 23° Geschwindigkeit 0,021—0 i. d. Minute „238 „ 21,5° Demnach war dieser Oscillarienfaden keineswegs tot, etwa durch den Einfluß der Temperatur von 39°, Es war Wärmestarre eingetreten. “ Um 33 Minuten beobachtete ich wieder und sah beachtliche Schwingungs- bewegungen, verbunden mit allgemeinem Vorwärtsrücken. Ich behielt den Faden noch weitere 15 Minuten im Auge; die Geschwindigkeit war schließlich auf 0,0577 für die Minute angewachsen. Wir besitzen wenige Untersuchungen und Angaben über den gradmäßigen Einfluß der Wärme auf pflanzliche Bewegungsgeschwindig- keiten. Es liegen solche vor über die Bewegungen der Plasmodien bei Myxomyzeten, die Vouk (nach Kanitz, pag. 88) ausgeführt hat. Ältere Beobachtungen über Temperatur und Protoplasmaströmungen geschahen noch nicht unter dem Gesichtswinkel der van t’Hoff’schen Regel, die heutzutage unsere Arbeitsrichtung bestimmen muß. Es fragt 342 Günther Schmid, sich, ob auch die Bewegung der Öscillarien dieser Regel genügen. Dazu war es erforderlich, die Geschwindigkeit ein und desselben Fadens in Temperaturabschnitten von etwa 10°C zu prüfen. Es liegen mir Versuche vor aus dem Bereiche von 10—20° und von 20—30°, wobei . zur Übersicht des Gesamtbildes hier und da diese Grenzen überschritten sind. Teils sind sie mit O. curviceps, teils mit Phormidium autumnale angestellt worden. Temperaturbereich von 10—20°. 1. Versuch. Der Blumentopf mit O. curviceps war abends vorher aus dem Gewächshaus in das ungeheizte Arbeitszimmer herübergeholt worden und hatte kier des Nachts bei 10-- 10,5°C verweilt. In diesem Zimmer wurde am anderen Morgen der Versuch angestellt. Ein einzelner, gut beweglicher Faden wurde so in das Gesichtsfeld gebracht, daß sein nachwanderndes Ende gut beobachtet und die Bewegung unter dem Zeichenapparat genau verfolgt werden konnte. Die Geschwindigkeiten werden in diesem, wie den folgenden Versuchen, in Verhältniszahlen ausgedrückt, wobei 10,7 « entspricht. Geschwindigkeit Zeitabschnitt Temperatur der Vorwärts- Geschwindigkeit (Minuten) eo bewegung in he endel- der Minute ewegung 0-5 12,3—12,1 3,6 5—10 12,1—12,0 12—12,5° 32 1320 [rer 5— 25— und zwar: ’ ’ . um 18 Min. 14,0 nicht gemessen »„ 19. 170 » 2% „ 190 0-25 19,0—20,2 8 und zwar: um 23 Min. 20 25 „ 202 en uw ‚020,5 7 20,5,.200 7,1 7 20,0--21,5(%,) 1 &) FIR: 19-22° 1 212 9,6 20,5 5,6 20,0 32* 19,5 7,4 21,0 7,8 21,0 82 21,0—22,0 62 22,0--21,5 42 21,0 3,6 -. Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 343 Bemerkung: Bei * fanıl Umkehr der Bewegung statt. Der Wärme- wechsel hatte hier wie in allen Fällen keinen Einfluß auf die Bewegungs- richtung. Es fragt sieh, wie man die Geschwindigkeiten vor der Erwärmung, im Bereiche von 12,0—12,5% mit denen im Bereiche von 19---22° vergleichen soll. Sieht man von den beiden Durchschnittsgeschwindig- keiten zur Zeit der Umkehrbewegung — 4,6 und 3,2 — ab, so erhält man als durchschnittliche Geschwindigkeit für 19—22° — 7,42; dem steht als durchschnittliche Geschwindigkeit für 12— 12,50 = 4,66 gegen- über. Das Verhältnis ergäbe 1:1,6. Indes kann man mit ebensoviel Berechtigung die Höchstgeschwindigkeiten in den beiden Temperatur- bereichen vergleichen und hätte dann den Vergleich zwischen genauen Geschwindigkeitszahlen mit entsprechenden, genauen Temperaturgrößen. Die höchste Geschwindigkeit (= kı} ergibt sich bei 12—12,5° = 12.20 Wärme (t,) und ist 5,4; die andere Höchstgeschwindigkeit (k,) = Il liegt bei 20—21,5° — 20,7° (t3). Dies Verhältnis ergäbe für die Wärmestufe 12,2—20,7° = 5,4:11 — 1:2,0. Man sieht, daß beide errechnete Zahlen durchaus in den Grenzen des van t’Hoff’schen Teimperaturquotienten liegen. 2. Versuch, O.curviceps. Wiederholung des ersten Versuches unter den gleichen Bedingungen. Das Arbeitszimmer hatte nachts vorher 10° Temperatur gehabt. * — Wechsel der Bewegungsrichtung; 1 = 0,7 a. Geschwindigkeit Geschwindigkeit Zeitabschnitt Temperatur der Vorwärts- der Pendel- (Minuten) 00 bewegung in bewegung in der Minute der Minute 0— 6 12,0 2,8 4,1 6—13 12,0 24 @,) B w 13—15 12,0 (t,} o 4,5 (k, ik’, 1520 120 Na-ı25 2,3” 2,4 20—25 12,0 2,5* 2,7* 25—30 12,0-—12,5 3,6 38 30—35 12,5—12,7 3,2* 3,6* 35—40 12,7—13,0 41 42 43—45 14,0 4,3* 45* 45—50 11,4 15 und zwar: um 45 Min. 14,0 „4, 190 „48 „ 21,0 „49 „ 215 50-55 21,5—22,3 16,2 22,4 55—60 22,3—22,2 (t,) 17,4 (k,) 19,6 60-65 22,2--22,0 21-.22,3° 152 16,5 [71 22,0—21,5 > 10,5 19,8 21-75 21,5--21,0 14,7 192 75801, 21,0 (t,) 10,9 30 (k‘,) 344 . Günther Schmid, Ergebnis: Der Faden hat gleich anfangs viermal die Richtung gewechselt, was ja immer mit Verlangsamung der Geschwindigkeit verbunden ist, und insofern war er zur Untersuchung recht ungeeignet. Dies läßt auch schließen, daß der Faden eine regelrechte Beweglichkeit überhaupt nicht hatte. Die Umkehrgrößen ausgelassen, berechnet sich, nach dem Vorgang beim ersten Versuch, unter Berücksichtigung der Durch- schnittsgeschwindigkeiten für die Temperaturstufe (12—12,5% bis (21—22,3°) der Verhältniswert 1:42. Beim Vergleich der Höchst- geschwindigkeiten (k,:k,) zu den zugehörigen Temperaturen t, und t, errechnet sich für die Temperaturstufe 12—22° das Verhältnis: k,:'k, —4,5:174—=1:3,8. Anders bei der Pendelbewegung. Die Berechnung unter den gieichen Vorraussetzungen ergibt hier diese Zahlen: für die Stufe 12 (t,)— 21 (t,)= 1:80 oder ky:k, = 1:6. Temperaturbereich von 20 bis 30%. 3. Versuch. O. curviceps. Der Faden wurde dem Blumentopf entnommen, der vorher mehrere Stunden im geheizten Zimmer (17—17,5° gestanden hatte. * = Umkehrbewegung; 1=0,7 u. Geschwindigkeit Geschwindigkeit Zeitabschnitt Temperatur der Vorwärts- der Pendel- (Minuten) 0 bewegung in bewegung in der Minute der Minute 0— 5 20,0 (t,) 11,8 (k,) 20 5—10 20,0 82* 18,4* 10-15 20,0 11,4 16 16—20 20,0 t,) 12 25 (k',) 20--22 20,0—27,0 20 58 und zwar um 21%,, Min. 28,0 2 „270 ” 23—25 "bei 23%, Min. 31,0 35 (k,) 84,5 (k‘,) mittl. Temp. wohl 32 (t,) 28.30 34,5—34,0 34 40,5 303%, 34,0—36,0 26 39,6 und zwar: um 31 Min. 35,5 „32 „ 36,0 35-40 36,0— 35,5 1,2* 3,4* 40—43 35,0 6,8 20 43—46 35,0--34,5 1,3* 13* 46-50 34,5—33,5 1 2 50-53 33,5—32,0 0 * 0” 57--59 31,5—29,0 17 17 59—65 29,0—23,0 9,3 0,6 65—70 23,0—22,5 0,3 0,4 70—75 22,0 92 02 75-80 220 0,3 0,4 n_y Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 345 Die Temperaturen und Geschwindigkeiten nach 321/, Minuten dürfen hier zur Berechnung nicht verwendet werden, da hier bereits die Schwächung der Bewegungskraft eingetreten ist. Folglich können nur je die Höchstwerte in den beiden Temperaturbereichen verglichen werden. Geschwindigkeiten der Vorwärtsbewegung: 4=20% k,=118; ,=32°% ,—35. Demnach bei Temperaturstufe 20-—32°: k:k,=1:2,9. Geschwindigkeiten der Pendelbewegung: 1, =20°%, k,—25;1, —32, ky = 84,5. Demnach bei Temperaturstufe 20-—32°: k',:ky = 1:34. 4. Versuch. O. eurviceps und Vorbedingung wie beim 3. Versuch. kehrbewegung; 1=0,17 u. * — Um- Geschwindigkeit Geschwindigkeit Zeitabschnitt Temperatur der Vorwärts- der Pendel- (Minuten) 06 bewegung in bewegung in . der Minute der Minute 0— 5 17,0 16 2,4 5—10 17,0— 20,0 2,2 4 und zwar: um 7 Min. 17 keine Messung, weil plötzlich starke » 9» 19,0 Pendelung, wodurch Faden aus dem „10 „ 20,0 Gesichtsfeld gerückt wurde 10-1 20,0—21,0 15—20 22,0 12,4 14 Be 20 ET 36.,) 26-31 lt) 12,6 (k, 13,5. (k, 22-35 220858 m 26 und zwar: um 33 Min. 25,0 * * » 34 u 33,0 36—38 33,033,5 (t,) 38,5 (k,) 52,5 (k‘,) 39-42 33,5— 33,3 31,6 33 43—44 31,0--30,0 25 25 4445 30,0—26,0 22 23 45-46 26,0—23,0 86 10 46—50 23,0— 19,0 4,8 5 50--55 19,0--17,5 4,9 s 5 Bei der Berechnung gilt die Erwägung zu Versuch Nr. 3 auch hier. Geschwindigkeiten der Vorwärtsbewegung: = 22%, k— 12,6; ,—=33,2% k,—38,5. Demnach bei Temperatur- stufe 22—33,2°: k:k,=1:3,0. Günther Schmid, E . Geschwindigkeiten der Pendelbewegung: =22°, k,=136; =33,2°%, ky=52,5. Demnach bei der Tem- peraturstufe 22—33,2°: ky:ky=1:38. 5. Versuch. Phormidium autumnale. Der Faden war aus einem vorher trockenen Erdfladen mit dieser Alge gewonnen, der 24 Stunden in Wasser bei 15-—17° gelegen hatte. 1=02 u. Geschwindigkeit Geschwindigkeit Zeitabschnitt Temperatur der Vorwärts- der Pendel- (Minuten) [0 9} bewegung in bewegung in der Minute der Minute 0-5 20 (4) 31 (ku) 5—10 19,5—19 274 11-15 19-5 5 315 15—20 26 —29 60,2 (k,) und zwar: um 15 Min. 26 ” 12 ” Er wurde nicht er- ” few 29 mittelt ” ” also im Mittel etwa 27,5 {t,) 21—25 29 —30,5 39 und zwar: um 23 Min. 30 „Don 30,5 25—26 31 etwa = 0 Geschwindigkeiten der Vorwärtsbewegung: =20°% ,=31l; u, =275% k,=60%2. Demnach bei der Tempera- turstufe 20— 27,5: kı:k,==1:19. Kanitz hat aus der ursprünglichen Berthelot’schen Formel für lie Abhängigkeit chemischer Reaktionsgeschwindigkeiten von der Tem- peratur eine andere Formel abgeleitet, welche es erlaubt, aus zwei Geschwindigkeiten bei zwei beliebigen Temperaturen den Quotienten für die Wärmestufe 10 zu 10°, der Q,, genannt wird, zu berechnen. Damit kann danı leichter und genauer auf die Gültigkeit der van t’Hoff’schen Regel geprüft werden. Seine Formel lautet: Quo =10 (Kanitz, pag. 10). Die Zeichen k, und k, sind die Geschwindigkeiten, t%, und t, die zugehörigen Temperaturen, wie sie also schon bei obiger Berechnung meiner Versuche gebraucht wurden. Setzen wir die Werte der Versuche in die Kanitz’sche Formel, so berechnen sich folgende Zahlen für Qys: Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 347 Au = für Vorwärts- ! für Wärmestufe bewegung : Pendelung — i ; 5 1. Versuch . 2,3 — \ 2. Versuch . 12 N 73 g 920° 3. Versuch . 2.4 2,7 | 4. Versuch . 2,7 3,8 20--30° 5. Versuch . 2,4 j _ l Q.o bewegt sich für die Vorwärtsbewegung zwischen 2,3 und 27. was durchaus (lie Gültigkeit der van t’Hoff’schen Regel beweißt. Nur der Wert 4,2 liegt abseits, übersteigt aber den Bereich der Zahlen 2 bis 3 der van t’Hoff’schen Regel nur um ein Geringes. Anders die Gültigkeit für die Pendelbewegung. Die Verschiedenheit der vor- liegenden drei Werte liegt auf der Hand. Es scheint aber, daß auch hier die Regel gilt, indem andere Umstände die Abhängigkeit beeinflussen. Für die Pendelbewegung sprechen entschieden noch Entspannungs- erscheinungen mechanischer Natur mit und das Verhältnis des Os- eillarienfadens zur Unterlage. Für die Schwingungsweite ist es so z. B. von Bedeutung, wie weit der schwingende Teil der Unterlage durch Schleim angeklebt ist. Hierüber im nächsten Abschnitt. IV. Über die Pendelbewegung. Nach Correns ist die Pendelbewegung das Ergebnis aus dem Zusammenwirken der Vorwärtsbewegung mit dem Widerstand des Wassers. Kolkwitz hielt dem mit Recht die Beobachtung über ge- legentliche Pendelbewegungen des nachwandernden Fadenendes ent- gegen. Obschon die Pendelbewegung die auffälligste Lebensäußerung der Oseillarien vorstellt — die Oseillarien oder Schwingfäden haben ja den Namen daher — sind der Erscheinung genauere Beobachtungen wenig gewidmet worden. Die Pendelbewegung ist bei gleichmäßiger Vorwärtsbewegung und ungestörtem Verlauf ein Kreisen des Fadenendes, welches, da der Faden vorwärts rückt, eine Schraubenlinie beschreibt. Ohne Zweifel liegt in der Achsendrehung des gesamten Fadens eine der Ursachen, wobei vorausgesetzt werden muß, daß der Faden elastisch ist; und dies ist er ja im hohen Maße. So könnte denn das Pendeln erzeugt werden gleichwie bei einem geraden Gummischlauch, den man drehend über eine Tischplatte bewegt: da schlägt das Ende des Schlauches kreisend hin und her. Die Schwingungsweite wäre hierbei abhängig von der 348 Günther Schmid, Geschwindigkeit der Bewegung, also von der Stärke der Achsendrehung. Nun stehen aber Schwingungsgröße und Schnelligkeit des Wanderns bei den Oscillarien durchaus nicht immer in Beziehung zueinander. Als weiterer Umstand ist maßgebend, wie weit die Pendelbewegung durch Haften des schleimigen Fadens an der Unterlage gehemmt wird. Ein lebhaft drehend vorwärts wandernder Faden kann ganz ohne Pen- deln sein, wenn er der ganzen Länge nach mit dem Bewegungsschleime an der Unterlage gehalten wird. Das habe ich bei mehreren Arten oft beobachtet. So wäre denn die Schwingungsweite auch abhängig von der Länge des freien. nicht haftenden Endes. Ich sah Fäden, die nur mit einem Drittel ihrer Länge die Unterlage berührten, zwei Drittel war freies Ende und pendelte in weiten Bögen. Das nach- wandernde Ende, dem der nach hinten abgeschobene Schleim zugeführt wird, wird fast immer die Gelegenheit haben festzukleben, es pendelt meist nicht. Aber es kommt vor, daß auch dieser Fadenteil pendelt, mit geringer Sehwingungsweite Genügt das alles zur Erklärung des Pendels, oder ist es die Erklärung für das Pendeln überhaupt? Be- stimmt nicht. Das Pendeln ist zunächst meist gar nicht so gleichartig, daß eine ebenmäßige Schraubenlinie sich nachzeichnen ließe. Es fin- den viele kleine Schwankungen statt, die vielfach ruckweise vor sich gehen und sehr charakteristisch sind. Das Pendeln hängt auch und sogar ganz besonders von lebenstätigen Spannungskräften des Fadens ab. Kolkwitz fand z. B, daß die Trichterkrüämmung des Vorder- endes beibehalten wurde, als er künstlich den Faden in entgegen- gesetzter Richtung durch das Wasser zog. Ein andermal blieb die Krümmung des Endes bei, als die Allgemeinbewegung innehielt. Das sind Krümmungen, wie sie auch Ahlborn von der sonst unbeweglichen Wasserblüte Aphanizomenon mitteilt und wie sie de Bary bei den Hormogonien von Rivularia gesehen hat. Auch Migula (Bd.I, pag. 115) bemerkt (bei einer Spirulina), daß bei freiem Schweben im Wasser, wobei die Drehung um die Längsachse vollständig fehle, die Fäden ge- wisse Schlängelbewegungen ausführten. Ähnliches findet sich noch von anderen Forschern angegeben. Ich selber habe immer wieder gesehen, wie der Faden von O. cur- viceps vorher pendelt, bevor er zu wandern beginnt, immer dann, wenn man soeben einen Faden in den Wassertropfen unters Deckglas ge- bracht hat. So ist es auch, wenn der Faden auf der Wasseroberfläche schwebt. Man kann diesen Zustand leicht hervorrufen und den Faden lange an der Oberfläche schwimmend erhalten. Ich legte einen Faden von OÖ. curviceps vorsichtig auf die Oberflächenhaut des Wassers in Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 349 einer kleinen Glasschale, die unter dem Mikroskope stand. Eine Vor- wärtsbewegung findet in dieser gespannten Oberfläche, des Wassers nieht statt. Unter Vermeidung jeglicher kleinen Erschütterung lassen sich aber Pendelungen erkennen, die dem gewöhnlichen Pendeln bei kriechender Bewegung durchaus gleichen. Das kreisende Pendeln ist hier sehr bezeichnend. Es pendelt nämlich nur das eine Ende be- achtenswert und zwar ruckweise; aber der Fußpunkt liegt nicht, wie beim bewegenden Faden auf der vorderen Hälfte des Fadens, sondern in nur geringer Entfernung vom Ende, das nicht pendelt oder genauer gesagt, dessen Pendein von der schwingenden Hauptlänge des Fadens bestimmt wird. So sind die Schwingungswinkel der Fadenenden gleich groß, aber die Schwingungsweiten verhalten sich mindestens wie 1:6. Dabei rücken die Enden nur insoweit von der Stelle, seitlich oder vorwärts bzw. rückwärts, als dies eben das Pendeln unmittelbar verursacht, ja das Pendeln seiber darstellt (vgl. hierzu Fig. 2, worin nur einzelne Stellungen herausgegriffen wurden.) Ich konnte nicht feststellen, ob Drehung um die Längsachse stattfindet. Der Widerstand des Wassers, der bei Vorwärtsbewegung mitspräche, kann mithin als Ursache für das Pendeln nicht gelten. Es müssen Spannungskräfte im Faden arbeiten, welche die Pendelungen hervorrufen und deren Schwingungsweite vorwiegend be- stimmen. Und solche lebendigen Spannungskräfte sind in hohem Maße vorhanden. Sie können beträchtliche Krüm- mungen des Fadens hervorrufen. Ich verweise hierzu auf die phototropischen Krümmungen, welche Symploca erzeugt, und die ich im letzten Abschnitt beschreiben werde. Oder Fig. 2. zu erwähnen ist das Verhalten winziger, doch verhältnis- mäßig langer Beggiatoen von teils 0,7 u, teils 1,3 „ Breite, die den Formenkreisen Beggiatoa minima und B. media Winogradskys an- gehören. Diese Formen dürfen wohl im Zusammenhang mit den Oseil- larien genannt werden. Ich beobachtete sie hin und wieder. Ungeheuer lebhaft bewegen sie sich im allgemeinen geradlinig vorwärts. Haben sie dagegen einen Widerstand gefunden, kehren sie um, worauf dann, nach einiger Zeit, eine heftige Krümmung in der Mitte oder dem letzten Drittel des Fadens stattfindet und gewöhnlich abermals Umkehr erfolgt. Von den dünneren Oscillarien sagt Hansgirg dasselbe, wenn er be merkt, daß solche Fäden fähig seien, selbsttätig an verschiedenen Stellen sich zu beugen und wieder gerade zu strecken. 350 Güntker Schmid, Das Fadenende veranlaßte bei der Berührung der Beggiatoa Krümmung an einer entfernten Stelle der Mitte. Umgekehrt beeinflußt die Mitte (unter Umständen wohl auch ein anderer Teil) des Fadens das Pendeln des Fadenendes. Das geht u. a. aus folgendem Versuch hervor: ©. eurviceps bewegte sich im Wasser unter dem Deckglas vor- wärts und mußte auf ihrem Wege unter einem dünnen Glasfaden durch- kriechen, der vorher unter das Deckglas gelegt worden war. Bis zur Berührung mit dem Hemimnis erzeugte die Öscillarie sehr weite und ausnehmend regelmäßige Pendelschwingungen mit dem vorrückenden Fadenende. Dann aber entstanden nur geringe Pendelungen: der Faden’ wanderte unter dem Glasfaden durch. Er war hier also ge- hemmt und zwar eine ganze Zeitlang. Dann setzten wieder weitere Schwingungen ein. Aber obschon jetzt das schwingende Ende unbe- hindert frei war, stellten die starken regelmäßigen Schwingungen erst sehr viel später sich ein. Man kann letzteres Verhalten nur herleiten aus einer Beeinflussung des Pendelns durch die Stellen des Fadens, die noch unter dem Glasfaden sich befanden. Beispiele selbsttätiger Krümmungen finden sich in den nächsten Abschnitten noch mehrere. Ihre Deutung dürfte aber hier anders liegen. V. Der bogenförmige Verlauf der Bewegungen. Schon beim Betrachten ‘der wandernden Oscillarie unter dem Deckglas oder im hohlgeschliffenen Objektträger wird dem Beobachter erkennbar, daß es nicht richtig sein kann anzunehmen, der Oseillarien- faden bewege sich in einer geraden Linie vorwärts, wenn keinerlei Um- stände ihm störend in den Weg treten. Im Gegenteil, der Faden steht nach längerer Zeit des Beobachtens im Winkel zu der ursprünglichen Lage, und durch Nachzeichnen der einzelnen Bewegungsstellungen mit dem Zeichenapparat läßt sich mühelos veranschaulichen, daß der Gang der Bewegungen bogenförmig verläuft. Entsehieden mußte auch jene Alterserscheinung, die sich sowohl in der freien Natur als in den Kulturen immer wieder zeigt, daß Fäden in schleifen-, bogen-, zopfförmigen Lagen zusammen liegen, „Locken- kopfkolonien“ bilden, für einen krümmungsförmigen Bewegungsverlauf sprechen. Doch könnten diese Krümmungen ohne Bedeutung für die gewöhnliche Art der Beweglichkeit, ohne Bedeutung für eine Theorie der Oscillarienbewegung sein. Fechner hat in seiner Abhandlung über die Chemotaxis der Oseillarien dargetan, wie solche Zopfbildungen zu- stande kommen können. Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. j 351 Der bogenförmige Verlauf ist aber eine für die Bewegung durchaus regelrechte Erscheinung. Jeder Oscillarienfaden bewegt sich, auch im frischbeweglichen Zustande und, wie ich übersehe, unge- reizt durch chemische oder physikalische Umstände, bogenförmig. Zwar durch die neueren Untersuchungen Piepers und Fechners über Photo- und Chemotaxis, wie auch durch eine frühere Behauptung von seiten Correns’, wird diese Bebauptung zu einer Streitfrage. Es geht aus ihren Befunden nicht klar hervor, daß frische, lebenskräftige Fäden mit Notwendigkeit sich geradlinig bewegen, wenn chemische Ein- flüsse oder mechanische Widerstände fehlen. Beide Forscher haben vorwiegend mit Kieselgallerte gearbeitet und beobachteten im ganzen die Gesamtheit von Fadenanhäufungen, wie sie etwa von einem Impf- fleck ausstrahlen, und auch wohl im allgemeinen mehr die jeweilige Gestalt des Fadens, als die Bewegungsspur eines einzelnen Fadens. Es fehlt bei ihnen nicht an Angaben, daß hier und da Bogenkrüm- nungen auftreten, was dann auf äußere Reizwirkungen zurückzuführen sei. In Fechners und Piepers Versuchen liegen die Oscillarienfäden durchaus nicht unbeeinflußt. Woher rührt die bekannte Strahlungsfigur, in der die Fäden gleichmäßig vom ursprünglichen Lager ausstrahlen? Hier liegen doch schon ganz bestimmt Beeinflussungen des Bewegungs- verlaufes vor, sei es, daß die gegenseitige Berührung durch Berührungs- reize richtunggebend wirkt, oder daß die Fäden sich chemisch nicht gleichgültig sind. Ich selber habe mit Kieselgallerte, diesem chemisch einwandfreien Stoffe, nicht gearbeitet. Und das ist entschieden ein Fehler. Meine Unterlage war stets Agargallerte und unter anderen Bedingungen Glas und Papier. Allein nur zu leicht hätte man auch hier, namentlich bei geringerer .Gallertdichte, den geradlinigen Verlauf annehmen können, wenn es nicht möglich gewesen wäre, die gesamte Spur und zwar eines einzelnen, vom Verbande losgelösten, wandernden Fadens, etwa in einem Zeitraume von 24 Stunden zu verfolgen und aufzuzeichnen. Jeder Oscillarienfaden hinterläßt auf Agar eine Spur, verursacht, wie es scheint, durch eine chemische Auflösung des Agars, welche meist verborgen bleibt, doch sofort sichtbar wird, wenn man die Agar- platte in bestimmter, auszuprobierender Haltung schräg gegen das Licht hält. Ist sie in dieser Stellung zum Lichte nicht zu sehen oder nicht an allen Teilen zu verfolgen, tritt sie sicher immer hervor, wenn man die Gallerte von einer Seite, etwa vom Rande der Schale her, leicht mit dem Finger oder Glasstabe zusammenschiebt. Längs der Spur 352 Güntber Schmid, treten dann feine Wassertröpfchen auf, und dadurch wird der gesamte Weg deutlich (vgl. Fig. 3—7). Fig. 3. Fig. 4. Diese Spur ist von besonderer Na- tur: sie ist anfangs durchweg sofort ge- krümmt, wird dann manchmal wieder geradlinig, um wie- der zum Bogen zu Fig. 3-7. Die begrenzte, meist obere Stelle anf der Wegspur deutet die Anfangs- lage, die gestrichelte die Endlage des Oscillarienfadens an. Vergrößert. Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 353 werden und verläuft so weiter in elliptischen Bögen. Die Bögen haben also nicht überall die gleiche Krümmung. Ja, sie können stellenweise eine auffallend lange Strecke wieder ganz geradlinig sein. Das Ge- samtbild läßt sich am besten als eine unregelmäßig spiralige Linie mit meist elliptischen Bögen bezeichnen, die bei O. curviceps ein Feld von etwa 9—30 gem einnimmt, je nach der Zeitdauer und der Eigentüm- lichkeit des Fadens. Bei O, curviceps ist die Bogenbildung unabhängig vom Lichte. Sie tritt bei ganzen und abgebrochenen Fäden auf, auch bei sehr kleinen Bruchstücken. Ich habe nach obigem Verfahren viele Bewegungsspuren auf- gezeichnet und möchte hier einige bemerkenswerte Beispiele heraus- greifen. die sich auf O. curviceps beziehen. 1. Ein einseits abgebrochener Faden wanderte 24 Stunden auf 1%;,iger Agargallerte, die mit basischer Knop’scher Nährlösung ange- richtet worden war. Da ich damals gleichzeitig die Einwirkung des Lichtes beachten wollte, wurde die Agarplatte einseitig durch Zimmerlicht beleuchtet. Sie lag in einem besonders dazu hergerichteten Kasten, der dauernd während des Versuches feuchte Luft führte. Mit dem Mikroskop war die Anfangslage des Fadens als völlig geradlinig festgestellt worden. Die Oseillarie rückte in einem Kreisbogen vor (vgl. Fig. 3), dessen Krümmung sich später bedeutend verstärkte, dann aber nachließ, sodaß der Weg nahezu ein gerader wurde, wieder eine starke Krümmung erfuhr und abermals geradlinig sich gestaltete. Dann geschah zum dritten Male die Krümmung mit nachfolgender ganz schwacher Bogen- bewegung und schließlich zum vierten Male eine Krümmung, in welcher der Faden sich zur Zeit noch befand. Offenbar liegt hier ein perio- discher Wechsel in der Neigung zu bogenförmigen und geradlinigen Wegstrecken vor. Der Faden war, wenn man die Agarplatte von oben betrachtet und von der Bewegungsrichtung ausgeht, stets nach rechts gewandert und scheinbar die ganze Strecke ohne Umkehrbewegung. 2. Ein unversehrter Faden in gleichem Zeitraum mit denselben Bedingungen wie unter 1. Hier bewegte sich nun die Oscillarie anfangs durchaus geradlinig (in der Fig. 4 nach links), kehrte um, wanderte auf der gradlinigen Spur zurück, nahm dann eine leichte Bogenbewegung an. die aber bald wieder flacher sich krümmte, dann eine starke Krüm- mung erfuhr, flach wurde, sich zum zweiten Male auffällig krümmte, zum zweiten Male einen schwachen Bogen zog und gerade in erneuter starker Krümmung stand, als der Versuch unterbrochen wurde. Die periodischen Krümmungen und der rechtswendige Verlauf der Bewegungs- spur sind auch hier zu sehen. Flora. Ba. ıtt. 23 354 Günther Schmid, 3. Hierzu Fig. 5, die sich nach den vorangehenden Beispielen ohne weiteres verstehen läßt. Der periodische Wechsel der Krüämmungen ist weniger ausgeprägt. Der Fall kommt mindestens so oft wie im 1. und 2. Beispiel vor. 4. Beispiel, dargestellt in Fig. 6, veranschaulicht die Bewegungs- spur nach einem längeren Zeitraum als in den vorigen Fällen. Der Versuch dauerte 48 Stunden und geschah in völliger Dunkelheit. Die Neigung zu verschieden starker Bogenbildung ist sehr deutlich zu sehen, ebenso der periodische Wechsel, wie auch das stete, rechtswendige Wandern des Fadens. 5. Fig. 7 zeigt unter den Bedingungen von Nr. 4 ein anderes Beispiel, nämlich den verhältnismäßig seltenen Fall, daß O. curviceps auf Agar auffallende Umkehrbewegungen macht. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als schlügen damit die rechtsgewandten Bögen in Linkswendigkeit um. Dem ist aber nicht so. Denn der umgekehrte Faden verfolgt zunächst, in den im Agar eingegrabenen Kanal mecha- nisch eingezwängt, die Spur der Vorwanderung, bis es ihm schließlich vermöge stärkerer Krümmung gelingt zu entweichen und nun selbst- tätig regelrecht rechtswendig zu wandern. Dieser Vorgang wiederholt sich und ergibt das merkwürdige Bild. Aber die in der Abbildung wiedergegebene Spur ist auch sonst noch lehrreich. Nachdem der Weg überall ziemlich gleichmäßig gekrümmt gewesen ist, wird er nach der dritten Umkehr auffällig geradlinig. Und diese gerade Linie verbleibt eine lange Strecke bis nahe an den Schluß. Die neue, mehr eckige Krümmung, welche übrigens nach links verläuft, ist nämlich durch eine örtliche, kräuselige Unebenheit des Agarbogens aufgezwungen; der Faden ist an dem Hindernis entlanggeglitten (Versuchsdauer 48 Stunden;. Kann man nach der Betrachtung der Wegspuren an der Auffassung noch festhalten, der bogenförmige Verlauf der Osecillarienbewegung sei durch die besondere chemische Umgebung der Unterlage hervorgerufen oder durch cheinisch reizende, vom Oscillarienfaden selber ausgeschiedene Stoffe? Zum mindesten nicht in vollem Umfange. Es ist nicht ein- zusehen. warum die chemisch gleichmäßige Agarmasse nicht überall dieselbe Reizung auf den Faden ausüben und dieselbe Krümmung hervorrufen solle. Die Perioden der Krümmung lassen sich auch nicht verstehen. Und wenn man Stoffwechselerzeugnisse des Fadens als den chemischen Reiz anführen will, ist die Verschiedenheit in den Krüm- mungen noch weniger verständlich; man vergleiche hierzu besonders noch einmal «las 5. Beispiel. “ Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 355 Freilich können chemische Reize verstärkend mitwirken, das ist nicht von der Hand zu weisen. Die Krümmungsunterschiede aber werden auf der chemisch gleichmäßigen Agarplatte nieht durch sie hervorgerufen. Diese müssen im Bewegungsmechanismus selber begründet liegen. Die Richtung der Bögen, bei O. curviceps rechtswendiger Richtung, ist abhängig von der Achsendrehung. O.curviceps dreht. sich von links nach rechts um die Achse (nicht im botanischen Sinne). Phormidium uncinatum, das eine umgekehrte Achsendrehung bat, ist Linkswender, Phormidiam autumnale dagegen scheint Rechts-, O. limosa hingegen wieiler Linkswender zu sein. Die Beobachtung der Bogenbewegung auf Agar ist sehr leicht anzustellen und ermöglicht in bequemer Weise die Bestimmung der Drehungsrichtung, welche ja oft, namentlich bei Formen mit ungekrümmten Enden, unter dem Mikroskop schwer zu ermitteln ist. Andererseits dürfte in ihr ein neues Merkmal zur Unter- scheidung der systematisch schwierigen Öseillarienformen geboten sein, worauf ich schon bei anderer Gelegenheit aufmerksam gemacht habe {tvgl. Hormogone Cyanophyceen usw.). Zur Erklärung der Ursache ist entschieden die Reibung des drehenden Fadens auf der Unterlage von ausschlaggebender Bedeu- tung. Der drehende Faden rückt infolge seiner Drehung von der Ge- raden ab, gleichsam wie ein Geschoß, um die Längsachse drehend, auf seiner Bahn, und zwar von der Richtung der Drehung abhängig, die Ziellinie nach rechts oder links verläßt. Bei dem schnellbewegten Geschoß und der gleichzeitig geringen Reibung der Luft ist diese Ab- weigung gering. Bei dem verhältnismäßig langsam wandernden Oscillarien- faden ist sie, zumal bei dem größeren Widerstand des Agars und der erheblicheren Zeitdauer, nennenswert groß. Die Abstände von der Geraden liegen sowohl beim Geschoß als auch beim Oscillarienfaden auf einer Bogenlinie, welche den Ursprungs- und Endort des Geschosses bzw. Oscillarienfadens miteinander verbindet. Je schneller die Vorwärts- bewegung, desto schwächer die Bogenbildung; andererseits, je stärker die Reibung, desto mehr der Weg gekrümmt ist. Daher denn auf geringprozentiger Agargallerte die Bogen ins allgemeinen flacher aus- fallen. mit der Dichte der Gallerte aber zunehmen. Die gerade Bewegungslinie ist indes bei dem Oseillarienfaden auch zu finden. -Es gibt ja tatsächlich gerade Wegspuren, wie (die Beispiele zeigen, und wie Fechner und Pieper sie als regelrecht annehmen. In diesem Falle wäre dann die Geschwindigkeit der Vor- wärtsbewegung groß genug, daß die Reibung der Unterlage als zu klein 23° 356 Günther Schmid, dagegen verschwindet. In Kolonien mit lockigen Fadenanhäufungen ist die Geschwindigkeit geringer als bei frisch vom Impffleck geradlinig ausstrahlenden Fäden; das war auch Fechner und Pieper bekannt. Genügt indes diese Erklärung, um den Wechsel von schwach und stark gekrümmten Wegspuren hinreichend zu verständigen? Die Wegspur wäre ein graphischer Ausdruck für den Wechsel der Ge- schwindigkeit. Die Erklärung setzt aber voraus, daß der Faden ein einheitlich bewegtes Wesen ist, welches entweder seiner ganzen Länge nach dieselbe Betriebskraft entwickelt oder aber, wie Fechner will, von der vorwandernden Endzelle bewegt wird. Beides ist, wie wir im nächsten Abschnitt sehen, nicht der Fall. Die Betriebskraft ist auf die einzelnen Abschnitte des Fadens mit verschiedener Stärke verteilt. Und so hängt denn die Bogenbildung nicht bloß von der Allgemein- geschwindigkeit der Oscillarie ab, sondern auch von dem Gleichgewicht der Geschwindigkeiten der Fadenabschnitte zueinander. Der Antrieb der einzelnen Abschnitte wechselt. Daher denn Bogenbildung erscheinen muß, wenn etwa der hintere Teil des Fadens die Osecillarie bewegt oder mit größerer Kraft arbeitet als der vordere, geradlinige Vorwärts- bewegung aber ermöglicht wird, wenn die Betriebskraft des vorderen Teils überwiegt oder der gesamte Faden gleichmäßig vorwärtsstrebt. Diese Erklärung kommt ohne die Fechner’sche Annahme einer chemotaktischen Beeinflussung aus. Es soll dabei gar nicht geleugnet werden, daß nicht jene äußersten Fälle der Bogenbewegung, alle eigent- lichen Zopf- und Schleifenbildungen, wie sie namentlich in älteren Kolonien oder bei Gegenwart ausgesprochen reizender Stoffe auftreten, in chemotaktischen Einflüssen ihre Ursache hätten. Im Gegenteil, diese Biltungen lassen sich nur als Folge physikalischer und besonders chemischer Reizung verstehen, und Fechner hat das ja auch in klaren Versuchen dargetan. Die bogenförmige Bewegungsart der Oseillarien ist so allgemein zu finden, daß sie zum Bild der Oseillarienbewegung unbedingt gehört, ebenso wie die bekannte geradlinige Strahlungsfigur unter den beson- deren Verhältnissen. Ich möchte einige weitere Fälle bogenförmiger Bewegungen, die wahrscheinlich mit den vorigen in eine Reihe gehören, an dieser Stelle anfügen. Es gehört hierher das schraubenförmige Aufsteigen der Os- eillarien in Röhren. Ich nahm zum Versuch Oseillatoria curviceps oder O. limosa. Z. B.: Eine vom Ursprungsboden abgenommene Faden- anhäufung von O. limosa, die sich am Spatelchen zu einem kleinen Klumpen gestaltete, tat ich auf den Boden eines Reagenzrohres und Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 357 überdeckte dies mit einer niedrigen Schicht Sand, über den 15 em hoch Brunnenwasser geschichtet wurde. Das Rohr war II mm weit. Nach einigen Tagen hatte sich die Oseillarie derart bewegt, daß sie an ‚der Glaswand hochgeklettert ist, nach 3 Tagen z. B. 8 cm hoch. Die Fäden sind waren nicht einfach senkrecht emporgestiegen, sondern in schwachen Schraubenlinien angeordnet. Die Weite der Schrauben wechselte in verschiedener Höhe. Die Regelmäßigkeit des Emporwindens ist sehr davon abhängig, ob das Reagenzrohr im kalten oder warmen Zimmer steht. Inı Thermostaten ergeben sich meist gleichmäßig auf- gestiegene Oseillarien. Hiernach konnte man die Frage aufwerfen, ob Oscillarien den Windepflanzen ähnlich befähigt sein würden, an dünnen Stützen empor zu klettern. Dies ist der Fall. Um mir das Winden vorzuführen, stellte ich diesen Versuch an: Ein Erdstück vom Blumentopf des Gewächshauses mit einer Sehar von O. curviceps legte ich in eine Glasschale auf 1%ige Agar- gallerte.e. In das Erdstück und in den Agar ringsumher steckte ich einen kleinen Wald senk- recht stehender, feiner Glasfäden, deren Durch- messer etwa 0,05—0,10 mm maß. Außerdem wurden in den Agar zum Vergleich an zwei Stellen zwei senkrechte Deckgläschen gestellt. So war der wandernden Öscillarie die Möglichkeit ge- j geben, gelegentlich einem dieser Glasfäden zu begegnen. Das Ganze wurde mit einer Glas- glocke bedeckt. Nach 12 Stunden — die Glas- fäden waren jetzt mit feinen Wassertröpfchen betaut — bemerkte ich an zwei Glasfäden Osci- Fig. 8. larien, und nach 3 Tagen wiesen acht der Glas- fäden Oscillarien auf. Ich betrachtete sie mit der Lupe und sah, daß sie windepflanzenähnlich emporgeklettert waren. Die Windungen waren verschieden weit. Sie wechselten, auch an ein und demselben Glasfaden. Fig. 8 gibt eine Vorstellung davon. Ob die Windungen nach rechts oder links verliefen, habe ich nicht festgestell. An den Deckgläschen zeigten sich die bekannten bogenförmigen Anordnungen. VI. Die Bewegung der Fadenteile. Ist der Oseillarienfaden ein einheitlich bewegtes Wesen? Sind alle Teile des Fadens in gleicher Weise an der Bewegung beteiligt, gibt es etwa ein bewegendes Ende und eins, das untätig ist, oder 358 Günther Schmid, finden sich bestimmte, als Bewegungsorgane ausgebildete Zonen und andere, die nur mitgezogen bzw. geschoben werden? Kommt der Richtungswechsel durch eine Betriebsablösung solcher Zonen oder der Fadenenden zustande? Diese Fragen tauchen auf. 1. Versuche mit der Bogenlage des Fadens, Durch zufällige Beobachtungen geleitet, erkannte ich in der durch äußere Umstände aufgezwungenen teilweisen Bogenlage des Fadens eine gute Methode, Fadenstücke bis zu .einem gewissen Grade unab- hängig voneinander zu machen und zwar so, daß der Faden seine Ganzheit in keiner Weise verliert. Wirkliche Versuche wurden dann in ‘der Art ausgeführt, daß ich die großen Fäden von O. curviceps mit einer feinen Nadel aus den im Wasser zerteilten Lagerverbänden heraus- hob und einzeln in Wassertropfen auf Objektträger legte. In einer größeren Anzahl solcher Präparate, namentlich wenn ein Ende des Fadens über den Wassertropfen hinaus auf die trockene Glasunterlage zu liegen kam, fanden sich dann immer einzelne Fälle, die das Aus- sehen von Fig. 9 hatten: während das eine Ende des Fadens, sozusagen der Hauptteil, durchaus gerade liegt, ist der andere Teil künstlich in einer bogenförmigen Lage gehalten. Schwie- rigkeiten bereitet es nur, wenn der so angebrachte Faden durch Auf- legen des Deckglases zur Beobachtung geführt werden soll. Er wird vermöge seiner großen Elastizität bei unvorsichtiger Handhabung sehr leicht überall gerade gestreckt. Auf der Unterlage von Agargallerte wird aber diese Schwierigkeit umgangen. Hier einige Versuche: 1. Ein kurzer, an einem Ende abgebrochener Faden liegt genau wie in Fig. 9 auf 0,8%, iger Agargallerte. Bei schwacher Vergrößerung werden beide Fadenenden beobachtet, ihre Geschwindig- keiten gemessen, Ende A bewegt sich während 4 Minuten 15, Ende B während ebenderselben Zeit 9 Längeneinheiten weiter. In den nächsten 3 Minuten ist A 20, B 14 Einheiten vorgerückt. Die Bewegungen ge- schehen alle in der gleichen Richtung. 2. In einem hohlgeschliffenen Objektträger liegt ein unversehrter Faden in einem einfachen Bogen vollständig in Wasser. Beide Enden bewegen sich in derselben Richtung. Die Bewegungsgrößen sind für dieselben Zeitabschnitte (diese untereinander verschieden groß): FfrA 08 7 145 8 235 Für B 177 15 2 4 Fig. 9. Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 359 3. Anordnung wie unter 2. Das vorwandernde Ende (A) macht große Hin- und Herpendelungen von unregelmäßiger Natur und rückt dabei schnell vor, das nachwandernde Ende (B} macht in derselben Zeit ge- ringe Bewegungen und verändert sehr langsam seinen Ort. Lage des Fadens in der Art von Fig. 9. Die Richtung der Ortsveränderung von A und B ist einander entgegengesetzt (> +-). 4. Ein ziemlich unregelmäßig mit mehreren Bögen liegender, ganzer Faden auf 1%igem Agarboden. Die Fadenenden bewegen sich in verschiedener Richtung (+- —) und mit verschiedener Geschwindig- keit, z. B. A mit 1, B mit 4 Einheiten. 5. Das Mittelstück eines einseits verletzten Fadens hat einen Bogen, wie die Fig. 10 es darstellt. Der Faden liegt auf 1%iger Agar- gallerte. Da er sehr lang ist, können die beiden Enden nicht gleich- zeitig beobachtet werden: Ende von B A B A B A 5 ee ehe jez ger zeige Geschwindigkeit in der Minute 20 24 20 29 6 15 10 Es ist ersichtlich, daß Ende A in 8 Minuten 56 Einheiten, B dagegen in 6 Minuten 68 gewandert ist, d. h. A hat in 1 Minute — 7, B= 11,3 Einheiten Weg zurückgelegt. Die Richtung der Bewegung ist in bei- f den Fällen die nämliche. A Die Beispiele könnte ich um Fe: einige vermehren. Hier noch ein Don Versuch, der besonders lehrreich ist. N 6. Bei Gelegenheit bekam ich Fig. 10. einen Fall, wo der Faden in der Mitte in einer kleinen Schleife gelegt war; der übrige Teil war völlig gerade. Die Unterlage bestand aus 2,5 %iger Agargallerte, die für Bewegungserscheinungen durchaus geeignet ist. Fig. 10 veranschaulicht die Lage und Bewegungsveränderung des Fadens. Ich beobachtete 20 Miuuten hindurch. Ende A blieb, solange ich darauf besonders acht hatte (= 13 Minuten), völlig bewegungslos. Während derselben Zeit hatte sich Ende B in der Richtung nach der Mitte des Fadens bewegt und wanderte auch fernerhin so weiter, so daß eine Lageveränderung der Spitze von 0,12 mm stattfand. Notgedrungen mußte, bei der Ruhe des einen, der Beweglichkeit des anderen, der Faden in der Mitte die schon vorhandene kleine Schleife größer heraustreiben (vgl. in der Fig. 10 die gestrichelte Linie). 3650 Günther Schmid, Allen Versuchen gemeinsam ist eine verschiedene Geschwindlig- keit der beiden Fadenhälften, die durch eine verschieden schnelle Lage- veränderung der Fadenenden festgestellt wurde. Zwar nicht durchaus besteht die Verschiedenheit: der 2. Versuch gibt unter den sechs Be- obachtungszeiten von Fadenende A und B zweimal eine völlige Über- einstimmung der Geschwindigkeiten an. Er sagt aber noch eine weitere Tatsache aus, die übrigens auch andere Versuche ergaben, (lie Merkwürdigkeit nämlich, das ein Fadenende nicht fortwährend über das andere vorzuberrschen braucht. Man vergleiche noch einmal die Zahlen: die jeweils größeren Geschwindigkeiten sind fett gedruckt. Ein weiteres Ergebnis bezieht sich auf die Bewegungsrichtung. Die Versuche 1, 2 und 5 veranschaulichen gleichsinnig, 3 und 4 ver- schiedenartig gerichtete Lageveränderung der Fadenenden. Es ist ganz gleichgültig, ob die Fäden ganz sind, d. h. die charakte- ristische hakenförmige Krümmung und die geringe Verschmälerung der letzten Zellen am Ende besitzen, oder ob ihnen eines dieser Enden abgebrochen ist. Schließlich ist noch die Richtung der Achsendrehung des Fadens anzuführen. Drehen sich denn bei verschiedener Bewegungs- richtung der Enden diese in verschiedener Richtung? Das ist der Fall. Es dreht sich. etwa von einem Ende aus betrachtet, das eine von rechts nach links. das andere umgekehrt. Von der jeweiligen Be- wegungsrichtung «des Fadenendes gesehen ist natürlich auch hier, wie immer, die Drehung‘ die gleiche, d. h. die für O. curviceps var. violes- cens bekannte von links nach rechts. Die für den Fortgang unserer Untersuchung zunächst allgemeine Folgerung aus diesen Versuchen mit der Bogenlage des Fadens ist die, daß die beiden Hälften des Oscillarienfadens Selbstständigkeit in der Be- wegung besitzen. Zum Mindesten die beiden Hälften, ob kleinere Ab- schnitte auch noch selbstständig sind, läßt sich hieraus nicht entscheiden. Einige Bedenken möchte ich zerstreuen. Es wäre möglich, daß die Oseillarienfäden in meinen Versuchen in einer gewaltsam gespannten Lage sich befunden hätten. Die elastischen Fäden suchen eine auf- genötigte Krümmung auszugleichen; dadurch hätte ein ungleiches Ver- schieben der nicht gekrümmten Fadenteile stattgefunden. Ja, vielleicht waren einzelne Teile des Fadens gegeneinander gedreht worden. als er mit der Nadel auf die Unterlage geschoben wurde. Man kann das nicht feststellen, und insofern bleibt immer ein kleiner Rest Einwand bestehen. Aber im Laufe der Zeit sind mir, ohne daß ich es wollte, so viel derartiger Bogenlagen zu Gesicht gekommen, die stets dann Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 361 bei einer Prüfung die früheren Befunde bestätigten, daß schon aus diesem Grunde man nicht daran glaubt, in jedem Falle hätte etwa eine gewaltsame Torsion stattgefunden, welche selber Bewegung hervorriefe und die oben genannten Erscheinungen zeitige. Gegen die wirkende Ursache gekrümmter Fadenteile spricht am besten der 6. Versuch, der in der Fig. 10 dargestellt ist. Hätte das Bogenstück vermöge seiner künstlich gespannten Lage eine größere Kraft als die geraden Teile gehabt, hätte es ein oder beide Teile nach außen gedrückt, der ganze Faden wäre gerade gestreckt worden. Das Gegenteil trat ein. (Gegen das Vorhandensein einer Torsion sprechen auch die Versuche, die im Wasser ausgeführt wurden. Hier ist die seitliche Hemmung des Agar- bodens ausgeschaltet; der Faden kann ohne weiteres in eine gerade Lage zurückschnellen. Überdies waren auch bei den Versuchen auf Agarboden die Fäden immer so aus dem Wasser mit der Nadel heraus- gezogen worden, daß sie nicht tordierten. Mit der Lupe sah man deutlich, daß sie der Länge nach an der Nadel hingen, mit dem Ende die Spitze der Nadel etwas überragend. Erst beim Trocknen treten Krümmungen und Drehungen auf. Aber Nadel und Osecillarienfaıen blieben ja feucht; die Nadel wurde über den Agar schnell hingestrichen, die Osecillarie blieb liegen, mit bloßem Auge als durchaus geraler Faden gekennzeichnet, bei Vergrößerung zuweilen mit einer stellen- weisen Krümmung (Bogenlage), die eben zu unseren Beobachtungen verhalf. Die einzige Stelle, die ich aus der Literatur als weiteren Beleg für die hier beschriebenen Fälle anführen kann, ist bei Kolkwitz (T, Spirulina Jenneri) zu finden. Wenn man aber noch Beggiatoa heranziehen will, was man wohl ohne Bedenken tun darf, so findet man unter den Beobachtungen Winogradskys, ohne daß ılieser Forscher selber daran gedacht hat, auch durch Beggiatoa einen Beweis dafür, daß «die Fadenteile unabhängig voneinander tätig sein können, Er sagt (pag. 20) „wird in einem Faden eine Schlinge gebildet, und bewegen sich die Fadenenden nach verschiedenen Rich- tungen‘), so wird sie immer enger gezogen, und endlich wird der Faden an der Stelle der schärfsten Biegung eingeknickt und zerrissen“. Anderenfalls hätte ja die Schlinge sich wieder zurückbilden müssen, entweder vermöge der Elastizität, oder durch die gleichförmige, gleich- gerichtete Bewegung aller Fadenteile. 1) Von mir gesperrt. 362 Günther Schmid, 2. Die Bewegung der Teilstücke. Bei den Versuchen mit der Bogenlage waren die Teile des Fadens nur bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander. In dem Verbande des Fadens mußten sie sich gegenseitig beeinflussen. Es war auch nicht festzustellen, ob kleinere Teile als die Fadenhälften für sich beweglich sind. Wie ist es, wenn solche Teile ganz voneinander getrennt werden, so etwa, daß man den ansehnlichen Faden von O. eurviceps durch Schnitte zerlegt. Der Versuch gestaltet sich sehr einfach: Ein ausgestreckter, mög- lichst langer Faden liegt auf Agargallerte. Er wird eine Zeitlang unter dem Mikroskop beobachtet und, erscheint er geeignet, mit kurzem Scherenschnitt getrennt, zunächst in zwei, später in weitere Stücke. In Wasser oder gar am Faden in freier Luft wäre dies kaum möglich, überdies die Bewegungsrichtung der Teile in Beziehung zur Richtung im Fadenverbande dann nicht festzustellen. Auf Agarboden bleiben die Stücke an Ort und Stelle liegen, die Schnitte mit der Schere reichen zwar bis in die Gallertunterlage, aber die weiche Masse schließt sich ja sofort, und irgendwelche Störungen werden anscheinend nicht hervor- gerufen. Ich führe zwei Versuche an, die hinreichend sind, um uns eine Vorstellung von den Verhältnissen hier zu geben. 1. Versuch. Ein schnellwandernder, etwa 5 mm langer, unver- sehrter Faden lag auf 3% igem Agarboden. Nach 10 Minuten an- dauernder Beobachtung, wobei er fortwährend in gleicher Richtung sich bewegte, wurden ; durch Scherenschnitt zwei annähernd gleich um große Stücke gebildet. Diese lagen in der- ' selben Hauptrichtung wie früher der ganze \ Faden, nur durch den Schnitt an den Schnitt- Fig. 11. stellen etwas seitlich verschoben, was aber für die Beobachtung gerade günstig ist. (Vgl. Fig. 11. Die obere Linie gibt die ursprüngliche Lage des ganzen, die unteren beiden Linien bezeichnen diejenige des zerstückelten Fadens. Die gestrichelte Linie ist die Richtung des Scherenschnittes.) Beide Stücke bewegten sich, wie es schien, mit etwa gleicher Geschwindigkeit in der ursprünglichen Richtung weiter. Dann wurde jede Hälfte abermals zerteilt: auch die so entstandenen vier Teile wanderten wie früher. Und schließlich konnte noch eins der Viertelstücke zerlegt werden. Die fünf Fadenteile bewegten sich nun, wie im Anfang der ganze Faden, in der gleichen Richtung, mit annähernd gleicher Geschwindigkeit. Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 363 2. Versuch. Bei diesem Versuch wurde die Geschwindigkeit genauer berücksichtigt. Ein etwa 6 mm langer Faden mit unversehrten Enden, der auf 2%igem Agarboden gleichmäßig in ein und derselben Richtung eine Zeitlang gewandert war, wurde nach obigen Verfahren in drei Stücke zerschnitten. Der Erfolg war folgender: Das etwa 2,5 mm lange Vorderende wanderte in der Richtung des ganzen Fadens. Das etwa 0,25 mm lange Mittelstück rückte in entgegengesetzter Richtung vorwärts und das 3 mm lange Hinterende ebenfalls. Die Geschwindigkeiten der Stücke waren: nach einer Pause völligen Stillstandes für das Vorderende zunächst 41 Einheiten in der Minute, für das Hinterende 55 Einheiten, darauf für das Vorderende 38 Einheiten. Für das Mittelstüäck maß ich 22 Einheiten. Es ist deutlich, daß die Teilstücke verschiedene Geschwindigkeiten hatten. Losgetrennte Teilstücke des Oscillarienfadens sind also beweglich. Außerdem haben wir hier ganz die Ergebnisse wie durch die Versuche mit der Bogenlage, in erweiterter Form; sie gelten nicht nur für die Fadenhälften, sondern ganz allgemein für alle Teilstücke. Die Teile sind in Bewegungskraft und -richtung selbständig und haben unter- einander eine verschiedene Geschwindigkeit. Unsere Versuchsanordnung brachte einen gewaltsamen Eingriff in das Leben des Oscillarienfadens. Hat nicht vielleicht die Verwundung Einfluß auf die Bewegung? Das wissen wir nicht. Die durch den Schnitt unvermeidliche Erschütterung ist vielleicht ebenso nicht ohne Wirkung. Die verschiedenen Teilstücke wurden möglicherweise ver- schieden stark erschüttert. Trotzdem, die Versuche sprechen eher für, als gegen die Behauptung von der selbständigen Bewegungstätigkeit der Fadenteile, wenn sie auch über die Verhältnisse im zusammen- hängenden, von außen in nichts gestörten Faden genau genominen ebensowenig wie die mit der Bogenlage einen zwingenden Schluß zulassen. An diese Versuche ließen sich eine Reihe anderer anschließen. die wichtige Aufschlüsse versprechen. Vorläufig ist dies unterlassen worden. Es wäre wichtig, die Umkehrzeiten der verschiedenen Teil- stücke zu erfahren, das Verhältnis der Länge der Teile zur Geschwindig- keit. Ferner müßte durch umfangreicheren Stoff festgestellt werden, ol eine Gesetzmäßigkeit zwischen dem Bewegungsverhalten der ver- schiedenen Teilstücke besteht. Wie weit geht die Selbständigkeit der Teile?” Auch diese Frage blieb unberührt. Sie scheint nach meinen Erfahrungen bei anderer Gelegenheit auf sehr kleine Abschnitte sich zu erstrecken. Wenn man 364 Günther Schmid, einen ganz alten Forscher wie P. von Schrank herbeiführen darf, so führe ich nach ihm an, daß auch die „Trümmer der Oseillarienfäden so lebendig wie die ganzen sind“. Und die von ihm betrachteten Trümmer müssen winzig gewesen sein, da sie die sogenannte Zeiger- drehung aufwiesen, welche sonst nur bei wenigzelligen Hormogonien (Brand) und Bakterien vorkommt. Die Selbständigkeit der Teilstücke hat eine biologische Bedeutung in der Bildung der Hormogonien. 3. Hormogonienbildung. Hormogonien sind bekanntlich Fadenabschnitte, die sich im regel- mäßigen Lebensverlauf lostrennen, fortwandern und (durch Querteilung der Zellen zur gewöhnlichen Fadenlänge heranwachsen. Sie bewerk- stelligen die Vermehrung der Oseillarien. Die Abtrennung geschieht so, daß eine einzelne Zelle ihren Inhalt verändert; die Zelle wird farb- los, „Nekride“ oder „Konkavzelle“, wie sie Fischer genannt hat. Schließlich verschleimen die Zellwände und die Loslösung ist geschehen. Kohl hat das eingehend beschrieben. Auch die Hormogonien beweisen die Selbständigkeit der Faden- teile. Sehr hübsch beobachtete ich einmal bei O. limosa den Vorgang ihrer Bildung. Die Nekride hatte bis zum größten Teil ihre Zellwand aufgelöst. Der Faden war sehr beweglich. Er lag aber im (reflecht ınit anderen Fäden fest und vollführte so nur die ruckweise oder pendelnde Bewegung. Das Hormogonienende aber nahm daran nicht teil und pendelte für sich, an der Nekride entstand auf diese Weise ein winkeliger Knick. Durch irgendeinen Umstand hatte dann der Faden Bewegungsfreiheit erlangt; er wanderte in der gewohnten Weise und zog die Hormogonie mit. Schließlich zerriß die gelockerte Ver- bindung. Die Hormogonie wanderte ab in entgegengesetzter Richtung. Nicht immer leicht vergewissert man sich dieser Richtungsselbständigkeit bei Oscillatoria; ganz offenbar und hier ohne Schwierigkeit oft zu beobachten ist sie aber bei Jen bescheideten Verwandten. z. B. bei Lyngbya. In den steifen, die Fäden weit überragenden Scheiden bleiben die auf dem natürlichen Wege der Hormogonie abgetrennten Faden- stücke meist eine lange Zeit. Sie wandern in der Scheide hin und her, und ihre Richtung hat zu der des Mutterfadens keine Beziehung. Eine besondere Lebensäußerung liegt allerdings bei der Hormo- gonie vor. Mit dem Augenblicke der Abtrenuung muß das von (em Mutterfaden befreite Stück selbständiges Leben beginnen. Es fällt einem ılabei ein, daß z. B. die unbeweglichen Nostocaceen bei diesem Vor- wen Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 365 gange beweglich werden, daß die festsitzenden Rivularien oder die ebenfalls festsitzende Beggiatoacee Thiothrix von dem bewegungslosen Falen abwandernde Hormogonien entsenden. Gleichviel möchten wir doch ılie Hormogonienbildung in diesen Ralımen hineinstellen. 4. Bei ungleicher Einwirkung äußerer Umstände. A. Läßt man ins Wasser zu ÖOscillarien Jodlösung eintreten, beobachtet man, wie die Zellen schnell getötet werden. Ungleich aber verteilen sich tote und lebendige Fadenteile, wenn unter dem Deck- glas eines Wasserpräparates nur von einer Seite die Jodflüssigkeit erscheint. Die zunächst liegenden Fadenteile werden zuerst getötet, was sich durch die braune Färbung ihres Inhalts kundtut. Das hängt also von Zufälligkeiten ab, von der jeweiligen Lage des Fadens. Hin- sichtlich der Beweglichkeit beobachtet man weiter nichts als ein verschieden schnelles Erlöschen. Richtet man aber den Zutritt der Jodlösung so ein, daß ein gerade gerichteter, gut beweglicher Faden zuerst an seinem vorrückenden Ende von ihr erreicht und gebräunt wird. zo zeigt sich ein besonderes Verhalten. Das bislang vorwandernde Ende bleibt stehen, das Hinterende aber kriecht weiter. Der Erfolg ist eine Schleifenbildung, ganz so, wie sie Fig. 9 bei anderer Gelegenheit zeigte. Die Entstehung dieser Schleife aus einem geraden Faden soll nicht im einzelnen erörtert werden. Vielfach ändert der Faden augen- blieklich seine Bewegungsrichtung, er kehrt um. Dieser Fall ist in diesem Zusammenhange weniger von Wichtigkeit. Es ließe sich der Versuch mannigfach abändern. Jedenfalls wird auch hier deutlich: ein in seiner Ganzheit beweglicher Faden wandert in seinen Teilen selbständig. B. Elektrisches Licht. Ich nahm die starke Lichtquelle einer kleinen Bogenlampe zu Hilfe und ließ für den vorliegenden Zweck ununtersucht, ob ich eigentlich das Licht oder die Wärme als Ein- wirkung benutzte (wahrscheinlich war es die Wärme). Die durch eine Linse parallel austretenden Lichtstrahlen der Lampe fielen auf den Hohlspiegel des Mikroskopes und wurden so zurückgeworfen, daß sie gesammelt vor dem 1 mm breiten Blendenloch des Objekttisches er- schienen. Die Temperatur an dieser Stelle schwankte von 40 auf 42°C, nach 5 Minuten Strahlung war sie ziemlich beständig 42%. Als Ver- suchspflanzen wählte ich wie gewöhnlich besonders lange Fäden von O. ceurviceps. Sie lagen für jeden Versuch einzeln in je einem Wasser- tropfen unter dem Deckglas. Der Wassertropfen war hinreichend groß, so daß das Verdunsten nicht störend wirkte, und so auch nicht das Deckglas fest an den Objektträger gedrückt werden konnte. Lag ein 366 Günther Schmid, kräftig beweglicher Faden vor, rückte ich seine Spitze durch Verschieben des bis dahin im gewöhnlichen Tageslichte verbrachten Objektträgers auf die hellbeleuchtete Stelle der Objekttischblende. Die Versuche verteilen sich auf eine Reihe, wo das vorrückende, eine andere, wo das nachwandernde Ende beleuchtet wurde. Die Beleuchtung geschah unter beständigem Verschieben des Präparates, so daß jeweils immer nur das betreffende Ende und nicht auch andere Teile des Fadens betroffen wurden. Nachdem ich mehrfach mehr oder weniger schnelle Umkehr des vorrückenden Endes bei solcher Beleuchtung festgestellt hatte, machte ich genauere Beobachtungen. I. Das vorrückende Fadenende wird beleuchtet. 1. Vollständig ausgebildeter Faden, 7 mm lang, ausgezeichnet beweglich, ohne Pendelung, was besonders günstig ist. Das beleuchtete Vorderende wird nur etwa 0,5 mm lang gewählt. Bei fortwährender Beobachtung ergibt sich, daß nach 1 Minute 14 Sekunden das Vorder- ende eine Umkehrbewegung macht, wobei es .entgegengesetzt (der früheren Richtung um die Längsachse dreht. Etwas unterhalb dieses Fadenstückes krümmt sich der Faden, es beginnt die schon bekannte Schleifenbildung, woraus zu schließen, daß nicht der ganze Faden um- gekehrt ist. Beim völligen Verschieben lehrt denn auch der Augen- schein, daß das lıintere Ende wie vorher vorwandert und auch die frühere Achsendrehung hat. 2. Ein 5 mm langer Faden, dem am vorrückenden Ende die Spitze abgebrochen ist. Er ist wie voriger gut beweglich, pendelt nicht. Nach 3 Minuten 15 Sekunden Stillstand der Bewegung mit andauernden Zucken des Fadens und geringen Sprüngen vorwärts. Dies etwa 40 Sekunden lang, dann wieder Vorrücken. Nach etwa 5 Minuten Rückgang (es ganzen Fadens und jetzt mit einer Krümmung am Vorder- ende wie unter 1. 3. Der Faden ist 6 mm lang, völlig ausgebildet und lebhaft beweg- lich. Nach 1 Minute 55 Sekunden tritt die Umkehrbewegung und entgegengesetzte Drehung und zwar nur des Vorderendes ein: längs des Fadens, etwa gegen die Mitte, wird ein Bogen gebildet. Das Hinterende zeigt sich unbeweglich (hier auf Drehung nicht geachtet). 4. Ein 11 mm langer Faden, deren beide Enden vollständig sind, wird benutzt. Nach 2 Minuten 50 Sekunden tritt die aus vorigen Ver- suchen bekannte Umkehr ein und das bisher vorrückende Fadenende wandert jetzt lebhaft rückwärts. Das andere Ende bewegt sich in der alten Richtung, aber viel schwächer, als vorher es der Gesamtfaden tat. Bogenbildung tritt auf. Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 367 ö. Sehr gut beweglicher, 7 mm langer Faden, unversehrt. Nach 1 Minute 15 Sekunden tritt Umkehr des Vorderendes ein, verbunden mit einem entsprechenden Wechsel der Drehung. Auch das Hinter- ende wandert rückwärts; ein Bogen bildet sich nicht. 6.—9. Drei weitere Versuche wurden noch in gleicher Weise an- gestellt. Davon hatte einer den Erfolg der vorigen Fälle; die beiden anderen brachten die Bewegung des ganzen Fadens zum Stehen, hier schienen die Fäden unter der Wärme gelitten zu haben. Geringere Temperaturen wie 21°, 25° 30° brachten unregel- mäßige Ergebnisse; die Temperaturen sind wohl zu niedrig. II. Das nachwandernde Ende wird beleuchtet. 10. Faden 7 mm lang, mit ausgebildeten Enden und lebhaft he- weglich. 7 Minuten beobachtet. Während dieser Zeit keine Bewegungs- veränderung; es tritt dann Stillstand ein, darauf sehr langsame Vor- wärtsbewegung des nachwandernden Endes. 11. Faden 7 mm lang. auch im übrigen wie unter 10. Nach 3 Minuten Stillstand und sehr langsame, wechselnde Umkehr. 12. Faden 2 mm lang. 7 Minuten beobachtet. Er bleibt so be- weglich wie im Anfange, ohne Veränderung. 13. Vollständiger, 6 mm langer, stark beweglicher Faden wird ° 7 Minuten lang behandelt. Es treten keine Änderungen in der Be- wegung auf, 14. Faden etwa 5,5 mm lang. Nach 7 Minuten wie vorher kein Einfluß erkennbar. 15. Ein etwa 6 mm langer, lebhafter, ganzer Faden läßt nach 5 Minuten nirgends eine Beeinflussung erkennen. 16. Ein 11 mm langer, ganzer Faden wird wie vorher behandelt. Schon nach 30 Sekunden kehrt er um: dies ist der einzige derartige Fall unter II. Die Versuche bringen eine neue Sicherheit in unsere, schon durch die früheren Untersuchungen gewonnene Vorstellung. Alle früheren Einwände über künstlich gespannte Lage der Fäden. über die Mög- lichkeit einer aufgezwungenen Torsion, daß abgetrennte Teilstücke neue Einzelwesen, gleich den selbsttätig entstandenen Hormogonien, geworden seien, fallen hier weg. Es braucht nun keines Wortes mehr, daß in ihrer Bewegung Teile des Oseillarienfadens gegeneinander zu arbeiten vermögen. Die Versuche I 1-4 sind die eindeutigen Beweise dafür: das Vorderende zieht sich zurück, das Hinterende wandert vor, d. h. entgegen. Die 368 Günther Schmid. Fortleitung des Umkehr bewirkenden Reizes scheint unvollkommen oder sehr langsam vor sich zu gehen. Es kann diese Art der Rück- bewegung, die eine Bogenbildung zur Folge hat, vom ökologischen Ge- sichtspunkt aus betrachtet, einen Sinn haben für das Verhalten schäd- lichen Einwirkungen gegenüber: Das sich zurückziehende Vorderende bekommt so beim abermaligen Vorgehen, was ja nach einiger Zeit nicht ausbleiben wird, eine andere Winkelrichtung, wodurch es der störenden Ursache unter vielen Umständen wird ausweichen können. &äber der Faden. hat nicht immer die eben angegebene Neigung. Der 5. Versuch unter I. zeigt deutlich genug, daß der ganze Faden nach der Reizung in seiner gesamten Länge als gerades Gebilde in entgegengesetzter Richtung wandert. Wir können nicht annehmen, daß in solchen Fällen der Reiz schneller die Zellen durcheilt hat. Auch sind die Fäden hier nicht etwa kürzer als in den übrigen Versuchen. Zwar der gesamte Faden wandert entgegengesetzt der Richtung des gesamten Fadens vorher, doch sind denn wirklich in diesen Versuchen alle Teile durch den örtlichen Beleuchtungseinfluß in ihrer Bewegungs- richtung verändert worden? Wir erinnern uns früherer Erfahrungen, die mit der Bogenlage oder durch die Beobachtung der Teilstücke von uns gemacht wurden. Es stellte sich damals heraus, beispielsweise im 3. Versuch pag. 359, daß das vordere Ende bei Gelegenheit der Bogen- lage dem hinteren entgegenging — hier war keine verschiedene Be- einflussung der beiden Fadenhälften gegeben. Oder man denke an die Teilstücke im 2. Versuch pag. 363. Auch hier ein verschiedenes Wan- dern, etwa von Vorder- und Hinterende, obgleich doch keinerlei äußere Umstände, die dies bewirken könnten, erkenntlich sind. So befremd- lich die Vorstellung zunächst sein mag, kommen wir gerade (durch die Versuche mit der örtlichen Beleuchtung der vorwandernden Faden- spitze zu der Anschauung, daß schon im bewegenden, gestreckten Faden zwei, und wahrscheinlich noch mehr Teile mit verschiedener Bewegungs- art sich gegenüberstehen. Die verschiedene Bewegungsart bezieht sich sowohl auf die Richtung, wie auf die Geschwindigkeit der Bewegung. Die Teile können zusammenarbeiten oder sich gegenseitig in ihrer Be- wegung stören, danach richtet sich das Bild der Gesamtbewegung. VL Zur Theorie der Oscillarienbewegung. Welche Tatsachen stehen als Unterlagen für eine Theorie der Oseillarienbewegung zur Verfügung? Der Zellfaden der Oscillarie ist ein organisches Ganze, dessen Glieder, die Zellen, durch Plasmafäden zusammenhängen. Solche Plas- Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 369 modesmen sind von Borzit), Kohl, Wille, Phillips und anderen gesehen worden. Der fertige Faden schließt beiderseits mit einer be- sonderen Spitzenzelle ab. Die Gestalt dieser Zelle ist von derjenigen der übrigen Zellen verschieden — wenn auch bei manchen Arten nur ganz geringfügig. Während der Bewegung dreht die Oscillarie um die Längsachse. Sie führt Vor- und Rückbewegungen aus. Zugleich macht das vor-, seltener das nachwandernde Fadenende ruckweise oder gleich- mäßige Schwingungsbewegungen von mehr oder weniger großer Pendel- weite, welche — bei der fortwährenden Bewegung des Fadens — Schraubenlinien beschreiben. Die Oberfläche des Fadens ist ringsum, von Spitzenzelle zu Spitzenzelle, mit Schleim umkleidet, welcher beim wandernden Faden immer in Bewegung ist; beim ruhenden ist dies nur manchmal und dann bloß streckenweise der Fall. Dieser Schleim bewegt sich am wandernden Faden durchweg von der vorderen Spitze nach hinten, indem er schraubenförmig entgegengesetzt der Achsen- drebung vorrückt und hinter dem nachwandernden Ende den Faden verläßt, wobei eine schwache Spur auf der Unterlage zurückbleibt. Die Schleimbewegung ist nicht immer gleichmäßig; sie kann auch beim wandernden Faden regelwidrige Richtungen aufweisen, ist im übrigen vielfach mit verschiedener Geschwindigkeit auf der Länge des Fadens verteilt und führt oft zu dichteren Schleimansammlungen (Ringen), die zuweilen wiederkehrend auftreten. Die Feststellungen über die Schleim- bewegung stammen besonders von Fechner. Die Teile des Fadens stellen hinsichtlich der Bewegungsfähigkeit selbständige Stücke dar. Sie sind beweglich wie der ganze Faden, haben Drehung, Vor- und Rückwanderung. Wie weit diese Selb- ständigkeit geht, ob auch die einzelne Zelle schon sich bewegen kann, ist noch ungewiß. Der Faden kann sich selbständig krümmen, auch die Pendelungen sind solche Krümmungsbewegungen. Die Osecillarie kriecht, wenn unbeeinflußt, nicht geradlinig vor- wärts, sondern stets in allmählichen Bögen, die in verschiedener Stärke abwechseln. Die Bogenbildung läßt sich zwanglos aus der Selbständig- keit der Fadenteile erklären. Das verschiedene Verhältnis der Faden- zonen zueinander ruft die verschiedene Bogenwanderung hervor. So vermögen auch die Teile gegeneinander sich zu bewegen, was zu augenblicklichen Bogenbildungen Veranlassung geben kann. Der Faden kann sich selber spannen und entspannen (tordieren). Das läßt auf elastische Fähigkeiten der Zellen, besonders der Mem- 1) Angeführt nach ©. Phillips. Flora. Bd. 111. 24 370 Günther Schmid, branen, schließen. Die Zellhäute weisen denn auch eine spiralige Streifung auf (Kolkwitz, Correns). (Nach Fechner, pag. 349 ist diese Streifung dem Schleime eigen! Kolkwitz hat gezeigt, daß sie las starke Bestreben haben sich zu rollen und spiralig zusammen- zulegen, daß sie stets in spiraliger Spannung sind. Nach Wille, Kolk- witz haben die Membrane Poren, auch Phillips behauptet dies, Soweit die vorliegenden Tatsachen. Die aufgestellten Hypothesen haben mit der Erweiterung der Kenntnisse Schritt gehalten, rücken andererseits aber meist eine Eigenschaft der bewegenden Osecillarie in den Vordergrund und suchen von da aus auch die anderen Eigen- schaften zu erklären. Immer mehr hat sich hierbei die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß dem Schleime Hauptbedeutung beizumessen sei. Der Weg geht von Siebold, Schultze zu Correns und zuletzt zu Schroeder!) und Fechner. Die älteste Theorie, wonach die Be- wegungen im Wachstum ihre Ursache haben sollen und die Pendelungen weiter nichts als Nutationen sind, ist längst vergessen. U. a. vertrat sie Kützing; aber selbst Straßburger neigte ihr noch zu (vgl. Bo- tanisches Praktikum 1884, pag. 356). Auch die Auffassung von der Wirkung osmotischer Kräfte (Zukal, Hansgirg) hat keine Anhänger mehr. Ebensowenig die Hypothese der äußeren Protoplasmaströmung Engelmann's. Beachtenswert aber bleiben die Ansätze zu einer Kontraktilitätshypothese. Die ältesten Beobachter, u. a. Ingenhouß, Purkinje, Dujardin?), welche die Oscillarien ja für Tiere hielten, waren, durch das Beispiel der niederen Tiere angeregt, für die Kön- traktilität der Oscillarien. Offenbar hielten sie die Bewegung für wurmförmig, ähnlich der der Anguilliden. Doch selbst Cohn vertrat 1867 ähnliche Anschauungen, ja selbst Pfeffer (Physiologische Unter- suchungen, Leipzig 1873, pag. 138 in einer Anmerkung), Hansgirg 1887 und Migula 1897. 1904 veröffentlichte nun Orville Phillips ganz neue Beob- achtungen, die in der alten Engelmann’schen Auffassung vom Außen- plasma wohl ihre Anregung gefunden haben. Hiernach werden die Bewegungen der Oscillarien, des Cylindrospermum und anderer Formen von zarten, protoplasmatischen Cilien hervorgerufen, die, am Faden der Länge nach verteilt, nach innen mit dem Zentralkörper der Zelle in Verbindung stehen, indem sie von dort ausstrahlend Chromatophor und Zellwand durchdringen. Diese Feststellung wäre mehr als eine Hypo- 1) Angeführt nach R. Fechner. 2) Nach Hansgirg, II, pag. 31. Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 371 these, sie wäre die Lösung selber. Sie hat aber bisher weder eine Be- stätigung noch Entgegnung gefunden. Jedenfalls nimmt sie ganz eine Sonderstellung ein und erscheint vorläufig unwahrscheinlich. Schon früher waren solche Cilien (zwar am Fadenende) zurückgewiesen und als schmarotzende Anhängsel (Bakterien) erkannt worden. Und man sollte annehmen, daß Gaidukow bei seinen ultramikroskopischen Unter- suchungen der Oscillarien sie hätte sehen müssen, 1915 erschien die Arbeit von R. Fechner. Sie bringt zum ersten Male eine bis ans Ende durchgeführte Hypothese. Fechner sieht allein im Schleim die Bewegungsursache. Der Schleim sei aniso- trop, er werde an den Fadenenden von den Spitzenzellen ausgeschieden, quelle, und da seine Quellungsachse im Winkel zur Fadenachse sich neige, treibe er, je nach der zur Zeit tätigen Spitzenzelle, den ge- samten Faden vor- oder rückwärts. Fechner hat die genaue Kennt- nis von den Vorgängen der Schleimwanderung längs des Fadens jeden- falls sichergestellt. Die darauf gebaute Hypothese hat viel für sich, bis in die Einzelheiten ist sie von ihm glänzend Jurchgeführt worden. Mir selber hat aber auch diese Hypotliese nicht genügen können, und eine Reihe von Einwänden, die mir aus eigenen, von Fechner unab- hängig und etwa gleichzeitig gemachten, hier zum großen Teile mit- geteilten Erfahrungen und Versuchen erwachsen sind, möchte ich nicht verbergen. Fechner mißt der Spitzenzelle Hauptbedeutung zu. Sie ist das Bewegungsorgan. Für kleine Arten und kurze Fäden wäre das ver- ständlich. Aber läßt es sich denken, daß die langen Fäden der Go- mont’schen Oseillatoria-Gruppe Prineipes von dieser einen Zeile mit Schleim versorgt und betrieben werden? Oscillatoria curviceps ist durchweg mindestens 5 mm lang, ja sie erreicht },1 em! Es ist auch zu überlegen, daß im Vergleich hierzu schon die einzelligen Diatomeen und Desmidiaceen viel längere Ruhepausen zwischen Vor- und Rück- wanderung haben und demnach notwendig brauchen, was offenbar im Mangel einer unterbrochenen Schleimerzeugung seine Ursache hat, Ein und dieselbe Zelle kann jedenfalls nicht unabläßlich ‚Schleim liefern, so, daB die Bewegung niemals stockt. Die Oscillarien sind aber durch- gehend immer beweglich. Zwischen Vorwärts- und Rückwanderung liegt keine eigentliche Pause. Ich habe Fäden von O. curviceps unter dem Mikroskop eigens hierauf mehrmals mehrere Stunden verfolgt, zweistündige, ununterbrochene Beweglichkeit als Regel beobachtet, ein- mal sogar eine Bewegungsdauer von 4 Stunden (d. h. bis zum Schluß der Beobachtung) gefunden. Und wie ergiebig ist schon die Betriebs- 24* 372 Günther Schmid, kraft für einen einseitig gerichteten Bewegungsverlauf. Eine gleich- mäßige Wanderung von 1 Stunde ist wohl die Regel und solche von 2 und 3 Stunden ist gar nicht selten festzustellen. Hiernach wäre eine Ablösung oder gleichzeitige Tätigkeit verschiedener Bewegungszellen viel wahrscheinlicher. Die Spitzenzelle ist zwar bei O. eurviceps besonders groß, größer als die übrigen Zellen des Fadens, und könnte hiernach wohl als Schleimerzeuger gedeutet werden. Wie aber liegt der Fall bei Arten mit kleiner Spitzenzelle oder Formen, deren Enden spitz auslaufen, und deren letzte Zelle noch besonders sich lang zuspitzt (vgl. die Go- mont’schen Attenuatae)? Eine einzige Zelle müßte überdies wohl auffällig lebendig sein. Nach den Untersuchungen Brand’s ist die Spitzenzelle ganz im Gegenteil tot. Sie bildet den Übergang zu den peitschenförmigen Enden der Rivularien, deren Zellen ja schon bei flüchtigem Blick als tot zu erkennen sind. Der ganze Inhalt einer Oseillarienspitzenzelle ist nach ihm verschleimt und die Zellwandung auch. Die für den Systematiker so wichtige Erscheinung der Calyptra wäre solcher Ver- schleimung zuzuschreiben. Die häufig stärkere Ansammlung von Schleim um die Endzelle herum läßt sich hieraus zwanglos erklären, aber auch daraus, daß ja der Schleim an den Fadenenden während der Fewegung zusammengeschoben wird. Schließlich noch ein Einwand, der sich aus meinen Versuchen im Abschnitt über die Bewegungen der Fadenteile ergibt. Bei der hef- tigen Beleuchtung eines vorrückenden Fadenendes sahen wir hier. daß bald eine Umkehrbewegung nur des vorderen Endes zustande kam: das Hinterende wanderte unterdes unbekümmert weiter, Nach Fech- ner's Theorie wäre dies unmöglich gewesen. Wie sollte ler in schiefer Achse quellende Schleim seine Kraft plötzlich anders gerichtet auf den Faden ausüben können? Fechner nimmt denn in solchen Fällen eine Reizwanderung nach dem Gegenpole zu Hilfe, wo dann Schleimlieferung und Quellung einsetze und damit die Umkehrbewegung. Aber der Fall liegt hier ja ganz anders. Es ist möglich, daß die Spitzenzellen auch Bewegungsschleim erzeugen. Doch sind sie nicht die Bewegungsorgane. Die Spitzen er- scheinen mir als Schutzzellen für die dahinter liegenden Fadenteile. Gerade hinter der Spitze finden wir stets lebhafte Teilungen oder junge Zellen. Die verschleimende Spitzenzelle mit den schmierenden Mem- branen ist als ein wirksamer Schutz zu erachten. Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 373 Andererseits habe ich gezeigt, dafi jeder Fadenteil für sich Be- wegungen macht. Ist der Faden in Stücke zerschnitten, könnte man einwenden, daß dann sofort die neuen Enden Schleimzellen regelnder- . weise bildeten. Damit hätte jele Zelle die Anlage zur Bewegungszelle. Warum sollte sie nicht gleich selber Bewegungsorgan sein? Die Ver- suche nit der Bogenlage, das Verhalten des Fadens beim heftigen Be- leuchten oder beim Eintritt von Jodlösung in die Spitzenzelle (vgl. Abschnitt über die Bewegung der Fadenteile) sprechen ganz deutlich dafür. Auch im unversehrten Faden arbeitet jeder Teil an der wan- dernden Bewegung mit. Es bliebe hiernach kaum noch die Möglich- keit, daß längs des Fadens verteilt nur einzelne Zellen, mit den Eigen- schaften der Fechner’schen Spitzenzelle begabt, die Betriebskraft er- zeugen. Daun kann man aber auch dem anisotropen Schleim nicht mehr die Bedeutung zusprechen, den er nach Fechner haben soll. Ich möchte der Fechner’schen Auffassung eine andere entgegen- stellen. Es bliebe noch der Untersuchung anheimzugeben, wie weit die Selbständigkeit der Fadenteile geht, ob etwa auch eine losgetrennte einzelne Zelle schon zur Bewegung befähigt ist: dennoch sehe ich als Grundlage einer Hypothese die Annahme, daß der Öscillarienfaden auch hinsichtlich der Bewegung ein organisches Ganze ist. Die wandernde Oseillarie ist in allen Teilen bewegt. Nicht so, daß etwa alle Teile zugleich arbeiten; mehr oder weniger große Strecken können stilliegen, und der Bewegungsschleim anderer Zellen gleitet über sie hinweg. Die Zonen lösen sich ab. Sie sind auch nicht stets gleichgerichtet. Einzelne Stellen können dem Ganzen entgegentreiben. Das kann dann der Gesamtbewegung zu einer Bogenbildung verhelfen. Bei schwacher Wirkung entstehen jene Bogenwanderungen, die ich im V. Abschnitt beschrieben habe; sehr kurze gegensätzliche Strecken werden von der Allgemeinbewegung überwunden, so daß gar keine Außenwirkung be- merkbar wird, Schon die Teile der einzelnen Zelle einer Amöbe oder Euglena sind zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander. Sie arbeiten vielfach gegensätzlich, zugleich mit einer ausgeprägten Gesamt- leistung der Bewegung, oder sie verfolgen das gleiche Ziel. Das Bild dieser Lebewesen hat man sich wohl vor Augen zu halten. Es genügt nicht, daß der Schleim in einem Winkel zur Längs- achse des Fadens quillt, um schon hieraus die Fortbewegung des Fadens zu folgern. Im Falle der Schleimerzeugung an allen Teilen des Fadens bleiben wir uns mit der Fechner’schen Hypothese die Erklärung schuldig, warum mit Notwendigkeit der Faden in einer Richtung sich bewegen muß. Fechner sagt nur, daß „die quellende 374 Günther Schmid, Kraft des Schleimes nach innen wirksam ist“ (pag. 350); das ist sie freilich, wenn er nur von der Spitzenzelle ausgeht. Aber der Schleim quillt überall am Faden, jede Zeile erzeugt ihn. Da ist es nur zu verstehen, daß eine Kraft außerhalb des Schleimes und unbeeinflußt von der Spitzenzelle die Richtung veranlaßt. Was liegt wohl näher, als diese im Protoplasma der Zelle selber zu suchen. Der Schleim muß in unmittelbarer Verbindung mit dem Protoplasma sein. Ich kann nicht annehmen, daß solch reichliche und andauernde Sehleimentwieklung durch Umwandlung der Zellhaut entsteht. Fechner glaubt dies allerdings. Man bedenke, daß nach seiner Auffassung die winzige Membranfläche durch Umbildung eben jener Membran der Endzelle den Schleim für den ganzen Faden liefern sollte. Das ist meines Erachtens undenkbar. Viel eher muß die Schleimerzeugung wohl im Piasma oder jedenfalls innerhalb der Zelle liegen. Die schnelle Schleim- absonderung bei den Desmidiaceen wird so nach Klebs (IL) auch un- mittelbar vom Zellplasma bewerkstelligt und ist nicht Verquellung der Membran. So dringt auch der Schleim durch die Zellhäute bei den Zygnemen und Diatomeen. Ja es macht Arthur Meyer (pag. 157, 174) den Eindruck, als gelangte selbst bei den Bakterien der Schleim als Erzeugnis des Protoplasmas auf dem Wege durch die Membran nach außen. Hier sind gewiß keine Poren. Will man sie bei den Oscillarien gelten lassen, so ist es um die Verständlichung des Schleim- vorganges um so besser gestellt. Unbedingt erforderlich erscheinen die Poren mir nicht. Was gibt dem Schleim den schraubigen Bewegungsverlauf? Wir greifen zurück auf all die Erscheinungen, die früher bei Betrachtung der Oscillarienbewegung viel mehr im Vordergrunde der Anteilnahme gestanden haben, Erscheinungen, die Cohn, Pfeffer, Hansgirg und Migula zur Annahme einer Kontraktilität, einer selbständigen Bewe- gungskraft des Protoplasmas geführt hatten. Merkwürdigerweise wurden diese Erscheinungen später ganz vergessen. Correns bestritt sie, und nach seinem Angriff auf Kolkwitz leugnete auch Kolkwitz (IL) sie ab. Fechner und Pieper sprechen nicht mehr davon. Diese Bewegungskraft besteht unzweifelhaft. Das Pendeln der Fadenenden beim Fortwandern oder in der freien Lage ist ein Anzeichen dafür. Die plötzlichen Krümmungen der feinen Formen und der Beggiatoen können gar nicht anders erklärt werden. Die Fäden sind derartig selbständig spannungskräftig, daß sie Spannungsdrehungen hervorrufen können. Ältere Forscher haben die Kontraktilität immer wieder besonders hervorgehoben, und es ist richtig, wenn Hansgirg bemerkt, daß die Zur Kenntnis der Oseillarienbewegung. 375 dünnen und zartwandigen Formen heftigere Krümmungen aufweisen ‘als die breiten, mit dicken Membranen. Ich verweise hierzu im übrigen noch auf meine Beobachtungen im IV. Abschnitt über das Pendeln. Wie verwickelt solch eine selbständige Krümmung des Fadens sein kann, sehen wir an der Symploca muscorum bei heliotropischer Reizung. Diese Form, deren eigenartiges Verhalten bisher nie beschrieben worden ist, bewegt sich völlig gerade und parallel zum einfallenden Lichte. Unter dem Mikroskop weisen die einzelnen Fäden hier und Ja nur unbedeutende bogige Krümmungen im Fadenverlauf auf. Diese geord- nete Lage ist nun, etwa auf feuchtem Agar, sofort, man möchte sagen augenblicklich, zu verändern durch eine andere Stellung zum Licht. Schon nach einer Viertelstunde zeigen die träge dahinwandernden Symplocafäden an der Spitze eine leichte Krümmung zur neuen Licht- richtung. Nach einer Stunde ist die Krümmung beträchtlich, mehr noch nach einigen Stunden. Unterdessen ist auch ein Weiterrücken des Fadens vor sich gegangen. Das Merkwürdige des Vorganges liegt darin, daß der drehende Faden fortwährend neue Flanken dem Lichte zukehrt, und doch eine ebenmäßige, bestimmt gerichtete Krümmung die Folge ist. Die Bewegungsursache im Protoplasma. Das Rätsel ist auf das Protoplasma weiter verschoben worden. Ich sehe in der Kontraktilität des Oscillarienplasmas nur ein Anzeichen für den tätigen Anteil ar der Bewegung überhaupt. Ich sehe den Vorgang demnach ähnlich wie früher Hansgirg auf Grund geringerer Kenntnisse, welcher annahm, daß die äußerste Schicht des Protoplasmas sich verschieden zusammen- zieht, gereizt wird, und dann die Zellhaut in selbständiger Weise auch sich zusammenzöge. Aus der Wanderung der Schleimteilchen ersah Hansgirg nämlich die tätige Beteiligung der Zellhaut. Diese leben- digen Spannungen verliefen nach Hansgirg schraubenförmig. Man darf auch jetzt wieder entschieden behaupten, daß das Proteplasma den schraubigen Bewegungsverlauf des Schleimes, der von ihm ausgeschieden wird, auch veranlaßt, entweder durch schraubige Bewegungswellen innerhalb der Zellen oder durch eine fortdauernde schraubenförmige Reizfortleitung, die entsprechend Schleimbildung auslöst und Schleim durch die Membran nach außen sendet. “ Eine Beziehung zwischen Zeilplasma und Außenschleim zu beob- achten wäre sehr wünschenswert. N. Gaidukow hat Oscillarienfäden mit dem Siedentopf’schen Ultramikroskop untersucht und dabei gefunden (pag. 56), daß die Teilchen des Zellinhaltes in den unbeweg- lichen Fäden meistens auch unbeweglich sind. Bewegt sich aber 376 Günther Schmid, die Oseillarie, so bewegen sich auch manchmal die Teilchen, und dabei kann man oft eine wellenartige Bewegung des ganzen Zellinhaltes sehen. Ähnliches liegt bei Chlamydomonas, Bodo und anderen Flagellaten vor, wo manchmal eine lebhafte Bewegung der Zellteilchen in der Gegend unter der Geißel zu bemerken ist. So Gaidukow. Ich selber habe kurze Zeit das Ultramikroskop benutzt und beobachtete fast immer die Hin- und Herbewegung der Teilchen innerhalb des Fadens, welche sofort innehielt, wenn der Faden stillstand. Man hat, durch die Erscheinung der Schleimabsonderung verleitet, die Bewegung der Oscillarien in eine Reihe mit derjenigen der Des- midiaceen und Diatomeen stellen wollen, so etwa, wenn unter anderem Verworn diese Organismen unter der „sekretorischen Bewegungsform“ zusammenfaßt. Gewiß, sie haben den Schleim und den Betriebswechsel in Vor- und Rückbewegung gemein. Aber sollte nicht auch jene Fülle der Bewegungserscheinungen in der niederen Welt der Organismen, welche Drehungsbewegungen aufweisen, zu deuten geben, die Flagel- laten, Infusorien, Bakterien, Spirochäten, die begeißelten Amöben ? Der Rhythmus der Umkehrbewegung wird in der Natur des Protoplasmas begründet liegen. Die spiralige Reizfortieitung und Kontraktilität scheint ein leicht erzeugbarer Zustand zu sein. Gibt es doch kreisende Pseudopodien bei Amöben (Camptonema nutans Schaud.), Amöben mit Geißeln (z. B. Mastigamoeba) und begeißelte Heliozoen. Es ist bekannt, daß die Geißeln schraubige Kontraktionen erzeugen, daher denn die Bewegung des zugehörigen Zellkörpers zuwegekommt. Bei den In- fusorien dagegen findet sich eine fortlaufend spiralige Reizauslösung der Wimpern, die nacheinander in spiraliger Folge schlagen. Nicht ein unsymmetrischer Bau bedingt in erster Linie die drehende Bewegung etwa eines Paramaeciums; auch die abgetrennte symmetrische Hinter- hälfte dieses Infusors dreht um die Achse, lediglich vermöge der Wim- pertätigkeit (vgl. Jennings, pag. 64). Die Bewegungen der Oscillarien nehmen also keine Sonderstellung ein. Würden die Angaben Phillips’, sich bestätigen, so hätten wir die spiralige Bewegungsleistung des Plasmas am klarsten in dem fort- laufenden Schlag der von ihm behaupteten Cilien. Der Schleim würde dann wohl von ihnen bewegt werden und zugleich die Rolle des reibungsvermindernden Schmiermittels auszuüben haben, eine Aufgabe, welche dem Schleim übrigens ohnehin zufällt. Es muß die nächste Aufgabe sein, die Phillips’schen Angaben zu prüfen. Zugleich muß die Frage der selbständigen Krümmungs- und Drehungsfähigkeit des Oscillarienplasmas eingehender Untersuchung u Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 377 unterzogen werden. Da wäre es denn am ratsamsten, nicht bei den Oseillarien länger zu verweilen, sondern lebhaftere Formen aus ihrer Nachbarschaft, die Beggiatoen, welche gewissermaßen das Äußerste der Oseillarienbewegung leisten, für diese Frage heranzuziehen. z VII. Hauptergebnisse. . Erschütterungen beinflussen als Reize die Geschwindigkeit der Oscillarienbewegung. Kurze Erschütterungen wirken sowohl bei den Oseillarien als auch den Diatomeen beschleunigend. Wiederholte Erschütterungsreize setzen die Geschwindigkeit wahrscheinlich herab. Die Gültigkeit der van t’Hoff’schen Regel wurde für die Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung der Oscillarien erwiesen. Beim Pendeln des Fadens wirken Nebenumstände störend mit. Das Pendeln ist nur als Wirkung des kontraktilen Zellfadens zu begreifen. Fine Reihe Anzeichen sprechen deutlich dafür. Jeder Oscillarienfaden bewegt sich auf einem mehr oder weniger bogenförmig verlaufenden Wege. Diese Bewegungsart liegt im Mechanismus der Bewegung begründet. Jedes Teilstück des Fadens hat selbständige Bewegung. Auch im unversehrten Faden arbeiten die Teile selbständig, wobei sie unter Umständen gegeneinander wirken und Torsionen hervor- rufen können. Entgegen R. Fechner kann die Spitzenzelle nicht als das Bewegungsorgan angesehen werden. Auch Anisotropie und Quellung des Schleimes in schiefer Neigung zur Fadenachse genügen nicht, um die Bewegung der Oscillarien zu verständ- lichen. Die Bildung des Bewegungsschleimes wird vielmehr als die Arbeit des gesamten Fadens betrachtet. Vermutlich erzeugt jede Zelle Schleim und ist Träger der Bewegung. Die Ent- stehung des Schleimes ist in die Zelle zu verlegen, von wo aus das bewegliche, kontraktil-reizbare Protoplasma ihn durch die Membran auf die Oberfläche entsendet. Literatur. 1) Ahlborn, Fr., Über die Wasserblüte Byssus flos aquae und ihr Verhalten gegen Druck. Verhandi. des Naturw. Vereins in Hamburg 1894, 3. Folge, Bd. I. 2) Bary, A. de, Beitrag zur Kenntnis ‚der Nostocaceen, insbesondere der Rivu- larien. Flora 1863. 378 Günther Schmid, 3) Benecke. W., Bau und Leben der Bakterien. Leipzig und Berlin 1912. 4) Bory de St. Vincent, „Oseillatoire“ im Dictionnaire classique d’histeire naturelle, Bd. XII. Paris 1827, 5) Brand, Spitzenzellen der Oseillarien und Schnellfärbung. Hedwigia 1905, Bd. XLV. 6) Cohn, F., Beiträge zur Physiologie der Phycochromaceen und Florideen. Arch. f, mikrosk. Anatomie 1867, Bd. IIE. 7) Gorrens, C., Über die Membran und die Bewegung der Oseillarien. Ber. der Deutsch. bot. Gesellsch. 1897, Bd. XV. 8) Engelmann, Th. W. (IL), Über die Bewegungen der Oscillarien und Diato- meen. Archiv f. die gesamte Physiologie 1879, Bd. XIX. 9) Ders. (IL), Zur Biologie der Schizomyzeten. Ebenda 1881, Bd. XXVI. 10) Fechner, R., Die Chemotaxis der Oseillarien und ihre Bewegungserschei- nungen überhaupt. Zeitschr. f. Botanik 1915, Bd. VII. 11) Fischer, A. Untersuchungen über den Bau der Cyanophyceen und Bakterien. Jena 1897. ]2) Gaidukow, N., Dunkeifeldbeleuchtung und Ultramikroskopie in der Biologie und in der Medizin. Jena 1910. 13) Hansgirg, A. (I.), Bemerkungen über die Bewegungen der Oscillarien. Botan. Zeitung 1883, 14) Ders. (II.), Physiologische und algologische Studien. Prag 1887. 15) Ders. (III), Physiologische und algologische Mitteilungen. Sitzungsber. der Kgl. Böhm. Gesellsch. der Wissensch., math.-naturw. Klasse 1890, Bd. II. Prag 1891. 16) Jennings, H. S., Das Verhalten der niederen Organismen. Übersetzt von E. Mangold. Leipzig und Berlin 1910, 17) Kanitz, A, Temperatur und Lebensvorgänge. Berlin 1915. 18) Klebs, G., Über Bewegung und Schleimbildung der Desmidiaceen. Biolog. Zentralbl. 1885/86, Bd. V. 19) Kohl, Über die Organisation und Physiologie der Cyanophyceenzelle. Jena 1903. 20) Kolkwitz, R. ([.), Über die Krümmungen bei den Oscillariaceen. Ber. der Deutsch. botan. Gesellsch. 1896, Bd. XIV. 21) Ders. (IE), Über die Krümmungen und den Membranbau bei einigen Spalt- algen. Ber. der Deutsch. botan, Gesellsch. 1897, Bd. XV. 22) Kützing, P. Fr., Phycologia generalis. Leipzig 1843. 23) Lehmann und Fried, Beobachtungen über die Eigenbewegung der Bak- terien. Archiv f. Hygiene 1903. 24) Meyer, A., Die Zelle der Bakterien. Jena 1912. 25) Migula, W., System der Bakterien. Jena 1897, 1900. 26) Müller, O., Die Ortsbewegung der Baeillariaceen, IV. Ber. der Deutsch. botan. Gesellsch. 1896, Bd. XIV. 27) Naegeli, C., Beiträge zur wiesenschaftl. Botanik, Heft 2. Leipzig 1860. 28) Phillips, O., A comparative study of the cytology and movements of the Cyanophyceae. Contributions fr. th. Botanical Laboratory of the University of Pennsylvania 1904, Vol. II. 29) Pieper, A. (1.), Die Diaphototaxis der Oscillarien. Ber. der Deutsch. botan. Gesellsch. 1913, Bd. XXX. 30) Ders. (II.), Die Phototaxis der Oscillarien. Inaug.-Diss. Berlin 1915. FR Zur Kenntnis der Oscillarienbewegung. 379 31) Rhumbler, 1., Physikalische Analyse von Lebenserscheinungen der Zelle. Archiv f. Entwicklungsmechanik der Organismen 1898, Bd. VIl. 32) Schmid, G., Hormogone Cyanophyceen des mittleren Saaletals. Hedwigia 1917, Bd. LVII. 33) Schrank, F. P. von, Über die Oscillatorien. Verhandl. d. Kaiserl. Leopoldin.- Carolin. 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Aus den Angaben in der Literatur, die sich allerdings nicht auf sehr viele Formen erstrecken, und aus eigenen Beobachtungen, die mehrere Hundert Arten von Hymenomyzeten und Gasteromyzeten umfassen, geht hervor, daß weitaus die Mehrzahl an den Querwänden ihrer Hyphen Schnallen haben. Soweit sich nach den bisherigen Untersuchungen urteilen läßt, entstehen in den meisten Fällen die Schnallen gewöhnlich einige Tage nach der Keimung der Basidiosporen und erhalten sich denn in allen folgenden Entwicklungsstadien als regelmäßige Erscheinung. Sie finden sich daher auch in allen Teilen des Fruchtkörpers, in dem Hyphengeflecht des Stiels sowohl wie in dem des Hutes. Daß sie auch im Hymenium, und zwar als weitverbreitete Erscheinung auftreten, darauf habe ich schon früher hingewiesen‘), Die Schnallen sind also keines- wegs, wie man früher wohl vielfach angenommen hat, Bildungen, die für die Myzelien charakteristisch sind. Um sich von ihrem Vorhandensein zu überzeugen, genügt daher meist die Untersuchung eines Stückes des gewöhnlich leichter zugänglichen Fruchtkörpers. Das negative Ergebnis der Fruchtkörperuntersuchung läßt allerdings nicht den Schluß zu, daß bei dem betreffenden Pilz Schnallen überhaupt nicht vor- kommen. So findet man z. B. im Gewebe des Fruchtkörperstiels und Hutes von Clitocybe expallens keinerlei Schnallenbildungen. Dagegen sind solche vorhanden in dem Hyphenfilz, auf dem sich die Frucht- körper entwickeln und der die Stiele der letzteren an der Basis um- kleidet. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß hier die Schnallen 1) Vgl. Beiträge zur Kenntnis d. Hymenomyzeten, III. Zeitschr. f. Bot. 1915, Bd. VII, pag. 390 und IV. Ebenda 1916, Bd. VIII, pag. 353. Übrigens bildet auch Falck, wie hier nachträglich bemerkt sei, bei Merulius Basidien mit Schnallen ab (vgl. Hausschwamm-Forschungen herausgegeben v. Möller, Heft 6; Die Merulius- fäule des Bauholzes von Falck. Jena 1912, Fig. ? auf pag. 16). DR t Über die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 381 durchaus nicht an allen Querwänden vorkommen. Es gibt auch hier Hyphen, die keine Schnallen haben und solche, bei denen sie sehr reichlich auftreten, und man kann oft finden, daß in ein und derselben Hyphe Querwände mit und ohne Schnallen mehr oder weniger regel- mäßig miteinander abwechseln. Das gleiche Verhalten habe ich noch bei verschiedenen anderen Basidiomyzeten gefunden, worauf unten zurückzukommen sein wird. Danach lassen sich binsichtlich der Schnalien- bildung drei Typen unterscheiden: 1. Typus: Die Schnallen erhalten sich, einmal entstanden, als regel- mäßige Erscheinung in allen folgenden Entwicklungsstadien; sie finden sich an jeder Querwand. 2. Typus: Die Schnallen fehlen völlig‘). 3. Typus: Die Schnallen treten mehr oder weniger unregelmäßig auf: sie können unter natürlichen Bedingungen bei gewissen Ent- wicklungsstadien ganz fehlen, bei anderen reichlich vorhanden sein. Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises, daß der dritte Typus als ein Übergang zwischen dem ersten und zweiten aufzufassen ist. Vom Phylogenetischen Gesichtspunkt aus dürfen wir den ersten Typus als den primären ansehen®2). Sonach wären also Typus 2 und 3 auch im phylogenetischen Sinn als abgeleitete anzusehen. Es mag dabei dahin- gestellt bleiben, ob Typus 2 sich immer auf dem Umwege über Typus 3 1) Hierher gehören nach eigenen Beobachtungen z. B. Calocera viscosa und Armillaria mellea, nach Rumbold (Naturw. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtsch. 1908, Bd. VI, pag. 121), Polyporus annosus. P. igniarius und P. fulvus, nach Möller (Hedwigia 1903, Bd. XLII, pag. 13), Trametes pini, nach Brefelä (s. die Zusammen- stellung bei Rumbold, a. a. O. pag. 121/22), Arten der Gattungen Polyporus, Hypochnus, Tomentella, Stereum, Auricularia usw. Die Angaben stimmen jedoch nicht immer überein (so z. B. nicht für Stereum purpureum, Collybia velutipes, Poiyporus igniarius), so daß erst genauere Untersuchungen werden feststellen müssen, welche Formen streng schnallenfrei sind und welche nicht. — Bei der Aufstellung der Typen mußte ich mich zunächst an das bekannte Tatsachenmaterial halten. Es ist möglich, daß spätere Untersuchungen zu einer, Verschiebung in der Zuge- hörigkeit zu den einzelnen Typen führen werden. 2) Die nähere Begründung hierfür liegt außerhalb des Rahmens dieser kurzen Darstellung. Ich verweise nur darauf, daß auf Grund der früher von mir nach- gewiesenen Homologie von Sehnallenhypben der“ Basidiomyzeten und ascogenen Hyphen der Ascomyzeten (Beitr. z. Kenntnis d. Hymenomyzeten, III. Zeitschr. f. Bot. 1915, Bd. VII), die Annahme einer Verwandtschaft beider Gruppen außer Zweifel steht. Die bis ins einzelne übereinstimmenden zytologischen Vorgänge in beiden Arten von Hyphen lassen es mir kaum zweifelhaft erscheinen, daß die sogenannten höheren Basidiomyzeten von den Ascomyzeten abzuleiten sind und daß beide Gruppen nicht, wie das meist angenommen wird, zwei auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehende Parallelreihen darstellen. 382 Hans Kniep, aus Typus 1 entwickelt hat oder vielleicht gelegentlich direkt aus dem letzteren entstanden ist. Sicher ist jedenfalls, daß der Entwicklungs- prozeß sich im Laufe der Stammesgeschichte mehrfach vollzogen hat- und höchstwahrscheinlich noch jetzt im Begriff ist sich zu vollziehen, da für die drei Typen in den verschiedensten Verwandtschaftskreisen der höheren Basidiomyzeten Vertreter zu finden sind. Versuche, die Schnallenbildung durch Veränderung der Außen- bedingungen zu beeinflussen liegen bereits von Rumbold vor‘). Die Verf. hat nıehrere Basidiomyzeten auf Nahrböden kultiviert, die nach chemischer Zusammensetzung, Aggregatzustand und Konzentration in verschiedener Richtung variiert wurden, mit dem Ergebnis, daß die Schnallenbildung nicht beeinflußt werden kann. Das mag, wie aus meinen Beobachtungen hervorgeht, für eine größere Anzahl von Basidiomyzeten tatsächlich zutreffen, sicher aber nicht für alle. Die Wahrnehmung, dat Myzelien von Coniophora cerebella, Clitocybe expallens, Lepiota rhacodes u. a. in Agarkulturen ihre Schnallen oft völlig verlieren und die Ver- mutung, daß namentlich die dem Typus 3 zuzurechnenden Formen im phylogenetischen und physiologischen Sinne als besonders labile an- zusehen sein könnten, legten es nahe, zu untersuchen, ob vielleicht bei ihnen die Schnallenbildung durch Veränderung der Außenbedingungen willkürlich hervorgerufen und unterdrückt werden kann. Ich versuchte zunächst, diesen Zweck durch verschiedene chemische Zusammensetzung des Nährbodens zu erreichen, doch zeigte sich bald, daß die Schnallen- bildung hiervon anscheinend völlig unabhängig ist. Dagegen ergab sich aus einer getrennten Untersuchung des auf der Agaroberfläche sich entwiekelten Luftmyzels und der in den Agar hineingewachsenen Hyphen, daß ersteres bei mehreren dem Typus 3 angehörenden For- men reich an Schnallen war, während sie bei letzteren vollkommen fehlten. Die Schnallenbildung hängt also offenbar davon ab, ob die Hyphen von Luft oder von Nährboden umgeben sind. Danach war zu erwarten, daß bei Myzelien, die sich in flüssigem Nährboden untergetaucht entwickeln, die Schnallenbildung verloren gebt, während sie wieder erzeugt wird, wenn den Hyphen Gelegenheit ge- ‘geben ist, in die Luft zu sprossen. Das hat sich, wie aus dem Folgen- den hervorgeht, für eine Reihe von Formen bestätig. Zum Beweis hierfür lasse ich einige Versuchsergebnisse folgen. j) Rumbold, C., Beiträge zur Kenntnis der Biologie holzzerstörender Pilze Naturwiss. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. 1908, 6. Jahrg., pag. 123. Zune, Fu Über die Bedingungen der Schnallenhildung bei den Basidiomyzeten. 383 1. Cortieium bisporum (Schroet.) v. Hoehn. et Litsch. Der Pilz wurde im November als weißer Überzug auf zum Teil “abgestorbenen Blättern von Plantago in den Zeller Anlagen bei Würz- burg gefunden. Die Untersuchung des frischen Myzels ergab das Vor- handensein zahlreicher Schnallen, doch waren dieselben keineswegs an allen Querwänden vorhanden. Es handelt sich also um Typus 3, Die Sporen keimten auf Malzextrakt-Fleischextraktgelatine (schwach sauer) nicht, ich schlug daher zur Gewinnung von Reinkulturen ein anderes Verfahren ein. In sterile Petrischalen wurde die Gelatine so aus- gegossen, daß sie den Boden derselben nicht ganz, sondern nur etwa halb Ledeckte. In die Nühe des freien Gelatinerandes wurden nun auf den nicht mit Gelatine bedeckten Teil des Plattenbodens Myzelflocken des Pilzes ausgelegt und das Ganze in einen dampfgesättigten Raum gestellt. Unter diesen Bedingungen sprossen aus den Myzelstücken nach allen Seiten Hyphen aus. Einige davon erreichen alsbald den Gelatinerand, dringen in die Gelatine ein und wachsen infolge der guten Ernährung in derselben schnell fort, so daß man dann auf sterile Röhrchen abimpfen kann und Reinkulturen besitzt. Um dieses Isolier- verfahren, das ich auch bei anderen Pilzen, deren Sporen nicht zum Keimen gebracht wurden, mit Erfolg angewandt habe, nicht immer um- schreiben zu müssen, will ich es die „Halbplattenmethode“ nennen. — Das in den Agarröhrchen sich entwickelnde Luftmyzel des Pilzes stimmt in seiner Beschaffenheit überein mit dem frischen Naturmyzel, hat also Schnallen. Einige dieser schnallenhaltigen Lufthyphen des Agar-Luftmyzels wurden nun am 12. Sept. in Kölbchen mit Pflaumendekokt übertragen. Am 19. Sept. hatte sich hier dichtflockiges untergetauchtes Myzel ent- wickelt, dessen Hyphen durchgehends schnallenlos waren. Beim wei- teren Wachstum bildete sich an der Oberfläche der Flüssigkeit und an den Wänden des Kölbchens wieder etwas Luftmyzel, dessen Querwände zum großen Teil Schallen aufwiesen. Ich bemerke noch, daß die in den Malzextrakt-Fleischextrakt-Agar der Reagenzröhrchen eingedrunge- nen Hyphen ebenso wie die des in Flüssigkeit untergetauchten Myzels schnallenlos waren. 2. Corticium byssinum Karst. Isolierung ebenfalls mit der Halbplattenmethode. Das aufmorschen Zweigen in der Natur vorkommende Myzel hat teilweise Schnallen, teilweise schnallenlose Querwände, ebenso das Luftmyzel der Agarkul- turen. Am 20. Sept. wurde Myzel aus einer Agarkultur in Pflaumen- 384 Hans Kniep, dekokt übertragen. Die dort aussprossenden Hyphen waren gänzlich schnallenlos. 3. Corticium spec. Es handelt sich um eine auf Zweigrinden weißliche Hymenial- überzüge bildende, im Steigerwald und Spessart vorkommende Art der Gattung Corticium (im Sinne von v. Hoehnel und Litschauer}, die nieht identifiziert werden konnte und vielleicht noch nicht beschrieben ist. Legt man Zweigstücke, auf denen die Hymenien sitzen, auf feuchten Sand in eine Glasschale, so sproßt allseitig Myzel aus, dessen Hyphen ziemlich weitlumig sind und sich durch den Besitz von Schnallenwirtein (meist 2—4 Schnallen an einer Querwand; daneben kommen auch ein- fache Schnallen vor) auszeichnen. In letzterer Hinsicht stimmt das Myzel also mit dem von Coniophora cerebella überein, bei der ja die Sebnallenwirtel schon seit längerer Zeit bekannt sind. Auch darin zeigt sich Übereinstimmung, daß die Schnallenwirtel nicht an allen Querwänden vorkommen, es gibt auch solehe ohne Schnallen. Ferner sind die Zellen — was hier nur nebenbei bemerkt sei — wie bei Coniophora und anderen Formen mit Sehnallenwirteln (Stereum hirsu- tum und Stereum rameale; s. unten) mehrkernig?). Man könnte daher vermuten, daß das Myzel mit den weißen Hymenien nichts zu tun hat und mit Coniophora identisch ist. Doch trifft das nicht zu. Schon die Ver- schiedenheiten in der Verzweigungsart, Wachstumsgeschwindigkeit, Farbe (die für Coniophora charakteristische gelbliche Färbung war nicht vorhanden) usw. weisen darauf hin, daß keine Identität bestehen kann. Es ließen sich ferner aus den farblosen Basidiosporen des weißen Hymeniunms in Reinkultur Myzelien gewinnen, die mit den aus den Zweigen aus- sprossenden mit der Halbplattenmethode isolierten völlig überein- stimmten. Die Untersuchung dieser Reinkulturen (Agarröhrchen) ließ schon erkennen, daß der Pilz sich ganz ähnlich verhält wie die beiden anderen oben beschriebenen Corticien. Junge Myzelien, deren Hyphen sich ausschließlich im Agar entwickelt haben, sind schnallenios. In älteren Kulturen, die meist auf der Agaroberfläche etwas Luftmyzei bilden, läßt sich an letzteren das Vorhandensein der charakteristischen Schnallen- 1) Auf die Zytologie dieser und sich ähnlich verhaltender Pilzmyzelien kann erst an anderer Stelle eingegangen werden. Es liegt natürlich nahe, einen Zusammen- hang zwischen Vermehrung der Kernzahl und der Schnallenzahl zu vermuten, nach- dem bei den Formen mit einfachen Schnallen so nahe Beziehungen zwischen Kern- teilung und Schnallenbildung nachgewiesen wurden (vgl. Beitr. z. Kenntn. d. Hy- menomyz. III. Zeitschr f. Bot. 1915, Bd. VII) En Über die Bedingungen der Schnaltenbildung bei den Basidiomyzeten. 385 wirtel nachweisen. Um Luftmyzel in größerer Ausdehnung zu erhalten, wurde aus einer Agarkultur schnallenfreies Myzel auf sterile, mit Wasser durehtränkte morsche Buchenäste übergeimpft, die sich, in sterilen Sand gesteckt, in Erlenmeyerkolben befanden. Es entwickelte sich dort im Laufe von wenigen Tagen (vom 3t. August bis 6. Sept.) reiches Luftmyzel mit Schnallenwirteln. Umgekehrt wurde am 12. Sept. Luft- myzel in Pflaumendekokt übertragen. Die hier entstehenden unter- getauchten Hyphen erwiesen sich bei der Untersuchung am 19. Sept. als völlig schnallenlos. 4. Coniophora cerehella (Pers.) Alb. u. Sehw. Isoliert aus Sporen, die auf 5%, iger Malzextraktgelatine in etwa 5 Tagen keimen!) und durch Ausstechen steriler Myzelstücke aus dem subhymenialen Pseudoparenchym. Die in den Agar eindringenden Hyphen haben keine oder nur ganz vereinzelte Schnallen bzw. Schnallen- wirtel. Ein Agarstück, das von solchem schnallenfreien ‘Myzel durch- wuchert war, wurde auf sterilisierte, morsche Buchenzweige in der soeben (bei Nr. 3: Corticium spec.) beschriebenen Weise übertragen und bildete hier im Laufe weniger Tage reiches Luftmyzel, das die typischen Schnallenwirtel in großer Menge besaß, daneben aber auch schnallenlose Querwände hatte. Das Myzel von Coniophora ist also ebenso wie die der zuvor besprochenen Pilze dem Typus 3 zuzuzählen. Auch hier kann die Schnallenbildung völlig unterdrückt werden, wenn man das Myzel untergetaucht in Flüssigkeit kultiviert. Am 12. Sept. wurde schnallenhaltiges Luftmyzel aus einer älteren Agarkultur in Pflaumendekokt übertragen. Das dichte Watten bildende Myzel, das sich hier entwickelte, erwies sich bei der Untersuchung am 19. Sept. als völlig schnallenlos.. Es wich von dem Luftmyzel noch insofern ab, als die weitlumigen Hyphen, die im Luftmyzel ziemlich gleichmäßig zylindrisch gebaut sind, teilweise schwach angeschwollen und unregel- mäßig gebogen waren. 5. Clitoeybe expallens Pers. Isoliert durch Ausstechen von Fruchtkörpergewebe. Das so ge- wonnene Myzel wächst gut auf Malzextrakt-Fleischextrakt-Agar, dringt in denselben ein und bildet nach einiger Zeit auch an der Oberfläche Luftmyzel. Die Hyphen des letzteren erhalten an zahlreichen, wenn auch bei weitem nicht an allen Querwänden Schnallen (Typus 3). Die in den Agar eingedrungenen Hyphen sind dagegen durchgehends 1) Vgl. auch Rumbold, a. a. O. pag. 103. Flora. Rd. 111. 25 386 Hans Kniep, schnallenfre. Auch hier verhindert also das Untergetauchtsein die Schnalienbildung, was auch daraus hervorgeht, daß Myzelien, die sich in Malzextraktlösung entwickeln, stets schnallenlos sind. Wie schon oben erwähnt, fehlen die Schnallen auch im Fruchtkörpergewebe des Pilzes; da der Pilz an feuchten, grasigen Plätzen im Spätherbst wächst und hygrophan ist, ist letzteres meist mit Wasser durchtränkt. In den lockeren Hyphen, die an der Basis des Fruchtkörperstiels vorkommen, sind dagegen, da sie in die Luft ragen, Schnallen vorhanden. 6. Lepiota rhacodes Vitt. Isoliert durch Ausstechen von Fruchtkörpergewebe. Das Myzel bildete bei Zimmertemperatur in Malzextrakt-Fleischextrakt-Agarröhrchen dichtwolliges Luftmyzel, dessen Hyphen größtenteils schnallenlose Quer- wände hatten. Daneben fanden sich nicht selten, namentlich an weit- lumigen Myzelfäden, Schnallen. Die in den Agar eingedrungenen Hyphen sind durchgehends schnallenlos.. Der Pilz gehört alse auch zu Typus 3. Am 6. Nov. wurde etwas Luftmyzel in Pflaumendekokt übergeimpft. Das daraus entstandene untergetauchte Myzel war völlig schnallenfrei (Untersuchung am 17. Nov.). 7. Lepiota excoriata Schaeff. Isoliert wie Nr. 6. In einem am 5. Sept. geimpften Agarröhrchen bildete sich nach längerer Zeit oberflächliches Luftmyzel, dessen Hyphen vereinzelt Schnallen aufwiesen (Untersuchung am 16. Jan). Die in den Agar eingedrungenen Hyphen waren schnallenlos. Flüssigkeits- kulturen wurden von dem Pilz nicht angesetzt; es ist aber wohl kein Zweifel, daß es sich darin ebenso wie Lepiota rhacodes verhält. 8. Pholiota squarrosa Fl. Dan. Isoliert durch Sporenaussaat auf Malzextrakt-Fleischextrakt-Gelatine. Am 23. Okt. wurde aus einem Agarröhrchen Myzel in Pflaumendekokt übertragen. Die Untersuchung am 2. Nov. ergab, daß das dichte Watten bildende untergetauchte Myzel größtenteils schnallenlos war. Besonders die diekeren Hyphen waren schnallenfrei, dagegen fanden sich an dünnen Seitenhyphen vielfach Schnallen. Die Hyphenenden sind häufig zu dicken ovalen Körpern (Konidien) angeschwollen!). — In älteren Pflaumendekoktkulturen bilden sich oberflächliche Rasen von 1) Ähnliche Konidien hat Rumbold (a. a. O. pag. 86 ff) für Pholiota adiposa (Fr.) beschrieben. Über die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 387 Luftmyzel Hier sind Schnallen allgemein verbreitet, Querwände ohne Schnallen zum mindesten sehr selten. 9. Pholiota spectabilis Fr. Der Pilz wurde durch Ausstechen von Fruchtkörpergewebe isoliert und verhielt sich hinsichtlich der Schnallenbildung ganz ähnlich wie Pholiota squarros.. In in Pflaumendekokt untergetauchten Hyphen fanden sich zahlreiche schnalienlose Querwände, vorwiegend an den diekeren Hyphen. Die dünnen Hyphen haben meist Schnallen. An den Hyphenenden oder in den Hyphen bildeten sich vielfach eigen- tümlicke Anschwellungen, die, verglichen mit denen von Pholiota squarrosa, mehr kugelige Gestalt haben. 10. Boletus luteus L. Isoliert aus Fruchtkörpergewebe. Der Pilz stellt auf Agar sein Wachstum ein und ist nur auf Gelatine gut zu züchten. Die Hyphen des Fruchtkörpergewebes sind schnallenfrei. Auch in der Gelatine- „kultur (Röhrchen mit Malzextrakt- Fleischextrakt- Gelatine) ließen sich keine Schnallen nachweisen. Sie bildete eine dichte Decke, die wenig zur Luftmyzelbildung neigte. Um letzteres zu erzeugen, wurden kleine Myzelstücke aus der Gelatinekultur auf sterile Objektträger übertragen, die mit einer dünnen Gelatineschicht überzogen waren und im feuchten Raum in sterilisierten Petrischalen aufbewahrt wurden. Unter diesen Bedingungen sproßte innerhalb weniger Tage reiches Luftmyzel aus, dessen Hyphen häufig, aber keineswegs immer Schnallen hatten. Der Pilz gehört also auch zum Typus 3. In flüssigem Malzextrakt war der Pilz nicht zum Wachstum zu bringen. 11. Lycoperdon piriforme Schaeff. Isoliert aus Fruchtkörpergewebe. Der Pilz zeigt wenig Neigung zur Schnallenbildung. Das in den Agar eindringende Myzel ist ganz schnallenfrei, auch im Luftmyzel sind selten Schnallen vorhanden, doch habe ich im Luftmyzel einer Agarkultur vereinzelte Schnallen auf- gefunden. Somit gehört der Pilz ebenfalls zum 3. Typus. Nebenbei sei bemerkt, daß die Zellen des aus Fruchtkörpern gewonnenen Myzels typisch je ein Kernpaar enthalten. 12. Lycoperdon caelatum Bull. Isoliert aus Fruchtkörpergewebe. Zum Unterschied von Lyco- perdon piriforme wurden bei diesem Pilz trotz mehrfacher eingehender 25* 388 Hans Kniep, Untersuchung von Luftmyzel keine Schnallen angetroffen. Ich will nicht bebaupten, daß sie nicht gelegentlich doch auftreten könnten und lasse daher die Frage offen, ob der Pilz dem Typus 2 oder 3 zuzu- zählen ist. Die Zellen des Myzels sind jedenfalls wie bei Lycoperdon piriforme (und auch bei L. gemmatum) paarkernig. Wie wir sahen, kann also bei den unter 1—11 genannten Arten, die alle dem 3. Typus angehören, die Schnallenbildung völlig oder wenigstens zum Teil (Pholiota squarrosa und spectabilis) unterdrückt werden, wenn man die Myzelien untergetaucht kultiviert. Umgekehrt lassen sich Schnallen wieder hervorrufen, wenn man dafür sorgt, daß sich Luftmyzel entwickeln kann. Ich sagte schon oben, daß es sich hier offenbar um Formen handelt, die — phylogenetisch gesprochen — im Begrift sind, die Schnallenbildung ganz einzubüßen. Bei einigen wie z. B. Lycoperdon piriforme, ist dieser Vorgang schon weit vor- geschritten, denn die Schnallen sind hier im Luftmyzel sehr selten, bei dem nahe verwandten Lycoperdon caelatum ist vielleicht das Endstadium, der völlige Schnallenvertust, schon erreicht, andere wieder, wie die beiden Pholiota-Arten, befinden sich vermutlich noch im Anfangsstadium des Übergangs, denn hier bilden sich auch im untergetauchten Myzel noch Schnallen. Ich darf hier hinzufügen, daß die der Pholiota squar- rosa und Pholiota spectabilis sehr nahe stehende Pholiota aurivella, die sich z. B. auch durch die Bildung eigentümlicher keulenförmiger Ko- nidien im Myzel auszeichnet, beim Wachstum im untergetauchten Zu- stand keine Veränderung der Schnallenbildung aufweist. Das Myzel hat durchgehends Schnallen, nur an den die Konidien abtrennenden Querwänden und an den Oidien, in die die Hyphen auf Agarkulturen oft zerfallen, scheinen sie regelmäßig zu fehlen. Pholiota praecox, die den drei genannten Arten weniger nahe stehen dürfte, als diese unter sich, gehört, soweit ich nach meinen bisherigen Untersuchungen urteilen kann, streng dem Typus 1 an. Die regelmäßige Schnallenbildung geht bei ihr auch bei submersem Wachstum nicht verloren. Auch in den anderen Verwandtschaftskreisen, z. B. bei den Gattungen Corticium, Clitocybe, Boletus, ließen sich Fälle anführen, die beweisen, das nahe verwandte Arten derselben Gattung hinsichtlich der Schnallenbildung ein verschiedenes Verhalten zeigen. Somit ist, wie oben schon be- merkt wurde, der Schluß berechtigt, daß Typus 3 (und auch Typus 2) im Laufe der Stammesgeschichte mehrfach aus Typus 1 entstanden ist bzw. noch entsteht. #F Uber die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 389 Für letzteres spricht besonders sein labiler Charakter. Bei allen il erwähnten Formen gelang es ja, die Schnallenbildung durch Ver- änderung der Außenbedingungen zu beeinflussen. Gibt es nun auch Formen des gleichen Typus, bei denen bei submersem Wachstum die Schnallenbildung nicht unterdrückt und auch nicht merklich herab- gemindert wird? Bis jetzt sind mir erst drei solcher Arten bekannt geworden: Stereum hirsutum (Willd.) Fr., St. rameale Schw. und St. purpureum (Pers.). Die beiden ersteren haben wie Coniphora cerebella und das oben sub 3) besprochene Corticium Schnallenwirtel. Für Stereum hirsutum wird das schon von Cool!) angegeben, für St. rameale ist mir ‚eine diesbezügliche Literaturangabe nicht bekannt. 13. Stereum hirsutum (Willd.) Fr. wurde aus Sporen isoliert. Die Sporen keimen auf den verschiedensten Substraten (z. B. Malzextrakt-Gelatine) gut und die Keimlinge wachsen rasch zu ansehnlichen Myzelien heran. In Agarröhrchen treten nach wenigen Tagen Schnallenwirtel auf, die jedoch nie, auch bei älteren Myzelien nicht, an allen Querwänden beobachtet wurden. Sie bevor- zugen die weitlumigen Hyphen. Wurde nun von solchen Agarkulturen in flüssiges Malzextrakt übergeimpft, so entwickelte sich hier alsbald (bei Zimmertemperatur schon nach 3—6 Tagen) ein reiches Myzel, das sich von dem im oder über dem Agar gebildeten nicht unterschied. Auch hier also häufig Schnallenwirtel. 14. Stereum rameale Schw. Ich bezog eine Myzelkultur des Pilzes aus Amsterdam (Zentral- stelle für Pilzkulturen). Die Untersuchung ergab im wesentlichen die- selbe Myzelbeschaffenheit wie bei Stereum hirsutum. Neben Schnallen- wirteln wurden auch einfache Schnallen und schnallenlose Querwände gefunden. Nach Übertragung aus Agar in Malzextrakt entwickelte sich schnell untergetauchtes Myzel von gleichem Charakter. 15. Stereum purpureum (Pers.). Aus Sporen isoliert. Das Myzel geht nach einigen Tagen in der Agarkultur zur Bildung einfacher Schnalleu über, die aber nicht an allen Querwänden auftreten. Namentlich englumige Hyphen sind oft schnallenios. Opponierte Schnallen, also zweigliedrige Schnallenwirtel, 1} Cool, C., Beitr. z. Kenntn. d. Sporenkeimung u. Reinkultur der höberen Pilze. Mededulingen uit het Phytopathologisch Laboratorium „Willie Commelin Scholiten“ Amsterdam, III, 1912, pag. 26. 390 Hans Kniep, wie Cool) (pag. 25) sie für Stereum purpureum angibt, habe ich bei dem Pilz nicht beobachtet. Am 22. Februar wurde Myzel aus einer Agarkultur in Malzextrakt übertragen. Es entwickelten sich dort als- bald dichte Flocken, deren Hyphen bei der Untersuchung am 7. März genau so beschaffen waren wie die des Agarmyzels. Von den unter- suchten Pilzen des Typus 3 mit einfachen Schnallen ist dies der ein- zige, bei dem dieselben bei submersem Wachstum nicht unterdrückt wurden. Betrachten wir nun einige derjenigen Formen, die — in der Natur wenigstens — abgesehen von den jüngsten, der Keimung direkt. fol- genden Entwicklungsstadien, regelmäßig an allen Querwänden Schnallen besitzen (Typus 1). Ich besitze eine ganze Anzahl Reinkulturen von Myzelien solcher Arten, teils aus Sporen, teils aus steril ausgestochenem Fruchtkörpergewebe gezüchtet, und habe, nachdem die Schnallen ein- mal entstanden waren, in den Agarröhrchen niemals Querwände ohne Schnallen gefunden. Das schließt natürlich nicht aus, daß eine Beein- flussung bei submersem Wachstum in flüssigen Nährmedien nicht doch eintreten könnte. Um das zu prüfen, wurden Myzelstücke aus der Agarkultur in Pflaumendekokt oder Malzextrakt übertragen. Es zeigte sich nun, daß bei keinem der untersuchten Pilze im untergetauchten Myzel Schnallenverlust eintrat. Folgende 30 Arten wurden in der be- schriebenen Weise untersucht: Cortieium confluens Fr. (Sp.%, Peniophora corticalis (Bull.) Bres. (Sp), Hydnum cirrhatum Pers. (Frk.2), Hydnum aurisalpium L. (2.2) Maras- mius confluens (Pers.) (Sp.}, Stropharia aeruginosa (Curt.) (Frk.), Hypho- loma hydrophilum (Bull.) (Sp.), Hypholoma fascieulare (Huds.) (Sp.), Pholiota praecox (Pers.) (Sp.), Armillaria mucida (Schrad.) (Sp.), Tricho- ioma molybdinum (Bull.) (Frk.), Omphalia oniscus (Fr.) (Sp.), Clitocybe clavipes (Pers.) (Sp.), Clitocybe gyrans (Paul.) (?)®) (Sp.), Clitocybe in- 1) Vgl. Anm. 1 pag. 389. 2) Sp. bedeutet: aus Sporen isoliert; Frk.: durch steriles Ausstechen von Fruektkörpergewebe gewonnen; Z.: der Pilz (Myzelkultur in Agarröhrchen) wurde von der Zentralstelle Amsterdam bezogen; Isolierweise unbekannt. 3) Es handelt sich um eine im trocknen Zustand weiße, hygrophane Clito- eybe, die der Cl. gyrans sicher nahe steht, jedoch nicht mit ihr identisch zu sein seheint. In Ricken, Die Blätterpilze (Leipzig 1915) ist der Pilz nicht aufgeführt. Herrn Pfarrer Ricken, dem ich ein Exemplar schickte, war der Pilz neu, er ver- mutete, daß Clitoeybe gyrana vorliegen könnte. Ich werde den Pilz vorläufig unter dieser Bezeichnung führen. — Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß Herr Pfarrer Rieken mehrfach die große Freundlichkeit hatte, meine Pilzbestim- A Über die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 391 fundibuliformis (Schaeff.) (Sp.), Clitoeybe nebularis (Batsch) (Sp.), Col- Iybia butyracea (Bull.) (Sp.), Collybia conigena (Pers.) (Sp), Collybia dryopkila (Bull.) (Sp.), Mycena polygramma (Bull.) (Sp.), Nyctalis astero- phora (Fr.) (Z.), Pleurotus ostreatus (Jacq.) (Z.), Schizophyllum commune (Fr.) (Sp.), Daedalea quercina (L.) (Sp.), Polyporus betulinus (Bull.) (Sp.), Fomes fomentarius (L.) (Z.), Trametes gibbosa (Pers.) (Sp.), Trametes robiniophila (Murr.) (Z), Oyathus striatus (Huds.) (Frk.), Phallus im- pudicus (L.) (Frk.). In allen diesen Fällen trägt also- die Schnallenbildung nicht den labilen Charakter, den wir oben kennen lernten. Ob sie völlig stabil ist oder ob es andere Außenbedingungen gibt, die sie ganz oder teil- weise zum Schwinden bringen, muß zunächst dahingestellt bleiben. Ich bemerke noch, daß ich von verschiedenen der eben genannten Formen die untergetauchten Myzelien mehrfach in neue Kölbchen mit Malz- extrakt übergeimpft habe, ohne daß sie (auch nach monatelanger sub- merser Kultur) ihre Eigenschaften änderten. Eine andere Frage ist nun die, ob die dem Typus 1 zu zuzählen- den Pilze auch dann zur regelmäßigen Schnallenbildung schreiten, wenn man die Sporen direkt in ein flüssiges Nährmedium aussät oder die jungen Myzelien dahin überträgt, noch ehe sie zur Schnallenbildung übergegangen sind. Es wurde ja schon mehrfach hervorgehoben, daß die Schnallenbildung (bei Kultur auf Agar oder Gelatine) erst einige Zeit nach der Keimung einsetzt. Dem paarkernigen Schnallenzustand geht (wenigstens da, wo es sich um einfache Schnallen handelt) der Zustand mit einkernigen, schnallenlosen Zellen voraus. Entstehen nun bei submersem Wachstum die Schnallen zur gleichen Zeit wie in einer gleichalterigen Agar- oder Gelatinekultur oder bleibt da die Schnallen- bildung vielleicht völlig aus? Diese Frage hat mit Rücksicht auf die angenommene Homologie der Schnallenhyphen und ascogenen Hyphen ein gewisses Interesse. Es ist ja bekannt, daß die große Mehrzahl der Ascomyzeten im untergetauchten Zustand keine Fruchtkörper, also auch keine ascogenen Hyphen bilden. Sät man z. B. Pyronemasporen in Malzextrakt oder. Pfilaumendekokt aus, so bilden sich zwar in kürzester Frist üppige Myzelien, dieselben bleiben aber, sofern man da- für sorgt, daß sie nicht über die Flüssigkeitsoberfläche wachsen, völlig steril. Es bilden sich also weder Ascogone und Antheridien, noch as- cogene Hyphen, noch Asci. Da die höheren Basidiomyzeten keine spe- mungen zu kontrollieren, wofür ich ihm auch an dieser Stelle herzlichsten Dank sagen möchte, 392 Hans Kniep, zifischen Geschlechtsorgane haben, so wäre es in Anbetracht der Ho- mologie möglich, daß im submersen Zustand wenigstens die Schnallen- bildung unterdrückt oder gehemmt wird®) und die Entstehung von Fruchtkörpern ausbleibt. Letzteres ist auch sicher der Fall. Wie steht es aber mit dem Auftreten des der Fruchtkörperbildung vorausgehen- den Schnallenmyzels? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich Versuche mit Armillaria mucida, Collybia butyracea und Schizophyllum commune gemacht. Die Sporen wurden entweder auf Malzextrakt-Gelatineplatten in der früher?) von mir beschriebenen Weise ausgesät und von dort kurz nach der Aussaat — auf alle Fälle, bevor die jungen Keimmyzelien zur Schnallen- bildung übergegangen waren — in (flüssiges) Malzextrakt übertragen, oder sie wurden direkt in Erlenmeyerkölbchen mit Malzextrakt gesät. Letzteres geschah in der Weise, daß an der Unterseite des Wattepfropfs, der den mit sterilem Malzextrakt zu etwa ein Drittel gefüllten Erlenmeyerkolben verschließt, mit einer Nadel ein Stück eines sauberen, Sporen ausstreuenden Fruchtkörpers für kurze Zeit be- festigt wurde. Geht man hierbei mit der nötigen Vorsicht zu Werke, so tritt keine Infektion ein, da die Basidiosporen steril ausgestreut. werden. Zur Kontrolle wurden gleichzeitig Sporen in Röhrchen mit schräg erstarrtem Malzextrakt-Agar übertragen. Die einzelnen Versuche verliefen nun folgendermaßen: 1. Armillaria mucida (Schrad.. Beginn des Versuchs am 6. Nov. Am 24. Nov. haben sich auf beiden Substraten reiche Myzelien entwickelt. Die Myzelien in der Flüssigkeitskultur sind schnallenlos, die der Agarkultur haben bereits zahlreiche Schnallenhyphen. Am 1. Dez. ist das untergetauchte Myzel der Flüssigkeitskultur ebenfalls schnallenios, in der Agarkultur hat sich ein reiches Schnallenmyzel entwickelt. Dasselbe geht später (anfangs Januar) zur Fruchtkörperbildung über. 12. Dez. Auch in der Flüssig- keitskultur sind jetzt untergetauchte Schnallenhyphen aufgetreten. — 1) Wie ich früher (Beitr. z. Kenntnis d. Hymenomyzeten, V, Zeitschr. f. Bot. 1917) gezeigt habe, trifft bei den einfachschnalligen Formen Cellybia coni- gea und Corticium varians die Entstehung des Schnallenmyzels mit der Entstehung der Paarkernigkeit zusammen. Bei den Formen, die Schnallenwirtel haben, liegt die Sache etwas anders. Darauf soll erst später an anderer Stelle eingegangen werden. 2) Beitr. z. Kenntn. d. Hymenomyzeten I. Zeitschr. f. Bot. 1913, Bd. V, pag. 595. Uber die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 393 Die zytologische Untersuchung der untergetauchten Myzelien ergab, daß ihre Zellen, sofern Schnallen nicht vorhanden waren, stets nur einen Kern enthielten; die Schnallenhyphen bestanden aus typisch zwei- kernigen Zellen. Es erlangt also das schnallenlose Einkernstadium bei submersem Wachstum des Pilzes eine größere Ausdehnung als in der Agarkultur, das Auftreten des Schnallenmyzels wird erheblich verzögert. 2. Collybia butyracea (Bull), Der Pilz verhält sich ähnlich wie Armillaria mucida. Beginn des Versuchs am 4. Dez. Das Wachstum schreitet in beiden Substraten anfangs ziemlich langsam fort. Am 24. Dez. haben sich in der Flüssig- keit am Boden des Erlenmeyerkölbchens kleine Myzelflocken von 1-2 mm Durchmesser aus den Sporen entwickelt. In der Agarkultur ist ebenfalls deutliches Wachstum zu konstatieren, die Hyphen sind größtenteils in den Agar eingedrungen. Beide Kulturen sind schnallen- frei. 6. Jan.: Die Flüssigkeitskulturen, die erheblich herangewachsen sind, sind schnallenlos. Auf der Agarkultur hat sich etwas Luftmyzel gebildet, das aus Schnallenhyphen besteht. 21. Jan.: Ein Teil der Myzelflocken der Flüssigkeitskultur ist ebenfalls noch schnallenfrei; bei einigen wenigen (den größten) sind einzelne (submerse) Schnallen- hyphen aufgetreten. Das Schnallenmyzel der Agarkultur hat sich be- trächtlich weiter entwickelt. 3. Schizophyllum ecommune (Fr.). Beginn des Versuchs am 7. Jan. Am 21. Jan. ist im Agar- röhrchen reiches Schnallenmyzel vorhanden. Die Flüssigkeitskulturen, die aus dichten Myzelmasten bestehen, sind völlig schnallenfrei. Am 24. Jan. sind in den Flüssigkeitskulturen vereinzelte submerse Schnallen- hyphen aufgetreten. Die Versuche zeigen, daß das submerse Wachstum auf die Schnallen- entstebung einen hemmenden Einfluß ausübt. Die schnailenlosen Keim- lingsmyzelien nehmen bei Armillaria ımucida, Collybia butyracea und Schizophyllum commune im untergetauchten Zustand eine größere Aus- dehnung an, als wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, in die Luft zu sprossen. Hervorgehoben muß werden, daß die schnallenlosen Keim- lingsmyzelien den schnallenlosen Myzelien, die aus schnallenhaltigen Hyphen bei untergetauchtem Wachstum (Nr. 1—-11, pag. 383 ff.) hervor- gehen, nicht gleichgesetzt werden dürfen. Die ersteren bestehen aus einkernigen Zellen, es handelt sich also um eine durch die Kultur- 394 Hans Kniep, bedingungen hervorgerufene Verlängerung der haploiden Phase, die letzteren dagegen sind (sofern es sich um Formen mit einfachen Schnallen handelt) aus typisch zweikernigen Zellen zusammengesetzt. Bei ihnen kann also von einem Rückschlag zu einem früheren Ent- wieklungszustand nicht gesprochen werden. Betrachten wir die Hemmung der Entstehung des paarkernigen Schnallenmyzels vom phylogenetischen Standpunkt aus, so darf darin vielleicht die bis zu einem gewissen Grade erfolge Erhaltung einer Vorfahreneigenschaft der Basidiomyzeten erblickt werden. Die Ascomy- zeten bilden untergetaucht überhaupt keine ascogenen Hyphen. Die Entstehung der homologen Schnallenhyphen wird wenigstens eine Zeit- lang aufgehalten. Daß es im allgemeinen nicht zur völligen Uanter- drückung derselben in Flüssigkeitskultur zu kommen scheint, mag da- mit zusammenhängen, daß die engen Beziehungen, die bei den Ascomy- zeten zwischen ascogenen Hyphen und Fruchtkörperbildung vorhanden sind (die ersteren finden sich in den Fruchtkörperanlagen und gehen schon nach kurzer Zeit zur Ascusbildung über), bei den höheren Basi- diomyzeten verloren gegangen sind. Hier entwickeln sich die Schnallen- hyphen zunächst ganz unabhängig von der Fruchtkörperbildung zu mehr oder weniger ausgedehnten Myzelien, deren Mächtigkeit ganz von den jeweiligen Außenbedingungen abhängt; auf ihnen entstehen dann erst die Fruchtkörperanlagen. Darüber nun, daß Asci und Basidien daran angepaßt sind, ihre Sporen in die Luft auszustreuen, wird wohl niemand im Zweifel sein. Es ist daher ökologisch durchaus verständlich, daß bei den Aseomyzeten, wo die Paarkernphase und die Asci auf einen engen Raum zusammengedrängt sind, eine Entstehung aller Frucht- körperstadien in Nährlösungen unterbleibt, während bei den höheren Basidiomyzeten unter den gleichen Bedingungen nur die Fruchtkörper- bildung ausgeschaltet ist. Daß Fruchtkörper bei Asco- und Basidiomyzeten nicht streng homolog sind, braucht nach dem Gesagten wohl nicht be- sonders betont zu werden. Schließlich ist noch die Frage zu beantworten, welcher Außen- faktor es denn eigentlich ist, der bei submersem Wachstum die Schnallen- bildung unterdrückt. Daß dieser Faktor nicht eindeutig bestimmt ist, wenn wir sagen, das Untergetauchtsein ruft schnallenloses Myzel hervor, ist klar. Man könnte daran denken, daß mangelnde Sauerstoffversorgung, mit der ja bei Kultur in Flüssigkeiten gerechnet werden muß, den Aus- schlag gibt. Ich glaube jedoch nicht, daß das der Fall ist. Kultiviert man z. B. Clitocybe expallens auf ganz dünnen Agarhäutchen, die sich auf Objektträgern befinden, so sind die im Agar wachsenden Hyphen, % Über die Bedingungen der Schnallenbildung bei den Basidiomyzeten. 395 auch wenn sie nur einen geringen Bruchteil eines Millimeters von der Oberfläche entfernt sind, stets schnallenfrei. Hier wird man kaum von Sauerstoffmangel sprechen können. Ob die Änderung der Feuchtig- keitsverhältnisse der eigentliche Grund ist, muß ich dahingestellt sein lassen. Tatsache ist jedenfalls, daß Luftmyzelien auch im völlig dampf- gesättigten Raum zur Schnallenbildung übergehn. Aber Wachstum im dampfgestättigten Raum und Untergetauchtsein sind ja nicht das gleiche. Es ist auch gut möglich, daß der bestimmende Faktor die verschiedene Nahrungsaufnahme ist. Untergetanchte Hyphen können ja allseitig Nähr- stoffe aufnehmen, während Lufthypben dieselben zugeleitet erhalten müssen. Daß die Schnallenbildung an letzteren bevorzugt ist, könnte man biologisch dahin deuten, daß durch die Schnallen die Querwände, die der Stoflleitung doch immer einen gewissen Widerstand entgegen- setzen, vergrößert werden, die Stoffwanderung in der Längsrichtung also erleichtert wird. Dem steht natürlich nicht im Wege, daß die Schnallen noch die andere Bedeutung haben, bei der Teilung des Kern- paares das Zusammenkommen von Schwesterkernen in einer Zelle zu verhindern. Würzburg, Botauisches Institut. Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. Von M. Möbius. (Mit 11 Abbildungen im Text.) Im Anschluß an frühere Untersuchungen über Erscheinungen, die mit dem Blühen der Pflanzen in Verbindung stehen, habe ich vor 2 Jahren angefangen, einige Bewegungen zu studieren, die sich an gewissen Pflanzen während der Entwicklung der Knospe zur Blüte und zur Frucht vollziehen. Hansgirg') hat bereits eine große Anzahl von Arten zusammengestellt, die solche Bewegungen ausführen, und hat die letzteren als gamo- und karpotropische bezeichnet. Es braucht kaum darauf hingewiesen zu werden, daß dieser Ausdruck nicht bei- behalten werden kann. Sie können aber auch nicht gamo- und karpo- nastische genannt werden, denn die Befruchtung und Fruchtbildung sind nicht, wie die Lichtentziehung bei den nyctinastischen, die Ursache, son- dern der Zweck der Bewegung, während die Ursache durch andere Umstände und Reize gegeben wird. Von einigen dieser Orientierungsbewegungen weiß man schon längere Zeit, daß sie durch die Schwerkraft, von anderen, daß sie durch einseitige Beleuchtung hervorgerufen werden, also zu den geo- und phototropischen Bewegungen gehören. Man hat dabei auch eine Um- stimmung der geotropischen Reizbarkeit in den die Bewegung veran- lassenden Organen und ihre Abhängigkeit von der morphologischen Entwicklung beobachtet, z. B. die Knospe negativ-geotropisch, die Blüte transversal- und die Frucht positiv-geotropisch gefunden. Zu bestimmen, in welchen Fällen das Licht und in welchen die Schwerkraft oder eine andere Ursache wirksam ist, und wie sich bei geotropischen Bewegungen, im Gegensatz zu anderen, statolithen- und statocystenartige Organe verhalten, würde für physiologische und anatomische Untersuchungen ein reiches Feld eröffnen. Als ich mit einigen Beobachtungen begonnen 1) Phytodynamische Untersuchungen. In: Sitzungsber. der Königl. böhmischen Gesellsch. der Wissenschaften, 1889, pag. 334 und später. ® Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 397 hatte, erschien die Arbeit von Bannert!), aus der hervorgeht, daß die Krämmungen der untersuchten Infloreszenzachsen durch die Schwer- kraft verursacht werden, und daß in sämtlichen untersuchten In- floreszenzachsen und Blütenstielen stets reichlich Statolithenstärke vor- handen ist. Wenn ich nun auch im wesentlichen zu denselben Resultaten gelangt bin, so möchte ich doch hier einige meiner Beobachtungen mit- teilen, sowohl um zu zeigen, wie verschieden sich die untersuchten Pflanzen bei Umkehrungsversuchen verhalten, als auch um das Vor- kommen und die Verlagerung der Statolithenstärke etwas genauer zu schildern. Wir wollen mit der Pflanze beginnen, über deren Orientierungs- bewegungen bereits eine ganze Literatur erschienen ist, mit dem Mohn. Bei den meisten Papaver-Arten — nicht bei P. bracteatum — hängt bekanntlich die Knospe nach unten über, während Blüte und Frucht aufrecht nach oben stehen. Nach den Untersuchungen von Scholtz scheint es mir nicht mehr zweifelhaft zu sein, daß der Knospenstiel positiv-geotropisch ist, Blüten- und Fruchtstiel aber negativ- geotropisch werden. Bei P., dubium fand ich im Knospenstiel eine deutliche Stärkescheide, die im Querschnitt eine zusammenhängende, vor den einzeln liegenden Gefäßbündeln immer etwas nach außen gebogene, sonst annähernd kreisförmige Linie bildet. In der dünn- wandigen Rinde zwischen dieser Stärkescheide und dem davorliegenden Kollenchymring ist nur wenig Stärke vorhanden, im Mark gar keine. Die Stärkekörner in der Scheide sammeln sich natürlich rein passiv der Schwere folgend auf den basalen Wänden oder in den entsprechenden Ecken an, so daß sie in den verschiedenen Abschnitten des Stiels eine Lage zeigen, wie es Fig. 1 schematisch darstellt. So liegen zwar in dem horizontalen Abschnitt des Stiels die Körner auf einer der Längs- seiten, bewirken aber hier ebensowenig eine Umbiegung wie in dem unteren Teil eines horizontal gelegten und im oberen Teil sich negativ- geotropisch aufriehtenden Stengels. Es kommt eben nur darauf an, daß die für den Gravitationsreiz empfindliche Knospe in die richtige Stellung gelangt, und wenn sie diese einnimmt, so müssen an der Stelle, wo die Umbiegung stattfindet, die Stärkekörner auf die basale Seite, also eine Längsseite, zu liegen kommen. Würden sie so einen Reiz ausüben, so käme dessen Erfolg in Konflikt mit dem positiven Geo- tropismus der Knospe und des obersten Teils ihres Stieles.. Es muß 1) Über den Geotropismus einiger Infloreszenzachsen und Blütenstiele (Bei- träge zur allgemeinen Botanik, 1916, Bd. I, pag. 1-44). Hier auch die frühere Literatur. 398 M. Möbius, also, wenn zwei Abschnitte eines Organs entgegengesetzte geotropische Stimmung besitzen, der dazwischen liegende sich wie ein transversal- geotropischer verhalten. Wenn die Knospe zur Blüte und diese zur Frucht wird, so wird der ganze Stiel negativ-geotropisch, es erfolgt dann die bekannte Aufrichtung und Umlagerung aller Stärkekörner auf die erdwärts gewandten, kurzen Seiten der Zellen in der Stärkescheide. Bemerkenswert aber ist, daß die Stärke allmählich verschwindet, so daß man im Fruchtstiel keine Stärke mehr, auch nicht in der Stärke- scheide findet. Was schon Frank angibt, habe ich auch bestätigt gefunden, daß sich nämlich bei Umkehrungsversuchen der Knospenstiel nicht gerade streckt, sondern sich der Winkel nur soweit öftnet, daß die Knospe etwa horizon- tal gestellt wird. Ein ähnliches Ver- halten zeigte der Fichtenspargel. Wie bei Papaver hängen bei Monotropa Hypopitys die Knos- pen nach unten und sind die Blüten und Früchte aufwärts gerichtet, doch ist es bier die Achse der ährenför- migen Infloreszenz, von der die ent- . sprechenden Bewegungen ausgeführt Kalnar ae Shkeneekde bei einer werden, während der Winkel, den überhäingenden Knospe von Papaver die Stiele der Einzelblüten mit der " Ährenachse bilden, ziemlich derselbe bleibt. Monotropa eignet sich zu Versuchen gut, weil abgeschnit- tene Sprosse, in Wasser gestellt, lange frisch bleiben und ihre Blüten weiter entwickeln. Ich brachte die Sprosse in Gläser mit weitem Hals und durchbohrtem Kork und verdichtete die Einführungsstelle mit Plastilin, so daß bei inverser Stellung das Wasser nicht aus dem Glas herauslaufen konnte. Wurde nun ein Sproß, dessen oberer, knospentragender Teil senkrecht nach unten hing, invers aufgestellt (Fig. 2a), so begann der letztere sich nach unten zu neigen und bildete am nächsten Tage mit dem gerade bleibenden basalen Teil einen Winkel von ca. 45°, am 3. Tag von ca. 90°. Diese Bewegung erfolgte in einigen Fällen in der ursprünglichen Krümmungsebene, in anderen aber drehte sich der obere Teil aus dieser heraus, so daß die Knospe senkrecht auf sie gerichtet war (Fig. 25). Wenn bei einem derartigen Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 399 Versuch der Sproß so aufgestellt wurde, daß die ursprüngliche Krüm- mungsebene dem Fenster parallel war, und wenn sich nun der obere Teil vom Fenster wegbog, so konnte man glauben, daß es sich um einen negativen Phototropismus handele, da aber in einem anderen Fall, bei derselben Anfangsstellung die Biegung nach dem Fenster zu erfolgte, so ist diese Erklärung nicht möglich. Eine Senkung unter die Horizontale fand bei diesen Versuchen auch in den späteren Tagen nicht statt, indem ja nun auch die Knospen sich dem Blütenstadium näherten und damit Umstimmung aus dem positiven Geotropismus der Blütenachse in den negativen erfolgte. Diese Erscheinung zeigte sich deutlich bei folgendem Versuch. Ein Sproß mit überhängender Endknospe wurde am 12. Juli invers so aufgestellt, daß die Krümmungsebene senkrecht auf das Fenster gerichtet und die End- knospe vom Fenster abgekehrt war (Fig. 2c). Jetzt öffnete sich zu- Fig. 2. Monotropa Hypopitys. nächst der Krümmungswinkel, aber schon am 2. Tag (13. Juli) bog sich auch der darüber befindliche Stengelteil nach dem Fenster zu, so daß der Sproß die Stellung der Fig. 2@ annahm, und am 18. Juli war der apikale Teil durch eine entsprechende Krümmung so aufgerich- tet, daß die sich öffnenden Blüten nach oben dem Fenster zugerichtet waren (Fig. 2e). Aus den Umkehrungsversuchen und aus dem Verhalten der auf- recht im Glas stehenden und aufblühenden Stengel, die sich dabei deutlich positiv-phototropisch erweisen, geht also hervor, daß die Orientierungsbewegung bei Monotropa nicht auf negativem Photo- topismus beruht, sondern geotropischer Natur ist. Dementsprechend finden wir auch bei dieser chlorophylifreien Pflanze eine deutliche Stärke- scheide mit Statolithenstärke, während Rinde und Mark gar keine Stärke- körner enthalten. Wenn nun auch der untere, blütenlose Teil des Stengels als negativ-geotropisch zu betrachten ist, so führt er doch bei inverser 400 M. Möbius, Stellung keine Krümmung aus, sondern bleibt, wie schon oben bemerkt, ganz gerade. Wesentlich anders hinsichtlich des letzten Punktes verhält sich die Pflanze, mit der ich im Herbst 1915 meine Beobachtungen begann, Bryophyllum crenatum?), an der mir bei mehreren, in unserem Gewächshaus kultivierten Exemplaren das starke Überneigen der knospen- tragenden Sproßenden in die Augen fiel. Die Knospen beginnen sich im November zu entwickeln und stehen zahlreich in einem dichasial aufgebauten Blütenstand, der anfangs noch ganz zwischen den obersten Laubblättchen verborgen ist und durch eine vollständige Umbiegung in dem weiter basalwärts gelegenen Sproßteil gerade nach unten hängt (Fig. 32). Ein Verbringen in den Dunkelschrank für 2 Tage änderte Fig. 3. Bryophyllum erenatum. (Vgl. den Text) a am 19. X, 5 am 20. X, c am 24. X. 1916 gezeichnet. die Lage nicht, aber bei inverser Stellung der Topfpflanze begann schon nach mehreren Stunden der basalwärts von, jetzt also über dem Bogen liegende Teil des blühenden Triebes sich wieder aufzurichten. und am anderen Tage war die Aufrichtung soweit vollzogen, daß jetzt zwei Bogen in entgegengesetztem Sinne vorhanden waren, die Knospen also wieder nach unten hingen (Fig. 35, vgl. auch Fig. 42 und 5). Wurde 1) Herr Professor von Goebel macht mich nachträglich darauf aufmerksam, daß er die positiv-geotropische Krümmung der Knospenstiele von Bryophyilum erenatum bereits erwähnt und abgebildet hat (Flora 1906, Bd. XCIV, 205—206) und zwar in Form einer Laboratoriumsnotiz, die ich leider übersehen hatte. Dort wird auch bereits die Umstimmung bei der Weiterentwicklung der Blüten erwähnt und die Frage aufgeworfen, wie die Statolithentheorie damit in Übereinstimmung zu bringen ist. Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 401 der Stock darauf wieder aufrecht hingestellt, so richtete sich der Sproß mit einer dritten Biegung wieder nach oben, und wiederum kamen so die Knospen in abwärts gerichtete Lage (Fig. 3«). Der oberste Bogen und der ganze Endtrieb von diesem Bogen an scheint sich also ganz passiv zu verhalten, sich ge- wissermaßen ganz auf den unteren Teil zu verlassen. Die erste Umbie- gung bleibt aber im Verlauf der Blütenentwieklung nicht immer in dem- selben Internodium liegen, sondern wird, während sich die oberen Inter- nodien strecken, auf ein höheres verschoben, und das vorher gebogene streckt sich gerade. Schließlich, wenn die einzelnen Blütenstiele und Knospen die gehörige Länge und Größe erreicht haben, streckt. sich auch das oberste Internodium ge- rade, und die Umbiegung ist auf das öbere Ende des Blütenstiels verschoben, an dem die Knospe schräg nach abwärts hängt (Fig. 5a). Da der erstere nicht lotrecht steht, sondern schräg aufwärts, so bildet er mit der Knospe einen nach unten geöffneten Winkel von un- gefähr 90°. Bei der Öffnung bleiben die Blüten auch schräg ab- wärts gerichtet (Fig. 55), und erst wenn die Blumenkrone abwelkt, stellt sich der Kelch in die Ver- Fig. 5. Bryophylium erenatum. (Vgl. den längerungslinie des Stieles ein Toxt) (Fig. dc). Früchte wurden nicht angesetzt. Es wurde auch ein Ver- such gemacht. ob in dem Zustand, in dem durch einen Bogen im Flora. Bd. Hl. 26 Fig. 4. Bryophylium crenatum. (Ygl. den Text) a am 23. XL, 3 am 24. XL 1915 gezeichnet. 402 M. Möbius, obersten Internodium die noch kleinen Knospen abwärts hängen, durch deren Abschneiden eine Aufrichtung der übergebogenen Infloreszenz- achse bewirkt werden könnte, entsprechend dem Verhalten von Pa- paver, bei dem sich bekanntlich der Blütenstiel nach Abschneiden «der Knospe aufrichtet. Der Versuch ist nicht so leicht aus zuführen. weil es schwierig ist, auch die kleinsten Knospenanlagen zu entfernen. Doch konnte ich beobachten, daß nach Ausführung dieser Operation eine mehr oder weniger deutliche Aufrichtung der Infloreszenzachse eintrat. Demnach können wir wohl sagen, daß auch hier die Knospen als Per- zeptionsorgane fungieren. Schließlich sei noch ein Versuch erwähnt, bei dem die ganze Infloreszenz kurz vor dem Aufblühen in inverse Stellung gebracht wurde, worauf sich dann der Winkel, den die Einzel- blüte mit ihrem Stiel bildete, so weit öffnete, daß die Blüte ziemlich in derselben Richtung mit ihrer Mündung nach abwärts sah, als wenn sie in normaler Lage aufgeblüht wäre. Aus allen Versuchen geht hervor, daß es der Geotropismaus ist, der bei unserem Bryophyllum die Stellung der Knospen und Blüten bei normaler und inverser Lage regelt. Dem entspricht auch das Auf- treten einer Stärkescheide mit verlagerbaren Stärkekörnern, die den rings geschlossenen Phloem-Xylemzylinder umgibt, während in Mark und Rinde nur kleinere Stärkekörner vorhanden sind, die sich nicht auf den basalen Wänden ansammeln. Was bei Bryophyllum be- sonders auffällt, ist die Art und Weise, wie sich der Stengel bei inverser Stellung benimmt, daß er nämlich die Knospen durch doppelte Um- biegung wieder der Erde zukehrt, statt einfach die erste Umbiegung aufzuheben. Man muß also annehmen, daß der untere Teil «der In- floreszenzachse die geotropische Einwirkung schneller perzipiert und auf sie reagiert als der untere, denn daß in dem oberen Bogen schon eine gewisse Fixierung durch entsprechende Wachstumprozesse ein- getreten wäre, läßt sich nicht annehmen, da, wie wir ja gesehen haben, im natürlichen Verlauf der Entwicklung die Umbiegung von einem Internodium auf das andere verschoben wird. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Bryophyllum zeigt bei Um- kehrungsversuchen Pelargonium zonale, das zwar unterdessen von Bannert in dieser Beziehung geschildert worden ist, das ich aber der Vergleichung wegen hier nochmals kurz beschreiben möchte. Diese bekannte Pflanze ist insofern ein günstiges Versuchsobjekt, als ja ein Topfexemplar etwa sechs Infloreszenzen in verschiedenen Entwicklungs- zuständen tragen kann, und als die Reaktion sehr schnell erfolgt. Wenn das die Infloreszenz tragende Internodium sich aus den Blättern hervor- Be Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 403 zustrecken beginnt, so biegt es sich dicht unter der Endknospe haken- förmig um, so daß die ganze aus Jen grünen, noch fast ungestielten, knöpfchenförmigen Knospen bestehende Infloreszenz nach unten gerichtet ist (Fig. 62). Wenn aber dann die Knospen größer werden und längere Stieie bekommen, so streckt sich die Achse selbst gerade, und die Einzelstiejle biegen sich an ihrer Basis um, so daß die Knospen doch nach unten gerichtet sind. In dieser Stellung bleiben sie noch, wenn schon der Kelch sich öffnet, und die rote Farbe der Krone sichtbar wird. Während nun die Blüte sich öffnet, richtet sich ihr Stiel melır oder weniger aufwärts, wie es ihm seine Stellung in der Scheindoldet) erlaubt, so daß man zunächst die Mittelblüten geöffnet und aufrecht stehend findet, während die randständigen noch im Knospenzustand und je nach ihrem Alter, vom jüngeren bis zum älteren Zustand, herab- u Fig. 6. Pelargonium zenale. (Vgl. den Text.) In @ und e ist s$ der nach unten gerichtete Sproßteil. gebogen bis aufstrebend gefunden werden (Fig. 65—c). Wenn die äußersten zur Blüte kommen, sind die mittelsten schon verwelkt. Bringt man nun das ganze Topfexemplar in umgekehrte Lage, so fängt sehr bald, schon innerhalb 12 Stunden, eine Veränderung in der Stellung der Blüten an. Bei den jüngeren Infloreszenzen über- nimmt es die ganze Achse, also der Doldenträger, durch seine Aufwärts- krümmung die Knospen wieder in die Lage zu bringen, die sie vor der Umkehrung hatten, so daß wir ein ähnliches Verhalten wie bei Bryophyllum konstatieren können (Fig. 6d—e). An den älteren Infloreszenzen aber, deren Blüten schon teilweise geöffnet sind, verhält 1) Eigentlich sind die Blütenstände von Pelargonium aus mehreren, doldig angeordneten Wickeln zusammengesetzt (nach Reiche in Engler-Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien, Geraniaceae, pag. 4). 26* 404 M. Möbius, sich die Infloreszenzachse passiv und überläßt es den einzelnen Blüten- stielen. sich aufzurichten und die Blüten in «ie normale Lage zu bringen, wobei man bisweilen eine ziemlich scharfe winkelige Umbiegung an der Basis dieser Stiele beobachten kann. Die offenen Blüten stehen dann um die in der Mitte befindliche abwärts gerichtete Infloreszenzachse herum, während die im Knospenzustand befindlichen sich nach unten biegen (Fig. 6/1. Die anatomische Untersuchung ergibt, daß eine Stärkescheile so- wohl in den Einzelstielen als auch in der Infloreszenzachse deutlich ausgeprägt ist. Die groben Stärkekörner ihrer Zellen liegen immer auf den der Erde zugekehrten Zellwänden, während die kleinen Körner in den Rinden- und Markzellen keine solche bestimmte Lagerung zeigen. Später, bei eintretendem Welken der Blüten, verschwinden die Stärke- körner auch aus der Scheide, und nur in den Schließzellen der Spalt- öffnung tritt noch Schwärzung mit Jod ein. Bemerkenswert ist dabei, daß bei inverser Stellung der Pflanze in der nach unten gerichteten Infloreszenzachse die Stärkekörner auf der entgegengesetzten Seite der Zellen liegen wie bei normaler Stellung. Es würde dies der labilen Gleichgewichtslage nach Haberlandt entsprechen, bei der die geo- tropische Reizung ebensowenig zur Geltung kommen soll wie bei nor- maler Lagerung. Es scheint aber, daß in diesem Zustand die Achse überhaupt nicht mehr geotropisch reagiert, wenigstens biegt sie sich nicht aufwärts, wenn man sie in horizontale Lage bringt. Aus der mit dem Alter abnehmenden Empfindlichkeit für den Geotropismus erklärt sich auch der Umstand, daß die einzelnen Blütenstiele jetzt durch ent- sprechende Krümmungen dafür sorgen, daß die Blüten selbst wieder in die naturgemäße Lage kommen. Ganz anders als die bisher besprochenen Pflanzen verhält sich Agapanthus umbellatus, der ja seit den Untersuchungen von Vöchtingt!) beinahe als Paradigma für den Stellungswechsel von Knospe, Blüte und Frucht gelten kann, indem nämlich hier die Knospen i) Die Bewegungen der Blüten und Früchte (Bonn 1882, pag. 87-40}. Vöchting bildet (Taf. II. Fig. 3) eine Dolde im Knospenzustand ab, zeichnet aber die äußeren Knospenstiele mit stark positiver Aufwärtskrümmung im mittleren Teil, wie ich es nicht beobachtet habe. Vielmehr fand ich die Aufrichtung der Knospen nur durch das „kurze, keilfürmige, polsterartige, zwischen Blüte und Stiel eingeschobene Stück“ bedingt, von dem auch Vöchting (pag. 88} spricht. Ich bemerke deshalb, daß meine Figuren 7a und 5 nach photographischen Aufnahmen von mir gezeichnet sind. Vöchting erwähnt nichts davon, daß die Blüten durch Torsion in die normale Stellung zurückkehren, wenn die Infloreszenz in inverse Lage gebracht worden ist, u. Uber Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 405 aufrecht, die Blüten horizontal, die Früchte aber senkrecht nach unten stehen (Fig. 7). Wie der Speziesname sagt, ist der Blütenstand hier eine Dolde Der hohe, kräftige Doldenträger ist negativ-geotropisch und positiv-phototropisch, so daß er bei einseitiger Beleuchtung schräg nach oben. dem einfallenden Licht zugewendet steht. Die langen Stiele der Einzelblüten bilden mit der Achse der Dolde verschiedene Winkel und biegen sich nur an ihrem obersten Ende so, daß die Knospen alle senkrecht aufwärts stehen (Fig. 7@). Hier nämlich bildet der Stiel eine kleine Anschwellung, die sich ähnlich wie ein Grasknoten verhält und als Gelenk bezeichnet werden kann. Sehr auffallen ist nun. daß gerade hier die Stärkescheide reichlich mit Statolithenstärke versehen ist. während schon in der Entfernung von % cm unter der Knospe nur noeh wenig Stärke in ihr enthalten ist, und weiter unten «die Stärke ganz fehlt. Auf dem Querschnitt durch das Gelenk finden wir unter ‚er großzelligen Epidermis mehrere Schichten von chlorophplihaltigem Fig. 7. Agapanthus umbellatus. a Stellung der Knospe, # der Blüte, - der Frucht. Rindengewebe, an das sich eine zweischichtige Stärkescheide anschließt. Innerhalb dieser liegt ein Collenchymring, und an ihn lehnen sich die Gefäßbündel an, die nur einen das Mark umschließenden Kreis bilden. In Rinde und Mark tritt kleinkörnige, unbewegliche Stärke auf, während in der Stärkescheide die großkörnige Stärke sich, der Schwerkraft fol- gend. auf den basalen Zellwänden anhäuft. Nach unten zu geht (las erwähnte Collenchym in verholztes Sklerenchym über und verleiht dem Stengel eine größere Festigkeit, wozu auch die collenchymatische Ver- diekung der äußersten Rindenschichten beiträgt. Wenn ılie Frucht sich ausbildet, verschwindet die Stärke auch in der Stärkescheide des (ie- lenkes wie bei Papaver im Fruchtstiel (s. oben). Es wurden nun an einem frei im Garten stehenden Topfexemplar zwei Dolden, die gerade anfingen aufzublühen, abwärts gebogen und in dieser Lage hefestigt, so daß (ie Knospen senkrecht nach unten standen. Nach 2 Tagen war die normale Stellung mit aufwärts gerichteten Knospen wieder 406 M. Möbius, erreicht und zwar durch Torsion der Stiele in ihrem obersten Teil, besonders in dem gelenkartigen Abschnitt. Bei einem zweiten gleichen Versuch wurde die Rückkehr in die Normalstellung in derselben Zeit ‚ausgeführt. Gleichzeitig waren jene ersten Dolden wieder aufgerichtet worden und die Knospenstiele mußten nun die Torsion wieder rück- gängig machen, um in die aufrechte, normale Stellung zu gelangen. Daß es sich um eine Torsion handelt, kann man an zwei Umständen direkt sehen: nämlich erstens werden die Knospen bei der Umdrehung zur Seite gewendet, und zweitens kommt die dunklere Oberseite des Stiels nach der Drehung in dem Gelenk wieder nach oben zu liegen. Hervorgerufen wird diese dunklere Färbung durch das Auftreten von Anthoeyan in den Rindenzellen. Außerdem machte ich bei einigen Stielen die ursprüngliche Oberseite durch eine über die ganze Länge verlaufende Tuschlinie kenntlich und konnte so an deren Verlauf nach der Umkehrung die Torsion im obersten Abschnitt des Stiels konsta- tieren. Wenn sich aber erst die Frucht entwickelt hat, so gelingt es nicht mehr, deren Stellung durch Abwärtsbiegen des Stengels zu verändern. An zwei anderen Pflanzen konnte ich ebenso durch Umkehrungs- versuche nachweisen, daß der Geotropismus eine Torsion in den Blüten- stielen hervorruft, nämlich bei Borago offieinalis und Loasa tricolor, deren offene Blüten nach unten gerichtet oder, wie man zu sagen pflegt, nickend sind. Vom Boretsch benutzte ich eine eingetopfte Pflanze zum Versuch und kennzeichnete wie bei Agapanthus die Oberseite einiger Blütenstiele durch Längslinien mit Tusche. Eine der so bezeichneten Blüten allerdings suchte ihre nach der Inversion nach oben gerichtete Blütenöffnung dadurch wieder nach unten zu bringen, daß sie den Stiel aufrichtete und nach der anderen Seite überbog, die meisten Blüten aber wurden durch eine Torsion des Stiels aus der inversen Lage mit ihrer Öffnung wieder nach unten gerichtet?), und 1) Bereits Dutrochet hat beobachtet, daß die Orientierungsbewegungen beim Boretsch durch Torsion oder Krümmung der Biütenstiele erfolgen. Er hat keine Umkehrungsversuche, sondern Rotationsversuche gemacht: „nach einer Ro- tation von 16 Stunden hatten alle Blüten ihre Innenseite nach der Peripherie hin- gewandt, und zwar durch Torsion oder Krümmung ihrer Stiele“. (Zitiert nach der Ausgabe in Ostwalds Klassikern, Nr. 154, pag. 95—96. Seine Arbeit „Über den Einfluß der Rotationsbewegung auf die besonderen Richtungen, die die verschiedenen Pflanzenteile annehmen“ ist erschienen in Philosophical Transactions of the royal Society of London 1806.) Auch beim Alpenveilchen (Cyelamen persicum) habe - ich beobachtet, daß an inrers gehaltenen Topfexemplaren die Blüten während der Öffnung teils durch Zurückbiegen des Stiels, teils durch dessen Torsion in die normale Lage, mit der Mündung nach unten, sich einstellen. — Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 407 zwar geschah dies von einem Tag zum anderen, ebenso als der invers gestellte Stock wieder aufgerichtet war, und die nun nach oben sehen den Blüten sich wieder umdrelen mußten. Auch an abgeschnittenen und in Wasser gestellten Sprossen konnte ich bei Borago die Torsion beobachten, und dasselbe war bei Loasa trieolor der Fall. Bei diesen Pflanzen fehlt ein besonderes Gelenk, wie wir es bei Aga- panthus gefunden haben, und dement- sprechend ist auch die sehr deutliche mit Statolithenstärke versehene Stärkescheide über den Blütenstiel in seinem ganzen Verlauf ausgedehnt. Man kann die Blüten- stiele von Borago und Loasa als tran- versal, die Blüten selbst als positiv geo- tropisch bezeichnen. An Agapanthus schließen sich andererseits, nämlich im Steilungswechsel von Knospe, Blüte und Frucht zwei Pflan- zen an, die sich wegen ihrer rankenden Wachtumsweise weniger zu Versuchen eignen, Passiflora gracilis und Co- baea scandens. Erstere, durch das Fehlen der Blütenblätter ausgezeichnete Art beobachtete ich an einem Exemplar unseres Gewächshauses Ihre Stengel ranken sich senkrecht in die Höhe, doch können deren Enden, wie der in Fig. 8 abgebildete Sproß auch abwärts hängen, und die langen Blütenstiele stehen unge- fähr horizontal, sind aber, solange sie noch eine Knospe tragen, an ihrem oberen Ende im rechten Winkel aufwärts gebogen, so daß die Knospe gerade nach oben steht \ . , Fig. 8. Passiflora gracilis; em (Fig. Ra). Bei der geöffneten Blüte ver- abwärts hängender Zweig mit Knospe (bei 0), Blüte (bei 5) schwindet dieser Winkel fast, sie sieht und Frucht (bei c). mit ihrer Öffnung nach auswärts, ihre Achse liegt also in der Verlängerung des Stieles (Fig. 35: während bei der Fruchtbildung eine Biegung des Stiels nach entgegengesetzter Richtung wie bei der Knospe stattfindet, die sich später gelbrot färbende Frucht also senkrecht abwärts hängt (Fig. $r). Ich habe mich begnügt, festzustellen, daß eine Stärkescheide mit verlagerbaren Stärkekörnern 4u8 M. Möbins, vorhanden ist und zwar besonders deutlich im Knospenstiel dicht unter der Knospe. Die eigentümlichen Stellungsänderungen der Blüte bei Cobaea sind so auffallend, daß sie schon mehrfach beschrieben worden sind’). Ich will deshalb von meinen Beobachtungen nur das mitteilen, was sich direkt auf unser Thema bezieht. aber einige Abbildungen geben. die den früheren Beschreibungen fehlen. Wenn die Knospe sichtbar wird. steht sie auf ihrem Stielchen senkrecht nach oben. Diese Stellung behält sie bei, bis der Stiel eine Länge von 8—9 cm und die Knospe selbst eine solche von etwa 2,5 em erreicht hat (Fig. 9a—Ö). Sie ist dadurch ziemlich unter dem Blattwerk versteckt und bei ihrer grün- lichen Färbung wenig auffällig, vermutlich also gegen die Angriffe von Tieren besser geschützt. Wenn sich nun der Kelch öffnet und die Blüte heraustritt, streckt sich der Stiel noch mehr in die Länge und biegt sich zugleich an seinem Grunde nach auswärts, bis er in einen Winkel von ca. 45° mit der horizontalen zu stehen kommt (Fig. c—d). Die dadurch aus dem Blattwerk hervortretende Blüte neigt sich dabei durch eine Krümmung des Stiels nach unten, dicht unter ihrem Ansatz am oberen Ende des sie tragenden Achsenorgans (Fig. 9e). Sie wird für die bestäubenden Insekten um so mehr sichtbar, als sich ihre Krone von hellgrün in dunkelviolett umfärbt. Nach dem Verblühen, mag Fruchtbildung eintreten oder nicht, macht das vordere Ende des Stiels eine doppelte Einkrämmung nach unten, so daß die Frucht senkrecht abwärts hängt. Diese Stellung wird wohl durch die Abbildung (Fig. 9/) besser als durch eine Beschreibung zu erkennen sein. Welchen Vor- teil die reifende Frucht aber davon hat, ist fraglich: vielleicht dient der Kelch als eine Art von Schutzdach, vielleicht wird dadurch die mechanische Festigkeit des für die große Frucht ziemlich dünnen Stiels erhöht. Ich habe auch beobachtet. in welcher Zeit (diese Veränderungen vor sich gehen und fand beispielsweise, daß zwei Monate verstrichen. während sich eine Knospe von etwaı2,5 cm Länge auf ebenso langem Stiel entfaltete und die Krone abgeworfen wurde, wobei der Stiel eine Länge von 13 cm erreichte. Eine andere Blüte, die am 29. September künstlich bestäubt wurde, zeigte am folgenden Tage die Abwärtsbiegung des Stiel. Am 2. Oktober bildete der Stiel über der jungen Frucht 1) Vgl. besonders: W. Behrens, Der Bestäubungsmechanismus bei der Gattung Cobaea Cavanilles (Fiora 1880, Bd. LXIII, pag. 403), wo auch die frühere Literatur zitiert wird, und H. Ross, Blütenbiologische Beobachtungen an Cobaea macrostemma Pav. {Flora 1898, Bd. LXXXV, pag. 125). — Ä ; Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 40% . einen rechten Winkel, am 3. bereits eine deutlich weitergehende Ein- krümmung, am 11. war die doppelte Krümmung vollzogen, der Frucht- knoten war 1,7 cm lang geworden und erreichte bis zum 14. November eine Länge von 4 cm. Fig. 9. Cobaea scandens. a, 5 Stellung der Knospen, « die Knospe öffnet sich. der Stiel, durch äußere Umstände erst abwärts gebogen, hat sich im Winkel von 45° zur Horizontalen gestellt und beginnt sich an seinem oberen Ende abwärts zu biegen, d die Blumenkrone öffnet sich, Farbe grünlich-weiß, e die Blüte abwärts geneigt, die Blumenkrone violett, # Blumenkrone abgefallen, S-förmige Krümmung des Stiels, aus dem Kelch ragt der Griffel hervor. Wie bei den Polemoniaceen überhaupt nach Peter!) die Stärke- scheide meistens besonders deutlich ist, so tritt sie auch im Blütenstiel von Cobaea seandens deutlich hervor und zwar in der ganzen Aus- 1) Vgl. Peter. Polemoniaceae in Engler-Pranti. Natürliche Pflanzen- familien, IV, 3=. pag. 32. 410 M. Möbius, dehnung von der Basis bis zum oberen Ende und in der ganzen Ent- wicklungszeit von der Knospe bis zur Fruchtbildung. Jedoch nimmt die Menge der Stärke im Verlauf dieser Entwicklung mehr und mehr ab. Während aber die Stärke in den Zellen der Scheide auch nach dem Abblühen noch vorhanden ist, findet sich in diesem Zustand in Rinde und Mark fast gar keine mehr, besonders schwindet die Stärke im oberen Teil des Blütenstiels, im untersten, kräftigeren Teil hält sie sich etwas länger. Während ferner in Rinde und Mark kleinere, einzeln liegende Stärkekörner auftreten, enthält die Stärkescheide große, zu- sammengesetzte Körner, die nach der Färbung mit Jod jenen gegenüber als dicke, schwarze Klumpen erscheinen. Denselben Unterschied in den Stärkekörnern finden wir auch in den vegetativen Sprossen, die offenbar negativ geotropisch sind. Aus der Analogie mit so vielen anderen Blüten, dürfen wir wohl auch für unsere Cobaea annehmen, daß ihre Orien- tierungsbewegungen zunächst auf geotropischen Reizungen beruhen, daß also die Knospen und ihre Stiele negativ, die offenen Blüten und deren Stiele mehr transversal und die Früchte mit dem oberen Teil ihrer Stiele positiv geotropisch reagieren. Doch dürfte die zuletzt eintretende S-förmige Biegung durch den Geotropismus allein schwierig zu erklären sein, wenn man nicht für die verschiedenen, hintereinander liegenden Abschnitte einen ungleichen, ja entgegengesetzten Geotropismus an- nehmen will. Eine experimentelle Prüfung wird sich aber auch sehr schwer ausführen lassen, weil so große Topfexemplare, wie sie blühende Pflanzen dieser Art. darstellen, bei Umkehrungsversuchen und am Klino- staten zu schwer zu handhaben sind. Können wir nun auch nicht bestinmt sagen, durch welchen Reiz und welche Kraft die eigentümliche S-förmige Biegung am Ende des Blütenstiels von Cobaea bewirkt wird, so läßt sich doch zeigen, wie sein äußerer und innerer Bau dafür geeignet erscheint: Während nämlich der Stiel an seiner Basis ca. 2 mm dick ist, verdünnt er sich an seinem oberen Ende auf ca. I mm und zwar so, daß die Ver- dünnung da beginnt, wo die Abwärtsbiegung einsetzt. Man kann diesen dünneren Teil zwar nicht als Gelenk bezeichnen, weil pflanzliche Gelenke als Anschwellungen aufzutreten pflegen, aber im inneren Bau zeigt er hier doch insofern Ähnlichkeit mit gewissen Gelenken!), als der Xylem- ring in einzelne, durch dünnwandiges Parenchym getrennte Gefäß- strahlen aufgelöst ist, während diese weiter unten durch dickwandige 1) Vgl. meinen Aufsätz „Über Bewegungsorgane an Blatistielen“ in Fest- schrift für Schwendener, 1899, pag. 37-62. Uber Orientierungsbewegungen aon Knospen, Blüten und Früchten. 411 und verholzte Zellen verbunden sind. Nach unten zu nimmt der ver- holzte Ring an Dicke zu und delınt sich schließlich fast so weit nach dem Mark hin aus wie die primären Holzgefäße reichen. Wir können also einen ähnlichen Unterschied zwischen dem obersten und dem mitt- leren Teil des Blütenstiels in anatomischer Hinsicht wie bei dem oben beschriebenen Agapanthus beobachten. In dem untersten Abschnitt, zwischen dem Stielansatz und der Stelle, wo die beiden Vorblätter ent- springen (vgl. die Fig. 9f), treten innerhalb des Xylemrings mark- ständige Gefäßbündel auf, während solche oberhalb der Vorblätter wie auch in den vegetativen Sprossen fehlen. Sie bestehen aus einem zentralen Phloemstrang, um den ein mehr oder weniger geschlossener Ring verholzter Zellen liegt. Es sind 6—9 Bündel, die unregelmäßig im Mark verteilt sind und sich erst allmählich während der Streckung des Stiels entwickeln. Wenn der Stiel noch kurz ist und nur die Knospe trägt, erscheint jeder Phloemstrang wie mit einem Cambium umgeben. Näher habe ich den Bau und Verlauf dieser eigentümlichen Gefäßbündel nicht untersucht, da sie ja hier nur insofern von Interesse sind, als sie offenbar zur Erhöhung der mechanischen Festigkeit dienen, den untersten Teil zugfester zu machen bestimmt sind, In den bisher betrachteten Fällen handelte es sich um Stellungs- änderungen, die im Laufe der Entwicklung von der Knospe bis zur Fruchtbildung eintreten, um jeder dieser Zustandsformen eine be- stimmte Läge zum Horizont zu geben. Eine andere Gruppe bilden die Pflanzen mit zygomerphen Blüten, die nicht nur in Hinsicht auf oben und unten, sondern auch auf vorn und hinten eine bestimmte Stellung einnehmen müssen, wenn sie von Insekten besucht werden sollen, und die darum Orientierungsbewegungen ausführen müssen, wenn sie aus ihrer normalen Lage gebracht wurden, oder wenn die Knospen eine andere Lage haben, als den Blüten bestimmt ist. Beispiele für ersteres Verhalten geben die von Noll!) eingehend studierten Arten von Aconitum und ebenso die von Delphinium. Kehrt man eine Infloreszenzachse einer solchen Pflanze um, so biegen sich. im Hellen sowohl wie auch im Dunkeln, die Stiele der einzelnen Blüten zunächst soweit zurück, daß der Helm wieder nach oben sieht, wobei natürlich die Öffnung der Blüte der Achse zugewendet wird. Dann findet im Stiel ein Torsion statt, um die Blüte nach außen zu wenden. Die letztere Bewegung hat Noll auf einen besonderen „Exo- N" F. Noll, Über die normale Stellung zygomorpher Blüten und ihre Orientierungsbewegungen zur Erreichung derselben, I, II. (Arbeiten aus dem botan. Inst. in Würzburg 1885, Bd. III, pag. 189--252, 315—371.) 412 M. Möbius, tropismus” zurückgeführt, wozu aber kein zwingender Grund vorhanden ist. Vielmehr können wir mit Schwendener und Krabbe!) die ganze Bewegung als eine geotropische auffassen, nachdem wir bei Agapanthus. Borago u. a. gesehen haben, «aß der Geotropismus auch Torsionen hervorruft. Hier will ich deshalb nur bemerken, daß ich bei Aconitum Napellus und Delphinium elatum eine deutliche Stärkescheide in ihren Blütenstielen gefunden habe. Daß die Blüten aus der Knospenlage erst durch eine Drehung in «die richtige Stellung gelangen, ist, wie bekannt, bei den’ meisten Orchideen der Fall. Sie gehören zu den Pflanzen, die bei der Assimilation keine Stärke sondern Zucker bilden: sie sind „saccharophil“. Doch besitzt die von mir experimentell und mikroskopisch untersuchte Art Orchis latifolius im Stengel eine deutliche Stärkescheide, die innerhalb der Rinde einen ge- schlossenen Zylinder bildet und der Schwerkraft folgende Stärkekörner enthält. Die Ge- fäßbündel liegen in einem Kreis innerhalb dieser Stärke- scheide. Von besonderen Inter- esse aber war es mir, zu sehen. wie sich in dieser Hinsicht der Fruchtknoten verhält, der ja die geotropische Drehung aus- fübrt. Hier ist'nun auch eine Fir. 10. Orchis latifolius, Querschnitt des Stärkescheide vorhanden, aller- Fruchtknotens. . dings nicht zusammenhängend wie im Stengel, aber in Form von drei Bogen vor den Gefäßbündeln. ‚die in den drei vorspringenden Rippen verlaufen, während die kleineren Bündel in den dazwischen liegenden Abschnitten nur von einzelnen „Statolithenzellen“ auf der Außenseite begleitet werden, wie es in Fig. 10 angedeutet ist. Bemerkenswert dabei ist, daß die drei Seiten des Fruchtknotens auf dem Querschnitt nicht gleich erscheinen, sondern daß zwei nach außen vorspringen, die dritte Seite aber mehr abgeflacht ist. und zwar ist dies diejenige Seite, welcher der Sporn der Blüte anliegt. Ayßer in der Stärkescheide findet sich Stärke nur noch in den Schließ- 1)S. Schwendener und G. Krabbe, Untersuchungen über die Orien- tierungstorsionen der Blätter und Blüten. (Abhandlungen der Königl. preuß. Akad. ‚ler Wissenseh. Berlin, 1892.) Über Ovientierungsbewegungen von Knospen, Biüten und Früchten. 413 “zellen der Spaltöffnungen, wo man ihr bekanntlich ebenfalls eine be- sondere physiologische Funktion zuschreibt. Ich begnüge mich, diese Beobachtungen hier mitzuteilen und hin- zuzufügen, daß ich auch bei Lobelia splendens im Blütenstiel eine Stärkescheide gefunden habe. wo die Blüten ebenfalls resupiniert. werden, d. h. beim Aufblühen durch eine Drehung um 180° im Stiel aus der verkehrten Knospenlage in die Normalstellung zurückkehren. Ferner fand ich die Stärkescheide deutlich ausgebildet im Blütenstiel von Helianthus annuus, Dahlia variabilis, Linaria cymbalaria, Viola ealcarata, und Olivia nobilis, bei letzgenannter auch in der Perigonröhre, bei Lamium maculatum in der Kronröhre und bei Tropaeolum majus in den Staubfäden, also bei verschiedenen Blüten- stielen und Blütenorganen, von denen bekannt ist, daß sie Orientierungs- bewegungen ausführen. Inwieweit bei diesen Bewegungen der Geo- tropismus beteiligt ist, habe ich nicht untersucht: manche, z. B. das Eds Fig. 11. Solidago canadensis. Schema der Stellungen eines Sprosses vor dem Blühen. (Vgl. den Text.) Hinwenden der Blüten nach der Sonne bei der genannten Viola-Art, dürften rein phototropisch sein. Ausführlicher behandeln möchte ich nur noch eine Pflanze, obwohl ich leider über die Ursache ihrer Bewegungen nicht volle Klarheit er- langt habe: es handelt sich um Solidago canadensis. Die Spitze ihrer wachsenden Stengel ist in ganz charakteristischer Weise haken- förmig eingekrümmt (Fig. 11e), was Frank!) einem negptiven Photo- tropismus zuschreibt. Der letztere müßte also den doch jedenfalls auch vorhandenen negativen Geotropismus überwinden. und wenn man die Pflanze ins Dunkle bringt, müßte sich die Spitze aufrichten. Hänfig habe ich nun die Beobachtung gemacht, daß ein solches Aufrichten stattfindet, wenn man einen abgeschnittenen und ins Wasser gestellten Sproß in mäßige Beleuchtung bringt, also etwa in (die Mitte des Zimmers (Fig. 11c). Wenn man ihn aber in den Dunkeischrank stellt, 1) Lehrbuch der Botanik, Bd. I (Leipzig 1832). par. 479. 414 M. Möbits, so nimmt die Krümmung sogar noch zu, die Spitze hebt sich nach der inneren Seite, nach dem aufrechten Stengel hin (Fig. 115). Dasselbe findet statt, wenn man ihn in recht helle Beleuchtung bringt, also dicht ans Fenster stellt. Diese Veränderungen erfolgen unter Umständen innerhalb weniger Stunden, z. B. von 11 Uhr vormittags bis 3 Uhr nachmittags. Einem negativen Phototropismus kann man sie jedenfalls nicht zuschreiben, wie sich auch schon daraus ergibt, daß der Sproß am Fenster aus der Stellung @ in 5 übergeht, sowohl wenn die Spitze bei der Anfangsstellung dem Fenster zugewendet als auch wenn sie von ihm abgewendet war, im letzteren Fall also krümmt sie sich geradezu dem Licht entgegen. Aber ebensowenig kann die Ein- krümmung auf einem positiven Geotropismus beruhen, denn bei inverser Stellung (d) hatte in einem Falle der Sproß von einem Vormittag bis zum Nachmittag seine Spitze zwar etwas gesenkt (e) sie aber am nächsten Tag wieder gehoben und die Stellung / eingenommen. Es handelt sich hier offenbar um gewisse Nutationen, die im Grunde autonom sind, aber mehr oder weniger von den Beleuchtungsverhält- nissen beeinflußt werden, ähnlich manchen nyctinastischen Bewegungen. Solche junge, noch nicht blühende Sprosse zeigen sowohl im über- hängenden als auch im aufrechten Teil eine deutliche Stärkescheide und zwar im letzteren noch etwa 30 cm unterhalb des Bogens. Sie bildet einen geschlossenen Ring um die durch schmale primäre Markstrahlen getrennten Gefäßbündel und enthält „Statolithenstärke“, während sich in der, an der Peripherie von Gollenchymbündeln unterbrochenen, grünen Rinde nur wenig kleinkörnige und unbewegliche Stärke findet. Die Sprosse sind natürlich in ihrem unteren Teil negativ-geotropisch. Wenn nun die Sprosse zum Blühen kommen, so verschwindet die Statolithen- stärke sowohl in den blühenden Zweigen als auch in den Köpfchen- stielen. Die Orientierungsbewegungen, die jetzt ausgeführt werden, erfoigen aber offenbar nicht mehr auf geotropischen, sondern auf photo- tropischen Reiz. Zu ihrem Verständnis muß aber kurz der morpho- logische Aufbau der ganzen Infloreszenz geschildert werden. An einer aufrechten Hauptachse entspringen die Seitenzweige in spitzem Winkel, biegen sich aber nach ihrem Ende zu so weit nach unten, daß sie hier etwa horizontal gerichtet sind. Von diesen sekun- dären Zweigen gehen drittens nach allen Seiten hin ganz kurze Triebe aus, die viertens mehrere gestielte Blütenköpfchen, etwa drei, tragen. Diese Triebe dritter Ordnung mit ihren Blütenköpfehen biegen sich aber alle nach oben, so daß sämtliche Köpfehen aufrecht stehen. Wird nun die Hauptachse horizontal umgelegt, so suchen die früher horizontal Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 415 stehenden Zweige wieder in diese Lage zu kommen, und zwar krümmen sich die jetzt nach oben gerichteten Seitenzweige durch stärkeres Wachstum der Oberseite so weit zurück, bis das Ziel erreicht ist, während die von der Unterseite entspringenden es dadurch erreichen, daß sie sich unter entsprechendem stärkeren Wachstum der Unterseite einfach gerade strecken. Die rechts und links entspringenden Seiten- zweige aber führen entsprechende Torsionen aus, und so ist das Resul- tat, daß alle Blütenköpfehen wieder aufrecht stehen. Man erkennt also deutlich, daß ein bestinimter Zweck, nänlieh die Köpfchen aufrecht zu stellen, alle Bewegungen beherrscht, und diese immer so ausgeführt werden, daß er auf dem kürzesten Wege erreicht wird. Den geschil- derten Vorgang hat man Gelegenheit in der Natur zu beobachten, wenn nach anhaltendem Regen die etwa mannshohen Stengel dieser beliebten Gartenpflanze sich umbiegen. Zu künstlichen Versuchen mußten bei Jer Größe der Pflanze abgeschnittene Zweige dienen, an denen die Reaktion natürlich nicht so klar hervortritt. Doch ließ sich folgendes feststellen. Im Dunkeln tritt bei horizontal gelegten Hauptsprossen keine Stellungsänderung ein, bei einseitiger Beleuchtung aber finden gewisse Biegungen und Torsionen statt, die entsprechend den oben geschilderten die Seitenzweige so richten, daß die Köpfchen dem einfallenden Licht zugewendet werden. Daraus läßt sich also der Schluß ziehen, daß hier die nachträglichen Orientierungsbewegungen nicht durch geotropischen, sondern durch photo- tropischen Reiz bewirkt werden. Sehen wir nun, daß in diesem Falle bei dem Fehlen der geotropischen Reizbarkeit auch die Stärkescheide mit den der Schwerkraft folgenden Stärkekörnern fehlt, so würden wir darin eine gewisse Berechtigung finden können, die Zellen der Stärke- scheide als Statoeysten nach der Haberlandt’schen Theorie anzusehen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Einkrümmung des Sproßendes vor dem Blühen und die Orientierungsbewegungen der blühenden Sprosse bei Solidago verschiedener Natur sind und nichts miteinander zu tun haben. Sie sind auch verschieden von den Be- wegungserscheinungen, die zur bestimmten Einstellung von Knospe, Blüte und Frucht dienen, wie wir sie früher kennen gelernt haben. Überblicken wir die letzteren noch einmal und halten wir unsere Er- gebnisse zusammen mit denen anderer Beobachter, besonders denen von Bannert, so kommen wir zu dem Resultat, daß die Stellungs- änderungen, die ein Blütenorgan im Laufe seiner Entwicklung erfährt, hauptsächlich durch geotropische Reizung unter Umstimmung des Geo- tropismus veranlaßt werden. Allerdings mögen auch andere Umstände 416 M. Möbius, mit in Betracht kommen, von denen außer der phototropischen Beein flussung das Eigengewicht und der Einfluß, den ein Organ auf das andere ausübt, wie die Hauptachse auf die Seitenachsen, genannt werden können. Ich will hier nur ein Beispiel anführen, bei dem die Stellung der Blütenorgane nicht auf Geotropismus beruht, nämlich die Abwärts- krümmung der äußeren Perigonblätter bei der Irisblüte. Denn wieder- holt habe ich Knospen von Iris sibirica in inverser Stellung auf- blühen lassen, ohne daß «dabei die gegenseitige Stellung «der Perigon- blätter eine Änderung erfahren hätte: d. h. die äußeren Perigonblätter waren jetzt nach dem Aufblühen nach oben gerichtet. Andererseits dürfen wir wohl annehmen, daß geotropische Ein- flüsse in vielen Fällen wirksam sind, in denen man sie bisher nicht vermutet hat. Sollte z. B. nicht die aufrechte Stellung der Zapfen von Abies pectinata und das Herabhängen derer von Picea exelsa auf verschiedener geotropischer Reizbarkeit beruhen? Und sollte es nicht aus derselben Ursache zu erklären sein, daß die Ähren bei der einen Getreidesorte aufrecht stehen, bei der anderen aber durch eine Krümmung des darüber liegenden Halmstücks abwärts gebogen sind? In allen Fällen, wo der Geotropismus die Stellung oder Stellungs- änderung veranlaßt, hat sich nun auch das Vorhandensein einer Stärke- scheide mit verlagerbaren und der Schwerkraft folgenden Stärkekörnern nachweisen lassen. Ob aber umgekehrt aus dem Vorhandensein oder Fehlen des genannten Organs eine Entscheidung für geotropische oder nichtgeotropische Wirkung getroffen werden kann, läßt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Stärkescheide ist sehr weit verbreitet, und ein Bild wie das der Fig. 1 läßt uns zunächst vermuten, daß ihre Stärkekörner ganz passiv dem Einfluß der Schwere folgen, wie es bereits Heine (1885) angenommen hatte. Andererseits finden sich gerade unter den hier beschriebenen Fällen einige, die eine auffallende Be- ziehung zwischen dem Auftreten der Stärkescheide und der geotropischen Reizbarkeit aufweisen, nämlich Agapanthus, dessen Blütenstiel nur in dem Gelenkabschnitt beweglich ist und nur hier eine Stärkescheide aufweist, und Orchis, dessen Fruchtknoten die geotropische Torsion ausführt und mit einer so auffälligen Stärkescheide ausgestattet ist. Noch mehr Beachtung aber verdient Solidago und Iris. Bei ersterer Art ist keine Stärke mehr in der Scheide vorhanden, wenn die blühenden Sprosse ihre Orientierungsbewegungen ausführen, und diese beruhen eben auch nicht auf geotropischer, sondern auf phototropischer Reizung. Ebenso ist bei Iris das Zurückschlagen der Perigonblätter keine geo- Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. 417 tropische Erscheinung, gleichzeitig aber tritt hier auch keine Stärke- scheide auf). Man wird zugeben müssen, daß die bei den hier be- handelten Bewegungen gemachten Beobachtungen geeignet sind, die Auffassung von der Statocystennatur der Stärkescheide zu stützen. Daß mit der Umstimmung in der geotropischen Reizbarkeit, die in vielen Fällen mit der entwicklungsgeschichtlichen Veränderung Hand in Hand geht, auch in den Statocysten eine Umstimmung eintritt, bietet für die Erklärung keine besondere Schwierigkeit, denn wenn eine solche Umstimmung überhaupt erfolgt, so kann sie ja in den Statocysten zuerst eintreten. Über diese Erscheinung sowie über die Lokalisation von Perzeption und Bewegung wollen wir hier nicht ausführlicher verhandeln, sondern uns zum Schluß nur fragen, wie es kommt, daß sich die Pflanze zur Ausführung: jener „gamotropischen und karpo- tropischen“ Bewegungen des Geotropismus bedient, während doch die Schwerkraft eigentlich gar nichts mit ihnen zu tun hat. Die Erklärung ist aber einfach darin zu finden, daß der Pflanze eben keine andere Reizwirkung zu Gebote steht, an der sie sozusagen eine Maßstab für die einzunehmende Stellung ihrer Organe fände. Das Licht fällt zu jeder Tageszeit verschieden ein und ist in seiner Stärke außerordentlich wechselnd. Ebenso schwankend sind andere äußere Umstände. Nur die Schwerkraft wirkt an allen Orten und zu allen Stunden mit der- selben Stärke und in derselben Richtung und gibt somit gewisserinaßen das Lineal oder das Senkblei ab, nach dem die Pflanzenorgane ihre Richtung einnehmen können. 1) Das Gefäßbündel des Mittelnerven wird auf seiner Xylemseite, nicht auf der Phloemseite, wo die Stärkescheide zu liegen pflegt, von einigen langgestreckten Zellen begleitet, in denen bei Färbung mit Jod Stärke sichtbar wird, während das übrige Parenchym davon frei ist, und nur noch in den Schließzellen der Spalt- öffnungen ein bedeutender Stärkegehalt nachzuweisen ist. Aber in jenen Parenchym- zellen, die man als Vertreter der Stärkescheide ansehen könnte, liegen die Stärke- körner in Chromatophoren, wie sie sonst nicht in der gewöhnlichen Stärkescheide erkennbar sind, und diese Chromatophoren mit ihren Stärkekörnern sind nicht ein- geitig in den Zellen angehäuft, so daß man mit Recht sagen kann, es sei keine Stärkescheide vorhanden. Flora. Bd. Ill. 27 Impfversuche mit Pfropfbastarden. Von H. Klebahn. (Mit 9 Abbildungen im Text.) Hinsichtlich der Empfänglichkeit gegen schmarotzende Pilze zeigen oft nahe verwandte Pflanzengattungen oder Arten, ja selbst Kultur- sorten oder Standortsvarietäten merkliche Unterschiede. Von besonderem Interesse ist die Frage nach dem Verhalten der Doppelwesen, die durch die künstliche Vereinigung zweier in bezug auf ihre Empfänglichkeit verschiedener Pflanzen zustande kommen. Daß die Zahl der über diesen Gegenstand vorliegenden Untersuchungen noch gering ist, liegt namentlich an der Seltenheit solcher Pflanzen und Pilze, die für die experimentelle Untersuchung genügend günstige Verhältnisse aufweisen. Über das Verhalten geschlechtlich erzeugter Bastarde haben Biffen!) und andere, neuerdings auch Ed. Fischer?) Untersuchungen in Angriff genommen. In gewissen Fällen scheint die Empfänglich- keit als dominierende Eigenschaft vererbt zu werden und der Mendel- spaltung zu unterliegen 3). Was die Pfropfungen betrifft, so ist eine gegenseitige Beeinflussung von Pfropfreis und Unterlage hinsichtlich des Angriffs von Parasiten mehrfach behauptet worden; Beweise liegen aber nicht vor. Winklert) hat das Wichtigste darüber zusammengestellt. Bei den auf Ribes au- reum gepfropften Stachelbeeren glaubte ich selbst eine durch die Unterlage hervorgerufene Anfälligkeit für Cronartium ribicola be- merkt zu haben, mußte aber später feststellen, daß auch wurzelechte Stachelbeeren empfänglich sein können®). Auch die Impfversuche Fischer’s®) und seiner Schülerin G. Sahli”) mit Pomaceen-Pfropfungen führten zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Empfänglichkeit für l} Journ. of Agric. Science 1907, Vol, II, pag. 109. 2) Zeitschr. f. Botanik 1910, Bd. II, pag. 762; Mitteil. naturf. Gesellsch. Bern 1917, pag. 79. 3) Biffen,a.a. 0, 4) Untersuchungen über Pfropfbastarde 1912, Bd. I, pag. 141. 5) Die wirtswechselnden Rostpilze 1904, pag. 191. 6) Mykol. Zentralbl. 1912, Bd. I, pag. 195. 7) Zentralbl. f. Bakteriol. 1916, 2. Abt., Bd. XLV, pag. 264. Impfversuche mit Pfrofbastarden. 419 Gymnosporangium-Arten keine gegenseitige Beeinflussung der Be- standteile nachweisbar ist. Unter diesen Umständen kann man vermuten, daß auch an den Pfropfbastarden trotz der noch engeren Lebensgemeinschaft die Be- standteile keine Änderung ihrer Empfänglichkeit erkennen lassen werden. Hinsichtlich der Periklinalchimären ergibt sich aber die interessante Frage, wie sich der Erfolg der Infektion gestaltet, wenn das empfäng- liche Innere der Pflanze von einer unempfänglichen Schicht umhüllt ist, oder umgekehrt, wenn nur die oberflächliche Schicht empfänglich ist. Versuche über das Verhalten der Crataegomespili gegen Gym- nosporangium-Arten hat zuerst Fischer!) begonnen und durch G. Sahli?) fortsetzen lassen. Später hat Winkler®) in seinem Vortrage über die Chimärenforschung auf die besondere Bedeutung dieses Gegen- standes hingewiesen. Eine Anfrage Prof. Winkler’s, ob nicht mit den von ihm her- gestellten Periklinalchimären von Tomate und schwarzem Nachtschatten (Solanum Iycopersicum und Solanum nigrum) derartige Versuche ausgeführt werden könnten, gab die Anregung zu den nachfolgenden Untersuchungen. Herr Prof, Winkler stellte mir wiederholt geeignete Versuchspflanzen zur Verfügung, wofür ich ihm meinen besten Dank ausspreche. Leider hat der Krieg auf die wünschenswerte Fortsetzung der Versuche störend eingewirkt, da der Mangel an geschulten gärt- nerischen Hilfskräften Prof. Winkler nötigte, die Weiterkultur seiner Pfleglinge einzuschränken und zuletzt einstweilen mehr oder weniger aufzugeben. Das bisher Festgestellte mag daher jetzt mitgeteilt, die Wiederaufnahme der Untersuchungen auf bessere Zeiten verschoben werden. Es gibt besonders zwei Pilze, die sich zu Versuchen mit den Solanum-Chimären eignen, Septoria Iycopersici und Glado- sporium fulvum. Beide befallen die Tomate; der schwarze Nacht- schatten ist gegen beide unempfänglich. Vielleicht würde auch Phy- tophthora infestans dem gleichen Zwecke dienen können. Septoria lycopersici Speg. ruft in den Tomatenkulturen, z. B. vielerwärts in den Hamburgischen Vierlanden, eine weitverbreitete und schädliche Blattkrankheit hervor. Der Pilz bildet Gruppen von Pyk- niden auf verhältnismäßig kleinen, gelblich bis graubraun werdenden, Daa20. 2) Mykol. Zentralbl. 1913, Bd. III, pag. 10; Zentralbl. f. Bakteriol. 1916, 2. Abt., Bd. XLV, pag. 264. 3) Sitzungsber. der phys.-med. Gesellsch. Würzburg, Jahrg. 1913. 27° 420 H. Klebahn, meist mehr oder weniger scharf begrenzten Blattflecken. Die Pykniden entleeren kleine Ranken fadenförmiger, gekrümmter, mehrzelliger Ko- nidien. Infektion der Tomate gelingt leicht und sicher, wenn man die mit Wasser von den Blattflecken abgewaschenen Konidien mit einem Pinsel oder einem Zerstäuber über das Laub verteilt und die Pflanzen dann ein paar Tage unter eine Glasglocke stell. Auch Reinkulturen sind leicht herzustellen. In Deckglaskulturen in feuchter Kammer wurden Septoria-Konidien gebildet. Auf der schräggelegten Agar- fläche in Reagenzgläsern breitete sich das Myzel ähnlich dem anderer Septoria-Arten langsam aus, so daß es nach "/, Jahr nicht über 1—2 cm Durchmesser erreicht hatte. Der mittlere Teil bildete dann eine dichte schwarze Masse, die sich über den Agar erhob, mit etwas grauem lockerem Luftmyzel bedeckt war und am Rande in eine Zone büschelig in der Agaroberfläche vorwachsender Hyphen überging. Es entstanden zahlreiche Pykniden, welche die Konidien in bräunlich weißen Tröpfehen entleerten. Eine Septoria lycopersici zugehörige Schlauchfruchtform (Mycosphaerella?) ist bisher nicht gefunden worden. Die Konidien aus überwinterten Pykniden sind aber im Frühjahr infektionskräftig. Cladosporium fulvum Cooke ruft gleichfalls eine Blattkrank- heit der Tomaten hervor, die in den Hamburgischen Vierlanden in be- sonders starkem Maße bei der Treibhauskultur auftritt. Es entstehen ausgedehnte gelbliche Blattflecken, die sich mit einem sammetartigen Überzug bräunlichgrauer Konidienträger bedecken und später ver- trocknen. Die ebenso gefärbten länglichen, meist etwas unregelmäßigen, ein- oder zweizelligen, seltener mehrzelligen Konidien verstäuben leicht und werden durch bewegte Luft oder durch Berührung verschleppt. Schlauchfrüchte sind auch bei diesem Pilze nicht gefunden worden. Mit Konidien von getrockneten Blättern, die während des Winters im Zimmer gelegen hatten, gelang es, im Frühjahr Infektionen hervor- zurufen. Vielleicht beruht also das etwas rätselhafte erste Auftreten der Krankheit im Sommer auf Konidien, die irgendwo an geschützten Plätzen in den Treibhäusern den Winter überdauert haben. Rein- kulturen auf Salepagar zeigten in der Mitte eine schwarzbraune, von olivenfarbenem Luftmyzel bedeckte Fläche von 6 mm Durchmesser und um diese herum, durch einen hellen Raum getrennt, eine dunkle Zone von 12—15 mm Durchmesser. Einige Kulturen wurden auch größer, weitere Zonenbildung war aber undeutlich. Im Luftmyzel waren Koni- dien nachweisbar. Auffällig ist ein dunkelvioletter Farbstoff, der sich im Agar bemerkbar macht, soweit das Myzel wächst. Impfversuche mit Pfropfbastarden. 421 1. Versuche mit Septoria Iycopersici. Versuche mit Septoria lycopersici machte ich bereits im Sommer 1913. Auf bezeichnete Blätter der vier Chimären Solanum tubingense, Koelreuterianum, proteus und Gaertnerianum, sowie solcher von Sol. Iycopersicum und $. nigrum wurden in Wasser verteilte Konidien gleichzeitig und möglichst gleichmäßig auf- getragen. Die Pflanzen, die alle von guter Beschaffenheit waren, stan- den dann nebeneinander und unter möglichst gleiehartigen Bedingungen zunächst einige Tage unter Glasglocken und darauf ohne Glasglocken im Gewächshause. In den Jahren 1915—17 wurden die Versuche, soweit Pflanzen zur Verfügung standen, wiederholt, wobei im wesentlichen dieselben Er- gebnisse erhalten wurden; nur bei $. Gaertnerianum wurde eine Ab- weichung festgestellt. Außerdem konnte ich einige weitere Chimären, darunter $. Darwinianum, sowie die in Prof. Winkler’s Kulturen entstandene Riesenform der Tomate, Solanum lycopersicum gigas, zu den Versuchen heranziehen. Solanum lycopersicum. Zu den Versuchen im Sommer 1913 dienten zwei große Tomaten von der Sorte „Alice Roosevelt“ aus den Kulturen des Botanischen Gartens und eine Tomate von der Sorte „König Humbert, gelb“, aus der Prof. Winkler’s Chimären gewonnen sind, und zwar eine Pflanze, die selbst als Rückschlag aus einer Chimäre erhalten worden war. Beide Tomatensorten wurden stark befallen, nach 6-7 Tagen ent- standen ziemlich große schwärzlicbe Flecken, und später wurden Septoria-Pykniden sichtbar. Impfungen der Oberseite und der Unter- seite der Blätter waren ungefähr gleich erfolgreich. t. Versuch am 12. Juli 1913, Erfolg vom 18. Juli an. — 2. Ver- such am 6. August 1913, Erfolg vom 13. August an. Bei sonstigen Versuchen wurden die Tomaten stets leicht infiziert. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß sich die Hyphen des Pilzes in den Interzellularräumer des Schwammparenehyms und des Palisadenparenchyms ausbreiten. Meist ist das Mesophyll durch die Wirkung des Pilzes ziemlich stark geschrumpft. Man findet daher in den Mikrotomschnitten nicht leicht Stellen, die sich zur zeichnerischen Wiedergabe eignen (Fig. 1). Auch die Epidermis ist an den von dem Pilze befallenen Stellen oft geschrumpft und das Verhalten der Hyphen zu derselben daher manchmal wenig klar. Doch erkennt man, daß die Fäden durch die Spaltöffnungen eingedrungen sind. In den älteren 422 H. Klebahn, Stadien der Infektionsflecken wurden auch die Fruchtkörper der Septoria mikroskopisch nachgewiesen. Das Mesophyll der Tomate ist durch das Vorhandensein zahl- reicher Zellen mit Kristallsand ausgezeichnet. Man kann dies, auch ohne zu schneiden, leicht feststellen, wenn man die Blätter mit Lakto- phenol aufhellt und sie dann im durchfallenden Lichte bei schwacher Vergrößerung unter- sucht. Die Kristallsandzellen gehören meistens der an die Palisaden angrenzenden Zellen- lage an. Solanum nigrum. Geimpft wurden drei vom Komposthaufen des Gartens entnommene Pflanzen unbe- kannten Ursprungs und eine Pflanze aus den Kulturen Prof. Winkler’s von demselben Fig. 1. Teil eines Querschnitts durch ein Stamme, der den Chimären Tomatenblatt in einem frühen Zustande des zugrunde liegt. Befalls mit Hyphen von Septoria Iyco- . \ persici. Zellen mit Kristallsand sind an Alle drei Pflanzen er- der gezeichneten Stelle nicht, aber in nächster wiesen sich als völlig unem- hbarschaft handen. Alle Abbildungen IE . . Neo etwas schematisch. 200:1, —" pfänglich; es wurde keinerlei sichtbarer Erfolg erhalten. 1. Versuch am 12. Juli 1913. — 2. Versuch am 8. August 1913. Das Mesophyli von Solanum nigrum ist durch das Fehlen der Zellen mit Kristallsand ausgezeichnet. Solanum tubingense. Die Epidermis dieser Chimäre gehört Solanum lycopersicum an, das gesamte innere Gewebe Solanum nigrum!?). Die Impfung blieb fast ganz ohne Erfolg. Es traten nur sehr vereinzelte kleine braune Pünktchen auf, deren Zahl zu der Menge des angewandten gut keimfähigen Konidienmaterials in gar keinem Verhältnis stand. Die Flecken blieben ganz klein-und zeigten keine weitere Veränderung. Die Pflanze ist also praktisch unempfänglich. 1) Die Andeutungen über den Bau der Chimären beruhen auf mündlichen Mitteilungen Prof. Winkler's und auf den Angaben in seinen Schriften. $. be- sonders Ber. der Deutsch. botan. Gesellsch, 1910, Bd. XXVIH, pag. 116. Impfversuche mit Propfbastarden. 423 1. Versuch am 12. Juli 1918. Erfolg nur kleine Flecken am 21. Juli. — 2. Versuch am 6. August. Erfolg wurde nicht bemerkt. Auch spätere Versuche führten zu keiner stärkeren Beeinflussung der Pflanzen. Die braunen Pünktchen kennzeichnen sich im Blattquerschnitt durch die Braunfärbung eines kleinen Teils des Mesophylis, etwa in Fig. 2. Fig. 3. Fig. 2 und 3. Schnitte durch Spaltöffnungen der der Tomate angehörenden Epidermis eines Blattes von Solanum tubingense mit eindringenden Hyphen von Sep- torialycopersici, 490:1. der Breite von 5--15 Palisadenzellen. Die Verfärbung erscheint als die Wir- kung eingedrungener Pilzhyphen. Man kann das Eindringen derselben durch die über der braunen Stelle liegenden Spaltöffnungen verfolgen (Fig. 2 und 3) und sieht einzelne Hyphen sich unter der Epidermis und im Mesophyli ver- breiten (Fig. 4); sie gehen aber nicht oder kaum über die gebräunte Stelle hinaus. Zellen mit Kristallsand fehlen, da das innere Gewebe von Solanum nigrum gebildet wird. Die der Tomate angehörige Epi- . . Fig. 4 Querschnitt durch einen dermis von Solanum tubingense Infektionsfleck an einem Blatte von ermöglicht also den Keimschläuchen Solanum tubingense mit Hy- - sr in_ phen in dem an dieser Stelle ge- der Septoria lycopersici das Ein bräunten, Solanum nigrum an- dringen. Das aus diesen hervorgehende gehörenden Mesophyll. 290:1. Myzel vermag dann sogar ziemlich weit in das aus Nachtschattengewebe bestehende Mesophyll hineinzu- wachsen und sich hier, nachdem die anstoßenden Zellen durch seine 424 H. Kiebahn, Einwirkung getötet sind, bis zu einem gewissen Grade zu ernähren. Es kommt aber weder zu einer weiteren Ausbreitung noch zur Aus- bildung von Fruchtkörpern. Ob hier eine durch die Tomatennachbar- schaft angeregte Empfänglichkeit vorliegt, oder ob der Pilz die Zellen tötet und dann saprophytisch ein kümmerliches Dasein fristet, läßt sich einstweilen nicht sagen. Solanum proteus. Am Vegetationspunkt dieser Chimäre lagert außer dem der To- mate angehörenden Dermatogen noch eine zweite Zellenschicht Tomaten- gewebe über dem den Kern bilden- den Gewebe von Solanum ni- grum. Anderausgebildeten Pflanze befinden sich daher mindestens zwei Schichten Tomatengewebe über dem Inneren von schwarzem Nacht- schatten. Es kann aber auch die Zahl der der Tomate angehörenden Schichten durch Zellteilung eine größere werden; dies findet in un- regelmäßiger Weise statt, und die das äußere bildenden Lagen von Tomatengewebe sind daher von ungleich starker Ausbildung. Die Gefäß- bündel gekören dem Nachtschatten an. Fig. 7. Das Ergebnis der Impfung war eine starke Infektion; es entstanden Fig. 6. Fig. 5. Fig. 5—7. Schnitte durch Spaltöffnungen der der Tomate angehörenden Epidermis von Solanum proteus mit hindurchwachsenden Hyphen der Septoria. 600:1. zahlreiche kleine schwärzliche Flecken. Dabei war es gleichgültig, ob die Oberseite oder die Unterseite der Blätter geimpft worden war. An älteren Infektionsstellen traten Pykniden auf. Einzelne der befallenen Blätter fielen ab. 1. Versuch am 12. Juli 1913. Erfolg vom 18, Julian. — 2. Ver- such am 6. August. Erfolg vom 13. August an. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß Pilzbyphen durch die Spaltöffnungen eindringen (Fig. 5-7) und sich zwischen den Pali- Impfversuche mit Propfbastarden. 425 sadenzellen und im Schwammparenchym verbreiten. Zellen mit Kristall- sand sind fast überall vorhanden, aber nicht sehr reichlich; wo Pykniden gebildet sind, findet sich auch Kristallsand in der Nähe. Da die Kristallsandzellen meist in der unter den Palisaden lagernden Zellen- schicht auftreten und auch noch die unterste Schicht des Schwamm- parenchyms der Tomate angehören muß, so bleibt von dem Mesophyli nichts oder nur ein sehr geringer Teil für Nachtschattengewebe übrig. Leider gibt es kein Mittel, genaueres über die Abgrenzung der beiderlei Bestandteile festzustellen. Der Pilz aber vermag in das außen lagernde Tomatengewebe leicht einzudringen und findet durch dessen starke Entwicklung für sein Gedeihen fast ebenso günstige Bedingungen wie auf reinen Tomatenblättern. Solanum Koelreuterianum. . Die Epidermis gehört Solanum nigrum an, während das Innere aus Solanum Ilycopersicum besteht. Der Erfolg der Impfung waren große schwärzliche Flecken, die anscheinend etwas reichlicher auftraten, wenn die Konidien auf die Unterseite der Blätter ge- Fig. 8. Schnitt durch eine Spaltöff- Fig. 9. Teil eines Blattquerschnitts nung der dem Nachtschatten angehören- von Solanum Koelreuterianum. den Epidermis von Solanum Koel- Die Septoria-Hyphen dringen durch reuterianum mit eindringenden eine Spaltöffnung der Blattoberseite in Keimschläuchen der Septoria. 600:1. das Palisadengewebe ein. 490:1. bracht worden waren, Später waren reichliche Pykniden vorhanden. 1. Versuch am 12. Juli 1913. Erfolg vom 18. Juli an. — 2. Ver- such am 6. August 1913. Erfolg vom 13. August an. Ein Versuch vom 20. Juni 1916 führte zu demselben Ergebnis (8. August). Die Hyphen dringen vielerwärts durch die Spaltöffnungen ein (Fig. 8); sie verbreiten sich in den Interzellularräumen sowohl im Schwammparenchym wie auch zwischen den Palisadenzellen (Fig. 9). 426 H. Klebahn, Oft ist die Epidermis etwas geschrumpft. Zellen mit Kristallsand sind überall vorhanden, stellenweise aber in etwas geringerer Zahl. Die Solanum nigrum angehörende Epidermis schützt die Blätter dieser Chimäre also nicht gegen das Eindringen der Keimschläuche der Septoria. Dies findet durch den Umstand, daß die Pilzfäden nur die Spaltöffnungen zu durchwachsen brauchen, um dann in dem ganz aus Tomatengewebe bestehenden Mesophyll den ihnen zusagenden Nähr- boden in ausreichender Menge zu finden, wohl eine einfache Erklärung. Ob dabei vielleicht von dem Tomatengewebe ausgehende chemische Reize eine Rolle mitspielen, läßt sich nicht sagen. Solanum Gaertnerianum. Am Vegetationspunkt dieser Chimäre lagert außer dem Solanum nigrum angehörenden Dermatogen noch eine zweite Zellenschicht von Solanum nigrum über dem den Kern bildenden Tomatengewebe. An der ausgebildeten Pflanze befinden sich also mindestens zwei Schichten Nachtschattengewebe über dem aus Tomatengewebe bestehenden Inneren; es können aber durch Zellteilungen weitere Schichten in unregelmäßiger Weise hinzukommen. Zu den Versuchen im Sommer 1913 wurden zwei Pflanzen benutzt. Es konnte äußerlich keinerlei Erfolg der Impfung festgestellt werden. 1. Versuch, Pflanze 1, am 6. August 1913. — 2. Versuch, Pflanze 2, am 4. September 1913. Eine Wiederholung des Versuchs im Sommer 1916 führte zu einem abweichenden Ergebnis. Es traten jetzt an ein paar Stellen Flecken auf, und auf einigen derselben konnten Konidienranken nachgewiesen werden. Bei der mikroskopischen Untersuchung der im Sommer 1913 geimpften Blätter wurde keinerlei Myzel gefunden. Auch bräunliche Flecken, die an den in Alkohol gelegten Blättern sichtbar wurden, waren myzelfrei; sie schienen durch Blattläuse oder andere Insekten verursacht zu sein. Die Blattdicke war ziemlich groß und gleichmäßig, Schrumpfungen waren nicht vorhanden. Zellen mit Kristallsand wurden nur an wenigen Stellen gefunden. Die im Sommer 1916 geimpften Blätter waren im ganzen dünner und hatten außerdem dünnere und geschrumpfte Stellen. Kristallsand war reichlicher vorhanden. An einigen Stellen wurde Myzel gefunden; auch ein paar Pykniden fanden sich in den Schnitten. Die Untersuchung aufgehellter Blätter im durchfallenden Lichte ergab, daß die Zellen mit Kristallsand nur streckenweise vorhanden sind, während sie an anderen Stellen fehlen. Dieses ungleichartige Ver- nr Impfversuche mit Pfropfbastarden. 427 halten hängt mit der ungleichen Entwicklung der unter der Epidermis lagernden Schicht von Nachtschattengewebe zusammen. Pykniden fanden sich nur an Stellen, wo Kristallsand vorhanden war. Wo Zellen mit Kristallsand fehlen, dürfte auch die Zellenschicht unter den Palisaden Solanum nigrum angehören. Da außerdem noch mindestens die unterste Schwammparenchymzellenschicht aus Nachtschattengewebe be- steht, so bleibt an solchen Stellen außer den Gefäßbündeln kaum etwas von den inneren Blattbestandteilen für Tomatengewebe übrig. Die Ver- hältnisse sind gerade umgehrt wie bei Solanum proteus. Im allgemeinen werden die aus Solanum nigrum bestehenden äußeren Schichten dem Eindringen des Pilzes genügenden Widerstand entgegensetzen, um die Infektion zu verhüten. Wie die bei dem späteren Versuche doch zustande gekommene Infektion zu erklären ist, läßt sich gegenwärtig noch nicht übersehen. Man könnte sich vorstellen, daß die etwa unterseits durch Spaltöffnungen eingedrungenen Keimschläuche mit genügender Schnelligkeit gewachsen sind, um noch rechtzeitig To- matenzellen zu erreichen. Gelegentlich, wenngleich selten, kommen an den Solanum-Chimären aber auch Rückschläge vor, und es wäre mög- lich, daß ein solcher oder eine den gewöhnlichen Grad überschreitende kräftige Entwicklung des Tomatengewebes vorgelegen hätte Ich möchte nicht weiter darüber urteilen, ohne neue Versuche mit gut aus- gebildeten Pflanzen ausgeführt zu haben. Leider wird sich auch hier durch mikroskopische Untersuchung nicht entscheiden lassen, wo im einzelnen Falle die Grenze zwischen Tomaten- und Nachtschatten- gewebe liegt. Solanum Darwinianum. Zwischen der Epidermis und den inneren Geweben, die beide Solanum nigrum angehören, lagert eine Schicht Burdonengewebe!), Inwieweit außerdem unter dem letzteren liegendes Tomatengewebe am Aufbau der Chimäre beteiligt ist, steht nicht sicher fest. Am 8. Juli 1916 wurde ein Versuch mit Septoria gemacht. Die Pflanze war nicht von besonders guter Beschaffenheit. Das Ergebnis waren wenig ausgebildete Blattflecken, auf denen an mehreren Stellen Pykoiden mit Konidienranken nachgewiesen werden konnten. Die mikroskopische Untersuchung ergab an den gebräunten ge- schrumpften Stellen und hier und da auch in dem unveränderten Gewebe 1) Als Burdonen oder Verschmelzungspfropfbastarde bezeichnet Winkler solche Pflanzen, die durch Verschmelzung zweier artverschiedener somstischer Zellen entstanden sind. Vgl. Untersuchungen über Pfropfbastarde. Jena 1912, pag. 11 und Berichte der Deutsch. botan. Gesellsch. 1910, Bd. XXVIII, pag. 116. 428 H. Klebahn, mehr oder weniger reichliches Myzel und an einigen Stellen auch Septoria-Pykniden. Zellen mit Kristailsand wurden kaum gefunden; auch an aufgehellten Blättern, die im durchfallenden Lichte untersucht wurden, zeigten sie sich nur spärlich. Dagegen waren in großer Zahl, aber in einer anderen Schicht Zellen vorhanden, die größere drusen- artig gehäufte Kristalle enthielten. Es steht nicht fest, ob das Bur- donengewebe Zellen mit Kristallsand ausbildet. Es kann daher auch nieht gesagt werden, ob die spärlich vorhandenen Kristallsandzellen auf Tomatengewebe hinweisen. Die Infektion war im vorliegenden Falle jedenfalls auch an Stellen aufgetreten, wo Zellen mit Kristallsand fehlen. Da das Nachtschatten- gewebe unempfänglich und da nicht anzunehmen ist, daß eine reich- lichere Entwicklung von Tomatengewebe ohne Kristallsandzellen vor- gelegen hat, dürfte an diesen Stellen Burdonengewebe vorhanden gewesen sein. Es ist also wahrscheinlich, daß das Burdonengewebe für die Septoria empfänglich is. Die aus Nachtschattenzellen bestehende Epidermis schützt in diesem Falle ebensowenig gegen die Infektion, wie bei Solanum Koelreuterianum. Solanum lycopersicum gigas. Die in einem der Propfbastarde Winkler’s!) entstandene Riesen- form der Tomate ist äußerlich in ganz ähnlicher Weise, wie die von de Vries als Mutation aufgefaßte Riesenform von Oenothera La- marckiana (Oenothera gigas) durch Vergrößerung aller Organe gekennzeichnet. Es war von Interesse, auch diese merkwürdige Pflanze zu den Versuchen heranzuziehen. Die am 18. Juli 1917 vorgenommene Impfung führte zu reichlichem Erfolg. Nach den Untersuchungen Winkler’s ist der Riesenwuchs dieser Pflanze, ebenso wie der Riesenwuchs des gleichzeitig entstandenen Solanum nigrum gigas, die Folge der Verdoppelung der Chromo- somenzahl in den Zellkernen. Es liegen also keine neuen Merkmale vor, sondern nur eine Steigerung oder Verstärkung der bereits in der gewöhnlichen Tomate enthaltenen Eigenschaften. Es kann daher nicht überraschen, wenn sich die Riesenform gegen den schmarotzenden Pilz genau so empfänglich erweist, wie die gewöhnliche Pflanze. 2. Versuche mit Cladosporium fulvum. Die Versuche mit Cladosporium fulvum haben bisher infolge unerwarteter Schwierigkeiten noch nicht zu klaren Ergebnissen geführt. 1) Zeitschr. f. Botanik 1916, Bd. VIIE, pag. 417. Impfversuche mit Pfropfbastarden. 429 Wenn ich im Frühjahr geeignete Versuchspflanzen hatte, fehlte der Pilz, der erst im Laufe des Sommers auftritt, und wenn der Pilz später zur Verfügung stand, war das Laub der Versuchspflanzen nicht mehr von genügend frischer Beschaffenheit. Reinkulturen vom voraufgehen- den Jahre infizierten nicht. Es gelang dann, den Pilz aus Konidien von getrockneten Blättern vom voraufgehenden Jahre auf Tomaten zur Entwieklung zu bringen, aber ein üppiges Wachstum kam nicht zu- stande. Ich habe keinen genügenden Grund zu der Annahme, daß die in den Chimären enthaltene Tomatensorte „König Humbert“ weniger empfänglich ist als die in den Vierlanden meist gebauten Sorten, ob- gleich es möglich wäre. Wahrscheinlicher ist es wohl, daß die Einzel- kultur an dem schlechten Gedeihen des Pilzes schuld ist, denn es ent- spricht einer wiederholt gemachten Frfahrung, daß Pilze, die bei Massenanbau der Nährpflanze nicht auszurotten sind, bei dem Versuch, sie in künstlicher Kultur weiter zu ziehen, sehr bald ausbleiben. Selbst als ich im Sommer 1917 aus einer größeren Zahl junger Tomaten- pflanzen einer leicht empfänglichen Sorte neun reichlich infiziert hatte, kam es weder auf diesen noch auf den nicht geimpften zu einer starken Entwicklung des Pilzes. Erfolg hatten von den Versuchen nur die Impfungen auf To- maten, und zwar auch auf der in den Chimären enthaltenen Sorte „König Humbert gelb“. Ebenso reichlich wurde die von Prof. Wink- ler gezogene Gigas-Form, die durch den Besitz der doppelten Chromosomenzahl ausgezeichnet ist, befallen. Es wurde schon oben darauf hingewiesen, daß diese Form nach ihrem inneren Aufbau keine neuen Eigenschaften enthalten kann, und daß man daher von vorn- herein erwarten mußte, daß sie sich auch hinsichtlich der Empfänglich- keit wie die gewöhnliche Tomate verhalten würde. Von den Chimären wurde keine befallen. Geibliche Flecken, die auf S. Koelreuterianum und $. proteus bemerkt wurden, können auch von andern ungünstigen Einflüssen herrühren, da Konidienträger nieht darauf zur Entwieklung kamen. Man sieht aber vorläufig keinen Grund, warum sich die Chimären gegen das Cladosporium wesent- lich anders verhalten sollten wie gegen die Septoria, und deshalb bedürfen die Versuche der Wiederholung unter günstigeren Umständen. Vergleichung mit dem Verhalten der Crataegomespili. Es erübrigt noch eine Vergleichung der vorstehenden Ergebnisse mit denjenigen, die Fischer und Sahli mit den beiden Chimären Crataegomespilus Asnieresii und C. Dardari gewonnen haben. 430 H. Klebahn, Impfversuche mit Pfropfbastarden. Als infizierende Pilze wurden Gymnosporangium clavariaeforme und G. confusum benutzt. Von den Bestandteilen der Chimären ist Mespilus germanica gegen G. clavariaeforme ganz unempfäng- lich, von G. confusum wird sie mitunter schwach befallen; Cratae- gus oxyacantha ist für beide Pilze in hohem Grade empfänglich. Unmittelbar vergleichbar sind daher nur die Versuche von Sahli mit Gymnosporangium clavariaeforme und meine Versuche mit Septoria auf Solanum Koelreuterianum und Gaertnerianum, und auch diese nur mit der Einschränkung, die sich aus dem ver- schiedenen Verhalten der Keimschläuche beim Eindringen in die Nähr- pflanzen ergibt. Nach dem älteren Bericht von G. Sahli schien Cra- taegomespilus Asnieresii durch die von Mespilus gebildete Epi- dermis gegen den Angriff des Gymnosporangium clavariaeforme geschützt zu sein. Bei den neueren Versuchen wurden aber sogar Aeeidien erhalten; nur fand die Entwicklung merklich langsamer statt als auf den stärker empfänglichen Pflanzen. Crataegomespilus Dardari erwies sich dagegen durch die mindestens zweifache Außen- lage von Mespilusgewebe als völlig unempfänglich. Wenn man das nicht völlig geklärte Verhalten des Solanum Gaertnerianum bei meinem Versuch von 1916 als durch eine Unregelmäßigkeit der Versuchspflanze herbeigeführt betrachtet, besteht also gute Überein- stimmung mit meinen Ergebnissen. Nur wurde bei der rascheren Ent- wicklung der Septoria ein auffallender Zeitunterschied im Auftreten der Infektionswirkung bei meinen Versuchen nicht bemerkt. Daß bei G. Sahli’s Versuchen mit Gymnosporangium confusum auch Crataegomespilus Dardari, die eine mindestens doppelte Außen- lage von Mespilusgewebe hat, befallen wurde, kann nicht überraschen, da auch Mespilus allein von diesem Pilze, wenn auch nur schwach, angegriffen wird. Immerhin wurde eine Verzögerung der Entwicklung festgestellt. Als allgemeineres Ergebnis kann hervorgehoben werden, daß die Chimäre nicht gegen Infektion geschützt ist, wenn sie als Außenschicht nur die Epidermis der unempfänglichen Pflanze hat. Über die Frage, ob diese einen gewissen Empfänglichkeitsgrad annimmt, oder ob sie als ein Widerstand wirkt, der überwunden wird, ergeben auch meine Versuche nichts Bestimmtes; immerhin ist es beachtenswert, daß bei dem Versuche mit Solanum tubingense des Septoriamyzel in das aus Nachtschatten bestehende Mesophyll eingedrungen war, allerdings ohne hier zu einer stärkeren Entwicklung zu kommen. Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose hei Casua- rina equisetifolia nebst einigen Bemerkungen über das Mykorhizenproblem. Von Hugo Miehe. {Mit Tafel VI und 2 Abbildungen im Text.) Vor etlichen Jahren (1910) besuchte ich eine jener zahlreichen Koralleninseln auf der Reede von Batavia, die mit ihrer dichten Vege- tation gleich schwimmenden Laubmassen über die See ausgestreut zu sein scheinen. Der innere, d. h. nach Java zu gerichtete Rand der Insel (es handelte sich um die Insel Leyden, mal. poeloe njamoek) ist von einem Streifen hellen Sandes umsäumt, während erst an den Flan- ken die eigentliche Mangrovevegetation beginnt, die sich dann haupt- sächlich der Außenseite als grüne Pflanzenbarre vorlagert. Unter der interessanten Vegetation, die den sandigen Strand bevölkerte und die Schimper in seiner Schrift über die Indomalayische Strandflora!) geschildert hat, fanden sich zahlreiche Exemplare der Strandtjemara, Casuarina equisetifolia, in allen Stadien der Entwicklung. Als ich eins der jüngsten Pflänzchen aus dem Boden zog, bemerkte ich zu meiner Überraschung, daß die Wurzeln mit zahlreichen knöllchenartigen Ge- bilden besetzt waren, die die größte Ähnlichkeit mit den wohlbekannten sogenannten Wurzelknöllchen der Erle zeigten. Eine Durchmusterung zahlreicher weiterer Exemplare ergab, daß es sich um ein ganz regel- mäßiges Vorkommen handelt. Nachdem ich von diesem Funde in einer ganz kurzen Bemerkung) Nachricht gegeben hatte, machte nicht lange darnach Kamerling®), der ebenfalls die Koralleninseln besuchte, die gleiche Beobachtung. Weder Kamerling jedoch noch ich sind die 1) A. F. W. Schimper, Die indomalayische Strandflora. Botan. Mitteil. aus den Tropen 1891, Heft 3. . . . 2) H. Miehe, Javanische Studien IV. Zur Frage der mikrobiologischen i ini i di. der math.- Vor; 'e im Humus einiger bumussammelnder Epiphyten. Abhanı . Die Klo der Kgl. säche, Gesellsch. der Wissensch. 1911, Bd. XXXII, Nr. 4, . 381, Anm. 5. . \ . in 3 Z. Kamerling, Over het voorkomen van Wortelknolietjes bij Casuarina equisetifolia. Natuurkundige Tijdachrift voor Ned.-Indie 1911, Deel LXXE, pag. 20. 432 Hugo Miehe, ersten, die jene auffälligen Wurzelanschwellungen, wenigstens innerhalb der Gattung Casuarina, feststellten. Denn bereits Janse hat in seiner umfangreichen Abhandlung über javanische Wurzelendophyten!) Wurzel- knöllchen (nodosites, mamelons) bei Casuarinen erwähnt, die er im Berggarten von Tjibodas untersuchte. Er spricht von verschiedenen Arten, gibt aber Einzelheiten und Abbildungen nur von Casuaria muricata. Da weder Janse’s noch namentlich Kamerling’s kurze Notizen ein hinreichend genaues Bild von der Histologie der merkwürdigen Gebilde geben, schien es mir der Mühe wert, diesen typischen, bisher nicht weiter bekannt gewordenen Fall von Wurzelsymbiose etwas eingehender zu studieren. Freilich nur in anatomischer Hinsicht; denn so sehr mich gerade ihre physiologische Basis interessiert hätte, so mußte doch ihre Untersuchung daran scheitern, daß es mir trotz verschiedener Be- mühungen nicht gelang, lebendes Knöllchenmaterial von Casuarinen zu erhalten. Die anatomische Untersuchung wurde an Materia] angestellt, das ich in 70proz. Alkohol konserviert hatte. Es wurde auf dem üblichen Wege in Paraffin eingebettet), mit dem Mikrotom geschnitten und nach Flemming, d. h. also mit Safranin, Gentianaviolett und Orange-G gefärbt. Der Erhaltungszustand des fixierten Materials war gut, da- gegen ließen die Schnitte durch das offenbar etwas brüchige Gewebe zuweilen zu wünschen übrig. Immerhin erhielt ich eine ausreichende Zahl einwandfreier Präparate, die die anatomischen Einzelheiten festzu- stellen gestatteten. Wie aus der Abbildung 1, die das Wurzelsystem einer jungen Casuarina equisetifolia darstellt, hervorgeht, sitzen die kleinen knolligen Wurzelnester in verschieden weit ausgebildetem Zustand an verschie- denen Stellen der Wurzel, an der Hauptwurzel so gut wie an den feineren und feinsten Verzweigungen. Aus Gründen klassifikatorischer Klarheit dürfte es sich empfehlen, einen Kunstausdruck für den Typus von Mykorrhizen zu schaffen, wie er unter anderen Pflanzen auch bei Casuarina vorliegt. Sie einfach als Knöllchen zu bezeichnen, halte ich wegen ihres besonderen entwicklungsgeschichtlichen Charakters und des durch ihn bedingten deutlichen Unterschiedes gegenüber den in bevor- zugtem Sinne als „Knöllchen“ bezeichneten Nodositäten der Leguminosen nicht für vorteilhaft. Am treffendsten würde der Name Korallorrhizen (Ko- rallenwurzeln) sein, da er die korallenartige Anhäufung von gedrungenen, 1} J. M. Janse, Les endophytes radicaux de quelques plantes javanaises. Annales du Jardin de Buitenzorg 1897, Tome XIV, pag. 87. 2) Vgl. „Javanische Studien“, pag. 401. Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 433 verzweigten Kurzwurzein am besten zum Ausdruck bringen würde. Leider ist aber dieser Ausdruck schon für eine Pflanzengattung ver- geben und würde Anlaß zu Verwechslungen bieten. Ich schlage des- halb vor, die Gebilde Rhizothamnien (Wurzelbüschel, von #7 dia die Wurzel und 5 $&uros der Busch) zu nennen. In ibrer einfachsten Form, die auch wohl als das Initialstadium der komplizierteren zu betrachten ist, stellen die Rhizothamnien einzelne Fig. 1. Seitenwurzeln dar, die ganz kurz bleiben und wesentlich dicker als die normalen Wurzeln sind. Meist aber sind diese gestauchten Kurzwurzeln verzweigt; zwei, drei bis viele sind zu einem kleinen Nest oder Büschel vereinigt. Im höchst entwickelten Zustande führt eine solche Ver- zweigung zu umfangreichen kugligen Gebilden, die aus radial gestellten Kurzwurzelsystemen zusammengesetzt sind. Ihre Enden schließen an Flora. Be. 111. 28 434 Hugo Miehe, der Oberfläche oft so dicht zusammen, daß auf den ersten Blick eine solide mit höckriger Oberfläche versehene Kugel vorzuliegen scheint. oft ist aber auch der radiale büschlige Bau noch ohne weiteres deutlich zu erkennen. Die Verzweigung der Rhizothamnienäste ist meist aus- geprägt dichotom. Schon äußerlich erkennt man dies an der seichten Einbuchtung, die viele Ästchen zeigen, und in vorgeschrittenerem Sta- dium an ihrer Zweizipfligkeit. Die mikroskopische Beobachtung be- stätigt dies, sie zeigt, daß sich das Scheitelmeristem der Kurzwurzeln verbreitert und in zwei neue embryonale Gewebe sonlert. Der zweite entscheidende entwicklungsgeschichtliche Faktor ist die ausgeprägte Hemmung des Längenwachstums. Sie kann soweit geben, daß sich die Ästchen nur unvollkommen voneinander loslösen, d. h. miteinander verwachsen bleiben, und da die Ebenen der Verzweigung wechseln und die Verzweigung selber sehr rasch weitergeht, resultieren massigere Komplexe, die nach dem Verlauf der Gefäßbündel in ihnen den Eindruck wachen, als könnten sie auch durch polytome Teilung des Scheitelmeristems entstanden sein. Die Fig. 2 zeigt dies z. B. ganz gut. Indem die Rhizothamnien in der beschriebenen Weise fortwachsen, können sie schließlich größeren Um- fang erreichen. Die größten, die ich an Material beobachtete, das mir später Herr Dr. Hj. Jen- sen die Freundlichkeit hatte zu senden, hatten einen Durchmesser von etwa 3 cm. Man kann sie wahrscheinlich auch für entsprechend alt hal- ten. wenn mir auch keine Beobachtungen darüber vorliegen. Jedenfalls machen aber die Rhizothamnien den Eindruck dauerhafter Gebildet), wenn auch wahrscheinlich ein Absterben einelner Partien dauernd im Innern erfolgt. Welcher Art ist nua der Symbiont, der in diesen Büscheln ge- stauchter Wurzeln lebt? Es ist ein sehr dünnfädiger- Pilz. Betrachten wir einen medianen Längsschnitt durch den Gipfel eines Rhizothamnien- ästchens, wie ihn die Abbildung Taf. VI, Fig. 1 darstellt! Die Ober- fläche ist von einem mehrschichtigen Periderm überzogen, das aus meist in regelmäßigen Reihen angeordneten flachen Korkzellen besteht. Eine deutlich abgesetzte Wurzelhaube ist nicht vorhanden, höchstens ließen sich die spärlichen kugligen Zellen auf dem Scheitel als Reste derselben 1) Wie sich in der Hinsicht die Knöllchen mehrjähriger Leguminosen ver- halten, scheint meines Wissens bisher nicht festgestellt worden zu sein. Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 435 auffassen. Wurzelhaare fehlen vollständig. Die Mitte ist von einem Gefäßbündel durchzogen. Mächtig entwickelt ist das Rindengewebe, das den Sitz des Symbionten darstellt. Merkwürdigerweise ist es ganz ohne Interzellularen. Ich vermochte wenigstens an den Schnitten durch mein konserviertes Material nirgends eine Spur von Lücken zwischen den Zellen zu entdecken. In geringer Entfernung von dem Scheitelmeristem bemerkt man einzelne Zellen, deren Inhalt kräftiger gefärbt ist. Bei starker Vergrößerung kann man in ihnen die Hyphen eines Fadenpilzes erkennen, allerdings recht undeutlich, wahrscheinlich wohl deshalb, weil die dünnen Hyphen in dem hier noch ziemlich dichten Plasma ver- laufen, bzw. von Plasmahüllen umgeben sind. Es ist deshalb auch nicht möglich, den Verlauf einzelner Hyphen im Zellraum über eine größere Strecke zu verfolgen. Sehr schön kann man aber in hinter- einander liegenden Zellen erkennen, wie der Pilz von Zelle zu Zelle fortwuchert und was mit ihm weiter geschieht. Man sieht ganz deutlich die an dieser Stelle schärfer hervortretenden Hyphen die Wände durch- setzen (vgl. dazu Taf. VI, Fig. 2). Diese Haupthyphen, die gewöhnlich gradewegs von Zelle zu Zelle eilen, sind stets wesentlich dieker als das äußerst, dünnfädige Hyphengewirr, das den übrigen Zellraum erfüllt. Sehr merkwürdig ist, daß schon wenige Zeilagen hinter der vordringen- den Spitze des endophytischen Myzels sich die Spuren des Absterbens und des Zerfalls bemerklich machen. So sind es an Stellen, wo sich die Infektionslinien deutlich verfolgen lassen, nur ein oder zwei Zellen an der Spitze, die mit plasmareichen, also wohl in kräftiger Wachstums- tätigkeit begriffenen, aber an Masse gegen das Plasma der Wirtszelle zurücktretenden Hyphen durchzogen werden. Dann folgen zwei oder drei Zellen, die von einem dichten, aber schon weniger stark färbbaren Hyphenknäuel erfüllt sind. Die folgende Zelle zeigt dann aber schon den schwach gefärbten Pilzinhalt im Zustande der Auflösung. Abge- sehen von den stärkeren, von Durchtrittsstelle zu Durchtrittsstelle ver- laufenden Hyphen, die aber in der Mitte der Zelle auch nur noch schattenhaft hervortreten, ist von dem übrigen Myzel nichts mehr zu sehen als eine gerinslige oder flockige oder körnige Masse. Weiter zurück ist das Hyphenknäuel auch in seinen Resten bis auf ganz feine Suspensionen verschwunden, die nach dem Flemming’schen Färbe- verfahren einen schwachen orangegelben Farbton zeigen. Sehr merk- würdig ist nun aber, daß die die Wände durchsetzenden Hyphen- stückchen von diesem kräftigen Auflösungsvorgange verschont bleiben. So kommt das überall im Rindengewebe arfzutreffende, ja häufig allein die Erkennung der ehemaligen Mykoblasten ermöglichende Bild zustande, 28° v 436 Hugo Miehe, das wir in der Fig. 3c auf Taf. VI wiedergegeben haben. Man sieht hier die Hyphenreste als kurze Röhrchen in der Wand stecken, mit der sie in bezug auf ihre Pärbbarkeit übereinstimmen. Sie sind nämlich wie jene kräftig rot gefärbt. Ob das Myzel septiert ist oder nicht, habe ich mit Sicherheit nicht feststellen können. Manche Präparate zeigen etwas andere Bilder. Hier ist nämlich die Auflösung des Pilzes nicht so weit und allgemein vorgeschritten. so daß man noch in den meisten Rindenzellen die dieht gepackten Ilyphenmassen erkennen kann. Die Unterschiede beruhen vermutlich auf lem verschiedenen Entwickiungszustand einzelner Teilwurzeln oder ganzer Wurzelnester. Was nun ferner das Aussehen solcher besser erhaltener Pilzmassen anlangt, so machen sie oft den Eindruck, als ob sie aus sehr dicht gelagerten bakterienartigen Körperchen bestünden, wie das z. B. die Fig. 3b auf Taf. VI versucht wiederzugeben. Da auch Freihandschnitte das gleiche Bild zeigen, braucht es nicht von den besonderen Verhältnissen sehr dünner Schnitte abzuhängen. An den Rändern der Schnitte, namentlich aber in der Nachbarschaft von Pilzklumpen, die durch das Messer herausgerissen wurden, sieht man kleine Stäbchen oder kurz verzweigte Stückchen. Zerreibt man ein Rhizothamnium, so kann der Eindruck, als ob in der Aufschwemmung Bakterien von der Art der Knöllchenbakterien enthalten seien, sehr stark werden. Bei genauerer Betrachtung sieht man freilich, daß die Formen doch nicht ganz typisch sind, und vor allem erfolgt auch hier keine homogene Verteilung, wie sie leicht beim Zerdrücken eines echten Knöllchens erzielbar ist. Die Struktur eines diehten und noch dazu sehr dünnfädigen Hyphengeflechtes ist an Schnitten überhaupt nicht direkt festzustellen, auch die Herstellung von Zupfpräparaten ist so gut wie ausgeschlossen in unserem Falle, Aus der Gesamtbetrachtung ergibt sich jedoch mit genügender Sicherheit, daß wirklich ein fädiges Myzel vorliegt. Es wird von stärkeren Hyphenästen gebildet, von denen immer feinere Verzweigungen abgehen. Diese scheinen schließlich sehr diehtbüschlig und die Ästehen kurz und gedrungen zu werden. Daß zuletzt auch eine Art von Zerfall eintreten kann, halte ich für ganz gut möglich. Auffällig ist ferner, daß in manchen Präparaten kleine blasige Auftreibungen vorhanden sind. Man sieht in solchen Zellen kleinere und größere Blasen, sowie blasig aufgetriebene Hyphenstücke in schwer zu analysierendem Verein. Ich glaube nicht, daß es sich in diesen Erscheinungen um Sporen oder Sporangien handelt, da sie ganz inhaltsarm sind. Hier und da begegnet man im Gewebe Zellen, die mit wesentlich dickeren Hyphen, die etwa die Dimensionen der Haupt- j ; Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 437 stränge haben, locker durchzogen werden. Man kann nun gelegentlich mit aller Deutlichkeit einen Zusammenhang (dieses typischen Myzels mit dem in körnigem Zerfall begriffenen Inhalt der Nachbarzelle kon- statieren. Man kann dieses Verhalten wohl «dadurch erklären, daß die Zelle (vor oder nach der Infektion) abgestorben ist. der Pilz mithin nicht der Auflösung anheimfiel. Der Fall ist insofern bemerkenswert, als aueh aus ihm mit aller Deutlichkeit der Falenpilzcharakter des Symbionten hervorgeht Was nun die Beschaffenheit der pilzbelerbergenden Zellen. (er Mykoblasten, anlangt, so sei hierüber noch folgendes bemerkt. Der Zellkern ist in den jungen Mykoblasten kräftig gefärbt und wesentlich größer als in den nicht infizierten Zellen (vgl. Taf. VI, Fig. 3d). Er fällt ferner durch unregelmäßig gebuchtete oder gelappte Form auf. In älteren Mykoblasten. deren Bewohner schon vollkommen aufgelöst sind, wird der Zellkern ganz außerordentlich substanzarın. so daß man ihn nur bei genauester Beobachtung und oft nur an dem etwas stärker hervortretenden kleinen Nucleolus erkennt (Taf. VI. Fig. 3e). Bisweilen ist es aber auch ganz vergeblich, den Kern aufzufinden. Er scheint verschwunden zu sein. Inwieweit dies allgemein der Fall ist und gar die ganze Zelle abgestorben ist, läßt sich nur schwer entscheiden. Zum mindesten das letztere kommt mir wenig wahrscheinlich vor, denı auch in den älteren Teilen des Gewebes ist von einer Schrumpfung der Zellen oder einer Obliteration des Rindengewebes nichts zu bemerken. Auch zeigt eine Durchmusterung von Freihandschnitten, daß doch in recht. vielen älteren Mykoblasten die Zellkerne vorhanden waren, wenn sie auch recht inbaltsarın erschienen. Auffällig ist noch das Verhalten der Mykoblastenzellwände. Sie sind deutlich dicker als die der gewöhn- lichen Rindenzellen und bevorzugen im Gegensatz zu diesen, die ge- wöhnlich blau gefärbt sind, das Safranin. Die Membranen sind also irgendwie verändert. Eine Aufklärung brachte die mikrochemische Untersuehung. Bei Anwendung von Jod und Schwefelsäure bleilen ılie Mykoblastenzellwände hellbraun gefärbt, während die Wände der nicht infizierten Rindenparenehymzellen die bekannte blaue Färbung zeigen. Nur diese letzteren bestehen also aus reiner Zellulose, jene sind verändert. Worin die Veränderung besteht, zeigte sich, als (lie Schnitte mit Phlorogluzin und Salzsäure behandelt wurden. Jetzt färbten sich die Zellwände der Mykoblasten rot, die gewöhnlichen, zwischen ihnen zerstreut liegenden Parenchymzellen blieben dagegen ungefärbt. Die Rotfärbung war um so kräftiger, je weiter die Zellen vom Vegetationspunkt entfernt lagen, ganz junge. eben infizierte Zellen 438 Hugo Miehe, zeigten keine oder nur sehr schwache Reaktion. Bemerkenswert ist, daß auch die oben erwähnten, in den Membranen steckenden Hyphen- stückchen rot gefärbt sind. Es ergab sich also, daß die von den Pilzen besiedelten Zellen verholzte Membranen besitzen. Da das Rinden- parenchym gewöhnlicher Wurzeln von Casuarina dieses merkwürdige Mosaik verholzter und nicht verholzter Zellen nicht aufweist (nur ganz ausnahmsweise zeigte sich an einzelnen Zellwänden ein ganz schwacher lokaler Anflug), müssen wir annehmen, daß die Verholzung der Myko- blastenzellwände eine spezifische Reaktion der Zellen auf die Infektion mit dem Pilz darstellt. Auch können wir uns jetzt ganz gut vor- stellen, weshalb die Durchtrittsstücke der Hyphen der Auflösung ent- gehen. Die Infektionshyphe treibt vermutlich den Plasmaschlauch erst ein Stück weit vor sich ber, bevor sie ihn durchbohrt. Diese Partie wird dann weiterhin mit Zellulose überzogen und mit Holzsubstanzen imprägniert, kann also der enzymatischen Wirkung der Zellsäfte nicht völlig _erliegen. Stärke findet sich nur ganz selten in Form kleiner Körner, sie spielt als Rersevestoff in den Rhizothamnien keine Rolle. Unerwartet war der negative Ausfall der Reaktion auf Eiweißstoffe, indem das Reagens Millon’s nirgends eine Rotfärbung hervorrief. Möglicherweise muß man frisches Material verwenden. Von anderen Inhaltsbestand- teilen erwähne ich noch Gerbsaftschläuche in der Nähe des Zentralzylin- ders und ganz vereinzelt im Rindengewebe verstreute Kristallzellen. Beide sind immer ohne Pilze. Wie ein Blick auf die Fig. 1 der Taf. VI lehrt, ist hier die Zahl der Zellen, in denen deutlich erkennbare Myzelien enthalten sind, nur ganz auffallend klein. Diese Zellen sind in der Zeichnung an ihrem dunkler gehaltenen Inhalt zu erkennen. Die meisten befinden sich in der Kolonisationszone, die aber auch recht schmal ist. Der Pilz stirbt also bald, nachdem er sich in einem Mykoblasten ausgebreitet hat, ab. Nur die vordringenden Infektionshyphen setzen seine Existenz fort. Demgemäß enthält hier die überwiegende Mehrzahl der Zellen des Rindengewebes keine lebenden Pilze mehr, ja, wie wir sahen, nicht einmal} deutlich erkennbare Reste von ihnen. Nur die in den Wänden steckenden Hyphenstückchen weisen noch auf die ehemalige Besiedelung hin. In der Zeichnung sind diese Zellen durch einen hellgrauen Farbton gekennzeichnet, der aber nicht als Maß für die Dichte des Inhaltes gelten soll. Wie man steht, bleiben stets einzelne wenige Zeilen oder Zellenzüge frei von Pilzen, die weiß gelassen wurden. Nun sieht man aber auch im älteren Rindengewebe hier und da noch einzelne eben Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 439 infizierte Zellen. Die Reihenfolge der Besiedelung entspricht also nicht immer dem Alter der Zellen, die Pilzhyphen dringen nicht alle geschlossen in einer Richtung vor. Vielmehr zweigen sich Bahnen ab, die sich durch ursprünglich frei gebliebene Zellen nach verschiedenen Richtungen fortsetzen. Besonders darauf hingewiesen muß schließlich noch werden, daß die Hyphen nie in das Grefäßbünde] eindringen und vor allem keinerlei Verbindung nach außen herstellen, was nach dem dicken Peridermmantel auch kaum anders erwartet werden konnte. Die Verbreitung von Rhizothamnien bei Casuarina equisetifolia ist, wie eingangs bemerkt wurde und wie das auch aus den erneuten Befunden von Kamerling hervorgeht, am natürlichen Standorte ganz allgemein. Auch an einem großen Baume in dem Garten des Herrn Dr. Jensen in Wedi (Vorstenlanden) waren sie reichlich und in schöner Ausbildung vertreten. Dagegen habe ich sie an Topfpflanzen verschie- denen Alters, die in den Gewächshäusern des Leipziger botanischen Gartens kultiviert werden, stets vermißt. Das betrifft sowohl C. equiseti- folia wie andere Arten. Auch Proben von Wurzeln, die ich durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Snell aus Ägypten bekam, waren olıne Rhizothamnien; desgleichen sollen sie nach freundlicher Mitteilung von Herrn Dr. Gast an den Casuarinen der Villa nazionale zu Neapel fehlen. Um welche Arten es sich in den beiden letzten Fällen handelt, ist nicht festgestellt. Dagegen fand Janse Rhizotliamnien bei verschie- denen im Berggarten von Tjibodas kultivierten Arten von Casuarina:! jedenfalls besitzt C. muricata typische. Man kann wohl annehmen, daß der Besitz von Rhizothamnien den Arten der Gattung Casuarina ganz allgemein zukommt, wenigstens an den natürlichen Standorten. Daß sie anderwärts (so namentlich an C. equisetifolia der Gewächshäuser) fehlen, zeigt, daß der symbiontische Pilz keine kosmopolitische Ver- breitung hat, es zeigt aber auch, daß die Rhizothamnien nur durch den Reiz des eingedrungenen Pilzes entstehen. Die Casuariuen würden sich also von Cycas und Ceratozamia unterscheiden, die nach Brunchorst') auch algenfreie Rhizothamnien besitzen sollen. Wie der Pilz in die Wurzel hineingelangt, konnte ich an meinem Material nicht ermitteln. Ich untersuchte junge Wurzelspitzen, die dicht mit Wurzelhaaren besetzt sind, ohne Erfolg. Nur in einem Präparat sah ich an einzelnen Wurzel- haaren Knäuel eines sehr dünnfädigen Pilzes. Es gelang mir aler nicht, » Brunchorst, J., Über einige Wurzelanschwellungen, besonders diejenigen von Alnus und den Elaesgnaceen. Untersuchungen aus dem hutanischen Institut zu Tübingen 18861888, Bd. TI, pag. 154. 440 lIngo Miehe, den Pilz innerhalb der Wurzellaare oder im Rindengewebe wahrzu- nehmen. Er muß aber selbstverständlich von außen in die Wurzel des jungen Keimlings einwandern, da. eine nur auf die Wurzel beschränkte Symbiose niemals eine zyklische ') sein kann. Wann (dies aber geschieht und wo, ob es vielleicht besondere entgegenkommende Anpassungen bei der Pflanze gibt, muß einstweilen unbekannt bleiben. Erwälnen will ich schließlich noch, dab es nicht gelang, junge Pflanzen von Casuarina eqnisetifolia mit einer Aufschwemmung zerriebener Rhizothanınien der Erle zu infizieren?) Trotz größter Ähnlichkeit der entsprechenden Organe ist also der Pilz nicht austauschbar, was freilich auch von vorn- herein wahrscheinlich war. Leider erzielte ieh auch mit Material, das mir Herr Dr, Jensen aus Java sandte, keine Infektion, wie es mir auch nicht gelang, aus ihn einen Pilz herauszuzüchten, der etwa als Symbiont in Frage kommen konnte. Die Rhizothamnien waren offenbar auf der langen Reise abgestorben und der Pilz mit ihnen. Vergleichen wir noch die Befunde Janses und Kamerling's mit den meinigen! Das morphologische Bild, das Janse®) auf seiner Taf. X in den Fig. 3—5 für C. muricata hat darstellen lassen, ent- spricht ziemlich gut demjenigen von Casuarina equisetifolia; nur (lie zahlreichen feinen Wurzeln, die aus dem in der Fig. 3 dargestellten Knöllchen heraustreten, habe ich an meinem Objekt nieht wahrgenommen. Auch die Beschreibung auf pag. 88, sowie die morphologische Charak- teristik stimmt mit der meinigen durchaus überein. Anatomisch dagegen wird nur angegeben, daß das Rindengewebe eine große Zahl von Zellen enthalte, die mit einer „masse grumileuse“ erfüllt seien. Hier klafft also eine Lücke, indem genauere Angaben über den Symbionten fehlen. Wie er sich die krümligen Massen entstanden denkt, wird in einer Bemerkung auf pag. 159 angedeutet. Er weist nämlich hier auf die an vielen endophytischen Pilzen zu beobachtenden „Sporangiolen“ hin. die aufplatzen und eine krümlige Masse entleeren sollen. In diesem Zustande ähnelten die dicht mit Krümeln erfüllten Mykoblasten den bakteroidenführenden Zellen der Leguminosen. In einer Anmerkung macht er dann auf den körnigen Inhalt der Mykoblasten von C. muricata aufmerksam und bezeichnet ihn, allerdings mit einem Fragezeichen dahinter, als „Bakteroiden“. Außer den typischen Rhizothamnien bildet er ab und beschreibt er noch bei C. quadrivalvis auf seiner Taf. \. 1) Miehe, H., Weitere Untersuchungen über die Bakteriensymbiose bei Ardisia cerispa IL. Jahrb. f. wissensch. Botanik 1917, Bd. LYIII, pag. 60. 2) Die geimpften Topfexemplare wurden 2 Jahre hindurch beobachtet, Le Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 441 Fig. 1 und 2, eigenartige gestauchte Würzelchen von intermittierendem Wachstum, die ganz den Mykorrhizen von Podocarpus entsprechen sollen. Ähnliche kleine, aber weniger auffallende Wurzeln habe ich auch ge- sehen, einen Pilz habe ich jedoch nicht darin entdecken können. Kamerlings!) Angaben sind noch weniger eingehend als die Janses, sie beschränken sich nur auf wenige oberflächliche Feststellungen. Er bezeichnet (die Wurzelnester als „typische worteiknolletjes‘, die hand- förmig verzweigt, oft aber aber auch mehr oder minder kugelförmig seien. Im „Bastgewebe* fielen Gruppen von Zellen mit dichtem kör- nigen Inhalt auf, der deutliche Eiweißreaktion gäbe. Gefärbte Ausstriche von frischem Knöllcheninhalt zeigten Körperchen, die mit den Bak- teroiden der Leguminosen übereinstimmten, woran sich dann die Ver- mutung knüpft, daß auch C. equisetifolia Stickstoff sammle. Von Interesse ist, daß auch er nicht in allen „Bakteroidenzellen“ einen Kern nach- weisen konnte. Wenn wir mit ganz wenigen Worten die Rhizothamnien von Casuarina mit anderen Mykorrhizenbildungen vergleichen, so stimnıen sie morphologisch sehr gut mit denen von Alnus, Elaeagnus und Myrica überein. Namentlich die Ähnlichkeit mit den Wurzelnestern der Erle ist außerordentlich auffallend. Auch das anatomische und zytologische Bild ist im ganzen ähnlich, wenn wir Shibatas?) Be- schreibung und Abbildungen vergleichen. Nur ist die Durchtrittstelle der Pilzhyphen anscheinend bei Alnus sehr viel weniger deutlich. auch der Auflösungsvorgang ist etwas anders, namentlich tritt die Bläschen- bildung, auf die auch Peklo>) viel Gewicht legt, bei Casuarina nicht so frappant hervor. Desgleichen fehlen die strahlig angeordneten Keulen, ie das endophytische Myzel bei Myrica nach Shibata‘) so merkwürdig machen. Hier ist auch, abgesehen von der stengeren lokalen Beschrän- kung des Pilzgewebes, ein Unterschied zwischen Wirts- und Verdauungs- zellen (Shibata, pag. 669) vorhanden, der bei Casuarina fehlt. \or allem aber vermissen wir bei Casuarina die Exkrementierung der Pilz- reste innerhalb der Zelle, wie sie nach Magnus?) auch für die Orchi- Dl.e. pag. 21. . 2) Shibata, K., Zytologische Studien über die endotrophe Mykerrhiza. Jahrb. f wissensch. Botanik 1902, Bd. XXXVII, pag. 662. 3) Peklo, J., Die pflanzlichen Aktinomykosen. IL. Abt,, 1910, pag. 10 ff. 4) 1. c. pag. 669. . . 5) Magnus, W,, Studien an der endotrophen Mykorrhiza von Neottia Nidus avis L. Jahrb, £ winsensch. Botanik 1900, Bd. XXXY, pag. 32, 50. Zentralbl. f. Bakt. nsw., 42 Hugo Miele, deen so charakteristisch ist, vollständig. Auch bei Alnus bleibt ein deutlicher Klumpen zurück. der allerdings ganz desorganisiert ist. In diesem Punkte ergibt sich dagegen eine Ähnlichkeit mit Podocarpus, bei dem nach Shibata (pag. 646) genau die nämliche vollständige Resorption des Pilzes erfolgt, wie bei Casuarina. Hier findet aber ein Absterben des pilzhaltigen Gewebes statt, was für die Mykoblasten mit innerer Exkrementierung (Alnus, Myrica, Orchideen) nicht zutrifft, die sich völlig erholen. Bei Casuarina konnten wir ein deutliches Absterben des Rindengewebes nicht feststellen. Soweit mir bekannt, ist es bisher nur Peklot) geglückt, den Symbionten, und zwar bei Alnus und Myrica, rein zu kultivieren; allerdings wird ein auf Impfung beruhender Identitätsbeweis nur für Alnus und auch hier nicht völlig befriedigend geführt. Ich halte es aber für wahrscheinlich, daß er die echten Pilze in Händen gehabt hat. Es sollen nach diesem Autor Strahlenpilze (Actinomyzeten) sein, die nach Shibata auch die Wurzeln von Myrica bewohnen sollen. Ein Urteil über die systematische Stellung des Tjemara-Symbionten vermag ich auf Grund der Präparate allein noch nicht abzugeben. Er könnte aber nach der Feinbeit seiner Hyphen ganz gut in die Verwandtschaft der Actinomyzeten gehören, die aller- dings, was oft übersehen wird, auch noch durch andere Eigenschaften charakterisiert sind. Da es leider die Umstände verhinderten, die Untersuchung nach der physiologischen Seite hin zu ergänzen, würde es überflüssig sein, das interessante, oft diskutierte und immer wieder zum Nachdenken reizende Mykorrhizenproblem an diesem neuen Beispiele typischer Pilz- symbiose eingehender zu erörtern. Immerhin möge der Versuch erlaubt sein, wenigstens eine ganz allgemeine Aufklärung des schwierigen Ge- ländes vorzunehmen, wenn dabei auch vielfach Bekanntes und oft Be- sprochenes wiederholt und anderes nur andeutungsweise berührt werden kann. Dabei wollen wir als allgemein ausgemacht annehmen, daß die Symbiose weder eine Krankheit noch einen Kommensalismus darstellt, sondern eine ernährungsphysiologische Bedeutung für die Pflanze hat. Das braucht wohl kaum noch von neuem begründet zu werden. Der Pilz hat keinerlei Verbindung mit dem umgebenden Boden. Er muß sich also von Stoffen ernähren, die er innerhalb der von ihm bewohnten Zellen des Wirtes vorfindet. Dies können einmal Stoffe sein, die durch die eigene auf- resp. abbauende Stoffwechseltätigkeit der Wirtspflanze in der Zelle selbst gebildet oder in sie von anderen He. pag. 33 ff. Anatonische Untersuchung der Pilzuymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 443 Bildungsorten aus hineingeleitet wurden, oder Stoffe, welche die Pflanze dureh ihr Bodenabsorptionssystem von außen aufnahm und unverändert dureh die Leitbahnen denı Mykoblastengewebe zuführte. Zu (der ersten Art von Stoffen gehören alle, die das lebende Plasma zusammensetzen und die sich innerhalb der Zellen vorfinden können. Unter ihnen kommt aber wahrscheinlich das Körpereiweiß des Wirtes nicht in Frage, da ja der Protoplast nicht vom eindringenden Pilze getötet wird. Dagegen kommen in Betracht die Kohlebydrate (unter ihnen aber Stärke bei Casuarina nicht), ferner organische Säuren, die ja meist von Pilzen gut ausgenutzt werden, vielleicht auch Fette, Amidoverbindungen, wie das häufige Asparagin, sowie Albumine, Proteine usw. Die zweite Kategorie von Stoffen, die als Nährsubstrat für den Pilz dienen könnten, wäre einmal das selbstverständlich durch den Wasserstrom zugeführte Wasser samt seinen gegebenenfalls darin ursprünglich enthaltenen anorganischen Salzen und ferner die auf denselben Wege geleiteten löslichen Produkte der mikrobiologischen Zersetzungsvorgänge im Boden, die unter dem Sammelnamen „Humussubstanzen“ begriffen und fast in allen Böden in größerer oder geringerer Menge angetroffen werden. Sie enthalten die Elemente, welche die tierischen und pflanzlichen Abfallstoffe zu- sammensetzen, wenn auch in einfacherer Bindung. Neuerdings haben wir auch, namentlich durch die Untersuchungen von Schreiner?) und seinem Mitarbeiter Shorey, einen genaueren Einblick in die Bestand- teile jenes bunten Stoffgemisches erhalten. das man mit dem Sammel- namen „Humussubstanzen“ bezeichnete. Von den zahlreichen wohl- definierten Verbindungen, die die Autoren aus verschiedenen Böden isolierten, interessieren hier die aus C und H und aus C, H und O bestehenden organischen Körper weniger, um so mehr aber die übrigen. Sie fanden an stickstoffhaltigen Verbindungen die Hexonbasen Arginin. Histidin und Lysin, die Purinbasen Xanthin, Hypoxanthin und Adenin. sowie das Zytisin, das Cholin und das Trimethylamin, ferner eine orga- nische Schwefelverbindung (Trithiobenzaldehyd) und eine Nukleinsäure unbekannter Zusammensetzung, also auch eine organische Phosphor- verbindung. Da nach Dumont?) organische Bestandteile des Borlens dureh tierische Blase oder Pergamentpapier (ialysieren, so ist es wahr- scheinlich, daß manche der den Humus zusammensetzenden Stoffe von )) Schreiner, O. und Shorey, E. C., Chemical nature of soil organir matter. U. $. Department of Agrieulture, Bureau of soils. Bull. 1910, Nr. 74: Shorey, E. C., Some organie soil constituents. Ebenda. Bull. 1913, Nr. 88. 2} Compt. rend. Paris Acad. 1897, Nr. 124, pag. 1051: zitiert nach E. Ra- mann, Bodenkunde. Berlin 1911. pag. 162. 444 Hugo Miehe, der Pflanze aufgenommen werden können. Für etliche der oben er- wähnten Stickstoffverbindungen, sowie andere ähnliche Abbauprodukte von Eiweißstoffen, glauben Schreiner und Skinner!) sogar aus Ernährungsversuchen schließen zu können. daß sie in den pflanzlichen Stoffwechsel gelangen und zum Teil als N-haltige Nährstoffe verwandt werden können. Jedenfalls würden sie für den symbiontischen Pilz als Nahrung dienen können. Als eine Quelle besonderer Art würde schließlich noch der durch das Interzellularsystem eindringende atmo- sphärisehe Stickstoff in Frage kommen können. Wir möchten aber. um den Gedankengang nicht zu komplizieren, vorläufig (iesen speziellen Punkt absondern. Aus allen diesen Stoffen könnte der Pilz seine Körpersuhstanz aufbauen; welche er im einzelnen benutzt, ist bisher nicht ermittelt. Wir müssen aber, wenn wir überhaupt eine Bedeutung für die Pflanze annehmen, ausschließen, daß sich der Pilz allein von den Stoffen ernährt. die die Pflanze produziert. Nun verfällt die Substanz des Pilzes der Auflösung; was mithin der Pilz aufbaute, geht in Form von löslichen Abbau- produkten in die Säfte der Pflanze ein. Ausscheiden tut sie ja nichts”). Dabei braucht man zunächst nicht einmal anzunehmen, daß das Ab- sterben und die Auflösung durch eine spezifische, zweckmäßige Reaktion tler lebenden Mykoblasten vermittelt werde, In jedem Pilzmyzel sterben ie rückwärtigen Teile dauernd ab, und daß die Pflanzenzelle allgemein über proteolytische Enzyme verfügt, ist bekannt. Die enzymatische Kraft scheint aber nach den interessanten Versuchen Shibata’s?) erheblich gesteigert zu sein; denn der Saft der Rhizothamnien von Alnus z. B. löst im Gegensatz zu dem der gewöhnlichen Erlenwurzeln Albumin energisch auf. Auch darf auf die rasche und ungewöhnlich intensive Auflösung hingewiesen werden, der bei unserer Casuarina das Pilzmyzei mit Stumpf und Stiel verfällt. Das die aufgelöste Pilz- substanz auch im aufbauenden Stoffwechsel der Pfianze verwandt wird, }) Schreiner, O. und Skinner, J. J., Nitrogenous soil constituents and their bearing on soil fertility. U. 5. Department of Agriculture. Bureau of soils. Bull. 1912, Nr. 87. Da die Wasserkulturen nicht steril waren, muß freilich die ganze Frage der Aufnahme und Bearbeitung als noch nicht einwandfrei entschieden gelten. Doch geben Hutchinson und Müller (Zentralbl. f. Bakt. 1911, II. Abt., Bd. XXX, pag. 513) an, daß für steril gehaltene Erbsen Azetamid, Harnstoff, Alloxan u. a. gute N-Quellen seien. 2) Nur z. B. bei den Orchideen würde eine innere Exkrementierung in Be- tracht kommen und z. B. bei Podocarpus eine eventuelle Abstoßung nutzloser Reste hei dem normal eintretenden Absterhen des Pilzgewebes. 3) 1. e. pag. 670. Anatomische Untersuchung der Pilzsyinhiose bei Casuarina equisetifolie usw. 445 kann man wohl als sehr wahrscheinlich annelımen. Das scheint nun allerdings auf den ersten Blick ein merkwürdiger Umweg zu sein. Weshalb richtet die Pflanze ihr Vermögen, organische Stoffe zu ver- arbeiten, nicht direkt auf die gegebenenfalls aufnehinbaren organischen Substanzen des Bodens” Der Widersinn löst sich aber «durch die Über- legung, daß in diesem Falle die Pflanze auf die Spaltproilukte fremder Zersetzungstätigkeit angewiesen ist, im Gegensatz zu der legitimen Auf- schließung eines nativen organischen Ausgangsproduktes beim Ver- dauungsvorgang im Mykoblasten. Die fleischfressenden Pflanzen können sich diesen Umweg ersparen, sie erfassen und lösen die organische Masse direkt und zwar schon an ilırer Oberfläche. Im Versuch können wahrscheinlich auch andere weniger spezifisch angepaßte Pflanzen or- ganische Stoffe aufnehmen (der Keimling entzieht sie ja auch dem Endosperm), aber solche direkt assimilierbaren Stoffe werden beim natürlichen Zersetzungsvorgang im Boden vielleicht nur in geringer Menge zur Verfügung stehen. Es würde ganz lehrreich sein, wenn wir Stoffe kennen lernen würden, die gar nicht oder schlecht von einer grünen Pflanze, gut dagegen von einem Pilz verbraucht werden können. Hier könnte man übrigens schon an Ammonverbindungen erinnern, auf die bereits Pfeffer‘) bei Erörterung des Mykorrhizenpro- blems aufmerksam macht. Wenn nun die Substanz des Pilzes aufgelöst und als Nahrung verwandt wird, so würde der Kohlenstoff nur für die chlorophylifreien Mykorrhizenpflanzen ein wertvoller Erwerb sein. Die grüne Pflanze braucht ihm nicht nachzujagen. Vielmehr sind es für sie nur die Ele- mente Stickstoff, Phosphor, Kalium, Schwefel usw., oder einzelne von ihnen, die nunmehr bei Verarbeitung des organischen Stoffes als wert- vollster Gewinn auftreten, Elemente also, die gewöhnlich in anorganischer Bindung in der Form der Nährsalze aus dem Boden aufgenommen wer- den müssen. Darin würden wir den Sinn und eigentlichen Vorteil der Mykorrhizenbildung grüner Pflanzen erblieken. Und dieser Vorteil ist sehr groß! Wie sehr hängen Gedeihen und Verbreitung der Pflanzen von der Gewinnung und dem Nachschub der Nährsalze des Bodens ab! Wie spärlich sind manche von ihnen verteilt, im Gegensatz zu Licht. Kohlensäure und auch zum Wasser, wie schwierig, ja umständlich werden sie oft ersetzt! Da ist jeder neue Weg, sich die wichtigen Elemente zu sichern, von höchster Bedeutung, wir müßten geradezu besondere Anpassungen an diese besondere Situation fordern. wenn auch 1) W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Leipzig 1897, Bd. I, pag. 359. 446 Hugo Miehe, noch keine Anhaltspunkte vorlägen. Eine solche direkte Ausnutzung von Humus ist direkt wertvoll, wenn das Substrat einen Mangel an an- organischen Nährsalzen oder solehen bestimmter Art zeigt, nicht minder bedeutungsvoll aber auch, wenn solche zwar erreichbar sind, aber die Möglichkeit eröffnet wird, das Quantum der Bodennahrung noch erheb- lich zu steigern. So werden die mykotrophen Pflanzen, deren Wurzel- system nicht gänzlich im Sinne dieser Anpassung umgestaltet wurde, also gerade z. B. unsere Pflanzen mit Rhizothamnien, in nährsalzreichem Substrat auch ganz ohne ihre Pilzwurzeln gut gedeihen und tun es ja auch, wie die Gewächshausexemplare von Casuarina zeigen und wie dies auch bei der Erle beobachtet wurde. Überhaupt braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, daß wir Übergänge von obligater zu fakultativer und von totaler zu partieller Mykotrophie aufstellen können. Durch Einschalten eines heterotrophen Gastes in den eigenen Stoffwechselmechanismus würde sich also die Pflanze ganz oder wenigstens teilweise von einer Abhängigkeit befreien, in welcher sie sich gegenüber den Mineralisierungsvorgängen im Boden befindet; die Mykotrophie ist eine mehr oder weniger ausgestaltete Modifikation des Nährsalzerwerbes. So stoßen wir, wenn auch auf einem anderen Wege, auf ein Moment, das zuerst Stahl’) in einer an Gedanken wie an Beobachtungen reichen Abhandlung in die Diskussion über das Mykorrhizenproblem hineingetragen hat. Im Kampfe um die Nährsalze des Bodens, sagt er, haben sich gewisse Pflanzen der Pilze als Dienstleute versichert. Nun nimmt er allerdings diese Nährsalze als gegeben an, ohne auch dem Falle nachzugehen, wo alle oder einzelne fehlen, bzw. sehr knapp sind, und erörtert nur, wie sich die Pflanzen auf humösen Standorten ihrer im Wettbewerb mit den zahllosen, den Humus durchwuchernden Pilzen bemächtigen können. Dabei stellt er sich offenbar vor, daß die Pilze die Salze an die Pflanze abgeben. Denn er hat bei seinen Erörterungen in erster Linie die ektotrophe Myhorrhiza im Auge. Auf sie, mit ihrer direkten Verbindung mit dem Boden, ist überhaupt seine Vorstellung zugeschnitten, für die extrem endotrophe Mykorrhiza, wie sie uns gerade als Ausgangspunkt diente, ist dagegen seine Hypothese nicht direkt anwendbar. Wohl aber können die oben angedeuteten Zusammenhänge für beide Arten der Pilzsymbiose gültig sein, man könnte die endotrophe Mykorrhiza als die höhere Entwicklungsstufe der ektotrophen auftassen, wie ja auch beide Formen durch Zwischenglieder 1) E. Stahl, Der Sinn der Mykorhizenbildung. Eine vergleichend bio- logische Studie. Jahrb. f. wissensch. Botanik 1900, Bd. XXXIV, pag. 539. Anatomische Untersuchung der Pilzsymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 447 miteinander verbunden sind. Allerdings müssen wir, wenn wir die ektotrophe Mykorrhiza ganz in unseren Gedankengang eingliedern, die notwendige Annahme machen, daß der Pilz Stoffe an die Pflanze abgibt, und zwar in einer geeigneteren Form, als sie die ihr direkt zugänglichen besitzen. Denn ein Eindringen der Pilzhyphen in die Wirtszellen ist nur vereinzelt beobachtet und über eine interzellulare Verdauung wissen wir schon gar nichts. In welcher Weise also die osmotische Aus- beutung der symbiontischen Pilze erfolgt, ist hier noeh ein Problem, wie sie auch in der Stahl’schen Hypothese noch im Unklaren geblieben ist. Die merkwürdigen Beziehungen zwischen gewissen plıysiologischen Eigenschaften und der Mykotrophie, die Stahl aufdeckte und die im wesentlichen auf eine geringere Wasserdurchströmung der Mykotrophen hindeuten, würden aueh von unserem Standpunkte aus als die Folge der Verschiebung erscheinen, die die Aufnahme der Bodennahrung er- fahren hat. Über die Transpiration der Strandtjemara ist mir nichts bekannt, der xerophile Habitus kann trügerisch sein. Dagegen gilt der Baum als sehr schnellwüchsig. Die Hebung des im Bodenhumus eingeschlossenen Schatzes wert- voller Elemente unter Umgehung seiner völligen Mineralisierung, ist noch in einer anderen Hinsicht ausgezeichnet, nämlich in Hinsicht auf das Tempo der Abbauvorgänge im Erdboden. Es ergibt sich aus unseren Auseinandersetzungen von selber, daß irgendwelche gegebenen organischen Abfallprodukte rascher in die durch die grünen Pflanzen hindurchgehende Phase des Stoffkreislaufes eintreten, wenn sie vom System Pflanze-Pilz schon vor ihrem vollständigen Abbau ergriffen werden. Inwieweit dies nın auf altem humösem Substrat also z. B. in einem Walde von Vorteil ist, läßt sich schwer übersehen, da das schwierige geschichtliche Moment hinzufritt. Man darf aber in diesem Zusammenhange auf Beobachtungen hinweisen, die jüngst Hesselmann Y über die Nitrifikationsvorgänge in verschiedenen natürlichen Böden an- gestellt hat. Er fand, daß in Fichtenwäldern mit starker Moosdecke sowie in Kiefernheiden, deren Bodendecke aus Flechten und Heide- kräutern besteht, keine Nitrifikation stattfindet und dementsprechend so gut wie kein Salpeter auftritt, selbst nicht in Lagerproben. Es gibt also nach diesen Befunden Stellen auf der Erde, wo infolge bestimmter 1) Hesselmann, H,, Studier över Salpeterbildningen j naturliga Jordmaner usw. (Studien über die Nitratbildung in natürlichen Böden usw.). Meddelanden fran Statens Skogsförsöksanstalt 1917, Heft 13-14. pag. 353 ff., sowie Studier dver Norrländska Tallhedarnas Föryngringsvillkor II. (Studien über die Verjüngungk- bedingungen der Norrländischen Kiefernbeiden. Ebenda, yag. 1242 if. 448 Hugo Miehe. eigenartiger Bedingungen die Mineralisierung nicht nach dem glatten Schema verläuft. das wir uns nach den Verhältnissen kultivierter Böden gebildet haben. Daß hier die Mykotrophie eine bedeutsame Rolle spielen kann, braucht kaum betont zu werden. Etwas klarere Gestalt gewinnt die Frage, wenn wir sie auf die Verhältnisse übertragen, die bei der Kolonisation jungen Bodens obwalten. Die Pflanze, weiche imstande ist, organische Abfallstoffe rascher in ihren Stoffwechsel ein- zuführen, hat einen bedeutenden Vorsprung und ist als Kolonist be- sonders geeignet. Allerdings müssen wir die Gegenwart gewisser Mengen von Abfallstoffen voraussetzen. Wir können hier an N-sanı- melnde Organismen und symbiontische Systeme denken (die wir aber der Einfachheit wegen auch hier nicht näher berücksichtigen), aber auch an andere im Bereich der Möglichkeit liegende Quellen bzw. Trans- porte. Ist aber erst ein gewisser Anfang gemacht, so würde schon die rasche Ausnutzung der eigenen Reste einen bedeutenden kolonisatori- schen Vorteil bedeuten. Hier könnten wir sogar den Versuch wagen, wieder an Casuarina anzuknüpfen. C. equisetifolia ist nämlich ein Bewohner des Meeresstrandes, also eines jungen Bodens, der wohl sicher nicht arm an organischen Abfalistoffen, wie z. B. den Resten von Meertieren, besonders der Korallenpolypen, ist. Auch das Vorkommen anderer Casuarinen ist pflanzengeographisch bemerkenswert. So gedeiht eine Casuarina-Art ausgezeichnet im Wüstensande längs des Suezkanals, und jedem der durch die großen Wälder der Bergtjemaren (C. montana) im vulkanischen Gebiet des Tenger auf Java gewandert ist und das merkwürdige Bild eines in den Tropen so seltenen reinen Bestandes hat auf sich wirken lassen, wird zu der Vorstellung eines Pionierwaldes geführt. Auch darf hier vielleicht noch einmal an die schen früher erörterte!) Vegetation anderer Vulkane erinnert werden, auf denen mykotrophe (und bakteriotrophe) Pflanzen eine außerordentlich auffal- lende Rolle spielen, sowie an den gleichfalis dort diskutierten Zusammen- hang zwischen Epiphytismus und Mykotrophie?). Auch der Stickstoff kann natürlich wie andere Elemente auf dem Wege über den Pilzstoffwechsel der Pflanze einverleibt werden. Zu den dergestalt ausnutzbaren Stickstoffquellen des Humus kann aber hier noch eine besondere Quelle hinzukommen, nämlich der atmosphärische Stickstoff, dessen direkte Ausnutzung, wie es scheint, nur innerhalb des Pilz- und Bakterienreiches vorkommt. In diesem Falle würde die 1) Javanische Studien, pag. 380, Anm. 5. 2) Ebenda. pag. 379, 380. Anatomische Untersuchung der Pilzeymbiose bei Casuarina equisetifolia usw. 449 Mykotrophie noch eine spezielle Bedeutung erlangen, die ökologisch auf N-armem oder -freiem Boden entscheidend, aber auch anderswo groß genug sein würde. Da Alnus?), Elaeagnus?), Podocarpus®) in stickstoff- freiem Substrat bei Ausbildung der Rhizothamnien gut gedeihen und der Pilz der Erikazeen N zu binden vermag*), wird vielleicht für diese Pflanzen die N-werbungskomponente des Mykorrhizenproblems in den Vordergrund treten, ohne damit die alleinige Bedeutung beanspruchen zu dürfen. Freilich dürften für die ersterwähnten Fälle noch genauere und ausführlichere Untersuchungen nicht überflüssig sein. Wie man sieht, nähern wir uns in unseren obigen Betrachtungen wiederum etwas der Auffassung, die seinerzeit der Begründer unserer Kenntnisse von der Mykorrhiza, B. Frank, entwickelt hat). Weitere Fortschritte würden wir von exakten Ernährungsversuchen erwarten können, die die Ausnutzbarkeit von Humusstoffen oder, allgemeiner gesagt, von organischen Substanzen durch mykotrophe Pflanzen zum Gegenstand haben. Solche würden freilich auf große methodische Sehwierigkeiten stoßen. 1) Hiltner, L., Über die Bedeutung der Wurzelknöllchen von Alnus gluti- nosa für die Stickstoffsammlung dieser Pflanze, Landwirtsch. Versuchsstation. 1896, Bd. XLVI, pag. 153. 2) Hiltner und Nobbe, Über das Stickstoffsammlungsvermögen der Erlen und Elseagnaceen. Naturwiss. Zeitschr. f. Land- und Forstwirtschaft 1904, Bd. Il, Dag- 366. 3) Dies, Die endotrophe Mykorrhiza von Podocarpus und ihre physiologische Bedeutung. Landwirtsch. Versuchsstation. 1899, Bd. LI, pag. 241. 4) Ternetz, Ch, Über die Assimilation des atmosphärischen Stickstoffe. Jahrb. f, wissensch. Botanik 1907, Bd. XLIV, pag. 353. 5) Frank, B., Lehrbuch der Botanik. Leipzig 1892, Bd, I, pag. 263. 2 Flore. Bd. 111. 9 Pflanzen und Nacktschnecken. Von Wlikelm Beneoke. Ein Menschenalter ist verflossen, seitdem Ernst Stahl in seiner Abhandlung über „Pflanzen und Schnecken“!) durch den biologi- schen Versuch das Vorhandensein zahlreicher Schutzeinrichtungen der Pflanzen gegen Schneckenfraß nachwies, und zeigte, auf welche Weise das Gleichgewieht, das wir heute auf Erden zwischen pflanzenfressenden Tieren und Pflanzen beobachten, zustande kommt. Stahl teilt die Tiere ein in Omnivore und Spezialisten. Insonderheit gegen die Omnivoren, die nicht auf eine ganz bestimmte Kost eingestellt sind, schützen sich die Pflanzen unserm Forscher zufolge chemisch oder mechanisch in mehr oder minder bedingter Weise, — denn absolute Schutzmittel gegen Tierfraß sind nach Stahl bis jetzt nicht bekannt, — oft gleich „kleinen Festungen“, so daß sie zwar ihren Zoll an die Tierwelt abgeben müssen, aber doch nicht ausgemerzt werden. Die Schädigung anderer- seits durch spezialisierte Tiere, die durch ihren Geschmack auf ganz bestimmte, für die omnivoren aus diesem oder jenem Grund wider- wärtige Pflanzen angewiesen sind, wird dadurch in Schranken gehalten, daß der vollkommenen Vernichtung einer als ausschließliche Nahrung dienenden Pflanzensippe der Hungertod der auf sie angewiesenen Tiere sehr bald folgen müßte. Diese Einteilung in Omnivore und Spezialisten, die Stahl für seine Versuchstiere, die Schnecken, durchführt und auch später nochmals in seiner Arbeit über Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß?) eingehend begründet, ist der Angelpunkt seiner ganzen Aus- führungen über Phytophagie. Die Stahl’schen Versuchsergebnisse sind inzwischen Gemeingut der biologischen Wissenschaften geworden. Neuerdings aber vertritt Heikertinger®) andere Anschauungen und ich will versuchen, die Grundgedanken dieses Forschers hier mit wenigen Worten anzuführen, um das Problem „Pflanzen und Schnecken“ wie es heute vor uns steht, kurz aber tunlichst vollständig zu skizzieren. 1) Jen. Zeitschr. f. Naturw. u. Med. 1888, Bd. XXIL, N. F. Bd. XV. 2) Festschr. f. Haeckel. Jena 1904, pag. 357. 3) Biol. Zentralbl. 1914, Bd. XXXIV, pag. 81; Bot. Zentralbl. 1916, Bd. XXXI, pag. 275. Be 2 Pflanzen und Nacktschnecken. 451 Ganz unabhängig von seiner persönlichen Stellungnahme zu den Fragen nach der Entwicklung der Lebewelt auf Erden, muß jeder, der die Darstellung Stahl’s liest, den großen Reiz empfinden, der darin liegt, daß unser Forscher sich nicht mit dem experimentellen Nachweis des Daseins jener Schutzmittel genügen läßt, vielmehr versucht, den Beweis zu führen, daß sie entstanden sind als Zuchtprodukte des Daseins- kampfs zwischen grünen Pflanzen und Schnecken. Heikertinger aber sagt, daß zur Entscheidung solcher Fragen die Schnecken gar nicht herangezogen werden dürfen, da sie keine stammesgeschichtlich alten Krautfresser seien, und nur die Bearbeitung solcher zur Beantwortung der Frage, wie sich etwaige Schutzmittel im Laufe der Zeiten bei grünen Pflanzen herausgebildet haben mögen, führen könne. Die Schnecken aber seien ursprünglich Pilz-, Algen-, Fiechten-, Moderfresser, denen engere Beziebungen zu den Fleisch- als zu den Krautfressern zuzuschreiben seien; er beruft sich dabei auf eigene Er- fahrungen, ferner auch besonders auf die Angaben von Simrotht), der ausführt, daß auch die herbivoren Helices noch Hinneigung zu jener Ernährungsweise der anderen Schnecken zeigen, ja sogar im Hinblick auf die von Ludwig®) ermittelte Tatsache, daß grüne Pflanzen häufig zumal dann von Schnecken gefressen werden, wenn sie von Schmarotzerpilzen befallen sind, die interessante Frage aufwirft, ob vielleicht die herbivoren Schnecken erst durch die Pilze, welche Blätter besiedeln, zu Kraut- fressern herangezüchtet worden seien. — Auch jene Stahl’sche Ein- teilung der Tiere in omnivore und spezialisierte beanstandet Heiker- tinger. Seiner Meinung nach sind alle Tiersippen mehr oder minder spezialisiert; die jeder Tierart eigene Geschmacksrichtung verhindere, daß bestimmte Pflanzen von allzuvielen Tierarten gefressen und so vernichtet werden, nicht aber die Ausbildung etwaiger Schutzmittel, deren Wert vielmehr nur dann anzuerkennen sei und den Fraß an einer bestimmten Pflanzensippe einschränke, wenn Tiere gezwungenermaßen eine ihnen weniger zusagende Pflanze fressen müssen. Solcher Hunger- fraß sei aber nicht, wie Stahl glaubt, bei allen Omnivoren in natura die Regel, sondern nur in Gefangenschaft. . Von der Überzeugung geleitet, daß nicht durch theoretische Diskussionen, sondern lediglich durch den biologischen Versuch, wie Stahl ihn uns gelehrt, verbunden mit Beobachtungen der Organismen in ihrem Standgebiet, eine Förderung dieser in mancher Hinsicht noch 1) Zeitschr. f. wiss. Zool. 1885, Bd. XLIT, pag. 203. 2) Beih. z. bot. Zentralbl. 1891, pag. 35. 0. 452 Wilhelm Benecke, strittigen Fragen zu erwarten sei, habe ich mir zwei Sonderprobleme aus dem Gebiet, welches die Beziehungen zwischen Pflanzen und Schnecken behandelt, zur experimentellen Bearbeitung herausgegriffen, und auch diese beiden Sonderprobleme noch insofern eingeschränkt, als fastnur vom Fraß durch einige einheimische Nacktschnecken gehandelt werden soll. Die erste Teilfrage ist die folgende: Stabl gruppiert, wie gesagt, in seiner Arbeit über Pflanzen und Schnecken die Schnecken in omnivore, die mit Vorliebe „süße Pflanzenteile, Früchte, Wurzeln“ fressen, Pilze aber meiden, wenn man sie nicht durch Auslaugen mit Alkohol oder anderen Mitteln ihrer spezifischen Stoffe beraubt, und in Spezialisten, und zwar Pilzspezialisten, welche mit Vorliebe frische Pilze verzehren, ausgelaugte Pilze aber weniger gern zu sich nehmen. Ist es nun nicht sachgemäßer, so wollte ich im Anschluß an viele gelegentliche Angaben der Zoologen fragen, statt dieser zwei Gruppen von Nacktschnecken, zunächst mindestens deren drei aufzustellen, nämlich erstens Pleophaget), welchen sowohl süße Früchte, Wurzeln, Blätter von Blütenpflanzen, als auch Pilze ınunden, zweitens Herbivore, die mit Vorliebe die erst- genannten Pflanzenteile, nicht aber Pilze fressen, und drittens Myko- phage, deren Leibspeise die Pilze sind? Und wenn diese Dreiteilung gelingt, sollte untersucht werden, welche Grenzüberschreitungen vorkommen, denn daß Grenzen zwischen solchen ernährungsphysiologischen Gruppen nicht vollkommen starr sein können, steht für jeden Biologen fest. Der Erörterung dieser und einiger sich anschließender Fragen ist Teil I der folgenden Ausführungen gewidmet. 1) Für meine Zwecke ist dieser Ausdruck der Stahl’schen Bezeichwung Omnivor entschieden vorzuziehen, da man unter Omnivoren zwar keine Allesfresser, — die es gar nicht gibt, aber Tiere, die von Pflanzen- und Fleischkost leben, versteht. Die Frage der Sarkophagie, die ganz in zoologisches Gebiet fällt, habe ich aus- geschaltet, Stahl führt von seinen omnivoren Nacktschnecken (Arion empiri- eorum, Agriolimax agrestis) an, daß sie gern Fleisch fressen. Nach Ansicht vieler Zoologen andererseits sind Sarko- und Mykophagie verwandte Ernährungs- weisen. Von meinen Versuchstieren war Arion subfuscus am meisten fleisch- lüstern und verschlang lebende Regenwürmer, die ron den anderen verachtet wurden, oft nach lebhaften Kampf. Nach Künkel (Biol. d. Lungenschnecken, Heidelberg 1916) verschlingt Arion empiricorum Käfer, tote Nackt- und lebende Gehäuse- schnecken, A. agrestis frißt lebende Arion hortensis und tote Limax cinereus, dieser frißt cinereoniger und Arion empiricorum auf. Weitere Angaben bei Simroth. — Viele Nacktschnecken werden bekanntlich auch „des Kannibalismus beschuldigt“, so A. empiricorum, für den ich das bestätigen kann, ferner Limax tenellus, Agriolimax agrestis. Pflanzen und Nacktschnecken. 453 Alsbald aber drängen sich weitere Fragen vor den Richterstuhl des biologischen Versuchs: Wenn es sich als möglich erweist, die oben genannten drei Gruppen aufzustellen, so ist es doch klar, daß die Pleophagen nicht Allesfresser s. str. sind, daß weiter die Herbivoren nieht Blätter, Wurzeln, Früchte aller höheren Pflanzen fressen, daß endlich die Mykophagen nicht wahllos von allen Pilzen zehren werden. Für den Kräuterfraß durch Schnecken ist das ja durch die Stahl’schen Versuche aufs klarste bewiesen. Wie verhalten sich aber Schnecken, so- weit sie überhaupt Pilze fressen, seien es nun Pilzspezialisten oder nicht, den Pilzen gegenüber? Fressen sie, wenn anders die Konsistenz des Thallus es zuläßt, alle Pilze gleich gern? Oder sind, wie viele Kräuter, so auch bestimmte Pilze geschützt? Bevorzugen die einen Schnecken Vertreter dieser, die anderen Zugehörige jener Pilzgruppen vor anderen? Zeigt es sich, daß pleophage Schnecken andere Pilze als mykophage verzehren? Über diese Fragen liegen eine ganze Zahl von Einzelbeobachtungen vor, über die nachher noch zu berichten ist, zusammenhängende Versuchsreihen aber fehlen, und manche Angaben in der Literatur scheinen auf ziemlich wahllosen Pilzfraß durch Schnecken hinzudeuten. Teil II dieser Arbeit hat den Zweck, die Frage des Pilz- fraßes durch Schnecken auf experimenteller Grundlage zu fördern. Es leuchtet ein, daß die Probleme, denen ich mich zugewendet habe, einer gleichen Fragestellung entspringen, wie sie sich auch bei Heiker- tinger findet: Ob die Stahi’sche Teilung in Omnivore und Pilz- spezialisten nicht zu ersetzen sei durch eine andere Einteilung in eine größere Zahl ernährungsphysiologisch charakterisierter Gruppen. Doch ist eben so klar, daß meine Fragestellung den Stahl’schen Ausführungen nur dann zuwiderlaufen würde, wenn ich versuchte, seine Omnivoren ganz aufzuteilen. Dies ist aber nicht meine Absicht, indem auch ich versuche, eine Gruppe von Pleophagen, die den Stahl’schen Omnivoren entsprechen, aufzustellen, und um diese herum eine Anzahl von Spe- zialisten, — allerdings auch auf Kosten Stahl’scher Omnivoren — zu gruppieren. Daß Stahi selbst seine Zweiteilung nicht als endgültig be- trachtet hat, sondern die schließliche Aufstellung einer größeren Zahl er- nährungsphysiologischer Gruppen, zu welchen auch solche Formen gehören, die er vorläufig zu den Omnivoren stellt, ins Auge faßt, geht daraus her- vor, daß er selbst auf Unterschiede in der Ernährung seiner Omni- voren hinweist, indem z. B. manche von ihnen meistens keine leben- den, sondern mit Vorliebe tote Pflanzenreste fressen (Saprophagie), ferner daraus, daß er in seiner oben zitierten Arbeit über Flechten- schutzmittel die Frage aufwirft, ob von den mykophagen Schnecken im 454 Wilhelm Benecke, weiteren Sinn echte Lichenophagen abzugliedern seien, welche Frage er allerdings verneint. — Stehe ich somit ganz auf den Schultern Stahl’s mit meinen Versuchen, so ist doch ein wesentlicher Unterschied zu beachten: Wenn Stahl mit vollem Recht die Ergebnisse seiner Ver- suche über die Zehrung der Schnecken an grünen Pflanzen als Beleg für den Kampf zwischen Pflanze und Tier betrachtet, so liegen die Dinge doch wesentlich anders, wenn wir den Pilzfraß vor Augen haben: Falls Schnecken, wie das z.B. für den jugendlichen Limax tenellus gesagt wird, hauptsächlich am Myzel, nicht an den Fruchtkörpern fressen, so sehen wir hier zwar auch zweifellos einen kleinen Ausschnitt aus dem Daseinskampf vor uns, wenn aber ausgereifte Fruchtkörper gefressen werden, so kann das ebensogut auch eine für den Pilz nützliche Erscheinung sein, d. h. die Sporenverbreitung fördern und die Erhaltung der Art sicher stellen. Hebt doch Stahl hervor, daß Morchelsporen in den Dejekten der Schnecken auskeimen, also un- beschädigt den Darm passieren. Auch F. Ludwig?) schreibt den Schnecken eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung der Pilze zu. — Meine Versuchstiere waren Vertreter der Nacktschneckengattungen Arion, Limax und Agriolimax?). Von ihnen sagt Simroth(l.c.): „Das ursprüngliche Standgebiet der Limaces ist die pilzreiche Moosschicht der Heide- und Bergwälder, ihre ursprüngliche Nahrung die Basidio- myzeten; von hier aus gehen sie weniger ins freie Land als an Baum- stämme und Felsen und in die Keller und Speicher über, werden Fleisch-. Kraut- und Flechtenfresser oder ernähren sich von den Abfällen der menschlichen Tafel. Dasselbe Ursprungsgebiet, dieselbe Urnahrung kommt den Arionen zu; sie strahlen dann ins freie Land, in Laub- wälder und Gärten und werden Krautfresser. Die Agriolimaces be- wohnen ursprünglich feuchtes Krautland, gleichgültig ob die Feuchtig- keit vom Waldesschatten oder vom Bach geliefert wird, und bleiben im allgemeinen diesen Bedingungen treu.“ — Im folgenden nenne ich die einzelnen von mir zu Versuchen herangezogenen Spezies: Arion empiricorum, nach Stahl omnivor, auch nach den Zoo- logen ein Allesfresser, der saftige Kräuter ebensogern als Pilze oder frische Leichen von niederen Tieren frißt. 1) Beih. z. bot. Zentralbl. 1891, pag. 35. 2) Die vierte Gattung, Amalia, deren Vertreter „echte Fleischfresser mit einer beschränkten Zahl von Beutetieren sind“, habe ich nicht untersucht. Sie verzehren Helix-Arten, meiden Nacktschnecken und ziehen „Kartoffelstückchen nur dem Hunger- tod vor“. Nach Clessin fressen sie auch Moos. Ob weitere Untersuchungen über ihre Ernährungsweise angestellt sind, ist mir unbekannt. Vgl, Simroth, 1.c, pag. 335. Pflanzen und Nacktschnecken. 455 Ich sammelte die Art im Lauf des Sommers und Herbstes im Hochwald, Garten usw, die erwachsenen Tiere auf Wegen, an Mauern, die halberwachsenen, die später im Jahr reichlich auftraten, hauptsäch- lich im Wald an Pilzen fressend!). Wohl auf Grund gleicher Beobach- tungen schließt Simroth, daß die Spezies in der Jugend auf Pilze an- gewiesen sei. Auffallend rot gefärbte Individuen sammelte ich auf Kalkboden im Teutoburger Wald, die forma ater stand mir aus Hol- stein zur Verfügung. Beide Formen verhielten sich in den Versuchen ganz ebenso, wie die braune. — Arion subfuseus. Nach Stahl Pilzspezialist, auch nach Sim- roth ein „reiner Pilzfresser, der vor allem die großen Agaricus- und Boletus-Arten, gleichgültig ob sie giftig oder ungiftig sind, frißt, und unter jenen nur die schwarzsporigen, unter diesen die holzigen Poly- porus-Arten meidet oder doch weniger gern frißt, als etwa die Boviste“. Heide-, Kiefer- und Torfgrund sind das Standgebiet, Laubwälder werden von Simroth als Wechselgebiet bezeichnet. Ich sammelte die Art, und zwar fast ausschließlich junge Tiere, an und unter Hutpilzen des Laubwaldes 2). Vom Limaxgenus hatte ich zur Verfügung zunächst Limax eine- reoniger, eine Art, die wie die vorhergehende als Pilzfresser geht. Den nahe verwandten Limax cinereus, der früher mit cinereoniger zu der Art maximus zusammengefaßt wurde, zu beobachten hatte ich keine Gelegenheit, übrigens konnte ich auch den cinereoniger nicht so ausgiebig untersuchen, als ich gern getan hätte, da er bier bei Münster offenbar recht selten ist; so war ich auf Tiere angewiesen, die aus dem Teutoburger Wald stammten. Ich hätte gern eine größere Zahl von Parallelversuchen mit ihm und Ar. empiricorum angestellt. Limax tenellus (cereus), ebenfalls einen der Stahl’schen Pilz- spezialisten, der nach Simroth nie grüne Kräuter frißt, sammelte ich mehrfach in seinem Wechselgebiet, dem herbstlichen Laubwald, unter Pilzen. Limax arborum fand ich an alten Baumstümpfen im Wald, auch an feuchten Mauern. Die Zoologen sehen in ihm einen Flechtenfresser, der Blätter und Kraut meidet. Stahl hat ihn nicht untersucht. 1) So auch Giessin, $., Deutsche Exk.-Moll.-Fauna, 2. Aufl., 1884. 2) Großes Interesse würde es bieten, in künftigen Untersuchungen auch die Eenährung von Arion Bourguignati, der in Gärten und Wäldern Pilze oder modernde Pflanzenreste frißt und von Arion hortensis, der herbivor iet, durch Versuche vergleichend zu studieren. Vgl. Clessin, Ss,ıe 456 Wilhelm Benecke, Agriolimax agrestis, von vielen Forschern als ausschließlich herbivor bezeichnet (wenn man von gelegentlichen sarkophagen An- wandlungen absieht), sammelte ich an Kohlblättern. Nach Stahl liebt er süße Pflanzenteile, frißt aber auch Löcher in die Thalli von Pelti- gera. Doch soll es sich nach Stahi dabei um Hungerfraß handeln. Die eben zitierten Angaben beziehen sich auf die Nahrung der Schnecken an ihren natürlichen Standorten, ohne daß gesagt sein soll, daß nicht bei Hunger auch Notfraß vorkommt, und Dinge verzehrt werden, die sonst verschmäht werden, oder daß vielleicht auch in Ge- fangenschaft andere Pflanzenteile, welche die Schnecken am natürlichen Standort keine Gelegenheit haben zu finden, eben so gern gefressen werden, als die natürliche Nahrung. Das geht u. a. aus Künkel’s verdienstvollen Untersuchungen hervor, der fand, daß Arion empiri- eorum und subfuscus, ferner Limax cinereoniger in Gefangen- schaft Kopfsalat, gelbe Rüben, Wirsing, Makkaroni fressen, daß Arion subfuscus, obwohl Pilzspezialist, gut gedeiht, wenn er zeitlebens nur Salat erhält. Beachtenswert ist auch die Angabe, daß Limax einere- oniger durch Makkaronigenuß so verwöhnt werden kann, daß er Kopf- salat und Rüben, die er vorher gierig verschlang, nunmehr abweist. Natürlich dürfen solche und ähnliche Erfahrungen den Biologen nicht dazu verleiten, nunmehr alle diese Arten für pleophag schlecht- hin zu halten, und den Versuch, ernährungsbiologische Grenzen zwischen ihnen zu ziehen, ganz aufzugeben; daß das unberechtigt wäre, wird u. a. auch aus den unten mitzuteilenden Versuchsergebnissen hervor- gehen. — Die Versuchsanordnung ist mit wenigen Worten beschrieben: Die Schnecken gelangten zu mehreren oder einzeln in bedeckte Kristal- lisierschalen oder auch in hölzerne „Ställe“, die mit Drahtgeflecht be- deckt und innen mit Wald- oder Gartenboden ausgelegt waren, um recht natürliche Bedingungen herzustellen. Die Pflanzenteile wurden ganz oder auch in Fragmenten geboten, die Fruchtkörper der Pilze wohl auch in natürlicher Stellung in den Boden gesteckt. Ganz be- sonders häufig habe ich, wie auch Stahl, elektive Versuche an- gestellt, derart, daß mehrere Pilze oder andere Pflanzenteile gemeinsam geboten wurden, um sehen zu können, für welche Nahrung größere Vorliebe besteht. Dabei muß vermieden werden, daß die Schnecken, aus „Trägheit“ (wie manche Malakologen sagen) sich an der zufällig zuerst angekrochenen Speise sättigen, ohne sich zu überzeugen, ob die 1) Biologie der Lungenschnecken. Heidelberg 1916. Pflanzen und Nacktschnecken. 457 andere vielleicht besser schmeckt. Solche Möglichkeiten kann man auch dadurch vermeiden, daß man viele Individuen derselben Spezies zusammen im selben Raume hält, was aber nur danın durchführbar ist, wenn die Tiere sich nicht selbst zerfleischen. — Eine sehr häufig von mir angewendete Versuchsanordaung, die ich sehr empfehlen kann, ist die der „kurzläufigen Versuche“, bei welchen man den Schnecken Stückeben der 'zu prüfenden Teile vorhält und zusieht, ob sie gierig, gar nicht, nur wenig mit Widerwillen fressen, oder, was auch gar nicht selten ist, sich nach kurzer aber eifriger Kostprobe abwenden. Man hält daun den Tieren z. B. einen notorisch gern gefressenen Pilz, etwa den Hallimasch, vor, überzeugt sich von ihrem Appetit, dann wird der zu prüfende Pilz bzw. andere Pflanzenteil vorgehalten, dann wieder der Hallimasch, dann wieder ein anderer zu prüfender Teil, dann wieder der Hallimasch, und der Versuch wird erst dann abgebrochen, wenn auch der Hallimasch verschmäht wird. So gelingt es, wohl 12mal hintereinander verschiedene Pilze kosten zu lassen, ehe Sättigung oder Freßunlust wegen des zu häufigen Wechsels eintritt. — Die Versuche wurden auch derart abgeändert, daß stark hungrige Tiere verglichen wurden mit solchen, die erst kurz vorher Gelegenheit zur Sättigung hatten, frisch eingefangene Tiere wurden verglichen mit solchen, die bereits längere Zeit in Gefangenschaft saßen. Die Stahl’sche Beobachtung, daß seine Omnivoren, frisch eingefangen, immer besonders hungrig sind, konnte für Arion empiricorum bestätigt werden. I Bei den nun zunächst zu schildernden Versuchen, die den Zweck haben, zur allgemeinen Orientierung über die Geschmacksrichtung der Nacktschnecken zu dienen, verwenden wir Arion empiricorum und subfuscus, Agriolimax agrestis, Limax tenellus und arborum?), und werfen den Tieren verschiedene Pflanzenteile vor, nämlich Apfel- und Birnstückchen, Spinat- und Rotkohlblätter, Möhren-, Kartoffel- und Rettichscheiben und endlich Pilze und zwar den Hallimasch und einen milden Täubling, etwa Russula cyanoxantlıa. Wir bieten diese Dinge zunächst nicht gleichzeitig, sondern einzeln nacheinander. Da zeigt es sich nun, daß alle genannten Objekte von sämtlichen Schnecken ge- fressen, entweder nur mäßig benagt, oder auch vollkommen verzehrt werden. Nur Limax arborum zeigt die Eigentünlichkeit, daß er ein einziges der erwähnten Teile ganz verschmäht, nämlich die grünen 1) L. einereoniger konnte nur zu den in Teil II beschriebenen Versuchen mit Pilzen verwendet werden. 458 Wilhelm Benecke, Blätter (was sich deckt mit Angaben bei Simroth, dessen Behauptung, daß auch L. tenellus sich so verhalte, ich andererseits nicht bestätigt finde). Worauf diese Eigenart von L. arborum beruht, vermag ich nicht zu sagen. Daß es der Chlorophyligehalt als solcher nicht sein kann, zeigt die Angabe der Faunen, daß er Flechten frißt und Algen- überzüge von Bäumen abweidet?). In meinen Versuchen fraß er nicht oder kaum an Fiechten (Ramalina, Physcia) und da ich den Ein- druck habe, daß es mir nicht gelungen sei, eine Speise, die dem schönen, sensibeln Tierchen wirklich zusagt, ausfindig zu machen, muß ich es unentschieden lassen, ob es eine pleophage Form ist mit der Ein- schränkung, daß es grüne Blätter ganz abweist, oder Vertreter einer stark spezialisierten Gruppe, etwa ein weitgehend spezialisierter Li- chenophag. Sehen wir nun ab von Limax arborum, so machen wir, wie gesagt, die Erfahrung, daß alle unsere anderen Versuchstiere sämtliche Teile fressen, die wir ihnen vorgelegt haben und könnten uns, wenn wir wollten, mit der Feststellung beruhigen, daß „der Grundgeschmack aller Schnecken sehr ähnlich ist“, und sie alle mehr oder minder pleo- phag seien. Das Bild ändert sich aber sofort, wenn wir die genannten Dinge nunmehr nicht nacheinander, sondern gleichzeitig bieten, also elektive Versuche anstellen. Arion empiricorum erweist sich dann, wie nach allen Angaben in der Literatur zu erwarten war, als pleophag, er frißt Spinatblätter, Kartoffeln, Pilze annähernd gleich gern, auch die anderen Speisen wer- den nicht verschmäht. Diese Befunde gelten übrigens für ältere wie für jüngere Tiere; ich habe keinen Anhalt dafür gewonnen, daß die jüngeren, wie Simroth vermutet, ausschließlich auf Pilze angewiesen 1) Eine experimentelle Behandlung dieser Frage müßte auch die Tatsache berücksichtigen, daß nach Lang (zitiert nach Heikertinger) Helix nemoralis und hortensis zwar dürres Laub und Flechten aber nie grüne Blätter fressen sollen. Daß das nicht unbedingt zutrifft, zeigen Versuche und Beobachtungen von Stahl, welcher Forscher allerdings auch fand, daß die genannten Arten wesentlich von toten Pflanzenteilen, Flechten usw. zehren, darum auch im Garten und Feid weniger gefährlich werden können, als phyllophage Formen. 2) Der Flechtenfraß durch Nacktschnecken ist in den Werken von Bach- mann, Zukal, Zopf, Stahl behandelt, auf die hier verwiesen sei. Zopf (Die Flechtenstoffe. Jena 1907, pag. 368) nennt „große graue Limax- formen“, welche die bitterste aller Flechten, Pertusaria faginea, abweiden. Stahl findet, daß jugendliche Arion empiricorum von Flechten zehren. Künkel sagt, daß Limax cinereoniger im Frühjahr von Flechten lebt, während Stahl den Fraß von L. maximus an Flechten nur geringfügig findet. Pflanzen und Nacktschnecken. 459 sind. Wie sich allerdings ganz junge, eben ausgeschlüpfte Tiere ver- halten, habe ich für diese Art ebensowenig untersucht, wie für eine der anderen. — Arion subfuscus zu dieser elektiven Versuchsreihe mit heranzuziehen, hatte ich leider keine Gelegenheit; anderweitige Versuche belehrten mich aber darüber, daß diese Art viele Hutpilze, Kartoffeln, Spinatblätter, Äpfel (diese lieber als Birnen) tüchtig befrißt, insofern also auch als pleophag erscheint. Nach seinem natürlichen Vorkommen aber darf wohl in Übereinstimmung mit Angaben in der Literatur (vgl. pag. 455) angenommen werden, daß er, wenn ibm gleichzeitig zu- sagende Pilze und zusagende Teile anderer Pflanzen zur Verfügung gestellt würden, erstere vorziehen würde. Ich komme unten auf diese Frage noch zu sprechen. — Untersuchen wir nun, wie sich Limax tenellus verhält, wenn ihm alle die oben genannten Pflanzen gemein- sam vorgesetzt werden, so selen wir, daß er nur die Pilze frißt, alles andere verschmäht. Als sein Gegenstück erweist sich Agriolimax agrestis, welcher unter gleichen Umständen die Pilze verschmäht, Blätter, Früchte, Knollen und Wurzeln aber verzehrt. So können wir denn sagen, daß Limax tenellus zwar myko- phag aber nicht obligat mykophag, sondern fakultativ herbivor ist, A. agrestis umgekehrt zwar herbivor, aber nicht obligat herbivor, vielmehr fakultativ mykophag ist. Limax arborum, über dessen Ge- schmacksrichtung ich sonst, wie erwähnt, keine weiteren Erfahrungen sammeln konnte, können wir vorläufig nur negativ, als obligat phyl- lophob charakterisieren. Manche analoge Versuche wurden mit gleichem Ergebnis durch- geführt. Nur der eine sei noch genannt, der den Unterschied zwischen dem pleophagen A. empiricorum und dem herbivoren A. agrestis zeigt: Bot ich beiden gleichzeitig Kartoffeln, Topinamburscheiben und Boletus versicolor, so befraß der pleophage alle drei Objekte, der herbivore aber lediglich Kartoffeln und Topinamburscheiben, diese haupt- sächlich in der Cambiumregion, verschmähte aber das Rothäubehen. Mit Recht wird man gegen die Deutung dieser Versuchsergebnisse den Vorwurf einer gewissen Willkürlichkeit erheben, weil eben die Auswahl der als Nahrung vorgelegten Pflanzen und Pilze eine willkür- liche sei, und es nicht ausgeschlossen erscheine, daß bei anderer Aus- wahl derselben auch die Versuche ganz anders ausfallen, ihre Ergeb- nisse vielleicht. sich direkt umkehren könnten. Bis zu einem gewissen Grad werden solche Versuche nun wohl auch immer willkürlich bleiben müssen, weil die Zahl der zur Verfügung stehenden Pflanzen ja Legion ist, und nicht alle in den Versuchen durchprobiert werden können. 460 Wilhelm Benecke, Die eben erhaltenen Resultate gelten auch nur unter der Voraus- setzung, daß von den verschiedenen Pflanzengruppen solche Vertreter herausgesucht und zum Fressen vorgelegt werden, die den verschie- denen Schnecken besonders gut munden, besser, oder etwa eben so gut als andere Vertreter derselben Gruppe. Wie sich im übrigen die pleophagen, herbivoren und mykophagen Nacktschnecken den verschiedensten Pilzen gegenüber verhalten, wird im Teil II noch zu schildern sein; wie sich diese drei Gruppen gegen andere als die eben benutzten Blätter, Früchte, Knollen usw. verhalten, das im Anschluß an die Stahl’schen Versuche weiter zu prüfen, dürfte ein sehr dankbares Thema sein. Ich selbst habe, nachdem ich in den Spinat- und Rotkohlblättern zwei nach Stahl ungeschützte Blätter untersucht hatte, in dieser Richtung nur noch den Versuch gemacht zu entscheiden, ob sich die drei genannten Nacktschneckengruppen gegen ein „geschütztes“ Blatt und zwar gegen Nachtkerzenblätter ver- schieden benehmen. Das Ergebnis war, daß diese von keiner unserer Schnecken, seien sie nun pleophag, mykophag oder herbivor, —- natür- lich auch nicht von L. arborum, — angerührt werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß sich die von Stahl nachgewiesenen Schutzein- richtungen nicht doch gegenüber Vertretern jener drei ernährungsphysio- logischen Schneckengruppen als verschieden stark wirksam erweisen könnten, nur umfangreichere Versuchsreihen können darüber entscheiden. Versuche, ernährungsphysiologische Gruppen aufzustellen, werden natürlich erst dann rationell ausfallen können, wenn sie aus biologischem in physiologisches Fahrwasser übergeleitet werden, d. h. wenn die Er- nährungsversuche nicht mit Pflanzenteilen von nur mehr oder minder genau bekannter Zusammensetzung, sondern mit chemisch genau definierten Stoffen ausgeführt werden und wenn untersucht wird, welche Kombinationen solcher Stoffe bei den verschiedenen Tieren geschmacks- reizend wirken und gute Ernährung, sei es für das ausgewachsene, sei es für das jugendliche Tier bedingen. Da dergleichen Versuche schließlich zu weit in zoologisches Gebiet führen würden, habe ich nur einige wenige angestellt, die ich ausdrücklich als vorläufige bezeichne und deren Ergebnisse durch weit umfassendere kontrolliert und verbessert werden müßten. — Die oben benutzten Spinatblätter führten, als sie verwendet wurden, keine Stärke, waren frei von Traubenzucker und enthielten nach Kochen mit Säure reduzierende Stoffe, wohl Rohrzucker. Es wurden nun unseren Schnecken solche Blätter, nachdem sie mit Lösungen verschiedener Zuckerarten (10%, Glucose, 20%, Saccharose) oder mit Pflanzen und Nacktschnecken. 461 Poptonlösungen (2—5% Witte-Pepton) injiziert worden waren, vor- gelegt. Es zeigte sich, daß die beiden Arionen die Traubenzucker-, Rohrzucker- und Peptonblätter gemeinsam geboten, etwa ebensogern nahmen, als die nicht injizierten, vielleicht die injizierten etwas lieber, ohne] daß eine besondere Bevorzugung der Zucker- vor den Pepton- blättern sich bemerkbar gemacht hätte. Limax tenellus, der Pilz- spezialist, verschmähte die Zuckerblätter ganz oder fast ganz, fraß aber die Peptonblätter, wenn beide gleichzeitig vorgelegt wurden. Limax arborum mied die injizierten wie die nicht injizierten Blätter; einmal schien es, als ob er Traubenzuckerblätter ganz unbedeutend angefressen hätte. — Das Ergebnis war also, daß der pleophage A. empiricorum, dem sich sein Gattungsgenosse A. subfuscus anschließt, für Kohle- hydrate, wie für Eiweißkörper gleich gut zu haben war, während der mykophage L. tenellus Peptonblätter bevorzugte. Daß diese Art übrigens Traubenzucker nicht unbedingt meidet, vielleicht nur in höheren Konzentrationen ganz verschmäht, geht z. B. schon aus der Tatsache hervor, daß sie Birnstückehen, wie wir oben hörten, befrißt®). Weitere Ergebnisse hoffte ich zu erhalten, wenn ich die Zucker- und Eiweißlösungen nicht in lebende. Blätter, sondern in einigermaßen indifferente Substrate injizierte und verwendete hierzu zuerst Würfel- chen von Sonnenblumenmark; diese hatten jedoch den Nachteil, daß sie für die kleineren Arten eine zu derbe Kost waren, und darum nicht gern genommen wurden. Immerhin konnte ich so viel ermitteln, daß die beiden Arionen wiederum mit Zucker und mit Pepton getränkte Würfel fraßen, Agriolimax aber nur dann daran ging, wenn sie mit 10% oder mehr Zucker durchtränkt waren; enthielten sie weniger Zucker oder 4% Pepton, so wurden sie von dieser herbivoren Art verschmäht. Beachtenswert war, daß mit reinem Wasser durch- tränkte Würfel entweder ganz beiseite liegen gelassen (A. agrestis) oder nur ganz wenig befressen wurden (A. empiricorum). Daß A. agrestis sogenannte Reizstoffe braucht, um eine an sich für sie ver- dauliche und nahrhafte Substanz, wie die Zellulose es ist, anzunehmen, 1) Eigenartigerweise zieht L. tenellus die Birne dem Apfel vor, während arborum sich umgekehrt verhält. Diese Tatsache, die ich mehrfach beobachtet habe, müßte noch weiter analysiert werden. . j 2) Nach Heikertinger und Lang fressen größere Helix-Arten gern Papier, bedürfen also keiner „Reizstoffe“. Ob hierin ein durchgreifender Unterschied zwischen unseren Nacktschnecken, die gern von lebenden Pflanzenteilen zehren, und diesen Gehäuseschnecken, welche nech Stahl und Lang hauptsächlich an- gefeuchtete dürre Blätter und Flechten fressen, wäre wohl noch zu untersuchen. 462 Wilhelm Benecke, fand schon Stahl und dürfte somit für die anderen von mir unter- suchten Nacktschnecken gleichfalls mehr oder minder gelten. Endlich versuchte ich auch noch, Würfel von Agar-Agar (2%) mit verschiedenen Lösungen zu durchtränken und diese Methode glaube ich dem, der etwa die vorliegenden fragmentarischen Versuche durch weiterführende ersetzen will, empfehlen zu können. Zucker- und Peptonagar werden wieder von beiden Arionen ge- nommen, Wasseragar aber verschmäht. Traubenzucker wird wohl etwas lieber als Rohrzucker genossen, Malzzuckeragar ebenfalls sehr gern verspeist. (Konzentration: Traubenzucker 5%, Rohr-und Malzzucker 10%.) Nicht ganz ohne physiologisches Interesse dürfte es sein, daß Milch- zuckeragar im Gegensatz zu Wasseragar gefressen, also als süß emp- funden wird. Das Optimum der Traubenzuckerkonzentration liegt bei etwa 4—5%, während z. B. 1% und 18% verschmäht werden. Das Optimum des Rohrzuckers liegt für subfuscus bei etwa 8 bis 10%, für empiricorum etwas tiefer. Peptonagar wird von Ar. subfuseus in den Konzentrationen Y, bis 8%, etwa gleichgern genommen, von Ar. empiricorum aber nur, wenn. die Konzentration mindestens etwa 4%, beträgt; bei dieser Art liegt also der Schwellenwert für Pepton höher als bei subfuscus. — Mit Limax tenellus und arborum konnte ich leider wegen allzuweit vorgeschrittener Jahreszeit keine ein- deutigen Versuche mehr anstellen. In einem Versuch wurde von den beiden erstgenannten weder Zucker- noch Peptonagar gefressen, keiner dieser beiden Stoffe erwies sich also, allein geboten, als „Reizstoff“ im obigen Sinn; Agriolimax agrestis konnte ich zu gleichen Versuchen nicht mehr verwenden. Ich stelite dann noch einige Versuche an, um zu ermitteln, ob bestimmte, in Pilzen häufige Stoffe als Reizstoffe in Betracht kommen. Zuerst hatte ich den Verdacht, daß vielleicht Mannit hier in Frage käme, das dürfte aber nicht der Fall sein, denn mit Mannit (5%) in- jizierte Blätter des Spinats werden weniger gern als nicht injizierte ge- fressen, oder doch höchstens ebenso gern, während mit Mannit getränkte Agarwürfel wie Wasseragar behandelt, d. h. verschmäht werden. Das güt wieder für die beiden Arionen, ferner für Limax tenellus, während die anderen Arten nicht geprüft wurden. Anders aber, wenn man Glycogen anwendet. Reibt man Kar- toffelscheiben mit Glycogen ein‘), so werden die Scheiben besonders gern gefressen, und das gleiche gilt von mit Glycogen durchtränkten 1) Die Methode stammt von Zopf. ”" u Pflanzen und Nacktschnecken. 463 Agarwürfeln. Arion empiricorum und subfuscus sowie Limax tenellus wurden dieser Prüfung unterzogen. Der herbivore Agriol. agrestis, dem ich auch gern Glycogen vorgesetzt hätte, stand mir da- mals nicht mehr zur Verfügung. Somit ist es jedenfalls nicht aus- geschlossen, daß der Glyeogengehalt der Pilze dazu beiträgt, sie den Schnecken schmackhaft zu machen, während das für den Mannitgehalt nicht gilt, womit natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß Mannit als nahrhafter Stoff für unsere Tiere in Frage kommt). — Mit Trehalose Versuche anzustellen, die ein besonderes Interesse bieten könnten, habe ich bis jetzt keine Gelegenheit gehabt. — Schließ- lich sei bemerkt, daß auch Dextrin ein recht guter Reizstoff für unsere Sehnecken zu sein scheint (nach Versuchen mit Dextrinagar und mit Dextrin bestreuten Kartoffelscheiben). Besonders auffallend, und ein Problem für besondere Unter- suchungen ist es, daß in diesen physiologischen Versuchen Arion sub- fuseus, obwohl doch in ökologischer Hinsicht als Pilzspezialist an- zusprechen, sich ganz ähnlich verhält, wie sein Gattungsgenosse Ar. empiricorum, und wesentlich anders, wie sein biologischer Genosse, der Pilzspezialist Limax tenellus. I. Knüpfen wir nun wieder an unsere oben besprochene Versuchs- reihe an, die uns zur Einteilung der Nacktschnecken in pleophage, her- bivore und mykophage führte. Dort hatten wir von Pilzen lediglich Armillaria mellea und Russula eyanoxantha als Schneckenspeise geprüft und schon hervorgehoben, daß das, was für diese beiden Hy- menomyzeten gilt, nämlich daß sie gern gefressen werden, noch keines- wegs für das Heer aller anderen Pilze zutreffen wird. Deshalb wen- den wir uns nun der weiteren Aufgabe zu, eine recht große Zahl von Pilzen mit Rücksicht auf ihren Reiz- und Nährwert für Nacktschnecken zu prüfen. Die Literatur gibt uns auf diesem Gebiet nicht viel An- haltspunkte. Was Simroth für Arion subfuseus anführt, ist oben (pag. 455) schon erwähnt, weitere Einzelangaben der Literatur werden unten angeführt werden. Häufig findet man, z. B. in Faunen, die An- gabe wiederkehren, daß die Schnecken Pilze (gemeint sind damit fast immer Hutpilze), gleichgültig, ob sie für den Menschen giftig oder un- giftig sind ohne Wahl fressen. Auch Stahl sagt, daß nach seiner 1) Zu ergänzen wären diese Versuche auch durch gleiche Versuche mit Ge- häuseschnecken, die Pilzen durchaus abgeneigt sind. 464 Wilhelm Benecke, Erfahrung die Pilzschnecken, „sich von den verschiedensten eßbaren und giftigen Schwämmen ernähren“, führt aber selbst an, daß der Pilz- spezialist Limax maximus, welcher Peziza vesiculosa zwar sehr gern verzehrt, P. badia nur ungern frißt. Da die Zahl der Pilze riesenhaft groß ist, und ich mich deshalb stark beschränken mußte, untersuchte ich in erster Linie die Frucht- körper von Hymenomyzeten und es liegt in der Natur der Sache, daß auch hier die Auswahl eine recht willkürliche sein mußte. Ganz und gar summarisch wurden einige wenige Ascomyzeten untersucht, und die (oben pag. 451 berührte) Frage nach dem Fraß an schmarotzenden Pilzen, die höhere Pflanzen befallen, mußte vor der Hand ganz aus- scheiden. — Eine endgültige Deutung der Versuchsergebnisse ist meistens des- halb unmöglich, weil Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der verschiedenen Pilze noch allzu unbekannt sind, um etwaige Unter- schiede im Geschmack und Nährwert der Pilze durch ihre stoffliche Zusammensetzung begründen zu können. In einigen Fällen konnte das Verschontbleiben gewisser Formen durch die Ausbildung mecha- nischer Schutzmittel erklärt werden. Mit dem Alter der Fruchtkörper, der davon abhängigen Kon- sistenz, sowie mit den mit dem Ausreifen parallel gehenden chemischen Veränderungen und Wanderungen der Stoffe wird sich ferner natürlich auch Geschmack und Nährwert der Fruchtkörper und seiner Teile ändern. Meistens, wenn nicht etwas anderes sich angegeben findet, habe ich eben ausgereifte Fruchtkörper dargeboten, und zwar entweder den ganzen Fruchtkörper, oder nur einzelne Teile derselben, z. B. Hut- fleisch, Hymenium, Stiel oder Knolle; wurden einzelne dieser Teile anderen Teilen des Fruchtkörpers vorgezogen, so ist das jeweils vermerkt. Es wurden dieselben Schnecken, wie in den oben beschriebenen Versuchen wieder verwendet, also Ar. empiricorum als pleophage, Agr. agrestis als herbivore, Ar. subftscus (vgl. pag, 459) und Li- max tenellus als mykophage Form. Zu den letztgenannten wurde auch der in den bisherigen Versuchen nicht verwendete, in den folgen- den aber häufig herangezogene Limax cinereoniger auf Grund der Literaturangaben gerechnet. Schließlich Limax arborum. Die Tiere kamen nicht im ausgehungerten Zustand zur Verwendung, wenn es nieht ausdrücklich gesagt ist. — Ich berichte nun zuerst systematisch über die Ergebnisse meiner Versuche. \ Pflanzen und Nacktschnecken. 465 Agaricaceae: Cantharelleae. Hier wurde nur der Pfifferling, Cantharellus eibarius, geprüft, mit dem Ergebnis, welches schon aus der Beobach- tung, daß der Pilz im Freien wenig unter Schneckenfraß zu leiden hat, abgeleitet werden konnte; er wird von unseren sämtlichen Schnecken nur sehr wenig angegangen, lediglich die Falten des Hymeniums, wohl auch die Oberhaut werden spurenweise befressen. Am meisten davon frißt noch Ar. subfuscus. Ob die Zähigkeit des Fleisches, oder ob chemische Stoffe, die seinen brennenden Geschmack bedingen, oder der auf ein ätherisches Öl zurückzuführende Geruch den Pilz schützt, muß fürs erste ganz ungewiß bleiben. Den naheliegenden Versuch, zu ver- gleichen, ob der „falsche“ Pfifferling C. aurantiacus, bei den Schnecken beliebter ist, als der echte, muß ich späteren Untersuchungen überlassen. Paxilleae. Der als Speisepilz vom Menschen geschätzte Paxil- lus involutus wird vom pleophagen Ar. empiricorum, wie auch vom mykophagen L. cinereoniger gern gefressen. Der Nachprüfung bedarf die Angabe meines Protokolls, daß junge Tiere der erst genannten Art ihn meiden. Der für unseren Geschmack außerordentlich bittere P. lepista wird von Ar. empiricorum gemieden; leider hatte ich keine Gelegenheit, ihn einer Pilzschnecke vorzulegen. Coprineae. Untersucht wurden C. porcellanus und atramen- tarius, zwei bekanntlich auch vom Menschen gegessene Arten. Agriol. agrestis befrißt nur die erstgenannte Art etwas, die zweite nicht. Auch L.arborum fraß nur ganz wenig davon. Alle anderen Schnecken, seien sie nun pleophage oder mykophage, nahmen beide sehr gern. Von Interesse ist es, daß wir hier auf mechanischen Schutz eines Pilzes gegen Schneekenfraß stoßen, insofern nämlich, als die trockenfaserige Beschaffenheit der Hutoberfläche von C. porcellanus bedingt, daß er im Gegensatz zu atramentarius nur ungern von oben her befressen wird, vielmehr pflegen sich die Tiere, wenn möglich durch etwa vor- handene Spalten des Hutes, oder zwischen Hut und Stiel hindurch zu zwängen, um dann innen an den Lamellen zu zehren. Auch wird wohl der ganze Pilz aufgefressen und nur die Oberhaut bleibt übrig. Lactarieae. Zur Gattung Russula (einschließlich Russulina) gehören ganz besonders von den Schnecken geschätzte Pilze. Mangels einer für unsere Zwecke wirklich brauchbaren Einteilung sondern wir sie in milde und scharfe (beurteilt nach menschlichem Geschmack!) und finden, um mit Ar. empiricorum zu beginnen, daß wohl alle milden, z. B. R. cyanoxantha, nauseosa, eitrina, alutacea. lutea, in- tegra u. a. m. sehr gern verzehrt werden. Pflanzt man solche Pilze Fiors. Bd. I11. 30 466 Wilhelm Benecke, in den Schneckenstall, so kriechen die Tiere nicht selten, ihrer negativen Geotaxis folgend, am Stiel in die Höhe, um am Hut und den Lamellen zu fressen; aber auch der Stiel wird schließlich gern verzehrt. Bietet man nun Ar. empiricorum eine scharfe Russula, so hat man zunächst den Eindruck, als ob sie ebensogern gefressen würde, als milde Arten. Schon Lewin!) fand, daß der Speiteufel, R. eme- tica von Schnecken reichlich gefressen wird. Stellt man aber Ver- suche an, die längere Zeit währen, so wird man stets finden, daß die milden bevorzugt werden. Jedenfalls gilt von R. emetica, fragilis und zumal sardonia, welche die unbeliebteste von allen zu sein scheint, daß milde ihnen vorgezogen werden. R. sardonia wird oft erst nach sehr langer Zeit, unter Vermeidung der Lamellen, von oben her befressen. Daß sie noch unbeliebter ist als andere scharfe Arten, zeigt sich, wenn wir etwa fragilis und sardonia gleichzeitig bieten; dann wird erstere gefressen. Auch junge Exemplare von Ar. empiricorum sind dem Genuß von sardonia nicht besser, vielmehr schlechter ange- paßt als ältere. — Arion subfuscus frißt ebenfalls alle milden Arten gern, von scharfen frißt er emetica, fellea, ochroleuca, ob eben so gern oder weniger gern als die milden Arten, vermag ich nicht zu sagen; auch nicht, ob er sardonia frißt. An R. fellea wurde er in natura ganz besonders häufig angetroffen. Limax cinereoniger verhält sich offenbar ähnlich, wie Ar. em- piricorum. Er frißt alle milden Täublinge, — geprüft wurden livida, depallens u. a., sehr gern; aber die brennend scharfe Art R. pecti- nata wird erst nach längerer Zeit, dann aber nicht ganz unbeträcht- lich befressen. — Limax tenellus verschmäht sardonia, wenn sie ge- meinsam mit den milden alutacea oder grisea geboten wird. Gegen die scharfe fragilis scheint er vielleicht einen Grad weniger empfind- lich zu sein, als etwa Ar. empiriorum, denn R. fragilis wird eben- sogern verzehrt als die milde R. decolorans. — Nicht wesentlich anders verhält sich L. arborum, der die milden, z. B. alutacea, ni- gricans, frißt, sardonia aber meidet. — Agriolimax agrestis ehd-, lich frißt die milden Arten auch lebhaft, während die scharfen sar- donia und emetica von ihm verschmäht oder nur wenig befressen werden. Alles in allem zeigt es sich somit, daß die Pilzschnecken vielleicht gegenüber den scharfen Täublingen etwas weniger empfindlich sind, als die pleophagen und herbivoren, daß aber höchstens ein gradueller, kein durchschlagender Unterschied vorhanden ist und daß jedenfalls die 1) Ber. d. Deutsch. bot. Ges. 1900, Bd. XVIEI, pag. 53. ne] Pflanzen und Nacktschnecken. 467 Spezialisierung der Pilzschnecken nicht so weit gegangen ist, daß sie etwa scharfe Arten den milden vorzögen. Ausdrücklich bemerke ich, daß ich es dahingestellt sein lasse, ob nun alle uns Menschenkindern scharf erscheinendenArten den Schnecken weniger munden als die milden; so ist z. B. noch ungewiß, ob R. fellea nicht ebensogern als die milden genommen wird. Auch R. foetens, um noch eine der bekannteren scharfen Arten zu nennen, habe ich nicht untersucht. — Ob die aus R. emetica, rubra und anderen scharfen Täublingen dargestellten Basen, oder ob andere für unseren Geschmack indifferente Stoffe es sind, welche den Schnecken die scharfen Arten verleiden, muß vorläufig ungewiß bleiben. Es lag nahe, die Beliebtheit der ‚milden Arten auf den großen Reichtum der Täublinge an Mannit zurückzuführen, und diese Überlegung bewog mich auch zur Durch- führung der oben erwähnten Mannitversuche, deren Ergebnis aber, wie wir sahen, nicht dafür spricht, daß Mannit für die Schnecken ein Reiz- stoff ist?). Lactaria. Agriolimax verschmäht Milchlinge schlechterdings. Arion empiricorum frißt die brennend scharfe L. rufa nicht minder wie subduleis, von scharfen ferner u. a. torminosa, vellerea, während er piperata und turpis meidet. Daß der Schneckengeschmack dem des Menschen nicht entspricht, zeigt sich auch darin, daß der milde Goldbrätling, L. volema, nicht gern verzehrt wird (nach Leutz?) sollen such Insektenlarven diesen geschätzten Speisepilz meiden). An Pilzschnecken habe ich nur wenige Erfahrungen mit Lactarien gesammelt. L. einereoniger frißt u. a. L. torminosa und zwar auch von der frisch hergestellten, stark milehenden Schnittfläche aus. Limax tenellus scheint den Birkenreizker weniger gern zu verzehren. — Es zeigt sich somit, daß die Milch die Pilze allenfalls gegen Herbivore ganz schützt, gegen Pleophage und Pilzspezialisten nur teilweise, und dabei wäre noch zu untersuchen, ob man wirklich von „Schutz“ sprechen darf, ob die Schnecken die Pilzsporen nicht vielmehr verbreiten. 1) Weil alie milden Russula-Arten von den Nacktschnecken gern verzehrt werden, lag es nahe zu untersuchen, ob eine dem Pilzgenuß abholde Schnecke, die große Weinbergschnecke, dieser Pilzgattung gegenüber eine Ausnahme macht. Es gelang mir aber auch durch langes Hungernlassen nicht, sie dazu zu bringen, daß sie Russula fraß. Auch alle anderen Pilze, die ich ihr vorwarf, verschmähte sie (Lactaria rufa, Lepiota, Boletus edulis, bovinus, Psalliota arvensis), während sie z. B. Möhren oder Urticablätter gierig verschlang. Auch Helix nemo- ralis gelang es mir, nebenbei bemerkt, nicht, zum Pilzfraß zu bewegen. 2) Die Schwämme. Gotha 1868, pag. 44. 30° 468 Wilhelm Benecke, Nun bat schon früher Kniep!), gleichfalls von Stahl dazu an- geregt, Untersuchungen über die Beziehungen der Schnecken zu Milch- lingen angestellt. Zwar hat er keine Freßversuche durchgeführt, wohl aber gefunden, daß zumal die Stahl’schen Omnivoren, weniger die Spezialisten, stark geschädigt, ja sogar getötet werden, wenn man ihren Rücken mit Milch betropft. Die Mich von L. vellerea war weniger schädlich, als die mancher anderer Arten. Zum Teil kann ich diese Ergebnisse bestätigen. Ich fand, daß der Saft von L.blennia besonders stark reizt. Agr. agrestis kriecht, mit demselben beschmiert, unter lebhafter Schleimausscheidung und krampfhaften Zuckungen, wie sie Kniep schon sah, mit großer Schnelligkeit aus dem mit geronnener Milch durchsetzten, selbst gebildeten Schleimmantel heraus und ist 24 Stunden später tot. Aber auch Limax tenellus wurde auf diese Weise stark geschädigt, während die beiden Arionen sich weniger beunruhigt zeigten. Ich halte weitere Untersuehungen für nötig, um zu entscheiden, ob wirklich, wie Kniep meint, Pleophage bzw. Herbi- vore durchweg gegen die Milch empfindlicher sind, als Mykophage, oder ob es eine von der Ernährungsweise unabhängige Eigentümlich- keit der Gattung Arion ist, weniger durch den Milchsaft geschädigt zu werden als die Gattung Limax oder gar Agriolimax. Wenn trotz schädigender Wirkung der auf den Rücken getropften Milch die Pilze vielfach gern verzehrt werden, so dürfte das mit der von Detto?) hervorgehobenen Tatsache zusammenhängen, daß die Haut der Schneckenlippen weniger empfindlicher ist, als die Rückenhaut. Agariceae. Ich untersuchte hier zunächst den Schwefelkopf, Hypho- loma faseiculare, der von Agriolimax agrestis verschmäht, von den anderen Nacktschnecken mäßig gern verzehrt wird. Bietet man den Schwefelkopf gleichzeitig mit dem als Speisepilz bekannten Stockschwämm- chen, so wird dieses entschieden weniger gern genommen, und zwar von Spezialisten ebensowohl wie von Pleophagen. Arion empiricorum zehrt davon noch am meisten. Ob etwa der Gerbstoffgehalt des Stock- schwammes die Abneigung der Schnecken bedingt, wäre noch zu unter- suchen; da dieser Gehalt, wie die Bücher®) sagen, je nach dem Stand- ort wechselt, dürfte es nicht schwer fallen, auch ohne Auslaugungs- versuche die Frage zu entscheiden, indem man gerbstoffreiche und ‚arme Exemplare den Schnecken in vergleichenden Versuchen vorwirft. 1) Fiora 1905, Bd. XCIV, pag. 129. 2) Fiora 1903. Diss. Jena, pag. 43, 3) Vgl. Zellner, J., Chemie der höheren Pilze. Leipzig 1907, pag. 133. Pflanzen und Nacktschnecken. 469 Psalliota: Diese Gattung wird wiederum vom Agriolimax agrestis gemieden. Ps. (Stropharia) viridula wird von Ar. em- Piricorum ganz verschmäht, von L. cinereoniger spurenweise ge- fressen. Von den „Edules* wird silvestris und campestris von Ar. empiricorum verzehrt, arvensis eigenartigerweise gemieden (Nach- prüfung erwünscht, Limax einereoniger meidet arvensis nicht. Collybia. Agriolimax verschmäht diese Gattung. C. radicata wird von Ar. empiricorum wie von Limax cinereoniger zer- fressen, letzterer meidet oft die Oberhaut. ©. maculata wird von Ar. empiricorum gemieden, von subfuscus gefressen, platyphylla wird von beiden verachtet. Eine weitere, leider nicht bestimmbare Art war insofern bemerkenswert, als sie nicht von Ar. empiricorum, etwas von Ar. subfuscus und sehr stark von Limax tenellus be- fressen wurde. Hier zeigt es sich also, daß ein Vertreter einer Pilz- gattung von Pilzspezialisten lieber als von Pleophagen verzehrt wird. In Clitocy belaccata, dem Chamaeleontrichterling, treffen wir einen Pilz, der von allen unseren Schnecken, seien sie spezialisiert oder nicht, gemieden wird. Nur einmal sah ich, daß Ar. empiricorum einen Hut halb abfraß, den zähen Stiel aber mied. Interessant wäre es zu wissen, ob dieser Pilz wegen seiner chemischen Eigenschaften oder wesentlich aus mechanischen Gründen, wegen seiner eigenartig knorpe- ligen Konsistenz, aus ähnlichen Gründen etwa, aus welchen nach Stahl Nostoc von Schnecken nicht gefressen wird, verschmäht zu werden pflegt. . Tricholoma gambosum wird von Arion empiricorum verschmäht, wenigstens die Lamellen, denen sogar, falls die Tiere hungrig sind, der zähe Stiel vorgezogen wird. Tricholoma equestre wird mäßig gern gefressen, saponaceum recht gern, und zwar Lamellen und Hutfleisch offenbar ziemlich gleick. Besonderes Interesse verdient es, daß Tricholoma nudum vom A. empiricorum sehr wenig be- fressen wurde. —- Vergleichen wir damit zunächst Limax einereoniger, so finden wir, daß er den erstgenannten Arten gegenüber eine ähnliche Geschmacksrichtung zur Schau trägt, wie Ar. empiricorum, nur frißt er von saponaceum die stark riechenden Lamellen entschieden weniger gern als das Hutfleisch. (Mehrfach in kurzläufigen Versuchen fest- gestellt.) Hier liegt also ein Fall vor, wo ein Pilzspezialist einen Teil eines Pilzes wegen dessen chemischer Zusammensetzung weniger gern nimmt, als ein Pleophager. Wasnun Arion subfuscus und Limax tenellus angeht, so war es bemerkenswert, daß diese beiden Tiere, das vom A. empiricorum so deutlich abgewiesene Tr. nudum sehr gern verzehrten. 470 Wilhelm Benecke, Hier meidet also eine pleophage Form einen Pilz, der von Pilzspezialisten gern gefressen wird. Leider konnte ich dem dritten Pilzspezialisten. (L. einereoniger) Tr. nudum nicht vorlegen, da zur Zeit, als der Pilz fruchtete, ich über diese Schnecke nicht mehr verfügte. — Limax arborum und Agriolimax agrestis meiden die Trieholomen, so- viel ich gesehen habe. Die Gattung Lepiota bietet in ihren Vertretern den Schnecken ebenso wie den Menschen geschätzte Speisepilze. Auch Amanitopsis plumbea wird gern gefressen. Wie sich Agriolimax diesen beiden Gattungen gegenüber verhält, habe ich allerdings noch nicht geprüft. Daß Armillaria mellea gern gefressen wird, habe-ich oben schon festgestellt und zwar von allen untersuchten Nacktschnecker, ein- schließlich Agriolimax. Zumal die Lamellen sind eine sehr be- liebte Kost. Amanita. Alle Arten dieser Gattung werden von Agriolimax agrestis ganz oder fast ganz vermieden. A. pustulata, der Perlpilz, wird von allen außer der eben ge- nannten Nacktschnecke gern gefressen. A. spissa wird von Ar. em- piricorum und L. cinereoniger gern verzehrt. A. muscaria ist ein mit Ausnahme von A. agrestis allgemein sehr beliebter Pilz. Oberhaut, Hut, Lamellen, Stiel, Knollen werden etwa gleich gern ver- zehrt. Die Vorliebe, die Ar. subfuscus für diese Art hat, hebt schon Simroth hervor. Auch A. umbrina, der Pantherschwamm, wird von Ar. empiricorum sehr gern genommen, eigenartigerweise aber wendet sich L. cinereoniger von ihm ab. Hier tritt uns zum erstenmal der Fall entgegen, daß ein Pilz von einem Spezialisten gemieden, von einem Pleophagen gefressen wird. A. strobiliformis wird von Ar. em- piricorum reichlich gefressen, andere Schnecken zu untersuchen, hatte ich noch keine Gelegenheit. A. porphyrea wird gern verspeist von Ar. subfuscus und L. cinereoniger. A. phalloides, einer der „Knollenblätterpilze“. Hier scheiden sich die genera: Ar. empiricorum und subfuscus fressen ihn gern, ja gierig, verschmäht wird nur die Oberhaut und die Volva. Man kann, wenn man das sieht, sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Volva als eine Art Schutzorgan für die von ihr eingeschlossene Kuolle, die gern verzehrt wird, dient. Im scharfen Gegensatz zu den Arionen aber wenden sich die Limaces von phalloides ab und verschmähen ihn unter allen Umständen. Das Interesse an diesen Befunden liegt darin, daß hier ein Pilz vorliegt, der von einer pleophagen Form und einer speziali- sierten gern verzehrt wird, — eben den beiden Arionen, während sie Pflanzen und Nacktschnecken. 471 von anderen Pilzspezialisten, den beiden Limaces, verschmäht wird, und zwar ganz sicher nicht aus mechanischen Gründen, sondern wegen irgend- welcher chemisch wirksamer Bestandteile. Es handelt sich hier also nicht um Unterschiede zwischen Pleophagen und Spezialisten, sondern um Differenzen zwischen den beiden Schneckengattungen, Im Gegensatz zu A. phalloides wird der zweite Knollenblätter- pilz, A. mappa, wenigstens Hut und zumal Lamellen, nicht nur von Limax, sondern auch von Arion empiricorum und subfuscus ver- schmäht. Der Stiel, zumal dessen Basis und besonders die Knolle, wird aber gern verzehrt. Auffallend ist der Anblick, den ein Versuch ge- währt, bei welchem man zwei im Stall nebeneinander eingepflanzte Knollenblätterpilze, ein Exemplar von mappa, eines von phalloides zum Fraß darbietet. Phalloides wird am nächsten Morgen, vielleicht bis auf die Oberhaut des Hutes und die leere Scheide, aus welcher die Knolle herausgefressen ist, verschwunden sein; mappa bleibt zuerst un- berührt, dann wird der Stiel zerfressen, in erster Linie die Basis, hier- auf die Knolle ausgehöhlt und Hut nebst Lamellen werden erst nach langer Zeit etwas benagt. Eigenartig ist es, daß nicht selten auch ein Tier eine ganze Zeitlang an mappa frißt, um sich dann plötzlich mit Be- stimmtheit abzuwenden, als ob ein schlechter Geschmack erst nach einiger Zeit zum Bewußtsein käme. Auch gelangen hier und da Individuen von Ar. empiricorum zur Beachtung, welche von mappa zwar nicht entfernt so viel, als etwa von muscaria fressen, aber doch nicht un- beträchtlich davon zehren. Hier dürften wohl individuelle Differenzen zwischen den Schnecken vorliegen. Übrigens verhält sich die forma ater ebenso, wie braune oder rote Sippen. Wie Ar.empiricorum ver- hält sich auch subfuscus. Auch er frißt die Knolle, indem er sie aushöhlt, sehr lebhaft, verschmäht aber Hut und Lamellen in den meisten Fällen. Limax cinereoniger wendet sich unter allen Umständen sehr bald widerwillig von A. mappa ab, wenn er etwas davon gefressen haben sollte, Limax tenellus verhält sich ebenso, frißt allenfalls von Stiel und Knolle. Auch L. arborum meidet den Pilz. Nun findet man in natura unseren Pilz häufig stark von Schnecken befressen, und zwar auch Hut und Lamellen. Ich gestehe, daß ich mir selbst diesen Widerspruch zwischen meinen Versuchsergebnisser und der Beobachtung im Freien nicht ganz erklären kann. In der hiesigen Gegend fand ich besonders häufig kleine Exemplare von Ar. subfuscus an dem Pilze, obwohl dieselben ihn doch im Versuch ablehnen. Ob sie an ihrem natürlichen Standort nur widerwillig davon kosten, falls besser zusagende Nahrung fehlt oder ob andere vorläufig noch nicht zu durchschauende 472 Wilhelm Benecke, Momente mitspielen, weiß ich nicht. Daß andere Nacktschnecken, als die von mir untersuchten dem Pilz besonders zugetan sind, halte ich für unwahrscheinlich. Sehr auffällig ist es wohl ohne Zweifel, daß eben die für den Menschen giftigsten Pilze auch von den Schnecken mehr oder minder gemieden werden, und man wird sich nur schwer des Glaubens er- wehren können, daß dieselben Stoffe, die dem Menschen schädlich sind, auch die Schnecken abstoßen. Immerhin betone ich, daß ich in den Fällen, in welchen einzelne Schnecken regelwidrig viel von A. mappa gefressen hatten, niemals eine Andeutung von Vergiftung wahrnehmen konnte. Auch der Genuß von phalloides hatte für Ar. empiricorum nie schlimme Folgen. Ferner ist zu beachten, daß A. phalloides, die nach den Angaben der Sachverständigen !) die für Menschen giftigere Art von beiden Knollenblätterpilzen ist, immerhin von den Arionen gefressen wird, während mappa, die von einigen Forschern sogar für harmlos gehalten wird, allen Nacktschnecken widerwärtig ist, wenigstens Hut und Lamellen. . A. verna. Einige wenige Versuche zeigten mir, daß diese Art, wie mappa von Ar. empiricorum und L. cinereoniger gemieden wird. Genauere Versuche wären erwünscht. Hydnaceae. H.imbricatum und repandum wurden geprüft mit dem Ergebnis, daß sie nicht allzu beliebt sind. Weitere Unter- suchungen bleiben abzuwarten, Polyporeae. Untersucht wurden im wesentlichen nur einige Boleti. Diese werden, wie der Augenschein lehrt, und auch Simroth 2. B. hervorhebt, von den Schnecken im allgemeinen gern gefressen. Vielfach werden sie im jugendlichen Zustand gemieden, wie man das u. a. am Stein- oder Maronenpilz beobachten kann. Ob darin eine biologische Bedeutung liegt und dadurch erreicht wird, daß erst reife Sporen von den Schnecken gefressen und verschleppt werden, müßte noch untersucht werden. Von allen meinen Versuchsschnecken frißt nur Agriolimax agrestis die meisten Boleti nicht oder kaum an, nur das Rothäubchen sah ich einmal etwas stärker von ihm befressen. Von den übrigen frißt Arion empirieorum gern: B. luteus, elegans, edulis uam, fast gar nicht aber die dem Menschen. bitter schmeekenden Piperatus und felleus. Luridus wird nur sehr mäßig befressen, 1) Vel. Dittrich, @., Ber. d. Deutsch. bot. Ges. 1915, Bd. XXXIM, pag. 508 und 1916, Bd. XXXIV, pag. 719. ee 2 Pflanzen und Nacktschnecken. 473 satanas habe ich leider nicht untersucht. Eigenartig ist, daß die Gruppe der „Subtomentosi“ offenbar weniger beliebt ist; so wird im Versuch variegatus wenig befressen, desgleichen subtomentosus und auch B. chrysenteron, der zwar keineswegs verschmäht aber doch nicht ganz besonders gern verzehrt wird. Ob diese Unbeliebtheit für alle Subtomentosi Fries gilt, wäre noch zu prüfen, Auch L. einereoniger frißt B. subtomentosus nicht gern, während er z. B. bovinus, luteus u. a. m. liebt. Über die Frage, ob sich Pleophage und Mykophage sonst in ihrem Verhalten gegen Boleti unterscheiden, babe ich nicht weiter gearbeitet. Limax tenellus fraß edulis, badius, luteus gern. Auffallend war, daß er die an Stickstoffverbindungen reichen Röhren dem Hutfleisch vorzog, während sich Limax arborum umgekehrt verhielt und ent- schieden das Hutfleisch lieber fraß, als das Hymenium, ein Befund der näherer Untersuchung wert ist. Plectobasidineae Scieroderma vulgare wird von Ar. empiricorum und L. cinereoniger verschmäht. Ascomyzeten. Ich habe nur wenige Erfahrungen über den Fraß von Nacktschnecken an Ascomyzetenfrüchten gesammelt. Frucht- körper von Bulgaria polymorpha wurden von den beiden Arionen und von Limax tenellus gefressen, von L. arborum verachtet. Fruchtkörper von Peziza badia und aurantiaca wurden von Arion empiricorum nur sehr mäßig oder gar nicht befressen, vom Pilzspezialisten Limax tenellus aber gern genossen. Da ich mit Ar. subfuscus undLL. cin. nig. keine Versuche mehr anstellen konnte, muß ich die Frage offen lassen, ob sich im Verhalten gegen diese Pilze Spezialisten von Pleophagen, oder ob sich darin das genus Limax vom genus Arion unterscheidet. — Es lohnt sich aber, an diese letztgenannte Be- obaehtung einen kleinen geschichtlichen Rückblick zu knüpfen: Stahl gründete seine Unterscheidung der Schnecken in omnivore und speziali- sierte u. a. auf folgenden Versuch: Er warf Arion empiricorum und Limax maximus frische und ausgelaugte Stücke von Peziza vesiculosa vor. Daraus, daß Arion im wesentlichen nur die aus- gelaugten Stücke verschlang, schloß er, daß diese Form auch anderen frischen Pilzen gegenüber sich ablehnend verhalte und stellte ihn mit den Gehäuseschnecken, mit Agriolimax u. a. in dieselbe ernährungs- physiologische Gruppe, eben die der von ihm sogenannten Omnivoren. Hätte er nun, statt des genannten Ascomyzeten etwa einen der von Arion empiricorum gern gefressenen Basidiomyzeten zu solchen Versuchen benutzt, so wäre er, wie ich vermute, zu dem Ergebnis gekommen, daß 474 Wilhelm Benecke, diese Schnecke den Pilz frisch lieber nimmt, als ausgelaugt, und sich also anders verhält, als Agriol. agrestis. Jedenfalls glaube ich nicht, daß Arion empiricorum einen Pilz, wie etwa den Fliegenpilz, den er so leidenschaftlich gern frißt, lieber im ausgelaugten, als im frischen " Zustande verzehrt. Natürlich müßte auch hier der biologische Versuch entscheiden, den ich bisher nicht angestellt habe. Was wir über den Pilzfraß dureh Nacktschnecken ermittelt haben, können wir nunmehr mit den im Teil I wiedergegebenen Ergebnissen unserer Versuche zusammenfassen, wie folgt: An Stelle der von Stahl getroffenen Einteilung der Nacktschnecken in Omnivore und Pilzspezialisten setzen wir die Dreiteilung in Pleo- phage, Herbivore und Mykophage. Sapro- und Sarkophagie haben wir aus unseren Betrachtungen ausgeschaltet. Als pleophag bezeichnen wir solche Nacktschnecken, welche eine große Zahl der verschiedensten Pilze, grünen Blätter, Wurzeln oder Früchte von Blütenpflanzen gern fressen, und wenn man ihnen die ge- nannten Pflanzenteile gleichzeitig bietet, keinen derselben vor einem anderen ganz wesentlich bevorzugen. So ist Arion empiricorum pleophag, weil er gleichzeitig dargebotenen Täubling, Hallimasch, Spinat- blätter, Kartoffelscheiben annähernd gleich gern verzehrt. Herbivor sind solche Formen, welche außer Kräutern und anderen Teilen höherer Pflanzen zwar auch einzelne Pilze fressen, z. B. die eben genannten, jene aber diesen doch vorziehen, wenn sie ihnen gleichzeitig zur Verfügung stehen. Als Beispiel ist Agriolimax agrestis zu nennen. Mykophag endlich ist z. B. Limax tenellus, weil er die verschiedensten, ihm zusagenden Pilze lieber frißt, als gleichzeitig gebotene Teile höherer Pflanzen, die er darum aber nicht unbedingt zu verschmähen braucht. Daß diese Dreiteilung mit fortschreitender experimenteller Er- kenntnis, bei Heranziehung anderer Nahrungsmittel und anderer Nackt- schnecken, sich vielleicht noch ändern wird, zeigt die Tatsache, daß es nicht gelungen ist, über die Ernährungsansprüche des als Flechten- fresser geltenden Limax arborum ganz klar zu werden. Nur die Erfahrung der Zoologen, daß er lebende, grüne Blätter streng meidet, konnte an einer größeren Zahl von Blättern bestätigt werden. Einige vorläufige Versuche mit chemisch reinen Substanzen zeigen, daß der pleophage Arion empiricorum, dem sich sein Gattungs- genosse, der Pilzspezialist A. subfuscus, anschließt, Zucker- und Ei- weißlösungen etwa gleich gern nimmt, daß Agriolimax agrestis, Pflanzen und Nacktschnecken. 475 Zucker bevorzugt, und der mykophage Limax tenellus sich durch höhere Zuckerkonzentrationen eher abschrecken läßt. Mit reinem Wasser getränkte Agarwürfel oder andere indifferente Dinge werden von den Nacktschnecken gemieden ; sie bedürfen, wie schon Stahl fand, sogenannte Reizstoffe, damit ibnen die Nahrung schmackhaft wird. Als Reizstoff wirkt z.B. auf die beiden Arionen Zucker, Pepton, Glycogen und wohl noch sehr viele andere Stoffe, auf A. agrestis u. a. Zucker, auf I.tenellus z.B. Glyecogen. Genaue Untersuchungen in dieser Richtung stehen aber noch aus. Ist es somit möglich, daß neben anderen in Pilzen verbreiteten Stoffen auch das Glycogen den Schnecken, welche Pilze fressen, diese schmackhaft macht, so gilt das sicher nicht vom Mannit, der nicht als Reizstoff auf unsere Nacktschnecken wirkt. Natürlich fressen die Vertreter der oben genannten drei ernährungs- biologischen Gruppen, obwohl sie alle mit größerer oder geringerer Vorliebe Blätter verzehren, diese nicht unterschiedslos; vielmehr konnte ich feststellen, in Übereinstimmung mit Stahl, daß u.a. das Blatt von Oenothera gegen alle Nacktschnecken stark geschützt ist. Ob die von Stahl gefundenen Schutzeinrichtungen gegen pleophage, herbivore und mykophage Nacktschnecken gleich wirksam sind, bleibt noch zu unter- suchen. Über die Beziehungen zwischen Pilzen und Nacktschnecken wurde folgendes ermittelt: Der herbivore Agr. agrestis verzehrt nur wenige Pilze gern, z.B. milde Täublinge, den Hallimasch. Beziehungen zwischen dem Standgebiet dieser Schnecke und dem Standort der genannten Pilze dürften nicht bestehen. Pleophage und Mykophage fressen eine weitaus ‚größere Zahl von Pilzen, es findet aber doch kein wahlloser Fraß statt, wie wir in Büchern angegeben finden. Ob die Zahl der' von Pleophagen oder von Mykophagen gern genossenen Pilzarten größer ist, läßt sich auf grund der vorliegenden Beobachtungen noch nicht entscheiden. Manche Pilze werden von pleophagen wie von mykophagen Nackt- schnecken gleicherweise gemieden oder sehr ungern gefressen, z. B. Pfiffer- ling, Chamaeleontrichterling, Amanita mappa. Bei den erstgenannten Arten können dafür mechanische Gründe verantwortlich gemacht werden, bei der letzteren gibt sicher die chemische Zusammensetzung den Aus- schlag. Der Gattung Russula sind die Mykophagen eher besser angepaßt, als die Pleophagen, insofern manche uns scharf erscheinende Arten von ersteren mehr als von letzteren gefressen werden; groß ist aber der 476 Wilhelm Benecke, Unterschied nicht. Auch bei der Gattung Collybia oder Tricholoma finden wir spezies, die von Mykophagen gern, von Pleophagen nur un- gern genossen werden (z. B. Tricholoma nudum). An bestimmten anderen Pilzen, so an dem überhaupt nur ungern genossenen Stock- schwamm, Pholiota mutabilis, zehren die Pleophagen eher mehr, als die Mykophagen. In wieder anderen Fällen treten Unterschiede zwischen den Schneckengattungen unabhängig von ihrer allgemeinen ernährungs- biologischen Anpassung zutage. So wird A. phalloides vom genus Arion, und zwar von dem pleophagen Arion empiricorum und dem Pilzspezialisten A. subfuscus gern gefressen, vom genus Limax aber, Limax tenellus und Limax einereoniger gemieden. Einige Pezizen werden, soweit untersucht, von A. empiricorum nur ungern, von Limax tenellus aber gern verspeist; es ist noch unentschieden, wie sich andere Arten beider Schneckengattungen gegenüber diesen Schlauch- Pilzen verhalten. Was die von vielen Forschern vielleicht für unzulässig gehaltene Frage angeht, in wieweit der Geschmack der Schnecken mit dem des Menschen parallel geht, so ist gänzlich überflüssig zu betonen, daß keine vollständige Parallelität herrscht, doch ist es immerhin interessant, daß manche Analogien nicht zu verkennen sind. So werden die meisten uns brennend scharf erscheinenden Russula-Arten von den Nackt- schnecken, seien sie pleophag oder spezialisiert, weniger gern genommen, als die milden. Bei Lactaria ist das Vorkommen eines uns brennend scharf erscheinenden Milchsaftes andererseits kein sicheres Zeichen dafür, daß die Schnecken diese Formen verschmähen. Auch werden manche vom Menschen geschätzte Speisepilze, so die Ziegenlippe, das Stock- schwämmchen usw. weder von Pleophagen, noch von Spezialisten gern verzehrt. Am auffallendsten ist wohl die Erscheinung, daß Schnecken gegenüber den für den Menschen giftigsten Hymenomyzeten, sich, wie oben schon gesagt, eigenartig verhalten, indem Hut und Lamellen der A. mappa von allen Nacktschnecken im Versuch mehr oder minder ge- mieden werden, und A. phalloides wenigstens von den Limaces ver- schmäht wird. Andere Giftpilze andererseits, so der Fliegenpilz, sind, wie längst bekannt, bei den Nacktschnecken sehr beliebte Speisepilze. Alle diese Versuchsergebnisse müssen nun noch durch genauere Beobachtungen in freier Natur mit dem Verhalten der Schnecken an ihrem natürlichen Standort in Einklang gebracht werden. In ökologischer Beziehung ist ferner noch festzustellen, ob der Fraß von Schnecken an Pilzfruchtkörpern für die Pilze vorteilhaft ist und die Sporen- verbreitung fördert, oder ob dem nicht so ist. Pflanzen: und Nacktschnecken. 477 Viele der eben berührten Probleme kristallisierten erst im Lauf meiner Untersuchungen allmählich klar heraus und konnten darum vor- läufig noch nicht eingehend bearbeitet werden. Doch hoffe ich gezeigt zu haben, daß Simroth’s Wort noch heute gilt, daß die „Nackt- schnecken den anregenden Reiz vielseitiger Probleme haben“. Herr Privatdozent Dr. A.Heilbronn, sowie Herr Dr. A. Schilling waren mir bei der Bestimmung mancher Pilze behilflich. Herr stud. M. Gallus hat mich bei der Durchführung einiger Versuchsreihen treu unterstützt. Die Griffelhaare der Campanulablüte. Von L. Jost, (Mit 12 Abbildungen im Text.) Schon Chr. Konrad Sprengel?!) wußte, daß die Campanula- blüte zwei auffallend verschiedene Stadien durchmaeht: im ersten, bereits in der Knospe beginnenden, männlichen Stadium wird der Blüten- staub aus den Antheren in die Fegehaare abgeladen, die sich am oberen Ende des Griffels befinden; im zweiten, weiblichen öffnen sich erst die Narben, und erfolgt deren Bestäubung mit dem Pollen einer jüngeren Blüte. Daß aber im weiblichen Stadium die Griffelhaare, die bislang den Blütenstaub aufgesammelt hatten, verschwinden, das haben erst spätere Autoren festgestellt, am genauesten wohl Brongniart?) Er zeigte, daß diese Haare nicht etwa wie Alph. de Oandolle ange- nommen hatte, abfallen, sondern daß sie in einer Weise, die sonst bei- spiellos im Gewächsreich dasteht, sich in sich selbst zurückziehen. Daß dieser Vorgang das Interesse der Botaniker fesselte, ersieht man daraus, daß Schleiden?) in seinen „Grundzügen“ ein solches Griffelhaar einer Campanula abbildet und den Prozeß seiner Einstülpung mit folgenden Worten schildert: „Sehr eigentümlich sind die Haare, deren Inhalt zu einer bestimmten Zeit verschwindet, ohne wie es scheint durch Luft ersetzt zu werden, so daß das Haar dadurch zum Teil in seine eigene Höhle hineingezogen wird. Diese merkwürdige Erscheinung findet sich besonders an den Haaren des Stylus der Campanulaceen, kommt aber auch gar nicht selten bei den kugeligen Endzellen kopfförmiger Haare vor...“ Auch in Weiß’*) „Anatomie der Pflanzen“ und schon früher in seinen „Pflanzenhaaren“ sind diese Griffelhaare im wesentlichen im Anschluß an Brongniart behandelt, in der Anatomie auch in Fig. 221 in nicht ganz korrekter Weise abgebildet. 1293 1) Sprengel, Chr. Konrad, Das entdeckte Geheimnis der Natur. Berlin 2) Brongniart, Annales d. se. nat. Bot. 1839, Ser. II, 12, 244, 3) Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik, 4. Aufl. Leipzig 1861, pag. 203 und Fig. 96. \ 4) Weiß, G. A, Anatomie der Pflanzen. Wien 1878, pag. 357. Ders., Die Pflanzenhaare in Karstens botan. Untersuchungen 1867, Bd. I. in Die Griffelhaare der Campanulablüte, 479 Trotz der eingehenden Bearbeitung, die in den letzten 50 Jahren die Ökologie der Blüte gefunden hat, haben sich die Angaben über die Griffelhaare der Campanulaceen nicht vertieft. Bei Hermann Müller?!) findet sich nur die kurze Bemerkung: „sie werden allmählich in sich zurückgezogen“; bei Kirchner?), der sich am gründlichsten mit, der Ökologie der Blüte zahlreicher Campanula-Arten beschäftigt hat, stehen nur die wenigen Worte (pag. 200): „jedes Sammelhaar zieht sich in seine zwiebelförmige Basis zurück. Die Einziehung schreitet basipetal fort“. Knuth°) endlich, dessen Zusammenfassung der Blüten- ökologie bekanntlich sehr wenig zuverlässig ist, sagt über das Ver- schwinden der Bürstenhaare kein Wort. i So schien es mir nicht ohne Interesse, Bau, Entwicklung und Einstülpung dieser Haare nochmals eingehend zu untersuchen. Über ibre ökologische Bedeutung bestehen keine Zweifel. Bei der großen Mehrzahl der Campanula-Arten sowie einigen ver- wandten Gattungen (wie Platycodon, Symphyandra) treffen wir im wesent- lichen immer wieder die gleiche Form des Griffelhaares an. Zur näheren Untersuchung diente Symphyandra pendula, Campanula medium, rapunculoides, fragilis und vor allem alliariaefolia. Die Haare bestehen, wie schon Brong- niart beschrieben hat, aus dem eigentlichen Haarkörper, der über die Griffeloberfläche vorragt, und aus dem Haarfuß, der in ein kleinzelliges Gewebe eingesenkt ist. Der Haarkörper ist z. B. bei Camp. rapun- culoides ein langer, sich ganz allmählich zu- spitzender Kegel, der aber derart gekrümmt ist, daß seine Konkavseite nach der Griffel- KR spitze zugöwendet ist; während er am An- Hf satz fast rechtwinklig auf der Oberfläche Fig. 1. Längsschnitt durch steht, ist sein Ende fast parallel zu ihr (Fig. 1). den Griffel von Camp. rapun- In anderen Fällen, z. B. bei C. alliariaefolia, Aa a Harkhenen ist die äußerste Spitze besonders stark ge- Af Haarfuß. G 3} Müller, H., Die Befruchtung der Blumen durch Insekten. Leipzig 1873, pag. 374. Ähnliche Angaben auch in „Alpenblumen“. Leipzig 1881, pag. 402. 2) Kirchner, Jahreshefte des Vereins für Naturk. Württbg. 1897, Bd. LI, pag. 200. 3) Knuth, Handbuch der Blütenbiologie, Bd. II, 2, pag. 3. 480 L. Jost, bogen und es stehen zwischen den langen, gebogenen einzelne kurze, gerade Haare (Fig. 2). Der Haarfuß bildet etwa einen Winkel von 45° mit der Griffeloberfläche; Haarfuß und Haarkörper bilden demnach, wo sie aneinanderstoßen, einen stumpfen Winkel. — Im Inneren des Haares ist das wandständige Protoplasma und eine Anzahl von Protoplasma- strängen sehr ‚auffallend, weil sie eine sehr lebhafte Zirkulationsbewegung aufweisen. Mit Recht hat Schleiden deshalb dieses Objekt zur Demonstration der Plasmaströmung emp- fohlen. — Die Membran des Haarkörpers nimmt von der Basis nach der Spitze an Dicke beträcht- zu und zeigt schon ohne An- wendung von Reagentien drei Schichten (Fig. 3}: die äußerste, oft fein längsgestreifte und mit Sudan färbbare ist die Cuticula; darauf folgt die zweite, dickste Schicht, die wir Pektinlamelle nennen wollen, während die innerste, glänzende Schicht als gig. 3. Ende eines Zelluloselamelle bezeichnet wer- Haares von Camp. Fig. 2. Längsschnitt . alliariaefolia. Vergr. ducch den Griffe] den soll. Letztere wird durch 360. x Outicula, P von Camp. alliariae- Chlorzinkjod schmutzig violett; Pektinlamelle, € folia. Vergr. 40. mit Rutheniumrot färbt sich Zelluloseiamelle, unter Umständen nur die Pektinlamelle oder auch noch, aber schwächer, die Zelluloseschicht. Die, Pektinlamelle ist in verdünnter HC1 stark quellbar, manchmal, z. B. bei Campanula fragilis, enthält sie auch Kri- stalle von Kalziumoxalat eingelagert. Die Zelluloseschicht weist meistens sehr deutliche annähernd quer verlaufende Streifung auf, die durch lokale Verdickung bedingt ist (Fig. 4). Die oberste Zellschicht des Griffels berindet den Haarkörper an seiner Basis, namentlich am unteren Ende. Dementsprechend sieht man an Flächenansichten bei hoher Einstellung einen auffallenden Halb- kranz von Zellen (Fig. 5). Aber auch in den Längsschnitten treten diese einseitigen Berindungen deutlich genug hervor (Fig. 6). — Der Haarfuß ist ungewöhnlich groß im Verhältnis zum Haarkörper und wird dadurch eben befähigt, bei der Einstülpung den größten Teil des Haarkörpers in sich aufzunehmen. In seiner‘ Wand setzen sich die Pektinschicht und die Zelluloseschicht des Haarkörpers, freilich wesent- lich verdünnt, fort. Das kleinzellige, außen wenigstens lückenlos schließende Gewebe, wu u an - Die Griffelhaare der Campanulablüte, 481 in das der Haarfuß eingesenkt ist, wird erst durch entwicklungsgeschicht- liche Untersuchung aufgeklärt. Da zeigt sich, daß es ausschließlich aus dem Dermatogen hervorgeht, also eine mehrschichtige Epidermis ist. Ein Längsschnitt durch eine 4 mm lange Knospe von Campanula ra- punculoides zeigt die Oberfläche des Griffels noch von einer einfachen Epidermis überzogen, in der die künftigen Haarzellen sich schon durch ihre Größe und Vorwölbung nach außen kenntlich machen (Fig. 7a). Einen Längsschnitt durch die 8 mm lange Knospe zeigt Fig. 7b; zahl- reiche perikline Teilungen, zu denen auch antikline hinzukommen, lassen die Basis des Haares schon tief in das Gewebe eingebettet erscheinen und machen den Endzustand ohne weiteres verständlich. Gegen die Basis des Griffels zu sind übrigens die Teilungen der Epidermis weniger zahlreich und dementsprechend sind hier die Haarfüße kleiner und weniger tief eingesenkt. Fig. 4. Fig. 5. cP Ir AR Fig. 4. Stück eines Haares von Camp. allia- riaefolia. Vergr. 360. Bezeichnung wie in Fig. 3. Rechts optischer Längsschnitt durch die Wand. Links Fiächenansicht: bei hoher Einstellung die Cuticularstreifung, bei etwas tieferer Einstellung die Streifung der Zellu- loselamelle zeigend. Fig. 5. Querschnitt durch ein eingestülptes Haar an seiner Basis. Vergr. 360. Z% Halb- kranz berindender Epidermiszellen,. Zi Ein. gestülpter Teil des Haares. Fig. 6. Längsschnitt durch die Griffelober- fläche von Camp. alliariaefolia. Vergr. 160. Wenn auch in weitaus den meisten Fällen gerade das Fehlen von periklinen Teilungen charakteristisch für das Dermatogen ist, so gibt es doch bekanntlich Beispiele genug für mehrschichtige Epidermen; besonders an Blättern treten sie als „Wasserspeicher“ auf. Mit diesen Fällen den unserigen zu vergleichen, hat wenig Zweck, da die Viel- schichtigkeit der Epidermis hier eine ganz andere Bedeutung hat. Größer scheint mir die Ähnlichkeit mit den Brennhaaren der Urticaceen Flora. Bd. Ill. 31 482 L. Jost, und verwandten Gebilden. Hier wird ja auch durch das Wachstum des Haarfußes die benachbarte Epidermis mit gestreckt und teilt sich periklin, so daß sie schließlich eine Berindung des Fußes bildet (Rauter; Kny)!). Man könnte die Verhältnisse, die am Griffel von Campanula realisiert sind, in der Weise von denen bei Urtica ableiten, daß man sagt: hier sind die Haare so dicht gedrängt, daß es nicht zu einer Berindung jedes einzelnen, sondern zu einer gemeinsamen Berindung aller kommt. Auf alle Fälle muß man demnach betonen, daß die Mehr- schichtigkeit der Griffelepidermis bei den Campanulaceen nichts besonders Auffallendes hat; um so be- merkenswerter ist aber eine Differenzie- rung in dieser Epidermis, nämlich die Ausbildung von Trachealelementen. — Am unteren Ende des Griffels von Cam- panula alliariaefolia findet man sechs Gefäßbündel im Kreis um den Griffelkanal Fig. 7b. Fig. 7a. Fig. 7. Längsschnitt durch junge Fig. 8. i Griffel von Campanula rapunculoides. "Narbe San: Vergr. FE 7a aus einer 4mm, 7b aus einer 8mm G Gefäß i - langen Knospe. Vergr. 160. i "ben don Haar gestellt. Nach oben spalten sich diese, und schließlich treten je sechs in jede der drei Narben ein. Von diesen Bündeln gehen dann ausschließlich im Narbenteil der Griffel vereinzelte Auszweigungen durch die Rinde, verlaufen parallel zu den Haarfüßen und enden zwischen diesen in einiger Entfernung unter der Außenschicht der Epidermis blind i) Rauter, Denkschriften der Wiener Akad. Med. 7 . \ B „nat. KL, 31, 18%. — Kny, Botanische Wandtafeln 1874, Tafel 6, Fig. 3— 5. rue m ER Te. Die Griffelhaare der Campanulablüte, 483 (Fig 8, 9). Bei Campanula alliariaefolia sucht man meistens vergeblich nach ihnen, bei rapuneuloides dagegen treten sie in großer Zahl auf und bilden außerhalb der Hauptbündel eine Schicht netzförmig anasto- mosierender Außenbündel. Zwischen den Maschen des Netzes sind dann die Haare eingefügt, deren Fuß demnach allseits nahe an diese Gefäße angrenzt (Fig. 10). Auch hier aber ist diese aus der Epidermis hervorgegangene Trachealmasse auf den Narbenteil des Griffels be- schränkt. Ob auch Siebröhren entwickelt werden, also vollständige Fig. 9. Fig. 10. Fig. 9. Längsschnitt der Narbe von Camp. rapuneuloides. Vergr. 160. Zwischen den Haarfüßen Gefäßbündelenden (7). Ein Haar eingestülpt; hat Pollenkörner (P) mit in die Höhlung eingezogen. Fig. 10. Tangentialschnitt durch die Narbe von Camp. rapunculoides. Vergr. 40. Gefäßbündelenden in der Epidermis erzeugt werden, konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen. Wenn auch durch Regenerationsversuche, z. B. bei Begonia, der Nachweis längst erbracht ist, daß das Dermatogen, die Fähigkeit Gefäße zu produzieren, nicht entbehrt, so ist doch meines Wissens in der normalen Entwicklung bei Campanula zum ersten Male eine solche Gewebedifferenzierung konstatiert. An die Seite stellen könnte man ihr wohl die von Haberlandt?) beobachtete Entstehung von sklerenchymatischen Faserelementen aus der Epidermis bei Cyperus. 1) Haberlandt, Entwicklungsgeschichte des mechanischen Gewebesystems. Leipzig 1879, pag. 12. ’ ” 31° 484 L. Jost, Weniger merkwürdig ist es, daß auch Milchröhren vereinzelt in der mehrschichtigen Campanulaepidermis zur Ausbildung gelangen; wissen wir doch, daß auch anderwärts (Cichoriaceen) einzelne Haare Anschluß an die Milehröhren finden und sich selbst zu solchen umbilden. Erwähnt muß schließlich noch werden, daß die Epidermis hier, ab- weichend von ihrem sonstigen Verhalten, auch Interzellularen ausbildet, die im Zusammenhang mit denen der Rinde in die Innenschichten zwischen die Haarfüße hereinstrahlen. Die Haare nun, deren Bau und Entwicklung im Vorstehenden geschildert wurden, stülpen sich in einem bestimmten Stadium der Blütenentwicklung derartig ein, daß äußerlich nichts mehr von ihnen zu sehen ist. Zur Beobachtung der Einstülpung eignet sich ganz besonders .Campanula alliariaefolia; einmal weil sie lange Zeit blüht und dann weil hier der Einstülpungsprozeß an der abgeschnittenen, in Wasser stehenden Blüte verfolgt werden kann, was durchaus nicht für alle Spezies zutrifft. Im Gegenteil, es zeigt sich, daß gerade die Haar- einstülpung ein außerordentlich empfindlicher Vorgang ist, der leichter als andere durch scheinbar geringfügige Störungen verbindert wird. So unterblieb die Haareinstülpung an abgeschnittenen Blüten von Camp. trachelium, obwohl Wachstum und Oeffaungsbewegung dieser Blüten sonst normal verlief. Und bei Camp. sarmatica fand ich sogar, daß die Übertragung der intakten Topfpflanze in ein anderes Gewächs- haus schon genügte, die Einziehung der Griffelhaare zu hemmen. Junge, eben geöffnete Blüten trifft man bei Campanula alliariaefolia zu allen Tageszeiten vereinzeit an, die Hauptmenge jedoch geht gegen Abend auf. Im Laufe des folgenden Vormittags wird dann an schönen Tagen der Blütenstaub sehr fleißig von Insekten geholt. In den ersten Mittagsstunden beginnt die Einstülpung der Haare zunächst auf der Außenseite der Narbe und schreitet von da basal am Griffel abwärts. In wenigen Stunden ist der Griffel vollkommen kahl, und die Blüte tritt dann in das zweite Stadium: die Narben öffnen sich. — Daß die eben geöffnete Blumenkrone noch lebhaft wächst, sieht man ohne Messung; aber auch der Griffel verlängert sich zu dieser Zeit noch, ja selbst während des Einziehens der Fegehaare weist das Horizontalmikroskop an ibm noch Wachstum nach, sogar an abgeschnittenen, im Wasser stehenden Blüten. Der Griffel einer solchen wurde am 10. September im Wasser stehend vor das Horizontalmikroskop gestellt; er war noch dicht behaart. Von 2% Uhr bis 7 Uhr verlängerte er sich um sieben Teilstriche, bis zum nächsten Morgen 9 Uhr um weitere 10 und bis % Die Griffelhaare der Campanulablüte. 485 abends 7 Uhr nochmals um vier Teilstriche und bis zum Morgen des 12. September um drei Striche. Da 13 Teilstriche I mm sind, so beträgt die Gesamtverlängerung des ursprünglich 15 aım langen Griffels 2 mm. Am il. früh waren alle Haare eingezogen, am 12. früh waren die Narben geöffnet. Der Vorgang der Einstülpung vollzieht sich ziemlich rasch. Ein Griffel, der um 11 Uhr noch ganz behaart war, hatte um 2%, Uhr die obersten Haare schon völlig eingezogen und gegen 5 Uhr erschien er in seiner ganzen Ausdehnung kahl. Wird ein solcher Griffel, nachdem der Beginn der Einstülpung am oberen Ende konstatiert ist, abgeschnitten und in ein kleines wassergefülltes Gläschen eingedichtet, so kann man die Einstülpung der Haare direkt unter dem Mikroskop verfolgen; besonders instruktive Bilder gibt das Binokular in auffallendem Licht. Da der Prozeß der Einstülpung im großen und ganzen basipetal fort- schreitet, so fällt es nicht schwer, solche Haare aufzufinden, bei denen 11b. DIN. N le Ras 2 ansg 55° 58° 7 Fig. 11a—c. Skizzen, die Einstülpung der Haare illustrierend. Vergr. 40. lila, Freihandzeichnung. Drei Haare, von denen das mittlere eingezogen wird. — 11b (Zeichenapparat). Ein Haar mit anhaflenden Pollenkörnern. — lic (Zeichen- apparat). Zwei Haare, die allmählich einsinken. Links: 1:453°; 2:3 40”; 3:4; 4:5, 5:5'40°; 6:6°30%, Rechts: 1:453’20“; 2:4, 3:5'; 4:6; 5:840%; 6:7. die Einstälpung in kurzer Zeit beginnt, Häufig wird der Vorgang dadurch eingeleitet, daß die Spitze eines Haares mit ansehnlicher Ge- schwindigkeit einen großen Bogen nach der Griffelbasis zu beschreibt. Diese Bewegung kommt dadurch zustande, daß das Haar auf seiner Konvexseite ganz unten an der Grenze gegen den Haarfuß einsinkt. Dann sieht man gewöhnlich das Haar immer kürzer und kürzer werden. Die Verkürzung kann ganz gleichmäßig und gradlinig vor sich gehen, meistens aber sieht man die Spitze des Haares eine Zickzacklinie be- schreiben und einige Pausen unterbrechen den Vorgang des Einsinkens. In Fig. 11 sind einige, zum Teil mit dem Zeichenaparat aufgenommene und mit Zeitangaben versehene Skizzen wiedergegeben, die das Gesagte näher erläutern. Die Einstülpung beruht, wie schon in der älteren Literatur klar erkannt war, darauf, daß der untere Teil des Haarkörpers unter Um- stülpung seiner Membran in den Fuß einsinkt, während die Spitze ohne wesentliche Veränderung nachrückt. In ähnlicher Weise kann der 486 L. Jost, Finger eines Handschuhes beim Abstreifen vom Finger eingestälpt werden. Die Umstülpung und Einfaltung der Zellwand tritt besonders klar dann zutage, wenn sie nicht an der Grenze zwischen Fuß und Körper erfolgt — was die Norm ist (Fig. 9) — sondern etwas höher oben am Haarkörper. In diesem in Fig. 12 dargestellten Falle ver- schwindet dann die Haarspitze nicht so im Fuß wie gewöhnlich. Der Vorgang der Einstülpung kann freilich nicht direkt unter dem Mikro- skop wahrgenommen werden, weil man die Haarbasis nie deutlich zu sehen beommt. Sie ist immer mit Pollenkörnern bedeckt, die auch einer recht gründlichen Bearbeitung mit dem Pinsel Widerstand leisten. Diese Körner werden auch in der Natur oft von Insekten nicht abge- tragen und fallen dann, nachdem sie durch Einziehung ihrer bisherigen Stütze den Halt verloren haben, herab. Einzelne freilich kleben so fest an der Cuticula des Haares, daß sie bei der Einstülpung zwischen die Falten des Haares gelängen. Dementsprechend sieht man in den eingestülpten Haaren oft in großer Zahl solche mitgenommene Pollenkörner (Fig. 9) und in der älteren Literatur ist allen Ernstes die Frage aufgeworfen worden, ob etwa diese eingesaugten Körner die Befruchtung besorgten (Cassini'). Schon Meyen?) hat durch Entdeckung der Pollen- schläuche auf der Narbe und im Griffel das Irrige dieser Anschauung nachgewiesen. — Daß Fig. 12. Ein ziem- lie Einstülpung unter Aufwendung von erheblicher lich hoch eingestülp- Gewalt erfolgt, sieht man daran, daß die Cuticula tes Haar. Vergr. 160. P F ri zahlreiche Risse erhält. Über die Ursache der Einstülpung der Haare hatte schon Schleiden im wesentlichen die richtige Vorstellung, wenn er betont, daß sie erfolge, weil der Inhalt schwinde, ohne durch Luft ersetzt zu werden. Was Weiß veranlaßt hat, zu dieser Ansicht ein Fragezeichen zu setzen, gibt er selbst nicht an. Heute, wo wir schon mehrfach Vorgänge kennen, bei denen das Schwinden des Inhalts einer Zelle bei Verhinderung des Lufteintrittes zu einer starken Deformation führt, kann ein Zweifel darüber, daß auch bei den Campanulahaaren ein solcher „Kohäsionsmechanismus“ vorliegt, kaum bestehen. Damit ist freilich noch lange keine vollständige Erklärung für den Vorgang der 1) Cassini, zitiert bei Meyen. Eine ähnliche Vorstellung hat nach Sprengel (pag. 111) wohl sehon Linne gehabt. 2) Meyen, Physiologie, Bd. IIT, pag. 248. n Teens Die Griffelhaare der Campanulablüte. 487 Einstülpung gegeben. Es frägt sich vor allem, was ist der Grund für den Verlust des Inhaltes der Haare? Nach Analogie mit den Annulus- zellen des Farnsporangiums wird man zunächst daran denken, daß durch .die Transpiration ein Wasserverlust in den Haarzellen eintreten dürfte; nur das Wasser schwindet, das Protoplasma ist im eingesunkenen Haar noch leicht nachzuweisen. Anfangs könnten die in Masse den Haaren anliegenden Pollenkörner einen Transpirationsschutz bedingen; nach ihrer Abtragung durch Insekten würde dann die Transpiration gesteigert werden und bald stärker sein, als der Wassernachschub. Allein eine solche enge Beziehung zwischen der Entfernung des Blüten- staubes und der Einstülpung der Haare existiert nicht. Wird die Blüte an einem Ort aufgestellt, wo der Insektenbesuch ausbleibt, so behält sie ihre Pollenkörner als Belag um den Griffel, die Haare aber werden trotzdem eingezogen. Andererseits kann man eine abgeschnittene Blüte im sehr feuchten Raum halten, in einer niedrigen feuchten Kammer, und dennoch sieht man ihre Griffelbehaarung schwinden. Auch ist die Cutieula, die die Haare überzieht, zweifellos nicht schwächer entwickelt als die der gewöhnlichen Epidermiszellen; diese letzteren aber er- fahren keine Veränderung, werden zweifellos nicht welk, während die Haare schwinden. Handelte es sich bei der Einstülpung der Haare um einen einfachen Wasserverlust durch Transpiration, so sollte man denken, ‘daß grade wie beim Farnsporangium auch durch osmotische Mittel die Deformation der Zellen bewirkt werden müßte. Den Farnannulus kann man z. B. durch konzentriertes Giyzerin oder durch konzentrierte Chlormag- nesiumlösung ganz ebenso zur Öffnung bringen wie durch Austrocknung (Hannig!). Legt man aber dicke mediane Längsschnitte durch einen Griffel, an dem Haare sich befinden, die im Begriff stehen sich einzu- stülpen, in konzentriertes Kochsalz oder Chlormagnesiumlösung oder Zuckerlösung, und sorgt man durch Bearbeitung des Schnittes mit einem Pinsel dafür, daß diese Lösungen wirklich mit den Haaren in Berüh- rung kommen, so erfolgt meist rasch ein bandförmiges Kollabieren des ganzen Haares, das nach Eindringen des Plasmolytikums wieder rück- gängig gemacht wird. Die Haare verhalten sich also unter diesen Um- ständen so wie gewöhnliche Haare beim Absterben (Holle); die so charakteristische Einstülpung unterbleibt völlig. Das Kollabieren zeigt an, daß die Membran für die Plasmolytica genügend impermeabel ist, der Ausfall des Versuches aber ergibt, daß die wirksamen Kräfte oder 1) Hannig, Jahrbuch f. wiss. Botanik 1909, Bd. XLVIL. 2) Holle, Flora, Bd. CVII. 488 L. Jost, der Ort ihres Angriffes nicht mit den bei der Einstülpung maßgebenden Momenten übereinstimmen. Ein lokales Kollabieren, das kann man häufig beobachten, findet sich auch an Haaren, die bald darauf ein- gezogen werden. Aber wenn aus irgendwelchen Gründen Haare an der Luft ganz kollabiert sind, dann findet nachträglich keine Einstülpung mehr an ihnen statt. Solche an der Luft kollabierte Haare finden sich z: B. an abgeschnittenen Blüten, die etwas welk geworden sind. Gerade gegen das leichteste Welkwerden sind ja, das wurde früher schon erwähnt, die Haare ganz außerordentlich empfindlich. Aus allen diesen Erfahrungen und Überlegungen ergibt sich, daß offenbar der Wasserverlust durch Verdunstung nicht oder nicht in erster Linie an der Einstülpung der Haare beteiligt sein dürfte, Wenn also eine Wasserabgabe nach außen nicht maßgend ist, so kann man vermuten, daß eine solche nach innen stattfindet, daß die Nachbarzellen dem Haarfuß Wasser entziehen. Experi- mentell kann man diese Vermutung nicht gut prüfen, denn wenn man das Plasmolytikum statt von außen, von innen her wirken läßt, indem man Schnitte auf Kochsalz bzw. Zuckerlösung schwimmen läßt, oder sie auf Gelatine auflegt, die solche Plasmolytica enthält, dann entziehen diese nicht nur den Haaren, sondern gleichzeitig auch den Nachbarzellen Wasser und eine Einstülpung der Haare erfolgt begreiflicherweise auch jetzt nicht. — Bedingung für einen Wasserentzug durch die benach- barten Epidermiszellen ist jedenfalls irgendeine Veränderung in dem Verhältnis zwischen dem osmotisch wirksamen Inhalt der Haarzellen einerseits und der gewöhnlichen Epidermiszellen andererseits. Das Saugvermögen der Haarzellen könnte abnehmen, das der Epidermis- zellen könnte zunehmen. Leider ist es nun unmöglich, den Salpeterwert des Zellsaftes wenigstens in den Haarzellen zu bestimmen. Der große in das Gewebe eingesenkte Haarfuß ist ein für plasmolytische Studien sehr wenig geeignetes Objekt. Es läßt sich aber zeigen, daß die Haare jedenfalls eine Veränderung durchmachen, ehe sie eingezogen werden. Ihre Einstülpung erfolgt offenbar unmittelbar vor oder nach ihrem Absterben. Haare, die der Einstülpung nahe stehen, haben noch ein lebendiges, ja sogar manchmal ein noch deutlich strömendes Protoplasma. Legt man nun dicke Schnitte in eine 10%ige Zuckerlösung, so ver- halten sich ihre Haare je nach dem Alter recht verschieden. Am 24. Juli 9 Uhr vormittsgs wurden solche Schnitte I. aus einem Griffel, der oben schon haarfrei war, 2. aus einem Griffel, der noch bis oben behaart war und wahrschein- lich erst am Nachmittag mit der Haareinstülpung begonnen hätte, Die Griffelhaare der Campanulablüte. 489 3. aus einem Griffel, der einer Knospe entnommen war, die sich am Abend geöffnet hätte, in solche Zuckerlösung gelegt. Nach 2 Stunden war das Proto- plasma aller Haare von 1. abgestorben. In den Schnitten von 2. war zwar um 11 Uhr keine Strömung mehr zu sehen, aber das Protoplasma war selbst um 3 Uhr noch sichtlich lebendig, nicht kontrahiert und starb erst zwischen 3 und 7 Uhr. In den Haaren von 3. dagegen war auch abends 7 Uhr noch kräftige Plasmaströmung zu sehen; sie starben erst im Laufe der Nacht. Aus diesen Erfahrungen folgt, daß die Haare an sich in Zuckerlösung viele Stunden voll lebendig bleiben können. Wenn also Haare, die dem Einstülpen nahe sind, in kürzester Zeit sterben, so muß man annehmen, daß sie auch ohne die Präparation gestorben wären. Diese’ Annahme hat auch sonst nichts Unwahrschein- liches, da ja Haare vielfach, auf einem bestimmten Stadium der Ent- wicklung angekommen, abzusterben pflegen, während die benachbarten Epidermiszellen am Leben bleiben. Nun kann man sich wohl vorstellen, daß kurz vor dem Absterben oder bei diesem die osmotisch wirksame Substanz in den Haaren abnimmt und ihr Zellsafı dann von den benach- barten Epidermiszellen aufgesaugt wird. Damit wäre dann die Ursache für ihre Einstülpung gegeben. Gewiß ist das nur eine Vermutung. Es war aber nicht möglich, zu einer fester fundierten Vorstellung zu gelangen, denn die Versuche, durch künstliches, vorzeitiges Abtöten der Haare ihre Einstülpung herbeizuführen, mißlangen. Die Abtötung erfolgte in der Weise, daß unter dem Binokular ein einzelnes Haar in eine mit Ätheı gefüllte Kapillare eingetaucht oder eine Gruppe von Haaren durch Annäherung einer heißen Nadel getötet wurde. In beiden Fällen kollabierten die Haare sofort und blieben dann unverändert zurück, wenn auch die intakten Haare in der Umgebung später noch eingezogen wurden. Offenbar tritt bei solchen Versuchen der Tod und die Wasseraufnahnie von seiten der Nachbarzellen zu rasch ein, und kann deshalb nur zu einem Kollabieren und nicht zur Einstülpung führen. Eine andere Methode, die zu einer langsameren Schädigung der Haare führte, ohne die Nachbarzellen zu verletzen, konnte aber nicht aufgefunden werden. Es ist also nicht gelungen, die aufgeworfene Frage vollkommen zu lösen, aber es ist doch recht wahrscheinliel gemacht, daß die Ein- stülpung der Campanulahaare ein Kohäsionsvorgang ist, der darauf beruht, daß den alternden Haaren von den Nachbarepidermiszellen Flüssigkeit entzogen wird, während ihre Membran für Luft impermeabel ist: Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. Von L. Diels. lit 3 Abbildungen im Text.) Unter dem Einfluß von Schimper’s Pflanzengeographie ist eine Zeitlang die Ansicht obwaltend gewesen, daß Anpassungen an die thermischen Eigenschaften der Umgebung bei den Pflanzen sich nicht ausgebildet hätten, oder daß solche wenigstens nicht nachweisbar wären. Das vorherrschende Studium xerotischer Gewächse hatte den Boden für diese Anschauung vorbereitet und dazu geführt, die transpirations- beschränkenden Vorrichtungen einseitig in den Vordergrund zu stellen. Noch heute ist, diese Auffassung nicht ganz überwunden. Aber sie hat viel von ihrer Ausschließlichkeit verloren, und die Zahl der Ökologismen, die in ihrer thermischen Bedeutung gewürdigt werden, ist im Wachsen begriffen. Zu dieser Wendung hat Stahl durch seine Beobachtungen wesent- lich beigetragen, und er selber gibt der veränderten Einsicht klaren Ausdruck, wenn er 1909 erklärt, der von Schimper aufgestellte Satz, wonach Schutzmittel gegen übermäßige Erhitzung nicht nachgewiesen worden seien, könne nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Neben den Eigenschaften, die „nur als Schutz gegen die Gefahr der Sonnenstrahlung begreiflich sind“, gedenkt Stahl!) auch kurz der Bedeutung, „welche dem hellen Periderm als schätzendem Mantel der Baumrinden und als isolierendem, schlechtem Wärmeleiter von im heißen Boden vergrabenen Pflanzenteilen zugeschrieben wird“. Von diesen beiden Erscheinungen ist die Borken- und Korkbildung an Stämmen seit Hartig’s klärenden Versuchen oft erwähnt und besprochen. Dagegen hat man sich mit den Wärmeregulatoren der Organe an der Erdoberfläche oder im Boden wenig beschäftigt. Was Seignette darüber mitteilt, beschränkt sich auf die besondere Klasse der Knollengewächse und berücksichtigt nur ihre Wärmeproduktion bzw. den Wärmeausgleich in kalten Böden, ohne sich auf die Zustände in erhitztem Untergrund einzulassen. Weitergehende Untersuchungen darüber wären erwünscht, und es ist der hauptsächliche Zweck dieses kleinen Beitrages, zu solchen Studien anzuregen. 1) Zur Biologie des Chiorophylis, pag. 77. nt Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. 491 Was von der Ökologie der Wurzel bekannt ist, leitet sich vor- wiegend von den Erfahrungen her, die an den Pflanzen unserer Klima- zone gewonnen sind. Die gehaltvollste Arbeit darüber, Freidenfelt’s Darstellung des anatomischen Baues der Wurzel „in seinem Zusammen- hang mit dem Wassergehalt des Bodens“, gründet sich ja auf Arten der schwedischen Flora. Von den Verhältnissen in den tropischen und subtropischen Zonen wußten wir lange Zeit recht wenig. Erst die Darstellung Cannon’s von der Bewurzelung der Pflanzen in Arizona hat an Beispielen aus der Umgebung des Desert: Laboratoriums von Tucson gezeigt, welche Wurzeltypen in einem ariden Klima unter bestimmten Verhältnissen vorkommen. Freilich ist der Titel seiner Abhandlung: „The Root Habits of Desert Plants“ zu weit gefaßt: auf Wüsten allgemein lassen sich seine Ergebnisse nicht übertragen, da das Beobachtungsgebiet doppelte Regenzeit besitzt, also unter den Wüsten der Erde eine Sonderstellung einnimmt. Außerdem geht Cannon nirgends auf den anatomischen Bau seiner Objekte ein und gelangt daher nur zu einem oberflächlichen Einblick in die ökologischen Ver- hältnisse. Es bleibt also vieles nachzuholen, bis die physiologische Anatomie der Wurzel auch für die Gewächse der wärmeren Erdgebiete hinreichend gefördert sein wird. Für die Frage des Wärmeschutzes interessiert hier zunächst das Korkgewebe der Dikotylen und seine quantitative Entwicklung an ihren unterirdischen Organen. In dieser Hinsicht betont Freidenfelt, was vor ihm schon Volkens ausgesprochen hatte, man könne „den endogenen Korkimantel der Dikotyleuwurzeln der Schutzscheide der Monokotylen als biologisches Analogon zur Seite stehen“. „Seine Ausbildung“, sagt er), „wird mit zunehmender Xerophilie durchgehend stärker.“ Er belegt dies durch den Vergleich von zwei Dianthus-Arten, die er untersucht hat. „Di- anthus arenarius besitzt einen bedeutend mächtigeren Korkmantel als der mehr Feuchtigkeit fordernde D. deltoides. Bei der letzteren Art umfaßt er in dem Basalteil der Hauptwurzel etwa 10--20 Schichten, bei der ersten wohl im allgemeinen etwa 11/,—2mal so viele“ Auch bei einer und derselben Art wiederholt sich diese Beziehung. „So habe ich an Individuen von Sagina procumbens“, berichtet Freiden- felt, „die in dürrem Sande gewachsen waren, einen aus 3—4 Schichten bestehenden Korkmantel gefunden, während Individuen aus Moorboden nur 2—3 Korkschiehten entwickelt hatten“. 1) Der anatomische Bau der Wurzel, pag. 93. 492 L. Diels, Nach diesen Befunden läßt sich erwarten, daß in den warmen Trockengebieten der Erde die Wurzeln perennierender Dikotylen einer ergiebigen Korkerzeugung fähig sein werden. Die Literatur bestätigt dies auch, aber ihre Angaben gehen wenig auf die näheren Umstände ein. Volkens sagt, daß in der ägyptischen Wüstenflora bei allen untersuchten ausdauernden Dikotylenwurzeln der Kork eine ganz her- vorragende'Rolle spielte. Öfters nähme er da die Hälfte des gesamten Querschnittes ein, ja es seien ihm daumenstarke Wurzeln vorgekommen, wo Korklamellen so tief in das Innere eingriffen, „daß im Zentrum pur ein kaum bleistifistarker Strang lebenden Gewebes übrig blieb“). Leider kommt Volkens im speziellen Teile seines Buches nirgends wieder auf solche Vorkommnisse zurück; man erfährt also nicht, bei welchen Arten und an welchen Standörtlichkeiten diese starken Kork- mäntel zu finden sind. " Deshalb scheint es mir gestattet, auf einige Wahrnehmungen über Wurzelkork zurückzukommen, die ich in meiner Pflanzenwelt von Westaustralien (pag. 169) nur gestreift habe. Es ist dort erwähnt, daß ein mehr oder minder mächtiger Mantel von Kork an der Berührungs- zone von Pflanze und Unterlage sehr verbreitet sei „bei den Klein- sträuchern und suffrutikosen Gewächsen der Sandheiden“. In der Tat wird die Korkkruste in jener Zone, also nahe dem „Fußpunkt* der Pflanze am stärksten; sie reicht aber von dort an der Wurzel meist noeh weiter spitzenwärts und zieht sich auch am Stengel öfter noch etwas aufwärts. Als Beispiele solcher Pflanzen mit Korkfuß wurden genannt Vertreter der Leguminosen, Dilleniaceen, Myrtaceen, Loganiaceen, und Goodeniaceen, nur um zu zeigen, in wie weit verschiedenen Diko- tylen-Familien die Erscheinung anzutreffen ist. Es hätten dafür noch viele andere Beispiele aufgezählt werden können, vollständig aber würde lie Liste doch nicht geworden sein. Auch an dieser Stelle soll es nicht darauf ankommen, die Zahl der Fälle zu vermehren, sondern ein paar bezeichnende Beispiele zu beschreiben und abzubilden, sodann aber auf die Bedingungen ihres Vorkommens näher einzugehen. Fig. 1 links zeigt das Sproßsystem der Logania spermacocea F. v. M. aus Westaustralien in seinem unteren Teile nebst dem Basal- stück der Pfahlwurzel. Das perikambiale Phellogen dieser Wurzel beginnt frühzeitig seine Tätigkeit und erzeugt eine weißliche Korkkruste, lie schon bei einer jüngeren Wurzel 2/,—*/, des gesamten Durchmessers ausmacht. 1) Die Flora der ägyptisch-arabischen Wüste, pag. 26. Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. 493 Einen ähnlichen Korkmantel besitzt die systematisch isoliert stehende, blattlose Celastracee Psammomoya choretroides aus der selben Gegend von Westaustralien. Eine Wurzel, deren Zentralzylinder etwa 1,8 mm 'breit ist (Fig. 1 rechts), zeigt eine 0,7--0,8 mm dicke Korkkruste von hollundermarkähnlicher, gelblichweißer Färbung, wie sie den meisten dieser Korkbildungen eigentümlich ist. Die primäre Rinde war bereits abgestoßen. Fig. 1. Links Logania spermacocea F. v. M., rechts Psammomoya chore- troides (F. v. M.) Diels et Loes. Sehr deutlich ist der Korkmantel des Fußteiles bei zahlreichen Kleinsträuchern aus der Myrfaceengattung Verticorilia, z.B. V.grandi- flora Endl, V. chrysantha Schau, V. pieta Endi. u. a. Auch hier erreicht er seine stärkste Ausbildung an der Oberfläche des Bodens, um von dort sowohl aufwärts wie abwärts abzunehmen. Die aus dem Boden gezogene Pflanze zeigt daher in dieser Zone eine spindelförmige Verdickung, die stärker erscheint, als wie sie sonst am Übergang vom 494 L. Diels, Statım zur Wurzel sieh darbietet. Schon frühzeitig ist an derartigen Sträuchlein diese Eigentümlichkeit der Fußpunktregion wahrzunehmen. Fig. 2 veranschaulicht dies an einem jungen Exemplare des Leuco- pogon gibbosus Stschegl, einer Epacridacee, die in der Wuchsform große Ähnlichkeit mit jenen Verticordien und zahl- reichen anderen Arten der australischen Sandheide aufweist. Die Monokotylen sind in der Gemeinschaft dieser kleinen Sträucher nur schwach vertreten. Noch am zahlreichsten finden sich einige Restiona- ceen, und zwar in stark xerotischen Formen, wie Hopkinsia calovaginata, Lepidobolus, Ee- deiocolea. Für deren Wurzeln sind vor allem bezeichnend die „Sandstrümpfe*, die sich in kräf- tigster Ausbildung bei ihnen finden. Wir kennen diese sonderbaren Bildungen seit Volkens von den Wüsten-Gramineen her, und ihre Entstehung ist neuerdings von Price an Aristida näher beschrieben worden. Für unser Thema ist beachtenswert, daß nach Volken’s Vermutung darin „ein Ersatz der bei den Dikotylen üblichen peripherischen Korklage“ " vorliegt. Ebenso wie diese, hindere diese Sandhülle a a : die Verdunstung aus den inneren Geweben. Ob . diese Vorstellung vollkommen ausreicht, ist nicht erwiesen, es wäre an der lebenden Pflanze zu prüfen. So weit aber scheint sie zuzutreffen, daß durch diese eigenartige Hülle ein Abschluß der inneren ‚Gewebe nach auswärts stattfindet. Außer den Restionaceen ist es die Amaryl- lidacee Anigozanthus, die einige Arten, z. B. A. puleherrimus und A. humilis auf die Sand- heiden übergehen läßt. Sie besitzen eine kräftige rig.2. Grundachse, die gerade unter der Bodenoberfläche eg wagerecht dahinwächst. Auf‘ der Oberseite ist sie F der Fußpunkt der dicht besetzt mit den als tote Masse bleibenden Pflanze. Scheiden der abgestorbenen Laubblätter. Die Wur- zeln zeigen eine einschichtige Schutzscheide mit starkverdiekten Wänden; die Rinde besteht aus einem sehr lakunösen Gewebe in der Mitte und dichterem Parenchym innen und außen davon. Der Bau hat also wesentliche Züge gemeinsam mit der Einrichtung vieler schlamm- Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. 495 ı bewohnender Monokotylen, wie etwa Triglochin, Calla u. a.; die Lakunenbildung namentlich ist z. B. von Olivier und von Freiden- felt als bezeichnend für hydrophile Arten hervorgehoben worden. In der Regel hat man diese lakunöse Wurzelrinde als eine Atmungsein- richtung betrachtet, und auch Freidenfelt entscheidet sich für diese Auffassung, indem er die Tatsachen zusammenstellt, die für sie sprechen. Demgegenüber sollte auch hier festgehalten werden, daß die Bedeu- tung der Struktur je nach den Lebensumständen der Arten wechselt. Bei Anigozanthus und ähnlich xerotischen Gattungen dürfte ebenso wie bei den Restionaceen und Gräsern dürrer Standorte der Nachdruck nicht auf den Sauerstoffgehalt der luftreichen Schicht zu legen sein, sondern auf ihre physikalischen Eigenschaften. In diesem Sinne ist die Verwendung - Juftreicher Gewebe — seien sie luftreich nun innerhalb der Zellen oder in den Lücken dazwischen — bei den ober- irdischen Organen der Xerophyten ja ungemein verbreitet. Bei den peren- nierenden Stauden sind es besonders wiöder die Fußpunkte der Pflanze, wo diese Bildungen ihren Sitz haben: wir gewinnen damit den Anschluß an die luftreichen Wurzelperidermen. In der Tat sieht man nicht selten beides kom- biniert. Bei der westaustralischen Dam- piera Mooreana .E. Pritzel ist das Rhizom mit kräftiger Korkkruste belegt, die Achse trägt an den äußerst ver- kürzten Internodien der Basis dichte Behaarung und dazwischen die kahlen Fig. 3, Dampiera Mooreana verbreiterten Blattscheiden abgestorbener E. Pritzel. Grundblätter, die vorwiegend aus hellfarbigem, lufterfülltem, schwammigem Pareuchym bestehen (Fig. 3). Ähnliche Einrichtungen kehren häufig wieder an den Achsenbasen verschiedener xerotischer Stauden auf den westaustralischen Sandheiden, z. B. bei Stylidium-Arten und, sehr ausgeprägt, bei der Restionacee Lepidobolus deserti Gilg, die dort von allen ihren Familiengenossen am weitesten gegen die regenarmen Binnenwüsten hin vordringt. Das wesentliche ist bei ihnen sämtlich die Bildung einer luftreichen Außendeckung in der Region des Fuß- punktes und unmittelbar oberhalb davon. Ähnlich wirken auch die 496 L. Diels, „Stroh-" und „Wolltuniken“ xerotischer Gräser, selbst wenn sie zugleich im Sinne von Hackel bzw. Brockmann-Jerosch an der Wasser- versorgung der Pflanze beteiligt sind. Die Korkkrusten der Dikotylen, die lakunösen Gewebe der Monokotylen und die zwiebelartigen Bildungen, die am Wurzelhals oder um den Stengelfußpunkt entwickelt sind, stimmen darin überein, daß sie als luftreiche Isolatoren das Innere um- geben, wo die Gewebe des Leitsystems liegen. Ökologisch gleichen sich die Pflanzen, die derartige Einrichtungen haben, in ihrem Vorkommen auf locker bewachsenen, meistens sandigen Böden trockenwarmer Erdgebiete. Aus Nordafrika und aus Westaustralien sind bisher die meisten solcher Arten erwähnt. Ihre edaphische Abhängigkeit von Sand scheint nicht unwichtig. Denn in Westaustralien sind sie mir auf den dichteren Böden, auf Lehm und auf tonig gebundenen Konglomeraten, nicht aufgefallen; bei den niedrigen erikoiden oder spartioiden Sträuchern der Sandheide dagegen schätzte ich‘), etwa drei Viertel aller zugehörigen Arten seien mit Basalkork ausgestattet. Diese beiden Kennzeichen unserer ökologischen Erscheinung, die lufterfüllten Isolatoren und die Gebundenheit an Sand in warmem Klima, werden den Weg weisen müssen, sie zu deuten. Bisher hat man in dieser Hinsicht den Transpirationsschutz in den Vordergrund gestellt. So sagt z. B. Volkens, der peripherische Korkbesatz der Dikotylen finde seine „hauptsächlichste Bedeutung in einem Schutz der saftigen Teile gegen Austrocknung“ und vergleicht damit „die dichtgefügte Sandhülle der Wurzel von Wüstengramineen, als eine Röhre, welche sich deın Austritt des Wasserdampfes hindernd in den Weg stellt“ In der Tat wird niemand bestreiten, daß diese Einrichtungen an sich die Abgabe von Wasserdampf nach außen wirkungs- voll behindern. Es fragt sich nur, ob diese Wirkung einen erheblichen ökologischen Wert hat für den Zentralzylinder der älteren Wurzelteile, der doch vielfach schon durch die Endodermis kräftig geschützt wird oder durch die verkorkten Hypodermisschichten vor Austrocknung bewahrt ist. Versuche zu dieser Frage liegen meines Wissens nicht vor, und theoretisch läßt sich nicht leieht übersehen, wie eine stärkere Verdunstung aus den unterirdischen Pflanzenteilen selbst in anscheinend trockenen Böden vor sich geht. Eine besonders ergiebige Transpiration 1) Pflanzenwelt von Westaustralien, pag. 169. 2) Die Flora der ägyptisch-arabischen Wüste, pag. 26. Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. 497 des Wurzelhalses und der benachbarten Stammbasis ist jedenfalls weder nachgewiesen noch wahrscheinlich. Dagegen steht es fest, daß an den . Standorten, um die es sich handelt, eine starke Erhitzung in der Umgebung jener Organabschnitte stattfindet. Die verfügbaren Daten darüber sind. zwar nicht so eingehend, wie man es wünschte, gestatten aber annähernd zu schätzen, welche Tempe- raturgrade in Betracht kommen, In dem Gebiete von Westaustralien, dem die mehrfach erwähnten Sandheiden angehören, herrschen extreme Wärmeverhältnisse. In der heißen Jahreszeit beträgt die mittlere tägliche Schwankung zwischen 15° und 18°. Die mittleren und absoluten Extreme liegen sehr hoch. Die Lufttemperatur hat ein mittleres Maximum in York von 33°, weiter nördlich und östlich davon werden 35° und mehr erreicht: Cue 34,5°, Yalgoo 38°; die absoluten Maxima, die ich in meiner Pflanzenwelt von Westaustralien nicht erwähnt habe, betragen für York 46°, Southern Cross 46°, Geraldon 46°, Yalgoo 45°. Über 40 Grad kommen z. B. in York in sehr vielen Sommern vor. Über die Temperaturen des Bodens auf diesen Sandheiden liegen bisher keine Angaben vor. Ich selber habe damals leider zu wenig derartige Messungen angestellt, hatte auch nicht die nötigen Thermo- meter zur Verfügung, um festzustellen, wie sich die einzeinen Boden- schichten verhalten. Doch läßt sich dieser Mangel an tatsächlichen Beobachtungen bis zu einem gewissen Grade ausgleichen; man ist im- stande, den allgemeinen Wärmezustand dieser Sandköden abzuleiten, seitdem nach dem Vorgange von H. Wild über das thermische Ver- halten der verschiedenen Bodentiefen und Bodenarten in neuerer Zeit planmäßigere Untersuchungen angestellt worden sind. Die pflanzengeographische Literatur gibt ja in dieser Hinsicht nur gelegentliche Beobachtungen wieder. In Cannon’s Wurzelarbeit werden zwar pag.20—23 die Bodentemperaturen bei Tueson für 2,5 cm, 15 cm und 30 cm Tiefe angegeben und dabei Maxima von 40--41° erwähnt. Doch da die Messungen alle in dem tonigen Boden unweit des Desert Laboratorium vorgenommen wurden, so sind sie mit solchen in lockeren Böden nieht vergleichbar. Außerdem wurde die Wärme an der Ober- fläche selbst offenbar nicht gemessen. Es fehlen also gerade die für unsere Zwecke wichtigsten Daten. Deshalb erwähne ich die Notizen von Volkens aus der Gegend von Cairo, die thermisch besser ver- gleichbar mit den südwestaustralischen Heidegebieten ist: 28. Mai Luft 309, Geröllboden 48° 5. Juni Luft 28°, Flugsand 52° Flora. Bd. 111. 32 498 L. Diels, Volkens!) sagt zusammenfassend, daß die Erwärmung des Bodens über die der umgebenden Luft sich infolge der Insolation auf 20 und mehr Grade steigern kann, und daß entsprechend in der Nacht eine bedeutende Erkaltung als Wirkung der Ausstrahlung eintreten muß. Diese summarische Einsicht ist, wie schon oben angedeutet, heute erweitert und vertieft worden, und da diese Erfahrungen auch für die Physiologie der Wurzel fruchtbar werden können, seien einige wesent- liche Ergebnisse mitgeteilt. Im Hinblick auf unser Thema halte ich wich dabei an die Angaben von P. Vujevi& für Belgraıl und bediene mich der von ibm festgestellten Juliwerte. Denn die Mitteltemperatur des Juli von Belgrad, 22%, und auch das absolute Maximum, 39,2, erreichen zwar nicht die Januarmittel des eigentlichen südwestaustra- lischen Heidegebietes (York 25° [46°], Southern Cross 26° [46], Yal- goo 30° [45]), kommen ihnen aber vielleicht näher, als die meisten sonst veröffentlichten Daten, die aus nördlichen Breiten stammen. Für uns sind dabei drei Dinge in Betracht zu ziehen: die Wärme verschie- dener Bodenarten, sodann der Gang der Wärme nach der Tiefe, endlich ihre Kurve während des Tages. 1. Wärme der äußeren Bodenoberfläche im Juli von Belgrad ?): Sandboden Humöser Boden kahl kahl Rasenfiäche Mittl. Maximum. . . . 51,7 49,0 45,7 Mittl. tägl. Amplitude . 37,7 35,2 32,8 Zu beachten ist, daß diese Temperaturen der äußeren Bodenoberfläche mit unbedecktem Thermometer abgelesen werden, Die innere Ober- fläche, deren Wärme "bei ganz dünner Bedeckung des Thermometers angezeigt wird, liegt noch höher, und zwar nachts um etwa 1°, nach- mittags von 1—5 Uhr um etwa 3°. Es ergibt sich also, daß der unbedeckte Sandboden sich stärker erwärmt, als kahler humöser Boden und noch stärker als rasenbedeckter. In den Dünen- und Wüstengebieten gibt es besonders viele unbedeckte Sandstellen, deren Bodenwärme also unvermindert auf die Pflanzen einwirkt. Dabei sind natürlich wichtig der Wassergehalt und die Diehtigkeit. Daß die Erwärmung feuchteren Bodens geringer bleibt; ist bekannt. Über den Einfluß der Dichte hat Münch (19185, pag, 257) einiges mitgeteilt. Sehr lockerer Sand ist demnach in der Sonne meist um 2—4° wärmer als der gleiche Sand, der durch mäßigen Druck diehter gemacht ist (vgl. pag. 499 oben). 1} Fiora der ägyptisch-arabischen Wüste, pag. 14. 2) Vujevie in Meteorol. Ztg. 1912, pag. 575. Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden. 499 2. Gefälle der Wärme im Boden nach der Tiefe. Ein Bei- spiel aus unseren Breiten gibt Münch (1915, pag. 252) aus der Gegend von Kaiserslautern vom 22. April: Lockerer Sand Fester Sand Oberfläce . . . 49° 45° 0-2 cm... 87° 33° 35 4... 26° 28,5° 362 5... 23° 25° 9-1 2.2.0. 195° 20° 3-17 2... 014° 16° Und ähnlich (1914, pag. 178), für sehr lockeren Sand, vom 18. Juni: Oberfläche . . . . 62° 25—Abem . . . 46° 6-8 2... 0. 81° WU 5... 0. 27° 2-4 5... 0.200 Die gleichen thermischen Unterschiede der Bodentiefen treten hervor an ihrer durchschnittlichen Wärmeamplitude in Belgrad!): lem 12,08° 20 cm 2,29° In 83 30 „ 0,76 sh 6.62 50, 912 1, 3,70 60), 0,18 Das Wärmegefälle ist unter derartigen Verhältnissen also sehr steil. Wie dieser Umstand auf das Leben der Wurzel wirkt, ist nicht näher bekannt. Ebenso kennen wir nicht den Einfluß der sehr beträchtlichen täglichen Amplitude. Über deren Werte geben folgende Daten Aufschluß: 3. Gang der Temperatur an der äußeren Oberfläche von Sand- boden während des Tages im Juli von Belgrad?) l am 17,2° 9 am 37° 5 pm 38,8° 2 „ 166 10 „ 41,5 „ 32,9 3 „161 11 „46 7,262 4,152 12 „482 8 5. 297 5 „159 1 pm 48,4 9, 208 6 „184 2 „482 0 „195 7 „ 242 3 „46,9 11 „187 8 „ 306 4. 45 2 „179 Während, wie gesagt, nicht untersucht ist, wie diese starken Schwankungen der täglichen Wärmeumgebung auf die Wurzel wirken, hat die maximale Erhitzung der Oberfläche die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Hellriegel kultivierte Gerste bei verschieden abgestufter Exposition und konnte feststellen, daß in den gegen Einstrahlung ganz ungeschützten Kulturgefäßen die Bodenoberfläche auf 34—53°, ja einmal 1) Vujevid in Meteorol. Ztg. 1911, pag. 295. 2) Vujevid in Meteorol. Ztg. 1912, pag. 575. 32* 500 L. Diels, auf 56° sich erhitzte. Die Gerste hielt diese — allerdings nur während kurzer Dauer einwirkenden — Hitzegrade aus, blieb aber ausnahmslos kürzer im Stroh und ärmer in den Ähren als Individuen, die mehr oder minder geschützt gegen solche Bodenhitze waren. In den süd- russischen Steppen saı Ramann!) „einjährige Eichen in großer Zahl dadurch abgestorben, daß genau an der Grenze der Bodenoberfläche eine kaum millimeterdicke Schicht des Stammes getötet war. Da andere Beschädigungen nicht nachweisbar waren und die abgestorbenen Stellen stets an der Bodenoberfläche lagen, so kann kein Zweifel sein, daß Hitzewirkungen die Ursachen der Beschädigungen waren“. Am ausführlichsten hat Münch solehe Hitzeschäden behandelt. Zunächst konnte er zeigen, daß schon in unseren Breiten die Oberfläche lockerer Böden sich oft hochgradig erhitzt; so wurden 1914 — und zwar nicht nur im Hochsommer, sondern bereits im Frühjahr — hohe Maxima abgelesen, z. B.2): Boden- Boden- Luft Gherfläche Luft Sherfläche 26. April . . . 152 60 4.Imi ... 54,5 29. April . . . 219 62 30. Juni . . . 282 53 ®. Mai... . 279 55 2. Juli... 308 63 Eine derartige Erhitzung der Oberfläche müßte für viele unserer Pflanzen verderblich werden. Wenn z. B. Fichten- und Kiefernkeimlinge ihren kritischen Punkt bei 54° haben, so werden sie in solchen Fällen bei ungehemmter Wärmeleitung an der Berührungsstelle mit der Boden- oberfläche absterben. In der Tat finden sich Bilder solchen Absterbens nach Münch (1913, pag. 557) „in sandigen Forstgärten und Kulturen zu Tausenden; jedoch nie im Schatten. Jene Berührungsstelle von Atmosphäre und Boden, wo das Stämmchen aus dem Boden tritt, der „Fußpunkt“ der Pflanze, ist am meisten gefährdet.“ Die Lage dieser Stelle wird unter natürlichen Verhältnissen keine unverrückbar feste sein, sondern es wird eine ganze Gefährdungszone bestehen, deren Breite davon abhängt, wie stark die Bodenteilchen sich durch Luft- strömungen und dgl. verschieben und wie weit die kritischen Tem- peraturen hinabreichen. Für normal vegetierende Teile phanerogamischer Gewächse liegt nach Sachs’ Versuchen die Tötungstemperatur bei uns selten höher als 51—52°. Nun wird man zwar Schimper zustimmen, daß dieser Grenzwert für Pflanzen extremer Klimate wohl nicht gelten dürfte. 1) Bodenkunde, 3. Aufl., pag. 397. 2) Münch 1915, pag. 250. Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Böden, 501 Wissen aber tun wir sehr wenig darüber, welche Grade von den Arten der trockenheißen Subtropen- und Tropengebiete vertragen werden. Stahl?) maß in einer mexikanischen Opuntia am natürlichen Standort eine Innentemperatur von 49°, sah aber bei Versuchen mit erwärmtem Wasser, daß mehrere Kakteen schon bei 53—54° zugrunde gehen, wenn solche Temperatur länger als ein paar Stunden einwirkt. Man hat also bis jetzt keinen Beweis, daß lebende Gewebe von Phanerogamen eine längere Erhitzung über etwa 52° ohne Schaden überstehen. Vielmehr weisen vorläufig alle Beobachtungen darauf hin, daß um 50° herum der kritische Punkt gelegen ist. Diese Temperatur wird aber an der äußeren Oberfläche kahlen Bodens bereits in unseren Breiten zeitweilig überschritten, und zwar am häufigsten auf trockenem Sande. Für die Subtropen entgeht man nicht der Annahme, daß der- artige Sande sich dort bei einer Luftwärme von 40—45° auf mindestens 55-650 erwärmen. Diese Hitze wird wenigstens im Sommerhalbjahr dort gar nicht selten erreicht werden und oft mehrere Stunden lang anhalten. Ein Fortbestand des vegetativen Lebens ist für eine höhere Pflanze unter solchen Umständen nur möglich, wenn durch Isolationseinrichtungen die Wärmekurve der. Gewebe im Vergleich zu der der Umgebung er- heblich ausgeglichen wird. Diese Voraussetzung scheint mir erfüllt durch die Einschaltung trockener Korkkrusten oder anderen hellfarbigen luftreichen Deckmateriales an den bedrohten Partien in der Nähe des Fußpunktes. Supramaximale Tem- peraturen dürften dadurch vermieden werden, und darin möchte ich die Hauptbedeutung dieser Strukturen in ökologischer Hinsicht erblicken. Wie die Wärmeausgleichung im übrigen wirkt, und namentlich, wie die Minderung des Temperaturgefälles zwischen Oberfläche und tieferen Bodenschichten den Wasserverkehr in der Wurzel beeinflußt, läßt sich gegenwärtig nicht übersehen. Es ist aber wahrscheinlich, daß auch in dieser Hinsicht physiologisch nicht un- wichtige Wirkungen an jene Bildungen geknüpft sind. Zur weiteren Aufklärung dieser Zusammenhänge ist die Lösung verschiedenartiger Aufgaben erforderlich. Unter anderem müssen die thermischen Verhältnisse der Böden in den warmen Ländern gründ- licher untersucht werden als es bisher geschehen ist. Besonders wären die Maxima der oberen Bodenschichten unter verschiedenen Bedingungen zu ermitteln und auch die Dauer der bedrohlichen Temperaturen fest- 1) Biologie des Chlorophylis, pag. 71. 502 L. Diels, Über Wurzelkork bei Pflanzen stark erwärmter Boden. zustellen. Daneben müßte an den Sandpflanzen der trockenheißen Erd- gebiete, die wir jetzt als die meistgefährdeten Gewächse kennen, geprüft werden, wie sich die Wurzeln der jungen Individuen verhalten, und wann sich die isolierenden Bildungen daran zu entwickeln beginnen. “Sehr erwünscht wären natürlich Wärmemessungen im Innern der Gewebe, und zwar sowohl an Stämmen nach Art von Hartig’s Messungen üher den Einfluß der Borke an unseren Bäumen, wie auch an Wurzeln, wo die Wirkung der Korkkrusten und der isolierenden luftreichen Gewebe zahlenmäßig nachzuweisen wäre. Man darf erwarten, auf diesem Wege tiefer einzudringen in die Bedingtheit jener Bildungen am Pflanzen- körper, die nur als Schutz gegen die Gefahren der Überhitzung im Sinne Stahl’s verständlich scheinen. Literatur. v. Alten, H., Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wurzeln. Inaug.-Diss. Göttingen 1908. Brockmann-Jerosch, H., Die Trichome der Blattscheiden bei Gräsern. Ber. Deutsch. bot. Ges. 1913, Bd. XXXI, pag. 590-594. Cannon, W. A., The Root Habits of Desert Plants. Carnegie Institution of Wa- shington. Publ, No. 131. Washington 1911. Diels, L., Die Pflanzenwelt von Westaustralien südlich des Wendekreises. Leipzig 1906. . Hackel, E., Über einige Eigentümlichkeiten der Gräser trockener Klimate, Verh. Zool.-bot. Ges. Wien 1890, Bd. XL, pag. 125—138. Freidenfelt, T., Der anatomische Bau der Wurzel in seinem Zusammenhange mit dem Wassergehalt des Bodens. Bibliotheca Botanica, Heft 61. Stuttgart 1904. Hellriegel, H., Einfluß hoher Bodentemperaturen von kurzer Dauer auf die Vege- tation. Beiträge zu den naturw. Grundl. d. Ackerbaues. Braunschweig 1883, pag. 334 ff. Münch, Hitzeschäden an Waldpflanzen. Naturw. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtsch. 1913, Bd. XI, pag. 557562; 1914, Bd. XII, pag. 169-188. Ders., Beobachtungen über Erhitzung der Bodenoberfläche im Jahre 1914. Eben- dort 1915, Bd. XTII, pag. 249—260, Price, S. R., The Roots of Some North African Desert-Grasses. The New Phyto- logist, Vol. X. 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Gabelige Verzweigung oder Dichotomie der Sprosse und Wurzeln ist unter den Farngewächsen bei den Lycopodisen noch eine normale morphologische Eigentümlichkeit; bei den allgemein seitlich verzweigten Samenpflanzen kommt sie nur noch ausnahmsweise zum Vorschein. Die Gabelungen stehen in enger Beziehung zu den Verbänderungen; häufig kommt es vor, daß an Bandsprossen, höher oder tiefer, zuweilen dicht am Grunde eine Gabelung in zwei oder mehr Äste einsetzt, wo- für die Nadelholzfasziationen gute Beispiele liefern. Einer jeden Gabe- lung muß naturgemäß eine Verbreiterung des Vegetationskegels nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin vorausgehen und tatsächlich lassen sich alle Übergänge von Gabelung in zwei gleichstarke Äste zu dichotom geteilten Bandsprossen verfolgen. So könnte man allgemein sämtliche Fälle von Gabelungen zu den Fasziationen im weiteren Sinne rechnen. Unter der Voraussetzung, daß die Kormophyten phylogenetisch aus Thallophyten, an deren Vegetationskörper Dichotomie öfters auftritt, hervorgegangen sind, erscheinen die Gabelungen als überkommene atavistische Bildungen. Die Anlage dazu ist in der Konstitution des Kormophytenplasmas erhalten geblieben und sie kann unter bestimmten äußeren und inneren Bedingungen wiederum zur Auswirkung gelangen. Es soll damit nicht gesagt sein, daß allgemein die seitliche Ver- zweigung der Kormophyten aus der gabeligen hervorgegangen sei. Auch die erstere kommt bei Thallophyten häufig vor und wird sicher ebenso primitiv sein wie die letztere. Sie bietet aber für den Aufbau größerer Pflanzenkörper entschieden mehr Vorteile und hat im Laufe der Phylogenese den Vorrang gewonnen, ohne daß die Anlage zur 504 B H, Schenck, gabeligen Verzweigung ganz verschwunden ist, Beide Arten der Ver- zweigung sind übrigens nur in ihren typischen Formen scharf von- einander geschieden; wie schon J. Reinke!) ausgeführt hat, lassen sie sich durch Übergänge miteinander in Verbindung bringen. In erhöhtem Maße gilt dies auch für die Farnblätter mit ihren wechselreichen Formen von Aderungen und Ausgliederungen. Die seither beobachteten Fälle von Verbänderungen und Gabelungen bei Samenpflanzen beziehen sich mit wenigen Ausnahmen auf Sprosse, an denen sie sich ausschließlich als Bildungsabweichungen einstellen. Ver- bänderungen im engeren Sinne scheinen dabei häufiger zu sein als Gabelungen in gleichstarke Äste, wofür aber ebenfalls zahlreiche Angaben vorliegen2). So bildet H. de Vries zwei- und dreigabelige Roggen- ähren ab und einen gegabelten Blütenstiel von Viola tricolor maxima, M. Masters eine gegabelte männliche Blüte von Cedrus Libani. Gegabelte Blütenschäfte sind beobachtet an Tulipa, Digitalis lutea, Veronica longi- folia, Plantago lanceolata, Reseda luteola, Campanula medium und vielen anderen Pflanzen, gegabelte Blütenkätzchen an Salix, gegabelte Zapfen an Picea excelsa. Auch an vegetativen Achsen tritt diese Abweichung nicht selten auf; ich beobachtete sie bei Pirus communis, Campsis radicans und an einem Langtrieb der Kletterrose Crimson Rambler (Rosa multiflora Thbg.), der wiederholt in Entfernungen von etwa 30 cm Bifurkation in gleichstarke zylindrische Stengel zeigte. Ferner fand ich im Juli 1917 eine mannshohe Fichte im Felsenmeer bei Heidelberg, an der ein 2jähriger Quirlast seinen letztjährigen Zuwachstrieb etwas unter- halb der Mitte regelrecht nach Art von Lycopodium in zwei gleich- starke Äste von 18 und 16 cm Länge spitzwinkelig gegabelt hatte. Das Bäumehen war an seiner Spitze beschädigt gewesen; es hatte die Endknospe und die Knospen seines obersten Quirls verloren und als Ersatz aus der obersten Seitenknospe einen neuen diesjährigen Leit- trieb gebildet. Es ist bekannt, daß gerade, nach Beschädigungen der Haupttriebe Fasziationen an benachbarten Trieben als Folge vermehrter Nahrungszufuhr hervorgelockt werden können. 1) J. Reinke, Zur Kenntnis des Rhizoms von Corallorhiza und Epipogon. Flora 1873, Bd. LVI, pag. 213. 2) G. F. Jäger, Über die Mißbildungen der Gewächse, pag. 9. Stuttgart 1814. M. Masters, Pfianzen-Teratologie. Deutsch von U. Dammer 1886, pag. 79. A. B. Frank, Die Krankheiten der Pflanzen 1896, 2. Aufl., Bd. III, pag. 327. 0. Penzig, Pflanzen-Teratologie. Zahlreiche Zitate. H. de Vries, Die Mutations- theorie 1903, Bd. II, pag. 543. BEER Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 505 Für Wurzeln liegen nun die Verhältnisse anders als für Sprosse. K. Goebel!) unterscheidet die Wurzelgabelungen in spontane und in solche, die durch symbiotisch in der Wurzel lebende Organismen ver- anlaßt werden. Zu ersteren rechnet er die handförmigen Knollen bestimmter Erdorchideen, zu letzteren die Mykorrhizen von Koniferen, die Luftwurzeln einiger Cycadeen, die Mykorrhizen von Alnus. Goebel sagt unter Hinweis auf die Gallenbildungen, es liege kein Grund vor, diese Erscheinung als Atavismus zu betrachten, immerhin aber werde man diese Fälle als Stütze für seine Ableitung der endogenen Wurzel- verzweigung vor der gabeligen benutzen können. Meines Erachtens sprechen doch manche Gründe dafür, daß wenigstens die spontanen Gabelungen und die Verbänderungen überhaupt Atavismen vorstellen. Auch H. Dingler?) ist geneigt, sie als eine „alte Erbschaft“ anzusehen. $1. Die durch den Einfluß symbiotisch in der Wurzel lebender Organismen veranlaßten Gabelungen weichen insofern von gabelig geteilten typischen Wurzeiverbänderungen ab, als die aufein- anderfolgenden Gabelungen hier nicht in ein und derselben Ebene liegen, sondern einander kreuzen. Es ist bemerkenswert, daß die meisten Mykorrhizen seitliche Verzweigung aufweisen. Dichotomie kommt bei Koniferen, soweit mir bekannt, nur den Pilzwurzeln von Pinus silvestris®), montana, Cembra, Strobus zu. Hier sitzen die verpilzten Gebilde als kurze, anfangs einfache, dann dichotom und schließlich korallenartig reich gegabelte Seitenwürzelchen an den längeren Faserwurzeln. Die übrigen Koniferen, so Picea‘) und Abies?) besitzen dagegen seitlich und akropetal verzweigte, also racemöse Mykorrhizen. Interessant verhält sich Pinus montana nach P. E. Müller’s®) Beobachtungen in Jütland. An ein und derselben Wurzel treten hier gabelig verzweigte korallenförmige und racemöse Mykorrhizen zugleich auf. Wodurch diese Unterschiede bedingt sind, ist unbekannt. Bis jetzt sind erst in wenigen Fällen Fruchtkörper im Zusammenhang mit mykorrhizen- 1) K. Goebel, Organographie 1913, Bd. I, 2. Aufl., pag. 104. 2) H. Dingler, Wurzelbrutverbänderung bei Prunus insititia. Jahresb. d. Vereinig. für angewandte Botanik 1916, Bd. XIV, pag. 169. 3) W. Magnus in Kny’s Bot. Wandtafeln, 13. Abt., Tafel 116, Text pag. 526, Fig. I u. 2 gibt gute Abbildungen. 4) Gute Abbildungen in E. Melin, Studier över de Norrländska Myrmarkernas Vegetation, pag. 354 und Tafel 10a. Uppsala 1917. 5) Abbildung in Kirchner, Loew, Schröter, Lebensgeschichte der Blüten- pflanzen Mitteleuropas 1908, Bd. I, I, pag. 83. 6) Zitiert ibid. pag. 219. 506 H. Schenck, bildenden Myzelien nachgewiesen worden. Nach der von Mc Dougall}) gegebenen Zusammenstellung handelt es sich um Arten von Elapho- myces, Boletus, Russula, Lactarius, Tricholoma, Cortinarius, Armillaria, Seleroderma, Geaster, also um Gattungen aus verschiedenen Verwandt- schaftskreisen, die sicher physiologische Unterschiede ihrer Myzelien aufweisen und demgemäß auch auf die von ihnen befallenen Wurzeln in verschiedener Weise einwirken werden. Die von Nostoe punctiforme und Bakterien befallenen apogeo- tropischen Cycadeenwurzeln zeigen ebenfalls dichte korallenartige Ver- zweigung durch fortgesetzte einander kreuzende Gabelungen ?). Die Wurzelknöllcehen mancher Leguminosen sind gegabelt und gleichen in bestimmten Fällen in hokem Maße den Mykorrhizen. Ich verweise auf Medicago sativa®) und auf Ormosia sumatranat). Über die morphologische Natur dieser Knöllchen und korallenförmigen Gebilde läßt sich streiten; bestimmte Gründe sprechen dafür, sie als Seiten- würzelchen zu betrachten, die unter dem EinfiaßB der sie bewohnenden Bakterien eine weitgehende Umgestaltung und abweichende anatomische Struktur erfahren haben. Ihre Polystelie ist im Hinblick auf das Ver- halten der Orchideenknollen nicht befremdlich; die Auflösung des ein- fachen Zentralzylinders in mehrere Stränge kann in Wurzeln, die knollige Verdickung erfahren, mit einem Schlage in die Erscheinung treten, wie aus den interessanten Befunden von J. Sachs?) an künstlich durch Entfernung aller Sproßvegetationspunkte hervorgerufenen Wurzel- knollenbildungen bei Cucurbita maxima hervorgeht. Bei saprophytischen Blütenpflanzen wird eine korallenförmige Gestaltung des von Pilzen bewohnten Wurzelsystems häufig angetroffen. Bis jetzt habe ich ‚aus der Literatur über diese Gewächse keine An- gaben über etwa an ihnen auftretende Gabelungen entnehmen können. Nur bei den Monotropeen Pterospora und Sarcodes sanguinea kommt nach F. W. Oliver°) eine abweichende Verzweigungsform vor. Alle 1) W. B, Mc Dougall, On the mycorhizas of forest trees Americ. journal of botany 1914, Vol. I, pag. 63. 2) Gute Abbildungen von Encephalartug villosus und E. Altensteinii bringt R. Marloth, The Flora of South Africa I, Taf. 15B und pag. 100, Fig. 64. Capetown 1913. 3) A. Tschirch, Beiträge zur Kenntnis der Wurzelknöllchen der Leguminosen. Ber. Deutsch. bot. Ges. 1887, Bd. V, pag. 58, Taf. V, Fig. 13. 4) M. Büsgen, Studien über die Wurzelsysteme einiger dikotyler Holz- pflanzen. Flora, Ergänzungsbd., 1905, pag. 92. 5) J. Sachs, Gesammelte Abhandlungen pag. 1173, Fig. 120, 6) F. W. Oliver, On Sarcodes sanguinea Torr. Annals of bot. 1890, Vol. IV, pag. 306, Fig. 41 u. 42, u ara Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 507 Seitenwurzeln entstehen hier an der von einem Pilzmyzel überzogenen Mutterwurzel exogen durch radiale und tangentiale Teilungen in den peripherischen Schichten des Dermatogens und Periblems so nahe unter der Spitze, daß sie noch von der Wurzelkappe der letzteren bedeckt sind; auch beginnt die Differenzierung des Zentralzylinders in den jungen Seitenwurzeln bereits, wenn sie sich kaum hervorgewölbt haben. Hier liegt also schon eine Art von Übergang seitlicher Verzweigung zu Dichotomie vor. Bei Monotropa dagegen ist die Wurzelspitze frei vom Pilz und die Seitenwurzeln sind endogen. Die durch den Einfluß von Organismen veranlaßten Formänderungen schließen sich den Gallenbildungen an. Da es sich um fremdartige Reize handelt, die in der phylogenetischen Entwicklung des Organs keine Rolle gespielt haben, so ist es fraglich, wenn auch nicht aus- geschlossen, daß hier Atavismen vorliegen. 8 2. Zu den von Goebel angeführten Fällen bei Orchideen und bei Mykorrhizen kommen noch hinzu die gelegentlich als Bildungs- abweichungen auftretenden Gabelungen und Verbänderungen an sonst normal seitlich verzweigten zylindrischen Wurzeln. Sie scheinen ungemein selten aufzutreten, was schon Masters), Penzig?) und zuletzt Dingler®) besonders hervorheben. Nur für wenige Pflanzenarten sind sie festgestellt; ich nenne daher sämtliche mir bis jetzt bekannt gewordenen Fälle, die sich auf 14 belaufen. Es dürfte aber wohl keinem Zweifel unterliegen, daß bei Durchsicht mög- lichst umfangreichen Wurzelmaterials sich noch manche weitere Bei- spiele auffinden lassen werden. . Die nachstehend aufgezählten Gabel- und Bandwurzeln sind meist Luftwurzeln, zum Teil aber auch Erdwurzeln. Bei ersteren bringt die bandförmige Abplattung der Pflanze keine Nachteile, bei letzteren kann sie nicht als vorteilhafte Eigenschaft beobachtet werden, da die zweck- mäßigste Form für ein in der Erde vordringendes Organ entschieden die fädigzylindrische ist. 1. Hedera helix. R. Caspary*) beschreibt Verbänderungen an 1) M. Masters, Pilanzen-Teratologie, deutsch von U. Dammer 1886, pag. 35. 2) ©. Penzig, Pflanzen-Teratologie 1894, Bd. II, pag. 324. 3) H. Dingler, Wurzelbrutverbänderung bei Prunus insititia. Jahresber. der Vereinig. f. angew. Bot. 1916, Bd. XIV, pag. 160, 4) R. Caspary, Gebänderte Wurzeln eines Efeustockes. Schriften der physikal.-ökon. Ges. Königsberg 1882. Bd. XXI, pag. 112 u. Taf. I 508 H. Schenck, Luftwurzeln einer im Topf kultivierten Efeupflanze. Da es sich um besonders typische Objekte handelt und die Abhandlung nicht überall leicht zugänglich ist, sei es gestattet, die nebenstehenden Ausschnitte aus der Tafel wiederzugeben. Außer normalen Wurzeln hatte der betreffende Sproß sechs weißliche verbänderte Wurzeln von 37—90 mm Länge sämtlich auf ein und derselben Stammseite gebildet, wovon die eine noch unverzweigt, die zweite an der Spitze gegabelt (Fig. 14), die dritte in der Mitte ge- gabelt (Fig. 12) war, während die vierte, fünfte und sechste reicher ge- - gabelt, nach den Enden zu in abgeplattete finger- förmige, bis zu 9 mm breite Lappen ausliefen (Fig. 1C). Alle Gabe- lungen und Lappen lagen in gleicher Ebene. Aus den gelappten Wurzeln entsprangen kurze dreh- runde Seitenwürzelchen zweiter Ordnung von endogener Herkunft. Die Bandwurzein besaßenent- sprechend verbreiterte Fig. 1. Verbänderteg Wurzeln von Hedera helix. Gefäßbündelzylinder, die Nach Oaspary. Nat. Gr. anstatt der fünf oder sechs Gefäßteile einer normalen Efeuwurzel weit mehr, auf einem Schnitt sogar 24, aufwiesen. 2. Phyllocactus phyllanthus Lk. (Cactus Phyllanthus L.. C.H. Schultz-Schultzenstein!) unterscheidet Gabelwurzeln, Fächer- warzeln und Scheitelwurzeln und sagt über das Vorkommen der Fächer- wurzel (Radix flabellata, zonata) „bei mehreren Dioscoraeen, den Luft- wurzeln von Caetus Phyllanthus, die in Form eines fleischigen syn- kladischen Fächers, der sich zugleich in Zonen schichtet, strahlig aus- 1) 6. H, Schultz-Schultzenstein. Neues System der Morphologie. der Pflanzen 1847, pag. 41. (Über diesen Autor vgl. Sachs, Geschichte der Botanik, pag. 317, 324, 346.) Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 509 v breitet und von den Zonenringen Kreise von Wurzelfasern treibt. Dieser Typus erinnert an Zonaria, Codium, an die Blattbildung von Caryota, Gingko“. Die in Fig. 2 wiedergegebene Abbildung 2 auf der Figurentafel des Buches zeigt in der Tat eine echte Wurzeliasziation. Ob Schultz bei Dio-' scorea, bei welcher Gattung auch verzweigte Knollen vorkommen), wirklich Verbänderungen gesehen hat, bleibt mir unsicher, da er von solchen keine Abbil- dung und nähere Beschreibung bringt. 3. Phyllocactus Hookeri 8.-Dyck (= Epi- Phyllum Hookeri Haw.). A. Braun?) berichtet 1853 über sehr zierlich fasziierte Luftwurzeln, die diese Kaktee im Berliner botanischen Garten gebildet hatte; } diese Verbänderungen hatten „durch ihre fächer- y,. 2. Verbänderte förmige und mehrfach dichotom geteilte Gestalt Wurzel von Phylio- das Ansehen mancher Meeresalgen (Pavonia)“. Der Srchs, phyllenthun. Autor bemerkt, daß dichotome Wurzeln bei Phane- rogamen seither noch nicht beobachtet worden seien. Indessen waren sie bereits 1847 von €. H. Schultz-Schultzenstein für Phyllocaetus phylianthus beschrieben worden. 4. Podostemon Mülleri. E. Warming®) beobachtete bei dieser Art nur ein einziges Mal Gabelung einer Wurzel in zwei Äste, von denen jeder seine besondere Haube trug. 5. Piper. Burbidge*): fand an einer japanischen Piper-Art Luftwurzein, die sich als breite abgeflachte Gebilde, Elchgeweihen im Kleinen vergleichbar, ausgestaltet hatten und die dicht mit braunen, sammetigen Haaren bedeckt waren. 6. Vieiafaba. G.Lopriore®) hat bei Vicia faba, Pisum sativum, 1) Die in Ostafrika in zahlreichen Formen kultivierte Dioscorea dumetorum Pax erzeugt mannigfach gestaltete Knollen, die zum Teil handförmig geteilt sind und an Fasziationen erinnern könnten. Abbildungen bringt A. Engler, Die Pflanzen- welt Afrikas 1908, Bd. III, pag. 360. 2) A. Braun in Verhandl. des Vereins z. Beförd. des Gartenbaues in den Kgl. preuß. Staaten. Nene Reihe, 1. Jahrg., pag. XV. Berlin 1853. 3) E. Warming, Familien -Podostemacese, Afh. III, Vidensk. Selek. Skr, 6. Raekke, Bd. IV. 8, pag. 446 u. Taf. XYIL Fig. 1. Kopenhagen 1888. 4) Gardeners chronicle 1886, New Series, Vol, 26, Nr. 677. pag. 2784. 5) 6. Lopriore, Über die Regeneration gespaltener Wurzeln. Ber. deutsch. bot. Ges. 1892, Bd. X, pag. 76 und Nova acta Käiserl. Akad. Naturf. 1896, Bd. LXVI, pag. 211-286, Taf. 13—20. (Abbild. verbänderter Wurzeln von Phaseolus auf Taf. 17, Fig. 1-5). 510 H. Schenck, Phaseolus multiflorus, Zea mais die Bildung bandförmiger Seitenwurzeln beobachtet. Sie entstehen hier, wenn die Hauptwurzel geköpft!) oder lingsgespalten wird, anscheinend infolge vermehrter Nahrungszufuhr zu den Bildungsstätten der Seitenwurzeln. Auch das Wegschneiden der Plumula am Keimstengel von Vieia faba veranlaßte das Auftreten von verbänderten Seitenwurzeln an der Hauptwurzel®. Die serial an- geordneten Anlagen der Seitenwurzeln im Pericambium folgen in diesen Fällen dicht aufeinander in großer Anzahl und können paarweise kon- genital miteinander verwachsen, wobei aber die Zentralzylinder getrennt bleiben; andere Seitenwurzelanlagen erfahren in der Längsrichtung des Mutterorganes eine Verlängerung und liefern dann fasziierte Wurzeln mit entsprechend verbreitertem Zentralzylinder. Zwischen Verwachsung und Fasziation wird hier eine scharfe Unterscheidung wohl nicht immer möglich sein. Als fasziierte Wurzel können wir eine Bandwurzel betrachten, die mit serial verbreitertem jedoch einheitlichen Meristem hervorwächst. Die gelegentlich bei Zea mais, Vicia faba und anderen Pflanzen auftretenden Zwillingswurzeln dagegen sind keine Fasziationen, sondern entstehen durch Verwachsung zweier dicht benachbarter kolla- teraler Seitenwurzelanlagen, zeigen bretzelförmigen Querschnitt und führen zwei getrennte Zentralzylinder®). Kongenitale Verwachsung von serial dicht aufeinanderfolgenden Nebenwurzelanlagen kommt nach M. Franke) in typischer Form bei Campsis radicans vor, von der bis jetzt verbänderte Wurzeln noch nicht bekannt sind. 7. Pisum sativum Lopriore I. c. 8. Phaseolus multiflorus Lopriore l. c. 9. Aörides erispum. M. Masters?) gibt an, daß an Luftwurzeln Fasziationen mit Gabelungen beobachtet worden sind. Die wenig brauch- bare Abbildung zeigt geweihförmige Bandwurzeln mit zurückgekrümmten, an den Enden eingerollten Gabelästen. 1) G. Lopriore, Verbänderung infolge des Köpfens. Ber. Deutsch. bot. Ges. 1904, Bd. XXI, pag. 304. 2) G. Lopriore, Künstlich erzeugte Verbänderung bei Phaseolus multi- florus. Ber, Deutsch. bot. Ges. 1901, Bd. XXI, pag. 394. 3) G. Lopriore, Zwillingswurzeln, Wiesner- Festschrift, Wien 1908, pag. 535 und Taf. 23, (Fig. 1 u. 2 Zea mais, Fig. 5 u. 8 Vicia faba). Querschnitte durch echte verbänderte Wurzeln von Zen mais bringen Fig. 3 u. 4 zur Darstellung. . 4) M. Franke, Beiträge zur Kenntnis der Wurzelverwachsungen. Beiträge z. Biol. d. Pfl. 1883, Bd. II, pag. 307, 9) Smith in Gard., Chroniele 1874, Bd. I, pag. 703, Fig. 153. Zitiert in M. Masters Pflanzen - Teratologie. Deutsch von U. Dammer 1886, vage. 3. Abbildung pag. 38, Fig. 8. ? | | Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 511 10. Phalaenopsis Schilleriana. M. Masters?) zitiert Fasziation der Luftwurzeln. 5 11. Platanthera bifoliaa An einem Exemplar von der Berg- straße beobachtete ich Gabelung der Wurzel, in die sich die Mutter- knolle verlängerte, in zwei gleichlange Äste (Fig. 5). 12. Zea mais. G. Lopriore I. c. 13. Allium fistulosum. Unter Alkoholmaterial von abgeschnitte- nen Wurzeln dieser Art fand ich ein Wurzelstück mit verbreitertem Leitbündelzylinder. Äußerlich zeigte es kaum eine Abplattung. Normale Wurzeln sind pentarch gebaut; bei der vorliegenden abweichenden aber ist der Zylinder oktarch (Fig. 3). Die meisten Gefäße liegen im Quer- Fig. 3. Allium fistulosum. Wurzelverbänderung. Querschnitt durch den Zentral- zylinder. Vergr. 192. schnitt auf der großen Achse der Ellipse in einer Reihe und an sie setzen die acht Strahlen engerer Gefäße derart an, daß auf der kurzen Achse in der Mitte ein Gefäßstrahl an den Pericykel stößt, während auf der einen Seite drei Strahlen, auf der anderen Seite vier Strahlen in nicht ganz gleichmäßiger Verteilung liegen. Fast macht es den Ein- druck, als ob zwei normale Leitbündelzylinder dicht aneinander geschoben und mit einander verwachsen wären. Von Verwachsung kann aber hier nicht gesprochen werden, da der ganze Strang trotz seiner Breite nur von einem einheitlichen Vegetationskegel aus einem verbreitertem Pro- cambiumstrang gebildet werden konnte. 1) 8. Anm. 5, pag. 510. 512 H. Schenck, 14. Pothos aurea. U. Dammer!) beschreibt eine ihm aus St. Petersburg zugesandte verbänderte Luftwurzel. Sie hatte sich aus einer Mutterwurzel, deren Spitze abgestorben war, nahe dieser gebildet und eine Länge von etwas über 17 cm erreicht. Leider wird nichts über das Verhalten ihres Zentralzylinders ausgesagt, so daß nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob an diesem Gebilde nicht gleichzeitig auch Verwachsung vorliegt. Der untere 12 cm lange abgeflachte Teil der Wurzel gewährt nach der Abbildung den Eindruck, als ob drei kollaterale Wurzeln miteinander verwachsen seien, die sich dann von- einander lösen und von denen die mittlere stärkere an ihrem Ende schließlich sich in zwei Äste gabelt. 2 83. Auch an rübenförmig metamorphosierten Wurzeln werden Verbänderungen und @abelungen als Bildungsabwei- ehungen zu erwarten sein. In der älteren Literatur sind bereits mehrfach handförmig gestaltete Rübenwurzeln als Curiosa beschrieben und abgebildet worden?), aber, es bleibt fraglich, ob es sich jedesmal wirklich um eine Fasziation gehandelt hat oder nur um seitliche Ver- zweigung der Rübe in mehrere Zipfel, wie sie bei Daucus, Beta, Bras- sica, Raphanus häufig auftritt. Bei der Durchsicht einer größeren Anzahl solcher Rüben ist mir selbst eine echte Verbänderung bis jetzt noch nicht zu Gesicht gekommen, wohl aber bei zwei Kartoffelknollen. 1. Daueus Carota. Möglicherweise ist die von Ch. Mentzel?) 1678 abgebildete handförmige Mohrrübe, die, wie es auch bei Pastinaca, Cichorium u. a. gelegentlich vorkommt, um eine benachbarte Rübe eine Strecke lang gewunden ist und wie eine Hand sie umfaßt, eine echte Verbänderung gewesen. Im Anschluß an die observatio Mentzel’s gibt Sigism. Escholtz zu ihr ein Scholium; er meint, die Abplattung 1) U. Dammer, A fasciated root of Pothos aurea. Gardeners Chronicie. New Series 1886, Vol. XXVI, Nr. 675, pag. 724 u. Fig. 140. 2) 0. Penzig, Pfianzen-Teratologie, Bd. I, pag. 274 Raphanus; pag. 262 Brassica Rapa; pag. 520 Pastinaca; pag. 522 Dancus. 3) Christianus Mencelius, De Dauci sativi radice manuformi. Miscellanea curiosa Academiae nat, cur. Decuria I, Annus nonus et decimus 1678 u. 1679. Vratislaviae et Bregae 1680, pag. 218, Observ. 82. Mentzel spricht von einer radix „Dauei sativi, vel altilis, quem aliqui Pastinacam tenuifolium sativam, radice lutea, nominant“. Penzig zitiert die obs. Mentzelsrichtig unter Daucus carota, dagegen sagt er irrtümlich bei Pastinaca sativa: Eine handförmig ausgebildete Wurzel ist als Kuriosität von Escholtz beschrieben worden. Dieses irrtümliche Zitat Penzig’s findet sich in Dingler’s oben zitierten Abhandlung pag. 160 wiedergegeben; statt Pastinak muß es vi” Möhre heißen, statt Escholtz Mentzel als Autor, pag. 218 (nicht 216). rn Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln, 513 der Möhre und ihre Zerteilung in fünf Finger sei bewirkt durch den Druck von Steinen und Steinchen, die sich im Boden befunden hätten. F.Buchenauß) beschreibt 1862 eine in zwei gleichstarke und schraubig umeinander gewundene Äste gegabelte Möhre, die bei Bremen gefunden wurde. Er hebt besonders hervor, daß hier wirkliche Spaltung des Vegetationspunktes der Wurzel stattgefunden habe; „ein Querschnitt oberhalb der Teilung zeigte nämlich eine von beiden Seiten vortretende Einschnürung des Markes, das weiter hinab die Form einer 8 annalım und sich zuletzt in zwei fast völlig gleichstarke kreisrunde Teile auf- löste“. Übrigens bleiben immer noch einige Zweifel bestehen, ob wirk- lich Dichotomie vorlag. 2. Raphanus sativus. G. W. Wedel?) bringt 1675 die Ab- bildung von einem 1558 bei Harlem gefundenen handförmigen Rettig. Die Ähnlichkeit mit einer Hand ist in der Zeichnung sehr übertrieben, immerhin könnte Verbänderung vorgelegen haben. 3. Brassica rapa. In der älteren Literatur sind monströse Rüben von auffallender Gestalt öfters beschrieben und abgebildet worden. Diesen Angaben ist für unsere Frage wenig Wert beizumessen, jedoch mögen einige von ihnen hier kurz erwähnt werden. So gibt Ph. Jac. Sachs®) 1670 von einer merkwürdigen, einer weiblichen Gestalt gleichenden Rübe eine phantasievolle Abbildung; im Anschluß an seine observatio berichtet der Autor auch über allerlei sonstige anthropo- morphe Naturgebilde. Hier handelt es sich offenbar um seitliche Ver- zweigung des Rübenkörpers in Arme und Beine. Das von Christian von Hellwich‘) 1720 abgebildete Rüben- monstrum, das entfernt einem gekrümmten Fisch gleicht, könnte viel- leicht durch Gabelung der Hauptwurzel entstanden sein. Aus dem einen Gabelast wäre dann der kürzere vordere kopfförmige Teil der Rübe, aus dem anderen der längere hintere schwanzförmige Abschnitt durch Verdickung hervorgegangen. Der Verfasser meint, die Wurzel 1) F. Buchenau, Abnormitäten der Wurzeln von Daucus Carota L. Bot. Zig. 1862, Bd. XX, pag. 305. 2) Georgius Wolffgangus Wedelius, De Raphano monstroso. Miscell. eur. Acad. nat. eur. Dec. I Annus sextus et Septimus 1675 u. 1676, pag. 1, Observ. 1. Francofurti et Lipsiae 1677. 3) Philippus Jacobus Sachs, De Rapa monstrosa anthropomorpha. Miscell. eur, Acad. nat. cur. Dec. I Annus I 1670. Francofurti u. Lipsiae 1684, pag. 121, Obserr. 48. 4) Chr. von Hellwich, Von einer monströsen Rübe. Sammlung von Natur- Medizin-, Kunst- und Literatur-Geschichten 1720 Nov., Artik. III, pag. 532. Leipzig u. Budissin 1722. Fiors. Bä. ill. 33 514 H. Schenck, sei wahrscheinlich auf einen Stein, Ziegel oder Holz im Wachstum getroffen, „daß sie also in ihrem aceremento perpendiculari nicht fort- gekonnt, sondern zu beiden Seiten queraus getrieben“. Sicheres über ihre Bildungsweise läßt sich aus der Zeichnung aber nicht entnehmen. Gleiches gilt auch von den beiden monströsen Rüben, die ein Anonymus!) 1722 ebenfalls in der zitierten Sammlung von Natur- geschichten abgebildet und kurz beschrieben hat; die eine gleicht ent- fernt einem weiblichen, die andere einem männlichen Unterkörper. Beide. scheinen durch seitliche Verzweigung der Hauptwurzel zustande gekommen zu sein. Dagegen läßt sich die in beistehender Fig. 4 dargestellte Rübe mit größerer Wahrscheinlichkeit als eine Fasziation deuten. Dafür spricht R die starke Abflachung und die Anordnung der fünf fingerförmigen Gabeläste in einer Ebene und in gleicher Höhe. Auf der rechten Seite sieht man noch den Stumpf von einem sechsten höherstehenden Glied, dessen Gleichwertigkeit mit den übrigen zweifelhaft ist. Diese Figur ist die ver- kleinerte Wiedergabe eines im botanischen Institut zu Darmstadt befindlichen Bildes unbekannter Herkunft, das die Aufschrift trägt: „Diese weisse Rieb ist 1776 zu Dornberg?) auf einem Acker unter andern Rieben gefunden worden“. . Die Sanım- ' lung des Instituts besitzt ferner ein aus älterer Zeit stammendes Gipsmodell von einer der obigen sehr ähnlich gestalteten Rübe. Auf den ersten Blick fällt die morphologische Übereinstimmung solcher Gebilde mit handförmigen Orchideen- . . j knollen auf. Keen re an Dane Eine weiße Wasserrübe, die sich berg bei Groß-Gerau, Provinz dem in Fig. 4 dargestellten Gebilde an- Starkenburg. Nach einer im . bot. Inst. Darmstadt befindlichen Teiht, hat R. Caspary®) 1875 kurz be- Abbildung auf '/, verkleinert. schrieben, Sie war seitlich etwas zu- 1) Von monströsen Rüben. Ibid. 1722, Artik. IV, pag. 412, 2) Südlich von Großgerau in der Rheinebene gelegen. 3) R. Caspary, Fingerig bewurzelte Wasserrübe. Schriften der phys.-ökon. Ges. Königsberg 1875, Bd. XVI, Sitz.-Ber. pag. 5. Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 515 sammengedrückt und endigte unten in fünf, fast fächerartig gestellte, an Dicke wenig unterschiedene Wurzeln, von denen die beiden seit- lichen unter einer starken Krümmung dem ungeteilten oberen Stück angedrückt waren. Ich zweifle nicht, daß es gelingen wird, weitere und sichere Fälle von echter Fasziation an rübenförmigen Wurzeln nachzuweisen. Im Hinblick auf die Befunde Lapriore’s bei Phaseolus, Vicia, Zea wäre zu berücksichtigen, daß solche Gebilde auch dadurch zustande kommen könnten, daß das Spitzenende der Hauptwurzel infolge einer Verletzung zugrunde ginge oder durch seitliches Ausbiegen nieht. zu voller Ent- wieklung gelangte und daß nun aus der konvexen Seite, die nach Noll der bevorzugte Ort für die Anlage von Seitenwurzein ist, eine serial verbänderte und sich später gabelnde Seitenwurzel nach unten hervor- wüchse. - $ 4. Stellten die zuletzt genannten Wurzelgabelungen nur gelegent- lieh auftretende Bildpngsabweichungen vor, so sind die gewissen Erd- orchideen eigentümlichen; handförmigen Wurzelknollen Ge- bilde, die im normalen Entwieklungsgang, wie er sich unter den gewöhn- lichen Lebensbedingungen dieser Pflanzen vollzieht, zum Vorschein kommen und daher ein besonderes morphologisches Interesse bean- spruchen. Ohne vollständige Kenntnis der Entwicklungsgeschichte und der anatomischen Struktur der Knollen, sowohl der gegabelten als auch der einfachen, kann man im Zweifel sein, ob Verwachsung mehrerer Adventivwurzeln das ganze Gebilde geliefert hat oder ob es nur aus‘ einer Wurzelanlage hervorgegangen ist. Die vorherrschende Ansicht, die in der Knolle ein Verwachsungsprodukt erblickte, hat sich als un- richtig herausgestellt und darf jetzt nach den eingehenden, von K. Goebel im Münchener Institut veranlaßten Untersuchungen N. Stojanow’s!) als beseitigt gelten; ersterer hatte sich bereits gegen sie ausgesprochen?). Übrigens hatte auch schon W. Hofmeister?) richtig erkannt, daß bei den mehrzipfeligen Knollen ven Orchis latifoliae und Verwandten die Zipfel durch Gabelung des Vegetationspunktes der Wurzel angelegt werden. . N. Stojanow gelangt in seiner wichtigen Arbeit zu dem Ergebnis, daß die Knollen pölystelische Gebilde sind, die durch eine allmähliche 1) N. Stojanow, Über die vegetative Fortpflanzung der Ophrydineen. Flora 1917, Bd. CIX, pag. 1. 2) K. von Goebel, Organographie 1918, 2. Aufk, Bd. I, pag. 104. 3) W. Hofmeister, Allgemeine Morphologie der Gewächse 1868, pag. 426. 33* 516 H. Schenck, innerliche Komplizierung einzelner Wurzeln gebildet worden sind. Als primären Typus betrachtet er die Knolle von Platanthera bifolia, die die wurzelähnliche Gestalt noch nicht verloren habe. An sie reiht er einerseits die kugeligen, einfachen Knollen an, andererseits die hand- förmigen, an denen Teilung des Vegetationskegels sich vollziehe. Die Polystelie ist also eine Struktur, die hier von der Monostelie abgeleitet werden muß und die Hand in Hand mit der Umbildung der Nähr- wurzei zu einem Speicherorgan sich einstellte. Die in den Knollen getrennten Stelen laufen spitzenwärts zusammen, bei Platanthera im Ende der wurzelartigen Verlängerung der Knolle schließlich zu einem einfachen Zentralzylinder. Nunmehr liegt es meines Erachtens nahe, die handförmigen Orchideenknollen als Wurzelfasziationen zu betrachten, aus gleichen Gründen, aus denen auch Sprosse, die im unteren Teile band- artig ausgebildet, spitzenwärts aber in mehrere Äste sich gabeln, zu den Verbänderungen gerechnet werden ‘). Diese Auffassung hat durch- aus nichts Befremdliches, denn für die Erscheinung, daß Organformen, die im allgemeinen nur gelegentlich als Bildungsabweichungen auftreten, bei gewissen Pflanzenarten aber zum normalen morphologischen Bestand gehören, lassen sich noch recht viele weitere Beispiele anführen. Nur innerhalb "einer einzigen Unterfamilie der vielgestaltigen Orchideen, bei den Ophrydinen, sind handförmige Wurzelknoller zur Ausbildung gelangt. Die wichtigsten mit solchen versehenen einheimi- schen Arten sind: Coeloglossum viride Orchis incarnata Nigritella nigra » Traunsteineri „ rubra „» Jlatifolia Gymnadenia conopea „ cordigera " odoratissima „ sambucina » albida „ . Inaculata " cucullata Von diesen Arten können einige unter gewissen Bedingungen, namentlich an schwächeren "Exemplaren, gelegentlich auch einfache Knollen nach Art der Platanthera hervorbringen. Nicht selten ist dies 2. B. der Fall bei der auf nassen Moorwiesen vorkommenden Orchis 1) Man vergleiche z. B. die Lärchen- und Fichtenverbänderungen Fig. 4 u. 5 meiner Zusammenstellung über Nadelhölzerverbänderungen in Mitteil. der Deutschen dendrol. Ges. 1916, pag. 37 ff. } Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 517 ı Traunsteineri®), die der OÖ. incarnata nahe steht und deren Knollen gewöhnlich in zwei, seltener in drei, oft sehr verlängerte Zipfel sich gabeln. : Stojanow?®) fand, daß bei spärlicher Ernährung wieder die ursprüngliche einfache Form der Knollen zum Vorschein kommt. Auch die jüngeren Pflanzen . obiger Arten haben ein- fache Knollen. Die Mehrzahl der Orchis-Arten, ferner alle übrigen Ophrydinen- Gattungen tragen nur einfache kugelige oder eiförmige Knollen; nur bei Platanthera ver- schmälert sich dieKnolle “ in eine lange Wurzel. Die sonstigen ein- heimischen Orchideen- gattungen, Vertreter der Neottiinen, Lipsridinen, Coelogyninen und Cypri- pedilinen besitzen größ- tenteils Rhizome mit einfachen Erdwurzeln. Nur die zur ersteren Unterfamilie gehörige GattungSpiranthes trägt wiederum einfache Wur- zelknollen. Man darf wohl annehmen, daß die Her- ausbildung handförmi- 1) L. Reichenbach, Icones Flor. germ. et helr., Ba. XIfLet XIV, Taf. XLII, Leipzig 1851. 2) N.Stojanow, l.c. pag. 16 ff. Fig. '5. Platanthera bifolia Rehb, Wurzelsystem im Juni-Stadium. Mutterknollen mit gegabelter Wurzel. Nat. Gr. 518 H. Schenck, ger Knollen mehrmals im Laufe der phylogenetischen Entwicklung der‘ Ophrydinen erfolgte. Morphologisch steht, wie N. Stojanow mit Recht betont, die einfache Wurzelrübe von Platanthera bifolia, die anfangs spindelförmig, im Laufe des Herbstes und Winters an ihrer Spite in eine einfache Erdwurzel auswächst, auf primitivster Stufe. Ich habe nun an einem besonders stattlichen Exemplar dieser Art von der Berg- straße eine Gabelung an der Wurzelverlängerung der Knolle beobachtet, wie Fig. 5 darstellt. Die Gesamtlänge der Knolle samt ihrer Wurzel ‚betrug 17 cm, die Länge der gleichstarken Gabeläste 3,5 cm. Stellt man sich vor, die Gabelung erfolge näher der Knolienbasis, so wäre der Übergang zu einer zweifingerigen Knolle gegeben. E. Capeder?) berichtet über eine interessante abweichende Pla- tantheraknolle, die sogar in neun einzelne Wurzelfasern auslief. Diese verhielten sich bezüglich der Zahl ihrer Leitbündelstränge verschieden; während die einen an ihrer Spitze, sowie auch an dem mit der Knolle verbundenen Teil nur einen Strang aufwiesen, enthielten andere an ihrer Spitze nur einen, gegen die Knolle hin aber deren zwei, wieder andere drei Stränge, Bereits Ed. Prillieux?) hat bei Phatanthera bifolia und chlo- rantha Gabelungen ‚der Knollen beobachtet. Er sagt darüber: „La partition de ces bulbes en deux par leur extr6mit& n’est pas un phenomöne rare; c’est incontestablement une anomalie, mais une ano- malie commune dans ces deux espöces”. Gabelungen an zylindrischen Orchideenwurzeln scheinen im übrigen sehr selten zu sein. Ich habe ein umfangreiches Material daraufhin vergeblich durchgemustert. Am ehesten wird man Gabelung in den oberen noch verdickten Teilen der Knollenzipfel antreffen (vgl. Fig. 9, Gymnadenia albida bei A,). Ich bin aber überzeugt, daß man sie auch an den nicht verdickten gewöhnlichen Nährwurzeln gelegentlich nachweisen wird. Seitliche Verzweigung kommt meines Wissens an den Wurzeln sämtlicher Ophrydinen nicht vor; alle Nährwurzeln sind einfach. Unsere übrigen einheimischen Orchideen verhalten sich ebenso, mit Ausnahme von einer einzigen Gattung, soweit mir bis jetzt bekannt ist. Ein ‚kräftiges Exemplar der Cephalanthera xiphophylium wies an einigen wenigen der langen Nährwurzeln des Rhizoms einige einfache Seiten- 1) E. Capeder, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte einiger Orchideen. Flora 1898, Bd. LXXXV, pag. 421. 2) Ed, Prillieux, Bulbes des Ophrydees. Annales Sc. nat. Botanique 1865 serie V, Vol. 4, pag. 275. Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 519 würzelchen auf. Die von L. Reichenbach) und von M. Schulze?) gegebenen Bilder dieser Art zeigen ebenfalls einige Verzweigungen, die zwar wie Dichotomien aussehen, aber hier nicht auf solcher beruhen dürften. Seitliche Verzweigung der ektotrophischen Mykorrhiza kommt nach Mac Dougal’) auch der nordamerikanischen Cephalanthera oregana zu. Für Cephalanthera rubra gibt Th. Irmisch‘) an, daß ihre Neben- wurzeln zwar sehr häufig ganz und gar unverzweigt sind, aber nicht selten an der einen oder anderen einen längeren oder kürzeren Seiten- zweig tragen; an recht kräftigen Exemplaren auf Kalkboden fand er Fig. 6. Orchis latifolia. Wurzeisystem im Maizustand. Nat, Gr. besonders starke Verzweigung in Seitenwurzeln erster und sogar solche zweiter Ordnung. Dagegen stellt sich bei Epipaetis rubiginosa nach Th. Irmisch Verzweiguug nur dann ein, wenn die Wurzelspitzen zer- stört waren. 1) L. Reichenbach, I. c. Taf. OXVIH. 2) M. Schulze, Die Orchidaceen Deutschlands, Deutsch-Österreichs und der Schweiz 1894, Taf. LVII. . 3) D. T. Mae Dongal, Symbiosis and Saprophytism. Gontrib. New York bot. Gard. Nr. 1 1899, pag. 515, Fig. 1. 4) Th. Irmisch, Beiträge zur Biol. u. Morph. der Orchideen, pag. 31. Leipzig 1853. 520 H. Schenck, Die handförmigen Knollenfasziationen der Ophrydinen, deren Formen im folgenden übersichtlich zusammengestellt werden sollen, weisen keine sehr weitgehenden Unterschiede auf. . Die vorherrschende Form, die den meisten Arten zukommt, ist die Latifoliaform (Fig. 6). Die Knollen gabeln sich in einer Ent- fernung von etwa 1 cm oder etwas tiefer oder höher zunächst in zwei seitlich mehr. oder weniger auseinander spreizende Zipfel, die sich noch- mals gabeln können, ent- weder beide oder nur eine. So entstehen meist zwei, drei oder vier, selten mehr Zipfel. Im jungen Zustand laufen diese kurz verjüngt in eine stumpfe Spitze aus, wachsen aber im Laufe des Sommers bald weiter und sind im fertigen Zustand in lange Erdwurzeln verlängert). An diese Knollen- form schließt sich die SambueinaformfFig.7), bei der der basale ein- heitliche etwas abgeplat- tete Knollenkörper ver- hältnismäßig länger, 2 bis 2,5 cm, erscheint, die Knolle also ‘mehr die Form einer zwei- oder dreizipfeligen Rübe an- ie ?. Orchi nei D berg. W. genommen hat. ig. 7. Orchis sambucina vom Donnersberg. Wurzel- ; r system im Juni. Rechts die Tochterknollo von vorne Die Conopeaform gesehen. Nat. Gr. (Fig. 8) zeigt einen auf- fallend breiten, auch stär- ker abgeflachten Grundteil, der sich in eine größere Zahl (meist fünf bis acht) von mehr oder weniger gleichwertigen Zipfeln gabelt. Die Dichotomie geht hier ‘in Polytomie über, Die Zipfel scheinen an !) In den Abbildungen mancher Orchideenbücher sind diese Knollenverlänge- rungen vielfach nicht vollständig dargestellt. Am zuverlässigsten sind die Bilder in L. Reichenbach. Icones fl. germ, et helv., Bd. XIII u. XIV. Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. dem verbreiterten Vegetationskamm fast gleichzeitig oder sehr bald nach- einander hervorzukommen. Diese nur der Gymnadenia conopea zu- kommende Form darf wohl als die ausgeprägteste und schönste Knol- lenfasziation der Orchideen gelten. Das abgebildete Objekt stammt von einem Riesenexemplar, das an der Bergstraße an feuchter schattiger Stelle gewachsen war und stärkere Abplattung der über 2,5 cm breiten und 0,5 em dicken Knollen auf- wies, als Wiesenexemplare sie in der Regel zeigen. Die Gattung Gymnadenia bietet in ihren Arten albida und cuecullata zwei weitere Formen, während odo- ratissima im wesentlichen mit Orehis latifolia übereinstimmt. Die Albidaform ist aus- gezeichnet durch schmal spindelförmige bis nahe zum Grunde gespaltene Knollen (Fig. 9). Übri- gens scheinen mir bei Gymnadeniaalbidabeson- dere Verhältnisse vorzu- liegen. Die Zahl der spindelförmigen Zipfel beträgt vier, häufig auch nur drei. Das vom Groß- glockner stammende, in Fig. 9 dargestellte Exem- plar zeigt nur die beiden mittleren Zipfel nahe über ihrer Basis verbunden, während dagegen die beiden seitlichen 3, und B, anscheinend ganz selb- \ Fig. 9. Gymnadenia albida Rich. knollen. 2, , Tochterknolien. Nat. Gr. 521 Fig. 8. Gymnadenia conopea vom Als- bacher Schloß am Melibocus. Tochter- knolle im Juli-Stadium von der Mutter- pflanze losgelöst gezeichnet. Nat. Gr. Ay... Mutter- 522 H. Schenck, ständig hervorkommen. An anderen Exemplaren war nicht die mittlere, sondern eine der seitlichen Knollen nahe am Grunde gegabelt. So besteht auch an der Pflanze der Fig. 9 das Mutterknollensystem aus der hier ausnahmsweise etwas oberhalb ihrer Mitte gegabelten seit- lichen Knolle .4, und den beiden ungeteilien Knollen A, und 4, Sind nur drei Knollen vorhanden, so können diese sämtlich bis zur Basis scharf voneinander getrennt sein. Die seitlichen Knolien spreizen mehr oder weniger von der mittleren ab. Es scheint so, als ob hier gewöhnlich drei kollaterale, deutlich voneinander getrennte Adventiv- wurzeln, von denen in der Regel eine sich bald gabelt, das Knollen- system zusammensetzen, während bei allen übrigen Ophrydinen nur eine einzige Adventivwurzel die Knolle liefert. N. Stojanowt) konnte aus dem Stelenverlauf in der Knollenbasis allein keine sicheren Anhalts- punkte für die Annahme einer ursprünglich einfachen Wurzelanlage gewinnen. Er fand, daß in: jeden Knollenteil 3—4 Stelen eintraten, die spitzenwärts miteinander verschmelzen. Nach der Basis zu nähern sich diese einander, einige von ihnen kommen sogar zusammen, sie verschwinden aber gleich in einer Verflechtung von Leitbündeln, die sich an der Stengelbasis befindet und scheinen sämtlich selbständig daraus hervorzutreten. Über die Entwicklung der Gymnadeniaknollen sagt N. Stojanow®): Die Teilung des Vegetationspunktes geschieht hier besonders oft, wenn die Knolle noch ganz jung ist, bevor sie die Epidermis durchbohrt bat. Nicht immer geschieht sie gleich deutlich; oft sieht man die wurzel- ähnlichen Knollenverzweigungen sich nicht an der Spitze, sondern an der Seite bilden. Das geschieht besonders bei G.albida mit tiefgeteilten Knollen. Die seitliche Verschiebung kommt dadurch zustande, daß die Initialzellen dieser Abzweigungen eine Zeitlang untätig bleiben, während der Vegetationspunkt selbst weiter wächst, N. Stojanow betrachtet also die Albidaknollen als gleiehwertig den übrigen hand- förmigen Orchideenknollen; beide werden als einfache Körper mit einem Vegetationspunkt angelegt. Diese Angaben lassen noch einige Zweifel über die Deutung der in Frage stehenden Gebilde offen, so daß sich eine Nachprüfung an möglichst umfangreichem Material empfehlen dürfte. Handelt es sich aber wirklich um drei getrennte Wurzelanlagen, so würde dieser Fall unter den Orchideen nicht isoliert dastehen, da tatsächlich bei Spiranthes zwei, häufig auch eine oder drei vollständig )) N. Stojanow, 1. e. pag. 5. 2) N. Stojanow, 1. c. pag. 14 u. 15. Verbänderungen und Gabelungen an Wurzeln. 523 voneinander getrennte langwalzenförmige Knollen jährlich gebildet werden!), Die Cucullataform ist ebenfalls nur bei einer Art von Gym- nadenia vertreten (Fig. 10). Die Knollen sind hier kugelig oder queroval und nicht selten mehr oder weniger stumpf zwei- lappig, zeigen dann also nur eine schwache Gabe- lung und die beiden Zipfel laufen nicht wie bei allen übrigen handförmigen Knollen in lange Nähr- wurzeln aus. In dieser Hinsicht gleichen sie den einfachen rundlichen der übrigen Ophrydinen, an denen übrigens unter besonderen Bedingungen, wie N. Stojanow?) angibt, die Wurzelverlängerungen wieder erscheinen können. Fig. 10, Gymnadenia cucullata. Nach M. Schulze. Nat. Gr. 85. Zum Schlusse möchte ich hier auf die Podostemaceen und auf die parasitischen Samenpflanzen hin- weisen, bei denen sich ungewöhnlich tiefgreifende Umbildungen des Wurzelsystems vollzogen: haben. Die Mehrzahl der in Wasserfällen der Tropengebiete lebenden Podostemaceen besitzt etwas abgeflachte grüne, an Felsgestein mittels Hapteren befestigte Wurzeln, die in wesentlichen Zügen noch mit nor- malen Wurzeln übereinstimmen. Bei Dieraea elongata®) entsenden diese Kriechwurzeln freiflutende grüne, schwach dorsiventrale, seitlich mit Adventivsprossen besetzte Wurzeln mit begrenztem Längenwachstum; bei Dicraea algaeformis‘) haben diese flutenden Wurzeln die Form eines flachen, in einer Ebene verzweigten bandförmigen Thallus an- genommen. Die Wurzelhaube ist bei letzterer Art schon sehr reduziert. Die Art der Verzweigung konnte E. Warming an seinem Material nicht genau feststellen; wenn die Seitenwurzeln nicht ganz exogen seien, so müßten sie sicher nur von 2—3 Gewebelagen der Mutterwurzel 1) Th. Irmisch, Zur Morphologie der monokotylischen Knollen- und Zwiebel- gewächse, pag. 123 u, Taf. X, Fig. 1-10. Berlin 1850. Anmerkung: Die Abbildung von Spiranthes in Schulze’s Orchideenbuch, Taf. LXI ist unrichtig. Schulze bildet außer den Knollen auch noch verzweigte Wärzelchen ab, die aber nicht zu Spiranthes gehören, sondern jedenfalls Nachbar- pflanzen entstammten. Spiranthes bildet niemals außer den Knollen auch Adventiv- wurzeln. 2)N. Stojanow, 1. e. pag. 12. 3) E. Warming, Familien Podostemaceae, Afh. II, Vidensk. Selsk. Skr. 6 Raekke, Bd. I, 3. Kopenhagen 1882. 4) E. Warming, l. c. Afh. II. 524 H. Schenck, bedeckt sein. Noch weiter hat sich die Wurzel zu einem thallusartigen Gebilde bei Dieraea apieulata!) umgestaltet, bei der sie dünn blattartig, unregelmäßig gelappt, auf der Unterseite mittels Haaren und Hapteren befestigt, völlig einem thallösen Lebermoos gleicht und oberseits endo- gene Blüten- und Blattsprosse trägt. Hier ist nun die Wurzelhaube vollständig verschwunden, das Wachstum erfolgt unzweifelhaft am Rande, wo das Parenchym aus jungen kleinen Zellen besteht. Auch die innere Struktur ist weitgehend verändert. Schwache Leitbündel mit nach unten gerichtetem Gefäßteil durchziehen das Gewebe, verlaufen nach der Peripherie und bilden da und dort Anastomosen. Die seit- liche endogene Verzweigung ist also hier vollständig aufgegeben und durch exogene Ausgliederung von Lappen wie bei einem Algenthallus ersetzt. Es wäre näher zu untersuchen, ob bei solchen Podostemaceen nicht auch regelrechte Dichotomie vorkommt. Dichotemie und seitliche Verzweigung sind hier jedenfalls nicht mehr scharf voneinander geschieden. In noch höherem Maße als bei diesen Wasserpflanzen ist das gesamte Wurzelsystem der parasitischen Samenpflanzen umgestaltet, bei denen es an extremen Vertretern schließlich die Form eines aus ver- zweigten Zellsträngen oder Zellfäden bestehenden thallusartigen Hau- storiums angenommen hat; nur noch im phylogenetischen Sinne kann man solche Haustorien den Wurzeln zurechnen. Vegetationskegel, Wurzelkappe, Zentralzylinder, endogene Verzweigung sind am Hau- storium nicht mehr nachweisbar; die Stränge wachsen und verzweigen sich exogen wie ein Thallus. Der Unterschied zwischen seitlicher und gabeliger Verzweigung ist hier bedeutungsios geworden. Aus obiger Zusammenstellung von Fällen abweichender Ausbildung der Wurzel ergibt sich, daß auch dieses Organ in gleicher Weise wie überhaupt alle. Pflanzenorgane keineswegs in seiner normalen Form erstarrt ist, sondern bei Änderungen äußerer und innerer Wachstums- bedingungen in bestimmten Fällen zu ehemaliger Gestaltung zurück- kehren, in anderen zu neuen Formen fortschreiten kann. Form- änderungen und Bildungsabweichungen gewinnen immer. größere Be- deutung für das Verständnis der Morphosen, besonders wenn es gelingt, den Einfluß abgeänderter Entwicklungsbedingungen auf die Gestaltung im Experiment nachzuweisen. Zahlreiche Arbeiten von H. Vöchting, G. Klebs und K. Goebel bewegen sich nach dieser Richtung; auch 1) E. Warming, Afh. IV. Ibid., Bd. VIL, 4, 1891. Verkänderungen und Gabelungen an Wurzeln, 525 unserem verehrten Jubilar Ernst Stahl verdanken wir in dieser Beziehung wichtige Beiträge durch seine vortrefflichen Untersuchungen über den Einfluß des Lichtes auf die Struktur des Laubblattes. Meinen verehrten Kollegen H. Dingler und M. Möbius danke ich bestens für freundliche Mithilfe bei der Zusammenstellung und Beschaffung der Literatur. Darmstadt, Dezember 1917. Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. Von M. Koernicke, Bonn. (Mit Tafel VII und 4 Abbildungen im Text.) Die interessanten Studien E. Stahl’s über „Regenfall und Blatt- gestalt“*) veranlaßten mich, bei meinem Aufenthalt auf Java den morpho- logischen Eigentümlichkeiten der Blätter dortiger Gewächse meine be- sondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Dabei fiel mir schon nach kurzer Zeit an einem fast freistehenden Exemplar von Hibiscus tiliaceus im botanischen Garten von Buitenzorg auf, daß sich an den großen Blättern schwarze, wie mit Tusche gezeichnete, den stärksten Blattrippen folgende Striche abhoben, was ganz besonders auffällig in die Erscheinung trat, wenn die Blätter von der Sonne durchleuchtet waren. Bei näherem Zusehen stellte sich heraus, daß die dunkle Färbung von einem Pilz- mycel herrührte, das die extrafloralen, auf einzelnen Teilen der Blatt- rippen sitzenden Nectarien besiedelt hatte. Ein fleißiger Besuch von Ameisen war dabei zu konstatieren. Die extrafloralen Nectarien, die Pilzbesiedelung, schließlich der Ameisenbesuch schienen mir mit ihren möglichen Beziehungen zuein- ander einer eingehenden Untersuchung wert. Leider reichte meine Zeit auf Jaya nicht aus, die notwendigen Einzelbeobachtungen an Ort und Stelle auszuführen. Doch tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß die Lücken leicht durch die Buitenzorger Herren Kollegen, deren vor- bildliche Hilfsbereitschaft ich so oft zu erfahren das Glück hatte, hätten ausgefüllt werden können. Durch den Krieg wurde leider dieser Weg ungangbar gemacht, und da nicht zu übersehen ist, wie lange die Kommunikation mit dem Malaiischen Archipel noch unterbrochen bleiben wird, wollte ich nicht unterlassen, das, was ich in der Lage war, an der Hand meines Sammlungsmaterials und der Literatur hier festzustellen, zur Veröffentlichung zu bringen, annehmend, daß die Angaben ein ge- wisses Interesse beanspruchen und zu näherer Untersuchung anregen könnten. Es kann der Inhalt dieser Zeilen also vielfach nur Unterlagen zu späteren eingehenderen Studien bieten und Hinweise für solche geben. 1) 1893, pag. 98 ft. Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibiscoeen.. 527 Verbreitung, Lokalisation und äußere Form der Nectarien auf den Laubblättern der Hibisceen. Extraflorale Nectarien auf den Laubblättern scheinen bei den Hibis- ceen allgemein verbreitet zu sein. Wenigstens konnte ich ihr Vorhanden- sein bei allen von mir untersuchten Arten feststellen und für eine Anzahl anderer Arten, die ich nicht vor Augen hatte, liegen ent- sprechende Angaben verschiedener älterer Autoren, wie F. Delpinot) und M. Nieuwenhuis-von Üxküli-Güldenbandt?) vor. Die Arten, die mir zur Verfügung standen, stammten bis auf Hibiscus syriacus L.®), Hibiscus Cooperi Hort.) und einigen in Telok- Betong (Süd-Sumatra) gesammelten Blättern eines Exemplars von Hibiscus tiliaceus L. aus dem botanischen Garten von Buitenzorg, wo ich sie bei meinem dortigen Aufenthalt im Winter 1906/07, den ich immer in dankbarer Erinnerung behalten werde, sammeln konnte. Es waren: Hibiscus macrophylius Roxb., Hib. tiliaceus L., Hib. tiliaceus var. genuinus Hochr. und var. hirsatus Hochr., Hibiscus Rosa sinensis L., Hib. schizopetalus Hook f., Hib. Cooperi Hort, Hib. syriacus L., Thespesia Lampas Dalz. et Gibs. = Hib. Lampas Cav., Thespesia trilobata Bak,, Th. populnea Soland., Th. macrophylla Bi. Bei diesen Benennungen hielt ich mich an die im Buitenzorger Garten angegebenen Bestim- mungen 5). Die Nectarien fanden sich immer auf der Unterseite der Blätter und zwar auf den Blattrippen. Zahl und Ort hing anscheinend mit der Größe und Form des Blattes der jeweiligen Art zusammen. Die großen, herzförmigen, in eine mehr oder minder lange Spitze auslaufenden Blätter von Hibiscus macrophyllus, Hibiseus tiliaceus und seinen Varie- täten führten auf jeder der größeren Rippen ein Nectarium, auf der mittleren, stärksten Rippe vielfach auch zwei (Fig. 1). Die Länge schwankte zwischen 1'/,; cm und '/, em. Außer bei Hibiscus macro- phyllus waren die Nectarien der Ausgangsstelle der Blattrippen am Beginn der Spreite ein wenig genähert, bei der Varietät genuinus be- 1) 1886, pag. 231 ff. 2) 1907, pag. 306. 3) Aus dem ökonom.-bot. Garten der Landw. Akademie in Bonn. 4) Aus dem bot. Garten der Universität Bonn. 5) Herr Privatdozent Dr. B. P. G. Hochreutiner, Genf, der den tropischen Malvaceen seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet hatte, war so freundlich, diese Bestimmungen zu revidieren und konnte, soweit es an der Hand einzelner Blätter sich ermöglichen ließ, sie bestätigen. Ich möchte nicht verfehlen, ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank für seine Mühe auszudrücken. 528 M. Koernicke, fanden sie sich dicht bei dieser Stelle. Bei den viel kleineren, schwach gelappten, herzförmigen Blät- tern von Thespesia trilobata “fand sich meist nur ein ver- hältnismäßig kleines Necta- rium und zwar auf der mitt- leren Rippe etwas dem Blatt- rande genähert; selten zeigte sich auch noch ein viel klei- neres, dem Blattstiel ge- Fig. 1. Unterseite eines Blattes von Hibiscus. Fig. 2.- Thespesia (Hibiscus) Lam- tiliaceus mit den vom Pilz befallenen und da- pas. Blattunterseite mit zwei durch durch schwärzlich erscheinenden Nestarien auf. Pilzbefall dunkel hervortretenden den Blattrippen. ?/, nat. Gr. Nektarien. #/, nat. Gr. nähertes an einer der benachbarten Rippen (vgl. Fig. 2). An den herzförmigen, weniger gelappten Blättern von Thespesia (Hibiseus) Lampas, ferner von Thespesia populnea und Thespesia macro- phylla, dann den länglich-eiförmigen Blättern mit ausgezogener Spitze von Hibiscus Rosa sinensis, Hib. schizopetalus, Hib. Cooperi, Hib. syriacus fand sich je ein kleines Nectarium an der Hauptrippe dicht über .der Mündung des Blattstiels in die Spreite (Fig. 3}. So zeigten sich denn bei den Hibisceen drei Arten der Nectarienverteilung auf den Laubblättern,‘ wie Big. 3, Hibiscue Rom Sie in den Fig. 1—3 zur Darstellung gelangten. sinensis, Blattunterseite Die Intensität der Ausbildung dieser: Neetarien mit einem am unteren Teil der Hauptrippe beo auf den verschiedenen Blättern derselben Pflanze findlichen, durch Pilzbe- und auch auf den Blättern verschiedener Indi- siedelung „dunkel horvor- viduen derselben Art konnte oft stark schwanken. %, nat. Gr. So waren die Nectarien manchmal nur mit Hilfe Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. 529 der Lupe festzustellen, während sie bei anderen Blättern desselben Individuums bzw. den Blättern von verschiedenen Exemplaren der be- treffenden Art mit dem bloßen Auge ohne weiteres sich erkennen ließen. In dem Alter und vielfach auch der Ernährung der Blätter bzw. Pflanzen wird wohl die Ursache dafür zu suchen sein. Das erstere läßt sich ja leicht durch den Vergleich jüngerer und älterer Blätter derselben Pflanze feststellen, für das letztere gibt nicht nur der Vergleich der Blätter schwächerer und stärkerer Individuen An- haltspunkte genug, sondern auch das Ergebnis von Pfropfungsversuchen, die ich früher einmal mit Kirsch- und Aprikosensorten anstellte, von welchen Edelreiser auf eine besonders starkwüchsige Unterlage ge- bracht wurden. Dabei zeigte sich, daß an den stark ernährten, großen Blättern, die sich im Laufe der Zeit an den Edelreisern entwickelten, die Nectarien im Gegensatz zu dem an den Blättern der Ursprungs- pflanze festzustellenden Verhalten, bei denen sie oft bis zum vollkom- menen Schwund reduziert waren, in ganz auffälliger Weise zum Vor- schein kamen und sich dabei in ihrer Ausbildung nicht nur auf die Blattstiele beschränkten, sondern auch auf die unteren Zähne der Blati- spreite übergingen. Anatomisches. Die nähere inner-morphologische Untersuchung der Nectarien ergab folgendes: Sie befanden sich entweder einfach auf der Vorwölbung der von ihnen besetzt gehaltenen Stellen der Unterseite der Blattrippe, die sich dann im wesentlichen nur durch das Vorhandensein der Sekretions- organe von den anschließenden Blattrippenteilen unterschieden, oder sie waren mehr oder minder in das Blattrippengewebe eingesenkt. Ein Blick auf die beigegebenen schematischen Figuren (Fig. 4, —6) führt diese Verhältuisse am besten. vor Augen. Typ 7 fand sich an den ver- hältnismäßig kleinen, länglich-eiförmigen, in eine lange Spitze aus- laufenden Blättern von Hibiscus Rosa sinensis, Hib. schizopetalus und Hib. Cooperi (vgl. Fig. 4, z und Taf. VII, Fig. 1). Schwache Einsenkung der hervorragendsten Partien der Blattrippe an der Stelle, wo die sezer- . nierenden Organe lokalisiert waren, zeigte sich bei den im Verhältnis zu den der vorigen Arten größeren, in eine mehr oder minder lange Spitze ausgezogenen Blättern von Thespesia populnea (Fig. 4, 2) und Hibiscus (Thespesia) Lampas (Fig. 4, 3). Die Einsenkung erschien weiter vorgeschritten bei den wiederum im Verhältnis zu jenen der letzt- genannten Arten kleineren, länglichen Blättern von Hibiscus syriacus und einer nicht näher bestimmter Thespesia-Art (vgl. Fig. 4, 4). An Flora. Bd. 11l., - 34 530 M. Koernicke, den großen Thespesia macrophylia-, ferner Hibiscus tiliaceus- und Hib. macrophylius-Blättern waren die stärksten Einsenkungstypen der Nec- tarien zu finden (vgl. Fig. 4, 5 und 6, ferner Taf. VII, Fig. 2). Bei den einzelnen Individuen der genannten Arten konnte die Gestalt der einzelnen Nectarien ziemlich variieren, wenn auch nicht in dem Maße, wie es Ed. Schwendt für die von ihm untersuchten Gossypium-Arten - Fig. 4. Verschiedene Ausbildungsformen der Nectarien auf den Blättern von Hibisceen. angibt‘). Jedenfalls war der für die betreffende Art charakteristische Typ immer als solcher ungezwungen zu erkennen. Die sezernierenden Organe stellten entweder Trichome mit Fußzelle, Stielzelle und kugel- 1) 1907, pag. 254 ff. Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen, 531 bzw. quer-eiförmigen, 8- bis 10-,. auch wohl mehrzelligem Köpfchen dar (vgl. Taf. VII, Fig. 1), oder solche in Gestalt mehrzelliger, keulen- förmig-gestreckter Gebilde mit ebenfalls einer Fuß- und Stielzelle (vgl. Taf. VII, Fig. 2). Die erste Form fand sich bei den in Fig. 4, z, 2, 3 wiedergegebenen Nectarientypen, die zweite bei den in Fig. 4, 4, 5, 6 dargestellten). Aus dem Umstande, daß verschiedene der in Fig. 4 wiedergegebenen Ausbildungstypen der Nectarien sowohl bei Hibiscus- wie bei Thespesia-Arten sich fanden, ferner auch die beiden geschil- derten Trichomformen in den Nectarien beider Gattungen sich kon- statieren ließen, ist zu entnehmen, daß diesen extrafloralen Nectarien kein Wert für Zwecke feinerer systematischer Unterscheidung bei den Hibisceen zukommt, wie man in Rücksicht auf die Eigenart dieser Ge- bilde vielleicht hätte vermuten können. Physiologisches. Die Sekretion erfolgte durch Diffusion. Ob sie ständig sich vollzog, konnte ich leider von hier aus nicht feststellen. Die für andere Pflanzen gemachten Angaben, daß vielfach die Nectarien nicht sezernieren, werden wohl in vielen Fällen sich darauf zurückführen lassen, daß gerade im Moment der Untersuchung keine Sekretion stattfand und das Sekret an nicht besonders dagegen geschützten Nectarien durch Regen weggewaschen oder durch nectarliebende Tiere entfernt worden war. Möglicherweise besteht ein mit den Stoffwechselprozessen der Pflanze zusammenhängender Rhythmus in der Sekretion. Da die Nectarien der meisten von mir untersuchten Hibiscus-Arten mit einem, wie sich heraus- stellte, zu den Rußtau-Arten gehörigen Pilz besiedelt waren, Pilzen, die sich bekanntermaßen epiphytisch, und zwar nur auf organischen, wohl immer zuckerhaltigen Sekreten entwickeln, zudem der Pilz bei den Hibisceen trotz der in den meisten Fällen vorhandenen günstigen Luft- 1) Dazwischen hervortretende Emergenzen, wie sie F. Morini, 1886, für die von ihm eingehend untersuchten Nectarien an den Blättern von Hibiscus tiliaceus angibt, fand ich selbst bei den älteren Blättern nicht vor. Es konnten solche aller- dings durch tieferstehende, beim Schneiden schräggetroffene Trichome vorgetäuscht werden, wie eins im rechts gelegenen Winkel des in Taf. VII, Fig. 2 dargestellten Neetariums zu erkennen ist. Es sei hier noch bemerkt, daß auch die Nectarien, welche sich auf den Kelch- blättern der Hibisceen befinden, den in Fig. 4, 6 wiedergegebenen höchsten Aus- bildungstyp aufweisen können, wie die von V. Poulsen, 1875, für Hibiscus canna- binus gemachten Angaben zeigen. — Ob bei ein und derselben Art die Nectarien an den Laub-, Kelch- und Blütenblättern demselben Bautyp folgen, kann ich mangels entsprechenden Materials nicht entscheiden. 34* 532 M. Koernicke, feuchtigkeitsverhältnisse nie das Nectarium und seine nächste Umgebung verließ und sich etwa seitlich auf der Blattfläche ausbreitete, nehme ich an, daß alle diese Nectarien zur Sekretion befähigt waren und sie ausgeübt hatten. Ob durch den Pilzbefall die weitere Sekretion ver- hindert wurde, wie das M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt annimmt!), ist eine Frage, der noch näher zu treten wäre. Sehr auffallend war in manchen Fällen die Verteilung des Kalzium- oxalats im Gewebe des die Nectarien tragenden Blatteils. Bei allen von mir untersuchten Hibisceen war das Kalziumozalat ausschließlich in Form von Kristalldrusen in- den Zellen abgelagert. Diese Drusen zeigten sich bei den Querschnittbildern durch den das Nectarium tragen- den Blattrippenteil vor allem in und dicht bei den Gefäßbündeln ge- lagert. In den Parenchymzellen der Blattrippen erschienen sie seltener und regellos verstreut (vgl. Taf. VII, Fig. 2). Doch ließ sich in einzelnen Fällen feststellen, daß in den zwischen Gefäßbündel und Nectarium befindlichen Parenchympartien sie im Gegensatz zu den übrigen pa- renchymatischen Teilen in auffallend großer Zahl vorhanden waren. Be- sonders eigenartig erschien das Verteilungsbild bei Hibiscus schizo- petalus. Da waren außer den in dem Gefäßbündel und dessen näherer Umgebung zahlreich abgelagerten Kristalldrusen nur wenige in dem nach dem Nectarium zu gelegenen Parenchym zu finden. Die sub- epidermale Schicht des Nectariums wies jedoch in auffälliger Regel- mäßigkeit in jeder Zelle eine Druse auf, jedoch meist mit Ausnahme der unter dem Fuß der Nectarialtrichome befindlichen Zellen. Die Trichome samt den benachbarten Epidermiszellen waren stets frei von Drusen (vgl. Taf. VII, Fig. 1). Das Verhalten von Hibiscus schizopetalus würde somit tibereinstimmen mit dem kürzlich von H. Böhmker?) für Banisteria chrysophylia, eine Malpighiacee, angegebenen. Es drängt. sich bei dieser Feststellung unwillkürlich die Frage auf, ob diese eigenartige Gruppierung, die in der geschilderten auffäl- ligen Ansammlung des Kalziumoxalats in direkter Nähe des sezernieren- den Nectariumteils in die Erscheinung tritt, in Beziehung zur Nectar- ausscheidung steht, ob nicht auch bei den übrigen Hibisceen und weiter bei sonstigen Pflanzenarten mit extrafloralen Nectarien zu gewissen Zeiten der Nectarbildung oder -ausscheidung eine ähnliche Lagerung des Kalziumoxalats sich feststellen läßt. Ich kann hier nur auf diese Frage hinweisen. 1) 1907, pag. 242, 305. 2) 1917, pag. 190. nn Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. 533 Die Pilzansiedelung auf den Nectarien, Wie schon verschiedentlich erwähnt, zeigten sich die Nectarien auf den Blättern der von mir untersuchten Hibisceen in den weitaus meisten Fällen mit schwärzlichen Pilzmyzelien besiedelt, wodurch die Stellen, an denen die Nectarien sich befanden, scharf hervorgehoben wurden. Die starke Verbreitung dieser Erscheinung sei durch die Mitteilung illustriert, daß ich z. B. bei Hibiscus tiliaceus nicht nur auf den Exemplaren in und bei Buitenzorg, sondern auch bei Telok-Betong, einem Hafenplatz Süd-Sumatras, ferner an den Bonner Exemplaren von Hibiscus syriacus (Freiland) und Hibiscus Cooperi (Gewächshaus) Pilz- besiedelung feststellen konnte. Auf dieses Verhalten hat unterdes M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt in der Arbeit über „Extraflorale Zuckerausscheidungen und Ameisenschutz“ hingewiesen !), die mir infolge einer eigentümlichen Verkettung ungünstiger Umstände erst lange nach meiner Rückkunft nach Europa zu Gesicht kam. Verf. fand es bei Hibiscus Rosa sinensis und dessen Hybriden, ferner bei Hibiscus tiliaceus, während Hibiscus Geroldianus, Hibiscus vulpinus und einige Gossypium-Arten keine Pilzbesiedelung erkennen ließen. Leider läßt sich aus meinen Sammlungsmaterial und meinen Auf- zeichnungen nicht entnehmen, in welchem Alterszustand der Blätter die Nectarien vom Pilze befallen werden. Meiner Erinnerung nach zeigten aber alle entfalteten Blätter des Exemplars von Hibiscus tiliaceus, dessen ich eingangs Erwähnung tat, die durch die Pilzbesiedelung veranlaßte Schwärzung, sodaß wohl anzunehmen ist, daß der Pilz sich schon auf jungen, eben ausgebreiteten Blättern, die dann vielleicht gerade mit der Neetarausscheidung beginnen, wohnlich einrichtet. Was den Pilz angeht, so brachte mir die mikroskopische Unter- suchung an dem javanischen Material die Bestätigung meiner durch den makroskopischen Befund veranlaßten Annahme, daß es sich in der Hauptsache um eine Rußtau-Art handele. Die genauere Bestimmung stieß auf Schwierigkeiten, die ich dadurch zu beseitigen hoffte, daß ich mir frisches Material aus Buitenzorg verschrieb. Da das in dieser Zeit wenig Aussicht auf Erfolg bot, ferner kulturfähiges Material nicht vorlag, weil ich meine Herbarpflanzen zur Sieherung gegen Tierfraß u. ä. mit Sublimatalkohol vergiftet hatte, so muß ich mich darauf beschränken, das mitzuteilen, was der mikroskopische Fund mich lehrte. Das in der Hauptmasse borstige Myzel und die ebenfalls borstenförmig erscheinenden Pykniden (vgl. Taf. VII, Fig. 25) deuten darauf hin, daß 1) M. Nieuwenhuis-von Uxküll-Güldenbandt, 1907, pag. 305, 306. 534 MN. Koernicke, es sich vornehmlich um einen Rußtau handelt, der in die Nähe von Capnodium Footii Berk. et Desm. zu stellen ist‘). Paul Magnus, den ich s. Zt. um seinen wertvollen Rat anging, bestärkte mich in meiner Annahme. Möglich ist, daß der Pilz, wie F. W. Neger mir in dankens- werter Weise auf eine dahingehende Anfrage mitteilte, mit dem Zopf- schen Fumago*) identisch ist, worauf die charakteristische Form der Pykniden hinweist. Ob der an den Bonner Hibiscus-Exemplaren ge- fundene Pilz ebenfalls den Zopf’schen Fumago und diesen allein dar- stellt, müssen weitere mit Kulturen verknüpfte Untersuchungen klären. Nach Neger’s für die fernere Entwicklung der Rußtauforschung außer- ordentlich wertvollen „Experimentellen Untersuchungen über Rußtau- pilze“®) wird man wohl annehmen müssen, daß es nicht eine Pilz- art allein ist, welche sich auf den Nectarien vorfindet. Auch zur Entscheidung dieser Frage wären Kulturversuche von hohem Wert. Der Pilz fand sich besonders stark an den Buitenzorger Exem- plaren von Hibiscus-Arten mit eingesenkten Nectarien, vor allem an Hibiscus tiliaceus und seinen Varietäten. Er erfüllte dann mit seinem Myzel die innere Höhlung, soweit sie nicht von den Trichomen ein- genommen war, und trat aus dem Spalt heraus, um sieh noch über den an den Nectarialspalt grenzenden Teil der Blattrippe hin auszudehnen, wobei vielfach die Blatthaare umwunden und überwuchert wurden (Taf. VII, Fig. 2). An der Außenseite des aus dem Spalt hervorgewächsenen Myzels traten auffällig die borstenförmigen Pykniden hervor (Taf. VII, Fig. 25). Die Trichome der Nectarien erschienen selbst bei alten Blättern noch intakt. Sie schienen durch die Anwesenheit des Pilzes nicht gelitten zu haben. Ein Eindringen der Pilzhyphen in diese Trichome und das darunter liegende Blattgewebe war nirgends festzustellen. Der Pilz blieb also epiphytisch und wurde nicht parasitisch. Die Angabe Hubert Winkler’s, der ihn gelegentlich einer Besprechung der M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt’schen Angaben als parasitischen®) Pilz bezeichnet, ist demnach zu korrigieren. Von Interesse mag in diesem Zusammenhang der Hinweis sein, daß H. Miehe in den Kammern der von ihm untersuchten, von Ameisen bewohnten Myrmecodia-Knollen ebenfalls einen Rußtau-artigen 1) Wie ich erst später sah, erwähnt auch M. Raciborski in sdinen „Para- sitischen Algen und Pilzen Javas“, IIT. Teil, 1900, pag. 4 diesen Pilz, den er eben- falls zu Capnodium stellt. 2) W. Zopf, 1878, pag. 257 ff. 3) F. W. Neger, 1917, pag. 67 ff. und 1918, pag. 30 ff. 4) Hub. Winkler, 1913, pag. 396, Von H. Winkler gesperrt. Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. 535 Pilz von rauchgrauer Färbung antraf. Er fand ihn dort an den war- zigen Kammerwänden, an welchen die Ameisen ihre Exkremente ab- lagerten, und spricht die Vermutung aus, daß er vielleicht in die Ver- wandtschaft von Cladosporium oder Oladotrichum gehöre). Die extrafloralen Necetarien und Ameisen bei den Hibisceen?). „Die floralen Nectarien werden mit gutem Recht als Anpassungen aufgefaßt, die den Insektenbesuch begünstigen sollen“ ®). „Offenbar unter dem Eindruck der allgemein akzeptierten Theorie von dem Zusammen- hang zwischen honigsaugenden Insekten und der Sicherung der Fremd- bestäubung, hat man den Versuch gemacht, eine ähnliche Beziehung zwischen den extrafloralen Nectarien und den Ameisen zu konstruieren. Die Ameisen sollten den Nectar schlürfen, sich so an die Pflanze ge- wöhnen und diese nun gleich einer Schutztruppe gegen Feinde ver- schiedenster Art verteidigen. Diese Ansicht wies in höchst erwünschter Weise den extrafloralen Nectarien, für deren Funktion man keine andere, irgendwie plausible Erklärung finden konnte, eine wichtige biologische Rolle zu. Eine Reihe von Umständen sprach sehr für diese (vor allem von Belt und Delpino vertretene)?) Ansicht, das allgemeine Schutz- bedürfnis der Pflanzen gegen Raupen- und Käferfraß, gegen unberufene Pollenräuber usw., die vorwiegende Funktionstüchtigkeit der extra- floralen Nectarien an den jungen Teilen der Pflanzen und nicht zum wenigsten die große Verbreitung dieser Organe in den Tropen, wo auch die Ameisen eine größere Rolle spielen als anderswo.“ Wenn auch R. v. Wettstein?) experimentell festgestellt hatte, daß einige ein- heimische, an den Hüllblättern der Blütenköpfchen vermittels Nectarien Honig ausscheidende Kompositen durch die vom Honig angezogenen Ameisen vor Käferfraß geschützt wurden, so sprachen doch gewichtige Gründe zum mindesten gegen die Allgemeingültigkeit dieser Hypothese ®). So die Ergebnisse der schon mehrfach herangezogenen Untersuchungen 1) H. Miehe, 1911, pag. 321 ff, Ferner derselbe, 1912, pag. 261. 2) Sehr gute zusammenfassende Darstellungen über die Frage nach den Be- ziehungen zwischen den Pflanzen mit extrafloralen Nektarien und den Ameisen finden sich bei H. Miehe, 1912, pag. 262; Hub. Winkier, 1913, pag. 395; K.Escherich, Die Ameise, II. Aufl., 1917, pag. 261. Auf das letztgenannte Werk, welches in anschaulichster Weise die bisher gewonnenen Kenntnisse über dieses interessante Insekt kritisch darstellt, sei der Botaniker ganz besonders hingewiesen. 3) Dies und das zunächst Folgende nach H. Miehe, 1912, pag. 262. 4) Das Eingeklammerte von mir eingefügt. M.K. 5) R. v. Wettstein, 1889. 6) Vgl. dazu Hub. Winkler, 1913, pag. 395. 536 M. Koernicke, von M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt. Diese Forscherin fand gelegentlich ihrer Studien über „Extraflorale Zuckerausscheidungen und Ameisenschutz*, „daß, wie die Verhältnisse gegenwärtig für die Pflanzen im Indischen Archipel liegen, eine extraflorale Zuckeraus- scheidung für sie in den günstigsten Fällen nutzlos, in anderen sogar äußerst nachteilig ist“1. Sie zog bei ihren Studien neben vielen anderen eine Anzahl Hibiscus-Arten in den Kreis der Untersuchungen und gab darüber folgendes?) an: „Sehr charakteristische Verhältnisse in bezug auf Ameisenschutz zeigten auch einige im Buitenzorger Garten und außerhalb desselben vorkommende Maivaceenbäume und Sträucher. Einige besaßen nur auf den Blättern Nectarien, andere zugleich auch auf den Deckblättern und Kelchen. Während nun einige so gut wie gar nicht von Schädlingen zu leiden hatten, wurden andere stark von Wanzen und Käfern heimgesucht, welehe mit dem Honig zugleich auch die Nectarien aus den Blättern und Keichen herausfraßen. Die Ameisen waren auf diesen Bäumen sehr zurückgedrängt, bisweilen fand man sie nur an den allerjüngsten Blättern und Blütenknospen, deren Honig- drüsen noch nicht zu stark gelitten hatten. Dabei bieten einige dieser Malvaceen den Ameisen vorzügliche Wohnungen in Gestalt großer Nebenblätter, welche zu je zweien einander zuneigen. Die Nebenblätter werden auch in der Tat von Ameisen bewohnt, jedoch nicht in dem Maße, als man erwarten sollte, vermutlich, weil die Ameisen auch hier nicht gegen die Wanzen aufkommen, die ihnen durch die Zerstörung der Nectarien auch den Honig rauben.“ M. Nieuwenhuis-von Uxküll-Güldenbandt gibt dann an, daß diejenigen Pflanzen, deren Nectarien in sehr jungem Zustand von dem vorher von mir geschilderten Pilz befallen sind, der nach ihrer Annahme die Sekretion hindern soll, nicht mehr von so vielen Schäd- lingen aufgesucht wird, da die Honigausscheidung fehle; ‘Der Pilz sollte somit als Schutzmittel wirken. Sie beobachtete im übrigen auf solchen Pflanzen, die durch ihr unverletztes Aussehen von vielen anderen Mal- väceen vorteilhaft abstachen, nur selten Ameisen. In bezug auf die vorliegende Frage kann ich nach meinen Beob- achtungen an den verschiedenen Hibisceen nur folgendes bemerken: Ich fand auf allen Hibisceen im Buitenzorger botanischen Garten (es war in den Monaten Januar-Februar 1907) ausnahmslos eine Menge Ameisen vor, die mir beim Einsammeln der Blätter oft in unan- 1) 1907, pag. 308, 2) 1. c. 1907, pag. 304 ff. Über die extrafloralen Neetarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. 537 genehmster Weise lästig fielen. Als besonders stark mit Ameisen besetzt, ist mir in Erinnerung der eingangs erwähnte Baum von Hibiscus tili- aceus geblieben, an dessen Nectarien die Pilzbesiedelung mir zuerst aufgefallen war. Ich nehme an, daß die Ameisen dort noch genügend Anlockungsmittel fanden, wobei mir zunächst nicht ausgeschlossen er- scheint, daß die Nektarien trotz der Pilzbesiedelung noch weiter sezer- nieren, und Überschüsse des Sekrets den Hyphen entlang nach außen gelangen können. Es ist allerdings die Frage, ob derart geringe Mengen von Zucker- ausscheidung auf die schädigenden Insekten, wie Käfer, Wanzen u. ä. noch anlockend wirken. Bei den Ameisen könnte man das wohl an- nehmen. Ich weise da nur auf das außerordentlich feine Empfindungs- vermögen dieser Insekten für solche Stoffe hin, wie es sich aus der Erfahrung schließen läßt, die sicher ein Jeder in den Tropen gemacht hat, wonach diese Insekten selbst ganz geringe Zuckermengen von weitem her aufzuspüren imstande sind. Ferner können, wenn auch ‘ die dieckumhäuteten Hyphen und Gemmen des Pilzes schon ihrer derben Struktur wegen von den Ameisen verschmäht werden sollten, die reich- lich gebildeten, zarteren Pyknosporen von diesen Tierchen als Nahrungs- mittel geschätzt werden und so anlockend wirkeni)?). Vielleicht wirkt beides zusammen, um den zahlreichen Ameisenbesuch auch auf den Pilz-besiedelten Pflanzen zu erklären. Vielleicht werden aber auch die schädigenden Insekten dadurch angelockt, wenn das nicht schon allein durch das ihnen als Nahrungsmittel sehr zusagende, zartere Blattgewebe geschieht. Wie dem aber auch sei, ob Anlockungsmittel für die schä- digenden Insekten an den Blättern der Hibisceen bestehen, oder nicht, mein Sammlungsmaterial zeigte mir, daß bei den mit Pilz besiedelten Blättern von verschiedensten Altersstadien neben vollkommen intakten 1) Miehe, l.c. 1911, pag. 331 ff; 1912, pag. 261 bezweifelt, daß der Rußtau- artige Pilz, den er in den Kammern der Myrmecodia-Knollen fand, den dort hausenden Ameisen zur Nahrung diene. Die Ameisen halten ihn nur, wie ein zu üppig wucherndes Unkraut, durch Abbeißen vom weiteren Umsichgreifen, wobei er ein Verkehrshindernis werden könnte, zurück. 2) In Erinnerung an die Angaben von Möller, 1893, u. a. mag es verlockend erscheinen,. einen Zusammenhang zwischen Ameisenbesuch und Pilzbesiedelung der Neetarien zu konstruieren. Ausgeschlossen ist es wohl nicht, daß Ameisen, meines Erachtens unabsichtlich, durch Verschleppung von Vermehrungsorganen der Pilze zu deren weiterer Verbreitung auf die noch nicht vom Pilz besiedelten Nectarien beitragen. Doch in der Hauptsache wird die Übertragung des Pilzes einfach, wie bei den Rußtaupilzen unserer Heimat, wo Ameisen in dem Maße als Überträger nicht in Frage kommen, durch die Atmosphaerilien erfolgen. 538 M. Koernicke, in überwiegend großer Zahl auch sehr stark zerfressene sich fanden. Man kann somit in dem vorliegenden Fall der Hibisceen nicht mit M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt behaupten, daß diese Pflanzen weniger von Schädlingen zu leiden haben, wenn die Zucker- ausscheidung durch Besiedelung der Nectarien mit dem Pilz alteriert ist, als bei normal verlaufender Sekretion. So scheinen mir denn die Befunde bei den Hibisceen keine ein- wandfreien Stützen für die Ansicht von M. Nieuwenhuis-von Uxküll-Güldenbandt zu liefern, womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß den mit so zahlreichen wertvollen Beobachtungen an Ver- tretern der verschiedensten Pflanzenfamilien belegten Schlußfolgerungen der Verfasserin, die auch meiner Ansicht nach viel für sich haben, der Boden entzogen sei. Zusammenfassung. Extraflorale Nectarien scheinen auf den Laubblättern der Hibisceen allgemein verbreitet zu sein. Sie finden sich auf der Unterseite der Blätter und zwar entweder an sämtlichen stärkeren Blattrippen und dann in etwa der Mitte ihres Längsverlaufs oder auf der Mittelrippe und dann meist an deren Grunde, Es lassen sich verschiedene Bautypen bei ihnen unterscheiden. Die Sekretion geschieht entweder durch Trichome mit Fuß-, Stielzelle und Kugel- bzw. quer-eiförmigen, 8-—10-, auch wohl mehrzelligen Köpf- chen, oder durch solche in Gestalt mehrzelliger, keulenförmig gestreckter Gebilde mit ebenfalls einer Fuß- und Stielzelle.e Aus dem Umstande, daß verschiedene der Ausbildungstypen der Neetarien sowohl bei Hibiscus- wie bei Thespesia-Arten sich fanden, ferner auch die beiden geschil- derten Trichomformen in den Nectarien beider Gattungen sich kon- statieren ließen, ist zu entnehmen, daß diesen extrafloralen Nectarien kein Wert für Zwecke feinerer systematischer Unterscheidung bei den Hibiseeen zukommt, wie man in Rücksicht auf die Eigenart dieser Ge- bilde vielleicht hätte vermuten können. Die Zuckerausscheidung erfolgt wahrscheinlich periodisch und zwar durch Diffusion. Eine eigentümliche Anhäufung von Drusen oxalsauren Kalks in direkter Nähe des sezernierenden Neetariums deutet auf die Möglichkeit ‘eines Zusammenhangs dieser und der Nectarbildung oder -ausscheidung hin. Die Nectarien waren meist mit schwärzlichen Pilzmyzelien be- siedelt, die in der Hauptmenge zu einem Rußtau gehörten, der in die m Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern einiger Hibisceen. 539 Nähe von Capnodium Footti Berk. et Desm. zu stellen ist. Der Pilz blieb epiphytisch. Auch auf den Hibisceen, deren Nectarien mit Pilz besiedelt waren, fanden sich zahlreiche Ameisen, trotzdem die Nectarausscheidung zum mindesten sehr herabgesetzt war. Die mit Pilz besiedelten Blätter der meisten Arten waren zum Teil intakt, zum Teil stark zerfressen. Somit wirkte der Pilz nicht immer als Schutzmittel für die Blätter. Literaturübersicht. Böhmker, H., Beiträge zur Kenntnis des floralen und extrafloralen Nectarien. Beih. z. bot. Zentralbl. 1917, Bd. XXXIII, 1. Abt., pag. 169 ff. Delpino, F., Funziona Mirmeeofila nel Regno vegetale. Mem. della R. Ace. delle Scienze dell’ Istituto di Bologno 1886, 4. Ser., Tome VII, pag. 215 ff. Escherich, K., Die Ameise. Schilderung ihrer Lebensweise, 2. Aufl. Braun- schweig 1917. Miehe, H., Javanische Studien, Abh. d. Math.-Nat. Kl. der Kgl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1911, Bd. XXXII, Nr. IV, pag. 299 ff. Ders., Ameisenpflanzen im „Handwörterbuch der Naturwissenschaften“ 1912, Bd, I, pag. 255. Möller, A., Die Pilzgärten einiger südamerikanischer Ameisen. Botan. Mitteil. a. d. Tropen, Heft 6. Jena 1893. Morini, F., Contributo all’ Anatomia ed alla Fisiologia dei Nettari estranuziali. Mem. della R. Ace. delle Seienze dell’ Istituto di Bologna 1886, 4. Ser., Tome VIE, pag. 325 ff. Neger, F., Experimentelle Untersuchungen über Rußtaupilze. Flora, Neue Folge, 1917, Bd. X, pag. 67 ff. Ders,, Die wahre Natur der Rußtaupilze In „Die Naturwissenschaften“ 1918, VI. Jahrg., pag. 30 ff. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt, M., Extraflorale Zuckerausscheidungen und Ameisenschutz. Ann. du Jard. Bot. de Buitenzorg 1907, 2. Ser., Vol. VI, pag- 195 ff. Poulsen, V., Om nogle Trikomer og Nectarier. Vidensk. Medd. fra Naturhist. Forening. Kopenhagen 1875, pag. 242 ff. Raciborski, M., Parasitische Algen und Pilze Javas, III. Teil. Herausg. v. botan. Institut zu Buitenzorg 1900. Schwendt, E., Zur Kenntnis der extrafloralen Nectarien. Beih. z. bot. Zentralbl. 1907, Bd, XXII., 1. Abt., pag. 245 ff. Stahl, E., Regenfall und Blattgestalt. Ein Beitrag zur Pflanzenbiologie. Ann. du jard. Bot. de Buitenzorg 1893, Vol. XI, pag. 98 ff. Wettstein, R. v., Über Kompositen der österr.-ungarischen Flora mit zucker- ausscheidenden Hülischuppen. Sitzber. d. K. Ak. d. Wissensch. Wien, 1889, Math.-Nat. Kl, Bd. XCVIR, 1. Abt. Winkler, Hub., Die Pflanzenwelt der Tropen im Bd. VI von „Das Leben der Pflanze“, pag. 247 ff. Stuttgart 1913. Zopf, W., Die Conidienfrüchte von Fumage. Nova Acta der Kaiserl, Leop.-Karol.- Deutschen Akademie der Naturforscher, 1878, Bd. XL, Nr. 7, pag. 257 ff. 540 M. Koernicke, Über die extrafloralen Nectarien auf den Laubblättern usw. Figurenerklärung zu Tafel VII. Fig. 1. Querschnitt durch den das Nectarium führenden Teil der Hauptrippe eines Laubblattes von Hibiscus schizopetalus. Daneben links noch eine kleinere Rippe quer getroffen, die kein Nectarium führt. 2sezernierende Trichome. Vergr. 70 mal. Fig. 2. Querschnitt durch den das Nectarium führenden Teil der stärksten Rippe eines Laubblattes von Hibjscus tiliaceus. Im eingesenkten Teil sind die Trichome zu erkennen, umgeben von dem schwärzlichen Pilzmyzel, das durch den Neectariumspalt nach außen dringt, sich dort ausbreitet und eine Anzahl Pykniden 2 aufweist. Vergr, 85 mal. EEE Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) und einiger anderer Cucurbitaceen. Von M. M. Rid. (Mit 16 Abbildungen im Text.) In seinem Buch „Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und die gegenseitigen Anpassungen beider“ (1873) bildet Hermann Müller!), pag. 148 Antheren von Bryonia dioica ab mit „farblosen Kügelchen“. Er schreibt dazu: „Das Festhalten des Pollens wird ver- mutlich durch den klebrigen Inhalt der farblosen Kügelchen vermittelt, welche die schmalen gewundenen Streifen des hervortretenden Blüten- staubes umsäumen und eben so unvermeidlich von dem Kopf oder der Unterseite des honigsuchenden Insekts gerieben werden, als der Pollen- streifen selbst.“ Entsprechende Bildungen bei einigen anderen Cucurbitaceen-An- theren fand Halsted?) (1888). Er gibt einige Abbildungen und eine kurze Beschreibung der Haarbildungen — denn um solche handelt es sicb — an den Antheren von Echinocystis lobata und einiger Kulturrassen von der Melone und dem Kürbis. Da sich weitere Angaben nicht fanden, untersuchte ich auf die freundliche Anregung von Herrn Prof. Jost, für die ich ihm auch an dieser Stelle meinen Dank ausspreche, die Antheren einer Reihe anderer Cueurbitaceen auf entsprechende Haarbildungen. Sie fanden sich bei allen 17 von mir nachgesehenen Gattungen, mit Ausnahme von Gym- nostemma integrifolia, die sehr kleine Antheren hat und Thladiantha, wo zwar auch Haare, jedoch von abweichendem Bau, vorkommen. Beim Durchsuchen zeigte sich, daß die Haare von Oyelanthera pedata bei weitem die interessantesten waren. Sie sollen deshalb ausführlich beschrieben werden. Die anderen Cucurbitaceen werden nur nebenbei behandelt. I. Cyclanthera pedata (Schrad.). Die reifen männlichen Blüten von Cyelanthera pedata öffnen sich am frühen Morgen: eine kurze Säule, die verwachsenen Filamente, 542 M. M. Riß, trägt die noch geschlossene, ringförmige Doppeltheca. Diese ist beider- 'seits da, wo sie an das Konnektivgewebe angrenzt, von einem Kranz ca. 0,36 mn langer, goldgelber, zylindrischer, leicht schräg nach außen gerichteter Haare begleitet. Bald reißt die Antherenwand zwischen den beiden Fächern (Fig. 1), schrumpft allmählich ein und legt dadurch die Pollenmasse frei. Die bei geschlossener Anthere zuerst aufrecht, dann schräg nach außen gerichteten Haare stehen jetzt fast horizontal, so daß sie in nächster Nähe des trockenen, losen Pollens zu liegen kommen (Fig. 2). In diesem Zustand ist die Blüte „bereit“ zum Insektenbesuch. Fliegt jetzt ein Insekt (im botanischen Garten Straß- burgs waren es hauptsächlich Bienen) an die Blüte, so findet man nach dem Besuch die Blüte nicht nur der Pollenmasse entledigt, sondern sieht auch an Stelle der Haare nur noch kleine helle Pünktchen. Bringt man ein aufblühendes Androeceum unter das Binokular-Mikroskop (Winkel, Okul. 2, Obj. B. 2), so kann man leicht sehen, was bei dem Fig. 1. Anthere mit eben auf- Fig. 2. Offene Anthere von oben ge- springender Theca. Vergr. 24. sehen. Pollen abgeblasen. Vergr. 24. Insektenbesuch vorgegangen -sein muß. Berührt man nämlich mit der Nadelspitze eines der Härchen, so zieht es sich momentan mit einem . Ruck zusammen und drückt dabei am oberen Ende seine ganze Inhalts- masse heraus: flüssig, teils gelblich, teils farblos, an der Luft sofort zäh werdend und erstarrend. Trifft der herausgepreßte Inhalt die Nadel, so kann man einen bis 2 mm langen Faden nachziehen. Berührt man mit der Nadelspitze, an welcher Inhaltsmasse klebt, ein Pollenkorn, so haftet es außerordentlich fest; während an sauberer, glatter Nadel der trockene Pollen nicht hängen bleibt. Das entleerte Haar ist auf etwa ein Drittel seiner ursprünglichen Länge zusammengezogen und sitzt „zusammengekauert“ und vollkommen farblos dem gelben Konnektiv- gewebe auf. Es ist klar, daß in der Natur das Insekt die Arbeit der Nadel leistet. Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) usw. 543 Fig. 3 zeigt ein Antherenhaar auf dem Höhepunkt seiner Ent- wicklung. Es besteht aus zwei Zellen: einer unteren größeren, zylin- drischen und einer oberen kleineren, konischen. Diese letztere bietet keine Besonderheiten, außer daß die Membran gegen die Spitze etwas dicker ist. Im folgenden beschäftige uns ausschließlich die größere Haarzelle. Der Inhalt: Der obere Teil, etwa zwei Drittel, ist dicht an- gefüllt mit kleinen, in auffallendem Licht goldgelb schimmernden Kugeln von 0,007 mm. Bei durchfallendem Licht betrachtet, sehen sie mehr gelblich-grün aus. Sie liegen wie in einem Sack in eine dichte, farblose, homogene Masse eingebettet. Den unteren Teil der Zelle nimmt eine große Vakuole ein. Sie ist gefüllt mit einer Substanz, die das Licht weniger stark bricht als die proto- plasmatische Grundmasse und reich an verschieden großen Körnchen in Braun’scher Molekularbewegung. Weitere kleinere Vakuolen mit ebensolchem Inhalt finden sich zer- streut in dem Protoplasma. Betrachten wir zuerst die Kügelchen. Ihre Kontur ist sehr scharf gegen die Umgebung abgegrenzt; doch ist sie nicht glatt, sondern mit gleichmäßigen schwachen Vorwölbungen versehen. Bei hoher Einstellung erscheint das Kügelchen als eine von hellen Poren durchsetzte gelbschimmernde Masse; bei tiefer hingegen, scheinen dunklere Kerne in eine helle Masse eingebettet. Es seien eine Reihe von Reaktionen angeführt, die mit den Kügelchen vorgenommen wurden. Wasser ruft keine sichtbare Veränderung hervor. Bei Zusatz von Alkohol absolutus verschwindet die gelbliche Farbe. Ebenso bei Zusatz von Xylol, Benzol, _ Fig. 3. Aus- Chloroform, Eisessig, Chloralhydrat, Nelkenöl. gewachsenes Vor Behandlung mit einem dieser Reagenzien bräunt Antherenhaar 1, °/ige Osmiumsäure die Kügelchen; nachher nicht YO" „Oyelan- mehr, Daraus läßt sich schließen, daß der gelbe lösliche Vergr. 200. Bestandteil ein ätherisches Öl sein muß, Sudan III ruft tieforangerote Färbung hervor, die unterbleibt, oder nur ganz schwach auftritt, wenn eine Behandlung mit Alkohol absolutus vorausgegangen ist. Alkannatinktur gibt tiefrote Färbung; am besten wird diese Reaktion frei auf dem Objektträger ohne Deckglas ausgeführt, damit durch das Verdunsten des Alkohols eine schnelle Lösung des Öls ver- hindert wird. Oder man läßt nur kurz Xylol auf intakte Haare ein- 544 M. M. Riß, wirken, bis sich das Öl in großen Tropfen innerhalb der Zelle ge- sammelt hat und fügt dann erst Alkannin hinzu. Die Tropfen färben sich nun rot. Es sei noch auf eine Erscheinung bei Zusatz von Eisessig hin“ gewiesen. Dieses Reagens löst das Öl momentan. Wo aber die Kügel- chen sehr dieht liegen, das Öl also im Vergleich zum Lösungsmittel . im Überschuß vorhanden ist, bilden sich in jedem Kügelchen feine, nadelförmige, oft leicht gebogene Kristalle, die nach allen Richtungen ausstrahlen und im Polarisationsapparat aufleuchten. Diese Kristalle können auch an freiliegenden Kügelchen beobachtet werden, wenn ver- hältnismäßig wenig Lösungsmittel hinzugefügt wird. Beim Erwärmen verschwinden sie; beim Erkalten sah ich sie nicht wieder anschießen. Auch die innerhalb der Zelle gebildeten Kristalle verschwinden, wenn das schneller und leichter eindringende Benzol auf sie einwirkt. Auch im Alkoholmaterial treten sie oft auf, wenn schwacher Alkohol ver- wandt wird. ‘ Beobachten wir nun die Veränderung, die an einem Kügelchen vor sich geht, wenn ein langsam wirkendes Lösungsmittel hinzugefügt wird. Wir nehmen dazu 70 °/,igen Alkohol. Das Kügelchen wird größer durch stärkeres Hervortreten der Erhöhungen: es wird himbeerartig, eine Kugel aus lauter starklichtbrechenden runden Tröpfchen. All- mählich treten diese weiter hervor und fließen zu gelben Tropfen zu- sammen. Fügt man nun ein stärkeres Lösungsmittel hinzu, so lösen sie sich. Es bleibt ein rundes, farbloses, schwammartiges Gerüst zurück, dessen runde Poren gleich groß sind. Solche entölte Kügelchen sind um etwa 15 °/, kleiner als die normalen. Bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß das zurückbleibende Gerüst nicht eigentlich mit einem Schwamm verglichen werden darf. Das körnige Aussehen wird nämlich nieht durch Poren, sondern durch runde Körperchen hervorgerufen. Diese Beobachtung kann man machen, wenn man ein freiliegendes Kügelchen entölt. Infolge des Deckglasdruckes verliert es leicht seine Kugelgestalt, plattet sich ab und sieht nun aus wie ein feines Netzwerk, oder aber, es zerfällt in eine Anzahl gleichgroßer Körperchen; kleine Plastide, wie sieh im folgenden zeigen wird. Das Gerüst gab folgende Reaktionen: Jodjodkalium färbt es je nach der Konzentration gelb bis braun. Salzsäure ruft zuerst eine Kontraktion hervor, dann ein Ab- platten. Eine weitere Veränderung wurde nicht wahrgenommen. Bei Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure färbt sich das Gerüst allmählich dunkel. Bei Zusatz von konzentrierter Chrom- Die Antherenhaare von Cyelanthera pedata (Schrad.) usw. 545 säure tritt an Stelle eines jeden eine Gasblase auf und das Gerüst verschwindet. Pikrinsäure färbt intensiv gelb. Millon’s Reagens, konzentrierte Salpetersäure 4 Natron- lauge, Kupfersulfat 4 Kalilauge rufen die bekannten Eiweißreak- tionen hervor, aber schwach. Die Raspail’sche Reaktion gelang nicht. Starke Kalilauge ruft zuerst keine sichtbare Veränderung hervor. Bei Zusatz von Wasser aber tritt sofort Quellung ein. Durch abwechseln- des Hinzufügen von konzentrierter Kalilauge und Wasser aber wird das Gerüst kontrahiert und gedehnt. Bei jeder neuen Kontraktion und Dehnung wird die Masse geringer, bis sie endlich ganz verschwindet. Verdünnte Kalilauge hat denselben Erfolg. Werden nicht entölte Kügelchen damit behandelt, so bleiben sie scheinbar intakt, bis auf ein stärkeres Hervortreten der Vorwölbungen. Aber nur scheinbar; denn wird jetzt durch Zufuhr von Wasser eine Strömung unter dem Deck- glas erzeugt, so lösen sich die Kügelchen in einzelne Tröpfchen ver- schiedener Größe. Wird jetzt ein öllösendes Mittel zugefügt, so lösen sie sich, und von dem Gerüst ist, je nach der Einwirkungsdauer der Kalilauge nur noch ein Teil, oder gar nichts mehr vorhanden. Die bis jetzt angeführten Tatsachen erlauben in den Kügelchen ölbildende, ölhaltende Plastide zu sehen, Elaio- plasten. Elaioplasten sind vielfach schon untersucht; da aber die- jenigen von Cyelanthera in mancher Hinsicht von den schon be- kannten abweichen, habe ich sie näher beschrieben. Auf die Unterschiede zwischen den Ölbildnern der Lebermoose und den Elaioplasten der Monokotylen weist Küster®) hin. Wakker*) spricht die Vermutung aus, daß die Ölkörper metamorphosierte Chloroplasten sein könnten. Raciborski®) hingegen sieht in ihnen „normale Organe“. R. Beer®) erteilt der Vermutung Wakkers große Wahrscheinlichkeit durch seine Befunde an den Elaioplasten einer Dikotyle: Gailardia. Er fand hier außer typischen, gelblichen Elaioplasten ihnen im Bau vollkommen ent- sprechende Körper, die aber infolge ihres Chlorophyli- und Stärkegehaltes als typische Chloroplasten anzusprechen sind; außerdem fand er alle Übergänge zwischen der gelben und der grünen Form. Politis?) will die von Beer beschriebenen Organe nicht als Elaioplasten gelten lassen. Leider fehlt in der vorläufigen Mitteilung, die mir allein zur Verfügung stand, eine Begründung dieser Ansicht. Politis stellte das Vorkommen von Elaioplasten bei Malvaceen fest. Für Dikotylen sind dies, soweit mir ersichtlich, die einzigen Angaben. Vielleicht sprechen die Befunde bei Cyclanthera für eine nahe Be- Flora. Bd. 111. 35 546 M. M. Riß, ziehung zwischen Chloroplasten und Elaoiplasten. Die von A. Meyer?) in seiner Arbeit über das Chlorophylikorn Taf. I, 12 und 16 gegebenen Abbildungen könnten ebensogut, die Grünfärbung in Gelbfärbung ge- ändert, für Elaioplasten von Cyelanthera gelten. Doch wäre es un- richtig von metamorphosierten Chloroplasten zu sprechen, da sie in keinem Stadium der Entwieklung spezifische Chloroplastennatur, wie Grünfärbung und Stärkegehalt zeigen. Obwohl nun alle bekannten Elaoiplasten darin übereinstimmen, daß sie Öl enthalten, so muß doch hervorgehoben werden, daß dieses Öl bei den einzelnen Arten verschieden ist. Seine Reaktionen stimmen gewöhnlich weder genau für fette Öle noch für ätherische. Wakkert) vermutet in dem Öl von Vanilla planifolia ein Degenerationsprodukt. Baciborski°) hingegen hält die Elaioplasten für'besondere Exkretions- organe. Daß die von Cyclanthera als durchaus selbständige Organe anzusehen sind, dafür sprechen: ihr differenzierter Bau, ihr Inhalt, ihre im ausgewachsenen Zustand stets gleiche Größe und ihre typische Lo- kalisation. Sie dürfen wohl als Elaioplasten katexochen gelten. Die Frage nach der ökologischen Bedeutung der Elaioplasten ist verschiedentlich aufgeworfen worden und Versuche gemacht, sie zu beantworten. Stahl?) glaubt, daß sie „Schutzorgane“ gegen Tierfraß seien. Dahin deuten Versuche mit Marchantia polymorpha, die von Schnecken erst dann gefressen werden, wenn den Zellen das Öl durch Behandlung mit Alkohol entzogen worden ist, Raciborski°) glaubt die Ansicht Stahl’s befestigt durch die Beobachtung, daß zwar die Blätter, niemals aber die Fruchtteile von Ornithogalum- und Gagea- Arten unter Schneckenfraß zu leiden haben, da letztere Elaioplasten führen. Nach Lidforss?®) ist aber der Versuch Stahl’s nicht eindeutig, da Marchantia auch Gerbstoff enthält, der durch den Alkohol gleich- zeitig mit dem Öl entzogen wird. Es bleibt also die Frage offen, ob das Öl oder der Grerbstoff die Schnecken vom Benagen der Marchantien abhält. Ebenso hält er Lundström’s!!) Ansicht, daß die Elaioplasten von Potamogeton-Arten Schutz vor Tierfraß böten, für sehr hypo- thetisch. Auch Politis?) wendet sich gegen die Annahme, da er fand, daß auch Blätter mit Elaioplasten (Blätter von Malvaceen) von Schnecken angefressen werden. Über die ökologische Bedeutung der Elaioplasten, und ob sie überhaupt eine haben, ist also bis jetzt nichts Einwandfreies bekannt. Hingegen liegt es für die Elaioplasten von Cycelanthera auf der Hand, daß sie ihrem Vorkommen und ihrem Produkt ent- sprechend, „Anlockungskörper“ sind. Das ätherische Öl ist den Reak- tionen nach dasselbe, das auch noch andere Zellen des Androeceums Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) usw. 547 und der Blüte enthalten und das der Pflanze den zarten Duft gibt. Außerdem verleiht es dem Haarkranz die goldgelbe Farbe. Ich will nicht unerwähnt lassen, daß dieselben Elaioplasten auch in den viel- zelligen Haaren, und zwar ein Elaioplast in je einer Zelle, der Außen- und den Köpfchenhaaren der Innenseite der Blütenhülle vorzukommen scheinen. Da ich aber dies nur nach Alkoholmaterial schließe, will ich es nicht als bestimmt hinstellen. Das Protoplasma der Haarzelle: Wie schon anfangs erwähnt, liegen die Elaioplasten in den oberen zwei Drittel der Haarzelle, ein- gebettet in eine starklichtbrechende Substanz, die sich gegen das Plasma deutlich abgrenzt. Wie sich aber durch verschiedene Reaktionen ergab, unterscheidet sie sich von ihm nur durch größere Konsistenz und Mangel an Vakuolen. Das Bemerkenswerte an dem Plasma ist nun, daß es im Moment des Austretens aus der Zelle zäh bis starr wird. Es färbt sich intensiv rot mit, Rutheniumrot und grün mit Jodgrün; diese Farbstoffe ließen die Elaioplasten ungefärbt, so daß bei Anwendung eines von ihnen mit Sudan schöne Doppelfärbung am ausgepreßten Inhalt erzielt wurde. Ebenso färben gut, jedoch mit geringer Geschwindigkeit: Borax-Karmin, Safranin, Methylen- violett und -blau, Delafield’sches Hämatoxylin, Fuchsin auch in stark verdünnter Lösung gaben die entsprechenden Farbreaktionen. Jodjodkalium färbt braun; nach Zusatz von Schwefelsäure nimmt die Intensität der Braunfärbung zu. Chloralhydrat und Chrom- säure wirken Jösend. Wasser ruft keine Veränderung, jedenfalls keine Quellung, hervor. Lehrreich ist das Bild, das bei langsamem Zusatz von Alkohol erhalten wird, wenn das Haar noch unkontrahiert, aber doch nicht mehr ganz turgeszent ist. Der Inhalt löst sich leicht von der Wand, während die vorhin in heftiger Bewegung befindlichen Körn- chen in den Vakuolen die Bewegung einstellen. Anscheinend wird durch den Wasserentzug von dem Alkohol dasselbe geleistet, wie beim Heraus- pressen des Inhalts von der trockenen Luft: die Masse wird starr. Manchmal gelingt es durch Alkoholzusatz die Membran leicht zu kon- trahieren, so daß ein Teil des Inhalts heraustritt, während die Grenzlinie zwischen Grundmasse und Vakuole verschwindet. Bei vorsichtiger Be- handlung eines intakten Haares kann man den Inhalt mit der erstarren- den Vakuole wie ein Säckchen unversehrt herausziehen. Die vorhin für das Gerüst der Elaioplasten angegebenen Eiweiß- reaktionen traten im Plasma intensiver auf. Ob dieses an der Luft zähwerdende Plasma mit dem ebenfalls festwerdenden Inhalt der Sieb- röhren von Cucurbita (Schmidt!3)) übereinstimmt, wurde nicht untersucht. 35* 548 M.M. Riß, Die Membran: Die Reaktionen zeigen, daß sie aus einer Pektin- lamelle besteht, die mit einer Cuticula überzogen ist. Zwischen der oberen und unteren Zelle ist sie etwas dünner; an dieser Stelle bricht die untere Zelle auf, während die obere intakt bleibt. Die eigentliche Haarzelle ist außen mit charakteristischen Verdickungen versehen: quer- verlaufende Verdickungsstreifen, die an ihrem Rande zu einer starken Leiste werden. Diese Bänder anastomosieren gewöhnlich, so daß die unverdickten Stellen wie mehr oder weniger geschlossene Gürtel aus- sehen. Der oberste Teil der Zelle trägt kommaförmige Verdickungs- leistchen, die von der Stelle ausgehen, wo die kleine Zelle aufsitzt. Der allerunterste Teil, etwa ein Zehntel der Länge, ist unverdickt. Von diesen Verdiekungen ist am intakten, turgeszenten Haar nicht viel zu sehen. Sobald aber die geringste Kontraktion eintritt, sei es infolge von Fig, 4. Wasserverlust in trockener Luft oder beim Hinzufügen eines wasserentziehenden Mittels, so treten sie scharf her- vor. Und zwar deshalb, weil nun die unverdickten Stellen vor den verdickten eingezogen werden. Nebenstehende Fig. 4 zeigt ein leicht kon- trahiertes Haar. Die Ver- diekung ist keine gleich- mäßige, sondern von kör- niger Struktur, was nach Behandlung mit Kalilauge in Aufsicht und in Profil zu sehen ist. Bei voll- ständiger Kontraktion des Haares werden auch die verdickten Bänder ein- Fig. 4. Halbkontrahiertes Haar. Vergr. 200. gezogen, so daß nur noch Fig. 5. Vollkommen kontrahiertes Haar. Vergr. 200. die Verdiekungsleisten sichtbar sind (Fig. 5). Mechanik des Herauspressens des Inhalts: Wie schon ge- sagt, wird der Inhalt des intakten, turgeszenten Haares bei leisester Berührung herausgedrückt unter ruckartigem, plötzlichem Zusammen- ziehen der Membran. Läßt man unter dem Deckglas langsam ein Plasmolytikum zutreten, so bekommt man an denı fertigen Haar niemals eine Plasmolyse zu sehen: es tritt Kontraktion ein und zwar, je nach der Konzentration des angewandten Mittels, schneller oder langsamer. Bei langsamer Kontraktion läßt sich nun folgendes feststellen. Dadurch, daß sich die unverdickten Stellen der Membran zusammenziehen, wird Fig. 5. Die Antherenhaare von Oyclanthera pedata (Schrad.) usw. 549 die Elaioplastenmasse in den unteren Teil des Haares, wo die Grund- masse weniger diek ist, gedrückt. Ist sie an den Rand der großen Vakuole angelangt, so wird dieser eingedrückt, so daß er allmählich von konvex zu konkav wird. Je weiter nun die Kontraktion fortschreitet, um so tiefer wird die Elaioplastenmasse nach unten gedrückt, bis sie zuletzt den Grund des Haares berührt. Nun ist von der Vakuole nichts mehr sichtbar, als die in den äußersten Ecken in Molekularbewegung befindlichen Köruchen. Ist dieser Zustand erreicht, das Haar also ganz ınit der dichten Grundmasse, in der die Elaioplasten liegen, angefüllt, so wird es nicht mehr weiter kontrabiert und ein Herauspressen des Inhalts findet nicht statt. Weder durch trockene Luft noch durch ein langsamwirkendes Plasmolytikum, d. h. also, nicht durch allmählichen Wasserentzug, wird die Entleerung bewirkt. Solche nicht geplatzten Haare, die etwa ein Drittel ihrer ursprünglichen Länge eingebüßt haben, trifft man an Blüten, wo Insektenbesuch ausgeblieben ist. Wie kommt nun aber ein Platzen der Zelle und ein Herauspressen des Inhaltes zustande? Ich erkläre mir den Vorgang in der Natur so: Die kleine obere Zelle von konischer Form sitzt der großen Haarzelle im fertigen Zustand nur mit einer kleinen Fläche auf. Die Membran beider Zellen ist, wie schon erwähnt, an der Berührungsstelle dünner. Eben hier tritt auch bei Zusatz von Rutheniumrot zuerst die Färbung ein. Es ist also eine Stelle geringsten Widerstandes da. Wird nun die kleine Zelle durch das Insekt berührt, so löst sie sich leicht los; dadurch wird der Widerstand am Ende der Haarzelle noch vermindert, so daß nun der leiseste Druck die stark gespannte Memban zum Platzen bringt. (Daß die Membran stark gespannt ist beim turgeszenten Haar, erhellt daraus, daß durch Druck auch im Wasser eine, wenn auch verlangsamte, Ent- leerung unter Kontraktion stattfinden kann.) In dem Moment des Platzens hört die Spannung auf, die Membran kann der austrocknenden Wirkung der Luft nicht mehr standhalten, sie zieht sich mit einem Ruck zusammen. Dabei wird der Inhalt frei. Die Hauptbedingung zum Heraustreten der Inhaltsmasse ist also, daß die Membran schnell entspannt wird, bevor eine Volumabnahme des Inhalts durch Wasser- verlust eintreten kann. Denn sonst nimmt der hohe Druck, die Vor- bedingung zum Platzen, ab, während gleichzeitig das Plasma zäh wird und der weiteren Kontraktion des Haares einen Widerstand entgegensetzt. Nun kann aber noch auf eine andere Weise als dureh Berührung {rei an der Luft ein Hervorpressen des Inhaits hervorgerufen werden: nämlich, wenn man zu einem vollkommen frischen Haar, das in Luft unter dem Deckglas liegt, unvermittelt Alkohol abs., Benzol, ein 550 M.M. Riß, starkes Plasmolytikum hinzutreten läßt. Es ist anzunehmen, daß das unvermittelte Zutreten solcher Mittel eine plötzliche Kontraktion der Membran bewirkt, bevor eine Verminderung des Inhalts durch Wasser- verlust eingetreten ist; dadurch erfolgt indirekt eine Druckerhöhung, die das Platzen zur Folge hat. Die Entwicklung der Haare: In ganz jungen Stadien der Entwicklung, wo das Androeceum noch keinerlei differenzierte Zellen aufweist, ist auch die Epidermis von gleichmäßigen Zellen gebildet. Erst bei Bildung der Urpollenmutterzellen beginnen einzelne Epidermis- zellen an jener Stelle, wo später der obere und untere Haarkranz steht, auszuwachsen (Fig. 63). Sie unterscheiden sich von den übrigen durch den größeren Nucleus. Bald tritt eine Teilung der verlängerten Epi- dermiszelle in eine obere, leicht zugespitzte und eine untere, etwas größere ein. Die im Plasma aller Epidermiszellen zerstreut liegenden winzigen Körnchen erscheinen jetzt in den jungen Haarzellen stärker lichtbrechend. Aus Platzmangel schmiegen sich die jungen wachsenden Haare der Oberfläche des Androeceums an, mit der Spitze dem Zentrum Fig. 6a. Fig. 7. Fig. 6a. Epidermiszelle, die zu einem Haar auszuwachsen beginnt. Vergr. 200. Fig. 6b. Junges Haar mit starklichtbrechenden Körnchen. Vergr. 200. Fig. 7. Plastide mit aufsitzendem Ölkorn. Vergr. 2000. zustrebend (Fig. 6b). Etwas ältere Stadien bieten keine großen Ver- änderungen: die Größe der Zellen hat zugenommen; die obere ist an der unteren Wand noch nicht so scharf abgegrenzt von der eigentlichen Haarzelle, wie im ausgewachsenen Zustand; auch sind jetzt Vakuolen zu sehen; die starklichtbrechenden Körnchen sind zahlreicher und jetzt groß genug, um eine nähere Untersuchung mit Erfolg zuzulassen. Wird Benzol hinzugefügt, so schwindet das starke Lichtbrechungsvermögen: es ist Öl ausgetreten und hat sich gelöst. Diese Körnchen, in denen wir die Anfangsstadien der Elaioplasten erkennen, zeigen folgenden Bau: bei hoher Einstellung sieht man ein starklichtbrechendes unregel- mäßig rundliches Körnchen, das einem bei tieferer Einstellung sichtbar werdenden, nieht starklichtbrechendem Körperchen aufsitzt: ein Plastid mit aufsitzendem Ölkorn (Fig. ”). Oft sind auch schon zwei bis mehr Körnchen vereint zu sehen. Bei Zusatz von 70°/,igen Alkohol runden sich «die in diesem Stadium oft unregelmäßigen Körnchen durch Aus- Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) usw. 551 treten des Öls ab. Bei Zusatz von Benzol erfolgt Lösung des Öls unter Zurückbleiben der Plastide, die wir in dem Gerüst des fertigen Elaioplasten kennen gelernt haben. Je weiter das Haar auswächst, um so mehr Plastide treten zusammen oder aber — das habe ich nicht festgestellt — sie vermehren sich durch Teilung, bis sie schließlich eine . ganz bestimmte Größe erreicht haben. In jungen Haaren zerfallen die Elaioplasten beim Entölen leichter in die Teilplastide als im fertigen Zustand. Auch sind sie anfangs in der ganzen Zelle zerstreut, Später liegen sie mehr der Wand an in einer schon jetzt als konsistenter erkennbaren Plasmaschicht. In diesem Stadium treten die Verdickungen der Membran auf: zuerst die kommaförmigen am oberen Ende der Zelle und dann die band- und leistenförmigen. Junge Haare, bei denen die Membran noch nicht die charakteristischen Verdickungen zeigt, kollabieren bei Zusatz starker Plasmolytika, anstatt sich zu kontrahieren. Im weiteren Verlauf der Entwicklung bildet sich im unteren Teil die große Vakuole aus, wodurch die Elaioplasten in den oberen Teil ge- drängt werden. II. Die Antherenhaare einiger anderer Cucurbitaceen. Es seien die untersuchten Gattungen und Arten in der Reihen- folge nach Engler-Prantl aufgezählt. Eine Nachbestimmung der Herbarpflanzen wurde nicht vorgenommen. 1. Thladiantka dubia (frisch und aus dem Herbar); Thl. tuberosa (Herbar). Melothria mucronata (Herbar). Pilogyne suaveolens (Herbar). Momordica Charantia (Herbar); M. Balsamina (Herbar). Luffa eylindrica (frisch, der Freundlichkeit der Direktion des botanischen Gartens in Berlin zu danken). 6. Bryonia dioica (frisch und in Alkohol); B. alba (Herbar); B. verrucosa (Herbar). 7. Ecballium Elaterium (frisch und in Alkohol), 8. Citrullus Colocynthis (Herbar); C. edulis (Herbar). 9, Cucumis sativus (frisch); C. prophetarum (Herbar). 10. Benincasa cerifera (Herbar). 1. Lagenaria vulgaris (frisch, ebenfalls aus dem Berliner botan. Garten). 12. Trichosanthes villosa (Herbar). 13. Cucurbita Pepo, zwei Varietäten (frisch). 14. Echinoeystis lobata (Herbar). Prem 552 M. M. Riß, 15. Gymnostemma integrifolia (Herbar). 16. Sicyos angulatus (frisch); S. Baderoa (frisch). 17. Cyelauthera pedata (frisch); C. explodens (frisch); unbestimmte C. aus Guatemala (Herbar) (Fig. 8—13). 12b X Fig. 8a. Antherenhaar von Cucumis. 8b. Seltenere, zylindrische Form, zwischen den flaschenförmigen stehend. Vergr. 200. 9. Haar von Ecballium. Vergr. 200. 10. Haar von Citrullus. Vergr. 200. 11. Haar von Bryonia. Vergr. 200. 12a. Haar von Benincasa, 12b. Verschiedene Halszellenformen, Vergr. 200. 13. Haar von Lagenaris. Vergr. 200. Die nicht abge- bildeten Haare gleichen mehr oder weniger einem der gezeichneten. So die von Melothria, Pilogyne, Momordica und Sicyos denen von Ecballium, die von Trichosanthes denen von Cucurbita, die von Luffa denen von Lage- naria, die von Echino- cystis denen 'von Cy- clanthera. Der Grund- form nach besteht große Übereinstimmung bei allen Haaren. Sie bestehen aus einer großen, zylindrischen oder flaschenförmigen bis kugeligen, inhalts- reichen Zelle, der eigentlichen Haarzelle . und einer bis mehreren kleinen Zellen. Doch nicht nur in ihrer Grund- form herrscht eine wesentliche Gleichheit, sondern noch in wei- teren Eigenschaften. Die Membran zeigte nie- mals Zellulosereaktion, sondern besteht aus einer Pektinlamelle, die mit einer Cutieula über- zogen ist. Sie ist bei allen außerordentlich kontraktionsfähig (s. Cucur- v Die Antherenhaare von Cyelanthera pedata (Schrad.) usw. 553 bita pag. 554), ob sie nun mit Verdickungen versehen ist oder nicht. Bei Berührung platzt sie leicht, und unter Kontraktion tritt der Inhalt stets am oberen Ende der großen Zelle aus; dabei werden die oberen Zellen ganz oder teilweise losgelöst. Die Haare entwickeln sich aus einer Epidermiszelle des Konnektivgewebes und stehen den Thecae entlang; bei einigen Antheren, wo ein größerer Teil der Konnektive freiliegt, stehen sie oft auch hier. Soweit mehrere Arten einer Gattung untersucht wurden, zeigte sich, daß sie mit geringen Abweichungen ein und dieselbe Haarform besitzen. Hinsichtlich des Inhalts aber ergaben sich weitgehende Unterschiede. Und zwar differieren unter den auf ihren Inhalt näher untersuchten Gattungen Cyclanthera und Cucur- bita am meisten. Die Differenz wird jedoch durch die Verhältnisse bei den anderen Gattungen ausgeglichen, indem diese allerlei Übergänge zeigen zwischen den Befunden bei Cyclanthera und Cucurbita, wie folgende Angaben noch zeigen werden. Die Verhältnisse von Cucur- bita werden etwas ausführlicher beschrieben, die der übrigen Gattungen nur soweit sie als verbindendes Glied zwischen Cyelanthera und Cucur- bita in Betracht kommen. Die Antherenfächer von Cucurbita Pepo sind beiderseits von einer Reihe großer, flaschenförmiger Haare begleitet. Doch stehen diese so, daß sie bei geschlossenen Antherenfächern nicht zu sehen sind; höchstens da, wo ein Stückchen Konnektivgewebe frei liegt. Sie werden sofort sichtbar, wenn man von einer aufgesprungenen, noch von keinen Insekt besuchten Anthere den Pollen wegbläst. Auf der vorhin mit Pollen über und über bedeckten Anthere sieht man nun die Haare zwischen den schrumpfenden Thecae hervorragend. Da die Antheren schon gegen 2 Uhr vormittags aufzuspringen beginnen, die Blüten sich am frühesten Morgen öffnen, findet wan um 8 Uhr morgens keine unversehrten Haare mehr: das besuchende Insekt, das den Nectar holen will, streift die Anthere und verletzt dabei die Haare, so daß nach dem Insektenbesuch nur noch die kollabierten, dem Gewebe anliegenden Membranen zu finden sind. Fig. 14a zeigt ein intaktes Haar. Die Dimensionen variieren sehr wenig, die Länge kann bis zu 0,8 mm betragen, der größte Durch- messer in der Breite bis 0,27 mm. Es sitzt nur mit einer kleinen Fläche an und nicht allzu fest, so daß man es mit etwas Vorsicht un- verletzt ablösen kann. Die Membran zeigt nur am oberen Teil der großen Zelle strich- förmige Verdickungen. Der unverdickte, glatte Hauptteil ist außer- ordentlich dehnbar. Die gewöhnliche Form ist die abgebildete; doch 554 M. M. Riß, trifft man manchmal Haare, die so prall gefüllt sind, daß sie die Form einer Standflasche haben. Andererseits kontrahieren sie sich über hohen Zuckerlösungen bis auf die Hälfte ihres Breitedurchmessers, ohne daß ihre Membran irgendeine Faltung zeigt. Auch bei Zusatz von starker Zuckerlösung oder von Glyzerin unter dem Deckglas wird das Haar stark kontrabiert, ohne daß Plasmolyse, die in schwächeren Lösungen eintritt, dabei sichtbar wird. Bei einem Versuch mit 100 %/,iger Zucker- lösung z. B. kontrahierte sich ein Haar in der Länge um 20°/,, in der Breite um 40°/,. Durch künstliche Druckerhöhung, indem ich das Haar in Zuckerlösung liegen ließ und nach einiger Zeit in Wasser brachte, konnte eine Dehnung über das anfängliche Maß des turges- zenten Haares hervorgerufen werden und zwar um 3°, in der Länge und 8®/, in der Breite, bis es auf die gewohnte Art platzte. Die Haare erscheinen schon sehr früh. In jungen Stadien sind sie schlanker. Fig. 14c zeigt ein ganz junges Haar von einer 4 mm langen Anthere. Man sieht sofort, daß der Inhalt des ausgewachsenen Haares wesentlich verschieden ist von dem der Cyclantherahaare: große und kleine Vakuolen nehmen fast den ganzen Raum ein; dazwischen größere und kleinere Körnchen, von Öl gelblich schimmernd. Diese Fig. 14a. Antherenhaar von Cucurbita. sind wohl von den Teilktigelchen b Verschiedene Formen von Halszellen. der großen Elaioplasten von Cy- © Ganz junges Haar. Verge. 100. elanthera nicht wesentlich ver- schieden. Drückt man etwas mit der Nadel auf die kleinen Zellen, so lösen sie sich von der Hauptzelle los, deren Inhalt nun zum Teil in einem großen Tropfen austritt. Bei größerer Verletzung fließt der ganze Inhalt aus, und das Haar kollabiert. Die Flüssigkeit ist dünn, zieht an der Luft keine Fäden und wird auch bei noch so langem Liegen an der Luft nicht zäb. Damit unterscheidet sich der Inhalt der Cueurbitahaare in einem wesentlichen Punkt von dem der Cyclantherahaare. Stärke ist fast immer vor- ur Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) usw. 555 handen, aber in sehr wechselnder Menge: bald nur vereinzelte Stärke- körner, bald die ganze Zeile dicht damit angefüll. Ebenso war die Reaktion mit Fehling’scher Lösung bald schwach, bald stark. Durchweg stark war die Reaktion auf Gerbstoff: Zusatz von Eisen- chloridlösung rief schnell olivengrüne (wohl durch das Vorhandensein von gelbem Öl nicht rein grüne) Färbung hervor, Kaliumbrichomatlösung verursachte die Fällung einer voluminösen, dunkelbraunroten, flockigen Masse. Taucht man ein Antherenstück, an dem eine Haarreihe ansitzt, in eine dieser Lösungen, so erscheinen bald die Haare dunkel auf der hellen Antherenwand. Eine Zeitlang beobachtete ich große Kristalle in den Vakuolen, leicht löslich in Salzsäure, Kalilauge, Eisessig, verdünnter Essigsäure und beim Erhitzen. Als ich aber später darnach sehen wollte, waren die Zellen vollkommen frei davon oder besaßen nur ganz kleine. Vielleicht hing dies mit dem damals eingetretenen feuchten Wetter (August 1917) zusammen. Während die Haare an der Anthere von Cyelanthera frei liegen, sind sie bei Cucurbita dauernd verborgen: bei der ge- schlossenen Anthere durch die gewölbten Theken, bei der geöffneten durch die Pollenmasse. Die Elaioplasten als Anlockungsmittel sind also hier unnötig, Wichtiger für die Beurteilung der Funktion dieser Haare ist, daß der Inhalt keine Klebkraft besitzt. Bei der einen von mir untersuchten Cueurbita Pepo-Varietät war auch ein Klebstoff für den Pollen unnötig, da in den Antherenfächern selbst eine fadenziehende Substanz produziert wird, die den Pollen klebrig macht, so daß an der Nadel beim Eintauchen in das geöffnete Antherenfach eine ganze Anzahl Körner hängen bleibt. ‚ Die überaus reichlich vorhandene Flüssigkeit in den dichtstehen- den Haaren ließ mich daher vermuten, daß sie vielleicht einen anderen, aber nicht minder wichtigen Dienst als das Verkleben dem Pollen leiste. Da der Cucurbitapollen außerordentlich schnell in Wasser platzt und zwar in destilliertem Wasser, also wohl auch in Regenwasser, schneller als in Leitungswasser*), lag die Vermutung nahe, daß die osmotisch wirksame Haarflüssigkeit hier hemmend auf das Platzen wirken könnte. Versuche auf dem Deckglas hatten auch entsprechenden Erfolg: die zuvor in den ausgedrückten Haarinhalt getauchten Körner platzten nicht oder doch nur nach Minuten bis Stunden; ebenso Körner, die vom Leib einer Biene abgenommen worden waren, also solche, die mit *) Der Cucurbitapollen verhält sich also anders als die von Bgt. Lidforss’°) angegebenen Pollen, die in Ay. dest. weniger schnell platzen. 556 M. M. Riß, großer Wahrscheinlichkeit in Berührung mit dem Haarinhalt gewesen waren; während andere Körner momentan die Deckel vortrieben und nach durchschnittlich 25 Sekunden den Inhalt austreten ließen. Doch ist die eben beschriebene Wirkung des Haarinhaltes wohl mehr eine nebensächliche. Die ursprüngliche Funktion des Haares wird dieselbe wie bei Cyclanthera gewesen sein. Doch bevor wir die Berechtigung dieser Annahme nachweisen, müssen wir mit dem Inhalt der übrigen Haare bekannt werden. Die Antherenhaare von Cueumis sativus schließen sich dem Inhalt nach eng an die von Cyelanthera an. Die Elaioplasten sind etwas kleiner, heller und zerfallen leichter in Teilbläschen. Der Inhalt wird an der Luft zäh. Weder mit Eisenchlorid noch mit Kaliumbichro- mat konnte Gerbstoff nachgewiesen werden. Auch fiel die Reaktion auf Stärke negativ aus. Von Bryonia dioica gilt dasselbe Doch war hier Stärke in wechselnder Menge vorhanden. Luffa cylindrica hat kleine, helle Elaioplasten und zähwerden- des Plasma; keine Stärke, jedoch Gerbstoff. Nicht ganz frische, aber noch vollkommen turgeszente Haare erscheinen dem bloßen Auge dunkel. Unter dem Mikroskop zeigt sich eine dichte, flockige, dunkel- braune Masse, etwa in der Mitte der Zelle; vermutlich wird die Färbung durch den Gerbstoffgehalt verursacht; denn bei Zusatz von Gerbstoffreagenzien nahm die Färbung zu. In farblosen Haaren ent- steht sie bei Verletzung. Die Verhältnisse bei Lagenaria vulgaris entsprechen denen von Luffa; nur zeigt die obere Zelle nach Behandlung mit Kalilauge leichte Blaufärbung mit Jodjodkalium. Auch Lagenaria zeigt bei alten Haaren eine dichte, mehr schwärzliche Färbung. Die Sieyos angulata-Haare sind wie die von Cucurbita va- kuolenreich, mit wenig Öl, jedoch zieht der Inhalt an der Luft Fäden. Weder Stärke noch Gerbstoff wurden nachgewiesen. Ich suchte zuerst die Haare bei Sieyos Baderoa, jedoch ohne Erfolg. Da das Androeceum aber sehr klein ist und das untersuchte Exemplar eine Topfpflanze war, sah ich die größeren Blüten von Freilandspflanzen von Sicyos angulata an. Hier fanden sich Haare, aber in geringer Anzahl: zwei bis drei zwischen je zwei Fächern. Der Inhalt von Ecballium Elaterium ist ebenfalls vakuolen- reich, wenig ölhaltig und reich an Stärke. Aus dem Angeführten ist ersichtlich, daß in der Reihe: Cyclan- thera, Cueumis, Bryonia, Luffa, Lagenaria, Sieyos, Eeballium, Cucurbita Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) usw. 557 die Differenzierung der Elaioplasten abnimmt und das Protoplasma seine Fähigkeit an der Luft zu erstarren einbüßt, während der Gehalt an Gerbstoff und Stärke zunimmt. Es ist also berechtigt, die Haare von Cyelanthera und Cucurbita, trotz ihres verschiedenen Inhalts, als homologe Gebilde anzusehen; nur daß Cucurbita am Ende der Ent- wicklungsreihe steht. Es bleiben noch die Haare von Thladiantha zu besprechen. Doch zuvor sei noch einiges über Bryonia angegeben, da die Verhältnisse bei dieser Gattung geeignet sind, diejenigen von Thladiantha zu erläutern. Außer den typischen, oben abgebildeten Antherenhaaren finden sich bei Bryonia dioiea alle Übergänge vor zwischen diesen flaschen- förmigen und ganz gewöhnlichen Gliederhaaren, aus drei bis mehr Zellen bestehend. Die Flaschenform, die die Haare an den Thecae und an dem oberen Teil des Konnektivs besitzen, wird ganz allmählich gegen das Filament schlanker bis schließlich nur noch die bedeutende Länge der unteren Zelle, die Anzahl drei der das Haar bildenden Zellen und, soweit ich an Alkoholmaterial sehen konnte, auch der Inhalt an die typische Forın erinnern. Gegen den Fuß des Filaments zu, stehen die Haare in Büscheln und hier ist auch die untere Zelle nicht mehr auffallend länger, die Anzahl der Zellen kann bis auf sechs steigen und die Länge des gesamten Haares steigt bis auf das Doppelte und mehr. Nebenstehende Fig. 15 zeigt die Übergänge. Die Cucurbitaceen sind eine an Haarformen aller Art überreiche Pflanzenfamilie. So hat z. B. Bryonia an der Blütenhülle noch eine ganze Anzahl verschieden geformter Haare, die ebenfalls allerlei Über- gänge untereinander zeigen. Diese Umstände (s. auch die zweierlei Haarformen von Cucumis sativus Fig. 8) erleichtern das Verständnis für die von der Grundform abweichenden Antherenhaare bei Thladi- antha. In der Cueurbitaceen-Reihe steht Thladiantha in bezug auf das Androeceum am Anfang. Es zeigt sich hier die erste Spur von Zygomorpbie: die fünf Staubblätter sind noch frei, doch neigen sich je zweimal zwei zueinander hin. Während nun bei allen anderen untersuchten Gattungen die Antherenhaare ausschließlich sich auf dem Konnektiv- gewebe bilden, so stehen sie hier auch zerstreut auf der Antherenwand Fig. 15. Haare vom Conneetio und vom Filament von Buponia. Vergr. 100. 558 M. M. Riß, bis genau in die Mitte der Fächer, wo eine Haarreihe der Länge nach die Grenze bildet. Diese Abweichung von der Norm ist jedoch un- wesentlich. Von größerer Bedeutung ist es, daß die Haare in Membran und Inhalt vom Grundtypus abweichen. Die Kontur des Haares Fig. 16a ist zwar typisch; doch besteht der untere bauchige Teil nicht aus einer sondern aus mehreren Zellen. Die Membran ist dick und gibt Zellulosereaktion. Die Querwände der unteren Zellen scheinen von zarterer Beschaffenheit zu sein, da ich sie hier und da aufgelöst fand, wo die übrigen Membranen noch unversehrt waren. Das Alkohol- material zeigte in den obersten Zellen viele Kalkoxalatkristalle, in den unteren vereinzelte in der sicb mit Jodjodkalium )) bräunenden Grundmasse. Elaioplasten sah ich nicht. Diese Haare stehen nun auch auf dem Filament untermischt mit Köpfchen- haaren. Und wie bei Bry- onia, so gibt es auch hier alle Übergänge (Fig. 16b) zwischen den im Umriß N) dem Grundtypus der Cu- } curbitaceen- Antherenhaare () —D gleichenden und langen, Fig. 168. Haar von der Anthere von Thladiantha. aylindrischen, mit leicht ge- b vom Filament. Vergr. 200, bogener bis gerader Spitze versehenen Haare. Trotz der auffallenden Abweichungen sind wohl die Haare an der Thladiantha- Anthere den typischen Antherenhaaren der Cucurbitaceen anzureihen, ein Übergangsglied bildend zwischen ihnen und den gewöhnlichen Haaren. Zusammenfassung. Bei einer Anzahl von Cucurbitaceen wurde das Vorkommen von Antherenhaaren festgestellt. Diese Haare sind alle nach demselben Grundtypus gebaut: eine zylindrische oder flaschenförmige bis kuglige große Zelle und eine oder mehrere kleine Zellen, der großen aufsitzend. Die sehr dehnbare Membran besteht aus einer Pektinlamelle mit einer Cuticula überzogen. Die Membran ist am ausgewachsenen Haar stark gespannt. Durch- weg tritt die Erscheinung auf, daß bei Ausübung eines leichten Druckes — 3 mn m Die Antherenhaare von Cyclanthera pedata (Schrad.) uaw. 559 (wie er von den pollensammelnden Insekten beim Abstreifen des Pollens ausgeübt wird) die Endzellen sich loslösen und die große Zelle an der Loslösungsstelle platzt, sich kontrahiert und dabei den Inhalt austreten läßt. Dieser Inhalt ist bei den einzelnen Gattungen verschieden. Jedoch läßt sich eine Reihe — die keine phylogenetische zu sein braucht — aufstellen. Sie beginnt mit Cyclanthera, wo der Inhalt der Haare aus hochdifferenzierten Elaioplasten und an der Luft zäh werdendem Plasma besteht und schließt mit Cucurbita, wo die Elaioplasten einfach gebaut sind und der Inhalt an der Luft keine Fäden zieht. Dazwischen gibt es allerlei Übergänge, so daß diese Verschiedenheit kein Hindernis bildet, allen Antherenhaaren gleiche Funktion, — wenigstens ursprünglich — nämlich Sieherung der Pollenübertragung durch Verkleben der losen Körner, zuzuschreiben. Da die Form der Haare für jede Gattung verschieden ist, bei den Arten ein und derselben Gattung aber sehr wenig variiert, so sind sie geeignet, eine Rolle in der Systematik’der Cucurbitaceen-Familie zu spielen. Doch müßten die Untersuchungen noch über mehr Gattungen ausgedehnt werden. Literaturverzeichnis. ]) Müller, Herm., Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und die gegen- seitigen Anpassungen beider. Leipzig 1873. 2) Halsted, B. D, Staminal oil glands of eueurbs. Bull. from the bot. depart- ment of the state agricultural college, Ames, Jowa 1888. 3) Küster, Die Ölkörper der Lebermoose und ihr Verkältnis zu den Elaio- plasten. Basel 1894. 4) Wakker, Studien über die Inhaltskörper der Pflanzenzelle. Jahrb. f. wiss. Bot. 1888, Bd. XIX. 5) Raciborski, Über die Entwicklungsgeschichte der Elaioplasten bei Liliaceen. Sep.-Abdruck aus dem Anzeiger der Akad. der Wiss. Krakau 1893. 6) Beer, R., On Elaioplasts. Annals of Botany 1909, Vol. XXI. 7) Politis, Sugli Elaioplasti nelle Mono- e Dicotiledoni. Nota prei. Rendic. Accad. Lincei 1911, Vol. XX,. 8) Meyer, Arthur, Das Chlorophylikorn. Leipzig 1883. 9) Stahl, Pflanzen und Schnecken. Jena 1889. 10) Lidforss, Bgt., Studier öfver elaiosferer i örtbladens mesofyli och epidermis. Lunds Universitets Ärsskrift, Bd. XXIX. 11) Lundström, Über farblose Ölplastiden und die biologische Bedeutung der Öltropfen gewisser Potamogeton-Arten. Botan. Zentralbl., Bd. XXXV. 12) Schmidt, @. W., Bau und Funktion der Siebröhre der Angiospermen. Jena 1917. 13) Lidforss, Bgt., Zur Biologie des Pollens. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXIX. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. Von W. Biedermann. (Mit 19 Abbildungen im Text.) So befriedigend im allgemeinen unsere Kenntnisse über die chemische Natur der Zellkerne sind, so wenig wissen wir über die „Chemie des Plasmas“, der lebenden Substanz an sich, obschon dieses ja der Menge nach in der Regel bei weitem überwiegt. Es liegt dies hauptsächlich daran, daß man zwar imstande ist, Kerne frei von Plasma in zur chemischen Untersuchung ausreichender Menge zu erhalten, nicht aber umgekehrt kernfreies Plasma. Es kommt noch dazu, daß das, was man schlechtweg als solches bezeichnet, in der Regel chemisch ein außerordentlich kompliziertes Gemenge sehr verschiedenartiger Stoffe darstellt und daher weder von morphologischen, noch auch von chemi- schen Gesichtspunkten aus so ohne weiteres mit dem Begriff „lebende Substanz“ identifiziert werden kann. Neben dieser enthält das Plasma in der Form, in der es uns gewöhnlich entgegentritt, eine Menge von plasmafremden Bestandteilen in Gestalt von Stoffwechselprodukten der manigfachsten Art, teils in flüssiger, teils in fester Form (Stärke, Glykogen, Fett, Mikrosomen usw.). Zur lebenden Substanz selbst zu rechnen sind ferner sehr verschiedenartige Einschlüsse, die teils an der Grenze der Sichtbarkeit stehen, teils sehr beträchtliche Größe erreichen (wie z. B. Chlorophylikörner), deren Natur und Funk- tionen nur zum kleinsten Teil bekannt sind. Vielfach schließen sich solche granuläre Gebilde auch zu fädigen Differenzierungen zusammen. Von allen diesen Dingen abgesehen, erscheint die plasmatische Grand- substanz entweder ganz homogen oder sie zeigt mehr oder weniger deutlich ausgeprägt „Schaumstruktur“. Ob und inwieweit geformte Plasmaprodukte als „lebendig“ gelten können, bleibt in jedem Falle besonders zu untersuchen. Daß der Kern, der ja gar nicht als Plasma- produkt, sondern als eine besondere „Differenzierung* zu betrachten ist, ein lebendiges Gebilde darstellt, ist ja selbstverständlich; er bildet gewissermaßen eine sowohl morphologisch wie chemisch scharf abgegrenzte Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 561 Portion lebendiger Substanz, wie andererseits auch die Chromatophoren, die Centrosomen und sicher auch zahlreiche chemisch vorläufig nicht näher zu charakterisierende „Granula“, die zum Teil wie jene als typische Zellorgane aufzufassen sind. Es muß unter allen Umständen daran festgehalten werden, daß auch vom rein chemischen Stand- punkte aus das Protoplasma im Sinne Zwaardemaker’s (Ergebn. d. Physiol. 1906, Bd. V, pag. 108—154) ein kompliziertes chemisch heterogenes System nebeneinander bestehender Phasen darstellt, wobei alle sichtbaren Strukturen natürlich ganz außer Betracht bleiben. Neben Eiweißkörpern (Eiweißverbindungen) haben wir ja auch im hyalinen, anscheinend ganz homogenen Plasma immer Wasser, Gase, Salze, gelöste Kohlehydrate, maskiertes (gebundenes) Fett, Lipoide und wohl ausnahmslos Fermente als die eigentlichen Triebfedern des lebendigen Geschehens anzunehmen, und zwar im allge- meinen in charakteristischen Mengenverhältnissen. Niemals darf aber vergessen werden, daß jeder lebenden Substanz neben der kompli- zierten chemischen Zusammensetzung auch noch eine ererbte Struktur im höheren Sinne („Metastruktur“‘) zukommt, eben das, was gemeinhin als „Organisation“ bezeichnet wird. In der Regel wird dieser Begriff einseitig morphologisch gefaßt, man muß sich aber wohl hüten dies so zu verstehen, als sei das Plasma gewissermaßen ein mechanisches Kunst- werk, und wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß auch sichtbare Strukturen zur Organisation des Plasmas gehören, so sind «doch un- sichtbare, chemische Differenzen ohne Zweifel von weit größerer Be- deutung. Das Plasma ist in erster Linie ein chemisch hetero- genes System. Der Chemismus einer lebenden Substanz hängt nicht allein von ihrer chemischen Zusammensetzung als Ganzes ab, sondern wird auch von ihrer „Organisation“ ganz wesentlich beeinflußt, ja man kann viel- leicht sagen bestimmt. Man braucht sich da nur an die Tatsache zu erinnern, das Plasma, welches dem Einfluß des zugehörigen Kernes ent- zogen wird, unfehlbar abstirbt und ferner, daß es in einem und dem- selber Plasmakörper funktionell, d. h. in bezug auf ihren Chemismus, verschiedene Teile gibt (verschiedene Granula, Chlorophylikörner, Stärkebilder usw). Denken wir uns einen Zellkörper außer dem Kern ganz frei von jeglichen sichtbaren plasmafremden (toten) und plasma- eigenen (lebendigen) Einschlüssen und Differenzierungen, so könnte man zwar vom rein morphologischen Standpunkte aus von Homogenität sprechen, nichts berechtigt aber, eine solche auch in Hinsicht der che- mischen Zusammensetzung und demgemäß der funktionellen Leistungen Flora. Bd. 111, 36 562 W. Biedermann, vorauszusetzen. Im Gegenteil spricht alles dafür, daß zu jeder Zeit das chemische Geschehen an verschiedenen Orten einer solchen anscheinend gleichartigen Plasmamasse verschieden ist, was naturgemäß wieder ent- sprechend lokalisierte chemische Differenzen des Substrates zur Vor- aussetzung hat. Schon 1893 hat R.H. Chittenden‘) mit Nachdruck dar- auf hingewiesen, daß vom chemischen Gesichtspunkte aus die Zelle keineswegs als die letzte Struktureinheit gelten kann: „Die Physiologen waren gewohnt, in der Zelle die Einheit der variablen Formen des Organismus zu sehen, welche der Sitz der vielen verschiedenen chemischen Prozesse ist, die für das Gewebe des be- treffenden Individuums charakteristisch sind. Ich glaube, wir haben allen Grund an die Existenz letzter Teilchen der belebten Materie zu glauben, welche die wahren Einheiten des Organismus sind. Sie sind vielleicht morphologisch nicht erkennbar, aber nichtdestoweniger existieren sie doch als individuelle Glieder in der Kette der Moleküle, aus denen das lebende Plasma zusammengesetzt ist. Auch Quincke (Nature, Bd. XLIX, pag. 6) drückt sich in dieser Beziehung sehr deutlich aus: „Die Biologie muß wohl oder übel mit der Tatsache rechnen, daß die Entwicklung der Zelle und das Leben der organischen Natur abhängig ist von Massen und Lagebeziehungen, die mit dem Mikroskop allein nicht erkannt werden können“. In geistvoller Weise hat dann Hof- meister?) an dem Beispiel der Leberzelle gezeigt, daß es, um die manig- faltigen chemischen Leistungen derselben zu verstehen, notwendig ist, einen komplizierten Bau und eine chemische Ungleichwertigkeit des Plasmas anzunehmen. Es wäre sonst „schwer verständlich, daß im Plasma nebeneinander ganz verschiedene, zum Teil chemisch entgegengesetzt verlaufende Prozesse, Hydrierung und Wasserentziehung, Oxydations- und Reduktionsvorgänge ohne Störung verlaufen können. Sodann aber würden wir bei Annahme eines einzigen gleichartigen Reaktionsraumes in der Zelle auf eine sehr wichtige Erklärungsmöglichkeit verzichten. Im Protoplasma erfolgt Aufbau und Abbau verschiedener Stoffe durch eine Reihe von Zwischenstufen, wobei keineswegs immer dieselbe Art der chemischen Reaktion, sondern zumeist eine Reihe von verschieden- artigen Reaktionen zur Geltung kommt, Diese müssen aber in einer bestimmten Reihenfolge vor sich gehen, was wieder getrennte Arbeit der einzelnen chemischen Agentien und eine bestimmte Bewegungs- richtung der gebildeten Produkte, kurz eine chemische Organisation 1) Amerie. Naturalist., Vol. XXVIIL . 97 ff. und Biel. Zentralbi. 189 Bd. XIV, pag. 320. Pe ee “ 2) Die chemische Organisation der Zelle 1901. arm nn 7 er are nn un. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 563 voraussetzt, die sich mit der Vorstellung einer ubiquitären Gleichwertig- keit des Plasmas durchaus nicht verträgt, dafür aber die Promptheit und Sicherheit, mit der es fungiert, um so verständlicher macht.“ Ursprünglich war Hofmeister der Meinung, daß die räumliche Trennung der chemischen Prozesse das Plasma sich am besten aus der Schaumstruktur desselben erklären lasse unter der Voraussetzung, „daß die Wandungen des Reaktionsraumes gegen die jeweilig darin stattfindende Reaktion relativ widerstandsfähig seien, daß sie z. B. dort, wo Oxydationen stattfinden, für die betreffende Oxydase, wo Eiweiß- spaltung stattfindet, für das proteolytische Ferment vergleichsweise un- angreifbar sind“. Später näherte er sich mehr der Granulalehre Alt- mann’s, derzufolge das Plasma als eine morphologisch und physiologisch zusammengesetzte Bildung aufzufassen sei, nämlich als eine Kolonie elementarer Lebewesen („Bioblasten“), die bisweilen als „Granula“ erkennbar sind. Diesen schreibt er die Fähigkeit der Assimilation, des Wachstums und besonders auch der Selbstteilung zu. Sie sind außerdem nicht gleichartig, sondern spezifisch differenziert und können demgemäß verschiedene Funktionen übernehmen. Mithin könnten sich auf dem gegebenen Raume derselben Zelle verschiedene Funktionen in ihnen lokalisieren. In der Folge hat Altmann seine Lehre wesentlich modifiziert und legte nun das Hauptgewicht auf die „Intergranular- "substanz“, die „die kleinsten Granula enthalten soll, aus denen sich die größeren erst entwickeln. Auch A. Kanitz!) vertritt den Stand- punkt, daß „für das Zustandekommen der Lebensvorgänge der räumlich getrennteVerlaufder betreffenden chemischen Vorgänge eine unentbehr- liche Vorbedingung ist, und es hat daher die von vielen Morphologen so sehr betonte Bedeutung der konstanten Struktur (Organisation) auch einen tiefen biochemischen Sinn. Auch der Ausdruck „vital“, so unbestimmt er vielfach benutzt wird, bekommt dann einen Inhalt, indem als vital solche Vorgänge zu bezeichnen sind, welche durch Zer- trümmerung der Struktur, d. h. durch Zerstörung der räum- lichen Anordnung der ineinandergreifenden Reaktionssysteme unreproduzierbar werden“. So unbestritten die Annabme von Herden eines besonderen Chemismus innerhalb einer Zelle ist, wenn dieselben sichtbar, d. h. morphologisch differenziert sind, wie es beim Zellkern, den Centrosomen, den Chromatophoren und gewissen Granulis der Fall ist, so wenig scheint 1) Das Protoplasma als chemisches System. Handb. d. Bioch. von Oppen- heimer 1909, Bd. II. 36* 564 W. Biedermann, im allgemeinen Neigung zu bestehen, eine chemische Organisation (Zell- organe) auch in solchen Fällen anzuerkennen, wo sichtbare Strukturen fehlen und dennoch läßt sich eine solehe Annahme nicht wohl umgehen. Wenn man es mit Hofmeister für unerläßlich hält, überhaupt räumlich getrennte lokalisierte Stätten für die oft so zahlreichen und mannig- faltigen chemischen Leistungen einer Zelle vorauszusetzen, so bleibt schon mit Rücksicht auf die flüssige Beschaffenheit und die strömende Bewegung, die das Plasma so oft zeigt, kaum etwas Anderes übrig, als neben den sichtbaren Granulabildungen, deren Bedeutung als Stätten besonderen chemischen Geschehens in nicht wenigen Fällen als sicher gelten darf, auch unsichtbare ähnliche Gebilde — die darum nicht ultra- oder gar amikroskopisch zu sein brauchen — gewissermaßen als schwimmende kleine Laboratorien, um ein Wort von Berthold zu gebrauchen, anzunehmen. Wie Hofmeister!) rechnerisch nachweist, „gestattet das Protoplasma einer Zelle von mittlerer Größe die Unter- bringung einer Struktur, deren Kompliziertheit weit über das hinausgeht, was man auf Grund der anatomischen Tatsachen auch nur entfernt er- warten konnte“. ... „Es wäre ein Irrtum, dem flüssigen Plasma auf Grund seiner optischen Homogenität und seiner Beweglichkeit eine räumliche Organisation absprechen zu wollen. In ihm können Hundert- tausende, ja Millionen von solchen hochkompliziert gebauten Laboratorien suspendiert sein, deren Leistungen durch die Bewegungen des Plasmas ebensowenig beeinflußt zu sein brauchen, wie die in einem Schiff vor genommenen Arbeiten durch die jeweilige Fahrtrichtung.“ Das Ver- hältnis dieser physiologisch tätigen, elementaren Laboratorien zum Gesamtplasma wäre nach Hofmeister einigermaßen dem Verhältnis der Einzelzellen zum Gesamtorganismus der Metazoen zu- vergleichen. Damit wäre das Gesamtleben einer Zelle oder eines Teiles einer solehen in demselben Sinne die Resultierende der Lebenserscheinungen seiner Teils sichtbaren Teils unsichtbaren Konstituenten, wie das Leben eines vielzelligen Organismus das Resultat „des Zusammenwirkens der ihn aufbauenden „Elementarorganismen“ darstellt. Ich halte eine solche Auffassung der lebenden Substanz als einer Summe kleinster Teilchen, die jeweils den Sitz eines besonderen Chemismus bilden und unter- einander in einen korrelativen Verhältnis stehen, für überaus glücklich, denn sie gibt uns erst eine klare Vorstellung davon, daß auch das Zell- leben nicht einheitlich zu fassen ist, sondern schon in seiner einfachsten Form durch das Zusammenwirken einer großen Zahl an sich lebendiger, 1) Zeitschr. f. Morphol. u, Anthropologie 1914, Bd. XVIN, pag. 717. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Eloden. 565 d. h. mit Stoffwechsel begabter, heterogener Teilchen zustande kommt. von deren gegenseitiger Abhängigkeit man sich vielleicht am ehesten eine Vorstellung bilden kann, wenn man sich jener, namentlich bei niedersten Lebensformen nicht seltener Fälle erinnert, wo verschiedene Arten in ihrem Lebensgetriebe aufeinander angewiesen sind, indem sie Lebensgemeinschaften bilden und sich sozusagen gegenseitig in ihrer Existenz bedingen. Es handelt sich hier nicht etwa nur um rein theoretische Ab- straktionen nach Art der von verschiedenen Autoren mit verschiedenen Namen belegten kleinsten „Lebensteilchen“, sondern wenigstens zum Teil um leicht nachweisbare Zellorgane, wie sie uns beispielsweise in den Chromatophoren, Centrosomen und zahlreichen, funktionell ganz verschiedenen Granulis entgegentreten, wenngleich sicher die Überzahl solcher „Plasmadifferenziale“ sich wegen ihrer Kleinheit oder optischen Gleichartigkeit der direkten Beobachtung entziehen. In welchem Maße selbst kleinste Differenzierungen das Gesamtplasma zu beeinflussen vermögen, dafür dürften die „Zentren“ wohl das beste Beispiel geben. Hier handelt es sich zweifellos um eine winzige Masse spezifisch gearteter Substanz, die im lebenden Zustande völlig unsichtbar, sich doch durch geeignete Färbungsmethoden als chemisch different vom übrigen Plasma nicht minder scharf darstellen lassen, wie die im Ver- gleich dazu riesig großen Kerne. Nach M. Heidenhain sind die „Centriolen“ scharfumgrenzte solide Granula von sehr geringer Größe; er bezeichnet sie als „histologische Elementarkörper“, d. h. Gebilde, „die bei der mikroskopischen Zerlegung der lebenden Masse in letzter Linie unter bestimmter Form und Begrenzung erkennbar sind; ihre Komponenten sind nicht mehr histologischer, sondern metamikroskopischer Natur“. Sie besitzen die Fähigkeit zu assimilieren, zu wachsen und sich durch Teilung oder Knospung zu vermehren. Auf der anderen Seite sehen wir in den funktionell ganz verschiedenen Chlorophylikörpern vergleichsweise riesige Plasmadifferen:zierungen, welche wie die Centriolen assimilieren und wachsen und sich durch Teilung vermehren können, außerdem aber durch den Besitz eines besonderen Farbstoffes imstande sind mit Hilfe der Energie des Sonnenlichtes aus CO, und H,O organische Substanz (Zucker, Stärke) aufzubauen. Gerade sie liefern das beste Beispiel dafür, daß ganz bestimmte chemische Leistungen der Zelle an solche besondere, geformte Differenzierungen des Plasmas geknüpft sind, die ihre Funktion selbst dann noch auszuüben vermögen, wenn sie vom übrigen Plasmakörper ganz getrennt werden. Da wir nun in der Tat auch andersartige Plasmadifferenzierungen (Granula) kennen, welche 566 W. Biedermann, wenigstens während ihrer ersten Entwicklung sicher assimilieren und wachsen, und von denen es festgestellt ist, daß sie wie die Chlorophyll- körner Sitz eines besonderen, jeweils verschiedenen Chemismus sind und gewisse teils zur Ausscheidung bestimmte Sekretstoffe (Mucin, Fermente), teils Produkte metabolischer Sekretion (Fette, Glykogen usw.) erzeugen, so dürfte es wohl gestattet sein, alle derartigen Gebilde unter gemein- samen Gesichtspunkten zu betrachten und sie für Zellorgane zu halten, die sich aus kleinsten metamikroskopischen Teilchen des Plasmas ent- wiekeln und anfangs sicher lebendig sind. Es dürfen hier die von Benda zuerst dargestellten „Mitochondrien“ nicht vergessen werden, welche besonders bei der Spermiogenese eine wichtige Rolle spielen und vor allem viele der durch „Vitalfärbung“ darstellbaren Granula. Zwar hat M. Heidenhain gewisse Bedenken gegen deren Deutung als lebende Zellorgane geltend gemacht, indessen erscheint mir in diesem Falle die Skepsis zu weit getrieben. Soweit meine eigenen Erfahrungen an pflanzlichen Zellen reichen, über die an anderer Stelle berichtet werden soll, kann ich mich nur der Auffassung von A. Fischel!) anschließen, daß die vital darstellbaren Granula Elemente des lebenden Plasmas und daher „konstante, un- veränderliche Inhaltsgebilde* desselben sind. Ein noch kaum betretener, aber viel verheißender Weg zur Aufklärung der Natur des Plasmas ist auch in der ultramikroskopischen Untersuchung desselben gegeben. Nach Untersuchungen von Gaidukov?) gleicht die ultramikroskopische Struktur des Plasmas im allgemeinen der einer kolloidalen Lösung (eines Hydrosols), d. h. es lassen sich zahllose Teilchen (Plasma-Ultra- mikronen) unterscheiden, deren Größe und Form sehr verschieden ist (zwischen 100 und 5 pp) .. . . außer punktförmigen Teilchen sieht man längliche, biskuit- und achtförmige Bildungen. Wie es scheint, ver- mögen sie sich auch zu teilen. Ob es „optisch leeres“ Plasma gibt, muß vorläufig dahingestellt bleiben. Auch von seite der Pathologen hat die Granulalehre neuerdings anerkennende Würdigung gefunden. „Die Tatsachen der Granulabefunde, sagt Paul Ernst in einem Referat über die Bedeutung der Zellstrukturen für die Pathologie (Verh. d. D. Path. Ges. 1914), sind heute zu zahlreich und zu gesichert, als daß man achtlos an ihnen vorbeigehen oder sie als Produkte von Niederschlägen und Fällungen (A. Fischer) oder der tropfigen Entmischung (Albrecht) deuten könnte. Die Mehrzahl der Granula ist genügend gekennzeichnet, 1) Anatom. Hefte 1901, Bd.XVI und Encyklopädie d. mikr. Technik 1908, Bd. 1. 2) Ber. d. D. Bot. Gesellsch. 1906, Bd. XXIV. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea, 567 um sie als ständige, wesentliche und integrierende Bestandteile des Plasmas anzuerkennen. Ihre Konstanz, Regelmäßigkeit des Vorkommens, der Anordnung, der Größe, ihre Präexistenz im frischen, lebenden Objekte, ihre Nachweisbarkeit im Dunkelfeld und Ultramikroskop, ihre sukzessive Färbarkeit aus ungefärbten, aber im Mikroskop sichtbaren Vorstufen ... alle diese Eigenschaften lassen sie als wichtige und wesentliche Bauelemente der Zelle erscheinen.“ Die wichtigste Seite der Granula ist nach P. Ernst ihre funktionelle Betätigung: „Sie dienen der Resorption, der Assimilation und Dissimilation, der Metathese und Synthese, der Speicherung, der äußeren und inneren Sekretion. Nach den Phasen dieser Leistungen wechselt die Erscheinung der Fadenkörner und Körnerfäden nach Struktur, Architektur und Funktionszustand. Sie sind kleine Werkzeuge, Organula, Organellen der Zelle, die Träger wichtiger Stoffwechselvorgänge. Diese Tätigkeit der zugrunde liegenden Elemente, der ‚Plasmosomen‘ bei der Um- setzung von Farbstoffen, Fetten, Glykogen, Eisen, Pigmenten, Kolloid, Mucin, Eiweiß, Kalk wird dadurch offenbar, daß sie nach Entfernung der sie befrachtenden Stoffe (z. B. Glykogen durch Speichel) als Träger- substanz, als Substrat als Anlage wieder zum Vorschein kommen.“ Wenn wir nun sehen, daß so völlig verschiedene chemische Pro- zesse, wie C-Assimilation, Fett- und Mucinbildung, Entstehung von Giften und Pigmenten, Cellulose- und Kalkausscheidung, sowie vor allem die Entstehung der verschiedensten Fermente auf der Basis granulärer Gebilde erfolgt, so scheint es wohl kaum allzukühn, ganz allgemein individualisierte Plasmateilchen als chemische Werkstätten der lebenden Zeile vorauszusetzen, auch wenn wir sie nicht unmittelbar sichtbar machen können. Es würde dann der sichtbar granuläre Zustand der Plasmas nicht nur, wie auch M. Heidenhain annimmt, für Drüsen- zellen „ein in gewisser Hinsicht vergröbertes Abbild der metamikro- skopischen Struktur“ darstellen, sondern eine solche wäre ganz im Sinne von Altmann eine allgemeine Eigenschaft jeder lebenden Substanz. Wenngleich die in Rede stehenden, chemisch verschiedenen, kleinsten lebenden Plasmateilchen im allgemeinen als fest werden gelten müssen, so gehört doch zur Organisation des Plasmas unter allen Umständen Wasser, welches meist so reichlich darin enthalten ist, daß die lebende Masse alle wesentlichen Eigenschaften einer Flüssigkeit darbietet. Aber auch in dieser Beziehung besteht keineswegs Gleichartigkeit im Bereiche eines und desselben Plasmakörpers (Ekto- und Entoplasma}, und gar nicht selten sieht man den Aggregatzustand einer Plasmapartie in kürzester Frist wechseln, indem strömendes Plasma vorübergehend 568 W. Biedermann, erstarrt und umgekehrt festes wieder flüssig wird. Dem äußeren Ver- halten nach steht das Plasma durchschnittlich zwischen einem Sol (d.h. einer räumlich gleichmäßig beschaffenen kolloidalen Lösung), einer Gallerte (d. h. einer gleichmäßigen Verteilung gequollener Kolloid- teilchen mit Behinderung der Beweglichkeit des Wassers zwischen diesen) und einem Gel (einer räumlich ungleichmäßig beschaffenen kolloidalen Lösung). Infolge der niemals ganz fehlenden physikalischen Heterogenität erinnert das Plasma an ein Gel oder noch eher an eine Kombination von Sol, Gallerte, und Gel. Es muß das größte Gewicht darauf gelegt werden, daß das Wasser jeder lebenden Substanz darin als Quellungswasser enthalten ist und daß daher auch alle teils dauernden, teils vorübergehenden Änderungen des Wassergehaltes auf Quellung resp. Entquellung zurückzuführen sind, während osmotische Prozesse nur dann eine größere Bedeutung gewinnen. wenn es zu örtlicher Ansammlung von Wasser in Vakuolen kommt. Ich stimme W. Ostwald vollkommen zu, wenn er sagt, „daß neben oder richtiger über dem osmotischen Druck ganz andere Kräfte den Wassergehalt des Organismus bestimmen. Es sind nicht die osmotisch wirksamen molekulardispersen Bestandteile einer Zelle, also speziell die Salze, sondern vielmehr die Plasmakolloide, die für den Wassergehalt und seine Änderungen in erster Linie verantwortlich erscheinen“. Die Beziehungen zwischen dem Chemismus des Plasmas und seinen physikal-chemischen Eigenschaften, speziell seinem Quellungs- zustand, sind sehr nahe, und man braucht sich nur des so sehr auf- fallenden Einflusses zu erinnern, welchen selbst kleinste Mengen von Säuren auf die Quellung ausüben, um dies einzusehen. Selbstverständ- lich wird das in einer Plasmamasse enthaltene Wasser immer auch Salze sowie organische Substanzen (Eiweißkörper, Kohlehydrate, Säuren usw.) gelöst enthalten. Vielfach kommt es, abgesehen von dem flüssigen Inhalt etwaiger Schaumwaben, zur Bildung kleiner und größerer „Va- kuolen“, welche in manchen Fällen den Wert von Zellorganen er- langen, wenn sie, wie z. B. die Verdauungsvakuolen der Protisten, der Sitz bestimmter chemischer Vorgänge werden. Es scheint derartiges sogar sehr häufig vorzukommen, auch wenn man von der oben er- wähnten Anschauung Hofmeister’s absieht, wonach in benachbarten Schaumwaben sich ganz verschiedene chemische Prozesse abspielen können. Wenn man die hier vorgetragene Auffassung vom Bau einer lebenden Substanz gelten. läßt, so wird ohne weiteres klar, daß von einer makrochemischen Untersuchung des Plasmas nur in einem Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 569 sehr beschränkten Sinn die Rede sein kann und daß der Mikro- chemie hier eine wichtige Rolle zukommt. Denn offenbar kommt es in erster Linie auf die räunliche Verteilung der einzeinen Plasma- bestandteile an und es ist, wie A. Kanitz sich drastisch ausdrückt, mit dem Nachweis des allgemeinen Vorkommens eines Stoffes als Zell- bestandteil kaum mehr anzufangen, als mit der Aussage, die man er- langt, wenn man hochorganisierte Wesen mit Haut und Haar zerkleinert und die aus dem erhaltenen Gemenge isolierten Stoffe als all- gemeine Körperbestandteile bezeichnet. So haben denn auch alle der- artigen Versuche bisher im Grunde genommen recht wenig fördernd gewirkt. Dies gilt beispielsweise auch von den viel zitierten Unter- suchungen von Reinke und Rhodewald über die Zusammensetzung des Plasmodiums von Aethalium, wenn man nicht die Aufstellung des „Plastin“-Begriffes als einen solehen Fortschritt gelten lassen will. Nach Auspressen der frischen Plasmamassen blieb als Rückstand eine feste Substanz, welche in der Hauptsache aus einem P-haltigen Proteld bestand, für welches die genannten Autoren den Namen Plastin vor- schlugen. Auf Iufttrockene Substanz berechnet, würde dieser Körper etwa 30% des ganzen Plasmodiums ausmachen. Reinke fand einen auffallend geringen N-Gehalt (12%); in verdünnten Säuren und Alkalien ist das Plastin unlöslich und wird, wie Nuklein, vom Magensaft nicht angegriffen. Über die eigentliche chemische Natur dieser sehr frag- würdigen Substanz liegen vorläufig irgendwelche zuverlässige Angaben nicht vor. ©. Löw (Bot. Zeitung 1884) nennt das Plastin einen „ver- unreinigten Eiweißkörper“ und will aus demselben durch Behandlung mit Kalilauge Substanzen erhalten haben, welche Eiweißreaktionen geben. Reinke dagegen bezeichnet es als einen „einheitlichen, mole- kular zusammenhängenden Atomkomplex, der allerdings nicht absolut, aber doch in ähnlichem Grade rein erhalten werde, wie alle bisher analysierten Nukleinpräparate“. Der Begriff Nuklein war zu jener Zeit noch wenig scharf umschrieben, so daß ein solcher Vergleich vorläufig jeder sicheren Grundlage entbehrt. Das gleiche gilt auch von einigen anderen Eiweißstoffen, welche Reinke und Rhodewald aus dem Plasmodium isoliert haben wollen. Auf Grund mikrochemischer Reaktionen, insbesondere künstlicher Magenverdauung haben auch Zacharias und Frank Schwarz das Vorkommen desselben Körpers sowohl im Kern, wie auch im Plasma von Pflanzenzellen behauptet und der letztgenannte Autor vertritt sogar die Ansicht, daß das Plastin der einzige darin nach- weisbare Proteinstoff sei. Wie sich die ganze Frage auch weiterhin 570 W. Biedermann, gestalten mag, das eine scheint jedenfalls sicher zu sein, daß der plas- matische Zellinhalt wenigstens bei Pflanzen genuine Eiweißkörper : (Albumine, Globuline), wenn überhaupt, immer nur in sehr geringer Menge enthält. Darauf weist auch der Umstand hin, daß gewisse Farbenreaktionen, welche derartige Eiweißstoffe unter allen Umständen geben, beim Protoplasma durchaus nicht immer Erfolg haben. Za- charias macht in dieser Beziehung auf das Verhalten pflanzlichen Plasmas gegen eine seinerzeit von Hartig (Bot. Zeitung 1854) emp- fohlene Färbungsmethode aufmerksam. Bekanntlich bringt Ferrocyan- kalium in mit Essigsäure angesäuerten Eiweißlösungen einen weißen flockigen Niederschlag hervor. Mit Alkohol konnte Zacharias einen solchen aus Eiereiweiß erhaltenen Niederschlag soweit auswaschen, daß die Waschflüssigkeit mit Eisenchlorid sich nicht mehr bläute, wohl aber färbte sich nun der ausgewaschene Niederschlag intensiv blau. Man wird demnach in einer Zelle bei entsprechendem Verfahren dort Blau- färbung erhalten, wo sich Blutlaugensalz-Eiweißverbindungen gebildet haben. Bleibt die Färbung aus, so wird man annehmen dürfen, daß Eiweißkörper, welche mit Ferrocyankalium Niederschläge geben, in dem untersuchten Objekt nicht in nachweisbarer Menge enthalten sind. Die zu untersuchenden Objekte werden zu diesem Zweck in eine essigsaure Lösung von Ferrocyankalium gebracht, nach einstündigem Liegen in der Lösung mit Alkohol von 60%, ausgewaschen und schließlich in eine verdünnte Lösung von Eisenchlorid übertragen. Das Plasma „älterer Pflanzenzellen bleibt bei diesem Verfahren farblos, während sich Stärkebildner, Chlorophylikörner und Kerne blau färben. C. Sachs (Flora 1862, pag. 290 und 297) bediente sich der Biuret- reaktion und konnte Violettfärbung nur in den Kotyledonen, dem Endosperm und dem Urmeristem der Knospen und Wurzelspitzen, so- wie im Siebteil des Phloöms konstatieren. Bei der Streckung der Parenchymzelien verschwindet die Reaktion. Ob man berechtigt ist, hieraus den Schluß zu ziehen, „daß in den erwachsenen Zellen sowohl Protoplasma wie Zellsaft keinen Proteinstoff vom Cha- rakter der Albumine oder Globuline enthalten, sondern nur Plastin“, dürfte bei dem sehr unbestimmten Charakter dieses Stoffes noch sehr fraglich sein. Daß wohl charakterisierte Globuline in Pflanzengeweben vorkommen, ist seit lange bekannt, freilich beziehen sich die betreffenden Beobachtungen mehr auf das Reserveeiweiß von Samen und Wurzeln, welches zwar Produkt, nicht aber integrierender Bestandteile des Plasmas ist und bekanntlich sehr oft in kristallinischer Form abgelagert wird. Indessen hat schon Hoppe-Seyler Globuline auch aus Knospen Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 571 und jungen Trieben gewonnen, wie er denn überhaupt der Ansicht war, daß Globuline und Vitelline Bestandteile jedes Plasmas sind. Das dürfte ja wohl auch zutreffen, wenn man an den „Zellsaft“ im obigen Sinne des Wortes denkt. Daß aber das Protoplasma selbst einfache Proteine, wenn überhaupt, nur in ganz geringen Mengen enthält, darf schon auf Grund der Löslichkeitsverhältnisse in Wasser und Salzlösungen gefolgert werden. Nach Danilewsky sollte allerdings das anscheinend homogene Hyalinplasma lediglich aus verschiedenen Globulinen bestehen (Globulinprotoplasma), während die festeren Anteile des Zellkörpers, das sogenannte Stroma, aus P-haltigen Eiweißkörpern bestehen sollte. Es ist überhaupt bemerkenswert, daß in früherer Zeit die Ansicht durchaus herrschend war, das Protoplasma sei hauptsächlich aus Glo- bulinen zusammengesetzt, nachdem es an Albuminen stets so arm gefunden wurde. Hammarsten hat meines Wissens zuerst mit Nachdruck betont, daß die Hauptmasse der Proteinsubstanzen des Plasmas nicht aus Ei- weißstoffen im gewöhnlichen Sinne, sondern aus Eiweißverbindungen (Proteiden) besteht, welche Phosphor enthalten, während Albumine und Globuline wesentlich nur als Nährmittel und Reservestoffe dienen (Pflüger’s Arch, Bd.XXXVI, pag. 449). Halliburton (Lehrb. d. phy- siol. ‘u. pathol. Chem. pag. 273), welcher Leukozyten mikrochemisch untersuchte, konnte in denselben außer einem mit Serumalbumin viel- leicht identischen Albuminkörper, zwei durch Koagulationstemperatur unterschiedene Globuline nachweisen. Den Hauptbestandteil des Plasmas scheint aber auch hier eine dem „Plastin“ ähnliche Eiweiß- verbindung zu bilden. Nach Halliburton handelt es sich um einen mueinäbnlichen Körper, der in 5—10 %iger NaCl- oder MgSO,-Lösung aufquillt und sich beim Eingießen in Wasser in Fäden ausscheidet, die die sich bald zusammenziehen und an der Oberfläche flottieren. Beim Verbrennen bleibt eine P-reiche Asche und bei Behandlung mit Magen- saft ein unlöslicher Rückstand vom Charakter der Nukleine. Es ist selbstverständlich, daß bei einer makrochemischen Analyse von Leuko- zyten die „Kernstoffe* eine sehr bedeutende, wenn nicht die ausschlag- gebende Rolle spielen werden. Schüttelt man Leukozyten (oder auch feinzerhackte Thymusdrüse) mit Wasser, so geht ein Körper in Lösung, der die Hauptmasse des Leukozytenkernes ausmacht, das „Nukleohiston“ Lilienfeld’s (Z. f. physiol. Chem., Bd. XVIIE, pag. 473), welches aus dem Wasserextrakt durch Essigsäure gefüllt werden kann. Wie sehr dieses „Kerneiweiß“ überwiegt, ergibt sich sehr klar aus der Gesamt- analyse der aus der Thymusdrüse isolierten Leukozyten, die wir 572 W. Biedermann, Lilienfeld verdanken. Hier tritt die ungeheure Menge von Nuk- leohiston und die verschwindend kleine Menge der Eiweißkörper geradezu frappant hervor. Außerordentlich detaillierte Angaben über die mikrochemische Zusammensetzung von Plasma und Kern auf Grund farbenanalytischer Untersuchungen hat neuerdings Unna!) gemacht. Wenn man diese Arbeiten liest, so hönnte man glauben, es sei das, was eingangs als erstrebenswertes Ziel mikrochemischer Untersuchungs- methoden bezeichnet wurde, bereits im weitesten Umfange erreicht. So beschreibt er als Bestandteile von Amoebe limax nicht weniger als sechs vers@hiedene Eiweißkörper, „welche sich vermöge ihrer ab- weichenden Färbungs- und Lösungseigenschaften unterscheiden lassen und in verschiedenen Kombinationen die einzelnen Abschnitte des Amoebenleibes zusammensetzen“. Bei aller Anerkennung des großen Wertes und auch der großen Erfolge der Anwendung basischer und saurer Farbstoffe für die Mikrochemie der Zelle, bin ich doch der Meinung, daß bei der gegenwärtigen Sachlage, wo noch immer in jedem einzelnen Falle genau festzustellen bleibt, inwieweit das färberische Ergebnis chemisch oder physikalisch bedingt ist, die größte Skepsis wohl am Platze ist. Jedenfalls bedarf es eingehender eigener Studien, ehe man zu Unna’s Ergebnissen Stellung nehmen könnte. Was nun meine eigenen vorliegenden Beobachtungen betrifft, so möchte ich sie für nichts Anderes angesehen wissen, als einen kleinen Beitrag zur Mikrochemie des Plasmas, wobei es mir nur darauf ankam, die wesentlichsten chemischen Eigenschaften des pflanzlichen Gesamtplasmas in einem möglichst einfachen Fall festzustellen, denn ich halte eine solche Vorarbeit für die unerläßliche Grundlage einer genaueren Analyse. Ich wählte schließlich als bestgeeignetes Objekt die nicht kutikularisierten, nur aus zwei Zellschichten bestehenden Blätter von Elodea-Arten (vor allem E. densa), die genügend durchsichtig sind, um ohne weiteres brauchbar zu sein, deren Plasma, abgesehen von den Chlorophylikörnern, so gut wie ganz frei ist von plasimafrenıden Einschlüssen und daher an und für sich durchsichtig und hyalin erscheint. Die Zellen der Blattoberseite — ich will sie im folgenden einfach Oberzellen nennen — sind immer viel größer als die „Unterzellen“. Die Elemente beider Schiehten sind in der Längsrichtung des Blattes gestreckt und im allgemeinen rechteckig; sie enthalten mehr oder weniger zahlreiche runde flachscheibenförmige . ww; Zur Chemie der Zelle Berliner klin. Wochenschr. 1913 u, 14. Zur Chemie der Amöben. Zentratbl. f. Bakt. 1917, 1. Abt, Bd. LXXX. Mikrochemische Beobachtangen an den Blattzellen von Elodea. 573 Chlorophylikörner, welche normalerweise wandständig im Plasma ein- gebettet liegen und mit diesem bei der bekannten Rotationsbewegung langsam herumgeführt werden. Das ganze Innere des Plasmaschlauches, der nur eine verhältnismäßig dünne Wandschicht bildet, wird von Zell- saft ausgefüllt, der demnach den weitaus größten Teil des Zellinhaltes ausmacht und bisweilen, namentlich bei manchen Arten, in der Mittel- rippe und in deren nächster Nachbarschaft purpurrot gefärbt erscheint. Da das Plasma, wie schon erwähnt, nicht wie etwa bei Nitella durch zahlreiche „Mikrosomen“ getrübt wird, so ist es in der lebenden Zelle als solches kaum zu erkennen und nur, wo die Chlorophylikörner spär- licher sind, sieht man es gelegentlich als dünnen Wandbelag. Man wähle daher auch nach Möglichkeit Exemplare ınit hellgrünen Blättern, da anderenfalls die Chlorophylikörper fast alles verdecken. Unter allen Umständen erscheint es zweckmäßig, eine wenigstens teilweise Trennung des Plasmas von den Chlorophyllkörnern herbeizuführen. Dies läßt sich in einfachster und schonender Weise durch Plasmolyse erreichen. Bringt man Elodeablätter in eine Kochsalzlösung von ent- sprechender Konzentration, so tritt bei der sich rasch entwickelnden Plasmolyse immer eine sehr regelmäßige Sonderung des Zellinhaltes ein, indem sich die Chlorophyllkörner in der Mitte der Zelle rings um den Kern zu einer kugeligen oder etwas länglichen Masse gruppieren, die auclı einen großen Teil des zäbflüssigen Wandplasmas enthält, welches die dicht zusammengedrängten Chlorophylikörner allseitig umgibt (Fig. 1). Im Zentrum des ganzen Ballens erkennt man oft sehr deutlich den Kern mit seinem stark licht- brechenden Kernkörperehen als hellen farblosen Fleck. Nur ganz vereinzelt ist das eine oder andere Chlorophyli- korn dieser „Agglutination“ entgangen und liegt dann außerhalb des zentralen Klumpens in dem umgebenden . Zellsaft. Wenn man die Plasmolyse von Anfang an unter Tel Inter. dem Mikroskop verfolgt, so sieht man, daß sich das farb- plasmolysiert. lose ganz homogene und durehsichtige Plasma, welches ur- sprünglich nur einen Wandbeleg bildet, in verzweigten anastomosierenden Fäden anordnet, welche nun das Innere der Vakuole (den Zellsaft) durchziehen, ähnlich wie etwa bei einer Tradescantiazelle; auch bemerkt man, wie hier, Strömungserscheinungen, durch welche die Chlorophylikörner, sowie andere kleinere Körnchen, die sich etwa im Zellsaft finden, allmählich dem zentral gelegenen Kern zugeführt. werden und sich um denselben gruppieren. Es würde sich wohl verlohnen, 574 W. Biedermann, diese unter ganz anderen Bedingungen erfolgenden Strömungserschei- nungen einer genaueren Analyse zu unterziehen. Nach vollendeter Plasmolyse bietet eine solche Elodeazelle ein sehr charakteristisches Bild dar (Fig. 1). Der Zellsaft erfüllt dann einen eiförmigen Raum, in dessen Mitte der Chlorophyliballen liegt; die Wand der Vakuole wird offenbar von einer dünnen, durchsichtigen Plasmahaut gebildet, die sich von den beiden Enden der Zelle abgelöst hat und nur noch in den mittleren Partien der Cellulosemembran anliegt. Der noch übrige Raum ist von der eingedrungenen Salzlösung erfüllt. Wir haben es also zu tun mit einer großen, zentralen Zellsaftvakuole, die das sämtliche Chlorophyll nebst den zäheren Anteilen des ursprüng- lich wandständigen Plasmas umschließt, während der Rest desselben die „Vakuolenhaut“ bildet. Der Inhalt der Vakuole erscheint ganz klar und durchsichtig oder man sieht in demselben kleine ziemlich stark lichtbrechende Körnehen oder Stäbchen, die Brown’sche Molekularbewegung erkennen lassen und oft ganz deutlich als Kriställchen charakterisiert sind. Sie finden sich namentlich in den Oberzellen oft in großer Menge und bilden dann, da sie sich infolge ihrer Schwere senken, eine Bodenschicht, die erst bei tiefer Einstellung an der der Unterseite des Blattes zugewendeten Fläche der Zellen sichtbar wird. Haben sie Stäbchenform, so machen sie oft täuschend den Eindruck von Bakterien. So stellt sich das Bild der plasmelysierten Zellen, das besonders zierlich bei solchen mit rotem Zeilsaft erscheint, nach etwa 3—4 Stunden kig. 2. Oberzelle dar; läßt man die Einwirkung der Salzlösung länger plasmolysiertund dauern, so tritt meist wieder eine Lockerung der zen- dann In Glyzerin tralen Chlorophyllkörnergruppe ein und zugleich ballen Kleine Kristall- sich die Kriställcken zu einem Haufenwerk, welches nadeln und Okta- nun in der Nachbarschaft des Zentralkörpers liegt; auch oxalat. bilden sich vielfach im Zeilsaft größere, stark licht- breehende Kristalle, die, wenn sie gut entwickelt sind, die Form von Okta&dern zeigen, sie sind einfach brechend und lösen sich wie die Nädelchen in HC] ohne Gasentwicklung. Am zahlreichsten und am schönsten entwickelt finden sich die großen Kristalle, wenn die Blätter tagelang in der plasmolysierenden NaCl-Lösung liegen bleiben, wobei die schön grüne Farbe des Chlorophylis völlig erhalten bleibt. Dann erkennt man in jeder der Oberzellen ein dichtes Haufenwerk kleiner Nädelchen und dazwischen gelagert oft prachtvoll entwickelte Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 575 Oktaöder von Kalkoxalat (Fig. 2). Daß es sich um solches handelt, geht vor allem aus dem Verhalten gegen H,SO, hervor. Bringt man auf ein Blattstückchen einen Tropfen starker Schwefelsäure (1:1 Wasser), so entstehen sehr bald sowohl im Inneren der Zellen wie an deren Außenseite massenhaft Nadeln und Prismen von Gips. Eine Bemerkung muß noch bezüglich der Stärkeeinschlüsse der Chlorophylikörper gemacht werden. Es finden sich diese keineswegs gleichmäßig in allen Zeilen eines Blattes verbreitet, auch sind sie der Größe nach sehr verschieden. Im allgemeinen nimmt der Stärkegehalt von der Basis nach der Spitze hin ab; an jener und in den Zellen der Mittelrippe finden sich die größten, in der Blattspitze die kleinsten Stärkekörner. Hier fehlen sie auch in ganz normalen, sattgrünen Blättern manchen Zellen gänzlich; in der Regel nimmt die Größe der Stärkeeinschlüsse — jedes Chlorophylikorn enthält gewöhnlich nur ein Stärkekörnchen — auch von der Mittelrippe nach dem Außenrande des Blattes hin ab. \ Wenn man plasmolysierte Elodeablätter kurze Zeit kocht, so findet man’ nachher, daß die Vakuole ihre regelmäßige Kiform verloren hat und nun den Zellraum wieder fast ganz ausfülit, neben den Kriställchen hat sich ein ziemlich reichliches, teils feinkörniges, teils fädiges Ge- rinnsel abgeschieden zum Beweis, daß der Zelisaft gelöstes Eiweiß enthielt, welches beim Erhitzen koa- guliert. Besser gelingt. 'es, das Bild der plasmolysierten Zellen wenigstens angenähert zu fixieren, wenn man der Kochsalzlösung etwas Chromsäure zusetzt, Auch dann kommt es zur Bildung eines körnigfädigen Nieder- schlages im Zellsaft, es bleibt aber die Form des zen- tralen Chlorophyllballens unverändert, nur nehmen die einzelnen Körner allmählich eine bräunliche Farbe an; die Vakuolenwand erscheint nicht mehr glatt begrenzt, Kig. 8. Unter- sondern unregelmäßig wellig, wie geschrumpft, so daB zelle plasmoly- nun beiderseits von dem Ballen ein gelblich gefürbter, siert, mit ver- , x dünnter Chrom- mehr oder weniger gefalteter röhriger Fortsatz nach „aurebehandelt. den Polen der Zelle verläuft, ohne dieselben ganz zu erreichen (Fig. 3). Bei den großen Zeilen der Oberseite kommt es nicht selten vor, daß der Chlorophyliballen nach dem einen oder anderen Ende der Zelle verschoben liegt, dann bildet der Rest des Plasmas (die Vakuolenhaut) natürlich eine nur einseitig gerichtete Verlängerung desselben. W. Biedermann, 576 Sehr bemerkenswerte Resultate liefert die Behandlung mit Alkohol. Bringt man ein Elodeablatt, welches 3-4 Stunden plas- molysiert wurde, direkt in absoluten Alkohol, so bleibt es zunächst grün, ja die Farbe erscheint sogar noch wesentlich gesättigter, indem, wie die mikroskopische Untersuchung zeigt, der Clorophyilfarbstoff sich sehr bald von den Körnern trennt. und nun den ganzen Zellinhalt als intensiv grüne Lösung erfüllt; erst nach vielen Stunden diffundiert der Farbstoff ganz allmählich in den umgebenden Alkohol. Zu gleicher Zeit treten nun im Zellsaft sowohl wie in der außerhalb der Vakuole befindlichen Flüssigkeit in großer Zahl rundliche oder unregelmäßig gestaltete, stark lichtbrechende farblose oder blaßgrünliche Körperchen auf, die den durch Chromsäure ausgefällten Körn- chen sehr ähnlich sehen, mit diesen aber keineswegs identisch sind. Läßt man zu einem solchen Präparat vom Rande her vorsichtig Wasser zutreten, so lösen sich jene Körperchen sofort auf, wobei aus den größeren zwei bis drei grünlich ge- färbte Tröpfchen entstehen, die meist durch eine blaßgrünliche Substanz als Rest des ursprünglichen Körnehens mit- ein ander verklebt bleiben, man findet daher dann die Tröpfchen allenthalben a [2 Fig. 4. a Oberzeile plasmolysiert, dann absol. Alkohol; bei Wasser- zusatz entstehen kleinsteTröpfchen, die sich mit Osmium schwärzen. 5 Öberzelle (nicht plasmolysiert) von einem frisch in Alkohol ge- legten Blatt. Ausscheidung von mit Osmium geschwärzten Tröpf- chen, zwischen den entfärbten Chloroplasten bei Verdunstung des eingebettet in solche blaßgrüne Flöckchen, die in kleineren und größeren Gruppen das ganze Innere einer solchen Zelle durch- setzen und so den Eindruck eines flockigen Der Alkobols. Niederschlages machen (Fig. 4a). Farbenton des Blattes wird dabei schmutziggrün und blaßt nach einiger Zeit ganz ab. Bringt man ein solcher Art vorbehandeltes Präparat in 1%ige Osminmsäure, so bleiben die Tröpfchen vollkommen erhalten, färben sich aber tiefschwarz wie Fett. Nach entsprechender Aufhellung in Glyzerin sieht man, daß die Tröpfchen auch den zentralen Clloro- pbyliballen durchsetzen. Behandelt man frische, nicht plasmolysierte Blätter direkt mit Alkohol, so kommt es nicht zur Ausfällung jener stark lichtbrechenden Körperchen und daher auch nicht zur Bildung der Tröpfchen bei nachfolgendem Wasserzusatz. Man kann also wohl annehmen, daß durch die Kochsalzlösung aus den Clorophylikörnern Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 577 oder aus dem Plasma oder aus beiden eine Substanz herausgelöst wird, die wie ein Eiweißkörper durch Alkohol gefällt wird und der Chloro- Phylifarbstoff anbaftet. Durch Wasser tritt eine Spaltung ein, wobei sich grünliche Tröpfchen ausscheiden, die sich mit Osmium schwärzen, während eine zartflockige Masse zurückbleibt. Bringt man ein frisches, nicht plasmolysiertes Blatt in absoluten Alkohol und läßt, sobald der Zellinhalt tiefgrün gefärbt ist, unter dem Deckglas bei niederer Tem- peratur langsam eintrocknen, so sieht man. zunächst zwischen den ent- färbten Chlorophylikörnern äußerst kleine Tröpfehen auftreten, dann entstehen ziemlich plötzlich und gleichzeitig in allen Zellen größere Tröpfchen von deutlich grüner Farbe, die in größter Regelmäßigkeit zwischen den Chlorophylikörnern angeordnet liegen. Wird das Präparat dann rasch in 1%ige Osmiumsäure gebracht, so färben sich die Tropfen alsbald tiefschwarz (Fig. 42). Beobachtet man die Wirkung des Alko- hols auf plasmolysierte Elodeablätter direkt unter dem Mikroskop, so gelingt es sehr oft, das Austreten intensiv grüner Tropfen am Rande und an der Oberfläche der Ballen zu sehen, bevor noch die letzteren ihren Farbstoff an die umgebende Flüssigkeit ab- gegeben haben. Die Substanz dieser Tropfen ist sehr zähflüssig oder weich, denn man sieht sie oft durch einen Fortsatz an den Ballen geheftet. Sehr interessante Bilder erhält man, wenn man die Blätter nach etwa vierstündiger Plasmolyse in Alkohol über- trägt und bevor noch der Farbstoff ganz gelöst ist (etwa nach !/,—1/, Stunde) Gly- zerin zusetzt. Nach einiger Zeit entstehen dann in allen Zellen grüne Tropfen, deren Fig.5. Unterzellen plasmoty- Farbe von einem ganz blassen Gelbgrün bis siert; Alkahol, dann Glyzerin. . . j augrün Ausscheidung grüner Tropfen, zu einem tief gesättigten, dunklen Blaug die bei längerer Aufbewah- wechselt. Während in den meisten Fällen rung sich in eine gelbe (äußere) . . n, die dann und eine grüne tinnere) Masse zahlreiche kleine Tropfen auftreten, sondern. a Solche Tropfen den Innenraum der Zelle außerhalb des Bal- Junger mit Alkohol extrahiert. lens dicht erfüllen, entstehen bisweilen nur einige wenige, dafür aber um so größere, sehr intensiv gefärbte und stark lichtbrechende Tropfen (Fig. 5), die, wenn der zentrale Ballen entfärbt ist, offenbar die gesamte Menge des vorhandenen Chlorophylifarbstoffes ein- 3 Flora. Bd. 111. 578 W. Biedermann, schließen. Die oben erwähnten stark lichtbrechenden Körperchen, welche in der Regel erst dann auftreten, wenn der Farbstoff vollständig in die Zellflüssigkeit übergetreten ist, sind bei dem Glyzerinzusatz oft noch gar nicht vorhanden und stehen daher in keiner direkten Beziehung zu der beschriebenen Tropfenbildung. Man erhält vielmehr den Eindruck, als ob durch das Glyzerin der gelöste Farbstoff gewissermaßen in Tropfen ausgefällt würde (tropfige Entmischung). Besonderz wichtig erscheint mir der Umstand, daß man in diesem Falle ganz zweifellos die Zusammensetzung der Tropfen aus mindestens drei ver- schiedenen Substanzen feststellen kann. Wenn sich auch solche Präparate in Glyzerin bisweilen mehrere Tage unverändert erhalten und namentlich die ganz großen Tropfen sich als sehr widerstandsfähig erweisen, so machen sich doch meist sehr bald auffallende Veränderungen geltend, deren Eintreten man beschleunigen kann, wenn man die Prä- parate für kurze Zeit in Alkohol zurückbringt. Während die Tropfen mehr und mehr erblassen und einen geibgrünlichen Farbenton annehmen, entsteht im Zentrum ein kleines dunkelgrün gefärbtes Tröpfehen, welches schließlich braun oder fast schwarz wird. An den großen Tropfen kann man bei Alkoholzusatz den Vorgang Schritt für Schritt unter dem Mikros- kop verfolgen. Sobald der Alkohol zu wirken beginnt, erfolgt nicht etwa eine Lösung des grünen Farbstoffes, wie man auf Grund des Verhaltens der Chlorophylikörner unter ähnlichen Bedingungen wohl hätte erwarten können, sondern es macht sich vielmehr eine Konzentration der grünen Substanz in dem Sinne geltend, daß sie sich auf einen kleineren Raum inmitten des Tropfens zurückzieht. Auf diese Weise entsteht zunächst durch Entfärbung der peripheren Zone ein hellgelber schmaler Hof, der in der Folge immer breiter wird. Gar nicht selten sieht man dann, wie derselbe seinen ursprünglichen runden Kontur verliert und wie ein zäher Teig von dem eingeschlossenen dunkelgrünen Tropfen förmlich abschmilzt, der nun auf der schwefelgelben, zerflossenen, unregelmäßig begrenzten Masse aufruht, ohne seine sphärische Form zu ändern. Sehr häufig liegt der eingeschlossene Tropfen exzentrisch, immer jedoch dunkelt er sehr stark nach und man kann an den großen Tropfen sehr deutlich sehen, daß dies hauptsächlich durch die Bildung einer dünnen, fast schwarzen Rindenschicht bedingt ist, unterhalb deren die dunkelblau- grüne Substanz zunächst unverändert bleibt; an den kleineren Tropfen kann man natürlich diese Einzelheiten des Vorganges nicht verfolgen und erhält nur den Eindruck, daß in dem entsprechenden Stadium ein kleines dunkles Körnchen inmitten eines größeren blaßgelben Tröpfehens liegt. Bei Behandlung mit Osmiumsäure zu einer Zeit, wo schon die Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 579 Sonderung der gelben und grünen Substanz stattgefunden hat, nimmt die letztere allein eine dunkle Färbung an, wobei sie sich in ihrer ganzen Masse körnig trübt; die heilgelbe Hüllsubstanz behält ihre ur- sprüngliche Farbe, wird aber durch Vakuolenbildung mehr oder weniger schaumig. Wenn man ein Präparat mit möglichst großen grünen Tropfen länger mit Alkohol extrahiert, so gelingt es den grünen (blaugrünen) wie den gelben Farbstoff vollständig in Lösung zu bringen, ohne daß aber der Tropfen selbst verschwindet, es bleibt ein farbloses Stroma zurück, welches in der Hauptsache dem grünen Anteil entspricht, ob von der gelben Hüllsubstanz ebenfalls eine farblose Grundlage erhalten bleibt, ist sehr schwer zu sagen, da nach völliger Entfärbung das Licht- brechungsvermögen so wenig von der Umgebung verschieden ist, daß man die Frage mit Sicherheit schwer entscheiden kann. Dagegen ist das Stroma des grünen Anteils stark lichtbrechend und besteht offenbar aus einer festen resp. festgewordenen Substanz, die oft noch einen grünlichen Schimmer zeigt und in der sich besonders an der Peripherie kleine dunkle Körner eingelagert finden (Fig. 5e). Noch eines sehr eigentümlichen Befundes muß ich hier gedenken, einmal der Bildung dunkelvioletter Tropfen in denjenigen Zellen, deren Zellsaft (Vakuoleninhalt) purpurrot gefärbt ist, wenn man nach vor- gängiger Plasmolyse mit Alkohol behandelt. Da an normalen Blättern fast nur die Zellen der Mittelrippe und deren nächster Umgebung gefärbten Zeilsaft zeigen, so sieht man jene dunklen Tropfen, die mit Jod gefärbten Stärkekörnchen täuschend ähnlich sehen, an mit Alkohol behandelten und in diesem untersuchten Blättern, auch nur dort. In Glyzerin bleibt Form und Farbe dieser Tropfen unverändert erhalten. Ferner entstehen an den zentralen Chlorophyliballen plasmolysierter Blätter bei Alkoholbehandlung, wenn auch nicht in allen, so doch in sehr vielen Fällen schön ausgebildete Chlorophyllankristalle in Form von rotbraunen Tafeln oder Nadeln, die oft eine beträchtliche Größe erreichen und den Ballen an der Oberfläche aufsitzen. Da die- selben ziemlich allgemein als ein spezifisches, durch Säurewirkung er- zeugtes Umsetzungsprodukt des Chlorophylifarbstoffes angesehen werden, so verdient dieser Befund Erwähnung. Wie die mitgeteilten Erfahrungen zeigen, wird nach voraus- gegangener Plasmolyse den Chlorophylikörnern von Elodea durch Be- handlung mit Alkohol der Farbstoff nicht als solcher entzogen, sondern offenbar in Verbindung mit einer lipoiden Substanz, worauf es wohl beruht, daß die grüne Lösung auch bei nachherigem Einlegen in Wasser ” ' 37+ 580 W. Biedermann, sich nur äußerst langsam dureh Austritt des grünen Pigmentes entfärbt. In Glyzerin erfolgt durch tropfige Entmischung eine anscheinend voll- ständige Ausscheidung jenes Substanzgemisches (Verbindung?) und zwar in nicht reversibler Form, denn jene grüne Tropfen sind in Alkohol nicht restlos wieder löslich. Alle die geschilderten Erfahrungen brachten mich dazu, einmal den Rückstand einer einfachen alkoholischen Lösung von „Chlorophyll“ mikroskopisch anzusehen. Ich verfügte über eine solche Lösung, die dureh Einlegen der unter der Epidermis gelegenen grünen Gewebslage junger unreifer Bohnenschoten in Kochsalzlösung, Auswaschen der plas- "molysierten Schnitte mit Wasser und darauffolgend Extraktion mit Al- kohol gewonnen wurde und zunächst prachtvoll grün erschien. Im Laufe mehrerer Wochen war sie beim Stehen allmählich verblaßt und hatte eine grünlichgelbe Farbe angenommen. Beim Verdunsten im Uhrglas trübte sich die Lösung durch Ausscheidung ganz kleiner, stark lichtbrechender Tröpfchen und nachdem fast alle Flüssigkeit verdunstet war, blieben massenhaft größere Tropfen zurück, welche wie Öltropfen aussahen, aber einen komplizierten Bau zeigten. Jeder einzelne Tropfen war entweder allseitig oder nur auf einer Seite von einem hellen Hof umgeben und bot so ein sehr charakteristisches Aussehen. Bei Behandlung mit Osmium färbten sich die Tropfen graubraun bis schwarz, sie waren aber von vorneherein nicht ganz farblos, sondern zeigten einen freilich nur ganz schwachen grünlichen Schimmer. In Wasser waren die Tropfen unlöslich, flossen aber zu größeren Massen zusammen, die sehr charakteristische Myelinformen bildeten. Bei der makrochemischen Untersuchung erwies sich das „Fett“ als sehr phos- phorreich. Tropfen, welche den in den Zellen auftretenden im Aus- sehen und Verhalten durchaus entsprechen, erhielt ich dadurch, daß ich eine kleine Menge eines tiefgrünen alkoholischen Auszuges aus gekochtem Spinat auf einem Objektträger mit- etwas Glyzerin vermischte und langsam verdunsten ließ, Außerordentlich interessant ist. die Wirkung des Chloralbydrates. Wenn man ein durch zwei Schnittflächen begrenztes frisches Blatt- stückehen in eine gesättigte Lösung bringt, so bemerkt man meist schon nach kurzer Zeit in der Nähe der Schnittränder die Bildung großer grüner Tropfen in den Zellen, die später auch inmitten des Blattstückes auftreten und durchaus den durch Glyzerinbehandlung entstandenen gleichen. In beiden Fällen (Alkohol- und Chloralbehandlung) erscheint der Zellinhalt durch eine aus den Chloroplasten herausgelöste Substanz, die aber zunächst in den Zellen verbleibt, gleichmäßig grün gefärbt.. Mikrochemische Beobachtungen ar den Biattzellen von Elodea. 581 Erst dann beginnt die Tropfenbildung als Folge einer Entmischung. Der Plasmaschlauch erscheint in der Regel etwas kontrahiert und von der Zellwand abgehoben. Wenn man die erste Einwirkung des Chloralhydrats unter dem Mikroskop beobachtet, so sieht man, wie die Chlorophylikörner ver- blassen und in dem Maße als sie sich entfärben eine eigentümlich fein punktiertes Aussehen gewinnen; mit der ausgetretenen grünen Substanz zusammen bilden sie eine durchsichtige Masse, in deren Innern man anfangs noch die Stärkeeinschlüsse sehr deutlich erkennt. Allmählich werden dann die Chloroplasten immer blasser und auch die Stärke- körnchen verlieren ihr starkes Lichtbrechungsvermögen, indem sie stark quellen. Sie platten sich dann gegenseitig ab und bilden so getrennt durch dünne Lamellen von Plasma und den Resten der Stromata der Chloroplasten ein zierliches Wabenwerk. Die hellen Wabenräume, die Vakuolen täuschend ähnlich sehen, sind nach Ausweis der Jodprobe mit gequollener Stärke ausgefüllt. Je nach der ursprünglichen Lage der Chlorophylikörner entstehen so entweder inmitten der Zellen größere Ballen oder ein Wandbelag von zunächst diffus grüner Farbe. Ersterenfalls kann man oft sehr deutlich sehen, wie unter Entfärbung des Klumpens ein großer, grüner, ganz homogener Tropfen langsam hervorquilit, dessen Zähflüssigkeit sich durch seine Tränenform sofort verrät. Auch im Innern der Masse kann es zur Tropfenbildung kommen. In der Regel entstehen gleichzeitig an mehreren Orten zu- nächst kleine grüne Tröpfchen, die rasch heranwachsen und meist eine beträchtliche Größe erreichen (Fig. 6). Die Mehrzahl erscheint mehr gelblich grün, einige wenige blaugrün. Bisweilen füllt die ausgetretene zähe ,;, 5 Inter- farbige Substanz, der man immerhin den von Prings- zellen. |Tropfen- . . : r bild: in- heim für ähnliche Tropfenbildungen gewählten Namen Virkune vonOhlo „Lipochlor* geben kann, den Raum einer Zelle fastzu . ralhydrat. einem Drittel an, ohne sich zunächst zu Tropfen umzu- formen. Bei längerer Einwirkung des Reagens verteilen sich die grünen Tropfen meist wieder im Zellinhalt, bilden sich aber, wenn man das Prä- Parat in einem Schälchen mit Chloralhydratlösung aufbewahrt (nach mehreren Stunden), neuerdings doch zeigen sie dann nicht mehr das ursprüngliche schöne Grün, sondern erscheinen olivenfarbig. Mit Osmium färben sich diese Tropfen sofort dunkelbraun bis schwarz, außerdem erscheint aber auch der ganze übrige Zellinhalt durchsetzt von zahllosen, sehr 582 W. Biedermann, kleinen schwarzen Tröpfchen. In den größeren Tropfen bilden sich bei Osmiumbehandlung oft farblose Vakuolen, so daß sie ein schaumiges Aussehen gewinnen. Werden solche Zellen mit verdünnter HCI (1:5 W) gekocht, so bilden sich massenhaft braunrote Tröpfchen von Chloro- phyllian. Wenn man ein Präparat im Stadium der olivenfarbigen Tropfen in Äther bringt und einige Zeit stehen läßt, so verschwinden jene zu- nächst, bilden sich aber, wenn das Präparat ganz kurz mit Alkohol behandelt und dann in Giyzerin eingedeckt wird, fast sofort wieder ; nur sammelt sich die wie vorher olivenfarbige Masse jetzt in wahren Riesentropfen an, die den größten Teil der Zelle oder sogar den ganzen Innenraum ausfüllen (Fig. 7), wodurch solche Präparate ein höchst charakteristi- sches Aussehen gewinnen. Mit der ‚Größe der Tropfen ändert sich auch etwas die Intensität der Färbung, da ja annähernd gleiche Mengen des Farb- stoffes auf verschieden große Massen eines an sich farblosen Substrates verteilt sind. Denn daß es sich um ein solches handelt, geht daraus hervor, daß man, wiewohl nur selten in einzelnen Zellen, auch farblose, sonst aber ganz gleiche Tropfen findet. Namentlich ist mir dies an einzelnen der eigen- artigen „hyalinen Zellen“ aufgefallen, welche man fast immer zwischen den normalen eingestreut, findet. Neben den gefärbten Tropfen erkennt man beson- ders in den großen Oberzellen meist sehr deutlich die zierlichen Stärke- gitter, von denen schon die Rede war. Bringt man ein solches Präparat in Wasser, so erleiden die Tropfen sehr auffallende Veränderungen, indem sie ruckweise, man möchte sagen „zuckend“, sich verkleinern und dabei entweder ihre Kugelform beibehalten oder, wenn sie der Wand anhaften, entsprechend abgeplattet erscheinen. Dabei dunkeln sie zusehends, um schließlich ganz undurchsichtig schwarz zu werden. Dieselben Veränderungen vollziehen sich, nur sehr viel langsamer, wenn ein solches Präparat in Giyzerin eingedeckt 2—3 Tage liegen bleibt. In beiden Fällen findet man einzelne Zellen, in welchen die Tropfenmasse nicht gleichförmig gedunkelt ist, sondern mit Beibehaltung der grünen Farbe bei ge- nügender Durchsichtigkeit im Innern einen oder mehrere unregelmäßig gestaltete dunkle, offenbar feste Körper erkennen läßt (Fig. 8a und d), deren Umrisse man dann oft bei einiger Aufmerksamkeit auch in anderen scheinbar ganz homogen gedunkelten Tropfen zu erkennen vermag, Vielfach Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 583 läßt sich nun feststellen, daB die Schwärzung der Tropfenmasse durch sehr kleine, dicht beisammenliegende dunkle Körnchen verursacht wird, die zweifellos mit den größeren Körpern identisch sind und in der noch immer grünen, au sich durchsichtigen Grundsubstanz der Tropfen als feste Ausscheidungen eingeschlossen liegen (Fig. 8c). Dieser Vor- gang, der an einem in Glyzerin eingeschlossenen Präparat ganz langsam verläuft und zu seiner Vollendung Tage beansprucht, vollzieht sich in Wasser innerhalb weniger Mi- nuten und in 1%,iger Osmium- säure augenblicklich. Letz- terenfalls kann man leicht der Täuschung verfallen aus der intensiven Schwärzung der Tropfenmasse auf die Anwesenheit von Fett oder einer fettähnlichen Substanz (Leeithin) zu schließen. Je kleiner die Tröpfehen sind, desto schwieriger wird im gegebenen Falle die Ent- scheidung sein. Wenn ich daher auch glaube, daß die B Osmiumwirkung in.allen bis- a e her beschriebenen Fällen yig. 8, « Oberzellen. Chlorhydrat, Äther, i i Alkohol, Glyzerin, Wasser. Die Tropfen er- wenigstens zum Teil auf dem scheinen anseinandorgeflossen mit dunklen Ein. Vorhandensein eines lecithin- schlüssen. 3 Eine ebenso behandelte Zeile mit Fl FRNBR) äußerst feinen, dunklen Körnchen in der Masse artigen Lipoids beruht und des Tropfens, ce Tropfen mit dunklen Ein- mich dabei hauptsächlich auf schlüssen aus ebenso behandelten Zellen. die Tatsache stütze, daß auch "die farblosen, nach Verdunstung eines alkoholverblaßten Chlorophyllaus- zuges zurückbleibenden myeloiden Tropfen sich mit Osmium schwärzen oder wenigstens bräunen, so bin ich mir doch wohl bewußt, daß damit ein zwingender Beweis nicht gegeben ist, der sich nur auf makro- chemischem Wege wird erbringen lassen. Frägt man nun nach der Natur jener schwarzen geformten Nieder- schläge, so handelt es sich zweifellos nicht um ‚Chlorophyllan im bis- herigen Sinne, denn von diesem unterscheiden sich jene sowohl durch die Farbe wie auch durch die Form, welche letztere niemals deutlich kristallinisch is. Nach dem ganzen chemischen Verhalten stimmen die olivgrünen Tropfen, sowie die in diesen durch Wasser oder Glyzerin 584 W. Biedermann, entstehenden schwarzen amorphen Niederschläge mit Willstätter’s „Phäophytin“ überein. Er gibt folgende Charakteristik: „Phäo- phytin ist ein Wachs; es wird nicht in deutlich kristalliner Form erhalten, bildet aber baumähnliche kristallinische Gebilde. Es ist blauschwarz gefärbt, in Lösung olivenbraun und bei großer Schicht- dicke in der Durchsicht rot. In heißem Alkohol ist es ziemlich schwer, in kaltem sehr schwer löslich; in Äther löst es sich träge, aber be- trächtlich sehr leicht in Benzol, in Chloroform spielend, in Petroläther ist es fast unlöslich.“ Alles dies läßt sich auch mikrochemisch leicht feststellen. Setzt man zu einem Präparat, in welchem die Tropfen durch Wasserzusatz ganz schwarz geworden sind, zunächst Alkohol, dann Chloroform zu, so erfolgt sofort Lösung; man kann aber die Tropfen in ihrer. ursprünglichen olivgrünen Farbe sofort wieder her- stellen, wenn man nach dem Verdunsten des Chloroforms Glyzerin zu- setzt. Das Phäophytin ist ein Produkt der Säurewirkung auf Chloro- phyil oder auf die Phylline, die darin besteht, daß das komplex ge- bundene Magnesium quantitativ abgespalten wird, wobei die Farbe von Grün in Braun umschlägt, Da bei der angewendeten Darstellungs- methode keine Säure zugesetzt wurde, so kann die Spaltung nur durch den sauren Zellsaft verursacht sein, Schon die regelmäßige Anwesen- heit von Kalkoxalat weist auf Oxalsäure hin, die ja auch Willstätter ursprünglich zur Gewinnung des Phäophytins benutzte. In der Tat reagiert der Zellinhalt stark sauer und enthält nachweislich freie Oxalsäure. Während die Ausfällung von schwarzen Phäophytinköruchen im Stadium der olivgrünen Tropfen bei Wasserzusatz verhältnismäßig langsam vor sich geht, geschieht dies fast momentan im Stadium der primären Tropfenbildung. Setzt man zu einem Präparat, welches schön ausgebildete große grüne Tropfen zeigt, Wasser, so entsteht in jenen sofort eine Fällung in Form kleinerer oder größerer ganz dunkler Körnchen, die offenbar den dunklen Zentralkörperchen entsprechen, welche sich in den durch Glyzerin an Alkoholpräparaten entstehenden Tropfen bei längerem Stehen immer ausbilden. Die Körnchen erfüllen entweder das Innere der Tropfen gleichmäßig oder lassen den Rand derselben teilweise frei; man erkennt dann, daß die grüne. Färbung keineswegs verschwunden ist. Die meisten der Tropfen verlieren ihre sphärische Gestalt und ziehen sich mehr oder weniger in die Länge, so daß typische Myelinformen entstehen. Äußerst charakteristische Myelinformen entstehen oft an solchen Stellen, wo das Chloraihydrat rascher einwirkt, wie besonders in der Nähe der Schnittränder oder in direkt angeschnittenen Zellen. Dann kommt es nicht selten zu einer Verschmelzung der Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 585 Chloroplasten und zur Bildung einer zähflüssigen plastischen grünen Masse, in der sich vielfach farblose helle Tropfen ausbilden, wodurch solche Gebilde, abgesehen von der Farbe, völlig das Aussehen vorge- quollenen Nervenmarkes gewinnen (Fig. 9). Teils sind es einzelne, von einer grünen Rinden- schicht überzogene, stark lichtbrechende große Tropfen, teils unregelmäßig geformte, längliche oder verzweigte stumpflappige Körper. Sehr bemerkenswert ist das Verhalten ver- gilbter Blattzellen bei gleicher Behandlung. Läßt man Elodeablätter in einer Glasdose mit ganz wenig Wasser 3—4 Wochen im Dunkeln stehen, so werden sie gelb und zeigen bei mikrosko- pischer Untersuchung intensiv gelbe sehr kleine Chloroplasten, deren Durchmesser kaum ein Viertel des normalen beträgt. Stärkeeinschlüsse fehlen ganz. In gesättigter Lösung von Chloral- hydrat zerfließen anscheinend die Chloroplasten zu einer rein gelb gefärbten, zähflüssigen Masse, die sich teils in Tropfen sammelt, teils der Wand anliegende größere, unregelmäßig geformte An- häufungen bildet, die den Zellraum teilweise Fig. 9. ausfüllen. Behandelt man solche Präparate zu- nächst mit Äther und deckt sie dann in Glyzerin ein, so bilden sich alsbald sehr große kanariengelbe Tropfen, den olivgrünen ganz ähnlich, die an frischen Blättern unter gleichen Umständen entstehen. Vielfach sammelt sich auch die gelbe Masse in den Zellen zu unregelmäßigen Klumpen von Amöbenform an. Ersetzt man dann das Glyzerin durch Wasser, so dunkeln die Tropfen und sonstigen gelben Körper sofort, indem in ihnen Niederschläge in Form, kleiner schwarzer Körnchen entstehen. In den meisten größeren Tropfen findet auch hier eine Sonderung der Substanz statt, indem sich ein dunklerer, meist rotgelb gefärbter, scharf umschriebener, zentraler Kern bildet, der von der rein gelben, viel schwächer lichtbrechenden Tropfenmasse umhällt wird, wie ein Nucleolus vom Zellkern. In den spärlichen Zellen, die noch einen Rest grünen Farbstoffes bewahrt haben, erscheint der „Nucleolus* der gelben Tropfen schön. blaugrün gefärbt und nicht selten seinerseits wieder von einem farblosen Hof umgeben. Wenn man die Umwandlung der gelben Riesentropfen bei Wasser- zusatz unter dem Mikroskop näher verfolgt, so ist die erste und auf- 586 W. Biedermann, fallendste Erscheinung eine sofortige sehr beträchtliche Verkleinerung der Tropfen, wobei die Farbe auch abgesehen von dem Auftreten kleiner schwarzbrauner Körnchen in ein ziemlich dunkles Rötlichgelb umschlägt. Nach einiger Zeit beginnt dann die Sonderung der Substanz, indem an der Oberfläche der Tropfen eine hellgelbe Masse in Gestalt kleiner Höcker und Tröpfchen austritt, die dann zusammenschmelzen und einen gelben Hof. um einen kleinen sehr dunklen rotbraunen Zentralkörper bilden. Beim Übertragen solcher Präparate in Glyzerin lösen sich die dunklen Körnchen, die in den äußeren hellgelben Hof niemals über- gehen, meist völlig auf und die Zentralkörper erscheinen dann bräun- lichgelb gefärbt. Bringt man ein Präparat mit reingelben Riesentropfen aus Glyzerin direkt in 1%ige Osmiumsäure, so entstehen unter be- deutender ‘Verkleinerung der Tropfen sofort massenhaft dunkle Körn- chen in denselben, wobei aber auch die Grundsubstanz stark dunkelt und schließlich werden die Tropfen tiefschwarz. Da dies auch dann der Fall ist, wenn die Tropfen, wie es nicht selten vorkommt, so wenig gelben Farbstoff (Xanthophyil) enthalten, daß sie nahezu farblos er- scheinen, so kann nicht bezweifelt werden, daß die Grundsubstanz sich auch unabhängig von der Niederschlagsbildung mit Osmium schwärzt. Mit konzentrierter Schwefelsäure färben sich die gelben Tropfen schön blau. Alle diese Beobachtungen sprechen entschieden dafür, daß die Chloroplasten reich an einer lipoiden Substanz sind, mit der vereint der Farbstoff sowohl bei der Behandlung mit Chloralhydrat wie mit Alkohol austritt. Auch Willstätter (Le. pag. 175) vertritt die Anschauung, daß „die Auflösung des Chlorophylis in den verschiedenen Fällen und seine Wiederabscheidung sich durch die lösende Wirkung der mit Alkohol sich vermischenden lipoiden Chloro- plastenbestandteile erklärt“. Es scheint daher, daß ebenso, wie es chemische Beziehungen zwischen Blattgrän und rotem Blutfarbstoff gibt, auch Analogien in der Zusammensetzung der Stromata der roten Blutkörperchen und der Chloroplasten existieren, die sich hauptsächlich in dem reichen Gehalt an Lipoiden geltend machen. Bekanntlich hat schon vor langen Jahren Pringsheim beob- achtet, daß aus Chlorophylikörpern unter gewissen Umständen „ölartige“ grüngefärbte Tropfen austreten. Er setzte chlorophylihaltige Zellen heißen Wasserdämpfen aus oder kochte direkt mit Wasser und bekam dann, wenn eine bestimmte, für verschiedene Gewebe verschieden hohe Temperatur innegehalten wird, stets eine Ausscheidung grüner, in Alkohol und Äther löslicher Tropfen, von denen er annahm, daß sie Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 587 nicht aus Chlorophyllfarbstoff allein bestehen, sondern, „wie schon der unmittelbare Augenschein lehrt“, aus einer öligen Grundlage, — dem Träger des Farbstoffes — der diesen selbst und die ihn sonst noch begleitenden Substanzen in Lösung‘ hält und als „Lipochlor" bezeichnet wurde. Ohne von den Untersuchungen Pringsheim’s Kenntnis zu haben, fand ich bei anhaltendem (2--3stündigen) Kochen von plasmolysierten Elodeablättern in 2%iger Kochsalzlösung, deren Volum durch Wiederersatz des verdunsteten Wassers konstant erhalten wurde, in vielen, wenn auch nicht in allen Zellen eine Ausscheidung grüner Tropfen, welche durchaus der Beschreibung Pringsheim’s entsprechen und in der Tat ganz den Eindruck gefärbter Fettropfen machten. Ich hatte solche Versuche haupt- j sächlich in der Absicht an- gestellt, durch Koagulation das Vorhandensein von ge- nuinen Eiweißstoffen im Zell- saft nachzuweisen. Fig. 102 gibt ein gutes Bild von Lage undAnordnung dieserTropfen, die von sehr verschiedener Größe, meist aber viel kleiner sind, als die früher beschrie- benen, mit denen sie wohl wesensgleich sind. Ihre Form ist, wie auch Pringsheim angibt, nicht immer genau a & spbärisch, so daß man mehr Fig. 10. den Eindruck erhält, als ob sie aus einer weichen, jedenfalls nicht dünnflüssigen Masse bestünden. Ihre Herkunft aus den Chlorophylikörnern verrät sich, abgesehen von der meist prachtvoll blaugrünen Farbe, auch schon durch ihre Lagerung in der Umgebung und zum Teil auch im Inneren des zentralen Körner- ballens. Daß in diesen Tiopfen wirklich eine lipoide Substanz enthalten ist, scheint aus ihrem Verhalten gegen Osmiumsäure hervorzugehen, durch die sie tiefschwarz gefärbt werden. Dagegen konnte ich mich nicht davon überzeugen, daß sie, wie Prings- heim angibt, sich in Alkohol und Äther schnell und restlos auflösen. Sie werden dann zwar entfärbt, bleiben aber in ihrer Form und an- scheinend auch in ihrer Größe erhalten, haben aber nun die Fähigkeit, sich mit Osmium zu schwärzen, eingebüßt, desgleichen auch ihr starkes 588 W. Biedermann, Lichtbreehungsvermögen. Jeder „Lipochlor“-Tropfen besteht aus einer in Alkohol und Äther unlöslichen Grundgubstanz, die vielleicht eiweißartiger Natur (Lipoproteid?) ist und an der außer dem grünen Chlorophylifarbstoff auch noch ein alkohol- löslicher, fettähnlicher Körper haftet, der sich mit Osmium intensiv schwärzt. Die Untersuchung eines vergilbten Exemplares einer kleinblätterigen Elodea, das aber noch lebte und sogar schwache Plasmaströmung zeigte, bot mir erwünschte Gelegenheit, die Tropfenbildung in einem Falle zu prüfen, wo Chlorophyligrün überhaupt fehlte. Die vergilbten Blätter ließen sich sehr gut plasmolysieren, wobei sich aber entsprehend der geringen Zahl und Kleinheit der offenbar atrophischen, gelblich gefärbten Chlorophylikörner in der Mitte jeder Zelle nur ein verhältnis- mäßig kleines Klümpchen aus Plasma und eingeschlossenen Körnern bildete. Nach etwa 2stündigem Kochen in Kochsalzlösung hafteten dem- selben fast in jeder Zelle kleinere und größere Tropfen von blaßgelber Farbe an, welche bei Behandlung mit Osmiumsäure tiefschwarz wurden, während die Masse des Ballens einen bräunlichen Farbenton annahm. Es fällt hier besonders auf, daß auch die einzelnen geiblichen ChlorophylHl- körner durch Osmium deutlich gebräunt werden. Werden solche Blätter ohne vorhergehende Plasmolyse mit Kochsalzlösung gekocht, so sieht man bei darauffolgender Osmiumbehandlung, namentlich. in den kleinen Unterzellen, fast jedes einzelne Chlorophylikorn mit einem schwarzen Tröpfchen behaftet, welches offenbar aus jenem ausgetreten ist, während die großen Oberzellen förmlich umrahmt sind von größeren und kleineren randständigen Tropfen (Fig. 102); außerdem sind aber auch noch solche enthalten, die einer Gruppe von Chlorophylikörnern an- haften und so ihre Entstehung aus diesen ganz deutlich erkennen lassen. Viel besser geeignet sind Elodeablätter, welche in der oben angegebenen Weise durch wochenlanges Liegen vergilbt sind. Solche Blätter zeigen aber auch sonst ein sehr bemerkenswertes Verhalten. Bringt man solche nach vorhergehender Plasmolyse ohne Alkohol- behandlung sofort in 1%ige Osmiumsäure, so dunkeln sie sofort sehr stark und man sieht bei mikroskopischer Untersuchung, daß der flüssige Inhalt aller Zellen eine äbnliche, nur mehr bräun- liche Purpurfarbe angenommen hat, wie sie in vereinzelten Zellen auch normal vorkommt; bei längerer Einwirkung tritt das Rot immer mehr zurück und es bleibt schließlich nur eine mehr oder weniger starke Bräunung zurück, die sich beim Aufbewahren der Prä- parate in Glyzerin meist noch erheblich vertieft. Aber nicht nur der ah Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 589 Zellsaft reagiert in dieser Weise mit Osmium, sondern auch das Plasma und die Chlorophylikörner des zentralen Ballens färben sich beilängerer Einwirkung der Osmiumsäure dunkel- braun bis schwärzlich. Die Intensität dieser Färbung ist nicht in allen Zellen die gleiche, am dunkelsten erscheinen immer die stärke- reichen Zellen der Mittelrippe und zwar sowohl der Zellsaft, wie der feste Inhalt, nach dem Außenrande zu blaßt die Färbung sehr deut- lich ab. Dieser Befund scheint darauf hinzudeuten, daß lipoide Sub- stanzen (Leeithin) nieht nur, wie schon Hoppe-Seyler zeigte, einen wesentlichen Bestandteil der Chlorophylikörner Fig. 11. bilden, sondern auch im Plasma der betreffenden Zellen und vielleicht gelegentlich sogar im Zellsaft enthalten sind. Da sich an normalen grünen Elodeablättern niemals ein ähnliches Dunkeln des Zellinhaltes in Osmiumsäure zeigt, muß man wohl schließen, daß bei dem Prozeß des Vergilbens sich mehr oder weniger tiefgreifende Veränderungen des gesamten Zellinhaltes vollziehen, durch welche die sonst „maskierten“ Lipoide direkt reaktionsfähig gemacht werden. Sehr weitgehende chemische Umwandlungen bleiben auf einzelne Zellen beschränkt und finden sich auch bei ganz normalen Blättern, namentlich an der Unterseite, wo gewisse Zellen durch ihr besonderes Aussehen sofort auffallen, indem an Stelle des normalen Zellinhaltes eine völlig farblose stark lichtbrechende Substanz getreten ist, welche den Zellraum entweder ganz ausfüllt (Fig.112) oder, wie es regelmäßig bei plas- molysierten Blättern der Falt ist, in der Mitte einen eiförmigen Körper bildet, dessen kleinerer Durchmesser oft den Querdurchmesser der Zelle 590 W, Biedermann, übertrifft, so daß diese entsprechend aufgetrieben erscheint. Immer ist dieser Körper dann noch umgeben von einer Vakuole, die er aber im Gegensatz zu dem Plasma-Chlorophyiiballen in normalen Zellen fast ganz ausfüllt, so daß nur ein schmaler Raum zwischen der Vakuolenhaut und der Oberfläche des Körpers bestehen bleibt (Fig.115). Von Struktur ist in solchem Falle meist keine Spur zu bemerken. Doch lassen sich in anderen Fällen ganz zweifellos geformte Inhaltskörper erkennen, die nach Aussehen, Lage und Anordnung nieht wohl etwas anderes sein können als umgewandelte Chlorophylikörner. Bisweilen erscheinen sie noch ganz deutlich als runde, ziemlich stark lichtbrechende und etwas grünlich gefärbte Körperchen, welche durch die ganze Masse gleich- förmig zerstreut liegen (Fig. 12). Wei- terhin scheint ihre Größe immer mehr abzunehmen und schließlich erschei- nen sie nur als stark lichtbrechende Pünktchen von eigentümlichem Glanz. An mehreren Exemplaren von Elo- dea densa ist es mir gelungen, sozusagen die ganze Entwicklungs- reihe in normalen chlorophylihaltigen Zellen bis zu den völlig homogenen farblosen zu verfolgen, so daß ich trotz der ungeheuren Verschiedenheit nicht mehr daran zweifeln kann, daß die hyalinen Inhaltskörper durch eine ganz allmähliche Umwandlung des normalen Zellinhaltes entstanden sind. Leider ist es mir nicht gelungen über die Ursachen und das Wesen derselben ins klare zu kommen, da ich gezwungen war die vorliegenden Untersuchungen vorzeitig abzubrechen. Das mikrochemische Verhalten dieser Zellen ist sehr merkwürdig. Wenn man ein frisches Blatt einfach mit Jodjodkaliumlösung behandelt, so nehmen die frag- lichen Inhaltskörper eine gelbrote, zum Teil wohl auch eine fast rein rote Farbe an und zwar bevor noch die Stärkeeinschlüsse der Chlorö- phylikörner sich merklich färben. Da sich geformte Stärke in den hyalinen Zellen niemals nachweisen läßt, so liegt es nahe, an gelöste und aufgespaltene Stärke (Dextrine) zu denken, um so mehr als es mir einigemal gelungen ist, in denselben auch Zucker nachzuweisen. Bringt man plasmolysierte Blätter direkt aus der Salzlösung in Alkohol und untersucht man sie in diesem am nächsten Tage mikroskopisch, so findet man die hyalinen Zellen sämtlich verändert, aber keineswegs in ganz gleicher Weise. Während der Inhalt der einen aus einer fein- körnigen Masse besteht, sieht man in anderen blasse, schwach licht- brechende, teils runde, teils unregelmäßig geformte tropfenartige Gebilde, " während wieder andere eine große Menge stark lichtbrechender kleinerer Fig. 12. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 591 und größerer Tropfen enthalten, die Fettropfen zum Verwechseln gleichen (Fig.13@ und 5). Endlich finden sich oft auch inmitten einer feinkörnigen trüben Masse Drusen von nadelförmigen Kriställehen, die entweder sphä- sich gruppiert sind oder unregelmäßige Ag- gregate bilden, die der Zellwand meist seitlich anhaften. Sehr oft ragen nur die Spitzen der Kristallnadeln aus einer stark lichtbrechenden Masse hervor, die offenbar den untereinander verschmolzenen unteren Abschnitten der Nadeln entspricht, Alle diese Bildungen verschwinden sofort bei Zusatz von Wasser und etwas lang- samer in Glyzerin, aber. auch in Alkohol sind sie nicht unbegrenzt haltbar. Meist noch schöner entwickelt findet man in vielen der hellen Zellen ganz ähnliche Drusen nach län- gerer Einwirkung von Eisessig (Fig. 13c) und diese entsprechen durchaus der Abbildung, die A. Meyer!) auf Taf. I, Fig. 7 und 9 seiner Abhandlung von .Chlorophyllankristallen ge- geben hat. Nur sind sie natürlich ganz farblos. AufGrund der mitgeteilten Beobachtungen darf es als sicher gelten, daß die Chloro- plasten reichlich lipoide Substanzen enthalten, welche offenbar zu dem Chlorophyllfarbstoff in naher Be- ziehung stehen. Schon Pringsheim hat den Chlorophylikörnern eine bestimmte Struktur » P zugeschrieben, er nahm an, daß jedes Korn aus Fig. 13. einem schwammförmigen Gerüst (Stroma) be- stehe, welches im nörmalen Zustande von dem ölartig flüssigen Träger des Farbstoffes und von dem „Hypochlorin“ (das sich in der Folge als ein Derivat des Chlorophylifarbstoffes erwies [Chlorophyllan]) durch- t:änkt sei. An geeigneten Objekten läßt sich, wie A. Meyer (1 c.) zeigte, schon an noch lebendigen Chlorophylikörnera eine eigentümliche Struktur erkennen, „die den Eindruck macht, als seien in eine mehr oder weniger farblose Grundsubstanz und von dieser überall umschlossen, dunkelrgüne Körner eder Kugeln (‚Grana‘) eingelagert“. Da diese wenigstens in manchen Fällen in Wasser quellen, ohne daß sich der 1) Das Chlorophylikorn. 1883, s 592 W. Biedermann, Farbstoff löst, so würde nach A. Meyer zu folgern sein, „daß sie eine Grundlage besitzen müssen, welche aus der Gerüstsubstanz besteht und welche dann von Chlorophyll durchtränkt zu denken wäre“. Was nun die entfärbten Stromata selbst betrifft, so ist über ihre chemische Zu- sammensetzung bisher nur wenig bekannt geworden. Nach der herr- schenden Auffassung hätte man dieselben als „Protoplasma“ aufzufassen und damit. schienen auch die Reaktionen zu stimmen, welche nach Sachs den durch Alkohol entfärbten Gerüsten zukommen sollen. Er fand, daß sie durch Jod braun, durch HNO, und Kalilauge gelb gefärbt werden; CuSO, und KOH-Lauge soll sie violett färben; kon- zentrierte Kalilauge läßt die Form der Gerüste unverändert, bei nach- herigem Wasserzusatz sollen sie aber zerstört werden. Nach A. Meyer dehnt Chlorallösung die Stromata etwa um die Hälfte ihres Volums, ohne daß ihre Struktur verloren geht, durch Wasserzusatz werden sie unter Kontraktion wieder deutlich erkennbar. Eisessig quellt wie Chloral; die so behandelten Autoplasten speichern, wie der Rest des übrigen Plasmas, kein Methylgrün, wenn man sie in eine wässerige Lösung des- selben bringt, während der Zellkern sich noch färbt. Osmiumsäure hindert (nach 12stündiger Einwirkung) die Quellung durch Chloral nicht. Nach meinen Erfahrungen verhalten sich die entfärbten Stromata der Chlorophylikörner von Elodea nicht wesentlich verschieden vom umgebenden Plasma, wenigstens gilt dies hinsichtlich des Verhaltens gegen Säuren, Alkalien und Verdauungsfermente. Was nun das Plasma selbst betriff, so war mir am meisten überraschend sein Verhalten gegen Alkohol, Äther und Chloroform, indem sich heraus- stellte, daß diese Substanzen bei längerer Einwirkung g®- wisse Stoffe herauslösen und so zu sehr auffallenden, mikroskopisch nachweisbaren Veränderungen der Prä- parate führen. Wenn man nicht zu chlorophylireiche Elodeablätter nach etwa 4stündiger Plasmolyse nur kurze Zeit mit Alkohol behan- delt, so daß der Farbstoff nicht ganz extrahiert ist, so bleibt die Form des zentralen Plasma-Chlorophyliballens meist gut erhalten, der dann nach Zusatz von Giyzerin prachtvoll grün gefärbt erscheint. Untersucht man zunächst die Zellen der vorderen Hälfte eines solchen Blattes (die sich wegen der kleineren oder ganz fehlenden Stärke- einschlüsse als besonders geeignet erweisen) in Glyzerin, so fällt sofort auf, daß die Chlorophylikörner nicht mehr oder nur ganz un- deutlich als gesonderte Körper zu erkennen sind, sie erscheinen wie verklebt und eingehüllt durch eine sehr feinkörnige trübe Masse, die nichts anderes ist als Plasma, dessen ursprüngliche Durchsichtigkeit Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 593 offenbar durch Ausfällung eiweißartiger Substanzen wesentlich beein- trächtigt erscheint. An keiner Stelle sind die Chlorophylikörper noch als gut begrenzte einzelne Scheibehen zu sehen, obschon sie als solche sicher erhalten sind. Denn bringt man ein frisches Elodeablatt ohne vor- hergehende Plasmolyse sofort in Alkohol, so überzeugt man sich leicht, daß nach beliebig langer Einwirkung die Chlorophyli- körner weder in Form noch Größe merkliche Veränderungen erleiden. Oft verraten die Chlorophylikörner ihre Anwesenheit im Ballen nur dadurch, daß sie das einhüllende Plasma hier und da etwas höckerig erscheinen lassen oder an Stellen, wo die Masse des Ballens dünner ist, infolge der stark lichtbrechenden Stärkeeinschlüsse bei einer gewissen Einstellung hell durch- schimmern. In Zellen, deren Chlorophylikörner stärkefreisind, erhält man selbst nach nur kurz- dauernder Alkoholbehandlung oft den Eindruch, als ob die ganze Chlorophyliplasmamasse aus einer homogenen feinkörnigen Substanz bestünde (Fig. 14e). Das beste Mittel, um sich über Lage und Anordnung der „ag- glutinierten“ Chlorophyllkörner zu orientieren, liefert die Behand- lung mit Jod. Dann färben sich alle, auch die kleinsten Stärkeein- schlüsse, dunkelviolett, während Fig. 14. die umgebende Masse (Plasma + j . Stromata) gelb wird, der ganze zentrale Ballen erscheint daher in zier- licher Weise punktiert oder gefleckt, doch sind die Konturen der Stärke- körnchen infolge der trüben Hüllmasse stets unscharf und verwaschen. Sehr häufig ordnen sich bei der Plasmolyse die Chlorophyllkörner in Form einer nach oben (nach dem Beschauer zu) scheinbar offenen Halb- rinne an, als wäre der ursprüngliche Hohlzylinder der Länge nach gespalten (Fig. 145). Es erklärt sich dies aus der ursprünglichen Anordnung der Chlorophylikörner, die zumeist den Seitenwänden der Zellen anliegen, die Oberfläche aber freilassen oder doch nur in geringerer Zahl bedecken. Bei der durch den Alkohol bewirkten Schrumpfung des durch die Plasmolyse entstandenen Ballens bilden sich dann in der Regel zwei dickere seitliche Wülste, die eine chlorophylifreie Mittelzone begrenzen, 38 Flora. Bd. ii. 594 - W. Biedermann, innerhalb deren sich die Plasmahaut an der der Blattoberfläche zu- gekehrten Zellwand einstülpt. Vergleicht man nun das Bild solcher nur kurz mit Alkohol behandelter, plasmolysierter Zellen mit solchen, die zunächst mit kochendem Alkohol und schließlich mit Chloroform extrahiert werden, so macht sich immer eine meist sehr deutliche Aufhellung der ganzen Chlorophyliplasmamasse bemerkbar (Fig. 145). Daes keinem Zweifel unter- worfen ist, daß weder die Stärkeeinschlüsse der Chlorophylikörner noch deren entfärbte Gerüste durch Behandlung mit Alkohol und Chloroform irgend- welche sichtbare Veränderungen erleiden, so muß das so auffallend veränderte Bild, welches plasmolysierte Zellen unter gleichen Umständen darbietet, wohl im wesentlichen auf das Zellplasma bezogen werden. Auf eine teilweise Lösung desselben weist auch oft das eigentümlich zerrissene, wie angenagte Aussehen des in nicht extrahierten Zellen in der Regel mehr kompakten und geschlossenen zentralen Ballens hin, welches offenbar durch Korrosionswirkungen seitens des Lösungsmittels erzeugt wurde. Dafür spricht auch die veränderte Färbbarkeit derartiger Präparate. Schon bei Behandlung mit Jodjodkaliumglyzerin erscheinen nicht extrahierte Blätter immer merklich dunkler und die zentralen Plasmaballen haben einen mehr bräunlichen Farbenton angenommen, während sie nach Alkoholchloroformbehandlung viel blasser gelb er- scheinen. Gerade umgekehrt verhält es sich bei Färbung mit Methylen- blau, welches aus sehr verdünnten Lösungen von den mit Chloroform extrahierten Zellen wesentlich rascher und stärker gespeichert wird. Hinsichtlich der Frage nach der Natur der in Lösung gehenden Stoffe wäre wohl am ehesten an Lipoproteide (Lecithalbumine?) oder an Leei- thin selbst zu denken. Auch das Verhalten gegen Alkalien, Säuren und Verdauungs- fermente scheint auf eine höchst eigenartige Zusammensetzung des Plasmas im vorliegenden Falle hinzuweiser. Legt man ein Blatt, welches in der beschriebenen Weise plasmolysiert und dann mit Alkohol entfärbt wurde, für 12—24 Stunden in konzentrierte Kali- lauge, so erscheint dasselbe dann glashell durchsichtig ünd man er- kennt bei mikroskopischer Untersuchung in der Lauge selbst zunächst ‚ keine Spur geformter Inhaltsbestandteile im Innern der Zellen. Nach sorgfältigem Auswaschen mit Wasser jedoch bemerkt man bei gün- stiger Beleuchtung kleine stärker lichtbrechende Körperchen an der Stelle, wo vorher die geballten Chlorophylikörner lagen. Entwässert man nun mit Alkohol und setzt vorsichtig Jodglyzerin zu, so färbt sich das Präparat sofort dunkel und man erkennt dann genau in der Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 595 Ausdehnung des ursprünglichen Ballens dunkelviolette oder rotbraune Körperchen, die oft sehr deutlich die Form kleiner Kreuzchen zeigen und offenbar Reste der Stärkeeinschlüsse der Chlorophylikörner dar- stellen (Fig. 15). Beobachtet man die Einwirkung der Lauge direkt unter dem Mikroskop, so sieht man an Zellen, welche Chlorophyll mit Stärke- einschlüssen enthalten, daß die letzteren sofort stark aufquellen, wodurch die Stromata, sofern sie nicht platzen, stark ausgedehnt werden. Die benachbarten Körner platten sich dann bei der Berührung gegeneinander ab und es entsteht so ein zierliches Maschennetz, weiches einem klein- zelligen Parenchym nicht unähnlich sieht. In der Folge werden dann bei längerer Einwirkung sowohl die gequollenen Stärkeeinschlüsse, wie auch die Stromata anscheinend gelöst bis auf jene sich mit Jod färbenden Reste, welche der Lauge gegenüber völlig widerstandsfähig sind. Vom Plasma ist an einem solchen lange mit Wasser ausgewaschenen Präparat keine Spur zu sehen, fügt man aber dann verdünnte Essigsäure zu, so entsteht in jeder Zelle, und zwar den ganzen Raum derselben erfüllend, ein dichter, sehr feinkörniger Niederschlag (Alkalialbuminat?), in welchem jene Stärkereste eingebettet liegen (Fig. 15). In Zellen, welche reichlicher Stärke enthalten, beobachtet man nach Jodzusatz auch eine diffuse grauviolette Fär- bung, die an den feinkörnigen Niederschlag im Zellinnern gebunden zu sein scheint und offenbar auf- dem Vorhandensein gelöster Stärke beruht. Die Entstehung der erwähnten ‘zierlichen Gitter läßt sich am besten an Zellen beobachten, deren Chlorophylikörner größere Stärkeeinschlüsse be- sitzen, da in diesem Falle durch Quellung der letzteren ein grobes Netzwerk gebildet wird, dessen Wände aus stark lichtbrechender Sub- Fig. 15. stanz bestehen, die wohl in der Hauptsache auf die Stromata der Chlorophylikörner, andereseits aber auch auf das einhüllende Plasma zu beziehen sein dürfte. Wenn diese Gitter bei längerer Einwirkung der Lauge zu verblassen beginnen, kann man sie jederzeit durch Zusatz verdünnter Essigsäure wieder deutlich machen. Sehr interessanten Aufschluß geben solche Präparate, wenn sie zunächst mit starker Salzsäure (1:3) etwa '/, Stunde lang gekocht und dann nach Auswaschen mit Wasser mit Jodglyzerin gefärbt werden Es zeigt sich dann, daß keine Spur von Stärke mehr vorhanden ist’ 38* 596 W. Biedermann, dagegen bleiben nicht nur die die Grenzen des früheren zentralen Plasmachlorophyliballens markierenden Gitter vollständig erhalten, sondern man erkennt nun auch, daß das Plasma selbst durchaus nicht, wie es an den nur mit verdünnter Essigsäure behan- delten Präparat den Anschein hatte, vollständig durch die Kalilauge aufgelöst wurde, sondern offenbar nur stark gequollen war, sonst aber ganz unverändert erhalten bleibt. In jeder der kleinen Unterzellen sieht man nämlich dann, daß sich der zentrale dureh das Gitterwerk umschriebene Ballen beiderseits in eine ganz feinkörnige Substanz fortsetzt, so daß ein den Zellraum nicht ganz ausfüllender, etwa rechteckiger Körper entsteht, der offenbar dem ursprünglich durch die Plasmolyse entstandenen zen- tralen Ballen und den darüber beiderseits herausragenden Enden der ovalen von der Plasmawandschicht umgrenzten Zeilsaftvakuole entspricht (Fig. 16). Essindalsotrotzderlangdauernden Einwir- kung der konzentrierten Kalilauge und dem an- fänglichen Anschein völliger Lösung aller ge- formten Inhaltsbestandteile der Zellen, diese, wenn man von der Lösung der Stärke absieht, sämtlich, wenigstens im morphologischen Sinne, Fig. 16. noch erhalten und lassen sich durch geeignete Maßnahmen sichtbar machen. Wenn man ein mit Kalilauge behandeltes, vorher plasmolysiertes und mit Alkohol entfärbtes Blatt nach gründlichem Auswaschen und Ausäuern mit verdünnter Essigsäure vorsichtig mit Jod behandelt, ohne vorher mit Alkohol zu entwässern, so färbt sich oft der ganze Zell- inbalt gleichmäßig violett oder braunrot (Erythrodextrin). In solchen Fällen hebt sieh dann das erwähnte Netzwerk farblos auf farbigem Grunde sehr deutlich ab, während die Netzmaschen farbig erscheinen. Wenn man aber vor dem Jodzusatz mit Alkohol entwässert, so wird das Gitterwerk undeutlich, dafür aber treten in dessen Bereich jene stark lichtbrechenden Körperchen auf, die innerhalb der Wabenräume gelegen sich mit Jod sehr dunkel färben. Ob und in welchem Maße sich die Zellen in toto färben, hängt in erster Linie von der Menge der in den Chiorophylikörnern enthaltenen Stärke ab. . Auch selbst durch Kochen mit Kalilauge (auf dem Objektträger) wird der Zellinhalt nicht gelöst und die Befunde an solchen Präparaten sind im wesentlichen die- selben, wie sie eben geschildert wurden. Sehr interessante Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Rlodea. 597 Bilder erhält man, wenn man ein nicht zu stärkereiches Elodeablatt zunächst plasmolysiert, dann in der gewöhnlichen Weise mit Alkohol entfärbt, einmal mit Kalilauge am Objektträger aufkocht und dann noch 12 Stunden in kalter konzentrierter Kalilauge mazeriert. Nach Auswaschen mit Wasser scheinen die Zellen leer zu sein, setzt man aber verdünnte Essigsäure zu, so entsteht ein sehr feinkörniger Nieder- schlag, der das Zellinnere ganz auszufüllen scheint und nur ganz undeutlicke Andeutungen der beschrie- benen Gitter erkennen läßt. Kocht man nun, um zu entstärken, Y, Stunde mit Salzsäure (1:4) und wäscht dann mit Wasser aus, so sieht man die großen Oberzellen durchzogen von einem zarten Plasmanetzwerk, welches von zahlreichen kleinen Körnchen und Tröpfehen durchsetzt ist und runde, helle und farblose Räume umschließt, welche in ihrer Anordnung durchaus der der ehemaligen Chloro- phylikörner entsprechen und offenbar die etwas ge- quollenen entfärbten Stromata sind, welche das fig. 17. Oberzelle, Hi ’ i en des plasmolysier, Al- Eosin nicht aufnehmen und in den Masch ee al roten Plasmanetzes liegen. In den kleinen Unter- KOH-Lauge gekocht, zellen tritt dies in der Anordnung der hellen Flecken dann: auge mon noch wesentlich deutlicher hervor, zumal hier der siert, Auswaschen mit i : inkörnigen asser, Ausfällen Zellraum mehr gleichmäßig von der feinkörnigs mit vordünnter Bun Substanz ausgefüllt wird, welehe dem teilweise durch säure, Kochen mit die Kalilauge gequollenen und durch die Säure Beladung orittr- wieder gefällten Plasma entspricht, von dem sicher die Hauptmasse in ihrer ursprünglichen Form und Anordnung erhalten geblieben ist. F.J. Noll (Bot. Zentralbl. 1885, Bd. XXI, pag. 377) hat seiner Zeit Eau de Javelle als Aufhellungs- und Lösungsmittel für Plasma emp- fohlen und ich habe daher nicht versäumt, auch dieses sehr energisch wirkende Reagens anzuwenden. Nicht wenig war ich überrascht, daß fast sofort nach dem Eindecken eines Elodeablattes, welches plasmo- lysiert und dann durch langes Liegen in Alkohol fast völlig entfärbt war, braunrote Kristalle in sehr vielen Zellen anschießen, die nach Form und Gruppierung durchaus den Chlorophyilan entsprechen und jedenfalls mit den braunen Kristallen identisch sind, die nach Zusatz von Glyzerin zu plasmolysierten und dann mit Alkohol behandelten Blättern oft entstehen (Fig. 18a). Es ist bemerkenswert, daß die Bildung derselben in beiden Fällen nicht in jeder Zelle erfolgt, sondern immer 598 W. Biedermann, nur auf einzelne beschränkt bleibt. Immerhin findet man fast in jedem Gesichtsfeld einige solche. Wenn man gleicherweise vorbehandelte Blätter nach langem Liegen in Alkohol zu dem Versuche verwendet, so daß keine Spur von grüner Färbung mehr erkennbar ist, so bleibt nach Zusatz von Eau de Javelle die Kristallbildung keineswegs aus, aber man kann den Vorgang nun leicht übersehen, denn die entstandenenKriställchen sind zwar in Größe und Form den rotbraunen ganz gleich, aber völlig farblos und durchsichtig (Fig. 185). Es scheint daher, daß der offenbar aus dem Chloro- phyll stammende Farbstoff mit einer an sich farblosen kristallisierenden Grund- substanz verbunden ist, die sich auch dann ausscheidet, wenn kein Chlorophyllgrün mehr vorhanden ist. Unter allen Umständen tritt bei Einwirkung des in Rede stehenden Rea- gens eine überraschend schnelle Lösung des Plasmas, sowie der Chlorophylikörner ein und bleiben davon höchstens Spuren einer fein- körnigen Masse zurück. Anders verhält es sich mit den früher erwähnten stark licht- brechenden Körperchen, welche in plasmoly- sierten Zellen bei Alkoholbehandlung auftreten und nach Wasserzusatz kleine, sich mit Os- Fig. 18. mium schwärzende Tröpfelen abspalten (vgl. Fig. 4a). Ausjenen Körperchen entstehen bei Zusatz von Eau de Javelle sofort farblose, sehr stark lichtbrechende Tröpfchen, welche das Zeilinnere meist dicht erfüllen und dann nebst den Stärkeeinschlüssen der Chlorophylikörner und even- tuell jenen Kristallen die einzigen geformten Inhaltsbestandteile der Zellen bilden. Trotz ihrer auffallenden Ähnlichkeit mit Fett sind sie doch sicher keines, denn so haltbar sie. in dem zugesetzten Reagens sind, verblassen sie doch sofort bei Wasserzusatz und werden, ohne sich etwa zu lösen, so schwach lichtbrechend, daß man sie nur schwer zu erkennen vermag. Behandelt man jetzt mit Osmium, so färben sich die Tropfen grauschwärzlich. und verraten dadurch ihre fettähnliche (lipoide) Natur. Nicht selten entstehen bei Wasserzusatz aus jenen Tropfen durch teilweises Zusammen- und Auseinanderfließen förmliche Netze und Schlieren ganz ähnlich, wie sie unter Umständen auch Fette beim Ausschmieren auf einer Glasplatte bilden. Mit Osmium färben Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 599 sich auch diese schwärzlich, was namentlich dann sehr auffallend wird, wenn bei Glyzerin oder Wasserzusatz jene Schlieren ‚sich zu größeren Tropfen zusammenziehen, die nun fast schwarz erscheinen. Es liefern, wie mir scheint, diese Befunde, eine weitere Bestätigung für die oben ausgesprochene Ansicht, daß das, was durch Alkohol, sowie durch feuchte Wärme aus den Chlorophylikörnern herausgelöst wird, eine sehr kompliziert zusammengesetzte Substanz ist, die außer Chlorophylifarbstoff auch einen „lecithoiden“ Kör- per, sowie wahrscheinlich eine Eiweißkomponente enthält (Lecithalbumin?), Da durch Eau de Javelle wirklich eine fast restlose Lösung der Chloroplasten sowohl, wie des Plasmas bewirkt wird, so wäre es von großem Interesse, eine solche Lösung makrochemisch zu untersuchen, wozu mir aber bisher die Zeit fehlte. Bei der außerordentlichen Wider- standsfähigkeit, welche der Zellinhalt im gegebenen Falle selbst gegen stärkste Laugen und Mineralsäuren, auch sogar beim Kochen, zeigt, lag es nahe, sein Verhalten gegen Verdauungsfermente zu prüfen. Schon vor Jahren hatte ich beobachtet, daß der Verdauungssaft von Schmetter- lingsraupen imstande ist, pflanzliches Plasma, sowie die eingeschlossenen Chlorophylikörner restlos zu lösen, vorausgesetzt, daß der Zellinhalt bloßliegt. Dagegen erwies sich das gleiche, sehr wirksame (tryptische) Ferment als ganz unfähig durch die geschlossene Zeilmembran hindurch den Inhalt zu beeinflussen. Gleich der erste Versuch, den ich mit frischen Elodeablättern und einem sehr kräftigen Pepsinpräparat an- stellte, überzeugte mich, daß von einer verdauenden Wirkung an den geschlossenen Zellen auch bei noch so langer Dauer des Versuches gar nicht die Rede sein kann. Alle Veränderungen, die sich in solchem Falle geltend machen, sind nichts anderes als reine Säurewirkungen, die in ganz gleicher Weise eintreten, wenn man das Pepsin wegläßt. Ebensowenig war ich in der Lage, pep- tische Verdauungswirkungen an lange gekochten, sowie an plasmoly- sierten und dann mit Alkohol behandelten Blättern festzustellen. Benützt man frische, nieht weiter vorbereitete Blätter, so kommen, da ja vom Plasma so gut wie nichts zu sehen ist, nur die Chloroplasten in Betracht. Diese nehmen in Verdauungssalzsäure sehr bald eine gelbliche Farbe an und in der Regel kommt es auch zu mehr oder weniger reichlicher Bildung von Chlorophyllan, welches sich in bekannter Weise entweder deutlich kristallinisch oder in Gestalt von den einzelnen Körnern an- haftenden rotbraunen Tröpfchen ausscheidet (vgl. Molisch, Mikrochemie der Pflanze 1913, pag.223). Im übrigen habe ich aber keinerlei sichtbare 600 W. Biedermann, Veränderungen der Chloroplasten feststellen können. Der Zellkern bleibt stets gut sichtbar und zeigt ein feinkörniges Aussehen. Wie man sieht, liefern diese Befunde keine sichere Entscheidung darüber, ob der Zellinhalt von Pepsinsalzsäure überhaupt nicht an- gegriffen wird oder ob die Wirkung nur deswegen ausbleibt, weil das Ferment als kolloidale Substanz gar nicht eindringt. Bei der prinzi- piellen Bedeutung dieser Frage war ich bemüht, eine sichere Ent- scheidung herbeizuführen, um so mehr als die künstliche Pepsinver- dauung bereits mehrfach in der Mikrochemie nicht nur tierischer, sondern auch pflanzlicher Gewebe Verwendung gefunden hat. Handelt es sich um membranlose nackte Plasmakörper, dann ist ein solches Verfahren natürlich ohne weiteres gerechtfertigt, nicht so aber bei Pflanzenzellen mit Zeilulosemembranen. Hier hätte doch unter allen Umständen erst der Nachweis geführt werden müssen, daß die benützten Fermente auch wirklich eindringen. Von Botanikern hat namentlich Zacharias!) die Einwirkung der Verdauungsfermente auf den Zellkern und das Zytoplasma studiert. Seiner Ansicht nach besteht „die Hauptmasse der N-haltigen, in Alkohol unlöslichen Substanzen des Zellinhaltes aus Ei- weißstoffen, Nuklein und Plastin“, Das letztere soll in den erwachsenen Laubblättern einen wesentlichen Bestandteil des Plasmas, sowie auch der Chloroplasten und des Kernes bilden. Man sucht in den Abhand- lungen von Zacharias vergeblich nach einer genaueren Begründung der Zulässigkeit der Verdauungsmethode in der von ihm gewählten Form. Er scheint es für selbstverständlich zu halten, daß das Ferment in die unverletzten Zellen eindringt und hier seine Wirkung entfaltet und auch andere sind ibm hierin gefolgt. Aus den Versuchsergebnissen von Zacharias geht dies nicht unmittelbar hervor. Die Veränderungen, die er an pflanzlichen Zellkernen als Folge künstlicher Verdauung mit Pepsin beobachtete, unterscheiden sich nicht erheblich von jenen, weiche auch reine verdünnte Salzsäure (0,1°/,) hervorbringt. Letzteren- falls „quilit der Nucleolus, während die Körperchen (d. h. das Chro- matin) sehr scharf hervortreten* ...... „Unterwirft man Schnitte aus frischen Wurzeln (von Phajus grandifolius) der Verdauung in künst- lichen Magensaft, so werden die Körperchen ungemein stark licht- brechend und scharf konturiert, während Nucleoli und Zwischensubstanz ein etwas gequollenes, blasses Aussehen erhalten, was auch bei den unverdaulichen Teilen des Protoplasmas der Fall ist* Zacharias gibt weiter noch an, daß das Plastin sich dadurch mikro- 1) Ber. d. D. Bot. Gesellsch. 1883, Bd. XI. Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Fiodea. 601 chemisch von den Nukleinen unterscheidet, daß es nach Behandlung mit Pepsinlösung in 10% iger Kochsalzlösung nicht verquillt. Es sind also im wesentlichen negative Merkmale, durch welche die fragliche Substanz charakterisiert erscheint und es mußte daher zunächst gezeigt werden, daß die Unverdaulichkeit des Plastins nicht etwa nur durch das Nichteindringen des Pepsins in die Zellen vorgetäuscht wird, sondern auch dann besteht, wenn der Zellinhalt freiliegt. Dies läßt sich nun in einfachster Weise zeigen, wenn man in kleine Stücke zerschnittene frische oder sonstwie vorbehandelte Blätter der Verdauung unterwirft. Bleiben dann auch angeschnittene und so eröffnete Zellen unversehrt, so ist der gewünschte Beweis geliefert. Zu solchen Versuchen eignen sich Elodeablätter ganz ausgezeichnet und liefern mit aller Sicherheit den Beweis, daß sowohl die Chlorophylikörner wie auch das Plasma völlig unverdaulich sind. Von den ersteren behauptet Zacharias, daß sie in Magensaft lösliche Substanz ent- halten; ich habe mich davon nicht überzeugen können. Zur Verwendung kamen bei meinen Versuchen nicht nur frische Blätter, sondern auch solche, die vorher plasmolysiert und dann mit Alkohol behandelt worden waren und es lieferten namentlich diese letzteren außerordentlich klare und übersichtliche Präparate. Gerne hätte ich noch nach Analogie meiner früheren Versuche mit Raupen völlig isolierten Zellinhalt nach Lösung der Zellulose mittels Schneckeneytase geprüft, mußte dies aber bis zum Eivtritt der wärmeren Jahreszeit verschieben. Doch gelang es den Zellinhalt in seiner Gesamtheit, wiewohl nicht unverändert, durch Behandlung mit Schwefelsäure frei zu machen und zu prüfen. Schon H. v. Mohl (Bot. Zeitg. 1844) machte auf die Widerstandsfähigkeit des „Primordialschlauches“ gegen Schwefelsäure aufmerksam und Zacharias erwähnt, daß „englische Schwefelsäure von dünnen Schnitten junger Blätter von Allium cepa die Zellwände vollkommen auflöst und die Primordiaischläuche übrig läßt; dasselbe geschieht bei in Alkohol entfärbten Blättern“. Bringt man zu einem Blattstück von Elodea konzentrierte H,SO,, so lösen sich unter den Augen des Beobachters nicht nur die Zellmembranen, sondern auch der Zellinhalt anscheinend vollständig auf. Einer solchen Behandlung mit nur wenig verdünnter Schwefelsäure (zwei Teile Säure, ein Teil Wasser) hat man sich in neuerer Zeit mit Vorteil zur Aufschließung sonst schwer zugänglichen Zellinhaltes bedient, so namentlich bei Bakterien. Sakae Tamura?) erhielt bei Zerreiben 1) Zur Chemie der Bakterien. Zeitschr. f. phys. Chem. 1914, Bd. LXXXIX, pag. 293. 602 W. Biedermann, entfetteter und getrockneter Diphtheriebazillen mit in dem angegebenen Verhältnis verdünnter H,SO, vollständige Zerstörung des Bakterienleibes. Beim Verdünnen der schwefelsauren Lösung mit Wasser entstand eine Fällung, die im wesentlichen aus „Eiweiß“ bestand und fast alle bekannten Eiweißreaktionen gab. Die Masse war teilweise löslich in Wasser, verdünnter NaCl-Lösung, verdünnten Alkalien und konzen- trierter H,SO,. Während also in diesem Falle wirkliche Lösung des Zellinhaltes erfolgt, gilt dies für Elodeazellen keineswegs und zwar weder im frischen noch im gehärteten Zustande. Behandelt man ein frisches Blatt auf dem Objektträger mit konzentrierter H,SO,, so ver- ändert sich die Farbe sofort zu einem schönen Blaugrün und man bemerkt, daß Membranen und Zellinhalt stark aufquellen. Der letztere verwandelt sich bald in eine anscheinend ganz homogene Masse, welche den Zellraum aber nieht ganz ausfüllt und hier und da noch Andeu- tungen einer Struktur in Form von kleinen Körnchen oder Tröpfchen erkennen läßt, die offenbar den Chloroplasten entsprechen. Wenn die Säure längere Zeit eingewirkt hat, möchte man wohl glauben, daß nun wirklieh der Zellinhalt gelöst ist, denn alles scheint zu einer gleich- förmigen Masse zerflossen. Wäscht man solche Präparate aber sorg- fältig mit Wasser aus, so findet man jeder Zelle entsprechend einen scharf konturierten, wurstförmigen, bräunlichgelb gefärbten Körper, der offenbar den größten Teil des stark geschrumpften Zellinhaltes darstellt und entweder ganz homogen erscheint oder eine schaumige (wabige) Struktur zeigt, die auch hier in der Hauptsache durch die Herauslösung der Stärke- einschlüsse zustande kommt. Der Raum außerhalb des wurstförmigen Inhaltskörpers erscheint ausgefüllt von einer sehr zart granulierten, farblosen Substanz, die offenbar eine Fällung darstellt, welche durch den Wasserzusatz entstanden ist. Nicht so heftig, aber im Ganzen ebenso, wirkt Schwefelsäure, die im Verhältnis von 2:1 mit Wasser verdünnt wurde. Außerordentlich zierliche und sehr instruktive Präparate erhält man, wenn plasmolysierte und mit Alkohol entfärbte Blätter längere Zeit (4—12 Stunden) mit solcher Schwefelsäure behandelt werden. Dabei wird eine große Menge von Zellen gesprengt und die Inhaltskörper liegen dann völlig frei, schwimmen in der umgebenen Flüssigkeit oder kleben der Oberfläche des Blattes an. Nach dem Auswaschen mit Wasser besitzt jeder solche Körper im optischen Längsschnitt etwa die Form eines je nach der Länge der Zelle mehr oder weniger gestreckten Rechteckes, dessen Seiten den Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodea. 603 entsprechenden Grenzflächen der Zelle parallel laufen. In der Mitte des in Wirklichkeit etwa zylindrischen Körpers befindet sich ent- sprechend dem zentralen, durch die Plasmolyse entstandenen Plasma- ehlorophyliballens eine spindelförmige, meist etwas gelblich gefärbte Anschwellung, welche dicht nebeneinanderliegende, runde oder länglich- spaltförmige helle Lücken zeigt, so daß das Ganze oft täuschend an gewisse Radiolariengehäuse erinnert, zumal der Wulst aus einer ziemlich stark lichtbrechenden homogenen Grundsubstanz gebildet wird (Fig. 192 und 5). Da diese scheinbaren Löcher nur dann zustande kom- men, wenn die Chloroplasten Stärkeeinschlüsse besitzen und um so deutlicher werden, je größer diese letzteren sind, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß sie durch Herauslösung derselben entstandene Lücken darstellen. Daß Stärke als solche nicht mehr vorhanden ist, läßt sich durch Jodzusatz leicht er- weisen. Im übrigen sind die Chloroplasten als solche auch nicht andeutungsweise mehr zu erkennen, sie sind mit dem um- gebenden Plasma unter dem Ein- Fig. 19. fluß der Säure zu einer anschei- nend ganz homogenen Masse zusammengeschweißt. Gleichwohl gelingt es durch nachträgliche Behandlung solcher Präparate mit konzentrierter Kali- lauge dieselben als wohl voneinander getrennte Scheibchen mit bei gewisser Einstellung dunklerer Mitte und hellem Rande wieder ganz deutlich sichtbar zu machen (Fig. 19). Die über die mittlere scheinbar gegitterte Anschwellung beiderseits hinausragenden Enden des ganzen Gebildes entsprechen selbstverständlich der Plasmaumhüllung der ursprünglichen, in der Längsrichtung der Zelle gestreckten, den Chlorophyliballen um- schließenden Zellsaftvakuole. Sie erscheinen nach Schwefelsäurebehand- lung immer fein granuliert, farblos und viel schwächer lichtbrechend als die Mitte, so daß das relativ starke Lichtbrechungsvermögen dieser wohl nur dem Stroma der Chloroplasten zuzuschreiben sein dürfte. Die eben gegebene Beschreibung bezieht sich in erster Linie auf die kleineren schmalen Unterzellen, bei den Oberzellen verhält sich alles 604 W. Biedermann, ebenso, nur sind natürlich die Formen entsprechend der bedeutenderen Größe viel plumper. Es muß noch erwähnt werden, daß in den mit H,SO, behandelten Blattzellen sich sowohl die Chlorophylikörner wie das Plasma sehr intensiv mit Methylenblau färben. Hier bietet sich nun Gelegenheit, die Einwirkung der Pepsin- salzsäure auf völlig freiliegenden, wenn auch natürlich durch die Säure schon mehr oder weniger veränderten Zellinhalt zu prüfen und dabei zeigt sich nun wiederum, daß bei noch so lange fortgesetzter Verdauung keine$pureinerVeränderung an den isolierten Inhaltskörpern zu bemerken ist. Sie verhalten sich ab- solut widerstandsfähig. Wenn also etwas vom Inhalt der Zellen im gegebenen Falle bei Einwirkung von künstlichem Magensaft gelöst wird, so kann es sich nur um die geringen Eiweißmengen handeln, welche von vorneherein im Zellsaft gelöst vorkommen. Da man allen Grund hat anzunehmen, daß sich pflanzliches Plasma verschiedener Herkunft nicht prinzipiell verschieden verhalten wird, so ergibt sich in praktischer Hinsicht, daß Pflanzenzellen, gleichgültig ob roh oder gekocht oder sonstwie zubereitet, vom sauren Magen- saft auch dann so gut wie gar nicht angegriffen werden, wenn sie vollkommen eröffnet sind. Nicht nur die Kerne sind in Pepsin-HCl unverdaulich, sondern ebenso auch die Chloro- phylikörner und wenigstens zum weitaus größten Teil das Plasma. Hält man demnach die Unverdaulichkeit in Pepsin-HCI für ein charakteristisches Merkmal des sogenannten „Plastins“, so müßte man sagen, daß auch das strömende Plasma der Elodea- zellen in der Hauptsache aus einem solchen Proteid besteht. Unter allen Umständen muß der größte Nachdruck auf die ganz erstaunliche Widerstandsfähigkeit des lebendigen Zellinhaltes gelegt werden. Die Eigenart desselben in chemischer Hinsicht macht sich, wie schon mehrfach beobachtet wurde, auch darin geltend, daß fast alle bekannten Farbenreaktionen auf Eiweißkörper negativ ausfallen. Im höchsten Grade überraschend ist nun das Verhalten des Zell- inhaltes gegen Trypsin, über das ich hier nur in aller Kürze be- richten möchte. Die ersten Versuche mit frischen Blättern fielen durchweg negativ aus, denn ich konnte selbst bei tagelang fortgesetzter Verdauung mit äußerst wirksamem Trypsin in 0,5 Sodalösung keine irgend erheb- lichen Veränderungen feststellen. Die Chloroplasten blieben auch’ in angeschnittenen Zellen in Form und Farbe erhalten, dagegen war rasche Verdauung an plasmolysierten und dann mit Alkohol Mikrochemische Beobachtungen an den Blattzellen von Elodes. 605 extrahierten Präparaten auch in den geschlossenen Zellen nachzuweisen. Schon nach kurzer Zeit trat völlige Lösung des Plasmas, wie auch der Chloroplasten ein, so daß die Stärkeeinschlüsse der letzteren ganz isoliert wurden und ihr völliges Freisein durch Brown’sche Molekularbewegung verrieten. Es scheint also, daß alkohollösliche (lipoide) Substanzen des Plasmas und der Chloroplasten einen sehr wirksamen Schutz gegen die Ein- wirkung des Trypsins verleihen. Äußerst energisch wirkte Trypsin auch nach vorhergehender Schwefelsäurebehandlung. Wird ein solches Präparat nach gehörigem Auswaschen mit Wasser mit Trypsinsodalösung eingedeckt, so erfolgt schon bei gewöhnlicher Zimmertemperatur rasche und vollständige Lösung des gesamten Zell- inhaltes. Es wird sich auf Grund dieser Erfahrung leicht ein Verfahren ausarbeiten lassen, um von anderen Beimischungen nach Möglichkeit befreites „Plastin“ einer makrochemischen Analyse zugänglich zu machen, die über die besonderen Eigenschaften dieses eigenartigen Pro- teids Aufschluß zu geben verspricht. Ich darf schon jetzt sagen, daß pflanzliches Plasma in allen von mir bisher geprüften Fällen das gleiche Verhalten zeigte, so daß die bisherigen Versuche über künstliche Ver- dauung von Pflanzenstoffen einer gründlichen Revision bedürfen. Biologische Studien mit Botrytis cinerea. Von ®, Büsgen. Seit der für die Kenntnis der Lebensweise halbparasitischer Pilze grundlegenden Arbeit de Bary’s (Über einige Sklerotinien usw., Botan. Zeitung 1886) ist Botrytis einerea vielfach Gegenstand biologischer Unter- suchungen gewesen; man findet sie in Lafar’s Handbuch der technischen Mykologie, in Lindau’s Bearbeitung der pflanzlichen Parasiten in der 3. Auflage von Sorauer’s Handbuch der Pflanzenkrankheiten (1908) und in einer Arbeit von H. Otto über die Auflösung von Zellulosen und Zellwänden durch Pilze (Beitr. zur allgem. Botanik, herausg. von Haberlandt 1916, Bd. I, 2) angegeben und verwertet. Noch immer aber ist das Bild, das man sich von der Wirkungsweise des Pilzes ent- werfen kann, nicht in allen Zügen klar. Zunächst wäre die Speziesfrage aufzuhellen, dann das Verhalten des Pilzes gegen eine größere Anzahl von Pflanzen im Zusammenhang mit deren Beschaffenheit näher zu prüfen; endlich müßten seine Enzyme einer umfassenden Untersuchung unterworfen werden. Ich selbst beabsichtigte hier nur einen kleinen vorläufigen Beitrag zur Lösung dieser Fragen zu geben, deren völlige Klärung die Arbeit längerer Zeit erfordert. Von der Frage ausgehend, warum so viele Pflanzen, die in der Natur unter Bedingungen wachsen, welche der Pilzentwieklung äußerst günstig sind, von einem so wenig wählerischen allverbreiteten Pilz, wie es die Botrytis ist, gleichwohl ver- schont werden, führte ich mit Hilfe einer feuchten Kammer von etwa 0,5 cbm Inhalt eine größere Zahl von Infektionen aus, um dann die auftretenden Krankheitserscheinungen näher zu studieren. Hand in Hand damit ging Kultur des Pilzes auf allerlei Nährlösungen. Ausgangs- material für Infektionen und Kulturen wurde im Spätsommer 1917 einem Blütenblatt von Pelargonium zonale entnommen. Es lieferte anfangs weiß, dann grau gefärbte flockige Myzelhäute mit gabelig und razemös verzweigten Hyphen, die in guten Nährlösungen (6 %, Trauben- zucker) lang und gradwüchsig, in ärmeren (1/, %, Traubenzucker) kurz- zweigig und vielfach geschlängelt waren. Die Hyphen drangen nur wenig in die Unterlage ein, sind also sehr luftbedürftig. Sie wuchsen am raschesten bei etwa 20 bis 25 Grad und sterben nach früheren Biologische Studien mit Botrytis cinerea, 607 Beobachtern bei 55 Grad in einigen Minuten ab (Lafar, I. c. 5, 66). Einen bekannten Kollegversuch liefert eine mit Lakmus tiefblau gefärbte Kultur auf Agar mit Traubenzucker und Fleischextrakt oder etwas Pepton. Sie färbt sich rot soweit die wachsenden Hyphen reichen infolge der lang bekannten Oxalsäurebildung durch den Pilz. Auf genannten Lösungen wie auf Kirschblattextrakt, mit oder olne Zusatz von Agar, bildeten die Myzelien Konidienträger, die mehrere Scheinquirle von kurzen dieken Konidien tragenden Ästen und eine endständige konidien- tragende Rispe entwickelten. Die Gestalt der Konidien liegt zwischen der eines Eies und eines Ellipsoids, bald mehr dem ersteren, bald mehr dem letzteren gleichend. Der größte Durchmesser senkrecht zur Längs- achse betrug in der Regel 5—5,5 u; doch kommen auch größere und kleinere Konidien vor, ohne daß in dieser Beziehung ein durchgängiger Unterschied zwischen üppigen und schwachen Myzelien bestünde. Im Hängetropfen neben einem Blatt von Mnium hornum in reinem Wasser erhielt ich die von Beauverie!) beschriebenen kleinen kugligen Se- kundärsporen oder Sporidien. Sie entstanden apikal und seitlich an kurzen etwas ansgebauchten Myzelästchen, die manchmal neben einer normalen Hyphe aus der Spore heraus wuchsen oder seitlich an einer gewöhnlichen Hyphe entsprangen. Da diese Hyphen ihr Plasma gänz- lich verbraucht hatten, hat man die Sporidien als Aushilfsbildungen anzusehen, die ein Auswandern des Pilzes aus ungünstiger Umgebung möglich machen. Bei Kultur in Petrischalen erhält man auf guten Nährlösungen (5°/, und mehr Traubenzucker mit Pepton und einem Nährsalzgemisch) leicht Sklerotien von sehr verschiedener Gestalt. Auf austrocknendem Agar flach scheibenförmig wie auf Blättern (Prunus Laurocerasus) sind sie auf frischem Agar und auf Lösungen ohne Agar etwa halbkugelig oder unregelmäßig höckrig, Halbkugeln erreichen etwa 1--2 mm Durchmesser, die höckrigen Körper können 1 cm. breit werden. Auf kleinen, aus einer oder wenigen Konidien hervor- gegangenen Myzelien können stecknadelkopfgroße rundliche Sklerotien auftreten. Sie sind nicht zu verwechseln mit den von mir früher?) beschriebenen schwarzen Haftbüscheln (Appressorien), die am Rand der Petrischalen oft in Menge sich ausbilden und die Größe kleiner Sklero- tien erreichen können. Beachtenswert ist, daß ich die beste Sklerotien- bildung in einer 15 cm breiten Petrischale erhielt. In kleineren Schalen 1) Etudes sur le polymorphisme des Champignons. Ann. universite de Lyon. Nouv, ser. 1, Fase. 3, Paris 1900. 2) Über einige Eigenschaften der Keimlinge parasitischer Pilze. Bot. Zeitung 1893, Bd. LI. 608 M. Büsgen, herrscht Konidienbildung vor oder diese tritt ausschließlich auf. In Erlenmeyerkölbehen erhielt ich fast nur Konidien. Dies rührt daher, daß Konidienbildung und Sklerotien sich bis zu einem gewissen Grade ausschließen. In Erlenmeyerkolben aber sind die Bedingungen für die Konidienbildung günstiger als in den flachen Petrischalen, weil dort ein größerer Unterschied im Feuchtigkeitsgehalt zwischen Unterlage und Luft sich ausbilden kann als in den flachen Schalen mit ihrer niedrigen Luftschicht. Bei zur Sklerotienentwicklung nicht ausreichender Ernäh- rung, 2. B. in schwachen Traubenzuckerlösungen mit wenig Fleisch- extrakt, erhält man in kleineren Schalen ein unfruchtbares, allmählich vergrauendes Myzel, auf dem zerstreute graue Polster von etwa 2 mm Durchmesser auftreten, die weder zu Sklerotien werden, noch Konidien- träger entwickeln. Ihre Lufthyphen sind an den Spitzen reich verzweigt und zeigen dort Übergangsbildungen zwischen normalen Konidien und solchen, die vor ihrer Fertigstellung wieder in Fäden übergegangen sind, also gewissermaßen schon vor ihrer Vollendung gekeimt hatten. Beauverie hat neben normalen Konidienträgern auch diese Bildungen beobachtet und zwar auf den verschiedensten Unterlagen bei einer konstanten Temperatur von 30 Grad. Wahrscheinlich war überall die Nährstoffmenge, insbesondere der Stickstoffgehalt der Unterlage zu klein zur Sklerotienbildung und die Luftfeuchtigkeit zu groß zur Bildung von Konidien. Auf feuchte Erde gelegt, überzogen sich die Sklerotien bald mit einem dichten Wald positiv heliotropischer Konidienträger. Andere Fruchtformen traten auch nach monatelangem Liegen nicht auf. Da indessen Beauverie aus Botrytis-Sklerotien Fruchtträger erhielt, wenn sie mehrere Millimeter tief in den Boden eingesenkt waren, hoffe ich auch noch Askusfrüchte zu erhalten. Die Askosporen Beauverie’s maßen 9—10 #:5—6 „; der Stiel der Becher war 2—10 mm lang. Seit de Bary’s Untersuchungen an Selerotinia Libertiana weiß man, daß die Infektion von Pflanzenteilen durch Sporen in Tropfen reinen Wassers nicht sicher gelingt. Manche Pilze erwerben erst durch anfängliche saprophytische Ernährung parasitische Angriffskraft. Für Botrytis einerea wird angegeben, daß besonders große Sporen direkt angriffsfähige Keimschläuche erzeugten nnd Kißling‘) und Nord- hausen®) sahen, daß unter bestimmten Bedingungen Infektion mit Sporen gelang, dann nämlich, wenn sehr dünnwandige Gewebe wie ı Zur Biologie der Botrytis eineres. Inaug.-Diss. Bern, Dresden 1889. 2) Beiträge zur Biologie parasitärer Pilze, Jahrb. £, wiss. Bot. 1899, Bd. XXX. Biologische Studien mit Botrytis einerea. 609 Blumenblattzellen vorlagen oder die Keimung in nur sehr geringen Wassermengen vor sich ging, welche das von der keimenden Spore ausgeschiedene Gift nicht zu sehr verdünnten. Um alle Unsicherheiten zu vermeiden, benutzte ich bei meinen Versuchen kleine, von Myzel durchwucherte Stückchen eines Traubenzucker-Fleischextraktlösung ent- haltenden Agars. Je drei bis vier Agarstückchen wurden beiderseits des Mittelnerven auf die Ober- oder Unterseite der Versuchsblätter gebracht, auf der einen Blatthälfte auf kurze Schnittwunden, auf der anderen auf die unverletzte Oberhaut. An den Wundstellen gelang die Infektion ausnahmslos bei Pflanzen der verschiedensten Familien. Die Krankheitserscheinung an infizierten Blättern ist das Auf- treten eines Flecks, der sich von der Infektionsstelle aus mitunter kreisförmig erweitert, Öfter aber entlang den stärkeren Blattnerven rascher sich ausdehnt als in dem zwischenliegenden Parenchym. Bei Rumex obtusifolius schritt die Infektion manchmal nur den Nerven entlang vorwärts, indem beiderseits derselben Bräunung des Blatt- gewebes auf kurze Entfernung von dem Nerven eintrat. Nicht selten zeigte sich der Fleck von einer unregelmäßig eckigen Figur begrenzt, weil auch die schwächeren Blattnerven das Fortschreiten der Pilzwirkung quer über sie hinweg hemmen. Weder die Hyphen noch die giftigen Ausscheidungen des Pilzes passieren leicht die Polster von Hartgewebe, welche beiderseits des Nervengefäßbündels den Raum zwischen diesem und der Blattoberhaut erfüllen und, wie Zeiylstra!) gezeigt hat, auch denı Gasaustausch im Blattinnern Schwierigkeiten machen. Die Farbe der Krankheitsflecke ist je nach der Beschaffenheit der Blätter ver- schieden. Gewöhnlich ist der mittlere Teil bleigrau, weil dort die Cutieula oder der ganze äußere Teil der Oberhaut sich abgehoben hat und Luft eingedrungen ist. Der Rand ist oft dunkelgrün und durch- scheinend infolge des Eintretens von Zellsaft aus den vergifteten Zellen in die Zwischenzellräume. Sind in dem Safte Stoffe vorhanden, die durch Oxydation sich braun oder schwarz färben, so nehmen die in- filtrierten Partien diese Farbe an, die z. B. bei Sambucus nigra sich weit über das kranke Blatt erstrecken kann. Bei Prunus Laurocerasus und Prunus avium wiesen die kranken Blattstellen zierliche, aus weißen Pünktchen zusammengesetzte Linien auf, welche, die Infektionsstelle im allgemeinen kreisförmig umziehend, im einzelnen kurzbogig den kleineren . Nerven folgten und entlang den stärkeren über die Kreislinie hinaus- gingen. Die weißen Pünktchen bestanden aus sphaerokrißtallinischen }) Acad. proefschrift. Groningen 1909, Flora. Bd. ill. 39 610 M. Büsgen, Aggregaten, die, in Essigsäure unlöslich, mit konzentrierter Schwefel- säure nach anfänglicher Lösung feine Nadeln lieferten. Sie waren demnach Kalziumoxalat, das in dem Maße wie das Myzelium zentrifugal sich ausbreitet, zonenweise zur Abscheidung gelangt ist. Die Erscheinung wird sich daraus erklären, daß jedesmal um einen vorhandenen Kristall- keim, wenn die Konzentration ein gewisse Höhe erreicht hat, Ausscheidung des Salzes stattfinde. Man wird an die Schichtungen und Zonen- bildungen, auf welche Küster?) aufmerksam gemacht hat, erinnert. Sie lassen sich in kolloidalen Substanzen auch bei vollkommener Gleich- mäßigkeit der äußeren Bedingungen hervorrufen und hängen nur von den Eigenschaften der gegeneinander sich umsetzenden Stoffe ab. Die Schnelligkeit, mit der die Krankheitsflecke sich ausdehnen, ist nach den Umständen und nach der Versuchspflanze verschieden. Einige Beispiele ihres Wachsens bei warmer Sommertemperatur gibt die Tabelle. Sie enthält das Durchschnittswachstum der Flecke während der ersten 2—5 Tage nach der Infektion in Millimetern. Ranuneulus repens ...... 6,6 Stachys silvatiea . ....... 6,6 Lonieera orientalis ... 2... 5,6 Lonicera coerulea . ...... 50 Syringa vulgaris .. 22 2.2.. 50 Urtiea dioia . 2.2.2220. 5,0 Asclepias syriaa . . 2.2... 4,7 Prunus arium . .. 2.2... 4,5 Prunus Padus . 2.22 2.2.. 437 Robinia Pseudacacia . ... . . 4,2 Symphoricarpus racemosa . . . . 4,16 Ulmus montana . 2.2.22 .. 375 Sambucus nigra . 22...» 3,6 Glechoma hederacea ...... 30 Evonymus europ. .......- 3,0 Rhamnus Frangula . . 2... 2,75 Forsythia intermedia . . . .. - 2,75 Vitis vinifera oo oo e. 25 Alesp „2.222020. 2,5 Populus alba 2... 2222 .. %4 Tilia parrifolia . 2.222... 2,25 Cornus sangninea 2. 222... EA Bu ı 1.2) 23,0 Sedum maximum . 2.2... 2,0 Liquidambar styraciflua .... 19 Dex Aquifolium . . 22.2... 15 Liguatrum vulgare .. 2.2... 14 Mit der fortschreitenden Größe nahm die Geschwindigkeit des Wachsens der Flecke zu, weil mit der Größe des Myzels auch die Giftwirkung sich steigert. So wuchs bei Prunus Padus der Fleck in den ersten Tagen durchschnittlich 4,37 mm, an den beiden folgenden je 11 mm, bei Ulmus montana an den ersten 4 Tagen je 3,75, an den beiden folgenden ebenfalls je 11 mm; bei Symphoricarpus an den ersten 3 Tagen Je 4,6 mm, an den beiden folgenden je 8,5 mm; bei Cornus sanguinea an den ersten 3 Tagen je 2 mm, an den 2 folgenden je 3 mm. Bei längerer Beobachtung traten im Verhalten der Pflanzen wesentliche 1) Über Zonenbildung in kolleidalen Medien. Jena 1913, G. Fischer.” Biologische Studien mit Botrytis cinerea. 611 Unterschiede hervor. Bei Liquidambar und Forsythia stand das Wachstum der Flecke nach dem 7. Tage still, während es in anderen Fällen bis zu gänzlicher Zerstörung des Blattes fortschritt. Fortschreitende Zerstörung zeigten z. B.: ' Iris sp., Polygonatum giganteum, Tradescantia sp., Salix daphnoides, Urtiea dioica, Rumex acetosa, Ranunculus repens, Phaseolus multiflorus, Pelargonium zonale, Ruta graveolens, Staphylea pinnata, Begonia sp., Fuchsia sp., Glechoma, Stachys, Lonicera nigra, Lonicera alpigena, Symphoricarpus racemosa, Sambucus nigra, Taraxacum offieinale. Begrenzte oder sehr langsam fortschreitende Infektion ergab sich bei: Polypodium vulgare, Dracaena sp., Hydrocharis, Leucojum, Lim- nocharis, Nuphar luteum, Castanea vesca, Fagus, Quercus-Arten, Corylus avellana, Ficus elastica, Mahonia Aquifolium Platanus oceidentalis, Prunus Laurocerasus, Caragana arborescens, Empetrum nigrum, Aesculus Hippo- castanum, Vitis vinifera, Tilia parvifolia, Hippophaes rhamnoides, An- dromeda polifolia, Ledum palustre. Völlige Heilung trat in der feuchten Kammer nur bei Prunus Laurocerasus ein und auch da nicht immer. Im Heilungsfalle erreichten die Krankheitsflecke etwa die Größe eines Pfennigs; dann trockneten sie ein und das abgestorbene Gewebe fiel aus dem Blatte heraus, durch Korkbildung von dem gesunden Parenchym getrennt. Es entstanden runde Löcher wie bei der Schußlöcherkrankheit der Pfirsichblätter. In anderen Fällen war Heilung durch Herausnehmen der Blätter aus der feuchten Kammer zu erzielen. Lufttrockenheit hemmt das Wachstum des Pilzes und gibt der kranken Pflanze Gelegenheit, ihn unter Bildung von Wundkork abzustoßen. Da alle obigen Angaben sich zunächst auf Infektion an Wund- stellen beziehen, müssen die Verschiedenheiten der Krankheitserscheinungen auf „inneren“ Eigenschaften der Versuchspflanzen beruhen. Als solche kommen in Betracht der Wassergehalt, die sonstige chemische Beschaffen- heit und die Durchlüftung der Blätter. Im kranken Blatt beschränkt bereits die Infiltration der Zwischenzellräume den Luftzutritt. Ist nun noch eine dicke mit Wachs bedeckte Epidermis mit wenig Spaltöffnungen vorhanden, so verlangsamt sich das Wachstum der außerordentlich luft- bedürftigen Botrytis und sie greift selbst in so saftreichen Pflanzen wie Sedum maximum und anderen Sukkulenten nur langsam um sich. Dünne, saftreiche Blätter mit zahlreichen Spaltöffnungen werden rasch durch- wuchert (Stachys, Urtica); derbe saftarme (Quercus, Fagus usw.) langsam. Daß bestimmte chemische Stoffe in der in den Blättern vorkommenden Konzentration das Wachstum der Botrytis hemmen könnten, geht aus ay* 612 M. Büsgen, meinen Versuchen nicht hervor. Wo dies anscheinend der Fall war, zeigte der Kulturversuch, daß die betreffenden Körper von dem Pilze gut vertragen werden. Zusätze von mehreren Prozent Amygaalin und von Tannin zu guten Nährlösungen hinderten das Wachtum der Botrytis nicht. Tanninlösung färbte sich unter dem Einfluß des Pilzes dunkel. Indessen liegen in der Literatur Angaben über Hemmung von Botrytis durch Pflanzenstoffe vor. So findet Zschokket), daß die Botrytis der Obstfäule Früchte mit hohem Säuregehalt, wie Johannisbeeren und saure Äpfel, meidet, dagegen auf süßen Äpfeln häufig auftritt. Auch die Infektion gerbstoffreicher Birnen mißlange, während reife Birnen, deren Gerbstoffgehalt gering ist, befallen wurden; Behrens?) gibt an, daß Tannin wachstumshemmend auf Botrytis wirkte, aber in Konzentrationen, wie sie in Früchten nicht vorkommen. Weinsäure erwies sich als kein guter Nährstoff, wurde aber energisch zersetzt. Auf Nährlösung mit 2%, Weinsäure oder Äpfelsäure wuchs der Pilz gut nach Ralph Smith). Ich erhielt auf Traubenzucker-Peptonlösung mit 1%, iger Weinsäure nur spärliches Myzelwachstum mit geringer Konidienbildung. Den anfänglichen Säuregehalt einer Lösung gleich 100 gesetzt, sank er in Kulturen (zit. Lafar, Bd. I, pag. 317) von Botrytis.bei Weinsäure auf 14, bei Äpfel- säure auf 67, bei Zitronsäure auf 95. Es machte Behrens (a. a. 0.) den Eindruck, als ob die Weinsäure das Gedeihen des Pilzes beein- trächtige und deshalb am meisten verbrannt werde. Smith fand Oxal- säure (2%) und Ameisensäure (2%) pilzschädlich. Sie verhinderten das Pilzwachstum in Mineralpeptonlösung, wo 2%, Tannin und 1%, Asparagin gutes Wachstum zuließen, ersteres unter Dunkelfärkung der Masse. Mit 2%igem Amygdalin fand in Smith's Versuchen langsames Wachstum unter Entwicklung von Geruch nach bitteren Mandeln statt, den ich nicht in (fen mit Amygdalin versetzten Kulturen, wohl aber bei Wachstum des Myzels auf zerschnittenen Blattstücken von Prunus Laurocerasus beob- achtete. Es wird demnach das Glykosid gespalten, vielleicht aber nur, wenn der Pilz nicht genügend andere Kohlenstoffquelien hat. Aus Nikotin‘) vermag Botrytis ihren Stickstoffbedarf zu decken. Mit 1% Salicin erfolgte in Smith’s Nährlösung anfangs langsames, dann aber kräftiges Pilzwachstum. Mit 1%igem Brucin und Strychnin war es sehr schwach; mit 2%, Chinin oder Thein gleich Null. Auch für spezialisierte 1) Ursachen der verschiedenen Haltbarkeit unserer Kernobstfrüchte. Landw. Jahrb. der Schweiz 1897, Bd. XI. 2) Obstfäule. Zentralbl. f. Bakteriol. u. Parasitenk, 1898, Bd. IV, 2. 3) The parasitisme of Botrytis einerea. Bot. Gaz. 1902, Vol. XXXII, pag. al. 4) Behrens, Zeitschr. f. Infektionskrankh. 1893, Bd. III, pag. 8. En 2 Biologische Studien mit Botrytis cinerea. 613 echte Parasiten wird ein Zusammenhang der Anfälligkeit ihrer Wirts- pflanzen mit dem Vorhandensein löslicher Zellinhaltsstoffe angegeben. Näheres darüber findet sich in Kirchners!) Mitteilungen über die Empfänglichkeit unserer Getreidearten für Brand und Rostkrankheiten. „Als Schutzstoffe gegen Pilze“, heißt es dort, „scheinen besonderes Säuren, ferner Antitoxine und Enzyme in Betracht zu kommen.“ Besondere hierauf gerichtete biologisch-chemische Untersuchungen wären sehr erwünscht. Übrigens wird das Myzelwachstum in den Blättern, auch ohne daß direkt pilzschädliche Stoffe vorhanden sind, sich ver- langsamen oder aufhören, wenn kein passendes Nährmaterial sich bietet. Das ist in saftarmen Blättern gewiß oft der Fall. Thöni und Thaysen?) haben auch auf diesen Punkt hingewiesen. Sie konnten das pflanzliche Eiweiß des Getreidemehls in ganze Reihen von gut differenzierten Eiweißkörpern zerlegen, die vielleicht weniger Immunitätswirkungen ausüben als jeweils für die Entwicklung eines bestimmten Rost- oder Brandpilzes nötig sind. Ihr Fehlen würde dann das Aufkommen des betreffenden Pilzes verhindern. Die anatomische Untersuchung der Krankheitsflecke lehrt, daß Chlorophyllkörner und Zellkern vielfach erhalten bleiben und daß auch die Zellwand durchaus nicht immer gelöst wird. Zerzupft man Stückchen aus den Flecken getrockneter Blätter in Wasser, so trennen sich die Parenchymzellen leicht voneinander und man findet die geschrumpften Inhaltsmassen entweder frei oder von ihrer Zellwand umgeben im Präparat umherliegen. Nach mehrstündiger Behandlung mit Bleich- wasser (Eau de Javelle) zeigt eine gute Chlorzinkjodlösung im ersteren Falle nur ein äußerst zartes, sich eben noch violett färbendes Häutchen um den aufgequollenen Plasmakörper herum oder es fehlt auch dieses, während im anderen Falle die Violettfärbung der starren Membran gut hervortritt, namentlich in dem etwas stärkeren subcuticularen Teil der Epidermiszellmembranen. Die Cutieula bleibt stets unversehrt und läßt sich oft leicht von dem die Zellulosefärbung zeigenden Teil der Epidermisaußenwand loslösen. Sie ist von diesem letzteren durch eine mit Chlorzinkjod sich nicht färbende Wandschicht getrennt, die sich zwischen den Zellen in die Mittellamelle fortsetzt. Diese letztere wird nach dem übereinstimmenden Urteil aller Beobachter stets von Botrytis gelöst, was eben zur Trennung der Zellen führt. Folgende Tabelle 1) Fühling’s landwirtschaft. Zeitung, herausgeg. von Edler, 95. Stutt- gart 1916. 2) Thöni und Thaysen, Zeitschr. für Immunitätsforschung und experim. Therapie 1914, Bd. XXIII, 1. Teil. 614 M. Büsgen, gibt Aufschluß über das Verhalten des Pilzes in einigen Fällen. Unter dem Einfluß des Pilzes wird die Zellulose der Parenchymzellen gelöst bei: teilweise gelöst bei: nicht gelöst bei: Ulmns montana Asarum europaeum Rumex acetosa Urtica dioiea Saponaria officinalis Mahonia aquifolium Rumex obtusifolius Prunus Padus Platanus oceidentalis Ranunculus repens Sorbus torminalis Prunus Laurocerasus * Byringa vulgaris Sorbus Aria Robinia Pseudacacia Asclepias syriaca Rhamnus Frangula Liquidambar styraeiflua Glechoma hederacea Ligustrum vulgare Vitis vinifera Stachys silvatica Forsythia intermedia Tiba parvifolia Sambueus nigra Viburnum dentatum Diervilla floribunda Populus alba ” Lantana Viburnum opulus. Botrytis cinerea hat nach dieser Tabelle die Fähigkeit, die Zellulose des Blattparenchyms von Pflanzen der verschiedensten Familien zu lösen. Bei einer nicht geringen Anzahl von Arten aber, die zum Teil denselben Familien und Gattungen angehören, waren die Zellwände widerstandsfähig. Eine erwünschte Ergänzung zu meinen Ergebnissen bieten einige neuer- dings erschienene Angaben von H. Otto). Otto behandelte Blattquer- sehnitte einer Olivia, von Impatiens glanduligera und von Sambucus nigra zuerst mit 2%, iger Natronlauge und Bleichwasser und setzte sie dann einer Botrytiskultur zu. Nach 2—-3 Monaten waren bei Impatiens sämtliche Membranen gelöst und nur die Cutieula übrig geblieben, bei Clivia waren neben den unverletzten Cuticularschichten noch Spuren von Zellulose übrig und auch bei Sambucus gelang es dem Pilz nicht, sämtliche Membranen zum Verschwinden zu bringen. Versuche von Schellenberg?), in denen Schnitte verschiedener Pflanzen mit Botrytis- kulturen zusammengebracht wurden, ergaben ihm keine Anhaltspunkte dafür, daß Botrytis. echte Zellulose aufzulösen vermag. Er führt alle Lösungserscheinungen auf die Lösung von Hemizellulosen zurück, wie sie in der Mittellamelle und anderen Membranschichten enthalten sind. Er arbeitete mit zwei Botrytisformen, die er als Botrytis cinerea — Scelerotinia Fuckeliana de By und als Botrytis vulgaris Fr. unterscheidet. Leider gibt er keine Beschreibung seiner Formen. Die letztgenannte aber, die er von einem Geraniumstengel überimpfte, dürfte mit unserer Botrytis einerea identisch sein. Der Pilz verursachte keine Lösungs- 1) Untersuchungen Pilze. Beitr. zur allgem Bornträger. 2) Untersuchungen über das Verhalten einiger Pilze gegen Hemizellulosen. Flora 1908, Bd. XCVIIL, H. 3. über die Auflösung von Zellulosen und Zellwänden durch . Botan., herausg. von Haberlandt, I, 2. Berlin 1916, Biologische Studien mit Botrytis cinerea. 615 erscheinungen an Baumwollfasern, Leinenfasern und dem Endosperm von Ruscus aculeatus, löste aber die Hemizellulose der Speicher- internodien von Molinia coerulea und der Samen von Lupinus hirsutus und albus und das Amyloid der Samen von Impatiens balsamina und Cyclamen europaeum. Im Gegensatz zu diesen Angaben fand Smith, daß ein Myzelauszug die Zellulose von Filtrierpapier*) vollständig löste. Auch Otto’s Versuche mit Myzelauszug ergaben zum mindesten kräftige Anätzung von Leinen- und ebenso von Baumwollfasern; doch ließ sich der Auszug des in Wasser zerquetschten Myzels durch Fließpapier filtrieren. Otto versuchte auch, das zelluloselösende Enzym durch Niederschlagen mit Alkohol aus alten Nährlösungen zu gewinnen und gibt an, daß der ungereinigte Niederschlag in durch Toluol sterilisierter wässeriger Lösung ebenfalls starke Korrosion von Leinenfasern hervor- rief. Leider ist aus Otto’s Mitteilungen nicht zu ersehen, ob diese letztere Beobachtung auch für Botrytis gilt oder nur für einige andere mit ihr zusammen aus Humus isolierte Fadenpilze. In einer von mir mit Minerallösung und Filtrierpapier angesetzten Kultur hat sich bis jetzt, d. h. nach etwa 6 Wochen Botrytis nur sehr wenig ausgebreitet, aber ein äußerst reichlich konidientragendes Polster gebildet. Jeden- falls steht nun fest, daß Botrytis zwar Zellulose lösen kann, aber nicht jede Zellulose und vielleicht auch nur unter besonderen Verhältnissen. Zu der letzteren Meinung neigt Behrens, der vermutet, daß der Pilz selbstregulatorisch das lösende Enzym bildet, wenn kein Zucker zu Gebote steht. Otto bestätigt diese Vermutung wenigstens zum Teil. Nach seinen Erfahrungen erleidet die Enzymausscheidung keine Beein- flussung, wenn günstige Kohlenstoffquellen in niederer Konzentration in der Nährlösung vorhanden sind. Sind diese Stoffe dagegen in großer Menge zugegen, so unterbleibt die Sekretion: es wird die gelöste Kohlenstoffquelle allein ausgenutzt und die ungelöste Zellulose bleibt ungemindert erhalten. Die oben von mir angegebenen Verschieden- heiten der Botrytis den Zellulosen der Blattparenchyme gegenüber mag auf. Beidem, auf Ernährungsverschiedenheiten und auf Verschiedenheiten der Zellulosen, beruhen. Durch Versuche mit ausgelaugten Blattskeletten nach Otto’s Methode ließe sich wohl der Anteil des einen und des anderen Faktors bestimmen. Wo die Zellulose nicht gelöst wird, müssen, soweit die festen Be- standteile des Protoplasma erhalten bleiben, die in Wasser löslichen 1) Auf Stärke wuchs Smith’s Botrytis nicht; doch gibt er an, daß sie, so- weit sich das mit der Jodreaktion erkennen läßt, eine verdünnte Lösung löslicher Stärke verzuckert habe. 616 M. Büsgen, Inhaltsstoffe der Zelle die Hauptnahrung des Pilzes bilden. Diese Stoffe macht er sich durch das von ihm erzeugte Gift zugänglich. Es tötet die den Hyphen benachbarten Zellen ab und ermöglicht dadurch das Austreten der durch lebendes Plasma nicht diffundierenden Bestandteile aus dem Zellkörper heraus. Das Gift macht die Botrytis somit un- abhängig von der Durchlässigkeit des Protoplasmas, die sonst in den Beziehungen zwischen Parasit und Wirt jedenfalls eine Rolle spielt. Sie ist eine der Ursachen, wenn verschiedene Gesundheitszustände der Zellen, oder, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, ihre Lebehsenergie, über den Erfolg oder Nichterfolg eines Pilzangriffs entscheidet. Pilzen gegenüber, die ohne die Zellen zu töten, von ihren löslichen Inhalts- stoffen leben, muß alles, was die Durchlässigkeit des Plasmas steigert, die Widerstandsfähigkeit verringern. Wenn man für Lebensenergie Durchlässigkeit des Plasmas setzen könnte, wäre jener etwas nebelhafte Begriff in die Sphäre der Untersuchbarkeit gerückt, zumal die Methode für entsprechende Studien!) und unsere Kenntnisse über die Veränder- lichkeit der Durchlässigkeit in den letzten Jahren durch Lepeschkin, Tröndle und Fitting wesentlich gefördert worden sind. Soweit Lebens- energie allerdings Wachstumsgeschwindigkeit und normale anatomische Ausgestaltung bedeutet, gibt es noch andere Gründe für die Tatsache, daß kränkeinde oder schwächliche Pflanzen den Angriffen von Schädlingen besonders ausgesetzt sind. Langsames Wachsen läßt die Pflanzen länger in jugendlichem Zustand mit größerem Saftgehalt und unvollständiger Ausbildung der Epidermisaußenwände und des saftarııen Hartgewebes verharren, schwacher Harzdruck bei den Koniferen stört Angreifer weniger, als kräftiges Hervorquellen des Schutzstoffes, der Insekten und Pilze durch Einschließen beseitigen kann. Ein Myzelauszug wird nicht durch Kochen unwirksam gemacht. ‚Das Gift, mit dessen Hilfe Botrytis ceinerea die Zellen tötet, scheint demnach nicht zu den Enzymen zu gehören. Smith erblickt es in der Oxalsäure, von der er im Extrakt reichlich mit Zucker ernährter Myzelien über 2%, fand. Für den Extrakt der verwandten Selerotinia Libertiana hat de Bary 0,3199, angegeben. Die Veränderungen, welche der Pilzextrakt in den Geweben hervorruft, sind Verlust des Turgors und Absterben der Zellen, mitunter unter Plasmolyse, sowie Trennung der Zellen voneinander. In Oxalsäurelösungen aber treten, 1) Tröndle, Bericht der Deutsch. botan. Gesellsch. 1909, Bd. XXVII und Jahrb. f. wissenschaft. Botanik 1910, Bd. XLVIII; Lepeschkin, Beihefte zum A orte. 1909, Bd. XXIV; Fitting, Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik 1915, Biologische Studien mit Botrytis cinerea. 617 abgesehen von dem Absterben und der dadurch bedingten Erweichung der Gewebe, ganz andere Erscheinungen ein. Vor allem fand ich in Oxalsäurelösungen von 0,3--5%, und mehr als sehr bezeichnend das Auftreten brauner, rundlicher oder eckiger Körperchen an der Ober- fläche der Chlorophylikörner (Pringsheims Hypochlorin) unter gelblicher Verfärbung des Chlorophylis selbst, was beides im Pilzextrakt nicht eintrat. Die braunen Körperchen waren in 1% Oxalsäurelösung klein und traten erst mit der Verfärbung auf, aber eben diese letztere blieb in dem Pilzextrakt wie in den Blatiflecken aus. Smith selbst gibt an, daß die Säure das Gewebe von Lattichblättern bleiche, während es im Pilzextrakt sich dunkler färbte. Ferner gibt er geringe Quellung der Zeilwände in der Säure, aber nicht im Pilzextrakt an. Mir fiel noch besonders auf, daß Oxalsäure auch in bis zu 0,3% verdünnter Lösung Mniumblätter noch tötete und unter Auftreten der braunen Körnchen bleichte, während oft genug die Chlorophylikörner derselben weder von wachsenden Pilzfäden noch von Pilzextrakt wesentlich geschädigt wurden. Daß der Pilz gerade Oxalsäure als Angriffismittel erzeugen soll, ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil sie für ihn selbst giftig ist und sicher, wie bei höheren Pflanzen selbstregulatorisch entsteht. Auffallend ist, daß, wie ich bestätigen kann, nach dem Kochen ein Myzelauszug seine giftigen Eigenschaften behält und Zellen, z. B. von Begonia und Vallisneria, abtötet. Einen Sonderfall der Botrytiswirkung stellt das Verhalten der Moose dar. Man wundert sich, warum diese Pflanzen in der Natur nicht verschimmeln, obwohl sie in feuchter, wenig bewegter Luft leben, also unter Umständen, in denen jeder irgendwie zum Verschimmeln ge- neigte Stoff sicher verschimmeln müßte. Nordhausen!) fand, daß eine Botrytis an mäßig feucht gehaltenen Moosrasen (Mnium-Arten) in die Blattzellen eindrang und daß nach 24 Stunden meistens einzelne Zellen getötet und mit braunem Plasma erfüllt waren. Nach weiteren 24 Stunden sei der braune Zellinhalt fast ganz verschwunden und der Zellraum mit einem wirren Knäuel dicker Hyphen angefüllt gewesen und bei anhaltender Feuchtigkeit habe der Pilz nicht nur ganze Blätter und Pflänzchen, sondern auch ganze Moosrasen vernichtet. In meinen Versuchen widerstanden lebende Rasen dem Pilzangriff. Atrichum undulatum im Mörser zerrieben und mit Sporen infiziert ergab starke Myzelentwicklung. Auch durch Chloroformdämpfe getötete "Rasen von Mnium hornum und Dieranum scoparium und auf kurze Zeit in heißes 1) Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik 1899, Bd. XXXIII. 618 M. Büsgen, Wasser getauchte Polytrichum, Dieranum und Mnium-Polster überzogen sich nach Infektion mit Botrytismyzel innerhalb weniger Tage reichlich mit. dem Schimmel. An Blättchen von Mnium hornum, die neben dem Hängetropfen in der feuchten Pappkammer lagen, sah ich Keimschläuche sich mit dem Ende anpressen und an der entsprechenden Membran- stelle Bräunung eintreten, welche, wenn die Stelle an der Grenze zwischen zwei Zellen lag, die Mittellamelle freiließ. Inmitten der braunen Stelle bildete sich ein Tüpfel; ich sah indessen den Pilz nicht eindringen, sondern das Appressorium trieb außerhalb des Blattes einen auf dessen Oberfläche hinkriechenden Fortsatz, ganz wie wenn der Pilz auf einer Glasplatte gekeimt hätte. Andererseits drangen in die Blatt- zellen einer auf ein starkes Myzel gelegten Mniumpflanze die Hyphen, so wie es Nordhausen gesehen hat, ein und erfüllten einen großen Teil ihres Innenraums. Aber auch dann blieben die Chlorophylikörner lange erhalten, um endlich sich spangrün zu verfärben und die Gestalt zu verlieren. Stellenweise hatte sich dabei die Braunfärbung der Membranen ausgebreitet; doch schimmerten die Chlorophylikörner noch grün durch. Jedenfalls aber geschieht dies Eindringen nur unter besonderen Bedingungen. Nordhausen gibt an, daß es schon durch etwas starke Wasserbedeckung des Mosblattes verhindert wird. Auch größere Appressorien sah ich an Mniumblättern absterben, ohne, daß sie irgend eine merkbare Veränderung in den Blattzellen hervorgerufen hätten. Daß Mniumblätter dem Myzelextrakt widerstehen, wurde oben schon gesagt. Mnium hornum also ist, wenn auch nicht absolut, so doch in hohem Grade gegen meine Botrytis immun. Weil das Pilzgift die Zelien nicht leicht zu töten vermag, bleiben die löslichen Inhalts- stoffe dem Parasiten für gewöhnlich unzugänglich und auch die Zell- membranen können diesen nicht ernähren, weil er kein sie in größerem Umfang lösendes Enzym besitzt. Bisher war nur von den Umständen die Rede, welche das Ge- deihien der Botrytis im Innern eines schon befallenen Blattes beein- flussen. In der Natur erlangen diese „inneren“ Gründe erst Bedeutung, wenn der Pilz überhaupt eingedrungen ist. Das Eindringen aber hängt von Umständen allgemeiner Art ab und von der Beschaffenheit der Oberhaut der Pflanzen. Diese letztere bewirkt, daß ein Pilz wie Bo- trytis cinerea, der der inneren Beschaffenheit der Wirtspflanzen gegen- über fast omnivor ist, bis zu einem gewissen Grade Spezialist wird, wenn er sich selbst den Eintritt verschaffen soll Unter den allgemeinen Umständen sind vor allem Luftfeuchtigkeit und Tau zu nennen, und Schädigungen allgemeinerer Art, wie Absterben von Pflanzenteilen durch Biologische Studien mit Botrytis cinerea. 619 Frost oder auch durch Alter, das dem Pilz Gelegenheit gibt, in sapro- phytischer Lebensweise zu erstarken und parasitische Angriffskraft zu gewinnen. Das Hängenbleiben alter Kotyledonen, verlangsamtes Ab- streifen der Samenschale bei Keimlingen, auf andere Pflanzenteile ge- fallene absterbende Blumenblätter können Anlaß zur Infektion geben. An Dahlien, Päonien usw. ist dies in jedem Sommer leicht zu beob- achten. Nordhausen beschreibt eine Botrytisepidemie auf Allium ursinum, die dadurch hervorgerufen war, daß die Blattspitzen, wahr- scheinlich infolge von Frost, abgestorben waren und dem Pilze zur Kräftigung gedient hatten. Ähnliches kommt bei Rhododendronblüten vor. Derselbe Verfasser hat die Wirkung von Tau näher behandelt. Zu große Taumengen können, wie Regen, eine Infektion verhindern, weil sie die nötigen Pilzsekrete verdünnen oder fortführen. Ferner muß der Tauniederschlag eine gewisse Zeitlang erhalten bleiben. Speziali- sation kann Tau dadurch herbeiführen, daß er nicht gleichmäßig auf jeder Pflanzenoberfläche sich niederschlägt. So beobachtete Nord- hausen (a. a. O. pag. 28), daß in der feuchten Kammer während einer kühlen Nacht der Tau Vieiablätter benetzt hatte, die Blätter einer Trades- cantia aber nicht. Infektion mit aufgestreuten Botrytiskonidien gelang deshalb nur bei der erstgenannten Pflanze. In meinen Versuchen er- wiesen sich unter 171 Pflanzen nicht weniger als 84 bei der Infektion der unverletzten Blattoberseite mit infektionstüchtigem Material als immun. Einige dieser’ letzteren waren von der Blattunterseite her dem Pilz zu- gänglich, sei es, daß er durch Spaltöffnungen eindrang oder sei es, daß er die schwächere Epidermis dieser Seite zu durchbohren oder einzudrücken vermochte. Von der unverletzten Unterseite her waren infizierbar: Blechnum Spicant, Polypodium vulgare, Pirus Malus, Prunus avium und Laurocerasus, Amelanchier vulgaris, Sorbus Aria und domes- tica, Pistia Stratiotes. Unter den immunen Pflanzen zeichnen sich viele durch eine glatte glänzende, also mit Wachs überzogene Epidermis aus, so z. B. Wasserpflanzen ), wie die Monokotylen Hydrocleis nymphaeoides, Lim- nobium Spongia, Alisma Plantage, Pontederia crassipes, die Dikotylen Telanthera nymphaeoides, Nuphar luteum, Trapa natans, Ludwigia Müllersii; ferner Landpflanzen, wie Pirus comunis, Crataegus Oxyacantha, Empetrum nigrum, Hippophaes rhamnoides, Hedera Helix, Vaceinium Vitis idaea, Andromeda polifolia. Die Immunität ist indes nicht an starke Wachsüberzüge gebunden. 1) Die Namen sind die Bezeichnungen des Göttinger botanischen Gartens. 620 M. Büsgen, Biologische Studien mit Botrytis einerea. Neben Salix purpurea waren Salix caprea und aurita, unverletzt, immun; ferner Artemisia vulgaris, Asarum europaeum, Pelargonium zonale (nieht immer), Rumex obtusifolias, Mentha arvensis, Corylus, Acer, Quereus- Arten. Ob Spaltöffnungen dem Pilze Eingang gewähren, dürfte von deren Beschaffenheit, insbesondere von dem Zustande der Spalte abhängen. Einen durchgängigen Zusammenhang zwischen ihrem Fehlen auf der Blattoberseite und der Immunität habe ich nicht finden können. Die 34 Arten, welche, unter 61 gleichzeitig auf ihre Angreifbarkeit bei un- verletzter und bei verletzter Oberhaut untersuchten Pflanzen, sich auch in unverletztem Zustand als anfällig erwiesen, zeigen in jener Beziehung ganz verschiedene Verhältnisse. Ihre Epidermen haben indessen durch- weg dünne Außenwände und keine auffälligen Wachsüberzüge, so daß sie der Benetzung und dem Eindringen des Pilzes durch mechanische Gewalt wenig Widerstand entgegensetzten. Hierin gehören folgende Arten: Weich Ziemlich weich Behaart Hart Juglans regia Salix-Arten Urtiea dioica Prunus avium Robinia Pseudacacia| Amelanchier rotun- | Ulmus montana „» cerasus Fuchsia sp. difolia Ranunculus repens » domestica Begonia sp. (mit-| Parthenoeissus quin-| Pelargonium zonale » Padus unter immun) quefolia Oenothera biennis | Sorbus aucuparia Sambucus nigra Rhamnus Frangula | Glechoma hederacea » Aria Symphoricarpus ra-) Staphylea pinnata » dcmestica cemosa Asclepias syriaca Corfus sanguinez Lonicera-Arten Vaeeinium Myrtillus Aristolochia Sipho Viburnum Lanlana Plantago major Cornus sanguinea Die Infektionen wurden jedesmal an je drei verletzten und drei unverletzten Blattstellen vorgenommen. Trotzdem ist es nicht aus- geschlossen, daß an letzteren gelegentlich kleine, unbemerkt gebliebene Verletzungen dem Pilze Eingang gewährten. Namentlich mag das bei einem Teil der härteren Blätter der Fall gewesen sein. Im diesjährigen Sommer hoffe ich, die hier gemachten Angaben mit Hilfe frischen Materials vervollständigen zu können. Besonders er- wünscht aber wäre es, wenn unsere mikrochemischen Ergebnisse durch makrochemische Untersuchung von chemischer Seite geprüft und er- weitert würden. Botrytis bietet dazu die beste Gelegenheit, da dieser Pilz überall zu erhalten und mit besonderer Leichtigkeit auch in größerem Maßstabe rein zu kultivieren ist. nn. Über rhythmisches Dickenwachstum. Von Ernst Küster. (Mit 13 Abbildungen im Text.) Unsere gewöhnliche Brennessel (Urtica dioica) betätigt an Wurzeln und Achsen ein lebhaftes Dickenwachstum, das im wesentlichen dem typischen der Kräuter gleicht: Faszikular- und Interfaszikularkambium produzieren sekundäres Xylem von gleicher Mächtigkeit, aber deutlich verschiedenartiger Zusammensetzung; im Faszikularbereich entsteht sehr festes, an Gefäßen und Holzfasern reiches Holz, im Interfaszikular- bereich ein Ring von gefäßfreiem Holz, der dadurch eine besondere Differenzierung erfährt, daß in ihm die Verdickung der Wände und ihre Verholzung periodisch ausbleiben, so daß in der — mit Phloro- gluzin und Salzsäure sich rot färbenden — Gewebemasse nach Behand- lung eines Achsenquerschnittes mit dem Holzstoffreagens rundliche oder längliche „Inselo“ dünnwandiger unverholzter Xylemanteile sicht- bar werden. Dünnwandiges unverholztes Xylem und das sklerosierte bestehen aus Elementen von ungefähr gleicher Größe und Form, d. h. aus 100-250 u langen prismatischen Zellen, die — gemäß ihrer Entstehung — zu regelmäßigen radialen Reihen sich geordnet zeigen. Beide Gewebeformen wechseln regelmäßig miteinander, so daß ein periodisch gebautes Holz zustande kommt. Diese Rhythmik stellt aber eine Äußerung des Wachstums dar, an dem gewöhnlich nur das Interfaszikularbereich teilnimmt. Daß gelegentlich das Faszikular- kambium von dem bisher geschilderten abweichen und sich ebenfalls rhythmisch betätigen kann, wird später zu schildern sein®). Bei Urtica urens, unserer rundblätterigen Nessel, ist die soeben beschriebene Form des anomalen Dickenwachstums noch kräftiger aus- 1) Solereder (System. Anat. d. Dikot. 1899, pag. 874) stellt fest, daß die Holzstruktur der Urticeae noch wenig untersucht sei, und erwähnt — auch im Er- gänzungsband 1908, pag. 303 ff. — nichts von den hier interessierenden Strukturen. _ Mitteilungen über den periodischen Bau der Urtiea-Wurzeln bei Lohrer, Ver- gleichende Anatomie der Wurzeln. Dissert. Marburg 1886 und Losch, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Urtieineen-Wurzeln mit Rücksicht auf die Syste- ımatik. Dissert. Göttingen 1913. 622 Ernst Küster, gesprochen als bei Urtiea. dioica; bei letzterem übertrifft der periodische Bau der Rhizome an Deutlichkeit der Kontraste den der oberirdischen Achsen. Wir werden im folgenden vorzugsweise auf Wurzel und Achse — beide gleichen sich in den wesentlichen Punkten — von U. urens bezug nehmen; weitaus die größere Zahl meiner Untersuchungen be- zieht sich auf diese. Urtica urens erreicht zwar nicht so stattliche Höhe wie U. dioica; immerhin sind Exemplare der rundblätterigen Nessel, die in einer Vegetations- N periodeeine Achse ® von 10-12 mm IN Durchmesser ent- wickeln, auf Lo- kalitäten, an wel- chen fruchtbares und lockeres Erd- reich die Entwick- lung der Pflanzen fördert, keine Seltenheit. Das Xylem solcher Achsen zeigteinen ringförmig gezon- ten Bau und läßt Fig. 1. Qwerschnitt durch ei $ } U en . . h 1 Urt einen tengel von rtica ure: 2 1. sekeimäßige Ausbildung eines dreigliedrigen Nonzenfrische 70- Systems von konzentrischen Ringen i i : h (halbschema- nen diekwandigen tisch} und je acht Feldern zartwandi en Xyl inW Die sklerotischen Gewebepartien sind durch hen Gewebesin Wech- kenntlich gemacht, die größten Gefäße als Ringe einge- sel mit dünnwan- tragen. — Aus der vierten und fünften Zone des skleroti 5 B “ ti- 1 schen Gewebes sind einige Anomalien (Aufspaltung "and digen erkennen. Anastomosen) veranschaulicht. Die anatomischen . Einzelbeiten ent- sprechen den an U. dioica gefundenen; Jas dünnwandige Xylem be- steht sehr oft aus Elementen, die in radialer Richtung stark gestreckt sind (wel. Fig. 2) und auf dem Achsenquerschnitt sich drei- bis fünfmal solang wie breit zeigen; radiale Streckung dieser Art tritt auch bei U. dioica auf sie ist aber bei U. urens erheblicher und trägt dazu bei, den Unter- schied zwischen den beiden Holzgeweben besonders sinnfällig zu machen. Über den periodischen Bau des urens-Holzes gibt Fig. 1 Auf- schluß: es handelt sich um den Querschnitt durch einen noch zarten Sproß, un Über rhythmisches Dickenwachstum. 623 dessen Xylem erst wenig Zonen entwickelt hat. Diese sind rings um das vierkantig prismatische Mark außerordentlich regelmäßig entwickelt, d. h. jeder Ring ist auf dem ganzen Umkreis deutlich zu verfolgen, und der Abstand zwischen benachbarten Ringen ist ungefähr an allen Teilen des Systems derselbe. Mit großer Regelmäßigkeit sehen wir an den vier Kanten des Markzylinders bzw. über den vier starken Leitbündeln eine Spaltung in dem vom Faszikularkambium gebildeten gefäßhaltigen Holz erfolgen, derart, daß zwei radiale Streifen solchen Holzes und zwischen ihnen ein aus zartwandigem Parenchym gebildetes Feld sichtbar werden (Fig. 1) — mit anderen Worten: zwischen je Fig. 3a. Fig. 2. Histologischer Bau der Zonen (Stengel von Urtica urens). Fig. 3. Anomale Ausbildung der Xylemzonen (Stengel von Urtica urens): a Ringe, unvollkommener Ring und Anastomose; b unregelmäßige Verteilung der Gefäße. Auflösung der radialen Faszikularstücke. Ringfragmente, zwei Zonen hartwandigen Xylems liegen acht Areale zartwandigen Xylems und zwar in regelmäßigem Wechsel ein kleines und ein größeres. Die ganze Masse des Xylemzylinders bekommt einen sehr regelmäßigen Gitterbau, über dessen Fähigkeit zur Variantenbildung einige der später gegebenen Abbildungen Aufschluß bringen. Der bisher besprochene Teil von Fig. 1 stellt ein ungewöhnlich regelmäßig konstruiertes Achsenorgan dar. Viel häufiger als solche Regelmäßigkeit ist die Komplikation des bisher besprochenen Bildes: 624 Ernst Küster, 1. Die Ringe des sklerotischen Holzgewebes erfahren streckenweise eine Aufspaltung. 2. die Ringe des sklerotischen Holzgewebes zeigen hier und da Unterbrechungen, so daß (in radialer Richtung) nebeneinander liegende Felder dünnwandigen Gewebes miteinander kommunizieren; die Ringe können auf diese Weise 3. durch Reihen inselförmiger rundlicher Gruppen sklerotischen Gewebes ersetzt werden; 4. benachbarte Ringe des skierotischen Gewebes können mitein- ander durch radial verlaufende (Fig. 1 rechts) oder schräg eingestellte (Fig. 3a) Anastomosen miteinander in Verbindung kommen; 5. auch im Faszikularbereich kann an Stelle der Gefäße und anderer diekwandiger Xylemanteile dünnwandiges Holzparenchym: treten als- Fig. 4. Fig. 5. ‘ Fig. 4. Unregelmäßige Gitterstruktur des X yiems (Wurzel von Fin. 5 Urtica urens), üg. 5. Anomale Ausbildung der Xylemfignr (aus einer Wurzel von Urtiea urens): Vorherrschen radial gestreckter Kylemfguren, "T formige sklerotische Gewebefelder, daneben gefäßführende Gewebeinseln. dann kommen tangential nebeneinander, liegende dünnwandige Areale des (in Fig. 1 dargestellten) Systems in Verbindung miteinander; 6. auch im Interfaszikularbereich können stellenweise Gefäße ent- stehen; an solchen Stellen pflegt das sklerotische Xylemband breiter auszufallen als an den typischen gefäßlosen Stellen; es entstehen knoten- artige Schwellungen, sackgassenähnliche Vorsprünge (Fig. 1 oben) oder die sub 4 erwähnten Anastomosen; . 7. schließlich kann die Verteilung der Gefäße gänzlich unregel- mäßig werden (Fig. 3b). Über rhythmisches Dickenwachstum. 625 In den Wurzeln treten ähnliche Mannigfaltigkeiten auf wie an Sprossen (vgl. 4). Dazu kommt, daß 8. in Wurzeln oft das dickwandige Gewebe radial gestreckte Figuren bildet, und dieses Motiv. mit der Bildung von Ringen und Ringstücken sich verschiedenartig kombinieren kann (Fig. 5). 9. Von anderen Abweichungen wird später noch zu sprechen sein; vorläufig mag ein Hinweis auf die häufigen exzentrischen Figuren genügen. Bei solchen handelt es sich um Anomalien, die — im Gegen- satz zu den bisher erörterten — stets auf das ganze System sich be- ziehen. Während die in Fig. 1—5 dargestellten Abweichungen auf den einanderfolgenden Präparaten einer Schnittserie auffällig wechselnde Formen zeigen, gehört die Exzentrizität des Ringsystems zu den- jenigen Anomalien, die auf weite Strecken — unter Umständen durch mehrere Internodien hindurch — verfolgt werden können. Exzentrisch gebaute Urtieaachsen sind sowohl unter den vertikal nach oben strebenden Hauptachsen als auch unter den mit größerem oder kleinerem Winkel gegen den Horizont geneigten Seiten- ästen außerordentlich häufig anzutreffen. Zwei Typen des exzentrischen Baues lassen sich unterscheiden. Beim ersten Typus setzt das Kambium an allen Teilen seines Umfanges sein Wachstum fort, — an verschiedenen Stellen aber mit ungleicher Intensität; das Gefälle der Wachstumsintensität ist ein gleichmäßiges, so daß Zonen ent- stehen, deren Breite allmählich zu- undabnimmt. Ist der Breitenunter- schied dickwandiger Xylembänder an gegenüberliegenden Stellen der Achse erheblich, so sehen wir, daß an den Stellen größter Breite sich in jene ein mondsichelför- miger, beiderseits spitz zukeilender Streifen dünnwandigen Xylems ein- schaltet; ja sogar zwei und drei Fig. 6. Exzentrisch gebaute Achse unvollkommene Ringe dieser Art Yo Urea den Te Typus können auftreten; das Querschnitts-. bild gewährt dann den Eindruck, als habe sich ein Streifen des dick- wandigen Xylems auf der geförderten Seite der Achse einmal oder wiederholt aufgespalten (Fig. 6). Flora. Bd. 111. 40 626 Ernst Küster, Beim zweiten Typus liegen die Verhältnisse derart, daß ent- weder das Wachstum des Verdickungsringes zeitweilig nur an einer mehr oder minder eng bemessenen Stelle des Achsenumfanges sich fortsetzt, — oder daß das Wachstumsgefälle eines allseitig sich be- tätigenden Kambiums nicht mehr so gleichmäßig sich zur Geltung bringt wie vorhin, sondern an einer Stelle unverhältnismäßig stark wird. Behielten vorhin die Zonen noch regelmäßige, meist kreisähn- liche Gestalt, so bekommen sie jetzt unregelmäßig gebuckelten Umriß: man gewinnt weniger den Eindruck, daß eine oder mehrere Zonen sich ein oder mehrere Male aufspalten, als daß irgendwo eine rhythmisch i gebaute mondsichelförmige Ge- webemasse sich auflagert (Fig. 7). Beide Typen können natür- lich ineinander übergehen; von scharfer Umgrenzung der Typen ist keine Rede. Gleichviel wie das exzentri- sche Diekenwachstum der Urtica- stengel vor sich geht, — in beiden Fällen kann an der geförderten Seite eine Vermehrung der zart- und diekwandigen Zonen ein- treten; Stengel, die an der ge- förderten Seite drei bis sechs Fig. 7. Kanptotrophie (Urtica urens). Auch das Faszikularkambium ist an der konvexen Seite (oben) zur Bildung zart- wandigen Gewebes übergegangen. diekwandige Gewebestreifen mehr entwickeln als an der anderen, sind keine Seltenheiten. — . Nach den Gründen, welche das stark exzentrische Diekenwachstum der Achsen veranlassen, fragt man bei Untersuchung vieler derartiger Stengel umsonst. Meine Ver- suche gingen dahin, exzentrisches Dickenwachstum willkürlich her- vorzurufen. Auf verschiedene Weise habe ich gegenüberliegende Flanken eines noch entwicklungfähigen Urticastengels ungleichartigen Bedingungen unterworfen. Die deutlichsten Reaktionen, d. h. die sinnfälligsten Unter- sehiede in der an gegenüberliegenden Teilen des Stengels wahrnehun- baren Struktur des sekundären Xylems erhielt ich an zwangsweise gekrümmten Stengeln. Jugendliche Sprosse von Urtica urens wurden umgebogen und — mit der Spitze nach unten gewandt — festgebunden. Der Krünmungs- Über rhythmisches Diekenwachstum. 627 radius war an dem Scheitelpunkt gering und maß 1—1!/, em. Drei bis vier Monate nach Anstellung des Versuchs wurden die Sprosse untersucht. Bei sämtlichen Versuchsobjekten waren die Erscheinungen der Kamptotrophie, namentlich am Xylem, sehr deutlich. Seine Struktur entsprach im wesentlichen den in Fig. 7 und 8 dargestellten Ver- hältnissen. An der konvexen Seite ist eine ausgesprochene Förderung der sekundären Xylemproduktion eingetreten. Sie äußert sich an verschie- denen Teilen des Kambiumringes nicht ganz gleich; in allen Fällen und für alle Teile des Stengels ist aber zu konstatieren, daß an der konvexen Seite des Stengels mehr Xylemzellen produziert werden als an der konkaven. An der in Fig. 8 mit 1 be- zeichneten Seite des vierkantigen Stengels ist die Produktion am stärksten, der Wechsel von dick- und zartwandigem Xylem am auf- fälligsten.. Auf einen schmalen Streifen sklerosierten Xylemgewe- bes folgt eine mächtige — unge- fähr den ganzen Raum zwischen 3 benachbarten Kanten des Mark- prismas in Anspruch nehmende — Masse zartwandigen Xylenıs; dann folgt in hoch geschwungenem Bogen Ei. S Krrrann ser unin eine neue Zone sklerosierten Ge- die konkave Seite. Vgl. den Text. webes, dann — höckerartig auf- gesetzt — nochmals zartes und nochmals sklerosiertes Gewebe. An der 2. Seite ist nur einmaliger Wechsel der beiden Gewebe- arten zu konstatieren. Ähnliches — bei schwächerer Gewebeproduk- tion — wiederholt Seite 3, während an der 4. nur eine einheitliche Zone sklerosierten Gewebes entstanden ist. . An der in Fig. 8 abgebildeten Achse betrug an Seite 4 die Mächtigkeit des Xylems 10—11 Xylemzellen, an Seite 2 bis 20 Zellen. Das Xylemband der 4. Seite war ungefähr 110—130 u, das der 2. Seite 200 „ breit; ähnlich wie.bei ihr lagen die Verhältnisse an der 3. Seite. An der 1. Seite maß ich 425 « als größte Mächtigkeit; die fünf über- einander liegenden Gewebestreifen waren fünf bis sechs, [vier bis fünf], fünf bis sechs, fein bis zwei] und drei bis vier Zellen mächtig. Die 40* 628 Ernst Küster, in Klammern gesetzten Angaben beziehen sich auf die Zonen des dünnwandigen Gewebes. An verschiedenen Stellen der gekrümmten Achse wechselt die Struktur des Xylembandes: An manchen bleibt die (an Seite 2 und 3 gefundene) Spaltung des sklerosierten Xylemstreifens aus, und es ent- steht ein besonders mächtiges, einheitlich gebautes diekwandiges Zellen- band. An der mit i bezeichneten Flanke bleibt hier und da der letzte „aufgesetzte“ Bogen aus u. ähnl. m. Wo das Kambium sich so stark betätigt, wie an Seite 1, wird die Umrißlinie des Stengels (die in Fig. 8 daher ausnahmsweise mitgezeichnet wurde) stark alteriert, indem an eben jenen Stellen die Kanelluren des Stengelprismas aus- geglichen werden. Ähnliche Xylemstrukturen wie an den beschriebenen Exemplaren ent- stehen — wie nicht anders zu er- warten — an Nesselstengeln, in die ein Knoten geschlagen worden ist. An geknoteten Pflanzen, die unter günstigen Bedingungen sich entwickeln konnten, fand ich — 5—6 Monate nach der Knotung — zuweilen Struk- turen, die von der normalen stark abwichen, und deren Anomalie für die pathologische Pflanzenanatomie Inter- Fig. 9. Anomal gebanter exzen. De bot. Ich möchte mich hier auf trischer Urtiea - Stengel eines eine Schilderung allzu vieler Einzel- geknoteten Exemplars. heiten nicht einlassen und begnüge mich mit einem Hinweis auf Fig. 9: die konkave Seite ist sehr viel schwächer entwickelt als die konvexe; Zonenbildung zeigt das Xylem auch an der ersteren; auffallend ist vornehmlich die sehr starke Vorwölbung der Xylemfelder auf der kon- vexen Seite, die durch ungewöhnlich starke radiale Streckung der zart- wandigen Xylemelemente zustande kommt. Ähnliche Erscheinungen der Heterotrophie, die mit analogen an anderen Gewächsen beobachteten Erscheinungen des Dickenwachstums!) zu vergleichen nicht ohne Interesse wäre, hier aber uns zu weit vom Thema abführen könnte, habe ich an geotropisch gekrümmten Stengeln beobachtet. Aber auch dann, wenn der Radius der unter D Vel. z. B. Küster, Patholog. Pflanzenanat, 1916, 2. Aufl, pag. 394 ff. Über rhythmisches Diekenwachstum. 629 dem Einfluß der Schwerkraft vollzogenen Krümmung nicht größer als l cm war, habe ich die Exzentrizität des sekundären Xylems niemals so deutlich werden sehen wie an den kamptotrophen Exemplaren. Der Frage nach den Ursachen dieses Unterschiedes bin ich nicht nach- gegangen, da es sich nur um einen graduellen handelte. Weiterhin untersuchte ich Hauptsprosse, die gewaltsam aus ihrer aufrechten Stellung in horizontale Lage gebracht worden waren und infolgedessen durch die tropistische Einstellung ihrer Blätter und zahlreichen Seitenzweige eine ausgesprochen dorsiventrale äußere Struktur angenommen hatten. Die Vermutung, daß auch die innere Stammstruktur dorsiventral wäre, ließ sich zwar bestätigen: an der dem Boden zugewandten Seite war die Holzproduktion etwas stärker als auf der oberen; der Unterschied war aber niemals so ausgesprochen wie die Heterotrophie der bogig gekrümmten Sprosse. Schließlich erwähne ich noch die exzentrische Struktur, die an f} gröblich verwundeten und ge- spaltenen Sprossen von Ürtica urens zu beobachten ist. Jeder Anteil des Stengels regeneriert sich zu einem histologisch einheitlichen Gebilde: an der nach außen ge- wandten Seite — an ihr sind Stücke Fig. 10. Exzentrisch gebautes, des ursprünglichen Kambiumringes durch Verwundung isotiertes vorhanden und tätig — erfolgt die Teilstück einer Achse von Urtica Xylemproduktion erheblich stärker " als an der inneren (vgl. Fig. 10). Die Ähnlichkeit solcher Strukturen mit dem Querschnittbild mancher Lianenstämme ist nicht zu verkennen. * * * Gebändertes Xylem und gebänderte Rinden sind im Pflanzenreich außerordentlich weit verbreitet — namentlich für die Achsen vieler Holzpflanzen sind rhythmische Strukturen schon oft beschrieben worden. Ich habe geglaubt, dem periodisch gebauten Holz der Nesseln eine eingehende Beschreibung widmen zu sollen, weil an ihnen einige all- gemeine entwicklungsmechanische Fragen besser behandelt werden können als mit Bezug auf viele andere mit gebänderten sekundären Geweben wusgestattete Pflanzen — schon deswegen, weil bei Urtica die Zonen 630 Ernst Küster, oft außerordentlich regelmäßig verlaufen, und das Strukturbild einfacher ist als z. B. bei den mit Desmogenband und Zwischenbündeln aus gestatteten Holzgewächsen. Welche Ursachen liegen der rhythmischen Gewebe- bildung zugrunde? Die Urticastengel sind einjährig; die Folgen des die Wachstums- tätigkeit und Gewebeproduktion rhythmisch beeinflussenden Wechsels der Jahreszeiten kommen also für die kausale Erklärung der rhythmischen Xylembildung nicht in Betracht. Sind vielleicht meteorologische Faktoren, die während einer Vegetationsperiode sich mehrfach wiederholen, für die ungleichartige Differenzierung des Xylems verantwortlich zu machen? Dagegen spricht der Umstand, daß zu verschiedenen Jabreszeiten die Rhythmik des Xylems in gleicher Weise zur Ausbildung kommt: Exemplare, die im Frühjahr sich entwickeln, zeigen dieselbe Struktur wie die im Spät- sommer als zweite Generation heranwachsenden und diejenigen, welchen man auf dem Wege der Topf- und Gewächshauskultur die Fortsetzung des Diekenwachstums bis tief in den Winter (November, Dezember) hinein ermöglicht. Gegen jene Annahme spricht ferner der Befund, daß Exemplare, die an den verschiedensten Standorten und unter ungleichen meteoro- logischen und klimatischen Bedingungen sich entwickeln, hinsichtlich ihrer Rhythmusbildung im wesentlichen miteinander übereinstimmen; ieh hatte Gelegenheit, Pflanzen aus dem Rheintal, dem fränkischen Jura, den deutschen Alpen, von der pommerschen und holländischen Küste, aus Galizien und Polen, aus der Umgegend von Kristiania, Lund und Stockholm miteinander zu vergleichen — allen Freunden und Kol- legen, die mich mit Material zu unterstützen die Güte hatten, sage ich meinen besten Dank — und konnte feststellen, daß nicht nur alle Exemplare die uns interessierende Rhythmik aufwiesen, sondern auch die Eigentümlichkeiten des gebänderten Xylems bei allen ungefähr die- selben waren. Man könnte fragen, ob vielleicht in allen genannten Gegenden und Ländern Klima und Boden auf gleiche Weise rhythmische Ände- rungen in den Lebensbedingungen der Pflanzen zustande kommen lassen, durch welche der rhytlimische Bau des sekundären Xylems be- dingt wird. Klebs hat wiederholt darauf hingewiesen, daß man den Verände- rungen. «ie im Boden sich abspielen, allzu wenig Beachtung schenke, Über rhythmisches Dickenwaohstum. 631 obwohl seine eigenen und die von Lakon!) angestellten Versuche an der Bedeutung der Nährsalze für die Gestaltungsprozesse der Pflanzen — auch für solche, die sich beim normalen Fortgang der Entwicklung gewöhnlich abspielen — keinen Zweifel ließen. Der Vergleich von Nesselexemplaren, die auch hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Kennzeichen des Erdreichs unter sehr verschiedenen Bedingungen erwachsen waren (Kultur auf dem Kom- posthaufen, in Blumentöpfen, mit und ohne künstliche Zufuhr von Nähr- salzlösungen), hat mich hinsichtlich der periodischen Xylemproduktion keine Wirkungen erkennen lassen, die mich veranlassen könnten, die rhythmische Gewebebildung ursächlich auf rhythmische Änderungen in den Qualitäten des Bodens, insbesondere auf rhythmische Schwankungen seines Salzgehaltes zurückzuführen. Klebs hat allerdings einmal darauf aufmerksam gemacht, daß schon durch das Wachstum der Pflanzen und ihren Nährsalzverbrauch periodische Veränderungen in dem das Wurzelsystem einer Pflanze umgebenden Erdreich zustande kommen können %): „Man denke sich einen tropischen Baum in dem Zeitpunkt, wo er alle seine Blätter entfaltet, auf Kosten der vorher etwa auf- gespeicherten Nährsalze, sowie der direkt aus dem Boden bezogenen. Da der Gehalt an löslichen Nährstoffen auch in den Tropen ein be- grenzter ist, so kann bei starkem Verbrauch dieser Gebalt unter ein gewisses Minimum sinken. Der Baum gerät allmählich in Ruhe. Lang- sam diffundieren die Salze aus tieferen Lagen nach dem erschöpften Boden, oder sie werden durch Zerstörung alter Blätter und Zweige frei. Der Nährgehalt steigt über das Minimum, der Baum kann von neuem wachsen.“ Meines Erachtens vermag die Kombination aperiodischen Salzverbrauchs und einer auf dem Wege der Diffusion erfolgenden aperiodischen Salzzufuhr — wie auch immer diese Prozesse vor sich gehen mögen — keine rhythmischen Veränderungen der Außenwelts- bedingungen herbeizuführen, Wollten wir rhythmische Äußerungen des Pflanzenlebens in ursächlichen Zusammenhang mit der Nährsalzver- sorgung bringen, so müßten wir prüfen, ob vielleicht die Aufnahme- 1) Vgl. Klebs, G., Über die Rhythmik in der Entwicklung der Pflanzen (Sitzungsber. Heidelberger Akad, d. Wiss, Math.-naturw. Klasse 1911, Abhandl. 23, pag. 58). Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen (Biol. Zentralbl. 1912, Bd. XXXII, pag. 257, 275). Lakon, G., Die Beeinflussung der Winterruhe der Holzgewächse durch die Nährsalze (Zeitschr. f. Bot. 1912, Bd. IV, pag. 561). Klebs, G., Über Wachstum und Ruhe tropischer Baumarten (Jahrb. f. wiss. Bot. 1915, Bd. LVI, pag. 734, 787). 2) Klebs, G., Über das Verhältnis der Außenwelt zur Entwicklung der Pflanzen (Sitzungaber. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1913, Ablandl. 5, pag. 28). 632 Ernst Küster, fähigkeit der Pflanzen periodisch schwankt, oder auf anderem Wege dem genannten Komplex von Stoffwanderungsvorgängen die ihm zunächst fehlende Rhıythmik beigebracht wird. Selbst für Exemplare, die im Topfe kultiviert werden und mit einer relativ geringen Menge von Nährsalzen auszukommen haben, vermag daher nach dem bisherigen Stand unserer Kenntnisse die Veränderung im Nährsalzgehalt der Um- gebung die Rhythmik der Xylemproduktion nicht zu erklären. Wachstum und Gewebebildung der Urticaachsen durch künstliche Darreichung von Nährsalzen, durch Kultur in nährsalzfreien Medien oder durch rhythmischen Wechsel salzhaltiger und salzfreier (bzw. sehr salzarmer) Nahrung zu beeinflussen, wurde auf verschiedenen Wegen versucht. Am vorteilhaftesten erwies es sich, junge Nesseltriebe im Früh- jahr von den Rhizomen abzutrennen und in Wasser oder in geeigneten Nährlösungen zu kultivieren. Versuche dieser Art wurden mit Urtica dioica erfolgreich durch 3 Monate durchgeführt. Eine Reihe der Ver- suchspflanzen wurde dauernd in destilliertem Wasser gezogen, so daß sie mit den in ihren Geweben enthaltenen Salzen haushalten mußten. Andere wurden in Knop’scher Nährlösung"), die ihnen in 0,25 %iger, also relativ hoher Konzentration geboten wurde, gezogen; noch andere wurden nach einer Frist von etwa 4 Wochen aus Aqua destillata in die genannte Nährlösung und nach der gleichen Frist wieder in reines Wasser übertragen. Daß die Salzversorgung und ihr Wechsel auf Gewebebildung, Chiorophylientwicklung und Stärkehaushalt der Pflanzen weitgehenden Einfluß haben, war zu erwarten. An dieser Stelle sei nur hervor- gehoben, daß der Einfluß der Salzversorgung bei meinen Urticaver- suchen auf die Rhythmik des Dickenwachstums stets gering war: auch die ständig in demselben Medium kultivierten Exemplare wiesen rhyth- misches Holz auf; daß bei den in destilliertem Wasser erwachsenen die derbwandigen Schichten oft sehr schmächtig ausfielen, änderte an der Rhythmik selbst nichts; auch der Umstand, daß manche nährsalzlos erzogene Nessein nur stellenweise derb- und zartwandiges Holz wech- seln ließen und an anderen Teilen der Achse ein homogenes derb- wandiges (bis 10 Zellen mächtiges) Xylemband entwickelten, konnte nach den an normal erwachsenen dioica-Individuen gesammelten Er- fahrungen nicht überraschen. Nesseln, die den jähen Wechsel von 11,0 und 25 %iger Nährlösung wiederholt durchgemacht — und ab- . 1) Sie enthielt Kalziumnitrat, Kaliumnitrat, Magnesiumsulfat und Mono- kaliumpbosphat im Verhältnis von 4:1:1:1. Über rhythmisches Dickenwachstum. 633 gesehen von Störungen in der Chlorophylibildung auch anstandslos ver- tragen hatten — zeigten üppiges Diekenwachstum, dessen Produkte während der salzfreien und der salzarmen Perioden dieselben Struk- turen angenommen hatten; bei kräftigen Individuen wechselte im Holz derbwandiges und zartwandiges Gewebe dreimal so oft, wie in der Zu- sammensetzung des Nährmediums ein Wechsel eingetreten war. Meine Versuche zeigen schon jetzt, daß zwischen der Rhythmik der Holzbildung und der Rhythmik der Salzversorgung durch die Außenwelt — so weit die in der Knop’schen Lösung enthaltenen Ver- bindungen in Betracht kommen — keine unmittelbaren Beziehungen bestehen. Auf die „Außenwelt“ ist bei diesen Folgerungen der Nach- druck zu legen; denn darüber, ob die Salzverteilung oder Salzbewegung im Organismus — auch bei den unter konstanten Außenweltsbedingungen sich entwickelnden Exemplaren — unabhängig von dem die Wurzeln umgebenden Salzvorrat zu einer rhythmischen Beeinflussung des Kam- biums bzw. seiner Abkömmlinge führen kann, geben Versuche der be- schriebenen Art keinen Aufschluß. Ihre Ergebnisse lassen es aber als wenig wahrscheinlich erscheinen, daß die Rhythmik der Holzbildung unmittelbar von außen durch rhythmische Salzzufuhr induziert wird. — Selbstverständlich kämen noch manche andere Faktoren der Außen- welt insofern in Betracht, als sie auf ihren Einfluß auf die Xylempro- duktion, insbesondere bei rlıythmisch wechselnder Einwirkung zu prüfen wären, und die neuen Mitteilungen Stoppel’s lassen vollends daran denken, daß außer den von den Forschern bereits beachteten noch gar manche andere — unerkannte oder unzureichend studierte — ihre Rolle spielen und das Pflanzenleben beeinflussen können). Es ist aber durch- aus unwahrscheinlich, daß von irgendwie gearteten Faktoren, die den ganzen Pflanzenkörper gleichmäßig treffen und beeinflussen, eine posi- tive Antwort auf die Frage, ob die rhythmische Betätigung und Diffe- renzierung der Achsengewebe die Reaktion auf rhythmisch wechselnde Außenweltsbedingungen darstellen, zu erwarten sei. Zu dieser Vermu- tung führt neben anderen die Feststellung, daß die Ausbildung der oben beschriebenen sklerotischen Xylemzonen nicht immer syachron erfolgt, d. h. zu der nämlichen Zeit, zu der an irgendeiner Stelle das Kamıbium sklerotische Gewebe produziert, entstehen an anderen Teilen der Achse oft zartwandige Xylemmassen. Fig: 11 erklärt diese Verhältnisse: das Kambium ist in ihr als oft unterbrochene Linie eingetragen. Der Ab- 1) Stoppel, R., Die Abhängigkeit der Schlafbewegungen von Phaseolus multiflorus von verschiedenen Außenfaktoren (Zeitschr. f. Bot. 1916, Bd. VIII, pag. 609). 634 Ernst Küster, stand des Kambiums von den zuletzt gebildeten sklerotischen Zellen des Xylems ist an verschiedenen Teilen des Kambiumringes verschieden. Es können einzelne Bezirke des jungen Holzes sogar um einen halben oder nahezu einen ganzen Takt des Rhythmus anderen Stellen voraus- geeilt erscheinen. Da, wo die Differenz Bruchteile eines Taktes be- tragen, kommt es leicht zu scheinbaren „Verwerfungen“, wie sie durch Fig. 12 veranschaulicht werden sollen: an einzelnen Stellen zeigen sich sklerotische und zartwandige Xylemstreifen in alternierender Folge ein- ander gegenüber gestellt; ein mehr oder minder deutliches Zickzack- Fig. 11a. band kann zwischen den sklerotischen Gewebestreifen die Verbindung her- stellen (Fig. 12a). Sehr häufig ist der Fall, daß die zwischen zwei primären Gefäßbündeln bzw. zwischen den vom Faszikularkam- bium gelieferten Xylemsektoren liegenden Areale insofern eine gewisse Selbstän- digkeit aufweisen, Fig. 11b. als sie sich hinsicht- lich der in ihnen gebildeten Spangen 4 hartwandigen Xy- 0 u lems und überhaupt Fig. 11. Asynehrone Bildung der Xylemzonen im der in ihnen ent- Stengel von Urtica urens.. C' Kambium. stehenden Gewebe: differenzierungs- figuren verschieden verhalten. Dergleichen Unterschiede zwischen be- nachbarten Sektoren eines Organs sind bei Wurzeln und Achsen an- zutreffen (Fig. 13a und b). Bei dem in Fig. 13b dargestellten Aus- schnitt aus einem Urtieastengel sehen wir einen Sektor (III) mit vier Spangen, den benachbarten Sektor (IV) mit drei Spangen ausgestattet usw.; die derbwandigen Spangen des letzteren sind erheblich mächtiger und bestehen aus mehr Zellenlagen als die zarteren des III. Sektors. Die Breite der aus zart- oder der aus derbwandigen Zellen ge- bildeten Xylemstreifen wechselt zwar, wie aus dem Mitgeteilten bereits bervorgeht, innerhalb weiter Grenzen und mit ihr auch die Entwick- lungsdauer, die ein Takt der Diekenwachstumsrhythmik beansprucht. Gleichwohl darf man sagen, daß — je lebhafter das Wachstum vor sich geht — um so mehr Zonen in der Zeiteinheit entstehen: besonders Jentlich geht das aus denjenigen Fällen hervor, in welche man durch Über rhythmisches Diekenwachstum. 635 Verwundung (am besten durch Tangentialschnittwunden) das Kambium zu lokal stark gesteigerter Dickenwachstumstätigkeit und zur Bildung schichtenreicher Umwallungswülste angeregt hat (Gewächshauskulturen). Diese und viele andere ähnliche Fig. 12. Befunde sowie die vorhin geschilder- ten Erscheinungen der Heterotrophie zeigen, daß der Wechsel zwischen sklerotischen und zartwandigen Xylem- zellen weder naturnotwendig eintreten muß, wenn von der einen der beiden Gewebesorten eine bestimmte Zahl von Zellen gebildet worden ist, noch die Bildung derbwandiger Zellen un- bedingt wieder einsetzen ınuß, nach- dem während einer bestimmten Frist zartwandige Elemente gebildet wor- den sind. Ja es läßt sich hinzu- * Fig. 12b. Fig. 12, „Verwerfungen“ der Xylemschichten. a Querschnitt durch eine Wurzel von Urtica urens; die sklerotischen Xylembänder sind sehr regelmäßig ge- formt; das äußerste bildet einen geschlossenen, weder nach innen noch nach außen anastomosierenden Kreis; das innerste „neigt“ zur Umwandlung in eine Spirale. Unten bei % „Verwerfungen“. b Teil eines Querschnittes durch einen starken Stengel von Urtica urens; an mehreren Stellen „Verwerfungen“. fügen, daß der Rhythmus überhaupt höchst wahrscheinlich völlig aus- geschaltet werden kann, derart, daß nur sklerotisches oder nur zart- wandiges Xylem entsteht. Meine Versuche, Kombinationen von Be- dingungen zu finden, unter welchen einheitliches, nicht-rhythmisches Holz entsteht, haben bisher kein positives Ergebnis geliefert — wenn 636 Ernst Küster, man nicht die in H,O 'destillat. gehaltenen Hungerkulturen und die Krümmungsversuche gelten lassen will, bei welchen wenigstens auf einer Flanke des Urtieastengels einen streckenweise einheitlichen, derb- wandigen Xylemstreifen zu erzielen möglich war. Durchmustert man eine große Zahl Urticastengel und -wurzeln, so begegnet man gelegentlich Exemplaren, deren Zonenbildung unvollkommen bleibt — zugunsten einer wenigstens lokal einheitlichen Ausbildung des Xylemgewebes. Bei Urtica dioiea ist der Fall nicht selten, daß Fig. 13b. während der letzten Monate, in ZI Fig. 133, Fig.13. Unterschiedliche Ausbildung benachbarter Xylemsektoren. a Querschnitt durch eine Wurzel von Urtien urens; der erste (innerste) Ring nur in zwei Quadranten regelmäßig ausgebildet. Der zweite und dritte ringsherum wohlentwiekelt; b Querschnitt durch einen Stengel von U. urens; bei / zwei voll- kommene Spangen und eine blind endigende, in dem zwischen den Schenkeln einer sich aufspaltenden Faszikulargewebemasse liegenden II. Sektor eine Spange; bei ZI vier, bei 77 drei Spangen. Vgl. den Text. welchen das Achsenkambium sekundäres Xylem produziert, ein mäch- tiger Ring sklerotischen Holzes entsteht, der nirgends von zartwandigem Xylem unterbrochen wird. Bei derselben Spezies kann ferner in der ganzen Dicke des Xylemzuwachses die Bänderung undeutlich sein, derart, daß die Unterschiede zwischen derb- und zartwandigem Xylem nur gerade noch wahrnehmbar sind. Bei den Stengeln von Urtica urens ist das Auftreten abnorm dicker Bänder sklerotischen Holzes offenbar seltener; bei dieser Spezies fiel mir — allerdings nur einmal — eine Wurzel auf, in deren Zentralzylinder sich erst ein ansehnliches, unge- zontes Massiv sklerotischen Gewebes gebildet hatte, bevor der typische Wechsel von zart- und derbwandigem Xylem eintrat. Durch Gewächs- Über rhythmisches Diekenwachstum. 637 hauskultur gelang es mir andererseits wiederholt, die Bildung der sklerotischen Xylembänder zu hemmen und diese schmal und lücken- haft zu machen, derart, daß an bestimmten Stellen die Kambiumzellen mehr als doppelt so viel dünuwandige Xylemzellen und länger als die doppelte Zeitdauer nur dünnwandiges Gewebe entstehen ließen als die ihnen benachbarten Kambiumpartien; vermutlich ist die herabgesetzte Transpiration für diese Anomalien verantwortlich zu machen. Die hier geschilderten atypisch gebauten Exemplare geben zwar keine Aufklärung darüber, welche Bedingungen und Zustände die Rhyth- mik der Gewebedifferenzierung nicht aufkommen lassen. Andererseits lassen sie keinen Zweifel daran, daß auch der hier geschilderte Rhyth- mus nicht unlösbar mit Leben und Entwicklung der Pflanze verbunden ist, daß er durch Umstände noch unbekannter Art unterdrückt werden kann, und daß er daher ebensowenig wie die von Klebs so erfolgreich bearbeiteten Erscheinungen rhythmischen Wachstums als „erblich fixiert“ bezeichnet werden darf. Gleichwohl betrachte ich ihn als einen auto- nomen, d.h. als einen Rhythmus, der nicht Takt für Takt durch einen periodischen Wechsel der den in Entwicklung begriffenen Organismus umgebenden Außenweltsbedingungen (Licht, Wasserzufuhr, Salzzufuhr usw.) veranlaßt und angeregt wird. Ich glaube mich dabei einer Be- zeichnungsweise und einer Unterscheidung zu bedienen, die zwar von Klebs wiederholt angefochten worden ist, die ich aber dennoch als logisch berechtigt, ja sogar als förderlich für die kausale Analyse der an Organismen beobachteten Wachstums- und Differenzierungsprozesse bezeichnen darf. Daß auch diejenigen Autoren, welche von autonomer Rhythmik im hier angeführten Sinne oder in einem ihm ähnlichen sprechen, das rhythmische Geschehen nicht anders als kausal bedingt verstehen, ist klar. Ebenso sind sich auch alle darin einig, daß nichts sich von selber ändert, daß jeder kleinste Anteil eines in Entwicklung, d. h. Veränderung begriffenen Gebildes nicht anders als „von außen“ zu irgendwelchen Veränderungen gebracht wird. Für eine Kambium- zelle — um auf unseren speziellen Fall zurückzukommen — bedeuten jede benachbarte Kambiumzelle, die jungen Xylem- und Phlo&manteile usw. die Außenwelt: vielleicht gehen von dieser während der Entwicklung und des Dickenwachstums eines Nesselstengels rhythmische Wirkungen aus, welche der Betätigung des Kambiums die Form deutlich rhyth- mischer Reaktionen aufnötigen. Vielleicht müssen wir aber die Kam- biumzelle selbst in noch kleinere Anteile uns zerlegt denken, um das Element bezeichnen zu können, welches durch rhythmische Anstöße von seiner „Außenwelt“ zu rhythmischen Reaktionen gebracht wird. 638 Ernst Küster, Daß es logisch berechtigt ist, nicht nur die einen Organismus allseits umgebende tote Materie als seine Außenwelt zu bezeichnen, sondern auch jeden noch so kleinen oder großen lebenden Anteil eines Orga- nismus als Außenwelt eines von ihm (dauernd oder vorübergehend physikalisch oder chemisch) beeinflußten anderen Anteils desselben Lebe- wesens in Rechnung zu setzen, wird man nicht bezweifeln; diese Ge- dankengänge führen zu der von Klebs für das am Organismus beob- achtete autonome und aitionome Geschehen angestrebten einheitlichen Betrachtungsweise. Die Frage ist, ob diese Vereinheitlichung unter allen Umständen einen Gewinn bedeutet, und ob nicht auch ihre Ablehnung Vorteile haben kann. Um auch meinerseits durch ein Gleichnis meine Meinung zum Ausdruck zu bringen, schlage ich vor, einen Uhrmechanismus, der alle Stunden sein Läutewerk „spontan“, „von selbst“ oder „autonom“ ertönen läßt, mit einem anderen zu ver- gleichen, der auch allstündlich in Tätigkeit tritt, aber nur dann, wenn „von außen her“ — etwa durch die Hand des Menschen — allstünd- lich ein pünktlich sich wiederholender Eingriff vorgenommen wird. In beiden Fällen tönt die Glocke nur deswegen, weil für sie von außen, durch ein Hämmerehen etwa, der Anstoß kommt. Trotz dieser Über- einstimmung werden wir die beiden verglichenen Werke als durchaus verschieden bezeichnen, und aus ihrem unterschiedlichen Verhalten ohne weiteres auf wichtige Unterschiede in ihrem Bau, ihrer Struktur schließen wollen und dürfen. Analoge Unterschiede der Organismen in besonderen Terminis zum Ausdruck zu bringen, halte ich für den berechtigten Wunsch vieler Forscher; wenn sie sich hierbei des alten Ausdrucks der „Autonomie“ bedienen, so mag man freilich bezweifeln, ob damit die Wahl auf den denkbar besten gefallen ist; ich bediene mich seiner, ohne ihn für sonderlich glücklich zu halten, und werde ihn fallen lassen, sobald ein besserer vorgeschlagen worden ist, der zu weniger Mißverständnissen Anlaß geben kann als er. An der Sache aber, d. h. an der terminologischen Unterscheidung eines durch rhyth- wische Veränderungen der einen ganzen Organismus umgebenden Außenwelt veranlaßten Periodik und derjenigen, die unabhängig von rhythmisch erfolgenden Wirkungen der Außenwelt zustande kommt, ist aber aus denselben Gründen festzuhalten, wie etwa an der Unter- scheidung von Selbstdifferenzierung und abhängiger Differenzierung. Auch toten Systemen gegenüber trage ich kein Bedenken von auto- nomer Rhythmik zu sprechen, wenn ihre periodischen Reaktionen nicht die Antwort auf irgendwelche in gleichem Takt erfolgende Beein- flussungen seitens der das tote System umgebenden Außenwelt dar- Über rhythmisches Dickenwachstum. 639 stellen: in diesem Sinne autonom erfolgt die Zonenbildung im Liese- gang’schen Chromgelatinesystem'). Klebs’ Einwand gegen meine Bezeichnungsweise?) kann ich nicht als zwingend anerkennen. Die an Urtica gesammelten Beobachtungen lassen es ausgeschlossen erscheinen, daß irgendwelche rhythmisch wechselnde Außenweltsbedin- gungen — „Außenwelt“ hier wie im folgenden als die Gesamtheit der außerhalb des ganzen Organismus liegenden Faktoren verstanden — die Anstöße zu einer im gleichen Takt erfolgenden rhythmischen Ge- webedifferenzierung der Achsen und Wurzeln seien. Daher bezeichnen wir die Rhythmik, die in der Bänderung des Holzes sich ausspricht, als eine autonome. Hiermit soll aber nicht gesagt sein, daß die beobachtete Rhythmik von der Außenwelt unabhängig sei; vielmehr haben die vorhin mitgeteilten Beobachtungen es uns durchaus wahr- scheinlich gemacht, daß bestimmte Kombinationen der Außenwelts- bedingungen jene Rhythmik nicht zustande kommen und ein homogenes Gewebe entstehen lassen. Wollte man aus dem Umstand, daß bei bestimmten Außenweltsbedingungen kein Wechsel von zart- und derb- wandigem Xylem sich geltend macht, folgern, daß dann, wenn solcher Wechsel auftritt, die Außenweltsbedingungen durch irgendwelchen shythmischen Wechsel ihn unmittelbar veranlaßten, so läge ein Trug- schluß vor. Vielmehr wird stets der Möglichkeit Rechnung zu tragen sein, daß — unabhängig von Konstanz oder Wechsel der Außenwelts- bedingungen — im Organismus schon durch seine Lebenstätigkeit Ver- änderungen zustande kommen, und durch sie die Gewebedifferenzierung und andere Gestaltungsprozesse vorübergehend in andere Bahnen ge- lenkt werden, bis jene durch den Stoffwechsel des Organismus bedingte Veränderung wieder in Wegfall kommt oder wirkungslos wird®). Daß auch diese hypothetischen Stoffwechselprozesse — wie alle Lebens- vorgänge — von der Außenwelt in der mannigfaltigsten Weise beein- flaßt werden können, ist selbstverständlich, und die Annahme, daß be- stimmte Außenweltsbedingungen jene periodischen Wirkungen voll- kommen aufheben können,’ hat meines Erachtens nichts Gewaltsames. Auch anderen rhythmischen Prozessen gegenüber, z. B. bei Beurteilung 1) Küster, E., Über Zonenbildung in kolloidalen Medien. Jena 1913, — Ein Vergleich autonomer und aitionomer Zonenbildung in Gelatine bei Küster. Beiträge zur Kenntnis der Liesegang’schen Ringe und verwandter Phänomene II (Kolloid-Zeitschr. 1913, Bd. XIII, pag. 193). 2) Klebs, G., Über das Verhältnis von Wachstum und Ruhe bei den Pflanzen (Biol. Zentralbl. 1917, Bd. XXXVII, pag. 373, 401). 3) Vgl. Küster, E, Über den Rhythmus im Teben der Pflanzen (Zeitschr. f. allg. Phys. 1916, Sammel-Ref., Bd. XVII, pag. 15, 39) und die dort zitierte Literatur. 640 Ernst Küster, Über rhythmisches Dickenwachstum, des rhythmischen Wachstums, des Treibens und Ruhens usw. wird daran festzuhalten sein, daß bei denjenigen Objekten, bei welchen der Rhythmus durch bestimmte Außenweltsbedingungen aufgehoben und durch aperiodische Gestaltungsprozesse ersetzt werden kann, dann, wenn ihr Wachstum rhyihmisch sich betätigt, keineswegs die Außen- weltsbedingungen es sind, die durch rhythmischen Wechsel Takt für Takt jene Wachstums- und Gestaltungsrhythmik induziert hätten; viel- mehr wird auch in solchen Fällen zu prüfen sein, ob die Rhythmik eine autonome ist, d. h. ob sie durch periodische im Innern des Orga- nismus selbst zustande kommende Faktoren bedingt ist, deren Zu- standekommen seinerseits freilich bestimmte Kombinationen der Außen- weltsbedingungen, aber keinen rhythmischen Wechsel des letzteren voraussetzt. Sprossende Pilze wachsen rhythmisch: ihren Wachstums- rhythmus halte ich für einen autonomen, obwohl — wie bekannt — er sich durch bestimmte Außenwelts- oder Kulturbedingungen unterdrücken und sich das rhythmische sprossende Wachstum durch ein aperiodisches ersetzen läßt, das zylindrische Hyphen produziert. Ungelöst bleibt die Frage, welcher Art die während des Wachs- tums und infolge der ihm zugrunde liegenden und durch sein Port- schreiten veranlaßten Stoffwechselvorgänge eintretenden Veränderungen der im Organismus waltenden Bedingungen sind, von welchen wir an- nahmen, daß sie in irgendwelchem Sinne rhythmisch sich ändern und das Kanıbium bzw. die von ihm gelieferten jugendlichen Zeilen perio- disch wechselnd beeinflussen. Wie bei allen autonom-periodischen Er- scheinungen werden wir auch bei der hier behandelten annehmen dürfen, daß im Verlaufe der Entwieklung durch Bildung und Anhäufung irgendwelcher Stoffe oder durch Speicherung irgendwelcher Energie ein für uns vorläufig noch nicht umgrenzbares System aus einem Jabilen Gleichgewieht in ein stabiles übergeht). Ob wir uns diesen Wechsel unter Zuhilfenahme übersättigter Lösungen und irgendwelcher Keim- wirkungen?) — oder im Anschluß an die im Reich der Fermente an- scheinend weit verbreitete Fähigkeit zu periodischem Wirken ®) — oder auf anderen Ergebnissen der chemisch-physikalischen Forschung fußend von Fall zu Fall am einleuchtendsten erklären können werden, bleibt eine offene Frage. 1) Küster 1916, a. a. O. 2) Küster 1913, a. a. O. 3) Groil, J., Periodische Erscheinungen bei Fermenten als Folge ihrer kolloiden Beschaffenheit (Kolloid-Zeitschr. 1917, Bd. XXI, pag. 138). Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. Von 0. Renner. {Mit Unterstützung der Münchener Samson-Stiftung ausgeführte Untersuchungen). (Mit 18 Abbildungen im Text). Die bis zum Jahr 1916 gewonnenen Ergebnisse habe ich ausführ- lich mitgeteilt‘). Im Sommer 1917 ist es mir durch verschiedene günstige Umstände möglich geworden, diese Versuche, wenn auch in kleinem Umfang, in Ulm weiterzuführen. Dabei sollte über gewisse Einzelfragen, die in der genannten Arbeit noch nicht geklärt waren, und vor allem über das Spalten der zweiten Bastardgeneration Aufschluß gewonnen werden. Über die häufige Erscheinung, daß eine Kombination verschiedene Entwicklungskraft besitzt je nach den Verbindungen, aus denen die Komplexe für die Kreuzung entnommen sind, habe ich schon im Zusammenhang kurz berichtet 2). — Die Samen wurden, wie de Vries empfiehlt, in Glasröhrehen, ohne Fließpapier, angekeimt, sonst gleich behandelt wie früher. Alle Samen waren 1916 gewonnen, alle Pflanzen wurden einjährig erzogen. Der königl. bayr. Akademie der Wissenschaften in München bin ich für Gewährung von Mitteln aus der Samson-Stiftung zu Dank verpflichtet. 1. Zygotische, gametische, gonische Konstitution. Sichergestellt ist die zygotische und gametische Konstitution für die „Arten“ unter den verwendeten Verbindungen (1917, pag. 287 und 267): O. biennis = (albicans, rubens) 2 - rubensZ; Lamarckiana — (gaudens, velans) 2 (gaudens, velans) d; muricata =rigens $ - curvans d; O. rubrinervis — (paenevelans, subvelans) 2 - (paenevelans, sub- velans) d; suaveolens — (flavens, albicans) 2 - flavens d. 1) Renner, Versuche über die gametische Konstitution der Önotheren. Zeit- sehr. f. Abst.- und Vererbungsiehre 1917, Bd. XVII, pag. 121. 2) Renner, Artbastarde und Bastardarten in der Gattung Oenothera. Ber. d. D, Botan. Gesellsch. 1917, Bd. XXXV, 1. Generalvers.-Heft, pag. (21). Zitiert als 1917 a. Flora. Bd. 111. 41 642 0. Renner, Die Formeln stellen die gametische Konstitution dar, d. h. die Reihe der in aktivem Zustand regelmäßig auftretenden, bis zur Bildung funktionstüchtiger Gameten sich entwickelnden Keimzellen oder Gonen; von den seltenen, „mutierten“ Gameten ist dabei ab- gesehen. Die zygotische (oder genetische) Konstitution ist natürlich immer durch eine zweigliedrige Formel dargestellt. Sie ist eindeutig in den Fällen, in denen einer der Komplexe oder beide Komplexe heterogam sind. Dagegen kann z. B. die isogame O. Lamarckiana als gaudens (2) - ve- lans (3) oder als velans (9) -gaudens (4) gebildet sein, und für das einzelne Individuum läßt sich, wenn es durch Befruchtung innerhalb der Art, nicht durch Kreuzung entstanden ist, nicht angeben, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft. Ein Individuum von der fraglosen genetischen Konstitution velans (2). gaudens (d) können wir uns ver- schaffen z. B. durch die Kreuzung Lamarckiana X (biennis x Lamarek.) laeta, und ein solches von der Zusammensetzung gaudens (2) - velans (d) durch die Kreuzung Lamarckiana x (biennis x Lamarck.) velutina. Die gonische Konstitution, die lückenlose Reihe der sämtlichen Typen von Keimzellen, der inaktiven wie der aktiven, läßt sich nur mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit erschließen. Sie ist im Falle von Heterogamie immer komplizierter als die gametische Kon- stitution — für O. muricata z. B. dürfte die Gonenformel (rigens, cur- vans) 2 - (curvans, rigens) J sein, für O. suaveolens ähnlich (flavens, albicans) ?- (flavens, albicans) $ —, aber auch bei der isogamen O.La- marekiana braucht die Gametenformel nicht dasselbe zu sein wie die Gonenformel, denn wir wissen noch nicht, was hier die verküm- mernden Samenanlagen und Pollenkörner bedeuten (vgl. 1917, pag. 274). Praktisch ist die gonische Konstitution für die Reihe der möglichen Biotypen ohne Bedeutung, falls die Inaktivität streng ist; gelegentliches Aktivwerden kommt z. B. in dem Auftreten metakliner Bastarde (vgl. 1917, pag. 235) zum Ausdruck, Einige Erfahrungen über die Gametenformein liegen auch schon vor für die Zwillinge aus O. biennis x Lamarckiana (1917, pag. 241); es ist im einfachsten Fall O. (biennis x Lamarck.) Iaeta = (albicans, gaudens) 2 - gaudens £ „ velutina = (albicans, velans) 2 - velans d. Von O. (Lamarck. x biennis) fallax wissen wir, daß der Pollen dityp ist (1917, pag. 243), die selteneren Typen noch gar nicht gerechnet; für die Eizellen ist dasselbe Verhalten anzunehmen, aber noch nicht und Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 643 experimentell festgestellt. Die erste Näherungsformel der gametischen Zusammensetzung ist also fallax = (velans, rubens)? 2 - (velans, rubens) 9. Die zygotische Konstitution ist sicher bekannt für folgende Ver- bindungen: O. (muricata x Lamarek.) laeta=rigens ($) - gaudens (d); » velutina — rigens - velans; {Lamarck. x suaveolens) suavi-laeta = gaudens - flavens; (rubrinervis X biennis) subfallax = subvelans - rubens. Zur Ermittelung der Gametenformeln werden unten einige Bei- träge geliefert werden. Nicht einmal die zygotische Konstitution war bisher mit Sicherheit festgestellt für O. (Lamarck. x muricata) gracilis. 2. Zur Kenntnis von Oenothera muricata und 0. suaveolens. Von O. muricat-Venedig waren unsicher geblieben: die Anthokyana- bildung in den Komplexen rigens € und eurvans d: das Verhältnis des Rotnervenfaktors zu dem von rubens in O. biennis; die Natur der lebens-. fähigen Verbindung ©. (Lamarckiana x muricata) graeilis. Zur Analyse konnte teilweise O. suaveo- lens dienen, deren Bastarde mit O. muricata noch nicht beschrieben worden sind. " 3) 0. muricata”x suaveolens (Fig. 1). Die Kreuzung fällt genau so aus, wie von der Ver- bindung rigens - fla- Fig. 1. O0. (muricata x suaveolens) rigida. di” 644 0. Renner, vens, ihre Lebensfähigkeit vorausgesetzt, zu erwarten war. Die Samen sind fast alle gesund, die Keimpflanzen (71 Stück, nicht alle ausgepflanzt) gleichförmig. Rosettenblätter groß und breit. Stengel bald schießend, hoch, aufrecht, reich verzweigt, kräftig behaart, mit starken roten Tupfen, von ausgesprochenem rigida-Typus (vgl. 1917, pag. 230). Blätter breit, lang zugespitzt, dünn, schwach gezähnelt, dunkelgrün, tiefrotnervig. Kelch zuerst ganz grün, an den späteren Blüten am Grund leicht rot überlaufen. Kronblätter ziemlich blaßgelb, bis 28 mm lang und breit. Frucht lang, am Grund ziemlich diek, leicht rotgestreift. — Bei Selbstbestäubung wurden keine Samen angesetzt. b) O. suaveolens>< muricata) äußerst ähnlich ist, also die Verbindung albicans - flavens darstellt (Fig. 2). Stengel blaß und weich, nicht ge- tupft; Blätter sehr schmal und lang, hellgrün, weißnervig; Kelch grün, Kronblätter sattgelb, 18 mm lang, 21 breit; Früchte dünn, blaß, locker stehend. Auffallenderweise nieken die Stengelspitzen fast gar nicht, der erste mir bekannt gewordene Fall, in dem das Nicken von curvans nicht dominiert. Die Erfahrung weist darauf hin, daß der albiecans-Komplex von O. suaveolens mit dem von O. biennis, wie zu erwarten, nicht voll- kommen identisch ist. Die Form wäre nach Analogie früher gewählter Benennungen (1917, pag. 186) als O. (suaveolens>< muricata) bienni- gracilis zu bezeichnen. Der dazu gehörige Zwilling suavi-gracilis = flavens - eurvans liegt in den weißen Sämlingen vor. Die gelbgescheckte Keim- pflanze hat sich aber zu einem Typus entwickelt (Fig. 3), der der eigentlichen suavi-gracilis sicher sehr nahe steht; vielleicht wurde nur ein die Chlorophylibildung hemmender Faktor vegetativ abgespalten. Sproß etwa 80 cm hoch, reich huschig verzweigt, mit sehr spärlich vehaarten, rotüberlaufenen. nicht getupften Achsen; Stengelspitzen stark nickend: Blätter ziemlich breit, ang zugespitzt. kaum gezähnelt. fast kahl. dünn. weißnervig; Kelch grün, die freien Zipfelspitzen lang und « Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 645 dünn; Kronblätter sattgelb, 21 mm lang; Narben zur Hälfte über den Antheren, diese ziemlich pollenreich; Frucht ziemlich: lang und schlank, kaum behaart. Im übrigen schien das Individuum zeitlebens Chimären- eigenschaften zu haben; die Zweige teils dunkelgrün, teils geiblichgrün, teils rein gelblichweiß, teils sektorial geteilt, ebenso die einzelnen Blätter; Blüten auch auf den ganz weißlichen Ästen, hier etwas ver- krüppelt; Früchte in allen drei Farben. Die Figur der Albomaculata- Pflanze von Antirrhinum majus bei Baur, Einführung, 2. Aufl., pag. 178, R + De? . 7 —_ Fig. 2. ©. (suaveolens X muricata) Fig. 3. O. (suaveolens x muricata) bienni-gracilis. suavi-gracilis. zeigt Blätter von genau der gleichen Zeichnung und Gestalt; auch die Asymmetrie der zur Hälfte weißen, zur anderen Hälfte grünen Blätter ist ganz übereinstimmend. c) O. (Lamarckiana x muricata) gracilis. Die lebensfähige Form habe ich als velans - curvans angesprochen, den früh sterbenden Zwilling als die gaudens-Verbindung (1917, pag. 230). Das hat sich bestätigt; die gracilis aus muricata entspricht also ganz 646 0. Renner, der fallax aus biennis. Aus der Kreuzung O. biennis > (Lamarck. = muricata) gracilis gehen nämlich zur Hauptsache hervor: fallax (rot- nervig) = rubens-velans und velutina (weißnervig) = albicans - velans, beide den aus O. biennis >< Lamarckiana zu gewinnenden Mischlingen äußerst ähnlich; die velutina allerdings teilweise mit breiten Brakteen und sehr dicken Knospen. Neben 37 Keimpflanzen, die sich auf fallax und velutina verteilten, entstand ein Individuum, das sich schon im Keimbett als albicans -eurvans zu erkennen gab und erwachsen mit O. (biennis x muricata) graeilis identisch zu sein schien: hellgrün, schmal- blätterig, weißnervig, nicht getupft, stark nickend. Die meisten Samen waren gesund und kamen zur Keimung (41 keimten, davon gingen 3 bald ein; 8 waren taub); die Seltenheit der bienni-gracilis ist also mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, daß der curvans- Pollen langsamer wächst als der velans-Pollen. Sicher sind aber, wie zu erwarten war, beide Komplexe velans und curvans im Pollen der (Lam. x mur.) gracilis aktiv, während in den Eizellen wohl nur velans aktiv ist. Die in der Gametenformel velans 2 - (velans, curvans) zum Ausdruck kommende halbe Heterogamie ist deswegen bemerkens- wert, weil im Gegensatz zu den übrigen bis jetzt bekannt gewordenen halb heterogamen Formen hier der Pollen dityp ist, die Eizellen mono- typ. Augenscheinlich sind derartige halb heterogame Biotypen allgemein zu erhalten durch Verbindung eines isogamen Komplexes mit einem streng männlichen Komplex, vorausgesetzt, daß die Geschlechtsbindung der Komplexe sich in dem Bastard nicht ändert. Die Kreuzung O. (muricata >= Lamarck.) velutina >< muricata liefert unter anderen Typen (vgl. unten) eine Form, die mit O. (Lamarek. >< muricata) gracilis sehr große Ähnlichkeit hat, wenn sie sich auch davon unterscheiden läßt (Fig. 4, 5). Der primäre Bastard war unter den gegebenen Kulturbedingungen (sehr üppiger Gartenboden, auf leicht südwärts geneigtem Gelände) dicht verzweigt, an den Blättern gelblich gefleckt: die Früchte sind immer weißlich, sehr dünn. und enthalten nach Selbstbestäubung nur oder fast nur taube Samen. Der abgeleitete Bastard war auf demselben Beet lockerer verzweigt, dunkel- grün, die Früchte grün, gut entwickelt, bei Selbstbefruchtung mit zahlreichen keimhaltigen Samen neben vielen tauben. Die Form kann nur velans.curvans sein, weil die velutina von der Lamarckiana her nur den velans-Komplex besitzt, und die Ähnlichkeit mit der primären gracilis beweist wieder, daß diese eine velans-Verbindung darstellt. Die parallele Kreuzung O. (muricata x Lamarck.) laeta > muri- cata gibt die Verbindung gaudens-curvans als kräftige Form (Fig. 6), Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 647 wie schon de Vries!) mitteilt. Die Blätter sind ziemlich breit und dünn, rein und hell grün, die unteren buchtig gezähnt, Stengel und Fruchtknoten kaum getupft; der Kelch ganz grün, sehr wenig behaart, die Kronblätter hellgelb. Darnach besteht kein Zweifel mehr, daß der lebensfähige Zwilling der primären Kreuzung eine graeili-velutina ist, der chlorophylifreie eine graeili-laeta; wie dieser aussehen würde, Fig. 4. O. (Lamarckiana x muricata) Fig. 5. O. [(muric. x Lamarck.) ve- “graeilis. Im Abblühen, Stengel nicht lutina x muricata] gracili-velutina. mehr nickend. Fast abgeblüht, Stengel nieht mehr nickend. wenn er assimilieren könnte, lehrt uns die abgeleitete Kreuzung laeta >< muricata. — Alle Bastardformen der beiden abgeleiteten Kreuzungen haben sehr stark nickende Sproßgipfel, der curvans-Charakter dominiert also vollkommen. 1) De Vries, Gruppenweise Artbildung. Berlin 1913. pag. 170; dort zuch eine Abbildung, Fig. 76. 648 0. Renner, d) Die Rotnervigkeit von O. muricata-Venedig. Daß der Eizellenkomplex rigens der von mir verwendeten, rot- nervigen muricata-Rasse den Rotnervenfaktor besitzt, steht außer Zweifel: die neue Kreuzung O. muricata >< suaveolens hat das wieder bestätigt. Ob auch der Pollenkomplex curvans damit ausgestattet ist, war zweifel- haft, weil O. (Lamarek. > muricata) gracilis leicht rosenrot gefärbte Nerven besaß (1917, pag. 172). Die betreffenden Individuen waren allerdings auf magerem Boden erwachsen, der die Anthokyanbildung begünstigt. In fetter Gartenerde wurde jetzt die eraeili-velutina recht Fig. 6. ©. [(murie. x Lamarck.) Fig. 7. laeta x muricata] graeili-laeta. O. [(muric. x Lamarck.) laeta x muricata] intermedia. kräftig, die Blattnerven waren nur an den unteren Blättern zartrosa, wie auch sonst bei velans-Verbindungen (1917, pag. 233), später rein weiß. Auch alle übrigen Verbindungen von eurvans mit Komplexen, die nicht Rotnervigkeit vererben, sind weißnervig, so die Zwillinge aus O. suaveolens x muricata, Die Nervenfärbung der O. muricata- Venedig kommt also allein dem rigens-Komplex zu und ist somit ein Gegenstück zu der Rotnervigkeit der O. biennis, die allein im Komplex rubens, meht in den albicans-Eizellen den Rotiaktor besitzt. Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 649 Der Rotfaktor von rubens scheint mit dem von rigens identisch zu sein. Denn es ist mir jetzt wahrscheinlich geworden, daß O. (muri- cata-Venedig > biennis) deshalb nicht lebensfähig ist (1917, pag. 168), weil der Bastard im Rotnervenfaktor homozygotisch ist; daß O. Lamarckiana den Rotnervenfaktor in homozygotischem Zustand nicht verträgt, wissen wir ja durch Heribert-Nilsson. De Vries kann den Mischling O. muricata > biennis aufziehen, aber nach brieflicher Mitteilung von Herrn Prof. Stomps ist das Amsterdamer muricata-Material weißnervig; der de Vries’sche Bastard ist natürlich rotnervig, und durch Rück- kreuzung mit O. muricata d wird man aus ihm, am ehesten aus der ersten (eneration, vielleicht eine rotnervige muricata gewinnen können. — Die Kreuzung O. (muricata > Lamarck.) laeta > biennis hat mir ganz wenige lebensfähige Individuen gebracht, 4 Stück neben 14 früh sterbenden Sämlingen und 45 tauben Samen. Die nicht lebenstähigen Kombinationen werden zur Hauptsache gaudens-rubens sein, andere im Rotfaktor homozygotisch. Die vier überlebenden Pflanzen sind sehr kräftige, rotnervige, rotgestreifte rigidae geworden (Fig. 8), zweifellos rigens- rubens, dem de Vries’schen Bastarıl sehr ähnlich. Ich zweifle nicht. daß sie deswegen haben am Leben bleiben können, weil von dem rigens-Komplex sler laeta der Rotnervenfaktor abgesprengt war. Auch aus O. (muricata > Lamarck.) velutina > biennis sind rigida- Typen zu gewinnen (Fig. 9, vgl. unten). Bis jetzt ist mir keine Form bekannt geworden, die lebensfähig wäre, weun sie den Rotnervenfaktor in homozygotischer Verwirklichung besitzt. Es empfiehlt sich deshalb, zum Studium der Komplexe immer weißnervige Verbindungen zu wählen, wenn das möglich ist, weil die Rotnervigkeit überall die Komplikation der Eliminierung von Rothomo- zygoten mit sich bringt. e) Die Rotpunktierung von O. muricata. Bei der roten Tupfung der Stengel und Fruchtknoten sind zwei Momente zu beachten: einerseits die Intensität der Färbung, anderer- seits die Zahl und Größe der roten Tupfen. Die beiden letzteren Fak- toren sind von der Art der Behaarung abhängig. Wenn die stärkeren Borstenhaare, die auf Parenchymsockeln stehen, spärlich und die Sockel klein sind, so können die Tupfen auch bei dunkelroter Farbe wenig auffallen, weil die Anthokyanbildung streng auf diese kleinen vor- springenden Gewebepolster beschränkt ist. Das gilt z. B. für O. muri- .cata und für O. (Lamarck. > muricata) gracilis. Außerordentlich stark „agegen erscheint O. (muricata > Lamarck.) laeta getupft, weil hier die 650 O. Renner, Haarpolster zahlreich sind und weit vorspringen; die Färbung «er Polster verdankt der Bastard nur dem rigens-Komplex der selber viel schwächer getupften O. muricata, die Größe der Polster wie die grobe Behaarung überhaupt dem gaudens-Komplex der O. Lamarckiana. Bei O. murieata scheint sogar der Pollenkomplex curvans ebenfalls Rot- färbung der Haarbasen zu vererben, allerdings sehr schwache. Bei O. (biennis >< muricata) sind nämlich im Bereich der Blüten die Haar- ’ Fig.8. 0. Emurie. x Lamarck.) laeta x biennis] Fig. 9. 0. f{murie. ° La- rigida, breitblätterig. inatck.) velutina X biennis] rigidä, kaum verzweigt. polster leicht rosenrot. und bei O. [(muricata >’Lamarck.) laeta >= muricata] graeili-laeta ist die Tupfung sogar recht deutlich. weil der gaudens-Komplex wieder, wie in die (murieata> Lamarck.) laeta, kräftige Haare und Haarsockel mitbringt. — Die Existenz der O. (muricata >= Lamarck.) velutina beweist, daß der Tupfenfaktor von yelans mit dem von rigens sich ohne Störung verträgt; ob die beiden (Gene identisch sind. wissen wir noch nicht. Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 651 3. Zur Kenntnis von O0. Lamarckiana - rabrinervis. Die albicans-Zwillinge aus O. biennis x rubrinervis, nämlich albicans - paenevelans — paenevelutina und albicans - subvelans — subvelutina, entwickeln sich auf reichem Boden viel stärker verschieden als auf magerem (1917, p. 193). Die subvelutina wächst hoch, breit- blätterig, durchaus laeta-artig im Habitus, ist der paenevelutina von An- fang an weit voraus (Fig 10). Die Kreuzung O. muricata x rubrinervis gibt ganz entsprechende, in der Statur ähnlich verschiedene Zwillinge (Fig. 11), beide rotnervig, stark rot getupft. Die paenevelutina ist der velutina aus OÖ. muricata X Lamarckiana sehr ähnlich, hat ganz roten Kelch. Die subvelutina unter- scheidet sich von O. (murie. x La- marck.) laeta (Fig. 12) vor allem durch den kräftig rotstreifigen Kelch; die Blätter sind nicht ganz so breit wie bei laeta, aber beträchtlich breiter als bei paenevelutina. O. rubrinervis x suaveolens. Die meisten Samen sind gesund und keim- fähig, die meisten Sämlinge ent- wickeln sich kräftig; also fehlen lebens- unfähige Kombinationen. Die Pflanzen ähneln sämtlich der O. (Lamarck. x suaveolens) suavi-velutina, haben breite, weiche, weißnervige Blätter, getupfte Stengel. Mit der Zeit diffe- renzieren sich zwei Formen, die sich ähnlich unterscheiden wie O. (rubri- Fig. 10. O. (biennis x rubrinervis) nervis X biennis) fallax und subfallax. Fı. links subvelutina, rechts paene- Der eine Zwilling ist von der suavi- " velutina aus Lamarckiana (1917, pag. 183) nicht zu unterscheiden, hat dunkelgrünes Laub, kräftig rotstreifigen Kelch, dunkelgelbe Krone. Der andere, die suavi-subvelutina, hat heller grünes Laub, breitere Brakteen, erst an den späteren Blüten leicht gestreifte Kelchblätter, heller gelbe Krone. O. rubrinervis x muricata. Fast alle Samen gesund. Die deshalb zu erwartenden Zwillinge verhalten sich wie die aus O. Lamarckiana 052 ©. Renner, x murieata. Der eine, paenevelans-curvans, ist grün, aber blaß und schwächlich, und wird zu einer schmalblättrigen, nickenden graeili- velutina. Der andere, subvelans-curvans, vermag nur die vollkommen chlorophylifreien Kotyledonen zu entfalten und geht dann „zugrunde. In dem Verhältnis zu curvans hat also subvelans große Ähnlichkeit mit gaudens. ©. rubrinervis x (biennis X Lamarck.) laeta-weißnervig. Samen fast alle gesund, von den Keimpflanzen stirbt aber ein großer Teil ab Fig. 11. 0, (muricata x rubri- Fig. 12. O.(muricata x Lamarckiana) F\, nervis) F,. links paenevelutina, links Iaeta, rechts velutina. rechts subvelutina, (mehr als 30 von 80), wenn die Kotyledonen schon beträchtliche Größe erreicht haben. Was am Leben bleibt, ist ausgesprochene paene -La- marckiana, also paenevelans-gaudens, mit verschieden großen Blüten; die großen Blüten, mit 45.mm langen Kronblättern, haben lange Griffel und kräftig rotgestreifte Kelche, die kleinen, mit 30 mm langen Petalen, sind kurzgrifflig und am Kelch schwach gestreift; außerdem sind die kleinblütigen Individuen viel schwächer verzweigt als die großblütigen. Die früh sterbenden Individuen müssen demnach subvelans - gaudens sein. m Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 653 — Anderen als gaudens-Pollen besitzt die bienni-laeta nicht in aktivem Zustand. O. Lamarckiana x rubrinervis. Samen zu 40% taub (32 von 81). die tauben wahrscheinlich zur Hauptsache velans-paenevelans. Von den Keimpflanzen geht dann noch etwa die Hälfte vor Entfaltung der Primärblätter ein; das ist wohl die Verbindung gaudens - subvelans, wie in der vorher beschriebenen Kreuzung. Was zum Blühen kommt, ist paene-Lamarckiana — gaudens - paenevelans und in geringerer Zahl blanda — velans - subvelans. Daß ve- lans in Lamarckiana und pae- nevelans in rubrinervis doch beträchtliche Unterschiede haben müssen, zeigt der Ver- gleich zwischen rubrinervis und blanda (Fig. 13); rubri- nervisist 110 em hoch, blanda 160 em, Lamarckiana 180cm. | In anderen Verbindungen er- weisen sich die Kombinatio- nen von velans und paene- velans recht ähnlich. Ps Von dem rubriner- vis-Typus, der neben sub- fallax in der F,-Generation vor O. (rubrinervis X biennis) subfallax auftritt, war zu er- mitteln, ob er etwa homozygo- tisch ist (vgl.:1917, pag. 202, 269). Ein großblütiges, leider rotnerviges Individuum wurde 1916 mit dem Pollen von O. biennist) bestäubt. Die Samen waren großenteils taub, zum Teil sicher deshalb, weil sie im Rotnervenfaktor homozygotische Kombi- nationen enthielten. Von 135 Samen keiniten 31, 6 keimhaltige blieben ungekeimt, 98 waren taub. Die aufgezogenen Pflanzen waren alle nichtspröde subfallax, hatten freudig grünes Laub, rote Blattnerven, rote Tupfen am Stengel, feinbehaarte, erst grüne, später sehr leicht Fig. 13. Rechts O. rabrinerris, links O. (La- marck. X rubrinervis) blanda. 1) Und zwar einer biennis-Rasse, die bei München wild vorkommt und noch nicht genauer studiert ist. 654 0. Renner, rotstreifige Kelche, deutlich rotstreifige Früchte. Zur Blütezeit waren aber zwei Typen deutlich zu unterscheiden. Der eine war der subfallax F, recht ähnlich, wit ziemlich schmalen Blättern und Brakteen, schlanken Knospen, ziemlich langen freien Kelchzipfelspitzen; der andere hatte breitere Blätter, kurze breite Brakteen, plumpe kurz zugespitzte Knospen, kurze bis zum Ende aneinander liegende Kelchzipfelspitzen. Der aus subfallax F, in F, herausspaltende rubrinervis-Typus enthält also noch immer zwei verschiedene Komplexe. 4. Kreuzungen der Lamarckiana-Bastarde laeta, velutina, Tallax, gracilis. O. (biennis x Lamarekiana) velutina-weißnervig X biennis. Früher war als Ergebnis der Kreuzung nur biennis gefunden worden (1917, pag. 205, 291). Erwartet werden albicans - rubens — biennis, velans- rubens — fallax, velans : velans als taube Samen. Beobachtet: 74 Samen taub, 52 gekeimt, davon etwa die Hälfte früh eingegangen, mit grünen Kotyledonen; die zu Rosetten erzogenen Individuen teils fallax, teils biennis. Die große Zahl der nicht lebensfähigen Zygoten weist darauf hin, daß die velutina zahlreiche Eizellen hat, die sich mit rubens nicht vertragen, also wahrscheinlich weder rein albicans, noch rein velans sind. ©. (biennis X Lamarck.) velutina-weißnervig x (Lamarck. x biennis) fallax. Erwartet werden albicans - rubens == biennis, albicans - velans = velutina, velans- rubens = fallax, velans- velans als taube Samen. Beob- achtet: 12 Samen taub, 1 keimhaltiger nicht gekeimt, 28 gekeimt, da- von 8 früh eingegangen; als Rasetten unterscheidbar biennis, fallax, velutina. O. (Lamarck. x biennis) fallax x (biennis x Lamarck.) velutina weißnervig. Erwartet: etwa in gleichen Zahlen rubens - velans — fallax und velans-velans als taube Samen. Beobachtet: 55 Samen taub, 2 keimhaltige nicht gekeimt, 5 gekeimt. Ein Individuum zur Blüte er- zogen, mit rotnervigen buckligen Blättern, kurzen Griffeln, aber schwach gefärbtem Kelch, also nicht ganz typische fallax. Befruchtungsfähige rubens-Samenanlagen sind also sehr selten. Über die Folgerungen vgl. 1917b, pag. 25. Wenn ich die hier auftretende Bastardform als fallax und nicht als La- marckiana bezeichne, so hat das seinen Grund nur darin, daß ich die Entstehungs- geschichte der Form kenne. Zu unterscheiden weiß ich fallax und Lamarckiana bis jetzt nicht, weil beide Sammeltypen in allen möglichen Blütengrößen und sehr verschiedener Kelchpigmentierung vorkommen; ob die Gestalt der Infloreszenzen ein verlässiges Unterscheidungsmerkmal abgibt, muß noch geprüft werden. De Vries gibt als Produkt der Kreuzung fallax x bienni-velutina in der ersten kurzen Mit- Weitere Vererbungsstudien an Önotleren. 655 teilung‘) Lamarckiana an; später, in der „gruppenweisen Artbildung‘“ kommt er auf die Kreuzung nicht zurück. Gegen diese Benennung ist im Grunde kaum etwas Stichbaltiges einzuwenden. Aber es ist auch wohl zu verstehen, daß Tischler?) und Honing®) dem Befund ratlos gegenüberstanden. Jetzt ist das Ergebnis voll- kommen verständlich, weil wir wissen, daß rubens in biennis und gaudens in La- marckiana einander äußerst ähnlich sind; gaudens-kleinblütig ist fast so viel wie rubens. und rubens-großblütig fast so viel wie gaudens. O. (Lamarck. x biennis) fallax x (biennis x Lamarck.) laeta- weißnervig. Erwartet nach dem Ergebnis der vorausgehenden Kreuzuhg: viel velans. gaudens —Lamarckiana, wenig rubens-gaudens als taube Samen. Beobachtet: 1 tauber Same, 1 keimhaltiger nicht gekeimt, 32 gekeimt, davon mehrere bald eingegangen; was zur Rosetten- oder bis zur Blütenbildung kommt, ist teils weiß-, teils rotnervige Lamarckiana. O. (biennis x Lamarck.) laeta-weißnervig x (Lamarck. x biennis) fallax. Erwartet: albieans- velans = velutina, albicans - rubens = biennis, gaudens - velans — Lamarckiana, gaudens-rubens als taube Samen. Be- obachtet: 22 Samen taub, 1 keimhaltiger nicht gekeimt, 25 gekeimt, davon einige bald eingegangen; als Rosetten zu unterscheiden viel La- marckiana, teils rot-, teils weißnervig, wenig velutina; ob biennis vor- kam, ist fraglich. O. (biennis X Lamarck.) laeta x (muricata x Lamarck.) velutina. Erwartet: albicans - velans = bienni-velutina, gaudens - velans = La- marckiana. Beides beobachtet (vgl. unten). O. (muricata x Lamarck.) velutina x (biennis x Lamarck.) laeta. Erwartet: rigens - gaudens — muri-laeta, velans - gaudens — Lamarckiana. Beides beobachtet (vgl. unten). O. {murieata x Lamarck.) laeta x (biennis x Lamarck.) velutina. Erwartet: rigens - velans — muri-velutina,gaudens - velans — Lamarckiana. Beides beohachtet (vgl. unten). O. (muricata x Lamarck.) laeta x (muricata x Lamarck.) velutina. Erwartet: rigens - velans—muri-velutina, gaudens - velans — Lamarckiana. Beides beobachtet (vgl. unten). O. biennis x (Lamarck. x suaveolens) suavi-laeta. Erwartet: albi- cans.Havens — suaveolens, albicans - gaudens — bienni-laeta, rubens- flavens —flava, rubens - gaudens als taube Samen. Beobachtet: 4 Samen 1) De Vries, Über doppeltreziproke Bastarde usw. Biolog. Zentralbl. 1911, Bd. XXXI, pag. 100. 2) Tischler, Sammelreferat: Neuere Arbeiten über Oenothera, Zeitschr. f. Abst.- und Vererbungslehre 1911, Bd. V, pag. 328. 3) Honing, Tischler’s Sammelreferat „Neuere Arbeiten über Oenothera‘. Ebenda 1912, Bd. VI, pags 271. 656 O. Renner, taub, 34 gekeimt, einige bald eingegangen. Keimlinge teilweise -etwas gelblich und langsam wachsend, doch nicht entfernt so rein gelb wie die flava in O. biennis x suaveolens. Die erwachsenen Pflanzen teils starke üppige suaveolens, teils der flava aus O. biennis x suaveolens sehr ähnlich, aber meistens viel reiner grün und viel kräftiger, bis 130 em hoch. Laeta wurde nicht beobachtet; vielleicht wächst der gaudens-Pollen langsamer als der flavens-Pollen, vielleicht ist gaudens im Pollen gar nicht aktiv. Die Gametenformel ist also noch nicht klar, umsoweniger als noch keine Kreuzung aufgezogen ist, die über die Zusammensetzung der Eizellen Aufschluß gibt. Über die Kreuzung O. biennis x (Lamarck. x muricata) graeilis ist oben schon berichtet worden (pag. 646). 5. Spaltende Bastarde. Vollkommen konstant ist nach meinen früheren Erfahrungen kein einziger Oenothera-Bastard schon von der ersten Generation an. Ver- hältnismäßig weitgehende Spaltung in F, war nach den Mitteilungen von de Vries und von Honing bei OÖ. (muricata x Lamarckiana) laeta und velutina zu erwarten, und deshalb habe ich von diesen Mischlingen einige Verbindungen aufgezogen. a) O. (muricata x Lamarckiana-weißnervig) velutina F,. Die F,-Generation (1917, pag. 174) hat ziemlich reich verzweigten Sproß, rote Blattnerven, fast ganz roten Kelch, dicht stehende Früchte. In F, (Fig. 14) fand Spaltung statt: 1. Nach der Blütengröße, wie auch sonst überall beobachtet: 2. nach der Farhe der Blattnerven; der R-Faktor geht also von rigens auf velans über; ’ 3. nach der Ausdehnung und Intensität der Kelchfärbung; die Kelche waren teilweise ebenso gefärbt wie in der F,, andere bedeutend tiefer als die der F,, wieder andere viel schwächer, nur rot gestreift; 4. nach der Gestalt der Infloreszenzen; die Blüten und Früchte stehen bei einem Teil der Individuen so dicht wie in F,, bei anderen viel lockerer; 5. nach der Wuchshöhe; neben Pflanzen, die die Höhe der F, er- reichen, kommen viel niedrigere vor; 6. nach der Verzweigung; die Sprosse sind besonders bei locker- blütigen Individuen teilweise sehr wenig verzweigt, schmächtig; 7. nach der Gestalt der Stengelblätter und der Brakteen; die Blätter sind teilweise weniger gezähnt als in F,, kürzer zugespitzt, die | .-. Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 657 Brakteen mitunter viel kürzer und schmaler. — Ein in der Blattform schon früh sehr weit abweichender Sämling kam über das Rosetten- stadium nicht hinaus. Die Rosettenblätter waren von anderem Schnitt und dunklerer Farbe als bei den übrigen Individuen, dazu sehr schwach behaart. Über die Veränderungen, die hier an den Komplexen rigens und velans vor sich gegangen sind, läßt sich nach den Spaltungserscheinungen in der F, nicht leicht urteilen, weil sowohl die Eizellen wie die Pollen- schläuche verschiedene Typen repräsentieren. Klarer werden die Aus- tauschvorgänge zwi- schen rigens und velans, wenn velutina mit ein- heitlichem Pollen be- stänbt wird. Ö. (muricata x La- marckiana) velutina F, x muricata. Der aktive Pollen der OÖ. muricata ist durchweg curvans und besitzt keinen Rotner- venfaktor, so daß von dieser Seite keine lebensunfähigen Kombi- nationen zu erwarten sind. Gekeimt haben Fig. 14. O. (muricata x Lamarckiana) velutina F,. - Links hoch, dichtblütig, rotnervig; rechts niedrig, 75 Samen, von den gichtblütig, rotnervig; in der Mitte hoch, lockerblütig, Keimpflanzen ging mehr weißnervig. als die Hälfte bald ein, trotzdem alle Kotyledonen dunkelgrün waren; taub waren 21 Samen. Die aufwachsenden Individuen sind teils rot-, teils weißnervig, alle haben feine rote Tupfen, stark nickende Stengelspitzen, abstehend seidig be- haarten Kelch und leicht rotstreifige Früchte. Im übrigen sind drei Haupttypen zu unterscheiden: 1. Graeili-velutina, also velans-eurvans, von dem primären Bastard O. (Lamarck. x muricata) gracilis etwas verschieden (vgl. oben Fig. 4, 5), aber diesem doch äußerst ähnlich: die Achsen tiefrot über- Flora. Be. 111. 42 958 O. Renner, laufen. der Kelch bis auf schmale grüne Streifen tief braunrot, die freien Kelchzipfelspitzen ziemlich lang und dünn, die Hauptinfloreszenz un- bedingt dominierend, die Blätter verhältnismäßig breit, dunkelgrün, die Kronblätter sattgelb, von variabler Größet), 16 mm lang, 20 breit, bei dem größeren Typus bis 22 mm lang, 27 mm breit, die Narben zur Hälfte von den Antheren bedeckt, ziemlich lang und schlank. Ein Individuum hatte lange Zeit ganz grüne, später am Grund leicht rötlich angelanfene Kelche, heller gelbe 20 mm lange Kronblätter, wuchs auch etwas niedriger, war aber sonst unverkennbare gracili-velutina. 2. Muricata, also rigens-curvans, von de Vries als coerulea bezeichnet (1913, pag. 170). Von O. muricata-Venedig unterscheidet sich die Form nur durch schwächere Verzweigung und höheren. schlankeren Wuchs; der Stengel wird bis 130 em hoch. Im übrigen ist die Übereinstimmung mit O. muricata sehr weitgehend und die Unterscheidung von graeili-velutina leicht. Die Stengel sind leicht rot überlaufen. Die Blätter sind schmal, hell graulichgrün. Die Haupt- infloreszenz wird bald im Wachstum gehemmt und von den stärksten Seitenzweigen überragt (Fig. 1), Der Kelch ist leicht rötlich, ganz wie bei O. muricata, die freien Zipfelspitzen kurz. Die Kronblätter sind blaßgelb, kaum 15 mm lang und breit, die Narben kurz und dick. Die Fruchtstände sind sehr dicht. 3. Intermedia (provisorischer Name), eine Form, die zwischen gracili-velutina und muricata steht, mehr gegen muricata hin (Fig. 16). Das Auffallendste ist die Färbung des Kelchs, der in seiner ganzen Ausdehnung, nur die freien Spitzen ausgenommen, tief purpurrot gefärbt ist, nieht braunrot wie bei gracili-velutina. Die Blätter stehen von der Rosette an in der Breite zwischen denen der beiden erstgeschilderten Formen. ihre Farbe ist ziemlich graulichgrün. Die Hauptinfloreszenz wächst ziemlich lange fort, die Brakteen sind groß. Die Narben sind schlanker als bei muricata. Die Eizellen, aus denen diese intermedia hervorgeht, sind viel- leicht zur Hauptsache rigens, aber sie haben von velans verschiedene Charaktere übernommen, vor allem die Kelchfärbung und das Domi- nieren des Hauptsprosses. Eine velans-Eizelle, welche die Faktoren für die Kelchfärbung und die kräftige Entwicklung des Hauptsprosses eingebüßt hatte. also wohl das Korrelat der nach intermedia abgeänderten 1) Wie bei allen dorsiventralen Infloreszenzen der curvans-Verbindungen sind die Blüten auch auf gleicher Höhe der Ähre ziemlich verschieden groß, je nach ihrer Stellung an der gekrümmten Achse. Am größten sind sie auf der kon- vexen Oberseite, und auf selche Blüten beziehen sich die angegebenen Maße. Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 659 rigens-Eizelle darstellt, lag in der grünkelchigen graeili-velutina vor. Aus rigens und velans stark gemischte Eizellenkonplexe geben vielleicht den früh sterbenden Schwächlingen die Entstehung. Ganz unveränderte rigens- und velans-Eizellen scheinen gar nicht vorzukommen, nach den Unterschieden zu urteilen, die zwischen der primären und der ab- geleiteten gracili-velutina und ebenso zwischen muricata und ceoerulea bestehen. Doch kann das auf Zytoplasmawirkung beruhen. Fig. 15. 0. [(murie. x Lamarek.) velu- Fig. 16. O. [(muric, x Lamarck.) velu- tina x muricata] coerulea. Hauptinflo- tina x muricata] intermedia Im Ab- reszenz abgeblüht, aufrecht, Seitenzweige blühen, Stengel nicht mehr nickend. noch blühend, niekend. O. (muricata > Lamarck.) velutina F, >< biennis. Die O. biennis hat rubens-Pollen, der rote Blattnerven, ungetupfte Stengel, grünen Kelch vererbt. Die Variation der Kelchfärbung in den Eizellen muß also klar zum Ausdruck kommen. Nach der Keleh- färbung sind mehrere Typen zu unterscheiden: 1. fallax, also velans -rubens, mit breitrotstreifigem Kelch. buck- ligen, ziemlich breiten Blättern; 2. rigida, also rigens - rubens, mit fast ganz grünem, nur am Grund schwach rotüberlaufenem Kelch (ähnlich wie [muricata x Lamarck.] 42* 660 ©. Renner, laeta und wie '[muricata X biennis] rigida von de Vries), glatteren’ gröber gezähnten Blättern: 3. intermedia (provisorischer Name), mit teils leicht rotstreifigem, teils gleichmäßig schwach rotgefärbtem Kelch. Alle Typen kommen in reich verzweigten dichtblütigen und in fast unverzweigten, schwachstengeligen. lockerblütigen (Fig. 9) Individuen vor. Alle haben rotgetupfte Stengel, rotnervige Blätter. rotstreifige Früchte. — Gekeimt haben 49 Samen; ungekeimt blieben 45, alle taub, wohl im Rotnervenfaktor homozygotisch. ©. (murieata x Lamarck.) velutina x O. (biennis x Lauiarck.) laeta- weißnervig F;. Der gaudens-Pollen der bienni-laeta vererbt weiße Blatinerven, ungetupften Stengel, grünen Kelch. Die Variationen der Kelchfärbung können bei dem doppelten Bastard trotzlem nicht ungetrübt in die Erscheinung treten. weil der Pollen der laeta F, auf die Kelchfärbung 2. B. des sicher einheitlichen velans-Komplexes der O. Lamarckiana verschieden einwirkt, je nachdem die einzelne Pollenzelle große oder kleine Blüten vererbt. Die kleinblütigen, kurzgriffeligen Lamarckiana- Individuen der Kreuzung O. Lamarckiana X (biennis X Lamarck.) laeta haben nämlich schwächer gefärbten Kelch als die großblütigen lang- griffeligen und als die reine O. Lamarckiana (vgl. 1917, pag. 206), und «das gleiche gilt für die oben beschriebene Kreuzung O. rubrinervis x bienni-laeta. Ein Teil der gaudens-Keimzellen der bienni-laeta über- niınmt also von dem albicans-Komplex zugleich mit dem Faktor für kleine Blüte ein Gen, das der Kelchfärbung entgegenwirkt — wenn es sich nicht um ein einziges Gen handelt, das in beiden Charakteren wirksam ist. Ein dritter mit den genannten in Korrelation stehender Charakter ist das Maß der Verzweigung'). Unter der sehr vielförmigen Nachkommenschaft lassen sich zu- nächst zwei große Gruppen bilden. 1. Lamarckiana, also velans »gaudens, mit mehr oder weniger schlanken Knospen, meist schwach getupftem Stengel, oft schmalblätterig, mitunter kaum verzweigt, nie mit der echten O. Lamarckiana ganz identisch. 2. Murilaeta, also rigens - gaudens, mit plumpen Knospen, rauh 1} Hier ist daran zu erinnern, daß auch in der Kreuzung 0. (biennis x La- marck.) laeta>Lamarckiana die kleinblütigen Individuen der laeta und velutina sich von den großblütigen in der Art der Verzweigung unterscheiden (1917, pag. 212). Es werden also an den albicans-Eizellen der laeta genau die Veränderungen merk- bar, die den Veränderungen des gaudens-Komplezes im Pollen entsprechen. a Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 111 behaartem Kelch, rauh behaartem und kräftig getupftem, hohem, reich verzweigtem Stengel (Fig. 17), schmalen, kräftig gezähnten Blättern. Bei beiden Hauptformen ist die Kelchfärbung sehr variabel. Die Lamarckiana hat gewöhnlich rotgestreiften Kelch, und dabei können die Streifen von normaler Ausdehnung oder schwächer sein. Mitunter ist der Kelch aber auch ganz nach murilaeta-Art nur am (Grund rot über- Fig. 17. 0. [(murie. x Lamarck.) Fig. 16. Links O. (murie. x Lamarck.) velutina x (biennis x Lamarck.) laeta] velutina F,, rechts O. [(murie. x La- muri-Iaeta, typisch, weißnervig. marck.) laeta x (murie. x Lamarck.) ve- lutina] velutina, hoch, dünnstengelig, locker- und kleinblätig. kleinfrüchtig, rotnervig. laufen; bei einem solchen Individuum war der Kelch abstehend dicht behaart. Ebenso ist bei der laeta der Kelch gewöhnlich so gefärbt wie bei O. (muricata x Lamarck.) laeta F,, aber gelegentlich trägt er trotz ausgesprochenem laeta-Schnitt kurze rote Streifen auf den Zipfeln. Diese gestreiftkelchige murilaeta unterscheidet sich auch im Habitus von den typischeren laeta-Individuen, vor allem darin, daß die Seitenäste am Hauptsproß nicht so hoch hinaufgehen wie bei der laeta; 662 0. Renner, sie entspricht zweifellos der „intermedia“ in der Kreuzung ©. (muri- cata x Lamarck.) velutina x muricata. Daß die Komplexe velans und rigens die Eigentimlichkeiten ihrer Kelchfärbung untereinander aus- tauschen können, steht somit außer Zweifel. Alle Formen der Kreuzung haben rotstreifige Früchte mit verschiedener Aus- dehnung der Streifen. Die Blüten sind sehr verschieden groß; die größten Kron- blätter (45 mm lang) wurden bei ausgesprochener Lamarekiana gefunden, die kleinsten (23 mm lang) bei ausgesprochener laeta; beides ist wohl verständlich. Daß Rot- und Weißnerven vorkommen, braucht kaum hervorgehoben zu werden. — Die Unterscheidung zwischen Lamarckiana und laeta ist hier, und jedenfalls auch in der Kreuzung muri-velutina > muri-laeta, viel schwieriger als in der Kreuzung bienni-velutina > bienni-laeta (vgl. 1917, pag. 214, vor allem weil beide Formen rote Tupfen tragen. De Vries hat vorzugsweise die Zwillinge ans ©. muricata miteinander und mit O. Lamarckiana gekreuzt, und so ist es wohl zu verstehen, daß er die beiden Typen nicht mit Sicherheit auseinanderzuhalten vermochte‘). Tatsächlich findet sich unter den Produkten der eben beschriebenen Kreuzung eine zusammenhängende Reihe von Übergangsformen, aus der sich ohne den Schlüssel der Komplexheterozygotie nicht leicht größere Gruppen heraustrennen ließen. Unter den aktiven Eizellen scheinen neben den Komplexen rigens und velans und den bekannt gewordenen Intermediärformen auch noch andere Typen vorzu- kommen, die mit dem gaudens-Pollen der bienni-laeta nichtlebensfäbige Zygeten erzeugen. Denn auf etwa (0 gekeimte Samen kamen ungefähr ebensoviele taube, und von den Keimpflanzen ging dann noch ein großer Teil bald ein. O. (biennis x Lamarck.) laeta-weißnervig X O. (muricata x Lamarck.) velutina. Wie zu erwarten, entstehen bienni-velutina — albicans - velans, etwas gelblich, sonst ziemlich typisch, und Lamarckiana — gaudens - velans. Die letztere am Kelch immer rotgestreift, gewöhnlich etwa so wie eehte Lamarckiana, mitunter schwächer, gelegentlich aber stärker gefärbt; meistens spärlich und fein getupft; Kronblätter 26--35—42 mın lang; Stengel bis 180 em hoch, mitunter gar nicht verzweigt, — Aus- gesprochene rigens-Pollenzellen in aktivem Zustand sind natürlich nicht zu erwarten; es scheinen aber auch keine Pollenzellen aktiv zu sein, die rigens näher stehen als velans. — Gekeimt haben 56 Samen, 19 waren taub. Von 46 größeren Keimpflanzen waren 19 als velutina, die anderen als Lamarckiana zu erkennen. b) O. (murieatax Lamarckiana) laeta F;. Die F,-Generation habe ich nicht aufziehen können, weit im Sommer 1916 1) Was de Vries (1913, pag. 142) als (muri-laeta > muri-vejutina) laeta abbildet, ist nach der Gestalt der Knospen Lamarckiana; laeta kann ja hier auch gar nicht auftreten, ’ Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 663 bei Selbstbestäubung keine Samen angesetzt wurden. Aber einige Kreuzungen von laeta 7 hatten Erfolg. ‘ O. (muricata x Lamarck.) laeta x muricata. Es treten drei Formen auf, die denen aus velutina x muricata ganz entsprechen. 1. graeili-laeta— gaudens - curvans, rein grün, reich und buschig verzweigt, mit lang fortwachsenden Infloreszenzen (laeta-Charakter), stark dominierendem Hauptsproß, ganz grünem Kelch mit ziemlich langen dünnen Zipfelspitzen (Fig. 6: vgl. de Vries 1913, pag. 170): 2. coerulea bzw. muricata—rigens-curvans. mit der aus muri- velutina x muricata gewonnenen identisch, bläulichgrün; 3, intermedia (provisorischer Name), der coerulea sehr ähnlich, weil mit ebenso schwach gefärbtem Kelch (von gaudens kann rigens ja keinen Kelchfärbungsfaktor beziehen), doch etwas gelblicher in der Laubfarbe, und vor allem mit ziemlich langer dominierender Haupt- infloreszenz (Fig. 7). - Alle drei Formen haben stark nickende Stengelspitzen und sind bald rot- bald weißnervig. Die gracili-laeta mit stark rot überlaufenem Stengel, besonders wenn die Blätter rote Nerven haben, und mit hellrot gefärbten Haarpolstern. Bei den beiden anderen Formen der Stengel leicht rot angelaufen, fein aber dunkelrot getupft. Gekeimt haben 57 Samen, von den Keimpflanzen starben einige bald ab; taub waren 8 Samen. O. (muricata x Lamarck.) laeta x biennis, Das Ergebnis der Kreuzung ist oben (pag. 649) schon mitgeteilt worden. Die 4 aufgezogenen rigida-Individuen (r-rigens - rubens) waren alle sehr reich verzweigt, reingrün, am Stengel kräftig getupft, der Kelch am Grund rot angelaufen, die Früchte rotgestreift. Drei hatten breite Blätter (Fig. 8) und ähnelten der O. (muricata x Lamarck.) laeta so sehr (vgl. 1917, pag. 237), daß sie lange Zeit, fast bis zur Blüte, nur an der reiner grünen Laubfarbe von der etwas bläulich grünen muri- laeta zu unterscheiden waren; das vierte hatte schmälere weniger ge- zähnte Blätter. — Die Kreuzung ist für die Analyse der muri-laeta ungünstig, weil die wenigsten Kombinationen mit rubens lebensfähig sind. O. (muricata x Lamarck.) laeta x (muricata x Lamarck.) velutina. 30 Samen gekeimt, davon 19 Lamarckiana, 10 velutina, 1 früh abgestorben, 21 Samen nicht gekeimt, davon 1 mit Embryo. Die muri- velutina von Anfang an gelblich, später teilweise ausgesprochen gelb- grün, immer schwächer als F, (Fig. 18), meist der F, sehr unähnlich, 664 O. Renner, schwach, dünnstengelig, oft reich verzweigt, mit sehr lockeren schlanken Infloreszenzen, mitunter hoch; Stengel immer rot getupft, Blätter schinal, rot- oder weißnervig, Kelch rotgestreift oder in seiner ganzen Aus- dehnung hellrot; Blüten teilweise sehr klein, Kronblätter hellgelh oder sattgelb, die größten 28 nım lang; Früchte rotstreifig, groß oder klein. Die „Lamarckiana“ tiefgrün, 30—180 cm hoch, reich oder sehwach verzweigt; Blätter etwas bucklig oder glatt und dann recht schmal und spitz, rot- oder weißnervig: Stengel immer rot getupft, bald so wie bei Lamarckiana, bald schwächer, bald stärker; Infloreszenzen teilweise locker; Kelch stark oder schwach rotstreifig oder nur mit Spuren von Anthokyan, verschieden stark behaart; Kronblätter 26—34 mm lang, sattgelb oder hellgelb; Früchte rotstreifig. Zusammenfassend läßt sich über O. (muricata x Lamarek.) velutina und laeta sagen, daß bei der Keimzellenbildung der F, vielfache Spal- tung eintritt. Außer den Variationen der Anthokyanführung und der Behaarung sind besonders gewisse Habitusformen charakte- ristisch, die immer wiederkehren: schlanke wenig verzweigte Sprosse mit lockeren Blütenständen, meist schwach und schmalblätterig. Wo diese schwachen Pflanzen felılen, wie bei O. (muricata x Lamarck.) velu- tina x muricata, ist der Typus wahrscheinlich durch die ganz schwäch- lichen, früh absterbenden Keimpflanzen vertreten. Wenn wir die Spal- tung nach dem Maß der Verzweigung und weiter nach der Blüten- größe und der Nervenfarbe außer acht lassen, so sind unter den Ei- zellen, z.B. der velutina, noch mindestens vier Typen zu unterscheiden, nämlich neben velans und rigens ein velans-artiger Komplex fere-velans, der ungefärbten Kelch ‚und niedrigen Wuchs, und ein rigens-artiger Komplex fere-rigens. der gefärbten Kelch und dominierenden Haupt- sproß vererbt, Im Pollen scheint nicht nur rigens, sondern auch fere- rigens inaktiv zu sein, die sehr abgekürzte Formel der gametischen Konstitution wäre also (velans, fere-velans, rigens, fere-rigens) ? - (velans, fere-velans) J. Eine analoge Formel ließe sich für laeta aufstellen. Aber augenscheinlich ist die Zahl der verschiedenen Gametentypen bei diesen Bastarden eine sehr beträchtliche, und die muricata- Zwillinge versprechen deshalb viel für die Möglichkeit der Faktorenanalyse und für Beobachtungen über Koppelungserscheinungen. ud Weitere Vererbungsstudien an Önotheren. 665 lotsy') hat kürzlich, zur Hauptsache auf Grund der Schilderungen von de Vries und meiner vorläufigen Mitteilung über meine Ergebnisse?), die Öno- therenbastarde vom Typus der O. Lamarckiana als „Kernchimären“ (chimöres nucleaires} bezeichnet. Das Wort will das gleiche besagen wie die von mir gewählte Benen- nung Komplexheterozygote, aber im einzelnen werden Lotsy’s Ausführungen den Tatsachen nicht ganz gerecht, weil er sie aus eigner Anschauung nur in geringem Umfang kennt. Er meint, die meisten Önotherenbastarde seien von vornherein konstant und reproduzieren nur die beiden Sorten von Keimzellen, denen sie selber ihre Entstehung verdanken, und findet, daß ich auf die Gleichheit der Keimzellen der F, mit den P-Gameten nicht genügend Gewicht gelegt habe. Ich habe diese Gleichheit der Keimzellen, die Stabilität der Komplexe, zu Anfang ebenso über- schätzt wie er, weil ich aus eigenen Kulturen nur die ziemlich konstant erschei- nenden Mischlinge zwischen O. Lamarckiana und biennis kannte. Von der Frage nach der Entstehung von Komplexheteroaygoten aus homozygotischen Sippen bin ich aber zu der hypothetischen Forderung gekommen, daß die neu zusammen- gefügten Komplexe einander in der Keimzellenbildung der F, mindestens nicht in allen Verbindungen unbeeinflußt lassen, und meine weiteren Erfahrungen haben mich überhaupt mit keinem Fall bekannt gemacht, in dem sämtliche F,-Keimzellen den P-Gameten auch nur annähernd genau entsprechen. Aus der Kreuzung muri- laeta x muri-velutina z. B. habe ich unter 19 Exemplaren kein einziges typisches La- marckiana-Individuum zu Gesicht bekommen, Nach den bis jetzt bekannten Tatsachen hat es den Anschein, daß gewöhnlich eine neue Verbindung zweier Oenothera-Komplexe zunächst einen echten Bastard im Sinne Lotsy’s liefert und daß erst weiterhin aus der zunächst spaltenden Hybride mehr oder weniger stabile Komplexhetero- zygoten hervorgehen, ähnlich wie Rosen das Konstantwerden der späteren Bastard- generationen von seinen Erophila-Kreuzungen beschrieben hat; darüber werden wir wohl in wenigen Jahren Klarheit haben. Eine von vornherein gegebene Alternative: Bastard oder Kernehimäre scheint mir also nicht verwirklicht zu sein, und auch in der „de Vries’schen Spaltung“ der Komplexheterozygoten möchte ich, solange es sich nicht um Änderung der Chromosomen zahl handelt, eher einen durch weit- gehende Faktorenkoppelung gekennzeichneten Sonderfall als ein grundsätzliches Gegenstück der Mendel’schen Spaltung sehen. Übersicht der beschriebenen Verbindungen. Die Bezeichnung der Materialien ist dieselbe wie früher (1917, pag. 123). Die verwendeten Lamarckiana-Individuen leiten sich von einem weißnervigen Stamm von Heribert-Nilsson her. Alle ver- wendeten Bastarde gehören F,-Generationen an. O. biennis II 52 x rubrinervis II 26. ” x (Lamarckiana AI3 x muricata II) gracilis. 1) Letsy, L’Oenothöre de Lamarck (Oenothera Lamarckiana de Vries) con- sider6e comme chimöre nucl6aire. Arch. neerl. d. sc. exact. et nat., serie IIIB, 1917, T. III, pag. 324. 2) Renner, Die tauben Samen der Önotheren. Ber. der Deutsch. bot. Ges. 1916, Bd. XXXIV, pag. 858. & 36 6. Renner. ©. biennis IL52 x (Lamarckiana AI2 x suaveolens 15) suavi-laeıa 1. O. (biennis II 1 x Lamarck. AI 3) laeta 1x (Lamarck. AI 1x bien- nis I1) fallax 1 x {muricata III1 x Lamarck. A131) velutina 1. O. (biennis u 1x Lamarck. AI31) velutina 1 x biennis IL51 ” x (Lamarek. AI1 x biennis 1) fallax 1. O. Lamarckiana A II1 x muricata III 31 x rubrinervis II 26 dv. (Lamarck. AILX biennis 11) fallax 1 x (biennis IT 1 x Lamarck. - A131} laeta 1. „ X (biennis II 1 x Lamarck. A131) velutina 1. O. muricata IIT$1 x Lamarckiana AIT1. „ II1 32 x rubrinervis II 26. " III 31 x suaveolens II 103. ©. (muricata III 1 x Lamarck. AI31) laeta 2 x biennis II 51. ” - x muricata III 31. » x (muricasa IIL1 x Lamarck. A131) velutina 3. O. (muricata III1 x Lamarek. A131) velutina 1 selbstbestäubt. „ velutina 2 x biennis II 51. » velutina 1 x muricata DI 31. r velutina 1X (biennis II1 x Lamarck. A131) laeta 1. ©. rubrinervis IL26 x muricata III 32. ” x suaveolens II 101. ” x (biennis IT1 x Lamarck. AI 31) laeta 1. O. (rubrin. 12x biennis T 1) subfallax 1] F, rubrinervis großblütig rotnervig 1x biennis-wild. O. suaveolens II 103 x muricata III 31. . Zusammenfassung der Ergebnisse. Der Bastard O. (muricata x suaveolens), gleich rigens - flavens, ist eine kräftige rigida-Form. Die Kreuzung O. suaveolens x murieata liefert Zwillinge, die ziemlich schwache bienni-gracilis = albicans - curvans und die gewöhn- lich nicht lebensfähige, mit weißen Kotyledonen absterbende suavi- gracilis = flavens - curvans. Ein albomaculata-Individuum, das den Typus suavi-gracilis wohl ziemlich rein darstellt, ist aufgezogen worden. Die Rotnervigkeit der O. muricata-Venedig kommt nur dem Ei- zellenkomplex rigens zu. Dieser Rotnervenfaktor gibt mit dem Rot- faktor des Pollenkomplexes rubens von O. biennis nichtlebensfähige Weitere Vererbungsstudien au Önotheren. 657 ’Zygoten. Eine homozygotisch rotnervige lebensfähige Form ist bisher überhaupt nicht beobachtet worden. Für die Zusammensetzung der O. Lamarckiana-rubrinervis aus zwei verhältnismäßig ähnlichen velans-artigen Komplexen werden neue Belege erbracht. Die Verbindung subvelans - gaudens aus OÖ. rubrinervis x La- marckiana bringt es bis zur Bildung ziemlich großer grüner Kotyle- ‚donen und stirbt dann ab. Damit ist, nach den tauben Samen und den mit weißen Kotyledonen absterbenden Keimlingen, ein weiterer ver- hältnismäßig schwacher Grad von Unverträglichkeit zweier Komplexe gefunden. Als Ergebnis der Kreuzungen, in denen Lamarckiana - Bastarde miteinander oder mit anderen Arten verbunden wurden, sind fast immer alle nach der Hypothese der Komplexheterozygotie erwarteten Ver- bindungen beobachtet worden. Die Zwillinge laeta und velutina aus der Kreuzung O. muricata X Lamarckiana spalten in der F,-Generation nach zahlreichen Charakteren. Ulm, Ostern 1918. über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. Ein Kapitel aus der Naturphilosophie. Von Dr. Wilhelm Lubosch, a. o. Professor der Anatomie zu Würzburg. Zur Einleitung. Keine deutsche Universität ist mit der Geschichte der Natur- wissenschaft und Naturphilosophie so eng verbunden als Jena. Von hier nahm Schelling seinen Ausgang, der mit seiner Lehre von der Weltseele und ihrer rastlos sich in Sphären zum Leben offenbarenden Bildungskraft die vergleichende Anatomie um die Wende des 18. Jahr- hunderts so nachhaltig beeinflußt hat. Hier wirkte Oken, dem man die erste Konzeption der Zellenlehre zuschreibt, der die Wirbeitheorie des Schädels aussprach, der durch ein eigentümliches System Gedanken in die Welt treten ließ, die wie z. B. der der Polarität nachhaltig auf die Mitwelt einwirkten, der endlich auch als einer der ersten Vertreter des später sogenannten biogenetischen Grundgesetzes genannt werden muß. Hier in Jena steht das Denkmal Mathias Schleidens und hier begründete Carl @egenbaur den Ruhm Jenas als Ausgang der neneren vergleichenden Anatomie. Hier wirkt bis in die Gegenwart Ernst Haeckel und neben ihm unser Jubilar — beide in Zoologie und Botanik das Erbe der großen Vergangenheit wahrend und ver- mehrend. Und «loch fehlt noch der Name Goethes, der auf jder Grenze zweier Epochen der Naturphilosophie dem Gedanken des idealen Transformismus einen wissenschaftlich wie künstlerisch gleich gewaltigen Ausdruck verliehen hat, ohne doch vor den realen Um- bildungen der Organismenwelt seine Augen zu verschließen. Sein Auge ruhte auf dem botanischen Garten, als er an dessen Pforten wohnte; er verfolgte sein Gedeihen und freute sich noch kurz vor seinem Tode über „alle Gewächse und Sträucher“, die er dort in Augen- schein nahm. Bekannt ist es, wie Goethe sich nach einem Vortrage des Botanikers Batsch mit Schiller in dem Punkte traf, daß eine so zerstückelte Art, die Natur zu behandeln, den Laien keineswegs Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 669 anmuten könne. Wie würde er freudig den Vorträgen in derselben tiesellschaft gelauscht haben, die unser Jubilar dort ». B. über „Laub- farbe und Himmelslicht“ und die „Blitzgefahr der Bäume“ gehalten hat. Wie ist die „Einheit“, die er selbst der Zerstückelung gegenüber in der Natur erkannt wissen wollte, stets die Grundlage und der Ausgang aller späteren naturwissenschaftlichen Forschungen in Jena gewesen! Goethe's Wirken als Botaniker ist in mancher Hinsicht anders zu beurteilen, als seine Beziehungen zur vergleichenden Anatomie. In der Botanik stand Goethe auf festerem Boden. Als die vergleichende Anatomie durch Vieq d’Azyr gegen das Ende des 18. Jahrhunderts zuerst wissenschaftliche Gestalt annahm, hatte die Botanik schon eine lange Geschichte hinter sich. Sie ist bis auf den heutigen Tag durch die Möglichkeit natürlicher Experimente, durch die Leichtigkeit Pfropfungen und Kreuzungen auszuführen und durch die schnelle Folge vieler Generationen «die Führerin in allen sich auf die Bildung und Um- bildung der Organismen beziehenden Fragen geblieben. Rein äußerlich hat Goethe zur Botanik vielleicht in einem noch innigeren Verhältnis gestanden als zur vergleichenden Anatomie. Sie hat ihn zeitlich eigent- lich während seines langen Lebens nie verlassen. Die 1817 veröffent- lichte Geschichte seines botanischen Studiums ist aus zahreichen, über Jahrzehnte hin verteilten Diktaten und Handschriften zusammengestellt; noch 1830 gab er dieser Darstellung eine andere in charakteristischen Punkten abweichende Gestalt. Am Studium der vergleichenden Pflanzen- lehre klärte sich seine Vorstellung von der „Urpflanze*. Von der „symbolischen Pflanze“, mit der er den Typus der Pflanzengestalt sinnenfällig zu bezeichnen glaubte, nahm seine durch Schiller beein- fiußte weitere Entwicklung ihren Ausgang, die ihn zu immer reinerem Erfassen dessen führte, was „Idee“ und was „Erfahrung“ sei. Seine „Metamorphose der Pflanzen“ ist etwas anderes als seine „Metamorphose der Tiere“. Dort wandeln sich Organe eines Organismus ineinander {(simultane fortschreitende Metamorphose), hier Organismen in Or- ganismen (simultane generelle Metamorphose) um; wenigstens teilweise ward bei jener eine echte, reale Umbildung von Pflanzenteilen in- einander vorgestellt. An der Pflanzenwelt vor allem nährte sich seine im höchsten Alter immer stärkere Überzeugung von der Unmöglichkeit eines natürlichen „Systems“, die in ihm schon in jungen Jahren grade beim Studium Linn&s aufgekeimt war. Mit tiefem Blick erkannte er endlich sogar die Möglichkeit spontaner Umbildungen aus den Samen heraus, die erst viel später für die Wissenschaft entscheidende Bedeutung gewonnen haben. Lrie) Wilhelm Lubosch, Eine Frage zu stellen und den Versuch ihrer Beantwortung zu _ machen, die sich auf Goethes naturphilosophische Arbeiten bezieht, wird vielleicht auf Anteilnahme bei unserem, auf Goethe's Lieblings- gebiete und an der Stätte seiner einstigen Wirksamkeit tätigen Jubilar rechnen können. Es sei ihm gleichzeitig damit ein Zeichen der Dauk- barkeit dargebracht für das, was er in langen Jahren wissenschaftlichen und freundschaftlichen Verkehres seinem Jenaer Kreise zu dauerndem geistigen Besitz übermacht hat. 1. Goethe's Rezension des Werkes von Pander und d’Alton und eine dunkle Textstelle in ihr. Im Jahre 1824 sandte d’Alton eine von ihm gemeinsam mit Pander verfaßte Lieferung des großen osteologischen Sammelwerkes an Goethe nach Weimar. Es war (ler erste Teil der den Nage- tieren gewidmeten Darstellung „Die Skelette der Nagetiere, abgebildet und verglichen“. Goethe schrieb unter dem 20. August 1824 an d’Alton: „Die Hefte der Nager nun gar führen mich in die früheren Jahre zurück, wo ich, in der Mühseligkeit des Selbstbelehrens, eine schöne Zeit hinbrachte, die ich für verloren halten müßte, wenn nicht das damals Erworbene mich fähig machte, den großen Wert ihres Er- werbs zu schätzen und einen bedeutenden Teil für mich hinzunehmen, der meine früheren Wünsche und Hoffnungen völlig befriedigt. Ich sage etwas Weniges darüber im nächsten morphologischen Heft, um meinen innigen Anteil auszudrücken .. * Diese hier angedeutete Rezension erschien bald darauf unter dem Titel: „Die Skelette der Nagetiere, abgebildet und verglichen von d’Alton. 1. Abteilung: 10 Tafeln. 2. Abteilung 8 Tafeln. Bonn 1823/24“ Sie steht im VIIE. Bande der 2. Abteilung der Weimarer Ausgabe pag. 246254. Der wesentliche Inhalt dieser berühmten Rezension ist kurz folgender ipag. 246-252). Goethe erkennt bei Betrachtung der 18 Tafeln das ganze Nagergeschlecht als auf einmal vor sein geistiges und leibliches Auge gestellt. Was ihm früher problematisch erschien, glaubt er jetzt im Anschauen begreifen zu können. Das Nagergeschlecht ist ihm von innen generisch determiniert und festgehalten, ergeht sich aber nach außen zügellos und verändert sich, durch Um- und Neugestaltung sich spezialisierend, auf das Allervielfachste. Das Stabile der Organisation. ist das Gebiß, das die Beziehungen der Geschöpfe im allgemeinen und auch im besonderen die der Nagetiere zur Außenwelt regelt. Die: „erste Anlage“ des Nagergeschlechtes ist wohl proportioniert; die Or- ganisation aber ist Eindrücken aller Art geöffnet und „zu einer nach, Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 671 allen Seiten hin richtungsfähigen Versatilität vorbereitet und geeignet.“ Die vielfach monströse Art der Bildung wird zu der „mangelhaften, relativ-schwächlichen, wenn auch sonst in sich kräftigen Zahnung* in Beziehung und in Gegensatz zu den Raubtieren. gesetzt, die mit „sechs Schneidezähnen abgeschlossen und mit einem Eckzahn begünstigt sind“ und bei denen „alle Monstrosität unmöglich wird“. Der redliche Be- schauer sieht hier ein Schwanken von Form zu Unform, von Unform zu Forn vor sich und wird hierdurch in „eine Art von Wahnsinn* versetzt. Trotzdem versucht er, einige allgemeine Grundsätze abzu- leiten und findet sie in den Beziehungen der Nagetiere zu den Ele- menten. Im Wasser und am Ufer bildet sich „das Geschöpf“ zum Biber; auf der Erdoberfläche zum laufenden und springenden Tier, in der Höhe der Bäume zum fast fliegenden Eichhörnchen. So verändert sich die Grundgestalt bis fast zum Unkenntlichen; auch die äußere Haut zeigt Schuppen, Stacheln, Borsten oder feine Behaarung. Obwohl sich aber „das Gebilde der Nagetiere hin- und herwiegt und keine Grenzen zu kennen scheint. findet es sich doch in der „allgemeinen Animalität” eingeschlossen und nähert sich anderen Tiergeschlechtern, den Raubtieren, Wiederkäuern, Affen, Fledermaus und anderen „ıda- zwischen liegenden Geschlechtern“. Soweit Goethe’s Reflexionen. Indem er nun auch den beglei- tenden Text würdigt. nennt er die beiden Titel dieses Textes 1. „All- gemeine Vergleichung der Nagetiergerippe“ und 2. „Allgemeine Bemer- kungen über die äußeren Einflüsse auf die organische Entwicklung der Tiere“. Dieser letztere Titel gehört zu einer zwischen den ersten und zweiten Teil der Vergleichung eingeschobenen Studie der beiden Ver- fasser. Über diese beiden Textteile sagt Goethe: „Wir haben sie oben bei unserer flüchtigen Darstellung treulich genutzt, aber lange nicht erschöpft‘ und fügen noch folgende Resultate hinzu“: Nun folgt, d. h. also als „Resultat“, das er diesem Texte ent- nimmt, folgender seltsame Satz, dessen Erklärung den Gegenstand meiner kleinen Studie bilden soll. „Eine innere und ursprüngliche Gemeinschaft aller Organisation liegt zum Grunde; die Verschiedenheit der Gestalten dagegen entspringt aus den notwendigen Beziehungsverhältnissen zur Außenwelt, und man darf daher eine ursprüngliche, gleichzeitige Verschiedenheit und eine unaufhaltsam fortschreitende Umbildung mit Recht annehmen, um die ebenso konstanten als abweichenden Erscheinungen begreifen zu können“ (pag. 259). 672 Wilhelm Lubosch, Diese merkwürdige Stelle ist, seitdem E. Haeckel sie (1874, pag. 80/84) als reinen Ausdruck deszendenztheoretischer Überzeugung Goethe’s angesehen hat, zweimal besprochen worden, beide Male ohne ihren Sinn verständlich machen zu können. Vor vielen Jahren hat Koßmann (1877, pag. l4ff.) in einer Polemik gegen Haeckel versucht, uns über die Bedeutung der Stelle aufzuklären: neuerdings beschäftigt sieh Kohlbrugge (1813, pag. 48 ff.) mit ihr. Würdigen wir die obige Stelle nach ihrem allgemeinen Sinn, so kann zunächst wenigstens kein Zweifel darüber obwalten, daß sie gleich- sam noch einmal zusammenfaßt. was Goethe schon vorher gesagt hatte, nämlich, daß 1. bei den beschriebenen Skeletten etwas Gemeinsames zugrunde liege; 2. daß die Verschiedenheiten von Biber, Springmaus, Eichbörnehen usw. aus den Beziehungen zur Außenwelt entspringen. — Es kann ferner kein Zweifel darüber obwalten, daß Goethe redlich an- gibt, woher er diese Stelle entlehnt, nämlich eben aus dem Texte des von ibm rezensierten Werkes. Dies hat Koßmanın (l. c. pag. 14) be- reits göwußt, während Kohlbrugge die Übereinstimmung des Zitates mit einer Stelle im Texte der oben von Goethe dem Titel nach zitierten Abhandlung als eine von ihm gemachte Entdeckung bezeichnet. Ob die Stelle im deszendenztheoretischen oder Jamarckistischen Sinne zu deuten sei, lassen wir vorab dahingestellt und heben ihren eigentlichen problematischen Inhalt hervor. Zunächst was heißt „innere ursprüngliche Gemeinschaft aller Organisation“? — Dem Weortsinne nach kann das nur heißen: Alle Organisation hat Anteil an einem ur- sprünglichen Gemeinsamen — oder besser: in aller Organisation ist irgend etwas ursprünglich gemeinsam. Dies „liegt zum Grunde“: — Wem? Welches ist das Objekt in diesem Satze? In der Fassung, in der die Stelle bei E. Haeckel erscheint, lautet sie: „Eine innere ur- sprüngliche Gemeinschaft liegt aller Organisation zu grunde“, Hier ist die Schwierigkeit scheinbar gelöst, da „die Organisation“ jetzt das Ob- jekt ist. Doch ist die neue Schwierigkeit entstanden, daß nun das Subjekt fehlt. Denn wenn aller Organisation eine Gemeinschaft zu- grunde liegt, so fragt man natürlich, wer ist der ursprüngliche Besitzer dieses Gemeinsamen? Mit anderen Worten: Goethe geht von einer gegebenen Organisation aus, um eine vorliegende Erscheinung zu er- klären; Haeckel dagegen scheint die Organisation selbst erklären zu wollen — offenbar wieder durch die Organisation. Auf die Frage, wem denn im Goethe’schen Zitat die Organisation „zum Grunde“ liege, antworten Koßmann und Kohlbrugge übereinstimmend: „den Nagetieren“. „Man achte nun, sagt letzterer, in erster Linie darauf, Pe Über Pander und D’Altens Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 673 daß diese Worte keine Beziehung auf das ganze Tierreich haben, sondern nur auf die scharf begrenzte Gruppe der Nagetiere“. Was er damit meint, ist nicht ganz klar. Ob den Raubtieren, Faultieren, Wieder- käuern eine solche „innere ursprüngliche Gemeinschaft aller Organi- sation“ nicht zum Grunde liege — sei sie, welche auch immer Goethe sich gedacht haben möge? Kohlbrugge scheint das zu meinen. Wenn es natürlich auch richtig ist, daß Goethe hier nur von den Nagetieren spricht (Koßmann), so wäre es doch seltsam, daß es bei anderen Ordnungen der Säugetiere nicht gelten solite! Im Text der Stelle befindet sich aber noch eine weitere Dunkel- heit. Denn was ist „ursprüngliche, gleichzeitige Verschiedenheit“? Diese setzt doch eine Mehrheit von Teilen voraus, an denen sich die gleichzeitige Verschiedenheit überhaupt nur offenbaren kann. An welche ursprüngliche Mehrheit von Teilen wird hier aber gedacht? Und ferner: wenn diese Verschiedenheit ursprünglich und gleich- zeitig ist und aus den notwendigen Beziehungen zur Außenwelt ent- springt — besteht sie noch neben der inneren, ursprünglichen Gemein- samkeit? Was bedeutet daneben die „unaufhaltsam fortschreitende Umbildung?*‘ Bedeutet sie, daß die ursprüngliche Verschiedenheit nur immer noch verschiedener wird? Aber Goethe sagt ja, daß die ur- sprüngliche gleichzeitige Verschiedenheit dazu dienen solle, die kon- stanten Erscheinungen, — die unaufhaltsam fortschreitende Umbildung dagegen, um die abweichenden Erscheinungen zu erklären. Um nun kurz die Lösung dieser komplizierten Fragen vorweg zu nehmen, so sei gesagt, daß es sich um einen Satz handelt, der nicht nur an einer Stelle, sondern, wenn auch leicht verändert, an mehreren anderen Stellen des Pander und d’Alton’sehen Werkes vorkommt und den Niederschlag einer ganz besonderen, den Verfassern eigen- tümlichen Naturphilosophie darstellt. Diese Abart von Naturphilosophie ist „eklektisch“, wie man sie nennen kann, indem sie lamarckistische und ideal-genetisch-evolutionistische Elemente in sich vereinigt. Wir wollen diesen Dingen nachgehen. Was zunächst den Wortlaut hinsichtlich seiner Übereinstimmung zwischen dem Text bei Goethe und dem bei d’Alton handelt, so kommen Anklänge daran bereits im Texte zu den Tafeln über das Riesenfaultier vor (1821, pag. 10). „Idee einer ursprünglichen Ver- schiedenheit der Tiere durch eine gleichzeitige Metamorphose“ und im Texte über die Skelette der Raubtiere (1822, pag. 6). Daraus geht zunächst bervor 1. daß die Abhandlung „Allgemeine Bemerkungen“ Flora. Bd. Ill. 43 674 Wilhelm Lubosch, usw. ganz im Sinne der früheren Abhandlungen verfaßt ist, nicht aber, wie Kohlbrugge andeutet, einen besonderen supranaturalistisch- mystischen Charakter vor den übrigen voraus hat; und 2. daß also für Goethe’s supranaturalistische Denkweise gewiß daraus nichts ge- folgert werden kann, daß er sein Zitat gerade aus dieser Abhandlung und nicht aus einer anderen entnommen hat. Merkwürdig ist es aber, daß Kohlbrugge bei seiner umfassenden Belesenheit «ie Stelle nicht kennt, auf die jene eigentümlichen Wen- dungen zurückzuführen sind. Es ist der durch Goethe so berühmt gewordene $ 80 der Kant’schen Kritik der teologischen Urteilskraft. Hier heißt es: „Die Übereinkunft so vieler Tiergattungen in einem gewissen, gemeinsamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, sondern auch in der Anordnung der übrigen Teile zum Grunde zu liegen scheint usw., — und etwas weiterhin: „diese Analogie der Formen, sofern sie bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Ur- bilde gemäß erzeugt zu sein scheinen...“ Diese in Goethe’s Exemplar (doppelt angestrichenen Stellen (vgl: die Ausgabe von Vorländer, Ein- leitung, pag. 31) führten ihn ja zu der bekannten Schrift über „An- sehauende Urteilskraft“ (Bd. VIII, pag. 54 und 55); und da diese Schrift wahrscheinlich um die Wende des Jahrhunderts verfaßt ist (die Wei- marer Ausgabe läßt die Entstehungszeit gerade dieses Aufsatzes im Unklaren), so wäre der Zusammenhang zwanglos so zu erklären, daß die Kantischen Gedanken im Zusammenhang mit Goethes eigenen naturphilosophischen Ideen oft den Gesprächsgegenstand gebildet haben werden zu der Zeit, als d’Alton dem Goethe’schen Kreise angehörte und „eine bedeutende Gesellschaft durch geist- und kenntnisvolle Ge- spräche zu unterhalten wußte“ (Bd. VIII, pag. 223), Da außerdem Döllinger selbst ein ernster Anhänger Kant’s war (Lubosch 1915, pag. 112), so ist es wohl als gewiß anzusehen, daß zwischen ihm und seinen Schülern und Mitarbeitern Pander und d’Alton auch von der „teleologischen Urteilskraft“ und den Anklängen jener berühmten Stelle an die epigenetischen Vorstellungen K. Fr. Wolff’s und Lamarck’s die Rede gewesen sein wird. Es liegt also kein Anlaß vor, zu einer so seltsamen Annahme greifen zu müssen wie die von Kohlbrugge, daß Goethe jenen Aufsatz „Allgemeine Betrachtungen“ usw. etwa selbst geschrieben haben könnte. Ehe wir uns nun an eine Interpretation der Stelle machen, sei zunächst eine Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. . 675 2. Kurze Übersicht über die naturphilosophische Gesamtlage zur Zeit des Erscheinens von Pander und d’Altons vergleichender Osteologie gegeben. Die vergleichende Anatomie war hinsichtlich ihrer tatsächlichen Befunde und ihrer Methodik durch Kamper und beson- | -ders durch Vieq d’Azyr zum Range einer Wissenschaft erhoben ; worden. In der Beurteilung ihrer Tatsachen, d. h. der Ähnlichkeit der Formen, und der Gesetzmäßigkeit des steten Wiedererscheinens selbst der kleinsten und unscheinbaren Elemente herrschte die idealistisch- evolutionistische Überzeugung, die in der „Verwandtschaft“ ein rein formales Prinzip sah. Der Gedanke einer Umbildung einer Art in eine andere (Transformismus) trat wohl hier und da auf, spielte aber in den großen Werken über vergleichende Anatomie keine Rolle. Dies ergibt sich aus dem Studium der Werke von Buffon (1749), Vicq WAzyr (1786), Geofiroy St. Hilaire (1818) und Blumenbach (1815) ohne weiteres (vgl. auch die Geschichte der vergleichenden Anatomie von O. Schmid (1855) und die Abhandlung von Rauther 1912). In | erster Linie maßgebend war die Vorstellung von Buffon von dem ge- , meinsamen Urplan oder Modell (moule, dessin), nach dem die einzelnen Organismen erschaffen seien. Sie übernahm Vieq d’Azyr und bildete sie in mancherlei Hinsicht fort. Während bei Buffon gleichzeitig Elemente der Bonnet’schen Kontinuitätsiehre (Entstehung der Organismen aus ähnlichen Keimen) eine Rolle spielen, wodurch er die Tatsache erklären will, daß die einzelnen Organismen in ihrer Erscheinung einander so nahe stehen — fehlt bei Vicq d’Azyr der realgenetische Gesichtspunkt völlig. Er unterscheidet mehrere „Genres anatomiques" und sein geistiges Auge erblickt die einzelnen differenten Zustände, indem es über sie binweggleitet, als Veränderungen, Bewegungen (l. c. pag. 145). Die Übereinstimmung der einzelnen Organe bestimmte er indes noch nicht eindeutig durch ihre Beziehung auf morphologische Besonderheiten, { sondern zugleich noch auf physiologische. Erst Geoffroy St. Hilaire | tat diesen folgenreichen Schritt, indem er die Teile ausschließlich auf ! Grund ihrer Lage (Topographie) und Verbindung (Connexion) ver- glich, So gelangte er zur Erkenntnis des Wesens der „Homologie“, die bei ihm freilich noch unter dem Namen Gesetz „der Analogie“ auftritt. Unabhängig von ihm hatte Goethe im Jahre 1790 dadurch, daß er den „Typus“ in ein handgreifliches, festes, tabellarisches Schema brachte, seinerseits diese beiden gleichen Grundgesetze erkannt: daß jeder Teil zu den Nachbarteilen in einer unzerstörbaren topographischen Beziehung stehe und daß jeder Teil bei allen Organismen wenigstens anfänglich vor- handen sei, wenn er auch durch Verwachsungen und Veränderungen 43* 676 Wilhelm Lubosch, der Gestalt oft unkenntlich werde. Nirgends findet sich bei Goethe (abgesehen von der Zeit des Beginns der italienischen Reise) und bei Geoffroy St. Hilaire die Vorstellung, daß das, was sie Urbild, Typus Urplan usw. nannten, eine real existierende Form sei, Nirgends ist ihnen „Verwandtschaft“ ein real-genetischer Begriff, sondern stets ein ideal- formaler, im Sinne von Vieq d’Azyr und Kamper, der ja, wie be- kannt, durch seine Zeichnungen an der Wandtafel die Wesen ineinander verwandelte. Das Korrelat der Typenlehre war für Goethe die „Metamorphose“, die als simultane generische (Umbildungen des Typus in die einzelnen realen Formen) oder als regelmäßige, fortschreitende (Umbildung eines Organes in ein anderes innerhalb eines Organismus) bezeichnet wird. Bei Geoffroy wird zwar von der Metamorphose (mit Ausnahme einer Stelle) nicht gesprochen, doch besagen seine Dar- stellungen das gleiche. Besonders war ihm und Goethe und zwar an- scheinend ohne daß Geoffroy etwas von Goethe als seinem Vorgänger wußte, gemeinsam die Vorstellung vom Balancement innerhalb des Or- ganismus (Rubriken des Etats bei Goethe, auch sein Gedicht Athroismos vom Jahre 1806), wonach allen Veränderungen in dem Haushalt des ganzen Organisınus gewisse Grenzen gezogen seien. In wunderbarer Über- einstimmung hegten und lehrten der französische und deutsche Mor- phologe die gleiche Überzeugung vom Typus und seiner Veränderlichkeit. Sehr richtig sagt Schmid (1885, pag. 31), daß dies keine reale Um- bildung bedeute, denn im „Begriff des Typus“ sei der Begriff der Beweg- lichkeit und Bewegung bereits enthalten. — Goethe in höherem Maße noch als Geoffroy bekennt sich dabei zu der Überzeugung, daß die dynamische, nicht die atomistische Forschungsmethode der vergleichenden Anatomie angemessen sei. Er, der nicht nach Entstehen und Ursachen, sondern nur nach Bedingungen fragen wollte, verfuhr darin ganz wie Buffon, der auch nicht die Feststellung des „Pourquoi“, sondern das „Comment“ als Ziel seiner Forschung ansah (l. c. Bd. IX, pag. 57. Wichtig ist es nun, daß dieser große Ideenkreis, der durch die erwähnten Gedanken umschrieben wird, wie schon oben bemerkt, auch echt trans- formistische Gedanken in sich einschloß. Diese erstreckten sich am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur auf die Über- zeugung, daß neue Rassen durch Umbildungen innerhalb der Arten entstehen und daß die Außenwelt hierbei eine bestimmende Rolle spiele, sondern auch auf echte Umbildung von Arten ineinander. Besonders Treviranus (l. c. Bd. III, pag. 995) hatte im Jahre 1802 die konti- nuierliche Abstammung der Tiere und Pflanzen der Gegenwart von einfachen Formen der Vorwelt gelehrt. Auffälligerweise verband sich nn Uber Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 677 aber diese Vorstellung einer „Deszendenz“ — wenn mir von Erasmus Darwin und Lamarck absehen — stets mehr oder weniger innig mit der Typusiehre. Was die Hauptvertreter dieser Lehre anlangt, so ist Goethe niemals zur Anerkennung der Umbildung der Arten, son- dern nur zu einem, sich vielleicht gegen Ende seines Lebens mehr verstärkenden Zweifel an ihrer Konstanz gelangt. Geoffroy St. Hilaire dagegen hat zwar in den Abhandlungen der Jahre 1831-1835 sich zur historischen Entstehung der Tiere bekannt, aber zwischen dieser „Phylogenie“ und seiner Typuslehre eine sehr merkwürdige Synthese vorgenommen, In den Lehren dieser beiden Männer erscheint die Schelling’sche Naturphilosophie in ihrer stärksten Wirkung, woran uns Treviranus selbst an einer Stelle seines Werkes erinnert. Das idealistische Element die Phylopräformation, ist nun nicht vorhanden bei Erasmus Darwin und Lamarck. Sie sind Vertreter der Phyloepigenese, in dem Sinne, daß das Werden des Neuen nur abhängt von dem gegebenen Organismus und den Einwirkungen der Außenwelt. Sie sind Ursachenforscher, d. h. sie wollen nicht nur Bedingungen von Veränderungen, sondern Ursachen von Neubildungen, nicht Umbildung eines VorhandenenMetamorphose), sondern Entstehung von bisher nicht Vorhandenen (Differenzierung) erklären. Erasmus Darwin’s Verdienste scheinen hierbei heute noch lange nicht genug ge- würdigt; nahezu alles (individuelle Variationen während des Lebens — Wirkungen der Domestikation — Vererbung erworbener Eigenschaften, l. ce. pag. 447-452) was sein Enkel gelehrt hat, lehrt auch dieser große Mann. Die Ähnlichkeit aller warmblütigen, ja aller Tiere führt er (pag. 452, 458, besonders pag. 463) auf einen, Millionen Zeitalter zurückliegenden Ausgang von einem „lebenden Filament“ zurück. Als Anlaß zu den Umbildungen gelten ihm vornehmlich die eigenen Tätig- keiten der Wesen (pag. 454ff.): Verlangen, Abneigungen, Vergnügen, Schmerzen, Reizungen, Assoziationen. Ihre „Bedürfnisse“ sind Wollust (geschlechtliiche Zuchtwahl?), Hunger (natürliche Zuchtwahl?) und Sicherheit (Schutzmittel?). Es sind also im wesentlichen die Argumente und Prinzipien, wie sie 1809 Lamarck anwendete, auf dessen Lehre hier ja kaum näher eingegangen zu werden braucht. Bei der großen Bedeutung, die Lamarck später gewonnen hat, ist es nun kaum zu fassen, daß seine Wirkung auf die Zeitgenossen so gering gewesen ist. Denn fragen wir — wie hat er gewirkt? so gibt es nur eine Antwort: gar nicht. Mit ganz wenigen Ausnahmen ist seine Lehre völlig abgelehnt worden. Das Urteil der neueren Naturphilosophie über dies Verhältnis leidet unter einem der seltsamsten 678 Wilhelm Lubosch, Mißverständnisse, das wir nirgends beleuchtet finden und das doch so offen zutage liegt! Man hat Lamarck ausschließlich nach dem be- urteilt, was er für Darwin und den Darwinismus geworden ist, hat aber ganz außer acht gelassen, daß das Zeitalter Goethe’s und Geoffroy’s das darwinistische Prinzip der Auslese ja eben nicht kannte und vorlieb nehmen ınußte mit dem Prinzip Lamarck’s: dem psychischen. Wenn Plate (1913, pag. 593) erklärt, daß Lamarck „wenn er jetzt lebte, den vitalistischen Teil seiner Thesen sicherlich aufgeben würde“ — so mag er vielleicht Recht haben. Aber er wird selbst zugeben, daß, wenn vom Lamarckismus das Prinzip der Adaptation infolge der Möglichkeit des Tieres, seine Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen — wenn dies Prinzip aufgegeben wird, ohne daß etwas anderes an seine Stelle tritt, daß dann vom Lamarckismus nicht mehr viel übrig bleibt, als was z. B. Treviranus und Geoffroy St. Hilaire auch besaßen. Denn auch Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch auf die Kräfti- gung und Schwächung der Teile beruht nach Lamarcks ausdrück- lichem Zeugnis auf psychischen Faktoren. Jener „Psycholamarckismus“ scheint nun aber gerade der An- erkennung (des ganzen Systems durchaus hinderlich gewesen zu sein. Daß Cuvier es ohne weiteres verurteilte (1832, pag. XXI) ist begreiflich; aber auch Cuvier’s großer Gegner Geoffroy St. Hilaire hat nur Anerkennung für die Deszendenzgedanken Lamarck’s, während er seine Erklärung mehrmals ausdrücklich zurückweist, Er nennt ihn (1830, pag. 184) einen kühnen Mann, der das Richtige zwar geahnt und ausgesprochen, es aber durchaus falsch begründet habe. Seine allgemeinen Annahmen (praepositions) seien allerdings richtig gewesen; aber diese verdanke er nicht der objektiven Untersuchung, sondern der nur «lem Genius eigener Intuition. Lamarck habe recht behalten, kraft seiner überlegenen Intuition, nicht aber kraft seiner falschen Beobachtungen. Trotzdem sei er berechtigt, die Folgerungen aus seinen falschen Voraussetzungen für wahr zu halten, da sie intuitiv erschlossen, geahnt worden wären. Ebenso lehnt er später (1831, pag. 81 u. 85) Lamarck’s Erklärungsversuche ab. Ausdrücklich lehnt sie auch Voigt ab (l. c. pag. 494). . Bei Goethe, der Lamarck gleichfalls kannte, findet sich nirgends ein Hinweis auf ihn, weder ein lobender, noch tadelnder. Bei ihm lag möglicherweise in der Geistesrichtung, die in echt platonisecher und kantischer Weise kein Werden ohne Sein, nie Nenbildung, nur Umbildung, nur Zustände und Bedingungen, kein Entstehen und keine Ursachen, erkannt wissen wollte, ein weiterer Grund für seine Ablehnung vor. Unberechtigt erscheint es mir daher, Uber Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 679 wenn Kohlbrugge Goethe’s Minderwertigkeit als Naturforscher u. a. damit begründen will, daß er von Lamarck keine Notiz genommen und ihn „totgeschwiegen“ habe; eine „Pflicht“ zu sagen, daß und warum ihm Lamarck nichts zu bieten gehabt habe, wird Kohlbrugge für Goethe doch wohl nicht ernstlich fordern und alle Gegner La- marcks für unwissenschaftlich zu halten, dürfte angesichts der da- maligen und erst recht der heutigen Schicksale des Lamarckismus auch Kohlbrugge kaum wollen. Es sei nur daran erinnert, daß wir bei Goethe ja sogar Andeutungen finden, die dafür sprechen, daß er sich Neubildungen von Formen aus spontanen Keimesänderungen hervor- gehend dachte, daß er also gerade auf dem Boden stand, von dem keine Brücke zu welcher Form des Lamarekismus auch immer hinüber führt, Eine gänzliche Ablehnung des Lamarckismus fand aber gleich- wohl damals nicht statt und dasjenige Werk, in dem, soweit mir die Literatur bekannt ist (möglicherweise gibt es noch andere Forscher jener Zeit, die auf lamarekistischem Boden standen); aber das bei weitem bekannteste Werk, in dem sich der Einfluß Lamarck’s deutlich offen- bart, ist eben Pander’s und d’Alton’s Vergleichende Osteologie der Säugetiere. In diesen Werke ist aber gleichzeitig eine so innige Ver- schmelzung mit der evolutionistischen Lehre Goethe’s, Geoffroy’s usw. vorhanden, daß es naturphilosophisch zu den seltsamsten lite- rarischen Erscheinungen gehört. Indirekt ist demnach also hier, und wie ich glaube nur hier, eine Berührung Goethe’s mit der la- marckistischen Gedankenwelt vorhanden, da sich Goethe ja eben die Quintessenz des Pander und d’Alton’schen Werkes in den ein- gangs thematisch aufgestellten Worten zu eigen macht. 83. Die Entstehungsgeschichte des Werkes. Wenden wir uns nunmehr zu dem Werke von Pander und d’Alton, so haben wir zunächst die Entstehungsgeschichte des Werkes aufzuklären. Dies gibt uns Gelegenheit, einige Ausführungen zu be- riehtigen, die ein neuerer Kritiker (Kohlbrugge, 1. c. pag. 48-51) zu diesem Werke und Goethe’s Beziekungen zu ihm macht. Uns ist über die näheren Lebensumstände der beiden Verfasser Pander und d’Alton nicht viel mehr bekannt, als was Stieda und Urlichs über sie in der Allgemeinen Deutschen Biographie und C. E. v Baer in seiner fragmentarischen Biographie Cu viers (1897) veröffentlicht haben. Außerdem finden sich bisher nicht verwertete Angaben über siein Walther’s Nekrolog auf Döllinger (1841). Pander erscheint aus dem Baltenlande wie ein Meteor in Deutschland, um nach kurzem Aufenthalt für uns wieder 680 Wilhelm Lubosch, zu verschwinden. d’Alton bleibt Deutschland lange erhalten als Pro- fessor an der Universität Bonn. Bekannt sind sie zuerst durch die von ihnen und Döllinger gemeinsam angestellten Untersuchungen über die Entwieklung des Hühnchens geworden. Zu dieser Zeit war Pander 23, d’Alton 45 Jahre alt (1817). Sie unternahmen dann gemeinsam Reisen, um Material für ihr osteologisches Werk zu sammeln. d’Alton’s Tiefurter Aufenthalt, der iin Karl August’s und Goethe's Kreise näher brachte, lag vor seiner Würzburger Zeit. Noch vor dem Jahre 1816 (Walther, pag. 84) war er nach Würzburg zu Döllinger gekommen. Später siedelte er sich in Bonn an, von wo aus er von 1822-1828 mit Goethe in einem interessanten Briefwechsel blieb Bratraneck (1874). d’Alton’s wissenschaftliche Bedeutung ist, wie mir scheint, bisher verkannt worden. Es ist das, wie ieh glaube, vor allem auf die Annahme zurückzuführen, daß er mit seiner hervor- ragenden Gabe zu zeichnen und zu stechen, an dem embryologischen Werk Pander’s lediglich als „Zeichner“ mitgewirkt habe. Diese Angabe findet sich bei Urlichs, Waldeyer und v. Baer (1897). Kohlbrugge übernimmt sie offenbar von letzterem (pag. 48): „Es verdient hervor- gehoben zu werden, daß Pander sich vor Herausgabe des Werkes (der vergleichen- den Osteologie) als Embryologe, d’Alton, ein Schützling des Herzogs von Weimar, als Zeichner einen Namen gemacht hatte.“ Und angesichts der vergleichenden Osteologie, dessen Text nach Ausweis der Titel nahezu zur Hälfte von d’Alton herstammt, fährt Kohlbrugge fort: „Deswegen nehme ich an, daß das Textliche hauptsächlich von Pander, die Zeichnungen von d’Alton’s Hand stammen.“ Er nimmt dies an, um Teile des Textes, die ihm unwissenschaftlich erscheinen, von anderen, die er für wissenschaftlich hält, sondern zu können. Die Annahme, die dem zugrande liegt, ist aber unrichtig. Inwieweit das Anrecht beider Verfasser auf bestimmte Teile des Textes in der vergleichenden Osteologie überhaupt noch zu sondern ist, werden wir weiterhin prüfen. Wichtig ist es dazu, die Legende zu zerstören, daß d’Alton in Würzburg nur als „Zeichner“ mitgewirkt habe. Es scheint beinahe so, als ob sich Kohlbrugge das Verhältnis so vorstelit, daß während eines einjährigen Zusammenarbeitens Pander mikroskopiert, d’Alton aber nur „gezeichnet“ habe — und das angesichts dieser Tafeln eines zum ersten Male anfzufassenden und wiederzugebenden Objektes von wnerhürter Schwierigkeit. Selbst wenn W’Alton nur „gezeichnet“ hätte, so kann man bei Vertrautheit mit dem Wesen wissenschaftlicher Arbeit nicht verkennen, daß d’Alton einen solchen Atlas überhaupt nur zeichnen konnte, wenn er mit der wissenschaftlichen Beurtei- lung jeglicher Einzelheit d"rchaus vertraut war. Ea ist sogar die Frage berechtigt, olı nicht Pander’s Verdienste zu stark in den Vordergrund treten, wenn er allein als Verfasser des Werkes gilt. Er nennt selbst (1817, Einleitung) den Textteil des Tafelwerkes: „Die kurze Geschiebte meiner, in Verbindung mit dem Herrn Pro- fessor Döllinger und Herrn d’Alton, gemachten Untersuchungen.“ Dagegen tritt W'Alton persönlich in diesem Werke nirgends hervor. Sein Name steht nicht ein- mal auf den Kupfertafeln. Dennoch erkennen wir ihn in dem Vorwort der Tafel- | | Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 681 erklärung sofort an der Weimarer Diktion. Hier heißt es: „Im Anbeginn unserer Untersuchungen war unser Plan kein geringerer, als der, eine Reihe von Abbil- dungen zu liefern, in welchen die allmähliche Entwieklung des Hühnchens im Ei vollständig dargestellt würde.“ Dies stimmt überein mit der Darstellung Wal- ther’s. Dieser sagt (l. c. pag. 84 ff): „Döllinger hatte sich mit d’Alton zum Zwecke der Untersuchung und bildlichen Darstellung von Tierfötus aus allen Klassen der Wirbeltiere verbunden.“ Wenn auch der Wunsch, den begabten Tilustrator heranzuziehen für Döllinger dabei vornehmlich maßgebend gewesen sein mag, s0 war das doch nicht der einzige Grund, denn es bedurfte dazu eines Mannes, der auch beobachten und präparieren konnte. In wie hohem Maße sich d’Alton dafür eignete, geht aus Walther’s Zeugnis hervor, der ihn „einen eifrigen Naturforscher nennt, welcher zugleich ein trefflicher Kunstkenner und praktischer‘ Künstler, Zeichner und Kupferstecher, dabei in Goethe’s Ideen über Morphologie durch vieljährigen näheren Umgang mit jenem großen Denker eingeweiht war“. Als „geist- reichen und gerne mitteilenden Kollegen“ bezeichnet er ihn dann, soweit ihr spä- teres persönliches Verhältnis in Bonn in Betracht kommt. Über die gemeinsame Tätigkeit der drei Forscher in Würzburg gibt uns Walther nun eingehenden Be- richt, den ich hiermit der Vergessenheit entreißen möchte, nachdem er nıir schon bei Gelegenheit meiner Untersuchungen über Döllinger (1915) bekannt geworden war. Wir ersehen erst aus dieser Stelle, wie gut Goethe unterrichtet war, wenn er sagte (Bd. VIII, pag. 224), daß d’Alton an den Untersuchungen über die Ent- wicklungsgeschichte des Hühnchens „so treulich teilgenommen“ — und wie Kohl- brugge’s Berichtigung aufzufassen ist, mit der er (pag. 59, Anm. 92) Goethe folgender- maßen belehren will: „also auch hier wird nur der Zeichner d’Alton und nicht der Verfasser Pander genannt.“ Und zu Goethe ’s Worten, d’Alton habe treulich teil- genommen, fügt Kohlbrugge in Klammern hinzu „(er lieferte die Zeichnungen).“ Dabei muß uns schon eine einfache Überlegung sagen, daß d’Alton doch bereits 1 Jahr lang mit Döllinger gearbeitet hatte, als Pander erst hinkam und daß auch dann noch die geistige Leitung Döllinger’s bei Pander genau wie bei d’Alton eine Rolle spielte. „Alle drei“ aber, sagt nun Walther, arbeiteten nın einmütig und gemeinsam ein ganzes Jahr hindurch. Sie befolgten den Grundsatz, nichts als entschiedene und sicher gestellte Tatsache anzuerkennen, was nicht alle vereint und jeder einzeln für sich oft beobachtet, und immer auf gleiche und unveränderliche Weise erfahren hatten. Täglich teilten sie einander ihre Beob- achtungen, Ansichten, Entdeckungen, sowie Vorschläge zu neuen und vollkonmeneren Arten der Forschung und Untersuchung mit, berichtigten gegenseitig Zweifel, Ir- tümer und falsche Auffassungen. Obgleich Döllinger vermöge seiner Überlegen- heit an Jahren und zugleich an Geist, Gelehrsamkeit und anatomischen Kenntnissen das Ganze der vereinten wissenschaftlichen Bestrebungen fortwährend leitete und an der Spitze des Unternehmens stand. so blieb doch auch jedem der beiden Mit- arbeiter seine volle Freiheit der Forschung und des Urteils. Nicht leicht mag je- mals sonst irgendwo ein solches einmütiges Triumvirat von eifrigen und unermüdeten Wahrheitsforschern, eine Art von Akademie in tieferer Bedeutung bestanden haben.“ Bedenken wir noch, daß Pander mit 22 Jahren nach Würzburg kam und dort promovieren wollte, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß die beiden älteren (Döllinger war damals 46, d’Alton 44 Jahre alt) ihm die Darstellung des Ge- samtergebnisses überließen. Pander's Ruhm wird dadurch nicht geschmälert, wenn man meint, daß d’Alton’s Name so gut wie der Döllinger’s auf dem Titelblatte 682 Wilhelm Lubosch, hätte stehen dürfen. Aus dem Vorwort der Tafelerklärung geht jedenfalls hervor, daß alle, unabhängig voneinander, aktenmäßig und protokollartig Zeichnungen über Zeichnungen angefertigt hatten. Aus ihnen wurden — wie das ja auch heute ge- schieht — die geeignetsten ausgewählt. Daß es die d’Alton’s waren und daß er ihre endgültige Ausführung übernahm, darf der Anlaß nicht sein, ihm den ein- schränkenden und herabsetzenden Titel eines „Zeichners“ beizulegen. Daß in dem späteren, gemeinsam verfaßten Werk die Tafeln aus- schließlich Alton’s Schöpfung sind, bedarf keines Beweises. Hinsicht- lich des Textes wäre nach literarischem Brauch anzunehmen, daß die als „von Dr. E. d’Alton* verfaßt bezeichneten Arbeiten auch von ihm berstammen, die aber, deren Titel die Bezeichnung „von Dr. Chr. Pander und Dr. E. d’Alton“ trägt, auch von beiden gemeinsam ver- faßt sind. Hiernach wären die vier ersten Hefte (Über das Riesen- faultier 1821, Die Pachydermen 1821, Raubtiere 1822 und Wieder- käuer 1823) von d’Alton allein; die fünf folgenden (Nagetiere, I. Teil 1823, Allgemeine Bemerkungen usw. 1823, Nagetiere, II. Teil 1823, Vierhänder 1824, Zahnlose 1825) von beiden Verfassern. Es fragt sich nun, ob die späteren Abhandlungen etwa durch die Mitwirkung Panders ein besonderes Gepräge erhalten haben; das ist aber in keiner Weise der Fall; insbesondere wird bei sorgfältiger Prüfung die Vermutung Kohlbrugges als nicht zutreffend befunden, daß Pander der wissen- schaftliche Lamarckist, d’Alton der vom Supranaturalismus der Meta- morphosenlehre umnebelte Dilettant gewesen sei. Denn träfe das zu, so müßten (die ersten vier Hefte sich von den späteren unterscheiden, was sie aber nicht tun. Ja, wir finden die nüchternen, lamarckistisch gefärbten Betrachtungen gerade mehr in der Raubtier- und Wiederkäuer- lieferung, die von d’Alton allein sind, während wir ein Überwiegen der Metamorphosen- und Typenlehre gerade in den gemeinschaftlich mit Pander verfaßten späteren Teilen antreffen. Innerhalb dieser gemeinsam verfaßten Teile ist aber ferner keinerlei Disharmonie der Darstellung zu finden, etwa so, daß man daraus entnehmen könnte, Pander habe die „lamarckistischen“ Stellen, d’Alton die „mystischen“ geschrieben. Jede Abhandlung ist vielmehr so aus einem Guß und’ die erste vom Jahre 1821 stimmt in den Grundgedanken so wesentlich mit den späteren überein, daß entweder Pander von Anfang an entschiedenen Einfluß darauf genommen haben muß — oder daß er auf die Ausgestaltung der theoretischen Teile überhaupt keine Einwirkung ausgeübt hat. Eine dritte Möglichkeit wäre, daß beide Autoren durch ihre früheren gemeinschaftlichen Studien zu völliger Einheit in allen theoretischen Fragen gelangt wären, so daß d’Alton auch ohne Pander’s Anwesenheit doch mit ilım harmonisch dachte und schrieb. Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 683 Eine vierte Möglichkeit endlich ist die, anzunehmen, daß sich Pander erst vom Jahre 1823 ab an den Untersuchungen beteiligte und auch dabei nur, insoweit es sich im speziellen Teil um die Beschreibungen von Knochen, also um die eigentliche Materialsanınılung handelte. Diese letztere Ansicht möchte ich für die wahrscheinliche halten, weil sie die ganzen Verhältnisse am einfachsten erklärt. Erstlich ist diese Arbeits- teilung gerade die, die sich für den 5ljährigen d’Alton und 29jährigen Pander als die natürlichste ergibt. Zweitens erklärt es sich dadurch, daß die ersten vier Lieferungen ohne Pander entstanden sind; sodann erklärt sich dadurch die stilistische Einheit in allen einleitenden, theoretischen Teilen; ihre Vergleichung mit dem Vorwort der Tafel- erklärungen des Hühnchenwerkes ergibt ohne weiteres, daß alle ge- nannten Arbeiten aus einer Feder geflossen sind. Endlich vor allem ergäbe sich die Erklärung für die gewiß auffällige, von Kohl- brugge gerügte Tatsache, daß Goethe den Namen Pander’s nicht nennt. Denn wenn Pander, wie wir vermuten möchten, nur bei der Abfassung der speziellen Knochenbeschreibungen mitgewirkt hatte, so wird Goethe, der stets in enger Fühlung mit d’Alton blieb und ihn auch gelegentlich sprach, über diesen Sachverhalt unterrichtet gewesen sein. Der Brief d’Alton’s an Goethe vom 16. August 1823 (Brat- raneck) scheint das zu bestätigen; hier sagt er, die Goethe über- sandte Lieferung (2. Teil der Nagetiere) möge „als Zeichen seines beharrlichen Fieißes“ angesehen werden. Bald darauf besuchte er Goethe in Weimar. Damit fallen die Vermutungen Kohlbrugge’s. Mit einiger Willkür führt er nämlich (pag. 49) die „mit der Abstammungslehre zusammenhängenden Gedanken in dem Nagetierheft auf „den. Verfasser, nämlich Pander‘“, zurück. Ebenso spricht er von „dem Verfasser“ (pag. 51) des letzten Heftes (1825), in welchem sich ein stark supra- naturalistischer Zug geltend macht. . Beides ist doch wohl unberechtigt. Es sind beidemale „die Verfasser“ verantwortlich; wollte man aber einem von ihnen den Vorzug geben, so müßte dies nicht Pander, sondern d’Alton sein. Nach Kohlbrugge wäre es auch möglich, daß Goethe die Lieferungen über Raubtiere und Wiederkäuer deshalb nicht besprochen hätte und nur die über Faultiere, Pachydermen und Nagetiere, weil jene beiden, von ihm nicht besprochenen ihm zu lamarckistisch gewesen wären! Goethe hat aber auch diese nicht eingehend rezensierten Lieferungen trotzdem an mehreren Stellen seiner Werke erwähnt und gelobt (so im Bd. XII, pag. 146 und in den An- nalen vom Jahre 1822, daß er durch dessen Pachydermen und Raub- 684 Wilhelm Lubosch, tiere „belehrt und erfreut wurde“). Kohlbrugge meint weiter, Goethe habe vielleicht nur solche Teile behandelt, die möglicherweise von d’Alton „seinem Schützling“ waren, „dem er die Ehre, das ganze Buch verfaßt zu haben, zuschrieb, während die anderen von Pander waren. Es liegt, wie wir gesehen haben, auch nicht die Spur eines Anhaltes dafür vor, anzunehmen, daß die Raubtiere und Wiederkäuer von einem „exakteren“ Forscher gewesen wären, als die übrigen Teile. Kohlbrügge hebt hervor, daß über Pander’s Leben fast nichts bekannt geworden sei (pag. 59, Anm. 93}. „Sollte vielleicht Verbitte- rung ibn dazu gebracht haben, sich in die Einsamkeit ({?) zurückzu- ziehen. Soviel wir wissen (Stieda), lebte und starb er nicht in der Einsamkeit, sondern an der Universität seines Heimatstaates Rußland. Soweit geht die tendenziöse Darstellung Kohlbrügge’s. Worüber hätte denn Pander auch „verbittert“ sein sollen? Darüber, daß Döl- linger dem 22jährigen die Schätze seines Geistes schenkte und ein Naturforscher wie d’Alton ihn unsterblich machte, dadurch daß er seinen Namen mit dem eigenen im Titel des schönsten osteologischen Werkes vereinigte, das wir besitzen? Soviel über die Entstehungsgeschichte und die Autorenverhältnisse des Werkes. Wenden wir uns nun zu einer 4. Würdigung seines Inhaltes, so wäre, was die Form anlangt, ein leichtes Unbehagen nicht zu ver- bergen. Es ist keine reine Freude, diese oft langatmigen, schwierig konstruierten, ja schwülstigen Sätze zu lesen, die zwischen formvoll- endeten und klaren Teilen stehen. Das Bestreben, den idealistisch- evolutionistischen Standpunkt mit dem realistisch-transformistischen zu vereinigen, führt nicht immer zu reinen Ergebnissen; bald tritt die eine, bald die andere Seite mehr hervor; das Ganze bekommt daher in fast all seinen Teilen etwas unsicher Schwankendes und erinnert dadurch lebhaft an die Alterswerke Geoffroy’s. Um nur ein Beispiel zu nennen, so findet sich in der Abhandlung über die Wiederkäuer unmittelbar neben der Ansicht von der Umbildung durch äußere Ver- hältnisse die Idee des Balancements, vom Überschuß an Knochenmasse vertreten. Gleichwohl läßt sich ein einheitlicher Standpunkt nicht verkennen, insofern vom ersten bis zum letzten Aufsatz hin eine lamarckistische Auffassung eingeschlossen wird in eine umfassendere idealistische. Es gelingt diese seltsame Synthese nur dadurch, daß zwischen der gesetz- mäßigen Bildung der Formen und der Kontinuität des Stoffes ze Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. H8A (Materie) ein Unterschied gemacht wird (bes. Allg. Bem., pag. 3, Sp. 1), und jene als unter Einwirkung des lamarckistischen Prinzipes stehend, diese im Sinne der Typuslehre aufgefaßt wird. Versuchen wir nun, uns die einzelnen Bestandteile dieser Lehren klar zu machen!). 1. Die Veränderlichkeit der Art und die Anlässe für ihre Veränderung. Dieses Prinzip wird ausdrücklich überall an- erkannt mit einziger Ausnahme der Lieferung über die Zahnlosen; doch ist auch in dieser Abhandlung der Einfluß der Außenwelt auf die Umbildung der Organisation ausdrücklich anerkannt. Die Haupt- quelle für unsere Beurteilung des Tatbestandes ist aber die Abhandlung über die Pachydermen und Raubtiere. Hier wird (Pachyd., pag. 1) die Konstanz der Art ausdrücklich abgelehnt. Historisch gefaßt wird (ibid.) erklärt, daß einst wirkliche Umbildung der Tiere durch äußere Verhältnisse vorgekommen sei. Die Mannigfaltigkeit der Spezies sei durch den „Standort“ entstanden und lasse sich auf wenige Spezies zurück- führen (ibid.). Als Beweis wird auf die Domestikation zurückgegriffen und (Raubtiere, pag. 3) erklärt, daß wenn man überhaupt Veränderungen bei der Domestikation zugebe, so gleichzeitig alles andere über die Veränderung der Arten zugegeben sei. Später(Nagetiere, Bd.]I, pag. 1) wird die Ansicht, daß der Organismus einen unveränderlichen, von der Außenwelt unabhängigen Typus der Bildung selbständig hervorzubringen vermöge, als gänzlich unzutreffend beseichnet; das Gleiche endlich in dem theoretischen Abschnitt (Allg. Bem., pag. 5). Hier (Allg. Bem., pag. 3, Sp. 1 heißt es sogar, dafi bei der Annahme einer Artenkonstanz nicht nur auf Erklärung ihrer mannigfachen Verschiedenheiten, sonderu auch auf jeden Zweck einer Vergleichung verzichtet werde. Freilich finden sich nun auch wieder merkwürdige Einschränkungen, von denen die eine immerhin durch den Zusammenhang des Ganzen motiviert ist. Es wird nämlich (Pachyd., pag. 1) erklärt, daß bei aller Veränderung und Umbildung der Arten’ der Gattungscharakter unverändert er- halten bleibe; insofern sich zeigen wird, daß gerade im Gattungs- charakter die Erscheinung des Typus gesehen wird, paßt diese Einschrän- kung zu der späteren idealistischen Wendung des Ganzen. Dagegen klingt eine andere Einschränkung so, als ob die Verfasser die Konstanz der Arten damit doch nicht gänzlich ablehnen wollten. Dort{Allg.Bem,, 1) Die in Klammern gesetzten Bezeichnungen geben abgekürzt die einzelnen Lieferungen des Werkes wieder. Ihre Titel und Jahreszahlen vgl. im Literatur- nachweis. Man beachte, daß Riesenfaultiere, Pachydermen, Raubtiere und Wieder- käuer die früheren, Nagetiere I, Allg. Rem‘; Nagetiere II, Vierhänder und Zahn- losen die späteren Lieferungen sind. 686 Wilhelm Lubosch, pag. 3, Sp. 2), wo wie an vielen anderen Stellen über den Einfluß der Ernährung auf den Organismus der Tiere gesprochen wird, heißt es: „Wir ersehen das zunächst aus der Veränderung, welche alle Tiere während ihres Wachstums erleiden, indem zwar die Art als gezeugt betrachtet, die Rasse aber bei gleicher Ernährung dem klimatischen Einflusse zuerkannt werden muß.“ Das heißt natürlich nur, daß die Milieneinwirkungen lediglich zur Rassenbildung führen können, während für die Umbildung der Arten, wie wir gleich sehen werden, tiefer eingreifende Momente, d. h. Veränderung der Lebensweise und die „Neigung* im Sinne Lamarck’s anzunehmen sind. Dies übersieht Kohlbrugge, wenn er (pag. 50) gerade diese Stelle als Beweis für die supranatura- listisch-evolutionistische Gesinnung der Verfasser ansieht, oder daß diese eine Veränderlichkeit überhaupt nur innerhalb der Art zugelassen hätten (pag. 50). Dem widersprechen die oben angeführten Zeugnisse durchaus. Als Ursache für die Umbildung der Formen wird ohne strengere systematische Scheidung zweierlei angenommen; einmal die Einwirkung der Umwelt, die aber von einer gewissen Intensität sein müsse. Denn es erleiden „die Tiere nur in dem Maße eine Umwandlung ihrer Gestalt, als die Veränderungen der äußerlichen Verhältnisse auch not- wendig eine Veränderung der Lebensweise zur Folge haben“ (Raub- tiere, pag.’). Ähnlich auch Riesenfaultiere, pag. 10. Ebenfalls ohne Vermittlung des lamarckistischen Prinzipes ist die Einwirkung (Raub- tiere, pag. 5) gedacht (die äußeren Erscheinungen wirken unmittelbar auf die organische Materie). Es ist dies ja die Art, in der Goffroy St. Hilaire die Einwirkungen des Monde ambiant gelten läßt. Da- neben spielt nur aber der echte Lamarckismus eine große Rolle. Die Neigung bestimmt die Gestalt der Zähne (Raubtiere, pag.5). Die Lebens- weise wirkt auf die Organisation, diese auf die Lebensweise zurück Gbid). Die Gestalt der Tiere geht aus der Lebensweise hervor, all- mähliche Umbildung der Tiere durch Verbreitung in andere Klimata, infolge veränderter Lebensweise und infolge anderer Richtung ihrer Neigungen (Wiederkäuer, pag. 4). Furcht schafft den Stachel- panzer, Gefahr des Fallens den Wickelschwanz, Ausspreizung der Füße die Flugkaut (Allg. Bem., pag. 3, Sp. 1). Nahrung ruft das Skelett hervor, da die Freßwerkzeuge fest sein müssen (ibid., pag. 4, Sp. 2). Die Sinnesreize, die von den Gegenständen ausgehen, rufen die Sinnesorgane hervor (Zahnlose), Eine Fassung, die Goethe's Denken sehr gefällig gewesen sein mußte, findet sich Allg. Beni, pag. 2, Sp. 1, wo erläutert wird, wie äußere Einflüsse Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 687 auf Organismen anders als auf tote Körper wirken. Diese seien nur leidend, das Belebte aber, als Resultat allgemeiner und universeller Be- dingungen, vermöge diesen Einflüssen entgegen zu wirken. Dieser Komplex von Gedanken schließt denn auch andere lamarckistische Lehren nicht aus; wenn sie auch spärlicher und zerstreuter auftreten, sind sie doch einwandsfrei nachzuweisen. Die Tiere sind zweckmäßig gebaut, weil sich ihre Arten unter bestimmten Bedingungen entwickelt haben (Pachyd., pag. 1, Sp. 2). Wo eine Gattung lebt, kann die andere nicht leben (ibid., pag. 1). Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch (Raubtiere, pag. 6). Erbliche Eigenschaften der Haustiere infolge veränderter Nahrung und Lebensweise (Nagetiere, Bd.I, pag. 4). Erblicher Übergang von Eindrücken (Zahnlose). Sogar von der Steigerung einer Ausartung durch Paarung solcher Tiere, die zur gleichen, Ausartung hinneigen, wird (Raubtiere, pag. 4, Sp. 2) gesprochen. Man habe hierdurch „nach einigen Generationen die entlegensten Bil- dungen erzielt, und obschon die menschlichen Versuche zu dem un- endlichen Fortbilden der Zeiten in keiner Vergleichung stehen, so zeugen sie doch gegen jene Beständigkeit organischer Formen“. Die Verfasser erkennen stellenweise echte Phylogenese und die Bedeutung der Geologie und Paläontologie an. Die Umbildung der Tierwelt findet in steter ununterbrochener Folge der Entwicklung statt; man dürfe nicht behaupten, daß sich niemals eine Übergangsbildung werde auffinden lassen (Raubtiere, pag. 4). Die tierischen Skelette seien nicht stets in ihrem jetzigen Zustande gewesen (Nagetiere, Bd.I, pag. 2). Daß man nie fossile Menschenknochen finden werde, dürfe nicht (wie es z. B. Cuvier tut) behauptet werden, denn man dürfe sich nicht einbilden, daß man die Schichten der Erde wie die Häute einer Zwiebel abheben könne (Raubtiere, pag. 2). Wenn jede geologische Zeit ihre eigenen Arten gehabt habe, so sei das nur die Folge der jeweils herrschenden Milieuverhältnisse gewesen (Raub- tiere, pag. 2). Der sibirische Elefant sei ein Mittelglied zwischen dem lebenden Elefanten und dem Mastodon; „Diese Folge der Umbildungen leitet uns auf eine frühere, verschiedene Gestalt dieser Tiere, wovon noch mehrere Eigentümlichkeiten des lebenden Elefanten zeugen (Pachyd., pag. 10). Das Riesenfaultier ist ein Vorfahre des heutigen Faultieres (Riesenfaultiere, pag. I). Ganz modern sind (Pachyd., pag. 2) die Ansichten, daß alle lebenden Tiere in ihrer Ausbildung die Verhältnisse der untergegangenen Geschlechter in dem Grade über- steigen, als die untergegangenen Geschlechter von den lebenden Tieren 688 Wilhelm Lubosch, durch ihr Alter entfernter sind. Die Bildung der Gattungen sei der Bildung der Stadien eines Embryo zu vergleichen. Hiermit ist dann aber auch der epigenetisch-transformistische Gedankenkreis erschöpft. Was sich hiervon noch findet, steht bereits an der Grenze des Evolutionistischen. Das Merkwürdige ist dabei das Unvermittelte beider Anschauungen. So wird in derselben Abhandlung, in der das Riesenfaultier als echte Stammiorm behandelt wird, das gleiche Tier als das „tausendfach von der Natur verworfene Urbild“ Buffons bezeichnet, das sich infolge inneren Unvermögens (Schwäche seiner Organisation [Cuvier]) nicht habe forterhalten können. In dem, wie wir gesehen haben, recht modern anmutenden Aufsatz über die Diekhäuter (pag. 3) wird der Elefant als „erster Versuch der Schöpfung“, eine Art „Embryo der Natur“ bezeichnet. Dann finden sich die echt evolutionistisch gedachten Äußerungen, daß das Maß der Umwandlungsfähigkeit durch „das Ganze“ bestimmt werde (Allg. Bem., Sp. 4). Die Idee des Ganzen sei ohne den Begriff der Metamorphose nicht zu fassen (Pachyd., pag. 2) und schließlich: Die Tiere seien nicht bloß als Naturprodukte, sondern auch als Naturzwecke zu be- trachten (ebenfalls in dem Aufsatz über die Dickhäutigen, pag. 18). Insofern sich der Typus in der Gattung ausdrücke, werden die zum Teil schon oben erwähnten Ansichten begreiflich, daß die Um- bildung der Tiere nur innerkalb der Grenzen der Gattung stattfinde (Pachyd., pag. 1), daß sich der Gattungscharakter auch bei ver- änderten Milieuverhältnissen erhalte (Allg. Bem,, pag. 2, Sp. I). End- lich wird auch in diesen Zusammenhängen schon die Abhängigkeit der einzelnen Form nicht nur von den besonderen Umständen, sondern auch von einem allgemeineren Einfluß, der „Organisation“ überhaupt, gelehrt (Raubtiere, pag. 1 und 5), so daß im strengsten Sinne eigent- lich keine Erklärung der Organisation aus Grundkräften denkbar sei, sondern nur eine Begreiflichmachung durch allgemeine Beziehungen der Dinge zueinander (was sich nahezu wörtlich in einer Rede Döllinger’s findet). All diese uns zunächst widersinnig dünkenden Einschränkungen der ursprünglichen Lehre werden erst verständlich durch die Be- ziehungen, in die sie zu einem übergeordneten Gedankenkreis tritt. 2. Die Lehre vom „Gesamtorganismus“ und der ursprüng- lichen gleichzeitigen spezifischen Verschiedenheit der Or- ganisation. Dieser Gedankenkreis würde uns zweifellos ganz fremd erscheinen, wenn wir nicht durch Schelling’s Philosophie von der „Weltseele“ (1798) und Treviranus, von Schelling beeinflußte Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 689 Biologie (1802) eine Vorstellung von diesen Grundgedanken der da- maligen Naturphilosophie hätten. Während sie sich aber sehr leicht mit dem rein idealistisch-evolutionistischen System Geoffroy’s ver- schmelzen ließen, entstand durch ihre Amalgamierung mit den ganz heterogenen Elementen des Lamarckismus etwas Besonderes, das wir uns klar zu machen haben. Ganz systematisch wird das Verhältnis bei Treviranus (Bd. I und III) dargestellt. Nach ihm ist (Bd. I, pag. 23) das Leben einmal gegeben in der Gleichförmigkeit der Erscheinungen, zweitens in den Folgen der zufälligen Einwirkungen der Außenwelt. Erstere umfaßt nur die vegetativen Vorgänge, letztere führen zur Bildung differenter Gestalten. Das Ganze, an dem beides bemerkbar wird, ist ein „grenzenloser Organismus“ (pag. 33 und 34); in dessen Bewegungen wird ein unveränderlicher Typus wahrgenommen, obwohl unter dem Einfluß der Objekte aufeinander nichts bleibend ist. Diese Voraussetzungen lassen sich nur dadurch vereinigen, daß man eine Grenze der zufälligen Einwirkungen annimmt (d. h.: Konstanz der Gattungen), deren Über- schreitung das Ganze in Frage stellen würde. Es wird nun bei Tre- viranus weiter unterschieden (pag. 68): 1. Der allgemeine Organismus — dem Universum; 2. das Reich der lebenden Organismen = einem Glied dieses allgemeinen Organismus; 3. die Individuen, die in verschie- denen, einander entgegengesetzten Formen des Lebens (Klassen, Ordnungen usw.) zur Erhaltung des Organismenreiches beizutragen haben. Lebenskraft und lebensfähige Materie werden in wächsel- seitiger Durchdringung angenommen und es wird als praktische Aufgabe nun die angesehen: „Die lebenden Organismen nach dem Beharrlichen, was man an ihnen anträfe, klassifizieren, hierauf die ganze lebende Natur als einen einzigen großen Organismus betrachten und sehen, in welehen Verhältnissen die verschiedenen Klassen, Ordnungen und Gattungen, woräus derselbe zu- sammengesetzt ist, gegeneinander und gegen die leblose Natur stehen und nun in den Ruinen der Vorwelt den Veränderungen nachforschen, welche diese Verhältnisse und jener (Gesamt-) Organismus selber erlitten haben (pag. 105). Es ist also ein genetischer Standpunkt, der gewählt wird, je- doch mit der einschränkenden Voraussetzung: daß eine Mannigfaltigkeit von Formen ursprünglich bereits den Ausgang für alle weitere Genese gebildet habe. Die Ansichten darüber, wie es zur Entstehung dieser ersten Mannigfaltigkeit gekommen sei und welchen Ablauf die weitere Flora, Bd. 111. 44 690 Wilhelm Lubosch, Genese genommen habe, sind sehr lehrreich zu lesen: führt Treviranus doch eben diese Mannigfaltigkeit auf Urzeugungen zurück. Das erste Produkt dieser Urzeugungen seien zoophytenartige Wesen gewesen (Treviranus, Bd. II, pag. 264 #f.), unter ihnen auch die „Urformen“ der Säugetiere, der Vögel, überhaupt der höheren Tiere, bei denen dann die geschlechtliche Fortpflanzung eingetreten sei. Gelegentlich läßt Trevi- ranus indes auch noch Frösche und Kröten aus faulenden Substanzen, wenigstens indirekt entstehen (vgl. Bd. II, pag. 375). Aus diesen ein- facheren „Urformen“ sind dann die höheren Organismen hervorgegangen (Bd. II, pag. 225). Alle höheren Organismen sind von diesen niederen durch allmähliche Entwicklung während der geologischen Perioden ent- standen. „Viele Wesen haben die Katastrophen überlebt und sind gestorben, weil die Arten, zu welchen sie gehörten, den Kreislauf ihres Daseins vollendet haben und in andere Gattungen übergegangen sind.“ Eine verwandte Auffassung, wenigstens hinsichtlich der ursprüng- liehen gleichzeitigen Mannigfaltigkeit finden wir bei dem Jenaer Bo- taniker Voigt. Dieser hielt die Erzeugung von Tieren aus Fäulnis für so gesichert, daß es nicht mehr notwendig sei, sie durch Dis- kussion oder Experimente zu beweisen (1817, pag. 419), doch bestritt er die Entstehung von Filöhen aus Urin (ibid., pag. 426). Auch er £ing von ursprünglicher gleichzeitiger Mannigfaltigkeit' dieser Ur- zeugungen aus und ließ die „Schöpfung“ bis zu den Familien herunter stattfinden. Aus diesen Familien (pag. 516ff.) seien dann die Gat- tungen und Spezies, teils durch innere, teils durch äußere Ein- flüsse hervorgegangen. Sämtliche Pecora z. B. müßten im Ursprung, nämlich der Abstammung, mehr und zwar vollsändige Zähne gehabt haben; auch die Zahl der Finger müsse fünf betragen haben. Voigt nimmt auch weitere, noch heute wirksame Umbildungen an, doch ver- möchten diese nur innerhalb der Art zur Rassenbildung zu führen. Eine gegenwärtig noch stattfindende Umbildung der Arten lehnt er ab, besonders scharf alle lamarckistischen Vorstellungen (pag. 494). Wichtig ist, daß auch bei Voigt die Zweiteilung in Form und Materie angenommen und hierbei ausdrücklich an Aristoteles erinnert wird (pag. 475). Von diesen Wüsten der Naturphilosophie halten sich Pander und d’Alton wenigstens insoweit fern, als daß sie sich auf die Fragen der Urzeugung und der Kategorien, bis zu denen etwa die Schöpfung heruntergegangen sei, gar nieht einlassen. Ihnen genügt der „Gesamt- organismus“ und eine mit ihm und in ihm ursprünglich gegebene gleichzeitige spezifische Verschiedenheit der Formen als Voraussetzung. en a Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 691 Ein zweiter Unterschied ist dann der, daß sie diese ursprüngliche Ver- schiedenheit nicht schlechthin als Naturprodukt, etwa wie Treviranus und Voigt, ansehen — denn warum wären gewisse zoophytische Ur- formen gerade die Urformen der Säugetiere geworden? — daß sie vielmehr die Gesetze, die heute die Umbildungen beherrschen, d. h. nach ihrer Annahme die lamarckistischen, auch seit jeher als wirksam ansehen. Betrachten wir die Zeugnisse des Textes zunächst daraufhin, so finden wir, daß von der „ersten und innersten Gemeinschaft aller Wesen“ die Rede ist. Die Erde wird als ein „Organ des Weltorganismus“ an- gesehen. Ganz wie bei Kant ($ 80) ist vom „mütterlichen Schoß der der Erde“ die Rede (Allg. Bem., pag. 1). Das „ursprüngliche, uni- versale Leben wird vorausgesetzt“. Gelegentlich (Zahulose) wird diesem dann auch als „höchste Sublimierung die Idee des höchsten Wesens“ untergeschoben. Zwischen der Beurteilung des „Lebens“ und der „Gestalt“ wird nun weiterhin stets scharf und klar unterschieden. Die z. B. von Voigt offen vertretene scholastische Unterscheidung von Form und Materie (s. o.) wird auch hier (z. B. Allg. Bem., pag. 3, Sp. I und Raubtiere, pag. 5) durchgeführt. Das Leben, die Bewegung wird zwar zeitlich vom Organismus bestimmt, ist aber keineswegs von ihm ausgehend, noch für immer durch ihn beschränkt und unterhalten (Allg. Bem., pag. 2, Sp. 1). Und hier treffen wir nun auf einen Grundzug, der allen naturphilosophischen Systemen jener Zeit (bei Pander und d’Alton so gut wie bei Geoffroy, Schelling, Treviranus, Voigt und Goethe) eigentümlich ist und den wir uns nicht fest genug ein- prägen können, wenn wir uns über den Unterschied zwischen jener Epoche und der unsrigen klar werden wollen: So wie zwischen Materie und Form, zwischen Bewegung und Gestalt, so wird auch unterschieden zwischen Abstammung und Verwandt- schaft. Abstammung bezieht sich auf die Reproduktionskraft (Wieder- käuer, — Allg. Bem., pag. 3 — Zahnlose, Riesenfaultiere, Sp. 3 und 4 usw.). Sie verkörpert nur das „gemeinsame Prinzip des Lebens“. Ihr, d. b. der „Reproduktionskraft“, „dem vegetativen Leben“ fällt die Erhaltung der steten inneren Gleichheit zu (vgl. auch Raub- tiere, pag. 3). Daher gibt es in allem Vergleichbaren eine gewisse innere Gleichheit (Allg. Bem., pag. 1, Sp. 2), die sich auf das funktio- nell, physiologisch Gleiche bezieht und allerdings an einer einzigen Stelle (Pachyd., pag. 2, Sp. 2) ebenfalls als „Verwandtschaft“ be- zeichnet wird. 44* 692 Wilhelm Lubosch, Im übrigen aber bezeichnet „Verwandtschaft“ durchweg ein rein formales, die Ähnlichkeit der Gestalten bezeichnendes Verhältnis; und während wir heute die Verwandtschaft durch die Abstammung zu er- klären und auf sie allein zu begründen angeleitet worden sind — gab es für jene Zeit Verwandtschaft trotz gemeinsamer Abstammung (vel. vor allem Riesenfaultiere, pag. 10), d. h. die „stete innere Gleich- heit“ galt damals mehr für die vegetativen Funktionen, war mehr physio- logisch-funktionell gedacht, z. B. also die Nahrungsaufnahme und Lebens- weise der Nagetiere, während mit dieser Lebensweise eine große kör- perliche Verschiedenheit verbunden sein konnte. Innerhalb dieser Verschiedenheiten — also z. B. im mannigfachen Bau der Nagetiere — traten nun die Ähnlichkeiten auf und diese hießen „verwandt“, nicht weil die Nagetiere alle von einem Prorodentier abstammten, son- dern weil alle Nagetiercharaktere als durch „ursprüngliche simul- tane Metamorphose“ des Typus hervorgebracht galten. Auf diesen historisch wichtigen Unterschied hat meines Wissens zuerst Rauther (1910, pag. 102/103) hingewiesen. Er hebt besonders hervor, daß „Verwandtschaft“ im heutigen Sinne die Übereinstimmungen in der Organisation nur in den generelisten Charakteren fordert, während im Gegenteil die damalige Morphologie die Ähnlichkeiten in allen Teilen forderte und bei allen Tieren in gleicher Weise voraussetze. Daher Geoffroy St. Hilaire’s Gesetz der Analogien (daß jeder Teil bei allen Tieren vorkomme) und der Konnexionen (daß alle Teile ein un- veränderliches Verhältnis zueinander hätten). Daher seine Ansicht, daß es einen gemeinsamen Bauplan für Mollusken und Wirbeltiere geben könne. — Sobald wir hier und in ähnlichen Fällen unser Prinzip der gemeinsamen Abstammung als zugrunde liegend ansehen wollten — würden wir jedes Verständnis für die damaligen Bestrebungen ver- lieren. So entspricht es gerade jener Anschauung völlig, wenn bei den großen Verschiedenheiten der Nagetiere (Nagetiere, Bd. IL, pag. 2, Sp. 1) das „einigende Band“ in den Abweichungen gesehen wird, also in dem, was wir heute eine „Anpassungsreihe“ nennen würden; das dagegen was uns als das einigende Band erscheint, die gemeinsame Abstammung, wurde damals lediglich als Äußerung der Reproduktions- kraft angesehen. Die „Gestalt“ galt also als etwas vom Lebensprozeß Gesondertes. Sie war (Allg. Bem., pag. 2, Sp. 2) „nach ewigen und unveränderlichen Ge- setzen“ einer unendlichen Harmonie vorausbestimmt und bedungen. In- folge dieser Bedingungen ist sie nicht als vollendet und für alle Zeiten gleich geschaffen. Sie unterliegt dem Begriff der Verwandtschaft (= Uber Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 693 dem Symbol für die Umbildung der Formen) wird aber nicht umfaßt von der Beziehung auf gemeinsame Abstammung (= dem gemeinsamen Prinzip des Lebens). Sie (die Gestalt) verändert sich unter der Wir- kung des „Bildungstriebes“ und durch die Lebensweise. „Die Richtung der Neigungen und die Richtung des Bildungstriebes ihrer Entwicklung laufen einander parallel. So führt die Frage nach der Gestalt der Tiere und ihrer Ver- “ wandtsehaft auf den Begriff der Metamorphose zurück, der wenigstens bei Pander und d’Alton stets nur im Sinne der „simultanen gene- rellen Metamorphose“ (vergleichend-anatomische Metamorphose). Dies dunkle Gebiet soll hier nicht betreten werden; es möge die Feststellung genügen, daß sie ein im wesentlichen geistig-intuitiv an- geschauter ideeller Akt war und weit entfernt davon, eine reale Un- bildung zu bezeichnen. Ihr Wesen findet sich in dem vorliegenden Werke sehr gut dahin erläutert (Raubtiere, pag. 6), daß ihre Idee es ermögliche im verschieden Scheinenden das Gleiche, ini gleich Schei- nenden das Verschiedene, in getrennter Erscheinung eine innere Ver- bindung wahrzunehmen, in welcher ein Mannigfaltiges als ein einziges Ganzes aufgefaßt wird. 5. Erklärung der Texistelle. Damit reichen wir unserem Ausgang die Hand und sehen uns in der Lage, jenes dunkle Wort von der „ursprünglichen gleichzeitigen Verschiedenheit“ und der „inneren, ursprünglichen Gemeinsamkeit“ klarer zu erfassen. „Ursprünglich“ und „gleichzeitig“ ist nicht etwa, wie man meinen möchte, eine willkürliche Zusammenstellung; es ist im Gegenteil vielmehr gleichsam der Terminus technicus, der im Pander und d’Alton’schen Werke für die Kennzeichnung dieser Beziehungen .zwischen „allgemeinem Organismus“ und der „simultan“ in ihm vor- handenen Mannigfaltigkeit besteht. Wir betonten schon eingangs die Übereinstimmung zwischen den Gedanken und Ausdrücken bier und bei Kant ($ 80) Auch dort spricht Kant vom „Mutterschoß der Erde, die eben aus ihrem chaotischen Zustande herausging „(gleichsam als ein großes Tier)“ und nun nach und nach immer zweckmäßigere Wesen, zuletzt die konstanten Arten erzeugt habe. Durch solche An- nahmen, — die Kant freilich nicht im Ernste vertritt, sondern nur hypo- thetisch ausführt und auch dann noch für ungenügend erachtet — will er ja den Weg zeigen, wie man dazu kommen könnte, die Zweckmäßig- keit der Natur zu erklären, wenn nicht die Fragestellung an sich mit dem Vermögen der menschlichen Urteilskraft überhaupt unvereinbar 694 Wilhelm Lubosch, wäre. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die Sätze bei Kant (pag. 299) zum Vorbilde der von Pander und d’Alton gewählten Ausdrucksweise gedient haben. Es werden uns nunmehr die Worte die Goethe übernommen hat’deutlicher als vorher sein, ganz abge- sehen davon, daß die Verfasser sie ja selbst gründlich erläutern. Sie lauten (Allgem. Bemerk. Spalte 2): „Wie jedes individuelle Leben nur aus dem universellen (Leben) der Natur zu erklären und das Besondere im Allgemeinen begründet ist, auch jeder tierische Organismus als ein Abbild des gesamten Weltorganismus erscheint: so muß sich auch an dieser inneren und ursprünglichen Gemeinschaft aller Organisation, die Ver- sehiedenheit derselben aus den notwendigen Beziehungsverhält- nissen zur Außenwelt erklären lassen.“ D. h. nun gewiß nichts anderes als: alle individuellen Gestalten haben etwas Gemeinsames; ihre spezielle Organisation steht mit der Organi- sation des „gesamten Weltorganismus“ in innerer und ursprünglicher Gemeinschaft. — Dies deutet hin auf die Gemeinsamkeiten, die für die Reproduktionskraft, das vegetative Leben, das Leben als Prozeß in allen Organismen bestehen. Aber trotz dieser inneren und ursprüng- lichen Gemeinsamkeit besteht an ihr doch eine Verschiedenheit, die aus den Beziehungen zur Außenwelt erklärbar sein muß. Um das zu können, ist neben der Gemeinsamkeit des Lebens etwas Weiteres notwendig anzunehmen. Es heißt weiter: „Wie wir eine gewisse innere Gleichheit in allem Vergleich- baren als notwendig vorausgesetzt, so haben wir auch eine ur- sprüngliche gleichzeitige Verschiedenheit und eine fortschreitende Umbildung der Tiere anerkannt: so daß unsere Forschung nun dahin gerichtet sein muß, „die Grenzen beider, der anfänglichen Verschiedenheit wie der fortwährenden Verwandlungen zu er- messen“, weshalb wir vor allem das Verhältnis der organischen Geschöpfe zur Außenwelt zu erwägen haben.“ Hier ist zunächst auffällig, daß offenbar ein Zitat gegeben wird. (Die Grenzen beider — ermessen.) Woher es stammt, war mir nicht möglich festzustellen; doch zeigt es soviel, daß 1. die ursprüngliche gleichzeitige Verschiedenheit und 2. die fortschreitende Umbildung als zwei von- einander verschiedene Faktoren der naturphilosophischen Erklärung an- gesehen werden. „Inwieweit — so könnte man den Sinn wiedergeben — konmt die Verschiedenheit der Tiere auf Rechnung einer fortschreitenden Umbildung und inwieweit ist sie primär bereits gegeben? Die Ant- wort wird von Pander und d’Alton auf den folgenden Spalten in Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 695 recht verschnörkelter Weise gegeben, bis auf pag. 3, Spalte 2 das ver- hältnismäßig klare Resultat in dem schon oben vielfach wiedergegebenen Sinne auftritt: Ursprünglich gegeben ist eine Reihe von Differenzen, d. h. also ursprünglich vorhandene Organisationen mit Differenzen zwischen einander. Diese typisch verschiedenen Organisationen besitzen hinsichtlich ihrer Ernährung ein spezifisches Wahlvermögen. Die Ein- wirkung der Nahrung vor allem, dann die Einwirkung der Außenwelt. verändere die Neigungen der Tiere und hierdurch entstehe durch „Mittelglieder“ in notwendiger Folge die Ordnung der Geschlechter und Arten. Es sei dabei bemerkt, daß ich dieser seltsamen Vorstellung vom unmittelbaren Einfluß der Ernährung auf die Entstehung von sona- tischen und psychischen Verschiedenheiten in dieser Abhandlung nicht gedacht habe. Sie bildet noch einen besonderen Komplex innerhalb der Erklärungsprinzipien der damaligen Naturphilosophie. Sie taucht schon als uraltes Motiv in den ältesten naturphilosophischen Schriften der Griechen auf; (vgl. Heidel, Antecedents of Greek corpuseular Theories. Harward studies in elassical philology, Vol. XXIL, 1911) Blut z. B. war hiernach den Griechen eine Mischung von Wasser und erdigen Bestandteilen; und Wasser war nach der Bodenbeschaffenheit ver- schieden, wie es die Gewässer der Quellen und die Pflanzen zeigen, die durch die Nahrungsflüssigkeit ihre Verschiedenheit erwerben. Auch Tiere gestalten sich durch den Genuß bestimmter Nahrung um. Ihre Organe besitzen Wahlfähigkeit aus der ernährenden Flüssigkeit das Gleiche anzuziehen, während das ungleich Gewordene abströmt. — Diese Gedanken der Volksmedizin und Volksphysiologie wurden später von den Kosmogonisten übernommen, die den Kosmos leben ließen, wie einen Organismus. Hierdurch werden die kosmogonistischen Vor- stellungen von der Bedeutung des Wassers, der Mischung, der Poren, der Anathymiasis (Atmung) verständlicher. Auf welchen Wegen sie sich fortgepflanzt haben, vermag ich nicht zu sagen. Sie finden sich bei Geoffroy St. Hilaire in seinem Gesetz des „Soi pour Soi* in den Etudes progressives 1835 als wesentliches Prinzip für die Erklä- rung der Entstehung des Neuen durch Einwirkung der Umwelt. Wir können hier Halt machen; denn nicht der Verfolgung der verschlungenen Pfade naturphilosophischer Verworrenheiten war unsere Aufgabe, sondern die Erklärung eines uns bisher unerklärt erscheinenden Wortes Goethe’. Wir können nach dem Ausgeführten nun wohl sehen, daß es der Kenntnis der zeitgenössischen Vorstellungen bedarf, um jenen oben auf pag. 671 zitierten Satz zu erklären. Weder darf 696 Wilhelm Lubosch, man, wie geschehen, diesen Satz schlechthin im darwinistisch-lamarckisti- sehen Sinne umdeuten — noch darf man ihn, wie es Kohlbrugge tut, — als supranaturalistisch-mystisch abtun. Man muß ihn zunächst ein- mal verstehen; wie er zu beurteilen ist, ist dann eing weitere Frage. Zwei Schwierigkeiten haben sich nun dem Verständnis vor allem in den Weg gestellt. Die erste ist eine rein äußerliche; es ist das Semicolon, das scheinbar die Hauptgliederung des Satzes liefert. Dieser Schein wird noch verstärkt durch das „dagegen“, was unmittelbar folgt. Auf diese Interpunktion hatte sich Kossmann gestützt und war zu einer falschen Erklärung gelangt, indem er in der ersten Hälfte des Satzes die Typuslebre, im zweiten Teil die Metamorphosenlehre ausgedrückt sehen wollte, die zur ursprünglich gleichzeitigen Verschiedenheit und unauf- haltsam fortschreitenden Umbildung führe. Die zweite Schwierigkeit, deren Lösung Kossmann ebenfalls nicht gelungen ist, ist die, daß scheinbar die „Verschiedenheit der Gestalten“ im ersten Teil des Satzes, die „ursprüngliche gleichzeitige Verschiedenheit‘, und „die Umbildung“ im zweiten Teil — alles das Gleiche bedeuten — sei es, daß wir es mit Haeckel als trans- formistisch, oder mit anderen als ideell im Sinne der Metamorphose auffassen wollen. In Wirklichkeit sind es aber zweierlei, oder sogar dreierlei Dinge, die in Betracht kommen, nämlich 1. die Konstatie- rung, daß zwischen der Gestalt der Tiere und der Außenwelt eine andere Beziehung besteht, als zwischen der Gestalt der Tiere und der Grundlage aller Organisation; 2. der Hinweis auf die ursprünglich gleichzeitig gegebenen Differenzen im Sinne der simultanen Metamor- phose und 3. die echt lamarckistisch aufzufassende Umänderung dieser gegebenen Organisationen. Kossmann hat, indem er jede genetische Bedeutung aus dem Satze tilgen will, den Sinn nicht deuten können. Aber auch darin irrte er, daß er den Anfang rein idealistisch deuten wollte. Fragen wir wiederum: Wem liegt die Gemeinschaft zum Grunde? — so kennen wir jetzt die Antwort, nämlich: Der Ge- stalt der Tiere; und in Beziehung worauf besteht die Gemeinschaft? — so hatten wir gesehen, mit dem „Weltorganismus“, endlich worin besteht sie? —. so antworten wir: in den von der Reproduktionskraft abhängigen allgemeinsten Lebensfunktionen. Hier ist also eben gerade vom „Typus“ nicht die Rede, wie Kossmann geglaubt hatte; es ist überhaupt nichts Morphologisches, woran hier gedacht wird, wie es fälschlich aueh in Haeckel's Formulierung (eine ..... Gemeinschaft liegt aller Organisation zugrunde) zum Ausdruck kommt. Es ist viel- mehr die lediglich dynamische, funktionelle, physiologische Einheit der Uber Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 697 sich äußernden Reproduktionskraft, die alle Organismen vereinigt und kontinuierlich voneinander abstammen läßt (s. oben pag. 689) und nur insofern liegt eine realgenetische Auffassung vor. Wir können also zusammenfassend nunmehr den Goethe’schen Satz interpretieren. Wir werden dazu die Hauptgliederung an die Stelle setzen, wo es heißt „und man darf daher“. Dann haben wir zwei Glieder, deren jedes aus zwei Positionen besteht. Die zwei Positionen des ersten Gliedes sagen aus, was wir an jeder individuellen Gestalt zu unterscheiden haben, gleichsam den Befund, nämlich etwas ihr mit allen Gestalten Gemeinsames und etwas ihr allein Eigenes (Materie und Form). Im zweiten Gliede folgt dann gleichsam die Deutung des Befundes, wiederum aus zwei Positionen bestehend, von denen die erste das primär (idealistisch) Gegebene, die zweite das sekundär Ge- wordene (lamarckistisch) unterscheidet. So würde also der berühmte Goethe’sche Satz lauten: Eine innere und ursprüngliche Gemeinschaft aller Organisation [mit dem Weltorganismus] liegt [allen individuellen Gestalten] zum Grunde; die Verschiedenheit der Gestalten dagegen entspringt aus ‘den notwendigen Beziehungsverhältnissen zur Außenwelt. — (und) Man darf daher eine [durch simultane Metamorphose entstanden gedachte] ursprüngliche [und] gleichzeitig (e) [vorhandene] Ver- schiedenheit und eine unaufhaltsam fortschreitende Umbildung mit Recht annehmen, um die ebenso konstanten [durch Verwandtschaft von den ursprünglich vorhandenen Verschiedenheiten her] als [durch die Eiuwirkung der Außenwelt und die Neigungen der Tiere her- vorgerufenen] abweichenden Erscheinungen begreifen zu können. Hierbei ist alles zur Ergänzung und Erklärung eingefügte in [] eckige, das aus dem Goethe’schen Text Ausgeschiedene in () runde Klam- mern gesetzt. Hiermit ist nicht nur die Goethe’sche Stelle erklärt, sondern darüber hinaus auch nachgewiesen, worin im Grunde das Un- harmonische dieser Beurteilung beruht. Nehmen wir die Fassung im Werke von Pander und d’Alton zum Ausgang, so liegt das uns Unbefriedigende weniger in den natur- philosophischen Gedanken selbst, als in ihrer Verquickung mit dem genetischen Prinzip. Denn sowohl die erste Position als die vierte ist genetisch gedacht und zwar die erste in dem vagen Sinne der Schel- ling’schen Philosophie von der Weltseele, die letzte im Sinne der Lamarck’schen Philosophie zoologique. Die zweite und dritte Po- sition dagegen ist im Sinne der Typuslehre Goethe’s und Geoffroy’s gedacht und das Ganze dadurch zu einem Monstrum von „Erklärung“ 698 Wilhelm Lubosch, geworden. Sie ist ein Musterbeispiel für die falsche Naturerklärung, die dureh Kant schon für die damalige Zeit und durch Schopen- hauer weiterhin für spätere Zeiten unmöglich gemacht worden ist, wonach die Physik der Natur und die Metaphysik der Natur zwei gänz- lich voneinander getrennte Gebiete zu bilden haben; oder, wie es Schopenhauer ausdrückt: „die Ätiologie der Natur und die Philosophie der Natur tun einander nie Abbruch, sondern gehen nebeneinander her, denselben Gegenstand aus verschiedenem Gesichtspunkt betrachtend.* Diese Grenze verwischt zu haben, kann man der Naturphilosophie jener Zeit nicht etwa grundsätzlich zum Vorwurf machen, unbeschadet von Verstößen im einzelnen, wie etwa in den Alterswerken Geoffroy’s. Wofern die Naturphilosophie nämlich konsequent in ihrem idealistischen Deutungsprinzip blieb, also nicht ins realgenetische Gebiet hinüber- trat, ist sie uns nur unverständlich, nicht falsch. Denn mit Recht sagt Spemann (1915, pag. 67), daß jener Zeit nicht etwa das „erlösende Wort“ gefehlt habe, um Deszendenz und reale Umbildung der Formen anzunehmen; nahezu alle Materalien dazu waren vorhanden, aber die Art zu denken, war eine uns kaum noch begreifliche. Oder wie es Goethe dem Famulus Wagner durch Faust eröffnen läßt: „Die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.“ Wohl aber kann man einem Werke, wie dem hier besprochenen, diesen Vorwurf machen. Die Grenzüberschreitung liegt zunächst schon auf dem engeren genetischen Gebiet. Lassen wir einmal den La- marckismus als „Ätiologie“ der Natur gelten (was er damals noch weniger, als in seiner heutigen Form ist), so ist zweifellos die Urzeugung und die Entstehung der Urformen für die einzelnen Klassen und Gat- tungen von „Zoophyten“ aus, die die Verfasser von Treviranus herüber- nehmen, keine Ätiologie mehr. Vor allem aber wird der Typus und die Metamorphose in die ganze Deutung hineingezogen und diese ledig- lich geistig angeschauten Zustände (Typus) und Veränderungen (Meta- morphose) in Verbindung mit realer Umbildung und Abstammung ge- bracht. Wenn Kant, Linn& und andere die Schöpfung bis zu den Arten hinunterreichen lassen und nur Rassenbildungen innerhalb der Art annehmen, so ist das konsequent; wenn aber Pander und d’Alton Schöpfungen von Urbildern annehnen und diesen Klasseu- oder Ord- nungs- oder Gattungscharakter beilegen, um daneben dann Inkonstanz der Art als allgemeines Prinzip zu lehren, so ist das für unser Urteil eine unerträgliche Verirrung. Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiese. 699 Schluß. Wie steht nun Goethe’s Naturauffassung dazu? Wir haben zwar die Erklärung des Wortsinnes der Stelle aus ihrer Quelle heraus versucht, aber bezeichnend ist es, daß Goethe das eigentlich störende Element, nämlich den Lamarckismus, in seiner Rezension ebensowenig erwähnt, wie er ihn an dieser Stelle etwa besonders betont. Wie die ganze Stelle hier lautet, bietet sie zwar Dunkelheiten, aber wenn wir die „innere und ursprüngliche Gemeinschaft aller Organisation, die zum Grunde liegt“, erst einmal interpretiert haben, so entspricht sie im wesentlichen dem Standpunkt, den Goethe in der Morphologie über- haupt stets eingenommen hat. Grade die „unaufhaltsam fortschreitende Umbildung“ ist in dem Zusammenhang, in dem die ganze Stelle bei Goethe steht, keineswegs mehr so zwingend lamarckistisch, wie im Original bei Pander und d’Alton. Denn die Umbildungen, die Goethe in seiuer Rezension „das Nagetier“ erleiden läßt, sind alles andere eher, als real gedachte, auseinander abgeleitete Stufen einer sich ändernden Organisation. Insofern ist die ganze Stelle bei Goethe völlig im Geiste seiner idealistischen Betrachtung der Natur geblieben; und wenn sie auch nicht homogen ist, so enthält sie doch keine störennde Grenzüberschreitung, da sie den Ausdruck der „unaufhaltsam fort- schreitenden Umbildung“ für den Kenner des Originals nicht im Sinne des Originals, jedenfalls nicht klar und eindeutig in diesem Sinne verwendet. Indem Kossmann nur die Goethe’sche Rezension allein ins Auge faßte, ohne auf die rezensierte Schrift selbst zurückzugehen, ist es erklärlich, daß er den offenbaren Doppelsinn der Stelle verkannte und sie rein idealistisch-evolutionistisch deutete. Andererseits würden wir keinen Anlaß haben, Kohlbrugge zu widersprechen, wenn er sich auf die Feststellung dieser Tatsache beschränkt und versucht hätte, sie aus dem ganzen Wesen Goethes als notwendig zu erklären. Keine böswillige Unterdrückung oder gleichgültige Ablehung des la- marckistischen Prinzipes lag hierin. Wie hätte er sonst wohl gerade diesen Satz zitieren können, der ihn — um in Kohlbrugge’s Ge- dankenrichtung zu bleiben — verraten mußte! Der Lamarckismus bedeutete für ihn aber niemals etwas, er hätte nach seiner Denkweise kaum einen Sinn damit verbinden können. So las er aus der Original- schrift eigentlich etwas ganz anderes heraus, als was darin steht; denn vom Gebilde des Nagetiers, das hin- und herschwankt und durch die Elemente zum Biber, zur Springmaus, zum Eichhörnchen wird, steht bei Pander und d’Alton nichts, So hat er auch diesen Satz von den 700 Wilhelm Lubosch, Umwandlungen in seinem Sinne verstanden, freilich ohne verhindern zu können, daß grade dadurch das Element, das ihm sonst fremd war, in seine Definition hineingekommen ist. Es wäre verlockend, von hier aus auf die’auch heute noch nicht eindeutig entschiedene Frage einzugehen, wie Goethe die Beziehungen der Organismen zueinander aufgefaßt hat. Wie sehr man darüber zweierlei Ansicht sein kann, lehrt ein belangreiches Beispiel. Ein Jahr nach dem Erscheinen der Rezension Goethe’s erschien eine Disser- tation von Volborth (1825), in der Pander und d’Alton’s An- siehten über die Umwandlung der Tiere als irrtümlich bezeichnet wurden. Als Motto hatte er seiner Dissertation aber Goethe's Zeilen voran- gesetzt: „Alle Gestalten sind ähnlich“ usw. Dieses Wort, in dem man also damals alles andere eher, als transformistische Gedanken aus- gedrückt sehen wollte, wurde ja in späteren Zeiten vielfach gerade als reiner Ausdruck darwinistischer Ideeen aufgefaßt. Ich möchte es aber hier an den gegebenen kurzen Andeutungen genügen lassen, um so eher, als eine Untersuchung, die ich dieser Frage gewidmet habe, unter Berücksichtigung der umfangreichen, bis zur egenwart, reichenden Literatur in anderem Zusammenhange in hoffentlich nicht zu ferner Zeit vorgelegt werden kann. Würzburg, 9. April 1918. Literatur. 1817. Pander, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei. Würzburg. 1821. D’Alton, Das Riesenfaultier Bradypus giganteus, abgebildet, beschrieben und mit den verwandten Geschlechtern verglichen. Bonn, 7 Tafeln. Ders., Die Skelette der Pachydermen, abgebildet, beschrieben und verglichen. 12 Tafeln. Ders., Die Skelette der Raubtiere. abgebildet und verglichen. 8 Tafeln. Ders., Die Skelette der Wiederkäuer, abgebildet und verglichen. 8 Tafeln. Pander und D’Alton, Die Skelette der Nagetiere I, abgebildet und ver- glichen. 8 Tafeln. 1821. 1822. 1823. 1823, 1823. Dies., Allgemeine Bemerkungen über die Einwirkung äußerer Einflüsse auf die organische Entwicklung der Tiere. 1823. 1824, 1825. Dies, Die Skelette der Nagetiere II, abgebildet und verglichen. 10 Tafeln. Dies, Die Skelette der Vierhänder, abgebildet und verglichen. 8 Tafeln Dies., Die Skelette der zahnlosen Tiere, abgebildet und verglichen. 8 Tafeln. 1749. 1786. 1790. 1798. 1795. 1802. 1809. 1815. 1817. 1818. 1824. 1825. 1830. 1831 1832. 1835 1841 1855. 1871 1874. 1875. 1877. 1882 1897. 1911. Heidel. Autecedents of Greek corpuscular Theories. Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie der Säugetiere. 701 Buffon, Oeuvres eompletes (Nouvelle &dition, Paris 1825. Die Ausgabe von 1749—1788, nach der meist zitiert wird, habe ich nicht erhalten können). Vicq d’Azyr, Oeuvres ete., Tome IV (Zahl des Bandes auf dem gebundenen Exemplar „V“. Premiöre Section: Diseours sur ’Anatomie. Paris 1805. Kant, Kritik der Urteilskraft. Hrsg. mit einer Einl. vers. usw. von Dr. Karl Vorländer, 3. Aufl. Leipzig 1902. Schelling, Von der Weltseele. Hamburg, Perthes. Erasmus Darwin, Zoonomie oder Gesetze des organischen Lebens (in 5 Abteilungen). 2. Abteil. Deutsch von Brandis. Hannover. Treviranus, Biologie oder Philosophie der lebenden Natur. 6 Bände, Göttingen. Lamarck, Philosophie zoologique. — Nouvelle Edition pdr Charles Martins. 2 Bände. Paris 1873. Blumenbach, Handbnch der vergleichenden Anatomie, 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Göttingen. F. S. Voigt, Grundzüge der Naturgeschichte als Geschichte der Entstehung und weiteren Ausbildung der Naturkörper. Frankfurt a. M., Brömmer. E. Geoffroy St. Hilaire, Philosophic anatomique ete. Paris. Goethe, Die Skelette der Nagetiere. Weimarer Ausgabe. Il. Abt., Bd. VII, pag. 246. Volborth, De Bobus uro, arni et caffre. Dissert. inaug. zootom. Berolini. Geoffroy St. Hilaire, Principes de Philosophie zoologique. Paris. Ders., Sur le degr& d’influence du monde ambiant pour modifier les formes animales ete. M&moires de l’Acad. des Sciences, Bd. XII. Jahrgang- nummer des Bandes 1833. Cuvier, Eloge de M. de Lamarck. Ibid., Bd. XII, pag. I-XXXI Jahr- gangnummer 1835. . Geoffroy St. Hilaire, Etudes progressives d'un naturaliste. Paris. Walther, Rede zum Andenken an Ignaz Döllinger. München. Oscar Schmidt, Die Entwicklung der vergleichenden Anatomie. Jena, Frommann. Ders., War Goethe ein Darwinianer? Gratz. E. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, 5. Aufl. Waideyer, Über Karl Ernst v. Baer und seine Bedeutung für die Natur- wissenschaft. Rede auf der 50. Vers. deutsch. Naturf. u. Ärzte München. Amtl. Bericht. Kossmann, War Goethe ein Mitbegründer der Deszendenztheorie? Heidelberg. . E. Haeckel, Die Naturanschauung von Darwin, Goethe und Lamarck. Vor- trag auf der 55. Vers. deutscher Naturf. u. Ärzte Eisenach. v. Baer, Lebensgeschichte Cuvier’s, herausgeg. von L. Stieda, Archiv für Anthropologie, Bd. XXIV. Harward Studies in elassieal philology, Vol. XXIE 1912. Max Rauther, Über den Begriff der Verwandtschaft. Kritische und histo- rische Betrachtung. Zool. Jahrb. Festschrift für Spengel. Wilhelm Lubosch, Über Pander und D’Altons Vergleichende Osteologie usw. Keblbrugge, Historisch - kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Würzburg, Kabitzsch. L. Plate, Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. Leipzig, Engel- mann. Lubosch, Über den Würzburger Anatomen Ignaz Döllinger, eingeleitet und abgeschlossen durch Erörterungen über Schopenhauers Evolutionismus. IV. Jahrb. der Schopenhauergeselischaft. . Spemann, Zur Geschichte und Kritik des Begriffes der Homologie. Allgem. Biologie in „Kultur der Gegenwart“, 3. Teil. Leipzig, Reclam. Urlichs, Artikel „d’Alton“ in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Stieda, Artikel „Pander“. Ebenda. Subfossile Flechten. Von Ratger Sernander. {Mit 7 Abbildungen im Text.) Von der Entstehungsweise der außerordentlich interessanten bio- logischen Gruppe, die die Flechten unter den Askomyzeten bilden, wissen wir äußerst wenig. Und leider scheinen auch nicht große Aus- sichten vorhanden zu sein, auf dem direkt historischen Wege, d. h. durch die paläontologischen Denkmäler, sei es hierüber, sei es über die allgemeine Rolle der Flechten in der vorzeitigen Pflanzenwelt ge- naue Aufschlüsse zu gewinnen, Sowohl Phytopaläontologen als auch Lichenologen pflegen dies als eine Tatsache darzustellen. So sagt Schenk 1869 in seiner bekannten kritischen Behand- lung: „Die fossilen Pflanzenreste“, pag. 16, nur: „Von... den Flechten... sind aus dem Tertiär einige wenige Reste beschrieben, zum Teil aller- dings sehr problematischer Natur“, und in Zittel’s Handbuch desselben Jahres geben Schimper-Schenk folgende Zusammenfassung der bis dahin bekanntgewordenen Funde: „Von fossilen Flechten sind nur äußerst wenige Spuren aus’ der Tertiärzeit bekannt, aus älteren Epochen gar keine. Die weniger tertiären Flechtenreste rühren entweder von Laub- oder Astflechten her und sind im Bernstein eingeschlossen (Parmelia, Sphaerophoron, Cladonia, Ramalina, Cornicularia)‘), oder es sind den Baumrinden in den Ligniten aufsitzende Krustenflechten (Graphis, Opegrapha, Lecidea, Pyrenula). Eine Artbestimmung dieser meistens sehr fragmentarischen Überreste ist kaum zulässig. In der Braunkohle der Wetterau ist neuerdings von Dr. Geyler eine mit Apothecien versehene Parmelia aufgefunden worden, welche an P. saxatilis oder P. conspersa erinnert.“ Fünfstück (pag. 49) verhält sich als Lichenolog besonders gegen die Bernsteinfunde sehr skeptisch, indem er sich auf Krempelhuber 1867, pag. 431 —432 stützend, sagt: „An fossilen Flechten sind nur 1) S. Göppert, Über die Bernsteinflora. 704 Rutger Sernander, einige wenige Reste bekannt: Ramalinites lacerus (Braun) und Verrucarites geonthracis (Göppert) aus der obersten Abteilung der Triasformation, eine Opegrapha aus der Kreide bei Aix la Chapelle.* Unter den Lichenologen betrachtet nur Lindsay sowohl die schon entdeckten wie die noch zu erwartenden Funde fossiler Flechten optimistiseher, und doch scheint er nicht Göppert’s Bernsteinarbeiten zu kennen. Er scheut sich nicht, einige Funde aus älteren Perioden (z. B. Dawson’s aus „the Laurentian period“ und Brogniart’s aus dem Karbon) gutzuheißen, deren Flechtennatur man heutzutage wohl kaum wird unangefochten lassen, und sagt (pag. 160): „Considering that, as was pointed out by Brogniart, Fossil Algae and Fungi occur in tbe Carboniferous Flora, and considering, moreover, how much more likely it is that Lichens should be preserved in tbe fossil state than perishable Algae and Fungi, it is not a little remarkable that the oceu- rence of Fossil Lichens at all is scarcely realised by palaeontologists.“ Ich lasse es dahingestellt, ob man nicht eigentlich den Bernstein- funden Göppert’s) einen viel größeren Wert beimessen müßte; jeden- falls sind, auch wenn man diesen bemerkenswerten Bestand mitzählt, die bisherigen Funde der älteren Formationen schlecht und gering an der Zahl. Der bekannteste der bisherigen außerordentlich seltenen sub- fossilen, d. h. quartären Flechtenfunde scheint der von Cladina rangiferina (L.}koll. in der Kulturschicht von Schussenried in Schwaben aus der La Madeleinezeit zu sein, der schon 1866 von Keller an das Athenaeum berichtet wurde. Welche Kenntnis besitzen wir von der Fossilifizierungsfähigkeit der rezenten Flechtenvegetation, und steht dieselbe zu der ausge- sprochenen Armut der bekannten fossilen in Beziehung? Sehimper ist der Ansicht, daß die Hauptursache, wesbalb Flechten nicht fossil erhalten bleiben, in der Tatsache zu suchen sei, daß sie in so geringem Umfange von Bäumen und Steinen herunter- fallen. Er sagt hierüber 1869, pag. 145: „Si Yon ne rencontre pas de Lichens fossiles dans les depöts qui renferment d’autres vegetaux terrestres, e’est probablement pas la möme raison qui a empöche la conservation des plantes herbacdes. Les Lichens sont fix&s sur leur substratum et ne se detachent pas p6riodiquement 1) Leider sind nur wenige derselben abgebildet, und eine dieser Abbildungen {Göppert und Behrendt 1845, Tab. VI, Fig. 22) stellt sogar keine fossile Flechte dar, sondern ist eine Umzeichnung von Meyer’s erster Tafel: der oberste „Corni- eularia Janata“-Ast von Parmelia stygia. Subfossile Flechten. 705 comme les feuilles des arbres. Si l’on examine les feuilles qui couvrent. en automne le sol d’une foröst, ou qui, extrainees par le vent ou des Cours d’eau, out &t& jetdes dans des &tangs et des lacs ou elles ne sont ensevelies sous la vase, on n’y trouvera que trös-aceidentellement möles des fragments de Lichens.“ Jedenfalls erwähnt Schimper hier einen wichtigen Grund für die Seltenheit der fossilen Flechten. Aber er unterschätzt offenbar die Menge der Strauch- und Laubflechten, die der Trift unterworfen werden. Wie ich in meiner Verbreitungsbiologie nachgewiesen habe, sind die- selben jedoch sehr zahlreich, teils in gewissen Arten der Windtrift, teils in der lokalen Meerestrift. Nach einem Piatzregen kann z. B. der Boden gewisser Waldtypen voll von epiphytischen Strauchflechten sein, und für eine Menge Arten, z. B. Alectoria jubata (L.), A. sarmentosa (Ach.), Ramalina retieulata (Krplhbr.) unter den Rindenflechten, und Cladinae, Cetrariae usw. unter den Bodenflechten erfolgt die Ausbreitung zum durchaus überwiegenden Teile durch Fragmentation, d. h. größere oder kleinere Stücke des Thallus treiben als Trift umher. Die ausschlaggebende Ursache der Seltenheit fossiler Flechten ist wohl doch ihre mangelhafte Widerstandsfähigkeit gegen Zerfallen und - Verfaulen, was ja auch Schimper (a. a. O. pag. 145) erwähnt: „Une autre cause qui peut encore en partie expliquer leur ab- sence, c’est que, ainsi que leurs proches parents les Champignons, ces plantes, unigement form6es de cellules, ne r6sistent pas & la d&com- position et sont detruites avant que la vase on le sable qui les recouvre sous les eaux oü elles ont &t& charrises, soit assez durci pour en con- server l’empreinte.” . Soweit sich meine Erfahrung aus der nordischen Natur erstreckt, zerfallen und verfaulen denn auch die allermeisten, wenn auch nicht alle Flechten nach dem Tode sehr schnell. Ich nehme als Beispiel Aleetoria jubata (L.) (schwedisch: man- lav) und ihr Verhalten in den Nadelwäldern von Nordschweden. Sie bedeckt hier gewaltige Gebiete mit ihrem schwarzen Mantel. Linn@’s berühmte „sylva atra” ist ein solches von dieser Mähnenflechte ein- gehülltes pinetum cladinosum. In seiner Flora lapponica, pag. 346 beschreibt er diesen Wald folgendermaßen: „Est sylva vasta, quae undique distinguit Lapponiam sylvestrem ab adjacentibus provineiis, in qua varo vel rarius habitant aliqui homi- nes, et haec sylva constat terra sterilissima, tecta niveo isto Lichene rangiferino et obsita densis arboribus, e quibus dependet hic barbatus nigerque Lichen. Cum prima vice intrerem Lapponum regionem et Flora. Ba. ill. 45 706 Rutger Sernander, pervenerim ad sylvas hasce atras, atras ob densitatem arborum, magis atras vero ob barbas istas nigras, quibus quasi tegebantur, et adhuc magis speciosas ob terram substratam Lichene albo nivis instar tectam, fere obstupui facile intelligens me longe aliam, quam cui adsuetus eram, intraturum terram.” Einem Fremden ist es nicht leicht möglich, sich eine Vorstellung von der Quantität dieser Alectoria-Festons zu machen. Bei Sturm, in oder nach regnerischem oder feuchten Wetter zerreißt das bei An- feuchtung spröde Sprossensystem der Alectoria in Fetzen, die nicht nur von Baum zu Baum fliegen (Sernander 1901, pag. 113), sondern auch haufenweise zu Boden fallen. Es ist aber auffällig, wie schnell sie hier verschwinden, und ein Stückchen tiefer im Moos- und Flechten- teppieh sieht man keine Spur von ihnen. Diese Vergänglichkeit der Flechten sieht man am deutlichsten bei der Abholzung. Nach einem Wintertrieb in einem flechtenreichen Walde ist alles ganz schwarzbraun von der die am Boden liegenden kleinen Zweige und Triebe bedeckenden Alectoris. Wann die Alec- toria wegen veränderter Lebensbedingungen stirbt und der Zerfall also beginnen kann, weiß ich nicht, aber in Anbetracht der Tatsache, daß Jumelie (Fünfstück, pag. 38) bei gewissen Flechten eine etwa 3 Monate dauernde Resistenz gegen einen schädlichen Faktor, den des Ausdörrens, festgestellt bat, wird wohl der Tod eintreten, sobald diese Frist nach dem Holzschlag verstriehen ist. Schon im Herbst ist jedoch Alectoria nicht nur vollständig tot, sondern auch großenteils aschgrau und zerfällt bei Berührung in kleine Stückchen. Im nächsten Sommer ist sie verschwunden. Im Wasser halten sich Stücke der Strauch- und Laubflechten ge- wöhnlich so lange schwimmend, bis sie gelatinös werden und äußerst leicht zerfließen. Und wenn sie in wiedererkennbarem Zustande wirk- lich in die Bodenablagerungen gelangen sollten, droht ihnen eine schnell verlaufende Dekomposition. Von den an Rinden auftretenden Krusten- flechten werde ich später reden. Die Voraussetzung (dafür, daß Flechten — wir sprechen hier nicht von Krustenflechten an Rinde — mit der Trift in erkennbarem Zu- stande in unsere Sedimente gelangen sollten, ist daher sehr gering. Es bleibt also noch übrig, ihre Rolle in sedentären Gebilden zu erforschen. In den Kalkschlamın, der später zu Kalktuff erstarrt, müßten mit dem Winde oder durch fließendes Gewässer von den umstehenden Bäumen Flechten gelangen und Abdrücke hinterlassen können, wenn Subfossile Flechten 707 die Bildung der Ablagerungen, was ich (Sernander, Svenska kalk- tuffer) in vielen Fällen nachgewiesen habe, einigermaßen schnell ver- läuft. Leider hat man in der Gegenwart, wenigstens im Norden, so äußerst selten Gelegenheit, den Kalktuff in der Entstehung zu beob- achten. Und über die Möglichkeit, daß sich Flechten aus der Mutter- formation der organogenen Kalktuffe als Fossilien einbetteten, können wir uns aus demselben Grunde in diesem Zusammenhange nicht äußern. Über den Bernstein als Umhüller von Flechten müssen ja die Härzflüsse unserer Nadelwälder einige Winke geben können. Ein direkt positives Zeugnis ist folgender Ausspruch von Conwentz, pag. 100: . „Im Kindaer Revier in Östergötland war ein Fichtenstamm durch Baum- schlag verletzt und zeigte infolgedessen starken Harzfluß. An mehreren Stellen hatten sich schlaubenähnliche Stücke gebildet, und in einem derselben bemerkte ich folgende Pflanzenreste, welche zum Teil oder auch ganz von Harz umgeben waren: Nadeln von Picea excelsa Lk. Nadeln und männliche Blüten von Pinus silvestris L, ferner Blätter von Vacceinium Myrtillus L. und von Betula, sowie mehrere Laub- moose und Liehenen“ Erhalten sich Flechten in dem Rohhumus und den Torf- schichten der Jetztzeit? Es ist, wie schon angedeutet, auffallend, ‘wie schnell Flechten aus der Förna!) verschwinden, die allmählich zur Humus- eventuell zur Rohhumusschicht wird. Im Rohhumus, in dem unterirdische Pflanzen- organe und Moose einen großen Bestandteil bilden, findet man nie Reste von Flechten. Nur unter reinen alten Beständen dichter und hoher Laubflechten, wie Cetraria islandieca (L.) v. platyna (Ach.), Cladina rangiferina (L.), Cl. alpestris (L.) und einigen anderen kann man eine einige Zentimeter mächtige Rohhumus- oder Firna-Schicht aus gelatinösen Stückchen sukzessive absterbender Basalteile dieser. Flechten gebildet finden. Über die Erscheinungen im Torf werde ich gleich sprechen. * * * - Im folgenden bespreche ich einige Funde subfossiler Flechten aus postglazialen Ablagerungen des Nordens, zunächst um zu zeigen, daß die Flechten tatsächlich in größerem Umfange, als man bisher ange-. nommen ‚hat, fossil werden können, und dann aber auch, um darauf aufmerksam zu machen, wo solche Funde zu suchen und welche bio- logischen und systematischen Gruppen zu erwarten sind. 1) Vgl. Sernander 1918, Pflanzenteile. 5 4 * 708 Rutger Sernander, Cladina rangiferina (L.). In der Entwicklung. der oligotrophen Assoziationen unserer Hoch- moore findet ein eigentümlicher Prozeß von durchgreifender Bedeutung statt, den ich aufgedeckt und Regeneration (Sernander 1909, L. von Post und Sernander 1910) benannt habe. Die progressive, von kräftiger Torfbildung begleitete Entwicklung schließt mit einer durch Calluna und Strauchflechten ausgezeichneten Heide ab, Unter derselben hört die Zunahme des Torfs auf. Doch wird dieses Klimaxstadium nicht auf größeren zusammenhängenden Flächen überall gleichzeitig erreicht. Zerstreute Partien fahren fort, durch Torfbildung in die Höhe zu steigen. Infolgedessen werden dieselben gewisse Heide- partien umschließen, die jetzt, nachdem sie früher aus der Umgebung emporragende Bulten gewesen sind, in Vertiefungen, Schlenken, verwandelt werden; diese werden sich nun wegen der minimalen Durchlässigkeit des Sphagnum-Torfs mit Regen- und Schmelzwasser füllen, und dieses tötet die Reiser und Flechten der Heidevegetation, an deren Stelle nun torfbildende Sphagneta hineingelangen. Es ist dies die Regeneration, die jetzt eintritt. Diese Sphagneta ent- wickeln sieh progressiv, bis das Heidestadium wieder erreicht ist. In- folge des Zuwachses der benachbarten Bulten verwandeln sie sich, wenn ihre Zeit kommt, wieder in Schlenken; diese regenerieren, und somit verläuft die Entwicklung im Kreise. Als Folge dieser Entwicklung wird der Hochmoortorf eine linsenförmige Struktur, nämlich von Sphagnum-Torflinsen, aufweisen, die durch Heidetorfränder vonein- ander getrennt. sind. So bestehen dichte, reine Bestände von Cladina rangiferina als charakteristische Elemente in diesen Heidemooren. Es ist eine augenfällige von Elias Fries (1826, pag. 22) aus den smäländischen Torfmooren unter dem Namen f. stygia beschriebene Modifikation, die sich durch äußerst grobe und lange Sprossen auszeichnet, welche ihr Vitalitätsmaximum erreichen, wenn sich die Schlenken als solche zu entwickeln beginnen. Ich habe in den Moorschlenken von Südwest- Närike (Sernander 1907, pag. 150, woselbst ich die Morphologie und Anatomie dieser Modifikation beschrieben) lebende Sprossenachsen von 42 cm Länge gemessen. Der Cladina-Bestand dringt nach unten in einen Rohhumus von einigen Zentimetern Mächtigkeit, bestehend aus mit den Muttersprossen zusammenhängenden toten Partien und losen Sprossenstückchen: „inferne mortifieato-atram alboguttatam usque dum in torfam abeat“ (Fries, a. a. O,). Sobald die Schlenken eine gewisse Tiefe erreicht haben, sinkt jedoch der Cladina-Bestand in dem sich Subfossile Flechten. 09 immer mehr ansammelnden Wasser in sich zusammen, wozu auch noch der Schneedruck kommt. Sie werden nun von torfbildenden Sphag- meta bedeckt, und die Cladina-Reste werden als lokale Entwicklungs- form des zwei Schlenkentorflinsen voneinander trennenden Heidetorfs daliegen. Diese Cladina rangiferina-Reste, einen Cladina-Torf möchte man sagen, habe ich subfossil, wenn auch nicht in besonders alten Schichten, gefunden. Sie sind nämlich in subatlantischem Sphag- num-Torf gar nicht so selten. Schon im Sommer 1905, als ich als Fig. 1. Schnitt durch subatlantischen regenerativen Sphagnum-Torf aus dem Vidfasta-Moore, Närke, — a) Progressiver Sphagnum-Torf, in den schon Cla- dina rangiferina (L.) hineingekommen ist. b) Heide-Torf als reiner Cladina- Torf ausgebildet. c) Progressiver Sphagnum-Torf, aus der Schlenke, die oben aus dem Cladina-Torf entstanden ist, ausgebildet. — Vergr. 1:1. Inga Öhrwall feto. Leiter der Torfmoorkommission des Schwedischen Geologischen Unter- suchungsdepartements Gelegenheit hatte, den Verlauf der Regeneration zu ermitteln, fand ich — und E. Haglund — diese Erscheinung im Mosjömoor, Närike, und später in den Mooren der Umgegend von Porla, Närike, sowie im Moor Örsmossen, Uppland, und Stormossen, Edhem, Västergötland (Sernander 1908, pag. 212). Fig. 1 zeigt eine schöne Linse aus dem Vidfastmoor bei Porla. Die Cladina-Fragmente können ein Paar Zentimeter lang sein und sind ganz kohlschwarz. Was erhalten ist, das ist der dichte innere Medullarzylinder. Die nach derselben Seite gekehrten Podetienspitzen, 710 Rutger Sernander, die Dicke der Sprossen usw. beweisen, daß hier Cladina rangi- ferina vorliegt. Cetraria islandica (L.) Ach. v. platyna (Ach). Auch die Isländerflechte kann in derselben Weise wie die Renn- tierflechte erhalten bleiben, obgleich ich sie bisher nur subrezent ge- funden habe. In dem Heidemoor des Högmossen (Närke, Borla, 29. Juni 1909) hatte ein großer Bestand von Cetrariaislandica v. platyna folgende Erscheinungen aufzuweisen: der Bestand war sehr ‘dicht. üppig und hoch gewachsen. Im Inneren desselben fanden sich abgestorbene Reste von Calluna, Cladina rangiferina und Oxycoccus, welche die Cetraria bei ihrer Verbreitung getötet hatte; vereinzelte lebende Cladinae durchbrechen den Bestand, und im Inneren desselben er- blickte man vereinzelte Sprossen von Oxycoccus. Unter dem Be- stande lag eine sehr weiche Masse von zerteilten Cetrariae in weißen — blaßbraunen, 1—5 mm langen Sprossenstückehen mit spärlichen Hapteren. Das Ganze ruhte auf Sphagnum-Calluna-Torf. Der Bestand lag jetzt tiefer als das umgebende Heidemoor, das also Zeit gehabt, höher zu wachsen, als der wegen der allmählichen Zersetzung der darunterliegenden Partie auf demselben Standpunkt ge- bliebene und als Schlenkenbildner dienende Cetraria-Bestand. Die Natur der Schlenke als Sammlerin von Wasser und Schnee begann jetzt auch auf den Centraria-Bestand ihren Einfluß zu üben, und an einem Punkte war derselbe denn auch unregelmäßig ganz durcheinanderge- worfen. Über einer solchen Partie hatte die Regeneration von Sphag- num balticum Russer und Sph. rubellum Will. eingesetzt. Unter der 10 cm mächtigen Sphagnum-Decke lag eine 4 cm dicke Masse von derselben Struktur und Zusammensetzung, wie sie der da- nebenliegende eben beschriebene Cetraria-Rohhumus besaß. Peltigera canina (L.. In einem Aufsatze über die jämtländischen Kalktuffe 1890 konnte ich den ersten Fund einer Flechte aus dem Quartär von Nordeuropa melden: Peltigera canina!) aus dem Filstaer Kalktuffen, einer, wie 1) Es liegt jedoch die Möglichkeit vor, daß wir es mit Peltigera sca- brosa Th. Fr. zu tun haben. Die Oberfläche des Abdrucks ist nämlich sozusagen ebagriniert. Um nach Kollodiumabdrücken entscheiden zu können, ob diese Cha- grinierung durch die eigentümlichen Wucherungen an der Oberfläche der P. sca- brosa verursacht sind, ist jedoch die Kalktuffsubstanz zu grobkörnig. Ba Zu u Subfossile Flechten. 711 ich später gezeigt habe, atlantischen Bildung. Es war ein schöner und gut erhaltener Abdruck der Oberseite eines Thalluslappens (Fig. 2) in der als Amblystegium-Tuff ausgebildeten Bodenschicht; später habe ich in derselben einen großen Bestand von Amblyste- gium turgescens (P. Jens.) Lindb. inkrustiert gefunden (Ser- nander 1916, Taf. IV). Offenbar hatte Peltigera in dem Ambily- stegium-Sumpf gelebt, der unmittelbar nach dem Zurückweichen des Eissees den Uferkies bedeckte. ' Bald darauf machte man einen ähnlichen Fund in einem norwegischen Kalktuff. Bei Leine in Gudbrandsdalen fand Blytt (1892) den Thalluslappen einer Peltigera canina in einer Kalk- tuffschieht von einer Flora, deren charakteristisches Fossil die Kiefer ist. Wahrscheinlich ist sie auch hier sedentär, und in der Boden- schicht ihrer Muttergesellschaft hat man Veranlassung, Hypnum Fig.3. Abdruck der Unter- seite eines Thalluslappens Fig. 2. Abdruck der Oberseite eines Thal- von Peltigera canina Iuslappens von Poltigera canina (L.). — (L). — Skultorp, borealer Filsta, atlantischer Kalktuff. — Vergr. 1:1. Kalktuff. — Vergr. 1,5:1. Inga Öhrwall feto. Greta Sernander del. faleatum Brid. und Astrophyllum punctatum (L) Lindb. zu registrieren, welche Biytt als Folgenfossilien erwähnt. Aus den Proben der Schicht, die mir Blytt seiner Zeit die Freundlichkeit hatte zu schicken, ersieht man, daß die Moose, vor allem Amblystegium, eine große Rolle als Kalksammier gespielt haben. Das Alter des Fundes ist bis jetzt noch unentschieden; nach meinem Dafürhalten ist derselbe vielleicht atlantisch. Den nächsten Fund haben wir bei J. M. Hulth (1895, pag. 200; 1899, pag. 103). Fundort ist der merkwürdie Skultorper Tuff in Väster- götland, auch hier ein Abdruck der Unterseite eines offenbar seden- 712 Rutger Sernander, tären Thalluslappens (Fig. 3). Die Muttergesellschaft der Kalktuff- schicht, in der dieser Lappen gefunden wurde, dürfte nach den seden- tären Resten an Equisetum und Marchantia zu urteilen, ein Sumpf gewesen sein, aber die Struktur des Tuffs (Sernander 1916, pag. 128) und die mesophile Molluskenfauna (Odhner, pag. 1108) deuten auf eine trocknere Gesellschaft als die beiden vorhergebenden, vielleicht auf eine Sumpfwiese. — Das geologische Alter ist die boreale Periode. Diese drei Funde geben sehr ‘geringe direkte Beiträge zur Pflanzengeographie der Entwicklungsgeschichte des Nordens, da Pelti- gera canina in der Gegenwart gleichmäßig über ganz Nordeuropa verbreitet ist und im Hochgebirge recht hoch steigt. — Sie wächst heute in mehreren recht verschiedenartigen Pflanzengesellschaften, u. a. auch, was die allermeisten anderen Flechten nicht tun, in den hydro- philen des Tieflandes. Eine den fossilen Vorkommen direkt ent- sprechende Standortsangabe kann ich im Augenblick nicht finden; wie aber die Sumpfwiesen zusammengesetzt sind, in denen Peltigera canina einen Bestandteil bilden, geht z. B. aus Nordhagen’s (pag. 36) Standortsangabe einer Eriophorum angustifolium- Gesellschaft auf ler Insel Froöen hervor. Sogar im Überschwemmungsgürtel der Seen und der Gewässer (Sernander 1912, pag. 870) ist Peltigera canina ebensowenig wie P. venosa (L.) eine Seltenheit (so z. B. am Ristafall, Jämtland 1916, 10. Juli; leg. Greta Sernander), und in dem entsprechenden Spritzgürtel ruhiger Meeresküsten kann sie neben Verrucaria maura Wahlh. (Sernander 1912, pag. 864) wachsen. Cetraria islandica (L.) Ach. v. crispa Ach. . Aus dem See Gäxsjön in Jämtland (Nathorst 1885, pag. 770) hat die Pflanzenpaläontologische Abteilung des Reichsmuseums mir gütigst eine Probe zur Begutachtung geschickt, die Prof. T. Halle als einen Flechtenabdruck anspricht. Es ist ein Stück recht porösen Kalk- tuffs mit Abdrücken von Holz und Pinus silvestris-Nadein. Auf einer Fläche von etwa 5 gem liegen Ahbdrücke einiger Thalluslappen einer Strauchflechte gesammelt (Fig. . Es sind verzweigte Sprossen von dichotomischem Anlagentypus. Der Abdruck, mit Ausnahme der mehr abgeplatteten Sprossenspitzen, bildet im Querschnitt einen von den Seiten etwas zusammengedrückten Halbkreis; die Flanken sind zurückgebogen. Das längste zusammenhängende Sprossensystem ist etwa 2 cm lang. Überhaupt gleichen die Abdrücke einer der großen Getraria-Arten. Die glatte Fläche und die langen Seitenäste, die Subfossile Flechten. 713 in mehr oder weniger rechtem Winkel abstehen, — was im Gegensatz steht zu der retikulierten Fläche von z. B. C. nivalis (L.) Ach. und C. eucullata (Belb.) Ach. und deren kurzen, dichten, in spitzeren Winkeln abstehenden Zweigen — sprechen in hohem Grade für Ce- traria islandica, und die Breite des Sprosses ist dieselbe wie bei den gewöhnlichen Formen der Var. erispa Ach. Die Kollodium- abdrücke (Nathorst 1907 und 1912) zeigen keine zellulare Struktur, sondern die undifferenzierte, schwachrauhe Fläche, welche den Epi- thallus der Flechten charakterisiert. Da die Fundstätte bei dem Besuch des Einsammlers (efr. ]. e.) zum größten Teil ausgehoben war, dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, daß die Probe der Bodenschicht entstammt, und dann dürften wir es mit einem sedentären Rest der alt- atlantischen oder spätborealen Heide zu tun haben, von der wir im folgenden näher sprechen werden. Nebenbei sei bemerkt, daß sich in einer von demselben Institut mir übersandten kleinen Probe (von A. G. Nathorst 1886 gesammelt) aus dem Rangiltorper Kalktuff, Östergöt- land, auch der Abdruck einer Blattflechte be- findet, der dem Gäxsjöer Fossil sehr ähnlich ist. Er liegt mit groben Pinus silvestris- Fig. 4 Thalluslappen ) Nadeln zusammen und gehört also nicht zu v.crispa Ach. — Göocsjd, den allerältesten Schichten dieses Tuffs. Der nie aa Q:1. Abdruck ist allerdings recht deutlich, aber zu Greta Sernander del. fragmentarisch, um eine nähere Bestimmung zu gestatten. Ebensowenig wie der Fund von Peltigera canina bat der von Cetraria islandica eine direkt pflanzengeographische Be- deutung. Kalzivore Flechten. Die Apothezien mehrerer Kalkflechten mit krustenartigem Thallus besitzen die Eigenschaft, sich in Steine hineinzubohren. Dadurch bilden sie kleine Höhlungen mit enger Mündung nach oben. Es ist mir ge- lungen, diese äußerst charakteristischen Gebilde in der Schichtenreihe des bekannten Benestader Tuffes in Schonen auf der Oberfläche einer alten Allvarflur, zu entdecken, die sich unter atlantischem Kalktuff erhalten hatte. Die Allvarflur selbst ist aus älteren Kalktuffablagerungen ent- standen, die im kontinentalen Klima der borealen Periode verwitterten und deren Kalktuffsplitter sich u. a. mit kalzivoren Lichenen bedeckten. , 714 Rutger Sernander, Die näheren Fundumstände sind beschrieben von Sernander 1916, pag. 153. Derseiben Arbeit entnehme ich zwei Photographien (Fig. 5), Fig. 5. Aus Sernander, Svenska kalktuffer Tafl 2. a. Der Kalktuff von Benestad. Platte aus dem borealen Lager mit Löchern nach . ealeivoren Flechten. 35:1. b. Rezente kalzivore Flechten auf Kalkstein aus einer südfranzösischen Garigue. 8,5: 1. von denen die eine ein Stück einer solchen Platte mit fossilen kalzi- voren Flechtenapothezien von Benestad, die andere eine Kalkplatte mit [ir Subfossile Flechten. 715 solchen von rezenten durch Caloplaca pyracea (Ach) Th. Fr. und Lecidea immersa (Web.) Küb. verursacht, vom Mont Ventoux' in den französischen Alpen wiedergibt. Ramalina fraxinea (L.) Ach. Die nordischen Kalktuffe schenken uns auch einen Flechtenfund, der nicht sedentärer Natur ist, sondern in welchem die Flechte in die im Entstehen begriffene Tuffmasse durch Trift, wahrscheinlich Wind- wift, gelangt ist. Derselbe stammt aus dem obengenannten Benestader Tuff. In den prachtvollen und außerordentlich reichhaltigen Sammlungen von dort, die die Pflanzenpaläontologische Abteilung des Stockholmer Reichs- museums von C. Kurek erworben hat, liegt ein Handstück mit einem Abdruck, der von Gunnar Andersson und Th. Halle als vermutlich der einer Fiechte angesprochen worden ist. Dies ist denn in der Tat auch der Fall, und ich glaube denselben mit Ramalina fraxinea (L.) Ach. identfizie- Fig. 6. Abdruck eines Thalluslappens von = Ramalina fraxinea (L.ı. — Benestad, atlan- ren zu können. tischer Kalktuff. — Vergr. 3:1. Es ist dies ein 1,5 cm Greta Sernander del. langer Abdruck eines schmalen Sprosses mit zwei Zweigfragmenten (Fig. 6). Sein charakteristischer Zug ist die Nervatur. In einem Aufsatz „Om art och varietetsbildning hos lavarna (Über Art und Varietätenbildung bei den Flechten)“ habe ich die Anatomie und Morphologie dieser Nervatur zu ermitteln versucht. Ich habe daselbst gezeigt, daß die „Nerven“ zweierlei Art sind: Assimi- lationslamellen und mechanische Stränge. Die letzteren sind Kortikalschichtengebilde, die an der Oberfläche als gerundete Stränge!) hervortreten, welche teils die marginale Begrenzung des Sprosses bilden, teils in charakteristischer Weise durch Anastomosen ein grobmaschiges Netz zwischen diesen Marginalsträngen formen. An der Unterseite treten kaum Assimilationslamellen vor, und die mechanischen Stränge verlaufen hier etwas anders als auf der Oberseite. An dem Abdruck, 1) Es sei hier bemerkt, daß das rezente Vergleichsmaterial beim Studium von Flechtenabdrücken in Kalktuffen in durehweichtem Zustande sein muß. Die Flechten haben, wenn trocken, ein ganz anderes Aussehen, als wenn sie naß sind, und ihre Abdrücke haben sie natürlich in nassem Zustande abgegeben. 116 Rutger Sernander, der jedoch wegen der grobkörnigen Struktur der Tuffsubstanz nicht bis in die feinsten Einzelheiten ausgemeißelt ist, sieht diese Struktur ebenso aus wie die an dem Ramalina-Sproß, und zwar an der Unterseite. Blätterabdrücke von Ulmus montana Kith. und Spiraea Ul- maria L. auf dem diesen Flechtenabdruck enthaltenden Handstück weisen darauf hin, daß dasselbe zu dem unteren Teile der atlantischen Schichten gehört. Es ist deshalb bedeutungsvoll (vgl. Sernander 1916, pag. 156 ff.), daß darin eine Flechte auftritt, die sonst in Schweden nirgends jenseits der oberen Grenze von Quercus pedunculata Ehrh. gefunden worden ist. Sie hat offenbar an irgendeinem der Laubbäume gelebt, welche das alte Quellmoor umstanden, das sich später in Kalktuff verwandelte. Interessant ist es, daß Göppert (1853, pag. 455) von Rama- lina fraxinea im Bernstein „ein Bruchstück des Thallus mit der ihm so eigentümlichen grauweißen Farbe vortrefflich erhalten“ ge- funden hat. Graphis sceripta (L.) In einer Trapa-führenden Gyttja des Gottersäter Moors in Närike fanden Kn. Kjellmark und Verf. (Kn. Kjellmark und R. Ser- nander, pag. 328) ein kleines Rindenstück, wahrscheinlich von Cory- lus, mit einigen Apothezien von Graphis scripta. Diese Gyttja ist subboreal und aus der Zeit der Ganggräber (Kjellmark, Une trouvaille arch&ologique, pag. 17). Einen ganz ähnlichen Fund in einer finnländischen Trapa-Gyttja hat Harald Lindberg gemacht. In „Meddelanden av Societas pro Fauna et Flora Fennica“, H. 38, pag. 34 ist hierüber folgendes zu lesen: „Dr. H. Lindberg zeigte fossile Exemplare von Graphis seripta vor, die in Västerkulla, Gemeinde Kyrkslätt, in einer Trapa- führenden Ablagerung aus der Steinzeit gefunden waren. Die Flechte hatte auf der Rinde eines Laubbaumes, wahrscheinlich Espe, gelebt.“ Der Fund einer Graphis scripta-Form in Bernstein ist von Göppert (1852, pag. 488) mitgeteilt. Opegrapha atra Pers. In meiner Abhandlung „Die schwedischen Torfmoore als Zeugen postglazialer Klimaschwankungen“ gebe ich die Rekonstruktion der einzelnen Entwicklungsstadien der in Västergötland gelegenen Seen Nedsjöarna. In dem warmen und trockenen Klima der subborealen Periode sank der normale Spiegel der Seen um wenigstens 1,7 m unter Subfossile Flechten. 717 den Paßpunkt. Als bei dem subatlantischen Klimaumsturz das Wasser wieder über denselben hinausstieg, wurden an den mit lockerem Sand bedeckten Ufern die Moore und Waldfluren des subborealen Landgewinns mit Schwemmsandbildungen von der Mächtigkeit des Transgressionsverlaufes verschütte. An der Ostseite des westlichen Sees (Västra Nedsjön) an einer nach Norden vorspringenden Landspitze unterhalb Stockagärde (a. a. O. Taf. II) fand ich am 11. Aug. 1904 (das Profil ist in dem genannten Werk nicht enthalten) in diesem Schwemmsande, der an Stämmen, Zweigen, Rinden und anderen Pflanzen- resten, welche sich in Linsen und Schichten von sogar 10 em Mächtig- keit gesammelt hatten, reich war, ein Rindenstück von Po- pulus tremula mit zahl- reichen Kolonien von Ope- grapha atra Pers. (Fig.7). Wir haben also hier einen Zeugen der Flechtenvegeta- tion des Nedsjöufers erhalten. Von den Apothezien sind die Basalpartien wie dieWände im allgemeinen wohl erhalten. An Schnitten kann man nichts vom Inhalt entdecken, aber in jungen Apothezienwänden wohl das Wurmparenchym mit dessen „kohligen“ Hy- phenwandungen. — Die Apo- thezien-tragenden Partien des . Fig. 7. Espenborke mit Opegrapha atra Tballus sind größtenteils VON Pers. — Subatlantischer Schwemmsand, V. markierten schwarzen Rän- Nedsjön. — Vergr. 1:1. Greta Sernander del. dern umgeben. — Außer den . u Apothezien finden sich, wie im Zentrum der Fig. 7 ersichtlich, einige Partien mit Ansammlungen von kleinen schwarzen halbkugeligen „Lager- gehäusen“ mit deutlicher, meist jedoch zerfressener Pore von etwa 0,2 mm Durchmesser. Jedenfalls sind dies die Pykniden von Opegra- pha atra. . . In Bernstein hat Göppert (1852, pag- 488) eine mit Ope- grapha varia Pers. verwandte Art gefunden, die er O. Thoma- siana benennt. 7118 Rutger Sernander, Von der direkten Bedeutung dieser Funde von Graphis und Opegrapha atra für die entwicklungsgeschichtliche Pflanzengeographie des Nordens wird weiter unten die Rede sein. * * * Geben uns diese Funde einige neue Möglichkeiten, Flechten in unseren fossilführenden Ablagerungen hervorzusuchen, und, wenn dem so ist, welche biologischen Gruppen werden dann vertreten sein? Der regenerative Heidemoortorf bildet quantitativ einen wichtigen Teil der Masse unserer Torfmoore des nordatlantischen Klimagebiets von Europa, ja sogar die Hauptmasse. Es wäre, nach den oben be- sprochenen Funden von Cladina rangiferina und C. islandica (L.) Ach., zu urteilen, wahrscheinlich, daß man an den Kontaktflächen der Schlenken- und der Heidetorflinsen noch mehr Laubflechtenarten finden könnte, sei es mit erhaltener Substanz oder als dunkle Abdrücke, deren Umrisse die Bestimmung ermöglichen müßten, worüber aber nur die Zukunft entscheiden kann. Ich denke an: die mit Cl. rangiferina abwechselnden und an dem Regenerationsverlauf in derselben Weise teilnehmenden Strauchflechten unserer Hochmoore: Cetraria acu- leata (Schreb.) Fr, C. hiascens (Fr.) Th. Fr. (eine mehr limophile und sich den eigentlichen Schienkenpflanzen anschließende Art), Cla- dina alpestris (L), Cl. silvatica (L.), Cladonia uncialis (L) Fr. und einige andere. Bekanntlich hat man sowohl im Präglazial (z. B. Weber) als auch im Interglazial (z. B. Harz) Sphagnum-Torf gefunden, wahr- scheinlich auch im Tertiär. Es wäre nicht undenkbar, hier analoge postglaziale Funde von Sphagnetum-Lichenen machen zu können. Die Muttergesellschaft der Kalktuffe ist in den meisten Fällen Gehängemoor, dessen Konstituenten durch reichliche lokale Zufuhr sauren Kalziumkarbonats nach und nach verkalkt wurden (Sernander 1916, pag. 179). Und da diese Verkalkung sehr schnell verlaufen und sogar einige Zentimeter jährlich (a. a. O. pag. 165) betragen kann, müssen auch die vergänglichen Flechten, wenn sie überhaupt der Mutterformation angehören, zuweilen fossilieren können. Zu diesen Formationen gehören indessen nur ausnahnisweise auch Flechten. Wenn man von Peltigera canina absielt, deren hydrophytisches Vorkommen oben berührt wurde, findet man eine derartige Flechtenvegetation eigent- lich nur in einigen Gebängemooren der Hochgebirge. Unter diesen Sumpfflechten möchte ich besonders aufmerksam machen auf folgende vier hochgewachsene Strauchflechten: Cetraria hiascens (Fr) Th. Subfossile Flechten. 719 Fr., Siphula Ceratites Fr, Stereocaulon paschale (L) Fr. und Thamnolia vermicularis (Sw.) Ach. sowie auf einige, eben- falls hochgewachsene Blattflechten: Peltigera scabrosa Th. Fr. und Solorina crocea (L). Da das Hochgebirgsklima der Entstehung des Kalktuffs weniger förderlich zu sein scheint, sind vielleicht die Aussichten auf etwaige Funde nicht sonderlich groß. Eine andere wichtigere Möglichkeit, daß Kalktuffe Fossilien be- wahren könnten, ist es, auf die ich jetzt die Aufmerksamkeit lenken möchte. Wenn wegen irgendeiner Veränderung in der Richtung der kalkführenden Gewässer, sei es, daß diese Veränderungen durch lokale Erscheinungen oder durch allgemeine klimatische Umschläge hervor- gerufen sind, eine nicht hydrophytische Pflanzengesellschaft überschwemmt wird, können Elemente, die für die gewöhnliche Kalktuffflora ganz neu sind, erhalten bleiben. Kurck und Verf. haben darauf aufmerksam gemacht, daß in dem berühmten Benestader Tuff ein schnell abgesetzter Kalktuff mit einer hydrophytischen Mutterformation, der durch das Einbrechen des insu- lären Klimas der atlantischen Periode hervorgerufen ist, direkt auf einer aus der kontinentalen Klimastufe der unmittelbar vorhergehenden borealen Periode stanımenden Humusbildung ruht. Aus den verwit- terten Kalktuffblöcken dieser borealen Humusbildung stammen die eben beschriebenen Spuren von kalzivoren Lichenen. In direkte Beziehung zu den von kalzivoren Flechten gebildeten Löchern im Kalktuff möchte ich die Frage bringen, ob es möglich wäre, solehe auch an anderen Arten von Kalkstein zu finden, deren einst flechtenbedeckte Oberfläche irgendwie im ursprünglichen Zustande er- halten geblieben ist. Bei Elberfeld wurde nach Waldsehmidt, pag. 29, eine großartige typische Karstlandschaft „in der Miozänzeit .. . von der niederrheinischen Bucht her erst mit Dünensand und dann mit Wasser überflutet, und der Sand, der nicht nur alle Vertiefungen ausfüllte, sondern sich als eine ziemlich mächtige Decke darüber schichtete, verhinderte, daß das Wasser seine sonst so kräftig zerstörende Wirkung auf den Felsboden ausübte“. Die Oberfläche des heutigen Karsts ist, wie jeder Lichenolog weiß, das Eldorado der kalzivoren Flechten. Allerdings haben die quartären Umwälzungen nur Bruchstücke jenes tertiären Karsts durchaus intakt gelassen (a. a. ©. pag. 30), aber gerade die Oberflächen dieser Partien müßten aufs sorgfältigste untersucht werden, Vor den der Gotländischen Küste vorgelagerten Karlsinseln (Karls- öarna) liegt meines Erachtens als ein Plateau („Pal“) auf dem Meeres- 720 Rutger Sernander, grunde ein spätquartärer, wahrscheinlich postglazialer Karst mit dessen Dolinen und anderen ihm eigentümlichen Oberflächenformen, ähnlich denen, die heute noch die Plateaufläche der genannten Inseln bilden. Ich habe Proben von dem marmorartigen Kalkstein daselbst gebrochen, aber noch keine sicheren Spuren der betreffenden Flechten entdeckt. Der Grund mag vielleicht darin liegen, daß ich noch keine Partien ge- funden habe, die der submarinen Abschleifung durch die in der Bran- dung rollenden Steine oder Kiesmassen entgangen sind. Aber auch andere, xero- oder mesophile Flechtenformen dürften in den Kalktuffen erhalten bleiben können. Halle hat für einige jämtländische Kalktuffe gezeigt, daß die gegen die Erde gekehrte Seite mit Abdrücken von Blättern von Dryas und Hippophaö übersät sein kann. Ich habe (Sernander 1915, pag. 540) vermutet, daß wir es hier wahrscheinlich mit einer sedentären Bildung — die Funde von Pyrola rotundifolia (L.)-Blättern sprechen ebenfalls hierfür — aus einer spätborealen Heide zu tun haben. Die nordische Heide ist be- kanntlich reich an verschiedenen Strauchflechten: Arten der Gattungen Cetraria, Cladina, Cladonia, Stereocaulon u. a, und es ist keineswegs unglaublich, daß man in derartigen Kontakten auch solche erhalten finden könnte; und wahrscheinlich haben wir in der Cetraria islandica des Gäxsjöer Tuffs die erste Bestätigung zu sehen. Die Funde von Ramalina, Graphis und Opegrapha bilden eine besondere Kategorie. Sie sind eingebettete Trifte in der Kalktuff- Gyttja bzw. im Schwemmsand, und es hat sich in den beiden zuletzt erwähnten Fällen Substanz, nämlich Apothezien- und Pyknidenwände, erhalten. Diese zuletztgenannten Fälle eröffnen vielleicht die größte Mög- lichkeit neuer Flechtenfunde. Rindenstücke sind eine häufige Er- scheinung in sowohl sedentären Gebilden — z. B. Waldtorfarten — als auch in sedimentären — z. B. Triftablagerungen. Da Flechten mit „kohligen“ Apothecien keineswegs selten sind an Rinde — ich denke hierbei besonders an Graphidiae und Pyrenocarpi — und da deren einige, abgesehen von den oben besprochenen postglazialen Funden, tatsächlich an tertiären Rinden angetroffen worden sind, würde es sich jedenfalls lohnen, direkt nach neuen zu suchen. Man wolle auch die schon recht zahlreichen fossilen Rinden- Askomyzeten vergleichen. Wenn wir uns nun an das Quartär halten, so verheißen uns die Funde von Graphis und Opegrapha neue Beiträge zur Entwick- lungsgeschichte unserer Vegetation. An und für sich sind sie als solche nicht ganz ohne Wert. Subfossile Flechten. 721 Graphis seripta zeugt ihrerseits von der Laubwiesenvegetation, die sich in den alten Trapa-Seen erhalten hat. Heutzutage geht Graphis bis zur Nordgrenze der Eiche und schweift dabei, wie ver- schiedene andere Eichenpflanzen, in einigen Vorkommen am Bottnischen Meerbusen, sogar bis nach Hernösand im Norden. Opegrapha atra ist eine südliche Flechte und liebt in Schweden besonders die vom Meerklima beeinflußten Gebiete. In Schweden über- schreitet sie die Nordgrenze der Eiche, erreicht aber an der Ostsee- küste noch Gävle (Rob. Hartman, pag. 544). Ihr Auftreten in den Nedsjöarna zeugt hinwiederum von dem Charakter des subatlantischen Klimas auf dem Zentralplateau von Götaland. Neue Funde dieser Arten können uns also neue Aufschlüsse geben, und zwar nicht nur über deren Minimumalter in der fenno- skandischen Flora, sondern auch über etwaige in Beziehung zu ge- wissen mit klimatischen Umwälzungen stehende Verschiebungen ihres Verbreitungsgebietes. Warum aber nicht hoffen, andere verwandte Rinden-Graphideen mit kohligen Apothezienwänden zu finden, die uns noch wichtigere Aufschlüsse über die Verschiebungen der Pflanzenregionen geben könnten? Die Graphideen sind eine südliche Familie, die in Nord- europa in hohem Grade durch nordatlantische Klimaverhältnisse im Gedeihen gefördert wird. Eine scharf umrissene, höchlichst interessante pflanzengeographische Gruppe bilden Graphis elegans (Sm. Ach), Graphina sophistica (Ngl., sowie Chiodeeton erassum (Dub.), die ihrer Verbreitung nach der entwicklungsgeschichtlicben Gruppe, die wir hier im Norden die Ilex-Pflanzen nennen, am nächsten stehen. Auf dem Kontinent haben sie ihre Nordostgrenze etwa an der Weser und erreichen in Mitteldeutschland Münster (Sandstede, pag. 61, 65 und 66). Das eigentlich nordische Vegetationsgebiet erreichen sie jedoch kaum. Man müßte jedenfalls nach Apothezien derselben in den Ilex- und Buchenregionen vom Skanodania und Fennoskandia an Rinden suchen, und zwar in den an solchen reichen Schichten, vor allem der atlantischen Periode, da man Grund zu der Annahme eines Vorstoßes der Ilex-Vegetation nach NO hat. Für pyrenokarpe Flechten ist nach den außerordentlich kräftig gebauten Perithezien von Pyrenula nitida (Schrad.) zu suchen, von der (oder irgendeiner verwandten Art) Schon Germer 1837, pag. 430 und Göppert 1853, pag. 454 an Rinden in tertiärer Braun- kohle Exemplare gefunden zu haben glauben. In der skandinavischen Flora. Ba. ı1. 46 122 Rutger Sernander, Vegetation steht sie, was Verbreitung betrifft, zwischen den Eichen- und den Buchenpflanzen und ist ein Charakteristikum der Buchenrinde. Die‘ Flechtenvegetation ändert den Bau der von ihr bewohnten Rinde mehr oder weniger um. Nach den Apothezien der Graphideen und der Pyrenokarpen bleiben, wie nach denen der kalzivoren Lichenen im Kalke, nach der Verwesung der Flechte in der Peridermis seichte Grübehen von bestimmter Form zurück, Dergleiehen Grübchen nach einer Ope- grapha sind wohl die Abbildung bei Göppert und Behrendt 1845, Taf. I. Fig. 1, von einer „weißlichen Rinde eines jüngeren Astes oder Stammes des Bernsteinbaumes“. nebst erhaltenen Apothezien, und in meiner Fig. 3 oben sieht man eine Gruppe von Grübchen nach ab- gefallenen Apothezien der Opegrapha atra. Bei der Besprechung dieser Spuren von Flechten sei auch daran erinnert, daß eine dichte Laubflechtenvegetation an jungen Baumzweigen zuweilen, wie Tubeuf gezeigt hat, Intumeszensen von einer gewissen Morphologie verursachen. Es ließe sich demnach denken, daß man solche mißgestaltete Zweige in fossilem Zustande finden könnte. Wenn nun diese gedachten Funde dermaleinst zur Tatsache werden? In den eben angedeuteten Möglichkeiten neuer Flechtenfunde habe ich in allgemeinen nur unser Quartär im Auge gehabt, doch ließe sich die Untersuchung ohne Zweifel auch auf noch ältere Ablagerungen ausdehnen. Der sich immer mehr geltend machenden aktualistischen Richtung, auf ältere Ablagerungen die Erfahrungen aus den ent- sprechenden quartären von bekannter Genetik und Zusammensetzung zu verwenden, obliegt es hierbei, die direkten Untersuchungen in Gang zu setzen. Dieser Aufsatz ist ein erster Versuch präliminärer Unter- suchungen in dieser Richtung. Literaturverzeichnis. Blytt, Axel, Om to kalktufdannelser i Gudbrandsdalen. Vid.-Selsk. Forhandi. Christiania 1892, Nr. 4. Conwentz, II, Monographie der baltischen Bernsteinbäume. Herausgegeben von der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig. Danzig 1890. Fries, Elias, Novae schedulae eriticae de lichenibus suecanis. Lund 1826. Fünfstück, M., Lichenes (Flechten). 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