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Monatsschrift

FÜR

GESCHICHTE UND WISSENSCHAFT DES JUDENTUMS

BEGRÜNDET VON Z. FRANKEL.

Organ der Gesellschaft

zur

Förderung der Wissenschaft des Judentums

Herausgegeben

von

Dr. M. BRANN.

Jg. SS

Fünfundfünfzigster Jahrgang. NEUE FOLGE, NEUNZEHNTER JAHRGANG.

BRESLAU. KOEBNER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG

(BARASCH UND RIESENFELD.) 1911.

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Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte der Wissenschaft.

Von J. Seheftelowitz.

Wahrheit ist das wesentliche Ziel jeder wissenschaft- lichen Forschung. Eine Untersuchung, die den Anspruch auf wissenschaftliche Geltung erhebt, muß in erster Linie auf gründlichen und zuverlässigen Quellenstudien beruhen. Jn wie fern nun ein viel gelesenes Buch, das in den letzten Wochen und Monaten beinahe zum Mittelpunkte eines kleinen Literaturkreises geworden ist, dieser elementaren Forderung entspricht, soll in den nachfolgenden Darle- gungen geprüft werden. Es handelt sich um die »Christus- mythe« von A. D r e w s1). Der Gegenstand, den das Buch behandelt, gehört in den Bereich der Religionsgeschichte ein Gebiet, das auch in dieser Zeitschrift, insoweit das Judentum in Frage kommt, eine Pflegestätte findet. Im Grunde hätte sich die Prüfung demnach auf die Abschnitte beschränken können, die sich besonders auf das Judentum beziehen. Im Interesse der Wahrheit ist es aber geboten, möglichst das Ganze zu berücksichtigen und einmal gründ- lich die Art und Weise zu beleuchten, in welcher heute zahlreiche mit biblischen Fragen sich beschäftigende Ver- treter der vergleichenden Mythologie auf pseudo-wissen- schaftlicher Grundlage nach unzulänglicher Methode be- liebige geschichtliche Persönlichkeiten in mythologische Schemen aufzulösen bemüht sind. Von religiöser Vorein- genommenheit weiß ich mich durchaus frei bei meinem Urteil. Uns Juden von heute interessiert es kaum, ob Jesus existiert hat oder nicht. Wir stehen daher diesen Forschun- gen völlig unbefangen gegenüber.

») 3. Aufl. Jena 1910.

Monatsschrift, 56. Jahrgang. 1

2 Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschalt.

In einigen bündigen, stilvollen Sätzen führt Drews zunächst, ohne eine Begründung zu versuchen, die alt- israelitische Religion auf den Parsisrnus zurück. >Der alte Volksgott Jahve« sagt Drews (S. 6) »hat sich nach dem Vorbilde des altpersischen Ahuramazda aus einem Feuer-, Licht- und Himmelsgott zu einem Gotte überir- discher Lauterkeit und Heiligkeit entwickelt.« Dieses ist schon darum unrichtig, weil bereits Propheten der vorper- sischen Zeit, wie Hosea, Arnos, Micha die göttliche Welt- macht der Gerechtigkeit und Liebe verkündet und gelehrt haben, daß Gott alle Völker richte, und er ein gütiger Vater sei, der den Menschen nur mit blutendem Herzen zu dessen eigenem Wohle strafe. Zu der erhabenen Idee dieser Propheten, daß Gott vom Menschen keine Opfer verlange, sondern vor allen Dingen Gerechtigkeit, werk- tätige Liebe und Demut (Micha 6, C -8; Hos. 6, 6; Am. 5, 21—25; Jer. 7, 21 23; Jes. 1, 11— 17), hat sich die per- sische Religion niemals emporringen können. Drews fährt aber fort : »Es ist sicher, daß der alte, israelitische Jahve erst unter dem Einflüsse der Perser und ihres bildlosen Gottesdienstes jenen vergeistigten Charakter angenommen hat, den man ihm heute nachrühmt« (p. 7). Auch dieses widerspricht völlig den Tatsachen. Die altpersischen Quellen lehren vielmehr, daß das bereits aus vorpersischer Zeit herrührende altbiblische Verbot, sich Gott unter dem Bilde eines körperlichen Wesens vorzustellen, oder die Natur- kräfte anzubeten, der altpersischen Religion stets fremd gewesen ist. Auf den altpersischen Achämenideninschriften sieht man vielmehr die oberste Gottheit Ahuramazda ab- gebildet. Gerade die Anbetung der Natur und der Elemente, die Vergötterung der Gestirne, des Feuers, des Wassers und der Erde sind die wesentlichen Charakterzüge des Ahuramazda-Glaubens. Drews entstellt gänzlich die Ahura- mazda-Religion.

Um von ihr Judentum und Christentum ableiten

Die Christusmytbe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft. 3

zu können, erfindet er eine neue persische Religion. Er behauptet, der Gott Mithra sei identisch mit dem persi- schen Heiland Saoshyant. »Mithra ist der Mittler, Retter und Heiland der Welt« (S. 7). »Saoshyant ist in der Phan- tasie des Volkes unwillkürlich zu einem göttlichen Wesen verklärt und mit der Gestalt des Mithra in eins zusammen- geflossen« (S. 9). Unter dem Einfluß dieser persischen An- schauung wäre nach Drews »bei den biblischen Propheten der Messias mehr und mehr in die Rolle eines Gottkönigs eingerückt.« (S. 9—10). Dieses von Drews als feststehende Tatsache Vorgetragene entspricht nicht der Wahrheit.

Gemäß der altpersischen Lehre hat weder der oberste Gott Ahuramazda noch irgend ein anderer Gott mit der Totenerweckung und der Verjüngung der Welt etwas zu tun. Dieses ist allein das Werk des Saoshyant und seiner Helfer, die aus 15 Männern und 15 Jungfrauen bestehen. Saoshyant belohnt oder bestraft dann die Menschen im Auftrage des Ahuramazda (Bundahish c 30). Dann wird Ahuramazda mit seinen sechs Erzengeln den Satan Angro- mainyu und dessen dämonische Schar bekämpfen. An diesem jüngsten Gericht ist Mithra überhaupt nicht beteiligt. Mithra ist der Gott der Sonne, der Wahrheit, der Verträge und der Beschützer der Triften. Er und zwei andere Gott- heiten S r a o s h a und R a s h n u sind die Richter der Einzelseele unmittelbar nach ihrem Tode (vgl. Yasht 10 12). Der Heiland Saoshyant darf demnach unter keinen Um- ständen mit Mithra identifiziert werden. Saoshyant wird im altpersischen Religionsbuch Avesta, Yasna 26, 10 aus- drücklich als ein Mensch bezeichnet. Wie soll man übrigens Herrn Drews ernst nehmen, wenn er auf S. 8 behauptet, S r a o s h a wäre nur eine andere Bezeichnung für Saoshyant? Gesetzt dieses wäre richtig, dann würde doch mit eiserner Notwendigkeit daraus zu folgern sein, daß Mithra und Saoshyant-S r a o s h a zwei ver- schiedene Gestalten seien, während doch ausdrücklich an-

V

4 Die Christtumythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft.

gegeben wird, daß Mithra und zwei andere Gottheiten, Sraosha und Rashnu, die Richter der Unterwelt sind. Ferner sagt er S. 91 ausdrücklich, daß der persische Messias nur ein Meschia, ein Mensch, sei, während er ihn oben mit dem unsterblichen Gott Mithra identifiziert hat.

Seine weitere Behauptung, daß der altisraelitische Messias ein Gottkönig sei, ist nicht minder falsch. Bereits die Propheten der vorpersischen Zeit stellen den König- Messias nur als den weisen Weltenkönig aus dem Hause Davids hin, den Gott für das zukünftige Gottesreich be- stimmt hat (vgl. Schürer : Geschichte des Jüdischen Vol- kes 4. Aufl. II, 584 ff). Eine treffliche Charakteristik über das messianische Hoffen des Judentums aus dem 3. Jahr- hundert n. Chr. gibt uns der christliche Verfasser der Phi- losophumena IX, 30 : Seinen Ursprung, sagen die Juden, werde der Messias haben aus Davids Geschlecht, aber nicht aus einer Jungfrau und dem heiligen Geiste, sondern von Mann und Weib, wie es allen bestimmt ist, aus Samen geboren zu werden. Dieser werde König sein über sie, ein kriegerischer und mächtiger Mann, der das ganze Volk der Juden versammeln und mit allen Völkern Krieg führen und den Juden Jerusalem als königliche Stadt aufrichten werde, in welcher er das ganze Volk sammeln und wieder in den alten Zustand versetzen werde, so daß es herrschen, den Opferdienst verwalten und lange Zeit in Ruhe wohnen werde. Darnach werde sich gegen sie insgesamt Krieg er- heben; und in jenem Kampfe werde der Messias durchs Schwert fallen. Nicht lange darnach werde das Ende und die Verbrennung der Welt erfolgen, und so werde sich das erfüllen, was man inbetreff der Auferstehung glaube, dann werde einem jeden die Vergeltung nach seinen Werken zu teil werden.«

Drews macht den altpersischen Gott Mithra mit Gewalt zum Typus der Gestalt Christi. Er nennt Mithra nicht nur den »göttlichen Sohn« (S. 16), den »Heiland und Retter der

Die Christusmythe des Prof. A, Drews im Lichte d. Wissenschaft. 5

Welt« (S. 16), sondern er macht ihn auch zum Gott- Vater. ?Ja, er war im Grunde Ahuramazda selbst, aus seiner über- irdischen Lichtigkeit gleichsam herausgetreten und zu kon- kreter Individualität verdichtet« (S. 7). Von diesem ganzen Hirngespinst weiß die Ahuramazda-Religion nichts. Der Gott Mithra kommt bereits im Rigveda der alten Inder vor und ist daher der arischen Urzeit angehörig und be- deutend älter als der spezifisch altpersische Gott Ahura- mazda. Ursprünglich scheint er überhaupt von der Ahura- mazda-Religion ausgeschlossen worden zu sein, denn in den ältesten Partien des Avesta wird Mithra noch nicht erwähnt, ebenso wenig wird er in den ältesten Achäme- nideninschriften genannt. Da aber von der arischen Urzeit her der Glaube an Mithra im Volke weiter lebte, scheint er nachträglich erst in die altpersische Religion aufge- nommen zu sein. Bereits in einem assyrischen Text, der aus der Zeit vor der Zerstörung Ninives stammt, wird als nichtassyrischer Name für den Sonnengott der Mithra er- wähnt (vgl. Western: Asia Inscriptions III, S. 69, Nr. 5, 63). Ebenso wie alle übrigen guten Götter ist auch Mithra in der altpersischen Religion ein Geschöpf des höchsten Gottes Ahuramazda (vgl. Yasht 19, 35, 98). Die Ahuramazda- Religion hat den Mithra weder in der vorchristlichen Zeit noch in der nachchristlichen Sassaniden-Periode zum »Heiland und Retter der Welt« werden lassen. Wohl könnte dieses in den Mithramysterien der spätrömischen Kaiser- zeit, die neben persischen Elementen auch viele fremde Ideen aufgenommen hat, der Fall gewesen sein; denn diese nachchristlichen Mithramysterien haben, ebenso wie der zur gleichen Zeit auftretende Isis-, Serapis-, oder Saba- zioskult, einen wohl vom Einfluß der jüdischen Religion herrührenden monotheistischen Zug angenommen. Es bricht sich in diesen Mysterien die Anschauung Bahn, daß die höchste Gottheit, mag sie Mithras, Isis, Serapis oder Sabazios heißen, das einzig göttliche Wesen sei, das aber auch unter

6 Die Christustnythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft.

verschiedenen Formen auftritt. Diese nachchristlichen Mysterien sind mehr oder weniger vom Judentum beein- flußt. Dem Parsismus, mit dem allein das Judentum in nähere Beziehung getreten ist, ist die Auffassung, daß der Gott Mithra beim Jüngsten Gerichte als Heiland (S a o s h- y a n t) auftrete, vollständig fremd.

Herr Drews aber versteigt sich sogar zu der Behaup- tung, daß »nach persischem Glauben Mithra der leidende Erlöser und Mittler zwischen Gott und Welt« wäre (Drews S. 45). Er sagt: (S. 93) »Aber auch Mithra opfert sich für die Menschheit, denn der Stier, dessen Tötung durch den Gott im Mittelpunkt aller kultischen Darstellungen des Mithra steht, ist ursprünglich kein anderer als Mithra selbst.« Dieses sein eigenes Phantasiestück stützt sich weder au' die religiösen Schriften der alten Perser noch auf die nach- christliche Pehlevi-Literatur der Sassaniden, in denen die Zarathustra-Religion weiter ausgebildet ist, Ein mittelper- siches Werk aus der Sassanidenzeit berichtet nur, daß der Messias Saoshyant, unterstützt von seinen Assistenten, am Ende der Zeiten den himmlischen Stier Hadayosh, mit dem die ersten Menschen ursprünglich von einer Gegend zur andern reisten, schlachten werde. Aus dem Fett dieses Stieres wird er dann den Unsterblichkeitstrank herstellen, den er hierauf allen Frommen verabreichen wird (s. Bun- dahish 19, 13; 30, 25). Auch in dem nachchristlichen Mithras- kult spielt dieser Unsterblichkeitstrank, der aus dem Fette des himmlischen Stieres gewonnen wird, eine große Rolle (vgl. A. Dieterich: Bonner Jahrh. 1902 S. 32). Das altper- sische Religionsbuch Avesta aber kennt diese Vorstellung überhaupt noch nicht. Dort wird nur ein himmlischer Stie;- genannt, welcher der Anwalt der irdischen Rinder ist. So oft die irdischen Rinder von den Menschen mißhandelt werden, fleht er die Hilfe Ahuramazdas an (Yasna 29; Bundahish c 4).

Man überblicke nun nochmals die Behauptungen

Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft 7

unseres Mannes der Wissenschaft. Nach ihm soll zunächst der Heiland Saoshyant kein anderer sein als der Gott Mithra selbst und zugleich der himmlische Stier. Wie kann dieses nur möglich sein, da doch der Messias den Stier schlachtet? Um diesen Gott Mithra dann mit den Christus- Erzählungen in völlige Übereinstimmung zu bringen, läßt Drews den Mithra von einer jungfräulichen Mutter M i h r abstammen. Er sagt (S. 78): »Bei den Persern erscheint die jungfräuliche Mutter M i t h r a s unter dem Namen M i h r, was ebensowohl »Himmel« wie »Liebe« bedeutet« Allein diese Aufstellung ist ganz unmöglich, denn M i h r ist die regelrechte mittelpersische und neupersische Lautentwick- lung des altpersischen Wortes Mithra. Demnach verhält sich Mihr zu Mithra wie neuenglisch b r a i n zu alt- englisch: brcegen. Mihr ist lautlich wenigstens über 600 Jahre jünger als altpersisch Mithra und bedeutet zunächst ebenso wie das altpersische Wort »Freundschaft, Gott Büihra« ferner »Liebe, Sonne« (aber niemals »Himmel«). Daß aber der männliche Mihr gleichzeitig die jungfräuliche Mutter seiner eigenen Person sei und er außerdem wenigstens 600 Jahre älter als seine Mutter sei, ist nichts anderes als eine bloße Erfindung des Herrn Professor Drews.

Nicht Mithra, sondern der Messias wird vielmehr nach dem Parsismus von einer Jungfrau geboren, die sich in einem See badet, in welchem etwas vom Samen des Za- rathustra aufbewahrt ist (vgl. Grdr. d. Iran. Phil. II, p. 586; Epistles of Manu§£ihar II, 3, 3; Dad i-Dinik 2, 10; 4S, 80).

Gerade die aus dem Parsismus hevorgegangenen Mithramysterien sind erst gegen Ende des ersten Jahr- hunderts n. Chr. zu den Römern gelangt. Sie sind nicht direkt von Persien nach Europa eingedrungen, sondern über Mesopotamien und Kleinasien, so daß sie nicht nur baby- lonische und syrische Anschauungen in sich aufgenommen haben, sondern auch entsprechend den übrigen spätorien- talischen Kulten sich nicht dem monotheistischen Einflüsse

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des Judentums entziehen konnten1). Der dem syrischen Kulte eigentümliche Glaube, daß der Sonnengott die frommen Seelen zum Himmel führe (vgl. F. Cumont: Die oriental Religion, Leipzig 1910, S. 292), ist auch von den Mithra- mysterien übernommen, so daß Mithra einerseits zum psychopompen Gott wurde, andererseits mit dem Heiland identifiziert wurde8), der am Ende der Zeiten alle Menschen auferwecken und den Frommen den wunderbaren Trank der Unsterblichkeit reichen wird. Die Idee des leidenden Messias hat das Christentum aus dem Judentum genommen. Nach Talmud Sukka 52a wird vor dem Auftreten des Mes- sias ben David ein Vorläufer erscheinen, nämlich Messias ben Josef, der im Kampfe gegen die Bösen fallen wird. Diese Anschauung hat ihren Ursprung in Jes. 53, 2 10, wo von einem leidenden und sterbenden Heiland die Rede ist. »Nur unsere Leiden trug er, und unsere Schmerzen lud er sich auf . . . Strafe traf ihn zu unserem Heile, und durch seine Wunden sind wir genesen« (vgl. auch Sanhedrin 98 b). Darum erscheint auch Jesus als Sohn des Josef. Gerade zur Zeit des Herodes war eine sehn- suchtsvolle Erwartung nach dem Messias eingetreten. Manche wollten sogar Johannes den Täufer für den Messias an- sehen (vgl. Lucas 3, 15).

Talmudische Quellen aus dem Jahre 100 n. Chr. bezeichnen Jesus als den Sohn des Pantera (bezw. Pandera) aus Nazareth. Zur Zeit des Rabbi Akiba und Ismael wird ein Jünger Jesu erwähnt, der im Namen des JeSü'a ben Pantera zu heilen pflegte (vgl. H. L. Strack, Jesus nach den ältesten jüdischen Angaben, 1910, S. 21 u. 23 f.). Auch der Kirchenvater Origenes (um 200 n. Chr.) bestätigt, daß die Juden Jesus für den Sohn des riavrr(px

') Siehe hierüber meine Abhandlung im Arch. f. Religionswiss. HM, Heft 3, Abschnitt 8.

») Vgl. F. Cumont, Les mysteres de Mithra I (Paris 1894;,. p. 310.

Die Christusmythe des Prof. A. Drcws im Lichte d. Wissenschaft. 9

halten (Strack ebenda S. 9). Dieses scheint der ursprüng- liche Name des Vaters des historischen Jesus gewesen zu sein. Dieser Personenname kommt in griechischen Inschriften häufig vor (vgl. Deißmann, Oriental. Studien für Th. Nöldeke 1VJ06, p. 873 f.). Von seinen Jüngern ist wohl Jesus zunächst als der leidende jüdische Messias, also als Messias ben Josef aufgefaßt worden. Demgemäß hat sein Vater von nun ab notwendigerweise Josef heißen müssen. Die ältere Lesart von Matth. 1, 16, wie sie die syrischen Handschriften bieten, lautet daher »Josef, dem die Jungfrau Maria verlobt war, zeugte Jesum, welcher Messias genannt wird (vgl, P. W. Schmiedel in Protest, Monatshefte VI, 3, S. 86). Da Josef als der Vater Jesu hingestellt wurde, hat man nun zum Beweise seiner vornehmen Abstammung ein langes Ge- schlechtsregister für Josef aufgestellt (Matth. 1, 1—16; Luk. 3, 23—38). Wäre Jesus gleich von vornherein als Messias ben David aufgefaßt worden, so hätte die älteste Überlieferung nicht Nazareth (z. B. Luc. 1, 26; 2, 4), sondern Bethlehem als seine Geburtsstätte erwähnt.

Durch Einfluß der im römischen Reiche weit ver- breiteten orientalischen Mysterien ist dieser leidende und sterbende Messias im Christentum zu einer leidenden, ster- benden und wiederauferstehenden Gottheit geworden. In manchen orientalischen Kulten, die gerade bei Beginn der christlichen Zeitrechnungin Rom einen gewaltigen Aufschwung genommen haben, leiden und sterben die Götter wie O s i ri s, Attis, Adonis und werden von einer Göttin beweint, von Isis, bezw. Cybele oder Astarte. Ebenso wie diesfr betrauern auch die Mysten in ihren Trauergottesdiensten den dahingeschiedenen Gott. Aber die Gottheiten stehen nachher wieder auf und mit Jubel wird ihre Wiederaufer- stehung von den Mysten, die deren leidenvollen Tod und Wiederauferstehung in ihrer Phantasie durchzuleben ver- suchen, gefeiert (vgl. Hepding, Attis, Gießen 1903, S. 166 u. 197). In einem heiligen Gebete des Attis-Kultus heißt es:

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»Fasset Vertrauen, ihr Gläubigen, denn der Gott ist gerettet; und auch für uns wird aus unseren Mühsalen Erlösung hervorsprießen« (Hepding, Attis, S. 167)1). Gerade der Attis- Kult hatte manche Ähnlichkeiten mit christlichen Bräuchen, was schon die alten Kirchenväter bemerkten.

Die Magna mater, die große Mutter, die im Attis-Kult die Mutter aller Götter ist, verglich man mit der Mutter Gottes. Auch deren Sohn und Geliebter wird nach seinem Tode wiederauferweckt. Ein christlicher Autor, der gegen 375 n. Chr. in Rom lebte, bemerkt hierzu: »Am 24. März, dem Dies sanguinis, beging man, wie wir gesehen haben, eine Trauerfeier, bei welcher die Gallen (die Priester des Attis-Kultes) ihr Blut verspritzten und bisweilen sich verstümmelten zum Gedächtnis an die Verwundung, welche den Tod des Attis verursacht hatte, und man schrieb dem auf solche Weise vergossenen Blute eine versöhnende und erlösende Kraft zu. Die Heiden behaupteten infolgedessen, daß die Kirche ihre heiligsten Riten nachgeahmt hätte, indem sie, wie jene, aber nach ihnen, um die Zeit des Frühlingsaquinoktiums ihre Charwoche feierte, zur Erinne- rung an das Opfer am Kreuz, bei welchem das Blut des

>) Das Urchristentum, das, wie wir am Schlüsse ausführen werden, an die allgemeinen Vorstellungen der heidnisch-römischen Zeit angeknüpft hat, hat sie nur christlich umgedeutet. Auch dtr Christ ist bestrebt, den göttlichen Christus »zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, daß er seinem Tode ähnlich werdec (Philipper 3, 10). Der Christ ist »mit Christo gekreuzigt« (Gal. 2, 19) und »mit Christo« auferstanden« (Kol. 3, 1). Das Christentum scheint gerade aus dem Attiskult manche Ideen ent- lehnt zu haben. Attis ist »der Erstling derer, die sterben und wieder- auferstehen zu einem neuen Loben« (Hepding, Attis, S. 197). Auch im N. T. heißt Christus »der Anfang und der Erstgeborene von deu Toten« und »der erste aus der Auferstehung von den Toten«, er ist »der Erstling« (I Kor. 15, 20. 23; Rom. 8, 29; Kol. 1, 18; Apostelg. 26, 23; Offenb. 1, 5). Auf der Ähnlichkeit der C»3terfeier der griechi- schen Kirche mit dem Attiskult macht Hepding, S. 167, Anm. 3 auf- merksam.

Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft. 11

Lammes Gottes ihrer Angabe nach die Menschheit erlöst habe«. St. Augustinus, der sich über diese gotteslästerliche Äußerung entrüstet, erzählt, daß er einen solchen Kybele- Priester gekannt habe, der dabei blieb: Et ipse Pileatus christianus est' »der Gott in der phrygischen Mütze (d. i. Attis) ist ebenfalls ein Christ« (F. Cumont: D. oriental. Religionen, Leipzig 1910, p. 85). Der christliche Messias steht demnach in keiner Beziehung zu Mithra.

Von manchen anderen groben Fehlern wimmelt Drews' Buch. So sieht er auch im Perserkönig Cyrus den Sonnengott Mithra. Denn nach ihm ist »Cyrus (gr. Kyros) im persischen der Name der Sonne, Khoro, und Kyris oder Kiris ist der Name des Adonis auf Cypern ; daraus geht hervor, daß die Geschichte der Geburt des Cyrus durch eine Über- tragung aus dem Mythenkreise des Sonnengottes auf den König Cyrus zustandegekommen ist« (Drews S. 53). Ein wahrhafter Rattenkönig von Konfusion. Zunächst heißt der Perserkönig in den Achämenideninschriften Kurush und wird von mehreren Gelehrten als ein arischer Eigenname angesehen, der auch im altindischen Epos belegt ist (s. Bezzenbergers Beitr. z. Kunde d. indogerm. Sprachen 25, 312 Windischmann: Zendstudien S. 137). Diesen altper- sischen Namen will nun Drews von einem persischen Wort khoro »Sonne« ableiten. Nur schade, daß dieses Wort im Persischen gar nicht existiert. Meint er vielleicht das altpersische Wort huwar = altindisch s u v a r Sonne, dessen neupersische Form chvar und chur ist? Da die Lautentwicklung der neupersischen Formen erst in nach- christlicher Zeit stattfand, so kann man sie doch unmöglich zur etymologischen Erklärung eines altpersischen Namens verwenden. Das arische Wort suvar ,Sonne' = ap. huvar kann ebenfalls nicht zur etymologischen Erklärung des k in Kurush herangezogen werden, da der altper- sische Laut niemals zu k hätte werden können. Ferner darf Drews unmöglich altpersisch Kurush mit Kiris,

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dem Namen des Adonis auf Cypern, zusammenbringen, da einerseits der Adoniskult aus Phönizien stammt, andererseits Cypern eine ursprünglich phönizische Kolonie ist, so daß Kiris sicherlich ein semitisches Wort ist, während Kurush ein indogermanischer Name ist. Die historische, verglei- chende indogermanische Sprachwissenschaft existiert aber nun einmal für Drews nicht. Durch diese bekanntlich etwa vor 70 Jahren von Bopp begründete Wissenschaft will sich seine ungebundene Phantasie keineswegs in Fesseln schla- gen lassen.

Hier noch ein kleines Beispiel seiner zügellosen Kombinationsgabe : »An den Namen des verjüngten und wiederauferstandenen Mithra, an Saoshyant oder Sosiosch erinnert griech. S a o s, der Sohn des Zeus oder des Heilgottes Hermes. Sein Name kennzeichnet ihn als den Opferer (Sanskrit: Sa van a >Opfer«), und er erscheint umsomehr als eine abendländische Form des Opfergottes und Somabereiters Agni, als auch Dionysos den Beinamen S a o s oder S a o t e s führte, als Spender des Weines sein Blut für das Heil der Welt vergossen habe« (Drews S. 97). Zunächst ist die Form Sosiosch eine willkürliche Erfindung; dagegen ist altpersisch Saosh- yant vom altpersischen Verb, sav' nutzen, fördern, abgeleitet und ist mit sanskrit c, u n a , Gedeihen' urver- wandt. Nun lehrt die vergleichende historische Sprach- wissenschaft, daß altpersisch s (== skr $) auf ein indo- germanisches k zurückgeht, das in der griechischen Sprach- geschichte stets als k auftritt. Folglich kann altpersisch Saoshyant unmöglich mit gr. S a o s zusammenhängen. Dieser griechische Name Saos darf aber auch nicht mit sanskrit Sa van a ,Soma-Libation' zusammengestellt werden, da skr. s = indogermanisch s ist, was im Griechischen vor einem Vokal zu einem Hauchlaut (Spiritus) geworden ist. Derartige willkürliche Zusammenstellungen erinnern mich lebhaft an meine Gymnasialzeit, wo ich als Ober-

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sekündaner englisch brain für urverwandt mit griechisch f r 6 n («pp^v) .Verstand* hielt. Solche Wortspielerei ent- hüllt sich auch in folgendem Satze, den wir S. 91 lesen: »Übrigens bedeutet der Ausdruck Messias in gewissem Sinne nur einfach ,der Mensch'; dem hebräischen M e- schiach nämlich entsprechen die Namen Meschia und Meschiane [1] wie in der Mazda-Religion die ersten Sterblichen, die Ureltern der gefallenen Menschheit hießen, die nun ihrer Wiedererhöhung durch einen andern Meschia , Menschen' entgegenharrte. Auch den Juden war diese Be- deutung des Wortes Messias nicht fremd, wenn sie den letzteren als den neuen Adam in die Mitte der Zeiten stellten. Denn Adam heißt gleichfalls soviel wie Mensch; der Messias als der neue Adam war demnach auch für sie nur eine Erneuerung des Urmenschen in erhöhter und verbesserter Gestalt«. Alles das ist natürlich grundfalsch. In dem altpersischen Religionswerk A v e s t a wird der Urmensch, von dem die ganze Menschheit abstammt, Gäyomareta genannt, dagegen wird der Messias Saoshyant als der »letzte Mensch« angesehen (s. Yasna 26, 10; Bundahish 24, 1; 3, 19 ff; 30, 7; 31, 1; 15). Diese persische Anschauung ist auch in die jüdische Kabbalistik eingedrungen. Nachdem Sohar wird der Messias die letzte der Seelen sefn, die Gott in das Körperleben eingehen läßt (vgl. Graetz, Gesch. d, Juden VII8, Leipzig 1894, S. 68). Zuerst erwähnen die frühestens im 5. Jhdt. n. Chr. entstandenen, Parsi-Werke der Sassanidenzeit, daß das aus dem Namen des Gayomareta hervorgegangene Menschenpaar Mataro und Mätaroyäo bezw. Maharth und Mahartyäoyih hieß (vgl. Bundahish 15, 2; E. W. West: Pahlavi-Texts P. 1. Oxford 1880 S. 53 Anm.) Das etwa aus dem 5. Jhrh. stammende Parsi-Werk: Bundehish (c 15, 6) nennt dieses Menschenpaar auch M ä s h y a und M ä s h y ö f. Da aber Gäyomareta der erste Mensch ist, so wird auch der Heiland Saoshyant bei der Wiederauferstehung zuerst

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diesen ins Leben zurückrufen (Bundahish 30, 7). Übrigens wird weder im Alten Testament noch in der spezifisch jüdischen Literatur der Messias als der »neue Adam« angesehen. Hier gibt wenigstens Drews zu, daß der per- sische Messias ein Mensch sei und nicht der Gott Mithra und steht somit im Widerspruch zu seinen eigenen obigen Behauptungen.

Ferner sollen nach Drews (S. 11) die Juden »die Vor- stellungen einer Auferstehung der Toten und eines Jüngsten Gerichts« natürlich aus dem Parsismus übernommen haben. Allein Edwin Albert hat kürzlich in einer sehr gelehrten Arbeit: »Die israelitisch-jüdische Auferstehungshoffnung« (Königsberg 1910) nachgewiesen, daß der israelitische Aufer- stehungsglaube durchaus als auf selbständiger Entwicklung beruhend angesehen werden muß und nichts vom Parsismus entlehnt hat. Die weitere Behauptung, daß die Satansvor- stellung des Alten Testaments ebenfalls von den Persern stamme, habe ich bereits in meinem Werke: Arisches im Alten Testament II, 51—53 (Berlin 1903) widerlegt.

Um so unbegreiflicher ist es, wie er in seinem Vor- wort zur 3. Aufl. sagen kann: »Ich blicke auch den ferneren Angriffen der Gegner mit völliger Gemütsruhe entgegen im Vertrauen darauf, daß eine Arbeit, wie die meinige, die aus ernsten Beweggründen entsprungen und mit entsagungs- voller Hintanstellung persönlicher Vorteile durchgeführt ist, nicht verloren, sondern dem geistigen Fortschritte der Menschheit nur dienlich sein kann.« Spricht so ein Vertreter ernster Wissenschaft, der in seinem Werke nicht einmal die elementarsten Grundsätze wahrer Wissenschaft be- achtet hat?

Nun nur noch ein Wort über die Art und Weise, wie Herr Drews das aus indischen Religionsquellen stammende Material verwertet hat. In den letzten Jahrzehnten haben mehrere Indologen auf viele buddhistische Legenden hin- gewiesen, die manche Ähnlichkeiten haben mit christlichen

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Erzählungen und haben ohne weiteres angenommen, daß nur Indien die Urquelle für solche christliche Erzählungen sein könnte. Allein der Leipziger Indologe Professor Win- disch, der im Schlußkapitel seines vor drei Jahren erschie- nenen Werkes >Buddhas Geburt«1) die zahlreichen Über- einstimmungen der buddhistischen Erzählungen mit den christlichen behandelt, gelangt zu dem Resultate, daß hier keine Entlehnungen stattgefunden haben, sondern die Ähn- lichkeiten zwischen manchen christlichen und buddhisti- schen Berichten nur als Parallelen im eigentlichen Sinne des Wortes, als »Linien, die sich nicht berühren und nicht schneiden«, aufzufassen sind. Drews, der nun in seinem Werke das von den lndologen aufgehäufte Material wieder- gibt, behauptet, ohne die obenerwähnte gelehrte Arbeit Windischs zu kennen, daß Indien die Urheimat der christ- lichen Erzählungen sei. Aber er begnügt sich nicht mit dem zuverlässigen, sekundären Material, das er bei den Indo- 'ogen gefunden hat, sondern erfindet hiezu noch eigene beweiskräftige Stücke.

Der indische Gott Püshan, der Beschützer der Pfade und Herden, wird ohne weiteres mit dem Gotte des Feuers, Agni, identifiziert »Püshan ist nur eine Form des Agni« (S. 99). Püshan verhält sich aber zu Agni wie in der grie- chischen Mythologie Pan zu Hephaistos. Ich muß annehmen, daß auch hier Drews nur aus Unkenntnis des Materials zu seiner wunderlichen Behauptung gelangt ist. Denn Püshan führt häufig den Beinamen Aghrni, was er wohl entgegen den Lautgesetzen mit dem Namen Agni in Beziehung gebracht zu haben scheint. Nach seiner Meinung ist neben dem persischen Mithra der indische Gott Agni mit dem »Christusmythus« verflochten. Und zwar wird der Agni zu diesem Zwecke gewaltsam zurechtgestutzt. Eigen- schaften, die eigentlich andern Göttern eigentümlich sind, werden ohne weiteres dem Agni zugesprochen. So nimmt

J) s= Abhandlungen d. Sachs. Qesellsch. d. Wissensch. 26, IL

16 Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft.

nach den indischen Schriften Vishnu als rettender Gott zuweilen die Gestalt eines Fisches an1), ebenso wie Apollo den in Gefahr schwebenden Seefahrern oft in der Gestalt eines Delphins Hilfe bringt. Agni dagegen erscheint niemals in Fischgestalt. Allein Drews behauptet : »Auch der Fisch kommt bereits im indischen Feuerkultus vor und scheint hier ursprünglich den im Wolkenwasser schwimmenden Agni zu repräsentieren« (S. 100). Daß übrigens das christ- liche Fischsymbol nicht aus Indien stammt, hat sehr ein- gehend H. Dölger in der Römischen Quartalschrift 1909 bewiesen. Es stammt wie ich es in einer Arbeit ausführ- lich dargelegt habe, aus dem Judentum.2) Da ich in meiner Abhandlung das gesamte Material über das Fischsymbol aus den jüdischen Quellen zusammengestellt habe, so ver- mag ich folgenden Satz von Drews einfach als ein Phan- tasiegebilde zu bezeichnen : »Die Rabbiner nannten den Messias Sohn Ben Josef Dag, Dagon »den Fisch« und ließen ihn aus dem Fische geboren werden, weshalb die Juden am Versöhnungsfeste noch lange einen Fisch zu schlachten pflegen« (S. 100). Dieses ist vollständig erfun- den. Ich möchte wissen, in welcher primären Quelle Herr Drews dieses Ungetüm gefangen hat.

Den Agni sucht Drews dann weiter gewaltsam zum Urtypus des christlichen Messias zu machen; deshalb er- findet er, daß Agni bei seiner Geburt getauft worden sei. Die christliche Taufe geht aber weder auf Indien noch auf Persien zurück, sondern hat sich aus der urjüdischen Sitte entwickelt, daß ein Heide, der in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen werden wollte, ein Tauchbad im fließenden Wasser nehmen mußte (vgl. Schürer: Gesch. d. jüd. Volkes, 4. Aufl. III, 182 ff.). Auf altrömischen Katakombenbildern des

') Vgl. Pischel: Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1905 S. 506«.

*) Meine Arbeit erscheint Heft 1 bis 3 des Archiv für Re- ligionswissenschaft 1911.

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2. Jahrhunderts n. Chr. sieht man zuweilen zum Zeichen dafür, daß der dahingeschiedene Römer der judenchristlichen Gemeinde angehört habe, bildlich dargestellt, wie der ehe- malige Heide das nach jüdischem Gesetze vorgeschriebene Tauchbad in einem Quellwasser genommen hat (vgl. A. de Waal: Roma sacra, München 1905, S. 65 f.).

Nur noch ein charakteristisches Beispiel für die Trug- wissenschaft, hinter der sich Unwissenheit und Methode- losigkeit birgt, will ich den Lesern anführen. Drews (S. 82) behauptet: Ebenso wie der jüdische Messias, Maschiach, ein Gottesgesalbter sei, so wäre auch der Gott Agni bei seiner Geburt »gesalbt« worden. »Im Hebräischen« sagt Drews S. 92 heißt »Messias, der Gesalbte«, aber auch Agni führt als Opfergott den Namen »der Gesalbte«, akta; ja es scheint, als ob Christus als Übersetzung von Messias mit Agni in Beziehung steht, denn der Gott, der bei seiner Geburt mit Milch oder dem heiligen Somatranke und Opfer- butter übergössen wird, führt den Kultbeinamen Hari; dieses Wort bezeichnet ursprünglich den durch Salbung mit Fett und Öl hervorgebrachten Lichtglanz» Es klingt in dem griechischen Charis, einem Beinamen der Aphrodite, an und ist in dem Verbum chrio »salben« enthalten, von welchem Christos die Partizipialform ist«.

Dieser scheinbar von Gelehrsamkeit triefende Satz ist aus Unmöglichkeiten zusammengesetzt. Untersuchen wir: 1. ob der Begriff des Messias sich wirklich mit altindisch akta deckt; 2. ob wirklich Hari der mit Fett und Öl hervorgebrachte Lichtglanz bedeutet; 3. ob Hari lautlich mit griechisch Charis und chrio zusammenhängt.

Es war eine altisraelitische Sitte, daß der Hohepriester und der König stets durch eine Ölsalbung des Hauptes ge- weiht wurden. Daher ist nicht nur der Hohepriester ein Maschiach (»Gesalbter«, 3. Mos. cap.. 4 u. 6), sondern auch der König ein »Maschiach Gottes« oder bloß »Maschiach«. Selbst heidnische Könige, wie der syrische König Hasael

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 2

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(I Kön. 19, 15) und Cyrus (Jes. 45, 1) erscheinen als »ge- salbt«. Gemäß der altbiblischen Zukunftshoffnung wird Israel, einst sittlich geläutert inmitten der Welt dastehen. Die ganze Welt wird am Ende der Zeiten unter dem Szepter eines mächtigen und weisen Mäschiach, eines Königs aus Davids Geschlecht, zu einem Gottesreiche vereinigt sein. Der Mäschiach hat also in dieser Auffassung die Be- deutung eines Weltenkönigs erlangt.

Dagegen kommt im Altindischen nicht die Anschauung vor, daß Agni durch »Salbung« bei seiner Geburt göttlich geweiht worden wäre. Agni personifiziert das Feuer. Der Götterbote Mätaricvan hatte es zuerst vom Himmel her den Menschen gebracht. Agni und Indra gelten als die Zwillingsbrüder von demselben Vater Prajäpati (Rigveda VI, 59, 2). In der Gestalt des Blitzes, der durch die Wasser- wolken fährt, wird Agni auch als der »Sohn der Gewässerc (Apännapat) gefeiert. Da das Feuer zu den wichtigsten Bestandteilen eines Opfers gehört, so spielt Agni beim Opferzeremoniell eine sehr hohe Rolle. Durch das Rei- ben zweier Hölzer wird er beim Opfer jeden Tag nach der Väter Weise von alters her auf dem Altare erzeugt. Daher heißt er auch der »jüngste« (yaviStha) Gott; er bleibt ewig jung, weil er immer wieder erzeugt wird. Ebenso wie den anderen Göttern werden auch ihm Soma und flüssige Butter als Libation dargebracht. Agni ist zugleich Erzeuger, Herr und Priester des Opfers, welches er als be- geisterter R§i den Göttern übermittelt. Daher ist er der Freund der Menschen und Götter. Das Wort akta, das mit Agni zuweilen in Beziehung steht, hat nicht die von Drews angegebene Bedeutung. Ich will hier mehrere Beispiele aus dem Rigveda für akta anführen : In VI, 4, 6 ist Agni »aktac cocisha« = »mit Glanz versehen«; in VI, 5, 6 heißt Agni dy ubhi r aktas »er ist mit Licht versehen«. I, 62, 8 charakterisiert akta die Morgenröte: »Die mit schwarzen und lichten Farben versehene (akta) Morgen-

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röte.« X, 177,1 »Das mit göttlicher Kraft versehene (aktam) Sonnenroß«. Häufig steht akta in Verbindung mit der Somaflüssigkeit. IV, 27, 5: »Dann trank Indra das blanke Gefäß aus, den mit Milch versehenen (gobhir aktam) fetten, lichten Somatrank«. IX, 96, 22: »Schon sind die gewaltigen Ströme des Soma ergossen, mit Milch verse- hen (akto gobhis) gelangt er in die Gefäße«.

Akta hat niemals die Bedeutung »durch Salbung ge- weiht«. Auch im Altindischen wird der König geweiht, aber diese Zeremonie besteht darin, daß der König mit Wasser besprengt wird. Das technische Wort »zum König weihen« heißt im Altindischen abhishic, dieses Wort bedeutet eigentlich »mit Wasser besprengen«, Das Substantiv »die Königsweihe« lautet abhisheka, das eigentlich »die Be- sprengung mit Wassert bedeutet. Somit haben wir nach- gewiesen, daß altindisch akta sich nicht mit dem hebräi- schen Wort Mäschiach begrifflich deckt.

Ferner bedeutet auch das Wort Hari, womit Agni oft verbunden ist, nicht, »den mit Fett und Öl hervorge- brachten Lichtglanz«. Hari ist im Rigveda ein gewöhnliches Beiwort des Feuers, der Sonne, des Blitzes und des Soma- getränkes und bedeutet, ,feuerfarbig, goldgelb, glänzend* ; schließlich werden auch die göttlichen Rosse mit Hari bezeichnet1). Die vergleichende Sprachwissenschaft lehrt nun, daß dieses Wort urverwandt ist mit altpersisch Zaray »goldfarben, gelb', lit. 2älas ,rot', lat. helvus, altsächs. gelo, altengl. geolo, dtsch. gelb. Dagegen ist griechisch Chäris abgeleitet von dem Verb. xa^w» altind. haryati ,gern haben,' ahd. ger ,begehrend', dtsch. gern. Weder altindisch Hari noch griechisch Chäris darf dem- nach mit griechisch chrio (*/ptw) zusammengestellt werden.

Jetzt erst wird der Leser imstande sein, die Worte Drews, die er in seinem Vorwort (S. VIII) sagt, richtig zu bewerten : »Wer sich im Gebiete der Wissenschaft umge-

J) Vgl. H. Grassmann: Wörterbuch z. Rigveda S. 1643-1649

V

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sehen hat, weiß, daß für Methode von jedem Mitarbeiter meist gerade nur dasjenige angesehen zu werden pflegt, was er selbst als eine solche ausübt, und daß auch der viel- berufene Begriff der Wissenschaftlichkeit sich sehr nach rein zufälligen und persönlichen Gesichtspunkten richtet«.

Also zufällige und persönliche Grundsätze sollen für wis- senschaftliches Arbeiten maßgebend sein? Es ist und bleibt in der Tat des Herrn Drews eigenartigstes Verdienst, diesen Grundsatz getreulich in seinem Werke durchgeführt zu haben. Selbstverständlich kann man von diesem Grund- satze aus sogar beweisen, daß selbst die Lebensgeschichte des niederländischen Freiheitshelden Egmont »durch eine Übertragung aus dem Mythenkreise des leidenden Messias zu- standegekommen« sei. Es sei mir gestattet, dies von mir will- kürlich erfundene Beispiel ein klein wenig näher auszuführen, da es sehr gut dazu geeignet ist, die Kombinationen einer Trugwissenschaft, wie sie Prof. Drews in seiner »Christus- mythe« zur Anwendung gebracht hat, grell zu beleuchten.

Ebenso wie die Niederländer im 16. Jhdt., wurden auch die Juden zur'Makkabäerzeit von einer Fremdherrschaft grausam unterdrückt. Die damaligen niederländischen Schriftsteller scheinen in Anlehnung an den Makkabäerhelden Jonathan ihren Naticnalhelden Egmont gestaltet zu haben. Der Makkabäer Jonathan war ein populärer Held, ebenso Egmont. Jonathan schenkte in seiner Treuherzigkeit selbst dem Feinde Glauben, ebenso Egmont. Jonathan wird unter falschen Vorspie- gelungen in die Burg des feindlichen Statthalters gelockt, ebenso Egmont. Jonathan muß seine Treuherzigkeit mit dem Leben büßen, ebenso Egmont. Jonathan ist aber nur eine mythische Erscheinung. Schon sein Name deutet darauf hin, daß er im Grunde identisch ist mit Jonathan, dem heldenhaften Sohn Sauls, dem vordavidischen Messias. Auch jener war ein volksbeliebter Held, der durch seine bewundernswerte Tapferkeit das Volk von den mächtigen Philistern befreit hat, aber schließlich für die Sünden seines Geschlechts den Tod erleiden mußte. Jonathan ist das Vorbild des leidenden Messias und eine mythische Gestalt, die auch in dem Freiheitskampfe der Juden gegen die Römer (etwa um 70 n. Chr.) plötzlich auftritt. So berichtet Josephus: Bellum Judaicum VI, 2, 10: »In jenen Tagen trat aus der Mitte der Juden ein Mann namens Jonathan, klein und unan-

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sehnlich von Gestalt, bei dem Grabmahl des Hohepriesters Johannes hervor . . . und forderte den Tapfersten von den Römern zum Zwei- kampfe heraus.* Die Römer wurden von gewaltiger Furcht ergriffen. Endlich wagte sich ein römischer Held mit ihm in den Zweikampf einzulassen. »Bei dem nun folgenden Zweikampf* so berichtet Josephus, »ließ den Römer, obwohl er im allgemeinen dem Juden überlegen war, sein Glück im Stich, so daß er zu Boden fiel; schnell sprang Jonathan herzu und tötete ihn.« Aber bald traf den Sieger ein Pfeil aus der Ferne, und tot brach Jonathan zusammen. Hier haben wir den leidenden Messias »er, der nicht wohlgeformt und nicht schön war, ... ist durchbohrt wegen unserer Frevel« (Jes. 53, 2 und 5). Da der Messias nach der späteren Überlieferung aus dem Geschlechte Davids stammen muß, so sind dem Jonathan manche Züge von Davids Taten angedichtet, so der Kampf Davids mit Goliath. Daß dieser Jonathan ein leidender Messias ist, geht auch daraus hervor, daß er plötzlich zuerst bei dem Grabmahl des J o- hannes auftritt. Johannes ist aber ebenfalls eine auf den Boden der Geschichte verpflanzte Gestalt des leidenden Messias. Man erinnere sich doch nur an Johannes den Täufer. Auch er erstrebte das Heil des jüdischen Volkes; auch er muß als Glaubensheld für das Wohl seines Volkes den Opfertod erleiden. Dieser leidende Messias Jonathan tritt dann nach der Zerstörung des Tempels noch einmal im Kampfe gegen die Römer auf. Er führte viele Juden in die Wüste, wo er ihnen Wunderzeichen verhieß. Er wurde jedoch im Kampfe gegen die Römer besiegt, gefangen genommen, ausgepeitscht und dann lebendig verbrannt (Josephus, Bellum, Jud. VII, 11, 1—3). Mithin sind die Züge des leidenden Messias auf die Gestalt des Egmont übertragen worden.

Und alles das ohne Apparate, nur mit Hilfe der Zutaten, über die Herr Drews so vorzüglich verfügt, und mit deren Anwendung man sehr bequem historisch gut beglaubigte Tatsachen gewaltsam verzerren kann. In dieser Art und Weise hat er sogar Mardechai und Haman zu Typen »des jüdischen Messias« gemacht, und damit eine Parodie zum Estherbuch geschaffen. »Den Evangelisten schwebte bei ihrer Darstellung der letzten Lebensschicksale des Messias Jesus der angeführte Brauch des jüdischen Purimfestes vor: sie schilderten Jesus als den Haman, Barabbas als den Mardechai des Jahres« (S. 41). Den Mardechai als »Messias« läßt Drews sowohl in altbabylonischen Festen als auch in

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neupersischen Festen der nachchristlichen Zeit mitwirken. Ich will kurz über diese unhaltbare Hypothese referieren:

1. Der Jude Mardechai ist der babylonische Gott Marduk. Als solcher führt er im babylonischen Neujahrsfest Zagmuk den Vorsitz.

2. In dem Satze Esth. 8, 15, in welchem geschildert wird, daß Mardechai anstelle des gestürzten Haman mit einer Krone und einem Purpurmantel angetan war, und die Stadt Susa jauchzte und fröhlich war, sieht Drews eine Beschreibung »des alten babylonischen Sakäenkönigs, des Darstellers des Marduk, wie er seinen Einzug in die Haupt- stadt des Landes hielt und hiermit das neue Jahr herbei- führte« (S. 39). Gleichzeitig ist Mardechai der Sklave, der in diesem Sakäenfeste, welches zuerst im 1. J h r h. n. Chr. von Strabo XI, 84 belegt wird, die Hauptrolle spielt und am Schlüsse des Festes umgebracht wird. Während Strabo berichtet, daß jenes Fest, in welchem Marduk über- haupt nicht vorkommt, ebenso wie unser heutiges Sedan- fest den Sieg verherrlicht, den ein persischer Feldherr über die feindlich vordringenden Saken errungen hatte, macht Drews daraus einen Mythos. Nach ihm »spielte der baby- lonische Sakäenkönig die Rolle des Gottes« Marduk- Mardechai »und erlitt als solcher den Tod auf dem Scheiterhaufen« (S. 38). Da aber die Juden bei der Über- nahme dieses Festes de n M arduk zum Juden Mardechai gemacht hätten, so ließen sie anstelle des Juden den Haman sterben (S. 40), denn auch Haman sei ein Messias, ein »vermenschlichter Gott« (S. 207).

3. Mardechai ist aber auch der »Bartlose*, der als solcher in einem frühestens um 1000 n. Chr. belegten neu- persischen Feste »den Ritt des Bartlosen« macht (S. 39). Bei dieser Gelegenheit wurde ein bartloser, womöglich ein- äugiger Hanswurst, völlig entkleidet und begleitet von einer königlichen Leibwache und einer Schar von Berittenen unter dem Hallo der Menge, die Palmzweige trug und dem

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Narrenkönig zujauchzte, auf einem Esel in feierlichem Auf- zuge durch die Stadt geleitet. Innerhalb einer festgesetzten Zeit mußte er seinen Ritt beendet haben und verschwinden, widrigenfalls er sich der Gefahr aussetzte, von der Menge angehalten und mitleidslos zu Tode geprügelt zu werden.

4. Ferner »liegt der Erzählung von Esther ein Gegen- satz zwischen den Hauptgöttern von Babylon, Marduk, l§tar und denjenigen des feindlichen Elam zu Grunde,« denn Harn an und Waäti wären die elamitischen Götter Human und M a § t i.

Bietet nicht mein obiges erfundenes Musterbeispiel, nach weichem Egmont ein leidender Messias sei, ein viel beweis- kräftigeres Material, als Drews Phantasiestück über Mardechai ?

Bereits in meinem Buche »Arisches im Alten Testament« habe ich diese Hypothese widerlegt (vgl. auch Jampel in dieser Monatschrift, Bd. 50, 289 ff.). Das Estherbuch schildert echt persische Zustände. Selbst der Satz Esth. 8, 15 ent- hält nichts Fremdartiges, sondern eine ganz ähnliche Ehrung wird auch dem Josef am ägyptischen Hofe zuteil (vgl. 1. Mos. 41, 42 f.), und da dieses nach den Ägyptologen der Sitte der Pharaonen entspricht, so könnte man daraus schließen, daß verdienstvolle Männer auf diese Weise an den orientalischen Höfen ausgezeichnet wurden. Im alten Persien trugen ebenso wie der König auch der Reichsver- weser und die sechs Stammesfürsten eine Art Krone (xfrrapi?). Ferner haben die Achämeniden häufig verdienstvollen Männern einen Purpurmantel verliehen. Nun ist Mardechai im Esther- buch von Anfang an ein Beamter am Königshofe (vgl. Arisches im Alt. Test. II, 23 f.). Mardechai ist zunächst dem Haman, dem obersten Würdenträger, untergeordnet, Haman wiederum dem Achaschwerosch. Dieser persische König, der in den altpersischen Keilinschriften Chschä- y ä rs c h a heißt, steht über allen, er bestimmt als Herrscher das Schicksal aller seiner Untertanen, er verstößt die Waschti, er setzt die Esther ein, er gibt Haman die Er-

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laubnis, die Juden zu vernichten, er erhebt Mardechai, er läßt Haman aufhängen. Die Namenähnlichkeit zwischen dem babylonischen Gott Marduk und Mardechai ist eine Zufällig- keit. Zunächst ist der Name Mardechai in der Bibel auch sonst belegt Unter den Juden, die unter Cyrus von Baby- lonien wieder nach Jerusalem zurückkehren, findet sich ebenfalls ein Mardechai. Schon der hervorragende Assyriologe J.Oppert hatte behauptet, daß derMardechai des Estherbuches nichts mit dem babylonischen Gotte zu tun habe. In ba- bylonischen Kontrakten ist der männliche Personenname Marduka vielfach belegt. Selbst ein Perser zur Zeit des Artaxerxes 1. heißt so. Dieser Name läßt sich ohne weiteres aus dem Persischen erklären. Ebensogut könnte er auch vom babylonischen Marduk ursprünglich abgeleitet sein. Jedenfalls war dieser Personenname in jener Zeit sehr ge- bräuchlich. Nun wissen wir, daß die Juden in der babylo- nisch-persischen Zeit teils babylonische1) teils persische Namen annahmen. In der späteren griechisch-römischen Zeit führten sie teils römische teils griechische Namen2). So findet sich auf den Grabsteinen der jüdischen Katakomben des alten Rom auch der Name Isidorus. Obgleich in jener heidnischen Zeit zu Rom auch die Isis angebetet worden war, scheuten sich die Juden nicht davor diesen von einer bekannten heidnischen Göttin abgeleiteten Namen zu führen. Esther darf auch nicht mit der babylonischen IStar identifiziert werden. Zunächst hätte babyl. § auch im Hebräischen zu § (seh) werden müssen. Der Talmud (Megilla 13 a) sagt, daß der Name Esther eigentlich >Stern« bedeute. Dieses weist auf persischen Ursprung hin. Im Altpersischen heißt der Stern star. Auch als Frauenname kommt dieses Wort im Per- sischen vor. Da nun jedem Fremdwort, das mit zwei

») Vgl. Samuel Daiches: The Jews in Babylonia in the Time of Ezra and Nehemia aecording to Babylonian Inscriptions, London .Jews' College) 1910, p. 11—29.

s) Vgl. LZunz, Gesammelte Schriften II (Berlin 1876) p.5-10

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Konsonanten anlautet, im Hebräischen der Vokal « (a) vor- gesetzt wird, so mußte altpersisch star zu ine« werden. Auch ins Syrische ist dieses persische Wort eingedrungen, wo es kidd« »Stern« lautet. Selbst wenn es möglich wäre, Esther aus IStar abzuleiten, würde hier nicht die Göttin zu verstehen sein, da IStar auch als weiblicher Per- sonenname in babylonischen Kontrakten häufig vorkommt. Ebensowenig wie Abraham mit dem indischen Gott Brahma und seine Gattin Sara mit der indischen Göttin Sarasvati zu schaffen hat, hat Mardechai mit Marduk und Esther mit l§tar etwas zutun. Auch Haman und Wa§ti sind keine Götter, denn einen elamitischen Gott Hamman (Humman) gibt es nicht, sondern nur einen elamitischen Gott Chumbabu. Chu(m)babu kommt sogar als elamitischer Personenname vor (vgl. P. Scheu, Textes Elamites-semitiques III, p. 177, Zeile 8). Daneben sind in den elamitischen Inschriften die Götternamen Chumba (bezw. Chuba) und Chumban zu Tage ge- treten (vgl. P. Jensen (Wiener Z. f. K. d. M. III, 56 ff.). »Ein Gott Gubaba wird III Rawlisnon 66. Obv. Z. 7 erwähnt, dazu vgl. Phot. lexicon: »Kußvißo; 6 y.xTS/ofxsvo; tjj MyjTpi twv frsSv dso<p6pviTo;« (Rob. Eisler, Philologus, Bd. 68 (1909), S. 172). Nach Rob. Eisler ist dieser elamitische Göttername auch in dem Namen der mittellykischen Stadt Kfytßx ent- halten. Chumbabu konnte lautgesetzlich unmöglich zu hebr. Haman werden. Eine elamitische Gottheit WaSti (Ma§ti) ist bisher überhaupt noch nicht auf- gedeckt, sondern Jensen hat statt B a r t i fälschlich Ma§ti gelesen. Ob die Gottheit Barti übrigens weiblich sei, ist bisher noch nicht erwiesen. Das Estherbuch enthält, wie ich eingehend nachgewiesen habe, etwa 50 altpersische Fremdwörter. Der Vater Hamans heißt Hamedäta; dieser Name ist echt persisch und würde deutsch heißen »Ha man söhn«. Da nach einem altpersischen Brauch der Enkel gewöhnlich den Namen seines Großvaters annimmt,

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so heißt der Sohn des Hamansohn ganz richtig H a- man. Dieses beweist, daß Haman nur aus dem Persi- schen stammen kann. Der Ursprung der Esther-Erzählung weist auf Persien hin. Da nun die altpersische Sprache mehrere altbabylonische Wörter aufgenommen hat, so ist es höchst wahrscheinlich, daß in derselben auch das baby- lonische Wort P u r u, Schicksalslos' (= hebr. pur) Aufnahme gefunden habe. Die Babylonier suchten ja seit uralter Zeit stets die Zukunft vorherzubestimmen. Da es gute und un- heilvolle Tage gab, so mußte man bei wichtigen Ereignissen den geeigneten Tag aus den Gestirnen feststellen. Diesen Brauch übernahmen die alten Perser von den Babyloniern. Der babylonische technische Ausdruck puru , Schicksals- los' wird nicht nur den Persern, sondern auch den dort wohnenden Juden geläufig gewesen sein. Ganz dieser baby- lonisch-persischen Sitte entsprechend berichtet der Midrasch (zu Esth. 3, 7), daß Haman aus den Sternen den geeig- neten Tag für die Vernichtung der Juden gedeutet habe. Für die Entstehung des Purimfestes gibt es viele religionsgeschichtliche Parallelen. Auf eine ähnliche Bege- benheit geht unser Chanukah-Fest zurück. Jahrhunderte lang wurde am 13. Adar der Nikanortag gefeiert, der zur Erinnerung an den glänzenden Sieg über den mächtigen syrischen Feldherrn Nikanor (um 160 v. Chr.) eingesetzt war. Die ägyptischen Juden hatten ein beson- deres Fest zur Erinnerung an die wunderbare Errettung, die ihnen einst widerfahren war, als Ptolemäus Physkon sie durch trunkengemachte Elephanten hatte töten lassen wollen (Joseph, contra Ap. II, 5 vgl. auch 3. Makkabaerbuch). Der 12. Adar 118 n. Chr., der Tag, an welchem die von Trajan zum Tode verurteilten jüdischen Freiheitshelden Julianus und Pappus von Hadrian wieder in Freiheit gesetzt wurden, wurde als Halbfeiertag eingesetzt und unter dem Namen Jörn Tirjanus ,Trajanstag' noch lange Zeit gefeiert. Eine andere außerjüdische Parallele zu dem Purim-

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fest bietet eine Inschrift von Pergamon, nach welcher das pergamische Volk zur Erinnerung an den siegreichen Feld- zug ihres Königs Attalos III, der die Stadt von einer drohenden Gefahr gerettet hatte, folgendes Fest beschließt. Jeder achte Monatstag wird, da der siegreiche König an einem solchen Tage in die Landeshauptstadt eingezogen ist, für einen Festtag erklärt ; der Jahrestag ist durch Prozession, Opfer und Festessen zu feiern. Auf eine ähn- liche Entstehung des altpersischen Festes »Magophonia« habe ich noch in meinem »Arisches im Alt. Test.« II, 56 hingewiesen.

Es ist die Pflicht eines jeden Historikers, die Tat- sachen auf sich wirken zu lassen, die Überlieferung unbe- fangen ohne Vorurteil zu prüfen, nicht zwar aus dem Zu- sammenhange der Völkergeschichte zu isolieren, aber eben- sowenig etwas in eine widerstrebende Verbindung hinein- zuzwängen. Die Art und Weise aber, wie Professor Drews arbeitet, kann man unmöglich ernst nehmen.

Zum Schlüsse untersuchen wir, wie die Anschauung aufkommen konnte, daß der Mensch Jesus ein Gott sei. Drews kühne Vermutung, daß »der mythische Jesus ur- sprünglich eine Gottheit war, der Mittler und Heilsgott aller jener jüdischen Sektierer, die zum Teil bereits dem 2. Jhdt. vor Chr. angehören«, ist unhaltbar1). Die Vorstellung, daß Jesus selbst Gott sei, ist vielmehr rein kulturhistorisch zu erklären.

Schon seit den ältesten Zeiten hielten sich die orien- talischen Herrscher Babyloniens und Ägyptens für göttliche Wesen (vgl. z. B. Orient. Lit. Ztg. 12, 1 f. und 12, 108). Selbst nach ihrem Tode wurden sie noch durch Opfer gött- lich verehrt2). So ließ sich nach Daniel (c- 6) auch Darius als eine Gottheit feiern. Mit dieser orientalischen Vorstellung

l) Vgl. H. v. Soden, Hat Jesus gelebt? Berlin 1910; H. Weinel, Ist das liberal« Jesusbild widerlegt? Tübingen 1910.

») Vgl. L. v. Sybel, Christliche Antike I (1906) p. 49, Anm.

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von einem göttlichen Königtum wurden die Griechen und Römer seit Alexander d. Großen recht vertraut. Seleukos wird z. B. als Zsu? vixaTwp, sein Sohn als 'Avtio^o? 'AtoXXwv <7WT/ip anerkannt1). Der Hymnus, den die Athener zu Ehren des siegreichen Demetrios Poliorketes (307 v. Chr.) dichteten, enthält diese Vorstellung von dem Gottsein eines Fürsten: »Wie die Sonne und die lieben Sterne erscheint er ihnen mit seinen Genossen als Sohn Poseidons und der Aphrodite. Die anderen Götter sind ja doch weit fort, sind überhaupt nicht oder hören uns nicht. Dich aber sehen wir Auge in Auge, nicht Holz oder Stein, sondern leibhaftig; darum beten wir zu dir: gib uns Frieden, denn du bist der Herr«2). Antiochos II. wird von den Milesiern, die er 258 v. Chr. von der Tyrannis befreit, 0so? »Gott« genannt3). Man er- blickte allgemein in dem siegreichen Fürsten, der den Staat aus einer großen Gefahr gerettet hat und ihm Frieden und Heil gebracht hat, den göttlichen Heiland fWr^p), Die Diadochen heißen owr/ipes »Heilande« und ebenso ihre Nach- folger, die römischen Statthalter4). Unter den Römern wird zuerst Cäsar als Weltheiland verherrlicht5).

H. Lietzmann hat in seiner Schrift: Der Weltheiland (Bonn 1909) ausgeführt, daß besonders der römische Dichter Vergil das Ideal eines königlichen Heilands für das rö- mische Reich herbeigesehnt hatte. Gemäß der vierten Ekloge Vergils wird ein göttlicher König, ein Sohn Jupiters, den Völkern als ihr Heiland, den sehnlichst erwarteten Frieden bringen. Bald sah man auch in Augustus diesen göttlichen König, den Retter der Welt, mit dessen Geburt eine neue Ära hereingebrochen ist. »Der Geburtstag des Gottes hat

*) S. Dittenberger, Orientis Inscr. 457, Rohdes, Psyche II4, S. 359, Anm. 5; S. 375, Anm. 1.

2) P. Wendland, Die hellenisch-römische Cultur, S. 75.

3) Vgl. R. Herzog, Sitz. d. Preuß. Ak. Wiss. 1905, S. 984. <) Vgl. z. B. Cicero in Verrem III, II. 63, 154.

6) Dittenberger, Syll. inscr. Gr. I, nr. 347, vgl. auch O. Hirsch- feld : Zur Gesch. d. röm. Kaiserkultus, S. Preuß. Ak. Wiss. 1888, p. 833 ff.

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für die Welt die an sie sich anknüpfenden Heilsbotschaften heraufgeführt. Von seiner Geburt muß eine neue Zeitrech- nung beginnen«1). Nicht nur römische Dichter, sondern auch die Hellenen preisen den Augustus als den Bringer des Weltfriedens, als Heiland2). Plinius, der zur Zeit des Kaisers Vespasianus lebte, hält es für ganz selbstverständlich, daß man wohlverdiente Kaiser für Gottheiten erklärt. Er sagt (Historia nat. II, 7) betreffs der römischen Kaiser: »Solche Männer unter die Gottheiten zu versetzen, ist eine uralte Sitte der Dankbarkeit gegen hochverdiente Männer, und gewiß sind auch die Namen aller anderen Götter von sol- chen verdienstvollen Menschen hergenommen«3). Kaiser Do- mitian, Sohn des Vespasian, nennt sich auch 0sou ulo; »Sohn Gottes«4). Aurelian hat sich ebenfalls als Deus anbeten lassen5). Diese Vorstellung von der heilbringenden, göttlichen Macht haftete so stets an den Namen Kaiser. Die Überlieferung des Midrasch Tanchuma (zu 1 Mos. c. 2), daß der römische Kaiser, nachdem er sich alle Reiche unterworfen hatte, sich für einen Gott erklärte, beruht somit auf Wahrheit. Diese heidnische Auffassung, daß der Mensch ein Gott werden könne, hält der Midrasch für eine Gottes- lästerung. Er sagt, selbst Elias, der so viele Wunder getan hätte, habe sich nicht für einen Gott gehalten. »Wer sich für einen Gott erklärt, baut gleichsam einen Palast im

*) So feiert eine ans dem Jahre 9 v. Chr. stammende Inschrift den Augustus, vgl. Mommsen u. v. Wilamowitz im Deutsch. Arch. Inst. 23, Heft 3; Christi. Welt 1899, Nr. 51.

*) Vgl. Ancient greek Inscr. in the British Mus. Nr. 894.

3) Eine ähnliche Vorstellung existiert im Buddhismus. So kann der Mensch vermöge seines frommen Lebenswandels in der nächsten Geburt in der Oötterwelt als Gott wiedergeboren werden. Ein Gott kann aber wegen einer begangenen Sünde wieder als ein Mensch, ja als ein Tier geboren werden (vgl. R. Pischel, Leben u. Lehre Buddhas, Leipzig 1906, S. 54).

*) Vgl. C. M. Kaufmann, Handbuch d. christl. Arch., S. 294.

*) Wendland, Die hellen.-röm. Kultur, S. 93.

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reißenden Strom«. Infolge dieser heidnischen Vorstellung, daß hervorragende Menschen Abkömmlinge von Göttern seien, hielten die Lykaonier sogar die beiden unter ihnen predigenden Apostel Barnabas und Paulus für Gottheiten, denen sie Opfer darbringen wollten, indem sie sprachen : »Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herniedergekommen«1).

Jesus war nun von seinen Jüngern als messianischer König hingestellt worden2), der »das Reich Israel wieder aufrichten«3) wird. In den Augen der Heiden mußte deshalb Jesus unwillkürlich als ein göttlicher Sproß erscheinen. In der Tat hat auch A. Deißmann4) einen Zusammenhang zwischen der göttlichen Verehrung Christi und dem Kaiser- kult nachweisen können. »Das Heidentum für die Massen, die sich zum Glauben an den Gekreuzigten bekannten, änderte sich nur in der Form, nicht im Wesen«5). Das Christentum hat sich seit seiner Entstehung stets an die heidnischen Anschauungen desjenigen Volkes angelehnt, das es zu bekehren suchte. So hat z. B. Mani, der um 240 das.Christentum in Persien einzupflanzen suchte, an manche Ideen des Parsismus angeknüpft und sie nur christlich ge- färbt. Ebenso hat Paulus das Christentum den heidnischen Anschauungen zum Teil anzupassen gesucht.

Paulus sagt selbst (I Kor. 9, 20 22) : »Denen, die ohne Gesetz leben,bin ich als ein ohne Gesetz lebender geworden, auf daß ich die, welche ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwa- chen bin ich geworden als ein Schwacher, auf daß ich die Schwachen gewinne. Ich bin jedermann verschiedenartig geworden, auf daß ich allenthalben ja etliche selig mache«.

J) Apostelgesch. 14, 11-12.

») Mattb. 27, 11; Marc. 15, 2; Luc. 1, 33; 19, 3S; 23, 2 -3; Ap.. 17, 7.

») Ap. 1, 6.

*) Deissmann, Licht vom Osten, Tübingen 1909.

&) H. Usener, Dreiheit, Bonn 1903.

Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft. 31

Dementsprechend knüpft er seine Bekehrungspredigt in Athen an einen heidnischen Brauch an, indem er sagt: »Ich bin hier durchgegangen und habe eure Gottesdienste ge- sehen und fand einen Altar, darauf war geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch denselben, dem ihr unwissend Gottesdienst tuU1). Daher nimmt es nicht Wunder, wenn noch Justin (um 150) an die Wahrheit der klassischen Mythen glaubt: »In alter Zeit sind die Dä- monen in Menschengestalt erschienen und haben mit Frauen Ehebruch getrieben, Knaben geschändet und den Menschen Schreckbilder gezeigt, so daß sie von Furcht gepackt und nicht wissend, daß es böse Dämonen waren, sie Götter nannten und die einzelnen mit dem Namen anredeten, wel- chen sich ein jeder der Dämonen beilegte**). Durch die Heidenchristen, welche noch unter dem Banne der damals vorherrschenden Idee standen, daß Herrscher von Göttern abstammten und selbst Götter seien, kam auch die An- schauung auf, daß »Gottes Sohn«, Christus, von einer reinen Jungfrau geboren sei. Im Gegensatz zu der klassischen Mythologie, die den Göttern sündhaften Ehebruch mit ver- heirateten irdischen Frauen zuschrieb, wollten so die Hei- denchristen den Gedanken an einen Ehebruch nicht auf- kommen lassen8).

») AposteJg. 17, 23.

*) Justin, Apologie I, 5.

3) Übrigens war bereits im Heidentum die göttliche Abstam- mung häufig mit der Vorstellung der unbefleckten Empfängnis ver- knüpft. Zu Rom durfte niemand zu leugnen wagen, daß Romulus vom Gotte Mars mit der jungfräulichen Rhea Silvia gezeugt war. Die Schüler Piatos waren fest überzeugt, daß Perictione als reine Jungfrau durch Apollo Mutter des großen Plato wurde, und daß der Gott selbst diese Abstammung des Kindes ihrem Verlobten Ariston verkündet hatte. Aus der Mythologie erinnere ich nur an die Verbindungen des Zeus mit der jungfräulichen Danae, Leda, Io oder Europa. Die übernatür- lichen Geburten behandelt eingehend E. S. Harlland, Legend of Perseus, London 1894. Vol. 1. Auch Buddha wird gemäß einer spä- teren Überlieferung von einer unbefleckten Jungfrau geboren, vgl.

32 Die Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte d. Wissenschaft.

Die Untersuchung hat somit ergeben:

1. daß Drews Annahme, der jüdische Messias und der christliche Heiland seien vom Parsismus abgeleitet und hätten auch Züge vom indischen Gott Agni angenommen, gänzlich erfunden ist;

2. daß Drews das Buch Esther völlig unmethodisch und romanhaft behandelt hat1);

3. daß die Geschichtlichkeit der menschlichen Person Jesu durch Drews Werk wenigstens nicht erschüttert ist.

Windisch, Buddhas Geburt, Leipzig 1908, S. 156-173. Daß hier der Buddhismus nicht das Christentum beeinflußt hat, hat Windisch, S. 220 ff. wahrscheinlich gemacht.

') Drews Ableitung des Purimfestes vom Sakäen- und Zagmuk- feste und dem »Ritte des Bartlosent sind ohne kritische Prüfung aus Frazers Werk »Golden bough« entnommen. Aber Drews hätte das Buch des Andrew Lang, Magic and religion (London 1901) kennen sollen, worin Frazers Hypothesen schon zum Teil gründlich wider- legt sind.

Die Männer der großen Versammlung und die Gerichtshöfe im nachexllischen Judentum.

Von S. Funk.

Zu den vielen Fragen, die noch ihrer Lösung harren, gehört auch die der Geschichte und der Zusammensetzung der »großen Versammlung« und der verschiedenen Richter- kollegien zur Zeit des zweiten Tempels. Über die ältere Zeit sind die Quellen äußerst spärlich und über die spä- tere Zeit weichen die Berichte vielfach von einander ab. So schildert Josephus die Richterkollegien ganz anders als sie uns durch die talmudischen Quellen überliefert werden. Die meisten Forscher entscheiden sich nach Kuenen und Schürer, den zwei Wortführern im Streite, ohne weiteres für Josephus und lassen die hebräischen Quellen ganz unberücksichtigt. Man hat es gar nicht versucht, den Spuren der Einrichtungen, wie sie nach Josephus im jüdischen Volke bestanden haben, im talmudischen Schrifttume nach- zugehen. Und solche müßten sich doch in den älteren Quellenwerken finden, wenn die Angaben des erwähnten Historiographen auf Wahrheit beruhen sollen. So groß ist ja die Zeitdifferenz zwischen Josephus und den älteren Teilen des talmudischen Schrifttums denn doch nicht, daß während derselben die Zahl der Mitglieder und die Art der Zusammensetzung so bedeutender und wichtiger Körper- schaften, wie die der Synhedrien, in Vergessenheit geraten sein sollten! Im Nachstehenden wollen wir den Versuch machen, einzelne diesbezügliche Angaben des Josephus mit denen des Talmud zu vergleichen und bei manchen der- selben deren Übereinstimmung nachzuweisen. Der Über- sicht halber wollen wir mit den kleinsten der Richterkol-

Monatsschrift 55. Jahrgang. ■*

34 Die Männer der großen Versammlung und

legien den Anfang machen und im Laufe der Abhandlung zum höchsten Forum, zu dem der »großen Versammlung« aufsteigen, welches weit mehr den Charakter einer gesetz- gebenden Körperschaft hatte, als den eines Gerichtshofes.

A

D ie Zahl der Mitgliede r in den verschiedenen

Gerichtshöfen.

1) Gerichtshof für (Civil-) Geldprozesse. Nach der Mischna Sanhedrin I, 1, bestand das kleinste Ortsgericht aus drei Personen, das »kleine Synhedrium«, der eigentliche Kriminalgerichtshof, aus 2'^ und endlich das große Synhedrium aus 71 Mitgliedern. Nach Josephus scheint die kleinste Ortsbehörde aus 7 Personen bestanden zu haben. Nach seiner Angabe soll nämlich Moses ange- ordnet haben: »Es sollen gebieten in jeder Stadt sieben Männer, und jeder Behörde sollen zur Unterstützung zwei Männer vom Stamme Lewi beigegeben werden«. (Antt. IV, 8, 14 ap/eTco-rav exi<mjv ~gmv av^o? etctc.': . . . ivA.Q-r, öz apj^j

Man könnte bei dieser Stelle zunächst an eine Ver- waltungsbehörde denken. Die Verwaltungsbehörden der Kommunen bestanden ja noch in talmudischer Zeit aus sieben Personen (den vyn *31B npatP, Megilla 26 a und b). Aber aus Bell. Jud. II, 20, 5 geht deutlich hervor, daß die siebengliedrigen Behörden, die Josephus in den Städten Galiläas einsetzte, Richterkollegien waren. Sie hatten nur kleinere Streitigkeiten abzuurteilen, nicht aber t<x |asi'(<o Tcp-y-Y^'/Ta y.al Ta? <p<mx,oc; Stxa;, deren Aburteilung vielmehr dem von Josephus eingesetzten Rat der Siebzig vorbe- halten war. Und auch bei der Wiedergabe des Gesetzes über anvertrautes Gut (Exod. 22, 6) setzt Josephus die Existenz von Sieben-Männer-Gerichten voraus (Antt. IV, 8 38): el hz |A7)0*sv £7ußo<Aov Spöv 6 icurreuftcl; <i::o}icrsv, ä<f>i:<6f/.svo;

S7Tt TOU? £%T7. JtpiT«; OUVUTtö TOV t>s6v V.xX

die Gerichtshöfe im nachexilischen Judentum. 35

Schürer (Gesch. d. jüd. Volkes 3. Aufl. II, 177) meint, daß der Widerspruch auf einem Mißverständnis beruhe; die Mischna will nur jene Fälle aufzählen, zu deren Entschei- dung drei Personen genügen. So genügen z. B. drei Per- sonen zur Entscheidung in Geldprozessen, dreiundzwanzig Personen zur Entscheidung in schweren Kriminalprozessen usw. »Aber nirgends« meint Schürer »ist gesagt, daß es Ortsgerichte gegeben habe, welche aus drei Personen bestanden.« Daß das kleinste Richterkollegium nach der Auffassung der babylonischen Amoräer nicht immer aus drei Personen bestehen mußte und in talmudischer Zeit nicht aus drei Personen bestanden hat, hätte Schürer aus San- hedrin 7 b entnehmen können, wo ja ausdrücklich berichtet wird, daß R. Huna, so oft eine Gerichtsverhandlung vor ihn kam, zehn Gesetzeskundige um sich versammelte, damit, wie er sagte, ihn »nur ein Span vom Balken (ein kleiner Teil der Verantwortlichkeit) treffe«1). R. Huna hat wohl nicht ohne besondern Grund gerade 10 Richter zu den Verhandlungen berufen. Er hätte ja in seinem von Gelehrten überfüllten Lehrhause2) zu jeder Zeit auch 23 Gesetzeskundige finden und jeden Fall durch ein kleines Synhedrium entscheiden lassen können. Er hätte dadurch seine Verantwortung jedenfalls noch mehr verringert, und wenn er sich mit JO Richtern begnügte, so wird es mit der Zahl 10 wenn man dazu noch den vorherstehenden Ausspruch des R. Josua b. Lewi berücksichtigt, der ebenfalls von 10 Richtern spricht eine besondere Bewandtnis haben. Auch Maimuni sieht die Zahl 10 nicht als eine zufällige an. »Obgleich«, sagt dieser, »ein Richterkollegium von drei

J) Vgl. den vorherstehenden Ausspruch R. Josuas b. Lewi : »Wenn zehn zu Gericht sitzen, so hängt die Halsfessel um den Hais dieser aller«.

*) Vgl. die hyperbolische Äußerung der Palästinenser über die große Anzahl seiner Hörer in Kethubb. und Funk, die Juden in Ba- bylonien I, 113.

36 Die Männer der großen Versammlung und

(Richtern) als ein komplettes zu betrachten ist, so ist es doch, je größer die Zahl derselben ist, umso lobenswerter; und es ist gut, daß man die Prozesse durch elf, durch mehr als zehn Richter entscheiden lasse« (Jad ha-chasakah hilch. Sanh. II, 13). Man sieht, daß Maimuni auf das »mehr als zehn« Gewicht legt. Nichts ist aber naheliegender, als die Zehnzahl auf die »edah« zurückzu- führen, die in der Bibel als Richterkollegium bezeichnet wird rriyn ibdtbm (Num. 35, 24, 25) und unter welcher man nach der Mischna (Sanhedr. I, 4) zehn Personen verstanden hat. Bekanntlich darf ja auch der öffentliche Gottesdienst nur in einer »edah« von 10 erwachsenen Personen abge- halten werden (Megilla 23 b).

Die Palästinenser, die in Bezug auf den Kultus auch einer Versammlung von sieben Personen die Rechte einer öffentlichen Versammlung zuerkannt haben (vgl. Soferim 9, 7), werden darum wohl auch schon zur Zeit des Josephus, die Zahl der Richter in der Regel von drei nur auf sieben, nicht auf zehn erhöht haben. Dies mag denn auch Josephus veranlaßt haben, stets von siebengliedrigen Richterkollegien zu sprechen. Ob ihm die Halachah bekannt war, daß zur Entscheidung von Geldprozessen eigentlich drei Personen genügen, läßt sich kaum beweisen und ist auch nicht an- zunehmen. Dies stand zur Zeit des Josephus vielleicht auch nicht ganz fest. Bekanntlich gingen die Meinungen über den ersten Satz: »Geldprozesse werden durch drei (Richter) entschieden«, der weit älter ist als die nachfolgenden Sätze der ersten Mischna in Sanhedrin schon zur Zeit der Tannaim auseinander. Kein Geringerer als R. Juda ha-Nasi nach der Mechilta zu Exod. 22, 8. R. Meir verstand diesen Satz so, daß die Majorität, die die Entscheidung fällt, aus drei Richtern bestehen solle, die Gesamtzahl der Richter wäre demnach mindestens fünf gewesen. »Rabbi sagt (Geldpro- zesse) werden durch fünf entschieden, damit jede Entschei- dung durch (eine Majorität von) drei Richtern entschieden

die Gerichtshöfe im nachexilischen Judentum. 37

werde« (Tosefta 1, 1). Im jerusalemischen Talmud (Sanhedrin I, 1) wird dies von R. Abbahu, der von der erwähnten To- sefta offenbar keine Kenntnis hatte, als Frage aufgeworfen: »Nach Rabbis Auffassung (von Exod. 22, 18) durften Geld- prozesse nur durch fünf und (schwere Kriminalprozesse) durch eine Majorität von 23 (also eigentlich durch ein Richterkollegium von Ab) entschieden werden?!«1) Und als Antwort wird eine Boraitha von R. Chiskija zitiert, die, wie die Tosefta infolge der Auslegung dieses Schriftverses für Geldprozesse in der Tat fünf Richter vorschreibt2). Es scheint demnach eine ziemlich verbreitete Ansicht existiert zu haben, welche auch bei Geldprozessen eine Minimalzahl von fünf Personen vorschrieb, wozu noch die zwei Ge- richtsschreiber kamen (s. das. I b), die wohl in der Regel als gleichberechtigte Richter zugezogen wurden, so daß die Gesamtzahl der Richter in der Regel sieben betrug.

2) Das kleine Synhedrium (das Kriminalgericht). Über die weitere Konsequenz, die nach R. Abbahu von jener Auffassung der Mischna, nach welcher er mit der Zahl »drei« die Stimmen der Majorität im Richter- kollegium feststellen wollte, gezogen werden müßte und

») Im babylonischen Talmud Sanhedr. 3 heißt es: R. Abbahu sagte lästernd: Demnach müßte das große Synhedrium aqs 141 Mit- gliedern bestehen, um mit einer Majorität von 71 Entscheidungen fällen zu können und das kleine Synhedrium aus 45 Mitgliedern, um mit einer Majorität von 23 Richtern entscheiden zu können. In der Bibel hieß es aber doch: »Versammle mir 70 Männer« (Num. 11, lo), beim Zusammentritt des Gerichtshofes sollen es nur 70 sein?! Im palästin. Talmud wird die Frage R. Abbahus von vornherein wohl mit Rücksicht auf den angeführten Schriftvers nur auf das kleine .Syn- hedrium, nicht auf das große ausgedehnt. Bei diesem konnte kein Zweifel obwalten.

2) Von einem fünfgliedrigen Kollegium, welches Besfihlüpse faßte, wird berichtet in der Tos. Tehar. IX, 14, Mikwaoth VIII, 10, Schebiith IV, 21 und in der Mischna Erubin III, 4- In Ganzak. wird von R. Jizchak, richtiger R. Zadok, eine rituelle Frage an R. Josua

38 Die Männer der großen Versammlung und

demnach auch die Zahl 23 bei schweren Kriminalprozessen als Norm für die Stimmenzahl der Majorität im Richter- kollegium, nicht aber für die Gesamtzahl der Richter, auf- gefaßt werden sollte, wird weiter nicht gesprochen. Es ist auch keine Baraitha bekannt, die in der richtigen Kon- sequenz dieser Ansicht für Richterkollegien bei Kriminalpro- zessen 45 Richter vorschreiben würde. Es ist aber doch sehr wahrscheinlich, daß diese Ansicht, die von einem so be- deutenden Manne, wie dem Mischnaredaktor vertreten wurde, auch in den früheren Jahrhunderten ihre Anhänger hatte und daß ihr in der Praxis Rechnung getragen wurde.

Aus zwei Notizen des Josephus über den bekannten Prozeß gegen Herodes, aus seiner Angabe Antt. XIV, 9, 4, nach welcher Herodes beim Antritt seiner Regierung alle Mitglieder des Synhedriums getötet (wavracs awejweive tou; evt<3 <7uveSpiw) und aus Antt. XV, 1, 2, nach welcher er »die 45 Vornehmsten von der Partei des Antigonus« getötet habe, geht nämlich hervor, daß es dazumal ein Synhedrium von 45 Richtern gegeben habe. Wellhausen (die Pharisäer und Sadduzäer, Greifswald 1878, S. 105) glaubt darum an- nehmen zu müssen, daß das große Synhedrium aus 45 Richtern bestanden habe. Schürer verweist hingegen mit Recht auf andere Stellen in Josephus, wie Bell. Jud. II, 20, 5, Vfta 11 aus welchen mit Sicherheit auf 71 Richter des großen Synhedriums zu schließen ist und meint, daß jenes TOxvTa? des Josephus nicht wörtlich zu nehmen (Schürer, Gesch. d. jüd. Volkes usw., 3. Aufl., S. 198) sein werde. Herodes hat also 45 und nicht »alle« Mitglieder des Syn- hedriums getötet. Ist aber auch das angeführte Wort nicht wörtlich gemeint, so ist nicht anzunehmen, daß Josephus ■rcavTa? arcsxTsive Toug £v i& <7uv£$p(o> geschrieben hätte, wenn

b. Elischa und an die vier Ältesten, die mit ihm waren, also an ein fünfgliedriges Kollegium (Nasir 44 a) gerichtet. In der Pesikta 152a und in Levit. rab. 29, 4 wird der Schriftvers y 89, 16 auf die fünf Lehrer bezogen, die die Monatseinschaltung vornehmen.

die Gerichtshöfe im nachexilischen Judentum. 39

Herodes nur 45 von 71 Synhedrialmitgliedern getötet hätte. Die genannten Forscher, wie auch Jelski, der Schürerfolgt, haben wohl übersehen, daß dem Herodes (nach Antt. XIV, 9, 4) Mordtaten zur Last gelegt wurden und ein solcher Prozeß nicht zur Kompetenz des großen, sondern des kleinen Synhedriums gehörte. Ein solches mußte nach der Über- lieferung R.Judas, des Mischnaredaktors, konsequenterweise aus 45 Richtern bestehen, da die Majorität 23 betragen mußte. Daß aber nicht der Gerichtshof von Galiläa, der eigentlich als an der Stätte der Wirksamkeit des Herodes dazu berufen gewesen wäre, sondern ein kleines Synhedrium in Jerusalem diesen Prozeß durchführte, dessen Richter zu den Vornehmsten und auch zu den Mitgliedern des großen Synhedriums gehörten, ist damit zu erklären, daß ein an- deres Forum nicht den Mut gehabt hätte, einen Herodes vor den Richterstuhl zu laden. Auch dieses hätte es kaum gewagt, wenn ihn Hyrkan nicht dem Gerichte überwiesen hätte. Wagte es doch angesichts der bewaffneten Kriegs- schaar, an deren Spitze Herodes vor dem Gerichte erschien nur ein beherzter Mann, Eayias (aller Wahrscheinlichkeit nach = Schammai) dem Angeklagten seine Sünden vorzu- halten (Antt, a. a. O. 3-5).

3) Das große Synhedrium.

Das große Synhedrium hat auch nach Josephus aus 70 Mitgliedern (außer dem Vorsitzenden) bestanden (vgl. Bell. Jud. II, 18, 6; II, 20, 5; IV, 5, 4; Vita 11 und Schürers Gesch. II, 198); wird aber nur selten vollzählig zusammen gewesen sein; es trat nur zusammen, um die Prozesse zu entscheiden, die nach der Mischna (Sanhedrin XI, 2) zur Kompetenz des »Gerichtes von 71« gehörten, zunächst wo es sich um Fälle handelte, über welche die niedrigen Ge- richte sich nicht einigen konnten (ebendas. Tosefta Sanhedr. VII und Joseph. Antt. IV, 8, 14). Die Richter hatten ja ihren bürgerlichen Beruf, dem sie nachgehen mußten. Nur ein

40 Die Männer der großen Versammlung und

Dritteil, nämlich 23 Richter von den Mitgliedern des großen Synhedriums, mußten ständig in der Quaderhalle anwesend sein (Sanhedr. 37 a, vgl. auch jer. Sanhedr. 19 c und Maimuni Hilch. Sanhedr. III, 2). Bei dem erwähnten Prozesse gegen Herodes, welcher wohl von einem aus Mitgliedern des großen Synhedriums >den Vornehmsten aus der Partei des Anti- gonos« zusammengesetzten Gerichtshofe durchgeführt wurde, waren 45 zugegen; sei es, daß man auch jener Ansicht Rechnung tragen wollte, die für die entscheidende Majo- rität bei jedem Kriminalprosse 23 Stimmen forderte, oder daß man nur wegen der Bedeutung des großen Pro- zesses das Ansehen des Gerichtes durch diese Maßregel erhöhen wollte. Denn das steht ohne Zweifel fest, daß diese Ansicht, ungeachtet des Umstandes, daß sie von späteren Tannaim verfochten wird, in der Praxis, die viel- leicht verschiedenartig gehandhabt wurde, wurzelte.

4. Die Männer der großen Versammlung.

Die »Große Versammlung« war ursprünglich, wie be- reits erwähnt wurde, kein Gerichtshof, sondern ein regie- render oder an der Regierung mitbeteiligter Senat. Dieser übte bis zur Zeit des Simon Justus im Wesentlichen alle Religionsbefugnisse aus und war zunächst die gesetzgebende Körperschaft auf religiösem wie auf sozialem Gebiete. In der griechisch-römischen Zeit sind jene Befugnisse zum großen Teile auf das 7igliedrige Synhedrium übergegangen1). Bei wichtigeren Einführungen und tief ins Leben einschnei- denden Verordnungen trat jedoch auch in späteren Epochen eine solche »Versammlung« zusammen (vgl. Halevy, Do- roth ha-rischonim IIa, S. 42). Als letzte derartige »Versamm- lung«, welche Beschlüsse von weittragender Bedeutung

») Darum bezeichnet es Josephus als ?, yspoucia (Anlt. IV, 8, 14. Vgl. Schürer II, S. 190). Der Verfasser von Act. 5, 21 hat aber richtig das Synedrium von der Oerusia unterschieden und ersteres für einen engeren Begriff gehalten als letztere. Letztere stand höher und hatte 85 Mitglieder. Vgl. hingegen Schürer II8, S. 196. Note 16.

die Gerichtshöfe im nachexilischen Judentum. 41

fasste, wird die mian2) (Versammlung) z. Z. des Patriarchen R. Jehuda II. öfter erwähnt (Sabbath 3 a, Jebam. 92 b, Ke- thub. 2 b, 63 b, 78 b, Gittin 72 b, 76 b, Aboda sara 37 b, Nidda 25 b u. 35 b).

Als Urheber der von dieser Versammlung gefassten Beschlüsse werden die Teilnehmer an dieser Versammlung an den erwähnten Stellen nur lrnm »unsere Lehrer« schlechtweg genannt; wegen ihrer Bedeutung wurden sie auch als »gepanzerte Männer« (poin -byz) bezeichnet und darum ist das Zusammentreten dieser Körperschaften in Jebam. 121 a mit on/vn ausgedrückt. An derselben Stelle wird berichtet, daß diese aus 85 Mitgliedern bestanden habe. Auch zur Zeit des Patriarchen R. Gamaliel II (80 117) hat in Jamnia eine 85gliedrige Gelehrtenversammlung getagt (Tosefta Kelim, baba b. 2, 14). Fügt man noch hinzu, daß es 85 Männer waren, die nach Nechemja (Kap. 8 10) den Bund mit Gott unterschrieben haben und daß schon in vorexilischer Zeit eine 85gliedrige Vertretung erwähnt wird, so wird man die Angabe des jerusalemischen Tal- muds (Meg. 70 d), nach welcher auch die »Große Versamm- lung«, die von Esra ins Leben gerufen wurde, Jahrhunderte hindurch das höchste religiöse und juridische Forum ge- bildet, aus 85 Mitgliedern bestanden hat, kaum bezweifeln können.

Diese Zahl ist ihrem Ursprünge nach, wenn wir den Umstand berücksichtigen, daß wohl auch diese oberste Be- hörde wie das 70gliedrige Synedrium der Bibel (Numeri 11, 16, 24) sich aus den vornehmsten Personen der 12 Stämme zusammengesetzt hat (s. Sanhedrin 17 a), auf die sieben- gliedrigen Vertretungen der Stämme die politische Ver- waltung der Städte lag ja noch in talmudischer Zeit in

2) Vgl. Midr. r. zu Hohel. 7, 14, wo die Versammlungen (miam des Moses, Josua, David und Chiskija als »die alten« (Versammlungen), die des Esra, Jochanan b. Sakka'i und R. Meir als die neuen bezeichnet werden.

42 Die Männer der großen Versammlung etc.

der Hand einer siebengliedrigen Vertretung TOT '^B nyaty, Megilla 28 a zurückzuführen (12 X ? + l)1). Eine Ver- sammlung von 7 Personen war, wie bereits erwähnt, nach der Ansicht der Palästinenser cnjja *ö3rT) berechtigt, einen öffentlichen Gottesdienst abzuhalten (Soferim 9, 7). Nach der Anschauung der Patriarchen Rabban Gamliel und seines Sohnes hatte auch die wichtige Funktion der Anordnung eines Schaltjahres ein siebengliedriges Kollegium vorzu- nehmen (vgl. die Mischna Sanhedr. I, 2 und hiezu den Talmud S. IIb jerusch. Chagiga III, 78 d u. a. St.) Wahr- scheinlich, weil nach ihrer Ansicht eine Versammlung von 7 Lehrern auch eine my bildete. R. Elieser begründet näm- lich seine Ansicht, welche zur Einschaltung eines Monates ein Kollegium von 10 Personen vorschreibt mit dem Schrift- verse: b» rnjia an: ov£k ty 82, 1 (Pirke di R. Elieser VIII, vgl. Exod. r. 15, 20). Die Praxis, wie sie von den Patri- archen geübt wurde, beruht demnach auf der Annahme, daß auch 7 Personen eine rnj? bilden. In diesen zwei ab- weichenden Ansichten wird auch der letzte Grund der Dif- ferenz in den Angaben über die Zahl der Mitglieder zu suchen sein. Diese wird bekanntlich in Megilla 17 b und jerusch. Berachoth mit 120 angegeben; diese Angabe ent- spricht der ersterwähnten Ansicht (10 X 12 = 120), die auch in der Mischna in Sanhedrin 1, 4, Megilla 23 b zum Ausdrucke kommt, und die in der späteren Zeit auch in der Praxis bei Zivilprozessen insofern als maßgebend angesehen wurde, als, wie wir oben ausgeführt, man ein lOgliedriges Richterkollegium anstrebte.

1) Vgl. Funk, die Entstehung des Talmud, S. 36.

Das Wasseropfer und die damit verbundenen

Von D. Feuchtwang-. 2. Der Stein Scnetüijja.

(Schluß).

Rosenmüller (II, 2, 2, 245) gibt an, der Stein der Moschee sei der, auf welchem Jakob schlief (Raumer, Pa- lästina I, 167, Anm.) Wie fest und ununterbrochen die Kette der Überlieferungen ist, zeigt sich an diesen arabischen Sagen, die sich an den geheimnisvollen Stein knüpfen, der uns im frühesten Altertume gleichwie in jüngster Gegen- wart begegnet. Hierher, zum »heiligen Fels«, wird nach arabischer Sage am jüngsten Tage die Ka'aba (auch ein viereckiger heiliger Stein) von Mekka kommen. Ein Beweis, daß man ihm eine ähnliche Bedeutung beimaß, wie jenem. Jesus hat nach der Sage den auf dem »heiligen Fels« (Stein) geschriebenen heiligen, unaussprechlichen Namen Gottes entdeckt und damit seine Heilungswunder vollbracht. Man erinnere sich an die Berichte, nach denen der Name Gottes auf dem rwra steht. In den arab. Überlieferungen laufen offenbar Ssgen über den Stein Jakobs, den Moriah, den iTfitP ineinander.

Nach der Auffassung Eislers (Philclogus LXVIII, 1, 117) ist aber auch die Ka'aba nichts anderes, als ein N a b e 1 s t e i n, denn es bedeutet ursprünglich Würfel, Kreisel, und ist soviel wie Kußo? = cubus. Der Ka'abastein ist soviel wie der göttliche Mutterstein petra genitrix in mithräischen In- schriften. Pseudoplutarch spricht vom Wunderstein der kleinasiatischen Göttermutter. »Für Kleinasien ist die Be-

44 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

nennung des Aerolith-Fetischs als öp.cpy.>.6; durch die Kybe- leepiklese »Omphala« gesichert. r% 6jz<paX6<; ist die Bezeich- nung des Heiligtums von Paphos, dem Ausgangspunkte aller griechischen Aphroditenkulte; d. h. für den Stein der Kubra-Kypfis auf Cypern. Die Araber denken sich den Nabel, die himmlische Ka'aba, über ihrem irdischen im Mittelpunkt der Erde gelegenen Abbild: den Hagr über dem Stein der Steinmutter Hagar im Himmel schwebend. Die Theologie des Islam lehrt, daß das Vorbild, der Typus der Kaaba im Himmel vor der Weltschöpfung er- baut wurde (Eisler, Philologus, Bd. LXVIII, Heft 1, S. 1 18 ff). Wer sieht hier nicht die übereinstimmenden Momente mit den alten Traditionen der Haggada über den Schetijja-Stein ? Es ist nun aber an der Zeit, daß wir uns um die sprachliche Bedeutung, die Wurzeln der Bezeichnungen rrniP und prrtp kümmern. Nicht als ob ich die beiden Be- griffe auch philologisch unbedingt zusammenbringen wollte, obzwar ich ihre Verwandschaft stark vermute. Die Ety- mologie ist durchaus unsicher (s. Levy unt. biirrttf ,ddv> und XDKnT). Levy (a. a. 0.) leitet beides ohne weiteres von einer Wurzel ab. Als Grundwort wird w& oder Ttf angenommen. Als Bedeutung für n;r'" t?N;a#) gilt all- gemein »Fundament, Grund«; was ja der, allerdings seltenen, hebr. Wurzel nriiy = setzen, legen entspricht. Der Talmud nimmt überall die Wurzel *>^ an. Von der Wurzel nnr kennen wir im Hebr. dann das mit ^T.tf (Grund) gleich- bedeutende ttoty (Ps. 11, 3; Jes. 19, 10) = Säulen, Pfeiler, Fundament. Im Toldoth Jeschu wird n'JMP durch rr + n»' er- klärt, d. h. Gott hat ihn eingesetzt (Krauß, Das Leben Jesu 278, 279). Sowie also n?w und rr/w sprachlich ein Paar zu sein scheinen, so sind sie es sachlich um so gewisser. Sie gehören demselben Überlieferungs- kreise an, stammen aus ältesterZeit und spielen auch im späteren Ritus und feierlichen Zere- moniale des Heiligtums verwandte Rollen;

Djs Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 45

dieses Zeremoniale hat sich in unserem Ritus des Ho- schana rabbah sogar bis heute erhalten.

Nicht überflüßig dürfte es sein, darauf hinzuweisen, daß auch im ältesten Griechenland der Segen des Re- gens durch einen Stein herbeigeführt wurde. Wurde doch der Okeanos in Steingestalt dargestellt. Be- sprengen mit Wasser sollte Regen bringen. Wir haben aber einen sehr merkwürdigen Stein im griechischen Sagenkreise, dessen Wesen im Zusammenhange mit dem bis nun Erörterten unser Interesse erweckt. Es ist 'Estioc (Über Hestia-Vesta vgl. das große Werk: Preuner, »Hestia- Vesta«, Tübingen 1864, passim). »Unter den zwölf großen Gottheiten, welche die Griechen später annahmen, ist Hestia die einzige, deren Namen allgemein in appellativem Sinne Gebrauch geblieben ist«. »Die Grundbedeutung von Hestia muß dahingestellt bleiben; wahrscheinlich haben hier Vor- stellungen mitgewirkt, die nicht vollständig erkennbar sind. Zu dieser Annahme führt eine Parallelgestalt der Hestia nämlich Kalypso. Diese wohnt im Nabel des Meeres. Nabel ist aber die Bezeichnung für Opferstätte, und diese selbst, also s^rta heißt {xsff6[A<pa>.o;, d. i. Nabel« (Gruppe, Griech. Mythol. S. 819, 820, 1402). »Vermittler einer Reihe kosmischer Anschauungen und Lehren sind die Semiten (gegen Usener, Sintflutsage 244 ff.)« »Es wird niemand, der imstande ist zu vergleichen, nur einen Augen- blick im Zweifel sein, daß das Feueropfer der griechischen Heiligtümer dem der Jerusalemitischen näher verwandt ist, als dem in Indien« (Gruppe ibid. 722, 724).

Als älteste Stelle über 'Egtlo: ist anzusehen Philolaos fr. 7. (DFV2 I 242, 10): TtpöTov äpaoTÖ-sv, £v, ev uicrw tx? (r^aipas iaxia. xatX&xax. »Das erst Gefügte, das Eine, inmitten der Kugel wird Hestia ge- heißen«. Die Hestia wurde angeblich schon von Parme- nides als §iy.7üupo; jtOßcfi; als feuriger Würfel bezeichnet. Sie ist der in den Kosmos übertragene würfelförmige Nabel-

46 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

stein des Weltalls ([/.scdu^aXo;) (Anatolios p. 30 (DFV2 I 111, 43). Dieser )tußo? ist wahrscheinlich identisch mit jtußsX7j, (Kybele), d. i. die große Mutter aller Götter, die Lebenspenderin, die ebenfalls als Stein verehrt wurde (Eisler 1. c.) Auf Delos ist nach alter Überlieferung der Nabel der Erde (Epimenides Fr.) (DVF2 1 496, 10) in Form eines Würfelsteines oder Altar. Delos liegt nach dem alten griechischen Weltbilde in der Mitte von 4 Kontinenten; es ist auch die Pforte zur Meeres- tiefe. Es ruht auf vier Säulen, entsprechend den vier Weltrichtungen und den vier Röhren des Nabelstranges. 'Ecttlx ist nach Piaton (Krat. 401c) ein Si^svixov ovgjjux = Fremdwort, also im Griechischen entlehnt. Die oben erwähnte jcußiXv] = xuß&a ist bei den Römern die Magna mater Idaea; das ist aber ein heiliger Meteor- stein, der im hannibalischen Kriege auf Grund eines sibyl- linischen Spruches nach Rom gebracht wurde. Er befand sich ursprünglich in Pessinus in Galatium, in Kleinasien. (Liv. 29, 11) »is (Attalus) legatos (Romanorum) comiter aeeeptos Pessinuntem in Phrygiam deduxit sacrumque iis lapidem, quam matrem deum esse incolae dicebant, tradidit ac deportare Romam iussit«. »Die große Mutter« ist früh nach Griechenland gekommen. Sie ist der Religion von Eleusis angegliedert. Die pz*{ä^r> P'"r'P 's* aus Asien in vielfachem Mutterkult in Griechenland eingedrungen. In Rom hielt die große Mutter mit ihrem Fetisch, der aus Pessinus stammen sollte, im Jahre 204 ihren Einzug. Sie hat Heiligtümer in Erdschlünden (Dietrich, Mutter Erde S.82.) Ich lasse es vollkommen dahingestellt und bjin weit entfernt, es behaupten zu wollen, ob'EcTta mit K'fltP zu identifizieren ist. Schultz: Arch. f, Gesch. d. Philos. XXII deutet es an (1909, S. 216, 217, 219). Es muß aber konstatiert werden, daß 'Estioc der mytho- logischen und der kosmischen Bedeutung des R\n# vollkom- men entspricht, daß beider Ursprung und Etymon unbekannt

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 47

ist; daß 'E^my. aber im griechischen Lehnwort und in der hebräischen Überlieferung nur volksetmyologische Erklärung findet. Das weist auf uralten gemeinsamen Ur- sprung hin. Es mag schließlich auch erwähnt werden, daß der Schethijjastein auch in der Sibylle erwähnt wird. Friedländer (Apologetik, S. 89) weist darauf hin, identifiziert rvritP mit hostia und die »Genesis des steinernen Bildes« (des Eselskopfes), das Antiochus Epiphanes im Allerheiligsten gesehen haben soil, ist in dem geweihten Steine zu suchen, auf welchem der Hohepriester am Versöhnungstage das Opferblut gesprengt hat. Auf ihn wird im vierten Sibyllen- buch angespielt, wo es heißt: »Denn auch als Haus hat Er nicht einen im Tempel geweihten Stein, einen schmerzlichen Schimpf und Schaden der Menschen«. Auch Rösch (Theolog. Studien und Kritiken 1882, S. 536) vermutet in dem rww den Eselskopf. Der Esel aber war das möge nicht un- erwähnt bleiben der Hestia-Vesta geweiht (Preuner 1. c. S. 38) und ist das Symbol der Fruchtbarkeit.

3. Die Zeremonien.

Die mit dem Wasserschöpfen und Wasser- opfer verbundenen Feierlichkeiten werden uns im Talmud ausführlich beschrieben (Sukka V, 1— 5). Das Flötenspiel zur Feier der (mtOtPfl rra nnEtP) Freude des Wasserschöpfens dauerte fünf oder sechs Tage (je nachdem Sabbat hineinfiel oder nicht). Wer dieses Fest nicht gesehen hat, hat über- haupt nie im Leben Freude gesehen. Was unter naKWfl JV2 zu verstehen ist, ist nicht vollkommen klar. Sicher aber ist, daß dieses Fest sich auf das Wasseropfer am Hütten- feste bezieht. Darüber sind die Kommentatoren vollkommen einig. Was n2KW bedeutet, wußten die Gelehrten nicht mehr sicher; es wird auch mwn anstatt na«w überliefert, und beides ist nach Mar Sutra richtig; naiam ist richtig, weil die Abhaltung des Festes hochgeehrt und wichtig war, eine Pflicht, die seit den Tagen der Schöpfung gilt <roxö

48 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

jrrina '8' ntytra naai rvi nawp) und na«np nicht minder, denn es heißt: nw'iVJWD'ö D/iatfwi »I h r sollt Wasser schöpfen aus denQuellen des Heils« (Jes. 1 2, 3). Es wird aber auch »eine überflüssige Freude« (nv/v nnotf) genannt (Sukka 50 b, 51 a). Und dort wurde »der Geist der Heiligkeit geschöpft«. Ich kann mich mit der Ableitung vom syr. naitP = Fackel (Aruch compl.) nicht befreunden; und auch nicht mit den Ausführungen Venetianers(Die eleu- syni sehen Mysterien, S. 3 ff.), der na«w als »Schö- pferin« erklärt und darauf seine ganze Hypothese der Gleichsetzung der gesamten Zeremonien und Festlichkeiten gelegentlich der naKitrn rra nnatt» mit den eleusynischen Mysterien gründet, obzwar es, wie Venetianer mit sehr gutem Blicke gesehen hat, wahrscheinlich ist, daß auch diese das Fest beeinflußt haben könnten (Jer. Sukka V, 1). Am Ausgang des ersten Tages des Hag ging man in die Frauenhalle hinab und traf große Vorbereitungen. Goldene Leuchter wurden aufgestellt mit goldenen Schalen, in die Öl gegossen wurde, Dochte aus den Lumpen alter Priester- kleider wurden gemacht. Kein Hof in Jerusalem, der nicht erleuchtet gewesen wäre durch die Illumination in nawwn rra. Die Frommen und Ausgezeichneten tanzten mit Fackeln in den Händen, sangen Lieder und Lobpreisungen, die Le- viten spielten auf ihren Instrumenten ohne Zahl. Posaunen wurden geblasen. Die Frommen sprachen: »Heil unserer Jugend, die unser Alter nicht beschämt»; die Reuigen sagten: »Heil unserem Alter, daß es unsere Jugend gesühnt hat«; Alle sagen: »Heil dem, der nicht gesündigt hat und wer gesündigt hat, dem wird, wenn er sich bekehrt, verziehen«. Die Leviten sprachen: »Lobet Oott, ihr Diener des Ewigen, die ihr im Hause Gottes stehet in der Nacht« (Ps. 134, 1); oder: »Erhebet eure Hände zum Heiligtum und preiset Gott« (ibid. 2). Wenn sie auseinandergingen sagte einer zum andern: »Der Ewige segne dich von Zijon und sieh' das Glück Je- rusalems alle Tage deines Lebens und sieh' Kindeskinder;

Das Wasseropfer and die damit verbundenen Zeremonien. 49

Friede über Israel«. Die posaunenblasenden Priester stiegen in die Asarah und schritten so bis zum Osttore; dort wandten sie sich nach Westen und sprachen: Unsere Väter haben, wenn sie hier waren sich mit dem Rücken zum Hekal und mit dem Gesichte nach Osten gewandt der Sonne zu, wir aber »zu Jah sind unsere Augen gewandt«; oder: »Wir sind zu Jah, und zu Jah sind unsere Augen gerichtet« (Sukka 50ab,Toseft. V). Hillel der Alte hat, als er an der Wasserschöpffreude teilnahm, gerufen: »Wenn ich da bin, sind alle da, wenn ich nicht da bin, wer ist da«? Und ferner sagte er: »Meine Füße trugen mich an den Ort, den ich liebe; kommst du in mein Haus, so komme ich auch in das deine, kommst du nicht in mein Haus, komme ich nicht in das deine«. Simon, Sohn Gamliels hat beim Freudenfeste des Wasser- schöpfens fünf brennende Fackeln geworfen und aufgefangen, Lewi vor Rabbi acht Messer, Samuel vor dem König Sabur acht gefüllte Weinbecher, Abaji vor Raba acht Eier. R. Joma ben Chananja erzählt, daß das Freudenfest sie um den Schlaf brachte, denn ein Dienst reihte sich an den andern, so daß die Diensttuenden nur einer auf der Schulter des anderen ab und zu ein wenig schlummern konnten (Sukka 53 a).

Ebensowenig wie das Wassergießen haben diese Fest- lichkeiten in der HS. eine Quelle oder Erklärung. Die For- scher alter und neuer Zeit bezeichnen sie als »alte Bräuche« (Jost, Geschichte I, 217). Graetz (111, 112) faßt das Wasser- opfer richtig als »uralten Brauch« und schildert den be- kannten Vorgang beim Wasseropfer folgendermaßen : »Als er (Alexander Jannai) einst am Hüttenfeste als Hoher- priester fungierte, sollte er einem uralten Brauch zu- folge aus einer silbernen Schale Wasser, als Sinnbild der Fruchtbarkeit, auf den Altar gießen. Aber um diese von den Pharisäern geltend gemachte religiöse Sitte geflissentlich zu verhöhnen, goß er das Wasser zu seinen Füßen nieder. Mehr brauchte es nicht, um den Unwillen der

Monatsschrift. 65. Jahrgang. 4

50 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

im Tempelvorhofe anwesenden Volksmengen zu reizen. Mit rücksichtsloser Erbitterung warfen die Anwesenden die Festfrüchte (Etrog), welche sie in Händen hatten, nach dem ketzerischen König und beschimpften ihn als einen un- würdigen Hohenpriester, als den Enkel einer Gefangenen.« Hier bringt Graetz die Berichte des Talmud (s. oben) mit denen des Josephus (Ant. XIII, 13, 5) in Verbindung, der Alexander Jannai als den Opfernden nennt, ohne zu sagen, daß er das Wasser auf seine Füße geschüttet hätte und identifiziert den anonymen Sadduzäer oder Boathusäer des Talmud und der Tosefta mit Alexander Jannai. Die beiden Berichterstattungen scheinen auch wirklich dasselbe Ereignis im Auge zu haben (Graetz III, Note 13). Das wird auch allgemein angenommen und auch von Buch ler (Die Priester und der Kultus im letzten Jahrzehnt des Jerusa- lemitischen Tempels. S. 113) ohne weiteres zugegeben. Sowie die Sadduzäer seinerzeit das deutliche Gefühl hatten, daß das Wasseropfer und seine Ceremonien ein fremdartiger Einschlag im heiligen Tempeldienste seien und die Phari- säer wieder die Überzeugung gewannen, daß man einen so uralten Brauch nur mit großer Gefahr bekämpfen oder gar beseitigen könne; ebenso haben alle späteren Beobachter dieser Sitten empfunden, daß sie sich nicht mühelos in den Rahmen sonstiger gottesdienstlicher Übungen fügen, ohne ihnen eine andere Erklärung als die eines uralten Brauches, einer Volkssitte, geben zu können (s. Delitzsch in Riehm's Handwörterbuch d. bibl. Altertums Art. Trank- opfer und Laubhüttenfest, Baudissin, Studien z. semit. Religionsgesch. II, 150 u. 170, Wellhausen, Israelit, u. Jüd. Gesch. 5, S. 305). Das Wasserschöpffest wird auch in den Evangelien erwähnt und die Stelle zeigt, daß es zur Zeit Jesu mit größter Feierlichkeit begangen worden ist (Evang. Joh. 7, 37 ff.). Daß die Pharisäer den größten Einfluß auf den Tempeldienst hatten und die alten Volks- bräuche mit möglichster Heiligkeit zu umgeben und zu

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 51

schützen bestrebt gewesen sind, beweist Buch ler (das.) auf das Eingehendste. Sie waren nach dem Sturze Anan ben Anans die alleinigen Herren des ganzen Heiligtums. »Alles, was die Sadduzäer im Opferdienste bestritten hatten, wurde jetzt mit größter Feierlichkeit und großem Schau- gepränge vollzogen so das Wasseropfer am Laubhütten- feste« (Büchler: Kultus usw. S. 206).

Nach talmudischer Überlieferung sind der Gebrauch der Bachweide bei dem Umzüge um den Altar, sowie auch das Abschlagen der Zweige an den Fußboden als Dtt'2) Jrua oder owaj Tip» (prophetische Einrichtungen und Überlieferungen) zu betrachten. (Sukkot 44b, jer. Sukka IV, 55 b, 47., Büchler, Das Synhedrion in Jerusalem, S. 63, Anm.) Die ganze Feierlichkeit des Umzuges wird in Sukka 45a (IV, 5) ff. genau beschrieben. Es muß ähnlich dem Wasserschöpfen und Wassergußopfer, eine höchst feierliche, großartige Veranstaltung gewesen sein. Der Altar war von hohen Weidenästen umgeben. Un- ter tönendem Posaunenschall wurde der Umzug ge- macht, unter Psalmensingen und Palmenschwingen. Man sang die Worte : »Hilf o Gott, Beglücke o Gott« (Ps. 118, 25) oder man rief: »Ich und Er! Gib Hilfe (im >:x kj nywin nach der Leseart des Jer. Kini). Am siebenten Tage wurde der Umzug siebenmal gemacht. Biem letzten- mal wurde gerufen : nara "]b »Di» »Schönheit dir, Altar«; oder: »Gott und dir, Altar«. Bringen wir diese Schil- derung in Verbindung mit der merkwürdigen Beschrei- bung der Festlichkeiten beim Wasseropfer und der »Freude des Wasserschöpfens«, so können wir uns des Eindruckes nicht erwehren, daß wir es hier mit fremdartigen Sitten und Gebräuchen zu tun haben ; immer abgesehen vom eigentlichen biblischen Hüttenfeste, mit welchem diese Festlichkeiten nicht in unmittenbarem Zusammenhange stehen ; denn diese Feste sind, so alt sie sein mögen, erst später wieder zu religiösen aus volkstüm-

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52 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

liehen umgewandelt worden. Das haben die ältesten Forscher schon gesehen (vgl. Lipman Heller zu Sukk. IV, 5; Rascni zu Sukk. 45 a und oben). Im Mittelpunkte all dieser Veranstaltungen steht ursprünglich und naturgemäß die Herbstfeier, d. h, die Bitte um Regen. Das scheint auch auszudrücken Sachär. 14, 17 : »Wer von den Geschlechtern der Erde nicht nach Jerusalem kommt, sich niederzuwerfen vor dem König, dem Herrn Zebaot für den fällt nicht der Regen«, Sätze, die am ersten Tage des Sukkoth festes noch heute in den Synagogen gelesen werden. Es mag hier als Ergänzung zu den früheren Angaben über den Lapis manalis hinzugefügt werden, daß in Rom beim Bittfest des aquaelicium die Matronen mit nackten Füßen und auf- gelöstem Haare und die Magistrate ohne die Abzeichen ihrer Würde in feierlicher Prozes- sion nach dem Kapitole zogen. In alter Zeit trat bei dieser Gelegenheit auch der Lapis manalis in Funktion. Die Prozession fand bei anhaltender Dürre statt, wenn um befruchtenden Regen gebetet wurde. (Wissawa, Religion und Kultus der Römer pg. 106.)

Am ersten Tage des Festes wird bis heute in das Hauptgebet die oben erwähnte Regenbitte einge- schaltet. Der spätere Ritus, den insbesondere R. Eleasar ben Jakob Kalir (um 910) durch seine Poesieen bereichert hat, hat dann diesen ritualen Gebrauch ausgestaltet und eine ganze Reihe synagogaler Poesien ihm angepaßt, in welcher der uralte Sinn eines Teiles des Herbstfestes neuerdings zum Ausdrucke gelangt. Nur einige wenige Beispiele sollen angeführt werden : »Am achten Tage will ich mein Herz wie Wasser ausschütten« ; »am achten Tage werden die Gesetze des befruchtenden Regens bestimmt ob viel, ob wenig«, heißt es im Abendgebetritus. In der Tefillah, welche der Vorbeter laut vorträgt, heißt es gleich zu Beginn: »Der Af-Bri (Engel des Regens, s. Jahrg. 1910, S. 551)

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 53

treibt Wasserdünste zusammen, formt Wolken und leert sie dann als Regengüsse zur Erde aus. Durch diese er- quickende Wasserlabung bekränzt die Erde sich mit Frucht- kränzen . . . Auch uns, die wir dir mit allen Kräften an- hängen, sei milde gesinnt, o Herr, und verleihe uns des Regens wohltätigen Segen.«

Darauf folgt das große Regengebet <Dfc»:i), an das sich, charakteristisch genug, ein Gedicht schließt, dessen Strophen die zwölf Monate des Jahres in ihrem Verhältnis zu Regen und Fruchtbarkeit und mit direkter Nennung des Tierkreises behandeln. Die den Monat Tisch ri besingende Strophe lautet :

>Er segne mit den kostbarsten Früchten der Monde, mit edlen Früchten der Bäume; Wasser lasse er aus den Wolken strömen, damit königliche Leckerbissen bereitet werden. Er tränke die Gewächse und lasse im Monate Tischri ihren Samen aufbrechen. Entziehe von nun das Wasser nicht, auf daß Regenschauer niederbrausen. Nimm das Gebet der Flehenden auf wie das siebentägige Gußopfer. Wasser führe dem Lande zu, daß es dreifach regne. Auf die sonneversengten Pflanzen spende Regen, damit die Wage sich biege unter der Fülle des Getreideertrags«.

Wenn ich auch mit Bischoff »Babylonisch-Astrales im Weltbilde des Talmud und Midrasch« (Leipzig 1907) in vielen Stücken nicht übereinstimme und glaube, daß er oft zu weit geht, so hat er doch in vielen Punkten großen Scharfblick bewiesen. Und der astrale Charakter dieser Gebete, die auf uralte talmudische Überlieferungen zurückgehen und im Zusammenhange unserer Darstellung in besonderem Lichte erscheinen, ist zweifellos. Bischoff sagt ganz richtig:

»Im Tischri ist die Sonne soeben in das Sternbild der Wage (D'JtKB) getreten; diese aber ist das Symbol des Richtens und zwar vor allem des Richtens über Verdienst und Schuld. Die Rabbinen wissen, daß das Sternbijd der Wage mit dem himmlischen Gerichtstage in Verbindung

54 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

stehe. So heißt es z. B. Psikt. rabb. C. 20 (94b): »Gott sprach: Nach dem Sternbilde Jungfrau erschaffe ich das Sternbild Wage, weil des Menschen Taten gerichtet werden sollen; sodann den Skorpion, weil der Mensch, wenn er gewogen worden und als Frevler befunden ist, in die Hölle gestürzt wird«. (Hinter dem Sternbilde der Wage beginnt nämlich die Wasser-, Winter- und Unterwelt-Region des (südlichen) Himmels. Der wägende Gerichtstag steht ebenso vor dem Beginn der irdischen Regen-, Winter- und trüben Zeit, und an ihm sperrt die Hölle ihren Rachen auf, die Frevler zu verschlingen). Auf diese Weise wird der Herbst- Neujahrs-Gerichtstag verständlicher als bisher«. (Bischoff Babylonisch-Astrales im Weltbilde des Thalmud und Mid- rasch, S. 66; vgl. Bezold, Aren. 2. S. 400 ff. und Jeremias »Das alte Testament im Lichte des alten Orients« S. 86 ff. Altbabylonische Vorstellungen sind es, die in diesen jungen Gebeten durchschlagen und uns das »Fest der Aufer- stehung« und das >Fest der Schicksalsbestim- mung« (Neujahr), sowie auch das ursprüngliche Neu- jahrsfest der babylonischen Zeit im Frühling in Erinnerung bringen (Jeremias 1. c.)

In alten und auch neuen Ausgaben der Festgebet- ordnungen mmo) sind bei den einzelnen Strophen die Tierkreiszeichen beigegeben. Das Regengebet schließt mit einem Gedichte, das also beginnt: »Sei einge- denk des Ahnherrn (Abraham), dessen Herz dir zueilte, wie des Wassers St römung. Du verliehest ihm deinen Segen, und er erblühte wie ein Baum, am Bache gepflanzt. Du warst ihm Schutz und Retter in Feuers- und Wassers- not; warst ihm immer nahe, weil er die Saat am Lebens- quell gestreut; seinetwegen entzieh uns nicht das Wasser«. Das ist ein Refrain des Gebetes. Es schließt mit den Strophen: »Gedenke des über die Grundpfeiler Gesetzten erring t^b) (Hohenpriesters) der fünfmal seinen Leib in Wasser tauchte (am Versöhnungstage), fünfmal die

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 55

Hände wusch im heiligen Wasser und fünfmal die Wasser- sprengung vollzog«. »Gedenke der zwölf Stämme, die du durch die geteilten Wasserwogen führtest, denen du das bittere Wasser versüßtest. Ihre Nachkommen hangen dir treu an und geben ihr Blut hin wie Wasser für dich. Wende du es ab, wenn unser Leben Wasserfluten bedrohen. Umwillen ihrer Tugend begnade uns mit Fülle des Wasserse- gens«. Das ist ein zweiter Refrain des Gedichtes. Es klingt aus in die Worte: »Denn du, Ewiger unser Gott, bist es, der den Wind wehen und den Regen niederströmen läßt, zum Segen und nicht zum Fluche; zur Sättigung und nicht zum Hunger; zum Leben und nicht zum Tode«.

In ganz ähnlicher Weise sind die Gebete gebaut, die am Passachfeste als Tausegen gesprochen werden; also in der Frühlingszeit; vollständig analog der eben be- handelten Gebetordnung des Herbstfestes. Ich will auch hier nur einige wenige Beispiele bringen, welche dieses Taurituale besonders charakterisieren. »Die Tehomoth sehnen sich nach des Taues Träufeln, sowie die ganze Flur nach ihm schmachtet ...Durch die Wunderkraft des Taus erwachen einst zum Leben, die tief in Grüften schlummern«.

»Zum guten Zeichen ist der Tau; er bringt Pflanzen hervor und verschafft Freude frohlockender Jungfrau. Er ernährt ganze Scharen, läßt sie mächtig und zahllos werden. Mit des Schöpfers Stimme möge der Tau die im Staube Verborgenen erwecken«.

»Vernimm dieses Gebet und lasse sie in Sicherheit wohnen (die zu Dir die Augen erheben); Tau werde in Regengüssen zugedacht im Monate Marcheschwan. Mit Wolken beschütze sie, um sie wie ein zartes Kind zu tragen. Segensreicher Tau umgebe sie. Dem Himmel be- fiehl, daß er Tau gebe«.

»Er beglücke mich unter den Nationen und ich will ihm danken in meinem Lobgesange. Tautropfen mögen mich

56 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

bereichern, um bis Ende des Monates Tischri Überfluß an Tau zu geben, damit mein Brod fett, mein Most süß werde. Tau erfülle die in meinem Gebete ausgesprochenen Bitten; wie Regen träufle meine Lehre«.

In diesem Rituale des Pesach- und Sukkothfestes, das allerdings in dieser Form erst aus dem zehnten Jahrhun- dert stammt, erblicken wir deutlich die unverwischbaren Spuren jener uralten Volksanschauungen und Volks- gebräuche gegen die sich seinerzeit die Sadduzäer ver- geblich aufgelehnt hatten. Die alten Pharisäer und späteren Rabbinen haben klugerweise diese starken, lebendigen Triebe der Volksseele erkannt und sie mit den Überlieferungen und Vorschriften der HS. in Einklang zu bringen verstanden, ohne deren Reinheit zu trüben. Das Volk ist eben immer stärker als das Gesetz und das drückt ja der Kanon aus: »Gebrauch entwurzelt Gesetz« npu? 3fT3p roVl). Von der alten, talmudischen, wie von der späteren, rabbinischen Zeit gilt das, was Büchler (a.a.O.) sagt: Der Sieg des Volkes über die ausschließende Prie- sterschaft wurde öffentlich in Begleitung gro- ßer Feierlichkeiten vollzogen. Das allein aber genügt nicht zur Erklärung der feierlichen Gebräuche selbst. Wir sind uns darüber klar, daß die Wasseropfer am Hüttenfeste, der Zeit des Herbstregens, eben den Regen entweder erwirken oder auch als Himmelssegen verherrlichen sollten. Das Sukkcthfest ist Hag im speziellen katexochischen Sinne.

in aber ist im ältesten Sinne Umkreisen des Heiligtums; im weiteren Sinne Prozession und Wallfahrt zum Heiligtume und erst in letzter Bedeutung Fest im Allgemeinen. Auch im alten Arabien gab es zur Früh- ling- und Herb st zeit ein Hag, einen Umgang um Regen um den heiligen Stein. Vorzugsweise das Herbstfest hat sowohl bei Arabern als auch beiden He- bräern den Namen in (Wellhausen, Reste usw. S. 141).

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 57

Der dem Monate Ti§ri entsprechende Muharram war auch bei den Arabern durch die Hag ausgezeichnet. Das sieben- malige Umkreisen der Bimah (resp. d. Eben Schetijjah) mit den Palmen, erinnert an ähnliche Gebräuche, die aus der arabischen und griechischen Überlieferung bekannt sind »Der siebenmalige Umlauf der Pilger um die irdische Kaaba ist gleich dem Kreisen der Engel, das heißt, der heidnischen Planetengötter um den mystischen Stein als Weltmittel- punkt. Genau dieselbe Vorstellung knüpft sich an das klein- asiatische Gegenbild der Kaaba, die Kybele o^vM als Göttin des heiligen Berges und als mystischer Nabelstein = opyctiri Göttermutter als Weltmittelpunkt des s<rua. Plato (Phaedros XXVI, 247 a) schildert den Reigen der Unsterb- lichen unter Führung des Zeus auf ihrem Flügelwagen das Firmament umkreisenden Götter, bei dem Hestia allein im Hause der Göttin zurückbleibt«.

Es ist nun außer Frage, daß das biblische Hüttenfest einen ganz anderen Charakter trägt als dieses arabische Wallfahrtsfest. Ebenso ist die innere Verwandtschaft der gewiß bereits in vorbiblischer Zeit im Volke lebenden Sitten und Gebräuche zur Zeit des Herbstregens, wozu wir auch das Wasseropfer rechnen dürfen, gegeben. Insbesondere liegt die Vermutung nahe, daß der rp/itf der Gegenstand des Zuzuges der wallfahrenden Mengen gewesen sein mag, denn er ist ja der Weltmittelpunkt; er deckt ja die Sint- flutgewässer und um ihn und zu ihm mag der »Vaqüf« die Prozession stattgefunden haben, als deren Umwandlung die Umkreisung des Altars mit dem Feststrauße am Hüttenfeste angesehen werden darf, die sich bis heute im Ritus der Synagoge erhalten hat. Die Wiedergeburt des alten Gedankens der Wasser- und Regenfestlichkeit können wir auch mit Recht in dem Ritus des Hoschanah rabba und des siebenten Tages des Chag erblicken. Wird doch die Einführung des Umzuges um den Altar mit der »Arabah«, Bachweide, im Talmud selbst (Sukkah 44 a) als

58 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

»vergessen und wieder eingeführt« (OTTOl n?m oirow) be- zeichnet. Ein Rest der im Jerusalemitischen Tempel abge- haltenen Riten des siebenten Tages des Sukkothfestes hat sich bis heute im Hoschanah-rabba Ritus erhalten. Um nun sogleich die wirkliche Wiederkehr uralter Vorstel- lungen recht deutlich zu illustrieren, werden wir bei einem der sieben Umzüge, die um die Bimah mit dem Feststrauße und dem Arabahbündel veranstaltet werden durch folgendes Rezitativ aufmerksam gemacht : Hilf ! (Hoschana) dem Eben schethija; Gotteshause deiner Wahl, Tenne Arnons (II Sam. 24, 18 ff., I Chron. 21, 19 ff., Synonymon für Altar); dem verborgenen Heiligtum, Berg Moriah, Berg der Erschei- nung, Stätte deines Ruhms, einst David geweiht; dem schönen Libanon, der schönen Braut, Wonne der Erde, der vollen- deten Schöne usw.« Hier haben wir zunächst die Identifizierung d e s n * fl W \ 3 K m i t dem Heiligtum. Beim Umzüge wird der Vers rezitiert: »Die Welt wird durch Gnade gebaut«. Natürlich, der Stein ist ja Grundstei n der Welt. Bei einem Umzüge wird gesagt: »Hilf! Bewahre! Die Erde vor Fluth, die Herde vor Fehl- wurf, die Tenne vor Kornwurm, das Korn vor Brand;... den Ölbaum vor Abwurf, den Weizen vor Käfern, die Kelter vor Jelq, den Weinberg vor Gewürm, Spätfrucht vor Heu- schrecken usw.«

Nach Vollendung der Umzüge werden dann in der Gebetreihe der Hoschanoth eine große Reihe von Anrufungen, welche die Hilfe Gottes erflehen sollen, rezitiert. Unter diesen sind für unsere Zwecke charakteristisch die Gruppen, in denen die aus Feuer geretteten biblischen Persönlichkeiten als Mittler erwähnt werden und darauf die aus Wasser- gefahr unversehrt hervorgegangenen; ebenso auch diejeni- gen Personen, welche oder an denen Feuer oder Wasser Wunder vollbrachten, z. B. »Hilf uns um willen des ersten aller Sänger (David), der, als er nach Wasser durstete, dir das Wasser als Opfer hingoß«. »Hilf uns um willen des

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien, 59

Reinen der im Sturm emporfuhr, der für Gott geeifert (Elias) und Himmelsfeuer durch sein Gebet erflehte, so daß es Staub und Wasser verzehrte«. Um willen der Getreuen hilf» uns, die heute vor dir ihr Herz ausschütten wie Wasser, um vor dir die Segenskraft des Regens zu erflehen denen die am Schilfmeer dir Lieder sangen«. »Denen, die vor dir das Wasser hingoßen als Opfer und aus den Quellen des Heils das Wasser schöpfen, hilf!« »Die zu Dir um Wasser flehen so bescheiden, wie die Weiden am Bache, gedenke unseres Wasseropfers und hilf uns«. »Des Himmels Pforten öffne, deinen kostbaren Schatz erschließe und sende uns dein Heil«. Am Schluß all dieser Gebete wird das Bachweidenbündel am Fußboden (Hinweis auf die Erde und die Unterwelt) abgeklopft und dann ein Gebet ge- sprochen, in welchem die Hilfe Gottes um willen der getreu beobachteten Prophetengebräuche erfleht und um Regen gebetet wird.

Derganze Komplex von Zeremonien und Riten, festlichen Umzügen und Veranstaltungen, volkstümlichen Feiern und Belustigungen, die sich am Hüttenfeste vor unseren Augen abspielen und mit dem eigentlichen Festgedanken, wie er biblischer Überlieferung entspricht, nicht in engerem Zu- sammenbange steht, stellt sich uns als uralter Ritus dar, dereine Herbstfeier voraussetzt, bei welcher die ältesten, im Volke lebenden mythischen Vorstellungen hervorleuchten und alle kosmischen Beziehungen deutlich werden. Es han- delte sich bei diesen Volksfesten um die feierliche Begrüßung der Zeit der Herbstes Tag- und Nacht- Gleiche, in die ja nach althebräischer Vorstellung die Entschei- dung über Regen und Segen des Jahres fiel, insbesondere aber auch nach uralter Überlieferung die Erschaffung der Welt, die im Tischri, dem klassi- schen Monate der Feste, stattfand.

Nicht vergeblich suchen wir nach Parallelen aus alter und jüngerer Zeit bei den Völkern des Orients. Wir erfahren

60 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

von allerdings der Form nach sehr verschiedenen, dem Wesen nach aber zweifellos verwandten und auf gleiche Vorstellungen zurückgehenden Festen und Gebräuchen. Naturgemäß müssen sich solche an die Jahreszeiten an- lehnende Feste mit kosmischen Beziehungen nach der Art der Zählung und Gestirnerechnung der Völker richten. Es werden also bei solchen Völkern, die Mondjahre haben, gleich den Hebräern jene Feste mit ihnen in den Herbst, solche die Sonnenjahre haben, wie die Perser, in das Früh- jahr verlegt. Oder aber es wird, wie es tatsächlich der Fall ist, eine künstliche Harmonisierung beider Zeiten und Feste stattfinden (vgl. Benzinger, Arch.2 167, 168).

Jardin (Voyages en Perse, Paris 1811, II, 270) erzählt uns, daß die alten Perser am Noruz, ihrem Neujahrsfeste, das auf den ersten Frühjahrstag fällt, durch gegenseitiges Begießen mit Wasser feiern. In Syrien finden wir ein höchst merkwürdiges Fest, das Kremer (Mittelsyrien und Damaskus, S. 121 ff) anschaulich beschreibt.

>Ein sehr merkwürdiges Fest der Damaszener' ist im Monate April das Nauruzfest oder Frühlingsfest, welches drei Tage dauert. Am Abende dieses Festes laufen die Knaben mit angezündeten in Öl getränkten Spä- nen durch die Gassen, reißen sich dieselben aus den Händen oder suchen sich sie gegenseitig auszulöschen und treiben allerlei Unfug« . . . Daß dieses Nauruzfest eines der ältesten Volksfeste sei, beweisen die Zeugnisse der morgenländischen Schriftsteller. Von diesem Feste sagt Ibn Ajäs in dem Werke Nestik-el-Ezhäz fi Adschaib-el-Aktar folgendes : Das Id en- Naurüz ist das erste Fest des kosmischen Jahres. Es ist Sitte, an diesem Tage Feuer anzuzünden und Wasser aufzuspritzen. Dieses Fest war eines der größten Feste rn Ägypten. Der erste, der dieses Fest einsetzte, soll Dschem- dschüd, der bekannte persische Herrscher, gewesen sein. Ibn Zaulak sagt: Im Jahre 363 verbot der Chalif el-Muizz-liddin- allah das Anzünden von Feuern in den Gassen und

Das Wasseropfer und die dam.t verbundenen Zeremonien. 61

Straßen während der Nacht des Naurüz sowie das Aus- gießen von Wasser. Der Kadi Abd-er-Rahim el-Fädil erzählt in den Jahren 584 ebenfalls von diesem Feste und daß sich die Leute einander mit Wasser und Wein bespritzten und mit Eiern bewarfen. Im Jahre 787 verbot der oberste Emir Dehir-Barkük unter schweren Androhungen gegen Dawiderhandelnde den Unfug. Ich er- innere an die merkwürdigen Berichte des Talmud (Sukka 53 a) vom Fackelwerfen, Schwerterschwingen, Eier- und Becherwerfen, die sich an Nachrichten über die Feiern gele- gentlich der Freude des Schöpffestes anschließen.

Goldziher (Az Islam, S. 140) spricht von diesem Feste und sagt: »Die muhammedanischen Theologen haben leicht ein Mittel gefunden, die Feste der Feuer anbetenden Perser als von der muhammedanischen Religion gebotene beizu- behalten«.

Sie haben einfach verbreitet, daß am Noruztage der Prophet den Ali zu seinem Nachfolger bestimmt habe. So wurde das heidnische Fest ein muhammedanisches. Und weit über die Grenzen Persiens hinaus, selbst in Afrika wird dieses Fest mit all seinen Unarten gefeiert, mit welchen das Fest der Tag- und Nacht-Gleiche im Frühling von den heidnischen Persern begangen wurde«. In Persien selbst, dem Heimatlande des Ncruz, wird das Begießen mit Wasser auch bei anderen Gelegenheiten als Volkssitte geübt; eine große Rolle spielt diese Sitte auch beim Khasasuran-Frühlingsfest der Armenier«. »Der Gebrauch der Fackeln findet sich bei den meisten Völkern an den Herbstfeiertagen; so war es auch bei den Juden (simchath beth ha-Schoebha)«; also auch Goldziher empfindet die nahe Beziehung deutlich.

Rüppel (Reisen in Abessynien II, S. 41 44) schildert das in der katholischen Kirche Abessyniens gebräuchliche Fackelfest, das dort in ein Fest der Auffindung des heiligen Kreuzes verwandelt worden ist. Es fand am 16. Maskaram = 26. September (also im Herbste, bei den Arabern im

62 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

Frühling) statt und wurde zur Erinnerung an die Auf- findung des heiligen Kreuzes durch Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, eingerichtet. »Um die Kunde jenes Fun- des möglichst schnell von Palästina nach Konstantinopel zu bringen, bediente man sich der Feuersignale und dies zu versinnlichen ist der Hauptzweck der in Abessynien bei diesem Feste gebräuchlichen Zeremonien« (Rüppel a. a. O.). Nach Sonnenuntergang lodern auf allen Hügeln Freuden- feuer.

Gesellschaften von Männern ziehen umher, von denen jeder Bündel brennender Rohrstengel trägt. Prozessionen der angesehensten Männer (vgl. 'tfyo npj«) führen Tänze auf; unter Musikbegleitung, Po- saunenschall werden Fackeltänze ausgeführt, Speise und Trank in Überfluß verteilt.

Das Wassersprengen ist ja auch in Europa um Ostern Sitte. Die Wasser w ei h e spielt in der griechisch-katholi- schen Kirche noch gegenwärtig eine große Rolle. Die große Wasserweihe findet am Feste Ephiphanias statt und wird an einem Flusse abgehalten. Die Ostervigi li e, d. h. die Nacht vor dem Ostertage, wurde unter den ersten christlichen Kaisern dadurch gefeiert, daß die Straßen mit Fackeln und ries igen Wachsk erz en taghell erleuchtet wurden und man sich der ausgelassenen Osterfreude (dominica gaudia) hingab. Diese Festlichkeiten fanden aber am Frühlingsvollmond, d.h. am ersten Vollmonds- tag der Frühlings-, Tag- und Nachtgleiche, statt. Es ist klar, daß in allen Riten die altheidnischen Sitten passend zugeschnitten und später so umgewandelt worden sind, daß die alten Spuren nur dem forschenden Auge, aber immer noch deutlich genug, erkennbar sind. Der Weg, den diese Sitten gewandert sind, ist ein weiter, und der Zeitraum, der zwischen der heutigen Synagogenfeier des Hoschanah rabba und Tal-Geschem-Kultus und der althebräischen Urzeit einerseits und anderseits zwischen altheidnischer

Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien. 63

Frühjahrs-Herbstesfeier und dem Osterfeste und der grie- chisch-katholischen Wasserweihe liegt, ist ein ungeheurer. Die Überlieferung kennt eben keine Grenze, weder nach vorwärts noch nach rückwärts1).

Wir haben im Verlaufe der Untersuchung gesehen, wie tiefgehend diese Zusammenhänge sind, wie fast unsichtbare Fäden von Zeiten zu Zeiten, von Volk zu Volk hinüber- spinnen und wie alle scheinbaren Entlehnungen und An- lehnungen weder das eine noch das andere sind, sondern Äußerungen der Volksseele und der primitivsten Triebe der Menschen. Und diese sind schließlich überall die gleichen und kraftvollsten und lösen allenthalben ähnliche Erscheinungs- formen aus. Geburt und Tod, Fruchtbarkeit und Entstehung, Erdensegen und Himmelsspende, Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, das sind die mächtigsten Beweger des Men- schengemüts. Und in den verschiedenen Zeiten setzt sich dieses ursprünglichste Empfinden verschieden in religiöse Taten um, bis endlich der reine Monotheismus die rohe Sinnlichkeit vergeistigt. Diese Vergeistigung jedoch wird wieder aufs Neue durch Verkörperlichung durchbrochen und aus der geborstenen Hülle dringen die mythischen Kerne deutlich hervor1).

J) Ich spreche meinen Freunden, den Professoren : Dr. Funk, Dr. Krausz, Dr. Kornitzer, Dr. Kappelmacher, Dr. Berkowicz, Dr. Schultz meinen herzlichen Dank aus für die vielfachen Anregungen und Hinweise, die sie mir gaben.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen

Zeitalter.

Neue Folge.

Von Simon Eppen stein.

IV. Sa ad ja Gaon, sein Laben und seine Schriften.

(Fortsetzung.)

Es scheint aber dem bisher als Kämpfer erprobten Manne auch ferner keine Ruhe beschieden gewesen zu sein. Er kam in einen Kreis hinein, wo man zunächst seine geistige Größe als zu überragend fand, zumal er nicht dem Lande entstammte, das die Gelehrsamkeit in Erbpacht ge- nommen zu haben glaubte. Es lebte dort der gelehrte Mebasser ha-Levi ben Nissim ibn rin^i?1), der mit auf- merksamem Blick sämtliche Schriften Saadja's verfolgte, die darin vorkommenden Versehen zusammenstellte und einer Kritik unterzog, die er jedoch wohl erst nach dem Tode des Gaon, in einem mehrbändigen Werke gesammelt, herausgab, das den Titel dki aro »d liiio^x tnob* "f«VTAOK \ave^K navia^R, d. h. »Berichtigung der Versehen in den Schriften des aus Fayüm stammenden Gaon« führte8). Einen ganz bedeutsamen Rivalen in geistiger Beziehung hatte Saadja an dem reichen und gelehrten Aaron Ibn Sargädo, mit dem arabischen Vornamen Khaläf, der, seinem Beruf

*) Vgl. über ihn Steinschneider, Arab. Lit. d. Juden, S.70 § 33. Sein vollständiger Name und der Titel seines Werkes ergeben sich aus Schechters Mitteilung in Saadyana, S. 79. (Vgl. hierzu auch in den Nachträgen.)

*) Vgl. Harkavy, Studien V, S. 63. Die Angriffe auf den fnj« vgl. dort S. 70—73, die auf das Kitab al-Wataik in Oeuvres, T. IX, S. XXXVII— XXXVIII. Besonders für Mebassers Angriffe auf den Pentateuchkommentar kommt als Quelle auch Juda ibn Bai'äm in Betracht.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 65

nach ein Kaufmann, ein großes Wissen besaß, das er in einem, bisher nur noch aus Zitaten bekannten Pentateuch- kommentar und einer Schrift gegen die Annahme von der Präexistenz der Welt niederlegte1). Besonders dieser, den Saadja nach dem Zeugnis von Nathan Babli »um das Zehnfache« übertraf, gehörte wohl zu denen, welche seinen Sturz herbeizuführen suchten2). Zunächst allerdings scharten sich um ihn sowohl die noch übrig gebliebenen Gelehrten Sura's wie auch die angehenden Kollegialmitglieder von Pumbadita, die wohl begierig der Belehrung des großen Fayumiten lauschten3). Gerade die letztere Tatsache, die sogar der eifersüchtig den Vorrang Pumbadita's wahrende Scherira erwähnt, läßt uns das Ansehen ermessen, in dem der neue Gaon stand.

Als Haupt der Hochschule hatte Saadja vor allem die Auslegung des Talmud zu pflegen und Normen für die Ausübung des Gesetzes festzustellen. Von der erstgenannten Leistung des Gaons können wir uns nur aus seinen zahl- reichen Bescheiden ein Bild machen, da wir direkte Tal- mudkommentare von ihm kaum mehr besitzen4). Daß Saadja solche verfaßt hat, ist, meines Erachtens, gesichert durch mehrere Zitate, die wohl nur derartigen Werken entnommen

') Vgl. über ihn zuletzt Steinschn. a. a. O. S. 71 u. Pozn., Zur jüd.-arab. Literatur, S. 47.

2) Vgl. Nathan Babli bei Neub. a. a. O. II, S. 80: n^S XJpm

mVx» fei noans hm d*txi fW? hv* m nfe jtjw yw rrHjm na m ntpy v*bp sj'Dio nvi mo *i 'jsx mm 'x dj?b omty n^o rm b*vr>v m laia in xjprto mm nn\

3) Vgl. Scherira bei Neub. a. a. O. I, S. 80, Z. 2—3: (Xö Ppai did-t pai Sy prcon i^ity [dt x'onm pnm prwa |o twk mm xrr-Q.

4) Der in Jerusalem 1908 von Wertheimer veröffentlichte Komm. Saadja's zu Berachoth ist vielleicht nur als eine von seinen Schülern angelegte Notizensammlung, hauptsächlich lexicalischer Art, anzusehen, in der allerdings manches von Saadja herrührt. Die von Saadja gelie- ferten Erklärungen zu einzelnen Talmudstellen sind in der 5. Abtei- lung von Oeuvres T. IX u. d. T. D'ttip"^ zusammengestellt.

Monatsschrift, 55 Jahrgang.

66 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

sein können. So heißt es Saadyana Nr. 30, S. 59 ausdrücklich in einem von Dosa, dem Sohn Saadja's, ergangenen Re- sponsum : ym P9H89 |«a yj "pK p«j n0n*ba pro»* rne«i, was doch wohl auf einen Kommentar zu Pesachim schließen läßt. Ferner läßt vielleicht ibid. Nr. XXXII, S. 60—61, die Erklärung von vott» einen Kommentar zu Sota annehmen; es ist auch nicht ausgeschlossen, daß Saadja einen solchen zum Traktat Sabbat oder dessen siebenten Abschnitt, unter dem Titel roK^o maa yde/i, verfaßt hat1). Auch eine methodologische Schrift größeren Umfanges, unter dem Titel Sdiö^k 2«ro, können wir wohl Saadja zuschreiben8); der uns vorliegende Kommentar zu den 13 Deutungsregeln8) mag einen Teil desselben bilden.

Sehr groß war die Tätigkeit, die Saadja als Gesetzes- lehrer entfaltete. Schon in Ägypten hat er sicher den Grund hiezu gelegt mit einem Werke über nii mu^ri4). Ob er nur einzelne Probleme der Halacha behandelt hat, oder ein ganzes Werk über alle Gesetzesbestimmungen verfaßt hat, vermögen wir nicht zu entscheiden.

Die halachischen Schriften Saadja's sind bereits zuletzt von Steinschneider6) und Poznariski6) bibliographisch behan-

*) Vgl. die Bücherliste in der REJ. XXXIX, S. 200 Nr. 28 und ebendort S. 203, ferner Saadyana Nr. XLVII, S. 128, Z. 1. Da dort auch ausdrücklich die C^JW .TJ731K mit einem Werke über .TU Jl'afel rt^JJD "W? genannt sind, dürfte die Annahme von der Autorschaft Saadja's für dieses Werk recht wahrscheinlich sein. (Vgl. auch in den Nachträgen.)

a) Vgl. die genannten Bücherlisten a. a. O. Aus dem in der vorigen Anm. erörterten Grunde halte ich auch die Identifizierung Bachers in R£j. a a. O. S. 204 mit dem S. 199 unten genannten bsiC1?» 2Nn3 für ausgeschlossen. (Vgl. auch in den Nachträgen.)

s) Zuletzt veröffentlicht von Müller a. a. O. S. 73—83; vgl. auch ebendort S. XXIII— XXXIII. Bekanntlich war dieser Kommentar auch s rabisch abgefaßt, wie das genannte Einleitungswerk.

*) Er erwähnt dieses im Jezirakotnm., ed. Lambert, S. 43.

») A. a. O., S. 48-50.

•) a. a. O. S. 41 f.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 67

delt worden, wozu noch als Fund aus jüngster Zeit eine Schrift über das Wucherverbot hinzukommt1). Erhalten ist uns von der Fülle des einst vorhandenen verhältnismäßig nur recht wenig. Vollständig besitzen wir nur die Schrift über das Eherecht, jinaia^K 2«ro = nwivn noo8). Größere oder kleinere Bruchstücke haben wir von der Schrift über die Pfänder it»t£« axns oder ftjrii^K oton«, von der uns das Ende erhalten ist, und worin über die Fälle gehandelt wird, bei welchen die Ersatzpflicht des Aufbewahrenden nicht eintritt3). Zum handlichen Gebrauch behufs Orientierung in dringenden Fällen hat Saadja jedenfalls auch einen kurzen Auszug aus dem umfangreicheren Werk veranstaltet4) Auch von der Schrift über Zeugenschaft und Dokumente kennen wir außer einem Zitat in einem späteren Responsum8) und bei Saadja's Kritiker Mebasser6;, nur wenige Zeilen der Einleitung7), ohne daß das Geringste über die Materie selbst darin enthalten ist. Wie aus dem Fragment hervorgeht, sollte es einen Teil eines größeren, verwandte Themata behandelnden Compendiums bilden; indesssen haben ihn die dringende Notwendigkeit einer Zusammenstellung dieser Bestimmungen für das Volk und der sich daraus ergebende

J) Vgl. Hirschfeld in JQR. XVIII, S. 119-120. Sie ist dort be- titelt: jn WD [titfj *3*fc* 'D Slp. Danach Ist, wie Hirschfeid a. a. O., mit Recht vermutet, diese Abhandlung vielleicht ein Teil eines Kompendiums über eine umfassendere Oesetzespartfe.

8) Herausgegeben von Joel Müller in Oeuvres T. IX, S. 1—53 im arab. Original mit hebr. Übersetzung von S. Horovitz.

3) In Saadyana Nr. XI u. XII, S. 37-41. Das zweite Stück ent- hält nur den letzten Teil des vorhergehenden.

*) Vgl. T'schuboth ha-Geonim, ed. Härkavy (Studien Th. IV) S. 238, wo in Nr. 456, in einer an Isak Alfassi gerichteten Anfrage, dieses als: rtfHVjK iXflSD zitiert wird.

6) Vgl. ebendort, Nr. 251, S. 108—109.

8) Vgl. Harkavy in den Nachträgen zur Einleitung von Oeuvres T. IX, S. XXXV1I-XXXVIII, sub Nr. 2.

7) Vgl. Hirschfeld in JQR, XVI, S. 299.

5*

68 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Nutzen bestimmt, gerade mit dieser Materie zu beginnen1). Schließlich ist von den die Jurisdiktion behandelnden Ge- genständen noch der Anfang der Abhandlung über das Zinsverbot zu erwähnen2). Eine vollständigere Übersicht über Saadja's juridische Schriften würden wir aus einer größeren Erschließung der betreffenden Werke des sehr produktiven Samuel ben Hofni gewinnen, der Saadja sehr oft zitiert8).

Was das Rituale betrifft, so ist von den uns teil- weise erhaltenen Schriften zu nennen ein Werk über die Schlachtregeln, wovon aber Saadja selbst auch einen Auszug veranstaltete; aus beiden ist uns je ein Zitat erhalten4). Ferner über T'refoth, moiöS« 3KM, wovon auf uns ein in arabischen Lettern geschriebenes Fragment gekommen ist, das die Teile der Lunge behandelt5), während^ sonst noch in einem späteren Responsum etwas daraus . zitiert wird').

Die halachischen Schriften Saadja's chronologisch zu ordnen ist ziemlich gewagt, da uns hiezu eine Handhabe weder in den wenigen uns erhaltenen, noch in den Schriften anderer geboten ist. Vielleicht läßt sich annehmen, daß einige das Ritual behandelnde Schriften, wie wir es von der über die Menstruation mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen können, schon in Ägypten entstanden sind, während

!) Vgl. ebendort: XJX ^ib» nptb* XTiX |B ü nein nyoxj b*p

njxn itw (o mn» xbS mb* irtna pnox (x nwi w rwtatA iny

fW JfMttfl Dfcy tthffl .tSx fm*b*. Von der Wichtigkeit gerade solcher Zusammenstellungen zeugt es auch, daß schon der Qaon Hai b. David ein HVftVrl 'B verfaßt hat, von dem Harkavy in B2 B^BHn BW Nr. 9, Beilage zu nJDBH Bd. 111 (Wilna 1896), S. 45-52 einen Teil veröffentlicht hat.

2) Veröffentlicht von Hirschfeld a. a. O. XVII, S. 120.

3) Vgl. hierüber Harkavy a. a. O. S. XXXVIII, sub Nr. 3. *) Vgl. a. a. O. S. XXXVII, sub Nr. 1.

5) Vgl. Saadyana Nr. XLIX, S. 132—133. Der Text ist vielfach ohne diakritische Punkte.

6) Vgl. T'schuboth ha-Q., ed. Harkavy, Nr. 331 S. 158.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 69

die Werke juridischen Inhalts möglicherweise der Zeit seines Wirkens als Gaon, als er zugleich oberster Richter war, ihre Entstehung verdanken. Man könnte, wenn der Schluß nicht zu kühn erschiene, dies auch daraus fol- gern, daß die einzige uns vollständig erhaltene, das Rechts- gebiet betreffende Schrift, das mtrivn 'D, in seiner Anlage, besonders aber der Terminologie, den entsprechenden Werken mohammedanischer Rechtslehrer nachgebildet zu sein scheint1); dem islamitischen Einfluß dürfte aber Saadja gerade in Babylonien, wo dieser am stärksten war, zu- gänglich gewesen sein.

Zu den in Babylonien entstandenen Schriften, die auch zum Teil in das halachische Gebiet gehören, ist auch der Siddur zu rechnen2), da er nicht nur die Stammgebete und Pijjutim, sondern auch die das Gebet- ritual betreffenden Vorschriften enthält; der Titel desselben lautete: itkie^ki n«i^« 2Kro3). Aus dem Werke sind uns bis jetzt nur eine große Anzahl von Zitaten be- kannt. Hoffentlich erhalten wir nun bald alles davon Vor- handene nebst Ergänzungen aus Genisafunden durch die schon lange vorbereitete Ausgabe von J. Bondi. Ein be- sonderes poetisches Stück daraus ist uns längst bekannt, nämlich eine sogenannte Ashara zum Wochenfest, eine Aufzählung der 613 Gebote in mehrfacher gerader und umgekehrter alphabetischer Reihenfolge4). Dieser Partie ließ vielleicht Saadja einen sogenannten nw\ vorangehen, in

l) Vgl. Steinschneider a. a. O. S. 48, Goldziher in REJ. XXXVIII, S. 270-271.

■) Vgl. hierüber zuletzt J. Bondi, Der Siddur des R'Saadja Oaon, Frankf. a. M. 1904. Den Nachweis von der Entstehung des Werkes in Babylonien erbringt Bondi a. a. O. S. 9.

3) Die Einleitung war wohl auch besonders in einem aiji aKD2 rxbxb« vorhanden. Vgl. die Bücherliste in REJ. XXXIX, S. 200 Nr. 30 u. Saadyana Nr. XLVII, S. 128 Z. 3.

*) Zuletzt veröffentlicht in Oeuvres IX, S. 57—69. Vgl. auch ebendoit S. XVIII, fgg.

70 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

dem er die Gebote in 24 Gruppen einteilt, und wovon uns aus einer fragmentarischen Erklärung des letzten surani- schen Gaon, Samuel ben Hofni, die ersten acht Gruppen erhalten sind1). Von liturgischen Stücken liegen uns nun eine Anzahl sonst nicht bekannter Dichtungen Saadja's vor*), darunter eine Erklärung der Tefilla in arabischer Sprache8). Bemerkenswert ist ferner, daß wir jetzt Saadja als Verfasser der mit den Worten *tro: nbm beginnenden Selicha für den Fasttag des Gedalja kennen lernen4), wie auch eines Klage- rufes in einem liturgischen Stück für Purim oder den Esther- fasttag, wo es heißt: dwt nustPöi iip •>bn» üV nnv mjzitf5). Betrachten wir nun die halachischen Schriften Saadja's näher, so finden wir, daß sie an methodischer Anordnung, wie an ausführlicher Darstellung, die Compendien seiner Vorgänger hierin, des R. Jehudai Gaon und Simon Kajjära, bei weitem übertrafen6). Es zeigt sich hier der wissenschaftlich

») Vgl. Saadyana Nr. XV, S. 43.

2) Über die bisher bekannten synagogalen Poesieen Saadja's vgl. Zunz, Liieraturgesch. S. 95— 98, Landshuth, Amrnude Aboda S. 286 ff. Eine bisher nicht bekannte Aboda Saadja's veröffentlicht Elbogen, Studien usw., S. 122 125. Bisher nicht bekannte Liturgieen Saadja's sind u. a. Saadyana Nr. XVII, S. 45—46, ein Ofan für Pessah, beginnend hr6j5J7 bpbpb bp sy hy nur., XVIII, S. 47 ein Silluk für Jomkippur W\"1?K '.*! nB>np, Nr. XXII. S. 48—49, eine Selicha für denselben Tag, beginnend mit "IHK nWDJS KHK, ferner in Nr. XXIII, S. 52—53 ein in längere alphabetische Stücke zerfallender Pijjut, der den Titel führt: KlpD^K SJKinx "WiJHt, d. h. Aufzählung der Buchstaben, beginnend mit den Worten: TOS p3D tat.

3) Saadyana Nr. XXV, S. 52. *) Nr. XVIII, S. 46.

6) A. a. O. Nr. XLIII, S. 49—50, beginnend mit: wsb *xuhfi fhH VifpTk ">V2. Schechter hält es für eine Liturgie zu Purim, wäh- rend der Inhalt und Über- wie Nachschrift "j^D bx es als Selicha für den Esther-Fasttag erscheinen lassen.

«) Vgl. auch Müller, Oeuvres IX, S. X. Indessen ist dessen Be- hauptung, daß Saadja, gleich Maimonides, weder Autoren noch Talmud- aussprüche anführe, zu allgemein gehaltet], da z. B. im Fragment des JMlBJPn 'C sich viele Zitate finden.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 71

gebildete Systematiker, der, zugleich mit dem ihn erleuch- tenden philosophischen Sinn, auch die Halacha als Gegen- stand des Denkens hinstellt und auch dadurch die Tradition hoch über die teils willkürlich schaltende, teils durch sklavisch treue Auffassung des Bibelwortes eingeengte Gesetzes- Auslegungder Karäer hinaushebt. So läßt er der Abhandlung über Zeugenschaft und Dokumente eine philosophische Betrachtung über das Recht vorangehen, welches das höchste der durch Erkennen anzueignenden Dinge sei; dieses Rechtsgefühl besitze besonders derjenige, der mit einem von allen Anfechtungen unbeirrten Verstand begabt sei, und es sei ausgeprägt bei denen, deren Seele sich davon leiten lasse. Diese Bestimmung des Rechtes, die bei allen Gelehrten verbreitet ist, bestätige auch das Wort der Schrift in Prov. 8, 9. Bezeichnend für die klare Rechtsauffassung Saadja's, die auch durch keine dogmatische Erwägung be- einflußt ist, ist eine Äußerung in der Schrift über Pfänder. Dort sagt er1), in Ausdeutung der Bestimmung, daß bei einem Verlust durch Angriff von einem reißenden Tiere der Aufbewahrende nicht haftbar ist, folgendes: Der Eigentümer kann nicht sagen: wenn du selbst herbeigeeilt wärest, würde Gott dir Gelegenheit zur Rettung gegeben haben, wie David von sich rühmt (I Sam. 17, 36), daß er dem Löwen und Bären die Beute entrissen habe, denn das seien außerge- wöhnliche Wunder. Im Talmud, Baba mezia 83a, wird von Rab erzählt, daß, als Rabba bar bar Chana an den von ihm gemieteten Trägern, die ihm ein Faß zerbrochen hatten, sich schadlos halten wollte, er diesen nicht nur zur Zurückgabe des ihnen genommenen Gewandes anhielt,sondern auch zur Auszahlung des bedungenen Lohnes, mit Hinweis auf Spr. 2, 20. Hierzu bemerkt Saadja in derselben Schrift"),

») Vgl. das Fragment in JQR XVI, S. 299 die Stelle beginnend mit hkb^jfio^K vpvx pnhx SyxJ u. s. w.

s) Vgl. Saadyana Nr. XI, S. 37, Z. 16-38, Z. 20 oben.

72 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

daß man wohl dieses, was unsere Weisen cuiö "pi und ü'pnit mm« nennen, befolgen sollte; jedoch habe eine solche Entscheidung nicht der Richter zu treffen, sondern sie stehe allein dem Eigentümer zu. Der Richter müsse, wie es in Lev. 20, 15 ausgesprochen ist, in seinem Urteil sich vor jedem Übermaß zurückhalten, er dürfe weder Unrecht tun noch falsches Mitleid haben1).

Es ist nun nicht zu verwundern, daß ein in jeder Be- ziehung geistig so hochstehender und von einem tiefinner- lichen Rechtsgefühl erfüllter Mann in der Umgebung vielfach die Rücksicht gegen andere außer Acht lassender und kleinlich denkender Menschen alsbald Anstoß erregen mußte. Zwei Jahre nur bestand ein leidliches Verhältnis zwischen dem Gaon und dem Exilarchen, bis eine Rechtsverletzung des letzteren, wobei auch sein eigenes Interesse in Betracht kam, und die Saadja nicht gutheißen mochte, den von diesem auch jetzt noch vermiedenen Konflikt herbeiführte2). Der Gaon hatte8) wiederholt eine Erklärung seiner Weigerung zu umgehen sich bemüht, jedoch infolge der Beschwörung der Abgesandten des Exilarchen seine Bedenken geäußert. Auch den zuerst von Juda, dem Sohne David's, in Ehr- erbietung4) gemachten Versuchen, ihn umzustimmen, wider- setzte sich Saadja, bis jener sich zu Drohungen hinreißen ließ, die Saadja's Umgebung auch zu Tätlichkeiten gegen

') A. a. O. S. 39 (Bl. 2 v.) Z. 9 fgg.: ty ftÄnDtot mi |K X1?« *)w *bi "•/n" xb) f*pj-> xSi TV ab cski-iSk \xsfo nsxnbs ty ab -[btttäx bi -ob xtrn *b tiBtPön Siy wyn xb nbtpb.

*) Bekanntlich mußten die Geonim die gerichtlichen Entschei- dungen der Exilarchen bestätigen; vgl. Monatsschr. 1908 S. 336, An- merkung 2.

8) Die Darstellung nach Nathan Babli bei Neubauer a. a O. II, S. 80—81.

*) Vgl. a. a. O. S. 81, wo es heißt, daß Juda dem Saadja nicht die Worte seines Vaters: 7VDW Wl b*l Difin übermittelte, vielmehr:

pm wa nptfffiB xnr kVb» na rmispn nx cinrrp povßi rwpn ib iok

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 73

Juda reizten. Nun entsetzte der Exilarch den Gaon seines Amtes, indem er ihn zugleich in den Bann tat, und den aus einer alten Geonimfamilie stammenden1), jedoch sehr jungen und unreifen Josef ben Jacob, mit dem Beinamen Bar Satia2), zum Leiter der Hochschule ernannte, während wiederum Saadja den Josia, genannt Hassan, einen Ver- wandten des David3), zum Exilarchen erwählte. Obwohl der Gaon die reichsten Männer Bagdad's, darunter auch Isaak und Sahl, die Söhne des Netira, zu seinen Anhängern zählen konnte, gelang es dennoch seinen Gegnern, denen sich auch der auf ihn eifersüchtige Aaron Ibn Sargädo und Konen Zedek von Pumbadita zugesellten, mit Hilfe der Regierung Saadja endgiltig des Gaonats zu entsetzen. Der Kampf, den diese Reibungen hervorriefen, hat leider viel Häßliches gezeitigt. Nur weniges ist uns von den diesen Streit betreffenden Schriften erhalten, aber auch dies genügt uns, einen Blick zu tun in die auf beiden Seiten herrschende Feindschaft, wobei aber, der Wahrheit die Ehre, anerkannt werden muß, daß das größere Maß von Gehässigkeit auf der Seite von Saadja's Gegnern zu suchen ist. Wie wir aus einem durch einen Karäer uns erhaltenen Fragment einer Schrift Aaron Ibn Sargädo's4) nun wissen, wurde von David's Anhängern, oder von diesem selbst, es so dargestellt, als ob^

») So wird Josef in einem Pamphlet gegen Saadja siehe weiter unten bei Harkavy, Studien Th. V, S. 228 Anm. 9 genannt, da er von Natronai ben Hilai abstammt.

s) Diese Bezichnung ist sicher nur ein Beiname, wie aus Scherira bei Neubauer a. a. O. I, S. 40 Z. 5: tOBD "D3 ynn, ent- sprechend der Wendung ebendort Z. 1 betreff Saadja ^vds J^Ti hervorgeht.

3) Während die anderen Quellen diesen als Bruder des David nennen, so auch bei Harkavy, a. a. O. S. 227, Z. 2 v. oben be- zeichnet ihn Scherira a. a. O. als \Tinx fnn, also als Schwiegersohn «eines Biuders.

*) Es ist das zuletzt von Harkavy in Studien V, S. 225—235

veröffentlichte Fragment, das er dem Sahl ben Mazliah zuschreibt,

Vermutung, die umso eher an Wahrscheinlichkeit gewinnt, als

74 Beiträge zur Oeschichte und Literatur im gaonäischen Zeitaltei.

Saadja, entgegen den eidlichen Versicherungen, die er dem Exilarchen gegeben, keine gemeinsame Sache mit dessen Gegnern zu machen, dennoch gegen diesen Zettelungen angestiftet und sich mit seinen Feinden verbündet habe1). Ferner habe er, sich in seiner Eigenschaft als Hochschul- präsident überhebend, vielfache Erpressungen und Unge- rechtigkeiten zu schulden kommen lassen*), so daß der Exilarch oft um Hilfe angerufen wurde8). Es wurde ferner gegen Saadja der Vorwurf einer öffentlichen Ent- weihung des, Sabbat durch Tragen und dergleichen4), eines unsittlichen Lebenswandels in Verbindung mit mehreren Genossen6), einer ketzerischen Denkart und Verächtlich-

dieser Karäer auch Mitteilungen über den Streit mit Ben Meir ge- macht hat, in denen ein schadenfroher Ton nicht zu verkennen ist. Vgl. auch den Nachweis von Harkavy a. a. O. S. 223, daß darin die Streitschrift Aaron ibn Sargädo's benutzt ist, indem dessen eigene Worte hebräisch wiedergegeben werden, während der Karäer seine fortschreitende Beschreibung des Inhalts in arab. Sprache gibt.

l) Vgl. a. a. O., S. 225-227 u. besonders S. 232, Z. 5 v. u.

i) Vgl. a. a. o , S. 226 z. 7 fgg.': *$p pw nw> B>xi ctro mono THffi in&' Sap wna npava in» blipd viitvb am . . . jidd pajw . . .

DBDJJ'D U. S. W.

3) So allein ist der Sinn der arab. Worte a. a. O , Z. 13—14;

rJfiMJlDK1?» 'to mxy Otubx "fX, so daß mir die dort von Harkavy, Anm. 14 gegebene Übersetzung: ,loj> lisrmil nyttlD.l 03110 12C ganz un- klärlich erscheint, zumal sie dem Zusammenhang gar nicht ent- spricht.

*) Vgl. Harkavy a. a. O-f S. 227, Z. 4—8; vgl. auch ebendort, S. 225.

s) Vgl. a. a. O., S. 227—28. Unter den dort genannten Genossen Saadja's werden auch die TJ?3 '33 erwähnt. Es ist nun merkwürdig, daß in dem von mir in Monatsschrift 1908, S. 332—333 skizzierten Pamphlet gegen Bostanai, vgl. jetzt auch Worman im JQR. XX S., 214, in Verbindung mit den Nachkommen David ben Sakkai's behufs Diskreditierung der Exilarchen die tJJS tkd, die Nachkommen des Boas, genannt werden. Sollen es etwa dieselben sein, wie die in dieser, doch jedenfalls vom Exilarchen inspirierten Schrift? Hier heißt es übrigens: fMJnVB TJJ3 ya 0,1 pm v&*l. Soll durch deren Einge- ständnis ihre Schuld gemildert erscheinen?

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 75

machung der Thora und ihrer Gebote erhoben1). Auch wird er deswegen angegriffen, weil er eigenmächtig, aus Anlaß einer Seuche, einen Fasttag angeordnet habe, was sich jedoch als wirkungslos erwiesen habe2). Schließlich verunglimpften sie auch seine Abkunft, indem sie auf, Grund der Berichte angeblich glaubwürdiger Zeugen aus Palästina und schrift- licher Mitteilungen von dort, ihn als von Proselyten aus Dilaz in der Provinz Fayüm stammend bezeichneten8).

Wir ersehen schon hieraus, mit welchen verläumderi- schen Mitteingegen Saadja gekämpft wurde, indem man sich sogar nicht scheute, sich der ehemaligen Gegner in Palästina, deren Bezwingung man doch hauptsächlich nur jenem ver- dankte, als Helfershelfer zu bedienen. Diesem großen Maß von Gehässigkeit entspricht auch der uns noch erhaltene Bann, der die volle Schärfe der den Gelehrten und dem Exilarchen zu Gebote stehenden Mittel anwendet, zugleich jedoch die großen Verdienste des Gegengaon hervorhebt4), und als map ana überall verkündet werden sollte5). Beson- ders aber muß das von Aaron Ibn Sargädo verfaßte Pamphlet den höchsten Ton der Feindseligkeit und Verläumdung angeschlagen Inben, wie die Anfangsworte: cnan Dmp'BR ®&xb it i»a D"j£nn beweisen6), so daß selbst der karäische Compitator sie als belanglos oder vielmehr als zu gehässig bezeichnet7).

i) Vgl. a. n. O-, S. 228, Z. 6—7: c«ro «n mirpca rtr1 b* "pvc

*) Vgl. ebendort S. 229 Z. 5 fgg.; vgl. auch S. 224 oben.

3) Vgl. a. a. O., S. 229, Z. 1 —7 oben, u. betretis Dilaz S. 234, Antn. 9.

J Vgl. a. a. O., S. 233-234.

*) Vgl. a. a. O., S. 234, Z. 12 u. Anm. 7.

«) Vgl. a. a. O., Z. 15-16.

i) Ich würde anstatt Kirnst vorschlagen die Lesung X","n5?; denn als belanglos wird derKaräer sie nicht angesehen haben, da er, wie aus Harkavy's Mitteilung, S. 224, hervorgeht, einige der Anklage- punkte gleichfalls Saadja vorhält. Auch die Wendung: StMÄSÄ» DTD »ich habe sie selbst schriftlich nicht weiter festgelegt«, weist eher auf KnhW hin: »wegen ihrer Abstoßenheit*.

(Fortsetzung folgt).

Fragmente von Gabirols Diwan.

Von H. Brody.

In einer Anzahl von losen Blättern und Blattfragmenten, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte1), erkannte ich die Reste eines Diwans von Salomo lbn Gabirol, und ich halte den Fund für so wichtig, daß ich von ihm weiteren Kreisen Mitteilung machen will. Abgesehen davon, daß wir hier zum ersten Male ein umfangreicheres Bruchstück der Gedichtsammlung eines der hervorragendsten Dichter der klassischen Periode kennen lernen, bieten die vergilbten Blätter, trotz des außerordentlich schlechten Zustandes, in dem sie sich befinden, des Interessanten genug. Wir finden hier die Quellen wieder, aus denen Moses lbn Esra eine Anzahl seiner Gabirol-Zitate geschöpft hat, und lernen diese Zitate, deren Sinn verkannt wurde, recht verstehen; der Geist des großen Dichters spricht zu uns auch aus den Trümmern seines Werkes; wir haben ein neues Mittel, um einige der bereits bekannten, aber nicht ganz korrekt über- lieferten Gedichte des Sängers aus Malaga wieder herzu- stellen; wir gewinnen die Möglichkeit, Gabirol'sche Gedichte, die sicher sehr bald aus dem Dunkel der Genisa ans Tages- licht werden gefördert werden, als solche zu erkennen. Das letzte Moment halte ich für eines der wichtigsten. Die Gelehrten, denen die Schätze der Genisa zugänglich sind, haben bisher außer dem Ben-Sira hauptsächlich den Re- sponsen der Geonim ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Nur die Gebetstücke und Aboda-Fragmente haben noch in El- bogen einen warmen Freund gefunden. Die zahllosen poe- tischen Stücke blieben vernachlässigt, trotzdem auch auf diesem Gebiete alle Forschung ab ovo beginnen muß,

Fragmente von Qabirols Diwan. 77

wozu eine nähere Kenntnis des neuen, in Fülle vorhan- denen Materials nötig ist. In der letzten Zeit scheint man sich endlich den poetischen Fragmenten zuwenden zu wollen. Speziell von J. Davidson in New-York darf man wert- volle Leistungen auf diesem Gebiete erwarten. Da ist es denn von Wert, wenn durch die Voröffentlichung von Fragmenten, deren Autor bekannt ist, die Identifikation neuer Funde ermöglicht wird. Es wird hoffentlich nicht lange dauern, und wir werden in der Lage sein, die Lücken, die unser Ms. aufweist, nach andern Handschriften auszufüllen.

Im Folgenden werde ich die einzelnen Blätter der Reihe nach, wie ich sie geordnet und paginiert habe, be- sprechen. Soweit es sich um bereits gedruckte Stücke handelt, werde ich nur auf die wichtigsten Varianten auf- merksam machen. Stücke, die ich nicht an der Hand an- derer Manuskripte komplettieren kann, gebe ich genau so wieder, wie sie meine Vorlage bietet, ohne Vokalisation, ohne Korrektur, ohne Kommentar. Vorschläge zur Text- verbesserung gebe ich in den Fußnoten; mit Fragezeichen versehe ich Worte, die ich nicht mit voller Sicherheit lesen konnte. Eine vollständige Bearbeitung erfahren zwei Stücke Vit\StV u. »n« TP), ferner das Fragment Bl. 4a 5b von Vers 16 ab aus dem zur Stelle angegebenen Grunde.

Bl. la— b: Fragment von rpaiffl? &$ *WK WBJ (Dukes2) S. 10, Nr. 7; Sachs rvnnn II, S. 1). Vers 2 hat hier nbvb vxd für vwi n^pa bezw. g>K bx n&VT, Vers 5: -pa^ mpn (das Wort mpn fehlt in den Ausgaben); zwischen Vers 7 8 hier noch:

ronrm noi« *»*n nx"\r\ xbr\ nra [rvap in«].

Vers 9: »e6k3 für 'tt>j«a3); Vers 22: »a für *d; Vers 26: "|Ta"i fürnvai; Vers 27 fehlt, hingegen ist der in dem von Sachs mitgeteilten Text enthaltene Vers nPW nrn aiB xb auch hier vorhanden.

Bl. 2 a— 3a: Fragment eines Gedichtes, dessen An- fang fehlt:

Fragmente von Gabirols Diwan.

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naoi nasri m«bca m*i p*in ni»i3 anjs p* v»ö /liBi^na inaB r«M 33^01 . . 1/13 ^n33 wm trpsi 10

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i^«3 anb (8nai> . . . bi

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isai }3 nanj? . . '3sS tsn ....

25

nMW3.n ~\vb '3 /nrya^a]

"n^> Y/I1^PB 13*1 an'i ony "joa ("töv . . Hierauf folgt eine arabische Überschrift12) zu einem Gedichte, das BI.' 3b 4a seine Fortsetzung findet und dem ein von Moses Ibn Esra zitierter Vers (7) entnommen ist. Das Gedfcht, soweit es erhalten ist, lautet:

Dpnn T3 b>V WM 31? 'BB>33

»naM »a naMa piu« vhn

Bp3l nbD WJI' TJ? 0^33 (?) ^31 1BB>0 D^lMl L*bJ

Fragmente von Oabirols Diwan.

79

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Dpi? wd "ib»« dtpb ^ib^

DpIM d . . j (?) nB>» . . . »3 3Wn»l

(18Dp[x3 i^Hft? &>]»i a'uy p»3

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Dp»B« . . rn ib>« Dpro f hin »«na^

(15Dpe>i3 D'/idb» j...b>3 bip wi*

DpS» . . . n . 133 »JW31

Dp*öK f3 rrtha wm

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' D3H3 pa p&jki 1^»3

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'3 nan r6[»] &A fiBflfl ^>»i

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03123 DÜ3 wam/r

. . . . . . .10 [4 a]

sps 'bm '33^ pv3n po*»» pn»e "n^ nym e"» D3n Vi» in ibs

^»b« 'V3 wya 1$»»3

16. . an: p vnxy nniftflh 15 d*did3 uteri' bton w%

übvy\ "3i3 i^e>3 ovm

Bl. 4b 5b enthält ein Gedicht, das am Anfang defekt ist (es fehlt aber kaum mehr als eine Zeile) und gleichfalls einen von Moses Ibn Esra zitierten Vers (19) enthält, auf den ich noch zurückkomme. Zunächst lassen wir den Text folgen:

{an pion (17,rv n3*»i |BD3l vmnb vd bv piira

JB'Db tt"tö ^J? D3D3

jam ^dd n:y> »"ip

\onb Stp-» na /wip

pina »sha^ '»dj 1133

p"T3 »an (,0rfaa »3 ny

jö'p* *i/iD3i f »rjft

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(". . . «w KjjujanB 133^

(?"|a«safc (?) *»D3 niw n»S *w»

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jym^m »tt »na . .

nirökh (?) piM 33 . . i^>»3 3ij? rw^ m«' "W8

iS»3 bin ftwf* nj . . 3

msttma onwon ^y bi

njoii ins ja?n W

*ittM0 'bt^ 'bi p»a nsp

ffkfo D^n^S *«TD31 15 [5a]

80 Fragmente von Qabirols Diwan.

(25fo#P3 pn nnbw l»*p§ »3 m$% iy_ 13 nbnp np^Tj (86fB#i n#yT "\%% iv. iferii nfra ptoyT ns^p ^ to, jpvtt -101« (27f p-rp «in i#i* -i&ko "tia$ hj? ip ip;ioi

(*V?"p#? n^nps? 103 >:>#:? w.nioi höt nitfK 20

(öni ahn n&jni (T^flPJ p¥i<T n# tfa ^na n&$"]ö3

(3,|öD:b3 nisftn fo:?n Tj^ii tapT ntjK antjWl^S iiWJ

(''[öV^i '^ mr1?! rnatp* D7Ä1 ^ nVbs ip.T:

("pp^ij^ "ntsto rfinßpn las' DWp fr ttgßtf* oai 25

jorni iji nS n#jr7| nt#^ o^n nteb löjy' nriof

("l^^na n^. *t£ töi-n$DN /vdii 101*7 ruga» «T&n

(85(^rj^l 'ö^fli W ^1 pn^ n^b anp "TO*

(87< oi 1133 ni'iqp /von (3co^hs# [>**£ ^i:sn rnri

(59jo#33 a»*i »n; 13; to*1 (88n$3P 7öj£ -r^i>i 30

("PW1 JH nl»Jjp "tni n&:p vq-ip TO "id ifrj

:(42}0#K| ibl i-^pi Q'npj (*"#*3$ ntgp ^iinDtfi

Ich habe es versucht, den Text von Vers 16 ab wieder herzustellen. Über die Einzelheiten geben die Anmerkungen Rechenschaft. Fassen wir den Inhalt der Verse zusammen, so ergibt sich, daß vom Weine die Rede ist, den der Freund (oder das Schicksal?) dem Dichter reicht. Er schildert den Becher, dann den Wein und dessen Wirkungen, diese in sehr ausführlicher Weise. Was kann nun der von Moses Ibn Esra zitierte Vers 19 in diesem Zusammenhange sagen? Nichts anderes, als daß der Wein süß und herb zugleich ist, denn es ist ein alter Wein »aus den Tagen des Omar und Teman«. Ähnlich sagt der Dichter an einer andern Stelle:48)

ntf*7*n tf'Ehm rot upr ins yfo tst» i&»

•»•vir •:*:" ) - : : I » : •: »t

Welchen Sinn hat man aber in unsern Vers hinein- gelegt? Dukes44) führt aus einem Briefe des Amram b. Peziza den Passus an: [1. tw] nn? bv a'tPfl b"i in« oon iWll

•b mm» nm ,"'oi ia laytai« na« mb« bwz :no ikjksw ir»f?iT

Fragmente von Qabirols Diwan. 81

mm od o*a rb twemi ,nai« ttfm ;a\n pj6k pro) panp mnv Ina^a ma m /np'iraa »b» ir« "mram vwn mv »Cime* ^ Geiger46) bezeichnet diese Auffassung als ein Mißverständ- nis; nach ihm will der Dichter sagen, »das Lied trage den alten, schwerfälligen Charakter an sich.« Wir sehen heute, daß auch diese Annahme falsch ist. Nicht den Tadel eines schlechten Gedichtes, sondern das Lob eines guten Weines enthält der Vers. Es ist mir nicht bekannt, in welchem Zusammenhange Moses Ibn Esra unsern Vers anführt, sicher ist, daß er nicht allein seinen wahren Sinn gekannt, sondern ihn auch nachgebildet hat, wenn er singt:46)

P5vg \&p jata |V. 30 04 103 "in# nfrjj d"io

Unter der Überschrift Kr« nbl folgt (Bl. 5 b) Vers 1—11 des Jekuthiel gewidmeten Gedichtes yr\ wr 3313 (Dukes S. 28, Nr. 16; meine Gabirol-Ausg. S. 4, Nr. 2). Vers 8 hat das Fragment DJ? für iy, wodurch meine in den Anmer- kungen S. 1 (vgl. S. 6) gegebene Erklärung gestützt wird. Bl. 6a— b: Z. 51—88 des Gedichtes nasnn r^rm (Dukes Nr. 68, S. 67 f.). Z. 56 liest unser Ms. WM für mMM, das keinen Sinn gibt; Z. 62: o'^iy DBM für DWJJ 13»1 ; Z. 63: nanm (so auch Ms. Oxf. 1970 und Sachs, D*wn 'V» p. 3"^») für nanm; Z. 75: »eu» für wk ; Z. 76: dtoki in» für mv D'Wa; Z. 77: nein 3^ (wie Oxf. 1970) für naan &, und gast (Oxf. 1970: «am) für «aap; Z. 82: onma irran (wie Oxf. 1970) für oman »iran.

Bl. 7 a b: Fragment eines sonst unbekannten Ge- dichtes:

ami aräna ^oa aiai D'ja^B aia (?) D»aa . . "iffx

anna nrai (4Vi . ai^i ogfan iro^ jru wk

(?) am?« ay« a'swnam pmtr» (48nnt2* »jbi» n^ao

a'vaaa a^3« v/iisyia^ jnaa» i3« t6i na i^>i

ann« am Ana* bji inwa itciv »bn 5

amipi (?) yv omni» npi (?) i/ijn^ d'dij* ibv »ai an«

arrcsan rann yni jibki mn» pi m*»a » »

Monatsschrift, 55. Jahrgang. "

82

Fragmente von Oabirols Diwan.

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ippao mj ^»31 nsis ^3i 15 fliona pp DiT^ya tdoi (?) n^iyan nina TaR nai

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(?) ony . . D»fl . . . miöTö

annon jt6j^> totidi

amaa |a £ »jki ax ioa

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amya ^ nya arrai

BniltW VJB^ ia*3twii

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onp* a»y»n .... 33 .annwi »j^ya m* iaa

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pvp» v#n '«^»oa d^iki d\* . . an ihvuö f ap^ 20 my:a (63'^"ü t«mi

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'ja? nraft pya »aiw

Es ist aus dem Gedichte nicht mit Sicherheit zu er- sehen, wem es gewidmet ist. Was der Dichter von dem Gelobten sagt, würde auf Samuel ha-Nagid sehr gut passen. Die von Dukes S. 74 sub n und n nach Moses Ibn Esra, Josef b. Aknin und Parchon angeführten Verse Gabirols entsprechen in Reim und Metrum unserem Gedichte.

Auf das vorhergehende Stück folgen (Bl. 7 b), nach einer arabischen Überschrift,57) die ersten zwei Verse eines Gedichtes:

npra Mnn nub nn^» npia pya m'v ivr* pia

np/u fiffiJI »n^ ayn iibki B*awan runp Tipci

Bl. 8a 12b: Fragmente von dem Klageliede über den Tod Jekutiels (meine Gabirol-Ausgabe S. 12, weitere An-

Fragmente von Gabirols Diwan. 33

gaben das. Anmerk. S. 3*3), Z. 25— Ende umfassend. Von Varianten erwähne ich: Z. 27: opm für o»pn (richtig nach Exod. 3, 21); Z. 75: «W» für .ttRJ'; Z. 181: rmmn für mio/in (richtig nach Deut. 14, 1 und ö.); Z. 203: DH'om für onom (richtig nach Ps. 12, 2).

Bl. 13a b: Ein Liebeslied, von dem hier nur einzelne Worte lesbar sind, das ich aber schon vor Jahren in einem Genisa-Blatt des Herrn Israel Levi-Paris gefunden habe. Es lautet:58)

(«tppv-o rv^ö? vn dk.1. nttjtyj ^q/?l "»BKA "N$*S (6,D>pnb wbs :hr6 D^nai rrtoito' mim rfiyrt

I : t : -: » t ; : t » t : n

owa n"nS:a' pnani i"iWBtej! n: nna -rata -itfj* 5 <e4ü>pn.s Enelfa nnm rm/n n^j? Nö^fl njn

wp>¥B DwrbiiS trjntfK nß|n l»mWa n¥b> dki 10

I : r * j r" r •: TT-: T " j t ; ••

Bl. 13a: Ein Klagelied, das zunächst wieder dadurch unser Interesse erregt, daß es einen von Moses lbn Esra zitierten, von Schreiner71) mitgeteilten Vers (3) enthält. In der Überschrift, die rfttaM rmv b"[t nbi] lautet, ist das Wort .1K3K unsicher, ebenso das Wort »3« in Vers 9, so daß man nicht mit Sicherheit behaupten kann, daß wir ein Klagelied des Dichters über den Tod seines Vaters78) vor uns haben. Das Gedicht lautet:

J.33.D (7^rftn . , nm»3 ik naan (78]tpc . . . n bv

fOKItf ATB '00 "\TV 1K om flDW t?K3 1 . . . b 1K

(76n3«*p r\wn xb aro* jr» 13 E*u* [rn]o »a antci Bp»n

6*

84

Fragmente von Oabirols Diwan.

natrriD nwa dk »a n/wm *6 naaiyo rrVu (?) »a . . tn '3

na'i« "i^ (?) >a« niwi «^

nat^ i*bj na (". an . •»

naaca "pap hv rrmv (?) tk

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inn« iuw wm noan i1? ioa «>*« n*u itw/n non

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tf toa ^lon« njvn may ^B3a

nn« miaa ^an nn^tr

. . "j . . v . na (?) nDKD t6 10

nViaj "j/noa vqv -itp» »^

18-ip' on »aaia D'pntfü 'a

Bl. 13 b d: Fragment eines Gedichtes, das fch voll- ständig in dem bereits erwähnten Ms. Levi gefunden habe78):

o vj -

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vmbi tü^i -ins' »3 pa£ (81Vr6Nttf >3 ^Dörntfah-^jn

.... . t -: *i;

v^np1? '5 Hflpj nöO« ^3«

vrqttfn d^.i pny; ?jiö3i

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iN"]pT3 »5ö"T3^n ,-iödi

D^Dn Vnp3 ibö *i!\*ptl

Tina ^ö' >:n >| o:sw tj^-^ 31 p]>; nnb bin

(86vr,n^p

iwnn«-D« >s öia^ py:« üb) (87^ip| j?sty 1 ?fV3?^ njij

(»iv™ iöfc tp toi 131m vrapoiTaa 3/xri

twmn^ietfrn 13 tfrort vrchT 3JriDn oik dki

Bl. 13 d 13 f: Fragmente des Gedichtes beim Abschied von Saragossa 0«ipa inj, Dukes S. 1, Nr. 1), u. zw. Vers 1—9, 19—37, 40— Ende. Die Überschrift lautet: Ki'8 rrVi nöDpio ja n;na {n »d. Von Varianten seien die folgenden hervorgehoben : Vers 7 oyo 8ip*v für nxp 01p»«; Vers 31: »3löäp py(wie in n'n) für »JlöJp oy; Vers 42: »^ i«np für i«ip; Vers 45: »mna für *e ioa.

Fragmente von Oabirols Diwan. 85

Hierauf folgen (13 f) die unleserliche arab. Überschrift [pijpßöte [yV2 ynv] nb) und die ersten Worte cwrm bt* töiki) des von Harkavy in DW oj wm Nr. 4 (tPDMn Bd. VI) mit- geteilten Klageliedes90).

Bl 16a: Fragment von -pm *3'3i (Dukes S. 38 Nr. 25)f Vers 17—22, ohne nennenswerte Variante. Vgl. Bl. 29a b.

Bl. 16b— 17a: Fragment von ^n »n« (Sachs, »vt> DTWPI p. n Nr. 4), Vers 2—16 und 23 bis Ende. Vers 4 liest unser Ms. no,tJ>«n^ für *B#nb ; Vers 9: piairö für itnrft; Vers 14: rfflVfl^ für nen ^>K; Vers 15: ijjik für •Sin; Vers 16: neiAffl (wie Sachs' Vorlage) für ms^bm.

Auf derselben Seite (17 a) beginnt ein Fragment von ain ö*ia ik pnan (Dukes S. 42 Nr. 30), das bis Bl. 17 c sich erstreckt und Vers 1—8, 21, 22, 15, 16, 17, 18, 19 (in dieser Reihenfolge!) enthält. Folgende Varianten sind be- achtenswert: Vers 5 var für nar (vgl. oben zu Bl. 4 b— 5 b); Vers 7: »ipe>i . . . 13 *n» *bm für *idwi"~\t ^iki (korrekt auch in Oxf. 1970, wo kdiü für das sinnlose np»ö); Vers 8: ruam für narflj Vers 16: tum für rum.

Bl. 17 c— d ein Gedicht, anfangend: *3$>3W naiw 'fianKi, das hier nur fragmentarisch erhalten aber deshalb von Wert ist, weil wir darin eine Stütze finden für die Tradi- tion, nach welcher das Gedicht Gabirol zum Verfasser hat. Das Gedicht selbst habe ich komplett in einem Ms. ge- funden91), über welches ich an anderer Stelle ausführlich berichten werde.

Bl. 17 d: Fragment eines Gedichtes, dessen Anfang aus dem von Neubauer veröffentlichten Register Gabirol'- scher Dichtungen92) bekannt ist. Der erhaltene Teil des Gedichtes, . . . nbb» narn rfci überschrieben, lautet: mir« »i»r "bv (?) *tv «» £»K3 bnz: »aw p^«i

mwp ona nb'bn ir« p^»na fewa prwm

nvKB rpflnpa n^aa (?) rw^a nnbn runni

MToa orra rtb»in wk D»»as maao r6'«a

mwäh Vy i^jnn nrüa rm»K caaiaa ruram

86 Fragmente von Oabirols Diwan.

(93/npjM D»wjn o'»» pn iawa p,c3 n^Vn rim

rmra nnp (9*o^8 . » D'ana naÄ pnr '3313 . . .

Bl. 18a— 19a: Vers 8— Ende des von Geiger nach Ms. Carmoly (später Halberstam) veröffentlichten Gedichtes ^yoa n«. Vers 9 liest unser Ms. richtig: "j^n; Vers 10: "ii8; Vers 11 ist das Wort vor unp (wahrscheinlich ji38) ver- wischt; Vers 12: nw; Vers 14: mons für rata; nain(?) für naifl; für nwi, das Geiger (jüd. Zeitschrift V, 130) in "|Bj?i emendiert, hat unser Ms. DWi, womit man freilich nichts anfangen kann; Vers 15: on^' für mr6; Vers 21: i«na für das unverständliche waa l*i\ das Geiger zur Not nach Ez. 27, 32 erklären will, wo aber B?,?3 steht. Vers 27 hat auch unser Ms. r6n nw, was Geiger mit Unrecht als einen geist- reichen Calembour bezeichnet9^); aber für i«m lesen wir hier I8fl3. Danach will der Dichter sagen: man achte die Türe weil sie mit Zedern belegt ist, also ein schönes Äußere hat (vergl. Hohel. 8, 9) dem innern Gemache gleich, man verkenne den Unterschied zwischen äußerem Glanz und innerem Wert. Vers 29 läßt sich nach unserem Ms. nicht herstellen, weil die erste Vershälfte nicht vollständig erhalten ist. Vers 35, von welchem Geiger gesteht, daß an ihm seine Vermutungen scheitern, soll lauten:

1833 dsk no non^oi rrrcu »a» 13^ lajimi

i«:3 (nennen) von nj3, wie 18T3 (Vers 3) von rtt3, i«"ip (Vers 5) von riip u. dgl., wofür ja auch die Bibel Beispiele liefert. Auf Vers 36 folgt ein Vers, der bei Geiger fehlt:

;8^3 . . . ^i8B> JB3 "jim 3P r\)byb mya ponm

Vers 37 ist zu lesen: ^id' ybü 'jma ^3 t»i, wodurch alle Schwierigkeiten beseitigt sind.

Bl. 19a— 20b: Überschrift: 8i'8 nb\ hierauf: wr a-ir S«1? .... b»i ^tya row itojm B^BX (T)->nDDnD(?;DiiKi . . . ojmi imin nic^Ki bhw jnw [Wbl

wa |»:di cnie •*&* aru

tpb ^m nyanB wjm njna nona njnri .... 5

Fragmente von Gabirols Diwan.

87

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25

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BI. 21 a— b enthält ein größeres Fragment (Vers 16—51) des von mir in dieser Zeitschrift (Bd. 54, 1910, S. 325 ff.) veröffentlichten Entschuldigungsgedichtes an Samuel ha- Nagid.100) Obwohl sehr lückenhaft, trägt das Bruchstück doch sehr viel zur Diorthose des Textes bei. Ich lasse hier die Varianten folgen:

Vers 16: ymv 02 (1 Kon. 19, 28; Jes. 37, 29) für •pitw ona.

Vers 17: *a»ö für b»ö.

Vers 18: pm für pi, gegen das Metrum, wie Ms. Oxf.

Vers 19: p-?at für pnsr; die zweite Vershälfte lautet: •pitt^p !a -pan »a.

Vers 20: ny für jiy, wie Ms. Oxf.

Vers 23: non »gi yi?K, wodurch die Lücke ausge- füllt ist.101)

88 Fragmente von Oabirols Diwan.

Vers 28: es für dki, vielleicht Emendation, um das Versmaß herzustellen.

Vers 29: -prai für ^i»A

Vers 32 stimmt mit meinen Korrekturen überein.

Zwischen Vers 34 und 35 ist Vers 40 eingeschoben.

Vers 35 stimmt mit meinen Korrekturen überein.

Vers 36: bw für h\2SP; 3HMT für irm (so deutlich in Ms. Oxf.); ysi» für Trat

Vers 37: iain p *)£»« (etwa »3Trl und "|*> für dich?); "ttttw, wie ich korrigiert habe, und T für nx, wie Ms. Oxf.

Vers 38: pnr/i für jnrn.

Vers 40, der sich, wie bemerkt, zwischen Vers 34— 35 befindet, hat yvsa für ytüü.

Vers 44 ist unleserlich, weshalb ich wpa nicht kon- trollieren kann.

Vers 45: nojn für myi; die zweite Vershälfte lautet: T:?K3 nn "jap »o, was auch unverständlich ist.

Vers 46 fehlt.

Vers 48b lautet: TJip? iy "]r\vr\ ovo.

Vers 49 b lautet: yy\va »njJB2, ein Wort fehlt also, ebenso 50a. Ich vermute übrigens, daß der Schreiber 49b und 50a irrtümlicher Weise weggelassen hat, und *njJö2 TJMU 50 b bildet, woran sich 51 gut anschließt.

Vers 51b lautet: -pari» mW3 ntwttt «b.

Bl. 22a— 23b: Fragment eines Gedichtes, in welchem wir einen von Moses Ibn Esra zitierten Vers (22) finden, von dem Dukes102) sagt, er bilde »einen interessanten Beitrag zur Geschichte der menschlichen Täuschungen.« Ich lasse den Text folgen:

»fllpfl ....

'iisa n^n: »3 rform *6 -njn wa man »bpwi ^m« tiiwb nte« warne ^y dji isanb 'ajnaa nw«

'mi£D na» »b nawn tbtp a»anp ^y ms« o .

^nyoi np*n naan ,l?i« Dana .....

»juhk jina www ... p

5

Fragmeitte von Qabirols Diwan.

89

[22b]

'/£fitt> njnja rtu6n mvo i«r: /iupd« (108flib«o»n fc

»Äa»» mno n»i*i» pai lan» »ai«»3 »/»ww tsyaa

'rupf »in« mpa awnR »ni» »tpd: »in« »33^> roa*

»ros oji »möi »atn jirrfc wrn*» '3 (?) b nwvb no 10

»jniam »x?2£D «im »ppd «im »nm , , , »hwp mai«

»/wen Tajj» »:a? ja» »ei »/uian »n«Bm 'Ppd

»jr»n »ina wm »8»d: (104»arn syiTi» dji cpTt*

[23a]

»jipaa ntwj i*"l*a" fcaa »nj» »ca i«a (106,n . . . '3 n 15

»flp^n i^ jn« rwj* ^atpn a«i b»a»"i ins» »^ ts^an o«n

Tiasn mn/i nobe» naan 1^1 imnb »v ^«f? ;»«

tto ^we» na ibd« A nbs* ay *naa ^y 'j« d^i«

»jnmp «i^a n^a« u* »Apn« nroj» la »m p-rs »fl«a n:nn«a ^a« nai»

airy« . ., . b n . a ♦ime» pisa noD» £ 20 n/wi bani »n»tt» 71«« na

[23b]

■mapa »^ na^> »a D'3*i«a» »:«i oa 1W1* m»ns a»rnn

n^DJ oa D'iJi«na tr«a 1^ 25 ■naya D3»ö» **j* mna nnan n^p »ya^» »:ia»in «:

eine arabische Überschrift107)

»■neu , . «n o»jni» naan

'nmp n«T^> it5»a laa a»m«

»JlMp 1^3« iv ^a« «^

»/ms na^ 'Ja rm*H «^

: (106'flEtr« -jya naan nb«

Hierauf folgt (Bl. 23 b)

und der erste Vers eines Gedichtes :

.D»»»^t* nw -a nyn naan^> nan . aio »tt

Fragmente dieses Gedichtes enthält Bl. 27 und 28 a. Ich lasse hier als Spezimen noch drei Verse folgen :

d»b»b*db oe*»a^ imn mpi rnpn maiai

d'bj3« »nun amjna £«3 on'3* »*wp

d»oi^ rniD3 tt>«i a»at*>33 rra (l08t*»n«« D3 Tat? Bl. 24 a— 24 b : Fragment von tt»« p3»*in (Dukes, S. 41, Nr. 29), und zwar Vers 9, 5-7, 10, 8, 12, 17 (in dieser Reihenfolge; zwischen 12 u. 17 eine Lücke). Keine nen- nenswerte Variante. Hierauf die Überschrift «r« rfri und : »ann rbwb ia«n bm *a«a "|mna . . .

90 Fragmente von Gabirols Diwan.

»am »j»f -py »3 bid» mann nai -j^i . . .

♦sru t bv "|T mim (?) n^rn */njr . . dx . .

*3pV (lMT:P 3^>3 D'JOD dViJ& . . . V

»2 . . mo j "j^ »3 m«ap n^a

Bl. 25 a : Fragment von rWfl £ (Dukes, S. 37, Nr. 24), Vers 10—16. Vers 11 hat hier, wie Oxf. 1970, »rTOtA für vwmb, 131 für nai. In Übereinstimmung mit Ms. Oxf. lautet auch hier Vers 12: v»rb w*wn *6 non«n dx und nani« für »anitt

Bl. 25 b: Vers 88—47 von snn nap (Dukes, S. 13, Nr. 9; Sachs, .m/in I, S. 47; Luzzatto, nnj« S. 1044). Vers 41b lautet hier: d*jd$>b »fc innw an *i»k»

Bl. 26 a, einer anderen Handschrift zugehörig, enthält Vers 5 u. 9 von nwr\ )b (vgl. zu Bl. 25 a) und auf der Rückseite drei Verse eines Gedichtes mit dem Reime yr :

yxb hbp m*a »mibk ma . . .

■paa 'nnasti *anyc2a nn« K^n

Bl. 27 a— 38 a, vgl. zu Bl. 23 b. Die Rückseite bietet einen kleinen Rest von mJ viDri übw> (Dukes, S. 7 Nr. 5). Mit Ms. Carmoly bei Geiger S. 128 übereinstimmend liest unser Ms. in Vers 4 tan für 13*11 und Vers 5 oiX3tt> '«n für ö»pw 'an.

Bl. 29 a -b, ein unbedeutendes Fragment von b WIM (Dukes, S. 62 Nr. 62), dann von "pfln *3»31 (Vers 1—16; vgl. zu Bl. 16 a), ohne Variante von Bedeutung.

Bl. 30a— b: Fragment eines religiösen Gedichtes mit dem Refrain -|ae> TTK na ir:n« '% das ich noch nicht iden- tifizieren konnte. Wenn die Reihenfolge der Strophen hier richtig gegeben ist, dann kann nicht Gabirol der Verfasser sein und das Blatt nicht als unserer Sammlung zugehörig be- trachtet werden. Auf eine nur sehr fragmentarisch erhaltene Strophe folgen zwei verhältnißmäßig gut leserliche Strophen, deren erste im Akrostichon die Buchstaben nenp enthalten

Fragmente von Qabirols Diwan. 19

zu haben scheint, während die zweite [n]"ii,T zeichnet. Diese Strophen lauten:

»ys onb r»yo n* ai

m»' -pns min vi . .

mwa . . . D^iy jv*^n

rnona ?öa Dfl^aoi

Tay ^npoa "\bbr\b Yiap nrra tw 'ta bz >a

t'd "jar tik no irjrm n

ip'ya »an*? >aa^ at>'

ipm van a^at^an

iptf nnia »iKia trn law

ipnai lf a ^un

ipip' »jna .... [30 b]

"[öl? D"n Tipa '3 ip' na "phv

'31 na ir:HK 'n Hierauf folgt eine schlecht erhaltene Strophe und end- lich, gleichfalls in argem Zustande, eine Strophe mit dem Akrostichon [n]ab#.

Bl. 31b 32 b: Fragmente von Gabirols Asharoth, die n#yn »b rosa von o*yvb rwjnaw bis mm "in, dann von >ta ]pin bis [mr] rtVSP atra umfassend. Ohne wesentliche Va- riante.

Bl. 33a: Fragment eines Gedichtes, anderes Papier und andere Schrift. Ob unserer Sammlung angehörig und von Gabirol? Hier der Text:

nL,,t,3 ("012>n ,t,y ncm inD n)ül n8-,D1 D'3313 . .

n,l?it>3 naarn naua mn tu naaa tfftn mwna jnn

r?V»aw ntn« *6i *pm n*i -aa aom nv»3 . . .

. . b « b . . ta pn« *rya papa . . . n nm rmo nyja . . .

.tV^i ^an nr lman »n . . la imb ab* *«» "paVa kjk rr^ejn . # Aa ... 3 n»'i vom pon mir uran a*n^«n bk

Dfe Liste der Gabirol'schen Gedichte wird demnach durch folgende Stücke bereichert:

92 Fragmente von Oabirols Diwan.

»bjW ObD« 1

iry itt>« jna 2

nö«a piit« *6n 3

nan 'nan«i 4

mm ao »tt 5

1DD -jb TT* 6

n/Am onxp 7

(111"I«»c[a o»pn»Ji ^y 8

Hierzu kommen die Stücke, deren Anfänge in unseren Fragmenten fehlen, und das Gedicht ^»naj »an ybm, dessen Anfang aus dem von Neubauer veröffentlichten Register bekannt war. Vier von den Gabirol-Zitaten bei Moses ibn Esra werden durch die oben gemachten Mitteilungen zum erstenmale nachgewiesen, darunter eines, dessen Sinn bis heute völlig verkannt wurde und erst jetzt richtig ver- standen werden kann.

Anmerkungen:

') Die Blätter befinden sich im Besitze des gelehrten Sammlers, Herrn Elkan N. Adler in London, und sind mir durch die gütige Ver- mittlung des Herrn J. Last in Ramsgate zugegangen. Beiden Herren sei mein Dank ausgesprochen.

*) Hier und im folgenden = L. Dukes, nühw »W, Hannover 1858.

3) Die verzeichneten Varianten finden sich auch in Ms. Berlin N. 576 Bl. 152, wo unser Gedicht bis Vers 18 enthalten ist. Danach habe ich den Vers mjp in« ergänzt; für rwa hat Ms. Berl. niiiar, gegen das Versmaß.

*) Nach Vers 4 wäre hier 'D^S zu lesen.

B) Wohl tj>\

«) I. TW?

') Zu ergänzen: DlDtPa DpJ.

8) Etwa n»J>ö DBJJD1?

») So!

w) Das Metrum spricht dafür, daß na^VWJ zu streichen ist.

11) ■VQtfVi,

»*) »iny rpfyu wsn nepin "nnr rrb* pyipxb* fps 'b* ansi

Fragmente vor Gabirols Diwan. 93

is) Ich ergänze den Vers nach dem von Geiger, Salomo Gabi- rol S. 128 mitgeteilten Zitate bei Moses ibn Esra, wo aber bii für hib steht.

") Die Sache und das Metrum fordern "pOTW |3 (Exod. 35, 34 f).

") So; beide Vershälften contra metr.

'•) bwro.

») l. am

") Wohl mp\

*•) Vnm oder "tfitfl*

»•) 1. nb*ti, Jes. 59, 3 ; Klagel. 4, 14.

»») Wohl vrjD.

") |BBW, Jes. 6, 10.

M) So; für fiitb ist viell. nxb, für [on^ jom zu lesen.

M) = ps^n p\ nach Ez. 27, 18; so auch in dem Gedichte p-Q 1K p*on (Dukes, S. 42 Nr. 30 Vers 4) : enr pnm 1B>K psSn |«% Ms. hat 3*?n.

26) Vgl. Jes. 10, 16. Der Becher ist dünn (fein) und blaß (weiß) als hätte ihH eine Krankheit befallen. Ms. hat nSiri33 psil für np3"P 13 n^riö; meine Korrektur will nur der Sache gerecht werden; vgl. Jeh. ha-Lewi, Diwan I S. 21, Nr. 16 Z. 1: fiHB ^38 njffi T&i', das. II, S. 224, Nr. 12 Z. 37: fWjrp «S BJ>B31 nSn; weitere Belege an anderer Stelle.

s«) Scheint aber der Becher an sich blaß (vgl. Lev. 13, 3 u. ö.), so ändert sich das, sobald er mit dem roten Weine gefüllt wird. Dies scheint der Sinn des Verses zu sein, vorausgesetzt, daß er korrekt überliefert ist. Vgl. Jakob b. Elasar bei ßrody-Albrecht, TOfl IJNP, S. 163 Nr. 142 Vers 1—2.

*7) Ms. Jöfflj. falsch geschrieben und durch die Vokalisation korrigiert.

*•) Das Manna selbst hatte ja die Farbe des Bedolach (vgl. Num. 11, 7).

*•) Ms. mtes.

3°) Ms. fuvib i3 ifntfivn «jp1 n,^,B, pjrm oip^ njn. \&nb ist poetische Lizenz für \sünb, II. Sam. 14, 19.

81) Bp ist mir hier nicht klar. Von ntpin ist im Ms. nur das n zu sehen.

,f) IpT, Pi'el im Sinne des Hif'il. 33*7 HH in Deleth und Soger ist verdächtig.

") Hos. 10, 14, nach Gabirol wohl = "titMBSP, König von Assyrien.

«) d. h. seine Ratgeber (Est. 1, 10); }Bi,"iB ist als der erste und wegen des Reimes genannt.

94 Fragmente von Oabirols Diwan.

»») Num. 13, 22 u. ö.

3ti) Ein in diesem Zusammenhange oft gebrauchtes Bild; vgl. z. B. Moses ibn Esra in seinem Gedichte viik imp VX cvm "IJNP S. 63, Nr. 56, Vers 7): man k^i -uy 7m nV1 | ">ma DWVl b.t't'BJ iVb:; ders. WWW S. 36: B1W nS» |ma 3^ | 1133 p*) 13 "DIP tt^n.

*7) Ich finde kein Reimwort, das hierher passen würde.

") Er bringt die Mühsal der Erde in Vergessenheit; vgl. Qen. 41, 51.

8») Der von Sorgen Qeplagte wird wie einer, dem das Leben angenehm ist. Hier und in den folgenden Versen werden biblische Eigennamen appellativisch gebraucht. TCl, Ms. "i . . . si.

40) Anch der Wein selbst wurde schließlich im Rausche ver- gessen; er hat sich eben als untreuer Freund gezeigt. Vgl. Cbarisi, Tachkemoni Pf. 50 (ed. Amsterd. p. 70b; ed. Kaminka S. 401):

wwi wn: las w*)W Kim ^ jbk: vrcrn piw |3i

wty\ tb »aa^i rm twb^ rwa "»a "wai vmarra

^emiS idw um nty Kim -o-ips mar nwi itibp »au

41) »Vater des Geschenks«, der Gastgeber, dessen Haus die Zecher nicht verlassen konnten, bevor sie ihren Rausch ausgeschlafen haben.

**) Jes. 59, 10.

*») Dukes, S. 42, Nr. 30, Vers 5. Ich lese T3P (für H3»1 bei Dukes) nach unserem Ms., vgl. zu Bl. 17a.

*4) Ltbl. d. Orient 1851 col. 375. Aehnlich übrigens auch bei Gabischon in nnSBTi iaj> p. TjJdf.

«) Salomo Gabirol S. 128.

*•) WW\n S. 41. Bei Moses Ibn Esra finden wir auch das Wort 1B in dem Sinne angewendet, wie im Verse Gabirols; vergl. WWW S. 31 : 1BJND cjiSD pna1 f3K | "lö J^a B13H "6 |n, ferner ("i>Pri -ijw S. 64, Nr. 56 Vers 10) : ünb 31J?1 B"Pb: na ^31 18%

<7) Wohl mtoj^i.

*8) So für ipIKtf, nach I. Chron. 12, 39, wegen des Metr.

49 j Viel!, np-iün (neyas od.) nas.

80) Wahrsch. amscn Plana

") anxp.

*) anuan.

M) Wegen des Metr. ist, trotz Hiob 31, 18, ^bli zu vokalisieren.

•*) = on.BK (I. Kön. 20, 38; 41).

M) 11J13 KD ?

66) So, nicht istnm.

67) |>K,"it7K ^y inA* tonn na» 'b nSi.

Fragmente von Qabirols Diwan. 95

'«) Die Ueberschrift lautet ^'» kspk bxp), in Ms. Levi (wo das Stück als Nr. m bezeichnet ist): "OJNj^k ^?3K1 "Slp IKttX [Ol.

M) Nur als Bild der weiten Entfernung aufzufassen.

*°) In unserem Ms. flWDJM für fliaafjfl u. . . . lnD .TJ1BV un- leserlich; in Ms. Levi unleserlich und lan für loxn, oxi gibt keinen befriedigenden Sinn und ist viell. falsch.

e>) Gemeint sind die Blicke. ,T$3 wie ^pbs, Gen. 27, 3. Nach unserem Texte (nach Ms. Levi) fehlt das Subjekt. In Ms. Adler fehlen Vers 3—4.

«2) Vgl. Ps. 32, 8 ; 42, 2 (wonach D\7»DK b$ zu lesen wäre ; Jiy mit bx Joel 1, 20).

*5) Die Augenbrauen. Vgl. meine Bemerkung zu P'l ""TIP ^3 TAI S. 37. Anm. 17—18.

c*) Küsse.

") Meiner Tränen sind so viele, wie meiner Bedrängnisse (Leiden). D'piüö, Plur. zu plitö, Deut. 28, 53 u. ö. Der Uebergang zur Klage über die Trennung der Freunde ist unermittelt, aber nicht auffallend.

66) D^pmn D'S'lpn bezieht sich auf Hn1 : ihr Freunde, weit ent- fernt und doch so nahe (meinem Herzen). Die Wendung liebt be- sonders Jeh. ha-Lewi. Für "»pisto hat Ms. Adler müD.

") Vgl. Hiob 17, 11.

68) Kann der Ruhe finden, dessen Auge man (unbestimmtes Subjekt, das Schicksal) bedrängt, daß es kein Schlaf befalle. X5£D\ Ms. Levi: XJCoru 0)21), Ms. Adler ü"0n.

«») Ms. Adler hat bx ffitt und blOI«

,e) \y\, Ms. Adler: [W, alpinen (die zerrissenen) u. pici (er befreie) ist Wortspiel. D^plÄVl wohl von plX abgeleitet (wie nach einigen Hiob 41, 15. 16), die Bedrückten.

71) Le Kitab al-Mouhädara S. 42 Anm. 3. MbE. nennt hier Ga- birol nicht.

78) Aus einem Klageliede Gabirols über den Tod seines Vaters führt bekanntlich Abraham Ibn Daud den Vers an: | mi333 «3 njD hwi 3TJH I nmaCl npb) | n-iKCH qj»Ö. Ein anderes Klagelied aus dem- selben Anlaß, anfangend: ttjh 10k H31T1, befindet sich in Ms. Oxf. 1970, fol. 170 b.

T3) -jb>dj Qipnvn (oder 1»M D^33JH).

Tl) Sei ruhig und bedenke: der Tod will die Menschen er- mahnen, die nicht hören wollten. Für niD "O hat unser Ms. "WZ (?); für niiVl *b hat Schreiner nwi )b; 13 haben beide Vorlagen.

") Wohl pK.

") Drei Buchstaben nicht B$1 unleserlich.

96 Fragmente von Qabirols Diwan.

»•) Wahrscheinlich JWäPli

T») Die Ueberschrift lautet: HB1SK1 3Nri3 iKynOK 1p xi1* fK3i ^Mpl fllPa»^» iTTTO; in Ms. Levi (wo es mit *n bezeichnet ist) kürzer: K3KI13 KIT» "lKJJnDK pw ^K nSl.

•o) Vgl. Lev. 25, 23. 30. 42.

»>) Ms. Adler: pJJlK und vnnte.

•») -p. fehlt in Ms. Adler.

8») Jer. 4, 28.

M) Nach Exod. 17, 4.

»») Ps. 124, 3; iMs. Adler: DDriS.

»•) Unterlasse es, deines Lehrers Schuld deiner eigenen hinzu- zufügen, dann werde ich diese verzeihen, und mag sie noch so groß sein (nach Gen. 4, 12). Vers 9—11 fehlen in Ms. Adler.

87) Nach Exod. 18, 19; Num. 24, 14. Ms. *\b für rwfe.

88) Vgl. Hiob 22, 28. Zur Sache vgl. meine Bemerkung in fcs •TOSM B>"*1 '1f S. 19 Anm. 18.

8») Vgl. Prov. 17, 18; 24, 30; Hiob 8, 18. Der Vers fehlt in Ms. Adler.

*) Bl. 14—15 habe ich nachträglich an eine andere Stelle ge- bracht (als Bl. 31—32).

•i) Das Ms. gehört dem Karäer Samuel Chasan in Eupatoria und ist mir durch Dr. Poznanski-Warschau zugänglich gemacht worden.

•») Qedenkbuch zur Erinnerung an D. Kaufmann, S. 279 ff.

83) 60 + 20 + 10 = 90, nach Abot Kap. V, Mischna 21. Vgl. Ttobv ■>*W S. 42, Nr. 30 Vers 6 und Dukes, Philosophisches aus dem zehnten Jahrh. S. 104 Anm. 3.

M) B^KW.

9*a) Vgl. auch Brüll, Jahrb. VIII, S. 43.

98) iiorr1 . . .

96) Wohl vnB.

97) ins 'rn ^aipa.

97a) '131 [JWD] DJ> B,1?K?3 ,[n»]p,1 'JDT. ••) nx, Jer. 36, 22. 23.'

99) = <f\\ nTn (mit Jod) Jubelruf; "t"H (ohne Jod), edomi- tische Könige.

ioo) Herr Oberrabbiner Löw-Szeged macht mich auf folgende Druckfehler aufmerksam: S. 327 Z. 23 1. na für n«; S. 328 Z. 30 1.

ntfn für n#n; das. Anm. 1 1. v^JJL*ä£*vwc und ^-jltla/i (zweimal Jür

* gedruckt). S. 326 Z. 8 liest er: \r\X "MO BWI für [UM 11SS3 DND ; S. 327 Z. 23: ">xlK "]fj jnw, vgl. jedoch die LA. unserer Handschrift. Ms. Oxf. hat allerdings deutlich "\b*

Fragmente von Gabirols Diwan. 97

101) Vgl. die vorhergehende Anm.

10*) Ltbl. d. Orient 1851 col. 376; angeführt auch bei Dukes ßHWlp büi S. 21 Anm. 1 (wo auch ein ähnlicher Vers von MbE ent- halten); ~übv ,|VB> 3. 73; Schreiner, 1. c. S. 17 Anm. 17.

i°») So für jii^Btrn.

10«) So, contr. metr.

tos) «jfwn*

,0<) So, contra metr.

iw) ,.mMtbp rvto *i?a npi tvbk \vvpxh* fvz "bx nH

i08) So, contra metr.

»•») i. nw.

"°) Durch zwei Punkte als falsch bezeichnet, wohl nspp» »») Oder ntPBJ D^JH ty.

*

Monatsschrift, 55. Jahrgang.

Besprechungen.

Die Verhältnisse der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern nach dem Stande des Jahres 1907.

Unter diesem Titel bringt die von Ministerialrat Dr. F. Zahn redigierte Zeitschr. des k. bayer. Statist. Bureaus im 3. Heft des lau- fenden Jahrgangs eine in Anordnung und Darstellung gelungene Ver- arbeitung einer vom K. bayer. Kultusministerium veranstalteten, also deutlichen Erhebung über die Verhältnisse der israelitischen Privat- kirchenanstalt in Bayern. Nach einer Einleitung, die eine gedrängte Übersicht über die für die bayerischen Kultusgemeind?n geltenden Sätze des öffentlichen Rechtes bringt, folgen statistische Daten zu folgenden Punkten.

I. Kultus und Religionslehre :

1. Synagogen,

2. Betsäle.

3. Ritualbäder,

4. Friedhöfe.

II. Kultusbeamte und Kultusbedienstete:

1. Rabbiner und Rabbinatssubstitute,

2. Religionslehrer,

3. Kultusbedienstete.

III. Die israelitischen Volksschulen und ihre Lehrkräfte.

IV. Finanzen der Kultusgemeinden: Verwaltung des Vermögens,

2. das Vermögen,

3. die Schulden,

4. Reinvermögen,

5. Umlagen,

6. Selbständiges Stiftungsvermögen.

Es wird bei späteren Erörterungen über die Form des bayeri- schen Judenedikts von 1813 noch auf die vorliegende Untersuchung, sowie auf die bereits im Jahre 1908 publizierte, ebenfalls recht wert- volle Denkschrift des israelitischen Lehrervereines zurückzukommen sein.

Besprechungen. 99

Für heute sei nur noch konstatiert, daß die Angaben über die Rabbiner infolge mangelhafter Information durch die Außenbehörden teilweise unrichtig sind. In Wirklichkeit beträgt ihre Zahl 21 -f- 1 exponierter Rabbinatssubstitute und zwar entfallen, auf: Oberbayern 1

Pfalz 4

Oberpfalz 2

Oberfranken 3

Mittelfranken 4

Unterfranken 6

Schwaben 2

22 Im Ganzen zeichnet sich die Arbeit durch ihren wissenschaft- lichen Ton, der auch in der Benutzung der einschlägigen Literatur zum Ausdruck kommt, vorteilhaft vor den trockenen Zahlenreihen aus, die uns sonst häufig von amtlicher Stelle geboten werden.

München. R. Wassermann.

*

V

D. Neumark: Geschichte der Jüdschen Philosophie das Mittelalters. Berlin. Buchhandl. Georg Reimer 1907. 615 S. und XXIV. 8°.

Neumark beginnt seine Geschichte der jüdischen Religionsphi- losophie des Mittelalters mit der Bibel. Das ist nicht Geschwätzig- keit, sondern die Konsequenz seiner grundsätzlichen Überzeugung. Das jüdische Geistesleben aller Jahrhunderte ist ihm eine absolute, geschlossene Einheit, sodaß eine einzelne Erscheinung nicht an sich, sondern nur aus den Ganzen heraus verstanden werden kann. Fremde Kulturen, die auf das Judentum eingewirkt haben, erklären niemals irgend ein Pliaenomen der jüdischen Geistesgeschichte, sondern sind nur der äußere Anlaß, der mechanische Reiz, der den Genius des jüdischen Volkes zum Hervorbringen seiner eigentümlichen Schöpfungen anregt. Ihre besondere Note erhält die jüdische Geschichte durch das Vorherrschen des Religiösen. Die Entwickelung der Religion Israels aber liegt in der allmählichen Überwindung von Mythologie und Mystik (S. 4). Gegen sie haben die Propheten der Bibel gekämpft, nach ihnen führen Mischna und die genialen Vertreter der talmudischen Dialektik den Kampf weiter, bis die Entwickelung in der klassischen Religionsphilosophie des Mittelalters ihren Gipfelpunkt erreicht.

Wenn religiöse Entwickelung gleichbedeutend ist mit dem Kampf gegen Mythologie, dürfen mythische Vorstellungen auf keiner Stufe des geschichtlichen Prozesses fehlen, sonst wäre die Entwicke'ung zum Abschluß gelangt. Es ist demnach durchaus konsequent, wenn Nei;- mark es unternimmt, In der Bibel und aller späteren religiösen Lite- ratur des Judentums mythische Anschauungen nachzuweisen. Aus dem Gedankenkreis des Pentateuch gehören seiner Ansicht nach der Engelglaube und der die babylonische Ideenlehre reflektierende Mythos von der Erschaffung des Menschen im Ebenbilde Gottes in diese Klasse. Im Deuteronomium hat die mosaische Religion nach langem Kampf diese mythologischen Reste aus der babylonischen Heimat überwunden. Damit ist der Kampf aber nicht beendet. Jeremia ver- teidigt die Reinheit des monotheistischen Glaubens, während Ezechiel nicht nur gegen ihn für den Engelglauben eintritt, sondern durch die visionäre Beschreibung des göttlichen Thronwagens aller späterer: Mystik den Stoff giebt. Den Kampf gegen den Engelglauben setzt die Mischna fort, sie versucht auch die Bereschith- und Merkabalehre

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zu unterdrücken, nimmt aber mit den Dogma von der Praeexistenz der Thora und dem Auferstehungsglauben neue mythische Vor- stellungen auf.

Unter Bereschith ist die Platonische Ideenlehre, unter Merkaba Engel- und Emanationslehre zu verstehen. Mit der Ideenlehre hängt die Frage nach demUrstoff zusammen. Das Problem der Ursubstanz wird auch von der Merkaba behandelt, wenn auch die Lösung in beiden eine verschiedene ist. Hier haben wir also, wenn auch in mythischer Form, den Stoff für die Religionsphilosophie des Mittelalters. In iannaitischer Zeit ist die Bereschithlehre von Rabbi Akiba mit der Merkaba verbunden worden. Im Kampf gegen die Karäer, die auf die talmudischen Fabeln hinweisen, um das traditionsgläubige Judentum zu diskreditieren, trennen sich Ideen- und Merkabalehre, und es sind die Vorbedingungen für die Entstehung der klassischen Religions- ;>hilosophie gegeben. Man brauchte nur das in den Jahrhunderte füllenden halachischen Diskussionen erstarkte logische Denken auf die mythischen Agadas anzuwenden und so die Ideenlehre zu über- winden, dann entstanden die philosophischen Systeme der mittelalter- lichen Denker. »Die Überwindung der Ideenlehre war der Weg zur Begründung der dialektischen Philosophie im Judentum« (S. 132).

Die Platonische Ideenlehre greift nicht erst in der Zeit der letzten Tannaim in die Entwickelung der jüdischen Religion ein, wir finden sie bereits in der Diskussion Hillels und Schammais über die Frage, wann der Plan zur Weltschöpfung entstanden ist, ganz deut- lich in Mischle, in der Merkabavision des Ezechiel und in einzelnen Erzählungen des Pentateuch.

Bereschith und Merkaba haben sich in der Zeit Saadias zu trennen begonnen. Sie streben aber nach ihrer ursprünglichen Ein- heit. Durch ihre Wiedervereinigung entsteht die Kabbala, die nichts anderes ist, als der weitere Ausbau der alten Merkabavorstellungen. Nicht die neuplatonischen Gedasken, die in ihr verarbeitet sind, sind die Hauptsache und das Charakteristische, sondern die talmudischen und midraschischen Elemente. »Wie bei der Entwickelung der jüdischen Philosophie und der Mystik die Loslösung der Ideenlehre von der Merkaba den Anfang der Philosophie bedeutet, obschon diese mit der Ideenlehre lange noch zu kämpfen hat, so bedeutet auch das Wiedereindringen der Ideenlehre in die Philosophie erst da das Ende der Philosophie, wo mit der Ideenlehre auch die Merkabalehre ein- zudringen beginnt. Die eigentliche, dialektische Philosophie des Judentums hat mit der Ausscheidung der Merkaba aus der Spekulation begonnen und mit dem Wiedereindringen derselben aufgehört« (S. 209).

So lösen sich alle Rätsel der jüdischen Geschichte. Wir wissen

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nun, warum sich das Altertum zu den mythischen Lehren Piatos, das Mittelalter zu Aristoteles hingezogen fühlt. Zwischen ihnen liegt die Zeit der juristisch-logischen Schulung. Wir wissen auch, was unter Mystik zu verstehen ist. Sie ist der Form nach mythisch, dem Inhalte nach Emanationslehre, Merkaba.

Diese flüchtige Skizzierung des Inhalts soll nur die wesent- lichen Gedanken hervortreten lassen, die philosophischen Grund- begriffe, die auf ihre Richtigkeit hin untersucht werden sollen. Das philologisch-historische Detail soll dann ausführlicher be- handelt werden.

Eins ist von vornherein klar, N. geht von einem falschen Begriff der Religion aus, er könnte sonst die religiöse Entwicke- lung nicht in der klassischen Religions ph ilosophie gipfeln lassen, sodaß Maimonides etwa an die Stelle des Jeremia tritt, und die Propheten die Vorläufer der mittelalterlichen Denker werden. Alle Religionsphilosophie setzt als die begriffliche, wissenschaftliche Bearbeitung religiöser Anschauungen Religion als unabhängiges, selbständiges Phaenomen voraus, und ebensowenig, wie aus einer Religion im Verlaufe ihrer Entwickelung Wissenschaft werden kam-, kann ein reiigionsphilosophisches System der Höhepunkt eines reli- gions-geschichtlichen Prozesses werden.

Das bedeutet nicht eine völlige Trennung von Religion und Religionsphilosophie, sie stehen zweifellos in Beziehung zu einander, nur muß ihr Verhältnis anders bestimmt werden. Religion strebt von sich aus nicht nach philosophischer Formulierung ihrer Lehren, sondern ist sich selbst genug. Erst im Kampf gegen andere Religionen, wenn es darauf ankommt, ihren Lehrinbalt möglichst scharf und deutlich zu entwickeln, damit die Differenzen sichtbar werden, ruft sie die Religionsphilosophie zur Hilfe, die ihr den vieldeutigen Inhalt ihrer Bildersprache in Begriffe faßt. So entstehen dogmatische Be- griffe und theologische Systeme. Doch in den Augenblick, in dem sie in den historischen Prozeß der Religion als neue Elemente ein- treten, erhalten sie den autoritativen, dogmatischen Charakter reli- giöser Vorstellungen, das heißt : sie hören auf philosophisch zu sein. Für die Religion aber bedeuten sie keine Höherentwickelung, sondern im Gegenteil Erstarrung, sodaß alle schöpferische, religiöse Arbeit die festgewordenen Formen der Religion wieder aufzulösen und in Fluß zu bringen hat. Wenn ein Beweis für unsere Ausführungen erbracht werden soll, wird ihre Richtigkeit am leichtesten durch den Hinweis auf die Dogmen der christlichen Religion erkennbar. Sie sind ohne Zweifel , das Resultat religionsphilosophischen Denkens. Doch daß in ihnen die Entwickelung der christlichen Frömmigkeit eine höhere Stufe

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erreicht hat, als vor ihrer dogmatischen Formulierung, wird niemand im Ernst behaupten. Weit eher wird man sagen können, daß alle dogmatische Bindung trotz der größeren gedanklichen Klarheit ein Symptom des Stillstands, oder des Verfalls ist. Die Höherentwickelung der Religion beruht nicht auf ihrer Verbindung mit Philosophie, also auf ihrer begrifflichen Fassung, sondern auf dem Hervortreten neuer religiöser Gedanken.

Richtet sich die Verteidigung nicht gegen andere Religionen oder ketzerische Ansichten, sondern gegen die Autorität entgegen- stehender wissenschaftlicher Lehren, dann entstehen religionsphilo- sophische Systeme als Versuche der Harmonisierung und des Aus- gleichs. Bedeutung haben sie stets nur für den Kreis der Intellektuellen, und wenn sie ihren Zweck, die Wahrheit der Religion zu erweisen, erfüllen sollen, dürfen sie nicht dogmatisch und autoritativ werden. Sie bleiben dann außerhalb der religiösen Entwickelung und be- gleiten sie; zugleich spiegelt sich in ihnen die Entwickelung der Wissenschaft. Es ist demnach vollkommen unmöglich, Religion und Religionsphilosophie als auf einander folgende Stufen einer einzigen Entwicklungsreihe aufzufassen. Wenn Philosophie der Religion ihr Wesen behalten und wissenschaftliche Erkenntnis bleiben soll, muß sie ihren eigenen Weg gehen. Religionsphilosophische Systeme ge- hören nicht in die Geschichte der Religion, sondern in die der Wis- senschaft.

Ebenso verkehrt ist es, die Propheten, die Schöpfer der Religion, zu Rationalisten und Aufklärern zu degradieren, deren Aufgabe die freiung vom Mythos ist. Ihre ganze Größe beruht darauf, daß sie den Mut haben, ihrem tiefen, schöpferischen Gefühl unbedingt zu trauen, und die ungeheure Wirkung, die sie ausüben, erklärt sich gerade daraus, daß in ihren Reden die leidenschaftliche Erregung des Erlebens zittert und in poetischem Schaffen sich entlädt. Wenn Neu- mark darauf hinweist, daß im More Nebuchim des Maimonides der- jenige Prophet für den größten gilt, bei dem im Augenblick der Offenbarung der Verstand seine volle Klarheit sich bewahrt, muß auch betont werden, daß gerade Maimonides mit vollem Recht in der Phantasie das natürliche Organ der Prophetie erblickt. Die Be- hauptung, daß die Propheten die Begründer der wissenschaftlichen Ethik sind (S. 25), oder daß Jeremia den kosmologischen Gottesbeweis zum ersten Male aufstellt (S. 17), zeigen nur zu deutlich, daß der Ver- fasser das eigentliche Wesen der Religion verkennt und die Grenzen zwischen ihr und philosophischer Erkenntnis in Unklarheit und Nebel verschwinden läßt.

Wenn irgend etwas, war Gottes Existenz den Propheten un-

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mittelbar gewiß, sie war ihnen das einzig Sichere und Reale und bedurfte keiner logischen Beweise, und Gott war ihnen niemals nur das sittliche Ideal, sonders zugleich das höchste und einzige Welt* prinzip. Das beweist selbst vom Standpunkt Wellhausens das II. Kapitel der Oenesis, das zu den ältesten Teilen des Pentateuch ge- hört. Nicht erst Jeremia und Ezechiel entwickeln also, wie N. behauptet (S. 17), kosmogonische Lehren, um den Ansturm babylonischer Mythen abzuwehren, sondern der Schöpfungsgedanke gehört zum Urbestand der mosaischen Religion. Das Streben der Propheten ist aber nicht auf Philosophie, auf begriffliche Erkenntnis, sondern auf sittliche Erziehung gerichtet. Die Schöpfer der Religion und die mittelalterlichen Denker gehören zwei vollkommen getrennten, grundverschiedenen Klassen an, und wenn N. ihr Rangverhältnis umkehrt und die Blüte der jüdischen Religionsgeschichte nicht im Prophetismus, sondern in der klassischen Religionsphilosophie sieht, hat seine Behauptung nur den Wert eines paradoxen Einfalls.

Die Orundthese N's, daß die Geschichte der jüdischen Religion fortschreitende Rationalisierung, Kampf gegen Mythologie bedeutet, widerspricht dem Wesen der Religion. Die Propheten kämpfen nicht gegen das Irrationale, sondern gegen sittliche Irrtümer. Ihre natür- liche Sprache, das notwendige Ausdrucksmittel für ihre Lehren, sind Bilder und Symbole, die aus poetischen Formen leicht selbständige Wesen, also mythisch werden. Mit größerem Recht könnte man demnach behaupten, daß die Geschichte der jüdischen Religion ein Anwachsen mythologischer Vorstellungen aufweist. Der Engelglaube ist im Pentat?uch und den prophetischen Büchern im Vergleich zur nachbiblischen Zeit unausgebildet und unbestimmt. Das spricht der Talmud in dem bekannten Satz aus, daß die Namen der Engel aus Babylon stammen. Er ist selbst in der Maimunischen Philosophie nicht überwunden, sondern zu höherer Dignität gelangt. Die separaten Intelligenzen, mit denen Maimonides die Engel gleichsetzt, sind aus dem Weltbilde dieses Denkers weit weniger wegzudenken, als die Engel aus der Gedankenwelt der Bibel. Der Dämonenglaube, dem wir im Talmud so oft begegnen, fehlt in ihr bis auf geringe Spuren. Von phantastischen Messiasvorstellungen ist in ihr weit weniger, als in späterer Zeit zu findea, und die späten apokalyptischen Lehren des Daniel sind nur ein Anfang. Der Grundauffassung Neumarks fehlt also vollkommen die geschichtliche Basis.

Er hilft sich damit, daß er zwischen offiziellen Lehren und geduldeten Vorstellungen unterscheidet. Doch ist das sinaitische Bundesbuch "mit seinen zahlreichen Engelgeschichten weniger autori- tativ, als das Deuteronomium, das sie angeblich mit klarer Absicht

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ausschließt ? Hat Ezechiel weniger Autorität, als Jeremia ? Und wie will uns N. seine Behauptung plausibel machen, daß der babylonische Prophet, anstatt für die Reinheit des monotheistischen Gedankens zu kämpfen, gegen Jeremia für den Engelglauben eintritt (S. 18) ? Der Priestercodex mit seinem gesetzlichen Denken, dem heiligen Ernst in der Behandlung cultischer Fragen steht der Schule des Priesters Ezechiel ohne Frage näher, als der Jeremias. Wenn nun im P. C. der Engelglaube fehlt, wird damit die Behauptung, daß Ezechiel für ihn eingetreten ist, hinfällig. Von einem Kampf Jeremias gegen den Engelglauben kann gleichfalls nicht die Rede sein. Die Engel der Bibel sind nichts, als die ausführenden Boten Gottes, ohne jede Selbständigkeit, beeinträchtigen also auch nicht seine Einheit. Was N. über diese Frage sagt, ist absolut unbegründet. Wer den Priester- codex in der Schule Jeremias und das Heiligkeitsgesetz in der Ezechiels entstehen läßt, stellt offenbar einer vorgefaßten Theorie zu Liebe die Wahrheit auf den Kopf.

Warum hat die Mischna, wenn sie wirklich gegen den mythi- schen Engelg'auben kämpft, nach Neumarks eigener Darstellung mit »dem Dogma der Praeexistenz der Thora« und dem Auferstehuags- glauben neue mythische Vorstellungen aufgenommen ? Gehören die agadischen Teile des Talmud den Amoräern weniger zum offiziellen Judentum, als die halachischen Diskussionen ? Dann hätte R. Aschi sie bei der Redaktion des Talmud schwerlich aufgenommen. Wer die Ge- schichte des Judentums nicht gewaltsam konstruiert, sondern in ihrem tatsächlichen Verlauf objektiv betrachtet, gelangt zu dem Ergebnis, daß die Formel, die N. für sie aufstellt, vollkommen falsch ist.

Den Übergang vom mythologischen zum philosophischen Denken vermittelt nach seiner Darstellung der Talmud. »Der schon längst im geistigen Leben des Judentums wirksame alexandrinische Piatonismus, der jetzt neu hinzutretende Aristotelismus, der Muta- zilismus und alle anderen Impulse von aussen, auf die uns unsere Untersuchung bald führen wird, alles dies ist die zugegebene Voraussetzung, aber der Urquell, in den alle diese weit von den Bergen her rieseindcn Wasseradern einmünden, muß in den Tiefen des Volksgeistes selbst entsprungen, die lebendige Kraft, die alles zum Blühen und Knospen treibt und die Frucht zur Reife bringt, kann nur dem Herzen des Volkes entsprungen sein. Der Geist des jüdischen Volkes aber ist der Geist der Haiachat (S. 138). »Das Judentum besitzt keinen nennenswerten Philosophen, oder philoso- phischen Forscher, der nicht seinen Geist zuerst an der Halacha diszipliniert hat* (S. 140). »Die größten Autoritäten der Halacha sind zugleich diejenigen, welche die höchsten Höhen des philosophischen

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Gedankens erklimmen«. »Maimuni, der größte Philosoph der klas- sischen Periode und des Judentums überhaupt ist zugleich der größte Haiachist aller Zeiten«. S. 135. Daß eine so enge Beziehung zwischen juristischem und philosophischem Denken, wie sie hier behauptet wird, in Wirklichkeit nicht besteht, wird zunächst durch die Tatsache bewiesen, daß bei den Römern, die das klassische System des Rechts geschaffen haben, kein namhafter Philosoph und bei dem genialen Philo- sophenvolk der Antike, den Hellenen, kein bedeutender Jurist zu finden ist. Das ist sehr leicht zu erklären. Die formale logische Schulung des Denkens und der Blick für die praktischen Konsequenzen gesetzlicher Bestimmungen sind von dem philosophischen Erkenntnistrieb und der Fähigkeit, theoretische Probleme zu finden und aufzulösen, un- abhängig. Wenn also wirklich der Geist des jüdischen Volkes der Geist der Halacha wäre, was keineswegs zutrifft, wäre es für die Lösung philosophischer Aufgaben noch sehr wenig disponiert. Aber auch die jüdische Geschichte widerlegt die Behauptung von der Identität juristischer und philosophischer Begabung. An Genialität des juristisch.-logischen Denkens wird Raschi auch von Maimonides nicht übertroffen, seine religiösen Anschauungen aber sind von einer rührenden Kindlichkeit und Naivität, und sein Bibelkommentar giebt nicht philosophische Exegese, sondern mythische Agada. Dies eine Faktum schon hätte N. zeigen können, daß juristische Logik nicht zu philosophischem Denken zu führen braucht. Sie bilden sogar vielfach Gegensätze. Nur so wird es verständlich, daß die Talmudisten den More Nebuchim leidenschaftlich bekämpfen, daß Ascheri seine Autorität auf halachischem Gebiet gegen das Studium der Philosophie geltend macht, Nachmanides die Mystik neu begründet, in Polen, dem klassischen Lande des einseitigen Talmudstudiums, die chassi- dische Mystik entstanden ist.

Sie ist offenbar eine Reaktion gegen die einseitige Verstandes- bildung durch den Talmudismus, der die Ansprüche des Gemüts unbefriedigt läßt, weil er die Religion intellektualisiert, anstelle des religiösen Gefühls logische Ableitung und Begründung setzt. Diese Intellektualisierung verwechselt N. mit Rationalisierung, dem Streben nach philosophischer Erkenntnis und übersieht, daß der Talmud, wie alle Juristerei, eine vorwiegend praktische Tendenz des Denkens zeigt, nicht einmal seine eigenen Grundlagen wissenschaftlich unter- sucht, sondern sich mit einer theologisch-dogmatischen Begründung seiner Prinzipien begnügt. Die talmudische Dialektik hat sich sehr wohl mit phantastischer Mythologie vertragen, wie die Beispiele R Akibas und des Babyloniers Rab beweisen, die N. trotz ihrer Bedeu- tung für die Entwickelung des Talmud zu Begründern mystischer

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Systeme macht. Ebenso, wie für die arabische Philosophie und die christliche Scholastik, war die Disziplinierung durch die Halacha auch für die Entstehung der jüdischen Religionsphilosophie nicht die Voraussetzung.

Die Denkweise des Talmud ist durchaus dogmatisch gebunden. Die Existenz Gottes, die Göttlichkeit der Bibel, die Wunderberichte der hlg. Schrift werden den Tannaim und Amoräern niemals proble- matisch. Daher ist es von vornherein ausgeschlossen, daß die Anfänge der jüdischen Philosophie im Talmud gefunden werden. Auch seine agadischen Teile bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Wenn man unter Philosophie autonomes, systematisches Denken versteht, und etwas anderes bedeutet sie ja nicht, verdienen auch die philo- sophisch klingenden Sätze einzelner Tannaim und Amoräer nicht die Bezeichnung »philosophisch«. Das wird auch durch den Hinweis Bereschith und Merkaba nicht widerlegt. Welche Spekulationen man ursprünglich darunter verstanden hat, läßt sich mit Sicherheit nicht ermitteln. Wenn man aus den wenigen Daten aus späterer Zeit Rückschlüsse ziehen darf, begnügten sich die Tannaim nicht mit den klaren Angaben der Genesis, sondern suchten in das Geheimnis des göttlichen Schaffens tiefer einzudringen und aus den Andeutungen der heiligen Schrift die einzelnen Phasen der Weltentstehung genauer zu erkennen. Es handelt sich hier also nicht um selbständige philosophische Untersuchung, sondern um agadische Bibelexegese. Der Versuch, die Entstehung der Welt aus dem Nichts zu beweisen und begreiflich zu machen, also die Schöpfungslehre des Judentums wissenschaftlich zu begründen, wird nicht unternommen, eine Widerlegung der entgegen- stehenden naturphilosophischen Theorieen nirgends versucht. Religiöse, kosmogonische Mythen aber sind nicht Philosophie. Sie ist immer erst da vorhanden, wo eine natürliche Erklärung der Erscheinungen ver- sucht wird. Durch Bereschith und Merkaba aber wird die biblische Schöpfungslehre nicht klarer und natürlicher, sondern verworren und phantastisch. Das Geheimnis des göttlichen Schaffens übt auf das Gefühl der Tannaim einen so mächtigen Eindruck aus, daß ihre Phantasie die Schöpfertätigkeit Gottes genauer zu beschreiben unter- nimmt, das Interesse ist also nicht philosophischer, sondern religiöser Art. Darum ist es vollkommen verfehlt, in diesen Mythen nach den ersten Spuren der späteren philosophischen Probleme zu suchen. Wenn die Engel einer Agada zufolge aus dem Schweiß der Chajoth entstehen, wird damit noch lange nicht die natürliche Emanation der Materie aus Gott gelehrt (S. 81). Ebensowenig beweist die Vorstellung von dem Schnee unter dem Thronwagen das Vorhandensein des Substanzproblems (S. 75). Dies alles ist religiöse Poesie, die sich an

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die Bibel anlehnt, mylische Dichtung und nicht philosophische Speku- lation. Daß die Philosophen des Mittelalters nach einer Anknüpfung im talmudischen Schrifttum suchen, erklärt sich aus dem Bestreben, ihie Anschauung zu legitimieren und beweist nicht, daß die jüdische Philosophie aus den talmudischen Agadas hervorgegangen ist. Sie ist nicht infolge der Überwindung der Ideenlehre durch die halachiscbe Dialektik entstanden, sondern entspringt, von dem apologetischen Inter- esse und dem Einfluß des Milieus abgesehen, wie alle Philosophie einem wissenschaftlichen Erkenntnistrieb, der in einzelnen Köpfen durch das Studium der arabisch-aristotelischen Schriften erwacht ist.

In seinem Streben, die absolute Einheit des jüdischen Geistes nachzuweisen, begnügt sich N. nicht damit, die mittelalterliche Phi- losophie aus dem talmudischen Schrifttum abzuleiten, sondern sucht nach den Spuren der Platonischen Ideenlehre auch in der Bibel. Er findet sie im Pentateuch in der Erzählung von der Schöpfung des Menschen im Ebenbilde Gottes und in dem Bericht von dem Urbild des Stiftzeltes, das Gott Mose hat schauen lassen (S. 22). In beiden Fällen hat offenbar das Wort *Bildc den Verfasser irregeführt. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die pentateuchischen Er- zählungen falsch verstanden sind. Von einer Ideenlehre im Penta- teuch zu sprechen, ist so sinnlos, daß jede Widerlegung sich erübrigt.

Nicht vernünftiger ist die Behauptung, daß Ezechiels Merkaba eine kosmogonische Theorie versucht und Elemente der babylonischen Ideenlebre enthält (S. 74. 75). Was unter babylonischer Ideenlehre zu verstehen ist, hat N. nicht verraten. Ezechiels Vision des göttlichen Thronwagens ist schwer zu enträtseln, daß er aber keine selbständige Kosmogonie entwirft, die mit dem ersten Kapitel der Genesis rivali- siert, ist klar. Am einleuchtendsten scheint noch die Auffassung Bertholets zu sein, der in den Worten des Propheten eine Schil- derung der göttlichen Allmacht und Allwissenheit erblickt.

Ernstere Beachtung verdient die Behauptung, daß in Mischle Oedanken der griechischen Philosophie zu finden sind, wenn man in Betracht zieht, daß die Entstehung dieses Buches angeblich in die Zeit hellenischen Einflusses fällt. Aber auch hier kann von platonischer Ideen- lehre nicht die Rede sein (S. 77). Ob die praeexistente >Weisheitc als selbständiges Wesen hypostasiert, oder nur dichterisch personifiziert ist, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Frankenberg neigt in seinem Kommentar zu der letzteren Ansicht. Sie hat viel für sich, wenn man bedenkt, daß auch die »Torheitc in Mischle personifiziert ist. In jedem Falle bedeutet die >WeisheiU nichts anderes, als Thora, sie ist keineswegs mit dem Philonischen Logos, dem Inbegriff der

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Ideen Piatos, zu identifizieren. Eine so unhistorische Gleichsetzung ist bei einem modernen Historiker der jüdischen Philosophie unbe- greiflich.

Dem Verfasser der Spruchbuchs bedeutet Thora die Summe der Gesetze des Judentums, und wenn er sie für ewig und praeexistent erklärt und bei der Schöpfung mitwirken läßt, will er dem Gedanken Ausdruck geben, daß die Erfüllung der religiösen Gesetze Sinn und Zweck des Weltalls ist, ein Gedanke, der auch im Midrasch wieder- kehrt. Sobald man^in der Thora göttliche Weisheit sah, war ihre Prae- existenz von selbst gegeben, sonst wäre Gott ja vor der sinaitischet! Offenbarung ohne Weisheit. Mit platonischer Ideeniehre aber hat dies nichts zu tun, es sei denn, daß man das System Piatos seines klaren Sinnes beraubt. Daß platonische Gedanken in späten Midraschin. mehr oder weniger deutlich anklingen, soll nicht geleugnet werden, aber um so vorsichtiger muß die Interpretation der älteren Litera- tur sein.

Auch das mischnische »Dogma von der Praeexistenz der Thora* braucht nicht im Sinne der Ideenlehre aufgefaßt zu werden. Ein Ein- fluß des alexandrinischen Philosophen in der Mischna ist nicht nach- weisbar, es ist also kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß unter Thora »Logos« verstanden wird. Ebenso ist die Gleichsctzung von Bereschith und Pardes mit der Ideenlehre Piatos unbewiesen und unwahrscheinlich. Trotz der überlegenen Kritik, die hier an Graetz geübt wird, behält seine Ansicht die größere Wahrscheinlichkeit. Nur wenn R. Akiba und die 3 anderen Tannaim, die der Talmud nennt, sich in Probleme der Gnosis vertieft haben, wird Achers Ab- fall vom Judentum verständlich. Die gnostische Philosophie hat eine entschieden antijüdische Tendenz, sucht zu beweisen, daß der Schöpfergott, der sich am Sinai offenbart hat, tiefer steht, als der christliche Gott der Liebe, die platonische Ideenlehre aber läßt sich mit der Religion der Bibel, wie Philos Beispiel zeigt, relativ leicht verbinden.

Was N. mit allen seinen willkürlichen Behauptungen und Konstruktionen erreicht, ist schwer einzusehen. Die jüdische Philo- sophie des Mittelalters soll aus der natürlichen Entwickelung des jüdischen Geistes erklärt werden. Dieses Resultat aber wird dadurch gewonnen, daß fremde, heidnische Anschauungen bereits in der Thora nachgewiesen werden. Erst durch ihre Überwindung und nicht durch eine höhere Entwickelung der jüdischen Gedanken soll dann die jüdische Religion ihren Höhepunkt erreichen. Das ist, von aller historischen Unrichtigkeit abgesehen, ein innerer und unlösbarer Widerspruch.

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Die Überwindung der Ideenlehre soll der Weg zur diale- ktischen Philosophie sein. Zuvor aber muß sie sich von der Merkaba trennen. Das ist zunächst historisch falsch, denn noch im More Nebuchim wird eine von aller Polemik freie Erklärung der Ezechiel- schen Vision versucht. Außerdem ist die Emanationslehre nicht not- wendig mystisch. Auch Hegel läßt ja die Natur durch die Selbst- entfaltung des absoluten Geistes im dialektischen Prozeß entstehen, ohne darum Mystiker zu werden. Wenn aber Neumark die Behaup- tung aufstellt, daß Merkaba und Ideenlehre das Streben haben, ihre ursprüngliche Einheit wiederherzustellen, so ist das selbst nur die modernste Variation eines uralten Mythos.

Die ganze, 275 Seiten umfassende Einleitung nimmt dem Buch den Charakter einer ernsten wissenschaftlichen Arbeit. Sie war umso überflüssiger, als bei der Darstellung der mittelalterlichen Philosophie die angeblichen biblischen und talmudischen Quellen vollkommen ignoriert wurden. Anstatt zu zeigen, wie im einzelnen die Ideenlehre überwunden wird, bietet N. einen breiten Excurs über Aristoteles. Die neuen Resultate, die hier gewonnen werden, sind nicht sehr glaubhaft. Widersprüche im aristotelischen System sind speziell bei der Behandlung des Substanzproblems zweifellos vorhanden. Trotz- dem ist Aristoteles ein viel zu scharfer und klarer Kopf, um zwei einander direkt ausschließende Theorieen über Materie und Form gleichzeitig zu vertreten. Der Standpunkt der Physik wird von ihm selbst als durch die Interessen des Physikers bedingt bezeichnet und unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem der Metaphysik. Nur der Gesichtspunkt wechselt in der Untersuchung.

Bald handelt es sich um Substrat und Qualität, Subjekt und Prädikat, bald um die Differenz des Unentwickelten und Entwickelten, von Möglichkeit und Wirklichkeit. Immer aber sind Stoff und Form zwei selbständige Prinzipien, die Formen logisch abstrahierbar, sodaß ein völlig unbestimmter Urstoff, oder reine Potentialität übrig bleibt. In Wirklichkeit aber ist der Urstoff ebensowenig ohne jede Qualität, wie die Aktualisierung der Formen jemals begonnen hat. Das Streben der Natur, alle Formen bis zur höchsten zu durchlaufen, die qualita- tive Umwandlung der Stoffe lehrt Aristoteles immer in derselben Weise, durchbricht also niemals sein dynamisches Prinzip. Alle Unterschiede, die N. hier so entschieden und bestimmt behauptet, sind in Wirklichkeit nicht vorhanden.

Damit fällt auch sein ganzer Aufbau der jüdischen Religions- philosophie. Er unterscheidet eine Saadja-Gruppe, die den Standpunkt der Physik, die Annahme einer mit einer Urqualität verbundeuen Materie, und eiue Gabirol-Oruppe, die den Standpunkt der Meta-

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physik vertritt und eine substantielle Potentialität annimmt. Der erste Standpunkt soll sich mit dem jüdischen Schöpfungsglauben leichter verbinden lassen, als der zweite. Auch das trifft nicht zu. Der Ge- danke, daß Gott einen Urkeim geschaffen hat, aus dem sieh das Universum allmählich stufenweise entwickelt hat, ist logisch durch- aus einwandsfrei. Richtig ist an der Unterscheidung der beiden Gruppen nur, daß die eine dem Aristoteles, die andere dem Neu- platonismus näher steht. Alles andere ist Konstruktion.

Es wäre ungerecht, wollten wir nicht die erstaunliche Belesen- heit und den achtunggebietenden Fleiß des Verfassers anerkennen, aber es fehlen ihm neben richtigen philosophischen Anschauungen philologische Kritik und historisches Denken. Wo er größere Zu- sammenhänge auffinden will, verläßt ihn vollkommen die Besonnenheit des Urteils. Es ist höchst bedauerlich, daß der wissenschaftliche Er- trag so vieler Arbeit so gering ist.

Julius L e w k o w i t z^

Erwiderungen.

Von Herrn J. Froraer erhalte ich folgende Zuschrift: In dem 54. Jahrgang dieser Zeitschrift befindet sich eine Be- sprechung meines Buches »Der Organismus des Judentums», die Unwahrheiten enthält. Gemäß § 11 des Preßgesetzes ersuche ich um Abdruck der folgenden

Berichtigung:

1. Unwahr ist, daß das »eigentliche Einleitende» in dem ge- nannten Werke »aus mehr oder weniger wörtlichen Abschreibungen der ganz geläufigen Hand- und Wörterbücher« besteht. Wahr ist vielmehr, daß das »eigentlich Einleitende«, wie überhaupt das ganze Werk formal und inhaltlich vollkommen originell ist.

2. Unwahr ist, daß ich das eine Mal we-haschekabat sera (das Sperma) gelesen und »das andere Mal zwei Seiten zur Verteidigung dieses Schnitzers« geschrieben habe. Wahr ist vielmehr, daß ich :

a) im Texte richtig wehaschikbat vokalisiert und in der Anmer- kung gesagt habe: »Trad. LA. Grammat. LA.: wehaschekabat Damit sollte nur wie ich im »Organismus des Judentums«, Seite 186 und 267 ausgeführt habe gezeigt werden, welchen geringen Wert die grammatische Lesart hat, daß ich ferner:

b) zur »Verteidigung dieses Schnitzers« nicht zwei Seiten, son- nur eine halbe Seite geschrieben habe. Dr. J. Fromer.

*

Darauf sendet Herr Aptowitzer folgende Entgegnung:

Ad. 1. Die Behauptung, daß in dem Buch »Der Organismus des Judentums« von Dr. Jakob Fromer das »eigentliche Einleitende« d. s. die Inhaltsangaben, die literarhistorischen und bibliographischen Daten »formal und inhaltlich vollkommen originell ist«, ist voll- kommen originell, da diese Daten tatsächlich in den geläufigen Handbüchern, z. B. in Stracks Einleitung in den Talmud, enthalten sind.

Nach dem Eindruck, den die Bücher des Dr. Fromer auf mich machten, mußte ich zur Überzeugung gelangen, daß er die erwähnten

Erwiderungen. 113

Daten den Handbüchern entnommen hat, wie die meisten seiner Zitate aus dem Talmud dem Wörterbuche Levy's entnommen sind. Dies meinte ich mit dem von Dr. Fromer berichtigten Satz.

Daß Herr Fromer gerade diesen Satz berichtigt, ist übrigens sehr merkwürdig. Lange vor meinem Referat hat L. Ooldschmidt in seiner Kritik des Fromerschen Buches, wie ich in demselben Aufsatze S. 561 erwähne, folgendes geschrieben :

S. 21, Anm. 2: »Das ganze Buch besteht aus Zitaten, teils wörlich abgeschrieben mit Nennung der Quelle, teils umgemodelt ohne Nennung derselben. Abgedroschene Phrasen sind weiß Qott woher zusammengeschleppt, während Wissenswertes nicht zu finden ist. Auf S. 20 (Nomadenperiode der Juden) wird ein langes und breites Qefasel über den Charakter der Nomaden gegeben, wahr- scheinlich aus irgend einem Lexikon abgeschrieben, während von der Nomadenperiode der Juden kein Wort zu finden ist«.

S. 39, Anm. 1: »Die Zitate aus dem Talmud in seinem Buche sind nach secundären Angaben abgeschrieben«.

S. 49: »Das eigentliche Buch schließt mit Seite 231; dann be- ginnt eine rein mechanische, wahrscheinlich aber aus Stracks »Ein- leitung in den Talmud« abgeschriebene Inhaltsabgabe der Mischna, der sich dann das oben besprochene Probestück aus dem Talmud anschließt. Von diesen 231 Seiten besteht ungefähr die Hälfte aus einer mechanischen wörtlichen Abschrift von Zitaten, auf die die Schriftsteller, die er benutzt oder abgeschrieben hat, besonders O e i- ger, verweisen«.

Qegen diese Ausführungen Goldschmidts findet sich in Fromers ausführlicher Qegenkritik kein Wörtchen des Protestes!

Angesichts dieses Schweigens an den Satz »qui tacet, consentire videtur« zu denken, ist bis jetzt nicht verboten gewesen.

Ad 2 a. Daß Herr Fromer im Text wehaschichbat vokalisiert und in der Anmerkung behauptet hat: »grammatische Lesart webasch- kabat«, ist richtig«. Wer aber einmal in einem mit Textfragen sich beschäftigenden Buche geblättert hat, weiß, daß die Vornahme einer Korrektur, das Vorschlagen einer Lesart kurz durch »lesen« ausge- drückt wird, In diesem Sinne schrieb ich, daß Fromer wehaschkabat liest, wie ich ja auch nur aus dem grammatischen Sprachgebrauch die »Schnitzerhaftigkeit« dieser Lesung nachgewiesen habe. Daß Herrn Fromer dieser Gebrauch des Zeitwortes »lesen« nicht bekannt Ist, habe ich nicht vorausgesetzt.

Ad 2b. Die Verteidigung des Schnitzers »wehaschkabat« befindet sich in Fromers Broschüre gegen Goldschmidt auf Seite 22 und 23, also auf 2 Seiten. Daß die Behauptung: »wer die Schwierigkeit, die

g

Monatsschrift, 55. Jahrgang.

114 Erwiderungen.

die Lesung wehaschkabat veranlaßt, nicht kennt, der versteht nichts von der hebräischen Grammatik« mit zur Verteidigung dieser Lesung gehört, wird doch auch Herr Dr. Fromer nicht in Abrede stellen wollen. Um aber eine weitere Berichtigung seitens Herrn Fromers zu vermeiden, konstatiere ich ausdrücklich, daß die Verteidigung des Schnitzers »wehaschkabat«: nicht zwei volle Seiten umfaßt.

V. Aptowitzer.

Herr B. Jacob sendet die nachfolgende Erwiederung ein.

Unter der Überschrift: »Neueste exegetische Methoden« hat Herr S.Jampel, S. 395, Jahrg. 1910 dieser Zeitschrift auch meinem 1905 erschienenen Penttateuch einige Zeilen gewidmet. Da der Aufsatz für einen weiteren Leserkreis bestimmt zu sein scheint und erhebliche Irrtümer enthält, so dürfte eine Richtigstellung nicht unangebracht sein.

Zu den neuesten exegetischen Methoden zählt Jampel nämlich auch den von mir vertretenen Standpunkt, daß, um zunächst hievon zu reden, die chronologischen Angaben des Pentateuch ein künstliches System sind. Ich will mich nicht dabei aufhalten, daß der Herr Referent über den Begriff »exegetisch» nur unklare Vorstellungen zu haben scheint. Mit der Exegese haben diese Dinge wenig oder gar nichts zu tun. Aber nach dem Ausdruck, den Herr Jampel ge- braucht und den Ausführungen, die er daran anknüpft, scheint er über- haupt mit der Pentateuchforschung wenig bekannt zu sein. Denn abgesehen natürlich von der Orthodoxie, welche die biblische Ge- schichte von Adam an für buchstäbliche historische Wahrheit hält, ist mir auch nicht ein Forscher bekannt, welcher anderer Meinung ist. Es ist die einstimmige Meinung aller Gelehrten, daß den Zahlenreihen von Adam bis Noah, sodann von Noah bis Abraham, ferner den Zeitangaben für das Leben der Erzväter und den Aufenthalt der Israeliten in Ägypten ein künstliches System zu gründe liegt. Jeder wissenschaftliche Kommentar zur Genesis, jedes Handbuch, jedes Realwörterbuch berichtet darüber. So beginnt, um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen, der konservative Kittel den Artikel »Zeitrechnung« in der Prot. Reaiencyclopädie 4, Bd. XXI, p. 369 folgendermaßen: »I. Das System. Ein chronologisches System hat es zweifellos innerhalb des A. T. gegeben, vielleicht sogar mehrere, die einander kreuzen . . . man ist in der Hauptsache heute über den Standpunkt, sie (diese Zahlen) geschichtlich verstehen, bez. sie als reine Geschichte »retten« zu wollen, hinausgewachsen«. Ein anderer (Bosse) beginnt: »Was die früheren Bearbeiter dieser Fragen angeht, sind sich fast alle über den systematischen Charakter der Chronolo- gien einig. Ihr Aufbau, nicht ihre historische Richtigkeit ist darzulegen

Erwiderungen. 115

Oder es überschreiben Zimmern-Winkler, S. 319 ihres Werkes: »Die Keilinschriften und das A. T.'« : Die biblische Chronologie ein Schema, und bemerken dazu: »Von vornherein ist hiernach selbst- verständlich, daß auch der Chronologie der israelitischen Überlieferung ein derartiges Schema zugrunde liegte. In der Tat ist dies ganz selbst- verständlich. Sobald man einmal die Geschichtlichkeit der Zahlen leugnet und diese Freiheit nehme ich mir allerdings mit tausend anderen und man nicht annehmen will, daß der Verfasser gedan- kenlos irgendwelche Zahlen, die ihm gerade in den Sinn kamen, niederschrieb, ohne zu fragen, ob sie zu einander stimmen, entsteht sogleich die Frage, warum er Adam gerade 930, Set 912, Enosch 905 Jahre alt werden läßt und nicht, sagen wir, 830, 750, 620 o. ä. Es entsteht die Frage nach dem System, aus dem diese Zahlen sich ergeben. Die Versuche dieses System aufzudecken, sind, wie ich schon auf S. 1 meines Buches berichte, zahlreich, und die Literatur darüber schier unübersehbar. Den meisten Anklang hatten bisher die Berech- nungen von Oppert gefunden, der in den biblischen Zahlen der Urzeit eise arithmetische Reduktion eines babylonischen Systems sieht und von A. v. Gutschmid u. Th. Nöldeke, welche annehmen, daß die Theorie einer Weltzeit von 4000 Jahren zugrunde liege, von welcher für die Zeit V3n Schöpfung und Auszug */» = 2666 angesetzt sei. Aber es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht neue Versuche auftauchen. Einer der letzten ist der von Bosse in den Mitteil. d. vorderasiatischen Gesellsch. 1908 (der mein Buch nicht zu kennen scheint), wonach zwei chronologische Systeme zusammengearbeitet seien; das erste mit der Generationszahl 40 berechne von Adams Geburt bis zum Ende des Exils 50X40 = 2000 Jahre, wozu aber Korrekturen des biblischen Textes nötig sind, das zweite, auf der Zahl 260 beruhend, wolle ein sog. großes Jahr von 3166 = 124X260 -f- 46 Jahren erzielen. Auch nach Bosse sind mir noch mehrere Versuche bekannt geworden. Ich muß es daher als eine unverdiente Ehre ablehnen, der Er- finder dieser »neuesten* (!) exegetischen Methode zu sein. Meine Lösung ist eine unter vielen, die jedenfalls das Verdienst in Anspruch nehmen kann, daß sie die Sache nur aus den Aussagen der Bibel selbst er- klärt, daß sie sich jeder willkürlichen Textänderung enthält, daß sie den Nachweis bis in die kleinsten Details führt und in sich voll- kommen widerspruchslos ist. Ja ich zeige, daß sogar der sprachliche Ausdruck für die Zahlen die Art ihrer künstlichen Berechnung ver- rät. So glaube ich allerdings, daß nunmehr der Schlüssel des Rätsels gefunden ist. Es gereicht mir zur Genugtuung, daß z. B. ein so nam- hafter Forscher, wie der bekannte Assyriologe Alfr. Jeremias sich be- reits zu meinen Resultaten bekennt: »Die Lösung des Exempels

8*

116 Erwiderungen.

gefunden zu haben ist das Verdienst des Göltinger Gelehrten B. Jacob, der in seinem Buche »Der Pentateuch« in überraschender Weise ge- zeigt hat, wie usw. (»Die Zeitrechnung der biblischen Urgeschichtet in der » Reformation c 1903 p. 66 ff.)-

Ebenso unverständlich ist mir der Ausdruck des Herrn Jampel, wenn er sich auf meine Behandlung der Genealogien und Volks- zählungen beziehen soll. Daß auch diese von einem künstlichen System getragen werden, ist gleichfalls oft und längst von mir be- hauptet worden. Meinungsverschiedenheit herrscht wiederum nur über die Art und Ausarbeitung des Systems. So ist z. B. längst beobachtet und für künstliche Konstruktion erklärt worden, daß in den Genea- logien die schematische Zahl 12 herrscht, daß von den vier Frauen Jakobs die Herrinnen doppelt so viel Söhne und doppelt so viel Nachkommen als die Mägde haben (8: 4, 32: 16, 14: 7). Schon vor vierzig Jahren hat Nöldeke anschaulich gemacht, wie die in jedem Be- tracht unmöglichen 600.000 Israeliten der beiden Zählungen des Buches Numeri auf die zwölf Stämme künstlich so verteilt sind, daß jedes- mal sechs Stämme über und sechs Stämme unter 50.000 erhalten. Auch hier ist an meinen Untersuchungen nicht die »Methode« neu, d. b. das prinzipielle Verhältnis zu der angeblichen Geschichtlichkeit der Zahlen und die Annahme irgendeines künstlichen Systems, sondern die Art und Vollständigkeit der Lösung. Daher schreibe ich S. 98: »daß diese Zahlen unhistorisch sind, wird selbst die entschlossenste Apologetik nicht leugnen können. Wenn es überhaupt etwas Unmög- liches im Pentateuch gibt, so sind es die sechsmalhunderttausend erwachsenen Israeliten in der Steinwüste des Sinai, ungerechnet die Weiber und Kinder. Die Zahlen sind also erdacht. Das System, nach dem sie künstlich aufgestellt sind, ist aber noch nicht entdeckt, nur von Nöldeke ist eine glückliche und wichtige Beobachtung gemacht worden«.

Aus den ebenangeführten Worten ersieht man auch, daß es eine Irreführung ist, wenn man es so darstellt, als leugneten wir die Ge- schichtlichkeit wegen des nachgewiesenen Zahlensystems. Es ist mir und sicherlich auch meinen Vorgängern keineswegs die Erwägung fern geblieben, daß sich oft die überraschendsten Zahlenverhältnisse auch da ergeben, wo eine Absichtlichkeit ausgeschlossen ist. Ich selbst warne vor Übereilung, indem ich S. 23 in den meiner Berechnung vorangeschickten »Grundsätzen« sage: »eine größere Reibe von Zahlen läßt immer eine Menge von Kombinationen zu«. Das Verhältnis ist vielmehr dies, daß uns die Nichtgeschichtiichkeit im allgemeinen aus anderen Erwägungen feststand, ja daß sie die Voraussetzung war, ehe wir an die Berechnung herangingen. Der Nachweis ihrer Künstlichkeit

Erwiderungen. 117

ist nur das bestätigende Siegel und allerdings geeignet, jene Erwä- gungen noch erheblich zu verstärken und die letzten Zweifel zu beseitigen.

Umgekehrt wird, wer aus dogmatischen Gründen an der Ge- schichtlichkeit unter allen Umständen festzuhalten entschlossen ist, von keinem künstlichen System etwas wissen wollen und liege es auch sonnenklar am Tage. Für ihn sind die aufgedeckten Verhältnisse immer »Zufall«, wenn auch ein merkwürdiger Zufall, er wird sich auf andere zufällige Zahlenverhältnisse berufen u. dgl. mehr. Für wen Adam tatsächlich 930, Set 912, Enosch 905, Methusalem 969 Jahre alt geworden ist, der darf meine »neueste« Methode natürlich eben- sowenig gelten lassen als die meiner Vorgänger. Es bleibt höchstens ein Ausweg, der in der Tat schon beschritten worden ist, wo man sich der frappanten Arithmetik ehrlicher Weise nicht entzog: die An- nahme einer von Gott prästabilierten Zahlenharmonie.

Ebenso wie mit der Geschichte, d. i. der Chronologie und Ge- nealogie, verhält es sich mit dem Gesetz des Pentateuchs. Daß die Stiftshütte mit ihrem ganzen Apparat, so wie sie irr. Pentateucu beschrieben wird, ein Phantasiegebilde ist, steht der Kritik gleichfalls längs u. . Ich habe nur zuguterletzt nachgewiesen, wie auch ihre Konzeption von gewissen Grundzahlen beherrscht wird. Übrigens behaupte ich trotzdem, daß die Beschreibung kein reines Phantasie- gebilde in dem Sinne Ist, daß der Verfasser, losgelöst von jeder Wirklichkeit, sich all diese Dinge ausgedacht hat. Seine Darstellung ist die konsequente Idealisierung und systematische Vereinfachung eines tatsächlich geübten Kultus, nicht eine geschichtliche freie Be- schreibung (S. 345).

Tiefer in die Exegese greifen die »Abzahlungen in den Gesetzen der Bücher Leviticus und Numeri« ein, die ich 1908 in einer besonderen Arbeit veröffentlicht habe, um die Zahl in den Ge- setzen, deren Untersuchung meine weitere Aufgabe wäre, vorweg zu erledigen. Allein auch hierin war ich nicht ohne Vorgänger. Bereits vor siebzig Jahren hat Bertheau in einem umfangreichen Buche: »Die sieben Gruppen mosaischer Gesetze« eine zahlenmäßige Ordnung des ganzen Gesetzesstoffes Rachzuweisan versucht. Warum er scheitern mußte, habe ich in meiner Arbeit einleitend angedeutet. Will man es aber auch ferner noch reinen Zufall nennen, daß, wie ich aufgedeckt habe z. B. in Lev. 11 gerade 3X12 Tiere genannt sind? daß es 12 mal heißt: »unrein sei es euch«, daß 2X12 die Wörter Unrein oder Rein vorkommen, daß die Zahl der speziellen Unreinheiten (c. 31— 38) gerade 12 ist? Daß in c. 13, 14 (der Aussatz) es 2X12 Fälle sind, iu denen der Priester auf Rein oder Unrein entscheidet, daß das Re-

118 Erwiderungen.

sultat des Verfahrens in 2X12 Sätzen angegeben ist, daß 2X12 Eade- aussagen vom Träger des Aussatzes gemacht werden, daß diesen 2X12 Schlußsätzen 2X12 Satzanfänge entsprechen, daß der Priester in 4X12 Handlungen funktioniert, daß er 70 Mal namentlich genannt ist, daß der Aussatzflecken 70 Mal namhaft gemacht wird, desglei- chen die Fristen 70 Tage ergeben, daß 12 Mal der zu Sühnende genannt ist? Daß c. 15 zweimal 12 und wiederum zweimal 12 Fälle der Unreinheit aufzählt? Daß c. 18 die Zahl der verbotenen Verbindungen 2X12 ist, daß 2X12 Mal die Blöße genannt ist? Daß c. 19 4X12 (vielleicht!) Gebote und Verbote enthält? Daß in c. 12 immer wieder die Zahl 12 auftritt? Daß in c. 21, 22 gerade 12 Gebrechen des Priesters und 12 des Opfertieres gezählt sind? Und so zahllose Fälle, in denen immer wieder die Zahlen 12 und 70 wiederkehren.

Der gegenwärtig noch mächtigen Richtung müssen meine Er- gebnisse natürlich sehr fatal sein. Denn sie untergraben das Funda- ment des ganzen Baues, die Quellenscheidung des Pentateuchs, die angeblich zu den allergesichertsten Resultaten der Bibelkritik gehört. Vielleicht glaubt man sie um so eher beiseite schieben, oder tot- schweigen zu können, als es sich ja um einen outsider handelt. Aber die Tage der Herrschaft dieser Richtung sind gezählt. Eben erst hat sich wieder ein früherer namhafter Anfänger Prof. Eerdmanns in Leiden öffentlich von ihr losgesagt, während die entwicklungsgeschichtliche Theorie schon läagst ihre Not hat, ihr Terrain zu verteidigen. Jedoch muß ich anerkennen, daß ein mit dem Pentateuch so gründlich vertrauter Forscher wie Holzinger bereits, wenn auch zögernd, den Anfang gemacht hat, sich mit meinen Er- gebnissen abzufinden (Deutsche Literaturztg. 1910, p. 2319 f.), Be- sonders aber darf ich auf die Besprechung Bachers in der Or. Ltztg. 1909 p. 268 ff. hinweisen, der einzigen gründlichen und sachgemäßen, die bisher erschiene» ist. Nach zahlreichen Beanstandungen von Ein- zelheiten schließt er: ich stehe nicht an, diese Nachweise systema- tischer Zahlenverhältnisse im Text der pentateuchischen Gesetzes- abschnitte als ein höchst überraschendes und merkwürdiges Ergebnis minutiöser Beobachtung anzuerkennen. Der Verfasser darf das Ver- dienst in Anspruch »ehmen, als Erster »die im Text der Thora sich bergenden Zahlengeheimnisse enthüllt zu haben«.

Daß auch die naive Gläubigkeit vor den Resultaten unserer Forschung erschrickt, verstehe ich, aber es ist nicht wohlgetan, vor ihnen gewaltsam die Augen zu verschließen. Nach meiner Über- zeugung ist die Auseinandersetzung mit der Bibelkritik ohne inner- lich unwahre apologetische Tendenz gegenwärtig die eigentliche

Erwiderungen. 119

Lebensfrage für das Judentum. Auch über mangelnde »Ehrfurcht« zu jammern, hat keinen Zweck. Die Wissenschaft hat die Wahrheit zu ermitteln, nichts anderes. Wem dies schmerzlich ist oder pietätslos erscheint, der tut freilich besser, davonzubleiben. Immerhin sei aber bemerkt, daß die despektirlichen Redensarten von dem »Elaborat eines an Zahlensucht leidenden Skribenten, dessen mathematische Kenntnisse das Niveau eines Volksschülers nicht überschritten haben«, nicht bei mir zu finden sind, sondern nur in dem Referat des Herrn jampel.

Daß meine und meiner Vorgänger Untersuchungen mit den kabbalistischen Zahlen- und Buchstabenspielereien alter und neuester Zeit nichts zu tun haben, brauche ich wohl kaum zu sagen. (Ein höchst ergötzliches Beispiel hat neuestens Steuernagel ZAW. 1910, p. 10 f. geliefert). B. Jacob.

Darauf antwortet Herr S. Jampel:

Die Überschrift : »Neueste exegetische Methoden« wollte nur die verschiedenen Literaturerzeugnisse, die besprochen werden sollten, unter einen möglichst passenden Hut bringen. Da mit Ausnahme des Herrn Jacob die c. anderthalb tausend Leser keinen Anstoß daran genommen haben, so beweist sein vereinzelter Widerspruch, daß im allgemeinen das Richtige getroffen war. Auf ihn und seine Arbeit bezieht sich übrigens was er sorgfältig ver- schweigt — die Sonderüberschrift : »Die arithmetische Me- thode« und da er gegen diese nichts einwendet, so ist sie offenbar mit der gewählten Bezeichnung richtig charakterisiert.

Auf seine weiteren Ausführungen einzugehen, erübrigt sich umsomehr, als alles, was er hier sagt, bereits in seinen Büchern steht under nicht das mindeste Neue beibringt. Über die Anschauungen, die er mir im ersten Teil seiner Entgegnung zuschreibt, habe ich mich noch nie in der Öffentlichkeit geäußert. Alle seine Geschosse fliegen demnach einfach über mein armes Haupt hinweg. Was aber ich über seine Darlegungen kritisch gesagt habe, kann ich Stück für Stück be- weisen. Ich habe u. a. gesagt, daß die »von ihm nachgewiesenen Zahlen nicht immer ohne weiteres stimmen«. Man liest z. B. bei ihm Pentateuch, S. 17 : »*|ffl mit folgender Jahreszahl« findet sich nur an vier Bibelstellen. Es steht aber an fünfen, vgl. II, Kö. 14, 17. Mit i Bruchteilen von Jahren zu rechnen«, meint er S. 18, »kann nicht die Absicht [der Bibel] sein«. Vgl. aber Ri. 19, 2. 20, 47. I. Sa. 27, 7. IL Sa. 2, 11. 5, 5. 6, 11. 24, 8. I. Kö. 11, 16. IL Kö. 15, 8. 23, 31. 24, 8. I. Chr. 3, 4. 13, 14. 21, 12. IL Chr. 36, 2. 9. Rechnet

120 Erwiderungen.

also die Bibel wirklich nicht mit Bruchteilen von Jahren? S. 40 f wird uns gesagt, daß der Aufenthalt der Israeliten in Ägypten 215 Jahre gedauert habe und S. 42 wird bewiesen, daß er 216 Jahre gedauert haben müsse. So könnte ich fast Seite für Seite seines Buches durchsehen, wenn die Redaktion es mir im Rahmen dieser Erwiderung gestattete.

Nur noch Zweierlei. Erstens : die Ehre der Vaterschaft an dem »an Zahlensucht leidenden Skribenten, dessen mathematische Kennt- nisse das Niveau eines Volksschülers nicht überragen,« muß ich ent- schieden ablehnen. Es ist gar nicht meine Art, so zu schreiben. Die Wendung ist vielmehr, wie ich genau weiß, eine Lesefrucht aus den Büchern des Herrn Jacob. Zwar kann ich das Zitat im Augenblick nach Seite und Zeile nicht nachweisen. Wenn ich aber wieder einmal Ge- legenheit habe, zu den Lesern dieser Zeitschrift zu reden, will ich das Versäumte nachholen. Ferner: dem Versuch, mich mit Autoritäten tot zu schlagen, muß ich entgegen treten. Autoritäten gelten mir so gut wie nichts. Nur zwei Instanzen erkenne ich rückhaltslos an : die Ur- kunden, die mir vorliegen, und den gesunden Menschenverstand, mit dem sie zu prüfen und zu beurteilen sind. Wenn es Herrn Jacob eine Qenugtuung bereitet, daß der und jener große Mann vor und mit ihm denselben Irrweg eingeschlagen hat, so gönne ich ihm gern diesen mildernden Umstand, den er für sich geltend macht.

Einig sind wir in dem Bestreben, unbefangen die Wahrheit zu ermitteln. Aber seinen Weg mache ich nicht mit. »Zahlen haben etwas Dämonisches« sagt er a. a. O. S. 23. Dämonischem nachzugehen, ist nicht meine Passion, und ich glaube, daß die Gelehrten mir Recht geben werden. S. Jampel.

■k

I.

Achter Jahresbericht der Gesellschaft zur Förderang Wissenschaft des Judentums.

der

Auf das abgelaufene Geschäftsjahr 1909/10 darf die Gesellschaft mitrgleicher Befriedigung wie auf die Vorjahre zurückblicken. Sie ist in; demselben den in den Vorjahren erfolgreich beschrittenen Weg weitergegangen.

In der Generalversammlung der Gesellschaft am 29. Dezember 1909 wurde der bisherige Ausschuß, in der konstituierenden Sitzung des Ausschusses der bisherige Vorstand, i* den außerdem anstelle des verstorbenen Herrn Dr. Gustav Karpeles Herr Rabbiner Dr. Bloch- Posen als Schriftführer eintrat, wiedergewählt.

An neuen Mitgliedern haben wir im Berichtsjahre abermals über 100 gewonnen. Da wir aber gerade in diesem Jahre mehr als sonst Mitglieder durch den Tod verloren haben, so ist im Endresultat die Anzahl unserer Mitglieder nur von 1209 auf 1278 gestiegen; außerdem stieg die Zahl der immerwährenden Mitglieder von 31 auf 33. Ihre Verteilung auf die einzelnen Länder veranschaulicht folgende Tabelle:

Ortschaften

Immerw. j Zahl. Mitglieder

Deutschland ....

227

25

962

Österreich-Ungarn .

71

3

199

Vereinigte Staaten v.

Nordamerika und

Canada

18

33

Rußland . .

5

13

Niederlande

5

7

Schweiz .

.

4

13

Italien . . .

.

4

4

Schweden

3

3

England .

2

24

Belgien .

2

3

1

Dänemark

1

7

Frankreich

1

1

5

122

Protokolle.

Ortschaften lmm,"rw- Zahl Mitglieder

Rumänien. Transvaal . Bulgarien . Luxemburg Türkei . . Indien . .

1

1

1

1

2

1

1

. .

1

1

1

1

1

1

33

1278

Unsere Einnahmen betrugen 43,912*23 M gegenüber Ausgaben in Höhe von 32,47380 M. Die Einnahmen aus den jährlichen Mit- gliederbeiträgen weisen infolge der dankenswerten Beitragserhöhung verschiedener Oemeinden und Körperschaften und entsprechend dem Zuwachs an Mitgliedern einen Mehrbetrag von 170845 M gegenüber dem Vorjahre auf. Ferner haben wir besondere Zuwendungen in Höhe von 14,000 M für das Corpus Tannaiticum zu verzeichnen, welche wir dem von dem unterzeichneten erstem Vorsitzenden ge- weckten Interesse der Frau Marie Errera-Brüssel und der Herren Baron Edmund von Rothschild-Paris und Generalkonsul Franz Phi- lippson-Brüssel verdanken. Aus diesen 14,000 M sind bereits in diesem Jahre die Ausgaben für das Corpus Tannaiticum gedeckt worden, während aus dem Restbetrag von 9769*73 M ein besonderer Fonds für dieses Unternehmen gebildet wird. Infolge dieser Entlastung unserer Kasse schließen wir nur mit einem Fehlbetrag von 150140 M gegenüber 1668-70 M im Vorjahre ab, obwohl die Ausgaben für die Herausgabe unserer Werke gerade im Berichtsjahre eine nicht unbe- trächtliche Höhe erreicht haben.

Wie in den Vorjahren erhielten unsere Mitglieder auch in diesem Jahre die »Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums« und das »Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur«, Jahrgang 1910, sowie auf Wunsch den II. Band der Gesammelten Schriften von D. Kaufmann, herausg. von M. Brann und die Mittei- lungen des Gesamtarchivs der deutschen Juden, herausg. von E. T ä u b 1 e r. Ferner haben wir wie früher unsern Mitgliedern den Bezug einer größeren Anzahl von Büchern und Zeit- schriften zu ermäßigten Preisen vermittelt.

Ausser der Monatsschrift 1910 gab die Gesellschaft heraus:

1. S. Krauß, Talmudische Archäologie, Bd. I (Bd. 6 des Grundrisses der Gesamtwissenschaft des Judentums).

Protokolle. 123

2. H. Stcinthal, Über Jnden und Judentum, hrsg. von O. Karpeles, 2. Aufl. hrsg. von N. M. Nathan.

3. J. Rösel, Die Reichssteuern der deutschen J ude n g em e i nd e n von ihren Anfängen bis zur Mitte des XIV. Jahrhunderts.

Mit Subvention der Gesellschaft sind erschienen: Abraham benlsaak, Sefer ha-Eschkol, hrsg. von

Seh. A 1 b e c k, Lieferung 1. A.Ackermann, Münzmeister Lippold. E. Ben Jehuda, Thesaurus des gesamten hebrä- ischen Sprachschatzes, Bd. II, Lieferung 1 10. M. Quttmann, Talmudische Realenzyklopädie,

Heft 7. R. Jona Gerund i, Kommentar zu den Sprüchen,

hrsg. von A. Löwenthal. Menachen ben Salomo Meiri, Magen Aboth,

24 talmudische Abhandlungen, hrsg. von L. Last. In den ersten Monaten des nächsten Jahres werden der zweite Band der Talmudischen Archäologie von S. Krauß, ferner die von der Gesellschaft mit reichen Mitteln subventionierte arabische Ausgabe der Herzenspflichten von Bachja von A. Yahuda erscheinen; sodann wird auch der dritte Band der Neuesten Ge- schichte des jüdischen Volkes von M. Philippson im Laufe des nächsten Jahres dem Druck übergeben werden können. Von dem ersten Bande des letztgenannten Werkes ist eine von J. Schermann-Odessa veranstaltete, mit einem Vorwort des Ver- fassers versehene, russische Ausgabe erschienen; der zweite Band befindet sich unter der Presse.

Die »Monatsschrift für Geschichte und Wissen- schaft des Judentums« hat den verschiedenen Gebieten un- serer Wissenschaft eine möglichst gleichmäßige Pflege zuteil werden lassen. Die Aufsätze behandeln Gegenstände aus dem Bereiche der Bibelwissenschaft, der Traditionsliteratur, der Geschichte und Litera- turgeschichte. Auch den hebräischen Sprachstudien und der Ent- wicklung der exegetischen und religionsphilosophischen Literatur sind einige Beiträge gewidmet. Wenn dabei größtenteils die Ge- schichte des Mittelalters und der Neuzeit berücksichtigt worden ist, so liegt das an der bereits mehrfach hervorgehobenen Tatsache, daß noch immer die Arbeitsfreudigkeit der jüdischen Gelehrten sich diesem weit ausgedehnten Felde gern zuwendet. Die Rundschau über einzelne Sondergebiete ist in diesem Jahre fortgesetzt worden.

Daneben wurden, wie es seit einigen Jahren üblich ist, Auf-

124 Protokolle.

sätze veröffentlicht, welche geeignet sind, das Interesse weilerer ge- bildeter Kreise unserer Gemeinschaft zu erwecken. Wenn die mate- riellen Mittel der Gesellschaft es ermöglichten, den Umfang unserer Zeitschrift zu erweitern, so würde nach dieser Richtung hin noch mehr geboten werden können; denn das Angebot geeigneter Ab- handlungen ist fortdauernd in diesem Bereich fast ebenso groß, wie auf dem Gebiete der strengen Wissenschaft. Die wichtigsten neu erschienenen Bücher sind nach Gebühr gründlich und unparteiisch besprochen worden. Die bibliographische Übersicht über die litera- rische Produktion des vorigen Jahres ist in der bisherigen Weise fortgesetzt worden.

Die Kommission für die Germania j u d a i c a hat ihre Vor- arbeiten für Band I beendigt und acht Probeartikel der Öffentlichkeit vorgelegt. Zahlreiche Gelehrte haben sich datüber geäußert und waren, abgesehen von unwesentlichen Ausstellungen, mit Form, Umfang und Inhalt durchaus einverstanden.

Inzwischen haben die Herren Mitarbeiter die Fertigstellung ihrer Beiträge derartig gefördert, daß im Laufe des Jahres 1911 mit dem Druck des ersten Bandes wird begonnen werden können. Zu- gleich ist mit der Anlegung der Orts- und Personen-Verzeichnisse ür Band II der Anfang gemacht worden1).

Die Arbeiten an dem Corpus Tannalticum schreiten fort. Die Sammlung der agadischen Baraithas ist fast zum Abschluß gelangt. Mit der Drucklegung dieser Sammlung wird demnächst be- gonnen werden können. Auch die Bearbeitung der Toseftaausgabe nimmt einen guten Fortgang. Von der geplanten Mischnaaus- gabe mit sich anschließender Baraitha-Sammlung ist ein Probebogen an hervorragende Fachgelehrte des In- und Auslandes versandt worden. Es sind bereits zahlreiche Gutachten eingegangen, die zum Teil sehr schätzenswertes Material enthalten, das bei der endgiltigen Gestaltung dieses bedeutsamen Werkes gebührende Berücksichtigung finden wird. Der verehrten Herren, die unserer Bitte, uns bei diesem Unternehmen mit ihrem Rate beizustehen, so bereitwillig nachge- kommen, sei hiermit der verbindlichste Dank ausgesprochen.1)

Der Ausschuß bewilligte in seinen Sitzungen vom 29. Dezember

i) Wir lassen hier die Namen der an den Arbeiten für die «Germania judalca« beteiligten Herren folgen; es sind dies die Herren Dir. B rann-Breslau, Freimann Frankfurt a. M., Frei ma n n- Holleschau, Gins barger- Sulz l. E., Kober-Wies- baden, Lewinsky- Hildesheim, Löwenst ein-Mosbach. Salf eld- Mainz, Tyko- cin sky- Berlin.

») An den Arbeiten für das >Corpus Tannaiticum« sind beteiligt die Herren Drr. Baneth -Berlin, Berdyczewski-Breslau, Horo vitz-Breslau, Judele witsch- Berlin, Nagelberg-Triesch, Rosenberg-Ancona.

Protokolle. 125

1909 und 30. Juni 1910 Subventionen: 1. Herrn AI b e ck- Warschau für seine Edition des H a e s c h k o 1. 2. Herrn Ben Jehud a-Jeru- salem für die Fortsetzung seines Thesaurus der hebräisch ea Sprache. 3. Herrn B ri sk-Jerusalem für seine Edition von Grab- inschriften in Jerusalem. 4. Herrn J a w i t z-Berlin für die Fortsetzung seiner Geschichte Israels. 5. Herrn Last- Ramsgate für Meiris Magen Aboth. 6. Herrn Rabk Dr. T h e o d o r-Bojanowo für die Fortsetzung seiner Ausgabe des öreschit rabba. 7. Herrn Dr. T h o m s e n-Dresden für den zweiten Band seiner Bibliographie der Palästinaliteratur. 8. Herrn Privatdozent Dr. Falk-Genf für seine Ausgabe der Bücher Samuelis in deutschen N i b el u n ge n s t r o p h e n des 15. Jahrhunderts. 9. Herrn F r i e d b e r g- Frankfurt a. M. für seine Bibliographie der hebräischen Literatur.

10. Herrn L a m m-Berlin für das Michaeli s'sche Werk über die Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen.

1 1. Herrn Dr. L ö w e n t h a 1-Hamburg für den Kommentar des JonaGerundi zudenSpüchen. 12. Dem Gesamt- archiv derdeutschenjudenfür seine Mitteilungen. 13. Dem Verband für Statistik der Juden. 14. Dem Verein Mekize Nirdamim für ihre Veröffentlichunge

1 5. Dem Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens für die Festschrift zur Säku- larfeier der preußischen Judenemanzipation.

Aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Geburtstages des Rabbiners Dr. Ludwig P h i 1 i p p s o n am 28. Dezember 1911 veranstalten dessen Söhne eine Ausgabe ausgewählter Aufsätze ihres Vaters. Wir sind schon jetzt in der Lage, unsern Mitgliedern mitteilen zu können, daß ihnen dieses Werk Ende 1911 kostenlos zugehen wird.

Für das neue Geschäftsjahr stellen wir insern Mitgliedern dieselben Werke, die wir im letzten Jahresbericht, S. 3, vgl. Monats- schrift 1910, S. 123, angezeigt haben, zu ermäßigten Preisen zur Ver- fügung. Auch weisen wir hin auf das von A. Hyman-London, E, 3a Tenter St. North, Goodmansfields mit Unterstützung englischer Ge- sellschaften herausgegebene Werk Toledot Tannaim we-Amoraim, welches Werk vom Verfasser zum Preise von 12,25 M. zu beziehen ist.

Die Einziehung der Jahresbeiträge erfolgt in den in der Mit- gliederliste mit einem * versehenen Orten durch die dort an erster Stelle genannten Vertrauensleute ; von denjenigen Einzelmitgliedern, die ihren Beitrag bis zum 28. Februar 1911 nicht an unseren Schatz- meister, Herrn Paul Veit Simon, Berlin W. 56, Hinter der katholischen Kirche 1, Postscheckkonto Berlin 7030, abgeführt haben, werden wir

126 Protokolle.

diesen nach vorheriger Mitteilung durch die Post einziehen. Wir bitten unsere verehrten Mitglieder dringend, uns in der Einziehung der Beiträge freundlichst unterstützen zu wollen, da nur der Eingang der Beiträge den Bestand und die Arbeit der Gesellschaft zu gewähr- leisten vermag. Ebenso bitten wir wiederholt um sofortige Mitteilung von Wohnungsänderungen an unsern stellvertretenden Schriftführer Herrn Dr. N. M. Nathan, Berlin N. 24, Artilleriestr. 9, an den auch Beitrittserklärungen zu richten sind.

Zum Schlüsse danken wir unseren Mitgliedern und Vertrauens- leuten, die wie in den früheren so auch in dem abgelaufenen Geschäfts- jahre unserer Gesellschaft ihr Interesse bekundet und ihr neue Mit- glieder zugeführt haben. Möge es auch in dem neuen Geschäftsjahre so bleiben, zum Besten unserer Arbeit und zum Wohle unserer Glaubensgemeinschaft.

Berlin, im Dezember 1910.

Philippson. Guttmann. Bloch.

II.

Protokoll über die Sitzung des Ausschusses der Gesellschaft zur

Förderung der Wissenschaft des Judentums

am Diensiag, den 27. Dezember 1910, im Büro des D. J. G. B., Berlin W., Steglitzerstraße 85 I., vormittags 10 Uhr.

Anwesend die Herren: Baneth, Bloch, Brann, Cohen, El- bogen, Guttmann, Lucas, Maybaum, Philippson, Porges, P. V. Simon, Simonsen, Weiße und Nathan als stellvertretender Schriftführer.

Entschuldigt die Herren: Adler, Blau, Cohn, Schwarz, Steckelmacher, Vogelstein, Werner.

Der Vorsitzende Philippson eröffnet die Sitzung um lO1/* Uhr und verweist auf den gedruckt vorliegenden Jahresbericht. Im An- schluß daran werden die Anträge Guttmann, die Druckkosten einer populären Biographie Philippsons, die aus Anlaß seines hun- dertsten Geburtstages am 28. Dezember 1911 erscheinen wird, zu übernehmen, und Cohen, die Winterausschußsitzung und die Gene- ralversammlung der Gesellschaft 1911 am 23. Dezember dieses Jahres abzuhalten und den Vortrag der G.-V. Ludwig Philippson zu widmen, angenommen.

In Sachen des C. T. erstattet Guttmann über den Stand der Mischnaharbeiten und über die zum Probebogen der Mischnah- ausgabe eingegangenen Urteileinsbesondere Baneth Bericht. Es wird beschlossen:

Protokolle. 127

1. der Mischnahausgabe nur eine Rezension zugrunde zulegen, mit der Einschränkung, daß an denjenigen Stellen, an denen die bei- den Mischnahtexte sehr wesentlich differieren, ausnahmsweise beide Texte nebeneinander gestellt werden,

2. einen neuen Probebogen für die Mischnahausgabe herauszugeben,

3. die Tosefta in einzelnen Heften zu publizieren und zwar unab- hängig vom Erscheinen der Mischnah,

3. die Mehrkosten der Bücheranschaffungen für die Bearbeitung der Tosefta nachträglich zu bewilligen.

Beim Berichte Branns über die G. J. werden Herrn Dr. Tykocinsky seine jährliche Remuneration erhöht und Herrn Dr. Löwen- stein-Mosbach eine Reisesubvention für das von ihm beabsichtigte Corpus approbationum bewilligt. Zur Vorbereitung des II. Bandes der G. J. wird eine aus den Herren Brann, Freimann, Geiger, Lucas, Porges bestehende Kommission eingesetzt, welche mit dem Vorstand des Gesamtarchivs der deutschen Juden bebufs gemeinsamer Ausar- beitung eines Urkundenkatalogs für die Geschichte der d. J. in Ver- bindung treten soll.

Zum Maimonideswerk berichtet Guttmann, daß der II. Band in der ersten Hälfte des Jahres 1911 druckfertig vorliegen wird.

Der Ausschuß votiert den Herren Baneth, Brann, Frei- mann, Guttmann den herzlichsten Dank für ihre Arbeiten.

Subventionen werden bewilligt den Herren: Alb ek- Warschau für seine Eschkolausgabe, Bamberger-Wandsbeck ein einmaliger Betrag für seine Grabsteinforschungen auf Fehmarn, Klein-Dolmjar für seine Studienreisen nach Palästina, Theodor-Bojanowo für seine Ausgabe des Bereschit Rabba, H eppner-Koschmin für seine Arbeit über die Juden und die jüdischen Gemeinden in der Pr. Posen.

Die übrigen Gesuche werden abgelehnt.

Der Vorsitzende lädt die Anwesenden zur Eröffnungsfeier des Gesamtarchivs d. d. J. ein.

Die Anwesenden erheben sich zu Ehren des verstorbenen, um die jüdische Allgemeinheit verdienten Dr. Hirsch Hildesheimer von ihren Sitzen.

Schluß 1»/, Uhr.

Philippson. Nathan.

128 Protokolle.

III.

Protokoll über die Generalversammlung der Gesellschaft zur Fördering der Wissenschaft des Judentums

am Dienstag, den 27. Dezember 1910, abends 8 Uhr in der Aula der Knabenschule der jüdischen Gemeinde, Berlin N,GroßeHamburgerstr. 27.

Der Vorsitzende eröffnet die Generalversammlung und konsta- tiert, daß sie satzungsgemäß einberufen worden ist.

Nach Erstattung des Jahres- und Kassenberichtes wird dem Ausschuß und dem Schatzmeister die Entlastung erteilt. Der bisherige Ausschuß, desgleichen die bisherigen Revisoren werden durch Zuruf wieder gewählt.

Darauf hält Herr Doz. Dr. Horovitz-Breslau seinen Vortrag über die Stellung des Aristoteles bei den Juden des Mittelalters, der von der zahlreich anwesenden Hörerschaft mit Aufmerksamkeit und andauerndem Beifall entgegengenommen wird. Mit lebhaften Dankes- worten an den Vortragenden schließt der Vorsitzende die General- versammlung.

Schluß 9«/4 Uhr.

Philippson. Nathan.

IV.

Protokoll über die Sitzung des Aasschusses der Gesellschaft zur För- derung der Wissenschaft des Judeitums

am Dienstag, den 27. Dezember 1910, abends 9V4 Uhr, in der Aula der Knabenschule der jüdischen Gemeinde, Berlin N, GroßeHamburgerstr. 27.

Der neugewählte Ausschuß konstitutiert sich und wählt durch Zuruf den bisherigen Vorstand wieder.

Die Fachkommissionen werden bestätigt.

Schluß 97« Uhr.

Philippson. Nathan.

*

Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift ist untersagt.

Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. BRAN'N in Breslau.

Druck von Adolf Alkalay & Sohn in Preßburg.

Kürzen and Längen in der Bibel.

Von M. Güdemann.

»Der Hauptreiz jeder Rede ist die Kürze, Dient auch der schlechtesten zur Würze, Doch selbst die beste, wenn zu lang, Macht ihrem Hörer angst und bang.«-

Diese Verse entstammen nicht der Feder eines Dichters was man ihnen auch wohl ansieht. Wenn ich sie dennoch an die Spitze meiner Untersuchung stelle, so geschieht es deshalb, weil ich selbst sie gemacht, oder, wenn man will, verbrochen habe. Dies kam so. Seit einem halben Jahr- hundert habe ich berufsmäßig öffentlich zu reden, genauer gesagt, zu predigen. Die Erfahrungen, die ich während dieses langen Zeitraumes zu sammeln Gelegenheit hatte, haben in mir die Erkenntnis gezeitigt, daß die meisten Menschen ihr Urteil über eine Rede hauptsächlich nach deren Kürze oder Länge bestimmen. Wie oft hört man von einer Rede sagen : »Sie war gut, aber zu lang!« Hier wird das anfängliche Lob durch den nachfolgenden Tadel in Schatten gestellt. Da ist vielleicht das andere Urteil vor- zuziehen, das von einer Rede besagt : »Sie war zwar nicht gut, aber kurz.« Hier klingt der anfängliche Ta- del in ein Lob aus, das ihm seine Schärfe raubt. So viel hängt bei Beurteilung einer Rede von ihrer Kürze oder Länge ab. Dieser durch lange Erfahrung gereiften Erkennt- nis habe ich gelegentlich in den angeführten Versen Aus- druck gegeben. Sie sind der Niederschlag wieder und wie- der gemachter Wahrnehmungen. Auf einen höheren Wert machen sie keinen Anspruch.

Auch die rhetorische Entwicklung vollzieht sich an

Q

Monatsschrift 55. Jahrgang.

130 Kürzen und Längen in der Bibel.

der Hand dieser Erfahrung. Der angehende Redner weiß zuerst keinen Anfang und nachher kein Ende zu finden. Zuerst ist er gleich fertig mit seiner Rede, dann gerät sie zu kurz, später kann er nicht fertig werden, dann wird sie zu lang. Erst fortgesetzte Übung ergibt das richtige Längen- maß. Stimmen dann Form und Inhalt überein, dann lautet das Urteil : kurz und gut. Das ist das beste, was man von einer Rede sagen kann, aber es ist bemerkenswert, daß dieses höchste Lob einer Rede von ihr rühmt, daß sie kurz ist, noch bevor sie hervorhebt, daß sie gut ist. Es kommt also immer wieder auf die Kürze an.

Aber nicht bloß der Redner, sondern auch der Schrift- steller hat sich an dieses Urteil zu halten. Der Leser will ebensowenig wie der Hörer gelangweilt sein, sondern will Kurzweil haben. Diese Ausdrücke entsprechen den Empfin- dungen, die durch die Länge oder Kürze der Darstellung hervorgerufen werden, woraus folgt, daß der Autor die Länge vermeiden und der Kürze sich befleißigen muß. Letztere ist unter allen Umständen von Vorteil. Ist die Darstellung gut, so steigert die Kürze den Erfolg, den die Länge nur abschwächen kann. Ist sie aber nicht gut und dabei lang, so setzt sich der Autor dem zweifachen Tadel aus, daß man ihm »der langen Rede kurzen Sinn« zum Vorwurf macht.

Länge und Kürze sind jedoch relative Begriffe. Lang ist, was langweilt, und kurz, was Kurzweil schafft. Deshalb kann die Länge kurz und die Kürze lang erscheinen. Länge und Kürze sind demnach künstlerische Kriterien von der größten Bedeutung, denn nur ein Künstler weiß mit beiden umzugehen und sie je an ihrem Orte wirksam zu ver- wenden. Dies ist einer von den Vorzügen des an Vorzügen so reichen biblischen Stils. Insbesondre erteilt die Tora hierüber eine so eingehende und umfassende Belehrung, wie man sie schwerlich aus irgend einem anderen klassischen Buche schöpfen kann. Unsere alten Lehrer haben bereits

Kürzen und Längen in der Bibel. 131

die auf der gründlichsten Kenntnis der biblischen Diktion beruhende Behauptung ausgesprochen : »Die Worte der Tora sind stellenweise dürftig und stellenweise reichlich« (Jer. Rosch ha-Sch. III, 5), was soviel sagen will wie : die Tora weist bald Kürzen, bald Längen auf; natürlich beab- sichtigte, einen künstlerischen Zweck verfolgende. Eine zusammenfassende Prüfung wird diese Voraussetzung bestätigen und einen Beitrag zur Würdigung der großen Kunst des biblischen Stils, insbesondere der biblischen Erzählungskunst, ergeben. Aber das ist keineswegs das einzige Ergebnis. Ist man erst einmal auf das Geheimnis der Anwendung von Kürzen und Längen gekommen, so wird man erkennen, daß ihre Bedeutung weit über das ästhetische Gebiet hinausgeht, daß sie vielmehr auch in exegetischer und selbst bibelkritischer Hinsicht aufschluß- reicher sind, als viele andere Hilfsmittel, die das gewöhn- liche kritische Rüstzeug ausmachen. Dies soll in der nach- stehenden Untersuchung, in der zuerst die Kürzen, sodann die Längen in einer, wenn auch auf Vollständigkeit keinen Anspruch machenden Sammlung vereinigt sind, nachgewiesen werden.

I. Von prägnantester Kürze ist gleich der Zuruf Gottes an Adam: *Wo bist du?« (I. B. M. 3, 9), womit die lange Verlegenheitsantwort Adams : »Deine Stimme hörte ich im Garten und fürchtete mich, weil ich nackt bin, und ver- steckte mich* (das. das. 10) in charakteristischem Kontrast steht. Die Antwort, die Rebekka auf die Frage der Ihrigen : »Willst du mit diesem Manne gehn (I. B. M. 24, 58) erteilt: »Ich will gehn« (wofür im Hebräischen nur ein Wort steht) ist ebenfalls durch ihre die Entschlossen- heit ausdrückende Kürze bezeichnend. V/ie die Tora mit einem Zuge, in wenigen Worten, einen ganzen Situations- bericht liefert, ersieht man aus den sprichwörtlich gewor- denen Worten Jakobs, die er an Laban richtete : »Ich will

132 Kürzen und Längen in der Bibel.

dir sieben Jahre dienen um Rahel, deine jüngere Tochter« (I. B. M. 29, 18). Ein Muster von Kürze und Deutlichkeit. Den Gegenzug bilden die Worte Labans, womit er Jakob nachträglich auch Rahel zu geben verspricht »um den Dienst, den du bei mir dienen wirst noch andere sieben Jahre« (das. das. 27). Hier ist die weitläufigere Genauigkeit in der Zeitbestimmung der Ausdruck des schlechten Ge- wissens. — Der kurze Vermerk »und siehe ein Traum!«, der nach dem zweitmaligen »da erwachte Pharao« (I. B. M. 41, 7), nicht aber nach dem erstmaligen (das. das. 4) sich findet, will sagen, wie RSBM z. St. ausführt, daß nun- mehr erst der ganze Traumvorgang Pharao zum Bewußt- sein gekommen ist, so zu sagen eine exegtische Note im Texte selbst. Unter den Gebeten ist wohl das denkbar kürzeste das Moses für seine Schwester: »Ach, Herr, heile sie doch (IV. B. M. 12, 13), worüber sich Berach. 34a sinnige Bemerkungen finden.

Diplomatischer Natur ist die kurze Bemerkung über Abraham bei seiner Verhandlung mit Efron über die Höhle

Machpela: »Und Abraham verstand « (I. B. M. 23, 16.)

Damit wird Abraham der Takt zugeschrieben, womit er herausfühlte, daß es Efron bei aller höflichen Abwehr des Geldes denn doch auf den vollen Kaufpreis ankam. Von feiner Diplomatie ist auch die kurze, aber inhaltreiche Bot- schaft der Gesandten Jakobs nach ihrer Rückkehr von Esau: »Wir sind gekommen zu deinem Bruder, zu Esau« (I. B. Mos. 32, 7). Mehr sagen sie nicht, aber das ist auch genug, denn nach dem Midrasch (s. Raschi) wollten die Gesandten damit zu Jakob sagen: »Du hast zwar gemeint, wir würden deinen Bruder finden, aber er benimmt sich gegen dich wie E s a u.« Daß dies der tatsächliche Sinn der kurzen Rede ist, beweist der Gebrauch des Wortes Bruder und die gleichzeitige Anführung seines Namens (wovon eins von beiden, zumal Jakob gegenüber, hätte unterbleiben können) neben der zweimaligen Anwendung

Kürzen and Längen in der Bibel. 133

der Präposition, wodurch jeder der beiden Ausdrücke sein besonderes Gewicht erhält. Überdies wird die Auffassung des Midrasch durch die Wortstellung, indem zuerst von dem Bruder und sodann von Esau die Rede ist, bestätigt. Endlich wäre, falls die Botschaft nicht in diesen Worten enthalten sein sollte, überhaupt keine vorhanden, was eine seitsame Erledigung des den Gesandten von Jakob erteilten Auftrages sein würde. Denn die weitere Auskunft, welche die Gesandten geben, »Und auch zieht er dir mit vier- hundert Mann entgegen,« gehört nicht mit zu der von Jakob erwarteten Botschaft über den Empfang der Ge- sandten bei Esau, vielmehr dient sie, besonders durch die im Druck hervorgehobenen Anschlußkonjunktionen, die sonst unbegründet wären, zur Illustration der in den ersten Worten enthaltenen Andeutung, die auch Jakob sofort ver- standen hat, wie aus dem unmittelbar folgenden Satz : »Und Jakob fürchtete sich sehr, und es ward ihm bange« klar hervorgeht. Es bleibt nur zu untersuchen, auf welche Weise die Gesandten sich über die Meinung Jakobs ver- gewissert hatten, daß sie einen brüderlich gesinnten Mann finden würden. Da eine Äußerung Jakobs über diesen Punkt nicht vorliegt, so müssen wir annehmen, daß die einleitenden Worte des Erzählers (das. das. 4). »Und Jakob sendete Boten vor sich her an Esau, seinen Bruder« im Sinne Jakobs und zwar so zu verstehen sind, daß Jakob den Gesandten andeuten wollte, sie gingen zwar zu Esau, würden aber in ihm den Bruder finden, worauf alsdann die Gesandten nach ihrer Rückkehr durch die Umkehrung der von Jakob gebrauchten Wortstellung in diplomatischer Weise ihm andeuten, was rund heraus zu sagen, sie aus Zartgefühl oder aus Rücksicht auf ihr Dienst- verhältnis abgehalten sein mochten, daß er sich getäuscht habe und daß sie zwar zu dem Bruder zu kommen gehofft, aber Esau angetroffen hätten. Hier wird also durch bloße Wortstellung ein Situationsbericht erstattet, der durch weit-

134 Kürzen und Längen in der Bibel.

läufige Ausführung nicht erschöpfender hätte sein können, und es ist dem feinen Spürsinn des Midrasch zu danken, daß wir über diesen Punkt, und damit über eine Eigenart des biblischen Stils Aufklärung erhalten. In diesem Sinne ist denn auch das nachfolgende Gebet Jakobs abgefaßt: »Rette mich von der Hand meines Bruders, von der Hand Esaus« (das. das. 12, vgl. Raschi). Jakob will sagen: er ist zwar mein Bruder, aber er benimmt sich gegen mich wie der Bösewicht Esau.

Daß der Erzähler den Namen Esau gleich bei der ersten Bekanntschaft, die wir mit seinem Träger machen, bereits als Typus, und zwar der Schlechtigkeit gebraucht, entspricht der biblischen Eigentümlichkeit kurzgefaßter, durch bloße Apposition oder auf ähnliche Weise bewirkter Charakteristik. So S2gt die Tora : »Die Männer der Stadt, die Männer von Sodom« (I. B. Mos. 19, 4). Hier ist Sodom bereits ein typischer Ausdruck (s. Raschi), wie Jes. 1, 10. In demselben Sinne ist der Satz zu verstehen : »Und Isak säte in diesem Lande und fand in diesem Jahre das Hundertfache, weil ihn Gott gesegnet hatte« (I. B. Mos. 26, \2). Das beide Male gebrauchte hinweisende Fürwort will sagen : Das Land war schlecht und das Jahr war schlecht, was den großen Erfolg umso bemerkenswerter macht (Raschi nach dem Midrasch). Ebenso heißt es : »Nachdem er geschlagen den Sichon, König des Emori, der in Hesbon wohnte, und den Og, König von Basan, der zu Asterot in Edrei wohnte« (V. B. Mos. 1, 4). Die näheren Angaben über die bereits mehrfach erwähnten Könige und ihre Residenzen wären überflüssig und sinnlos, wenn nicht in dem vorliegenden Zusammenhange damit ausgedrückt werden sollte, daß der Sieg über an sich gewaltige Könige, die noch dazu in gewaltigen Festungen saßen, erfochten wurde, was ihn umso bedeutungsvoller macht (Sifre und danach Raschi). Fügen wir dieser Rubrik noch die Schilderung Esaus und seines Verkaufs der Erst-

Kürzen and Längen in der Bibel. 135

geburt hinzu. »Und Esau und trank und stand auf und ging weg und verachtete (so) die Erstgeburt« (I. B. Mos. 25, 34). Eine Sturzwelle von durch die Polysyndese noch beschleunigten Schilderungsworten ergießt sich damit über das Haupt des im Hebräischen erst gegen Ende des Satzes genannten Esau, was einen wirksameren Eindruck machtr als eine lange Entrüstungsäußerung hervorzubringen ver- mocht hätte.

Wie die Tora in den obigen Beispielen auf kurzem Wege durch die bloße Wortstellung die beabsichtigte Wir- kung ausübt, so bedient sie sich zu demselben Zwecke der Umstellung von Sätzen und Satzteilen. Es wird wohl keinem zufällig erscheinen, wenn Moses den zwei Stämmen auf ihre Bitte : »Schafhürden möchten wir hier für unser Vieh bauen und Städte für unsre Kinder« (IV. B. Mos. 32, 16), die beiden Satzteile umstellend antwortet : »Baut euch Städte für eure Kinder und Hürden für eure Schafe« (das. das. 24). Moses gibt vielmehr auf diese Weise, wie Raschi (zu v. 16) ausführt, den Bittstellern zu verstehen, daß die Rücksicht auf die Kinder der auf das Vieh voran- geht. Dieser Wink wurde denn auch von ihnen, wie ihre Erwiderung (v. 26) beweist, verstanden, ebenso wie ein anderer, noch bedeutsamerer, von dem weiterhin die Rede sein wird.

In gleicher Weise wird in den Segensverheißungen des fünften Buches der Tora der Satz vorangestellt : »Ge- segnet sei deine Leibesfrucht« (V. B. Mos. 28, 4). Erst nachher folgt: »Gesegnet dein Korb und dein Trog« (das. das. 5). Diese Ordnung rechtfertigt sich durch sich selbst. Der an den Kindern sich bewährende Segen Gottes erscheint vor allem begehrenswert. Aber bei den Flüchen ist die Ordnung verkehrt. »Verflucht dein Korb und dein Trog, ver- flucht deine Leibesfrucht« (das. das. 17). Damit ist ausgedrückt, daß der Fluch schon in der Abstumpfung des Gefühles für die Kinder, abgesehen von deren Unglück an sich und

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seiner Rückwirkung auf die Eltern, zum Ausdruck kommt, so daß jede höhere Empfindung gegen den Hunger zurück- tritt. Nachmanides erblickt in der verschiedenen Anordnung der Reihenfolge eine andere Absicht, die mir aber dem Gedankengang weniger zu entsprechen scheint. Vielmehr zeigt die weitere Ausführung, in welcher der Vater und sogar die Mutter aus Hunger an ihren Kindern sich ver- greifen, daß der Zustand der Verwünschung mit der Ab- stumpfung jedes edlern Gefühls durch den Hunger beginnt und in dem Verzehren der eigenen Kinder seine höchste Steigerung erfährt.

Noch einmal in demselben Kapitel bedient sich die Tora dieses Verfahrens der Umstellung von Sätzen zur Hervorbringung starker rhetorischer und paränetischer Wirkung auf kürzestem Wege. Um diesen Punkt zu erläutern, muß vorausgeschickt werden, daß nach V. B. Mos. 20, 5 ff. im Kriegsfälle die Oberste vor der Schlacht folgende Ansprache an das Heer richten mußten : »Wer ist, der ein neues Haus gebaut, und hat es nicht eingeweiht, er gehe und kehre zurück in sein Haus, daß er nicht sterbe im Kriege und ein andrer Mann es einweihe. Und wer ist, der einen Weinberg ange- pflanzt und hat ihn nicht gelöst, er gehe und kehre zurück in sein Haus, daß er nicht sterbe im Kriege und ein andres' Mann ihn löse. Und wer ist, der sich eine Frau verlobt und hat sie nicht heimgeführt, er gehe und kehre zurück in sein Haus, daß er nicht sterbe im Kriege und ein anderer Mann sie heimführe.« In der Reihenfolge, deren die Tora bei Aufzählung der obigen Beurlaubungsgründe sich, wie vorauszusetzen ist, mit Absicht bedient, erblickt der Talmud (Sota 44a) aus eben diesem Grunde eine zu beherzigende Lebensregel, die dem Manne empfiehlt, bei Einrichtung seines Lebens dieselbe Reihenfolge einzuhalten, nämlich zuerst einen festen Wohnsitz zu gründen, sodann sich einen Erwerbszweig zu schaffen und erst nachher ein Weib zu nehmen. Also auch hier hätten wir in den angeführten

Kürzen u«d Längen in der Bibel. 137

Sätzen, abgesehen von der Bedeutung, die ihnen an und für sich im Hinblicke auf ihren bestimmten Zweck zukommt, einen bloß durch ihre Anordnung vermittelten guten Rat zu erblicken, dem der Talmud auf die Spur gekommen ist. Dies wird durch das Folgende bestätigt. Die Tora bezieht sich nämlich in den Flüchen auf dieselben Momente, jedoch in einer von der obigen ganz verschiedenen Ordnung und Ausführung. »Du wirst dir eine Frau verloben, aber ein anderer Mann wird sie heimführen, du wirst ein Haus bauen und nicht darin wohnen, einen Weinberg wirst du pflanzen und ihn nicht lösen« (V. B. Mos. 28, 30). Vergleicht man die obige ruhige, ebenmäßige und breite Behandlung der wichtigsten Lebensmomente mit den zuletzt angeführten, auf dieselben Akte sich beziehenden Fluchworten, so gewinnt man den Eindruck, als ob diese kurzatmigen, in einen einzigen Satz zusammengedrängten Verwünschungen vor lauter Ingrimm von dem Redner nur so herausgestoßen wären und alles kunterbunt durcheinander würfen. Die Nebeneinanderstellung rechtfertigt also die oben erwähnte Auffassung des Talmud, und Maimonides (Deot V, 11) hat ohne Zweifel Recht, wenn er, offenbar auf jener Auffassung fußend, bemerkt, daß der Fluch nicht bloß in den ausgespro- chenen Wirkungen, sondern schon in der Verkehrtheit der Lebensführung sich äußere, was eben von der Tora auch äußerlich durch die Umstellung der Satzglieder angedeutet werde, denn, sagt er, es sei schon ein Fluch für den Mann, wenn er, die vernünftige Lebensordnung umkehrend, zuerst heirate, dann ein Haus baue und zuletzt einen Erwerbszweig suche, oder, wenn dies mißlingt, der öffentlichen Wohltätig- keit zur Last falle. Maimonides gibt nämlich auffallender- weise, was natürlich von den Kommentatoren bereits be- merkt und zurechtzulegen versucht wird, an beiden Stellen eine andere Reihenfolge an, als in der Tora vorliegt, so zwar, daß er bei der Wiedergabe der an das Heer zu richtenden Ansprache des Weinbergs an erster, und bei dem

138 Kürzen und Längen in der Bibel.

Fluch an letzter Stelle gedenkt. Anzunehmen, daß Maimo- nides aus dem Gedächtnisse zitiert habe und daß ihm des- halb ein Versehen unterlaufen sei, wie es augenscheinlich im Moreh III, 40 bei der Schätzung der Fall ist, muß als unzulässig bezeichnet werden, da wir in diesem Fall ein zweimaliges Versehen voraussetzen müßten, was doch nicht angeht. Es scheint vielmehr, daß Absicht vorliegt und daß sich Maimonides erlaubt hat, die betreffenden Stellen durch Versetzung den Verhältnissen seiner Zeit, denen auch die heutigen entsprechen, anzupassen. Denn heute wird ein junger Mann, der eine vernünftige Lebensordnung befolgt, zuerst danach trachten, sich durch die Wahl seines Berufes eine Existenz zu gründen, im Sinne der Tora gesprochen einen Weinberg pflanzen, und die Hinausschiebung dieser Obliegenheit nach der Heirat würde sicherlich ein Fluch sein, während in einem seßhaften, ackerbautreibenden Volke, das die Tora im Auge hat, der Bau eines Hauses, wozu heute die meisten Menschen nicht das nötige Vermögen besitzen, viele auch keine Lust haben, den notwendigen und nicht eben kostspieligen Anfang der Selbständigkeit bildete. Dem sei jedoch, wie ihm wolle, so dokumentieren •die betreffenden Stellen der Tora ihre Kunst, einmal durch die bloße Reihenfolge von Sätzen lehrhaft zu wirken, sodann durch deren Umstellung einen wirksamen Kontrast hervor- zubringen, was sonach auf kürzestem Wege durchgeführt wird. Auf demselben Wege erfolgt eine Verschärfung der Strafrede im III. B. Mos. 26, 42 durch den Satz: »Ich werde gedenken meines Bundes mit Jakob und auch meines Bundes mit Isak und auch meines Bundes mit Abraham werde ich gedenken und des Landes werde ich gedenken.« Als Äußerung des Wohlwollens, wie die Fassung vermuten läßt, hat dieser Satz keinen Sinn, da ihm die schlimmsten Drohungen nicht bloß vorangehen, sondern auch unmittelbar folgen. Man muß also der geistreichen Erklärung des R. Jesaja Hurwitz (rv^tF z. St.) beistimmen,

Kürzen und Längen in der Bibel. 139

wonach der Sinn dieses Satzes ist, daß Gott durch die Erinnerung an die Erzväter usw. in noch heftigeren Zorn über das solcher Ahnen unwürdige Volk geraten werde. Dies weitläufiger auszuführen, wäre nur eine Abschwächung gewesen, daher die bloße Einschaltung dieses Gedenkens. In dieses Gebiet des Gebrauchs der Kürze als wirk- samen Darstellungsmittels gehört auch die Verschweigung. Sie ist natürlich die kürzeste, aber oft beredteste Ausdrucks- weise. Von einer Person oder Sache nicht sprechen, wo man eine Mitteilung darüber erwartet, sagt unter Um- ständen mehr, als die ausführlichste Rede. Man muß aber ein aufmerksamer Leser sein, um eine solche Verschweigung zu erkennen. Das waren wie kein anderer jemals die Lehrer des Midrasch und des Talmud, welche Werke, wie ich anderweitig ausgeführt und auch bereits in dieser Abhand- lung gezeigt habe, eine unerschöpfliche Fundgrube von Anleitungen und Winken darbieten, ohne welche die Bibel überhaupt nicht verstanden werden kann, wovon aber die christlichen Exegeten keine Notiz nehmen. So sagt Gott zu Moses: »Gehe du und d i e Ä 1 1 e s t e n Israels zu dem König von Mizraim und sprechet zu ihm usw.« (II. B. Mos. 3, 18.) Damit ergeht also an Moses die ausdrückliche Forderung, daß die Ältesten an seiner Seite vor Pharao erscheinen sollen. Es heißt auch weiter: »Und Moses ging und Aron und versammelten alle Ältesten der Kinder Israel« (das. 4, 29). Unmittelbar darauf aber sagt die Tora: »Und danach kamen Moses und Aron und sprachen zu Pharao« (das. 5, 1). Von der Anwesenheit der Ältesten schweigt die Tora. Drängt sich da nicht die Frage auf, die der Midrasch tatsächlich aufwirft: »Wo sind die Ältesten geblieben?« Es hätte die Tora nur ein Wort gekostet, um ihre Gegenwart bei der Audienz zu konstatieren! Man muß also mit dem Midrasch annehmen, daß sie sich, wie er sagt, einer nach dem anderen weggeschlichen hatten, welches Verschulden die Tora vornehm genug ist,

140 Kürzen und Längen in der Bibel.

bloß durch Verschweigen anzudeuten. Der Beredtsamkeit geschieht dennoch kein Abbruch. Diese Erklärung ist so menschlich wahr wie der Vorgang, den sie voraussetzt.

Ein anderes Beispiel dieser beredten Verschweigung findet sich in der Erzählung von Bileam. Gleich im Anfang derselben bemerkt die Tora, daß der König von Moab die Ältesten Midjans einlud, sich mit ihm gegen Israel zu ver- bünden (IV. B. Mos. 22, 4 ff.). Daraufhin begeben sich »die Ältesten Moabs und die Ältesten Midjans« gemeinschaftlich zu Bileam und überbringen ihm die Einladung des Königs von Moab, zu ihm zu kommen und Israel zu verfluchen. Bileam will aber erst die Entscheidung Gottes abwarten und lädt die Gesandten ein, bei ihm zu übernachten. Darauf heißt es wörtlich : »Da blieben die Fürsten von Moab bei Bileam.« Auch hier drängt sich die Frage auf, der denn auch der Talmud Ausdruck verleiht, wo denn die Gesandten von Midjan geblieben seien? Sie werden weder hier noch in dem weiteren Verlaufe der Begebenheit erwähnt. Man muß also mit dem Talmud (Sanh. 105 a) annehmen, daß die Ältesten Midjans von der Einladung Bileams, bei ihm zu übernachten, keinen Gebrauch machten und abreisten. Deshalb erwähnt die Tora bloß von den Fürsten Moabs, daß sie bei Bileam über Nacht blieben, und es beweist eine bemerkenswerte Schärfe der Auffassung seitens des Talmud, daß er aus dem Berichte der Tora die Abreise der Fürsten von Midjan richtig erkannt hat. Denn daß die Tora durch die Nichterwähnung oder Verschweigung ihres Verbleibens ihre Abreise andeuten will, ist zweifellos, da es sie ja nur ein Wort gekostet hätte, das Gegenteil zu konstatieren. Ob der Talmud weiterhin die Abreise der Midjaniten richtig motiviert, wenn er bemerkt, sie hätten sich angesichts der Erklärung Bileams, vorerst die Entscheidung Gottes anzu- rufen, gesagt: »Gibt es einen Vater (in diesem Falle Gott), der seinen Sohn (nämlich Israel) haßt und verfluchen läßt?«, mag dahingestellt bleiben. Das Motiv entspricht jedenfalls

Kürzen und Längen in der Bibel. 141

der Verschlagenheit Midjans, das von vornherein auf die ganze Verwünschungskampagne kein besonderes Vertrauen gesetzt haben mag und auf eine praktischere Art selbständig Israel eine sehr empfindliche Schlappe versetzte. Aber es entsteht die Frage, weshalb die Tora die Abreise der Ältesten von Midjan nicht ausdrücklich und unzweideutig mitteilt? Von Schonung oder stillschweigendem Tadel, wie bei den Ältesten Israels, kann doch hier keine Rede sein. Auf diese Frage erteilt der Talmud keine Antwort. Sie liegt aber in der Satyre, wodurch die ganze Erzählung ge- kennzeichnet wird und deren Zielscheibe hauptsächlich Bileam, aber auch Moab ist. Schon der Kriegsplan des letzteren, der auf einer bloßen Verwünschung aufgebaut ist, muß grotesk genannt werden. Das Sichbittenlassen Bileams macht die Situation Moabs noch lächerlicher. Wenn Midjan auch an der Einladung Bileams sich beteiligt, so läßt es sich doch auf das lange Antichambrieren bei ihm nicht ein, überläßt die Moabiter sich selbst, die dadurch ganz hilflos erscheinen, und zieht ab. Letzteres konnte die Tora aber nicht ausdrücklich heraus sagen, denn in diesem Falle wäre die Aufmerksamkeit des Lesers von Moab ab- gelenkt worden, was sie vermeiden will. Dashalb schweigt sie einfach von den Ältesten Midjans, was dem aufmerk- samen Leser genug sagt und sein Interesse an dem weiteren Schicksal des nun auf sich allein angewiesenen Moab nur steigern kann.

In diese Gattung der Darstellung durch teilweise Ver- schweigung gehört auch die Erzählung der Tora von Josef und seinen Brüdern. Hier erfahren wir von dem Jammer Josefs über die ihm zugefügte Unbill und von seinen flehentlichen, unerhörten Bitten nur durch eine reumütige Bemerkung der Brüder (I. B. Mos. 42, 21), die Tora selbst übergeht die Klagen und Bitten Josefs mit Stillschweigen. Dieser Umstand ist bereits Nachmanides aufgefallen. Aus dem Zusammenhange der vorliegenden Darstellung, die

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mehrere derartige Beispiele anführt, wird man die Über- zeugung gewinnen, daß auch in der Erzählung von Josef die Verschweigung seiner Leiden und Bitten auf Absicht beruht, was ich in meinem mehrfach gedruckten Vortrage »Wie sollen wir die Bibel lesen?« begründet und ausge- führt habe. Ich muß mich hier darauf beschränken, auf diesen Vortrag zu verweisen, um auf eine andere Art der Anwendung der Kürze aufmerksam zu machen.

Diese gehört zu den besonderen Feinheiten, ich möchte sagen zu den Delikatessen des biblischen Vortrages, deren Bekanntschaft wir gleichfalls dem Midrasch verdanken. Durch den Gebrauch eines gewissen Wortes in einem be- stimmten Satze, das in einem andern von ähnlicher Fassung weggelassen oder durch ein anderes ersetzt wird, also auf kürzestem Wege, werden kontrastierende Effekte von großer Wirkung erzielt. Nur stehen die betreffenden Sätze nicht immer nebeneinander, sondern sind durch mehr oder minder große Zwischenräume getrennt, und es gehört eine Fin- digkeit und Beherrschung des Toratextes dazu, wie sie nur den Lehrern des Midrasch eigen war, um das Ge- trennte zu vergleichen und aus der Vergleichung folgende Regel abzuleiten: Bei günstigen Zuständen nimmt die Tora auf Israel Bezug, bei ungünstigen abstrahiert sie von Israel und bedient sich einer allgemeinen Ausdrucksweise. Zur Bestätigung dieser Regel führt der Midrasch die folgenden Beispiele an:

1) Bei den Opfern heißt es: »Wenn einer von euch ein Opfer dem Ewigen darbringt usw.« (III. B. Mos. 1, 2).

Dagegen: »Wenn einer auf der Haut seines Fleisches

eine Geschwulst usw. bekommt« (das. 13, 2). Die Fassung beider Sätze ist dieselbe, obwohl sie durch zwölf Kapitel von einander getrennt sind, aber der erstere, der von Opfern, also einer frommen Verrichtung handelt, nimmt auf Israel Bezug, während der letztere, der sich mit einem Krankheitszustande beschäftigt, diese Beziehung vermeidet,

Kürzen und Längen in der Bibel. 143

indem er das betreffende Fürwort unterdrückt, was ich durch Einschaltung von Punkten an der betreffenden Stelle angedeutet habe. Es müßte mit merkwürdigen Dingen zu- gegangen sein, wenn in den gleich gefaßten, aber inhaltlich kontrastierenden Sätzen die Beziehung auf Israel (»von euch«) nicht mit Absicht das eine Mal gebraucht und das andere Mal unterdrückt sein sollte.

2) In dem Satze: »Es sei denn, daß unter dir kein Dürftiger ist« (V. B. Mos. 15, 2), also bei Voraussetzung eines günstigen Zustandes, gebraucht die Tora das Israel betreffende Beziehungswort, um wenige Verse nachher, bei ungünstiger Prophezeiung, zu sagen: »Denn nicht aufhören wird der Dürftige innerhalb des Landes« (das. v. 1 1), wo also die unmittelbare Beziehung auf Israel weggelassen und durch einen allgemein gehaltenen Ausdruck ersetzt wird.

3) Bei der Verkündigung des Segens und des Fluches bedient sich die Tora im ersteren Falle des Ausdruckes: »Diese sollen dastehen, um das Volk zu segnen« (das. 27, 12). Dagegen wird in dem unmittelbar folgenden Satze nicht gesagt: »Und diese sollen dastehen, um das Volk zu verfluchen«, sondern: »Und diese sollen dastehen wegen des Fluches «, so daß also, wie hier durch einge- schaltete Punkte angedeutet ist, die unmittelbare Beziehung- auf das Volk vermieden wird.

Die vorstehende, auf Vollständigkeit, wie gesagt, keinen Anspruch machende Übersicht zeigt dennoch an den aus den verschiedenen Büchern der Tora angezogenen Beispielen deren Einheitlichkeit im Gebrauch der Kürze. Zu- gleich erhalten wir daraus ein Bild von der Mannigfaltig- keit dieses Gebrauchs und seiner Zwecke. Wenn auch die Kürze ein Attribut jeder guten Darstellung ist, so verleiht doch ihre abwechslungsreiche Anwendung der Tora eine bestimmte Eigentümlichkeit, die auch in ihrem gesetzge- berischen Teile vorherrscht, und wie der agadische Mi-

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drasch, was an mehreren Beispielen gezeigt wurde, in den erzählenden und paränetischen Partien der Tora die feinen Beziehungen von kaum warnehmbaren Andeutungen und selbst Verschweigungen auf eine fast divinatorische Weise herauszufinden und bloßzulegen weiß, so verfährt der hala- chische Midrasch mit demselben wissenschaftlichen Geschick und Erfolg in dem gesetzlichen Teile. Um nur ein Beispiel aus diesem Gebiete anzuführen, so fehlen in dem Abschnitt über die »vier Hüter« (II. B. Mos. 22, 6 ff.) diejenigen ge- setzlichen Bestimmungen, auf die es hauptsächlich ankommt, nämlich daß es sich in der die Verse 6 9 umfassenden Verordnung um u nentgeltl ic h e Obhut, dagegen in den Versen 9 12 um bezahlte handelt eine Auslassung, die in keinem anderen Gesetzbuche der Welt vorkommen dürfte. Dennoch ist diese talmudische Feststellung un- zweifelhaft richtig, und man braucht sich dafür nicht ein- mal auf die Tradition zu berufen, sondern sie ergibt sich, wie RSBM und Nachmanides nachweisen, aus dem Kon- text von selbst. Man muß nur die Tora so zu lesen ver- stehen, wie sie gelesen sein will, was die alten Lehrer des Midrasch und der Halacha, die in ihr atmeten und lebten, weg hatten und worin ihnen kein anderer gleichkommt. Sie sind auch die besten Interpreten der hier behandelten Kürzen der Tora, deren Bedeutung aber erst recht nach dem Grundsatze : »contraria juxta composita magis elucescunt« durch Vergleichung mit den Längen hervortreten wird.

II. Es sind zweierlei Längen zu unterscheiden, subje- ktive und objektive. Die ersteren finden sich in den Ein- gängen feierlicher Ansprachen oder Gesänge und dienen dem Redner oder Sänger dazu, seine Persönlichkeit nicht bloß einzuführen, sondern auch geltend zu machen, wo- durch natürlich eine Länge entsteht, in welcher der Autor von sich selbst redet und die scheinbar ohne Schaden für

Kü/zen und Längen in der Bibel. 145

das Ganze wegbleiben könnte, in der man aber bei genü- gender Aufmerksamkeit das notwendige Piedestal erkennt, auf dem der Autor erst seinen Worten die rechte Schall- und Tragweite verleiht. Diese Betonung des Persönlich- keitsbewußtseins ist ausschließlich und durch- gängig in der Tora zu finden, ein Moment, das für die Bestimmung ihres Alters und ihres einheitlichen Charakters gewiß von der größten Wichtigkeit, aber niemals bemerkt und daher auch nicht in Anschlag gebracht worden ist. Im späteren Prophetismus fehlt diese Geltendmachung der eigenen Persönlichkeit gänzlich, der Prophet will gar nicht als solcher hervortreten, er ist nur der Träger und Ver- künder der göttlichen Botschaft, hinter welcher Aufgabe seine Person verschwindet. Dies ist schon in der üblichen Einführungsformel: »So spricht der Ewige« ausgedrückt. Um mich eines Vergleiches zu bedienen, so verschwindet bei Homer ebenso die Person des Dichters hinter der gleich anfangs angerufenen Muse oder Göttin. In den Psalmen wiederum ist zwar alles persönlich gefärbt, aber doch nur in der Art, wie sie das Gebet, der Gemütserguß, die aus dem eigenen Leben geschöpfte Betrachtung mit sich bringt, dagegen kann von einem Persönlichkeitsbewußtsein und von der Betonung der eigenen Persönlichkeit keine Rede sein, da hier vielmehr gerade das Gegenteil, die Erkenntnis von der Nichtigkeit des Menschen, das Charakteristische ist. Ich will zu bemerken nicht unterlassen, daß die Ver- fasser der Evangelien die Selbstbetonung des Vortragenden als das archaistische Moment in der Tora gut erkannt und zum Beispiel in der Bergpredigt »Ich aber sage euch« ge- schickt angewendet haben. Die Beweisstücke für das Ge- sagte sind die folgenden:

1. Zuerst der sogenannte Segen Jakobs (I. B. Mos. 49, 1. ff). Die Ansprache beginnt : »Versammelt euch und ich will euch verkünden, was euch begegnen wird in späten Zeiten. Tretet zusammen und höret, Söhne Jakobs, und

MonaUschrift, 55. Jahrgang.

146 Kürzen und Längen in der Bibel.

hört auf Israel, euren Vater !c Das ist eine subjektive Länge, für einen bloßen An- oder Aufruf, zu wortreich (man vgl. dagegen Richter 9, 7), aber sie erklärt sich als die Selbstbetonung des redenden Vaters, der ganz aus der eigenen Erfahrung dem Drange der Persönlichkeit folgend sich an seine Söhne wendet. Deshalb hat Abraham Ibn Esra Recht, wenn er den Titel des Segens für diese An- sprache ablehnt, weil in diesem Falle (abgesehen von dem seinerseits angeführten Grunde) eine derartige das Persön- liche ausbreitende Vorausschickung keinen Sinn hätte, wie sie auch bei dem wirklichen Segen Moses im Eingange (V. B. Mos. 33, 1) fehlt.

2. Dagegen ist sie umso mehr am Orte und macht sich auch umso bemerklicher in dem Sänge Moses' am Schilfmeer (II. B. Mos. 15, 1 ff.). Er beginnt: »Singen will ich dem Ewigen, denn mit Hoheit hat er sich erhoben, Roß und Reiter hat er geschleudert ins Meer. Mein Sieg und mein Sang ist Jah, er war meine Rettung, der ist meine Macht und ich will seine Schöne preisen, der Gott meines Vaters und ich will ihn erheben«. Diese Einleitung ist ganz persönlich gehalten, sie macht den Eindruck, als ob der Sänger das ganze Rettungswerk nur von seinem persönlichen Standpunkte betrachte. Er lebt so in den Dingen, daß die Dinge erst in ihm und durch ihn Leben zu gewinnen scheinen. So erblicken wir den Vorgang in dem Spiegel des Persönlichkeitsbewußtseins des großen Führers. Erst nach dieser subjektiv gehaltenen Einleitung beginnt die objektiv durchgeführte Schilderung des göttli- chen Rettungswerks.

In dieselbe Form gekleidet ist das Lied der Deborah (Richter 5). Zuerst die persönlich gehaltene, aber kürzer gefaßte Einleitung (v. 3) »Höret Könige, horchet auf Fürsten, dem Ewigen will ich singen, saitenspielen dem Ewigen, dem Gotte Israels« ; worauf dann die gegenständliche Schilderung einsetzt. Diese wird aber nicht, wie in dem

Kürzen und Längen in der Bibel. 147

Sänge Moses' ruhig durchgeführt, sondern wiederholt durch das persönliche Moment unterbrochen. »Bis .daß ich auf- stand, Debora, aufstand eine Mutter in Israel« (v. 7). »Sei •wach, wach, Debora, sei wach, wach, sing' ein Lied U (v. 12.) Durch diese Unterbrechung und Wiederholung wird das Persönlichkeitsbewußtsein bis zur Prätension und Überhebung gesteigert, woran man das Weib, die muliebris impotentia, erkennen kann, während das Maßvolle, Ruhige in dem Sänge Moses' auf männliche Urheberschaft zurück- führt. Das höhere Alter, das man gewöhnlich dem Lied der Deborah zuerkennt, dürfte schon aus diesem einzigen Grund vielmehr dem Gesang Moses' zuzusprechen sein.

3. Mit einer breit ausgeführten, das Persönlichkeits- bewußtsein stark betonenden Einleitung beginnt auch der Schwanengesang Moses' (V. B. Mos. 32, 1 ff). »Lauschet, ihr Himmel, und ich will reden, und es höre die Erde die Worte meines Mundes. Es träufle wie Regen meine Lehre, es fließe wie Tau meine Rede, wie Regenschauer aufs Grüne, und wie Güsse auf das Gras, denn den Namen des Ewigen rufe ich an, gebet unsrem Gott die Ehre Hierauf folgt, ohne Unterbrechung durch Hervorhebung der eigenen Persönlichkeit, die großartige Schilderung von der Selbst- bezeugung Gottes in Israel. Wenn die alten Lehrer zum Vergleiche mit den ersten Worten dieser Ansprache Moses den Anfang der ersten Rede Jesaja's heranziehen, so tun sie dies nur deshalb, um auf die verschiedene Beziehung des Hörens und Lauschens in den beiden Anfängen auf- merksam zu machen (bei Moses : Lauschet ihr Himmel, es höre die Erde, dagegen bei Jesaja : Höret ihr Himmel, und lausche, o Erde !) und diesen Umstand agadisch auszu- legen, aber die Person des Propheten tritt mit der Begrün- dung des Aufrufs : »denn der Ewige redet- sofort hinter diesen zurück. Nebenbei gesagt, läßt Homer (II. XV, 36) die Gemahlin des Zeus beim Schwur ebenfalls Himmel und Erde, freilich auch den Styx anrufen :

10*

148 Kürzen und Längen in der Bibe!.

:Nnn denn, so hör' es die Erde, so hör es der Himmel da droben,. Zeuge auch sei mir die stygische Flut, die zum Hades hinabstürzt.«

Was ich hier als Persönlichkeitsgefühl in den Eingängen der in der Tora befindlichen feierlichen Ansprachen und Gesänge bezeichnet und nachgewiesen habe, bedarf jedoch einer näheren Erläuterung, damit dieses Moment, worauf man heute immer gefaßt sein muß, nicht von Seiten der »unvoreingenommenen« christlichen Bibel-Kritik zum Nach- teil der Tora im Gegensatz zum Neuen Testamente aus- gelegt werde. Ich bin deshalb vorsichtig genug gewesen, hervorzuheben, daß dieser Ausdruck des Persönlichkeits- bewußtseins von den Verfassern der Evangelien der Tora abgelauscht und in dem »Ich aber sage euch« der Berg- predigt wiedergegeben ist. Es liegt nämlich in dieser Selbst- betonung nichts Vordringliches und keine Selbstbespiegelung, was ja mit der Charakteristik Moses', als des demütigsten aller Menschen, gar nicht in Einklang zu bringen wäre. Dieses Persönlichkeitsbewußtsein bedeutet vielmehr das vollständige Aufgehen in der Gewißheit der gewonnenen Gotteserkentnis, mit einem Wort, die restlose Verschmelzung mit dem göttlichen Geiste, der aus dem Munde des von ihm Erfüllten so selbstverständlich und unzweifelhaft sich verlautbart, daß es der Versicherung der Einführungsformel »So spricht der Ewige« nicht bedarf.

Daß diese Selbstbetonung in den feierlichen Reden Moses' charakteristisch ist, erkennt man am besten daraus, daß die Tora sie auch bei dem heidnischen Widerspiel Moses', bei Bileam, anwendet, aber auch gemäß der sati- rischen Behandlung dieses Afterpropheten in ihr Gegenteil, in äußerliche Wichtigtuerei, Aufgeblasenheit und Einbildung verzerrt. Man vergleiche nur, ob sich Aussprüche, wie die Bileams, bei denen die Selbstbespiegelung fingerdick aufge- strichen ist und denen man schon aus der Ferne ansieht, daß sie ironisch gemeint sind, bei Moses auch nur in äußerster Verdünnung finden ! Bei Bileam verstärken sie

Kürzen nnd Längen in der Bibel. 149

sich jedoch mit seiner zunehmenden Ohnmacht. Zuerst sagt er noch maßvoll von seiner Berufung : »Von Aram ließ mich holen Balak, der König Moabs u. s. w.« (IV. B. Mos. 23, 7), um mit großem Pathos fortzufahren : »Auf Balak, o höre ! Neige her das Ohr zu mir, Sohn des Zippor (das. das. 18) und endlich in ganz außer Rand und Band geratener Aufgeblasenheit zu bramarbasieren: »Spruch Bileams, des Sohnes Beor, Spruch des Mannes geoffenbarten Auges, Spruch dessen, der Reden Gottes hört, der Gesichte des Allmächtigen sieht, hinfallend und enthüllter Augen« (das. 24, 3 ff), was sich noch einmal (das. das. 15 ff) wiederholt. Man sieht ordentlich an dem zunehmenden Wortreichtum, wie Bileam der Kamm schwillt, wobei noch hervorzuheben ist, daß der hebräische Ausdruck für »Spruch« ms: im allgemeinen nur mit folgendem Gottesnamen gebräuch- lich ist, während er von Bileam für sich in Anspruch genommen wird. In dieser Ausartung und Verzerrung des Persönlichkeitsgefühls haben wir also die Probe für die Aufstellung, daß es tatsächlich, aber in edelstem Sinne das Merkmal feierlicher Reden und Gesänge in der Tora ist, wodurch denn in den Eingängen die Selbstbetonung in größerer oder geringerer subjektiver Länge erfolgt.

Ihr zur Seite gehen die objektiven Längen, die, v/eil von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, unter sich verschieden sind. Hierher gehören zunächst die auch bei den klassischen Epikern sich findenden, mit eingeschach- telten Wiederholungen versehenen Erzählungen von soge- nannter epischer Breite. Die naive Freude des Erzählers teilt sich unwillkürlich auch dem Leser oder Zuhörer mit und verhindert, daß die Wiederholungen Langeweile in ihm hervorbringen.

1. Das Standardbeispiel dieser Gattung ist die Braut- werbung Eliesers (I. B. Mos. 24). Für diese behagliche, durch Wiederholung ausgesponnene Erzählung bietet der Midrasch die Erklärung, daß Gott an der Erzählung des

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Patriarchendieners mehr Gefallen gefunden habe, als an der Unterweisung der Nachkommen der Erzväter, da die Geschichte von der Brautwerbung Eliesers doppelt in der Tora vorkomme, während wichtige Lehren bloß angedeutet seien. Damit ist aber nur eine natürliche Erscheinung erklärt, nämlich die von dem Erzähler auf den Leser oder Zuhörer übergehende Freude an dem Bericht. Wir können uns an einer schönen Geschichte nicht satt hören. So geht es uns auch bei dieser Geschichte, und es ist das Geheimnis der Erzählungskunst, daß wir offenbare Längen nicht nur nicht als solche empfinden, sondern uns dabei noch für zu kurz abgespeist halten. Es wäre aber ein Irrtum, wenn wir mit dieser allgemeinen Charakteristik die Erzählungs- kunst der Tora für erschöpft halten wollten. Die Geschichte von der Brautwerbung Eliesers erteilt darüber die beleh- rendsten Fingerzeige. Einmal ist die Wiederholung keine sklavisch getreue, sondern es sind hie und da scheinbar belanglose Änderungen angebracht, die uns aber wie plötz- lich aufblitzende Lichter die feinsten Züge an den Beteiligten wahrnehmen lassen. Eine der bemerkenswertesten dieser Änderungen besteht darin, daß Elieser, während er in dem Bericht des Erzählers Rebekka zuerst beschenkt (das. \y 22) und nachher über ihre Herkunft befragt (das. v. 23), in seinem eigenen Berichte die Vorgänge umkehrt. Diese Änderung ist natürlich schon den Alten aufgefallen und von ihnen besprochen worden. Sie ist darauf zurückzu- führen, daß der Erzähler das felsenfeste Gottvertrauen Eliesers bezeugt. Für ihn war nach dem Eintreffen des verabredeten Zeichens, nämlich der Tränkung der Kameele, der Erfolg bereits gewiß und jeder Irrtum ausgeschlossen. Würde nun Elieser selbst den Vorgang so wie er sich tat- sächlich abgespielt, berichtet haben, so hätte er, um seine scheinbare Voreiligkeit zu begründen, auf sein Gottver- trauen sich berufen müssen, wodurch er sich aber einer anmaßlichen Selbstsicherheit schuldig gemacht haben würden

Kürzen und Längen in der Bibel. 15f

Deshalb änderte er die Reihenfolge der Vorgänge, wodurch in dem mit dem tatsächlichen Sachverhalt vetrauten Leser eine stille Bewunderung Eliesers erweckt wird, die dessen bescheidene, seine Voraussicht unterdrückende Darstellung notwendig hervorbringen muß. Dies sind ungemein feine und wirksame Beleuchtungseffekte in dieser Erzählung, die auf die natürlichste und ungezwungenste Weise herbeigeführt werden. Daß Elieser ferner in seinem Eigenberichte den Wert des Rebekka übergebenen Geschenkes verschweigt, ist bei der vornehmen Haltung, die wir nun bereits an ihm wahrgenommen haben, selbstverständlich, aber der Erzähler seinerseits sieht sich umso mehr zur genauen Wertangabe veranlaßt, um die Vornehmheit Elieser's in die richtige Be- leuchtung zu rücken. Auch die Art, wie er sich vorstellt, entspricht dieser Haltung. »Der Knecht Abrahams bin ich« (das. 34). Das »Ich« kommt zuletzt. Der Talmud (Bab. kamma 92b) allerdings erklärt diese Vorstellung mit dem Sprichwort, daß man eine nicht gerade schmeichelhafte Eigenschaft, die man etwa besitzt, lieber selber angebe, ehe man von anderen dazu genötigt und in Verlegenheit gebracht wird. Aber ein Knecht Abrahams zu sein, erschien in den Augen Elieser's gewiß nicht unehrenhaft. Er unter- läßt es sogar, sich den vornehmeren Titel eines Hausver- walters Abrahams beizulegen, womit dieser ihn ausge- zeichnet hat (das. 15, 2). So schlingen sich durch die Wieder- holung feine Änderungen, die wie glitzernde Edelsteine das bereits Bekannte in immer neuer, reizvoller Beleuchtung zeigen. Insoferne gehört diese Schilderung des schon an sich anmutigen Vorganges zu den glänzendsten Zeugnissen der biblischen Erzählungskunst, insbesondere belehrt sie dar- über, wie man lang sein kann, ohne langweilig zu werden. 2. Wenn vorhin die Meinung der alten Lehrer, daß die Tora mit der wiederholentlichen Erzählung von der Brautwerbung Eliesers eine Auszeichnung desselben beab- sichtige, als eine agadische, wissenschaftlicher Auffassung

152 Kürzen und Längen in der Bibel.

nicht entsprechende Erklärung bezeichnet wurde, so gibt es für manche Wiederholungen und Längen der Tora in der Tat keine andere. So für die zwölfmalige Aufzählung der einander buchstäblich gleichen Darbringungen der Stammesfürsten nach der Tempelweihe (IV. B. Mos. 7, 12 ff). Man wird hier der Erklärung Nachmanides beistim- men müssen, der bemerkt, daß »die Tora absichtlich Na- men, Opfer und Opfertage jedes einzelnen Stammesfürsten angibt, sich aber nicht damit begnügt, bloß den ersten mit einer genauen Beschreibung seiner Konsekration zu ver- sehen und dann bezüglich der anderen darauf zu verwei- sen, denn diese summarische Behandlung wäre eine Ver- kürzung der Ehre der übrigen gewesen.« Von diesem Ge- sichtspunkte ist offenbar auch die siebenmalige Aufzählung der an den Hüttenfesttagen darzubringenden Opfer zu be- urteilen, die abgesehen von der ungleichen Zahl der Farren ganz gleich sind (das. 29, 13 ff). Es sollte eben durch die Wiederholung jeder Tag als ein besonderer Festtag deklariert werden, während es in der Vorschrift über die an den sieben Tagen des Pessachfestes darzubringenden Opfer summarisch heißt: »So sollt ihr opfern täglich sieben Tage lang usw.« (das. 28, 24). Mit dieser Auffassung stimmt be- kanntlich die traditionelle Liturgie vollständig überein. Derselbe, in dem Vorstehenden nachgewiesene Gesichts- punkt der Tora war, wie man nunmehr einsehen wird, für sie bestimmend zu der ausführlichen Behandlung der auf die Stiftshütte bezüglichen Vorschriften und ihrer Durch- führung. Es herrscht eben eine vollständige Gleichmäßig- keit hinsichtlich der Anwendung der Kürze und Länge in allen Büchern der Tora, wenn auch, was die Länge betrifft, das vierte Buch davon die meisten Proben darbietet.

3. Besonders hervorzuheben ist in dieser Richtung die ungemein in die Länge gezogene Verhandlung Moses' mit den beiden Stämmen Rüben und Gad über ihre An- siedlung in Gilead (das. c. 32). Nach vorgängiger Beseitigung

Kürzen uad Längen in der Bibel. 153

des Mißverständnisses, als ob die Stämme an der Erobe- rung Palästinas sich nicht beteiligen wollten, wäre eigent- lich bis auf die von Moses, wie bereits oben erwähnt wurde, auf feine Weise gerügte Bevorzugung der Schafe vor den Kindern alles in Ordnung. Nun aber beginnen erst ausgedehnte Wechselreden. Eine Weitläufigkeit, die auch dann noch auffallend bleibt, wenn man mit dem Talmud diese Abmachung als das Substrat und Vorbild für bedin- gungsweise Verträge betrachtet, laut welcher Auffassung R. Meir den Satz aufgestellt hat : »Jeder bedingungsweise Vertrag, der nicht in der Form des mit den Stämmen Rüben und Gad abgeschlossenen Vertrages konzipiert wird, ist ungültig« (Kidduschin 61a). Aber die Wechselreden ge- winnen eine wahrhaft künstlerische Bedeutung von großer Tragweite, sobald man an der Hand Isak Arama's in Akeda z. St. erkennt, daß es sich dabei, abgesehen von ihrem soeben besprochenen juristischen Zweck, um eine in feiner Weise durchgeführte ethische Absicht, nämlich um die an die Stämme wegen ihres Hochmuts und gänzlicher Außer- achtlassung Gottes gerichtete und erfolgreiche Zurecht- weisung handelt. Die Stämme sagen: »Wir wollen uns wacker rüsten vor den Kindern Israels, bis daß wir sie

gebracht haben an ihre Stelle Wir werden nicht

zurückkehren in unsre Häuser, bis die Kinder Israel für sich erworben haben, jeder sein Erbe« (das. v. IG ff). Hier ist von Gott mit keinem Worte die Rede, alle voraus- sichtlichen Erfolge schreiben die Stämme sich selbst zu. Nun beachte man, wie Moses in seiner Antwort die ver- messene Rede der Stämme, ohne es ausdrücklich hervor- zuheben, aber dennoch völlig verständlich rektifiziert ! »Wenn ihr das tut, wenn ihr euch rüstet vor dem Ewigen zum Kampfe, und es zieht von euch jeder Ge- rüstete über den Jordan vor dem Ewigen, bis er aus- getrieben hat seine Feinde vor ihm, und ist das Land unterworfen vor dem Ewigen, und ihr kehrt hernach

154 Kürzen und Längen in der Bibel.

zurück, so seid ihr schuldfrei vor dem Ewigen und vor Israel, und dieses Land bleibe euch zum Besitze vor dem Ewigen. Wenn ihr aber nicht also tut, siehe, so habt ihr gefehlt gegen den Ewigen....« (das. v. 20 ff).

Es genügt die bloße Wiedergabe der Antwort Moses, um, wenn man einmal auf die durch den Druck hervor- gehobenen Stellen aufmerksam geworden ist, die still ver- haltene Zurechtweisung herauszufühlen. Statt die Stämme abzukanzeln, schiebt Moses bloß zwischen ihre eigenen Worte, deren er sich absichtlich in seiner Entgegnung bedient, Gott als denjenigen ein, auf den alles ankommt und dessen bloße Werkzeuge die Menschen sind. Die Stämme haben denn auch den Wink verstanden und geben dies zu erkennen, wenn sie, was sonst überflüssig wäre, noch einmal an- heben : »Deine Knechte werden tun, sowie mein Herr ge- bietet und deine Knechte werden hinüberziehen, alle

Gerüstete zum Heere, vor dem Ewigen in den Krieg, sowie mein Herr redet« (das. v. 25 ff). Dieselbe auf Gott hinweisende Rede und Gegenrede findet sich denn auch in der Ansprache Moses' an seine Nachfolger und in der Erwiderung der Stämme, wodurch die große Ausführlichkeit in dem Berichte über diese Angelegenheit ihre befriedigende Erklärung findet.

4. Am Schlüsse dieser Abhandlung zum 1. Buche der Tora zurückkehrend, möchte ich noch auf die Ansprache Juda's an Josef (44, 18 ff.) aufmerksam machen, von der Nachmani sagt, daß er ihre Länge nicht verstehe. Nach der von ihm versuchten Erklärung enthält die Rede den versteckten Vorwurf einer von Josef angestellten und auf die Zurückbehaltung Benjamins angelegten Intrigue, worauf auch eine Bemerkung der alten Lehrer hindeutet. Ist man einmal bis zu dieser Annahme gekommen, so bedarf es nur eines Schrittes bis zu der Vermutung, daß in den Brüdern die Wiedererkennung Josefs aufdämmert. Gewißheit konnte

Kürzen und Lägen in der Bibel. 155

darüber nur dadurch erzielt werden, daß Josef Kenntnis von dem durch die Zurückbehaltung Benjamins zu befürch- tenden tödlichen Eindruck auf den schon ohnehin tief er- schütterten Vater erlange. Dieser Aufgabe unterzieht sich Juda, sie begründet den Inhalt und die Länge seiner Aus- führungen.

Die Ecke mit der letzten Garbe.

Von Ludwig1 Levy.

Zahlreiche germanische Erntebräuche gingen aus dem Glauben hervor, mitten im Getreide halte sich ein Dämon auf, welcher beim Schneiden des Kornfeldes vor den Strei- chen der Sichel immer weiter zurückweiche, sich immer tiefer in das Feld zurückziehe, bis er schließlich zwischen den letzten Halmen gefangen werde. Setzte der Wind die Ähren des Getreideackers leiser oder stärker in wellen- förmige Bewegung, so sah die Phantasie des Volkes den »Windhund« oder »Windwolf« durch das Getreide schlei- chen. Kam der Schnitter mit der Sichel ins Feld, um die reifen Ähren zu schneiden, so flüchtete sich der Hund oder Wolf, der bei Windstille träge zwischen den Halmen des Ackers lag oder im Sturme heulend aufraffte, was er an Ähren in die Höhe reißen konnte, vor der menschlichen Arbeit immer weiter, bis die Halme der letzten Ecke sein letztes Versteck wurden1). Ohne mit den Halmen selbst identifiziert zu werden, waren die Korngeister doch in einem sehr hohen Grade an Leben daran gebunden. Nach einer weitverbreiteten Vorstellung war das Abschnei- den des Getreides und Grases zugleich der Tod des darin wohnenden Dämons. Die Tötung des Korndämons aber, ob er nun Roggenwolf, Erntebock, Roggenhund, Roggenmuhme oder Roggenmutter oder noch anders hieß, war ein Frevel, der den Tod des Täters zur Folge hatte. Daher vielfach der Aberglaube, der Schnitter der letzten Garbe müsse

') Mannhardt, Roggenwolf und Roggenbund, Danzig 1865, S. 1, 5, 20.

Die Ecke mit der letzten Garbe. 157

sterben1). Durch diese Furcht entstand aus der wohl äl- teren, weil primitiveren, theriomorphischen Form der Sitte, die in der Gefangennahme des Dämons in der letzten Garbe gipfelte, der Glaube an eine menschlich gestaltete Gottheit, die über das Gedeihen des Feldes wacht, und der der Mensch in demütiger Verehrung die letzten Erntebüschel weiht. Diese Sitte bestand z. B. früher in Mecklenburg, wo man für Wodans Roß die letzten Halme ungemäht auf dem Acker stehen ließ. Eine Mischung beider Formen der Erntesitte findet sich in Groß-Trebbow bei Schwerin, wo die letzten Ähren nicht vom Felde geholt werden, sondern dem Wolf als Futter für sein Pferd stehen bleiben2).

Weitverbreitet ist auch die Vorstellung, man müsse dem Dämon ein Büschel Ähren auf dem Felde bei der Ernte übrig lassen, damit er sich davon den Winter über nähren könne. Denn der Dämon lebe von dem Getreide, das er um seiner eigenen Ernährung willen hervorbringe, wie die Biene zu ihrer Speise den Honig zusammenträgt. Der Mensch nimmt ihm die Früchte seiner Tätigkeit zum Gebrauch für sich selbst, ist aber verpflichtet, ihm wenigstens einen Rest zu lassen. Daher ließ man in der Gegend von Gardelegen einige Halme auf dem Acker stehen mit den Worten: »Das solider Bock behalten.« Im südlichen Schweden entspricht der deut- schen Roggenmutter die Gloso. Für sie läßt der Bauer einige ungemähte Ähren auf dem Felde, einige Äpfel auf dem Baume zurück mit der ausdrücklichen Bestimmung : »Das soll die Gloso haben«8).

Läßt man beim Schneiden der Frucht der Roggen- mutter etwas Getreide übrig, so sagt man : Wir geben's der Alten, Sie soll es behalten,

J) Mannhardt, Die Korndämonen, Berlin 1868, S. 5. 8) Roggenwolf S. 44.

3) Korndämonen S. 8, auch Mannhardt, Antike Wald- und Feld- kulte. Berlin 1877, S. 170.

158 Die Ecke mit der letzten Garbe.

Sie sei uns im nächsten Jahr So gut, wie sie es diesmal war1).

Wenn man dem Korndämon nicht einen Rest des Getreides als Unterhalt für den Winter auf dem Felde stehen läßt, fällt er dem Bauer im Winter in die Scheune und frißt sie leer2).

Wir stehen hier vor einem Brauche, der, wie es scheint, auf der -ganzen Erde heimisch war. So berichtet auch Hol- werda in der »Religion der Griechen«8) von der Gottheit, die in jedem fruchtbestandenen Felde haust, und sobald man zu mähen anfängt, mit jedem Schwaden, der unter den Streichen der Sichel fällt, zurückweicht, bis ihr endlich nur die letzte Garbe als Zufluchtsort verbleibt, die dann als das die Gottheit enthaltende Idol betrachtet wird. Aber auch heute noch ist diese Vorstellung in Hinterindien lebendig, und zwar umfaßt dort der Brauch nach Bastian außer den Getreidefeldern auch die Wälder. »Ist es zur Urbarmachung des Bodens notwendig, die Wälder auszu- roden, so überläßt man dieses bedenkliche Geschäft gerne verachteten Rassen, die, um das Ärmliche ihrer Lage zu erleichtern, auch sündhafte Schandtaten nicht scheuen, und dem Zorne der Götter zu trotzen wagen. In Hinterindien sind besonders die Karen damit beauftragt, und nach Schv/eden berief man die Finnen. Stets aber läßt man dem Geistervolk des Waldes einen Teil seiner früheren Be- hausung zurück, seien es auch nur ein paar kahle Stümpfe auf der Stelle des früheren Waldes. Dieser Stumpf ist dann selbst ein Gott und mag durch hermesartige Gesichtsan- schnitzung bis zur Statue verschönt werden«4).

J) Korndämonen. S. 22.

8) Antike Wald- und Feldkulte S. 170, 192.

3) In Chantepie de la Saussaye, Religionsgeschichte * II, S 252

4) Bastian, Der Baum in vergleichender Ethnologie, Zeitschrift f. vergl. Völkerpsychologie, V, 1. 288. 300. Über die Parallelen im griechischen Brauch bei der Eiresione vgl. Mannhardt, Antike Wald-

Die Ecke mit der letzten Garbe. 159

Sollten wir in diesem über große Teile der Erde ver- breiteten und zweifellos in graue Vorzeit zurückreichenden Brauche, die Ecke mit den letzten Ähren stehen zu lassen, nicht eine Analogie zu dem Gebot Lev. 19, 9 und 23, 22 vor uns haben : »Wenn ihr erntet in eurem Lande, so sollst Du nicht ganz abernten die Ecke Deines Feldes?« Es wäre denkbar, daß Israel den Brauch schon vorfand und zwar in der heidnischen Form, nach der man die Ecke ungemäht den Dämonen stehen ließ. Diesen Brauch hätte dann Israel übernommen, ihm zugleich aber eine Wendung ins Ethische gegeben durch die schöne, menschenfreundliche Bestimmung, die Ecke solle für die Armen und Dürftigen, die nichts zu ernten haben, übrig bleiben. Darin besteht ein Teil der religionsgeschichtlichen Bedeutung des Volkes Israel, daß es manches vorgefundene, ursprünglich wertlose Gut umprägte und in eine höhere Sphäre hob. Beweisen läßt sich diese Vermutung wohl nicht. Sie bleibt eine Hypothese. Aber selbst wenn sie der Wahrheit nicht entsprechen sollte, bleibt es völkerpsychologisch interessant und charakteristisch, daß sowohl bei den heidnischen Völkern als bei Israel die Ecke des Feldes nicht abgeerntet wurde und stehen blieb, bei den Heiden für die Dämonen, in Is- rael — für die Armen.

und Feldkulte S. 237. Über ähnliche Bräuche auf Formosa, siehe Mannh. Roggenwolf, S. 22.

Nachbemerkung. Der vorstehende Aufsatz lag mir längst vor, als v. Qalls Abhandlung 1910 in den ZATW erschien. Da der Herr Verfasser etwas reichhaltigeres Material beibringt und durchaus selbständig zu seinem Ergebnis gelangt ist, lasse ich seine Darlegungen auch heute noch unverändert in die Öffentlichkeit gehen. M. Br.

Wie verMelt sich das Judentum zu Jesus und dem entstehenden Christentum?

Von M. Freimann.

(Schluß1).)

Versuchen wir, uns verständlicher zu machen.

In den mittleren Dezennien des ersten christlichen Jahrhunderts, in denen die jüdische Nation in Todeszuckungen lag, unter dem unerträglichen Druck der römischen Gewalt- herrschaft sich windend, hatte die Sehnsucht nach dem Erscheinen des Messias die höchste Spannung erreicht. Da und dort tauchten falsche Messiasse auf, Betrüger und be- trogene Betrüger: und sie alle schürten die Flamme der Empörung gegen Rom, versprachen, das Land aus den gierigen Krallen der habsüchtigen und blutgierigen Proku- ratoren zu befreien und fanden zahlreichen Anhang. In Rom erkannte man nur zu bald die Gefahr, die von Seite der durch die Messiaserwartungen bis zum Wahnwitz erhitzten jüdischen Volksmassen drohte und man unterdrückte mit großer Härte jede revolutionäre Regung, bewachte mit Argusaugen jede Ansammlung. Aus Rom selbst vertrieb Claudius die »von einem Christus aufgewiegelten, unaufhör- lich tumultuierenden Juden2«). Man war hier eben gut unter- richtet über den nationalen Charakter der messianischen Bewegung und wußte, daß er um so gefährlicher sei, als er aus einem religiösen Fanatismus seine Nahrung sog und

>) Vgl. Jahrg. 1910, S. 697 tf.

2) Suet. Claud. 25: Judaeos impulsore Chresto assidue tumul- tuantes Roma expulit. Daß die Römer statt »Christus« (Messias) sChrestus« hörten und aussprachen, wissen wir von Tertullian, Apol. 3.. wo dieser den Heiden zuruft: Sed cum perperam Chrestianus pro- nunciatur a vobis (nam nee nominis certa est notitia penes vos) de suavitate vel benignitate compositum est. Cf. Justin. Apol. I, 3.

Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus etc. 161

daß er nicht bloß die Befreiung von Rom anstrebte, son- dern sogar die Weltherrschaft verhieß. »Die Meisten«, so berichtet Tacitus aus jener tief aufgewühlten Zeit, »lebten der Überzeugung, es sei in den Schriften der Priester ver- heißen, daß der Orient um diese Zeit erstarken und daß die aus Judäa Ausgehenden die Weltherrschaft erringen werden«1). Und bei Suetonius lesen wir: »Es herrschte im ganzen Orient eine alte und beharrliche Meinung, es sei vom Schicksal bestimmt, daß um diese Zeit die aus Judäa Ausgehenden die Weltherrschaft an sich reißen wer- den. Diese, wie der Ausgang lehrt, dem römischen Impe- rator geltende Verheißung, bezogen die Juden auf sich und empörten sich«2). Ebenso bestätigt Josephus, daß die sichere Erwartung, der Messias werde eingreifen, die Juden zur Empörung gegen Rom trieb. »Was die Juden«, sagt er, »am meisten zum Aufstande anfeuerte, war ein zweideu- tiges Orakel in ihren Schriften, dahin lautend: ,in jenen Tagen werde Einer aus ihren Grenzen ausgehen und die Welt beherrschen'. Dies bezogen sie auf einen Einheimi- schen, und viele Schriftgelehrte wurden in der Erklärung irre. Offenkundig aber bezog es sich auf Vespasian, der in Judäa zum Kaiser ausgerufen wurde«3). Die jüdische Sibylle spricht schon um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts von der zu erwartenden jüdischen Weltherr- schaft, drückt aber diese Hoffnung noch verblümt aus, in- dem sie das jüdische Volk erstarren und »zum Wegweiser des Lebens aller Sterblichen« werden läßt4).

!) Hist. V, 13: Pluribus persuasio inerat antiquis sacerdotum litteris contineri, eo tempore fore ut valesceret oriens, profecti Judaea rerum potirentur.

*) Suet. Vesp, 4: Percrebuerat Oriente toto vetus et constans opinio, esse in fatis, ut eo tempore Judaea profecti rerum potiren- tur etc.

') B. J. VI, 5, 4.

4) Orac. sib. III, 195: xal tot' &&voc u-e^oto 0toü rcaXiv xapxcpov egtoci, Ot TCavTEffct ßpofoT<n ßiou xatrofrrrfoi e<T<TOVT0U.

Monatsschrift. 65. Jahrgang. 1 1

162 Wis verhielt sich das Judentum zu Jesus

Alle diese Zeugnisse beweisen, daß man in Rom gar wohl wußte, wessen man sich von der messianischen Be- wegung zu versehen hatte, weshalb man sehen unter Claudius, wo man doch von einem Christus Jesus noch nichts wußte, die aufständischen Bewegungen in der Juden- schaft auf messianische Aufwiegelungen (impulsore Chresto) zurückführte. Ja man hatte sogar davon Kenntnis, daß dieser Christus aus dem Davidischen Königshause hervor- gehen werde, und noch unter Trajan wurde nach messia- nistischen Sprößlingen aus dem Hause Davids gefahndet1).

Dieses vorausgeschickt, läßt sich die Verurteilung Jesu besser verstehen.

Warum ließ der herodäische Vierfürst Antipas den Täufer in den Kerker werfen und enthaupten? Josephus gibt uns darauf eine bündige Antwort. Die Bewegung war eine messianische, und »Herodes begann zu fürchten, die hinreißende Beredsamkeit des Mannes, die eine solche Macht auf die Menschen ausübte, möchte leicht einen Auf- ruhr herbeiführen; darum hielt er es für angezeigter, ihn früher aus dem Wege zu räumen, bevor noch irgend eine Neuerung von ihm ausgegangen, als später nach einer bereits erfolgten Umwälzung die Unschlüssigkeit bereuen zu müssen. Auf diesen Argwohn hin wurde Johannes in Fesseln geschlagen und enthauptet«2).

Ein bloßer Argwohn also genügte in jenen Zeiten, um selbst völlig unpolitische, rein religiöse Bewegungen, wie die zur Buße und zur Taufe auffordernde Johanneische zu ersticken und den unschuldigen Urheber aus dem Wege zu räumen. Und warum floh Jesus, als ihn die Nachricht von der Hinrichtung des Täufers traf? Nun, weil ja der- selbe Argwohn auch ihm verhängnisvoll werden konnte. Auch er hatte einen starken Anhang im Volke und ver- folgte anfänglich die gleiche Mission. Was half es da, daß

>) VgL Htgesipp bei Euseb. H. E. III, 32.

») Ast. XVIII, 5,2.

und dem entstehenden Christentum? 163

er erklärte, der Politik völlig fern zu stehen, da sein Reich nicht von dieser Welt? Es war eine Zeit, in der man nicht mehr nach der Ursache einer Ansammlung fragte, sondern sie blind unterdrückte. Die bleiche Furcht vor dem Ge- spenst des Messianismus, der horror vor den Judaeis im- pulsore Chresto assidue tumultuantibus hielt nicht bloß die römischen sondern auch die Herodäischen Machthaber in Atem und trieb sie an, unterschiedlos jede Volksan- sammlung zu unterdrücken.

Nicht ohne geschichtlichen Untergrund läßt die Sage schon den ersten Herodes aufs tiefste erschrecken, als er vernimmt, daß die Weisen vom Morgenlande den Stern des neugeborenen Königs der Juden aufgehen gesehen, und »alle Hohenpriester und Schriftgelehrten versammeln, um von ihnen zu erforschen, wo Christus sollte geboren wer- den.« Und als er erfuhr, daß geweissagt sei, seine Geburt werde in Bethlehem-Juda erfolgen, habe er alle Kinder daselbst tödten lassen. Der geschichtliche Kern der Sage ist aber der, daß im Volke schon zur Zeit des ersten He- rodes die Hoffnung auf das baldige Erscheinen des Mes- sias lebendig war, und daß die Machthaber argwöhnisch die messianischen Regungen belauerten, entschlossen, sie im Keime zu ersticken.

Jesus nun, der stets von Volksmassen umgeben war, wußte sich von allem Anfang dem Tode geweiht. Um aber nicht schon am Beginn seiner Lehrtätigkeit hinweggerafft und an der Verbreitung seiner Botschaft gehindert zu wer- den, vermied er es sorgfältig, den Verdacht zu erregen, als Messias auftreten zu wollen. Darum verbot er seinen Jün- gern, die in ihm den erwarteten Messias zu erblicken an- fingen, diese ihre Vermutung laut werden zu lassen. Und wie wenig er tatsächlich aus seiner Reserve heraustrat, seine ganze Wirksamkeit auf die Volksbelehrung und auf Krankenheilung beschränkend, lehrt am deutlichsten die Tatsache, daß Josephus, der von jeder nur irgendwie be- ll*

164 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

merkenswerten Bewegung seiner Zeit Notiz nimmt, vorr Jesus keine Kenntnis hat, während er den Täufer und die von ihm hervorgerufeneTaufbewegunghaarscharf zeichnet und auch sonst von verschiedenen falschen Messiasen zu berichten weiß. Und schließlich entzog sich Jesus der Aufmerksam- keit der Machthaber dadurch, daß er Jerusalem, das Zen- trum alles politischen und religiösen Lebens, solange es nur immer anging, mied und sich, sobald er sich verfolgt wähnte, in die Gegenden jenseits des Jordans, wo er großen Anhang hatte und sich geborgen wußte, zurück- zog1). Kam er aber nach Jerusalem, so war sein Untergang gewiß. Und das wußte er : er ging auch dahin, um zu sterben8). Denn die Anklage gegen ihn war bald erhoben. Fragt sich nur, wer sie erhob.

Wer aber hatte eigentlich ein vitales Interesse an der Beseitigung Jesu? Das jüdische Volk nicht. Das geht vielfach aus den Evangelien selber hervor, obgleich diese letzteren andererseits wieder bemüht sind, alle Schuld der Kreuzigung auf dieses zu wälzen. Die volksführenden pharisäischen Gesetzlehrer nicht; das lehren uns Josephus, die Apostel- geschichte und der Talmud. Nach Lucas waren es merk- würdigerweise Pharisäer, die Jesum zur Flucht mahnten, da Herodes ihn töten wolle8). Bleiben nur die von ihm an den Pranger gestellten »heuchlerischen Pharisäer«, die wie die entarteten Cyniker jener Zeit, an allen Straßenecken, wo immer politische und materielle Vorteile zu erhaschen waren, ihre verderbliche Tätigkeit entfalteten, die unter dem Mantel pharisäischer Frömmigkeit Ehr- und Habsucht verbargen. Die »Gefärbten«, wie sie die Gesetzeslehrer des Talmud nannten, vor ihnen in den allerstärksten Aus- drücken warnend, sie als die »Geißel der Pharisäer« be- zeichnend. Diese waren noch weit gefährlicher als jene

J) Joh. 10, 40. ') Luc. 13, 33. s) Luc. 13, 31.

uüd dem entstehenden Christentum? 165

herrsch-begierigen Pharisäer, die unter den letzten Has- monäern eine politische Rolle spielten. Der größte Phari- säerfeind, Alexander Jannäus, der die pharisäische Partei sein ganzes Leben hindurch auf Tod und Leben bekämpfte, fand nicht diese, sondern ihre Auswüchse, die heuchlerischen »Scheinpharisäer«, als die gefährlichen. Auf seinem Todten- bette beschwichtigte er, wie der Talmud berichtet, seine verzagte Gemahlin mit den Worten: »Fürchte dich nicht vor den Pharisäern, auch nicht vor denen, die keine Pharisäer sind, aber fürchte dich vor den Gefärbten, den Scheinpharisäern, welche die Schandtaten eines Simri üben und den Lohn des für Gott eifernden Pinchas, des Sohnes Eleasars, beanspruchen«1).

Das waren die Ankläger Jesu. Und die Anklage? Sie ^rgab sich ihnen von selbst : Aufwiegelung und Empörung gegen Rom. Matthäus und Marcus bemühen sich aller- dings, die politische Spitze der Anklage zu verschleiern und das Vorurteil zu erwecken, daß Jesus der Gottes- lästerung, obgleich eine solche nicht nachgewiesen werden konnte, beschuldigt wurde. Nach Matthäus suchten die Hohenpriester und Ältesten und der ganze Rat falsches Zeugnis wider Jesus, auf daß sie ihn töteten, und fanden keines, obwohl viele falsche Zeugen herantraten. Zuletzt traten zwei falsche Zeugen herzu und sprachen: »Er hat gesagt: ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen denselben wieder aufbauen«2). Marcus hin- wiederum berichtet : »Aber der Hohepriester und der ganze Rat suchten Zeugnis wider Jesum, auf daß sie ihn zum Tode brächten, und fanden nichts. Viele gaben falsches Zeugnis wider ihn, aber ihr Zeugnis stimmte nicht über- ein. Und etliche standen auf und gaben falsches Zeugnis wider ihn und sprachen : Wir haben gehört, daß er sagte : ich will den Tempel, der mit Händen gemacht ist, ab-

i) Sota 22b. vgl. j. Sota 5, 5. Berach. 9, 4 u. a. St. 2) Math. 26, 59-62.

166 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

brechen und in drei Tagen einen anderen bauen, der nicht mit Händen gemacht sei. Aber ihr Zeugnis stimmte noch nicht übe rein«1).

Bei aller Abweichung in einzelnen nicht ganz un- wesentlichen Punkten stimmen doch die beiden Berichte in der Hauptsache überein : daß die Anklage wegen Gottes- lästerung auf Grund eines Ausspruches erhoben wurde, der Jesu erst nach seinem Tode von dem Hellenisten Stephanus in den Mund gelegt und um dessen Willen letzterer ge- steinigt wurde2). Denn daß ihn Jesus in Wirklichkeit getan, wird ja selbst von beiden Evangelisten, insbesondere von Marcus, mit dem größten Nachdruck bestritten. Bei Lucas findet sich denn auch diese Anklage nicht vor. Nach ihm war gleich die erste Frage, welche »die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten« an ihn richteten: »Bist du Christus«8)? Auch bei Matthäus und Marcus fragt der »Hohepriester« Jesum, ohne sich weiter um die Aussage der Zeugen, die ihm unwesentlich scheint, zu kümmern, direkt: »Bist du Christus, der Sohn Gottes*4;? Das war tatsächlich die eigentliche und ausschließliche Anklage. Sie genügte vollkommen, um seine Verurteilung herbeizuführen : Sich zum Messias erklären, hieß Gottes- lästerer und Aufruhrstifter sein. Das wurde selbst nach Matthäus und Marcus als die alleinige Ursache seiner Kreu- zigung angesehen: »Und oben zu seinen Häupten,« so heißt es da, »setzten sie die Ursache seines Todes und war geschrieben: dieses ist Jesus, der Judenkönig«5).

Und wie lautet bei Lucas die Anklage vor Pilatus?

*) Marc. 14, 55—59.

2) Ap. 6, 14; 7, 48.

3) Luc. 22, 66-67.

*) Matth. 26, 63; Marc. 14, 61.

6) Mt. 27, 37: xal i-siKxav ercivco Tfl5 xe©aXffe TTjV äixiav xt\. Und Mc. 15, 26: xat TJV vi £7uvpa©7) rffe änia? auToO

und dem entstehenden Christentum ? 167

»Sie fingen an, ihn zu verklagen und sprachen: diesen finden wir, daß er das Volk abwendet und verbietet, dem Kaiser die Steuer zu zahlen und spricht, er seiChristus, König«1).

Lautete aber die Anklage auf Empörung gegen den Kaiser und war somit der Statthalter in erster Linie ver- pflichtet einzuschreiten, wie er ja sonst bei ähnlicher Ge- legenheit mit der Exekution rasch zur Hand war, so ist davon im Falle Jesu nichts zu verspüren. Er muß vielmehr mit aller Macht dazu erst gedrängt werden. Wir sehen hier nämlich die Evangelisten einen ganz merkwürdigen Wetteifer mit einander entwickeln, um jede Blutschuld von Pilatus ab- und den Juden aufzuwalzen. Am wenigsten beteiligt sich noch an diesem Wetteifer das Evangelium nach Marcus. Aber schon bei Matthäus ist es das von dem Hohenpriester und den Ältesten aufgestachelte Volk, welches nach dem Blute Jesu lechzt und ungestüm seine Kreuzi- gung fordert. Pilatus aber wäscht sich vordem Volke die Hände und spricht: »ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; es ist eure Sache«2).

Diese Darstellung ist sicherlich keine authentische. Sie stammt aus einer Zeit, die auf jene der Kreuzigung Jesu schon weit zurückblickt, so daß der Verfasser von Dingen, die sich damals ereigneten und noch in seiner Zeit nach- klangen mit Recht schreiben konnte: >bis auf den heu- tigen Tag«8); oder: »Solches ist eine allgemeine Rede bei den Juden bis auf den heutigen Tag«4).

Und wie sträubt sich Pilatus erst bei Lucas, Jesum dem Kreuzestod zu überliefern. Er findet durchaus kein todeswürdiges Verbrechen an ihm und er bemüht sich wiederholt, ihn freizugeben. Aber die Juden schreien immer wieder: kreuzige, kreuzige ihn! Noch mehr: er hatte ihn

i) Luc. 23, 2.

2) Matth. 27, 24.

3) Matth. 27, 8. *) Matth. 28, 15.

168 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

zu Herodes geschickt und »auch dieser hatte nichts Todes- würdiges an ihm gefunden«1). Und weiter, Herodes, vor welchem Jesus nach der Enthauptung des Johannes aus Furcht, gleichfalls von ihm getötet zu werden, geflohen war; er war voll Freude, »als er Jesum sah, denn er hätte ihn längst gern gesehen, denn er hatte viel von ihm ge- hört«2). — Es ist wahr, Lucas hat dafür gesorgt, daß man ihm hier keinen krassen Widerspruch nachweisen könne. Denn bei einer früheren Gelegenheit, wo er den über die Nachricht von den Taten Jesu erschrockenen Herodes sagen läßt : »Johannes habe ich getötet ; wer ist aber dieser, von dem ich solches höre?* fügt er hinzu: »Und er begehrte ihn zu sehen«3). Wie man sieht, hat sich Lucas hier vor- sorglich gedeckt; allein man merkt die Absicht, die dahin geht, den überlieferten Stoff einer bestimmten Tendenz zuliebe solange zu meistern, bis er ihr gefügig geworden. Man denke: der »Fuchs Herodes«, der Henker des Johannes, vor welchem Jesus, von den Pharisäern gewarnt, flieht; er sehnt sich nach dem Anblick Jesu und findet ihn eben- sowenig schuldig, wie Pilatus4)!

Noch größer als bei Matthäus und Lucas sind bei Johannes die Anstrengungen, die Pilatus macht, um Jesus den blutgierigen Händen der Juden zu entreißen, jede Mit- schuld an seinem Tode weit von sich zu weisen und jene als die einzig Schuldigen hinzustellen. Allein, was er auch versuchen mag, ihn frei zu machen, es ist vergebens. Die »Juden« verlangen ungestüm seine Kreuzigung, mit dem Kaiser drohend und schreiend: »Läßt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht. Denn wer sich zum König macht, der ist wider den Kaiser«5)!

») Luc. 23, 14 u. 15. ») Luc. 23, 8.

3) Luc. 9, 9.

4) Luc. 23, 8 u. 15. *) Joh. 19, 6-12.

und dem entstehenden Christentum? 159

So sehen wir denn in der ganzen evangelischen Ge- schichte, soweit sie das Verhältnis des Judentums zu Jesus behandelt, die Tendenz vorherrschen, die »Schriftgelehrten und Pharisäer«, und in der Folge das gesamte jüdische Volk als den Erzfeind und unversöhnlichen Gegner Jesu darzustellen, eine Tendenz, die erst im zweiten Jahrhundert zur allgemeinen Geltung sich durchgerungen hatte.

Auch die Schilderungen des Kreuzestodes Jesu, wie sie uns in den kanonischen Evangelien vorliegen, verraten deutlich Spuren späterer, umgestaltender Hände. Zu- nächst fällt es stark auf, daß von dem »Ärgernis des Kreuzes«, gegen welches Paulus noch so schwer ankämpfen muß, in dem kanonischen Evangelien kaum mehr die Rede ist; ferner, daß mit dem Augenblicke, wo Jesus zum Opfertod geführt wird, es von den Juden recht stille wird; und während Pilatus soviel Sympathie und Mitgefühl für Jesus an den Tag gelegt und seine Freilassung durchzu- setzen sich bemüht hatte, sind es seine Kriegsknechte, die ihn mit ausgesuchter Grausamkeit martern und mit Hohn und Spott seinen letzten Atemzug vergiften. Von den Juden aber ist kaum im Vorbeigehen mehr die Rede. Bei Lucas sind es die »Oberen« des Volkes, bei Marcus »die Hohenpriester und Schriftgelehrten«, bei Matthäus »die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten«, die, als er am Kreuze hing, »spöttische Reden führten«. Bei dem vier- ten Eyangelisten aber, der bis dahin die »Juden* nicht blutdürstig genug schildern konnte, fehlen die letzteren bei der Kreuzigung. Die Kriegsknechte des Pilatus haben jetzt ihre Rolle übernommen und üben unerhörte Rache. Und wofür? Was hat er ihnen getan? Und hat ihn ihr Gebieter Pilatus nicht für unschuldig erklärt? Hat er ihn nicht frei- geben wollen ? Doch stellen wir die Frage richtiger : war es überhaupt notwendig, den Kreuzestod Jesu unter soviel Marter und Hohn erfolgen zu lassen, wie ihn die Evangelien übereinstimmend darstellen? Darauf gibt

170 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

es nur eine befriedigende Antwort: Mit der Verurteilung Jesu beginnt ein neues, auf ganz anderen Prämissen auf- gebautes Kapitel der evangelischen Geschichte, das erst in einer Zeit abgefaßt wurde, in der nicht mehr das Leben und Wirken, sondern der Opfertod und die Auferstehung im Mittelpunkt des Interesses standen; in der, dank der weitausgreifenden paulinischen Missionsarbeit, das Bild von dem leidenden Messias bereits weiten Kreisen ver- traut gemacht worden war; in der man nicht mehr mit den Synoptikern das Evangelium Jesu von der Taufe des Jo- hannes sondern mit Paulus von dem Kreuzestod den Anfang nehmen ließ.

Opfertod und Auferstehung Jesu bilden jetzt das neue Evangelium, von welchem aus Paulus die jüdisch-nationale Welt aus allen Angeln hebt und Jesum zum Weltheiland macht. Das war die erlösende Botschaft, die er empfangen und weitergibt: ^caß Christus gestorben sei für die Sünden der Menschen nach der Schrift«1). Somit war das Mar- tyrium Jesu unerläßlich für das Heil der Welt; es warder Ratschluß Gottes, verheißen durch die Propheten. Und so mußte er die Prophezeiungen bis auf das Tüpfelchen vom i erfüllen, den Kelch der Leiden, wie vorgeschrieben, bis zur Neige leeren. Er mußte, da er die Erfüllung der Weis- sagung von dem leidenden Knecht Gottes war, allen Jam- mer, allen Spott und Hohn und alle Marter über sich ergehen lassen, die dem Knecht Gottes durch den Mund des Propheten auferlegt wurde. Daher die Begleiterscheinungen seines Kreuzestodes, daher die Qualen auf seinem letzten Gange, die er alle erdulden mußte : »daß die Schrift er- füllt würde«.

Der evangelische Bericht von dem Kreuzestode Jesu

J) 1 Kor. 15, 3: rizpscW/.a. y*P üjxTv sv TtpcoToi?, o y.od xap- eXaßov, ort ^ptaTÖ; ä^sdaViV uTrip tüv iu,apTuöv 0[x<3v, xaxä xolc y p a <p ä c. ;Cf. Oal. 1, 4; 2 Kor. 8, 9; Rom. 4, 25; 15, 21 ; Hebr- 2, 14, 17; Phil'. 1, 6-9; 1. Tim. 2, 6; Tit. 2, 14 u v a. St.

und dem entstehenden Christentum? 171

ist ganz zweifellos erst unter dem mächtigen und sugge- stiven Einfluß dieser erlösenden paulinischen Botschaft, die von dem »Christus nach dem Fleische« völlig absah und sich ausschließlich mit dem gekreuzigten und auferstan- denen Christus beschäftigte1), geschrieben worden. Und da er im ständigen Hinblick auf die einschlägigen prophetischen Stellen abgefaßt und der Leidensweg Jesu diesen nachge- zeichnet wurde, so mußte die Zeichnung eine stereotype werden : daher die beobachtenswerte Übereinstimmung in diesem Punkte bei allen vier Evangelien.

Und ist es nicht bezeichnend genug, daß gerade Lucas es ist, der diese Paulinische Botschaft von dem leidenden Messias und seinem Opfertod in auffälliger Weise vor- bereitet? Nach ihm erschien der Auferstandene zuerst zweien seiner Jünger auf dem Wege nach Emmaus und sprach zu ihnen: »0 ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben, was die Propheten geredet haben; mußte nicht Christus solches leiden, um in seine Herrlich- keit einzugehen?« Hierauf legte er ihnen, von Moses und allen Propheten anfangend, »alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren«2). Dann erschien er den Aposteln in Jerusalem und sprach zu ihnen: »Das ist es, was ich euch gesagt habe, da ich noch bei euch war, es müsse alles erfüllt werden, was von mir im Gesetz Mosis, in den Pro- pheten und in den Psalmen geschrieben steht. Darauf öff- nete er ihnen das Verständnis, die Schrift zu verstehen und sagte ihnen: Also ists geschrieben und also mußte der Christ leiden und auferstehen von den Teten am dritten Tag«3).

Davon aber, daß der Auferstandene seinen Jüngern eine solche Aufklärung über die Notwendigkeit seines Lei- dens, um in seine Herrlichkeit einzugehen, gegeben, wissen

') 2 Kor. 5, 16.

9) Luc. 24, 25 u. 26.

s) Luc, 26, 4-1—46.

172 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

die übrigen Evangelien nichts. Das ist genuin paulinische Auffassung, wie denn die ganze evangelische Darstellung der Kreuzigung und Auferstehung aus dieser Quelle ge- flossen1). Hier gab es sonst keine ursprüngliche sichere Überlieferung. Die Jünger Jesu waren von der über sie hereingebrochenen Katastrophe zerschmettert, und es mußte lange gedauert haben, bis sie sich wieder gefaßt und auf neuer Grundlage ihre messianischen Hoffnungen aufgebaut hatten : auf der Grundlage der Kreuzigung und Auferstehung. Liest man aber die beiden letzten Kapitel der Evangelien, so gleitet man glatt von der Kreuzigung Jesu zur Wiedersammlung seiner Anhänger hinüber, nicht ahnend, daß dazwischen eine ganze Welt neuer Gedanken liege, daß sich erst im Paulinismus die Vorstellung von dem Opfertod und der Auferstehung zur Idee der Welt- erlösung verdichtete, die nachträglich in den Evan- gelien zum Ausdruck gebracht wurde. Sieht man näher zu, so findet man es selbst bei Marcus und Lucas ange- deutet, daß der Glaube an die Auferstehung Jesu, an welchen Paulus sich mit soviel Inbrunst klammert, nicht aus den Kreisen der Apostel hervorgegangen ist, sondern in dieselben hineingetragen wurde. Beide Evangelisten be- richten, daß die Apostel diesem Glauben Zweifel entgegen- brachten, die von dem Auferstandenen bezwungen werden mußten : er schalt sie trägen Herzens, daß sie den Weis- sagungen nicht Glauben schenken wollten2). Er schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härtigkeit, daß sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten auferstände n«3).

War aber der paulinische Christus das gottgewollte Opferlammm, das gerne der Welt Sünden auf sich nahm, so konnten die Juden, sofern sie ihn nach dem Ratschlüsse

l) Das geht unverkennbar aus 1 Kor. 15, 3— S hervor. *) Luc. 24, 25. 3) Marc. 16, 14.

und dem entstehenden Christentum? 173

Gottes der Schlachtbank auslieferten, wohl Opferer, aber keine Schlächter sein. Ihre Mitwirkung hatte sonach mit der Verurteilung Jesu ein Ende erreicht. Und so ver- schwinden sie denn auch, selbst nach den Evangelien, fast gänzlich vom Schauplatze der Kreuzigung.

Aber die Leiden und die Schmach, die dem Knecht Gottes zum Zwecke der Welterlösung durch den Mund der Propheten auferlegt wurden, durften Jesu, sollte seine Mes- sianität gegen jeden Zweifel gefeit sein, nicht erspart bleiben. Er mußte alle einschlägigen Prophezeiungen buch- stäblich erfüllen. Wer aber sollte die Henkerarbeit ver- richten, »daß die Schrift erfüllt werde?« Es blieb also nichts übrig, als die Kriegsknechte des Pilatus damit zu betrauen.

Diese Auffassung von dem Opfertod Jesu und der Beteiligung der Juden daran teilten noch die frommen Kirchenlehrer in der Mitte des zweiten Jahrhunderts, und sie sahen den letzteren gern ihre »Mitschuld« nach, wenn sie sie bereuten. Hier ein klassisches Beispiel. Bei Justin Martyr sprechen die Juden: »Ja, wenn der Vater wollte, daß Jesus solches leide, um durch seine Wunden dem Menschengeschlecht Heilung zu bringen, dann hätten wir doch nicht unrecht gehandelt.« Worauf Justin: »Gewiß, wenn ihr eure Sünden bereut, ihn als den Christus an- erkennt, seine Gebote haltet und diese eure Entschul- digung vorbringt, wird euch Vergebung der Sünden«1).

Am wenigsten aber findet sich bei Paulus eine An- klage gegen die Juden, daß sie Jesum mit ihrem Hasse verfolgt oder gar dem Kreuzigungstod überliefert hätten. Besäßen wir nicht die kanonischen Evangelien, die weit jünger als die paulinischen Briefe sind, wir wüßten weder aus den letzteren, noch aus den sonstigen neu- testamentlichen Briefen, noch auch aus der Apokalypse etwas über eine jüdische Verfolgung Jesu. Ist es wohl an- zunehmen, daß Paulus, wofern ihm das in den kanoni-

J) Dial. c. 95.

174 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

sehen Evangelien geschilderte so haßerfüllte Verhalten der Juden Jesu gegenüber bekannt gewesen wäre, davon ge- schwiegen hätte? Er spricht aber nur von dem Unglauben und der Blindheit der Juden, jedoch niemals davon, daß sie mit ungestümem Wüten auf Pilatus einstürmten, ihm ins Ohr schreiend: »Kreuzige, kreuzige ihn!« Wie konnte Paulus, hielt er, wie die kanonischen Evangelien, die Juden für die eigentlichen Mörder Jesu, ihnen »das Zeugnis geben, daß sie für Gott eifern, wenn auch mit Unverstand«1)? Und selbst da, wo er einmal von jenen spricht, die Jesum gekreuzigt haben, hat er sicherlich nicht die Juden darunter verstanden. Die betreffende Stelle lautet: »Davon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen, nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Obersten dieser Welt2), welche vergehen, son- dern wir reden von der heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes, welche Gott verordnet hat vor der Welt zu unserer Herrlichkeit, welche keiner von den Obersten dieser Welt erkannt hat3); denn wo sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt«4). Wer möchte sich wohl zu behaupten getrauen, Paulus habe hier unter den Obersten dieser Welt die »Schriftgelehrten und Pharisäer« oder das jüdi- sche Volk gemeint?

Nun wird man mir sicher einwenden, daß doch Paulus selbst, als er noch »über die Maßen für das väter- liche Gesetz eiferte«, »die Gemeinde Gottes«, wie er dies offen im Galaterbrief bekennt und wie die Apostel- geschichte es weiter ausführt und ausschmückt, »über die Maßen verfolgte und verstörte«. Allein diese Verfolgung galt, wie noch näher gezeigt werden soll, keineswegs dem

') Rom. 10, 2.

2) oüSs twv äp^ovrwv toü alwvo; TOUTOU.

3) oöSsic t&v ap^6vToiv alwvo; toutou «t>.. *j 1 Kor. 2, 6-3.

und dem entstehenden Christentum? 175

Christusglauben, sondern dem jüdisch-hellenistischen Antinomismus, der schon nach der Kreuzigung Jesu ungestüm in die christliche Gemeinde eindrang. Die gesetzesfreie Predigt des Stephanus nicht die An- hängerschaft an Jesus führte zu einem Volksauflauf, dem letzterer zum Opfer fiel. Und an diesem Aufruhr be- teiligte sich der gesetzeseifrige Saulus in hervor- ragender Weise1) und empfand, wie die Apostelgeschichte hervorhebt, Befriedigung über den Tod des Stephanus. Daß diese Verfolgung ausschließlich gegen die gesetzes- freien Hellenisten sich richtete und nicht gegen die gesetzes- treuen Anhänger Jesu, geht unzweideutig daraus hervor, daß die letzteren von ihr garnicht berührt wurden, da ja ihre Häupter, die Apostel, unangefochten in Jerusalem bleiben durften, während der Anhang des Stephanus auswandern mußte.

Man hat sich aber von Anbeginn mit der Apostel- geschichte daran gewöhnt, in jüdischen Verfolgungen anti- nom istischer Tendenzen stets »jüdische Christenverföi- gungen« zu sehen, und so merkte und merkt man bis auf den heutigen Tag nicht mehr, daß die gesetzestreue ur- christliche Gemeinde den jüdisch-hellenistischen Antinomis- mus nicht minder verfolgte, als es das pharisäische Juden- tum tat.

Ich kann also aus den paulinischen Briefen, den ältesten christlichen Dokumenten, ich mag sie drehen und wenden wie ich will, die Überzeugung schlechterdings nicht ge- winnen, daß das jüdische Volk Jesum verfolgt oder gar der Schlachtbank überliefert habe. Ich habe vielmehr allen Grund zu vermuten, daß Paulus selber diese Überzeugung nicht gehegt; denn was konnte ihn hindern, sie in seinem harten Kampf gegen »jüdischen Unglauben und jüdische Blindheit« zum Ausdruck zu bringen ?

') App. 8, 1: Soc'jXo;; $-; r,v fjuvs'jSoxoiv tyi y.vxioiizi kutou (Sxscpavou).

176 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus etc.

Wenn aber Paulus die »Obersten dieser Welt« als die Henker Jesu bezeichnet, so hat er darunter ebensowenig, wie die Apokalypse unter dem »Würger des Lammes« das jüdische Volk gemeint.

Wer ist denn dieser Würger in der Apokalypse, dieser ingrimmige Verfolger Jesu1), der vom Blute der Heiligen trieft ? Es ist »die große Babylon, die Mutter der Buhlerei und aller Gräuel auf Erden; das Weib, daß auf den sieben Bergen sitzt, trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu«2): das weltversündigende und weltverschlingende Rom, die Verkörperung des Anti- messias in den Augen des Apokalyptikers wie in jenen der Juden!

*) Apok. 17, 14. ») Apok. 17, 5—9.

Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

Von V. Aptowitzer. (III. Fortsetzung).

Aus der Genisah ist noch ein anderer wertvoller Schatz gehoben worden: eine umfangreiche Sammlung ga- onäischer Response n, die ebenfalls von L. Ginz- berg herausgegeben wurde1).

Die Sammlung besteht aus 47 Fragmenten, die der Cambridger Bibliothek, der Bodlejana (9), dem British Mu- seum (2) und einer Privatsammlung (1) entnommen sind. Die ersten 18 Fragmente (S. 1 165) hat Ginzberg schon früher in JQR. XVI— XX veröffentlicht.

Eigentliche Responsen enthalten blos 34 Frag- mente. S. 56 71 enthalten Verzeichnisse von Responsen, N. 10 (S. 87—88) Fragment eines Briefes aus Bagdad, N. 34 (S. 272) ein Stück vom nneo des R. Nissim, N. 35 (S. 278 bis 279) Fragment eines Schreibens R. Scheriras od. R. Hais an Jehuda Alluf aus Kairuan, N. 39—43 Stücke der Sche'elthoth mit den in den Ausgaben fehlenden rvwin, N. 44—45 Stücke aus Halachoth Gedoloth, 46 Fragment von niaiSö twhn, 47 ein Blatt Halachoth unbekannter Her- kunft.

Die Einleitungen, die der Herausgeber den einzelnen Fragmenten vorausschickt, enthalten Inhaltsangabe, Unter- suchungen über die Autorschaft und Angaben über das anderweitige Vorkommen der einzelnen Responsen. Die Texte sind mit Quellennachweisen, den notwendigsten Kor-

*) Geonica by Louis Ginzberg II, Genizah Studies. (Texts and Studies of the Jewish theological Seminary of America, vol. II)« New York 1909.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. *•

178 Die ta'mudsche Literatur der letzten Jahre.

rekturen und sonstigen kurzen Bemerkungen versehen. Es zeigt sich hier die gründliche Sachkentnis des Herausgebers und seine große Vertrautheit mit der einschlägigen Literatur.

Ein Verzeichnis der Responsen nach der Ordnung des Schulchan Aruch, ein Index der erklärten Talmudstellen, ein ausführliches Namen- und Sachregister erleichtern die Benützung des Buches. Die 7 Seiten Ergänzungen und Be- richtigungen zeigen den Fleiß des Herausgebers und sein Bestreben, möglichst Vollkommenes zu bieten.

Wie die gaonäische Literatur im allgemeinen, ist auch diese neueste Sammlung gaonäischer Texte in erster Reihe für den Talmudisten und Halachaforscher von Wichtigkeit. Hierin liegt ihre eigentliche Bedeutung. Be- kanntes erscheint hier in anderer, oft besserer Textgestalt und des ganz neuen bietet unsere Sammlung nicht wenig. Manches davon ist recht auffallend. So wird um nur das Auffallendste hervorzuheben in Responsum N. 5 auf S. 195 gegen die Übereinstimmung aller bekannten Quel- len1) erklärt, daß das Verbot Deut. 22, 10 buchstäblich zu fassen ist und daß daher andere Arbeiten der Gaon spricht von Dreschen mit ungleichartigen Tieren ge- stattet sind.

Aber auch die Philologen und Historiker kom- men bei unserer Sammlung auf ihre Rechnung, besonders die letzteren. Sie lernen neue Namen kennen, erfahren von Beziehungen zwischen Babylonien und Palästina sowie zwi- schen ersterem und Europa und finden im allgemeinen reiche Aufschlüsse zur Kenntnis der gaonäischen Zeit. Auch das liturgische, das in unserer Sammlung reichlich ver- treten ist, ist in dieser Beziehung von Wichtigkeit.

Die in den Einleitungen zu den einzelnen Fragmenten gewonnenen Resultate hat Ginzberg vielfach vertieft und

') Vgl. jedoch meine Bemerkung zu dieser Stelle.

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. 179

erweitert und in einem besonderen Band zusammen- gefaßt1).

Dieser Band zerfällt in zwei ungleiche Teile. Der zweite, größere Teil (S. 72—207) bietet eine Übersicht über die halachische Literatur der Gaonim. Ich hebe hervor die Ausführungen über: Plan und Zweck der Sche'eltoth (S. 86—95); die Sche'eltoth und der Jeruschalmi (S. 78—36), mit dem fast vollständig gelungenen Nachweis, daß es für die Annahme, R. Achai habe den Jeruschalmi benützt, keinen einzigen sicheren Anhaltspunkt gibt; die Abhandlung über die Halachoth G edoloth (S. 95— 111) : ihr Autor ist R. Jehudai; die Abhandlung über Seder Rab Amram (S. 119—154); Saadjas Bedeutung in der Hai ach a (S. 162—167): Saadja der bedeutendste hala- chische Autor der gaonäischen Zeit; Ursprung der Samm- lungen gaonäischer Responsen (S. 182—200), mit einem sehr nützlichen Verzeichnis der gaonäischen Zitate in den 3 gedruckten Werken ben Barsillais, in Machsor Vitry und Schibbole ha-Leket.

Im ersten Teil (S. 1—72) behandelt Ginzberg einige historische Fragen betreffend die gaonäische Zeit. Hervor- zuheben sind besonders die Ausführungen über : die we- sentlichen Züge des Gaonats (S. 6 14), die Konflikte zwi- schen dem Exilarchat und dem Gaonat von Pumbaditha (S. 14-22, 62-66), den Bericht Nathan ha-Bablis.

Von den Resultaten Ginzbergs sind viele absolut sicher. Zu diesen gehören auch die meisten der zahlreichen Berichtigungen der Irrtümer Isaak Halevys. Die nicht sicheren Aufstellungen G.'s sind teils nicht genügend be- wiesen, teils direkt abzulehnen.

Ich hoffe auf den ersten Band der G e o n i c a in einem anderen Zusammenhang ausführlich zurückkommen zu

l) Qeonica by Louis Ginzberg I, The Qeonim and their halakic writings (Textes and Studies of the Jewish theological Semi- nary of America, vol. I). New York 1909.

12*

180 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

können. Hier will ich nur bemerken, daß Ginzbergs Arbeit, die durch tief es Ei ndri nge n, großen Scharfsinn und große Gelehrsamkeit sich auszeichnet, soviel des Neuen, Interessanten und Anregenden bietet, daß sie selbst von denjenigen, welche den Aufstellungen des Ver- fassers nicht zustimmen, als ein äußerst wertvoller Beitrag zur gaonäischen Geschichte und Literaturgeschichte aner- kannt werden muß.

Zwei Themata dieser Geschichte behandelt S. P o- znanski in seiner Schrift Studien zur gaonäischen Epoche1): 1. das Verhältnis der Gaonim zum J eruschalm i und 2. die Allufim oder rvhi »e>JO»

In der ersten Abhandlung (S. 3—44) beschränkt sich Poznanski auf eine Zusammenstellung und Prüfung der älteren Ansichten und Angaben, ohne neues zu bieten. Er gelangt zu folgendem Resultat: 1. Der erste Gaon, der den Jeruschalmi benützt hat, ist R. Acha, der Verfasser der Sche'eltoth. 2. Im allgemeinen haben die älteren Gaonim den Jeruschalmi wenig benützt. Punkt 1 erweist sich durch den Nachweis Ginzbergs als unsicher. Gegen Punkt 2, die Ansicht Rapoports und Frankeis, der sich auch Ginzberg2) anschließt, ist eine Anzahl bisher nicht berücksichtigter gaonäischer Entscheidungen geltend zu machen, die, auf ihr Verhältnis zum Jeruschalmi untersucht, ein positives Resultat ergeben dürften. Einige darauf bezügliche Hinweise findet man in meinen Einzelbemerkungen zu Ratners Pes- sachim und Ginzbergs Geonica.

Wichtig und verdienstlich ist die Veröffentlichung und Übersetzung des arabischen Genizahfragments, das viel- leicht ein Stück aus einem alten Kommentar zum Jeru-

») D'Jliun neipfi^ D^yron B^UP B^jy, Studien zur gaonä- ischen Epoche, Heft I, Warschau 1909. Separatabdruck aus Ha- kedem I, II.

2) Geonica I, S. 77, Note 2.

Die talmudische Literatur der letzten Jahre 181

schalmi ist. Dieses Fragment ist nachher auch in Ginzbergs Yerushalmi Fragments, S. 298 301, veröffentlicht worden.

In der zweiten Abhandlung (S. 45— 67) bespricht P. zuerst die Einrichtung der babylonischen Lehrhäuser und gibt dann eine sehr fleißige, sehr sorgfältige und sehr nütz- liche Zusammenstellung aller Nachrichten über die Allu- fim oder nhz »ttWi. Hier zeigt sich Poznanskis gewohnte Gründlichkeit.

Probleme der Literaturgeschichte in weiterem Sinne behandeln Guttmann, Rosenthal und Schwarz.

Guttmann gibt in der jüngsten Programmarbeit des Budapester Rabbinerseminars die ersten zwei Abschnitte einer »Einleitung in die Halacha«1). Der erste Ab- schnitt handelt über die Bedeutung des Wortes Halacha und der damit verwandten Termini. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Entwicklungsgang der Halacha: welche Prinzipien und welche Autorität waren für die Dezision, für die Fixierung der Halacha maßgebend?

Auf die letztere Frage antwortet G.: »Die auf alle Fragen des Lebens sich erstreckende Halacha kann ihren einheitlichen Charakter nicht anders als durch einheitliche Behandlung und zentrale Verfügungen bewahrt haben. Einen gesetzbestimmenden Mittelpunkt muß es zu allen Zeiten gegeben haben«. Mit dem Auftreten Schammais und Hilleis wurde das halachische Zentrum in zwei selbstän- dige, mit gleicher Autorität ausgestattete Schulen oder Be- hörden gespalten. Erst in Jabneh wurde die Einheit der Halacha wiederhergestellt.

Die erste Frage beantwortet G. folgendermaßen: Die Halacha »ist innig mit dem Leben verbunden; die das Ge- setz betreffenden Deutungen sind keine bloße geistige

J) Zur Einleitung in die Halacha. Von Prof. Dr. Mi- chael Guttmann. Erstes Heft. Budapest 1909. Druck von Adolf Alkalay & Sohn, Preßburg (32. Jahresbericht der Landes-Rabbiner- schule in Budapest).

}82 Die talmudiscbe Literatur der letzten Jahre.

Schulgymnastik, sie bilden vielmehr die Überbrückm? zwischen dem Buchstaben und der Praxis. Eine Darstellung des Entwicklungsganges der Halacha dürfen wir nicht aus- schließlich aus ihren theoretischen Elementen konstruieren; wir müssen, um richtig und gerecht urteilen zu können, den geschichtlichen Hintergrund genau kennen lernen«.

Diese These zu begründen und im einzelnen nachzu- weisen, wird die Aufgabe der folgenden Kapitel sein, die gewiß viel neues und interessantes bringen werden, die eigentlichen »Bausteine zu einer allgemeinen Einleitung in die Halacha«. Die uns vorliegenden zwei Abschnitte erle- digen blos die notwendige Vorarbeit, ohne wesentlich neues zu bieten. Daß aber schon die Zusammenstellung und Erörterung des t erm in o logisch en Materials sehr ver- dienstlich ist, braucht kaum gesagt zu werden.

Wie Guttmann das Werden der Halacha, so versucht L. Rosenthal in seinem Buche »Über den Zusam- menhang der Mischnah«1), von dem jetzt der erste Teil in zweiter Auflage erschienen ist, die Entstehung der Halachaordn ung aus geschichtlichem Hinter- grund zu erklären. Dieser Hintergrund ist nach R. der Kampf des Pharisäismus gegen den Saddu- zäismus. Nach R. hat es schon vor Schammai und Hillel zwei antisadduzäische Mischnahordnungen gegeben. Die erste, gegen Ende des zweiten Jahrhunderts vor der ge- wöhnlichen Zeitrechnung, enthielt nur »die allgemeinen Kundgebungen gegen die Feinde der mündlichen Lehre«. Die zweite, spätestens von Schemaja und Abtalion herrüh- rend, ging mehr ins einzelne, indem sie die älteren aus- führlichen Schilderungen kürzte und so die Streitpunkte

*) Über den Zusammenhang der Misch na. Ein Beitrag zu ihrer Entstehungsgeschichte von Rabbiner Dr. Ludwig A. Rosen- thal. Erster Teil: Die Sadduzäerkämpfe und die Mischnasammlungen vor dem Auftreten HillePs. Straßburg 1909. Verlag von Karl J. Trübner. Preis 5 Mk.

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. 183

durch einzelne Halachasätze im Sinne der Überlieferung zu entscheiden suchte.

Dies der Kern der Rosenthalschen Hypothese, die er selbst als Vermutung und kühnen Versuch bezeichnet.

Die Kühnheit liegt aber nicht in der Annahme anti- sadduzäischer Tendenz als Antrieb, den Stoff der münd- lichen Lehre zu ordnen. Gewichtige Gründe, wie gegen die Geigersche Hypothese von der halachasch äffen- den Wirkung des Antisadduzäismus, können gegen die Rosenthalsche Modifizierung dieser Hypothese in die An- nahme der Zurückweisung des Sadduzäismus als halacha- ordnendes Motiv nicht geltend gemacht werden. Diese Annahme hat sogar vieles für sich.

Soweit ist Rosenthals Hypothese sehr brauchbar und gar nicht kühn. Die Kühnheit beginnt erst mit der Über- treibung, mit der Annahme, daß die aus gegensadduzäischer Tendenz entstandene Halachaordnung auch die erste und älteste war. Dies ist aber nicht mehr kühn, son- dern einfach undenkbar. Schon aus der bloßen Beschäfti- gung mit Lehrsätzen ergeben sich notwendig und unbeab- sichtigt gewiße Aneinanderreihungen, Zusammenstellungen und Gruppierungen, besonders wenn diese Lehrsätze keine philosophische Grübeleien und abstrakte Spekulationen, sondern Satzungen für die Praxis, Gesetze für das Leben sind. Wie hat die autoritative Schule oder Behörde in Fragen des Tempeldienstes und der Reinheitsgesetze entscheiden, die Gesetze über Mein und Dein, Schuldner und Gläubiger, Schaden und Ersatz handhaben können, ohne daß aus der praktischen Anwendung auch eine gewisse Ordnung der Lehrsätze sich ergeben hätte? Bleiben wir bei der Recht- sprechung. Der Richter urteilt im Falle A nach dem Prin- zip a, dasselbe Prinzip muß er auch in den Fällen B, C... X anwenden. Die Fälle A . . . X wiederholen sich aber wäh- rend seiner Praxis mehrmals, so daß infolge des Assozia- tionsgesetzes der Rechtsfall A beim Richter die Vorstellung

184 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

der Fälle B, C . . . X auslöst. Ist nun der Richter zugleich Lehrer, so kann er auch dies ist ein psychologisches Gesetz seinem Schüler die Entscheidung in den Fällen A...X nur in der Weise überliefern, daß er bei der Be- handlung des Falles A nach dem Prinzip a auch die an- deren nach demselben Prinzip zu beurteilenden Fälle heran- zieht. Die Zusammenstellung der Fälle A . . . X mit dem gemeinsamen Entscheidungsprinzip a, der Fälle A1 . . X1 mit dem Prinzip a1 usw. ergibt sich auf diese Weise n atur notwe ndig ohne äußere Veranlassung. Halacha- ordnungen nach naturgemäßen, inneren Prin- zipien sind also so alt wie die Halacha selbst. Sie sind aus Theorie und Praxis von selbst herausge- wachsen. Dies bedarf ebensowenig eines Beweises wie jedes andere psychologische Gesetz.

Später entstanden nach 1 i t erar i seh - k ü nstlich e n Prinzipien gemachte Ordnungen, die die ursprünglichen naturgemäßen Zusammenhänge oft zerrissen und sprengten. Das nächstliegende literarische Ordnungsprinzip ist die Reihenfolge der Gesetze in der Schrift. Die Ordnung nach dem Seder Mikra darf daher als die älteste künstliche Halachaordnung angesehen werden. Daß spä- ter auch der Kampf gegen den Sadduzäismus und andere Häresien künstliche Halachaordnungen ins Leben gerufen, ist nicht unwahrscheinlich. Soviel kann man von der Ro- senthalschen Hypothese behalten und nützlich verwenden.

Auch die Ausführungen R.'s über die Rücksicht auf das Gedächtnis als Ordnungsprinzip: nach gewissen Schlag- wörtern, Zahlenverhältnissen, End- und Stabreim und dgl. enthalten ebenfalls ein Körnchen Wahrheit. Daß die Ord- nung nach innern Gesichtspunkten als die älteste und ursprünglichste angesehen werden muß, ist oben aus- geführt worden.

»Ich würde mich versichert R. glücklich schätzen, sollte es mir gelungen sein, etwas zur inneren Einleitung

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. 13 5

in die Geschichte der Mischnah geboten zu haben«. Dies ist ihm in der Tat gelungen. Denn etwas, u. z. Inter- essantes und Anregendes, bietet R.'s Arbeit auch demjenigen, der sich seiner Hypothese gegenüber ableh- nend verhält.

Die Halacha ist die »Überbrückung zwischen dem Buchstaben und der Praxis«. Bei der Untersuchung einer Brücke ist aber die wichtigste Frage die nach den Pfeilern, auf denen sie ruht. So ist auch die Untersuchung über Beschaffenheit und Tragfähigkeit der Pfeiler der mündlichen Lehre, d. i. der h er me neutischen Regeln die erste und wichtigste Aufgabe einer Geschichte der Ha- lacha. Mit dieser Aufgabe beschäftigt sich seit mehreren Jahren Rektor A. Schwarz1). Seine jüngste Arbeit auf diesem Gebiete behandelt die dritte Middah, den B i n j a n Ab und die mit ihm verwandten hermeneutischen Regeln2).

Das Buch zerfällt in drei Teile. Der erste Teil be- schäftigt sich mit der Auffassung des Binjan Ab bei den älteren Methodologen und Erklärern der Baraitha des R. Ismael. In dieser Auseinandersetzung ist dem scharfsinnig- sten Sifrakommentator, dem RABD, der erste Platz und der breiteste Raum gewidmet. Schwarz findet bei den Metho- dologen, die mehr mit den zwei Formen des Binjan Ab: in« 2in3ü und D*3VO Wn als mit dessen eigentlichem Wesen sich beschäftigen, auf die Frage: was ist der B. A.? keine befriedigende Antwort. Er steigt daher zu den Quellen hinauf, um aus der Anwendung der Middah ihr Wesen zu erschließen.

Diese Untersuchung, der Hauptzweck des Buches, wird aber nicht schon jetzt in Angriff genommen. Der Verfasser

1) Die hermeneutische Analogie in der talmud. Literatur (1897). Der hermeneutische Syllogismus in der talmud. Literatur (1901).

2) Die hermeneutische Induktion in der talmudi- schen Literatur. Ein Beitrag zur Geschichte der Logik. Von Rektor Prof. Dr. Adolf Schwarz. Wien 1909 (XVI. Jahresbericht der isra- elitisch-theologischen Lehranstalt in Wien).

186 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

hält es für notwendig, zuerst das Verhältnis des irsa na zum B. A. zu beleuchten. Da aber der irsa ne-Schluß nichts anderes als eine der vielen Formen des Analogieschlusses ist, so muß er sämtliche Analogieschlüsse der tannaitischen Literatur untersuchen. Dies ist der Inhalt des zweiten Teiles, dessen Resultate die folgenden sind:

1. Die mit Dtra eingeleitete Vergleichsurteile sind en- thymematische Analogieschlüsse. Beispiel: Mischnah Berachoth IX 5 Kinr d#3 nmn hv *psh ßrw 3'*fr naHün bv yoa. »M. das Gute und S. das Schlimme, sind ein- ander darin gleich, daß sie, von Gott ausgehend, unserem Heile dienen (a). Wenn nun a bei M ein Grund dafür ist, daß wir Gott preisen, P, so muß es auch bei S dieselbe Folge haben. M ist P; S ist in a gleich M; S ist P«.

2. irso, irsa na sind Analogieschlüsse von der Form: M ist P, S ist in a = M; ergo SP. Beispiel: Berachoth VII 3 "»ma *m«i paina tir roian rraa irsa na «a^pv "i no«. »R. Akiba konkludiert von M, dem öffentlichen Gottesdienst, auf S, das gemeinsame Tischgebet, mittelst a, des Momentes der Gleichheit zwischen beiden. Die Gleichheit besteht in der Aufforderung an die Anwesenden, Gott zu preisen . . . Der öffentliche Gottesdienst, M, kennt hinsichtlich der Auf- forderung an die Anwesenden von zehn Personen aufwärts keinen Unterschied, P. Das gemeinsame Tischgebet gleicht dem öffentlichen Gottesdienst darin, daß es mit einer Auf- forderung an die Teilnehmenden seinen Anfang nimmt. S ist in a gleich M; ergo ist SP, d. h. das gemeinsame Tisch- gebet hat von zehn Personen aufwärts immer dieselbe Auf- forderung«. Diese Schlüsse unterscheiden sich also von den ctra-Schlüssen außer durch die fragende (zetistische) Form noch dadurch, daß bei ihnen das Moment der Gleichheit ausdrücklich hervorgehoben wird. Dies ist aber nicht immer der Fall und insofern sind auch die irsa-Schlüsse enthy- mematisch.

3. Die irsa na-Schlüsse haben sich zu vollst ftndi-

Die talmndische Literatur der letzten Jahre. 1S7

gen Analogieschlüssen entwickelt, die sich von jenen dor Logik nicht inhaltlich, aber formell dadurch unterscheiden^ daß erstens bei ihnen die zweite Prämisse mit der Kon- klusion verbunden und zweitens die Prämisse: S ist in a = M an die Spitze gestellt. Beispiel: Terumoth V 4 mic« n«eoi cub mT« hfiffitoi S*mn 'kbip fnb bbr\ rra na« h^yjl nsBö p,k n^iy rrtUHö na tränst. »Da die unreine Hebe für den Ahroniden genau so wie die reine Hebe für den Nichtahroniden zum Essen verboten ist, konkludieren die Hilleliten, S ist in a gleich M; M ist P; ergo ist auch S P.«

4. Die bisher behandelten drei Klassen der hermeneu- tischen Analogieschlüsse fallen also ihrem Wesen nach mit den Analogieschlüssen der Logik in eines zusammen, da in beiden von der teilweisen auf die vollständige Gleichheit zweier Dinge geschlossen wird. Zwar dienen die hermeneu- tischen Analogieschlüsse dem besonderen Zweck der Ge- setzesinterpretation, da aber in ihnen die biblischen Bestim- mungen begrifflich in Parallele gebracht werden, so sind sie rein logische.

5. Die Hermeneutik hat aber auch solche Analogie- schlüsse, die nicht die biblischen Bestimmungen nach ihren begrifflichen Inhalt in Parallele stellen, sondern den Text der heiligen Schrift interpretieren. Die Logizität auch dieser Schlüsse nach Form und Inhalt ist unanfechtbar, aber wegen ihrer Auslegung des Textes sind sie exegetischer Natur. Exegetische Analogieschlüsse sind die n:tt> nrn und der V8*rT, oder der isorrhematische und der juxta- positionelle Analogieschluß. Die nw ffrta ist ein voll- ständiger Analogieschluß und unterscheidet sich von diesem nur dadurch, daß bei ihr die erste Prämisse nicht S ist in a = M lautet, sondern S ist in i (isorrhem) = M. Der Zusammenhang zwischen a und P ist ein kausaler, zwischen i und P ein bloß autoritativer: da die Thora den bloß zweimal gebrauchten Ausdruck in der einen Stelle näher bestimmt hat, so schließen wir, daß diese nähere Bestimmung auch

188 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

für die andere Stelle gilt. Aus dem isorrhematischen hat sich der juxtapositionelle Analogieschluß entwickelt. »Es lag sehr nahe, nachdem man das grammatikalische Wort in der Gestalt des Isorrhems zur Analogie herangezogen, zu demsel- ben Zwecke auch auf das syntaktische Element, auf die Wort- stellung im Satze zu rekurrieren«. Unter t>p>n verstehen die Amoräer zwei aufeinanderfolgende Worte oder Satzteile in einem und demselben Verse. »Diese zwei Worte stehen infolge der Assoziation, von welcher die Thora sich leiten läßt, im Verhältnis des M zu S, so daß wir das P bei M ohne wei- teres auf S übertragen. Den Unter- und Schlußsatz des juxtapositionellen Analogieschlusses lesen wir aus dem Schlußworte heraus, aber es wäre doch ein Irrtum zu meinen, daß dem »p»n aus diesem Grunde der Vorzug vor der w'y zuerkannt werden müsse. Nein, was ihn nach der Be- hauptung des Talmud gegen jedweden Einwand schützt, ist das kausale Verhältnis, in welchem P zu a steht. Wäh- rend also im isorrhematischen Analogieschluß der Übersatz lautete: S ist durch i gleich M, hat der juxtapositionelle genau so wie der vollständige Analogieschluß den Übersatz: S ist in a gleich M.«

Nachdem der Verfasser die verschiedenen Formen der Analogieschlüsse als Vorstufen des Binjan Ab beleuchtet hat, wendet er sich im dritten Teil seines Buches dem Binjan Ab selbst und seinen einzelnen Entwicklungsphasen zu. Die Ausführung darüber gipfelt in dem Satze: der Binjan Ab ist ein regelrechter Induktions- schluß. Der Binjan Ab nrtK ainoa ist ein Spezies-Induk- tionsschluß, der Binjan Ab D^iro »3#a ein Genus-Induk- tionsschluß. Wie seine Vorstufe, der Analogieschluß, gabelt sich auch der Binjan Ab in den rein logischen und den exegetischen Induktionsschluß.

Schwarz antwortet also, wie wir gesehen, auf die Frage, ob die talmudische Hermeneutik den Anforderungen der Wissenschaft zu entsorechen geeignet sei, mit einem ent-

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. 189

schiedenen Ja. Und noch eine weitere Frage, eine nicht minder wichtige, beantwortet er in diesem Buche besonders scharf: wie alt ist die talmudische Hermen eutik? Die Antwort darauf faßt Schwarz am Schlüsse der Aus- führung über die nw riTÖ in folgenden Sätzen zusammen: »Ich kann dieses Kapitel nicht besser schließen, als mit dem Hinweis auf die tiefe und weite Kluft, welche mich von Abraham Geiger trennt. Nach Geiger sind die ersten Anfänge der »»j in der Mischnah zu suchen. Nach meinen Unter- suchungen hat die Wz lange vor der Redaktion unserer Mischnah den Charakter einer Middah verloren. Nach Geiger weiß Hillel noch nichts von einer vrs, nach den Ergebnissen meiner Forschungen tritt die &") mit Hillel in ihre zweite Entwicklungsphase. Nach Geiger ist die talmudische Her- meneutik blutjung, nach meiner Auffassung ist sie steinalt. Das ist ein wissenschaftlich begründeter Abstand von vielen Jahrhunderten«. Schwarz' Buch ist ein 3K pj3.

Von Übersetzungen rabbinischer Texte seien hier die Arbeiten Stracks und Wunsches erwähnt.

Strack lieferte eine sehr gute Übersetzung der Mischnahtraktate San hedrin-Makkoth1) und Abo da sara2), letztere in zweiter Auflage. Der Übersetzung ist ein nach Handschriften und alten Drucken sorgfältig edierter Text zu Grunde gelegt. Die die Übersetzung fortlaufend begleitenden Fußnoten bringen die nötigen Erklärungen und die Noten zum hebr. Text die Varianten. Ein zwischen Text und Übersetzung eingeschobenes Vocabular verzeichnet die in den übersetzten Traktaten vorkommenden nachbib-

') Sanhedrin Makkoth. Die Mischnatraktate über Strafrecht und Gerichtsverfahren. Nach Handschriften und alten Drucken her- ausgegeben, übersetzt und erläutert. Von Prof. D. Dr. Hermann L. Strack. Leipzig 1910. J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung.

■) Aboda sara. Der Mischnatraktat »Götzendienst«. Heraus- gegeben von Prof. D. Dr. Hermann L. Strack (zweite, neubear- beitete Auflage mit deutscher Übersetzung. Leipzig 1909. J. C. Hin- richs'sche Buchhandlung.

190 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

lischen Wortbildungen. Die Einleitung gibt den Inhalt der Traktate an, nennt die in ihnen zu Worte kommenden Lehrer und gibt Rechenschaft über die benützten Hand- schriften und Drucke sowie sonstige Hilfsmittel.

Strack's Übersetzungen sind in erster Reihe für An- fänger und Studierende bestimmt; für diese sind sie das beste und geeigneteste Hilfsmittel, in die talmudische Lite- ratur einzudringen. Die Texte aber und die zum Traktat Abodah sarah reichlich herangezogenen Parallelen aus dem Kultus des klassischen Altertums sind auch für den Tal- mudisten von Nutzen.

Daß St.'s Übersetzungen und Erläuterungen sich durch Zuverlässigkeit und Objektivität auszeichnen, ist, in Hin- blick auf andere derartige Arbeiten, nicht überflüssig her- vorzuheben.

Von Wünsche's Übersetzung der kleinen Mid- raschim sind zwei weitere Lieferungen erschienen. Bd. III1) und IV2). Im dritten Band sind folgende Midraschim übersetzt: Traktat von den Grabesleiden, Fragen des R. Elieser (über Wiederbelebung der Toten), Der Tag des Ge- richtes, Gan Eden, Fragmente zu Gan Eden, Traktat von den himmlischen Hallen, Die Mauern und Hallen von Gan Eden und seine Bewohner, Das Mahl der Gerechten, Das Gehinnom, Gan Eden und Gehinnom, Eine Geschichte von R. Josua b. Levi, Messias-Haggada, Die Zeichen des Mes- sias, Über das neue Jerusalem, den Tempel, den Messias und die Freuden in Gan Eden, Die Mysterien des R. Simon ben Jochai, Gebet des R. Simon ben Jochai, Midrasch Konen, Das Noa-Buch, Von der Bildung des Kindes, Eine andere Re-

') Aus Israels Lehrhallen, Kleine Midraschim zur jü- dischen Eschatologie und Apokalyptik. Zum ersten Male übersetzt und durch religionsgeschichtliche Exkurse erläutert von Aug. Wün- sche. III. Bd. Leipzig, 1909. Eduard Pfeiffer. M. 6.20.

*) Aus Israels Lehrhallen. Kleine Midraschim zur jüdischen Ethik, Buchstaben- und Zahlen-Symbolik. Zum ersten Male übersetzt von Aug. Wünsche. IV. Bd. Leipzig 1909. Ed. Pfeiffer. Mk. 7,80.

Die talmadische Literatur der letzten Jahre. 191

zension über die Bildung des Kindes. Der vierte Band enthält: Midrasch Le'olam, Midrasch Gadol und Gedolah, Perek Schalom (vom Frieden), Midrasch der Zehn Worte, Dreizehn ethische Erzählungen, Zwei Erzählungen, Erste Re- zension des Alphabeth-Midrasch des R. Akiba, Zweite Re- zension des Alphabet-Midrasch des R. Akiba, Midrasch des R. Akibah ben Joseph, Deutung der Buchstaben und Buch- stabenverbindungen des hebräischen Alphabets im Traktate Schabbat, Midrasch Ma'ase Thora.

Die Übersetzung wird von kurzen Nachweisen und Erläuterungen begleitet. Den einzelnen Stücken sind Quellen- nachweise und Inhaltsangaben vorausgeschickt. Die Stücke Midrasch Leolam und Midrasch Gadol und Gedoloh sind durch eine Sammlung von mit denselben Schlagworten be- ginnenden Stellen aus Talmud und Midrasch ergänzt. Der dritte Band liefert in einem Anhang: Quellennachweise aus Talmud und Midrasch.

Daß die Übersetzung der kleinen Midraschim nütz- lich und wichtig ist, beweist die Tatsache, daß seit dem Erscheinen der Wünscheschen Übersetzungen diese Midraschstücke viel häufiger benützt werden als früher. Desto mehr wird ein Index vermißt, wie ich vielfach klagen höre. Hoffentlich wird im Schlußband diesem dringenden Bedürfnis in ausführlicher und erschöpfender Weise ent- sprochen werden.

Die Vorzüglichkeit der Wünsche'schen Überset- zungen im allgemeinen habe ich in der Anzeige der ersten zwei Bände hervorgehoben1). Daß einzelne Ungenauigkeiten in diesem Bande in geringerer Zahl vorkommen als in den ersten Bänden, konstatiere ich gern.

In diesem Zusammenhang sind noch einige Schriften zu erwähnen, in denen die talmudische Literatur nicht Zweck, sondern Mittel der Forschung ist.

In erster Reihe ist Büchler's Monographie über

») Monatsschrift 1908, S. 451 f.

192 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

das jüdische Sepphoris im zweiten und dritten Jahr- hundert zu nennen1). Die Untersuchung beschäftigt sich mit den weltlichen Leitern der Gemeinde, den jüdischen Richtern, den reichen Männern, der Bevölkerung, den Ge- lehrten und ihrem Unterhalt. Die Hauptresultate seiner Untersuchung faßt Büchler in folgenden, hier gekürzt wiedergegebenen Thesen zusammen:

Leiter der Gemeinde waren eine Anzahl wohlhabender und vornehmer Juden, als die »Großen«, »Häupter« und als Repräsentanten der jüdischen Bevölkerung der rö- mischen Regierung gegenüber »Parnassim« bezeichnet. Als Mitglieder des städtischen Rates waren sie für die pünktliche und volle Leistung der regelmäßigen und außer- ordentlichen Steuern verantwortlich. In dieser Eigenschaft ließen sie die Bevölkerung ihre Macht fühlen. Auch als Inhaber des Richteramtes ließen sie sich Mißbräuche zu- schulden kommen. Die Gelehrten lebten in großer Armut und wurden von den Großen und Reichen verachtet und wegen ihrer Zurechtweisungen gehaßt. Es wurden gegen sie gehässige und herabsetzende Anklagen erhoben, wozu einzelne durch ihre Lebensführung auch Anlaß gaben.

Galiläa kommt bei Büchler nie gut weg. Das wissen wir besonders aus seinem galiläischen Am ha-Arez. So ist auch diese Schilderung der Zustände innerhalb der jüdi- schen Bevölkerung in der Hauptstadt Galiläas im II. und III. Jahrhundert etwas zu düster ausgefallen. Denn wiewohl B. seine Thesen mit einer großen Fülle Quellenmaterials belegen kann, so muß man doch bedenken, daß dieses Material zum weitaus größten Teil dem agadischen Schrifttum entnommen ist und daß Sittenpredigten und Strafreden nur cum grano salis für die wirkliche Geschichte zu verwerten sind.

*) The Political and the Social Leaders of the Je- wish Community of Sepphoris in the second and third ceRturies, by A. Buch ler (Jews' College Publication N. 1).

Die taimcdiscbe Literatur der letzten Jahre. 193

Selten wird in engem Raum so viel Inhalt geboten wie in dieser scharfsinnigen, gründlichen, kulturhistorisch hochinteressanten Monographie Büchlers. Dies zeigt sich schon äußerlich in dem 14 Kleindruckseiten starken Index zu bloß 711) Seiten Text.

Ein viel erörtertes Thema behandelt Strack von neuem: Jesus im Talmud2). Neben Travers Herford's Chrlstianity in Talmud and Midrash« ist H. Laibles »Jesus Christus im Talmud« das ausführlichste Werk über dieses Thema. Da dieses Buch vergriffen ist und einer Neubear- beitung desselben viele Hindernisse sich in den Weg stellten, entschloß sich Strack zu seiner vorliegenden Arbeit. Über das Neue, welches Strack bietet, berichtet er selbst: »Meine jetzt vorliegende Arbeit gibt einerseits weniger. Ich habe hauptsächlich die Überlieferung zu Worte kommen lassen, längere Erörterungen über Bedeutung, bezw. Bedeutungslo- sigkeit des Überlieferten vermieden . . . Andererseits erheb- lich mehr. Erstens sind außer einigen auf Jesum bezüglichen Stellen die, gleichviel aus welchem Grunde, wichtig er- scheinenden älteren Erwähnungen der Minim neu aufge- nommen. Zweitens ist mehr für Genauigkeit des Wortlautes der mitgeteilten Texte geschehen (durch Vergleichung alter Drucke und einiger Handschriften). Drittens habe ich . . . den Versuch gemacht die durch griechische und lateinische Kirchenlehrer auf uns gekom- menen jüdischen Äußerungen über Jesum zu sammeln«.

Der Übersetzung sind notwendige Erläuterungen bei- gefügt. Was das Material betrifft, so hat zwar Strack auch die Stellen aufgenommen, deren Nichtbeziehung auf Jesus

l) Von den 78 Textseiten entfallen 6 auf die Einleitung und 1 auf das Facit.

*) Jesus, die Häretiker und die Christen nach den ältesten jüdischen Asgaben. Texte, Übersetzungen und Erläuterungen von Prof. D. Dr. Hermann L. Strack. Leipzig 1910. J. C Hinrich's- sche Buchhandlung.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. **

194 Die talmudische Literatur der letzten Jahre.

fängst feststeht, er macht aber jedesmal auf diese Tatsache aufmerksam, so daß »das schon früher unbefangenen For- schern sehr dürftig erschienene Material an Nachrichten noch mehr zusammenschrumpft«. Auch die Mischna Synh. X, 2 gehört sicherlich nicht hieher. Bileam ist der heidnische Prophet dieses Namens1).

Auch bei der Behandlung dieses Themas hat St. den Theologen und Apologeten ausgezogen und läßt nur den streng objektiven ruhig-kalten Wissenschaftler das Wort führen.

Strack hat in den Anmerkungen zu seiner Überset- zung des Mischnahtraktates Abodah sarah die römischen und griechischen Kultaltertümer zur Erklärung der Mischnah herangezogen. Die entgegengesetzte Richtung schlägt ein kleines Schriftchen von Gymnasialprofessor Dr. Hans Blau fuß ein8), B. sucht in dem Traktat Abodah sarah Materialien zur römischen Kultusarchäologie. Er beschränkt sich nicht auf die Mischnah, sondern entnimmt seinen Stoff auch der Toseftha und den beiden Tal- muden. Die Zitate berichtet der Verfasser »entstam- men, was Mischnah, Tosefta und Jerusalemer Talmud an- langt, aus eigenen, derzeit noch ungedruckten Übersetzungen desvVerfassers. Stellen aus dem babylonischen Talmud sind nach der Übersetzung Ewalds gegeben«.

Dies war keine glückliche Wahl. Auch des Verfassers eigene Übersetzungen und Erklärungen sind zuweilen ganz verfehlt3). Da aber die Vergleichungsresultate selbst unter

») Vgl. Herford, S. 69 und Bacher JQR. XVII, S. 177.

*) Römische Feste und Feiertage nach den Traktaten über fremden Dienst (Aboda sara) in Mischna, Tosefta, Jerusalemer und babylonischem Talmud. Beilage zum Jahresberichte des königl. neuen Gymnasiums in Nürnberg für das Schuljahr 1908/1909. Nürn- berg 1909.

8) S. 11, Anm. 6. Ab. sara 8b berichtet R. Josef, der babylo- nische Amora des 3./4. Jahrhunderts, und nicht R. Jose b. Chalaftha. Aus den Anmerkungen S. 5, 5 und 11, 5 ergibt sich, daß B. Mar

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. 195

diesen Fehlern nicht leiden, so behält das interessante Schriftchen seinen Wert, nicht bloß für den klassischen Archäologen, sondern auch für den Talmudforscher.

Das Resultat ist im allgemeinen ein positives, d. h. daß die Rabbinen mit den römischen Kultbräuchen und religiösen Sitten gut vertraut waren, so daß ihre Angaben, auch wenn sie aus anderen Quellen nicht belegt werden können, für die römische Archäologie in Betracht zu ziehen sind.

Samuel und Samuel für zwei verschiedene Personen hält. S. 30, Anm. 2. Rasch i ist nicht R. Salomon Jarcbi, sondern Jizchaki, der Sohn Isaaks.

(Fortsetzung folgt.)

*

13»

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit

Von Adolf Büchler.

Über die tatsächliche Beobachtung mehrerer Verbote der Thora, deren Übertretung mit Todesstrafe belegt wird, und über die wirkliche Vollstreckung dieser Strafe sind wir in nur ganz wenigen Fällen unterrichtet1). Es fehlt jedweder Bericht von tatsächlichen Vorkommnissen bis zu den letzten Jahrzehnten vor dem Untergange des jüdischen Staates; und auch für diese letzte Zeit fließen die Quellen nur dürftig, wenn auch reicher, als für die fünf Jahrhunderte seit dem babylonischen Exile zusammengenommen. Dieses gilt auch von der Bestrafung des Ehebruches, die nach Leviticus 20, 10 und Deut. 22, 22 für beide Beteiligte der Tod war, nach Ezech. 16, 38— 41; 23, 45—48 durch Steinigung, nach den Rabbinen durch Erdrosselung. Auch Josephus (Contra Apionem II 24. 30) erwähnt gelegentlich, daß auf Ehebruch

') Es ist daher völlig unbegründet, wenn Eduard Meyer, Ge- schichte des Alterthums III, 212 von der Zeit unmittelbar nach Esra und Nehemia sagt: »Die Thora hatte Gesetzeskraft, die Strafen, die sie auf jede Übertretung setzte, wurden rücksichtslos durchgeführt, die strenge Sabbatheiligung, die peinliche Beobachtung der Reinheits- und Opfervorschriften, die Beseitigung alles dessen, was als heidnischer Greuel galt, erzwungen«. Meyer hat es gerade hier unterlassen, für diesen so inhaltsschweren Satz auch nur einen einzigen Beleg anzu- geben. Ich vermute, daß ihm hiefür das Neue Testament als Quelle diente, das jedoch nicht einmal für die judäischen Verhältnisse zur Zeit Jesu ohne Weiteres verwendet werden darf. Ich gestehe, daß mir die Kenntniß der von Meyer angenommenen Tatsachen fehlt ; be- sonders aber ist mir die Bemerkung über die Reinheitsvorschriften unverständlich, mehr als die über die Strafen. Es ist für die Behandlung der jüdischen Geschichte traurig bezeichnend, daß ein Forscher ersten Ranges solche Behauptungen ohne jeden Beleg aufstellen darf.

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexüi3chen Zeit. 197

der Tod stand. Einen tatsächlichen Vorfall berichtet nur ein Zeit- und Altersgenosse des Josephus, R. Eleasar b. R. Zadok (Sanhedr. VII, 2, b. 52ab u. Parallelen), daß er nämlich als Kind gesehen habe, wie eine unzüchtige Priester- tochter auf Bündeln von Weinreben verbrannt wurde. An der Richtigkeit der Meldung zu zweifeln, liegt keine Ver- anlassung vor. Ferner erzählt bekanntlich das Büchlein Susanna, daß diese Ehefrau für ihren Ehebruch hingerichtet werden sollte, und zwar nach Vers 62 durch Hinabstürzen in eine Schlucht (LXX), nach einer syrischen Version durch Steinigung1). Ob aber diese strenge Strafe in der nach- exilischen Zeit auch ausgeführt oder auch nur als zu Recht bestehend von den Gerichten anerkannt wurde, ist von den Exegeten zu Prov. 6 und 7, zu Sirach 23 und zu Matth. 1, 18 ff., Joh. 8, 1—12 eingehend erörtert, in der jüngsten Zeit zumeist verneint und von nur Wenigen bejaht worden. Die Frage scheint mir aber jetzt nach dem umfangreichen und gründlichen Kommentare von Smend über Sirach nochmali- ger Behandlung wert, weil ihre Untersuchung einen, wie mir scheint, wichtigen Beitrag zur Geschichte der tatsächlichen Durchführung der pentateuchischen Strafgesetze liefert.

1. In Sirach 23 liegt weder ein formuliertes Gesetz, noch der Bericht von einem Vorfall vor; aber die Art und Weise, wie Sirach den Ehebrecher und die Ehebrecherin vor den Folgen ihrer Sünde warnt, spiegelt nicht nur das Denken des Spruchdichters, sondern natürlich auch die da- maligen Verhältnisse und auch die gesetzlichen Strafen wieder, die zu jener Zeit auf Ehebruch standen. Doch bietet der nur griechisch und syrisch vorliegende Wortlaut wesent- liche exegetische Schwierigkeiten dar, von deren Lösung die Beantwortung der geschichtlichen Frage zum großen Teile abhängt. Sirach behandelt in zwei, auch äußerlich geschiedenen Sätzen den ehebrecherischen Mann und die

') Siehe Monatsschrift f. Qeschichte u. Wissenschaft des Juden- tums L, 1906, 65; ff.

198 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexiliscben Zeit.

Ehebrecherin. Von dieser sagt er (23, 22—27 nach RyselPs Übersetzung in Kautzsch's Apokryphen I, 351) : > Ebenso ergeht es auch einer Frau, wenn sie ihren Mann verlassen hat und von einem anderen einen Erben zur Welt bringt. (23) Zuerst nämlich hat sie dem Gesetze des Höchsten zuwidergehandelt, und zweitens verging sie sich gegen ihren Mann, und zum Dritten hat sie durch Hurerei Ehebruch getrieben, hat von einem anderen Mann Kinder zur Welt gebracht. (24) Eine solche Frau wird in die Gemeindever- sammlung abgeführt werden und über ihre Kinder wird Heimsuchung kommen. (25) Nicht werden es ihre Kinder zum Einwurzeln bringen und ihre Zweige werden keine Frucht darreichen. (26) Sie wird ihr Andenken zum Fluch hinterlassen und ihre Schande wird nie ausgetilgt werden. (27) Und die sie überleben, werden erkennen, daß nichts besser ist, als die Furcht des Herrn, und daß nichts süßer ist, als die Beobachtung der Gebote des Herrn«. Diese Er- mahnung macht den Eindruck, als ob der Ehebruch nur dann eine so schwere Sünde wäre, wenn aus ihm ein Kind hervorgeht. Auch hat man hier ohne Grund ausge- sprochen gefunden2), daß die Frauen aus Furcht vor Scheidung wegen Kinderlosigkeit oder aus Schande über Kinderlosigkeit Ehebruch begingen, um Kinder zu bekom- men3). Der Spruchdichter faßt vielmehr den schwersten Fall des Ehebruches mit seinen fortwirkenden Folgen ins Auge, der nicht nur in der sündigen Tat besteht, sondern

*) ouTtö; xctt YUV75 in Vers 22 entspricht Vers 16: ein Ehebrecher begeht viele Sünden, ebenso die Ehebrecherin drei. Dieses ergibt sich deutlich aus der unmittelbar folgenden Aufzählung. Wäre nach den Kommentatoren zu übersetzen, dann ist die Strafe in Vers 24 von oÜTo)$ zu weit entfernt.

s) Frankenberg in Zeitschrift für alttestameatl. Wissenschaft XV, 233 ff.

3) Daß Frauen solches getan, finde ich nirgends angedeutet Anders ist der bei den a'.ten Arabern festgestellte Fall bei R.W. Smith, Kinship and Marriage, 2d edition 1903, p. 132: When a man desired a goodly seed, he might call upon bis wife to cohabit with another

Die Strafe der Ehebrecher in der nacbexilischen Zeit. 199

auch die bürgerliche Ordnung stört1). In solchem Falle hat die Frau drei Sünden begangen : gegen das Gesetz Gottes, das den Ehebruch strengstens verbietet; zweitens gegen ihren Gatten, dem allein sie gehört ; und drittens gegen ihre Familie dadurch, daß sie das Kind eines fremden Mannes ins Haus gebracht hat2).

man tili she became pregnant by him. The child as in similar case in Hindu law, was the hnsband's son. Vgl. Wellhausen in Oöttinger Gelehrten Nachrichten 1893, 457.

•) Genau so stellen die Tannaiten und Amoräer die Größe der Sünde an deren Folgen dar. R. Simon b. Menaßja in Chagiga I, 7

sagt: ...ttdd ruBis tHti .tiijh by tan rn .ppn? fcy uw rmj» rnnt

Pfpn-1 1TWIT KIT büS* In der Baraitha b. Chagiga 9 b, Toss. I, 7:

ü-jk ?n3 .jpw 1233 Ttrpr wen dtx 3313 ,tbik iraao p ppatr w mn (s ttb3 nteS moKi vw nsrx Vy »an ?aK ,jpiw i^ta •vn-v» "ipdk 1*7 "|Tm B^IJH, Wenn jemand stiehlt oder raubt, kann er durch Rück- erstattung des Gestohlenen oder Geraubten alles wieder gutmachen; wer aber mit dem Weibe eines Anderen Umgang gepflogen und da- dnrch dem Gatten das Zusammenleben mit seiner Frau unmöglich gemacht hat, wird aus der Welt gestoßen und geht dahin. R. Simon b. Lakisch läßt Gott von den Ehebrechern sagen (Aboda sara 54 b) : Nicht genug, daß diese Sünder meine Münze frei mißbrauchen, zwingen sie mich noch, meinen Stempel darauf zu drücken. Derselbe Lehrer sagt (Lev. rab. 23, 12; Pesikta rab. 24, 124b; Num. rab. 9, 1): Gott prägt der Frucht des Ehebruches die Gesichtszüge des Ehebrechers auf, um dessen Schuld offenkundig zu machen. Vgl. Bacher, Paläst. Amoräer I. 360 ff. Von Gott stammen nämlich nebst der Seele und den Sinnen auch die Gesichtszüge, C3D "iflDTp (Baraitha Nidda 31 a), er kann sie sonach nach seinem Willen gestalten. Daß "inDTp in der Baraitha mit -PtcpTa im Satze des R. Simon b. Lakisch identisch ist und beide auf ^apaxT/ip zurückgehen (Bacher, Paläst. Amoräer II, 343, Note 3), unterliegt keinem Zweifel; aber das Wort philologisch zu erklären, ist bisher noch nicht gelungen. Die Ableitung bei Krauß, Lehnwörter II, 548 b ff. ist unmöglich. Das Gesicht als Ganzes ist gleichzeitig im Ebenbilde Gottes geschaffen, vgl. Mechiltha zu Exod. 20, 17, p. 70 b: mOTa BJ?DD l'rKa ailDfl 1^J> TTjm DT TB1BMP *D TD

DTun rix rwy witoi dt» <a nai dtx.t dt tbhp noa;» t^d-t. Dafür auch DipD bv \Wp*X in Midrasch ^ 55, 3; 17, 8: vfy p jwn^m TDK nr-oo nrnorn btx.t vtb ddttd mip"« *b» 'Vt>: di?b>3 >ttd hd Dipo bv paipnrt DipD >:n niTBWi.

*) Dieses ist in zwei Sätzen ausgedrückt, das ist unzweifelhaft;,

2C0 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit

Die Strafe dieser Frau für ihre dreifache Sünde geben die beiden Zeilen vom 24. Vers. Das hebräische Original ist schwer zu ermitteln. Smend (Die Weisheit des Jesus Sirach 213) bemerkt hiezu : »Syroh. s^aythtesrai bfhpnn (= sie wird beschimpft werden?), Syr. für a: und auch sie wird aus der Gemeinde herausgehen. Man könnte dazu K'iiin Esra 10,3. 19 vergleichen; aber auch von der Hinaus- führung vor die Stadt oder vor das Haus, etwa zur Todes- strafe, vgl. Genes. 38, 24, Deut. 22, 21.« Hiernach wäre das Hebräische : pnpc rprmiy rinV bvi bnpn bx K3\n irn (nach Exod. 20, 5 D^a bv jna« pj> TpiB, Edersheim). Was der Dichter vom Schicksal der Kinder im Folgenden sagt, ist ganz klar: sie werden keine dauernden Wurzeln schlagen, und wenn sie erwachsen sind, werden sie keine Kinder bekommen. Der Gedanke ist, daß nur legitime Kinder am Leben bleiben1); die Frau aber hinterläßt ihr Andenken zum Fluch (Jes. 65, 15: nynvb oaatr Dfinm) und man wird ihrer Schande lange gedenken (Prov. 6, 33 nnan »b WBTrtt). »Und die sie überleben« wird im Hebräischen, wie schon Smend gesehen hat, onsnni gelautet haben, wie in Deut. 19, 20 ikvi ww nnKtwro, wofür Deut. 13, 12 ; 21, 21 hxw tel pOT*»l *iyotr\ Deut. 17, 13 ijw nyn ^ai hat, in all diesen Stellen nach der Bestrafung eines Sünders mit dem Tode. Der Sinn des Satzes ist: die Frau und ihre Kinder gehen zu Grunde und ihr Geschick schreckt andere ab. Dieses scheint mir dafür zu sprechen, daß die Ehebrecherin hin-

aber der Begriff, der beiden zu Grunde liegt, ist nicht ganz klar, vgl. Fritzsche. Das Original dürfte gelautet haben: jnr Tiü'pr, FPBK JllJ?a 'laa W>xti, und der Übersetzer machte zwei Sätze daraus.

>) Vgl.jer. Kidd.IV, 65d, 23; Jebarn. VIII, 9c, 64: w;n '31 1DK dk r^aai n^ya ian «*ao um -pia wr^n r,:v o^arf? cwb nnx

D^Nton1? üü"\tb xbv Cltfa JHDJ? ^Blü ontoon, R. Chanina sagte: Einmal in sechzig oder siebzig Jahren sendet Gott eine Pest über die Welt, die alle Kinder aus Unzucht vernichtet, aber auch legitime werdea hinweggerafft, damit die Sünder nicht bekannt werden. Vgl. auch Fritzsche zur Stelle ur.d Frankenberg in ZATW. XV, 234.

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischea Zeit. 291

gerichtet wurde, was Vers 24 und 26 ohnehin deutlich genug besagen, die von dem Andenken der Frau sprechen. Dann ist «V,n der Terminus für die Todesstrafe der Un- züchtigen, wie das griechische i^xyd-r^z^x: allein schon das Hinausführen zur Hinrichtung bedeutet, (Pape s. v. z^i^m führt hiefür Herod. 6, 91, Xenophon, Anab. 1, 6, 10, Hell. 6, 4, 37 an).

Wegen Vers 26 a jedoch und mit Rücksicht darauf, daß mit keinem Worte angedeutet wird, daß die Ehebrecherin auf frischer That ertappt oder durch Zeugen des Ehebruches überwiesen wurde, scheint es mir keineswegs ausge- schlossen, daß es sich hier um eine Frau handelt, die von ihrem Gatten des Ehebruches bloß verdächtigt wird und nach Num. 5, 15 ff. durch das Wasser der Bitterkeit ihrer Sünde überwiesen werden soll. Nach der genauen Vorschrift der Mischna Sota I, 3 wurde, wie ganz natürlich, eine solche Frau erst vor die Ortsbehörde geführt, vor der der Gatte seinen Verdacht vortrug ; die Frau wurde dann von zwei Mitgliedern der Behörde zur obersten Behörde nach Jeru- salem geleitet, wo ihre Sache bis zur Entscheidung ge- führt wurde. Haben wir auch keine Nachrichten darüber, daß dieses Verfahren auch schon zur Zeit Sirachs befolgt wurde, so liegt es in der Natur der Sache, daß der Gatte sich mit seinem Verdachte an seine Ortsbehörde wendete, wenn er diesen überhaupt in die Öffentlichkeit brachte. Die Frau wird dann zur Gemeinde zur Rechtfertigung hinaus- geführt; gelingt es auch nicht, sie des Ehebruches zu über- führen, so büßen ihre aus Sünde hervorgegangenen Kinder die Sünde ihrer Mutter1); die Frau aber hinterläßt ihren

!) Vgl. Sirach 26, 19: >Mein Sohn, die Blüte deines Alters be- wahre gesund und gib nicht Fremden deine Kraft hin. (20) Hast du aus dem ganzen Fe'd einen Acker mit gutem Boden ausgesucht, so säe deinen eigenen Samen im Vertrauen auf deine edle Abkunft. (21) So werden deine Sprößlinge am Leben bleiben und mit dem Freimute, den edle Abkunft verleiht, groSwachsen«. Allerdings sieht der Gedankengang in diesen Sätzen nicht jüdisch aus und man könnte

202 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit.

Namen als Gegenstand des Schwures und Fluches, wie die in Num. 5, 21.

2. Was den ehebrecherischen Mann betrifft, so lautet der entsprechende Passus in Sirach 23, 16b : »Ein Mensch, der an seinem eigenen Fleische hurt, wird nicht eher auf- hören ... als bis er gestorben ist. (18) Der Mensch, der von seinem Bette weg weitergeht, spricht bei sich selbst: »Wer sieht mich denn? Finsternis ist rings um mich und die Wände verdecken mich und niemand sieht mich, was sollte ich mich scheuen ? Meiner Sünden wird der Höchste nicht gedenken ? Und die Augen der Menschen sind es, die er fürchtet .... (21) So wird denn ein solcher in den Straßen der Stadt gestraft werden und, wo er sich dessen nicht versah, wird er aufgegriffen werden«. Die Schwierigkeit des Hysteron Proteron im letzten Satze haben schon die Ver- sionen durch Umstellung, beziehungsweise Änderung zu beseitigen gesucht. Ist die Reihenfolge beim Griechen richtig, so muß eyJtac-/]\bi<j£Tai einem andern Worte als Strafe ent- sprechen. Syrer hat dafür sneru «ranon »pwn «an = er wird schon geführt werden. Smend bemerkt hiezu (p. 112): »Das war die Strafe des Ehebrechers und der Ehebrecherin bei den Arabern. Peschit. hat dasselbe Num. 25, 4 für jppin (LXX TapaSetY^aT^tü), obwohl da etwas ganz anderes gemeint ist. Lat. fügt hier bei : et quasi pullus equinus fugabitur. Muhammed warf den Juden vor, daß sie mit den Ehe- brechern nicht nach dem Gesetze verfuhren. In der Tat ist auch hier weder bei dem Ehebrecher, noch in Vers 24 bei der Ehebrecherin von der Todesstrafe die Rede, was für das Verständnis von Joh. von Interesse ist«. Der hebräische

zweifeln, ob diese vom Verfasser herrühren, besonders, da sie nicht in allen Handschriften stehen und deshalb als unecht angesehen wer- den. Hebräisch dürften sie gelautet haben: hx) ,"pH 'D'S 1DBM US -pn'H'j'iro ijnt jnn ,flj>pa niv hzn .nmto npbn -\b *im .-^ti d-ht1? [im nnin-n ^nnctro iharn ,-\b ymxiot wi ,nra. Das letzte Wort ist bloß geraten nach dem syrischen ;d *q^ und dem griechischen £v 7:app7)<ri«r das bei LXX für JVi'DCp steht.

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 203

Text dürfte etwa gelautet haben : ab r&0 "itt>22 fui? Wlk ■upk iv Vm» *6i bj»' ünb bi ejru wxb «rs n ipan ip bin' b»djv rv dibsi tp «awa nv . . . i«nyo rinn bpk .jtb\ Die Worte muw W3, die schon Fritzsche erkannt hat, bedeuten nicht, wie auch Smend meint, Verwandtenehen, sondern, wie im Satze vom Unzuchttreibenden in Prov. 5,511 m^»23 ■pKtri TW3, den Körper und den Penis. LXX hat nvixa av x-axaTpißw-jt (Tapxe? cwaaTÖ; cou, wörtlich wie Sirach, und natürlich entlehnt diese Worte in der gleichen Bedeutung1). v~w scheint mir nach Prov. 10, y yiv VTfl trpyoi gewählt zu sein, das nach Jud. 8, 16 on; snn als Strafen erklärt wird ; der Syrer hat snr übersetzt, der Grieche nach dem Zusammenhange2). Die erste Frage ist, ob hier von einem Ehebrecher die Rede ist. Schon der Ausgangspunkt zeigt, daß dieses nicht der Fall ist, da hier nur die Beziehung des unzüchtigen Treibens zum eigenen Ehebett des Mannesr nicht die zum Weibe des Nebenmenschen besprochen wird. Außerdem fehlt jeder Hinweis darauf, daß der Unzüchtige mit einem Eheweibe Umgang pflegt, wie in einer andern gleich zu besprechenden Stelle im Sirach. Der Dichter geißelt hier vielmehr die unersättliche Leidenschaft des Unzüchtigen, der nicht wählerisch und dem jedes Weib gut genug ist ; er verläßt sein Eheweib und sucht fremde

») Vgl. auch zum Beispiel ^ 73, 26 SöVl ^XV nbs, wo "nNtf den Körper nach seiner außen sichtbaren Seite, *22*? das Innere be- deutet. Für mit hat Syrer THB in 41, 17; 42, 11 ; vgl. 8, 2; 19, 2 und das aramäische Fragment der Testamente der XII Patriarchen in Jew. Quart Review XIX, 571 unten: ^3 [DI HXDttl tflD ^3 jD na ~\b imm nut, wo der Grieche öctco 7cavTÖ? <7uvou<Jiacao'j = Beischlaf, hat.

2)Das gleiche Wort ist in Sirach 12, 8 zu ermitteln, wo der Grieche hat : e«fc exSixyiOvicsTat ev xyx&oXq 6 <p£),o? xai ou xpußTffcsTai ev /taxoT; 6 s/d-po?. Da werden für das erste Verbum als Varianten be- zeichnet: eu.(&-/)\M<jeTai, iTtifmcd'riGzxa.i, bopav/fasTat, Lat. Slav. ag- noscetur, Syrer csnrtJ K7. Alle diese Varianten gehen auf das hebräische Original zurück, das entweder ffysm oder n^M, oder JHV hatte; der eine Übersetzer sah darin Strafen, der andere Offenbaren. Der He- bräer hat in der Tat jhi\

204 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexiiischea Zeit

Häuser auf. Daß auch diese Untreue gegen die eigene Gattin als Sünde gegeißelt wird, zeigt, daß Sirachs Zeit- alter und Umgebung an die Sittlichkeit der Juden einen strengern Maßstab angelegt hat, als uns Frankenberg und andere Ausleger der Proverbia glauben machen möchten. Wäre hier von Ehebruch die Rede, so dürfte der Hinweis auf die schwere Sünde gegen die Ehe des Andern nicht fehlen. Der Unzüchtige nun wird in den Straßen gefangen und gezüchtigt werden. Damit ist nicht das Gericht ge- meint, das ja nicht in den Straßen, sondern am Tore oder sonstwo seinen Sitz hat. Vielmehr wird der Unzüchtige von Leuten auf der Straße, die ihn verdächtigen oder be- zichtigen, auch in ihre Häuser Schande gebracht zu haben, aufgegriffen und durchgeprügelt, und noch mehr, wo er es gar nicht befürchtet hat, ergriffen werden. Von Bloßstellen zur Strafe ist hier ebensowenig die Rede, wie von der Todesstrafe, die nicht in den Straßen vollstreckt werden konnte, und die einen Unzüchtigen in dem hier voraus- gesetzten Falle gar nicht treffen durfte1).

Anders Verhaltes sich mit 9,8: »Wende das Auge ab von einem wohlgestalteten Weibe und betrachte nicht ge- nau fremde Schönheit2) .. . (9) Mit einer verheirateten Frau

') So wird auch zum Beispiel in 25, 2 und 42, 8 die Unzucht des Greises gegeißelt, von Ehebruch ist keine Rede.

-) Beachtung verdient in diesem Zusammenhange 41, 22: catr/yvta&z . . . ärro opiffsco; Y'jvxty-^ STadpa; . . . (22) */.al ircö xaTavoyfceo); "ß}Vaux.üq 0-avSpou, axö xsptspY*wcs rcaiourKDS x-jtov» ' y.al u,?i sxwrr^; surl tyjv xo'/rr,v aür/fo. Hebräer hat bloß: ^xtS'SMö . . . ?K nipnnoi mi fHMt; Smend (337) nemerkt: »Griechisch xati <k%6 xaTravo7i<7Sto; yuvouy.ö; OxivSpou ist wohl = HT'iyss [JiarnDi ödet- en n;lj?r3, vgl. zu 9, 5. 9. Hebr. las wohl von [rcriHDi mt auf BBIBflrTßl my: über. Das 22a zu vermutende niy: bedeutet nach Gr. hier die Sklavin . . . Indessen darf hier die Jungfrau nicht fehlen, vgl. 9, 5 und ITU» 30, 20; Deut. 22, 18. Welches hebr. Wort hinter axö xsotsoY£'x? steck:, ist unklar. Aeth. versteht: verführen. Mai könnte an n#)? (jes. 23, 12) denken, das Gr. als po%J verstand. Syroh. ÄD'nXD (Anschauen) nach dem Vorigen«. Mir scheint, erst fUN JtttX

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 205

pflege überhaupt keinen Umgang und halte nicht mit ihr beim Wein üppige Gelage ab; damit sich nicht dein Sinn zu ihr hinneige und du durch deine Leidenschaft ins Ver- derben stürzest.« Syrer hat statt der letzten Worte : »und du mit schuldigem Blute in die Unterwelt hinabsteigt.« In der Anführung dieser Sirachstelle in Synh. 100 b (Jebam. 63 b) heißt es: mr,n bs d*cw iflwin ü*T\ Tftfi twk Imwa % während der Hebräer hat: mm \y\ n^i inntrin ntr« TM r\rw bx g&n 0*2121 2^> n*^x man (D . « mbr\ tr«2. Der Wort- laut des letzten Satzes ist durch die Leseart a^ßflcn statt TuvcuaaTi und durch den Syrer gesichert (vgl. Fritzsche, Edersheim, Ryssel und Smend). Der Sinn könnte sein, daß der Ehebrecher mit dem Gatten in Streit geraten und ge- tötet werden könnte. Aber was es wirklich heißt, kann schon wegen man und auch nach I Reg. 2, 9 nx nrrnm b'.»W 212 iii2*rr nicht zweifelhaft sein: es ist die Todes- strafe, nicht, wie Fritzsche mit Hinweis auf IlSam. 11; 12, 9 meint, die Beseitigung des Ehemannes1). Und so glaube

gestanden zu haben, nicht mr, dann ^j?2 fltPK, dann vielleicht das nenhebr. VsfltPn oder mjtt 2310*1 bin nach Jerem. 31, 21; "WfirWl ttb IT32W3 hy = ffSStfü Ticnil *b nach Prov. 6, 24. 25: }H flPXD "pCB^ *]32^2 .TB"1 TCnn Vx rmaa \*vb fipbtfb. Nach den anderen Sätzen dürfte ocird 7reeisp*feia§ die Tätigkeit des Unzüchtigen bedeuten und ist xouSicxr,; objectiver Genitiv. Den letzten Satz deutet Smend, p. 514 zu Cap. 23, 14 als Päderastie, deren Opfer die jüdischen Jüng- linge am griechischen Hofe wurden. Vgl. auch Testam. Reuben, Cap. 3: Achtet nicht auf den Blick eines Weibes und seid nicht allein mit einer verheirateten Frau und gebt euch nicht ab mit der Beschäftigung der Weiber. 4, 1: Achtet also nicht auf die Schönheit der Weiber und merkt nicht auf ihr Tun.

') Stünde DTD131 nicht, dann wäre bloß der frühzeitige Tod cnd vielleicht, wie in dem verwandten Satze der Rabbinen in Aboth 1, 5 : nnnp totti v&fpS njn ß-na nwxn cy nrr» risrm dikp jet ^3 DÄTJ tfW* 1B1D1 ITWl, die Höllenstrafe gemeint. Doch beweist diese Parallele keineswegs, daß auch Sirach nur an diese und nicht an die Todesstrafe denkt. Denn die Hölle ist nur für Sünden angedroht, die der Kenntnis der Strafbehörde entzogen bleiben, nicht aber für er- wiesenen Ehebruch. So auch zum Beispiel in Sirach 19, 2: Wein und

206 Die Strafe der Ehebrecher in der nacbexilischen Zeit.

ich, hierin einen Beweis dafür sehen zu können, daß auch zur Zeit Sirachs auf erwiesenen Ehebruch die Todesstrafe stand. Die bisher angeführten Stellen sprechen keineswegs dagegen, da sie die geheim gebliebene Sünde des Ehe- bruches behandeln, gegen die nur moralische, religiöse und praktische Bedenken seitens des Spruchdichters vor- gebracht werden konnten.

3. Es soll hiemit keineswegs in Abrede gestellt wer- den, daß Ehebruch und unzüchtiger Verkehr der Geschlechter vorkamen. Die häufigen Ermahnungen Sirachs weisen darauf hin, daß Verführung seitens der Männer, wie Lockungen seitens der Frauen und Dirnen dem Spruch- dichter große Sorge bereiteten. Aber die Folgen dersel- ben für die Beteiligten in Form von behördlichen Strafen

Weiber machen Verständige abwendig und wer sich an Dirnen hängt, ist tollkühner. (3) Maden und Würmer bekommen ihn zn eigen, und wer tollkühn darauf loslebt, wird hinweggerafft. Der Hebräer hat : tpSjd rrnrn my pdji aS lfne1 nW\ p (vgl. 6, 3: ntiiwi my vb: -orwn kjib> nnDtfi rrtya); der Syrer: ponimm »2b ptnDD »r\n:»i «ton -in «rjn "von toya [D-nom ma wji xns^n »vt: .12»: »m\b t\TW>2 'SDl »Vb) aWH. Wieso nsw dem griechischen ToXfAYipÖTepo? entspricht, ist schwer zn sagen. Smend meint, der Grieche habe ".t gelesen und nach 2b ^tsk ein neuhebräisches Denominativum, wi< in Sanhedr. 109b verstanden; sehr unwahrscheinlich. Soll es etwa 2b 12»* 11131t nym geheißen haben? lHl^nJ'' nj^im non, wie in 10, 11 = er wird vor der Zeit sterben. Nicht klar ist 26, 22: »Eine Verheiratete aber wird als Turm des Todes für die, die sich mit ihr einlassen, ange- sehen werden« (siehe die Kommentare). Qeiger, Urschrift 241 meint, daß im Syrer : "]'« pT man «nnjx /aemriri dtd xbn »twi «nn:« •ornnri rA ppannoi \^»b wim-r vi »bim die Worte man kjwi»

das Eheweib des Mannes = r'x HPK bedeuten, das im Gegensätze zum buhlerischen Weibe ein fester Turm ist. KfllDI sei erst später hineingekommen, als die Bedeutung von K1331 nicht mehr verstanden und der Satz anders gestellt wurde. Nestles Hinweis auf II Makkab. 13, 5 scheint mir keineswegs das Richtige zu treffen. Freilich wird die Echtheit des Stückes 26, 19—27, das in vielen Handschriften nicht steht, angezweifelt, und sind Schlüsse aus dem angeführten Satze auf die Todesstrafe für Ehebruch unsicher.

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 207

werden nirgends besprochen. Bezeichnend ist hiefür 42, 11 : »Mein Sohn, halte deine Tochter in strengem Ge- wahrsam, daß sie nicht deinen Namen in schlechten Geruch bringe, zum Stadtgespräch und zum Fluch unter den Leuten, daß sie dich nicht in Schande bringe in der Versammlung am Tore«. Aus dem unmittelbar Folgenden ist zunächst klar, daß es sich um die unverheiratete Tochter im Hause des Vaters handelt; auch wenn das hebräische "\Ki und nicht y6im lautete. Sie pflegt Umgang mit einem Freunde, die Nachbarn bemerken es und sprechen abfällig vom Hause des unacht- samen Vaters; in kurzer Zeit verbreitet sich die Kunde davon in der Stadt und man spricht überall von dem un- züchtigen Verhältnisse1). Der nächste Schritt ist die Be- sprechung der Schande im Stadttore, wo nach Prov. 31, 31 auch das Lob der tüchtigen und braven Frau gesungen wurde; oder, falls eine Gerichtsverhandlung gemeint ist, könnte nach Deut. 22, 20 an die Entdeckung der Unzucht des Mädchens nach der Verheiratung gedacht werden2). Dafür sprechen die einleitenden Worte zu dieser Ermahnung an den Vater in 42, 93): »Eine Tochter ist für ihren Vater ein

J) Für ftbbp hat der Grieche xai Zyx.\r\';ov XaoS, weshalb Smend als Text nSnpi gibt.

2) Smend sagt in mir unverständlicher Weise: »Zuerst entsteht ein Gerede, dann rottet sich das Volk zusammen was zu einer Ge- richtsverhandlung führt«. Warum sollte da, trotz 26, 5, eine so ernste Zusammenrottung erfolgen?

») In Synhedr. 100b lautet dieser Satz bekanntlich: n^ttb m xqv rurffjyja „nnenn kqv nnuaps .ftWa [»" ab rnnso ,»w njioüo küv nrpn janä nb W »b xqv r\xw: »kboti »b »nv maa ,ru?n CB&2 nVyn. Man beachte zunächst die aus der halachischen Literatur genügend bekannten Lebensalter der Frau. Am deutlichsten ist das Alter der Mannbarkeit ausgedrückt als dasjenige, in welchem das Mädchen heiraten soll. Ebenso sagt Rab in Lev. rab. 21, 8 Ende : "jrD ib mm "pnjJ "nrttf rV*a» ist deine Tochter mannbar, erkläre deinen Sklaven für frei und gib sie ihm zur Frau. In min i"NPJJD #"HD (bei Jellinek Brno."! t*S II, 98) und in Wipn lrail ""pis (Schönblum nvbv OTiriDJ onoo) ist derselbe Satz R. Akiba zugeschrieben (s. Bacher,

208 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexiliscfcen Zeit.

Schatz, der ihn wach hält, und die Sorge um sie verscheucht ihm den Schlaf: in ihrer Mädchenzeit, daß sie nicht ver- blühe, und ist sie verheiratet, daß sie nicht widerwärtig sei. (10) In ihrer Jungfrauschaft, daß sie sich nicht be- rücken lasse, und im Hause ihres Eheherrn, daß sie nicht ausschweifend lebe; im Hause ihres Vaters, daß sie nicht schwanger werde, und im Hause ihres Mannes, daß sie nicht unfruchtbar sei«1).

Agada der Tannailen I, 271, 4); in Peßach. 113a: vb J3 JJBn.T »31 ")BX

■nrw ni» "m ^bjr» nwjja cpd im» nsnn 'rx jÄvn* *v:x lwü l'vxin ruuno -jfitpxa nvn nm ,nb fni -psy führt R. josua b. Levi das-

relbe im Namen der Männer von Jerusalem an. In Lev. rab. 21, 8 wird erzählt: R. Chananja b. Chachinai studierte als verheirateter Mann mehrere Jahre bei R. Akiba in Bne-B'rak und kümmerte sich um seine Familie in der Ferne nicht. Nun ließ ihm seine Frau einmal sagen: nx'tPHl «TW3 "JUS, und auch R. Akiba sagte, um ihn zum Nachhausegehen zu veranlassen, zu ihm: "S"1 n*)3"D D3 \h WV bz fiX,,tt>v), wer eine mannbare Tochter hat, gehe nach Hause und ver- heirate sie. In der Baraitha Sanhedr. 76a unten: fix bbnr\ bx ,X"0fi

nt icik K3"pj? *3i .fp6 im fix x'tpcn nt "loix *uj>^x w .nnunS ins ^m»'3 yj) -|S |*« xs^py -ai bupb xns 3*1 "icx .man im xrircn fi"iyi3 1D3 xntPBm Bliy j?en x'jx bezieht R. Akiba Lev. 19, 29 a auf einen Vater, der seine mannbare Tochter nicht verheiratet. Vgl. Jebam. 62 b unten die Baraitha : ibüb ifi^ rH33KTl !Bl» ifitrx fix B.TXH [»1 i:n 1B1X aUDM I^V {plE)1? "pBB |KMWH1 mB" *p"D TW»! "pTterTI ■jSnx Bl^tf "O njPt1!, wer seine Frau liebt wie sich selbst, wer sie höher achtet als sich selbst, wer seine Söhne und seine Töchter auf den geraden Weg leitet und sie nahe an ihrer Reife verheiratet, dessen Haus ist wohlbestellt, nach Hiob 5, 24. Als zwölfjähriges Mädchen ist sie der Gefahr ausgesetzt, sich mit jungen Leuten ein- zulassen, von ihrem eigenen Triebe verleitet; bei der einjährigen dagegen geht die Verführung vom Manne aus. Als alte Frau betreibt sie Zauberei, was sehr bezeichnend ist; wie wir noch in tannaitischer Zeit finden, daß die Frauen allgemein Zauberei trieben (s. Büchler, Der galiläische Am ha-Arez 202, 1).

J) Der Wortlaut dieser Sätze im Talmud stimmt weder mit dem Griechen, noch dem Syrer, noch dem Hebräer. Für Verblühen, das zur Mädchenzeit gar nicht paßt, bat Hebräer "r>2fi, Syrer xnBi'fi «* daß sie nicht geschmäht werde (Smend). Dieses und das Griechische führen auf 'rBJfi zurück, das das letztere nach dem häufigen tOi im

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 209

Mit der Tochter im Hause des Vaters befaßt sich auch 26, 10 12: »Bei einer Tochter, die immer lüstern ist, halte strenge Wacht, damit sie nicht, wenn sie bemerkt, daß diese nachgelassen hat, sich gebrauchen lasse. (11) Hüte dich davor, wollüstigem Auge nachzugehen, und wundere dich nicht, wenn es sich dann an dir vergeht. (12) Wie ein durstiger Wanderer den Mund öffnet und von jedem Wasser trinkt, so wird sie sich gegenüber jedem Pfahle niedersetzen und wird vor dem Pfeile den Köcher öffnen.« Allerdings sind die Kommentatoren über den Zusammenhang zwischen den einzelnen Sätzen dieser Stelle nicht einig, und worin sie übereinstimmen, scheint mir nicht befriedigend. Vers 12 ist, wie er steht, die Fortsetzung von Vers 10, und beide handeln von der Tochter, die Verlockungen nicht nur leicht nachgibt, sondern solchen auch bereit entgegenkommt. Dagegen spricht Vers 11 scheinbar vom Vater und zer- stört den Zusammenhang. Dieser Umstand hat Fritzsche veranlaßt, Vers 10 als eine abgeschlossene Mahnung an den Vater anzusehen, nämlich seine Tochter zu über- wachen ; 11 und 12 aber als eine eigene Mahnung an jeden Mann, sich selbst vor unzüchtigen Frauen in Acht zu nehmen; und da hiedurch Vers 12 cd das Subjekt verliert, nämlich die Tochter, wird es ganz ohne jedes Recht aus dem wollüstigem Auge ergänzt (vgl. auch Eders- heim und Ryssel). Aber wie mir scheint, beseitigt die Rück-

Kal als Verblühen auffaßte, während der Syrer darin "?2»J, wie in Deut 32, 15 llijw nilt Sari, sah. Aber was ist das hebr. "tti? Stnends Vor- schlag, "nun zu lesen, beseitigt die Schwierigkeit nicht. Da das Zitat im Talmud nJTJi hat, das aramäisch und syrisch *M heißt, wie es auch Neubauer*Cowley übersetzen, so muß entweder das freilich Unwahr- scheinliche angenommen werden, daß TU auch hebräisch war, oder daß der Satz aus dem Syrischen rückübersetzt ist. KntDJtn ist ein ge- ringer Fehler für Kintltn, wie schon Levi gesehen hat ; es bedeutet : sich unzüchtig benehmen, und ist eine andere Übersetzung von n:tr. "ipyr als Denominativum von mp? (Oenes. r. 45, 4) ist gleichfalls syrisch (Smend).

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Monatsschrift, 55. Jahrgang. "

210 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit.

Übersetzung ins Hebräische alle Schwierigkeiten und er- giebt als durchgehendes Subjekt die Tochter. Nach 42, 11 lautete 10a: -lotPD pmn (mjtfi) "jna bv1), dann: kmi nun jb

l) Für äSiaTpe7TTo) hat Syrer xrrBtfn, wofür Smend ntne i"6lj> oder nSaj vorschlägt; ich habe nty gesetzt, das in 6, 4; 19, 3; 40, 30 deutlich gierig heißt. In 6, 4 ist vom Qelüste der Seele die Rede : Eine (sinnlichen Genüssen fröhnende) böse Seele richtet den zu Qrunde, der sie zu eigen hat, und sie macht ihn zum Qespötte der Feinde«. 19, 3: »Wein und Weiber .... eine tollkühne Seele wird hinweggerafft«. 23, 4: »Lüsterne Augen gib mir nicht und die Be- gierde laß fern von mir sein. (6) Das Lustverlangen des Bauches und die sinnliche Lust mögen sich meiner nicht bemächtigen und schamlosem Sinn gib mich nicht hin«. Hier haben Codices den Zusaz YtvavTcoSri J^u/viv, was eben n?JJ IPBJ ist. Syrer hat in 23, 6 b B>c; KAB^Sn, wie in 26, 10, das bereits Smend als Übersetzung von ,"nj? CDj erkannt hat mit dem Hinweis auf die obigen drei Parallelstellen. Heißt aber nvj PBJ Gier und Wollust? In der Bibel steht neben tj? ein Nomen oderVerbum, um die Eigenschaft genauer zu bezeichnen, wie Prov. 21, 29 TUBa JJBn B"X tjh, 7, 13 ,TJB ffijjn, Deut. 28, 50 DMB tj? M3, Daniel 8, 23 BUB TJ> *[bü, Kobel. 8, 1 XW vjd tjm, Jesaia 56, 11 B>Bi ■>?$ D»ate?Tl, wo die Fortsetzung flJÖW 1JH1 «^ zeigt, daß die Gier, PBJ unersättlich ist. Vgl. aS 'ptm BUB Vp Ezech. 2, 4, "»ptn n*8 in Ezech. 3, 7, Jesaia 48, 4 nnnj "jnatBl, Ezech. 3, 8 : -pjß DX UinJ BnXB flBiyb ptn ^nitB flKl BHUB ABl]?1? Cptn« In Beza 25 b lesen wir : xjn

rai wn .pty fntp ubb bxwb min n:n: fiö ubb ,tkb •o-n irora {n:nc Mn ptin ,tfn "pia irnpn *ibk /ibS m»K u^b ^xyB«" *ai Ski«'1': mm nan: x^x«? «>x i^x Sb> Drrrn naso xa^x .px m onS roriw ,w»pS p pjHatf ■'an naxl .bhub3 mayS p^ia1 p»Si hbix Sa px- nanaa ty P]x b^bix bh mBiya ta nvna aba niBixa Sx-ity ,fn pty nu'rxa PjSit P)X B'naix Wl fiai, im Namen R. Meir's wurde gelehrt: Warum wurde die Thora Israel gegeben? Weil die Israeliten stark sind. Das Lehrhaus des R. Ismael lehrte: »Zu seiner Rechten ein Feuergesetz für sie« (Deut. 33, 2), damit meinte Gott: Für sie eignet sich ein Feuergesetz. Andere erklären dieses: Die Art Israels ist Feuer; wenn ihnen die Thora nicht gegeben worden wäre, hätte kein Volk vor ihnen bestehen können. So sagte R. Simon b. Lakisch: Es gibt drei Starke: unter den Völkern Israel, unter den wilden Tieren den Hund, unter den Vögeln den Hahn; manche sagen: auch die Ziege unter dem Kleinvieh; andere fügen noch hinzu: unter den Bäumen den Kapperstrauch. Welche Art von Stärke in den ersten Sätzen gemeint ist, ist an sich nicht klar; die Parallelstelle zum letz-

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 211

,-p TAH! »a nann ^ki man rrry nn« no^>a matp ,(^nsn ^o *:d$> rns/i p ,i^ DWpn ü-a ^o nmtpi pd nmon «bj: nn«3 p^> nriDt^K nnom t/t.

Es verdient Beachtung, daß die nachdrücklichen Rat- schläge des Dichters nur den praktischen Gesichtspunkt zeigen. Er läßt wie ein wohlmeinender Freund, der einen nur auf das Materielle achtenden und bloß vom greifbar Schädlichen zu beeinflußenden Mann zur Vorsicht in Dingen der Sittlichkeit mahnen will, alles Religiöse und im Gesetze der Thora Gebotene oder Untersagte mit Absicht beiseite, wie dieses die Kommentatoren zu den Proverbien richtig hervorheben. Deshalb sucht man bei Sirach meistens

teil Satze in Exod. rab. 42, 9 hat: an O'Bllfn nvbv ny "ai löX, somit TJJ = S]l3£n, wie der Syrer im Sirach übersetzt. Was haben aber Hund, Hahn, Ziege und Kapperstrauch gemein? In Jes. 56, 11 : VJJ D'oSsni nyntP ljn1 &b B>b: ist die Unersättlichkeit des Hundes hervorgehoben, und Sirach 26, 25 sagt: »Ein immerfort lüsternes Weib wird wie ein Hund gelten«, wo der unersättliche Geschlechtstrieb gemeint ist. Seine Frechheit tritt aber besondert in der Begattung auf der Straße hervor, Gen. rab. 36, 7: ».TWia ltföM* n^Dl an ,ksx in K"n ?3*i "IDX WWW DDTBD l^Dl DnifiB cn XX'' "p^S. Das Gleiche gilt vom Hahn, wie die sprichwörtliche Redensart zeigt in Berach. 22a: »TB*?fl VT5 x'.'tP D^IMlfia BfrWIW ^SKB"titB D'DSn, jer. Berach. III, 6c 17: npy ^ "IBX

pVianro ^kw i.t *6w x^x nxn n^aton nx irpnn äS [osty bs ,pax "O ^51X1 "nvi nSijyi UWB B>DB>D iS1?."», (damit steht der Ausspruch des R. Chijja von der Züchtigkeit des Hahnes, der vor der Paarung der Henne schmeichelt, tya "p "in XI D^Bö, Erub. 100 b, nicht in Wider- spruch). Beim Kapperstrauch ist, wie schon Toßafoth zu Beza 25b nach Maaßr. IV, 6, Sabb. 30b unt. erklären, die außerordentliche Frucht- barkeit gemeint, vgl. jer. Taanith IV, 69 b 30 : HX11 Xin ITTJ» m 1DX DlTB TW 1J? X\ntt> ^XW px X\"! HB^n MD, R. Zeira sagte : Stehe doch, wie frech Palästina ist, indem es (den fremden Beherrschern) Früchte trägt (b. Kethub. 112a). Andere Schamlosigkeit des Hundes in Kob. rab. 1, 2.

') Wenn es nicht zu kühn schiene, würde ich für y^azxxi nicht -inon, sondern das rabbinische tPOriBTl vorschlagen, das Gebraucht- werden und Beiwohnung bedeutet. Vgl. Baba mezia 84 b, wo die Witwe des R. Simon b. Eleasar dem Rabbi, der ihr einen Heirats- antrag stellt, sagen ließ : bm » weiH^ tt>"iip 13 VBTWiV ^3«

14*

212 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeil.

umsonst die zu seiner Zeit geltenden strafgesetzlichen Bestimmungen betreffs Ehebruch und Unzucht; ohne aber daß diese Wahrnehmung zur Annahme berechtigen würde, daß das strenge Strafgesetz der Thora nicht in Geltung stand und nicht durchgeführt wurde. Von Interesse ist es auch, daß die Frau in all' diesen Ermahnungen nicht direkt angeredet wird. Der Vater wird wiederholt gewarnt, seine Tochter zu überwachen, der Gatte wird über seine Pflichten gegen seine Frau belehrt, der Jüngling, der gereifte Mann und der Greis werden über die Folgen von Unzucht und Ehebruch aufgeklärt, und ihnen die schädlichen und gefähr- lichsten Verlockungen der Ehebrecherin und der Dirne in grellen Farben vorgeführt; an das jüdische Mädchen und das jüdische Eheweib wird keine Ermahnung gerichtet. Wer hieraus Schlüsse auf die Stellung der Frau in Judäa um 200 v. d. g. Z. zieht, baut auf unsichern Grund. Denn die Lehren der Spruchdichter sind ausschließlich für Männer und Jünglinge bestimmt gewesen und aus den Schulen der Weisheitslehrer hervorgegangen, in denen die reife männ- liche Jugend zur praktischen Weisheit angeleitet wurde, wie dieses Frankenberg so gut dargetan hat. Mädchen und Frauen hatten zu diesen Schulen keinen Zutritt, weshalb sie auch nicht Gegenstand der Anrede und der Belehrung waren. Ihre Erziehung war die Aufgabe des Elternhauses und dieses trug die Verantwortung für deren Mängel.

4. Das nicht ganz sichere Ergebnis aus Sirachs Äußer- ungen, daß auf erwiesenen Ehebruch der Tod stand und diese Strafe auch vollstreckt wurde, ist noch mit den Stellen über Ehebruch und Unzucht in den Proverbien zu vergleichen. In 5, 5 heißt es vom unzüchtigen Eheweibe : imarv mjra biK» mrs nmi* mfcft, was aber natürlich bildlich gemeint ist und den vorzeitigen, aber natürlichen Tod des Sünders mit den Straffolgen in der Gestalt des ^isir, wie in 2, 18 bedeutet; der Strafende ist Gott allein, die Sünde

Die Strafe der Ehebrecher in der Hachexilischen Zeit. 213

kam überhaupt nicht vor Richter auf Erden1). 7, 26 jedoch spricht von der ehebrecherischen Frau und den Folgen des Umganges mit ihr in viel stärkeren, deutlicheren Worten : nmr nn*ä bivw *inti (27) .rrahi bz d^o^pi rrV*on o^n 0*31 *3 mn mn ^>s<, sie hat viele tot niederstürzen gemacht und zahlreich sind die von ihr Erschlagenen. Frankenberg im Kommentare bemerkt hiezu: >^jn und am sind bildliche Ausdrücke für die durch die Ehebrecherin, das heißt, die (gerichtlichen) Folgen des Ehebruches (5, 9 ff.; 6, 32 ff.) ruinierten Existenzen.« Mir scheint auch hier das Ge- richt keinerlei Rolle gehabt zu haben, da sonst im Ausdruck irgend ein Hinweis auf die Strafe sich fände. Sind die starken Ausdrücke bildlich, so bezeichnen sie den durch Gottes Gericht vor der Zeit seines Lebens beraubten ge- heimen Ehebrecher ; der Frau als Veranlassung wird diese Tötung zur Last gelegt. In Prov. 22, 14: nnr 'D npicy nnw dp $>id» 'n dw und 23, 27: nmi mx "uwi rßtt npiop mw »3 ist die Ehebrecherin und die Dirne als eine Grube be- zeichnet, aus der es kein Entrinnen gibt ; Gott läßt nur denjenigen in ihre Hände fallen, auf dem ohnehin der Fluch Gottes lastet und der schwere Strafen von ihm zu gewär- tigen hat*).

*) So heißt es auch bei Menander (in Land's Anecdota Syriaca I, 64 ff.), in dessen syrisch erhaltenen Sprüchen Fraukenberg ein Pro- dukt jüdischer Spruchweisheit erkannt hat (Stade's Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft XV, 226 ff.) : Ehebruch ist der Weg zum Untergang; wer die Ehe bricht, geht zu Qrunde (69, 12). Vgl. Testa- ment Renbens 4: Denn die Hurerei ist es, die den Verstand und die Erkenntnis verwirrt, und sie führt die Jüngling? in den Hades vor ihrer Zeit. Denn es hat auch die Hurerei viele zu Qrunde gerichtet. Denn wenn einer auch ein Greis ist oder hochgeboren, so macht sie ihn zur Schmach und zum Gespött bei Beliar und den Menschen- kindern.

») Vgl. Sirach 21, 10: Der Weg der Sünder ist mit Steinen gepflastert und da, wo er endigt, ist die Grube des Hades. Smend p. 191 sagt richtig, daß im Hebräischen gestanden haben muß : n^nn nntf 1*3 JWOTK1 bp^D yen -[M, der Weg des Sünders ist anfangs

214 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit.

Dagegen bespricht Prov. 5, 7—14 den Fall, daß der Gatte den Ehebruch entdeckt und sich für diesen vom Ehe- brecher Schweiggeld zahlen läßt. Der Ehebrecher muß sein ganzes Vermögen, das er schwer erworben hat, hingeben, da sonst die Sache vor mm hr\p gebracht würde (14), was das größte Übel wäre. Was die Gemeinde getan hätte, im Falle der Gatte den Ehebruch anzeigte, ist nicht angedeutet. Da keine Zeugen der Tat geführt werden konnten, wie 5, 21 nahelegt, daß nur Gott dieselbe mitangesehen, kann es nach jüdischem Gesetze selbst im strengsten Verfahren zu keinem Todesurteile gekommen sein. Ob vielleicht schon damals in solchem Falle die Geißelstrafe angewendet wurde? Jedenfalls ist die Schande der Verhandlung der Sache i öffentlicher Gemeindeversammlung eine genug schwere Strafe für den Bürger der Stadt. Hätte er den Ehebruch geleugnet, so wäre das in Num. 5, 11 31 vorgeschriebene Verfahren anzuwenden gewesen, dem eine Verhandlung vor der Behörde vorausgehen mußte. Nun findet sich die gleiche Ausführung in Prov. 6, 24—35: Während der Dieb, der ertappt wird, dadurch, daß er den Diebstahl siebenfach be- zahlen muß, sein ganzes Vermögen verliert, setzt der Ehe- brecher sein Leben dem Verderben aus. Er versucht es freilich, sich beim erzürnten Ehemann durch "ido und inr loszukaufen, aber der Gatte will davon nichts wissen. Was dieser hierauf tut, ist in der Angabe der Folgen des Ehe- bruches zu finden (33) : nncn sb incim t^s' ]tbpi yi:; aber was damit gemeint ist, ist nicht klar. Frankenberg erklärt es folgendermaßen : »Daß der Ehebrecher gerade mit dem Tode bestraft wurde, ist nicht gesagt, und nach dem Fol- genden und sonstigen Notizen nicht wahrscheinlich ; die Ehebrecherin freilich wurde gesteinigt, jjjj scheinen die

von Steinen frei. In Baba mezia 58b sagt R. Chanina: pTW fei

P3&B.TI V* impm hy »an p fhm pbiy pxi p-p,rp xvhvo f"'R osrab

W3Rb jn üV fuaoffl DOnn ITan *», v/er Ehebruch begeht, kommt in die Hölle und wird nie wieder aus ihr befreit.

Die Strafe der Ehebrecher in der nacbexilischen Zeit. 215

Prügel zu sein, die sich der ertappte Ehebrecher beim Ehe- mann holt. Wäre der Ehebrecher mit dem Tode bestraft worden, so hätte der Verfasser hier und, so oft es ihm darauf ankam, vor den bösen Folgen des Ehebruches zu warnen, gewiß das Äußerste nicht verschwiegen. In den Proverbien sowohl, wie bei Sirach erscheint als empfind- lichste Strafe des Ehebrechers die Schande vor der Ge- meinde. Dpi dt ist, wie häufig in den Propheten (dv praeg- nant) der Tag des öffentlichen Gerichtes als der Tag der Rache, nicht etwa der Tag, an dem der beleidigte Ehegatte eigenmächtig seine Ehre an dem Frevler rächt (35) Vor Gericht konnten die streitenden Parteien einen Sühnever- such machen; wenn dieser keinen Erfolg hatte, ließ man dem Rechte seinen Lauf. Der Frevler bietet dem Beleidigten IM, d. h. Sühngeld an, vgl. Genes. 20, 16«. Über diesen ICD spricht sich Frankenberg (ZATW. XV, 121) nochmals aus; er sieht darin eine Geldstrafe, die auf Ehebruch stand (Genes. 20, 16), 1D3 genannt oder inv, welche an den Geschädigten zu zahlen war. »Mit dieser Abfindungssumme wird es gewöhnlich sein Bewenden gehabt haben.«

Da die ganze Auffassung der Stelle und die ange- führten Schlüsse von der Erklärung des Wortes iod ab- hängen, muß ich dem oft behandelten Terminus einige Worte widmen. Zunächst sei festgestellt, daß es nirgends Schadenersatz bedeutet, sondern das Lösegeld für das verwirkte Leben, ein hoher Betrag, bestimmt, den schwer Beleidigten oder Geschädigten von der Forderung nach Sühne durch den Tod abzubringen. Nach Exod. 21, 29 soll der Eigentümer wegen der Tötung eines Menschen durch sein stößiges Rind hingerichtet werden. jn:i vbv rwv 1D3 DK rby rwv bx WBJ hhd, wenn ihm ein Sühngeld statt des Todes auferlegt wird, so gebe er den Loskauf seines Lebens. In Exod. 30, 12 ws: im »♦* uwi, Num. 35, 31 rran vosb im, 32 ohne t?Dj: mb *idd lnpn k^i, Prov. 13, 8 ntry #'K rej 1B3 als Gegenwert des Lebens, das Gott dem Menschen

216 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit.

wegnehmen will, Hiob 33, 22—24: i/rm Wüi r\r\vh aipfn "inino natn U3im (24) . . . pfe -|i6a vbv »' (23) .cnea^ 1D3 *n«2£D nnt? m*iö, Psalm 49, 8: fiv ai? *tk me* mc *6 djpdj pne ip'i .1133 ovi^i6; Leben für Leben Jes. 43, 3: -pnnn «3Di #13 onxo "pao »nn:, Prov. 21, 18: p«n pnvi? idd. Der Richter nimmt nD3 in I Sam 12, 3, Arnos 5, 12, um ein Auge zuzudrücken und nicht den Tod des Schuldigen zu fordern; in Beziehung zu ihm ist es wie int?. Es folgt hieraus, daß der Gatte das Recht hat, den Tod des Ehe- brechers zu fordern und das woi jvntPO in Prov. 6, 32 wörtlich zu nehmen ist. Dieses wird von dem, von den Exegeten öfter angezogenen Beispiele der Abfindungssumme im Falle von Ehebruch in Genes. 20, 16 bestätigt. Denn Vers 3 sagt : bvi rbiyi Kim rmpb itf« nv&n bv na "pn; weil der König nicht vor die Gemeinde zur Aburteilung gebracht werden kann, greift Gott mit seinem Todesurteile ein und will nach 7: ^ *i#k ^oi rmx man ma '2 in 3MP0 "ja»« o«i den König und seine Angehörigen töten. In welchen Beziehungen das große Geschenk in Vers 14 und 16, das der König dem Abraham wegen Sarahs gegeben hat, zum Vergehen steht, ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber aus Vers 16 ziemlich klar ersichtlich: der Bruder erhält die Ent- schädigung für die an der angeblich unverheirateten Sarah verübte Gewalt (Exod. 22, 16); von Ehebruch und von einer Geldstrafe für denselben ist hier keine Spur zu ent- decken1).

l) Darnach ist auch die Behauptung, zum Beispiel bei Benzinger, Archäologie 341 zu beurteilen: «Ehebruch mit der Frau eines Anderen ist Eigentumsverletzungc Warum schreibt dann das Qesetz die Todes- strafe und nicht irgend eine hohe Geldentschädigung vor, wie im Falle der Verführung eines Mädchens? Wellhausens Bemerkung (Israel, u. jüd. Geschichte, 5. Auflage, 216, Note 4): »In den Prover- bien wird nur vor Ehebruch gewarnt und zwar aus höchst äußerlichen Gründen c, berücksichtigt nicht die Schichte der Bevölkerung, an die sich der Dichter wendet, und nicht den Kreis, aus dem das Buch hervorgegangen ist, und nicht die Methode, die hier durchgehends in

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 217

Die in Prov. 6, 33 aufgezählten üblen Erfahrungen des Ehebrechers treten nach dem ganzen Zusammenhange erst ein, nachdem die Versuche, den Gatten zu beschwich- tigen (V. 35), gescheitert sind. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern findet nicht vor Gericht, sondern unmittelbar nach der Entdeckung der Tat im Hause des Gatten statt. Der Ehebrecher bietet ihm eine Löse- summe für die Schonung seines Lebens an, der Gatte weist sie zurück ; da bietet jener nebst dem ansehnlichen Betrage noch einen weitern ein») an; alles umsonst. Es folgen Schläge und die Schande, die ihn entweder durch die Ver- breitung der Nachricht vom Geschehenen in der Stadt trifft oder durch Herbeirufung von Leuten ins Haus, die die Behandlung mitansehen.

Möglich ist aber auch, daß der Gatte die Anzeige bei Gericht erstattet, eine Verhandlung der Anklage wegen Ehebruches vor der versammelten Gemeinde stattfindet, die Schande des Ehebrechers groß ist, es aber zu einem Todesur- teile nicht kommt aus Mangel an den unerläßlichen Zeugen des Tatbestandes; aber die Schande bleibt unauslöschlich, nv DM ist der Tag der Abrechnung, aber diese erfolgt nicht vor dem Gerichte, sondern am Tatorte der Sünde. Das Wort bedeutet überall rücksichtslose, schwere Strafe für

der Belehrung angewendet wird. Es ist die Klasse der Bürger, die ihr Vermögen schwer erarbeiten und deren Leben von ihrem Besitzstande abhängt; sie haben nur soviel, daß sie ihr Laster all ihr Hab und Out (Prov. 6, 31 ist das Vermögen des Hauses genannt) kosten kann. Der Dichter hat einzig und allein die schweren materiellen Gefahren der Unzucht vorgeführt, weil diese und nicht die moralischen und religiösen der Richtung seiner Belehrung entsprechen. Unzucht ist ein Verstoß gegen die Lehre des Vaters und der Mutter und gegen die Weisungen des Weisheitslehrers; sie ist Unsinn, Unverstand, aufs Spiel Setzen der ganzen Lebensstellung, Selbstmord. Daher vermißt man jeden Hinweis auf Qottes Walten und auf die strengen Bestim- mungen des Gesetzes ; zumal die Voraussetzung ist, daß alles so ge- heim geschieht, daß eine Entdeckung nur das äußerste, Anzeige bei Gericht fast ausgeschlossen ist.

218 Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit.

ein schweres Vergehen1), das gerichtlich nicht bestraft werden konnte und erst nach längerer Zeit, bei gegebener Gelegenheit, außergerichtlich vom Beleidigten oder seinem Freunde in Zorn und Wut geahndet wird2). Wenn sonach Dpi hier in der festen Bedeutung steht, wofür die es auch sonst begleitenden Worte ntop und nan und auch böTP »b entschieden sprechen, so ist darunter das Wüten des Ehe- mannes in Schlägen und Beschimpfung und die Übergabe des Ehebrechers an das Gericht zu verstehen; denn die Tötung, die diese starken Ausdrücke alle nahelegen, scheint 33b nicht zu empfehlen. Aber das Recht, ihn zu töten, wird der Gatte in älterer Zeit wohl gehabt haben8).

») Es ist parallel mit cby gebraucht, Deut. 32, 35: übvi ep3 *b, Jerem. 51,6: nb übvn KM SlD3 "b KM ,1Bp3 DJ? »3, Jes. 34, 8 : cpj Dl"1 "O

jvst niiS m\bv n:v "b, 35, 4 : »w hii bmSk *?ioa wa"1 Dp3 D3\ntot narr.

Wird ein Mord begangen, ist die Hinrichtung des Mörders durch das Gericht niemals Bp3 (Exod. 21, 20. 21; Genes. 4, 15.24 gehören nicht in diese Kategorie), sondern ein vorgeschriebenes Verfahren. Wenn aber die Königin Isebel die Propheten töten läßt und ihr vielfacher Mord wegen ihrer Stellung nicht bestraft werden kann, so ist das viele Jahre spätere Eingreifen Gottes für das vergossene Blut in II Reg. 9,7: May Sa -»dii ewaan May sdi ^rap3i -pm nxnx rva nnwii ^arK TD ',1 als Bp3 bezeichnet. Das von den letzten Davididen in Jerusalem vergossene Blut erfordert Rache, Ezech. 24, 8: ap3 Cplb J)bü mnS ty .1D1 rix "nnj; in gleicher Verbindung Deut. 32, 43: DI *3

y*vsh zw opai Dip1 riay, Psalm 79, 10: dt napa wpb D^aa jrm

"pDBM "piay. In Psalm 94 haben die Hochmütigen an den Hilflosen Gewalt verübt, ohne daß sie von irgend jemand zur Verantwortung gezogen werden konnten. Gott als Richter der Erde soll eingreifen, als map; bx strafen. Psalm 58, 11 : pnT VDJJD ,Bp3 ,1tn "3 p'HSt rüW pxa a-üsitt' DVl^K V "]K pMi6 na "|X bin "idkm .jHPlil aia für ver- gossenes Blut.

2) Micha 5, 14: DM3,1 I\» üpi nanai F)X3 WVjn; Jes. 63, 5: dt» "O b-ocki 'DK3 a-ay didki /3ri3DD SM Tiam ijnii ^ jjpini . . . *aVa Dpa Mana ; Nachum i, 2 : raMxb km -ID131 vis:'? m api3 nan Sjm M api3 ; Ezech. 24, 8 : Dp3 ap:b IDn nity.T?. Neben ,ian auch ,iK3p Jes. 59, 17 : SiD3 vnsrt nan obtt" Sya riMia; 'rya «iwp ryaa bjjm nanata Dpa *i» ra^*i

. .TQW6; Zachar. 8, 2: l1? TiK3p rAim "Dm .1^13 ,1K3p p^srt TMp.

3) Vgl. Wellhausen, Göttinger Gelehrte Nachrichten 1893, 447

Die Strafe der Ehebrecher in der nachexilischen Zeit. 219

Fassen wir die Ergebnisse dieser Untersuchung kurz zusammen. Unzüchtiger Verkehr und Ehebruch muß in der Stadt, deren Zustände das Buch der Proverbien und Sirach widerspiegeln, in den bestimmten Kreisen, an die sich deren Belehrungen wenden, und zu deren Zeit häufig gewesen sein. Auf Ehebruch stand die Todesstrafe, die aber nur in den allerseltensten Fällen verhängt werden konnte, weil es naturgemäß an den unerläßlichen Zeugen der strafbaren Handlung fehlte. Zumeist kam es auch zur Anzeige seitens des Gatten der Ehebrecherin nicht, weil der entdeckte Ehebrecher demselben sein Vermögen hingab, um sich das Leben, das für das Vergehen dem Gatten gesetzlich oder praktisch verfallen war, loszukaufen und der Schande einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu entgehen. Die beiden Spruchbücher sind allerdings gerade über die Frage der Todesstrafe nicht bestimmt genug, um jeden Zweifel über deren Geltung auszuschließen.

von den Arabern: Ehebruch der Frau wird nicht leicht genommen (Agh. VIII, 50 ff.), öfter sogar blutig gerächt. S. 462: Bei den Be- wohnern des glücklichen Arabiens herrschte nach Strabo (p. 783) Viel- männerei, indem alle Verwandten eine gemeinsame Frau hatten. Ein Ehebrecher wird mit dem Tode bestraft.

¥

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischeu

Zeitalter.

Neue Folge.

Von Simon Eppenstein.

IV. Saadja Gaon, sein Leben und seine Schriften.

(Fortsetzung.) Saadja selbst hatte gewiß bald im Anfang1) seiner Amtsentsetzung eine Schrift verfaßt, die den Namen 'o ^bin führt, das heißt »das Buch der offenen Widerlegung2)«. In demselben offenbart sich neben der großen Erbitterung, die den Autor erfüllte, doch auch ein großer Geist, der selbst in dem großen Leid, das ihm widerfahren, an die Be-

*) Ich kann Harkavy und auch Pozp.anski in Monatsschr. 1900, S. 508 nicht beistimmen, wenn sie die Abfassung des Sefer Hagaluj in das Jahr 934 setzen. Denn die in dem Pamphlet gegen Saadja S. 229 Z. 4—5 gerichtete Anfrage, warum er sich nicht vor 13 Jahren, also 921, im Streit mit dem auch seine Abkunft verunglimpfenden Ben Melr seiner edlen jüdischen Abstammung gerühmt habe, beweist nichts, da dieses doch erst auf Saadja's erste Ausgabe des Sefer Hagaluj erfolgt ist. Soll dieser so lange Zeit mit dem Aussenden seiner Ver- teidigungsschrift gewartet haben?

") Aus der uns erhaltenen Einleitung des Werkes, bei Harkavy a. a. O. 181, Z. 16, geht diese Lesung deutlich hervor. Allerdings ent- spricht sie nicht ganz, wie schon Bacher in RdEJ. XXIV, S., bemerkt, dem arab. Titel, den er selbst der Schrift a. a. O. Z. 17 gibt, "nxB1?« 2KJ13, das man nicht, wie Harkavy meint, als der Verbannte auffassen darf, da Yitt im Arab. nur transitiv gebraucht wird, »jemanden verbannen«, sonst aber »abwehren« bedeutet. Der Sinn des Titels ist also: »das Buch der offenen Abwehr«; durch die folgenden Worte: mxn norr usw. ist ein Wortspiel von Saadja beabsichtigt.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäi sehen Zeitalter. 221

lehrung des Volkes denkt. Das Werk war hebräisch ge- schrieben, mit Vokalen und Akzenten versehen, gleich dem Sefer ha-Moadim. Leider sind uns von dem eigentlichen hebräischen Original nur die Einleitung, und zwar ziemlich lückenhaft, und Kapp. 1—3, wenn auch nicht vollständig, erhalten1). Die das eigentliche Werk bildenden ersten sieben Kapitel2) sind, nach der uns von Saadja gegebenen Schil- derung, eine Fundgrube reicher Belehrung in historischer und literarischer Hinsicht im Allgemeinen3), wie besonders betreffs seiner eigenen Erlebnisse und seiner literarischen Tätigkeit gewesen4), so daß der Verlust des Originals ein recht bedauerlicher ist. Es werden ferner theologische The- mata, wie Erklärung der Gebote, in Verbindung mit der Berechnung der Erlösung5), behandelt. Die letzten 3 Kapite sind besonders sprachlichen Inhalts, mit dem ausgespro- chenen Zweck, die Kenntnis der Handhabung des Hebräi- schen in Prosa und gebundener Rede, wie in mündlichem Ausdruck, zu verbreiten, und so dem durch Überhand- nehmen des Arabischen zu befürchtenden Vergessen der Muttersprache vorzubeugen; es ist somit eine Ergänzung seines Erstlingswerkes, des Agrön6).

Was nun das Persönliche des Streites betrifft, so ist es nicht zu verwundern, daß Saadja auch seine Gegner angreift,

») Vgl. Saadyana Nr. I, S. 4—7; vgl, auch Schechter's Vor- bemerkungen.

*) Eine Analyse des ganzen Werkes gibt Harkavy a. a. O., S. 142—145.

s) Vgl. besonders Saadyana, S. 5, das erste Kap. des Werkes, wo von der Sammlung der mündlichen Lehre gesprochen wird. Merk- würdig ist, daß hier der Zeitraum von rund 500 Jahren nach flPin pp, also cirka 568—578 d. gew. Zeitrechnung, als Abschluß des ganzen Talmud angenommen wird, während in Saadja's Wiedergabe in der zweiten Bearbeitung nur die Zeit des Abschlußes der Mischna an- gegeben ist.

*) Vgl. hierüber besonders a. a. O., S, 143.

6) Dieses wird im 5. Kap. behandelt; vgl. a. a. O., S. 154, Z. 6.

e) Vgl. a. a. O., S. 155-156.

222 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitaltei .

und besonders die Ungerechtigkeiten des Exilarchen erwähnt1), wobei er die Namen seiner Feinde mit Anspielung auf ihre gehäßige Tätigkeit umgestaltet2). Aus ferneren Andeutungen von Saadja selbst ist auch zu entnehmen, daß er seine eigenen perönlichen Verdienste und Kenntnisse ins rechte Licht ge- stellt hat8). Auf diese Schrift hin schwiegen natürlich die Gegner nicht und verfaßten eine Entgegnung, die zum Teil schon vorher von uns skizziert wurde, um die eigentlichen Angriffspunkte der Feinde hervortreten zu lassen. Unter anderen wurde ihm auch der Vorwurf gemacht, daß er dieses Werk, gleich den biblischen Schriften, mit Vokalen und Akzenten versehen habe, wodurch er für sich selbst gleichsam die Prophetie in Anspruch nehme4), in den Augen des Volkes die Heiligkeit der biblischen Schriften herabsetze und sie zu Zweifeln an diesen veranlasse6). Ferner bemängelten sie eine Anzahl von Saadja gebrauchter Worte und Wendungen als unhebräisch. Infolge dessen sah dieser sich veranlaßt, das Werk behufs gründlicher Wider- legung der gegen ihn gerichteten Angriffe in einer zweiten Ausgabe, und zwar in arabischer Sprache, mit einem fort- laufenden Kommentar des hebräischen Originals, aus dem reichliche Stellen angeführt werden, zu veröffentlichen und

») Vgl. a. a. O., S. 187, Z. 17 fgg.

*) Vgl. a. a. O., S. 166-168.

3) Vgl. a. a. O., S. 165, vorl. Z. u. fgg.

*) Vgl. a. a. O. S. 161, |Z. 18: rVWJ »1JH «iH fit« Harkavy's Übersetzung, S. 160, Z. 18: nxis:1? MJP3J1 !W gibt nicht prägnant den Sinn wieder; es müßte ungefähr heißen: »lDlty1? rHtlMJl npi1? !TO '»3«. Hier sei auch hingewiesen auf die mißverständliche Uebersetzung

von S. 161, Z. 22; «nj?XtDp:«3 npi |DD = S. 160, Z. 22 B>T15EB> «1 JOTW *b nnp^Bn, wofür es doch heißen muß: np^BBS miöW V31

iDxyS n:ri|T *? nmaii.

5) Vgl. a. a. O. S. 161 Ende bis 163 Anfang. Die Worte S. 163,

Z. 1—2: nDD^X ■'B "p»n Wl sind nicht mit Harkavy, das. S. 162, Z. 1—2 durch pBflcntP "IJJ zu übersetzen, das »begnügen« bedeutet, son- dern mit pBD tanv IV-

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 223

ihm eine arabisch geschriebene Vorrede voranzuschicken1); zugleich rechtfertigt er auch die von ihm gebrauchten he- bräischen Formen2). In dieser Hinsicht ist das Werk auch für die Geschichte des Hebräischen in jener Zeit3) ein inte- ressantes Dokument.

Dem Werke in dieser Gestalt gab Saadja wohl den Titel im/wk^ki Wi3*6k 3«nD »Buch der Gleichnisse und der Betrachtung«4) um so aus seinem Leid auch eine Quelle nachhaltiger geistiger und sittlicher Belehrung für sein Volk zu erschließen. Saadja führt in der Vorrede da- rüber Klage, daß die Angriffe seiner Gegner sich nur gegen einzelne willkürlich herausgegriffene Worte richte, ohne die gute Tendenz des Werkes zu beachten, womit sie den vom Talmud so arg getadelten Spuren des Königs Menaße folgen5).

Zur Widerlegung des ihm gemachten Vorwurfes, daß er sein Werk gewissermaßen als prophetisches ausgegeben, führt er aus, daß auf dasselbe doch die drei Merkmale eines solchen nicht zutreffen ; weder käme die Erwähnung einer Offenbarung oder die Belehrung über zu tief liegende Probleme darin vor, noch werde die Prophetie in Anspruch genommen durch Wunder, der Zeugnisse anderer Prophe- ten, noch auch werde es vom Volke unter die propheti- schen Bücher gerechnet6). Die gelegentlich dieser Verteidi- gung uns von ihm gemachten Mitteilungen sind sehr

») Vgl. das von Harkavy a. a. O. S. 186-193 veröffentlichte Stück, welches sich anschließt an das von Lambert in REJ. XL, S. 85 aus der Oenisa edierte Stück; vgl. auch ebendort S. 260, ferner auch Harkavy a. a. O., S. 181, Ende.

2) Vgl. Harkavy a. a. O., S. 150— 18k

3) Vgl. besonders a. a. O., S. 188 fgg.

*) Ich kann dem Zweifel bei Steinschn. a. a. O., S. 68, sub 45 nicht beipflichten.

6) Vgl. Hark. a. a. O., S. 171, Z.3-6.

«) Vgl. a. a. O. S. 163, Z. 8-15. Das Wort ibid. Z. 10: *mb* übersetzt, meines Erachtens, Harkavy nicht richtig mit ÜKIMTI Jl^D, vielmehr müßte es heißen: iVKiaJ njJBPX

224 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

schätzenswert, so die Zitate aus Ben Sira1), der Hasmo- räerrolle2), ferner dem sonst nicht bekannten, aber doch wohl alten Buch des Eleasar Ben Irais8); schließlich läßt es uns einen Blick in die Geistestätigkeit der schon damals bedeutenden kairuanischen Gemeinde tun, wo man wenn die uns von Harkavy gegebene Lesart richtig ist das Werk eines Christen nitt? in's Hebräische übersetzt hat4). Auf diese genannten, der Ethik gewidmeten Bücher, die auch mit Vokalen und Akzenten versehen waren, beruft sich Saadja zu seiner eigenen Rechtfertigung, wie auch darauf, daß man anstandslos seitens der maßgebenden babylonischen Schulen sein eigenes, gegen Ben Meir ge- richtetes DHtfian 'D in dieser Form erscheinen ließ5). Außer dem allein hier sich findenden Bericht Über die letztgenannte Streitaffaire erfahren wir durch Saadja auch von seinem Auftreten gegen Hajaweih aus Balch6). Auch in exegetischer Hinsicht bietet die Vorrede an manchen Stellen wichtige Beiträge für seine Auffassung von biblischen Erzählungen7). Daß dem Sefer Hagaluj in dieser zweiten Bearbeitung auch in literarischer Hinsicht Bedeutung beigemessen wurde, ersehen wir schon daraus, daß der obengenannte Kritiker Mebasser Halevi auch gegen einzelne Stellen dieses Werkes Einwände gerichtet hat8).

>) Vgl. a. a. O. S. 177, Z. 17 fgg.

") Vgl. a. a. O. S. 181, Z. 8—10.

s) Vgl. die merkwürdigen, z.T. ganz mit Ben Sira übereinstim- menden Zitate S. 179, Z. 17 fgg. und die auch zu einem sicheren Resultat nicht führenden Ausführungen von J. Levi in REJ, XLII, S. 270-273.

M Vgl. Hark. a. a. O. S. 151, Z. 18-20 und die, vielleicht rich- tigere LA. von Rosen, ebendort Anm. 4, wonach es sich um die Niederschrift eines mit der genannten Persönlichkeit zusammenhän- genden Ereignisses handelt.

6) Vgl. a. a. O. S. 151, Z. 22 fgg. e) Vgl. a. a. O. S. 177, Z. 12-14.

7) Vgl. a. a. O. S. 171—177 und oben.

8) Vgl. a. a. O. S. 182-184. Die uns dort erhaltenen Bemer-

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 225

Hatte nun so Saadja, vollauf mit seiner Verteidigung beschäftigt, doch durch die gelegentlichen Belehrungen das Wort der Bibel, daß auch das Harte und Bittere mitunter Süßes zu Tage fördern kann pina küt wo zu Ehren ge- bracht, — so hat er dieses selbst, das die Schrift besonders auf das Licht anwendet, wyyh "Hin p\no seinem Volke auch gereicht in einer die jüdische Gedankenwelt für alle Zeiten erleuchtenden Schrift, dem religionsphilcsophischen Haupt- werk, dem er den Namen rs*TKpnyfc6Ki ajokck^k 2«fiD ge- geben hat. Ist dieses auch im weiteren Verlauf der Zeiten in Bezug auf Darstellung überholt worden, haben die von Saadja vertretenen Anschauungen, die im Kaläm wurzeln, auch teilweise eine Umwandlung erfahren, so daß dieses eigent- liche Erstlingswerk der jüdischen Religionsphilosophie wenn wir von Mokammez und Isak Israeli absehen hin- ter einem More Nebuhim des Maimonides zurückstehen muß, so ist es doch für die systematische Behandlung der verschiedenen Probleme des Glaubens und dessen Aus- gleiches mit der Vernunft grundlegend geworden. Und, wenn man später an Maimonides die allzustarke Beeinflußung durch den größten griechischen Denker, Aristoteles, geta- delt hat, so verdient auch Saadja's Werk wegen seines An- schlusses an die seiner Zeit herrschende Theorie des Kaläm keine Hintansetzung, zumal bedacht werden muß, daß der- selbe einerseits eine sichtliche Befruchtung durch die ältere griechische Philosophie erfahren hat, wie es in jüngster Zeit S. Horovitz1) eingehend und überzeugend dargetan hat,

kungen Mebaßer's richten sich gegen Saadja's Vergleich der Weisheit mit dem Licht in der Einleitung des Werkes, wobei Saadja meint, daß die Weisheit den Toren in einer. Kluger, verwandelt, und auch seine bekannte Theorie aufstellt, daß die Finsternis nicht etwas dem Lichte ele- mentar Entgegengesetztes, sondern nur eine Negation desselben ist. Hiergegen wendet sich Mebaßer mit belanglosen Ausführungen.

>) Vgl. dessen Abhandlung im Jahresbericht des Jüd.-Theolog. Seminars zu Breslau 1909: Über den Einfluß der griechischen Philo- sophie auf die Estwickelung des Kaläm.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. *'

226 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter

andrerseits auch, nach Schreiners Beweisführung1), so man- ches dem Einfluß jüdischer Lehren zu verdanken hat.

Es muß aber auch hervorgehoben werden, daß außer dem Kaläm auch die griechische Philosophie, besonders die des Plato und des Aristoteles, nachhaltig auf Saadja ein- gewirkt hat, wie es besonders Guttmann eingehend nach- gewiesen. Aber auch hierbei, und besonders dem großen Stagiriten gegenüber, hat sich der Gaon nicht bloß rezeptiv verhalten, sondern mit kritisch sichtendem Blick setzt er sich zuweilen mit diesen Quellen auseinander.

Im Allgemeinen kann man Saadja einen Ekletiker nennen2). Zur ferneren Beurteilung seines religionsphilo- sophischen Werkes muß auch erwogen werden, daß, ge- mäß der ganzen Richtung, in die Saadja gewissermaßen hineingedrängt wurde, auch dieses eigentlich einen, wenn auch nicht direkt polemischen, zum mindesten aber ab- wehrenden Charakter trägt, wie denn in der Tat sich der Verfasser des öfteren gegen Irrlehren innerhalb solcher Kreise, die sich zum Judentum rechnen, und Angriffe von außen wendet3). Wenn wir den Titel des Werkes nach dem arabischen Original betrachten, so soll der erste Teil desselben, /im8dk^r, wohl besagen, wie der richtige Glaube beschaffen ist, beziehungsweise von welchen irrigen Voraus- setzungen man dabei sich fernzuhalten hat*). Indem man aber, von den Praemissen des Glaubens ausgehend, diesen auch gedanklich durchdringen läßt, kommt man zur Bil-

J) Vgl. Der Kaläm in der jüd. Literatur, Jahresbericht der Lehr- anstalt usw., Berlin 1895, S. 3—4.

2) Vgl. hierüber zuletzt Horovitz, Die Psychologie Saadja's im Jahresbericht, Breslau 1898, S. 1 fgg.

3) Vgl. Horovitz a. a. O., S. 75. Ganz besonders sei aber ver- wiesen auf Kaufmann's Anhang zu seiner Darstellung der Attributen- lehre Saadja's in seiner Geschichte der Attributenlehre, S. 78 fgg.: Der schriftstellerische Charakter der Emunotb, worauf wir noch zu- rückkommen.

*) Vgl. Emunoth, Einleitung, ed. Krakau S. 7, beginnend mit den Worten: WJTO HD UübvriV p^l usw.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 227

düng von Meinungen, wobei es nun gilt, auch den Maaß- stab der Vernunft anzulegen, immer den richtigen Mittel- weg innehaltend. Dies kommt zum Ausdruck in dem Wort nmiipflPifa, das eigentlich »Verbindung und Knotung von Schlüssen« bedeutet. In dieser Hinsicht will uns die von der anonymen, noch immer nur handschriftlich vorhandenen, älteren Übersetzung, oder eigentlich Paraphrase, die jedoch wohl nicht mit Recht dem Berachja Hanakdan zugeschrieben wird, gewählte Bezeichnung: ajnm nnioKn 'D piJiD mran als dem Original am nächsten stehend erscheinen, da in ihr besonders das Wort runKprw6« wohl den adae- quatesten Ausdruck findet2). Nicht ganz so genau istjdie

i) Vgl. ebendort: ruc^i bivn mb^ \vyrt naon [xjhöpxdi cm 37om roaa^a raroaM.

s) Das biblische Wort mann in Ps. 73 u. Jes. 58, 6 wird von Saadja durch das arab. npy in dem Sinn von Gedanken, Vereinigung und Knüpf ung von Begriffen wiedergegeben; vgl. meine Ausführungen in Monatsschrift 1896, S. 413—414, Anm. 5 s. v. und ZHB. VIII, S. 99. Über die Autorschaft des R'Berechja für diese Paraphrase hat zuletzt Guttmann in seiner Besprechung der von Gollancz heraus- gegebenen zwei ethischen Werke von Berechja (The Ethical treatises of Berechja usw., London 1902), in Monatsschrift 1902, S. 538 einige Argumente beigebracht, als Stütze für die schon von Rapoport in Bikkure Haittim IX, S. 30, Anm. 25 mit der ihm eigenen Gründlich- keit erörterte eventuelle Zugehörigkeit zu diesem Autor, die zuletzt Steinschneider in HÜB. S. 440—441, Gollancz selbst a. a. O., Ein- leitung S. XXXIX-XL und Porges in seiner Besprechung ZHB. VII, S. 38—39 bekämpft haben. Die von diesem erhobene und zum Teil auch von Guttmann gewürdigten Bedenken bestehen darin, daß Be- rechja 1) des Arabischen unkundig gewesen sei, 2) den um diese Zeit schon verfaßten Kusari des Jehuda Halevi nicht gekannt habe. Gegen ersteres ist allerdings zu bemerken, daß Berechja doch wohl Arabisch verstanden hat und eine Vorlage in einer solchen Sprache ge- habt hat. Es finden sich nämlich in seinem ethischen Werke Worte und Formen, die sich nur so erklären lassen. So z. B. ed. Gollancz S. 4, Z. 10 v. u. n'D^non, das nur durch das arab. pB^Kio = »die- jenigen, die anderer Ansicht sindc zu erklären ist; ibid. Z.^7 v^u. und paßim für »körperlich«: 'OOtfiJ, was ganz dem arab. "OKöD* nach- gebildet ist; S. 6—7 findet sich öfters für den Wohltäter und den die

15*

228 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

von dem jüngeren Übersetzer, Jehuda Ibn Tibbon, ange- wendete Bezeichnung mjni nuie«, woraus die gleichfalls be- grifflich nicht ganz genaue Übersetzung: »Glauben und Wissen« entstanden ist. Am richtigsten dürfte demgemäß der neuerdings von Bloch gewählte Titel : »das Buch der Glaubenslehren und der Vernunftansichten«1) sein. Das Werk Saadjas hatte wahrscheinlich., da einerseits weder die Karäer angegriffen, noch auch die von selten des Islam erhobenen Angriffe betreffs der Auffassung des Gottesbegriffes oder des Aufhörens der Verbindlichkeit des Gesetzes des sogenannten loa berührt werden, andererseits aber gegen das Christentum polemisiert wird, den Zweck, die gebildete islamitische Welt mit dem Gedankeninhak des Judentums bekannt zu machen, wobei er sich natür- lich von Ausfällen gegen solche Kreise, die doch immerhin zu den Juden gerechnet wurden, wie auch von einer Pole- mik gegen die herrschende Religion in gleicher Weise fem

Wohüat empfangenden : D^Jttö und DJJJ1D, was sich lediglich dem arab.

EJ7JX und DJ?30 anschließt, während er andererseits den Psaimisten als D'Wö = ^ den biblischen Sänger « anführt. Ferner hat er für das arab. iA^j »Zusicherung«, statt des üblichen "nj?\ das hebräisierte *Tpl. Man brachte ferner die fast durchgängige Anwendung von ftby

für sQrund« = arab. n?y und die sehr oft vorkommende Konstruktion von flDfi = »sich wundern« mit [C = arab. fc Zi'J,

*) Vgl. WiHter u. Wünsche, Die jüd. Literatur usw. II, S 704. Die von Steinschneider a. a. O. S. 439 gebrauchte Benennung: »Reli- gionen und Dogmen« kann m. E. nicht als zutreffend angenommen werden, wenn sie sich auch anlehnt an eine schon bei Abraham Ihn Daüd sich findende Bezeichnung: nimm nUlQX.I, da derselbe Auto. sich auch des Titels m*QDni nUTOKfl bedient, also: Buch der Glaubens- sätze und der philosophischen Lehren; vgl. Kaufmann a. a. O. S. 250—251, Anmerkung 253. Berechja wendet nur die Bezeichnung mJiDxn 'D an. Indessen ist das stärkste Argument gegen die Autorschaft Berechja's für diese Paraphrase, daß er vom VII. Traktat des Emunot nicht der von dieser benutzten zweiten Rezension, sondern sich der auch von Ibn Tibbon übersetzten ersten Fassung des DTEH nwnn IßKO bedient.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonaischen Zeitalter. 229

halten mußte1). Es darf uns aber darum nicht befremden, daß der Autor dennoch gegen Irrlehren wie die Hajaweihs Angriffe richtet, denn dessen Auschauungen gingen ja, wie oben dargetan wurde, im letzten Grunde auch auf solche zurück, die auch von der üblichen Richtung im Islam als ketzerisch betrachtet wurden2). Um jedoch gewissen Aus- wüchsen von irrigen Meinungen in Glaubenssachen ent- gegenzutreten, entschloß sich Saadja eine ihm besonders teure Lehre, die von Wiederbelebung der Toten, in einer gesonderten Abhandlung darzustellen3), um sie gegenüber der wohl von einigen karäischen Sektirern in Choräsän angestrebten Anfechtung die in einer Deutung dieser Verheißung auf die nationale Wiedererweckung Israels gip- felte4) — allen denjenigen, die sich in die Lektüre des großen Werkes nicht vertiefen mochten, zugänglich zu machen. Nennt er doch den Glauben an B»nen jr'ftn die er- habenste Zusicherung, die Gott seinem Volke gegeben hat. Die Bedeutung dieser besonderen Darstellung für die Ge- samtheit ist schon frühzeitig erkannt und der meist ver- breiteten Übersetzung, der des Jehuda Ibn Tibbon, zu Grunde gelegt worden.

Das große Werk Saadja's, dessen Inhalt insgesamt und im Einzelnen bereits von berufenen Gelehrten dar- gestellt worden ist5), läßt uns den Gaon in Wirklichkeit

*; Vgl. die treffenden Ausführungen von Kaufmann a. a. O S. 88—90.

2) Vgl. hierüber oben.

8) Das arab. Original davon bat Bacher in der »Festschrift für Steinschneider» (Leipzig 1896), S. 98—112 der hebr. Abteilung ver- öffentlicht, wobei er einige Lücken durch Rückübersetzung aus Tibbon's Version ergänzte. Über die Verschiedenheiten der beiden Versionen vgl. Landauer in der Vorrede zur Ausgabe des arab. Ori- ginals, S. VIII fgg. und Bacher in der Abhandlung a. a. O. deutsche Abt!g., S. 218—226, wo alles Wissenswerte angegeben ist.

*) Vgl. Bacher a. a. O. S. 224.

*) Vgl. die Literatur bei Steinschneider, Die arab. Lit. d. Juden S. 66, wozu noch anzufügen ist: Bloch's Darstellung in Winter und

230 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

als den »Stolz Jakobs« erkennen, der ein Lehrer seines Volkes im weitesten Sinn geworden ist und sicherlich viel zur Stärkung des religiösen Gefühls wie auch zur Aner- kennung des Judentums in außerjüdischen Kreisen beige- tragen hat, wovon die Erwähnung seiner Schriften selbst bei mohammedanischen Schriftstellern ehrendes Zeugnis ablegt

Derselben Zeit seiner unfreiwilligen Muße gehört wohl auch der Kommentar zu Daniel an, in dem er seine Auslegunskunst besonders an den schwierigen Pro- blemen, die dieses Buch bietet, zeigen konnte1). Für Saadja mußte es natürlich einen gewissen Reiz haben, die darin ausgesprochenen Ankündigungen zu deuten. Aber auch Polemisches gegen die Karaeer hat der Kommentar erhal- ten ; so sind sicherlich gegen sie seine Ausführungen, zu Cap. 10, v. 3 gerichtet2), worin wohl er an dem Beispie! Daniel's nachweisen will, daß, wie dieser sich nur in den drei Wochen seiner Trauer vom Fleisch- und Weingenuß zurückgehalten, so auch wir, wenngleich wir von der Stätte des Heiligtums verbannt sind, uns nicht die Buße des Ver- sagens dieser Dinge aufzuerlegen brauchen. Bekanntlich aber haben gerade damals die Karaeer, als sogenannte O'pJKJi DTttKJ »Büßende und Klagende« ihre Befriedigung« in der Enthaltsamkeit von Fleisch und Wein gefunden. Es ist natürlich, daß Saadja auch, ebenso wie im 5. Cap. des Sefer Hagaluj und im 8. Cap. des Kitäb al Amänät, der Berechnung des Erlösungsjahres eine Betrachtung bei der

Wünsehe a. a. O, S. 764 fgg., Bacher, Die Bibelexegese bei den jüd. Religionsphilosophen, Straßburg 1892, S. 1—44, Horowitz' bereits ge- nannte Abhandlung über S.'s Psychologie und Engelkemper, Die reli- gionsphilosophische Lehre Saadja Gaon's über die heilige Schrift, Münster 1903.

') Vgl. über diesen und den fälschlich Saadja's Namen tra- genden, in den Milcraoth Gedoloth sich findenden Danielkommentar Poznanski in Hagoren II, S. 92—103.

*) Vgl. a. a. O. S. 96-97.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 231

Erklärung von Cap. 8. v. 14 widmet; das Endziel der Er- lösung hat er auf das Jahr 968 festgesetzt1).

Es ist merkwürdig, daß in diesen drei, in den Jahren der Verbannung entstandenen Schriften des Gaon er be- sonders auch der Erlösung seine Aufmerksamkeit zuwen- dete, einem Thema, das schon im talmudischen Zeitalter in innige Verbindung gebracht wurde mit der Lehre der Auferstehung der Toten2), und er diese Besprechung da- rum auch in seinem philosophischen Hauptwerk unmittel- bar an die Behandlung des letztgenannten Problems an- schloß. Sicherlich hat ihn hiebei der Schmerz über die Zustände, deren Opfer er selbst geworden war, geleitet, ein Thema zu erörtern, das eigentlich einem so nüchtern denkenden und den Erwägungen der Vernunft in erster Reihe folgenden Manne fern liegen mußte, und ferner das Bestreben, den durch die religiösen Wirren im Vertrauen auf Gott und seine Erlösung wankend Gemachten einen Halt zu bieten. Dies hat auch der solchen Berechnungen abholde Maimonides betont3), unter Hervorhebung der immer nur von den ernstesten religiösen Motiven geleiteten Handlungsweise Saadja's, weswegen seine etwaigen Irrtümer ihm zu gute gehalten werden müßten4). Dieser selbst sagt es auch ausdrücklich, daß eine völlige Rückkehr zu Gott,

1) Vgl. Poznanski's Aufsatz: Die Berechnung des Erlösungs- jahres bei Saadja (Miscellen über Saadja III) in Monatsschr. 19C0, S. 4C0 fgg. u. S. 508 fgg; besonders S. 415-416 u. S. 517.

2) Vgl. die Studie von M. Löwy: Messiaszeit und zukünftige Welt, in Monatsschr. 1897, S. 392—409.

s) Vgl. Iggereth Teman, im Kobez, ed. Lichtenberg II, S 5 b.

*) Vgl. ebendort: \lfflBh fW D^DP DtP1? VPjfO *?3a piam KVfl rjiwavna flfW b$ vby. Es ist demnach ein unbegreifliches Mißverständnis des Jedaja Penini, wenn er in seinem be- kannten m^atnXTI rnast an Salomon ben Adret, in dessen Responsen, Wien 1812 Nr. 418, S. 57b, den Maimonides einen Vorwurf gegen Saadja erheben läßt, daß er die Berechnung des Endzieles le- diglich auf Berechnungen und Sternkunde gestützt habe, während die von ihm fälschlich aufgefaßte Stelle bei Maimonides : "j'JVJOtP ftO f?3«

232 Beitrüge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeiiaiier.

ohne Abwarten des Endzieles, uns von unserer Knechtung durch die Völker befreien könne1;.

Dem Gaon, der, obwohl seiner äußeren Würde ent- kleidet, doch den geistigen Mittelpunkt des Judentums bildete, sollte aber doch alsbald auch persönliche Genugtuung wer- den, indem der Wille des selbst unter den unerträglichen Zuständen der Zwietracht und der Zersplitterung unter den beiden obersten Gewalten leidenden Volkes, diesen ein Ende bereitete. Ein sehr peinlicher Rechtsvorfall, bei dem sich die Rücksichtslosigkeit David ben Sakkai's wieder recht deutlich zeigte, veranlaßte die Einsichtigen, darunter den Schwieger- vater des unversönlichsten Feindes des Gaons, Aaron Ibn Sargädos, den hochangesehenen Bischr ben Aaron, endlich das Versöhnungswerk in die Hand zu nehmen, das am Esther- fasttag und Purimfest des Jahres 928 in einer mehrtägigen gastlichen Aufnahme Saadja's im Hause des Exilachen sei- nen Abschluß fand2).

Es läßt Saadja's Charakter von der glänzendsten Seite erscheinen, daß er nach dem bald erfolgten Tode des Exilarchen und seines Sohnes sich seines noch erziehungs- bedürftigen Enkels annahm und ihm einen sorgfältigen Unterricht zuteil werden ließ8).

D.TSM2J31 B'MWI DOSriD r^K ppiflfc'o sich keineswegs auf Saarija be- zieht, indem vbx das antizipierte Objekt des folgenden nD3n usw. ist.

>) Vgl. Emunot VIII, ed. Krakau, S. 157.

•) Vgl. Nathan Babli bei Neubauer a. a. O. II, S. 81-82. Der von ihm angegebene Name von Ibn Sargädo's Schwiegervater Bisch'r dürfte der richtige sein.

s) Vgl. Neubauer a. a. O. II, S. 82 Ende.

(Fortsetzung folgt).

lie „Wortvertansehimgsn" Im Kiiäb ai-Luma' des

Abulwalid.

Von Prof. W. Bacher.

Es ist sehr bedauerlich, daß D. Herzog in seinem hier erschienenen, offenbar mit Lust und Liebe ausgearbei- teten Artikel (Jahrg. 1999, 709—719, J. 1910, S, 82—102) nicht das arabische Original des Abulwalid'schen Haupt- werkes, also weder das Kitäb-al Luma', noch das Kitäb-al usül benützen konnte. Nicht nur ist es im allgemeinen unstatthaft, daß speziell bei einem philologischen Gegen- stande nur die Übersetzung des betreffenden Werkes benützt wird und das längst edierte Original unverwertet bleibt ; sondern die merkwürdige Hypothese, mit der Herzog eine bekannte literaturgeschichtliche Schwierigkeit zu beseitigen vermeint, wäre wohl unausgesprochen geblieben, wenn er den arabischen Text einiger der von ihm zitierten Abulwalid- Stellen vor Augen gehalten hätte. Gleich die ersten Worte des berühmten 28. Kapitels des Rikma (im arabischen Ori- ginal ist es Kap. 27): nr\bu rra pcnrn'^n^ön p n^o pt»3ö# er konnte er nur deshalb als Hauptstütze für seine Hypothese ansehen, v/eii er in BP einen Hinweis auf andere, ungenannte Bibelerklärer erblickte. Schon die Überschrift des Kapitels, dessen ersten Worten entnommen, hätte ihn belehren können, daß das Subjekt zu j»«»at3 nicht die Erklärer, sondern die Ur- heber der hier in Betracht kommenden Bibeltexte sind. Meine Übersetzung jener Eingangsworte (AMIG.2), S. 19): »Zuweilen wendet man irgend einen Ausdruck an, während ein anderer

1) Es mu3 hier mbon gesetzt werden; dem arab. KD ttb (irgend ein Ausdruck) entspricht hebr. m^DH p fi^D.

2) Ich verwende die Siegel Herzogs.

234 Die »Wort vertauschungen« im Kitäb al-Luma' des Abulwalid.

beabsichtigt ist«) ist ihm entgangen ; aber er zitiert die ebenfalls richtige französische Übersetzung Metzgers (»On emploie etc.«), erkennt sie jedoch nicht an, was an sich ohne Einblick in das arabische Original unstatthaft ist. Bei dieser Abweisung der auf dem Originale beruhenden Wieder- gabe von j»K»3ö» w beruft sich Herzog (S. 713, Anm. 1) auf eine Stelle in Abulwalids mwii "icc (Col. 345), die er aber ebenfalls wegen Unkenntnis des arabischen Originals mißverstanden hat. Der von ihm zitierte Passus noM "jx npn px mpoa xin iddd px iruia/£ fehlt im MS., aus dem ich das Sefer Schoraschim edierte, ich fügte es aus dem Originale hinzu, diese Einfügung, wie stets, mit eckigen Klammern bezeichnend. nOK ist Wiedergabe des arabischen n^>ip (492, 5), also ^ö* zu lesen ; Herzog las rito$ und glaubte in dem Passus ein Zitat erkennen zu sollen. Und auf Grund solcher Mißverständnisse sagt Herzog, daß jene einleitenden Worte »unmöglich auf eine eigene Arbeit Ibn Ganähs schließen lassen«.

Herzog sagt dann weiter : »Ibn Ganäh bekämpft sogar im zweiten Teile desselben Hauptwerkes, im D'PWn 'D zwei der im Kitäb al-Luma' mitgeteilten Stellen.« Von diesen zwei Stellen wäre die eine im Artikel DtPX (p. 48) zu lesen ; sie lautet: djpx Dtrxn bv in neir wk pyn *??"£ e»»i, was Herzog, der die ersten zwei Worte dieses Satzes gesperrt druckt, offenbar so versteht, daß irgend ein Exeget (*!?.'%' ä»»i) das Wort Dtrx so erklärt habe, wie es im Luma* in bezug auf Lev. 5, 7 geschieht. Aber auch abgesehen davon, daß dies noch nicht ein Bekämpfen der Ansicht, dpx bed. nicht nur >Schuld«, sondern auch »Schuldopfer«, genannt werden kann, so liegt hier wieder ein arges Mißverständnis des hebräischen w vor. Im Original (71, 9) lautet der Passus: otrx nnxbx \y m iojad' nb» jxnp^x 'öd' ipi. Abulwalid gibt also hier dieselbe Erklärung, die er dem 27. (28.) Kapitel des ersten Teiles einverleibt hat, auch im zweiten Teile, dem Wörterbuche, und zwar als seine eigene Ansicht.

Die »Wortvertauschungen« im Kitäb al-Luma' des Abulwalid. 235

Noch sonderbarer ist der Hinweis auf N. 68 in der Liste Herzogs. Hier wird aus Abr. Ibn Esra's Psalmen- kommentar die Erklärung von »t, Ps. 77, 3, als statt *rp stehend, angeführt. Aber als Urheber dieser Erklärung nennt Ibn Esra den von ihm wegen seiner Wortvertauschungen oft bekämpften Anonymus. Bei Abulwalid findet sie sich über- haupt nicht. Vielmehr erklärt er im Wörterbuche, Art. v, *V im erwähnten Psalmverse im Sinne von »Wunde«. Da nun gerade Herzog es ist, der und zwar mit Recht die Identifizierung jenes Anonymus mit Abulwalid bestreitet, weiß ich nicht, warum er (1910, 99) den Widerspruch zwischen der Erklärung des Anonymus und der in Abul- walids Wörterbuche »merkwürdig« findet; ferner ist es unbegreiflich, wie er diesen vermeintlichen Widerspruch als Beispiel dafür anführt, daß Abulwalid selbst das bekämpft, was er im Luma' behauptet. Den Hinweis auf N. 16 verstehe ich ebenfalls nicht, da doch Abulwalid in beiden Teilen seines Hauptwerkes den Ausdruck onn D*tttt»n »J'l? (Num. 16, 14) als Euphemismus für irrj? erklärt; die ver- schiedene Ausdrucksweise kann doch nicht als Widerspruch angesehen werden.

Ebenso unhaltbar ist das Argument, das Herzog aus den sieben (Bibel-)Stellen schöpft, die im Luma' unter den Beispielen für »Wortumtauschung« figurieren und die Abul- walid im Wörterbuche zitiert, »ohne irgend eine Bemerkung über deren Erklärung zu machen, was er aber ganz gewiß, wenn diese Wortumtauschung sein eigenes Produkt gewesen wäre, nicht unterlassen hätte.« Welches Sophisma! Wenn Abulwalid diese Bibelstellen, nachdem er sie im Luma' er- klärt hatte, in den Artikeln seines Wörterbuches nochmals zitiert, so tut er dies zu dem durch den Plan seines Wörter- buches geforderten Zwecke; die im ersten Teile des Werkes (dem Luma') bereits gegebene Erklärung braucht er im zweiten Teile (des Wörterbuches) nicht zu wiederholen. So JL. B., um die erste dieser 7 Stellen zu nennen, zitiert Abul-

236 Die »Wortveriauschungen im Kitäb a'.-Luma' des Abulwalld.

walfd im Wörterbuche das Wort ~-p\ Exod. 22, 7, lediglich als Beispiel für die Niphal-Form des Verbums anp. Oder läßt sich etwas aus dem Umstände folgern, daß Abulwalid im Wörterbuche unter dem Artikel b&& wegen der Verbal- form fcwffri II. Sam. 14, 19 citiert und dabei nicht angibt, daß das in demselben Verse stehende Verbum irr für poc gesetzt ist?

Den sieben Stellen gegenüber, die im Wörterbuche Abulwalids zitiert werden, ohne daß ihnen die sich auf »Wort- vertauschung« beziehende Erklärung des Luma' beigegeben wäre, stehen mehr als doppelt so viel Beispiele dafür, daß im Wörterbuche die im Kapitel über Wcrtvertauschung sich findende Erklärung widerholt wird. Es sind das, wie von Herzog selbst sorgfältig angegeben ist, die Nummern 5, 11, 15,17,39, 43, 47, 48, 53, 59, 65, 74, 77, 78, 79. Für diese Fälle nimmt H. einfach an, daß die nach seiner Hypothese im Luma* aus dem Werke des Anonymus übernommenen Erklärungen im Wörterbuche durch Abulwalld ohne weiteres adoptiert wurden. Beweisen aber diese Beispiele nicht viel- mehr, wenn das noch eines Beweises bedürfte, daß die »Wortvertauschung« im Luma' nicht adoptiertes Gut bildet, sondern Abulwalids Eigentum ist, das er als solches, wo ihm das für nötig erschien, auch im Wörterbuche ver- wendete ?

Denn es darf von vornherein, auch ohne die hier vor- ausgeschickte Widerlegung der Argumente Herzogs, fest- stehen, daß seine Hypothese eine grundlose ist. Wer die Art Abulwalids kennt, muß es als unglaublich betrachten, daß er jene Wortvertauschung »bloß aus einem andern Werke in sein Buch aufgenommen hat.« Wie um eine solche An- nahme unmöglich zu machen, leitet Abulwalld im dritten Beispiel des berühmten Capitels über stellvertretende Rede- weise (I. Sam. 25, 4) seine Erklärung mit den Worten ein: nap mpxbai (L. 294, 10, = R. 177, 17: »a*j?a anpm), d. h.i mir gilt es als wahrscheinlich. Damit bezeichnet er

Die AVortverlauschungerj« im Kitäb al-Luraa' des Abuiwalid. 237

die Erklärung ausdrücklich als sein Eigentum; und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß diese Bezeichnung auch für den größeren Teil der dann folgen- den Beispiele zu gelten hat1). Denn daß Abuiwalid einzelne der Beispiele anderswoher geschöpft hat, zeigen die ersten zwei Beispiele, die Erklärungen von Saadja Gaon wiedergeben, vcn dem auch die Erklärung zu Ps. 24, 4 oav = *cci) herrührt. Die Erklärungen des Gaon waren ge- wissermaßen Gemeingut der Bibelexegese geworden, und Abuiwalid stellte sie wohl absichtlich zur Rechtfertigung der angewendeten kühnen Methode an die Spitze. Aber daß er, wie der positive Teil der Hypothese lautet, das Werk eines Zeitgenossen, des Isaak Ibn Jaschusch, für den gesamten ersten Teil des Kapitels von der stellvertretenden Redeweise (Wortvertauschung) einfach ausgeschrieben habe, ohne mit einem Worte auf den eigentlichen Urheber dieser Erklärungen hinzuweisen, ist absolut ausgeschlossen. Wie die durch Ibn Esra's Äußerungen über die »Wortver- tauschungen« verursachten Schwierigkeiten zu lösen seien, soll hier nicht weiter erörtert werden. Noch jetzt erscheint mir als wahrscheinlich, was ich in meiner Schrift: »Aus der Schrifterklärung des Abuiwalid Merwan Ibn Ganah (1889) ausgeführt habe: Isaak Ibn Jaschusch oder ein Anderer nahm die Methode Abulwalids auf, adoptierte seine Beispiele, vermehrte sie mit anderen, und dieses sein Werk ist das von Ibn Esra so heftig bekämpfte. Die Hilfshypothese Herzogs von einem karäischen Schriftsteller, in dessen Werke I. E. die Wortvertauschungen des Ibn Jaschusch vorgelegen wären (Jhg. 1909, S. 717), ist ganz überflüssig. Ich will nur noch der als Stoffsammlung verdienst-

*) Die Erklärung des Ausdruckes VDS TS, Gen. 25, 28 (bei Herzog N. 3) führt Abuiwalid selbst im weiteren Teile des 27, (28.) Kapitels unter den Metaphern an und bezeichnet sie, mit Hinweis auf den ersten Teil des Kapitels, als »unsere Erklärung« (xjm!', L. 315, 6 = 1J1K3, R. 192, 7. v. u.)

238 Die »Wortveriauschungeru im Kiiäb a!-Luma' des Abulwalid.

liehen Arbeit Herzogs einige Berichtigungen widmen. Zu- nächst bemerke ich, daß in der Liste Herzogs eine Gruppe von Beispielen fehlt, in denen B|fl statt "P# steht (Prov. 24,28) oder yv statt Dan (Psalm 38,20, 1 Sam. 25, 21, Ps. 69, 5). Allerdings fehlt diese Gruppe in dem von Herzog allein benützten Rikma ; aber er hat es und das ist auch sonst zu bemerken unterlassen, von meiner Berichtigung und Ergänzung der Rikma-Texte Gebrauch zu machen, die ich meiner Ausgabe des ü'VWn 'D, S. 568—594 beigegeben habe. Andererseits bietet Herzogs Liste Bei- spiele der Wortvertauschung, die auf unrichtiger Auffassung der Worte Abulwalids beruhen. So N. 45: »Jesaja 7,20 D^:nn *w statt prnyn rra«. Aber die Jesajastelle wird von Abulwalid nur als Beweis dafür zitiert, daß D'^l pudenda bedeutet (zur Erklärung von II, Sam. 19, 21). Auch hier wäre der Verfasser vor Irrthum bewahrt geblieben, wenn er meine Ergänzung des betreffenden Rikma-Textes auf Grund des Originales (n^tjntrn 'd, S. 587)' benützt hätte. Merkwürdigerweise gibt er selbst die Ergänzung auf Grund von Metzgers französischer Übersetzung unter N. 39 (zu II. Sam. 19, 25), ohne sie aber unter N. 45 zu beachten. N. 49, zu Jes. 29, 1: »o-an statt EPVaan.« Aber die Je- sajastelle wird nur als Beweis dafür gebracht, daß unter an, eig. Fest, die am Feste geopferten Schafe und Rinder (aber nicht bloß >Schafe«) gemeint sind, und zwar als Analogie zur Bedeutung von noo in Deut. 16, 2. Die- selbe Bemerkung gilt auch für N. 70, zu Ps. 118, 27 : »an- statt nyien tws.« Zu streichen ist auch N. 76 (Hiob 1, 11)- Denn die Hiobstelle (yaa by) citiert Abulwalid nur als Ana- logie zu seiner zweiten Erklärung für Num. 3, 4, wonach piK »3D bv bedeutet: in Gegenwart Aharons, vor Aharon, ebenso wie "pc bv in Hiob 1, 11 bedeutet: in deiner Gegen- wart, vor dir (yv pro imims, L. 299, 11 = "popaai 7:02, R. 181, 30). Bei dieser zweiten Erklärung handelt es sich also gar nicht um »Wortvertauschung«, sondern um eine

Die »Wortvertanschungen« im Kitäb al-Luma' des Abulwalid. 239

Erklärung von »A3. Nur nach der ersten Erklärung Abul- walids steht pn» »ja bv für \*\nx "na.

Die letzten zwei Beispiele zeigen zugleich, daß Herzog auf unberechtigte Weise den beim Übersetzer Jehuda Ibn Tibbon gefundenen hebräischen Ausdruck so anführt, als ob Abulwalid selbst ihn als Äquivalent des durch Stellvertretung erklärten Textwortes angegeben hätte, während tatsächlich bei Abulwalid sich nur der entsprechende arabische Ausdruck findet. Diese unberechtigte Übertragung des erklärenden hebräischen Ausdruckes vom Übersetzer auf den Verfasser findet sich noch in den Nummern 3, 33, 39, 44, 79.

Unter N. 3 (S. 719, Anm. 2) berichtigt Herzog den Wortlaut Ibn Tibbons nyn anaim? iaa zu a'anjm ms* D; die- selbe Berichtigung erlaubt sich Herzog unter N. 4L Sie ist unrichtig; denn Ibn Tibbon behält den arabischen Kollektiv- singular yyfak (»Die Araber«) in der hebräischen Wieder- gabe bei1). Unter N. 15 (S. 86. Anm. 5) sagt Herzog, statt di?b h »n* tt*mi mm bei Ibn Tibbon (R. 178, 13) »müßte es dem arabischen Original entsprechend richtiger lauten«: inra mri rhu). Da er das arabische Original nicht benützt hat, folgt er bei dieser »Berichtigung« Ibn Tibbons der französischen Übersetzung Metzgers (S. 287: >et le mot B*m est superflu«). In Wirklichkeit aber ist der Passus des Originals: »:6a K»m nbipi (L. 295, 6) in der Übersetzung tön Tibbons wörtlich wiedergegeben. Dem arab. Terminus 'J^a entspricht das Substantiv m:& in Abulw.'s Wörterbuche, Art. BJ, was Ibn Tibbon {awwn 'D S. 94) mit yiV M fTW* wiedergibt (pjy = aya>. S. 89, Anm. 1. Die korrekte Ergänzung s. a'wwn 'D, Anhang. S. 586 f. Zu N. 29 (S. 90). Hier muß ich einen Irrtum berichtigen, den ich mir selbst habe (AMIG, S. 25. Anm. 4) zu Schulden kommen lassen, Abulwalid erklärt in *a»im\ I. Sam. 25, 32 als Euphe-

*) Aus der Unkenntnis dieses Sachverhaltes stammt auch das. Ausrufungszeichen, das Herzog unter N. 79 den aus dem Wb. ange- führten Worten 3*$n ciDiXB» HD beifügt.

240 Die »Wortvertauschungen« im Küäb a!-Luma' des Abulwalid.

mismus für r\ib (vgl. in der Traditionslitteratur bw tiwkiw b$w für ^«na?»)> nicnt für '^'K^, wie Herzog angibt. Das Richtige hat David Kimchi: vnh KIM *1J3. Zu N. 53 (S. 96). Zu Jerem. 22, 3 erklärt Abulwalid, pi#J? nach ^J sei Aequiva- lent für i?tf*> ebenso wie in Jerem. 33, 8 *Mpn nach DSW (und orrrruij;) Aequivalent für 1VJ.« Herzog faßt die ganze Stelle unrichtig auf, wenn er sagt, pW$ stehe nach Abulwalid für PW\ denn nicht von dieser aktiven Bedeutung der Form ^P? ist hier die Rede (von dieser spricht Abulwalid in der von Herzog zitierten Stelle des Wörterbuches), sondern von der Stellvertretung des einen synonymen Verbums durch das andere. Zu N. 79: In der aus dem D'sntrn 'D, Art. DS'K zitierten Stelle gehören die letzten Worte, mit denen das arabische Verbum D/iKn erklärt wird vybo »isyn \wbz naa faa Dty«.nn) nicht Abulwalid an, sondern sind eine Glosse des Übersetzers Ibn Tibbon, weßhalb ich sie auch in runde Klam- mern gesetzt habe, die aber von Herzog weggelassen wurden. Herzog spricht auch von einer Benützung der Septua- gänta durch den Urheber der Worttauschungen und schöpft daraus sogar ein Argument für Identifizierung desselben mit Isaak Ibn Jaschusch (Jhg. 1909. S. 710, 715). Aber an den betreffenden Stellen kann lediglich von einer exege- tischen Übereinstimmung zwischen der alten griechischen Übersetzung und dem jüdischen Bibelerklärer die Rede sein. Übrigens sind von den durch Herzog erwähnten 11 Beispielen dieser Übereinstimmung auszunehmen: N. 27, I. Sam. 17,32 (hier gibt LXX »Ji« wieder, statt ms); 30, N. 26, 32 (wo LXX das Textwort b>'*6 übersetzt, eine Überein- stimmung mit Luma gar nicht stattfindet); 40, II. Sam. 21, 8 (die Lesung std für Sd»o ist auch außerhalb der LXX be- zeugt). Aber auch die Nummern 38 und 62 sind auszu- schalten, weil in dieser die LXX den betreffenden Passus überhaupt nicht enthält, von einer Übereinstimmung mit dem Urheber der Wortvertauschung hinsichtlich des fehlenden Passus also keine Rede sein kann.

Der Streit um die jüdische Garküche in Bromberg am Beginne des 19. Jahrhunderts1).

Von G. Walter.

Die Zahl der bei dem Beginne des 19. Jahrhunderts in Bromberg ansässigen Juden war eine überaus geringe. Am 1. April 1803 unterzeichnen beispielsweise als Brom- berger Judenschaft im ganzen 5 Männer: Aron Lewin, dessen Schwager David Salomon samt seinen beiden Söhnen Ab- raham David und Victor David und Schmul Abraham2). Sind für die Berechnung der gesamten, damals in Brom- berg vorhandenen jüdischen Seelen auch hierzu noch die weiblichen und minorennen männlichen Glieder der Ge- meinde in Anschlag zu bringen, so zeigt die angeführte Tatsache zur Genüge doch eins: von den in Bromberg wohnhaften Glaubensgenossen konnte eine jüdische Gar- küche, eine jüdische Gastwirtschaft wirklich nicht existieren. Wenn sie überhaupt zu einem Nahrungszweige werden sollte, so mußte sie ein ausgedehnteres Gebiet vor sich haben. An einem solchen fehlte es aber in Bromberg des- halb nicht, weil die ganze Judenschaft des Netzedistriktes wegen ihres Handels und der Landeskollegien häufig nach Bromberg kommen mußte. Und diese jüdische Bevölkerung war eine überaus starke. Ein zeitgenössischer Schriftsteller schätzte sie sogar auf etwa 7000 Seelen3).

Diese Garküche wurde nun bis zum Jahre 1803 ziem-

») Nach den Akten (Bromberg c. hauptsächlich 361 I und II) des königl. Staatsarchivs zu Posen.

2) David Salomons Unterschrift erfolgt hierbei in hebräischen, die der übrigen Genannten in deutschen Schriftzeichen.

3) Holsche, der Netzedistrikt, Königsberg, 1793.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. '"

242 Der Streit um d. jüd. Oarküche in Bromberg am Beginne d. 19. Jahrh .

lieh unangefochten von einer Frau Rebecka Meyer (einmal auch Rebeke Mayren genannt) betrieben. Sie lebte schon seit dem Jahre 1777 in Bromberg, hatte den Petschier- stecher Meyer Michel geheiratet und ihren Mann nach vielleicht 7jähriger Ehe im Jahre 1788 durch den Tod ver- loren. Beim Tode ihres Mannes war ihr ältester Sohn Wolff Meyer etwa 6 Jahre alt. Die Witwe mußte an einen Er- werb denken und griff damals wohl zu dem obenerwähnten. Nahezu 15 Jahre hatte sie ihn wie ein Monopol in Hän- den gehalten. Da erwuchs ihr auf einmal eine scharfe Kon- kurrenz.

Zwei Konkurrenten erstanden der Rebecka Meyer gleichzeitig. Der eine hieß Hirsch Lewin, der andere Hirsch Gerson.

Auch Hirsch Lewin wurde durch eine wenigstens augenblickliche Notlage dazu getrieben, sein Brot durch die Garkocherei zu verdienen zu suchen. Er war im Jahre 1803 Beamter der Gemeinde, ihr Schächter geworden, »publiquer Bediente«, hatte sich aber ihrer Gunst nicht lange zu erfreuen. Schon am 23. August 1803 zeigen Da- vid Salomon und Aron Lewin1) der Behörde an, daß sie

*) In Oemeindeangelegenheiten gingen die beiden Verwandten allerdings durchaus nicht immer so einträchtig zusammen (vgl. übri- gens meinen Artikel »Die drei ersten Grunderwerbsversuche « in der allg. Zeitung des Judentums, Jahrg. 71, Nr. 28.) Im Jahre 1797 bekun- deten sie gerade in der Beamtenfrage ihre höchste Uneinigkeit und spielten die Schächter gegen einander aus. Von David Salo- mon wurde damals Israel Samuel engagiert, der sein Befähigungs- zeugnis, seine nbap, vom Oberlandesrabbiner Hirschel hatte, von Aron Lewin war damals Hirsch Oerson als Schächter gehalten. Es stimmt somit auch nicht, wenn Herzberg, Oeschichte der Juden in Bromberg, Frankfurt am Main 1903, S. 24, annimmt, daß Josua Frän- kel im Jahre 1824 der erste Qemeindebeamte war. Hier sei nur noch kurz darauf hingewiesen, daß im Jahre 1801 als Schächter Hirsch Salomon genannt wird, und im Oktober 1803 die Bromberger Juden darum vorstellig werden, »Itzig Joseph, ein Sohn des verstorbenen ordinalen Schutzjuden Joseph Benjamin aus Strezelno* auf ein Jahr als Schächter zur Probe zu nehmen.

Der Streit um d. jüd. Garküche in Bromberg am Beginne d. 19. Jahrb. 243

Hirsch Lewin nicht gebrauchen können und ihn 14 Tage nach Michaelis gehen lassen wollen. Infolge dessen ent- schloß sich Hirsch Lewin, Garkoch zu werden. Er erbot sich am 27. September 1803, für die Konzession zur Be- treibung der Garküche 25 Taler einmalig zum städtischen Baufond und jährlich 3 Taler zur Kämmereikasse zu zahlen. Zugleich bittet er darum, alte Kleider kaufen und verkaufen zu dürfen, wofür er sich zu einer Zahlung von 10 Talern zum städtischen Baufond und 2 Taler jährlich an die Kämmereikasse verpflichtet.

Ganz andere Beweggründe veranlaßten Hirsch Gerson, sich am 3. Oktober 1803 um die Konzession zur Garküche zu bewerben. Er war im Jahre 1796 von Aron Lewin als Schächter und Lehrer nach Bromberg genommen, als Süd- preuße jedoch am 16. April 1798 bereits wieder ausge- wiesen worden. Diese Ausweisung blieb indessen auf dem Papiere stehen, weil Hirsch Gerson bei der Verpachtung der Bernsteingräberei in der Lochower königl. Forst der Meistbietende unter den Juden nur solche scheinen als Pächter damals aufgetreten zu sein geblieben war1). Gerade im Jahre 1803 hatte er den Pachtvertrag wieder auf sechs Jahre verlängert. Es lag Hirsch Gerson nun daran, beständig in Bromberg sein zu dürfen und mit einem »Concession und Toleration Schein versehen« zu werden. Zur Begründung seines Gesuches weist Hirsch Gerson einmal auf die M Leute hin, die er als Bernsteingräber beständig beschäftigt >dies sind alles arme Leute und In- validen-Soldaten, welche durch mich ihren Unterhalt ver- dienen und wodurch selbst die accise Gefälle und andre Revenuen des Staates vermehrt werden, weil ich und alle meine Leute ihren benöthigten Unterhalt aus der hiesigen Stadt nehmen müssen und hierdurch auch die Städtsche

>) Hiernach ist Herzberg a. a. O. S. 32 richtig zn stellen, wo die erste Entdeckung von Bernsteinadern im Kreise Bromberg für das Jahr 1828 verzeichnet wird.

16*

244 Der Streit um d. jüd. Qarkücke in Bromberg am Beginne d. 19. Jahr h.

Consumtion mit befördert wird«, dann aber meint er sich auch dadurch verdienstlich zu machen, daß er, da ohnehin bei ihm die Juden speisen würden, die er zum Führen der Aufsicht bei der Gräberei halten muß, »öfters 6—8 und für beständig 4«, eine jüdische Garküche unterhalten und dafür der »hiesigen Cämmerey eine jährliche immerwährende Ab- gabe von 10 Thalern, auch ev. etwas mehr«, überdies an den städtischen Baufond 50 Thaler geben will.

In der Gemeinde selbst hatte Rebecka Meyer viel Stimmung für sich. Dem Proteste, den sie erhob, standen von ihren Glaubensgenossen bloß der Tolerirte »vereydigte Dolmetscher« Schmul Abraham und sein Sohn, der extra- ordinaire Schutzjude Jakob Schmul fern. Aron Lewin, David Salomon und dessen beide, eingangs genannten Söhne schlössen sich diesem Proteste an. Sogar die Magistrats- mitglieder ausschließlich des Bürgermeisters Razgebor stell- ten sich auf die Seite der verwitweten Meyer. Dieser selbst kämpfte allerdings gegen sie und Hirsch Gerson um so nachhaltiger für Hirsch Lewin. Die Witwe Meyer, meint Razgebor, hat »kein jus contradicendi wieder die Anstel- lung eines zweiten« Garkochs und kann die Sache nicht im Umfange des Lewin führen. Die Bernsteingräberei aber würde auch ohne Hirsch Gerson nicht brach liegen bleiben. »Ist er nicht Pächter, wird sich wohl ein anderer finden.« Und Lewin sei vor allem auch aus dem Westpreußischen Departement, ein »in der Stadt Gern bice gebohrener Schutz Jude.« In gleicher Weise stellten sich uneingeschränkt auch die höheren Instanzen, der Kriegs- und Steuerrat Grisa- nowski, wie die Westpreußische Kammer-Deputation auf die Seite des Hirsch Lewin. Die Kammer-Deputation er- klärte am 7. November 1803 sogar schlankweg, daß die Protestierenden gegen den ehemaligen Schächter nur Rache üben wollen und Brotneid hätten.

Wer aber nicht bedingungslos auf alle Wünsche Hirsch Lewins eingehen wollte, das war das General-Direktorium

Der Streit um d. jüd. Garküche in Bromberg am Beginne d. 19. Jahrh. 245

in Berlin. Am 19. Dezember 1803 verfügte es ohne weitere Angabe von Gründen, daß der Handel mit alten Kleidern dem Lewin überhaupt nicht zugestanden werden könne, Bezüglich der Konzession zur Garküche setzte es den Be- schluß aus, bis auch über Hirsch Gerson und die Rebecka Meyer des näheren berichtet sei, und stellte sich im üb- rigen auf den rein geschäftlichen Standpunkt, daß es »kein Bedenken zu haben scheint, die Concession einem jeden von ihnen unter der Bedingung des Bestbietenden zu be- willigen.«

Nun schaltete sich Hirsch Lewin selber aus der Reihe der Konkurrenten aus. An dem Handeln mit Kleidern hatte ihm wohl schließlich mehr, als an der Garküche gelegen. In dem dafür angesetzten Termine gab er zu Protokoll, daß er sein Gesuch um Konzession zur Garküche zurück- ziehe und die Tuchmacherei oder Leinweberei erlernen wolle. Die Meyer offerierte für die Konzession 50 Thaier zum städtischen Baufond und zwei Thaler jährlich zur Kämmereikasse und wurde von Hirsch Gerson bedeutend überboten, der nicht weniger, als 300 Thaler zum städti- schen Baufond, 100 Thaler zur Invalidenkassa und 20 Tha- ler jährlich zur Kämmerei zu zahlen sich verpflichtete. Bei diesem Übergebote schien die Sache der Meyer vollstän- dig verloren. Grisanowski empfahl rundweg, dem Gerson die Konzession zu geben, unter der Bedingung, kein an- deres Geschäft zu treiben. Und wenn auch die Kammer- Deputation noch eine Lanze für die Meyer zu brechen suchte, indem sie in ihren Bericht den Satz einfließen ließ, daß der armen Witwe wohl ein Nebenerwerb zu gönnen wäre, so konnte sie doch nicht umhin, einzuräumen, daß Gerson mehr geboten hat, und es ja danach einmal gehen müsse. Ja, sie schwächte den Hieb, den sie Gerson mit dem Hinweis darauf versetzte, daß noch kein Jude jemals zur Invalidenkassa etwas gezahlt habe, und es darum der Entscheidung des Königs überlassen bleiben müsse, ob

246 Der Streit um d. jüd. Garküche in Bromberg am Beginne d. 19. Jahrb.

nicht auch die 100 Thaler in den städtischen Baufond fließen sollen, nicht unerheblich durch die Bemerkung ab, daß Gerson für die Bewilligung des ordinairen oder extra- ordinairen Schutzes noch ganz andere Summen zahlen würde und wohl nur aus Furcht vor dem Widerspruch seitens der Juden und Christen keinen diesbezüglichen Antrag gestellt habe, mit anderen Worten durch die Be- merkung, daß Gerson ein Steuerobjekt sei, welches der Staat sich kaum entgehen lassen dürfe.

Da gab wieder das General-Direktorium in Berlin dem Laufe der Angelegenheit eine unerwartete Wendung. Wahrscheinlich jetzt erst davon unterrichtet, daß Hirsch Gerson nicht aus dem Westpreußischen Departement ge- bürtig war1), verfügte es am 20. Juni 1804, daß Gerson mit seinem Gesuch völlig abzuweisen und bald nach seiner Heimat zu befördern, die Konzession zur Garküche aber bei Untersagung jedes anderen Handels gegen 50 und 2 Taler an die Meyer zu erteilen sei.

An der Erteilung dieser Konzession hatte der Staat allerdings keine große Freude. Bezüglich der 50 Taler blieb die Meyer eine äußerst säumige Zahlerin. Bald mußte ihr mit exekutorischer Beitreibung der Summe gedroht werden, bald damit, daß die Konzession wieder aufgehoben und ihr das Gewerbe nie wieder erlaubt werden würde. Erst am 31. Oktober 1805 konnte der Magistrat die Mel- dung erstatten, daß der letzte Rest der Summe von der Meyer nun bezahlt sei.

*) In dem Bescheide des Direktoriums wird Qerson nicht als Südpreuße, sondern als Neu-Ostpreuße bezeichnet.

Ein Nachtrag zu „Wilhelm Raabe und die Jaden".

Von Q, Rülf.

In dem trefflichen Aufsatze »Die Juden bei Wilhelm Raabe«, den die »Monatsschrift« im Hefte 11/12 vom vo- rigen Jahre bringt, wird die Frage aufgeworfen: ob wir aus dem »Hungerpastor« auf eine grundsätzliche Abneigung des Dichters gegen die jüdische Glaubensgemeinschaft schließen dürfen und nach gründlichster Erörterung verneint. So überzeugend die Darstellung nun auch ist, so werden sich manche Leser des großen Dichters durch sie doch nicht abhalten lassen, diesen auf Grund seines »Hunger- pastors« immer wieder zum Judenfeinde zu stempeln. Darum ist es von allgemeinem Interesse, zu erfahren, daß Raabe selbst sich über diesen Punkt mit der wünschenswertesten Deutlichkeit ausgesprochen hat. Es geschah das in einem Briefe an eine jüdische Frau, die nach der Lektüre des »Hungerpastors« auch einen Augenblick der Meinung war, ihr Lieblingsdichter Raabe stehe uns gegenüber nicht auf der Höhe ungetrübter Menschenliebe und ihm dies freimütig schrieb. Brief und Antwort gehören zusammen. Ich über- gebe daher mit Genehmigung der verehrungswürdigen Dame, Frau Philippine Ullmann in Stadtoldendorf, beide der Öffentlichkeit und wünschte, daß sie auf Grund dieser Mit- teilung die weiteste Verbreitung finden1).

I.

Stadtoldendorf, 31. 1. 03. Hochverehrter Meister! Als ganz junges Mädchen sonnte ich mich schon in Ihrem Ruhme. Es erfüllte mich mit tiefer Freude, daß Sie einen Teil Ihrer Kindheit hier in Stadtoldendorf verbracht

') Ich kann mich dem Wunsche nur anschließen und stelle den Abdruck mit Quellenangabe allen öffentlichen Blättern anheim. JVL Br.

248 Ein Nachtrag zu »Wilhelm Raabe und die Juden«.

haben, Sie und ich denselben Lehrer, Kantor Bestian, hatten. Auch die Erinnerung an Ihre Eltern, den stattlichen Justiz- amtmann, die lebensfrohe und schöne Mutter, von denen mir Auguste Windte, unsere Näherin, oft erzählte, bewahrte ich treu im Herzen. Es war herrlich, daß wir einen Dichter unser Eigen nennen konntenl Und als Sie nun gar die vielgeliebte Heimat mit dichterischer Poesie verklärten, die holdselige Anneke Mai ihrem Junker erzählen ließen, daß sie aus dem letzten elenden Häuschen der Homburgstraße stamme, wie waren wir da alle entzückt! Nie gingen wir vorüber, ohne Ihrer freudig zu gedenken, von Ihnen zu sprechen. Ach und nun der Abu Telfan, wie fühlte und lebte ich in ihm, und doch hatte ich nicht den Mut, Sie anzureden, verehrter Meister, als wir mal zufällig auf der Homburg zusammen waren, nicht ich, nicht meine Freundin! So gingen die Jahre hin, meine Lieblingslektüre blieb immer Raabe, ich lebte und litt und lachte mit den Gestalten, die er uns gegeben. Nur die »Chronik der Sperlingsgasse« und der i Hungerpastor« blieben mir fremd. Erst jetzt lese ich diesen und sehe, er ist eine Ihrer ernstesten und erziehlich- sten Schriften. Sicher ist alles richtig von Ihrer Meisterhand gezeichnet. Man fühlt und erhebt sich an dem Hunger von Hans Unwirsch man hat ihn selbst besessen, sich daran erfreut bei Mann und Kindern. Dieser Hunger versöhnt uns ja immer wieder mit all der Unbill des Lebens, die nie und namentlich den Juden gegenüber ausbleibt. Und deshalb schmerzte es mich auch so tief, so sehr, daß unser viel- geliebter Raabe neben den egoistischen und cynischen Moses Freudenstein keinen anständigen Menschen unserer Ab- stammung und unseres Bekenntnisses gestellt hat, und ich fühle mich veranlaßt zu der Frage: ist Ihnen auf Ihrem langen Lebenswege kein charaktervoller Jude begegnet? Das wundervolle Motto: »Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da« stellen Sie an den Anfang des Buches. Wie dankbar bewegten mich diese himmlischen Worte! Leider können

Ein Nachtrag zu >Wilhelm Raabe und die Judenc. 249

sie nicht den Schmerz um Moses Freudenstein wegwischen. Entsetzen ergriff mich vor der Lebensanschauung, die Sie ihn vortragen lassen. Danach sind wir auch in den Augen eines Weisen die Parasiten, die nimmer, trotz ehrlichsten Strebens, ernst genommen werden können. Und auch Heine, der die Nachtgedanken schrieb, die so schmerzhaft die Liebe zur Mutter und zum Vaterland schildern, muß sich diesem Urteil beugen. Der Cynismus vieler meiner Glaubens- und Stammesgenossen, der so widerwärtig auf Andere wirkt, ist aus tiefstem Elend und Schmerz geboren, er ist die Waffe und der Trost derer geworden, die nicht überwinden konnten. Nichts ist systematischer und teuflischer gepflegt worden, wie das Vorurteil gegen uns. Jahrtausende saßen wir in dem dunklen Keller hinter schmutzigen Fenster- scheiben, die den Durchblick auf die goldne, wärmende und fröhliche Sonne nicht gestatteten. Ist es da zu verwundern, daß solche bizarre Gestalten geschaffen wurden? Sie wissen es, daß unser Werdegang nur von Blut und Tränen be- gleitet war, dank den Trägern der Religion, die lehrt, sogar die Feinde zu lieben, die das Gewissen der gedankenlosen Menge und auch kluger Köpfe so durchaus beherrschten und keinen freien Gedanken aufkommen ließen. Deshalb begrüßen wir auch jedes gute, warmherzige Wort mit so tiefer, inniger Freude! Und nun, verehrter Meister, leben Sie wohl, haben Sie innigsten Dank für all' die guten Stunden, die Sie mich und die Meinen genießen ließen. Wirken Sie noch lange segensreich. Ich schließe mit den herrlichen Versen von Hans Unwirsch, die ja unsere Emp- findungen wiedergeben:

Auf alle Höhen Da wollt ich steigen Zu allen Tiefen Mich niederneigen Das Nah und Ferne Wollt' ich verkünden, Geheimste Wunder Wollt' ich ergründen Gewaltig Sehnen Unendlich Schweifen Im ew'gen Streben Ein Nieergreifen

250 Ein Nachtrag zu »Wilhelm Raabe und die Juden«.

Das war mein Leben.

Nun ist's geschehen; Aus allen Räumen Hab* ich gewonnen Ein holdes Träumen. Nun sind umschlossen Im engsten Ringe, Im stillsten Herzen Weltweite Dinge Lichtblauer Schleier Sank nieder leise In Liebesweben Goldzauberkreise Ist nun mein Leben«.

Wundervoll ist auch die Weihnachtspredigt des alten Pastors, sie wurde mir zum weihevollsten Gottesdienste! Und nun wirklich Schluß! Ihre allzeit getreue Ver- ehrerin

Philippine Ulimann.

II. Braunschweig, den 4. Februar 1903. Sehr geehrte Frau Ullmann!

Haben Sie Dank für die lieben Bilder meiner Eltern und des noch nicht zum Fabriknest gewordenen Jugend- städtchens der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die Sie mir in diesen dunklen melancholischen Wintertagen in der Erinnerung wachrufen! Was aber den übrigen Teil Ihrer freundlichen, aber doch vorwurfsvollen Zuschrift anbetrifft, so muß ich sagen, daß Sie mir Unrecht tun. Behandle ich nicht im »Hungerpastor« den wirklichen Juden mit allem Respekt? Ist es meine Schuld, wenn Sie den Renegaten noch zu den Ihrigen rechnen?

Meine Schriften scheinen Ihnen doch mehr durch den Zufall in die Hand gegeben zu werden; ich erlaube mir daher, Sie auf die »Frau Salome« im dritten Bande der Gesammelten Erzählungen aufmerksam zu machen. Vielleicht entschädigt die jüdische Dame dort Sie für Ihr Mißfallen an Herrn Moses Freudenstein, alias Dr. Theophil Stein!

Auch aus »Höxter und Corvey« in demselben Bande können Sie wohl entnehmen, daß ich nicht zu den »Anti- semiten c zu zählen bin, sondern nur wie unser Herrgott

Ein Nachtrag zu »Wilhelm Raabe und die Juden*. 251

in seiner Welt mein Licht in meiner Kunst leuchten lasse über Gerechte und Ungerechte.

Juden haben in meinem Leben immer mit zu meinen besten Freunden und verständnißvollsten Lesern gehört, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Also auch für Ihr Wohlergehen mit aufrichtigen Wünschen und freundlichem Gruß

Ihr ergebener Wilh. Raabe.

*

Notizen.

1. War Malnonides eine Mechilta zum Deuteronomium bekannt?

In dem von der »Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums« herausgegebenen schönen Buche: Moses ben Maimon etc. (Band I, 1908) behandelt M. Peritz »Das Buch der Gesetze« (mjtön *1BC) S. 439—474. Am Schlüsse seiner äußerst gründlichen Abhandlung nennt er die von Maim. im D'flC angeführten Werke bezw. die Quellen, aus denen M. geschöpft hat. Sehr oft werden in diesem Werke M.'s die halachischen Midraschim angeführt; die von M. genannten Stellen sind fast alle auch in unseren hal. Midraschim nachweisbar. [Zu den Zitaten aus der Mechilta d. R. S. b. Jochaj (Peritz 471 Anm. 10, 472 Anm. 4) vergleiche Hoffmanns hebr. Einleitung zu seiner ■QMFVT'SB p. VI, sub (n).] Bei Verbot 175 (zu Deut. 14, 19) nennt M. als Quelle den Sif re (PpJH p«> ^5 "neo pt^i ntPJJD Hb rVSö JOn), diese Stelle ist jedoch in unserem Sifre nicht zu finden (Peritz 471 Anm. 9). Peritz vermutet nun, daß diese Stelle einer Mechilta zum Deuteronomium entnommen sei. Maim. spricht nämlich in der Einleitung zur Mischna über eine Me- chilta des R. Ismael, die sich über Exodus, Lev., Num. und Deut, erstreckte. Ein so gründlicher Kenner der halachischen Midraschim, wie Hoff mann sagt jedoch nachdem er bereits einen großen Teil der Mech. zum Deut, im Midrasch ha-gadol entdeckt und da- raus veröffentlicht hat1) , daß M. im 'an ICD »keine Spur von einer Mechilta zu Lev. und Deut, erblicken läßt2j.« Nur an wenigen Stellen läßt sich vermuten, daß M. im Mischne Tora die Mechilta zum Deut, benutzt hat3). Da M. an der angeführten Stelle ausdrücklich Sifre als seine Quelle nennt, so ist eher anzunehmen, daß ihm ein voll- ständigeres Sifreexemplar, als das unsrige ist, vorlag.

Dies darf umsomehr angenommen werden, da auch im *idd yxm (n«l 'D, Warschau 1879, S. 191) die von M. zitierte Stelle als im Sifre vorhandene angeführt wird (niryn *b mite . . . ,"IDD \wb~\). In der Tat hat Hoff mann nachgewiesen, daß viele Stellen, die in dem uns zu Gebote stehenden Sifre fehlen, und in anderen Werken, besonders aber im Midr. ha-gadol zu Deut, vorhanden sind,

*) Midrasch Tannaim zum Deut. Berlin 1908/9 I. u. II. a) Zur Einleitung in den Midr. Tann. Sonderabdr. aus dem Jahrb. der jüd.-lit. Gesellschaft Frankf. a. M. 1908. S. 20. 3) Vgl. ibid.

Notizen. 253

ursprünglich dem Sifre angehörten1). Die Copisten haben bei der Anfertigung der Abschriften viel gesündigt ; sie haben Stellen, die ihnen anstößig erschienen einfach weggelassen, aber auch sonst haben sie manches nicht in ihr Exemplar aufgenommen. Der von M. an der angeführten Stelle (noi7 OTtD Nr. 175) genannte Satz des Sifre findet sich tatsächlich im Midr. ha-gadol (jetzt abgedruckt in Midrasch Tannaim, S. 75 Zeile 6) : mXö IT lbSK1 ttb 03*? K1H Köü P]1JH ptt> bll pB>3 mioxn ntPJttl «*?. Dieses Stück ist also aus unserem Sifre weg- gelassen worden, die Anführung beiM. und "pj"m 'D beweist jedoch, daß es ursprünglich darin enthalten war und daß es nicht aus der Mechilta zum Deut, stammt2). Demnach kann die Frage, ob Maim. eine Mech. zum Deut, bekannt war, nicht bejaht werden, wenn auch die Ignorierung dieser Mechilta, (aus der sogar ganze Stücke aus der Genisa ans Tageslicht gefördert wurden)8), »von Seiten der D'OiB'm als ein Rätsel« erscheinen muß.4)

Dr. Samuel Klein.

2. Juden in England, aus Deutschland eingewandert. Die vor 1290 in England lebenden Juden stammten, laut der historischen Nach- richten über sie und laut ihrer französischen Namen, weitaus zumeist aus Frankreich. Doch zahlt 1274 Joce of Qermany dem Fiskus für das Wohnrecht zu Southampton und 1275 kommt in England Samuel of Qermany vor, Rigg Calendar of P 1 e a rolle of theExchequer of thejews. (1910) II, S. 173.259.

F. Liebermann.

3. Saadja's Kiiäb-al-Tärich. Zu Monatsschrift, Jahrg. 1910 (LIV), S. 595. Von Saadja's TDJ^K axfla sagt Eppenstein, das es auch den Namen "piKn führte. Er beruft sich dabei auf Poznanski's An- gaben in JQR. X, 260 (1898), wo ein Citat Jehuda Ibn Balaams aus Saadja's inKn^x 3«n3 erwähnt wird. Aber die Identifikation der beiden Bücher ist unberechtigt. Sie beruht auf der bekannten Liste der Werke Saadjas im Fihrist des muhammedanischen Autors Ibn Ishäk al-Nadim, in welcher eine Nummer lautet: "inxnS« im 313#7J* 3KHD» Naditn gibt aber mit "Tny'jK axro den hebräischen Titel -injJn -.DD

») A. a. O. S. 4 Anm. 1.

*) Hoff mann hat auf das Zitat bei M. nicht hingewiesen.

8) Vgl. Midr. Tann. 56—62 und 69-71.

*) Hoff mann, Zur Einl. in M. Tann. 20 f.

254 Notizen.

wieder und fügt zur Erklärung des hebräischen Wortes *M3J) hinzu, dieses bedeute arabisch Ti-ixn (Zeitrechnung). Aber das von Jehuda Ibn ßalaam zitierte arabische Werk ist ein Buch für sich und hatte, wie das Citat (im Kommentar Ibn Balaams zu I. Kön. 6. 1) be- richtet, die biblische Chronologie zum Gegenstände. In der Revue des Etudes Juives XLIX (1910), S. 298—300, habe ich es plausibel zu machen versucht, daß dieses arabische Werk Saadja's mit einer Erweiterung noch vorhanden ist, und zwar in dem ano- nymen Werke desselben Titels, das Neubauer, Mediaeval Jewish Chronicles II, 89—110, herausgegeben hat und das ich in der Revue des Etudes Juives XXXII, 139—144 besprochen habe. Nach einer weiteren Hypothese von mir, die ich ebendaselbst ausgesprochen habe, wäre Saadja's Kitäb-al-Tärich nichts anderes als eine Sonder- ausgabe der zweiten Pforte von Saadja's hebräisch und arabisch ab- gefaßter polemischer Schrift ^biT\ 'D, deren Inhalt nach Saadja's An- gabe (in der arabischen Einleitung zum Sefer Ha-Galüj) fOcSx "inxn (Chronologie der biblischen Jahresangaben) war. Eppenstein hätte übrigens schon bei seinem Gewährsmann (JQR. X, 260) ersehen können, daß "inan*?« Vt\ in Nadims Angabe nicht ein zweiter Titel des Buches, sondern eine arabische Erklärung des hebräischen Wortes TD)? sein will.

Zu S. 592 bemerke ich noch, daß rpyec1?« jTiOtP'?« nicht >durch die Tradition gegebene Gesetze« sind, wie Eppenstein über- setzt, um daraus den antikaräischen polemischen Charakter des be- treffenden Werkes Saadja's zu folgern, sondern die Offenbarungs- gesetze, also biblische Gebote, die nicht aus der Vernunfterwägung erschlossen werden können (nrjJDlP niJtD). W. Bacher.

Besprechung.

Schapiro, Dr. Israel. Maimuni's Mischnah -Kommentar zum Traktat Arachin. Arabischer Urtext auf Orund von zwei Handschriften zum ersten Male herausgegeben und mit kritischen und erläuternden An- merkungen versehen. Jerusalem 1910 (Gustav Fock, Leipzig), VIII

und 40 SS., 8. Die dieser Edition zu Grunde liegenden zwei arab. Hand- schriften sind Cod. Ms. Or. Qu. 570 der königl. Bibliothek zu Berlin vom Herausgeber mit B bezeichnet und Cod. Ms. Or. Qu,

Besprechung. 255

579 der Nationalbibliothek zu Paris vom Herausgeber mit P be- zeichnet. Es ist dies eine Dissertation, wie so viele andere voran- gegangene Editionen von Teilen dieses Kommentars als Disserta- tionen benutzt werden. Jedoch unterscheidet sich diese Arbeit von den anderen dadurch, daß hier die hebräische Übersetzung nicht mitabgedruckt wurde und daß die Einleitung und Anmerkungen in hebräischer Sprache vorliegen. Warum Seh. das so gemacht hat, dar- über sagt er uns gar nichts. Durch den Umstand, daß er die hebr. Übersetzung nicht korrigiert dem arab. Text gegenübergestellt hat, hat die Arbeit viel an Wert verloren. Denn tatsächlich ist Maimo- nides' Mischnah-Kommentar für uns in erster Reihe ein wertvolles Hilfsmittel zur Erklärung der Mischnah und erst in zweiter Reihe ein in dem arabischen Dialekt des 11. und 12. Jahrhunderts geschrie- benes umfangreiches Werk. Diejenigen Studierenden der Mischnah, die Arabisch nie gelernt haben, können sich der Schapiro'schen Edi- tion nicht bedienen. Nun hat Seh. auf einige Unterschiede zwischen dem arab. Text und der hebr. Übersetzung hingewiesen, aber das geschah in sehr unzureichender Weise. So habe ich bei der Verglei- chung der ersten fünf Abschnitte viele wichtige Abweichungen zwi- schen dem arab. Text und der hebr. Übersetzung gefunden, auf die Seh. nicht hingewiesen hat1) :

Für nzv nb 1S1 omj naiy'? jmji nein *#* Abschnitt l, Hala-

chah 1 (S. 2, Z. 3) und für "KJDK bpo:n "W pa pPlTp yitfl "B K3"0 npl mUTO 1, 4 (S. 4, Z. 2 v. u.) fehlt in der hebr. Übersetzung ein Äqui- valent; arab. DV WJ> .TMDJf^x fO "pV II, 1 (S. 7, Z. 5 v. u.), hebr. C*Di X'Vin [0 n»W (st. n'\1); arab. fW topfl \*b (einige Zeilen weiter), hebr. inx DV iDXitf »6^ (st. CO"1 W); die zweite der darauf folgenden

Zeilen )bxp *ffwijt\ b»tk nyan irrt* }o "pTt ma jot nya anto« ictb

hat in der hebr. Übersetzung kein Äquivalent; daselbst (S. 8, Z. 9) arab. nSp |xi, hebr. neto (st. »«itn cki); arab. p»J1 7P*D ^k, II, 6 (S. 12, Z. 11), hebr. 3'p ij> (st. a«p). Für den ganzen Passus 'B ,TT3

ntinx nw ^b ddö1?* rrow pbx K3*ai n* ncBab ^b^ |x cDä1?* rmw napD nw ^B nat^ D^l mnm« HI, 2 (S. 14, Z. 6—7) hat die hebr. Übersetzung bloß die Worte wm nilb nWIH ITTOS »Bin 'BBina Ul^lT

napo rrwa 13 a^n (anstatt etwa leitf'? rme mnra rain riaaina lii^n mw ö am «*m rm% nw» rrraa pain rneui mir mo« ^mn napo); arab. pattp van ttwti parap wi -pya1?* }iA, V, 2 (S. 20, z. 8—9), hebr. psiatp von px Tiwn paiaip von -pyw 'S1? (statt TMffl . . . TiJ>3.1). Auf S. 3, Anm. 3 (zu I, 2) weist Schapiro wohl auf

') Ich benutzte drei Talmud-Ausgaben: Frankfurt a. M. 1720. Wilna 1853; Warschau 1862.

256 Besprechung.

eisen Passus hin, der in der hebr. Übersetzung fehlt, nimmt sich aber nicht die Mühe, denselben hebräisch wiederzugeben. Übrigens führt Lipmann Heller diesen Passus in seinen Tossaphot zur Stelle an, was aber Seh. auch übersehen zu haben scheint. Zu Anm. 4 auf S. 12 (II, 6) ist zu bemerken, daß alle drei Ausgaben, die ich be- nutzte, wohl c-irrn "^se haben.

Im Gegensätze zu der um keinen härteren Ausdruck zu gebrauchen -* oberflächlichen Behandlung der hebr. Übersetzung hat der Herausgeber der sprachlichen und sachlichen Erklärung des arab. Textes seine ganze Aufmerksamkeit zugewendet. Die zahlreichen wichtigen Anmerkungen bekunden zur Genüge, daß Seh. die ein- schlägige Literatur sorgfältig studierte und die daselbst gewonnenen Ergebnisse richtig zu verwerten verstand. Er ließ es sich auch nicht verdrießen, die in dieser Monatsschrift veröffentlichten Rezensionen über Editionen von Teilen dieses Kommentars zu beachten, was Re- zensent von den anderen ihm bekannt gewordeneu Arbeiten auf diesem Gebiete nicht behaupten kann. Ferner ist anzuerkennen, daß Seh. auch auf abweichende Lesarten in dem Mischnatext der Hand- schrift hinweist und manche Ausdrücke der Mischnah in geschickter Weise zu erklären versucht. Auffallender Weise hat er auf die nicht minder wichtige verschiedene Lesart der Handschrift in Mischnah IV, 3: JMtma ■»*? iksi O'O mrBD Kim ib mm nicht aufmerksam ge- macht. Die Annahme Schapiros (S. 3, Anm. 2), daß der hebr. Über- setzer auf Grund der gegen die Lesart tkd tisbft erhobenen Einwände selbständig rnVT "13 mbn gesetzt hat, ist m. E. schon deshalb fraglich, weil der Übersetzer wie er selbst in seiner Vor- rede angibt sich nur sehr wenig mit Talmudstudien befaßte. Übri- gens ist es sehr auffallend, daß Seh. den Übersetzer stets ^id^K nennt, da jener sich selbst doch '^öSk schreibt.

Der Druck ist schön, Druckfehler sind selten.

Stockholm. M. Fried.

Unberechtigter Nachdruck aas dem Inhalt dieser Zeitschrift ist untersagt.

Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. BRANN in Breslau.

Druck von Adolf Alkalay & Sehn in Preßburg.

„Die Juden und das Wirtschaftsleben".

Von M. Güdemann.

Unter diesem Titel hat Werner Sombart ein Buch1} herausgegeben, das schon durch seinen Umfang, aber auch durch seinen Inhalt die seit vierzig Jahren erschienene Judenliteratur wesentlich bereichert. Während diese größten- teils dem Antisemitismus ihre Entstehung verdankt, mag sie nun pro oder contra sein, sagt Sombart im Vorwort S. XI »mit einem so starken Nachdrucke, daß es auffallen kann: das Buch ist ein streng wissenschaftliches Buch«. Diese Erklärung war mir, als ich sie las, unver- ständlich. Ich hatte nichts anderes erwartet, als ein streng wissenschaftliches Buch vor mir zu haben. Die starke Be- tonung dieses Cachets hat mich stutzig gemacht. Nach der Lektüre des Buches nehme ich an, daß diese gleich an- fangs abgegebene Erklärung eine Kautel Sombart be- dient sich dieses Wortes auf S. 409 in demselben Sinne, in dem ich es hier anwende sein sollte, um ihn vor dem Vorwurfe antisemitischer Anwandlung, die er übrigens wiederholt ablehnt, zu schützen. Angesichts mancher Stellen in dem Buche war diese Kautel allerdings notwendig. Ich verweise nur auf die über mehrere Seiten sich erstreckende Darstellung der Sabbatvorabend- Andacht des »alten Amschei Rothschild« (S. 253 f), worin nicht bloß dieser, sondern auch jene so lächerlich gemacht wird, wie es in dem ersten besten »antisemitischen Pamphlet«, wie Sombart die Er- zeugnisse dieser Literatur nennt (S. 408), auch nicht besser geschehen könnte. Ferner verweise ich auf die Bemerkung:

») Leipzig, Duncker u. Humblot 1911. XXVI und 476 SS. Preis M 9.—, geb. M 11.—.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 1 7

258 Die Juden und das Wirtschaftsleben.

»Im übrigen ist die jüdische Küche bekanntermaßen ganz vorzüglich« (S. 272), die in ein »streng wissenschaftliches Buch«, es sei denn ein solches Kochbuch, nicht gehört. Dasselbe gilt auch von der, nach dem Zugeständnis, daß König Salomo »nicht gerade aus glücklichen Geschäften seinen Reichtum aufgebaut hatte«, eingeschalteten, ironi- schen Bemerkung: »(obgleich man nie wissen kann!)« S. 379. Es sind dies keineswegs die einzigen Stellen, bei denen ich mich fragen mußte, ob ich denn wirklich ein »streng wissen- schaftliches Buch« vor mir habe, aber sie genügen, um die mir mitunter aufgestoßenen Zweifel begreiflich zu machen. Noch eine andere Stelle im Vorwort muß ich zur Sprache bringen, die mich stutzig gemacht hat, die ich mir aber nach der Lektüre des Buches ebenfalls als eine Kautel in dem oben erwähnten Sinne erkläre. Es ist die mit womöglich noch stärkerem Nachdruck, als womit die Wissen- schaftlichkeit betont ist, abgegebene Äußerung: »Dieses Buch soll seine ganz eigenartige Note dadurch erhalten, daß es auf 500 Seiten von Juden spricht, ohne auch nur an einer einzigen Stelle so etwas wie eine Bewertung der Juden, ihres Wesens und ihrer Leistungen, durchblicken zu lassen« (S. X1I1). Sombart sucht diese Äußerung und seinen dadurch bestimmten Standpunkt durch eine längere Begründung zu rechtfertigen. Er schließt übrigens das Vor- wort mit einem hübschen, man kann sagen, für die Juden schmeichelhaften Gedicht Fontanes, und schickt demselben das Geständnis voraus, daß »gewiß sehr viele von uns modernen Menschen, ganz ohne es zu wollen, zu einer Hochbewertung gerade der Juden gelangt sind« (S. XV). Aber ich bilde mir ein, daß kein einziger Leser die oben angeführte Äußerung, wenn sie fehlte, vermissen würde. Jeder Schriftsteller hat das Recht, Werturteile über die Sachen und Menschen, über die .er schreibt, abzugeben, oder sich ihrer soweit dies möglich ist zu enthalten. Aber de telles choses se fönt, mais elles ne se disent pas.

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 259

Wozu also die Erklärung, wenn sie nicht eine Kautel sein soll? Übrigens kommt es ja nicht allein auf das Werturteil des Verfassers, sondern auch, und weit mehr noch auf das- jenige an, das der Leser aus seiner Darstellung schöpft, und das der Verfasser zu verantworten hat. Schließlich ist meiner Meinung nach die Vermeidung des Werturteils, mag der Verfasser auch noch so sehr auf der Hut sein, un- möglich. Das beweist Sombart nicht bloß indirekt durch gelegentliche Winke und Andeutungen, sondern ausdrück- lich und unwiderleglich, wofür ich nur ein Beispiel anführe. Das Kapitel über die Wirtschaftsgesinnung, worin Sombart den Juden die Erfindung der bedenklichsten Geschäfts- praktiken »nachweist«, schließt auf S. 179 mit den Worten: »Wenn wir das »Sündenregister«, überblicken, das man während des 17. und 18. Jahrhunderts den Juden vorhielt, so nehmen wir sehr bald wahr, daß (abgesehen von den grundsätzlich nicht in Betracht kommenden verbrecherischen Manipulationen) es nichts enthält, was der moderne Geschäfts- mann nicht für das selbstverständlich Richtige erachtete, was nicht das tägliche Brot in jeder modernen Geschäftsführung bildete.« Das heißt mit den Worten der bekannten Anekdote: das ganze Dorf mauschelt. Nun sehen wir uns aber die Stelle auf S. 432 an, wo Sombart von den Wirkungen des Ghetto, die aber schon im Blute der Juden vorbereitet waren und nicht daraus schwinden, spricht: »Es sind zum Teil die Gewohnheiten der sozial niedrig Stehenden überhaupt, die aber natürlich im jüdischen Blute ein ganz merkwürdiges Gepräge annehmen: Neigung zu kleinen Betrügereien, Aufdringlichkeit, Würdelosigkeit, Taktlosigkeit usw. Sie haben sicher eine Rolle gespielt, als die Juden darangin- gen, die Feste der alten handwerksmäßig-feudalen Wirt- schaftsordnung zu erobern; in dem Kapitel, das vom Auf- kommen einer modernen Wirtschaftsgesinnung handelt, haben wir öfters die Wirkungen gerade dieser Charakter- züge feststellen können.« Ist dies nun nicht ein Werturteil,

17*

260 Die Jaden und das Wirtschaftsleben.

wie es bestimmter und abfälliger nicht formuliert werden kann ? Sombart verweist allerdings auf das Kapitel über die Wirtschaftsgesinnung, aber davon, daß das »Sünden- register« der Juden »das tägliche Brot in jeder modernen Geschäftsführung bildet«, sagt er hier nichts mehr, jetzt mauscheln nur noch die Juden, und die »kleinen Betrüge- reien usw.« stecken nunmehr, wovon man in dem obigen Kapitel noch nichts wußte, im Blute, sind also erblich und unausrottbar. Ich will mit diesen Bemerkungen den wissen- schaftlichen Charakter des Buches nicht antasten, sondern nur hervorheben, daß ein wenig mehr Vorsicht, um nicht zu sagen, Rücksicht in der Tonfärbung c'est le ton qui fait la musique jedem absichtlichen wie unabsichtlichen Mißverständnis vorgebeugt und alle Kautelen überflüssig gemacht haben würde. Ich bringe aber diese Rekriminationen gleich im Eingange meines Referates vor, um sie vom Herzen zu haben, und desto ungezwungener dem außeror- dentlichen Fleiß, der großen Belesenheit und dem syste- matischen Geschick des Verfassers die verdiente Aner- kennung zollen zu können. Damit möchte ich nun aber so- zusagen in einem Aufwaschen noch eines andern Befrem- dens mich entledigen, das die eigentümliche Bewertung der »judaistischen« d. h. der von Juden über Juden und Judentum verfaßten Schriften in mir hervorgerufen hat. Sombart spricht wiederholt von »offiziös-jüdischer Geschicht- schreibung« (z. B. S. 360). Was er darunter versteht, ist mir absolut unerfindlich, und die Bezeichnung, welche die Existenz einer für das Gesamtjudentum maßgebenden jüdischen Oberbehörde voraussetzt, nimmt sich bei ihm, der sich doch eingehend mit dem Judentum beschäftigt hat, um so sonderbarer aus, als er wissen muß, daß eine solche Oberbehörde nicht vorhanden ist und daß jeder Jude, der über jüdische Geschichte schreibt, dies ganz und gar auf eigene Faust tut. Soweit ich an der Sache beteiligt bin, kann ich das auf das Bestimmteste versichern. Ferner ist

Die Jaden und das Wirtschaftsleben. 261

mir der Satz befremdlich: »Das »Reformjudentum« kommt für uns überhaupt nicht in Betracht. Auf Modernität frisierte Bücher, wie die neuzeitlichen Darstellungen der »Ethik des Judentums« sind für unsre Zwecke gänzlich belanglos.« (S. 24i). Ich muß hierzu mit aller Offenheit bemerken, daß ich Herrn Sombart das Recht zu dieser Distinktion, insofern es sich um die Erkenntnis des Judentums handelt, ent- schieden abspreche. Er würde gegen mich ebenso verfahren, wenn ich behaupten würde, daß für die Erkenntnis des Christentums das »Reformchristentum«, also der Prote- stantismus nicht in Betracht komme. Herr Sombart stellt sich mit seiner Distinktion auf den Boden des päpstlichen Antimodernismus, den er aber nur für das Judentum gelten läßt; aber wenn er von den neuzeitlichen Darstellungen der »Ethik des Judentums« sagt, sie seien »auf Modernität frisiert«, so muß er sich gefallen lassen, daß die katholische Theologie von den protestantischen Darstellungen der christ- lichen Ethik dasselbe behauptet. Was als »Ethik des Juden- tums« anzuerkennen oder abzulehnen ist, mag strittig sein, (ebenso und nicht um ein Haar anders verhält es sich mit der »Ethik des Christentums«), aber die Entscheidung darüber hängt von der Frage ab, ob und in wieweit sie den allgemein anerkannten jüdischen Grundschriften und ethischen Kom- pendien entspricht, welche letztere sehr zahlreich, aber Herrn Sombart unbekannt geblieben sind. Aber die erwähnten befremdlichen Behauptungen gehören dem Inventar christlich- theologischer Bekämpfung des Judentums an, ebenso wie die auf S. 239 ausgesprochene, mit bewunderungswürdiger Sicherheit abgegebene Erklärung, daß man aus den jüdischen Religionsbüchern, »besonders aus dem Talmud alles, aber auch alles ,be weisen' kann«. Auch Bousset sagt, »daß man mit dem System der dicta probantia aus Mischna und Talmud beweisen kann, was man will«. (Die Religion d. Judent. im neutestam. Zeitalter 2. Aufl. S. 426 Anm. 1). Nur eins kann man natürlich nicht daraus beweisen: was die Meinung

262 Die Juden und das Wirtschaftsleben.

der christlichen Theologie vom Judentum widerlegen könnte. Es sei erlaubt, dagegen zu bemerken, daß die einander bestreitenden Schulen Hillels und Schammai's gleicherweise dahin bewertet wurden, daß beide die Worte des lebendigen Gottes lehren. Das heißt mit anderen Worten: der Gaist des Talmud ist trotz der kontroversen Meinungen einer, nämlich der Geist der schriftlichen Lehre, den man nicht aus jeder be- liebigen Stelle abziehen kann, denn nicht alles, was im Talmud steht, ist der Talmud. Das liegt in derKonzeption. Übrigens ist es weder der Talmud, noch sind es die anderen Religions- bücher, aus denen man die Juden kennen lernt, so wenig wie die modernen Gesetzsammlungen genügen, um uns über die Völker der Gegenwart aufzuklären. Die eigentliche Erkenntnisquelle ist das Leben, und da bedaure ich, daß Sombart meine Bücher über die Geschichte der Erziehung und der Kultur der abendländischen Juden unbekannt ge- blieben sind, die abgesehen davon, daß sie nach Georg Caro, Sozial- und Wirtschaftsgesch. der Juden I, 459 »auch für wirtschaftsgeschichtliche Zwecke mit Erfolg zu benützen sind«, die Juden nicht abgesondert für sich, sondern in ihren mannigfachen Wechselbeziehungen zu ihrer Umgebung schildern. Doch es ist Zeit, die Leser mit dem Buche selbst bekannt zu machen und seine Ergebnisse zu prüfen.

Das Buch zerfällt in zwei Teile, wovon ich den ersteren als den deskriptiven, den anderen, weit umfangreicheren, als den aetiologischen bezeichnen möchte. In dem ersteren zeigt Sombart, daß es die aus Spanien und Portugal ver- triebenen Juden waren, die in ihren neuen Ansiedlungen in den nördlichen Ländern des Erdballs seit dem 16. Jahr- hundert den Grund zu dem Aufbau der kapitalistischen Wirt- schaft legten. Sie beleben den internationalen Warenhandel, sind stark beteiligt an der Begründung der Kolonialwirt- schaft, ja sogar an der Begründung des modernen Staates und haben den wesentlichsten Anteil an der Heranbildung der gegenwärtigen Gestaltung der kaufmännischen Erwerbs-

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 263

tätigkeit, deren vielseitige Äußerungen Sombart unter der Bezeichnung der Kommerzialisierung des Wirtschaftslebens zusammenfaßt. Dies alles wird in den ersten sechs Kapiteln sehr übersichtlich und mit erschöpfender Gründlichkeit in zusammenhängender Darstellung nachgewiesen. Sombart darf behaupten (S. VII), daß er zum ersten Male ein Bild von der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden während der letzten drei Jahrhunderte, wie er sagt, skizziert habe. Den- noch bedurfte es meines Erachtens keiner »Offenbarung« (S. VI), um diese Arbeit zu tun, noch war das »Erstaunen« (S. 15) darüber gerechtfertigt, daß man noch nicht die historische Tatsache erkannt hat, die Sombart folgender- maßen bezeichnet : »Wie die Sonne geht Israel über Europa: wo es hinkommt, sprießt neues Leben empor, von wo es wegzieht, da modert alles, was bisher geblüht hatte.« (Das.) Die Tatsache war mehr oder weniger bekannt, man hat nur früher die Juden so gering geschätzt, um nicht zu sagen, verachtet, daß man ihr keine Aufmerksamkeit schenkte oder sie sich nicht eingestand. Dazu kam die Gering- schätzung des Handels. Wie der Jude der »Schacherjude« war, so waren die Engländer das Krämervolk. Das ist nun allgemach anders geworden, seitdem es Handelsminister und Handelsämter gibt, seitdem die Staaten miteinander Handelsverträge abschließen, Zollkriege gegen einander führen und auf die Meistbegünstigung erpicht sind, seitdem die Bauern sich zu Molkereiverbänden zusammentun, um ihre Milch teuerer an den Mann zu bringen, seitdem Ba- rone, Grafen, Fürsten Milch, Bier und Kohlen verkaufen, und als Verwaltungsräte der Großbanken figurieren. »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!« Dieses Wort Gretchens vermisse ich in dem reichen Zitatenschatz Som- barts. Was für einen Sinn hätte es aber bei den geschil- derten Zuständen noch, von dem Schacherjuden und dem englischen Krämervolke zu reden. Es ist in der Tat merk- würdig still davon geworden. Da ist es nun ein großes

264 Die Juden und das Wirtschaftsleben.

Verdienst Sombarts, daß er Versäumtes nachgeholt, das Unbe- wußte oder Verkannte durch sein Buch allen zu klarem Bewußtsein gebracht und die Juden als die Urheber der auf ihrem Höhepunkt angelangten und alles beherrschenden kapitalistischen Wirtschaft nachgewiesen hat. Es klingt heute schon wie ein Anachronismus, wenn in dem bekannten Rückertschen Gedicht »Vom Bäumlein, das an- dere Blätter hat gewollt« gerade »der Jude mit großem Sack und großem Bart« erscheint und die goldenen Blätter einsteckt, während dieses Einstecken der goldenen Blätter heute auch »des Schweißes der Edlen«, um nicht zu sagen der Adeligen wert erscheint. Oder wenn ferner gerade ein Jude es ist, der den Küraß in Lenau's gleichnamigem Ge- dichte dem Husaren verkaufen will, um nicht erst der »hosen- verkaufenden jüdischen Jünglinge« Treitschke's zu gedenken. Aber in künftigen Zeiten, wenn sich einmal, wie es Som- bart jetzt schon scheint, »der Einfluß des Judenvolkes zu verringern beginnt« (S. VIII) es wäre nicht unmöglich, daß die Juden aus ihrem erbgesessenen Handelsgebiet ganz verdrängt würden und dann in einer anderen Karriere, etwa in der ihnen jetzt ganz verschlossenen militärischen, ihr Heil suchen müßten würde jener Anachronismus sich bis zu völliger Unverständlichkeit steigern. Für diese Even- tualität hat Sombarts Buch Vorsorge getroffen: es hat den historischen Werdegang, der unter der Führung der Juden zu dem gegenwärtigen Höhepunkt der kapitalistischen Wirt- schaft führte, auf dem sie selbst vielleicht überflüssig ge- worden sind, aufgezeigt und festgehalten.

Aber Sombart hat sich an dieser verdienstlichen Lei- stung nicht genügen lassen. Sein Forschertrieb hat ihn gedrängt, nach gewonnener Erkenntnis der Tatsache der kapitalistischen Bedeutung der Juden auch der Er- kenntnis ihrer Ursache nachzugehen. Diese Untersuchung beginnt meiner Meinung nach schon von dem sieben- ten Kapitel an und umfaßt zwei Drittel des Buches

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 265

Hier muß ich nun bekennen, daß ich Sombart auf diesem Wege nicht zu folgen vermag. Es wäre ja sehr schön, wenn man eine Art Laplace'scher Formel finden könnte, mit der man in Stand gesetzt würde, die Volks- individualitäten zu erschließen, mit der man den Beweis zu führen vermöchte, daß sie so, wie sie sind, sein müssen. Dann wäre die Geschichtschreibung Mathematik und man könnte eine geschichtliche Untersuchung mit dem Satz ab- schließen: Quod erat demonstrandum. Aber soweit sind wir noch nicht und werden voraussichtlich auch nie so weit kommen, es wird immer ein Ignorabimus übrig bleiben, auch wenn man, wie Sombart, mit dem ungestümsten Forschungseifer, oder besser Übereifer, alle Dunkelheiten durchdringen zu können vermeint. Sombart nennt sein Buch ein einseitiges Buch (S. X). Von dieser Einseitig- keit hat er sich so einnehmen lassen, daß seine Augen nur auf diese sich eingestellt haben. Zuerst sagt er: »Ohne Juden kein moderner Kapitalismus«. (Das.) Im Laufe seiner Beweisführung erschöpft sich aber das Judentum, oder wie Sombart sagt, der Judaismus im Kapitalismus, der »homo Judaeus« (richtig judaicus, da Judaeus keine Adjektivform ist) und der homo capitalisticus gehören derselben Spezies an (S. 281), das ist doch was ganz andres als was zuerst behauptet war. Nun sehen wir uns aber einmal die italieni- schen Juden des Mittelalters an! In Süditalien ist die Färberei fast ganz in den Händen der Juden, die Tincta oder Tintoria ist auch ohne Beisatz das selbstverständliche jüdische Steuerobjekt (meine Geschichte II 312), in Sizilien aber bittet der hohe königliche Rat 1492 in einer Immediat- vorstellung Ferdinand den Katholischen um den Aufschub der Judenvertreibung mit Rücksicht auf die Tatsache, »daß in diesem Reiche fast alle Handwerker Juden sind. Wenn diese alle auf einmal abziehen, so wird für die Christen ein Mangel an Arbeitern sich heraus- stellen, die geeignet sind, den Bedarf von me-

266 Die Juden und das Wirtschaftsleben.

chanischen Gegenständen, und besonders von Eisenarbeiten, sowohl zum Beschlagen der Pferde wie für Erdarbeiten, wie auch zur Ausrüstung von Schiffen, Galeeren und anderen Fahrzeugen zu liefern« (Das. 288). (Nebenbei gesagt mag dieses aus dem Leben, gegriffene Zitat die von Sombart behauptete Abneigung der Juden gegen schwere körperliche Arbeit, sowie seinen summarischen Ausspruch (S. 420) beleuchten: »Von dem Fluche, mit dem Adam und Eva aus dem Paradiese gestoßen wurden, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen müsse, haben die Juden in allen Zeiten wenig mitgetragen, wenn wir den körper- lichen Schweiß darunter verstehen wollen«. Aber woher haben denn die Juden von dem Fluche gewußt?) Könnte man nun nicht die Befähigung der Juden zur Färberei, zu Schmiede- und Erdarbeiten, oder zur Diamantschleiferei, die, soviel ich weiß, ganz in den Händen der Juden liegt, ebenso aus dem Blute, aus der biologischen Veranlagung abzuleiten versucht sein, wie es Sombart mit der kapita- listischen Befähigung der Juden macht? Wohin würden wir dann am Ende geraten? Immerhin legt uns der ungeheure Aufwand von Fleiß und Kunst die Pflicht auf, dem System Sombarts die verdiente Aufmerksamkeit zu widmen.

Es läßt sich auf eine Formel zurückführen, die etwa mit teils Spinozistischen, teils Sombartischen Worten lauten würde: Homo judaicus est ex suae naturae necessitate homo capitalisticus. Alles was der Jude besitzt, sein Gott, seine Bibel, seine Religion, seine Sittlichkeit ist der Ausfluß seiner blutmäßigen Veranlagung und hat dann wieder unter äußeren Begleitumständen auf die Ausbildung seiner Eigen- art zurückgewirkt, die durch die »Geistigheit« und den »rechenhaften« Charakter jener Momente zur kapitalistischen Befähigung sich zuspitzte oder herangezüchtet wurde. Vieles gewinnt unter dieser Beleuchtung ein ganz anderes Gesicht, als wir zu erblicken bisher gewohnt waren. Das Ghetto

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 267

war nicht, wie man früher irrtümlich annahm, eine Be- drückungsmaßregel, ein Pferch, um die Juden zusammen- zuhalten, ihnen Luft und Licht zu entziehen, sondern man kam damit ihrer »Abschließung« entgegen, die Juden wollten es so, das Ghetto war eine »Konzession, ein Privilegium, nicht etwa eine Feindseligkeit« (S. 282.) Nach dieser Theorie ist es nicht mehr als billig, Rußland und Rumänien mit Rekriminationen wegen der Ausweisungen zu verschonen, man muß ihnen vielmehr Abbitte leisten, da sie mit dieser Maßregel nur dem »ursprünglich den Hebräern im Blute steckenden Nomadismus und Saharismus« (S. 408) ent- gegenkommen. Durch den angeborenen Nomadismus erklärt sich auch die Tatsache, daß die Juden vorzugsweise Städte- bewohner sind. Sie sind es nicht, wie man bisher annahm, deswegen, weil die Städte ihnen mehr Gelegenheit geben zu einer erweiterten Bildung ihrer Kinder, zur Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse, zur Lebenserhaltung sondern »die Großstadt ist die unmittelbare Fortsetzung der Wüste sie steht der dampfenden Scholle ebenso fern wie diese und zwingt ihren Bewohnern ein nomadisierendes Leben auf wie diese« (S. 416). Rätselhaft bleibt hiernach nur, wie die Juden in Ungarn sich so sehr um die Amelioriation des Bodens haben verdient machen können, was wenigstens Hunfalvy in seiner Ethnologie von Ungarn ich habe das Buch nicht zur Hand, kann also die Seitenzahl der deutschen Übersetzung nicht angeben rühmend hervorhebt. Und da ich gerade beim Rätselhaften bin, so nehme ich Ge- legenheit, auch die mittelalterlichen Judenabzeichen, die doch wohl Erkennungszeichen sein sollten, unter diese Rubrik zu verweisen, da ich nun von Sombart (S. 348) er- fahre, »daß schon ein mittelmäßiger Beobachter mit ziem- licher Sicherheit« die jüdische Abstammung, oder die »jü- dische Physiognomie« feststellen kann. Wozu dienten also die Judenabzeichen? Oder sollte es im Mittelalter so wenig selbst mittelmäßige Beobachter gegeben haben! Ich ertappe

268 Die Juden nnd das Wirtschaftsleben.

mich darauf, daß ich ein sehr schlechter Beobachter sein muß, denn ich sehe mich oft in meiner amtlichen Stellung genötigt, nach der Konfession zu fragen und erhalte die jüdische als Antwort. Rätselhaft ist mir ferner, daß Sombart das Neue Testament gegen das Alte ausspielt, wenn er S. 259 sagt: »Ebenso oft wie in den Schriften des Alten Testaments der Reichtum gepriesen wird, ebenso oft wird er im Neuen Testament verflucht, wird die Armut verherrlicht.« Ich komme auf die Sache selbst zurück, hier will ich nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß Sombart eine Kontradiktion statuiert, die keine ist, denn nach ihm liegt ja der Schwer- punkt im Blute, die Verfasser des Neuen Testaments waren aber auch Juden, Sombart führt also Juden gegen Juden ins Gefecht, wenn auch getaufte gegen ungetaufte, worauf es aber bei ihm nicht ankommt. Denn nach ihm bleibt auch der getaufte Jude ein Jude, soweit die historische Erinne- rung reicht (S. 9), worin freilich die Familie Mendelssohn, der frühere Fürsterzbischof von Olmütz Dr. Theodor Kohn usw. nicht mit ihm übereinstimmen werden. Doch das mag er mit den getauften Juden abmachen.

Das größte Gewicht legt Sombart für seinen Zweck natürlich auf die Religion als auf die hohe Schule des Ka- pitalismus. Er bedient sich der hundertmal widerlegten christ- lich-theologischen Entstellungen der jüdischen Religion als Tragbalken für sein System. »Vertragsmäßige Re- gelung aller Beziehungen zwischen Gott und Israel, rechenhafte Gemütsverfassung der Gläubigen« das ist nach Sombart die jüdische Religion »nicht zu verwechseln mit der israelitischen Religion, zu der die jüdische in gewissem Sinne im Gegen- satz steht« (S. 242). »Rationalismus ist der Grundzug des Judaismus wie des Kapitalismus« (Das.). Sombart führt zum Beweise Talmudzitate und mehrere größtenteils gänz- lich verstümmelte hebräische Worte (S. 246), ja sogar die

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 269

Versteigerung der Mizwoth an, die er sich irrtümlich als ein lautes Verauktionieren (S. 249) vorstellt, während sie doch geräuschloser war oder ist, als die Hantierung mit dem Klingebeutel in den christlichen Gotteshäusern. In diesen wird auch Geld für Arme gesammelt, was ist also daran auszusetzen, wie es in den jüdischen geschieht? Also diese auf Gegenleistung, auf die Erwartung des Lohnes gegründete Religion vermochte die Juden so zu begeistern, daß sie sich ihretwegen von den Kreuzfahrern ermorden ließen, daß Mütter ihretwegen ihre Kinder schlachteten, daß Männer und Frauen ihretwegen kühn und mutig den Scheiterhaufen bestiegen und noch im Verenden den Namen Gottes heiligten, daß Eltern und Kinder hundertmal ihretwegen aus ihrer Heimat und von den Gräbern ihrer Lieben sich vertreiben ließen ? Das ist die Vertrags-, das ist die rechenhafte Religion, deren oberstes Gebot lautet: »Du sollst lieben den Ewigen deinen Gott mit ganzem Her- zen, mit ganzer Seele und ganzem Vermögen!?« Das ist die Religion, die Esra »der Sofer, der starrgeistige Schriftgelehrte« dem Volke »aufoktroyierte«, oder welche die Rabbiner ihm als »Joch« auferlegten? Dazu sind die Juden mit ihrer auch von Sombart anerkannten »Hart- näckigkeit«, die rechten, wie die Kämpfe der Makkabäer und die gegen Rom beweisen. Sombart fehlt es an »Herzens- inbrunst«, an »Wonnetrunkenheit« in dieser Religion. Jehuda Halevi, von dem Sombart nur die Zionide kennt, dachte darüber anders. »Überhaupt ist unser Gesetz geteilt zwischen Ehrfurcht, Liebe und Freude, durch jede von diesen kannst du dich Gott nähern. Und wenn deine Freude sich bis zum Singen und Tanzen steigert, so ist dies Gottesdienst und Festhalten am göttlichen Geiste«. (S. meine Apologetik S. 187). Auch die unbefangene Freude an der Natur ist nach Sombart dem Juden durch die Re- ligion versagt, weil sie Lobpreisungen Gottes beim Anblick hervorbrechender Baumblüten, neuer Früchte, mächtiger

270 Die Juden und das Wirtschaftsleben.

Berge und Ströme usw. vorschreibt. Also der Sänger des 104. Psalms, dessen Schilderung auch Alexander v. Hum- boldt bewundert, hatte keine unbefangene Freude an der Natur, weil er mit dem Ausruf beginnt und schließt: »Lob- preise meine Seele, den Herrn!« Und auch der Dichter des deutschen Liedes hatte sie nicht: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, solang' noch meine Stimm' erschallt?« Daß Heiligung des Lebens nach der Lehre des Judentums heißt: Gott in das Leben hineintragen und mit ihm des Lebens sich freuen, nicht aber wie nach der Lehre des Christen- tums — das Leben als ein Jammertal betrachten und Gott in der Weltflucht, in der Klosterzelle aufsuchen, dafür hat Sombart offenbar kein Verständnis. Er hätte sich darüber durch den englischen christlichen Theologen Travers Her- ford belehren lassen können, der sagt: »Was gewöhnlich »leerer Formalismus« oder »ernsthaft behandelter Tand« genannt wird, verdient einen besseren Namen, denn es ist irrtümlich oder nicht eine ehrenwerte Bemühung, das Prinzip des Gottesdienstes auf die geringsten Einzelheiten und Handlungen des Lebens anzuwenden« (meine Apolo- getik S. 155). Zum Unglück sind Sombart Fromers >Vom Ghetto zur modernen Kultur« und Webers »System der altsynagogalen Theologie« in die Hände gefallen, oder viel- mehr er ist ihnen in die Hände gefallen, und diese haben ihm die Mittel zur Durchführung seiner Ansicht von der » Rationalisierung« des Lebens durch die jüdische Religion geboten. Denn nach Sombart ist diese Religion ein Ver- standesprodukt. Was sie aber wirklich ist, sagt bereits der Sänger des Ps. 19, der mit den Worten beginnt: »Die Him- mel erzählen die Ehre Gottes und seiner Händewerk ver- kündet das Firmament« also auch Freude an der Natur, wenn auch für Sombart vielleicht nicht unbefangen in dem es aber, worauf es für unsern Zweck ankommt, weiter heißt: »Die Lehre Gottes ist vollkommen, beruhigt die

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 271

Seele, das Zeugnis Gottes ist zuverlässig, macht Toren weise. Die Vorschriften Gottes sind gerade, erfreuen das Herz, das Gebot Gottes ist klar, erleuchtet die Augen«. Das ist im Grunde die ganze jüdische Theologie, die Som- bart vermißt. Kein Verstandesprodukt also ist die jüdische Religion, sondern das Produkt der höchsten Erkenntnis und zum Streben nach Erkenntnis anregend, sie hat die Mythologie überwunden, worin andere Religionen noch heute stecken, sie hat keine Unbegreiflichkeiten, sie lehrt nicht andächtig schwärmen, sondern gut handeln, benebelt und berauscht die Sinne nicht, sondern läutert sie und lenkt sie in richtige Bahn, sie lehrt das Leben begreifen, sich darin zurechtfinden und es durch Sittlichkeit heiligen. Daß die Bekennerschaft einer solchen Religion, gefestigt überdies durch die Leiden, die sie ihretwegen ausstand, geistig geschult durch das eifrigste Studium der Reli- gionsbücher, gereift durch die vielseitigsten Erfahrungen unter den gegebenen Bedingungen zu den besten Pionieren der kapitalistischen Wirtschaft herangebildet wurde, ist auch ohne Verrenkungen und Verdrehungen dieser Religion, ohne daß man ihr »die Knochen im Leibe zerbricht«, wie Som- bart (S. 281) sagt, daß sie so mit ihren Bekennern ver- fahre, begreiflich. Ich kann natürlich nicht auf alles Un- richtige, Mißverstandene, Willkürliche in Sombarts Dar- stellung von dem Wesen der jüdischen Religion eingehen, aber was er von dem Reichtum sagt, muß ich noch zur Sprache bringen. Das Alte Testament soll, wie schon erwähnt, den Reichtum eben so oft verherrlichen, wie ihn das Neue verflucht. Sombart muß ein andres Altes Testament haben als ich, denn in meinem Exemplar, das ich nach der hebräischen Konkordanz abgesucht habe, finde ich nicht eine, sage nicht eine einzige Stelle dieser Art. Es wimmelt hier bei Sombart von Mißverständnissen. Er führt beispiels- weise Spr. Sal. 3, 16 an: »Langes Leben ist in ihrer (der Weisheit) Rechten (Sombart unrichtig: in ihren (der Weisen)

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Rechten); in ihrer Linken Reichtum und Ehre«. Das kann doch nur bedeuten: Die Weisheit ist, wofür sonst langes Leben, Reichtum und Ehre gehalten wird, nämlich das höchste Gut. Das heißt doch nicht den Reichtum, sondern die Weisheit verherrlichen, sowie einer der sagt: »Meine Frau ist mein Reichtum« nicht diesen sondern jene preist. Ebenso »der Weisen Krone ist ihr Reichtum« (das. 14, 24) d. h. die Weisen trachten nicht nach Reichtum, da sie mit der erhabensten Krone, der Weisheit, geschmückt sind. Der Vers 10, 15 (das.) ist nicht zu übersetzen : »Des Reichen Habe ist ihm eine feste Stadt« obwohl auch damit nur gesagt würde, wie es im Leben ist, nicht wie es sein soll sondern: »des Reichen Habe ist die Festung seiner Frechheit,« und variiert mit dem Nachsatz den 18, 23 ausgesprochenen Gedanken: »Der Arme spricht flehentlich, der Reiche aber gibt freche Antwort.« Ist das auch eine Verherrlichung des Reichtums ? Man beachte dagegen die durch die ganze Tora hindurchgehende Aufforderung zur Berücksichtigung des Armen, des Fremdlings, der Waise (von der Waisenpflege steht im Neuen Testament auch nicht ein Sterbenswörtchen vgl. den Artikel »Waisenhäuser« in Rein's Encyklop. Handbuch der Pädagogik: »Der Christen Fürsorge für Waisen knüpfte an das mosaische Gesetz an«). Ebenso verlangen Mischna und Talmud, daß des Menschen Hausgenossen die Armen sein sollen und in Uscha mußte verboten werden, nicht mehr als den fünften Teil des Ver- mögens zu verschenken. Auch mit Sombarts bemerkter »Geldleihe« steht es nicht besser wie mit der von ihm beobachteten Verherrlichung des Reichtums. Verheißungen wie die von ihm angeführten (worin er auch die Verherr- lichung des Reichtums wittert): »Du wirst leihen vielen Völkern und von ihnen nichts entlehnen, du wirst borgen vielen Völkern und ihnen nichts abborgen« können nur Arme ins Auge fassen, da Reichen gegenüber die hier durchschossenen Nachsätze sich lächerlich ausnehmen

Die Jaden und das Wirtschaftsleben. 273

würden. Sombart geht es, wie es heute noch vielen Nicht- juden geht. Die wenigen reichen Juden haben ihn fasziniert, aber die 800,000 Juden in Galizien, vielleicht der 15-te Teil aller Juden, unter denen es nur wenige Bemittelte gibt, sind keine Neuheit in der jüdischen Geschichte, wie denn auch die schon erwähnten sizilianischen Stände an den König schreiben: »End- lich dürfte nicht übersehen werden, daß einzelne Juden zwar reich, andere bemittelt, die übrigen aber so arm seien, daß, wenn nicht der Termin des Abzuges aufgeschoben würde, sie vor Hunger sterben müßten. Dies würde eine üble Meinung von der Regierung erwecken« (meine Geschichte II, 290). Es ist also nichts mit der »Tatsache des jüdischen Reichtums« und nicht, wie Sombart (S. 380) sagt, »der Faden«, sondern die Fabel von dem jüdischen Reichtum zieht sich »von Salomo (warum nicht von Moses, der von den Splittern der Bundestafeln nach dem Midrasch reich geworden sein soll) bis Bleichröder und Barnato durch die Geschichte, ohne an einer Stelle abzureißen«. Kennt Som- bart nicht die Anekdote von den Russen, die, wenn sie keinen Schnaps haben, sagen: »Sprechen wir wenigstens davon!«? So mag es den Juden mit dem Reichtum ge- gangen sein und noch gehen. Die »tote Hand« schweigt na- türlich vom Reichtum, weil sie ihn besitzt, aber »verflucht«. Ich kann die Gastfreundschaft dieser Monatsschrift nicht länger in Ansprach nehmen, sonst hätte ich noch viel über und gegen die Art und Weise zu sagen, wie Sombart eine »jüdische Eigenart« statuiert und auf jüdi- schen Sprichwörtern baut. Ich fasse daher mein Urteil über das Buch Sombarts kurz dahin zusammen, daß ich den ersten Teil ein Standard work nenne, der zweite aber Sombart wird die Wahl meiner Worte verstehen zeugt zwar von großem Scharfsinn, von großer Zweck- bedachtheit und Zielstrebigkeit, aber ein »Tachlis« sehe ich nicht. (Siehe die folgende Anmerkung.)

Monatsschrift, 55. Jahrgang.

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Um wenigstens die krassesten Irrtümer zu berichtigen und die ungerechtfertigsten Behauptungen zurückzuweisen, gebe ich von ihnen hier eine kurze Liste. Zu S. 231. Es ist keinem »frommen Juden« ver- boten, unter bestimmten Umständen Dinge zu berühren, die durch frühere Berührung »unrein« geworden sind, denn kein Ding kann durch Berührung »unrein«, sondern nur unsauber werden, in welchem Falle es kein anständiger Mensch anfaßt. Daß Rothschild die Türklinke, bevor sie abgewischt war, und im Umlauf gewesenes Papiergeld nicht in die Hand nahm, hat mit der Religion nichts zu tun. S. 279. Die Karenzzeit nach der Geburt eines Knaben dauert nicht 40, und nach der Geburt eines Mädchens nicht 80 Tage, sondern im ersteren Falle 7, im letzteren 14 Tage. Das steht sogar deutlich im 3. Buch Mos. Kap. 12 zu lesen. Eine Ausdehnung der Karenz wird sogar verboten. S. 284. Daß »die jüdische Apologetik, die für die Juden schrieb [ein schalkhafter Beisatz!], diese Anklagen selbst nie- mals zu widerlegen versucht« habe, ist einfach unwahr. Sombart lese in meiner Apologetik das 3. Kapitel, wo er auf S. 67 auch Ber- tholet abgefertigt und auf S. 85 eine lesenswerte Expektoration eines orthodoxen Rabbiners aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ab- gedruckt findet. Damit ist auch der S. 286 befindliche Satz wider- legt: »In dieser Form ist das Gebot •— es ist das 198. auch in den Schulchan Aruch übergegangen. Die modernen Rabbiner, denen die ach so klaren! Bestimmungen des jüdischen Fremdenrechts unbequem sind (warum eigentlich?) [wieder eine kleine Schalkhaftig- keit!], versuchen dann die Bedeutung solcher Sätze wie das 198. Gebot dadurch abzuschwächen usw.« Hier ist Wort für Wort eine falsche Behauptung. Die Zählung der Gebote bei Maimonides ist dessen Privatansicht und für keinen verbindlich. Insbesondere ist das 198. Gebot nicht als Oebot anerkannt und deshalb auch nicht in den Schulchan Aruch übergegangen. Tatsächlich enthält Deuteron. 23, 20 eigentlich das Verbot, Zinsen zu geben, was Vers 21 nur dem Fremden gegenüber gestattet (und womit er wohl zufrieden sein kann). Es ist also hier vom Zins nehmen gar nicht die Rede. Diese »ach so klare! Bestimmung des jüdischen Fremdenrechts« ist demnach trotz ihrer Klarheit von Sombart nicht verstanden. Ferner ist seine Behauptung: »Durch die Tradition ist gelehrt worden, daß man dem Fremden auf Wucher leihen soll«, so wenig wahr, daß sie viel- mehr lehrt, daß man dies nicht tun soll (Makk. 24a). Demnach ist die weitere Behauptung Sombarts S. 287: »Nur Unkenntnis oder Böswilligkeit kann leugnen, daß die Verpflichtungen dem Fremden gegenüber niemals so strenge waren als dem , Nächsten', dem Juden, gegenüber« mit dem Bemerken zurückzuweisen, daß »nur Unkenntnis

Die Juden und das Wirtschaftsleben. 275

oder Böswilligkeit« den »Nächsten« auf den Juden einschränken und das jüdische Fremdenrecht herabsetzen kann, für welche Erklärung ich mich wieder auf meine Apologetik berufe. - S. 324 »Die Führer und Weisen des Volkes haben die Wichtigkeit, ja die Notwendigkeit dieser Schmiegsamkeit und Biegsamkeit . . . gepredigt«. Zum Be- weise werden zwei »Ermahnungen« .angeführt, in denen beiden der »demutige Geist« empfohlen wird. Also demütig sein, beißt ins Judische übersetzt - für Sombart - schmiegsam und biegsam sein'

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Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

Von Emil Levy.

Was berichten uns die ägyptischen Quellen vom Auszug der Kinder Israel aus Ägypten?

Man erwarte nicht, daß eine Fülle historischen Materials vorliegt, aus dem wir nur so zu schöpfen brauchen. Dies ist aus zweierlei Gründen nicht möglich. Einmal haben uns die Ägypter, diese größten Prahlhänse des Altertums, keine exakte Geschichte überliefert. Die Darstellungen, die die Könige und Fürsten in Wort und Bild von ihren Siegeszügen an den Tempelwänden und Felsengräbern entwerfen, wissen nur Rühmliches zu erzählen und feiern oft Erfolge, die überhaupt nicht davongetragen wurden. Unglückliche Ereignisse durch Feindesmacht werden ent- weder vollständig verschwiegen, oder man gleitet mit wenigen Worten dunklen Inhaltes über sie hinweg.

Dazu kommt noch ein zweites Moment. Der Schauplatz der biblischen Ereignisse war das östliche Delta. Denkmäler aus dem Delta sind uns nur in sehr geringer Zahl erhalten, woran die Feuchtigkeit des Klimas zum Teil schuld sein mag.

Demgemäß kann das wissenschaftliche Quellen- material für unsere Frage nur dürftig sein; daß die Israeliten mit Gold und Silber reich beladen aus Ägypten zogen und das Heer der Verfolger im Roten Meere ertrank, davon wird und mögen noch zahlreiche Entdeckungen erfolgen in einer ägyptischen Inschrift niemals gelesen werden.

Somit bleibt uns nur der Weg, durch Vergleichung des biblischen Berichtes in seinen hauptsächlichen

Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft. 277

Angaben (denn nur auf das Wesentliche kommt es uns an) mit den bestimmten Verhältnissen der ägyptischen Geschichte, die er voraussetzt, die Zeit zu fixieren, die für den Auszug mit historischer Logik allein in Betracht kommen kann; und bei diesem indirekten Verfahren sind immerhin bedeutende Resultate zu Tage gefördert worden. Es ist auch heute noch, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, durchaus wahrscheinlich, daß Ramses II, (1292—1225) der Pharao der Bedrückung war und daß der Auszug, von dem das zweite Buch Moses spricht, unter seinem Sohne Meneptah (1225—1215) stattgefunden hat.

Der geschichtliche Zusammenhang, in den wir Be- drückung und Auszug einreihen müssen, ist folgender:

Um das Jahr 1670 drangen semitische Fremdstämme, die Hyksos, in das Delta ein und beherrschten von hier aus Ägypten. Der jüdische Schriftsteller Josephus iden- tifiziert diese Hyksos mit den Israeliten (Züge der Erz- väter!). Diese hyperbolische Annahme ist aber dahin zu modifizieren, daß die Einwanderung Israels zur Zeit der stammverwandten Hyksos erfolgte und sich aus dieser Zeit allein geschichtspsychologisch erklären läßt.

Nach lOOjähriger Fremdherrschaft rafft sich Ober- ägypten zum Freiheitskampfe auf; die Heere der theba- nischen Fürsten dringen nordwärts gegen die Hyksos vor. In wiederholten Feldzügen werden die fremdländischen Eindringlinge geschlagen und schließlich wieder aus dem Delta hinausgedrängt. Aber ein großer Teil der semitischen Bevölkerung und darunter die Hebräer bleiben im Delta wohnhaft.

Dieser Freiheitskampf ist ein Wendepunkt in der ägyptischen Geschichte. Das Land ist aus seinem vieltausend- jährigen Schlafe erwacht, ein kriegerischer Geist drängt mit Macht nach außen. Palästina wird dem Pharaonenreich

278 Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

unterworfen, und am Euphrat errichten die Thutmosis ihre Siegestafeln. Aber diese glorreichen Zustände sind nicht von Dauer. Unter Amenophis III (1411 1375), noch mehr unter dessen Sohn Amenophis IV (1375 1358), dem be- rüchtigten »Ketzerkönig«, beginnt der Verfall der ägyptischen Hegemonie, über den uns die bekannten Tell-Amarna-Briefe aufklären. Die Kleinfürsten Palästinas suchen das ägyptische Joch abzuschütteln und benutzen die Ohnmacht der Re- gierung zum Austrag ihrer Parteistreitigkeiten. Zu den inneren Zwisten gesellt sich ein gewaltiger Feind von außen. Die Hethiter (Cheta1), ursprünglich in Kleinasien wohnhaft, erscheinen plötzlich als die Herren des nördlichen Syrien und schicken sich an, auch Palästina den Pharaonen zu entreißen.

Das sind die geschichtlichen Ereignisse, die im Hinter- grund der pentateuchischen Exoduserzählung liegen.

Schon Sethos I. (1313—1292) mußte mit dem Cheta- könig und den ihm verbündeten palästinensischen Fürsten um den Besitz Palästinas kämpfen und dasselbe gilt von seinem Sohne Ramses II, dem Pharao der Be- drückung. (1292—1225.)

Die vielen erbitterten Feldzüge, die dieser Fürst ohne wesentliche Erfolge im ersten Drittel seiner langjährigen Regierung gegen die Hethiter führte, machen uns die strengen politischen Maßregeln gegen die im Delta hausen- den semitischen Fremdstämme durchaus erklärlich. Es ist nicht unmöglich, daß die Hebräer mit den palästinensischen Hethitern, zu denen schon Abraham in freundschaftlichen Beziehungen stand, sympathisierten. Das läßt uns die Furcht des Pharao begreifen : »Wenn Krieg ausbricht, könnten die Israeliten zu unsern Hassern sich schlagen und gegen uns streiten.« Infolge der vielen Kämpfe in Palästina und wohl auch um die unruhige Bevölkerung des ehemaligen Hyksosterritoriums in Schach zu halten, verlegtRamses II.

') Zweifellos identisch mit den biblischen rn 'ja

Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft. 279

seineResidenzausThebennordwärtsundzieht in das Delta. &1R T?£ öjti Das ist der neue König, der Josef nicht gekannt, denn zum ersten Male sehen die Semiten des Landes Gosen in ihrer Mitte eine national- ägyptische Hofhaltung !

Eine fieberhafte Tätigkeit entfaltet der Pharao im östlichen Delta. Seine Residenz Tanis (Zoan) wird mit kolossalen Tempeln und Bauwerken geschmückt, die uralten Befestigungen, die von den Bitterseen zum Mittelmeer sich ziehend (etwa der Lauf des heutigen Suezkanals) das Land im Osten gegen die Einfälle der Barbaren schützten, werden verstärkt. Vor allem : Um den in Asien einrückenden Heeren hinreichend Proviant zuführen zu können, laßt Ramses an der östl. Grenze Magazinstädte anlegen, (rriaaoa nj», Pithom und die Ramsesstadt treten plötzlich in den Vordergrund. Und der Pharao braucht sich nicht lange nach Arbeitern umzusehen ; die freischweifenden Nomaden, die seit Jahrhunderten in dem Grenzdistrikt ihre Herden geweidet, werden zum Frondienst angehalten. »Und sie setzten über Israel Fronmeister, um es zu drücken durch ihre Lastarbeiten ; und es baute Vorratsstädte für Pharao, Pithom und Ramses.« Die Reste von Pithom sind beim heutigen Teil el Maschuta aufgefunden worden. Die Stadt lag hart am Ostausgange des Wüstentales Wadi Tumilat, das die Verbindung von Gosen mit der östlichen Wüste vermittelte, nicht weit entfernt von der oben er- wähnten Befestigung, die das Thal sperrte. (Cf. Karte S. 282.)

Die Lage der Ramsesstadt hat sich bis heute nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Gewiß ist Moses, der Führer Israels, dessen Existenz allein schon durch den ägyptischen Namen (cf. Thutmose, Achmose ; die hebr. Erklärung beruht auf Volksetymologie) wissenschaftlich verbürgt ist, aus politischen Gründen dem Pharao ver- dächtig geworden, und die Ermordung des Ägypters wird nur der letzte Anlaß zur Flucht nach Midjan

280 Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

gewesen sein. Zu dieser Flucht haben wir in den Lebens- schicksalen eines vornehmen Ägypters aus älterer Zeit (Sinuhe-Roman) ein hochinteressantes Parallelstück ; leider verbietet der Raum, auf dies Schriftstück näher einzugehen.

Auch in Midjan ist Moses in ständiger Fühlung mit seinen ägyptischen Stammesgenossen geblieben. Während der langen Jahrzehnte seines Exils scheinen die Israeliten nicht so sehr gedrückt worden zu sein, was sich unge- zwungen aus der politischen Lage erklären läßt. In seinem 21ten Regierungsjahr schließt nämlich Ramses II. nach langen Kämpfen mit dem Chetafürsten einen Friedens- vertrag, der ihm das südliche Palästina garantiert. Damit entfiel auch die Veranlassung, die semitischen Deltastämme weiterhin als aufstandslüstern und »novarum rerum cupidi« zu mißhandeln.

Ohne Zweifel hat erst der Nachfolger Ramses II. wie- der straffere Seiten aufgezogen. Dies leuchtet auch aus dem biblischen Berichte hervor. Es heißt nämlich (Exodus K. 11 V. 23): »Es geschah in jener langen Zeit, daß der König vonÄgypten starb, und es ächzte n (wieder) die Kinder Israel unter der Arbeit und sie schrieen....« Die geschichtliche Forschung enthüllt uns abermals das Rätsel des verstärkten Druckes.

Auf Ramses II. folgte sein Sohn Meneptah, der Pharao des Auszuges. Im 5. Jahre seiner Regierung wird Ägypten von übermächtigen Feinden angegriffen und an den Rand des Verderbens gebracht. Eine wahre Völker- wanderung brandet ins Land. Seefahrende Stämme aus allen Ländern des Meeres dringen in das Delta ein. Diese Gelegenheit benützen die Libyer und überfallen ihrerseits Ägypten von Westen her. Nach gewaltigen Anstrengungen erst gelingt es Meneptah, sich zu ermannen, und in einer großen Entscheidungsschlacht werden die Feinde geschlagen.

Es ist nicht unmöglich, daß die Hebräer wiederum mit den Eindringlingen sympathisierten und deshalb einem

Der Auszog aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft. 281

verstärkten Drucke ausgesetzt wurden ; lesen wir doch in den ägyptischen Denkmälern, daß auch die palästinensischen Städte wieder wankelmütig geworden waren und aufs neue erobert werden mußten! (Cf. weiter unten »Israel- in s c h r i f t«). Die große Zahl ägyptischer Aufsichtsbeamten, die der Pharao Meneptah in die Festungen der Ostmark legte, lassen die verhängnisvolle Lage des Reiches deut- lich erkennen. Die Grenzbeamten führten genau Buch, und nur mit Lebensgefahr konnte man den Versuch machen, ohne pharaonische Erlaubnis durch den Festungsgürtel zu schlüpfen.

Es ist nun höchst merkwürdig, daß die Namen,1) die die Bibel dem östlichen Grenzdistrikt und seinen Befesti- gungen beilegt, sich genau mit den Angaben decken, die uns gerade aus der Zeit des Meneptah erhalten sind. Sukkoth bezeichnet in der ägyptischen Schreibung Thuku die Provinz, in welcher Pithom lag; östlich von Gosen sich erstreckend, wurde sie bereits zum asiatischen Besitz Ägyptens gerechnet. Etham (ägypt. Chetam) ist eine der Festungsanlagen, die der Stadt Pithom im Osten als Forts vorgelagert waren. Migdol kommt unter demselben Na- men vor als Migdol des Königs Meneptah, eine Citadelle nördlich vom Schilfmeer, wobei wohl zu beachten ist, daß das Schilfmeer im Altertum erst in dem heutigen Krokodilsee sein nördliches Ende fand. Pihachi- roth ist vielleicht das unter Ptolemäus II genannte Heilig- tum Pikeheret, 5 Kilometer sw. von Ismailia, während man Baal-Zephon wohl auf einer Höhe östlich von der Seenkette suchen muß. So erscheint die Reiseroute der Israeliten, wenn auch Einzelheiten hin- und herschwanken, im allgemeinen durchaus bestimmt und vorgezeichnet. Süd- lich von Migdol flutete das sumpfige Schilfmeer, nörd- lich setzte der schon erwähnte Mauerwall ein. Auf diese

>) Ich folge hierin den Ausführungen von H. Brugsch in »Stein- inschrift und Bibelwort«. S. 226 ff.

282 Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

Weise war die Landschaft militärisch gesperrt, nur zwei Durchgänge waren möglich. Im Süden der Bastion konnte man nur zur Zeit niedrigsten Wasserstandes einen Durch- bruch riskieren, nördlich von Migdol beherrschte die Gärni- sonstruppe der »Mauern« die Heerstraße. Eine schematische Karte mag die Situation veranschaulichen.

Nun wird uns der biblische Bericht klar und ver- ständlich. Schritt für Schritt können wir die Route der Israeliten verfolgen, nachdem sie bei dem durch Feindes- macht und innere Katastrophen bedrängten König den freien Abzug erwirkt.

»Als der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, da führte sie Gott nicht den Weg nach dem Lande der Phi- lister, — der wäre der nächste gewesen, denn Gott dachte es könnte das Volk reuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen,

Der Auszug aus Ägypten im Liebte der Wissenschaft. 283

und sie könnten nach Ägypten zurückkehren.« (II. Mos. K. 13 V. 17). Der nächste Weg nach Palästina, durch das Land der Philister, hätte über die Festungsmauer geführt; dort aber hätte es leicht mit den ägyptischen Besatzungstruppen zum Kampfe kommen können; auch in Palästina wären die Isra- eliten beim Einmarsch noch immer auf ägyptischem Terri- torium gewesen, erst nach Jahrzehnten zerbröckelte hier die Oberhoheit der Pharaonen endgültig. Darum war an eine Eroberung Kanaans vorläufig noch gar nicht zu denken.

Die Israeliten brechen von ihrer Landschaft Gosen auf und ziehen durch den Wadi Tumilat ostwärts. »Dann brachen sie von Sukkoth (Thuku) auf und lagerten in Etham am Rande der (ägyptischen) Wüste« (II. Mos. 13, 20). Nun aber geht es nicht nach Norden, zur Mauer, wo die offizielle Durchgangspforte aus und nach Ägypten war, sondern nach Südosten. »Befiehl den Israeliten, um- zukehren und sich vor Pihachiroth zwischen Migdol und dem Meer zu lagern; gerade gegenüber von Baal-Zephon sollt ihr euch am Meere lagern« (Kap. 14, 2).

Ein solches Vorgehen muß natürlich dem Pharao als Kopflosigkeit erscheinen und ihn zum gewaltsamen Rück- transport der scheinbar Verirrten ermutigen. »Sie haben sich im Lande verirrt, die Wüste (westlich der Grenze) hält sie umschlossen« (V. 3). Unmöglich können die Ägypter auf den Gedanken kommen, daß eine so gewaltige Volks- masse durch das Meer südlich vom Migdol einen Ausweg finden wird.

Das Wunder geschieht dennoch. Moses wagt den Durchbruch, während durch einen heftigen Sturm die fla- chen Gewässer des Meerbusens zurückgehalten werden. Glücklich gelangen die Israeliten mit ihrem leichten Ge- päck über den aufgeweichten Boden an das jenseitige Ufer, indes die Streitwagen der Verfolger sich nur mühsam fortbewegen und von den zurückflutenden Wogen über- rascht werden. Die Umwallung (hebr. -n#) liegt zurück,

284 Der Anszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

die Wüste Schur, die nach ihr genannt ist, nimmt die Israeliten auf , eine neue Weltepoche ist ange- brochen.

II.

Ob das ganze Israel den Auszug mitgemacht hat und nicht etwa schon früher einzelne Stämme in Kanaan an- sässig gewesen sind? Nach allem, was wir von den Hyksos- kriegen wissen, können wir die Frage nicht unbedingt verneinen. Es liegt durchaus im Bereiche der geschicht- lichen Möglichkeit, daß Teile des israelitischen Stammver- bandes schon vor dem pentateuchischen Exodus nach Asien zurückgeströmt sind. Wissenschaftliche Spekulationen gibt es darüber in Hülle und Fülle, und wenn wir sie auch nicht alle durchmustern können, so soll doch die berühmte Israe 1 ins chrif t nicht unerwähnt bleiben.

Wir haben bereits (S. 280) von dem großen Siege gesprochen, den der Pharao Meneptah über die Libyer und Seevölker davontrug. Nach altem Brauch hat der Pharao seinen Triumph in einem bombastischen Siegeshymnus, der auch die Bezwingung der palästinensischen Städte be- richtet, der Nachwelt mitgeteilt. Die Stelle, welche das Siegeslied enthält, wurde im Winter 1896 im Grabtempel des Meneptah zu Theben aufgefunden. Sie wurde alsbald weltberühmt, weil auf ihr im Zusammenhang mit kanaanäi- schen Städten auch ganz unzweideutig der Name > Israel« erwähnt ist.

Im Zusammenhang lautet die ganze Stelle:1) »Verwüstet ist Libyen, Cheta in Frieden, Erbeutet das Kanaan mit allen Schlechten, Gefangen geführt ist Askalon, gepackt Gezer, Jenoam ver- nichtet, Israel seine Leute sind wenig, sein Same

existiert nicht mehr; Syrien ist geworden zur Witwe für Ägypten«.

x) Greßmann, Altorieatal. Texte S. 195.

Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft. 235

Die Erwähnung Israels in dem Siegesliede des Pharao des Auszugs ist gewiß merkwürdig genug; leider wissen wir aber nicht viel damit anzufangen. Daraus, daß »Israel« in Verbindung mit palästinensischen Städten ge- nannt ist, wollen die Einen den Schluß ziehen, die Hebräer wären zur Zeit des Meneptah längst in Kanaan ansässig gewesen, und identifizieren das »Israel« der Mineptah- Inschrift mit den bekannten Chabiri der Tel-Amarna- briefe zur Zeit des Amenophis IV. Andere sehen in der Inschrift eine Stütze für die biblische Angabe. Israel hat unlängst den Auszug angetreten, und mit dem Verschwinden in der Wüste ist das Volk für den König (dessen Unter- gang im Roten Meer in der Bibel nicht berichtet wird1) »existenzlos« geworden. Diese Auffassung scheint aus man- chen Gründen die richtige zu sein.

Die Annahme eines früheren Exodus findet eine Stütze in der Stelle I Reg. 6, 1, wo gesagt wird, daß der Tempelbau 480 Jahre nach dem Auszug aus Ägypten statt- gefunden habe. Dieser Auszug fiele somit um 1450 1440. Wenn auch die Bibel von einem wiederholten Auszug nichts weiß, so hat doch die mündliche Überlieferung eine verklungene Erinnerung bewahrt, daß die »Söhne Eph- raims« den Auszug zu früh veranstalteten {Y& wo) und sich in Palästina eine schwere Niederlage holten (Sanhedrin 92 b). Erscheint auch dieser Midrasch als Ausdeutung von I Chr. 7, 21, so ist es doch wahrschein- lich, daß in diesen beiden Notizen eine historische Re- miniszenz verborgen ist, und es wäre nicht unstatthaft, im Zusammenhang mit dieser Überlieferung der Chabiri zu gedenken, die um 14C0 an den südlichen Grenzen Pa- lästinas auftauchen. Die These eines wiederholten Exodus wird bestätigt durch das Schwanken der jüdischen Über- lieferung in Bezug auf die Dauer des ägyptischen Aufent- haltes. Der Pentateuch spricht von einer 430] ährigen

*) Seine Leiche ist in Theben aufgefunden worden.

286 Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft.

Knechtschaft, während die Rabbinen bekanntlich nur einen 210 jähri gen Aufenthalt annehmen.

Setzen wir nun den Auszug unter Meneptah nach den neuesten Feststellungen auf ca. J 220 fest, so ergibt sich

[1220 + 430 =] 1650 als Datum der Einwanderung Jakobs. Dies paßt vorzüglich zu den Zeitverhältnissen. Und andrerseits ergibt sich, wenn wir diese Zahl 1660 festhalten und die 210jährige Knechtschaft der Rabbinen annehmen

[1650—210 =] 1440 als Datum des ersten Auszuges !

In der Tat eine verblüffende Übereinstimmung. Wie man sieht, geht die rabbinische Ansicht von den 210 Jahren parallel mit der Notiz von I. Reg. K. 6/1. Es scheint mir daher einleuchtend, daß wir sowohl 1440 wie auch 1220 als in Betracht kommende Data festhalten und also einen doppelten Exodus annehmen müssen, was bei dem Hin- und Herfluktuieren des semitischen Elementes über die ägyptische Reichsgrenze nichts Anormales hat. Damit entfallen glücklich alle chronologischen Schwierig- keiten. Jedenfalls spricht die pentateu ch ische Erzählung unbedingt von der Regierungszeit des Ramses II und dem Auszug unter Meneptah im Jahre 1220. Denn von den 3 Momenten : die Israeliten bauen Pithom und Ramses, Ägypten ist von auswärtigen Feinden stark bedroht, und der Pharao residiert im Delta, wäre jedes einzelne schon ausschlaggebend.

Der Selbstmord nach der fialacha.

Von A. Perlß.

I.

Drei Arten von Mord sind im peinlichen Rechte der Schrift unerwähnt geblieben: der Elternmord,1) der Kindes- mord2) und der Selbstmord. Die ersten zwei hat sie ganz und gar außer Acht gelassen. Sie hat für sie weder Namen noch Beispiel. Während wir schon in der Vorhalle der Torah der grauenhaften Gestalt des Brudermörders begegnen, hat sie des Eltern- und Kindesmordes weder in ihren epischen Erzählungen noch in ihren strafrechtlichen Bestimmungen auch nur mit einem Worte gedacht. Dieses Schweigen ist beredt genug. Die selbstlose, aufopfernde Liebe der Eltern zu den Kindern, die Ehrfurcht und heilige Scheu der Kinder vor den Eltern hat wohl dieses schau- derhafte Verbrechen, von dem die Mythen und Überliefe- rungen der alten Völker so viel zu erzählen wissen, in jüdischen Familien niemals aufkommen lassen.3)

Der Selbstmord hingegen muß nur seiner sprachlichen Benennung entbehren4) die Sache selbst wird uns in vier Fällen5) vorgeführt : Saul stürzt sich in sein eigenes

») S. Mechilta 81 b. Sifra 105 a. Sann. 72 b. Maimuni nyu 9, 10. Tut Ch. M. 425, 6 [vgl. dagegen Berachot 7 b]. Sifre I, 1, 159. B. K. 87 b. Maim. \S5£Tl 4, 7. nxn 7, 15. onßD 5, 5.

') Sifre II, 171. 183. Makk. 8 b. 12 a. J. Makk. 2, 5. Maim. n*n 1, 3. B*M 5, 15.

') Saalschütz Mos. Recht 490.

«) Vgl. Job 7, 15. Rieht. 18, 25.

•) Nicht wie Saalschütz, Mos. Recht 549 will, in zweien.

288 Der Selbstmord nach der Halacha.

Schwert1). Sein Waffenträger') stirbt des gleichen Todes8). Achitofel erwürgt sich*). Zimri zündet den Palast über sich an6). Einen speziellen Namen hat aber die Bibel, wie bemerkt, für den Selbstmord nicht. Den Terminus hat erst später die Schule geprägt. Er lautet nvih iosy t:jko6).

Spätere Kommentatoren bedienen sich der fehlerhaften Bezeichnung /roaty nivo. Es dürfte eher loaiy nm heißen. In Wahrheit bedeutet aber ibxj? n/ro gar nicht den Selbst- mord, sondern wie das lateinische morte sua mori den natur- gemäßen, ohne gewaltsamen Eingriff von Außen, von selbst eingetretenen Tod. R. Akiba will eher an selbstveranlaßter Verdurstung elend zugrunde gehen7) »Daty n/vo mo» 20108) als gegen die Ansicht seiner Genossen ohne Händewaschen Brod essen. Freilich kommt die absichtliche Enthaltung von allen zur Fortfristung des Lebens unbedingt notwendigen

*) I. Sam. 31, 4.

s) Nach der von Raschi nur mit Widerstreben angenommenen Tradition: Doeg. Pesikta d'R. K. 28b. Pes. r. 51a. Buber, Anm. 143. Vgl. Pirka Schönbl. nvbVI XS3 16.

s) I. Sam. 31, 5.

*) II. Sam. 17, 23.

6) I. Kon. 16, 18.

6) Das Nomen njn1? lD5tj> "lia^X Hamburger, Realencykl. 1110, kommt nirgends vor. naxö wie in ^xiP-D flrix VfiJ "DXDH ^2 oder D">S icaty ~&xh xb* Hjr -[bn X1? Mech. 2a Friedm. ist wohl etwas zarter als JVBD und a*W, die auch neben einander vorkommen A. Z. Übrigens wird loaty nx JVDö nur in figürlichem Sinne in der Bedeu- tung von Entsagung, Entbehrung und Selbstverzicht auf die Annehm- lichkeiten des Lebens angewendet. rrDDtf "03 X^X pD"pflö T\'1 px .TVj> iDSty Berachot 43b und dazu Tanchuma na 3. ,Tm tWX 13y HO lDJty JlX IPtf Tamid 32a. Vgl. Gitin 57 b, Taanit 27b und im X^X nbtyn }C »BJtJJ <mpy IM . . . Elia rabba 137 Friedm. Eine bestimmte Art der Selbsttötung ißaty piinn, Ber. r. 34, 13. richtiger C3D"! D X *JM1 löaty nx p3inn K'onb. Vgl. B. K. 47b, dann in figürlichem Sinne: pan^ n»pa dx (xp-ie Schönbl. 13b pun^) bna (^X3 nbnn Pes. 112a.

7) nwon hm rwpi xaat,i divd nawo Pirke d'r. E. 30. Vgl.

Taanit IV, 5. Ber. r. 53, 14. Echa r. 2, 2. Tanch. WP 5.

8) Erubin 21b. (BXJJ DITO IDID^ DX ^ax ,TDn. Sanh. 68a.

Der Selbstmord nach der Halacha. 289

Nahrungsmitteln der Selbsttötung ziemlich nahe. Doch muß hier außer der übertriebenen Ängstlichkeit des religiösen Gewissens1) auch noch in Betracht gezogen werden, daß ein aus mittelbarer Veranlassung oder untätigem Geschehen- lassen entstandenes Vergehen nach der Halacha einer viel milderen Ahndung kbi? »sn als das böswillig beabsichtigte und tätlich ausgeführte Verbrechen anheimfällt 821 KJH2).

Über den Selbstmörder wird eine zweifache Strafe verhängt: a) dem Leichnam werden alle ritual festgesetzten Ehren, die man sonst der Leiche eines natürlichen Todes verstorbenen zu erweisen pflegt, verweigert, b) der Seele des Selbstmörders wird ihr zukünftiges Heil abgesprochen.3)

Diese Strafbestimmung wird aber an eine unerläß- liche Bedingung geknüpft: Die Selbsttötung muß rwib ge- schehen sein. Wenn aber dieses r\y\b das einzige und alleinige Kriterium des Selbstmordes ist, so muß zuförderst

i) Das. Toss. Schw. aens: n\"i icity by vana. A.Z. 27 b., Toss. Schw. SrtP Ende, dann 54b, Toss. Schw. an, Ketub. 19a, Toss. Schw. 1ö«% Nachmani rHJtDH 'D 1.

8) Sifre I, 60. Kidd. 43a. Sanh. 76a. Chulin 9a. Maimuni nSHI

2, i. 3, io not? ny ajna «nyn iTan nx nein. So will der auf dem

Scheiterhaufen liegende Chanina ben Teradjon den Mund nicht öffnen, um durch das Einschlagen der Flammen seinen Feuertod nicht fak- tisch zu beschleunigen [1DXJJ3 K1.1 f?aJT b*"\ H3JW MÄte** a&lB A. Z. 18 a. Ganz so Jos. Jüd. Krieg III, 8, 5. Vgl. B. K. 9»bJ, sieht es aber gerne, daß der Scharfrichter durch Vergrößerung des Holz- stoßes sein Ende schneller herbeiführe. Bacher, Agada der Tannaiten I, 398.

3) »3.1 Dbiyb pSn )b pK JijnS 1B¥J> ISJfprT. Der Spruch findet sich in dieser oder ähnlicher Fassung in keiner der älteren Quellen vgl. Sanh. XI. j. Sanh. X. Tosifta Sanh. XII. Abot d'R. N. 36 und wird auch von keinem der Decisoren angezogen, s. Maimuni naitPfl III, 6. J. D. 345. Jos. Jüd. Krieg III, 8, 5 spricht jedoch den Gedanken schon aus. Die Sentenz dürfte aus B. K. 91b folgen. Vgl. Hirsch Chajes ^BK W3 27 b. B. A. Weiss mp"> }3Kj. D. 56. Maim. das hat B'B"! "OD1P aus j. Sanh. X, 3 und Sanh. 109 a abgeleitet. Eine ähnliche Sentenz ^B Vrtlth pT! WK IOTT3 folgt aus Pirke d'R. E. 33 Ende. Ausdrücklich Pirke d'R. Hakk. MJfMH X3B 3,

Monatsschrift. B5. Jahrgang. 19

290 Der Selbstmord nach der Halacha.

die Bedeutung dieses Ausdruckes und seines Gegensatzes r\vb *b& genau festgestellt werden, um die Strafbarkeit der Handlung gesetzlich bestimmen zu können1). Nach Hamburger8) bedeutet nyib den >bewußten und ab- sichtlichen Selbst vernichter, der bewußt und ab- sichtlich sich selbst vernichtet hat«. Aus den anzufüh- renden Stellen wird aber mit Evidenz hervorgehen, daß dieser Terminus auch anderswo kaum, hier aber am aller- wenigsten diesen Sinn haben könne und daß die wahre Bedeutung des Wortes eine andere sei:

1) mvsm ">2)VV lautet ein halachischer Satz, können nyib *6tP p /iinb p angelegt werden3). Hier kann nvih offenbar nur das Einverständnis, die freie Einwilligung be- deuten. Ebenso injr6 «S« öixb piyo }'«*).

2) Ist jemand als Kriegsgefangener gewaltsam fort- geschleppt worden, so ist die Behörde gehalten, einen seiner nächsten Anverwandten in die verlassenen Güter D'ttnai 'DOJ einzusetzen und mit der Verwaltung derselben zu betrauen. Ist aber der betreffende i/ijr6 ausgewandert, dann ist die Behörde dieser Pflicht entbunden5). Aus der Entgegen- stellung dieser zwei Arten der Entfernung folgt, daß man unter njn1? Kit» lediglich ein selbstgewähltes, freiwilliges Auswandern verstehen könne.

3) Ist seine Opfergabe, heißt es im Priesterkodex6),

*) Moses Sofer, Responsen J. D. 325 bemüht sich eine hala- chische Definition des Wortes zu geben, doch ist das Ergebnis, wel- ches auf pilpulistischer Unterlage sich aufbaut, warum z. B. der Gegensatz von fljn1? IDlty "DKD nicht njnb 1DXJ7 TSXD WK, sondern riJH1? *bv 'V '0 lautet nicht befriedigend.

») Realencykl. II, 1110.

») Erubin 80 b. Das. 46 b paraphrasiert Raschi njn"? wirklich

mit nmroB>.

«) Tosifta Erubin 9, 8 p. 148, 27. j. Erub. VI, 23 c. 65. ») B. M. 39b, j. Jeb. XV, 3. 15a 11 ff. Maim. fllbrU 7, 4. 8. T. Ch. M. 285, 1. 9. •) 1, 3.

Der Selbstmord nach der Halacha. 291

ein Ganzopfer, dann soll er es bringen freiwillig. »Soll«, erklärt die Halacha, das will sagen, er wird dazu gezwun- gen im« pöttW Tö^ö. Also auch wider seinen Willen? bl3» 'JK nM") TBK»tt> IV im« J'B13 ,TS*3 «H ,Uimb Vr> ,uto ^?. Das nicht, da es doch ausdrücklich heißt -freiwillig«. Wie ist also der Widerspruch zu lösen? Der Widmer wird so lange genötigt, bis er erklärt: Ich will1). Daraus leitet nun Sa- muel den Kanon ab: njn Pi3*"iaB n^iy-ui^ni?2). Hier wird also das späthebräische nyib dem biblischen fiii"^ gleichgesetzt.

4) Wen Gott liebt, den sucht er mit Leiden heim. Diese Heimsuchungen sind aber nur dann eine Manifesta- tion göttlicher Huld n^nxa übip, wenn sie in kindlicher Liebe und Ergebenheit angenommen und ertragen werden. Denn Leiden sind eine Sühne wie Opfer, wm da?« irtP/i nyib pittr ?)« nyib w&» na. Wie also das Schuldopfer gut- willig dargebracht werden soll, so müssen auch die über uns verhängten Übel freiwillig aufgenommen werden3). Hier ist nyib schon geradezu für n;n« gesetzt.

nyib bezeichnet also nicht die bewußte und absicht- liche, sondern die freiwillig ausgeführte Handlung. Es fragt sich nur, wie wir uns die Gewißheit verschaffen, daß der Täter aus freien Stücken gehandelt habe, da sich der Wil- lensakt unsichtbar im Innern der Seele vollzieht? Die Antwort lautet: der Täter muß seine Einwilligung, sein aus freiem Antriebe erfolgtes Zugeständnis in Worten klar und deutlich kund tun. Das drückt nyib in folgenden Stellen aus:

') Sifra z. St. (5 b) Arachin 21b.

2) Ebenso Chulin 13a lninr DSriJHS ~ imnn?n DDüin1?. Vgl. Sifra zu 22, 19 in"D by "n25tn DK pB13 pX8> ID'rD DDJlltlS. Das unterscheidet eben die Gemeinde vom Einzelnen, daß sie selbst zur Kundgebung ihrer Einwilligung nicht genötigt werden kann, dann muß aber lrTO by in *]3 by emendiert werden, wie es Sifra zu 23, 11 lautet. Der Abschreiber hat wohl die Anfangsbuchstaben yy irrtüm- lich in in*iD by aufgelöst.

3) Berachot 5 a. Vgl. nyib 1DXJJ "Ppon Nidda 13 b.

19*

292 Der Selbstmord nach der Halacha.

5) Die Kreaturen der Urwelt, heißt es1), sind alle in völlig ausgereifter Höhe, und [JVSi&i \ny~6 erschaffen wor- den2). Zu \r\y~\b erklärt nun Raschi, daß die Geschöpfe zuerst von Gott befragt wurden, ob sie auch wirklich er- schaffen sein wollten und nur, nachdem sie die Frage aus- drücklich bejaht hatten, wurden sie ins Dasein gerufen. Obschon es zur Eigenart Raschis gehört, das Material zu seinen Erklärungen aus weitab liegenden Gebieten herbei- zuschaffen, in seinem Kommentare zu verarbeiten, ohne immer die Quelle zu nennen, aus welchen er seine Daten schöpfte,3), so dürfte sich doch in diesem Falle im rabb. Schrifttum kaum eine Stelle finden, welcher Raschi diese befremdliche Nachricht, daß die noch unerschaffenen Wesen ihre Bereitwilligkeit in die Erscheinung zu treten, schon im Voraus förmlich ankündigen mußten, entnommen. Diese Deutung hat Raschi offenbar aus dem Wortsinne des Aus- druckes \nyib abgeleitet. Ihm bedeutet der Terminus nicht etwa auch die stumme, latente Bereitwilligkeit, sondern die vernehmbar und ausdrücklich kundgegebene Bejahung des Willens zur selbstausgeführten oder auf eigene Ver- anlassung durch Andere vollzogene Handlung.

6) Nur ein einzigesmal4) wird im Verlaufe der Tal- mudischen Diskussion dem nmh die Bedeutung einer still- schweigenden Einwilligung aufgezwungen, um den Wider- spruch zwischen zwei halachischen Normen auszugleichen.

») R. H. 17 a.

*) DJTOl6 ist wohl nicht eine andere Eigenschaft außer fnjnS sondern blos die aramäische Umschreibung des \tylb, um die aga- dische Deutung an DK31t »ihr Wollen« anlehnen zu können. Eine ähnliche Erklärung der hebr. Wurzel xnit Schemot r. 25, 2 Ber. r. 10, 5 und Pseudoraschi das. Tanch. CßBB'D 17. nxi 8. \V2)t bedeutet nirgends Schönheit, Pracht, sondern ausschließlich Willen, Wohlwollen. Vgl. R. H. Tos. Schw. Anuch sst und J. Levy Chald. Wb. 106. II, 312.

3) Beth Talmud II, 134.

*) Erubin 82b. Vgl. D">"irtK DJH hv VTO Arachim 23 a u, Raschi das. in: rt nex«>.

Der Selbstmord nach der Halacha. 293

Aber auch da geht die Erörterung von der allgemeinen Annahme aus nc«i i&6 ssa ,ojiihö, daß man unter ny]b die ausdrücklich abgegebene Willenserklärung zu ver- stehen habe1).

Von dem Begriffumfange des \r\yib hängt nun die ge- naue Bestimmung des \r\yib *6tP ab, welches niemals den konträren, sondern ausschließlich den kontradiktorischen Gegensatz zu \r\yib bildet. Schließt \r\yib auch die ver- schwiegene Einwilligung zur Tat in sich ein, dann be- deutet \r\yib nbw die ausgesprochene Verwahrung. Ist aber unter \nyib im allgemeinen wie auch beim Selbstmorde mors voluntaria die kundgegebene freie Willensäuße- rung zu verstehen, dann ist nyib abv nicht das Gegenteil, sondern die bloße Verneinung des r\yib. Der nicht ge- äußerte Wille, heißt auch nyib xbw2).

Es darf also als gesichertes Resultat festgestellt wer- den, daß der Begriffsinhalt des r\yib sich aus zwei not- wendigen Elementen zusammensetzt: einmal, daß die Tat freiwillig, aus eigener Entschließung, ohne Eingriff zwin- gender Motive oder Kräfte von Außen vollzogen werde, und ferner daß diese Spontaneität des Willens, ehe er durch die Tat zur Erscheinung gelangt, auf unzweideutige Art geoffenbart werden müsse. Wo eines dieser Kriterien fehlt, ist die Annahme geboten, daß die Tat nicht aus freiem Willen erfolgte, wodurch die Verantwortlichkeit und Straf- barkeit des Täters aufhört, oder daß die Tat von einem Andern verübt worden sei, wenn auch der Schein noch so nötigend für den Selbstmord zeugt. Dazu tritt noch, was aber nicht in den Begriffskreis des nyib gehört, als drittes Moment hinzu, daß der Zusammenhang zwischen der An-

') Erubin 82b ähnlich Keritut 13b: -IDK1 1K1? pX"6 »bv 'KD

Wh khj Km.

2) Ähnliche Bezeichnungen dieser Begriffesgegensätze sind

lms by ry-\b, px-6 *bv [snfc Jeb. 14, l. ,ijm ^-k ik r\t\\ lrmton xbv itdiüs.

294 Der Selbstmord nach der Halacha.

kündigung des freien Willens und der Ausführung des- selben ein so enger und überzeugender sein müsse, daß der urteilende Richter dem logischen Zwange unterworfen sei, in der Tat den unmittelbaren Einfluß des freien Wil- lens und im freien Willen das bestimmende Motiv der Tat zu erblicken. Wo auch nur eines dieser drei Merkmale fehlt, muß darauf erkannt werden, daß die Tat nicht in die Ka- tegorie des Selbstmordes gehört.

Hätte die Halacha zuerst die allgemeine abstracte Regel aufgestellt, um dann die allgemeine Bestimmung mit dem einleitenden ws auf spezielle Fälle anzuwenden, so wäre der Sinn des nvih 'V 'o wohl nie strittig gewesen. Sie schlägt aber hier, wie auch sonst so oft den umge- kehrten Weg ein. Sie führt einige konkrete Beispiele vor, um dann aus den gegebenen Fällen die entscheidende De- finition abzuleiten. Aus den angeführten Beispielen geht aber mit Gewißheit hervor, daß sie die Definition des Selbstmordes nach den oben angegebenen Prinzipien kon- stituiert hat. Die Beispiele lauten:

a) Ist jemand erdrosselt an einem Baume aufgehängt oder erstochen über seinem Schwerte hingestreckt gefun- den worden, nyib nbw ibjw T3Kon ripma n? nn, da gilt die Voraussetzung, daß hier kein Selbstmord vorliegt1). Ob- schon die Indizien mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Selbstmord sprechen er liegt über seinem Messer muß doch eher der Vermutung Raum gegeben werden, daß ein anderer den Mord an ihm begangen habe. Es wer- den ihm also die Ehren der Bestattung nicht verweigert. Dasselbe gilt für einen, der ins Meer gefallen, den der Strom fortgeschwemmt oder wilde Tiere zerrissen haben2).

b) Ist jemand vor unseren Augen auf den Wipfel eines Baumes geklettert, hinuntergefallen und gestorben, oder auf die Spitze eines Daches gestiegen, hinunterge-

l) Setnachot 2, 3. Es muß pjttiö pKl gelesen werden. ») Das. 2, 8.

Der Selbstmord nach der Halacba. 295

stürzt und gestorben, wird nicht auf Selbstmord erkannt1). Hier ist die Tat wohl gesehen, aber die Ankündigung der Freiwilligkeit nicht gehört worden.

c) Hat jemand erklärt: Ich steige auf die Spitze des Daches oder des Baumes, stürze mich hinunter, um zu sterben Kundgebung des freien Entschlusses und man sah ihn auf die Spitze des Daches2) oder des Baumes steigen, zu Boden stürzen und sterben enges Nachein- ander und Zusammenhang der Folge mit dem Grunde der allein gilt als Selbstmörder, dem alle Ehrenbezeugun- gen, die man dem Leichnam zu erweisen hat, verweigert werden3). Die späteren Codificatoren haben diese Lehr- sätze nahezu wörtlich4) aufgenommen und zur bindenden Norm erhoben5).

») Das. 2, 2.

') Das. im 31*1 WXlb muß ergänzt werden. 8) Das.

*) Maim. 'jsk 1, fügt zu c nblV HK1 noch DJJD "|"H TD hinzu. Ihm folgt Karo J. D. 345, 2.

») Maim. tat 1, T. J. D. 345.

Wie verhielt sich das Judentum zu lesus und dem entstehenden Christentum?

Von M. Freimann.

(Fortsetzung.) II.

Auf festerem, weil geschichtlichem Boden befinden wir uns bei der Prüfung des Verhaltens des Judentums zu dem entstehenden Christentum. Da sind wir sogar in der Lage, manche bedeutsame Darstellungen der Evangelien zu kon- trollieren und des ferneren, zu beobachten, in welcher Weise und zu welchem Zweck die mündlichen Überlieferungen der nazaräischen Gemeinde Jesu in der apostolischen, ins- besondere aber in der nachapostolischen Zeit, teils un- bewußt, teils aber infolge herrschender Voreingenommenheit, umgedeutet wurden. Es wird sich uns aber auch hier er- geben, daß man nicht berechtigt sei, von einer »jüdischen Verfolgung« Jesu und des entstehenden Christentums zu sprechen.

Beginnen wir gleich mit der Vorgeschichte des Christen- tums, mit der Johanneischen Taufbewegung.

Wie sich das Judentum zu der Hinrichtung des Täufers verhielt, erfahren wir von Josephus, der hierüber folgendes berichtet : »Diesen hatte nämlich Herodes töten lassen, einen vortrefflichen Mann, der die Juden aufforderte, sich der Tugend eifrig zu befleißigen, gegen einander Ge- rechtigkeit, gegen Gott Frömmigkeit zu üben, und so vor- bereitet, sich zur Taufe zu vereinigen; denn dann werde die Taufe Gott wohlgefällig sein, indem sie dieselbe nicht zum Zwecke der Sündenvergebung anwendeten, da ja ihre Seele

Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus etc. 297

schon durch ein gerechtes Leben geheiligt sei, sondern zur Heiligung des Leibes. Da nun von allen Seiten ihm die Massen zuströmten sie wurden nämlich durch seine Rede in tiefste Erregung versetzt begann Herodes zu fürchten, die hinreißende Beredsamkeit des Mannes, die eine solche Macht auf die Menschen ausübe, könnte leicht einen Aufruhr herbeiführen. Er hielt es daher für angezeigter, ihn rechtzeitig aus dem Weg zu räumen, bevor noch irgend eine Neuerung von ihm ausgegangen, als später nach einer bereits erfolgten Umwälzung die Unschlüssigkeit bereuen zu müssen. Auf diesen Argwohn hin wurde Johannes in Fesseln gelegt, nach der Festung Machärus gebracht und daselbst enthauptet. Die Juden aber hegten die Über- zeugung, daß der Tot dieses Mannes die Ursache war von dem über das Heer herein gebrochenen Verderben, da Gott dem Herodes zürnte«1).

Der Pharisäer Josephus verherrlicht hier förmlich den Täufer und zeigt uns, in welche Stimmung die Hinrichtung desselben die Juden versetzt hatte. Diese waren gegen Herodes empört und sahen in der Niederlage, die er bald darauf erlitt, »eine gerechte Strafe Gottes«, weil er den »trefflichen Mann« hatte tödten lassen2).

Die Bewegung, die der Täufer hervorrief, war nicht nur nach der Schilderung der Evangelien, sondern weit mehr noch nach jener des Josephus eine mächtige, und gleichwohl standen ihr die pharisäischen Gesetzeslehrer indifferent gegenüber: nicht die leiseste Erinnerung an die- selbe ist in den Talmud gedrungen.

Die Hinrichtung des Täufers erfolgte, wie aus des Josephus historisch treuer Darstellung zur Gewißheit her- vorgeht, aus politischen Gründen. Der Tetrarch fürchtete,

') Ant. XVIII, 5, 2.

s) Das.: T0T5 Ss 'JouSaioti; 56?; av sxl Tifxtopia Tri sxstvou tov Ö^eö-pov s*rct tco <TToa.TSuu.aTi "(evtc&cLi, toO 0eoö y.axö;

lHptO§7) ftsXoVTO?.

298 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

daß die Taufbewegung zu einem Aufruhr führen könnte, und er beseitigte den Urheber derselben unter starker Entrüstung der Juden.

In den Evangelien erfährt dieser Bericht schon eine dichterische, aber nicht unbeabsichtigte Ausschmückung. Die Färbung verrät die im zweiten Jahrhundert herrschende Stimmung. Hier erscheint der Täufer als Vorbote des Messias und eifernd gegen das »Otterngezücht* der Pharisäer und Sadduzäer. Und nicht aus Furcht vor Umwälzungen, zu denen die von ihm hervorgerufene Bewegung führen könnte, wird er von dem Vierfürsten Herodes ins Gefängnis ge- worfen und enthauptet, sondern »wegen der Herodias, des Weibes seines Bruders Philippus. Denn Johannes hatte ihm gesagt, es ist nicht recht, daß du sie habest«1). Und nun folgt die romanhafte Erzählung von dem Töchterchen der Herodias, das mit seinem Tanze den Vierfürsten berückte und zum Lohne das Haupt des Johannes auf einer Schüssel verlangte und erhielt. Das politische Motiv ist hier völlig unterdrückt. Aus leicht begreiflichen Gründen. Der Täufer durfte nicht als Aufwiegler sterben. Wie leicht hätte dies auf die Vermutung leiten können, daß auch Jesus, weil er ähnliche Besorgnisse erregte, von dem römischen Land- pfleger gekreuzigt worden sei. Liefen doch damals alle von den falschen Messiasen erregten Ansammlungen auf Em- pörung gegen die römischen Tyrannei hinaus. Daher die von Josephus abweichende Darstellung der Evangelien. Daher auch die phantasievolle Erzählung bei Lucas von der Geburt des Täufers und seiner Mutter Beziehungen zu Maria.

In der Folge wurden sogar den ganz präzise lauten- den, über die Johanneische Taufe sich verbreitenden Worten des Josephus ein ihnen völlig fern liegender Sinn unter- schoben, um sie mit dem einschlägigen evangelischen Be- richte in Einklang zu bringen. Bei Josephus stellt Johannes

») Mt. 14, 3-21; Mc. 6, 14-29; Lc. 3, 19-20.

und dem entstehenden Christentum? 299

an die Taufenden die Forderung: »sich eifrig der Tugend zu befleißigen, gegen die Menschen Gerechtigkeit, gegen Gott Frömmigkeit zu üben, und so vorbereitet, sich zur Taufe zu vereinigen; denn dann werde die Taufe Gott wohlgefällig sein, indem sie dieselbe nicht zum Zwecke der Sündenvergebung an- wendeten, da ja ihre Seele sc ho n durch ein geweihtes Leben geh ei ligt sei; sondern zur Heiligung des Leibes«1). Hienach hatte die Taufe als solche keinerlei Kraft der Sündenvergebung, sie lag vielmehr in der vorhergegangenen inneren Umwandlung und Heiligung.

Was aber liest im dritten Jahrhundert Origenes aus diesen so klaren Worten des Josephus heraus ? In seiner Schrift gegen Celsus sagt er: »Ich will Celsus daran erinnern, daß ein Geschichtschreiber, der kurz nach Johannes und Jesus lebte, gleichfalls erwähnt hat, daß Johannes gesandt worden sei zu taufen und daß er zur Vergebung der Sünden getauft habe. Im achtzehnten Buche seiner jüdischen Alter- tümer bezeugt er, daß Johannes getauft und denen, die sich von ihm taufen lassen würden, die Vergebung der Sünden verheißen habe*2).

Hier wird also Josephus als Zeuge aufgerufen, um zugunsten der evangelischen Darstellung das Gegenteil von dem, was er tatsächlich berichtete, auszusagen. Allein gegenüber vielen andern Umdeutungen stellen sich derartige Auslegungen noch immerhin als harmlose Versuche dar.

Wir haben bereits gesehen, welche Umdeutung die

l) oütw Y^p xal tyiv ßdHcnanv aTCoSsjcnriv auTto «pavetofl-at, (Ar) iizl tivcov ä^apTaSwv wapaiTYiffei ypwaevwv, aW 29' ayveCa toQ <7coy.aTO?, &rs Sri xai fYfe ^uj^fte StxaiornivYj Tcposjotad-apjxivr)?.

*) Orig. c. Cels. I, 47: Öti to, 'IwavvYiv yz*(ov£va.i ^OLTZiicvh, ü$ acpsötv ajxap-r'/ijxdcTwv ßae«fi£ovTCC, ävsYpa^e ti? töv [/.st' xoVj tou 'Iwavvou xal tou 'Itiou ysYsv/ifxevwv. 'Ev y*P t<? Ö)gtg>- xai^sjcdiTw t% 'IouSaäyfc äp^aioXoYia; 6 'Iwcr7i7Co; |x«pirupeT t$ 'ItoavvT), («)? ßoMm<7T7i YSY^'l^vw, xai **^pfflOV f°Tl» ßxTciTXjxevot;; e^aYYe^owivw.

300 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

Predigt Jesu selbst in wesentlichen Punkten erfahren. Hier ein weiteres markantes Beispiel: Jesus sendet seine zwölf Apostel aus mit der bestimmten Weisung: »Gehet nicht auf der Heiden Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte, sondern gehet hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel«1). Eines Tags melden ihm die Jünger ein kananitisches Weib, das seine Hilfe in Anspruch nehmen will. Er erwidert geärgert: »Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.« Als aber das Weib dennoch kommt und vor ihm Hilfe flehend niederfällt, antwortet er: »Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und es vor die Hunde werfe«2).

Man mag mit Recht bezweifeln, ob Jesus solche Eng- herzigkeit an den Tag gelegt; Tatsache ist, daß solche Äußerungen von der urchristlichen Gemeinde, die so ex- klusiv war, überliefert wurden. Und ebenso gewiß ist es, daß dieselben landläufig geworden waren ; sonst würde der Evangelist, sie nicht aufgenommen haben, da sie ihm höchst unbequem sein mußten. Denn ein Evangelium, das darauf ausgeht, die heidnische Welt zu gewinnen, wird seinem Verkünder nicht solche die nichtjüdische Welt weit von sich weisenden Worte in den Mund legen.

Wie aber finden sich die Synoptiker, die sich bereits von den Juden abgewendet, um den Heiden das Heil zu verkünden, mit dieser Überlieferung ab ? Ganz einfach. Was der lebende Christ anzudeuten verabsäumt, der auferstandene holt es nach. Er erscheint nach seiner Kreuzigung den Jüngern und spricht zu ihnen: »Gehet hin und lehrt alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes; und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe«3). Lucas, der hier den Wider- spruch stärker als Mathäus und Markus empfindet, bemüht

») Mt. 10, 5-6.

») Mt. 15, 24—26.

3) Mt. 28, 19-20; MC, 16, 15-16.

und dem entstehenden Christentum? 301

sich, ihn abzuschwächen, indem er den auferstandenen Christ sprechen läßt: »Also ist's geschrieben und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Todten am dritten Tag, und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern und anheben zu Jerusalem«:1).

Die Botschaft Jesu, welche die nazaräische Gemeinde aus dem Munde des Meisters empfing und, mehr oder minder verstanden, überlieferte, hatte im Verlaufe eines Jahrhunderts, innerhalb dessen sie, dank der intensiven Missionsarbeit messianistischer Diasporajuden weite Ver- breitung in der heidnischen Welt gefunden, eine gründliche Umgestaltung erfahren. Im Heidentum äußerte sie eine erstaunliche Werbekraft. Nicht so im Judentum, das zuerst von ihrer Wahrheit überzeugt werden sollte, da es »den Vorzug genoß, daß ihm vertraut, was Gott geredet hat«2), »da ihm die Kindschaft gehört, und die Herr- lichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottes- dienst und die Verheißungen, und aus welchem Christus herkommt«3). Dieses aber blieb ihr nach wie vor, zum mindesten in seinem überwiegenden pharisäischen Teil, ferne und unerreichbar. Die ganze Feindschaft des heid- nischen Christentums kehrte sich sonach naturgemäß gegen das ungläubige und widerstrebende Judentum, das, blind gegen die christliche Heilslehre, Zeugnis für dieselbe nicht ablegen wollte. Diese Feindschaft kommt denn auch in den kanonischen Evangelien zum vollsten Ausdruck. Und sie verraten auch darin die umarbeitende Hand, daß in ihnen nicht die »Schriftgelehrten und Pharisäer« sondern Jesus der angreifende und herausfordernde Teil ist, gegen dessen vehemente Angriffe jene sich kaum wehren. Dieselbe passive Rolle spielen auch die Juden in allen uns noch

>) Lc. 24, 46-47. >) Rom. 3, 1—2. s) Rom. 9, 3-5.

302 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

erhaltenen, zwischen diesen und den Christen im zweiten Jahrhundert stattgehabten Kontroversen. Sie sind da überall die Herausgeforderten und verteidigen nur not- gedrungen und ohne Animosität ihre Positionen, wäh- rend ihre Gegner die ganze Schale ihres Zornes über sie ausschütten. In diesem Stile sind die Wehrufe Jesu gegen die »Schriftgelehrten und Pharisäer« gehalten. An den ursprünglichen evangelischen Überlieferungen wurde noch im zweiten Jahrhundert so lange herumkommentiert, bis das national-jüdische Moment aus denselben möglichst entfernt und der Universalismus völlig herausgearbeitet war. Und diese Arbeit leistete die Großkirche in langem Kampfe gegen das Judentum und den Gnostizimus. So ist es denn nicht ganz aus der Luft gegriffen, wenn der Platoniker Celsus noch in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts den Christen vorwirft, es gebe Leute unter ihnen, die ihre Evangelien drei- und viermal verfälschen, bis sie endlich das sagen, was ihnen gut dünkt, um ihre Widersacher widerlegen zu können1).

Aus derartigen von einer späteren Zeit an manchen Aussprüchen Jesu und an alten Überlieferungen vorgenom- menen Umdeutungen entsprangen die vielen Widersprüche, an denen die Evangelien leiden und vornehmlich aus dem Umstände, daß einzelne dieser Aussprüche, weil sie schon landläufig geworden, in ihrer ursprünglichen Form belassen bleiben mußten.

Am anschaulichsten lernen wir das Verhalten des Judentums und seiner Gesetzeslehrer zur Gemeinde Jesu kennen und andererseits die Methode beurteilen, nach welcher geschichtliche Überlieferungen umgemodelt wurden, bis sie nicht selten gerade das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich meldeten, berichten: in der Behandlung, welche die Steinigung des Jacobus, des Bruders Jesu, erfahren.

!) Orig. contra Cels. II, 2.

und dem entstehenden Christentum ? 303

Der rein geschichtliche, von Josephus geschilderte Hergang ist der folgende.

»Der jüngere Ananus, von dessen Erhebung zum Hohenpriester wir gesprochen haben, war von heftiger und höchst verwegener Gemütsart. Dabei gehörte er zur Sekte der Sadduzäer, die, wie schon früher bemerkt, im Gerichte liebloser als alle anderen Juden verfahren. Zur Befriedigung seiner Hartherzigkeit glaubte Ananus, da Festus gestorben, Albinus aber noch nicht angekommen war, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben. Er versammelte den hohen Rat zum Gerichte und stellte vor denselben den Bruder des Jesus [der Christus genannt wird], Jacobus mit Namen, nebst noch einigen Anderen, klagte sie als Übertreter des Gesetzes an und ließ sie zur Steinigung verurteilen. Darüber jedoch wurden selbst die eifrigsten und dem Gesetze ergebensten Bürger vom tiefsten Unwillen erfaßt1). Sie schickten daher heimlich Abgesandte an den König und baten ihn, Ananus brieflich zu verwarnen, damit ähnliche Dinge sich nicht wiederholen; denn was er getan, sei ein schweres Unrecht gewesen. Einige von ihnen gingen sogar Albinus entgegen, der von Alexandria kam und stellten ihm vor, daß Ananus ohne seine Genehmigung den hohen Rat zum Gericht einzuberufen, nicht berechtigt gewesen. Auf diese Anklage hin schrieb Albinus an Ananus im tiefsten Zorn, ihm schwere Strafe androhend. Und der König Agrippa entsetzte ihn schon nach dreimonatlicher Funktion seines Amtes«2).

Kein unvoreingenommener Forscher wird die Richtigkeit dieser Darstellung, die einen schlagenden Beweis für unsere Auffassung liefert, anfechten wollen. Und nun überlege man: der Jude Josephus, Parteigänger der Pharisäer, welche letzteren seit dem Beginne des zweiten Jahrhunderts von

1) 5(JOl Se eSoXOUV £7USlXS<J"*XTOt TÖW Y.V.-ZX TflV 7r6Xtv eivcu,

xal Ta ttept tou; vöjx.ou; äxptßeT;, ßapsox; -fiveYxav iizl toutoi s) Ant. XX, 9, 1.

304 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

der Kirche als die grimmigsten Verfolger Jesu und seiner Gemeinde hingestellt werden, verurteilt nicht nur in ent- schiedenster Weise das an Jacobus verübte Verbrechen; er berichtet des weiteren, daß die frommen und gesetzes- eifrigsten Juden auf das tiefste über dasselbe empört waren und Sühne verlangten.

Dieser Bericht des Josephus erfuhr um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, wo die allgemeine Kirche bereits aus den Kämpfen gegen das jüdische Christentum einerseits und den Gnostizismus andererseits als Siegerin hervor- gegangen war, eine vollständige Umarbeitung. Zunächst durch Hegesipp. Es ist ein ganzer Roman, der uns jetzt geboten wird, der die Tendenz verfolgt, die Steinigung des Jacobus den Pharisäern zur Last zu legen. Hegesipps Hypomneumata sind nicht mehr auf uns gekommen, ver- mutlich weil sie Nachrichten enthielten und Anschauungen vertraten, die der Großkirche nicht mehr förderlich erschienen, und so teilten sie das Los unzähliger anderer in jener Zeit abgefaßter religionsgeschichtlicher Werke. Aber Eusebius hat uns manche Bruchstücke daraus erhalten, zumal solche, die in seine Darstellung paßten, und er berichtet über die Steinigung des Jacobus wie folgt: »Am genauesten schildert das Schicksal des Jacobus Hegesipp, welcher der Apostel- zeit am nächsten lebte, im fünften Buche seiner Kommen- tarien, wo erfolgendes berichtet: Gemeinsam mit den Aposteln übernahm die Leitung der Gemeinde der Bruder des Herrn, Jacobus, der zum Unterschied von vielen anderen desselben Namens der Gerechte genannt wurde. Dieser war schon im Mutterleib heilig. Er trank weder Wein noch sonst scharfes Getränk, noch nährte er sich von Fleischkost . . . Ihm allein war gestattet, in das Heiligtum einzugehen. Er trug kein wollenes sondern ein Leinengewand. Er ging immer allein in den Tempel, wo man ihn auf den Knien liegend und Gott für das Volk um Vergebung flehen sehen konnte. Wegen seiner außerordentlichen Gerechtigkeit

und dem entstehenden Christentum? 305

wurde er der Gerechte genannt. Einige nun von den sieben Sekten im Volke fragten ihn, welches die Tür Jesu sei und er entgegnete ihnen, dieses sei der Erlöser. Denn einige hatten geglaubt, daß Jesus der Messias sei. Die genannten Sekten aber glauben weder an eine Aufer- stehung, noch daß einer kommen werde, jedem nach seinen Werken zu vergelten. Wer aber gläubig geworden, ward es durch Jacobus. Da nun auch viele von den Häuptern des Volkes glaubten, so entstand unter den Juden, Schrift- gelehrten und Pharisäern eine Unruhe, und sie sagten, es scheine, daß das ganze Volk Jesum als den Christ erwarte. Sie gingen daher zu Jacobus und sagten zu ihm: wir bitten dich das Volk zurückzuhalten, da es inbetreff Jesu die irrige Meinung hegt, er sei der Christ. Wir bitten dich, alle zum Passahfest Erscheinenden betreffs Jesu auf den richtigen Weg zu bringen, damit es nicht irregehe. Stelle dich auf die Spitze des Tempels, damit dich alle sehen und das ganze Volk dich höre. Die genannten Schriftgelehrten und Pharisäer stellten ihn auf die Spitze des Tempels und riefen ihm die Worte zu: du Gerechter, dem wir alle glauben müssen, da das Volk in seinem Irrtum dem gekreuzigten Jesus folgt, sage uns, welches ist die Türe Jesu, des Gekreuzigten? Da antwortete Jacobus mit lauter Stimme: was fragt ihr mich wegen Jesus, des Menschen Sohn? Er sitzt im Himmel zur Rechten der großen Kraft und wird einst mit den Wolken des Himmels kommen. Da ihm nun viele beistimmten und Jesum wegen des Zeugnisses des Jacobus priesen und riefen: Hosana dem Sohne David, da sprachen wieder dieselben Schriftge- lehrten und Pharisäer zu einander: wir haben es schlimm angefangen, Veranlassung zu einem solchen Zeugnis für Jesus zu geben; laßt uns hinaufgehen und ihn hinab- werfen, damit sie sich fürchten und ihm nicht glauben! Und sie riefen und schrien: 0, auch der Gerechte steckt im Irrtum! Und sie erfüllten das Prophetenwort: laßt uns

Monatitchrift, 55. Jahrgang. 20

306 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

den Gerechten aus dem Wege schaffen, denn er ist uns hinderlich; sie werden aber die Frucht ihrer Werke genießen. Sie gingen demnach hinauf, warfen den Gerechten herab und sprachen zu einander: Laßt uns Jacobus den Gerechten steinigen. Und sie begannen ihn zu steinigen; denn er war noch nicht tod, sondern hatte sich umgewandt nach dem Sturze und betete auf den Knien: Ich bitte Dich Herr, Gott Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. Während sie ihn so steinigten, rief einer von den Priestern von den Söhnen des Rachab des Sohnes Rechabim, von welchem der Prophet Jeremia Zeugnis ablegt: haltet ein! was tut ihr? der Gerechte betet für euch. Da nahm einer von ihnen, ein Walker, ein Holz und schlug damit den Gerechten auf den Kopf. Auf diese Art fand Jacobus den Märtyrertod. Sie begruben ihn auf demselben Platze, und noch jetzt ist sein Grabmal bei dem Tempel zu sehen. Dieser Jacobus ist Juden und Griechen ein wahrhaftiger Zeuge geworden, daß Jesus der Messias. Kurz darauf überzog Vespasian Judäa mit Krieg und führte seine Be- wohner in die Gefangenschaft«1).

Soweit der von Eusebius ausgezogene Bericht des Hegesipp über die Steinigung des Jacobus.

Jeder Unbefangene wird hier leicht herausfinden, wo Wahrheit und wo Dichtung ; wo historische Treue und wo Tendenz. Und doch ist die Kirchengeschichte der Dar- stellung des Hegesipp gefolgt und hat dieselbe bis auf den heutigen Tag das Feld behauptet. Es ist kein Zweifel, daß der dichterischen Schilderung des Hegesipp Josephus als Quelle gedient hat. Und wie frei hat, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, Hegesipp mit dem überlieferten Stoff geschaltet! Bei Josephus ist der Mörder des Jacobus ein hartgeherzter, gewalttätiger sadduzäischer Hoherpriester ; bei Hegesipp legt sich ein Priester ins Mittel zugunsten des Märtyrers. Bei dem ersteren sind es gerade die eif-

') Euseb. H. E. II, 23.

und dem entstehenden Christentum? 307

rigsten Juden, ihre Schriftgelehrten, »die dem Gesetze Ergebensten«, welche am tiefsten entrüstet sind über die Steinigung des Jacobus und ungestüm Bestrafung des Urhebers verlangen ; bei dem letzteren sind die »Schrift- gelehrten und Pharisäer« die einzig Schuldigen : sie spre- chen das Urteil über Jacobus und legen selbst Hand an ihn. Wir befinden uns eben im zweiten Jahrhundert, in welchem immer und überall, wo die Christusgemeinde, sei es im Innern durch häretische Sekten, sei es von außenher, zu leiden hat, die Urheber und Übeltäter die »Schriftgelehrten und Pharisäer« sind.

Aber damit hat die Sache noch keineswegs eine end- giltige Erledigung gefunden. Der Bericht des Josephus war einmal da, und obgleich er der Darstellung des Hegesipp stracks widersprach, durfte er doch nicht beseitigt werden, da er ja Zeugnis für die Steinigung des Jacobus ablegte. Da galt es, die Hauptdifferenz in beiden Darstellungen zu beseitigen, die darin lag, daß Hegesipp die Urheber der Steinigung ganz anderswo sucht als Josephus. Und nun begann die Auslegungs- und Unterlegungsarbeit. Es mußte irgendwie eine Übereinstimmung zwischen beiden ange- bahnt werden.

Wir haben bereits an einem Beispiel gezeigt, wie Origenes die Auffassung der Johanneischen Taufe zur Übereinstimmung mit der evangelischen zwingt. Nach der- selben Methode wird auch hier, inbezug auf die Steinigung des Jacobus, vorgegangen. Origenes liest eben aus Jo- sephus heraus, was dieser niemals niedergeschrieben ; er liest ihn eben mit dem Hegesipp'schen Kommentar. Im ersten Buche gegen Celsus sagt er wörtlich : »da Jo- sephus, der doch Jesum nicht als den Christ anerkannt1), nach den Ursachen forscht, warum Jeru-

*) Hier zeigt sich unwiderleglich, daß die vielbekannle Christus- stelle bei Josephus Ant. XVIII, 3, 3 eine später eingeschobene, da Origenes sie noch nicht kennt. Er würde sie sonst sicher immer

20*

308 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

salem zerstört und der Tempel eingeäschert wurde, so sagt er zwar nicht, was er sagen sollte, daß nämlich dieses Unglück die Juden betroffen, weil sie Jesus ver- folgt und den von den Propheten verheißenen Messias ge- kreuzigt haben, er kommt aber gleichwohl der Wahrheit nahe. Denn er sagt: dieses Elend sei den Juden darum wi de rf ah ren, damit der Tod desJacobus, des Gerechten, der ein Bruder Jesu war, den man den Christ nannte, an ihnen gerächt werde, den sie un- geachtet seiner großen Frömmigkeit und Gerechtigkeit hin- gerichtet hatten«1). Und im zweiten Buche gegen Celsus wiederholt Origenes diese Behauptung, bemerkend : »Jo- sephus meint, dieses Unglück habe die Stadt Jerusalem betroffen, weil die Juden Jacobus den Gerechten, den Bruder Jesu, genannt der Christ, getötet haben«2).

Das aber ist bei Josephus nirgends zu finden. Es ist viel- mehr in ihn hineingelesen worden, um den zwischen seinem und Hegesipps Jacobusberichte herrschenden krassen Wider- spruch wenigstens einigermaßen zu verschleiern und dem Judentum die Schuld für die Steinigung des Jacobus zur Last zu legen. Denn das verlangten die Zeitverhältnisse, aus denen heraus Hegesipp schrieb. Darum deutet auch Hegesipp an, daß der Untergang Jerusalems die Strafe war für das von den Juden an Jacobus begangenen Verbrechen; indem er seinen Bericht mit den Worten schließt: »Kurz

wieder aufgerufen und gewiß nicht behauptet haben, Josephus habe Jesum nicht als den Christ anerkannt: xairoi vs ärciTTöW t<3 'Ititoü w? yjpiGTÜ. Während doch Josephus in der eingeschobenen Stelle Jesus fast ins Übermenschliche erhebt, erklärend, er sei der Christ : 6 £pt?To; outo; tjv.

') Orig. c. Cels. I, 47: 6 Üi [Wot/ito;], xxl ««rrcep or/.cov o-i {jLaxfav Tr& aXv)^sia? y£v^svo;, (pvjrrl txuto. <7'j(Aßsßyi"/.evai toT; 'Iouöxiot; xar' sxöuajffiv Maxwßou to-j oV/.afou, o; r,v ä&sXpö; lr,ToO

TOU 'XsyojJ'-SVO'J /jHTTOO, STCSlS'OTCSp öY/tXIOTXTOV XÜTÖV OVT3C aTCiXT EIVXV.

■j ib. II, 13: a>; jjlsv Iio?7)tco<; XP*?81j ^'* 'I&Koßov rdv &XKIOV,

tov aSeX<pöv 'Iy)7ox toO Xsyoaevou ^ptTTOü xtX.

und dem entstehenden Christentum ? 309

darauf überzog Vespasian Judäa mit Krieg und führte seine Bewohner in die Gefangenschaft«. Eine Behauptung, der Origenes widerspricht, das Unglück, meint er, sei vielmehr von den Juden dadurch herbeigeführt worden, daß sie Je- sum verfolgten und kreuzigten.

So blieb es denn dabei, daß die Juden Jacobus ge- steinigt und daß Josephus selber diese Tatsache verzeichnet habe. Das schreibt denn auch Eusebius dem Origenes nach, indem er zu dem von ihm zitierten Berichte des Hegesipp bemerkt: »Jacobus aber stand in so hohem Ansehen und in solchem Rufe wegen seiner Gerechtigkeit bei allen, daß auch die Verständigeren unter den Juden glaubten, daß sein Märtyrertod die Ursache der bald erfolgten Belagerung von Jerusalem gewesen und daß diese aus keinem andern Grunde erfolgt sei als wegen der an Jacobus begangenen Blutschuld. Josephus wenigstens trägt kein Be- denken, dieses auch zu behaupten, wenn er sagt: »dieses traf die Juden als Strafe dafür, daß sie an Jacobus dem Gerechten, welcher war ein Bruder Jesu, des sogenannten Christus, gefrevelt: denn ihn hatten die Juden, obwohl er ein gerechter Mann war, getötet«1).

Nun erfahren wir auch, durch wen in den Jacobus- bericht des Josephus, »welch letzterer doch Jesum nicht als den Christ kannte«, die Worte: »Jacobus der Bruder Jesu, Christus genannt«, eingeführt wurden. Soviel uns be- kannt, ist Origenes der erste, der sie in den Josephus hineinlas.

Wir sind also in der Lage, an zwei der bedeutsamsten,

J) Dasselbe wiederholt auch Hieronymus im ersten Buch gegen Jovinianus: »Jacobus« sagte er— »der Bruder des Herrn genannt, war so heilig, gerecht und jungfräulich, daß der jüdische Geschicht- schreiber Josephus behauptet, Jerusalem habe sich durch sein Blut den Untergang zugezogen : Transeamus ad Jacobum, qui frater Domini dicebatur, tantae sanctitatis tantaeqae justitiae et perpetuae virginitatis, ut Josephus quoqae historicus Indaeorum propter huius necem Jerosolymam subuersam referat.

310 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

aus der Urzeit des Christentum uns überlieferten histori- schen Geschehnissen das Verhalten des pharisäischen Ju- dentums zum Christentum zu prüfen und gleichzeitig die ursprüngliche Version in der ihr im zweiten Juhrhundert gewordenen Beleuchtung zu sehen. Und welches ist das Resultat, das sich aus dieser Zusammenstellung ergibt? Ein doppeltes: zunächst, daß die ältesten, über den Täufer und über Jacobus bei Josephus uns erhaltenen Nachrichten nicht nur nichts von einer jüdischen Verfolgung der Verkünder der neuen Lehre wissen, daß sie im Gegenteil von Sym- pathien berichten, die das gesetzestreue Judentum der ur- christlichen Bewegung entgegenbrachte und von einer tief- gehenden Entrüstung, die es gegen die Verfolger derselben erfüllte. Auf der andern Seite zeigt sich die christliche Darstellung derselben Begebenheiten von der ins Auge springenden Tendenz beherrscht, das Judentum in den ent- schiedensten Gegensatz zum Christentum zu stellen und ihm tötlichen Haß gegen das letztere zu unterschieben. Diese so unentwegt und so konsequent verfolgte Tendenz hat es schließlich dahin gebracht, daß das Urteil über das Verhalten des Judentums zum Urchristentum vollständig getrübt wurde, daß das Verständnis für die gegenteilige Darstellung des Josephus und für mancherlei mit dieser übereinstimmende Andeutungen in den neutestamentlichen Schriften immer mehr abhanden kam, und daß für alle Zeiten die Urfeinde des Christentums: »die Schriftgelehrten und Pharisäer« blieben. Die Richtigkeit der Angaben des Josephus vermögen nur noch jene zu würdigen, welche die pharisäischen Gesetzeslehrer und die innerhalb des pharisäischen Judentums im Zeitalter Jesu herrschenden religiösen Bestrebungen aus dem Talmud kennen. Diese werden es aber auch nicht mehr paradox finden, daß die pharisäischen Gesetzeslehrer, die in ihrer eigenen Mitte gegen ketzerische, gesetzesverachtende, die Auferstehung leugnende und ditheistisch gerichtete Juden schwer zu

and dem entstehenden Christentum? 311

kämpfen hatten, Sympathien für die asketisch-frommen Messianisten, die treu zum Gesetz hielten, den Glauben an die Auferstehung zum Kardinaldogma machten, den einigen Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs anbeteten, empfunden haben sollten. Die Apostelgeschichte ist in diesem Falle sicherlich eine völlig unverdächtige Zeugin. Sie erzählt von einem Volksauflauf, der gegen die Apostel von den Hohen- priestern und den Sadduzäern hevorgerufen wurde. Jene wurden vor den Rat gestellt. »Da stand aber auf im Rat ein Pharisäer mit Namen Gamliel, ein Schriftgelehrter, in Ehren gehalten von allem Volk und hieß die Apostel ein wenig hinausgehen und sprach zu ihnen: »Ihr Männer von Israel, nehmt euer selbst wahr an diesen Menschen, was ihr tun sollt«. Hierauf wirft er einen Rückblick auf die jüngst- vergangenen pseudo-messianischen Bewegungen und schließt seine beschwichtigende Ansprache mit den Worten: »Und nun sage ich euch: laßt ab von diesen Menschen und laßt sie fahren. Ist der Rat oder das Werk aus dem Menschen, so wird's untergehen; ist's aber aus Gott, so könnt ihr's nicht dämpfen; auf daß ihr nicht erfunden werdet, als die wider Gott streiten wollen«1).

So schildert selbst die Apostelgeschichte die Stimmung der führenden pharisäischen Schriftgelehrten gegen die Apostel Jesu; und sie zeichnet hier naturgetreu. Dieser Bericht könnte ebensogut im Talmud stehen, und er würde hier nicht im mindesten auffallen. Freilich darf man da nicht an die herrschsüchtigen Pharisäer der hasmonäischen Periode und insbesondere der Zeit der Alexandra Salome denken, wo sie sich an die Regierung herandrängten und die Zügel derselben in die Hände zu bekommen trachteten. Seit Herodes war der politische Pharisäismus tot, und die Gesetzeslehrer, die religiösen Führer des Volkes, hatten nunmehr nur die eine Ambition: ihre Fähigkeiten und ihr Wissen dem Lehrhaus zu widmen, sie ausschließlich in den

») Apg. 5, 34-39.

312 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

Dienst des Ausbaues der Traditionslehre zu stellen. Darin lebten und webten sie weitabgewandt und keine Fühlung suchend mit dem das Gesetz nur lax beobachtenden »Land- volke«. Und die urchristliche Bewegung war eine eminent landvolkliche, die der Einflußnahme der pharisäischen Gesetzeslehrer völlig entrückt war. Sahen sich die letzteren überhaupt zum Kampfe genötigt, so waren die Herausfor- derer sicherlich Sektierer aus ihrer eigenen Mitte, schrift- kundige Minäer, die, wie R. Tarphon in tiefster Erbitterung ihnen nachsagt, »erkennen und dennoch leugnen«, Minäer von Bedeutung eines »Acher«, die das Gesetz ver- warfen, zwei Gottheiten annahmen, die leibliche Auferstehung leugneten, »die Fackel der Zwietracht zwischen Israel und seinen himmlischen Vater schleudern«1). Die religiösen Be- wegungen im »Landvolke« aber, in den Kreisen der »ver- lassenen Schafe aus dem Hause Israel«, lagen ihnen ferne und waren umsoweniger geeignet sie zu erhitzen, als sie ja weder Gott und sein Gesetz noch die pharisäische Auf- erstehungslehre antasteten.

Nach solchen Proben tendenziöser Umarbeitung von Überlieferungen aus urchristlicher Zeit, soweit sie sich auf das Verhältnis des Judentums zu Jesus und seiner Gemeinde bezogen, wird wohl die Frage gestattet sein : ob es anzu- nehmen sei, daß dieselben gesetzeseifrigen Juden, welche die Hinrichtung des Täufers so tief beklagten, in der Stei- nigung des Jacobus ein nach Sühne schreiendes Verbrechen sahen; daß Häupter der pharisäischen Gesetzeslehrer, wie Gamaliel, welche gegen die Apostel Jesu Toleranz geübt wissen wollten, gegen Jesus selbst, der sich niemals den Sohn Gottes nannte, sich niemals öffentlich für den Messias erklärte, der überdies das Gesetz verherrlichte und es als unvergänglich pries; soviel Ingrimm gehegt und mit wilden Geberden seine Kreuzigung erzwungen haben sollten? Ich

») Sabbath 116 a u. Par.

und dem entstehenden Christentum? 313

für meine Person vermag für eine so schreiende Diskrepanz keine Erklärung zu finden.

Es ist doch wahrlich endlich an der Zeit, daß einmal von unbefangener Seite der grundfalschen und irreführenden zum Dogma erstarrten Ansicht, nach welcher das pharisäi- sche Judentum von Anbeginn der Erzfeind Jesu und des Christentums gewesen, und daß von ihm alle Verfolgung des letzteren ausgegangen, mit aller Entschiedenheit ent- gegengetreten werde. Und es wäre in der Tat unsagbar traurig, wenn man noch heute nicht, wo bereits so tiefe Einblicke in das Dunkel der Entstehungsgeschichte des Christentums gewonnen wurden, dieses schwere Vergehen an dem Geist der Geschichte und der Menschenliebe sühnen wollte.

Es ist ja übrigens gar kein Kompliment für den Pha- risäismus, wenn gezeigt wird, wie wenig Aufmerksamkeit er der tiefgehenden und weitverzweigten religiösen Bewegung innerhalb des »Landvolkes« widmete, wie wenig Be- ziehung er zu dem letzteren hatte und unbekümmert um dasselbe sich in seine, den Verkehr mit der Außenwelt erschwerenden Traditionslehre vertiefte, die Dinge draußen gehen lassend, wie es Gott gefällt. »Ist der Rat oder das Werk aus den Menschen« dabei beruhigt sich und seine Umgebung über die Fortschritte der urchristlichen Bewe- gung das pharisäische Schuloberhaupt Gamaliel »so wird es untergehen; ist es aber aus Gott, so könnt ihres nicht dämpfen«. Das war tatsächlich die Stimmung, von der die »Schriftgelehrten und Pharisäer^, die damaligen Reprä- sentanten des palästinensischen Judentums, beherrscht waren, das war der Standpunkt, den sie Jesu und seinen Aposteln gegenüber einnahmen. Das findet jeder bestätigt, der sich mit möglichster Unvoreingenommenheit in das Wesen des Pharisäismus, wie es uns aus dem Tal- mud entgegentritt, zu vertiefen sucht. Die evangelische Darstellung desselben aber baut sich erst auf dem späteren,

314 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

Judentum und Christentum gewaltsam auseinander deu- tenden und auseinander reißenden Paulinismus auf.

Ein gewichtiges, bereits oben angedeutetes Bedenken scheint unserer Auffassung, nach welcher weder Jesus selbst noch die urchristliche Gemeinde schwere Verfolgungen von den Juden auszuhalten hatten, im Wege zu stehen. Man wird uns sicherlich entgegenhalten, daß ja die Apostel- geschichte berichte, es habe sich gelegentlich der Steini- gung des Stephanus »eine große Verfolgung über die Gemeinde zu Jerusalem erhoben.« Wer aber vermöchte zu beweisen, daß dieses eine Christen- verfolgung gewesen und daß dieselbe von dem pharisäi- schen Judentum ausgegangen ? Stephanus, ein gesetzes- freier jüdischer Hellenist und Diakon der urchristlichen Gemeinde, wird als Verkünder antinomistischer Ten- denzen in einem Volksauflauf gesteinigt. Die Erreger dieses Aufruhrs sind keineswegs pharisäische, sondern christ- gläubige Diasporajuden; denn sie kommen, wie die Apostelgeschichte ausdrücklich hervorhebt, aus der Syna- goge, »die da heißt der Libertiner und der Kyrener und der Alexandriner und derer, die aus Kilikien und Asien waren*1). Nicht Christgläubige sondern Gesetzes- verächter werden hier angeklagt. Das spricht sich ganz unzweideutig darin aus, daß nach der Steinigung des Ste- phanus seine engeren Gesinnungsgenossen, die gesetzes- freien Christen, Jerusalem verlassen mußten, während die Apostel Jesu, welche gesetzestreu waren, nach wie vor völlig unangefochten in Jerusalem bleiben und ungehindert ihre christliche Propaganda betreiben durften. Hätte aber diese »Verfolgung« den Christen als solchen gegol- ten, so wären doch offenbar die Häupter der Gemeinde in erster Linie von ihr betroffen worden. Diesen aber wurde kein Haar gekrümmt. Hier kämpften eben gesetzestreue gegen gesetzesfreie Christen, und die ersteren standen dem

*) Apg. 9, 6

und dem entstehenden Christentum ? 315

pharisäischen Judentum ungleich näher als dem gesetzes- freien hellenistischen Christentum.

Allein der Kirchengeschichtsschreiber Eusebius läßt nun einmal »die erste , Christenverfolgung' nach dem Märtyrertod des Stephanus von den Juden selbst verhängt« worden sein1) ; und es blieb dabei bis auf den heutigen Tag. Mit Eusebius behauptet Hausrath noch in seiner letz- ten, jüngst erschienenen populären Darstellung der urchrist- lichen Geschichte: »Seit diesem ersten Konflikt zu Jeru- salem kamen nun stoßweise jüdische Christen- verfolgungen vor«2). Und ebenso schreibt er dem Eusebius den folgenden Satz kritiklos nach : »Während Paulus in Cäsarea gefangen lag, begannen, vielleicht durch seine Konflikte mit dem Synhedrium veranlaßt, in Jerusalem Christenverfolgungen von Neuem, denen schließ- lich der Vorsteher Jakobus zum Opfer fiel. Da der Prokura- tor den Paulus ihren Händen entzogen hatte, hielt sich der Haß der Juden durch Steinigung des Jaco- bus schadlos«3). Und doch muß Hausrath in demselben Buche angesichts des unzweideutig lautenden Jacobus- berichtes bei Josephus sein früheres Urteil dahin korri- gieren: »daß die Pharisäer an dem Blute des Jacobus unschuldig*4). Soviel Inkonsequenz und Rat- losigkeit infolge eines heißen Bemühens, »jüdische Ch ri sten Verfolgungen« im apostolischen Zeitalter entdecken und verzeichnen zu können.

Und was endlich die tumultösen Auftritte betrifft, die der Heidenapostel wiederholt hervorgerufen, so waren seine Gegner in den meisten Fällen nationalgesinnte, ge- setzestreue, kurz gesprochen, nazaräische Christen, die sich über seine gesetzesfreie Predigt entrüsteten und ungestüm

!) H. E. II, 1.

J) Hausrath, Jesus und die neutestamentl. Schriftsteller, S. 149 f. s) Da3. S. 545. *) Das. S. 583.

316 Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus

seine Entfernung verlangten. Das waren die erbittertsten Gegner des Paulus, die überall das Volk gegen ihn auf- regten. >Du siehst« sagt Jacobus zu Paulus, von seinem Erscheinen in Jerusalem Unruhen befürchtend »du siehst, wie viel tausend Juden sind, die gläubig geworden sind und sind alle Eiferer über dem Gesetz. Sie sind aber berichtet worden wider dich, daß du lehrst von Moses abfallen alle Juden, die unter den Heiden sind und sagst, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden, auch nicht nach derselbigen Weise wandeln. Was denn nun?«1)

>) Apg. 21, 20, 21.

(Fortsetzung folgt.)

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen

Zeitalter.

Neue Folge.

Von Simon Eppenstein.

IV. Saadja Gaon, sein Leben und seine Schriften.

(Fortsetzung.)

Ob nun Saadia noch nachher als Gaon gewirkt hat oder nicht, darüber lauten die Berichte nicht ganz überein- stimmend. Nach Angaben Scherira's, die in allen Punkten, außer da, wo er selbst das Gegenteil bemerkt1), den Stempel der Zuverlässigkeit tragen, hat Saadja im ganzen 14 Jahre amtiert2), so daß er bis zu seinem Tode das Gaonat be- kleidet hat, und dasselbe geht auch aus den Mitteilungen Nathan Babli's hervor, der ausdrücklich sagt, daß der frü- here Gegengaon Joseph ben Jakob nun, ohne jegliche Funktion, nur mehr die Einkünfte der Würde bezog und nach Saadja's Tode amtiert hat3). Demgegenüber, glaube ich, kommt der Bericht Abraham ibn Daüd's, daß dieser nicht mehr das Gaonat ausgeübt hat und seine letzten Lebensjahre in MelanchoHe dahinbrachte*), kaum in ernst- haften Betracht. Einen Mann wie Saadja, der die schwerste Zeit der Anfeindungen sieben Jahre hindurch in unver- mindeter geistiger Spannkraft gewirkt hat, dürfte schwerlich eine solche Gemütsstimmung bezwungen haben, zumal

*) Vgl. sein Eingeständnis betreff der mangelhaften Kenntnis von den Zuständen in Sura, bei Neubauer I, S. 36.

*) Vgl. a. a. O. S. 40 "W "V myD S"i löT VV ^3. s) Vgl. Neubauer a. a. O. II, S. 82-83. *) Vgl. Neubauer a. a. O. I, S, 66 oben.

318 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

ihm die vollste Genugtuung geworden war, die ihn man- ches früher erfahrene Leid vergessen machen konnte. Wir dürfen wohl annehmen, daß Saadja in den nun folgenden Jahren sich teils der Ausgestaltung seiner halachischen Schriften, teils der erneuten Bearbeitung seiner Bibel- erklärung gewidmet hat ; vielleicht gehört dieser Zeit auch die einfache Pentateuchübersetzung an.

Jedenfalls hat der rastlos schaffende Mann unermüd- lich auf dem Gebiet der Wissenschaft gewirkt, und die wiederholte Mühe, die er auf seine Werke verwendete, legt Zeugnis davon ab, wie er seine Aufgabe auffaßte. Umsomehr müssen wir es bedauern, daß sein Leben im Jahre 942 so früh endete, und, daß der Mann, dessen Herz so warm für des Judentums Ehr und Wehr schlug, gerade in dem Alter von 50 Jahren, in dem er, nach den Worten unserer Weisen nitj^> D'tfen p mit seinem nach allem Kämpfen abgeklärten Rat die geistige Führung des Volkes noch länger hätte segensreich ausüben können, aus seiner Tätigkeit gerissen wurde. Gleich den zur Arbeit am Heilig- tum berufenen Leviten, hatte er in schwerer Zeit, wo es galt, dieses immer wieder aufzurichten, bis zur Ermattung der Kräfte gewirkt, und in dem Alter, wo diese Diener des Volkes vom Schauplatz der Arbeit abtraten, konnte auch er sein Lebenswerk abschließen. Dieses aber war, in umge- kehrten Verhältnis zu der Kürze seines Erdendaseins, ein unendlich reiches, über den Tod hinaus segensvoll wirken- des. Wohl konnte er dem Gaonat dauernden Glanz nicht mehr verleihen, da die Zeitumstände eine andere Gestaltung der Dinge mit sich brachten, wohl haben die Kämpfe der Karäer gegen das Rabbanitentum nicht aufgehört, aber das sogenannte Ketzertum konnte durch seine rastlosen Bemühungen als unschädlich ge- macht, betrachtet werden.

Das Karaeertum hatte wohl eine bedeutendere Autori- tät, die noch in den letzten Lebensjahren Saadja's wirkte,

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 319

in Jakob Kirkissani1) oder Karkassani2), der i. J. 937 938 sein großes Werk über den Pentateuch, p'jnn^Ki fwnb» 2«fiDf »Buch der Gärten und Beete«, mit dem für die Sekten- geschichte so aufschlußreichen Gesetzbuch inijk^k *KfO 2p&nai?Ki »Buch der Leucht- und Warttürme«, verfaßte; aber gerade das offene Eingeständnis dieses Schriftstellers für die Schwächen seines Bekenntnisses und der ruhige Ton seiner Polemik gegen Saadja den er unter Ande- rem wegen seiner Theorie über das hohe Alter des Kalen- ders angriff beweisen, wie sehr der große Gaon auf- klärend gewirkt hatte. Wenngleich später gehässige Karaeer, wie Salmon ben Ruheim, der erst ungefähr ein Jahrzehnt nach Saadja's Tod schriftstellerisch gewirkt hat, mit großer Erbitterung gegen ihren so gefährlichen Gegner auftreten3), wenn der mehr produktive als originelle Jefet ben Ali4) und Andere Angriffe gegen den Fajjumiten richteten, die Aktions- kraft des Karäismus war geschwächt, denn jenem war es gelungen, wie unsere Weisen es so prägnant und vielsagend ausdrücken: Gerüst b& p^ö K'Xir6, die Bekämpfer der Tradition gleichsam ins Herz zu treffen und ihren wuchtigsten Angriffen die treffende Schärfe zu nehmen, so daß es nur noch stumpfe Waffen waren. Wohi hat sich der Kampf gegen Saadja bis in's neunzehnte Jahrhundert fortgesetzt5), aber es gelang den Karaeern nicht, ihr Vernichtungswerk an Saadja's gegen sie gerichteten Werken zu vollführen. Wenn uns auch die Schrift gegen Anan bis jetzt nicht wieder aufzufinden geglückt ist, so hat in letzter Zeit die Geniza aus der Heimat des Gaon manches wertvolle Fragment von

') Vgl. über ihn jetzt Poznanski in The Karaite literary oppo- nents etc., S. 8 11.

*) Über diese Schreibung vgl. Harkavy im Hagoren VI., S. 29.

8) Vgl. über ihn jetzt Poznariski a. a. O., S. 12—14.

4) Vgl. a. a. O,, S. 20—30.

6) Vgl. die Zusammenstellung in dem obengenannten Werk Poznanski's.

320 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

seinen anderen antikaräischen Schriften zu Tage gefördert, nachdem andere Autoren des Mittelalters uns mehreres davon überliefert hatten. Die größte Genugtuung muß es aber für das Andenken Saadja's sein, daß der letzte dieser seiner Gegner, der hochbetagt i. J. 1874 gestorbene Abra- ham b. Samuel Firkowitsch, aus einem heftigen Feind ein reumütiger Verehrer des großen Mannes geworden ist1). Liegt so in dieser Tatsache eine Bewahrheitung des Wortes der Schrift in Spr. 16,7: in» D^»»' vtik dj BPH »am 'n mn% daß dieses Friedenswort aus Feindesmund ein Zeugnis für sein im Sinne der Vorsehung wohlgefälliges Werk ist, so erhöht sich dieses noch dadurch, daß gerade durch Firkowitsch's Sammeleifer uns Teile des Agrön, des Sefer Hagaluj und der, besonders Antikaräisches enthaltenden exegetischen Schriften desGaon erhalten wor- den sind, wodurch in wesentlicher Hinsicht ein neues Licht auf den Lebens- und geistigen Werdegang Saadja's gefallen ist; auch hier bewahrheitet sich das Wort von der Kraft, die das Böse will und doch das Gute schafft.

Neben dieser mehr auf negativer Seite liegenden Be- deutung Saadja's kann nicht genug seine positiv erhaltende und wissenschaftlich erleuchtende Tätigkeit hervorgehoben werden. Er hat seinem Namen volle Ehre bereitet, er hat den altehrwürdigen Bau des Judentums mit den beiden star- ken Säulen der Verpflichtung zur Tradition und der auf einer gesunden Vernunftentwick- lung beruhenden Wissenschaft gestützt; er hat unseren so heftig wegen seiner Treue an der Überlieferung angegriffenen Stamm mit dem stärkenden Brot der Lehre der Wahrheit gelabt und gekräftigt, so daß das Judentum noch heut als eine lebensfähige Gemeinschaft dasteht, und auch ferner bestehen wird, sofern es nicht durch Preisgabe der Tradition und Nachahmung der, gleich den Praetentionen des Karaeer, mehr das äußere Gewand

») Vgl. Poznariski a. a. O., S. 92-93.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 321

als den wahren inneren Gehalt der Wissenschaft aufwei- senden literarischen Bestrebungen, selbst die stützenden Säulen seines Gebäudes umstürzt.

Die Darstellung von Saadja's Wirken wäre aber nicht ganz vollkommen, wenn nicht noch auch sein Sohn Dosa und einige seiner Schüler in Betracht gezogen würden. Ersterer, jedenfalls erst in den letzten Lebensjahren des Va- ters geboren, hat dessen Unterricht nicht mehr genossen1). Indes hat er, wenn auch in der nur bescheideneren Rolle eines Richters, verdienstlich als Gesetzeslehrer gewirkt und auch philosophisch sich betätigt. Er erreichte ein hohes Alter und stand auch außerhalb Babyloniens, wie z. B. bei Hasdai ibn Schaprut, in hohem Ansehen.

Von Saadja's Schülern ist ein gewisser Ben Ephraim aus Palästina zu nennen, dessen vollständiger Name wahr- scheinlich lautete: Jakob ben Samuel Ben Ephraim8). Noch bei Lebzeiten des Gaon trat er schriftstellerisch auf und führte eine lebhafte Polemik mit dem Karäer Jakob Kir- kissani, deren Gegenstand Themen allgemein dogmatischen, wie auch ritualen Inhaltes waren. Sein Auftreten in dieser Hinsicht trug ihm auch eine Fehde mit Salmon ben Ruheim ein, und von seiner Erwiderung auf dessen Angriffe wegen der Verbindlichkeit der Tradition und der Wertlosigkeit des Talmuds infolge der in ihm sich kundgebenden Meinungsver- schiedenheiten — die, wie bei den Schammaiten und Hilleliten angeblich sogar zu Tätlichkeiten führten sind sehr wahr- scheinlich einige interessante Fragmente noch auf uns ge- kommen3). Er hat auch ein Werk verfaßt über Widersprüche

*) Vgl. die eingehende Studie über ihn von Poznanski in Ha- goren VI, S. 41-64 u. S. 119 und dazu meine Bemerkungen m ZHB. X, S. 131. Daß Saadja ältere Kinder schon in Ägypten gehabt hat, wurde bereits oben erwähnt.

2) Vgl. über ihn jetzt Poznanski im Qedenkbuch für Kaufmann S. 169 u. S. 187.

•) Vgl. das von Schreiner in ZHB. III, S. 91-93 veröffentlichte

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 21

322 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

in chronologischer Hinsicht in der Bibel und 42 derartige Fragen zusammengestellt1). Auch Jephet ben All richtete gegen ihn später eine Polemik8). Daß er einen Kommentar zum jerusalemischen Talmud verfaßt habe, ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen8).

Erst in allerletzter Zeit ist der Name eines anderen Schülers Saadja's bekannt geworden, Abraham ben Mumar oder Muman as-Seiräfi, der ein Kitab al-Kasch'f nräM MWO), entweder kalendarischen oder philo- sophischen Inhalts, verfaßt hat, das wir aber lediglich aus Anführungen in Bücherlisten kennen*).

Die größte Bedeutung aber unter den Jüngern Saadia's kommt dem in Bagdad gebürtigen, und einer ehemals aus Spanien dorthin eingewanderten Famile entstammenden Dunasch ben Labrat zu. Seine Stärke liegt beson- ders auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft, der jaSaadjas Jugendarbeiten galten. Dunasch, ein selbständiger, stark kritischer Geist, hat, den Spuren seines Lehrers folgend, die hebräische Grammatik und Lexiographie wesentlich be- reichert, aber auch an seinem Meister in einem, leider nicht zweite Genisafragment und dazu Poznanski ebendort S. ^2-177, feTner das von letzterem in ZHB. X, S. 47-52 edierte Bruchstuck u. ebendort, S. 46. ^ ^ § ^ ^ ^ ^ ^ ^ Bemerkungcn p

q 47 - Es ist bemerkenswert, daß in dem von Schechter in JQR. XIII, S. 345 fgg. zuerst veröffentlichten bibelkritischen Fragment auch solche Schwierigkeiten behandelt werden.

*\ Vgl Poznanski, The karaite literary opponents etc., S. 27-28.

») Vgl. Poznanski in Kaufmann-Gedenkbucb, S. 181-82 und in

Hakedem II, S. 42. vyyvii <; 7Q und

*) Vgl. die Vorbemerkung in Saadyana Nr. XXXVII, b. V) una

dazu Poznanski in >Schechter's Saadyana«, S. 8 8. v. ^^7 h Anstatt des keinen rechten Sinn gebenden l)2*K lese ich ^K, d.h. aie zweite Hälfte des Buches«. Übrigens findet sich auch m der von tdler und Broyde in JQR. XIII, S. 52 fgg. veröffentlichten Bacher- Me unter Nr. 59, S. 54, ein Band, enthaltend, neben zwe. anhkarar- sehen Schriften Saadja's, auch das r^sSa SKID«

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 323

vollkommen ausgearbeiteten, und höchst wahrscheinlich ur- sprünglich arabisch geschriebenen Werk1), Kritik geübt. Indem er aber in der Kritik gegen Menahem ben S'ruk die Ver- gleichung des Hebräischen mit dem Arabischen gefördert und besonders in der Schrift gegen Saadja die ersten Grund- züge der neuen Theorie von der Triliteralität der Wurzeln gegeben hat, legte er, über die Leistungen seines Lehrers hinausgehend, den Grund zu dem Aufschwung der heb- räischen Sprachwissenschaft, der nachmals diese in ihren Ergebnissen der modernen Philologie mit ihren besseren Hilfsmitteln würdig an die Seite stellte. Er hat somit auch das Andenken seines Lehrers in ehrenvollster Weise mit einer der Glanzepochen der jüdischen Literatur, wie der Geschichte der Wissenschaft überhaupt, dauernd verknüpft. Aber auch noch in anderer Hinsicht ist Saadja von großer Bedeutung für die jüdische Wissenschaft geworden. An seinen Namen knüpft sich zum großen Teil deren Wiedererweckung im vorigen Jahrhundert. Denn die erste der im Geiste der historischen Kritik geschriebene Biographieen der Größen unserer Vergangenheit, die wir dem scharf- sinnigen Salomon Juda Rapoport verdanken,— der neben Zunz zu den Pfadfindern der neueren jüdischen Wissenschaft gehört, war die auch heute noch schätzens- werte, in der Form wie den Untersuchungen meisterhafte Würdigung Saadja's0). Und auch die erste Leistung in der jüdisch-arabischen Literatur seitens des genialen, in seinen philosophischen Forschungen noch heute maßgebenden Salomon Munk, galt einer Darstellung von Saadja's Werken4), für die er zum Teil selbst neue, wertvolle Auf-

*) Vgl. hierüber meinen Aufsatz in der Monatsschrift 1902, S 74-79 und Bacher ebendort, S. 478.

*) Vgl. meine Ausführungen ebendort, S. 72—75.

8) Erschienen in Bikkure Haitim IX, Wien 1829, S. 18-37.

*) Notice sur Saadia Oaon, erschienen im IX. Bande der Ca- hen'schen Bibel, Paris 1838, und dazu Ergänzungen in Commentaire de R'Tanchoum sur Habakouk, Paris 1843, S. 104—111.

21*

324 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter-

Schlüsse gebracht hat. So hat sich, entsprechend den Wor- ten der Schrift der Name des großen, von gerechtem Stre- ben erfüllten Gaon für alle Zeiten als vom segensvollsten Einfluß erwiesen und die tiefsten Spuren in der jüdischen Literatur hinterlassen. Mit Recht führt er darum auch in dieser Hinsicht den ihm von Abraham Ibn Esra beigelegten Ehrentitel eines Dipo bl2 onanon ttwi, da die jüdische Wissenschaft gewissermaßen auch jetzt noch mit seinen Worten zu uns redet.

V. Die Erzählung von den vier gefangenen Talnradisten.

In dem an und für sich berechtigten Streben, die so wunderbare Entwickelung in der Geschichte und Literatur des Judentums in manchen bedeutungsvollen Phasen mit einem höheren Walten der Vorsehung in Verbindung zu bringen, ist wohl auch mancher Fehlgriff in der Geschichts- schreibung und -forschung zu verzeichnen. Ein besonders bezeichnendes Beispiel bietet hierfür die Erzähiung von den vier gegen Ende der Geonimzeit gefangenen Talmudlehrern, die ein intensiveres Halachastudium nach Ägypten, Nord- afrika, Spanien und Südfrankreich gebracht haben sollen. Alte, wie neue Geschichtsschreiber, von Abraham Ibn Daüd an, wollen darin gleichsam eine göttliche Fügung erblicken. Indes darf dieses Gefühl für ein höheres Walten in der Geschichte uns nicht den Blick für die Realität der ge- schichtlichen Tatsachen trüben, und so muß denn nach verschiedenen Richtungen hin, vom literarischen und histo- rischen Standpunkt aus, der Bericht von dem so interessanten Ereignis als unhaltbar angesehen werden. Der Erörterung dieses auch in letzter Zeit noch behandelten Problems1) soll

l) Es kommen hier hauptsächlich in Betracht die Ausführungen von Halevy in Doroth Harischonim III, S. 283—302 und Poznanski in seiner Studie (XTVp MMK in der Harkavy-Festschrift, besonders S. 192—194. Von sonstiger hierher gehörenden Literatur nenne ich, ohne allerdings auf Vollständigkeit Anspruch zu erheben : Ra-

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 325

die folgende Untersuchung gewidmet sein, in deren Verlauf wir noch manche andere wichtige literarhistorische Ergeb- nisse gewinnen dürften.

Betrachten wir zunächst den als Grundlage der Er- zählung dienenden Bericht des Abraham Ibn Daüd. Derselbe knüpft an das durch den Tod Chiskia's erfolgte gleichzeitige Verlöschen des Gaonats und des Exilarchats die Mitteilung, daß schon vorher infolge einer von Gott gefügten Wendung n'zpn ARD nao ein Versiegen der Einnahmequellen für die Hochschulen aus den anderen Ländern der Diaspora eintrat. Der Verlauf dieser Wendung war, daß ein Admiral des Kalif Abdurrhaman an-Nazzär ausging, um Schiffe auf- zugreifen und bei einer Kreuzfahrt, die ihn zuletzt in das griechische Meer führte, eines kaperte, auf dem sich vier große Gelehrte befanden, die von Bari nach einem Ort jyided oder pDDD gingen, und zwar zum Zweck von nDJDn n^3. Sie wurden alle gefangen und verkauft, wobei der Chronist bemerkt, daß sie Niemandem etwas über ihre Persönlichkeit und Gesetzeskenntnis D/ionm D2*B ge- sagt hatten. Drei der Gelehrten kann Ibn Daüd namhaft

poport, Biographie des R. Chananael Note 2, Biographie des Hai Gaon, Note 2, ferner D^öSn flJtiap ed. Stern S. 52; Harkavy in den Nachträgen zur russ. Übersetzung von Graetz Bd. VI, S. CXVI; Müller, Die Responsen der spanischen Lehrer (Jahresbericht der Lehr- anstalt für die Wissenschaft des Judentums) S. 19—22; Weiß T1T7 IV* S. 235, Anm. 2; Leberecht, Magazin für die Literatur des Aus- lands, 1843 Nr. 143, Literaturblatt des Orients, 1844, S. 703, Frankel, Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentums 1845 S. 99fgg und Jahrg. 1846 S. 397 fgg. und S. 492 fgg., S. Cassel, Historische Versuche, Berlin 1847, S. 30-36, Groß, Magazin etc., II, S. 26 fgg., Berliner in Migdal Chananael, S. V— VI; Neubauer in JQR. VI, S. 233 und Halberstam a. a. O. S. 596, Kaufmann im Magazin V, S. 70 und Chronik des Achimaaz = Monatsschrift 1896, S. 470; Schechter in JQR. XI, S. 643 fgg., Güdemann, Erziehungswesen der Juden in Italien, S. 16—17, Brüll, Jahrbücher IV, S. 179 fgg, Israel Lewy im Jahresbericht des Seminars, Breslau 1905, S. 30—31 und Oinzberg, Geonica I (New-York 1909) S. 29.

326 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

machen, während er betreff des vierten nichts mehr weiß. Es folgen nun die Angaben über die Schicksale Schemarja's, Chuschiel's und Mosche's, welch letzterer in Cordoba als eigentlicher Pfadfinder des Talmudstudiums begrüßt wurde.

Soweit der Bericht Abraham Ibn Daüd's. Es ist nun merkwürdig, daß, während er das Aufhören der Einnahmen der Hochschulen mit dem Raubzug des Ibn Rumähis in Verbindung bringt, er doch die Gelehrten nicht direkt als aus Babylonien stammend angiebt, ebensowenig, wie er sie als Sendboten behufs Einsammlung von Geldern bezeichnet. Hiermit stimmt auch die Angabe überein, daß die Gefan- genen Niemandem etwas über ihre Persönlichkeit und ihr großes Wissen mitgeteilt haben, da andrerseits dieses von selbst bekannt geworden wäre. Es ist dies aber jedenfalls eine vielleicht gewollte Unklarheit in dem Bericht unseres Geschichtsschreibers. Ebenso wenig trägt zur Aufhellung bei die Andeutung, daß die Reise zum Zweck von n^o nMSl unternommen worden sei. Man hat es nicht als glaubhaft angenommen, daß vier Gelehrte aus diesem Anlaß sich ins Ausland begeben haben sollen, und wollte darum den Worten nhs nD3Dn, entgegen dem durch die Mischna Pea I, 1 feststehenden Sprachgebrauch für die Bemühung zur Aus- stattung von Bräuten1), die gezwungene Bedeutung der »Einnahme für die Hochschule« unterlegen, obwohl Kallah nur die zweimal jährlich stattfindenden Hauptversammlungen bezeichnet, und dann auch der Plural niM3fl erforderlich wäre. Sei es nun, daß man die genannten Gelehrten mit Lebe- recht als Sendboten für die Hochschule zu Bari*), oder mit

») Vgl. Frankel, Zeitschrift etc. 1845 S. 100, Note, betreff der wörtlichen Auffassung von iibs nDJSn, wonach es sich um Beschaf- fung eines Fonds zu dauernden Ausgaben für Zwecke der Braut- ausstattung handelte.

*) Vgl. Leberecht in Literaturblatt des Orients Jahrg. 1844, S. 703 und in Frankeis Zeitschrift 1845, S. 100-101.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 327

Graetz für die in Babylonien, speziell in Sura, betrachtet, muß jedoch betont werden, daß die dementsprechende Auf- fassung von r\hs nom sich insofern ertledigt, als zu keiner Zeit, auch nicht am Ende der Gaonenepoche Boten aus- gesandt wurden, um für die Hochschulen zu sammeln1). Die Beiträge wurden diesen vielmehr aus dem Auslande zugesandt, woselbst sie auch Vertrauensmänner und In- kassanten hatten, von denen die ersteren DH'pa, d^skj, die letzteren npivri 'tfJU ,D""i2TJ genannt wurden8). Die Unter- stützungen zerfielen in jährlich feststehende Beträge mp'DB, Spenden, die wohl den an den Gaon gerichteten Anfragen für diesen und die Hochschule selbst beigefügt wurden, ferner in mm: und in die crtrain, Fünftel des Vermögens, worunter vielleicht eine Art Legat von Hinterlassenschaften zu verstehen ist8). Für die Glaubwürdigkeit Ibn Daüd's Bericht spricht es auch nicht, daß er den vierten der Ge- fangenen nicht zu benennen weiß : ein Beweis dafür, daß auch die alte Quelle, aus der er geschöpft hat, nicht mehr recht verläßlich gewesen sein muß. Aus allen diesen Grün- den gegen die Zuverlässigkeit von Ibn Daüd's Darstellung erscheint es geboten, die einzelnen Phasen derselben, an- knüpfend zunächst an den Zustand der Hochschulen, als- dann an die einzelnen von ihm genannten Gelehrten, von neuem zu behandeln, und dann das Gesamtergebnis zu betrachten, wobei wir in der Lage sind, uns der neuesten Veröffentlichungen aus der Genisa zu bedienen.

') Vgl. auch schon Weiß vm IV4 S. 235 Anm.

J) Besonders lehrreich ist hierfür das von Margoliouth in JQR. XIV S. 308-309 veröffentlichte Qenisa-Stück.

3) Vgl. hierfür das von Cowley veröffentlichte Sendschreiben des Nehemia Gaon von Pumbadita, nach Spanien in JQR. XIX, S. 105 und dazu Pozntriski a. a. O. S. 401, ferner Marx, Untersuchungen zum Siddur des Gaon R'Amram I, S. 11, Anm. 45, und Ginzberg a. a. O. S. 14, Anm. 2.

328 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

1. Der Zustand der Hochschulen Babyloniens in der nachsaadjan ischen Zeit.

Den von Ibn Daüd geschilderten Tatsachen entspricht allerdings der schlechte materielle Stand der beiden Hoch- schulen in der nachsaadjanischen Zeit, dem in gleicher Weise der geistige Verfall, zunächst der von Sura, folgte, während immerhin Pumbadita noch durch Scherira und Hat einige Jahrzehnte vom Glänze autoritativen Ansehens be- strahlt war. Es liegen uns darüber interessante, in den letzten Jahren aus der Genisa veröffentlichte Dokumente vor. So richtet die Akademie in Pumbadita im Jahre 953 in einem entweder vom Gaon oder einem jedenfalls sehr angesehenen Mitglied verfaßten Schreiben sehr bewegliche Klagen nach Spanien Ober ihren bedrängten, erbarmungs- würdigen Zustand.1) Es wird darin erwähnt, daß schon seit einiger Zeit keine Spenden von dort eingegangen seien"). Von einer vor zwei Jahren abgesandten Summe sei nur mit vieler Mühe eine Kleinigkeit durch die Klugheit des Exilarchen Salomo8) gegen die Anmaßung eines >Räu- bers« gerettet worden, der ihnen auch den durch die ebenso angesehenen, wie frommen und redlichen Kaufleute Ahron und Mose, Söhne Abrahams, zugegangenen Betrag hatte entreißen wollen.4) Die infolge der allgemeinen Bedürftigkeit in der Jeschiba ausgebrochenen Streitigkeiten haben die-

') Veröffentlicht von Cowley in JQR. XVIII, S. 401-403; vgl. auch dazu Cowley a. a. O. S. 399—400 u. Marx a. a. O. S. 768—770. Betreff des rätselhaften ai» 1MHK S. 402, Z. 1 glaube ich, daß dort eine Corruptel vorliegt. Über den nicht zu eruierenden Namen des Verfassers des Schreibens vgl. jetzt auch Ginzberg, Qeonica I, S. 7, Anm. 1.

") Vgl. JQR. a. a. O. Z. 8 fgg.

*) Ein solcher ist uns sonst nicht bekannt. Er fehlt in der von Kamenetzky in REJ. LV, S. 51 veröffentlichten Liste der Nachfolger David ben Sakkai's.

«) Vgl. a. a. O. Z. 13-20.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 329

selbe heruntergebracht1). Alle Ländereien und Gebiete, die ihnen bisher Erträge abgeworfen haben, seien ihnen verloren gegangen2). Bemerkenswert ist in diesem Schreiben auch die Bitte um eine für den Schreiber selbst bestimmte größere Gabe3).

l) Vgl. a. a. O. Z. 21: W3T) na^a w>v npibnon rtNT Saai ibj> ty unten.

a) Vgl. Z. 21 jmiBH 1^ pXl bis Z. 24.

3) Vgl. s. 403, z. 2: py o^yn ^ki "Btra nam nana «natm (Fortsetzung folgt.)

Josef Kohn-Zedek, der letzte neubebräiscbe Publizist der galizischen Haskala.

Von M. Weisaberg-.

Die wichtigsten Kampfmittel der galizischen Haskala waren : das Flugblatt, der Brief und die, meistens aposto- lische Absichten verfolgende, streitbare, in ihrem Umfange kaum über das Flugblatt hinausgehende, in Form von Jahrbüchern erscheinende, Zeitschrift. Die Geschichte der galizischen Haskala-Zeitschriften ist also zugleich der wich- tigste Teil der Geschichte des jüdisch-galizischen Humanis- mus selbst. Die Zufluchtsstätten der galizischen Has- kala: Tarnopol, Brody und Lemberg, bildeten denn auch die Ausgangspunkte der neuhebräischen Publizistik in Ga- lizien. Tarnopol, welchem das Verdienst gebührt, durch Gründung der ersten »Israelitischen Freyschule« in slavischen Landen die Ideale des Humanismus praktisch verwirklicht zu haben, trat schon 1814 mit einer Neuerung hervor, die für alle Zeit mustergültig wurde. Die genannte Anstalt gab nämlich vom ersten Jahre ihres Bestehens, 3 Jahre hindurch, die erste neuhebräische Zeitschrift in Österreich heraus, welche zugleich auch die erste neuhebräische Zeit- schrift für die Jugend v/ar. 1814 erschien der erste, jokj TS (Treuer Bote) für das Jahre 5574. Das kleine, schön gedruckte Büchlein im grauen Umschlage enthält alles, was einem jüdischen Schüler, der sich zum frommen Hausvater, zum nützlichen Bürger herausbilden will, wissenswert ist. Also zuerst die notwendigen Kalenderregeln zur Berechnung des Monatsanfanges, dann .nuytmnn vtd', darauf der jüdische, römische und griechischkatholische Kalender. Dann folgt die Genealogie der russischen Kaiserfamilie (Das Tarnopoler

Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische Publizist etc. 331

Land war 1809—1816 russisch), voraussichtliche, merk- würdige astronomische Vorfälle, Weltchronik, Jahrmärkte, Ritualgebräuche. Der literarische Teil führt die Aufschrift «abl nfc (Kalender des Herzens) und enthält die Rubriken: Seltene Taten, naturhistorische Aufsätze, moralische Fabeln und Rätsel.

Den Reigen der hebräischen Zeitschriften im zweiten Mittelpunkte des galizisch-jüdischen Humanismus, in Brody, deren vornehmster, dem epochemachenden »Hacholez«, ich in meinem Buche über die neuhebräische Aufklärungs- literatur in Galizien (Leipzig und Wien 1898) ein beson- deres Kapitel gewidmet habe, eröffnet 1817 ein publizi- stisches Eoibryo, eine nur handschriftlich verbreitete Zeit- schrift na» nbiv, deren Redakteur, der geniale Jakob Sa- muel Byk, um sich die berühmtesten Namen der galizischen Haskala : Rapaport, Krochmal, Levin und Goldberg grup- pierte. Die niemals im Drucke erschienenen Beiträge sind im Laufe der Zeit zum unersetzlichen Schaden der neu- hebräischen Literatur des XIX. Jahrhunderts spurlos ver- schwunden.

Der Vorort des galizisch-jüdischen Humanismus, Lem- berg, tritt erst 1824 mit einer hebräischen Zeitschrift auf den Plan. Es ist das Meir Halewi Letteris' ann p]D«o ,m»asn. 'btr\w »M$>. Als Druckort fungiert zwar Leipzig 1824, in Wirklichkeit aber war es Zölkiew. Der damals blutjunge, weil kaum 20 Jahre alte, Herausgeber aber befand sich derzeit in Lemberg, wo er an der Universität orientalische und europäische Sprachen studierte. Mitarbeiter waren: David Friedländer, der Genosse Mendelssohns, Nachman Krochmal, Abraham Goldberg, Schalom Kohn, Jakob Samuel Byk und Jehuda Leib Misis. Als aber der letztere in einem Aufsatze gegen die Lebensweise der polnischen Juden auf- trat, brach ein derartiger Entrüstungssturm im Leserkreise aus, daß Letteris die Herausgabe einstellen mußte.

Die nächste hebräische Haskala-Zeitschrift in Lemberg

332 Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische

erscheint 1837 1839 und führt den Titel: '-.dd "ipaoi n«nnf ,u:bt *öan. Die Herausgeber: der auch als Dichter, Drama- tiker und Altertumsforscher bedeutende Nachman Icchak Fischmann, der Kritiker und satirische Epistelschreiber Jakob Bodek unterziehen hier die Schriften von Rappaport, Zunz, Reggio und Luzatto einer strengen, abfälligen, häu- fig auf persönliche Gehässigkeit zurückzuführenden Kritik. Die Art und Weise, wie der Hauptangegriffene, Rappaport, ihnen in Kerem-Chemed VI, 1841, Brief 11 und 12 heim- leuchtet, ja sie literarisch geradezu abschlachtet, ist an farbenreichen, aufregenden Momenten überreich. Der sieg- reiche Literaturheros beendigt die grausame Exekution mit folgendem Seufzer der Erleichterung: p'KTCfl nt^tr TnaKi p'üb ntrn m»n «in in« riTa« (Und ich machte den drei Be- obachtern in einem einzigen Monate den Garaus, nämlich im zweiten Monate).

Ihre publizistische Wiederauferstehung erleben die drei Roim nebenbei die tüchtigsten, vielseitigsten Publi- zisten des galizisch-jüdischen Humanismus schon 1844 In diesem Jahre beginnen sie in Lemberg die Herausgabe der Zeitschrift: noan nai nrr nb n-ortt? vya .Turin n'bviv jrwnpn U/1BP3 np» ^ai ,vip »ana mxa mat^oi o»v«* ,nini. (1844 1845, 3 Bände, gedruckt in Zofkiew, Lemberg und Prag). In dieser Zeitschrift sind sie nicht mehr Parteigänger,

der Roe war vor allem gegen Rappaport gerichtet und sollte dessen Kandidatur auf den Prager Oberjuristenposten zu Gunsten des genialen Hirsch Chajes zu Falle bringen

Kritiker, sondern simple Literaten, denen es vor allem um die Pflege der hebräischen Sprache geht.

Die Zeitschrift Jerusalem sollte vierteljährig in Heften von je 6 Druckbogen erscheinen, aber es sind in 2 Jahren bloß 3 Hefte zu Stande gekommen. Drei Hefte drei Druckereien: Meyerhoffer-Zoikiew ; Schnayder- Lemberg; Landau-Prag. Das scheint auf Schwierigkeiten, in den Druckereien Kredit zu erlangen, hinzudeuten. Der Löwen-

Publizist der galizischen Haskala. 333

anteil der Beiträge gebührt den Herausgebern. Fischmann ist durch religiös-patriotische Gesänge und Abhandlungen zur jüdischen Altertumswissenschaft vertreten; Mohr und Bodek schreiben über jüdische Literatur und Geschichte im frühen Mittelalter. Bodek, der hämische Frechling aus dem Roe, versöhnt uns hier durch sentimental-humori- stische Reisebriefe und Glossen zu seinen kritischen Ab- handlungen. Naftali Mendel Schorr ist der Hausdichter. Auch sonst überwiegen die Lemberger Maskilim. Es sind aber auch die Brody'er und Tarnopoler vertreten. Ganz besonders hervorzuheben sind: eine moralische Fabel in klassisch biblischer Sprache von Nachman Krochmal wohl das einzig Dichterische aus der Feder des galizischen Mendelssohn und ein begeistertes Lob der Chassidim, welches rückwärts gelesen sich als die blutigste Satire auf dieselben erweist. Der ungenannte Autor dieses berühmt gewordenen Palindromes ist der Lehrer des jungen Erter, der später getaufte Zensor hebräischer Bücher, Josef Tarler.

Indem ich mich darauf beschränken will, die von Ga- lizianern in Breslau, Fürth, Bamberg und Wien herausge- gebenen hebräischen Zeitschriften (Jeschurun von J. Kobak, 1853 1868; Awne nezer und Zefirat tiferet von Letteris- Wien 1853 1856; Ozar nechmad von Jicchak Blumenfeld- Wien 1855 u. 1856; Bikkurim von Naftali Keller-Wien 1865—1866) bloß zu erwähnen, wollen wir zu Josef Kohn- Zedek übergehen, der trotz mäßiger Begabung und be- schränkter Kenntnisse, durch Ausdauer, echte Begeisterung und heiße Liebe zum jüdischen Volke, seiner Literatur und Geschichte den Gipfelpunkt der neuhebräischen Publi- zistik in Galizien vorstellt.

Josef Kohn-Zedek wurde im Jahre 5587 (1827) als Sohn des privatisierenden Talmudgelehrten Ahron des Magids in Lemberg geboren. Sein Großvater väterlicher- seits war Rabbi Meschulem, Sohn des Rabbi Joe! Kohn-Zedek, der nach langjähriger rabbinischer Tätigkeit in Zörawno,

334 Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische

Korec und Bolechow, von 1795 1810 als Vorstadtrabbiner und Magid in Lemberg wirkte und durch sein Werk /nriD •ma berühmt war. Seine Mutter war durch Schönheit, Geist und Kenntnis der hebräischen Sprache sowie der im prak- tisch-jüdischen Leben gebräuchlichen Ritualien bekannt. Nach dem frühen Tode seines Vaters gelangte Josef durch die zweite Ehe seiner Mutter in den Bannkreis der Brody'er Maskilim. Kaum 16 Jahre alt (18. Siwan 5603-1843) hei- ratete er die Tochter des reichen Gastwirtes Malis in Lem- berg, des Eigentümers des damals stadtbekannten Minjan- Malis. Seine literarische Laufbahn begann Josef Kohn-Ze- dek als österreichisch-patriotischer Schriftsteller durch seine Jubelschrift "»labo mpwv Die Kaiserrettung Sr. Majestät Franz Josef I., Lemberg 1853. Diese Schrift, die unter an- derem eine historisch interessante Übersicht der Geschichte der galizischen Juden vor dem Regierungsantritte Seiner Majestät enthält, brachte dem Verfasser die goldene Me- daille für Kunst und Wissenschaft und 27 Anerkennungs- schreiben ein. Als patriotisch-dynastischer Schriftsteller be- tätigte sich noch Josef Kohn-Zedek durch die Schriften: •pnr "m. Gedicht auf Erzherzog Karl Ludwig, Krakau 1857; "M (31*»: Kronjuwel für die Habsburger Dynastie, hebräisch und deutsch, Lemberg 1856; »obij? fl3Sö»: Ein Denkmal für die Ewigkeit. Trauergedicht auf den Tod des Generals Radetzky, hebräisch und deutsch, Lemberg 1858. Von 1855 1874 gab Josef Kohn-Zedek die hebräischen Zeit- schriften: Meged jerachim (1855—1859, 4 Teile); Ozar chochmah (1859 1862, 3 Teile); Hajehudi hanizchi (1866, 4 Hefte); die Wochenschrift Hamewasser mit der Beilage Hanescher, sämtlich in Lemberg, endlich die Monatsschrift Or Tora (Frankfurt a. M. und Lemberg 1874, 4 Hefte) heraus. Außerdem verfaßte oder edierte er noch eine ganze Reihe exegetischer, kritischer und historisch-heraldischer Werke. 1879 wanderte Josef Kohn-Zedek nach London aus. Kurz darauf veröffentlichte der Lemberger Litterat Jehuda

Publizist der galizischen Haskala. 335

Chaim Leib Korn im Königsberger Wochenblatt Hakol ein Pamphlet gegen Josef Kohn-Zedeks literarische und publizistische Tätigkeit, welches viel wichtiges zur Ge- schichte der galizischen Haskala enthält. Dem alten, galizi- schen Journalisten sollte dadurch offenbar im vorhinein die Herausgabe einer neuen hebräischen Zeitschrift verleidet werden. Der Geschmähte antwortete in der Schrift 'na« nsw. London 1879. Bis 1903 wirkte Josef Kohn-Zedek als Pre- diger im East-Ende. Die ganze Zeit hindurch war er ein regelmäßiger Besucher des britischen Museums und Be- nutzer der hier aufgehäuften handschriftlichen Schätze. Im Juli 1903 wurde er auf dem Wege dahin vom Schlage ge- rührt. Im Jänner 1904 hauchte er in der jüdischen Heil- stätte für unheilbare Kranke seine Seele aus.

Wir wollen uns hier bloß mit Josef Kohn-Zedek, dem Publizisten, beschäftigen. Eine kurze Analyse seiner ver- schiedenen, kurzlebigen Zeitschriften wird uns, gerade weil Josef Kohn-Zedek nur ein Durchschnittsliterat war, am besten über das geistige Niveau der galizischen Judenschaft von 1855 informieren.

Seine erste Zeitschrift nannte Kohn-Zedek Meged Je räch im (Segen der Monate). Die breitspurige Aufschrift am Titelblatt deutet genau den Inhalt an. Sie lautet in treuer Übersetzung: Segen der Monate, enthaltend Früchte der Forschung, Lehre, Sitte, des logischen Denkens, der Moral, des Gleichnisses und des Gesanges, welche blühten und zu Prachtfrüchten heranreiften auf den Beeten der Weisen und Verständigen im Garten der Sprache Ebers zur Erheiterung der Verständigen und zur Zeit herange- diehen. Von Josef Kohn-Zedek. Im Jahre: Kostet bei mir die edlen Monatsfrüchte, weil sie köstlich sind. Schon Titel- und Umschlagblatt verraten, daß wir uns im Bannkreise des Mussiv- und Melizimstiles befinden, jenes Stiles, der Gedanken und Gefühle von Menschen des XIX. Jahrhunderts in eine Mosaik aus Verstrümmern der

336 Josef Kohn Zedek, der letzte neuhebräische

heil. Schriften und der mittelalterlichen Pijutim zwängen wollte. Sogar das Jahr des Erscheinens (1855) läßt uns, wie wir oben bemerkt, Josef Kohn-Zedek aus einem ana- grammatisch zugerichteten Bibelverse erraten. Sogar im prosaischen Geschäftsverkehr mit seinen Abonnenten kommt uns Kohn-Zedek biblisch oder pajtanisch. So beginnt auf der Kehrseite des Umschlagblattes zum 3. Hefte die an die Abonnenten gerichtete Aufforderung zu zahlen, auf fol- gende an Versöhnungstagpijutim anklingende Weise: Ge- schlossen ist das Ordnen des 3. Heftes nach dem Gesetze, heute bin ich bis zum Dritten angelangt, heute ist Abonnentenempfang, heute ist der Zahl- tag für die aus dem Geschlechte der Zahler. In der Ankündigung des 1. Heftes hatte Kohn-Zedek jährlich 50 Druckbogen in 12 Monatsheften versprochen. Doch gelang es ihm in fünf Jahren bloß vier Hefte herauszugeben. Die Einleitung seiner Zeitschrift beginnt Josef Kohn-Zedek mit der demütigen Bitte: Meine Brüder und Volksgenos- sen! Siehe, ich komme heute vor Euer Antlitz mit meiner Bitte und meinem Wunsche: Seid mir gnä- dig und gewährt ein aufmerksames Ohr den Wor- ten Eueres Bruders Josef... Sein Streben ist Preis und Förderung der hebräischen Sprache, der lieblichen Sula- mit, der Himmelstochter, die uns allein von allen unseren Kleinodien aus uralter Zeit zurückgeblie- ben. Der Erfolg seiner patriotischen Gesänge zum Preis von Herrscher und Herrscherin, deren Vorfahren seinen Brüdern seit 600 Jahren Schutz gewähren, haben ihn er- mutigt aus seiner Verborgenheit hervorzutreten. Sein Pro- gramm umfaßt: Erklärung dunkelgebliebener heil. Schriften, dunkler Stellen in Talmud und Midrasch; Bloßlegung neuer Quellen; Bibelforschungen, Predigten, Kritiken, Lebensbilder berühmter Juden, Biographien österreichischer Kriegshelden, moralisch-politische Forschungen, jüdische Geschichte, di- daktisch religiöse Gedichte, Gelegenheits- und Zeitgedichte.

Publizist der galizischen Haskala. 337

Für dünne Heftchen von je 58 Seiten ein wahrlich über- reiches Programm, das nicht ganz eingehalten werden konnte. Das erste, wie auch die folgenden Hefte enthalten gediegene Beiträge der altrenommierten Lemberger Publizisten: Mohr, Fischmann, Schorr. Der hochverdiente Editor und Forscher Salomon Buber verdient hier seine ersten Sporen. Merkwürdig ist im ersten Hefte die Abhandlung: "nia^ par niW2 tphyp, (Ährengarben auf den Gefilden Jeschuruns) von Mordechai David Strelisker aus Brody, welche unter anderem die Gründung einer hebräischen Sprachakademie projektiert, die berechtigt wäre, neue Ausdrücke nach Regeln, welche aus der Eigenart der hebräischen Wurzeln resultieren, zu schaffen. Ist aber das Projekt an sich nicht schlecht, so sind die von Strelisker eingeführten Neu- bildungen seiner eigenen Erfindung: aiJi^n = Telegraph, p]in iö2 nb nr»j?on = Maschine Lokomotiv, rrbirnjnan = Medaille, recht sonderbar und geeignet, Kopfschütteln her- vorzurufen. Das erste Heft gehört fast ganz den Mitarbeitern. Der Redakteur selbst kommt in der Einleitung und dann erst hart am Schlüsse zum Worte mit einer Predigt über Prediger und Schriftsteller. Dafür aber enthalten die übrigen Hefte bemerkenswerte Beiträge vom Redakteur. So bringt z. B. das zweite Heft aus der Feder Josef Kohns einen prosaischen, in ein Lobgedicht ausklingenden Nekrolog auf den berühmten Rabbi Hirsch Chajes, der kostbares Material zur Lebensbeschreibung dieses ausgezeichneten Gelehrten enthält. Das dritte Heft ist eigentlich eine FestnummerzurFeier der glücklichen Entbindung Ihrer Majestät der Kaiserin. Das hier enthaltene, vom Redakteur verfaßte hebr. Gedicht ist ganz im Psalmenstil gehalten: »Gebet Kohn-Zedeks in seiner Verzückung, als er vor seinem Gotte für die Königin seine Rede ausschüttete.« Hochbedeutsam ist ferner in demselben Hefte Josef Kohn-Zedeks Abhandlung: Makkal noam we-choblim (Sanfte und züchtigende Rute) über kritische Grundsätze beider Talmude in Halacha und Agada,

Monatsschrift, 55. Jahrgang. "

333 Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische

Nachdem Josef Kohn-Zedek die Herausgabe einer Monatsschrift mißlungen war, wandelt er den Meged Jera- chim in ein Literaturmagazin um, eine Schatz- kammer für hebräisches Schrifttum anaa iiarn -*x dhiö^ai yw mpa /-ripn 'ana »iwa ,0'anp nuwb yn trpxcn Tty 3*BH W^B r0VQKl flvwp ,Vm »amai. Die Einleitung Josef Kohn nennt sie nnrne, Vorhalle enthält kluge und witzige historische Betrachtungen über Vorreden-Hakdamot, über Titel hebräischer Werke, welche so wenig zum In- halte passen, ferner eine im Musiv- und Paitanimstil ge- haltene Charakteristik der hebräischen Zeitschriften vorn Meassef bis auf unsere Zeit. »Und es bereitete der Meassef in jenen Tagen der Lehre, der Weisheit und der heiligen Sprache großes Heil, und schritt wie eine Feuersäule vor dem Lager Israels und beleuchtete die Wege der Hzs- kala Der Meassef wurde seinem Volke entrafft, dar- über wehklagte man im Himmel .... Plötzlich reiften die

ersten Früchte derZeiten an den Wasserströmen

Und der Lebensjahre der Erstlinge der Zeiten waren zwölfe«. In diesem Tone geht es fort bis zu Kohn-Zedek> unmittelbarem Vorgänger Meir Letteris, von dessen letzter Zeitschrift »Awne neser« es mit einem furchtbaren Calem- bourg heißt: » » nni8 Ktf*i (bezieht sich auf Letteris Zeit- schrift Tnnen flTDac», deren unmittelbare Fortsetzung die Awne neser bildeten) jnn tr n p ncf mey^ v«öfl »lbn ■»aj? imbin ntai d*b* n*mv a^env now ripaa isd.

Den Schluß dieser großen, farbenprächtigen, 21 Seiten fassenden Einleitung, welche in Wirklichkeit eine großartige Abhandlung ist, bilden hochinteressante Bemerkungen über die Herausgabe hebräischer Zeitschriften in Galizien, weiche noch heute aktuell sind. In Galizien, führt Josef Kohn- Zedek aus, kann nur ein Druckereibesitzer eine Zeitschrift herausgeben. Zudem sind die Mitarbeiter, vielbeschäftigte Rabbiner und Geschäftsleute, nicht imstande, regelmäßige, literarische Monatsbeiträge zu liefern. Deshalb war er ge-

Publizist der gaüzischen Haskala. 31}

^wungen, aus dem 'a'xv 1»; einen "roan isnCi zu machen. Sein neues Organ wird seinem Namen Ehre machen : "prsin p pviKn nvn irzin "res .t.t ^WÖ.. Die Leser mögen sich nicht an den geringen Umfang des ersten Hefces stoßen. Die Zeitung werde sicherlich stetig wachsen. Hier werden Zeder, Sonne und Mond in den verschiedenen Phasen ihres Wachstums zum Vergleich herangezogen : ex r^, \M2h2 rua umna »3 *b IfiTflP &TP ,tj?33 w&ni *JO»\ Der 1*03*1 nrs. verspricht biblische und talmudische Exegese; talmudische Encydcpädie ; Beurteilung der Ge- genwart; religiöse Gedichte, welchen, wenn sie den drei Hauptbedingungen : Begeisterung, Einbildungskraft und ge- sundem Menschenverstand entsprechen, metrische Schwä- chen nachgesehen werden ; theologische Abhandlungen, Zeitgedichte, wissenschaftliche Prosa, Übersetzungen aus fremden Sprachen, nach Art von Letteris und der VVilna'er Maskilim nach Judenart beschnitten und ganz in jüdischem Geiste. Zeit des Erscheinens : zwanglos ; er hofft 3 4mal jährlich seinen Lesern kommen zu können. Leider war sein Optimismus wieder einmal grundlos. Der »nasn tüx« brachte es nicht einmal zu soviel Heften, wie der "dtiv 130„* Von 1859—1865 sind bloß 3 Hefte von je 150 Seiten Josef Kohn nennt sie euphemistisch Jahrgänge erschienen.

Der TTB5R "irx. entfaltet bereits ein reicheres Programm. Der Redakteur denkt nicht mehr an bloße Sprachförderung, sondern behält sich auch Kritik der Zeiterscheinungen vor. Er beschränkt sich auch nicht mehr auf galizisch-öster- reichische Mitarbeiter, sondern zieht selche auch aus andern jüdischen Zentren, zumal aus Rußland (Gotllober, Ben- Jakob, Plungian, Zweifel) heran.

Die dritte journalistische Gründung Josef Kohn- Zedeks ist die Sammelschrift "man hihm (Der ewige Jude, Lemberg 1866, 4 H.) Er will hier die in verschiedenen theologischen Werken und Zeitschriften zerstreuten Berichte und Abhandlungen zur altern und neuern jüdischen Ge-

22e

340 Josef Koha-Zedek, der letzte neuhebräische

schichte sammeln und herausgeben. Das erste Heft wird" durch ein von Mattisjahu Rabener an den Herausgeber ge- richtetes Gedicht eingeleitet, welches dessen Verdienste um Literatur und Aufklärung feiert: >jjj? jjpbi "|nn nnbw nn»,, jnwnn jrn nr\» . . . irvnnn ks*n "jina a^y^ jna nun . . . /£ik "c^tnvi p*at prfca 5>kw$> aio *i#aan ^irar^mu p»a.

Auch das zweite Heft leitet ein Lobgedicht auf Josef Kohn-Zedek ein, welches Mosche Jissachar Landau aus Lemberg (hier als der Grabowtzer Raw bekannt) zum Ver- fasser hat. Das Poem feiert Kohn-Zedeks Großtaten. Er zeigte seinem Volke, wie sich »Tora« und Weisheit <naan) innig verbinden, er belehrte als Erster die Juden in hebräischer Sprache über Politik und Wissenschaft, er ver- einigt getrennte Ehegatten, Eltern und Kinder, bringt ver- folgten Glaubensgenossen Hilfe und errichtet w bsf\» "crmn1? im rra ,n%y2ih, um Geheimnisse der Tora aufzu- decken und Weisheitsschätze bloßzulegen.

Während aber die ersten drei Hefte sich mit älterer jüdischer Geschichte befassen, enthält das vierte und letzte Heft bedeutsame Beiträge zur zeitgenössischen jüdischen Geschichte. Und so begegnen wir hier dem an Seine Majestät im Jahre 1848 seitens der ungarischen Rabbiner gerichteten Memorial: n'itfvil r\» \yzbi bma" m 'pia p?r6„ "hieb iöb itrx, dann dem Artikel ;yanj?a pK3 mw rra mu "D'iCDa^ 1866 «in Winfl tfJ^a. Die Einleitung zu diesem Auf- satz enthält einen hochinteressanten Beitrag über das damalige Verhalten der Polen den Juden gegenüber, ferner Bemerkungen über das Lemberger Gemeindestatut, nach welchem auf 100 Gemeinderäte nur 15 Juden fallen. »Was frommt euch,« fährt der Bericht fort, »meint ein Judengegner, wenn wir euch Vertreter nach Verhältnis eurer Anzahl ge- währen, habt ihr etwa 40 Leute, die euch im Gemeinderat vertreten können? Die Anzahl eurer Advokaten ist ja so beschränkt.« Darauf antwortet Josef Kohn-Zedek: n:/wj na. *sn /iraara nnaa wk cnnan a'jiaa? ^a cs% ? ntn "aia naroa »w

Publizist der galizischen Haskala. 341

a»BMj? D'JDIki dvg ybv2 D3wa ps*n ? jya«p^m« c^r cxn ? *vw tmno nxu o?| c^n ix trin na:n nirnj nssi ?n:«^en ?*i3j> oys tfovrtr

Die Tendenz der letzten in zwanglosen Heften er- scheinenden Zeitschrift Josef Kohn-Zedeks: "mm *iiN" (4 Hefte: 1—3. Frankfurt am Main. 4. Heft. Lemberg 1874) ist gegen die Ultrareformer, zumal gegen die destruktiven Tendenzen von Josua H. Schorrs "pbnn„ gerichtet. Die Bestimmung des •nun TU« heißt es in dem kurzen Pro- gramm auf der rosigen Umschlagsseite (Das große Programm in der Einleitung zählt 29 enggedruckte Seiten) des ersten Heftes, ist: Entfachen der Liebesglut in der Jugend für nsan und min,,; Ausrottung von »Dorn und Distel« im Weinberge Israels; keine bloße Förderung der hebr. Sprache, sondern Pflege der Toraflamme, Verhüten ihres Erlöschens; keine Zeitungsneuigkeiten, sondern Geschichtskritik, u m den gewaltigen Arm zu offenbaren, wel- cher begonnen hatuns zu helfen, aber auch den noch immer nicht erschlafften Arm unserer Feinde; Kontrolle der Tätigkeit der Rabbiner und Kantoren, sowie auch der jüdischen philantropischen Gesellschaften; Gedichte ausgezeichneter Dichter, aber nur zum Preise Israels, und nur in der Beilage. Wozu neue Sänger, wenn die alten Sänger Ben-Gabirol und Jehuda Halevy zum Tempel hinausgejagt werden ? Diesem Pro- gramme gemäß enthält der 'nrn TW« neben polemischen, religionswissenschaftlichen und historischen Artikeln, neben der gewissenhaften Aufzählung aller Glaubensgenossen zu Teil gewordenen Auszeichnungen, auch eine Aufzählung der sich stets erneuernden jüdischen Leiden. In chrono- logischer Ordnung, nach Tagen und Monaten, setzt uns Josef Kohn-Zedek den blut- und jammerreichen jüdischen Kalender vor, wobei er sich besonders gründlich über die Judenmetzeleien von 1648 und die Schicksale der galizischen Juden von 1848 an ausspricht.

342 Josef Kchn-Zedek, der letzte neuhebräische

Der "-Tn 1VH» zerfällt in zwei Teile. Dem reinwissen- schafllichen ist ein zweiter ausschließlich aktuellen Zeit- fragen gewidmeter Teil *^1T9» tk. beigegeben, den Josef Kchn-Zedek in Gemeinschaft mit seinem Sohne David (geb. 1848), der ihm bereits seit 1866 erfolgreiche Mithilfe leistete, herausgab. Die zweite Aufschrift dieses Teiles: mnbi Mtfb ,ira*:j bpo bwe ,müvfcb ?«w »:ab ,paT tbo« mpJi wp urrtro m »a pinn ^:2 nm pK& .wtob man« ksa pjn Tina n^pn mnua p*n n;b nwi nfcna rov .«: sb w ft ra-r^i oirö pan na» nj? tau» pae6 na» h *a rmw tnwfc to ■£> TSi ist in mancher Hinsicht Zionismus vor Pinsker und Herzl. Auch hier behandelt Kohn-Zedek mit Vorliebe das Verhältnis der galizischen Juden zu den Polen. Im Allgemeinen billigt er das einige Vorgehen von Juden und Polen, beklagt aber bitter die Judenfeindlichkeit der dama- ligen polnischen Presse. Charakteristisch ist in dieser Be- ziehung der Aufsatz: »Gesetzgeber und Zeitungsschreiber« im 3. Hefte. Josef Kohn reproduziert hier eine merkwür- dige Äußerung Kaiser Josephs II. über das Verhältnis der galizischen Juden zu den Polen und Ruthenen: Galizien beher- bergt Polen, Ruthenen und Juden. Der Pole ist sehr stolz, der Ruthene sehr unwissend, der Jude sehr scharfsinnig; deshalb lebt auch einer auf Kosten des anderen. Geht aber einmal den Ruthenen das rechte Licht auf, dann zer- bricht der Stolz der Polen, die Juden machen sich frei und v/erden das Zünglein an der Wage, falls ihnen aus ihrer eigenen Mitte keine Verräter erstehen. Erwähnenswert ist in diesem Aufsatze noch die Erzählung einer Episode aus einer Sitzung des österreichischen Reichsrates in jenem Jahre (1874), deren Helden die jüdischen Abgeordneten Mises und Mendelsburg waren. Der erste klagte über die Vernachlässigung der deutschen Sprache in den galizischen Schulen. Darauf Mendelsburg aus Krakau: Sind etwa die Juden verpflichtet Deutsche zu sein? Ist die polnische Sprache gegen die mosaische Religion? Gibt es etwa keine

Publizist der galizischen Haskala. 343

Juden in Frankreich und England, die gar kein »Deutsch« kennen? Ich bin Jude, hänge aber nur an der polnischen Sprache! Die Polen sind keine Judenfeinde, sie müssen es aber werden, wenn wir einen Staat im Staate bilden und zu sehr am Deutschen hangen. Josef Kohn vermittelt : Wir sollen das Polnische pflegen, aber auch das Deutsche nicht vernachlässigen. Wir sind Freunde der Polen, man kann ihnen aber nicht den Vorwurf ersparen, daß sie den Juden gegenüber nicht aufrichtig vorgehen.

Die gediegensten, umfangreichsten Artikel im "min TiK. stammen vom Redakteur. Er mußte ja selbt sein eigener fleißigster Mitarbeiter sein. In seiner Einleitung, in welcher er sich über Jehcschua Heschel Schorrs destruktive Wirk- samkeit, sowie über das Los der hebräischen Autoren weit und breit ausspricht, stellt er seinen Mitarbeitern erst dann Honorar in Aussicht, wenn die Abonnentenzahl die Ziffer 600 überschritten haben werde. Durch die Auszahlung on Honorar werde das Niveau der einzelnen Beiträge sich heben. K"ibnp*t jnBtttnb vw Br6i3?B^> irt> w mp: C3 '2 DPTai. Tvvnb -2 'ucn tow£ ;*s »3 . .*. bts ubii p «H

Die größte Tat Josef Kohns aber, die, welcher er seinen Ruhm in der ganzen jüdischen Welt verdankte, war die Herausgabe der Wochenschrift "wacn. mit der Beilage •*.tr:n„; kennt man dcch in jüdischen Kreisen heute Josef Kohn schlechthin nur als den -i^aen bvz„. Es war aber such eine Tat beispielloser Aufopferung und Ausdauer durch fast 6 Jahre vom 12./6. 1861 bis 15./U. 18G6 ohne Subvention, ohne eigenes Kapital, ein politisches Wochenblatt in hebr. Sprache herauszugeben. Denn der "trrsrL, war das, was der •rasrr», der bedeutend früher zu erscheinen begann, nicht war, was sogar die bis rtnn erschienene •fTrßXfl, Nahum Sokolows auch noch nicht war : das erste hebr. Wochenblatt, welches mit weitem, freiem Blick auf das Weltganze, voll Tempera- ment und Freisinn über innere und äußere Politik, über

344 Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische

die österreichischen Wirrnisse, über die polnische Inspe- ktion, die Politik der Tuilerien in den süßen Lauten eines Jesaias und in kasuistischen Wendungen von •,*2K« und •Kai« sprach. Um sich aber vom ntpuaru eine treffende Vor- stellung zu machen, reicht eine bloß literarische Würdigung, wie eine solche übrigens in der Beilage zu Nr. 15 der TiT'D^n» vom Jahre 1904 versucht wurde, nicht hin. Wir müssen vielmehr, um unsern Zweck zu erreichen, einen kurzen Spaziergang durch manche Jahrgänge des n»aon» machen und bei den charakteristischen Partien kurz ver- weilen. Die erste Nummer des »aa^ v\y anra pr*3PM> ivsor.» "i?an *jb bv trBHnnem o»«w anann i?aa ,bmv* nennt zwar auf dem Titelblatte Abraham Jicchak Menkes als Herausgeber. Das Umschlagsblatt des ersten Jahrganges aber enthält schon den Vermerk: yra jna v\ov »jbö "iicbn £»aa "pyi.. Das Programm verspricht: Jüdische und allgemeine Neuigkeiten ; Berichte über den Zustand der Juden im heiligen Lande; judaistische Ab- handlungen; Verordnungen der Behörden. Letztere sollten in deutscherSprache, mit jüdischen Lettern gedruckt werden. Die Aufschriften der Leitartikel sind von der ersten bis zur letzten Nummer schreiend, aufregend, antithetisch, calembourisch, sprachwitzelnd, an Bibel-, Talmud- oder Midraschverse an- lehnend. Die ersten Leitartikel: bkw rauruaunn nmtnp. ''imim handeln vom Nutzen der Geschichte, zumal in hebräischer Sprache, von der Ewigkeit Israels. Der Leit- artikel: dö'bh ,p*x ms/BW bv frarriBtp mmn wm rwn »d'd-. "HK:a pf» *büb waarl mutet wieder vorzionistisch an und beginnt jeden Satz mit dem Worte Zion: xpntan p'3t. wi »a np ^men pnsr» ,amax vi? 1 |vs was ny tratp mraa . . "Brpja öbm üpbn; zum Schluß die tröstliche Nachricht : der "itpaan« werde die Tränen Zions in seinen Schlauch senken. Daß aber dieser Zionismus bloß literarischer Natur war, beweist gleich der nächste Leitartikel: fmh fünft "paa "jfin^a (Liebe dein Heimatland, wie dich selbst), der von den galizischen Juden österreichischen Patriotismus

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fordert. Bisher verrät Josef Kohn-Zedek auf jeden Schritt den Anfänger. Von Nr. 14 an verspricht er einen neuen Kurs einzuschlagen: aktuell zu werden. Unter den wissenschaft- lichen Beiträgen des ersten Jahrganges ist eine Populär- geschichte Polens hervorzuheben. Auch im ■wann« nimmt Kohn-Zedek die Gelegenheit wahr, das Verhältnis zwischen Juden und Polen einer Kritik zu unterziehen. So führt er z. B. in der Nr. 7 vom 13/2. 1863 folgendesaus: 1848 beginnen die Juden sich als Söhne ihres Vaterlandes zu fühlen. Auch die Polen beginnen die Juden Brüder zu nennen. 48 Polen kommen in Galizien auf 57 Ruthenen. Die Juden sind also das Zünglein an der Wage. Nun, fährt Josef Kohn fort, mit einer Anlehnung an eine bekannte Stelle in Jesaias, ergreifen 10 Polen den Rockzipfel eines Juden und sprechen : Lehne deine Hand auf das Haupt unseres Er- wählten, an welchem unsere Seele Gefallen findet. Und doch halten im Lemberger Magistratsausschuß die Herren Armatys, Rajski und Jabloriski judenfeindliche Reden. Ein Glück noch, daß die Juden Landesberg, Kolischer, Hö- nigsmann und der edle Christ Rodakowski ihnen heim- geleuchtet haben. In derselben Nummer bespricht Josef Kohn den polnischen Aufstand und prophezeit ihm keinen Erfolg. Polenfreundlich ist der Leitartikel von Nr. 34 vom 4/9. 1863. ("ppn 1K psn» Land oder Leid.) Es ist das eine wahre Lobhymne auf die Heldentaten der polnischen Jnsurgenten. Ebenso der Leitartikel Nr. 41 vom 13/11. 1863. «13^ ni?„ die Zeit des Schweigens ist vorbei die Zeit des Redens ist da. Die polnische Frage ist jetzt, da die Tuilerien ihr Verhalten geändert haben, zur europäischen Frage geworden. Die Beilage zum nrann. ntpn. enthält talmudische und biblische Exegese, Kritik, Linguistisches, Geschichte der Juden, Biographien verdienter Juden (S. 142, 1863. Biographie von Berek Joselowitsch), Biographien be- rühmter NichtJuden, Naturwissenschaftliches, Geographisches, anziehende Erzählungen, Freundschaftsschreiben, moralische

346 Josef Kohn-Zecitk, der letzte neuhebräische

Gedanken ■s~,p^ "pTsn nai herzerquickende Korres- pondenz des Redakteurs an die Abonnenten. Am reich- haltigsten ist die Rubrik D»T» Gedichte da uns Kohn kein einziges Lobgedicht auf den wiü schuldig bleibt. Dann findet man hier sehr viel Gediegenes von Keller, Rall, Sperling, Strelisker, Rabener. Der letzte druckt hier -^eine klassischen Übersetzungen aus Byron, Sperling Übersetzungen von Dr. Rapaports Gedichten, ebenso viele Original-Gedichte. Dem Jahrgange 1863 schließt Kohn ein Beiblatt mit den neuesten politischen Nachrichten an: flia'bfi. ~R hiccnn cp n:tr nnn« -jn htkis 18G3 morr^sa d»öm nan 0^*2? dwki kp miip cjn'a d^s? rva^n D%a$nnn »knfc u vü'flA *a*jvinKri c*2*n nmp *ns, Das Blatt kommt nicht über die neunte Nummer heraus. Im Jahre 1866 sucht Kohn dasselbe Blatt in einer erneuerten, auf die gesamteuropäische Politik zuge- schnittenen Form, herauszugeben, aber auch jetzt ohne Erfolg. Mitte November 18(56 hört der ntfabn» ganz zu erscheinen auf.

jetzt einige Bemerkungen über Stil und Tendenz bei Josef Kohn-Zedek.

Sein Stil ist das Naivste, Erquickendste auf der Welt. Kein, seine Sprache widerspiegelt nicht das sogenannte wirkliche Leben, schmiegt sich nicht an das Leben des Tages und dessen Bedürfnisse an. Aber Kohn-Zedek lebt in Bibel und Talmud, in Midrasch und Peruschim, in Poskim und Pijjutim. Er, der Träumer des Ghetto, lebt in einer Traumwelt und für diese Traumwelt ist gerade der Melizimstil der passendste. Und so ist es nicht lächerlich, sondern rührend, wenn er, um den Tod des österreichischen Kriegshelden Radetzky zu beklagen, der berühmten Zionide des Jehuda Halevy den Ton entlehnt. n\v:r "p^DC? '*?«. ■fpYiW bvz bv ptf /nun whsi rrfcna mbv ica oder wenn sein Entrüstungsschrei über Jehoschua Heschel Schorrs Y'V"n„ an das Jubellied erinnert, mit welchem die jüdi- schen Frauen die heimkehrenden Helden Dawid und Saul begrüßten: »rrorra -w bwm vtbta dwb wn« Daß aber

Publizist ccr gallzischen Haskala. 347

Kohn-Zedek auch die modernsten hebräischen Versmaße meisterhaft zu behandeln versteht, mögen die vielen Ge- dichte beweisen, in welchen er das, was sein Herz am meisten bewegt: seine Zeitschriften, charakterisiert.

Ja, Josef Kohn-Zedeks Stil beschränkt sich nicht auf Melizoth; diese bilden nur eine Seite seines Stiles: seine poetische Prosa, den Ausdruck seiner seelischen Erregung. Er ist in vielen Abhandlungen, zumal in seiner Zeitschrift 'nun "ns„ jener einfachen, klaren, leicht mussierenden, halb rabbinisch, halb im -" ps»^ gehaltenen, hebräischem Prosa fähig, wie sie etwa Franz Delitzsch an Rapaport rühmt.

Besonders hervorzuheben ist die Tendenz von Josef Kohns Zeitschriften. Hier sehen wir eine regelrechte Evolution. Er beginnt mit Preis und Förderung der hebr. Sprache. Aber schon in seiner zweiten Zeitschrift will er besonders auf das Leben Einfluß nehmen. In seiner dritten und vierten Zeitschrift findet seine Liebe zum ganzen Judentum besonders starken Ausdruck. Zugleich sehen wir den Keim einer Tendenz, die Judenemanzipation nicht als das Ende der Erlösung anzusehen, sondern dieselbe auch politisch auszubauen, ohne ihr auch nur im mindesten irgend eines der religiösen Güter zu opfern. Wir können also mit gutem Fug und Recht Josef Kohn-Zedek einen Pfadführer und Wegweiser der hebräischen Publizistik der Gegenwart nennen. Josef Kohn-Zedek ist ein Idealist. Nicht das Erreichte gereicht dem Strebenden zum Lobe, sondern das Gewollte, das Streben selbst. Trotz aller Ent- täuschungen schreitet Josef Kohn-Zedek immer vorwärts, von einer Enttäuschung zur anderen, aber auch stets einen Schritt vorwärts. Er beschließt würdig die Führerepoche der galizischen Haskala, welche seit 1815 ganz Israel vor- geleuchtet hat. Was Josef Kohn-Zedek nicht erreicht, aber trotz allgemeinen Kopfschüitelns und hämischer Ver- dächtigung erstrebt hat, das möge unser Ideal bleiben für- alle Zukunft.

Notizen.

Zur Geschichte der Jaden in Hamburg trägt Einiges bei Ernst Baasch in seinem Heil »Der Einfluß des Handels auf das Geistes- leben Hamburgs« (Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins V) Leipzig 1909. Er betont den Einfluß der Portugiesen und zitiert im Gegensatz zu einer Bußpredigt von 1719, die die Juden als frech schmäht, das Urteil eines früheren Geistlichen Schupp (f 1661), daß der portugiesische Jude sich oft »in Handel und Wandel ehrlicher und aufrichtiger erweise als mancher Christ.« F. Liebermann.

In der Monatsschrift Jahrg. 1904, S. 604 ff. kommt A. Epstein zu dem Resultate, daß die Wormser Thorarolle auf Hirschpergament mit TKO '3*1 1BD nicht identisch ist, und daß R. Meir aus Rothen- burg sie nicht geschrieben hat. Das letztere bezweifelt auch bereits Auer- bach in seiner Geschichte der israelitischen Gem. Halberstadt (Halber- stadt 1866) S. 184 und führt ebenfalls den von Epstein gebrachten Einwand an, daß das alte Wormser Minhagimbuch jene Thorarolle als aus Eger stammend bezeichnet. Einen zweiten Einwand bringt Auerbach im Namen seines Lehrers R. Koppel. Die besagte Thora- rolle habe am Anfange jeder Kolumne ein 1, und das perhorresziere R. Meir aus Rothenburg (vgl. Mordechai m:tDp Jtfsta g. Ende, Ha- gahoth Maimunijoth zu Maimonides fimn ISO Tflsbft VII, 10, wo dieser Brauch dem Schreiber R. Leontin aus Mühlhausen, einem Zeit- genossen R. Meirs, zugeschrieben wird). Auerbach erzählt noch, daß sein Lehrer R. Lob Karlburg (st. 1835 in hohem Alter, vgl. Geiger, Wissensch. Zeitschr. f. jüd. Theologie I, 126) es für wahr- scheinlich hielt, daß die Thorarolle von Eger nach Worms durch R. Meir aus Eger gebracht wurde, den R. Jacob ha-Lewi einst in dessen Laubhütte besuchte, wie von ihm im Maharil a^b R'dhn berichtet wird. Beide seien gleichzeitig in Worms gewesen. Später habe mau R. Meir aus Eger mit R. Meir aus Rothenburg verwechselt, da der letztere in Worms begraben sei. Das VKB n31 1ED sei mit R. Meir aus Eger in Beziehung zu setzen. Wer es geschrieben habe, das sei ungewiß. Louis Lewin.

Notizen. 349

Die Identität dar Familien Theomim und Munk haben die Her- ausgeber der »Jüdischen Privatbriefe aus dem Jahre 1p19«, die Herren Alfr. Landau u. Bernhard Wachstein, durch eine Reihe glücklicher Kombinationen1) tadellos festgestellt. Einige handschriftliche Notizen, die mir vor einiger Zeit bekannt geworden sind, bilden gewißermaßen einen urkundlichen Beleg für diese Feststellung. Sie rühren von der Hand des Prof. Eduard Munk her und finden sich in einer hebr. Bibel2), die ihm gehört hat und jetzt das Eigentum seines Schwieger- sohnes, des Herrn Eduard Caro in Glogau, ist. Den Auftrag zur Niederschrift gab ohne Zweifel Raphael Löbel Munk, der Vater Eduard Munks. Jedenfalls fällt durch sie ein ungeahntes Licht auf die Nach- kommenschaft Israel Theomims, des ältesten Sohnes des Metzer Rabbiners, R. Jona Theomim, über den bisher nur lückenhafte Nach- richten bekannt geworden sind3). Selbst die Inschrift seines Grab- steines, die seit nahezu 180 Jahren an einer leicht zugänglichen Stelle gedruckt vorliegt, ist, so viel ich sehen kann, unbemerkt geblieben. Epitaphia quoque sua fata habent.

Die Notizen aber besagen folgendes: »Als 1813 die Stadt [nämlich Glogau] belagert wurde, zerschmetterten und zerstörten die

») Vgl. Jüd. Privatbriefe S. IX. 4 51.67, N. 2 u. 83, N. 3 u. unten S. 368. Die Umkehrung der Gleichung ist jedoch, wie bereits Landau u. Wachstein bemerken, nicht berechtigt. Keineswegs gehören alle Munks zur Familie Theomim.

2) Es ist die Leipziger Ausgabe, die 1756 bei Bernh. Christ. Breitkopf erschienen ist. Die Notizen stehen darin unter der Über- schrift: »Grabschriften unserer Vorfahren« auf dem letzten Blatt hinter dem Verzeichnis der Haftarot. Ich gebe sie in der folgenden Dar- stellung nach der chronologischen Reihenfolge, in der sie zweifellos in der Urschrift gestanden haben. Prof. Munk hat die beiden Grab- schriften, die für ihn das wichtigste Stück der Überlieferung waren, an die Spitze gestellt.

3) Was wir bisher von ihm wissen, hat zuletzt A. Frei mann in der von ihm besorgten neuen Ausgabe des "iBltP JJpn 'D von Je- chiskija Josua Feiwel Theomim (Sonderausgabe aus der Festschrift zum 70. Geburtstage Harkavys) S. 2 ff., vgl. ZfHB XIII (1909), S. 66 ff., und zwar, so viel ich weiß, sorgfältig zusammengestellt.

350 Notizen.

Soldaten alle jüdischen Grabsteine, und heute hat der vornehm? Herr Vorsteher, R. Raphaei Lob b. Jesaia Munk, Enkel des hier be- grabenen hochgeehrten Mannes, in seiner Opferfreudigkeit dieses neue Denkmal am Orabe seines Ururgroßvaters zur Ehre seiner Vorfahren

errichten lassen am 1817« *).

Raphaei Löbel Munk gehörte um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts zu den angesehensten Männern seiner Vaterstadt. Währer. d der schweren Heimsuchungen, die die Ologauer in der Franzosenze:t nach der Eroberung der Festung zu erdulden hatten, wählte man ihn 1806 in die Kommission, die den Ratsherren zur Wahrnehmung des allgemeinen Wohles und der Gerechtsame der Stadt zur Seite stehen sollte2). Bei der Einführung der Städteordnung wurde er im Februar 1809 zum stellvertretenden Mitglied der Stadtverordneten-Versammlung gewählt und trat am 17. August desselben Jahres als ordentliches Mitglied ia die Versammlung ein. Im Jahre 1811 berief ihn das Ver- trauen seiner Mitbürger zum zweiten Mal in dieses Ehrenamt3). Auf den neuen Grabdenkmälern, die er für seine Ahnen errichten ließ, erhielt das seines Ururgroßvaters folgende Inschrift:

2'Dixn nnwöo b'it rw "mmo pxn yvia binw mia »asTi ö"d

jreb rran ran y p-v ora nmseb T?n

irai '22i xcx Bnnn ■??

nao "irrt [y rraaxi J7tv bhvx

r,znb -bsa pixa c'xno

.-äs bmw* nai

Sie liest sich wie eine zweite, etwas kürzere Fassung der U -

') In der Aufzeichnung Ed. Munks lautet sie wie folgt: I\2V2 mastö ^2 nx nennen *iwx ln-ntrm naw p*Xöa "ryn -xa wxs rj?pn ,,^, .«22 2if? ^xb*i rna c".s pspn ».ifmr. anrnn cmi ^xw *iap ■ax *ax nap ty nxn nsnnn -21:0- n^pm na f^oon naan (!}--: pra p'B5? t'Jr'pn ..... Di"1 vmax "122i7 üpt V2X. Schon die Lücke, die für das Datum des Jahies 5577 sich findet, beweist, daß Prof. Ed. Munk die ihm vorliegende Urschrift nicht mehr entziffern konnte. Die dem Namen des pietätvollen Mannes vorstehenden Titulaturen machen es wahrscheinlich, daß er, wie ich im Text vermute, die Tatsache von einem andern hat notieren lassen.

a) Berndt, Gesch. der Juden in Glogau, S. 99. Vgl. auch meine >Mittei!ungen aus Salomon Munks nachgelassenen Briefen* im Jahr- buch für jüd. Gesch. u. Lit. Bd. II (1S99), S. 152, Anm. 1.

3) Berndt a. a. O. S. lC9f.

Notizen. 351

schrift, vermutlich darum, weil im Laufe der Zeit die Lesbarkeit d?r Inschrift auf dem ersten Denkmal Schaden erlitten hatte. Was aber auf dem im Jahre 1813 vernichteten ersten Denkmal gestanden ha*, wissen wir ans einer etwa hundert Jahre früher angefertigten Abschrift, die ohne Zweifel von dem Pastor Chr. Theophil Unger1), dem »be- geisterten Sammler für jüdische Bibliographie«, herrührt und von dem Hamburger Pastor Joh. Chr. Wolf im 4. Bande seiner berühmten Bibl. Hebr. S. 1215 mitgeteilt ist. Sie hat folgenden Wortlaut:

nan ■•asi \t; »v: p'-inn hv

na^o ntim \t (2"--"i ^ ^b*

naa ^kw -iji r.zrbw n^s» p»a Bixra

h" .";r Tinia pxam bxw< vnrnti «in rr,-

n-Tjtt nruj6 [;ki ran a"1 ,nn*:p^ "p-

(sM31Vn »TOP *«" KJ?1X3 S?*?351

.jTD^ n'BJi (4r.sn T1 •z zvz

Das andere Grabdenkmal Heß er mit folgender Inschrift ver- sehen :

B'B

rw: [T»jrp ibb B'nj?a '2 wrtnjn d'id ^kibm ran "jw rr.a ^rn

.p*B^ rsn (5:s na labiyb -j^n caxr nneveo

bvhvra iinx ü?B3 b*Äsn ba m ."tb pßBn k-ib: ^m nacr rra-n5? ti*? na

.^«•wa rr.vz: naa ^rsn ittiVintfii sv-ei "iai a^a l^sa

Darauf bezieht sich dann die Schlußbemerkung:«) »Auch dieser Stein wurde von R* Raphael Lob b. Israel Munk, dem vornehmen Obervorsteher, dem Enkel des hier Begrabenen, errichtet in seinem Eifer für die Ehre seiner Vorfahren, die im Staube ruhen.«

*) Über Unger (st. 16. X. 1719) vgl. H. B. XVII, 88, Stein- schneider, Katalog der hebr. HSS. der Hamburger S'.adtbibl. S. VIII. 147 u. meine Abhandl. »Eine Sammlung, Fürther Grabschriften« S. IX.

2) So ist wohl zu lesen statt naa"1! im Text. Vgl. b. Rosch ha- Schanah 33b f.

s) »aiSPn ist offenbar ein Schreibfehler. Die Wendung aus Ab. sara 24 a.

4) rrtPn MBB sind offenbar Schreibfehler. Die Munk'sche Ab- schrift und die Totenlisten haben übereinstimmend n'BJl.

6) Abweichend hiervon haben die Giogauer Totenlistea über- einstimmend das Datum ,va.

e) Sie lautet im Urtext: pÄpn tpbxx v$ er" näH [BJtl 03 TTSab s:p a ,-s ^zp:r, "733 "vi -i-a ^yv n'a \z 3'f? 'tkb'i ,-■; a* d "an p-sa vr« D-pnsn vn^x.

352 Notizen.

Ans diesen steinernen und einigen papierenen1) Resten wissen wir nunmehr etwa folgendes über den Lebensgang und die Nach- kommenschaft R. Israel Theomims. In den nationalen Studien war er wohl bewandert, wenn er auch niemals ein rabbinisches Amt, wie seine Brüder, Isaak Maier und Josua Feiwel2), bekleidete. Nach dem Tode des Vaters, 16. April 1669, ließ er dessen Buch in Amsterdam drucken und schrieb ein Vorwort dazu. Später zog er wohl nach Posen5) und siedelte von dort nach Ologau über. Hier war sein Schwager, R. Abigedor b. Schneior, Rabbiner4), und hier kam auch er

') Ich habe das Aktenstück A. A. II 21 b des Breslauer Staats- archivs und die Totenlisten der Qlogauer Gemeinde benutzt. Es sind der letzteren, im Besitz des »Heiligen Stifts« daselbst, zwei vorhanden: 1. ein Folioband, angelegt von Michael, dem Beamten der pn (st. So., 7. Schebat = 23. Januar 1820) im Auftrage des Vorstandes der Brüderschaft am (9. Schebat =) 19. Januar 1796 und fortgeführt von dessen Amtsnachfolger Selig b. Isaac Caro (gest. 25. Tischri =

1. Oktober 1850). Er enthält eine chronologische Übersicht der von 1710—1850 alljährlich Verstorbenen und als Einführung dazu einige (13) Daten aus früherer Zeit auf 25 Bl., dann ein Verzeichnis der in den 51 Qräberreihen des Friedhofes Beerdigten auf (12) + 52 BI. Das Blatt hinter dem Titelbl. und 6 Bll. am Ende sind unbeschrieben.

2. Ein alphabetisches Register dazu, das die Namen in zeitlicher Reihenfolge aufzählt und die Qräberreihe anzeigt, in einem Oktav- band. Beide Register sind mit anerkennenswerter Sorgfalt geführt. Das zweite scheint ganz von der Hand Selig Caros herzurühren.

2) Vgl. Freimann a. a. O.

s) Die alphabetische Totenliste nennt ihn schlechtweg R. Is- rael Posner, während er im Folioband JW •ü flXJn STtt bxw V'D heißt. Auch der Lissaer Zweig der Familie, die Ahnen des Danziger Rabbiners, des Verfassers des VKO ma ICD, nannten sich Posener. Vgl. L. Lewin, Qesch. d. Juden in Lissa S. 218 ff., 334, 380. Übrigens erhielt Israels Bruder, Isaak Meir, 16S5 eine ehrenvolle Berufung zum Rabbinat in Posen, die zwei Jahre später für null und nichtig erklärt wurde. Vgl. die von Buber in seinem fizw: mp S. 43 nach Ab- schriften, die ihm Ph. Bloch aus den Posener Oemeindebüchern ver- schafft hat, veröffentlichten Urkunden. Vielleicht bringen weitere Urkundenfunde einmal Licht in die dunkeln Vorgänge. In Lissa stammte auch die Familie Norden in weiblicher Linie von dem Metzer Rabbiner R. Jonah Theomim ab. Vgl. D^Hp fljn S. 95, 102,. 110 u. Lewin a. a. O. S. 333.

4) S. D^Hp J1JH S. 95, 102. Friedberg, plSt T\mb, 2. Aufl. S. 90.

Notizen. 353

selbst bald zu hohem Ansehen. Etwa drei Jahrzehnte überlebte er seinen Schwager (st. 23. März 1675)1) und mehr als 11 Jahre seinen Sohn Samuel Feiwel, den Namensträger eines seiner berühmten Ahnen, der am (24. Nissan =) 19. April 1694 in Kremsier die letzte Ruhestätte gefunden hat'). Neues Glück wird ihm in der Familie seiner andern drei Söhne, die in Glogau ihre Heimat fanden, erblüht sein. Am Sonnabend, den (12. Tammus =) 4. Juli 1705 ging er zur ewigen Ruhe ein.

Von den in Glogau ansässigen Söhnen hieß der eine Nathan. Von ihm wissen wir nur, daß seine Frau Malka am (18. Tebeth =) 10. Januar 1738, sein Sohn Hirsch am (17. Nissan =) 4. April 1768 und seine Schwiegertochter Esther am (13. Cheschwan =) 5. Novemb. 1767 gestorben sind.

Von dem anderen Sohn Juda erfahren wir8), daß er »mit allem, was ihm in die Hände kam, handelte« und ziemlich bemittelt war.

Sie beide überragte an Einfluß und Ansehen der dritte Sohn J esaia. Nach den Akten gehörte er zu den Rentiers und Particuliers, deren damals acht in der Gemeinde gezählt wurden. Angeblich, heißt es, lebe er von seinen Interessen, tatsächlich aber sei er ein Rechts- consulent, wobei er viel Geld verdiene. So die Darstellung der den Juden wenig freundlichen Kommission, die mit der Aufnahme der Seelenzahl der Gemeinde betraut war*). In Wahrheit war er der Schtadlan oder rechtskundige Sachwalter, der die Interessen der Gemeinde und jedes ihrer Mitglieder bei der Obrigkeit wahrzunehmen und zu ver- treten hatte. Offiziell gab es zwar in Glogau einen Beamten, der diesen Titel führte, damals nicht. Das Gemeindestatut vom (19 Tebeth =) 23. Dezember 1687 bestimmte vielmehr (Kap. 7, §. 2), daß der Monats- vorsteher verpflichtet sei, jedem Gemeindemitgliede als Rechtsbeistand im Verkehr mit der christlichen Obrigkeit zur Seite zu stehen. Jedoch sei der Vorstand befugt, auch ein geeignetes Gemeindemitglied mit dieser Aufgabe zu betrauen, und jedermann müsse ohne weiteres, wenn er sich nicht schwere Strafe, die der Vorstand nach seinem Ermessen festsetzen dürfe, aussetzen wolle, einen solchen Auftrag übernehmen*). Wie dringend nötig gerade damals, als der Rat der Stadt

x) Vgl. die Grabschrift bei Wolf Bibl. hebr. IV, 1215.

8j Vgl. Frankel-Grün, Gesch. d. Juden in Kremsier, I, S. 113, Anm. 2, wonach 1690 das Todesjahr wäre, und Kaufmann, letzte Ver- treibung. S. 184, Anm. 9.

s) Bresl. Staatsarchiv AAII 21b.

*) Bresl. Staatsarchiv a. a. O.

°, Der Passus lautet; b?2W2 innrni? "|V^ a^ino [BHWl] CJiDH

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 23

354 Notizen.

erfahr, daß die Seelenzahl der Gemeinde auf etwa 1200 Personen ange- wachsen sei, jeder, der seines Heimatsrechts nicht ganz sicher war, eines rechtskundigen Beistandes bedurfte, wird bei anderer Angelegenheit im Einzelnen nachgewiesen werden1). Jedenfalls erfahren wir so viel aus der knappen Nachricht, die wir auf dem Grabstein lesen, daß R. Jesaia mit heißem Bemühen und glücklichem Erfolge sich seiner Auf- gabe unterzogen habe. Er starb am (25., nach anderer Nachricht») am 16. Ab =) 6. August 1733. Von seinen beiden Söhnen wurde Notel, d. i. Nata, gest. (26. Tischri =) 13. Oktober 1762, der Vater des Jesaia, gest. (4. Elul =) 16. August 1798, dessen Sohn R a p h a e 1 Löbel, gest. (2. Adar I =) 3. April 1832, eben derjenige war, der pietätsvoll die Grabsteine seiner Ahnen wiederherstellen ließ.

Was außerdem die Totenlisten über die Nachkommen Israel Theomims berichten, ist aus der nebenstehenden genealogischen Übersicht (auf S. 355) zu ersehen.

Nur die folgenden Mitglieder der Familie Munk ließen «ich zwanglos in diesen genealogischen Rahmen nicht einfügen :

1. Freudel, Tochter des R. Veitel Munk, Frau des R. Jekuthiel b. Meir Sachs, gest. (29. Cheschwan =) 17. November 1732. Vielleicht war sie die Tochter des am 28. August 1724 verstorbenen Hotzen- plotzer Rabbiners1).

2. Elkana b. R. Salomo Munk, st. (1. Tischri =) 27. September 1764.

3. Chajja, Frau des R. Juda Munk, Tochter d. Abr. Asch aus Posen, st. (24. Schebat =) 15. Febr. 1765.

4. Taube, Frau des R. Pinchas Munk, st. (29. Nissan =) 10. April 1774.

5. Raliche, d. i. Rahelchen, Witwe des R. Elkana Munk, st. (17. Schebat =) 3. Februar 1798, vermutlich die Witwe des sub 2 erwähnten.

6. Freude aus Rawitsch, Frau des R. Salomo Munk, st.

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D^iTOon wy mxi ^ DJps DOTUDn v.VS. Die Statuten, die Berndt a. a. O. S. 45 nicht finden konnte, will ich demnächst in ihrem ganzen Wortlaut veröffentlichen.

*) Vgl. vorläufig Berndt a. a. O. S. 39 ff. u. meine Geschichte des Landrabbinats in Schlesien S. 11.

•) In den TotenlisteH steht die Ziffer »25«, der neue Grabstein hat »16*.

*) Vgl. meine Mitteilung bei Graetz-Kaufaiann, S. 384b, Anm

Notizen.

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23*

356 Notizen.

(7. Adar =) 1. März 1803, vielleicht die Schwiegertochter des sub 2 und 5 erwähnten Ehepaares.

Ebenso wenig habe ich bei dieser Umschau unter den Mit- gliedern des Qlogauer-Zweiges des Geschlechtes Theomim-Munk Zuverlässiges über die Vorfahren des berühmtesten Trägers dieses Namens, über Salomon Munk, der eine Zierde der Wissenschaft des Judentums geworden ist, ermitteln können. Die Namen seines Vaters (Elieser LippmaHn) und seines Großvaters (Samuel), gemeinhin für diese Zeit die sicheren Kennzeichen genealogischen Zusammenhanges, kommen während des 18. Jahrhunderts bei den Glogauer Munks nicht vor. Aus der Stammrolle1) der Glogauer Judenschaft, die, auf Grund des Juden-Gesetzes vom 11. März 1812, schon wenige Tage später, am 24. März, angelegt worden ist, scheint vielmehr hervorzu- gehen, daß sein Vater aus Lissa stammte, wo ebenfalls ein Zweig der Familie Theomim-Munk ansäßig war. Er kam wohl erst 1795 zum Antritt seines Amies als >Schammes oder Beglaubigter» der Gemeinde nach Glogau und starb plötzlich bei einem Aufenthalt in Schlichtings- heim am (Purim Schuschan =) 11. März 1811. Die Eintragung über seinen Familienstand in der erwähnten Stammrolle hat folgenden Wortlaut : l)

»Malcke Lippmann Munk, Witwe, geb. 13. April 1772. Kinder: l.Amalie, geb. 23. April 1790. 2. Char- lotte, geb. 1. Juni 1796. 3. Samuel, geb. 2. August 1801. 4. Salomon, geb. 14. Mai 1805«. Dazu die beson- dere Bemerkung: »Die Witwe ist 17 Jahre hier. Ist die Witwe des verstorbenen Schammes und aus Lissa gebürtig.« Der Prof. Eduard Munk, von dem die Nachrichten über seine Ahnen herrühren, benutzte sein Bibelexemplar aber auch nach der alten Vätersitte zur Aufzeichnung wichtiger Ereignisse aus seinem eigenen Leben. Auf der Rückseite des Blattes, dessen Inhalt bereits mitgeteilt ist, lesen wir u. a. von seiner Hand:

»Die Vermählung mit meiner geliebten Frau Ulrike geb. Bam- berger war 22. Oktober 1840, K"nn "HBT .T3»

l) Sie war mir, als ich 1899 Mitteilungen aus Sal. Munks nach- gelassenen Briefen machte, vgl. oben S. 350, Anm. 2 noch nicht bekannt. Vgl. a. a. O. S. 153. Die Eintragung hat in der Stammrolle die Haushaltungsnummer 136 und die Personalnummern 413-417. Da- durch werden meine Angaben a. a. O. S. 153, Anm. 2 teilweise er- gänzt und berichtigt. Das richtige Geburtsjahr Sal. Munks war übrigens trotz der Stammrolle 1803. Seine Mutter starb am (18. Ijar =) 7. Mai 1844. Vgl. den Brief a. a. O. S. 198.

Notizen. 357

«Meine gel. Tochter Agnes wurde geboren 3. Dezember 1842, a*"in mto n-i.«

Es folgt dann u. a. das Datum der Hochzeit dieser Tochter am 9. Januar 1866 und der Geburtstag seines ältesten Enkels Georg Martin 03110 pnst") Caro, am 29. November 1867 (rrsin iScs 'S), desselben, der für den von unserer Gesellschaft herausgegebenen »Grundriß der Gesamtwissenscbaft des Judentums« die »Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden im Mittelalter uad der Neuzeit« schreibt und den ersten 1908 erschienenen Band seinem Großvater Eduard Miink gewidmet hat. Ein neuer Beweis für den alten Satz1) daß die »gelehrte Forschung immer wieder in ihrer alten Herberge Einkehr hält« M. Brann.

i) b. Baba mez. 85 a.

&

Besprechungen.

Die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen. (Denkschrift im Auftrage des Verbandes der deutschen Juden gefertigt von seinem ersten Schriftführer Justizrat Bernhard Breslauer. Berlin 1909. Druck von Berthold Levy, Berlin C.) Die Juden Im ßrossherzogtom Hessen. (Im Auftrage der Oroßloge für Deutschland U. O. B'nei B'riss, be- arbeitet vom Bureau für Statistik der Juden. Berlin 1909. Verlag von Louis Lamm ) Die Entwicklang der jüdischen Bevölkerung in München 1875—1905. (Ein Beitrag zur Kommunalstatistik von Dr. Jacob Segall, herausgegeben vom Verein für die Statistik der Juden, E. V. München 1910. Verlag des Bureaus für Statistik der Juden, Berlin.)

Seit den letzten Jahrzehnten, in denen die Industrialisierung Deutschlands von Jahr zu Jahr immer mehr fortschreitet und die Zentralisierung des Handels und Verkehrs in den Großstädten zu- nimmt, hat die Binnenwanderung einen enormen Umfang angenommen. Aus einer vor kurzem für das Jahr 1909 veröffentlichten Statistik über den Quittungskartenaustausch aller deutschen Versicherungsanstalten ergibt sich, daß für dieses Jahr die Summe der zugewanderten und abgewanderten Personen, bezw. Lohnarbeiter über 16 Jahre sich auf mehr als vier Millionen beläuft, wiewohl die Binnenwanderungen innerhalb des Bezirkes einer Versicherungsanstalt dabei nicht in Er- scheinung treten und außerdem die Statistik des Quittungskarten- austausches aus mancherlei Gründen nicht alle Arbeiter erfaßt. Der Wanderungsverlust, die Differenz zwischen Ab- und Zuwanderung von Arbeitern stellt sich am höchsten bei Schlesien mit 101066, bei Ostpreußen mit 75 694, bei Posen mit 74323, bei Westpreußen mit 65 430, bei Bayern mit 54380 und Sachsen-Anhalt mit 51591. Die größte Anziehungskraft haben Berlin und Brandenburg gehabt, die einen Wanderungsgewinn von über 115C00 Personen aufweisen, er- heblichen Zuzug haben noch die Rheinprovinz, die Hansastädte, Westfalen und Hessen-Nassau zu verzeichnen.

Dem Zuge der Zeit sind auch die deutschen Staatsbürger jüdi- schen Glaubens gefolgt; meist nicht gebunden durch immobilen Besitz, haben sie ebenso wie die Arbeiter ihren Wohnsitz dorthin verlegt, wo sich ihnen eine bessere Existenzmöglichkeit bot; ihnen

Besprechungen. 359

wegen der geringen Bodenständigkeit einen Vorwurf zu machen hieße ihn auch gegen sehr erhebliche Teile der deutschen Bevölkerung nichtjüdischen Glaubens erheben, was aber nicht einmal von dem größten Parteifanatiker geschieht. Unter den Zeitläuften haben natür- lieh am meisten gelitten die östlichen Grenzprovinzen unseres Vater- landes, die ohne Hinterland und meist ohne Industrie in der Ent- wicklung nicht gleichen Schritt mit den bevorzugteren Teilen Deutsch- lands hielten. Bei der Provinz Posen kommt noch zu, daß ihm ein eigentliches Handelsemporium fehlt und die Nationalitätsstreitigkeiten dort einen Charakter annahmen, der zum Teil den Handel unterband. Alle diese Ursachen führten zu der Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen, die zum großen Teil dem Handel ergeben waren. Die Tabelle, die in der Denkschrift über die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen enthalten ist, zeigt, in welchem Umfange sich die jüdische Bevölkerung der Provinz Posen in fast allen Städten seit den 60. Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart ver- ringert hat. Gemeinden mit stattlicher jüdischer Bevölkerungszahl, wie z. B. Schwersenz, Rogasen, Grätz, Rawitsch und andere sind zu Zwerggemeinden herabgesunken, und fast hat es den Anschein, als ob noch immer nicht der Tiefstand erreicht ist und die Entvölkerung der Provinz Posen von Juden ihren Fortgang nimmt. Die traurigen jüdischen Gemeindeverhältnisse der Provinz springen noch mehr ins Ange, wenn man sich die Tabelle B der Denkschrift ansieht, in der aus der Gesamteinwohnerzahl der Prozentsatz der jüdischen Ein- wohner in den Jahren 1849, 1885 und 1905 berechnet ist. Fast alle Städte, die Landstädte und die größeren und großen Städte, besonders aber die Stadt Posen, haben seit 1849 an Einwohnerschaft zuge- nommen oder sich auf der alten Höhe gehalten, der Prozentsatz der jüdischen Einwohnerschaft ist aber enorm gefallen ; selbst die Stadt Posen, in der die Juden 1849 ein Fünftel der Bevölkerung bilden, weist im Jahre 1895 nur 10 Prozent Juden auf, ein Satz, der im Jahre 1905, wenn auch unter Einfluß der Eingemeindungen, auf 5 Prozent heruntergegangen ist. Der Prozentsatz der Abwanderung erhöht sich noch, wenn der Überschuß der Geburten über die Todes- fälle mit berücksichtigt wird. Einen Anhalt über das Ziel der Ab- wanderung der Juden gibt die Denkschrift nur andeutungsweise ; ihrem Verfasser dürfte das statistische Material gefehlt haben und gerade dieses würde es ermöglichen, die Gründe, die die Denkschrift über die Abwanderung der Juden aus der Provinz angibt, nachzu- prüfen. So dankbar man dem Verfasser für die Aufrollung des histo- rischen Bildes über die Entwicklung der jüdischen Einwohnerschaft in der Provinz sein kann, seine Gründe für die Abwanderung der

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Juden aus der Provinz Posen und die Mittel für ihre Beseitigung sind keine zwingenden und werden ihre Verteidiger oder Gegner, je nach dem politischen Standpunkt, den man einnimmt, finden, wenn auch gesagt werden muß, daß ein jüngst erschienener Aufsatz von Wassermann in einer politischen Revue fast zu denselben Folgerungen kommt, wie unsere Denkschrift.

Das Oroßherzogtum Hessen hat auch eine starke Abwanderung der Juden nach den Großstädten und Industriezentren aufzuweisen, die aber nicht den Umfang derjenigen aus der Provinz Posen er- reichte. Nach den statistischen Angaben des vom Bureau für Statistik der Jaden herausgegebenen Bücher >Die Juden im Großherzogtum Hessen« belief sich die Zahl der Juden im Jahre 1822 auf 19530, stieg dann bis zum Jahre 1849 auf das Maximum von 28 0C0, um bis zum Jahre 1905 auf rund 25000 herabzugehen. Vom Jahre 1822 bis 1905 innerhalb eines 83jährigen Zeitraumes lassen sich drei Perioden unterscheiden; in der ersten bis zum Jahre 1849 reichenden vermehren sich die Juden erheblich stärker als die sonstige Bevölkerung, dann folgt ein Zeitraum von 12 Jahren, in dem das Wachstum der Juden gleichen Schritt mit der übrigen Einwohnerschaft hält, während in der dritten mit dem Jahre 1861 beginnenden Periode die Zahl der Juden absolut und relativ abnimmt. Die Verschiebung, die eingetreten ist, wird klar am besten durch folgende Prozentzahlen: Während die sonstigen Religionsgemeinschaften des Großherzogtums von 1849 bis auf 1905, sich um 50 Prozent vermehrten, haben die Juden sich um 12 Prozent vermindert. Der Hauptgrund für den Rückgang der jüdischen Einwohnerschaft in Hessen ist in der Abwanderung, wie in Posen, zu finden, der eine gleich starke Zuwanderung nicht ge- genübersteht. Der Gesamtverlust der Juden durch Wanderung beläuft sich vom Jahre 1867 bis 1905 auf 9278 Personen. In der Hauptsache haben die Abwandernden sich nach anderen deutschen Bundesstaaten, insbesondere nach Preußen und hier wiederum nach dem nahen Handelszentrum Frankfurt am Main, sodann aber auch nach Berlin und dem rheinischen Industriegebiet gewendet. Infolge der Binnen- wanderung ist aber auf dem platten Lande eine vollständige Entvöl- kerung von Juden eingetreten. Die Zahl der Orte mit weniger als 10 Juden ist von 67 auf 102 gestiegen, die Zahl der Orte mit 30 und mehr Juden von 309 auf 176 gesunken. Die moderne Entwicklung und die Konzentration haben es zuwege gebracht, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts die Klein- und Mittelgemeinden an Boden verloren, während die Zahl der Großgemeinden von 4 auf 7 gestiegen ist und die jüdische Bevölkerung in ihnen von 3797 auf 10328 zuge- nommen hat. Trotzdem sind die abnormen Verhältnisse im Groß-

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Herzogtum Hessen noch nicht so weit vorgeschritten, wie in Preußen, wo im Jahre 1905 bereits 64,96 Prozent aller Juden in Städten mit mehr als 5C0 jüdischen Einwohner lebten gegen 41,46 in Hessen. In unserem großen deutschen Vaterland stehen wir bald vor der Tatsache der Entvölkerung des platten Landes von Juden und die Zeit ist nicht mehr fern, wo der Zuzug der jüdischen Bevölkerung aus den kleinen Städten und Dörfern in die Großstadt aus natürlichen Gründen und Mangel an Nachwuchs unterbunden sein wird. Die Quellen des Jungbrunnens für das Judentum versiegen dann, wodurch dem Judentum in Deutschland ein unheilbarer Schaden erwachsen wird. Hiezu kommt noch, daß die jüdische Einwanderung aus dem Ausland nach Preußen und den andern deutschen Staaten durch gesetzliche Maßnahmen mehr oder weniger verhindert wird. So sympathisch auch immer die Kolonisationsbestrebungen, ausländische Juden jenseits des Meeres in Asien und anderswo ansässig zu machen, erscheinen mögen, in Deutschland gibt es für die charitativen Vereine hin genügend zu tun, deutsche Juden in unserem Vaterlande zu koloni- sieren, und nicht bloß die Vereine, sondern die Riesengemeinden mit ihren großen Mitteln müssen dafür eintreten, um Wandel zu schaffen und zu erhalten suchen, was noch zu retten ist. Will man aber die Schäden der Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in ihrer ganzen Vollständigkeit aufdecken, dann bedarf es eines klaren Bildes, das nur eine allgemeine Statistik über die deutschen Juden geben kann. Die staatlichen statisti- schen Ämter, darin stimmen wir den Ausführungen des Vorwortes zu der »Statistik der Juden im Großherzogtum Hessen« voll und ganz bei, können bei ihren andersartigen Zielen naturgemäß die Verhältnisse einer konfessionellen Minderheit nicht so eingehend berücksichtigen, als es vom Standpunkte desjenigen, der sich für die besonderen Ver- hältnisse dieser Minderheit interessiert, wünschenswert erscheint. Aber private Erhebungen, mögen sie durch die Logen oder durch die Gemeinden selbst ihre finanziellen Unterstützungen erfahren und von einem in mancherlei Beziehung verdienstvollen Vereine, wie dem Vereine für jüdische Statistik, ausgehen, genügen nicht für diesen Zweck; die Großgemeinden, vor allem der Vorstand der jüdischen Gemeinde von Großberlin mit eiser Seelenzahl von fast 150.000 muß ein statistisches Bureau schaffen, das in der Lage ist, ständig, nicht bloß temporär, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des deutschen Judentums beleuchten zu können. In den Vorständen der jüdischen Großgemeinde sitzen Männer der Praxis und Wissenschaft, die den Wert der Statistik sonst nicht zu unterschätzen pflegen. Daß aber trotzdem die Organisation zwecks einer umfassenden Statistik über die deutschen Juden noch so sehr in den Anfangsstadien steckt,

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ist tief bedauerlich ; mindestens ebenso wichtig wie die Frage, ob der Gottesdienst nach der neuen oder anderen Richtung umgestaltet werden soll, muß es erscheinen, ein möglichst geschlossenes Bild aller statistischen Verhältnisse der Juden zu erhalten. Auf Selbsthilfe sind die Juden gewohnt zu bauen, und wenn der Wille nur da ist, wird sich auch ein Weg finden lassen, um derartige Bestrebungen voll und ganz durchzuführen.

Wie aber eine solche Statistik aufzumachen ist, dafür hat Dr. Segall in seiner Schrift »Die Entwicklung jüdischer Bevölkerung in München von 1875 und 1905« ein glänzendes Muster gegeben. Segal! beherrscht die Methodik der Statistik in ausgezeichnetem Maße und versteht es, die trockenen Zahlenreihen durch seinen Text zu beleben und klar ohne tendenziöse Färbung zu veranschaulichen. Die jüdische Gemeinde Münchens verdankt ihr starkes Wachstum in den letzten 20 Jahren auch dem Zuzüge vom Lande in die Stadt und der Einwan- derung vom Auslande. In der Zusammensetzung der jüdischen Be- völkerung selbst hat sich während dieser Zeit eine Veränderung von tiefgreifender Bedeutung vollzogen. Während in den Jahrfünften 1875—1880 und 1880—1885 die ortsgebürtigen und die aus dem sonstigen Bayern stammenden Juden den Kern der Münchener Ge- meinde bildeten, begann Ende der 80er Jahre mit dem wirtschaft- lichen Aufschwung Münchens der Zuzug der sonst im Deutschen Reich gebürtigen Juden, namentlich aus Württemberg und Preußen, außerdem setzte noch eine erhebliche Einwanderung von Ausländern ein. Die Folge dieser Umgestaltung der innern Gliederung der jüdi- schen Masse ist einerseits starker Männerüberschuß, Abnahme der Kinderzahl und Zunahme der höheren Altersklassen, andererseits im Zusammenhang damit ein starkes Nachlassen in dem natürlichen Wachstum der jüdischen Bevölkerung infolge Sinkens der Geburten und der Fruchtbarkeitsziffer. Die Sterblichkeitsziffer, vor allem die Säug- lingssterblichkeit, ist überaus günstig, was wohl auf den wachsenden Wohlstand der Gemeindemitglieder mit zurückgeführt werden kann. Eine Begleiterscheinung des Großstadtlebens ist der hohe Prozent- satz der Mischehen in München, der dem der anderen deutschen großen Städte gleichkommt.

Wie Segall, hat auch Ruppin in seinem Buche über die Juden in Hessen neben der Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Großen und Ganzen auch die Fragen über die Geburten, Ehe- schließungen und Sterbefälle, über die Taufen und Mischehen, über die Gliederung der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter und Familien- stand, über die Schulbildung und die berufliche Gliederung eingehend erörtert. Ob seine Schlußfolgerungen und Bemerkungen, die er ein-

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streut, immer vollkommen zutreffen, besonders wo er auf die jüdischen Ehevermittlungen zu sprechen kommt, lassen wir dahin gestellt sein, jedenfalls hat er ein warmes Herz für das Judentum und ist, wie Segall, ein Statistiker, dessen Schriften lesens- und beachtenswert sind. Seiner wissenschaftlichen Statistik fügt Segall noch einige Kapitel über die Religions- und Kultusgemeinschaften der Juden in Hessen hinzu, die für den Fachmann viel Wissenswertes enthalten.

Beide Verfasser, Segall und Ruppin, haben zu ihren Arbeiten amtliches Material benutzen können, das bei letzterem noch durch eigene Umfragen bei den Vorstehern der jüdischen Gemeinden Hessens ergänzt worden ist. Es steht zu erwarten, daß, wenn die Groß- gemeinden erst ihre Statistischen Bureaus ins Leben rufen, ihnen mindestens dieselben Quellen zur Verfügung stehen werden, wie den beiden Autoren, besonders da die Vorstände der jüdischen Gemeinden der Großstädte Männer von Einfluß in ihrer Mitte haben, die ihre kommunalen und staatlichen Verbindungen auszunützen verstehen werden.

Die Segallsche und Ruppinsche Arbeit sind wissenschaftlich und praktisch von großem Wert und können jedem, der sich für die gegenwärtige Lage der jüdischen Bevölkerung interessiert, nur warm empfohlen werden.

Charlottenburg. Julius Rothholz.

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Dr. med. et phll. Kotelmann: Die Ophthalmologie bei den alten Hebräern, ans den alt- und neutestamentlichen Schriften unter Be- rücksichtigung des Talmuds dargestellt. Hamburg und Leipzig, bei L. Voss, 1910. VI + 435.

Der Verfasser, der erst im höheren Alter, nachdem er vorher als Pfarrer und dann Jahre hindurch als Gymnasiallehrer gewirkt hatte, zur Augenheilkunde überging, hat in diesem nach seinem Tode erst im Druck erschienenen Werke gewissermaßen seine Lebensarbeit konzentriert gegeben. In den 2874 Anmerkungen steckt die Summe aller der Notizen und Einfälle, die der Verfasser in nunmehr als 30 Jahren aufsammelte. Neben der hebräischen, griechischen und lateinischen Literatur wird die arabische, spanische, altfranzösische, englische reichlich zitiert. Eine wirklich fachkundige Beurteilung dieses Werkes, auch in allen seinen Zitaten auf deren richtigen Auffassung usw. könnte nur von einem gleich umfassend gebildeten Polyhistor, wieder Verfasser einer war, geliefert werden. Referent muß gestehen, daß er von seinen, im wesentlichen ophthalmologischen und nicht philologischen Standpunkt aus, einigermaßen durch dieses Buch enttäuscht wurde. Der Verfasser faßt zunächst schon das Thema »Ophthalmologie« so weit als möglich. Er handelt außer den eigentlichen Augenkrankheiten und deren Behandlung auch noch eine Menge mehr oder weniger lose hiemit zusammenhängender Dinge ab : die Kenntnisse der Anatomie des Aages und der Physiologie ; die soziale Stellung des Blinden ; die Art der Schrift, der Beleuchtung; die Kenntnisse der Farben, Farbenbezeichnungen, deren Vorkommen im Vergleich zu den alt- griechischen Farbennamen und Belegstellen (darüber allein 49 Sjitea!) bei Gelegenheit der ansteckenden Augenleiden werden in sehr aus- führlicher Weise die Geschlechtskrankheiten und die hiergegen ge- rüsteten Verhütungsvorschriften besprochen. Dabei steht die schließliche Ausbeute an wissenschaftlicher Erkenntnis, insbesondere an neuen Tatsachen in keinem Verhältnis zu dem Umfang der aufgewandten Arbeit und der Darstellung. Das ganze macht mehr den Eindruck einer Materialiensammlutig zu einem noch zu schreibenden Buche, als den eines fertigen, eigenen Werkes. Nicht unwichtige Fragen, z. B. die nach dem Vorkommen des Trachoms (der sogenannten ägyptischen Augenentzündung) werden mit großem gelehrten Auf-

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wand indirekt zu beantworten gesucht ; es wird ausführlich nach- gewiesen, daß die alten Ägypter stark darunter litten, daß die heutigen Juden nicht immun dagegen sind und im heutigen Palästina ebenfalls viele Fälle zu beobachten sind. Daraus wird geschlossen, daß wahr- scheinlich Trachom auch bei den alten Hebräern grassiert habe. Hierauf folgt auf 20 Seiten die sehr gewagte und keinesfalls hin- reichend motivierte Hypothese, der Apostel Paulus habe an Trachom gelitten, als er )}oY äadeveiav rffc «jap/tri?" in Qalatien Station machen mußte.

In ähnlicher unkritischer, respektive nicht naturwissenschaftlicher Methodik behauptet Verfasser das Vorkommen der Kurzsichtigkeit bei den alten Hebräern aus der Tatsache heraus, daß Schreiben und Lesen bei ihnen weit verbreitet war, daß ihre Schrift die Augen anstrengt und daß die heutigen Juden zur Kurzsichtigkeit besonders disponiert seien (das letztere wird zwar öfters behauptet, aber keineswegs einwand- frei bewiesen). Recht interessant ist die umfassende Literaturzusammen- stellung bezw. der Blindenheilung im alten Testament (Tobias) und im neuen (durch Jesus und Ananias).

Berlin. A. Crzellitzer.

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Landau Alfred und Wachstem Bernhard, Jüdische Privatbriefe aus dem Jahre 1619. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich, herausgegeben von der historischen Kommission der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Band III. Mit 8 Schrifttafeln. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1911. XLIX u. 133 u. 61 Seiten.

»Briefe, die sie nicht erreichten*, hat auch die jüdische Literatur jetzt aufzuweisen. Wachstein und Landau veröffentlichen 47 Privat- briefe, die von den verschiedensten Einwohnern der Prager Juden- gasse am Freitag Nachmittag, den 22. November 1619, in jüdisch- deutscher Sprache zumeist, geschrieben und an ihre Verwandten und Bekannten in Wien gerichtet waren. Unterwegs geriet der Briefbeutel dem Boten des als Postmeister fungierenden Lob SarelQutman in Verlust. Vermutlich wurden Bote und Beutel von umheistreifender Soldateska abgefangen warfen doch schon die Kriegswirren des dreißigjährigen Krieges ihre Schatten, auch auf den Inhalt der Briefe selber! Unbe- kannt, auf welchem Wege, gelangte der Briefstoß in die Wiener Archive, wurde im Staatsarchiv wieder entdeckt, und nunmehr auf Veranlassung der historischen Kommission der israelitischen Kultusgemeinde Wien als dritter Band der Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich zur Veröffentlichung gebracht. Wachstein und Landau, beide allen jüdischen Spezialforschern wohlvertraute und von diesen hochgeschätzte Männer, hatten ursprünglich, jeder für sein eigenes Arbeitsgebiet, die Briefe durchstöbert, entschlossen sich dann aber zu gemeinschaftlicher Herausgabe des ganzen Fundes und bieten eine Edition, die ohne Übertreibung als eine klassische be- zeichnet werden darf. Einer glänzenden ausführlichen Einleitung über Geschichte, Form und Inhalt der Briefe folgt deren Text in deutscher Übertragung mit zahlreichen erklärenden, historischen und sprachwissenschaftlichen Anmerkungen, Stammtafel, Personen-, Sach- und Ortsregister, Verzeichnis der Abkürzungen in den Originalen und in der Übertragung, alsdann ein Glossar des altdeutschen Wortge- brauchs und zum Schlüsse der Originaltext in hebräischen Lettern nebst einer Reihe von Lichtdrucken als Textproben und einigen Siegel- abdrücken. Die ganze Ausgabe erfreut auch schon äußerlich durch ihre treffliche buchhändlerische Ausstattung.

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Die Bedeutung der Briefe für die Kultur-, Familien- und Sprachgeschichte der Juden läßt sich am besten mit derjenigen der Memoiren der Qlückel von Hameln zusammenstellen. Wie diese Selbst- aufzeichnungen für die zweite Hälfte, so sind die Privatbriefe für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Fund- grube für die Forschung auf jenen Gebieten. Das psychologische Interesse, das sie durch den Einblick in so unverhüllt und unge- schminkt, weil rein vertraulich zwischen den nächsten Familienange- hörigen sich gebende Seelen- und Lebensäußerungen erwecken, ist schon stark genug; es wird aber noch gehoben durch das kultur- historische Interesse, welches der Einblick in das Milieu der Judengasse in zwei so bedeutenden Zentren der damaligen Judenschaft, wie Prag und Wien es waren, hervorruft. Alle Stände, alle Alters- und Gesellschaftsklassen, Männer und Frauen, Gelehrte und Geschäfts- leute, Vornehme und Diener, Lehrer und Schüler, Vorsteher und Gemeindeschreiber sind als Briefschreiber und Adressaten vertreten. Die Briefe geben gleichsam einen ^Querschnitt« durch die inneren und äußeren Zustände der Prager Judenschaft, und es fehlt darum nichts, was nicht darin seinen Ausdruck fände. Das Hangen und Bangen um die materielle Existenz, die Sorge um die Familienange- hörigen, welche zahlreich sich unterwegs zu Geschäften oder zum Studium befinden, der unerschütterliche, im Charakter und in der Religion begründete jüdische Optimismus, die Hochachtung vor der Gelehrsamkeit, die in idealster Weise alles Streben nach Erwerb weit überwiegt, die Selbstverständlichkeit, mit der trotz der ausdrücklich zugestandenen schwierigen allgemeinen Lage auf die wechselseitige Beihülfe der Glaubensbrüder gerechnet wird, das alles tritt in klassi- schen Typen dem Leser der Briefe entgegen und prägt sich umso schärfer aus, als der Untergrund nur von alltäglichen Dingen ausge- füllt wird: von Handelssachen, Heiratsplänen, Toilettensorgen, Unter- stützungsgesuchen, Berichten aus dem Familienleben und dergleichen. Hie und da taucht einmal ein Gegenstand allgemeineren Interesses auf, die Auslösung von Gefangenen auf Gemeindekosten z. B., wobei die Art der Geldüberweisung, überhaupt auch die ganze Art des Brief- verkehrs und der Postbeförderung kulturhistorisch interessant ist. Ein solches kulturhistorisches Kuriosum stellt auch die in einigeH Briefen verwendete Geheimschrift dar, bei der das Siegel zwischen Absender und Empfänger verabredet war, so daß Fremde den Inhalt nicht er- raten konnten. In einem kleinen Nachtrag hat Wachstein die nach langem Mühen endlich entdeckte Auflösung der in der Geheimschrift abgefaßten Briefstellen bekannt gegeben; es handelt sich im einen Falle um Geldgeschäfte, im anderen um eine Heiratsvermittlung!

368 Besprechungen.

Wie die Memoiren der Glückel, so kommen auch die Privat- briefe in erster Reihe der Familiengeschichte und ihrer Erforschung zn Gute, und auf diesem Qebiete zeigt sich wiederum die bereits bewährte Meisterschaft Wachsteins. Der Scharfblick, mit dem er Genealogien hier verbindet und dort scheidet, Familienbeziehungen aufdeckt, Verwandtschaftszusammenhänge feststellt oder bisherige genealogische Irrtümer und Wirrnisse enträtselt, ist ebenso rühmens- wert wie seine Belesenheit in der gesamten Literatur jener Jahrhunderte. Was er nur so nebenbei an Korrekturen für Hock, Kaufmann und andere familiengeschichtliche Arbeiten gibt, was er an kleineren und größeren, der Lösung noch harrenden Problemen im Vorübergehen aufdeckt, ist erstaunlich. Seine Anmerkungen allein sind eine Fundgrube für die Spezialforschung auf diesem Gebiete. Es sind be- sonders Prager, Wiener und bayerische Familien, deren Stämme hier vielfache und wichtige Ergänzungen finden. Eine besondere Rolle spielt in den Briefen die Familie Jomtob Lipmann Hellers, der selber als Briefschreiber in Familien- und Heiratsangelegenheiten auftritt ; ebenso sind die bekannten Familien Theomim, Mirels-Fraenkel, Spira, Öttinger, Lipschitz, Auerbach, Rapaport, Fleckls, Hammerschlag, Hildesheim, Horowitz, Landau, Linz, Maor Katan, Pribram, Ulmo u. a. vielfach vertreten. Genealogisch wichtig ist der Nachweis, daß die Fami- lienbezeichnung Munk zu derjenigen der Theomim gehört, ebenso daß Pribram und Senders identisch sind. Eine gleiche Identität findet 3ich z. B. S. 35 zwischen Welsch und Horowitz; die daselbst ge- nannten Salman b. Jesaja Horowitz und Abraham Welsch sind Brüder. Hock S. 91 wird übrigens ein 1633 verstorbener Meschullam Salman Perez b. Jesaja Horowitz und S. 118 daselbst ein 1660 verschiedener Kaiman b. R. Meschullam Welsch erwähnt; vielleicht beide hierher gehörig? S. 66 der Briefe ist statt Chawa Manschen wohl Chawa Manesen (Frau des Manes) zu lesen. S. 84 ist der Name Nulmes auffällig; vielleicht ist Ulmes, Ulmo gemeint. S. 89 kann, glaube ich, nicht auf R. Lipmann Heller bezogen werden; die Titulatur gerade von der Hand des Gemeindeschreibers würde doch anders lauten, die Abkürzung RM kann auf den Vatersnamen gehen. S. 92 u. 97 ist statt Jakob St? n wohl Schotten zu lesen ; dieser Jakob Schotten starb nach Hock S. 359 zweiter Paginierung (die Seiten 359—368 da- selbst sind zweimal paginiert) im Jahre 1624. Zu S. 18 der Briefe Anm. 3 teile ich nicht die Ansicht, daß man mit dem Titel einer »Rabbi- nerint so freigebig war; auf den zahlreichen von mir gesehenen Grabinschriften in Deutschland war jedenfalls der Titel immer zutref- fend, obwohl man gerade bei Epitaphien mit Ehrungen nicht geizte. Dagegen gebrauchte man den Ausdruck SB nicht immer zur Bezeich-

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nung eines speziellen Verwandtschaftsverhältnisses, sondern auch, um einfach zu sagen, daß irgend eine Verwandtschaft gegenseitig bestand; es kann deshalb in dem Briefe Nr. 19, S. 43 dieser Ausdruck sehr wohl auch vom Oheim dem Neffen gegenüber angewandt werden. Sehr interessant ist der Brief Nr. 2 des Dr. Ahron Lucerna an seine Frau mit der Schilderung seiner ärztlichen Tätigkeit, die unwillkürlich an den bekannten Brief des Maimonides erinnert.

Nächst der familiengeschichtlichen Bedeutung der Privatbriefe sticht die sprach geschichtliche hervor. Das Jüdischdeutsch der Briefe und das der Glückel von Hameln stellen zwei durchaus verschiedene sprachliche Entwicklungsformen dar, von denen die erstere bei weitem originaler und für die Forschung nach dem Ursprung des Jargons bedeutend charakteristischer und wertvoller sich erweist. Schon die zahlreichen und markanten, altertümlichen deutschen Redewendungen und Ausdrücke, die in den Briefen vorkommen, legen davon Zeugnis ab, daß wir hier den Urquellen dieser Sprachbildung wieder ein Stück näher gerückt sind. Viele solche Wendungen sind im Deutschen heute verschollen oder umgebildet; im Glossar hat Landau als Meister dieses Gebietes sie zusammengestellt, erklärt und mit Belegen aus der alten deutschen Literatur versehen. Viel ungehobenes Material für diese Forschungen bieten übrigens die in der Schaaloth u-Teschnwoth- Literatur zahlreich eingestreuten jüdisch-deutschen Stücke aus den verschiedensten Jahrhunderten und Gegenden. Besonders bedeutsam an den Privatbriefen erweist sich auch schon der äußere Briefstil in seiner schlagenden Übereinstimmung mit dem deutschen Briefstil der Zeit; dieselben stehenden Floskeln, Anreden, Phrasen hier wie dort. Zum Vergleich ist in der Einleitung und im Glossar besonders der Briefwechsel des Nürnbergers Balthasar Paumgartner herangezogen, der nur um wenige Jahrzehnte älter ist. Die Privatbriefe bezeugen wiederum, wie trotz alles Abschlusses der Einfluß der Umgebung auf die Judengasse stark und unabweisbar blieb und die soziale und geistige Atmosphäre über die Mauern hinüberreichte. Auch die ver- wendeten hebräischen Briefformeln sind von Interesse und bieten vielfach eine Ergänzung der Zusammenstellungen Buxtorfs. Ganz besondere Mühe haben sich die Herausgeber mit der Auflösung der vielen Abbreviaturen gegeben; nur ganz Weniges ist dunkel geblieben. Bei der üblichen Bannformel gegen unberechtigtes Öffnen der Briefe scheint der jugendliche Schreiber des Briefes Nr. 4 mit dem Worte »Chore (S. 9 des hebr. Textes) wohl eher an ein »Loch« im Briefe gedacht zu haben: »Ein Loch macht sich gut für die Schlange«, d. h. wer den Brief verletzt, ist reif für den Bann; die Übertragung Wach- steias »es verdroß die Schlange sehr« (S. 16 des deutschen Textes)

Monatsschrift, 55. Jahrgang. "

370 Besprechungen.

läßt die Phrase in der Tat ganz unverständlich. Die Übertragung der Briefe ist natürlich überhaupt nicht leicht gewesen, und so manches Fragezeichen, das die Herausgeber bei der Entzifferung des Textes selber, wie in der Übersetzung vermerkt haben, gibt von den Schwie- rigkeiten Kunde, mit denen sie zu kämpfen hatten. S. 33 der Über- tragung möchte ich statt Pfen: Pfaffen lesen. S. 34 statt die gesih:. die Goje! S.. 49 bedeutet die Phrase »eich am nechsten«: zunächst an euch. S. 54 beim Fragezeichen: doch ob sich es G. B. »ungleich« zugangen war. S. 63 im Briefschluß heißt das Bejalde des hebräischen Textes: der Junge unter den »Jungen« der Zeit; es ist nichts ausge- fallen, wie Wachstein in der Anmerkung vermutet. S. 66 bei Anmerkung 13: pintlich = Bündelich, Bündelchen (oder auch Bändelchen?). S. 71 der Ausdruck »beschiken« bezieht sich wohl auf den Dukaten und bedeutet: ihn beschneiden. S. 73: ein frnske? wohl: »sie is, got gen irs, eine Parneste«, d. h. die Frau eines Parnes und deshalb recht stolz! Daß nicht bloß die deutsche, sondern auch die hebräische Orthographie, besonders in den Frauenbriefen, oft recht fehlerhaft ist, braucht nicht wunder zu nehmen; was an Wissen und Bildung fehlt, wird reichlich durch den innigen und gemütvollen Ton aufge- wogen, der gerade in den Frauenbriefen herrscht. Es sind einige wahrhaft klassische Stücke darunter, die wieder Zeugnis davon ab- legen, daß die vielgerühmte Kraft des jüdischen Familienlebens tat- sächlich alle Lobsprüche verdient, die ihr auch für jene schweren Zeiten gezollt werden. So haben denn die Privatbriefe auch für die praktische Apologetik des Judentums ihre Bedeutung, und die jüdische Wissenschaft darf darum den Herausgebern Wachstein und Landau, wie der historischen Kommission der Wiener Kultusgemeinde herz- lichen Dank für diese nach jeder Richtung hin wertvolle Edition sagen. Nunmehr steht eine neue und bedeutsame Ausgabe in Sicht, die Veröffentlichung der Wiener Grabinschriften; sie liegt wiederum in Wachsteins Händen, und nach den bisherigen Proben, die er von seiner Art zu arbeiten gegeben, darf man ihr mit Spannung entgegen- sehen. Möge auch sie wohl gelingen und ganz ebenso wie die Privat- briefe ein schätzbares Stück der historischen Kleinforschung werden, die, so unbedeutend sie scheinen mag, doch unentbehrlich für den. Aufbau des großen Gesamtbildes bleibt !

Nürnberg. Freudenthal.

•k

Besprechungen. 371

Zu Ginzberg, Geonica II1) habe ich im einzelnen noch folgendes zu bemerken :

S. 1, Anm. 1. Die Lesart des Aruch scheint richtiger zu sein als pijÄ,;B>. Vgl. Davidson, Parody in Jewish Literature S. 21, Note 33. Zur Sache vgl. Raschi Synhedr. 64b.

S. 3, Z. 8 gehört das Fragezeichen wohl zu Vtpix, da es bei P'Drn^ nicht berechtigt ist. Das. Z. 12 verstehe ich nicht das Fragezeichen zu pprwi. Das. Anm. 17. pjn^H liest R. Meschullam in Geonica II, S. 57, N. 3 und Tossafoth z. St.

S. 4, Anm. 8. *nj liest auch Schittah mekubbezeth z. St. und bemerkt: in: pDiu v\

S. 16 lies )b 1}) für ab "iy.

S. 17, Anm. 19. jJDiy ist gewiß Verschreibung aus j>DB>, das sehr gut paßt: nro JJDtP«

S. 19, N. 1 zu S. 26, N. 1. Vgl. Halachoth Gedoloth, ed. War- schau, 28a, ed. Berlin, S. 50, Seder R. Amram 41. Responsen der Ga- onim naiVJl "njW, N. 117, mplDD nisfcl, N. 165 (npinn I, S. 297). Ma'aße ha-Gaonim S. 21, N. 32.

S. 20, N. 4. Vgl. Pardes 30 c, ed. Warschau N. 217, 81 a. Dort stimmt das Zitat mit Chemdah Genusah N. 16, 1. aber pa*l nDK"D für j^lDXI in beiden gaonäischen Texten.

S. 20, N. 6 zu S. 27, N. 6. Es scheint, daß die alten Kodifika- toren den in diesem Responsum zitierten Satz K3VD ^3 |J3n tlDKl HBntD Xtin KmjlJ,»;3 »im doch kennen. R. Gerschom: .131X11

(Wibi ^3 np»*i3 nb px np»M rw oipo ^sa anm loa xnff) ruBp. Raschi Chullin 46b unten rflDVlB Ä3"iD*l K3»n ^3 KIIH KJ1»J13»}M. Vgl. noch Rokeach N. 382 und Ittur, ed. Lemberg, II 18 a3).

») Vgl. oben S. 177.

») Vgl. Rokeach N. 383.

8) Vgl. noch Pardes N. 217, 81 a oben. Die Quelle dieses Satzes

sind die niaiarp msSn, vgl. murin bv (min i, s. 36: p-npp |twn cm nB»i» piy? wriw Dipo 'jss min amüry iwk.

24*

372 Besprechungen.

S. 21, N. 10—11. Die Entscheidung des Qaons gegen Rab ist nicht aurfällig, weil der Oaon selbst (S. 28) sich auf Cbullin 57 b: xr\T\})ÜV "»n S33 xna^n Jvf?l beruft, ferner entscheidet auch R. Jo- chanan HCitt und dann lautet der Kanon: pm1 "13 r^bn \:nv "Yi 31. S. 21, N. 12 und 29, N. 12. Dieses Thema in Hai. G*d., ed. Warschau, 128b, ed. Berlin, S. 524. Vgl. auch Hildesheimer z. St. Diese Entscheidung hat der Kompilator des »Jeruschalmic zu Chullin auf- genommen, Vgl. Aptowitzer in der Monatsschrift 1908, S. 442.

S. 21, N. 13, 14. Der zweite Teil von Resp. 13 und das ganze Resp. 14 werden in Or Sarua I, 114a aus Halachoth Gedoloth angeführt. Zu N. 14. Vgl. D^ltflO bv [ITOU S. 36, R. Gerschom in Rokeach N. 383, Schibbole ba-Leket S. 200 und jetzt Ma'aße ba- Geonim S. 92.

S. 21, N. 15. Zu den hier und Geonica I, S. 8 und 47 erwähnten Quellen ist noch hinzuzufügen: RABN 49d, Ascheri Chullin III, N. 14. Vgl. Büchler in REJ XLIV, S. 240f. und Poznanski, Studien zur gaonäischen Epoche S. 61. Lies Or Sarua I, 114b, wie richtig in Geonica I, S. 47.

S. 21, N. 17. Nach der Mehrzahl der alten Autoritäten, darunter auch Sche'eltoth und Alfassi, gilt der Kanon "'X'inaa nabn auch gegen ältere Amoräer. Vgl. Jad Maleachi N. 167, 16S1). Der Hinweis auf Tossafoih Kidduschin 45b ist ungenau, da dort Sche'eltoth und A!- fassi wie Rabina entscheiden gegen Samuel, also im Sinne des Gaons. Dagegen heißt es im Seder Tannaim*): *\ b , X 1 k:*iD K1D23 Xfiabji. Die Entscheidung des Gaons stimmt mit Hai. Gcd , ed. Berlin, S. 5103). Dagegen Hai. Pessukoth, ed. Schloßberg, S. 13:. S. 22, N. 20. Die Quelle dieser Erklärung scheint die Ansicht jener Tannaiteu zu sein, die in libaxn üb Deut. 12, 24 einen Hinweis auf 3^n3 1H?3 finden. Vgl. Friedmann zu Sifre Deut. § 76. Dieses Responsum ist vollständig erhalten im Pardes 21b, ed. Warschau N. 310. Epstein in ha-Goren IV, S. 69f macht Palästina als Heimat dieses Responsums geltend, vgl. dagegen Aptowitzer in REJ 1909 S. 249 f.

S. 24, N. 31—32. Es ist wahrscheinlich, daß auch die folgenden Responsen R. Hai gehören. N. 39 gehört sicher ihm. Vgl. Mül'er, Mafteach S. 227, N. 357.

») Vgl. noch Rabiah 36c oben und 53a N. 158. ■) Sehern ha-Gedolim, ed. Ben Jakob, 51b N. 25. s) Hildesheimers Korrektur ist unnötig und unberechtigt. Die Steile ist keineswegs >P]1D 1)N n^Tfla M1ISJ1«, der Sinn ist einfach:

[y^ae trxi] ybis paanp -jbb t&bipb x\n -pi.

Besprechungen. 373

S. 26, N. 3. Für "p^CT ist nicht TpVfl zu lesen. Die Schreibung "p|?Vl kommt nicht bloß in dieser Sammlung noch einigemal1), son- dern auch in anderen Handschriften vor. So in Resp. d. Gaonim, ed. Harkavy, S. 54, 164, 203. Vgl. über "fijfltl Harkavys Zusätze zum hebr. Graetz IV, S. 4«}. "pH"! in Midr. Tannaim S. 28.

S. 32, Anm. 2. Auch R. Nissim liest Kam an 13 ny\ Ittur, ed. Lemberg, II, 10 b: (Olri 3"U

S. 32, Anm. 3. Diese Lesart als Abschluß der Kontroverse zwischen Rab und R. bar R. Huna ist auch undenkbar. Der Gaon meint zweifellos die folgende Kontroverse zwischen R. Acha und Rab in a, in diesem Falle aber erklärt sich die Bemerkung: fytfl Ki'ain iTJiD, die kein Zitat ist, aus dem Kanon, daß, mit 3 Aus- nahmen : xb'pb wvria 'b*m joain1? xrm a-ii xbipb «rm nfjia muin Sb-»).

S. 33, Anm. 2. JTJyrA ist in p'.yfib zu emendieren.Vgl. Pardes 21b.

S. 38. Anm. Die Übersetzung JW ist gewiß die einzig richtige. Die Quelle der gaonäischen Entscheidung ist Jeruschalmi Sabbath I, 5 (3 c l): inio njpmaö? ejj at, folglich ist naon B^atpjia "irv.D st. Vgl. auch die Kommentare.

S. 40, Z. 27. [DD ist gewiß Verschreibung aus TnD, dem Targum von 3^38.

S. 42, Z. 14 lies: nanm Unsere Texte: paflgfe

S. 48, Anm. 3. Zu der Stelle S. 52, Z. 27 in bezug auf R. Je- hudai: bvwö) rviBE'nai emaai ma^roi ,*iatt>aai xipija ^na ,Tnff be- merkt Ginzberg: »n'esin is here not the >Tosefta«, but is identical with apocryphal Midrashim and therefore is mentioned after Midrashc. D'BDIJl aber ist hier ganz sicher die Toseftha. Die Aufzählung der verschiedenen Gebiete der Gelehrsamkeit in derselben Reihenfolge wie beim Gaon kommt in der talmudischen Literatur oft vor. Z. B Cant. r. zu I, 5: rvnaxi mriBBin i\übr\ ma^n nima n:tra xnpa. Die Zusammenstellung maxi XflBBiJl ist noch häufiger4). Midrasch in diesen Aufzählungen bedeutet nicht die Midraschim, sondern Aus- legung des Bibeltexte s5).

') Vgl. Index S. 413 a s. v.

») Vgl. über "pbin noch Harkavy, Studien und Mitteilungen VIII, S. 12, 197 f. Die Karäer fassen -pb'n = ^b mn, "[^ H und s0 ist gewiß auch in dieser Sammlung S. 91, Z. 21 für p*? lfl zu lesen. Vgl. noch Bacher, JQR XVII, 583.

s) Chullin 93 b u. Parallelen. Vgl. Jad Maleacbi N. 561.

*) Vgl. Guttmann, iiD^rn nnBB S. 406 f. und meine Zusätze in der Monatsschrift 1910, S. 553.

6) Vgl. Bacher, Exegetische Terminologie I, S. 103 f.

374 Besprechungen.

S. 54. Vgl. Poznanski in Riv. Isr. V, S. 130 und VI, S. 199.

S. 55. In Pardes 62 a, ed. Warschau N. 25 ist von einem Bibel- kodex des R. Moses ben Meschullam die Rede, der aus Baby- lon ien stammte: b22 pxö IttVW übwa 'in ,1#d "1 nin bw IBDH1)« Nach D11B Wpib 20 b gehörte dieser Kodex R. Meschullam selbst.

S. 56, Anm. 4. Woher weiß Ginzberg, daß die Stelle Berachoth 30b gemeint ist? «TT '11 ,TBp .Tot "l a***1 kommt auch noch Sab- bath 10 a und 147 a vor. Das. Anm. 6. Resp. d. Gaon., ed. Har- kavy, S. 159 oben: KJKfl in xai. R. Hai, tnwm bv Htt\ II, S. 39, nennt einen Amora Kiin in ,in.

S. 57, N. 4. Ein Responsum über dieselbe Frage Geonica II, S. 4.

S. 58, Anm. 3. Bechoroth 45a wird Moses nicht erwähnt, aber 5 a. Vielleicht ist diese Stelle gemeint und fliOB> für TVTW zu lesen,

rro ^B3 «mp ■;» rnnv. Vgl. s. 65, n. 113.

S. 86, Anm. 2. Vgl. Seder Tannaim: . . lTnno 1313 MB1?."! ("1JND3 TObn pK T3X D1pB31. Ittur ed. Lemberg29b: rn^lD J1K3 pDBl

xb P3KD 'rnx iTnno k1-* 13*13 rcj'Jri pxi.

S. 91, Anm. 4. Die Emendation ist vielleicht nicht nötig, wenn man für HitPl :n»P = nsw; liest, talmudisch ,T;rx, ist es recht? Vgl. Geonica II, 173, Z. 8.

Das. Z. 15. KB"n "»S) lies pn "»31.

Das. Anm. 6. plDlK pK» gibt in dieser Stelle keinen Sinn. '«2> ist wahrscheinlich = UNtP oder *]KB*.

S. 94, N. 3: »According to them (the codifiers), a bill of divorce is rendered void by a correction of its text«. In dieser Allgemein- heit trifft diese Behauptung nicht zu. Vgl. Maimonides ptPiTJ IV, 15, Eben ha-Eser, N. 125. Maimonides war nicht der erste, der in dieser Frage einen erschwerenden Standpunkt einnahm, das taten schon »Saadja und die Gaonim«. Vgl. Ittur, Abhandlung 8 (ed. Lemberg I, 10 b). Mit dem Responsum in Geonica stimmt das Responsum R. Nissims (ben Jakob) in Ittur 1. c.s). Vgl. Geonica II S. 171.

S. 94, N. 5, 6. Der Gaon, der einen neuen Kanon aufstellt:

i) Vgl. Aptowitzer, REJ 1908, S. 92, Anm. 2. REJ 19C9, S. 193, Anm. behauptet J. N. Epstein, daß diese Pardesstelle dem Ma'aße ha-Geonim entnommen ist und beruft sich dabei auch auf Epsteins Verzeichnis in der Monatsschrift 1908, S. 729 ff. Ich finde weder in diesem Verzeichnis noch im Ma'aße ha-Gaonim selbst eine Spur davon.

») Sehern ha-Gedolim, ed. Ben Jakob, 51a, N. 22. Vgl. Jad Ma- leachi N. 238.

») Vgl. auch Geonica II, S. 167 und Anm. 2.

Besprechungen. 375

^JMDtt>3 ns^n n:,"!X 13 XTK 311 SxiStf, scheint auf dem Standpunkt zu stehen, daß der Kanon "»KTJD3 "3"7H gegenüber älteren Amoräern keine Geltung hat1).

S. 95, N. 12. QiBzberg hat den Inhalt des Responsums nicht richtig erkannt. Es handelt sich keineswegs um die Frage, ob bei HD'ßn der Grundsatz löjty )b b$ CJp B^Vü pTK px keine Geltung hat. 1. Der Gaon spricht in beiden Fällen von csn, also auch dort, wo es auf Grund des Geständnisses nicht zur Zahlung kommt. 2. Die Ausdrucksweise des Gaons zeigt, daß er nichts neues sagen will und bloß eine bekannte Tatsache hervorhebt, was er bei der Heranziehung des in der Mischnah mit keiner Silbe angedeuteten Momentes von TICDD doch unmöglich getan hätte. 3. Der Gaon sagt nicht D'Bfl TP^D sondern ,T>^ D'BD. Dies ist Ginzberg selbst später aufgefallen. Daher bemerkt er in den Zusätzen S. 423: »The langnage of this Responsum is rather obscure; D'BD may refer to the person as well as the property«. ff*? D'Bn kann sich aber nur auf die Person be- ziehen. Es ist zweifellos, daß der Gaon folgendes sagt: Bei einer Forderung unter normalen Umständen wird der Beschuldigte auf GruHd seines Geständnisses nicht zur Zahlung des wp verurteilt, weil dies lBüy ifi by übVÜ wäre. Wenn aber, wie in der Mischnah Sche- buoth 44b, zwei miteinander raufen und der eine eine Verletzung davonträgt und er unmittelbar darauf, gleichsam in flagranti: CXpi JV*b D^Bm, behauptet, die Verletzung habe ihm sein Gegner beigebracht2), in diesem Falle wird der Beschuldigte, wenn er gesteht, zur Zahlung verurteilt, weil sein Geständnis kein freiwilliges ist, son- dern durch ein gravierendes Indiz erzwungen wird. Des Gaons Sbitji «SV ist blBTl Ki-i der Mischnah. Die Auffassung des Gaons er- kennen wir aus Ibn Megasch und Maimonides3). Wir erfahren nun auch aus unserem Responsum, daß in gaonäischer Zeit die Entschädigung für nbsn als o;p aufgefaßt wurde, wie nach Maimonides und gegen RABD und seine Anhänger, zu denen auch sogar Maggid Mischneh gehört4).

S. 95, Anm. I. Schon Rab Amram hat die ritten verboten. Vgl. Müller, Mafteach S. 126, N. 58. Vgl. OS. I 135 b oben.

S.101, Z.l— 3. Der Gaon meint, da Samuel und Rab AdabarAhaba

l) Vgl. oben S. 367.

8) Vgl. Tur Choschen Mischpat N. 90 und Toseftha Schebuoth VI, 2.

3) Vgl. Mischneh Torah p'Töl bxn V, 6 und Maggid Mischneh z. St.

4) Vgl. M. Mischneh a. a. O. und fjJBJi |S>iö I, 16.

376 Besprechungen.

die Ansicht des Itpp «jn ignorieren und bloß die Ansicht seines Gegners diskutieren, so hat nur die Ansicht dieses Gegners halachischen Wert. Dies ist methodologisch sehr wichtig. Vgl. Ascheri Gittin VIII, N. 11, V, N. 18 und besonders bx:r\2 p"ip dazu, der die erwähnte Regel für die Mischnah nicht gelten läßt. [Vgl. w. u. S. 384.]

S. 102, Z. 14. Nach c^jHJ ist zu ergänzen: D^IPD ,1110 EX KT.

S. 103, N. XV, Z. 3 und 9 "HJ?5? 1. "HJM. Aus der Erklärung des Gaons folgt, daß er elvi bei iDJJ B>13J und vjy "inj? nicht gelesen.

S. 106, Anai. 2. Richtiger Index S. 413 a v. cn und Zusätze S. 423, daß das Wort die Bedeutung ^Di hat1). Viell. ist auch an diesen Stellen für pin 0,1 zu lesen pr.1 0,1. Vgl. Magazin 1878 S. 62 (hebr.) ipri ß'1 und Saadja bei Ibn Gajath II S. 100: "Ol Dil. Das. Anm. 10. In den Zusammenhang paßt es besser 'EB> üb = bwv ttb zu fassen. Nach G. hätte es heißen müssen : «nrj [rein . . . UJJBtP xb"\ X12JX. Gut wäre auch: flJ?DB> »b, kennst du denn nicht den Satz...? Die Antwort des Gaons ist sehr merkwürdig, da R. Jochanan wörtlich mit der Toseft ha übereinstimmt. Wenn dies dem Gaoa entgangen war, so konnte er doch die im Talmud angeführte Ba- raitha nicht übersehen.

S. 114 f. Vgl. Rabiah S. 43 f., wo R. Natronais mono nxo mo in sehr abweichender Form mitgeteilt wird. [Vgl. w. u. S. 3S2 f.)

S. 119, Z. 20 pftpn« Wahrsch. zu lesen proin aram. oder pwairr hebr.2) und in = in oder n3).

S. 122, N. 1. Wenn es sich wirklich um den von Ginzberg an- genommenen Fall handelt und diese Annahme ist sehr wahrschein- lich — so entscheidet der Gaon gegen den Talmud4).

S. 134, 135. vty liest im Talmudtext Hai. gedoloth, ed. War- schau, 228a. Die Lesart IBBM bv ist aber älter als R. Chananel, so lesen Hai. gedoloth, ed. Berlin, S. 474. Auch inhaltlich stimmt R. Chananel mit den Hai. gedoloth, während R. Hai keinen Unterschied macht zwischen tfxia Wnft und ?]-C3 Dirn.

S. 138 und Anm. 1. Menachoth XI, 7 ist nicht die Rede von einem »habit of the less eultured priests«, sondern von Priestern

*) Vgl. über c,1 in dieser Bedeutung Harkavy, Studien V, S. 353, VIII, S. 43, Note 1 und S. 204. Vgl. auch Low in WZKM. XXI S. 415. [Vgl. w. unten S. 380, 382.]

*) Vgl. Bacher, Exegetische Terminologie I, S. 63, Anm. 4.

8) Über 1 = Kamez chatnf (t:) vgl. Aptowitzer, Das Schrift- wort in der rabbinischen Literatur I (Prolegomena) S. 35.

*) Kethubboth 102b. Vgl. Halachoth ged., ed. Warschau, 138a, 147 b.

Besprechungen. 377

mit gutem Magen. Um die Mischnah so zu verstehen, ist nicht nötig \PS3W zu lesen. So heißt es auch in der Mischnah Aboda sara

29b: n*n nmitp nc vijnp ffis- Vgl. Raschi z. st. na"1 {njnp liest

auch Jer. Erubin 20 d, 15. Der Gegensatz dazu ist müp DJH, vgl. Chullin 107 b oben.

S. 144, N. 4 zu Responsum 501 S. 150. Vgl. Hai. gedolotb, ed. Warschau, 288 a, ed. Berlin, S. 473 f. und die Bemerkungen Traubs und Hildesheimers.

S. 145, N. 6. Vgl. Ma'aße ha-Geonim S. 75, N. 85.

S. 145, N. 7. Vgl. Hai. Pesukoth N. 89 (ha-Choker I S. 39, 40) und D"0HPm bv [min S. 32, II, S. 20.

S. 146, N. 17. Vgl. Chazan zu nriffn "njw N. 173 und Apto- witzer in REJ. 1909, S. 245.

S. 168, N. 6. Dieselbe Entscheidung in Hai. ged., ed. Berlin, S. 86 im Namen von R. Sar Schalom, R. Amram und R. Zemach bar Salomo1).

S. 169—172. Vgl. oben S. 369 zu S. 94, N. 3.

S. 175, Z. 19 Ende. 1V1 lies aien.

S. 179, N. 12. Machsor Vitry S. 230, N. 63: noü 31 "HP »Sil K331 [k:"*i] 'm nübv 13. Vgl. noch Hurwitz z. St. und Buber zu Sefer ha-Oreh S. 100, Anm. 3. In den Novellen des Moses Chalava zu Pesachim65a: (23K ncx la iasi3 Kri'ra 3^.1 b'\ (inj *xn lrsii3) pi rpä.

S. 180, Anm. 2. Auch Hai. ged., ed. Warschau, 60b und 274a. Nach Orchoth Chajjim I löl^Tl J1TBD N. 5 ist dies auch die Ansicht R. Amrams. Der Unterschied zwischen TtJS CtPB und rvrov DSP» scheint schon in i^jisi der Hai. ged. angedeutet. Vgl. noch Machkim, ed. Freimann, S. 33, Z. 6 f. und meine Bemerkung Monatsschrift 1910 S. 277. Vgl. «och jmSBH Nr. 29, 18 c.

S. 181, N. 16—17. Responsum 17 (S. 185 unt.) kommt in er-

*) Dasselbe Responsum, welches in miBTl ■njjp N. 235 R. Natronai zugeschrieben wird. Vgl. auch Hai. ged., ed. Warschau, 35 a.

*) Danach bei Ihn Gajat II S. 100 pKjpsx zu emendieren. Bam- bergers und Zombers (awib D^ncD filD^.l, S. 8'"0 Ausführungen ent- fallen also.

8) So auch R. S. ben Adereth, Novellen zu Berachoth IIa v. firm Ende (neit n") und 14 a v. "]^b\ Or Sarua I 26b unt.: pMIlEXSl» Trotzdem ist es nicht sicher, daß uns. Responsum hier R. Zemach gehört, da auch R. Amram so entscheidet, und zwar aus dem- selben Grunde. Vgl. Siddur 41a und Or Sarua a. a. O.

378 Besprechungen.

weiterter Form vor in Ma'aße ha-Gaonim S. 191). Freimann*) meint, das Responsum hier wäre gekürzt. Richtiger ist, daß das Responsum hier ursprünglich ist und in Ma'aße ha-Oaonim erweitert wurde. Aus Ma'aße ha-Qaonim wird es sicher, daß es sich um eine Teig- walze handelt, also pSitP = arab. Sübakun, wie Qinzberg fragend vermutet.

S. 181* N. 18. Vgl. zu diesem Responsum und zu N. 10 Tur I, N. 467 und jetzt Ma'aße ha-Qaonim S. 19 f.

S. 183, Anm. 2. Die Korrektur ist nicht nötig. Es ist einfach für pip"« CJ? zu lesen : jrp'cy.

S. 188. Die Angabe Aron ben Eliahs und Baschjazzis scheint nicht auf Moreh III, 49 zurückzugehen, da sie selbst an an- derer Stelle diesen Grund akzeptieren3). Vgl. Derech Erez I: K-n4) iianm ii Vi emnn xb dipoi . rrty 2"n mtvn by. Vgl. auch

Nachmanides zu Deut. 22, 10.

S. 190, N. 9—10 und Anm. 1. pn für x"on und umgekehrt auch in Hai. ged., ed. Berlin, S. 59, 61, 122, 139, 162, 287 und Geonica II S. 248 Z. 8. Vgl. noch Geonica II, S. 364, Anm. I5).

S. 196, Anm. 1. Die ganze Anmerkung ist überflüssig, da ja ix offenbar aus |mx verschrieben wurde.

S. 206, Anm. 1. Für IJJJS p:tP ist gewiß i:j>Sp:B> zu lesen. Zur Angabe ist Resp. der Gaonim, ed. Harkavy, N. 278, S. 140 zu verglei- chen, wo R. Hai bemerkt: arVTl HSim PPS? IJXP JlKTfl WIBil *3

S. 206, Anm. 3. Für B>j?a ist wahrscheinlich nj?3 zu lesen, viell. V i2. Das Responsum kommt vor in Eschkol, ed. Albeck, S. 4 f.

S. 207, Anm. 3. An fp^JJl ]T3 ist gewiß nicht zu denken. Der richtige Text ergibt sich aus S. 208, Z. 4 und 209, Z. 6: niBns xbv trtyl Das. Anm. 4. Viell. pari roiJJl = p:an njwa.

S. 210, N. 3. Der Versuch, unser Responsum mit dem in "nyjp

*) . . Xi'i'HB piipß> (!) nawtDl irM HB BXlVltWl Die Lesart #1^ ist besser als niBKf? in uns. Responsum, jedoch auch in Ma'aße ha-Gaonim zu Schluß Tfttvh.

') Einleitung S. XXIII, N. 119. Die Hinweise auf unsere Respon- sensammlung sind von Freimann.

a) Vgl. Addereth Eliahu, ed. Odessa, 196 c.

*) Vgl. Halachoth gedoloth, ed. Warschau, 12 b, ed. Berlin, S. 253.

») Vgl. noch •or'tb "p N. 17, Tossafoth Sabbath 132a oben, Chullin 104b und *m mDCW Erubin lb unt. Vgl. noch Ratner, AhawathZion, Pesachim, S. 125, 126, 142 und meine Bemerkung oben 1910 S. 419. Ausführlich darüber an anderer Stelle.

Besprechungen. 379

AIS 53 b N. 2 zu vereinigen, indem das dort vorkommende jap JT3 als »only a different expression for "inx H^3 in our fragment* gefaßt wird, scheitert an der Angabe niOS wbv b$ fllBX vbv. Auch der ganze Tenor des Responsums in f*'tt> macht es unzweifelhaft, daß es nicht, wie in uns. Resp., auf die Zahl der Wohnräume ankommt, sondern auf die Bequemlichkeit des einen Wohnraumes. Unser Responsum ist zweifellos identisch mit dem hebräischen Resp. R. Zemachs in Mordechai Kethubboth N. 167 aus Sefer myilfpan1), zu dem Mordechai mit Recht bemerkt: rm flrxp l*iai "pna yc^ö nrm -»jb? nn^ b"bo n^a '^nai bna man l'rsx "inx rraa anay. Eine Vereinigung unseres Fragmentes mit f'W 53b N. 2 ist daher unmög- lich. Die beiden Responsa müssen zwei verschiedenen Gemach zu- geschrieben werden und zwar unser Responsum, das von einer Worterklärung ausgeht, R. Zemach ben Paltoi und jenes in f»"B> R. Zemach ben Chajjim.

S. 217, 218 zu Resp. 4 S. 221 f. Eine merkwürdige Parallele zu der Ansicht des Gaons findet sich bei Mein, Magen Aboth, ed. Last, S. 63. Er bemerkt in bezug auf rryotf : 13 D^nn Vft xbw xSx *nn xa^ya -ist ^ n nin'Bn mabi nvpü 'B>a*n a^van xbx \b rr»n xb it nironi ansia nna pjxi ,ai*n n-nna x'ria a^ama *]iDD3 nu"1»1 ^mv (I. 'Dan) a^aan iyapB> |oj ^a(tt>) x^x "px |a6 aipa -naxn papa ^kw px ma*3D ww maipaa ?]xi '"x te maipaS nnpyai nanna. Das. S. 65: fanin inx1? fn B>aa nrn rata dpa 'jaci orpiana pjk nvwpBi naiina paroa vn xS w rpai

S. 222, Z. 1 lies nBWin für BHpn.

S. 232 unt. Der Gaon faßt die Regel viel allgemeiner : wenn jemand auf den Standpunkt Rabs oder Samuels steht x 3 ' X ^3X jin^a im 'ö'BO B'xpn, da hat der Kanon pnr '13 nbn keine Gel- tung. Dazu ist Seder Tannaim in Sehern ha-Gedolim, ed. Ben Jakob, 51 b N. 24 zu vergleichen2).

S. 232, Anm. 1. Jad Maleachi N. 553 wird die Frage nur ge- legentlich gestreift. Die ausführliche Behandlung des Themas findet sich in N. 152.

S. 237, N. 11. Die Erklärung in uns. Responsum weicht wesentlich von Kethubboth 5 a ab3), so daß es fraglich ist, ob diese Talmudstelle gemeint ist.

J) Fehlt in Müllers rtriBB»

») Vgl. auch Jad Maleachi N 158 betreffend die Regel mbn

"SX '3^ X3"I3,

3) x-ijm xnS'B anstatt pn irxtf iai und xirn ^B31, dem im Talmud nichts entspricht, und wodurch die Sentenz ihres ethischen

380 Besprechungen.

S. 237, Anm. 1. Ein Responsum des R. Samuel n"?3 E>n iff Ittur, ed. Lemberg, I, 63a. Vgl. über ihn Poznanski, Studien zur gao- r.äischen Epoche, S. 65 (= ha-Kedem II S. 111). Ein zweiter R. Samuel n^3 tt»"1*! war der Urgroßvater Schemas, der in seinem Namen eine Erklärung mitteilt, Resp. der Oaonim, ed. Harkavy, N. 229. Vgl. über ihn Poznanski a. a. O. Auch von zwei anderen babyloni- schen n'rs TNT werden »opinions« mitgeteilt: R. Simonai und Eleasar smn. Vgl. Poznanski a. a. O. S. 51 und 61.

S. 238, Anm. 1. Vgl. Epstein, Monatsschrift 1892, S. 78; ha- Choker I S. 35, 190, II S. 7.

S. 239, Anm. 3. fflJ '-. liest auch Hai. ged., ed Berlin, S. 642.

S. 242, N. II, Dieselbe Erklärung von FFPIS wie in diesem Responsum bietet auch Responsum XX (S. 248) für die Baraitha Gittin 25a, den locus classicus für BV*Q» Es ist daher nicht richtig, daß nach dem Autor von Resp. II ,TV*n in B. kamma 51 b »has nothing to do with the legal maxim, which bears this name in Tal- rnudic literature«. Daher ist es auch nicht sicher, daß der Autor von Responsum II die ganze Ausführung Rabinas nicht gelesen. Es genügt anzunehmen, daß er für unser IfriJJJttb HTX1 gelesen hat kb'tiTDV WMMP« Aus der Gleichheit der Erklärungen von riT13 in Resp. II und XX ist zu schließen, daß sie einem und demselben Autor gehören.

S. 243 lies VIII und 55a. Wie Ginzberg die Worte fJTSV^ vpit als lapsus calami erklären kann, ist mir unbegreiflich. Am Schluß des Responsums heißt es noch einmal: by 3"rPD nnm frjfatJI bv pnMID, Es handelt sich also ausdrücklich auch um n$£"CT« So hat der Gaon die Frage des Talmuds erweitert, rpai muß = ik B'pa gefaßt werden.

S. 244, N. XXI. Kim?« liest auch Hai. ged., ed. Berlin, S. 351. So auch Resp. der Gaonim, ed. Harkavy, N. 467. Vgl. auch NN. 181, 200, 287, 279 und Harkavy S. 353. awnj« liest auch Ben Barsillai in S. ha-Schetaroth.

S. 243 fehlt die Quellenangabe zu N. XX: Gittin 15a und Parallelen.

S. 258, N. 2. Das Betrachten der H andf lachen ist ja nicht neu. So schon Hai. gedoloth und R. Natronai. Vgl. Ibn Gajath I 151). Zum mantischen Grund vgl. Orchot Chajjim I, ,1^13.1, N. 15.

Charakters entkleidet und zu einer Verhaltungsmaßregel um des lieben Friedens willen wird.

») Natronai, D'^IPJO bv frmn I 50 N. 16, cr.Bltil D'D33. Vgl. noch PardesN. 111, 116; Likkute Pardes IIb; Machsor Vitry S. 117; Schibbole ha-Leket N. 130.

Besprechungen. 381

S. 261, N. 10. Über dieses Thema vgl. jetzt Magen Aboth, ed. Last, S. 155 f. Dort schließt ein ähnliches Responsum wie das in Ha!. Pesukoth N. 192 mit den Worten mrtf"1 Tltfa njön [S1. Vgl. noch Or Sarua II N. 257.

S. 262, Anm. 15. xipx rtacDXl i3t ja geläufig, xip ^xö M5BÖR1 gibt keinen Sinn. Der Gaon will nicht die Stelle wörtlich zitieren.

S. 263, Anm. 2. Für xnx 1J1Ö I. wol: xnxir.a.

S. 290. Daß dieses Fragment aus der pumbaditanischen Schule stammt, folgt auch aus Z. 5 f. "ibd ^ItD^I XXlI'TJa y2W 1BB>2 HJ'1 TDTI3 bjJ rniri, während beim Schwur selbst kein fsn r.B'p] vorhanden ist. Dies stimmt mit dem Brauch in Pumba- ditha, wie wir aus plä 'HJW 76a, N. 22 wissen, und pnx i»tytf 73h oben heißt es: b2",t Kn^mxn ,iii*iH fioää p^no Kp"; xin srnnji pn:a x'jx 12 yatrj x^i rro bsio iMWjjj jttwi -.btb 'ry rrc - . . 113B3 Alis lim. Der Autor dieser Responsen in f»"&> ist R. Hai, daher ist es wahrscheinlich, daß auch unser Genisahfragment R. Hai gehört. Dies wird aber unzweifelhaft durch die Tatsache, daß in unserem Fragment 22» auf Grund von hüCW1 px- J?p*:p selbst bei ~XtP*in als unwirksam erklärt wird, eine Ansicht, die nur von R. Hai vertreten wurde, während sonst die pumbaciitanische Schule ein sol- ches 3ÜR bei nxcnn als zulässig erklärt. Vgl. Resp. der Gaonim, ed. Harkavy, S. 93 J).

S. 293 unt., 294 oben. Zwischen den beiden Fragmenten scheint ein gewisser Zusammenhang zu bestehen. Resp. XII in Fragm. 2760

s. 320, z. 3: msfm |o npiex*? ixet? rra iö'ö1? yntttn wn und

Resp. II in Fragm. 2862, S. 329, Z. 8: 'Vfi [0 p:piDK^ prßlB Wfl. Entweder ist das erste Fragment vom zweiten abhängig oder beide gehören einem und demselben Autor, d. i. R. Amram.

S. 294, N. 2. Zur Erklärung des Gaons ist auf Jer. Bezah IV 2 (62c, 34) nrPB p für das sonstige TinB [3 zu verweisen.

S. 298 behauptet Ginzberg, der Kompilator der Agadath Bereschith habe »beyond a doubt« in der Nachbarschaft von Konstantinopei zur Zeit R. Hais gelebt. Welche Anhaltspunkte gibt es dafür*)?

S. 303 und Anm. 2. Über R. Zemach vgl. noch Zunz, Ritus S. 189; Kohn, Mordechai ben Hillel, S. 156; Halberstamm, Jeschurun

i) Vgl. dagegen Pardes 26a, ed. Warschau 121a.

2) Ein Anhaltspunkt für die Abfassungszeit der Agadath Bere- schith ist viell. die Stelle ed. Buber, S. 160 unt.: "PHn ni föKJll. Was spricht aber für die Nähe Konstantinopels als Heimat dieses Midrascli- werkes?

382 Besprechungen.

V, S. 137; Beth Talmud IV, S. 339. Daß R. Zemach Ab Beth Din nicht Zem ach ben Chajjim, sondern Zemach ben Salomo ist, folgt aus der Tatsache, daß ein Responsum, welches im Machsor Vitry S 280, N. 63, Z. 6 Salomo K231 KJ«1 gehört, bei Ibn Oajath und Moses Chalawa im Namen von R. Zemach Ab Beth Din mitgeteilt wird. Vgl. oben S. 372 zu S. 179, N. 12.

S. 305, Z. 17 in der Mischnah Bechoroth VI, 3 naian für uns. fH^n1), wozu Ginzberg folgendes bemerkt: »= iniin? Or did the scribe confuse imin »albugo«, with "oian »serpent«? «. Die erste Annahme ist entschieden richtig, aus folgendem Grunde. Zu Tnnn verweist Aruch v. *inn auf Pseudo-Jon. zu Gen. 19, 11, wo CHUDS durch KiTnilTD wiedergegeben wird, wofür aber das Fragmentargum : nsisnn2) bietet, also nnnn = "Dian. Der Wechsel zwischen 2 und 1, 11 ist auch sonst nicht selten3).

J) So auch S. 367 für nmin in der Mischnah Bechoroth 41a.

2) So manche Texte bei Mussafia und Fragmententargum ed. Ginsburger S. 12.

3) So in unserer Sammlung selbst nil und nai in der Bedeu- tung: erleichtern, vgl. S. 206, Z. 10 und 207, Z. 7. So auch S. 337, Z. 8 und 394, Z. 1 *V\WX und "mrpK für -DTPa und "rnrTK. Tosefta Berachoth VI, 3 (Babli 58 b, Jer. 13 b) fpllfj und Mischnah Bechoroth 45b \p2b* Vgl. auch TilSD'-OSö ,}^!l"|^32 u. a. Vgl. noch Aplowitzer. Das Schriftwort in der rabb. Lit. II, S. 33, Anm. 3.

(Schluß folgt.)

Protokoll

der Sitzung des Ausschusses der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums

am Montag, den 26. Juni 1911, vormittags 10 Uhr im Büro des- D. J. O. B., Berlin W., Steglitzerstraße 85 I.

Anwesend die Herren Adler, Baneth, Bloch, Elbogen, Guttmann, Maybaum, Philippson, Porges, Vogelstein, Nathan, stellvt. Schriftführer.

Entschuldigt die Herren Bacher, Brann, Cohen, Cohn, Lucas, Schwarz, Simon, Simonsen, Steckelmacher, Werner.

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 10y4 Uhr und erstattet den Geschäftsbericht. Die Gesellschaft hat einen neuerlichen Gewinn von 86 Mitgliedern zu verzeichnen, dem allerdings auch ein beträcht- licher Verlust durch Tod und Ausscheiden gegenübersteht. Die Baronin von Cohn-Oppenheim-Stiftung in Dessau hat für das Kalen- derjahr 1911 den Betrag von 1000 Mark bewilligt. Erschienen sind von Werken der Gesellschaft K r a u ß, Talm. Archäologie Band. II; von Philippson, Neueste Geschichte des jüdischen Volkes Bd. II die russische Übersetzung; außerdem mehrere von der Gesell- schaft subventionierte Werke. Das Erscheinen des von dem verstor- benen S. P. Rabinowitz begonnenen Werkes über die Geschichte der Juden in Rußland ist sichergestellt; der mit der Abfassung der historischen Geographie Palästinas beauftragte Herr Dr. S. Klein ist von seiner Reise nach Palästina befriedigt zurückgekehrt. Mit der Buchhandlung Kauffmann-Frankfurt a. M. ist ein Verlagsvertrag für die Germania Judaica abgeschlossen worden. Den Herren F. Philipp- son-Brüssel und Prof. Dr. Bloch-Posen, hat der Ausschuß zu ihrem 60. bezw. 70. Geburtstag die Glückwünsche der Gesellschaft ausge- sprochen.

Im Anschluß an den Geschäftsbericht dankt Prof. Bloch für die ihm bereitete Ehrung und verspricht, seine besten Kräfte in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Über die Germania Judaica und das Maimonideswerk erstattet Guttmann über erstere in Vertretung des durch Krankheit am Erscheinen behinderten Dr. Brann Bericht. Es wird beschloßen,. das Erscheinen beider Werke nach Möglichkeit zu beschleunigen.

384 Protokoll.

Über den gegenwärtigen Stand der Arbeiten am »Grundriß der Oesamtwissenschaft des Judentumsc wird Bericht erstattet. Es wird beschlossen, diesen Bericht zu vervielfältigen und den Ausschuß- mitgliedern zuzustellen. In der nächsten Sitzung soll sodann über die Übertragung der noch nicht vergebenen Teilwerke des Grund- risses an neu zu berufende Mitarbeiter beraten werden. Für die »allgemeine jüdische Literaturgeschichte« wird Herr Prof. Dr. Marx- New-York in Aussicht genommen. Die jüdisch - theologischen Anstalten sollen gebeten werden, geeignete Kräfte für die zu verge- benden Werke in Vorschlag zu bringen.

Zum Corpus Tannaiticura wird beschlossen, Herrn Dr. Horo« witz - Breslau mit der Durchsicht der rabbinischen Literatur zum Zwecke der Variantensammlung für die Mischnaausgabe zu betrauer. Bei der Mischnaausgabe soll die Ed. pr. zugrunde gelegt werden mit der Maßgabe, daß der Herausgeber berechtigt ist, dort, wo un- bedingt Druckfehler oder Irrtümer vorliegen, diese durch die nach seinem Ermessen richtige Lesart zu ersetzen.

Herr Dr. Yahuda, der dem Ausschuß den vollständigen ge- druckten arabischen Text seiner Bachj'aausgabe vorlegt, soll gebeten werden, den Text als 1. und in kürzester Zeit die Einleitung als 2. Lieferung seines Bachja-Werkes mit Hintansetzung aller anderen Arbeiten auszugeben. Der Ausschuß kooptiert die Herren Prof. Kalischer, Mittwoch, Sobernheim-Berlin und Poznanski-Warschau.

Der Ausschuß bewilligt Subventionen dem Verband für Statistik der Juden, Herrn Ideisohn-Jerusalem, Herrn Weltsmann-Kalisch für seine Sammlung von Grabinschriften in der Provinz Posen und in Russisch-Polen, Herrn Guttmann-Budapest für seinen Mafteach ha- Talmud, dem Verein Mekize Nirdamim, Herrn Eppanstein-Bricsen für seine Ausgabe des Pentateuchkommentars von Abraham Maimuai und der ZFH8. Von dem von Grunwald-Wien herausgegebenen Werke »Die Hygiene der Juden« sollen 20 Exx. zum Buchhändler- preise angekauft werden. Die nächste Ausschußsitzung und die ordentliche Mitgliederversammlung sollen am Dienstag, den 2. Januar 1912 in Berlin stattfinden. Den Vortrag übernimmt Dr. Elbogen. Schluß 12V, Uhr. Philippson. Nathan.

Unberechtigter Nachdruck ans dem Iahalt dieser Zeitschrift ist untersagt. Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. DRAN'N in Breslau.

Druck von Adolf Alkalay & Sehn in Preßburg.

Die Ethik R. Saadjas.

Von David Rau s. A.

Vorbemerkung. Die vorliegende Abhandlung gebe ich aus dem Nachlaß des vor kurzem (14. Febr.) verstorbenen Verfassers heraus. Die Anregung dazu erhielt er durch die vom Lehrer-Kollegium des jü- disch-theologischen Seminars in Breslau im Jahre 1890 gestellte Preis- aufgabe: »Darstellung und Beurteilung der Ethik des Saadjab. Josephe. Der von ihm damals eingereichten Arbeit wurde der Joseph Leh- mann'sche Preis zuerkannt. Nach den Winken und Ratschlägen des verewigten Dr. Rosin hat er sie dann umgearbeitet. In dieser Form kommt sie hier zum Abdruck. Nur einige weitere, besonders neuere Literaturangaben habe ich in [Klammern] hinzugefügt.

Der in der Blüte der Jahre dem rabbinischen Amte und der Wissenschaft des Judentums entrissene Gelehrte wurde am 18. Juli 1861 in Pr.-Friedland (Bez. Marienwerder) geboren, besuchte 1884—1893 das jüdisch-theologische Seminar und war nahezu zwei Jahrzehnte als Rabbiner in Pleß tätig. Mit reicher Begabung, gediegenem und gründ- lichem Wissen, eisernem Fleiße und seltener Arbeitslast verband er eine weit über das gewöhnliche Maß hinausgehende Bescheidenheit und Zurückhaltung. Diese allein haben ihn verhindert, zahlreiche ge- diegene Abhandlungen, die fertig oder fast volleedet in seinem Pulte lagen, der Öffentlichkeit zu übergeben. Wie die Ethik Saadjas, hat er, wie er mir mitteilte, auch die der übrigen jüdischen Religions- philosophen behandelt. Sein Nachlaß an Büchern und handschrift- lichen Arbeiten ist der Bibliothek des jüdisch-theologischen Seminars überwiesen worden. Von weiteren religionsphilosophischen Abhand- lungen habe ich vorläufig nichts gefunden. Wenn sie mir in druck- reifer Form zur Hand kommen, sollen sie ebenfalls veröffentlicht werden. M. Br.

Einleitung.

Die bleibende Bedeutung, die sich Saadja\> als der Begründer einer jüdischen Wissenschaft unter den Rabba- niten und als der eigentliche Schöpfer der jüdischen Reli-

x) Saadja ben Joseph al-Fajjümi, geb. 892 zu Fajjüm in Ober- Monatsschrift, 55. Jahrgang. 25

386 Die Ethik R. Saadjas.

gionsphilosophie1) erworben hat, besteht für die Entwick- lungsgeschichte des jüdischen Geisteslebens hauptsächlich darin, daß er den gesamten Glaubensschatz seines Volkes, wie er sich durch Bibel und Talmud im Laufe der Jahr- hunderte gebildet hatte, zum erstenmale in seiner Reinheit2) systematisch dargestellt und bei dem von ihm versuchten Ausgleich von Religion und Philosophie die Originalität und Selbständigkeit des jüdischen Geistes zu wahren verstanden

ägypten, seit 928 Gaon (Rektor) der Hochschule zu Sura, st. 942 daselbst, vgl. Graetz, Geschichte der Juden V, S. 302 ff. [V*, 233 ff.]

') Schon vor Saadja hatte Isaak Israeli (845—940) in seinem o TilTiD'n einen religionsphilosophischen Versuch gemacht, in dem er dem Eklektizismus zuneigte. Sein Ruf als Arzt war aber größer als der als Philosoph (vgl. das harte Urteil Maimünis über seine Philo- sophie, Briefsammlung, ed. Amsterdam, 14 b [Vgl. über ihn jetzt Jacob Guttmanns Abhandlung über die philosophischen Lehren des Isaak b. Salomon Israeli in Bd. X, Heft 4 der von Cl. Bäumker herausgegebenen »Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters«, Münster i. W. 1911]). Einen größeren, aber ebenfalls ohne weitere Bedeutung gebliebenen Versuch machte dann David Almokammez, auch Alraki und i^32M genannt; er war ebenfalls Arzt und ist spätestens 937 gestorben. Von seinem in zwanzig Ab- schnitten niedergelegten System sind uns nur einzelne Fragmente erhalten, die das ganze Werk als nach dem Muster eines mutaziliti- schen Kaläm angelegt erscheinen lassen. Drei dieser Bruchstücke befinden sich in dem von Halberstam (Berlin 1888) edierten Jezirah- kommentar des Juda ben Barsillai, S. 65, 77 ff. und zwar Abschnitt IX, der das Wesen Gottes (quidditas); 2. teilweise Abschnitt X, der die Eigen- schaften Gottes und 3. S. 151, Abschnitt XVI, der die Vergeltung im Jenseits behandelt. Teile dieser Bruchstücke wurden früher vonLuzzatto in Gabriel Polacks Halichot Kedem, S. 71—78 und von J. Fürst im Literaturblatt des Orients, S. 617, 631 und 642 veröffentlicht. [Vgl. Eppensteins Bemerkungen zu Graetz V4, S. 322, Anm. 5.]

2) In wie hohem Grade ihm dies, trotzdem er sich dem Einflüsse der griech. Philosophie nicht entziehen konnte, gelungen ist, beweist der Umstand, daß er nicht nur einer der bei den Juden am meisten gelesenen Religionsphilosophen war, sondern daß in der Gegenwart sogar seine Ansichten selbst in dogmatisch sehr wichtigen Punkten in den Lehrbüchern der jüd. Religion häufig wieder zu finden sind. Vgl. Graetz, Geschichte der Juden V, S. 332 [V4, 312].

Die Ethik R. Saadjas. 337

hat. Man wird dieses Verdienst umso weniger verkennen, wenn man bedenkt, daß der, Saadja an Systematik wie an Tiefe der Gedanken weit überragende, Alexandriner Philo die Rechtfertigung des Judentums und dessen Lehren vor dem Forum der griechischen Philosophie nur dadurch zu bewirken vermocht hatte, daß er mit dem Zauberstabe alle- gorischer Deutung die konkreten Personen der biblischen Erzählungen in abstrakte Begriffe verwandelte, die mosai- schen Gesetze und Vorschriften in einen Gedanken-Äther auflöste, und dann aus den in ihrem Wortsinn vergewal- tigten jüdischen Religionsurkunden die Gedanken der griechischen Philosophie herauslas1). In Philo's Geiste unterlag das Judentum dem bestrickenden Reize und der spielenden Gewandtheit der glänzend ausgebildeten griechi- schen Dialektik; sein Streben befriedigte aber das religiöse Bewußtsein seines Volkes nicht, und darum hat die jüdisch- alexandrinische Philosophie in jüdischen Kreisen weder eine weitere Fortbildung noch überhaupt Anerkennung gefunden. Das Bedürfnis eines Ausgleichs zwischen der überkommenen Lehre und der Philosophie der Zeit war für Saadja dasselbe wie einst für Philo. Lehre und Überlieferung waren in Gefahr, im Geiste und im Gemüte ihrer Bekenner von einer grundverschiedenen Bildung und Lebensrichtung verdrängt zu werden, seitdem einerseits der Karäismus2)

') Vgl. Zeller, Philos. der Griechen III, 2. Besonders eingehend hat diese Art der Exegese In ihrem Einfluß auf die Anschauungen des Judentums Z. Frankel behandelt in seinem Buche »Über den Einfluß der paläst. Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik«, Leipzig 1851.

2) Der Karäismus, als das Prinzip des starren Festhaltens an dem Buchstaben der Schrift, im Qegensatz zur Tradition, als dem »Prinzip der beständigen Fortbildung* wie Geiger, Wissensch. Zeitschr. I, S. 348 die Überlieferung bezeichnet, hat seine Wurzeln in dem vom Pharisäismus überwundenen Sadduzäismus, zu dem später noch un- verkennbar der gern streng nach dem Wortlaut der Schrift entscheidende Schammai und dessen Schule hinneigte. Erst der Streit der Suniten und Schiiten in der muhammedanischen Welt erweckte den vielleicht

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388 Die Ethik R. Saadjas.

den Talmudismus immer mehr mit wissenschaftlichem Waffen bekämpfte und bedrängte, und andererseits die wieder zur Geltung gelangenden Systeme der griechischen Philosophie1) bei dem damals allgemein herrschenden Mangel an Verständnis für eine geschichtliche Betrachtung weite Kreise mit Verwirrung und Zweifel erfüllten. In dieser Zeit der Not erschien Saadja's Werk E m u n o t w e- Deot2), das nach dem übereinstimmenden Urteil der Späteren9) einer das religiöse Bewußtsein seines Volkes rettenden Tat gleichkam. Was Saadja in diesem Werke ge- leistet hat, ist zweifach beachtenswert. Zunächst übertrifft es nach dem Urteil Stöckl's4) an Wahrheitsgehalt bei

noch nicht ganz erstorbenen Qeist des sadduzäischen Prinzips, so daß Anan b. David 750 in Bagdad die Sekte der Bne Mikra oder Karäer gründen konnte.

») Saadjas Werke bilden eine wertvolle Quelle für die geschicht- liche Kenntnis vom Übergang der arab. Philosophie aus dem engen Rahmen der Mutazila zu dem, durch syrische und arab. Übersetzungen des Plato, Aristoteles, der aristotelischen Kommentatoren und des Qalen angebahnten, arabischen Aristotelismus, vgl. Guttmann, Die Religionsphilosophie des Saadja, S. 16; Überweg-Heinze, Grundrß II, 6. Aufl., S. 185 ff. Saadja kennt die griechische Philosophie beinahe in ihrem ganzen Umfange, selbst die Systeme der alten ionischen Naturphilosophen.

2) Arab.: Kitäb al Amänät w'al I'tiqädät von Said b. Jüsuf, wie ihn die Araber nannten. Es behandelt in 10 Abschnitten: 1. Die Kos- mologie, 2. die Einheit Gottes, 3. die Gesetze der Offenbarung, 4. die Willensfreiheit, 5. Verdienst und Strafe und die Theodicee, 6. die Anthropologie, 7.-9. die Eschatologie und 10. die Ethik.

') Selbst Maimonides, der oft gegen ihn polemisiert und ihn >in den Irrlehren des Kaläm befangen« nennt, erkennt in dieser Be- ziehung willig Saadjas große Bedeutung an; vgl. Brief nach Jemen, ed. Holub, S. 39. In gleicher Weise urteilte später über ihn R. Meir b. Todros ha-Lewi in Kitäb al-rasäil (ed. Brill), S. 57a: UTK TW ="2 'tk-iut» min rtnrnrcj Kin vbcbtitf ins» bn pwn rr-tj'c V3"n »BS -cxr, »wäre Saadja nicht gewesen, so wäre die Tora in Israel in Verges- senheit geraten«.

*) Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Band II, Mainz 1865, S. 264. Saadja scheint sein Werk übrigens nicht nur für jüdisciie

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weitem die Werke der Mutakallimun und ist somit das Beste, was uns aus dieser Periode der arabischen Philo- sophie erhalten ist; andererseits ist dieses Buch durch die systematische Darstellung und vernunftgemäße Beleuchtung des gesamten Glaubens- und Lehrgehalts des Judentums sowie durch die Aufstellung von Saadja's Nachfolgern all- gemein angenommener Interpretationsregeln für den bibli- schen Text1) die Grundlage der ganzen jüdischen Reli-

Leser geschrieben zu haben. Eine Stelle im Emunot we-Deot II, S. 45, er.. Sracky, Leipzig 1S64 (nach welcher Ausgabe wir auch weiterhin zitieren) nrvüm 2'vnb JVON zeigt, daß er gegen Islam und Christen- tern eine rein wissenschaftliche Polemik zu führen beabsichtigte. Und in der Tat, für Israeliten hätte er nicht nötig gehabt, so tief auf Pro- bleme, die nur für Andersgläubige einen Wert hatten, einzugehen. Wenn er es dennoch tat, so geschah es wohl, weil sein Buch das allgemeine, wissenschaftliche Interesse aller Denker, nicht nur der jüdischen, beanspruchte; denn in Bagdad, wo Saadja studierte und sein Werk verfaßte, waren Disputationen und Diskussionen zwischen den Vertretern der verschiedenen Religionen nichts seltenes. Vgl. Munk, Melanges, S. 312; v. Kremer, Kulturgeschichte des Orients II, 399 ff. Saadja selbst scheint sich an solchen Disputationen beteiligt zu haben, wie eine Stelle seines Werkes III, S. 68 beweist; wo er des Einwand eines Aschariten und seine Antwort darauf berichiet: *.♦ "O vmg . . . "lötfl ntn löKön bj? Dnatp =yc*n "DSl, vgl. zu der an- geführten Stelle Schahrästani, übersetzt v. Haarbrücker, I, 100 ff.

x) Nur wenn eine Bibelstelle gegen eine durch eine der vier Erkenntnisquellen gewonnene Wahrheit verstößt, ist es gestattet, die Bibelstelle so zu deuten, daß der Widerspruch beseitigt wird. Emunot we-Deot V, S. 93; VII, S. 109; vgl. dazu Einleitung S. 10 und II, S. 44, an welchen Stellen er auf die ausführliche Behandlung dieses Punktes in der Einleitung seines Pentateuch-Kommentars hinweist; diese Interpretationsregel Saadjas wurde von fast allen späteren Re- ligionsphilosophen angenommen; vgl. Abraham Ibn Daud in Emuna rsma S. 1. Maimonides, More II, 25, 29 ff; Einleitung zu Sanhedrin X, 7. Die 3 resp. 4 Erkenntnisquellen Saadjas: die sinnlische Wahr- nehmung, die Vernunft, die Bibel und die Tradition finden sich auch bei den lauteren Brüdern, vgl. Dieterici, Anthropologie der Araber, S.. 20; die Lehre von der Weltseele S. 38 und besonders 99, wo die Überlieferung ebenfalls als Erkenntnisquelle angeführt wird. Die alle- gorische Deutung verwirft Saadja auf das entschiedenste, Emunot

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gionsphilosophie geworden. Saadja selbst hatte, wie er dies in der Einleitung hervorhebt, eigentlich nur beabsich- tigt, durch eine kritische Betrachtung eine Läuterung in den Glaubensansichten seiner Zeitgenossen herbeizuführen. Indem er so aber darnach strebte, den Inhalt der Offen- barung als mit der Vernunft in Einklang stehend darzu- stellen, gelangte er dazu, den gesetzlichen Teil des Juden- tums, in dem Gebote der Religion, der Moral und des Rechts unterschiedlos in einander verschlungen waren, einheitlich auf Prinzipien zurückzuführen, die fast aus- schließlich der griechischen Ethik entlehnt sind. Die For- derungen der jüdischen Lehre wurden hier gewissermaßen zum ersten Male auf ihren ethischen Gehalt untersucht, und damit war der Ethik gleichsam stillschweigend der Vorzug vor dem Offenbarungsgesetze eingeräumt worden, das seinen Wert eben erst durch seine Übereinstimmung mit der Ethik beweisen sollte. Saadja hat dadurch zuerst den entscheidenden Schritt getan, auch im Judentum, wie es bei den Griechen schon sehr früh der Fall war, die ethischen Forderungen als etwas Selbständiges und von der Re- ligion und deren sonstigen Geboten völlig Unabhängiges zu unterscheiden. Diese Trennung von Religion und Sitt- lichkeit hat auch bei Saadja auf den ersten Blick für uns nichts Auffallendes. Er hatte ja durch Studium die griechi- sche Philosophie kennen gelernt und dadurch geschlossene ethische Systeme, deren Lehren er annehmen konnte, ob- gleich sie aus ganz anderen Prinzipien abgeleitet waren, als die gleichen oder ähnlichen Lehren des Judentums. Diese Prinzipien hatten außerdem bei seinen ungläubigen und zweifelsüchtigen Glaubensgenossen vollgültige Auto- rität, die Lehren der Religion dagegen wurden vielfach verworfen oder doch nicht beachtet; was war da natürlicher

wc-Deot VII, S. 112 und 113. Über die allegorische Deutung in den Schulen der Mutazila, denen Saadja unter allen arabischen Schulen, am nächsten stand; s. Schahrästani, ed. Haarbrücker, I, 43, 75.

Die Ethik R. Saadjas. 391

als daß Saadja, um den jüdischen Geboten wieder Aner- kennung zu verschaffen, sich bemühte, so weit es möglich war, die Lehren der Religion in Lehren der Sittlichkeit umzuwandeln und die religiösen Gebote und Gesetze aus ethischen Prinzipien abzuleiten ? Er mußte Licht und Ord- nung in einem Chaos von Sitten und Gesetzen schaffen, das Religion und Leben im Laufe von vielen Jahrhunderten bei einem ganzen Volke angehäuft hatten. Er wollte das, was das gläubige Gemüt bisher als Machtgebot seines Gott-Königs verehrt und in demütiger Unterwerfung unter den Willen des Höchsten treu befolgt und geübt hatte, als das eigentlichste Postulat der menschlichen Vernunft hinstellen und rechtfertigen. Allein so naheliegend und gerechtfertigt aus all' diesen Gründen für Saadja die Tren- nung von Religion und Ethik war, so braucht man sich doch nur zu vergegenwärtigen, in wie ganz verschie- denen Verhältnissen das sittliche Bewußtsein zu dem religiösen Gottesbegriff bei Juden und Griechen stand, um die ganze Tragweite des kühnen Versuchs, das bis dahin einheitliche, religiöse Bewußtsein des Juden nach griechi- schem Muster in ein ethisches und religiöses zu scheiden, genügend zu würdigen. Die Bibel kennt keinen Unterschied zwischen den Gesetzen der Moral und denen der Religion ; die einen sind ihr eben so göttlich wie die anderen; denn alle wurzeln in dem starken Bewußtsein von der Heiligkeit des göttlichen Wiliens, in dem sie den Quell der Wahrheit, des Rechts und der Sittlichkeit zugleich sah (Secharja 8, 16 19). Eine Trennung oder auch nur eine Unterscheidung von Religion und Moral war nach der ganzen Weltan- schauung des Judentums überhaupt gar nicht denkbar, weil das sittliche Bewußtsein niemals mit dem Bewußt- sein von einem persönlichen, sittlichen Gotte in Wider- spruch geraten konnte. »Den ganzen Luxus naturphiloso- phischer Mystik, der so nutzlos die übrigen Religionen des Altertums beschwert, hatten die Hebräer hinweggeworfen,

392 Die Ethik R. Saadjas.

um dem einen Rätsel der inneren Welt, dem der Sünde und der Gerechtigkeit vor Gott, nachzuhängen ; ihnen war Gott ein geschichtlicher Gott, dem die Natur ein Fuß- schemel seiner Macht, aber das Leben der Menschheit das einzige Augenmerk seiner Vorsehung ist; er war ihnen aber auch der starke und eifrige Gott, der die Gerechtig- keit des Herzens will und die Sünde verfolgt und rächt, um der Sünde willen« (Lotze, Mikrokosmos 111, S. 147). Der Gegensatz zwischen Religion und Ethik trat zuerst und am schärfsten bei den Griechen hervor. Denn wie in allen ursprünglichen Verhältnissen menschlicher Kultur war auch bei ihnen die Sittenlehre in die Religion verwebt. Allein der griechischen Religion fehlte der sittliche Kern, und darum war ihr Bruch mit der Moral unvermeidlich. Schon die griechische Volksmoral, die doch von der Reli- gion ausging, wurzelte nicht in der Gottheit, als der ab- soluten, sittlichen Persönlichkeit; denn die griechischen Götter waren dem Volksbewußtsein nichts weniger als rein sittliche Wesen. Selbst zur Zeit des Sophokles, als der griechische Volksgeist auf seiner sittlichen Höhe stand, scheute man sich nicht, ihnen Mißgunst und Neid gegen das Menschengeschlecht nachzusagen. Die griechische Welt kannte ein solches liebevolles und inniges Verhältnis zwischen der Gottheit und den Menschen, wie es zum Bei- spiel in dem biblischen Satze: Kinder seid ihr des Ewigen eures Gottes« (5. M. 14, 1) ausgedrückt ist, noch nicht. Ihr waren die Götter nur die höheren Mächte, denen der Mensch, weil er ihnen machtlos unterworfen war, Furcht und scheuvolle Verehrung schuldete. Dieses Verhältnis, das nicht auf gegenseitiger Liebe beruhte, konnte auch schon deshalb nicht als eine Quelle der Sittlichkeit wirken, weil man die Gottheit als heilig weder erkannte noch dachte1). Eine Heiligung der Gesinnung und des Lebenswandels, wie

») Vgl. Chr. Ernst Luthard, Die antike Ethik, Leipzig 1337, S. 3 oben.

Die Ethik R. Saadjas. 393

sie das Judentum in Hinblick auf den heiligen Gott sehr nachdrücklich verlangte1), konnte deshalb auch von der griechischen Gottesverehrung niemals ausgehen. Die ganze griechische Sittlichkeit bestand in der Einhaltung jener Ordnungen, wie sie das natürliche Leben und der Staat gebildet hatten. Maß und Schranke, Twoocxrjvr,, war und blieb das charakteristische Merkmal des Sittlichen für den helle- nischen Geist aller Zeiten ; sie war die strenge Forderung der Volksmoral und der Religion. Als aber durch die Ver- wicklungen einer mannichfaltigeren Lebensform und die Entwicklung des philosophischen Denkens die überlieferte, positive Religion in Verfall geriet, da wankte und schwankte auch der ganze Bestand dessen, was überlieferungsmäßig als heilig und sittlich galt. Denn in dem Maße, wie die Macht der Überlieferung dahinsank, erstarkte immer mehr 6er Geist des unbedingten Subjektivismus, der an die Stelle des bisher allgemein Gültigen das individuelle Meinen und Belieben setzte und in dem berühmten Satze des Pro- tagons, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, wdtvrwv ypr,x7.To>v uiTpov av#p(07;o;, seinen treffendsten Ausdruck fand, Damit war aber das sittliche Leben, dessen Norm zu be- stimmen jedem Einzelnen anheimgestellt war, in Frage ge-

;) 3. M. 19,2: ^Heilig sollt ihr werden, denn ich der Ewige, euer Gott, bin heilig«. Das. 11, 44 u. 45: »Heiligt euch, daß ihr heilig werdet, denn ich bin heilig«. 20, 26: »Und ihr sollt mir heilig sein, de'jn heilig bin ich der Ewige*. Vgl. Sifra zu 3 M. 18, 4 ed. Schloß- berg, Wien 1862, S. 86: ans tr»npa BN VtiDTpM '»Tp rx ibVnn xbi OST bp iO» DK BHpK W *]K ,%V nK. Sifre zu 5. M. 11, 22 ed. Fried- mann, Wien 1864, S. 85 a: aim "in nfiK B}K »pm aim K-.p; aipan na rvapn na ,pns v,n nna bjk pna x~\p: nspn na „bzb c:n rona nwjn pam man *!fi nnN B)K Yen anp; vgl. Sabbat 133b; das ist nach obiger Stelle des Sifre und des Talmud Sota 14a die Erklärung des biblischen Gebotes: »in den Wegen Gottes wandeln» 5. M. 11, 21 und 13, 5; »die Wege Gottes, das sind die Eigenschaften Gottes«. Wie Er Nackte kleidet, so kleide auch du Nackte; wie Er Kranke pflegt, so pflege auch du Kranke; wie Er Trauernde tröstet, so tröste auch du Trauernde usw.«

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stellt. Die Folge davon war, daß, wie Thukydides klagt1), die Unsittlichkeit im Volke in erschreckender Weise um sich griff. Es war daher die Aufgabe der edlen Geister, darau zu sinnen, wie sie Religion und Sittlichkeit den verödeten Gemütern ihrer Mitbürger wieder einpflanzen, wankende Herzen wieder befestigen könnten. Bisher ruhte die Moral auf Tradition, da diese aber auch unhaltbar geworden, so sollte an ihre Stelle die Erkenntnis treten. Es galt also, auf dem Wege der Forschung Prinzipien, das heißt: allgemein anerkannte, zweifellose Grundgedanken, aufzufinden, die das Fundament der sittlichen Theorie bilden konnten, um darauf das ganze Gebäude als auf festem Grunde zu er- richten2). Den ersten Versuch hierin unternahm Sokrates, indem er das subjektive Denken aus einer auflösenden Macht in eine bauende umzuwandeln sich bestrebte und die Men- schen als Vernunftwesen statt an die Willkür des eigenen Beliebens auf die Vernunft verwies, die an die Stelle der Meinung das Wissen und statt des Scheins das wahre Wesen der Dinge (ti sgtiv s/.y.crTov t&v Svirwv), den Begriff, zu erfassen versucht. Nach Begriffen denken war ihm Wahrheit, aber auch nach Begriffen handeln Tugend. Die Tugend also ist Wissen3). Bei dieser Identifizierung von Tugend und Wissen ist aber die Bedeutung des Wollen», als des eigentlichen Faktors sittlichen Handelns völlig über- sehen und verkannt. Trotzdem beherrscht von Sokrates an dieses Übergewicht des Intellekts über den Willen die Denk- weise der ganzen antiken Moralphilosophie4). Die sokratische

') Thucydides II, 52, 53; III, 82, 83.

2) Zeller, Die Philosophie der Griechen II, 1 Einleitung. L. Lazarus, Zur Charakteristik der talmud. Ethik, Breslau 1877, S. 6. |

3) Xenophon Mem. 1, 1, 16; III, 9, 5; IV, 2, 20; Aristoteles Ethic. Nicom. IV, 13: cppov/i^ei; (ozxo slvy.-, izkncnc, Tri? äpsry.;.

*) Luthardt, Die antike Ethik, S. 41. Strümpell, Die Geschichte der praktischen Philosophie der Griechen vor Aristoteles, Leipzig 1361, S. 13: »Wir nehmen wahr, daß die antike Ethik, wie weit sie in dieser Schrift dargestellt wird, trotz mancher herrlicher Gedanken doch von

Die Ethik R. Saadjas. 395

Tugend des Begriffs, Piatos Tugend der Idee, die dianoeti- sche Tugend des Aristoteles und der stoische Weise, »der sich auf sich selbst zurückzieht und sich in seiner eigenen Gottheit verehrt«1), sind die einfachen Folgen dieses aus- schließlich zur Herrschaft gelangten Intellektualismus. Bei dieser Grundlage aber konnte die Ethik niemals praktische Geltung für das Volksleben erlangen ; denn die Erkenntnis ist nur Sache weniger, nicht der Menge. Aber auch für die Aristokratie des Geistes blieb sie oft ein leerer, geistiger Formalismus.

Alle die Veranlassungen und Bedingungen, welche bei den Griechen der Entwicklung und Ausbildung der wissen- schaftlichen Ethik so günstig waren, fehlten im biblisch- talmudischen Judentum fast vollständig. Den Grund für diese Erscheinung wird man hauptsächlich, wie wir bereits oben erwähnt haben, in der lebendigen Vorstellung des Juden von einem persönlichen und sittlichen Gotte zu su- chen haben. Denn es hat im jüdischen Bewußtsein niemals ein Zweifel darüber geherrscht, »daß Gott der Schöpfer eben sowohl einer sittlichen als der physischen Weltord- nung sei, daß er die Quelle aller, auch der ethischen Wahr- heit, und daß die überlieferten Sittengesetze eben diese Wahrheit ausdrücken und enthalten«2). Man hat deshalb in den schöpferischen Zeiten des Talmud, als man nach dem Verluste von Vaterland, Thron und Altar unter we- sentlich neuen Bedingungen das Leben des zerstreuten Volkes im Einzelnen wie in der Gesamtheit neu zu be- gründen und zu ordnen hatte, gar keine Veranlassung ge- habt, nach anderen Normen zu suchen, als die waren, die überlieferungsmäßig die Religion festgestellt hatte. Das ganze Dasein wurde durch das Bestreben der talmu-

einer Ethik des Wollens, in der genauen Bedeutung des Begriffs, nur erst eine schwache Ahnung hatte*.

') Luthardt, Die antike Ethik, S. 185.

2J L. Lazarus, Zur Charakteristik der talmud. Ethik, S. 19.

396 Die Ethik R. Saadjas.

dischen Weisen, dem mosaischen Gesetze eine bis ins ein- zelne gehende praktische Geltung zu verschaffen, in seinen Höhen und seinen Tiefen von der Wiege bis zum Grabe ein ununterbrochener Gottesdienst, in dem jede Handlung, auch die unbedeutendste, von religiöser Weihe1) getragen, in dem aber auch andererseits jedes ethische Bewußtsein von dem religiösen fast gänzlich verschlungen war. Die- selben talmudischen Weisen haben in einer riesigen Li- teratur mit wahrhaft religiösem Eifer und haarscharfer Dialektik das ganze menschliche Leben in all seinen Be- ziehungen in den Kreis ihrer Untersuchung gezogen; sie haben alles, was man Gott und dem Menschen schuldet, mit wahrhaft peinlicher Gewissenhaftigkeit erwogen und bestimmt; und doch wird man nicht umhin können zu be- haupten, daß die Ethik sehr stiefmütterlich vcn ihnen be- handelt ist, oder richtiger gesagt, daß sie unter den logi- schen Operationen ihres Verstandes zur kalten Jurispru- denz erstarrte. Es zeigt sich darin allerdings die sittliche Höhe des Judentums, daß nach seiner Auffassung die For- derungen der Sittlichkeit genau von derselben verpflich- tenden Kraft sind, wie die Gesetze des strengen Rechts. Sittlichkeit und Recht galten ihm als vollkommen gleich- berechtigt2), und eine Verletzung des einen war wie die Verletzung des anderen vor dem jüdischen Bewußtsein eine gleich sündhafte Übertretung des göttlichen Willens. Man wird trotzdem nicht verkennen, daß die Selbständig- keit der Ethik sowohl im Leben wie in der wissenschaft- lichen Behandlung, abgelöst von Religion und Jurisprudenz, in verhältnißmäßig nur sehr geringem Grade zur Geltung kommen konnte. Das Ethos war zwar mächtig und das stärkste Ferment der Religion"), aber es lag als solches

1) Vgl. J. Fritz, Aus antiker Wellanschauung. Hagen 1836, S. 193.

2) D. Rosin, Die Ethik des Maimonides. Breslau 1376, S. 1.

3) Vgl. H. Steinthal, Allgemein* Ethik. Berlin 1335, S. 103, Anrn. 121; S. 120—124, Anrn. 229.

Die Ethik R. Saadjas. 397

nicht im Bewußtsein des Volkes. Man hat im Talmud so- gar Sinnsprüche gesammelt, unter denen sich Grundsätze von echtethischen Werte befinden1), der Talmud hat solche ethische Grundprinzipien selbst in der Bibel2) zu finden geglaubt, aber nicht um darauf ein System der Sittenlehre zu errichten. Da hier nicht wie in Griechenland die Tu- gend im Wissen bestand und nicht die Wissenschaft der Weg zur Sittlichkeit wars), so kam es sehr wenig darauf an, in welchem Zusammenhange die Forderungen der Moral zu- und untereinander stehen, auch nicht wie sie sich mit logischer Notwendigkeit aus dem obersten Prinzip ergeben, sondern darauf allein war alle Aufmerksamkeit gerichtet, die bindenden Verpflichtungen der göttlichen Gesetze, in denen sittliche, rechtliche und religiöse Gebote unzertrenn- lich und organisch mit einander verbunden waren, zu einer, die Gesinnung4) jedes Einzelnen heiligenden und das Le- ben des ganzen Volkes beherrschenden Macht zu gestalten. Eine Ethik in dem philosophischen Sinne der Griechen

*) Abot I, 2: »Auf drei Dingen beruht die Welt: auf Wissen- schaft, Religion und Menschenliebe*. Das. I, 18: ^Durch drei Dinge hat die Welt Bestand: durch Wahrheit, Recht und Frieden«.

-) Makkot 23b: Das mosaische Gesetz enthält 613 Gebote. Diese führte David (Ps. 15) auf elf zurück. Jesaja (23, 16) faßte sie in sechs zusammen; Micha (6, 8) in drei: Er hat dir kund getan, o Mensch, was gut ist, und was der Ewige von dir fordert: Recht zu tun, Liebe zur Milde, und demütigen Wandel mit Gott, deinem Herrn. Dann führte sie Jesaja (56, 1) wieder auf zwei zurück: »Beobachtet das Recht und übt die Tugend«. Endlich faßte sie Habakuk (2, 4) sogar in den Einen Ausspruch zusammen : »Der Gerechte lebt durch seine Treue (2, 4).

3) Vgl. Plato, Meno 77b: »Niemand kann das Böse wollen; wer das Gute erkannt habe, müsse es tun«.

*) Vgl. Sanhedrin 106b: »$3 ¥ßb rY3pn »Gott will das Herz«. Joma 29 a: n-cy» Http rr.zv mmn »Die sündhafte Gesinnung ist schlimmer als die Sünde*. Abot II, 17: estf ck6 rn- -ppyo hzt »Alles, was du tust, geschehe in Hinblick auf Gott'; Kidduschin 41; Berachot 6; Nasir 23b.

398 Die Ethik R. Saadjas.

hatte und konnte das Judentum auch schon deshalb nicht haben, weil es sich gar nicht an das spekulative Wissen und Erkennen1), sondern vorzugsweise an die nach Kant2) einzige sittliche Kraft im Menschen, an den Willen3), wendet. Nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf Herz und Sinn,, auf das Gefühl und die Phantasie sucht die Bibel zu wirken, um den Willen in einer fest bestimmten Richtung zu lenken, ihn zu läutern und zu stärken4).

') Wohl dringt die Bibel an zahlreichen Stellen auf wissen und Erkennen, wie in Deuter. 4, 35. 39; Jerem. 9, 23. usw., allein an allen biblischen und talmudischen Stellen (Abot II, 1 ; Jalkut I, § 7 und § 107, Chagiga 2; Sabbat 86 usw.) bedeutet Wissen und Er- kennen nur das erfahrungsmäßige Wahrnehmen des in der Natur und Geschichte wirkenden Gottes, oder auch, wie in Prov. 8, 10; 23, 12; 24, 5; 11, 19; Jes. 53, 11. Ketubbot 68; Nedarim 41; Chagiga 14; San- hedrin 30; das. 52 usw. das empirische Wahrnehmen, Verstehen und Wissen der in der Natur wie im Menschenleben sich abspielenden Vorgänge und Ereignisse. Niemals ist aber damit ein spekulatives Schauen oder ein methapbysisches Folgern durch reine Vernunft- begriffe gemeint. Im Talmud ist Methaphysis und spekulatives Grübeln einfach verboten: Chagiga II, 1. Man wird deshalb auch behaupten können, daß ein methaphysisches Begründen und philosophisches Ausbauen des allerdings stark ausgeprägten Ethos im mosaisch-tal- mudischen Judentum gar nicht im Bereich der Möglichkeit lag.

2) »Es ist überall nichts in der Welt, ja auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als ein guter Wille. Der gute Wille ist durch seile Wir- kungen, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung eines Zweckes gut, sondern allein durch das Wollen«.

8) Vgl. Genes. 2, 16-17; 4, 7; Deuter. 30, 15-19; 11, 26—27; Jes. 1, 19—20 usw. S. Bahr, Symbolik des mosaischen Kultus I, S. 37; Friedrich Schlegel, Philosophie der Geschichte I, S. 165 u. 168.

4) Wir finden in dieser Beziehung eine schöne Charakterisie- rung der Bibel bei Saadja selbst: Eine jede Religionsurkunde, sagt er in Emunot we-Deot III, S. 65, bestehe aus drei Teilen: 1) aus Ge- boten und Verboten, die er, wie aus dem dort von ihm angeführten Beispiele des Fieberkranken hervorgeht, für das eigentliche Heilmittel der sittlichen Gesundung des Menschen hält, 2) aus Verheißungen und Belohnungen als Vergeltung für deren Beobachtung, um die Menschen zur Annahme derselben geneigter zu machen, 3) aus prak-

Die Ethik R. Saadjas. 399

Saadja gebührt das Verdienst, im biblisch-talmudischen Judentume zuerst die Ethik als gleichberechtigt der Re- ligion gegenübergestellt und sie als selbständige Disziplin aus ihrer Verknüpfung mit verwandten Gebieten gelöst und bearbeitet zu haben. Wenn er sich hierbei auch oft von Gesichtspunkten leiten ließ, die, einer fremden Li- teratur entlehnt1), zu dem ihm durch die jüdische Über- lieferung Gegebenen nicht immer paßten, so hat er doch die Eigentümlichkeiten der jüdischen Religionslehren besser zu wahren gewußt, als seine Nachfolger, die das Werk, das er begonnen, wohl vertieften und weiter ausbauten, aber auch, wie Maimonides, manche Besonderheiten der Religionsquellen der griechischen Philosophie zuliebe opfer- ten oder Verschiedenheiten zwischen beiden auf Kosten der ersteren gewaltsam ausglichen.

Wie sich die Ethik Saadjas aber im Einzelnen ge- staltet, wollen wir in Folgendem dazustellen versuchen.

tischen Beispielen aus der Geschichte, um die Gläubigen zur Nach- ahmung anzuspornen. Erst durch alle diese sich an Herz und Gemüt wendenden Momente zusammen, werde eine rechte und nachhaltige Wirkung erzielt.

x) Wenn Saadja sein Werk auch nach dem Muster eines mu- tazilitischen Kaläm angelegt haben mag und der Einfluß der arabi- schen Scholastik in den uns oft eigentümlich erscheinenden Problemen bei ihm sich oft stark bemerkbar macht, Mose b. Esra in seiner aräb. Poetik und Mose von Salerno in seinem Moreh-Kommentar be- zeichnen Saadja ais Mutakallimun, Maimonides nennt ihn im »Briefe nach Jemen«, ed. Holub, S. 39 und Moreh I, 71 (an letzterer Stelle ohne seinen Namen zu nennen) einen Anhänger des Kaläm so gilt dies doch meistens nur von den dogmatischen und besonders den eschatologiscaen Partien seines Buches. In der Ethik mit Aus- nahme von der Lehre über die Willensfreiheit richtet er sich haupt- sächlich nach griechischen Vorbildern.

(Fortsetzung folgt.)

Das laubhüttenfest Chanukka.

Von R. Leszynsky.

Während das erste Makkabäerbuch, das «iwiBOTi n*a "C31), wie allgemein anerkannt wird, eine Übersetzung aus dem Hebräischen darstellt, ist man inbezug auf das zweite Buch der Makkabäer seit Hieronymus im Allgemeinen davon über- zeugt, daß es von vornherein in griechischer Sprache ab- gefaßt war8). Nur inbezug auf die Briefe oder besser den Brief, der die Einleitung des Buches bildet, ist man einiger- maßen im Zweifel, obwohl auch hier die Annahme einer Übersetzung bis in die neueste Zeit hinein vielfach verneint wird3). Den wenigen Hebraismen, die man gefunden hat, und die sich zur Not aus dem Einfluß der biblischen Sprache auf die griechisch redende und schreibende Juden- heit erklären ließen, stehen nicht nur griechische Wort- spiele gegenüber, sondern der ganze Stil des Buches macht den Eindruck, als ob das Original griechisch war. »Das allein untrügliche Merkmal einer Übersetzung«, schrieb Grimm in seinem exegetischen Handbuch4), »nämlich solche sprachliche Schwierigkeiten, die sich nur unter der Voraus- setzung eines Übersetzungsfehlers heben lassen, ist nicht vorhanden«. Die Berechtigung dieser Forderung steht außer

1) Bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, liegt dieser Titel in dem bekannten 2ap«4r,9- ZaßavaueX (= 2[<p]p ß 7)ft [A]<J iiv * ie)

vor. Sämtliche bisherige Deutungen ergaben hochpoetische Namen, aber nicht für jene Zeit passende Büchertitel.

2) Vgl. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes III 1909. S. 455. ') Kamphausen in Kautzsch Apokryphen 1900. S. 85. Dagegen

Torrey, Die Briefe II. Makk. ZATW. XX, S. 236 ff. *) Leipzig 1857. S. 24.

Das Laubhüttenfest Chaankka. 401

aller Frage. Gelingt es uns nun aber eine solche Schwie- rigkeit zu zeigen, die durch ein Mißverständnis des Über- setzers hervorgerufen ist, so ist damit ebenso stringent die semitische Grundsprache des zweiten Makkabäerbuches oder wie wir besser sagen werden : seiner Quellen be- wiesen. Ich glaube nun diesen Beweis führen zu können. Die Bedeutung dieser Entdeckung wird noch dadurch er- höht, daß der aufzuzeigende Übersetzungsfehler sich an drei Stellen des Buches befindet und dadurch die Streit- fragen über die Komposition des Buches entschieden oder wenigstens der Entscheidung näher gebracht werden. Und nun, um mit dem zweiten Makkabäer zu reden, wollen wir, nachdem wir uns bei der Vorrede so lange aufgehalten haben, mit der Erzählung beginnen.

Nach seinem Siege über Lysias zog Juda Makkabi, wie das erste Makkabäerhuch1) berichtet, nach Jerusalem, stellte den Tempel wieder her, so wie er früher gewesen, und weihte ihn am 25. des Monats Kislev von neuem. Die Feier vollzog sich in den üblichen Formen unter Lob- gesängen und Gebeten, Musik und Opfern. Ein Grund für die achttägige Dauer wird ebenso wenig angegeben wie eine besondere Zeremonie, die an jenen Tagen zu voll- ziehen sei. Das Anzünden der Lampen des Leuchters im Tempel nimmt in dem Bericht des Makkabäers keine irgend- wie hervorragende Stellung ein, wird vielmehr dem Dar- bringen des Räucherwerkes, dem Auflegen der Brote etc. völlig gleichgesetzt. Josephus-) kennt dagegen das Fest bereits unter dem Namen des Festes der Lichter, obwohl er sich den Namen nicht recht erklären kann. Jedenfalls wurden zu seiner Zeit, wie wir ja auch aus der rabbini- schen Überlieferung wissen, Lichter angezündet3). Die an- fangs unbestimmte Art der Feier war damit in eine feste

») 4, 36 ff.

*) Ant. XII 7, 7. § 325 ed. Niese.

s) Sabb. 21 b.

MosatSBchrift, 55. Jahrgang.

402 Das Laubhüttenfest Chanukka.

Form gegossen. Wie weit dabei heidnische Gebräuche, das Fest der Wintersonnenwende, mitspielen, ist nicht zu sagen. Für die Juden war der gegebene Anknüpfungspunkt das erstmalige Anzünden des Tempelleuchters. Das Wunder mit dem Ölkrüglein sollte nur die achttägige Dauer des Festes erklären1).

Eine ganz merkwürdige Auffassung von dem Cha- nukkafeste hat nun aber das II. Makk. Es bringt das Fest in eine auffällige Verbindung mit dem Laubhüttenfest, eine Schwierigkeit, die bisher im Allgemeinen hingenommen wurde, ohne als solche empfunden zu werden. Sehen wir uns die betreffenden Stellen einmal an. In c. 1,9 in dem sogenannten ersten Briefe der palästinensischen Juden an ihre ägyptischen Brüder heißt es: iuci vOv Iva orpfiTe to? riuipa; T?j; G/.7,vo7u7)Y£as toS Xa^Xeü u.v)v6; und nun feiert die Tage des Hüttenfestes des Monats Kislev. Es wird also hier ausdrücklich Chanukka nicht etwa dem Hüttenfeste nur verglichen, sondern direkt so genannt. Die zweite verderbte Stelle in dem sogenannten zweiten Briefe des Makkabäers Juda an die ägyptischen Juden lautet (II. Mak. 1, 18): Iva y.y.i aurol ayviTS v?i;(cb;) (j/f/ivoTr/iYia? xai tou rcupo; damit

auch ihr des Hüttenfestes [und des Feuers] feiert.

Man ergänzt: die Tage oder auch: nach Art der Tage, in jedem Falle ist hier wieder Chanukka Laubhüttenfest ge- nannt, und nur weil die Stelle so wie so verderbt ist, hat man bisher auf die Lösung der Schwierigkeit verzichtet. Endlich an einer dritten Stelle erfahren wir, was Chanukka überhaupt mit dem Laubhüttenfeste zu tun hat, (10,6): xai [ist eüopoffuvv); r,yov vif/ipa;; ö/.toj <7*t)vo{jl7.tcov Tporov, [/.v/]-

') Das. Megil!. Taanit zum 25. Kislev. Es ist vielleicht nicht ganz uninteressant zu bemerken, daß das Wunder, nach dem die Heiden das Öl verunreinigt hatten, mit der Halacha in Konflikt kommt. Nach ihr verunreinigte die Berührung durch Heiden nicht. Das ist viel- mehr erst eine spätere rabbinische Verordnung. Die Frage mit einer wenig guten Antwort im Sefer Mizwoth ha-Oadol des Mose Cougy.

Das Laubhüttenfest Channkka. 403

..jjuove-jovTS; w; rpd uiy.poO XPr^v0'J T^v ~&v «H&vöv soprViv sv toT<; öpeciv xocl ev toT? c>7;7)Xaio'.; dqptcav Tpowov yi<focv vepjxsvoi. o*iö ^up70'j? x«ei xXxSou; wpaioo; in Ss xal cpotvittoc; s/ovts; xtX. »und mit Freude feierten sie acht Tage nach Art der Zelte, indem sie sich erinnerten, wie sie vor kurzer Zeit während des Hüttenfestes in den Bergen und Höhlen nach Art der wilden Tiere ihr Leben fristeten. Deshalb trugen sie mit Weinlaub umwundene Stäbe und grünende Zweige, ferner aber auch Palmzweige etc.« Sehr befriedigend ist diese Erklärung nun nicht. Es sieht so aus, als ob sich der Autor dachte: am Hüttenfest im Monate Tischri lebten die Juden noch infolge der Religionsverfolgung in den Bergen, zwei Monate später in Kislev, als der Sieg errungen war, erinnerten sie sich nun des soeben unter so traurigen Umständen gefeierten Festes und paßten infolgedessen das neue Fest dem alten an. Das ist aber ein historischer Irrtum, denn wenn Chanukka auch im Kalender unmittelbar auf das Hüttenfest folgt, so gingen doch die Siege Juda Makkabis zum Teil wenigstens dem letzten Hüttenfeste des Jahres 165 voraus; die Zeit der schlimmsten Not, da die gesetzestreuen Juden sich in den Bergen versteckt halten mußten, war damals jedenfalls seit Jahren vorbei; dieser Erklärungsversuch des 2. Makk. muß also scheitern. Gleich- wohl ist anzuerkennen, daß eine auffallende Ähnlichkeit zwischen beiden Festen besteht, und zwar kommen eine ganze Reihe von Momenten in Betracht1). Einmal die acht- tägige Dauer der Feste, denn auch das Hüttenfest ergibt mit dem unmittelbar folgenden Schlußfest ein Fest von acht Tagen. Zweitens sind beide die Feste der Einweihung, sov/ohl in den Berichten über die Einweihung des salomonischen Tempels, als auch bei der Einweihung des zweiten Tempels, wie endlich bei der Einweihung der Mauer unter Nehemia spielt das Hüttenfest eine

!) Vgl. Krauss La fete de Hanoucca Revue des Etudes Juives XXX. S. 28 ff.

26*

404 Das Laubhüttenfest Chanukka.

Rolle1). Und endlich ist die Art der Feier bei beiden Festen dieselbe. Nur werden am Chanukka Lichter angezündet, und das ist beim Hüttenfeste nicht der Fall. Aber wir wiesen bereits darauf hin, daß diese Sitte für die älteste Zeit nicht nachweisbar, und, wie wir gleich hinzufügen dürfen, in dieser Form auch wenig wahrscheinlich ist. Die Anknüpfung an das erstmalige Entzünden des Tempelleuchters paßt gut, aber man muß bedenken, daß ungleich wichtiger als das Licht in der Lampe ein andres Feuer für das jüdische Volk gewesen ist, und das war das Feuer auf dem Aitar. Hätte es sich nun darum gehandelt, irgend welche der Tempeleinweihung analoge Symbole aufzufinden, dann wären die Freudenfeuer auf den Bergen der Wichtigkeit des Altars entsprechend passender und auch für ein freies Bauernvolk angemessener gewesen als die Lampen, die mehr auf eine städtische Bevölkerung hindeuten. Wir finden jedoch in unseren Quellen nicht die leiseste Andeutung, daß jemals Chanukka auf eine solche Art gefeiert worden wäre, denn die einzige Stelle, in der Chanukka ein Fest des Feuers genannt zu werden scheint 11. Mak. 1, 18, ist verderbt. Nur so viel können wir mit Sicherheit behaupten, daß es dort irgendwie mit dem Feuer verknüpft wird. Um zur Feier des Festes zu ermuntern, wird eine sagenhafte

') Nach I. Kön. 8,2 werden die Israeliten am Feste versamme \ d. h. also am 15. Tischri. 7 und 7 Tage wird gefeiert, d. h. wohl sieben Tzge Hüttenfest und sieben Tage Einweihungsfest, am achten des letzten Festes wird das Volk entlassen, d. i. am 29. Das Schluß- fest wird nicht erwähnt. Nach der Chronik II 5, 3 wird Israel am Fest versammelt, dagegen nach 7, 9 hielten sie am SchlußFest eine Fcstversammlung ab das Fest der Altarweihe hatte bereits vor dem Hüttenfest stattgefunden und v. 10 wird das Volk am 23. Tischri entlassen. Hierbei wird der Versöhnungstag vergessen. Analog wird Esra 3, 4 nach der Erbauung des Altars zuerst die Feier des Laubhütter.festes erwähnt, erst v. 6 wird nachgetragen, daß bereits vom ersten Tischri an geopfert wurde. (Vgl. auch III. Esr. 5, 53 ) Auch an die Erbauung der Mauer durch Nehemia schließt sich du Tischri und das berühmte Laubbüttenfest. Neh. 8, 14 ff.

Das Laubhüttenfest Chanukka. 405

Geschichte von Nehemia erzählt, der das zur Zeit Jeremies versteckte Altarfeuer, in Wasser verwandelt, wieder auffand, dieses Wasser nun auf das Holz, die Opfer und die Steine gießen ließ (v. 21 u. 31), worauf es sich in Feuer ver- wandelte. Diese Handlung erinnert aber an die Zeremonien, die am Abend des ersten Tages des Hüttenfestes im Tempel vorgenommen wurden. Da war ein großes Freudenfest, man goß Wasser aus1), man zündete Fackeln und Lichter an (Mischna, Sukka V) und man weiß eigentlich nicht zu sagen, woher die Zeremonie, weshalb an diesem Tage und wozu die ganze Freude. Es liegt nahe in diesem seltsamen Fest das Weihefest des Tempels zu erblicken, und dieser eir.e Gedanke erleuchtet blitzartig die ganze rätselhafte Erscheinung, daß sich um diese kleinliche Zeremonie des Wssserausgießens ein heftiger Kampf zwischen Sadduzäern und Pharisäern entspinnen konnte*). Natürlich ! die Pharisäer bevorzugten im Gegensatz zu dem makkabä- ischen Chanukkafeste absichtlich das alte Weihefest im

') Der sekundären Deutung dieser Handlung, daß symbolisch eise Bitte um Regen dadurch ausgedrückt sei, steht die Stelle I Sam. 7, £ entgegen.

s) Sukka 48 b kombiniert mit Jos. Ant. XIII, 13, 5 § 372. Die reHgionsgeschichtlichen Zusammenhänge, die Feuchtwang in den letzten Nummern dieser Zeitschrift zwischen dem Wasseropter und fct'dnischen Gebräuchen nachgewiesen hat, berühren unsere These nich\. Auch Chanukka ist mit dem Feste der Wintersonnenwende . verwandt und bleibt deshalb doch Tempelweihe. Insbesondere legt die Rolle, die der .VAir pK, der Grundstein, bei den unerklärt geriebenen Gebräuchen spielt, den Gedanken an die Grundstein- legung des Heiiigtumes nahe. Ursprüngliche Einweihungszeremonien, das Wasseropfer deren Sinn man nicht mehr verstand, wurden s>pä!er mit der Bitte um Regen in Verbindung gebracht, der Grund- steia des Tempels wird zum Grundstein der Welt. Fremde Einflüss: wirken dabei mit. Daß ein so fernliegender Gedanke wie die Auf- erstehung der Toten in diesen Ideenkreis mit einbezogen wird, erklärt sich aus der sadduzäischen Opposition gegen Wasseropfer und Auf- trjtehnng.

•405 Das Laubhüttenfest Chanukka.

Tischri, und Alexander Jannäus hatte den Mut die Phari- säer zu brüskieren, er wußte, was er damit sagen wollte Chanukka, nicht Sukkot. Die Rivalität zwischen beiden Festen hörte erst auf, als das hasmonäische Heldengeschlecht erloschen war und der idumäische Sklave auf dem Throne saß, da erschienen die Makkabäer wieder verklärt als die Retter des Volkes, Chanukka kam zu seinem Rechte, der Brauch, Lichter zu entzünden, kam auf, wie an dem Hüttenfeste wurden die Hallelpsalmen rezitiert und als Vorlesung aus der Tora die Stelle gewählt, wo die Fürsten Gott die Weihgeschenke darbringen. Weshalb diese Stelle und nicht die näherliegende, wo von der Einweihung der Stiftshütte die Rede ist? Weil man gerade an die Fürsten, an die Makkabäer, erinnern wollte, eine gradezu dynasti- sche Maßregel; also war die Dynastie schon tot.

Wir müssen nun aber, nachdem wir etwas voraus- geeilt sind, auf eine andere Ähnlichkeit zwischen unseren beiden Festen aufmerksam machen, die zu noch wichti- tigeren Ergebnissen führen soll. Das Laubhüttenfest ist nicht nur ein Fest der Hütten, sondern weit mehr ein Fest des Laubes, wie es ja von vornherein ein Erntefest ist (Exod. 23, 16. 34, 22.). Das dritte Buch Moses (23, 39 ff. vgl. Jos. Ant. III 10, 4. § 24» Xill 13, 5 § 372) redet zuerst von dem Feststrauß, den Früchten und Zweigen, mit denen sich Israel vor seinem Gotte freuen soll, erst in einem An- hang daselbst werden die Hütten erwähnt. Das Deuterono- mium gebietet (16, 13): Das Laubhüttenfest sollst du sieben Tage feiern, wenn du den Ertrag von deiner Tenne und deiner Kelter einheimsest. Die rabbinische Tradition1) faßt das nicht nur als Zeitbestimmung, sondern auch als eine Vorschrift für die Materialien, aus denen die Hütte gebaut wird, und daß sie damit im Recht ist, beweist die Stelle Nehem. 8, 14 ff., nach der das Volk ins Gebirge zog und Zweige vom Olivenbaum, Zweige vom wilden Ölbaum,

») b. Rosch ha-Schanah 13 a. Sukka 12 a.

Das Laubhüttenfest Ciianukka. 407

Zweige von Myrten, Zweige von Palmen und Zweige von dichtbelaubten Bäumen holte, um nach der Vorschrift des Gesetzes Laubhütten zu machen. In dem Buche der Jubiläen, das man mit Recht in die Zeit der Makka- bäerkämpfe setzt, wird das Laubhüttenfest mit fol- genden Worten beschrieben (16, 30 ff.): Es ist über Israel angeordnet, daß sie es (das Hüttenfest) begehen und in Hütten wohnen und daß sie Kränze auf ihr Haupt legen und Laubzweige und Weiden vom Bache nehmen. Und Abraham nahm grüne Palmenzweige und schöne Baum- früchte, und an jedem Tage ging er mit Zweigen um den Altar herum. Genau auf dieselbe Weise aber scheint man das Chanukkafest anfänglich gefeiert zu haben, wie die be- reits angeführte Stelle des II. Makk. (10, 7) ausdrücklich behauptet: Man trug Thyrsosstäbe, R eis er und Palm zweige Ein weiterer Beleg für diese Sitte am Chanukka kann viel- leicht in dem Judithbuche, das ebenfalls Zustände der Mak- kabäerzeit widerspiegelt, gefunden werden. Es heißt dort (15, 19 f): Judith nahm Zweige in ihre Hände und gab sie den Weibern, die mit ihr waren, dann bekränzten sie sich mit Ölzweigen. Überhaupt scheint man bei freu- digen Gelegenheiten zum Palmzweig gegriffen zu haben. Simon zog in die Burg von Jerusalem ein mit Lobpreis und Palmen z w e i g e n (I. Makk. 13, 51), als Jesus nach Jerusalem kam, soll ihm die Menge mit Palmzweigen ent- gegengezogen sein (Joh. 12, 12. Vgl. Ap. Joh. 7, 9). Es ist aber zu beachten, daß es sich hier überall um ein Symbol des Sieges (die Siegespalme) handelt, während am Hütten- feste die Freude über die Ernte (der Erntekranz) das Ent- scheidende ist, obwohl der Midrasch auch den Feststrauß gelegentlich als Siegespalme auffaßt (Tanch. Emor, ed- Buber, S. 99—100 Anm. 190, Pesikta, ed. Buber, S. 180a Anm. 36). Zwei aus verschiedenen Anlässen herrührende Bräuche gehen so ineinander über. Daß diese Sitte für das Chanukkafest sich nicht hat behaupten können, ist

40S Das Laubhüttenfest Chanukka.

wiederum leicht zu begreifen. Die Pharisäer durften es nicht erlauben, daß ein Gebot der Thora auf das Fest der ketze- rischen Könige übertragen wurde, und auch später kehrte die Sitte nicht wieder. Ob und wieweit die Sitte, sich das Haupt zu bekränzen, bei den Juden Anklang gefunden hat1), ist für uns ohne Bedeutung. Jedenfalls haben wir auch inbezug auf die Sitte der Zweige eine Ähnlichkeit zwischen dem Hüttenfest und Chanukka feststellen können.

Bescheidene Gemüter werden sich mit den bisher ge- wonnenen Resultaten zufrieden geben. Nach so vielen Ana- logien könnte man doch wohl mit Recht Chanukka mit dem Namen des Hüttenfestes belegen. Es ist das ein kleiner, unendlich oft begangener logischer Fehler. Es ist nämlich nur umgekehrt richtig. Man hätte Sukkot Chanukka nennen können, es war ja auch ein Tempelweihefest. Da- gegen in dem Namen Sukkot lag nichts von den be- sprochenen Ähnlichkeiten, sondern nur etwas von Hütte, und das Symbol der Hütte kennt nun einmal das Tempel- weinefest nicht. Grade das, worauf es bei dem Namen an- kommt, fehlt bei der Analogie. Hätte Chanukka statt der vielen Beziehungen zum Laubhütten f e s t nur eine einzige Beziehung zur Laub h ü 1 1 e gehabt, dann wäre der Name verständlich, so wäre es zwar nicht gewagt, wenn man Chanukka statt ein Fest der Lichter ursprünglich ein Fest der Zweige genannt hätte. Ein Fest der Hütten konnte es nicht heißen, denn nun und nimmer haben die Juden am Chanukka sich Hütten gebaut.

Zweig aber heißt auf hebräisch (und aramäisch) Sokha pl. sokhot fttiD, HttlD (daneben masc. auch mit c geschrieben, aram. 8310 fem. Kfi2io), ein absolut nicht ungebräuchliches Wort (vgl. die Wörterbücher2), und damit

*) II Makk. 6, 7. lud. 15, 13. Iub. 16, 30. Tacit. Hist. 5, 5. j. Sota IX, 16, 24 b, schon Jes. 28, 1. Vgl. noch Test. Levi ?, 8 f.

*) Dasselbe Wort liegt vielleicht auch Ps. 42, 5 vor ^p? inj/«, gewöhnlich dort als »Menge« gefaßt, wofür aber keine Belege ange-

Das Laubhütter.fest Cbanukka. 409

j£sen sich auf überraschende Weise alle die Rätsel, die uns bisher beschäftigt haben. Man nannte Chanukka in beabsichtigtem Gleichklang Chag ha-Sokhot, das Fest der Zweige, und man ahnte nicht, welche Verwirrung man mit oem hübschen Wortspiel anstiftete. Ais der Name des Festes verschwand, mußte jeder, der die Quellen las, aus dem völlig gleichgeschriebenen Worte (das hinzugefügte oder fehlende i spielt keine Rolle) das bekannte Chag ha suk- kot, das Hüttenfest, herauslesen, und bei der Übersetzung ins Griechische wurden die sokhot zu sxrjvtofutTa, die Zweige zu Zelten. Einen schlagenden Beweis für die Richtigkeit dieser Erklärung liefert die Stelle IL Mak. 10, 0. Dort stand ursprünglich in der hebräischen Quelle: Und voller Freude feierten sie die acht Tage der Zweige, und trugen darum mit Laub umwundene Stäbe (der Syrer übersetzt hier wie such sonst Xwic) und schöne Reiser und Palmzweige. Das ist uns jetzt völlig verständlich. Der griechische Übersetzer las aber hier wie auch an den Stellen 1, 8 und 18 rilaio »Hütten«, und da nunmehr der Nachsatz unverständlich war, besonders das »darum«, so schob er eine allerdings sehr gezwungene und ungenügende Erklärung ein mit den Worten, »indem sie sich erinnerten, daß sie noch vor kurzer Zeit während des Laubhüttenfestes, wie die wilden Tiere den Bergen und Höhlen ihr Leben gefristet hatten.« Zugleich aber mußte er die Stelle verbessern, indem er statt »acht Tage des Hüttenfestes* »acht Tage nach Art des Hüttenfestes« schrieb1).

geben werden. Da es sich utn das Laubhüttenfest handelt (vgl. pa."t 25'i~)> liegt der Gedanke an den Feststrauß, die Zweige nahe (Ti.< jSk H*3 nyiD. Ich ziehe am Feste zum Gotteshaus?)

') Vielleicht darf man bei dieser Gelegenheit auch auf eine Stelle des ersten Mak. hinweisen, an der von Kränzen in Verbinuaag mit dem Chanukkefest die Rede ist. Es heißt I Mak. 4, 57: sie schmückten die Vorderseite des Tempels mit goldenen Kränzen und mit Schiidchen. Ist diese Stelle richtig überliefert? Woher bekam man >goldene Kränze« mit einem Maie her? Weich außerordeit-

410 Das Laubbüttenfest Chanakka.

Ich überlasse es den Bibelforschern zu entscheiden . ob dieser Gedanke auch schon für die Zeit der Bibel frucht- bar gemacht werden kann, ob auch das Sukkotfest im An- fang ein Sokhotfest war, ein Fest der Zweige, und sich erst später wiederum durch das naheliegende Mißverständnis in ein Fest der Hütten verwandelt hat, wobei allerdings auch noch bei der Hütte die Hauptsache die Herstellung durch Zweige blieb; für uns genügt es, nur nachdrücklich festzustellen, daß zur Zeit der Makkabäer jedenfalls schon lange das Hüttenfest als solches bekannt war und gefeiert wurde und an den Zusammenhang mit den Zweigen kein Mensch mehr dachte. Auch Mißverständnisse können sich in der Weltgeschichte wiederholen. Als man Chanukka das Sokhotfest nannte, war durch die Verschiedenheit der Aus- sprache eine Verv/echselung beider Feste unmöglich.

Nunmehr ist es aber kaum zu kühn, wenn man be- hauptet, daß das Chanukkafest mit seinem alten Namen im alten Testament ausdrücklich erwähnt wird. Man bezieht die letzten eschatologischen Kapitel des Sacharja ziemlich allgemein auf die Makkabäerzeit1). Und wenn wir nun dort (14, IG ff.) lesen: daß diejenigen, die von den Völkern übrig bleiben, Jahr für Jahr nach Jerusalem hinaufziehen sollen, um das Fest der Sukkot zu feiern, und falls sie das nicht tun, bestraft werden sollen, insbesondere die Ägypter, so kann sich das nur auf Juden beziehen. Es ist aber unklar, weshalb grade das Hüttenfest besonders durch die Wall- fahrt ausgezeichnet werden soll Sollte nicht auch hier das Sokhotfest, das Fest der Zweige gemeint sein? Der Prophet

lieber, merkwürdiger Schmuck ! An goldene (oder vergoldete) Schilde ist viel eher zu glauben. Sie wurden als Zierde der Mauern verwandt (Hohe Lied 4,4. Ez. 27, 11) und standen schon im ersten Tempel (II Sam. S, 7. II Kön. 11, 10. II Chr. 23, 9. I Kön. 10, 16 f. 14, 26. U Chr. 12, 9), Es wäre also wohl möglich, daß hier im hebräischea Urtext nur von Kränzen und goldenen Schilden die Rede war. ') Vergl. 9, 13 (V ^2 der Kampf gegen die Griechen.

Das Laubhüttenfest Chanukka. 41t

verlangt hier dann von den auswärtigen Juden eine Wall- fahrt nach Jerusalem zum Chanukkafeste, die gefährdete Einheit des jüdischen Volkes sollte durch diese Bestimmung gerettet werden, das Fest der glorreichsten nationalen Erin- nerungen bekam seinen Platz neben den Wallfahrtsfesten, und besonders die ägyptischen Juden, denen man wegen ihres Hellenismus nicht recht traute, wurden besonders ermahnt und gewarnt. Die geforderte Wallfahrt nach Jeru- salem setzte sich nicht durch. Aber von den Bemühungen der palästinensischen Judenheit, die Brüder der Diaspora zur Feier des Zweigefestes zu bewegen, legt auch das II. Mak. ein Zeugnis ab, dessen Historizität nunmehr kaum noch Zweifeln begegnen dürfte1;.

Die Geschichte des Chanukkafestes würde sich nun- mehr folgendermaßen darstellen lassen. Nach der auf die Bibel gestützten Tradition war Sukkot zugleich das Tempel- weihefest. Antiochus Epiphanes weihte am 25. Kislev, dem Tage der Wintersonnenwende, den Tempel dem Zeus. Einige Jahre später legten die Hasmonäer die Wiederein- weihung absichtlich auf denselben Tag. Man hatte nun- mehr zwei Tempelweihefeste, die sich gegenseitig Konkur- renz machten und beeinflußten, besonders gingen die For- men des alten auf das neue Fest über. Man feierte Cha- nukka zunächst im Tempel mit Opfern, Lobgesängen und Umzügen, bei denen man Zweige (Siegespalmen) trug, nannte es in beabsichtigtem Gleichklang Chag ha-Sokhot und setzte die Dauer entsprechend dem alten Weihefeste auf acht Tage fest. Die Hoffnung, daß die auswärtigen Juden das Fest im Tempel mitfeiern würden, setzte sich

') Die Forderung einer Wallfahrt wird in dem Briefe II Makk. 1 und 2 nicht direkt ausgesprochen. Andererseits wird aber die Wichtigkeit des Opfers stark betont und die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Zerstreuten mehrfach ausgesprochen. Es liegt also nahe, daß mit der geforderten Beteiligung an der Feier eine Beteiligung am Opfer gemeint war.

412 Das Laubhütteafest Chanukka.

nicht durch. In Judäa selbst bevorzugten die Pharisäer im Gegensatz zu Chanukka das alte Weihefest, bis durch den Untergang der Hasmonäer auch diese Partei das Fest über- nahm und die nichtbiblischen Zeremonien des Sukkot- festes auf Chanukka übertrug. Welchem Feste die Illumi- nation ursprünglich zukam, vermögen wir nicht mehr zu entscheiden. Es ist möglich, daß Herodes die Feier des makkabäischen Festes zurückzudrängen suchte und die Tem- pelillumination verhinderte; hatte er doch die Einweihung des von ihm restaurierten Tempels auf den Tag seines Regierungsantrittes gelegt (Jos. Ant. XV 11, 6). Als Reaktion hiergegen eroberten sich die Chanukkalichter das Haus und überdauerten infolgedessen den Tempel, während die illu- mination am Sukkot auf den Tempel beschränkt blieb und daher mit diesem zugleich ihr Ende fand. Der Name des Festes schwankte zunächst, es hieß die Tempelreinigung, dann nach dem benutzten Symbol das Fest der Zweige, als diese Sitte abkam, das Lichtfest und endlich das Er- neuerungsfest fefwmrt* und Chanukka.

Kehren wir nunmehr zu dem Dokument zurück, von dem wir ausgegangen waren, zu dem II. Makk. und unter- suchen wir, ob sich auf Grund der neuen Erkenntnisse etwas für die Beurteilung des einleitenden Briefes ergiebt.

Die Frage ist die, ob der Brief echt ist, d. h. ein Do- kument bildet, das die palästinensischen Juden wirklich an die ägyptischen Brüder geschickt haben, oder ob er die freie Komposition eines Schriftstellers ist, der die Tatsache des schriftlichen Verkehrs kannte, sei dieser nun Iason von Kyrene, dessen Werk dem II. Mak. zu gründe liegt, oder der Epitomator, wie man den Verfasser des II. Makk. zu nennen pflegt, der das Werk Jasons verkürzt und über- arbeitet hat. Mit dem von uns nachgewiesenen Übersetzungs- fehler fällt nun die Möglichkeit einer freien Komposition durch einen griechisch schreibenden Autor fort, Schwierigkeiten

Das Laubhüttenfest Chanukka. 413

schreibt man wohl ab, aber man macht sie nicht aus freien Stücken selbst. Ein Autor, der das Chanukkafest ein Fest der Zweige nennt, muß sehr alt sein, wahrscheinlich äiter als der Verfasser des I. Makk., der diese Bezeichnung nicht mehr kennt. Jedenfalls ist ein hebräisches (ara- mäisches) Original von lason (oder vom Epitomator) ins Griechische übersetzt worden, und zwar ziemlich treu, denn er übernimmt ohne einen erklärenden Zusatz den Ausdruck »die Tage der Hütten«, einen Ausdruck, den er selbst nicht verstand. Aber trotz dieser verhältnismäßigen Sorgfalt trafen alle Leiden einer Übersetzung das unglückliche, seitdem arg verkannte Dokument. Bereits Graetz (Geschichte der Juden III Note 10) und Torrey haben unter der Voraus- setzung eines hebräischen Ursprungs die Einheit und Hi- storizität des Sendschreibens behauptet, die Einheit verficht auch Niese (Kritik der beiden Makkabäerbücher S. 10 ff.), obwohl er meint, daß der Epitomator das Schreiben ver- faßt hat. Gegen die Einheit des Schreibens scheinen nur drei Stellen zu sprechen. In v. 7 heißt es: »Während der Regierung des Demetrius im 169. Jahre haben wir Juden an euch geschrieben in der höchsten Drangsal, die in jenen Tagen über uns kam, seitdem lason .... abtrünnig ward, v. 8. Da beteten wir zum Herrn und wurden erhört. < Wir haben es keineswegs nötig, mit Niese eine besondere Not für das Jahr 169 ausfindig zu machen. Durch die Annahme, daß hinter dem »Kih uaro wir haben geschrieben« »Yiösb folgendermaßen« ausgefallen ist, erklärt sich der Vers oder vielmehr nur so ist er erklärbar. Ohnedem ist der ganze Passus nicht zu konstruieren, man müßte denn die sämt- lichen Verba : wir beteten, wurden erhört, opferten usw. in den Nebensatz einschachteln und bekäme selbst so keinen Sinn. So dagegen sagt der Autor einfach genug: rn der Trübsal beteten wir (im hebräischen durch das l consecutivum eingeleitet. Ähnlich Graetz, der »3 ergänzt, das hintere^ nicht so leicht ausfällt wie 'n»b). v. 9 gibt nun

-414 Das Laubhüttenfest Chanukka.

Aem angeblichen ersten Briefe den angeblichen Inhalt: »Und nun, damit ihr die Tage der Zweige feiert im Monate Kislev (v. 10) im 188. Jahre (wir zu Jerusalem .... wünschen dem Aristobul . . . Heil). Der Inhalt des Briefes wäre zu kurz, um vollständig zu sein, es ist nicht einmal gesagt, auf welchen Tag denn das Fest fällt. Aber auch nach den Verteidigern der Einheit fehlt zum mindesten ein: »schreiben wir euch« und selbst dann kann ich mir den hebräischen Text kaum vor- stellen. Man vermißt auch die Worte »xai siutoi« »damit auch ihr feiert«, die unmöglich hätten fehlen dürfen. Korrumpiert ist der Text also auf alle Fälle und am einfachsten ließe er sich auf folgende Weise herstellen. Wir ziehen das statt v5v zu dem btouc ÖYöV/iJtoyroO stai öyäooö, wo es jedenfalls hingehört. Nach v. 8 aber erwartet man unbedingt: und wir feierten die Sokhottage nraiDn »ir »PJi )hüD BHM (eventuell passivisch '&£3). Sobald der Grieche hier die 2. Person plur. las, war die Konfusion da, die auch die Umstellung des rmm (x** vuv] herbeiführte. Der erwähnte Brief enthielt also damals nur eine einfache Mit- teilung der Geschehnisse, noch nicht eine direkte Auf- forderung zur Festfeier, wenigstens wird dies nicht direkt gesagt. Erst jetzt werden die ägyptischen Juden offiziell zur Beteiligung an der Festfeier eingeladen.

Eine fernere Schwierigkeit bildet die Erwähnung des Juda in v. 10. Im Jahre 188 Sei. konnte Juda Makkabbi nicht mehr an die Ägypter schreiben, er lag seit 36 Jahren im Grabe. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß aber gamicht Juda Makkabbi oder eine sonstige nähere Bezeich- nung dasteht, nur hat man zu gewaltsam einen anderen Namen oder einen anderen minder berühmten Mann dafür einsetzen wollen. Die syrische Übersetzung löst hier die Schwierigkeit sozusagen spielend, sie schreibt: «lim s:d also nicht : die Gerusia und Juda, sondern die Gerusia von Juda, das jüdische Synhedrium. Da man ohne wei- teres berechtigt ist, Aramaismen in dem Briefe anzunehmen,

Das Laabhüttenfest Chanukka. 415

so hat der griechische Übersetzer wahrscheinlich mim für HW n oder rnvra gelesen1).

Gegen unsere Annahme, daß im II. Makk. ältere Quellen benutzt worden sind, hat sich Willrich (Judaica, S. 145) mit aller Entschiedenheit ausgesprochen auf Grund der Stelle I. Makk. 9, 22: %cti to. TCspiffcra. twv Xoywv 'IooSa xat twv tcoXs[/.o>v xal Toiv avSpxYociriwv öv sirofriae )tai T/fe usyocXo- guvt,; aÜTwv »«TeYpx^Ti, -rcoXXaYy-p ^v <7<p6Spa, Der Geschichts- schreiber des ersten Makkabäerbuches erklärt also rund heraus, eine reichhaltigere schriftliche Überlieferung als das von ihm über Judas Gebotene existiere nicht«. Also, schließt Willrich, sind lasons detaillierte Angaben, soweit sie über das I. Makk. hinausgehen, erlogen -- was übrigens weiter kein Wunder ist, da ja nach W. sämtliche jüdische Schrift- steller der hellenistischen Zeit bis auf Josephus hinab eine einzige große Fälscherbande sind, Iason selbst »ertappen wir bei der frechsten Fälschung der besten Quellen«, seine Manipulationen, seine Unverfrorenheit, seine pure Willkür ist für unseren »Historiker« (Willrich S. 144 f.) charakte- ristisch. — In dem uns vorliegenden Falle ist der griechische Text wieder an allem Unheil schuld. Da zweifellos eine Überlieferung abgesehen vom I. Makk. existiert hat, wie wir das aus dem II. Makk. und aus Josephus wissen, so löst sich die Schwierigkeit am besten wiederum durch einen Übersetzungsfehler. In dem hebräischen Text stand die bekannte biblische Phrase na nco* »b die übrigen Heldentaten Judas sind nicht zu zählen vor Menge; der Übersetzer nahm das Verbum *icd als erzählen und über- setzte frei ÄaTSYpa^Yi, wobei wahrscheinlich die Erinnerung an die biblischen Stellen (I K. 11,41; 14, 19 etc.) mitwirkte.

Wer war nun der Übersetzer jenes Briefes? Auch diese Frage wollen wir versuchen zu beantworten. Der Epitomator sagt (c. II. 2, 23 ff.), was er mit dem Werke lasons gemacht hat, er hat es gekürzt, umgearbeitet, popu-

») Vgl. auch Torrey ZATW. XX. S. 234.

416 Das Laubhüttenfesi Cbanukka.

larisiert, aber übersetzt hat er es nicht, weshalb hätte er das verschweigen sollen? Das ursprüngliche Werk Jasons war also bereits griechisch geschrieben. Der Übersetzungs- fehler, der in c. 10, 6 vorliegt, fällt ihm also zur Last, er hat das Sokhot, das er in einer hebräischen Quelle las, mit Zelte übersetzt. Die angefügte Erklärung beginnend mit dem Worte pr.u.ovsuovTs; können wir vielleicht auf das Konto des Epitomators setzen. Nun hängt aber der Bericht über die Tempelweihe, der zweifellos bei lasen gestanden hat, (c. 10, 1 ff.) gerade wieder durch das Miß- verständnis bezüglich der Sokhot mit dem einleitenden Briefe zusammen. Und der Schluß liegt also sehr nahe, daß auch dieses Schreiben bereits bei Jason gestanden hat. Wir müßten sonst annehmen, daß das Schreiben von einem unbekannten Hebräer verfaßt, vcn einem unbekannten Griechen übersetzt und vom Epitomator oder gar einem Späteren gefunden und übernommen worden sei, wobei der Grieche denselben Fehler wie lason machte. Lieber nimmt man an, daß lason selbst dieser Grieche war, daß er hebräisch geschriebene Quellen benutzt hat, die nicht mit dem ersten Makkabäerbuch identisch sind, daß seine Ge- schichte bis zum Jahre 188 hinabging oder zum mindesten Episoden aus dieser Zeit noch einflocht, daß er jedenfalls nach 188 schrieb. Der Epitomator will nun dieses Werk in eine künstlerische Form gießen, er wählt dazu die Brief- fcrm, er stellt den Brief an die ägyptischen Juden, den er bei lason fand, voran und schließt daran die ganze Ge- schichte an, gleich als ob die nachfolgende Erzählung das- jenige war, womit die Palästinenser die ägyptischen Juden zur Festfeier hätten veranlassen wollen.

Es wäre an und für sich unfaßbar, wie jemand auf den Gedanken gekommen wäre, die Zugehörigkeit des Briefes zum 11. Makk. in Frage zu stellen, wenn nicht auch hier eine Schwierigkeit vorläge. Der Bericht über Antiochus Tod (c. 9) stimmt nicht mit der Darstellung des Briefes

Das Laubhüttenfest Chanukka. 417

(1, 13) überein. Sollte das der Epitomator, wenn er wirklich den Brief selbst an die Spitze stellte, nicht gemerkt haben? Also war es ein späterer Redaktor, der den Brief an seine jetzige Stelle setzte. Dagegen bemerkt Niese mit Recht, daß die Schwierigkeit nur zurückgeschoben ist, denn auch der Spätere hätte den Widerspruch merken müssen. Dem Epito- mator kam es jedoch nicht so genau darauf an, er lehnt ja selbst die Verantwortung für die geschichtlichen Berichte, die er gibt, ab. Es ist aber auch sehr gut möglich, daß bereits bei lason die beiden verschiedenen Berichte über den Tod des Antiochus (der eine innerhalb des Briefes) vorgelegen haben. Natürlich hatte er sie aus verschiedenen Quellen, lason selbst braucht die beiden Berichte weder mit ein- ander verglichen noch vereinigt zu haben, sie standen ja an sehr verschiedenen Stellen in seinem Werke von fünf Büchern. Wir finden genau das Gleiche auch bei Josephus in analogen Fällen. Deshalb ist die Annahme, daß es sich in dem Briefe um den Tod des Antiochus VII. Sidetes handelt, nicht unbedingt notwendig; der Zusammenhang deutet doch mehr auf Antiochus Epiphanes. Die ganze Stelle aber als eine spätere Einschaltung zu betrachten, wäre zu gewaltsam, man müßte vorerst den Zweck der späteren Einschaltung an dieser Stelle nachweisen. Aber alle diese Schwierigkeiten selbst zugegeben, wiegt die offenkundige Tatsache, daß das Buch einheitlich komponiert ist, schwerer als alles1).

Nun fordert allerdings der Brief nur zur Teilnahme an der Chanukkafeier auf, und dazu gehört nur der erste Teil des Buches (bis c. 10, 9), der zweite Teil des Buches dagegen gibt die Begründung für die Feier des Nikanor- tages, der in dem Briefe gar nicht erwähnt wird. Das wäre

*) Vgl. die überzeugenden Ausführungen Nieses S. 23. Auch die uns ziemlich unklaren Darlegungen über das Feuer Nehemias werden c. 10, 3 irgendwie vorausgesetzt oder angedeutet. In I Makk. fehlt die betreffende Tatsache.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 27

418 Das Laubhüttenfest Chanukka.

allerdings ein gewichtiges Argument gegen unsere Be- hauptung, daß der Brief von vornherein zum Buche gehöre aber wohlverstanden nur dann, wenn wir es mit einem Fälscher zu tun hätten, der den Brief selbst verfaßt hätte. Aber der Brief fand sich ja bereits bei Iason und wurde vom Epitomator nur benutzt. Es mag ihm sehr ungelegen gewesen sein, daß der Nikanortag in dem Schreiben nicht erwähnt war, erst dann wäre der Brief eine tadellose Ein- leitung zu dem beabsichtigtem Werke gewesen, aber auch so ließ er sich zur Not noch verwenden. An eine Fälschung, die doch so leicht gewesen wäre, hat der ehrliche Verfasser nicht gedacht. Er hat die Form, die er nun einmal gewählt, streng, man kann sagen : glänzend durchgeführt. Der Ge- danke selbst, diese Form mit dem Brief als Enleitung zu nehmen, ist nicht schlecht; daß unsere historischen Interessen weiter gehen als der Zweck des Schriftstellers, ist nicht dessen Schuld. Ein Autor schreibt für seine Zeitgenossen und sein Publikum, und der Epitomator konnte nichts da- für, daß Iasons Werk verloren ging. Wir müssen mit dem vorlieb nehmen, was wir von Iasons Schriften noch haben, es war guter historischer Stoff, den er in seinen Quellen vorfand. Eine gerechtere Würdigung seines Werkes, als sie bis vor kurzem üblich war, hat bereits Platz gegriffen. Auch unser Nachweis, daß er hebräische Quellen benutzte, wird hoffentlich in dieser Richtung wirken.

Unechte Jeruschalmizitate.

Von V. Apto witzer.

Bekanntlich zitieren die alten Autoren Aussprüche und Ausführungen aus dem Jeruschalmi, die in unserem Jeru- schalmitext nicht vorhanden sind1). Die geläufige Erklärung dieser Erscheinung ist die Annahme, daß unser Jeruschalmi gekürzt sei und die von den alten Autoren zitierten Jeru- schalmistellen durch die Schuld der Kopisten in unseren Texten fehlen. Es wird auch erklärt, daß unter Jeruschalmi bei den alten Autoren nicht immer der jerusalemische Talmud, sondern zuweilen palästinische Midraschim zu verstehen sind2).

Diese beiden Erklärungen sind unhaltbar. Daß ein Kopist zuweilen eine Stelle wegläßt kommt oft vor, in unserem Falle aber handelt es sich nicht um einige wenige Stellen, sondern um hunderte von Zitaten. Diese Zitate v/erden in unserem Jeruschalmi nicht vermißt, die meisten passen in die bezüglichen Stellen garnicht hinein und sehr viele von ihnen zeigen durch Sprache und Inhalt, daß sie unmöglich je im Jeruschalmi gestanden haben konnten. So ist die Annahme, die fraglichen Jeruschalmizitate fehlen in unserem Jeruschalmi, ganz verfehlt. Die zweite Erklärung trifft wohl für die Zitate agadischen Inhalts zu, aber bloß für einen Teil derselben, da viele ausdrücklich aus dem jerusalemischen Talmud, oft auch mit Angabe von Trak- tat und Abschnitt, angeführt werden. Und wie sind die halachischen Stellen zu erklären?

*) S. die Literatur bei Apto witzer in der Monatsschrift 1908, S. 307, Anm. 2.

*) Monatsschrift a. a. O. 315, Anm. 2.

27*

420 Unechte Jeruschalmizitate.

Diese Frage besonders war es, die mich zu einer ganz anderen Lösung des Problems der in unserem Text nicht vorhandenen Jeruschalmizitate geführt hat. Für meine These, die Anfangs mir selbst als kühne Hypothese erschien, fand ich im Laufe der Zeit immer neue Beweise, besonders aber seit ich Gelegenheit hatte, mich intensiv mit der Haupt- quelle nichtvorhandener Jeruschalmizitate, dem Rabiah, zu beschäftigen. Hier sind die Beweise so zahlreich und so deutlich, daß ich von der absoluten Richtigkeit meiner These überzeugt werden mußte. Ich halte es nun für angemessen, schon jetzt meine These mitzuteilen, da das Werk, in dem die ausführliche Behandlung des Themas ihren Platz haben wird, meine Einleitung zum Rabiah, nicht so bald veröffent- licht werden kann.

Meine These lautet wie folgt: Die von den alten Autoren zitierten und in unseren Texten nicht vorhandenen Jeruschalmistellen haben, einige wenige Ausnahmen abge- rechnet, auch nie dem Jeruschalmi angehört, sie sind nicht echt. Es hat ein Sammelwerk gegeben, dessen Grundstock ein Jeruschalmi text bildete, der einerseits formell oft gekü rzt un d anderer- seits inhaltlich von zahlreichen Zusätzen aus dem Babli und anderen agadischen und halachi- schen Schriften, besonders der gaonäischen Li- teratur durchsetzt war. D i ese r Jeruschal m i t ext, den ich zum Unterschiede vom eigentlichen Jeruschalmi VübvfTC pip oder »E&tfiT ICD nenne, ist die Hauptquelle der unechten Jeruschalmizitate.

Dies der Kern meiner These, die hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Auch bezüglich der Begründung muß ich mich auf einige wenige Beispiele beschränken.

1. Rabiah 18 a: p Brya p mvan bs »obenva poiJi riöi ,pi ja pn pyn ca ibik -nan »'p urwa *bv jbt bz B'pin» jibi EnBB pi ♦ptwAi pivK^n n^narfo wrvpb ubb ,p na/NW

Unechte Jeruschalmizitate. 421

(jnisoV) uaa [nV^] (r\b)nb) wdb «an vpovw [«'xian v^y] pabnanvi wyaa arr^p a'aiao mpr -ikb^ ^a« ,p^>e> bsh ubb [mta^].

Diese Stelle kommt in unserem Jeruschalmi nicht vor. Ihrem Inhalte nach hätte sie ihren Platz in Berachoth VI, l1) (10 a), dort aber ist die Halacha dieser Stelle in ganz anderer Form und von der Agada nicht die geringste Spur vorhanden. Der halachische Teil dieses Zitates kann also nicht neben unserem Text, sondern statt seiner im Je- ruschalmi gestanden haben. Da nun unser Text zweifellos der ursprüngliche ist, so ist der des Zitates nicht echt, sondern aus der Ausführung des Jeruschalmi abgeleitet. Auch die Unechtheit des agadischen Teils des Zitates läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit nachweisen. Wir lesen nämlich Tanchuma nn^in § 10 : apö o^Bt» »o IJ'31 UTD^' na K-na -paa aya amtan lrnm w "p to^ "px "wa pe> "|i3o pn byt£t pvi p pn nie« »mnoi Tat na *or >m nax p pn hm» pptfen bsn njitpo iroia «nrw pn nm nai ,pjn na «na maian rs $»ib»^ aps?^ bij «mir *6« tij? «bi naran 'aj by -jDjna.

Die halachische Antwort ist wörtlich dem Jeruschalmi (Berachoth VI, 1) entlehnt. Hätte nun der Autor dieser Je- lamdenustelle oder der Redaktor des Tanchuma eine aga- dische Begründung der Halacha im Jeruschalmi vorgefunden, so hätte er sie ganz gewiß mit herübergenommen. Er konnte das aber nicht tun, weil er in seinem Jeruschalmitext keine darauf bezügliche Agada, jedenfalls nicht die von Rabiah zitierte agadische Ausführung gehabt. So gehört diese Agada nicht dem Jeruschalmi. Rabiah zitiert daher die fragliche Jeruschalmistelle nicht aus dem Jeruschalmi, sondern aus dem »abttiT ibd»

Zu demselben Schlüsse muß man unentrinnbar auch

') Als von dort stammend wird sie in Rokeach N. 352 angeführt: UDO pana vpajn bunn p1 nanw najan na panaa iJraa ^abem"» nstaSi nhnb mbb na ia «ara ,nainbi paii-Kb ubb nbianbi triTpS. Rokeach N. 329 v. vstiara^ö: uaa «nTpb uaa pane vpay p1 "'a Sw iv nainS uaa nbnanb.

422 Unechte Jeruschalmizitate.

durch die Analyse unzähliger anderer Zitate gelangen. Bei vielen von ihnen kommen zum logischen Schlüsse noch äußere Merkmale hinzu, durch die sie auf den ersten Blick als unecht erkannt werden müssen, wie zum Beispiel bei folgenden Zitaten :

2. Rabiah 2Sb unt. : yw vbv -psa benaa p »b^bmv, ebenso Rabiah ms. N. 423 : *paa Vornan »a^Piv« [rSDD *6i bma? und daraus in Hagahoth Maimonioth mm VIII, N. 4: •nfowrai bznv rhy "paS arot? (1. (^xiat?) nnat? "\ njnpa *6"n 1*1313 «n\s. Diese Halacha kommt in unserem Jeruschalmi nicht vor, und wird auch von den alten Autoren nicht aus Jeruschalmi angeführt. Die Tatsache aber, daß eine Reihe von Autoren2) sich abmühen, die Benediktion über gekochten Wein aus dem Jeruschalmi3) herauszulesen, beweist, daß eine ausdrückliche Angabe darüber im Jeruschalmi nicht vorhanden war. Woher hat nun Rabiah sein Zitat?

Dies erfahren wir aus dem Or Sarua. Dort wird zuerst in ausführlicher Weise aus dem Jeruschalmi nachzuweisen gesucht, daß über gekochten Wein tsin »tb Kiia zu sprechen ist, dann heißt es am Schluß : (4|*Dl3ö ISO 's 'B^tnvai »im "i ptan in« hw |*»n -iöb pran *xhv pvi bv "pa »/uwa »bS (8'i^>3 «nan »jwt id« im [wnip vitrn iax in ^tii

J) "OBn }3, so in Rabiah. In den gedruckten 111313 ny» (B. Talmud II) finde ich diesen p*r nicht.

*) Vgl Tossaiolh B. Batbra Q7a v. xü,irK, Ascheri das. VI, N. 10, Or Sarua I, N. 162, Rokeach N. 36:*, Schibbole ha-Leket N. 145, Kaftor wa-Ferach Kap. 20 (ed. Edelmann 71 b), Responsen S. b. Adereth N. 238 und 766, TS3Z. I, N. 85 u. a. Vgl. Resp. M. b. Baruch, ed. Prag, N. 470, fatwi N. 322 v. vhh'i, Maobig 81 b N. 53.

s) Sabbath VIII, 1, Pessachim X; 1, Schekaü.m III, l,Terumoth II, 6. Aus diesen Stellen entnehmen die erwähnten Autoren, daß gekochter Wein in liturgische; Beziehung sich nicht von ungekochtem unterschei- det. Im Gegensatz dazu will nmjö."l 1DD, HJ101 fon VII, 10 aus einer anderen Jeruschalmistelie in Sabbaiii VlII, 1 für gekochten Wein 'rsntP folgern.

*) Berachoth VI, 5 (10c m.).

*) Soweit unser Text.

Unechte Jeruschalmizitate. 423

-paa btnsB isn Rim ♦aa'a Kion *aj ^jn panaip »aa fcfi

Die von Rabiah aus Jeruschalmi angeführte Halacha, die in unseren Texten nicht vorkommt und nachweisbar auch vielen alten Autoren nicht aus dem Jeruschalmi be- kannt war, findet sich also in einer dem Text beigefügten Erklärung einer Jeruschalmistelle. Daß diese Erklärung die Quelle des Rabiah war, ist zweifellos.

3. Rokeach N. 211: nnyna ba« . . oneno 'ooa pno« p nnym a"sa jr» »ö^iv 8>»pvn iem p*BBDi ntt'a ^rri rinn«. In unserem Jeruschalmi, Taanith II, 15 (66a unt.) und IV, 1 (67c unt.), steht nichts davon, vielmehr wird an beiden Stellen wiederholt betont: mWpi rnaia pip, wie in der Mischnah Megiiiah IV, 8 (Jerusch. III, 8). So kennen auch die alten AutorehaJ den Brauch, an Fasttagen £>m vorzulesen, nur aus Soferim (XVII, 7) und den Gaonim3). Diese Tat- sachen allein genügen, um mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten zu können, daß der »alte Jeruschalmi« des Ro- keach nichts anderes ist als das »a^ETi* "icd, das die fragliche

1) Die Sprache dieser Erkläiung ist gaonäisch, wie die Halacha, auf der sie beruht. Denn die Ansicht, daß über gekochten Wein S3.*ltP zu sprechen ist, ist gaonäisch. Vgl. die oben S. 422, Anm. 2-3 an- geführten Autoren, ferner Ibn Giath I, S. 2, Orchoth Chajjim I, 64 a, Ittur, ed. Lemberg, II, 53 b. Vgl. nr.tttl 'V N. 4, 258, B'n 17. In Orchot Chajjim ist pn nicht Scherira, wie Müller, nriBD 184 N. 23 meint, sondern Raschi. Vgl. Kaftor wa-Ferach 71b und Abudraham IPlTp. Dies gilt von allen Anführungen Müllers im Namen Schemas aus Or. Ch.

2) Tossafoth Berachoth 18a v. "inö*?, Pessachim 40b v. ^QK Megiiiah 31 b v. ipjti und Aboda Sara 65 b v. bü», Machsor Vitry 233 u. 234, Manhig, ed. Berlin, 47 a, Ascheri Megiiiah IV, N. 10 Ende. Mordechai das. N. 16, t"X">~) in Schilte ha-Gibborim Megiiiah III Ende, Vgl. nwo üüb hfl. nnj?n I, 15. Vgl. RN. Taanith I, N. 809 und Tur I, 566.

s) Vgl. Halachoth Ged. ed. Berlin, S. 623, D^itwn Stf fmin I, 42, nna mon N. 4, Seder R. Amram 35b u. 43b und Marx' Zusätze S. 16 u. 17, Resp. der Gaonim ed. Ginzberg, S. 263, Or Sarua II, N. 392, Hai. Pessukoth, S. 132, Pardes N. 164.

424 Unechte Jeruschalmizitate.

HalachaausSoferim oder einer gaonäischen Schrift herüberge- nommen hat. Rokeach meint aber offenbar folgende, in Rabiah ms. N. 594 und (daraus) Or Sarua II, N. 416 Ende angeführte Jeruschalmistelle : pm «n« ''Dia ^Ö^ÄHTS rwym a'cai ffnfrfai iwa |mp rea ,'*>'3na r6nna imn bj> mna pna nra bn»i xb>« pnp us VS^DJH lx? ,ü1 rrnn niß,a:it^ ,-|öj? nw 'ax i#« ip*i^ boa ja ^'nnai bjy nwyo a^iai

Hier verrät auch die Sprache der Bemerkung Vfc^D^l etc. deutlich ihren nichtjeruschalmischen Ursprung. Dies wird schon von Rabiah hervorgehoben: yatra \Müb\\ jai K1H p*tt f^9 VtWy»^ aus der Sprache folgt, daß vtyay'etc. einem Gaon gehört.

Die einstige Existenz eines in der von mir gekenn- zeichneten Weise bearbeiteten Jeruschalmi muß also schon auf Grund der hier angeführten wenigen Belege mit Sicher- heit vorausgesetzt werden. Dieser »Jeruschalmi« ist die direkte oder indirekte Quelle der meisten unechten Jeru- schalmizitate, besonders bei den deutschen und französi- schen Autoren.

Eine Anzahl unechter Jeruschalmistellen, besonders bei spanischen Gelehrten, erklärt sich aus der Tatsache, daß viele Autoren den Jeruschalmi2j nur aus Sekundär- quellen, besonders aus dem Kommentar des R. Chinanel, anführen, und daher nicht immer erkennen konnten, wo der Jeruschalmi aufhört und die Quelle beginnt. So war es unvermeidlich, daß zuweilen die Worte der Quelle für Je- ruschalmi gehalten wurden. Di aber der Kommentar des R. Chananel sehr viel gaonäisches Material enthält, so er- klärt sich auch daraus die Tatsache, daß Gaonäisches als Jeruschalmi angeführt wird.

l) So weit unser Text; niin'njPöaP ist viell. schon Erklärung. ») Wie oft die Toseftha. Ein markantes Beispiel bei Aptowitzer in Blau's 1J,1 pXD IDUM I, S. 82 f.

Unechte Jeruschalmizitate. 425

Manches unechte Jeruschalmizitat findet seine Erklärung in dem Umstand, daß in manchen Kodizes mit dem Jeru- schalmi andere Werke und Abhandlungen vereinigt waren1), die, von derselben Hand geschrieben und ohne eigenen Namen, unter der Flagge des Jeruschalmi segelten.

Daß manche Autoren kabbalistische Werke als Jeruschalmi anführen und daß Jeruschalmistellen direkt fabriziert wurden, ist bekannt.

2) Ein lehrreiches Beispiel in Ch. Horowiz' xnpTlJ? KDBCin V, S. 81.

[S. 422. Anm. 2. Tossafoth Pessachim 109 b v. ^ysnx Resp. M. b. Baruch ed. Berlin S. 119.

S. 423. Anm. 3. Resp. der Gaonim ed. Lyck N. 79, Chemdah Genusah N. 144, D^PiT »IM S. 10 N. 20, r.ühv vbf\p S. 38 N. 40, Ibn Giat I 23, Rokeach N. 227].

Die Tefilla für die Festtage.

Von I. Elbog-en.

So verschieden die Bedeutung der jüdischen Feiertage sein mag, die Tefilla an ihnen ist von einer auffallenden Gleichmäßigkeit.GegenüberderMannichfaltigkeit, die wir vom Sabbat her gewöhnt sind, der gleich vier verschiedene Texte besitzt, ist es eine geradezu erhabene Einförmigkeit, der wir hier begegnen. Die drei Gebete für Morgen, Mittag, Abend sind völlig gleichlautend und selbst die scheinbar so gänzlich verschiedene Mußaftefilla hat im Grunde den gleichen Wortlaut, der vermehrt ist um eine durch den ursprünglichen Zweck dieses Gebetes veranlaßte Erweiterung. Auch die beiden so fern voneinander liegenden Festestypen, die geschichtlichen Feste a^Ji wbw und die religiösen Feste D'Kiu D'D\ sind geeint durch die Gleichartigkeit ihres Ge- betes; die Tefilla für den Versöhnungstag unterscheidet sich nur ganz wenig von der der Wallfahrtstage, und wenn die für den Neujahrstag auch gänziich aus dem üblichen Rahmen herauszufallen scheint, der Kern ist doch auch hier derselbe. Es ist die Harmonie der Religion, die hier ausklingt, alle Feste sind geweiht durch die Einheit des gleichen über- ragenden religiösen Gedankens.

Der Ursprung dieser Tefilla führt in ganz alte Zeit. Es ist nicht viel, was wir von ihr wissen, nur Stichworte verraten die Quellen, aber diese sind verhältnismäßig reich- haltig und aus recht früher Epoche. Zur Zeit von Bet Hillel und Bet Schammai, d. h. am Anfange unserer Zeitrechnung, steht die Siebenzahl der Gebetstücke (Eulogien) patr seil, mm fest, controvers ist nur die Frage, ob am Sabbat ein be- sonderes Stück eingefügt werden, oder ob seine Erwähnung

Die Tefilla für die Festtage 427

mit einem der vorhandenen vereint werden soll; die letztere Ansicht bleibt maßgebend1). Von diesen sieben Stücken gehören die drei ersten und die drei letzten der täglichen Tefilla an, neu ist nur das mittlere, das vierte Stück. Die Mischna nennt es orn nwnp2); nach einer viel erörterten Stelle im Traktat Sofrim3), die sich hier in einem völlig neuen Lichte zeigen soll, heißt es auch Dif?p4).

Der Wortlaut dieses Gebetes ist, abgesehen von den bei der Überlieferung alter Texte stets vorhandenen kleinen Abweichungen auf die hier infolgedessen nicht einge- gangen werden soll in allen Riten der gleiche, nn« Uflina und ih jnm als Einleitung, «n rby als die spezielle Festbitte, tinpvm mit dem vom Sabbat her bekannten uttHp •p/nxaa als allgemeine religiöse Bitte. Wie gesagt, lassen sich, wenn nicht die Texte, so doch Stichworte daraus schon in alter Zeit belegen, umna nna wird von Ulla bar Rab in Gegenwart von Raba5), also ca 330, als ganz bekanntes Gebet gesprochen; )ih jnm wird im Anschluß an die von Rab und Mar Samuel, ca 230, verfaßte »Perle« lijmm er- wähnt6), «m r\hv freilich kommt im Talmud nicht mit Namen

») Tos. Ber. III, 13 (S. 7, 13 ff.): rra naura nrr6 bnw aia öv ■mj? •'Des aits ov *?tn iöjw *:aa raw bte -iöiki rwiö© bbsna anam "köw d^d&i na'tf bvz b'nna ratr bbsna an&\x b^r\ rvai naw bwa "rnnöi nawn P*ipa nna cmn ^k "ibw jn: n ysaKa ovn nwnp -iäini natp b^a D^ötm blPWI, vgl. Beza 17 a.

*) Rosch ha-Schana IV, 5 (32a), vgl. auch Anm. 1.

3) Sofrim 19, 7 wfeppVTk

*) Darauf haben Laudshuth, Siddur S. 468 und Rosenthal in Graetz Gesch. IV, S. 470, III. Aufl , hingewiesen.

6) b. Joma 87 b: umna nnaa nna K3*n ,Töp rrn: an ia xbiy rvnatri irrt na las n»a D^Dl. Er betet vor Raba (über nm vgl. meine Studien zur Gesch. des jüd. Gottd., S. 34 ff.) auch Pes. 117 b, fragt ihn und Abbaje über Toravorlesung Meg. 21b und 24b.

e) Ber. 33b: . ..uimm Sana fcmna \b vspm KWT "?Kiöffi ano •131 i:b jnm. Zu UTlIffl vgl. mein Eingang und Ausgang des Sabbats nach talm. Quellen in der >Festschrift zu Isr. Lewy's siebzigstem Ge- bMrtstagc, S. V (187).

428 Die Tefilla für die Festtage.

vor, wird aber gewöhnlich hinter der Bezeichnung trtn bw tjnn1), die aus tannaitischer Zeit stammt, vermutet. iJK'tP.Ti wird ebenfalls von Mar Samuel genannt2), von der Bitte Tnixaa iwip spricht ein Amoräer des folgenden Jahrhun- derts3), während die Eulogie DUöTfll bsw «npa ebenfalls bereits von dem aus Babylonien stammenden Tannaiten Nathan erwähnt4), allerdings in amoräischer Zeit noch umstritten wurde5J.

Die Mußaf tefilla beginnt und schließt wie die übrigen, nur hat sie zwischen )lh [flfll und UK'ttMi an Stelle von Km nbw einen anderen Einschub: lrKBfl »»Dl mit den Bibel- versen über die Opfer der einzelnen Tage und pm 1^3 mit der Bitte um Wiederherstellung der Wallfahrt. Die Änderung und Erweiterung der Formel für die Mußaftefilla geht auf Rab zurück und wurde von seinem Kollegen Mar Samuel bekämpft6). Die Erweiterung sollte in der Rezitation der Opferverse bestehen, und als Einleitung dazu wurde ein einfacher Satz, wie jtjdib pipi dt 'Ton irinain yxb WPJi als hinreichend betrachtet7).

*) Ber. 49 a und b: uhi u>xi btt? i"3n xSi nyta schon von Rab

und Samuel als ganz bekannt gebraucht. In der Baraita Tos. Ber. III,

10, S. 7, 6 steht allerdings üVfl nwiip dafür, Sabb. 24a, Erub. 40b,

Beza 17a jnixiai pj»ö; R. Chananel zu Beza zitiert löixi V39 b^snai

Kai rby xix.

s) j. Ber. IX, 3 (13d): "ps iox bxiö» . . . (seil, um na) n'rsna

1J»r»m löi1? zum Text vgl. Ratoer, S. 203 u.

3) b. Pes. H7b: »pmat&a wip xmbsn . . . kii n nö«.

*) S. oben S. 427, Anm. 1. In Beza 17a ist hinter iyi der Name (fli ausgefallen; allerdings betrifft da die Eulogie das Zusammentreffen vom Sabbat und Feiertag.

6) b. Pes. das. : "naxpi "am xmsöisi "aob xrrropx X3i iök trb xraxi d-jöt.ti "?xit£r trnpD xpiTpa pai xrnbita pa «ata xnva . . . "oi 'iDi ^nw fcnpa xsia xö-o pa xnatP3 pa xmbin xsnx xjx. Vgl. dort auch die Erzählungen über die wirklichen Vorkommnisse.

e) j. Ber. IV, 6 (8 c): px 'öK bxiötti i3i na vinb 1/iit iöK an nai 13 unn1? inac»

7) Das. vgl. Rosenthal a. a. O. 472. Der Fragesteller ist kiti '1 ""DT1 'i Wj% Abweichende Textüberlieferungen bei Ratner, S. 114 f.

Die Tefilla für die Festtage. 429

Dieser Satz ist fast wörtlich noch im Gebet erhalten, aber es kam eine Einleitung hinzu, die die Erklärung enthielt, warum keine Opfer mehr dargebracht werden (m*&n *jbot>, und die Bitte, den Tempel und den Opferdienst baldigst wiederherzustellen qma^o Tiaa r^»J); beide aber sind nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel für die Überleitung zur Rezitation der Opferverse, die nach einem agadischen Aus- spruche als vollgiltiger Ersatz für das Darbringen der Opfer angesehen wurden1). wby am jarn nba ist dann eine diesem Stücke nachgebildete Bitte um Wiederherstellung auch der Wallfahrt. Das Gebet für den Neujahrstag hat noch eine andere mit dem Charakter dieses Festes zusammenhängende Erweiterung, die eine besondere Abhandlung erfordert.

In diese einzigartige Übereinstimmung der Texte mit den Quellen tritt störend, was in der ausführlichsten Quelle über die Festgebete überliefert ist, in Mass. Sofrim. Dort heißt es zunächst: BH,a VDtn$> *pa D133 P ^cna P nDs:i njnaa jna ioi« nyia b& lbinai ntn nnan jn ava nrn unp «npe 13 T3tö p«i nrn msyn *p*avn ava nai« »yawi ara nrn »ji^b nrn Jinnatpn an avai nrn ^*rp «tpa B"*a *iai« ropia» ana . . an (Sofr. XIX, 3. 4, ed. Müller, S. XXXVI).

Für Sukkot fehlt die Angabe, was bei der Mangel- haftigkeit unseres Textes von M. Sofrim nicht verwun- dern darf.

Der Text lautet in den Turim2): *ps D'aa p n^a/ia p nrn 'jV?a m dv nrn tenip «ipa aiö av va?n^, und mit dieser Variante läßt sich der Satz mit unseren Formeln schon in Einklang bringen. Denn wenn auch nrn ttHip xipa 3TB dt nicht allgemein üblich ist, so ist es doch aus Amram3)

') Daß sie im seph. Ritus heute nicht rezitiert werden, dürfte auf Kürzung aus späterer Zeit beruhen. Amrams Siddur hat die Bibelverse vgl. Abudraham zu Mussaf der Feste.

2) B"V1 miK § 582, vgl. Müller, S. 264, Note 10. In Manhig m 'n § 5 g. E.: 'j6a dv nn nnpiaa n»v? -psw b'hbib rrcon tnxö pi nn »np »opia dv pni ron.

3) Vgl. 44b: ntn »np K-ipe bib dv rx nn jroin dv nx;43a:

430 Die Tefilla für die Festtage.

bekannt und wird von den Sepharadim noch heute ver- wendet ; allerdings geht dort der Name des Festes voran1), nur Maimuni2) folgt ganz dem Brauche von Sofrim. Hin- gegen ist der in Sofrim folgende Unterschied zwischen den ersten und den folgenden Tagen des Pesach, abgesehen von der Weglassung des B>*jp kiöb in der sepharadischen Liturgie, gar nicht bekannt. Ebenfalls nur aus der sepharadischen Liturgie, die sich hierin von allen Gebetbüchern unterscheidet und allein mit Amram übereinstimmt, läßt sich ein Teil der Angaben für Neujahr und Versöhnungstag belegen. Die wich- tigste Bestimmung freilich, daß man am Neujahrstage auch desNeümonds Erwähnungtun muß, istselbst dort nichtbefolgt. Es heißi Sofrim XIX, 5 (das.)3): ora vsmb "px nmn tPtna ara1 ntn nwr\ d*«t orai mr\ anm vmai nm trup «ipo aio rwn piam *vaitP vpr\. Auch die Mischna in Erubin III Ende erwähnt tnn u>«i in einer Formel für den Neujahrstag, die babylonischen Amoräer jedoch erklärten das von Anfang an im Gebet für unstatthaft4). Während es so aus dem baby- ionischen Ritus und danach aus allen Gebetbüchern ver- schwunden ist, hat es sich in Palästina, wie Sofrim zeigt, offenbar erhalten. Endlich heißt es für den Versöhnungstag (Sofr. XIX, 6): ova tbw *6x . . . »t -a pvaro Diman ora bms omni ntn ppn rbw ova ntn nwpn oiat ova ron t^ip mpö ^y "|ta DiYJHPd by "icaai D'arna ^sw iöjj maiy^ ti»/miy? nb^D^ #ip wipw D*JO?ni nmoan mati ^siä>' cnpa p«n tat Auch diese Formel findet sich in keinem Gebetbuch.

umir, fna jöt nin mrnwn Jn ov nx könnte allerdings den Anschein des Fehlens hervorrufen, aber hier ist wohl nur das Mscr. abgekürzt, wie es auch bei Peßach sehr kurz ist, vgl. dagegen Marx, Untersu- chungen etc., S. 23 zu 37 b.

«) Vgl. Müller, das. Note 11 ff.

*) r\:vn b-D ni^en -na z. St.

') Der Text (vgl. Müller S. 266) ist nach Machsor Vitry, S. 360 zu verbessern und danach hier zitiert.

*) Erub. 40 a sagt R. Huna (ca. 270) l^sbi ]*ab r6ij? nnN pnsT vgl. Müller das., Note 16.

Die Tefilla für die Festtage. 431

Aber was bedeuten diese geringfügigen Abweichungen gegenüber den Schwierigkeiten der nun folgenden Stelle über die Tefilla der Festtage : ftim pfc'Ki Di» po^pött* atrai pw rraiyai nruea nsra n^cru caiö co» po^po "ja "ma bv wk* " «3« vnrmi ir$>i» ^ma^a "naa rta irma« »n^m mfo* wib'p ^«w lay enpo "|na a'amm d»*t6 ainai utrrrm "Di «an n^' bb» «Hp 'tnpai D'iOTni mau» nnai (XIX, 7 das.). Zum Text ist zu bemerken, daß Agudda ijna pa^pat» at»ai wegläßt und a" pa^pa "ja beginnt1) ; Elia Wilna liest 310 an prai av p*in«n2). Diese kleinen Verbesserungen helfen wenig, der Text spottet scheinbar jeder Erklärung. Daß die lange Eulogie von der durch Tannaim bezeugten abweicht, darüber würden wir hinwegkommen, auch das neben nnatt» nyia unbegreifliche a^ni? ainai würde sich durch Streichung be- seitigen lassen3). Wie aber sind yitt^a "naa nb* und nby «a*i neben einander zu verstehen? Wir kennen in den uns geläufigen Texten nur das eine oder das andere. Und wenn wir selbst K31 'by als durch seine häufige Verwendung in den Text geratene Worte streichen, so bleibt die letzte und schwierigste Frage, was hat "]ma^a *riaa rta mit nrua natt» jvaijfl zu tun? Wir kennen es gerade nicht von diesen Gebeten, sondern nur von Mußaf her ! Man müßte denn vor den gewaltsamsten Eingiiffen in den Text nicht zurück- schrecken und mit Baer lesen : wnbx «jk ima^a *naa nb* jhk »'a:i nbvi et?4). Selbst der sonst so vorsichtige Landshuth weiß sich nur dadurch zu helfen, daß er mit der sepha- radischen Liturgie yizb nvy: DW wnblk «J« liest und die drei Worte jvaijn nruo istv streichen will5). Auch Müller6) findet «an nby in diesem Zusammenhange sehr auffällig

i) Müller, S. 268, Note 22; vgl. den Kommentar von Jak. Naumburg, in der Talmudausgabe von Wilna, ed. Komm. ■) Das.

3) So tun Elia Wilna und J. Müller, letzterer liest dafür 'Dl. *) ^x-ibp miar 'D, S. 352 ohne nähere Begründung. *) ab ]VW 'C, S. 468. «) 1. c. S. 269, N. 26, 27.

432 Die Tefilla für die Festtage.

und ist geneigt, es in Verbindung mit dem ebenfalls un- verständlichen Dt£> zu lesen iiKIJl i"6yj Cttn ; ferner sieht er in irmaK v6ki mftM den Anfang des Stückes i:*«an »jboi, der durch Amram1) in dieser Weise bezeugt ist. Nach alle- dem sollen in dieser Halacha als Stichworte die wesent- lichsten Sätze der üblichen M u ßaf tef i 1 1 a angedeutet sein. Und das, obwohl es ausdrücklich heißt: rttttDa istva JV2-IJ7TI ! ! Einen Augenblick hat Müller die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß sich in alten Zeiten das Mußafgebet in der Form nicht von den anderen Gebeten unter- schied2), aber er hat diese Idee nicht weiter verfolgt. Endlich muß der neueste Erklärungsversuch von W. Jawitz3) erwähnt werden, der geneigt ist, die ganze Stelle für ver- setzt zu erklären, in 'Di n^J eine Erinnerung an lrKtan »jdöi und in wnbx KJK eine solche an pm -j^o lr/iia« t6ki w<ib* zu erblicken. So gering ist der Kredit, den der Text im Traktat Sofrim bei allen Forschern genießt.

Auch diese schwierige Stelle eine wahre crux in- terpretum hat jetzt ihre Lösung gefunden. Sie ist ein Rätsel, nur so lange wir sie an den uns bekannten Ge- beten messen, und klärt sich völlig befriedigend auf, sobald uns neue Texte zufließen.

Dafür hat, wie in anderen Fällen, die Genisah von Kairo gesorgt. Bei einer flüchtigen Durchsicht der in Oxford und Cambridge aufbewahrten Genisahfragmente habe ich Liturgien entdeckt, die sich auf alle 4 Festtagsgebete beziehen. Die Feiertage sind bis auf Schabuoth sämtlich vertreten; dieses fehlt nicht darum, weil die Gebete etwa abweichen, sondern ausschließlich aus dem Grunde, weil es mir an Zeit fehlte, in Cambridge, wo der größte Teil der Genisah- Fragmente aufbewahrt wird, die Kästen für Pesach und Schabuoth durchzusehen. Von den Texten liegen mir Pho-

») S. 41b.

*) a. a. O. S. 268, N. 24.

3) rvo-on -npa, Berlin 1910, S. 25 f.

Die Tefilla für die Festtage. 433

tographien vor; nur bei einem, den ich nicht näher bezeichnen konnte (A, 3), muß ich mich auf meine Notizen verlassen. Kurz vor Abschluß dieser Abhandlung erfreute mich E. N. Adler in London durch Überlassung einiger Originale aus seiner rühmlichst bekannten reichhaltigen Handschriften-Sammlung. Ihm, sowie den Verwaltungen der Bibliotheken in Oxford und Cambridge sei auch an dieser Stelle herzlichster Dank gesagt.

Die Texte sollen genau nach den Handschriften zum Abdruck kommen, zumeist selbst da, wo sich Bibelstellen und anderswo bekannte Gebete darin finden. Bei der überra- schenden Neuheit dieser Tefilla schreckte ich auch vor Wiederholungen desselben Textes nicht zurück; nur wenn biblische Zitate mehrmals wiederkehren, sind sie durch den Hinweis auf die betreffende Stelle der heiligen Schrift abgekürzt worden.

Die Reihenfolge der Texte ist nach dem Kalender geordnet, und zwar werden zuerst die anderen, dann die Mussaf-Tefillas mitgeteilt.

A. 1) für Pesach:

Fragment E. N. Adler

2 Bll. 10 X 13 cm, 12 Zeilen

fol. la

a'tra D*no D^pa o'a^iy _Woa bvn tiio rinn io T^ö D'fia rrna D«n

cnon rrna —2 5 pai "|Btt> k*wi n/1« wnp

x tpnpn "|ey ^«is"3 mm nnx jvan pw jntai oy hin 10 »js^ Dtt"jni nwb ^aa

nanaa oaipm aiin

') Vgl. JQR. X, 656 ; piDl prn. Monatsschrift, 55. Jahrgang. 28

«34 Die Tefiüa für die Festtage.

fol. lb

cnS \i\m »ro in nwx

nritfn crv c*»crö

c*3'& rmsoi o^prt rcx

»rii cn«n Dii« wy nva

D'TpTö *:*nbx *"" i:S jnni cna 5

|i»tr'? D*jm nn[ür]^»

dv mn enp x^ps er

aviaa trip "Hipö^i 3ib "nym (*n^« 7*/nifta 10 iK-ip/i *irx »np '«ipc *• »ins snmBa CDS 2 a und 2 b Mussaf zu Pesach beginnt bei Num. 28, 18 Ende

cm pm "^o vnn 3*bdi 3iB \yhp wie der übliche Text.

2) Für Rosch ha-Schanah :

Fragment aus Cambridge Taylor- Schlechter Collection 10 H. 34, 2 BI1. fol. 2 a nsi -.ö«^ rwa hx mrr (siavi tr*rna is«^ ton«" *J3 •?« C3^> 371» snnS nn«3 »yavn enp snpi: njmn p-:? pnaw

wjmi s^ iriiap nat6o ^: 5 lrntai '"'^ rwa onanpm '3i froa^ö rh: irroa« »rr?»i

»ipc rn nn» "pa (*(3«n: dkd) 'ai Ktt'i «nnai cif nptni banw 10

>) sie !

») Lev. 23, 4 f.

3) Lev. 23, 23 ff

*) In ganz kleinen Lettern hinzugefügt.

Die Tefilla für die Festlage. 435

nyipi nynn pisti (le'w np "«-.poi D»3erm nnnr

3) Für Jom Kippur:

Fragment aus Cambridge Taylor-Schechter Collection (wahrscheinlich aus H 5 ?)

oy bis -jap nwa rnna nn«

ovanfe ps^ bao iran pur« mr

jv,t3d nanita emp/n smn 'ja^>

nrnni d«w 0*002*0 on^> jrmi »ro in

wjr •>«•« d'diö aisoi o"pn no«

|nm ona »m dikh djiim

Tra»i>3 (*]K tö3

imaks ii23 jtVj

4) Für Sukkot:

Taylor-Schechter Coliection 10 H42

fol. 1 b

naic dt nnao maat 15

'31 ex: app»a p»o "ivbi b*i) \vvb Kai

*noe* w "i^en »r£>K -pars Thfc rrVrn

(8m^3t *D ixjana «C3 mna nn«i n/ien

5) Für Schemini Azeret:

1. Fragment E. N. Adler 4 Bll. zu je 14 Zeilen. 12 X 16 cm

fol. 3 a anjnsbi

(*^>ir Dlp'l

n/iK *Änpn ^«m *n»fioi *po 5 in? cy ^ao "jap ^kws nmna

a) Einmal ist wobl S"BHn statt ü'iV zu lesen.

») Lev. 23, 27.

3) Wie ich geschrieben habe am Eingange des Gebets.

*) Er erhebe sich nnd spreche die Tefilla.

28»

436 Die Tefilla für die Festtage.

Dtf'am p?r^ bx n-acn jrnr*

ma^ao ponna caipm a-iin *xh

antr o'iactra ar6 jnm »rc "in

n^ija mxai D'pin na« nmni 10

nna »m Di«n an« nrr wk

o^jna luniia ut&k '", üb fnm

jik mn anp inpa dv nx nnar^

dv!?i nnaa>i? otn ms» vor er

fol. 3 b

■unina awaa »Tp unpo^i 3ia

dv3 v"^ iwk lanpfl d*b* (tapav

o3^> nw «np ripo «revn

ba »ti ms» *"»fc nr« onaipm

(2-]s nniöi wn *6 rniap naxba 5

'irarn vmh ov wp mtfena

urm pwi nxian nx 03bdr3

ptPXTi ara d'b* nyar V,H 3n nM

^yi p/ia» »jwn oral pnac

(3ava ibkj o'x-an -pay t 10 rix iana"i ayn rix r6a' »rävn ♦aiai o^rae» arv^nx^ laVi n^an *n*rt» '•' n#j> *is>« nami ba ^y a^ nansi *iay fcmip»$n naj? fol. 4 a iDDa (*jnp»i "iax^> aina "|«np cvn ja ova ov o'rosn min wm pirwiri ovn nyi pvnin *r&vn ovai tva» ni?aa> an nx ("lten ♦BBtfaa b mar 5 nn^ni *ra»n ova rrm o'btt

>) Lev. 23, 36. *) Das. 39. 3) I Kön. 8, 66. <) Neh. 8, 18. ») Ez. 43, 27.

Die Tefilla für die Festtage. 437

nx n;;an by mnsn wy »mm cra^r mi oynby

-)33 nb: u»maK »ahn uiota 10

Sj ir^y iwani ywn mnoa irnsraji onan pa je ima a">p »n w*n{»n »•' uK'am »rove djd fol. 4b

jva s^it^i nana "p\y jrstS

nom D^>iy nnaty: i&Hpa

nSrn ^;2 imabm "|^a v" "prya

hkt y»a» *ia»i n^y uvfo* «:«

uwdi "rps* na»» yae»» mni 5

-]uik iry "jap jviat w:npB

-v,; -jmy iSiar "j^rn -jenpa

a»am^i nai»$» ysA whm ", "]/iö»^b

»a*a» Dva ntn trip «ipa (*oi»a

lynhx *'? naio^ 13 wöi rwi Jmy 10

ira^a D'cn^i nanak a wnpu

^em ^xn (2nnm pn u*n^K "' nein

»a iyyy ybx »3 u»jma u& (2nnm

nnmpj ■paV nn« aimi pari

2. Bodl. Heb. e 36 (2715) no. 1. Cat. col. 123.

fol. 2 a.

(3^k nfo $>« fna ^ 10

'ii mna nn« * vmpn b*n

dt nnae^ a^nyia nan«a uvi^m üb jnm

n?n mxy 'J»a» er /ix ntn wipEmaa

a) Von hier bis r*5ty auf einer radierten Stelle, weil'derjSchrei- ber offenbar aus einer Vorlage einen falschen Feiertag abgeschrieben hatte.

■) sie!

8) Er schließe daran an die Tefilin bis

438 Die Teiilla für die Festtage.

im r\D2 vnp tnpobi aus aw ora>i nnarS ora -"'b rwx lanpn 0*0» (lnya;r 15

rw« o/iaipm oaS mr *np mpo wovn '«:i wyn xS miay n:xSa Sa x\i msp V,S d3edx3 Tai^n sn[nS er i*»y rwana (**[«] fol. 2 b. Dva d*d' nyatr »' sn nx lainn pxn ranan rot 7*73j? t byi pnaw »rarn ovai pnae» (Viral ©w djm rix nStr *j*Bvn (3ova iaxj mraan Sa Sy aS arai cna» Dfr^nife ia$»*i -|San nx ley ^«-urSi nay *inS »" ?wr irx rjaran 5 ■Sxn Ann tb*D3 (**npM naxS aina "jttnp nanai «Ti pinxn ovn "?yi prirai dwi ja ora or : BBtt?a3 m$y »i*B*n m*ai d*b' nysr :n nahm *2*Dvn ora rvm d»öm nx (5iSa'i wi ca'aSr inn cavi^p nx naran Sy o'nan i»r 10 ")3"i rta 'ax tiSki u*nta cmSx m dsj aanx »iwrn jnsp »jw or nxi 'w enpa x"a «np *mpoi D'jarm nnar Hpiai 's*n nrj? (6,Sx mSsSx cn'i fol. 3 a. nnar njnoi m«p -ratr er nxi Ski»' x -pa »•» x*a 2

e»ip •otsdi c:ani vgl. Bodl. e 34 fol. 63 a, S.

3. Taylor-Schechter Coli. 10 H 41. fol. 2 a. «nna er itpy ntrar- ■)« wpn xS (Vnap nx unn pxn nxian nx caacxs »yavn

*) imina ainaa. Lev. 23, 36.

J) Das. 39.

8) I Kon. 8, 66.

«) Neh. 8, 18.

*) Ez. 43, 27.

fi) Er beende die Tctilla bis

"•) Lev. 23, 36 Ende usw. wie oben.

Die Tefiüa für die Festtage. 439

btji \wav \msr\n ara n-r nya» M :n cx'3;n -paj? t bpi .pna» 'ra«M Tyi3i eyn n* r6» »awn a?3 -.a«i 5 »3101 a'nattf cr6n«7 ia$n -j^on

na? "rn^ -n nry irs n3*an bz bv ib -.ax1? 2iP3 i'snp haiai iay ^k-ib^i

er; er avi^an m\n icD2 uns

an wi pn«n avn iyi ptp«nn arn ;o 10

act?a3 mity *ya»n arai Bvr nyar

ni6ni »rawn ava rvm b'bm fori

B3»m$hj> naten bv traun wy

,0'nhi " as: e:nx »Ji'sni BanA» rwi

'&a -r\sobs ma n^j «ma« viVsi wA* 15

■y':>y «:raii yinrn mnaa ^ay ^«w ^>y

wnwoü a»ian paa ir-mo aipi »n ^3 'ry5?

•jvy p»jA %,:nbs " um?am pn Tiara aia

aSi? rtnatra "jenpa n'a dW^i n:ia

fol. 2 b.

:rn:^ai -^a 'jRir »mV« » ya>ya naR'i n«T m* «a^i n^jr un£n «jk .r6vt) S32 uwpa urana? ipe3 w paa»* mn* -janpa "]^3*n *jsi« "]vy r»KTtt*3 n»a -jap p">at mia^ -p»^ tt.b^e -jna "im» "j^na? "piya 5 »rae» a"a rvr\ anp «npa ova D'om^ lripa lin^w »" naia? la inai nrn map «n^n »•* nns nein ua^ö B*am^i 71212b ia up*anm iybv ami ^iam $>xn rmm pn irry -,J?« *3 u*nms vh nnm Iran Iran 10 pKip: "pa^ nn« otth pan Sx »a »raa> bt nrn «ftp xipa ar »n*i -»am ronn träfis ^ ppi sjib rvn nijjy $5ia u?^»k " mrvm •uwe^ p nntm n-as -rs*3 o^»^» Tiyia 15 um«i mna lay ^»-x"a '3 n^a «anan

440 Die Tcfilla für die Festtage.

nron nan«3 nm msty »ans» am nrrp- am ^«ir» enpo » nn« 3 un^nn -trpei D^erm nnce* nyiei map 'rar cnp

B. Mussatteliila. 1) Für Pesach.

Bodl. Heb. g 2 (2700). Catal. col. 92.

fol. 21a.

(*rft 'n'p'O'*'« wiött^ D'Tjno nanaa '^« »» üb jnm

ny3i«3 'wirn «nnai (:3,na '33 spia »anp »a dv wy ntranai ."-b nae ttnr6 an -\vv 12 ara .^a«» nnra d»ö» nyar jn nrn *nr6 «^> irw n3«^>a ^3 B3^> tp "ip 'ipa |ir«in -^p3 »33 ans *»»$> rfoy ntr« onanpni .wn 15

21b.

"an na» »ja B"tP33 nyaan in« ^»«i ow nenVe» »et»a n^iba r\bc annjai ,B3^> i»n» .itpyn ^»»6 D»jntry wi ieb a-ant^y 3 •aon nyae*^ nn«n s>33^ ntpyn [\ivv p*wy n^>y *T3^>a ,B3^y -:a3^ irw n»on ryn rfr»2 nbx wjwi Tann rbwb wx npan 6 nin»3 n»"i ntr« an^ a*a' nyar nvh iryn /va vy^> .laoji wp» Tann n^>iy ^y '*7 '33 'fei *ayo B»i^»t8»a ^ ni«m^ w»fcn i^y 9 ■/na« »nVm w»nb« 'ai '3T ^3 'v '3 'eye (4an^tt» 'na ui&run nna»a» nan«a ^>« pna «in (6«aa

') Und dies ist die Mussaftefilla. ») = a'npn1? nn vnp «ipo ov nx. s) = -jrniro SVD3 Num. 28, 16—24. *) Deut. 16, 16. ') Wie oben steht bis

Die Tefilla für die Festtage. 441

enpo .2 ('"in '-pi 'v 'an 'n r\» yttb nryai 12 mW« p/i3*i .(^'ip ■bi 'm 'Di mnan am ^«n»1 (3m22 mbx ^na nrua nhx\ 22 a.

(4171p' ^in F|D1D PTA» . -11

ijnoi nnsrb d'ijnd nsnxs lrnta m iab fnm nwa '22 ppio pnp .12 yipnfc iraton an

2) Für Rosch ha-Schana

Tayl. Schecht. Coli. 10 H 31

(s. ob. S. 434).

fol. 2 a.

rutwi »ai ppia 13- .namn2 rm«i tpnpn ^«m .Tnai pa (5ij?2> tnm? inx2 *ra»n (•«nroi fol. 2 b.

na^a ^2 D2^ mm tnp «ipo 1 mm njmn er irwi *6 moj mma m*6 r6u> cütj?) :d:^ etc. Num. 29, 2—6.

mma nnfc ceb»d3 Dmawi 12*

»fAw UtAn üb mm bi? mSa im2^a n^>a Trwan

*) = rip *&npöi ö^btrri nnatr ■Hjnar

:i) Und er beende die Tefilla. Die Minchatefilla ist gleich der für den Morgen.

*) In der Mussaftefilla der Halbfeste spreche er.

s) Nachträglich mit kleinen Buchstaben zwischen die Zeilen geschrieben.

«) Num. 29, I.

442 Dje Tefilla für die Festtage.

3i Für Jörn Kippur.

1. Bodl. Heb. f. 21 (2727, No. 11)').

Catalog col. 142.

fol. G4b.

b*r\ '2 ny5? •"» 'pw zz tb\sh * 6 mna nr\» .vnpn

»»a iy "jflia^a rta irrta« täki u*"k hm irma« t6ki w* < (fu»«w^>

'ai *m^w nwo cy 10

2. Bodl. Heb. e 40 (2705, 16)').

Cat. col. 97.

fol. 55 b.

-[ins jn pai n/nna nn« s?«h «arm pn« nnan« nrens cy rra 3. Bodl. Heb. e 41 (2721) no. 13. Cat. col. 136. fol. 116 a. 'y *py bitrw (nai u*ni3« p*o? 1^13» I^dm -jrnpa "prot fr? »" "|ii3 inara *jr.n^o ]n-y "java cv »m D'om^i mib^ "po^ ur&a nrn anean eis nr ron enp &npa 5 pyn n^na ai» nrn jiyn rwv^D nr w \y ^'D nm pw maa or nrn uvwfc ewii r6rm irnra •naan "ia*in uvita *'» ufc a^pi

*) Die dort mit dem Fragezeichen versehene Augabe »for ',T1« ist demnach zu berichtigen. Vgl. zu diesem Fragment Rivista Israeiitica JV, 1907, S. 188 ff.

2) Gemeint ist bis ttnpw^ WITOrYwin; vgl. weiter S. 444.

3) Vgl. Elbogen, Studien zur Gesch. des jüd. Gottesdienstes, S. 96 f., S. 170 f. Obiges nach Angabe des Katalogs.

Die Tefilla für die Festtage. 443

ara (^a "pray ntra »t by ^nrr\2 10

^aa aanx rmb oybv ^S3' mn

*i2iz: nnan »•» *jdV Davwwsn

py «na "paa ^x (2,a aina ivnp

*6 in?ru msw^ ytya Sy -rnyi

31»' mmi nan pen '3 ffi* ty^ pnroi 15

fol. 116 b. nftsaa •ptown www tpua' udiiv icn apy^ na« pn : ansan ^3 "a*a imat6 r\y2v: wm omarä raia um1?« »' wK»»m anp mm mos wita Df?tt>a "pyia 5 mrra "jap ^niera %a n^a i;anan ja nyia n«i a'ayn ^aa iwip w«i rwyji wf&run panai narma "|«np pipi ar »i*ön ?rnain y:c^ r«i ?kw snpa ** n/i« -jna spio 10 pj?n nrr^a ar ns mn omean Dia av n^ai ^ma nrn \vjn n^na ar ntn ■jay nmy^i lrnax rmiy^ u*nwj£ 'thjh 10« *naya onama ^xw JV3 .('ama» *Vk p'ita pa»i uv£« rwi 15 nwriii ^x mn top*i 117 a

4) Für Sukkot:

1. Tayl. Schlecht. Coli. 10 H. 41

(vgl. oben S. 438 ff.)

fol. la

in« a'ty YW o»»aa "iew (^nym«?

nawi nnroa Tann n^iy "ra^a riKorr

i) Lev. 16, 30. ») Micha 7, 18—20.

s) Bis zum Ende. Dann spreche er die folgenden Tachanunitn (= Selichot).

<) Num. 29, 15 Erde. 16.

444 Die Tefiila für die Festtage.

t^d nmaba "naa n^>a um3M *n^*i uvt^k

u'^3? »warn jwim mnoa nai? torw ^p lantatiDJi D»un paa uiw aipi »n bi "yvb 5- nry p'i6 u»nta " uwani p^« wmj d:d oSy nnaipa nanpa rra o^wrvh nro ^aa imabai -|^a bin** »m^n 'n T8»j?e naan n«i' s?\r Riai nfcjr imbi «as .mwo pia? «»anpu wxmi ipc' -la?1 po»* natv 10 -jEnpa i^a%n fina p»p bmir n*a "|oy naiö^ "paD$> "jjiö'Vb "pa -|/ny "f?iar -jawa an ova n?n enp xipa ara D'om^i *aipa ia\-6« « naia^ 1a lanai nrn mron iot£m 'n nn« noin laaVa o'arn^ naia^ ia 15' uy»im ia^y emi hom hin rmm jan t^k »a ii»nnsH3 ia^> rmm u»an warn .ntnpa "pa^> nn« oinm pari *a u»rp mapn an dv nrn tenp »ipa nr vn w/iyra^ t>«m n^rm ia*jmx ^aV ppi epo nrn 20 fol. lb •pas^> nma d«n U'-iiko maa van u»a»jn ■jmi/ia ainaa !3*^n 'aro ri^ra »■» *:a ins nma? ^a nm» nara c*ayc Ob^ip anai matcn ana nna' i»k mpaa "jm^ti :c nx nur t6i niawn anai niyia#a 5 ■pmw 'n nDiaa it nanaa »*n ,opn »" ns ut&m M ux^m ,*]^ j/u ir« jvam me« *i#Ka a^tj^ rnnyia roia mna T,ay bnv a »a nbo iaa*ian p u-nain ras^ mw?ai /irvp iam«i 10

»" nns ra .spie \zy\ dv 'Tan nnar »npiai mron am ?kib>* tnpa .trnp '«ipai tArm caarm .(sjiim^36m i:k 'f?« ia»rr?K »n ran

J) Deut. 16, 16.

*) Bis zntn Ende der Tefiila.

Die Tefilla für die Festtage. 445

2. Fragment E. N. Adler

(s. oben S. 433 u. 435 ff.)

fol. 1 a

»nbai vmb* .nawi nnnaa (h'ann

$>9 -pba Tnia^a rnaa n^j u^na*

n*bj? «»am pcm mnoa Tay ^«i»»

onan pao unne aip *n ^a (sie!) tj;

rairani ps wra oaa lriranui 5 ii-a d^emtVi nana tt? p»j£ uf&i v> ■ppyo noiri aSij? nnat^a -jttnpa uy&m n:k rbwa $>aa ima^>ai -|ba *" vat^ mm nur &»r wa*i r6ir u. s. w., s. S. 437 mit folgenden Abweichungen es fehlt hier hxw rra hinter Tay, es fehlt fwo, "|BHpa steht vor I^dm, vor raa^« (z- 12) wö* '" ,ia*r&K nein (Z. 15) ia$> npm kam \na (Z. 16—17).

fol. lb

wi nnsnpa "pa$> nn» mrm

nrn mann an or nn t^-rp «ipa

psni nirrm u*nnat ba^> ppi pjid

u**ukD Jvaa vwi irrjn u'njnvrä

ia»Van *aj?e tri^tra "piA ntna dkm

D»oya »lba» imina ia^y ainaa

usw. Dt. 16, 16

na«a an nran anai

Dt. 16, 17

-b \n: ynb» »» naiaa rr

2a

■pj>ta nana «»mj« » uttHerm

iamK nrnna u. s. w. m^&'a

n-atri nanxa ^np njnai nrwrp

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446 Die Tefilla für die Festtage.

3. Fragment E. N. Adler. Das. 2 b.

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]) Und er beende die Tefilla. *) Die Mussaftefilla reicht bis -) Nnm. 29, 17—19. 4) Das. 20.

(Schluß folgt }

Ble Hamen dar Frankfurter luden Ms zum Jahre 1400.

Von I, Kraeauer.

Mit Recht hat man von jeher den Eigennamen bei allen Völkern eine hohe Beachtung geschenkt. Denn sie sind nicht etwas Zufälliges oder Gleichgiltiges, son- dern ein Spiegel der Anschauungen und Vorstellungen, die die einzelnen Völker zu verschiedenen Zeiten beherrscht haben. Daher war überall die Namensgebung als ein wich- tiger Vorgang betrachtet und wie bei anderen Völkern auch bei den Juden mit religiöser Weihe umgeben. Die Ideale, die man in sich trug, seine Wünsche und Hoffnungen prägte man in dem Namen aus, den man dem neuen Weltbürger mit auf den Lebensweg gab. Darum bergen die Namen, besonders in der Jugendzeit der Völker, »eine geheime Ge- schichte, es sind Annalen in Chifferschrift, zu welcher gei- stige Forschung den Schlüssel gibt«1).

Für uns sind die Namen der Juden ein Beweis dafür, daß sie sich nicht ängstlich von der Außenwelt abge- schlossen haben, sondern an dem Kulturleben der Völker, unter denen sie wohnten, mehr oder minder Anteil nahmen; mit deren Sprache eigneten sie sich auch deren Namen an. So haben sie bereits zur Zeit der babylonischen Gefangen- schaft Namen von den Babyloniern und von den Persern, in deren Mitte sie weilten, entlehnt. Die Herrschaft der Griechen, der Ptolemäer und später der Seleuciden brachte ihnen griechische Namen2) und mit der zunehmenden Ab-

J) S. Namen der Juden, in Zunz' gesammelten Schriften, Band 2, S. 2.

*) S. bei Zunz a. a. O. ein Verzeichnis solcher von Seite 5 bis Seite 10.

448 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

hängigkeit von Rom drangen auch römische Elemente in die Namensgebung ein. Zur Zeit des Geschichtsschreibers Josephus finden wir in Palästina ein buntes Gemisch von persischen, syrischen, griechischen, römischen, altbiblischen, nachexilischen und neuhebräischen Namen. Zuweilen ging der fremde Name neben dem einheimischen einher, wir haben dann einen Doppelnamen1).

Das Mittelalter änderte daran nichts. Obwohl die Kirche auf den Konzilien und den Provinzialsynoden sich bemühte, die Juden von der christlichen Umgebung möglichst abzu- sondern, nahmen diese auch solche Namen an, die bei den Christen üblich waren. Ebenso bedienten sich die Juden unter moslemitischer Herrschaft arabischer Namen2).

Im Mittelalter bis tief in die Neuzeit hinein führte die Mehrzahl der Juden nur Vornamen8); man bedurfte also, um Verwechslungen zu vermeiden, noch besonderer Unter- scheidungsmittel, auf die wir später eingehen werden.

Schon frühzeitig kam der pietätvolle Brauch auf, Namen der Verstorbenen den Nachkommen beizulegen, in der Weise, daß der Enkel nach dem Großvater väterlicher, seltener mütterlicher Seite genannt ward. Mit der zweiten Hälfte des Mittelalters achtete man besonders darauf. Ferner bürgerte sich die Sitte ein, den Knaben bei der Beschneidung mit einem zweiten Namen Zunz nennt ihn den kirchlichen4)

J) So Jojakim-Alkimos, Salome Alexandra, Alexander Jannai usw.

2) Die Belege hierfür bei Zunz a. a. O. S. 21 und 22.

3) In Frankfurt hatte erst das fürstprimatische Edikt vom 30. September 1S09 bestimmt, daß sämtliche Schutzjuden bestimmte deut- sche Namen führen sollten. Die Namen Abraham, Moses, Eiias usw. sollten künftig nur als Vornamen gebraucht, die Söhne denselben Fa- miliennamen wie der Vater und der neu angenommene Familienname bei Unterzeichnung aller geschäftlichen Akten allein gültig sein. (S. Stricker in seinem Auisatz über Judennamen in Mitteilungen des Ver- eins für Gesch. usw. IV, 455).

<) a. a. O. S. 25.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400- 449

zu versehen, mit dem er zu den gottesdienstlichen Funktionen in der Synagoge aufgerufen wurde und der sich auch auf den Grabsteinen findet.

In manchen Fällen läßt sich eine Beziehung zwischen dem bürgerlichen und dem kirchlichen Namen nachweisen, sei es, daß diese die hebräische Übersetzung jener sind, wie Hirsch = Zewi, Benedict = Baruch, Friedel = Salomo, oder daß sie mit ihnen der Bedeutung nach verwandt, wie Gottschalk = Eljakim, oder dem Klange ähnlich sind, wie Kaiman = Kalonymus, Bonam = Benjamin. Bisweilen ge- hören sie symbolisch zusammen, so Wolf = Benjamin, Löwe = Jehuda1). Aber in den überwiegenden Fällen herrscht bei der Auswahl der kirchlichen Beinamen »geradezu Willkür«. Wie hängt z. B. Gumprecht mit Mordechai, Süß- kind mit Alexander usw. zusammen ?

Der bürgerliche Name war ausschließlich für das ge- wöhnliche Leben maßgebend, nur ihn kannten die Christen, er allein findet sich in den Urkunden und in den Aufzeich- nungen der Behörden.

I. Beschäftigen wir uns zunächst mit den Namen, die sich auf den Grabsteinen des hiesigen israelitischen Fried- hofes bis zum Jahre 1400 finden2). Es sind deren 75, von den darauf befindlichen Namen gehen auf griechischen Ur- sprung zurück:

A. Alexander

Fifis (aus Phoebus) (Wenn es nicht vielmehr aus dem latei- nischen Vivus3) stammt).

>) a. a. O. S. 26.

■) Herausgegeben von Horovitz, Die Inschriften des alten Fried- hofes der israelitischen Gemeinde zu Frankfurt a. M. *) Vgl. die Bemerkungen im metf 'D s. v. V2V.

Morst s Schrift, 55. Jnhrgang.

29

450 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400..

Gemma oder Gimma

Helene

Kalonymus.

B.

Auf lateinisch-romanischen:

| Bela

| Belt

| Bona

| Buna

Gente (aus Gentil)

Oliva

Senior

Sprinz (abgekürzt für Spiranza, Esperanza)1).

C. Auf deutschen: Adelheid Blume Brune Brunchen Edelin Freude Guda, Gutta Gutheil Jutta Kela

Liebermann Meittin*) Minna Roslin

Schune (Schoene) Seligman Susze (oder Suse ?)3).

') Oder deutscher Name = Sperber ? (s. weiter unten). ■) So ist für Meissin zu lesen, s. Horovitz I. c. S. 754, Ergän- zungen Nr. 30 und Zunz a. a. O. S. 40.

s) Suse wäre Abkürzung von Susanna, also hebräischer Herkunft.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 451

D. Hebräischer Herkunft: Aaron Abraham Ahahu ?

Ascher [Lemlin, Senior]1) Asriel Baruch David

Elchin (aus späterer Zeit) Eleasar [Lasar] Elieser [Liepman] Eljakim [Gottschalk] Ephraim [Fischel] Hanna Jakob

Jekutiel [Kaufmanj Joel Joseph lsaak lsachar

Juda [Lewe, Lob] Levi [Lieberman] Menachem

Meschullam [Phoebus] Mirjam

IYlordechai [Gumpel] Mose Natan Nehemia Salomo Samuel

') In eckigen Klammern setze ich die Namen, die vermutlich im gewöhnlichen Leben gebraucht wurden, so heißt es auch auf einem Grabstein Levi, genannt Lieberman.

29*

452 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Sara

Simcha [Bonem, Simon]

Simeon )

Tanchum ) aus sPäterer Zeit

Thirza

Uri [PhoebusJ

Zerlin (Verkleinerung für Sara)

Unter den 28 nichthebräischen Namen auf den Grab- steinen finden sich nicht weniger als 22 Frauennamen, unter den 17 deutschen Namen 15 Frauennamen. Am be- liebtesten war anscheinend der Name Bella. Das Beiwort heilig bei einigen Namen deutet darauf hin, daß sein Träger den Märtyrertod erlitten hatte.

IL

Namen in Urkunden, Memor-, Gerichts-, Bedebüchern usw. von 1241 1400.

Bevor wir uns mit diesen Namen beschäftigen, sei eine kleine, nicht uninteressante Abschweifung gestattet.

Der Beiname Jude begegnet uns nicht selten während dieses Zeitraumes in den zeitgenössischen Quellen, und es ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, ob damit wirklich ein Jude bezeichnet wird oder vielmehr ein Chris". Jude ist in diesem Falle entweder der Familienname oder nur der Beiname, der später zum Familiennamen wurde.

In allen Ständen, sogar im geistlichen, lernen wir Christen mit dem Familiennamen »Jude« kennen. Wie sie zu dem Namen gekommen sind, wird sich wohl nur in den seltensten Fällen nachweisen lassen.

E de 1 le u te :

Herman Jude, Johannitermeister in Frankfurt1)

l) S. Böhmer-Lau 1314, Dezember 12: Frater Hermannus dictum Jude commendator superior domus in Frankenvord, ordinis predicti (sc. saneti Johannis), Band II, S. 3, Nr. 4. Reimer, Hess. Urk. II, S, 17, Nr. 21 vom 18. November 1302.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 14GÜ. 453

Ritter Jude1)

Herr Johann Jude1)

Wilhelm Jude, Edelknecht*!.

B ü rgerliche :

EHechin Jude in dem neuen Kloster4)

Fykelin, genannt Jude, Schuhmacher6

Folz Jude6)

Fritz Jude7)

Grede Jüdin (judden)8)

Hans (Johannes) Jude, ein Schütze8;

Hans Jude1*)

Henkin Jude11)

Henselin Jude12)

Herman Jude, von Echzil13)

Johann Jude, von Treysa14)

Juddechin von Butzbach15)

Klasechin Jude, Koch der Barfüßer16)

Klawes Jude, Grabenmacher (Grebner)17)

») Reimer a. a. O. I, S. 189 vom 4. Mai 1235.

*) Qerichtsbuch XXXV1I1, fol. 36 vom Jahre 1399.

3) a. a. O. XXXIX, fol. 21 vom Jahre 1400.

*) a. a. O. XI, fol. 54 vom Jahre 1371.

*) Böhmer-Lau II, 565 (Insatzbuch § 142) vom Jahre 1339.

«) Gerichtsbuch XXXVII, fol. 9 vom Jahre 1398.

7) a. a. O. VII, fol. 69 vom Jahre 1359.

*) a. a. O. fol. 124 vom selben Jahre.

») Rechenb. 1364, fol. 34, 42, 47.

'•) Gerichtsb. VII, fol. 55.

•») a. a. O. IV, 18 vom Jahre 1346.

'») a. a. O. XXIII, 76 vom Jahre 1383.

») IV, 27.

•«) VII, 20.

>») XXIII, 76.

'«) XII, 22 vom Jahre 1371,

f7) Gerichtsb. XXXVI, fol. 8 v. J. 1397.

454 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Konrad Jude, von Mainz1) (identisch mit Konzechin Jude

von Mainz)2) Judde mollner (Müller)3) Nikolaus Jude*) Peter Jude5)

Peter Jude, Schmied von Rotenburg*5) Rodechin Jude7).

Diese Anzahl ließe sich leicht noch vermehren.

Auch Zusammensetzungen mit Jude sind nicht selten.

Die in Frankfurt gebräuchlichsten sind:

Judinamme so Hartmud consecutus est super Judinamme8)

oder Henricus Judenamme hat bekant9)

Judingut, so Gunthir Judingut10). Diese Zusammensetzung war sehr beliebt, sie findet sich öfters in den Gerichts- büchern.

Judenhut, so Hans Judenhut11)

Katherine Judenhutin12)

Judenkoch, so Gobil Judenkoch13)

Judemennen, so Katherine Judemennen14).

") XX, 19 v. J. 1380.

2) XXIX, 63 v. J. 1390.

s) XX, 99.

<) VII, fol. 61.

*) Bedebuch 1364.

«) Gerichtsb. XX, 99.

">) XIV v. J. 1394.

*) IV, 156.

*) VII, 81.

'<>) Rechenbuch 1366, fol. 49.

«i) Gerichtsb. XXXII, 21 v. J. 1392.

lS) Gerichtsb. III, 97.

) 'JCIILLIISU. 111, VI.

13) Dieser Name findet sich häufig in den Gerichtsbüchern. '*) Dieser Name findet sich häufig in den Gerichtsbüchern.

Die Namen der Frankfurter Jaden bis zum Jahre 1400. 455

Judenspijs, so Heile, Jekel, Katherina Judenspijs1) Judenschisze, so Henne Judensch.2).

Versuchen wir nun, unser zahlreiches Namenmaterial nach seiner Herkunft zu ordnen.

A. Deutschen Ursprungs sind: (Die deutschen Namen zum Teil verstümmelt).

Achselrad, 12418)

Adelheid, 1241 und 1382 Gerichtsb., verkürzt in Alheid 1371 Gerichtsb., 1393 Rechenb., Elheid 1375 Gerichtsb.

Ailke 1389 Ger., wohl identisch mit Aleka, Ger. 1333 und mit Alike. Urk. 1303; Frauenname, entweder verstüm- melt aus Adelheid (s. Aronius Reg. S. 334 und 335) oder vielleicht mit Elisabet zusammenhängend.

Anselm, zuerst 1262*); 1288 ist ein Anselm Judenmeister (magister iudeorum)

Ber 1330 Ger.; wohl identisch mit Bern, ein bei den Frank- furter Juden sehr beliebter Name

Berner (aus Bern) 1349 Ger.

Berthold 1342 Ger.

Bischof 1347 Ger.

Blume 1395 Grabstein

Brune 1241 und 1368 Ger.

Brunnechin, Brünlin, Frauenname, 1342 und 1398 Ger.

Buerlin 1346, Burlin 1335 Ger.6)

]) Dieser Name findet sich häufig in den Gerichtsbüchern.

s) Dieser Name findet sich häufig in den Qerichtsbüchern.

*) Näheres über diesen Namen bei Salfeld, S. 386. Die Jahres- zahl bezieht sich auf das erste Auftreten des Namens.

*) Im Judenschreinsbuch der Laurenzpfarre zu Köln von Hoe- niger und Stern, S. 15, Nr. 78 und 79, Aronius, Reg. zur Gesch. der Juden, S. 300, Nr. 720.

6) In der Schweiz, Bürlin, s. Augusta Steinberg, Studien zur Gesch. der Juden in der Schweiz während des Mittelalters, S. 5.

456 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Bure 1340 (dafür auch Pure 1341 Ger.)

Burklin 1333 Ger.

Canolt (Abraham Canolt von Mainz 1378 Ger.)

Dabeieben (Dobeleben, Tobeleben) 1343 Ger. Der zweite

Teil des Wortes deutscher Herkunft. Dube (Taube) 1340 Ger. Eberlin 1392 Ger.1) Diminutiv zu Eber2) Edelheit 1378 Gerichtsb. = Adelheid Eichhorn 1394 Gerichtsb., Rechenb. Ele, Elechin 1372 Ger., letzteres Kosename für Ella* Elheide, s. Adelheid 1388 Insatzbuch

Ensgen 1372 Gerichtsb. (eigentlich aus dem hebr. Jochanan) Ensechin 1372 Gerichtsbuch Enselin 1368 Rechenb., in der Schweiz Ensi4) Falk 1329 Bürgerb. Fedechin (?) 1376 Ger. Fischlin 1339 Bedeb., auch Fislin Foss, Voss (niederdeutsch für Fuchs) 1374 Ger. Friedrich 1241, 1349 Rech. Freude 1379 Rech., auch Freyde Ger. 1364. In der Schweiz

Fröde, Fröide6), Koseform Fraudechin 1342 Ger. Frommechin 1344 Ger. Fromut 1339 = Frumit 1400 Fronkind 1385 Rechenb. (Nicht zu verwechseln mit Fro-

kind)6) Frummler 1384 Ger. Fuschs = Fuchs?7)

') In der Schweiz, Eberli 1. c. S. 6. Über den Stamm, s. Sa'feld, Mariyrologium, S. 392.

*) Doch brachten ihn die Juden auch mit Abraham zusammen, a. a. O.

») a. a. O. S. 392, Zunz 48.

*) Steinberg, S. 5.

6) Steinberg a. a. O. S. 5.

•) Salfeld, S. 394.

?) Zunz, S. 37.

Die Namen der Frankfurter Jnden bis zum Jahre 1400. 457

Gadehelp (Gotthilf) 1333 Ger.

Gans, auch als Beiname, wie Seligman Gans, 1392 Ger.

Diminutiv Gänschen 1391 Bedeb. Gela, Gele1) (die Fröhliche) 1344 Ger., Diminutiv Gelechin

1344 Ger. Gerhuse (Frauenname) 1347 Gnanna2)

Golda 1241 und 1316 Bürg., Guldin 1374 Ger., Goldine8). Gadelieb, Gotlieb 1333 Ger. Gotschalk, Gadeschalch (älteste Erwähnung eines Frankfurter

Juden) c. 1175-1191 Gude!, Gudela, Gudla, Gudda, Guddechin, Gudin, Gut, Gute,

Gutlin. Zahlreich in Ger., Bürgerb. und Urkunden, zuerst

1241. Gudelicht? Jüdin 1348 Ger. Gudelindis, Jüdin 1318 Ger. Gumpracht, Gumprecht, Gumpert, erscheint zuerst 1330 Ger..

(»im Kampfe strahlend«) Gutheil 1340, Kölner Schreinsb. S. 163 und 165 Gutheid (wenn nicht verschrieben für Gutheil) 1346 Ger. Guthil 1241 (Frauenname)4) Gutkind 1349 Ger. Halda für Hilda 139J Ger. Hase 1393 Rechenb. Haseman 1387 Rechenb. 1388 Ger.5) Heydorn (für Hagedorn?) Hedorn 1328 Bürgerb. Heilman, in Frankfurt zuerst 1343, von da ab außerordent- lich häufig in den Ger., Rechenb. usw. Heldelin, Jüdin 1339 Ger.

') a. a. O. S. 48. s) Salfeld 1. c. ■) a. a. O. 395.

4) Gutheldis in Köln 1270, s. Breßlau, Hebr. Bibliographie 1869 (Namen der Juden im Mittelalter) S. 54—57.

«) Zuerst in Würzburg 1298, s. Salfeld, S. 397.

-458 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Hemmelin 1399 Ger.1)

Hesse 1399 Ger.

Herz 1369 Ger.

Hirsch 1391 Ger.

Hitzlin 1340 Ger.2) = Hitzschla 1338 Ger. (= Huschlin?)

l(Y)selin.l365 Bürg.

Isfugel 1346 Ger.

Jodelin = Judelin 1342 Ger., verkürzt zu Jeidlin 1348 Ger.8)

Judeman 1328 Bürgerb.

Jütlin (Jüdin} 1394 Rechenb., Koseform für Jutta, Jutte

1241 und 1339 Ger., ein sehr beliebter Frauenname*) Kaufman 1375 Bürgerb. Kele = Gele 1344 Ger. Die Kesemechirn 1394 Rechenb. Concelin 1390 Ger. Kosterman, deutschen Ursprungs? Kruse 1333 Ger.

Kunse 1340 Ger. = Kunz (in der Schweiz Küntze)5) Lebechin, Kosename für Lewe? 1398 Ger. Lebekuchin 1341 Ger. Lebelange 1374 Ger. (auch Lebelang0)

Lemmelin 1

i o^rhin 1341 Ger.7)

Lemcnin ;

Lybe 1340 Ger., Liebing 1335 Ger.

Lieberman (vereinzelt Lifirman) bei den Juden sehr beliebter

Name, zuerst 1347 Ger., in Köln schon 1135—52*1

') Er stammte aus Weißenburg (Mittelfranken). 2) Die Heitere, s. Zunz, S. 49, Salfeld, S. 398. :i) Nach Salfeld, S. 400, aber Kosename für Juda. *) Salfeld, S. 400 denkt weniger an das ahd. Guta als an eine Zusammenziehung aus Judith. 6) Steinberg, S. 6.

6) Salfeld, S. 401.

7) Beiname zu Ascher, S. 402 auf Lampe, Koseform zu Lam- bert zurückgehend.

8) s. Aronius, S. 350.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 459

Liebman (Lipman), ebenfalls sehr beliebt, zuerst 1341 Ger.

Liebertrud 1382 Ger., Libirtrud

Man, Manna, Manne, Mans, Manes, Mens 1339 Ger.1)

Magetin = Matyn = Meitin = Metlin (Mädchen) 1382 Rech.8)

Menchen, Menchin, Mennechin 1328 Bürgerb., 1335 Ger. (Ableitung von Man)

Menlin 1340 Ger.

Merkel3), Merkiln 1365 Bürg.

Merkelin, Jüdin 1362 Ger.

Merlin 1400 Ger.4)

Michel 1360 Rech, (wenn man den Namen nicht anf das hebräische Michael zurückführen will). In der Schweiz Michelin5)

Minna, Mynna 1339 Ger.

Minnegud, Mynngut c. 1262 1266. Aronius Regest. S. 300, Nr. 720

Minneman, Minman 1339 Ger.

Maseman, Masman, Mazeman, Moseman, Museman = Mo- sesmann 1335 Ger.6)

Minnechin, Jüdin 1340 Ger.

Morlmynne (der zweite Bestandteil deutsch, der erste zwei- felhaft)

Nasin für Nase?

Nennichen (Frau; 1364 Rech., Kosename für Gnanna

Ockia = Ocka (s. Förstermann S. 1174 unter Ocka, und Salfeld S. 407).

') Vom althochd. Man. Daß dieser Name ursprünglich nicht aus Menachem, dessen Beiname er geworden ist, abgekürzt wurde, beweist die Schreibung Manna.

s) In Köln auch Megethin, Meitel. Aronius, S. 351.

s) Über diesen Namen, s. Zunz, S. 41 oben.

4) S. Salfeld, S. 404. Güdemann führt den Namen auf mittel- hochdeutsch, Merl-Amsel zurück.

'■>) Steinberg, S. 5.

l) Thomas der Frankf. Oberhof etc. liest dafür beständig Na- semau. S. auch Zunz, S. 40.

460 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Oswald 1348 Ger.

Oppenheimer 1392 Ger.

Ricze (Ritze) 1373 Ger., Koseform Rizelin 1385 Ger., auf and. Richza zurückgehend. Andere Formen dafür sind1) Riczscha 1390Ger., Ritschelen 1394Ger., Ritschlen 1390Ger.,Rietslin 1397 Ger., Roszschlin 1291 Ger., Rutschelin 1390 Ger. Rutschlen 1398 Ger., Ry(i)tschla 1391 Ger.

Richza 1241.

Rycza (Rytza) 1341 Ger.

Ryka 1379 Ger., Rykela, Koseform davon, 1400 Ger., eine andere Koseform ist Richlin, nicht zu verwechseln mit Rechlin (1383 Ger.), das mit Rachel zusammenhängt; vielleicht gehört zu Ryke auch Rygeline 1376 Rechenb.

Rodebucz 1342 Ger., wahrscheinlich deutscher Herkunft.

Rußerman 1345 Ger., gleichfalls.

Salman, auch Saleman ist nicht immer auf das hebr. Salomo zurückzuzuführen, öfters auch auf das deutsche Salman, Gewährsmann, Vormund (s. Salfeld S. 412).

Sanderman 1384 Ger., der zweite Bestandteil des Wortes ist deutsch

Schoneman (Scheneman) 1241.

Schona 1339 Ger., Schone (Frauenname) 1335 Insatzbuch8)

Schonewip 1341 Ger.

Sela, deutschen Ursprungs? = Selin, Jüdin3) 1344 Ger.

Seid, Seide 1335 Ger., 1346 Urk.

Selgman, Seiigman 1341 Ger.

Selekeit, Selikeit, Selkeyd (Frauenname) 1371 Ger.

Selis, verschr. für Selig 1379 Ger.

Senger

Sentelin, für Seltelin? Koseform für Selda 1340 Ger.

Stral c. 1349

') S. auch Richedis, Richeza usw. bei Aronius, S. 536. s) a. a. O. S. 35S.

a) Dagegen ist Se!e bei Aronius, S. 314, Nr. 749 ein Rostocker Jude.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 46t

Stulcze (Stultze) 1336 Urk.

Susze, Jüdin 1382 Gerichtsb. Dagegen geht Suse auf das

hebr. Susanna zurück. Suszeln, Mannesname 1397 Gerichtsb. Suzelin 1347, Kosename zu Süß Süßkind, zuerst 1328 Bürgerb. Suzman 1335 Gerichtsb. Tilo 1347 Gerichtsb. Tron 1333 Gerichtsb.

Trcstlin, Drostelin 1335 Gerichtsb., Koseform zu Trost Wolff, findet sich vor 1389 im Gerichtsb. und Insatzb. nicht Wolffechin [ 1389 Gerichtsb. Wolffelin | 1390 Gerichtsb.

B. Die Namen lateinischen oder romanischen Ursprungs treten viel spärlicher auf.

Es sind folgende: Bela1), Belta. Belta ist wohl ein Schreibfehler 1241, 1341 Ger Bendit (aus benedictus) 1341 Ger. Bonam, Bonnunn (bon homme) 1343 Ger. Bone 1383 Ger,, auch Bonet Boneiang, Bonifant, Bufant 1379 Ger. (bon enfant) Bunno 1339 Ger.2) Dolze 1339, auch Dulze 1375 Ger. Fantechin, Koseform von enfant

Fide (aus dem Lateinischen?) 1342 Ger., Koseform Fedelin Vifand (In der Schweiz Vifan, Steinberg S. 9), Vifes, Vifis,

Vivis. Vifus, Vifs, Vyuez, zahlreich in den Ger., zuerst 1328

im Bürg. Die Koseformen sind Fifelin, Pfyfelin, auch Vifel,

davon Fifelman3) 1340 Ger. Alle diese Formen hängen

mit Vivus (nicht Phoebus) zusammen.

>) Zunz, S. 44, Salfeld, S. 3S8.

») Salfeld, S. 389.

3) In Mitteilungen zur jüdischen Volkskunde von Orunwald,

462 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Gentil (gentil) 1241, verstümmelt in Gente, Genge, vielleicht hängt auch Jenlin damit zusammen, 1347 Ger.

Krissan 1346, aus Crescentius? In der Schweiz Cresce nee*)

Leo 1347 Ger.

Martin 1340 Ger.

Memmelin 1388 Ger. (mamma)4), dahin gehört auch Mai- mone 1241

Mylin = Mullin (weibl. Name), 1393 Ger. Romanisch?6)

Netta 1847 Ger. Romanisch?

Petrus 1341 Ger.

Sennor 1346 Ger., verkürzt Sne, Sneon

Snyer aus senior.

C. Griechischen Ursprungs:

Heiina 1368 Ger.

C(K)alman, aus Kalonymus zusammengezogen.

Gimma, Grabstein 1347

Granam, aus Geronymus, Hieronymus zusammengezogen

Rite, Frauenname, vielleicht verkürzt aus margarita.

Offmia 1241 aus Euphemia.

Sendir, Sendelin, Senderlin, Koseform für Alexander.

D. Die hebräischen Namen sind mit wenigen Aus- nahmen alttestamentarischer Herkunft:

Aaron, Aron

Abraham, Abram

Ascher (lmal) 1241

Bariys, Baroch, Baruch, Borech, Borich

XIV. Jahrgang, erstes Heft (1911) wird Fifelmen wunderlicher Weise gedeutet als einer, der sich auf die Feifei (mhd. vivel, Pferdekrank- heit) versteht.

») Steinberg, S. 9.

«) Salfeld, S. 404.

*) Salfeld, S. 406.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 463

Baza

Bassene

Baszene f gehen zurück auf Bathseba 1241, vielleicht

Besslin i aucn Besaw, Besserold, Bezla (s. auch Salfeld

Beszeler ] S. 418)

Beszera

Chaim (Frauenname), 1346 Urk. (nur lmal)

Damar (2mal)

Daneier (lmal) für Daniel

Dauid, Dauoed, Dazud

Dedya (lmal) verstümmelt für Jedidjah (Liebling, Gottel)

Dobeleben, Dabeieben, Tobeleben, im ersten Teil des Wortes steckt entweder der Name Tobias oder Tob (Gut), daher in der Schweiz Gutleben (Steinberg S. 7)

(Schluß folgt.)

-k

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen

Zeitalter.

Neue Folge.

Von Simon Eppenstein.

V. Die Erzählung von den vier gefangenen Talnradisten.

(Fortsetzung.)

In demselben flehentlichen Ton gehalten ist zum Teil ein von Nehemia, dem Sohne Kohen Zedeks und Nachfolger Ahron Ibn Sargädu's, gleichfalls nach Spanien gerichtetes, vom Jahre 962 datierendes Schreiben1). Dasselbe ergeht sich in flehentlichen Bitten um eine genügende Unterstützung, aber auch in ziemlich geharnischten Vorwürfen wegen der so lange geübten Vernachlässigung der Hochschule, was die Gemeinden nun durch ausgiebigere Spenden wett machen müßten2), falls sie sich nicht dem Zorn seitens deren Leiter aussetzen wollten3). Was nun in diesem Briefe besonders auf- fällt, ist das geringe Selbstbewußtsein, das einem etwaigen Zweifel der spanischen Gemeinden an der durch persönliche und ererbte Vorzüge berechtigten Gaonatswürde des Schrei- bers Raum giebt4), ihn aber durch die Tatsache entkräftet, daß nach dem Tode Ahron lbn Sargädu's alle Gelehrten

') Veröffentlicht von Cowley in jQR. XIX, S. 105-106; vgl. dazu Poznanski a. a. O., S. 399—401.

») Vgl. a. a. O. S. 106, 13-14: DWn nnil D3IÖ-U 1^B3n DJ

DT\nbv xb "»a unjn cnir^m o: nawnn ommn xb wk3 u^mni najw

s) Vgl. a. a. O. Z. 9—10.

«) Vgl. S. 105, Z. 22 fgg.: i:nix dsipw nby: im wnoxD m sov i:nnijf nrroxa ,-tdd aob w «e» ix lrnna« bv ca^tro ddj-x ircxr na irrxTi i:rtuan oj> »JiriBVD S-riaai uroptai.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 465

mit ihm in Frieden leben1). In seltsamem Kontrast hierzu stehen die Äußerungen Nehemia's, daß er mit der Auffor- derung zu reichlichen Spenden den Gemeinden eigentlich nur Anlaß zu einem verdienstvollen Werke geben wolle").

Selbst das Ansehen der pumbaditanischen Hochschule zur Zeit Scheriras konnte deren materiellen Niedergang nicht aufhalten. Von besonderem Interesse ist hierbei ein von. diesem Gaon nach einer jedenfalls bedeutenden Stadt des »Westens« gerichtetes Schreiben3;. Darin wird darauf hingewiesen, daß nur noch mit vieler Mühe die Versamm- jungen in den Kallamonaten aufrecht erhalten werden können*) und, daß sein damals schon im Mannesalter ste- hender Sohn Hai sich nicht die Mühe verdrießen lasse, sich dem Unterricht der Minderbegabten zu widmen5). Die Not der Gelehrten und Schüler zwinge den Gaon sogar, der eigenen Familie Entbehrungen aufzuerlegen6), und nur diese bedrängte Lage, bei deren Andauern die Gelehrten ihr Brot sich durch andere Beschäftigung zu suchen genötigt wären, habe ihm manches bittere Wort gegen die Angesehenen der Judenheit in den anderen Ländern, >die Berge Israels«, eingegeben, was Scherira mit dem Hinweis auf Nehemia 13, 10 ff. rechtfertigt7). Sowie in talmudischer Zeit die einzelnen Ge- lehrten, trotzdem sie selbst eine eigene Lehrstätte besaßen, doch den Mittelpunkt der Thoraforschung aufsuchten, so solle auch jetzt in der Diaspora von überallher durch An-

l) Vgl. s. 106, z. 6 fgg.: iBoan ""inx üb nviip BNTnn MttjHim ">ai vpsah DmBn ufo* tPDann Sa mnna.

*) Vgl. 105 Ende: mb mann by naia dj? Dama^ wnna ^Mi

DSD* DTPIttÖ wu

3) Veröffentlicht in Schechter's Saadyana Nr. XLV, S. 118—121. *) Vgl. a. a. O. S. 118, Z. 2 fgg.

6) Vgl. a. a. o. z. 9—11 uroa dipSi Qiübb npw u-nna "«n nai OTa -pvi aam mnpn yn imo^ bimvb jh1 »b "ibw-

•) Vgl. a. a. O. Z. 12: pyjio i:n:x u^ij> "»BDI lrpSnai wbibdi p1? pamn«

7) Vgl. a. a. O. Z. 17 - S. 119, Z. 5.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. «0

4^5 Beiträge zur Oeschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

fragen wegen Entscheidungen die Jeschiba als Zentralpunkt angesehen werden. Das Unterlassen dieses früher geübten Brauches habe das Ansehen der Hochschulen erschüttert, und der Gaon wolle zu Gott beten, daß Er sie nicht dafür strafe1). »Ihr werdet vielleicht sagen, es genüge, daß ihr in einer be- haglichen Lage bleibt; eure Lehrversammlungen werden rieht verderben, möge darum die Hochschule zugrunde gehen. So wisset denn, daß deren Führer eure Häupter sind; der Körper aber richtet sich nach dem Kopf, und wie kann, wenn dieser verdirbt, jener gesund bleiben ?«2) Darum sollten sie den Mut der Jeschiba und ihrer Mitglieder durch ihre Fürsorge stärken, damit »die vier Ellen der Halacha« nicht untergehen; denn, trotzdem dieThora auch ander- wärts sich ausgebreitet, so sei dennoch deren eigentliche Stätte noch immer hier, wo gleichsam das Sanhedrin ver- treten sei3).

An dieses Schreiben schließt sich inhaltlich ein an- deres desselben Gaon an*), das, da in ihm Schemarja direkt genannt ist, sicher nach Ägypten gerichtet wurde. Es sind dieselben Klagen über die Vernachlässigung der Je- schiba in materieller und ideeller Hinsicht. Die Unterord- nung unter sie müßte als eine heilige Pflicht betrachtet werden, wie einst gegenüber dem Heiligtum0)- Wie könnten

*) Vgl. S. 119, BI. 2r. S. 120, Z. 115.

s) Vgl. a. a. O. Bl. 2 v. Z. 3—7: '3 3233*73 [lTÖKn T«BK 3XV

vhn ,nnnjw nawn ns-amö [inner" xSi osnaiana by cnx p-xwn rx-n -irmi rpjn übw\ rm rtmr "p«i crürtr cyvm 22 non 32-r«"i

•) Vgl. S. 120, Z. 12. S. 121.

«j Saadyana Nr. XLVI, S. 122—124. Der Rest ist einer halacbi- seben Erörterung gewidmet. Wir müssen hierbei, wegen mancher stilistischer Übereinstimmungen dieses Schreibens mit dem vorher- gehenden, Poznaiiski in seinem »Schechter's Saadyana« S. 5 bei- pflichten, der es Scherira zueignet, gegen Schechter a. a. O. S. 121, der Samuel b. Chofni als Autor annimmt.

6) Vgl. S. 122, Z. 6 fgg. Leider ist der Anfang stark ver- stümmelt.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 467

demnach die auswärtigen Gelehrten, obwohl durch Ansehen hervorragend, des Mittelpunktes vergessen, zumal sich doch wohl mancher Zweifel auch bei ihnen ergeben müsse1)? Sie sollten bedenken, daß man nur von einem ganz bevorzugten Lehrer p?]2M2 31 »so sich in der Gesetzeskenntnis unterrichten lassen dürfe, damit alle Zweifel behoben würden2). Babylon sei jetzt der Ort der Sch'china3), und dort, in der durch das Andenken von Ezechiel, Daniel und Esra geheiligten Synagoge werde für das Wohl der Glaubens- genossen gebetet4). Diese, durch den Handel reich geworden, könnten allerdings nicht, wie die Glaubensgensgenossen am Sitz der Hochschulen, sich ausschließlich der Thora widmen, sondern nur so weit, als es sich ermöglichen lasse, wie es auch die Deutung der Weisen im Sifre zu "prr jibdki Deut, 11, 14 ausführe5). Wenn dieses wenige Studium aber Be- stand haben sollte, müßten sie durch Anfragen bei der Hochschule Belehrung nachsuchen6). So wie, nach der Deu- tung unserer Weisen zu Deut. 33, 18, der handelsbeflissene Sebulun für Isachar, den Bewohner des Lehrhauses zu sorgen hatte, so hätten sie dieselbe Pflicht gegenüber den Jeschiboth7). Weiterer Mahnungen wolle der Gaon sich enthalten, um ihnen und sich Unannehmlichkeiten zu er- sparen; zudem seien sie ihm so lieb, wie er sich selbst8).

») Vgl. S. 122, 30—31: cnr!28> BflK fM pK HD1D QWW1 lpO«n

pxtp iiPBN ik an« B"6vu o-'onn . . . rew ns Drtpwi njnn ma n*

IX "11 M 1DJ nip^BD D3T3.

2) Vgl. S. 123, Z. 32—34.

») Vgl. a. a. O., Z. 39—41.

*) Vgl. a. a. O., Z. 44 fgg.

ß) Vgl. a. a. O., Z. 48 fgg., beginnend mit: ornB>}?5 Wrw anxi. Vgl. ferner Z. 50: T\bW2 *h* D^Tl «IX pXl.

») Sicher ist dies der Sinn der Stelle a. a. O. Z. 50—51: Rffll i:nxc vmbi bi*vh . . . teu dsh-o o«pn^ w».

') Vgl. S. 124, 63 fgg.; zur Deutung der Bibelstelle vgl. Be- reschith Rabba c. 72.

») Vgl. a. a. O. Z. 68—69, und besonders die Worte: UU» '3 •ob cairn ort«.

30»

463 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Darum sollten sie seinen dringenden Bitten Gehör geben1), einander in der Pflicht der Unterstützung der Hochschule bestärken und, in Beherzigung dieser Mahnung, des Stolzes Israels, der Jeschiba, und »der vier Ellen der Halacha, die Gott allein in der Welt habe«2), sich erbarmen.

Es entspricht nun den berechtigten, zeitweiligen Klagen über die Vernachlässigung der pumbaditanischen Hochschule, wenn andererseits die ihr durch einen Gönner mit Rat und Tat erwiesene Unterstützung in beredten Worten gepriesen wird. Ein solcher Mäcen war der wegen seiner Hilfsbereit- schaft mit dem Titel eines Alluf ausgezeichnete Jacob ben Joseph ^ 2 1 y aus Egypten, für den Ha; in seiner Eigenschaft als Ab bet-Din in arabischer Sprache ein methodologisches Werk über den Talmud verfaßt hat3). Der genannte Wohltäter besuchte auch die Akademie, und sein Weggang wurde wie der eines teuren Mitgliedes be- dauert, denn »Gott habe ihn, gleich Joseph, zur Rettung gesandt«, auch seien ihm Verordnungen zu Gunsten der Hochschule zu verdanken4).

Wenn nun, wie wir gesehen haben, die Lage der pumbaditanischen Hochschule eine mißliche war, so darf uns die Not der schon vor Saadjas Zeit innerlich stark er- schütterten Schwesteranstalt zu Sura, die ja ehemals sogar das Primat hatte, gewiß nicht Wunder nehmen. Von Seiten dieser liegt uns nur ein von Samuel ben Hofni nach Kai- ruän gerichtetes Schreiben vor5), das aber für die Verhält-

l) Vgl. hierzu und zum Folgenden a. a. O., Z. 73 fgg.

*) Vgl. hierzu die Parallelstelle in Nr. XLV, S. 121, 17 fgg. Vgl. auch Babli Beracholh 8a.

*) Vgl. über ihn Steinschneider in ZHB. VI, S. 158, Poznanski in Hakedem II, S 103, Marx in ZHB. XIII, S. 72 und in JQR. New Series I, S. 100—101. Siehe auch noch weiter unten.

*) Vgl. besonders Marx in ZHB. a. a. O. : ,Tn Q"0 im« 'S

r,vhz>h cr,b jv.nnbi pxa rvnKtr cnb eib>? e.t:b^ ip6b> oTitan rwwa

*) Veröffentlicht von Margoliouth in JQR. XIV, S. 307 fgg.

Eeiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 469

nisse der suranischen Hochschule selbst und ihre Bezie- hungen zu Pumbadita sehr aufschlußreich ist. Es ist ja bekannt, daß nach Saadja's Tod schon aus Mangel an ge- eigneten Gelehrten die alte Lehrstätte von Sura als Gao- natssitz nicht mehr in Betracht kam. Noch 987, bei Ab- fassung seines berühmten Sendschreibens über die Träger der Tradition, berichtet Scherira: srirna mn xb »an inai K*ona Rnaa, resp.j *M*no R*cna «noa »o*b «firm tri1). Es ist wohl noch dort eine Anzahl Gelehrter vorhanden gewesen, die, gewissermaßen in privater Tätigkeit, den Jüngern das Talmudstudium vermittelten, aber die eigentliche Akademie als sogenannte nbb)3 KÄTflO scheint zeitweise aufgehoben gewesen zu sein. Auch v/ohl noch zu der Zeit, als schon Hai die Würde eines Ab beth-Din bekleidete und selbständige Ent- scheidungen traf, gab es in Sura selbst noch keinen Gaon, sondern das von einigen suranischen Gelehrten zur schein- baren Aufrechterhaltung der früheren Jeschiba gewählte Oberhaupt hielt sich in Basra auf, wohin, nach Scherira's Bericht, sich schon Jacob ben Joseph bar Satia zurückgezogen hatte2). Wir wissen dies nämlich aus der uns noch erhal- xenen Überschrift einer Reihe von Responsen8), die uns meldet, daß ehemalige Schüler Hai's von Basra aus, wo sie im Bereich des suranischen Resch-Metibta sich aufhielten, an ihn Anfragen aus dem Gebiet des bei ihm durchge- nommenen Tractats richteten4).

Gegen Ende von Scherira's Gaonat mag eine Be- wegung entstanden sein, Sura wieder selbständig zu ma- chen, und Samuel ben Hofni, ein Enkel von Kohen-Zedek, dessen Familie mit der durch ihre Ahnenreihe von Geonim zu der Würde mehr berechtigten des Scherira rivalisierte,

') Vgl. ed. Neubauer, S. 40 und ebendort Note 9.

2> Vgl. ed. Neubauer, S. 40.

»} Vgl. Oinzberg Geonlca II, S. 71 (JQR. XVIII, S. 442).

*) Vgl. a. a. O. Z. 7 fg. tot "oVi r.-cx'-r, msaft je niA»

■r nyc wm min ni'rz am.

470 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischea Zeitalter

wurde Oberhaupt der von Neuem errichteten Schule von Sura1), die also aus ihrer eigenen Mitte entweder keinen geeigneten Vertreter mehr stellen konnte, oder aber auch in der scheinbaren Selbständigkeit ganz abhängig war von der einst mit ihr nicht vollständig gleichberechtigten pum- baditanischen Jeschiba. Nur so ist es auch zu verstehen, daß dasjenige, was an Spenden einging, von Scherira zum größeren Teil für Pumbadita beansprucht wurde, im All- gemeinen aber die auswärtigen Gemeinden, die wohl über die Verhältnisse in Sura im Unklaren waren, Samuel nicht die richtige Anerkennung zollten2) und darum mit ihren Geldbeiträgen sehr zurückhielten. Erst kurz vor dem Tode Scherira's kam ein Ausgleich zustande, dahingehend, daß fortan die ohne nähere Bestimmung eingehenden Gelder je zur Hälfte für Sura und Pumbadita verwendet werden sollten. Seine Krönung fand dieses Übereinkommen da- durch, daß Hai eine Tochter Samuel's zur Gattin ver- mutlich in zweiter Ehe nahm8).

In seinem Schreiben bemerkt nun Samuel ben Chofni, daß er den Bevollmächtigten und Inkassanten der Hoch- schule in Kairuän, Joseph ben Berechja, in diesem Sinne geschrieben habe, der auf seine Bitten hin dazu ernannt

i) Vg!. Harkavy in D^P1 D31 a*B>in No. 7 (Beigabe zu Rabbinowitz SniP1 'D1 '13*1 IV), S. 9. Indessen ist aus den Worten des in JQR. XIV S. 308 veröffentlichten Fragments zu entnehmen, daß noch vor Scherira's Tod die Wiederaufrichtung Sura's mit Samuel b. Hofni erfolgte.

J) Dies geht aus den Worten ain Eingang des genannten Fragmenis hervor: <:pn DUtfBi :tB3ri3 uce b"h: px rrrpn r:rB>\- ^na \sr-s» 'd 't^lth B*3TJ*TO *:cy rPBSni na^Vl, ein Selbstlob, das nur in diesem Sinne verstanden werden kann. (Vgl. auch in den Nachträgen).

8) Vgl. a. a. O. : KT1B* 3T1B p31 1W3 11BJ Ülbv !WJW "2 S]X1

n,yi W3 |nnm sin ijjö lnasasr ";r pxa bjji b*w3 wb»bk bib m pw nn« hz zv2 nutaii mmn *ja *a bubi ubvs bwji wa lana*-' uns na*v,n "örn roBTM *n crc w ib*ki idj? tuo pm iB3Q}°j 'S wr ubb i;;nn? Wim üS B«5ttl SPpl'jn Wl\ Auch aus den letzten Worten ist zu entnehmen, daß die auswärtigen Gemeinden noch immer an eine Einheit der beiden Jeschiboth dachten.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 471

worden sei. Er ersucht den Adressaten des Briefes, jenen zu bestimmen, daß er keineswegs von anderen Einflüssen sich leiten lassen solle, da er durchaus die Wahrheit ge- schrieben habe. Weil nun manche Willkür seitens Unbe- fugter zu befürchten sei, sollten die Gemeinden nicht jedem beliebigen Bittsteller Gehör geben, sondern entweder für den Gaon selbst persönlich bestimmte Spenden oder solche für die Jeschiba im Allgemeinen schicken. In letzterem Falle wäre es das Beste, bald am Aufgabeort je eine Hälfte für das Oberhaupt und die Kollegialmitglieder festzusetzen, damit jeder Streit vermieden werde. Er habe ferner gehört, daß der heimgegangene Wohltäter1) einem Mitgliede des Collegiums 150 Drachmen gesandt habe, die aber wohl eigentlich für alle Gelehrten bestimmt waren. Wenn weiter keine Bestimmung darüber getroffen würde, dürfte vielleicht der Betreffende es sich selbst aneignen wollen. Er müsse aber darüber vor Gott und den Gemeinden klagen : sollte ein einziger durch eine so große Summe reich werden, während hundert andere das Brot der Armut essen müßten? Gewiß wollten die Kairuäner einer falschen Ausstreuung, durch die den Würdigen ihr Blut gleichsam vergossen und Geldschäden zugefügt wird, nicht Vorschub leisten^. Darum sollten sie alsbald den Alluf Jjseph, Sohn des heimge- gangenen Jacob, in Egypten über die Sachlage aufklären.

*

Wir gewinnen aus diesen interessanten Schriftstücken einen Einblick einerseits in den beklagenswerten materiellen Zustand der Hochschulen, und andrerseits in die bereits damals nicht zu unterschätzende Bedeutung der auswärtigen

') Das ist wohl sicher Joseph b2ij> in Egypten, dessen Sohn Jakob bereits oben erwähnt wurde, und der weiter unten am Ende des Schreibens genannt wird.

2) rrtrtm 'p "3jn th« tb>jp kih Shj poo m '3 ds^ki p?» '- ^ki W3JJD 3T5 K#B21 CD"12 X2D D3^. Das letztere Wort ist mir nicht recht verständlich. Die Wendung c-D"!2 K2B ist eine feine Variierung von I Sam. 25, 26 auf das neuhebr. ron >Geld«.

472 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Lehrhäuser. Nirgends aber wird von diesen als direkten Gründungen der babylonischen Jeschiba's gesprochen; der Vergleich zwischen den ersteren und den von den verschiedenen Tannaim geleiteten Schulen spricht bereits genug davon, daß sie sich also mit den Akademieen in Babylonien gleichberechtigt fühlen durften und verstärkt somit das von uns soeben hervorgehobene argumentum ex silentio. Somit ist das Problem zunächst für Pumbadita, von wo Kaufmann die vier Gelehrten abstammen lassen will1), erledigt. Aber auch für ihre Herkunft von Sura ist nun jede Unterlage entzogen, da, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, diese Hoch- schule als solche gar nicht mehr in Betracht kam, indem sie zeitweise mit der von Pumbadita vereinigt war. Die Behauptung von Graetz2), daß Saadja's Nachfolger Joseph ben Jacob bar Satia die Sendboten ausgesandt habe, um der Verarmung seiner Jeschiba zu steuern3), erledigt sich durch die Erwägungen, dsß erstens Scherira ausdrücklich als Grund für das Eingehen der Hochschule von Sura nicht Mangel an Geld, sondern die vollständige Zurückdrängung durch Ahron Ibn Sargädu angibt, und zweitens, daß, wenn daselbst vier so hochgelehrte Männer vorhanden gewesen wären, doch, wie Halevy bemerkt4), einer von ihnen die Führung hätte übernehmen müssen, da er dem pumbadita- nischen Gaon gegenüber wohl auch sein Wort zur Geltung hätte bringen können5).

') Vgl. Magazin V, S. 70 u. auch in der Besprechung von Qü- demanns Gesch. des Erziehungswesens etc. in Italien, GGA. 1387 (Ges. Sehr. II, S. 227).

*) A. a. O. S. 471.

*) Ed. Neubauer a. a. O.

*) Vgl. Doroth Harischonim III, S. 291.

B) Scherira a. a. O. bemerkt nämüch in diesem Sinne vor; Jo- seph bar Satia, daß p«3 ^riiX "1 ,TVD I^M HB proiB TjÄ MV! K^l

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 473-

2. Schema rja ben Elchanan und sein Sohn Elch a n an.

In den bisher besprochenen Senschreiben begegnen wir bereits zweimal dem Namen R. Schemarja's1). Es fällt nun besonders ins Gewicht, daß Scherira von ihm wiederholt als dem b'KKffl vaKii inan {ptn2) spricht, und einmal auch in diesem Zusammenhang des ihm unter- stehenden yiap tsrns, also eines beständigen Lehrhauses, gedacht wird, in dem Schüler lernten3). Hieraus ergiebt sich nun zunächst für unseren Gelehrten eine genauere, spätere Zeit, als die von Graetz angenommene, da er eben Zeit- genosse von Scherira und Hat war. Schemarja entstammte jedenfalls einer in Egypten schon ansäßigen Familie, da auch sein Vater Elchanan als »snn 3in, also als Vor- sitzender eines Schulhauses, genannt wird4). Der Einwand von Graetz, daß außerhalb Babyloniens keine bedeutenden Gelehrten waren, erledigt sich betreffs Egyptens durch die Erwägung, daß, ebensowenig wie Saadja's Leistungen auf dem Boden dieses Landes ohne ein größeres geistiges Milieu denkbar sind5), so auch andererseits der von diesem großen Mann durch Unterricht an wißbegierige Jünglinge ausgestreute Same der Belehrung6) unmöglich so schnell, ohne eine dauernde Nachwirkung zu hinterlassen, verweht worden sein kann. Als ein, vielleicht allerdings zu äußer- liches Moment für die egyptische Abstammung könnte aber

') Vgl. Saadyana, S. 119, wo die Lücke in Z. 16 wolil mit Sche- marja's Namen zu ergänzen ist, u. S. 124, Z. 85. ») Vgl. a. a. O., S. 119, 17 u. 124, 85. 3) Vgl. a. a. O., S. 119, 84. *) So unterzeichnet Schemarja's Sohn, Elchanan, in einem Brief:

p b*w* bs bv pn rra am mw [2 ijnr bs bv v»n »so \xnb*

mm 3V1 pH1;«; vgl. Worman, Terms of Adreß in Genizah Letters, ia JQR. XIX, S. 729.

») Vgl. hierüber Monatsschrift 1910, S. 191-192.

•) Vgl. a. a. O., S. 315.

474 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäisctien Zeitalter

der Name nnDW selbst, in seiner Bildung an myc erinnernd, angesehen werden1).

Zu beachten ist nun besonders das Verhältnis von R'Schemarja zu den Geonim. Er stand mit ihnen jedenfalls in Verbindung, wenn uns auch nicht direkte Bescheide von diesen an ihn vorliegen. Aber, so wie Saadja, behufs Ver- vollkommnung seiner Kenntnisse die Hochschule in Sura aufsuchte, hat auch Schemarja in der einzigen, damals zu Pumbadita bestehenden, geweilt, um sein Wissen zu ver- tiefen. Es liegt uns hierüber auch ein Dokument vor in einem, leider lücken- und fehlerhaft enthaltenen Schreiben Hais, dessen Autenthie allerdings angefochten wurde. Dieses von Neubauer zuerst veröffentlichte Fragment2) ist an einen Alluf3) gerichtet und spricht in einem sehr ge- tragenen, fast durchwegs musivischen Stil, nach einem Preis von Gottes Gnade, von dem Adressaten als von einem Lichte, das den ihm folgenden den Weg erhellen kann, und als von einem unerschöpflichen Quell, dessen Wasser er- quickend wirkt5). Es wird von ihm ferner gesagt, daß er einen Baum des Lebens in Mitten seines Volkes gepflanzt; auf seinen Sohn soll er auch ferner achten, da auch er zur köstlichen Frucht heranreifen werde6). Dann wird mit- geteilt, daß die Sendung des vertrauten Freundes und

•) Vgl. auch die Ausführungen Halevy's a. a. O. S. 290 über die gegen eine babylonische Abstammung zeugende Form der Namen der vier Gelehrten.

*) Vgl. JQR. VI, S. 222—223.

') Vgl den auch verstümmelten Anfang: "ppjjc ^~;:2^~2,, f\\b*.

*) Vgl. a. a. O. irs'rm -iik rwu 121 . . uv&m vb ntrm ii«n

6) Vgl. a. a. O. "O . . . itd'j? wnh b*kdx mpvnb njpa m pjfo

«) Vgl. a. a. o. 2i;n uijn [iv mb nrx -]03?3 nyt)3 m o^n ?v ■rhy -prj? cjp *p rixo« |2 Sjn . . . by» vskd r.n'nnh vrVjfl ^skoS nwun1? vvhyi bswah ric -\r.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 475

Bundesgenossen, der auch in inniger Liebe an den Adres- saten hängt, R'Jacob, richtig eingegangen sei1). Nach einigen, infolge einer Lücke nicht ganz genau festzustel- lenden Ausführungen, die, unter anderem, Segenswünsche für den Empfänger enthalten, wird Kenntnis genommen von der Hervorhebung des ausgezeichneten Lehrers R'Schemarja, des KjHTü mw wm, der hauptsächlich an dieser Verordnung beteiligt war2). Der Schreiber be- merkt, daß er selbst bisher, wie irgend ein anderer, die Vorzüge dieses Löwen unter seinen Genossen, pnuna» *ik, seine wunderbare Weisheit und seinen eindringenden Ver- stand kenne, der sich in seinen Fragen, Antworten und Lösungen kundgebe8). Deswegen habe ihn auch der Gaon seiner Zeit zum miPö4) und zum Haupt der großen Reihe unter den drei Reihen der Jeschiba ernannt5). Auch Schemarja's einziger Sohn Elchanan, der bei ihnen gleichsam großgezogen worden sei6), stehe bei ihm in großem An- sehen, weswegen er mit einigen anderen seiner Genossen die Semicha erhalten habe. Schon jetzt, am Beginn seiner Laufbahn, zeigt jeder Brief und jede Anfrage von ihm einen

!) ^jtoi i:tc b>w mtt rmbvti yn nyS vr rp^K nSir law apjp x:mi '-»o wy ncno insnKs nocn 13 penn nmx uivia.

2) »jm-a rmw> cxn mctr n uarr* ww p-2112 y\ hv '.mva J1K1 "lipro tPmn X'n '3% Es ist bemerkenswert, daß hier Hai dem R. Schemarja die Bezeichnung pH31ü 31 beilegt, während Scherira in Saadyana, S. 125, 32 als solchen nur den Gaon gelten lassen will.

3) y»svTJH ppnw vwtpi vnwan mni wntun futtoa ijjijhi vmbvt rona ■wv nnwa inai [JQR. a. a o. rjtmw].

*) Dieses Wort ist wohl M3®Ö zu lesen, und will besagen, daß Schemarja Hauslehrer und Liturg beim Gaon war und somit eine mehr familiäre Stellung bekleidete. Denn der Ausdruck -Jtro = "OB* war nun in der palästinensischen Schule üblich, und die hiermit gleichbedeutende Würde eines pn JV3 hat ja Hat inae gehabt.

B) Vgl. hierüber Monatsschrift 1908, S. 342, Poznanski in Ha- Jcedem II, S. 93, jedoch dagegen Marx in ZHB. XIII, 72 und Ginz- fcerg, Geonica I, S. 207.

•) WWfl vhwi RV!.

476 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeifa!*-

Fortschritt, sodaß von ihm in späteren Jahren noch v e mehr zu erwarten sei l).

Dieses interessante Schriftstück ist sicher an den wiederholt als Alluf bezeichneten Jacob ben Nissim in Kairuän gerichtet2), und seine besondere Lobpreisung s-.eht im Einklang mit der ihm von den Geonim beigelegten Be- zeichnung 1:2*? tswa8). Der hier erwähnte Sohn des Adres- saten ist der nachmals so berühmt gewordene R'Nissim, während der hier als vertrauter Freund und Bundesgenosse genannte R'Jacob, dessen Sendung der Empfänger dieses Schreibens den Hai übermittelt hat, kein anderer sein kann, als der bereits erwähnte Jacob ben Joseph brv, den der Gacn wiederholt so nennt4), und an den auch wieder um cer Gacn einen Brief von Jacob ben Nissim gesandt hat. Auch in diesem handelte es sich, nach dem Zusammenhang zu urteilen, um eine Tekana zugunsten der Hochschule 5). Von einer solchen, bei der auch Sehern ar ja in erster Reihe mitgewirkt, wird auch hier gesprochen. Zu rti mag er durch ein von Scherira nach allen westlichen Ländern gerichtetes, dringendes Schreiben angeregt worden sein6). Die in dem Schreiben angewendeten Lobeserhebun-

») BTtteai mina djj mt bs iwivmn fo msits nvsv rntow bn coxjn cai by PfTjrn sj^i"1 yv roiiaa*? ppr '3 w».

2) Vgl. auch den Schluß, S. 223: bv IflJHa BM3B> JOS V a«i

k\- i:cj?o xh mano wb rwia iwkö pj*4?«.

») Vgl. Harkavy, T'schuboth ha-Oeonim Nr. 549, S. 270,

4) Vgl. Marx a. a. O. x:2Tl Kilo IJJVD B"X «TT 13*1333 "I^SX

nzb '12» r*oi' '3"n no p vuwi 13338*0 Witt" j^k apj>\ Da in un- serem Fragment von zwei verschiedenen Männern die Rede ist, so kann der zuletzt als » Vertrauter« genannte R. Jakob nicht Jakob be~ Nissim sein, sondern nur Jakob b^y.

*) Vgl. a. a. o. v*ram tittn mpnn vn imi nx n ■pjrna *a

Wjm X^l 1B,,J |3 fD1?"! . . Vgl. auch Marx in JQR., New Series, a. a. O. 6) Vgl. Saadyana Nr. XLV, S. 119, 16 fgg: H3HK3 B3Wn3*fl "itfK3i

•vosn bs mos (?) ona wo»n mao px 'ran ^«w^ t i::rn nan [3

^"SXill T3Kfl VIKfl 3"V1 fp'" nx, woraus auf ein energisches Mahn- schreiben zu schließen ist. Zum Ausdruck TS'lPl vgl. I Chron. IS, 3.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im geonäischen Zeitalter. 477

gen pflegten die Geonim aber nur au s wärt ige on9_ Jehrten oder Mäcenen zu widmen, und die darin erwähnten Ehrenstellungen hat man Schemarja bei seinem Aufenthalt in Pumbadita, wie seiner Zeit Saadja in Sura1), verliehen.

Die von uns angeführten Berührungen des Fragments mit dem auf Jacob *?2iy bezüglichen, lassen uns dessen Echtheit gegenüber den Ausführungen Halevys8) als ge- sichert erscheinen. Denn die von diesem als Gegenbeweis angeführte Weitläufigkeit der Sprache und Häufung von Ehrentiteln finden wir fast durchgehends in den von uns behandelten Sendschreiben Scherira's und Hat's, wie auch am Schluß von Responsen3). Aus diesen beiden miteinander zusammenhängenden Schriftstücken ersehen wir aber auch, caß ein inniger Zusammenhang betreffs des gemeinsamen Verhältnisses zu den babylonischen Hochschulen zwischen Kairuän und Egypten bestand4).

Aber auch zu der in seiner Zeit mehr an Bedeutung gewinnenden palästinenischen Hochschule stand Schemarja in Verbindung, wie aus der Über- und Unterschrift eines an ihn von mirmtp 'tr^tpn hws&& gerichteten Briefes ersicht- lich ist, in dem er genannt wird msw ro»* Tairon nvmn am mpn niw bMin ain pnbx i p D'Ton rotfw6).

») Vgl. Monatsschrift 1910, S. 459.

2) Vgl. a. a. O. S. 299, wo er es gar in die maimonidische Zeit verlegen will.

3) Vgl. z. B. die Lobeserhebungen auf den Resch Kalla Jehuda in Kaiman in Harkavy, Resp. der Geonim, Nr. 442, S. 234—235.

*) Vgl. ar.ch Poznanski in Hakedem II, S. 103. 5) Vgl. Worman in JQR. XIX, S. 729, Nr. XXI und ebendort Anra. 3.

(Fortsetzung folgt.)

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

Von H. Tykoelnski.

R. Isaak b. Mose bietet uns in seinem Werke Or Sarua, wie kein andrer seiner Zeitgenossen, eine Fülle von Nachrichten über jüdische Gelehrte seiner Zeit und der Vergangenheit. Auch für die Geschichte der Sitten und Ge- bräuche ist er uns eine unschätzbare Fundgrube. Zur bessern Verwertung seiner Nachrichten ist es von großer Wichtigkeit, genauer festzustellen, wann er gelebt und gewirkt hat.

Über seine Lebenszelt schwanken noch sehr die An- sichten. Zunz läßt ihn, wie es scheint, bis 1260 leben1), H. Groß zwischen 1200 und 12702), H. Vogelstein zwischen 1190 und 12603) und J. Wellesz zwischen 1185 und 1255*)-. Eine eingehende Untersuchung über diesen Punkt wird sicher nicht überflüssig sein.

Einige wenige sichere Daten für die Bestimmung seines Zeitalters bietet 10S. (= Isaak Or Sarua) in seinem eignen Werke. In dem Abschnitt Ab. Sara erzählt er von einer Ketubba, über deren Gültigkeit er befragt worden ist, weil im Datum die Jahrtausende nicht klar angegeben waren. Er meint dabei, daß man ja doch nur vier Jahrtausende darunter verstehen könne, das fünfte Jahrtausend nach Erschaffung der Welt hätte ja damals sein Ende noch nicht

') Steinschneider, Hebr. Bibliogr. 1865, S. 2.

2) MS. 1871, S. 251 g. unt. Ihm folgen M. Schloesinger (Jew. Encykl. VI, S. 627 a) u. S. N. Bernstein (ha-Zefira 1902, Nr. 229 u. 232).

5) MS. 1905, S. 701 unt., 703 unt.

*) Wellesz, Jahrb. d. jüd.-liter. Gesellsch. 1906. S. 116 unt.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 479-

erreicht; d. h. es war spätestens 12391). An derselben Stelle nennt der Verfasser das Jahr, in dem er das schrieb, aus- drücklich 12462). Ferner kennen wir ein Schreiben des R. Abigedor ha-Kohen an IOS., in dem dieser um ein Gut- achten wegen einer am 4. November 1239 vollzogenen Trauung gebeten wird3). Ein weiteres Schreiben enthält ein Gutachten des IOS. über die Angelegenheit der während der Juden- verfolgung in Frankfurt zur Taufe gezwungenen Braut4): Diese Verfolgung war im Jahre 12415).

Wir besitzen also sichere Daten für die literarische Tätigkeit des IOS. während der Jahre 1239—1246. Nun wissen wir aber, daß seine Wirksamkeit als Gelehrter einen weit größern Zeitraum umfaßte. Er selbst erzähit uns in dem Traktate Gittin, daß er ungefähr 30 Jahre zuvor in einem Zivilprozeß als Richter gesessen hätte6). Daraus er- sehen wir zugleich, daß er nicht in jungen Jahren gestorben sein konnte. Das ergibt sich auch daraus, daß seine Enkelin bei seinen Lebzeiten in heiratsfähigem Alter stand7), Die Frage ist nun die, ob die Jahre 1239 bis 1246 sich am Anfange oder am Ende seiner Laufbahn befinden.

') ar.Di . . . »nsrm . . njm« a^ni dms^k n;p ariai ibidm nyov- D-ef» njD"wa im1 ser^i bwn a-c^s nyanx tb» yetrc csSx : IOS. IV, S. 32 b, Nr. 107.

*j '»tp.i ?\bxh w rt;»a fra^pi n:vn na loa ebd. s. 32b unt.

3) nx-na1: a's'rx nit'on rutp vhü3 n*v5 o-ir !WB>a nae>a *tr??3 üb'.}} : IOS. I, S. 208 b, Nr. 745.

*) IOS. I, S. 213 a, Nr. 747.

ä) Aronius, Regesten Nr. 529.

u) Sy p'.xn \$vv \tytvb [3i»"i pa ra t«,-:» mv Wiva nr- •rrzvwib anac «mte Ta -*? wnhw Tna ^ ruo pjhjv: I, S. 199b M.

-') I, S. 214 b unt. Nr. 750. Der von MR. (= Rga. Meir a. Rotenburg), ed. Crem. Nr. 7, als hoher Greis bezeichnete Isaak ist nicht, wie Groß (MS. 1871, S. 251 unt.) u. H. Vogelstein (MS. 19C5, S. 703 ob.) annehmen, unser IOS., sondern wahrscheinlich derselbe, an den er die Responsa Nr. 53, 93 u. 114 in der ed. Crem, richtet u. den er ■'jHVöi »Bl^H nennt. Is. b. Mose gegenüber hätte sich Meir in der Unterschrift gewiß als seinen Schüler und nicht als seinen

480 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

Berücksichtigen wir, daß sein Lehrer R. Simcha b. Samuel, der im 4. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts gestorben sein muß1), ihn in der Regel als seinen Kollegen anredet2), so dürfte Isaak nicht viel jünger gewesen sein als sein Lehrer. Erwägen wir auch, daß er R. Jehuda den Frommen, der 1217 gestorben ist3), oft ausdrücklich als seinen Lehrer bezeichnet4), so gelangen wir zu dem Ergebnis, daß seine Lehrjahre in die Zeit vor 1217 zurückreichen. Fernere Er- wägungen führen uns zur Überzeugung, daß IOS. die Ab- fassung seines Werkes zwar nach dem Tode Jehudas des Frommen, aber doch noch bei Lebzeiten seines 1224 verstor- benen Lehrers R. Jehuda b. Isaak5) begonnen hat. Während er Jeh. d. Fr. stets als verstorben erwähnt4), bezeichnet er Jeh. b. 1s. in den ersten Abschnitten des 1. Teils seines Werkes oft ausdrücklich als lebend6).

Andre Gründe veranlassen uns, die Wirksamkeit Isaaks als Rabbiner noch früher beginnen zu lassen. R. Joel b. Isaak, der um 1200 gestorben sein dürfte7), beruft sich in seinem Briefwechsel mit R. Ephraim b. Isaak auf die Ansicht des Isaak Chasan in Böhmen, die ihm der Rabbiner Isaak b. Mose mündlich mitgeteilt hat8). Nicht im Widerspruche damit steht es, wenn IOS. während des Unterrichtes bei seinem Lehrer Elieser, sich auf den erwähnten Briefwechsel

Freund "jaVUC bezeichnet. Unter den Respondenten des Meir gibt es übrigens noch zwei andere Gelehrte namens Isaak: ed. Crem. Nr. 21 u. 190.

') Siehe weiter unt. S. 487.

•) IOS. I, Nr. 759, 760, 761, 763.

e) Groß MS. 1871, S. 252, Anm. 2.

*) I, S. 22 a, Nr. 11, S. 41 a, Nr. 114, S. 109 b, Nr. 399 u. an vielen andern Orten.

6) Sal. Lurja, Rga. Nr. 29.

6) Siehe weiter unt. S. 434.

7) Groß MS. 1885, S. 370 unt.

Jtn nrraa prttP "\ nm: IOS. I, S. H7b ob.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 481

i wischen Joe! und Ephraim bezieht1). Daraus geht nur hervor, daß er erst nach seinem Gespräche mit Joel und nach dessen Briefwechsel mit Ephraim b. Isaak den Unterricht üei Elieser b. Joel genossen hat. Wenn er von Joel Rabbiner genannt wird, so besagt das, daß er schon zur Zeit des Briefwechseis zwischen ihm und Ephraim, also spätestens im Jahre 1200, noch bevor er die Schule Eliesers besucht hatte, das erforderliche Alter und auch das genügende Maß von Wissen besaß, das ihn des Titels würdig machte*). Daß IOS mit Joel persönlich verkehrt hat, ist wohl auch daraus zu entnehmen, daß er ihn zweimal seinen Lehrer nennt8). Sein eigentlicher Lehrer war er nicht, da er ihn sonst nir- gends als solchen bezeichnet, er wird wohl nur gelegent- lich von ihm eine Belehrung empfangen haben.

Wir besitzen sogar von IOS. ein Gutachten, das als Zeugnis seiner frühesten gelehrten Tätigkeit in das 1. Jahr des 13. Jahrhunderts hinaufreicht. Das Gutachten betrifft die Aussage eines NichtJuden, der ungefragt bezeugt, einen ihm bekannten toten Juden im Wasser schwimmend ge- sehen zu haben, und Isaak erklärt die Frau für berechtigt, sich wieder zu verheiraten4). Dieser Fall ist ohne Zweifel derselbe, über den Simcha b. Samuel und Elieser b. Joel ihre

*) I, S. 118 a ganz ob.

2) Die gewöhnliche Annahme, daß Ephraim b. Isaak schon 1175 gestorben sei (Groß in MS. 1885, S. 310 unt., Michael, Or ba- Chajjim Nr. 511, S. 248, Freimann in MS. 1909, S. 596) ist allerdings nach dieser Ausführung nicht aufrecht zu halten. Zakuto, auf den man sich beruft, ist für eine so frühe Zeit wenig zuverlässig. Übrigens gibt die betreffende Stelle (Juchasin, ed. London, S. 218) nur das Jahr 1 175 an, ohne zu sagen, daß Ephr. in diesem Jahre gestorben wäre.

3) IOS. I, S. 18 a, Nr. 30; II, S. 175 b, Mitte, Nr. 428. Aller- dings kann hier "TIO eine Abkürzung von Ullö sein.

4) CO" rp s]it "-'s")» D'boü D"i3)j w täihto pT;n nn s'k h^i r\::"i ab nj?- DWffil ny d5ä n-om tidj irni pv ryatts lhivam jrtsyrrt rann wk "k "o-ra pspsb pm ijwk wirrt >rt rahi . . -or ■rtn xxo: ttta tapaa nun bv m -raa caarrto nn^rt ^ miidi \wvt] nma kjtdj mm pexa narrte! cpo wm imhjo: i s. 196 a, Nr. 695.

Monatsschrift. 65. Jahrgang. Jl

482 Lebenszeit und Heimat des lsaak Or Sarua.

Gutachten abgeben, und wo es sich um die Ermordung des Alexander bei der Festung Sayn am Rhein handelt1). Für die Identität der beiden Fälle spricht die Örtlichkeit. und die Jahreszeit. IOS. spricht nämlich von einer Zeit, die weder heiß noch kalt war, und der Fall des Alexander ereignete sich kurz vor dem Laubhüttenfest2). Beide Fälie geschehen zur Kriegszeit am Rhein. Nun wissen wir aber, daß Alexander zur Zeit des zweiten Feldzuges Königs Philipp von Schwaben nach dem Niederrhein gegen König Otto IV. ermordet wurde. Das mußte also im Jahre 1199, wohl im Monat September geschehen sein3). Das Gut- achten des Elieser b. Joel, das etwa anderthalb Jahre darauf abgegeben worden ist, stammt somit aus dem Jahre 1201. und in dasselbe Jahr gehört auch ohne Zweifel das den- selben Fall behandelnde Gutachten des IOS. Wenn er aber schon 1201 ein solches Ansehen genoß, so müssen wir sein Geburtsjahr in die Zeit vor 1180 setzen.

Zu demselben Schluß führt uns auch eine andere Erwägung: IOS. nennt R. Isaak b. Mordechai in dem zweiten Teil seines Buches, wo er nur viermal erwähnt wird, dreimal und im dritten Teil einmal seinen Lehrer*!. Allerdings bringt er niemals eine mündliche Mitteilung von ihm, er bezeichnet ihn auch sonst, obwohl er ihn sehr oft

J) nmn rnr [xr%T] (ktbi) ~^;s- um ivi unm mjDab* *a*i T/TonWipn 'ipnrotaa i-rra-pa nontan nrna \ti [wn] (ktbib) iv paiSeipS 'rrv tr-:,irv iban na mhv ijn vtbvv: -.-: bv cd^'i

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IOS. I, S. 194, Nr. 693. Siehe auch S. 208 a unt.

2) Ebd. S. 195b M.

s) Ed. Winkelmann, : Philipp v. Schwaben u. Otto IV. Bd. I, S. 146 unt.

*) II, S. 9 Nr. 16 Schluß, Nr. 257 S. 120b Mitte, Nr. 432 S. 173a unt.; III, Kamma, S. 62a M. Nr. 413.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 483

anführt, als »unsern Lehrer*1). Offenbar genoß er in seiner Kindheit wirklich kurze Zeit Unterricht bei ihm. Er zählte ihn jedoch nicht zu seinen Hauptlehrern, wie Jehuda b. Isaak, Elieser b. Joe! und Simcha, deren Jünger er in reifem Alter war, und die daher einen entscheidenden Einfluß auf seinen Geist hatten. Deshalb nennt er ihn später bloß »unser Lehrer.« Jedenfalls haben wir keinen Grund zu bezweifeln, daß 10S. den Isaak b. Mordechai in seiner Kindheit gekannt hat. Von diesem aber ist uns ein Rechtsgutachten bekannt, das er in einer Streitfrage über eine nicht genau datierte, 1133 geschriebene Urkunde gemeinsam mit Mose b. Joel und gleichzeitig mit R. Tarn, 1133 oder nicht lange darnach abgegeben hat2). Er muß also damals wenigstens ein Alter von 20 Jahren erreicht haben, und wenn wir ihm auch ein noch so hohes Alter geben, um 1190 gestorben sein. IOS. wird demnach, wenn er in seinen frühesten Jahren von ihm Unterricht empfangen haben soll, schon vor 1180 geboren sein.

Haben wir nun mit großer Wahrscheinlichkeit den Beginn seiner Lebenszeit und seiner Wirksamkeit ermittelt, so er- gibt sich ohne Schwierigkeit auch der Zeitpunkt, in dem wir das Ende seiner Laufbahn voraussetzen dürfen. Wie wir oben gesehen, schrieb er noch 1246 den Traktat Ab. Sara. Dieser Abschnitt ist in seinem Werke der letzte, und wir sind auch berechtigt anzunehmen, das er zu seinen letzten Arbeiten gehört. Wir berühren damit eine in vieler Hin- sicht wichtige Frage: In welcher Reihenfolge sind die ver- schiedenen Abschnitte des Buches entstanden?

IOS. hat nach Ausarbeitung seines gesamten Werkes noch fortwährend manches nachgetragen, besonders hat er vieles aus seinem ausgedehnten Briefwechsel den betref- fenden Traktaten einverleibt. Daher kommt es, daß er mehrmals sowohl auf die spätem als auch auf die frühern

') Iran, besonders B. Batra. »; IOS. IV, S. 23 b M.

31*

484 Lebenszeil und Heimat des Isaak Or Sarua.

Abschnitte verweist1). Sehen wir aber von diesen Nach- fragen sowie auch von den wohl nach dem Tode des Ver- fassers dem ersten Teile angehängten Rechtsgutachten ab2), so sind die einzelnen Abschnitte des gesagten Werkes der Hauptsache nach in der Reihenfolge entstanden, wie sie geordnet sind.

Für den letzten Traktat Ab. Sara gibt uns IOS. selbst 1246 als Jahr der Abfassung an. Hinsichtlich der andern Abschnitte besitzen wir für die Ermittlung der ungefähren Er.tstehungszeit nur in der dem Namen der zitierten ver- storbenen Autoren beigefügten Segensformel einen An- haltspunkt. Allerdings darf man im allgemeinen derr. Vor- handensein oder Fehlen von V'j»t kein allzu großes Gewicht beilegen, da die Abschreiber wohl vieles willkürlich abge- ändert haben mögen. Wenn aber IOS. denselben Lehrer in dem einen Abschnitt regelmäßig ohne Segensformel, in dem nachfolgenden Abschnitt dagegen ebenso regelmäßig als verstorben erwähnt ; oder wenn er in demselben Ab- schnitt den einen Gelehrten stets ohne, den andern kon- sequent mit b*st anführt, so hat die Eulogie in solchem Fall eine große Bedeutung. Bei Benutzung dieses Kriteriums kommen wir zu beachtenswerten, bis auf einen gewissen Grad sichern Ergebnissen.

In dem zum ersten Teile gehörenden Traktate ßera- cnot erwähnt der Verfasser eine ganze Reihe von Gelehrten, wie Isaak b. Samuel, Simsen, Elieser a. Böhmen, Jehnia den Frommen, als verstorben. Dagegen erwähnt er darin seinen Lehrer Jehuda b. Isaak in Paris etwa vierzigmal ohne b"38T, vierzehnmal ausdrücklich als lebend8). Wenn er irot-dem

i) Wellesz MS. 1904, S. 367 M. u. Jahrb. d. jüd.-liter. Oesdlsck 1906, S. 117 unt. ff.

') I, S. 40 f., 205ff.

') I, S. 22 a Nr. 11 u. 12, S. 24 b Nr. 26 Ende, S. 26 Nr. 39 u. 43, S. 27b Nr. 49, S. 32b Nr. 79, S. 34a Nr. 85, S. 3ob Nr. 97, S. 37b Nr. 100, S. 38a Nr. 101, S. 45a Nr. 128, S. 47 a Nr. 133, S. 50 a Nr. 148, S. 51a Nr. 149. Siehe auch Wellesz MS. 1934, S. 3Ö3 ML

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 485

diesmal seinem Namen ^"3» beifügt1), so kann daran nur die Flüchtigkeit der Abschreiber schuld haben, ebenso wie da- ran, daß er auch Simcha einmal als verstorben bezeichnet, obwohl er ihn ein andersmal ausdrücklich als lebend nennt2}. De; Traktat Berachot muß daher noch vor dem Tode des Jeftuda b. Isaak, d. h. vor 1224, abgefaßt worden sein. In deir der Mischnaordnung Moed entsprechenden zweiten Tei'. wird Jehuda b. Isaak etwa zwölfmal erwähnt, darunter acht- mal mit b"ziz), Eleasara. Worms und Simcha äußerst selten zuin Teil mit, zum Teil ohne b*ST. Dagegen wird Elieser b. Joe- darin über fünfzigmal ohne die dem Toten zukommende Segensformel angeführt. Wenn er auch siebenmal als ver- storben zitiert wird, so kommt das wenig in Betracht. Der zweite Teil ist also noch bei Lebzeiten des Elieser, aber nach dem Tode des Jehuda b. Isaak entstanden. Anders ver- hält es sich mit dem 3. und 4. Teil, die der 4. Mischnaord- nung entsprechen. Im 3. Teil kommt Elieser b. Joel etwa 68, im 4, Teil etwa fünfundzwanzigmal, und mit Ausnahme eines einzigen Males stets als verstorben vor, ebenso Simcha, im Teil etwa 14, im 4. Tei! dreizehnmal, fast immer als ver- storben. Die Abfassung dieser beiden Teile ist demnach ohnt Zweifel erst nach dem Tode der beiden genannten Lefcier erfolgt.

Etwas zweifelhaft ist die Entstehungszeit der außer dem Traktat Berachot in dem 1. Teil befindlichen Ab- schritte.

Die noch zur Ordnung Seraim gehörenden Abschnitte*) scheinen noch vor dem Tode des Elieser b. Joel entstanden zu sein, der darin sechsmal erwähnt, aber nur einmal als ver- storben bezeichnet wird, vielleicht sogar, gleich dem Trak-

1) I, S. 45 b Nr. 130, S. 50 a Nr. 147, S. 55 b Nr. 163. -) I, S. 22 Nr. 11, Nr. 199, S. 61 b Mitte.

') II, S. 48a M., S. 109b Nr. 231. S. 110a ob., S. 113a Nr. 250, S. 171a M., S. 118 b Nr. 449. <) I, S. 64ff.

486 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

täte Berachot, noch zu Lebzeiten des dreimal ohne *yx\ zitierten Jehuda b. Isaak. Der viermal angeführte Simcha wird aller- dings zweimal als tot genannt. Ebenso dürften die Abschatte Nidda1), wo Elieser b. Joel elfmal ohne b*5H, Schechita*), wo er dreizehnmal (achtmal ohne, dreimal mit b"x', zwei- mal ausdrücklich als lebend) erscheint, sowie auch der Ab- schnitt Tefillin3), wo Simcha nur einmal mit, einundzwanzig- mal ohne b"JH vorkommt, noch vor dem Tode dieser beiden Lehrer fertig gewesen sein. Dagegen wird Elieser b. Joe! in Terefot4) 14, in Gid ha-Nasche5) 2 und in dem Traktat über Ehescheidung0) fünfmal als verstorben bezeichnet, in dem zu- letzt erwähnten Abschnitt auch Simcha dreimal als verstorben. Bei der Abfassung dieser drei Abschnitte des ersten Teiles sind also die beiden Lehrer des IOS. sicher nicht mehr am Leben gewesen. Für die späte Entstehung des Tra- ktates Gittin spricht schon die eben erwähnte Mitteilung des Verfassers, er hätte dreißig Jahre zuvor als Richter in einer Zivilklage ein Urteil zu fällen gehabt. Die Abfassung muß nach P239 geschehen sein, da wir darin schon das aus 1239 stammende Rechtsgutachten an Abigedor finden7). In Gid ha-Nasche bezeichnet IOS. R. Meschullam, wohl Meschullam b. David, seinen Korrespondenten in der An- gelegenheit der Frankfurter Verfolgung von 1241, als ver- storben8). Ebenso war bei Abfassung von Mikwaot sein Lehrer Simcha sowie der diesen überlebende Mose b. Chisdai tot9). Überhaupt dürften dem ursprünglich wohl nur aus den Traktaten der ersten Mischnaordnung be-

») I, S. 87 ff.

») I, S. 101 ff.

3) I, S. 148 ff.

*) I, S. 110 ff.

») I, S. 126 ff.

e) 1, S. 197 ff.

') I, S. 198 a Nr. 705 in Verbind, mit S. 210 a unt

«) I, S. 130 b. Nr. 458.

«) 1, S. 85 b.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 487

stehenden 1. Teil des Or Sarua die wenig umfangreichen Traktate der 3., 5. und 6. Ordnung erst nachträglich an- gehängt worden sein. Ebenso hat der Verfasser den Ab- schnitt über Mildtätigkeit sowie auch das einleitende Al- phabet, die Eiieser b. Joe! und Simcha als verstorben be- zeichnen1), warscheinlich erst später dem Traktate Bera- rhot vorgesetzt.

Über die Todeszeit dieser beiden Lehrer wissen wir nichts Bestimmtes. Zur Zeit des Streites über die während der Frankfurter Verfolgung von 1241 zur Taufe gezwungene B^aut müssen sie schon beide tot gewesen sein, da sonst IOS. es nicht unterlassen hätte, sie in einer so wichtigen Angelegenheit um ihre Meinung zu befragen. MeschuHam b. David, der an diesem Streite beteiligt ist, erwähnt auch Simcha als gestorben2). Um 1230 wird Eiieser b. Joel, der während der Schülerzeit des Meir a. Rotenburg in Würz- burg war, ncch gelebt haben3). Ebenso Simcha, dem der in einem Briefe des IOS. an S. als verstorben erwähnte Eiieser im Tode vorausgegangen zu sein scheint4). Ihren Tod dürfen wir wohl etwa um die Mitte des 4. Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts setzen5).

In dem Or Sarua lassen sich somit drei Perioden nachweisen: eine bis 1224 (die Traktate SeraTm), eine zweite von 1224 bis etwa 1235 (2. Teil) und eine dritte von etwa 1235 ab (3. und 4. Teil und noch einige Ab- schnitte des 1. Teiles). Die beiden letzten Teile sind jeden- falls später entstanden6). Und es liegt sehr nahe anzu- nehmen, daß der 1246 niedergeschriebene Abschnitt Ab. Sara, der letzte des vierten Teiles, auch zu den zuletzt

') I, S. 10 b M., 14 b, 15, 18 a. *) Chajjim Or Sarua Rga, Steit., S. 73a. *) Mo. (Mordecbai), Riva, fol. 39 c Nr. 1732. *) IOS. I, S. 226 b oben.

■•) Über El. b. Joe! siehe Groß (MS. 1885, S. 375). *>) Über die Zeit der Abfassung siehe auch Wellesz MS. 1904, S. 361, 363 u. Jahrb. 1906 S. 119, H. Vogelstein MS. 1905 S. 703/4.

4SS Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Saroa.

abgefaßten gehört. Erwägen wir ferner, daß der Verfassen- den Traktat Berachot, sowie die Traktate der Ordnung Moed, besonders die der Ordnung Nesikin eingehend be- handelt, während er die das Eherecht betreffenden Traktat« verhältnismäßig kurz abmacht, so ist es nicht unwahr- scheinlich, daß sein Tod erfolgte, bevor er diesen Teil voll- enden konnte. Er muß also nicht lange nach der Redaktion. von Ab. Sara, vielleicht gegen 1250, in einem Alter von 70— Jahren, gestorben sein.

JOS. führte ein Wanderleben. Er hielt sich auf in Frankreich, in Ungarn, in Speyer, Regensburg, Würzburg, Meißen, Wien, Sachsen und im Lande Kanaan. Wo in diesen Ländern und Städten mag wohl seine Heimat gewesen sein? Er selbst bezeichnet Sachsen, worunter man damals Sachsen Wittenberg verstand1), zweimal als >unser Land« und Wien als »unsre Stadt*. Ein andres Mal erzählt er, daß er als Knabe in Meißen gewesen ist. Einige Andeutungen weisen uns nach Böhmen, da er von seinen dortigen Lehrern spricht. Weitere Bemerkungen des 10S. führen uns nach dem Lande Kanaan, das er oft er- wähnt und als »unser Land bezeichnet.

Was verstand man im Mittelalter unter Kanaan? Der Verfasser des Aruch übersetzt (*ihB in die Sprache Kana- ans mit Öipö« Das Nächstliegende ist, an das griechische pfäsm oder an ein latinisiertes Neutrum des griechischer Wortes zu denken, aber nicht an das slavische »Mak.«8). In einer an Jehuda ha-Kohen, den Verfasser des D'nntDD, im 11. Jahrhundert gerichteten Anfrage wird von einem

') Siehe Rothert, Karten und Skizzen aus der Entwicklung der größern deutschen Staaten Nr. 2.

-') Siehe Kohut, Aruch comp!. VI, S. 410. Harkavys Lese- art '2'PC als Abkürzung vom slavischen HJ^Sipc (Die Juden und die sl avischen Sprachen S. 43 f.) ist zu willkürlich. Aus IOS. I, S. 65 b Nr. 216, wo es WSKNB heißt, ist auf die richtige Lesart des Aruch nicht zu schließen.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or S^rua. 43}

I mischen Kanaan gesprochen'-). Schon dieser Ausdruck zeig:, daß Kanaan damals sich noch weiter hinaus erstreckte. Offenbar hatte dieser Begriff etwas Unbestimmtes und mochte wohl hauptsächlich den Norden und Südosten Europas umfaßt haben. Zur Zeit des Verfassers des Josippor. besten: eine von diesem bestrittene Ansicht, daß die Slaven von Kanaan stammten2). Ibn Esra versteht unter Kanaan Deutschland, Dav. Kimchi Deutschland und die Slaven- länder;. Doch bald wird der Begriff enger begrenzt. Die den: Worte Kanaan anhaftende Nebenbedeutung Sklave*) hav spezieil in Deutschland, wo man bei den fortwährenden Kämpfen mit den Slaven viele von ihnen zu Hörigen und Sklaven machte und wo Slaven und Skiaven gleichbedeutend wurden5), die Identifizierung von Kanaan mit Slavenland zur Folge gehabt. Das zeigen uns deutlich die zahlreichen Glossen in der Sprache Kanaans bei manchen jüdischen Autoren des Mittelalters, die sich auf den ersten Blick als slavische Wörter zu erkennen geben6). Viele solcher Glossen finde:: wir bei Abraham b. Asriel7) und besonders bei un-

Serffl 10S.8).

Wenn die Sprache Kanaans Slavisch bedeutet, so ist jedenfalls Kanaan das Land der Slaven und mag wohl im

'-} \V |J?:3 px : IOS. I, S. !9ö a M., Nr. 694. Das außerdem in kesponsum zweimal vorkommende Kanaan dürfte wohl Slave odei NichtJude überhaupt bedeuten.

'•} Josippon, ed. Vened., fol. 1 b unt.

'■} Siehe deren Kommentare zu Obadja Ende.

*) Diese Bedeutung hat Kanaan bei MR., ed. Prag, Nr. 887, '. . Berh, S. 52, Nr. 332 und bei Menachem a. Merseburg (Rga Jak. weij, Vened., fol. 106 b M.).

e) Siehe Du Cange (Glossarium VII, S. 357/8), Grimm (Dtsch. Wrtb. X, 1 S. 1310/11), F. Weigand (Dtscn. Wrtb. II, S. 674), Palacky : en I, S. 62 M.).

«) Harkavy, S. 48 ff. } MS. 1377, S. 372 f., 1882 S. 318.

») Harkavy, S. 54 ff., Wellesz (MS. 1 904 S. 710/1), Markon(ebd. 1905, S. 709 ff.)

490 Lebenszeit und Heimat des Jsaak Or Santa.

weitern Sinne alle slavischen Länder umfaßt haben. Doch hat dieses Wort sicher noch einen engern Sinn gehabt und ein bestimmtes Land bedeutet. Dies ist entschieden bei IOS. der Fall. Wenn er wiederholt von »unsern Gebräu- chen im Lande Kanaan« spricht, so kann er nur ein ganz bestimmtes Land und nicht die unbestimmte Ländermasse der Slaven gemeint haben. Schon im 12. Jahrhundert ver- stand man sehr wohl die einzelnen slavischen Länder, wie Rußland, Polen und Böhmen auseinander zu halten1). IOS. der stets genaue Bezeichnungen liebt und Zweideutigkeiter vermeidet, hätte, wenn er verschiedene slavische Länder besucht hätte, sicher nicht unterlassen, die einzelnen Län- der, in denen er die angeführten Gebräuche beobachtet, genauer zu bezeichnen. Der Ausdruck UfliS^öS2) der ein Königreich oder ein unter einem besondern Herrscher ste- hendes Land bedeutet, schließt es aus, an eine Lär.der- masse zu denken.

Welches slavische Land dürfen wir unter Kanaan bei IOS. verstehen ? Rußland erwähnt er selbst niemals, Polen vielleicht ein einziges Mai3). In Ungarn, wo sich ebenfalls viele Slaven befanden, hat er sich wohl aufgehalten, doch nur ganz kurze Zeit4), Meißen, die Pr®vinz Sachsen und Österreich, wo im 13. Jahrhundert Überreste von Slaven. gelebt haben mochten, wo aber das deutsche Element, wenig- stens in den Städten, nach Jahrhunderte langer Kolonisation ohne Zweifel stark vorherrschte, kann er unmöglich als slavische Länder bezeichnet haben5;. Er kann auch in

l) Von Rußland und Polen erzählt bei IOS. Elieser aus Böhmen : IOS. !, S. 40 b Nr. 113.

*) Siehe S. 496, Anm. 1.

•) I, S. 112b unt. ist wohl rroSißa statt iri^M zu lesen?

«) Siehe unten S. 497, Anm. 3.

6) Vollständig unhaltbar ist die Annahme von Zunz (Binjatri-; a. Tudela, cd. Ascher, II, S. 288 unt.), IOS. nenne sein Land Kanaan, weil Österreich damals unter Ottokar II. zu Böhmen gehört habe. So Jagen doch die politischen Verhältnisse nicht, daß Österreich als

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 491

einem unter deutscher Herrschaft stehenden Lande, wo die in den Städten zwischen Deutschen lebenden Juden sich doch der deutschen Sprache bedienen mußten, unmöglich Gelegenheit gehabt haben, sich mit den slavischen Idiomen vertraut zu machen. Ebenso wenig wird dort ein Bedürfnis bestanden haben, schwer verständliche talmudische Wörter in eine slavische Sprache übersetzt zu sehen. Das einzige slavische Land, zu dem IOS. Beziehungen hatte und an das er bei Kanaan denken konnte, ist nur Böhmen. In Böhmen hatten seine Lehrer gewohnt. Er erwähnt oft Isaak b. Mcrdechai1), Isaak ha-Laban2), Eüeser b. Isaak3), Mose b. Jakob1), Abra- ham b. Asriel5), Jakob ha-Laban5), Isaak Chasan0), von denen wir wissen, daß sie in Böhmen lebten. Er spricht auch mehrmals von Böhmen7) und ist über Prag unterrichtet8). Man bedenke ferner, daß Kanaan schon alte, angesehene Gemeinden besessen haben muß, wenn IOS. so oft ihre Gebräuche anführt und sie denen der bedeutendsten Ge- meinden in Frankreich und am Rhein gegenüberstellt. Das paßt nur auf Böhmen, wo sich schon im 10. und 11. Jahr- hundert durch sichere Nachrichten Gemeinden nachweisen lassen9) und wo, wie wir oben gesehen, wir schon im 12. Jahrhundert bedeutende Gelehrte finden. Dagegen bezeugt

Provinz Böhmens gegolten haben sollte. Außerdem nennt er ja, wie wir unten S. 496 sehen, schon während seines Unterrichtes bei E!. b. Joel Kanaan sein Land.

') Siehe oben S. 482 f.

*) Tykocinski, Prag (MS. 1900 S. 351 mit.).

») II, S. 32b;unt, S. 79a Nr. 148 Schluß und noch an andern Stellen.

*) I, Nr. 25* S. 24 a Mitte, II, Nr. 424, S. 174 a ob., vergl. Tos. Jebam. fol. 24 a Mitte.

*) Siehe weiter unt S. 495.

«) Siehe oben S. 48C, Anm. 8.

7) I, S. 14 b Nr. 8, S. 117 b ob., S. 199 b Mitte Nr. 707, II. S. 40 b Nr. 13, Nr. 432 S. 177 b unt. und 178 a unt.

») I, Nr. 378 S. 105 b unt., Nr. 712 S. 200 b M. II, Nr. 281 S. 129 a ob. III, B. Kamma S. 62 a M. Nr. 413.

») Tykocinski, Prag (MS. 1909, S. 345 f.).

•492 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

unsEIieserb. Isaak aus Böhmen ausdrücklich, daß in Rußland, Polen und Ungarn, zu seinerzeit wenigstens, die Gemeinden schwach und die Talmudstudien wenig entwickelt waren1).

Für die Gleichbedeutung Kanaans mit Böhmen finden wir bei IOS. noch ein weiteres deutliches Zeugnis. In einem Meinungsstreit zwischen EphraTm b. Isaak und Joe! b. Isaak beruft sich dieser darauf, daß ein bedeutender Gelehrter Isaa'-- Chasan in Böhmen es für erlaubt hielt, die fragliche Art Feit zu essen. Darauf erwidert ihm Ephraim b. Isaak, im Lande Kanaan gebe es große Weise, die das Feit nicht genießen2) Diese Antwort hat nur dann einen Sinn, wenn Böhmen und Kanaan dasselbe ist. Ephraim will nicht damit beweisen, daß es überhaupt Gelehrte gibt, die es nicht essen, denn er hat schon im Vorausgehenden auf Frankreich, die Lom- bardei und sein eigenes Land hingewiesen. Ohne Zweifel will er seinen Gegner damit schlagen, daß selbst in Böhme? auf das sich dieser beruft, große Gelehrte der entgegen- gesetzten Meinung sind. Die Identität von Böhmen mit Kanaan läßt sich auch daraus schließen, daß Abraham b. Asriel, der zu den Alten Böhmens gezählt wird3), oft von Glossen in der Sprache Kanaans Gebrauch macht.

Verstehen IOS. und Abraham b. Asriel unter Kanav Böhmen, so denkt auch der von IOS. angeführte und nach Prag benannte Isaak b. Mordechai, wenn er bei der Mitteilung eines Brauches sagt: >-In Kanaan habe ich gesehen«4), nur an Böhmen. Dies um so mehr, als IOS. selbst soeben diesen Brauch auch von Prag mitteilt. Da auch EphraTm b. IsaaV, wie wir oben gesehen, mit Kanaan Böhmen meint, so wird uns klar, daß diese Bezeichnung schon im 12. Jahrhundert

') IOS. I, S. 40 b, Nr. 113.

2; Joel b. Is. sagt: . . . fivil \m orraa pns1 n na*i x~z: irn '3 W<V 'n'K TJ1D. Antwort des Ephraim: cosn w fj?:r piO nm ".ms p^31K pXB> QiBSinö IOS. I, S. 117 b ob.

») Steinschneider, Cod. Berl. II (137S), S. 55 ob.

*) IOS. I, Nr. 712, S. 200 b M.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Serna. 493

üblich war. Dann dürfen wir annehmen, daß das von Elieser b. Natan aufgesuchte Kanaan, über dessen Gebräuche er uns mehrmals berichtet1), gleichfalls Böhmen ist. Ebenso haben wir bei MeTr a. Rotenburg an Böhmen zu denken., wenn er neben Frankreich, England und Deutschland auch Kanaan als Beispiel dafür anführt, daß durch verschiedene Sprachen getrennte Gebiete als verschiedene Länder zu betrachten sind8). D, h. die Benennung Kanaan war nicht 10S. allein, sondern den damaligen jüdischen Gelehrten Deutschlands überhaupt eigen. Damit stimmt die Mitteilung Benjamins aus Tudela überein. Er sagt : »Von da ab ist Böhmen, das Prag genannt wird. Das ist der Anfang des Landes Sklavonien, und die Juden, die dort wohnen, nennen es das Land Kanaan, weil die Bewohner dieses Landes ihre Söhne und Töchter an alle Völker verkaufen^3). Die Stelle ist nicht ganz klar. Grammatikalisch kann sich »es« sowohl auf Böhmen als auch auf Sklavonien beziehen, dem Sinne nach jedoch richtiger auf das erstere. Dies um

') pam, ed. Prag, fol. S d, Nr. 8 Anf., fol. 61 a, Nr. 327 Ende, fol. 70 a ob.

2) fva ntt-mf? D-pi^n |j»3 p-wi »38M \s,-i pxi no-tti nx-u Mflrta trpltavt MR. Crem., fo!. 40b, Nr. 117. Sal. Lurja, im 16. ishrhundert, scheint allerdings unter Kanaan, wenn er sagt: D.T3 \Wt~ j>;3 ]'&b pj?2 X'flV Polen zu verstehen, wo er lebte: Jam schel <cheIomo, Ghtin (ed. Bei!.), Nr. 32 fol. 36 d Mitte.

8) rronbpVM px r^nn x\- .nar* nx-ip;n «*fli Dna px nuVni ow b^zvz jyjD fix db> cmn chi-\" nw* D^mpi [omT ip ina naij IWM ^ D,TJn3l DTP» D'-a'D KW? pKM 1&,:x[B>]: Binjamin v. Tu- dela, ed. Orünhut-Adler, S. 103. Vgl. ed. Adler, S. 72 d hebr. Textes, Anm. 12. Über d. Bedeutung v. Kanaan, siehe auch Zunz (ßin- jamin a. Tudela, ed. Ascher II, S. 226/7), Harkavy S. 20 ff., Kohut (Aruch complet. I, Einleit., S. VII Mitte, IV, S. 260 a not), Güdemann Gesch. d. Erziehungsw. in Frankr. und Deutschi. S. 115, Anm. 5), Brann (Qesch. der Jud. in Schles. S. 3, Anm. 3), Oastfreund (Die Wiener Rabbinen, S. 11 ob, 13 ob.), Salfeld (Martyrolog. S. 151. Ärim. 1), Wellesz. (MS. 1904, S. 453 M.). Eine verkehrte Auffassung von Kanaan hat Grünhut-Adler (Bitijam. v. Tud. ed. Frankf. S. 136/7)

494 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

so wahrscheinlicher, als eine Handschrift die Angabe ent- hält, in Kanaan hätten sich damals 106 Juden befunden. Für den ganzen Komplex der Slavenländer wäre die Zahl zu gering, und der Verfasser hätte schwerlich so eingehende Nachrichten darüber haben können.

Wir wissen nun, daß Kanaan Böhmen ist und daß IOS. es »unser Land* nennt. Wir kehren jetzt zu unserer ersten Frage zurück : Welches von den vier Ländern Öster- reich, Meißen, Sachsen-Wittenberg und Böhmen hat am meisten Anspruch darauf, als die Heimat des IOS. zu gelten? Zu diesem Zwecke wollen wir die Beziehungen des Ver- fassers zu jedem dieser vier Länder genauer untersuchen.

Wien erwähnt IOS. in einem von dort aus an seinen Lehrer Simcha gerichteten Schreiben1). In der Abhandlung über Terefot bezeichnet er W. ausdrücklich als »unsre Stadt« 2). Er lebte also dort schon zu Lebzeiten seines Lehrers S., aber auch während der Abfassung der erwähnten Abhandlung, die wohl nach dessen Tode geschah. In Wien traf ihn auch Chajjim b. Mose, der Schwiegervater des Abigedor8). Wahrscheinlich hat IOS. den letzten Ab- schnitt seines Lebens in Wien zugebracht, weshalb er von MeTr b. Baruch, Mordechai und auch von andern Autoren in der Regel nach Wien genannt wird4). Seine Heimat kann W. nicht sein, da er außer an den beiden angeführten Stellen nie dieser Stadt gedenkt und keine Gebräuche aus deren Gemeinde anführt. Ohne Zweifel kam er nach W. erst in spätem Alter, und machte sich erst sehr spät mit den dortigen Verhältnissen vertraut. In Meißen hielt er

«) K3"0 pJH 13 '3 : I, S. 225 b, Nr. 762 Anf. 2) wiu w>TJ>3 part I, Nr. 406, S. nob nnt. s) r,DD3 ppkvi nroi D'soni i1? "rnn wie *i"n "sb »rovrai: Hag.

Mo., Preßb., Kidd. fol. 105 d Nr. 570 Mitte. Siehe S. Kohn, Mor- dechai S. 104.

4) MR., Prag, fol. 23 a Nr. 111 u. an vielen andern Orten. Mo., Riva, fol. 24 d, Nr. 1050, fol. 53 c Mitte u. sonst noch oft. Schibbole ha-Leket, ed. Buber, S. 233 M., 255 ob.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 495

sich, wie er selbst erzählt, als Kind auf1). Aber außer an dieser einzigen Stelle erwähnt er es nirgends. Mit den Gemeindeverhältnissen in Sachsen, das er zweimal als »unser Land« bezeichnet und von dem er Gebräuche an- führt2), muß er vertraut gewesen sein. Sicher hat er sich dort einmal längere Zeit aufgehalten. Doch viel inniger als zu Sachsen, Meißen und Wien sind die Beziehungen des Verfassers zu Böhmen oder Kanaan.

Im Or Sarua erwähnt Isaak selbst viermal Prag, sechsmal Böhmen8), außerdem erwähnt er es elfmal unter der Bezeichnung Kanaan. Er spricht dreimal von 'meinen Lehrern in Böhmen«4). Er nenntauch Isaak b. Mordechai1), Jakob b. Isaak ha-Laban6) und Abraham b. Asriei7), die Böhmen angehören, seine Lehrer. Er muß wohl bei ihnen in Böhmen Unterricht genossen haben, und das kann, was Isaak b. Mor- dechai betrifft, nur in seiner Kindheit geschehen sein. Mit den Gebräuchen in Böhmen oder Kanaan ist er besonders \ er- traut, und er bezeichnet dabei Kanaan fast immer ausdrück- lich als sein Land: »Wie wir es im Lande Kanaan zu tun pflegen«. *Es geschieht täglich in unserem Königreiche im Lande Kanaan«. »In unserem Königreiche im Lande Kanaan hütet man sich« ... »Unsere Sitte im Lande

') noj3,n rrsa [-»"sn pT"*a vm [öp nj» innen ";kb»3 "»anist f3 JVÄ'JJ? Y.DKW Tom flM?-»! ma'j? : IV, S. 55b unt. Unter ny; ist natürlich »Knabe« und nicht, wie Vogelstein (MS. 1905 S. 702 ob.) meint, »Jüngling« zu verstehen. Ebenso bedeutet 'roni nicht» ich habe die Entscheidung getroffen«, sondern wie auch an andern Stellen »ich war der Ansicht'. Vgl. Wellesz (MS. 1904 S. 137 ob. u. Jahrb. d. jüd.-liter. Geseüsch. 1906 S. 116 unt. f.)

2, VPXWV px irmsSo iJC« I, S. 200b, M. Nr. 712. WJliaVöS. KWWS: II, S. 138b, Nr. 320 Ende.

3; Siehe oben S. 491.

*) I, S. 14 b Nr. 8, II. Nr. 432 S. 177 b unt. u. 178 a unt.

6) S. oben S. 482.

«, II, Nr. 432 S. 177 b unt. Siehe auch Schibbale ha-Leket, ed. Buber, S. 366 unt.

') II, S. 48 a Nr. 91 u. 92.

4-96 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

Kanaan«. »Warum wir in unserm Königreiche im Lande Kanaan gewohnt sind«. »Wir im Lande Kanaan haben den Brauch« »Wir aber, in allen unseren Gemeinden im Lande Kanaan«1).

Dieses beweist vor allem, daß er sich lange in Böh- men aufgehalten und mit den Verhältnissen der dortigen Gemeinden besonders vertraut war. Das beweist aber noch viel mehr: Abgesehen von Frankreich und den Gemeinden am Rhein, die wegen ihrer Bedeutung als Beispiel gälten, führt lOS. die Gebräuche keines anderen Landes so >ft an wie die Böhmens. Von Würzburg bringt er uns nur zweimal Mitteilungen'2), von der bedeutenden Gemeinde Regensburg ebenfalls nur zweimal*), obwohl er doch in beiden Städten gelebt hat. Dagegen bringt er Gebräuche und andre Mit- teilungen von Kanaan oder Böhmen oder Prag zwanzigmal. Diese Vorliebe läßt sich eben nur durch seine Abstammung erklären und dadurch, daß er bei seinen Lehrern in Böhmen seinen ersten Unterricht genoß.

Seine Abstammung aus Kanaan betont IOS selbst an einer Stelle. Während des Unterrichtes bei Elieser b. Joe! sagt er zu seinem Lehrer: »Wir in unserm Königreiche im Lande Kanaan richten uns (in bezug auf den Genuß einer gewissen Art Fett) nach R. Ephraim, ihr aber halte: es nach R. Joe! für genießbar«4). Also schon während seiner Lehrjahre und seines Aufenthaltes außerhalb Böhmens be-

') [JH3 p»3 vniafroa um*»: i, S. JlSa ob. rr:-i ux» loa ijj» pxa; II, s. 6a Mitte. |j>m pxr lrroa^os or ^33 onpjmu II, s. 15 b ob. anr;« j]»a p«a unntan: n, S. 16 a, Nr. 33. oruo

|p3 p«3 : II. S. 19a AI, 22a unt. p*a Wni3^B3 p:,T: ':XC "3 hy JJ»a: II, S. 49b, Nr. 95 Ende. nvna |pa pR3 13KJ II, S. 176a, Nr. 429. mim fV33 p«3 UWBlpB ^33 UN lfPD: IV, S. 52 a, Nr. 136 Schluß. }j»3 erwähnt IOS. auch II, S. 39b unt. Siehe Wellesz (Jahrb. 1906, S. 192).

a) II, Nr. 107 S. 53 a mit., S. 157 b Nr. 284.

3) I, S. 85 b uut. 11, S. 23 a nnt.

4) wd^m *?-ati v'itj>h v,3K wai nie v ty ana p-so wwa »sman

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 497

zeichnet er Böhmen als sein Land. Die Abstammung be- weisen auch die zahlreichen Glossen in der Sprache Kanaans, die darauf schließen lassen, daß er schon in seiner Kind- heit diese Sprache kannte. Auf einen slavischen Ursprung dürfte auch die bei 10S. vorkommende, noch heute bei den Cechen und teilweise bei den andern Slaven übliche Na- mensform Labe für Elbe deuten1), die auch die Schreibart des ersten böhmischen Chronisten Cosmas, im 12. Jahr- hundert, entspricht, während die deutschen Chroniken Albia oder Albis schreiben2). Slavischen Ursprungs sind auch die Namensformen der Orte Buden und Ostrigom in Ungarn, unter welchen 10S. sicher Budapest und Gran, im Cechischen Budin und Ostfihom, versteht3}.

Man hat gemeint, seine slavischen Worterklärungen können seine Abstammung garnicht beweisen, da er ja in vielen Ländern gelebt hat und sich auch französischer und deutscher Wörter bediene4). Die allerdings in großer Zahl gebrauchten französischen Glossen gehören aber zum Teil nicht ihm, sondern den zitierten Autoren5). Dann folgt er nur altern Beispielen, wenn er sich der schon seit lange bei deutschen und französischen Gelehrten üblichen und unentbehrlichen französischen Erklärungen bedient. Deutsche Wörter finden wir bei unserm Verfasser etwa zehn. Doch mehr als die Hälfte davon gehören andern Autoren. Von der böhmischen Sprache dagegen bringt uns IOS., der sie,

one» wai "nana [Jos fuo vstahoa vx\ . . . tidxi \b ^r\b*v dkt nsbn : I, S. 118 a ob. Siehe auch Groß (MS. 1871, S. 251, Anm. 2).

l) in?i Dirm man rotaa »nrra: II, S. 3a unt. Es ist wohl i^b statt nS zu lesen. Im Russischen und Polnischen heißt der Fluß Elba u. Laba.

*) Pertz SS. IX, Register.

s) DirittD*^ pnS nan pi6 ^nySp"'« -cnon "OK: I, S. lula Mitte Nr. 366. Siehe Wellesz (MS. 1904 S. 448).

*) Wellesz ebd. S. 137.

6) Ebd. S. 710 f.

32

Monatsschrift, 55. Jahrgang. "•

493 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua.

vielleicht durch das Beispiel des Abraham b. Asriel dazu an- geregt, in die talmudische Literatur zuerst eingeführt, die sehr bedeutende Zahl von 51 Wörtern1). Es verhält sich also mit den böhmischen Glossen ganz anders als mit den fran- zösischen und deutschen, und sie lassen auf enge Be- ziehungen des Verfassers zu Böhmen schließen. Daß IOS. seinen Kodex für die in slavischen Ländern lebenden Juden geschrieben hätte2), ist nicht anzunehmen, doch hatte er offenbar das klare Bestreben, sein Werk den Talmudjüngern seiner Heimat, denen die in der talmudischen Literatur eingebürgerten französischen Glossen fremd waren, durch böhmische zu erklären. Man darf sogar annehmen, daß er in Böhmen ein Lehrhaus leitete, und daß sich dort bei den Vorträgen das Bedürfnis herausstellte, zum bessern Ver- ständnis seiner slavischen Jünger die böhmische Sprache zu benützen. Daß er in Würzburg lehrte, wissen wir durch Me'i'r aus Rotenburg, der dort von ihm Unterricht empfing. Eine Andeutung, daß er eine Schule leitete, finden wir auch bei seinem Korrespondenten Jesaja b. Mali. Dieser wünscht ihm, daß Gott sein Gebiet mit Schülern bereichern, und er die Lehre in Israel verbreiten möge3).

Wenn IOS. eine Schule in Böhmen leitete, so kann das nur nach seiner Rückkehr aus Deutschland und Frank- reich geschehen sein. Da die meisten Stellen, in denen er von den Gebräuchen in Kanaan spricht, sich in den Trak- taten der Ordnung Moed, besonders im Traktate Sabbat befinden, so darf wohl angenommen werden, daß sein aber- maliger Aufenthalt in Böhmen in der Zeit der Abfassung dieses Teiles geschah. Die Ordnung Moed ist aber, wie wir oben gesehen4), vor dem dritten und vierten Teil und wahrscheinlich noch zu Lebzeiten seiner Lehrer Elieser b. Joe!

») Markon, MS. 1905 S. 709 ff. 8) Wellesz S. 710. 3) IOS. I, S. 220 a Nr. 754 Ende, *) Siehe oben S. 485.

Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarua. 499

und Simcha entstanden. Dieser Aufenthalt muß jedenfalls dem in Wien, vorausgegangen sein, wo er, wie wir schon oben gezeigt haben, den letzten Abschnitt seines Lebens zubrachte. Dagegen geschah es wohl nach seinem Aufent- halte in Regensburg und Würzburg, da er davon im Teile Moed wie von etwas Vergangenem spricht. Zur Zeit des Rechtsstreites, in dem er etwa dreißig Jahre vor Abfassung des Abschnittes Gittin zwischen einem böhmischen und einem Regensburger Juden als Richter zu entscheiden hatte, wird er wohl in Regensburg gewohnt haben. Das dürfte Ende des zweiten Jahrzehntes geschehen sein. Von dort aus muß er nach Würzburg gegangen sein, wo Mei'r aus Rotenburg, wohl in den letzten Jahren des dritten Jahrzehntes, als Knabe sein Lehrhaus besuchte2).

Nach den obigen Darlegungen dürften wir uns den Lebenslauf des IOS. in folgender Weise vorstellen. In Böhmen hat er seine Kinderjahre und sicher auch die ersten Jahre seiner Jugend verlebt. Ob er auch dort geboren ist, wissen wir nicht. Vorübergehend hielt er sich als Knabe in Meißen auf. In Böhmen genoß er Unterricht bei Isaak b. Mordechai, Jakob b. Isaak ha-Laban und Abraham b. Asriel. Wohl in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts, vielleicht nach einem längern Aufenthalte in Sachsen-Wittenberg, ging er als reifer Jüngling nach Deutschland und besuchte die bekannten Stätten jüdischer Gelehrsamkeit, wo er als Jünger der da- maligen Autoritäten, Jehudas des Frommen, Eliesers b. Joel, Simchas in Speyer und Eleasars aus Worms sein Wissen bereicherte. Schon im Jahre 1201, wohl nach seiner Schüler- zeit bei Elieser b. Joel bekleidete er ein Rabbineramt in Deutschland, vielleicht am Rhein, von wo aus er zu gleicher Zeit mit Elieser b. Joel und Simcha ein Gutachten in der Angelegenheit des ermordeten Alexander abgab. Erst nach

>) Siehe oben S. 479, Anm. 6.

2) Mo., Kiva, fol. 39 c Nr. 1732. Siehe Groß (MS. 1871. S. 257.)

32*

500 Lebenszeit und Heimat des Isaak Or Sarna.

1215, bis zu welcher Zeit er wohl in Deutschland lebte, treffen wir ihn in Paris in eifrigem Verkehr mit seinem Lehrer Jehuda b. Isaak und andern bekannten französischen Gelehrten. Von Paris zurückgekehrt, war er in Regensburg und Würzburg als Rabbiner und Schuloberhaupt tätig. Wohl erst von Süddeutschland aus ging er nach Böhmen zurück und lebte dort wahrscheinlich im vierten Jahrzehnt, eine Reihe von Jahren, bis er sich endlich in Wien niederließ, wo er wohl bis zu seinem Tode geblieben sein mochte.

Notiz.

Zum nijnap nyp des R. Isaac ben Reuben.

Mein Kollege Professor Louis Ginzberg macht mich darauf auf- merksam, daß das von mir in der Lewy-Festscbrift (S. 62—75) ver- öffentlichte Genizahfragment, das ich als Überbleibsel aus einem 1DD |Hps bezeichnet hatte, sich auf das Engste mit dem Text des den Namen des R. Isaac b. Reuben tragenden nijnav "nytP berührt. Ich habe, diesem dankenswerten Hinweis folgend, die beiden Texte mit einander verglichen und stellte hierbei fest, daß deren Identität keine vollständige ist. Um das Verhältnis der Texte zu einander zu veran- schaulichen, stelle ich einen Passus aus dem Anfang des siebenten Abschnittes (Lewy-Festschrift, p. 71 f.1), fliyctf *-»JW in der Wilnaer Talmudausgabe fol. lOd) nach beiden Rezensionen einander gegen- über, wobei ich, der Einfachheit halber, anstatt des arabischen Ori- ginaltextes, die von mir hergestellte hebräische Übersetzung benütze.

Genisahfragmen t

mjnap ■'jm mann ^yn^n piDH pm ccitom niw \rm pa o^oim ibta dhd in« So nSyo p-on nnip \y*v Pjnww "Di nnS \b onnren &2*v\ mpea [orem oJ-noiBTHP "ioxii o^ioS um -idip wn aww prx*n ..tjdtk on «"« [m »a 'nmo -o» ^a idibti xim idib> »arm ■id»'? a^s im ?]dd iron Sx vnrna tswi «im iob>o lown mm -dp iw ix iiB' "non injn Sx b^x jn"1 xs nava ix na»: ix noi "iop1? mana Sai to«i mano tanvn dtix «im pxi

■Olffl 3*31 '31 TD IX "13BW WJH OVO «"*

J) Das dem siebenten Abschnitt vorausgehende Stück gehört, wie ein Vergleich mit dem mjftSV inj?«' lehrt, zum achten Abschnitt und sollte später folgen. Ich hatte mich fälschlich nach der Lage der Blätter gerichtet.

■) Wegen homoioteleuton das Folgende ausgefallen.

») Sollte 'an heißen. Anscheinend infolge der Lücke korrigiert.

*a*»*ia naiK'^arn -ijuph ifiwrwan D'noivn niyiav

pna pur i^idip d-'dvbi ntö "101X1 iibbSi arnS

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(»picen 10X3 vVjn o:n tdw 'xn

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502

Notiz.

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i:t;b> [Bi .uiD3 lawni iibb

'i3i jn piaiw "i

Man sieht auf den ersten Blick, daß, abgesehen von den Lücken und Fehlern des Textes des P1^13B> i*iyv, die ohne Zweifel den Ab- schreibern zur Last fallen, der Text des Genisahfragmentes der ur- sprünglichere ist, daß es sich aber andererseits, bei der weitgehenden Verschiedenheit der Darstellung, sich unmöglich um Übersetzung und Original handeln kann. Auch die Sprache des pipintP '1JJ8», die durch- aus glatt und korrekt ist, spricht entschieden gegen die letztere Annahme. Am ehesten ließe sich das Verhältnis der beiden Texte als das eines Exzerptes zu einem Originalwerk auffassen. Im Lichte dieser Annahme würde die vielfach erörterte Frage1) über die Autorschaft des P1J?138> ,"iV8,/ das einerseits R. Isaac ben Reuben, andererseits Alfaßi zugeschrieben wird, sowie über die Identität des genannten R. Isaac ben Reuben mit dem gleichnamigen Verfasser der pnrnx und dem Übersetzer von R. Hai Gaons "iBBBl npa erhöhtes Interesse ge- winnen. Ohne mir in dieser verwickelten und für mich abseits lie- genden Frage eine Entscheidung anzumaßen, darf ich vielleicht die Vermutung aussprechen, daß das besprochene Genisahfragment ein Stück aus einem, arabisch geschriebenen Originalwerk über Eide darstellt, das möglicherweise dem Alfaßi angehört, und aus dem R. Isaac ben Reuben später ein hebräisches Exzerpt angefertigt hat.

New- York. Israel Friedlaender.

») Vgl. Steinschneider, Cat. Bodl. 1148, Katalog Berlin I, Nr. 24 (hierzu Zeitschrift für Hebräische Bibliographie VII, 22), Michael nix ßitnn, S. 510 f., Weiß VB>*r)Ti in *1H IV, 381, Anna. 1 und andere.

Besprechungen.

Künstlinger, Dr. David, Altjüdische Bibeldeutung. Berlin, M. Poppelauer, 1911, 36 SS. Groß-4°.

Der Verfasser versteht unter altjüdischer Bibeldeutung »die allegorische, wie sie sich häufig in der talmudischen Literatur und ganz besonders (?) in den Petihöt, findet*. Zum »Ausgangspunkte der Untersuchung« dient ihm die erste Piska der Pesikta de Rab Kahana, weicher der größte Teil der Arbeit (3. 11—35) gewidmet ist. In etwas lapidaren Sätzen bemerkt der Verfasser in der Vorrede : »Folgende Abhandlung bezweckt keinen korrigierten Text und keine besseren Lesarten herzustellen. Sie will vielmehr vermutungsweise den ursprünglichen Bau, die Morphologie, jener Petihöt eruieren, die, umgemodelt und verunstaltet, jetzt die erste Pesiqtä (1. Pisqä, cf. S. 36) ausmachen.« »Die Arbeit erhebt durchaus keinen Anspruch auf Vollständigkeit.« »Di> einschlägige Literatur wird ais bekannt vorausgesetzt.« Eine neue Arbeit über die Pethichot könnte nun niemand freudiger als ich begrüßen, der ich in »Zur Composition der agadi- schen Homilien« (Monatsschrift 1879) die Proömien in der Pesikta d. R. K. zuerst eingehend bebandelt habe. Die Ergebnisse meiner Untersuchung wurden auch in Blochs »Studien zur Aggadah« zu- sammengestellt ; B. unterließ es nicht ausdrücklich hervorzuheben, daß die Pethicha von mir zuerst erkannt und in ihren Merkmalen fixiert worden ist (Monatsschr. 1885, S. 174), obwohl er über das Wesen der Pethichot eine eigene Theorie entwickelt (vgl. das. S. 183 f., S. 216 ff.). In Anlehnung an die von mir gelieferten Nachweise be- handelten die Proömien in Bereschit rabba Lerner in »Anlage und Quellen des B. r.« (1882) und Maybaum in »Die ältesten Phasen in der Entwickelung der jüdisches! Predigt« (1901). * Proömien« ist ein ge- läufiges Wort auch in Bachers großem Agada- Werke ; reiches Material findet sich im Art. nnB in B.'s Terminologie II, S. 174 ff. Statt »die einschlägige Literatur« als bekannt vorauszusetzen, oder sie mit einer Zeile abzutun, hätte Künstlinger wenigstens auf die genannten Arbeiten hinweisen sollen, um zu den in ihnen ausgesprochenen Ansichten Stellung zu nehmen ; das wäre für die Untersuchung ratsamer gewesen, als zu zitieren llmal das Lisän al Arab, 2mal Gäniz,

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lmal Itqän usw.; der Leser wäre besser informiert gewesen und hätte auch eine bessere Vorstellung von dem Wesen des Pethichot ge- wonnen, als wenn er bei Künstlinger S. 8 f. die merkwürdigen Sätze findet:

»»Die Völker des Altertums sahen in jeder Erscheinung ein Zeichen, einen Wink einer höheren Macht, der gedeutet werden sollte. In diesem Ende legten die Barüti der Babylonier Verzeich- nisse der Deutungen allerhand Erscheinungen an, um im Falle einer beobachteten Erscheinung die von den früheren Priestern bereits festgesetzte Deutung zu finden oder neue hinzufügen. Der Stil dieser eigenartigen Verzeichnisse setzt die Aequatio-Methode voraus. Denn der Satz z. B. : »Ist die Flamme eines Lichtes grünlich, so wird der Hausherr und die Hausfrau in Unglück geraten,« geht doch offenbar auf die einfache Qleichung zurück: »Grünliches Flammenlicht = Un- glück der Hauswirte«. Die Barüti beschäftigen sich mit der Deutung von Träumen, Leberschau, Bücherwahrsagung, Tieromina etc. Wie jene aus allem diesen die Zukunft deuteten, indem sie in den Er- scheinungen Zeichen erblickten, welche auf zukünftige Zustände hin- deuteten, so fanden die alten Erklärer der Bibel außer dem eigent- lichen Sinne der im göttlichen Buche enthaltene Wörter und Worte noch einen andern Sinn (allegoria) in denselben, der auf irgend etwas Anderes, im Worte nicht direkt Liegendes, hindeutet. Die allegorische Auslegungsmethode der Bibel ist genau dieselbe, wie wir sie in der Traumdeutung u. drgl. finden. Dasselbe kann auch vom bvü und der fTPfl behauptet werden. Die Petiha hingegen ist, wie oben bereits gezeigt wurde, eine Weiterentwickelung der Einzeldeutung. Sie faßt einige Einzeldeutungen die gewissermaßen eine Gruppe bilden, in eine Einheit zusammen, setzt diese in einen Konnexus mit dem zu deutenden Bibelsatz oder Abschnitt, in dem die letzte Einzeldeutung in jenen Satz oder Abschnitt einmündet, wodurch eine Inklusio notwendigerweise entsteht. Dem Wesen nicht der Kunstform nach ist die Petiha nächstverwandt mit dem mä§äl. Im mäsäl wird eine dem Leben entnommene Handlung .... als Deutung verwendet. Die Petiha nimmt anstatt der Handlung eine bereits vorhandene Gruppe von Einzeldeutungen, ^deren Gesammtheit und ganz speziell die letzte, den zu deutenden Text deutet. Die Petiha ist demnach, was die Form anbetrifft : eine Fortentwickelung, der Einzeldeutung ; was den Inhalt anbetrifft : eine Art mäsal. Daß die Methode der Petiha mit der Traumdeutung in einem gewissen Zusammenhange steht, beweist derselbe terminus technicus, der bei beiden verwendet wird: inD. Da pätar aus einer noch illitteraren Zeit stammt, so wird es älter als pätah sein und sich wohl ursprünglich auf die Einzeldeutung

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oder eine Gruppe derselben wie eben in der Traumdeutung bezogen haben. Erst nach dem man die Petihä bereits geschaffen hatte, verwendete man HIB mit nns promiscue. Allein nicht nur pätar geht auf alte, uralte Orakelterminologie zurück, sondern auch pätah ; denn wie pätar für die Deutung des Traumes verwendet wird, so wird pätah für die Lösung des Rätsels benutzt. Wird der Traum gedeutet nnB), so wird das Rätsel JWT\ = .ITIM = «DiniK »Ver- schlossenes« gelöst, (nnB) »aufgeschlossen«. Die Terminologie nnß'byrano ist somit dieser ganz gleich. Auch BniBO erinnert an den Orakelterminus »bei purussü«, der Orakelentscheider Bei. Nach all dem Gesagten dürfte die Agädä GTUn, ."H3K) nicht von (3tosn) TJD* sondern man und TJö von jener uralten Orakelterminologie her- stammen, man ist die Entscheidung, die Deutung. T2B der (das) Entscheidende, der (das) Deutende.« Unwillkürlich wird man an die Behauptung erinnert, daß dem »bei purussü« unter anderen synonymen Götternamen bei den Minäern 1DK h», D1D« nbx, Gott dem Orakel- entscheider entspricht, "idx s= IM, ämir = T5D««.

Ich habe diese moiSn **m mit wenigen Kürzungen wörtlich zitiert. Muß man denn soweit ausholen, auf die Baruti zurückgreifen, an den Bei purussü erinnern, um die so schlichten nifPJlfi im Midrasch erklären zu wollen !

Aus den Ausdrücken BnB"DBn, bhb-djid, BnB-1D"i, nbrftDS, n^mno, nns-onc, tWtrb92, die Künstlinger S. 4 ff. behandelt (ich verweise auf Bachers Terminologie Teil I, Artt. OBH, cno, toi, nnB, wo auch fast alle von Künstlinger besprochenen Stellen angeführt sind), ist durchaus nicht zu folgern, daß nnB bei den Pethichot nur bedeuten kann : »etwas nicht Erschlossenes erschließen«, daß die Pethicha die »Manipulation, die Art und Weise des Erschließens, Er- klärens« ist (S. 6). Unrichtig ist es auch, daß man, nach dem man die Pethicha geschaffen hatte, "WD mit nnB promiscue verwendet*). Das Wesen der Pethicha beschreibt noch K- mit folgenden formel- reichen Worten: »Wie wir oben bereits zu sehen Gelegenheit hatten, erklärte man A durch B, und da B oft ein anderes Bibelwort oder ein anderer Bibelvers war, so ist eben diese Deutungsmethode nichts anderes als die Anwendung einer der oben bereits erwähnten Me- thoden. A gilt als rasTim, satüm na'ül etc., B bewirkt, daß A wird

») Schon Grünhut in DTOpfj I. S. 22 erklärte nnB als synonym mit nnB, was aber auch Bacher, Terminologie II, S. 177 als unhaltbar zurückweist. Über den Gebrauch von nnB im jerus. Talmud und in den verschieden Midraschin, vgl. das S. 178 ff., wo auch die von K. als Belege notierten Stellen, angeführt sind, vgl. ferner Monatsschr. Jg. 1879, S. 171 fg. und Jg. 1885, S. 264 fg.

5G6 Besprechungen.

meföräS, patüah etc. Nun ist bei der Petihä nicht ein Wort, sondern gewöhnlich ein Komplex von Worten, ein Satz, ein Abschnitt gedeutet, erklärt. Die Pelina ist eine weitere Fortsetzung, eine Ausbildung der einzelnen Worterklärung übertragen auf ein Ganges. riDD folgt auf den zu erklärenden Satz A und erst die im Satz B enthaltenen Deutungen (a-f-b-|-c ztc), insoferne sie abgeschlossen sind und ein neues Licht auf das Ganze werfen, bilden die Petihä, das »Aufschlußgeben« über den noch nicht oder nicht so verstandenen Satz A. Daher gehört zum Wesen der Peühä eine Inclusio, d. h. die Erklärung in B, die A zu deuten haben, müssen am Ende in A (mit oder ohne eine hiefür geprägte Formel) einmünden, ein in sich eingeschlossenes Ganzes sein. Das Schema ist: A=B. Also B=A. Oder aufgelöst: A=B (=a+b-(-c etc.) Somit (a-f-b-f-c etc. =) B=A. abc sind die Deu- tungen der einzelnen Satzglieder des gedeuteten B, welches im Ganzen genommen als Erklärung dem A dienen soll.«

Ich empfehle doch die immerhin leichter verständliche Dar- stellung der Pethichot, die genaueren Angaben über ihre verschiedeneu Arten (die einfachen, erweiterten, zusammengesetzten), über die In- troductions- und Schlußformeln usw. in meiner Abhandlung in der Monatsschrift a. a. O. S. 108 ff., 164 ff., 271 ff., wie bei Lerner a. a. O. S. 16 ff., S. 129 ff, bei Bloch a. a. O. S. 175 ff., 210 ff. und May- barnn a. a. O. S. 14 ff. Die Erklärung Künstlhiger's trifft schon bei so vielen einfachen Pethichot nicht zu, und bei den zahlreichen zusammengesetzten Pethichot, die zumal in der Pesikta die Regel bilden, und die aus mehreren vermittels der Formel X"7 oder auf eine andere Weise verbundenen Teilen oder Gliedern bestehen, findet sich doch erst in dem Schlußgliede die Beziehung zu dem Schrift- verse, der an dtr Spitze der Parascha oder Piska (Homilie) steht! Eine solche Pcthicha ist schon in der Piska ntPB n^B BV3 \T1 ent- halten, der ersten Piska der Pesikta d. R. K., weiche Künstlinger zum Ausgangspunkte seiner Untersuchung diente. Es ist die Pethicha über Prov. 30, 4 (Pesikta S. 5a f.; vgl. auch Pesikta rabbati S. 15a f., Bamidbar rabba Kap. 12, Nr. 11 und Midrasch Mischie Kap. 30.)

-ty ia a-nan irapn m b^b «> r\by ^...nn Ppx sb yv>i cnv nty •'D bs vs>: iTa "wx nn pjbs ^b \tb in bv fl tvi tvi njnina b\-6k »i,t ia D'D» fibv 'B »h . . . rajn B'B -mit e^b ii5t "»b . . . mn "n vaena vjintpjjB p^na *ir\v nr] b'b^ji tiibi b^bpS nbty w^djiv w irr1?» m b^b» nby ^a »n . . . lvmtpya pbnv irxp m [. . . b'b ns %o wi n*i*i rotan hm nby nvai ia a*nai r\vu n\ b^bb> nbv ^a x*n . . .

B^TU U 1B3 135tJ B'B IIS ^ B T»J«1 J1K "JIKÄa n 11 (]DK ^B "HH |D !WD

.'..im nSs o^a "»fn lEw-p*?. . . ij»b 3*ik n? px ^bbk t ba a^pn id

(vrgl. Monatsschrift 1879, S. 172). Nach Künstlinger freilich bilden

Besprechungen. 507

diese Deutungen kein »sogenanntes« zusammengesetztes Proömium, sondern die erste, zweite und vierte Deutung, auch wenn sie an anderen Orten selbständige, echte oder unechte, ganze oder frag- mentierte« Pethichot gewesen sein mögen, sind »Parergaagädöt« zu einer Pethicha, die wohl ursprünglich der Deut. 14, 22 verfaßt war! Merkwürdig, daß sich in der Piska "itPj'n "itPj? in der Pesikta (und in Tanchuma, ed. Buber, n«"i Nr. 4—17, Tanchuma nun Nr. 10—18), wie in der Piska in der Pesikta rabbati S. 126 a ff. keine Spur von jener echten Pethicha findet, wie sie Künstlinger (S. 31) konstruiert. Die Deutung von Prov. 30, 4 in der Pesikta, meint Künstlinger, klammert sich an das Wort Dp1,*! TP1 und setzte es mit ,"!B*Ü Tf\bi DV3 \T1 in Verbindung, um eine »künstliche Inclusio« zusammenzubringen, und gibt an, wie die »falsche« Pethicha etwa lautete (S. 32).

Mit Hilfe der Theorie von den »Parergaagädöt« und »Okka- sionsagädöt« sucht der Verfasser auch »den ursprünglichen Bau, die Morphologie« der anderen Pathichot in der ersten Piska der Pesikta zu eruieren.

In Bezug auf die erste Pethicha, auf deren ganz besonders eingehende Behandlung (3. 11—26; Tabellen S. 14—25) der Ver- fasser außerordentlich viel Mühe und Scharfsinn verwandte, gelangt er zu dem Resultate: »»Die vergleichenden Tabellen der Parerga- und Okkasionsagadot beweisen klar und deutlich, daß PRK=PPA (Pesikta Panim Acherim in Tia^fl rp"2 V, S. 48 ff.) nur eine Reihe von Parerga-Okkasionagädöt zu einer Petihä nu*ö r),{r3 D"PS \T1 vorstelle, selbst aber keine Petihä seiu könne. Die Parasiten- agädöt zerfraßen gänzlich den Stamm der ihnen zugrundeliegenden Petihä, von der kaum noch eine Spur zu merken ist.««

Das ist keine Midrasch-Kritik und keine Rekonstruktion eines Midrasch, das ist eine Art prähistorischer Midrasch-Dichtung, gegen die man Verwahrung einlegen muß. In welchen Zeiträumen sollen denn die »Parasitenagadot,« die Parergaagädöt« und die »Okkasions- agadot«, welche letztere der Verfasser S. 11 »Parasiten zweiter Klasse« nennt, ihr zerstörendes Werk vollbracht haben, daß sie gänzlich den Stamm einer Pethicha »zerfraßen«, von der die Pethicha in der so alten Pesikta kaum mehr noch eine Spur zeigt? Darf man so gering von den Urhebern der alten Midrsschim denken, daß sie allerlei Bei- werk statt echter Deutungen gaben ? Der Verfasser, der seine Ver- mutungen als tatsächlich erwiesen hinstellt, daß die erste Piska, welche Pethichot zu Num. c. VII enthalten sollte, aus echten Pethichot zu Lev. IX, 1. Lev. IX (od. Ex. XL), Lev. IX, Deut. XIV, 22., Num. VI, 24, Ex. XL, 34—35 besteht, und sagen kann, daß diese Pethichot zum Zwecke einer Deutung zu Num. VII »so ziemlich ungeschickt,

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umgemodelt« worden sind, wirft noch die Frage auf, was den oder die Redaktoren der Pesikta veranlaßte, »echte Pethichot in unechte umzuwandeln«, und meint, die Antwort kann nur lauten, er oder sie hatten keine echten Pethichot zu Num. VII vorgefunden, und die echten Pethichot wurden in unechte umgemodelt weil man zu (Sabbat-) Chanukka Pethichot für die entsprechende Toralektion haben wollte usw. (S. 34 f.). Man ersieht nicht, zu welchem Ergebnisse der Verfasser gelangt wäre, wenn er statt der Pethicha WD JI^D DTO \T1 eine andere Piska zum Ausgangspunkt der Untersuchung gewählt hätte. Eine so weitgehende Untersuchung darf nicht auf der schmalen Grundlage einer einzigen Piska aus einem einzigen Midraschwerke geführt werden. Von den ältesten Midraschim liegt in einer Buberschen Edition aus der Pesikta der Midrasch Echa rabbati vor, der mit einer ganzen Sammlung von alten ^Q^m KnmriD beginnt, und in meiner kritischen Ausgabe des Bereschit rabba bieten auch die bisher erschienenen Paraschos ein reiches Material zur Behandlung der Pethichot .— In der ganzen Anlage der Pesikta wie der Pesikta rabbati und der anderen Homilien-Midraschim, Vajikra rabba, Tan- chuma usw. muß immer als das auffallendste erscheinen, daß jede Piska, Homilie, die durch ihren Aufbau, ihren formellen Schluß, kunstgerecht durchgeführt, als ein abgeschlossenes Qanzes uns vor- liegt, mehrere Pethichot zu dem betreffenden Schriftabschnitte, aber fortlaufende Auslegungen nur zu den ersten Versen desselben enthält vgl. die von mir Monatsschrift 1879, S. 339 mitgeteilte Ansicht Jellinek's, ferner meine Ausführungen Monatsschrift das S. 110 fg. Jg. 1881, S. 505 fg. Jg. 1885, S. 361; Maybaum, Homiletik S. 8, und Die ältesten Phasen etc. S. 42. Nach Künstlinger soll schon der Name Pesikta »fragmentum« (von pcs) bedeuten! »Das Ende der fortlaufenden Erklärungen ist wie dies bei allen Piskäöt der Fall ist abgeschnitten. Der oder die Redaktoren gingen wohl von zweierlei Gesichtspunkte aus, wenn sie jede Pisqä von vorneherein als ein Fragment ließen. 1. Für fortlaufende Erklärungen der Bibel- verse waren mehrere MidräSim, halächische wie agädische, vorhanden gewesen. Der Vortragende verfügte somit über ein ziemlich reiches Material, aus dem er schöpfen konnte. 2. Der Vortragende, der doch wohl Exeget vom Fache gewesen war, konnte die fortlaufenden Erklärungen auch selbst zustande bringen. Nicht so leicht war es hingegen von jedermann zu verlangen, er solle ein Kunstgebilde, wie die Petihä es ist, selber schaffen können. Daher verfertigte man für die ausgezeichneten Sabbate und Feste Petihäformularien. Man sammelte aus verschiedenen Midräslm, die eine Petihä für jede Törä- lektion und fortlaufenden Textkommentar hatten, die Petihot für jene

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Torälektion, welche an den ausgezeichneten Sabbaten und Festtagen vorgelesen wurde, übernahm einige fortlaufende Erklärungen zu einigen Sätzen und so erstand die Pesiqtä. Der jeweilige Exeget konnte an diesen Tagen eine Petihä . . . aus diesen Formularien sich auswählen, um vor dem Beginne der fortlaufenden Erklärung sie zu verwerten. Die Peslqlä . . . bildet ein solches Formularienbuch, aus dem der Vortragende . . . Petihöt, insoferne er sie selber nicht bilden konnte, für seinen Zweck benutzte. Den Anfang der fortlaufen- den Erklärungen, manchmal (?) auch das Schlußtrostwort oder die messianische Verheißung, nahm die Pesiqtä mit auf, um den Charakter ihrer Entstehung anzuzeigen (!). Die Midrä§im bestanden zuvörderst wie man aus allen uns zugebote stehenden eruieren kann aus solchen, die sich 1. mit der Einzeldeutung des ganzen biblischen Textes, 2. mit einer Petihä als generellen Interpretation, sowie mit Einzeldeutungen zu den Törälektionen und Haftäröt und 3. mit Formularien, die aus Petihötsammlungen mit einem Fragment aus verschiedenen Einzeldeutungen bestehend, befaßten. Tanhüma-Jelam- denu-Wajjikra r. usw. . . . sind nicht minder solche Petihäformularien für den Vortrag an gewöhnliche Sabbaten . . (S. 35 fg.). Ich habe auch diese Sätze wörtlich zitiert, in denen Vermutungen und Ansichten des Verfassers mit einer Gewißheit ausgesprochen werden, als wären es die sichersten Ergebnisse einer die schwierigsten Fragen der Midraschforschung zum Abschluß bringenden »Geschichte der Agädä«, einer Geschichte, die nach Künstlinger in weiter Ferne liegt. Dem Verfasser, der reiche Kenntnisse auf dem Gebiete der agadischen Literatur besitzt und ein sehr ernster Forscher ist, wünsche ich, daß seine Abhandlung nicht nur »einen ganz kleinen Beitrag« zur Auf- hellung des von ihm gekennzeichneten Themas liefern, sondern den Anlaß zu einer erneuten, umfassenden Untersuchung der ganzen Pethichot-Frage gebe. J.Theodor.

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R. Straus. Die Juden im Königreich Sizilien unter Normannen und Staurern. [Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, hrsg. von Kar! Hampe und Hermann Oncken, 30. Heft ] Heidelberg (Carl Winter) 1910. Die Geschichte Siziliens und Unteritaliens im 11. und 12. Jahrhundert ist von der Wissenschaft in den letzten Jahren mehrfach in Angriff genommen worden. Denken wir nur an die Arbeiten Fer- dinand Chalandons und Erich Caspars, so wird zugestanden werden müssen, daß große Fortschritte erzielt worden sind. Viel bleibt aber sehen wir von den Quellenpublikationen und -editionen ab, wo fast noch alles zu tun ist auch dem darstellenden Historiker noch zu leisten übrig. Denn von welcher Seite man auch an die Geschichte Siziliens in jener Epoche herantritt, findet man eigenartige Formen des geschichtlichen Lebens, wie es in einem derartig viel gestaltigen Lande nicht anders zu erwarten ist, Einzeiuntersuchungen werden also hier noch in großer Zahl, sei es für die Wirtschaftsgeschichte, sei es für die politische oder die Kulturgeschichte des Landes, geleistet werden müssen, ehe nur die wichtigsten Probleme gelöst sind. So ist es höchst dankenswert, daß Straus die Juden jener Zeit zum Gegen- stande einer eigenen Monographie gemacht hat. Straus gibt zu, daß bei der spärlichen Überlieferung die Arbeit einen teilweise konstruk- tiven Charakter erlangt habe und die Auffassung eine subjektive sei. Trotzdem geliugt es ihm, ein abgerundetes Bild der jüdischen Ge- schichte jener Epoche zu geben. Der eigentlichen Untersuchung schickt Straus eine Betrachtung über die grundlegenden politischen und kulturellen Verhältnisse voraus, die das Verständnis der jüdischen Zustände ermöglichen soll. Sizilien ist ein Nationalitätenstaat, und als die Normannen das Land besetzten, mußten sie den Juden wie den Sarazenen und Griechen diesen besonders in Unteritalien das Recht einer besonderen Nationalität einräumen. Damit ist schon der Unterschied Siziliens von den übrigen europäischen Staaten christ- lichen Nationalstaaten in Bezug auf die Judenpolitik gekennzeichnet. Die Entwicklung Siziliens vom Nationalitätenstaat zum christlichen Nationalstaat, die unter dem Einfluß der Kirche sich vollzieht, be- deutet für die Juden eine allmähliche Umbildung und Verengung

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ihrer Lage. Die staatsrechtliche Stellung der Juden wurde unter Friedrich II. juristisch zur Kamnierknechtschaft. Doch gestand man ihnen in der Rechtsübung einige Freiheiten so eigene Notare zu. Die Steuerpolitik des Staates gegenüber den Juden ist ein Aus- fluß der ja für Normannen und Staufer so überaus charakteristischen Regaiienpolitik, in der letzten Endes der Schlüssel für ihre Machc- fülle im Innern zu suchen ist. Färberei und Seidenindustrie waren Staatsmonopole, zugleich aber Judenmonopole, indem man sie in die Hand der Juden legte. Dies ist die Auffassung, die Straus gegen Caro, wie es mir scheint, mit Recht vertritt. Die Doppelstellung dieser Monopole ist charakteristisch, sie machte einerseits die Juden vom Staate völlig abhängig, andererseits aber wirtschaftlich unabhängig, weil im Vorteil gegen jede mögliche Konkurrenz. Die öffentlich-recht- liche Stellung der Juden wandelte sich in derselben Weise, wie der Staat sieb allmählich christianisierte ; so hat nur unter dem Drucke der Kirche Friedrich II. 1221 verordnet, daß die Juden auf ihren Kleidern ein Zeichen tragen sollten, 1231 aber nahm er diese Ver- ordnung nicht mehr in sein Gesetzbuch auf, als er sah, daß auch durch Zugeständnisse ein Frieden mit der Kurie nicht möglich war.

Im Mittelpunkte des Wirtschaftsleben der Juden standen die oben genannten Monopole. Ihre Finanzkraft ist nach Straus keine sehr bedeutende gewesen. Die Juden sind in Sizilien vornehmlich Handwerker, nicht Bankiers. Von der sozialen Verfassung der Juden sei nur die Tatsache genannt, daß durch die engen Bezie- hungen zwischen Staat und Juden ein eigener Stand von jüdischen Günstiingen sich bildete, der neben die beiden anderen jüdischen Adelskasten der Reichen und Gelehrten trat.

Die jüdische Wissenschaft jener Zeit ist nicht vornehmlich eine talmudische gewesen ; die Juden haben sich in den meisten Dis- ziplinen der damaligen Wissenschaft betätigt. Aber eine gewisse Ab- hängigkeit des jüdischen Forschens vom Hofe, der es anregte, ist festzustellen. Zusammenfassend weist Straus darauf hin, daß die jü- dische Geschichte Siziliens eben eine von der jüdischen Geschichte Nordeuropas verschiedene ist und daß es zu Irrtümern führen muß, hier und dort dieselben Motive anzunehmen.

Der besonderen wissenschaftlichen Beachtung sei der Anhang der Straus'schen Arbeit empfohlen, der die wesentlichsten Quel'.en- belege zusammenstellt. Gerade für sizilische Geschichte, wo die Quellen so unendlich zerstreut sind, ist eine derartige Sammlung höchst dankenswert. Fehlt ja immer noch für die Normannen eine Regestensammlung, die Garufi zwar plant, aber immer noch nicht vollendet hat.

512 Besprechungen.

Man wird der vorliegenden Arbeit, die eine wesentliche Lücke in der jüdischen und allgemeinen Geschichte ausfüllt, die Anerkennug nicht versagen können, daß sie, getragen von eingehendem Verständnis für die allgemeinen politischen und kulturellen Zustände jener Zeit, in streng wissenschaftlicher Form eine erschöpfende Darstellung auf Orund des bis jetzt vorhandenen Quellenmaterials gibt.

Breslau. Willy C o h n.

*

Unberechtigter Nachdruck ans dem Inhalt dieser Zeitschrift ist untersagt.

Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. BRANN in Breslau. Druck von Adolf Alkalay 8r Sohn in Preßburg.

Die Ethik R. Saadjas.

Von David Rau s. A.

(Fortsetzung.)

Die Ethik.

Gruppierung und Behandlung des ethischen Stoffes

bei Saadja.

Saadja hat ein zusammenhängendes ethisches System nicht geliefert. Ihm ist die Ethik zwar eine besondere phi- losophische Disziplin ; da sie aber in den von ihm berück- sichtigten Quellen nur als ein mit anderen ihr verwandten Disziplinen eng verflochtener Bestandteil der Religion auf- tritt, so war er gewissermaßen aus Rücksicht auf die Ökonomie seines den ganzen Glaubensinhalt des Judentums behandelnden Systems gezwungen, ethische Fragen im Zu- sammenhange mit religiösen und anderen, die gerade mit ihnen verbunden waren, zu behandeln. So erörtert er im dritten Abschnitt seines religionsphilosophischen Werkes Emunot we-Deot, der über Offenbarung und Gesetz, über Prophetie und Tradition, handelt, die Frage vom höchsten Gut und die zur Erlangung der Glückseligkeit führenden Mittel und Wege. Der vierte Abschnitt behandelt die Stellung des Menschen in der Natur, dessen Vorzüge und die Wil- lensfreiheit. Im fünften Abschnitt bespricht Saadja die Tu- gendlehre, die verschiedenen Stufen des religiösen und sittlichen Verhaltens und die Lehre von der Vergeltung während er aber außerdem noch Fragen rein dogmatischer Art, die mit der Ethik in mehr oder weniger naher Bezie- hung stehen, mit gleicher Ausführlichkeit behandelt. Am Ende des fünften Abschnitts, der im Großen und Ganzen

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 33

514 Die Ethik R. Saadjas.

seine allgemeine Ethik beschließt, bekennt er selbst, daß seine Darstellung keine erschöpfende Behandlung aller dahin gehörenden Gedanken enthalte; er hoffe aber, daß die von ihm gegebenen Grundgedanken für das Verhalten des Men- schen von Nutzen sein werden1). Erst im zehnten Abschnitt stellt er eine konkrete Ethik auf, indem er das praktische Leben in seinen besonderen Erscheinungen auf dreizehn verschiedene Lebensrichtungen zurückführt und sie einer eingehenden Prüfung unterwirft. Er wägt die Vor- und Nachteile einer jeden sorgfältig ab und gelangt dadurch zur Bestimmung der Grenzen, innerhalb deren jede Neigung berechtigt ist, über die hinaus ihr aber nie gefolgt werden darf, wenn sie den Zwecken, die Gott dem Menschen ge- geben, dienen und zur Förderung der menschlichen Glück- seligkeit beitragen soll. Aber auch seine praktische Ethik läßt, obgleich der zehnte Abschnitt ihr fast ausschließlich gewidmet ist, eine streng logische und abschließende Be- handlung ihres Inhalts vermissen. Das hat Saadja vielleicht selbst gefühlt, und deshalb bemerkt er, ein vollständiges System der praktischen Ethik ergebe sich, wenn man alles das, was sich in jeder der dreizehn verschiedenen Lebens- richtungen nach kritischer Prüfung als richtig und erstre- benswert erweise, zusammenstelle und zu einem Ganzen vereinige2). Durch die ganze Anlage seines Buches, sowie

») Emunot we-Deot V, S 94: D'rjpn »rflOp ibx p PTP »5*1

nb« "jk ,Drr,Ti bv dix ^a mjnä vb* yixv no o'btp» ttti xb »ffs-w

kto ntjn ar\b D^TIO 1\T D'Dnp D-'rban.

») Emunot we-Deot X, S. 146: fsn b? ITOKW HDÖ bbzi fSpVn übv mtrne -ibd pnpn rvm -ijnp bsn. Wolff lest diese Stelle nach dem arabischen Texte (vgl. Berliner, Magazin für die Wissenschaft des Judentums Bd. VII, S. 73— K'O) wie folgt: rWW na» bh? pp«i niabtt? mens neo y^pn K-ipKi *w T33 psn bo§ »und ich würde das Zusammengestellte ein Buch der vollkommenen Enthaltsamkeit nennen«. Wir zitieren zwar durchwegs nach der Slucky'schen Ausgabe, Leipzig 1864, berücksichtigen aber immer Abweichungen, welche sich durch die genauen und eingehenden Vergleichungen des arab. und hebr. Textes durch Wolff (Berliners Magazin VII, 73— 100; ZDMO. XXXIII,

Die Ethik R. Saadjas. 515

die Unmöglichkeit, den ethischen Stoff anders als durch die gleichzeitige Behandlung des religiösen zu gewinnen, ver- liert die Ethik bei Saadja die Einheit. Er führt die Unter- suchung auf den ethischen Gehalt gewisser Partieen in der Überlieferung eine Zeit lang fort, bricht dann ab und geht, ohne das ethische Resümee gezogen zu haben, auf andere Fragen ein. Man gelangt dadurch zu dem, wie wir später sehen werden, oft berechtigten Zweifel, ob ihm innerhalb des ihm von der jüdischen Überlieferung (worunter wir bei Saadja Bibel und Talmud verstehen) gegebenen Stoffes eine durchgehende Unterscheidung zwischen religiösen und ethi- schen Forderungen gelungen ist. Wir werden daher, um uns über diesen Punkt klar zu werden und, im Interesse der systematischen Einheit, den zerstreuten Stoff zu ordnen, zuerst die Grundbegriffe der Ethik und dann die Ethik als Tugend- und Güterlehre zu behandeln versuchen.

Bevor wir jedoch an spezifisch ethische Fragen heran- treten, dürfte es gerechtfertigt erscheinen, zuerst die Er- kenntnistheorie Saadjas kurz auszuführen, weil sie bei ihm, wie bei jedem Philosophen, die Grundlage und mithin den Schlüssel zum Verständnis seiner ganzen Philosophie biktet.

Wir besprechen hier hauptsächlich

die Erkenutnisquellen Saadjas and ihr Verhältnis zur Ethik.

Der mächtige Einfluß, den die griechische Philosophie auch auf Saadja ausgeübt hat, zeigt sich vor allem darin, daß ihm wie ja auch den griechischen Denkern seit So- krates, die wahre Sittlichkeit nur auf klarer und richtiger Erkenntnis beruht. So sagt er sogleich in der Einleitung1):

69t 707) Ooldziher ZDMQ. XXXV, 773-783, D. Kaufmann ZDMO XXXVII, 230-249) u. D. Simonsen (in Guttmanns Religionsphilo- sophie des Saadja, s. dessen Vorwort) ergeben habeu, wodurch der von uns benuzte Text als zuverlässig gelten kann. Bekanntlich liegt der ganze arabische Text seit 1880 gedruckt vor. Der V»*rf. war aber außer Stande, unmittelbar aus dieser Quelle zu schöpfen. >) Emunot we-Deot S. 2: "Ol aryv "WK ov\

33*

516 Die Ethik R. Saadjas.

»Diejenigen, deren Kenntnis oder deren Anstrengung im richtigen Erkennen der Wahrheit gering ist, heißen Frevler, eben weil sie an der Wahrheit freveln. Fromme werden aber diejenigen genannt, die sich ausdauernd bemühen, mit ihrem Wissen die Wahrheit zu prüfen. Die Weisen sind also nur dann zu loben, und die Zweifel schwinden ihnen nur dann, wenn sie nach einer genauen Kenntnis ihres Gegenstandes das Joch allseitiger Erforschung geduldig bis zu Ende tragen.« An einer anderen Stelle1), wo er sein Buch, das doch der wissenschaftlichen Untersuchung gewidmet ist, empfiehlt, heißt es: »Wenn Gelehrte und Jünger so mit meinem Buche verfahren werden, so wird derjenige, der schon vorher zu einer sicheren Kenntnis gelangt war, da- durch noch mehr an derselben festhalten, dem Zweifler wird der Zweifel entschwinden, der an die Tradition Glau- bende wird seinen Glauben kritisch und denkend er- fassen . . ., dadurch wird das Wesen der Menschen (ihre Gedanken) sich bessern, ihr Gebet aufrichtig und innig werden, da tn ihrem Herzen der göttliche Mahner ist, der sie von Sünden abhält und sie zum Rechten anregt. Ihr Glaube wird dann aber auch in ihrem Tun sich bewähren, die Mißgunst des einen gegen den anderen weltlicher Dinge wegen wird schwinden, gemeinsam werden sie zu den Männern der Weisheit sich wenden, nicht aber frem- dem Wesen sich hingeben, und hierdurch wird ihnen Heil, Barmherzigkeit und Glück zuteil werden. All dies wird eintreten mit dem Schwinden der Zweifel und mit der Be- seitigung des Irrtums; die Erkenntnis Gottes und seiner Lehre wird sich dann in der Welt ausbreiten, wie das Wasser in den Tiefen des Meeres, und es erfüllt sich die Verheißung: »Die Erde ist voll der Erkenntnis Gottes, wie Wasser den Meeresgrund bedecken (Jes. 11, 9)c. Allein er unterscheidet sich doch sehr wesentlich von den griechi- schen Philosophen durch die Beantwortung der Frage»

') Das. S, 3 unten: tov *vöSnni Dann )nr -\vx?h

Die Ethik R. Saadjas. 517

welches die Quellen für diese Erkenntnis seien. Für £o- krates war diese Quelle die Dialektik, die große Scheide- kunst, die das Wesentliche von dem Unwesentlichen trennte und die verschwommene Vorstellung in einen festen und klaren Begriff zusammenzog. Plato hatte auf dem Wege der Dialektik hinter dem Begriff die Idee entdeckt und geglaubt, daß diese nur mittelst der Vernunft, frei und unabhängig von jeder sinnlichen Wahrnehmung, er- kannt werden könnte. Der sokratisch-platonischen Dialektik huldigte zum großen Teile auch Aristoteles, allein, im Ge- gensatz zu Plato, machte er die sinnliche Wahrnehmung zur Grundlage aller Erkenntnis. Von der sinnlichen Wahr- nehmung steigt der Mensch, wie Aristoteles lehrt1), durch fortgesetzte Abstraktionen stufenweise vom Besonderen zum Allgemeinen, von den Wirkungen zu den Ursachen und so zum Ziel unserer Erkenntnis. Saadja folgt nun zu- nächst auch hierin, in näherem Anschluß an Aristoteles, der griechischen Philosophie. Er dringt deshalb ebenfalls auf klare Begriffsbestimmung wie Sokrates, nimmt mit Plato eine intuitive Vernunfterkenntnis an und macht doch wie Aristoteles die sinnliche Wahrnehmung zur Grundlage alles Wissens und Erkennens. »Der Anfang, mit dem die menschlichen Erkenntnisse beginnen,« sagt er in der Ein- leitung*), »wird von durcheinander gemischten, verwor- renen Anschauungen gebildet; die dem Menschen eigene Vernunft läßt aber nicht nach, jene Begriffe innerhalb einer gewissen Zeit zu klären und zu läutern, bis die Zweifel geschwunden, und die klare, mit keinem Zweifel mehr versetzte Erkenntnis gewonnen ist. An einem an- deren Orte8) heißt es: »Zur Erkenntnis eines Dinges muß man zunächst alle diesem eigentümlichen Merkmale sammeln.

») Zeller II, 2, S. 138-140. ') Emunot we-Deot S. 4.

») Jezirahkommentar, S. 26 und 83 zu 11, § 1. \Vgl Jetzt ed Lambert (Paris 1891) S. 59).

518 Die Ethik R. Saadjas.

Die gesammelten Merkmale werden dann der Urteilskraft unterbreitet, die das Wahre und Richtige vom Falschen und Unrichtigen sondert und sichtet. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden dann vom Gedächtnis erfaßt und aufbewahrt. Dieser ganze Denkprozeß beruht aber auf der Voraussetzung von der Richtigkeit unserer Sinneswahr- nehmungen.« Aber nicht nur der Begriff, auch die höchste Erkenntnis nimmt bei Saadja wie bei Aristoteles ihren Ausgang von der sinnlichen Wahrnehmung. »Das mensch- liche Wissen hat zu seiner Grundlage die sinnliche Wahr- nehmung; es nimmt seinen Ausgang von den groben Sinneseindrücken, die den Menschen unter sich und auch mit den Tieren gemeinsam sind. Allein der Mensch bleibt bei der Erkenntnis durch die Sinneswahrnehmung nicht stehen ; von dieser untersten Erkenntnisstufe steigt er vielmehr immer höher und höher hinauf, bis er endlich zu der höchsten, ihm erreichbaren Stufe gelangt ist. Mit jeder höheren Stufe der Erkenntnis nimmt aber die sinnliche Greif- barkeit seiner Erkenntnisse naturgemäß immer mehr ab, bis der Mensch, an der äußersten Grenze seiner Erkenntnis angelangt auch die feinste und höchste Abstraktion gewonnen hat«1).

1) Emunot we-Deot II, S. 39; vgl. hiermit die Entstehung des Wissens bei Aristoteles, Zeller II, 2, 138—140. Die Abhängigkeit Saad- jas von Aristoteles zeigt sich auch sonst noch oft. So sagt Saadja Em. we-Deot I, S. 34: "Dl ibrtPS jnv Kin Sdk und Einleitung S. 6: '131 aba r6iy p:p K\*l '3 -iökji fast wie Aristot., daß sich aus der Wahr- nehmung mittelst des Gedächtnisses ein allgemeines Bild erzeuge, indem dasjenige fes'gehalten werde, was die Begriffe bildende Ver- nunft von dem alle sinnlichen Wahrnehmungen aufbewahrenden und vereinigenden Seelenvermögen empfängt. Daß dieses Vermögen der aristotel. Gemeinsinn sei, hat schon Guttmann a. a. O. S 71 be- merkt. Mit Arist. (Zeller II, 2, S. 133) glaubt auch Saadja, daß, wenn das Wissen auch vermittelst der Erfahrung zustande komme, die Seele den Grund ihres Wissens doch in sich selbst trage: Emunot we-Deot VI, S. 98: °oi nüs^ riESn nx?n wesn *d & -uann p nnNi, ferner, daß, wenn die Sinne täuschen, nicht sie, sondern der Verstand die Schuld daran trage, da sie nur seine Werkzeuge seien. Das: «Die,

Die Ethik R. Saadjas. 519

Hier wie an anderen Stellen1) betont Saadja die sinnliche Wahrnehmung als die einzige Erkenntnisquelle, und doch hindert ihn das nicht, gleich beim Anfang seiner Unter- suchungen2) drei natürliche Erkenntnisquellen anzunehmen, in denen alle Wahrheit und Gewißheit ihren Ursprung habe: 1. die durch die fünf Sinne vermittelte Wahrnehmung, 2. die intuitive Erkenntnis der Vernunft und 3. das Er- kennen durch Reflexion und logische Schlüsse, indem man von einer durch die Sinne wahrgenommenen oder durch die Vernunft erkannten Wirkung auf eine nicht weiter wahr- nehmbare oder erkennbare Ursache schließen muß. Die dritte Erkenntnisquelle hat die beiden ersten zu ihrer Voraus- setzung; das Verhältnis aber, in welchem die zweite zur ersten, das heißt die intuitive Vernunfterkenntnis zur sinn- lichen Wahrnehmung steht, ist mit Sicherheit bei Saadja nicht festzustellen9). Wie verhalten sich diese drei natür- lichen Erkenntnisquellen zur ethischen Erkenntnis? Die durch die Sinne erlangte Erkenntnis hält Saadja für eine unzweifelhaft wahre, sobald sich der Mensch dabei nicht durch die Einbildung täuschen läßt, so daß in der Er- kenntnis, die aus dieser Quelle fließt, keine Differenz unter den Menschen stattfindet*). Für die Ethik liefert diese Quelle die Erkenntnis von dem, was Lust und Schmerz bereitet oder angenehm und unangenehm ist. Außerdem beweist Saadja aus ihr die Willensfreiheit des Menschen*).

See.e est gibt den Sinneswerkzeugen (»im 'bab) die Fähigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung. Vgl D. Kaufmann, Die Sinne, S. 57.

») Emunot II, S. 56; vgl. S. 7; I, 41.

») Das. S. 7.

3) Aus Emunot S. 7: W3 1BÖ piENOS -iBimi und aus I, S. 41 unten, wäre die Abhärgigkeit der Vernunfterkenntnis von der Sinnes- wahrnehmung zu folgern; diesen Stellen stehen aber andere gegen- über: I, S. 34 und 37; II, S. 55, an denen die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Vernunfterkenntnis betont wird.

4) Emunot S. 8, I, S. 15.

«) Das. IV, S.78; vgl. X, 148 usw.

520 Die Ethik R. Saadjas.

Ebenso wahr und zuverlässig wie die sinnliche Wahr- nehmung ist die Erkenntnis der Vernunft, sobald der Mensch sie nicht mit den Gebilden des Traumes und der Phantasie verwechselt. Diese Erkenntnisquelle spielt in der Ethik Saadja's die bei weitem wichtigste Rolle, und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir behaupten, daß Saadja sie Plato entlehnt hat, bei dem ja hauptsächlich das Wahre, Schöne und Gute ein eigentümliches Gebiet der Erkenntnis ausmachen, welches die Seele, von aller Sinneswahrneh- mung unabhängig, durch eigene und selbständige Tätigkeit hervorbringt. Saadja führt wiederholt als Beispiel einer Vernunfterkenntnis den Satz an »Die Wahrheit ist gut, die Lüge ist schimpflich«1), außerdem operiert er bei den ethischen Untersuchungen im dritten Abschnitt fast aus- schließlich mit dieser Erkentnnisquelle. Nicht so absolut sicher und zweifellos ist die Erkenntnis, die wir durch lo- gische Folgerungen erhalten. Die meisten Abweichungen und Verschiedenheiten in den Ansichten der Menschen haben deshalb auch gerade in dieser Erkenntnisquelle ihren Grund. Saadja läßt deshalb die auf diesem Wege gewonnene Er- kenntnis nur dann als wahr gelten, wenn sie die einzige und ausschließliche Erklärung für eine ihr zu Grunde lie- gende Sinneswahrnehmung oder sonst feststehende Ver- nunfterkenntnis bildet, wenn sie ferner weder einer anderen Wahrheit widerspricht noch in sich sich selbst einen Wider- spruch enthält. In der Ethik weist Saadja auf Grund dieser Einschränkungen das hedonistische Prinzip, daß das An- genehme das Gute sei, zurück8). Auch darin ist eine Anlehnung an Plato oder doch wenigstens eine, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen herbeigeführte, Überein- stimmung nicht zu verkennen. Nichtsdestoweniger ist die Ethik Saadja's doch sowohl von der Plato's als auch der des Aristoteles wie überhaupt der griechischen wesentlich

*) Emunot S. 7, 8; I, S. 36 oben; II, S. 55. >) Das. S. 10; vgl. III, S. 60.

Die Ethik R. Saadjas. 521

dadurch verschieden, daß er neben den natürlichen Er- kenntnisquellen eine außerhalb des Menschen liegende annimmt, nämlich »die wahrhafte Überlieferung«. »Die wahr- hafte Überlieferung« enthält nach Saadja sowohl die schrift- liche Lehre als auch die mündliche Tradition1). Obgleich sie ihre Gültigkeit aus den drei natürlichen Erkenntnis- quellen herleitet, bestätigt sie selbst andererseits wieder die Richtigkeit der natürlichen Erkenntnisquellen2), so daß eine vollständige Übereinstimmung zwischen den Lehren der »wahrhaften Überlieferung«, das heißt der Offenbarung,

*) Emunot S. 7 ; das II, S. 49 bringt Saadja aus der Schrift C|D 31J13.1) und aus der Tradition (Palpen fC) Beweise, dort nennt er die üesetzeslehrer die Schüler der Propheten. Deshalb nennt er auch (worüber Guttmann, Religionsph. d. Saadja, S. 141, Anm. 3 sich wun- dert) die unzweifelhaft talmudischen Bestimmungen über Eheschließung und Erwerb »prophetische. •, Emunot III, S. 61 62. Er hält das. III, S. 72 die Überlieferung zur Erklärung der Lehren und Gebote der Offenbarung ebenso notwendig wie die Vernunft.

*) Emunot S. 7 u. 8. Bemerkenswert ist, wie Saadja die Wahr- heit der »vierten Erkenntnisquelle« aus den drei natürlichen beweisen will. Die Wahrheit der Überlieferung ist; 1. durch die sinnliche Wahr- nehmung bestätigt, da die Offenbarungen an die Propheten stets von Zeichen und Wundern begleitet waren, Emunot III, S. 63 64; das. S. 12; sie wird 2. durch die Vernunfterkenntnis bestätigt, so daß sie auch spätere Geschlechter, die die Zeichen und Wunder nicht gesehen, ebenfalls überzeugt. Gott hat nämlich in die menschliche Vernunft die Geneigtheit zur Aufnahme wahrhafter Überlieferungen gelegt, so daß sich die Seele bei ihnen beruhigt fühlt und ihren Urkunden und Berichten Glauben schenkt. Im übrigen sind ja auch im gewöhnlichen Leben die meisten Handlungen der Menschen von dem Glauben an die Wahrheit des ihnen durch andere Überlieferten abhängig. Ohne diesen Glauben wäre kein Handel und Wandel, ja nicht einmal der Bestand eines geordneten Staatswesens möglich. Ohne ihn könnten wir mit Bestimmtheit weder unsere Mutter noch unseren Vater an- geben und gleich den Skeptikern dürften wir nur den Wahrnehmungen Glauben schenken. III, S. 65; 3. ergibt sich die Wahrheit der »wahr- haften Überlieferung« auch durch die Überlegung, daß, wenn die Überlieferung irrtümlich aufgefaßt oder absichtlich gefälscht wäre, dies wohl möglicherweise einem Einzelnen hätte verborgen bleiben

522 Die Ethik R. Saadjas.

und den Ergebnissen der menschlichen Forschung möglich ist. In welchem Verhältnis steht diese vierte Erkenntnis- quelle zu den anderen, oder mit anderen Worten, wie ver- halten sich Offenbarung und Vernunfterkenntnis zu einander und in welchem Verhältnis stehen beide zur Ethik? Alle Wahrheiten, die der Mensch aus seinen natürlichen Er- kenntnisquellen schöpfen will, kann er nur auf dem Wege sehr mühevoller Spekulation und nur im allmählichen Fortschritt erlangen, wobei er außerdem fortwährend der Gefahr ausgesetzt ist, durch einen Fehler in der Unter- suchung zu einem falschen Resultate zu kommen. Dem gegenüber bietet die Offenbarung die höchsten Erkennt- nisse dem Menschen mühelos dar, so daß auch die der philosophischen Forschung Entbehrenden und Unfähigen, ja sogar Weiber und Kinder, sich diese anzueignen vermögen. Die Offenbarung umfaßt alle Lehren und Ge- setze, deren der Mensch überhaupt bedarf; die Vernunft kann diese Lehren und Gesetze zwar ebenfalls geben, allein ihre hauptsächlichste Aufgabe besteht zunächst darin, daß sie das, was die Offenbarung apodiktisch lehrt und befiehlt, nach angestrengtem Nachdenken auf seinen Wahr- heitsgehalt prüft und auf sittliche Gründe zurückführt1), damit der Mensch so vom Wissen zum Glauben gelange2).

können; bei einer großen Gesamtheit ist in der Überlieferung weder eine irrtümliche Auffassung noch ein Betrug denkbar, ohne daß sich zugleich die Überlieferung von diesem als Betrug weiter fortgepflanzt hätte, das III, S. 66.

») Emunot S. 11 13.

s) Vgl. Emunot S. 3 ff. Es gehört dies gewissermaßen zur Tendenz seines Buches. Es ist interessant in dieser Beziehung, wie es StöckI getan hat, Saadja mit der christlichen Scholastik zu ver- gleichen. Saadja ist der Ansicht, daß ohne Erkenntnis kein echter Glaube möglich ist. Anselm v. Canterbury dagegen lehrte wie Augustin, »daß ohne den Glauben keine Erkenntnis möglich sei«. Vgl. H. Ritter, Geschichte der christl. Philosophie, III, Harnt urg 1844, S. J25. Es gibt aber auch verwandte Ansichten. Saadja am nächsten kommt unter allen christlichen Scholastikern Abälard, der, ebenfalls »die natürlichen

Die Ethik R. Saadjas. 523

Dieses Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Philosophie gewissermaßen auch nur »die Magd der Religion« ist, kommt hauptsächlich in den metaphysischen Forschungen Saadja's zum Ausdruck. In den ethischen Betrachtungen gewährt er der Vernunft mehr Freiheit und Selbständigkeit, <loch beschränkt er ihr Vermögen dahin, daß sie die Wahr- heiten des praktischen Lebens nur im allgemeinen zu finden, keineswegs aber genau zu bestimmen vermag. Wollte man daher es der Vernunft allein überlassen die Normen festzustellen, nach denen sich das Tun und Lassen der Menschen zu richten hätte, so wäre man in sehr vielen Punkten ratlos und eine Übereinstimmung in den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen fast unmöglich. Diesen Mangel der Vernunft ersetzt nun vollständig die Offenbarung, so ■daß sie im praktischen Leben als die notwendige Ergän- zung der menschlichen Vernunft unentbehrlich ist1).

Welche Gestalt die Ethik Saadja's bei diesen Voraus- setzungen annehmen muß, ist schon hier zu erkennen. Sie wird nur in beschränktem Maße autonom sein, und so weit sie heteronom ist, wird sie von spezifisch religiösen und ähnlichen Elementen durchsetzt sein. Wir wollen nun ver- suchen, die Grundbegriffe der saadjanischen Ethik darzu- stellen, und zwar zunächst ihren Begriff und ihre Kategorien.

Erkenntnisse als Anfänge unseres Glaubens betrachtete«, und daher nicht den Glauben vor dem Wissen, sondern das Wissen vor dem Glauben, forderte, s. Ritter, das 409 ff. Thomas v. Aquino hatte, von Maimonides beeinflußt, ebenfalls Vernunft und Offenbarung als zwei Er- kenntnisquellen angenommen. Allein während Saadja die Offenbarung mehr für ein äußeres Förderungsmittel für die natürliche Erkenntnis hielt, weil die Offenbarung nur das lehre, was die menschliche Ver- nunft selbst erkennen könne, hielt Thomas sie für eine absolute Not- wendigkeit wegen der Mysterien, die jenseits aller Vernunft liegen. Saadja kennt keine Glaubensmysterien. Stockt, A. Geschichte d. Pnilos. d. Mittelalters II, S. 447.

l) Die Spekulation dient nur dazu, uns durch Vernunftgründe von der Wahrheit der Offenbarungslehren zu überzeugen. Em. S. 12. Wer philosophiert, ohne die Schriften der Propheten zu beachten,

524 Die Ethik R. Saadjas.

III. Die Grandbegriffe der Ethik. 1. Die Ethik als philosophische Disziplin und ihr Begriff. Gegen Ende des zehnten Abschnittes seines religions- philosophischen Werkes gibt Saadja in Anlehnung an Ko- helet eine Einteilung der Wissenschaft, wonach er sie in drei Disziplinen scheidet. Er nennt dort:

1. Die Wissenschaft von den Naturdingen und der Weltschöpfung D^j?n T)TV\ dwh jiMfi, die von der sichtbaren Welt ausgehend zu dem höchsten Objekt des Erkennens auf- steigt und Gott als den Realgrund alles Seins erkennt. Es ist dies wohl die theoretische Wissenschaft der Physik und Metaphysik. Rechnen wir hierzu noch die Mathematik, die er wwn rOK^o1) oder ony^m nncn wr2) nennt, so haben wir die drei Teile der theoretischen Philosophie bei Aristoteles8).

2. Die Politik mz^on rmn, die sich mit der Ordnung der menschlichen Gesellschaft und den Mitteln zu ihrem Schutze beschäftigt4).

3. Die Religion rwtvi rmay noon; sie ist die Wis- senschaft, welche das Verhältnis des Menschen zur Gott- heit zum Inhalt hat und das ganze Leben des Menschen sowohl nach innen wie nach außen auf Grund dieses Ver- hältnisses nach allen Richtungen hin genau bestimmt und

sündigt, obgleich er ein Philosoph ist, das. S. 11. Mehr Freiheit wird der Vernunfterkenntnis III, S. 58 und [besonders III, S. 61, volle Selb- ständigkeit aber und bestimmender Einfluß auf das praktische Leben erst im zehnten Abschnitt zuerkannt.

l) Emunot we-Deot, Einleitung S. 9.

») das. X, S. 153 Mitte.

s) Zeller II, 2, S. 123. Dieser Einteilung folgte später auch Maimonides in Mill. higgajon, p. 14.

*) Emunot X, S. 161, dort werden die drei Disziplinen als- HÖSn aus dem jedesmaligen Gegensatz gefolgert. Zur Politik, vgl. ibid. X, S. 154 die »neunte Lebensrichtungt IV, S. 76 oben: jr>n m*

dik ua uprur ny »peStmi no^on r\:rnnb ,rmnoni phtmn »roh.

Die Ethik R. Saadjas. 52S

regelt*). Die Ethik als besondere Disziplin findet in diesem System also keine Stelle. Nehmen wir aber an, daß hier Politik und Religion die Teile der praktischen Philosophie bilden und also der Ethik und Politik im aristotelischen Systeme entsprechen8), dann werden wir, wenn wir von der umgekehrten Folge der Teile absehen, die Ethik Sa- adja's hauptsächlich in dessen »Religion« zu suchen haben. Indessen es scheint doch auch, daß Saadja, unter dem Ein- fluß der griechischen Philosophie, obgleich er die Politik selbst nicht weiter behandelt hat, wozu er ja auch, da er hauptsächlich nur für seine Glaubensgenossen schrieb, keine Veranlassung hatte, die Ethik auch als eine ^Politik im engeren Sinne« betrachtet hat, und sie infolgedessen also auch zur Politik rechnet Wie wir aus gelegentlichen Bemerkungen ersehen und auch oben schon bemerkt haben, besteht die Politik in der »Leitung des Staatswesens«, ihr Zweck ist die Förderung der Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft8). Die Mittel zur Erlangung dieses Zweckes gibt nur »die vernünftige Überlegung G1S9R)« an4;, indem sie durch Gesetze und Verbote für die Aufrechterhaltung der Ordnung sorgt und die Gesellschaft vor Untergang bewahrt. Eine Bedingung zum Bestände des staatlichen Gemeinwesens ist aber auch der Glaube an die Wahr- heit menschlicher Überlieferung, denn ohne diesen würde

l) Unter mi3J> versteht Saadja den praktischen Teil der Re- ligion, der als Gottesdienst im weitesten Sinne das ganze Leben des Menschen umfaßt Emunot X, S. 157: riv^apn ITOton ^33 KT! rffbjjn »3

*) »Politische Wissenschaft« ist der von Aristoteles eingeführte Name für das ganze Gebiet des praktischen Lebens, welcher Ethik und Politik umfaßt, s. N. E. VI, 8, vgl. Zeller II, 2, S. 127 u. 468.

») Emunot X. S. 161; VI, 76: B*W '33 upwu» Ifi X, S. 154: Vfliipr Wh» «Si ,Tne» D*?iJH JWI »h m-urn ItVlH Ohne Regierung wäre keine Ordnung in der Welt, und ihre Wohlfahrt könnte nicht gefördert werden.

«) Emunot X, S. 155: noana ott '3 jt.t *b oS'jn ino.

526 Die Ethik R. Saadjas.

jeder den obrigkeitlichen Gesetzen und Anordnungen, wo- fern er bei deren Verkündigung nicht selber zug gen war,, den Gehorsam versagen und dadurch die Staatsleiiung un- möglich machen1). Fast analog diesem Begriff der Politik ist auch der Begriff der saadjanischen Ethik. Sie besteht ebenfalls in der »Leitung« nach »vernünftiger Überlegung«, aber in der Selbstleitung*), und ihr Zweck besteht eben- falls in der Förderung der Wohlfahrt, aber in der Wohlfahrt der eigenen Person8). Die Mittel, die zur Erreichung dieses Zieles dienen, gibt ebenfalls nur die Vernunft an, indem sie als oberste Richterin alle Triebkräfte der Seele so re- gelt, daß sie jeder einzelnen von ihnen die Zeit und das Maß ihrer Wirksamkeit bestimmt, wie es in den einzelnen Fällen das vollendete Wohl des Menschen gerade erheischt4). Nach dieser Richtung hin bestimmt Saadja die Form und den Inhalt der Ethik hauptsächlich im zehnten Abschnitt seines religionsphilosophischen Werkes. Er betrachtet den Menschen dort vorwiegend als irdisches Naturwesen, dessen höchstes eben nur auf Erden erreichbares Ziel das geistige und leibliche Wohlbefinden bildet. Seine Ethik wird dadurch, wie Luthardt die antike Ethik bezeichnet, »naturhaft ; sie sucht deshalb auch nicht das menschliche Leben und Han- deln mit einem Höheren, jenseits der Menschengewalt Lie- genden, in Verbindung zu bringen, dessen absoluter Wille die Norm für den Willen und das ethische Urteil des Men- schen abgeben könnte, sondern sie nimmt ihren Ausgang

») das III, S. 65: mSD ^2ps xb .TU"! nSlJD WiW kS DK

raronn ntoa ,p mn iSxi . . . im» i»tb> nya *a wenn »*?i cobti

Dl» *32B HD1H H3K1, vgl. III, 59 unten; X, lvi unten;

») das. X, S 145: nfjfm m»i nruna noanS arsn*, vgl. 1/ S. 36: mnri bx "pah ryn ,obsv bx uoj> d^i ■a ,*nj idi»i. vgl. IV, S. 78: iSsbo ijjstt rn:o »inar ex vs ,"cnn p».

8) das. X, S. 144: . . . wp ppn ib ahw . , mxapn.no *?3» ropüisi D'i» wräjp bz wt p nrjr -upjoi.

*) Emunot X, S. 145: mron by pr i»» »in rranH na Sa» ,131 D"nrmn, vgl. S. 144 und 146.

Die Ethik R. Saadjas. 527

vom menschlichen Seelenwesen und findet den Maßstab der ethischen Beurteilung in der prüfenden und richtenden Kraft der Vernunft. Was diese als dem irdischen Wohle förderlich erkennt wird als 'gut* bezeichnet und dessen Gegenteil als »schlecht«. Saadja gibt deshalb recht bezeich- nend dem zehnten Abschnitt die Überschrift »Über die beste Art der menschlichen Lebensführung im Diesseits«. Der Begriff der Ethik, wie er uns hier entgegen tritt, verrät sowohl durch seine Verwandtschaft mit dem Begriff der Politik, wie hauptsächlich, wie wir später noch sehen werden, durch sein Prinzip, den Einfluß der griechischen Ethik und unterscheidet sich wesentlich von der Fassung, die die Ethik Saadja's in der Religion annimmt. Im zehnten Abschnitt behandelt Saadja den Menschen als ein selbstän- diges, unabhängiges, seine eigene Vernunft als höchste Richterin anerkennendes Wesen; ganz anders ist dem gegen- über aber nach Saadja die Stellung des Menschen in der Religion. Hier verliert er seine Unabhängigkeit, seine Ver- nunft wird mangelhaft und er tritt als Kind in ein Ver- hältnis zu Gott, als seinem Vater, der zwar das Glück des Kindes will, dafür aber auch unbedingten Gehorsam ver- langt. Saadja beginnt daher seine Untersuchungen über den ethischen Gehalt der Offenbarungslehren gleich mit dem Hinweise, daß der Mensch sein Dasein nur der Güte Gottes verdanke, daß Gott ihm außerdem aber noch gnädig die Mittel gewährt habe, durch die er die ewige Glückseligkeit und das höchste Gut erlangen könnte. Diese Mittel sind die göttlichen Gebote und Verbote. Befolgt der Mensch sie, so wird er von Gott dafür belohnt, verwirft er sie aber, so wird er bestraft. Gott hat sie dem Menschen durch die Propheten offenbart und allein aus diesem Grunde sind sie für den Menschen von verbindlicher Kraft1). Allein Saadja verwirft, wie wir schon wissen, den blinden Autoritäts- glauben und sieht sich deshalb gezwungen, die Verbind-

>) Emunot III, S. 58.

528 Die Ethik R. Saadjas.

lichkeit der geoffenbarten Gesetze aus einem anderen Grunde zu erklären. Er versucht daher, sie aus der menschlichen Vernunft abzuleiten. Hierdurch erfahren wir aber, welche Stellung die Ethik in der Religion einnimmt, und welches der Begriff der religiösen Ethik ist. Indem Saadja nämlich die einzelnen Gesetze erklärend durchgeht und je nach ihrer Zusammmengehörigkeit gruppiert, findet er viele, zu deren Anerkennung die menschliche Vernunft sich geradezu gezwungen fühle, und zwar aus Gründen, die je nach dem Inhalte der einzelnen Gesetze verschieden sind. Aber selbst in dieser Verschiedenheit der Einzelgründe vermag er noch ein allen Gemeinsames zu entdecken, das er als die wahre Ursache der Verpflichtung betrachtet, die wir, unbeeinflußt von irgend welchem Offenbarungsgedanken, jenen Gesetzen gegenüber empfinden. Dieses ihnen gemeinsame Moment ist der sittliche Wert, den unsere Vernunft ihnen unmittel- bar zuerkennt, indem sie nämlich das in ihnen Gebotene als etwas Gutes und das in ihnen Verbotene als etwas Schimpfliches beurteilt1). Alle diese Gesetze führen den Namen »Vernunftgesetze«. Im Gegensatz zu diesem gibt es aber andere Gesetze, in deren Beurteilung sich unsere Vernunft ganz indifferent verhält; sie findet in ihnen an und für sich weder etwas Gutes noch etwas Schimpfliches*). Der Mensch fühlt sich zu ihrer Anerkennung nur ver- pflichtet, weil sie als Gebote der Offenbarung gelten3); Saadja nennt diese Klasse von Gesetzen daher auch »Offen- barungsgesetz«*). Das Merkmal, das den Unterschied

') Emunot III, S. 59: inaie tibsvi yttj ,ia nwov nbxo pjj> Sdi vpm üftafca jnw UDO Tmnr nna p# fot

*) das.: DcstyS B*iittöJW ,Dmx itia bovn onan /»;OT pbvn

3) das. S. 60: trab* mxo aorpa n?n3 nbynv 'D by s)*.

«) das. S. 59 u. 61 : cm ,mxon *pbn ^p: \fis\ m . . . . . . nvj?aff.-n nv^arn Im Jezirah-Kommentar zu 1, § 1 nennt er die Vernunftgebote CjniDn, weil sie uns schon allein durch die Vernunft bekannt sind rwaa cynon; die Offenbarungsgesetze aber D'PDBMOH,

Die Ethik R. Saadjas. 529

zwischen den »Vernunft«- und »Offenbarungsgesetzen« bildet, ist ein Hauptmoment des ethischen Begriffs; denn dieser besteht darin, daß wir an die Betrachtung von Ver- hältnissen oder Objekten die Prädikate der Wertschätzung des Lobes oder des Tadels, der Billigung oder der Mißbil- ligung knüpfen1). Wir werden demnach die »Vernunft- gesetze«, deren Verbindlichkeit der Mensch nicht erst aus der Offenbarung herleitet, sondern schon infolge einer sittlichen Beurteilung für sich anerkennt, als die Gesetze der Ethik bezeichnen dürfen. Die Ethik tritt hier also in der Form einer Pflichtenlehre hervor. Indem nämlich die Vernunft etwas als »gut« anerkennt, finden wir uns ohne jegliche Rücksicht auf irgend einen dadurch etwa zu er- reichenden Zweck gezwungen, dieses Gute zu tun. Die beiden verschiedenen Begriffe der philosophischen und re- ligiösen Ethik Saadja's zeigen deutlich die Verschiedenheit des Bodens, auf dem sie gewachsen sind. Seine philoso- phische Ethik, welche eudämonistisch das Wohlbefinden

weil sie uns erst von außen mittelst des Gehorsams mitgeteilt werden jtottH OTVD D^DBNDn. Diese Einteilung und Bezeichnung war auch in den Kreisen der Mutazila bekannt. Schahrastäni I, S. 40, Anm. erklärt fast wie Saadja: Offenbarung bedeute eigentlich das Hören von außen im Gegensatz zu der Tätigkeit der eigenen Vernunft. Von Saadja ab bleiben diese von ihm in die jüdische Literatur eingeführte Bezeichnungen allgemein in Geltung. Joseph Ibn Zadik (Mikrokosmos, S. 61) und Abraham Ibn Daud (Emuna rama, ed. Weil, S. 75) haben die gleiche Einteilung und Bezeichnung der Gebote. Maimonides behält die Einteilung zwar bei, verwirft aber die Bezeichnungen, weil (nach Scheyer, Psychol. System des Maim., S. 26) die entsprechende arab. Benennung eigentlich »Gesetze der theoretischen Vernunft« be- deute, worunter aber Maimonides Gesetze über Glaubenswahrheiten verstanden wissen will, vgl. Rosin, Die Ethik des Maimonides, S. 93. Auch Aristoteles unterscheidet in ähnlicher Weise N E. V, 10 ein natürliches und ein gesetzliches Recht; ebenso N. E. VIII, 14: Das &x<xiov sei ein zwiefaches, ein ungeschriebenes und ein gesetzmäßiges. ») L. Strümpell, Praktische Philosophie der Griechen, Leipzig 1861. S. 9 ff.; T. Ziller, Allgem. philos. Ethik, 1880. S.3ff.; H. Stein- thal, Allgem. Ethik. S. 31 ff.

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M«Mts»chrift, 55. Jahrgang.

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zum Maßstab alles Strebens macht und das Gute nur re- lativ als ein zweckmäßiges Mittel schätzt, ist den Griechen entlehnt. Der Pflichtbegriff dagegen, den seine religiöse Ethik enthält, ist in der Bibel und auf dem Boden des Judentums zuerst ausgebildet worden1). Das Gute darin wird nicht als ein Mittel betrachtet, sondern es ist etwas Selbständiges, Objektives, das um seiner selbst willen ver- wirklicht werden soll. Dieses Nebeneinanderbestehen einer relativen und einer absoluten Wertschätzung beweist, wie doppelsinnig und vieldeutig der Begriff »gut« bei Saadja sein muß. Je nach der Bedeutung dieses hauptsächlichsten Grundbegriffs ändert sich aber auch das Prinzip der Ethik, und es fragt sich daher, ob der Begriff »gut< bei Saadja so beschaffen ist oder wenigstens einen solchen Faktor enthält, daß sich daraus ein einheitliches Prinzip für die beiden von Hause aus verschiedenen Begriffe seiner Ethik herleiten läßt. Wir übergehen hier das Verhältnis der Re- ligion zur Ethik, welches Saadja recht ausführlich behan- delt, weil wir es später an geeigneter Stelle erörtern, haupt- sächlich aber, weil wir erst das Prinzip dersaadjanischen Ethik kennen müssen, um das Ethische der Religionsgesetze, das Saadja in ihnen eben nachweisen will, darnach zu beurteilen.

*) Nur die Stoiker unter den griech. Philosophen hatten an- gefangen, wenn auch im Widerspruch mit ihrer allgemeinen Weh- ansicht, den Grund zum richtigen Begriff der Pflicht zu legen (Ziller, Allg. phil. Ethik, S. 107). Schopenhauer, welcher das Kant'sche »Sitten- gesetz«, das wie bei Saadja unmittelbar in sich das unbedingt ver- pflichtende Soll enthält, als in der Ethik gar nicht berechtigt, verwirft, »erkennt für die Einführung des Begriffes Gesetz, Vorschrift, Soll in die Ethik keinen anderen Ursprung an, als einen der Philosophie fremden, den mosaischen Dekalog« ; Preisschrift über die Grundlage der Moral. 2. Aufl. Leipzig 1860, S. 122, vgl. das. S. 125: »Die Fas- sung der Ethik in einer imperativen Form, als Pflichtenlehre . . . stammt mit samt dem Sollen, unleugbar nur aus der theologischen Moral und demnächst aus dem Dekalog«, vgl. O. Lehmann, Über Kants Prinzipien der Ethik und Schopenhauers Beurteilung derselben. Berlin 1880. S. 91 ff.

(Fortsetzung folgt.)

Bas „Steinewerfen" in Eoheleth3, 5, in der Beufealicn- sage und im Hermeskult1).

Von Ludwig- Levy.

»Alles hat seine Zeit,« so leitet Koheleth sein drittes Kapitel ein, hilflos steht der Mensch der ehernen, unab- änderlichen, von Gott gegebenen Ordnung der Dinge ge- genüber. Mit V. 2 beginnen 7 Paare von Antithesen. Jedes Antithesenpaar bildet ein geschlossenes Ganzes, das mit iiem Vorhergehenden und Folgenden nicht zusammenhängt. Jedes Paar zerfällt aber in 2 eng untereinander zusammen- hängende Parallelen. Das erste Antithesenpaar beginnt mit dem Lebensanfang und Lebensende des Menschen und (parallel) der Pflanze. Daß »weinen und lachen« und »klagen und tanzen« (V. 4) Parallelen sind, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Dasselbe gilt für »suchen und verloren geben«, »erhalten und wegwerfen« V. 6, für »zerreißen und nähen«, »schweigen und reden«, beides Äußerungen der Trauer und ihrer Beendigung V. 7, ebenso für »Liebe und Haß«, im Völkerleben »Krieg und Frieden« V. 8. Von der Erklärung der Parallele V. 3 wollen wir hier absehen, sie würde uns zu weit führen.

Auffallend und bisher unerklärt ist die Parallele des 5. Verses:

ipwiü ptr# nins pläjjf? ny_

Es ist eine Zeit Steine zu werfen und eine Zeit Steine zu sammeln, eine Zeit zu umarmen und eine Zeit dem Um- armen fernzubleiben.

') Ein Kapitel aas meinem demnächst erscheinenden Koheleth* ketntnentar.

34*

532 Das »Steine werfen c in Ko beleih 3, 5,

Zu diesem Verse schreibt Delitzsch : »Schwieriger zu sagen ist, was den Verfasser auf die zwei folgenden Gegen- satz-Paare hinführt V. 5: Steinewerfen hat seine Zeit, und Steinesammeln hat seine Zeit; Umfahen hat seine Zeit und Enthaltung vom Umarmen hat seine Zeit. Bestand zu des Verfassers Zeit schon die altjüdische Sitte, dem Toten drei Schaufeln Erde ins Grab nachzuwerfen, und führt ihn dies auf das d*»« ybvn? Man bedarf aber so zufälliger Ge- dankenverknüpfung nicht, denn auch das Paar 5a unter- stellt sich noch den Gattungsbegriffen des Lebens und des Todes : Steine werfend ruiniert man den Acker 2 K 3, 25, und Steine zusammensuchend und entfernend kultiviert man ihn. Folgt nun piar6, weil auch das mit Armen und Händen geschieht ? Schwerlich, sondern dem feindlichen, geflissentlich schädigenden Steinewerfen tritt die Liebes- betätigung des Umfahens an die Seite.«

Delitzsch's Erklärung befriedigt nicht. Das Nachwerfen der drei Schaufeln Erde können wir bei Seite lassen, denn abgesehen davon, daß es sich um Erde und nicht um Steine handelt, entspricht das Nachwerfen der Erde nicht dem Um- armen. Aber auch das Ruinieren der Äcker durch Steine- werfen im Kriege korrespondiert nicht mit Umarmen, und selbst wenn wir den ersten Halbvers umdrehen, so daß das Entsteinen mit Umarmen korrespondiert, so ist dies Kultivieren des Ackers nur sehr gezwungen mit Umarmen in Parallele zu setzen. Delitzsch folgen die meisten neueren Erklärer, so Volck, Wildeboer, Siegfried. Auch andere Er- klärungen wie »eine Mauer zerstören« für Steinewerfen und »zum Festungsbau sammeln« (Graetz) oder »Werfen und Sammeln von Schleudersteinen« (Zapletal) sind ver- fehlt.

Fragen wir zunächst : Was erwarten wir an Stelle von Steinewerfen und Steinesammeln in unserem Vers? Wenn wir vom zweiten Halbvers ausgehen: »Eine Zeit ist für's Umarmen und eine Zeit ist, sich vom Umarmen fernzu-

in der Deukalkmsage und im Hermeskult. 533

halten,« so erwarten wir nach Analogie aller übrigen Ge- gensatzpaare im ersten Halbvers etwas Ähnliches. Und da hier piar6 erotisch gemeint ist wie Spr. 4, 8 und 5, 20,. so muß »Steine werfen« und »Steine sammeln« ein sym- bolischer Ausdruck für »den Liebesgen u,ß suchen« und »den Liebesgenuß m e i d e sein.

Sexuelle Symbolik war zu allen Zeiten und bei allen Völkern, besonders auf primitiver Kulturstufe, weit ver- breitet. Die verschiedensten Ausdrücke dienen als ver- hüllende Bezeichnung des Geschlechtsaktes. So nennt Stern B. Medizin, Aberglaube usw. II, S. 136 die Ausdrücke »reiten«, »bedecken«, »spielen«, F. S. Krauss, Die Zeugung in Brauch, Glaube und Sitte der Südslaven I. S. 349 und II. S. 157 »kneten«, IL S. 235 »Mehl sieben«, I. S. 341 »Zupfropfen.« Zur sexuellen Symbolik im HL s. Haupt P. Bibl. Liebes- lieder S. 36, 43, 68, 78, in talmudischer Zeit s. b. Sabb. 63 a: noi« dir vn pn» >#j« thmv *tw« 3i id« mtp n idk »Vma pa nb^av 7WHW nca ik n^ap nca divt myo naa iTar6 no« vi -ona aitt nana "istp aooa ik am aooa »Vtbi pa r\mh ]bvi *non 3*1. Ein solcher Ausdruck muß auch »Steine werfen« sein. In die Sphäre des Zeugens und Gebarens rückt uns zunächst ein D'ja« verwandtes Wort: 0*£"3N Ex. 1, 16 und Jer. 18, 3. In Ex. 1, 16 D'i2«n bv jn*K-ii kann das Wort nur die Bedeutung » Schamteile« haben, in der es ganz unzweideutig von der Mechilta zu Ex. 15, 5 gebraucht wird (Winter und Wünsche, Übersetzung, S. 128): »Wie ein Stein, Mit dem Maße, mit welchem ein Mensch mißt, mißt man ihm. Sie sprachen : So sehet auf den Zweistein. Auch du machtest ihnen die Wasser wie einen Zweistein, und die Wasser schlugen sie an den Ort des Zweisteins,« die Scham. Die Hebammen sollen auf die Vulva blicken, um das Kind, sobald sie sein Geschlecht erkannt haben, sofort zu töten. »Gebärstuhl« gibt keinen Sinn. Da das Weib auf ihm sitzt, kann man ihn nicht sehen, und könnte man ihn selbst sehen, so hätte das auch keinen Zweck. Die Hebamme

534 Das »Steinewerfen« in Koheleth 3, 5,

muß vielmehr auf die Stelle sehn, wo das Kind heraus- tritt, oder auf das Kind selbst und seine Geschlechtsteile. 0'J3« können nur die beiden Ränder der Scheide sein, oder die beiden Hoden (= Steine) des Kindes, s. Baentsch (in Nowacks Handkomm. z. St.), der im Namen von Völlers auf das arab. merbana (ma'bana) Schamlosigkeit und mtbün (ma'bun) Lustknabe verweist, >beide Ausdrücke zeigen wenigstens, daß auch im Arab. sich Ableitungen von in der Sphäre des pudendum bewegen.« Auch der Midrasch Ex. r. z. St. erklärt d»J3K als Zeugungsorgane des Weibes. Auf der Suche nach der Etymologie des Wortes gibt er verschiedene Erklärungen, die eine : 1H"W mpo 0^3« u njDJ, also Gebärmutter, eine zweite: onr« nun? mprf ib"b nstran by rmtw pijhm d*mk3 wp mwt ^v, ferner rwa D'33»r jiujöxd fr/iisr ib*b i\m3&..

Wenn auch diese Etymologien für uns nicht mehr brauchbar sind, so zeigen sie doch jedenfalls, daß ü\2IjlN für den Midrasch die Geschlechtsorgane bedeutete, und daß man ein tertium comparationis mit D^DN Steine suchte. Aber auch D?3?N Töpferscheibe Jer. 18, 3 führt uns in das Gebiet des Zeugens und Erschaffens. Die Men- schenschöpfung wird im babylonischen und ägyptischen Mythus als Töpferarbeit dargestellt. Auf der Töpfer- scheibe wird der Mensch modelliert. Eine Abbildung aus dem Tempel von Luxor zeigt uns den ägyptischen Gott Chnum, wie er den Menschen auf der Töpferscheibe modelt1). Bei den Babyloniern ist Ea der Menschenbildner und heißt »der Töpfer«, der den Menschen aus Lehm er- schafft*). Da so viele Momente o*33« in die Sphäre des Zeugens, Erschaffens, Gebarens rücken, ist es natürlich, daß mit |2N Stein Bilder und Redensarten geschaffen wur- den, die auf diese Sphäre hindeuten. In Jes. 51, 1 wird

*) Eine Reproduktion des Bildes, s. bei Jeremias: das Alte Testament im Lichte des alten Orients*, S. 146. ") Jeremias, ATAO, S. 167.

in der Deukalionsage und im Hermeskult. 5$*

Abraham der Fels genannt, aus dem die Israeliten gehauen wurden. Duhm bemerkt dazu: »Abraham und Sara werden mit einem Felsen, genauer einem Steinbruch, verglichen, die Israeliten mit den daraus geförderten Steinen. Das Bild ist so fremdartig, daß eine besondere Anspielung darin liegen mag.« Das Bild ist durchaus nicht so fremdartig und ver- einzelt, vgl. Jer. 2, 27: die da sprechen zum Stein: Du hast uns geboren, Matth. 3, 9: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken, Odyssee XIX, 162: Aber sage mir doch, aus welchem Geschlechte du herstammst, denn du stammst nicht vom Steine, Bertholet, Religions- geschichtliches Lesebuch, S. 210: Agni aus dem Stein ge- boren. In denselben Zusammenhang gehört auch die Fels- geburt des Mithras, die petra genitrix. Gewiß sind das meist Bilder, aber Bilder, die durch bekannte Redeweisen und Anspielungen hervorgerufen wurden. Bei den Juden konnte schon der Gleichklang von ma« Steine mit D»aa p Söhne derartige Bilder begünstigen, vgl. Ibn Esra zu Ex. 1, 16. Eine solche, ursprünglich allgemein verstandene Redeweise war »Steine werfen«. Jeder Zweifel, der noch über die Be- deutung des Ausdrucks bestehen könnte, wird durch den Midrasch Koheleth r. behoben. Er bemerkt zu unserem Verse: nytP3 d*:3« dos ny\ ,frnna ^rwmv fW3 d'J3« jbwb ny niftOtt *]rt?RtP. »Es ist eine Zeit Steine zu werfen, wenn dein Weib (levitisch) rein ist, und eine Zeit Steine zu sammeln, wenn dein Weib unrein ist.« Hieraus geht klar hervor, daß der Midrasch »Steine werfen« im Sinne des Geschlechts- verkehrs nimmt, der während der Menstruationszeit, in der das Weib unrein ist, den Juden verboten ist. »Steine sammeln« bedeutet dann Zeugungskräfte sammeln, in der Zeit sexueller Enthaltsamkeit. Dem Midrasch war also noch der Ausdruck bekannt, dessen Bedeutung den Späteren verloren ging1).

') Irgend eine Überlieferung, vielleicht auch der Midrasch, hat Raschi veranlaßt, CiSK ybvnb mit D"03 zusammenzubringen. Er er-

536 Das »Steinewerfen« in Koheleth 3, 5,

Vollständig jedoch ging der Ausdruck nkht verloren: er hat sich in europäischen Volksbräuchen erhalten. »Eine deutsche Volkssage« schreibt Ploß1), »läßt die Kinder aus Steinen kommen. So bringt in Cammin der Storch die Kinder vom großen Stein.« In der Schweiz ist die Vorstellung ver- breitet, daß der von einem Gewitter herabgeworfene Stein den Kindertrog öffnet. Donnert es, so sagt man Leuten, die ein Kind durch den Tod verloren haben, zum Trost: es ist wieder ein Stein von der großen Fluh heruntergepoltert, jetzt kann die Hebamme wieder ein anderes herausholen. Das Landvolk der Schweiz nennt die Nagelfluh Titisteine oder Kleinkindersteine. Teti heißt Kindlein, daher Titisteine«. Noch deutlicher spricht ein anderer Brauch in Pommern. »In Pommern bezeichnet man kleine, rundliche, glatte Steine von schwarzer oder milchweißer Farbe als »Adebarsteine« (Storchsteine). Diese werfen die Kinder sich rückwärts über den Kopf und bitten dabei den Adebar um ein Brüderchen oder ein Schwesterchen*2). »Steine werfen« ist hier genau wie in Koheleth symbolische Bezeichnung für Kinderzeugen. Ist nun die Bedeutung des Ausdrucks über allen Zweifel sichergestellt und zugleich durch sein Vorkommen In Ko- heleth sein hohes Alter bezeugt, so rückt die Deukalionsage in ein neues Licht. Bekanntlich stimmt diese griechische Sintflutsage mit den orientalischen Flutsagen in den meisten Zügen überein. Deukalion und Pyrrha retten sich allein in einem hölzernen Kasten vor der großen Flut, die auf Zeus' Befehl das ganze Menschengeschlecht vernichtet. Neun Tage und Nächte fahren sie auf dem Wasser umher, endlich landen

klärt D03K: D^Sttno ^KW mS3 wie «Hip "03K n»WWJl Klagel. 4, 1, wo Raschi bemerkt: niniB D^SKS D'TKDH D^3. DOS sind dort die

») Das Kind I, S. 33.

«) Zeitschrift für Volkskunde »Am Urquell«, herausgegeben von F. S. Krauß, Bd.V, S. 255, A.Haas, Rügensche Sagen, N. 139. Freund- liche Mitteilung von Herrn Dr. D. Ernst Oppenheim in Wien.

in der Deukalionsage und in ^Hermeskult. 537

sie auf dem Parnaß. Deukalion bringt Zeus ein Opfer dar, und als Zeus ihm einen Wunsch gestattet, bittet er um Menschen. Diese entstehen, indem Deukalion und Pyrrha Steine, »die Gebeine der Mutter«, hinter sich werfen, die sich in Menschen verwandeln. Dieser eine Zug ist der grie- chischen Sage eigentümlich. Sie teilt ihn noch mit der sla- vischen Sage vom Regenbogen, der das einzige nach der Tat übriggebliebene Menschenpaar tröstet und ihnen rät, über Steine zu springen. So entstanden neue Menschen- paare1). Jeremias2) weist auf die oben zitierte Stelle der Odyssee, ferner auf die Baitylien hin, die beseelten Steine, die Uranos mit der Erde erzeugte, und schließt : »Von unserem Standpunkt aus müssen wir annehmen, daß auch hier Ideen vorliegen, die auf eine Wurzel zurückgehen. Und dann kann auch der orientalische Ursprung der Deukalion- sage nicht mehr zweifelhaft sein«. Alles weist auf Orientalin sehen Ursprung bis auf den Zug vom »Steine werfen«. Sollte dieser nicht auch vom Orient gekommen sein und zwar als gebräuchlicher symbolischer Ausdruck für »Zeugen«? Deukalion bittet um Menschen, die Gottheit fordert ihn und Pyrrha auf, Steine zu werfen, vorher aber sagt sie: »Hüllt euch Beide das Haupt und löst die gegürteten Kleider«8). Diese Aufforderung wird uns nun begreiflich, zum Werfen von Steinen braucht man die Kleider nicht zu lösen! In diesem Sinne scheint schon Rabelais die Sage verstanden zu haben*): »besser kein Herz zu haben als keinen Zeu- gungsapparat, denn in ihm ruht wie in einem Tabernakel

») Jeremias ATAO S. 248.

*) a. a. O., S. 238, Anm. 4.

») Ovid, Metatn. I, 382: Et velate Caput, cinetasque resolvite vestes.

4) Rabelais: Pantagruel, II. Buch. cap. VIII, S. 52 der Über- setzung von Engelbert Hegaur und Dr. Owlglaß. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich der Liebenswürdigkeit Dr. D. Ernst Oppen- heims in Wien.

538 Das »Steinewerfen« in Koheleth 3,

der Samen, der das ganze Menschengeschlecht erhält. Ihr brauchtet mir nicht 100 Franken zu geben, und ich will glauben, daß das die eigentlichen Steine waren, mit denen Deukalion und Pyrrha das durch die Sintflut zernichtete Menschengeschlecht wieder herstellten«. Die Handlung des Steinewerfens ist ein Bildzauber, der symbolische Akt ruft auf geheimnisvolle Weise die beabsichtigte Wirkung hervor, wie wenn etwa die Indianer durch den Büffeltanz die Büffel in die Fallen locken wollen.

Wie ist aber der symbolische Ausdruck Steinewerfen = zeugen entstanden? Über einen Gedankengang, der wohl in graue Urzeit zurückreicht, in der der Menschengeist noch andere Wege ging, lassen sich natürlich nur Vermutungen aussprechen. Eine Parallele zum Werfen von Steinen finden wir im Werfen oder Spritzen von Wasser=zeugen, erschaffen. O. Dähnhardt berichtet in »Natursagen« I, S. 18, von einer indischen Sage, nach der die Teufel durch Ausspritzen von Meerwasser entstanden. Eine ukrainische Sage erzählt I, S. 49: Gott befahl dem Teufel seine Finger ins Meer zu tauchen und, ohne sich umzusehen, Wasser hinter sich zu werfen. Der Teufel war ungehorsam, sah sich um, und er- blickte seinesgleichen. Darauf setzte er den Versuch fort und es entstand eine unsägliche Menge Teufel. Nach einer Variante sagte Petrus zum Teufel: Schaffe dir Helfer, nimm Wasser, spritze hinter dich. So vielmal du spritzest, soviel Teufel werden entstehen. Auch auf Adam wird die Sage übertragen, Dähnh. I, 49. Es leuchtet ein, daß Wasser spritzen als symbolischer Ausdruck für den Geschlechtsakt nahe lag. Wasserwerfen dürfte daher die ursprüngliche, bei einem am Meere wohnenden Volke entstandene Fassung des Aus- drucks sein. Das Material der Menschenschöpfung im Mythus wechselt nach Gegend und Beschäftigung der Völker. In der mesopotamischen Tiefebene dachte man sich den Men- schen aus Lehm erschaffen, im Gebirge aus Steinen hervor- gehämmert (Dähnhardt I, 18, Anm. 1. I. 33), unter Schmieden

in der Deukalionsage und im Hermeskult. 539

geschmiedet, unter Zimmerleuten gehobelt (Dähnhardt I, 63). So konnte an Stelle des »Wasserwerfens« in gebirgiger Gegend »Steinewerfen« entstehen. Einen Beweis dafür, daß das Werfen konstant bleibt, das Material aber wechselt, liefert die Angabe A. v. Humboldts1), daß die Tamanaken am Orinoko sich die Menschen aus Dattelkernen entstanden denken, die ein bei der Flut auf hohen Bergesgipfel ge- flüchtetes Paar über sich geworfen habe. Möglich ist auch, daß die oben aus der Mechilta zitierte Bezeichnung der Hoden als Steine und der erwähnte Gleichklang von J2N und |2 bei den Semiten zur Bildung des Ausdrucks beitrug.

Wie dem auch sei, die Bedeutung des Ausdrucks »Steinewerfen« steht jetzt fest und kann noch zur Lösung mancher anderen Schwierigkeiten führen. Die älteste Form des Hermeskultes bestand im Werfen von Steinen. Auch im Talmud ist dieser Götzendienst als o^pio /ra *J3» er- wähnt (b. Ab. sar. 51a, b. Bab. mez. 25 b). Die Auffassung der über die ganze Erde verbreiteten Steinhaufen als Erinnerungszeichen an irgend eine Person oder Tat bietet für den Hermeskult keine Erklärung. Ein plausibler Sinn ist bisher für die Hermaia nicht gefunden. Schmidts Auf- fassung2) der Hermaia als symbolischer Steinigung eines Frevlers, der dem Hermes Chthonios übergeben worden sei, befriedigt nicht. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, daß in diesen Steinhaufen des Hermes ein Phalluspfeiler stand. Später wurde an diesen Pfeiler auch der Kopf des Gottes angesetzt; so entstanden die Hermen. Hermes war auch Gott der Zeugung und Fruchtbarkeit und wurde als solcher in Phallusgestalt verehrt. Da nun, wie wir fest- gestellt haben, Steinewerfen ein Symbol des Zeugens war, so leuchtet es ein, daß Hermes verehrt wurde, indem

') A. v. Humboldt: Ansichten der Natur 1, 240» zit. bei H. Usener, Die Sintflutsagen, S. 245.

') Chantepie de la Saussaye, Religionsgeschichte II, S. 301.

540 Das »Steinewerfen« in Koheleth 3, 5, .

jeder Vorübergehende Steine vor den Phallus warf. Er nahm damit symbolisch die dem Gott heilige Handlung vor1). Wenn Liebrecht F.*) vermutete, »die Statue derVenus oder Diana zu Trier, die bis vor nicht langer Zeit zum Zeichen des Sieges Ober das Heidentum von jedermann mit Steinen beworfen wurde, habe dieselben zur Römerzeit wahrschein- lich als Opfergaben erhalten so befand er sich auf dem richtigen Wege, auch die Liebesgöttin Venus konnte durch das Symbol des Steinewerfens verehrt werden.

Auch der Ursprung einer im Altertum weit verbreiteten Rechtssitte läßt sich vielleicht auf diesem Wege erklären. Auf Ehebruch stand die Strafe der Steinigung (Dt. 22, 22 Ex. 16, 40 Joh. 8, 5). Ebenso wurden andere sexuelle De- likte durch Steinigung geahndet (Dt. 22, 20 und 22, 24). Warum wurden derartige Vergehen gerade durch Steinigung oder auch Verbrennung gestraft ? Das für das hebräische Strafrecht maßgebende Prinzip war das Jus talionis: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Zur Talion ist auch die Be- strafung des Gliedes zu rechnen, mit dem gefrevelt wird, das Handabhauen Dt. 25, 12. Vgl. dazu die Parallele des Hammurabi-Gesetzes § 195, die Hand des Sohnes, der seinen Vater schlägt, wird abgehauen, ebenso die Zunge des Kindes, das Vater oder Mutter verleugnet 192), vgl auch die Kastrierung als Strafe des Ehebruchs bei den Römern. Dem Talionsprinzip entsprang ferner der Gedanke, daß die Strafe das Abbild der Schuld sein solle. Die Art der Todesstrafe mußte der Art des begangenen Frevels ent- sprechen. Diese Idee erklärt die Anwendung so vieler Arten der Todesstrafe im Altertum. Stark entwickelt war die Symbolik im germanischen Strafrecht, schon Tacitus fiel die distinctio poenarum ex delicto auf (Germ. c. 12).9)

*) Vgl. dazu das Spermaopfer an den heil. Mitbrassteinen, s. Eisler R., Himmelszelt und Weltenmantel I, 183 u. II, 469 ff. a) Germania, Jahrg. 1877, S. 29. *) s. D. Ernst Oppenheim in »Wiener Studien« XXX, 'APAfe,

in der Deukalionsage und im Hermeskult. 541

Diese Variierung der Strafe nach der Art der Schuld dürfte auch der Steinigung als Bestrafung sexueller Delikte zu- grunde liegen. Die Ehebrecherin oder das Mädchen, das nicht mehr keusch in die Ehe getreten war, hatten, sym- bolisch gesprochen, durch »Steinewerfen« sich vergangen, darum sollten sie auch durch Steinewerfen gestraft werden. Angedeutet wird dieser Zusammenhang noch dadurch, daß die Ehebrecherin nackt gesteinigt wurde (Ez. 16, 39). Noch heute wirft bei den Insel- Esten, wenn ein Paar in stupro «rtappt wird, der Entdecker sofort einen Stein auf die Stelle und dies wird von anderen wiederholt1). Hier hat sich die Steinigung als symbolische Talion erhalten. Einmal in Auf- nahme gekommen, wurde dann die Steinigung auch auf andere Verbrechen angewendet, aber auch in diesen an- deren Fällen schimmert das jus talionis noch durch. So dürfte bei der Steinigung des Gotteslästerers (Lev. 24, 14; Deut. 17, 5; 1 K. 21, 10) das Homonym o:n = lästern (s. Ges. Buhl16) = steinigen die Brücke zwischen Schuld und Sühne gebildet haben.

So erklärt sich aber auch, warum neben der Steinigung auch Verbrennung sowohl im Hammurabi-Gesetz, als auch in der Bibel bei sexuellen Vergehen zur Anwendung kommt, und zwar bei der Unzucht der Priesterstochter Lev. 21, 9 und bei Umgang mit einem Weib und ihrer Mutter Lev. 20, 14 Cod. Hammur. § 157, außerdem noch bei Tamar Gen. 38, 24. Auch das Feuer ist bekanntlich Symbol der Zeugung. So bildet auch hier die Art der Bestrafung das Abbild der Schuld. Dasselbe gilt auch von dem einzigen

S. 4, Anm. 2, wo Belege aus dem griechischen und römischen Rech angeführt werden.

!) K. Haberland in »Zeitschrift für Völkerpsychologie« Bd. 12, S. 306. Vgl. dazu die Sage, die beiden Steine Asaph und Najlä bei der Kaaba seien die Körper eines Frevlerpaares, das von der Qott- heit während eines im Tempel vollzogenen Geschlechtsaktes zur Strafe versteinert wurde (Lenormant, Lettres assyr. II, 235).

542 Das »Steinewerfen« in Koheleth etc.

Fall von Anwendung der Verbrennung, ohne daß ein sexuelles Delikt vorliegt: bei Diebstahl, der während einer Feuersbrunst begangen wurde, Jos. 7, 15. 25, Achans Dieb- stahl bei der Verbrennung von Jericho, Cod. Hammur. § 25. Der Ausdruck »Steinewerfen« in Koheleth 8, 5 hat eine Saite im menschlichen Denken und Vorstellen ange- schlagen, deren Schwingungen aus grauer Vorzeit seltsam zu uns herüberklingen.

*

Ursprang, Begriff and Umfang der allegorischen

Schrittet kläraag.

Von L. Treitel.

Es ist nachgerade in Fachschriften und anderwärts Mode geworden, auch beim palästinischen Midrasch von Alle- gorie zu reden, so sehr man sich seit langem gewöhnt hat, die- selbe fast ausschließlich bei Philo zu suchen. So soll die be- kannte Deutung der Erhebung der Hände Moses beim Kampf mit Amalek auf Gebet, Aufblick zu Gott im Midrasch alle- gorisch sein, wie es in einem jüngst erschienenen Buche heißt, und vieles dergleichen mehr dort; ob mit Grund oder Ungrund, soll sich aus nachstehender Untersuchung ergeben.

Richtig ist, daß Philo nicht der einzige, kaum der erste Vertreter allegorischer Auslegungsweise ist. Aber nach Umfang und systematischer Durchführung ist der Name des großen Alexandriners so sehr sich deckend mit dieser Art von Schrifterklärung, daß, soll die Frage an der Wurzel gefaßt werden, eine Untersuchung über Begriff der Allegorie als Auslegungsweise wie ihren Anwendungsbereich gar nicht umhin kann, Philo als Ausgangspunkt zu nehmen. Das Verständnis Philos selber kann dabei nur gewinnen. Eines hat der Philoforschung lange gefehlt, mußte ihr fehlen, weil diese ganze Betrachtungsweise jüngeren Datums ist; ich meine eine durchgängige Vergleichung mit palästinischem Midrasch. Dankenswerte Anfänge sind von Z. Frankel, H. Graetz, J. Freudenthal und, nicht zu vergessen, von C. Siegfried gemacht worden, in jüngster Zeit auch von L. Cohn in dem von ihm herausgegebenen Übersetzungswerk« zu den »Schriften der jüd. -hellenistischen Literatur«,; die Vergleichung ist fortzusetzen und zu vertiefen, um ins in-

544 Ursprung, Begriff und Umfang

nerste Wesen alexandrinischer Allegoristik einzudringen, von wo aus erst die Frage des Anwendungsbereichs der Alle- gorie als Schriftdeutung zu lösen ist.

Beginnen wir mit der Frage, was Philo mit allegorischer Auslegung gewollt. Auszugehen ist nicht von der Annahme, daß Philo damit nichts weiter als Übereinstimmung zwischen Denken und Glauben, zwischen griechischer Philosophie und dem Nomos, wie er das mosaische Schriftwort nach allen seinen Teilen nennt, habe herstellen wollen, und Zwiespalt, wo immer er sich zeigt, um jeden Preis damit habe besei- tigen wollen, es hieße das ihm gar zu berechnetes Tun, gewissermaßen Unterordnung unter die Herrschaft des Griechentums, unterschieben, wie es noch J. Freudenthal tut; schreibt doch derselbe in seinen »Hellenistischen Stu- dien«, S. 74: Allegorische Deutung tritt erst auf, wo ein Zwiespalt zwischen dem Erklärer und dem erklärten Text besteht und durch künstliche Mittel beseitigt werden soll. Nicht viel anders die Wertung bei E. Zeller. Er sieht ein Hilfsmittel der Ausgleichung darin, gleich wie die Stoiker es auf griechischem Religionsgebiete angewendet haben Bei solcher Auffassung bleibt vieles von den Allegorien Philos unerklärt. Vieles erscheint gewaltsam, zum mindesten unnötig. Die Verschmelzung von griechischer Philosophie und mosaischem Schriftwort, der alex. Synkretismus, ist Resultat, die Faktoren dieses ganzen Gedanken- und Aus- legungsprozesses sind zum Teil andere. Auszugehen ist vielmehr von einer Art mystischer Verehrung, die Philo für das Wort der Schrift gehabt ; ihm ist alles bis auf den Ausdruck, die kleinste Nuance desselben, die kleinste Par- tikel inspiriert. Dieser seiner Grundanschauung mußte es widerstreiten, daß in der heiligen Schrift nichts weiter zu erblicken wären, als Erzählungen von Personen und äußeren Vorgängen, die von ihren Verfassern nach Art der Logo- graphen gegeben wären. Es wäre Gottes Wort nicht, wenn es nicht geheime Weisheit enthielte. Das der Gedankengang

der allegorischen Schrifterkläruag. 545

Philos, das sein inneres, philosophisches Bedürfnis bei allegorischer Schrifterklärung, wie es bereits Z. Frankel erkannt hat, vgl. »Über den Einfl. u. u. § 9, Anm. Geht doch seine Verehrung gegen das Schriftwort so weit, daß er tiefe- res Schriftverständnis auch nicht für möglich hält ohne gött- liche Eingebung, die er in der Tat zeitweilig besessen haben will (vgl. E. Zeller, Philos allegorische Schriftauslegung). Neben diesem inneren, subjektiven Bedürfnis wirken freilich auch äußere, objektive Gründe mit, so insbesondere sein apologetisches Streben, dem zahlreiche Stellen seiner Schriften, ganze Bücher gewidmet sind. Hier ist die Absicht einer Versöhnung von griechischer Philosophie besser, dem Geist seiner Zeit mit dem Schriftwort unverkennbar. Sei es nach der einen oder anderen Erklärung von Philos Allegoristik, so viel ist klar : das wahre Verständnis der heil. Schrift als eines Volks- undErziehungsbuches, als eines fortlaufenden und zwar volkstümlichen Berichts vom wachsenden Reiche Gottes ist ihm gar nicht aufgegangen, aber ebenso wenig auch dem palästinischen Midrasch. Alles in der Schrift wird so Philo unter der Hand zu »Bildern«, die ganz anderes als empirische Dinge bedeuten, so sieht er dort in Allem nichts als verdeckten, versteckten Sinn, die uxovoia, wie er es nennt. So werden ihm gleich im Anfang der Genesis die Namen Adam und Eva zu Sinnbildern von Vernunft und sinnlichem Wahrnehmen, das Nacktsein der beiden ist ihm nicht Nacktheit des Leibes, bedeutet ihm vielmehr ein Ent- blößtsein von Tugend, die Erzählung, »daß sie sich verbargen, daß ein Mensch, wer immer, sich vor Gott verbergen will«, wird ihm gleich zum Bild des Gottesleugners, wie umgekehrt »«in vor Gott stehen«, wie es von so vielen in der Schrift heißt, ihm Anerkennung Gottes als Herrn des Weltalls be- deutet. Die »Schlange« daselbst ist ihm die t)<W»i, die Lust er ist wohl der «rste mit dieser Auffassung doch zunächst nicht die gemeine Lust, vielmehr Verlangennach Zusammen- wirken von Vernunft und Sinnlichkeit im wissenschaftlichen

Monatsschrift, 55. Jahrgang. <**

546 Ursprung, Begriff und Umfang

Sinne, das an sich unschuldig, im weiteren Verlauf des Pro- zesses aber, indem es für den vovJ; »die Vernunft« Hindernis wird, die Führung zu behalten, die Leidenschaft erzeugt, und darum fluchwürdig wird Leg. Alleg. III, 71 ff., 107 ff. In dieses Gewebe von Allegorien wird gleich auch die Erzählung von der Schlange bei Mose IV. M. 11, 21 hineingezogen und diese in gleichem Sinne gedeutet. Man macht dabei die Beobachtung, daß Philo's Aufbau von Allegorien bemerkens- werte Ähnlichkeit mit der Architektonik des palästinischen Midrasch aufweist, dort wie da werden Schriftstellen, die nach irgend einer Seite etwas Gemeinsames zeigen, auf einander bezogen, und zwar bei Philo mit fast endloser Breite, wie eben obiges Thema, die allegorische Bedeutung des von den ersten Menschen Erzählten, durch die lange Paragraphenreihe, Leg. Alleg. II, § 19 bis Schluß des Buches und daselbst III, § 1 bis 199 ed. C. durchgeführt wird. Im Ausdruck maßlos, überschwenglich, in dem Gedanken zum großen Teil mystisch, zu Forderungen, Annahmen sich ver- steigend, die der Wirklichkeit und ihren Möglichkeiten Hohn sprechen, wie wenn er seinen Weisen den Tod des Leibes beschließen läßt, das. III, §74. Nach E. Herriots zutreffender Charakteristik in seinem »Philon le Juif« beginnt Philo mit Ekstase und endet mit Mystik. So, um ein zweites, beson- ders instruktives Beispiel anzuführen; de Somn. I, § 52 ff. dies. Ausg. kann er nicht glauben, daß die Erzählung von Abrahams Wanderungen um ihrer selbst willen da sei, wie wenn sie von einem Logographen gegeben wäre. Er sieht vielmehr darin den, an sich ansprechenden, sokratischen Gedanken, daß die Philosophie von astronomischen Dingen beim Men- schen, als dem würdigsten Objekt philosophischer Forschung, Einkehr zu halten habe. Es ist zu gerechter Würdigung dieses Strebens nach allegorischer Auffassung und Deutung der Schrift bei Philo durchgängig darauf zu achten, daß er neben die allegorische Erklärung auch die andere nach dem Wortsinn setzt oder wo er sie bei anderen findet, sie in gleicher

der allegorischen Schrifterklärung 547

Weise gelten läßt, wie dies besonders in den Quaestiones in Gen. und Exod. geschieht. Daselbst führt er erstere Er- klärung mit der Formel ad mentem, letztere mit dem Aus- druck ad litteram ein. Das Verhältnis der beiden Auslegungs- arten bestimmter de Migr. Abr. § 93 dahin, daß, wenn die buchstäbliche Auffassung des Schriftwortes den Leib, wie sich E. Zeller ausdrückt, darstelle, die andere die Seele des Schriftwortes bedeute.

Woher unserem Alexandriner die Allegoristik über- kommen ist? Von außen nicht, so nahe es liegt, hier an die Stoiker, die Gleiches auf dem Gebiet der griechischen Mythe angewendet, was auch die Meinung E. Zellers ist als seine Lehrer zu denken. Es ist bekannt, daß Philo für sein Verfahren Vorgänger hat, er beruft sich wiederholt auf solche, aber es sind Juden, wie er selbst. Die Allegoristik, wie sie bei Philo und ebenso bei seinen Vorgängern auftritt, ist darin stimme ich dem neueren Philo-Bearbeiter, dem schon genannten E. Herriot in dem Kapitel >Allegoristik Philo's« bei auf eigenstem jüdischen Boden erwachsen, ist ein Produkt des im jüdischen Volke lebenden Genius, der dem abstrakten Ausdrucke für Dinge, der Abstraktion, das Bild, den bildlichen Ausdruck, vorzieht. Die Propheten, die poetischen Bücher der heil. Schrift sind nur so, unter Berücksichtigung dieses Grundzugs jüdischen Genius zu verstehen. Und eben dieser Genius ist es, der bei Philo, da die mystische Richtung der alexandrinischen Schule bei ihm hinzutritt, zur Allegoristik wird.

Es ist des öfteren die Frage aufgeworfen worden, warum so wenig von außerpentateuchischen Büchern, wa- rum nur sporadisch eine Propheten- oder Psalmenstelle wie I. Sam. 2, 5 in Q. Deus sit immutab. § 10 ff., Jerem. 3, 4 in De Cher. § 49 Gegenstand philosophischer Exe- gese, insbesondere der bei ihm beliebten allegorischen Aus- legung geworden ist. Ist es Zufall, sind es innere Gründe, die ihn bei den pentateuchischen Büchern haben stehen

35*

548 Ursprang, Begriff und Umfang

lassen? Indessen, die Erklärung liegt so fern nicht. Es lag für Propheten und Hagiographen gar kein Bedürfnis einer Auslegung vor, wie sie bei dem Alexandriner gegeben wird, weder ein äußeres noch ein inneres. Gekannt hat Philo beides, Propheten und Hagiographen, in welchem Umfange, bleibt dahingestellt; aber kirchliches Ansehen hatte nur der Nomos oder Pentateuch, dieser allein erfreute sich gottes- dienstlichen Gebrauchs. Das Propheten- wie das Psalmen wort, als an sich schon ethische Lehre enthaltend, bot auch keine Aufforderung zu allegorischer Auslegung. Rein literarisches Interesse aber, wie das eine Bearbeitung der außerpenta- teuchischen Bücher hätte haben müssen, kannte die Zeit Philos noch wenig; sie verlangte lediglich eine Auslegung der beim Gottesdienst im Gebrauch befindlichen Bücher des Pentateuchs. Diesen gegenüber aber macht auch Philo ausgiebigen, ja ausschweifenden Gebrauch von allegorischer Auslegung; die biblischen Personen, biblischen Vorgänge, selbst Gesetzesbestimmungen deutet er in allegorischem Sinne um, macht ailes zu allgemeinen Typen, zu intellek- tuellen oder ethischen Begriffen. Zeller hat recht, wenn er1) sagt: sucht er (Philo) auch nicht in allem einen tieferen Sinn, so gibt es doch schlechterdings nichts, worin er ihn nicht hätte finden können, wenn er gewollt hätte. Hier, in das Wort des Nomos, als welchen Philo bekanntlich den ganzen Pentateuch ansieht, drängt er all seine Psychologie und Ethik, seine philosophischen Spekulationen hinein, hier vollzieht sich der sogenannte alexandrinische Syncretismus, der Verschmelzungsprozeß jüdischen Glaubens, jüdischer Lehre mit griechischem Geiste, griechischer Bildung, grie- chischer Philosophie. Immerhin bemerkt man bei unserem Alexandriner eine gewisse Selbstbeschränkung in bezug auf Benutzung biblischer Personen zu Allegorien. Es sind fast durchweg Personen der prähistorischen Zeit, die er zu

>) Die Philos. d. Griechen, Bd. III, Abt. 3, S. 347. Anm. 6.

der allegorischen Schrifterklärung. 549

Trägern von Allegorieen macht, der Pharao in der Geschichte Mose's ; auch Vorgänge noch in der Wüste, wie das Fallen des Manna, werden von ihm gelegentlich noch zu Alle- gorieen verflüchtigt, nirgends aber, soweit ich sehe, die Person Mose's selber. Umgekehrt, bedeuten ihm die Na- men der prähistorischen Zeit, die er an der einen Stelle zu Allegorien verflüchtigt, an anderer Stelle wieder, wie besonders in Quaest. in Gen. et Exod. wirkliche Per- sonen.

Bedenklicher erscheint es, wenn selbst Gesetzesbe- stimmungen bei Philo zu Allegorien verflüchtigt werden; übrigens ein Verfahren, das er bei älteren Alexandrinern bereits vorfindet, dessen Gefährlichkeit er aber auch er- kennt. In der religionsgeschichtlich besonders wichtigen Stelle De Migr. Abr. § 89 ff. verurteilt er es geradezu als zum Abfall, zur Auflösung der Religion, des Gesetzes im Judentum, führend ; solches muß auch in den alexandrini- schen Schulen vorgekommen sein, nicht allgemein, Philo sagt ausdrücklich nur: stei -p-P Ttv£<7 °^ T0"ff P7^0^ v6{xou? <ru[Aßo/ux xtX. Er selbst macht, wie bereits angegeben, mit Allegoristik auch bei Gesetzesbestimmungen nicht halt, er legt beispielsweise die Beschneidung als Befreiung von Be- gierde und Lust (de spec. legg. I, § 9 ff.), das Passah als Aufgeben ägyptischer Denkweise (Leg. Alleg. III, § 9 ff.), die zahlreichen Bestimmungen über levitische Reinheit und Unreinheit als rein ethische Gedanken aus (de spec. legg. III, §205 ff.), doch mit dem Unterschiede, daß Philo dabei nicht stehen bleibt. Davor schützt ihr sein Positivismus in religionsgesetzlicher Hinsicht. Es ist wohl nicht eine religi- onsgesetzliche Bestimmung darunter, die nicht an anderer Stelle wieder, da wo Philo recht eigentlich eine Darstellung der mosaischen Gesetzgebung giebt, es ist das in der zweiten Gruppe seiner Schriften nach L. Cohn's Einteilung in buchstäblicher Geltung bei ihm wiederkehrte.

Es erhebt sich weiter bei den zahlreichen Fäden, wie

550 UrspruHg, Begriff und Umfang

sie auf religionswissenschaftlichem, insbesondere exegeti- schem Gebiete zwischen Alexandrien und Palästina hin und her laufen, die Frage, wie sich das Verhältnis alexandri n ischer Allegoristik zum palästini- schen M id rasch, wenn überhaupt solches vorhanden, gestaltet hat. Es ist bislang vielmehr von dem an- deren, von dem Einfluß palästinischer Exegese auf alexan- drinische Hermeneutik, besonders seit Z. Frankel's epoche- machenden Arbeiten auf dem Gebiete der Septuaginta- forschung, die Rede gewesen, und man hat sich so sehr gewöhnt, Palästina als das Mutterland von Alexandrien anzusehen, daß man gemeint hat, fast alles, was Alexan- drien von jüdisch -hellenistischem Schrifttum besitze, in seinen Ursprüngen von dort herschreiben zu müssen, und es liegt ja nach dem Gang der geschichlichen Entwicklung der Dinge vollauf Berechtigung darin. Daß dieselbe aber in ihren späteren Etappen auch den umgekehrten Weg genommen, also daß die palästinensischen Schulen wie als Gebende auch als Empfangende Alexandrien gegenüber erscheine, ist bereits auch wieder und besonders durch J. Freudenthal in seinen tiefgründigen »Hellenist. Studien« festgestellt worden. Und so lautet auch für uns die Frage : Hat die eigentümlich gefärbte ale- xandrinische Hermeneutik ihren Weg auch nach Palästina gefunden? Mit anderen Worten: Ist ernstlich und im wissenschaftlichen Sinne, wie dies heute schon geschieht, vereinzelt auch früher schon von Allegorien auch beim palästinischen Midrasch zu reden? Besteht Verwandschaft zwischen beiden, fallen sie gar teil- weis zusammen? Es versteht sich von selbst, daß in Fragen des Midrasch von Zunzens »Gottesd. Vortr. d. Jud.« diesem standard-book für Midraschforschung ausgegangen wird. Der Altmeister beginnt im Kap. 3 »Midrasch« seine dies- bezüglichen Ausführungen mit der allgemeinen Bemerkung: Über ein halbes Jahrtausend trifft das Auge des Beschauers

der allegorischen Schrifterklärung. 55t

bei Juden, Syrern, Griechen, Christen fast auf nichts als Midrasch, Auslegung. Und gleich dahinter: An der Tages- ordnung war überall allegorische Auslegung und kirchliche Anwendung der heiligen Bücher usw. Es ist ersichtlich, daß für ihn Midrasch oder Agada und Allegorie nicht aus- einanderfallende Begriffe sind. Auch Graetz im Kommentar zu Schir ha-schirim, in der Einleitung, schreibt, die eigen- tümliche Auslegung dieses Buches, wie sie in Targum und Midrasch befolgt wird, rühre von der Allegoristik der alexandrinischen Schule her, sie habe unter dem Namen Agada auch in Palästina Eingang gefunden, so sei es gekommen, daß die erotischen Dinge im Hohelied in einem höheren, allegorischen Sinne genommen wurden. Es sind Agada und Allegorie eben Grenzgebiete, Dinge, bei denen die Grenzen auf den ersten Blick ineinander fließen. Beiden gemeinsam ist, daß der Wortsinn aufgegeben, das Wort der Schrift in höherem Sinne aufgefaßt wird, wie, wenn, um gleich den zweiten Vers in Schir ha-schirim zum Beispiel zu nehmen, >er küßt mich mit Küssen seines Mundes,« in Targum und Midrasch von der Herablassung der Gottheit zum Volke Israel am Sinai erklärt, aus V.l daselbst vermöge eines «naoj Anspielung auf die siebzig Völkerschaften, die der Talmud als Inbegriff der alten Welt zählt, herausgelesen wird. Symbolische Deutung, ähnlich der alexandrinischen Schriftauslegung, ist ja auch dieses ; dabei bleibt aber. ein Unterschied bestehen, der wesentlich ist, und den ich also formulieren möchte: die Allegorie der Alexandriner geht durchwegs auf eine esoterische* mehr oder weniger mystische Welt, Personen und Sachen, alles wird in Ideen oder doch Gedankendinge aufgelöst. Demgegenüber bleibt die Agada, oder die Auslegung in den palästinischen Schulen, auch da, wo sie sich mit ersterer zu berühren scheint, der ganzen Denkrichtung, Weltanschauung der Rabbinen gemäß bei der Welt des Realen stehen, die Per- sonen bleiben Personen, den Erzählungen des Pentateuchs,

552 Ursprung, Begriff und Umfang

vom ersten Kapitel an, wird bei aller Vergeistigung, Ver- tiefung ihres Inhalts nichts von ihrem eigentlichen Gehalt als Bericht von Geschehnissen genommen. Sind es auch nach Targum und Midrasch nicht der Hirt und Sulamit, seine Freundin, mehr in Schir ha-schirim, die das traute Zwie- gespräch irdischer Liebe führen, statt dessen das traute Verhältnis der beiden auf Gott und Israel übertragen wird, so sind doch auch diese weit entfernt von schattenhafter Gedankenwelt, beide doch wieder persönlich gedacht. Auf ersteres, die Umdeutung in eine esoterische oder Gedanken- welt, hat die Bezeichnung Allegorie, wie sie in der Bibel- wissenschaft eingeführt ist, beschränkt zu bleiben, letzteres aber, und es begreift dieses das große Auslegungsgebiet im Midrasch der palästinischen Schulen, stellt vielmehr den breiten Strom der Agada dar mit ihren mannichfachen Formen, wie sie der Genius der Palästinenser selbständig erzeugt hat. Will man ferner Verständnis dafür, daß sowohl der Agadist wie der Allegoriker nicht bei einer Erklärung stehen bleibt, daß sie sich bei der Auslegung gar nicht genug tun zu können meinen, darum wie aus dem Füllhorn schaffender Phantasie zu zahlreichen Schriftstellern eine Fülle von Erklärungen ge- ben, so ist hier auf eine Erklärung hinzuweisen, wie sie M. Joel, Blicke in die Religionsgeschichte (I, S. 52) gibt: es sei das die Veneration des Schriftwortes gewesen, bei der es für dürftig gegolten, daß die heil. Schrift nur einen Sinn haben sollte; diese Anschauung, zuerst in Alexandrien aufgekom- men, habe sich dann auch der palästinischen Sphäre mit- geteilt. Das der exegetische Hintergrund nicht nur für die wechselnde Fülle von Agadoth oft zu einer einzigen Schrift- stelle, sondern auch für die zahlreichen Halachoth, wie sie in der Schule Akiba ben Joseph's zum ersten Male aufgestellt worden. Läßt dieser Umstand auch nicht alles gerechtfertigt erscheinen, so macht er es doch erklärlich. Mag man es seltsam, Widerspruch herausfordernd finden, wie die Me- thode dieses großen Tannaiten und seines Lehrers Na-

der allegorischen Schrifterklärung. 553

chum aus Gimso, von dem er sie überliefert erhielt, tat- sächlich von Zeitgenossen angegriffen worden, wenn man jpöfll j\"!N, Partikeln, die lediglich nach Gesetzen der Sprache beigesetzt erscheinen, wie neue Agadoth an der einen, wie neue Halachoth an der anderen Stelle liest oder als Quelle solcher ansieht, es bleibe dahingestellt, ob man in diesem Tannaitenkreise sprachliches Verständnis für die Partikeln gehabt hat oder nicht, daß sie ganz anderes darin sehen, es erklärt sich eben nur aus dem Glauben an den Überreichtum der Schrift bei ihnen, aus der Meinung vom Übersinn, den in der Schrift jedes Wort und auch die Partikel haben müsse, und den man nur herauszudeuten habe. Um diese Zeit, und ganz im Geiste derselben, muß auch auf ggadischem Gebiete die leichte, fast spielende Art von Schriftauslegung, die an die heutige Predigerart erinnert, aufgekommen sein, Zeitverhältnisse im Schriftwort wiederge- spiegelt zu finden. Es ist bekannt, wie in der Zeit unseres Akiba ben Joseph, der ja auch eine politische Rolle ge- spielt, zahlreiche Stellen der Schrift in Vorträgen der Lehrer zu Kampfesmitteln benutzt wurden, kriegerischen Geist in der jüd. Nation anzufachen. Da mußten denn Namen von Personen und Dingen, die an sich etwas ganz anderes be- deuten, je nach dem Zusammenhang, in dem sie in der Schrift stehen, sich auf einmal gefallen lassen, symbolische Bedeutung anzunehmen, wonach sie Anspielung auf das, was jene Zeit bewegte, enthalten sollten. Eines der interes- santesten Beispiele dieser Art ist vielleicht Midr. Wajikra rabba c. 13, wo boX] nT (11, 4) aus dem Gesetzesabschnitt »ro» auf Babel und seine fallende Macht und so das Übrige von Namen der unreinen Tiere bis auf r?nn (11, 7) auf Edom, bekanntlich den symbolischen Namen des damals so gehaßten Rom, gedeutet wird. Das alles ist Ausle- gungs-Agada, besser Anwendungs-Midrasch, ist homileti- scher Art, auf den Augenblick berechnet, hat mit Alle- gorie als stehender Auslegung nichts zu tun. Erst in der

554 Ursprnng, Begriff und Umfang etc.

spätmittelalterlichen Kabbala kehrt etwas ähnliches wie Philos Allegoristik wieder; Kabbala und alexandrinische Allegorie haben in Methode wie in der damit neugeprägten Lehre viel Verwandtes, worauf bereits Z. Frankel in »Über d. Einfl. usw.« § 9, Anmkg. hinweist. Mit Recht heißt die Kabbala die Geheimlehre; es sind verborgene Lehren, eine theosophisch- mystische Welt, die auch da, wie be- sonders im Sohar, in das Wort der Schrift hineingedeutet wird. Wohl hat unser Alexandriner fast unmittelbar mit seiner Allegoristik einen gelehrigen Schüler am Apostel Paulus gefunden, dessen antinomistische Exegese, wie er sie dem Gesetzeswort der Bücher Moses gegenüber übt, ganz in der Art philonischer Allegorie ist, doch gehört die weitere Untersuchung darüber nicht mehr zu meinem Thema, weil es außerhalb des Rahmens alttestamentlicher Exegese liegt.

Ein abschließendes Urteil über allegorische Schrift- auslegung insonderheit bei Philo zu fällen, jst nicht leicht. Es geht doch nicht an, sie einfach als eine einzige große Verirrung der Exegese abzutun. Abgesehen davon, daß sich unter diesen Allegorien homiletische Goldkörner finden, und nicht in geringer Zahl, ist die Allegoristik doch auch eine geschichtliche, durch den Geist ihrer Zeit bedingte Erschei- nung gewesen, und für die Auffassung und gerechte Beur- teilung geschichtlicher Erscheinungen gilt bekanntlich der Grundsatz : sie rechtfertigen sich selbst, wenn sie sich als durch den Geist ihrer Zeit bedingt, nach dem Entwick- lungsgesetz, das auch da gilt, erweisen. Die Exegese als Wissenschaft hat darum nicht für immer Schaden genom- men, sie ist mit mancherlei Erkenntnis bereichert, darüber hinausgekommen.

Die Wortführer des Judentums in den ältesten Kontroversen zwischen Juden und Christen.

Von M. Frelmann.

I.

Es ist, wie sich schon in meinen früheren Artikeln gezeigt, ein tief eingewurzelter Irrtum, zu glauben, daß das pharisäische Judentum zu dem in seiner nächsten Um- gebung enstandenen und zu erstaunlich rascher Aus- breitung gelangten Christentum irgend ein inneres Ver- hältnis gehabt, es sogar von seiner Geburt ab auf Le- ben und Tod bekämpft habe. Die »Schriftgelehrten und Pharisäer« standen vielmehr von Anbeginn dem Christentum kühl und indifferent gegenüber. Seitdem sie dem korrum- pierenden Einflüsse politischer Aspirationen entrückt waren, gaben sie sich ausschließlich dem Studium der Thora hin: dem Ausbau der das Judentum von der großen Welt ab- schließenden Traditionslehre, so daß die tiefgehenden reli- giösen Bewegungen, aus denen das Christentum hervor- ging, nur einen schwachen Widerhall im jüdischen Lehr- haus erweckten.

Was das pharisäische Judentum aus dem lange vor- hergesehenen Zusammenbruch seiner nationalen Selbst- ständigkeit flüchtete und in Sicherheit brachte, das war einzig und allein das geschriebene Gesetz, und zwar in der Hülle der »mündlichen Überlieferung«. Dar- über hinaus gab es für dasselbe keine religiösen Fragen.

Von Rabbi Johanan b. Sakkhai, dem »Vater der Weis- heit und der künftigen Geschlechter«, erzählt der Talmud, daß er sich während der Belagerung Jerusalems auf eine

556 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

Totenbahre, um die Zeloten zu täuschen, außerhalb der Stadtmauer zu Vespasian habe bringen lassen. Diesem habe er prophezeit, daß er die Kaiserkrone tragen werde und von ihm die einzige Gunst sich erbeten: ihm Jabneh und seine Weisen als Zuflucht für die Pflege der Thora zu über- lassen.

Dieser Vater des künftigen Rabbinismus verkörpert so recht den unverfälschten, von tiefster Gesetzesfrömmig- keit erfüllten Pharisäismus im Zeitalter Jesu, in dessen vor der Außenwelt sich abschließende Lehrhallen eben- sowenig der Lärm des Krieges wie der des Streites um den Messias eindrang. So hat denn auch die talmudische Literatur keine Kenntnis von den religiösen Stürmen, die über den Boden der griechischen Diaspora und später über jenen des Christentums dahinbrausten. Wäre aber die all- gemein herrschend gewordene Anschauung der Kirche: daß das Christentum schon bei seiner Geburt von dem Judentum tödtlich verfolgt wurde, die richtige; das gesamte talmu- dische Schrifttum hätte von dieser als so unversöhnlich geschilderten Feindschaft infiziert sein müssen, und die überall im Talmund Christenhaß witternde Zensur hätte nicht erst nach ungemein spärlichen und höchst frag- würdigen, fälschlich auf Jesus und das Christentum be- zogenen Stellen fahnden müssen, um sie auszumerzen; sie hätte vielmehr Talmud und Midrasch in Bauseh und Bogen vernichten müssen, da sie ja von diesem Haß durch- tränkt gewesen wären. In Wirklichkeit aber weiß der Talmud nichts Authentisches über Jesus und das ent- stehende Christentum zu berichten, und wo er etwa An- spielungen auf beide macht, klingen diese so verworren, daß man sie auf den ersten Blick als halbverklungene und kaum mehr verstandene Sagen erkennen muß. Die phari- säischen Gesetzesiehrer hatten eben ihre Schule von der Außenwelt abgeschlossen und es ängstlich vermieden, sich in Religionsdisputationen mit Leuten, die außerhalb des

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 557

Judentums standen, ja sogar mit häretischen Juden, ein- zulassen. Noch um die Mitte des zweiten christlichen Jahr- hunderts sagt der Jude Trypton zu Justin Martyr, der ihm aus der Schrift die Göttlichkeit und Präexistenz des Christ beweisen will: »O Mensch, unsere Gesetzeslehrer haben recht, wenn sie uns vor dem Umgang mit jedem von euch warnen und uns verbieten, solche Lehren, wie du sie vor- bringst, anzuhören; denn du sprichst viel Lästerungen aus«1). Über Jesus gab es überhaupt keine ursprügnlich jüdische oder rabbinische Überlieferung. Was man sich in jüdischen Kreisen von ihm erzählte, das wußte man ledig- lich vom Hörensagen und aus den evangelischen Dar- stellungen. Daher das gänzliche Fehlen eigener einschlägiger Nachrichten im Talmud. Daher kommt es auch, daß weder der Jude bei Justin Martyr noch jener bei Celsus von Jesu und seinem Wirken anderes wissen, als was sie aus den Evangelien oder gerüchtweise erfahren haben, und daß sie in ihren Widerlegungen sich ausschließlich nur auf diese und auf das Alte Testament berufen müssen. Wir wissen es ganz bestimmt und haben dafür nicht nur indirekte sondern auch direkte Beweise, daß zu Beginn des zweiten und sogar des fünften Jahrhunderts noch keine unver- fälscht jüdische Überlieferungen über Jesus und seinen Kreuzestod vorhanden waren. In der aus dem Anfang des fünften Jahrhunderts stammenden Altercatio Simonis et Theophili, welche nach Harnaks scharfsinniger Untersuchung nichts anderes als eine nur wenig modifizierte Kopie der in den Zeiten Hadrians verfaßten Altercatio Jasonis et Papisci ist, zeigt sich der Jude Simon entsetzt über den Gedanken, daß Christus so schmachvolle Leiden habe er- tragen müssen, und fügt zweifelnd hinzu: »Wofern es wahr wäre, was ihr berichtet, daß er von unseren Vätern ans Kreuz geschlagen wurde«. Hierauf fährt er folgendermaßen fort: »Von Haman wissen wir, daß er, der

*) Dial. c. Tryph. c. 38. Vgl. auch c. 112.

558 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

unser Geschlecht verderben wollte, von unseren Vätern, wie er es verdiente, ans Kreuz geheftet wurde ; und so feiern wir denn auch, der Überlieferung gemäß, zur Erin- nerung an dieses freudige Ereignis alljährlich ein Freuden- fest. Von Absalon lesen wir, daß er zur Strafe für sein gegen den Vater geplantes hochverräterisches Verbrechen an einem Baum hängen geblieben. Hat nun Christus den schimpflichen Kreuzestod erlitten, warum ist uns hier- über von unseren Vätern nichts überliefert worden? warum findet sich in unseren Schriften keine Erwähnung seines Martyriums, daß wir uns darüber, war er in Wirklichkeit ein Feind unseres Volkes, freuen könnten1)?«

So sprach der Jude Papiscus zu Beginn des zweiten, und so sprach der Jude Simon zu Beginn des fünften

») Altercat. Sim. et Theopb. ed. Harnack 1883, p. 28 VI, 22: Aestuo vehementi cogitatione, potuisse Christum tarn maledictam et ludibriosam sustinere passionem, si tarnen vera sunt, quae dici- tis, a patribus nostris crucis patibulo eum esse suffixum. Seimus plane, Aman malidictum a patribus nostris pro merito suo esse crueifixum, qui genus nosttum petierat in perditionem, in cuius mortem peracto revoluto anno gratulamur et solemnia votorum festa celebra- mus, quae a patribus tradita aeeepimus, et Absalon, qui ad caedem patris patrieida fuit, pependisse illum in arbore legimus. Christus antem, si patibulum mortis huius sustinuit et in cruce pependit, cur non hoc ipsum a patribus nostris aeeepimus nee passum in scripturis nostris invenimus, ut, utsi inimicus genti no- strae esset, gauderemus? Vollkommen unverständlich ist uns, wie Harnack (das. p. 53 f.) dazu gelangt, diesen Gedankengang Simons in folgender, den klaren Sachverhalt trübenden Weise widerzugeben: »Der Judec so kommentiert er »geht jetzt zu dem stärksten Einwurf über: das schimpfliche Leiden Christi. Wenn Christus wirklich, wie behauptet wird, an das Kreuz geschlagen worden ist, so hat er die Strafe erlitten, welche der Verräter Haman und der Abtrünnige Absalon mit Recht erhalten haben. Ferner, wenn es wahr ist, daß der ans Kreuz Oehenkte der Messias gewesen, warum ist in den heiligen Schriften dieser Tod aicht vorausverkündigt, während wir jetzt den Tod dieses Qekreuzigten als des Feindes unseres

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 559

Jahrhunderts. Sie hatten also beide noch keine väterlichen Überlieferungen« betreffs Jesu und seines Opfertodes. Und ihre christlichen Gegner widersprechen dem nicht. Das einzige, was sie auf diese Zweifel der zu bekehrenden Juden zu erwidern vermögen, ist ihre Berufung auf das alttestamentliche Schrifttum, wo vorhergesagt sei, daß der Messias leiden und den Kreuzestod sterben werde.

Das pharisäische, oder vielmehr rabbinische Judentum hat sich unter den Herodäern allmälig aus dem Welt- verkehr ausgeschaltet und die Mission, »das Licht der Heiden zu werden«, der griechischen Diaspora überlassen, welche eine erstaunliche Werbekraft in der heidnischen Welt entwickelte. Diese äußerst rührige und missions- freudige Diaspora war im Zeitalter Jesu, bis ins Herz Judäas, wo sie ihre eigenen Synagogen hatten1), vorge- drungen. Hier gab sie den mächtigen Impuls zur Bildung des Christentums.

Doch nicht die gesamte »Diaspora der Hellenen« mündete ins Christentum ein. Die breiten, nationalgesinnten Schichten derselben, und selbst philosophisch gebildete Juden philonischer Richtung, die noch aus Pietät für die gottgeliebten Vorväter das Zermonialgesetz nach Möglichkeit beobachtet wissen wollten ; sie konnten sich mit der Botschaft von dem »Ende des Gesetzes« eben so wenig als mit einem gekreuzigten Christ vertraut machen. Diese nun wurden die heftigsten Gegner des Christentums. Auf dem weiten hellenistischen, nicht auf dem engen pharisäischen Boden war der Kampf um den Christ und um die Befreiung vom Gesetz entbrannt, an allen Enden und Ecken lodernd. Da standen jüdische Hellenisten gegen christgläubig gewordene ;

Volkes bejubeln?« Wie man sieht, wird hier durch die Auf- fassung Harnacks der Sinn der Worte Simons in den wesentlichsten und bezeichnendsten Punkten verwischt, ja geradezu in sein Gegenteil gekehrt; sicherlich unbewußt.

x) Vgl. Apostelgesch. 6, 9.

560 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

nazaräische Antinomisten gegen nazaräische gesetzestreue Christen ; Apostel des jüdischen gegen Apostel des heid- nischen Christentums man denke nur an das Auftreten des Paulus gegen Petrus, dem er offen Heuchelei vorwirft1); an das Anathem, das er gegen die zum Gesetz haltenden jerusalemischen Apostel, »wer sie auch immer sein mögen«, schleudert2) da standen jüdische Christen gegen heid- nische Christen und umgekehrt, bis endlich das übermäßige Hereinfiuten des heidnischen Elements den Sieg entschied. Aber selbst das christgläubig gewordene Nazaräertum ich meine die Gemeinde Jesu stellt keineswegs ein einheitliches Gebilde dar. Noch im dritten Jahrhundert teilte es sich, wie wir bei Origenes lesen, in verschiedene Parteien : in solche, die sich von den alten Gebräuchen unter dem Vorwand abgekehrt, daß sie Geheimnisse und Symbole seien und geistig gefaßt werden müssen ; und andere, die zwar den geistigen Gehalt des Gesetzes gelten ließen, aber dennoch die Gewohnheiten der Väter beibe- hielten. Eine dritte Klasse hielt sich ausschließlich an den Buchstaben des Gesetzes, ohne etwas von einer geistigen Auffassung desselben wissen zu wollen, glaubte aber dabei, daß Jesus derjenige sei, von welchem die Propheten geweissagt und hielt das Gesetz Mosis nach der Weise der Väter8).

') Galatcrbr. 2, 14.

«) Oal. 5, 10-11.

8) Orig. contra Cels. II, 3. Dieselben Religionsparteien finden wir schon in der vorchristlichen griechischen Diaspora vor. Die ra- dikalen Allegoristen, welche das Zeremonialgesetz allegorisch auflösten und sich der Beobachtung desselben überhoben erklärten; ferner die in Philo vertretene konservative jüdisch-hellenistische Partei, die das Gesetz gleichfalls allegorisch auslegte und geistig auffaßte, aber gleichwohl dessen wörtliche Beobachtung forderte: »aus Pietät gegen die heiligen Männer der Vorzeit, welche die nationalen Einrichtungen angeordnet« und aus Scheu, die religiösen Gefühle der Menge durch Nichtbefolgung derselben zu verletzen; und endlich die große Menge

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 561

Und die Kirche, die sich im alleinigen Besitz der reinen Lehre Jesu wähnte und sich die allgemeine nannte, wie schwer hatte sie unter der Übermacht der un- gezählten gnostischen Sekten, die den christlichen Boden bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts und darüber hinaus beherrschten, zu leiden! Wie hart war der Kampf, den sie gegen dieselben führte, wie vergiftet die Pfeile, die sie gegen einander schleuderten!

Dagegen herrschte auf dem pharisäischen Boden die heiligste Stille. Abgesehen von einem ganz ungefährlichen Geplänkel mit den Sadduzäern und einer Anzahl von Kontro- versen mit jüdischen Minäern, welche letztere, weil sie die göttliche Inspiration der Thora und die Aufer- stehungslehre leugnen und zwei Gottheiten annehmen1), verketzert werden, vernehmen wir kein lautes Wort, kein Reagieren auf die ringsum tosenden Wogen religiöser Be- wegungen, aus denen die Kirche unter schwerem Ringen zur Siegerin sich emporschwang.

Bedürfte es noch eines weiteren Beweises, daß das pharisäische Judentum sich insbesondere seit dem Aus- bruche des messianischen Bewegungen, vollständig von der Außenwelt abgekehrt hatte, sich mit brünstigem Eifer in seine Traditionslehre vertiefend, und daß es zu dem ent- stehenden Christentum kein Verhältnis hatte, keines zu ihm gewinnen konnte; so läge er sicherlich darin, daß in den aus den beiden ersten christlichen Jahrhunderten auf uns noch gekommenen Kontroversen zwischen Juden und Christen es nicht pharisäische sondern immer na- tionalgesinnte hellenistische Juden sind, die auf die christlichen Angriffe reagieren oder die gegnerischen Positionen angreifen. Die Wortführer des Judentums sind

der Buchstabengläubigen. Im Pharisäismus aber gab es weder eine solche radikal-allegoristische, noch auch eine der philonischen ähnli- che Richtung.

») J1V1BH TIP. Monatsschrift, 55. Jahrgang. 36

562 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

da überall griechische Juden, die nicht die mindeste Be- kannschaft mit der pharisäischen Schriftauslegung verraten, vielmehr oft größere Unwissenheit darin an den Tag legen als selbst ihre aus dem Heidentum stammenden Gegner. Es sind Diasporajuden, die überhaupt mehr Vertrautheit mit der griechischen Literatur, Philosophie und Mythologie als mit dem jüdischen Schrifttum zeigen, griechische Juden, die nichts weiter als ihren monotheistischen Standpunkt verfechten und die Notwendigkeit der Beobachtung be- stimmter nationaler Gebräuche betonen.

An erster Stelle sei die Altercatio Jasonis et Papisci erwähnt. Dieser Dialog die älteste uns bekannt ge- wordene Kontroverse zwischen Juden und Christen ist zwar nicht mehr auf uns gekommen, doch erwähnt ihn der platonische Philosoph Celsus in seinem uns noch frag- mentarisch erhaltenen »Logos Alethes« in wegwerfendem Tone, während Origenes ihn verteidigt. So ist es un- schwer, sich ein Urteil über Form und Inhalt desselben zu bilden. Der Verfasser des Dialogs, Aristo von Pella, zweifellos ein jüdischer Christ, ist ein Sohn der Diaspora von Peräa, wo Jesus viel gewirkt und großen Anhang ge- funden hatte. Papiscus, der sich gegen das Christentum wehrt, ist ein alexandrinischer Jude, und Jason, der ihn bekehren will, ein Christ aus den Hebräern. Der Jude nun, der sich dem christlichen Gegner stellt, muß griechische Bildung besessen haben, da er sich, wie dies Origenes be- zeugt, geschickt zu wehren versteht1). Es handelt sich dieser Schrift, wie allen ähnlichen Kontroversen jener Zeit, darum, dem Juden aus dem Alten Testament zu beweisen : daß Jesus der verheißene Messias. Beide, Celsus und Origenes, orientieren uns über den Inhalt und die Qualität des Dialogs. Selbst aus den Äußerungen des letzteren, der ihn gegen den Christenbestreiter Celsus warm in Schutz nimmt, geht zur Gewißheit hervor, daß es eine recht minderwertige

») Orig. c. C. IV, 52.

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 563

Schrift war. Celsus spricht in verächtlichen Ausdrücken von ihr: sie sei von der Art, daß sie geeigneter sei, den Leser zum Mitleid und zum Unwillen als zum Lachen zu reizen, und er verspüre keine Lust, derartige Dinge zu widerlegen; die Torheit derselben müsse einem jeden, der Geduld genug habe, sie zu lesen, in die Augen springen1). Darauf erwidert Origenes: Celsus habe sich aus den vielen guten Werken, in denen die heilige Schrift geistig ausgelegt werde, eines der schwächsten ausgesucht, welches zwar gut genug, den gemeinen Mann und die Einfältigen im Glauben zu stärken, aber wenig oder nichts beitrage, verständige Leute zu überzeugen. >lch wollte,« so fährt er fort, »daß derjenige, der da hört, wie dreist und hochmütig Celsus von der Streitschrift des Jason und Papiscus über den Messias urteilt, dieselbe in die Hand nehmen und in Geduld durch- lesen möchte. Ich bin überzeugt, daß er das Urteil unseres Widersachers verwerfen und nichts darin finden würde, das Mitleid und Unwillen verdient. Wer sie unvoreinge- nommen liest, findet nicht einmal etwas darin, was lachens- wert wäre: Ein Christ streitet mit einem Juden unter Zugrundelegung der heiligen Schrift, die auch bei den Juden für göttlich gehalten wird und zeigt ihm, daß die Weis- sagungen betreffs des Messias in der Person Jesu erfüllt seien. Der Jude wehrt sich mit nicht gewöhnlichem Eifer und spielt in der Tat die Rolle des Juden recht geschickt«. Damit wir aber keinen Augenblick in Ungewißheit seien über die Herkunft der in diesem Dialog handelnden Personen, erhalten wir hierüber von Celsus so greifbare Andeutungen, daß wir diese Altercatio auf den ersten Blick schon als ein jüdi seh -hell e n ist i seh e s Produkt er- kennen müssen. Celsus verurteilt gelegentlich in schärfster Weise die allegorische Schriftauslegung der gebildeten Juden, worunter er, wie Origenes hier kommentiert, die Auslegungs-

») Das.: oliv Sri xal Ila7Ci(7XOu tivo? xai 'Ixsovo? ävrtXoYiav S-fvcüv, ou y^wto?, äXki. U.3&X0V xal (xi«jou? ä£(av xtX

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564 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

weise eines Aristobul, Philo und ähnlicher Anderer meint und fügt unmittelbar darauf hinzu: »Von solcher Art habe ich auch die Streitschrift eines gewissen Papiscus und eines Jason gefunden, nicht sowohl des Lachens als viel- mehr des Mitleids und des Unwillens wert.«

Zweifellos, der Dialog ist dem freilich schon ganz ver- dorrten Boden des jüdischen Hellenismus entstammt, was überdies auch die griechischen Namen des Verfassers und der beiden Streitenden äußerlich bezeugen.

Besitzen wir nun gar in der zu Beginn des fünften Jahrhunderts von Euagrius herausgegebenen Altercatio Si- monis judaei et Theophili christiani, wie Harnack überzeu- gend nachgewiesen, eine Überarbeitung der Altercatio Jasonis et Papisci; dann sind wir nicht bloß in der Lage uns un- abhängig von Celsus und Origenes ein Urteil über dieses letztere Opus zu bilden, das aus so früher Zeit stammt, daß Clemens Alexandrinus es dem Evangelisten Lukas zuschreiben durfte; es fällt uns auch an dem Juden Simon, vormals Papiscus, die hellenistische Geberde auf. Daß Eu- agrius sich die Arbeit zum mindesten soweit sie den Juden betrifft sehr leicht gemacht hat, zeigt schon ein flüchtiger Blick in seine Altercatio. Er läßt den Juden nur sehr wenig und zumeist nur das sprechen, was dem christlichen Gegner nicht nur keine Schwierigkeiten bereitet, sondern ihn geradezu in seiner Widerlegung fördern muß. Von dem »Eifer und der Geschicklichkeit«, die Origenes an dem Juden Papiscus rühmt, ist bei Simon nicht die geringste Spur mehr zu entdecken. Sein Judentum ist ebenso farblos wie seine Gegenwehr kraftlos, und es gewinnt den Anschein, als ginge er von Anbeginn darauf aus, dem Gegner zu einem billigen Tri- umph zu verhelfen. Gleichwohl geht aus dem Dialog soviel zur Gewißheit hervor, daß die beiden Streitenden, der Jude und der Christ, auf dem Boden der jüdisch-hellenistischen Schriftauslegung ste- hen, welche beiden geläufig Ist, und die auch später Justin

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 565

Martyr in seinem Redekampf mit den Juden auf Schritt und Tritt in Anwendung bringt. Hier ein markantes Beispiel. Der Christ will dem Juden beweisen, daß Christus der Logos, daß er aus Gott gezeugt, daß er schon bei der Weltschöpfung mitgewirkt und von Anbeginn als Mittler zwischen Gott und seinem Volke gedient habe, welchem er beim Auszug aus Ägypten in der Wolkensäule voran- schritt1). Und wie beweist er dies? Ganz einfach : er zeichnet das Bild genau nach, welches die jüdisch-hellenistische Sophia Salomonis vcn der präexistenten Weisheit entwirft, nur daß er diese in dem Gekreuzigten inkarniert sein läßt. Dabei beruft er sich auf Proverb. VIII, wo die Weisheit bereits hypostasiert erscheint und von sich spricht: »Gott schuf mich im Anfang seiner Werke, längst vor seiner Schöpfung; von Ewigkeit bin ich eingesetzt . . . Als er die Himmel bereitete, war ich dabei ... da war ich bei ihm als Werkmeister in...« Darauf erwidert der Jude im Geiste der jüdisch-alexandrinischen Schule: das möchte wohl von der Weisheit gesagt worden sein2).

Eine Anlehnung aber an die pharisäische Auslegungs- methode oder Denkweise überhaupt ist nirgends im Dialog wahrzunehmen.

II.

Aus demselben Holz wie der Jude Papiscus bei Aristo ist der Jude Tryphon bei Justin Martyr, sind auch die Vertreter des Christentums in beiden Dialogen geschnitzt. Die letzteren haben viele Verbindungspunkte mit den Juden, die sie zu dem gekreuzigten Christ zu bekehren sich abmühen: denn sie stehen mit ihnen auf demselben Boden geschichtlicher Entwicklung: auf dem Beden des jüdischen Hellenismus. Sowohl Justin Martyr als auch vor

») Altere. Sim. III, 11: Vides ergo: Simon, exeuntibus patribus tuis de Aegypto, quia Christus erat, qui in columna nubis praece- debai eos.

*) Altere. III, 12: Potest hoc pro sapientia dictum esse.

566 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

ihm schon Aristo von Pella besitzen bereits einen jüdisch- hellenistischen, zum Zweck der Judenbekehrung angelegten Katechismus, in welchem sämtliche auf den Messias sich beziehenden oder gewaltsam auf ihn gedeuteten alttesta- mentlichen Stellen gesammelt sind, um allen Einwendungen der Juden gegen einen Gottmenschen, gegen einen ge- kreuzigten Christ und gegen die gesetzesfreie Lebensweise der Christen begegnen zu können. Daher auch die er- staunlich scheinende Belesenheit in der Schrift und die Schlagfertigkeit, mit der sie die geeigneten Bibelzitate zur Hand haben.

Daß nun Tryphon und seine Freunde, die mit Justin über den Christ und über die Schrift disputierten, griechische Diasporajuden waren, deren Juden- tum freilich schon arg verweltlicht und für die Sichel reif geworden war, das lehrt schon ein flüchtiger Einblick in den Dialog Justins.

Eine jüdische Gesellschaft gerät von ungefähr auf den im Philosophenmantel einherschreitenden christgläubig ge- wordenen Justin. Der Sprecher dieser Gesellschaft, Tryphon mit Namen, spricht ihn folgendermaßen an: An Argos er- hielt ich von dem Stoiker Korinth die Lehre, man dürfe niemand übersehen oder geringachten, der ein solches Kleid trage, sondern müsse ihm freundlich nahen und seinen Umgang suchen. Denn es sei möglich, daß man dadurch sich oder ihm nützen könne, was beiden Teile zum Vorteil gereiche. Wenn ich nun jemand in einer solchen Kleidung sehe, so suche ich mich ihm zu nähern. Das ist denn auch der Grund, warum ich dich angesprochen habe. Diese aber auf seine Genossen zeigend folgen mir in der Er- wartung, etwas Nützliches von dir zu hören. Ich heiße Tryphon, bin ein Hebräer aus der Beschneidung, und weil ich den gegenwärtigen Krieg floh, halte ich mich größten- teils in Hellas und Korinth auf.« Auf die Frage Justins, ob er denn aus der Philosophie soviel Nutzen zu ziehen

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 567

hoffe, als Moses und die Propheten zu bieten vermögen, erwidert er: »Enthält denn die Lehre der Philosophen nicht eine gründliche Darstellung der Gottheit? Stellen sie nicht eingehende Untersuchungen an über die göttliche Allein- herrschaft und Vorsehung? Oder ist es nicht der Haupt- zweck der Philosophie, das Göttliche zu erforschen1)

Kein auch nur oberflächlicher Kenner des pharisäischen Judentums wird ernstlich behaupten wollen, daß dieser Tryphon, der in Argos mit Sokratikern verkehrt, um sich von ihnen in der Erforschung des Göttlichen fördern zu lassen, der dem jüdischen, von Rabbi Akiba mit flammender Begeisterung geschürten Aufstand gegen Rom unter Bar- Kochba in leichtfertiger Bequemlichkeit den Rücken kehrt, sich größtenteils in den griechischen Ländern aufhält, der die heidnische Philosophie in einen Rang mit Moses und den Propheten stellt ein pharisäischer Jude, oder gar wie man behaupten will ein pharisäischer Gesetzeslehrer sei.

Auch sonst spielt sich dieser Tryphon gern als Lieb- haber der Philosophie auf. Wo Justin ihm und seinen Genossen in beredten Worten die Seligkeit schildert, die er empfunden, als ihm die Botschaft Jesu erschlossen wurde, wie da ein Feuer der Begeisterung in seinem Innern auf- loderte für die Propheten und jene Männer, welche die Freunde Christi seien; erwidert Tryphon: »Ich bewundere deinen Eifer für Gott, würde es aber für besser halten, wenn du der Philosophie eines Plato oder eines anderen Philosophen weiter gefolgt wärest in Übung der Stärke, in der Überwindung und Mäßigung, als dich von falschen Lehrern irreführen zu lassen und Leuten zu folgen, die keine Achtung verdienen. Denn wärest du bei der Lehre jener Philosophen geblieben, so würde bei einem sünden- freien Leben die Hoffnung auf ein besseres Los dein An- teil sein«2).

*) Justin Dial. c. 1. •) Dial. c. 8.

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Merkwürdige Exemplare von Pharisäern fürwahr, die ohne jede Scheu sich mit griechischer Philosophie und Mythologie befassen. Auch über letztere weiß Tryphon Bescheid, und er versteht es, sie an wichtiger Stelle anzu- rufen. Seinem Gegner, der aus der Schrift die jungfräuliche Geburt des Christ herauslesen will, hält er entgegen: «Diese ganze Weissagung bezieht sich auf Ezechias, wie ja auch seine Schicksale es bestätigen. In den Fabeln der Griechen wird erzählt, daß Perseus von Danae, einer Jungfrau, der sich Zeus in Gestalt eines goldenen Regens genaht, geboren worden sei. Ihr solltet euch schämen, ähnliches zu be- haupten euch nicht erdreisten, solch abenteuerliche

Dinge auszusprechen, sonst werdet ihr mit Recht des Unsinns beschuldigt«1).

Überhaupt schließt das Judentum Tryphons seine Zugehörigkeit zur pharisäischen Schule aus. Ungleich näher steht Tryphon dem christlichen Nazaräismus, mit dem er sowohl die Vorstellung von dem Messias als auch jene von der fortdauernden Verbindlichkeit gewisser National- gesetze teilt. Und tatsächlich bekundet er im Dialog ein lebhaftes Interesse für das nazaräische Christentum, welches er höher bewertet als Justins philosophisch konstruiertes heidnisches, aus einem Logos-Gott geborenes Christentum. Besehen wir uns doch das Judentum Tryphons ein wenig in der Nähe. Worin besteht es eigentlich? Läßt es etwa die leiseste Andeutung einer Hinneigung zur phari- säischen Traditionslehre oder auch nur eine Bekanntschaft mit derselben durchschimmern? Das dürfte wohl kaum ein mit dem Wesen des Pharisäismus vertrauter Leser dieses Dialogs behaupten wollen. Eher als bei dem Juden Tryphon wird man noch bei Justin selber eine entfernte Bekannt- schaft mit pharisäischer Denkweise entdecken. Der ganze Schwerpunkt der jüdischen Religion liegt für Tryphon: in dem Glauben an einen Gott, in der Beobachtung der

») Dial. c. 67.

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 569

Beschneidung, der Sabbathe, und Festtage und der Reinheits- vorschriften. Der Kampf um diese religiösen Güter zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Dialog. Ein anderes Judentum kennt er nicht. Schon zu Beginn seiner Unterhaltung mit Justin rät er diesem: »Wenn du mich an- hören willst, denn ich betrachte mich bereits als deinen Freund, so beschneide dich, dann halte die Feste und Neumonde Gottes und tue alles mit redlichem Herzen wie es vorgeschrieben ist, und du wirst sicher Gnade finden«1). Diese jüdisch-hellenistischen Marktphilosophen glichen auf ein Haar unseren modernen, nur oberflächlich philo- sophisch gebildeten und ebenso oberflächlich mit ihrer eigenen Religion vertrauten Juden. Sie waren und blieben letzten Endes Juden aus unüberwindlicher Abneigung gegen heid- nisches Wesen und heidnischen Götzendient. Darum will Tryphon auch nach außenhin den Juden von dem Heiden unterschieden wissen. Darum wirft er auch seinem christ- lichen Gegner vor, daß sein Christentum reines Heidentum sei. »Ich habe mich«, sagt er, »bemüht, euere Lehren zu studieren. Insbesondere können wir nicht begreifen, daß ihr, die ihr Gott zu fürchten vorgebt und auch für besser haltet als die andern, euch in eurer Lebensweise in nichts von den Heiden unterscheidet; keine Feste und Sabbathefeier t, keine Beschneidung beobachtet und auf einen gekreuzigten Menschen eure Hoffnung setzt. Wie könnt ihr erwarten, Gutes von Gott zu erlangen, wenn ihr seine Gebote nicht achtet? Oder hast du nicht gelesen, daß die Seele aus dem Volke aus- gerottet wird, die am achten Tag nicht beschnitten wird? Diesen Bund ganz verwerfend, kümmert ihr euch nicht um die auf demselben gegründeten Einrichtungen und lebt in der Einbildung, Gott zu erkennen, obgleich ihr nichts von dem beobachtet, was die Vertreter Gottes üben«8).

») Dial. c. 8. •) Dial. c. 10.

570 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

Man wende mir nicht ein, daß der Jude bloß von den Heiden oder heidnischen Christen ein Minimum von Gesetzesbeobachtung forderte, daß er aber selber, als geborner Jude, das ganze Gesetz für verbindlich hielt. Dem widerspricht Tryphon selbst. Dem Gegner, der ihn über- zeugen will, daß nach dem Erscheinen des Christ es nicht mehr angehe, die Gesetze Mosis zu halten, räumt er ein, daß nach der Zerstörung des Tempels manche gesetzliche Vorschriften gegenstandslos und hinfällig geworden; und auf dessen weitere Frage, welche Gebote nach wie vor gehalten werden müssen, erwidert er: »jene des Sabbath, der Beschneidung, der Neumonde und der Reinigungsbäder, wie sie Moses vorgeschrieben"1).

Das ist das Um und Auf seines Judentums. Und dieses beton er immer und überall.

Und in diesem Tryphon wollte man den heißblütigen Gesetzeslehrer Rabbi Tarphon erkennen2), der, wie der Talmud berichtet, alle minäischen Schriften verbrannt wissen wollte, und bei einer drohenden Gefahr eher in einem heidnischen Tempel als in den Häusern dieser Ketzer Zu- flucht zu suchen anrät !

Neben der Diskussion über das Zeremonialgesetz be- wegt sich alles im Dialog um die Frage nach dem Christ. Hier verteidigt der sonst blasierte griechische Jude, der eingestandenermaßen in einer Kontroverse über Religion nichts weiter als geistige Anregung und Zerstreuung sucht, mit einer Energie, die man ihm nicht zugemutet hätte, seinen Monotheismus, den er durch die Erhebung des Christ in die Sphäre der Gottheit getrübt, ja sogar zerstört sieht. Er fordert Justin auf, seine Beweise für die Behauptung, daß die Propheten noch einen andern Gott neben dem

*) Dial. c. 46: <7aßßaTt£siv X^o) xai to TCepiTejxvecrdoct xal -ra £jx[/.7)va «puXocffTSiv xat ßa7CTi£s<r9,ai ä^ajjLSvov tivo; cjv KTnriYopeOsTat Otcö Mtousew; x iv (xuvouaia ysvojjlsvov.

») Zuletzt noch Schürer, Gesch. des jüd. Volkes II», 378.

Kontroversen zwischen Juden nnd Christen. 571

Weltschöpfer gekannt, darzulegen und fügt warnend hinzu : »Hüte dich aber, Sonne oder Mond zu nennen, da ja ge- schrieben steht, daß Gott den Heiden gestattet habe, sie als Götter anzubeten.« »Die Propheten,« so fährt er fort, »bedienen sich oft solcher Redensarten, sie sagen bei- spielsweise : dein Gott ist ein Gott der Götter und ein Herr der Herren, mit dem Zusatz : der Große, der Mächtige, der Furchtbare. Oft, sage ich ; aber sie nennen sie nicht Götter, als ob sie es in Wirklichkeit wären, sondern nach der Lehre, die wir von der gesunden Vernunft erhalten haben, daß der Gott, der Alles geschaffen, allein der Herr aller sogenannten Götter und Herren sei. Denn daß er selbst die Bezeichnung »Götter« tadle, bezeugt der heilige Geist durch David : »Die Götter der Heiden, die vermeint- lichen Götter, sind Bilder der Dämonen«. Er spricht sogar den Fluch aus über jene, die solche machen und über ihre Anbeter«1). Und da Justin ihm Stellen aus der Schrift vor- führt, die seine Behauptung von der Existenz einer zweiten Gottheit zu bestätigen scheinen, ruft er, sichtlich geängstigt aus : »ich weiß nicht, was ich dem gegenüber von den Worten des Jesaia denken soll, nach welchen Gott seine Herrlichkeit keinem andern überlassen wolle, sprechend : Ich bin der Herrr und Gott, dies ist mein Name. Ich will meine Herrlichkeit keinem andern geben noch meine Vollkommenheit«8) Und im Verlaufe der weiteren Ausführungen Justins fällt er, förmlich aufschreiend, diesem ins Wort: »Heilig ist, was Gottes ist! Eure Erklärungen

») Dial. c. 55.

*) Dial. c. 65. Auch der Jude des Euagrius beginnt seine Kontroverse mit der Einheit Gottes, sprechend : Sacri venerandique Deuteronomii vox resultans dicit: Videte, quoniam ego sum, et non est alius praeter me deus ? Et Esaias dicit : Ego primus et ego novis simus, et praeter me non est deus. Quid illud quod ait : Praete- me non est deus? Ergo tuduos deos facis. Cf. Altere. Sim. -6.

572 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

aber sind, wie deine Auslegungen beweisen, erkünstelt, ja sie enthalten Gotteslästerungen1) U

Gleichem Unglauben begegnet Justin bei Tryphon und seinen Freunden, wenn er ihnen aus der Schrift beweisen will, daß der Messias präexistent und daß er nach den Weissagungen der Propheten von einer Jungfrau geboren werden und den Fluch des Kreuzestodes auf sich laden werde. Und wenn Justin ihnen schon neue Zugeständnisse in der einen oder anderen Richtung abgerungen zu haben glaubt, dann häufen sich erst neue Schwierigkeiten, die sich seinem weiteren Versuche, darzutun, daß der Christ in der Person Jesu Fleisch geworden sei, entgegentürmen. Wir haben bereits gesehen, daß Tryphon diese Glaubens- lehren in das Reich der Mythe verweist. Er betrachtet es als Lästerung, wenn Justin in Nachzeichnung der Sophia bei Pseudo-Salomo die Behauptung aufstellt, der Gekreuzigte sei mit Moses und Ahron gewesen, habe mit ihnen aus der Wolkensäule geredet8), darauf sei er im Fleische er- schienen und werde wieder erscheinen; auch sei man ver- pflichtet ihn anzubeten8). Und da Justin, unbekümmert um solche Proteste, in großer Begeisterung fortfährt, Beweise aus der Schrift zu häufen, unterbricht ihn Tryphon mit den Worten : »Du schwärmst, das ist alles, was ich dir hierauf zu sagen habe«4). Und ein andermal: »Deine Lehre scheint mir widersinnig und unbeweisbar; denn wenn du behauptest, dieser Christus sei von aller Ewigkeit her ge- wesen, hernach als Mensch geboren worden und es ge- blieben und kein von Menschen gezeugter Mensch sei; so scheint mir das paradox, ja töricht«5). Und wiederum: »Du

x) Dial. c. 79: Ta j/iv tou xkou i.^ix s<mv, xi §s üpiiTspat E^-f/iTe',? TSTE^vasj/ivai xt>..

») Vgl. Altere. Sim. et Theoph. III, 11. 3) Justin Dial. c. 38. *) Dial. c. 38. ) Dial. c. 48.

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 573

unternimmst eine unglaubliche und fast unmögliche Sache, wenn du beweisen willst, Gott habe geboren und Mensch werden können«1).

Einmal macht ein Einwand Tryphons gegen diese Lehren sogar den allezeit schlagfertigen Justin stutzig, so daß er zugeben muß, daß derselbe bedeutsam und tat- sächlich geeignet sei, Zweifel zu erregen. Tryphon hält ihm nämlich entgegen : Weil der Prophet Jesaia vorhergesagt hat: »es werde ein Reis aus dem Stamme Jesse hervor- sprossen, ein Zweig aus seiner Wurzel aufsteigen, auf welchem der Geist des Herrn, der Geist der Wahrheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn ruhen werde weil der Prophet dieses vorhergesagt hat, willst du behaupten, dies werde von Christus gesprochen, der selbst zu vorGott gewesen, nach dem Willen Gottes Fleisch geworden und durch eine Jungfrau geboren worden sei. Sage mir nun wie kann dieser als präexistent ange- nommen werden, wenn er mit den Kräften des heiligen Geistes, erst erfüllt werden muß, da er ihrer bedürftig ist2)

Justin zitiert die Worte des Propheten: »Wer wird seine Herkunft beschreiben können?« und knüpft daran die Bemerkung: »Wenn ihr dieses prophetische Wort für wahr haltet, müßt ihr da nicht zugeben, daß er nicht aus menschlichem Samengezeugtsei?* Worauf Tryphon: »Warum aber sagt dann das Wort zu David : von seinen Lenden werde Gott sich einen Sohn nehmen und ihn auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen9)?«

Aber selbst wenn Justin seine jüdischen Gegner soweit gebracht zu haben wähnt, .daß sie sich nicht mehr vor seiner Auffassung des Christ entsetzen, daß sie sich viel-

*) Dial. c. 63. *) Dial. c. 87. 3) Dial. c. 68.

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mehr mit ihr bereits vertraut zu machen anfangen; dann erwächst ihm die neue Schwierigkeit, sie zu über- zeugen, daß dieser Christ in Jesu Gestalt angenommen und daß er es sei, auf welchen sich die Weissagungen der Propheten inbezug auf den Messias beziehen. „Es mag sich so verhalten, wie du sagst«, räumt Tryphon bereits ein» »es mag vorausgesagt worden sein, daß der Christ leiden müsse er mag nach seiner ersten Ankunft, in der er Leiden ertragen soll, im Glänze wieder komme, um alle Völker zu richten und ein ewiger König und Priester zu sein; beweise mir nun, daß di e ser J es us i n Wirkli ch- keit derjenige ist, von welchem solches geweis- sagt worden i st«1).

Wie die Predigt von der Gottheit des Messias, schien auch jene von seinem Kreuzestod den Juden unge- heuerlich. Sie dünkte ihnen eine Blasphemie. Der gekreu- zigte Christ war, wie schon Paulus wiederholt klagt, ein stetes »Ärgernis«2), ein »Stein des Anlaufens«3). Die Vor- stellung von einem leidenden Messias war den obersten und mittleren Schichten des jüdischen Volkes niemals ge- läufig, man stand hier der einschlägigen Prophezeiung des Deuterojesaia kühl gegenüber, und in den Kreisen der Schriftgelehrten beschäftigte man sich mit ihr erst, wenn man von christlicher Seite auf sie gedrängt wurde, um sie dann auf das jüdische Volk, insbesondere auf die Diaspora zu deuten4). Der Messias sowohl des pharisäischen als auch des hellenistischen Judentums war ein Nationalheros, der das jüdische Volk aus allen Enden und Ecken der Erde sammeln, es in die Hefmat zurückführen und alle übrigen Nationen zur Anerkennung und Anbetung des Gottes Israels bringen werde. Diese Vorstellung findet sieht

») Dial. c. 36.

») 1 Kor. 1, 23 Qal. 5, 11.

«) Köm. 9, 32.

«) Vgl. Orig. c. Cels. I, 55.

Kontroversen zwischen Jaden [und Christen. 575

in der jüdischen Sibylle1), bei Philo8), und nicht minder auf rabbinischem Boden eingebürgert, auf welch letztem ein Davids pro ß als Messias erwartet wurde. Nur in der apokalyptischen Literatur wächst er bereits zu einer präexistenten, göttlichen Potenz hinan. Desgleichen bei den jüdisch-antinomistischen Gnostikern, die in ihm den Be- freier vom Gesetz und Offenbarer des höchsten, bislang noch unerforschten Gottes sahen. Ganz anders die Messiasvorstellungen der untersten Volksschichten, der »Mühseligen und Beladenen«, der messianistischen Naza- räer. Ihr Ideal war der leidende Messias, der > Knecht Gottes«, wie ihn der Prophet in einer epochalen Vision ge- schaut. Dieser Messias war der Gegenstand ihrer sehn- süchtigen Erwartung.

Auch die Wortführer des Judentums in unserem Dialog erwarten einen glorreichen Davidsproß; von einem gekreu- zigten, mit dem »Fluch des Gesetzes beladenen« Messias aber wollen sie nichts wissen. Darum erwidert auch Tryphon, wo Justin die auf den Messias bezüglichen Stellen bei Daniel ins Treffen führt: »Diese und ähnliche Weissagun- gen zwingen uns, einen im hellen Glänze erscheinenden, erhabenen Menschensohn zu erwarten, der von dem Alten der Tage ein ewiges Reich empfangen wird. Euer sogenannter Christus aber war verachtet und ungeehrt, so daß er ein durch das Gesetz Gottes gänzliche Verwerfung herbeiführendes Urteil, den Kreuzestod, erleiden mußte«.3) Und selbst wo Tryphon zugibt, daß der Messias nach dem Ausspruche des Propheten leiden werde, will er nimmer glauben, daß er den schimpflichen Kreuzestod werde sterben müssen. Eine solche Auslegung empörte ihn in tiefster Seele. »Du weißt wohl«, sagt er zu Justin, »daß unser ganzes Volk einen Christ erwartet. Daß nun alle Schriften,

») Orac. sib. III, 46-50; 652-656.

») De execr. II, 435,

8) Dial. c. 32. Ebenso Altercatio Sim. et Theoph. VI, 22.

576 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

die du angeführt, sich auf ihn beziehen, geben wir zu. Auch den Namen Jesus, den schon der Sohn Nun führte, trägt er nach meinem Bedünken mit Recht. Allein, daß der Christ auf eine so schimpfliche Weise gekreuzigt werden mußte, das können wir noch nicht begreifen. Heißt es doch im Gesetz: der Gekreuzigte ist verflucht. Die Schrift predigt zwar deutlich von einem Christus, der Leiden er- tragen muß; wir wünschen jedoch zu vernehmen, ob du beweisen kannst, daß er die im Gesetz mit dem Fluche belegten Leiden erdulden mußte. Daß er leiden und wie ein Schaf hingeführt werden werde, wissen wir bereits; beweise uns nun, daß er gekreuzigt werden und einen entehrenden und schändlichen Tod sterben mußte. Denn das vermögen wir nicht einzusehen«1).

Und wenn endlich Justin sich seines Sieges über die ungläubigen Gegner schon sicher zu fühlen anfängt, wenn er sie unter Vorführung eines überreichen Beweismaterials aus Moses und den Propheten von der Existenz eines zweiten Gottes und dessen Identität mit dem Christ über- zeugt zu haben glaubt; dann vernichtet Tryphon alle seine Hoffnungen mit dem einen Worte:

»Euch, die ihr aus den Heiden kommt, mag er immer- hin Herr, Christus und offenbarter Gott sein nach den An- deutungen der Schrift, da ihr euch nach seinem Namen Christen nennen müßt. Wir aber, die wir Diener des Gottes sind, der ihn geschaffen, wir bedürfen seiner nicht, weder inbezug auf das Bekenntnis, noch inbezug auf die An- betung«2).

Überhaupt war es für Tryphon und seine Freunde eine feststehende Tatsache, daß der Messias noch nicht er- schienen und die Diskussion, in die sie mit Justin ge- treten, war von ihnen von vornherein als eine rein aka- demische gedacht. Sie, die wie das gesamte nationalge-

») Dial. c. 89. *, Dial. c. 64

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 577

sinnte, der Christusbewegung ferngebliebene Judentum in der unerschütterlichen Überzeugung lebten, der Messias werde erst dann kommen, wenn, wie der Prophet Maleachi es verkündet, vorher der Prophet Eliah erscheinen werde, um seine Ankunft vorzubereiten, sie wußten schon vor der Eröffnung der Unterhaltung mit Justin, daß sie sich wie dies ja auch der Ausgang der Diskussion klar beweist niemals zu seinen Lehren bekehren werden. Die pro- phetische Überlieferung, nach welcher Eliah vor Anbruch des »großen und furchtbaren Tages« kommen werde, um dem Messias den Weg zu bereiten, war im Zeitalter Jesu so landläufig, daß selbst Jesus nach den Evangelien ge- legentlich einer diesbezüglichen Interpellation seiner Jünger auf dieselbe Rücksicht nehmen mußte und sich zu der Er- klärung gedrängt sah: Eliah sei bereits erschienen, ohne erkannt worden zu sein, und zwar in der Person des Täufers Johannes. Darum erklärt denn auch Tryphon wiederholt, er könne nimmer glauben, daß der Messias bereits erschienen sei, da Eliah noch nicht gekommen. »Wenn aber,« sagt er, »Christus geboren ist und irgendwo sich befindet, so ist er ungekannt, ja er kennt sich nicht einmal selber und hat keine Macht, bis Eliah kommen und ihn öffentlich bekannt machen wird. Ihr aber, die ihr einem leeren Gerüchte folgt, bildet euch selbst einen Christus»1). Und ein andermal: »Weil aber Eliah noch nicht gekommen ist, so glaube ich auch nicht, daß Jesus der Christ ist«1). Die Kontroverse zwischen Justin und Tryphon mußte unfruchtbar verlaufen, da die streitenden Parteien sich nie und nimmer verstehen und verständigen konnten. Auf der einen Seite ein von schwärmerischer Begeisterung für den fleischgewordenen Gott Logos erfüllter heidnischer Christ, auf der andern ein nüchterner und starrer Monotheist, den die Vorstellung von einem Gottmenschen eine frevle

') Dial. c. 8. *) Dial. c. 49.

Monatsschrift. 65. Jahrgang. 37

578 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

Gotteslästerung dünkte. Wären Tryphon und seine Ge- nossen pharisäische Juden gewesen und nicht griechische, die gern jeden Anlaß ergriffen, der zu spielend dahin- fließenden Reden und Gegenreden Gelegenheit bot«1), sie hätten sich nimmer in einen Streit über den »Sohn Gottes» eingelassen. »Kein Jude« sagt Origenes, der hier nur das pharisäische Judentum im Auge hat »kein Jude gibt zu, daß einer der Propheten geweissagt habe, der Sohn Gottes werde kommen; nur das gestehen sie, daß die Propheten die Ankunft des Messias Gottes verkündet haben. Und daher fragen sie gleich, wenn sie sich mit uns einlassen, was das für ein Sohn Gottes sei, als ob die Propheten niemals eines solchen erwähnt hätten«8). Daß das jüdische Volk einen »im höchsten Glänze erscheinenden Menschensohn« erwarte, der ein ewiges Reich bekommen werde, gibt Tryphon bereitwilligst zu ; daß dieser aber ein Gottessohn, wie Justin und seine Kirche ihn darstellen, sein werde, daß weist er mit aller Entschiedenheit zurück. »Ihr solltet euch schämen«, sagt er entrüstet, »fabelhafte Dinge wie die Griechen zu lehren' und lieber sagen, euer Jesus sei als Mensch von Menschen gezeugt worden, wenn ihr uns aber aus der Schrift beweisen wollt, daß er in Wahrheit Christus sei, so solltet ihr lieber sagen: er sei durch einen

l) Das zeigt auch in vollem Maße der Ein- und Ausgang des Dialogs. An seinem Schlüsse äußert sich Tryphon über das Ge- samtergebnis der Unterhaltung, wie folgt: »Du siehst nun, daß wir uns keine besondere Mühe gegeben .haben, dich zu widerlegen. Ich bekenne, daß ich viel Vergnügen an diesem Gespräch hatte, und ich glaube, daß auch diese (seine Genossen) mit mir übereinstimmen. Denn wir haben mehr gefunden als wir er- warteten und als zu erwarten möglich war. Wenn wir öfter derartige Gelegenheit hätten, würden wir mehr Nutzen aus der Erforschung dt s Wortes ziehen. Da du aber im Begriffe stehst, dich zu verab- .hieden, so unterlasse es nicht, dich künftig zu erinnern, daß du hier reunde zurückgelassen.«

») Orfg. c. Cels. I, 49.

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 579

gesetzmäßigen und frommen Wandel würdig geworden, zum Christus erklärt zu werden und euch nicht erdreisten, so abenteuerliche Lehren vorzu- tragen«1).

Tryphon und seine Genossen sind griechische Dias- porajuden, die, wie bereits angedeutet, weit näher als dem pharisäischen Judentum dem nazaräischen Christen- tum stehen. Mit diesem, dem sie ein sichtliches Interesse entgegenbrachten, konnten sie sich schließlich verständigen, da sie einen Christus, wie er in der Vorstellung der naza- räischen Gemeinde Jesu lebte, gern gelten lassen wollten. »Mir scheint« sagt Justin zu Tryphon »die Meinung derjenigen richtiger, welche lehren, Jesus sei als Mensch vorzugsweise gesalbt und Christus geworden, als derjenigen, die deine Anschauungen teilen. Wir alle erwarten, daß Christus als Mensch von Menschen gezeugt kommen und von Eliah gesalbt werden wird. Wenn nun dieser der Christ sein soll, dann müssen wir allerdings vorerst wissen, ob er als Mensch von Menschen gezeugt wurd e«2).

Daß Tryphon ein gewisses Interesse dem Nazaräismus entgegenbringt, lehrt schon der Umstand, daß er seinen Gegner ein und das andermal darüber ausholt, wie er über diejenigen denke, die Jesus als einen Messias anerkennen, dabei aber nationaljüdische Gebräuche, wie Beschneidung, Sabbathe und Festtage beobachten. Justin antwortet zu- nächst ausweichend und zögernd. Erst als Tryphon die Frage wiederholt: »wenn jemand, der Jesum als den Christ anerkennt und an ihn glaubt, aber dabei nach wie vor mosaische Verordnungen beobachten wollte, würde er selig werden?«8) rückt Justin mit folgender das Verhältnis des heidnischen zum nazaräischen Christentum jener frühen

x) Dial. c. 67: ... yXkv. {xyi Tsp<XToXoYS?v xolu.y.xz. ») Dial. c. 49 8) Dial. c. 46, 47.

37*

580 Die Wortführer des Judentums in den älteren

Zeit, und umgekehrt scharf beleuchtenden Antwort heraus: »Nach meinem Bedünken wird ein solcher selig, wofern er nicht andere, will sagen, diejenigen, die durch Christus von dem Irrtum beschnitten wurden, verhalten will, diese Gesetze zu beobachten, vorgebend, man könne sonst nicht selig werden.« Darauf Tryphon : »Warum sagst du : nach meinem Bedünken wird ein solcher selig? Gibt es denn Leute, die behaupten, er könne nicht selig werden?« >Allerdings«, erwiderte Justin, »gibt es solche, und diese meiden sogar ihren Umgang und würden sie nicht beher- bergen. Diesen aber kann ich nicht zustimmen. Wenn nun diese, von denen vorhin die Rede war, wegen der Schwachheit ihrer Erkenntnis auch neben der Hoffnung, die sie in Christus haben, und der Erfüllung der ewigen Pflichten der Gerechtigkeit und Frömmigkeit auch die von Moses wegen des Volkes Sinnlichkeit eingeführten Satzun- gen, soweit sie noch beobachtet werden können, wie Sabbath und andere Bräuche, halten wollen und den Um- gang mit den gläubigen Christen pflegen, ohne sie über- reden zu wollen, daß sie sich beschneiden müssen; so halte ich dafür, daß sie in die Gemeinschaft aufgenommen und als Glieder und Brüder angesehen werden sollen. Gibt es aber aus eurem Volke, die an Christus glauben, die aber die Christgläubigen aus dem Heidentum durchaus bestimmen wollen, ihr Leben nach den Vorschriften Mosis einzurichten und sie im Weigerungsfalle aus ihrer Gemein- schaft ausschließen, so kann ich ihnen nicht beistimmen«1). Sosehr Tryphon sich gegen die Christologie Justins wehrt, so scharf er sie verurteilt, er bekundet auf der an- deren Seite ein lebhaftes Interesse für das nazaräische Christentum, das noch bis tief ins zweite Jahrhundert viel Werbekraft, allerdings zumeist auf jüdische Kreise, ausübt. Denn dieses Christentum ist es, über welches hier zwischen Tryphon und Justin verhandelt wird. Diesem erkennt der

») Dial. c. 47.

Kontroversen zwischen Juden nnd Christen. 581

erstere Existenzberechtigung zu, läßt der letztere im Gegensatz zu der jetzt herrschend werdenden allgemeinen Kirche noch eine gewisse Toleranz angedeihen.

Von den christlichen Nazaräern wissen wir, daß sie Juden von Geburt und bewandert im alttestamentlichen Schrifttum waren, daß bei ihnen Gesetz und Propheten und Hagiographen im hebräischen Urtext gelesen wurden, und daß sie sich überhaupt bloß darin von den Juden unter- schieden, daß sie an Christus glaubten, von den Christen aber darin, daß sie jüdisch lebten und durch Beobachtung der Sabbathe und anderer gesetzlicher Vorschriften an das Gesetz noch gebunden waren1).

Von den Ebioniten, einer Abzweigung der Nazaräer, berichtet Eusebius: »Die Alten nannten sie mit einem be- sonderen Namen Ebionäer, weil sie geringe und arm- selige Vorstellungen von Christus hatten. Sie hielten ihn nämlich bloß für einen gewöhnlichen Men- schen, der nur wegen seiner sittlichen Voll- kommenheit für gerecht erklärt worden und im übrigen die Frucht des Umganges eines Mannes mit Maria sei. Nach ihrer Ansicht war die Beobachtung des Gesetzes unerläßlich, da man nicht durch den bloßen Glauben an Christus und durch Einrichtung des Lebens- wandels nach seiner Lehre die Seligkeit er- langen könne. Andere gleichen Namens vermieden zwar die widersinnige Ungereimtheit, die Geburt des Herrn von einer Jungfrau und dem heiligen Geist zu leugnen, gaben aber dennoch nicht zu, daß er vorher existiert habe, daß er der Logos Gott und die persönliche Weisheit sei und hegten sonach dieselbe falsche Ansicht wie die erste- ren, insbesondere, da auch sie auf dieselbe Art, wie jene, den fleischlichen Zeremonien des Gesetzes nachzukommen sich bestrebten. Den Sabbath und

») Vgl. Epiph. Haer. XXIX, 7.

582 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

die sonstige jüdische Lebensweise behielten sie wie jene bei, doch feierten sie auch den Sonntag wie die allgemeine Kirche zur Erinnerung an die Auferstehung Jesu. Das war die Ursache, warum sie den Beinamen Ebionäer erhielten, der die Dürftigkeit ihrer Erkenntnis anzeigt. So nämlich heißt der Dürftige auf Hebräisch«1).

Das ist nun dasselbe Christentum, an welchem der aus dem Heidentum kommende Justin, der Christ im Phi- losophenmantel, »Schwachheit der Erkenntnis« bemängelt2), da es neben dem Glauben an den Messias noch an ge- wissen, »wegen der Sinnlichkeit des Volkes« eingeführten mosaischen Satzungen hänge. Und diesem selben jüdischen Christentum redet Tryphon das Wort, durchschimmern lassend, daß eine Verständigung mit demselben nicht aus- geschlossen sei. Daß aber eine solche in der Folge völlig unmöglich geworden, das hat die Großkirche verschuldet, die, zur Herrschaft gelangt, die Wege der antinomistischen Gnosis wandelte, deren Christus, den Gott Logos, zu dem ihrigen machte, das Gesetz verwarf und unbedingte Unter- werfung unter ihre Dogmen verlangte, jede andere An- schauung verketzernd.

Wie man sieht, bewegt sich der ganze Streit in un- serem Dialog fast ausschließlich um das Christusproblem, wobei auch über das Gesetz und über die Frage der weiteren Giltigkeit desselben verhandelt wird. Von dem Wesen des Evangeliums selbst aber, von dessen innerem Werte ist kaum die Rede. Nur einmal, und zwar zu Beginn seiner Unterhaltung mit Justin, kommt Tryphon selber darauf zu sprechen. Allein so vorübergehend und flüchtig dies ge- schieht, seine Äußerung ist bedeutsam genug, um eine nähere Beleuchtung zu verdienen.

»Ich habe«, sagt er zu Justin, »es mir angelegen sein

») Euseb. Hist. EccI. III, 27.

») Dial. c. 47; xo ädä-evs? tyjc Y^wf///];»

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 583

lassen, euer sogenanntes Evangelium kennen zu lernen. Was ich jedoch darin fand, scheint mir zu groß und wunderbar, als daß ich es für möglich hielte, darnach leben zu können«1).

Es ist gar sehr bedauerlich, daß Justin, der sonst mit so breitem Behagen, auf alle, selbst die unbedeutendsten Einwendungen Tryphons eingeht und vielfach ganz über- flüssig sich der denkbarsten Ausführlichkeit befleißigt, gerade auf dieses für ihn so wertvolle Zugeständnis des Juden Tryphon mit keinem Worte reagiert, und andererseits kein Bedürfnis empfindet, den Vorwurf der Unbrauchbarkeit des Evangeliums abzuwehren. Denn dieses Urteil aus dem Munde eines Alltagsphilosophen von der Qualität eines Tryphon, der von der Religion verlangt, daß sie haupt- sächlich auf das Praktische gerichtet sei und Vorschriften und Lehren enthalte, die restlos ausgeführt und beobachtet werden können, involviert, so anerkennend es auf der einen Seite klingt, zugleich einen schweren Tadel. Es will damit gesagt sein: das erhabenste Ideal sei unnütz, wenn es un- erreichbar. Justin, wie gesagt, überhört beides: das Lob und den Tadel. Wir aber würden gern erfahren haben, wie damals die große Menge der unbefriedigt aus den Philo- sophenschulen gekommenen und auf das Christentum ge- ratenen Heiden, die dessen Ausbreitung so ungemein in der heidnischen Welt gefördert haben, gerade über diesen so bedeutsamen Punkt gedacht, wie sie dem Einwand: dem Evangelium hafte der große Mangel der Unfruchtbarkeit seiner Lehren an, begegneten. Allein Justin, der soviel Worte über die Außenseite des Mosaismus macht, den er als zeitlich überwunden hinstellt, ohne nach dem Beispiele Jesu in dessen Inneres: in »das Schwerste im Gesetz«, eindringen zu können; der tiefere Sinn des Evangeliums

l) Dial. c. 10: <V(/.wv Si jc&i tx sv tw "ksyo[i£vo) süaL'ffs'kfa

584 Die Wortführer des Judentums in den ältesten

hat sich ihm ebensowenig erschlossen, er würde sich sonst eine so einzige Gelegenheit, über den Juden zu triumphieren, wie das überaus wichtige Zugeständnis Tryphons sie bot, nicht haben entgehen lassen.

Daß ein Dutzendphilosoph, wieTryphon, dem Evangelium Jesu bei aller Anerkennung seiner Vorzüge die praktische Durchführbarkeit abspricht, da es ja einen bis zur Selbst- aufhebung führenden Altruismus predigt, darf nicht befrem- den. Ähnlich wie er, urteilten vor ihm schon weit tiefer und religiöser angelegte Juden, die überdies den großen Vorzug genossen, unmittelbare Jünger Jesu zu sein und den Kommentar zu seinem Evangelium aus des Meisters eigenem Munde zu vernehmen. Man erinnere sich nur an den reichen Jüngling, der mit der Frage an Jesus herantritt, was ihm, der das ganze Gesetz beobachtet habe, noch zu tun übrig bleibe, um des ewigen Lebens teilhaftig zu werden ? Auf die Antwort Jesu : »wenn du vollkommen sein willst, so gehe hin, verkaufe was du hast und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir,« geht der Jüngling betrübt von dannen. Aber auch die Jünger Jesu, da sie diese Worte vernahmen, »ent- setzten sich sehr und sprachen, ja, wer kann selig werden?« Wenn solches nun am grünen Holze geschah, was sollte man vom dürren erwarten? Daß nun Tryphon sich für ein unerreichbares Ideal, welches nach seiner Auffassung den Menschen zum Tantalus machen müsse, nicht sonderlich erwärmen konnte, ist leicht begreiflich. Daß aber ein apostolischer Lehrer wie Justin, der durch sämtliche Philo- sophenschulen gegangen, ohne seinen Durst nach religiöser Offenbarung stillen zu können, bis er schließlich in den windstillen Hafen des Christentums einlief und sich dem- selben in schwärmerischer Begeisterung hingab, sich stets nur auf der Oberfläche der evanglischen Erkenntnis bewegte, sich nicht klar werdend über die wahre Bedeutung seines Ideals, für welches er lebt, wirbt und stirbt, sich niemals

Kontroversen zwischen Juden und Christen. 585

zu der Erkenntnis emporringend, daß die hohen For- derungen des Evangeliums nur für die nach Voll- kommenheit strebenden aufgestellt wurde, um das Streben, demselben nachzueifern, zu verewigen: das ist jedenfalls bezeichnend genug. Der Umstand, daß selbst die Säulen der Kirche jener Zeit und Justin war eine der hervorragendsten in die Tiefe der Botschaft Jesu nicht einzudringen vermochten und ihr ganzes Denken und Fühlen an die Vergöttlichung des Christ festankerten, zeigt uns, wie überdrüssig man in diesen Kreisen der alten Götter und der philosophischen Spekulation und wie er- lösungsbedürftig man geworden, so daß man mit sehn- suchtsvoller Hast neuen, wenn auch nur halbverstandenen Idealen zujubelte.

*

Die Tefilla für die Festtage.

Von I. Elbogren.

(Schluß.)

5) Für Schemini Azeret.

Bodl. Hebr. e 34 (2716), no. 23.

Cat. col. 128.

fol. 63 a1).

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') Die Paginierung muß in der hier angegebenen Weise ge- ändert werden.

») Num. 29, 35-30, 1.

Die Tefilla für die Festtage. 587

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fol. 63 a.

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!) Hier fehlt die Beziehung auf die Wallfahrt, vgl. oben S. 429 ist das Absicht oder Versehen?

588 Die Tefilla für die Festtage.

A) 1. Die Introduktion des mittleren Stückes lautet nicht u/nna n/iK, wie b. Joma 87 b, sondern beginnt in allen obigen Texten mit [n]/nna nun. Das Stück verdient vor dem üblichen in mehr als einer Beziehung den Vorzug. Es ist zwar wortreicher, aber auch inhaltsreicher, es knüpft die Erzählung an die Offenbarung an, geht ohne die vielen Tautologien auf das Ziel los. Die Form ist hymnisch feierlich. Von bekannten Gebeten wäre etwa das jvis TWth im Sabbatmußaf des seph. Ritus zum Vergleich heranzuziehen.

2. "üb jnm, das sich hier inhaltlich weit besser an die vorhergehenden Sätze anschließt, vermeidet ebenfalls hinter nnar^ Dnjna das Parallelglied cpmfe d»jsii D'jn), gibt aber dafür den Festtag genau mit den Worten von M. Sofrim an: tnpD^i di^i Tmcwb nrn rosten [jn] dv nm trnp tnpa dv /ik BHp£(S. 442), nrn D^iwn diu dt nrn tsnp *opa or (S. 434), ron roaon jn dt nrn t>np tnpa dv (S. 444), m nrn rnp «ipa dt «np sipa^i 2W Di'bi nnatr^ nrn masy >row dt (S. 436). Auch für die Mittelf eiertage ist die Bezeichnung korrekt: jn njna roaan1) (S. 441;, roawi in nyia (S. 446).

3. Ganz neu und eigenartig ist die biblische Begrün- dung, die an Mb j/i/n anschließt. Zunächst nrnina ainaa mit Versen, die aus dem Abschnitt über die Feste, Lev. Kap. 23, d. h. der alten Toravorlesung für die Feste entnommen sind, (Megilla IV). Das ist der Punkt, bei dem wir einen Text für das Wochenfest am schmerzlichsten vermissen werden; wir würden gern erfahren, welches Stück für das Wochenfest verwendet wurde, ob man beim Fehlen passender Verse in Lev. 23 auch hier, wie bei der Toravorlesung, zu rW3W ropav Deut. 16, 9 seine Zuflucht nahm. An die Pentateuch- verse schließen sich nun andere aus den Propheten und Hagiographen an, wie es sonst lediglich von der Mußaf- tefilla für den Neujahrstag bekannt ist. Freilich belegt sind die Verse nur für Schemini Azereth, aber zweifellos haben

i) Der Text stimmt mit der Münchener Handschrift von Sofrim überein, vgl. Müller, S. 265, N. 12.

Die Tefilla für die Festtage. 589

wir die Ursache nur in dem fragmentarischen Charakter unserer Handschriften zu suchen; denn es ist nicht einzu- sehen, weshalb das, was drei verschiedene Handschriften für ein Fest bieten, bei der sonstigen Übereinstimmung nicht auch für die anderen Feste gelten soll.

4. Auf die Verse folgt die Bitte "jma^D ma 76: K"ik wiederum wortgetreu nach M. Sofrim, alle Verbesserungs- vorschläge werden hinfällig. Die Fassung von rhi ist die aus ir«on »aeoi bekannte, allerdings mit zwei Varianten, die religionsgeschichtlich von höchster Wichtigkeit sind. Der Gedanke des Gottesreiches tritt in den Handschriften weit kraftvoller hervor; am Anfang fügen sie ipy btir\vr> bv "p^a hinzu und am Schlüsse den universalistischen Satz i-iüK'i rfotm baa l/na^ai -j^a [nty»*n^«] n -|wa, den wir bisher als Eigentümlichkeit der Tefilla für das Neujahrsfest zu be- trachten pflegten, der aber hier an allen Festtagen wieder- kehrt. Der Zweck der Sammlung der Zerstreuten ist nach diesen Texten nicht die Wiederherstellung der Opfer, son- dern die Errichtung des Gottesreiches auf Erden.

5. Auch die Einleitung zu «a'i nbw stimmt in den Handschriften genau mit den Angaben von M. Sofrim kjk lrn^K "r. Das Stück selbst zeigt einige Varianten gegenüber der bekannten Fassung, Kürzungen und Erweiterungen, die darauf schließen lassen, daß der gemeinsame ursprüngliche Wortlaut wesentlich einfacher war. Der Abschluß p:n bx »a nxy: "pa^> PllW mrni ist nicht völlig unbekannt, wir finden ihn, wenigstens als Variante, im Machsor Romania ebenfalls für die Festtagstefilla. Den daran anschließenden Satz mit der Bitte unjw^ tswii nbnn tt*/im bA ppi fjid . . dv »n*i hat außerdem auch der seph. Ritus im Mußaf für den Neumonds- tag. Es ist ganz seltsam, wie mitunter einzelne Sätze der Gebete versprengt wurden1).

i) Das Mußaf für den Neumond hat in den Handschriften der Qenisah ebenfalls die hier beschriebene Form; das soll ein aadermal näher ausgeführt werden.

590 Die Tefilla für die Festtage.

6. usw.Ti stimmt im Wortlaut am besten zu der Fas- sung des italienischen Ritus, nur daß es dort ud-ü^ jvmi heißt. Zu beachten ist wiederum, daß "pmifoa uwip gänzlich fehlt und nur ein kurzer Abschluß mns *pp ^Kie^ »3 ähnlich wie beim Kiddusch folgt. Die Eulogie nmai jm bir\w EHpc tJHp »tnpoi D'jorm nratr (S. 438), ennoi D^tr tk*ii 'ir tjnpa nnat? nmai nynn pian D'at? (S. 434 f.) usw., dv r«i n»» unpo ntn ppn nn^D er nrfi tmsiil oist (S. 443) usw. rechtfertigt wiederum die Angabe in Mas. Sofrim für alle Feste; wenn es einmal (S. 444) heißt D'^nm D'iöTni, so ist das entweder Willkür des Abschreibers oder eine lokale Abweichung.

UK'iPni finden wir in unseren Texten zu allen Festen ohne Ausnahme, auch für Jörn Kippur, wie es ja nach M. Sofrim zu erwarten war und sich auch aus Amram belegen läßt. Es soll hier auf die Geschichte der Neujahrsgebete nicht näher eingegangen werden; bemerkt sei nur, daß die hier verwerteten Fragmente sich in nichts von denen der anderen Feste unterscheiden, die Einschaltung "iror, auch den Brauch von -pne jn jMi, zum mindesten im Gebet des Ein- zelnen, nicht kennen. Auch darauf muß hingewiesen werden, daß in allen Fragmenten mit jnm nr\X die vom babyloni- schen Talmud (Ber. 12b) verbotene Eulcgie trvipn bmn sich findet, mehrmals in Verbindung damit das nur aus jer. Rosch ha-Schana IV, 6 bekannte rcnbsn IHK1).

B) Betrachten wir die Mußaftefilla, so müssen wir zunächst konstatieren, daß die Struktur genau die glei- che ist wie die der anderen Tefilloth; die Elemente, aus denen sie sich zusammensetzt, sind nicht verschieden. Der hauptsächlichste Unterschied, der durch die Bestimmung dieser Tefilla bedingt ist, findet sich am Anfang und am Ende. In )ib jnm finden wir nach dem Namen des Festes den Zweck angegeben pjdiö py 12 a^ipffy und nun folgen als Begründung naturgemäß die Verse aus Num. 28 und

x) Vgl. Riv. Isr. IV, 1907, S. 189; vgl. auch den persischen Ritus, QR. X, S. 656.

Die Tefilla für die Festtage. 591

29 mit den Opfervorschriften. Zu beachten ist, daß die Verse wortgetreu folgen, nicht überarbeitet, wie z. B. o/iruo 13103 onODii, das in allen Riten üblich ist. Am Schluß wiederum finden wir den Satz p*ipi Di' 'Ton irriiain dk yiüb n»jw *|Diö. Er führt uns direkt an die Entstehung der Mußaftefilla zurück. Die oben (S. 427) bereits berührte Differenz zwi- schen Rab und Mar Samuel lehrt uns, daß am Anfang des III. Jahrhunderts die Mußaftefilla im Wortlaut mit den an- deren übereinstimmte. Selbst R. Jose, palästinischer Lehrer in der ersten Hälfte des IV. Jahrhunderts, begnügt sich damit, daß die Differenzierung in dem einen Satze besteht: n&'pn s]0iö pipi oi» »Ton irniüin *peb» Das war nicht eine theoretische Auskunft, die er seinem Jünger, dem Babylonier Se'i'ra, gab; sie entsprach dem in den Gebeten herrschenden Brauche. Jetzt, wo dieser Satz uns das erste Mal in aus- geführten Gebettexten begegnet, sehen wir, daß er in der Tat (neben den Opferversen) die einzige Abweichung im Wortlaute der Tefilla bildet.

Denn die anderen Bestandteile der Tefilla sind alle ebenfalls in das Mußaf übernommen, auch das bisher in M. Sofrim so rätselhafte K3»i nbv\ Es ist in den Texten von Sofrim nichts zu ändern; weder darf man ir«ton 'jcoi einschieben, denn dieses war nicht bekannt, noch darf man K3»i n^l»» streichen, denn es ist in einer stattlichen Anzahl von Fragmenten als Bestandteil des Mußaf überliefert. Die Anschauung des R. Paltuj Gaon (850), daß K3'i n^j»' ursprüng- lich zu den Sichronot des Neujahrsfestes gehörte1), mag richtig sein oder nicht wir können sie vorläufig noch nicht gut beweisen, aber der Wortlaut von «a»i n^j»» mit der häufigen Erwähnung von p"OT, U"OT und ppB, tfTpD; die ihnen gleichgeachtet werden (Tos. Rosch ha-Schana IV, 7, p. 213/2 ff.; b. R. ha- Seh. 32b), spricht sehr dafür daran

*) Manhig ftiVT\ tt>tn n § 5; Resp. nt133 man Nr. 99, der Aus- zug hieraus bei Müller ITJiKjn rroitfnb nnea S. 88 ist nicht ganz korrekt.

592 Die Tefilla für die Festtage.

ist kein Zweifel mehr möglich, daß es nach der Übernahme in die Festtagstefilla auch im Mußaf seinen Platz hatte. Unsere Texte zeigen allerdings noch eine Erweiterung der Mußaftefilla, die zu dem uns bekannten Wortlaut hin- überführt, nämlich die Bitte um Wiederherstellung der Wallfahrt, die vor umwn mit der Formel iwa T«n lrrm u*n«ö und mit der Begründung aus Deut. 16, 16 D'ays vbv nwn gegeben ist. Die Erklärer bringen "pjno nriD in ttM*vfn mit dem Schlüsse dieses Verses zusammen. Ist etwa der Ursprung des Satzes in dieser Nebeneinanderstellung in der Mußaftefilla zu suchen ?

Fassen wir die Einzelergebnisse zu einer Gesamtan- schauung zusammen, so müssen wir zunächst die starke Übereinstimmung des Mußaf mit den anderen Tefilloth fest- stellen. Sodann aber bilden unsere neuen Texte eine glänzende Rechtfertigung für die Überlieferung des Traktats Sofrim ; man wird in Zukunft die Angaben dieser allerdings im Einzelnen schlecht erhaltenen Schrift nicht bei jeder Ab- weichung verwerfen dürfen, sondern bis auf weitere Nach- richten mit dem Urteil zurückhalten müssen. Woher stammen die uns befremdlichen Mitteilungen in Sofrim? Darauf kann es nur eine Antwort geben, aus dem alten palästinischen Ritus. Wie die gesamte jüdische Tradition durch babylo- nische Einflüsse in eine andere Richtung gelenkt worden ist, so sind auch die uns überlieferten Gebete von Baby- lonien aus umgestaltet worden, die alte palästinische Ge- betordnung verschwand oder erhielt sich nur in spärlichen unbeachteten Resten. Das ist der große Gewinn, den die Genisah für die Liturgie gebracht hat, daß sie uns die Stammgebete in einem neuen oder vielmehr ganz alt en Stadium der Entwickelung vorführt, daß sie uns ermöglicht, Einblicke in die Entstehung der Liturgie zu tun1).

«) Ich kann mich der von Isr. Levi (REJ. 1907, S. 234) vertretenen

Die Tefilla für die Festtage. 593

*Es hat Jahrhunderte gedauert, bevor diejenige Gebets- ordnung, der wir im babylonischen Talmud begegnen, sich befestigt hat«. Wenn Zunz (Ritus, S. 2) diesen Ausspruch hauptsächlich mit Rücksicht auf die späteren Jahrhunderte getan hat, so dürfen wir ihn heute auf die talmudische Zeit selbst übertragen. Die Gebetordnung hat manche Änderung erfahren, ehe sie die im babylonischen Talmud überlieferte Gestalt annahm. Welche geistigen Kämpfe dazu geführt haben, bleibt ein Problem für die weitere Forschung.

Anhang I. In einem Fragmente der Bodleiana, das ein zusam- menhängendes Stück eines Gebetbuches für Jörn Kippur enthält, findet sich eine Schacharittefilla, die ihrer Seltsam- keit wegen hier mitgeteilt werden soll. Zunächst finden wir darin die palästinische Tefilla, die zwei ersten Benediktionen ausgeführt, die mittleren nur durch die Stichworte kurz an- gedeutet, wobei nmna nm auffälit. Dann heißt es : »Man soll (hinter pmi? rrr) nicht drei Schritt zurückgehen, son- dern in gebückter Stellung verharren und sprechen«. Es folgt "pins \n (}:üi), im großen und ganzen in der bekannten Form; nur der Schluß von "[bam weicht ab durch den Zu- satz ifco "prpT TJiii2) mit den Versen Jes. 24, 23 (wo der gleiche Schluß steht) und 29, 22. 23 als Beleg und mit der Eulogie wnpn bunt dbl^fl tik. Es folgen die Malchujot, d. h. wby, mp: p bv und die Verse; vor 'fiw 'i auch Ex. 15,

Anschauung, daß es sich bei den Genisahtexten um Privatgebete handelt, nicht anschließen. Dafür sind die Formen zu mannigfach und zu sorgfältig ausgebildet, als daß sie nur für Zwecke der Einzelnen gedient haben könnten. Gewisse Formen haben nur für den öffent- lichen Gottesdient einen Sinn. Wir müssen uns mit der Anschauung vertraut machen, daß in alter Zeit durchaus nicht die Einförmigkeit in Gebetvorlagen bestand, die später üblich wurde. Eine sehr wichtige Gruppe von Varianten bezieht sich auf den palästinischen Ritus, und innerhalb dieses war wiederum viel mehr freie Bewegung gestat'et, als in den von den babylonischen Geonim beeinflußten Ländern. s) Vgi auch den persischen Ritus in JQR. X, S. 615.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 3c

594 Die Tefilla für die Festtage.

17, aber keine anderen Verse aus dem Pentateuch, die Hagiographen sind in anderer Reihe, ferner vermehrt um Ps. 97, 1 und 146, 10, bei den Propheten außer den üblichen Versen noch Micha 2, 13. 'w yatP folgt erst hinter der Bitte -[So, die übrigens völlig dem oben Auseinandergesetzten entspricht und "Jflistea U8Hp nicht kennt, unmittelbar vor der Eulogie, hat also die gleiche Stellung wie Lev. 26, 45 in den Sichronoth Num. 10, 10 in den Schofroth. Die Eulogie ist wörtlich die oben S. 443 f. mitgeteilte. Auf die Malchujoth wby ist ja im seph. Ritus und im deutschen bei der Wiederholung des Mußaf noch heute üblich folgt das Sündenbekenntnis, d. h. einleitend pm vr und dann »tan by mit der Singularform *nKBIUP und einem Alphabet sowie den verschiedenen Opfern. Von da geht es direkt zu den Selichot über.

Bodl. Hebr. e 41 (2721, 18).

Catal. col. 136.

fol. lila.

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Die Tefilla für die Festtage. 595

fol. 111b.

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596 Die Tefilla für die Festtage.

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fol. 112 b.

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fol. 113 a.

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») Exod. 15, 17-18.

») Ps. 93, 1.

») Ps. 97, 1.

*) Ps. 22, 29.

») Ps. 24, 7—10.

«) Ps. 146, 10.

') Jes. 44, 6.

•) Micha 2, 13.

») Ob. 21.

!0) Sech. 14, 9.

Die Tefilla für die Festtage. 597

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») Deut. 6, 6. ») Dt. 29, 36.

598 Die Tefilla für die Festtage.

fol. 115 b.

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Anhang II.

Varianten zur »babylonischen« Tefilla aus Fragmenten

E. N. Adlers.

1. A) Zu uta*! nbv

pian rorot . aiprr ans' ips» * y>j» «a* Thr

cp*Drii i'K'a: pian) *pay '»o 'n 'vy 'banr 'n lr/va«

(na^o^) irma« v£ki t/jd1? inr n»a ^a -py nan

(m-6) luvh \r\b uwwh n^i«a^> nynr^ nana? naia^

n^aba^i no^oi? nnas^i \wvh ubvbi wh ü'om^

nn nrn tnp «ipo aia ora py ntonfa «an nrpfeofr

ua^B mps . , unar uwotiVi ir^y la arrA mn pnatn

pj'o 13 ine (npw) ms ^ao ia (3ub^>ö o'xa •>

nans/i n«iDi ia ijkdd na^t? rmow ia uno» nnwi

1»oma U'i?« ruBi) * * oin D'an-n nw nana oa twa

wrv fli^n'a i'^« *a upvnm «»am

2. Ein anderes Fragment für Sukkot (Wip K*ipa ara nrn maon jn ovi nrn), punktiert, es fehlen in ihm die oben in ( ) gesetzten Worte.

3. Ebenfalls punktiert. Der Text stimmt mit dem üb-

») Ps. 19, 14. 9) Ez.36, 25. 3) Wahrscheinlich von 12 bis 13 ausgefallen.

Die Teiilla für die Festtage. 599

liehen im ganzen überein, nur fehlen ipo' und ü'jnpB, D^ttiT steht vor rvtyo, JT3 bl -]öj? wie oben. Hinter uinrin n»r6 w folgt ebenfalls rvshv nno» 13 unotp ms ^>3ö ia uefa wfcp omi tram oin trami njw« "iana nn:«i pro 13 ufr»*i

B) Zu u/nrn nn«

In einem Fragment zu Rosch ha-Schana (1 Blatt) mit rhu * * 4 ctjmpi (Jtmp "1*12" »Hp "]ettn wnp nn« [«npj] «nrtpn &wm bd&'03 /n«as [n naaj»i tjrnpn i^en . . . -pia npnxa ohne -pnB jn pai heißt es hinter uniria nn«:

/inyy^ min hhö^i ypiv »bb^o ujptijii etc. iA pwi "p:iin Tn ni5{D Es ist also der Anfang von ujmm (Ber. 33 b) ohne die rrV"ün eingeschaltet.

C) Zu UKBfl »JBB1

Ein Fragment von einem Blatt zu Schabuoth hat folgendes kurze Stück: irxan »JBDl wie üblich bis Tmh&ViV -|&Hpo n»aa, dann

winaaa wwni umiij u*taflv '^« 'i "p:c^o psn »rr

'idi rorotr loa "pian ni^o3 namta yxh anpji nipyj d»v

"' inat [?irby] cm «"«in DiT3dji . omaan ovav

13*13 D^n^ 13 UWH H3"13^ 13 UHpDl H31B^ 13 'b&

uk'Emi Deut. 16, 16 d»D£B vbv ai/iaa wby omi Din o^emi nprar

D) Zu pm i^o ijti3« ti^xi

Die Fragmente beginnen übereinstimmend mit f^o jorn wie Saadja2) und lesen wbv 2W, eines auch bbm.

E) Zu vtnpm

In zwei Fragmenten endet es wie im Machsor Vitry, im italienischen und romanischen Ritus mit ptptrsi nnott>3 U^'PUni 1»ip **tjjib, in zwei anderen folgt dahinter '3m« 'w "|3 inotf'i "|0tr wie in der Formel des ital. Ritus für Freitag Abend in alter Zeit3).

l) So auch im Siddur Saadjas.

8) Vgl. Bondi, Der Siddur des Saadja, S. 34.

s) Vgl. b-r\v z. St.

Die Namen der Frankfurter Jaden bis znm Jahre 1400.

Von I. Kracauer.

(Schluß.)

Dyne (Frauenname) lmal, 1399 Ger.

Elias, Elion, Elys

Elieser 1241

Elkin, aus Elkanah (lmal) 1333 Ger.

Ester (in der Schweiz Hester, Hestre)1)

Gerian, Jüdin 1348 Ger., wohl verschrieben für Meriam,

UVIirjam, in der Schweiz Merya2), s. unten Gerson 1241, Girson, Kirsain, Kirsan, Kirson, Kirszan, auch Kirsing 1384 Ger.

Halaphta 1241

Halde, für Hulda? Oder deutschen Ursprungs?

Hanna, Koseform dafür Hannel, Henlin, Henchin; auch Ennel

kommt vor. Hassede lmal, 1389 Rech., mit Chassid zusammenhängend? Hebe für Eva Hebel, Hebil für Abel Hesgel für Hesekiel 1375 Ger. Hiskia 1241

Isaac, Isac, Ysaac, Ysak I(Y)saechir 1375 Bürgerb. Ismahel

Israhel, Israel, Izrael Jakob, Koseform dafür ist Jeckelin, 1347 Ger.

!) Steinberg, S. 6.

*) a a. O S 5.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 601

Jeckil, 1345 Ger., in der Schweiz Jecki, Jeckli1)

Jechiel 1241

Jekutiei 1241

Jahel, Joel, Joe 1341 Ger., vielleicht hängt Joliep*) damit zusammen, wobei der zweite Teil deutsch wäre. 1377 Ger.

Johanan 1339 Ger.

Jochebed 1241

Jonaut = Jonas 1341 Ger.

Joseb, Josib, Josep, Josip, Joseph, Jusip

Joselin

Juda 1241

Katz, zusammengezogen aus den Anfangsbuchstaben von Konen Zedek, lmal, 1382 Ger.

Koppelin, Koppelman, der erste Bestandteil Diminutiv von Jakob (s. Salfeld S. 4013)

Lasar, Lazan, Lazar, Lazarus

Lewe, Leve, Levi, Lewin. Auch die weibliche Form Lewa findet sich 1342 Ger., dagegen kommt der Name Levi in den Frankfurter Urkunden bis zum Jahre 1400 nur zweimal vor.

Lebechin, Koseform von Leve, 1398 Ger.

Lyste lmal 1371 Ger., aus Elisabeth entstanden? oder ab- gekürzt aus Liebsta (and)?4)

Meier, Meyer, Meiger, 1241

Mergan, Mergard (1400 Rech.) Meria, Merian, Meriana, Merion = Miriam

Michahel, Michael, Michel

Mordache Mordechan, Mordechey, Morrechey, Morcheie.

x) Steinberg, S. 6.

*) An das französ. jolie ist wohl nicht zu denken.

3) Ein Kobelinus ist 1289 magister universitatis judeorum Herbipolensium, s. Breßlau, Hebräische Bibliographie 1869, S. 54—57 (Namen der Juden im Mittelalter).

*) S. Salfeld, S. 402, der Förstemann I, S. 850 zitiert.

602 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Morel lmal, 1341 Ger., Abkürzung für Samuel1)

Mese, Moesse, Moise, Moiste, Moyse, Moysse, Moisze,

Moische, Morse, Morsed, Morsel, Morset, Morsit, Morsze,

Mose, Moses, Moyse, Murset, Müsse Moseman, Museman, auch Maseman Namchir 1241

Nasser lmal, 1399, wohl aus Manasse Natan 1241 Nehemia 1241

Pasze, Passener aus Bathseba Pinesz, Pinnies, Pynnes = Pinchas Pure (Frauenname) 1376 Rech. Diminutiv von Zippora. Rahel 1241, Rechelin, Rechlin Koseformen, in der Schweiz

Rechel2) Rebecka, Ribecka 1241 Rebelin, ,

Ribbelin, _, . , ... .„.

, ,. ' , ,. _ , ,. < zu Rebecka gehörend3) Rübe n, Rüb n, Rufe in l

Ryvelin

Rehabja 1241

Ryle 1341 Ger., zu Rachel gehörig?

Robin = Rüben, in der Schweiz Ruffen4)

Salman, Saleman, Salmon (s. übrigens oben)

Samson 1333 Bürgerb., Simson 1241

Samoval, Samuel, Sannel, Sanuwel

Sanwal, Sanwel

Sara, Koseform ist Serechin 1399 Ger., in der Schweiz

Serli6) Saulin, Sauwel, Sauwelin (Koseform), Sawel Schebe (männlich) lmal, 1373 Ger., vergl. Bath-Scheba

') Salfeld, S. 406 unter Mulin. 2) Steinberg, S. 4. ») Salfeld, S. 411. *) Steinberg, S. 9. 5) Steinberg, S. 6

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 6(3

Seckelin 2mal, 1342 und 1392, (Urk. und Ger.) Koseform

zu Isak Salmolin, Selmolin, Semelin, Semmelin, Semolin, Simelin,

Symelin, Simmel, Simmelin, Symeler, alle zu Salomo

oder auch Simeon gehörend Semon, Simeon, Simon, Symman (1370 Ger.) Slomo, Sloman, Sluman = Salomo Smarge = Schemarja, lmal 1371 Ger., in der Schweiz

Smario1) Smohel, Smoel, Smoe = Samuel Suse abgekürzt aus Susanna, 1241 Thirzah 1241 Thomas lmal, 1340 Ger. Uri 1241 Zerujah 1241

Zippur = Zippora lmal, 1241 Ger. Zorline, Zornline, Czorlin, Zurlin, Zerlin, Kosename von Sara.

Wir haben außerdem noch eine Anzahl Eigennamen, deren Herkunft zweifelhaft ist. Da die hebräischen Laute dem Schreiber der Gerichts- und Rechenbücher zu fremd waren, konnte er keine Vorstellung damit verbinden und schrieb die Namen ganz entstellt auf, so daß es oft schwer hält, die richtigen Namen herauszufinden. Derartige Namen sind : Beda Gemelin, verschrieben für Semelin? (Er findet sich auch

bei Steinberg) Grasch, auch Crasch, 1380 Ger., Beiname Haipart, Palpart, bisweilen auch Halpbart 1335 Ger., Beiname Heisis 1347 Ger. (Heiso 1349 Ger.) Huditz 1343 Ger. (Mit Jehuda zusammenhängend?)

») Steinberg, S. 7.

604 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Kadernetz, Beiname bis 1349

Ketchin 1400 Ger.

Kosser 1361 Ger., vielleicht nao, Beiname von Ascher, vgl.

jiiöwi 'D fol. 10 a, 46 b. Loupach 1348 Ger. Phiser 1388 Ger. (iryafc?) Pletsch 1391 Ger., Beiname Riebenzen 1391 Ger. )

Ribitz Bedeb. ) W- «n ****» im ™°rn 'D 101 b-

Smalgan == Smarjeh?

In unserem urkundlichen Material werden bis zum Jahre 1400 ungefähr 940 Juden, beziehungsweise Jüdinnen mit etwas über 2501) verschiedenen Namen aufgeführt8).

J) Selbstverständlich sind diese wie die folgenden Zahlenangaben nur annähernd richtig. Die Beschaffenheit des urkundlichen Materials schließt eine absolut zuverlässige Zählung von vornherein aus. Wir können nicht wissen, ob Falk (1335— 1348 Qer.) ohne weiteren Zusatz identisch ist mit Falk von Münzenberg (1343 Ger.), oder Fide (1348 Ger.) mit Fide, Senderlins Sohn (in Urkunden 1343 und 1344 erwähnt). Wie verhalten sich beide zu Fide von Austburg (1342—1349 Ger.)? Oder ist Gelechin, filia Masemanni (1344 Ger.) identisch mit Gelechin oder mit Gela Mynnemans snurche (1344 Ger.)? Ist Sara, die kleine under- kaufer, identisch mitSara,Tochter Fifelins? (Beide finden sich 1342 Ger.). Eine weitere Frage ist: Sollen die Diminutiv- und Koseformen als besondere Namen gerechnet werden? (Also Ensgen, Ensechin, Enselin oder Gnde, Gudla oder Ele, Elechin). Ich habe dies in der Regel nicht getan. Trotzdem habe ich eine Namensstatistik versucht, da ich glaubte, daß sie manchem nicht unwillkommen sei.

*) Kriegk, Frankfurter Bürgerzwiste und Zustände im Mittelalter, S. 519, Anm. 239, schreibt: »Es dürfte seinen Nutzen haben, einmal in betreff einer mittelalterlichen Stadt alle in ihren Urkunden vor- kommenden jüdischen Namenzusammenzustellen. »Er versucht dies auch auf S. 54S— 553. Leider ist seine Arbeit nicht brauchbar. Er hat dazu nicht die Gerichtsbücher benutzt, daher fehlen sehr viele Namen, er zählt nur etwa die Hälfte der von mir gebrachten Namen auf (etwa 116), er kennt nur 4 Abraham, ich 29; nur 4 Anselm, ich 9 usw Sodann sind viele Namen bei ihm falsch angeführt, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, so Byf für Vifs, Fyselman von Chrin für

Die Nansen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 605

Von diesen Namen sind etwa:

126 deutscher Herkunft

21 lateinisch-romanischer »

7 griechischer »

84 hebräischer »

15 zweifelhafter »

"253"

Demnach sind etwa die Hälfte der Namen von 1241 1400 deutscher und etwas mehr als ein Drittel hebräischer Her- kunft. Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis, wenn wir nur die 91 Namen der im Jahre 1241 Erschlagenen auf ihre Herkunft untersuchen. Unter diesen sind: 35 Namen (von 61 Personen) hebräisch 11 » (von 23 Personen) deutsch, darunter 8 Frauen- namen 3 » (von 5 Personen) lateinisch 1 » (von 2 Personen) griechisch.

Je später wir ins Mittelalter eintreten, um so mehr nehmen die deutschen Eigennamen zu.

Wir bemerken noch, daß eine Reihe von Namen in Frankfurt Juden und Christen gemeinsam sind. Dabei ist aber zu beachten, daß diese Namen nicht immer auf den- selben Ursprung zurückgehen (s. die Namen Kaiman, Sal- man, Seckelin). Solche sind: Adelheid, Alheid Bele Ber

Berthold Beszelin1)

Fyvelman von Jerusalem, Heyger von Wesel für Meyer von Wesel, Finelin für Fiuelin, Wynelin für Vyuelin, Naseman für Maseman, Numeman für Minneman, Pilman von Amort für Lipman von Er- wiler usw.

•) S. Förstemann, Altdeutsches Namensbuch, S. 253—254.

606 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Bischof

Bone, Frauenname bei Juden, so ist Bone die Frau des Seligman; ebenso bei Christen, Bone ist die snurche Contzens zur Wiesen.

Burlin, bei Juden Frauenname, Buerlin ist die Frau Damars (1346), bei Christen Männername; Burlin snider (Ge- richtsbuch 1339)

Eberlin

Eichhorn

Fifelman, in der Regel Jude, aber auch Hartmud Fifelman Christ1)

Frumelin, Christ2)

Frummler, Jude 1384 Ger.

Gadeliep

Goldine, auch in christlichen Kreisen gebräuchlich (Salfeld, S. 395)

Gudele, auch bei Christen Frauenname

Gumprecht (Gumpert), in der Regel bei Juden, doch ver- einzelt auch bei Christen, so Gumprecht deschenmechen (Taschenmacher)3), Gumprecht von Carbin4). Ein Gum- precht ist am Ende unseres Zeitraumes Stadtbote5)

Heilman, bei Christen und Juden in Frankfurt gleich beliebt

Henkin christl., doch auch Henkin, gener Salikeid, also jüd.6;

Hennelin, Jüdin

Hennechin, Christin7)

Jakob, Jekel

Jutte

*) Förstemann, S. 747.

■) Oerichtsb. XXVI, 11.

3) a. a. O. fol. 57.

<) Ger. XXIII, 8.

B) a. a. O. 19.

6) a. a. O. XXXVII, 79.

') Oer. IV, 146.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 607

Kaiman, auch bei Christen, so Diplo Kaiman1), Ulin Kai- man2) etc.

Kruse3)

Lewe. Claus Lewe ist Christ4)

Lewin. Luza Lewin ist Christin5)

Liebertrud. Der Name erscheint bei Juden in Frankfurt nicht vor 1382, in Würzburg dagegen 12896), in Nürnberg 13497). Bei Christen Heintze Lieberdrut8) usw.

Liepman, auch bei Christen, so Liepman ysenmenger (Eisen- händler)9)

Menchin auch bei Christen, so Contze Menchin10)

Mennelin

Michel

Minneman (Mynman), erscheint als Name bei Juden nur bis 1349, von da ab nur bei Christen, so Hans Minne- man11); Rulman, frater Mynemans. In den Gerichts- büchern erscheint in der zweiten Hälfte des XIV. Jahr- hunderts öfters die Minnemenen, sie ist Christin.

Mose auch bei Christen, so Contze Mose1*)

i) Gerichtsb. V, 19 vom Jahre 1350. *) a. a. O. X, 33 vom Jahre 1369.

8) Findet sich in den Qerichtsbüchern in den Jahren 1334—1346 auch bei Juden.

*) Gerichtsb. IV, 49

s) a. a. O. VIII, 6 vom Jahre 1360.

6) Lyebertruet, s . Namen der Juden im Mittelalter von H. Breßlau, in der Hebräischen Bibliographie 1869, S. 56.

?j S. Salfeld, Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches, S. 224. Am Rhein scheint der Name bis 1273 nicht vorzukommen, wenigstens findet er sich nicht bei Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden usw.

8) Gerichtsbuch XX, 8.

») a. a. O. XIX, 27 vom Jahre 1379.

10) a. a. O. XXIX, 11.

n) a. a. O. VIII, 51.

12) Gerichtsb. X, 33

608 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jabre 1400

Ocka1)

Oswald (1348 in dem Gerichtsbuch dieses Jahres)

Peter, Jude von Mainz (1341— 1344)2)

Salman, auch bei Christen in Frankfurt sehr häufig; ein Salman ist 1317 Fährmann (Böhmer-Lau II, S. 69 Sal- man vector), ein anderer Richter zu Mainz; so hieß auch ein Haus zum Salman8) und ein Gäßchen in der Schnur- gasse Salmansgäßchen. Salman ist bei Christen auch als Vorname beliebt, so Salman Clobelauch

Selkeid, bei Juden auch als Frauennarne, bei Christen da- gegen als Mannesname, so Henne Selekeid, Henkin, gener Selekeid4)

Seckelin, in Frankfurt vereinzelt bei Juden, so Seckelin de Dypburg, Ger. 1392, sonst bei Christen. Der jüdische Name stammt von Isaac, der christliche von sack

Seligman, sehr häufig bei Juden, doch vereinzelt auch bei Christen, so Johan Seligman de Sigen

Suzman, bei Christen als Vorname, so Suzeman Humpelo

Wolff

Wolffelin, Wolffechin.

Die einzelnen Namen erfreuten sich naturgemäß ver- schiedener Beliebtheit. So sind vertreten: Samuel mit seinen zahlreichen Namensabwandlungen an- nähernd 46 mal; ihm nächst kommt Mose 45 mal (sein Bruder Aaron dagegen nur 2mal>, Jakob 37, lsaak 37, Abraham 32, Joseph 32, Salman 32, Gumprecht 20,

*) Förstemann, S. 1174.

2) In den Oerichtsbüchern dieser Jahre. Über das Vorkommen dieses Namens bei den Judtn, s. Zunz a. a. O. S. 34.

•) Später verstümmelt zum Salmen, s. Battonn III, 6. So ist auch der im Rechenbuch 1377, fol. 67 b erwähnte Salman Christ. Kriegk hält ihn mit Unrecht für einen Juden und damit wird auch seine Auslegung des Wortes »selig« (Frankf. Bürgerzw. S. 452) hinfällig.

*) Qerichtsb. XX, 30 und IV, 146.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 609

David 19, Meier 18, Jutta 15, Sara 15, Lewe 14, Ber 13, Fifelin 13, Anselm 12, Kaiman 12, Gude 11, Joselin U, Liebman 11, Menchin 11, Bela 10, Simon 9, Man 8, Michael 8, Natan 8, Seligman 8, Süßkind 8, Beßla usw. 7, Brunn 7, Fifis 7, Gotschalk 7, Rechelin 7, Gerson (Kirson) 6, Johel 6, Saul 6, Selmelin 6, Golda 5, Hanna 5, Henlin 5, Lieber- man 5, Ritze 5, Alheid 4, Bone 4, Burlin 4, Heilman 4, Hitzla 4, Israhel 4, Kele (Gele) 4, Minna 4, Suze 4 Wolff 4, Ailke 3, Baruch 3, Frumot 3, Juda 3, Lasar 3 Megitin (Meitin) 3, Meriam 3, Minneman 3, Rahel 3, Rebecka 3, Rebelin 3, Rufelin 3, Senderlin 3, Smohe 3, Zippora 3 mal usw. usw.

Sprachlich es :

Zahlreich sind die Koseformen auf el, lin und chin: die auf lin scheinen zu überwiegen1).

Wir haben auf lin: Beszelin, Ennel, Enselin, Fischelin, Heldelin, Henlin, Jecklin, Mennlin, Rebelin, Rißlin, Rubelin, Ruffelin, Schonlin, Senderlin, Sentelin, Regelin, Wolffelin, Zerlin, Zorlin, Zurlin.

Auf chin: Ellechin, Fantechin, Fraudechin, Gelechin, Gänschen, Henchin, Ketchin, Lemchin, Menchin, Minnechin, Särchin, Wollfechin.

Bei einem und demselben Worte finden wir sowohl die Endung chen als auch len, so bei Lemchin, Lemmelin, Menchin, Menlin, Wolffechin, Wolffelin.

Nicht selten sind die Bildungen auf man: Fifelman, Haseman, Judeman, Kaiman, Kauffman, Koppelman, Koster- man, Lieberman, Liebman, Maseman, Minneman, Mosman, Rußerman, (Salman?), Schoeneman, Seligman.

*) Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden, irrt darnach, wenn er meint : daß die Formen mit chen, gen in dieser Zeit nur äußerst selten . . . vorgekommen seien. Er kennt nur ein einziges Beispiel dafür: Mennichen (1364). Monatsschrift, 55. Jahrgang. 3"

610 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Niederdeutsche Form hat nur Voß, der Sohn der Zer- line und etwa Dyfil (Teufel).

Als imperativische Form, die ja in den Gerichtsbüchern des XIV. Jahrhunderts und auch sonst zahlreich vertreten ist, habe ich nur Lebelang ansehen können (Gerichtsbuch 1374)1).

Auf folgende sprachliche Eigentümlichkeit sei noch hingewiesen: Ist »Jude« Eigenname Familienname bei Christen so wird der Artikel weggelassen, also Heilman Jude, Hans Jude usw., doch findet er sich auch vereinzelt wie Clawes Grebener (Grabenmacher) der Jude, Heilman der Jude, kursener und doch sind beide, wie aus den Ge- richtsbüchern hervorgeht, Christen. Andrerseits fehlt aus- nahmsweise bei Juden der Artikel, so Lieber man Jude.

Wir haben oben gesehen, daß die Mehrzahl der Juden nur Vornamen, keine Familiennamen führten. Da nun manche Vornamen außerordentlich häufig vorkamen ich erinnere nur an Mose, Jakob, Abraham, Samuel usw. so mußte man sich verschiedener Auskunftsmittel be- dienen, um eine Verwechslung zu vermeiden. Der Vorname mußte demnach noch einen Zusatz erhalten. Dieser konnte verschiedener Art sein.

1. Er konnte sich auf eine künstlerische Fertigkeit oder auf besondere geistige Veranlagung des Betreffenden be- ziehen. So erhalten Lazar und Salman den Zusatz Senger, Gela den Zusatz Hirn. Dieser Zusatz kann schließlich den eigentlichen Namen verdrängen, so daß wir für Salman in den Gerichtsbüchern später nur Senger finden;

2. oder auf körperlicher Beschaffenheit: So heißt Salman der Lange2), Isaak der Große; ein anderer Salman heißt

>) 1398 finden wir im Rechenbuch einen anderen Lebelang als

Sohn des Süßkind.

2) Salman longus im Qerichtsb. 1377.

Die Namen der Frankfurter Jaden bis zum Jahre 1400. 611

der Rote1), Gumpert weißhäuptig*); Abraham führt den Beinamen Bart, wahrscheinlich von seinem langen Barte8), ein anderer heißt bloß Nasin; auch hier ist der eigentliche Name verdrängt worden. Jacob Halpbart, Haipart, hat wohl den Beinamen ebenfalls seines Bartes wegen erhalten4).

3. Der Zusatz ist ein Spitz- oder Spottname, so Gold- knopf (auch bei Christen um diese Zeit) wie Heilmann Goldknopf5) (Gerichtsb. 1343), Raubir, Reibir, wie Abraham Raubir (Gerichtsb. 1344), Tufel, wie Jakob Tufel (Gerichtsb. 1393), Abraham Dyfil (Gerichtsb. 1367), Lebekuchin, wie Natan, filius Lebekuchin (Gerichtsb. 1344 und 1380). Hier hat ebenfalls der Beiname den eigentlichen ersetzt. Es findet sich auch der Beiname Hedorn, dessen Bedeutung nicht klar ist6); ebeosowenig wie die von Pletsch bei Salman Pletsch und die von Crasch, Craschin, bei Joseph Craschin.

4. Auch Beinamen, von Tieren genommen, finden sich hin und wieder, so Fischelin,wie Salman Fischelin,Gans,Gänschen, Geißchen, wie Seligman Gans (Gerichtsb. 1391), später tritt da- für nur Gans auf; ferner J(y)sfugel, so Ansei Ysfugil (Gerichtsb. 1389) oder Jsfugel, der Diener Senderlins (Gerichtsb. 1346) oder bloß Isfugel (Gerichtsb. 1395 und 1400) in gleicher Weise Eichhorn und Voss. Beide sind Söhne der Zorline (Gerichtsb. 1394 1396), der erste Name bezieht sich wohl auf dessen körperliche Beweglichkeit, der zweite auf seine

chlauheit7).

5. Die Beinamen beziehen sich auf den Beruf und das

») Gerichtsb. 1375.

*) Wizhoubit a. a. O. 1348.

8) Abraham dictus Bart a. a. O. um 1330.

*) Gerichtsb. 1346.

6) S. Salfeld, S. 395.

6) Auch die Form Heydom, vielleicht aus Hagedorn.

7) Vielleicht gehören hierher die Frauennamen merlin und Sprinz. Güdemann führt jenen, wie bereits erwähnt, auf mhd. merlin Amsel zurück, Zunz (s. Salfeld, S. 415) und Berliner auf Sprinze Sperber.

39*

612 Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400.

Gewerbe der Betreffenden, so Abraham kistener (Gerichtsb. 1343), Abraham Judenwirt (Gerichtsb. 1389), Abram knecht (Gerichtsb. 1382), Gumprecht der Lehrmeister (Gerichtsb. 1343), Baroch Vorsänger (Gerichtsb. 1397) usw. Der Berufs- name steht für den Eigennamen bei »die Kesemechern« (1394 Rechenb.)

6. Oder es wird der Geburtsort des Juden hinzu- gefügt. Entweder wird der Ortsname durch die Präposition von (lateinisch de) mit dem Namen verbunden, so Bela de Dypurg, Fifelin von Gießen, oder die Präposition fällt weg, wie Gumpert Zurch = Gumpert aus Zürich. Der Ortsname erhält auch die Endung er, wie Lewe Berner = Lewe aus Bern, Joseph Gülcher = Joseph aus Jülich. Schließlich kann der so veränderte Ortsname überhaupt den Eigennamen vertreten, wie Oppenheimer (Gerichtsb. 1392), Nassawer (Gerichtsb. 1396). Damit vergl. Isaechir, gen. Spire1).

Bekanntlich sind in späterer Zeit sehr viele jüdische Eigennamen auf diese Weise entstanden, für unsere Zeit konnte ich in Frankfurt nur diese beiden nachweisen.

7. Ebenso dienen Stadtteile oder Häuser zur Namens- bezeichnung, so Gumpert an der Brücken, Müsse an der Brücken, oder David an dem Moyne; ferner Gumprecht zum Storch oder zum Swerte usw. Auch hier kann die Präposition wegfallen, wie Gumpert Stork, Seligman in der Nuwen stad. Die beliebteste, weil natürlichste Unterschei- dungsart, deren sich auch die damaligen Christen bedienten, war die Hinzufügung des Namens der nächsten Verwandten, des Vaters, der Mutter, des Bruders, der Schwester oder des Schwiegervaters, des Schwagers und der Schwägerin, besonders bei solchen Juden, die nach Frankfurt geheiratet hatten. Bei Frauen wird der Name des Ehegatten hinzu- gefügt, wie Henlin, Wolffechins Frau, nur vereinzelt heißt es die Iseckin, d. h. Frau des lsak. Nicht selten werden

!) Bürgerb. 1375.

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. 613

beide Eigennamen mit Weglassung der Apposition Frau neben einander gestellt, wie Merion Fiden, d. h. Merion, die Frau des Fide; so heißt es auch einmal Salman Meyer, d. h. Salman, Sohn des Meyer1).

Wie also die Träger eines häufig vorkommenden Na- mens von einander unterschieden wurden, dafür diene fol- gendes Beispiel:

Salman kistener (Schreiner)

» underkeufir

» longus (der Lange)

» Pletsch

» von Mainz

» Senger

> gener Fiden

» an der Bruckin

» Stork.

Bei einer Anzahl von Namen ist der erste Bestandteil hebräisch, der zweite deutsch, so bei Dabe (Tobe) leben, Judeman, Koppelman, Maseman, vielleicht auch bei Joliep.

*

Herr Dr. Grunwald aus Wien bittet mich, zu meiner Bemerkung über Fivelman, S. 461, Anm. 3, nachzutragen, *daß die dort angeführte Erklärung Prof. Heiligs . . . vom Herausgeber (Dr. Grunwald) zu- rückgewiesen wird, und daß Dr. Grunwald im Juliheft der »Mittei- lungen« bereits eine Deutung gegeben hat, die der meinen im letzten Heft entspricht.«

») Gerichtsbücher 1393 und 1394.

*

Beiträge znr Geschichte und Literatur im gaonäischen

Zeitalter.

Neue Folge.

Von Simon Eppenstein.

V. Die Erzählung von den vier gefangenen Talmndisten.

(Fortsetzung.) In diesem Zusammenhang sei auch noch einiges über Schemarja's einzigen, bereits erwähnten Sohn Elchanan mitgeteilt. Wir begegnen ihm als häufigen Korrespondenten von Scherira und Hai1). Wir wissen ferner von ihm, daß er ausgedehnte Reisen unternommen hat, wobei er in Aleppo, Damaskus und Palaestina weilte, wie auch, daß er nachher in Kairuän sich aufgehalten hat8). Späterhin den Rang eines "non trxi bekleidend, «aßte er sich jedenfalls eine Art Oberhoheit gegenüber der babylonischen Hoch- schule, wahrscheinlich der suranischen, an, worüber der Gaon, also wohl Samuel ben Chofni, in einem kürzlich ver- öffentlichten Genisa-Fragment3) seiner Verwunderung Aus- druck giebt, zumal er noch nicht einmal die Würde eines

!) Vgl. auch Harkavy a. a. O., S. 342.

*) Vgl. hierüber Poznariski in ZHB. X, S. 144 und in Harkavy- Festschrift Nr. 11, S. 187—188.

a) Vgl. das von Kamenetzki in REJ. LV, S. 49—50 veröffent- lichte Genisafragment und dazu Poznanski a. a. O., S. 244—48. Dessen Annahme, daß das Datum 1322 = 1020 zum zweiten Brief gehört, ist dadurch zu stützen, daß auch das folgende m D"6tP sichtlich zu diesem zu beziehen ist. Ob wir aber doch ohne weiteres Samuel b. Chofni als Verfasser des Protestes gegen Elchanan annehmen können, erscheint mir deswegen zweifelhaft, weil wir von diesem auch Anfra- gen an den genannten Gaon haben, wie aus Ginzberg, Geonica II, S. 59 (=• JQR. XVIII, S. 430) hervorgeht. Vgl. jetzt auch D. KahaH in Hakedem III, 1—6.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischtn Zeitalter. 615

p jva 2K bekleidet1). Deswegen dürfe er sich auch nicht in wichtige Angelegenheiten, wie Neumonds- und Schalt- jahrsbestimmungen, mischen8). Weiterhin bemerkt der Schreiber, Elchanan erstrebe die Herrschaft, die ihm aber nicht zu teil werde3). Er behaupte zwar, daß er den »Perek« vorgetragen habe, aber weder hiervon noch von dem Brauch der Jeschiboth überhaupt, wisse man etwas in den von ihm berührten Städten Aleppo, Damaskus, in Egypten und Palaestina. Es werde von Mitgliedern der Jeschiba berichtet, Elchanan habe sich bei einem Besuch, den ihm in Bagdad der TWI BWi Asaf gemacht, dessen gerühmt, daß er in sehr kurzer Zeit den Talmud durch- genommen habe, wenn auch mit manchen Weglassungen*).

*

Indem wir nun wieder auf Schemarja zurückkommen, finden wir, daß er sich auch in Kairuän und auch in weiter Ferne eines großen Rufes erfreute. Von ganz besonderer Bedeutung ist nun hierfür, wie für die Verhältnisse Sche-

*) Vgl. Kamenetzki a. a. O. S. 50, Z. 6—7.

') Ich halte Kamenetzki's Ergänzung a. a. O., Z. 8: IlS^a IPITpal für wohl annehmbar, gegen Poznanski's Zweifel, a. a. O., S. 246. Denn, wenn es sich auch seit Ben Meir nicht mehr um Änderungen in der Festsetzung von kalendarischen Bestimmungen handelte, so haben doch die Ansprüche Palästina's inbezug auf die Prärogative der Bestimmung des Neumondes nicht aufgehört, wie sie ja auch später, in der Mitte des 11. Jahrhuuderts, sich geltend machten, was wir auch aus der Ebjathar-Megilla ersehen; vgl. hier- über Bornstein in der Sokolow-Festschrift, S. 48—49. Wie aber be- reits oben bemerkt, stand schon Elchanan's Vater, Schemarja, mit der palästinensischen Akademie in Verbindung. Aus diesem Grunde liegt es auch näher, den Schauplatz von Elchanan's Ambitionen nach dem mit Egypten in räumlicher und idealer Beziehung näher verbundenen Palästina zu verlegen, man beachte auch die mehr verächtliche Bezeichnung fj?JD für letzteres, a. a. O., Z. 11 als nach Kairuan, mit Poznanski, a. a. O., S. 247, das sich doch Babylonien fast unbe- dingt unterordnete.

») Vgl. a. a. O., S. 50, Z. 12—13.

4) Vgl. ebend. Z. 20-26 u. Poznanski a. a. O., S. 247.

616 Beiträge zur Oeschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

marja's und Chuschiel's der von Schechter im Jahre 1899 in JQR. XI, S. 643—650 veröffentlichte Brief, den Chuschiel in Gemeinschaft mit seinem älteren Sohn Elchanan an Schemarja und seinen Sohn Elchanan gerichtet hat. Der- selbe ist in einem dem Pijjut durchaus verwandten Stil geschrieben. In überschwänglicher Sprache wird hier Schemarja als Gesetzeslehrer1), wie als gewandter Sti- list2), ferner als allzeit mit Rat und Tat hilfsbereiter Gönner geschildert3). Wir lernen ihn aber auch als an- gesehenen und begüterten Mann kennen, »den Gott aus Liebe zum Überrest seines Volkes zum Führer erhoben«*). Der Schreiber scheut sich fast, von der Größe des Meisters zu sprechen, da ein Rühmen desselben beinahe einer Verdun- kelung seiner Bedeutung gleichkäme6). Auch seines Sohnes Elchanan wird in den ehrenvollsten Ausdrücken gedacht6) und die ganze Familie besonders gerühmt, so daß R'Sche- marja eigentlich »in der Thora als der Väter Erbteil fest wurzelt und mit ihrer Krone sich schmückt7) und die Würde, die er bekleidet, schon als fester Besitz für ihn gilt«8). Nach einer herzlichen Grußformel in seinem und

») Vgl. Schechter a. a. O., S. 647, Z. 9-12. Zu beachten sind hier besonders die Worte, Z. 11: tPIIB ty J>Bj3 1D3,JP\ wobei wir lebhaft an die oben erwähnte Bezeichnung in Scherira's Sendschreiben, Saadyana S. 120, Z. 8 v. unt. und S. 124, Z. 84 für die dortige Hoch- schule erinnert werden.

8) Vgl. a. a. O., Z. 13, wo das erste Wort wohl sicher THD gewesen sein wird, und ferner S. 649, Z. 46 fgg.: ruW? nstnit"'! . . .

b^idb i^ai "O incsn jjibp a^n l^m . . .

8) Vgl. S. 647, Z. 15: BBltPD pB 1*113 nWtt f*JW a»iM nw

*) Vgl. a. a. o., s. 648, z. 21: i^an tpjna lay ikp n^ara w Ibis '»tb •» -pnanS lom pypu

«) Vgl. S. 648, Z. 25 fgg. «) Vgl. S. 649, Z. 43—44.

7) Vgl. a. a. O., Z. 45: na ibkjpi itubk n'jnJB piruwi, «) Vgl. s. 648, z. 22: m»3 vty mwan miyn. Die Worte npm KICKS flVrya "6 sind nicht recht verständlich. Schechters Erklärungs- versuch nach Baba Bathra 29 b ist nicht ganz einleuchtend.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 617

seines Sohnes Namen1) bezieht sich auf Chuschiel die wieder- holt gemachte Mitteilung, daß sein Verlassen der Heimat, um in einem arabisch-islamitischen Lande sich aufzuhalten, lediglich zu dem Zweck erfolgt sei, um den Meister zu sehen2). Aber die jahrelange Sehnsucht konnte bis jetzt noch nicht gestillt werden, da Chuschiel in Kairuän auf- gehalten sei8). Außerdem wollte er das Eintreffen seines Sohnes Elchanan abwarten, das im Vorjahre erfolgt sei. Aber auch jetzt sei die schon fest beschlossene Abreise durch die dringenden Vorstellungen der Kairuäner ver- hindert worden, die ihn mit Beweisen innigster Zuneigung und Verehrung überhäuft haben, so daß er nur dem Höch- sten danken könne für die Gunst, die er bei ihnen, wie auch bei der Regierung, gefunden habe. Alle Versuche der Kairuäner konnten jedoch ihn und seinen Sohn nicht von dem Antritt der Reise zurückhalten4). Während nun noch die Verhandlungen gepflogen wurden6), ereignete es sich plötzlich, daß der Resch-Kalla R'Jehuda (ben Joseph) und R'Joseph ben Berechja6) nach Mehadia7) reisen mußten. Aus dem weiteren, leider vielfach lückenhaften Inhalt des Briefes ist wohl zu ersehen, daß Vater und Sohn sich auch bereits dorthin begeben hatten8), daß der von dort stammende R'Abraham ben Nathan ihn nun flehentlich be- schworen, nicht nach so kurzer Zeit ihn zu verlassen9) und, daß diesem sich die Söhne des R'Joseph und auch

») Vgl. S. 649, Z. 21—22. *) A. a. O., Z. 58—60. ») A. a. O., S. 649, Z. 60. S. 650, Z. 1. <) A. a. O., S. 650, Z. 61-68. ») A. a. O., Z. 69—70.

«) Vgl. über diese Poznanski in der Harkavy-Festschrift, S. 202—204.

t) Vgl. Schechter a. a. O., S. 650, Z. 70. So ist wohl sicher statt mc-Hö zu lesen.

8) Vgl. Schechter a. a. O., Z. 71 u. 75. ») A. a. O., Z. 71—72.

618 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

R'Nissim1) angeschlossen haben. Infolge dessen, haben sie sich dem Willen der Kairuäner doch schließlich gefügt8). Das Ausbleiben der sonst von Schemarja empfangenen Freundschaftsbriefe betrübe ihn sehr; er hoffe jedoch, daß solche ihm wieder zuteil würden8). Am Rande dieses Briefes findet sich ein den Namen ^K'tnn '3*13 ergebendes Akrostichon, dessen Verse immer mit .T enden, und worin dieser als grundlegender Gesetzeslehrer gerühmt wird; zum Schluß wird er als pm« 131 pma« T3 bezeichnet4).

Dieser Brief bildet ein außerordentlich wichtiges Do- kument für die Widerlegung der bisher über das ganze von uns behandelte Problem verbreiteten Ansichten, wie auch zur Festellung der persönlichen Verhältnisse von Schemarja, seinem Sohne Elchanan und auch von Chuschiel. Wir ersehen auch aus ihm zunächst, daß Schemarja sicher einer seit einiger Zeit in Egypten ansässigen Familie an- gehört. Demnach kann es sich bei ihm unmöglich um einen durch die Mildtätigkeit der Glaubensgenossen losgekauften Gefangenen handeln. Denn man kann es als gewichtiges argumentum ex silentio annehmen, daß in einem solchen Falle sicher Chuschiel auf die durch das Leid ge- meinsamer Gefangenschaft noch inniger gestalteten Be- ziehungen zwischen ihnen beiden hingewiesen hätte. Auch die in dem Schreiben zum Ausdruck kommende große Bedeutung Schemarja's als Gesetzeslehrer, entspricht ganz dem ihm von den Geonim gespendeten Lob als solcher.

Nach der Schilderung Chuschiel's müssen wir uns die Stellung Schemarja's in Kairo ungefähr als die eines Nagid denken, und da liegt es vielleicht nicht fern, ihn mit dem

!) Dies ist wohl sicher kein anderer, als der nachmals so be- rühmt gewordene R'Nißim b. Jakob und nicht, wie Schechter a. a. O., S. 642, meint, der gleichnamige Großvater.

») Vgl. a. a. O , Z. 73. Vor "OJtDn wird wohl i:"?©3 zu ergänzen sein.

») Vgl. a. a. O., Z. 76 tgg.

«) Vgl. ebemdort S. 647—648.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter 619

ägyptischen Nagid zu identifizieren, von dem wir nach einer Veröffentlichung Elkan Adler's1), einen Selbstbericht über «eine Installierung und seine Wirksamkeit besitzen. Es wird uns da in diesem von einem eine außerordentliche Tätigkeit kfür das Torastudium entwickelnden Vorgänger berichtet2), wie auch, daß ersterer seinen mit großem Beifall aufgenommenen Lehrvorträgen die Ernennung zum Nagid zu verdanken habe8). Ferner erfahren wir, daß er von einem Exilarchen Chisdai oder Ibn Chisdai, der als iJ3»w $>«")#> ba nvbi tPfcO K'twn 'KiDn bezeichnet wird, die Auto- risation erhalten hat*) und daß, falls ihn nicht der Kalif bestätigt hätte, ihm der Gaon der palästinensischen Aka- demie zu seiner Würde verholfen hätte5). Ohne die mannich- fachen Dunkelheiten dieses Berichtes, besonders betreffs der Identifizierung des Exilarchen, zu verkennen, was auch bereits Poznanski behandelt hat6), glaube ich. daß für einen Hin- weis auf Schemarja Folgendes spicht: 1. Auch ihm wird, wie bereits oben erwähnt, eine große Darstellungs- und Rednergabe bei den Lehrvorträgen nachgerühmt7), 2. Be-

') Vgl. JQR. IX, S. 717 fgg. Vgl. hierzu besonders Poznanski In REJ. XLVIII, S. 162—165.

*) Vgl. a. a. O., S. 718, Z. 11: l"H W bl T\b* 1T3 'fl fN! *3

n*MrÄi min b^inb "ijjö wbj nx -ptem.

s) Vgl. s. 717, z. l fgg: dv wi bv ti wih* *Tm wni «mrai w»ö mim ibw no» 'ivu '•a ^kib^ ^a wen? npxai 'iai np \wb ^b |xu an^x 'n sa iKi '3 "Jbo IXT1 niöjn cino njjm 'raa *m -\vt> w p|jp fix my1? jijhS omaS*

4) Vgl. a. a. O., S. 717, Z. 10 u. Z. 14 fgg.

6) A. a. O., S. 718, Z. 16 fgg.

•) Vgl. REJ. a. a. O., S. 163—164. Trotz der zeitweiligen guten Beziehungen zwischen Rabbaniten und Karäern läßt Sich doch kaum mit Poznanski a. a. O. annehmen, daß der Exilarch ein Karäer ge- wesen sein soll; einen solchen würde der Nagid doch keineswegs mit bltlV^ *?a ptfbi BMP1 bezeichnet haben.

T) Vgl. die oben erwähnte Stelle aus dem Brief Chuschiel's an Schemarja, JQR. XV, S. 649, Z. 46 fgg. mit dem Schluß: man >a trxßnn dm wwSi d^bix tibijö o^ina.

620 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

treffs des so sehr gepriesenen Vorgängers könnte haupt- sächlich Samuel ben Paltiel, der berühmte Sproß der Achi- maazfamilie in Betracht kommen, der, wie wir aus der Achimaazchronik wissen, sich als sehr opferfähig für die Förderung des Gesetzesstudiums erwiesen hat1), was auch sehr gut zur Zeit Schemarja's paßt, 3. Auch von Schemarja wissen wir, daß er zur palästinensischen Akademie in innigen Beziehungen stand2). Alle diese Momente lassen uns die Annahme von der Identität dieses Nagid mit Sche- marja als nicht ganz unwahrscheinlich ansehen.

3. R'C hu schiel. Die geistige Tätigkeit in Süd- italien und in Kairuän*

Von großer Wichtigkeit ist das von Schechter ver- öffentlichte Genisa-Dokument für uns aber auch betreffs des zweiten angeblichen Gefangenen, R'C hu schiel. Es ergibt sich zunächst aus ihm, daß dieser jedenfalls in innigen Beziehungen zu R'Schemarja stand, die wohl wahrschein- lich persönlicher Art gewesen sind, und, daß er sehr viel Genaues über ihn wußte. Man wäre sogar versucht, aus dem Umstände, daß beider Väter und Söhne den Namen Elchanan führten, der einem bestimmten Lande besonders eigentümlich ist, und den wir also auch als in einer und derselben Familie üblichen betrachten müssen, auf eine, wenn auch nicht nahe Verwandtschaft der beiden Gelehrten zu schließen. Es ist dies allerdings nur eine durch äußer- liche Momente sich aufdrängende Vermutung, die jedoch nicht ganz grundlos ist, wenn auch in dem Briefe selbst von Familienbeziehungen nicht gesprochen wird.

Einen sicheren Anhalt bietet uns nun das Schreiben zunächst in bezug auf Chuschiels Herkunft durch die Worte8)

J) Vgl. Neubauer, Mediaeval Jewish Chronicles II, S. 130 und dazu besonders Kaufmann in ZDMG. LXI, S. 436 fgg. und De Ooeje ebendort LXII, S. 75 fgg.

*) Vgl. hierüber oben.

a) Vgl. JQR. XI, S. 649, Z. 59-^60.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 621

«"« n'n »h hutmm p«a wasfffo ißt/fa um^in pw u/wr '5 STB n"«i noJa »Tita [?*6k]. Diese Gegenüberstellung seiner bisherigen Heimat und eines unter arabisch-islami- tischer Herrschaft stehenden Landes zu fernerem Aufenthalt zeigt deutlich, daß er bisher in einem christlichen Lande gewohnt hatte, keineswegs aber seine Heimat, das doch gleichfalls islamitische Babylon gewesen sein kann. Als solches kann daher auch nicht das von Mena- chem Mein angegebene Spanien in Betracht kommen1), da dieses ebenfalls zu den arabischen Ländern in jener Zeit zählte. Wir hätten also nur die Wahl zwischen Grie- chenland2) und Süditalien. Ersteres kann jedoch schwerlich als die Heimat Chuschiels in Betracht kommen, denn dort war die Gesetzeskenntnis in zu geringem Maße heimisch, als daß es als Pflanzstätte eines Gelehrten, wie Chuschiel, angesehen werden könnte.

Wenn wir nun zur Bestimmung von dessen Heimats- land vorerst äußerliche Momente in Erwägung ziehen, so weisen die Namen Elchanan, Chuschiel und Chananael, wie unser Gelehrter seinen schon in Kairuän selbst geborenen, nachmals so berühmt gewordenen Sohn genannt hat8), auf Süditalien hin. Wir begegnen wiederholt diesen Namen und zwar: 1. Elchanan. Fast nämlich zu derselben Zeit, in der die

*) Vgl. Neubauer, Mediaeval Jewish Chronicles II, S. 225. Auf diese Mitteilung hat erst jüngst Marx in ZHB. XIII, S. 74 aufmerksam gemacht. Vielleicht ist aber diese Angabe von *nDD ebenso zu be- urteilen, wie die a. a. O., S. 224 betreffs Saadja's Herkunft. Übrigens ist in dem genannten Text statt Mson sicher ram\ zu lesen, wie es auch bei Meiri's Nachschreiber, Isaac Lattes, a. a. O., S 234 heißt.

*) Von dort will Groß, Magazin a. a. O. die vier Gelehrten herstammen lassen.

») Schechter's Annahme, JQR. XI, S. 645, daß der Name von Chuschiel's Sohn später aus Elchanan in Chananael geändert wurde, um Verwechslungen mit dem gleichnamigen Sohne Schemarja's zu verhüten, hat Poznanski in Harkavy- Festschrift, S. 187, widerlegt, in- dem er zugleich die Existenz des Elchanan als eines Sohnes von Chuschiel auch anderweitig nachgewiesen hat.

622 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

beiden obengenannten Söhne von Schemarja und Chuschiel wirkten, finden wir in Siponte1) einen Schüler Hafs, Leon ben Elchanan*). 2. Chuschiel. in dem von Elieser ben Nathan q*3Ki) uns erhaltenen alten Gutachten von den früheren Gelehrten der süditalienischen Stadt Bari3) figuriert unter den Unterzeichnern ein Chuschiel. Ebenso bedient sich der Verfasser der auf das geistige und soziale Leben der Juden Unteritaliens ein zum großen Teil ganz neues Licht wer- fenden Chronik, Achimaaz ben Paltiel4), am Schluß der- selben für den Messias der uns sonst nirgends entgegen- tretenden Bezeichnung ^«nsnn5). 3. Chananael. Diesen Namen finden wir a) wiederholt in der genannten Chronik des Achimaaz6), b) unter den Unterzeichnern des erwähnten Gutachtens aus Bari7), c) in der Einleitung zum Chakmoni des Süditalieners Sabbatai Donnolo, wo dieser einen Cha- nanael unter seinen Verwandten aufzählt8). Es handelt sich also hier um Namen, die diesem Land eigentümlich sind, wie überhaupt dort die die Endung bx tragenden Namen üblich gewesen zu sein scheinen.

Es ist nun nicht zu verkennen, daß zwischen dem in der Achimaazchronik wiederholt, in der Verwandtschaft Sabbatai Donnolo's und den Unterzeichnern des genannten Gutachtens je einmal vorkommenden Chananael, wie in dem an letzterer Stelle auftretenden Chuschiel irgendwelche

») Mit dieser Stadt will auch Brüll in Jahrb. IX, S. 105 das in Ibn Daud's Bericht vorkommende priDDD identifizieren.

») Vgl. Groß' Studie über Isak b. Malki Zedek und seine süd- italienischen Zeitgenossen im Magazin etc. II, S. 33.

3) Vgl. j'SKI 'D ed. Albek, Warschau 1904, Nr. 38, S. 30, Anm. 8. Über diese Gutachten siehe weiter unten.

*) Vgl. Neubauer a. a. O. II, S. |1 11 132 und Kaufmann in Monatsschrift 1896, S. 462—473, 496-509, 529—554.

6) Vgl. Neubauer a. a. O., S. 132, Z. 8 von unten.

«) Vgl. zur Orientierung die genealogische Übersicht bei Bachtr in REJ. XXXII, S. 146 und Kaufmann a. a. O., S. 552.

') Vgl. ed. Albek a. a. O.

«) Vgl. Chakmoni, ed. Castelli, S. 3.

Beiträge zur Qeschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 623

nähere Beziehungen mit unserem Chuschiel und dessen Sohn Chananael sich ergeben, zumal auch noch andere Namen wiederholt in diesen drei Urkunden uns begegnen, wie besonders der Name Sabbatai. Aber auch der seltene Name Pappoleon tritt uns sowohl in dem Stammbaum der Achimaaz-Familie, wie in den Mitgliedern des Gerichts- kollegiums von Bari entgegen. Wir wissen nun aber be- stimmt, daß der im Jahre 925 bei der Erstürmung von Oria durch die Sarazenen um's Leben gekommene Chassadja ben Chananael zugleich der Achimaaz-Familie angehörte1), wie auch, daß er zwei Brüder, Pappoleon und Sabbatai hatte, so daß der in dem Gutachten von Bari als Sohn eines Schabtai genannte Pappoleon ein Neffe des Chasdaja und Enkel des Chananael gewesen ist. Das Vorkommen des letzteren Namens, wie das eines Chuschiel's, läßt uns die Herkunft des letzteren aus der berühmten Achi- maaz-Familie und in weiterer Verzweigung aus der des Donnolo, als ziemlich gesichert annehmen.

Von den Schicksalen der Achimaaz-Familie ist uns bekannt, daß eines ihrer Mitglieder, Paltiel, in hoher Gunst bei dem fatimidischen Kalifen A 1 m u i z z stand, dem er sowohl in Mahdieh, in Nordafrika, als auch in Egypten, und zwar in Kairo, wertvolle Dienste leistete, so daß er auch unter seinem Nachfolger eine Vertrauensstellung be- kleidete2). Er war auch der erste, der in Egypten die Nagid- würde bekleidete. Er starb im Jahre 976 und wurde von seinem Sohn Samuel, der, gleich ihm, durch fürstliche Wohl- tätigkeit sich auszeichnete, in Jerusalem begraben. Unter den Angehörigen der Familie, die sich auch in der Gnade des islamischen Fürsten sonnen konnten, kennen wir auch einen Chananael II, Oheim des Paltiel, der, nach Bari für einige Zeit zurückgekehrt, mit einem Sohne, Namens Chassadja, nach Mahdieh sich wieder begab, während ein älterer

») Vgl. Kaufmann, Monatsschrift 1896, S. 532, Anm. 1. ») Vgl. a. a. O., S. 552.

624 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Sohn, Samuel, in Capua zu hohen Ehren gelangte und noch mit den Verwandten gleichen Namens in Egypten gute Beziehungen unterhielt. Chananael selbst wurde auch von seinem Großneffen Samuel in Jerusalem bestattet1). Aus einem Zweige des in Süditalien zurückgebliebenen Teiles stammte nun wohl unser Chuschiel. Von den in Egypten zu hohen Ehren gekommenen Gliedern der Familie vermeldet die Chronik nichts weiter, obwohl anzunehmen ist, daß sie sich noch fernerhin unter den Fa- timiden deren Gunst erfreut haben wird. Wenn nun in dem oben dargestellten Brief Chuschiel's an Schemarja dieser als yfjl ir bezeichnet wird, so gehen wir nicht fehl in der Annahme, daß er zu den unmittelbaren Nach- folgern des zweiten Nagid, Samuel ben Paltiel, gehört und somit eine durch Gelehrsamkeit wie äußere Macht ausge- zeichnete Stellung bekleidet hat. Die Kunde von dem hohen Rang des allerdings wohl schon sehr weitläufigen Ver- wandten, die zu den in Italien Gebliebenen gedrungen sein mag, veranlaßte vielleicht Chuschiel, zumal die Wirren in der süditalienischen Heimat nicht die nötige Sicherheit boten, den hochangesehenen Schemarja aufzusuchen, und so sich dauernd im Lande der Ismaeliten niederzulassen, wobei er jedoch in Kairuän aufgehalten und dort der Gründer einer neuen Richtung des Talmudstudiums wurde. Wie aus Chuschiel's eigenen Angaben hervorgeht, ist auch ihm dort, wie eine der Familie gleichsam als Erbteil be- schiedene Gabe, die Gunst des Fürsten und seiner Großen zuteil geworden. Darum preist ihn auch Samuel ha-Nagid in einem erst jüngst veröffentlichten Gedicht als tu »edlen Wohltäter«2). Dasselbe meldet uns aber auch, daß Chu- schiel aus eigenem Antriebe seine Heimat verlassen hat und

l) Vgl. hierzu und zum Folgenden die Darstellung von Kauf- mann in Monatsschrift a. a. O., S. 552 fgg.

') Vgl. Brody in der Festschrift für Berliner, hebr. Abtig., S. 11, Z. 2.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 625

nach Afrika gekommen ist1), in einer Weise, die den Be- richt von einer gewaltsamen Hinführung nach dort aus- schließt2). Die Verbindung mit dem italienischen Heimat- land hat Chuschiel dadurch noch bekundet, daß er dem im neuen Wohnort geborenen Sohn den Namen des großen Ahnen, Chananael, beilegte.

Wir haben nun mit einem hohen Grad der Wahr- scheinlichkeit die unmittelbare Abstammung ChuschieFs aus Süditalien zu erweisen, zugleich auch sein Verhältnis zu Schemarja darzulegen versucht. Für unsere Annahme brauchen wir aber nicht Zweifel zu hegen infolge des Schweigens des Chronisten Achimaaz über Chuschiel, da dieser nicht einmal seines berühmten Verwandten Sabbatai Donnolo und des in dessen Jugendzeit fallenden Märtyrertodes des Chas- sadja Erwähnung tut9).

Zu diesen allerdings mehr formellen Gründen treten aber auch innere, auf literarischen Momenten beruhende. Süditalien bildete, wie Italien überhaupt, sicher seit län- gerer Zeit ein Centrum jüdischer Geistestätigkeit*), wo die intensivere Pflege der Gesetzeskunde eine Stätte gefunden hat. Wenn auch die dortigen Gelehrten nicht mit denen Babyloniens an Bedeutung wetteifern konnten, so haben sie dennoch für die nationalen Studien in der ihnen eigenen Art und Geistesrichtung, die durch die traditionellen Be- ziehungen zu Palästina gegeben war, manches Wertvolle geschaffen. Seit dem neunten Jahrhundert unter dem zwie- fachen Einfluß der einheimischen, christlichen Bevölkerung und der zeitweilig eine Herrschaft aufrichtenden Araber stehend, und mehr Anteil an dem gerade dort recht man-

») Brody, das., S. 12, Z. 11-12.

*) Vgl. auch Poznanski a. a. O., S. 193.

s) Vgl. auch Kaufmann a. a. O., S. 540—541.

*) Über die hier in Betracht kommende Literatur im Allgemei- nen, vgl. Zunz QV.» S. 375 fgg. (= 362 fgg.), Rapaport, Biographie des Eleasar Kalir Note 17, Weiß TVH IV, S. 268 ff., Groß, a. a. O., S. 21 ff.

Monatsschrift, 56. Jahrgang. 40

626 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

nichfaltig sich gestaltenden Leben der andersgläubigen Um» gebung nehmend, als die Juden in Babylonien, die in der Einförmigkeit der Verhältnisse höchstens von den Wellen der theologischen Bewegung innerhalb des Islam berührt wurden, haben die Juden Süditaliens zunächst eigenartige agadische Schöpfungen hervorgebracht, die dem Grundstock dieser Midraschim deutlich das Gepräge ihres Landes und ihrer Zeit aufdrücken. Wir denken hierbei zunächst an den uns in verschiedenen Rezensionen vorliegenden Tanchuma- Jelamdenu, für dessen spätere Zeit das reine Hebräisch hinlänglich Zeugnis ablegt1), und als dessen Entstehungs- ort bereits Zunz mit gewichtigen Gründen das südliche Italien erkannt hat.

Besonders aber kommt hierbei in Betracht die gegen- wärtige Gestalt der Pesikta Rabbati. Bereits der Altmeister Zunz hat ausführlich über diesesWerk gehandelt und als seinen Heimatsort Griechenland angenommen2). Indessen kann es durch die Ausführungen von J. L6vi3), Bacher4) und Weiß5) als gesichert angenommen werden, daß dieses Midraschwerk in der uns vorliegenden Fassung, aus dem wir übrigens ein eigenes Zeugnis seiner Abfassung nach 845 haben, nach Südtalien gehört. Man beachte zunächst die wiederholt vor- kommende Jelamdenuformel, die auf die Abhängigkeit von den in Palästina üblichen derartigen Werken hinweist, und

») Vgl. Neubauer in REJ. VIII, S, 226 ff., ferner Weiß in rP3 niD^n I, S. 37 ff., 71 ff., 71 ff., 101 ff.; Epstein ebendort S. 7 u. S. 23.

•) Vgl. GV.8, S. 248—262. Das dort (S. 256, Anm. 2) von Zunz noch angeführte D^I^S, S. 116 a, Kalifen, als Hinweis auf Griechen- land, kann, abgesehen davon, daß dies eher auf die zeitweilige Araber- herrschaft für Italien paßt, deswegen nicht in Betracht kommen, weil die LA. entweder D^Dl'vS oder Dltt^B lautet, vgl. Friedmanns An- merkung zum Text a. a. O. Nr. 16 und Güderaann im Lexidion, S. 204 b s. v.

») Vgl. REJ. XXIV, S. 281—285 u. XXXII. S. 279-282.

*) A. a. O. XXXIII, S. 45 ff.; vgl. auch Monatsschr. XLI, S. 604 ff.

6) Vgl. -im III, S. 283 ff.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im geonäischen Zeitalter. 627

auch dies führt uns auf das von jeher mit jenem Lande in inniger Beziehung stehende Italien Aber auch andere An- zeichen sprechen für die süditalienische Heimat. Wir finden in ihm nämlich merkwürdigerweise offenbare Benutzungen von Erzählungen aus den apokryphischen Büchern, wie z. B. dem vierten Esrabuch, was sich unter anderem in der Erzählung Nr. 26 Ende (S. 131 b— 132 a) zeigt1). Auch eine Benutzung des in Süditalien entstandenen Josippon läßt sich nachweisen2). Bemerkenswert sind ferner die Er- zählungen mit Anklängen an christlich-messianische Stellen, wie sich aus der Behandlung des besonders in christli- chen Kreisen eingehend in messianischem Sinne gedeuteten Ps. 22 am Ende von Nr. 36 und in Nr. 37 (S. 162 b— 163 a) ergibt3). Auch das ganze Kolorit von Nr. 36 mit den aus- führlichen Erörterungen über die messianische Zeit läßt uns an Einflüsse denken, wie sie auf die Juden gerade in dieser Gegend zu der genannten Zeit einwirken mußten4). Wenn sonst auch in der alten agadischen Literatur diesem Problem eine große Beachtung zuteil wird, so findet sich indessen nirgends eine Ausspannung des Gedankens von den Leiden des Messias selbst, wie sie an den genannten Stellen und beispielsweise uns auch in dem Ausspruch von dem IW&öfl ~]hn in Nr. 31 (S. 146b) entgegentritt5), wo wir lesen: nuw »d^ im in ^33 iD"na omo« no non epo p* 1J,™3"> 11a** b* THn6). Diesen Erwägungen gegenüber, die schon von Asarja

!) Vgl. REJ. XXiV, S. 281—285 u. XXXII, S. 279-282.

») a. a. O. XXXIII, S, 41 fgg.; vgl. auch Monatsschrift XLI, S. 604 fgg.

s) Vgl. T1T1 III, S. 233 fgg.

*) Vgl. Levi in REJ. XXIV, S. 280—282. Die Bemerkung von Zunz a. a. O., S. 256, Anm. c, daß dieses Stück der Kinnah Kalirs DBD rm^DS TK zugrunde liege, was auch Friedmann a. a. O., Anm. 82 annimmt, beruht wohl auf einem Irrtum, da, abgesehen vom dem Eingang, der Inhalt ein vollständig verschiedener ist.

6) Vgl. auch Levi a. a. O., S. 284, Anm. 3.

8) Vgl. REJ. XXXII, S. 281.

40*

628 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

de Rossi und Nachman Krochmal geltend gemacht wurden, können die von Friedmann1) und Weiß2) geäußerten gegen- teiligen Ansichten, daß die in den nichtjüdischen Schriften zum Ausdruck kommenden Gedanken von dem leidenden Messias jüdischen Quellen entlehnt sind, nicht als stichhaltig angesehen werden. Gerade die zuletzt erwähnte Stelle, für die Weiß eine Parallele, resp. Quelle, im Midrasch Schocher Tob zu Ps. 2, 9 nachweisen will*), zeigt eine ganz andere und für den Redactor der Pesikta Rabbati typische Umge- staltung des dort behandelten Gedankens, wo die Leiden in der dem Auftreten des Messias vorangehenden Zeit ge- schildert werden, während hier von denen des Messias selbst gesprochen wird. Alle diese auf eine Rezeption fremder Einflüsse hinweisenden Momente verstärken noch die Annahme, daß die viel besprochene Erwähnung der »ja n»3, sowie der Einwohner der benachbarten Städte, in Nr. 28 (S. 135 b) sich tatsächlich auf die Orte Bari, Tarent und Otranto bezieht, in denen sich eben schon seit der Zer- störung des zweiten Tempels eine bedeutende Niederlassung von Juden befunden hat, und die auch in der Achimaaz- chronik eine große Rolle spielen4). Hierzu kommen noch die guten Beziehungen, die noch bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts hinein zwischen Juden und Christen in diesem Lande bestanden, und wovon der Verkehr Sabbatai Don- nolo's mit dem Abt von Grotta Ferrata, dem heiligen Nilos, ein Beispiel ist.

*) Pesikta rabb., S. 164—165, Anm. 18.

8) Vgl. TTT1 HI, S. 287.

3) Vgl. a. a. O., S. 278 und dazu Midrasch Tehilim, ed. Buber, S. 28,

*) Vgl. hierzu Levi in REJ. XXXII, S. 278 fgg., Bacher REJ. XXXIII, S. 39 fgg. u. Monatsschrift 1897, S. 601 fgg., gegen Krauß ebendort S. 554 fgg.

(Fortsetzung folgt.)

Besprechungen.

nijna» tisddi man rona Vxt pn*o ja nsna wann ruwon bntb »nana pna^ man mnpn sjpiDi ■»anjwi ibu ^bb rwin rr-oy nprpn pnjno .avStotoxi 'j't itjt^k »ana nruo »Ta pnairo pnjnn cjsbbi oiiaS «»an

Kose ben Maimuns Kommentar zur Mischnah, Traktat Makkoth nnd Traktat Schebuoth, in neuer hebräischer Übersetzung aus dem arabischen Urtext mit prüfenden und erläuternden Anmerkungen von Manuel (Manni) Qottlieb, Stiftsgelehrter, Hannover 1909. 74 S., 8.

Von demselben Verfasser erschien im Jahre 1906 eine hebräische Übersetzung von Maimonides' Kommentar zum Traktate Sanhedrin, die ich in dieser Monatsschrift (Jahrg. 1910, S. 333—336) rezensiert habe. Ich habe dort auch mitgeteilt, daß Herr Qottlieb in seiner Ein- leitung zu Sanhedrin versprochen hat, den Mischnahkommentar des Maimonides zur ganzen Ordnung Nesikin neu zu übersetzen. Daß er Wort hält, zeigt uns die vorliegende Arbeit. In dem kurzen Vorworte zu derselben weist Gottlieb auf seine Einleitung zu Sanhedrin hin, die eigentlich als Einleitung für das ganze Werk gedacht wurde, und aus welcher ich in der genannten Besprechung das Wichtigste ange- führt habe. Auch diese Arbeit liegt ausschließlich in hebräischer Sprache vor. Als arabischer Text diente dem Verfasser Maimonides' Kommentar zum Traktate Makkoth, ed. Barth (Berlin 1880), und eine Handschrift der königl. Bibliothek zu Berlin (Ms. or. S. 569). Nach- träglich (auf der letzten Seite der Übersetzung) bemerkt der Ver- fasser, daß er während des Druckes der vorliegenden Schrift Gele- genheit hatte, die Berliner Handschrift (Ms. or. S. 567), welche die alte hebr. Übersetzung des Kommentars zu Moed, Naschim und Nesikin enthält, zu vergleichen. Die Handschriften bezeichnet er mtt J, a, N. In einer Anmerkung zum Vorworte zeigt uns Gottlieb an, daß ein weiterer Teil der versprochenen Übersetzung (Edujoth und Aboda sara) bereits druckfertig vorliegt.

Im allgemeinen kann iber die vorliegende Arbeit dasselbe bei- fällige Urteil abgegeben werden, wie über die vorangegangene. Hier wie dort hat uns Gottlieb ei»e sorgfältig ausgearbeitete, dem talmu- mudischen Idiom entsprechende Übersetzung geboten, für die ihm sicherlich alle dankbar sein werden, die sich für den Talmud und dessen Kommentare wahrhaft interessieren. Hier wie dort beobachten

30 Besprechungen.

wir dieselbe Vertiefung in die Halacha, dieselbe Gründlichkeit und rabbinische Belesenheit des Verfassers. Kurz, wenn man die Anmer- kungen Gottliebs liest, empfängt man den Eindruck, die Schrift eines unserer »Großen« vor sich zu haben. Nun hat, wie oben kurz erwähnt wurde, Professor Jakob Barth in Berlin bereits im Jahre 1880 den arabischen Text des Maimonides-Kommentars zu Mßkkofh ediert und die alte hebräische Übersetzung nach dem arab. Manuskript verbessert« Es läßt sich demnach fragen, ob denn Gottliebs Übersetzung des Kommentars zu Makkoth noch irgend einen Nutzen habe. Tatsächlich ist Barths Edition, die nebenbei bemerkt die erste des Maimu- nischen Mischnahkommentars im Urtexte war, so exakt, daß sie wirklich allen, die auf diesem Gebiete arbeiten, als Muster dienen kann. Allein Barth berichtigte bloß die offenkundigen Fehler der Übersetzung nach dem arab. Original und ließ die alte Übersetzung mit ihren sonstigen Unebenheiten weiter bestehen. Dagegen bietet uns Gottlieb eine gänzlich neue Übersetzung, die allen Anforderungen gerecht werden will. Ferner hat Barth seine Edition mit bloß kurzen allerdings bündigen Fußnoten versehen, während Gottliebs Anmerkungen nicht minder gründlich, aber bei weitem zahlreicher und ausführlicher sind.

Den Vorzug der Gottlieb'schen Übersetzung vor der Ibn Jakubs habe ich bereits in meiner oben genannten Besprechung durch mehrere Beispiele darzutun versucht. Ich erachte es daher für richtig, auch hier einige Stellen anzuführen, die meine Annahme durchaus bestäti- gen. Allerdings kann ich diese hauptsächlich dem Kommentar zn Makkoth entnehmen, dessen arab. Text (ed. Barth) mir vorliegt, wäh- rend ich den arab. Text des Kommentars zu Schebuoth nicht besitze. Herr Gottlieb hat nämlich auch hier den arab. Text nicht abgedruckt, sondern bloß hin und wieder arabische Ausdrücke oder Sätze in Fußnoten angegeben. Makkoth, Abschn. 2, Hai. 1, arab.: btyO m-iji'?« am po^T «njy jcnair "iin \11 noSßD'rxs d^ nbiym jjo^m p-on (x i^k (od. rnacS«) ; Ibn Jakub : px k\i nbjyc- b:yan

Pp\"!3BB> -IJ> DTIÖB>n 12 ptfDtPDÖl pp^HD US*K pKJ3!W ftpVti; Goitlieb:

\'x:in n pvoiwov px n\ni p^nnb "»wy +m p^ncn ft^ajma tojtoft p-nnXDi \"p^2ü cnv -ty o^ron ^b m sjinS irmoipcn; das. 3, l (Barth S. 18, Gottlieb S. 13) arab.; DJP inxi 1«S wir |K Kl^K CDpbtt Kftft |D1 niD1« »r\bi\ ""in; I. J.: nvbv nw ^by nnn vtb *yv p ü: pbnn ntoi pnout; G. : nif« ttnbn nn wia nnx ikS muis Katw my mn pbnn pi; das. 3, 11, arab. : K-ixieriDK rnnKiSx rn'rj'?« nin "proi pymx nni: k'td dikS aiSft* V6pn *»b fteinSi» nixS« py kds ; I. J. : D^jmit naa kS sun mon bijtm nYDtfjw "isop 102 m w "jm n rupft mai ; G. : xb cyft) vrt ptyRsprs pinu th nnxn njnsn nnix -ixt?: «bx c^aixn waj

Besprechungen.

mionn mjfon yna -nm vüü nn:b ww; Schebuofh 4, 5, arab. ftmnv DStiy "h; I. J. : nnj> oa^XK ^ w*i G. : ny da«; das. 5, 4,

arab. : oityo IHrtD ^ ; I. J. : JNT1 Siatp im ; Q. : jjitI p^pn ''TD. Hier läßt Gottlieb bloß das talmudische Zitat folgen, welches Mai- monides arabisch zitierte das. 6, 2, arab. : njy ttpO"1 iro pa1 8*7 Tin ms du1?, I. J.: avn aw wob jnu 130 rm* xto ,d'?, Q.: *nn xto »tj Dl^a 13l"«n ^TB lniOJflB WB. Dagegen halte ich Ibn Jakubs o^JJ D1P3 für das arab. HJ13 (Makkoth 3, 17) und "IPBK ''K für -J3 kS (das.) für richtiger als Gottliebs *|TT DlSaa, resp. wn kS, weil jene gewöhn- licher und durchaus verständlicher sind.

Die zu Makkoth 1, 6 (Anm. 14) von G. vorgeschlagene Emen- dation des arab. Textes nach der hebr. Übersetzung: piw XDDnSx

(= B*tyD mann) statt pinan n«3n^« (= b^ti Ta na «r», nach

Barth), die scheinbar einen besseren Sinn gibt, ist mit E. unrichtig, weil es nicht anzunehmen ist, daß beide arabische Handschriften, die Barth benutzte, gerade an dieser Stelle fehlerhaft seien usd beide noch obendrein dieselben Fehler haben, während die sonst fehler- hafte hebr. Übersetzung hier die richtige Lesart bewahrt habe. Ich glaube, daß Maimonides mit diesen Worten den Satz der Mischna p"n "lüyv IV erklären will und meint, obgleich der Verurteilte nicht hingerichtet worden ist, war er doch ein Mann des Todes, da die Richter durch die Aussage der später überführten Zeugen, die gesetzliche Kraft erhalten hatten, das Todesurteil zu fällen und auch auszuführen. Darnach hätte Barth (a. a. O. S. 8, Anm. 1) Recht, der die Lesart der hebr. Übersetzung verwirft und den arab. Text wie folgt wiedergibt: l'ty nräBW HD3 HT ^33 DW1 T3 D3 V ^3K» Es wäre doch richtig gewesen, wenn Herr Gottlieb auch diese Stelle in der nachträglich von ihm benutzten hebräischen Handschrift (•) ^'3) verglichen und uns das Resultat angegeben hätte.

Ein besonders großes Verdienst hat sich Gottlieb durch die Übersetzung des Kommentars zu Schebuoth erworben, dessen arabi- scher Text bis jetzt noch nicht ediert worden ist. Hier zeigt uns Gottlieb in den Anmerkungen die zahlreichen Fehler der alten Über- setzung und bietet uns an ihrer Stelle eine richtige und klare Über- tragung des arabischen Textes. Herr Gottlieb hat auch was ich in der vorhergehenden Besprechung hervorzuheben vergessen habe den Mischnatext sorgfältig geprüft, indem er auf die Varianten in der Handschrift hinwies und verschiedene Lesarten in den beiden Tal- müden zur Vergleichung heranzog. Eine wichtige Variante, die Gottieb übersehen hat, möge hier ergänzt werden, nämlich in Mischna 4, 13, wo die Handschrift 133"» . . 1H3"> (für "JS'" . . . "p"« der Ausgaben) hat.

Zum Schluß kann ich nicht umhin, einige Worte zur Rechtferti-

632 Besprechungen.

gung Ibn Jakubs hinzuzufügen. Ich habe schon vorher und vorwiegend bei der Lektüre der vorliegenden Arbeit die Beobachtung gemacht, daß die meisten Fehler der alten hebr. Übersetzung des Maimonides- Kommentars auf das Konto der Abschreiber zu setzen sind. Ferner ist in Erwägung zu ziehen, daß die alten Übersetzungen doch die ersten waren, und die ersten Übersetzer es doch am schwierigsten haben. So hatte es Gottlieb viel leichter, den arab. Text zu übersetzen, indem ihm die Übersetzung Ibn Jakubs vorgelegen hat.

Stockholm. M. Fried.

Besprechungen. 633

(Schluß.)

Zu Qinzbergs Qeonica II habe ich im Einzelnen noch Fol- gendes zu bemerken:

S. 306, 307. Die ganze Diskussion über die Wendungen '^no KVt iKDtP XtO "OD und KV! HKTrv 'JDD ist überflüssig und zum Teil unbegreiflich, da diese Wendungen in der Tat im Talmud vorkommen. XVI ilKTrP piranfi kenne ich aus vier Stellen: Sabbath 140a, Sukkah 19b, Bezah 31a und Baba Bathra 79b. KVT -»«DBr nvj pXMflD ist mir zwar aus dem Babli nicht bekannt, aber Jeruschalmi Erubin III, 1 (20 d 44) inbezug auf diese Mischnah heißt es: iKDB> nvjT "JDD1). Wenn der Gaon diese Stelle meint, so hätten wir hier einen unwider- leglichen Beweis dafür, daß Amram den Jer. gekannt, und zwar gründlich gekannt hat. [Vgl. Beza 12b oben: XVI tP'S n:Vü S'JIKI.]

S. 306, Anm. Vgl. zu DnWJ Jer. Schekalim 46 b 18—28 und Challah 60 b unt.

S. 307, Anm. 2. Auch Hai. gedoloth, ed. Berlin, S. 633. Hai. ged. verstehen unter ^"ibd auch Gen. r. Sifre für Mechiltha vgl. Resp. der Gaonim ed. Harkavy S. 107 und Hoffmann, Mechilta, Ein- leitung S. V*).

S. 308. »the Seder ha-Mischnab, which is the designation commonly (?) used for the first part of the Seder-Tannaim we- Amoraim«. Mir ist diese Bezeichnung nicht bekannt.

S. 309, N. 4 und N. 7. D"n DD 15 b, 15 c.

S. 310, N. 12. D"H DD 14 d.

S. 311 unt. D^JH EPOII N. 224 und Ascheri, Halachoth ketannoth, mm N. 17: R. Hai. Dagegen jrnaan N. 88: Natronai.

S. 313, N. 22. Dieses Responsum etwas ausführlicher in Ma'- asse ha-Geonim S. 9.

S. 313, N. 29. Die Ausführung gehört zu Responsum 30.

i) Weitere Belege aus Jeruschalmi sind mir jetzt nicht bekannt; diese Wendung scheint aber im Jer. öfter vorzukommen, da der Kom- pilator des »JeruschalmU Chullin sie kennt. Vgl. 43a.

*) Es findet sich auch umgekehrt Mechiltha für Sifre, vgl. Saadyana, S. 79: onmn n^Xl "OTT nbDD, ist wohl nichts anderes als unser Sifre. Vgl. dagegen Poznanski, Schechters Saadyana, S. 28, N. 26. Dieselbe Bezeichnung wie bei R. Amram, auch bei R. Gerschom und R. Samuel ben Meir zu Baba bathra 124 b.

634 Besprechungen.

S. 315 unt. Daß Maimonides min "IBB X, 6 B11J7 in Megillah 32 a auf miKH oder ^in bezieht, und nicht vielmehr, wie Raschi, auf die Thorarolle selbst, ist sehr fraglich. In dem Satze mif K^l B11JJ KintPB mm IBB kann K1HB>3 mindestens ebensogut auf das un- mittelbar vorhergehende min IBB bezogen werden wie auf an« XVTV3. B11V »st der Oe gensatz zu ... nirtBEöS "JH3 KW 'B bj? P]K in der vorhergehenden Halacha. Bezöge sich anj; auf B1K, so hätten beide Halachas vereinigt werden müssen, besonders da any ülH und jpa fTTlBH zu einander gehören: B11JJ KVttP3 min 1BD I1K BtX tTOT »^

prnan iroS n w kSi.

S. 323, Z. 19 und Anm. 11. Auch Sa'adia liest: pmp IT mi2f:3 [H .13. Vgl. Sa'adias Kommentar zu Berachoth, ed. Wertheimer, 3 a und Note.

S. 329, Anm. 5. Auch Makkoth 13 a, Temurah 13a.

S. 337, Anm. 4. Ein ähnlicher Text in Hai. ged., ed. Berlin, 120: mVh... ita)bV3V

S. 350 unt. DW in dem Sche'elthotfragment S. 373, Z. 7 ge- hört nicht zur Einführung, sondern zum Zitat: . . . a^EBB WüV. Daß mit iTiBl ein in Sedarim eingeteilter Midrasch Tehillim gemeint ist, ist sehr unwahrscheinlich, da R. Acha sonst nie seine Quellen namentlich anführt, -mal ist nicht Namen, sondern TJW, sie ord. neten, trugen in der Ordnung vor. Vgl. Erubin 21b NfPBM "HBB- Gemeint kann auch sein die Stelle Lev. r. V Ende. R. Nissim ist nicht der erste, welcher Midr. Ps. benützt hat, dies tat schon R. Amram1).

S. 377, Anm. 3 und 388, Anm. 7. Über 1 für Kamez vgl. Apto- witzer, Das Schriftwort in der rabbinischen Literatur I (Prolegomena) S. 35. IIB =■ 1B in Hai. pesukoth, ed. Schlossberg, S. 83, 121, ff»JlE>Kl bv [min II, S. 7 unt., Buch der Frommen, ed. Berlin, und Ma'asse ha-Geonima). Vgl. auch Anm. 73 zu Ma'asse ha-Oeonim Seite 11.

S. 424 zu S. 167 N. 1. Vgl. auch Epstein in ha-Choker I, S. 187 f.

Nachtrag: S. 4, Anm. 12. Or Sarua I 47b, N. 137 liest auch in der Stelle n Berachoth wie der Gaon.

S. 21, Anm. 1. Nach G.s Emendation gibt die Stelle keinen rechten Sinn. Die richtige Erklärung dieser Stelle bei Poznanski,

') Vgl. A. Marx, Untersuchungen zum Siddur des Gaon R. Amram, I, S. 8, Anm. 31.

■) Vgl. das Verzeichnis S. XIX. Hinzuzufügen ist: S. 13, 68.

Besprechungen. 635

Studien zur gaonäischen Epoche, S. 61 f. und bei Q. selbst in Qeonica I, S. 8 im Text.

S. 39, Z. 16. Die Quelle: Sabim V, 11.

S. 52, Z. 25. Eppenstein, Monatsschrift 1908, S. 618, Anm. 1, meint, daß mit lS^n Dnmi das Fragment eines andern Responsums beginnt. Notwendig ist diese Annahme nicht.

S. 53, Z. 2. WüVb IDStJJ J1K TDKD MVA erklärt G. TDKD als die aramäische Form für 1D1D, Mir scheint eine aramäische Form in einem hebr. Satz in einer hebr. Stelle unwahrscheinlich. YDXO ist vielmehr als Hifil von hebr. "IDX zu fassen. Für die Wendung 1D51JJ rix VDKD vgl Seder Eliah, Kap. 27, ed. Friedmann, S. 138 oben: D^-nDK px fOVth JOpD^ (D5ty p"iDlöB> D^DSn ""TD^n xb* (Ps. 68, 7), wo die Deutung von B*VBH die LA. pYDKDtf oder pcxatf fordert1).

S. 56, Z. 1 ppffD. Diese Bezeichnung des Traktats Moed Katon noch Geonica II S. 58, 62, 68, 69. So auch Aruch, Salomo ben ha-Jathom und jfnson N. 28, ed. Livorno 1779, 17 a*). So auch Mischnab, ed. Lowe, Yerushalmi Fragments, ed. Ginzberg, S. 85, Z. II3). Das. und S. 69 Holt? für ntSlD» So auch ms. Halberstamm 336*).

S. 57. xj?¥D für kjpjjd KM auch SS 60, 61, 64, 68, 69 (XJjro). So auch Salomo ben ha-Jathom oft6).

S. 68, Anm. 2. Lies: Moed Katon 18b.

S. 72. Das Responsum ist sehr wahrscheinlich nach Palästina gerichtet gewesen. Dies vermutet auch Eppenstein, Monatsschrift 1908, S. 619 auf Grund »verschiedener Anzeichen«, die ich jedoch nicht kenne. Aber der vom Gaon in so heftiger Weise getadelte Brauch, die Mitgift der Braut in einem die wirkliche Leistung über- steigenden Betrag einzuschreiben, ist aus den alten palästinischen Quellen: Mischnah, Toseftha und Jeruschalmi bekannt9). Desto auf- fallender ist es, daß der Gaon keine Kenntnis davon hat und die Überschätzung der Mitgift als Sn und njn m,J3 bezeichnet. Dagegen wird pns i"ij?tr 56b unten im Sinne des Talmuds entschieden. Da der

l) Jalkut Ps. § 795: . . xnpca {D3tJ> plD^ötf deutet D^YDH von r. 1D\

') Die aus »Maschkin« angeführte Stelle kommt in Moed Katon nicht vor, sondern Sabbath 136 a.

s) Vgl. jetzt auch Chajes, Salomo ben ha-Jathom's Kommentar zu MaSkin (ed. Mekize Nirdamim, Berlin 1909) S. VII, Anm. 4 und S. VIII, Anm. 2. [Vgl. weiter unt. S. 382.]

4) Vgl. JQR. XIV, S. 175.

ß) Vgl. Chajes, a. a. O. S. XXXI.

•) Kethubboth VI, 3, Toseftha das. VI 5-6, Jer. das. 30c— 30 d. Vgl. auch Mischneh Torah IW» VIII, 11 und n:Vü ort1? z. St.

636 Besprechungen.

Gaon in uns. Fragment bezeugt, daß der fragliche Brauch von dem in allen bxw fllDipö abweicht, so muß man annehmen, daß das Re- sponsum in p*t¥ •nytP ebenfalls nach Palästina -gerichtet war, oder daß der Brauch selbst später auch in Babylonien oder in einem andern, unter palästinischem Einfluß stehenden Lande heimisch wurde.

S. 75, Anm. 2. Vgl. Poznanski, Schechters Saadyana, S. 17, N. 2.

S. 80, N. 2 Ende. Bei R. Chananel in Respfder Gaonim, ed. Lyck (N. 113, S. 34) kommt diese Erklärung nicht vor, sondern bloß die zweite des Aruch s. v. tptt.)Dagegen heißt es in Saadjas Komm, zu Berachoth pjTlö WT1 MTJD. Vgl. auch Wertheimer z. St.

S. 90, N. 4. Soferim X 8 ; der richtige Text in Or Sarua I N. 95.

S. 91, Z. 21 \lb VI. Gewiß "p1? CT oder "p^CT, vgl. oben S. 368 zu S. 26, Note 3.

S. 96, N. 19. tr»!M für Resch Gelutha Geonica II, S. 83, Z. 7 ; Resp. der Gaonim, ed. Harkavy, S. 389.

S. 106, Anm. 2. pon DH in der Bedeutung HM: Fragment in ha-Kedem II, S. 87, regelmäßig in jmaon1).

S. 110 com )ÜV B>"![5D. Über diese Benediktion vgl. Ratner, Ahawath Zion, Berachoth S. 200 und Aptowitzer in Monatsschrift 1908, S. 313. Im Jeruschalmi bei Rabiah 44b lautet der Schluß: O'OIS T,öB> DK BHpD "»'KS. Der Ursprung dieses Gebetes ist also nicht so jung, wenn auch die Form, in der wir es besitzen, auf Seder Eliah zurückgeht*). Die Frage, warum die Benediktion über den Tallith fehlt, in Rabiah 44a, wo auch dieselbe Antwort, die G. gibt.

S. 113, N. 17. »Until now the custom (of using Mazzoth for DllXn ■01*1,J?) could not be traced beyond the thirteenth Century«. Thirteenth ist wohl Verschreibung für »twelfth«, da G. selbst in der Note auf die Polemik gegen diesen Brauch in Jehuda Hadassis Eschkol ha-Kofer, verfaßt 1149, verweist. Wir wissen aber aus andern Quellen, daß dieser Brauch schon zur Zeit R. Jehudais verbreitet war. Vgl. ffWiri bv {min I, S. 14, Sefer ha-Ittim S. 105. Vgl. noch Pardes N 108, Machsor Vitry S. 249, N. 283.

S. 120, Z. 13 Hran VBVf \T. Über die hebr. Form vgl. Fried- mann, Einleitung zu Seder Eliah, S. 79. Vgl. Or Sarua I, N. 582.

S. 151, N. 503. Das Responsum auch in Ma'asse ba-Geonim S. 75, N. 85.

*) Vgl. NN. 28, 34 (26 a, 26 c), 35, 37, 41, 43, 46, 54, 59, 60, 61, 70 74, 82.

») Vgl. oben 1910, S. 274 zu Machkim, S. 7, Anm. 4. Vgl. Schib- bole ha-Leket S. 6.

Besprechungen. 637

S. 190, N. 9—10. pm für mm. In dem erwähnten Fragment in ha-Kedem II wird Toseftha Kelim 2 II, 7 mit pm angeführt1). Das. flfiSiJJ für nB3"K auch Geonica II, S. 266, Z. 24 und ha-Kedem II, S. 84, 85.

S. 195 unt. pKP TIDJ TTJrl llömi 1W3 »H1? iS 1W0 ^Kltf'1 HtPnnn bj> kSk .TlStö. Diese Entscheidung des Qaons ist, wie Ginz- berg S. 187f. hervorhebt, sehr auffallend, da nach der Halacha auch andere Arbeiten mit ungleichartigen Tieren verboten sind. Jedoch ist der Standpunkt des Gaons nicht ganz neu. Ich finde denselben auch bei Pseudo-Jonathan, der Deut. 22, 10 Tiemi TiB>3 ttnnn *b fol- gendermaßen übersetzt: Krpns ^>3 3i monai joim pm pinn *b p3M pnni* Während also zu TiDmi TW3. die halachische Ausdeh- nung des Verbotes auf alle ungleichartige Tiere hinzugefügt wird, fehlt die traditionelle Erweiterung des Bnnn »b, etwa: pinn xSl ÄnTS'JJ p*!3JJ. Dies ist umso auffallender, als beide Halachas in den alten Quellen neben einander stehen. Es ist daher sehr wahrschein- lich, daß Jon. die Ausdehnung des Verbotes auf andere Arbeiten nicht anerkannt hat. [Vgl. weiter unt. S. 385.]

S. 211, Anm. 2. In einem Responsum R. Zemachs in jm3D."l N. 43 kommt das Wort KpWlK mehrmals vor.

S. 278. In ha-Kedem III, S. 6 teilt D. Kahana einige Zeilen aus diesem Briefe mit, in denen einige abweichende Lesarten vorkommen: Zeile 6 rmpl K.: [JTWipl, Z. 7 bsf\ ty K.: SlJl ^J7, was besser paßt, ibid. mittel K.: mittpl, Z. 11 rmnpsi K. besser rmnpi. Vgl. noch Poznanski, (KTTp HMX S. 47.

S. 314, N. 34. Berachoth 42a liest Or Sarua I, 177b: ^DK TK' WX, der Vater eines Amoräers namens rtST od. «31, Baba mezia 14 a, Schebuoth 34b und 37a, Keritoth 24 a. R. Hai, ffOWIh ^V jmin II, S. 39, zählt unter den 38 Rabbah: ftt>31 pipen tfl^Otn Ti"1* 13 ,131 (I. H31 IUI«) IfllK H3"l niaipD.

S. 338, Z. 7. jnio für jniKD. So Toseftha ms, Erfurt, Berachoth HI, 10, 11, so auch Juda ben Barsillai im Jezirahkommentar»).

S. 341, N. XXXIII. Vgl. Pesachim 48b ^33 bv ni"i33 und Rj»n *>33"l. Jer. Challah II 5 (58 c unt.).

S. 352, Anm. 3. KJPpVD in Hai. ged., ed. Berlin, S.643 scheint in der Tat die Bedeutung »Fluß« zu haben, wie in den Sche'eltoth. Vgl. Tossafoth Berachoth 35 a, R, Isak Sir Leon z. St., Tossafoth R. Ascher z. St. und Or Sarua I N. 326 Ende.

*) Erubin 27 a richtig mm. ■) Vgl. Kaufmann zu S. 1, Z. 6.

638 Besprechungen.

S. 385, Anm. 3 für D1K. Vgl. Kilajim VIII 5 und Kom- mentare z. St.

S. 21, N. 10-11. Vgl. Or Sarua I, N. 341 Ende und N. 678 Anf. (und II 25b unt.) Vgl. auch Jad Maleachi N. 193.

S. 55 (meine Bemerkung). Die Lesart oVitn: "ia ntPD n wird auch von Or Sarua II 162 a bestätigt.

S. 56, Z. 1. pptfa auch Ittur I 32b, o«n DD 12c, Orch. Chajjim II 509, Kolbo 157 b, 157 c. Ein Werk pptPD Win in maWJl faip D'DÖ-in ed. Lichtenberg 53a und 58b. Das. HtDl» Hai. ged., Berlin, S. 63, OS. I 160 a, Sefer ba-Eschkol (vgl. Albecks ,TUT '•ppinD "iDKD S. 11).

S. 72. Vgl. das Responsum in Or Sarua I 640.

S. 106, Anm. 2. ^n DH Hai. Oed. Berlin S. 59 (ed. Warschau 16a: pDH), Ibn Gajath II S. 6.

S. 113, N. 18. Das Responsum R. Hais ist am Ende von -Win pin zu Sabbat, Warschau 1862, abgedruckt, aber ohne Autorname. Die Entscheidung R. Hais bei Alfasi Sabbath XXII, N. 543. Vgl. noch Hai. ged., ed. Warschau, 73 b, ed. Berlin, S. 185. In pin '»nn a. a. O. noch andere Responsen Hais.

S. 114 f. Das Responsum Natronais ist nun in drei verschiede- nen Hauptrezensionen bekannt: I. Genisah und Schibbole ha-Leket N. 1 ; II. Seder Amram in Marx' Zusätzen S. 1 und 2; III. Rabiah S. 43 f. Die wichtigsten Differenzen sind folgende: 1. I zählt die Benediktionen über pS'DD, die in II und III fehlen; 2. In I fehlt die Berediktion über Wein, die II und III haben; 3. 1 zählt drei Benediktionen nach JJDIP abends, während II und III TTOSa ^ban nicht mitrechnen, da diese Benediktion nicht taimudisch ist. Pardes N. 5, Machsor Vitry S. 1, Siddur Raschi N. 1, Manhig ed. Berlin 7a, Abudraham und andere folgen der Rezension II. Rezension III unterscheidet sich von I und II dadurch, daß sie auch die agadischen Begründungen der HND niDia enthält, die in II R. Amram zu gehören scheinen und in der Genisahrezension fehlen. Da Rabiah das Responsum Natronais nicht dem Seder Amram entnommen, wie noch besonders aus der Bemer- kung S. 44a, Z. 8 hervorgeht, so ist die Ausführung Albecks in seinem SiaVKn 1D1D S. 7 f. unrichtig.

S. 115, Anm. 1. Die Lesart dieses Responsums ist sehr wichtig. Nicht nur deshalb, weil sie in keinem andern Text vorkommt, sondern besonders wegen ihrer Übereinstimmung mit dem Jeruschalmi, Berachoth IX, 1. Dies ist ein wichtiges Moment im Thema Gaonim und Jeruschalmi.

S. 195 unt. Daß der Qaon in bewußter Opposition zur Halacha entscheidet, ist ausgeschlossen; ebenso ist es undenkbar, daß ihm

Besprechungen. 639

sämtliche halachische Stellen, die Tiöni "WD ntm verbieten, entgangen sind. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als die Entscheidung des Gaon auf einen Fall zu beziehen, in dem das Arbeiten mit ungleich- artigen Tieren tatsächlich gestattet ist: wenn die Tiere nicht zu- sammengekcppelt sind. Vgl. Ascheri Hil. n1»^ N. 5 und N. 7r Tur II N. 297 und Keßef Mischneh d^Sd IX, 7. In den alten Quellen ist auch nur von HTlPp die Rede. Vgl. außer den talmudischen Quellen Hai. ged., ed. Warschau, 30 b oben, ed. Berlin, 642. Diese Einschrän- kung ist nach der gaonäischen Erklärung des Verbotes, Hai. pes- sukoth, ed. Müller, N. 10, auch sehr logisch. Wenn nun der Gaon hinzufügt: das Verbot betrifft nur W*n, so will er damit nur eine Arbeit hervorheben, die ohne Zusammenkoppelung der Tiere nicht möglich ist. Vielleicht ist auch [nniDTi] Htmn zu lesen. Ich will nur noch bemerken, daß auch Herr A. Epstein, dem ich diese Ent- scheidung des Gaon mitteilte, sofort an dreschen mit unzusammen- gebundenen Tieren dachte und auf Schenkels Bibellexikon verwies, wo das Dreschen mit frei nebeneinander trabenden Tieren erwähnt wird.

S. 219, N. 10. Die Erklärung von SsJ1? in Hai. ged., ed. Berlin, S. 36.

S. 264, N. 1. Ben Barsillai kennt zwei Responsen R. Hais über dieses Thema und macht, DTljn 'D S. 39, auf den Widerspruch zwi- schen beiden aufmerksam. Auffa.lend ist die Auffassung R. Hais in K'DB>"1 zu Berachoth 27 b oben.

S. 265, N. 2, 3. Vgl. R. Chananel in RABN. N. 169. Seine Aus- führung stimmt mit uns. Resp. überein.

S. 306. K\1 MKTrP ttJPtflfi auch ms. München Moed Katon 12b. K\1 iKDtf mn XrVJflö Berachoth 23 b oben. Zum Inhalt des Resp. vgl. Or Sarua I 218b. Vgl. noch Jebamoth 104a: n*7 ^np fWl.

S. 329, Z. 9—16. Diese Stelle findet sich in Machsor Vitry S. 636 und 637 mit dem Wortlaut unseres Responsums. Es war also auch dem Verfasser des MV. bekannt. Der Satz in MV. 636 letzte Zeile lautet: «WB «JIS^H (0 ^plDK5? »»,"1 »'3 ">:r\0 'ODKpn rPSfSt fWTJtfH, er erklärt sich daraus, daß er aus der vorhergehenden Ausführung uns. Responsums mitzitiert wurde. Zu beachten ist die Anführung: 'nöKpi.

S. 332, Z. 2—3. Vgl. 334, Z. 13—14. Die Stelle in D"n DD 14 d unt. aus dem Responsum R. Amrams, dort der richtige Text DtP^lCol. Das. N. VII. D"n DD 15 b.

S. 420. Die Stelle Zeror ha-Mor 97c ist nicht in »a geonic writing« zu suchen, sie ist nichts anderes als die Misch nah Negaim XIII 12 mit dem Komm, des R. Simson.

640 Besprechungen.

S. 423. Der Ausdruck wt fli^m ist auch sonst bekannt. Vgl. D,T JUS^n des RABD. in Schönblums C1BD TVffbV 48 b, 49a; m:B>n zu Mischneh Torah VI 2; Tur I N. 181 ; Orchoth Chajjim I 2c Anf.; Agur N. 235; Schitta mek. Berachoth 53 b v. 01P3. Wenn Q. aus dem Vorkommen des Ausdruckes D^T nXTH im Seder Eliah auf die Entstehung dieses Midraschwerkes in gaonäi scher Zeit schließt, so hat er übersehen, daß dieser Terminus in der Mischnah vor- kommt, und aus ihr im Talmud: Challah I, 9, Bikkurim II, 1 nnd Erubin I, 9. Chagigah 18 a, Jebamoth 73a und B. Mezia 52a. Vgl. Erubin 17 b.

[S. 101, Z. 1—3 (meine Bemerkung oben S. 370 f.). Die aus bx)T\) p"ip mitgeteilte Ansicht gehört dem Verfasser des wni, zu Tur III, Nr. 235, und wird von i'p bekämpft. Die mno des Qaons kennen : R. Chananel und Alfassi. Vgl. Ibn Gajath I, 34, Ittur II, 42 b, Maor zu Rosch ha-Schana 27 a, Schibbole ha-Leket Nr. 293, Alfassi Oittin VIII, Nr. 549.]

Wien. V. Aptowitzer.

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Unberechtigter Nachdruck ans dem Inhalt dieser Zeitschrift ist untersagt.

Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. BRANN in Breslau. Druck von Adolf Alkalay 8t Sohn in Preßbnrg.

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

Von S. Jampel.

1. Einleitende Bemerkungen.

Die jüdischen Inschriftenfunde, welche in den letzten Jahren in Oberägypten gemacht wurden, repräsentieren zweifellos eine archäologische Entdeckung ersten Ranges» Sämtliche bisherigen Inschriftenfunde, so groß ihr Gewinn für die israelitische Religionsgeschichte auch sein mag, werden von dieser Entdeckung aufgewogen. Hauptsächlich deswegen, weil dies die ersten Urkunden sind, welche von Juden biblischer Zeit stammen, während alle bisherigen Funde andern Völkern gehören und nur indirekt für die Bibelwissenschaft von Interesse sind. Ferner hat man es hier nicht mit für die Zukunft berechneten subjektiven Zeichnungen eines Historienschreibers zu tun, sondern mit privaten Notizen, Aufzeichnungen, Korrespondenzen u. dgl., die lediglich für ihre Gegenwart bestimmt waren und uns daher einen umso klareren Einblick in die wirtschaftlichen und religiösen Verhältnisse des biblischen Israel gewähren.

Das vor wenigen Jahren veröffentlichte Familienarchiv aus Assuan, sowie die von der preußischen Akad. d. Wis- sensch. veröffentlichten Urkunden der Judengemeinde zu Elephantine haben wir damals in der Monatsschrift1) be- handelt. Hier soll nun die neueste Publikation der General- verwaltung der königl. Museen in Berlin, welche von Ed. Sachau entziffert, transkribiert, übersetzt und mit fein- sinnigen Erläuterungen versehen worden ist, besprochen und durch einige Bemerkungen ergänzt werden.

*) Jahrg. 51, S. 617 ff.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 41

642 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

Was vorerst die uns schon seit mehr als 2 Jahren bekannte Judengemeinde der oberägyptischen Nilinsel Elephantine betrifft, so ist ihr früher bezweifelter militäri- scher Charakter dank der neuesten Veröffentlichung ge- sichert; da sie in allen amtlichen Schriftstücken als K^rn K'lliT »die judäische Militärkoionie« bezeichnet wird. Es waren jedoch, wie aus den Urkunden unzweideutig her- vorgeht, keine in einer Garnison internierte Soldaten, sondern ganz einfache Bauern und Städter, die von der persischen Regierung, welche von der Mitte des 6. bis zum Anfang des 4. vorchr. Jahrhunderts über Ägypten herrschte, mit Boden und Besitz beschenkt worden waren, wofür sie im Kriegsfalle zur Leistung von Söldnerdiensten verpflichtet waren. Ja, der ihnen von der Regierung zuge- wiesene Landbesitz hatte nicht einmal den Charakter eines Pachtgutes, sondern ist in ihr freies unbeschränktes Eigen- tum übergangen. Es war dies im Grunde nichts anderes, als eine Besiedelung der Städte, besonders der der Grenz- gebiete mit einem fremden, regierungsfreundlichen Element, das die Herrschaft der Perser dem äußern wie dem innern Feinde gegenüber verteidigen sollte. Dadurch erklärt es sich, daß auch Frauen solchen Landbesitz von der Regie- rung zugewiesen erhielten. Folgende Inschrift möge das Gesagte illustrieren.

ma nmbo matt to^a tbmiTV& 27 nar ddx nv^ 2 ora. n t*naa ibo »a^ prj.» pna« db£» /na iittm^ rinnt« navn map JiarwM üv *3nöD »» K/iaa a^a ff?n t6vi an mm xsho ja \b ian* ".'iDi '3t «n:a3 *ai« ^sa k^ pn« nr im »Am 2. Tage des Monats Epifi im Jahre 27 des Königs Darius hat Seluah, Tochter des Kenajah und Jethoma ihre Schwester gesprochen zu Jahoor, der Tochter des Schelomim. Wir haben dir gegeben die Hälfte des Loses, welches uns die Richter des Königs und Rwk, der Heeres- oberst, gegeben haben, als Tausch gegen die Hälfte des Loses, das dir und der Nehebeth zugekommen ist. An keinem

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 643

künftigen Tage sollen wir berechtigt sein, dein Anrecht auf dies dein Los vor Gericht anzufechten.«

Diese Tauschurkunde, die hier als ein Beispiel von vielen, ihrer Kürze wegen mitgeteilt ist, erregt aber auch noch anderweitig großes Interesse, da sie uns in ganz auffälliger Weise die unabhängige Stellung der Frau klar vor Augen führt.

Auch in unzähligen andern jüdischen Urkunden aus Elephantine und Assuan erscheint die Frau vollkommen gleichberechtigt mit dem Manne. »Sie verfügt über ihr Eigentum, sei es liegendes, sei es bewegliches, sie ist eine selbständige Person, schließt Verträge ab, erscheint selbst vor Gericht und hat auch im Eherecht und ehelichen Güter- recht die vollkommene Stellung einer geschäftsfähigen Person.« In der Kultussteuer-Liste der elephantinischen Judengemeinde ist fast ein drittel Frauennamen, ja sogar an der Spitze steht eine weibliche Person. Besonders be- zeichnend für die hohe Stellung der Frau ist folgende Schenkungsurkunde der Eheleute Hosejah und Jehochan an ihre Kinder, in welcher die Frau, trotz Anwesenheit ihres Mannes, das Wort führt. (Vergl. Pap. 34) «£d^i . . ►• /ras pya mb nan* jarna nit sisoa \yro n kbdsi rppaa na nma \m na rrnyo ana rh vnr\w xb »a na*n n«ra nasn p an $»3H,tk na jnjain n,ne> ua «nn»i jmn»i nwin aoa mco n*J«? na na n\i?x na en«* nnt? n*^UD na »an nnt? «na na fiutaha fjnjT* na jm^Kna ». . . und der Saluah, ihrer Tochter : da ich die Schätze und das Geld, was in dieser Urkunde ge- zeichnet ist, Euch aus Liebe gegeben habe, so habe ich jetzt den Willen, sie zurückzufordern : Wenn sie also spricht ist sie schuldig, nicht soll ihr Gehör gegeben werden. Ge- schrieben hat Ma-usjah bar Natan bar Ananjah diese Urkunde nach dem Diktat von Hosajah und Jehochan. Zeugen des Inhaltes sind fruann Sohn des f/u^Kra« usw.

Wenn die Behandlung der Frau in der ganzen Kultur- geschichte mit Recht als der zuverlässigste Maßstab für

41*

644 Die neuen Papyrustnnde in Eiephantine.

die Zivilisation eines Volkes gilt, so muß diese Hoch- schätzung dei Frau in den oberägyptischen Judenkolonien, die sich von der degradierenden Stellung des Weibes bei den alten Griechen, Römern und Germanen so glänzend abhebt, ein rühmliches Zeugnis für die Stellung der Frau im ganzen biblischen Israel abgeben. Denn eine solche in der psychischen Anlage eines Volkes begründete und das ganze ethische Leben umfassende Anschauung ändert sich nicht mit der Mode des Tages. Die Monogamie wird in all den jüdischen Urkunden Oberägyptens als selbstver- ständlich vorausgesetzt.

Folgende Darlehensurkunde, die ebenfalls von einer Frau stammt, und die auch noch den Vorzug hat, nicht nur vollständig erhalten zu sein, sondern die auch in ursprünglicher Weise gefaltet, durch Bindfaden und Siegel verschlossen und mit äußerer Aufschrift, wie mit Emblemen auf dem Siegel aufgefunden wurde, (vergl. das im b. Baba- bathra 160a über "Wipö IM, Mitgeteilte) verdient allgemein bekannt zu werden.

kd^ö *»DB,n/n« 9 n:w nrnn nvi? 5 dv «in "bozb 7 r\:vz. 5*3 »t niiT tot -q tiiwzb sm: y n j&>; -[bvo ms pvr ms« «2*j>n »ja*« nj?3i» «in 4 j^pv sps /ist >b nsn' "\üxb «ms ht^ 8 pbn F]D3 nin 1 m^ l bprb 2 pbn f]D3 *bv nsT niraiea pn «Bö pi ins in niena «n»3io rDY ««»yj «/vsna noö p nn ■pai oSt8>o /i:k nj? «*icd3 s\na »l kjvsiöi "ISD33 ^nvhxv «H- n:» vm 3nm rpa p3*> »l «ms »fc nstp/i n }3iy bz "]b npbnb \&bv "JCD33 «bo/in ny »*> nsr/i ir ji? ^si j/us py» no«i nsi4 ^noi tys ru*. niBDi «msiai "poss ■j/iö'je» -^ *ibk bin «*?i Kjvaioi "|T3i mcDi \2ijf *Jö ^npf? i^ pi po onp -fw ^>sp« bs« «bi neos n^ jid^' }ion »33 «/rsiöi ru? «sdss ^rwbv »bi n/va pi to^v D^ra ru« nmiai nst neos "]b lo^tr «^ j6i ,«rrs"iai nix «*j>i njvsiai -jcdss «be/in ny onb nsm n p"Wi pt ^>s "■*> np^o^ «bi p3 psn* p|« "|*T*3 hjt niDDi pti po onp Yby p'jap*- p**s' nnntyi jnw des nix mco *::y is */*o 3ns tys ru» meoi ppw ,vn« p y:« n^c 13 rn« n*V«i na nwi yuyi na jwi« in«* ua

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 645

1^»o ma ;mrv nana »r nrr ana icd Äußere Aufschrift:

»Am 7. Kislew, d. i. am 5. Tage des Monat Thot, im Jahre 9 des Königs Artaxerxes, hat Jehochan, Tochter des Meschullach, ja>j in der Festung Elephantine, zu Meschullam, dem Sohne des Sakkur, einem Judäer der Festung Ele- phantine, gesprochen wie folgt: Du hast als Darlehen 4 Pfund Silber, d. i. 4 gemäß den Gewichtsteinen des Königs gegeben. Ich werde es dir verzinsen mit 2 Chalur für ein Monat für ein Pfund, d. i. mit 8 Chalur für einen Monat. Wenn Zins zum Kapital kommt, werde ich dir diesen Zins- zuwachs ebenso verzinsen wie das Kapital. Wenn der Jahreswechsel kommt und ich dir dein Kapital und seinen Zins gemäß dieser Urkunde nicht gegeben habe, dann seid ihr, du, Meschullam, und deine Kinder, berechtigt, als Pfand zu deiner Sicherstellung jede Sache zu ergreifen, die du in meinem Besitze findest, ein Haus aus Ziegelsteinen, Silber und Gold, Bronze und Eisen, Knecht und Magd, Gerste und Spelt und jedes Nahrungsmittel, das du in meinem Besitze findest, bis ich dir das Kapital samt Zinsen bezahlt habe. Und ich werde nicht berechtigt sein zu dir zu sprechen: »Ich habe deinen Anspruch auf dein Geld und seinen Zins befriedigt,« solange noch diese Urkunde in deiner Hand ist. Auch werde ich nicht berechtigt sein, dich zu verklagen, vor dem Magistrat und dem Richter, indem ich spreche: »Du hast mir ein Pfand abgenommen,« solange noch diese Urkunde in deiner Hand ist. Und wenn ich sterbe, ohne daß du Geld und Zinsen erhalten hast, dann sollen meine Kinder dir Geld und Zinsen voll bezahlen. Wenn sie dies aber nicht tun, dann bist du, o Meschullam, berechtigt, jedes Pfand, das du in ihrem Besitze findest, an dich zu nehmen, bis sie dir alles bezahlen, indem sie nicht berechtigt sein werden, dich vor dem Magistrat und dem Richter zu verklagen, solange diese Urkunde in deiner Hand ist. Wenn sie doch ins Gericht gehen, sollen sie nicht Recht bekorr. -

646 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

men, solange diese Urkunde in deiner Hand ist. Geschrieben hat dies der Schreiber Nathan bar Anani, nach dem Diktat von Jehochan. Zeugen der Abschrift Hosea usw.

Äußere Aufschrift: Das ist die Geldurkunde, welche Jehochan usw. dem Meschullam bar Sakkur aus- gestellt hat.

Diese aus dem Jahre 456 v. Chr. stammende Schuld- urkunde beleuchtet wie ein heller Scheinwerfer die wich- tigsten Kulturmomente jener jüdischen Kolonien. Sie ist erstens juridisch außerordentlich interessant, da sie an Exaktheit und advokatorischer Finesse von einer modernen Urkunde kaum übertroffen wird und daher für die Rechts- geschichte besonders wertvoll ist. Sie zeigt uns ferner die Höhe des dortigen Zinsfußes *2 Chalur eine babylonische Münzenbezeichnung pro Schekel für ein Monat«, d. i. nach der wahrscheinlichsten Berechnung 24°/0 jährlich. Sie beweist ferner, daß Kinder ohne besondere kontraktliche Abmachung für die Schulden ihrer Eltern nicht herangezogen werden konnten. Der Kreditor dieser Urkunde mal 13 D^tPö begegnet uns 10 Jahre früher in den assuanischen Inschriften als Bürger jener Stadt. Ebenso finden wir den Schreiber »JJJ? na \r\i in den Jahren 440, 446, 459 wieder. Auch dem Vater des Zeugen rns!?E 12 vns begegnen wir in Assuan.

Im allgemeinen lassen diese Dokumente auch bei dieser Inselgemeinde großen Wohlstand erkennen, was wir schon aus der Beschreibung ihres so sehr luxuriös ausge- statteten Tempels deutlich ersehen konnten. Wie die assu- anischen Juden, so treiben auch sie verschiedene Handels- geschäfte, sie kaufen und verkaufen Häuser und Grundstücke. Depositen, Tausch- und Rechtsgeschäfte sind an der Tages- ordnung. Die Kenntnis des Schreibens und Lesens bei jenen Juden geht aus dieser neuen Publikation viel deutlicher als aus den assuanischen Urkunden hervor, da hier auch sämtliche »öffentlichen Schreiber« Juden sind; ebenso sind die Zeugenunterschriften meist eigenhändig.

Die neuen Papyrusfnnde in Elephantine. 647

Die hier gefundene aramäische Übersetzung des im Altertum berühmten Achikar-Romanes beweist, daß in den Häusern dieser jüdischen Kolonisten auch das Bedürfnis nach belehrender und erzieherischer Unterhaltungslektüre bestanden habe. Übrigens hat man es hier mit keiner bloßen Übersetzung zu tun. Denn die eingeschalteten Spruchdich- tungen, die den integrierenden Bestandteil dieser Erzählung ausmachen, dürfen, da sie in den sonstigen Achikarüber- setzungen nicht wiederkehren, besonders durch ihre An- lehnung an Sprüche Salomonis, wovon weiter unten als freie Schöpfung unseres Übersetzers angesehen werden. Wenn die Gelehrten, die den jüdischen Ursprung dieses im apekryphischen Tobithbuche als allbekannt vorausgesetzten Romanes bekaupten, Recht behielten (Achikar = np» n«), dann dürften wir vielleicht in dieser aramäischen Ausgabe, welche die Namen der assyrischen Könige am korrektesten wiedergibt, das Original erblicken.

Das berühmte dreisprachige (assyrisch, persisch, susa- nisch) große Keilschriftdenkmal auf der Felswand bei Ba- histun in Persien, die größte persische Inschrift überhaupt, liegt hier ebenfalls in aramäischer Übersetzung vor, und zeugt besonders für die allgemeine Lesefähigkeit jener jüdischen Kolonisten. Die Entzifferung jener enorm großen Keilinschrift, welche seinerzeit den Weg zur assyriologischen Forschung gebahnt hat, forderte damals eine langjährige mühsame Arbeit. Wäre unser aramäischer Text damals vorhanden ge- wesen, er hätte die Assyriologie rascher vorwärts gebracht.

2. Politische Verhältnisse. Durch die neuen Funde wissen wir jetzt, daß auch in Elephantine eine große persische Garnison stationiert war, an deren Spitze ein Oberst ab'n an und mehrere Hauptleute "pmö standen. Das Heer war in Regimenter fVin eingeteilt, deren jedes den Namen eines Regiments- inhabers trug. Unter den erwähnten Regimentsinhabern,

648 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

welche sämtlich keine jüdischen Titel hatten, interessiert uns der Name maiaa vgl. bei Jeremias lamaiM, der sich zum ebräischen "iscnaiaa wie na zu ja verhält, am meisten. Neben der Regimentseinteilung finden wir auch die nriRa = Hundert-Mann-Kompanien. Unter den Bewohnern Ele- phantines unterscheiden die Inschriften zwischen bil *b$2 Söldnern und rpy ^ya Zivilisten, unter letzteren wiederum zwischen jonriö städtischen Bürgern und pPJ Bewohnern ohne Bürgerrecht. Wir finden ferner dortselbst ein königl. persisches Verwaltungsgebäude «abü n*3, in welchem eine Regierungskasse RiaiR existiert, deren Beamten n Rnanen RTU genannt werden.

Der persische Statthalter von ganz Ägypten pata AHB ist jetzt DtmR, den wir aus persischen Quellen als einen Prinzen und ägyptischen Statthalter unter Darius II kennen. Der Gouverneur von Elephantine ist jetzt jrm, den wir 9 Jahre vorher als Festungskommandanten von Assuan kennen lernten. Sein Sohn pea, der früher als Gerichts- präsident von Assuan erscheint, ist jetzt Heerführer dort- selbst. Er, wie sein Vater haben, wie später noch zu er- wähnen ist, das Schicksal der elephantinischen Juden- gemeinde in andere Bahnen gelenkt.

Auch ein öffentliches Gericht, dessen Beamte als R'aas und dessen Polizisten als «'Dpi bezeichnet werden, finden wir in dieser Inselstadt. Der Terminus für das Zitieren vor Gericht pb» bv R'ipoi b*w map »ich habe Bitte und Anrufung gemacht zu unserm Gotie« (Tafel 26) erinnert an das biblische d.tj*» "in Ria» ü*nb» IV (Exod. 23). Die Eidesleistung geschieht rh^r irra »beim Gotte Jaho«, den sie, außer R'BtP rh^r, wie in Esra und Nehemia, auch nwas !T (Revue biblique XVI, 261) nannten, wodurch uns Jesajahs besondere Hervorhebug niRas: "ib D^arai (19, 18) umso verständlicher wird. Wenn die Jüdin rrnöao in den assuanischen Inschriften (5) bei der ägyptischen Göttin Sati schwört, so geschieht dies nicht aus heidnischen Mo-

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 649

tiven, da diese Juden, wie wir später sehen werden, außer dem Gott ihrer Väter nur noch semitische Götter, die sie aus ihrer palästinensischen Heimat mitgebracht haben (Jeremia 44( 16 21) verehrt haben; sondern weil sie einen Rechts- streit mit einem Ägypter vor einem ägyptischen Gericht führten, in welchem Falle im Altertum sonderbarerweise der Eid beim Verehrungsobjekte des Klägers geleistet zu werden pflegt. Vgl. Babli Sanhedrin 63 b ni»b TDK '131 nain ov nierm* ntpynp. (Vgl. ferner: Jesaj. 19, 18. und Jeremia 44, 26. 'i \i im«).

Die amtliche Verwaltungssprache in den oberägyp- tischen Kolonien war die aramäische, und zwar nicht nur unter der jüdischen Bevölkerung, sondern allgemein. War ja das Aramäische in jenen Jahrhunderten die offizielle Reichssprache der Perserherrschaft, wie es damals über- haupt eine aramäische Weltkultur gegeben hat. Der bib- lische Bericht (Esra 4, 7), wonach nichtjüdische Behörden mit der persischen Reichsregierung in aramäischer Schrift und Sprache korrespondiert haben jvoik DjnuiDi n*tn8 uro, dürfte jetzt von der Kritik weniger belächelt werden.

Das Haupt der elephantinischen Judengemeinde bildet der in diesen Inschriften oft genannte rmDJ 13 mr, der Vater des vornehmsten assuanischen Juden CHT "u JVDriö,

dem wir das dort gefundene Familienarchiv verdanken,

und Großvater der rrnö3D, der interessantesten Person der assuanischen Urkunden1). Wie alle amtlichen Schrift- stücke, die an die elephantinische Gemeinde gerichtet sind, an seine Adresse gehen, (*?k oder khvt *6ti rWTMi «tjt ^k 3'3 "? K\in3i rMT 'Kia »An Jedonjah und seine Genossen, das judäische Heer« oder »An meinen Herrn Jedonjah und die Priester in Jeb«), so trägt auch jedes offizielle Schreiben

') Das Fragment auf Tafe! 35 .TOriD1? fflJK M\:»b nnpbüb -m2 »deine Tochter, sie zu nehmen zur Ehe gestatte ich dem Mehasjahc, wird wohi der Rest eines Briefes Jedonjahs betreffs dar Verlobung seines genannten Sohnes sein.

650 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

dieser Gemeinde seine Unterschrift MmD) ,tjt Tiaj) »dein Diener Jedonjah und seine Genossen«. Die große Kultus- steuer-Liste dieser Gemeinde schließt bei der Summierung

mit den Worten rmaj 12 mr T2 in kdi» C5 *r «bds »das

i

Geld, welches an jenem Tage gestanden hat in der Hand des Jedonjah, Sohn des Gemarjah«. An der Spitze der genannten Steuerliste steht rrDMD ~\2 nnw jna na^trc, wohl die Schwester Jedonjahs.

Entsprechend dem biblischen Berichte (Jerem. 44, 1) künden uns diese neuen Funde von Judenkolonien in Ägypten auch außerhalb dieser südlichen Grenzgebiete, so in Theben Ki, Memphis 'DOD und Abydos &.2H» In der letzt- genannten Stadt scheint der hohe jüdische Staatsbeamte m:n, der Schreiber des später noch zu erwähnenden Passah- Erlasses, gewohnt zu haben. Die hohe Stellung dieses rTOÄl geht außer aus diesem Passah-Edikte. welches er im Auftrage des Statthalters und im Namen des Königs proklamiert, auch noch aus Tafel 12, Z. 7—8 hervor, woselbst gesagt wird, daß einige ägyptische Behörden den Juden in Abydos umso aufsässiger sind, »seitdem Hananjah nach Ägypten ge- kommen ist«, deutlich hervor. Außerdem ist dort von »Knappen des Hananjah« rpjjn ">ü\bv in einer Weise die Rede, die ihnen den Charakter von Polizisten oder Gerichts- dienern verleiht. Beachtet man noch folgende Momente, daß erstens dieser man an mehreren Stellen T;ü genannt wird und daß Nehemia (1, 2) ebenfalls berichtet <n«o Tri« »aan Ki:n Dxrn, ^y1 jnatrn nts^n tpim bv d^k*w n-ivro d*imki, was im Hinblick auf Esra Ö, 21—23, Nehem. 2—7 den Eindruck macht, daß auch er, wie sein Bruder Nehemia, im persischen Staatsdienste, in den syrischen Ländern oder in Ägypten gewirkt hat, und zieht man noch hinzu, daß diese Passah-Ansage nicht sehr lange nach Nehemias Ver- eidigung der jerusalmitischen Gemeinde auf das biblische Gesetz (Nehem. 10) erfolgt ist, dann wird die schon von Sichau ausgesprochene Vermutung, wonach wir es in diesem

Die neuen Papyrusfnnde in Elephantine. 651

jüdisch-persischen Beamten Ägyptens mit einem Bruder Nehemias zu tun hätten, immer wahrscheinlicher.

Noch einen anderen im höheren persischen Staats- dienste stehenden Juden, namens »jjy, lernen wir in Ele- phantine kennen. In Tafel 8 9 wird er oyia b$y\ tncn 'Jjy »Anani der Sekretär und der Befehlshaber« genannt, vgl. auch Tafel 33, 34. In der großen Petitionsschrift (Pap. 1) teilen die elephantinischen Juden dem Statthalter von Je- rusalem mit, daß sie sich in dieser Angelegenheit an die Nötabeln der jerusalemitischen Gemeinde, an den Hohen- priester Johanan und an »Ostanes, den Bruder des Anani« gewandt haben. Dieser Verwandtschaftshinweis ist für seine hohe Stellung bezeichnend genug.

Nun wird aber Tafel 12 einer der genannten »oi^j? m:n schon wenige Zeilen weiter als ':3j; oby bezeichnet, woraus zu schließen wäre, daß »MJJ und 'jjn identisch seien; zumal die Aussprache dieser beiden Kehlbuchstaben auch im heutigen Orient eine ähnliche ist. Sachaus Meinung, daß »333? übv Tin und »jjn zby nn, trotz des Zusammenhanges der Erzählung, nicht identisch seien, ist mehr als unwahr- scheinlich. Nach unserer Annahme würde der in Jerusalem zu den Führern der Gemeinde gehörende Ostanes, ein Bruder Nehemias sein, welcher wie jener, «in rpona ruwwifl neben seinen jüdischen Namen, auch den per- sischen Titel Ostan führte. Im anderen Falle wäre unser ♦333? mit dem zeitgenössischen Nachkommen Serubabels (1 Chr. 3, 24), wie schon vermutet wurde, zu identifizieren.

3. Zeitgeschichtliches.

»Im 14. Jahre des Darius II. (410 v. Chr.), als Arsam fortgezogen und zum König gegangen war, machten die Priester des Gottes Chnub in der Festung Jeb mit Waidrang, der hier Gouverneur war, eine geheime Vereinbarung fol- gender Art: Den Temnel des Gottes Jaho in der Festun«?

652 Die neuen Papyrusfunde in Eiephantine.

Jeb soll man von dort entfernen. Darauf schickte jener Waidrang Briefe an seinen Sohn Naphajan, welcher Heeres- oberst in der Festung Assuan war, folgenden Inhaltes: Den Tempel in der Festung Jeb soll man zerstören. Darauf führte Naphajan Ägypter herbei samt andern Kriegsvolke; sie kamen nach der Festung Jeb, drangen ein in den Tempel, zerstörten ihn bis auf den Grund« (Pap. 1, Z. 4—9).

Die kurze und nicht ganz einleuchtende Angabe, daß der persische Gouverneur von Eiephantine sich mit den perserfeindlichen Ägyptern gegen die im persischen Söldner- dienste stehenden Juden verbunden habe, findet ihre Er- gänzung in Pap. Euting A 3. 4. »r «noia »? nmatem fHT cp3 mn mn *nme *? ami av mion «ma a»a nay nb» aian ^ iafp poaai. »Das ist die Verräterei, welche diese Priester des Chnub in der Festung Jeb begangen haben, gemein- schaftlich mit Waidrang, der hier Befehlshaber war. Geld und Gut haben sie ihm gegeben.

Weiter erzählt dieselbe Gemeinde, daß sie, nachdem ihr Tempel zerstört wurde, getrauert, gefastet und gebetet haben zum Gotte des Himmels, »der sie hat sehen lassen, daß Waidrang die Fußspangen entfernt wurden, daß die Schätze, die er erworben hatte, zugrunde gegangen sind, und, daß alle Menschen, die jenem Tempel Böses gewünscht hatten, getötet wurden« (Pap. 1, Z. 15—17: nay n»3 *rm tro» «na .w^ j^jtai po*a«i i^n \wib ppw paai ym dj? rxun nap »» poaa bai »mkn p K^ar ip*oan rra^a -|t aarwa prtn n i^öp ^3 *]? «iuk^ tP'K3 lya »T paa ^3i na«). Mit dieser Pa- renthese weiß Sachau sich keinen Rat, er hat alles Mögliche und Unmögliche versucht, auch an Interpolationen und an eine Verschmelzung zwei verschiedener Urkunden hat er schon gedacht. Endlich sieht er sich genötigt, Z. 15—17 als einen Orakelspruch, der den Untergang Waidrangs und seines Anhanges prophezeit, anzusehen und den Inhalt dieser Zeilen trotz der durchgehend regelrechten Perfekt- form ihrer Verben, mit Futurum-exactum wiederzugeben.

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 653

Saehau glaubt Z. 15 17 nicht als historischen Bericht fassen zu dürfen. Denn, so fragt er, wie sollen die Juden- feinde schon gleich nach der Tempelschändung getötet worden sein, wenn sie jetzt, 3 Jahre später, immer noch weinen und trauern, weil die Genehmigung zum Wieder- aufbau des Tempels ihnen immer noch verweigert wird? (Vgl. Z. 19—21). Wer hat ihnen ferner diese Genugtuung verschafft? Ist vielleicht Arsam inzwischen zurückgekehrt und hat er ihre Feinde bestraft? Nun, warum wenden sie sich betreffs Erlaubnis zur Wiederherstellung des Tempels an den Statthalter von Jerusalem?

Meiner Meinung nach schwinden alle diese Schwie- rigkeiten, wenn man zur Erläuterung unseres Textes, den Papyrus Euting, der trotz seines fragmentarischen Charak- ters, in den erhaltenen Partien sehr pragmatisch ist, richtig heranzieht. In demselben berichten nämlich diese Juden unzweideutig, daß es sich bei diesem Aufrühre nicht le- diglich um eine Judenverfolgung, sondern vielmehr um eine politische Erhebung der elephantinischen Ägypter gegen die persische Herrschaft gehandelt hat. Vgl. A. 1 3 üb bano DjnJöi }pntt> »b pKö }d mm« ma «nso »t « »fto bv bin om« {«-» na «d^o tpimm 14 wva )b nrrw« nzi nsp rfc* aun »t «nea »t imvüim tt*. »Daß die Ägypter sich empört haben, wir aber haben von unserm Herrn nicht gelassen, und etwas Verderbliches konnte uns nicht nachgewiesen werden, im Jahre 14 des Königs Darius, als unser Herr Arsam sich zum König begab, das ist die Ver- räterei, welche die Priester des Chnub in der Festung Jeb begangen haben usw. Ferner B. 1 5 . . . Ein Brunnen, der errichtet war mitten in der Festung, lieferte genügend Wasser für das Heer, und wenn große Heeresmassen waren, holten sie Wasser aus diesem Brunnen. Jene Priester des Chnub haben diesen Brunnen verstopft. Wenn eine Untersuchung stattfindet vonseiten der Richter, Be- amten und Geheimpolizisten, welche über Südägypten ge-

654 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

setzt sind, wird unserm Herrn das bekannt werden, was wir gesagt haben«1).

Hier ist ganz deutlich mitgeteilt, daß es sich bei dieser Empörung um einen politischen Aufstand seitens der Ägypter handelte, bei welchem Waidrang, der königl. per- sische Gouverneur von Elephantine und sein Sohn Naphajan, der Festungskommandant von Assuan, in gewissenloser, verräterischer Weise, gegen eine Bestechung (vgl. oben "b Ö.T porm PJD3) den Feinden Persiens große Dienste ge- leistet haben. Daß nun dieser Aufstand gegen die persische Oberherrschaft, trotz Abwesenheit der Arsames, bald kräftig unterdrückt wurde, daß Waidrang samt seinem verräteri- schen Anhange hart bestraft wurden, ist mehr als selbst- verständlich. Dadurch aber wird die Parenthese in Pap. 1, Z. 15 17 sehr plausibel und alle Schwierigkeiten schwin- den. Daß übrigens schon Waidrangs Beteiligung an einer Verfolgung der im persischen Kriegsdienste stehenden Juden allein ein politisches Verbrechen gegen die persische Re- gierung bedeuten mußte, ist oben schon erwähnt worden.

Daß Pap. 1 jenes rein politische Moment nicht be- sonders hervorhebt, erklärt sich, abgesehen davon, daß dies mit dem Zwecke dieses Petitionsschreibens nichts direkt zu tun hat, auch noch daraus, daß sie dieses Ereignis drei Jahre später (Z. 30) beim Statthalter Jerusalems wohl als bekannt voraussetzen, wie dies eben in der genannten Parenthese deutlich der Fall ist.

Auf die Frage, warum die persischen Behörden, die den elephantinischen Aufstand sofort unterdrückt haben, nicht auch den Wiederaufbau des Tempels genehmigen wollten (vgl Z. 28 mao^» p jpatf Hb »tt), bietet uns schon Pap. C, der die endlich erlangte Erlaubnis zur Wiederher-

') ift s^n irpiwi*? mon »S poi »rha fta rpja n nr nxa 'fr«

*;tk },n liao y ma -^n ai:n i sr-«a pne x'o ii «*i32 m,T FT9.1 ;n bzph is-in? jjtjv BieB>ji rwnea paoo •: bwu ntibt vesn (e "isjun

Die neuen Papyrusfunde in Eiephantine. 655

Stellung dieses Gotteshauses enthält, eine befriedigende Antwort. Diese Urkunde, welche die Rückkehr Arsams nach Ägypten schon voraussetzt und, die daher keinen strikten Be- fehl, sondern eine Empfehlung an den ägyptischen Statthalter darstellt (vgl. Z. 2—3 jva «nana bv ovn& mp id'd^ puaa '131 K»ötf hb» n). »Du sollst in Ägypten sprechen vor Arsam über das Altarhaus des Gottes des Himmels usw.« besagt ausdrücklich, daß sie nur »Speiseopfer und Weihrauch* in dem neu zu erbauenden Tempel darbringen sollen1).

Daraus ersehen wir, daß seitens der persischen Be- hörden die Tieropfer in Oberägypten nicht gerne gesehen waren, was zweifellos aus Rücksicht auf die Ägypter, denen die Tiere heilig waren, geschehen ist, zumal der elephanti- nische Gott Chnum eine Widdergestalt hatte.

Auf diese Urkunde wird in einer Inschrift der neuesten Publikation wohl Bezug genommen, wenn dortselbst (Pap. 4, Z. 8 f.) gesagt wird na wna n*a . »t k."6k k.t n mitei rirus ns\A \nb nun iay;v »h lbpa uy iw jpi mn . . afp »und der Tempel des Gottes Jaho, welcher ... in der Festung Eiephantine, wie er früher war, wieder aufgebaut sein wird, und Taube, Turteltaube, Ziege . . . daselbst nicht gemacht wird, sondern Weihrauch und Speiseopfer« . . . Diese letztere Urkunde stammt ebenfalls von Jedonjah, dem Gemeinde- ältesten Elephantines und vier anderen Repräsentanten der dortigen Juden. Der Adressat ist unbekannt ; da die Inschrift fragmentarisch erhalten ist. Aus der Unterschrift rvxi* "pay »dein Knecht Jedonjah« ist jedoch deutlich zu ersehen, daß sie an eine nichtjüdische Behörde gerichtet war ; da sonst der Schreiber oairm »euer Bruder« sich zeichnet.

Der fragmentarisch erhaltene Pap. 15 berichtet von einem fernem Aufstande gegen die Juden, bei welchem auch

i) Vgl. z. 8-11 KnjiaSi xnnjüi \am,pb nw na mrota .Tjatf* "|T Krme by pmp\ während sie in ihrem Bittschreiben zweimal nach- drücklich von ftXtttyfl xroinSi xnno »Speiseopfer, Weihrauch und Ganzopfer« sprechen.

656 Die neuen Papyrusfunde in Elephaniine.

der berühmte Jedonjah und noch zwei der in der vorher- genannten Inschrift erwähnte, ums Leben gekommen zu sein scheinen. Nachdem zuerst von gefesselten Frauen die Rede ist, heißt es dann Z. 4 f. : »Siehe, die Namen der Männer, welche gefunden wurden an jeder einzelnen Türe und getötet (?) wurden... Jedonjah bar Gemarjah, Hosea Jathom, Hosea bar Natium usw, Die ferneren Zeilen scheinen von einem Schadenersatz zu reden. Da wir nun wissen, daß Ägypten schon wenige Jahre nach der obenerwähnten Tempelschändung das persische Joch endgültig abgeworfen hat, so zweifeln wir gar nicht daran, daß die oberägypti- schen Juden nachher vielen solchen Pogromen ausgesetzt waren.

4. Alter dieser ägyptischen Jaden.

Betreffs der Herkunft und des Alters dieser Kolo- nisten beschränkt sich Sachau fast ganz auf die Notiz bei Aristeas (13), die von verschleppten jüdischen Kriegern nach Oberägypten unter Psammetich II 594 89 spricht. Wenn aber nicht bloß der amtliche Bericht der elephantinischen Gemeinde an den Statthalter, sondern auch der offizielle Bescheid des jerusalemitischen und samaritanischen Paschas (Pap. 3) es besonders hervorhebt, daß die Perser bei ihrer ersten Ankunft in Ägypten zirka 540 diesen großen, fünftorigen Säulentempel schon vorgefunden haben1), so spürt Sachau selbst die Unwahrscheinlichkeit, daß jene verschleppten jüdischen Söldner in verhältnismäßig kurzer Zeit zu so wohlhabenden Gemeinden, wie dieser Tempel und die genannten Steuerlisten sie voraussetzen, sich ent- wickelt hätten. Die biblischen Notizen, welche das Vor- handensein von Israeliten in Ägypten schon im 7. bis 8. vorchr. Jahrh. voraussetzen (vgl. besond. Hosea 9, 6. Je- saja 19, 8. 27, 13) müssen jetzt die ihnen gebührende

i) Vgl. Pap. l, Z. 13 nnstpn "]i x-iux pnatob bv wwa vi\ ferner Pap. 3, Z. 5 *n3» üip fönp JWI n».

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 657

Würdigung erfahren. Jeremias hat 586 mit seiner Emi- grantenschar jüdische Kolonien in Ober- und Unterägypten bereits vorgefunden (Jerem. 44, 1. 24, 8). Wie Herodot II, 30 von den Grenzwachen in Elephantine und Daphne, an der südlichsten und nördlichsten Grenze, spricht, so er- wähnt auch Jeremias Judenkolonien in Patros = Ober- ägypten und wenn = Daphne an der asiatischen Grenze. Daß diese oberägyptischen Grenzgarnisonen meist mit se- mitischen, besonders palästinensischen Söldnern gefüllt waren, geht mit aller Deutlichkeit hervor nicht nur aus der für diesen Zweck schon verwerteten griechischen Söldnerinschrift von Abu-Simbel, sondern viel sicherer noch aus einer weniger bekannten ägyptischen Inschrift eines Chnumtempels in Elephantine selbst. In dieser In- schrift berichtet Nez-Chor, der oberägyptische Statthalter des Pharao-Hofra (vgl. Jerem. 44, 30), von den s y r i c h- palästinensischen Söldnern, »die in ihr Herz ge- geben hatten (= den Vorsatz gefaßt haben, vgl. b& 'flrui ">2b), nach Meröe (in Äthiopien) zu ziehen. Seine Majestät (== Hofra) fürchtete sich wegen der Schlechtigkeit, die sie beginnen. Ich aber befestigte ihre Vernunft durch Rat- schläge und ließ sie nicht nach Nubien ziehen, sondern führte sie zu dem Ort, wo seine Majestät war.« Daß eine solche Söldnerschar Elephantines unter Psammetich wirklich nach Äthiopien gezogen und sich dort niedergelassen hat, berichtet Herodot a. a. 0. An solche Überläufer denkt wohl auch Jesajah 11, 11, wenn er von den versprengten Juden in »Pathros-Südägypten und Kusch« spricht1) undSe- charjah 10, welche Prophezeiung auch von jüdisch-ortho- doxer Seite Secharjah 1, dem Zeitgenossen Jesajahs, zuge- schrieben wird (vgl. Jawitz, Gesch. Israels II 198). Die von

*) Daß auch unsere Kolonisten in Elephantine, Assuan usw. nach Ägyptens Befreiung von der Perserherrschaft sich in Ägypten nicht halten konnten und wahrscheinlich wie die Israeliten, von denen Jesajah spricht, und die Palästinenser, von welchen in der ägyptiseheD

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 42

658 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine

diesen oberägyptischen Juden verehrten Gottheiten, wie ^K/va DiV ,^K/va d»k ,V«n*a Bin (vgl. unten S. 662) weisen auf nordpalästinensischen Ursprung hin und lassen so die Schlußfolgerung zu, daß wenigstens der Kern dieser Juden dem nordisraelitischen Reiche entstammte. Jedoch sind solche Folgerungen nur mit großem Vorbehalt zu ver- werten.

5. Religiöse Zustände.

Die elephantinischen Funde lassen uns bei den ober- ägyptischen Judenkolonien eine Vertrautheit mit den bi- blischen Schriften deutlich erkennen. Das interessanteste Beispiel hierfür ist der Papyr. 6 der neuesten Publikation, welcher ein Passah-Edikt enthält. Diese unschätzbare außer- biblische nDD-Urkunde aus biblischer Zeit lautet wörtlich folgendermaßen:

unlesbar 1.

trn^K tik ubv man aain« jpwp «Vn ntms\ n»jv 2.

bis wbv «a^B ja «3^o ttnmm 5 nw k? xnw nyDi 3.

.Dann

. . . 3iK üb ja d/uk nya ... 4.

. . . b 21 dv iv 15 dt jbi m . . . 5.

. . . « nTay nrnmi wi pn ... 6.

. ... K im .... t dihjb $»ai vwn b . . . 7.

JD*^> 21 DV 1J? KtPBtP 3-IP0 ... 8.

. . . 'or pa lonm oa^i/ia . . . 9.

. . . « ... 10.

man nain« «mir «^n nniaai rwrp »n* . . . 11.

1)

2) Jedonjah und seine Genossen, die judäische Mi- litärkolonie. Euer Bruder Hananjah. Das Heil meiner Brüder mögen die Götter

Inschrift und bei Herodot die Rede ist, nach Äthiopien geflohen sind, ist mehr als wahrscheinlich. Vielleicht sind sie gar die Vorfahren der heutigen Falaschas?

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 659

3) und nun in diesem Jahre, dem Jahr 5 des Königs Darius, ist vom König an Arsam geschickt worden

4) jetzt sollt ihr nun also zählen vier? vierzehn?

5) und vom 15. bis zum 21. des

6) seit rein und vorsichtig Arbeit

7) (nicht) trinkt und jede Sache, in der Sauerteig

ist

8) vom Sonnenuntergang bis zum 21. Nissan

9) geht zu eueren Häusern und macht Schluß zwischen den Tagen

10)

11) Meine Brüder, Jedonjah und seine Genossen, die judäische Militärkolonie. Euer Bruder Hananjah.

Dieses Dokument, welches aus dem 5. Jahre des Darius (Z. 3) stammt und somit noch älter ist als das früher publizierte große Petitionsschreiben der elephantinischen Judengemeinde an den Statthalter von Jerusalem, das vom POTWi H riW stammt, läßt bei seinem Verfasser die Be- kanntschaft mit dem bibl. Text mit Sicherheit erkennen. Die Worte v&w anpa und tjyjuia l^ltt (Z. 8, 9) sind Paral- lelen zu der diesbezüglichen biblischen Stelle war aiya WDtffi und yhmb rafell (V. B. M. 16, 6. 7) Z. 5. 8. av jm 15 dv iv 21 gibt II. B. M. 12, 18 IV 'Mi er wy nj?3"»a B'wm *rn«n mit einer kleinen, aber beabsichtigten Änderung wieder. In dem erwähnten Gesuch an den jerusalmitischen Pascha, Bagoes, sind die Worte (Z. 21) o*rp "j^ mrr Plpun IK13& nh& ebenfalls ein Zitat aus Deuter. 24, 13. Die der genannten Achikar-Erzählung eingeflochtenen didaktischen Sprüche lassen ihren biblischen Ursprung deutlich erkennen. Vgl. z. B. Pap. 53, Z. 3 -ion [a *na ■pmnii bx Z. 4 -pana« p man *b na Pap. 54, 4 -pa im «noaa ^a (a zu Spr. Sal. 13, 24. 4, 23 .... . Ebenso kann die genaue Übereinstimmung der Opferarten nSiyi rutii Piruo und rmi^pi «naia^i «nna in Pap. 1, Z. 21, 25 mit Esra 6, 9. 7, 17 keine zufällige sein. Meiner Meinung nach bedeutet das rätselhafte nrnPM fl*TOV

42.

660 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

welches Z. 11, Pap. 1 unter den elephantinischen Tempel- räumen und Tempelgeräten aufgezählt wird, nichts anderes als »Kasten des Heiligtums«, da »mw aramäisch »Kasten« und nr.tt'K assyrisch und kanaanäisch »heiliges Gemach« oder »Glückseligkeitsort«, hebr. w«, n»K bedeutet. Dieser »Kasten der Heiligkeit« würde dem in allen Synagogen seit den ältesten Zeiten postierten empn p«, der die biblische Gesetzesrollen birgt, entsprechen1). Das alles, besonders aber die Bezugnahme auf pentateuchische Vorschriften, ist im Hinblick auf Nehemia 8, 14, welches Ereignis sich nur sehr wenige Jahre vor der Abfassung unserer Passah-Ur- kunde und der Petition in Pap. 1 zugetragen hat, und welches für die bibelkritische Deuteronomium- und Priester- kodexhypothese von Wichtigkeit ist (vgl. zu Nehem. das. 11. B. M. 23 und V. B. M. 16) außerordentlich beachtens- wert. Die offizielle Passah-Ansage beweist keineswegs, daß dieses Fest den oberägyptischen Juden bis dahin ganz unbekannt war, wenn auch die nähere Angabe betreffs des Nichtgenießens alles Gesäuerten mehr, als die alljährlich üblichen kalendarischen Proklamationen in Jerusalem und die Verkündigung derselben im Auslande, zu sein scheint. (Vgl. Rosch ha-Schanah 21 b und bezüglich Ägypten, jer. Erubin c. 111. (Schluß) fol. 21a. Das Passahfest, bei dem die besondere Berücksichtigung des Monats der Ährenreife verlangt wird (V. B. M. 16, 1) hat bekanntlich eine solche Mahnung durchaus erfordert.

Was ferner das religiöse Bewußtsein der oberägypti- schen Juden betrifft, so ist die tiefe Frömmigkeit, welche aus der erwähnten Petition an den Statthalter von Jerusalem spricht, schon oft bewundert worden. Ihr zweimaliges Be- tonen, daß sie seit drei Jahren, seit der Zerstörung ihres

*) Wenn merkwürdiger Weise gerade die große Hieroglyphen- inschrift des Chnuntempels bei Elephantine, die nicht über das 4.-5. vorchr. Jahrhundert hinausreicht, den biblischen Bericht von den 7 Hungersjahren kennt, so dürfte dies auch kein Zufall sein.

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 661

Tempels »Trauerkleider tragen, fasten und beten, keinen Wein trinken, sich nicht mit Öl salben, und daß ihre Frauen den Witwen ähnlich seien« (Pap. 1, Z. 15, 19), wie ihr flehentliches Bitten um die Genehmigung zum Wiederaufbau dieses Tempels (ibid. Z. 22—30), wird niemand als eine Heuchelei bezeichnen.

Aber gerade diese wohltuende, warme Religiosität, diese Anhänglichkeit und Liebe zum Tempel ihres Gottes Jaho (im ist es, die uns diese Papyrusfunde zu der für die israelitische Religionsgeschichte bedeutsamsten Entdek- kung, die je gemacht worden ist, stempelt. Denn das schwierigste Problem der ganzen biblischen Geschichte findet durch sie eine ungeahnte Lösung. Der auffällige Widerspruch zwischen Gesetz und Propheten, dem gegenüber die tra- ditionstreue Bibelforschung seit Jahrtausenden in der größten Verlegenheit ist, findet durch diese Urkunden der biblischen Zeit seine ganz natürliche Erklärung. Die radikal-kritische Bibelforschung dagegen, die auf Grund jenes Widerspruches die ganze biblische Religionsgeschichte auf den Kopf stellt, die aus dem ungeschwächten Fortbestehen des Götzen- dienstes während der ganzen biblischen Periode auf das Nichtvorhandensein des biblischen Gesetzes schließen zu müssen glaubt, verliert durch diese Inschriftenfunde ihren letzten Halt.

Den Vorfahren dieser oberägyptischen Juden wirft Jeremias (44) ihren Götzendienst vor, den sie, trotz inniger Verehrung des Gottes ihrer Väter (42), dem greisen Pro- pheten gegenüber offen verteidigen, und von welchem sie keinesfalls abzulassen gedenken (44, 15—19). Es wäre da- nach verwunderlich, wenn diese oberägyptischen Juden jetzt, kaum 2—3 Generationen nach Jeremias, uns schon als reine Monotheisten entgegentreten würden. Tatsächlich ist dies nicht der Fall. Wie Hananjah, der Schreibendes Passahediktes, seine Grußformel mitten Worten] TiK?otar X7ii?K »nach dem Heile meiner Brüder mögen die Götter... i

662 Die neuen Papyrusfunde in Elephantine.

einleitet, so schreibt auch der Jude pia na nbo' (Pap. 43), ebenso der Jude Hcsea an die Jüdin m^p (Pap. 13) RS1&H p]? ^>33 TtJ^tr i^KE" ^3 »die Götter alle mögen dich be- grüßen^ In Pap. 27 sagt der jüdische Kläger rva?^ na rra^D zu seinem Gegner ^«naö-in hv 1^ *y* rra^o kjk» >Ich Malkija verklage dich beim Gotte ^«/laoin, und Pap. 32 berichtet niBK^ vrai&ai run» \n: na D^trc& str oite na enjo. »Menachem usw. hat geschworen den Meschullam usw. bei dem Heiligtum und bei Anatjeho« (wiUP ist eine gedachte Verbindung des tf* mit der Kriegsgöttin roy# vgl- »n diesen Inschriften die Eigennamen fian* na |W £>8/o und ia {njsin pubttfia, ferner die Namen ntffatffa, apy^a). Vgl. auch Tafel 15 uwp Wfbut "iy TJfli ?]f»»a ah? nifl »Hier das Heil deines Hauses und deiner Kinder bis die Götter verkünden. <

Die schon genannte Kultussteuerliste, welche einge- leitet wird mit den Worten P]ca AT n n*w K^n nnctP ruf« *»nb» Ivb »das sind die Namen der judäischen Militär- kclonie, welche gegeben hat Silber für den Gott Jaho« schließt mit der Summierung b*fczmb ,6 bpv 12 Jena vtb «3 12 {Ena ^«na MJ^> ,7 jtma »darin sind für Jaho 12 Keresch und 6 Schekel, für Vxna Dtrs 7 Keresch, für b»r\n nv 12 Keresch. 6«na r\:? ist wie VPJUP gebildet, ebenso ist DtPK ^«na eine Verbindung des Gottes jett»« oder as'*»* (II Kön. 17) mit dem Gotte btt/D. Der Eigenname »YB ctr« entspricht dem maiaa und ci DtfK dem bibl. a*nrr).

Diese zahlreichen Beispiele lassen betreffs des Poly- theismus dieser oberägyptischen Juden auch nicht den leisesten Zweifel mehr bestehen.

Worin besteht nun aber die so außerordentlich wich- tige Lehre, welche die biblische Religionswissenschaft aus diesem Momente ziehen soll? Wir wußten von jeher aus den Berichten der Königsbücher und den Reden der Pro- pheten, daß die biblischen Israeliten neben dem Gotte ihrer Väter auch andere Götter verehrt haben. Es war uns aus der Bibel auch stets klar, daß dieselben Israeliten, trotz

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ihres polytheistischen Gebarens, den biblischen Gott als den höchsten anerkannt haben, wie diese oberägyptischen Kolonisten, die, trotz der vielen von ihnen verehrten an- deren Gottheiten, den Gott Israels k»b» nnhx nennen. Wir wußten aber auch, daß sie jene außerisraelitischen Gott- heiten, trotz ihrer genauen Bekanntschaft mit dem biblischen Gesetze verehrt haben, und doch konnten wir dies der unfehlbaren, extremradikalen Kritik gegenüber nicht beweisen. Diese unschätzbaren Urkunden aus biblischer Zeit haben diesen eklatanten Beweis zum erstenmal, zur Evidenz geliefert. Die hyperradikale Kritik wird jetzt anerkennen müssen, daß sie den Einfluß des biblischen Gesetzes auf das religiöse Leben des alten Israel ganz falsch eingeschätzt hat. Sie wird vielmehr zu- geben müssen, daß aus der Nichtbeobachtung eines bibli- schen Gesetzes keineswegs auf das Nichtvorhandensein dieses Gesetzes geschlossen werden darf. Diese unwider- legbaren Zeugen aus der biblischen Periode haben jene fast naiv zu nennende Grundanschauung der ganzen evolutio- nistischen Methode zu schänden gemacht und endgiltig gezeigt, daß keineswegs eine u n ü berbr ü ckbare Kluft zwischen den pentateuchischen Gesetzen einer- seits und den Berichten der Königsbücher und den Worten der Propheten andererseits besteht. Wenn die elephantinischen Juden, nach den Berichten in Pap. 1—2, fasteten, weinten und den Gott des Himmels anflehten, daß ihnen bald vergönnt sein möchte, Speise-, Weihrauch- und Brandopfer in ihrem Tempel darzubringen, was soviel heißt, als: Gott möge ihnen dazu verhelfen, das im 3. und 5. Buche Mosis dutzende von Malen wieder- holte Verbot des Opferns außerhalb des Zentralheilig- tums möglichst häufig zu übertreten: so hat dieses Moment in der theologisch-wissenschaftlichen Welt einen wahren Sturm erregt. Die Radikalen sind überzeugt, daß das 3. B. M. damals kaum entstanden und das 5. wenigstens bei

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diesen ägyptischen Juden noch nicht zur Geltung ge- kommen sein könne. Kein geringerer als Nöldeke hat sich nach fast vierzigjähriger Weigerung, auf Grund dieser Ur- kunde veranlaßt gesehen, Wellhausens Priesterkodex- Theorie höflichst zu akzeptieren, während die Konserva- tiven zu den verzweifeltesten Ausflüchten gegriffen haben. Wie würde doch unser Freund Hananjah, der in seiner Passah-Ankündigung das 2. und 5. B. M. wörtlich zitiert, während er wenige Zeilen vorher die Adressaten im Namen der Götter grüßt, sich höchlichst amüsieren über diese Freudensausbrüche und Schreckensszenen im Kreise un- serer protestantischen Bibelforscher anläßlich der Worte und Wendungen, die in seinen Tagen so landläufig und selbstverständlich waren.

Freilich die Lösung des religionspsychologischen Rät- sels von der Harmonie der denkbar schroffsten Gegensätze im Geiste der biblischen Israeliten haben wir von diesen Urkunden nicht zu erwarten. Wir können diese rätselhafte Erscheinung in allen Perioden der Religionsgeschichte, wie auch im religiösen Leben der Gegenwart wahrnehmen. Wie es psychologisch begreiflich ist, daß man moralische For- derungen aus Gründen moralischer Schwäche unbeachtet läßt, ebenso denkbar ist es, daß man aus abergläubischen Motiven, oder sonstigen subjektiven Meinungen, religiösen Glaubenssätzen gleichgültig gegenübersteht. Wenn der Talmud und die religiöse Literatur des Mittelalters der von allen Propheten dem Götzendienste gleichgestellten Astrologie huldigten, weil sie den herrschenden Anschau- ungen ihrer Zeit nicht widerstehen konnten, warum soll David nicht aus ebensolchen Motiven die segenspendenden Teraphim in seinem Hause geduldet haben, warum sollen nicht unsere Kolonisten, unbeschadet ihres Glaubens an die unfaßbare, überweltliche Erhabenheit des tro» nnbx, auch den Untergöttern manchen Einfluß auf bestimmte Naturkräfte zugetraut haben? Sicherlich haben sie diesen

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. 665

sekundären Gottheiten, denen sie vielleicht nur den Cha- rakter von höheren intelligiblen Substanzen verliehen haben, keine uneingeschränktere Gewalt, als die Kabbala dem Metatron, zuerkannt. Und wer wollte wagen, die Kab- balisten nicht für Monotheisten zu halten! Wenn der orien- talische und osteuropäische Jude, im Notfalle die Zauberin aufsucht, ohne sich um die diesbezüglichen biblischen Ver- bote zu kümmern, warum sollte nicht Saul, der, der bibli- schen Vorschrift gemäß, die Totenbeschwörerinnen und Zauberinnen ausrotten ließ, in der Not die Hexe von En-dor aufgesucht haben, und warum sollen ferner die »in Elend und Hunger vergehenden« jüdischen Frauen in Ober- ägypten nicht der »Königin des Himmels« geräuchert haben?

Wenn wir einerseits berücksichtigen, daß Jeremias den Polytheismus der Eltern und Großeltern unserer Ko- lonisten, sowohl seinem Charakter wie seinen Motiven nach, dem ihrer palästinensischen Vorfahren gleichstellt (Jerem. 44, 3. 8. f 15 21), und andererseits bedenken, daß diese Juden, welche Jeremias schon am Beginne des H. vor- chr. Jahrh. vorgefunden hat, und die die exilische Läuterung nicht erfahren haben, für uns das vorexilische Israel re- präsentieren und uns eine klare Illustration biblischer Po- lytheisten bieten, so müssen wir, ohne uns zu schämen, eingestehen, daß das religiöse Niveau jener Polytheisten von uns ungerechterweise viel zu tief eingeschätzt worden ist.

Wahrlich, eine so grelle Beleuchtung biblischer Ver- hältnisse durch zeitgenössische Urkunden übertrifft alle unsere Erwartungen. Mögen daher unserer Religionswissen- schaft noch viele solcher Funde vergönnt sein. Und mögen auch unsere tonangebenden Religionshistoriker endlich an- fangen umzulernen und ehrlich zuzugestehen, daß die trad itio n e 1 1 e Auf f ass u n g der altisraeliti- schen Religionsgeschichte voll und ganz ge- rechtfertigt ist.

Eine unbekannte jüdische Sekte.

Von Louis Ginzberg".

I.

> Israel wanderte nicht eher ins Exil, als es in vier- undzwanzig Sekten zerfiel«. Abgesehen von der Zahl vier- undzwanzig, die man wohl als eine haggadische Lizenz1) betrachten darf, enthält dieser Ausspruch R. Jochanans*) eine tiefe Wahrheit. Der Untergang des jüdischen Staates ist nicht allein der Eroberungspolitik der Römer3) zuzuschreiben, sondern auch dem Parteihader und Sektenhaß der Juden, die ihren Staat aus den Fugen hoben, lange bevor ein römischer Soldat den Boden Palästinas betrat. Die Kämpfe zwischen den Pharisäern und Sadduzäern sind die einzigen sicheren Daten in der inneren jüdischen Geschichte während des Jahrhun- derts, welches der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 voraus- ging. Die Gegensätze aber, weiche diese Kämpfe heraufbe- schworen, sind uns äußerst mangelhaft bekannt.Dierabbinische Tradition sieht im Sadduzäismus nichts anderes als einen Abfall von der wahren Religion, deren Träger die Pharisäer waren. Für den modernen Historiker dagegen ist der Gegen- satz zwischen Pharisäern und Sadduzäern der zwischen einer kirchlichen Partei und der weltlichen Macht. Da nun der Talmud und Josephus, bisher die einzigen Quellen für unsere Kenntnis des Parteiwesens, pharisäische Tendenzen ver-

*) Vgl. R. Hai Oaon in 'Aruk s. v. 1DJ?, der schon die Bemer- kung macht: KDnjl "»KSH pB^S TS nöHp-p, vgl. jedoch Responsen, ed. Harkavy, 281.

») Jer. Sanhedr. IX, 29c.

z) R. Jochanan spricht zwar von dem ersten Exil, aber für Kenner der Haggada bedarf es keiner Beweise, daß die Haggada in ihrer Darstellung des zweiten Exils biblisches Material verwendet.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 667

folgen, so würden ihre Angaben auch dann nicht für eine wahre Beurteilung der Parteiverhältnisse ausreichen, wenn sie bestimmter und reichhaltiger wären als sie es sind. »Au- diatur et altera pars« ist die erste Bedingung für das richtige Urteil des Richters wie des Historikers, und so lange man diese Bedingung nicht erfüllen kann, muß man mit seinem Urteil zurückhalten.

Sind unsere Kenntnisse der drei großen Sekten, der Pharisäer, Sadduzäer und Essäer als mangelhaft zu bezeichnen, so sind uns die vielen Unter- und Nebenströmungen der- selben nicht einmal dem Namen nach bekannt. Die Anhänger dieser Richtungen erscheinen in der talmudischen Literatur unter den kollektiven Bezeichnungen cra oder n'Jian, so daß uns jede Möglichkeit genommen ist, die Individualität dieser verschiedenen Richtungen kennen zu lernen1). Nichts wäre geeigneter unsere Unkenntnis des Sektenwesens zu veranschaulichen, als wenn wenigstens einige zusammen- hängende Blätter aus der Hand eines alten Sektierers zu uns gelangten.

Diese Überraschung ist uns nun in der Tat zuteil geworden. Die Genisah zu Kairo, diese große Fundgrube literarischer Schätze, hat uns eine Schrift2) aufbewahrt, in der wir zum ersten Male die Stimme eines Sektierers ver- nehmen, und die von nun an zuerst gehört werden muß, bevor man über das jüdische Sektiererwesen sprechen will.

Professor Schechter, der glückliche Entdecker dieses Schatzes, nennt diese Schrift: »a Zadokite Work« und gibt in der Einleitung zu derselben seine Gründe für diese Be-

]) Daß pa manchmal Juden-Christ ist, steht fest, aber ebenso sicher ist es, daß häufig dasselbe Wort ganz etwas anderes bedeutet

*) Der volle Titel ist: Documents of Jewish Sectaries vol. I. Fragments of a Zadokite work, edited from Hebrew manuscripts in the Cairo Genizab Collection . . . and provided with an English Transla- tion, hitroduction and Notes by S. Schechter Cambrigde University Press 1910.

668 Eine unbekannte jüdische Sekte.

nennung. Ich werde in einem besonderen Abschnitt über die Sekte sprechen, deren Credo in diesem Fragment nieder- gelegt ist. Bei dem argen Zustande aber, in welchem diese Schrift sich befindet, halte ich es für richtig, zuerst den Text genauer zu untersuchen und dann zur Diskussion desselben überzugehen.

II. Manche in den folgenden Abschnitten vorgeschlagene Emendationen zu unserem Texte1) setzen die demselben eigentümliche Orthographie voraus, weswegen es sich em- pfiehlt in Kürze auf diese Eigentümlichkeiten hinzuweisen.

A) Für o wird in folgenden Fällen 1 gesetzt;

1. der Infinitiv constructus des Kai wird beinahe immer2) plene geschrieben: 8, 5 tib-ji oipji; 6, 18 moe^i; 6, 21 wrrhx; 6, 16 b)nbv, 2, 15 dik^i ,-nm^i; 1, 7 b>it^; l, 14 mopa;, 5, 5 -nnj?; 8. 6 nu#i; 12, 6 -pott^»; 11,1 pmS; 10, 8 DlBtt6.

2. die Nomina segolata haben einige Male l wo die Massora nur die defekte Schreibart kennt: 4, 12 pin; 12, 1 «nip; 4, 6 enipn; 2, 5 mo; 2, 4 am; 1, 7 «nw;

3. das Imperfect Kai wird beinahe immer plene geschrie- ben8): 8, 3 -potpn; 9, 2 -man oipn; 3, 3 iidb»i; 16, 13 ivr; 13, 12 $>wd<; 12, 13 tfiain; 12, 10 iioö»4).

B) Füre findet sich » in folgenden Fällen: 3, 16 ntty; 2, 7 fiö^D; 2, 6 jvvkip; 1, 13 mniD; 13, 1 m*K*oi; 5, 14 DiTS'3; 5, 14 »jpa: 9, 23 DTP; 1, 9 D'trtPK; 6, 20 tmm*03; 4, 6 bmtbi.

C) Für o steht l in Fällen wie: 11, 1 rtoip; 8, 2 DlpieV; 12, 9 wn»; 1, 3 o^jnaa6); 14, 6 ontfi^6).

*) In Betracht kommt nur Fragm. A, während B in den meisten Fällen der massoretischen Schreibart folgt.

*) Nur 6, 10 noj? und 7, 9 ipes bilden eine Ausnahme.

4) Neben 13D\ das aber vielleicht "i?D^ zu lesen ist; vgl. weiter unten die Erklärung dieser Stelle.

*) Vgl. jedoch 14, 6 "tpBv

6) Gegen die Massora haben Sifri und Sifri Z. in Nutn. V, fr b^üh für työS.

6) Daneben aber auch 14, 4 crwbvl

Eine unbekannte jüdische Sekte. 669

D) Für u steht l in: 2, 11 trina»; 11, 23 rfrü; 5, 12 yn; 2, 9 noin, wobei zu bemerken ist, daß in allen diesen Fällen Dagesch forte folgt1).

Ebenso steht für i ' bei folgendem Dagesch forte in: 4, 8 fcnn; 1, 6 wrh; 16 6 (?^jn) bw, 3, 9 Drmtt'Ji.

In einem Falle2) 4. 20 D'tPem sogar ohne daß darauf ein Dagesch forte folgt. Auffallend aber nicht beispiel- los sind 1, 9 D**nM'ö5l und 8, 5 -ntrj wo » für Schewa ge- braucht wird.

Trotz der Vorliebe für die volle Schreibart finden wir auch defektive Schreibarten, wo die Massora immer oder vorwiegend plene hat wie: 9, 10 D'tactyn; 10, 18 P~!; 11, 21 epl* und ebenso 10, 9 v? sowie 11, 2 i?£sr\ Zu den weiteren orthographischen Eigentümlichkeiten unseres Fragments ge- hören die Auslassungen der Plural- und Feminin-Endungen der Nomina sowie der Suffixe: 5, 7 bnao 0'^H3ü; 5, 13 p*?3) = mpn; 4, 18 kbö = riKBB; 2, 6 Vjn = rtan; 12, 8 •W2n = JVinn; 2, 9 Tay» = oiaya» Nach aramäischer Ortho- graphie findet sich 6, 7 »M für am» während 2, 3 n"»in die im Neuhebräischen gebräuchliche Schreibart für ,T*nn ist.

III. 1, 2: rat«3D ^>33 ntrr ödtpöi. Der Hinweis S. auf Gen. 18, 25 taotfo rwjP ist nicht ganz genau, denn an dieser biblischen Stelle bedeutet '»ö 'V »Gerechtigkeit üben«, während es an unserer Stelle mit »Gericht vollziehen« zu über- setzen ist, wie auch S. richtig »execute judgement« hat. Die biblische Parallele zu diesem Gebrauch von '»ö y ist Ps. 149, 9 bb#b DH3 rrwyh und daher auch an unserer Stelle mit 3 konstruiert.

») Auch im Ben Sira wird in zahlreichen Fällen 1 geschrieben. Vgl. Smend. Einleitung.

2) Vgl. auch 13, 11 lSawi, wofür auch fov* zu lesen ist.

3) Im Text Wt, wahrscheinlich aber stand ursprünglich 'p"1 und haben die Abschreiber den Strich über dem p, der die Abkür- zung andeuten sollte, für ein 1 angesehen.

670 Eine unbekannte jüdische Sekte.

1, 5: 'Ol m«ö wbw D'W. Trotz on»y ö\w lj 10 und o*yai« o*:»3 20, 15 ist der Gebrauch von o*jb> in diesem Verse höchst befremdend, da die Zeit durch den folgenden Satz djyik i/vr6 näher bestimmt wird und man daher r\w erwarten würde.

1, 7 : nirao eni» . . . noan. S. möchte mit Rücksicht auf Jes. 60, 21 *) lyoo «hm lesen, aber unser Verfasser hat wohl an Jer. 12, 2 ibm» DJ onyüj gedacht, und man über- setze daher, »und er ließ hervorsprießen aus Israel und Aaron die Wurzel, die er gepflanzt hat«. In den Jahren des Leidens konnte Israel sich nicht entwickeln, es existierte nur als eine Wurzel ohne Zweige und Früchte; erst nach dem Ablauf der Jahre des Leidens konnte es sich entfalten. Unser Verfasser spricht hier nicht wie S. Einleitung 12 annimmt, von einer bestimmten Person, etwa dem Stifter der Sekte, sondern vom ganzen Volke, das er näher als Israel und Aaron bezeichnet. Daher auch pfiKöi ^itfo man, während der Messias ^K"it»>oi priKS rrtra ist. Sprachlich ist zu ju*BD enw noch zu bemerken, daß im Talmudischen nyoo = biblisch yüö ist, und daß ferner in diesem Fragment die Suffixe häufig unbezeichnet bleiben, so daß fiyos so viel wie myco ist.

1, 12: pirm TVT3 rTtt>y itt» /1K. S. ist vollständig im Rechte die Worte jnriK insfür einen Schreibfehler zu erklären, da doch kaum anzunehmen sei, unser Verfasser hätte ge- schrieben »und er verkündete den spätem Geschlechtern was er dem spätem Geschlechte tat«, wo doch das spä- tere Geschlecht sicher für eine frühere Zeit steht als die späteren Geschlechter. Jedoch ist S. Emendation pcxi "iH3 kaum haltbar, denn abgesehen davon, daß sich nicht gut erklären läßt wie aus \vtnn, \nnx entstand, kann ptrtfi im kaum »former generation« bedeuten wie S. übersetzt, dies würde heißen oma^D rrn -f« nna. Man lese daher ina pin »das Geschlecht des Zornes«, die Zeit des Leidens

*) So das Ketib, das Kere "VüO.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 671

ist für unsern Verfasser die Zeit des Zornes. 1,5 und das Geschlecht, über welches Gott das Leiden sandte, ist das Geschlecht des Zornes, denn nur als Folge des göttli- chen Zornes ist für unsern Verfasser ihr Leiden erklär- lich. Der Ausdruck pin in entspricht genau dem biblischen vnap in Jer. 7, 29, während « das in pin« für pin dem vorhergehenden D'jnn« sein Dasein verdankt1). Möglich wäre es auch, daß \nm Tria ein Doublette zu iwrwt* wnnfr ist, indem neben der Leseart 'n« "ib X?"n*i eine zweite '12 FtV"\ •n* bestand, die dann beide in den Text gerieten. Jedoch ist die Verschreibung von pin in zu pin» '1 sehr leicht erklärlich, und wir dürfen daher pin in als den korrekten Text betrachten.

1, 15: ata »0*0. Ähnliche Ausdrücke für falsche Lehren sind D'jnn O'a »schlechtes Wasser« im Spruche Abtalions Abot. 1, 12 und amay o*a2j »getrübtes Wasser«, Sifre Deut. 48 = Midrasch Tannaim 42. Wie in den rabbinischen Quellen so ist auch in unserem Texte unter »trügerisches Wasser« falsche Lehre seitens jüdischer Lehrer zu verstehen und nicht etwa heidnische Lehren; der pi6n #»« ist demnach sicher ein jüdischer Gegner der Sekte und nicht etwa Anti- ochus Epiphanes, der die Juden zum Abfall von ihrer Reli- gion zwang. Auch der Ausdruck Ppsn deutet darauf hin, daß der b*bb vgl. 4, 19 ein falscher Lehrer sei, denn auch in der Schrift wird ipan nur von den Propheten, falschen wie wahren, gebraucht.

1, 15: d^ij? mnaji nvnfrt Dieser Ausdruck ist nicht wie S. annimmt Jes. 2, 11; 17 entnommen, denn an diesen Stellen bedeutet dik nvai der Stolz des Menschen, was hier gar keinen Sinn gibt, sondern ist Hab. 2, 6 oby /vyaj m# nach- gebildet. Jedoch ist es nicht nötig /maa in myaa zu ändern, da unser Verfasser ziemlich häufig kleine Änderungen in

i) Vgl. auch Ps. 95, 10—11.

») Meiri Abot 1, 12 zitiert aus Sifre die vom Midr. Tannaim ge- botene Leseart.

572 Eine unbekannte jüdische Sekte.

den biblischen Zitaten sich erlaubt. Man wird übrigens nicht fehl gehen, wenn man n1n?? von ^^a »Höhe« liest und nicht rnnaj, obwohl biblisch wie mischnisch ^ dafür gesagt wird.

1, 16: b)2) V"D% Mit Rücksicht darauf, daß es in der Schrift nie anders als •} Tut] heißt - Deut. 19, 14; 27, 17; Hos. 5, 10 und Spr. 22, 28 sowie daß unser Verfasser 5, 20 selbst von den 'jn »roa spricht, wäre man ge- neigt jtd^i in yob) zu emendieren. Es ist jedoch nicht aus- geschlossen, daß hier absichtlich jron für ron gebraucht ist, denn dies drückt den Gedanken des Verfassers, der den Gegnern vorwirft, »sie rissen die festgesetzten Lehren nieder« besser aus, als das biblische 'J yDfl, das die Grenzen, ver- rücken, bedeutet. Eine interessante Parallele zu unserem Verse ist der Derasch R. Simons1) zu Spr. 22, 28, der die Worte der Schrift »verrücke nicht die uralte Grenze, welche deine Väter festsetzten« dahin erklärt: b* yrm* itrytf anao im« nJtP/i »einen Brauch, den deine Väter einführten, ver- ändere nicht«. Diese Midraschstelle ist wohl die Quelle für die Bemerkung des DH'Dn ICD S. 207, ed. Wistinetzki: . . . owa^ irnn bv pw noK* *bv &yw*i . . . bin yon »b jpi/iD Kirw las jwa bl *bx »verrücke nicht die Grenze . . . die die Vorfahren festsetzten, d. h. man gebrauche nicht die für die Rezitation des Pentateuchs festgesetzte Kantilation beim Vortrage der Propheten, sondern für die verschiedenen Teile der Schrift die verschiedenen von Alters her festge- setzte Melodien.« Diese Midraschstelle ist ferner die Quelle für Midrasch Aggada, Deut. 199, was Buber entgangen ist.

1, 19: iKisn 3123 rran« Der Ausdruck ikwi 3iö ist

») Midr. Mischle z. St., ed. Buber 93. Vgl. auch Sifre Deut. 188, wo die Stelle in Deut. . . ron Hb auf die richtige Überlieferung der Lehren der einzelnen Gelehrten bezogen wird; der Text ist wohl nach Midr. Tanneim z. St. zu emendieren. Vgl. auch das slavische Buch Henoch 52, 9, »gesegnet sei derjenige, welcher die Grundfesten behält, welche die Väter in uralter Zeit gründeten,« wo gleichfalls ein Derasch zu Spr. 22, 28 vorliegt. Im äthiop. Henoch 91, 2, 14 ist dieser Derasch verwischt.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 673

biblisch Hosea1) 10, 11 und unsere Stelle muß dem- nach übersetzt werden: »und sie wünschten sich einen feisten Nacken«; den Gegnern wird vorgeworfen, daß sie nur darauf bedacht sind, sich gehörig auszufüttern. Die Spötter in Israel, bemerkt der Midrasch Tanchuma, ed. Buber, II, 129 sprachen: •mt i«n, seht den Fleischnacken Moses', was er ißt, gehört den Juden, und was er trinkt, gehört den Juden. Auch in dieser Midraschstelle steht "ikiu für den ganzen Körper und ebenso in einem Spruch der Weisen D\ncn nnao 1, 29: n««j nvr» p/v xb rrrapai rhwa poyno» »a \cü icoi ap »wer dem Studium der Thora und den frommen Handlungen obliegt, der kann keinen feisten Hals oder fetten Körper haben.« Der Vorwurf, den unser Verfasser gegen seine Gegner erhebt, ist der, daß sie den irdischen Ge- nüssen fröhnen, und diese Charakteristik hat eine Parallele in der Himmelfahrt Moses VII, 4: »da sie betrügerische Leute sein werden, nur sich seibst zu Gefallen lebend . . . und zu jeder Stunde des Tages gern schmausend und mit der Kehle schlingend«.

2, 2: D'Pfcn »3*na d::?« nbjsi Es liegt absolut kein Grund vor, ddjtk in orry zu emendieren, wie S. vorschlägt, denn der Verfasser wollte seine Leser nicht auf etwas aufmerk- sam machen, das vor den Augen der Menschen sich ab- spielt oder abgespielt hat, wie in 2, 14, sondern er will die Strafe der Gottlosen verkünden, und zwar nicht auf Erden, sondern im Jenseits; es ist eine Lehre, die er vor- trägt und D3JTK n^JK der einzige zulässige Ausdruck. Frei- lich muß man bei dieser Auffassung nicht in den Irrturr. verfallen owi '5TI mit »den Wegen, welche die Bösewichter wandeln« übersetzen, die Wege sind vielmehr die »K '3nb 2, 5 , das Gehenna, wohin die Bösewichter kommen, um ihre Strafe zu erhalten. Der biblische Vers Ps. I, 6 "DKfi DWi "pm D'pnx "]V7 "> jnv ?3, an den wohl unser

») Vgl. Ehrlich z, St., der TnsjJ mit »erfassen« übersetzte, rieh tiger wohl »betrachten«.

Monatsschrift. 65. Jahrgang. ^o

674 Eine unbekannte jüdische Sekte.

Verfasser bei dieser Stelle dachte, wird im Midrasch The- hillim z. St., ed. Buber, 24, dahin erklärt, O'pnsn p mm orrÄ p"nai DWWl pi pv pf? p^iai, »er Gott sitzt zu Gericht über die Frommen, die er alsdann nach dem Paradiese führt, und er richtet die Gottlosen, die er schuldig befindet,umim Gehinnom bestraftzuwerden«. Dieser Midrasch versteht demnach unter o'pnx "pn und o'yttn -pn die Wege, auf welchen die Frommen und die Gottlosen sich zu ihren Bestimmungsorten begeben. Auch Rabban Jochanan b. Sakkai sprach1) auf seinem Todtenbette »von zwei Wegen, dem einen, der nach dem Paradiese führt, und dem anderen nach der Hölle«.

2, 4: np-n na*iy Wie schon S. bemerkte, bedeutet hier noiy nicht Schlauheit, sondern, wie Sprüche2) 8, 12. Ein- sicht, Verstand, und ich möchte noch hinzufügen, daß im Talmud auch jtbib"iP Verstand ist, nicht Schlauheit, wie aus Niddah 45b zu ersehen ist.

2, 4: ibj; D'bk "px S. verweist auf Exod. 34, 6; aber dort ist TW Adjektiv, während es hier ein Nomen ist, wie iül> zeigt, und wonach vielleicht "H* zu lesen ist, obwohl auch Jerem. 15, 15 die Massorah T™ und nicht Tfc liest. Möglich ist auch, daß8) rnwho an W o^os "pK zu lesen ist; »er ist langmütig und bei ihm ist Fülle der Verzeihungen«, und für diese Annahme spricht die Tatsache, daß im Rabbinischen d^ok man« und nicht "p« gesagt wird, wobei allerdings nicht zu vergessen ist, daß gemäß der in unserem Fragmente auch sonst angewandten Orthographie "p* auch für man« stehen kann. Vgl. auch Ben Sira XVI, 11 iay c]Ki iram *a,

») Vgl. Berachot 28 b; Abot R.Nathan XXV, 79, ed. Schechter.

*) Eine bessere Parallele zu unserem Texte ist Spr. I, 4, wo n)H und no*^ wie in unserem Fragment zusammengestellt sind.

») Ist Jesaia 55, 7 mScS r^ "3 nachgebildet; in der liturgischen Formel n^omn tyai mn^D an ist ai wohl mit »Meisten zu über- setzen, wie der Parallelismus tya verlangt.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 675

2, 6: bin '3«ta Bei der Häufigkeit des Ausdruckes 7\bm '0 in der talmudisch-midraschischen Literatur ist es höchst unwahrscheinlich, daß unser Verfasser von bim '3t6o oder ^? sprach. Das fehlende n am Ende ist nicht ein Schreibfehler, sondern die in unserem Fragmente auch sonst gebrauchte Orthographie, die das Feminum n nicht immer ausdrückt.

2, 8: otö rinn jw awn. Daß dieser Satz korrumpiert ist, bedarf keiner weiteren Beweise. Doch läßt sich der richtige Text leicht herstellen; denn er ist Ps. 5, 7 nach- gebildet, wonach D'cn min zu lesen ist, »Geschlechter beladen mit, Blutschuld« entsprechend dem biblischen tt»*tt 3WP ovtf. Die Blutschuld ist es nämlich, die das Verderben der Sünder verursacht. Möglich wäre auch, daß dtk nnn »die Geschlechter der Menschen« oder cnp n »Geschlechter der Urzeit« zu lesen ist, als Parallele zu der zweiten Hälfte des Verses y^n f°- ADer die zitierte Psalmstelle spricht für onjn.

2, 9: ooin IV '8. Es liegt kein Grund vor, mit S. hier eine Lücke anzunehmen; man lese oain nyio und übersetze: und er Gott verbarg sein Antlitz vor der Erde zur Zeit, die bestimmt war für ihre der Bösewichter Vernichtung.

2, 9, 10: obw »w bsh . . . VT\ »Und er wußte die Jahre des Bestehens, die Zahl und das genaue Ende alles dessen, was existiert und existiert hat, sowie das, was kommen wird am Ende der Jahre (= Zeiten) der Welt«. Gottes Allwissenheit erstreckt sich über alles, über das Seiende \1n' das Gewesene W?nj und das Zukünftige Kit na und zwar über all das Einzelne der Ereignisse. Die Ortho- graphie wo für oföyo und neoa für onoon sowie »vi für nm Exod. 9, 3! bietet nach dem im Abschnitt II Be- merkten nichts Auffälliges, da in diesem Fragment die Suf- fixe häufig ausgelassen werden.

2, 12: ittnp nn irrem TO Qpim* S. übersetzt: »And through his anvinted, H. made them know his Holy Spirit.«

43*

676 Eine unbekannte jüdische Sekte.

Wollte man aber sogar S. Ansicht akzeptieren1), wonach der Messias dieser Sekte auf Erden geweilt hat und nur für eine Zeit verschwunden ist, um wieder zu erscheinen, so könnte an dieser Stelle irrwö unmöglich mit »seinem Messias« übersetzt werden, denn ojnvi bezieht sich auf die vergangenen Geschlechter im Laufe der Geschichte, während das Erscheinen dieses Messias erst beim Entstehen dieser Sekte stattfand. Bedenkt man nun, daß dieser Satz dem von Nehemia 9, 30 TK'aj T3 "inna oa lyni entspricht, so ergiebt sich, daß inT? »seine Gesalbten« für roraa steht und zwar hat unser Verfasser gemäß seiner Anschauung2) von der großen Bedeutung der Patriarchen für die wahre Lehre absichtlich in»»B anstatt VK'33 gebraucht, wobei er das Beispiel von Ps. 105, 15 »rptföa ijnn bx, befolgte, wo »meine Gesalbten« so viel wie die Patriarchen3) sind und wo ferner nve>8 als Parallele zu waaa unn btt waa^i steht Will man aber die Leseart innPB beibehalten, so muß man pfäyvb lesen und übersetzen: »Und während all dieser Jahre ließ er erstehen . . . damit er ihnen am Ende der Zeiten durch seinen Messias seinen heiligen Geist ver- künde«. Gegen die Auffassung von lnnPö als »sein Messias« spricht aber die Tatsache, daß unser Verfasser immer nur von dem Messias als ^ki»»bi pviNB n»»o spricht, und nicht von **» rrtpo.

Sehr bezeichnend sind die Worte na« Kim wip nn das nicht allein uns als hebräisches Äquivalent für 7tveu|x.a T7}<; äX^eia? gilt, sondern auch für die Entwicklung

*) Vgl. weiter unten Abschnitt V.

*) Vgl. Schechter Einleitung 29. Diese Ansicht tritt auch im Buche der Jubiläen sehr stark hervor. Übrigens hält auch die rabbi- nische Tradition Seder Olam XXI »die Väter« für Propheten, und dies ist auch die Ansicht Philos, Quis div. haer. sit XII, der sogar darin der rabbinischen Tradition folgt, daß er Noah zu den Pro- pheten zählt.

•) Vgl. Midr. Tehill. z. St. wann ib* WVD3 »meine Oesalbten, darunter sind die Väter zu verstehen.«

Eine jüdische unbekannte Sekte. 677

dieses Begriffes von Bedeutung ist1). Im Buche der Jubiläen XXV, 15 ist der Geist der Wahrheit na« rrn identisch mit dem untrüglichen prophetischen Geiste, weßwegen wir auch in einigen Handschriften »heiligen Geist« für »Geist der Wahrheit« lesen, dagegen ist für unseren Verfasser der Geist der Wahrheit der Geist, der den Menschen zur Sittlichkeit und Frömmigkeit leitet, der sich zwar am deut- lichsten in den guten und frommen Handlungen der »Ge- salbten Gottes« offenbart, aber nichtsdestoweniger einem jeden Menschen innewohnt, so daß die Sünder durch ihre sündhaften Taten diesen heiligen Geist verunreinigen 5, 11 indem sie sich dessen Leitung widersetzen. Genau dieselbe Anschauung findet sich im Test. XII. Patr., wofür besonders folgende Stelle Judah XX, 1 sehr lehrreich is. »Erkennet nun, heißt es daselbst, daß sich zwei Geister mit dem Menschen abgeben, der der Wahrheit und der des Irrtums, und der mittlere ist der der Einsicht, des Ver- standes, wohin er neigen will.« Ähnlich heißt es auch, Weisheit Salomos VII, 27: »und von Geschlecht zu Ge- schlecht in heilige Seelen übergehend, begabt sie Freunde Gottes und Propheten mit Geist«.

2, 13: DrrövttV idb> emoai. S. hält »» für einen Schreib- fehler veranlaßt, durch das folgende vrinov« gibt aber zu, daß, wenn man auch io# streiche, der Satz keinen Sinn gibt. In Wirklichkeit aber liegt kein Grund für irgend welche Emendationen vor, der Satz rtpnn . . . wnoai bezieht sich auf die otr '«np Zeile 11 und man übersetze: Und sie die von Gott erwählten hinterließen unverwüstlichen

*) Vgl. Ausführliches darüber Bousset, Religion desjudenthums, S. 343 und 375 ff., dessen Ausführungen jedoch der Berichtigung be- dürfen; seine Angabe, daß nach der Ansicht der Testamente der Patri- archen der Messias diesen Geist über die Frommen ausgießen werde, beruht auf einem Irrtum, denn Judah XXIV, 3 ist vom »Geiste der Gnade« und nicht von dem der Wahrheit die Rede. Wohl aber liegt diese Vorstellung vor in Joh. XV, 26, wo aber wahrscheinlich 7Cvei5[X(X vifc dcV/jO-eiai; einen Grad der Prophetie bezeichnet.

678 Eine unbekannte jüdische Sekte.

Namen1), die er Gott aber haßte, führte er irre. Die Bedeutung von aV °fr »sich einen Namen machen« ist zwar nicht biblisch, wohl aber talmudisch, wie aus Ber. 7 b her- vorgeht, wo Ps. 46, 10 mos av soviel als wo* bw erklärt wird.

2, 18: i?mo m. Es liegt kein Grund vor nn in 03 zu emendieren, wie S. tut, denn, obwohl der Verfasser in der vorhergehenden Zeile D3 gebraucht, so handelt es sich hier hauptsächlich um >eine« Sünde, die den Fall der Engel herbeiführte, nämlich r\m, weswegen der Singular na ganz in Ordnung ist, und auch Seite 3, 1 wird auf diese Sünde mit na hingewiesen.

2, 19: pnwti D»nn3l. Die Legende2) erzählt, daß die Nachkommen der gefallenen Engel 3000 Ellen hoch waren Henoch 7, 2 , manche gehen noch weiter und be- haupten, daß Og, der unbedeutendste unter diesen Riesen8), von so hoher Statur war, daß sein Schenkel mehr als drei Parasangen maß, Niddah 24 b. Auf solche Anschauungen gehen wohl die Worte unseres Textes »und wie Berge waren ihre Körper« zurück; Test. XII Patr., Reuben V, 7 heißt es sogar: die gefallenen Engel reichten bis zum Himmel.

2, 19—20: pu *a . . . i«?B3 '3. S. liest beide Mal p üi für »3, aber ohne triftigen Grund, die Konstruktion in diesem Satze hängt von Z. 16 D'3i '3 ab: »Nicht hänge man den sündhaften Gedanken und den Augen der Unzucht nach, denn viele4) wurden durch dieselben irregeführt . . . denn es fielen ihre der gefallenen Engel Söhne, und all das Fleisch, das auf dem Trockenen war, ging zugrunde.«

') Wörtlich: mit Deutlichkeit setzen sie ihre Namen; unser Verfasser gebraucht OV DV in dem Sinne, in welchem in der Schrift DW nvy gesagt wird.

») Vgl. die Legenden über die Nachkommen der gefallenen Eagel in meinem »Legends ofthe Jews«, I, 125, 150, 160; III, 268,343—346.

3) Vgl. meine Legends of the Jews III, 346.

*) cai ist vielleicht an dieser Stelle mit »mächtige»« zu über- setzen.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 679

2, 21: Dirrp jva» im "HDtf vfo). Dieser Satz ist eine Anlehnung an Jesaia 22, 1 1 und findet sich beinahe wört- lich im slav. Henochbuche VII, 3, wo die gefallenen Engel als diejenigen beschrieben sind, »welche von dem Herrn abfielen, den Geboten Gottes nicht gehorchten und nach ihrem eigenen Willen handelten«. Eine andere Anlehnung an diese Worte Jesaias findet sich Seite 3, Zeile 6—7.

3. 1: D>mr: an na an nno^m. S. liest Dfivnnwöi, was aber kaum annehmbar ist, da doch nicht anzunehmen ist, unser Verfasser hätte gesagt »die Familien der Söhne Noahs sind ausgerottet worden«,während doch die Gesamtmenschheit nur die Nachkommenschaft der Söhne Noahs ist. Man lese ninoiPD an »die Familie Harns« sind die Kanaaniten, die ausgerottet worden sind, und zwar wegen ihrer unzüchtigen Handlungen Lev. 18, 29 trroji najnnn , weswegen unser Verfasser in Übereinstimmung mit dieser biblischen Stelle behauptet: D*moa an fD . . . iyn na, wobei na auf nur in 2, 16 zurück- greift, wie oben bemerkt worden ist. Wie unser Ver- fasser, so spricht auch das Buch der Jubiläen 20, 4; 22, 21 von der Ausrottung Kanaans; »der Same Kanaans wird ausgerottet werden aus dem Lande, denn in der Sünde Harns hat Kanaan sich vergangen1), und all sein Same wird ausgerottet werden von der Erde, und alle seine Nachkom- men, und kein Abkömmling von diesen wird gerettet werden am Tage des Gerichtes«.

3, 2: nWM an , r\ S. liest am« rwm, was aber meines Erachtens aus sprachlichen Gründen kaum zulässig ist, höchstens könnte man sagen am« "b vwm »und Gott erwarb sich ihn zum Freunde«, wie auch die Mischnah Abot 1, 6 an "$ jwy sagt. Wenn die Buchstaben pn beibehalten werden sollten, dann kann man nur am« invjm

') Der Orund für die Ausrottung Kanaans ist im Buch der Ju- biläen verschieden von dem in unserem Texte, der sich enger an Lev. 18, 29 anschließt. Über die Zügellosigkeit der Kanaaniter vgl. aneh Pes. 113 b.

6S0 Eine unbekannte jüdische Sekte.

»und er pries ihn1) als seinen Freund«, wahrscheinlich aber ist einfach in«"ip>i zu lesen, »und er nannte ihn seinen Freund«, womit auf Jes. 41, 8 »»rot oma« hingewiesen wird, wie auch im Buche der Jubiläen 19, 9; 31,19 und Apoka- lypse Abrahams IX von Abraham, dem Freunde Gottes, gesprochen wird. Auf die zitierte Bibelstelle geht wohl auch die Bezeichnung Abrahams als TT in Mechilta, Ber. 18 zurück1').

3, 4: o^!j^> nna *^yai. S. übersetzt: »and men of the covenant for ever«, aber »Bundesgenossen« ohne nähere Bezeichnung gibt keinen Sinn, und, wenn man den Text hier auch sonst nicht emendieren will, so muß man doch nna als Abkürzung von wna erklären ; die Patriarchen sind seine Gottes Bundesgenossen. Ich glaube jedoch nicht, daß o^ij^> hier am Platze ist, da eine Parallele zu büb er- wartet wird und daher dürfte sich wohl empfehlen 'bvD \vbyb flrtt; die Benennung Gottes als \vby b* war bekannt- lich zur Zeit der Hasmonäer, die sich offiziell als die Priester3) \vby ^»«^ bezeichneten, sehr beliebt. Vielleicht ist hier Ben Sira 44, 20 benutzt, wo von Abraham gesagt wird: ntf« lay maa «ai \vbv maa ia*\

3, 5: bx rvtta by TV$? . . . anstaa. Die Anschauung, wo- nach Israel in Ägypten von Gott abgefallen war, wird in der Bibel nur von Ezechiel 20, 7. 8. 36 vertreten und in der apokryphischen Literatur wird von dieser Tatsache ganz still geschwiegen. Die Haggadah4) dagegen macht kein Geheimnis aus der Sündhaftigkeit Israels in Ägypten, und es ist lehrreich,

») Vgl. Job 29, 11.

2) Diese Stelle ist sowohl Beer, Leben Abr. 431, wie Malter, Monatsschrift 1907, 713 entgangen.

3) Vgl. Rosch ha-Schanah 18 b fvty M [na Assumpt. Mos. 6, 1 sacerdotes summi Dei und Buch der Jubiläen 32, 1 : und Levi träumte, daß sie ihn eingesetzt und zum Priester des höchsten Oottes gemacht hätten; aber auch Ben Sira gebraucht es häufig, vgl. 46, 5a, 5c und 47, 5 a.

*) Mechilta Bo 5 »Israel war dem Götzendienste ergeben«, u. a. a. O. Vgl. meine Legends II, 362.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 681

daß unser Text darin mit den rabbinischen Quellen überein- stimmt. Der besondere Vorwurf des Blutgenusses, den unser Verfasser gegen Israel in Ägypten erhebt, stimmt gleichfalls mit der Behauptung des Sifre Deut 76 überein peiaw Witt» jV» Dip o*n »sie fröhnten dem Blutgenusse vor der Offen- barung der Torah«. Allerdings ist nach der Ansicht des Sifre der Genuß des Blutes vor der Offenbarung der Torah gar nicht verboten gewesen, während nach der Ansicht unseres Verfassers der Blutgenuß von früher wohl seit Noah1) verboten war.

3, 6 7: dtot niy\ Der Ausdruck o*o enthält mehr als die biblische Stelle Num. 14, 29, worauf hier Bezug genommen wird und es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß hier in Übereinstimmung mit der Haggadah Midr. Tehil. 1, ed. Buber 13 angedeutet wird, daß nur die Männer o*nd? aber nicht die Frauen in der Wildnis gestor- ben sind»

3, 7: omn ns wn lty ttHpa anh ir»3. Dieser zweifels- ohne verderbte Text ist wohl in folgenderweise zu emen- dieren: WJi i«m bv ttHpa anb -\2i nanaa mwr nis» 131 ljmty K^n Dfin. »Er sprach zu ihnen in Kadesch, auf und nehmet Besitz vom Lande, sie aber jagten dem Eitlen1) nach und hörten nicht usw.« Die Worte ist und ljni sind infolge von Homoioteteuton ausgefallen, da nicht allein irr sondern auch ljni gleiche Buchstaben vorangehen, denn v und s? sind zum Verwechseln ähnlich. Möglich wäre auch, daß der ursprüngliche Text oeiy mR) "\by vgl. Nehem. 9, 16 und 17 lautete; graphisch jedoch läßt sich der vor-

*) Vgl. Gen. 9, 4 und Buch der Jubiläen 7, 28. Nach der An- sicht der Halachah ist der Genuß des Blutes den Noachiden nicht verboten.

\) mi njm ist biblisch Hos. 12, 2 und es liegt kein Grund vor, mit manchen Nenern den überlieferten Text zu beanstanden; eine andere Frage ist, ob es zu njn »weiden« oder njH »Wohl- gefallen haben« gehört.

682 Eine unbekannte jüdische Seide.

Hegende Text nicht gut auf eine solche Vorlage zurück- führen.

3, 14: Hias Hjnei N2Hp m/o». Der Ausdruck ipip nzv ist biblisch Nehem. 9, 14 und rabbinisch, so z. B. in der Liturgie für den Freitagabend ttmp, wo die Formeln *]»*Tp rüttn wohl zu den ältesten Bestandteilen dieses Gebet- stückes gehört, da es sich in allen Versionen des vmp findet. Die Bemerkung S. »It is however not clear, what is meant by the Holy Sabbaths« ist mir daher ganz unver- ständlich.

3, 16: "izn DiTJD^» nnc. In diesem Verse ist zunächst zu bemerken, daß schon in der Schrift Jes. 41, 18 jmro DvctP bv nncK . . . nno »eine Wasserstätte entstehen lassen« bedeutet. Ferner ist zu bemerken, daß für d»31 sicher D"n zu lesen ist, worauf der Nachsatz DiTDK'ei rrn' *b ganz deutlich hinweist und das Ganze lautet demnach: »Er ließ für sie eine Quelle entstehen, die sie die Frommen in Israel zu einer Quelle lebendigen Wassers gruben«. Was der Verfasser mit diesem Satze sagen will, wird weiter unten 6, 4 »a» cn msim mwi x-n ihxi bsnt» näher ausgeführt; Gott gab Israel die Torah, er ließ für sie eine Wasserstätte entstehen und die Be- rufenen unter ihnen machten aus dieser Wasserstätte eine Quelle lebendigen Wassers, indem sie die Torah richtig deuteten und lehrten.

3, 17: l^mnn om. Das Verbum bbum an dieser Stelle wie 8, 5 ist wohl von bbl »Mist« denominiert und hat nichts mit ^ji »wälzen« zu thun; man übersetze daher »und sie befleckten sich«; ebenso Ben Sira XII, 14: vmjijo ^unai »und sich besudelt an dessen Sünden.« Sprachlich ist auch ynim als eine Nebenform für bwm von *?»j verunreinigen möglich.

3, 17: BMJ« y»oa. S. übersetzt »transgression of man« und verweist auf Sprüche 29, 6, das aber gar keine Pa- rallele zu unserer Stelle ist, da es dort m »*K y&ü2 »infolge

Eine unbekannte jüdische Sekte. 68&

der Sünde des Bösewichts« heißt, was wohl einen guten Sinn gibt, während »Sünde des Menschen« einfach unmöglich ist. Es unterliegt für'mich aber keinem Zweifel, daß nicht »OK son- dern tnj« gelesen werden muß; »u« jnpd »unheilbare Sünde«. Die göttliche Verzeihung ist nach biblischen Sprachgebrauch die Heilung Jes. 6, 10 ib Roll a#i u. a. v. a. O. und eine Sünde, die unverzeihlich ist, wird als unheilbar be- zeichnet. Gott jedoch, fährt unser Verfasser fort, war so gnädig, daß er ihnen sogar die unverzeihbaren Sünden vergab.

3, 18: i*6b »n^. Die Verschreibung von ana zu 'na ist graphisch wohl leicht zu erklären, besonders da in unserem Fragmente an mit i geschrieben wird, 2, 4 , aber sachlich paßt hier der Ausdruck »Fülle der Wunder« sehr schlecht, man würde non ana »Fülle seiner Gnade«, inan« ana »Fülle seiner Liebe« oder einen ähnlichen Ausdruck er- warten, aber nicht Wunder, denn die göttliche Verzeihung Ditv TJ?a ica ist der Ausfluß seiner Gnade und Barmherzig- keit, aber nicht seiner Wundertätigkeit. Ich vermute, daß in ik^d 'na ein Ausdruck wie q'D^k maaia oder ähnliches steckt; der Verfasser wollte sagen, daß Gott ihnen nicht einmal, sondern zehntausendmal ihre Sünden verziehen hat.

4, 2: on'byo. S. übersetzt »from them«, es kann aber kein Zweifel darüber herrschen, daß man on 'bvn lesen muß, entsprechend den Worten Ezekiels non 'i?l?o; zweifelhaft ist nur, ob on nur eine andere Schreibweise für non ist, was bei der eigentümlichen Orthographie des Fragments wohl möglich ist, oder ob unser Verfasser wirklich on schrieb, da er auch sonst nicht ganz wörtlich zitiert.

4, 2: b*w 'atf on. S. entscheidet sich für die Lesung "?» »Gefangenschaft« aber es scheint mir, daß "3& »die Büßenden«, »die zu Gott Zurückgekehrten« die allein rich- tige Lesung ist. Besonders spricht für diese Annahme 8, 16 »und dies ist das Gesetz für die 'ae> Israels, die sich abwendeten vom Wege des sündhaften Volkes«, wo 'a# näher durch »die sich abwendeten usw.« erklärt wird,

684 Eine unbekannte jüdische Sekte.

was nur dann einen befriedigenden Sinn gibt, wenn "?? und nicht 'ty gelesen wird. S. beruft sich auf 6, 5 zur Be- stätigung seiner Auffassung; aber in diesem Verse ;gibt "?t? mindestens einen ebenso befriedigenden Sinn wie *■?!?« »Die zu Gott Zurückgekehrten« ist nur ein anderer Ausdruck für man *K3, wie die Anhänger dieser Sekte bezeichnet werden, sie waren zuerst wie der Rest des Volkes auf Irrwegen begriffen, sind aber durch »den Lehrer der Ge- rechtigkeit« zu Gott zurückgeführt worden 1, 9, 20, 11 weswegen sie mit Recht die b^W »3W genannt werden1). 4, 3: ^KW*nvi3 Dn pnarm Dieser Satz will nicht, wie S. be- hauptet, sagen, daß die Söhne Zadoks,die Auserwählten Israels sind, sondern daß die Auserwählten Israels vom Propheten Ezechiel in 44, 15 als pm »33 Söhne der Gerechtigkeit! -- bezeichnet sind. In echt midraschischer Weise erklärt unser Verfasser, daß der Prophet einen Hinweis enthält auf die Geschichte der Sekte; unter »Priester« versteht dieser die Väter der Sekte, die zu Gott Zurückgekehrten, unter »Leviten«, diejenigen, welche den Vätern der Sekte sich anschlössen2) und unter den Söhnen Zadoks8) die Auserwählten Israels, die am Ende der Zeiten erstehen werden. Nachdem er diesen Midrasch zu Ezechiels Worten gegeben hat, fügt er hinzu: dies ist die Erklärung ihrer der von Ezechiel erwähnten pnx »32i Q^b D'ana Namen gemäß ihrer Geschichte, der Periode4) ihres Bestehens, der Zahl ihres Leidens, der Jahre ihres Verweilens in der Fremde. Dieser Satz enthält dem- nach nicht die einleitenden Worte zu einer Geschichte der Sekte, wie S. annimmt, sondern greift auf das Vorhergehende

») Vgl. auch 20, 7 JNPe "aw.

*) Ein Wortspiel ü^b und ü^bi', nach Esther 9, 27 würde man ün^bv Cl'wn und nicht DTTDJJ erwarten, jedoch wird auch Ps. 83, 9 ,1^3 mit ay konstruiert.

8) Der Midrasch Lev. r. I versteht unter pHJt in diesem Verse den Hohepriester Aaron, indem er p}Tt im Sinne von p^.at »der Ge- rechte« nimmt, und ein solcher Derasch liegt auch in unserer Stelle vor.

*) Über diese Bedeutung von f*p vgl. weiter unten zu 6, 10.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 685

zurück, indem darauf hingewiesen wird, daß der Prophet eine Andeutung auf die Geschichte der Sekte enthält. Nach dieser Auffassung beginnt mit orptrj?» tpnei ein neuer Satz und dies ist eine Beschreibung wörtlich: Deutung ihrer Taten, worauf dann eine kurze Charakteristik der Frommen folgt.

4, 6 : pen . . . dt» ttHipn. Dieser Satz enthält den Gegen- satz zu 1,19, undda,wie schon zu dieser Stelle bemerkt worden ist, in den Worten TK15CT 3103 linai der Hang zu sinnlichen Genüssen den Gegnern dieser Sekte vorgeworfen wird, so muß in dt» »*ppn ein Lob für die Anhänger derselben stecken, die im Gegensatz zu den Gegnern dem Geistigen und Heiligen obliegen. Ich streiche daher das » in dt» als Dittographie des vorhergehenden » und lese cani»1) ; »sie lieben das Heilige« ist ein passender Gegensatz zu den Worten »sie finden Wohlgefallen am feisten Nacken.« Das folgende Dli?3 hu 1D3 WM übersetze man demnach: »das Gott zur Sühne2) für sie einsetzte« und gemeint ist, daß das heilige Leben3) das Leben nach dem Gesetze ihnen als Sühne für die früheren Sünden gilt.

4, 9: tpy&n ppn oiStf, Für ypn muß man yp lesen, da wwn ypn nicht Hebräisch ist, der Schreibfehler ist wohl durch ypn D"6»2i in der folgenden Zeile veranlaßt worden. Möglich ist auch, daß 0T2^ für o*:»n zu lesen sei, ent- sprechend DT2M "iodd^ in der folgenden Zeile, in welchem Falle ypr\ beizuhalten ist.

4, 10 12: pinn pm . . . ppn d^>»:si. Zum Verständnisse dieses sehr dunklen Satzes sei bemerkt, daß für unsern

') Graphisch näher zu DT wäre a^fc, aber der Ka! r\y$ kommt sonst nirgends vor.

') Man lese entweder ")Bb oder iBS im Sinne : als Sühne ein- setzen.

*) Möglich auch, daß BHlpfl hier wie gewöhnlich das Heiligtum ist, und daß von den Begründern der Sekte gesagt wird, daß sie das Heiligtum lieben, während ihre Gegner gleichgiltig sind und nur um ihr eigenes Wohlergehen bekümmert sind.

686 Eine unbekannte jüdische Sekte.

Verfasser Jerusalem die heilige Stedt ist und bleibt. Die Zeit des göttlichen Zornes begann mit der Zerstörung Je- rusalems durch Nebukadnezar 1, 5 , und den Gegnern wird vorgeworfen, daß sie das Heiligtum zu Jerusalem verunreinigen, 5, 6. Die Verunreinigung des Tempels freilich zwang die Anhänger dieser Sekte, vom jerusalemi- schen Tempel sich zurückzuziehen, so lange die Machthaber desselben Männer sind, die das Gesetz nicht beobachten1), und wie die Lage der Dinge war, versprachen sie sich keine baldige Besserung. Ihre einzige Hoffnung war, daß der Mes- sias bei seinem Erscheinen wieder in Jerusalem einziehen und dessen Tempel in seiner ursprünglichen Heiligkeit her- stellen werde. Unser Verfasser spricht daher: >Und während des Verlaufes dieser Periode von Jahren2) soll niemand dem Hause Juda sich anschließen, sondern ein jeder stehe auf seinen Festungswall; errichtet ist die trennende Wand, gar fern liegt die messianische Zeit.« In diesen Worten wird gegen jeden Versuch gewarnt eine Aussöhnung mit Jerusalem herbeizuführen, die Trennung der Sekte von dem Gros des Volkes muß fortdauern bis zur Ankunft des Mes- sias, die aber noch in weiter Ferne liegt. Der Ausdruck mapS (*TpatD hy wk ist Hab. 2, 1 -nita by nasrnKi "nayx 'rnara by nachgebildet, während pinn prn TOM nnXM eine Umschreibung der Worte Michahs 7, 1 1 pn pnr . . , "pn rvü^b or ist. 4, 16: ^KW3 Dfia tfon Rin wk. S. bemerkt richtig, daß unser Verfasser hier Ezechiel 14, 4 bam^ rva nx'tfcn \yvh benützt; aber verleitet durch die übliche Auffassung dieser Ezechielstelle, glaubt er dann übersetzen zu müssen: by which Levi took Israel in their hearts. Aber über die Be- deutung von e>cn in unserem Fragmente kann doch un-

') Natürlich nur vom Standpunkte unseres Verfassers.

») Über diese Bedeutung von f»p vgl. weiter unten zu 6, 10.

») Ich lese mstö und nicht H1XD wie S. hat, 1 und i sind in Ms. dieses Fragments kaum zu unterscheiden ; möglich ist auch, daß mia durch JTHlütD in Zeile 15 veranlaßt ist.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 687

möglich Zweifel herrschen, wie aus Zeile 18 nra 8?d/t und Zeile 20 o*tttolW Dil deutlich hervorgeht, wo tron nur die Gefangennahme der Sünder durch den Satan bedeuten kann. Demnach ist Subjekt zu win gleichfalls Belia'al, der das Haus Israel für femvä lese1) bxw r\y2 fängt ver- mittelst seiner drei Netze. Auch in Ezechiel ist nach An- sicht des Talmud Kidduschin 40a und Parallelstellen

zu erklären: »damit ich das Haus Israel erfasse, d. i. zur Verantwortung ziehe für das, was sie in ihrem Gedanken

Herzen haben«. Ob nun diese Erklärung des Talmud die richtige ist, oder nicht, tut hier nichts zur Sache2), es genügt für uns zu wissen, daß die Alten diesen Vers Eze- chiels so auffaßten, und hierin lag auch der Grund für unseren Verfasser diesen Vers zu zitieren.

4, 16: omo o:m. S. übersetzt: »and directed their faces to the three kinds of righteousness«, aber wenn man auch |m für wm lesen wollte, so hat diese Erklärung doch noch andere Schwierigkeiten. Erstens müßte es heißen •bv bto 'S JJVi wie Gen. 30, 40 und nicht rwbwb und ferner ist der Subjektwechsel sehr auffällig, denn wie schon be- merkt worden ist, kann «in iv» sich nur auf bv^2 beziehen, während Subjekt zu djjvi nur %)b sein kann. Ich lese daher OiTDij? um und übersetze: »die drei Netze vermittels welcher er Belia'al das Haus Israel fing, so daß sie sich von den drei Haupttugenden abwendeten«. Welche die drei Tugenden sind, wird nicht weiter angegeben; vielleicht dachte unser Verfasser an den Spruch Simon des Gerechten Abot 1, 2: Auf drei Dingen beruht die Welt, auf der Torah, dem Gottes- dienste und der Wohltätigkeit. Es ist aber nicht unmöglich, daß die Lehre von den drei Tugenden eine jüdische Um-

l) Wahrscheinlich stand ursprünglich h*W '3 = httlW XFX das dann von den Schreibern zu einem Worte *?KlB^r zusammen- gelogen worden ist.

•) Ehrlich 1B1CD3 mpö z. St. erklärt diesen Vers wie der Talmudv ohne aber den Talmud zu zitieren '

688 Eine unbekannte jüdische Sekte.

Wandlung der von Plato für seinen Idealstaat aufgestellten vier Tugenden ist, Sophia, Andreia, Sophrosyne und Dikaiosyne. Die Tapferkeit, Dikaiosyne, bei Plato von dem Kriegerstand vertreten, hat nach jüdischer Auffassung keine Berechtigung weshalb nur drei Tugenden anstatt der ursprünglichen vier genannt werden.

4, 17: ttHpBn . . . rnxtn trn roHMnn. Auch in der rab- binischen Literatur wird von den drei Kardinalsünden ge- sprochen, so z. B. Mechilta, Jihro 1 'Jü jftpn TTiüMA nvn ('vmbti onn »und sie Rahab sprach, drei Sünden beging ich«. Die drei Sünden werden nicht näher bezeich- net8), aber wir werden wohl nicht fehl gehen, wenn wir behaupten, daß sie für Götzendienst, Unzucht und Mord stehen, Sünden, die man nach jüdischer Lehre unter keinen Umständen begehen darf, sei es auch um den Preis, das eigene Leben zu erhalten Sanh. 74a u. a. m. O. und daher als Kardinalsünden bezeichnet werden dürfen. Für diese Auffassung spricht die Boraita, Arachin 15 b, wo die nrvaj; 'j ausdrücklich als diese erwähnten drei Sünden bezeichnet sind und ähnlich die Tosefta Peah. 1, 2. Lehr- reich für diese Frage ist auch die Behauptung des Sifra 16, 16 wo diese drei Sünden als die drei Unreinheiten be- zeichnet sind3). Die Vermutung liegt nun nahe, daß

*) Vgl. die Parallelstelle Mech. R. Sim. 85, wo die in den Aus- gaben — aber nicht in der Oxforder Handschrift der Mechilta! sich findende Glosse 1»l np'm nbn ?TM3 mit Recht fehlt.

*) Die götzendienerische Rahab, die dazu noch bis zur Zeit ihrer Bekehrung eine njit war, bekannte, daß sie Götzendienst und Unzucht begangen hat. Was Mord anbetrifft, so ist vielleicht darunter Ab- treibung zu verstehen, was nach talmudischer Ansicht den Heiden als Mord angerechnet wird. Vgl. Sanhedrin 57b und Geiger, Urschrift 437 f.

3) Vgl. auch Tosefta, Ned. II, 15 D"D1 "ODlttn y n^JOi VJf ; Me- chilta Jitbro, Ba-Hodesch cen ro'Btf Syi jn byt vy by pa^n en ; Gen. R. 70 D^öl ma^Pö nviy M^JD ,rjm . . . ^IBPI und Gittin 6, 6 unten: >V Mm Dnn r\WtW JJ'J DlToy •:, wo aber wohl mit R. Chananel siehe Tosaphot z. St für na» Wll ,DB>,"1 ^n zu lesen ist und dies ist eine Abart von mt rmay.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 689

unser Verfasser für seine Zwecke die Kardinalsünden nicht in der üblichen Weise geben konnte, es ging nicht gut an, den Gegnern Götzendienst und Mord vorzuwerfen, und er setzte daher unredlich erworbenen Besitz1) und die Verun- reinigung des Tempels an die Stelle von Götzendienst und Mord.

4, 19: pD»a» Sjön ... «in ran. Unser Verfasser erklärt das dunkele i^ in Hosea 5, 11 mit ppbö »dem Redner« den er näher beschreibt als den Redner, dem die Leute zurufen: »sprich«, im Gegensatz zu dem wahren Lehrer und Pro- pheten, den das Volk nicht anhören will, von dem es in Michah 2, 7 heißt: p&w «J*BJ1 bi*> Dieser P|*»D, der Führer der Gegner unserer Sekte, ist wohl identisch mit dem 1, 14 erwähnten ttAft tP'K, und derselbe wird hier nicht ohne Ironie als ein Liebling des Volkes beschrieben, weil er eben ihnen nur das vorträgt, was sie wünschen und be- gehren. Wörtlich lautet dieser Satz: »der Befehlende, das ist der Redner, von dem man sagt, sie sprechen: sprich!«

4, 20, 21: OiV'na BW *n» nnp^>. Diese Worte ent- halten die Umschreibung des biblischen Verbots Lev. 18, 18 iv na n*by nnny rvbzb vwh npn vb nsm» new, indem nach unserem Verfasser die ersten drei Worte zu übersetzen sind mit »eine Frau neben einer anderen«, was sprachlich wohl möglich ist und sogar in der Schrift in dieser Bedeutung einige Mal vorkommt, wie z. B. Exod. 26, 5. 6. 17. Wir können auch den Grund angeben, warum die Anhänger dieser Sekte die traditionelle Auffassung dieses biblischen Verbotes wie sie in der Mischnah Jebamot 1,1 in der Septuaginta und bei Philo ed. Magney, II, 303 Ende verwarfen. Wie unser Verfasser ausdrücklich sagt 5, 9 gelten die verbotenen Grade der Verwandt- schaftsehen, obwohl in der Schrift nur der Mann angeredet wird, auch für die Frauen, und wie z. B. es dem Manne

*) Nach \irin ist im Ms. ein leerer Raum und ist etwa nach 6, 15 n$V\n oder JWCT zu ergänzen.

Monatsschrift, 55. Jahrgang. 44

690 Eine unbekannte jüdische Sekte.

verboten ist, seine Tante zu ehelichen, so ist es der Frau verboten, ihren Onkel zum Ehegatten zu haben. Da nun in der Schrift Lev. 18, 16 dem Manne verboten ist, die Frau seines Bruders zu ehelichen auch nach dessen Tode1), so folgt nach dem Prinzip dieser Sekte, daß auch die Frau ihren Schwager nicht ehelichen darf auch nach dem Tode ihrer Schwester. Demnach können die Worte '131 nmns hu n&lti, nicht wörtlich genommen werden2), denn die Schrift bemerkt zu diesem Eheverbot ausdrücklich rpTin »während die erste noch am Leben ist", da doch die Schwagerehe für immer verboten ist, und der einfachste Weg, diese Schwierigkeit zu lösen, war nnin« b& WK im Sinne von >einer Frau neben der andern« aufzufassen. Die Karäer, die dasselbe Prinzip wie unser Verfasser mit Bezug auf die Verwandtschaftsehen vertreten, behaupten gleichfalls, daß in Lev. 18, 18 nmn« b* na>K nicht wörtlich zu nehmen sei3), und unter den verschiedenen Erklärungen dieses Verses bei den Karäern findet sich auch die, daß er gegen Poly- gamie gerichtet ist. Freilich behaupten die Karäer, daß das biblische Verbot nicht ein absolutes ist, sondern wie die Hinzufügung des Wortes i-iib zeigt nur dann Geltung hat,

') Darüber herrscht unter den jüdischen Sekten keine Mei- nungsverschiedenheit, daß die in Leviticus 18, 11 17 verbotenen Verwandschaftsehen auch nach dem Tode des Gatten gelten, was sicher auch der wahren Ansicht der Schrift entspricht.

s) Abgesehen davon, wäre auch Vers IS ganz überflüssig, da er in 16 enthalten ist. Vgl. die weiter unteu angeführte Stelle aus Anans Gesetzbuch.

3) Der erste Karäer von dem bekannt ist, daß er dieses bib- lische Verbot anders als die Rabbaniten auffaßt, ist Anan. Vgl. den Passus in seinem GesetzkoJex bei Harkavy, Studien und Mitteilungen VIII, 105, 109; auf Anans Gesetzkodex gehen auch die Worte Ha- dassis hsv* 118b— 118 d zurück, was Harkavy entgangen ist, und ferner wird Anans Ansicht von Kirkiss-.ni Harkavy a. a. O 129 und Daniel Alkumsi a. a. O. 191 akzeptiert. Andere Karäer jedoch verwarfen sowohl Anans wie die rabbanitische Auffassung von ntP Kl nntnx hu wie aus Aharon von Nicomedia a. a. O. zu ersehen ist.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 691

wenn die zweite Ehe eine Beeinträchtigung der ersten ist, d. h. wenn es die Absicht des Mannes ist, seinen ehelichen Pflichten gegenüber seiner ersten Frau nicht nachzukom- men, sonst aber wäre Polygamie gestattet. Am deut- lichsten äußert sich über diese Frage Aharon b. Elijah aus Nicomedia in seinem (^np p. Naschim IX, 146 b, dessen Worte ich hierhersetzen will: o'nt? ws nxwb iid«^ nsn airontp fijwton rrsn wnn ab dke> n:vr\ p«i -n-nc ov rrivr nya dtw vb» . . . twa vnp nmeu awan ve>an i33tj> wwn nst^S mo« w , , npn naao yao* »b dk ^a« rwyi mos i«e> inj» *6# naa ^y ja ^>y maai DMna o^wjnn oniDsn ww iiayai . . . ins n? «^ nana pm njrjo iwru rrnn ^a« . . a^na run renn nD« Ott» UM*. Aus dieser Ausführung ergibt sich nun ganz deutlich, daß in unserem Texte gar keine Rede ist von einem Verbot der Ehescheidung, wie S. behauptet, sondern davon, daß unser Verfasser einen Schritt weiter als die Karäer geht und Polygamie verbietet, so lange die erste Frau am Leben ist, auch wenn keine Beeinträchtigung ihrer Rechte stattfindet. Natürlich aber ist es ihm gestattet, eine zweite Frau zu ehelichen, nachdem er von der ersten geschieden ist, da er dann nur eine Frau besitzt. Die Hinzufügung von arPTta = p-rta in unserem Texte ist der Schrift entlehnt, und damit soll nur gesagt sein, daß dieses Eheverbot von all den anderen sich darin unterscheidet, daß es nur so lange, als er in ehelicher Gemeinschaft mit der ersten lebt, gilt. So be- merkt Anan2) a. a. O. 10 ausdrücklich : nMna wbv «ax «pi aaja^> nh »w nb »njo »» ^a« nao:a^> n^> ktdot «in snna 'im «nn« na.

5, 3—4: nnntyyn nay ipk . . . "Wb* ma ovo. S. übersetzt: »Eleazar and Joshua and the Eiders who wor-

l) Auch in seinem min "WS z. St. kurz erwähnt.

*) Vgl. auch Hadassi blVtt ll^c : . . , .TTia !T^J> D"ns"t "0» 10«1 'Ol lnoa intyx rUWMin .TnntP, daß auch für Hadassi in .T'm die Er- laubnis gegeben ist, nach der Scheidung von der ersten Schwester die zweite zu ehelichen.

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692 Eine unbekannte jüdische Sekte.

shipped Ashtarot« und verweist auf Richter 2, 13, aber daselbst 7 bis 13 wird ja gerade das Gegenteil be- hauptet, daß die Anbetung der Aschtarot erst begann, nach- dem Joschua, Eleasar und die Ältesten heimgegangen waren. Wäre es nun schon an und für sich höchst unwahrscheinlich, daß unser Verfasser den Abfall Israels von der Torah mit Joschua und Eleasar beginnen ließe, so wird diese Annahme zur Unmöglichkeit, wenn der Verfasser auf eine Bibelstelle sich beruft, die gerade das Gegenteil von dieser Behauptung enthält. Ferner wären Joschua und sein Geschlecht Götzen- diener gewesen, warum denn mo ovo »seit dem Tode« und nicht früher? ! Nach alledem unterliegt es keinem Zweifel, daß das Subjekt zu WK nicht jwi'l irj^K1) ist, sondern das vorhergehende ^«wa und die Stelle lautet: »denn nicht wurde die heilige Lade aufgemacht in Israel, seit dem Tode Joschuas, Eleasars und der Ältesten, weil sie die Israeliten die Aschtarot anbeteten«. Und dies ist in Übereinstimmung mit der zitierten Richterstelle. Allerdings ist an dieser Stelle nicht vom Vergessensein der Thorah die Rede, sondern nur von der Anbetung der Götzen nach dem Tode Joschuas und der Ältesten, aber unser Verfasser scheint diese Stelle mit Neh. 8, 17 und II Könige 23, 22 kombiniert zu haben, wo von den Peßach- und Sukkotfesten gesagt wird, daß sie während der Richter- und Königs- periode nicht beobachtet wurden mit Ausnahme zur Zeit Joschuas. Unser Verfasser behauptet auf Grund dieser bib- lischen Stelle, daß nach dem Tode Joschuas nicht allein die Anbetung der Götzen begonnen hat, sondern daß auch die Thorah in Vergessenheit geraten war.

5, 4: pm moy iv f&u ponn. S's Emendation nbiü für n^JJ zu lesen ist kaum annehmbar, da >die Schrift« nie ni?ja

x) Nach der samaritanischen Legende starb Eleasar nach Jo- schua. Vgl. das. Sam. Buch Josua XL , jedoch ist die Erwähnung Eleasars vor Joschua in unserem Texte kein absoluter Beweis dafür, daß unser Verfasser den Tod Eleasars vor den Joschuas ansetzt.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 693

»Rolle« genannt wird und unser Verfasser selbst kurz vor- her von minn ibd sprach. Auch sein zweiter Vorschlag, üb vor nbtt hinzuzufügen ist etwas mißlich, denn in unserem Fragmente finden sich viele Schreibfehler, aber, soweit ich feststellen konnte, sind in demselben keine Worte ausge- fallen, es sei denn infolge von Homoioteleta, was aber hier nicht der Fall ist. Man lese daher: pnir mar r\v nbii poam »und das Verborgene die Thorah kam wieder zum Vor- schein zur Zeit, als Zadok erstand.« Daß mit diesen Worten auf das Auffinden der Thorah zur Zeit Josias II Könige c. 22 Bezug genommen wird, darüber kann kein Zweifel herrschen, besonders wenn man das, was in der vorigen Bemerkung über die Anschauung unseres Verfassers bezüg- lich des Vergessenseins, in welches die Thorah geriet während der Zeit der Könige, gesagt ist, berücksichtigt. Freilich ist es höchst befremdend, daß hier das Auffinden der Thorah Zadok zugeschrieben wird, während in der Schrift II Könige 22 und II Chr. 34 es Hilkijah ist, der das Buch der Torah fand. Es ist jedoch zu bemerken, daß dieser Hilkijah nach I Chr. 5, 38 39 ein Enkel Zadoks war, und die Annahme ist wohl berechtigt, daß unser Verfasser von diesem Hohepriester als pnx p sprach1), und daß später p ausgefallen ist oder absichtlich von den Abschreibern aus- gelassen worden ist, weil ihnen wohl pnit, aber nicht piv* p bekannt war.

5, 5: nm« dt *nf?o TU Wo "6m» S. liest lo^m und übersetzt: »But they concealed the deeds of David save

J) Daß er aber nicht nach seinem Vater o*\hv p genannt wird, ist nicht auffallend, da auch sonst in der Schrift einige Male der Name des Großvaters anstatt des Vaters gesetzt wird. Vgl. z. B. I Sam. 9, 1, wo Kisch als der Sohn Abieis erscheint, obwohl er eigentlich dessen Enkel war, und ebenso Neh. 12, 23, wo der Hohepriester pnv als ZV'bx p erscheint, obwohl er dessen Enkel war, vgl. Oraetz, Ge- schichte II, zweite Hälfte 393. Vgl. auch Nachmanides zu Exod. 2, 16 und Ibn Esra zu Num. 10, 29, die viele Belege aus der Schrift für diese Eigentümlichkeit anführen. Für ähnliche Bezeichnungen im

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only the blood of Uriah«. Ich glaube jedoch; daß aus mehr als einem Grunde diese Auffassung, wonach unser Ver- fasser David aus der Gemeinde der Frommen ausstößt, ganz unhaltbar ist. Zunächst ist absolut nicht abzusehen, wem der Vorwurf gilt, daß sie Handlungen Davids ver- heimlichten, etwa den Verfassern der Bücher Samuels, der Könige und Chronik? Gelten etwa diese Bücher unserem Verfasser nicht für heilig, daß er ihren Verfassern Geschichts- fälschung vorwirft? Es bedarf wohl keiner weiteren Be- weise, daß unserem Verfasser diese Bücher für kanonisch galten, wie seine Benützung derselben zeigt. Aber auch zugegeben, er hätte die biblischen Berichte über David nicht wörtlich genommen, oder ihnen keinen Glauben geschenkt, wie kam er dazu, für seine Behauptung von dem sündhaften Lebenswandel Davids Worte der Schrift zu zitieren, die gerade das Gegenteil behaupten, denn daß der Satz miK . . . l^in an I Könige 15, 5 sich anlehnt, wird auch von S. zugegeben. Ferner wäre es mehr als deplaciert, wenn unser Verfasser die Vielweiberei Da- vids für sündhaft erklärte und dann hinzufügte, daß diese Sünde von den biblischen Schriftstellern verschwiegen wird, während die einzige Quelle für die Vielweiberei Davids gerade diese von ihm getadelten Bücher sind. Nach alldem ergibt sich, daß an dieser Stelle nicht ein Tadel gegen David aus- gesprochen werde, sondern im Gegenteil die Behauptung, daß David »die Thorah nicht gelesen hat«, dahin ergänzt werde, daß sonst seine Handlungen gut und fromm waren, ab- gesehen vom Blute Uriahs; und dies entspricht den Worten der Schrift I Könige 15, 5. Man übersetze daher &£2 »und vorzüglich1) waren die Handlungen Davids«. Möglich auch,

Mittelalter ist an die berühmten Massoreten Ben Ascher und Ben Naphtali zu erinnern; der erste hieß Aaron ben Moses ben Ascher, der zweite Moses b David b. Naphtali, vgl. Baer-Stark 'jflD.1 Wi£rt X-XI.

i) Biblisch rrtj» -erhoben sein« Ps. 47, 10. 97, 9 mischnisch r^p, besonders häufig nSijJD »vorzüglich«.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 695

daß mit S. tts^jn zu lesen ist; aber als Subjekt ist dann »Bfjfla zu fassen, und der Sinn wäre: und diese sünd- haften — Taten Davids geschahen aus Unwissenheit1), weil» wie oben von unserem Verfasser hervorgehoben worden ist, David mit dem Inhalt der Thorah nicht bekannt war.

5, 6: bx )b D3?jn. S.: »and God abandoned them to him«, was aber absolut keinen Sinn gibt; man übersetze daher »und Gott verzieh ihm dieselben«; itj? »eine Schuld erlassen« schon biblisch, Neh. 5, 10 *a\ M m?yj. Es be- zieht sich entweder auf nm« Dl wo Ol wohl für 'Ol steht und daher der Piural DarJPl oder auf rn ''tryö, die Sünde, die David nicht wissentlich beging; vgl. die vor- hergehende Bemerkung.

5, 7: mir Dl Jis nKnn. Auf welche halachische Diffe- renz hier angespielt wird, läßt sich mit Bestimmtheit nicht mehr sagen, aber sicher nicht auf die Differenz zwischen den »Pharisäern und Samaritanern«2; bezüglich nmo Dl, denn dann würde es hier entweder nmb Ol r\» nunn so schon die Schuien Schammais und Hilleis, Niddah 4, 3 oder firm Dl Lev. 12, 2, heißen3). Die hier in Betracht kom- mende Hai. chah hat mit einer n;r zu tun, und nicht mit einer oder r\lbvf und eine Differenz zwischen den Pharisäern und Sadduzäern in na? r\)zbn erwähnt die Mischnah Horajjot I, 3, deren Einzelheiten zwar nicht ganz klar sind4) vgl. die talmudische Auseinandersetzung daselbst , so viel ist aber sicher, daß die Pharisäer die erschwerende Ansicht vertraten; demnach entspricht der Standpunkt unseres Verfassers dem der Pharisäer, da auch er den Gegnern vorwirft, daß sie .12? Dl für rein erklären.

l) uby:, der biblische wie mischnische Ausdruck für eine aus Unwissenheit begangene Sünde.

*) Über diese Differenz vgl. weiter unten Abschnitt IV.

*) Vgl. Aharon b. Eliah aus Nicodemien in seinem min 1D3 Lev. a. a. O.: nveo rrnrin K^i .IST mpn xbtf iojc [3 b$.

*) Die Erklärung des Talmud läßt sich kaum m.t dem ein- fachen Wortsinn der Mischnah vereinigen.

696 Eine unbekannte jüdische Sekte.

5, 7: orrns na wm D'npi^i. Wie S. schon bemerkt stimmt unser Verfasser mit den Samaritanern und Karäern überein, die eine Ehe zwischen Onkel und Nichte für Blut- schande erklären. Die Ansicht Estori Parchis1), daß diese beiden Sekten darin arabischem Gebrauch folgten, wird von unserem Text widerlegt und wir sehen daraus, daß wir es mit einer von den Pharisäern abweichenden alten Halachah zutun haben. Ein fernerer Beweis für das Alter dieser Halachah ist die Tatsache, daß auch die Falascha solche Ehen ver- bieten. So heißt es in dem von Halevy veröffentlichten Pseudepigraph Baruch*), fol. 120 r., daß in einer Abteilung der Hölle, diejenigen sich befinden, die mit ihren Nichten Umgang haben. Sogar aus talmudischen Quellen läßt sich nachweisen, daß eine Opposition gegen diese Ehen existiert hat, denn nur so läßt sich erklären warum der Talmud Jebamot 62 b, Ende gerade solche Ehen als eine be- sonders Gott gefällige Handlung empfiehlt3). Die Pharisäer hätten wohl nie ihre erleichternde Entscheidung durch- gesetzt, wenn sie einfach solche Ehen nur für erlaubt er- klärt hätten, wenige hätten sich bereit gefunden, Ehen zu schließen, die von manchen als Blutschande angesehen werden. Erst als die Pharisäer solche Ehen zu einer gottgefälligen Handlung stempelten, verlor sich die Oppo- sition gegen sie; auf der einen Seite eine von den Pharisäern als gottgefällig empfohlende Handlung, auf der anderen Seite eine häretische Ansicht, die diese Hand- lung für Sünde erklärt da konnte für die Mehrheit

1) mW liriDS V Ende; Zunz. Ges. Schrift. II, 303; Steinschnei- der. Polemische Lit. 398, Anm. 1, und Wreschner, Samar. Tradit. XIV.

2) Erschienen als Anhang zu Te'ezaza Sanbat, Paris 1902.

*) Schorr piVrtfl VII, 34 glaubt hierin persischen Einfluß zu finden, aber in den von ihm aus persischen Quellen angezogenen Stellen werden Verwandtschaftsehen empfohlen, die den Juden als verboten gelten ! Über die Frage, ob der Talmud nur ijnnx '3 oder auch vriK 'S meint, vgl. Tosafot z. St. und Maimonides Issure Biah III, 14.

Eine unbekannte jüdische Sekte. 697

der Juden die Wahl nicht schwer fallen1). Die Oppo- sition gegen diese Verwandtschaftsehe scheint sogar in pharisäischen Kreisen existiert zu haben, jedenfalls erklärt sich bei dieser Annahme die folgende Geschichte aus dem Leben R. Eliesers b. Hyrkanos am Einfachsten. R. Elieser's Mutter heißt es Jer. Jebamot XIII, 13c drängte in ihn gar sehr, seine Nichte Schwesterntochter zu ehelichen, worauf R. Elieser dieselbe mehrmals aufforderte, sich zu verehelichen. Erst als sie zu ihm sprach: »Sieh, ich bin deine Sklavin, die Füße der Knechte meines Herrn zu waschen. < I. Sam. 25, 41 konnte R. Elieser sich entschließen, sich mit seiner Nichte zu verehelichen, die er freilich erst dann »erkannte«, als sie Zeichen der Pubertät zeigte. Der Talmud scheint R. Eliesers Weigerung auf die Minderjährigkeit seiner Nichte zurückzuführen2), jedoch wäre dann nicht zu begreifen, wie R. Elieser der- selben raten konnte, sich zu verehelichen, falls er gegen die Ehen Minderjähriger war. Am einfachsten erklärt sich R. Eliesers Verhalten dadurch, daß er, häufig der Vertreter der alten Halachah, auch in diesem Falle Rücksicht nahm auf die Ansicht, welche eine Ehe zwischen Onkel und Nichte für verboten hielt und daher zuerst dem Drängen seiner Mutter nicht nachgeben wollte und seiner Nichte daher den Rat gab, einen anderen Mann zu suchen. Als er aber sah, daß auch seine Nichte den Wunsch seiner Mutter teilte, hielt er es für ratsam, sein Bedenken gegen eine solche Ehe aufzugeben und heiratete darauf seine Nichte, obwohl sie noch nicht geschlechtsreif war, enthielt sich aber jedes ehelichen Verkehrs, bis sie herangewachsen war3). Höchst

*) Solche rabbinische Institutionen, die der Opposition gegen die Sadduzäer das Dasein verdanken, gibt es ziemlich viele. Vgl. z. B. Cbagigah II, 4 und Menachot X, 3.

*) Im Talmud wird dies zwar nicht direkt behauptet, aber der Zusammenhang, in dem diese Anekdote im Talmud erwähnt wird, spricht deutlich für die von den Komentatoren gegebene Erklärung.

3) Obwohl die Halachah das Recht des Vaters anerkennt, seine

698 Eine unbekannte jüdische Sekte.

lehrreich für das Verhalten des offiziellen Judentums in dieser Frage ist es, daß auch im Mittelalter Stimmen sich erhoben gegen solche Ehen. R. Jehudah, der Fromme aus Regensburg starb 1217 verbietet sie in seinem 'D O'TDn, ed. Wistinetzki 282, sowie in seinem Testament1), was wohl auf karäischen Einfluß zurückzuführen wäre, da R. Judah und sein Kreis auch sonst karäischen Einfluß verraten8).

minderjährige Tochter zu verehelichen, so finden sich im Talmud scharfe Worte gegen minderjährige Ehen. Vgl. z. B. Niddah 13 b Kid. 41 a.

l) Die TDR"! v1 n«i5t 'st mehrmals separat erschienen und auch als Beilage zu dessen D'TDn ICD.

8) Karäischen Einfluß verrat die Behauptung D'H'Dn 'D 283, daß die Ehe einer Schwägerin Unglück bringe, die Karäer verbieten sie ohne weiteres, wie oben zu 4, 20 bemerkt worden ist ! Interessant ist auch die Bemerkung 'Dn 'D 334, daß man die Bethäuser der Karäer respektvoll behandeln solle; vgl. ferr-er Epstein in der hebräischen Zeitschrift "ipim II, 1 11; 33 48; natürlich war es nur eine unbe- wußte Opposition, da ein Mann wie R. Jehudah ganz im rabbin'schen Judentume steckte.

(Fortsetzung folgt.)

Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

Von S. Funk.

Der Wirkungskreis der zwei zuerst behandelten Gerichts- höfe ist genau präzisiert. Das kleinste drei-, beziehungsweise siebengliedrige Richterkollegium kann als Zivilgericht be- zeichnet werden, das dreiundzwanzig- oder fünfundv/ierzig- gliedrige Kollegium war das eigentliche Kriminalgericht; ersteres hatte Geldprozesse zu entscheiden, letzteres über Leben und Tod zu urteilen. Nicht so leicht ist es, die Be- fugnisse des großen einundsiebziggliedrigen Synhedrions oder in früheren Zeiten der Gerusia festzustellen. Es ist dies umso schwieriger, als die politischen Rechte und Machtbefugnisse, die dieses zeitweilig in sehr ausgedehntem Maße besessen hat, von einzelnen, gewalttätigen Herrschern eingeschränkt und von anderen wieder erweitert wurden. Während diese z. B. in der griechischen Zeit als ziemlich weitgehende zu denken sind die hellenistischen Könige begnügten sich in der Regel mit der Zahlung der Abgaben und der Anerkennung ihrer Oberhoheit (Schürer, Gesch. II, S. 191) während die Königin Salome Alexandra bloß den Titel Königin führte, die Regierungsgewalt aber vollständig in den Händen der Pharisäer, d. h. der Gerusia, welche aus Pharisäern bestand, lag (Joseph. Antt. XIII, 24)1), hat

') »Salome überließ,« sagt Wellhausen (Qesch. S. 237) mit Recht, das Gericht und die inneren Angelegenheiten, namentlich die geistlichen, gänzlich dem Synhedrion«. Daß die Pharisäer (nach Joseph. Antt. XIII, 16, 2) die Königin erst um die Bewilligung bitten mußten, die Ratgeber Jannajs hinzurichten, spricht nicht dagegen, wie Büchler (das Synhedrion in Jerusalem 202 Nr. 180) meint. Abgesehen davon, daß das große Synhedrion kein Kriminalgerichtshof war, also damit nichts zu tun hatte, fehlten ja auch in diesem Falle die nach jüdischem

700 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

ein Tyrann wie Herodes, der seine Regierung mit der Hinrichtung der Synhedrialhäupter begann (ebendas. XIV, 9, 4 u. XV, 1, 2) die Rechte seines aus gefügigen Elementen wieder zusammengesetzten Synhedriums, wenn er es nicht ganz beseitigte, was das Wahrscheinlichere ist (s. w. u.), jedenfalls auf ein Minimum reduziert1). Auch nach der Mischna waren diese erheblich. Nach Sanhedr. 1, 5 darf ein (von Gott) nicht gebotener Krieg nur durch Beschluß des einundsiebziggliedrigen Synhedrions erklärt werden, hat dieses die Gerichtshöfe für die einzelnen Stämme einzusetzen, ist es allein berechtigt über ganze Stämme Urteile zu fällen, eine Stadt (wegen Götzendienstes) als abtrünnig zu erklären und sie vernichten zu lassen. Nach der Tosifta (Sanhedr. III, 4) bedarf ein neugewählter König oder Hohepriester der Zustimmung des Synhedrions zur Wahl. Nach einer späteren Quelle scheinen selbst Propheten einer Art von Autorisation oder Beglaubigung von dieser Behörde zu ihrem heiligen

Rechte erforderlichen Beweise und die vorgeschriebene Warnung, die jedem Verbrechen vorangehen mußte (."isorm D"HJJ>, wenn dieses mit dem Tode bestraft werden sollte. Es war ein politischer Akt, ein Akt politischer Notwehr (itJJtP riKTin), eine Tat, für welche das Syn- hedrion schon aus Vorsicht nicht allein die Verantwortung tragen wollte. Ist bei dem greisen Johann Hyrkan eine Osinnungsänderung eingetreten, so hätte dies bei einem schwachen Weibe umso leichter der Fall sein können, und die Pharisäer mußten auf ihre Hut sein. Wellhausen ist auch im Rechte, wenn er in den TCpsußuxspot, die zur Königin Alexandra gehen, um Klage zu führen ge^en Anstobul, der sich mit Hilfe des unzufriedenen Adels der festen Plätze be- mächtigte (Antt. XIII, 16, 5), die D'jpt, d. h. das Synhedrion, erblickt. Eine oberste Behörde wird es jedenfalls auch zur Zeit der Makkabäer gegeben haben. Die Makkabäer, denen der Eifer für das Gesetz das Schwert in die Hand gedrückt, werden die Gerusia, die ja schon zur Zeit Antiochus des Großen von Josephus (Antt. 3, 3) erwähnt wird, sicherlich nicht abgeschafft haben.

») Joseph. Antt. XV, 6, 2; vgl. Schürer, II, 195 und Wieseler, Beiträge zur richtigen Würdigung der Evangelien, S. 215. Vgl. hin- gegen Büchler, Das Synhedrion in Jerusalem, und unsere Ausführungen w. u.

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 701

Amte benötigt zu haben. Die Propheten Obadja und Jeremias sollen nämlich erst, nachdem ihnen die Bewilligung zur Prophetie vom einundsiebziggliedrigen Synhedrion erteilt worden war, zu wirken begonnen haben, und hätte diese von der erwähnten Behörde zurückgenommen werden können1).

Vor allem aber war das Synhedrion der oberste Ge- richtshof, an den sich die Gerichtshöfe niederen Ranges in zweifelhaften Fällen zu wenden hatten (Mischna Sanhedr. XI, 2; Joseph. Antt. IV, 8, 14). In der späteren Graezität wird die Bezeichnung Synhedrion eigentlich nur in diesem Sinne gebraucht (vgl. Schürer II, 194). Als solches hatte es wohl auch deponierte Waisengelder zu verwalten, die schon zur Zeit der Griechen im Tempel aufgehäuft lagen (II. Makk. 3, 10), wie denn der Gerichtshof stets als Vormund der Waisen (d'bvp bw |n*3K) galt.

Das jüdische Synhedrion war aber auch in religions- gesetzlichen Fragen das höchste Forum. Auch die Richter der niedrigen Kollegien wußten in religionsgesetzlichen Fragen Bescheid. Zur Lösung von neuen, noch nicht ver- handelten Fragen war wenigstens in den früheren, vor- christlichen Jahrhunderten nur das große Synhedrion berechtigt. Charakteristisch hiefür ist die Überlieferung R. Joses, eines in historischen Dingen verläßlichen Gewährs- mannes2), in der bekannten, oft zitierten Tosifta (Sanhedrin VII, 2): »In früherer Zeit,« berichtet dieser, »gab es keine Kontroversen in Israel, denn der einundsiebziggliedrige Gerichtshof saß in der Quaderhalle, in den Städten auf dem Lande gab es dreiundzwanziggliedrige und in Jerusalem zwei dreigliedrige Gerichtshöfe, der eine von den letzteren auf dem Tempelberge, der andere im Tempelvorhofe. Hatte jemand eine Halacha zu erfragen, so ging er zum Gerichts-

') Aggadath Bereschith Cap. XIV Ende, vgl. Büchler, Das Syn- hedrion in Jerusalem. S. 69, Anm. 63.

*) Vgl. Herzfeld, Gesch. d. V. Isr. II, S. 458 und Graetz, Gesch. III, Note 22 und 30.

702 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

hofe seines Wohnortes, gab es daselbst einen solchen nicht, so ging er zum Gerichtshofe der nächstliegenden Stadt. Hatte dieser die Halacha gehört (überliefert bekommen), so teilte er sie jenem mit, wenn nicht, gingen jener und der Hervorragende des betreffenden Gerichtshofes zum Gerichts- kollegium auf dem Tempelberge. Hatte dieses die Halacha gehört, so teilte es sie mit, wenn nicht, so gingen jene mit dem Hervorragendsten dieses Kollegiums zum Kollegium im Vorhofe. Hatte dieses sie gehört, so teilte es sie mit, wenn nicht, so gingen sie alle zum Gerichtshofe in der Quader- kammer. Hier wurde nun die Frage aufgeworfen. Hatte das Beth-din die Halacha gehört, so teilte es dieselbe mit, wenn nicht so erhob man sich zur (Stimmen-)Zählung. Waren diejenigen in der Majorität, die (den Gegenstand) für unrein erklärten, sogalt derselbe für unrein, waren hingegen die- jenigen in der Mehrzahl, die ihn für rein erklärten, so war er rein. Von dort ging so die Halacha aus und verbreitete sich in ganz Israel. Als aber die Schüler Schammais und Hilleis, die nicht genügend gedient hatten (d. h. nicht genügend vorgebildet waren), sich ver- mehrten, nahmen die Kontroversen in Israel zu, und es entstanden zwei Lehren« (Tosifta Sanhedr. VII, 2, pag. 425, vgl. Sabbath 86 b). R. Jose führte, wie wir sehen, als Bei- spiel eine Frage über rein und unrein an. In jedem Ge- richtshofe saßen also gelehrte Richter, an welche man sich auch mit religionsgesetzlichen Fragen wenden konnte, aber nur der »Gerichtshof in der Quaderkammer« war befugt, Entscheidungen in neuen, noch nicht gelösten Fragen zu treffen, neue Gesetze zu schaffen. Dieses war die höchste gesetzgebende Behörde, vor deren Forum alle richterliche Entscheidungen, die wichtigsten Verwaltungsmaßregeln wie auch alle religionsgesetzlichen Fragen, gehörten. Man wandte sich an diese nach einer Baraitha (Sanhedr. 86b, 87 a) um Aufschluß: in Fragen, die den Blutfluß bei Frauen betreffen; in Rechtsfragen, in zivil- wie in strafrechtlichen; in Fragen,

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 703

die sich auf Aussatzschäden verschiedener Arten beziehen; in solchen, die auf Banngüter, auf Schätzungen von geheiligten Gütern, auf Abgäben des Bodenertrages Bezug haben, be- züglich der Anordnungen, die zu treffen sind: bei einer des Ehebruches verdächtigten Frau, bei der Darbringung eines Sühnopfers für einen verübten Mord, dessen Täter nicht eruiert werden konnte, bei der Reinigung der Aussätzigen usw.

Nicht zu allen Funktionen war die Anwesenheit von einundsiebzig Mitgliedern erforderlich. So genügte zur Vor- nahme des (Deut. 21, 1) vorgeschriebenen Sühnopfers für einen ungesühnt gebliebenen Mord eine Abordnung von drei Richtern des Kollegiums1), ebenso waren zur Zeremonie des Handauflegens auf das Sündopfer für die Gemeinde nur drei Mitglieder nötig, welche Funktion ebenfalls zu dem Pflichtenkreise des Sanhedrins in der Quaderkammer ge- hörte2). Auch die Einschaltung eines Monates im Schaltjahre erfolgte durch eine Abordnung von sieben Mitgliedern, eine Funktion, die zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben des großen Sanhedrins gezählt wurde3).

Ebenso scheint es für gewisse Zweige der Verwaltung und anderer Landesangelegenheiten Ausschüsse oder Sekti- onen gegeben zu haben. Es waren das jene Männer, die sich mit den »Angelegenheiten der Gesamtheit« ü'3t »3"ns zu befassen hatten. Diese hatten z. B. für die Instandhaltung der Plätze, Straßen und der Zisternen durch Sendboten zu sorgen (Schekalim I, 1). Halevy hat auf einige Stellen hin- gewiesen, in welchen von solchen Verwaltungsfunktionären die Rede ist. Nach Sabbath 114 a mußte jeder, der zum »Parneß« für die Gesamtheit gewählt wurde, in allen Trak-

') Mischna Sota IX, 2: D^-BnT^tf bnn pT Jvro Xvbw.

2) Vgl. Tosifta Sanhedr. III, 4.

3) Mechilta Kap. II Ende, ed. Weiß, S. 4. K. Joschija sucht nur einen Schriftvers zur Begründung, aber die Tatsache selbst wird als bestehend vorausgesetzt.

704 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

taten der Überlieferung Bescheid wissen1) (Doroth ha-Ri- schonim II b, S. 263 64). Halevy hat daselbst auch die Vermutung ausgesprochen, daß einzelne Ehrenstellen und Würden innerhalb der nachtalmudischen Methibhta, wie sie R. Nathan, der Babylonier, im Juchasin schildert, von den alten Hochschulen der Tannaim und Amoraim herrühren, die an die Stelle des früheren Synhedrion getreten sind. Halevy denkt zunächst an die Anordnung der Sitzreihen und an die Geschäftsordnung bei den halachischen Debatten. Nach diesen saßen in der ersten vor dem Methibhtahaupte zehn Männer, welche die erste Reihe genannt wurde, mit dem Gesichte dem Methibhtahaupte zugewendet. Und von den zehn Männern, die vor ihm saßen, waren sieben Häupter der Lehrversammlung und drei Genossen (onsn). Jeder der sieben Häupter der Lehrversammlung (Resch Kalla) war über zehn Mitglieder des Synhedrions gesetzt, die den Titel D'Di^K führten2); diese siebzig saßen in sieben Reihen usw. Diese Einrichtung läßt sich in der Tat weit hinauf in die talmudische Zeit verfolgen. Von den Häuptern der Lehr- versammlung (Resche Kalla) ist im Talmud öfter die Rede

') R. Josua b. Chananja sagt zu R. Qamaliel II nach dessen Absetzung: "1DJ1D ftXUW ThS ib "»lK (Berach. 28a). Vgl. die Baraita in b. Horajoth 13 b: TDICH by D'DJID DJT3K C'ncötP D^DSn iTöSn ■»». Die Bedeutung ist *= Vorsteher, Führer einer Gemeinde oder eines Volkes. Vgl. Joma76b: Till !WB ^KW^ Bf\b HDJJ EP31B D'DJIB "0B>; Taanith 9a werden Moses, Ahron und Mirjam als solche genannt. Chagiga 5b: TOXfl b$ ntonefi W1B. Aus Berach. 28a und 55a ist ersichtlich, daß er sich auch um das leibliche Wohl der ihm Untergebenen zu kümmern hatte. Dieser Ausschuß von D^DJID wird das Mittelglied zwischen der priesterlichen Körperschaft ap/ispsT; und den Resche Kalla sein, wobei natürlich die Funktionen nicht zu allen Zeiten als genau dieselben zu denken sein werden. Sie waren Vorsteher der Gerusia, in späterer Zeit der Gelehrtenversammlung.

') Man wäre versucht, diese Einrichtung schon in dem Senate von Sukkoth zu finden, der Richter 8, 14 erwähnt wird. "pSn nirD,%. VPX nyaten D^a» mpt nxi fiiDC "nff n«. Es waren wohl 7 D-nt? und 70 n^pr.

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 705

(vgl z. B. Baba b. 22 a). Ebenso werden die sieben Sitz- reihen im Lehrhause des R. Jochanan erwähnt, in welchen nur die hervorragendsten Hörer Platz nehmen durften (Baba k. 117 a). Ohne Zweifel ist aber auch »die erste Reihe« (hob «"in), die sich in nachtalmudischer Zeit aus sieben Vorstehern und drei Genossen zusammensetzte, einer alten Einrichtung nachgeahmt und zwar den »S£x<x rcpöToi«, die in alter Zeit eine Art von Ausschuß mit gewissen amtlichen Funktionen gebildet haben1). Wir haben schon in unserer »Entstehung des Talmuds« auf die Gesandtschaft der »zehn Ersten« an Nero hingewiesen, die im Vereine mit dem Hohenpriester und dem Schatzmeister vor diesem erschienen sind, um einen Streit beizulegen, der wegen einer Bauveränderung im Tempel zwischen den jüdischen Be- hörden und dem Prokurator Festus entstanden war (Joseph. Antt. XX, 8, 11). Wir verweisen hier noch auf die Tatsache, daß Josephus bei seiner Verwaltung Galiläas den decem primi zu Tiberias Wertsachen des Königs Agrippa zur Auf- bewahrung übergibt und sie dafür verantwortlich macht (Vita 13, 57)2). Wir werden demnach auch in den »ersten Zehn« der alten Zeit zunächst einen solchen Ausschuß für o»ai '3iis zu erblicken haben.

Qualifikation der Mitglieder.

Wie auf die innere Einrichtung des Sanhedrin, so wirft der erwähnte Bericht über die Methibhta auch auf die Qualifikation der Synhedrialmitglieder manches Streif- licht. Es ist nämlich sehr bemerkenswert, daß nach diesem Berichte, die Stellen der Resche Kalla, wie die der Chaberim

i) Vgl. Schürer II, 172 und Kuhn, Die städt. und bürgerl. Ver- fassung I, 155. Ihr Hauptamt war die Eintreibung der Steuern, für deren richtigen Eingang sie mit dem Vermögen hafteten (vgl. Digest. L, 4, 1, 1 und ebendas. L, 4, 18, 26).

*) Vgl. Schürer (II, 172 und 201), der hellen. Einfluß annimmt, der ältere jüd. Ausschuß war der siebengliedrige Vorstand.

Monatsschrift, 55. Jahrgang 45

706 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

und Allufim erblich waren, d. h., daß sie vom Vater auf den Sohn übergiengen, wenn dieser das nötige Wissen hatte und würdig war, an Stelle des Vaters zu treten. >Das Verdienst des Vaters« war also, wenn die nötigen Vorbe- dingungen vorhanden waren, ausschlaggebend. Und nicht nur das Verdienst des Vaters, sondern auch der Ahnen fiel stets auch in talmudischer Zeit sehr in die Wagschale, wo es sich um die Wahl von Würdenträgern handelte. So hatte auch R. Huna, der gelehrte Schüler Rabs, seine Wahl zum Oberhaupte seiner Abstammung zu verdanken1). Charakte- ristisch hiefür ist die bittere Klage R. Akibas, als R. Eleasar b. Asarja bei der Patriarchenwahl (an Stelle des abgesetzten R. Gamliel) den Sieg über ihn davontrug: »Nicht weil er ein größerer Gelehrter ist als ich (wurde er gewählt), son- dern weil er von größeren Leuten abstammt; Heil dem Manne, dessen Ahnen sich Verdienste erworben, Heil jedem, dem es gegönnt ist, sich an einen Nagel hängen zu können.« Und was für einen Nagel fragt der Talmud hatte denn R. Eleasar b. Asarja? Er war der zehnte (Abkömmling) von Esra2). Wir sehen also, daß vornehme Abstammung, Dirr, bei den Wahlen der Würdenträger eine überaus große Rolle gespielt hat.

Es ist darum mehr als wahrscheinlich, daß auch bei den Männern »der großen Versammlung« und in späterer Zeit bei den Mitgliedern des Synhedrions der Sohn die Stelle des Vaters übernahm8), wenn er das nötige Wissen

l) Vgl. Scheriras Sendschreiben: "OD mm K31B MJin "l 123*1 *) Jerus. Taanith IV, t. Vgl. Berach. 27 b: MD^H M^pjf '"6 ,TDpD

oan Minn m-itp p ""J^x '"^ mapo tb* üum nw mb rnri mS way jotj?1? "»t»? mm vB>y «im.

3) Sanhedr. IV, 4 spricht wohl von Vakanzen, wenn der Ver- storbene keinen würdigen oder gelehrten Sohn hinterlassen hat. Von den Mitgliedern des oben erwähnten Verwaltungsausschusses wird .lies ausdrücklich gesagt. Sifre Deut. 16, 2: Smw "'DnD hsh pOD -K-!B>, anj» Minw *?a Sk-w aipa wai Min b'n arrnrn Dnnij» B.Tiav

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 707

hatte, und daß auch bei dieser obersten Behörde die vor- nehme Abstammung (Din") keine geringe Rolle spielte. Der zweite Vertreter des Volkes in der Liste jener »großen Versammlung«, die den Bund mit Gott unterzeichnete(Nechem. Kap. 10), führt den Namen 3Kiü nno »Statthalter von Moab«. Ein sicherer Beweis, daß die Nachkommen auf die Erinne- rung an das Ansehen und die hohen Stellungen im Staate, die ihre Ahnen inne hatten, Wert legten. Denn solche Ämter wurden in der vorexiüschen Zeit wohl nur den Sprößlingen der angesehensten Familien zugewiesen. Unter den zwölf Statthaltern oder Hauptleuten, die zur Zeit Salomos das Land verwalteten, waren zwei Schwiegersöhne des Königs (1 Kön. IV, 11 u. 15). Es wird darum die Bezeichnung des Josephus für die erwähnte Behörde als yzpouaiai., als adeligen Senat, jedenfalls insofern eine Berechtigung haben, als die Mitglieder oder eine große Zahl davon angesehenen Familien entstammten. Denn auch bei den priesterlichen undlevitischen Mitgliedern dieses Senates, den eigentlichen Trägern der Wissenschaft diese konnten ja ihre ganze Zeit dem Studium widmen, da sie von den Zehnten und von den Abgaben lebten kam die vornehmere Abstammung sehr in Betracht. Schon zur Zeit Sauls hören wir von 85 Priestern, die in der Priesterstadt Nob »das leinene Ephod trugen«, also die andern überragten. Nach Targum Jonathan und den Kommentatoren sind darunter solche gemeint, die fähig waren, das Hohepriesteramt zu bekleiden oder vielleicht auch solche die es bekleidet hatten, also die äp^tspeT? der römischen Zeit, die vornehmen Priesterfamilien. Als oberste, regierende oder mitregierende Behörde hat sie gewiß die einflußreichsten Persönlichkeitun zu ihren Mitgliedern ge- zählt. Aber damit ist freilich nicht gesagt, daß diese nicht

iWtn "1Ö1JJ 133. Dasselbe wird vom T3 3R im Sifre sutta (Jalkut Deut. 416) gesagt: Vß,} pari "'DJJ D^O M3TI 0*33 "6 VJW T3 3kS StfD

Wien -pi \H -idr . . . bmn 1330 pn ipSn -rn* SsS aha min p frwi

•'D'.pD TR.

45*

708 Die Kompetenz der Qericbtshöfe.

die nötigen Kenntnisse hatten. Im Gegenteil. Wir haben schon in unserer 2 Entstehung des Talmuds« auf die Tatsache hingewiesen, daß auch in den modernen Staaten, wo der Adel und der Klerus das Heft in Händen haben, die Söhne der Vornehmen die juridische oder geistliche Laufbahn wählen, um hohe Ämter bekleiden zu können. So war es auch in Judäa: >Die Söhne der Hohenpriester« werden ja noch in der Mischna als Autoritäten in eherechtlichen Fragen angeführt (Kethubb. XIII, 1—2, vgl. auch ebendas. I, 5) und die große Menge von Briefen, die aus den »Provin- zen am Meere« an diese gerichtet wurden, enthielten ohne Zweifel religiöse Anfragen (Oholoth XVII Ende). Wie sich aber die Lehre in den Häusern der vornehmsten Familien erhalten hat, dafür genügt der Hinweis auf die Familie der Patriarchen in Judäa, die von königlichem Geblüte war, und der Jahrhunderte hindurch die bedeutendsten Gesetzes- lehrer, Männer wie Hillel, R. Gamaliel I und II, R. Simon ben Gamaliel, R. Jehuda ha-Nassi I und II entstammten. So wird es auch in manchen anderen vornehmen Familien ge- wesen sein.

Wie jede Institution, hat auch diese im Wechsel der Zeiten wichtige Änderungen erfahren. Durch den griechischen Geist, der mit Alexander dem Großen seinen Einzug in Judäa gehalten, sind manche Stützen des Glaubens wan- kend geworden. Und wie in allen Ländern und zu allen Zeiten, waren es auch in Judäa zunächst die reichsten und vornehmsten Kreise, die sich der Genußsucht ergaben und griechische Sitten annahmen sie wurden Sadduzäer. Zuerst natürlich im Leben, dann in der Lehre. Das Volk hielt es aber mit den gesetzestreuen Pharisäern, die dadurch den größten Einfluß hatten. Nicht erst seit der Regierung Salome Alexandras (76 v. Chr.), wie Schürer meint, sondern bereits früher. Sie standen schon zur Zeit Johann Hyrkans »in so hohem Ansehen bei dem jüdischen Volke, daß man auf ihre Worte hörte, selbst wenn diese gegen den König

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 709

oder gegen den Hohenpriester gerichtet waren« (Joseph. Antt. XIII, 18). Eine Unterbrechung trat wohl in den letzten Regierungsjahren dieses machtvollen Fürsten (st. 103 v. Chr.) ein, da er, von den Pharisäern schwer gekränkt, sich den Sadduzäern anschloß und diesen alle Ämter aus- lieferte (vgl. Joseph. Antt. XIII, 10 und Kiddusch. 66a). Aber selbst die blutigen Verfolgungen, die die Pharisäer unter ihm und noch mehr von seinem späteren Nachfolger Alexander Jannaj (ebendas. XIII, 13) zu erdulden hatten, konnten ihren Einfluß auf das Volk nicht brechen, und als der letztere seinen Tod herran nahen fühlte (st. 79), konnte er seiner Frau keinen weiseren Rat erteilen, als es mit den Pharisäern zu halten, »weil diese beim Volke viel vermöchten« (ebendas. XIII, 23). Die Reichen und Vornehmen werden es darum nur selten gewagt haben, ihren Neigungen in ihrer öffentlichen Tätigkeit zu folgen. Auch die Sadduzäer, sagt Josephus (ebendas. XVIII, 1, 4), halten sich in ihrem amt- lichen Wirken an die Forderungen der Pharisäer, »weil sie das Volk sonst nicht ertragen würde«. Dies wird ganz be- sonders in rituellen und kultuellen Dingen der Fall gewesen sein. »Alle gottesdienstiichen und kultuellen Angelegen- heiten,« sagt der erwähnte Autor, »Gebete und Opfer geschehen nach ihren (der Pharisäer) Anordnungen« (ebendas. XVIII, 13, 15). In diesen Dingen verstand das Volk keinen Spaß. Als der mächtige Alexander Jannaj die am Laubhüttenfeste übliche Wasserlibation, den Saddu- zäern zu liebe, nicht auf den Altar, sondern auf die Erde goß, wurde selbst dieser Machthaber mit den Paradiesäpfeln der Tempelbesucher beworfen (vgl. Joseph. Antt. XIII, 13, 5; Bell. Jud. 1, 4, 3 und Sukka 48 b). Nur von Johann Hyrkan wird berichtet, daß er einige Änderungen im Kultus vor- genommen und bei Strafe die Beobachtung der von den Pharisäern aufgestellten Gesetze verboten habe (vgl. Maasser scheni V, 15, Sota IX, 10 und Joseph. Antt. XIII, 10, 5-6). Zu dieser Zeit haben jedenfalls auch die Mitglieder der

710 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

obersten Landesbehörde gleich dem König der Partei der Sadduzäer angehört. Aber dies hat nur kurze Zeit gedauert. Simon ben Schetach hatdasSynhedrion schon unter Alexander Jannaj vollständig regeneriert; er hat es durchgesetzt, daß nur solche als Mitglieder ins Synhedrium gewählt werden durften, die die notwendigen Gesetze nach der Lehrweise der Pharisäer von der Bibel deduzieren konnten (Megillath Taanith X), und als seine Schwester Salome* Alexandra im Jahre 79 v. Chr. die Regierung übernahm, wurden nicht nur die von Johann Hyrkan verbotenen Satzungen wieder eingeführt und die nicht gesetzestreuen Würdenträger ihres Amtes entsetzt (Bell. Jud. I, 5, 2), sondern auch die Re- gierungsmacht ganz in die Hände der Pharisäer gelegt. »Sie waren mit einem Worte in Nichts von unbeschränkten Herrschern verschieden« (Antt. XIII, 16, 2). Solche Macht- fülle konnten sie nur ausüben, wie Schürer mit Recht be- merkt, »wenn sie in der obersten Behörde, der Gerusia, ein ausschlaggebender Faktor waren« (Gesch. 1, 288). Ob die Mitglieder dieser Gerusia, die durch Simon ben Schetach zusammengesetzt wurde, auch Söhne vornehmer Familien waren, wird kaum zu beweisen sein. Wahrscheinlich ist es nicht. Die Vornehmen waren dazumal sadduzäisch gesinnt und werden ihre Söhne in den letzten Jahrzehnten der blutigen Verfolgungen gegen die Pharisäer kaum zu diesen in die Schule geschickt haben.

Diese Gerusia scheint sich keines langen Daseins er- freut zu haben. Gabinius teilte das jüdische Gebiet in fünf cruvsSpta (Antt. XIV, 5, 4; vgl. auch Sota IX, 11) was eine vollständige Umgestaltung der politischen Verhältnisse zur Folge hatte. Die Gerusia scheint aufgelöst worden zu sein. Ob sie von Cäsar (47 v. Chr.) wieder in ihre Rechte ein- gesetzt worden ist, wie Schürer (II, 193) annimmt, kann nicht mit voller Sicherheit behauptet werden. Das <ruv£o*piov, vor welchem der junge Herodes sich zur Zeit Hyrkans II wegen seiner Taten in Galiläa verteidigen muß, ist keine

Die Kompetenz der Gerichtshöfe. 7il

Gerusia, sondern wie bereits oben bemerkt wurde, ein Krirrsinalgerichtshof, ein fünfundvierziggliedriger, ein kleines Synhedrion diese Bezeichnung wird hierauch zum erstenmal gebraucht und ebensowenig kann von der Versammlung (eruvsSpiov), vor welcher Herodes den alten Hyrkan seiner Schuld überführte (Antt XV, 6, 2), mit Sicherheit behauptet werden, daß diese eine mit den Rechten der alten Gerusia oder des späteren Synhedrion ausgestattete Behörde war1). Diese Behörde scheint erst zur Zeit der Prokuratoren wieder in ihre Rechte eingesetzt worden zu sein. Jose- phus sagt dies mit den Worten, daß seit dem Tode des Herodes und Archelaus die Verfassung des Staates eine aristokratische war, unter der Oberleitung der Hohen- priester (Antt. XX, 10, 4). Die Aristokraten und die Priester kamen also wieder zu Macht und Würden, die Leitung des Volkes wurde den äp^ispst«; anvertraut (Antt. XX, 10, 5). Judäa hatte wieder seine Gerusia oder richtiger ein Synhedrion mit den Rechten der Gerusia2). Dieses stand in gewissen Dingen fast über dem König. Die levitischen

*) Büchler, S, 222 verweist mit Recht darauf, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen, die dem Synhedrion zur Beurteilung hätte vorgelegt werden müssen, Herodes selbst oder ein aus Verwandten des Königs zusammengesetztes Tribunal Urteile fällte und bezweifelt darum den Bestand eines Synhedrlons zur Zeit des Herodes. Keineswegs hat es, wenn er auch ein Schattensynhedrion eingesetzt haben sollte, politische Rechte besessen; es war höchstens ein höheres Qerichtstribunal.

') Von nun an war in der Regel das 71gliedrige Synhedrion das höchste Forum der Juden; nur bei besonders wichtigen Maßregeln wurde die Zahl der »gepanzerten Männer« auf 85, wie in der alten -Großen Versammlung« erhöht. So noch in der bewegten Zeit des Rabban Gamaliel II in Jamnia (Tosefta Kelim, Eaba b. II, 14) und zur Zeit des Patriarchen Judall. (Jebam. 121b). Hiedurch findet auch die Formel: »tö cruv£Spiov xat tcxjocv T/iv Yspoucrtav tuv ulöv 'I-rpr/jX« (Act. 5, 21) die sich Schürer nicht gut erklären kann (vgl. Gesch. II, 196, 16), ihre lichtige Erklärung. Der Verfasser hat keinen »irrtüm- lichen« — wie Seh. sagt sondern einen sehr richtigen Begriff von dem Synhedrion und der Gerusia gehabt.

712 Die Kompetenz der Gerichtshöfe.

Psalmensänger, die gleich den Priestern leinene Kleider tragen wollten, mußten Agrippa 11 bitten, beim Synhedrion die Erlaubnis hierzu zu erwirken. Mit den Vornehmen kamen wieder die Anhänger der sadduzäischen Richtung zu einfluß- reichen Stellungen. Der erwähnte König hat die höchsten Ämter, ja selbst die Würde des Hohenpriestertums an Sad- duzäer verliehen (Antt. XX, 9, 1). Aber von dieser Epoche kann mit voller Gewißheit behauptet werden, daß die sad- duzäisch gesinnten Würdenträger in ihrem öffentlichen Wirken, besonders aber in kultuellen Dingen sich nach den Lehren der Pharisäer richteten. Charakteristisch hierfür ist der Ausspruch des Vaters eines Boethusischen Hohen- priesters: Wenn wir auch die Vorschrift (von der pharisäi- schen Lehre abweichend) deuten, in der Praxis handeln wir nicht danach, sondern richten uns nach den Worten der Weisen (Tosifta Joma I, 8). Der Hohepriester R. Jisch- mael ben Fabi, derselbe, den nach Josephus (Antt. XX, 8, 8) Agrippa II zu dieser hohen Würde erhob, und der bei der Verbrennnng der roten Kuh anfangs nach der von den Sadduzäern gelehrten Weise verfuhr, ließ sich von den Pharisäern eines besseren belehren und verbrannte eine zweite rote Kuh nach der Anordnung der Pharisäer (Tosifta Para III, 6 und Midrasch ha-gadol zu Deut. 19, 9). Hatten darum auch die Reichen und Vornehmen in politischen Dingen die Führung, die religiösen und geistigen Leiter des Volkes waren seit Salome Alexandra die Pharisäer oder richtiger gesagt der pharisäische Geist und die pharisäi- sche Lehre.

Die Ethik R. Saadjas.

Von David Rau s. A, (Fortsetzung.)

Wir untersuchen jetzt daher

2. das Gute und das Böse und das Prinzip

der Ethik.

Die Beurteilung dessen, was gut und böse, was löb- lich und schimpflich ist, hält Saadja für eine so allgemeine Tatsache des menschlichen Bewußtseins, daß nach seiner Meinung selbst diejenigen, welche jede sichere Erkenntnis des Wahren und Falschen leugnen, sich ihr nicht ent- ziehen können1). Allein bei näherer Untersuchung finden wir, daß »gut« und »böse« für Saadja selbst durchaus nicht so feststehende Begriffe sind, wie »wahr« und» falsch«. Während er zwei präzise Definitionen von »wahr und falsch«*) gibt, suchen wir eine so bestimmte und allgemein gültige Definition von »gut und böse« bei ihm vergeblich. Das Gute ist ihm indessen so gut wie das Wahre eine Er- kenntnis der Vernunft, und es läßt sich nachweisen, daß »gut« und »wahr« bei ihm nicht nur verwandte Begriffe sind, sondern auch daß beide sich oft geradezu decken. Ein feststehender, oft wiederkehrender Satz ist bei ihm die Behauptung, daß »das Wahre gut sei«, oder daß wir durch eine intuitive Erkenntnis wissen, daß »das Wahre gut und

*) Emunot I, 36: lmmc mm» EPWpao nnrtK iS vw *on bzz

D"pD . . . DTion d'xbi consan dtdpd onv na *3 . . . njn :6i naio

*) das. Einleitung S. 6: »Wahr ist der Glaube (die Ansicht von einem Dinge), wenn man ein Ding so erkennt, wie es ist, falsch

714 Die Ethik R. Saacijas.

das Falsche schimpflich sei*1). Er nennt das Gute und das Böse geradezu »Wahrheiten«8), und er prüft deshalb das Gute genau ebenso wie das Wahre an dem Satz des logischen Widerspruchs3). Wahr und falsch hält er für zwei sich ausschließende Gegensätze, zwischen denen ein Drittes unmöglich ist, weil Unwissenheit nichts Positives, sondern bloß eine Negation des Wissens sei4). Denselben Gegen- satz bilden aber nach Saadja auch das Gute und das Böse. Das Böse ist nichts Reales, »denn wir stimmen alle darin überein, daß Gott das Böse nicht geschaffen habe«5), wohl aber das Gute, »denn Gottes Wirkungen sind notwendig gut«6). Die Verwandtschaft zwischen wahr und gut geht

wenn man es als Gegenteil von dem erkennt, was es wirklich ist<. das. III, S. 60 oben: »Wahrheit ist die Aussage von einer Sache, wie sie wirklich ist und sich verhält, Lüge (falsch) hingegen ist die Ans- sage von einer Sache nicht wie sie wirklich ist und sich verhält«.

') Emunot I, S. 26: Site KW piXH ; das. S. 7: mn f»pn jhd Sa* njijD atam mto pixnv .bzwz. nbv* "»px; vgl. II, S. 55; III, s. 68.

»i das. IV, S. 80: jnrr. 2«DT1 MICK.

s) das. III, S. 60: Die Lust enthält nB3M und mbx zugleich und deshalb kann sie das Gute nicht sein. Denn jede Erkenntnis die zwei sich gegenseitig ausschließende Gegensätze enthält, ist falsch, vgl, S. 10. Bemerkenswert ist hierbei, daß der Gegensatz von erkennt- nistheoretischen Begriffen gebildet wird, während wir eigentlich ethi- sche erwarten.

«) Emunot II, S. 40: «r.tP T\lbxb pKl . . »IIB' ib V JHD bl . . .

na*» jhdm ■hjjm tfibsan bztt . . .

5) das. I, S. 29: JH N"D xb »IISH '»D uf» DiD'ODD WUK1.

e) das. VI, S. 98: EP3W1 OH»1» D*75 V?j>b "'S« vgl. IV, S. 78 II, s. 57: hbnjj imwbm fem 161 Siyo wkpi . . . »*.wn rwiy tittiiv Dltt.1 DK '»a 1HSJH. Saadja häit noch nicht wie später Mainionides die Materie oder den Körper des Menschen für das Böse (vgl. Rosin, Die Ethik des Maimonides, S. 52). Auch Joseph Ibn Zadik, der auch sonst mit Saadja viele Berührungspunkte hat, hält (Mikrokosmos, S. 38) die Torheit mbSD und das Böse JH.1 ebenfails nicht für einfache Gegen- sätze des Guten, sondern wie Saadja für Negationen des Guten. In einem handschriftlichen J?zirahkommentar des Dunasch ben Tamira (1, § 2) heißt es ebenfalls: K1?« V* jnn ">3 1JH"1 nbl , D'V:x 1JN5

. . . -ose eva rmyrA pm »ipi^Di awi m-tjH vgl. die Stelle bei

Die Ethik R. Saadjas. 715

bei Saadja so weit, daß er sie oder ihre Gegenbegriffe falsch und schimpflich fast identifiziert und oft promiscue gebraucht. So sagt er zum Beispiel an einer Stelle: »Man dürfe die Wunder des Mose gar nicht mit den Wundern der ägyptischen Zauberer vergleichen, denn sie bilden Gegensätze, wie eine gute und eine böse Tat, und der dabei gebrauchte Ausdruck der Bibel will die ägyptischen Zauberwerke als »schimpflich« bezeichnen, nicht als »wahr«1). Hier hat »schimpflich« offenbar die Bedeutung von »falsch«. In ähnlicher Weise nennt Saadja auch sonst das Irrige, Falsche in einer Ansicht das Böse2). Es kann uns deshalb auch nicht wundern daß Saadja diejenigen, welche die Wahrheit erforschen. Fromme, und diejenigen, die es nicht tun, Frevler nennt3). Wir würden nach unserer heutigen Anschauung und nach unserem Sprachgebrauch statt Fromme und Frevler in diesem Falle weit eher Weise und Toren sagen. Weise und Toren hinwiederum gelten bei Saadja als ethische Benennungen, wofür wir die Bezeichnung Fromme und Frevler passender halten4). Der Tor oder der Unwis- sende kann nach Saadja mit Recht als Frevler bezeichnet werden, »weil das Böse (Unrecht) unter anderem aus man- gelhafter Erkenntnis der Wahrheit geschieht«5).

Dadurch aber, daß er gut und wahr für verwandte Begriffe hält, haben wir über den Inhalt des Guten selbst noch gar nichts erfahren. Wir können höchstens daraus

Guttmann a. a. O. S. 100, Anm. 7. Das Böse spielte in der Kirchen- lehre vollständig die Rolle der Materie in Piatos System. Saadja hält «ich davon fern, Mamonides ist schon davon beeinflußt.

») Emunot in, S. 64: nna*1? *b obyt nwaS nt -o . . . B,TBr6a vgl. III, S. 62 unten.

2) das. II, S. 47: njn ib"dvi . . ysxnb wiix n^no rm.

J) das., Einleitung S. 2. Fromme = B'pHX, Frevler = o^jNtn, weil sie die Wahrheit vergewaltigen: PONH CDOin üüV ^BB.

*) das. X, S. 145; vgl. jedoch IV, S. 77 oben. das. IV, S. 80, oben*

6) das. IV, S. 98: ... mas wbv bx "o i^ pK bvyn »a wm

716 Die Ethik R. Saadjas.

schließen, daß wie die Vernunft für das Erkennen sie auch ebenso für das sittliche Handeln das erste Prinzip werde bilden müssen. Allein in der Erforschung der Wahrheit legt die Vernunft »die Realität der Dinge ihrer Erkenntnis zu Grunde« und richtet sich nach ihnen1), wonach soll sich aber die Vernunft in der Erkenntnis des Guten richten oder woran erkennt sie das Gute? Diese Frage gerade hat von Sokrates bis zur Gegenwart die verschiedensten Beantwortungen gefunden, und diese hauptsächlich bilden die Differenzpunkte der verschiedenen ethischen Systeme. Die Vernunft kann, da es sich in der Ethik hauptsächlich um den Menschen handelt, das Gute als etwas auffassen, das in Beziehung zum menschlichen Streben steht. Der Mensch erstrebt naturgemäß sein Wohlbefinden; also wird die Ver- nunft das Wohlbefinden,, sei dieses nun das Wohlbefinden des Einzelnen oder der Gesamtheit oder das Wohlbefinden des Einzelnen und zugleich der Gesamtheit als »Gut« be- zeichnen. Folgerichtig wird sie aber auch nicht umhin können, alles, was dieses Gut erreichen hilft, »gut« zu nennen. Die Ethik wird dadurch zur Güterlehre, die alles nur nach dem Maßstabe des Nutzens und Schadens be- urteilt. Die Vernunft kann aber auch das Gute mit einem gewissen Zustande oder einer Beschaffenheit des Menschen oder seines Handelns in Beziehung setzen und dann diesen Zustand oder diese Beschaffenheit als »gut« bezeichnen. Die Ethik wird dann bei diesem Charakter des Guten zur Tugendlehre. Es kann sich endlich die Vernunft das Gute auch als etwas Selbständiges, an und für sich Seiendes, wie zum Beispiel den Begriff des Wahren, denken und es, weil es ein absolut Wertvolles und Würdiges ist, zugleich für ein Notwendiges halten, das der Mensch in seinen Ge- sinnungen und Handlungen zum Ausdruck bringen muß.

») Emunot Einleitung S. 6: onann mnDK BVV na rttWDil tiSTW

*a anm w\vh injn ovv »a Tetaun ^osm . . . injn dh^jj avuei vtv . . . injn in« maVin tmrsn mno», vgl. i, S. 34 unten.

Die Ethik R. Saadjas. 717

Die Ethik entwickelt sich bei diesem Begriff des Guten zu einer Pflichtenlehre. Alle diese Begriffe des Guten, und mithin auch alle drei Formen der Ethik, finden sich bei Saadja, jedoch gehen sie nicht getrennt neben einander her, sondern stehen in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu einander und sind mit einander verbunden. Wir werden trotzdem versuchen, sie von einander zu sondern und jeden Begriff des Guten für sich untersuchen.

Saadja geht wie Aristoteles in seiner Ethik haupt- sächlich von dem Gedanken aus, daß alle menschliche Tätigkeit nach einem Zwecke strebe, und daß dieser Zweck zunächst das dem Menschen Nützliche sei. »Denn der Mensch würde vergeblich tätig sein, wenn er zwecklos handelte, weil er seinen Nutzen außer acht ließe«1). Daß, der Mensch das Nützliche daher als etwas Gutes schätzt ist ganz natürlich und folgt auch daraus, daß er von Natur »alles verwirft, was ihm schädlich ist«2). Das Nützliche ist für Saadja deshalb allemal das Gute und das Schädliche immer das Böse)3. Nützlich und schädlich sind aber nur relative Begriffe, die den Dingen selbst nicht anhaften. »Denn Gott hat nur solche Dinge geschaffen, die sich dazu eignen, daß der Mensch, je nach seiner Wahl, Gutes oder Böses in ihnen finde. Wenn er zum Beispiel ißt oder trinkt, um seinem Bedürfnisse zu genügen, so findet er darin das Gute, nimmt er aber mehr davon, als er verträgt, so ge- reicht es ihm zum Unheil«4). Der Wert kommt den Dingen also nicht von vornherein zu, sondern wird ihnen erst bei- gelegt infolge des Zweckes, dem sie dienen, oder nach

») Emunot I, S. 38: kS1? tyie kihpd rhvnb tyiD .t,t DTKn >D inSmr rrjö «in» ^jdd ,,-ity.

*) das. IV, S. 79: \npw 1»K inn DN1D D"7Kn "O.

3) das. I, S. 26 wird das Gute und das Böse mit dem Nützli- chen und Schädlichen identisch behandelt und ebenso III, S. 58—64.

*) das. I, S. 29: nittb ,T.T» D^DID DH D^SlS «"O "JK DK1 ,Dlto HT .T.T . . . 1315t *D3 SdxDI SdJC DK» ,WHTiaa jm Dito DTO

jn m ,"i\t Sdid i:"k» no oio ns*.

718 Die Ethik R. Saadjas.

den Wirkungen, die sie für den Menschen haben. Schmerzen und Krankheiten sind unleugbar Übel, und Saadja gibt ihnen mehr als einmal1) das Prädikat »böse«, nichtsdesto- weniger bezeichnet er sie immer als »gut?, wenn er in ihnen einen Zweck entdeckt zu haben glaubt2). Umgekehrt erscheint dem Menschen alles als »gut«, was er begehrt oder wonach er strebt8), und Saadja leugnet das nicht etwa, sondern hält die menschlichen Triebe von Natur für durchaus berechtigt4). Einen sittlichen Wert oder Unwert jedoch legt er dem Begehren und dessen Objekten erst bei, indem er sie auf einen Zweck bezieht und sie nach ihren Wirkungen prüft6). Was dem Zwecke entspricht, das ist das Nützliche und Gute, was dem Zwecke widerstrebt, das ist das Schädliche und mithin verwerflich6). Welches dieser Zweck ist, worauf die Vernunft bei der Prädizierung der Dinge Rücksicht zu nehmen hat, bleibe vorläufig da- hingestellt. Wir werden später sehen, daß er nicht auf die Sphäre des handelnden Subjekts beschränkt bleibt. Gleich- viel, der Wert des Guten besteht doch immer darin, daß sich das menschliche Streben darauf richtet und die Ver-

') Emunot X, S. 148—156, sie bilden dort die ständige Gruppe der Übel und die Kehrseite der von Saadja zurückgewiesenen soge- nannten höchsten Güter.

2) das. IV, S. 76: -naya ,i^ caitt btikscbi . . d«WD -iij; T^crn . . . jtt3<i VKttna 31»'», das. V, S. 87: *n ,0'p'TOrl b3B3 n*7j?in,n Sbk . . . ljHip

3) das. X, S. 145: a^man wjte i3rtD,n^ . . . n»K kim mann nai a-a-in e^mSam aion rr-im moh

*) das, X, S. 145: iljfl Bipo K31BM 3MW KnP HDD "IHK ^33^ V 13 WBT\W, vgl. das. IV, S. 77 oben.

5) das. x, S. 145: ans piann*? mann naa payrr m . . . imnK .tww tra ,ia j>j?" m j>3db b^iju idibi irr-in« ran* bki ,B3naSi

UB'Qft fjT« MAI |D J>3B PTltt 13*3 nXT BKI ,nn31B>B.

•) das. iv, s. 77 : ^ lotim rA jnS a.na nahn iw miKnm . . . . . . Satfa nBipaa nam nn« ba wvb bk *3 ,13 aa^ain ttb Bann »3 ,nawB nvr *\r\nn njta ia psyna «in om . . riTOn tdjhS fiwn rmtn n3i3B n\T ,mB"Kn jb ia pejnwn.

Die Ethik R. Saadjas. 719

nunft das Objekt des Strebens als zu irgend etwas brauch- bar erkennt. Da nun aber unendlich vieles nützlich und brauchbar sein kann, so muß auch das Prädikat »gut« ebensovielen Objekten zugeschrieben werden, und das Gute kann durchaus nicht einzig auf ein Objekt allein be- schränkt werden. Saadja erkennt dies im zehnten Abschnitt an und unterläßt es absichtlich den Begriff des Guten zu fixieren, ja durch seine Kritik der dreizehn verschiedenen Lebensrichtungen bestreitet er sogar, was er in seiner Re~ ligionsethik behauptet1), daß es bei der Mannichfaltigkeit der menschlichen Natur einen einheitlichen Begriff des höchsten Gutes geben könne. Ein solcher Begriff erscheint ihm dort vielmehr ganz unberechtigt, einmal weil wir nicht bloß eine Neigung, sondern viele Neigungen haben, die alle berechtigt sind2), und dann, weil jedes Gute, welches als ein vermeintlich Höchstes einseitig erstrebt wird, bei näherer Untersuchung eine ganze Reihe von Übeln in seinem Gefolge zeigt3). Es läßt sich das Gute nicht ein- heitlich bestimmen, und Saadja beweist uns, daß selbst König Salomo, der sich mit dieser Frage eingehend be- schäftigte, es nicht vermocht hat. Er fand nur immer ein- zelne Objekte, in denen das Gute enthalten war, und konnte uns nur andeuten, daß das Gute nur durch Beobachtung auf empirischem Wege zu erforschen sei4).

Neben dieser relativen Wertschätzung des Guten, in der als gut nur gilt was nützlich, und als böse was schäd- lich ist, erkennt Saadja auch einen absoluten Wert des Sittlichen an, der vom Begehren und Streben ganz unab-

») Emunot III, S. 58: nubvn rmnm nmoan nnSxnn. 8) das. X, S. 144 unten; 145 ff.

*) das. X. S. 147 158 in der Untersuchung der dreizehn ver- schiedenen Lebensrichtungen

*) das. X, S. 146 oben: ritt pDJttHtP TVl (3 r\übv Dann TKXDtP

'iai . . . man «in no vgpmh, das.: 161 ... nbttn D*ijwn T,ina tot *jk ^-#3 nx {"a ~\wüh ofci ':« 'rnn ,idkb> ms ,aion mrw nea \"yb n^i, vgl. übrigens Strümpell a. a. O. S. 247 über Piatos Begriff des Outen.

720 Die Ethik R. Saadjas.

hängig ist. Während in der relativen Wertschätzung das Objekt erst dadurch gut wird, daß wir unser Streben darauf richten und unsere Vernunft es als ein Mittel zu irgend einem Zwecke schätzt, trägt das Gute in der absoluten Wertschätzung seinen Wert in sich selbst und erregt da- durch allein das Wohlgefallen der Vernunft. Schon durch die nahe Verwandtschaft, in der bei Saadja der Begriff des Guten zum Begriff des Wahren stand, ließe sich erkennen, daß dem Guten ein objektiver Wert zukommen müsse. Diesen objektiven Wert behauptet Saadja aber auch aus- drücklich und unterscheidet darin sogar zwei Formen, die wir heute zwar sehr wohl unterschiedlich beurteilen, die er noch, wie Plato schon1) vollkommen konfundiert, nämlich den ästhetischen und den rein ethischen Begriff des Guten. Die ästhetische Auffassung des Guten hat Saadja unleug- bar der antiken Ethik entlehnt. Denn es war ein Nati- onalzug des alten Griechenland das Schöne mit dem Guten in der engsten Verbindung zu denken und dieses als eine Art von jenem anzusehen. Saadja findet aber mit der Meisterschaft, mit der er die biblische Literatur beherrscht, die ästhetische Auffassung des Guten schon im Buche Ko- helet vertreten und deutet das Gute dort als das Zeitgemäße oder den Umständen nach Passende und Angemessene2). Das Gute wird hier nicht von dem Zwecke, dem es etwa dient, abhängig gemacht und deshalb auch nicht nach dem Maße des Nutzens oder Schadens geschätzt; es wird gar nicht in Objekten, sondern vorwiegend in Verhältnissen ge- sucht. Die urteilende Vernunft läßt den Inhalt des Guten fast gänzlich außer acht, sie kümmert sich nicht im min-

') Im Phileb. 53 c behauptet Plato den objektiven Wert des Outen: aurö xat^ auröv Sv, oücta. Über das Verhältnis des Schönen zum Quien, vgl. Strümpell, Praktische Philos. d. Qriech., S. 226 ff.

s) Emunot X, S. 161: ,TWW ,.173 TDfll HD" 1»H D,T^JJ SpDlfll

San rm -idxp ioa .rmSna xb nb mmn rya man» nneno nnn bz inj>n nc ntpy. Koh. 3, n das.: avt» i3i *?d niB>j> mm n& unp nnsrr "inya dnd».

Die Ethik R. Saadjas. 721

desten darum, in welchen Beziehungen es für uns oder für andere brauchbar und nützlich ist, sondern sieht es in Verhältnissen liegen, die ihr rein formal wie das Schöne, je nachdem sie passend sind oder nicht, gefallen oder miß- fallen. Diese Art der Wertschätzung, in der das ethische Urteil nicht von einer vorliegenden Tat, sondern fast aus- schließlich von den darin liegenden Verhältnissen ausgeht und von ihnen bestimmt wird, kommt bei Saadja in einer großen, zusammenhängenden Reihe von Beispielen zum Ausdruck.

Wir führen sie mit Weglassung der biblischen Zitate im Folgenden an: »Die Gottesverehrung der Frommen hat einen höheren Wert als die anderer Menschen; umge- kehrt aber gebührt auch der Sünde des Frommen eine schärfere Verurteilung als der anderer Menschen. Die Gottes- verehrung an einem besonders bevorzugten Ort gewinnt durch denselben an Wert; umgekehrt wieder ist oft die an einem solchen Ort begangene Sünde um so mehr zu ver- dammen. Dem Jüngling ist die von ihm geübte Enthalt- samkeit als ein um so größeres Verdienst, dem Greise die begangene Ausschweifung als ein um so schimpflicheres Laster anzurechnen. Die Redlichkeit der Armen verdient um so höhere Anerkennung, der Betrug des Reichen um so entschiedenere Verurteilung. Die dem Feinde geleistete Hilfe ist als ein um so größeres Verdienst, der dem Freunde zu- gefügte Schaden als eine um so schwerere Schuld zu be- trachten. Die Demut des Vornehmen verdient um so größere Anerkennung, der Hochmut des Niedrigstehenden um so strengere Verurteilung. Die Vergewaltigung des Armen, die Beschädigung des Weisen oder eines dem Wohle Anderer sich widmenden Menschen, die Bedrückung einer größeren Gemeinschaft, die Ausübung einer Sünde an einem gott- geweihten Tage müssen um so schwerere Vergehen, hin- gegen die Mildtätigkeit des Armen, das Fasten eines durch die Genüsse des Lebens verwöhnten Menschen als um so

Mon Jahrgang. 46

722 Die Ethik R. Saadjas.

größeres Verdienst angesehen werden«1). Man wird in all diesen Beispielen nicht verkennen, daß das, was hier gelobt oder getadelt wird, von allem Begehren und Streben des urteilenden Subjekts vollkommen unabhängig ist. Der Grund für die ganz besondere Wertschätzung der dem Feinde ge- leisteten Hilfe oder der vom Armen geübten Redlichkeit oder Mildtätigkeit ist weder ein zu dämonistischer, noch ist er in Nützlichkeitsrücksichten zu suchen. Er liegt vielmehr darin, daß die Vernunft die Hilfeleistung, die Redlichkeit und die Mildtätigkeit als ein an und für sich Würdiges und Wert- volles erkennt und sie deshalb schätzt. Die Schätzung wird aber größer, wenn sie sich, wie in den meisten der oben angeführten Fälle, Verhältnisse denkt, in denen das Gute gerade gegen alle Rücksicht auf das Wohl und den Vorteil des handelnden Subjekts geübt wird; darum ist die Enthaltsamkeit des Jünglings, die Redlichkeit des Armen, die Hilfeleistung des Feindes, die Mildtätigkeit des Armen und das Fasten des Zärtlings besonders lobenswert. Be- trachten wir einmal die übrigen der oben zitierten Fälle näher: »Die Gottesverehrung der Frommen hat einen hö- heren Wert als die anderer Menschen«. »Die Gottesverehrung an einem besonders bevorzugten Ort gewinnt durch den- selben an Wert«. Alle Sätze, diese sowohl als die anderen, enthalten eigentlich eine doppelte Beurteilung: erstens, daß die Gottesverehrung einen Wert habe, zweitens, daß sie unter Umständen einen höheren Wert habe. Diese doppelte Beurteilung liegt natürlich ebenso auch den Gegensätzen zu Grunde. Erstens: die Sünde, die Ausschweifung, der Betrug, der Hochmut usw. sind verwerflich; zweitens: sie sind unter gewissen Umständen in gesteigertem Maße ver- werflich. Wir lassen die erste Beurteilung hier vorläufig außer acht und fragen, worin hat die zweite, die eine Steigerung des Lobes oder des Tadels herbeiführt, ihren Grund? Offenbar darin, daß in dem jedesmaligen Falle ein

») Emunot V, S. 92-93.

Die Ethik R. Saadjas. 723

7rps7rov in den gedachten Umständen und Verhältnissen ent- halten ist, das nun entweder gewahrt oder verletzt wird. Dieses 7cp£rcov oder Passende und Angemessene hat seinen eigenen selbständigen Wert, der zu dem ersten schon vor- handenen noch hinzukommt und dadurch die Steigerung bewirkt. Die Gottesverehrung der Frommen hat also darum einen höheren Wert als die anderer Menschen, weil sie den Frommen ganz besonders ziemt, und ebenso verdient um- gekehrt, um von den Gegensätzen nur ein Beispiel anzu- führen, der Hochmut des Niedrigstehenden deshalb eine strengere Verurteilung als der des Hochstehenden, weil er ihm nicht ziemt und deshalb ganz unpassend ist. Daß Saadja alle diese Urteile nach ästhetischer Wertschätzung gefällt habe, haben wir umsomehr Grund anzunehmen, als er selbst das Schöne als das den Umständen nach An- gemessene definiert hat und dann, weil auch bei Plato, von dem Saadja und wahrscheinlich schon sein Gewährsmann Sa- lomo, der vermeintliche Verfasser des Buches Kohelet, be- einflußt ist, das -rcpsTCov dasjenige ist, welches bewirkt, daß alles, womit es sich verbindet, als y.<x1qv erscheint1). Der ästhetische Wert des Sittlichen bleibt aber nicht auf das wpexov beschränkt, sondern nähert sich bei Saadja ähnlich wie bei Plato dem des ethisch Guten, mit dem es dann zusammenfällt. Das Schöne ist nicht bloß, wie wir es nach Saadja oben definiert haben, das der Zeit oder den Ver- hältnissen nach Passende und Angemessene, sondern es hat seinen eigenen Inhalt, der vorwiegend den Tugend- begriff in sich enthält, aber teilweise auch schon in den Pflichtbegriff hinüberspielt und dadurch mit dem Inhalt des ethisch Guten übereinstimmt. »Die Vernunft« heißt es an einer Stelle3), »hält die Gerechtigkeit und die Rechtlich- keit für etwas Schönes, und ebenso betrachtet sie als etwasi

!) Plato, Hippias maj. p. 294.

») Emunot IX, S. 130: flll^l »WITtl pn3£H \bsvh HB"» p

. . . jnn |o vwrfa ai»a.

46*

724 Die Ethik R. Saadjas.

Schönes, die Menschen zum Guten anzuleiten und sie vor Bösem zu warnen.« »Die Ausübung dessen, was seine Ver- nunft als etwas Schönes erkennt, verursacht dem Menschen Gefahren und Unannehmlichkeiten aller Art1). Zunächst sei hier darauf hingewiesen, daß das, was hier als schön bezeichnet wird, wieder durchaus nichts ist, das der Mensch oder die Vernunft um eines Zweckes willen oder eines Vorteils und Genusses wegen schätzt. Sein objektiver Wert ergibt sich auch daraus, daß, während hier die Gerechtig- keit als etwas Schönes bezeichnet ist, sie an anderen Stellen als »gut« prädiziert wird2). Wie wir aber oben schon gesehen haben und auch weiterhin zeigen werden, ist das Gute des trnt, welches Wort bei Saadja sowohl Gerechtigkeit wie Wahrheit bedeutet 3), ein absolutes und objektives. Mithin wird hier auch dem Schönen ein ob- jektiver Wert zuzuschreiben sein4). Als »schön« wird aber ein Zwiefaches bezeichnet, einmal eine Tugend und dann eine Pflicht. Denn die Unterweisung Anderer im Guten und Bösen bezeichnet Saadja ausdrücklich als eine Pflicht5). Das Schöne identifiziert sich nach dieser Richtung also schon mit dem ethisch Guten, aus dem er den Pflicht- begriff eben ableitet. Wir können deshalb diese Seite des Schönen außer acht lassen und wollen jetzt hauptsächlich das Schöne als in der Tugend liegend beachten. Gerechtig-

») Emunot: fTCl K^l . . . D1K ">A flXJtf VUMPrH ,nbx bl J1K D"p1 . . l'rSB''? nt"V HD3 T\b& bl bx im« IP3&, daß der Mensch es wirk- lich übt, geschieht im Vertrauen auf die göttl. Vergeltung.

») das. I, S. 26: sie NY1 piSKll n. a. m.

s) das V, S. 86 wird der p"H5t dem jjen entgegengesetzt. IV, S. 76 wird jnif mit derselben Bedeutung wie riDK gebraucht DDK "IK13D plitl iTMa; Einleit. S. 7 bildet p-|3C den Gegensatz zu DT3, während II, S. 55 fiDX in derselben Verbindung den Gegensatz zu ST5 bildet. Zu der letzteren Steile vgl. ZDMO. Bd. 33, S. 707.

*) Auch Plato behandelt das Sixoaov, xaxöv und aya^öv als absolute Begriffe und Werte Rep. V, 47oa; vgl. Zeller II, 1 S. 545 ff.

5) das. S. 3: }d i^k BT»vn *by nain m tfryn *s wm ^bv pn.

Die Ethik R. Saadjas. 725

keit und Rechtlichkeit sind Begriffe, die nicht Gegenstände bezeichnen, sondern ein auf bestimmtes Verhalten des Men- schen angewendet werden. Saadja selbst rechnet sie zu den Qualitäten der Seele und spricht sie, weil sie nur Akzidenzien seien, in seinen metaphysischen Untersuchungen sogar der Gottheit ab3). Es sind also gewisse Eigen- schaften der Seele, die der ethischen Beurteilung unter- worfen sind oder richtiger wohl, da Saadja alle Eigen- schaften und Neigungen an und für sich für ethisch ganz indifferent, ja sogar für berechtigt hält2), es ist eine be- stimmte Art und Weise des menschlichen Verhaltens oder Handelns, an die die Vernunft den Maßstab der sittlichen Wertschätzung legt. Wir zitieren als Beispiel eine Stelle, die Saadja zur Widerlegung der dualistischen Schöpfungs- theorie benutzt. »Der Mensch zürnt und grollt, dann ver- söhnt er sich und verzeiht und spricht, ich habe verziehen. Wenn es nun der Gute ist, der verzeiht, so war es doch auch dieselbe Person, welche vorher zürnte, und wenn es der Böse war, welcher verzeiht, so ist er doch dadurch, daß er verzeiht, wieder gut geworden. Ferner sehen wir, daß ein Mensch mordet und stiehlt und wenn man ihn zum Geständnis veranlaßt, so gesteht er, was er ge- sündigt und was er verübt hat. Ist es nun der Böse, welcher bekennt, so ist er durch das Bekenntnis doch längst ge- recht geworden und das Gerechtsein ist gut3). »Wie hier der Begriff p"rit unverkennbar einen Zustand oder ein Ver-

») Emunot II, S. 52. »Wenn es in der Schrift heißt, daß Qott etwas liebe oder hasse, so ist das so aufzufassen, daß alles, was er uns zu lieben und zu tun befohlen hat, als von ihm geliebt anzu- sehen ist, wie es heißt: Der Ewige liebt das Recht (Ps. 37, 28) oder: Gerecht ist der Ewige, er liebt Gerechtigkeit (Ps. 11, 7).

») das. X, S. 144, 145.

8) das. I, S. 26: Der Verzeihende also wird als der Gute und der Zürnende als der Böse prädiziert. Ganz besonders beach- tenswert ist der Schluß: an kh piÄtf piat iaa min» kh jnn am.

wo wir p"i5t verbal nehmen.

726 Die Ethik R. Saadjas.

halten des Menschen bezeichnet, den die Vernunft eben als gut erkennt, so liegt auch in dem synonymen Begriff "HPV, den wir oben mit Rechtlichkeit übersetzt haben, ein Verhalten, und zwar das rechte Verhalten ausgedrückt. Sa- adja benützt ohne Ausnahme das Verbum dieses Begriffes in der Bedeutung »ein richtiges Verhalten lehren«?:1). Wenn nun ein richtiges Verhalten der Vernunft als »schön«, also als ein für sich Wertvolles gilt, so wird sie auch darnach streben, dem Menschen eine solche sittliche Konstitution zu geben, die unter allen Umständen den Vorzug verdient und den Menschen in jeder seiner Natur entsprechenden Beziehung glücklich sein läßt. Denn das Glück, d. h. das Wohlbefinden, bleibt auch für Saadja der Angelpunkt alles menschlichen Strebens. Nach diesem Gesichtspunkte ist die philosophische Ethik Saadjas im zehnten Abschnitt, die das gesuchte Gut nicht in einem einfachen Objekt findet, angelegt und so allein ist sie erst richtig zu ver- stehen. Das Gute wird dort überhaupt nicht in Objekten gesucht, sondern in der harmonischen Vereinigung aller das innere Leben des Menschen konstituierenden Elemente2),

») Wir verweisen auf Em. S. 3 (siehe S. 724 Anm. 5); das. III S.

60 unten: ■snjwtfi ,T\ihyo bx ijrrtp ^3 i»\n th.-i Dix •oaS nnnSi.. .

. . . Dl» ^a Wfl^i das. V, S. 87: Ol« "»»ö D'31 13 ViB»rP "IISJD^. Bemerkenswert in III, S. 60 ist der Ausdruck JTWfl "]"H; bei Saadja ist es der Weg, das Verhalten, auf dem man z<\ Vorzügen gelangt, flbjm bedeutet wie flJTTD V, S. 85 ff. sittliche Stufe. mtP\1 *]"n als ethisches Maß findet sich in der jüdischen Literatur häufig: Abot II, 1 u. rblttn *p"l II, 9; Gabirol, Tikkun Middot ha-Nefescb, ed. Lune- ville, V, 3; Maimonides, Hüchot Deot I, 3 6. Bachja, Herzens- pflichten, ed. Leipzig, 1846. VIII, 3 p. 385, IX, 3 p. 407, 408 hat statt n*HT,n "pin immer JTBM "1T\, es bedeutet das aristotel. Mittelmaß welches von fast allen jüd. Religionsphilosophen angenommen wurde. Vgl. Juda Halewi, Kusari, ed. Leipzig, 1853, II, 50 Anfang; Abraham Ibr Daud; vgl. Rosin, Ethik d. Maimonides, S. 24; ganz besonders Maimonides Hilchot Deot I, 4 ff.

2) Emunot X, S. 144: [5... 'K moa VD"* bl rUTT *b D"Wfl**.

. . . w# ppn ib obv ,ttyoi m by iwurn runm dikh nno nixapnnn

Die Ethik R. Saadjas. 727

und Saadja hatte insofern Recht, den Zustand und das Verhalten des Menschen oben nach ästhetischer Schätzung zu beurteilen, als das Gute ja in dem richtigen Maß und Verhältnis besteht, das zwischen seinen Bestandteilen ob- walten muß. Diese Bestandteile sind aber eben die dem Verhalten des Menschen zu Grunde liegenden oder es be- einflussenden Triebe, Neigungen und Eigenschaften1). Das Gute liegt also gewissermaßen in der glücklichen Harmonie des ganzen Menschen. Wird diese Harmonie durch einsei- tige Berücksichtigung einer Neigung gestört, so wird auch das Gute unvollkommen und mangelhaft2). Eine solche Bestimmung des Guten, die das letztere nur in dem rich- tigen Verhältnisse sieht, das zwischen den einzelnen Nei- gungen und Abneigungen der Seele herrschen müsse, führt aber notwendig zu einer Ethik, die den Schwerpunkt des sittlichen Ideals nur in dem schön und richtig geordneten Verhältnis des Menschen zu sich selbst oder der einzelnen Teile seines Wesens zu einander finden kann. Eine solche Ethik ist denn auch die philosophische Ethik Saadjas im zehnten Abschnitt tatsächlich. Sie fragt wohl nach der besten Art des Handelns, sie versteht aber darunter nicht die Frage, wie das handelnde Subjekt das Gute nach außen hin tun, oder wie es ein Gutes außerhalb seiner eigenen Interessensphäre bewirken solle, sondern wie und durch welche Art und Weise der Tätigkeit der Gesamtzustand

DV«> rj'Jj? hl WP }3 TNT WK31 . . . lSptPM übpV I1?*« . . .T.T1

copiriDi

') ."GH« Liebe und HK9V Haß sind für Saadja Kollektivbegriffe, sie umfassen die vielen Trieoe und Neigungen, die von dem unteren und oberen Begehrungsvermögen ausgehen. Jede Neigung wird ,*Hö genannt Als ethische Hauptregel stellt Saadja deshalb auf: n\T#

vnovi einrv nun wbm »lwnsa bvn on»n x, s. 145.

2) Emunot X, S. '.46 bzx .ahvrm iltpo .JpJinD ni'JHJ in« ^31... niD-em moto dk 'a [nan n\T kS annannna. Als »vollkommen« gilt

bei Saadja a] es, was weder zu viel noch zu wenig enthält: *imn s3

pnon kS*. r.BDin xb in px n»K xin das. III, S. 73.

728 Die Ethik R. Saadjas.

des Individuums am harmonischsten und glücklichsten ge- staltet werden könne. Es ist demnach, trotz der obigen ästhetischen Beurteilung, eine rein objektive Schätzung im Grunde nun doch nicht vorhanden, denn die maßvolle und harmonische Verbindung derjenigen geistigen Elemente, die in ihrer Ganzheit das gesuchte Gut konstituieren, verlangt Saadja nun nicht um ihrer selbst willen, sondern, wie er selbst ausdrücklich bemerkt1), »weil sie für den Menschen von größerem Nutzen ist«. Die Ethik kommt hier bei der ästhetischen Auffassung des sittlichen Lebens, gleichviel ob sie objektiv oder relativ ist, über den harmonisch ge- ordneten Gesamtzustand des Einzelnen und über die in sich vollendete Ausbildung der eigenen Persönlichkeit nicht hinaus; sie ist vorwiegend individualistisch.

») Emunot X, S. 160: nrjJiD W DHWllOfl ^33 rPHPntP (TOI

nnv )h n^jND n\-iw ,vjnartKi vtihd mrn vz ,0-1*6. Saadja ver- gleicht dort die Harmonie der Farben und Töne mit der Harmonie und Eigenschaften der Seele.

(Fortsetzung folgt.)

•k

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen

Zeitalter.

Neue Folge. Von Simon Eppenstein.

V. Die Erzählung von den vier gefangenen Talnradisten.

(Fortsetzung.)

Die unter dem Namen der Pesikta Rabbathi gehende Kompilation erweist sich auch dadurch als süditalienisches Erzeugnis, daß sie in späterer Zeit lediglich von Gelehrten Italiens, Frankreichs und Deutschlands, hingegen von denen Spaniens gar nicht benutzt wurde1), was wir uns nur da- durch erklären können, daß die erstgenannten Länder hauptsächlich von dem ja größtenteils nach Palästina sich richtenden Italien beeinflußt wurden, während Spanien mehr nach Babylonien hinneigte.

Ein der Pesikta Rabbathi teilweise nahestehendes li- terarisches Erzeugnis, als dessen Entstehungsort wir gleich- falls das südliche Italien ansehen können, ist der Seder Eliahu Rabba und Sutta*). Auch dieses, zweifelsohne viele alte Bestandteile enthaltende, eigenartige agadische Werk weist durch das reinere Hebräisch auf das Vaterland der Pesikta Rabbathi hin. Diese außerordentlich anziehende

») Vgl. QV.» S. 231—262.

») Vgl. jetzt die kritische Ausgabe von Friedmann, Wien 1900, und desselben hebräische Einleitung, Warschau— Wien 1902, und hierzu Theodor in Monatsschrift 1900, S. 380-384, 550—561, ferner ebendort 1903, S. 70 ff. Vgl. ferner Zunz OV.« S. 119—124, Deren- bourg in REJ. III, S. 121-122, Weiß T1T1 III, S. 288, Qüdemann, Geschichte des Erziehungswesens der Juden in Italien, S. 52 ff. u. S. 300-303.

730 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Kompilation setzt einen Verfasser voraus, der in einem europäischen Lande lebte, wo ein schwunghafter Handel blühte, der die Juden in vielfachen intimen Verkehr mit Andersgläubigen brachte, sodaß eine Mahnung einerseits zur strenger Redlichkeit und Toleranz, andererseits zur Heilig- haltung des Lebenswandels und Pflege der Thora, verbunden mit Warnungen vor Nachahmung fremder Gebräuche, durch- aus geboten war. Daß der letztere Redactor in einem christlichen Lande lebte, geht auch, meines Erachtens, deut- lich aus der mit den Worten n^a onai DTO 1DW beginnenden Stelle in Abschnitt 8 (S. 45) hervor, wo vor einem Handels- geschäft mit einem Nichtjuden gewarnt und dieser mit na bezeichnet wird. Dieses könnte aber unmöglich sich auf einen Mohammedaner beziehen, da der genannte Ausdruck, ursprünglich für Götzendiener berechnet, nicht auf die dem Judentum in der Anerkennung der unbedingten Einheit Gottes nahestehenden Bekenner des Islam angewendet werden konnte. Es kann demnach, trotz der gelegentlichen Anspielungen auf Babylonien und des etwaigen Hinweises auf Dispute mit Karäern, nicht dieses Land in Betracht kommen, wie Zunz1) und Oppenheim2), besonders unter Hervorhebung des letzteren Momentes, annehmen, sondern, wenn wir noch das leichte und reinere Hebräisch berücksichtigen, nur das südliche Italien oder allenfalls die Gegend von Rom, wie es zuletzt Güdemann dargetan hat3).

Betrachten wir nun die Art der Drascha, wie sie in der Pesikta Rabbathi und dem Seder Eliahu, der im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts redigiert wurde, uns entgegen- tritt, so nehmen wir allerdings eine durch einen Zeitraum von mehr als einem und einem viertel Jahrhundert leicht erklärliche, verschiedenartige Entwickelung wahr. Indessen

») Vgl. GV.8 S. 119.

8) Vgl. Beth-Talmud I, S. 265—270, 304-310 u. fgg. 3) Vgl. Geschichte des Erziehungswesens bei den Juden Italiens, S. 303.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 731

zeigen uns beide Schriften, wie in diesem Lande die Be- lehrung des Volkes, teils in strikterer Anlehnung an hala- chische Themata, wie in der Pesikta Rabbathi, teils in gelegentlicher Einflechtung gesetzlicher Partieen, in öffent- lichem Vortrage stattfand. Als ein typisches Beispiel der unter Weglassung einer einleitenden Halacha nur ein mo- ralisches und historisches Thema behandelnden Drascha haben wir in der Pesikta Rabbathi Nr. 26 mit dem Text- wort 'yn rntaw nwiM nnb nj»» xbi jKitn nmo» nvi im ono npmi B'aion iTMidi nnwa1). Es sind dies freie Reden, die uns an die von der Vortragstätigkeit Süditaliens in der Achimaazchronik gegebene Darstellung erinnern, aus der wir den Eindruck gewinnen, daß dort diese Art der Unter- weisung allsabbatlich über ein Thema im Anschluß an irgend ein altes Midraschwerk stattfand2).

Neben dieser homiletischen Produktivität widmeten sich die Süditaliener aber auch der Pflege des eigentlichen Ge- setzesstudiums. Wenngleich uns hierüber, im Verhältnis zu den von Babylonien bekannten, so gut wie gar nichts er- halten ist, so lassen einzelne zersprengte Bemerkungen uns doch ein Bild dieser Tätigkeit rekonstruieren. Aus den durch Ascoli edierten Inschriften wissen wir von einem in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Venosa wirkenden Nathan ben Ephraim, der als gelehrter Leiter einer Je- schiba gerühmt wird3). Ferner wird berichtet, daß die Juden in Rom mit dem Gaon Sar Schalom von Sura, also unge- fähr um dieselbe Zeit, korrespondierten4). Von der Be- schäftigung der Süditaliener mit der Geonimliteratur, also

!) Vgl. auch Weiß a. a. O., S. 283-284.

2) Vgl. Neubauer a. a O, S. 125 u. Kaufmann, Monatsschrift a. a. O, S. 472.

8) Vgl. Kaufmann a. a. O., S. 471, Anm. 4 u. 5.

*) Vgl. Zunz QV.» S. 375, Anm. 66. nach K"iH njw Nr. 82, Kaufmann a. a. O. u. Berliner in den Nachträgen zu Harwiiz' Einltg. in das Machsor Vitry, S. 176, wollen den in der Achimaazchronik.

732 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

einer Verbindung mit dem Zentralpunkt der Gesetzeslehre, haben wir ein vollgewichtiges Zeugnis für das Ende des neunten Jahrhunderts, woselbst schon in Italien andere Rezensionen der Halachoth des Jehudai Gaon im Umlauf waren, die durch Gefangene erst von dort nach den Euphrat- ländern gebracht worden1). Auch die mehrfach erwähnte Achimäazchronik entwirft uns ein lebhaftes Bild von der regen Beschäftigung mit der Halacha in Süditalien, so be- sonders auch in Oria, wo es blühende Schulen gab, in denen die geistigen Turniere der Thorabeflissenen stattfanden, und ständige Orte zum Forschen in der Lehre2). Größere An- regungen hat das Studium des Talmud wohl durch den aus Bagdad, dem Sitz der Hochschulen in diese Gegend gekom- menen Ahron erfahren, der, in Oria sich niederlassend, dort auch eine Jeschiba gründete und den Quell seiner Weisheit strömen ließ8). Daß wir aber in diesem von Achimaaz als mit übernatürlicher Kraft ausgerüsteten Wundertäter, der

S. 125 genannten Kinderlehrer Mose mit dem vielfach zitierten Mose aus Pavia identifizieren. Hiergegen spricht aber erstens die chrono- logische Unmöglichkeit, da letzterer, nach Halberstam bei Kohut, Aruch completum, S. XXXVIII, dem elften, ersterer aber dem zehnten Jahrhundert angehört, und zweitens der Umstand, daß ein Kinderlehrer unmöglich später solche Bedeutung erlangt haben kann.

*) Vgl. hierzu Epsteirj's Abhandlung über die Halachoth Ge doloth in Hagoren III, S. 64: *miiT 31 10 bv lSx msbrUP pJHV 1H

pm"1"« [w nxo "iijrtfri mm xSk min'» m "nora Sana xrm rvS bn *7SsS pXintP ; ferner ebendort: •p -in« .TDBO 2fl3 wnnx rrx TM '* OHK1? b^^ü 1K3P in« &2V. Es handelt sich hier nicht um Raubzüge, wie Epstein meint, sondern um die gegen Ende des 9. Jahrhunderts beginnenden Einfälle in Süditalien, zumal unter DHK nur Italien Rom zu verstehen ist, während Griechenland bei Hai mit [V bezeichne'- wird; vgl T'schuboth ha-Geonim, ed. Harkavy Nr. 125, S. 105: D^rn

wwtostp fo ij^bS piaöan cToSnn.

2) Vgl. Neubauer a. a. O-, S. 114, Z. 16 ff. Man beachte auch hier den Ausdruck D'jJUp rwnoi, der an dieselben Wendungen in Scherira's Sendschreiben und Chuschiel's Brief an Scbemarja erinnert.

») Vgl. a. a. O., S. 112, Z. 11 ff. und S. 114, Z. 22 ff. und Kaufmann a. a. O., S. 465 ff.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 733

nach kurzem Verweilen in Italien, und zwar zuletzt in Bari, wieder in die Heimat eilte, den nach Scherira's Bericht über- gangenen Gaonatsprätendenten Ahron oder Abu Ahron wieder- finden können, den die Traditionarier mit Mose ben Ka- lonymos in Verbindung bringen, ist schon durch den be- trächtlichen Zeitunterschied von ca.50 Jahren ausgeschlossen1), wenn auch der Gast aus Babylonien als 3Ki JMtfi bezeichnet wird2). Immerhin fand dieser in Süditalien, wo die Beschäfti- gung mit der Mystik eine Stätte hatte und eine große Empfänglichkeit für übernatürliche Vorgänge, wie für Astro- logie, herrschte, einen geeigneten Boden. Auf diesem er- wuchsen nun zunächst Geistesprodukte wie der Jezira- kommentar des Sabbatai Donnolo, der beredtes Zeugnis ablegt von den « in diesem Lande eifrig betriebenen Stu- dien.

Insofern nun eine Beschäftigung mit den im Jezirabuch niedergelegten Problemen Anlaß zu mancher mit der Ge-

!) Vgl. Neubauer in REJ. XXIII, S. 230 ff.

2) Es ist fraglich, ob Achimaaz, der nur eine ganz vage Kenntnis von den Zuständen in Babylonien gehabt haben dürfte, vgl. Kaufmann a. a. O., S. 471 oben hier überhaupt 3K im Sinne von pT ITO 2K dem präsumtiven Nachfolger im Qaonat, und nicht vielmehr nur mu- sivisch gebraucht hat, Zur Sache selbst vergleiche noch Halevy a. a. O., S. 238, der gegen die Verbindung des Abu Ahron mit Mose ben Kalonymos den triftigen Grund anführt, daß, wenn man ersterem den Joseph ben Abba gerade wegen seiner großen Meisterschaft in den Künsten der Mystik vorgezogen hätte, man ihn doch wiederum nicht zum Vater der Mysterien stempeln könne, uud seien es auch nur die ntafin DHID. Vgl. übrigens auch Epstein in Hachoker II, S. 10 fgg. und Groß in Monatsschrift 1906, S. 696, Anm. 1. Noch möchte ich darauf hinweisen, daß auch in der Familie der Kalonyraiden der Name Chananael mehrfach vorkommt; vgl. auch Zunz GV.2 S. 378, Anm. a. Ob nicht, da wir einen Zweig dieses Geschlechtes in Rom finden, eine Verbindung zwischen ihm und der Achimaazfamilie stattgefunden hat, zumal wir einen Kalonymos um das Jahr 988 in Begleitung Otto's III in Süditalien finden? Andrerseits geht auch aus der Re- sponsenliste JQR. XVIII, S. 428 hervor, daß noch im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts Angehörige dieser Familie in Lucca wohnten.

734 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonaiscen Zeitalter.

heimkunst in Verbindung stehenden Tätigkeit gegeben hat1), ist zwischen dem Studium dieses Buches und der in den Sabbatai- und Achimaazfamilien heimischen Geheimkunst ein Zusammenhang angebahnt. Wir können nämlich feststellen daß die Neigung zu den Geheimkünsten, wie sie uns in den Berichten der Achimaazchronik entgegentritt, auch noch am Ende des zehnten Jahrhunderts in Italien, besonders im Süden, ebenso, wie in dem ihm geistig nahestehenden Pa- lästina, geblüht hat. Wir sehen dies aus der uns in einer dopptlten Rezension erhaltenen Anfrage des Kairuaners Joseph b. Berechja an Hai in betreff wunderbarer Dinge2), die zu seiner Zeit von Männern aus den genannten Ge- genden berichtet wurden, wie Beschwörung des tosenden Meeres, Tötung und Belebung von Menschen, Anwendung des göttlichen Namens in besonderen Zusammensetzungen, in Lob- und Bußgebeten und dergleichen. Hierbei werden die Gewährsmänner, die er d^dkh Dian D'öDn D'tPJK nennt, als btr\w p«i ohk pK 'DOn bezeichnet9). Unter diesem christlichen Land ist aber zweifelsohne nur das im Grunde christliche Unteritalien anzusehen, da die hier geschilderten Praktiken ganz mit denen in der Achimaazchronik erzählten übereinstimmen, deren Helden wiederholt als mit derartigen übersinnlichen und mystischen Kräften ausgerüstet auftreten. Noch genauer läßt sich das in der Anfrage genannte christ-

!) Vgl. Jezirakommentar des Jehuda ben Barsilai, ed. Halber- stam, S. 102-103.

*) Vgl. a. a. O., S. 103 fgg. und S. 302, ferner Ta'am S'kenim, Frf. a. M. 1854, S. 54 fgg.

*) Vgl. Ta'am S'kenim, S. 54 Ende u. Jezirakommentar a. a. O., S. 103, Z 9-10 v. unt.

*) Man vergleiche die verschiedenen Erzählungen bei Neubauer a. a. O.

6) So in Ta'am S'kenim, S. 56a, Z. 6 v. unten. Ich bemerke, daß schon im Midrasch rabba, Kap. 67 zu Oen. 27, 39, wo Esau pK i)üVO als Wohnsitz zugewiesen wird, als dieses \v bv K^ü'K angegeben wird.

Beiträge zur Geschichte und Lite^tur im gaonäischen Zeitalter. 735

liehe Land aus der Wendung in Hai's Antwort ersehen, wobei von »oiid bnWK gesprochen wird, indem Rom als Gesamtbegriff für Italien zu verstehen ist.

Was nun speziell das intensive Studium der Halacha betrifft, so blühte es besonders in Bari, Oria und Otranto1). In der erstgenannten Stadt lebte gegen Ende des zehnten Jahrhunderts ein Gelehrter Mose Kalfu, den der Verfasser des Aruch zweimal zitiert2). Auch die gefeierte nordfranzö- sische Autorität R. Jacob Tarn spricht von den früheren Ge- lehrten Bari's und Otranto's mit der bekannten Variierung von Jes. 2, 33). Von der praktischen, religiösen Tätigkeit des Gelehrtenkollegiums in Bari können wir uns ein Bild ma- chen nach dem bereits erwähnten, uns durch Elieser ben Nathan erhaltenen Gutachten, das sich durch die Bemerkung n«a *ö3n irrmo rrViwn rawna airo frn /iura als alt und durch den griechisch lautenden Namen des einen Unterzeichners, Papoleon, als noch der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts angehörend kennzeichnet4). Bemerkenswert ist auch die an die geonäische Schreibweise erinnernde Wendung: n'Dtfn ja lamrw na6).

Was aber dem Talmudstudium in Süditalien seine Eigentümlichkeit verleiht, ist die besondere Berücksichtigung der palästinensischen Gemara überhaupt und der palästi-

J) Vgl. Rapoport, Biographie Kalir's, Note 17, Zunz GV.» S. 376, Anm. 1.

■) Vgl. Rapoport, Biographie R. Nathan's, Note 38 und Bio- graphie Kalir's a. a. O., Weiß Tim IV, S. 272, Groß, Magazin a. a. O., S. 26.

3) Aus den Worten R. Tams 0,-rty pilp VTlW »1K3 ^öart 031 UM"ittiKD Tl 1211 mifl KXfl ^»30 ''S geht deutlich hervor, daß es sich um deren Bedeutung in früherer Zeit handelt. Rapoports Einfügung 1330 in der Biographie Kalir's findet sich nicht im Text (vgl. ed. Rosenthal, Nr. 46 Ende, S. 90).

4) Vgl. auch Rapoport a. a. O.

6) Vgl. z. B. Hai's Gutachten vom Jahre 1011, bei Harkavy, Studien IV, S. 76, Nr. 78: tCDtf |D *:b Win ^ und Amram bar Scheschna im Eingang seines Siddur, S. la, Z. 13: SPO» |D ttirWW.

736 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter

nensischen Halacha insbesondere. Dies zeigt sich namentlich in den Jelamdenustellen, die uns die Pesikta Rabbathi auf- bewahrt hat, wo wir öfters Entscheidungen nach dem je- rusalemischeu Talmud, zum Teil in direktem Gegensatz zum babylonischen, begegnen. Es seien hierfür folgende Belege angeführt:

1. Nr. 1 (S. 1 a), das lediglich die Ansicht des Jeru- schalmi Berachoth, S. 11c wiedergibt1).

2. Nr. 9 Anfang (S. 31 a u. 31 b), das zuerst ganz nach Jeruschalmi Berachoth S. 11 b gefaßt ist und zuletzt le- diglich die Meinung desselben gegen Babli darstellt2).

3. Nr. 13, wo die Fassung der Benediktion jmstö bv inDK rtaü n«np ganz der im Jeruschalmi Sukka 53 d für das Anzünden des Chanukalichtes vorgeschriebenen Form roun "U npbin FVBtß bv entspricht. Auch die Schlußbenediktion nach Vorlesung der Megilla ist bis auf ganz geringfügige Abweichungen der Fassung des Jeruschalmi Megilla 74d, Z. 14 15 von unten, nachgebildet3).

4. Nr. 38 erweist sowohl in der Lesart nan pai? watf mvay als auch in der Wiedergabe des Ausspruches von Samuel eine deutliche Benutzung des Jeruschalmi Joma 45 c, Z. 24 ff.*).

5. In Nr. 40 sehen wir in der Zitierung des na K3K "\ MflS, wie in der Deutung von nstJ^T= nwib, den Einfluß des Jeruschalmi Rosch ha-Schana 57a, vorletzte Zeile6).

6. Die Mitteilung in Nr. 41 natra r\vnb bnvf m -p'D*? onapoi D'aen» ra vrw mpea aarpa xb» mpo ^>aa pypin D'ttHnn n«i a*wn ist nur nach der diesbezüglichen Bestimmung

') Vgl. Friedmann a. a. O., Anm. 4 u. 5.

*) Vgl. Friedmann z. St., Anm. 4 u. 5.

3) Vgl. ed. Friedmann, S. 53b, Anm. 2 u. 3.

*) Vgl. ebendort S. 165a, Anm. 3 u. 4. Betreffs der in der Pe- skta angegebenen Zahl von 10 Mitgliedern, die sich im Talmud nicht findet, möchte ich die Erklärung vorschlagen, daß die Pesikta das Wort sich vielleicht so gedacht hat : "> = fW resp. milP, d. h. eine Reihe von 10 Männern.

5) Vgl. ed. Friedmann, S. 166, Anm. 4 u. 6.

Beiträge zur Geschichte und Literatur; im gaonäischen Zeitalter. 737

des Jeruschalmi, die auch Tossafot zu Rosch ha-Schana 25 a, Schlagwort ^»n, zitiert, zu erklären1).

7. Von besonderem Wert für unsere Untersuchung ist Nr. 43, wo die Festsetzung des Endtermins für die Bene- diktion über den neuen Mond ganz nach Jeruschalmi Berachoth 13 d, Z. 44 fgg. gegen Babli Sanhedrin 41 b— 41a geschieht2).

8. Schließlich ergibt auch das halachische Stück der Pesiktafür Schemini Azereth, beginnend mit fefi »anDBM pnT '1 ICSI? 'J02, eine wesentliche Abhängigkeit von Jeruschalmi Sukka 54 c3).

Diese Nachweisungen dürften zur Genüge das Stu- dium des jerusalemischen Talmud in Süditalien als gesichert erscheinen lassen. Es ist nun selbstverständlich, daß auch Chuschiel aus diesem Lande die besondere Wertschätzung des von den Geonim, vielleicht mit Ausnahme des Saadja Gaon, nur wenig beachteten und für die Halacha gegen- über dem Babli erst in zweiter Reihe in Betracht kommen- den palästinensischen Talmuds4) nach Kairuän gebracht hat.

Von einer Verbindung dieser Stadt mit Süditalien er- fahren wir durch die bereits erwähnte, von Jacob ben Nissims Schülern an Hat gerichtete Anfrage über die von dort berichteten Wundertaten, die ja gerade in der auch Chuschiel nahestehenden Achimaazfamilie eine Pflegestätte gefunden hatten. Vielleicht schon etwas früher hat in Kai- ruän auch ein anderes Glied dieser Familie seinen Aufent- halt genommen: es ist dies der in einem von dort aus ergangenen Bittschreiben behufs Auslösung von Gefangenen6) genannte Sendbote Sabbatai ben Jehuda ben Schefatja6),

l) Vgl. ed. Friedmann, S. 172 b, Anm. 4.

») Vgl. a. a. O., S. 179 a, Anm. 2.

3) Vgl. a. a. O., S. 202a und Friedmann's Bemerkungen z. St.

*) VfJ. hierzu jetzt Poznanski in Hakedem I, S. 133—155 u. II, S. 24-51 und dazu Marx in ZHB. XIII, S. 70-71.

5) Veröffentlicht von Wertheimer in o^PiT "W II, S. 17b— 18a

«) Vgl. a. s. O., S. 18 a Ende und dazu Poznanski's Studie i*:k (Kl"Vp in der Harkavy-Festschrift, S. 220, Nr. 45.

Monatsschrift, 55. Jahrgan 47

738 Beitrage zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

der dort als o*TDn tnty D^m 15U 8^1001 psji iw» aitfn cn8 msö3 d'^idoi rmna d'di^k bezeichnet wird. Nach den der genannten Familie ausschließlich eigentümlichen Namen Sabbatai und Amithai und der Kennzeichnung Juda's als D'TDn untp D'^HJ "iiu dürfen wir wohl Poznanski beistimmen, wenn er diesen der Achimaazfamilie zuweist1). Es war also ein ihm äußerlich nicht ganz fremdes Milieu, in das Chu- schiel nun eintrat.

In Kairuän, das schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts eine bedeutende Rolle in der Literatur hatte, war stets ein inniges Verhältnis zu den Geonim gepflegt worden, wobei auch das allgemeine wissenschaftliche Streben durch das eifrige Studium der Halacha nicht beein- trächtigt worden wäre2).

Von der intensiven Beschäftigung mit den Werken der Geonim daselbst legt auch Zeugnis ab die wahrscheinlich schon am Ende des neunten Jahrhunderts in Kairuän er- folgte Bearbeitung der Halachoth Gedoloth, die uns jetzt in der Edition Hildesheimer vorliegt, und die dort mit mancherlei Zusätzen bereichert worden sind8): eine Tatsache, die doch wahrlich nicht auf einen Tiefstand des talmudischen Stu- diums schließen läßt. Besonders war es nun in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts der wahrscheinlich aus Babylon dorthin eingewanderte Jacob ben Nissim ben Jo- schijahu Ibn Schahin4), der zu Scherira in intimen Bezie- hungen stand und ihm durch eine Anfrage Gelegenheit zu seinem für die Geschichte der Gesetzestradenten und der Geonim so bedeutungsvollen Brief gegeben hat. Er bildete

l) Vgl. Harkavy-Festschrift a. a. O.

8) Vgl. hierzu und zu Kairuän's Bedeutung überhaupt Poznariski's Studie jxiTp Wut, besonders S. 175—183, ferner auch Halevy a. a. O. S. 293 Afg.

») Vgl. Epstein in Hagoren III, S. 70-71.

*) Vgl. über ihn jetzt Poznanski a. a. O., S. 204—207. Der Name Ibn Schahin, dem wir auch bei dem von Nissi Naharwani gegen Saadja in Aussicht genommenen Oaonatsprätendenten begegnen,

Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter. 739

auch ein bedeutendes Lehrhaus, dem, unter anderen, auch der mit Hat Gaon korrespondierende Joseph b. Berechja angehörte, und das vom Gaon mit großer Ehrerbie- tung genannt wird1). Eine besondere Bedeutung kommt auch zu dem kairuanischen Gelehrten Juda ben Joseph, den auch Chuschiel in seinem Brief an Schemarja erwähnt, wenn wir nach dem jüngst aus der Genisa veröffentlichten Eingang eines Bescheides von Hat an diesen2) urteilen sollen, worin die außerordentliche Wohltätigkeit Juda's, eben- so wie seine bis in die fernsten Gegenden sich eines großen Rufes erfreuende Gelehrsamkeit mit fast überschwängli- chen Worten gepriesen wird, und wobei der Gaon bemerkt, daß er nicht müde werde, das Lob des Adressaten zu verkünden8). In diesen Kreis der kairuanischen Gelehrten, die schon längere Zeit sich gediegenen Wissens erfreuten, kam nun Chuschiel, der der wohl etwas trockenen Art der dortigen Lehrmethode einen mehr diskussiven*) und lebhafteren Charakter verlieh, besonders aber neben der unbedingten Hingabe an die geonäischen Überlieferungen auch denen seines Heimatlandes Geltung zu verschaffen wußte**). Aller- dings haben wir von ihm keine direkten schriftlichen Auf- zeichnungen, da nur der aus seiner Jeschiba herrührenden korrekten Talmudexemplare Erwähnung getan wird6). Von

weist sicher auf babylonischen Ursprung hin. Vgl. auch schon Rapoport, der in Biographie des R. Nissim, Anm. 2, diese Vesmutung ausspricht Indessen braucht der Aufschwung des Talmudstudiums in Kairuän nicht gerade, wie R. meint, auf diese Einwanderung zurückgeführt zu werden.

') Vgl. das Responsum in Ta'am S'kenim, S. 54 fgg. und das bei Harkavy, Studien IV, Nr. 178, S. 76. Über Joseph b. Berechja, vgl. Poznariski a, a. O., S. 203—204.

»J Vgl. Ginzberg, Geonica II, S. 278-279.

3) Vgl. besonders a. a. O., S. 279, Z. 14 fgg.

*) Vgl. Achinaazchronik bei Neubauer a. a. O., S. 114, Z. 17 18: cnyp non^oa o-naarioi n^om1?!.

6) Vgl. hierüber weiter unten.

«) Vgl. Nachmani Milchamoth zu Baba kamma 85 b, ferner Brüll, Jahrbücher IV, S. 179 fgg., Weiß a. a. O., S. 235.

47*

740 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter.

Chuschiel's Bedeutung sprechen aber beredt genug das von Samuel ben Nagdela ihm gewidmete Loblied, in dem, neben seiner Größe als Lehrer, hauptsächlich seine Tätigkeit als Richter und Friedensstifter1) wie als Anwalt der Bedrängten gepriesen wird, und das von ebendemselben nach seinem Hinscheiden an seinen Sohn Chananael gerichtete Trost- schreiben*). Aus letzterem ersehen wir Chuschiel's Meister- schaft als scharfsinniger Talmudforscher. Ganz beson- ders können wir uns ein Bild seiner Lehrmethode ent- werfen auf Grund der uns von seinem Sohn Chananael erhaltenen Werke. Vergleichen wir diese mit den Talmud- erklärungen des R. Nissim, der als Sohn des treuen Ge- onimschülers Jacob b. Nissim sehr stark unter dem Einfluß der babylonischen Hochschulen steht, so sehen wir, daß, während Nissim's Mafteach in seiner Anlage eine Anleitung und methodische Einführung in das Verständnis des Talmud geben will8), Chananael's Kommentare die talmudische Dis- kussion präzise angeben, mit einigen erklärenden Worten, die zudem in einem schönen Stil geschrieben sind, so daß sich das Verständnis des Themas von selbst ergibt und die Halacha leicht festzustellen ist4). Was nun Chananael's Kom- mentaren ihre Eigentümlichkeit verleiht, ist die vielfache Betonung der ihm gewordenen Überlieferungen, an denen er auch im Gegensatz zu den Entscheidungen der Gaonen festhält6), und die auf keinen anderen als auf seinen Vater zurückgehen können6), wenn er auch desselben nur wenig

*) Vgl. Brody in der Festschrift für Berliner, hebr. Abteilung. S. 11-12.

2) Veröffentlicht zuletzt in korrektem aramäischem Text von Reifmann im Magazin IX, hebr. Artig., S. 2 fgg., in hebr. Übertragung ebendort, S. 11 12. Vgl. auch Berliner in Migdal Chananel, S. VII.

I) Vgl. Weiß a. a. O , S. 236—238.

<) Vgl. a.a.O., S. 238— 241 und Berliner a.a.O., S.VIIu. S. XIII

*) Vgl. Weiß a. a. O., S. 238-239, Halevy a. a. O., S. 292-293 utid Poznariski in Harkavy-Festschrift, S. 193 u. S. 198.

6) Vgl. z. B. Ch.'s Bemerkung zu Sabbat 8a, psiD nfoyp \2Wl nsia^ W3HK "DT, worunter ja nur sein Vater zu verstehen ist.

Beiträge zur Geschichte und Literatur im geonäischen Zeitalter. 741

Erwähnung tut1). Dessen Einfluß sehen wir aber besonders in den Kommentaren des Sohnes an den vielfachen Wort- erklärungen aus dem Griechischen, die nur ein aus Süd- italien, das als Großgriechenland auch in der jüdischen Literatur mit bv k'^tk bezeichnet wurde, geben konnte8). Besonders die Erklärung, die Chananael zu Sabbat 105 a von dem Worte ranaij, als einer Art von Kurzschrift, gibt, weist auf die Mitteilung eines mit den Gepflogenheiten griechi- scher Herrscher und ihrer Beamten Vertrauten hin3), als welcher eben nur sein Vater Chuschiel in Betracht kom- men kann.

Ganz besonders aber zeigt sich der Einfluß Chuschiel's auf seinen Sohn, wie auf seinen Schüler R. Nissim, darin, daß er sie in das Studium des jerusalemischen Talmud ein- führte, den diese beiden Gesetzeslehrer sehr häufig zitieren, besonders aber R Chananael, der ihm nicht nur in Fällen, wo der Babli keine endgiltige Entscheidung trifft, sondern

l) Vgl. Poznanski a. a O. S. 193 Ob nicht aber doch Sabbat 15t a, wo es heißt po p tP"iBD, unter diesem R Chuschiel zu ver- stehen ist?

s) Vgl. schon Rapoport, Biographie des R. Chananael, Note 2 u. Note 23, dessen Zweifel daselbst wir nunmehr als gehoben an- sehen können; vgl. ferner Berliner a. a. O., S. XIII. Betrfffs der be: Hai vorkommenden griechischen Worte, die Berliner, ebenso wie die bei Chananael, auf geonäiscrv Überlieferungen zurückführen will, vgl. Harkavy, Studien IV, S. 374. wo er aus Hais eigenen Beme< künden dessen Unkenntnis d*s G'iechischen nachweist, das der Gaon vielmehr nur flüchtig durch Schüler aus Griechenland kannte, und feiner Poznanski a. a O , S IQ?, Anm 2.

"ID"DT VD3 Vitb "PICO "^cm DB"B SWS "ICD1? "]hü~[ "IQ'Xl pp"*.tD'3 TI1K

VW r,h:o nno nnx r.»"iP3i [?o,:pjj;] nos rwcvcv 'Vo vdo sma

pp'^tS'J. Zu der Frage, oi> Chananael diesen Komme tar noch zu Leb- zeiten Hai's verfaßt hat, den er zu 115 mit den Worten 'riOtSM ij ~yb mcM ,Trr und zu 12« b mit dem Zusatz wom ."WttJ zitn-rt, während er ihn zu 79 a als verstorben erwähnt, vgl. Weiß a. a. O., .S 238, Anm. 9.

742 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeitalter

auch gegen dessen Meinung, eine maßgebende Stimme für die Festsetzung der Halacha einräumt1).

Noch sei betreffs des R. Chuschiel bemerkt, daß der- selbe sicher erst 1028 gestorben ist, da Samuel Ibn Nagdela eine Trauerfeier um ihn zuerst in Granada veranstaltet hat, wohin er aber erst im Jahre 1027 gekommen ist2).

Nach dieser ausführlichen Darstellung erhellt nun zur Genüge, daß der Bericht über ChuschieFs Herkunft aus Babylonien, seine Gefangennahme um das Jahr Ü50 und ein durch ihn nach Kairuän erst verpflanztes intensives Talmudstudium jeder Grundlage entbehrt, und darum in das Reich der Legende zu verweisen ist, trotz der Aus- führungen von J. Lewy, der, auch nach der Auffindung des von Schechter veröffentlichten Briefes Chuschiel's an Sche- mata, meint, daß die Erzählung der Chronisten nicht ganz aufgegeben zu werden braucht, und an der babylonischen Abstammung der beiden Gelehrten festhält, wobei er den ersteren zum Schüler des letzteren stempelt3). Ins Gewicht fällt aber auch hier das schon oben bei Schemarja berührte argumentum ex silentio in Chuschiel's Brief, da er bei der ziemlich genauen Schilderung seiner Erlebnisse seit dem Verlassen seiner Heimat sicher seiner etwaigen Gefangen- nahme Erwähnung getan hätte.

') Vgl. hierüber Weiß a. a. O., S. 239—240. Wir heben noch besonders hervor die Stelle in Chananael's Kommentar zu Sulcka 37 b, wo er nach Anführung der Überlieferung von Hai Qaon bemerkt: '^X^B,, pK TiD^fiD Ht 1"2*l *ip"j? lno*; Hl Ein prägnantes Beispiel für die Bevorzugung des Jeruschalmi findet sich auch im Komm, zu Sabbat 74b, wo er in bezug auf die Bemessung des Zeitmaßes für den Ausdruck "inSxS gegen Babli Gittin27b nach dem Jeruschalmi ent- scheidet: \y-\zy rmiD ^"x *nöt?m wtdd prrotpjn fva... p'Din ^djm.

*) Vgl. Ma-azin V, S. 65 und Brüll a. a. O., S. 180, Harkavy, Biographie des Samuel ha-Nagid (Sichon Larischonim II, 1, S. 9)

s) Im Jahresbericht des Breslauer Jüd.-theol. Seminars 1905, S. 30-31.

(Fortsetzung folgt.)

Besprechungen.

Salomonski, Martin, Gemüsebau und -Gewächse in Palästina zur Zeit der Mischnah. Berlin, Poppelauer, 1911. 71 S. 8<>. M. 2.50.

Der Verfasser ist an sein Thema leider mit unzureichender Sachkenntnis und unzulänglicher philologischer Schulung herangetreten. Die Arbeit nach einigen Bemerkungen Seybolds zu schließen, Tübinger Dissertation ist ein bedauerlicher Rückschritt gegen die schönen Monographien Siegmund Fränkel'scher Schüler: Krengel, Rieger und Vogelstein. Dr. Salomonski hält Jacob Levy, dessen un- geheure Verdienste um die talmudische Lexikographie auf anderem Ge- biete liegen, für eine kompetente Autorität in bezug auf naturhistoriscbe Realien. Neben Levy beruft er sich für Realien gern auf Sammter und auf lexikalische Arbeiten zweiter Hand. Obadja aus Bertinoro und Israel Lipschütz rangieren ihm neben, manchmal vor Haj Gaon, Mai- muni und Aruch.

Wer sagen kann: »aus Lauch wurde auch Mehl gemacht« (S. 28, N. 7), dem geht die Befugnis ab, über botanische Fragen mit- zusprechen. Dabei zeigt die Verwechslung von WHD und nrBHS in derselben Frage (S. 28 und S. 49!), daß die richtige philologische Schulung fehlt. nitp wird S. 9 richtig mit Schwarzkümmel, auf derselben Seite aber dreimal mit Dill wiedergegeben. Daß dem Ver- fasser botanische Kenntnisse abgehen, zeigt Amalthaea für Althaea, S. 45 und Portulaca odoracea für pleracea an zwei Stellen: S. 55, 56. S. 26 sagt der Verfasser: »Daß ein in den kranken Schädel eines Tieres eingesetzter Kürbisteil dieses gesund erhalten hätte, kann nicht ernst genommen werden.« Es handelt sich nicht um ein Tier, sondern um einen Menschen. Wie sehr der Verfasser diese Stelle, für die übrigens Toßefta Ohol. II, 599, 7 auzuführen war, mißverstanden hat und wie unbegründet sein abweisendes Urteil ist, zeigt die Gegen- überstellung des folgenden Passus aus Preuß' schönem Buche (Bibl.- talm. Medizin 237): »Die älteren talmudischen Quellen berichten von ener Trepanation an einem Menschen in En bül, dem man später den Schädeldefekt mit einer getrockneten Kürbisschale deckte, wie heute die Insulaner mit Kokosnußscheiben. Kürbisschalen zur Dek- kung von Trepanationsdefekten benutzen auch die serbischen Volks- chirurgen.« Hiezu ist nur zu bemerken, daß nach dem Wortlaut der

744 Besprechungen.

Quelle der Schädeldefekt, wie es scheint, nicht durch Trepanation, sondern durch einen Unglücksfall verursacht war.

Die sprachlichen Kenntnisse des Verfassers erscheinen in eigen- tümlichem Licht, wenn er ijtD, das er aus der Misch na belegt, für aramäisch hält, wenn er p,TD und pJD (S. 22, N. 12"» kombiniert oder (S. 39, N. 1) zitiert: D'^JÖ bv '"rntf, oder 'M b]}2 Ditf und X'p^ta (Krauß, Lehnw. II, S. 154!) zusammenwirft. Das systemlos zusammengeraffte Pflanzenverzeichnis auf Seite 38 ff. ist unverarbei- tetes Rohmaterial, das der Verfasser mit Hilfe der in seiner Vorbe- meikung aufgezählten Hilfsmittel leicht hätte bearbeiten können. Den Glossen Maimunis und anderer steht der Verfasser hilflos gegenüber. Druckfehler liefern ihm Schiagworte für neue Pflanzen, z. B. niD, S. 51, das Zuckermande! in den Errata zur Stelle als Druckfehler für "niytP bezeichnet.

Das Werkchen ist nicht frei von Mißverständnissen, die aus der Flüchtigkeit, mit welcher der Verfasser arbeitet, stammen. Er sagt z. B. in meinem Namen: das griechische ammi stamme von K^J, wäh- rend ich es auf kjvdx zurückgeführt habe.

Die Abbildungen sind ziemlich überflüssig. Irreleitend ist es, wenn für Wassermelone und Zuckermelone eine Abbildung geboten wird. An Druckfehlern fehlt es nicht. Statt Kp'rD schreibt der Ver- fasser im Texte S. 51 und auf Tafel III xp^D.

Ich erlasse es mir, auf die sprachlichen und botanischen Einzel- heiten einzugehen, da die ganze Arbeit von neuem gemacht werden muß.

Szegedin, im Dezember 1911. Immanuel Low.

Berichtigung.

In meiner letzten Besprechung oben S. 629 ff. bitte ich folgende Druckfehler zu berichtigen:

S. 630, Ze'le 32 von unten muß es heißen: pjoabK WTiSn'' «n:y; das. Z. 3 v. u. lies ibtt statt I^ä; das. Z. 3 v. u. I. DTK*? st. D-ikS; S. 631, Z 7 I. D-iD für uvy; das. Z. 14 1. in. E. st. mit E. ; das. Z. 20 I. icrtp st. IDJ'IP.

Stockholm M. Fried.

Notiz.

Jüdische Spitäler im Mittelalter. Zugleich eine Bitte von Prof« Dr. med. K. Baas, Karlsruhe.

Bei Nachforschungen über das Medizinalwesen im mittelalter- lichen Worms fiel mir in der »Geschichte der rheinischen Städte- kultur« von H. Boos eine kurze Notiz über ein jüdisches Spital daselbst auf.

Obwohl ich nun glaube, im mittelalterlichen Hospitalwesen ziemlich bewandert zu sein, war mir doch über ein jüdisches Hospital zu jener Zeit bis dahin gar nichts bekannt geworden. Auf eine An- frage bei H. Boos antwortete mir dieser, daß seine Angabe sich auf eine spätere Zeit beziehe, da es im Mittelalter solche Häuser nicht gegeben habe. Eine mündliche Rücksprache mit K. Sudhoff, Leipzig ergab, daß auch diesem von solchen Anstalten noch nichts entgegen- getreten war; ich selbst konnte aber damals hinzufügen, da ich über Frankfurt a. M. eine diesbezügliche Notiz gefunden hatte: Kriegk gibt in seinem »Deutsches Bürgertum im Mittelalter« an, daß in Frankfurt im Mittelalter ein Judenspital gewesen sei.

Inzwischen habe ich nach weiteren Nachrichten gesucht und einiges entdeckt: Jäger erwähnt in seinem »Schwäbischen Städtewesen im Mittelalter«, Bd. I., 1831 (Ulm), daß in dieser Stadt neben der Judenbadstube, dem Friedhof auch ein Judenspital bestanden habe, welches in einer Urkunde von 1499 aufgeführt wird.

In einem Aufsatz in der Westdeutschen Zeitschrift für Ge- schichte, XII, erwähnt G. Liebe die Verleihung des (jüdischen) Spitals zu Trier, die am 12. Oktober 1422 geschah.

Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden, bringt unter Nr. 606 aus der Zeit »vor 1255« eine urkundliche Angabe über ein Haus neben dem Judenspital in Köln; Brisch setzt in seiner »Geschichte der Juden in Köln« (I. S. 19) die Erbauung dieses hospitales in das elfte Jahrhundert, jedoch ohne ausreichende Begründung.

In einer Urkunde von 1210 schließt Abt Eberhard von St. Emmerau in Regensburg mit dem Juden Abraham und Ge- nossen einen Vertrag über ein Haus: »Est antem domus hospitalis Judeorum in Panzauswinckel«.

746 Notiz.

Dies ist alles, was ich zur Zeit anführen kann; ob Kassel in den mir bis jetzt nicht zugänglichen »Studien über das Hospitalwesen bei den Israeliten, 1869« die ich als in ihren Ergebnissen zu weit- gehend erwähnt gefunden habe, mehr bringt, vermag ich nicht zu sagen.

Jedenfalls liegt hier ein Thema vor, dem nachzugehen interessant und wichtig ist, wenn man die Stellung der jüdischen Arzte in der mittelalterlichen Geschichte der Medizin bedenkt, sowie die hygi- enischen Gesetze des Judentums überhaupt. Daher richte ich an alle, die über jüdische Spitäler im Mittelalter etwas wissen, die Bitte, mir ihr Material möglichst genau und weitgehend, mit guten Quellenangaben und Belegen zukommen zu lassen; das Ergebnis werde ich dann allen Helfern unterbreiten.

*

Bibliographische Übersicht

über die im Jahre 1910 erschienenen Schriften.

Von M ßrann.

I. Zeitschriften und Sammelschriften.

Bericht, 28., der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in

Berlin (N. 24, Arttlleriestr. 14), (74 S.) 8. Berlin, Mayer u. Müller, 1910. Eisenstein, J. D., bxw "lilix. Jüdische Encyklopädie in hebr. Sprache.

New-York. Selbstverlag, Bd. IV. ffnn-Jxn) V u. 320 S. 1910. 4. Hurwitz, S.. TflJH. Jahrbuch für Wissenschaft und Literatur. Bd. III,

Berlin 1910. Jahrbuch für jüdische Geschichte u. Literatur. Herausgegeben vom

Verbände der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur in

Deutschland. 13. Bd Berlin, M. Poppelauer, 1910 (III, 2/2 u. 57 S.) 8. Jahrbuo der jüdisch-literarischen Gesellschaft. (Sitz: Frankfurt a. M.)

VII, 1909-5670. (III, 381 u. 56 S.) 8. Frkf a. M. J. Kauffmann 10. JewUh Quarterly Review, new Series. Edited for thc Dropsie College

for hebr. and cognate learning. ByCyrus Adler and S. Seh echter.

Philadelphia. Bd. I. 4 Nrn. 1910. 8. Jewreskaja Starina (russ.) Herausgegeben v. S. M. Dubnow. Jahrg. II.

4 Nrn St. Petersburg 1910 (664 S) 8. Klausner, J. u. Bialik, Ch. N., nL;B>n. Monatsschrift für Literatur, Wis-

schaft u. Leben. Bd. 20. 12 Nrn. Odessa 1910. 8. Lewin, B., "OiDSnn. Literarisch-wissenschaftliches Jahrbuch des Vereins

jüdischer gesetzestreuer Studenten »Tachkemoni« in Bern. I Jeru- salem 1910 (72 S.) 8 Luncz, A. M.. ^xitri pK m^. Literarischer, palästinischer Almanach

f. das Jahr 1910/11. XVI. Jahrg. Jerusalem, A. M. Luncz, 1910. (68,

162 u. 52 S.) 8. dSbm*V. Jahrbuch zur Beförderung einer wissenschaftlich genauen

Kenntnis des jetzigen u. des alten Palästinas. VIII. Jerusalem 1910

(360 S.) 8. Mitteilungen u. Nachrichten des deutschen Palästina-Vereins. Hrsg. im

Auftrage des Vorstandes v. Lic. Dr. G. Hölscher. 33. Jahrg. 1910

6 Nrn. 8. Leipzig, K. Baedeker.

748 Bibliographische Übersicht.

Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für modernes Judentum. Jahrg. IX. 12 Nrn. Berlin 1910.

Palästina. Monatsschrift für die wirtschaftliche Erschließung Palästinas. Jahrg. VII. 12 Nrn. Berlin 1910.

Palästina-Jahrbuch des deutschen evangelischen Instituts für Altertums- wissenschaft des hl. Landes zu Jerusalem. Jahrg. VI. Berlin 1910.

Reich, Im Deutschen. Zeitschrift des Zentralvereins deutscher Staats- bürger jüdischen Glaubens. Jahrg. XVI. 12 Nrn. Berlin 1910.

Revue des Etudes Juives. Publication trimestrielle de la Societe des etudes juives. Paris, Durlacher, 1910. Tomes LVI u. LVII. Nr. 115—118.

Rivista israeütica. Periodico bimestrale per la scienzia e la vita de giudaismo. Jahrg. VII, 6 Nrn. 1910.

Slagter, S. M., npbn. Maanblad voor Leer en Leven des Jodendoms. Organ der joedsch literaire club te Roterdam. Roterdam, I. 12 Nrn. 1910. 8.

Gzemle, Magyar Zsidö. Herausg. v. Dr. Ludwig Blau. Jahrg. XXVIII. 4 Nrn. Budapest 1910.

Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. Herausg. v. Karl Marti. XXX. Jahrg. 4 Nrn Gießen, Alfr. Tögelmann, 1910.

Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden. Jahrg. VI. 12 Nrn. Berlin 1910.

Zeitschrift für hebr. Bibliographie. Herausg. v. Dr. A. Freimanu. Jahrg. XIV. 6 Nrn. Frkf. a. M., J. Kauffrnann, 1910.

II. Hebr. und aramäische Sprachwissenschaft.

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Sesenius, W., Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament in Verb, mit H. Zimmern, W. Max Müller u. O. Weber, bearbeitet v. Franz Buhl. 15. Aufl. Leipzig, E. W. Vogel, 1910 (XVII, 1006 S.) 8.

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Gunkel, H., Genesis, übers, und erkl. 3. neubearb. Aufl. Mit ausführ- lichen Registern von Paul Schorlemer. Göttingen, Vandenhoek & Rupprecht, 1910 (CIV, 510 S.) 8.

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Knudtzon, J. A., Die El-Amarna-Tafeln. 12. Lfg. (S. 1057—1152.) 1910.

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Leipzig, M. W. Kaufmann. 1910. Hirsch, Jul., Das Buch Jesaia nach dem Forschungssystem Rabbiner

Samson Raph. Hirschs übers. Frankf. a. M., J. Kauffmaun. Kober, Reinh., Der Prophet Jesaja, erklärt. (154 S.) Konstanz, Christi.

Buch- u. Kunstverlag, C Hirsch. 1910. 8. Leimbach, Karl. 2. Heft. Das Buch des Propheten Jesaias. Kap. 40—66

übers, u. kurz erkl. 2. Aufl. (147 S.) 1910. 8. Duhm, B., Die 12 Propheten. In den Versmaßen der Urschrift über- setzt. Tübingen 1910 (XXXIX, 143 S.) 8. Procksch, O., Die kleinen Prophetenschriften vor dem Exil (Hosea,

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Vereinsbuchb. 1910. 8. Lippl, Jos., Das Buch des Propheten Sophonias. Erklärt. (XVI, 140 S.)

1910. 8.

Müller, Pfr. Olieb., Studien zum Text der Psalmen. (77 S.) 1910. 8. Nobel, Jos., Libanon. Exegetisch-homiletischer Kommentar zu den

Psalmen. I. Tl.: Buch I. u. II (560 S.) 8. Halberstadt, Selbst- verlag, 1910. Stuhrmana, Dir. P. Heinr., Der Psalter, erklärt. 2 TIe. 168 u. 156 S.)

Konstanz, Christi. Buch- u, Kunstverlag C. Hirsch. 1910. 8. Löwenthal, Rabb. Dr. A., Jona Gerundi u. sein ethischer Kommentar

zu den Proverbien. Gedr. m. Unterstützg. der >Zunzstiftg.« u. der

»Gesellsch. zur Förderg. der Wissenschaft des Judentums« zu Berlin.

(146 u. 36 S.) 8. Berlin, M. Poppelauer, 1910. Lange, Realschul-Dir. Dr. Gerson, Das Buch Koheleth. Übers, u. erklärt.

(VI, 64 S.) 8. Frankf. a. M., A. J. Hofmann, 1910. Lauenburg, M. S., Koheleth mit hebr. Komm, nobt? "nox. Warschau,

Selbstverlag, 1910 (36 S.) 8. Breuer, Rabb. Dr. Raph., Die fünf Megillotb, übers, u. erläut. 5. Tl.

Esther (VIII, 102 S.) 8. Frankf. a. M., A. J. Hofmann, 1910. Torrey, Ch. C, Ezra Studies Chicago, University of Chicago Press,

1910 (XV, 346 S.) 8. Tneis, Jobs., Geschichtliche u. literar-kritische Fragen in Esra. 1.— 6.

(Schluß-)Heft (VIII, 87 u. III S.) 1910. 8. (Fortsetzung folgt.)

Neunter Jahresbericht der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums.

Zu unserem tiefen Schmerz müssen wir den nachstehenden neunten Geschäftsbericht unserer Gesellschaft wieder mit einem Nachruf eröffnen. Im 71. Lebensjahre ist am 4. August d. J. das Mitglied unseres Ausschusses, Herr Rabb. Dr. Heynemann Vogel- stein, Stettin, uns durch den Tod entrissen worden. Der Verstorbene hat durch Erstattung zahlreicher Gutachten und rege Teilnahme an unsern Beratungen sich um unsere Gesellschaft verdient gemacht; die »Praktische Theologie des Judentums«, welche er als Teilwerk unseres Grundrisses der Gesamtwissenschaft des Judentums zu schreiben übernommen hatte, hat er leider nicht vollendet. Wir werden Heyne- mann Vogelstein, seinen vornehmen Charakter und sein schlichtes, freundliches Wesen nie vergessen.

Mit den Ergebnissen des abgelaufenen Geschäftsjahres können wir im wesentlichen zufrieden sein. Die Generalversammlung der Gesellschaft wählte am 27. Dezember 1910 den bisherigen Ausschuß der Gesellschaft durch Zuruf wieder, und in der am gleichen Tage stattfindenden konstituierenden Sitzung bestätigte der Ausschuß den bisherigen geschäftsführenden Vorstand in seinen Ämtern. In den Ausschuß eingetreten sind die Herren Prof. Dr. K a 1 i s c h e r-Berlin, Prof. Dr. Mittwoch-Berlin, Prof. Dr. S o b e r n h ei m- Berlin und Rabb. Dr. Poznanski -Warschau.

Unser Mitgliederbestand hat eine Zunahme von 121, eine Ab- nahme von 39 Mitgliedern zu verzeichnen, sodaß wir mit einem tat- sächlichen Gewinn von 82 Mitgliedern abschließen ; dazu kommt die Gewinnung eines neuen immerwährenden Mitgliedes. Wir lassen wie bisher eine Tabelle folgen, aus der die Verteilung der Mitglieder auf die einzelnen Länder ersichtlich ist.

Protokolle.

Ortschaften

immenw 1 Zahl. Mitglieder

Deutschland . . .

225

26

1020

Österreich-Ungarn

77

3

216

Vereinigte Staaten

von Nordamerika

19

35

Rußland ....

6

17

Niederlande

6

10

Schweiz .

4

14

Italien . .

4

4

Schweden .

3

3

England .

2

22

Dänemark

6

Frankreich

1

4

Belgien

3

1

Rumänien

1

Bulgarien .

1

Luxemburg .

1

Serbien . .

1

Türkei . . .

._

1

Transvaal . .

2

Argentinien .

1

Indien . .

1

753

34

1360

Unsere Einnahmen betrugen 28.851,07 M. gegenüber buch- mäßigen Ausgaben von 27.454,37 M., der Fehlbetrag ist seit dem Vorjahre von 1.501,40 M. auf 104,70 M. gesunken. Dieses anscheinend günstige finanzielle Ergebnis wird aber nur dem Umstände verdankt, daß wir unsere Kasse durch den im Vorjahre begründeten Sonder- fonds von den Ausgaben für das Corpus Tannaiticum entlasten konnten, die im Berichtsjahre 3.343,90 M. betrugen, so daß in Wahrheit unsere Ausgaben die Einnahmen bei weitem übersteigen. Dieses Mißverhältnis hat auch die Steigerung der Mitgliederzahl nicht beseitigen können : Der Qesundung und Kräftigung unserer Finanzen werden wir daher vorerst unsere stete Beachtung auch weiter widmen müssen. Mit besonderem Danke vermerken wir die Bewilligung eines Zuschusses von 1000 M. seitens der Baronin Cohn-Oppenheim-Stiftung in Dessau, deren erste Rate mit 500 M. bereits im vorliegenden Bericht unter den Einnahmen erscheint.

Monatsschrift, 56. Jahrgang.

48

754 Protokolle.

Unsere Mitglieder erhielten auch in diesem Jahre die Monats- schritt für Qeschichte und Wissenschaft des Judentums und das Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur, Jahrg. 1911, ferner den Vortrag »Die Stellung des Aristoteles bei den Juden des Mittel- alters« von Dr. S. H o r o v i t z, sowie auf Wunsch den 2. Band der Gesammelten Schriften von D. Kaufmann, hrsg. von M. B r a n n, das Werk Aus Lion Gomperz' Nachgelassene Schriften und die Mitteilungen des Gesamtarchivs der deutschen Juden, hrsg. von E„ übler. Ferner vermittelten wir wie früher unseren Mitgliedern den Bezug einer Anzahl von Büchern, darunter die aus Anlaß des 70. Geburtstages des Herrn Prof. Dr. Lew y-Breslau erschienene Festschrift, und Zeitschriften zu ermäßigten Preisen.

Die Gesellschaft gab außer der Monatsschrift heraus : 1. S. Krauß, Talmudische Archäologie, Bd. 2. 2. M. P h i 1 i p p s o n, Neueste Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 3 (Bd. 7 und 8 des Grundrisses der Gesamtwissenschaft des Judentums). 3. S. Horovitz, Die Stellung des Aristoteles bei den Juden des Mittelalters.

Im Druck befinden sich S. Krauß, Talmudische Archäologie, Bd. 3 und N. Müller, Die jüdische Katakombe am Monteverde zu Rom. Die von A. Yahuda veranstaltete Originalausgabe der Herzens- pflichten von B a c h j a wird im Januar 1912 im Buchhandel erscheinen.

Von der russischen Übersetzung der Neuesten Geschichte des jüdischen Volkes von M. P h i 1 i p p s o n ist der 2. Band erschienen ; die Übersetzung der Krauß'schen Talmudischen Archäologie ins Hebräische ist beabsichtigt.

Mit Subvention der Gesellschaft ist erschienen: 1. H e p p n e r- Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Heft 17; 2. M- Guttmann, Mafteach hatalmud. Heft 8 (Schlußheft des 1. Bandes); 3. Talmud Hierosolymitanum ed. A. M. Lu n c z; 4. I. M. Tolidano. Geschichte der Juden in Marokko. Ferner subventionierte die Gesell- schaft die Publikationen des Vereins Mekize Nirdamim und des Ver- bandes für Statistik der Juden sowie die Studienreise des Herrn Rabb. Dr. Klein-Tuzla nach dem heiligen Lande, die dieser für die Bearbeitung seines Grundrißteilwerkes: »Historische Geographie von Palästina« unternommen hat.

Die Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Juden- tums ist nach wie vor bemüht gewesen, die verschiedenen Gebiete unserer Sonderwissenschaft, soweit die Neigung der Mitarbeiter es zuließ, gleichmäßig zu pflegen. Das Angebot zum Druck geeigneter Abhandlungen ist noch immer in erfreulichem Wachstum begriffen. Es wäre darum im Interesse der Wissenschaft höchst erwünscht, wenn

Protokolle. 755

die materiellen Mittel vorhanden wären, den Umfang der Zeitschrift zu erweitern. Freilich überwiegen noch immer Beiträge aus dem Bereich der nachtalmudischen Geschichte und Literatur. Daneben sind die wichtigen Veröffentlichungen des letzten Jahres, z. B. die Sachaus über die Papyrusfunde in Elefantine und die Mitteilungen Schechters zur Ketzergeschichte aus der Kairiner Genisa ausführlich behandel worden. Die übrigen Aufsätze behandeln Gegenstände aus den Ge- bieten der Bibelwissenschaft, der Traditionsliteratur, der Geschichte der exegetischen und religionsphilosophischen Literatur. Die Ein- richtung, möglichst in jedem Hefte einen Aufsatz zu veröffentlichen, der geeignet ist, das Interesse weiterer Leserkreise zu erwecken, ist beibehalten worden. Die wichtigsten Neuerscheinungen auf den mannigfachen Gebieten sind wie bisher eingehend besprochen worden. Im neuen Jahrgang sollen die kurzen Mitteilungen aus Büchern und Zeitschriften, die sich der lebhaften Zustimmung weiterer Kreise erfreuten, wieder aufgenommen werden. Die kurze bibliographische Übersicht der Neuerscheinungen ist in der bisherigen Weise fortgesetzt worden.

Im Anschluß an die im Dezember 1910 abgehaltene Ausschuß- sitzung fand eine Sitzung der Kommission für das Corpus Tan- naiticum statt. In dieser wurde nach eingehender Beratung be- schlossen, daß von einem Anschluß der Baraithas an die Mischna- ausgabe mit Rücksicht auf die dagegen erhobenen wichtigen Bedenken abzusehen sei. Zur Vervollständigung des kritischen Apparates sollen aus der älteren nachtalmudischen Literatur die in ihr sich findenden Varianten des Mischnatextes gesammelt und für die Edition benutzt werden. Herr Seminardozent Dr. H o r o v i t z-Breslau hat es über- nommen, eine solche Variantensammlung zu veranstalten. Die Vor- arbeiten für die Toseftaedition werden von Herrn Rabb. Dr. Krengel- B.-Leipa erfolgreich weiter fortgeführt.

Die Mitarbeiter an Teil I der Germania Judaica haben ihre Beiträge zum festgesetzten Zeitpunkt abgeliefert. Nur ein einziger ist im Rückstand geblieben. Die von ihm nicht bearbeiteten Artikel haben darum den andern Mitarbeitern überwiesen werden müssen und werden hoffentlich noch vor Ablauf dieses Jahres fertig gestellt sein. Es wird dann sofort mit der Schlußredaktion und Drucklegung des 1. Bandes begonnen werden. Die zur Vorbereitung des 2. Bandes eingesetzte Kommission hat am 9. Oktober d. J. in Breslau eine Sitzung abgehalten und dabei wesentlich nach den Vorschlägen des Herrn Dr. Täubler, des Leiters des Gesamtarchivs der deutschen Juden, die Grundsätze festgestellt, nach denen die gemeinsame Arbeit

48*

756 Protokolle.

der Redaktion der Germania Judaica und des Oesamtarchivs der deutschen Juden erfolgen soll.

Für den zweiten Band des Maimonideswerkes liegt eine größere Anzahl von Abhandlungen druckbereit vor. Einige für diesen Band in Aussicht genommene Abhandlungen stehen noch aus. Nach deren Einlieferung soll mit dem Druck begonnen werden.

Der Ausschuß bewilligte in seinen Sitzungen vom 27. Dezember 1910 und 26. Juni 1911 Subventionen: 1. Herrn Rabb. Dr. Bam- berg e r-Wandsbek für seine Orabsteinforschungen auf Fehmarn; 2. Herrn Rabb. Dr. H e p p n e r-Koschmin für seine Studien zur Ge- schichte der Juden in der Provinz Posen ; 3. Herrn Rabb. Dr. K 1 e i n Dolnja-Tuzla für seine Studienreise nach Palästina; 4. Herrn Rabb. Dr. Th eo d or-Bojanowo für seine Ausgabe des Bereschit Rabba; und 1. dem Verbände für Statistik der Juden; 2. dem Verein Mekize Nirdamim für ihre Veröffentlichungen; 3. Herrn Doz. Dr. Eppen- stein-Berlin für seine Ausgabe des Pentateuchkommentars von Abraham Maimuni; 4. Herrn Prof, Dr. G ut t m an-Budapest für seine talmudische Realenzyklopädie; 5. Herrn I d e 1 s o h n-Jerusalem für seine Studien zur Geschichte der jüdischen Melodien; 6. Herrn We 1 tsma n n-Kalisch für seine Sammlung von Grabinschriften in der Provinz Posen und in Russisch-Polen; 7. für das Werk Die Hygiene der Juden, hrsg. von Herrn Dr. Grunewald-Wien.

Die im letzten Jahresbericht angekündigte Ausgabe der Ge- sammelten Abhandlungen von Ludwig Philippson wird Ende des Monats Dezember zur kostenlosen Verteilung an unsere Mitglieder kommen. Wir wiederholen an dieser Stelle die Mitteilung, daß unsere Mitglieder statt des broschierten Exemplares ein gebundenes gegen Zahlung von 2 Mark an Herrn Dr. N. M. Nathan erhalten können. Ein Verzeichnis der gleichfalls von Herrn Dr. N. M. Nathan zu be- ziehenden Schriften, sowie der Schriften der Gesellschaft überhaupt findet sich auf S. 28 des besonders gedruckten Berichtes.

Betreffs der Entrichtung der Beiträge für das neue Geschäfts- jahr bitten wir unsere Mitglieder dringend, diese baldmöglichst an unseren Schatzmeister, Herrn Paul Veit Simon, Berlin W. 56 Hinter der Katholischen Kirche 1, Postschekkonto Berlin 7030, ab- führen zu wollen. Wir bitten unsere verehrlichen Mitglieder dringend und wiederholt, uns in der finanziellen Sicherstellung der Gesellschaft und ihrer Arbeiten und das bedeutet für uns der prompte Eingang der Beiträge unterstützen zu wollen. Abgesehen vo n der Bedeutung de Gesellschaft für die jüdische Allgemeinheit leistet sie jedem einzelnen Mitgliede soviel, daß wir dieses Entgegenkommen seitens unserer Freunde erwarten dürfen.

Protokolle. 757

Wir werden das Abonnement auf die Zeitschrift für hebräische Bibliographie für alle bisherigen Besteller erneuern. Der Betrag hier- für ist baldigst mit 5,10 M. an Herrn Dr. N. M. N a t h a n, Berlin Nr. 24, Große Hamburgerstr. 29, Postscheckkonto Berlin 11776, ein- zuzahlen, andernfalls er im Januar 1912 durch Postnachnahme er- hoben wird.

Beitrittserklärungen und Mitteilungen von Wohnungsverände- rungen sind gleichfalls nur an Herrn Dr. N. M. Nathan zu richten.

Es ist kein leeres Wort, wenn wir am Schlüsse dieses Berichtes den Dank an unsere Mitglieder und Vertrauensmänner, die unser Werk durch persönliche Teilnahme und Anwerbung neuer Mitglieder verständnisvoll unterstützen, wiederholen. Der unterzeichnete Vor- stand erblickt in dieser Unterstützung eine Anerkennung der oft sehr mühevollen und arbeitsreichen Verwaltung einer so weitverzweigten Organisation, wie es unsere Gesellschaft ist. Aber wir machen auch die für uns überaus erfreuliche Beobachtung, daß unsere Tätigkeit nicht ohne Erfolg geblieben ist. Das offenbart sich nicht nur in dem äußeren Erstarken der Gesellschaft und dem Anwachsen ihrer Mit- giiederzahl, sondern auch in dem zunehmenden Verständnis für das Judentum und seine Wissenschaft in jüdischen und nichtjüdiscben Kreisen, und besonders die von unserer Gesellschaft herausgegebenen Werke haben in Fachkreisen wie im gebildeten Publikum wegen ihrer Gediegenheit und ihres wissenschaftlichen Charakters rückhalt- lose Anerkennung gefunden und bilden, je weniger sie dies sein wollen, um so mehr die trefflichste Apologetik des Judentums und seiner Lehre. Aus dieser Erkenntnis erwächst aber für alle unsere Mitglieder die Verpflichtung, sich weiter in den Dienst unserer Ge- sellschaft zu stellen, ihr neue Mitglieder zuzuführen. Nach einem alten Worte unserer Weisen ist die Förderung der Wissenschaft eine der vornehmsten Pflichten, die das Judentum seinen Bekennern auf- erlegt.

Berlin, im November 1911.

Philippson. Guttmann. Bloch.

II. Protokoll über die Sitzung des Ausschusses der Gesellschaft zur För- derung der Wissenschaft des Judentums am Mittwoch, den 3. Januar 1912, vormittags 10 Uhr, im Büro des D. J. G. B., Berlin W, Steglitzerstraße 35 I. Anwesend die Herren: Baneth, Bloch, Brann, Cohen, Elbogen, Guttmann, Kalischer, Maybaurr, Philippson, Porges, Poz- nanski, Rosenthal, Sobernheim, Weisse, Werner, Nathan.

758 Protokolle.

Entschuldigt dieHerren: Adler, Bacher, Blau, Kroner, Lucas, Mittwoch, Schwarz, Simon, Simonsen.

Vor dem Eintritt in die Tagesordnung ergreift Herr Rabb. Prof Dr. G u 1 1 m a n n-Breslau das Wort zu folgender Ansprache :

Gestatten Sie mir, sehr geehrter Herr Vorsitzender, Sie und Ihre ganze Familie im Namen unserer Gesellschaft zu dem Gedenk- tage zu beglückwünschen, den Sie in der vergangenen Woche be- gangen haben. Wir aile, die ganze deutsche Judenheit, ja, diejuden- heit aller Länder begeht mit Ihnen in dankbarer Erinnerung den Tag, an dem ihr vor hundert Jahren Ludwig Philippson als eine wahrhaft providentielle Persönlichkeit ist gegeben worden. Sie wendet auf ihn den Satz der Schrift an, den wir am nächsten Sabbat lesen werden : »Juda, dir huldigen deine Brüder, deine Hand am Nacken deiner Feinde, es bücken sich vor dir die Söhne deines Vaters. « Lebt doch sein Geist noch heute in unverwelklicher Kraft und Frische unter uns, hat er doch dem Judentum der Gegenwart in hervor- ragendster Weise seinen Stempel aufgedrückt. So fruchtbar das ver- gangene Jahrhundert auch an großen Männern in unserer Mitte ge- wesen ist, die für das Leben oder für die Wissenschaft des Judentums Hervorragendes und Bahnbrechendes geleistet haben, keiner, das darf man sagen, hat in solchem Umfange, so anregend und befruchtend, so aufklärend und erleuchtend wie er auf das Judentum gewirkt. Das große Erlösungswerk, das ein anderer Sohn der Dessauer Gemeinde begonnen, ist von Ludwig Philippson in glücklicher Weise fort- geführt worden. Das Judentum aus dem geistigen Ghetto zu befreien, in das es ein Martyrium ohnegleichen, eine Leidensgeschichte von Jahrtausenden eingepfercht hatte, die deutsche Judenheit der Teil- nahme an der Kulturarbeit und dem Geistesleben des deutschen Volkes zuzuführen, das war die Aufgabe, die Moses Mendels- sohn sich gestellt und zu deren Verwirklichung er besonders durch seine Bibelübersetzung den Grund gelegt hat. Aber eines ist ihm nicht gelungen und konnte ihm in Anbetracht der damaligen Zeit- verhältnisse nicht gelingen, die Brücke zu schlagen zwischen dem von ihm streng festgehaltenen traditionellen Judentum und den An- schauungen und Bedingungen des modernen Lebens. Er hat in seinem »Jerusalem« sich ein System erdacht, wie man ein deutscher Philosoph und zugleich ein gesetzestreuer Jude sein könne. Aber dieses System war gleichsam auf seine Person zugeschnitten und auf die Gesamt- heit nicht übertragbar. So kam es, daß in der ihm folgenden Gene- ration im Kreise der nach moderner Bildung strebenden Juden und in erster Reihe in seiner Familie selbst ein C^st der Auflösung und Zersetzung sich geltend machte, der das Judentum mit den schwersten

Protokolle. 759

Gefahren bedrohte. Diese Aufgabe der Versöhnung des Judentums mit dem modernen Kulturleben hat, freilich unterstützt durch die Qunst der Umstände, Ludwig P h i 1 i p p s o n mit bewundernswertem Erfolge ihrer Erfüllung näher geführt. Er hat das Selbstbewußtsein in den Juden geweckt, hat sie mit Stolz auf ihre Vergangenheit er- füllt und hat ihnen Mut und Vertrauen zu ihrer Zukunft eingeflößt. Ein halbes Jahrhundert stand er auf der Warte, hat er, mit weit aus- schauendem Blicke die Strömungen des Völkerlebens beobachtend, sich stets in Bereitschaft gehalten, für das Judentum einzutreten, mit unerschrockenem Mute jedem entgegentretend, der die Ehre und das Ansehen des Judentums anzutasten wagte. Wo immer ein Gegner sich erhob tVWV V^K BWl da trat Jehuda P h i 1 i p p s o n an ihn heran und wehrte seine Angriffe siegreich ab. Darum kann auch keiae Partei ausschließlichen Anspruch auf ihn erheben, er gehörte dem ganzen Judentum. Mein Vater, fährt der Redner fort, ein ge- lehrter Talmudist alten Schlages, stand in keiner Weise auf dem religiösen Boden P h i 1 i p p s o n, aber so sehr war auch er von dessen Bedeutung durchdrungen, daß er eines Tages persönlich für eine Ehrung dieses verdienten Mannes eintrat. Ludwig P h i 1 i p p s o n hat seine ganze Persönlichkeit in den Dienst des Judentums gestellt, ja, noch mehr, er hat der von ihm übernommenen Aufgabe seine persönlichen Neigungen zum Opfer gebracht. Die Abhandlung Her- mann Cohens, die in die von der Familie unserer Gesellschaft gewidmeten gesammelten Schriften Ludwig Philip p so ns Aufnahme gefunden hat und die diesem pietätsvollen Werke zu besonderem Schmucke gereicht, hat neuerdings wieder gezeigt, wie Großes man von Ludwig P h i 1 i p p s o n auf Grund seiner Jugendarbeit auf rein wissenschaftlichem Gebiete erwarten durfte, er hat, wenn er sich auch der Wissenschaft nie ganz entfremdet hat, seine persönlichen Neigungen überwunden, um dem ganzen Judentum zu leben. Und wie wir im Schriftabschnitt des nächsten Sabbats von unserem Erz- vater Jakob lesen, daß er segnend aus dem Leben schied, im Hin- blick auf seine Kinder, von denen er sicher war, daß sie seinem Vermächtnis die Treue wahren würden, so durfte auch er segnend aus dem Leben scheiden. Seine Kinder und Schwiegerkinder haben sein Werk fortgeführt, insbesondere sein ältester Sohn, als Führer der deutschen Judenheit, als Vorsitzender des Gemeindebundes und als Mitarbeiter an allen großen Organisationen des Deutschen Juden- tums. Nicht zuletzt auch als Vorsitzender unserer Gesellschaft, welche ja eine der vornehmsten Schöpfungen Ludwig Philippsons, das Institut zur Förderung jüdischer Literatur, wieder zu neuem Leben erweckt hat.

760 Protokolle.

Wir bringen dem Namen Ludwig Philippson unsere Hul- digung dar und verbinden damit den Wunsch, daß es seinem Sohne noch lange vergönnt sein möge, im Geiste seines Vaters zu wirken, unterstützt von der Hochherzigkeit seines von uns allen hochver- ehrten Bruders, dem unsere Gesellschaft ja zu besonderem Danke verpflichtet ist.

Darauf erwiderte Prof. Dr. M. Philippson: Keine Kund- gebung berühre ihn so nahe, wie die von unserer Gesellschaft aus- gehende. Er und die Seinigen seien der Gesellschaft schon vielfach verpflichtet : durch die Veröffentlichung der Biographie seines Vaters von Feiner, durch die für den Abend des heutigen Tages angesetzte Feier, durch die Würdigung der Erstlingsschrift Ludwig Philipp- sons durch das Ausschußmitglied, den allverehrten Herrn Geheim- rat Cohen, und nun wieder durch die von tiefem Empfinden ge- tragenen Worte des Herrn Prof. G u 1 1 m a n n. Es sei für ihn und die Seinen eine Quelle der größten Befriedigung, die historische und kulturelle Stellung des Vaters wieder anerkannt zu sehen. Eine Zeitlang habe es geschienen, als ob das Andenken an ihn und die Erinnerung an seine Bedeutung für die ganze Judenheit, insbesondere aber für Deutschland und die östlichen Juden, zu erlöschen drohe. Zumal in einer Zeit, in der das, was den Ewigkeitswert nicht in sich trage, wie Spreu verfliege, begrüßten daher er und die Seinen mit besonderer Genugtuung die Feier des Centenartages des unvergeß- lichen Vaters allerorten. Sie sei ein Zeichen des Idealismus und der dankbaren Gesinnung, von der das edle jüdische Volk beseelt sei, an das Ludwig Philippson Zeit seines Lebens immer geglaubt habe.

SodanH begrüßt der Vorsitzende die neu in den Ausschuß ein- getretenen Herren Kalischer, Poznahski und Sobernheim und rühmt in ehrenden Worten das Andenken des Ausschußmit- gliedes Rabb. Dr. H. V o g e 1 s t e i n-Stettin ; die Versammlung ehrt das Andenken des Toten durch Erheben von den Sitzen.

Der Geschäftsbericht wird erstattet. Zu dem gedruckt vorlie- genden Jahresbericht wird nachgetragen : Es sind erschienen N. Müller, Die jüdische Katakombe am Monteverde in Rom ; J. Feiner, Rabb. Dr. L. Ph il i pps o n, ein Lebensbild. An der Philippson-Fejer in Magdeburg haben als Vertreter der Gesellschaft die Herren Rabb. Prof. Dr. Bloch und Dr. Nathan teilgenommen, wobei ihnen die Ludwig-Philippson-Gedächtnis-Stiftung zur Verwaltung durch die Gesellschaft übergeben wurde. Der Ausschuß genehmigt die durch den Vorstand bereits erfolgte Annahme der Stiftung und überweist der Synagogengemeinde Magdeburg eine Anzahl Exemplare der Feiner*

Protokolle. 761

sehen Schrift zur Verteilung an die Schulkinder der dortigen Oe- meindemitglieder.

Innerhalb des Corpus Tannaiticum ist die Bearbeitung der Tosefta erheblich fortgeschritten ; die Vorarbeiten für die Mischna- ausgabe werden in absehbarer Zeit beendet sein. Herr Kah an- München soll in Rom die Vergleichung der vatikanischen Manu- skripte zu Ende führen. Die Mischnaedition soll in Lieferungen erfolgen.

Die Schußvorbereitungen für den Druck des I. Bandes der Germania Judaica sind getroffen ; mit dem Druck kann noch 1912 begonnen werden. Das vom Gesamtarchiv beantragte Teilgehalt für die Anstellung eines wissenschaftlichen Hilfsarbeiters für die Ausarbeitung des Urkundenkatalogs wird bewilligt. Für die Bear- beitung der hebr. Quellen wird ebenfalls ein Betrag festgesetzt.

Für den zweiten Band des Maimonideswerkes liegen genügend Abbandlungen vor ; der Druck soll gleichfalls 1912 beginnen.

Die Übertragung der Grundrißteilwerke ; Geschichte der jü- dischen Literatur vom Abschluß des Kanons bis zum Erlöschen des Gaonats (mit Ausschluß der hellenistischen Literatur) an M a r x-New- York, Geschichte der Halacha an G u t tman n-Budapest, Judentum und Islam an Friedlände r-New-York wird genehmigt.

Zur Beratung der übrigen Vorschläge wird eine Kommission aus den Herren Brann, Elbogen, Nathan, Porges, Sobernheim, Poz- nariski mit dem Recht der Kooptation und Elbogen als Vorsitzendem gebildet.

Subventionen werden bewilligt : dem Gesamtarchiv der deut- schen Juden für den Bezug einer Anzahl Exemplare seiner »Mittei- lungen« durch die Mitglieder der Gesellschaft, Herrn Dr. E.Becker- Naumburg a. Qu. für sein Werk über die jüdischen Katakomben auf Malta, Herrn Last-Ramsgate für seine Ausgabe von Kaspi's Schriften, Herrn Rabb. Reich-Batorkeszi für seinen Kommentar zu Erubin, Herrn Rosanes-Rustschuk für den zweiten Band seiner Geschichte der Juden in der Türkei, der Buchhandlung J. Kaufmann-Frankfurt a. M. zur Herausgabe der Z. f. H. B., Herrn Prof. Strack-Groß-Lichterfelde, der Betrag für em Exemplar seiner photographischen Ausgabe des Münchener Talmudkodex, Herrn Rabb. Dr. Theodor-Bojanowo für seine Ausgabe der Bereschit rabba, Herrn Ben Jehuda für den vierten Band seines Thesaurus.

Weitere Anträge werden teils abgelehnt, teils vertagt. Schluß 2 Uhr. Philippson. Nathan.

762 Protokolle.

III.

Protokoll über die ordentliche Mitgliederversammlung der Gesellschaft

zur Förderung der Wissenschaft des Judentuns

am Mittwoch, den 3. Januar 1912, abends 8 Uhr, in der Aula der Knabenschule der Jüdischen Gemeinde, Berlin N, Große Ham-

burgerstr. 27.

Die Generalversammlung ist dem Andenken Ludwig Philippsons gelegentlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages gewidmet. Aus diesem Anlaß ist vor dem Rednerpult inmitten eines Blumengewindes das lorbeerumkränzte Bildnis Philippsons aufgestellt.

An der Versammlung nahmen außer vielen Mitgliedern und Gästen eine Reihe von Angehörigen der Familie Philippson teil.

Der Vorsitzende eröffnet die Versammlung um halb 9 Uhr mit einem Nachruf auf das Mitglied des Ausschusses Rabb. Dr. H. Vogel- stein, zu dessen Ehren die Anwesenden sich von ihren Sitzen er- heben. Den gedruckt vorliegenden Jahresbericht ergänzt der Vorsitzende durch Mitteilungen über die Philippson-Feier in Magdeburg und die dort der Gesellschaft übertragene Philippson-Stiftung. Der Bericht wird genehmigt, dem Vorstande und dem Schatzmeister wird Entlastung erteilt; Ausschuß und Revisoren werden durch Zuruf wiedergewählt.

Darauf hält das Mitglied des Ausschusses, Dozent Dr. J. Elbogen-Berlin, seine Gedächtnisrede auf Ludwig Philippson, in der er ein Lebensbild dieses Mannes und eine umfassende Schilderung seiner vielseitigen Tätigkeit gibt. Mit Dankesworten an den Vortra- genden schließt der Vorsitzende die Versammlung um 9l/t Uhr.

Philippson. Nathan.

IV. Protokoll über die konstituierende Sitzung des Ausschusses der Gesell- schaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums

am Mittwoch, den 3. Januar 1912, abends 91/» Uhr, in der Aula der Knabenschule der jüdischen Gemeinde, Berlin, N , Große Hamburger- straße 27.

Der wiedergewählte Ausschuß konstituiert sich und bestätigt den bisherigen Vorstand und die Fachkommission in ihren Ämtern. Danach setzt sich der Vorstand wie folgt zusammen:

1. Vorsitzender: Prof. Dr. M. Philippson -Berlin, 2. Vor- sitzender: Rabb. Prof. Dr. J. Gut tman n-Breslau, Schriftführer: Rabb. Prof. Dr. Ph. Bloch- Posen, Schatzmeister: Bankier P. V. Simon-Berlin, stellvertr. Schriftführer Dr. N. M. Nathan- Berlin.

Schluß 93/4 Uhr.

Philippson. Nathan.

Inhalts - Verzeiehnis.

Seite

Kürzen und Längen in der Bibel. Von M. Qüdemann. 129 155 Der Auszug aus Ägypten im Lichte der Wissenschaft. Von

Emil Levy 276—286

Die Ecke mit der letzten Oarbe. Von Ludwig Levy. . . 156—159 Das Steinewerfen in Koheleth 3, 5, in der Deukalionsage und

im Hermeskult. Von Ludwig Levy 531 542

Die neuen Papyrusfunde in Elephantine. Von S. Jampel. 641—665 Das Laubhüttenfest Chanucka. Von R. Lesczynsky . 400 418 Das Wasseropfer und die damit verbundenen Zeremonien.

Von D. Feuchtwang 43—63

Die Männer der großen Versammlung und die Gerichtshöfe

im nachexilischen Judentum. Von S. F u n k . . . . , 33—42 Die Kompetenz der Gerichtshöfe. Von S. F u n k. . . . 699—712 Die Strafe des Ehebruches in der nachexilischen Zeit. Von

Adolf Büchlei 196-219

Eine unbekannte jüdische Sekte. Von Louis Ginzberg. 666—698 Ursprung, Begriff und Umfang der allegorischen Schrifter- klärung. Von L. Treifel 543—554

Dte Christusmythe des Prof. A. Drews im Lichte der

Wissenschaft. Von J. Scheftelowitz 1—32

Wie verhielt sich das Judentum zu Jesus und dem eot- stehenden Christentum ? (Schluß.) Von M. Frei- mann 160—176 296-316

Die Wortführer des Judentums in den älteren Kontroversen zwischen Juden und Christen. Von M. Freimann . 555—585

Die talmudische Literatur der letzten Jahre. Von V. A p t o-

witzer 177-195

Unechte Jeruschalmizitate. Von V. Apto witzer . . . 419—425

Der Selbstmord nach der Haiacha. Von A. P e r 1 s . . . 287—295

Die Tefilla für die Festtage. Von I. E 1 b o g e n. 426-446 586—599 Beiträge zur Geschichte und Literatur im gaonäischen Zeit- alter. (Fortsetzung.) Von Simon Eppenstein 64—75, 220—232. 317-329, 464-477, 614—628, 729—742.

764

Seite Die Ethik R. Saadjas. Von David Rau, s. A. 385—399, 513-53 >,

713-728. Die Wortvertauschnngeü im Kitäb al-Luma des Abul-

walid. Von W. Bacher 233—240

Fragmente von Gabirols Diwan. Von H. Brody. . . . 76—97

Lebenszeit und Heimat von Isaalc Or Sarua. Von H. Ty- kocinski 478-500

Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400. Von I.Krakauer 447—463, 600-613

Die Juden und das Wirtschaftsleben. Von M. O ü d e m a n n 257—275

Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische Publizist der

galizischen Haskala. von M. Weissberg 332—347

Der Streit um die jüdische Garküche in Bromberg am Be- ginne des 19. Jahrhunderts. Von G. Walter . . . . 241-246

Ein Nachtrag zu »Wilhelm Raabe und die Jaden«. Von G. Rülf 247-251

Notizen.

Saadjas Kitäb al-Tärich. Von W. Bacher 253—254

Zu den mjnntP "njw des Isaak b. Rüben. Von I. Fried- länder 501—502

War Maimonides eine Mechilta zum Deuteronomium be- kannt ? Von Samuel Klein 252—253

Die Wormser ThoraroHe. Von Louis L e w i n 348

Juden in England aus Deutschland eingewandert. Von F.

Liebermann 253

Jüdische Spitäler im Mittelalter. Von K. ßaas 745—746

Zur Geschichte der Juden in Hamburg. Von F. Lieber- mann 348

Die Identität der Familien Theomim und Munk. Von M. Brann 349-357

Erwiderungen : Von J. F r o m e r, V. A p t o w i t z e r, B. Jacob und S. Ja mpel 112-120

Besprechungen.

Breslauer, Bernh. Die Abwanderung der Juden aus der

Provinz Posen. Von J. Rotholz 358

Drews, A. Die Cbristnsmythe. Von J. Scheftelowitz . . 1—32

Ginzberg, L. Geonica II. Von V. Aptowitzer. 371—382, 633- 640

765

Seite

ö 1 1 1 i e b, M. Mose b. Maimunis Kommentar zumMischnah- Traktat Makkoth u. Schebuoth. Von M. Fried .... 629-632

K o t e 1 m a n n. Die Ophthalmologie bei den alten Hebräern.

Von Art. Crzellitzer 364-365

Künstlinger, David. Altjüdische Bibeldeutung. Von J. Theodor 503—509

Landau, Alfr. u. Wachstein Bernh. Jüdische Privat- briefe aus dem Jahre 1619. Von M. Freudenthal . . . 366—370

D. N e u m a r k. Geschichte der jüdischen Philosophie des

Mittelalters. Von Julius Lewkovvitz ........ 100 111

Ruppin, A., Die Juden im Großherzogtum Hessen. Von J. Rotholz 358

S a c h a u, Ed., Aramäische Papyrus und Ostraka. 2 Bde. Von S. Jarapei 641-655

Salomonski, Martin. Gemüsebau- und Gewächse in

Palästina zur Zeit der Mischnah. Von Immanuel Low . 743 744

Schapiro, Israel. Maimunis Mischnah-Kommentar zum Traktat Arachin. Von M. F r i e d 254—256

Schechter, S. Documents of jewish sectories. Vol. I.

Von L. Ginzberg 666—698

S e g a 1 1, Jac, Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung ia München. Von J. Rotholz 357

Sombart, W. Die Juden und das Wirtschaftsleben. Von

M. G ü d e m a n n 257—275

St raus, R., Die Juden im Königreich Sizilien unter Nor- mannen und Neuforn. Von Willy C o h n 510—512

Die Verhältnisse der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern nach dem Stande des Jahres 1907. Von R. Was- sermann 98-99

Jahresbericht und Protokolle über Sitzungen der Gesell- schaften zur Förderung der Wissenschaft des Juden- tums 121—128, 383—384, 752—762

Bibliographische Übersicht über die im Jahre 1910 er- schienenen Schriften. Vom Herausgeber . . . . 747—751

766

Alphabetisches Verzeichnis der Mitarbeiter.

Aptowitzer, V., S.

177, 371, 419,

Klein, S.,

S. 52

633

Kracauer, I.,

S.

447, 600

Baas, K>, Bacher, W.,

S. 745 S. 233, 253

Lesczynsky Lewy, E.,

S. 400 S. 276

Brann, M.,

S. 349, 747

Levy, L.,

S.

156, 531

Brody, H.,

S. 76

Lewin, L.,

S. 348

Büchler, Ad.,

S. 196

Lewkowitz, J.,

S. 100

Cohn, W.,

S. 510

Liebermann, F.,

S.

253 c48

Crzellitzer, A.,

S. 364

Low, Imm.,

S. 743

Elbogen, I., Eppenstein, S., S.

Feuchtwang, D., Freimann, M., S. Freudenthal, M.,

S. 426, 5S6

220, 317, 464,

614, 729

S. 43

160, 296, 555

S. 366

Perls, A., Rau, D. s. A., S. Rotholz, J., Rulf, G., Scheftelo .vitz, J.,

385,

S. 287

513, 713

S. 358

S. 247

S. 1

Fried, M.,

S. 254, 629

Theodor, I.,

S. 503

Friedländer, I.,

S. 501

Treitel, L.,

S. 543

Funk, S.,

S. 33, 699

Tykocinski, H.,

S. 478

Ginzberg, L.,

S. 666

Walter, G.,

S. 241

Güdemann, M.,

S. 129, 257

Weissberg, M.,

S. 332

Jampel, S.,

S. 641

Wassermann,

S. 98

#

Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift ist untersagt. Für die Redaktion verantwortlich : Dr. M. BRANN in Breslau.

Druck von Adolf Alkalay & Sohn in Preßburg.

«~. e . iviar\ o 13/ r

DS

Monatsschrift für Geschichte

101

und Wissenschaft des

M6

Judentums

Jg. 55

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