F r 7 ' E urn s P ' . ne A x hee ww... & 5 4 Mn ne ge Bie F i PERL aoe 2 er a N A . ' ow : ‘ pews se tee : een “rer au: P Piers ‘ R we PN vee te es er wo ae . / EA WE 0 ie go pera . a ee oo ' ' rere D ae ‘ m A . EI a Gr ua Teare ne ee . ae De wee ey . - tea cine one’ re 4 5 ! ‘ Ve | Par Pere ae trtye SOP Le we es hee , oe ge pees Os it a bo Pee rae Ree eee Bern Aly ’ ee Ole ne ' . rs es SO egies eA ae sree Te GL aye Be ee We fan er . RR a ¥ tow : ’ rer er nr SER rag oan are ’ ee) tte thane sy DIE er TI Ser wi ton . ’ . ‘ “. 5 Marla ne owe et we ee 24 os Oe ew ‘ ' a iit N aod Pyle py gd alee La Mb vy ee Pee ih pen rg oo. nr oa u“. er. Er Te wis no on rt“ De Se Sr ar eee one OP At I TOE twin i #7 eet ih \ Inn» Seer vw hag .. . ; » em pe ie ¢ A Pee tae pe . 2 ’ Rae 2 ee A ; ’ Fi 6 A ete pe pees Seer * ere pas FOR THE PEOPLE FOR EDVCATION FOR SCIENCE LIBRARY OF THE AMERICAN MUSEUM OF NATURAL HISTORY I MORPHOLOGISCHES JAHRBUCH. Sasa’ ry EINE ZEITSCHRIFT ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE, HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. SECHSTER BAND. MIT 30 TAFELN UND 13 HOLZSCHNITTEN. $< _ LEIPZIG, VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1880. IN ZT Pb 192 EN AA | AMOVAOROMTAART WCE: CHL AN Si te ; DURE AO BAUER ‘ Pe oe Eis 7 ‚GHAd AITSHIIE ra \ Aarriakbailtan ct MER RUE a Nae RB wae Ran wor Ey Inhalt des sechsten Bandes. Nae aaa Erstes Heft. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. Von A. Rauber. Erster Abschnitt (Fortsetzung)........4.4... Nachträge zu »Carpus und Tarsus. Von G. Born. CG. hatte ks) 72 201 0 Der feinere Bau der Seeigelzähne. Von W. Giesbrecht. (Mit Taf. dr oy Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. Von L. Ger- EIER NE) 2 ae u Mail Whe er ca boo) ade Boten Über das Skelett der hinteren Gliedmaße der Ganoidei holostei und der phy- sostomen Knochenfische. Von M. v. Davidoff. .......... Zweites Heft. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. Von A. Rauber. Zweiter Abschnitt. Über Achsenvermehrung. (Mit Taf. VII—X u. 7 Holzschn.). .... SEELE eee ec ORES lays, wer a HERE! Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. Von J. Brock. Re ee SS for ares. Sh See ter LS. a BD Über die Wirbelsäule von Pipa. Von H. v. Ihering. (Mit 2 Holzschn.) . ? Kleinere Mittheilungen: Ein Fall von Einmiindung der oberen rechten Lungenvene in die obere Hohlvene. Von C. Gegenbaur. (Mit 1 Holzschn.) . In Sachen der Planorbis-Entwicklung. Von C. Rabl ..... Besprechungen: Drei anatomische Lehrbücher. 1. Handbuch der menschlichen Ana- tomie. Von C. F. Th. Krause. — 2. Grundriss der Ana- tomie des Menschen. Von Ad. Pansch. — 3. Lehrbuch der Nenenlomgs Von Gr Schwalbe . . . . te Shin st. swe d Seite 49 79 IV Drittes Heft. Seite Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. Von J. BE. V.-Boas. (Mit Taf. XML=XV ua. 3-Holzschnitten.) ~~. 2 Soessee 321 Notizen über Korallen. Von G. v. Koch. (Mit Taf. XVI.)....... 355 Untersuchungen über Entwicklungsvorgänge am Brustbeine und an der Sternoclavicularverbindung des Menschen. Von G. Ruge. (Mit Taf. KV EAI.) oct 202 PR a se ee ae ees Nee 362 Beitriige zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen bei Säugethieren. Von W. Salensky. (Mit Taf. XX.) ........ 415 Viertes Heft. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. Von M. v..Davidoff. I. (Mit Taf. XXI—XXIM.) . . „our 433 Die Epidermis der Amphibien. Von W. Pfitzner. (Mit Taf. XXIV—XXV.) 469 VUber den Conus arteriosus bei Butirinus und bei anderen Knochenfischen. Von J. E,.V. Boas... (Mit, Taf. XXVL) - vitro Sey ee 527 Das gegenseitige Verhältnis der Chorda, Hypophysis und des mittleren Schä- delbalkens bei Haifischembryonen, nebst Bemerkungen über die Deu- tung der einzelnen Theile des Fischgehirns. Von H. Rabl-Rückhard. (Mig Tat, AAVIL- RAND) ee sate ce Cee sce us ee enn 535 Uber den »pedicle of invagination« und das Ende der Furchung von Pla- norbis: "Von C. Ria De v(Mit Taf. xXIX.) 2% 2 00 571 Über die Vermehrung des Os centrale im Carpus und Tarsus des Axolotls. Von R. Wiedershéim. (Mit Tat. XXX.) . ...... ss Oe 581 Kritische Bemerkungen über Polydaktylie als Atavismus. Von C. Gegen- DET atic ee tes se) si Rca een. ee eae a alae ea eee ne ee 584 Kleinere Mittheilungen: Zur Morphologie der Beckenregion bei Insectivora. Vorliiufige Mittheilung von W:. Lech eli ees, Ps, a ee 597 a os Me! ho ah te Bs ee wl ap) ae ee REO ee 0 et inl 602 Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. Von Dr. A. Rauber, ao. Professor in Leipzig. Erster Abschnitt. Die höheren Grade der embryonalen Formstörung. Fortsetzung. Hierzu Tafel XXXIX—XLI von Band V. IV. Formbildung und Cellularmechanik. Den Gegenstand dieses Abschnittes bildet die Untersuchung der executiven Mittel der embryonalen Formbildung und Formstö- rung. Eine Erörterung über Formstörung kann unmöglich anders angestellt werden als mit inniger Bezugnahme und Zugrundlegung der normalen Formbildung. Letztere ist also zuerst zu behandeln. Nicht das ausgedehnte Gesammtgebiet der normalen Formbildung fällt demgemäss in das Bereich unserer Betrachtung, sondern es ist von ihm auszuscheiden jener grosse Theil, welcher die erste Form- bildung lebender Wesen umfasst. Wir nehmen lebende Wesen viel- mehr als bereits gegeben an und haben es zu thun mit der Unter- suchung derjenigen Kräfte, welche ein lebendes Wesen aus seiner _ Anfangsform (dem befruchteten Ei) in seine bleibende Endform über- zuführen vermögen: mit den executiven Mitteln der Entwicklung also. Was die geometrischen Grundformen der in die Endformen be- reits übergegangenen, ausgebildeten pflanzlichen und thierischen We- sen betrifft, so können dieselben als bekannt vorausgesetzt werden. Sie sind am ausführlichsten untersucht und dargestellt worden von Morpholog. Jahrbuch. 6. 1 2 A. Rauber Ernst HAECKEL, in seiner generellen Morphologie. Derselbe For- scher hat mit weitreichendem Blick auch die Durchgangsformen der Metazoen zum ersten Male in zusammenhängender Weise zu charak- terisiren gesucht. Als solche Durchgangsformen erwähne ich die Morula, Blastula, Gastrula; Formbenennungen, die sich bereits über- all eingebürgert haben. Es würde Unrecht sein, an die genannten beiden Versuche embryologischer und systematischer Formbestimmung bereits die Forderung völlig abschliessender Ergebnisse anlegen zu wollen; Niemand aber wird verkennen, dass sie dessenungeach- tet nach jeder Richtung hin bisher einen mächtig fördernden Ein- fluss ausgeübt haben. So werthvoll es aber auch sein muss, die einzelnen Stationen zu kennen, welche der Keim bis zu seiner Voll- endung durchläuft, so darf andererseits nicht vergessen werden, dass hiermit nur ein äusserliches Wissen erreicht sei. Denn es fehlt uns die Kenntniss der Kräfte oder des Systems von Kräften, welche den Keim befähigen, alle die genannten Formen zu verwirklichen, aus der Anfangsform die Durchgangsform hervorgehen zu lassen und schliesslich in die Endform auszulaufen. Es ist klar, dass eine ge- naue Kenntniss dieser Kräfte oder des vorhandenen Kräfteplans auch von unmittelbarem Nutzen sein müsse für die Erforschung der orga- nischen Formbildung im Allgemeinen. An der Ausbildung des erwähnten Zweiges der Entwicklungs- geschichte, welcher von jenen Kräften handelt und welchem man auch die Ueberschrift einer Cellularmechanik geben darf, sind theils ältere theils neuere Forschungen betheiligt. Die bezüg- lichen Angaben aber sind in der Literatur sehr zerstreut und bisher noch niemals in einheitlicher Zusammenfassung gewürdigt worden. Man würde sich irren, wenn man glauben wollte, dass die Bedeu- tung dieses Zweiges der Entwicklungsgeschichte allerseits genügend erkannt werde. Im Gegentheil fristet er bis jetzt nur ein dürftiges Dasein. Die Handbücher widmen ihm bis jetzt noch keineswegs ein besonderes Capitel, sondern übergehen ihn entweder vollständig oder behandeln ihn in gänzlich ungenügender Weise. Er wird aber in der kommenden embryologischen Literatur sicherlich den Rang eines be- sonderen Bestandtheils der allgemeinen Entwicklungsgeschichte ein- nehmen und es ist mein Bestreben, ihm dazu zu verhelfen. Die Werthschätzung dieses Theiles der allgemeinen Entwick- lungsgeschichte ist meinerseits nicht neu, sondern ich freue mich, dieselbe in meine erste Studienzeit bei Prof. v. BıscHorr zurück- verfolgen zu können. Es fehlte hier auch nicht an direeten Hin- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 3 weisen auf die nächsten Grundlagen alles embryologischen Gesche- hens. Ein uns Schülern damals demonstrirtes mächtiges Ledermodell von vielleicht zwei Fuss Länge, welches einen Säugethierembryo mit überall noch weit offener Medullarfurche darstellte, war unter Anderem besonders geeignet, derartigen Vorstellungen Nahrung zu geben. Die Frage nach den executiven Mitteln der ontogenetischen (deuterogenetischen) Entwicklung ist aber nicht bloss für sich allein betrachtet in hohem Grade anregend. Man erhält durch deren Un- tersuchung vielmehr auch positive Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Entstehung der Arten (protogenetische Entwicklung). Denn die Entstehung der vorhandenen Arten kann nicht auf eine vom gegenwärtigen ontogenetischen Ablauf der Entwicklung ihrer Vertre- ter sehr verschiedene Weise zu Stande gekommen sein und fernerhin zu Stande kommen. Um ein Beispiel zu gebrauchen, so können die ersten Lachse nur auf eine der gegenwärtigen ontogenetischen Ent- wicklung dieses Fisches sehr nahestehende Weise, nicht aber auf ganz heterogenem Wege entstanden sein. Denn ein Gleiches (näm- lich die zuerst entstandenen Lachse und die aus ihnen hervorge- gangenen folgenden Generationen) kann, wenn für organisirte Wesen das Princip gleicher Ursachen für dieselbe Wirkung richtig ist, nicht grundverschiedenen Processen den Ursprung verdanken. Es liegt wenigstens kein irgend begründeter Anhaltspunkt vor für die gegen- theilige Behauptung, dass eine und dieselbe, zumal hoch entwickelte organische Form dem Ursprung und den folgenden Generationen nach auf zwei ganz differenten ontogenetischen Wegen entstanden sein könne, sondern es ist dies für jetzt ganz undenkbar. Die Berücksichti- gung der executiven Mittel der ontogenetischen Entwicklung spricht viel- mehr mit grosser Entschiedenheit gegen eine differente und für eine übereinstimmende Entstehung der zuerst aufgetretenen und der ihnen folgenden Angehörigen einer Art. Ist dies aber der Fall, so liegt es gewiss am nächsten, die höheren Formen von einer Umwandlung tieferstehender Formen abzuleiten. Denn zwischen die- sen beiden besteht kein Unterschied von heterogener Beschaffenheit. Um aber das Ziel und die Absicht des Gewollten gleich von Anfang an genauer- hervortreten zu lassen, ist es geeignet, folgende Erwägung vorauszuschicken. Durch die neueren Untersuchungen über das Wesen der Be- ' fruchtung haben wir erfahren, dass eine Vereinigung zweier Theil- stiicke der elterlichen Organismen, eines männlichen und eines weiblichen, die Anfangsform der folgenden Generation darstelle. Es 1* 4 A. Rauber ist dies die Verbindung des Spermakernes mit dem Eikerne im Ei, wodureh das letztere seinen ersten Furchungskern, die Grundlage der folgenden Kerne des neuen Wesens erhält. Hiermit ist der histologische Vorgang der Befruchtung bis zu einem gewissen Grade aufgedeckt. Die beiden Theilstücke, deren Verbindung das neue Wesen bewirkt, sind bei den höheren Thierformen enthalten in besonderen Organen, den Keimdrüsen. Da aber die Keimdrüsen die folgende Generation beherbergen, so erscheint ein Individuum als der Träger zweier Ge- nerationen, seiner eigenen sowie der folgenden Generation. Inso- weit er der Träger seiner selbst ist, stellt er eine Person im engeren Sinne dar; er ist der Personaltheil der dualistischen Anlage. Die Träger der zukünftigen Generation, die Keimdrüsen, stellen da- gegen den Germinaltheil der dualistichen Anlage dar. Personal- und Germinaltheil gehen aber von einem befruchteten Ei aus, ein solches Ei enthält den Stoff mit dem Kräfteplan zu der genannten dualistischen Anlage. Man kann darum auch von einem Personaltheil und Germinaltheil des befruchteten Eies reden. Nur ein Theil des gesammten Eimateriales gelangt durch ausserordent- liche Entfaltung zur Darstellung einer Person im engeren Sinne: der Personaltheil des Eies. Der Germinaltheil des Eies dagegen er- reicht eine solche weitgehende Entfaltung nicht; seine einzelnen Be- standtheile bleiben vielmehr auf primitivem Zustand; die einzelnen Be- standtheile je eines Germinaltheils bleiben auch unter sich selbst gleich- werthig, während die Bestandtheile des Personaltheiles gruppenweise die höchsten Differenzirungen erfahren. Was nun die Wirkung der Befruchtung betrifft, so vermag eine solche immer nur einen Theil des Eies, den Personaltheil, zur Form einer Person überzuführen; der andere Theil erfährt diese Wirkung nicht, er hat stärkere be- harrende Kraft und seine ganze Entwicklung besteht nur darin, die einzelnen Theilstücke zur Reife zu bringen: eine zweite Befruchtung erst, eine zweite Vereinigung von Theilstücken ist nothwendig, um Abschnitte des Germinaltheils zur Entwicklung einer neuen dualisti- schen Anlage, eines vollständigen Individuum überzuführen. Wenn wir aber auch nunmehr den Bildungsmodus der Anfangs- form eines neuen Wesens kennen, so kommen wir im Uebrigen in der Erkenntniss der Grundkräfte des Keimes über das berühmte Prineip des ARISTOTELES nicht hinaus, insofern wir auch künftighin anneh- men müssen, die Vereinigung der beiden elterlichen Theilstücke löse in der Substanz des Eies eine solche Bewegung aus, dass aus dieser, ein mächtiges Kraftmagazin darstellenden Anfangsform, dem befruch- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 5 teten Ei nämlich, die Endform des neuen Wesens sich entfalten könne. Worin diese Bewegung bestehe und nach welchen Normen sie ablaufe, dies zu untersuchen ist die Aufgabe des Folgenden. In historischer Aufeinanderfolge ist bezüglich der Leistungen auf diesem Gebiete Folgendes hervorzuheben. Schon ArisTOTELES ') hat bemerkenswerthe Gedanken in dieser Hinsicht entwickelt. Im männlichen Samen befindet sich nach -ihm die Zeugungsseele, Wvyn yernrızn; diese aber ist gleichbedeutend mit seiner Wvyn soeserız, der Erniihrungsseele. Mit letzterer ist wiederum fast gleichbedeutend die wuyn avänrexn, die dem Wachsthum vorstehende Seele oder Kraft. Ernährung und Wachsthum bezeichnet er hiermit als Urkräfte des Keimes. Die Hauptleistung von C. F. WoLrr? auf dem Gebiete der thierischen Formbildung ist vor Allem die, dass er bewies, die or- ganisirten Körper seien nicht als solche präformirt vorhanden, wie die damaligen Anschauungen lauteten, sondern sie würden ge- bildet. Als die Bestandtheile des thierischen und pflanzlichen Körpers erkannte er weiterhin Zellen und Bläschen und wusste, dass die Keimscheibe des Hühnchens aus Kügelchen bestehe; er erscheint mit dieser Kenntniss, worauf HuxLEY zuerst aufmerksam machte, als der Vorläufer von SCHLEIDEN und SCHWAnN. Ueber seine all- gemeinen Vorstellungen von Formbildung orientirt das Folgende: »Wenn es wahr ist, dass die Körper formirt werden, so muss dies durch gewisse Ursachen und auf eine gewisse Art geschehen. Diese Ursachen angeben, diese Art vorstellen, das heisst erklären.« Die ganze Formation geschieht nun nach ihm auf folgende Weise: »Die verschiedenen Theile entstehen einmal alle einer nach dem andern, sie entstehen alle so, dass immer einer vom andern entweder excer- nirt oder deponirt wird, nachdem er entweder ein einfacher für sich bestehender Theil ist und nur an demjenigen, dem er seine Production zu verdanken hat, anhängt und befestigt ist, oder aber innerhalb demselben eingeschlossen liegt?).« Hiermit ist demnach äusseres und inneres Wachsthum verstanden. In der Entwicklungsweise verschiedener Theile des Körpers findet er nun eine bestimmte Form immer wiederkehren und gibt der !) ARISTOTELES, Ueber die Zeugung der Thiere. Ausgabe von AUBERT u. Wimmer, Leipzig bei W. ENGELMANN, 1860. 2) C. Fr. WoLrr, Theorie der Generation. Deutsche Ausgabe, Berlin 1764. pag. 60. 3) ]. c. pag. 210. 6 A. Rauber Ueberzeugung Ausdruck, dass dieselbe einen tiefen Sinn habe und mit der Erzeugung und Natur der Thiere in engster Beziehung stehe: »Im Allgemeinen erkennt man jene oft beschriebene Form, die durch Breite und Abrundung in ihrem oberen Theile, durch allmäliges Schmä- lerwerden desselben nach unten, durch äusserste Dünne in der Mitte, durch abermaliges Breiterwerden im unteren Theile und zuletzt durch spitzige Endigung charakterisirt wird, in allen Phänomenen oder Theilen, sie mögen zum Embryo oder dessen Hüllen gehören, immer sehr deutlich wieder. So erscheinen sie, wie ich schon bemerkte, im Nervensystem. Ferner kommt sie wieder im Urdarm, folglich auch in der Naht des falschen Amnion vor. Dieselbe Gestalt aber bietet auch wieder, wie ich schon oben genauer angegeben habe, die ganze Blase des falschen Amnion dar, und endlich erscheint ge- nau dieselbe Form wieder in der durchsichtigen Stelle, im ersten Wohnort des Embryo !).« Es ist offenbar, dass das pflanzliche Blatt als Wegweiser in der Unterscheidung und Bestimmung dieser Form gedient habe. Da er aber die verschiedenen Systeme des höheren Thierleibes kennt, so gelangt er zu dem Urtheile, dass jener Aehnlichkeit ungeachtet in der That mehrere untereinander verschiedene Principien zu der Zusammensetzung des thierischen Körpers concurriren, statt dass es bei den Pflanzen nur ein und dasselbe Prineip ist, dessen Wirksam- keit nur durch eine hinzutretende Ursache abgeändert wird. »In den Pflanzen, um es kurz zu sagen, bringt ein Prineip mehrere Theile hervor, diese aber werden von einer hinzukommenden Ursache in Ansehung ihrer Gestalt, Grösse und Anordnung abgeändert. In den Thieren dagegen bringen mehrere und verschiedene Prineipien mehrere und verschiedene Systeme hervor, die aber, der Hergang sei welcher er wolle, nach einer Norm gebildet werden?).« Ueber die Entwicklungsweise des ganzen Körpers lässt er sich in folgender Weise aus: »Ja von dem ganzen Körper kann man behaupten, dass er anfangs eine gerade Platte gewesen, die mit dem oberen, nach unten gebogenen Rande die Brust, mit dem unteren nach oben gebogenen das Becken, mit den Seitenwänden, die nach vorn gegen einander geneigt sind, den Unterleib bildet. Ganz das- selbe gilt von dem Speisecanal. — Indem die Unterleibsplatte 1) ©. Fr. WoLrr, Ueber die Entwicklung des Darmcanals, Ausgabe von J. Fr. MECKEL, Halle, 1812. pag. 147. 2) Entw. d. Darmcanals, pag. 149, Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 7 (Bauchplatten) sich umbiegt, ihre Ränder sich zusammenziehen und endlich untereinander verwachsen, geht sie endlich in einen geschlos- senen Sack über und nimmt so die Gestalt an, die sie beständig erhält. Die Darmplatte dagegen bildet, nachdem sie sich umgelegt hat, erst ein offnes Rohr, dann, durch die Zusammenziehung der Ränder , ein verschlossenes und dehnt sich endlich, indem sie die Gestalt eines Canals behält, in einen sehr langen Canal aus, der vielfach gekrümmt und gewunden ist. Ist vielleicht die Ursache dieser Verschiedenheit zwischen Theilen, die in ihrem ersten Anfang einander so ähnlich sind, ganz oder zum Theil wenigstens darin be- gründet, dass der den Darmcanal enthaltende Unterleib von demsel- ben in einen breiten Sack ausgedehnt wird, während der im Unter- leib enthaltene Darmcanal nicht ausgedehnt wird, daher die Gestalt eines Rohres behält und in einen engen Raum zusammengedrängt sich in Windungen zusammenlegen muss? Schon oben habe ich in- dessen bemerkt, dass ich keinen grossen Werth auf dergleichen me- chanische Erklärungen lege '!).« Dieser Hinweis bezieht sich auf folgende, von der Entwicklung der Brustwand handelnde Stelle: »Etwas scheint zu diesem Herab- steigen der Membran und zur Bildung der Brust die Zusammen- schnürung des Embryo und das Herabsteigen des Kopfes beizutra- gen. — Indem nun der Embryo sich zusammenschnürt und der Kopf sich senkt, muss nothwendig die Membran herabgezogen wer- den. Doch bin ich sehr überzeugt, dass diese Veränderung der Ge- stalt des Embryo weder die einzige, noch die vorzüglichste Ursache ist und dass auch ohne sie sich die Brusthöhle bestimmt bilden würde; denn dergleichen mechanischen Momenten schreibe ich einen sehr unbedeutenden Einfluss auf die Bildung organischer Körper zu, deren Ursachen, meiner Meinung nach, vielmehr in Kräften, welche _ der Materie einwohnen, zu suchen ist?).« Von den Beweisgründen für die allmälige Entstehung der Körperform sprechend, betont er schliesslich: »Dies ist ein Hauptbeweisgrund für die Epigenese. Aus ihm kann man schliessen, dass die Theile des Körpers nicht immer vorhanden gewesen, sondern nach und nach gebildet sind. Diese Bildung mag nun geschehen auf welche Weise sie wolle. Ich sage nicht, dass sie durch einen Zusammenhang von Theilchen, durch eine Art von Gährung, aus mechanischen Ursachen, durch 1) Entwicklung des Darmeanals, pag. 228. 2) Entwicklung des Darmeanals, pag. 217, 8 A. Rauber die Thiitigkeit der Seele geschehe, sondern nur dass sie ge- schehe !) .« Wenn C. Fr. Wourr es im Allgemeinen ablehnt, auf die nächsten Ursachen der Gestaltbildung genauer einzugehen, so darf man immerhin jene Stelle als den Ausdruck seiner eigentlichen Meinung bezeichnen, in welcher er behauptet, jene Ursachen viel- mehr »in Kräften, welche der Materie einwohnen,« als anderswo zu erblicken. Ueber die Art dieser Kräfte spricht er sich nicht weiter aus, als insofern er in äusserem und innerem Wachs- thum (Exeretion und Deposition) das Wesen der Formbildung erblickt, wie oben schon ausgeführt worden ist. Während bei Wourr hiernach die Bestimmung der nächsten Ursachen der Formbildung in den Hintergrund treten musste vor seiner eigentlichen Aufgabe, die Theorie der Epigenese an Stelle der Theorien der Präformation zu setzen, sehen wir gerade jenen Theil in den Vordergrund treten bei seinem Nachfolger, Cur. H. Panper?), dem zugleich mit WoLrF die folgenschwere Ent- deckung 'der Keimblätter im bebrüteten Hühnerei zukommt. Der Ausführung des Gedankens, dass aus den Keimblättern durch Wu- cherung und Faltung die Körperform hervorgehe, ist der wesent- liche Inhalt seiner entwicklungsgeschichtlichen Schriften gewidmet, wie ich bereits an anderer Stelle kurz bemerkt habe und hier mit grösserer Vollständigkeit beifüge. Seine allgemeine Auffassung fin- det sich in folgenden Stellen ausgedrückt: »Mit der Bildung der Keimhaut ist zugleich die ganze Entwicklung des Hühnchens im Ei begründet, welche von nun an rastlos fortschreitend nur auf diese sich bezieht; denn was auch immer Merkwürdiges in der Folge sich zutragen mag, so ist es nie für etwas Anderes als eine Metamor- phose dieser mit unerschöpflicher Fülle des Bildungstriebes begabten Membran und Blätter anzusehen. Von ihr strahlt das Leben nach allen Richtungen aus; auf sie zieht es wieder sich concentrirend zurück. Die gesammten Darstellungen des lebenden Thieres und seiner Theile aus der Keimhaut lassen sich alle auf zwei Momente zurückführen; entweder es entwickeln sich an ihr die bedeutungs- vollen Keime des Blut- und Nervensystems, als die beiden Systeme, durch welche der individuell werdende Lebensprocess fortgeführt ') Entwicklung des Darmcanals, pag. 245. 2) PANDER, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Hühnchens im Ei, Würzburg 1817. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 9 werden soll, oder sie selbst bildet allein durch den ein- fachen Mechanismus des Faltens den Leib und die Ein- geweide des Thieres. Ein zarter Faden setzt sich als Rücken- mark an ihr an und kaum ist dies geschehen, so schlägt sie die ersten Falten, welche selbst dem Rückenmark den Sitz anweisen mussten, als Hülle über das kostbare Fädchen, auf diese Weise die erste Grundlage des Leibes bildend. Hierauf geht sie in neue Fal- ten über, welche im Gegensatze mit den ersten, die Bauch- und Brusthöhle mit Inhalt gestalten. Und zum dritten Male sendet sie Fal- ten aus, um den aus ihr und durch sie gebildeten Fötus in passende Hüllen einzuwiekeln. Daher es denn Niemand befremden mag, wenn im Verlaufe unserer Erzählung so viel von Falten und Umschlagen die Rede ist !).« Es ist hiernach neben Wucherung wesentlich ein Faltenmecha- nismus, welchen PANDER als nächste Ursache der Gestaltbildung des Hühnchens bezeichnet. Er beobachtet dabei richtig die Primitivfal- ten, fasst aber ihr Verhältniss zur Entwicklung des Medullarrohrs noch nicht richtig auf, was v. Baer vorbehalten blieb, der aus ihnen das Medullarrohr selbst ableitete. Die Faltungen selbst denkt sich PAnDER hervorgegangen aus Spannungen der Keimhaut in Folge des Wachsthums der letzteren. Denn er sagt an einer anderen Stelle (Beiträge pag. 40 und Isis 1818, pag. 524): »Ehe wir nun zur Erklärung der nun folgenden - Figuren übergehen, durch welche wir versucht haben, die Metamor- phose der Keimhäute zum Embryo vermittelst fingirter Durchschnitte anschaulich zu machen, müssen wir unsre Leser erinnern, dass sie sich, wo von den Faltungen der Häute die Rede ist, nicht leblose Membranen vorstellen, deren mechanisch gebildete Falten nothwen- dig sich über die ganze Fläche verbreiten, ohne sich auf einen be- stimmten Raum beschränken zu lassen; denn dieses müsste unver- meidlich zu irrigen Ansichten führen. Die die Metamorphose der Häute bedingenden Falten sind vielmehr selbst organischen Ursprungs und bilden sich an dem gehörigen Orte, seis nun durch Vergrösse- rung der dort schon vorhandenen oder durch ein Hinzutreten neuer Kiigelchen, ohne dass dadurch der übrige Theil der Keimhäute ver- ändert würde.« Es ist klar, dass unter dem Namen Kügelehen wieder unsere Zellen gemeint sind. Vermehrung und Vergrösserung der Kügelchen 1) Beiträge. pag. 6. 10 A. Rauber der Keimscheibe sind es demgemäss, durch welehe PAnper den Ent- wicklungsprocess vor sich gehend betrachtet. v. BAER verhielt sich ablehnend gegen Panpmr’s Theorie. »Sie gaben mir Licht,« sagte er von den Beitrigen in der Vorrede seines Werkes iiber Entwicklung der Thiere, »aber das Falten- system wollte mir durchaus nicht zusagen. — Die Faltungen glaubte ich als Abschniirungen auffassen zu miissen.« Der fiir uns weiter- hin wichtigste Ausspruch v. Baer’s ist in folgender Stelle enthalten, die er als das allgemeinste Resultat seiner Forschungen verkündete: »Die Entwicklungsgeschichte des Individuums ist die Geschichte der wachsenden Individualität in jeglicher Beziehung !).« Ganz anders urtheilte OKk&n über PAnDer’s Darstellung. Seine bezüglichen Bemerkungen, welche bloss die Dissertation PANDER’s 2) | betreffen, mögen hier eine Stelle finden: »Dieser Paragraph ist das Punetum saliens des ganzen Buches und eine Entdeckung, die den Namen bewährt. Man kann natürlich nichts sagen; denn gesehen und nicht gesehen ist ein Unterschied. Wir müssen dabei wün- schen, dass ja hiervon nicht Zeichnungen allein nach der Natur (denn diese lehren nichts), sondern ideale gemacht werden. — Wenn die Beobachter im Stande sind, die Entstehung der Haupttheile des Leibes aus dieser Längsfaltung (das ist sie doch) zu erklären und zu zeichnen, so dass die Linien zusammenhängen, so haben sie gesiegt und die Isis soll die Zeichnung ihnen zu Ehren auf eine Denkmünze graben lassen.« — »Haben wir einmal die Falten, so haben wir auch ihre Um- und Ausbiegungen und wir wünschen da- von nichts als Zeiehnungen. Die Entstehung des Blutes und der Gefässe ist anziehend erzählt und stimmt ziemlich mit WOoLrF überein, nur deutlicher. Mit der Verlängerung der Faltung geht es nun so fort und es wird endlich auch der vordere Leib geschlossen, der vorher wie ein Graben offen gewesen u. 8. w. *).« ft Die von Oken bei Beurtheilung der Dissertation PANDER’s ge- wünschte Tafel idealer Figuren, die den Faltungsprocess verdeut- lichen sollen, findet sich nun theils in der Entgegnung‘) PANDER’S auf Oxen’s Kritik, theils und ausführlicher in der zweiten Schrift PANDER’S, seinen »Beiträgen« nämlich, und unterliegt es kaum einem Zweifel, dass die denselben beigegebene und eingeschaltete Falten- tafel auf Oken’s Veranlassung zurückzuführen sei. I) Entwicklungsgeschichte der Thiere, Theil I, Scholion VI; 1828. 2) Historia metamorphoseos quam ovum et. Würzburg 1817. 3) Isis 1817; pag. 1529—1540, 4) Isis 1818; pag. 512—524. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 11 Man darf sich nun wundern, dass, während seine Keimblätter- theorie in den verschiedensten Lehrbüchern der Embryologie Erwäh- nung findet, über den Faltenmechanismus des deutschen Embryolo- gen selbst die neuesten Handbücher vollständig sich ausschweigen ; mehrere französische Autoren sind es indessen merkwürdigerweise, welche das betreffende Verdienst PAnDEr’s anerkennen. Sollte es aber bei diesen grundlegenden Anfängen während des halben, seitdem verflossenen Säculums verblieben und fernere Er- rungenschaften auf diesem Gebiete nicht erzielt worden sein? Hieran war nicht zu zweifeln, und in der That nehmen wir bei darauf ge- richteter Nachforschung wahr, dass ein anderes Werk, welches in der embryologischen Wissenschaft, da es sich ausführlich und im strengsten Gedankengange mit embryologischer Formbildung und speciell mit der Mechanik der Gestaltung beschäftigt, einen ersten Rang einzunehmen befähigt und würdig ist, zwar geschaffen wurde, der Mehrzahl der Embryologen aber kaum bekannt geworden ist. Dieses Werk ist nicht etwa so neu, dass es aus diesem Grunde der Aufmerksamkeit der meisten Embryologen bis jetzt hätte entgehen können, sondern es ist seit seiner ersten Veröffentlichung eine Reihe von Jahren verflossen, so dass es an der Zeit erscheint, dasselbe der Ge- schichte der Embryologie und der embryologischen Wissenschaft selbst zu retten. Die wenigsten Embryologen haben eben mehr bestimmtere Veranlassung, sich zugleich mit allgemeiner Physiologie eingehender zu befassen, obwohl die Embryologie auch neuerdings, offenbar ge- leitet und bestimmt durch das zu erwähnende Buch, mit Nachdruck als physiologische Wissenschaft bezeichnet worden ist; und so kam es, dass es sogar dem Namen nach bei den Embryologen in Vergessenheit zu gerathen anfing. Denn selbst von denjenigen, die es genau gekannt und am ausgiebigsten benützt, wenn auch vielleicht nur unvollständig erfasst haben, ist es bezeichnender Weise nicht einmal dem Namen nach erwähnt worden. Es ist die 1851 erschie- nene allgemeine Physiologie des körperlichen Lebens, von HERMANN LoTZE. Schon in einer anderen Arbeit (VrrcHow’s Archiv, Bd. 71, die Theorien der excessiven Monstra) habe ich eini- ger hierher gehöriger Sätze von Lorzn, die derselbe in seinem Artikel »Ueber Leben und Lebenskraft«!) aufgestellt hat und auf die ich hier verweise, Erwähnung gethan. Aus letzterer Schrift sind ausserdem noch mehrere Bemerkungen anzuführen, welche, gegen die Wirk- ') R. WAGNER’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. I. 12 A. Rauber samkeit sogenannter Naturideen bei der Entwicklung des Keimes polemisirend, mit grosser Klarheit die Nothwendigkeit mechanischer Auffassung der Entwicklung betonen. »Man hat von der Idee der Gattung oft so gesprochen, als wiire sie gleichsam eine Gleichung fiir die Curve des Lebens, welche nicht bloss die Orte hypothetischer Punkte in dieser Bahn anzeigt, sondern auch gleichzeitig die Stoffe, welche diese Orte einnehmen sollen, wirklich dahin schafft, eine Gleichung also, welche die Bahn der Curve nicht bloss be- stimmt, sondern auch beschreibt. Dies geht nicht.« Ebenso in andrer Fassung: »Man kann zwar die legislative Gewalt vorbestim- mender Naturideen anerkennen, diese aber nie an sich, sondern nur insoweit für vollziehende Kräfte halten, als sie in den mechanischen gegebenen Bedingungen bereits materiell begründet sind. Es tritt die Forderung eines rigorösen Mechanismus ein.« »Die Idee des Ganzen ist nicht die bewirkende Ursache für die Existenz und Qua- lität der Theile; sondern sie ist ganz einfach das bestimmende Mu- ster, während die Ausarbeitung dieses Musters immer nur durch einen schon gegebenen Concurs von mechanischen Kräften gelingt. Dieses Muster aber kann in einigen wenigen Theilen als nothwen- diges Resultat ihrer Gegenwirkungen präformirt sein. Die Glei- chung einer Parabel bedingt gewiss nicht die Existenz einer Pa- rabel. Soll sie wirklich entstehen, so muss der Zeichner hinzukom- men, u. 8. w. Auch die Idee des Ganzen oder der Gattung braucht, um sich zu verwirklichen, nur einen kleinen Stamm des Wirklichen, in welchem kraft der Gleichung seiner inneren Verhältnisse allem Uebrigen der Ort und die Art seiner Anlagerung bestimmt ist. Die Theorie darf nie von der Wirksamkeit einer abstraeten Idee spre- chen, ohne jenen Primitivstock der Massen anzugeben, durch welche ihre inneren Verhältnisse in mechanische Wirkung umgesetzt werden.« Schon hieraus geht zur Genüge hervor, dass LorzE auf die Kenntniss der executiven Mittel mit Nachdruck ausgeht, welche im Keime gegeben sind, um denselben zu dem ihm in der Idee der Gattung gegebenen Ziele entgegenzufiihren. »Der Zweck kann nie eine Wirklichkeit begründen, sondern nur die Ursachen. Die Erfüllung des Zweckes ist nur möglich, wenn alle Mittel, aus deren blinder Ursächlichkeit der Zweck hervorgehen soll, bereits so angeordnet sind, dass die Gestalt des vorbestimmten Erfolges aus ihnen bloss unter der Anwendung allgemeiner Gesetze folgen kann.« In dem befruchteten Ei und seiner passenden Umgebung sind nun natürlicher Weise die nothwendigen executiven Mittel zur Ver- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 13 wirklichung der Endform des Organismus gegeben. Es fragt sich also, in welchen materiellen Anordnungen des Keimes LoTzE jene Mittel erkennt. Der Lösung dieser Aufgabe ist der Abschnitt »Von der Me- chanik der Gestaltbildung«') gewidmet. Im Hinblick auf das scharf umschriebene und viel einfachere Problem der Krystallbildung hält Lorze zwar die Bestimmung der elementaren Formen und Wirkungen, durch deren Combination der Aufbau des Ganzen ver- wirklicht wird, noch für verfrüht und unausführbar, spricht sich aber im Allgemeinen für die Möglichkeit aus zu übersehen, wie die aus- gebildete organische Gestalt durch rein physische Bedingungen aus einem gegebenen Keime sich entwickeln kann. Er führt solche Möglichkeit zuerst unter der Voraussetzung aus, der Keim bestehe anfänglich aus einem bloss qualitativ bestimmten Substrate, ohne dass ein besonderer Gestaltanfang in demselben vorhanden sei; so- dann die andere, schon aus inneren Gründen wahrscheinlichere, dass die Organisation nicht von einem homogenen, nur chemisch charakterisirten Safte, sondern allerdings von einem Systeme fester Theilchen ausgehe, deren Anordnung sehr einfach und entfernt von aller Aehnlichkeit mit der später entwickelten Gestalt sein könne. Statt eines homogenen Keimes liegt also hier ein System mehrerer untereinander in gesetzlicher Weise verbundener Keimpunkte vor, von welchem. unter dem Einflusse ihrer Umgebung, Bewegungen ausgehen, die auch aufeinander einwirken werden und eine ausser- ordentliche Mannigfaltigkeit der Erfolge damit hervorrufen. Aus dem Reiche der Möglichkeiten tretend und deren Analogien in der Erfahrung suchend, bemächtigt sich Lorze nunmehr be- greiflicherweise des Elementarorganismus der Zellen, die ihm nicht als der erste Schritt des gestaltbildenden Processes erscheinen durf- ten, ja die er in der Definition von ScHwAnnN nicht als die Urform anerkennen kann, die für organische Substanzen eine Art natürlicher Gestalt wäre. Zu den Zellen gelangt, betrachtet er dieselben als die Bausteine, die zu dem Aufbau des Ganzen verwandt werden, nicht etwa als blosse Zusammenfügung fertiger Theile, wie bei der Bildungsweise unserer Kunstwerke, sondern eben in der Form einer Entwicklung. Denn die organische Gestalt ist ihm nicht ein Sy- stem der Ruhe von Elementen an bestimmten Plätzen, sondern viel- mehr eine Form der Bewegung von Elementen, die an einzelnen Punk- ') Loran, Allgemeine Physiologie, drittes Capitel, pag. 292. 14 A. Rauber ten mit bemerklicher Schnelligkeit, an andern nur langsam geschieht. »Die Gestalt des lebendigen Körpers bildet sich nicht, indem an ruhenden Theilchen andere zur Ruhe kommen, sondern durch einen fortgesetzten Lebensprocess des schon Bestehenden, das in bestän- diger Wechselwirkung mit neuem Material dieses ebenso sehr formt, als von ihm in seiner eigenen Form verändert wird.« Anders aus- gedrückt ist »die Form in jedem Augenblicke das nähere oder ent- ferntere Resultat von Functionen, d. h., nicht bloss von beständigen Kräften, sondern auch von Processen und Lagen, in welche die sich bildenden Theile gebracht sind.« Mit Rücksicht auf die gesuchten executiven Kräfte formulirt Lorze diesen Inhalt wie folgt: »Die realisirenden Kräfte selbst sind nicht beständige, sondern Funetionen der Entwicklungshewegung.« Die hieraus hervorgehenden mechanischen Processe der Gestalt- bildung werden nun im Einzelnen geschildert: »Der Thierkörper besitzt im Ei eine hinlängliche Masse, aus der zwar nicht simultan, aber doch mit ziemlich gleicher Beschleunigung die erste Anlage aller Hauptabtheilungen des Körpers sich bildet. Aber diese ersten Keime sind nicht nur innerlich noch ungegliedert und erwarten erst von der Zukunft eine Zerfällung in feinere Organisationselemente, sondern auch ihre gegenseitige Lage ist nur in weiten Umrissen be- stimmt. Erst eine grosse Mannigfaltigkeit mechanischer Verschiebungen, Dehnungen, Verwachsungen, aus der ungleichförmigen Fortbildung einzelner Theile entspringend, rückt sie allmälig in die Lagenverhältnisse, die sie später einnehmen sollen und umgekehrt wirkt jeder dieser mechanischen Processe mitbe- stimmend auf die Möglichkeit noch weiter fortschreitender Organisa- tion der verschobenen Theile zurück. Hierin nun ist der Thierkör- per während seiner ersten Bildung der Erdrinde einigermassen zu vergleichen; nur sind es nicht ungeordnete, vulkanische Erup- tionen, welche die Schichten seines Bildungsmateriales in die un- regelmässige Mannigfaltigkeit einer Landschaft verwerfen, sondern geordnete Impulse, die von einigen Bildungsherden ausgehen, brin- gen zuerst das gleichförmige Entwicklungsmaterial in differente Lagen, in denen es sich fernerhin auch zu differenten Gestalten umbildet.« Die Veränderungen, welche die ursprünglichen Keimschichten erfahren, sind hiernach doppelter Art: »Sie dehnen sich morpholo- gisch nach verschiedenen Dimensionen verschieden aus, und ihre einzelnen Raumtheile erfahren jene abweichende chemische und Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 15 histologische Ausbildung, aus welcher die mannigfaltige spätere Durch- einanderlagerung und Abgrenzung der Gewebe hervorgeht.« Das Motiv zur Ausbildung einer Rückenfläche und Bauchfläche scheint ihm in der verschiedenen Lage der Keimschichten zum Dot- ter zu liegen, wodurch eine »Asymmetrie des Rückens und der Vorder- fläche« bedingt werde. Die bestimmte Lage des Kopfendes des Em- bryo macht ihm die Annahme nothwendig, dass in der Anordnung der Massen im Keime allgemein schon eine »Asymmetrie nach die- ser Längenachse« vorgebildet sei und eine völlig gleichmässige An- ordnung der Keimscheibe erscheint ihm unmöglich. Die Vorgänge endlich, durch welche die ursprüngliche Anlage zu ihrer local verschiedenen Ausbildung gebracht wird, findet LoTzE stets in seiner »ungleichfirmigen Vegetation«'), durch welche einzelne Punkte mit grösserer Beschleunigung wachsen, während an- dere frühzeitiger eine Grenze ihrer Entwicklung erreichen. »Da alle Theile untereinander zusammenhängen , so erzeugt dieser primäre Vorgang eine Menge secundärer Lagenveränderungen, die theils als Verschiebungen, Ausbuchtungen, Einstülpungen oder Dehnungen nur erscheinen, theils wirklich auf diesem Wege durch mechanischen Zug und Druck hervorgebracht werden. Diese Ortsveränderungen sind in der ersten Entwicklung von gros- ser Weite und sie führen, indem sie früher entfernte Theile nähern, andere entfernen, wiederum Gelegenheiten zu Einwirkungen herbei, durch welche bald die Verwachsung der ersten, bald. eine Trennung der Continuität in den letzteren entsteht. Ein grosser Theil der spätern Gestaltverhältnisse ist deshalb gar nicht auf irgend eine actuelle Weise in der ersten Anlage begründet, sondern der Effect der Bewegungen, in welche das Gebildete durch den Fortgang sei- ner Entwicklung geräth ?).« Schon aus dieser kurzen Schilderung, die sich nur auf das für unseren Zweck nothwendigste beschränkte, ergibt sich eine grosse Reichhaltigkeit an Gedanken, deren Bedeutung auch in dem gegen- wärtigen Stand der embryologischen Wissenschaft noch nicht erloschen ist. Nicht minder interessant, als durch den Gewinn an allgemeinen Ergebnissen, erscheint jene Schrift durch zahlreiche Hinweise auf I) STRELZOFF, in einer seiner Arbeiten über Knochenwachsthum, gebraucht im Versuche, dasselbe Prineip isolirt auf das Knochenwachsthum zu übertra- gen, hierfür den genau dasselbe sagenden Ausdruck, »ungleiches Wachs- thum«. 2) |. c. pag. 353. 16 A. Rauber die der Embryologie noch vorliegenden ferneren Aufgaben, insoweit sich dieselben auf die Mechanik der Gestaltung beziehen. Es genüge hier die Bemerkung, dass Lorze insbesondere zur Bestimmung der physischen Anfangspunkte der Bildungsbewegung und zur Abmes- sung ihres Wirkungskreises auffordert! Vergleichen wir die Grundanschauungen von WOLFF mit jenen von LoOTZE, so begnügt sich Jener mit dem Gedanken, das merkwür- dige Wachsthum des Keimes zu seiner Endform in Kräften zu suchen, welche der Materie des Keimes innewohnen; Dieser, entsprechend den Fortschritten insbesondere auf dem Gebiete der Physik, formulirt den ähnlichen Gedanken so: Das Gesetz des Ganzen ist bereits in den Moleeülen des Keimes vorhanden. Während aber Jener einem eigentlichen Mechanismus der Entwicklung ferner steht, sich wenig- stens für die Qualität der im Keime gelegenen Kräfte nicht ent- scheidet, erscheint bei Diesem die Mechanik der Gestaltung als der Kern seiner embryologischen Auffassung. Einer Mechanik der Gestaltbildung sehen wir auch PAnDEr hul- digen, von dem Stadium der Entwicklung an, in welchem die Fal- tenbildungen der Keimscheibe hervortreten. Die Annahme eines Wachsthums, welches nothwendig sei zur endlichen Erreichung der fertigen Form, findet sieh bei Allen. Lotze nennt das hierbei stattfindende Wachsthum ausdrücklich ein ungleichférmiges. Doch sehen wir schon frühzeitig und zuerst PANDER einen Unterschied aufstellen zwischen Wachsthum aus Ver- mehrung und einen solchen aus Vergrösserung der Kügelchen, aus welchen der Keim besteht, d. i. einen Unterschied zwischen numerischem und trophischem Wachsthum. Im Uebrigen aber ist Lorze mit seinem Versuche, die gesammte ontogenetische Entwicklungsgeschichte in Mechanik aufzulösen, in wesentlichen Dingen über seine Vorgänger hinausgelangt. Hier ist ausser dem Princip der ungleichförmigen Vegetation das der Asymme- trie nach der Längen- und Verticalachse des Keimes, sowie das Princip der realisirenden Kräfte als Funetionen der Entwicklungs- bewegung besonders hervorzuheben; ebenso im Anschlusse hieran der Versuch einer Erklärung der Zellendifferenzirung zu verschiede- nen Geweben. Wenn aber auch die Richtigkeit dieser Grundlagen durch Längs- und Querschnitte an dem sich entwickelnden Keime der verschiedensten höheren Thierelassen mit Leichtigkeit und zu Jeder Zeit nachgewiesen und bestätigt werden kann, so fragt es sich weiterhin, ob in denselben bereits die Gesammtheit der Vorgänge Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 17 erschöpfend enthalten sei, welche wir gegenwärtig aus der Entwick- lungsgeschichte der Keime kennen; oder ob vielmehr seitdem die positive Beobachtung ergänzende neue Grundlagen aufgedeckt hat. In der That dürfen wir als eine solche gegenwärtig wohl betrachten die Zellenwanderung, im Gegensatze zu derjenigen passiven Zellenbewegung, welche durch gegenseitigen Druck und Zug wach- sender und aufeinander wirkender Zellen eines Keimes gegeben ist. Solchen Zellenwanderungen, als einem Mittel zur ferneren Ausbil- dung der Gestalt, begegnen wir nicht selten insbesondere bei der Ausbreitung des mittleren Keimblattes, sowohl bei Wirbelthieren als Wirbellosen. Vielleicht gehören zum Theil selbst diejenigen Zellen- verschiebungen hierher, welche der Ausbreitung eines Keimes über die Dotterkugel zu Grunde liegen. Wie viel hier der genannten passiven oder activen Bewegung oder einem Zusammenwirken bei- der zuzuschreiben sei, lässt sich für jetzt noch nicht angeben. Was jedoch die Beurtheilung gerade der activen Bewegung oder Zellen- wanderung von unserem allgemeinen und leitenden Gesichtspunkte aus betrifft, so dürfen solche Bewegungen natürlich niemals als will- kürliche Thätigkeit aufgefasst werden; sie stehen vielmehr ebenso wie die passiven Bewegungen unter dem bestimmenden Einfluss des Stoffwechsels, welcher sie in geordneter Weise hervorruft und damit dem Zwang und der Nothwendigkeit unterwirft. Verfolgen wir unseren geschichtlichen Ueberblick weiter, so be- gegnen wir ausser den bereits genannten noch anderen Bestrebungen, die Gestaltbildung nach ihren materiellen Ursachen zu begreifen. Ganz im Sinne der schon erwähnten Grundlagen sind folgende, von BERGMANN und LEUCKART aufgestellte Sätze aufzufassen: »Erscheint uns aber die Annahme nicht mehr fremdartig, dass zwischen den Eiern aller Thiere sich wichtige, wenn auch zarte materielle Ver- schiedenheiten finden, wissen wir ferner, dass auch die Samenfäden des männlichen Samens die mannigfaltigsten Verschiedenheiten we- nigstens der Form darbieten, so wird uns auch die Ansicht nicht so sehr abschrecken, dass in einem jeden Dotter nach der Befruchtung die Nothwendigkeit zu einem Individuum einer bestimmten Thier- species zu werden in der Qualität seiner Materie begründet ist. Jeder einzelne Entwicklungsmoment ist die nothwen- ') BERGMANN und LEUCKART, Vergleichende Anatomie und Physiologie des Thierreichs, Stuttgart 1851. Morpholog. Jahrbuch. 6, 2 18 A. Rauber dige Folge des vorausgegangenen und die Bedingung des folgenden.« Sie gebrauchen dabei folgendes Bild, das als solches hier eine Stelle finden möge: »Es ist wie bei einer nach bestimmten Gesetzen gezogenen Linie z. B. einer Spirale. Die Spirallinie kann nach den mannigfaltigsten Verhältnissen gebildet werden, aber der kleinste Theil einer gegebenen Spirale enthält die Formel in sich; wir mögen diesen Theil vom Anfange oder von irgend einer anderen Stelle hernehmen, stets ist mit ihm die Noth- wendigkeit einer bestimmten Richtung gegeben, wenn die Linie wei- tergeführt werden soll, einer Richtung, welche in einer langen Strecke mit den Richtungen anderer Linien fast zusammenfallen, allmälig aber dennoch immer weiter und deutlicher von ihnen abweichen kann.« Leuckart') untersuchte ferner das Verhältniss zwischen der Grösse der Oberfläche und der Masse des lebendigen Inhaltes. Mit fortschreitendem Wachsthum nämlich, wie er hervorhebt, vergrössert sich die Oberfläche nur im Quadrat, die Masse dagegen im Kubus. Wenn die Oberfläche, welche für die Aufnahme und Absonderung von grosser Bedeutung ist, den Ansprüchen der Masse genügen soll, ist dadurch ein Monient gegeben für die Neubildung von Fläche, die sich z. B. in der Nothwendigkeit der Ausbildung einer inneren Ca- vität aussprechen kann. In einer ganz nahen Beziehung zu unserem Gegenstande steht ferner das von GÖTTE in seiner Entwicklungsgeschichte der Unke behandelte, von ihm sogenannte »Formgesetz«. Es würde nicht am Platze sein, der Angaben dieses Forschers in ausführlicher Weise hier zu gedenken. Denn sehen wir ab von manchen Einzelheiten wie von seiner Beurtheilung des reifen Eies als einem todten Körper (ein dem Tode naher Körper ist das reife Ei allerdings) und seiner Annahme radiärer Diffusionsströme in einem bestimmt angeordne- ten Materiale, so entspricht der thatsächliche Inhalt seines Form- gesetzes, dem Autor selbst unbewusst, mehr oder weniger vollständig den von LoTzE entwickelten Principien, die damit eine neue Bestä- tigung erfahren. Als ein Beispiel von der Anwendung unserer Grundlagen auf ein einzelnes Organ sei hier der Versuch von Wunpr?); erwähnt, !) LEUCKART, Vergleichende Anatomie und Physiologie des Thierreichs, Stuttgart 1851. TroscHev's Archiv Bd. 51. 2) Wunpr, Lehrbuch der Psychologie, pag. 93; Leipzig 1873. ee oe, eh CU EEE Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 19 welcher die Faltungen der Gehirnoberfläche auf ein einfaches Wachs- thumsgesetz zurückführt. Der Gedankenkreis, welcher einen Mechanismus der Gestalt- bildung erforderte und mit den gegebenen Erfahrungsmitteln auch nachwies, hat in neuester Zeit eine Bereicherung erfahren durch die Erkennung des morphologischen Vorganges der Befruchtung und Furchung, so dass man in Bälde geradezu von einem Theilungs- mechanismus der Eizelle und ihrer Theilstücke wird sprechen können. | Den nachweisbaren executiven Mitteln der ontogenetischen Ent- wieklung fremd erscheint dagegen Darwın’s Hypothese einer Pan- genesis, seine Körnchentheorie, die er übrigens selbst ausdrück- lich eine provisorische nennt. Zur Erklärung des in Frage stehenden Gestaltungsprocesses bedürfen wir keiner hypothetischen Kérnchen; ebenso wenig aber der Plastidule von HAEckKEL!), obwohl des Letzteren Ausführungen in bildlicher Beziehung viel Instructives ent- halten. Wir bedürfen ihrer nieht in höherem Grade, wie der über- wundenen Extraet- und Präformationstheorien und der Wirksamkeit sogenannter Naturideen. Der Unterschied zwischen den älteren, an sich zum Theil höchst sinnreichen, und der gegenwärtig allein mehr berechtigten zellularmechanischen Zeugungstheorie lässt sich nicht ganz unzweekmässig ausdrücken mit den Worten des Dichters: »Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stossen sich die Sachen.« Als letztere sind natürlich in unse- rem Falle die Zellen des Keimes zu verstehen. Hiermit sind meines Wissens alle selbständigen Leistungen auf diesem Gebiete erschöpft. Was mich selbst betrifft, so habe ich mich bemüht, das Prineip der Mechanik der Gestaltbildung in einer, wie mir schien; gegenwärtig nieht unwichtigen Richtung zu prüfen, nämlich in seinem Verhältniss zur Transmutationslehre der Organis- men. Denn es konnte nicht gleichgültig sein, ob beide grossen Prineipien in einem inneren Gegensatze stehen oder nicht; indifferent konnte das eine dem andern von vornherein nicht erscheinen. Ich glaubte dabei auf ein Moment hinweisen zu müssen, welches im Sinne einheitlicher Auflösung äusserlich zwar sehr differente Furchungsformen hervorzubringen vermag, obwohl die zu seiner Wir- kung nöthige Veränderung im Keime nur eine sehr unscheinbare ist: das Moment der Spaltungsrichtung der Zellen oder Zellencomplexe. I) HAECKEL, Perigenesis der Plastidule, Berlin 1576. 2* 20 ‘A. Rauber Durch einige Beispiele beleuchtete ich dabei, welch kleine Aende- rungen Platz zu greifen brauchen, um zu anfinglich unbegreiflichen Verschiedenheiten zu führen. Eine Drehung der Spaltungsrichtung eines Zelleneomplexes nur um einige Grade vermag schon viel zu verän- dern. Die Ursache einer solchen Drehung der Spaltungsebene ruht » freilich in der Eigenthiimlichkeit des befruchteten Eies selbst; aber die Bewirkung dieser Drehung bedarf nur geringer Kräfte. Mecha- nik der Gestaltbildung und Transmutation bestreiten sich einander nicht. Entwicklungsgeschichtlich definirt ist die Lehre der Trans- ‘mutation die Theorie steigender Complieirung niederster Entwick- lungsmechanismen '). Beide Lehren widerstreiten aber nicht nur einander nicht, sondern die eine unterstützt die andere. Bereits am Anfang dieses Capitels habe ich einiges hierauf Bezügliches angegeben; nämlich gerade vom zellularmechanischen Standpunkt aus müsse man behaupten: Die ersten Vertreter einer Art können nicht auf eine der Entstehung ih- rer Nachkommen heterogene, sondern nur auf eine ähnliche Weise zu Stande gekommen sein. Man kann dies das zellularmechanische Prineip homöomorpher Ahnen nennen. Fassen wir nunmehr die Hauptergebnisse für unser Bedürfniss zusammen, so haben wir als Grundfunctionen der ontogenetischen Entwicklung zu betrachten: 1) Zellvermehrung, numerisches Wachsthum; 2) Zellvergrösserung, allgemeiner: trophische Formveränderung der Zellen, trophisches Wachsthum; 3) Zellenwanderung, fugitives Wachsthum. Man wird sich über diesen Ausdruck nicht aufhalten können, wenn man be- denkt, dass eine Stelle, nach welcher Zellen hinwandern, da- mit ein Wachsthum erfährt; 4) Zellendifferenzirung, differentielles Wachsthum. Diese verschiedenen Wachsthumsformen würden aber niemals eine so wohlgeordnete Endform des Embryo zu erzielen im Stande sein, wie es zu unserer Bewunderung im normalen Falle geschieht, wenn sie nicht sowohl räumlich als zeitlich geordnet wären. Die räumliche Ordnung sprieht sich im Allgemeinsten aus als ungleichförmige Vegetation. Diese aber wird bei den höheren Thier- ' Ueber Variabilität der Entwicklung. Sitzungsberichte der naturf. Ges. zu Leipzig, 1876. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 34 formen genauer bestimmt durch eine asymmetrische Anordnung nach der Längen- und Verticalachse; hiermit ist zugleich die seitliche Symmetrie, die Bilateralität gegeben. Nach dem Princip der reali- sirenden Kräfte als Functionen der Entwieklungsbewegung bedarf die Anfangsform eines Organismus, das befruchtete Ei, nur eines verhältnissmässig einfachen Systems fester Punkte, um unter dem Einfluss der geeigneten äusseren Medien zu den complicirtesten End- formen zu gelangen. Als solche Punkte erkennen wir für jetzt den ersten Furchungskern, bestimmt durch Lage und chemische Beschaf- fenheit; mit seinem nur momentan fest bestimmten, bei ihm wie bei seinen Nachkommen im Uebrigen ruhelosen und periodisch wech- selnden Inhalt; dieser ist umgeben vom Dotter, bestimmt durch re- lative Grösse zum ersten Furchungskern und durch seine chemische Beschaffenheit. Ueber die zeitliche Ordnung des Ablaufs der erwähnten Wachs- thumsvorgänge besitzen wir, mit Ausnahme der Furchung selbst, ge- genwärtig noch zu wenig genaue Beobachtungen, ais dass bestimmte Formeln abgeleitet werden könnten. Vergleicht man den ontogenetischen Process mit rein physi- kalischen Vorgängen, so steht derselbe am nächsten der ungleich- förmigen Expansion einer materiellen Kugel, oder von Theilen einer solchen. Der Vergleich passt jedoch begreiflicherweise eigent- lich nur auf das trophische Wachsthum, während das numerische, fugitive und insbesondere das differentielle Wachsthum ausgeschlos- sen bleibt. In Folge der materiellen Anordnung im befruchteten Ei und auf Grundlage eines darauf gegründeten Mechanismus sehen wir also den Keim aus seiner Anfangsform in eine Reihe von schon früher ge- nannten Durchgangsformen gelangen, welche normal in regelmässi- ger Weise durehschritten werden, um schliesslich in die Endform auszulaufen und mit dieser, soweit es Gestaltbildung betrifft, eine gewisse Beruhigung zu erfahren; eine vollständige Beruhigung tritt nicht ein, so lange das Leben dauert'). !) Als erläuternde Beispiele zu obigen Erörterungen können schon jetzt die auf den beigegebenen Tafeln enthaltenen Darstellungen normaler und ano- maler Keime und Embryonen in Betracht gezogen werden; ebenso die in meiner Schrift »Primitivstreifen und Neurula« gegebenen Zusammenstellungen. Von Wirbellosen ist in dieser Beziehung besonders auf SELENKA’s Untersuchungen der Entwicklungsgeschichte der Echiniden hinzuweisen (Vorläufige Mittheilung in den Erlanger Sitzungsberichten, Mai 1879). >) A. Rauber Die Bewegung also, die dem Ei durch die Befruchtung er- theilt wird, ist eine Bewegung zu einer in erkennbarem Mechanismus ablaufenden Theilung, Formveränderung, Wanderung, Differenzirung von Zellen. Und die Vererbung ist die Auslösung congruenter Bewegungsformen in Folge der Verbindung der germinalen Theil- stücke der elterlichen Organismen. Dies gilt sowohl für die Ver- erbung des Artcharakters, als auch individueller Eigenschaften der unmittelbaren oder mittelbaren Erzeuger. Selbst die Vererbung erworbener Eigenschaften der Erzeuger lässt sich auf diesem Wege besser einsehen als auf anderen bisher versuchten, und ist deren Möglichkeit nicht so aussichtslos, als es scheinen möchte. Das von den Eltern während des Lebens vorzüglich gebrauchte körperliche System, sei es das Nervensystem, Muskelsystem, Darmsystem u.s. w. oder Theile von solchen, wird nämlich, soweit es der stärkere Gebrauch bedingt, auch in seinen Abfallproducten besonders hervortreten müs- sen. Diese Abfallproducte des Stoffwechsels aber können im Kreis- lauf als Reizmittel in demselben Sinne steigernd auf die Ausbil- dung der Germinaltheile der Erzeuger einwirken. Es muss wenig- stens auf diese Möglichkeit hingewiesen werden; die Transmutations- lehre an sich fällt nicht mit der Möglichkeit der Vehertragungs] er- worbener Eigenschaften. Hiermit ist das normale Gebiet, das uns zur Grundlage dienen muss für die Erörterung der Formstörung, in seine Bestandtheile zerlegt und kann es nicht schwer fallen, auch in diesem letzteren heimisch zu werden. Denn die Formstörung ist nicht etwas für sich selbst Bestehendes, das ohne das Dasein der normalen Grundlage existiren könnte, sondern ihr Dasein ist an die vorausgehende normale Form geknüpft. Treten wir also auch in das Reich der Formstörung ein, so werden immer noch die Spuren des Normalen erkennbar bleiben. Es kann durch das Eingreifen einer Störung der Anfang des Nor- malen niemals gänzlich aufgehoben werden, so frühe auch die Wei- terbildung völlig von ihr unterdrückt zu werden vermag. Was nun die allgemeinen Verhältnisse zuerst betrifft, so wird die Störung sich nieht anders geltend machen können als durch Veränderung oder Aufhebung jener genannten Grundfunctionen der normalen Entwicklung. Fehler der Zelltheilung, der Formverände- rung und des Stoffwechsels, der Wanderung, Differenzirung der Zellen werden es sein müssen, welchen wir in frühen oder spä- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 23 ten Stadien, auf kleinen Strecken oder in weitester Ausdehnung be- gegnen. Aber wenn dies auch der Fall sein wird, selbst die Grund- züge des gesetzmässigen Ablaufs jener Functionen müssen sich wiederfinden lassen, so grosse und selbst die ganze Anlage in ihrer frühesten Gestalt aufhebende Wirkungen er in seiner Störung ent- falten kann. Störungen des Ablaufes können eintreten zu jeder Zeit der Entwicklung; die Anfangsform der Störung kann in jedem Sta- dium der normalen Entwicklung vorliegen. Können doch selbst ab- sichtlich angestellte äussere Einwirkungen jeder Zeit einen Eingriff in den normalen Ablauf ausüben. So haben wir auch in der That Anfangsformen der Störung in den meisten Stadien der normalen Entwieklung kennen gelernt, sei es aus der Zeit der Furchung, der Ausbreitung des Keimes, der ersten Erscheinung und der allmäligen Vervollkommnung der Embryonalanlage. Jede Störung hat nun aber für sich selbst wiederum nicht nur eine Anfangsform, sondern auch, wenn anders die erste Setzung einer Störung das Leben der betroffenen Anlage nicht aufhebt, Durchgangs- formen und eine Endform und so geht hieraus schon eine beträcht- liche Complication der zu erwartenden Erscheinungen hervor. Qualität und Quantität einer Störung möge sein, welche man will, wenn sie nur noch Weiterentwicklung der Anlage zulässt, das anfänglich gesetzte, primäre Störungsfeld wird bei der innigen Ver- bindung und Wechselwirkung aller Theile des Keimgebietes seine Wirkungen auch auf anfänglich noch normal gelassene Theile des Keimgebietes ausdehnen können und ausdehnen müssen, ganz nach der Bedeutung der betroffenen Stelle für den Ablauf des normalen Entwicklungsmechanismus. Gerade in dieser Beziehung tritt ein grosser Unterschied des Erfolges auf zwischen Störungen, die einen fertigen und die einen wachsenden Organismus treffen. Die- ser Unterschied betrifft den Erfolg der Störung theils auf ihrem pri- mären Felde, theils in ihrer Fernwirkung, auf ihrem secundiiren Felde. Im wachsenden Organismus hätte jenes primäre Störungs- feld einmal für sich selbst eine Formleistung zu erfüllen, diesen oder jenen Organtheil, oder selbst Organcomplex zu bilden gehabt, die nun Veränderungen oder Ausfall erleiden. Dem primären Störungs- feld gesellt sich aber noch ein secundäres zu, grösser oder kleiner, bedeutungsvoller oder minder bedeutungsvoll, nach der Rolle des ersteren für die Gesammtgestaltung. Das secundär in Mitleiden- schaft gezogene Feld kann wieder andre in den Störungskreis her- einziehen, bis die ganze Anlage leidet. Alle diese morphologischen 24 A. Rauber Leistungen, die man als ento- und eetoplastische unterscheiden kann, auf der einen, Störungen auf der anderen Seite fallen bei Eingriffen, die den erwachsenen Organismus treffen, hinweg. Als normale entoplastische Leistungen eines Keimscheiben- bezirkes oder allgemeiner eines Keimbezirkes mögen also diejenigen morphologischen Leistungen aufgefasst werden, welche dieser Keim- bezirk auf seinem eigenen Gebiete als abgeschlossener Binnentheil gesetzmässig hervorzubringen hat. Bei eingreifender Störung lau- fen die betreffenden gestörten Leistungen auf dem primären Stö- rungsfelde ab. Als normale ectoplastische Leistungen dagegen mögen diejenigen bezeichnet sein, welche derselbe Keimbezirk kraft seiner materiellen Verbindung mit dem übrigen Gebiete des Keimes auf die Formbildung dieses letzteren ausübt; bei eingreifender Stö- rung zeigt sich deren Wirkung auf dem secundären Störungs- felde. Die ectoplastischen Leistungen der verschiedenen Keim- bezirke sind im Einzelnen auf normalem Gebiete noch nicht abschlies- send untersucht, indessen durchsichtig genug, wo die normale Entwicklungsgeschichte des Thieres genau bekannt ist. Als Haupt- satz kann gelten: Die ectoplastische Dignität der verschiedenen Keimbezirke ist ungleichwerthig. Gerade die genaue Untersuchung früher Stufen von defeetiver Formstörung vermag für die weitere Kenntniss dieser Leistungen nützlich zu sein. Die ungleiche ecto- plastische Thätigkeit der verschiedenen Keimbezirke wird auch bei der Beurtheilung unseres neuen Beobachtungsmateriales deutlich in die Augen fallen. Hiermit soll nicht geleugnet werden, dass der sich entwickelnde Keim geschehene Eingriffe, insoweit sie gewisse Grenzen nicht über- schreiten, in ihrer schädlichen Wirkung durch Ausgleichungsbestrebun- gen paralysiren könne. Sehen wir doch Regenerationen ganzer Körper- theile selbst an höheren Thierembryonen sehr gewöhnlich eintreten, wenn dieselben künstlich entfernt worden waren. Gerade die so augenfällige und nothwendige Verkettung entoplasti- scher und ectoplastischer Störungen, deren Grad nach dem Angegebenen abhängig ist von der normalen ento- und ectoplastischen Dignität der betroffenen Keimbezirke, macht es verständlich, welch seltsame Bil- dungen durch Störung des Entwieklungsmechnismus zu Stande gebracht werden können. Denn diese Verkettung eröffnet dem weiterlaufen- den Mechanismus ungewöhnliche und neue Bahnen. Dass trotzdem noch immer etwas Gesetzmässiges an dem Durchgangs- oder End- Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 25 stadium selbst der grössten Formstörung wahrgenommen werden müsse, ergibt sich leicht. Die Lebensenergie der in ihrer Entwicklung gestörten Anlage ist zwar wesentlich abhängig von der physiologischen Dignität der betroffenen Keimbezirke; doch kommen hierbei auch Nebenumstände in Betracht, wie besonders die Verknüpfung mit Gemellität. Im Allgemeinen lässt sich für alle Fälle bemerken, dass das Leben einer gestörten Anlage so lange bestehen werde, als die Möglichkeit eines geniigenden Stoffwechsels es bedingt. Was die Qualität der störend einwirkenden Ursachen betrifft, so ist bereits anfangs hervorgehoben worden, dass schon die germi- nalen Theilstücke Krankheiten unterworfen sein können; hierauf folgt abnorme Befruchtung, hinsichtlich der zeitlichen Verhältnisse und der Zahl der eindringenden Spermatozoen; sodann das ganze Heer von Schädlichkeiten, welche von der nächsten oder ferneren Umgebung aus eine Anlage zu beeinflussen vermögen. Ob die ausgeübten Reize auf das primär getroffene Feld zer- störend, seine plastische Kraft sistirend oder bloss verlangsamend, temporär beschleunigend und darauf erschlaffend einwirken, kann hier nicht im Einzelnen weiter ausgeführt werden, aber es ist klar, dass die Möglichkeit für alle diese ersten Folgen gegeben ist. Ebenso bedarf es kaum eines Hinweises, dass die ausgeübten Reize , sowie sie nicht nothwendig alle Keimblätter des primären Reizungsfeldes zugleich treffen müssen, andererseits auch in Folge verschiedener Reizempfänglichkeit der verschiedenen Keimblätter nicht auf alle mit gleichen Folgen einwirken werden, selbst wenn sie sämmtlich zugleich vom Reize getroffen worden sind. Mit den hiermit entwickelten Grundlagen ist unser neues Beob- achtungsmaterial einer Beurtheilung nach den verschiedenen im Frü- heren angegebenen Richtungen zu unterziehen. V. Beurtheiluug des neuen Beobachtungsmateriales. Die Beurtheilung des im III. Abschnitt beschriebenen neuen Beobachtungsmaterials, auf den ersten Blick schwierig erscheinend, gelingt leicht, nachdem im Vorausgehenden hinreichende Grund- lagen gewonnen und die Bahn frei gemacht worden ist. Sie wird ausserdem selbstverständlich anzuknüpfen haben an die specielle 26°. A. Rauber normale Entwicklungsgeschichte, an deren für uns wichtigste Hauptsätze nür erinnert zu werden braucht. Wie schon am Schlusse des historischen Ueberblickes über das zu betretende Gebiet ausein- andergesetzt worden, liegt in erster Linie das Bedürfniss vor, an der ‚Hand der gegebenen Thatsachen die specielle Entwicklungsge- schichte der hochgradigen Formstörungen zu verfolgen und die hier- aus sich ergebenden Schlussfolgerungen nach allen Richtungen zu ziehen. Diese werden auch für die specielle normale Entwicklungs- geschichte nicht gewinnlos sein und auf das Verhiltniss zwischen morphologischer Entwicklung oder Formbildung und _histologischer Entwicklung oder Differenzirung neues Licht werfen. Damit hängt zugleich die Untersuchung des Verhältnisses zwischen pathologischer und normaler Entwicklung zusammen. Sodann ist das an den Kno- chenfischen gewonnene Ergebniss zu vergleichen mit den entspre- chenden grossen Formstörungen in der Entwicklung der übrigen Wirbelthiere. Die vorhandenen wichtigen Uebereinstimmungen. wer- den sofort mit grosser Schärfe und Sicherheit in das Auge fallen. Es bleibt alsdann noch übrig, das Verhältniss des Auftretens defee- tiver Monstra zur Zwillingsbildung und endlich ihr Verhältniss zum normalen Thierreich in das Auge zu fassen. Bezüglich der normalen Entwicklung der Knochenfische erinnere ich an folgende Vorgänge: Nachdem der befruchtete Keim, der in Gestalt einer dicken Scheibe den einen Pol der Dotterkugel einnimmt, durch den Fur- chungsprocess in eine grosse Zahl von Zellen zerlegt ist und nach- dem während dessen eine vorübergehende Furchungshöhle aufgetre- ten war, beginnt allmälig eine Verchiebung und Ausbreitung der Zellenmassen über die Dotterkugel aufzutreten, während zugleich eine Sonderung der Zellenmassen in die verschiedenen Keimblätter erfolgt. Der Randtheil der sich ausbreitenden Keimscheibe gewinnt dabei (— nach KowALevsky’s Angabe vom Jahre 1870!) durch Um- schlag —) an Dicke und bildet so den Randwulst oder Keimring, den embryogenen Wulst von LEREBOULLET, während der Mitteltheil sich verdünnt. Indessen hat sich auch eine niedrige »Keimhöhle« gebildet. Der Keimring ist aber von seiner ersten Bildung an nicht von gleicher Mächtigkeit in seinem ganzen Umfang, sondern am mächtigsten ausgebildet an einer Stelle, an welcher mit weiterer ') Berichte der naturforschenden Gesellschaft in Kiew, 1870. Entwicklung der Haie. ; Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 37 Ausbreitung der Keimscheibe immer deutlicher und bestimmter die vordere Embryonalanlage hervorzutreten beginnt. Diese enthält die Anlage des Kopfes. So verhält es sich bei den grossen Eiern der Fische, deren Formstörungen zu beurtheilen sind; bei kleinen Eiern findet zwar derselbe Vorgang statt, die Ausbreitung des Keimes pflegt aber so rasch zum Abschluss zu kommen, dass mit ihrer Vollendung eine Differenzirung der vorderen Embryonalanlage noch nicht eingetreten ist. Denken wir uns den Keim von Fig. 1 Taf. XXXIX regelmässig durchfurcht, so haben wir einen normalen Ausgangspunkt vor uns. Fig 4 zeigt uns dagegen den Keim wei- ter ausgebreitet und auf der Stufe der normalen vorderen Embryo- nalanlage. Der ferner ablaufende Mechanismus ist nur die Fortsetzung des bisherigen und läuft, wie ich gerade durch das natürliche Experi- ment der Hemididymusbildung bei den Fischen beweisen zu können glaube, in der conjunctiven Form der Primitivstreifenbildung ab. Diese besteht darin, dass zwei vorher getrennte, unter Umständen weit von einander abliegende Keimstreifen durch allmäliges Zusam- menrücken sich miteinander verbinden und durch diese Verbindung zuerst die mittlere, darauf die hintere Embryonalanlge der vorderen anfügen und dieselbe in dieser Weise zur totalen Embryonalanlage machen. So wird aus einem Ringtheil des Keimes ein Achsentheil des Embryo. Es erhellt, dass die beiden Keimstreifen gegeben sind durch die beiden symmetrischen Hälften des Keimrings. Die totale Embryonalanlage ist also das Ergebniss eines Conjunctionsphino- mens. | Das Schema des ganzen Vorgangs lässt sich auch mit den we- nigen Worten zusammenfassen: Die Flächen-Bewegung der Keim- zellen ist eine ungleichmässige; wie ich dies schon an anderem Ort hervorgehoben habe. Wäre sie eine gleichmässig centrifugale, so würde zwar, da die Keimscheibe die Oberfläche einer Kugel zu überschreiten und einzuhüllen hat, ein Verschluss der Keimpforte erreicht und der Dotter vollständig eingeschlossen werden müssen, aber es käme dabei nicht zur Ausbildung einer Embryonalanlage, wie sie das Ergebniss des normalen Vorgangs ist. Sie ist aber eine ungleichmässige in folgender Weise. Ein Theil des durchfurchten Zellenmateriales von excentrischer Lage erleidet die geringste centrifugale Verschiebung durch geringstes Flächenwachsthum, wäh- rend das übrige Zellenmaterial eine grössere Verschiebung durch- zumachen hat, durch stärkeres Flächenwachsthum. Das stärkste 28 A. Rauber Fliichenwachsthum und die grösste Verschiebung des Zellenmateriales liegt dem Orte der geringsten Verschiebung und des geringsten Flächenwachsthums gerade gegenüber, wenn wir uns den betreffen- den Parallelkreis vorstellen. Zwischen beiden extremen Stellen fol- gen nun alle Abstufungen.der Bewegung oder der Grösse des Flä- chenwachsthums. Die Stelle der geringsten Flächenbewegung wird zur vorderen Embryonalanlage, die der grössten zur hinteren, die der zwischenliegenden Stufen zur mittleren Embryonalanlage. Denn es ist klar, sowie eine Stelle der Keimzellenmasse relativ Ruhe bewahrt, während die übrigen in allmäliger Abstufung beschleunigte Bewegung besitzen, muss ein bilateral-symmetrischer Längsstreifen von Substanz sich ansammeln, welcher mit seiner Achse in einem Meridian liegt. Zu bemerken ist nur noch, dass während der all- mäligen Conjunction des Keimrings dessen Substanz sich zusammen- drängt, wodurch die Länge der totalen Embryonalanlage eine kürzere wird, als es ausserdem der Fall wäre. Diese kurze Zusammenfassung der Entwicklung der Embryonal- anlage genügt, um über das gesammte, unsrer Beurtheilung vorlie- sende Beobachtungsmaterial Licht zu verbreiten. Gewiss, der nor- male Ablauf hat an den meisten unsrer Fälle die tiefgreifendsten Störungen erfahren, aber überall ist noch der normale Mechanismus, wenn auch nur spurweise, zu erkennen und schimmert durch die hemmungslos weitergelaufene Störung deutlich hindurch. Nicht ein einziger Fall bleibt unerklärlich, so gross die Abweichung auch er- scheinen mag ; denn auch die grösste zeigt sich dem allgemeinen Gesetz unterworfen. Neue Fragen werden sich dagegen allerdings erheben und nicht alle werden kurzer Hand zu beantworten sein. So ist es also erforderlich, die verschiedenen Fälle auf ihre Eigen- thümlichkeiten zu prüfen. a) Entwicklungsmodus der grossen Formstörungen. Von den in Abschnitt III unter A beschriebenen Fällen anomaler Keime aus der Zeit der beendeten Furchung hat nur der unter A, 2 (Fig. 2) erwähnte besonderes Interesse, während es genügt, bezüglich der beiden anderen auf die Beschreibung und die Figuren 1 und 3 zu verweisen. Jener Keim zeigt uns abnorme Dünne bei abnormer Ausbreitung und abnormer Grösse der Furchungskugeln, die bereits in kleinere Elemente zerfallen sein sollten. Er ist nicht allein aus abnormer Furchung hervorgegangen, sondern selbst das Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 29 ungefurchte Keimmaterial, der sogenannte Bildungsdotter musste in unzureichender Menge vorhanden gewesen sein. Unzureichende Quan- tität von Keimmaterial muss in gleicher Weise vorausgesetzt werden bei einer Reihe etwas weiter vorgeschrittener Keimscheiben, die kei- nen Keimring entwickelt hatten, obwohl ihr Mittelfeld an Dieke nor- male Mittelfelder in keiner Weise überwog. Ein Theil der unter B genannten Fälle gehört hierher, während ein anderer Theil als auf mangelhafter Vermehrung der Keimzellen beruhend zu erklären ist. Eine scharfe Grenze zwischen Mangel aus anfänglich vermindertem Keimmaterial und Mangel aus zurückbleibender Zellenvermehrung lässt sich übrigens für den conereten Fall kaum nachweisen, wenn der letztere auf dem Grenzgebiete liegt. Von viel gewichtigerer Bedeutung und den Schwerpunkt unserer Untersuchung bildend erscheinen die zahlreichen unter C und D auf- geführten Fälle mangelhafter oder fehlender partieller oder totaler Embryonalanlagen. Bei der Beurtheilung der unter C enthaltenen mangelhaften und fehlenden Embryonalanlagen kann man entweder vom hochgradig- sten Mangel, der fehlenden totalen Embryonalanlage ausgehen, oder von der relativ geringsten Störung, der mangelhaften vorde- ren Embryonalanlage. Die Wahl des letzteren Ausgangspunktes könnte bestimmt werden durch die Erwägung, dass wir in Fällen eben beginnenden Mangels, da sie der Norm am nächsten stehen, durch Vergleichung mit dieser das innere Wesen der vorliegenden Störung am leichtesten und schärfsten zu erblicken vermöchten. Da jedoch andererseits an die Störung geringeren Grades eine ganze Stufenfolge höherer Grade bis zum endlichen Fehlen der totalen Embryonalanlage sich anreiht und die Vermuthung entsteht, dass weniger qualitative als quantitative Unterschiede die einzelnen Fälle von einander trennen, so liegt es näher zu erwarten, es werde ge- rade die Massenhaftigkeit der Störung das innere Wesen derselben am deutlichsten erkennen lassen. Ich entscheide mich für letzteren Gesichtspunkt, ohne von vorn- herein den Unterschied der extremen Fälle als einen bloss quantita- tiven und sämmtliche als aus einer und derselben Ursache hervor- gegangen bezeichnen zu wollen. Dass in jenen Fällen in der That eine mangelhafte Ausbildung oder selbst ein Fehlen der verschiedenen Strecken der totalen Em- bryonalanlage bis zu deren völligem Verschwinden vorliege und nichts 30 A. Rauber Anderes, das unterliegt keiner weiteren Beurtheilung , sondern es ist in dieser Hinsicht auf Beschreibung und Abbildungen zu verweisen. Es kann sich nur darum handeln, ihre Entwicklungsgeschichte rich- tig zu erkennen und dadurch zu erfahren, von welchen Vorgängen . sie bewirkt worden sind. Um hier sicher zu gehen, ist zu bedenken, dass der normal durchfurchte Keim eine Zellenmasse darstellt, deren einzelne Ele- mente alsbald in Bewegung von verschiedener Beschleunigung ge- rathen und mit dieser ungleichförmigen Bewegung den Raum einer - Kugeloberfläche durchschreiten, wie dies oben gesagt worden. Setzen wir den Fall, alles Uebrige verhalte sich gleich und es trete nur statt der normalen ungleichförmigen Bewegung eine gleichförmige centrifugaie Bewegung des Zellenmateriales ein, ein Fall, auf welchen oben schon kurz hingewiesen wurde, so bedarf es durchaus keines Mangels an Zellenmaterial, um statt einer normalen totalen Embryo- nalanlage einen Acephalus höchsten Grades hervorzubringen, wie er uns z. B. in den vom Hecht beschriebenen und abgebildeten Fällen so überraschend entgegentritt (Fig. 12 u. 13 Taf. XL). Ich will nicht behaupten, dass in den genannten Fällen vom Hecht der Mangel der vorderen und mittleren Embryonalanlage einzig und allein auf geänderter Anordnung eines quantitativ hinreichenden Zel- lenmateriales beruhe, obwohl der Keimring in Fig. 12 und i3 an Dicke und Ausbreitung die hintere Embryonalanlage des normalen Hechtes weit übertrifft und offenbar mehr Material enthält als der hinteren Embryonalanlage zukommt. Ein vergleichender Blick auf den Rest des normalen Keimrings in Fig. 15 belehrt hierüber auf das Ueberzeugendste. Es liegt vielleicht ausserdem immer noch ein gewisser Mangel an Keimmaterial in allen 3 mitgetheilten Fällen vom Hecht vor und betheiligt sich dieser Mangel an dem Zustande- kommen des Mangels der Embryonalanlagen ; dies lässt sich schwer entscheiden und kommt es übrigens auf diese Entscheidung auch gar nicht an. Denn sicher bedarf es nicht nothwendigerweise eines Zel- lenmangels, um überhaupt eine derartige Deformität hervorzurufen, sondern bloss einer veränderten Bewegung und Massenanordnung des Zellenmaterials. Von dem Einfluss des Mangels an Material auf das Zustandekommen solcher Bildungen wird später noch die Rede sein. Hieraus folgt, dass Zellenmassen, welche bei normaler Anord- nung an typischer Stelle eine regelmässige vordere Embryonalanlage hervorgebracht haben würden, sich bei geänderter Massenanordnung Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 31 an einem ganz anderen Orte befinden müssen, in anderer Aufstel- lung und Gruppirung, wenn auch immer noch mit erhaltener seit- licher Symmetrie. Was zunächst die Knochenfische betrifft, denn diese sind für jetzt unseres Planes und der Einfachheit wegen allein im Auge zu behalten, so sehr der Blick sich auch nach den übrigen Wirbelthieren wendet — so sehen wir in dem zu erwägenden Falle vom Hecht alles Keimzellenmaterial schliesslich zu einem, das Bla- stostomion umkreisenden und endlich verschliessenden Ring zusam- mengedrängt. Seine Form hat mit der nach beendeter Furchung vorhandenen einigermassen Uebereinstimmung, hinsichtlich seiner Lage ist er jedoch der Lage des durchfurchten Keimes gerade ent- gegengesetzt. Es hat zwar die Abweichung etwas Ursprüngliches an sich, insofern die normale totale Embryonalanlage aus ringförmi- ger Anordnung der Keimstreifen sich entwickelt; letztere aber ist normal nur transitorischer Art, während hier eine neue und verän- derte, durch bedeutende Zusammendrängung des Materiales ausge- zeichnete Ringform erreicht wurde, statt zweier symmetrischer Längs- streifen, deren vordere und hintere Enden bogenförmig ineinander übergehen sollten. Bei der Betrachtung dieser eigenthümlichen Anordnung des Keim- zellenmateriales und damit also des Materiales zu allen Organanlagen erheben sich mehrere Fragen. Da die für die verschiedenen Organe bestimmten Keimzellen nicht fehlen, sondern zu einem grossen Theil, soweit er nämlich die vordere und mittlere Embryonalanlage betrifft, nur dislocirt sind, so fragt es sich, ob trotz der eingetretenen Dis- location und in der neuen Form des Ganzen die betreffenden Keim- zellenlager Organe zur Entwicklung bringen können. Sodann, ob, wenn die Organe in ihrer regelmässigen Form sich nicht entwickeln können, doch die histologischen Elemente ihren Charakter entweder zu erreichen oder zu bewahren vermögen. Was die Ausbildung von Organen betrifft, so leuchtet ein, dass für wenige auch nur die räumliche Möglichkeit einer einiger- massen normalen Form in der neuen Lage der Dinge gegeben ist. Aber auch die übrigen mechanischen Bedingungen für ihre Ausbil- dung sind jetzt so ganz andre geworden, dass nur wenige Organe nicht auf das Intensivste in ihrer Entwicklung störend berührt wer- den müssten. Auf Grund dieser geänderten Bedingungen müssen für die meisten Organe ganz andre Formen resultiren, soweit es über- haupt zur Entwicklung von Organen und Systemen kommen kann. Man denke an die Aenderung, welche die Form des Medullarrohrs, 32 A. Rauber des Darmrohrs erreichen miisste; sie wiirden die Gestalt des Ganzen als Ringe wiederholen miissen. Die Ausbildung eines Gehirns nor- maler Form ist ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Aber auch in zwei normalen, wenn auch nur vorn verbundenen Hälften wird es sich nicht anlegen können, schon weil normal beide Hälften sich gegenseitig beeinflussen. So ist es fraglich, aber dennoch nicht ganz unmöglich, dass an dem Ringe einmal ein Auge werde beob- achtet werden können. Schlimmer noch liegen die Bedingungen für die Ausbildung eines Herzens, obwohl die für dasselbe bestimmten Zel- lengruppen vorhanden sind. Günstiger, trotz der vorhandenen Dis- location, sind die Verhältnisse wieder für die Urwirbelbildung. Urwirbelgliederung ist von LEREBOULLET wirklich auch beobachtet worden. Auch die Entwicklung der hinteren Embryonalan- lage ist in derartigen Fällen nicht nothwendig behindert (s. Fig. 14); wiewohl im andern Fall auch ihre Elemente aus der Ringform nicht heraustreten müssen, sondern in ihr verbleiben können. Im Ganzen nun wird es Sache künftiger Beobachtungen sein müssen, den Breitegrad der Organdifferenzirung unter solch neuen Bedingun- gen aufzusuchen. Auf eine bei hochgradigen Acephalen des Men- schen öfters angeführte Beobachtung kann dagegen an dieser Stelle aufmerksam gemacht werden, nämlich auf das Vorkommen von Kopf- haaren oberhalb des Nabels. Dies Vorkommniss beruht, wie sich schon jetzt ganz deutlich zeigt, auf nichts Anderem, als auf einer, wenn auch in anderer Form sich vollziehenden Dislocation von Epi- dermis der Kopfhaut. Gerade epidermale Gebilde werden am we- nigsten Behinderung ihrer Entwicklung durch geschehende Disloca- tionen zu erfahren haben. Ungleich interessanter ist die Frage nach der Möglichkeit histo- logischer Differenzirung der Zellenmassen einer so hochgradig ge- störten Anlage. Wenn wir aber schon sehen, dass durch die Zu- sammendrängung des Zellenmateriales auf eine ringförmige Scheibe statt auf zwei Längsstreifen die Organbildung nicht vollständig un- terdrückt, wenn auch in andre Formen gedrängt und den verschie- densten Hemmungen ausgesetzt werden könne, so werden wir noch weniger an der Möglichkeit histologischer Differenzirung zweifeln können. Es genügt einen Blick auf die wohl ausgeprägten Keim- blätter des Acephalen vom Hechte in Fig. 16 und 17 zu werfen, um dies sicher zu stellen. Sind in der Folge nur die äusseren Bedin- gungen gegeben, wie die Möglichkeit der Ernährung, der Raum für Zelltheilung, so steht nichts im Wege, dass die schon vorhandene Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 33 Differenzirung auch noch weitere Fortschritte mache. Denn es ist zu bedenken, dass die Hauptphasen histologischer Differenzirung sehr frühzeitig erreicht werden und in unserem Falle schon überwunden sind. Nach der Betrachtung der vorliegenden hochgradigen Acephalen des Hechtes, die in dem Falle, als die hintere Embryonalanlage nicht aus der Ringform heraustritt, zu Amorphen werden, — denn Acephalen hohen Grades sind es zunächst in Wirklichkeit und Nie- mand, der auch nur die gewöhnten späten Stufen von Acephalen des Menschen und der Säugethiere genauer kennt, wird hieran zweifeln — wenden wir unsere Aufmerksamkeit jener colossalen Deformität des Lachses zu, welche darin besteht, dass die totale Embryonal- anlage fehlt und nichts vorhanden ist als die Dotterkugel, die von einer dünnen gleichförmigen Blase, dem Dottersack, eingehüllt wird is. Fig. 10). Die Bildungsweise dieser sonderbaren Deformität konnte, wie bei der Beschreibung (pag. 694 C 10) bemerkt wurde, soweit es die unvollständig durchsichtige Dotterhaut gestattete, theilweise während des Lebens beobachtet werden. Von einem gut abgegrenz- ten Keimring war zur Zeit der Beobachtung eben so wenig zu sehen, als von irgend einer Embryonalanlage. Dennoch schliesst sich die * Bildungsweise der Deformität enge an die der Acephalen des Hechtes an, indem der Randtheil der Keimscheibe bei beiden concentrisch vorrückte, ohne eine vordere, ohne eine mittlere Embryonalan- lage hervorgehen zu lassen, indem der Rest des Dotterloches, das Blastostomion, in beiden Fällen endlich, wenn auch langsam, zum Verschluss gelangte. Während aber bei den deformen Hechten ein breiter und dicker Substanzgürtel das Blastostomion umgab und end- lieh verschloss, so fehlt jede beträchtlichere Substanzanhäufung bei der uns beschäftigenden Missbildung des Lachses vollständig und konnte die Verschlussstelle hier nur andeutungsweise bemerkt wer- den. Es fehlte bei ihr also auch die hintere Embryonalanlage, die dem hinteren Leibesabschnitt vom Blastostomion rückwärts den Ursprung gibt. Mit den Hecht-Acephalen darin übereinstimmend, dass beide hervorgegangen sind aus gleichmässiger centrifugaler Ver- schiebung der Keimzellenmasse , gehen beide Fälle weiterhin aus- einander. Während es nämlich zweifelhaft bleiben muss, ob bei den Hecht-Acephalen irgend ein Mangel an Keimzellenmaterial vor- handen war, so ist es eben so gewiss, dass bei dem Lachse jener Fehler der Keimzellenbewegung verbunden war mit einem hochgra- digen Mangel an Zellenmaterial selbst. Morpholog. Jahrbuch. 6. 3 34 A. Rauber Das Fehlen der totalen Embryonalanlage ist hiernach charakte- risirt durch fehlerhafte (gleichmässig centrifugale) Bewegung und gleichzeitige Mangelhaftigkeit des Keimzellenmaterials, während die vorher erwähnten Acephalen wesentlich oder ausschliesslich bloss aus fehlerhafter Bewegung des normalen Materials hervorgegangen sind. Im concreten Falle zu entscheiden, ob Dislocation, oder Man- gel und in welchen Graden beide eine Acephalie verursacht haben, ist offenbar schwer, oft unmöglich. In der Anfangsform einer Ace- phalie könnte dies nur durch Volumbestimmung des Zellenmateria- les des Keimrings, wenn auch bloss annähernd erreicht werden; für gewöhnlich wird man auf schwankende Abschätzungen angewie- sen sein. Wenden wir eine solche Schätzung auf die beiden bisher mit Absicht zurückgestellten Acephalen geringeren Grades vom Lachs (Fig. 5 und 6, Beschreibung pag. 689 C 1 und 2) an, bei deren einem die vordere Embryonalanlage nur in Spuren entwickelt ist, während sie bei dem andern etwas besser, wenngleich noch sehr mangelhaft hervortritt, so dürfte insbesondere der Acephale Fig. 6 wesentlich auf Mangel an Material beruhen; denn der gesammte Keimring zeigt grosse Schwäche, wie die spurweise vordere Embryo- nalanlage selbst, während jener ausserdem verdickt erscheinen müsste. Was dagegen Fig. 5 betrifft, so sind die an die vordere Embryonalanlage stossenden Theile des Keimrings allerdings von etwas kräftigerem Aussehen als gewöhnlich und ist möglicherweise eine gewisse Dislocation von Material an dem Zustandekommen die- ses Acephalen betheiligt, wenn auch wohl nicht ausschliesslich, sondern verbunden mit gleichzeitigem Mangel. Ich will es nicht weiter versuchen, auseinander zu setzen, in welcher Weise diese bei- den Formen sich würden weiter entwickelt haben, sondern nur her- vorheben, dass in beiden Fällen an eine nachträgliche Erholung des bestehenden Mangels und ein Einlaufen in die Norm nicht gedacht werden kann. Für das Zustandekommen der beschriebenen Acephalen des Hechtes (Fig. 12 und 13) hatte sich eine gleichfirmige cen- trifugale Bewegung des Keimzellenmaterials von wesentlicher Bedeu- tung gezeigt; eine ebensolche, verbunden mit bedeutendem Mangel an Keimzellenmaterial, für das Zustandekommen des Amorphus des Lachses (Fig. 10 Taf. XXXIX). Eine normale ungleichförmige Bewe- gung war dagegen eingeleitet worden in der Entwicklung der niedri- geren Grade von Acephalie des Lachses in Fig. 5 und 6, während Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 35 zugleich Mangel besonders in dem einen der Fälle sich ausdrückte. Setzen wir den Fall, die Bewegung der Keimzellen werde normal eingeleitet und vollziehe sich ungleichförmig, wie es der Norm ent- spricht, bis zur vollkommenen oder unvollkommenen Ausbildung einer vorderen Embryonalanlage, werde aber von hier ab allmälig zu einer gleichförmigen, anomalen, und sei zugleich mit solcher Mangelhaftigkeit des Keimrings verbunden, dass es zur Ausbildung einer hinteren Embryonalanlage nicht kommen kann, so ist das Er- gebniss dieser Anordnung ein Acormus oder Pseudacormus, Cephalide, ein sogenannter Engelskopf, mit fehlendem oder rudimen- tärem Rumpf. Einen nicht zur vollständigen Endform gelangten Fall dieser Art unter den Fischen sehen wir in Fig. 11 vom Salmling. Würde sich bei übrigem gleichen Verhalten eine hintere Embryonal- anlage ausbilden, für welche alsdann der Keimring genügende Sub- stanz besitzen müsste, so wäre das Ergebniss ein Embryo mit vor- handenem vorderen und hinteren Leibesabschnitt, fehlendem Mittel- rumpf, immer aber vorhandenem Dottersack; eine Anomalie, die von Dareste bei dem Kalbe auf später Stufe gesehen und Heteroide genannt wurde. Es ist leicht verständlich, in welcher Weise statt Fehlens des Mittelleibes ein rudimentärer Mittelleib entstehen würde. ‘Ein Acormus, und nicht allein dieser, kann auch noch auf andere Weise zu Stande kommen, nämlich durch mangelhafte Con- junction der beiden vorhandenen Leibeshälften, welche wichtige Ursache von Formstörung sogleich im Zusammenhang zu erörtern sein wird. Wenn nun die Entwicklung von Acephalen, Acormen, Amorphen bis zu diesem Punkte untersucht ist, so muss hier ergänzend hinzu- gefügt werden, dass natürlicherweise einerseits auch völlig normal angelegte Embryonalanlagen in ihrem weiteren Wachsthum durch irgend eine äussere oder relativ äussere Ursache zu irgend einer Zeit der Entwicklung in mehr oder minder eingreifender Weise gestört werden können mit der Folge, dass die ganze Anlage oder ein Theil derselben zu Grunde geht oder zurückbleibt; dass andrerseits die verschiedenen Abtheilungen einer totalen Embryonalanlage mit sol- chen inneren Unregelmässigkeiten schon anfänglich angelegt werden können, dass ihr ferneres Wachsthum, obwohl es äusserlich bis dahin normal erschien, sie selbst dem Untergange oder Defect entgegenführt. Aus solchen Störungen hervorgegangene Anlagen erblicken wir in den defecten Formen der Fig. 8 u. 9 (Beschr. p. 690, C 4 u. 5). Von beiden genannten Fällen lässt sich schon allein mit Rücksicht 3* 36 A. Rauber auf die Beschaffenheit ihrer Keimscheiben mit Sicherheit behaupten, dass die Umwachsung der Dotterkugel nicht wiirde erreicht worden sein. Unregelmiissigkeiten der Kopfanlage, wie wir sie hier in etwas weiterer Entwicklung sehen, können aber bis zu einem gewissen Grade sehr wohl verbunden sein mit normaler Anlage und zeitweiser Weiterentwicklung des übrigen Körpers und umgekehrt. Eine sehr interessante Reihe von Formstörungen bilden weiter- hin die nunmehr zu besprechenden Spaltbildungen, welche man entwicklungsgeschichtlich in primäre und secundäre unterscheiden muss. Während es bisher zweckmässig erschienen war, von hoch- gradigen Formstörungen auf die geringeren überzugehen, so liegt hier der umgekehrte Weg am nächsten. Die diesem Gebiete ange- hörigen neuen Beobachtungen sind die auf pag. 694 unter D be- schriebenen, Fig. 19—24, Taf. XLI abgebildeten Fälle. Um dieselben zu beurtheilen bedarf es vor Allem der Ueber- legung, dass entweder mangelhafte Conjunetion vorher distanter Keimstreifen, oder Trennung vorher schon auf normale Weise ver- bundener Keimstreifen Spaltbildungen hervorzurufen vermögen. Auf erstere Art entstehen die primären, auf letztere die secundären Spaltbildungen. Untersuchen wir unsere verschiedenen Fälle Fig. 19—24 auf ihre Entstehung und fassen zu diesem Zwecke die vorhandenen De- hiscenzen der vorderen Embryonalanlage in das Auge, so wird man anfänglich gewiss versucht sein, dieselben als Producte seeundä- rer Spaltbildung aufzufassen, d. h. also anzunehmen, dass die ursprünglich normal angelegten Köpfe durch eine von innen nach aussen wirkende ausdehnende Gewalt in zwei weit divergirende Hälf- ten auseinandergetrieben worden seien. Der Zwischenstreifen mz, der die beiden divergenten Hälften noch miteinander verbindet, würde dabei aufzufassen sein als ein stark ausgedehntes medianes Verbin- dungsstück der beiden Hälften, welche selbst übrigens mit ihren vorderen Enden bogenförmig in einander übergehen. Berücksichtigt man, vor fernerer Prüfung der letzteren Fälle, diejenigen Dehiscenzen, in welchen ausser dem Klaffen der vorderen Embryonalanlage zugleich mehr oder minder lange Strecken der mittle- ren Embryonalanlage gespalten sind, so liegt umgekehrt der Gedanke weit näher, dass zum Zustandekommen dieser Spaltbildung es nicht erst eines Auseinanderweichens schon verbunden gewesener Embryo- nalhälften bedürfe, sondern dass, da der Rumpf des Embryo normal durch Conjunction zweier distanter Keimstreifen entsteht, man- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 37 gelnde Conjunction die Ursache dieser Spaltbildung sein werde. Bei diesem Entstehungsmodus würde die Zwischenmembran mi, welche wie früher bemerkt aus der Deckschicht und dem primären Entoderm besteht, der einzige Theil sein, welcher die normale Conjunetion vollzogen hätte, er müsste denn im anderen Falle als ganz neue Bildung erscheinen. Wenn man aber bei der Prüfung der zugleich mit Dehiscenz des Kopfes und Rumpfes behafteten Fälle zu dem Urtheile gelangt, sie als primäre Spaltbildungen zu betrachten, wie stellt sich dazu das entgegengesetzte Urtheil über die Spaltbil- dungen, welche bloss die vordere Embryonalanlage betreffen? Man wird nicht wohl zwei einander entgegengesetzte Ursachen an dem Zustandekommen derselben Spaltbildung betheiligt betrachten dürfen, sondern man wird, was den einen Theil des Embryo spaltete, auch für den andern Theil gelten lassen müssen. Ist dies aber der Fall, so wird man sich nicht bloss für die mittlere Embryonalanlage, son- dern auch für die vordere zur Annahme einer primären Dehiscenz entscheiden müssen. Betrachtet man auch die distanten Keim- streifen in den verschiedenen Figuren genauer, so macht nicht ein einziges Paar in seiner Form den Eindruck, als ob dieselben aus vorhergehender Verbindung getrieben worden wären, sondern als ob im Gegentheil eine Kraft sie gehindert habe, sich mit einander zu verbinden. Es genügt auf die eigenthiimlichen Biegungen und den Haken der Keimstreifen hinzuweisen. Secundäre Spaltbildungen ent- wickeln sich ausserdem im Gegensatz zu unseren Fällen, wenn wir Erfahrungen von höheren Thieren hier in Anwendung bringen dür- fen, auf etwas späterer Entwicklungsstufe und zwar wohl auch bei ihnen auf Grundlage von stärkeren Serum-Ansammlungen im Medul- larrohr, wie bei den höheren Wirbelthieren. Sie müssen aber da- durch auch ein anderes Ansehen gewinnen, als unsere primären Fälle. Ist die Annahme richtig, dass unsere Fälle von vorderer Dehiscenz auf mangelnder Conjunetion seitlicher Zellenmassen beruhen, so tritt damit für die normale Entwicklung der vorderen Embryonalanlage der Knochenfische eine neue Beurtheilung ein. Denn ich erblicke in der vorhandenen Lagerung der distanten Seitenhälften der vorderen Embryo- nalanlagen unserer anomalen Fälle geradezu den wesentlichen Weg, welchen auch normal die Substanz zur Constituirung der vorderen Embryonalanlage einschlägt. Normal würde dieser Vorgang nur weniger deutlich ausgeprägt äusserlich sichtbar sein und in mehr verdeckter Weise ablaufen, während er nunmehr, bei Dazwischen- 38 A. Rauber kunft irgend eines Hindernisses der Conjunction, offen und scharf aus- geprägt zu Tage tritt. Dies würde schon von den unmittelbar hin- ter den Augenblasen gelegenen Theilen der Embryonalanlage gelten müssen. Ausdrücklich sei bemerkt, dass die beiden distanten Hälf- ten der vorderen Embryonalanlage nicht bloss Faltungen des Blasto- derm, sondern dieke Substanzwülste darstellen, wie auf dem Schnitte (Fig. 27) am besten hervortritt. Wie schon bei andrer Gelegenheit angegeben, erscheint damit die totale Embryonalanlage in allen ihren Theilen als ein ununterbrochener Substanzring, der mit den beiden Hälften der Anlage des Vorderhirnes beginnt, über das Mittelhirn u. s. w. sich erstreckt, in die Rückenwülste und endlich in den Keimring übergeht. Da wir nun thatsächlich wahrnehmen, dass nor- mal die anfangs breiten Hälften der vorderen Embryonalanlage bei weitergehender Entwicklung sich mehr und mehr gegen die Median- linie zusammendrängen, sich verschmälern und gleichzeitig erhöhen, so würde in diesem späteren Vorgang nur eine Fortsetzung desjeni- gen liegen, der die vordere Embryonalanlage überhaupt zur ersten Ausbildung brachte, beruhend auf einer Conjunetion seitlicher Zellen- massen hier am relativ ruhenden Punkte der Keimscheibe, wie wei- ter rückwärts an den Punkten beschleunigter Bewegung. Wenn wir zurückblicken auf die grosse Rolle, welche geänder- ter Bewegung von Zellenmassen bei den bisher betrachteten Form- störungen zukam, so haben wir bei den primären Dehiscenzen normal eingeleitete, aber in ihrem Vollzug gehinderte Zellen- bewegung, während der Grundzug der früheren Acephalen- und Amorphenbildungen theils in einer anomal eingeleiteten Zellenbewe- gung, theils in Zellenmangel gefunden wurde. Die Acormenbildung hob dagegen an mit normal eingeleiteter Bewegung, um anomal aus- zulaufen und so zur Umwachsung der Keimpforte zu gelangen, wo- bei wiederum Zellenmangel complieiren konnte. Welches sind die Endergebnisse der normal eingeleiteten, aber am Vollzug gehinder- ten Zellenbewegung bei der Spaltbildung? Bemerken wir zuerst, dass auch mit dieser Form Zellenmangel sich compliciren könne, wofür in Fig. 21 ein gutes Beispiel vorliegt; und untersuchen wir vorher, welcher Umstand die Conjunction der seitlichen Zellenmassen, sei es zur Bildung der vorderen oder mittleren oder endlich hinteren Embryonalanlage, zuriickhalte. Sind es Missverhältnisse zwischen Dotter und Keim, ist es eine Trägheit der eingeleiteten Zellenbewe- gung, die ich, um es zu wiederholen, nicht als eine willkürliche active, sondern eine passive, im Stoffwechsel begründete, auffasse ; Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 39 es ist schwer, zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen. Spalt- bildungen solcher Art scheinen durch Erschütterungen, auch durch Einwirkung störender Temperaturen künstlich hervorgerufen werden zu können: es würde dies eine Verzögerung der normalen Geschwin- digkeit der Zellenbewegung in der That zu bedeuten haben. Auch ist bemerkenswerth, dass alle vorhandenen Fälle in ihrer Ausbil- dungsstufe hinter der normalen von gleicher Bebrütungszeit beträcht- lich zurückgeblieben sind. Was die Ausgänge dieser Formstörung betrifft, so sind spätere Stufen ausser von LEREBOULLET noch von verschiedenen Beobach- tern!) und auch von mir beschrieben worden, welche durch ihre Endformen beweisen, dass ein endlicher Verschluss in gewissen Fäl- len noch möglich ist, mit mehr oder weniger weitgehender Störung der Organe und Systeme. Andere Fälle dieser Art sterben frühzeitig ab, wovon ich mehrere Beobachtungen besitze, in welchen der Verschluss des Dotterloches nicht erreicht worden war. Es bedarf keiner weit- läufigen Auseinandersetzung, dass es je nach Lage und Ausdeh- nung der Dehiscenz zu sehr verschiedenen Ergebnissen kommen könne, zu Acormen, Amorphen, Heteroiden, selbst Acephalen. Bisher war von der ectoplastischen Dignität der einzelnen Keim- scheibenbezirke im besonderen Falle noch nicht die Rede. Sie wird sehr auffallend erkennbar gerade bei den Spaltbildungen. Jede Stelle der Keimscheibe, die für sich selbst nicht die richtige Ent- wicklung einschlägt, nach dem Früheren also entoplastische Anoma- lie erzeugt, wirkt in diesen Fällen ectoplastisch in der Weise ein, dass der Zusammenhang der beiden Leibeshälften verloren gehen und die Gesammtanlage vernichtet werden kann. Es ist leicht, auch bei den übrigen Formen die Anwendung zu machen. Man erinnere sich an die ectoplastische Wirkung dislo- cirter Keimzellenmassen, die sich keilförmig in den Ring der übrigen Anlage einschieben und deren Bahn ohne weitere Einwirkung an- derer Ursachen in völlig abweichende Richtung treiben. Man erinnere sich an die eben dadurch gestörte Herzbildung u. s. w. An der letzten der beschriebenen Formanomalien, die an sich nicht zu den grossen Störungen gehört, der Schiefstellung der Em- bryonalanlage, Fig. 25, tritt das ectoplastische Moment einer !) So insbesondere von J. OELLACHER, Mesodidymi von Salmo salvelinus, Berichte der k. Akademie zu Wien 1873. 40 A. Rauber Keimscheibenstrecke ebenfalls sehr deutlich zu Tage und es möge deshalb dieser Bildung hier kurz gedacht werden. Wie schon bei der Beschreibung (pag. 700 unter E) angegeben wurde, verdankt diese Bildung ihren Ursprung einem Ueberwiegen oder einer Mangel- haftigkeit einer Körperseite, obwohl sie nicht bedeutend sein kann; möglicherweise ist der Hakenfortsatz, der starke Wulstung zeigt, ursächlich dabei betheiligt, was mit Rücksicht auf die normale Be- deutung des Hakenfortsatzes nicht auffallen könnte. Sei dies der Fall oder nicht, der einseitige Unterschied, an sich entoplastischer Natur, wirkt ectoplastisch so sehr auf die gesammte vorhandene Em- bryonalanlage ein, dass ihre Stellung nicht weniger als etwa 30° von der normalen abweicht. In anderer Beziehung ist die Unabhängigkeit der verschiedenen Abtheilungen der totalen Embryonalanlage von einander eine grosse, so dass die vordere Embryonalanlage fehlen kann, während die mitt- lere und hintere sich ausbildet, so lange die Ernährungsmöglichkeit gegeben ist; so dass vordere und mittlere Embryonalanlage fehlen können, während die hintere sich kräftig entwickelt und eine Zeit hindurch vegetirt. Die Ursachen für das eine und andere Verhalten ergeben sich aus dem Modus der Entstehung der totalen Embryo- nalanlage und ihrer einzelnen Abtheilungen von selbst und liegt darin nichts Auffallendes, wie man es in früherer Zeit hat finden wollen. Mit dieser Darstellung ist die eine und wichtigste der diesem Abschnitt vorbehaltenen Aufgaben, die specielle Entwicklungsge- schichte der grossen defectiven Formstörungen der Knochenfische in ihren Grundzügen zu erkennen und ihren Zusammenhang mit der normalen Entwicklungsgeschichte darzulegen, erfüllt und in Betreff der übrigen Aufgaben das Folgende zu bemerken. b) Vergleichung mit den Formstörungen der übrigen Wirbelthiere. Es wiirden hier zuerst die Haie in Betracht zu ziehen sein. Denn sie stehen einerseits den Knochenfischen in ihrer normalen Ent- wicklung sehr nahe, andrerseits vermitteln sie den Uebergang von den Knochenfischen zu den Vigeln. Doch besitze ich iiber ihre Ent- wicklungsanomalien keine eigenen Erfahrungen und unterlasse es, die einfachen theoretischen Constructionen auszufiihren. Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 41 Was die Vögel und im Besonderen das Hühnchen betrifft, so sind die Beobachtungen frühzeitiger Formstörungen immerhin noch spärlich zu nennen. Aus der Zeit der Anlage des Medullarrohres dagegen sind zahlreiche anomale Fälle beobachtet worden. Es liegt nicht in meiner Absicht, dieselben einzeln zu untersuchen. Sie sollen vielmehr im Allgemeinen beurtheilt und mit denjenigen der Knochen- fische verglichen werden. Es würde ein Leichtes sein, grosse Verschiedenheiten zwischen der normalen Entwicklung der Knochenfische und des Hühnchens von der Oberfläche abzuschöpfen und der Vergleichung dadurch Hemm- nisse zu bereiten. Dies würde aber zugleich sehr unphysiologisch sein. Es ist besser, zwar unbefangen den obwaltenden Verschieden- heiten gegenüber zu stehen, ebenso unbefangen aber auch die tiefer- liegenden inneren Uebereinstimmungen zu würdigen. Im Allgemeinen haben wir hier zu rechnen mit denselben Prin- eipien, welche sich für die normale und anomale Entwicklung der Knochenfische massgebend erwiesen haben. Insoweit die normale Entwicklung abweichende Verhältnisse darbietet, werden natürlich auch die anomalen Formen Beeinflussungen zeigen müssen. Im Besonderen verhalten sich die verschiedenen Theile der to- talen Embryonalanlage des Hühnchens folgendermassen: Die vor- dere Embryonalanlage ist gegeben durch den der Area lueida an- gehörigen d.i. den primären Theil des Primitivstreifens ; hierzu kommt die erst etwas später deutlich hervortretende Apophysis cephalica (Kopffortsatz) desselben. Letztere deutet nicht die ganze Kopfanlage an; der hintere Abschnitt des Kopfes, vom Gehörlabyrinth rückwärts, gehört dem Vordergebiet des Primitivstreifens an. Der secundiire Theil des Primitivstreifens entwickelt sich aus der Substanz des Keim- rings (der area opaca) des Hühnchens und stellt den Haupttheil der mittleren und die hintere Embryonalanlage dar. Letztere umschliesst hier nicht den Rest des Dotterloches, welches erst am fünften Be- brütungstage zum Verschlusse gelangt; sondern es entwickelt sich im Bereich der totalen Embryonalanlage ein secundäres Blastosto- mion. Axipetale Verschiebungen von seitlich gelagerten Zellenmas- sen spielen ferner bei der Entstehung des normalen Primitivstreifens der Vögel gleichfalls eine ganz bedeutende Rolle und sind besonders hervorzuheben. Denn der Primitivstreifen der Vögel besteht auf der ersten Stufe seiner Ausbildung aus einem zwischen dem Eetoderm und Entoderm liegenden mesodermalen Zellenstrange, welcher von den Seiten nach der Längsachse hingetreten ist; darauf erst folgt 42 A. Rauber die axiale Betheiligung des Ectoderm an seiner ferneren Ausbil- dung, in einer noch nicht festgestellten Weise. Die vorkommenden Störungen knüpfen ihrerseits wiederum an einen Mangel des Materiales, an mangelhafte Zellvermehrung oder endlieh an Fehler der Zellenbewegung an. Zu ihnen tritt dann noch das grosse Heer secundärer Störungen, welche an einer bereits nor- mal angelegten oder wenigstens normal erscheinenden Embryonal- anlage auftreten können. Die Fehler der Zellenbewegung selbst er- eignen sich entsprechend unseren früheren Betrachtungen entweder in der Weise, dass die Bewegung eine anomale Richtung einschlägt oder dass sie in ihrem Ablaufe aufgehalten wird. Als ein sehr häu- fies Ergebniss mangelhafter Zellvermehrung macht sich hier be- sonders deutlich geltend das gänzliche Unterbleiben oder mangelhafte Auftreten von Faltenbildungen. Auf diesen Grundlagen entwiekeln sich Acephalen, Acormen, Amorphen in wesentlich übereinstimmender Weise wie bei den Fi- schen und sind auch in Wirklichkeit Fälle von mangelhaft ausgebil- deter vorderer Embryonalanlage (so wurde fehlender Kopffortsatz wahrgenommen) !), sowie von totalem Mangel der Embryonalanlage ?) mehrfach beobachtet worden. Von letzterer Art besitze ich selbst einen Fall. Die bestehenden Verschiedenheiten der normalen Ent- wicklung, die sich besonders in dem modificirten Verhältniss des Keimrings zur totalen Embryonalanlage ausdrücken, werden insbe- sondere bei den Spaltbildungen hervortreten müssen. Gleich- wohl kann man auch hier primäre und secundäre Spaltbildungen unterscheiden. Als primäre Formen sind diejenigen zu kennzeichnen, bei welchen-die Medullarfalten nicht oder nur mangelhaft zur Aus- bildung kommen. Secundäre Formen sind jene, bei welchen das bereits geschlossene Medullarrohr durch Ansammlung von grösseren Flüssigkeitsmengen Ausdehnungen oder Zerreissungen erfährt. Es ist klar, dass damit auch die nächste Umgebung, besonders die Ur- wirbel, in Mitleidenschaft gezogen werden müssen. Gerade über die Spaltbildungen der Vögel sind die teratologischen Erfahrungen sehr reichhaltig und ist auch deren künstliche Herstellung von den eben genannten Autoren mit Glück versucht worden. Die Repti- lien werden, wie man aus der ähnlichen normalen Entwicklung schliessen muss, auch in ihren Formstörungen den Vögeln sehr nahe !) DARESTE, Production artificielle des monstruosités. , ak Panum, Untersuchungen über die Entstehung von Missbildungen, afel I. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 43 stehen. Mehr ist es zu bedauern, dass wir von den Amphibien und den verwandten Gruppen so spärliche Beobachtungen anomaler Fille besitzen. Aber auch bei ihnen, dem total sich furchenden Ei, stösst wenigstens die theoretische Construction, gegründet auf die normale Entwicklung, keineswegs auf besondere Widerstände. Am schwierigsten allerdings liegen die Verhältnisse bei den Säugethieren, wenn wir auf die der Entwicklung des Primitivstrei- fens vorausgehende Zeit zurückgreifen wollen. Der Punkt, auf des- sen Entscheidung gegenwärtig am meisten ankommen wird, ist der, ob der geschlossene Blastoporus des Säugethierkeimes andauernd der Entodermkugel adhärent bleibt und am gegenüberliegenden Pole die Keimblasenflüssigkeit sich ansammelt, wie es van BENEDEN beschreibt, oder ob vielmehr die Flüssigkeitsansammlung zwischen beiden Blättern an demjenigen Pole stattfindet, an welchem die Keimpforte zum Verschluss gelangt. Ist letzteres der Fall, und es sind Gründe vorhanden, die dafür sprechen, so würde sich für den soge- nannten Embryonalfleck, welcher aus dem primären Entoderm und dem bedeckenden Ectodermtheil besteht, die der Annahme van BE- NEDEN’S entgegengesetzte Lage ergeben. Ueber diesen schwierigen Gegenstand werden jedoch erst fort- gesetzte Untersuchungen sicher entscheiden lassen und damit auch offenes Feld für die Anknüpfung schwieriger teratologischer Fragen, soweit sie eben die Säugethiere betreffen, herstellen. Wenden wir uns aber zur Stufe des bereits angelegten Primitivstreifens, so ist leicht wahrzunehmen, dass eine ausnehmend grosse Uebereinstim- mung mit der von den Vögeln bekannten Anordnung im normalen Zustande vorliegt, an welchen anschliessend nach dem Vorausgehen- den auch die defectiven Störungen zu beurtheilen sein werden. Die Bildungen eines Amnion, einer Allantois, eines Nabelstranges und einer Placenta vermögen die Formen der anfänglich gegebenen grossen Störungen zum Theil zwar in ihren Endstadien zu modi- ficiren und zu compliciren, aber nicht im Entferntesten die Principien ihrer ersten Anlage zu berühren. Amnion, Allantois und Placenta können ihrerseits wieder Formanomalien unterliegen und damit con- secutive Störungen herbeiführen ; für die Entstehung einer anomalen vorderen, mittleren, totalen Embryonalanlage erscheinen sie aber ohne alle Bedeutung, denn sie sind ja zu jener Zeit überhaupt noch gar nicht vorhanden. Von der Bedeutung der Allantois bei Zwil- lingsbildungen wird alsbald die Rede sein. Was die einzelnen Formen betrifft, so sind dieselben auf so 44 A. Rauber frühen Stufen, wie sie im Vorausgehenden bei den Fischen be- handelt worden sind, bis jetzt noch nicht gesehen worden. Doch werden sich wie bei den vorausgehenden Classen erstens in ihren verschiedenen Abschnitten mangelhafte Embryonalanlagen wieder- finden, zweitens spiitere Degenerationen urspriinglich, entweder wirk- lich oder scheinbar, normal gebildeter Embryonalanlagen. Einen zu der letzteren Reihe gehörigen menschlichen Acephalen (solitären Ursprungs) hat kürzlich SCHENK, einen andern ich selbst zu untersuchen Gelegenheit gehabt, wie an früherer Stelle bereits angegeben worden ist. | Was die erstere Reihe betrifft, so gehören zu ihr zum Theil vielleicht mehrere, in der Literatur beschriebene Fälle von abortiven menschlichen Eiern, welche als serumgefüllte Blasen ohne Spur eines Embryo gekennzeichnet werden. Ich glaube, dass man es bei diesen mit primären Amorphen zu thun habe, welche dem oben be- schriebenen Amorphus vom Lachs an die Seite zu stellen sind. In beiden Fällen ist es überhaupt nicht zur Ausbildung einer Embryo- nalanlage gekommen. Man könnte diese Form von Säugethier- amorphen Amorphus cysticus nennen, zum Unterschiede von dem Amorphus globosus Gurlt, welcher auf secundirer De- generation einer, wenn auch vielleicht partiell defeeten Embryonal- anlage beruht und nothwendig mit Zwillingsbildung verbunden ist, während der Amorphus cysticus als solitäre Bildung auftritt. Ueber die Entwicklung des letzteren würde man sich folgende Vorstellung zu machen haben: Die »Keimblase« (Metagastrula van BENEDEN) und der Embryonalfleck sind zur Anlage gekommen; der Embryonalfleck erzeugt aber keinen Embryo, sondern bleibt flach ausgebreitet. Mittleres und inneres Keimblatt breiten sich aus und so kann es zu einer theilweise dreifach geschichteten Blase kommen, innerhalb deren das Serum zunimmt. Ein Nabelstrang fehlt natür- lich hier. Ein baldiger Abortus führt das Ende herbei. Wenn der Embryonalfleck dagegen eine entweder schon anfäng- lich deforme oder secundär degenerirende Embryonalanlage ausbildet, so wird es zu einer der von SCHENK und mir beschriebenen Formen oder zu einem Acormus, Amorphus kommen müssen. Da aber das Herz gerade in den schwereren Fällen fehlerhaft oder nicht sich anlegt, so wird der ferneren Ernährung und weitergehenden Ausbildung früher oder später gleichfalls eine Schranke gesetzt und die Ausstossung der Frucht wird die gewöhnliche Folge sein. Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 45 ec) Verhältniss zur Gemellität. Schon durch die vorausgehende Auseinandersetzung ist eine nahe Veranlassung gegeben, das Verhältniss der Formstörung zur Gemellität, über welches die Meinungen noch weit auseinandergehen, in Erwägung zu ziehen. Zu einem Theile fällt die Bestimmung die- ses Verhältnisses dem folgenden, von den Mehrfachbildungen han- delnden Abschnitt zu. Da aber die defectiven Formstörungen der Mehrfachbildungen wesentlich von den Einfachbildungen aus zu be- urtheilen sind, so kann, indem Einiges aus dem Folgenden antiei- pirt wird, zweckmässiger Weise schon jetzt in die Beurtheilung des Gegenstandes eingetreten werden. Im anderen Falle würde der letztere durch eine Verschiebung auf den folgenden Abschnitt eine sehr störende Zersplitterung erfahren müssen. Das später Beizu- bringende wird sich demnach nur als eine Ergänzung zu dem gegen- wärtig Mitzutheilenden verhalten. Wenn in dem Vorausgehenden der Beweis geführt worden ist, dass alle grossen Formstörungen solitär vorkommen können, wel- ches ist denn nun ihr Verhältniss zur Zwillingsbildung oder über- haupt zu den Mehrfachbildungen? Das Verhältniss ist ein dreifaches. Die beschriebenen Formstörungen kommen einmal auch beiden Mehr- fachbildungen vor und entwickeln sich bei ihnen genau nach denselben Gesetzen. Es ist auch nicht einzusehen, warum sie bei ihnen fehlen sollten. Der folgende Abschnitt wird mit einer Reihe thatsächlicher Beobachtungen diesen Satz zur vollständigen Klarheit bringen. Das Verhältniss ist zweitens dadurch ausgezeichnet, dass Mehr- fachbildung als eine directe Ursache sich geltend machen kann zur secundären Degeneration einer vorher normalen Anlage. Als ein drittes Verhältniss endlich kann bezeichnet werden, dass Mehr- fachbildung als die Ursache auftritt zur ferneren Erhaltung und Weiterentwicklung einer anomalen Embryonalanlage, welche ohne Dazwischenkunft einer Mehrfachbildung einem baldigen Absterben verfallen gewesen wäre. Wollte man ein ‘System der grossen Formstörungen aufstellen, so ist zur ferneren Beurtheilung der bei Zwillingsbildung vorkom- menden Formstörungen vor Allem erforderlich, dass man normal zwischen der gleichzeitigen Entwicklung zweier oder mehrerer ge- trennter Eier in einem Uterus, und der Entwicklung zweier oder 46 A. Rauber mehrerer Embryonen in einem Ei streng unterscheide. Als ein Ei gilt hier die Eizelle mit ihrer Hiillmembran. Man pflegt beide ihrem Wesen nach völlig verschiedene Fälle immer noch mit dem gemeinsamen Namen Zwillingsbildungen zu bezeichnen. Nachdem aber ihre grundsätzliche Verschiedenheit als festgestellt betrachtet werden darf, ist es an der Zeit, auch getrennte Namen anzuwenden. Unter Gemellität, Zwillingsbildung, verstehe ich den ersteren Fall, gleichzeitige Entwicklung zweier oder mehrerer befruchteter Eier in demselben Uterus, oder (bei Vögeln) in derselben Eischale. Aus- bildung zweier oder mehrerer Embryonen auf Grundlage eines Eies hingegen nenne ich Cormus- oder Stockbildung'), gleichgültig ob zwei oder ein Amnion, ob die Leiber der Embryonen mit einander -verwachsen sind oder nicht, im Gegensatze zur Solitärbildung, dem normalen Falle, in welchem aus einem Ei sich bloss ein Embryo entwickelt. Sind bei den Stockbildungen die einzelnen Componenten an ihren Lefbern mit einander verwachsen, so haben wir Syna- delphen vor uns; sind sie dagegen nicht verwachsen, sondern durch eine zwischenliegende Keimhautstrecke von einander getrennt, Dia- delphen. Die einzelnen Componenten beider Gruppen heissen Stocklinge, während der Name Zwillinge, Drillinge u.. s. w. für diejenigen Embryonen reservirt bleibt, die sich in getrennten Eiern gleichzeitig entwiekeln und die also an und für sich vollständig zu den solitären Bildungen gehören. Ein System der grossen defectiven Formstörungen wird demnach unterscheiden müssen: 1) Acephali, Acormi und Amorphi solitarii. Deren primäre For- men betreffen defeete Embryonalanlagen; die seeundären ent- stehen durch Degeneration einer bestehenden, wirklich oder scheinbar normalen Embryonalanlage. Sie kommen vor bei den Fischen, wie bei den übrigen Wirbelthieren und ebenso beim Menschen. Sie entwickeln sich eine Zeitlang fort und sterben frühzeitig ab. Acephali, Acormi und Amorphi cormarii. Sie finden sich gleichfalls in allen Classen und zerfallen bei den Säugethieren (mit Uebergängen bei den übrigen Amnioten) in zwei Ab- theilungen : N ı) Ob ein echter, auf Theilung beruhender Cormus oder ein ebensolcher Pseudacormus vorliege, soll hier nicht entschieden werden. Dies hindert aber nicht die Nothwendigkeit obiger Unterscheidung. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 47 a) synadelphi, mit Verwachsung der Leiber; b) diadelphi, mit Trennung der Leiber. Die erste Abtheilung bildet die sogenannten Parasiten. Von grösserem Interesse ist für uns die zweite Abtheilung. Bei den Dia- delphen hängen, wie gesagt, die zwei oder drei aus einem Ei hervorgegangenen Embryonalanlagen in den eigentlich embryonalen Zonen nicht mit einander zusammen. Die eine oder andere dieser Anlagen kann, wie Beobachtungen an Synadelphen der Knochen- fische unwiderleglich darthun, entweder primär defect sein oder für sich selbst secundiir degeneriren, wie bei den solitären Bildun- gen, wie bei den Synadelphen. Für diese primären und secun- dären Formen besteht aber im Falle der Diadelphie und Synadelphie die Möglichkeit einer Ernährung durch den Blutkreislauf des gesun- den Componenten, falls ein eigener Kreislauf nicht zu Stande kam, nicht genügend sich ausbildete oder wieder aufhörte. Diese Ernäh- rung durch den gesunden Componenten kann geschehen entweder in Folge bereits gegebener Gefässverbindung durch den Dottersackkreis- lauf, oder in Folge erst werdender, durch Allantoidenverwachsung. Um letzteren Fall zu Stande zu bringen, ist erforderlich, dass der defecte Component im Stande gewesen ist, eine Allantois auszubilden. Dies wird bei geringeren Graden des Defectes möglich sein; bei höheren Graden wird dies aber nicht der Fall sein können, um so weniger als das Herz ein ursprüngliches Kopforgan ist und mit grös- seren Defecten der vorderen Embryonalanlage auch seinerseits De- fecte oder selbst Ausfall erleiden muss. Eine besonders auffallende secundäre Form von Acephalus, Acormus, Amorphus diadelphus und synadelphus ist endlich die, in welcher ein ursprünglich gesunder Component durch die Gegenwart eines zweiten, aus demselben Ei hervorgegangenen gleichfalls gesun- den Genossen in Folge der Verbindung der beiderseitigen Dottersack- gefässe oder in Folge einer Allantoidenverwachsung in seiner fer- neren normalen Entwicklung aufgehalten und zur allmäligen Dege- neration gebracht wird. Die Allantoidenverwachsung als Ursache secundärer Degeneration ursprünglich normaler Anlagen bedarf kei- ner eingehenderen Schilderung. Sie geht, wie insbesondere CLAU- Dius') gezeigt hat, einher mit Umkehrung des Kreislaufes des einen, in Folge dessen degenerirenden Fötus und kann es auch nicht zweifelhaft sein, dass alle secundären Formen defectiver Stö- !) CLAupIus, Die herzlosen Missgeburten. 48 A. Rauber rung hierdurch zu Stande kommen können , also secundiire Acepha- len verschiedenen Grades, secundäre Acormen und Amorphen. Der durch die Kreislaufänderung zur Ausbildung gelangende Defect muss indessen nicht nothwendigerweise so gross sein, dass eine mangel- hafte Entwicklung der oberen oder unteren Leibeshälfte oder gar des Gesammtkörpers die Folge wäre; es kann in den geringsten Graden die äussere Form des Körpers ziemlich vollständig erhalten sein, während wesentlich nur der selbständige Kreislauf eine Aende- rung erfahren hat. Bezeichnet man auch fernerhin, aber mit Zu- srundelegung eines physiologischen Eintheilungsprineipes, diese ganze secundäre Gruppe von Acephalen, Acormen und Amorphen mit dem Namen Acardiaci, so würde derjenige Theil derselben, welcher mit fast vollständiger Erhaltung der ganzen Körperform auftritt, Acardiacus eumorphus!) zu nennen sein, im Gegensatze zum Acardiacus amorphus, der den höchsten Grad der Formstörung in dieser Gruppe darstellt. ‘Wenn man auch, mit Zugrundelegung positiver Beobachtungen an Knochenfischen und im Hinblick auf die bekannten späteren Stu- fen von Formstörungen der Säugethiere und des Menschen mit Noth- wendigkeit zu dieser Unterscheidung geführt wird, so wird gleichwohl eine geraume Zeit dahingehen müssen, bis an den Säugethieren und dem Menschen die unumgänglichen Beobachtungen der erforderlichen frühen Entwicklungsstufen gemacht sein werden. Was schliesslich das Verhältniss der betrachteten, vor Allem der primären, in der Embryonalanlage bereits gegebenen Formstörungen zu niedriger stehenden Abtheilungen des normalen Thierreichs be- trifft, so würden sich mindestens Anknüpfungspunkte an entspre- chende Normalformen auffinden lassen. Sr. HiıLaırE nahm, wie schon früher bemerkt, keinen Anstand, selbst secundär degenera- tive Formen, wie die Acardiaci, mit dem normalen Thierreich zu vergleichen. Immerhin ist zu bemerken, dass sowohl die secundii- ren, wie die primären Formen frühzeitigem Untergang entgegen- gehen. Entschieden wichtigere Beziehungen als zum normalen Thier- reich bestehen dagegen zur normalen Entwicklungsgeschichte der betreffenden Arten selbst und ist hierauf an entsprechender Stelle bereits die nöthige Rücksicht genommen worden. !) Acardiacus anceps, ÄHLFELD. (Ende des ersten Abschnittes.) Nachträge zu „Carpus und Tarsus‘. Von Dr. G. Born. (Aus dem anatomischen Institute zu Breslau.) Mit Tafel I. iF Die beiden Arbeiten, welche ich, angeregt durch GEGENBAUR’S bahnbrechende Untersuchungen, vor einigen Jahren über den Carpus und Tarsus der anuren Amphibien und der Saurier geliefert habe (No. 4 und 5 des Litteraturverzeichnisses ), sind seither von einer Reihe Autoren theils bestätigend erwähnt, theils auch in ihren that- sächlichen Angaben, so wie in ihren Deutungsversuchen mehr oder we- niger entschieden angegriffen worden. Lrypie (No. 7 und 8), BRÜHL (No. 9), STECKER (No. 10) und Horrmann (No. 13) sind ausführ- licher auf meine Darstellung eingegangen; ich konstatire mit Befrie- digung, dass nur einer dieser Forscher die Grenze einer sachlichen Polemik überschritten hat: es ist dies BRÜHL, der freilich ein auch in deutschen wissenschaftlichen Schriften seltenes Maß von Grob- - heit gegen andere und mich zur Anwendung bringt; ich verzichte von vornherein gern darauf, in diesem Punkte mit dem Wiener Forscher zu konkurriren und gestehe ihm auf diesem Felde die Ori- ginalität, die er so streng für sich in Anspruch nimmt, ohne Wei- teres zu; ich bin überzeugt, seine polemische Methode, mittelst deren er »GEGENBAUR und Konsorten« abthut, ist durchaus geeignet den Anfängern, für die laut Einleitung sein Atlas bestimmt ist, eine hohe ‘ Meinung von der wissenschaftlichen Bedeutung des Verfassers beizu- bringen. Schlimmer als dies ist das Verfahren des Autors bei der Morpholog. Jahrbuch. 6. 4 50 G. Born Wiedergabe fremder Darstellungen und Ansichten ; ich werde im Fol- genden genug Gelegenheit haben, dasselbe durch eklatante Beispiele zu illustriren. Die Untersuchungen, welche diesen Nachträgen zu Grunde liegen, sind nicht auf einmal ad hoc gemacht worden, son- dern ich bin seit meinen ersten Versuchen auf diesem Gebiete im- mer mit Vorliebe zu den mir vertrauten und lieb gewordenen Objekten zurückgekehrt und habe jede neue Methode immer zuerst an den- selben geprüft; so hatte sich mit der Zeit ein recht ansehnliches Material angehäuft, bis mich in diesem Sommer das Erscheinen der Horrmann’schen Arbeit veranlasste, die Lücken desselben auszufüllen und die Einzelheiten zu einem geschlossenen Ganzen zu verbinden. Die folgenden Zeilen werden keine weiteren Ausblicke bieten, wie die Aufsätze von GEGENBAUR (No. 3), THACHER (No. 11) und WIE- DERSHEIM (No. 12), sondern sich nur auf die Feststellung des that- sächlichen Befundes am Carpal- und Tarsalskelett der Anuren und der Saurier und die nächste Deutung desselben, so weit beides nach den Arbeiten der Autoren noch nicht allgemein anerkannt ist, er- strecken. Jede umfassendere Prüfung der von GEGENBAUR über den Zusammenhang der verschiedenen Formen des Extremitätenskeletts angeregten Ideen, muss jetzt, glaube ich, an die merkwürdigen ent- wicklungsgeschichtlichen Befunde von GörrE und von meinem Kolle- gen STRASSER anknüpfen, die gezeigt haben, dass bei der ersten Anlage des knorpligen Skeletts der Extremitäten der Urodelen Theile, die späterhin getrennt sind, in kontinuirlichem knorpligen Zusammenhange erscheinen. Ehe aber nicht vor Allem die Ontogenese des Knorpel- skeletts der Selachierflosse näher untersucht ist, lässt sich die Trag- weite des bei den Urodelen konstatirten schwer ermessen. ich will den von meinem Freunde und Kollegen STRASSER in Aussicht ge- stellten weitern entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten nieht vorgreifen und habe im Folgenden eigentliche ontogenetische Untersuchungen ganz ausgeschlossen, spätere Larvenstadien, bei denen die Zeit der ersten Knorpelbildung längst vorüber war, habe ich häufig der Be- arbeitung unterzogen. Die Untersuchungsmethoden waren, wie es sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Arbeit erklärt, im Einzelnen sehr wechselnde; alle Schnittserien sind auf einem Long’schen Mikrotom gemacht worden; zum Einschluss benutzte ich die bekannte Paraffin- Rieinusölmasse. a Nachträge zu Carpus und Tarsus. 51 Zum Tarsus der Anuren. Als ich vor drei Jahren meine Arbeit über die sechste Zehe der Anuren schrieb, unterschied ich noch nicht zwischen Rana platyrrhi- nus (Steenstrup) und Rana oxyrrhinus (Steenstrup); wie die meisten Autoren, fasste ich beide Arten unter der Bezeichnung Rana tempo- raria zusammen. Inzwischen ist das Lrypie’sche Buch »über die anuren Batrachier der deutschen Fauna« (No. 8) erschienen und hat zu den älteren, mehr äußerlichen und auch schwierigeren Unterschei- dungsmerkmalen zwischen beiden Arten so gewichtige innere und dabei leicht zu konstatirende neu hinzugefügt, dass auch eine ge- trennte Untersuchung des Tarsalskeletts beider braunen Frösche geboten schien. Die Resultate derselben habe ich schon der na- turwissenschaftlichen Sektion der schlesischen Gesellschaft für va- terländische Kultur vorgelegt (No. 6), erlaube mir aber der Voll- ständigkeit halber die wenigen Daten hier kurz zu wiederholen. Die Umgegend Breslau’s ist dadurch ausgezeichnet, dass daselbst die Rana arvalis (Nils., oxyrrhinus Steenstrup) ungleich häufiger gefunden wird, als Rana fusea (Roesel, platyrrhinus Steenstrup), nach 30—40 der ersten Art trifft man vielleicht erst auf ein Exemplar der zweiten. Diesem Verhältnisse entspricht vollkommen der Umstand, dass die Tarsusform, welche, wie ich jetzt weiß, allein der Rana arvalis zukommt, damals von mir als die bei Rana temporaria regelmäßige, dagegen die für Rana fusca charakteristische Form als Ausnahme beschrieben wurde '. Rana fusca besitzt demnach in der zweiten Reihe des Tarsus ein breites 7,1, und ein deutliches, hyalinknorp- liges 7,, das ganz wie das von Rana esc. auf Taf. XIV Fig. 1 mei- ner ersten Arbeit abgebildete, aussieht. Gegen 7, und 7, (Tarsale der sechsten Zehe) ist es durch deutliche Gelenkspalten abgesetzt: dieselben greifen aber nicht um die proximale Seite von 7; herum, 1 Leypic klagt, dass die fortschreitende Kultur die meisten Tümpel und damit die Bedingungen für,das Dasein der einheimischen Amphibien zerstire; um unsere Stadt herum hat dieselbe aber andererseits sehr zahlreiche »Löcher«, wie sie der Volksmund nennt, erst geschaffen, es kommen dabei namentlich die Eisenbahnbauten und die Ziegeleien in Betracht. In den zahlreichen, bei der Ziegelfabrikation ausgeschachteten Gruben zwischen Scheitnig und Zimpel längs der Oder hin findet man zahllose Vertreter aller acht Anurenarten, die die norddeutsche Fauna aufweist, sowie auch Triton taeniatus und cristatus. Triton alp. fehlt hier, ich fand ihn in den Vorbergen bei Freiburg und Görlitz zusammen mit den beiden andern Arten. 4* 52 G. Born sondern mit dieser ist es an ein Lig. interosseum angewachsen, das an ihm vorbei von 7, _, zu 7, zieht und dessen proximale Seite wiederum einen Theil der gemeinsamen Gelenkfläche gegenüber dem TF bildet. Wie jene Figur angiebt, öffnet sich das Gelenk zwi- schen 7, und 7, häufig in die große Pfanne für den Kopf des M,, an deren Bildung sich T,, 7, u. a, betheiligen. Die sechste Zehe be- steht bei Rana fusca regelmäßig aus vier durch Gelenke von einander geschiedenen Stücken, einem Tarsale 7,, Metatarsale a und zwei Phalangen a, und a,. Die Grundphalange a, umfasst mit ihrer hakenförmigen Basis an der plantaren und tibialen Seite den Kopf des nach denselben Richtungen hin aus der Ebene des übrigen Tar- sus heraustretenden Metatarsale. Die Endphalange ist bald nur ein unansehnliches Knorpelkäppchen, bald ein schlankeres, wohlausge- bildetes Stück. Diese Beschreibung gründet sich auf 9 Tarsi von Ranae fuscae verschiedenen Alters und Geschlechts, die ich neuer- dings in Schnittserien zerlegt habe. Von Rana arvalis liegen deren sechs vor. Hier fehlte regelmäßig das 7,, ich will damit jedoch nicht leugnen, dass nicht als Ausnahme vielleicht einmal Spuren eines solchen gefunden werden könnten. An Stelle der bei Rana fusca durch Gelenke getrennten drei Knorpelstücke a,, a und a, findet sich beim spitzschnäutzigen Frosche ein einheitlicher, großer und starker, meist verkalkter Hyalinknorpel vor, der entsprechend der Stelle, wo sonst a und a im Winkel an einander stoßen, winklig geknickt ist. Dieser verschiedenen Zusammensetzung des Skeletts der sechsten Zehe entspricht auch ein funktioneller Unterschied; Rana arvalis benutzt seinen durch einen einheitlichen, festen Skeletttheil gestützten, »har- ten, schaufelförmigen« Fersenhöcker, eben so wie Pelobates das Mes- ser, als ausgezeichnetes Grabe-Instrument, beunruhigt man ein in einem Glase gehaltenes Thier, so sucht es sich zunächst mittels scharren- der Bewegungen der Hinterfüße einzugraben; eine Rana fusca in gleicher Situation denkt nie an Ähnliches, sondern sucht von An- fang an mittelst eines gewagten Sprunges ihr Heil in der Flucht; in der That erscheint der weiche unansehnliche Fersenhöcker, der ein durch Gelenke gegliedertes, nachgiebiges Skelett enthält, viel we- niger zum Graben geeignet. Bei Rana escul. habe ich (No. 4) das Vorhandensein eines 7; nachgewiesen. In der Brünr’schen Zeichnung (No. 9 Taf. XXX Fig. 17) fehlt dasselbe; ich weiß nicht ob hier der Fall vorlag, dem ich unter 23 neuerdings untersuchten Tarsen nur einmal begegnet bin, dass nämlich 7, und a verschmolzen waren — die Form, die Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 53 dem fraglichen Theile 1. c. gegeben ist, lässt das beinahe vermuthen, — oder ob es von BRÜHL nur übersehen worden ist; Schnittpräparate sind nicht so »mühsam« und jedenfalls nicht so überflüssig, wie der Autor in der Erklärung zu der Reproduktion meiner Figur meint. Mein Präparat stammte von einem einjährigen Thiere; die Verschmelzung von T, mit 7, ließ sich einmal an der Form des Stückes, das sich seit- lich unter JZ, hin verbreiterte, erkennen, noch deutlicher aber daran, dass der tibiale Fortsatz von 7,, der dem 7, entsprach, einen be- sonderen Verknorpelungskern darstellte, das will sagen: in der Mitte dieses Fortsatzes und im 7, selbst war das Knorpelgewebe älter, weiter entwickelt, die Zellhöhlen größer, die Grundsubstanzbrücken breiter, rein hyalin und stark tingirt, an der Grenze zwischen bei- den, die auch äußerlich durch eine Einkerbung markirt war, er- schienen die Zellhöhlen kleiner, die Grundsubstanz bildete nur schmale Scheidewände, war leicht körnig und sehr schwach tingirt. Ich habe diese histologischen Verhältnisse hier etwas genauer berührt, weil dieselben sich bei den in der Verschmelzung begriffenen Metatarsen und Phalangen der sechsten Zehe wiederholen. Mit Ausnahme dieses Falles war 7, immer isolirt, selten war es unansehnlich, immer aber deutlich nachweisbar ; meist erschien es gut entwickelt und von der in Fig. 1 (No. 4) gezeichneten Form, die ich im Text ungeschickt als dreieckig angegeben habe. Plantarwärts schieben sich übrigens vor demselben 7, und 7,_, bis zur Berührung zusammen. Während ich in meiner ersten Arbeit die Gliederung der sechsten Zehe in vier und in zwei Stücke als etwa gleich häufig bezeichnet habe, überwog unter meinen neuen 23 Exemplaren die zweite Form durchaus, sie fand sich 19 Mal. Eine fast vollkommene Trennung in 4 Stücke traf ich nur einmal an, auch in diesem Falle waren Metatarsale a, und Grundphalange a, am plantaren Rande wenn auch nur ganz geringfügig verwachsen. BRÜHL hat auch ein Tarsale und noch drei getrennte Stücke abgebildet, er fügt hinzu »von Born mit a, a, ay bezeichnet, von mir als Metatarsus und zwei Phalangen gedeutet,« das klingt für jeden Unbefangenen so, als stammte diese Deutung erst von BRÜHL, während ich meine ganze Arbeit im Interesse die- ser Auffassung geschrieben habe. Ich gebe gern zu, dass bei der vollkommneren Schnittmethode, die ich jetzt übe, eine geringe Ver- schmelzung, die sich vielleicht nur durch einen oder zwei Schnitte zieht, mir weniger leicht entgeht, als früher und demgemäß die Häufigkeit der vollkommenen Trennung der sechsten Zehe in vier Stücke von mir damals etwas zu hoch geschätzt worden sein mag, 54 G. Born doch habe ich andererseits die Theilstücke ‘damals, wie ich beson- ders hervorhob, durch Gelenke getrennt gefunden und bin außerdem an die starke Variabilität dieser Gebilde so gewöhnt, dass ich mich nicht darüber wundere, wenn in einer Untersuchung diese, in einer anderen jene Form überwiegt. Unvollkommene Trennungen fand ich sehr viel häufiger, die histologischen Erscheinungen, die sich in solchen Fällen bei jüngeren Thieren zeigen, habe ich oben geschil- dert. Stets findet man die Verschmelzung an der plantaren und und inneren (fibularen) Seite am vollkommensten: mitunter be- schränkte sich die Andeutung der Trennung nur auf eine leichte Einkerbung am dorsalen Rande. Einmal fand ich den von den Autoren als typisch angesehenen Fall (Ducks, Ecker), dass a und a, zu einem Stücke verschmolzen sind, das gelenkig mit a, ver- bunden ist; es war dies dasselbe Exemplar, bei dem T, mit 7, ver- wachsen war. Zweimal waren a, und «a, continuirlich verschmolzen und a; war gelenkig getrennt. Durch die Güte des Herrn Prof. Hasse konnte ich einen Tarsus von Cystignathus ocellatus (Tsch.) aus den Vorräthen des hiesigen Institutes untersuchen, derselbe schließt sich in Bezug auf Zahl, Form und Lagebeziehungen der Tarsalstiicke eng an Rana fusca an, nur erschien die sechste Zehe dadurch ausgezeichnet, dass sie drei, durch schén ausgebildete Gelenke von einander und vom Metatarsale getrennte Phalangen besaß, ähnlich wie Rana pipiens in BRÜHLs Figur 5 und 21 auf Tafel XXX. Fiir Hyla arborea kann ich nach sechs neu untersuchten Tarsen nur die Angabe bestätigen, die ich in No. 4 gemacht habe: der Tarsus des Laubfrosches gleicht in Bezug auf Zahl und Anordnung der Theilstiicke vollständig der am reichsten ausgestatteten Form von Rana esculenta; einem Tarsus der Art, wie ihn Brinn No. 9 Taf. XXX Fig. 15 abbildet, bin ich niemals begegnet. Als Beson- derheit von Hyla arborea ließe sich nur anmerken, dass 7, relativ stirker entwickelt ist, als beim Wasserfrosch. In dem Tarsus eines sehr alten Exemplares fand ich Markhöhlenbildung mit Knochen- ablagerung an den Wänden von 7, a, und a,. Dabei zeigte sich in dem Tarsus der einen Seite dieses Thieres die Besonderheit, dass das Metatarsale der sechsten Zehe a, von der Grundphalange a, (vergl. Fig. 1) auf dorsalen Schnitten durch eine vollständige Gelenkhöhle ge- trennt war, während auf mehr plantarwärts gelegenen die Markräume beider Stücke in der tibialen Hälfte des Schnittes zusammenflossen und die Knochenbelege an den Wänden ebenfalls ohne Abgrenzung in ein- Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 35 ander iibergingen; in der fibularen Hälfte des Schnittes dagegen be- stand noch ein Rest der Gelenkspalte (vergl. Fig. 2 Taf. I). Schon in meiner ersten Arbeit hatte ich die Beobachtung ge- macht, dass die sechste Zehe von Bufo variabilis häufig eine dritte Phalange aufzuweisen habe. Ich erklärte mich zwar selbst von der Richtigkeit meiner Beobachtung überzeugt, konnte aber doch die Möglichkeit eines Kunstproduktes nicht absolut sicher von der Hand weisen. Jetzt kann ich das Vorkommen einer dritten Phalange mittels meiner verbesserten Methode mit vollkommener Gewissheit nachweisen, ich fand dieselbe unter neun neu untersuchten Tarsen drei Mal. Ist eine solche vorhanden, so erscheint die zweite Phalange relativ kürzer, fehlt sie, so ist letztere etwas länger. Inzwischen hat BrüntL dasselbe von Rana pipiens (Taf. XXX Fig. 5 und 21) abgebildet. Das Vorkommnis ist also kein vereinzeltes mehr, über die Bedeutung desselben habe ich mich schon früher No. 4 p. 442 und 443 genugsam ausgesprochen. Zwei Tarsen von erwachsenen Thieren besitze ich, in denen das Tarsale der sechsten Zehe « mit dem Metatarsale a, vollkommen knorplig verschmolzen war, während die beiden Phalangen unter einander und von a-+a, gelenkig abgesetzt erscheinen. Auf den Befund von Knorpelzellen in den die Tarsal- stiicke verbindenden Ligamenten, den ich damals pag. 443 besonders zu betonen mich veranlasst fühlte, lege ich jetzt keinen Werth mehr, seitdem ich die Bildung von Faserknorpel als eine am Extremitäten- skelett der Amphibien und Reptilien morphologisch eben so häufige, wie meist bedeutungslose Erscheinung kennen gelernt habe. Das in No. 4 von mir angegebene Unterscheidungsmerkmal im Baue des Tarsus von B. calamita gegenüber B. variabilis, nämlich dass bei ersterem 7, mit 7, verschmolzen, ist, wie ich jetzt betonen muss, nicht sicher. Einmal kommt die Verschmelzung, wie die An- gaben von BRÜHL beweisen, auch bei B. vulgaris vor, andererseits fehlte sie bei einem neuerdings untersuchten Exemplare der Kreuz- kröte. In der Zusammensetzuug des Tarsus unterscheiden sich also beide Arten nicht wesentlich !. Von Phryne vulgaris babe ich neun Tarsen neu geschnitten, dar- unter vier von einjährigen Thieren. Eben so, wie bei B. vulgaris, kann ich das faserknorplige 7, meiner ersten Arbeit nicht mehr als ! In diesem Jahre habe ich auch Bufo calamita in der Nähe von Breslau gefunden, doch ist sie sehr selten und außerdem, da sie sehr scheu und im Wasser sehr flink ist, viel schwieriger zu erlangen als die Wechselkröte. 56 G. Born solches anerkennen, obgleich ich zugestehe, dass dieser Faserknorpel wirklichem Hyalinknorpel sehr nahe steht, Phryne besitzt demnach gewöhnlich ein 7,+;, ein 7;, Ta, a, und a. Bei BRÜHL sind 7, und 7, mit einander verschmolzen (Taf. XXX Fig. 27); einer An- deutung eines solchen Verhaltens bin ich nur einmal begegnet (siehe unten). Hätte BRÜHL etwas genauer den Text meiner Arbeit berück- siehtigt und nicht fast ausschließlich die Figuren angesehen, so wäre er nicht zu der Bemerkung in der Erklärung zu Fig. 16 seiner Tafel XXX gekommen: »Einen zweiten Phalanx, wie ihn Born ... von Bufo variabilis zeichnet, fand ich bisher bei Bufo einereus nie- mals:« für Bufo einereus habe auch ich ausdrücklich des Vorkom- mens nur einer Phalange Erwähnung gethan. Hervorheben will ich noch, dass bei Phryne die Basis der Phalanx der sechsten Zehe in ganz besonders ausgeprägter Weise den Kopf des Metatarsale an der plantaren Seite hakenförmig umgreift, und zwar so weit, dass sie bei- nahe mit 7, in Berührung kommt. Vier Schnittserien durch Tarsi von einjährigen Phrynen waren mir desswegen bemerkenswerth, weil sich bei allen vier Spuren einer hyalinknorpligen Verschmelzung der drei Theilstiicke der sechsten Zehe unter einander zeigten. Wäh- rend sich aber in den meisten Fällen die Verschmelzung nur auf einen ganz schmalen Bezirk am plantaren Rande der Gelenkflächen beschränkte, war dieselbe bei einem Tarsus viel breiter und stärker ausgebildet. Figur 3 auf Taf. I giebt davon ein Bild, einige Schnitte weiter ventralwärts hingen auch 7, und 7, knorplig zusammen; es ist dies der Fall, der dem Brünr’schen analog ist. Die urspriing- liche Gliederung der sechsten Zehe erscheint in Figur 3 nur durch peripherische Einschnitte angedeutet, die entweder indifferentes Ge- webe oder auch Gelenkspalten enthielten. Ob in einem solchen Falle ein embryonaler Zusammenhang der Knorpelanlagen erhalten blieb, wie ihn STRASSER bei den Urodelen als weit verbreitet nachgewiesen hat oder ob es sich nur um eine sekundäre Varietät handelt, muss weiteren entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen zur Entschei- dung vorbehalten bleiben. Durch meinen Freund, Herrn Professor HtERoNymus aus Cordoba, in Argentinien erhielt ich neben anderen werthvollen Amphibien und Reptilien eine größere Anzahl von Phryniscus cruciger. Der Tarsus dieses kleinen Batrachiers, der sich durch ein ungewöhnlich vollkommen verknöchertes Skelett auszeichnet, gleicht in Bezug auf Zahl und Anord- nung der Theilstücke ziemlich vollständig den reicher ausgestatteten Formen von Rana fusca und Bufo variabilis. Auf einem abgeplat- Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 57 tet rechteckigen 71; artikulirt M7,, ganz und die fibulare Hälfte der Basis von M;r: neben demselben tritt M7,y bis zu der gemein- schaftlichen Epiphyse des 7’F proximalwärts in den Tarsus ein, von dieser nur durch das bekannte Band getrennt. Die tibiale Hälfte stößt noch an 7), das im Übrigen zusammen mit 7, und a, eine tiefe ausgerundete Gelenkpfanne für den großen Kopf des M7 bil- det. Die sechste Zehe besaß in zwei Fällen eine, in einem drit- ten zwei knorplige, durch Gelenke abgesetzte Phalangen. Im Innern von Ty+;, ZT, und a hatte so reichliche Markraumbildung mit Kno- chenablagerung stattgefunden, dass diese Stücke nur mehr einen ganz dünnen hyalinknorpligen Überzug besaßen. In den basalen Epiphysen der Metatarsalien, so wie in der gemeinschaftlichen Epi- physe des 7'F, die sonst selbst bei sehr alten Anuren hyalinknorplig ‘wenn auch verkalkt) gefunden werden, waren ebenfalls ausgebrei- tete Markräume entstanden und hatten sich mit denen der Diaphyse so breit in Verbindung gesetzt, dass die Epiphysengrenze nur selten noch zu erkennen war. Der Knorpelüberzug an den Gelenkenden dieser Stücke erschien nur wenige Zellen breit. Ich bemerke noch, dass es sich keineswegs um ausgesucht große Exemplare handelte. Meine Befunde weichen von denen GEGENBAUR’s in Einigem ab. BrüHrL bemerkt zu seiner Figur 8 Tafel XXX, welche eine Dor- salansicht des Tarsus von Pelobates giebt: »Die von Born, ..., an Schnittpräparaten (!) gesehene Zweitheilung des dig. ¢,_, in dig. Z und dig. ¢ habe ich nach mehrfacher und genauer Präparation niemals gesehen.« Diese Angabe Brünr's braucht, wie ich mich jetzt überzeugt habe, nicht durchaus auf einem Irrthume zu beruhen; denn unter 24 Tarsi, die ich neu zerlegt habe, fehlte in der That das 7, in 5 Fällen. Während mir zufällig bei meiner ersten Arbeit kein Tarsus, dem das 7, fehlte, unter das Messer gekommen ist, können auch BrüHu selbst bei einer »mehrfachen und genauen Präparation« nur solche Farsi mit mangelndem 7, aufgestoßen sein, ebenso wahr- scheinlich GEGENBAUR. Doch bildet, wie obige Zahlen beweisen, das Fehlen von 7, die Ausnahme, das Vorhandensein desselben die Regel. Ob es sich beim Mangel des 7, um eine Verschmelzung desselben mit T, handelt, oder um eine allmähliche Reduktion desselben. bei der T, nur entsprechend größer wird und an die Stelle desselben tritt. lässt sich schwer entscheiden, wahrscheinlich kommt Beides vor: denn einmal war bei einem Exemplare 7, zwar deutlich zu sehen, auch von 7, gelenkig abgesetzt, aber ungewöhnlich klein, so dass es nicht wie sonst vergl. No. 4 Fig. 3) das 7, beinahe an Größe 58 G. Born erreichte, sondern nur die Spitze des Keiles einnimmt, den beide Knorpel zusammen auf den Flächenschnitten repräsentiren; von die- sem Stadium bis zum gänzlichen Schwunde des 7, mit Eintreten von 7, an seine Stelle schien nur ein kleiner Schritt; ein andermal erschien das fragliche größere Stück quer von einer Zone jungen Knorpels durchsetzt, eine Erscheinung, die wieder einer Entstehung aus 2 ursprünglich getrennten Stücken das Wort redete. Was die Form von 7; betrifft, so will ich hinzufügen, dass dasselbe in den Fällen, in denen es am Besten ausgebildet schien, in der Mitte des dorsoplantaren Durchmessers, da wo es dem am meisten proximal- wärts vorspringenden Umfange des Kopfes von MM; anlag, in allen Dimensionen am wenigsten ausgedehnt ist. Diese äußerst schmale, mitunter nur aus wenigen Knorpelzellen bestehende mittlere Zone verbindet das dorsale keilförmige Ende, das parallel der Längsrieh- tung der Extremität abgeplattet ist, mit dem plantaren, welches mehr gleichmäßig und stärker ausgedehnt erscheint. Tritt eine Reduktion des 7, ein, so fehlt zuerst die plantare Hälfte. Zwi- schen der vollen Ausbildung desselben bis zum Unmerklichwerden finden sich alle Übergänge. Ich kann nicht umhin an dieser Stelle wiederum gegen die Art und Weise, in der BRÜHL fremde Angaben reprodueirt, zu protestiren; Fig. 14 Taf. XXX No. 9 soll eine Kopie meiner Figur 3 auf Tafel XIV No. 4 sein. Er bemerkt hierzu: »Man beachte — den Mangel der Darstellung bezüglich des lig. ,_,; der Figur 9. Ich habe l. e. alle Bandmassen grau gehalten und in dieser Weise das fragliche Band, das von 7, aus sich unter My hinzieht ganz deutlich wiedergegeben, — die Bandmasse unter My ist schon der Übergang der Gelenkkapsel in dieses Band; — Brian hat in seiner »Kopie« alles Graue meiner Figur einfach weggelassen und findet dann sehr folgerichtig einen Mangel in meiner Darstellung. Die knorpligen Epiphysen des Fu. 7 sind, wie ich BRÜHL gegenüber betonen muss, bei Pelobates schon in späteren Larvenstadien im Innern regelmäßig mit einander verschmolzen, mögen sie auch auf der Oberfläche durch eine Furche von einander abgesetzt sein. Unter meinen 24 Tarsi sind dreizehn von älteren Larven, in denen die Theile der sechsten Zehe noch vollkommen hyalinknorplig waren. In drei von diesen ergab sich, als eine sehr bemerkenswerthe That- sache, dass der lange, messerförmige Knorpel, der die Phalange der sechsten Zehe von Pelobates repräsentirt, nicht einheitlich war, sondern aus zwei, durch eine dünne Schicht indifferenter Bindesub- stanz von einander getrennten Stücken bestand. Das Basale, welches Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 59 mit dem Metatarsale a, gelenkte, war bei weitem kiirzer und zeigte am proximalen Ende eine Pfanne, am distalen einen platten Gelenkkopf, das zweite distale Stiick erschien bei Weitem linger und bildete haupt- sächlich das plantarwärts vorspringende Messer. Bei andern drei Exem- plaren war die Trennung beider Stücke nicht mehr ganz vollständig, die Verschmelzung tritt zuerst an der plantaren Fläche auf. Bei den übrigen Larventarsen war keine Spur mehr davon wahrzuneh- men. Die sechste Zehe von Pelobates besitzt also ur- sprünglich zwei Phalangen, die in einer Reihe von Fällen schon im knorpligen Zustande mit einander verschmelzen, in anderen vielleicht erst bei der Verknöcherung. Das kleine Knorpelchen neben dem distalen Ende des Messers, das ich in meiner ersten Arbeit p. 446 oben erwähnt habe, sehe ich jetzt noch an demselben Schnitte, doch neige ich noch mehr dazu dasselbe als Kunstprodukt aufzufassen; die scharfe Knorpelschneide des Messers kann beim Pressen leicht umgebo- gen und so zweimal vom Schnitte getroffen werden. LrypiG, der die Substanz des Messers als Kalkknorpel bezeichnet, hat vielleicht ein Jüngeres Exemplar vor sich gehabt, bei Erwachsenen ist es mit Aus- nahme des Gelenkendes und der Schneide vollständig knöchern. Meiner ersten Beschreibung des Tarsus von Bombinator igneus habe ich wenig hinzuzufügen. Da aber inzwischen Brühtr |. e. Tafel XXX Fig. 25 eine Abbildung nach einem, wie er versichert, sehr genauen Präparate ! gegeben hat, die mit meiner Beschreibung nicht stimmt, lege ich zur Erläuterung meiner Angaben Fig. 4 vor. Ich vermisse bei BRÜHL das wirkliche 7;, es ist dies ein klei- nes keilförmiges Knorpelchen, die Schneide des Keils ist vom Dor- sum her zwischen 7, und M, eingeschoben ; doch stehen diese bei- den Stücke mit der größeren, plantaren Hälfte ihrer Enden in direkter Berührung. «, und «a, sind zu Fig. 4 aus einem mehr plantarwärts gelegenen Schnitte ergänzt worden. BRÜHL kennt, wie LeypiG, nur ein Element der accessorischen sechsten Zehe bei un- serem Batrachier. Die distalen Enden des 7 und F sind immer knorplig mit einander verbunden. Durch meinen Kollegen STRASSER erhielt ich eine Anzahl dem Ende der Metamorphose naher Larven von Alytes obstetricans aus der Umgebung von Bern. LeypIe ist im Unrecht, wenn er im Fersen- ! BRÜHL sagt: »Ich kenne keine bezügliche Abbildung;« das ist wieder nicht richtig, GEGENBAUR No. 2 giebt in Fig. 11 Taf. IV eine solche, die we- nigstens in Bezug auf die Zahl der Theilstiicke des Tarsus mit der BrÜünr'schen vollkommen übereinstimmt. 60 G. Born höcker dieses Batrachiers nur das »rundliche Grundstück , welches dem Tarsalrand des Fußes angehirt.« als vorhanden vermuthet; es sitzt diesem noch ein langer, hakenförmiger, mit der convexen Seite plantar- und tibialwärts vorspringender Knorpel auf, der mit seiner konkaven Seite breit mit M, artikulirt und mit einem seitlichen Fortsatze seiner Basis beinahe das 7 erreicht (also ähnlich, wie das Stück a; bei Pelobates). Dieser Knorpel entspricht hier dem Me- tatarsale + der Phalange der sechsten Zehe. Im Übrigen ist der Tarsus der Geburtshelferkröte dem des auch sonst nahe verwandten Bombinator sehr ähnlich. Es ist ein 7 vorhanden, der größte Knor- pel der distalen Tarsusreihe, der allein My, trägt. An diesen schließt sich ein 7), das vorzüglich mit M,, artikulirt, aber auch eine schmale Seite der ungemein breiten, mit zwei durch eine Furche getrennten Condylen versehenen Basis von M, zuwendet. Letztere ruht größ- tentheils auf dem Tarsale a der sechsten Zehe und dem hakenför- migen a, +a, auf, doch ist nicht zu übersehen, dass auch hier auf den am meisten dorsalwärts gelegenen Schnitten sich ein kleiner, platter Knorpel zwischen M; und 7, einschiebt, also auch hier fehlt nicht ein wirkliches 7). In zwei Fällen unter neun untersuchten war dieser Theil viel stärker ausgebildet und. was das merkwürdig- ste ist, in zwei Stücke zerfällt. Es schoben sich nämlich auf den plantaren Schnitten zwischen 7, und M7; und auf den dorsalen zwi- schen 7, und M, je ein keilförmiges Knorpelchen ein. Diese bei- den Knorpelchen spitzten sich zwar gegen einander zu, waren aber in der Mitte unter M, auf eine kurze Strecke nur durch fibröses Gewebe verbunden. Es handelt sich hier gewiss um denselben Vorgang, den wir schon bei Pelobates angedeutet fanden: das offen- bar bei allen Bombinatores in der Reduktion begriffene 7, schwindet zuerst in der Mitte, da wo es am stärksten unter dem Drucke des Kopfes von M; steht, das führt bei Pelobates zu einer starken Ver- dünnung des Stückes in der Mitte, bei Alytes zu einer Zerfällung in zwei, sehr möglich, dass auch bei Pelobateslarven einmal dasselbe gefunden wird. Fasse ich die Resultate dieser Untersuchung zusammen, so bil- den die Bombinatores allen übrigen bearbeiteten Anuren gegenüber eine besondere Gruppe, letztere besitzen regelmäßig ein 754, und meist (mit Ausnahme von Rana arvalis) ein besonderes, wohlausgebil- detes 7,: jene zeigen stets 7, und 7, getrennt und lassen alle ein mehr oder weniger in der Reduktion begriffenes 7; beobachten. Ge- rade die letzt erwähnte Erscheinung gilt mir als die interessanteste Nachtrige zu Carpus und Tarsus. 61 namentlich LEYDIG gegenüber, der in der Einleitung zu No. 8 für die Specieskonstanz lebhaft in die Schranken tritt. Zwar finde auch ich keine Übergänge zwischen den gleichzeitig existirenden Arten, ich glaube auch nicht, dass solche zu erwarten sind, wohl aber muss ich einmal die Ähnlichkeit im Tarsusbau auch sonst nahe verwandter Arten, wie z. B. der der Gruppe der Bombinatores an- gehörigen, betonen, zweitens finden sich in der einzelnen Art eine Reihe von Variationen, die zusammen eine Kette bilden, deren End- glieder nicht unerhebliche anatomische Verschiedenheiten zeigen. Offenbar ist bei allen Bombinatores ein Bestreben merklich, den Tar- susbau durch Ausfall von 7, zu vereinfachen, in diesem einen Punkt ist die Art nicht mehr konstant, sondern flüssig und strebt nach einer neuen Formbildung hin: ich halte es für sehr wichtig, derar- tige, bisher noch sehr vereinzelte Befunde besonders hervorzuhe- ben; vereinzelt sind sie aber vielleicht nur desswegen, weil aus leicht begreiflichen Gründen die meisten anatomischen Untersucher sich nur an ein oder zwei Exemplare zu halten pflegen. LeypiG (No.7) und HorrmMann (No. 14) erklären sich gegen die Auffassung des Skelettes des Fersenhöckers als Reste einer sechsten Zehe, da aber diese beiden Autoren meinen ersten Aufsatz noch nicht kannten — LEYpıG erwähnt denselben nur kurz am Schlusse seiner Arbeit, — und GEGENBAUR in der neuen Auflage seines Lehrbuches meine Anschauungsweise adoptirt hat, darf ich wohl auf eine Reka- pitulation meiner Gründe verzichten. Übrigens bin ich jetzt geneigt in der starken Variabilität der Gebilde der sechsten Zehe, — wech- selt doch die Stückzahl von Rana esculenta zwischen zwei und vier, bei Bufo variabilis zwischen drei und fünf — nicht bloß mehr eine Eigenthümlichkeit zu sehen, die derselbem als rudimentärem Organ anhaftet, sondern ich sehe in der häufigen Verschmelzung ein Bestre- ben ein immer festeres Skelettstück als Unterlage für den Fersen- höcker, der vielfach als Grabe-Instrument benutzt wird, zu ge- winnen. Zum Carpus der Anuren. Dass am Carpus der Anuren, wie ich zuerst behauptet habe, überall sich ein Carpale und Metacarpale des rudimentären Daumens finde (No. 4 pag. 449), wird von BrünL ebenfalls angegeben; er nennt als Ausnahme nur Pipa. Nach demselben Autor besitzt der Daumen von Phryne und Bombinator außerdem noch eine knorplige Phalange, ich kann das Vorkommen derselben für die Unke bestä- 62 G. Born tigen, doch ist dieselbe nicht ganz regelmäßig; einmal fehlte sie ganz, ein andermal waren sogar zwei Phalangen vorhanden. Bei Bombi- nator finden sich auch recht häufig Varietäten, die auf eine Neigung zum Übergang in die für Rana, Bufo u. s. f. charakteristische Carpusform schließen lassen. bei welchen letzteren Carpale ;. , und , zu einem großen Stücke verschmolzen sind. Bei einem noch jungen Thiere, bei dem der ganze Carpus noch hyalinknorplig war, erschienen C, und ©, zu einem Stücke verschmolzen, zwei Mal dagegen unter im Ganzen fünf Carpen war C, mit C, hyalinknorplig vereinigt. Wichtiger erscheint ein Fund, den ich ganz zuletzt, wo ich diese Arbeit aus äußeren Gründen vorläufig abzuschließen gezwungen war, am Carpus von Alytes obstetricans gemacht habe. Ich kann den- selben hier desswegen nur kurz erörtern und mit einer Abbildung belegen. Bei zwei vierbeinigen Alyteslarven fand sich inmitten des Carpus ein freies, wohl abgegrenztes Knorpelchen von halb- mondförmiger Gestalt, das in Figur 5 mit c bezeichnet ist. Bei zwei anderen Carpen war dasselbe mit C; verwachsen und bildete an demselben einen deutlich abgesetzten, zungenförmigen Fortsatz. Es ist kaum möglich, diesen Knorpel für etwas anderes als ein Cen- trale anzusprechen. Dabei fragt sich aber, wie nun der von GEGEN- BAUR für ein Centrale erklärte Knorpel, der in Figur 5 den Buch- staben 7 trägt, zu deuten ist. Zuerst könnte man an ein doppeltes Centrale denken, wie es in neuerer Zeit bei manchen Urodelen gefun- den worden ist. Doch liegen für eine andere Deutung gewichtige Gründe vor. GEGENBAUR ist der Meinung, dass das Intermedium am Anurencarpus entweder verschwunden oder mit dem « verschmolzen sei. Für die erstere Annahme scheint ihm die Verschmelzung der Vor- derarmknochen zu sprechen, doch möchte ich dem gegenüber hervorhe- ben, dass ein Schwund des 7 gerade bei der entgegengesetzten Thatsache konstatirt ist, bei dem Auseinanderrücken der Vorderarmknochen der Saurier; ein Zusammenrücken derselben, scheint mir, muss dem frag- lichen Knorpel, der sich so wie so an die Ulna anlehnt, eher noch eine festere Unterlage geben und damit seine funktionelle Bedeutung erhö- hen. Weiterhin findet sich bei den Urodelen ein ganz konstantes Ge- fäßloch zwischen w und ce, das auch zwischen denselben Knochen von Lacerta nicht fehlt. Ein eben solehes finde ich auch zwischen den beiden Stücken, welche bei den Anuren regelmäßig an die verschmolzenen Epiphysen der Vorderarmknochen stoßen (siehe Fig. 5 bei z). Dasselbe ist auch schon von BrüHt bei Bufo agua beschrie- ben und richtig gewürdigt worden (Taf. XXV Fig. 8 fs). Endlich Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 63 hat schon GEGENBAUR erwiihnt, dass sein c bei Bufo breit bis an die Vorderarmknochen heranreicht, dasselbe zeichnet BRÜHL von Rana pipiens (l. e. Fig. 1 und 2) und ich weiß aus eigener Er- fahrung, dass auf volaren Schnitten durch den Carpus von Alytes, Pelobates u. s. f. ein Fortsatz dieses Stückes bis sehr nahe an den R heranreicht. Es scheint mir nun viel wahrscheinlicher, dass beim Zusammenrücken der Vorderarmknochen bis zur Verschmelzung ein am Rande des Carpus gelegenes Stück, wie das Radiale, bei einem Theil der Anuren seine Unterlage verliert, als dass ein in der Mitte des Carpus gelegenes, wie das © ganz schwindet. Ich stehe also nicht an das GEGENBAUR’sche c für das wahre 7 zu erklären und es scheinen mir nach dem Gesagten die von GEGENBAUR gegen einen solehen Deutungsversuch erhobenen Bedenken an Gewicht verloren zu haben. Durch den Befund an den beiden Carpen von Alytes auf- merksam geworden, finde ich dasselbe unabhängige Centrale auch an einem Carpus einer Pelobateslarve wieder. Erwähnen will ich noch, dass bei beiden Carpen, die das freie c besaßen, wie Fig. 5 es angiebt, C, in der radialen Hälfte der Berührungsfläche mit dem wu verschmolzen war. Wie häufig das Vorkommen eines freien ec bei Alytes- und Pelobateslarven ist, ob dasselbe im Alter regelmäßig mit C; verschmilzt, darüber können erst spätere Untersuchungen be- lehren. Zum Tarsus der cionocranen Saurier. Der Bau des Tarsus ist bei allen Sauriern im Wesentlichen der- selbe; das war der Hauptsatz, in den ich gegenüber GEGENBAUR die Resultate meiner Untersuchung in No. 5 pag. 25 zusammenfasste. HorrMAnN will dem Chamäleon eine Sonderstellung anweisen: ich komme auf dieses Thier noch genauer zurück und halte mich hier nur an die Saurier, die als Cionocrania bezeichnet werden. Meine Deutungen der Tarsaltheile dieser haben im Einzelnen von BrünL und HOFFMANN mannigfachen Widerspruch erfahren, aber wie ich mit Befriedigung konstatire, die Deutungen ungleich mehr, als die Beobachtungen. Ich will im Folgenden die streitigen Punkte an der Hand erneuerter und erweiterter Untersuchungen noch einmal beleuch- ten. Alle Saurier besitzen, wie GEGENBAUR zuerst gezeigt hat, in der ersten Reihe ein einheitliches Tarsale, das mittelst zweier winklig gegen einander gestellter Flächen mit den Unterschenkelknochen und mittelst einer komplieirt gebauten, ausgedehnten Gelenkfläche mit den 64 G. Born Tarsalien der zweiten Reihe und den tibialen Metatarsalien artikulirt. Dieser Knochen entsteht aus zwei Verknöcherungspunkten in einem einheitlichen Knorpel, einem größeren tibialen und kleinerem fibularen, wie dies GEGENBAUR gezeigt hat; wie ich hinzugefügt habe, entsteht der einheitliche Knorpel durch Verschmelzung zweier entsprechender, getrennt angelegter Verknorpelungskerne. BRÜHL behauptet, dass bei Uromastix (Tafel XXXII Fig. 1, 17, 19 und 22) und bei Tra- chysaurus (id. Fig. 6) zwei wolroninté Kröcken in erster Reihe vor- kämen. Zum Überdruss habe ich von Uromastix, dessen Tarsus ich schon bei meiner ersten Arbeit am genauesten berücksichtigt habe, noch ein junges Exemplar untersucht und muss bei der Behauptung der vollständigen Einheitlichkeit des Tarsalstückes der ersten Reihe bleiben. Auch die Abbildung von Trachysaurus erscheint mir nieht sehr sicher, da in derselben die Basenbänder von M; und M7, voll- ständig fehlen. CAtorı giebt bei Uromastix auch zwei getrennte Knochen an, eben so bei Monitor terrestris; ich kann nur annehmen, dass der beide Verknöcherungskerne verbindende Knorpel, der frei- lich bei einem mit Maceration verbundenen Präparationsverfahren leicht weich werden und schwinden kann, für indifferente Binde- substanz gehalten worden ist. Sobald man aber auf den Knorpel- überzug der Gelenkenden achtet oder noch besser einen Flächen- schnitt durch das Stück legt, ergiebt sich die kontinuirliche Verbin- dung ohne Weiteres. Dieselbe fand ich auch bei einem großen Varanus arenarius D. B., den ich neuerdings untersucht habe. GE- GENBAUR und HOFFMANN erklären das Stück für ein Astragalo-cal- caneo-scaphoideum, während ich in demselben nur ein Astragalo-fibulare erkennen konnte. Die genannten Autoren stützen sich dabei auf den Vergleich mit den Schildkröten, bei denen sich das Eingehen des e in den großen Knochen der ersten Reihe noch genauer verfolgen lässt. GEGENBAUR sagt über diesen Punkt (No. 2 pag. 73) Folgendes: »Dass wirklich das Centrale hier mit dem Intermedium und Tibiale vereinigt ist, ergiebt sich sowohl aus dem Fehlen dieses Stückes, als auch aus der eigenthümlichen Form des großen Knochens der ersten Reihe, der genau an der Stelle, welehe noch bei Schildkröten ein Centrale einnimmt, schon zum Theil seiner Selbständigkeit beraubt, einen ansehnlichen Vorsprung bildet, dem bei den Schild- kröten durchs Centrale gebildeten Gelenkkopfe ähnlich.« Wenn man Figur 4 und 5 auf Tafel I meiner Arbeit No. 5 oder Fig. 6 dieses Aufsatzes näher betrachtet, sieht man, dass die distale Fläche des Tarsalstückes der ersten Reihe zwei Vorsprünge, die durch eine Nachträge zu Carpus und Tarsus. 65 mehr oder weniger deutliche Vertiefung von einander getrennt sind, aufweist, welche beide hier in Frage kommen können. Der eine ist der tibialwärts gelegene, knorplige Gelenkkopf, auf dem, durch den Meniskus getrennt, 47, schleift und an dessen fibularen Abhange die Basenbänder inseriren; ihn hat GEGENBAUR offenbar vorzüglich im Auge gehabt; in demselben steht das ¢ seiner Figur 4. Derselbe hat für ein ¢ das missliche, dass seine größte Erhebung ganz am Rande des Tarsus gelegen ist. Der andere ist die schräge Rolle, wie ich es nannte, in die eine entsprechende Vertiefung des Cuboids eingreift; dieser Vorsprung ist, so viel ich sehe, in dem Schnitt, der Fig. 5 auf Taf. V von GEGENBAUR zu Grunde liegt, getroffen; beide Vorsprünge fallen selten mit ihrer höchsten Erhebung in ein und denselben Schnitt, annähernd ist dies in meiner Figur 6 Tafel I der Fall. Der Bezug auf die Chelonier hilft auch nicht weiter; denn der centrale Vorsprung derselben lässt sich eben nicht mit Sicherheit in einem der beiden Vorsprünge des Saurierknochens wie- dererkennen (vergl. dazu No. 13 Fig. 25, 26, 26a und 27 so wie die GEGENBAUR’schen Figuren). Dass man bei der Identificirung des Centrale zwischen zwei Vorsprüngen schwanken kann, beweist aber schon, dass das Vorhandensein eines solchen noch nicht ohne Wei- teres in dem Sinne, wie GEGENBAUR und HOFFMANN wollen, ver- werthbar ist. Es bliebe nun noch das Gewicht des ersten GEGEN- BAUR Schen Argumentes, das Fehlen von einem als e zu deutenden Stücke zu prüfen. Dazu muss man aber über die Bedeutung der übrigen Tarsaltheile im Reinen sein. In meiner ersten Arbeit hatte ich darüber Folgendes aufgestellt, dem, wenigstens was das That- sächliche anlangt, BRÜHL und Horrmann beistimmen: 1) Bei allen Sauriern springen Metatarsale; und ;; eben so weit in den Tarsus ein, wie T,. Mr liegt mit seiner Basis neben demselben. GEGENBAUR hatte dies für die Leguane geleugnet. 2) Bei allen Sauriern zie- hen in gleicher Weise von den Basen des M, und My, und von der Spitze des 7‘, Bänder zum Kopfe des Astragalus; bei Lacerta und Lygosoma sollten dieselben (nach GEGENBAUR) fehlen. 3) Ist immer ein kreisförmiger Meniskus vorhanden, der auf dem Kopfe des Astra- galus um den Ansatz obiger Bänder herumgelegt ist. Ich habe jetzt noch untersucht mittelst Präparation Varanus arenarius D. B., Grammatopbora barbata Kaup und Uromastix spinipes; auf Schnitt- serien eine ganze Anzahl Tarsi von Lacerta agilis und vivipara, Lygosoma smaragdinum D. B. und Novarae, Steind., Hinulia taenio- Morpholog. Jahrbuch. 6. 5 66 G. Born lata Gray, Scincus officinalis, Gongylus ocellatus, Eumeces samoen- sis H. et Jaqu., Mocoa Guichenoti D. und B.; Phrynosoma orbieu- lare, Draco volans L., Leiosaurus Bellii, Platydactylus lugubris, Hemidactylus oualensis D. B. Ptyodactylus guttatus. Ich habe an dem oben Angeführten nach diesen weiteren Untersuchungen nichts zu ändern. Ferner hatte ich nachgewiesen, dass die lange ba- sale Epiphyse des M,, einen besonderen Verknorpelungskern be- sitzt, dass also Tarsale, in derselben enthalten. GEGENBAUR hatte dasselbe schon aus der eigenthümlichen Form, Lagerung und Ver- knöcherungsweise dieser Epiphyse geschlossen, freilich besitzen aber, wie schon von GEGENBAUR selbst hervorgehoben, auch die übrigen Metatarsalien in den basalen Epiphysen besondere Knochen- kerne und diese können mitunter, wie BRÜHL hervorhebt und Fig. 6 auf Taf. I beweist, dem von M7, an Größe beinahe gleichkom- men. Für 7, konnte ich eine gesonderte knorplige Anlage nicht mit Sicherheit nachweisen, doch beweist dies bei der Mangelhaftig- keit des mir damals zur Verfügung stehenden Materiales nicht sehr viel. Jedenfalls, wenn für 7, ein Anschluss an die Basis von Mz, anzunehmen ist, erscheint die Verbindung von 7, mit Mı, dessen basale Epiphyse ganz gleiche Verhältnisse wie die von M7, zeigt, ebenfalls sehr wahrscheinlich. Nun komme ich zu dem Meniskus und zu dem in demselben häufig enthaltenen Knorpel. BRÜHL, der ihn als »Bandschleife« ebenfalls beschreibt, stößt sich an der von mir gewählten Bezeichnung und spricht in seiner liebenswürdigen Weise von »Born’s vorgeblichem Meniskus«. Von dem Treffenden meiner Bezeichnung kann man sich leicht überzeugen, wenn man den Tar- sus einer großen Eidechse, sei es Uromastix oder Varanus oder Grammatophora, vom Dorsum her öffnet: Der convexe, annähernd kuglige Gelenktheil des M, und der ebenfalls aber in entgegenge- setzter Richtung convexe, kuglige distale Gelenktheil des Astragalus stehen einander noch mehr incongruent gegenüber, als etwa ein Condylus femoris und tibiae beim Menschen; am Rande sind sie durch Bänder, ähnlich wie jene durch die Ligamenta cruciata ver- bunden, sie berühren sich nur mit ihren am weitesten vorspringenden Convexitäten, im Übrigen schiebt sich zwischen sie ein mehr oder we- niger vollständig zum Kreise geschlossenes Band ein, das auf dem (Radiär-) Querschnitte keilförmig ist, alles ganz ähnlich einem Me- niskus des Kniegelenks. Es funktionirt auch als solches, denn es dient dazu die Inkongruenzen der beiden Gelenkflächen auszugleichen und theilt den Binnenraum des Gelenks unvollständig in zwei über ein- Nachträge zu Carpus und Tarsus. 67 ander liegende Kammern. Dieses meniskusartige Band enthält nun bei allen Askaloboten einen Hyalinknorpel, der von den meisten Autoren, eben so wie von BRÜHL und Horrmann als 7, gedeutet wird. HorrMANN will das 7, schon bei jungen Thieren fast vollkommen verknöchert gefunden haben (No. 13 Fig. 47), bei den von mir un- tersuchten, ziemlich zahlreichen Geckotiden war dasselbe niemals verknöchert, sondern stets hyalinknorplig, dagegen oft verkalkt. Dieses Stück findet sich aber nicht nur bei Askaloboten, son- dern, wie ich jetzt sehe, auch bei einer ganzen Reihe anderer Sau- rier, namentlich Crassilinguier und zwar in sehr ansehnlicher, die Askaloboten übertreffender Ausbildung; so bei Phrynosoma (s. Fig. 6 Taf. Im) und bei Draco volans. Bei letzterem traf ich die plantare Hälfte des dicken Randes des Stückes sogar verknöchert. Dieser Fund ist aber nichts Neues, sondern, wie ich jetzt gelernt habe. ist diese Thatsache schon CALorI bekannt, er zeichnet sein l’osso su- pronumerario mit Nummer 31 versehen am Tarsus von Monitor ter- restris, Lacerta viridis, Stellio vulgaris, Agama culeata u. s. f. Man hat nun zwischen Folgendem zu wählen: Entweder ist dieses so häufig im Meniskus gefundene hyalinknorplige Stück ein accessorisches Gebilde; dann muss man diese Auffassung unbedingt auch auf die Askaloboten ausdehnen und auch diese besitzen kein ge- sondertes 7,. Dieser Auffassung steht die Häufigkeit des Vorkommens so wie die nahen Beziehungen zu den übrigen Tarsaltheilen entgegen, es trägt M, zum größten Theile. Oder man sieht in ihm ein we- sentliches Tarsalstück, dann muss dieselbe Auffassung eben so gut für die Askaloboten, wo es hyalinknorplig und diek, wie für Lygo- soma z. B., wo es dünn und fibrös ist, gelten. Dabei kann man es erstens als 7, deuten. Will man dies, so ist man gezwungen für die einander so ähnlichen basalen Epiphysen von M, und My, ver- schiedene Entstehungsweisen anzunehmen, die eine enthielte ein Tar- sale, die andere nicht. Bei beiden bisher besprochenen Annahmen kann man das e in den großen Knochen der ersten Reihe suchen, dass aber beide Erklärungsversuche recht misslich sind, glaube ich nun genügend gezeigt zu haben. Zweitens kann man in dem Me- niskus, wie ich es that, ein an den Rand gerücktes Centrale suchen, dann ist natürlich der Knochen der ersten Reihe nur ein Astragalo- fibulare. Ich gebe gern zu, dass auch diese Deutung ihre erheb- lichen Schwierigkeiten hat. Meiner Meinung nach ist die Frage mit dem verhandenen Materiale nieht mit Sicherheit zu unterscheiden, es gehört dazu, glaube ich, eine systematisch - vergleichende Unter- 5* 68 G. Born suchung der Ontogenese des Tarsus von Lacerta und etwa eines Gecko. Eine ganz neue Idee iiber den Verbleib des c regt die Fig. 11 auf Tafel XXXII des Brüntr'schen Atlasses an, der den Tarsus von Phrynosoma nach einer Catorrschen Abbildung darstellt (No. 1 Note VIII Tafel II Fig. 8). Man sieht bei Brian in der angeführ- ten Figur ein kleines Knorpelehen zwischen 7,, M7, und dem großen Knochen der ersten Reihe, also sehr central eingelagert, bei CALORI ist übrigens die Lage desselben lange nicht so deutlich, als wie in der Kopie. Meine Figur 6 zeigt etwas ganz ähnliches, doch muss ich hinzufügen, dass an anderen Schnitten der obere verknöcherte Theil des 7; mit dem unteren, auf dem Bilde abgesetzten, kontinuir- lich verschmolzen war, dass also die Trennung keine durchgehende ist. HOFFMANN fasst, im Rückblick auf die Chelonier, das von GE- GENBAUR und anderen als My beschriebene hakenförmige Stück als T, auf. Sollte dies richtig sein, so besäßen die Saurier ein My, das ohne Eigenmuskeln frei aus der Hand herausspränge, wofür, so viel ich weiß, keine einzige Analogie vorliegt. Außerdem stimmt der Knochen in allen seinen Eigenschaften mit den übrigen Metatar- salien überein, er verknöchert primär durch einen periostalen Man- tel, hat eine basale Epiphyse u. s. f. Ich kann daher der Horr- MANN’schen Deutung nicht beistimmen, die Ähnlichkeit mit den Cheloniern scheint mir für dieselbe nicht genügend. Wie weit bei diesen die Auffassung dieses Autors berechtigt ist, darüber wage ich ohne eigene Untersuchungen nicht zu urtheilen. In dem Cw kann HorrMANN nur ein T, erkennen, weil sich in ihm immer nur ein Knochenkern nachweisen lässt. Ich muss der bei diesem Autor im- mer wiederkehrenden Überschätzung der morphologischen Bedeutung der Verknöcherungs- und Verkalkungskerne — denn um diese scheint es sich häufig nur zu handeln — auf das Entschiedenste widerspre- chen. HorFmAanN scheint der Ansicht zu sein, dass überall wo zwei Stücke einmal zu einem verschmolzen sind, späterhin immer zwei getrennte Verknöcherungskerne auftreten müssten und dass wo zwei Knochenkerne in einem einheitlichen Knorpelstück gefunden werden, auch zwei ursprünglich getrennte Anlagen in demselben enthalten sein müssten. Wäre das erste richtig, so müssten in dem großen Tar- salstiicke der ersten Reihe bei den Sauriern nicht zwei, sondern zum mindesten drei oder gar vier Knochenkerne auftreten, und in der Epiphyse von M7, nicht einer sondern zwei, u. s. f. Es kommt bei der Frage ob in knorplig verschmolzenen Stücken die Verknö- Nachträge zu Carpus und Tarsus. 69 cherung die ursprüngliche Theilung gewissermaßen repetirt, vor Allem auf die Zeit an, die seit der Verschmelzung verflossen und auf die Veränderungen, die der Theil inzwischen erlitten; denn man kann an einem und demselben. offenbar durch die ganze Reihe der höheren Wirbelthiere homologen Stücke, wie z. B. dem Humerus oder Femur auf das leichteste nachweisen, wie die Zahl der Kno- chenkerne auf das engste an die Ausbildung der Form und an die Massenzunahme geknüpft ist. Tibiale und Fibulare..die bei den Urodelen polygonale Platten sind und demgemäß von einem inneren Kerne aus verknöchern, sind bei den Anuren zu langen Röhren- knochen umgewandelt und verknöchern mit primärem periostalen Mantel und mit Epiphysenkernen. Noch weniger ist es möglich rückwärts aus der Einheit oder der Mehrzahl der Knochenkerne ohne Weiteres auf die Zahl der Theilstücke zu schließen, sonst müssten am Ende die Trochanteren am menschlichen Femur auch ursprüng- lich dem Knochen fremde Gebilde sein. Ich bin zu diesem längeren Excurse dadurch veranlasst, dass die Knochenkerne bei der Deutung, welche Horrmann dem Chamaeleoncarpus und -tarsus giebt und die . der meinigen schroff entgegen tritt, eine entscheidende Rolle spielen. Zum Carpus der cionocranen Saurier. HorrmMann hat das Intermedium, das ich bei Lacerta, Tejus Tejuexin, Ameiva vulgaris und bei einem Embryo von Monitor auf- gefunden habe, bei einem Embryo von Lacerta monitor bestätigt. Den Knochen, welchen er bei Goniocephalus dilophus (No. 13 Fig. 40 als ¢ bezeichnet, kann ich nur als c anerkennen, und sein e als C;: wohin der punktirte Strich von seinem C, führt, kann ich in der gerade an dieser Stelle — zwischen der Basis von M; und r — sehr undeutlichen Zeichnung nicht erkennen. Bei Lacerta geht von der radialen Ecke des C, ein dreieckiges, faserknorpliges Band aus, das sich zwischen M, und r zugespitzt bis zur seitlichen Kap- sel erstreckt, ich glaube kaum fehl zu gehen, wenn ich in demsel- ben das c, von HorrMann vermuthe (in meiner Figur 1 No. 5 ist der Ansatz desselben, wie ich jetzt sehe, zum c, geschlagen‘. Man braucht sich nur die Konturen der HorrmMann’schen Figur 40 nach- zuzeichnen, um die vollständige Übereinstimmung der Theile des Carpus von Goniocephalus mit dem von Lacerta — das 7 des letz- teren natürlich abgerechnet. — zu erkennen. STECKER hat ein cha- rakteristisches ce bei jungen Individuen von Chamaeleon senegalensis 70 G. Born aufgefunden. Ich habe dasselbe, nachdem ich fast alle oben aufge- zählten Saurier auch auf den Carpus untersucht habe, als ein klei- nes Knorpelchen in den jetzt genugsam bekannten Lagerungsbezie- hungen noch bei Gongylus ocellatus aufgefunden. Es ist also nun- mehr bei einer ganzen Reihe von Sauriern aus verschiedenen Fami- lien ein rudimentäres 7 aufgefunden, ein Beweis dafür, dass dasselbe früher sehr verbreitet gewesen sein muss. BRÜHL gefällt diese von mir aufgestellte Ansicht nicht, er sagt: »das Verlorengegangensein« — des nämlich — »ist eine Fiktion BoRN’s, ersonnen — ad ob- servandum fidem!« Das ist nicht mehr Grobheit, das ist eine un- würdige Verdächtigung!. Derselbe Autor sucht den Fund des 7 dadurch zu detrahiren, dass er ihn auf das »bescheidene Mafi sehr individueller und dazu höchst spärlicher (verkümmerter) Vorkomm- nisse« zurückführt. Näheres verspricht er im Text. Aufßerdem erwähnt er das ¢ der Lacerten nur als eines Knorpelchens, während ich ausdrücklich angeführt habe, dass dasselbe bei Lacerta mura- lis verknöchert und dazu noch eine besondere Abbildung gegeben habe. Ich muss dem jetzt hinzufügen, dass auch bei alten Exem- plaren von Lacerta agilis das Stück zuerst eine periostale Knochen- rinde bekommt, worauf denn auch im Innern desselben Markraum- bildung mit Zerstörung des Knorpels bis auf die distale Gelenkfläche erfolgt. Für verkümmert habe ich das 7 der Lacerten u. s. f. selbst erklärt, doch will ich jetzt die bedeutungsvolle Thatsache besonders hervorheben, dass die Größe desselben verglichen mit der der übri- gen Carpalien bei jungen Thieren (aus der letzten Zeit des Eilebens) mir weit erheblicher erscheint, als beim ausgewachsenen Thiere. Die Reduktion desselben findet also theilweise dadurch statt, dass es verhältnissmäßig umfangreich angelegt, im Wachsthum zurück- bleibt. Dies bezieht sich aber nicht nur auf das quantitative, son- dern, ich möchte sagen, auch auf das qualitative Wachsthum. Die kleinsten Stücke des Carpus, C, und 7, werden zuletzt deutlich hya- linknorplig, verkalken und verknöchern zuletzt. Die histologischen Umwandlungen werden immer zuerst an den größten Stücken merk- lich. Was endlich den Versuch Brünr’s angeht das 7 zu einem »höchst wahrscheinlich individuellem Vorkommnis« zu stempeln, so brauche ich kaum hervorzuheben, dass ich dasselbe noch bei 16 Carpi ! In dem Citate BrRünHt’s ist noch ein sinnentstellender Druckfehler unter- gelaufen, es heißt in meiner Arbeit nicht »später verloren gegangen sein«, son- dern »spurlos«. Nachträge zu Carpus und Tarsus. vt von Lac. ag. und vivip. aus allen Lebensaltern, die ich neuerdings untersucht habe, regelmäßig als selbständigen Bestandtheil gefunden habe. Einmal schien es bei einem Embryo vom Ende des Eilebens Neigung zu haben mit dem r zu verschmelzen. Zum Carpus von Chamaeleon. Ehe ich das nicht unwesentliche Neue, das ich auf diesem Ge- biete beizubringen habe, anführe, muss ich erst auf die Angaben der Autoren, die seit meiner Arbeit über dasselbe Thier geschrie- ben haben, näher eingehen. STECKER's (No. 10) Darstellung, Deu- tung und Bilder stimmen in erfreulicher Weise mit den meinigen überein, er hat meine Angaben in zwei Punkten erweitert. Einmal durch den Fund des © bei jungen Exemplaren von Chamaeleo se- negalensis und vulgaris, zweitens durch den Nachweis eines richtigen c, bei allen von ihm untersuchten Arten (Ch. vulg. Cuv. — bifidus Broign. — senegalensis Daudin). Er vermuthet, dass mir die ziem- lich feine Trennungslinie zwischen dem knorpligen C, und dem r entgangen sei. Diese Vermuthung ist nicht zutreffend, ich muss nach erneuter, genauer Durchsicht meiner alten und meiner neuen (5 Serien von Ch. dilepis) Präparate auf diesen Punkt hin da- bei bleiben, dass dasselbe bei Chamaeleo dilepis, das ich vorzugs- weise untersucht habe, so wie bei dem von mir bearbeiteten Cham. vulg. fehlt. An der Stelle, wo man es zu suchen hätte, finde ich ein von dem proximalen Ende von C, quer nach außen ziehen- des, häufig faserknorpliges Band. Diese Variabilität im Vorkommen eines Carpale bei den Arten der Gattung Chamaeleo wird nach den viel größeren Variationen innerhalb einer Art, die ich unten mitzutheilen habe, nicht besonders Wunder nehmen. Brünr's Darstellung des Thatsächlichen stimmt mit dem Meinigen im Wesentlichen überein. In der Kopie meiner Figur (Taf. XXXI Fig. 14) setzt er auf den Knorpel, den ich als e bezeichnet habe, ein 7, lässt aber außerdem auf demselben den Strich eines ce enden. In der Tafelerklärung heißt es: »So erscheint das Stück © (c) der proximalen Reihe (das Intermedium, Born, das endo-ulno-carpale mihi ... .) viel zu klein«; ich habe das fragliche Stück auf der Figur 3 (No. 5) nur mit ¢ be- zeichnet und immer als Centrale, nie als Intermedinm gedeutet. Be- stätigen kann ich die beiden volaren Sesambeine, die BRÜHL erwähnt und zeichnet. HOFFMANN giebt bis auf das c, auch nicht wesent- lich andere Thatsachen, als ich, kommt aber zu einer grundverschie- 72 G. Born denen Deutung, die ich jedoch für durchaus unberechtigt erklären muss. Zuerst sieht HorrmManN in meinem c ein © und meint, es entspräche nicht dem Centrale von STECKER, denn in seiner Zeichnung (Fig. 2 Taf. ID) !, welche einem ganz jungen Individuum entnommen, ist die Verknöcherung schon angegeben«. — Ein Blick auf die dar- über stehende Figur 1 Srecker’s, in der das c rein knorplig ist und die laut Tafelerklärung einem alten Individuum von Chamaeleo vulg. angehört, hätte Horrmann belehren können, dass das Vorhan- densein oder Fehlen des Knochenkerns zu den allernebensächlichsten Artverschiedenheiten gehört. Die ce der Srecker’schen Figuren wird HorrMaAnn, denke ich, als dieselben Knochen anerkennen. Nun be- sitzt aber das fragliche Stück genau dieselbe Form und dieselben Lagerungsbeziehungen, wie das c aller andern Eidechsen, gerade so wie auch seine Nachbarn das uw und 7 von Chamaeleon genau nach dem für alle Saurier gültigen Typus gebaut sind. Das Centrale von Chamaeleon ist keilförmig, die Schneide des Keils ist zwischen w und 7 eingeschoben, — oft ist dieselbe noch viel mehr zugeschärft, als in meiner Figur 3 No. 5 — die Basis des Keils stößt an die Carpalien der zweiten Reihe und zwar (nach STECKER) vorzüglich an Carp.;ı,;, und C,, so dass nur C,, welches es bei den übrigen Sauriern erreicht, bei Chamaeleo davon ausgeschlossen ist; alles Verhältnisse, die bei allen übrigen Sauriern wiederkehren. Es könnte also über die Identität des Stückes mit dem ce der übrigen Saurier auch dann nicht der mindeste Zweifel sein, wenn auch STECKER nicht noch zum Überfluss ein durchaus charakteristisches ¢ bei Cha- maeleon aufgefunden hätte. Damit fallen aber die ganzen übrigen Deutungen HorrmAnn’s schon eigentlich in Nichts zusammen, doch fordert seine Darstellung noch in Bezug auf einige andere Punkte die Kritik heraus. Nach ihm ist der große Knochen der zweiten Reihe kein Cu, sondern ein ce, Carpale, muss als C, gelten und C, ein accessorisches Stück sein, nur C, behält seine Benennung. Diese Deutung macht aus dem Carpus der Chamaeleonten ein dem der übrigen Saurier ganz fremdes Gebilde, während STECKER auf das Bestimmteste erklärt: »Der Carpus von Chamaeleon unterscheidet sich im Wesentlichen fast gar nicht von dem von Lacerta !« — Horr- MANN wird offenbar von dem Umstande beeinflusst, dass er in den drei mittleren Metacarpalien bei jungen Thieren zwei Knochenkerne ! Bei HorrMann steht hier durch einen Druckfehler »Fig. a« statt »Fig. 2«. Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 73 gefunden hat. Dem gegeniiber berufe ich mich auf das, was ich oben über den morphologischen Werth von Knochenkernen gesagt habe. Die von HorrM4snn aber in so weittragender Weise ver- wertheten Knochenkerne erscheinen mir ganz besonders unglücklich ausgewählt, um auf ihr Vorhandensein besondere Schlüsse zu bauen. Es handelt sich nämlich nicht etwa, wie seine Figur 17 zeigt, um besonders entwickelte Knochenkerne in den Epiphysen, wie in der Basis des Metatarsale ; u. ‚der übrigen Saurier, sondern um zwei drei- eckige in der Mitte der Diaphyse gelegene und mit den abgerundeten Spitzen der Dreiecke mehr einander gegenübergestellte Knochenkerne, die zusammengenommen gerade so groß sind und gerade so aussehen, . wie der sanduhrförmige Knochenkern in J; u. y. Sollten diese Kno- chenkerne, wie HOFFMANN will, Carpalien entsprechen, so bliebe ja nur ein halbes Metacarpale übrig mit einem Knochenkern halb so groß, wie der der randständigen Knochen gleicher Art! — Unten werde ich einen speciellen Fall anführen (Fig. S), wo die Basis eines Metacarpale (7,) wirklich mit seinem Carpale (5) verwachsen ist, da sieht die Sache ganz anders aus; dort bildet das Carpale einen besonderen Fortsatz am -Metacarpale, der auch in der That seinen besonderen Verkalkungskern besitzt. Nach Horrmann hätte hier ein Metacarpale zwei Carpalien in sich einbezogen ! — Nun kommt noch hinzu die mir ganz ungewöhnlich erscheinende Form und Lagerung, die HorrmMann seinen Knochen- kernen giebt: besitzen denn die Metacarpalien (und Metatarsalien) von Chamaeteo nicht einen periostalen Mantel, wie alle kurzen Röhren- knochen? Reicht der primäre Markraum, der sich im Innern des Meta- carpale bildet, nicht, wie sonst überall, unter Aufzehrung des Knorpels bis an diesen heran? Das sind Fragen, die ich nicht beantworten kann, da mir keine jungen Chamaeleonten zur Verfügung standen, die sich aber der Horrmann’schen Figur gegenüber sehr gewichtig aufdriingen. Eines will ich zuletzt noch hervorheben: ich weiß aus eigener viel- facher Erfahrung, dass es auch nach der stärksten Pressung des Carpus und Tarsus nicht möglich ist, alle Metacarpalien oder Meta- tarsalien mit einem Schnitte gleichmäßig central in ihrer ganzen Länge zu treffen; so vollständig lässt sich die Opposition der beiden Hälften der Hand und des Fußes niemals aufheben. Wenn man, wie in dem Längsschnitt, dem Horrmann’s Figur 17 zu Grunde liegt, die randständigen beiden Metacarpalien central getroffen hat, so ist es äußerst wahrscheinlich, dass die mittleren drei nur oberflächlich angeschnitten sind, sollte dieser Umstand nicht vielleicht die doppel- ten Knochenkerne erklären? — In Fig. 48 ist vielleicht nur Meta- 74 G. Born tarsale wirklich central getroffen und die iibrigen vier Metatarsalien sind alle nicht genau central angeschnitten, jedenfalls ist Horr- MANN auch bei Metatarsale, im Zweifel gewesen, denn er hat zwar einen einheitlichen sanduhrförmigen Knochenkern gezeichnet, die beiden dreieckigen Enden aber durch besondere gekrümmte Linien von dem Mittelstiicke abgegrenzt. — Meine eigenen, an 5 Carpen von Chamaeleon dilepis ausgeführten neuen Untersuchungen haben das für mich sehr überraschende Resultat gehabt, dass die älteren Autoren, welche bei Chamaeleon nur zwei Stücke in erster Reihe zählen, doch vielleicht genau beobachtet haben, unbeschadet der Rich- tigkeit der Angaben meiner ersten Arbeit und der damit überein- stimmenden von STECKER, BRÜHL und Horrmann. Bei drei von jenen fünf Carpen war nämlich das knorplige ce mit dem bis auf einen kleinen Knochenkern im unteren mittleren Abschnitte ebenfalls knorpligen r in der ganzen Aus- dehnung ihrer Berührungsflächen verschmolzen, doch so, dass das ce an letzterem einen ganz charakteristisch geform- ten Fortsatz bildete, wie Fig. 7 dies besser, als eine lange Be- schreibung, verständlich macht (man vergleiche hierzu Fig. 3 in No. 5 oder Fig. 2 auf Tafel II in No. 10). Im Innern besaß dieser Fort- satz eine besondere Stelle, in der die Knorpelzellen radiär gestellt, vergrößert, aufgehellt erschienen, alles Zeichen, dass hier die Anlage eines besondern Verkalkungs- und damit auch eines besondern Verknö- cherungskernes vorlag. In einem dieser drei Carpen fanden sich noch folgende Variationen. C, fehlte als besonderer Theil, augenschein- lich war es mit C,,,, das an seiner Stelle einen dieken knorpligen Anbau besaß, untrennbar verschmolzen; derselbe besaß auch eine besonders aufgehellte Stelle im Innern, C, dagegen, das sonst gegen sein Metacarpale entweder gelenkig oder wenigstens durch deutliche Bindesubstanz abgesetzt ist, war continuirlich knorplig mit der ihm zugewandten Seite der Basis von M7, verschmolzen, wie dies Fig. 8 Taf. I zeigt. Auch hier besaß dasselbe noch einen eigenen Ver- kalkungskern. In dem dritten Carpus endlich war C, zwar von Mor deutlich getrennt, dafür aber in der reichlichen proximalen Hälfte ihrer Berührungsflächen mit C,, knorplig verbunden, während distal- wärts beide noch ein Spalt trennte. In einem der beiden Carpi mit gesondertem c war die Verschmelzung des C, mit C4 eine voll- stindige geworden. Ich zweifle daher jetzt auch gar nicht daran, dass der von Cuvier, OWEN und nach diesen von GEGENBAUR be- schriebene Fall vorkommen mag, dass bei Chamaeleon nur zwei Nachtriige zu Carpus und Tarsus. 75 Knochen in erster Reihe gefunden werden und dass mit diesem ein ein- ziger großer Knochen in zweiter Reihe gelenkt, der sämmtliche Me- tacarpalien trägt, beträgt doch in der That die kleinste beobachtete Zahl von getrennten Carpalien 3 (mihi), die größte 8 (STECKER) ! — Es scheint mir aber auch hier wieder vom höchsten Interesse nach- zuweisen, wie die Ausbildung des für Chamaeleon charak- teristischen Carpus noch im vollen Flusse begriffen ist, eine Reihe von Variationen sind bei der doch immer noch recht beschränkten Zahl von untersuchten Individuen aufgefunden worden, die aufs deutlichste zeigen, wie von Formen aus, die an Zahl und Ancrdnung der Stücke sich noch direet an die übrigen Saurier an- schließen, durch Verschmelzung der Stücke immer mehr auf Ver- einfachung und damit auf Konsolidirung des Greiffußes hingestrebt wird, ein Ideal, das am Kletterfuß der Vögel in ganz ähnlicher Weise, auch durch kreisförmige Anordnung der Zehen auf einem Gelenkkopfe, der hier nur durch Verschmelzung der Metatarsalien gewonnen wird, in vollkommener Weise erreicht ist. ' Zum Tarsus von Chamaeleon. BRÜHL, der mit den meinigen ganz übereinstimmende Angaben über den Bau des Tarsus von Chamaeleon macht, meint in der Einleitung zu der Tafelerklirung (XXXII) »— Born gab ec. l. vorzugsweise nur eine richtige Schnittfigur —.« Das ist nicht wahr, ich habe auf Taf. I Fig. 6 No. 5 nur eine Dorsalansicht des Tarsus im Ganzen und gar keine Schnittfigur gegeben. STECKER hat meine Darstellung mit vollem Rechte dahin korrigirt, dass auch bei Chamaeleon die Basenbänder von 73, M7, und M, zum Kopfe des As existiren, ich habe mich davon an drei gut gelungenen Schnittserien durch Tarsen “von Chamaeleon dilepis vollständig überzeugt, freilich sehe ich die- selben, anders, als STECKER sie beschreibt und zeichnet (Fig. 9 B,, B,, B,). Damit wird aber der einzige Unterschied, den dasselbe im Bau des Tarsus von den übrigen Sauriern zeigte, noch vollends eliminirt und wie groß nun die Übereinstimmung ist, mag die Schnitt- figur 9 beweisen, an der ich mir folgende Kombinationen erlaubt habe: 7;, das auf diesem Schnitt schon sehr klein war, ist aus dem nächsten dorsalen, und das As T,, welches noch nicht vollständig erschien, aus dem einen der nächsten plantaren Schnitte eingezeichnet, der Meniskus, der auf diesem Schnitte herausgefallen (umgeschlagen war), ist nach einem andern eingetragen. — Der Knorpel desselben 76 G. Born liegt viel weiter plantarwärts, der Ansatz der Basenbänder ebenfalls. M, ist in seinem knöchernen Theile nicht ganz gelungen. Ich sehe nicht ein, wie es ohne eine derartige Kombination möglich ist, ein über- sichtliches Schnittbild vom Tarsus des Chamaeleon zu geben. In diesem Falle war 7, mit dem Ow verschmolzen, wenn auch mit be- sonderem Verkalkungskern, in den beiden andern erschien es geson- dert, die Trennung kommt also auch bei Chamaeleo dilepis vor. Hätte STECKER in Bezug auf das Verhalten von 7, nicht nur meine Figur berücksichtigt, in der bei den dorsal klaffenden Gelenken die richtige Aneinanderlagerung der Theile nicht ohne Weiteres verständ- lich ist, sondern auch den Text, so würde er sich pag. 23 von der vierten Zeile an überzeugt haben, dass ich darüber schon ganz ge- nau dieselbe Angabe gemacht habe, wie er, es heißt dort: »An diesen« (nämlich an 73) »legen sich der übrige Theil der Basis von Mi, My und die dorsale Hälfte der Basis des 7, an« also fast dieselben Worte, wie bei STECKER pag. 9 Zeile 7! — Über den zweiten Knorpelkern im Meniskus, den STECKER beschreibt, übrigens aber in Figur 3 Tafel II nicht abbildet, kann ich nichts aussagen, da ich nur den einen Knorpel in der plantaren Hälfte des Meniskus gefunden habe, der sich genau eben so verhält, wie bei den Askalo- boten und den übrigen Crassilinguiern; auch Fig. 9 StECKEr's hat mich über diesen Punkt nicht recht aufgeklärt. Das kleine Knorpel- chen, welches STECKER als 7, deuten will (Fig. 4 von einem jun- gen Individuum von Chamaeleo senegalensis), stimmt wohl vollkom- men mit dem von derselben Stelle und unter denselben Verhältnissen (die distale Hälfte von T, verknöchert) bei Phrynosoma von CALORI und mir (Fig. 6) abgebildeten Knorpel. Ich sehe mich demnach gar nicht veranlasst, meinen Satz, dass der Tarsus von Chamaeleo dem der übrigen Saurier im Wesentlichen gleicht, irgend wie abzuändern. Gegen die Auffassung STECKERSs, dass »die Form des Tarsus bei den Askaloboten, Leguanen und Lacerten, nicht als die normale, sondern als eine von dem regelmäßigen Typus mehr oder weniger abweichende« anzusehen ist, während der Chamaeleontentarsus der typische sei, muss ich doch das sehr gewichtige Bedenken erheben, dass damit eine einzelne Tarsusform, die zwar den übrigen ähnlich, aber offenbar zu einem ganz speciellen Zwecke (Greiffuß) angepasst ist, zum Ausgangspunkte genommen wird. Die Horrmann’sche Deutung wird wieder von den doppelten Knochenkernen in den Metatarsalien beherrscht; dem Gesagten zufolge kann ich dieselbe, so entschieden sie auftritt, doch nicht im mindesten für berechtigt anerkennen. Das Cuboid nennt Horrmann Centrale, das 7; Nachtriige zu Carpus und Tarsus. ; 77 T,, die vier fibula- ren Tarsalien sollen mit den Metatarsalien verschmolzen sein; aus den vorher gegebenen Daten wird wohl ohne Weiteres einzusehen sein, warum ich dieser Auffassung entgegentreten muss. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Breslau. 25./8. 1879. eo» Erklärung der Abbildungen. Neer Tafel I. F Fibula, — f fibulare, T Tibia, — ¢ tibiale, Asf Astragalo-fibulare, Mı-—v die fünf Metatarsalien oder Metacarpalien von der inneren Seite her gezählt, Tı-3 die innern drei Tarsalien der zweiten Reihe. Cu Cuboid, m Meniskus, Ta Tarsale der sechsten Zehe, a Metatarsale derselben, «3 und a3 Phalangen, R Radius, — r radiale, U Ulna, — x ulnare, ¢ Intermedium, — ce centrale, ; i—5 die Carpalien der zweiten Reihe. Grau sind überall die Bänder und Markräume, blau der Hyalinknorpel und schwarz die Knochen gehalten. Die innere Hälfte eines Schnittes durch den. Tarsus einer sehr alten Hyla arborea. Der zweite Schnitt plantarwärts von diesem; beide 12 Mal vergr. Die innere Hälfte eines Schnittes durch den Tarsus einer einjährigen Phryne vulgaris, 29 Mal vergr. Schnitt durch den Tarsus von Bombinator igneus, a und a2 aus einem mehr plantaren Schnitte ergänzt. Schnitt durch den Carpus einer vierbeinigen Larve von Alytes ob- stetricans. Schnitt durch den Tarsus von Phrynosoma orbiculare, m aus einem mehr plantaren Schnitte ergänzt. Schnitt durch den Carpus eines Chamaeleo dilepis. Aus einem Schnitt durch einen andern Carpus von Chamaeleo dilepis. Kombinirtes Schnittbild des Tarsus von Chamaeleo dilepis. Näheres im Text. Fig. 4—9 sind eirca 12 Mal vergrößert. to or —ı 13. 14, or Verzeichnis der im Text angefiihrten Litteratur. 2 Calori, L. Sulla Scheletrographia de 'Saurii. Bologna. 1858. (Nota I bis VIII 57—61.) Gegenbaur, C. Untersuchungen über vergl. Anatomie der Wirbelthiere. Erstes Heft. Carpus und Tarsus. Leipzig 1864, Gegenbaur, C. Zur Morphologie der Gliedmaßen der Wirbelthiere. Morphol. Jahrb. II. Heft 3. pag. 396. Born, G. Über die sechste Zehe der Anuren. Morphol. Jahrb. Bd. I. Heft 3. pag. 435. Born, G. Zum Carpus und Tarsus der Saurier. Morphol. Jahrb. Bad. II. Heft 1. pag. 1. Born, G. Uber das Skelett des Fersenhöckers von Rana fusca und Rana arvalis, vorgetragen in der Sitzung der naturwissenschaftlichen Sektion der schlesischen Gesellschaft fiir vaterliindische Kultur vom 2. Juli 1879. Leydig, Fr. Uber den Bau der Zehen bei Batrachiern und die Bedeu- tung des Fersenhöckers. Morphol. Jahrb. Bd. II. Heft 2. pag. 165. Leydig, Fr. Die anuren Batrachier der deutschen Fauna. Bonn 1877. Brühl, C. B. Zootomie aller Thierklassen. Atlas. Lief. 6, 7. 8. Wien 1876. Stecker, A. Zur Kenntnis des Carpus und Tarsus bei Chamaeleon. LXXV. Band der Sitzungsberichte der kais. Ak. der Wissensch. zu Wien 1, Abth. Jan.-Heft. Jahrg. 1877. Thacher, J. K. Median and paired fins etc. from the Transactions of the Connecticut Acad. Vol. III. 1877. Wiedersheim, R. Die iiltesten Formen des Carpus und Tarsus der heutigen Amphibien. Hoffmann, C. K. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. Sep.-Abdr. aus dem Niederländischen Archiv für Zool. B. IV. Hoffmann, C. K. Amphibien in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs VI. 2. "Morphol, Jahrbuch Bd. V1. lott >}. Born del Verlaö v Wilh.Engelmann, Leipz | ‚3.6. Bach, Leipz Der feinere Bau der Seeigelzihne. Von Wilhelm Giesbrecht. (Aus dem zoologischen Institut zu Kiel.) Mit Tafel II—YV. Zur Orientirung an dem Objekt der Untersuchung diene Folgendes: Das Ende der Zähne, welches aus der Buccalmembran hervor- ragt und von dem Thiere zum Kauen benutzt wird, heiße das Kau- ende (Taf. II Fig. 1, Taf. V Fig. 67, 68 X—E), das entgegen- gesetzte das Wurzelende (Taf. II Fig. 1, Taf. V Fig. 68 W—E£) (VALENTIN: plume dentaire). Wir nennen mit VALENTIN! die Längs- leiste, welche an der dem Darm zugewendeten Seite des Zahnes hinzieht, die Carina (Taf. II Fig. 1, 2, Taf. V Fig. 67, 68 C) und stellen derselben als dem accessorischen Theile, der seine Form bei verschiedenen Arten wechselt und am Wurzelende des Zahnes gänz- lich fehlt, die übrige Masse des Zahnes als Zahnkörper (Taf. II Fig. 1, 2, Taf. V Fig. 67, 68 Z—k) gegenüber. An dem Zahn- körper lassen sich ein medialer (Taf. II Fig. 2 M—K) und zwei laterale (Taf. I Fig. 2 Z— X) Theile (VALENTIN: ailes) unter- scheiden. Der Zahn ist nun so in die Pyramide eingebettet (Taf. II Hig und 2), dass die distale? konvexe Fläche des Zahnkörpers, 218 1} ij i G. VALENTIN. Anatomie du genre Echinus. 1841. (Erste Mon@graphie der von L. Acassiz veröffentlichten Monogr. d’Echinodermes viv. et foss.) 2 Die Ausdrücke distal und proximal sollen sich immer auf die orale Achse des ’ Thieres beziehen. 80 Wilhelm Giesbrecht wenigstens mit einem Theile, fest und unverriickbar! an derselben anliegt, während die proximale Seite des Körpers und die Carina frei in den Raum hineinragen (Taf. II Fig. 2), welchen die beiden Stücke, aus denen die Pyramide besteht?, umschließen. Zur Bezeich- nung der Schnitte und Schliffe durch Radiaten erscheinen die Termini passend, welche die Botaniker für Schnitte durch Stengel gebrauchen. Demnach sei ein Transversalschnitt derjenige, welcher den Zahn senkrecht zu seiner Längsachse trifft, ein Radialschnitt der, in welchem zugleich die orale (Längs-Haupt-)Achse des Thieres und die Längsachse des Zahnes liegen, und ein Tangentialschnitt der, welcher, parallel zur Längsachse des Zahnes, auf dem Radialschnitt senkrecht steht. Der histiologische Bau des Skelettes der Zähne ist durchaus verschieden von dem der Schale, der Stacheln, der übrigen Stücke der Laterne des Aristoteles etc. Alle diese Kalkgebilde bestehen aus nichts anderem, als aus einem Maschenwerk von Kalk (Taf. V Fig. 65) (VALENTIN: réseau calcaire), das nur in den Sta- cheln gewisser Arten, besonders aus der Gruppe der Echiniden, mannigfaltige und oft sehr zierliche Formen annimmt, überall sonst aber nur in Anordnung und Stärke der Kalkstäbchen variirt. Die Hohlräume, welche sich zwischen den Kalkstäbchen befinden, bilden ebenfalls ein Netzwerk, dessen Form sich von der des Kalknetzes nicht wesentlich unterscheidet; nur für gewöhnlich ist der Durch- messer der Hohlräume größer als der der Kalkstäbe. Dies Ver- hältnis kehrt sich indessen nicht selten um, und der Anblick eines Schliffes durch ein solches Kalkstück verführt leicht zu einer Ver- wechslung dessen, was Hohlraum und dessen, was mit Kalk er- füllt ist. Die Hohlräume können sogar, dadurch, dass die Kalkstäbe an Dicke immer mehr zunehmen, vollständig schwinden, wie dies an manchen Stellen der Pyramiden geschieht, so dass in der kom- ! Nuun, (Lehrbuch der vergl. Anat. 1878 p. 67) sagt: »Da die Pyramiden- stücke durch Muskeln in ihrer Stellung verändert werden können, das Gleiche auch für die Zähne gilt, die gegen einander bewegbar sind, so —«. — Die Zähne, an welchen keine Muskeln sich ansetzen, können durchaus keine andere Bewe- gungen ausführen, als die, welche die Pyramiden machen, da sie, wie bemerkt, fest mit„denselben verbunden sind, so.dass bei manchen Arten auch nach dem Kochen fin Kalilauge der Zahn nur mit Gewalt aus dieser Verbindung zu lö- sen ist. 2 H. Meyer, »Über die Laterne des Aristoteles« im Archiv für Anatomie und Physiologie von J. MÜLLER 1849. pag. 195. Der feinere Bau der Seeigelziihne. si pakten (in den Pyramiden übrigens außerordentlich harten) Kalk- substanz, nur verstreut einige vereinzelte Kanälchen übrig bleiben (Taf. V Fig. 66). (VALentry hat diese Kanälchen für Kalkstäbchen gehalten, eingestreut in eine sogenannte gelbe Substanz, die er von der Substanz der réseaux calcaires unterscheidet.) Sicherheit über die Natur eines Maschenwerks von zweifelhaftem Ansehen giebt die Betrachtung des Randes und vor Allem die Füllung mit Farbstoffen, z. B. mit Fuchsin (s. u.). Von diesen Kalknetzen nun findet sich in den Zähnen auch nicht die Spur. Die Elemente des Zahnskelettes sind vielmehr ein- mal dünne, meist gewölbte, über und zwischen einander geschobene Lamellen — Sehuppen — und beiderseits zugespitzte, von un- regelmäßigen Flächen begrenzte Nadeln — Prismen. Im Allge- meinen besteht der Zahnkörper aus den Schuppen, die Carina aus den Prismen. a. Echinoidea regularia. Wir gehen aus von dem Wurzelende. Dasselbe ist nach der Carinalseite zu gewöhnlich umgebogen (Taf. II Fig. 1), bei Podo- phora sogar in einer dichten Spirale aufgerollt. Die äußerste Spitze desselben besteht aus zwei convergirenden Rei- hen von auf einander liegenden Plättchen (Taf. II Fig. 3), die zunächst eine durchaus gleichförmige Struktur aufweisen (Taf. II Fig. 4, (mit zunehmender Größe aber einmal eine querdurchlaufende Linie (Taf. I Fig. 5 u. ff., 15—18) und dann eine koncentrische Streifung zeigen (Taf. I Fig. 15—18). Der Mittelpunkt dieser Streifung ist der zuerst gebildete, älteste Punkt des Plättchens — der Ansatzpunkt (Taf. H Fig. 5—18 a). Indess wird ganz so wie bei Muschelscha- len, nicht gleichmäßig im Kreise um den Ansatzpunkt der Kalk ab- gelagert, sondern nur nach einer Seite hin, so dass der Ansatzpunkt immer am Rande des Plättchens bleibt — wie auch der Umbo der Muschelschalen. Er ist auch der Ausgangspunkt jener querdurch- laufenden Linie. Dieselbe theilt das Plättchen in zwei Theile, welche mit einem Winkel von beinahe 180° an einander stoßen. Nicht bei allen Arten zeigt sich noch eine zweite schwächere, ebenfalls vom Ansatzpunkt ausgehende Linie (Taf. II Fig. 15, 16, 18 ac), die der Ausdruck einer zweiten Einknickung des Plättchens ist. Später, wenn sich die Plättehen mehr und mehr wölben, verschwinden diese Linien nach und nach (Taf. II Fig. 18). Morpholog. Jahrbuch. 6. 6 82 Wilhelm Giesbrecht Die Plättchen sind die erste Anlage der Zahnschuppen. Die beiden Schuppenreihen rücken nun einander immer näher, und die Schuppen schieben sich schließlich mit ihren stumpfen Enden zwischen einander (Taf. II Fig. 13), so dass mit niemals gestörter Regelmäßigkeit je eine Schuppe der einen Reihe mit einer der andern abwechselt. Die ursprünglich scharfen Ecken der Schuppen runden sich mehr und mehr ab (Taf. II Fig. S—12 u. 16, 18), während die Schuppe zunächst — mit der angegebenen Beschränkung — nach allen Seiten gleichmäßig zunimmt. Mit der Vergrößerung des Umfangs schreitet gleichzeitig auch das Dickenwachsthum der Schuppen fort. (Die Schuppen von Ech. esculentus erreichen eine Dieke von höchstens 0,00114 mm.) Bald aber geschieht das Wachsthum des Umfanges nur noch an dem freien Ende, während die in einander geschobenen Theile der Schuppen ihre Ausdehnung nicht weiter ändern. Dann haben die Schuppen die Gestalt und Lage bekommen, die sie im Wesentlichen beibehalten. Es sind flach gewölbte, längliche Kalklamellen mit einem stum- pfen, einem spitzeren Ende (Taf. II Fig. 18). Dieselben zeigen die schon von VALENTIN angeführte Eigenthümlichkeit, bei leisem Druck in überraschend regelmäßig geformte Stücke zu zerspringen, in Rhom- boide oder Rechtecke, die oft von genau geraden Linien begrenzt sind. Ein Schliff, der die Schuppen etwa senkrecht zu ihrer Fläche trifft, zeigt, dass sie nicht homogen sind; sie bestehen vielmehr aus zwei Lamellen, die durch eine Schicht getrennt sind, welche sich optisch anders verhält wie jene (Taf. III Fig. 34). Die Lage der Schuppen ist folgende: denkt man sich die Punkte 5 aller auf einander gelagerten Schuppen (Taf. II Fig.13) durch eine Linie verbunden, so erhält man die Medianlinie des ausgebildeten Zahnes. Mit dieser Medianlinie nun bilden die Schuppen sowohl in der Rich- tung ba als in de spitze Winkel (= etwa '/, R.), deren Scheitel dem Kauende zu liegen. Die Schuppen liegen ganz auf der dista- len, von der oralen Achse des Thieres abgewendeten Seite der Me- dianlinie und wenden ihre konkave Fläche sowohl der Medianlinie als dem Wurzelende zu. Sobald der Zahn also in die Pyramide eingetreten ist, so ist die Lage der Schuppen derartig, dass sie, dachziegelartig sich deckend, gegen die distale Seitenfläche und die Grundfläche der Pyramide hin, schräg abfallen. Jede Schuppe wird von der zunächst darüber liegenden jedoch nur so weit bedeckt, Der feinere Bau der Seeigelzähne. ; 83 dass noch ein schmaler Randsaum an der konvexen Körperfläche zu Tage liegt (Taf. I Fig. 13 ac). Die Punkte « bleiben also zunächst an der distalen Außenfläche des Zahnkörpers, und da die Schuppen nicht so weit zwischen einander geschoben sind, dass die beiden Reihen dieser Punkte @ sich erreichen, so bleibt zwischen diesen Reihen eine Furche übrig, die der Länge nach an der convexen Seite des Zahnkörpers hinzieht: Die Körperfurche (Taf. II Fig. 13 aa, Taf. II Fig. 2 A-F) (VALENTIN: sillon median). Dieser Lage gemäl) können wir das stumpfe Ende der Schup- pen (Taf. I Fig. 5—18 4) das mediale, das spitzere (Taf. II Fig. 5 bis 18 c) das laterale Ende nennen; ferner möge derjenige der bei- den längsten Schuppenränder, welcher eine gleichförmige ununter- brochene Kontur hat, der proximale Längsrand (dieselben Fig. be) heißen, während wir den gegenüberliegenden (in dem der Punkt a liegt) den distalen Längsrand (dieselben Fig. 4 ac) nennen wollen. Die nächste Differenzirung tritt an dem medialen Ende der Schuppen auf und zwar auf dessen konkaver Fläche. Dort zeigen sich eigenthümliche, geschlängelte Zeichnungen, herrührend von vielfach gewundenen Kalkbändern, die sich auf die Schuppen ab- gelagert haben, ohne mit ihnen zu verwachsen. Zuerst liegen diese Kalkbänder in derselben Ebene (Taf. II Fig. 8, 9, 17), dann aber schieben sie sich mehrfach über und durch einander, so dass besonders in der Nähe des Randes ein unauflösliches Ge- wirre von Linien entsteht (Taf. II Fig. 10—12 u. 18). Das Licht wird dort so vielfach gebrochen und reflektirt, dass die Stelle schwarz erscheint. — Diese sekundären Kalkablagerungen erstrecken sich nach zwei Richtungen hin: einmal gegen den distalen Längsrand hin, ohne ihn jedoch zu erreichen; in dieser Richtung haben sie eine breite lappige Form; dagegen zeigen sie eine immer schmäler und spitzer auslaufende Gestalt, je weiter man in der zweiten Rich- tung längs dem proximalen Längsrande fortschreitend, sich dem la- teralen Ende der Schuppen nähert (Taf. II Fig. 14 u. 18). An ihrer proximalen Längskante erfährt die Schuppe zu der- selben Zeit eine neue Veränderung ihrer Gestalt. Unter einem Win- kel von etwa 90° setzt sich hier ein Fortsatz an. nicht lose aufla- gernd wie jene oben besprochenen Gebilde, sondern fest mit der Schuppe verbunden, als ihre unmittelbare Fortsetzung, zunächst eben so dünn wie sie, mit derselben parallelen Anwachsstreifung (Taf. II Fig. 10, 11, 12, 14, 19—21, Taf. III Fig. 28—30 S-F). 6* 84 Wilhelm Giesbrecht Die eben beschriebenen, bänder- und lappenförmigen sekun- dären Kalkablagerungen auf der konkaven Fläche der Schup- pen bilden die Grundlage, aus der ein nunmehr zu beschreibendes wichtiges Element des Zahnskelettes herauswächst. Während diese Kalkablagerungen nämlich sich über die konkave Fläche der Schup- pen verbreiten, wachsen diejenigen von ihnen, welche sich längs dem Schuppenrande hinziehen (und zwar zuerst die am medialen Ende gelegenen) in ganz außerordentlich feine, runde Nadeln aus (Taf. II Fig. 12 und 14 Pr). Diese Nadeln biegen sich an ihrer Ansatzstelle in der Art um, dass sie mit der konkaven Fläche der Schuppe einen ungefähr rechten Winkel bilden. Da nun die Schup- pen mit der Medianlinie einen Winkel von ungefähr 45° machen, so theilt die Medianlinie den rechten Winkel zwischen Schuppen und Nadeln in zwei ungefähr gleiche Theile (Taf. IV Fig. 46). Indem die Nadeln sich verlängern und verdicken, werden sie zu den Prismen, dem Hauptbestandtheile der Carina. Anfangs sind die Prismen so fein und dicht gedrängt, dass sie wenigstens an dem medialen Theile der Schuppen fast ebenso we- nig auflösbar sind, wie das Kalkgeflecht, aus dem sie hervor- treten. Das Wachsthum der Prismen schreitet im Allgemeinen in der Radialebene fort, wesshalb Radialschliffe am besten geeignet sind, die Wachsthumsrichtung zu zeigen (Taf. IV Fig. 46). Dieselbe zeigt bei den einzelnen Arten nicht erhebliche aber konstante Verschie- denheiten. Bei allen Arten aber machen diejenigen Prismen, die am medialen Theile der Schuppen entstehen, nicht lange nach ihrer Entstehung eine Beugung in der Radialebene, durch welche sie von der Medianlinie sich entfernen. Dadurch aber heben sie sich aus dem Körper des Zahnes heraus und verursachen die Bildung einer Leiste, die sich der Länge nach an der proximalen Fläche des Zahn- körpers hinzieht — diese Leiste ist die erste Anlage der Carina. Außer diesen Prismen, welche den mittleren Theil der Carina ausmachen, betheiligen sich an der Bildung der Carina noch jene oben beschriebenen Fortsätze der Schuppen, welche sich an der proxima- len Längswand der Schuppen unter einem etwa rechten Winkel an- setzten, und zwar in folgender Weise: Der der Medianlinie zunächst liegende Theil dieser Fortsätze wächst lang aus (Taf. II Fig. 14, 19—21, Taf. IV Fig. 28—30 O-S-F), verdickt sich am Ende und macht eine leichte Beugung lateralwärts. So erreichen diese Fortsätze zu beiden Seiten die her- Der feinere Bau der Seeigelziihne. S5 vorstehenden Prismen, legen sich an dieselben an und bilden die Sei- tentheile der Carina. Das laterale Stück der Schuppenfortsätze (die- selben Fig. X-S-F), welches nicht so lang hervorwächst, bleibt ganz im Zahnkörper. An jedem Schuppenfortsatz lässt sich dem- nach ein Carinal- (C-S-F) und ein Körperstück (K-S-F) unter- scheiden. Außer dieser Krümmung der Prismen, durch welche die Carina entsteht, beobachtet man noch andere bei jeder Art regelmäßig wie- derkehrende Beugungen in der Radialebene und am carinalen Ende oft noch unregelmäßige Krümmungen in verschiedenen Ebenen. Die Diekenzunahme der Prismen ist eine sehr allmähliche; erst kurz vor ihrem Ende erreichen sie den größten Durchmesser und spitzen sich dann nochmals schnell zu (Taf. III Fig. 22, 23). Ihre Begrenzungsflächen sind durchaus unregelmäßig; Kanten verlieren sich, andere Kanten treten auf und winden sich oft um die Prismen herum. Ein Querschnitt durch die Prismen zeigt in Folge davon unregelmäßige Polygone (Taf. II Fig. 32, 42, Taf. IV Fig. 43). Wie die beiden Kalklamellen, aus denen jede Schuppe besteht, durch eine ein anderes optisches Verhalten zeigende Zwischenschicht getrennt sind, so zeigt sich auch an Querschliffen durch die Prismen in denselben ein Achsencylinder, der das Licht anders durchlässt als seine Umgebung (Taf. III Fig. 32, 42 A-C). Während jedoch jene Zwischenschicht in den Schuppen sich niemals mit Fuchsin tingirt, bemerkt man, bei hinreichend langer Behandlung mit Fuchsin, je- desmal eine ganz schwache Röthung der Achsencylinder der Pris- men (Taf. III Fig. 42 A-C). Trotz dieser geringen Verschieden- heit im Verhalten gegen Fuchsinlösung scheint es, dass jene Zwischen- schicht und die Achsencylinder gleiche Entstehung und gleiche Beschaffenheit haben. Behandelt man nämlich sehr dünne Schliffe mit einer schwachen Säure, so sieht man weder von der Schicht noch von dem Achsencylinder etwas übrig bleiben. Dazu kommt, dass wenn der Schliff nur dünn genug ist, das optische Verhalten der Zwischenschicht nicht zu unterscheiden ist von dem von Bruch- spalten, welche beim Schleifen in den Schuppen zu entstehen pfle- gen. Daraus lässt sich wohl schließen, dass die Zwischenschicht wie die Achseneylinder sehr enge Hohlräume sind, entstanden da- durch, dass bei der von zwei Seiten her stattfindenden (Schuppen) oder peripherischen (Prismen) Kalkanlagerung, die zuerst ausgeschie- denen Kalktheile sich nicht ganz solid vereinigten, — doch immer- hin so fest sich an einander legend, dass Schuppenstücke von selber > 86 Wilhelm Giesbrecht niemals in die beiden Lamellen zerfallen. Querschnitte durch die Carina zeigen an den Prismen eine schwache Streifung senkrecht zur Radialebene (Taf. III Fig. 32, 42, Taf. IV Fig. 43). Die Regelmäßigkeit der Gestalt, wie die Prismen des medialen Theiles sie in gewisser Hinsicht noch zeigen, geht mehr und mehr ver- loren, wenn man gegen das laterale Ende der Schuppen fortschrei- tet. Die Prismen, die dort in dem Winkel entstehen, welchen jede Schuppe mit ihrem Fortsatze bildet, sind unregelmäßig gekrümmt, durch einander geschlungen, verästelt und außerdem kürzer und dünner als die Carinalprismen (Taf. II Fig. 19, Taf. III Fig. 31 L-Pr). Sie betheiligen sich an der Bildung der Carina nicht, son- dern sie machen zusammen mit den Körperstücken der Schuppen- fortsätze, zwischen denen sie liegen, die proximale Hälfte der late- ralen Theile des Zahnkörpers aus, welche zu beiden Seiten an die Carina grenzen. Wir gehen zu einer neuen Bildung an den Schuppen über, die an dem distalen Längsrande derselben auftritt. Es war oben ge- sagt, dass die distalen Ränder der Schuppen sich nicht ganz decken, sondern dass ein schmaler Saum von jeder Schuppe frei bleibt; dieser frei bleibende Saum gehört natürlich der konvexen Schup- penfläche an. Auf dem mehr lateral gelegenen Ende dieses Sau- mes nun entstehen kleine, unregelmäßig vertheilte, warzenför- mige Erhöhungen (Taf III Fig. 24, 25 W-Z). Dies geschieht etwa zu derselben Zeit, wo die am proximalen Rande entstandenen Schuppenfortsätze bereits ihren Ausläufer zur seitlichen Deckung der Carinalprismen vorgestreckt haben. Diese Warzen nun wachsen zu Zapfen aus (Taf. III Fig. 35, 36 Z); es bilden sich Brücken, manchmal zwischen Zapfen derselben, fast regelmäßig zwischen de- nen der benachbarten Schuppen (Taf. III Fig. 37, 40, Taf. IV Fig. 45). Bald aber, nachdem die Zapfen eine gewisse Höhe und Dicke erreicht haben, verändern sie sich weiter nicht. Diese Zapfen sind fest mit den Schuppen verbunden; brechen sie ab, so entsteht eine rissige Bruchfliche. Da die Zapfen auf den frei gebliebenen Säumen der konvexen Schuppenflächen entstehen, so müssen sie sich an der Bildung der distalen Oberfläche des Zahnkörpers betheiligen ; und zwar nehmen sie auf beiden Seiten der Zahnkörperfläche je einen Streifen ein, der zwischen den lateralen Rändern und dem mittleren Theile der Fläche sich befindet (Taf. V Fig. 69— 83 2). Schon mit bloßen Augen kann man diese Streifen gewöhnlich er- kennen, da sie zufolge der Unebenheit ihrer Oberfläche matt er- Der feinere Bau der Seeigelziihne. S7 scheinen und dadurch von den angrenzenden glänzenden Theilen der Zahnfläche abstechen. — Wo die Zapfen hervorwachsen, legt sich der Zahn am engsten an die Pyramide an (Taf. II Fig. 2 Z); einen unmittelbaren Übergang aber der Zapfen in die Stäbchen des Kalk- gewebes der Pyramiden habe ich selbst bei den Arten nicht finden können, deren Zähne nur mit Anwendung großer Gewalt aus den Pyramiden zu lösen sind. Die Gestalt und Lage der Zapfen ist bei allen regulären und irregulären Echinoiden fast dieselbe (Taf. V Fig. 69—S3). Alle bisher besprochenen Theile liegen bis zu einer gewissen Entfernung vom Wurzelende lose in einander geschichtet. Es ist selbstverständlich, dass der Dienst, welchen der ausgebildete Zahn dem Thiere zu leisten hat, eine feste Verbindung der Zahnelemente erheischt. Diese Verbindung nun beginnt bereits, ehe die Prismen noch ihre volle Länge erreicht haben, ist da vollendet, wo der Zahn aus der Pyramide heraustritt, und geschieht auf zweierlei Weise, durch eine äußere und innere Kalkablagerung. Sobald die Verkittung der Zahnelemente eintritt, lässt sich die so lange angewandte Untersuchungsmethode des Zergliederns mit der Präparirnadel nicht mehr anwenden. Die Untersuchung des Skelettes des Kauendes stützt sich fast allein auf die Betrachtung von dünnen Schliffen. Aber auch durch das lose zusammenhängende Wurzel- ende lassen sich Schliffe anfertigen und sie sind zur sicheren Orien- tirung über die Lage und zur Erkenntnis des feineren Baues der einzelnen Theile unentbehrlich. Der (Taf. HI Fig. 33) gezeichnete Transversalschliff durch die Zahnwurzel eines Echinus esculentus bestätigt die vorher gemachten Angaben über die Lage der Zahnelemente. Die Schuppen (Sch) der beiden Seiten, mit verschiedenen Farben gezeichnet, schieben sich in der Mediangegend zwischen einander. Seitwärts senden sie ihre Fortsätze ab, deren am weitesten hervorragenden Stücke (C-S-F) bestimmt sind, die Lateraltheile der Carina zu bilden. Die Prismen der Carina (C-Pr) sind an ihrem Grunde fast parallel mit ihrer Längsachse, dann schräg, endlich fast senkrecht dazu getroffen ; der Grund liegt in der oben beschriebenen Wachsthumsrichtung der Pris- men. Der nächstfolgende Transversalschliff (Taf. III Fig. 35) zeigt die Carina weiter fortgeschritten; die Prismen sind dicker geworden und die am Ende verdickten Enden der Schuppenfortsätze (C-S-F) haben sich an die Seiten der Carina angelegt. Auch die Bildung der Zäpfchen (Z) auf der distalen Fläche des Zahnkörpers hat begonnen. 88 Wilhelm Giesbrecht Die lateralen Stücke der Schuppenfortsätze (A-S-F) zeigen ein unregelmäßiges Wachsthum; zwischen ihnen liegen die noch sehr dünnen seitlichen Prismen (L-Pr’. Die Verbindung der Zahnelemente unter einander im Innern des Zahnes geschieht durch rundliche, ungleich große und verschie- den geformte Kalkscheibehen, welche sich zwischen den be- nachbarten Schuppen und Prismen ablagern. Man sieht an zwei gegenüberliegenden Punkten zweier an einander stoßenden Schuppen warzenförmige Erhöhungen entstehen (Taf. III Fig. 39 W-—S); diese wachsen einander entgegen, bis sie sich erreichen und vereinigen sich (Taf. HI 39 8). Aus dieser Art der Entstehung der Scheibchen erklärt sich, dass ihre Grundflächen, mit denen sie ansitzen, einen größeren Umfang haben, als der in der Mitte zwischen denselben liegende Theil. Die Verbindung der Scheiben mit den Schuppen und Prismen ist weder eine so lose, wie die der Kalkablagerungen, aus denen die Prismen hervorgehen, noch eine so feste wie die der Zapfen: Bei der Trennung zweier durch die Scheiben verbundenen Prismen oder Schuppen hat man einen merkbaren Widerstand zu überwinden, doch bleibt die Bruchfläche glatt; es bleiben dabei Grup- pen von Scheiben in unregelmäßiger Vertheilung an beiden getrenn- ten Stücken hängen (Taf. III Fig. 26 S) ; manche solcher Gruppen lösen sich auch vollständig los und an diesen bemerkt man, dass in den Zwischenräumen, durch welche die Scheiben von einander ge- trennt bleiben, sich eine dünne, durchsichtige Membran befindet, welche die Scheiben zusammenhält (Taf. III Fig. 27). Zuerst werden die Schuppen an einander befestigt, dann die Theile der Carinalprismen, welche etwa auf der Grenze zwischen Carina und Körper liegen. Deren Verkittung schreitet dann gegen den proximalen Rand der Carina fort (Taf. IV Fig. 43). Zu glei- cher Zeit wachsen die im lateralen Theile der Schuppen entstande- nen Prismen in der oben angegebenen Weise aus und werden mit den Schuppenfortsätzen und unter sich durch die Scheiben verbun- den (Taf. IH Fig. 37). In der Nähe ihres Ursprunges, in der Mitte des Zahnkörpers werden an die Prismen keine Schei- ben angelagert. Die Kalkanlagerung von der Oberfläche des Zahnes her beginnt fast gleichzeitig mit der Bildung der Scheiben zwischen den Zahnelementen und schreitet mit ihr fort. Zuerst wird besonders in der Gegend der longitudinalen Kérperfurche Kalk an die äußeren, konvexen Flächen der Schuppen angelagert, so dass die Schuppen "Der feinere Bau der Seeigelzähne. sg auf Transversal-Schliffen am Ende unregelmäßig keulenförmig ver- diekt erscheinen (Taf. II Fig. 39). Von der Furche ab wird nach beiden Seiten hin die Kalkanlagerung etwas schwächer und schwillt kurz vor Beginn der Zapfen stärker an (Taf. IV Fig. 44). Hier- durch entsteht auf Transversal-Schliffen eine winklige Ausbuchtung (Taf. V Fig. 72, 74, 77—80) und an der distalen Fläche des Zahn- körpers eine schwache Längsleiste. An der Stelle, wo die Zapfen hervorkommen, findet keine Kalk- anlagerung statt (Taf. IV Fig. 44, 45). Dieselbe beginnt erst wie- der an den lateralen Flächen des Zahnkörpers (Taf. IV Fig. 45 K-A), ist dort stark, nimmt gegen die Carina hin ab, überzieht auch in dünnerer Schicht die Seitenflächen der Carina, und ver- schwindet fast ganz an der proximalen Fläche der Carina (Taf. V Fig. 80). Wo die Kalkanlagerung den Zahn überzieht, erscheint derselbe glänzend. Sobald die Kalkanlagerung an den lateralen Theilen des Kör- pers beginnt, hört das Wachsthum der Schuppen in der Richtung ihrer größten Ausdehnung, welches eine Verbreiterung des Zahnkör- pers so lange bewirkte, natürlich auf. Bis dahin aber findet das- selbe statt; zuletzt jedoch nicht mehr in jener regelmäßigen, durch parallele Anwachsstreifung sich kund gebenden Weise. Die latera- len Ränder der Schuppen und besonders der Schuppenfortsätze näm- lich wachsen nur noch an einzelnen Stellen weiter, so dass sie in Fransen auslaufen. Diese Kalkfransen bilden nun, vor dem Beginn der Kalkanlagerung, als ein krauses Gewirr von verschlungenen Fasern, die lateralen Theile des Zahnkörpers (Taf. III Fig. 37, Taf. IV Fig. 45 Sch-Fr und S-F-Fr); auf ihnen findet dann die Kalk- anlagerung statt. Der angelagerte Kalk zeigt eine parallele Anwachsstreifung und ist überall von Kanälen durchbohrt (Taf. IV Fig. 44 X). Diese Kanäle sind Ausläufer eines vielfach verzweigten Kanal- systems, welches den ganzen Zahn nunmehr durchsetzt. Zwischen den Scheiben nämlich, welche bis auf jene feine Membran isolirt sind, bleiben röhrenförmige Zwischenräume übrig, welche als ein unregelmäßig verzweigtes Kanalsystem sich zwischen Schuppen und Prismen verbreiten (Taf. III Fig. 41, 42, Taf. IV Fig. 43, 45 K). Das Lumen der Kanäle ist im Allgemeinen in der Nähe der Außenflächen des Zahnes größer als in den mittleren Thei- len, am größesten in der Nähe der Körperfurche, der proximalen 90 Wilhelm Giesbrecht Körperfläche und der Seitenflächen der Carina. Die feinsten Kanäle umgeben die Prismen der Carina. — Je weiter man in dem harten Theile des Zahnes gegen das Kauende vorgeht, desto mehr markirt sich auf Schliffen ein weißer durchsichtiger Streif (Taf. IV Fig. 47, Taf. V Fig. 80 S-7h), in welchem sich besonders auf dünnen Schliffen eine Streifung in der Richtung der Prismen zeigt. Dort nämlich, wo die Prismen aus dem Kalkgeflecht hervortreten, welches der konkaven Fläche der Schup- pen aufliegt, wo sie noch sehr fein sind und dicht gedrängt liegen, wo sich an sie, wie erwähnt, keine Scheiben ansetzen, dort werden sie nach und nach zu einer fast homogenen Masse vereinigt. Diese Masse ist am breitesten (in radialer Richtung), — erstreckt sich gegen die Carina hin am weitesten — im medianen Theil des Körpers; nach den lateralen Enden wird sie schmäler und weniger homogen. Aus dieser Lage und Gestalt ergiebt sich, dass sie das Kauende des Zahnkörpers der Länge nach als ein breites, in der Mitte nach der Carina hin verdicktes, nach der Kauspitze zu stär- ker werdendes Band durchzieht. Dies Band ist der härteste Theil des Zahnes und bleibt zuletzt als hervorragende Spitze noch übrig, nachdem die umgebenden Theile des Zahnes, beim Kauen bereits abgebröckelt sind (Taf. IV Fig. 47). Man hat nach Analogie der Säugethierzähne auch bei Seeigel- zähnen von Schmelz gesprochen und hat darunter wohl gewöhnlich den Kalk verstanden, welcher von außen her an das Kauende des Zahnes angelagert wird!. Diese Benennung erscheint ungerecht- fertigt, da sich die Kalkanlagerung weder durch besondere Härte auszeichnet, noch sonst eine specifische Eigenschaft mit dem Schmelz der Säugethierzähne gemein hat. Wohl könnte man mit größerem Rechte das eben erwähnte, die Mitte des Zahnkörpers durchziehende Band, das sich durch seine große Härte und seine fasrige Struktur dem Schmelz der Säugethierzähne viel ähnlicher erweist, mit diesem Namen belegen. Indessen ehe sich nicht wesentlichere genetische und physiologische Ähnlichkeiten finden, scheint es passender, für diesen physiologisch jedenfalls sehr wichtigen Theil der Echinoideen- zähne einen eigenen Namen zu gebrauchen und ihn etwa die pars petrosa, den Steintheil des Zahnes zu nennen. ! MEYER nennt die Zahnelemente überhaupt Schmelzfasern, und VALENTIN nennt einmal jene Kalkanlagerung an die distale Körperfläche eine emaillirte Be- kleidungssubstanz und sagt ferner, man könne auch die Fasern der äußeren Substanz (Schuppen, s. u.) nöthigenfalls für Schmelzfasern ansehen. Der teinere Bau der Seeigelzähne. 91 Die bisherigen Ausführungen bezogen sich, unbeschadet ihrer Allgemeingültigkeit für alle regulären Echinoideen, vorzugsweise auf Echinus esculentus und miliaris. Von diesem Typus zeigen die Zähne der andern Regularia, eine kleine Gruppe ausgenommen, nur geringe, aber durchaus konstante Abweichungen, wie sie durch die auf Tafel V gezeichneten Trans- versalschliffe zum Theil zum Ausdruck gebracht werden. Eine Gruppe aber — Cidaris, Diadema, Echinothrix — zeigt sich auffal- lend verschieden. An Stelle einer stark hervorstehenden Längs- leiste, der Carina, findet man an den Zähnen dieser Gruppe eine tiefe Längsrinne (Taf. V Fig. 81 —83). Der sich aufdrängende Gedanke, die Carina fehle hier wohl gänzlich, erweist sich bei der Analyse der Zähne als unrichtig — sie hat nur eine eigenthümlich modificirte Gestalt angenommen. Während nämlich die medial gelegenen Prismen bei den Zähnen der Andern am längsten aus- wachsen, bleiben sie hier die kürzesten und bilden den tiefst liegenden Theil der Rinne, während die lateralwärts gelegenen Pris- men die größte Länge erreichen und die Seitenflächen der Rinne auskleiden. Die so entstehende Rinne wird dadurch noch vertieft, dass die sehr lang gestreckten Schuppen derartig gewölbt und in einander gelegt sind, dass die Richtung ihres längsten Durchmessers sich etwas proximalwärts wendet. Die Abweichung von dem Bau der Zähne der andern regulären Seeigel ist also nicht so wesentlich, wie es zunächst scheint. Die Carina fehlt nicht, sondern man könnte eher sagen, sie habe sich in zwei seitliche Hälften getheilt, so dass mit Hilfe der lateralen Schuppenenden und der ebenfalls nicht mangelnden Schuppenfortsätze eine tief gefurchte Carina gebil- det wird (Taf. V Fig. 81). Auch hier nutzt sich diese gefurchte Carina zuerst ab und der Steintheil des Zahnes, der die nämliche Lage hat wie bei den andern (Taf. V Fig. $1), bleibt als der dauer- hafteste Theil zuletzt übrig. b. Clypeastridea. Die Untersuchung beschränkt sich auf einige Species aus der Familie der Clypeastridae. Wie sich die Pyramiden der irregulären Seeigel durch ihre flachere und unsymmetrische Form und die schon äußerlich sichtbare lose Zusammenfügung ihrer eigenthühmlich verzweigten Kalkmaschen (Taf. V Fig. 67), von denen der Regulären unterscheiden, so zeigen 92 Wilhelm Giesbrecht auch die Zähne selbst sogleich ins Auge fallende Abweichungen: Ihre Länge ist im Verhältnis zur Dicke sehr gering (Taf. V Fig. 68), das Wurzelende ragt nicht aus der Pyramide heraus (Taf. V Fig. 67), ist kurz und nicht umgebogen; die Lateraltheile des Zahnkörpers bilden keine flügelförmigen Fortsätze, sondern ein Transversalschliff hat die Form eines Keils (Taf. V Fig. 69—71). Wesentlichere Unterschiede und Ähnlichkeiten ergiebt die mi- kroskopische Untersuchung. Der Zahn der Clypeastridea besteht aus denselben Elementen wie der der Regularia — aus Schuppen (Taf.IV Fig. 49—58) und Prismen. Nur sind die ähnlich in einander geschichteten (Taf. IV Fig. 53, 56) Schuppen hier flacher gewölbt; sie sind ferner an dem medianwärts gelegenen Stücke des distalen, nach dem Wurzelende sehenden Randes, der auch hier die konvexe Körperfläche bildet, zerfasert (Taf. IV Fig. 55—58 Seh-Fr); an dem nicht zerfaserten Stück desselben Randes bilden sich (wie bei den Regulären zu bei- den Seiten der hier fehlenden Körperfurche), die Zäpfchen (Taf. IV Fig. 58 Z). Jene zerfaserten Schuppentheile, die sich später ver- ästeln, bilden im Verein mit den Zäpfehen ein Gewebe von Kalk- maschen, welches die distale Körperfläche bis gegen ihren lateralen Rand hin überzieht (Taf. V, Fig. 63 Z und Sch-Fr). Der geringen Länge der Zahnwurzel entspricht eine geringe Zahl der nicht ver- kitteten Schuppen. Da die Schuppen in der Richtung von ihrem medialen Ende zu ihrem lateralen wenig länger sind, als in der auf dieser senkrecht stehenden Richtung (Taf. IV Fig. 53, 56), so erklärt sich, dass der Körper nicht viel zu beiden Seiten der Carina hervorragt (Taf. V Fig. 69—71). Eine wesentliche Abweichung vom Bau der Zähne der Regulären zeigt sich in der Entstehung der Prismen. Dort wuchsen sie heraus aus einem Geflecht von Kalkplättchen und Kalkbändern, welches selbständig sich lose auf die konkave Fläche der Schuppen auflagerte; hier erheben sich auf dem medialen Rande der Schup- pen, fest (wie die Zapfen) mit denselben verbunden, warzenförmige Fortsätze (Taf. IV Fig. 54—56 A-B), welche in einem etwa rech- ten Winkel mit der konkaven Fläche der Schuppen auswachsen (Taf. IV Fig. 57, 58 Pr) und sich etwa in ein und derselben Ebene baumförmig verästeln zu immer feineren Zweigen (Taf. V Fig. 61, 62); die feinsten dieser Zweige wachsen eine Strecke gerade fort und verdicken sich dann zu Kalkstäbehen, die den Prismen der Regulären analog sind (Taf. IV Fig. 59). An der Stelle, wo die Der feinere Bau der Seeigelziihne. 93 Nadeln dicker werden, beugen sie sich proximalwärts von den Schup- pen ab (Taf. V Fig. 63 Pr), wodurch, wie auch bei den Regulären, die Carina als erhabene Leiste hervortritt. Die lateralen Enden des- selben Schuppenrandes, auf welchem die Prismen entstehen, zerthei- len sich in unregelmäßige, sich später verzweigende Fortsätze‘ (Taf. IV Fig. 58 $-F), die den Prismen etwa parallel, also auch unter 90° von den Schuppen abgehen. Diese Fortsätze entsprechen den Schuppenfortsätzen der Regulären auch darin, dass sie, län- ger ausgewachsen, die Lateraltheile der Carina bilden. Die Form der Prismen ist bei den einzelnen Species ziemlich verschieden. Verästelungen, welche bei den Regularia nur die la- teral im Körper gelegenen Prismen zeigten, beobachtet man hier in der ganzen Carina. Bei Laganum Bovanii und depressum sind die Prismen schwächer gekrümmt, als bei Laganum tonganense, wo sie sich in wirren Windungen durcheinander schlängeln. — Ein ganz eigenes Verhalten weisen die Prismen von Clypeaster seuti- formis auf. Nachdem die aus den verzweigten Kalkbäumchen ent- -standenen geraden Nadeln sich zu Prismen verdickt haben, verästeln sich diese Prismen nochmals zu feinen Nadeln, die sich wiederum zu Prismen verdicken u. s. f. (Taf. V Fig. 63). — Dieser Vorgang wiederholt sich bis zu 6 Malen; jedoch nur die ersten beiden Male mit völliger Regelmäßigkeit. Da nun auch bei den Irregulären der Steintheil der Zähne aus der Vereinigung der feinen Nadeln ent- steht, die zu den Prismen werden, so bilden sich in den Zähnen von Clypeaster scutiformis in radialer Richtung auf einander folgende weichere und härtere Schichten. Weil sich beim Kauen nun die weichen Schichten schneller abnutzen als die harten, so zeigt sich das Kauende von einer wellenförmigen Fläche begrenzt (auf Radial- schliffen von einer sägeförmigen Linie) (Taf. V Fig. 64), deren Wellenthäler die weichere, deren Wellenberge die härtere Substanz abschließen — eine offenbare Analogie zu den schmelzfaltigen Zähnen gewisser Säugethiere, und in derselben Weise physiologisch erhaltungsmäßig: durch den Gebrauch wird der Zahn scharf er- ‚halten. Außer den eben beschriebenen Prismen hat Clyp. se. noch an- ders geformte, die sich an den medialen Stücken der Schuppenrän- der befinden, an welchen die Prismen entstehen. Die feinen Nadeln nämlich, in welche sich die Kalkbiumchen verzweigen, verdicken sich dort nicht, sondern bekommen zahlreiche dünne Nebenäste, so dass sie das Ansehen von Besen erhalten (Taf. IV Fig. 60). 94 Wilhelm Giesbrecht Die Verbindung der Zahnelemente tritt sehr früh ein und ist eine ganz ähnliche wie bei den Regulären. Eine Kalkanla- gerung von außen findet besonders statt an den lateralen Enden des Körpers; bei Clypeaster scutiformis (weniger bei Echinoeyamus -pusillus) wird auch am Kauende an die proximale Fläche der Ca- rina eine dicke Kalkschicht angelagert, die nicht von Kanälen durch- bohrt wird und statt einer zum Rande parallelen Anwachsstreifung eine fasrige Streifung in radialer Richtung zeigt (Taf. V Fig. 64 K-A). Die innere Verkittung durch Kalkscheiben findet auch hier statt zwischen den Schuppen, Schuppenfortsätzen und den dickern Theilen der Prismem (Taf. V Fig. 63 8). Das Material, aus welchem der Seeigelzahn, wie auch das ganze Skelett der Echinodermen, aufgebaut ist, ist Caleiumcarbonat oder vielmehr eine eigenthümliche Mischung desselben mit organischer Substanz. Wenn der Zustand, in welchem sich das Caleiumearbonat in den Zähnen befindet, derselbe ist, wie in den Stacheln der Seeigel, so ist er nach den Untersuchungen von G. Rose! Arragonit. Befreit man einzelne Schuppen und Prismen durch Kalilösung von allen äußerlich anhängenden organischen Theilen und behandelt sie dann mit einer ganz schwachen Säure (Chromsäure, Essig, Holz- essig), so bleibt nach Auflösung des Kalkes jedesmal ein sehr dün- nes Häutchen zurück. Dies Häutchen, das keinerlei bestimmte Struk- tur zeigt, besteht vielleicht aus einer ähnlichen Masse wie das Con- chyolin der Chonchylienschalen. Nicht in allen Theilen des Zahnes ist die organische Substanz mit der unorganischen in gleichem Verhältnis gemischt. Behandelt man einen dünnen Transversalschliff mit einer Säure, so sieht man die Prismen und Schuppen geringeren — stärkern, länger dauern- den den Steintheil leisten. Die erstern werden fast ganz aufgelöst, von dem Steintheil bleibt mehr zurück. Nicht merklich von der Säure angegriffen wird der Inhalt der Kanäle. Der Steintheil scheint also wohl seine große Härte und Wider- standskraft beim Kauen einer stärkern Beimischung der organischen ! Gustav Rose: Die heteromorphen Zustände der kohlensauren Kalkerde Zweite Abtheilung II. Der feinere Bau der Seeigelziihne. 95 Substanz zu verdanken, die vielleicht eine ähnliche Zähigkeit und Elastieität besitzt wie das Chitin. Wenn man einen Zahn von Podophora atrata! vorsichtig in Chromsäure entkalkt, so ist das übrigbleibende organische Gerüst noch solid genug, um es in Transparentseife zu schneiden, mit Hämatoxylin oder Karmin zu färben und in Kanadabalsam einzu- schließen. Auch an diesen Schnitten sieht man, dass der an orga- nischer Substanz reichste Theil der Steintheil ist. Methoden der Untersuchung. 1) Zergliederung des Wurzelendes, so weit seine Elemente noch nicht verbunden sind. Das Zahnstück wird in verdünnter Kalilauge erhitzt; die Theile bleiben in ihrer Lage, so lange die Lösung nicht zu sehr siedet. Das so von allen anhängenden organischen Theilen befreite Zahnstück wird durch heißes aqu. dest. und Alk. abs. in Nelkenöl übertragen. Die Prä- paration geschieht bei eirca 25facher Vergrößerung mit zugespitzten Schweins- borsten. 2) Anfertigung von Dünnschliffen durch die harten Theile des Zahnes. Wenn es geeignet erscheint, entfernt man zuvor die anhängenden organischen Theile durch Kochen in Kalilauge, wäscht das Kali sorgfältig durch mehrmaliges Kochen in aqu. dest. aus und siedet zuletzt in Alk. abs. Dann wird der Zahn, der nicht vorher zu trocknen braucht, mit möglichst heißem, jedoch nicht brennendem Schellack umgeben, so dass man einen Cylinder von etwa 10 mm Durchmesser erbält, in dessen Mitte der Zahn fest eingebettet liegt, Nun zersägt man mit einer stets nass zu haltenden Laubsäge den Cylinder in eine Serie von möglichst dünnen Scheiben. Das Absplittern der Scheiben wird man vermeiden, wenn man die Säge schwach gegen den Cylinder drückt, so dass sie ihre konvexe Seite der abzusägenden Scheibe zuwendet. Die eine Seite der Scheiben schleift man mit dem Finger in Wasser auf einem gröberen Stein zunächst glatt ab und polirt sie dann auf einem lithographischen Schie- fer, ebenfalls im Wasser so lange, bis eine etwa 50fache Vergrößerung keine Risse mehr zeigt. Die polirte Fläche muss eine vollkommene Ebene sein, Beim Schleifen sind schnelle Bewegungen ohne Schaden, starkes Aufdrücken ist zu vermeiden. Man erhitzt hierauf einen Objektträger, bestreicht ihn in der Mitte schwach mit Schellack und setzt den Halbschliff mit der polirten Fläche da herauf. Ist der ganze aufgetragene Schellack flüssig geworden (Blasen sind möglichst zu vermeiden), so drückt man den Schliff mit einer heißen Nadel ge- gen die Glasfliiche. Man hat darauf zu achten, dass Glas und Schliff sich fest an einander legen und dass vor Allem zwischen ihnen keine Luft bleibt, deren Anwesenheit man sofort bemerkt, wenn man von der freien Seite des Objekt- trägers, an der Stelle, wo der Schliff aufsitzt, Licht in sein Auge reflektiren 1 Das Zahn-Skelett dieses Thieres scheint überhaupt einen stärkeren Ge- halt an organischer Substanz zu haben; und auch die Schale dieses Thieres wird ihre große Festigkeit diesem Umstande verdanken. 96 Wilhelm Giesbrecht lässt. Nun schleift man die andere Seite des Halbschliffes auf einem gröberen Steine ab, bis die gewünschte Durchsichtigkeit erreicht ist (der Schellack muss, gegen das Licht gehalten, ganz blass erscheinen), und polirt am besten, indem man nassen Schleifschlick mit der Fingerbeere verreibt. Einschluss in Kanada- balsam. Es ist dies die Methode des Schleifens, bei der man am schnellsten zu Schliffen gelangt, bei der die wenigsten Schliffe verloren gehen und bei der auch wohl die dünnsten Schliffe zu erreichen sind. Andererseits ist aber die gelbe Farbe des Schellacks oft störend, besonders wenn die Schliffe nicht sehr dünn sind und ein Diinnschliff, bloss in Kanadabalsam eingeschlossen, ist jeden- falls ein eleganteres Präparat: Man kocht den Halbschliff so lange in absolutem Alkohol, bis aller Schel- lack entfernt ist und lässt ihn völlig trocken werden. Dann lässt man auf einem erwärmten Objektträger ein kleines Krümchen harten Kanadabalsam zergehen und drückt den Halbschliff hinein, mit der polirten Fläche gegen das Glas. Durch fortgesetztes leichtes Erwärmen (der Kanadabalsam muss nie schäumen) bekommt der Kanadabalsam nach und nach die geeignete Härte. Es kommt viel darauf an, die richtige Härte genau zu treffen, denn sowohl wenn das Harz zu weich bleibt, als wenn es zu hart wird, schleift man den Schliff vom Glase weg; wenn nach völliger Abkühlung sich von selbst keine Risse zeigen, bei ganz geringem Druck mit einer Nadel aber sofort kleine Spalten auftreten, kann man aufhören zu erwärmen. Indessen ist der Kanadabalsam oft im In- nern noch zu weich, während er an der Oberfläche bereits genügend erhärtet ist; man hat daher möglichst wenig davon aufzutragen. Einem andern Miss- stande, dass nämlich der Kanadabalsam die Schleifsteine verschmiert, kann man durch häufiges Abbürsten mit Seife begegnen. Der größte Übelstand beim Schleifen in Kanadabalsam ist jedenfalls der, dass sehr viele Schliffe verloren gehen und man nur selten zugleich vollständige und dünne Schliffe erhält !. Schliffe auf Kalkgebilden, welche von Kanälen durchzogen sind, gewinnen an Deutlichkeit und Schönheit durch Imprägnation mit Fuchsin?. Nachdem man den Halbschliff von Schellack befreit hat, bringt man ihn in eine schwache al- koholische Fuchsinlösung, worin er wenigstens 24 Stunden bleibt. In dieser Zeit hat er sich mit der Lösung oberflächlich durchtriinkt. Man bringt ihn dann in aqu. dest., das man einige Mal erneut. Dadurch wird in den Kanälen des Schliffes das Fuchsin niedergeschlagen. Um die an der polirten Fläche hän- genden Fuchsinkrümel zu entfernen, führt man den Halbschliff auf dem Polir- schiefer ein, zwei Mal leise hin und her, lässt ihn trocknen und schleift ihn dünn, entweder in Schellack oder Kanadabalsam. Die eben beschriebene Methode des Schleifens und Tingirens ist mit gerin- gen Modifikationen auch anwendbar auf andere Theile des Seeigelskelettes, auf Rhizopoden- und Conchylienschalen und überhaupt wohl auf alle Kalkgebilde organischen Ursprungs. 1 C. SCHWAGER giebt in dem Handbuch der Paläontologie, herausgeg. von Karu A. ZırtEL, Bd. I, Liefr. I pag. 73, eine Methode für das Dünnschleifen von Rhizopodenschalen, bei der der Kanadabalsam nach meiner Erfahrung eine zu starke Verwendung findet. 2 Kart Möpgıus, Der Bau d. Eozoon canadense, pag. 178. Paläontogra- phica, Bd. XXV. 1878. Der feinere Bau der Seeigelzähne. 97 3) Diinnschliffe durch das nicht verkittete Wurzelende des Zahnes. Nachdem das Zahnstiick in der unter 1 angegebenen Weise von allen organischen Theilen befreit und in Alk. abs. gekocht ist, bringt man es noch feucht in Schellack, welchen man auf einem Stückchen steifen Papiers über einem Objektträger hat schmelzen lassen. Man bedeckt den Zahn nun noch mit etwas Schellack und kocht so lange, bis das Zahnstiick sich vollständig mit Schellack durchdrungen hat, lässt erkalten, entfernt das Papier mit heißem Wasser und umgiebt den Zahn mit Schellack. Man verfährt weiter, wie unter 2 angegeben. Hat man nun die Schliffe einerseits polirt, so lässt man sie sorgfältig austrocknen, trägt dann ein wenig Nelkenöl auf die polirte Fläche, verwischt dasselbe mit einem Pinsel und drückt den Schliff gegen einen vorher mit Alkohol gereinigten Objektträger. Es ist hierbei nicht zu fürchten, dass Luftblasen sich zwischen Glas und Schliff drängen, wohl aber erscheinen dort Wasserblasen, manchmal erst nach einiger Zeit, wenn der Schliff nicht gehörig ausgetrocknet war. Dadurch, dass das Nelkenöl den Schellack ober- flächlich löst, dann in kurzer Zeit wieder verdampft, wird der Schliff fest mit dem Glase verbunden!. Man schließt in Kanadabalsam ein, was ohne Gefahr für die Lage der Schlifftheile ist, da der Scheilack sich in Chloroform nicht löst. Das Schleifen in Kanadabalsam ist bei dem Wurzelende der Zähne und sonst etwa vorkommenden Kalkgebilden, die aus unzusammenhängenden Elementen bestehen, nicht anzuwenden. Geschichtliches. 1) Am Ende von H. Meyer’s Aufsatz über die Laterne des Ari- stoteles findet sich folgende Bemerkung: »In histologischer Bezie- hung wird der Zahn aus Schmelzfasern gebildet. welche in drei Ordnungen gelagert sind. Je eine Ordnung entspricht einem Seiten- theile der peripherischen Platte« (Lateraltheile des Zahnkörpers) »und die dritte der innern radialen Platte« (Carina) »des Zahnes. Die Fa- sern der drei Ordnungen unter sich parallel, konvergiren nach unten (gegen die Spitze der Laterne) und treffen in der Linie zusammen, in welcher die peripherische Platte sich mit der radialen vereinigt« (Medianlinie). Diese Beschreibung entspricht der thatsächlichen Anordnung der Bestandtheile des Zahnes. Die Verwechslung der Schuppen mit Fasern erklärt sich daraus, dass Schliffe in den meisten Fällen 1 Ich verdanke diese sehr brauchbare Verbesserung der Schleifmethode meinem Freunde stud. med. A. WIEBE, der sie fand, während er sich im hie- sigen zool. Inst. mit der Untersuchung von Seeigelstacheln beschäftigte. Morpholog. Jahrbuch. 6. 4 98 Wilhelm Giesbrecht (Radial- und Transversalschliffe immer) die Schuppen etwa senkrecht zu ihrer Fläche treffen. 2) Außer dieser kurzen Notiz findet sich Ausführlicheres über den Gegenstand der Abhandlung in der angeführten Monographie von G. VALENTIN pag. 69. Das Wesentliche davon ist Folgendes: Das Wurzelende (plume dentaire) wird als aus in einander ge- schobenen Schuppen (plaques arquées) bestehend, richtig erkannt. Die Entstehung der Carina wird dadurch erklärt, dass die Schuppen selbst sich in einem Bogen gegen die Mitte der Innenfläche erheben (s’elevent en are vers le milieu de la face interne). was mit obiger Darstellung nicht übereinstimmt. Die Ausführungen über die zwischen den Schuppen befindliche sekundäre Kalkablagerung, über deren Beziehung zu den Prismen, über die Anfänge der Prismen sind nicht recht klar. Es wird von einem tissu fibreux gesprochen, einer Zwischenlamelle angehörig, das einen grobfasrigen Bruch zeigt und dem auch die den Schuppen zu- kommende Tendenz, in rhomboidische Formen zu zerspringen, zu- geschrieben wird. Dass dieses Gewebe in Beziehung steht zu den »Fasern der innern Substanz« (Prismen), wird erkannt. Obwohl nun VALENTIN die Zahnfeder als aus Schuppen beste- hend beschreibt und behauptet, der Bau des harten Endes müsse dem des weichen analog sein (p. 67), so spricht er doch bei der Schilde- rung des Kauendes nur immer von Fasern. Außerdem erwähnt er irrthümlich auch das Vorkommen jener réseaux calcaires, aus welchen die übrigen Skeletttheile der Echinoideen bestehen; dieselben sollen auf Transversalschliffen sichtbar sein — wohl eine Verwechslung, mit den querdurchschnittenen Prismen, die am Grunde der Carina in der That jenen Kalknetzen ähnlich sind. Jene Fasern nun, aus welchen das Kauende bestehen soll, wer- den an Radialschliffen beschrieben: Am distalen Rande sieht man die »emaillirte Substanz« unter- brochen von einer Menge von doppelten Linien in Gestalt von Fa- sern (die äußere Kalkanlagerung, von Kanälen durchbohrt). Dann folgen die äußeren schrägen Fasern (die querdurchschnittenen Schup- pen) und hierauf die eigentlichen inneren Zahnfasern (Prismen). So soll nach VALENTIN der harte Theil des Zahnes aus zwei fasrigen Substanzen bestehen, einer äußern und einer innern, und ferner aus einer bekleidenden Substanz; zwischen beiden fasrigen Substanzen eine helle Linie (Steintheil). Der feinere Bau der Seeigelziihne. . 99 »Die Fasern der äußern Zahnsubstanz sind durch eine einfache aber harte Zwischensubstanz verbunden« — vielleicht sind die beob- achteten Schliffe zu dick gewesen, um die Kanäle zu erkennen, welche die Scheiben zwischen den Schuppen umgeben. Dieses Ka- nalsystem zwischen den Scheiben hat VALENTIN an den Fasern der innern Substanz (Prismen) bemerkt und beschreibt es als gebrochene, unregelmäßige Linien, welche pflanzenzellenähnliche Netze bilden und die einer dünnen über den Zahnfasern ausgebreiteten Kalk- lamelle angehören sollen. 3) Endlich giebt W. WALDEYER! eine kurze Beschreibung der Seeigelzähne, die die oben erwähnte von H. MEYER in so fern korri- girt, als neben Kalkprismen auch Kalkplättchen erwähnt werden, und die besonders darin einen Fortschritt gegen die ältere Beschrei- bung zeigt, dass sie einen Theil des oben geschilderten Netzwerkes anastomosirender Kanälchen erwähnt, nämlich den, welcher sich zwischen den Prismen der peripherischen Platte (Zahnkörpers, be- findet. LEUCKART? giebt in dem Bericht über diese Abhandlung WAL- DEYER’s an, der Zahn der Echinen sei eingehüllt und werde gebildet von einer »zellenreichen Matrix«, von der übrigens WALDEYER nichts erwähnt. Wie unten bemerkt (pag. 100) habe ich in der den Zahn einhüllenden Membran keine Zellgrenzen bemerken können. Wenn LEUCKART hier also von einer zellenreichen Membran spricht, so hat er diese Zellgrenzen entweder an frischen Thieren beobachtet, die ich hier nicht habe untersuchen können, oder er hält es für erlaubt, auch da von Zellen zu sprechen, wo in einer Membran keine Zellen- srenzen sondern nur zellkernähnliche Gebilde zu sehen sind. Schlussbemerkungen. Es ist schon öfter darauf hingewiesen worden, dass die tiefe Stellung, welche man den Echinodermen gewöhnlich in der Reihe der Thiere anweist, berechtigt erscheine nur in Hinsicht auf die un- vollkommene Ausbildung ihrer Sinnes- und psychischen Thätig- keiten, dass hingegen der sehr komplieirte Bau anderer Organe und ! In S. Strıcker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. 1871. p. 343. 2 LEUCKART, Bericht über die wissenschaftlichen Leistungen in der Na- turgeschichte der niedern Thiere während der Jahre 1870 und 1871. — 1574. pag. 129. 7* 100 : Wilhelm Giesbrecht ganz besonders ihres Skeletts eine höhere Stellung im System er- fordere !. Die Einsicht in den Bau der Echinoideenzähne könnte diese Forderung stützen. Ob indess gerade die Komplieirtheit und mannig- faltige Entwicklung der Kalkausscheidungen der Echinodermen berechtigen, sie zu den »höheren Thieren« zu zählen, scheint zwei- felhaft, wenn man bedenkt, dass das Kalkskelett der im Thierreiche zu unterst gestellten Organismen, der Rhizopoden, einen recht ver- wickelten Bau aufweist. Dass der am wenigsten dauerhafte, am leichtesten zerreibliche Theil des Zahnes, die Carina, am weitesten in die Buccalhöhle her- vorragt, mit der zum größten Theil aus Kalk bestehenden, also har- ten Nahrung folglich zuerst in Berührung kommt, befremdet wohl zunächst. Indess die wenig ausgiebigen Verschiebungen der Zähne gegen einander, worin die Kaubewegungen der Echinoidea bestehen, werden wohl kaum geeignet sein, die Nahrung zu zermalmen, son- dern durch diese Bewegungen wird das zu zerkleinernde Nahrungs- stück in dem Raume, welchen die fünf einspringenden Winkel an den Kauspitzen bilden (Taf. IV Fig. 48), hin- und hergeschoben ; hierbei wirkt die Carina wie eine Feile und die absplitternden Pris- men, deren Richtung übrigens dem zu leistenden Dienste entspricht, zerschaben das Nahrungsstück nach und nach. | Die Fragen nach der Entstehung und Entwicklung, nach den histiologischen Vorgängen beim Wachsthum ete. könnten nur beant- wortet werden durch die Untersuchung von lebenden Individuen, die mir nicht zu Gebote standen. Was sich vielleicht so noch darüber sagen lässt, wäre Folgendes: Der Zahn steckt in einer eng anlie- genden, sackförmigen Membran, die eine Einstülpung einer Schicht der Buccalmembran zu sein scheint. In dieser Membran sind Zell- grenzen nicht zu unterscheiden, wohl aber zellkernähnliche Gebilde, die besonders am Wurzelende sehr zahlreich sind und sich mit Kar- min und Fuchsin tingiren. Von dieser umhüllenden Membran gehen Fortsetzungen aus durch den ganzen Zahn hindurch, die alle Kalk- theile umgeben. Dass der Zahn in der That ganz von lebender Sarkode durchdrungen ist, beweist einfach der Umstand, dass fort- während bis gegen das Kauende hin eine Kalkausscheidung im In- 1 E. HAECKEL, Z. f. w. Z. Bd. 30 (Suppl.) pag. 437. Der feinere Bau der Seeigelzähne. 101 nern stattfindet. Außerdem sieht man in den größeren Lücken zwischen den Kalkscheiben, welche sich zwischen Prismen und Schuppen ablagern, Körper, die Zellkernen sehr ähnlich sehen und sich mit Fuchsin schön gleichmäßig färben. Man könnte sich also die Entstehung des Zahnes vielleicht so denken: Die Epidermis des Thieres wuchert nach innen aus, die Ablagerung der Schuppen be- ginnt, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Kalktheilen blei- ben ausgefüllt von lebender Sarkode, die endlich ein zusammenhän- gendes Fächerwerk bildet, in dessen Lücken die Skeletttheile liegen !. Mit der Bildung der Scheiben beginnt auch dies mehr und mehr zu schwinden: indem die Sarkode die Scheiben in sich ablagert, ver- drängt sie sich selber nach und nach; der Rest ist einmal jene feine, die Scheiben verbindende und das Kanalwerk ausfüllende Masse und dann jene in den größern Lücken zwischen den Schei- ben befindlichen zellkernähnlichen Körper, die vielleicht gerade als Kerne der Verkalkung den längsten Widerstand entgegensetzen. Da Schuppen und Prismen sowohl an Länge als an Dicke zunehmen, betheiligt sich an der Bildung derselben sowohl die den Zahn um- hüllende Membran, als die im Zahne befindliche Sarkode. Die äußere Kalkanlagerung geht, wie auch die Anwachsstreifung zeigt, von der einhüllenden Membran aus, die aber durch die Kanäle, welche den angelagerten Kalk durchziehen, immer in Verbindung bleibt mit der Sarkode zwischen den Zahntheilen. Die Form der Skeletttheile des Zahnes und besonders der Schup- . pen ist in den verschiedenen Gattungen, und, so weit die Unter- suchung reicht, auch in den einzelnen Species, eine ganz eigen- thümliche und durchaus konstante. Sie dürfte also wohl syste- matisch zu verwerthen sein. Die Form der Theile bedingt die Konturen des ganzen Zahnes in so hohem Grade, dass aus einer einfachen Umrisszeichnung eines Transversalschliffes vielleicht die Species, sicher aber die Gattung zu bestimmen ist (Taf. V Fig. 69 bis 83). — Zum Schlusse fühle ich die Verpflichtung, meinem hochverehr- ten Lehrer, Herrn Prof K. Mösıus, für die Unterstützung und An- ! Zwischen den Schuppen schien die Sarkode nicht in einer zusammen- hängenden Membran zu bestehen, sondern aus einem unterbrochenen netzfir- migen Gewebe, in dem viele Kerne wahrzunehmen waren. 102 Wilhelm Giesbrecht leitung, die er mir bei der vorstehenden Arbeit in liebenswiirdigster Weise fortwährend hat angedeihen lassen, öffentlich meinen herzlichen Dank auszusprechen. Kiel, im Juni, 1879. Erklärung der Abbildungen. Durchgehende Bezeichnungen: a Ansatzpunkt, 4-C Achsencylinder, 6 mediales Ende der Schuppen, laterales Ende der Schuppen, C Carina, C-Pr Carinalprismen, C-S-F Carinalstück der Schuppenfortsätze, D-F distale Körperfläche, K Kanäle, K-A Kalkanlagerung, K-B Kalkbäumchen, K-E Kauende des Zahnes, K-F Körperfurche, K-S-F Körperstück der Schuppenfortsätze, L-C Laterale Flächen der Carina, I-K Lateraltheil des Zahnkörpers, I-Pr Laterale Prismen, M-K Medialtheil des Zahnkörpers, M-L Medianlinie, P Pyramide, P-C Proximale Fläche der Carina, P-F Proximale Körperfläche, Pr Prismen, S Scheiben, = Sch Schuppen, Sch-Fr Schuppenfransen, S-F Schuppenfortsatz, S-F-Fr Fransen der Schuppenfortsätze, S-K Sekundire Kalkablagerung, S-Th Steintheil, W-E Wurzelende der Zähne, W-S Wärzchen, die zu Scheiben werden, Der feinere Bau der Seeigelziihne. 103 W-Z Wirzchen, die zu Zapfen werden, Z Zapfen, ZK Zahnkörper, Z-S Zwischenschicht. Tafel II. Fig. 1. Halbe Pyramide mit Zahn, von der Seite. Fig. 2. Schematischer Transversalschliff durch Pyramide mit Zahn eines Echi- niden. Fig. 3— 14. Entwicklung der Schuppen von Echinus miliaris von Anfang bis zum Beginne der Verkittung, d. h. etwa bis zur 410. Schuppe. Fig. 3 und 13. Halbschematisch. Fig. 14. Man sieht auf den proximalen Längsrand der Schuppe. Nummer der Schuppe. Ausdehnung in mm. : 10 be = 0,015 Fig. 4. j ’ 7 { 18 (ab = 0,019 lhc = 0,025 Fie. 5 0 ab = 0,087 ae be = 0,055 > ab = 0,17 Fig. 6. 94 Fa = 0,20 e h ab = 0,23 Fig. 7. 160 10,28 2 | ab = 0,25 ! Fig. 8. 180 be = 0,32 : +e {ab = (5 Fig. 9. 220 )be = 0,35 } ab = 0,25 Fig. 10. 280 Got ok - ab = 0,25 Fig. 11. 310 be = 0,56 . ‘ ab = 0,25 Fig. 12. 360 be 068 ab = 0,25 Fig. 14. 410 be 0.78 Fig. 15—18. Entwicklung der Schuppen von Echinus esculentus (100. — 850. Schuppe). Vergr. Fig. 15 — 170, Fig. 16 — 85, Fig. 18 — 170. Fig. 19—21. Entwicklung des Schuppenfortsatzes von Ech. escul. (der 1220. und 1320. Schuppe). Fig. 21 zeigt den Fortsatz von Fig. 19, von der Fläche gesehen. Tafel III. Echinus eseulentus. Fig. 22 u. 23. Carinalprismen (von der 1300. und 1600. Schuppe). Fig. 24 u. 25. Zapfenwärzchen auf dem Saume des distalen Längsrandes der Schuppen (der 1480. u 1590. Schuppe). 1 Ändert sich weiter nicht. 104 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Wilhelm Giesbrecht © 26. Stücke von Carinalprismen mit anhaftenden Scheiben. 27. Gruppe losgelöster Scheiben. | 28—30. Schuppenfortsätze der 1460. und 1620. Schuppe. (Fig. 30 giebt die Seitenansicht des Carinalstückes von Fig. 29). 31. Laterale Prismen (von der 1440. Schuppe). 32. Transversalschliff durch eine Gruppe noch nicht verbundener Carinal- prismen. 33. Erster Transversalschliff. Vergr. 140. 34. Transversalschliff durch eine Schuppe. 35. Zweiter Transversalschliff. Vergr. 60. 36. Aus demselben: Schuppenenden mit Zapfen. 37—40. Aus Transversalschliff III. Fig. 37. Lateraler Körpertheil. Vergr. 150. Fig. 38. Proximales Ende der Carina. Vergr. 75. Fig. 39. Umgebung der Körperfurche. Vergr. 260. Fig. 40. Medial gelegener Theil der Zapfengegend. Vergr. 260. 41—42. Aus Transversalschliff IV. Fig. 41. Kanäle zwischen den Carinalprismen. Fig. 42. Transversalschliff durch eine Gruppe verbundener Cari- nalprismen. Vergr. 600. Tafel IV. Fig. 43—46. Echinus esculentus. Fig. 49—60. Clypeaster scutiformis. 43—45. Aus Transversalschliff IV. Fig. 43. Proximaler Theil der Carina. Vergr. 100. Fig. 44. Umgebung der Körperfurche. Vergr. 150. Fig. 45. Laterales Körperstück. Vergr. 150. 46. Radialschliff aus dem Wurzelende. 47. Radialschliff durch die Kauspitze eines Zahnes von Echinus miliaris. Vergr. 45. 48. Schematisch. Ein Rhizopod in dem Raume, den die einspringenden Winkel an den Kauenden der Zähne bilden. 49—58. Entwicklung der Schuppen von Clyp. scutif.; von der Wurzel- spitze bis zur circa 100. Schuppe. Fig. 49 Vergr. 280. Fig. 50 Vergr. 400. Fig. 51 Vergr. 130. Fig. 52 Vergr. 66. Fig, 53 Vergr. 66. Fig. 54 Vergr. 100. Fig. 55 Vergr. 60. Fig. 56 Vergr. 60. Fig. 57 Vergr. 60. Fig. 58 Vergr. 60. 59—60. Einzelne Kalkbiumchen mit Prismen. Vergr. 280. Tafel V. Fig. 61—64. Clypiformis scuteaster. 61. Schuppenrand mit Kalkbäumehen. Vergr. 180. 62. Ein Theil desselben vergrößert. Vergr. 450. 63. Radialschliff aus dem Wurzelende. Vergr. 200. 64. Radialschliff durch das Kauende. Vergr. 40. n 65. Kalknetz aus einem Stachel von Heterocentrotus. Taf. 11. Fig. 21. F- “5 -F Jahrbt Morphol. " Lith. Anst.v. JC Bach, Leipzig. Verlag v. With, Engelmann, Leipzig. ; Lith Ansty J.6 Bach, Leipzig DE tall ins | 4 ‘ ey oo oe! 4 c Oe: = Lith. Anst. v.d.@. Bach ‚leipzı Taf /2s& vWilh Engelmann Lean! ; Lith, Ant voll Bach, leipait i foe LA ALT Lith. Anst.v.J.& Bach, leipzig. AR TG 27, > even reine etter ttnrs Ay ob fed S c u Fig. 56. son Bp ER Die Ui } rt Ij} hy Ries mi Nhs ei) Hy KG WY Lith, Anst.y.J.0. Bach, Leipzig WAR N eH Verlag Willi Engelmann, Lepny eee ee ee u —_— Der feinere Bau der Seeigelzähne. 105 Fig. 66. Stück eines Schliffes aus einer Zahnpyramide von Echinus esculentus. Fig. 67. Laganum tonganense. Pyramide mit Zahn von der Seite. Fig. 68. Lag. tong. Fig. 69—79 und 82 —83. Zahn von der Seite. Umrisszeichnungen von Transversalschliffen durch das Kauende von Zähnen verschiedener Species. Fig. Fig. Fig: Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ! Fig. Fig. 80. Transversalschliff durch das Kauende eines Zahnes von Ech. lentus. Fig. 81. Dasselbe von Diadema setosum. Gray. Vergr. bei beiden 25. 69. -1I.1 -1 nes 1 1 = N or a1 1 2 @ 83. ~j] | ee es DP i) Laganum tonganense. Vergr. 18. Echinocyamus pusillus. Vergr. 115. Clypeaster scutiformis. Vergr. 18. Echinus Dröbachiensis. Vergr. 40. Toxopneustes pileolus. Lm. Vergr. 12. Echinometra lucunter. Leske. Vergr. 18. Heterocentrotus trigonarius. Lm. Vergr. 12. Podophora atrata. Vergr. 25. Hipponoé variegata. Leske. Vergr. 69. Echinus miliaris. Vergr. 65. Stomopneustes variolaris. Vergr. 25. Cidaris metularia. Blainv. Vergr. 37. Echinothrix turcarum. Schynvoet. Vergr. 12. escu- Ein Fall von Schwanzbildung bei einem mensch- lichen Embryo. Von Dr. Leo Gerlach, Docent der Histologie und Entwicklungsgeschichte nnd Prosektor am anatomischen Institut zu Erlangen. Mit Tafel VI. In der mit einer Reihe seltener Missbildungen ausgestatteten Sammlung des hiesigen anatomischen Institutes befindet sich ein Embryo, welcher mit einem deutlichen Schwanze behaftet ist. Der- selbe wurde schon im Jahre 1840 auf der in Erlangen abgehaltenen Naturforscherversammlung von dem damaligen Prosektor der Anstalt, Herrn Dr. FLEISCHMANN vorgezeigt. Wir finden in dem amtlichen Bericht dieser Versammlung über den betreffenden Fall auf pag. 141 das Folgende angegeben. »Herr Prosektor Dr. FLEISCHMANN hielt einen Vortrag über Sehwanzbildung beim Menschen, und zeigte dabei einen menschlichen Fötus vor, bei welchem sich das Ende der Wirbelsäule zu einem wirklichen Schwanz verlängert hatte. An der Basis hatte diese Ver- längerung eine Linie im Durchmesser, und krümmte sich immer dünner werdend und haarförmig endigend nach unten und vorn. Hielt man den Fötus gegen das Licht, so schimmerten im ersten Drittel des acht Linien langen Schwanzes fünf dunkle Punkte durch die zarte Haut, welche für nichts anderes, als für Wirbel, die Fort- setzung des eigentlichen Rückgrats gehalten werden konnten. Das Ende dieses Schwanzes schien rein häutig zu sein, und war sehr zart und durchsichtig.« Über das Vorkommen von schwanzförmigen Anhängen beim Menschen liegen zwar eine Reihe von Angaben vor. Dieselben ge- Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 107 hören jedoch meistens der älteren Literatur an, erscheinen oft wenig glaubwürdig und leiden zum Theil an einer ungenügenden Beschrei- bung der betreffenden Gebilde, zum Theil lassen sie Zweifel darüber entstehen, ob die als Schwänze deklarirten Bildungen nicht patho- logische Auswüchse sind. So wird z. B. des Öfteren berichtet, dass auch außer dem sogenannten wahren Schwanze an anderen Körperstellen ebenfalls schwanzförmige Verlängerungen vorhanden gewesen seien. In der Mehrzahl der Fälle sind es ausgetragene, nicht lebensfähige Missgeburten, die neben einer Reihe von anderen | Bildungsfehlern auch eine mehr oder geringer entwickelte Schwanz- bildung aufweisen. Über die Form und Beschaffenheit der letzteren erhalten wir jedoch keine nähere Aufklärung. Auch bei Kindern und Erwachsenen wurden Schwänze in Gestalt von cylindrischen Auswiichsen beobachtet, welche die Dicke eines Daumens und die Länge eines Mittelfingers, einer halben, einer ganzen Spanne beses- sen haben sollen!. Allein auch von diesen Fällen gilt das so eben Gesagte. Es fehlt eine genauere Angabe über das Aussehen und die Beschaffenheit, und ferner, zumal die letzten Beobachtungen sämmtlich bei Lebenden gemacht wurden, jeglicher auf einer exak- ten anatomischen Untersuchung fußender Bericht. Hieraus geht hervor, dass alle diese Fälle, da sie der anato- mischen Unterlage entbehren, kaum Anhaltspunkte zu geben im Stande sind, wenn man es unternehmen wollte, sich die bei dem Zustandekommen der betreffenden Missbildung obwaltenden Vorgänge, in dieser oder jener Weise zurecht zu legen; sie können weder für noch gegen eine bestimmte Auffassung verwerthet werden. Der in Rede stehende Embryo unserer Sammlung ist, da er außer der mitgetheilten kurzen Notiz keine sonstige literarische Verwer- thung gefunden hat, fast gänzlich unbeachtet geblieben. FÖRSTER, der bekanntlich mit größtem Fleiße alle ihm zur Kenntnis kommen- den menschlichen Missbildungen aufzeichnete, hat desselben in sei- nem Handbuche keine Erwähnung gethan. Und doch verdient der- selbe die größte Beachtung, da er, wie ich glaube, ein Unicum dar- stellt, indem meines Wissens niemals bei einem sonst wohl gebildeten Embryo aus der ersten Hälfte des intra-uterinen Lebens das Vorkom- men eines Schwanzes konstatirt wurde. Allerdings berichtet ROSENBERG in seiner trefflichen Abhandlung ! Zusammengestellt sind derartige Fälle in MECKEr’s Handbuch der pathol. Anatomie. I. pag. 385. 108 Leo Gerlach »Uber die Entwicklung der Wirbelsäule und das Centrale Carpi des Menschen«', dass einer der von ihm untersuchten Embryonen, des- sen Kopfsteißlänge nur 1,25 em betrug, ein Caudalrudiment besessen habe, das in Form eines mit einem ziemlich kurzen Stiel versehe- nen zapfenförmigen Gebildes dem hinteren Leibesende des Embryo angefügt war, und mit seinem kolbig angeschwollenen Ende an der Körperoberfläche deutlich prominirte. Als Caudalrudiment glaubt ROSENBERG diese aus dichtem Bindegewebe bestehende vom Horn- blatt überzogene Prominenz hauptsächlich desshalb auffassen zu müs- sen, weil es der Körperoberfläche gerade an der Stelle aufsitzt, welche der verlängert gedachte Endabschnitt der Wirbelsäule er- reichen würde. Es handelt sich aber bei diesem Embryo immer nur um ein Rudiment, nicht um einen wirklichen Schwanz, wie er bei dem zu- erst erwähnten Fötus in einer Weise vorhanden ist, welche allen Anforderungen, die man bezüglich der Gestalt an einen gut ausge- bildeten Schwanz machen kann, gerecht wird. Es ist begreiflich, dass man bei einer so ungemein seltenen Missbildung, wie die vorliegende, sich nur schwer dazu entschließt, dieselbe behufs genauerer Untersuchung mit dem anatomischen Mes- ser zu zergliedern. So hat auch FLEISCHMANN sich damit begnügt, die Leibeshöhle zu öffnen und einen Schnitt von dem Ende der Wir- belsäule bis zum Anfang des Schwanzes durch die Haut zu machen. Im Übrigen blieb der Embryo intakt. Auch mir erging es ähnlich; schon vor mehr denn drei Jahren hatte ich mir vorgenommen, als ich die RosenBERG’sche Abhandlung las, den betreffenden Fötus auf verschiedene Punkte hin zu prüfen. Allein immer wieder verschob ich es, da es mir schwer ankam, un- sere Sammlung eines so werthvollen Demonstrationsobjektes zu be- rauben. Erst als Ende December vorigen Jahres Herr Professor Ecker unter Hinweis auf die FLeıschmann'sche Mittheilung an- fragte, ob er den Embryo zur Besichtigung zugeschickt erhalten könnte, und ein Transport wegen der weichen Beschaffenheit des Präparates nieht räthlich erschien, legte sich mir die Verpflichtung auf, den Fachgenossen, die ja durch FLEISCHMANN, wenn auch nur in gedrängter Kürze von der Existenz der genannten Missbildung Kunde erhalten hatten, eine durch genaue Abbildungen unterstützte ausführ- lichere Beschreibung derselben vorzulegen. Durch anderweitige Be- ' Morpholog. Jahrb. I. Bd. pag. 83. Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 109 schäftigung abgehalten, kam ich erst vor wenigen Wochen dazu, mein Vorhaben zur Ausführung zu bringen. Bevor ich die bei der anatomischen und mikroskopischen Unter- suchung des Schwanzes und seiner Beziehungen zur Wirbelsäule ge- wonnenen Resultate mittheile, will ich erst kurz die äußere Beschaf- fenheit des Embryo schildern. Derselbe zeigt in seiner Körperform, abgesehen von der Schwanzbildung, keine sonstige Abnormität. Kopf, Rumpf und Glieder sind wohlgebildet. Die Kopfsteißlänge beträgt 7,6 em, die Gesammtlänge 10,8 em. Der Fötus befindet sich also im Anfange des vierten Monats. Die Placenta, welche mittelst des 9 em langen Nabelstranges mit dem Embryo noch zusammenhängt. ist ebenfalls gut entwickelt. Was das Geschlecht des Embryo anlangt, so könnte man bei Besichtigung der äußeren Genitalien allenfalls noch zweifelhaft sein. Dagegen zeigt ein Blick in die Leibeshöhle, in welcher man die Uterusanlage, das Lig. uteri rotundum, Ovarium und Eileiter deut- lich erkennen kann (Fig. 2), dass es sich um einen weiblichen Em- bryo handelt. Die übrigen in der Leibeshöhle gelegenen Organe, Darmtraktus, Nieren etc. entsprechen hinsichtlich ihrer Ausbildung ganz dem Alter des Fötus!. Bezüglich der äußeren Genitalien sei bemerkt, dass die Clito- ris, welche eine Länge von 3 mm, eine Dicke von 1 mm zeigt, an ihrer Spitze mit einer deutlich sich abgrenzenden Glans clitoridis versehen ist. Die Clitoris besitzt eine untere Fläche, welche von der übrigen abgerundeten Oberfläche durch eine Kante jederseits getrennt ist. Zwischen diesen zwei Kanten ist die untere Fläche rinnenför- mig ausgehöhlt, was sich jedoch gegen die Glans zu allmählich ver- liert. Die großen Schamlippen sind normal gestaltet; dagegen zei- gen die Nymphen eine ungleiche Entwicklung. Die rechte Nymphe nämlich ist bedeutend kleiner als die linke, und hängt normaler Weise nur mit dem Anfangstheile der Clitoris, wie an Fig. 3 zu sehen, zusammen. Die linke Nymphe gelangte zu einer weit größeren Ent- faltung; sie reicht nach vorn bis zur Glans clitoridis, mit welcher ! FLEISCHMANN hatte die Leibeshöhle mittelst eines Bogenschnittes dicht oberhalb der Nabelschnurinsertion eröffnet. Die Konvexität des Bogens war nach oben zu gerichtet. Ich verlängerte den Schnitt beiderseits nach unten zu und erhielt so einen Hautlappen, der wie eine Klappe zurückgeschlagen werden konnte. An der inneren der Leibeshöhle zugekehrten Seite desselben befand sich die Blase, welche noch ohne jegliche Abgrenzung in den Urachus über- ging (Fig. 2). 110 Leo Gerlach sie im Gegensatz zur rechten kleinen Schamlippe in viel größerer Aus- dehnung verbunden ist, indem sie sich längs der ganzen linken unteren Kante an der Clitoris inserirt. Aber nicht nur mit der letzteren hängt die linke Nymphe zusammen, sie tritt auch in Beziehung zu dem Schwanze; mit diesem ist sie ebenfalls eine Strecke weit ver- wachsen. Es stellt demnach die linke Nymphe eine Hautfalte von länglich viereckiger Form dar, welche zwischen Clitoris und Schwanz ausgespannt ist, und vorn mit einem freien Rande aufhört. Zwischen den beiden Nymphen, unter der Clitoris befindet sich die etwa 1 mm lange spaltförmige Öffnung des Vestibulum vaginae, und in einer Entfernung von nahezu 1!/; mm hinter derselben liegt die Afteröffnung. Auch sie hat die Form einer Längsspalte, welche jedoch nicht ganz die Länge von 1 mm erreicht. Höchst auffallend sind die Lagebeziehungen der Analöffnung zum Schwanze, indem die erstere nicht vor, sondern rechts von dem letzteren liegt. Dadurch entfernt sie sich ein wenig von der Mittellinie nach der rechten Seite hin. Von der Analöffnung führt nach vorn eine seichte Rinne; sie kommt auf die rechte Seite des Schwanzes zu liegen, und wird von der linken Nymphe durch eine schwache vorn am Schwanze sich erhebende Längsleiste getrennt. Rinne wie Leiste verschwinden je- doch nach vorn zu bald (Fig. 3). Es fragt sich nun, wie hat man sich dieses eigenthümliche Lageverhältnis des Schwanzes zur Afteréffnung genetisch zu eı- klären. Ich glaube kaum mit der Annahme zu irren, dass der durch die linke kleine Schamlippe vermittelte Zusammenhang zwischen Clitoris und Anfangstheil des Schwanzes aus jener frühen Zeit des embryo- nalen Lebens datirt, in welcher die äußeren Genitalien sich eben zu entwickeln anfangen. Um diese Zeit liegt die Öffnung der Kloake sehr nahe an der Spitze des das hintere Körperende abschlie- Benden Vorsprungs, welchen Ecker in den Erläuterungen zu Ta- fel XXIX und XXX seiner Icones physiologicae Schwanzende, Steißbeinhöcker oder schwanzartigen Vorsprung nennt. Sie liegt demselben um so näher je mehr das spitze Ende des Vor- sprungs nach unten und vorn gerückt ist. In unserem Falle mag nun das absonderliche Verhalten des schwanzförmigen Vorsprungs, zweifelsohne beruhend auf einer Verlängerung desselben, welche sich später in den Schwanz umgestaltet, eine Verwachsung mit dem Theil des sich entwickelnden Genitalhöckers begünstigt haben, aus welchem sich später die linke Nymphe hervorbildete. Durch diese Verwach- Ein Fall yon Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 111 sung wurde im Verlaufe der weiteren Entwicklung fortwährend ein Zug nach vorn auf den Schwanz ausgeübt, welcher auf dessen Lageverhältnis und Verlaufsrichtung von wesentlichem Einfluss wer- den musste. Indem nämlich der Anfangstheil des Schwanzes, fest- gehalten durch die linke Nymphe, sich von der Clitoris nach hinten nicht entfernen konnte, musste die beim weiteren Wachsthum des Embryo an Umfang zunehmende Kloakenöffnung sich gegenüber ihrer früheren Lage zum Schwanze in der Art verschieben, dass derselbe scheinbar etwas nach vorn an ihre linke Seite rückte. Mit anderen Worten, es wurde die Kloakenöffnung und zwar ihre hintere Hälfte auf der linken Seite von dem Schwanze umgrenzt. Als nun eine Differenzirung der Kloake in eine vordere Urogenital- und hintere Afteröffnung eintrat, musste die letztere links an den Anfangstheil des Schwanzes anstoßen. Der Zusammenhang mit der linken Nymphe trägt aber auch die Schuld, dass der Schwanz nicht gerade nach abwärts verläuft, son- dern schief nach unten und vorn absteigt. In Folge dessen muss er natürlich auf den Zeichnungen, welche den Embryo bei der Betrachtung von hinten oder vorn darstellen, kürzer erscheinen als er in Wirklichkeit ist. In Bezug auf seine Länge stimme ich mit FLEISCHMANN nicht ganz überein. Sie beträgt von einem 2 mm hinter der Analöffnung gelegenen Punkte an gemessen 17 mm. Ich gebe jedoch zu, dass wegen der Krümmung des Schwanzes kleine Ungenauigkeiten sich einschleichen können; vielleicht auch beziehen sich die Angaben FLEIscHMANN’s auf das frische Objekt, und ferner hat derselbe nicht angegeben, von welchem Punkte an er gemessen habe. Vergleicht man die Länge des Schwanzes mit der Gesammt- länge des Fötus (10,8 cm), so ergiebt sich, dass er nahezu den sechsten Theil der Länge des ganzen Embryo ausmacht. Der ganz freie nicht mehr mit der linken Nymphe zusammenhängende Theil des Schwanzes besitzt eine Länge von 12 mm. An der Abgangsstelle vom Körper zeigt der Schwanz eine Breite von 2 mm, an der Stelle, wo er die linke Nymphe verlässt, einen Durchmesser von 1 mm. Während er bis zu dieser Stelle wegen seiner Verbindung mit der Nymphe weniger regelmäßig geformt ist, erscheint er von nun an gleichmäßig rundlich. Theilt man diesen freien 12 mm langen Theil des Schwanzes in zwei gleich lange Hälften, so scheint sich für das unbewaffnete Auge nur die erste Hälfte zu verjüngen; der Durchmesser beträgt an der Grenze der beiden Hälften 0,2 mm; die zweite scheint ein an Stärke sich gleich 412 Leo Gerlach bleibendes dünnes Fädehen zu sein. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie sich später herausstellte. Nachdem der Schwanz abge- schnitten und theilweise in feine Schnitte zerlegt war, wurde das nicht verarbeitete Stück desselben unter dem Mikroskop bei schwa- cher Vergrößerung untersucht. Hierbei war deutlich zu sehen, dass auch das 6 mm lange Endstück des Schwanzes an Dicke all- mählich abnahm, bis es schließlich in eine äußerst feine Endspitze auslief; auf die Beschaffenheit des Endstückes werde ich später zurückkommen. Das Aussehen des Schwanzes ist nicht an allen Stellen das gleiche. Die ersten 5—6 mm des freien Theils, also beinahe des- sen erste Hälfte, erschien weißlich, während die andere fadenförmige Hälfte durchscheinend aussah, und einen matt grauen Glanz besaß. Ich komme nun zu den Beziehungen des Schwanzes zur Wir- belsäule.. Um diese klar zu legen, hatte bereits FLEISCHMANN einen Schnitt von der Abgangsstelle des Schwanzes an nach oben bis nahezu an die Basis des Kreuzbeins gemacht. Der Schnitt, wel- cher unten nur die Haut durchtrennte, ging oben tiefer; es war die hintere Wand des Sacralkanals durchschnitten, und dieser dadurch eröffnet worden. Wurden die Schnittränder etwas von einander ge- zogen, 80 zeigte sich ein weißlicher, rundlicher Strang, welcher unten in den Schwanz eindrang, oben mit dem Ende der Wirbel- säule. zusammenhing. Da es nun darauf ankam, Genaueres über den Strang sowohl, als über die Wirbelsäule selbst zu ermitteln, so wurde der Schnitt nach oben bis zur Mitte der Brustwirbelsäule in der Medianlinie weiter geführt, jedoch nur die Haut des Rückens durehschnitten. In Folge des langen Schnittes konnte die Haut beiderseits in größerer Ausdehnung zurückgeschlagen werden, und es ließen sich sehr gut die unterhalb des oberen Schnittendes gelege- nen wahren Wirbel von hinten her frei präpariren. Bei den das Sacrum zusammensetzenden Wirbeln war dies mit größerer Schwierigkeit verbunden, weil deren Bogen, wie bereits berichtet, durch den ursprünglichen Schnitt durchtreunt, und da- mit der Sacralkanal eröffnet worden war. Die in letzterem lie- genden nervösen krümeligen Inhaltsmassen wurden entfernt, und dann die Bogenhälften der Sacralwirbel, nachdem sie sauber prä- parirt waren, möglichst gut mit ihren Schnittenden an einander gelegt. Auf diese Weise erhielt ich den Hiatus sacralis; außerdem wurde das Steißbein und ferner der hintere Theil der beiden Darm- beinschaufeln mit frei gelegt. In Fig. 4 habe ich ein Bild der Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 113 geschilderten Verhältnisse wiederzugeben versucht; in der Zeich- nung ist absichtlich der durch die Bogen der Sacralwirbel gehende Sehnitt weggelassen, um die Deutlichkeit der Abbildung nicht zu beeinträchtigen. Die weitere Aufgabe bestand nun darin, die Zahl der Lumbal-, Sacral- und Caudal-Wirbel zu bestimmen. Da der Embryo so viel als möglich geschont werden sollte, so habe ich darauf verzichtet, den Schnitt nach oben bis zum Kopfe fortzuführen, um nach Frei- legung der noch übrigen Brust- und Halswirbel von oben herab zäh- len zu können. Ich suchte mir zu helfen, indem ich den letzten Dorsalwirbel durch Aufsuchen der zwölften Rippe bestimmte. Um ganz sicher zu gehen, wurden zum Vergleich bei einem in meinem Besitze befindlichen weiblichen Embryo, welcher zufällig fast ganz dieselbe Körperlänge aufwies, die Wirbelsäule und die Vertebral- enden der Rippen von hinten her präparirt. Eigenthümlicher Weise war bei diesem zweiten Embryo eine 13. Rippe in Gestalt eines ganz kleinen seitlich dem 13. Dorsalwirbel aufsitzenden dreieckigen Knorpelstiickchens vorhanden; der Lendentheil der Wirbelsäule war auf vier Wirbel reducirt. Nachdem nun bei unserem Embryo der 12. Brustwirbel heraus- gefunden war, zeigte es sich, dass man zwar die Lumbalwirbel leicht zählen könne, dass dagegen die Zahl der Sacralwirbel sich nicht mit Genauigkeit feststellen ließ. Dies lag sowohl an der erwähnten Läsion der Sacralwirbel- bogen, als an dem Umstand, dass die zwischen den Bogen befind- lichen membranösen Theile sich von ersteren nicht in präciser Weise abhoben. Um zum Ziele zu gelangen, war es nöthig, zu beiden Seiten des ursprünglichen Schnittes von der hinteren Wand des Sa- eralkanals noch zwei Längsstreifen abzuschneiden. Der so erhaltene breitere Längsspalt gestattete eine Betrachtung der Sacralwirbelkör- per von der Rückseite, und es ließ sich nun bei der exakten Ab- grenzung der knorpligen Wirbelkörper durch die helleren weißlichen Intervertebralscheiben, die Zahl derselben mit Leichtigkeit bestim- men. Bei einigen Sacralwirbeln konnte ich mit Hilfe der Lupe feine in der Mitte des Körpers transversal verlaufende hellere Linien wahrnehmen, was dafür zu sprechen scheint, dass auch beim Men- schen ein Wirbelkörper aus je zwei Urwirbelhälften, wie es REMAK für das Hühnchen nachwies, entsteht. Bei der Zählung stellte sich nun heraus, dass unterhalb des letzten Brustwirbels noch 14 knorplige Wirbel vorhanden waren, Morpholog. Jahrbuch. 6. 8 114 Leo Gerlach fünf Lumbal-, fünf Sacral- und vier Steißbein-Wirbel. Die letzte= ren zeigten keine weißlichen Intervertebrallinien zwischen sich, und lagen nicht genau hinter einander, sondern es war das aus vier Wir- beln bestehende Steißbein in der Art gekrümmt, dass sein letzter die Spitze des Steißbeins bildender Wirbel von der Medianlinie weg, stark nach links disloeirt war (Fig. 5). Nur bei dem ersten Steiß- beinwirbel waren noch Bogenrudimente in Gestalt von zwei kleinen nach hinten zu gerichteten Höckerchen wahrzunehmen; die drei übri- gen Wirbel stellten nur Wirbelkörper dar, welche an Größe nach unten zu abnahmen. An den letzten Steißbeinwirbel schließt sich nun als Verlänge- rung der Wirbelsäule jener bereits erwähnte rundliche Strang an, welcher in den Schwanz eindringt; derselbe war in einer Länge von 4'/. mm, von der Steißbeinspitze bis zum unteren Ende des Schnit- tes freigelegt worden (Fig. 4 und 5). Seine Breite beträgt eirca 3/, mm. Nach vorn, d. h. ventralwärts, hängt dieser Strang mit Muskelgewebe zusammen, das der sich entwickelnden Muskulatur des Levator ani und Sphincter ani externus anzugehören scheint. Da das Steißbein durch die in Rede stehende Verlängerung der Wirbelsäule in den Schwanz hinein mit diesem verbunden ist, der letztere aber seinerseits durch die linke Nymphe an die Clitoris an- geheftet ist, und dadurch nach vorn nnd etwas nach links gezogen wurde, so liegt die Vermuthung nahe, es möchte hierauf auch die Krümmung des Steißbeins zurückzuführen sein, dessen Spitze ja auch nach links gerichtet ist. Es ist nicht unwahrscheinlich , dass die in früheren Entwicklungsstadien weicheren und wenig resisten- ten Steißbeinwirbel vom Schwanze nach der linken Seite gezogen, und in dieser Stellung allmählich consistenter wurden. Die Krüm- mung des Steißbeins, dessen Wirbel alle auf der linken Seite etwas in longitudinaler Richtung comprimirt erscheinen, würde nach unse- rer Annahme genetisch in causalem Zusammenhang mit der Schwanz- bildung stehen Aus welchem Gewebe bestand nun aber die strangförmige Ver- längerung der Wirbelsäule, welche am Steißbein anfing, und in den Schwanz eindrang? Wollte man aus der Farbe und Consistenz der- selben auf ihre histologische Struktur Folgerungen ziehen, so konnte sie, da sie durch ihre hellere Farbe sowie durch ihre schlaffe und biegsame Beschaffenheit sich von dem knorpligen Steißbein deutlich unterschied, auf keinen Fall in toto dem Knorpelgewebe angehören. Doch war die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass in derselben Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 115 Knorpelkerne, die man dann als Wirbelrudimente aufzufassen hätte, verborgen sein könnten. Hierüber war natürlich nur von der mi- kroskopischen Untersuchung Aufschluss zu erwarten. Es wurde daher der Strang oben von dem Steißbein losgelöst, und auch unten, wo er unter der Haut des Schwanzes verschwand, abgeschnitten; ferner musste er von der an seiner vorderen Seite sich anheftenden Muskulatur durch Scherenschnitt entfernt werden. Nachdem so ein Theil der strangförmigen Verlängerung der Wirbel- säule excidirt worden war, dessen Länge 4!/; mm betrug, wurde der- selbe in Pikrokarmin gelegt, um eine Totalfärbung zu erzielen. Es war ursprünglich meine Absicht vom oberen Ende dieses excidirten Stückes einige Querschnitte herzustellen, um nachzusehen, ob dasselbe wirklich knorplige Wirbelrudimente enthielte, dann aber, falls. diese sich vorfinden, den übrigen Theil in Längsschnitte zu zerlegen, um über die Zahl derselben annähernd Auskunft zu erhal- ten. Als sich jedoch, nachdem eine Reihe feiner Querschnitte vom oberen Ende angefertigt war. in diesen kein Knorpelgewebe nach- weisen ließ, stand ich von meinem Vorhaben ab, und zerlegte das ganze Gebilde in Querschnitte. Die obersten Schnitte dieser Reihe ließen ein sehr zellenreiches Bindegewebe erkennen, dessen Fibrillenzüge keine bestimmte Rich- tung einhielten, sondern sich vielfach durchkreuzten. Je weiter man jedoch bei der Durehmusterung der Schnitte nach unten zu rückte, desto mehr trat eine regelmäßige Anordnung auf, indem sich all- mählich eine Differenzirung in ein peripheres derberes und ein cen- trales weicheres Gewebe einstellte. Fig. 6 stellt einen Schnitt dar, der ungefähr aus der Mitte des exeidirten Stückes stammt. Wir sehen an ihm, wie der Querschnitt durch die strangförmige Verlän- gerung der Wirbelsäule seiner Gestalt nach einem gothischen Fen- ster ähnlich ist; die Spitze desselben liegt dorsalwärts, die gerad- linige Basis, welche künstlich durch Abschneiden der Muskulatur erzeugt wurde, ventralwärts. Was nun das centrale weichere Ge- webe anbelangt, so hat dasselbe histologisch viel Ähnlichkeit mit dem Gewebe des Nabelstranges; wir beobachten eine weiche formlose helle Grundsubstanz, in welcher Zellen von rundlicher, spindel- und sternförmiger Gestalt gelegen sind; die Zellen der letzteren Art ste- hen durch ihre Ausläufer in gegenseitiger Communication. Außer den Zellen sehen wir Fibrillenzüge, welche sich durchflechtend Maschen bilden, sie verlaufen jedoch vorwiegend horizontal. Der 8 * 116 Leo Gerlach centrale Kern des Stranges ist ferner von Gefäßen durchzogen, de- ren Querschnitte ebenfalls in Fig. 6 zu erkennen sind. Der periphere aus viel dichterem Gewebe bestehende Theil des Stranges besitzt im Querschnitt die Gestalt eines ventralwärts offe- nen Hufeisens. Er besteht aus Fibrillenbündeln, welche longitudinal verlaufen, die demnach auf den Schnitten der Quere nach getroffen sind. In dieser aus dicht an einander gedrängten Fibrillen sich zu- sammensetzenden Gewebsmasse liegen zahlreiche Zellen, ferner ver- laufen in derselben eine gleichfalls longitudinale Richtung einhaltend embryonale quergestreifte Muskelfasern ; die letzteren sind nur selten zu Bündeln gruppirt. Man trifft diese Muskelfasern in größerer Menge in der ventralen Hälfte des Stranges; hier rücken sie näher an einander, während sich in der dorsalen Hälfte nur wenige Quer- schnitte von Muskelfasern sich finden. Je mehr sich die Schnitte dem Schwanze nähern, in desto grö- ßerer Anzahl stellen sich quergestreifte Muskelfasern ein; sie liegen hier nicht nur in dem peripheren Theil des Stranges, wo sie zumal in der ventralen Hälfte immer dichter an einander rücken, sondern es treten auch in dem centralen, weichen Gewebe Muskelzüge auf. Dieselben verlaufen jedoch hier mehr horizontal, und scheinen ven- tralwärts unmittelbar in die oben erwähnte Muskulatur überzugehen, welche vorn mit dem Strange zusammenhängt. Außer der Vermehrung der Muskelfasern tritt in der histologi- schen Zusammensetzung des Stranges nach unten zu keine besondere Änderung mehr ein; ich könnte allenfalls noch erwähnen, dass das centrale Gewebe allmählich etwas dichter wird. Nachdem die mikroskopische Prüfung des Stranges in Bezug auf das Vorhandensein von knorpligen Wirbelanlagen negative Resultate ergeben hatte, war die Richtigkeit der FLEISCHMAnN’schen Auffassung, wonach die fünf dunklen Punkte, welche er durch die zarte Haut des Schwanzes bei durchfallendem Lichte schimmern sah, als Wir- bel anzusprechen wären, sehr in Frage gestellt worden. Es musste für höchst unwahrscheinlich gehalten werden, dass in einer verhält- nismäßig so großen Entfernung vom Ende der Wirbelsäule, mit dieser nur durch Bindegewebe verbunden, noch weitere fünf Wirbel liegen sollten. Da an dem Alkoholpräparate Nichts von diesen fünf durch- scheinenden Punkten wahrgenommen werden konnte, musste ich an- nehmen, dass FLeIscHMANN jene Beobachtung am frischen Objekte gemacht habe. In der Hoffnung nach Verdrängung des Alkohols ”- Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 417 mittels Ol wieder von jenen Punkten etwas zu sehen zu bekommen, wurde der Schwanz durch längeres Liegen in Terpentinöl aufgehellt, und dann gegen das Licht gehalten, jedoch mit vollständig negati- vem Erfolg. Worauf waren aber jene dunklen Punkte zurückzuführen, welche FLEISCHMANN gesehen haben will? Leider muss ich auf diese Frage die Antwort schuldig bleiben, da, wie ich gleich vorausschicken will, auch mit Hilfe des Mikroskopes im Schwanze keine Knorpeleinlage- rungen gefunden wurden, welche im Sinne FLEISCHMANN’s hätten gedeutet werden können. Ich komme nun zu den Ergebnissen, welche bei der mikrosko- pischen Untersuchung des Schwanzes selbst gewonnen wurden. Der- selbe wurde nicht ohne eine gewisse Überwindung, welche die Läsion eines so seltenen Objektes mit sich bringt, amputirt, und zwar an der Stelle, an welcher er die linke Nymphe verlässt: so wurde wenigstens noch ein kleines Stückchen des Schwanzes dem Embryo erhalten. " ; Bei der Verarbeitung des Schwanzes wurde darauf Bedacht ge- nommen, möglichst wenig von demselben zu verbrauchen. Ich be- schränkte mich desshalb darauf, nur die ersten 2—3 mm des proxi- malen Endes in Querschnitte zu zerlegen, später wurde dann auch von dem spitzen distalen Ende ein eirca 1!/;, mm langes Stück ab- geschnitten. Es wurde so der Haupttheil des Schwanzes geschont. Dieser 8'/, mm lange Rest kann bei Vorlesungen über Missbildungen, oder über Entwicklungsgeschichte dem Embryo beiliegend, mit die- sem vorgezeigt werden, so dass das Präparat seinen Werth als Demonstrationsobjekt nicht vollständig eingebüßt hat. Die dureh den Schwanz angefertigten Durchschnitte wurden mit Carmin gefärbt. Bei der Untersuchung derselben stellte sich das höchst merkwürdige Resultat heraus, dass im Schwanze eine Chorda dorsalis noch vorhanden war. Es ist kaum möglich, den Zellenstrang. welcher auf allen Durchschnitten immer an der- selben Stelle anzutreffen ist, in anderer Weise zu deuten. Auf den einzelnen Querschnitten sehen wir immer 3—5 Chordazel’en, welche aus Kern und einer geringen Menge feinkörnigem Protoplasma be- stehen; umgeben sind dieselben von einer ziemlich starken fibrillären Scheide; die Fibrillen derselben verlaufen ringförmig um die Chorda, und lassen zwischen sich auch einzelne zellige Elemente erkennen. Zur besseren Orientirung will ich mich bei der Beschreibung der auf den Durchschnitten erkennbaren Strukturverhältnisse des Schwan- 118 Leo Gerlach zes an Fig. 7 halten, welche nach einem der obersten Schnitte an- gefertigt ist. Man sieht an derselben die sehr zellenreiche Cutis, welche von keinem Zellenbelag bedeckt ist, da die Epidermiszellen in Folge des langen Liegens des Embryo in nicht sehr starkem Al- kohol, so wie durch die oftmalige Herausnahme desselben, abgefal- len sind. Die Cutis, welche von Gefäßen verschiedenen Kalibers durchzogen wird, zeigt nicht an allen Stellen die gleiche Dicke. Nach Innen wird sie von einer aus hellerem, lockerem Gewebe bestehen- den Lage, dem künftigen Unterhautzellgewebe, begrenzt. Von dem letzteren ist nun der eigentliche Inhalt des Schwanzes umschlossen. Derselbe lässt auf den Querschnitten eine dorsale und eine ventrale Hälfte unterscheiden. Wir erkennen in der dorsalen Hälfte die beiden Komponenten der strangförmigen Verlängerung der Wirbelsäule wieder, nämlich sowohl deren peripheres als centrales Gewebe. Das erstere hat noch ganz die gleiche Beschaffenheit, ist auf dem Durchschnitt hufeisen- förmig, besteht aus längsverlaufenden Fibrillen mit zahlreich einge- streuten Zellen und aus Muskelfasern. Kleinere Bündel von Mus- kelfasern finden sich auch an der Außenseite des Hufeisens, zwi- schen diesem und dem Unterhautzellgewebe in longitudinaler Richtung verlaufend; ich habe dieselben meistens seitlich, doch an einigen Schnitten auch dorsal, unter der Rückenhaut des Schwanzes gelegen angetroffen. Das von dem Hufeisen umschlossene centrale Gewebe hat seine Beschaffenheit wesentlich verändert; es besteht aus longitudinal an- geordneten stärkeren und schwächeren Fibrillenzügen, welche durch lockeres Gewebe zusammengehalten werden. In der Mitte derselben verläuft nun die Chorda dorsalis, deren Verhalten auf den Quer- schnitten bereits beschrieben wurde. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die dorsale Hälfte der von der Schwanzhaut umschlossenen Inhaltsmasse die eigentliche Fort- setzung der strangförmigen Verlängerung der Wirbelsäule darstellt, deren im Schwanze befindliches Stück sich von dem weiter oben gelegenen hauptsächlich dadurch unterscheidet, dass in ihm eine Chorda dorsalis noch enthalten ist. Was die ventrale Hälfte des Schwanzinhaltes anlangt, so wird dieselbe fast durchweg von quergestreifter Muskulatur gebildet. Die Muskelfasern sind zu longitudinalen Bündeln zusammengeschossen, welche von fibrillärem Gewebe umgeben werden. Die Bündel besitzen verschiedene Stärke und sind nicht gleichmäßig gruppirt, indem eine Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 119 größere Menge derselben auf der einen Seite des Schwanzes gele- gen ist, als auf der andern. Ein Biindel von Muskelfasern, auf dem Querschnitte rundlich, hat eine ganz besonders mächtige Entwicklung erlangt; es übertrifft die stärksten der übrigen Bündel um das 5 bis 6fache, und grenzt sich sehr deutlich von seiner Umgebung ab. Es hat den Anschein, als ob dasselbe einen gesonderten ventralen ‚Muskel vorstelle, dessen Function, wenn der Embryo am Leben ge- blieben wäre, darin bestanden haben würde den Schwanz nach vorn zu krümmen, wobei natürlich vorausgesetzt werden muss, dass der letz- tere sich im Verhältnis zu dem an Größe zunehmenden Embryo, ebenfalls weiter entwickelt hätte. Die untersten der Querschnitte, welche ich durch das proximale Ende des Schwanzes noch machte, sind abgesehen von einem gerin- geren Umfang nur in wenigen Punkten von dem eben beschriebenen verschieden. In der Cutis fehlen stärkere Gefäße, das subcutane Gewebe ist gänzlich verschwunden, so dass der Inhalt des Schwan- zes direkt an die Cutis anstößt. Hervorzuheben ist ferner, dass, während alle anderen Theile der fortschreitenden Verjüngung des Schwanzes entsprechend, schwächer geworden sind, die Chorda so- wie der ventrale Muskel noch die gleiche Mächtigkeit aufweisen. Es erübrigt noch, des Endstückes des Schwanzes zu gedenken. Wie schon früher bemerkt, wurde von demselben die letzte ungefähr 1'/, mm lange Strecke abgeschnitten. Dieselbe zeigte, nachdem sie mit Pikrocarmin gefärbt, und in Kanadabalsam eingeschlossen war, ebenfalls keinen Epidermisbelag mehr. Sie setzte sich zusammen aus rundlichen Bündeln, deren fibrilläre Beschaffenheit sich nur durch eine gering ausgeprägte Streifung kund gab. Es verliefen diese Bün- del, die sich unstreitig allmählich aus dem Cutisgewebe heraus gebildet haben, in Spiraltouren, was eine eigenthümlich aussehende Torsion des Schwanzendes bewirkt. Die Fibrillenbündel sind keineswegs sämmtlich gleich lang, sondern hören in verschiedener Höhe mit einem spitzen Ende auf (Fig. 8). Es wird hierdurch, je näher man dem Schwanzende kommt, die Zahl der Bündel immer geringer, und es erklärt sich auf diese Weise die fortschreitende Verjüngung des Schwanzes. In dem letzten Endstiickchen grenzen sich die Bündel nicht mehr von einander ab; man vermag nur einen leicht streifigen Strang zu erkennen, der sich immer mehr verschmälernd, noch einige knäulförmige Windungen beschreibt, und schließlich mit einer ganz feinen Spitze endigt. Um zu erfahren, wie weit die geschilderte Zusammensetzung 120 Leo Gerlach 2 des Schwanzes nach oben reiche, wurde der übrig gebliebene Rest des Schwanzes nochmals in Terpentinöl aufgehellt, und bei schwa- cher Vergrößerung betrachtet. Es zeigte sich, dass die untersten 5 mm desselben von der gleichen Beschaffenheit waren; sie bestan- den ebenfalls nur aus Bündeln, die auch schon torquirt erschienen, und deren Zahl sich von oben nach unten in der nämlichen Weise verringerte. Eine scharfe Grenze zwischen dem oberen Theil des restirenden Schwanzstückes, welcher noch Chorda und Muskelfasern ete. enthielt und dem unteren nur aus Cutisbündeln bestehenden war bei der Dicke des ersteren nicht zu sehen. Da jedoch, wie wir wissen, die Verjüngung des Schwanzes gleichmäßig nach unten zu fortschreitet, so liegt kaum eine andere Annahme vor, als dass zu- gleich mit der nach unten zunehmenden Reduktion des Inhalts auch die Cutis des Schwanzes eine allmähliche Umwandlung ihrer Struk- tur erfährt, indem das zellenreiche Cutisgewebe nach unten zu sich in longitudinal verlaufende Fibrillen, zu Bündeln gruppirt, fortsetzt. Schließlich müssen natürlich, wenn der Inhalt gänzlich geschwunden ist, die Cutisbiindel allein den Schwanz zusammensetzen. Die ver- schiedene Farbe der beiden Hälften des freien Schwanztheiles, von der wir oben berichtet haben, deutet darauf hin, dass derselbe mit seiner Farbe auch seine Beschaffenheit ändert; man muss demnach annehmen, dass die zweite etwas längere Hälfte durch ihr dureh- scheinendes und matt glänzendes Aussehen, ihre häutige Beschaf- fenheit verräth, d. h. kund giebt, dass sie keinen Inhalt mehr be- sitzt. sondern nur aus Cutisbiindeln besteht. Das eigenthümliche Ergebnis, dass in dem Schwanztheile der strangförmigen Verlängerung der Wirbelsäule eine Chorda noch vor- handen war, während sie in dem oberen an das Steißbein sich anschließenden Stücke fehlt, drängt zu der Schlussfolgerung, dass in der Zeit, welcher der Embryo angehört, die in der strangförmi- gen Verlängerung liegende Chorda bereits begonnen hat, sich rück- zubilden. Diese Rückbildung, welche von oben nach unten fort- schreitet, hat in dem oberen Theile des Stranges bereits zu einem völligen Schwund geführt, während in dem Schwanztheile der Pro- cess der Rückbildung noch nicht sehr weit gediehen ist. Für diese Annahme dürfte der Umstand sprechen, dass bei dem zweiten gleich langen Embryo, dessen Wirbelsäule, wie erwähnt, des Vergleiches halber, frei präparirt worden war, das knorplige Steiß- bein keine Chorda mehr enthielt; das Gleiche gilt von den Dorsal- wirbeln. Es ist demnach in dem entwicklungsgeschichtlichen Stadium, u pie lina, ulna Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 121 um das es sich hier handelt, die Chorda im Bereiche der Wirbel- körper bereits vollständig geschwunden. Dagegen scheint bei unse- rem Embryo in der nicht verknorpelnden Verlängerung der Wirbel- säule vermuthlich gerade darum, weil die Chorda von Seiten des wachsenden Knorpelgewebes keinem Drucke ausgesetzt ist, die Rück- bildung langsamer vor sich gegangen zu sein, und hat offenbar die Chordatheile, welche im Schwanze liegen, noch wenig betroffen. Zum Schlusse möchte ich mir noch einige kurze Bemerkungen erlauben, um die Bedeutung des vorliegenden Falles in genetischer und genealogischer Hinsicht zu würdigen. Dass es sich um einen Atavismus handelt, bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung; dagegen scheint es mir nöthig die Zeit des Auftretens derselben zu bestimmen, um sodann die Ausdehnung besprechen zu können, bis zu welcher die Rückschlagsbildung ge- diehen ist. Was den ersteren Punkt anlangt, so muss die Anlage des Schwanzes in die allererste Zeit des embryonalen Lebens ver- legt. und angenommen werden, dass damals bei dem Embryo eine frühere phylogenetische Zustände repräsentirende ungewöhnliche Länge der Körperanlage vorhanden gewesen sein muss; ich verstehe hierunter eine größere Zahl von Urwirbeln, längere Chorda und ein weiter nach hinten reichendes Medullarrohr. Diese Annahme, so wie die aus ihr sich ableitende Folgerung, dass aus dem distalwärts verlängerten Abschnitt der Körperanlage der Schwanz hervorgegan- gen sei, möchte ich durch Folgendes zu begründen versuchen. Dass im Schwanztheile unseres Embryo in früheren Entwicklungs- stadien Urwirbel gelegen sein müssen, scheint mir aus dem Vorhanden- sein einer ventralen Schwanzmuskulatur geschlossen werden zu müs- sen; diese lässt sich wie die gleiche Muskulatur der Thiere nur von Muskelplatten, den Abspaltungsprodukten von Urwirbeln ableiten: denn die Annahme eines späteren Einwachsens muskulöser Elemente von vorn her in den Schwanz dürfte sehr gezwungen erscheinen. Da Chorda und Urwirbel unseren Erfahrungen nach ohne Medullarrohr nieht denkbar sind, so ergiebt sich hieraus weiter, dass auch in unserem Falle einstens das hintere Ende des Medullarrohrs in dem Schwanztheile gelegen sein muss. Es ist bekannt, dass das Medul- larrobr in frühen Stadien der Entwicklung normaler Weise sehr in die Länge wächst, mehr als die unter ihm liegenden Theile. was die Krümmung der Embryonen in der Längsachse erklärt. ECKER! ! Siehe Icones physiol. Taf. XXXI Fig. 7. 122 Leo Gerlach und mit ihm übereinstimmend ROSENBERG haben gefunden, dass noch bei menschliehen Embryonen von beiläufig 2 em Kopfsteißlänge das Medullarrohr bis zur Spitze des schwanzförmigen Vorsprungs reicht. Ich stehe daher nicht an, zu behaupten, dass auch bei dem in Rede stehenden Embryo in der ersten Zeit des embryonalen Le- bens das Medullarrohr nach hinten bis an das Ende der Körperanlage gewachsen ist, und desshalb ursprünglich ebenfalls an der Bildung des Sehwanzes mit Theil genommen hat. In der weiteren Entwick- lung übertreffen dann wieder die ventral vom Medullarrohr gelegenen Theile, vor Allem die Wirbelsäule, das erstere an Längenwachsthum, und dadurch wird eine Reduktion des Medullarrohres an seinem di- stalen Ende eingeleitet, welche nach oben zu fortschreitet. In dem Stadium, in welchem das Medullarrohr am weitesten nach hinten reichte, scheint unsere Rückschlagsbildung den höchsten Grad ihrer Entwicklung erreicht zu haben. Was nun folgt, kann man als regressive Metamorphose bezeichnen. Nachdem sich noch von den Urwirbeln des Schwanzes in der gleichen Weise, wie bei den höher gelegenen, die Muskelplatten abgespaltet haben, lassen die ersteren nicht mehr aus ihrem Gewebe knorplige Wirbelanlagen hervor- sehen, wie es bei den übrigen Urwirbeln der Fall ist, sondern sie wandeln sich in jene aus weicherem Gewebe bestehende Umgebung der Chorda um, welche oben bei der Betrachtung der histologischen Be- schaffenheit des Schwanzes bereits beschrieben wurde. Dadurch dass unter dem vierten Caudalwirbel die Anlage knorpeliger Wirbel unter- blieb, wurde natürlich auch die spätere Bildung knöcherner Wirbel hint- angehalten, und es war damit das weitere Schicksal des Schwanzes entschieden. Derselbe würde, wenn der Embryo am Leben geblie- ben wäre, niemals Hartgebilde d. h. eine Fortsetzung der knöcher- nen Wirbelsäule haben enthalten können, sondern er würde einen rein häutigen Fortsatz der Oberfläche dargestellt haben. ‘Das Schwinden der Chorda unterhalb des Steißbeins in dem zum Schwanze führenden Verbindungsstrang scheint mir ganz be- sonders für die Rückbildung des Schwanzes zu sprechen. Wäre der Embryo einige Wochen älter gewesen, so würde sich wahrscheinlich auch im Schwanze keine Chorda mehr haben nach- weisen lassen, und wir wären dann um dieses sichere Kriterium gekom- men, welches die einstigen Beziehungen des Schwanzes zur Wirbel- säule außer allen Zweifel stellt. Die Reduktion des Schwanzinhaltes bedingt natürlich einen Stillstand in dessen äußerer Entfaltung. Derselbe würde im Ver- Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschlichen Embryo. 123 hältnis zu dem Wachsthum des Embryo, an demselben nicht Theil nehmend, in späterer Zeit einen immer kleineren Anhang des em- bryonalen Leibes gebildet, ja sich vielleicht beim Neugebornen voll- ständig verloren haben. Fassen wir das Gesagte nochmals kurz zusammen. Der eben beschriebene Fall stellt eine in der frühesten Zeit des embryonalen Lebens entstandene Rückschlagsbildung dar. Sie beruht auf einer stärkeren Entwicklung des hinteren Körperendes, welche durch eine größere Zahl von Urwirbeln und einer dieser entsprechenden Ver- längerung der Chorda und des Medullarrohrs bedingt ist. Dadurch jedoch, dass die Urwirbel des Schwanzes nicht die Bildung bleiben- der Wirbel anbahnten, trat eine Correktion, eine Rückkehr zum normalen Bildungsgange ein, d. h. das Zustandekommen eines knö- chernen Schwanzes wurde unmöglich gemacht. Erlangen, im August 1879. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI. Fig. 1.' Der Embryo mit Nabelstrang und Placenta in natürlicher Größe. Die Oberschenkel sind gegen den Unterleib zu gebeugt, um den Schwanz zur Ansicht zu bringen. Der an der Basis derselben beginnende von FLEISCHMANN gegen den Rücken zu gemachte Schnitt ist absichtlich weggelassen. Fig. 2. Ein Theil des Embryo; natürliche Größe. Bauchdecke mit Nabel- strang nach unten geschlagen. S Schwanz. C Clitoris. IN Linke Nymphe. B Blase. N Nabelstrang. D Darm. O0 Ovarium. E Eileiter. U Uterus. RM Rundes Mutterband. Fig. 3. Äußere Geschlechtstheile des Embryo, von unten vorn und rechts betrachtet; zweifache Vergrößerung. 124 Leo Gerlach, Ein Fall von Schwanzbildung bei einem menschl. Embryo. GL Große Schamlippen. RN Rechte Nymphe. IN Linke Nymphe. VV Vestibulum vaginae. AO Analoffnung. C Clitoris; an ihrer Spitze die Glans clitoridis. S Schwanz. Fig. 4. Rückseite des Embryo; natürliche Größe. Die untersten Rücken- wirbel, die Lumbal-, Sacral- und Caudalwirbel freigelegt. LB Letzter Brustwirbel. LR Letzte Rippe. LL Letzter Lendenwirbel. D Darmbein. K Kreuzbein (der durch die Bogen der Sacralwirbel gehende Schnitt ist nicht gezeichnet). HS Hiatus sacralis. SV Stiangförmige Verlängerung der Wirbelsäule. S Schwanz. Fig. 5. Beckengegend des Embryo von der Rückseite; zweifache Vergrö- Berung. Der Sacralkanal durch eine breite Liingsspalte von hinten her eröffnet. LL Letzter Lendenwirbel. ES Erster Sacralwirbel. LS Letzter Sacralwirbel. EC Erster Caudalwirbel. LC Letzter Caudalwirbel. D Darmbein. SV Strangförmige Verlängerung der Wirbelsäule. S Schwanz. Fig. 6. Querschnitt durch die strangförmige Verlängerung der Withee HARTNACK Oc. III Syst. 4. C Centrales weicheres Gewebe mit einer Reihe von querdurch- schnittenen BlutgetiBen. P Peripheres dichteres Gewebe, worin viele rundliche Quer- schnitte von quergestreiften Muskelfasern. Fig. 7. Querschnitt durch den Anfangstheil des Schwanzes. HARTNACK Oc. III Syst. 4; bei eingeschobenem Tubus gezeichnet. Ch Chorda dorsalis. C Centrales Gewebe, in welchem die Chorda verläuft. P Peripheres dichteres Gewebe mit zahlreichen rundlichen Quer- schnitten quergestreifter Muskelfasern. VM Ventraler Muskel. M Querdurchsehnittene Muskelbündel. U Unterhaut. Cu Cutis. G Gefäße der Cutis. Fig. 8. Das letzte 1!/, mm lange Endstiickchen des Schwanzes. HARTNACK Oc. III Syst. 5. hol- Jahrbuch. Bd WI. | Taf VI i et Sas — at 2 SEE 5 mS < Lith.Anst.v.B.A.Funke , Leipzig. Lith. Anat. A Funke , Lapaif, Uber das Skelett der hinteren Gliedmafse der Ganoidei holostei und der physostomen Knochenfische. Vorläufige Mittheilung von M. v. Davidoff, Assistent am zool. Institut zu Heidelberg. Die Untersuchung des Skelettes der hinteren Gliedmaße der _ Ganoidei holostei, verbunden mit vergleichend anatomischen _ Hinweisungen auf den gleichnamigen Skeletttheil einiger physostomen _ Knochenfische, ergab nicht uninteressante Resultate, welche ich hier - meinen Fachgenossen kurz mittheilen will. Die eigenthümliche - Stellung, welche die Ganoiden im System der Fische einnehmen, von welcher schon JoH. MÜLLER sagt, dass sie »mitten zwischen die Knochenfische und Plagiostomen« fällt!, ließ hoffen, dass gerade hier eine Verbindung zwischen den Knochenfischen und Selachiern zu suchen sei. Meine in diesem Jahrbuche (Bd. V, Heft 3) ver- - öffentlichte Arbeit zeigte indessen, dass das Becken der Sturionen sich nur von Formen ableiten lasse, welche als Vorfahren sämmt- lieher Gnathostomen zu beurtheilen seien. Indem nun die Knorpel- _ ganoiden in Bezug ihrer hinteren Gliedmaße eine Seitenrichtung eingeschlagen, und so eine den Selachiern gleichwerthige Stellung einnahmen, entstand die Frage, wie sich in dieser Beziehung die _Ganoidei holostei verhalten: sind sie von den Sturionen oder von den Selachiern abzuleiten ? 1 Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden, Abhandlungen der Berliner Akad. 1846. pag. 146. 226, M. v. Davidoff Von den untersuchten Gattungen, nämlich Polypterus bichir, Amia calva und Lepidosteus osseus, wichen die beiden letztgenannten Gattungen in so unwesentlichen Punkten von den Physostomen ab, dass sie die Lösung der aufgeworfenen Frage in keiner Weise förderten. - Anders verhielt sich Polypterus. Um nun eine kurzgefasste anatomische Beschreibung zu geben, sei hier erwähnt, dass das Skelett der Hintergliedmaße bei Amia und Lepidosteus aus einem langen, an seinen beiden Enden meist verbreiterten Knochen, dem »Beckenknochen« der Autoren!, besteht, welcher mit demjenigen der anderen Seite vorn in einem spitzen Winkel zusammentrifft, wobei der linke vom rechten theil- weise überlagert wird. Bei Polypterus hingegen hängen die bei- den »Beckenknochen « vorn vermittels eines sehr dünnen, platten Knorpelstückchen zusammen, welches in der Mittellinie eine deut- liche Trennung in zwei Hälften aufweist. Von Wichtigkeit ist der Umstand, dass die beiden »Beckenknochen« mit dem eben erwähn- ten Knorpelstiickchen etwas beweglich verbunden sind, welche Thatsache Letzteres nicht ohne Weiteres als eine einfache Epiphyse zu beurtheilen erlaubt. Das Hinterende des »Beckenknochens« stellt bei Amia und Lepidosteus einen Gelenkkopf dar, während dasselbe bei Polypterus mächtig verbreitet erscheint und an sei- nem medialen hinteren Winkel einen medianwärts ragenden stum- pfen Fortsatz besitzt, welcher von dem anderseitigen nur durch das in der Mittellinie sich findende Septum? getrennt ist. Bei Amia und Lepidosteus trägt femer das Hinterende des »Beckenkno- chens« mehrere (3—4), theilweise verknöcherte Knorpelstiickchen, welche sich bei Polypterus zu vier ansehnlichen, von außen nach innen an Größe zunehmenden Knochen, den »ossa metatar- salia« der Autoren, gestalten. Zwischen ihren distalen Enden tra- gen sie kleine rundliche Knorpelstücke, welehe ganz die Beschaf- fenheit der den Radien ansitzenden Endgliedstückehen der Selachier haben. ! Cuvier, GEOFFROY Sr. HıLaıRE, AGAssiz, Jon. MÜLLER, STANNIUS, DUMERIL ete. 2 Dieses Knorpelstück ist von THACHER übersehen worden. Er giebt eine Verbindung der beiden Knochen vermittels Bindegewebe an. Trans. of the Connecticut Acad., Vol. IV. 1877. 3 Sieh meine erwähnte Arbeit. pag. 455. Ub. d. Skelettd. hint. GliedmaBe d. Ganoidei hol. u. d. physost. Knochenfische. 127 Aus einigen später zu erörternden Gründen, namentlich aber aus der Vergleichung der hierher gehörigen Muskeln, ergab es sich nun, dass die vier dem »Beckenknochen« ansitzenden, bei Amia und Lepidosteus sehr verkümmerten Stücke den Radien der Selachier homolog sind; der s. g. Beckenknochen aber dem Basale metapte- rygii entspricht; während das eigentliche Becken durch das me- diane Knorpelstück von Polypterus repräsentirt ist, aber sowohl bei Amia als auch bei Lepidosteus vollständig fehlt. Vergleicht man nun das Skelett der hinteren Gliedmaße eini- ger physostomen Knochenfische (Alausa, Salmo, Trutta, Barbus ete. mit demjenigen der Knochenganoiden, so vereinigt dasselbe in sich Eigenschaften, welche auf die drei genannten Gattungen der Ga- noidei holostei vertheilt sind. Es stimmt mit Amia und Le- pidosteus im Fehlen des eigentlichen Beckens und in der mäch- tigen Reduktion der Radien überein. Mit Lepidosteus hat es die Ausbildung verschiedener, durch Muskelinsertionen am Basale metapterygii entstandener Cristae gemeinsam. Dem von Polypte- rus gleicht es durch die, hier noch weiter gehende Ausbildung des medialen, am hinteren Ende des Basale sitzenden Fortsatzes, wel- cher bei den Physostomen mit demjenigen der anderen Seite na- _mentlich bei den erwachsenen Individuen meistens vermittels Binde- gewebe fest verbunden erscheint. Die Untersuchung läuft somit zu dem Ergebnis, dass sowohl die physostomen Knochenfische als auch Amia und Lepidosteus in Bezug auf ihre hintere Gliedmaße sich durch Polypterus mit den Selachiern verbinden lassen. Polypterus repräsentirt dem- nach eine Zwischenstufe, welche durch den Besitz eines zwar sehr redueirten Beckens, aber noch wohlausgebildeter Radien ausgezeich- net ist. Bei den Physostomen, wie bei Amia und Lepido- steus fehlt das eigentliche Becken, während die Radien in ver- schiedenen Stufen der Reduktion sich auch bei den Physostomen noch nachweisen lassen. Also der bei den Ganoidei holostei und den Physostomen (wahrscheinlich auch bei den übrigen Ordnungen der Knochenfische) allgemein als » Beckenknochen« be- zeichnete Shkeletttheil entspricht nicht dem Becken der Selachier, Sturionen, Amphibien und der amnioten Wirbelthiere, sondern dem Basale metapterygü der Selachier, wodurch auch das Fehlen eines dorsalen als Ilium zu deutenden Abschnittes des Gliedmaßen- skelettes bei den Knochenganoiden und Knochenfischen vollständig 128 M. v. Davidoff, Uber das Skelett der hinteren Gliedmaße ete. erklärt wird. Wenn also die Sturionen einen Seitenzweig bilden, so lassen sich die Knochenganoiden, Physostomen und die übrigen ?) Knochenfische durch Polypterus in direkter Linie von den Se- lachiern ableiten, oder bei Polypterus hat sich noch eine Ein- richtung erhalten, welche die Verknüpfung des Verhaltens der Hintergliedmaße der Selachier mit jenen der übrigen Ganoiden und den Teleostiern möglich macht. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. Von Dr. A. Rauber, ao. Prof. in Leipzig. Zweiter Abschnitt. Über Achsenvermehrung. Mit Tafel VII—X und 7 Figuren in Holzschnitt. Gleich wie der erste Abschnitt dieser Abhandlung nur die hö- heren Grade des Form-Defektes in sein Bereich gezogen hat, wäh- rend eine Untersuchung der geringeren Grade schon aus dem Grunde unterbleiben konnte, weil dieselben in ihrer Entstehungsweise viel besser erkannt sind, so übergeht auch der folgende Theil die gerin- geren Grade excessiver Bildung und beschäftigt sich mit der Ver- mehrung der Leibesachsen, d. i. mit der Vermehrung der individu- ellen Centra selbst. Lässt sich schon der Frage der Polydactylie, Polymastie u. s. w., in so fern der Erklärungsgrund für überzählige ‚Organe und Organtheile gesucht werden soll, ein ganz bestimmtes Interesse nicht absprechen, so haben doch die mit mehrfachen Lei- bern ausgestatteten Wirbelthiere von alter Zeit her die ganz beson- dere Aufmerksamkeit erregt. Man kann fragen, ob man sich nicht eines Hilfsmittels der Erklärung entschlagen werde, wenn jene ge- ringeren Grade unberücksichtigt bleiben. Sie sind aber verhältnis- mäßig so wohl bekannt, dass sie für den Fall des Bedürfnisses jeden Augenblick bereit stehen, herangezogen zu werden. Welches aber ist der innere Grund, welcher die mehrleibigen Monstra dem Formdefekt gegenüber zu stellen und innerhalb des Morpholog. Jahrbuch. 6. 9 130 A. Rauber Rahmens embryonaler Formstörung zu behandeln gestattet? Wenn auch nach der üblichen Auffassungsweise ein Zweifel hierüber nicht zu bestehen scheint, so ist gleichwohl die Frage eine berechtigte. Wurde doch schon im Vorausgehenden kurz angedeutet, dass ge- rade die höchsten Grade der Verdoppelung, insbesondere bei den Säugethieren und dem Menschen, völlig normale Produkte liefern, welche mit einer Formstörung in Nichts zu thun haben. Sie sind als aus einer Dotterkugel, in einem Ei sich entwickelnde Zwil- linge bekannt. Auch unter den durch sogenannte Verwachsung mit einander zusammenhängenden Doppelbildungen, die allgemein zur Reihe der Monstra gerechnet werden, giebt es gerade vom Menschen eine genügende Zahl, um zu beweisen, dass die individuelle Exi- stenz durch die Komplikation mit einer Monstrosität nicht mit Noth- wendigkeit frühzeitigem Untergang verfallen sei. Was man hier Formstörung nennt, könnte zwar als eine solche aufgefasst werden im Blick auf ein von Anfang an einfaches, oder auf ein erst nach- träglich durch den natürlichen Entwicklungsvorgang völlig isolirtes Individuum, müsste es aber nicht nothwendig sein in Beziehung auf das Doppelindividuum selbst, welchem eben die von ihm innegehabte Form als eine normale und naturgemäße zukäme. . Für gewöhnlich macht man es sich ja sehr leicht mit der Be- urtheilung der mehrleibigen Monstra. Sie werden als Bildungen, welche mehr besitzen, als ein Einzelindividuum, derjenigen Reihe als Gegensatz gegenüber gestellt, welche dadurch charakterisirt ist, dass ihre Bildung unvollständig, defekt ist. Dem Mangel ist aller- dings das Übermaß entgegenzusetzen, letzteres aber würde sich zu- nächst nur als Vergrößerung, als Riesenbildung offenbaren. Über das Verhältnis von Übermaß zur Vermehrung besteht nicht ohne Weiteres vollständige Klarheit. Riesenbildung pflegt ohne Organvermehrung stattzufinden; Achsenverdopplung andrerseits be-- darf keines Überschusses an Eimaterial, um zur Erscheinung ge- langen zu können; ein Keim, der an Masse einen anderen Keim nachweisbar nicht übertrifft, kann zu einer Doppelbildung sich ent- wickeln. Ihrem Ursprunge nach ist die Achsenvermehrung auf einem ganz anderen Boden zu suchen, als auf dem des Material- überschusses und sie stellt demgemäß in Bezug auf mangelhafte Entwicklung kein einfaches Gegenüber dar, sondern ist nach eigenen Normen zu beurtheilen. Obwohl dem aber so ist und obwohl auf Grundlage einer Achsenvermehrung mit deren höchster Vollendung völlig. normale ni eu er Cl Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 131 isolirte Wesen ins Dasein gelangen können, was man bisher nicht allgemein anzunehmen pflegte, so neige ich mich dennoch dem durchgehends herrschenden Urtheile und Gebrauche in so weit zu, sie unter die Formstörungen wenigstens äußerlich aufzunehmen und mit ihnen zu behandeln; aus folgenden Gründen. Achsenvermehrung, — partielle oder totale; gelangt im Verhältnis zur einfachen Bildung, wie eine Zusammenstellung ergeben wird, so überaus selten zur Ausbildung, dass man deutlich erkennt, die Natur strebe bei der Erzeugung und Fortpflanzung aller in Frage kommenden Thierarten nicht nach Achsenvermehrung, sondern gebe der Hervorbringung einfacher Bildungen in hohem Maße den Vorzug. Ja die Art und Weise des Zustandekommens und ersten Auftretens der mehrfachen Achsen bildet durch sich selbst, wie wir sehen werden, häufig ein Hindernis ihrer Weiterentwicklung; ihre erste Anlage involvirt oft eine Gefährdung ihrer selbst. Viele Formen von Doppelbildungen dieser oder jener Klasse sind außerdem überhaupt nicht fähig, das individuelle Leben bis zum Reifezustand zu erhalten und sich fort- zupflanzen. Mit dieser Behandlung unter den Formstörungen ist indessen die Frage über die morphologische Stellung und Bedeutung der mehrleibigen Monstra natürlich nieht gelöst, sondern es ist bloß eine äußerliche Verknüpfung hergestellt; es besteht vielmehr die Aufgabe, im Folgenden zur Lösung jener Frage beizutragen und die morphologische Stellung jener Bildungen zu untersuchen. Eine äußerliche Verknüpfung mit den einfachen Monstris lässt sich endlich auch noch in so fern rechtfertigen, als gerade bei den Mehrfachbildun- gen konkurrirende einfache Defekte selbst schwerster Art zu den häu- figeren Vorkommnissen gehören, A. Häufigkeit der Achsenvermehrung. Brauchbare Angaben über die Häufigkeit einer Verdoppelung oder Verdreifachung der Leibesanlagen finden sıch nur aus den Klas- sen der Knochenfische und Vögel vor. Über die Säugethiere fehlen bestimmtere Erfahrungen. Auch die in andrer Hinsicht so genauen Erhebungen über die den Menschen betreffenden Fälle sind für unsern Zweck nicht anwendbar. Denn es müsste außer den eigentlichen Monstris einmal die Zahl aller in einem Chorion einge- schlossenen normalen Zwillinge, sodann aber auch die Zahl aller während derselben Zeit geborenen sogenannten Acardiaci bekannt 9% 132 A. Rauber sein. Erstere Zahl wird sich aber nur schwer mit einigem Grade von Zuverlässigkeit erreichen lassen. Zwei von einer Eischale umschlossene Dotter, ein bei Vögeln nicht allzu seltener Fall, sind in dieser Hinsicht selbstverständlich anzusehen -wie zwei Eier; denn als Ei gilt der von der Dotterhaut umhüllte Dotter. Jene zwei Dotter befinden sich nur in ungewöhn- licher Nähelage. . Es sei gestattet, zunächst über die von mir im verflossenen Win- ter gemachten Erfahrungen zu berichten. Aus einer früher gegebe- nen Zusammenstellung über ältere Litteraturangaben werde ich sodann die Hauptergebnisse anschließen. Unter 4745 Eiern von Knochenfischen, welehe künstlich befruch- tet worden und zur Entwicklung gelangt waren, fand ich 17 Fälle von Duplieität und 1 Fall von Triplieität der Leibesanlagen ; zusam- men also 18 Fälle von Achsenvermehrung. Zufolge der angewandten Untersuchungsmethoden und da nur frühe Stadien erstrebt wurden, glaube ich keinen Fall übersehen oder durch Absterben verloren zu haben. Dieselben vertheilen sich auf die verschiedenen Species in folgender Weise. 2473 Eier vom Lachs (Salmo salar) ergaben 6 Doppelbildungen. Diese 2473 Eier gehören jedoch nicht sämmtlich einer und derselben Befruchtung und Mutter an; vielmehr sind sie aus 5 verschiedenen Befruchtungen zusammengesetzt. Die erste Gruppe, mit 334 Eiern, lieferte 2 Fälle von Doppelbildung, - zweite - = TSO. = alos - - - dritte - - 427 - ._ 1 - - - - vierte - - ‘hid 7 - = 2 ag - - - fünfte - = (9225+ - aa - - 1298 entwicklungsfihige Eier vom Salmling (Salmo salvelinus) lieferten gleichfalls 6 Doppelbildungen. Sie bestehen aus drei Gruppen. Die eine Gruppe, mit 364 Eiern, ergab 2 Doppelbildungen, - . zweite - am br i = oe - - dritte - - 501 - - 3 - 974 entwicklungsfähige Eier der Forelle (Salmo fario) liefer- ten 5 Doppelbildungen und 1 Dreifachbildung. Sie bestehen aus drei Gruppen. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 133 Die eine Gruppe, mit 295 Eiern, hat 4 Doppelbildungen, - zweite - - 303 - - keine - - dritte - - 376 - - 1 Doppel- und 1 Dreifachbil- dung. Was schon früher von mir gemachte Beobachtungen betrifft, so hatte ich unter etwa 200 Eiern der Forelle 4 Doppelbildungen erhalten: alle lagen, zur Zeit als sie bemerkt wurden, noch inner- halb der Dotterhaut; doch war das Dotterloch (die Keimpforte) be- reits geschlossen und die Länge des freien Schwanztheiles betrug '/, bis '/; der ganzen Körperlänge. Unter 200 anderen, einer etwas späte- ren Entwicklungsstufe angehörigen, aber noch immer in der Dotter- haut befindlichen Embryonen derselben Art war keine Doppelbildung vorhanden; eben so wenig unter 600 schon ausgeschlüpften oder dem Ausschlüpfen nahen Embryonen. Unter 325 entwicklungsfähig gewesenen Eiern einer Befruch- tung vom Hecht erhielt ich 1 Doppelbildung auf der Stufe der noch offenen Keimpforte. Die beiden von v. Barr! beschriebenen Doppelbildungen des Barsches hatten sich in einer kleinen Quan- tität Laich von 30 — 40 Eiern vorgefunden. Von Embryonen des Cyprinus Blieca schälte v. Baer mehr als 100 aus der äußeren Ei- haut und durchsah über 3000 in verschiedenen Stufen der Ausbil- dung innerhalb dieser äußeren Haut, durch welche hindurch die Embryonen sich sehr gut betrachten lassen. Die Zahl derer, die er in lebhafter Bewegung beobachtete, wobei er die Doppelbildung nicht leicht übersehen zu können glaubte, schätzt er auf etwa 2000. Die Zahl der in verschiedenen Ausbildungsstufen unter dem Mikro- skop ferner beobachteten Barsch-Embryonen betrug etwa die Hälfte der von Cyprinus Blicca untersuchten, doch war ihm ein doppeltes Individuum nicht wieder vorgekommen. Die Beobachtungsreihe von VALENTIN? betrifft Embryonen des Hechtes. Unter 917 ausgeschlüpften Hechten fanden sich 6 Dop- pelbildungen. Mit sehr großen Zahlen arbeiteten Coste und LEREBOULLET. Coste* untersuchte während mehrerer Jahre Embryonen der Bach- forelle, der Seeforelle, des Lachses und Ritters auf Doppelbildun- gen und fand unter 400 000 in seinen Apparaten und unter seinen ' v. BAER, Mémoires de | Academie imp. de St. Pétersbourg, 1845. 2 VALENTIN, Archiv für physiologische Heilkunde, 1851. * COSTE, Comptes rendus, ‘I’. 40, 1855, 134 ' A. Rauber Augen ausgeschliipften Embryonen mehr als 100 Doppelmonstra. Uber die Zahl der vor dem Ausschlüpfen zu Grunde gegangenen Doppelfische fehlt jeder Anhalt. Der Procentsatz der auf diese Weise der Wahrnehmung entzogenen Monstra ist aber nach LERE- BOULLETS und meinen eigenen Erfahrungen groß genug, um für die Beurtheilung in das Gewicht zu fallen. LEREBOULLET! beobachtete in einer durch eine Preisfrage an- geregten Untersuchung unter 203 962 ( Näherungszahl) Hecht- Eiern 255 Doppelmonstra. Unter diesen befinden sich 33 Fische mit einem einzigen Kopfe und Schweife und einem scheinbar dop- pelten Mittelkörper. Da letztere Form in Wirklichkeit keine Dop- pelbildung, sondern eine Hemmungsbildung, einen von mir soge- nannten Hemididymus darstellt, so bleiben noch 222 Doppelbil- dungen. Es ist hervorzuheben, dass die meisten dieser Fälle auf früher Entwicklungsstufe, beginnend mit der Zeit des sich zum Verschlusse anschiekenden Dotterloches, also mit dem 3. auf den 4. und die folgenden Tage der Bebrütung, gesehen worden sind. Zwei unter diesen Mehrfachbildungen waren Tripelmonstra. Aber auch jene Zahl von 222 auf 203962 Eier, 1 auf rund 920 Eier, hat nur die Bedeutung eines Minimum. LEREBOULLET selbst hebt hervor, dass, wenn man auch nicht die Gesammtzahl aller Eier, sondern die Zahl der wirklich befruchteten Eier zu Grunde legt, von die- sen noch eine sehr große Menge zu Grunde ging und dass auch unter diesen letzteren Doppelbildungen gewesen sein können. Im Übrigen zeigen die einzelnen Befruchtungen sehr große Schwan- kungen des Inhaltes an Doppelbildungen, ganz in Übereinstimmung mit den von den übrigen Beobachtern gemachten Erfahrungen. Es fehlt ein bestimmter, regelmäßig wiederkehrender Procent- satz der Produktion von Mehrfachbildungen, dies geht aus den an- gegebenen Zahlenwerthen deutlich hervor. Eine Befruchtung ergiebt eine hohe, die andre nur eine sehr niedrige Verhältniszahl. Die Ur- sache ihrer Produktion ist demgemäß auch nur von einer unregelmäßi- gen Wirksamkeit, sei dieselbe nun in einer Prädisposition des einen oder des anderen Zeugenden, d. h. in einer besonderen Konstitution der Eier oder des Sperma, oder in Besonderheiten des Befruchtungs- vorganges selbst enthalten. Hierauf wird erst an späterer, Stelle Rücksicht zu nehmen sein. NX ' LEREBOULLET, Annales des sciences naturelles. IV. Série, Zoologie, T. 20, pag. 177; V: Série, T. 1, pag. 260. Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 135 Wenden wir uns für jetzt noch zur Betrachtung der Häufigkeit der genannten Bildungen beim Hühnchen. Obwohl von demselben eine große Reihe von Fällen aus früher Entwicklungszeit bekannt ist, so waren doch bis auf die jüngste Zeit statistisch verwerthbare Angaben nicht vorhanden. Diese Lücke ist durch Dareste ! in be- friedigender Weise ausgefüllt worden. Unter ungefähr 10000 künst- lichen Bebrütungen des Hühnchens beobachtete derselbe 40 Mehr- fachbildungen, darunter 2 Tripelembryonen, die übrigen Doppelbil- dungen. Es trifft also hier 1 Doppelbildung auf etwa 250 einfache Embryonen, | Tripelembryo auf 19 Doppelbildungen. PanumM? hatte Gelegenheit, 67 Hühner- und 3 Gänse -Eier mit doppeltem Dotter 2—9 Tage lang zu bebriiten; diese entsprechen 140 Eiern. Unter 70 mindestens Entwicklungsspuren zeigenden Dottern befand sich einer, welcher einen Doppelembryo trug. B. Neue Beobachtungen. Nachdem es passend erschienen war, schon zu Anfang be- stimmte Vorstellungen über die Häufigkeit der mehrleibigen Monstra zu ermöglichen, ist es nunmehr am Platze, den Blick auf das neue Beobachtungsmaterial selbst zu lenken und den verschiedenen For- men, in welchen die Achsenvermehrung sich geltend macht, mit allen ihren Besonderheiten die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Material, auf dessen Erwerbung meine Bemühungen aus- gegangen waren, sollte vor Allem Aufschluss geben über den For- menreichthum, in welchem das erste Auftreten der Mehrfachbildungen erfolgt, so wie über die Art und Weise des ersten Auftretens der vermehrten Embryonalanlagen selbst. Es war also das Stadium der vorderen Embryonalanlage, über dessen Beginn und Ablauf die Untersuchung sich in erster Linie erstrecken musste. Hierüber lagen selbst bei den Knochenfischen nur sehr dürftige und unzurei- chende Beobachtungen vor. War einmal bei den Knochenfischen in bestimmter Weise der Nachweis geliefert, welche Erscheinungs- reihe eine Keimscheibe biete, auf welcher gerade die ersten bemerk- baren Spuren mehrfacher Embryonalanlagen hervortreten, so konnte man nicht bloß die Vollendung der vorderen zu den totalen Em- bryonalanlagen in das Auge fassen, sondern es fiel von den Kno- ! DARESTE, Production artificielle des monstruosités, pag. 302. 2 PANuM, Untersuchung über die Entstehung der Missbildungen. pag. 214. 136 i A. Rauber chenfischen aus sofort auch ein bedeutsames Licht auf die ähnlichen Vorkommnisse bei den iibrigen Klassen der Wirbelthiere, mochten letztere sich nun durch ihre normale Entwicklungsgeschichte mehr oder weniger von dem Typus der Knochenfische entfernen. War nur die normale Entwicklungsgeschichte der übrigen Klassen in ge- nügender Vollkommenheit bekannt, so konnte es nicht schwer fallen, die richtigen Anknüpfungspunkte für ihre Mehrfachbildungen zu fin- den und sie der Beobachtung selbst zugänglicher zu machen, wo letztere noch Lücken aufzuweisen hat. Über das Stadium der vorderen Embryonalanlage vermag ich nun eine sehr vollständige, vielleicht erschöpfende Reihe von Fällen vorzulegen. Erst als ich über dieses Stadium eine genügende Reihe gesammelt hatte, wendete ich auch der mittleren und totalen Em- bryonalanlage so viel Material zu, als zweckmäßig erschien. Aus späterer Entwicklungsstufe, der Zeit des Ausschliipfens oder noch darüber hinaus, habe ich 2 Hauptformen desshalb unter die Abbil- dungen aufgenommen, um durch sie den endlichen Ablauf zu ver- gegenwärtigen. Mehrere der neu erhaltenen 18 Mehrfachbildungen , welche sämmtlich auf den beigegebenen Tafeln vergrößert abgebildet sind, wurden in mikroskopische Schnitte zerlegt, um über die Art des Zu- sammenhangs vollständig unterrichtet zu werden; einige der erhal- tenen Schnitte sind gleichfalls abgebildet worden. Vom Hühnchen habe ich zwei neue Fälle von Doppelbildung aufgenommen, den einen aus früher Entwicklungszeit, die der Stufe des noch überall offenen Medullarrohrs entspricht, den andern vom 4. zum 5. Bebrütungstage, mit zum Theil app offenen Kiemenspal- ten und vorderer Verwachsung. Wenn nun auch viele der zu beschreibenden Mehrfachbildungen die frühesten Stufen darstellen, auf welchen überhaupt solche unter den Wirbelthieren bis jetzt beobachtet worden sind, so darf man dennoch nicht vergessen, dass dem Stadium der vorderen Embryo- nalanlagen noch eine Stufe vorausgeht, welche den Plan der Mehr- fachbildung bereits in der Anordnung des Zellenmaterials enthält, ohne dass diese Anordnung sich äußerlich in zuverlässiger Weise aus- prägen könnte. Der Punkt, von welchem hier ausgegangen werden muss, ist die Befruchtung. Die Untersuchung bis zu diesem Punkte zurückzutreiben, lag nicht in meiner nächsten Absicht. Das Stu- dium der normalen Befruchtung, während dessen Anomalien unge- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 137 sucht in Menge sich darbieten, wird allmählich auch hierin Licht zu verbreiten haben, vor Allem bei Wirbellosen. I. Doppelmonstra vom Lachs. Erster Fall. Fig. 4 Tafel VII. 10 Tage nach künstlicher Be- fruchtung. Dieser wie die folgenden Fälle sind bei auffallendem Lichte mit dem Prisma gezeichnet. !?/,. Zur Vergleichung der bereits geschehenen Ausbreitung der Keim- scheibe, welche beide vordere Embryonalanlagen trägt, mit einem Keime, welcher sich am Ende der Furchung befindet und seine Ausbrei- tung über die Dotterkugel noch nicht begonnen hat, findet sich ein solcher Keim in Fig. 1 bei 12facher Vergrößerung dargestellt. Zur Veranschaulichung der Größe der Dotterkugel ist dieselbe in Fig. 9 (d) bei derselben Vergrößerung gezeichnet. Das Ei, welches die doppelte vordere Embryonalanlage trägt, besitzt normale Gestalt und den gewöhnlichen Durchmesser von Lachs-Eiern, gegen 7 mm. Die Keimscheibe, die in der Figur allein gezeichnet ist, bedeckt erst einen kleinen Theil der großen Kugel- oberfläche; der Durchmesser der Keimscheibe, in der Ebene des Keimrings gemessen, beträgt nämlich erst nahezu 3!/;, mm zwischen den entferntesten Punkten. Keimring (7) und dünne Mittelscheibe (m) sind deutlich wahrnehmbar. An genau entgegengesetzten Stel- len des Keimrings, die also 180 Grad aus einander liegen, erstrecken sich die beiden vorderen Embryonalanlagen in die dünne Mittelscheibe hinein. Beide sind nahezu gleich beschaffen und zeigen je die ge- wöhnliche Form der ersten Kopfanlage eines Lachs-Embryo. Die Konjunktion ihrer beiden symmetrischen Seitenhälften ist in der An- lage II bereits weiter vorgerückt als in der Anlage I. Beide, ins- besondere die Aulage II, besitzen einen kräftig ausgeprägten Haken («) entsprechend ihrem hinteren Rande. Die vorderen Spitzen bei- der Anlagen stehen in gerader Linie gemessen !/, mm von einan- der ab, ungefähr eben so viel, als die Länge jeder Anlage beträgt. So wohlbeschaffen beide Anlagen erscheinen, so fallen sie doch durch ihre kleinen Dimensionen auf. Man vergleiche sie in dieser Beziehung nicht nur mit den übrigen Figuren derselben Tafel, sondern insbesondere auch mit der einfachen vorderen Embryonalanlage Ab- schnitt I, Taf. XXXIX Fig. 4, welche ein Beispiel von keineswegs ungewöhnlich starker Ausbildung darstellt. 138 j A. Rauber Zweiter Fall. Fig. 5. !2/,. 12 Tage n. B. Die Ausbreitung der Keimscheibe über die Dotterkugel ist, wie ein Blick auf die Figur lehrt, weiter gelangt, wie im vorhergehen- den Fall. Da die Aufnahme der Figur von einem senkrecht zur Ebene des Keimrings gelegenen Punkte aus erfolgte, so erscheinen beide Embryonalanlagen etwas kürzer, als sie wirklich sind; doch ist der Unterschied immerhin noch nicht erheblich. Die Konjunktion der Seitenhälften der Kopfanlage 1 ist gegenüber der Norm etwas verzögert. Derselbe Keimring trägt eine mangelhaft ausgebildete vor- dere Embryonalanlage II. Sie gehört ganz zu der Reihe, welche im vorigen Abschnitt untersucht worden ist. Wir haben demgemäß — eine acephale Anlage in Verbindung mit einer normalen vor uns. Die Anlage II besitzt im Ganzen die Gestalt einer horizontal liegenden Spindel, deren Spitzen in den Keimring auslaufen, dem auch der hintere konvexe Rand der Anlage angehört. Ein Haken ist nicht zur Ausbildung gekommen. Die ganze Platte ist niedrig und flach. Über ihre Mitte hin zieht eine gleichfalls spindelförmige Vertiefung. Die vorderen Spitzen beider Anlagen sind *!/;, mm von einander entfernt. Die Einstellung ihrer Längsachsen geschieht in einem Winkel von ungefähr 160°, so dass man hier einen größeren von einem kleineren Keimringtheil (äußere und innere Zwischen- strecke) unterscheiden kann. Dritter Fall. Fig.6. 12. 10 T. n. B. Die beiden vorderen Embryonalanlagen zeigen normale Ausbil- dung. Ihre Längsachsen schneiden sich eine geringe Strecke jen- seits des Centrums der Keimscheibe. Beide besitzen einen wohl- ausgebildeten Uneus. Die zwischen den medialen Seitenhälften beider Anlagen gelegene Keimringstrecke (7) bildet eine nicht an Dicke, wohl aber an Breite den äußeren Keimring (e) übertreffende Platte, so weit es durch den Farbenunterschied deutlich werden kann. Der freie Rand der inneren Keimringstrecke ist zugleich schwach aus- wärts gebogen und unregelmäßig wellenförmig beschaffen. Die Ha- ken sind *4/,, mm von einander entfernt. Der Winkel, in welchem die beiden vorwärts konvergirenden vorderen Anlagen zu einander gestellt sind, beträgt etwa 45°. Vierter Fall. Fig. 7. 12/,. 10 T. n. B. Auf einer kleinen Keimscheibe befinden sich zwei verhältnis- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 139 mäßig mächtige vordere Embryonalanlagen in großer Nähelage, so dass nur ein schmaler Streifen Blastoderm die beiden trennt. Beide An- lagen, deren eine eine tiefer ausgeprägte Medullargrube zu beiden Seiten der Riickenrinne erkennen lässt und zugleich etwas kräftiger entwickelt ist als die rechts gelegene, konvergiren vorwärts unter einem Winkel von 40°. Der Haken der Anlage I besitzt die An- deutung eines Zerfalles in zwei symmetrische Seitenhälften, theils durch eine leichte oberflächliche Depression, theils durch eine in der Fortsetzung der Rückenrinne gelegene Einkerbung seines Außen- randes. Die innere Keimringstrecke ist kurz, doch massig und etwas aufgeworfen. Ihr Außenrand ist vorwärts eingebogen. Diese Einbiegung wird etwas verdeckt durch einen aus dem Grunde des Keimlagers hervorquellenden Substanzstreifen (zunächst bei © sicht- bar), der sich bei genauer Untersuchung als eine wulstformige Verdickung des primären Entoderm erweist, selbst aber noch von der Deckschicht des Keimes bekleidet ist. Fünfter Fall. Fig. 8. !%/,. 10 T. n. B. Während in den bisher betrachteten Fällen die vorderen Em- bryonalanlagen sich von einander getrennt zeigen, und zwar durch den denkbar größten Zwischenraum (Fig. 4) bis zur fast unmittel- baren Berührung (Fig. 7), so hängen dieselben in diesem und dem folgenden Falle in steigendem Grade nicht nur mit einander zusam- men, sondern es geschieht auch ihrer Vollständigkeit in erhöhtem Maße Abbruch. Die Anlage II ist in ihren Dimensionen schwächer als die mit ihr verbundene und ragt mit ihrer vorderen Spitze etwas weniger weit in das dünne Mittelfeld vor. Der Zusammenhang begiunt schon in der Gegend der Augenblasen ; eine zarte Längsfurche deutet da- selbst die Trennung beider medialen Seitenhälften an. Die Rücken- rinnen beider Anlagen haben beinahe parallelen Verlauf, der Haken ist beiderseits gut entwickelt. Dazwischen liegt die kurze, vor- wärts eingebogene innere Keimringstrecke. Die Gegenwart einer solehen einfachen Einbiegung, die schon im vorhergehenden Falle bemerkt wurde und auch in einigen folgenden Fällen wiederkehrt, erklärt sich leicht. Denn da jeder Haken einen auswärts gerichte- ten Vorsprung bildet, so muss der zwischen zwei genügend genäher- ten Haken gelegene Rand eine Einbiegung mit vorderer Konvexität darstellen. 140 j A. Rauber Sechster FALTEN 40 En. EB: In den bisherigen Fällen besitzen die Längsachsen der vorderen Embryonalanlagen eine deutlich ausgesprochene vordere Konvergenz (Fig. 4—7), und endlich Parallelität (Fig. S) — im vorliegenden Falle erscheint nunmehr eine vordere Divergenz der beiden Anlagen, wie die Betrachtung ihrer Rückenrinnen belehrt. Der Verlauf der letzteren ist überdies nicht geradlinig, sondern bogenförmig und wen- den beide Bogen ihre Konvexitäten einander zu. Die vordersten Enden beider Anlagen befinden sich in unserer Figur zweifellos bei v. Verfolgen wir von diesen beiden Stellen aus die symmetrischen Seitenhälften jeder Anlage rückwärts, so zeigt sich auch hier die Augenblasengegend als die Stelle, von woher die Verschmelzung an- hebt. Beide lateralen Seitenhälften sind normal entwickelt, die me- dialen aber machen von jener Gegend an nur eine einzige zwischen den Rinnen gelegene Substanzplatte aus, welche sich rückwärts ver- schmächtigt und an Breite keine der lateralen Seitenhälften übertrifft. Sie gehört vielmehr beiden Anlagen in der Weise gemeinsam an, dass sie äußerlich als der ergänzende Theil einer jeden lateralen Seitenhälfte betrachtet werden kann. In der hinteren Fortsetzung dieser mittleren Platte findet sich der durch eine leichte Depression von ihr geschiedene, durch eine Randkerbe und von dieser ausgehende kleine Längsfurche in zwei Theile zerfallende Haken. Haben wir es in letzterem mit einem einfachen, in zwei Seitenhälften zerfallen- den Gebilde zu thun, wie in dem Haken der Anlage I Fig. 7, oder mit zwei einfachen Gebilden, die sich nur in großer Nähelage be- finden? Man wird sich mit größerer Berechtigung für letztere An- nahme entscheiden müssen. Wenigstens scheint mir bei genauer Würdigung des normalen Ursprungs und der Bedeutung des Hakens aus der Betrachtung der vorliegenden Verhältnisse hervorzugehen, dass die lateralen Seitenhälften mit dem Keimring schon jetzt der Hauptmasse je eines Hakens den Ursprung geben, während die Mit- telplatte nur wenig betheiligt ist. Bei fernerem Wachsthum endlich werden die beiden Haken nur zwei Hälften sein, von welchen je eine der Embryonalanlage ihrer Seite angehört. Auf die unmittel- bar folgenden Entwicklungsstufen wird indessen an späterer Stelle im Zusammenhange Rücksicht zu nehmen sein. Wenden wir uns nunmehr, im Gegensatze zur Betrachtung frühester Stadien des Lach- ses, der Untersuchung zweier Formen fertiger Doppellachse zu, um vorläufig die letzten Endergebnisse kennen zu lernen. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 141 Siebenter Fall. Fig. 2. 5/.. Die beiden Fischleiber zeigen im Wesentlichen normale Ent- wieklung; nur der Schwanztheil des unteren Fisches ist kürzer, als es der Norm entspricht. Die Längsachsen beider Körper laufen einan- der: parallel. Kopf liegt dem Kopf, hinteres Leibesende dem hinte- ren Leibesende, Bauchfläche der Bauchfläche gegenüber. Der Dot- tersack ist schon sehr klein geworden, sein Inhalt zum größten Theil resorbirt. Im Zusammenhang damit liegen beide Leiber mit ihren Bauchflächen sehr dicht bei einander, nur mehr in einer Längs- ausdehnung von etwa 2'/, mm verbunden. Die Breite des Verbin- dungstheils ist eine noch geringere. Dieser Verbindungstheil ist ringsum, besonders deutlich auf der einen Körperseite, durch eine mittlere Furche oberflächlich in zwei Hälften geschieden, gleichsam zur Andeutung, nicht etwa der Entstehung dieser Dop- pelbildung durch Verwachsung zweier vorher getrennter Dotter und Keime, sondern einer fortschreitenden Isolirung und sich vorbe- reitenden vollständigen Trennung der beiden, früher jedenfalls in viel größerem Umfange des Dottersackes mit einander verbunde- nen Embryonen. Ob in der That eine vollständige Trennung erfolgt wäre, wenn der Doppelfisch länger gelebt hätte, ob überhaupt eine völlige Abschnürung in solchen Fällen möglich ist, muß zweifelhaft bleiben. Die Analöffnungen, weit vom Nabel entfernt und an nor- maler Stelle befindlich, sind an beiden Körpern deutlich erkennbar. Uber diesen und den folgenden Fall habe ich bereits in Vir- cnow’s Archiv, Bd. 74, berichtet. Erstere Doppelbildung befindet sich in der Sammlung des hiesigen zoologischen Instituts, wo sie mit anderen in Spiritus aufbewahrt wird. Ich verdanke der Güte des Herrn Geheimen Rathes Prof. Leuckartr die wissenschaftliche Be- nutzung derselben. Achter Fall. Fig.3. !.. Diesen von Knocn beobachteten und abgebildeten Fall schließe ich hier an, da er in dieselbe Reihe von Doppelbildungen gehört, wie der vorhergehende, von welchen jedoch der eine Komponent in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist und dadurch sich zu einem dem Dottersack aufsitzenden Parasiten umgestaltet hat. Das hintere Körperende des vollständig entwickelten jungen Lachses ist nach oben gerichtet. Auch der Körper des Parasiten ist gekrümmt und zwar ist die Konvexität der Krümmung nach der linken Seite des bewirthenden Embryo gerichtet. — 142 : A. Rauber Die beschriebenen Doppelbildungen gehören, auch abgesehen von den beiden letzterwähnten, nicht einer und derselben Befruch- tung an, worauf schon oben (Häufigkeit der Achsenvermehrung) hingewiesen wurde. Sie vertheilen sich vielmehr auf vier, mit Hin- zurechnung der Fälle 7 und 8 auf sechs verschiedene Befruchtungen. Die erste Gruppe lieferte die Fälle 1 und 5, Figur 4 und 8; die zweite Gruppe lieferte Fall 4, Figur 7; die dritte Gruppe Fall 3 und 6, Figur 6 und 9; die vierte Gruppe Fall 2, Figur 5. Ver- schiedener Befruchtung gehören auch die Fälle 7 und 8, Figur 2 und 3 an. Am deutlichsten zeigen die Ergebnisse der ersten Gruppe, Bi, gur 4 und 8, dass eine und dieselbe Befruchtung den extremsten Formen der Doppelbildung den Ursprung geben könne; denn in Fi- gur 4 liegen die vorderen Embryonalanlagen an entgegengesetzten Stellen des Keimrings, d. i. in einer Einstellung von 180°, während in Figur 8 die beiden Anlagen hart beisammen liegen und mit ein- ander verschmolzen sind. In Figur 6 und 9, die dritte Gruppe aus- machend, treten keine so auffälligen, aber immerhin noch bemer- kenswerthe Distanzen der Lagerung zu Tage. Il. Zwei- und dreileibige Forellen. Taf. VIII Fig. 10—16, Taf. IX Fig. 25. Die zunächst zu beschreibenden , in den Figuren 10—13 gege- benen Doppelbildungen gehören einer Befruchtung an und fanden sich unter 295 entwicklungsfähigen Eiern. Würde man diese Gruppe allein in das Auge fassen, so könnte leicht die Meinung entstehen, dass derselben Befruchtung ähnliche Formen der Verdoppelung ent- springen; denn die Übereinstimmung der Lagerung ist allerdings eine um so auffallendere, als nicht weniger denn 4 Fälle daran be- theiligt sind. Erster Fall. Fig. 10. 1%/,. 10T. n. B. Die Keimscheibe zeigt einen wohlgebildeten Keimring, von wel- chem zwei kleine, mit ihren hinteren Enden und medialen Hälften „usammenfließende vordere Embryonalanlagen ausgehen. Beide sind schwach ausgebildet und springen sowohl über die Fläche der Keim- scheibe als auch gegen deren dünne Mittelscheibe nur wenig vor. Die beiden Anlagen divergiren vorwärts, in einem etwa 90° betra- genden Winkel. Ein Haken ist nicht bemerkbar; der Keimring setzt Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 143 sich in gleichmäßiger Beschaffenheit auf die Stelle der Embryonal- anlage fort. Awsster Fall. Wig.i1. 12, 10.0. a. B, Die beiden vorderen Embryonalanlagen prominiren stark. Als ihre vorderen Spitzen sind die den Zahlen I und II der Figur zu- nächst liegenden Theile anzusprechen. Die vordere Divergenz beträgt etwa 90°. Die Verbindung beider Anlagen beginnt in der Augen- blasengegend. Die Medullarrinnen erscheinen als breite Gruben. In der Richtung der Verbindungsachse beider Anlagen erhebt sich nach hinten ein beträchtlicher, in zwei Papillen auslaufender Haken. In Bezug auf dessen Beurtheilung gilt dasselbe, was bei der Dop- pelbildung des Lachses Fall 6, Fig. 9, angegeben wurde. Dritter und vierter Fall. Fig. 12 und 13. 10 T. n. B. Die Medullargruben beider vorderer Embryonalanlagen erschei- nen besonders im Falle 4, Fig. 13, beträchtlich breit und tief; im. Falle 3, Fig. 12, hat die Konjunktion beider Seitenhälften bereits Fortschritte gemacht. Beide Fälle zeichnen sich durch die Größe der Embryonalanlagen aus, die der Norm nicht nachsteht, und bil- den in dieser Beziehung einen starken Gegensatz zu den Figuren 10 und 11 der beiden vorhergehenden Doppelanlagen. In Fall 4, Fig. 13, kommt noch ein sehr geringer Umfang der Keimscheibe hinzu, um das Bild zu einem eigenthümlichen zu gestalten. Als vordere Spitzen der Embryonalanlagen sind in beiden Fällen offen- bar diejenigen Stellen der Figuren zu bezeichnen, welche den Zah- len I und II gegenüber stehen. In beiden Fällen sind die zu einan- der gehörigen Anlagen von etwas ungleicher Stärke, besonders im letzten, Fig. 13. Die Bildung des Hakens zeigt in beiden Fällen gleiche Beson- derheit. Die beiden weit abstehenden Papillen (x und «) gehören zwar ohne Zweifel je den Embryonalanlagen I und II an; trotz ihrer Massenhaftigkeit sind sie aber wohl nur einseitige, von der äußeren Keimringstrecke wesentlich ausgegangene Substanzanhäufungen. Zwi- schen beiden Papillen biegt sich die Hauptmasse des Keimrings ein und ist eben so weit etwas aufgeworfen. Unterhalb der Einbiegung quillt eine die Lücke randwärts mehr oder weniger ausfüllende Zel- lenmasse hervor, der wir in gleichem Verhältnis schon in Figur 7 vom Lachs begegnet sind und die auch derselben Beurtheilung un- terliegt. 144 \ A. Rauber Die Art des Zusammenhangs ist in beiden Fällen nicht voll- ständig gleich; in Fall 3, Fig. 12, erstreckt sich der Zusammenhang etwas weiter vorwärts und ist zugleich etwas inniger, indem eine gemeinschaftliche Mittelplatte vorliegt, während in Fall 4, Fig. 13, eine leichte Liingsfurche ein Zerfallen der Mittelplatte in zwei Hälf- ten andeutet. Der Divergenzwinkel beider Fälle ist ebenfalls ein ungleicher, indem der letztere ungefähr 90° beträgt, während der erstere ein sehr spitzer ist und der Parallelität sich zuneigt. Um über die Art des Zusammenhangs eine bestimmtere An- schauung zu erhalten, wurde Fall 3, Fig. 12, zur Zerlegung in mi- kroskopische Schnitte verwendet. Aus der erhaltenen Serie ward ' Fig. 16 zur Darstellung gewählt, welche über alle in Frage kom- menden Verhältnisse deutlichen Aufschluss giebt. An Regelmäßig- keit und Symmetrie der Erscheinung lässt das bei 32facher Ver- srößerung mit dem Prisma aufgenommene Bild nichts zu wünschen übrig. Man erkennt die den Embryonalanlagen I und II angehöri- gen, eben so bezeichneten Rinnen und den zwischen beiden gelege- nen gemeinschaftlichen Körpertheil. Genauer ausgedrückt ist der letztere nicht gemeinschaftlich, sondern seine eine Hälfte gehört der einen, die andere Hälfte der zweiten Embryonalanlage an. Die Trennungslinie beider Anlagen liegt entsprechend der Verbindungs- achse in der Linie v. Ektoderm und Chorda sind in der Figur übereinstimmend im Ton gehalten, ohne dass hiermit über die Ab- kunft der Chorda etwas ausgedrückt werden soll. Die Deckschicht erstreckt sich über die Grenzen des Keimrings etwas hinaus und hat unter sich eine reichere Ansammlung jener großen Kerne, die das primäre Entoderm auszeichnen. Letzteres bildet durchgehends die unterste Lage der Keimscheibe und zieht sich, wie man sieht, mit ‘entsprechender Krümmung auch zu den unvollkommenen me- dialen Hälften der Embryonalanlagen hin; es befindet sich indessen ein kleiner Zwischenraum zwischen diesem Theil und dem übrigen Keim, der von einem lockeren Zellennetz gallertartiger Beschaffen- heit eingenommen wird. Sekundäres Entoderm und Mesoderm sind ebenfalls in gleichem Ton gehalten. Durch die beiden Rinnen ge- legte Medianebenen stehen nicht parallel, sondern schneiden sich in der Dotterkugel weit oberhalb deren Mitte. Fünfter Fall. Fig. 14. 14 T. n. B. Die Dotterkugel wurde mitgezeichnet. Die Keimscheibe nimmt eine beträchtliche Fläche ein. Beide Embryonalanlagen sind von Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 145 normaler Beschaffenheit; sie erscheinen in Folge der Aufnahme vom oberen Pole aus etwas verkürzt. Die Konjunktion der Seitenhälften der Anlage I hat sich verzögert. Der Einstellungswinkel beträgt etwa 135°, mit vorderer Konvergenz. Die Spitzen beider Anlagen sind von dem Centrum der Keimscheibe in gerader Linie gemessen gegen 1'/, mm entfernt. Sechster Fall. Fig. 15. 16 T. n. B. Die drei Embryonalanlagen sind von gleicher Stärke und Länge. Am kräftigsten ausgebildet erscheint der Komponent I; die Kom- ponenten II und HI prominiren nur wenig über die Fläche der Keim- haut, verrathen eine gewisse Dünnheit der Substanz, sind auch unter sich selbst wieder von ungleicher Stärke und Länge, im Übrigen aber von normaler Beschaffenheit. Alle drei ragen mit ihren vor- deren Enden ungleich weit gegen den oberen Pol vor; sie haben sämmtlich die Stufe der vorderen Embryonalanlage bereits über- sehritten und sind in der Ausbildung der mittleren Embryonalanlage begriffen. Der Komponent I besitzt einen kräftig entwickelten Haken. An den bereits mit einander verbundenen beiden anderen Komponen- ten erscheint der hintere Saum deutlich in 3 Papillen zerlegt, von welchen die beiden äußeren je einem Komponenten angehören und als nur halbseitige Bildungen aufzufassen sind, während die mittlere Papille den verschmolzenen, medialen Seitenhälften beider Kompo- nenten entspricht. Die zwischen letzteren und der Anlage I befind- liche Keimringstrecke ist sehr dünn und durchsichtig, zugleich vor- wärts eingebogen. Die Anlagen II und III divergiren in einem vorn offenen Winkel von etwa 45°; zu ihrer Verbindungsachse steht die Anlage I wiederum in vorwärts offenem Winkel von etwa 20°. Siebenter Fall.. Fig. 25. 5/,. Die vorliegende Doppelbildung gehört einer sehr späten Ent- wicklungsstufe an und stammt aus der Zeit der Ausschlüpfung. Im Gegensatz zu den Doppellachsen Fig. 2 und 3, deren Körper paral- lele Richtung besitzen, giebt sie ein Beispiel der häufiger vorkom- menden Yförmigen Verbindung. Über diesen Fall berichtete ich am früher genannten Ort folgendermaßen: Die beiden, die Doppelbildung zusammensetzenden Vorderkörper sind von gleicher Ausbildung. Ihre Längsachsen weichen mit vor- derer Offnung in einem Winkel von ungefähr 45° aus einander. Die Morpholog. Jahrbuch. 6. f 10 146 A. Rauber Medianebenen beider Körper schneiden sich in einem dorsalwärts offenen Winkel von etwa 130°. Es liegen sich demgemäß die Bauch- flächen beider Embryonen nicht direkt gegenüber, sondern sind schief gegen einander gestellt: von dem Dottersack liegt ein kleinerer vor- derer Theil dorsalwärts, ein größerer Theil ventralwärts zwischen beiden Körpern frei. Die Spitze des Dottersackes liegt hinten und seitlich. Die vordere Grenze des letzteren ist durch die Brustflossen, die hintere durch die Bauchflossen bezeichnet. Die dorsalen (media- len) Bauchflossen (wie man sie in diesem Fall kurz nennen kann) sind sehr kurz und stehen dicht beisammen; die ventralen (latera- len) sind etwas länger, stehen weiter aus einander und fassen einen feinen, freien, nach hinten sich fortsetzenden Saum zwischen sich, in welehem ein einziger Analgang verläuft und ausmündet. Der hintere Leibestheil zeigt im Übrigen Verdoppelungsspuren bis an das äußerste Schwanzende; doch sind beide Schwanztheile sehr nahe an einander gekoppelt. Bei der Rückenansicht der Dop- pelbildung weicht das Schwanzende nach rechts ab und biegt theil- weise nach vorn um. Rückensegmente, Bauchsegmente des Seitenrumpfmuskels, Flos- sensäume zeigen auf der dorsalen und ventralen Oberfläche der Doppelbildung ein verschiedenes Verhalten. Bei dorsaler Betrach- tung (Fig. 25 a) sieht man hinter den Bauchflossen in kurzer Strecke zunächst eine deutliche, in zarter Furche sich ausprägende Längs- naht zwischen den Bauchsegmenten beider Körper. Weiter nach rückwärts schmelzen die Bauchsegmente beider Seiten scheinbar zu einer einzigen, quer zwischen den Rückensegmenten ausgespannten Brücke von dreieekiger Form zusammen, mit hinterer Spitze. Doch ist mit Vergrößerungen, bei auffallendem Lichte, immer noch eine feine, trennende Längslinie wahrzunehmen. Endlich gelangen die Rückensegmente beider Embryonen selbst zu gegenseitiger Berüh- rung, um sich hinterwärts mehr und mehr zu verkürzen und schließ- lich in einen anscheinend einzigen Strang fortzusetzen, an welchem indessen bei stärkerer Vergrößerung eine feine, in zwei symmetri- sche Hälften trennende Längslinie deutlich wahrzunehmen ist. Auf der Bauchfläche der Doppelbildung (Fig. 254) sind sowohl Riickensegmente als Bauchsegmente erhalten. Nur ein einziger, ge- meinschaftlicher, ventraler Flossensaum gelangt zum Vorschein und fließt an der Schwanzspitze mit den sich bis zur Berührung und endlichen Verschmelzung nähernden dorsalen Flossensäumen zu- sammen. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 147 III. Doppelbildungen vom Salmling. Die mitzutheilenden sechs Fälle entstammen drei verschiedenen Befruchtungen. Die erste Gruppe, mit 364 entwicklungsfähigen Eiern, lieferte die Fälle 1 und 2, Figur 17 und 18; die zweite Gruppe, mit 433 Eiern, lieferte den Fall 3, Figur 19; die dritte Gruppe, mit 501 Eiern, die Fälle 4, 5 und 6, Figur 20, 21 und 22. Erster Fall. Fig.17. 1%. 12 T. n. B. Die Keimscheibe, welche zwei mit einander verschmolzene Em- bryonalanlagen trägt, besitzt eine in der Gegend der letzteren zu einer abgerundeten Spitze ausgezogene Form. Auch Keimscheiben mit einfacher Anlage zeigen dies Verhältnis oft in sehr ausgepräg- ter Weise. Am Hinterrand der Doppelanlage befinden sich zwei der Substanz des Keimrings angehörige , symmetrisch gestellte Pa- pillen, welche durch eine Einkerbung des genannten Randes, so wie durch eine oberflächliche Depression von einander geschieden sind. Die letztere setzt sich vorwärts in eine allmählich an Tiefe gewin- nende Furche fort, welche sich schließlich in zwei symmetrische, lateral vorwärts verlaufende kurze Äste gabelt. Das System dieser Furchen wird umfasst von symmetrisch gelagerten Wülsten, deren vordere, bogenförmig in einander übergehende Abschnitte den verbun- denen Vorderköpfen zweier Embryonen entsprechen. Der zwischen den vorderen Bogen I und II befindliche Einschnitt setzt sich als zarte, allmählich verschwindende Furche auf die mittlere Substanz- platte fort, die zwischen den beiden Furchenschenkeln liegt: eine Andeutung des Zerfalles jener Substanzplatte in die zwei medialen Seitenhälften der vorderen Kopfanlagen. Das hintere Ende dersel- ben Platte läuft in eine schmale, in der Tiefe der einfachen Furche allmählich sich verlierende Spitze aus. Die Anlage II ragt mit ihrem vorderen Ende etwas weiter vorwärts als die andre. Beide befinden sich nicht mehr auf der Stufe der vorderen Embryonalanlage, son- dern es ist ein Theil des Rumpfes bereits ausgebildet. Die beiden Papillen («) scheinen nur einseitige Bildungen des Keimrings und der lateralen Embryonalhälften zu sein, so dass jede Papille nur einer Seitenhälfte des normalen Hakens gleichwerthig sein würde. Ein schmaler Saum primären Entoderms drängt sich in der Gegend des hinteren Randes der Embryonalanlagen hervor. Zweiter Fall. Fig. 18. #2/,. 14 T. n. B. Die Zuspitzung des die beiden Embryonalanlagen tragenden coy 148 A. Rauber Feldes der Keimscheibe tritt hier noch auffälliger zu Tage, als im vorhergehenden Fall. Von dieser Schneppe aus erstrecken sich beide mit einander zusammenhängende Anlagen in schwacher vorderer Divergenz vorwärts. Nur ein sehr kleiner vorderer Theil entbehrt des Zusammenhanges. Von dem die beiden Spitzen I und II tren- nenden Einschnitt lässt sich eine freie oberflächliche Furche fast bis zum hinteren Ende der Anlage verfolgen; sie entspricht der Verbin- dungslinie der beiden Anlagen und markirt damit zugleich deren mediale Grenzen. Die medialen Hälften der beiden Anlagen werden übrigens von den lateralen Hälften an Stärke merklich übertroffen. Die Rückenfurchen konvergiren nach hinten und treffen in einer Randkerbe zusammen, die von zwei offenbar nur einseitig ausgebil- deten Haken begrenzt wird. Unter dem Rand des ganzen Embryo- nalgebietes drängt sich ein Substanzstreifen vor, dessen. Bedeutung bereits oben gewürdigt wurde. Zu beiden Seiten verliert er sich all- mählich unter und in den Keimring. Dritter Fall, Wie. 19, , 2/10 Don. BD. Die Doppelanlage entspricht in allen wesentlichen Verhältnissen denjenigen, welche bereits vom Lachs (Taf. VII Fig. 6) geschildert worden sind. Zwischen den Haken der beiden, schwach vorwärts kon- vergirenden Anlagen zieht sich in fast gerader Richtung und in etwas wellenförmig gebogener Randlinie die innere Zwischenstrecke hin, als dünne Substanzplatte. Die vorliegende Keimscheibe wurde zur Zerlegung in mikrosko- pische Schnitte verwendet. Von der erhaltenen Querschnitt - Serie ist in Fig. 24 ein Schnitt abgebildet. Ektoderm und Chorda, Meso- derm und sekundäres Entoderm sind je in gleichem Tone gehalten. Die Deckschicht überragt den Keimring und hat zunächst den Außen- rand des primären Entoderm, der durch stärkere Anhäufung von Kernen ausgezeichnet ist, unter sich. Die Beziehung der einzelnen Theile des Schnittes auf das Oberflächenbild der Figur 19 ergiebt sich aus der Vergleichung beider Figuren ohne Weiteres. Auch in diesem Falle ist die schöne Symmetrie der Anlagen bemerkens- werth. Vierter Fall. Fig. 20. 12, 14 T. n.B. Nur die eine Embryonalanlage hat sich weiter entwickelt, während die andre nach der Erreichung einer gewissen Stufe in eine Gruppe von Höckern zerfallen und in Degeneration begriffen Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 149 ist. Nur die Gesammtform der Gruppen von kleinen Hiigeln so wie ihr Lageverhältnis zur Anlage II und die Achsenstellung der letzte- ren sichern das Urtheil über ihre Bedeutung. Der Keimring ist beiderseits wohl entwickelt. Auch seine linke Hälfte betheiligt sich, wie ein Blick auf die Figur lehrt, bereits wieder an der ferneren Ausbildung der Anlage II. — Winitter Fall. Big. 21. 12/,.° 16T. n. B. Von dem Keimring aus erstreckt sich eine mit leicht konkaven Rändern versehene Substanzplatte vorwärts, welche nach kurzem Verlauf in zwei nahezu unter rechtem Winkel divergirende Äste zerfällt. Der erstgenannte Theil, welcher als der gemeinschaftliche Körperabschnitt der Anlagen I und II zu betrachten ist, zeigt eine breite, aber seichte mediane Furche. Letztere spaltet sich vorn, an der Stelle ihrer größten Breite, mit ihren Seitenecken in die Rücken- furchen der beiden getrennten Vorderleiber. Ihr hinteres Ende theilt sich abermals, indem ein dreieckiger Wulst vom Keimring aus sich zwischen ihre Ränder vorschiebt. Die beiden Vorderleiber zeigen ungleiche Stärke und Länge. Der Haken springt stark nach hinten vor und ist unregelmäßig gewulstet. Sechster Fall. Fig. 22. 12/,. 16 T.’n.B. Der Rand der Keimscheibe erscheint verdünnt, durchscheinend und in eine Reihe unregelmäßig in einander laufender koncentrischer Fältchen gelegt. Sie trägt zwei verkümmerte Embryonalanlagen in einer Einstellung von 180°. Die vorderen Enden der Köpfe liegen sehr nahe beisammen; zwischen ihnen sinkt die Keimhaut zu einer quergestellten Falte ein. Die Anlage I verschmächtigt sich nach hinten immer mehr und hört mit einer scharfen Krümmung auf sichtbar zu sein. Die Seitenhälften der Anlage II weichen nach einer Strecke normaler Lagerung plötzlich sehr stark aus ein- ander, verdünnen sich dabei und verlieren sich endlich auf der Keimscheibe, nachdem jeder Schenkel noch einen deutlich ausge- sprochenen Haken ausgebildet hat. Beide Embryonalanlagen wur- den, da wenigstens über die Natur der einen Anlage Zweifel bestan- den, durch Zerlegung in Schnittreihen als solche sichergestellt. ry. Doppelbildung vom Hecht. Die in Figur 23 abgebildete Doppelbildung vom Hecht, das ein- 150 | A. Rauber zige aber interessante Ergebnis aus 325 entwicklungsfähigen Eiern einer künstlichen Befruchtung, schon von mir beschrieben in VIR- cHow’s Archiv Bd. 74, schließe ich hier an, da sie eine sehr passende Ergänzung und wichtige Zwischenstufe der Vollendung vor- derer Embryonalanlagen zu den totalen darstellt. 72 Stunden n. B. '/,. Das Ei und der von ihm ringen sene Dotter haben normale Größe. Die Keimpforte, der Urmund, ist noch nicht geschlossen, sondern hat ovale, genauer nierenför- mige Gestalt; der lange Durchmesser liegt in der Verbindungslinie der beiden Komponenten der Doppelbildung und beträgt nicht ganz 1 mm. Die Einbiegung der einen Hälfte des Umfangs der Keim- pforte, welche die Nierenform bedingt, ist durch einen gegen die Keimpforte gerichteten kleinen Vorsprung des dieselbe umkreisenden Keimrings hervorgebracht. Dieser Vorsprung hat genau das Ansehen der als Rand- oder Schwanzknospe der Embryonalanlage den Em- bryologen bekannten Bildung und besteht kein Zweifel, dass er in dem vorliegenden Falle dem Zusammendrängen der medialen Leibes- hälften seinen Ursprung verdankt. Während normal die Randknospe, der Haken, in der hinteren Verlängerung der Längsachse der Em- bryonalanlage ihren Platz hat, befindet sie sich hier zwischen den beiden Embryonalanlagen und zwar entsprechend der Mitte des zwi- schen den beiden sich ausspannenden medialen Keimringtheiles. Diese, in Bezug auf die Lagerung beider Embryonalanlagen median liegende Keimringstrecke, die innere Zwischenstrecke, wie sie oben genannt worden ist, besitzt eine größere Breite, aber eine geringere Länge, als die ihr gegenüber liegende äußere Zwischenstrecke des Keimrings. Die Dicke beider Abtheilungen scheint dagegen , so viel sich aus der Farbenintensität und dem Verhalten der Ränder ersehen lässt, mit Ausnahme des leicht verdiekten Vorsprungs selbst, die gleiche zu sein. Die beiden Embryonalanlagen sind mit ihren Längsachsen in einen Winkel von ungefähr 130° gestellt. Von bei- den Embryonalanlagen ist die eine, schmälere in ihrer Ausbildung der breiteren. um etwas kürzeren, voran. Der Kopf der schmäleren zeigt bereits einige Gliederung. Die Augenblasen sind deutlich er- kennbar und liegen der Gehirnanlage flach an; die Rautengrube ist gleichfalls deutlich. An der zweiten Embryonalanlage erkennt man die Anlagen der Augenblase erst als zwei seitliche Lappen. Das Hirnrohr ist noch nicht geschlossen, sondern flach ausgebreitet. Eine leichte, mediane Furche durchzieht die vordere Hälfte der Anlage bis vorn in die Gegend der Augenblasenanlage. Urwirbelgliederung Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 151 ist an dem fortgeschritteneren Embryo, wenigstens bei auffallendem Lichte, mit welchem die Zeichnung aufgenommen wurde, nicht zu bemerken, doch aller Wahrscheinlichkeit nach bereits vorhanden. Da die vorderen Enden beider Komponenten den Aquator der Dotterkugel überschreiten, sind sie auf der Zeichnung, die vom ven- tralen Keimpole aus aufgenommen wurde, nicht völlig sichtbar. Doch ist das fehlende Stück nur sehr klein. Die Dotterhaut war der größeren Deutlichkeit wegen entfernt worden. Was bei weite- rem Fortschreiten der Entwicklung aus dieser Doppelbildung all- mählich geworden wäre, lässt sich bei unsern gegenwärtigen Kennt- nissen der Knochenfischentwicklung unschwer angeben. Die bezüg- liche Beurtheilung wird an späterer Stelle gegeben werden. Hervorzuheben ist noch. dass bei der weitaus größeren Zahl der gleichzeitigen Eier die einzelnen Embryonen schon etwas weiter ausgebildet, schon an der Keimpforte geschlossen oder fast geschlos- sen und selbst in dem vor der Keimpforte gelegenen Leibesabschnitt etwas länger waren, als der fortgeschrittenere’ Komponent der Dop- pelbildung. Man könnte vielleicht zweifeln. ob denn die als zurück- geblieben beschriebene Anlage in der That als zweiter Komponent zu deuten sei. Hierüber kann aber nicht das mindeste Bedenken bestehen bei denjenigen, welche die normalen Entwicklungsstufen des Hechtes genauer kennen. Um ein weniges frühere Stufen von normalen Hechtembryonen stimmen mit dem schwächeren Komponen- ten der beschriebenen Doppelbildung an Breite vollständig überein, nur dass die von der Norm im Stadium der vorhandenen Länge der Anlage abweichende Breite sich entsprechend dem schmalen Kom- ponenten bereits verschmälert haben sollte. V. Doppelbildungen vom Hühnchen. Theils der günstigen Ausbildungsstufen wegen, theils zu dem Zwecke, um sowohl das Übereinstimmende, als auch das Abwei- chende der Bildung innerhalb einer andern Klasse vor Augen zu stellen, füge ich den beschriebenen Mehrfachbildungen der Knochen- fische zwei neue Fälle einer solchen vom Hühnchen bei. Den zuerst mitzutheilenden Fall verdanke ich einer freundlichen Zusendung von M. Braun, damaligen Assistenten am zoologischen Institut in Würz- burg. Den zweiten Fall erhielt ich von einem Ei desselben Hühner- hofes, der mir den im Morphol. Jahrb. Bd. V Heft | beschriebenen Tripelembryo geliefert hatte. 152 A. Rauber Erster Fall. Fig. 26. 18/,. Prismazeichnung bei auffallendem Licht. Ungefähr 36 St. Be- brütung. «a Riickenansicht, 6 Bauchansicht. Die Form der Area lucida weicht von der normalen Form der- selben Entwicklungsstufe dadurch ab, dass sich an den Kopftheil der einen, die Bezeichnung I führenden, ein zweites Sekundärgebiet in einem Winkel von etwa 120° ohne Unterbrechung anschließt. Beide Theile zusammen bilden in Folge dessen ein gleichschenkliges Dreieck mit abgerundeten Winkeln und eingebogenen Seitenlinien. In diesem hellen Fruchthofe zeigen sich zwei Embryonalanlagen von verschiedenem Aussehen. Die Entwicklung des Embryo I ist in normaler Weise abgelaufen. Die Medullarfurche (2) hat sich noch an keiner Stelle zum Rohre geschlossen. Man erkennt an dem mitt- leren Drittel der Medullarplatten die Ausprägung von 5 bis 6 dem mitt- leren Keimblatt angehörigen Urwirbeln. Der noch vorhandene Rest des Primitivstreifens zeigt eine deutliche Primitivrinne. Sein hinte- res Ende macht mit letzterer eine starke Krümmung nach der einen Seite; seine Spitze stößt bedeutungsvoll an den Rand der Area opaca. Von dieser ist nur der Gefäßhof (av) in unserer Figur ge- zeichnet und durch dunklere Färbung hervorgehoben. Sein Außen- rand entspricht dem in Ausbildung begriffenen Sinus terminalis!. Wo dieser das Grenzgebiet beider Embryonalanlagen berührt, findet sich jederseits eine kleine Einbiegung des genannten Aufenrandes. Während der eine Embryo sich, so weit es die Betrachtung der Rückenfläche ergiebt, normal verhält, ist die Störung der Anlage II eine höchst tiefgreifende. Den Ausgangspunkt dieser Störung bildet, wie die Beurtheilung der Figur ohne Weiteres zeigt, der Vorderkopf des Embryo I. Der Primitivstreifen der Anlage Il besitzt gewöhnliche Beschaffenheit. Er wird seitlich und vorn umfasst von den beiden dazu gehörigen Medullarwülsten, welche eine vorwärts rasch an Tiefe gewinnende und durch anomale Tiefe sich auszeichnende Furche zwischen sich fassen. So wie aber die die Furche einschließenden Substanzplatten in den näheren Bereich des Kopfes des Embryo I gelangen, weichen sie mit rascher Verflachung der Furche in star- ker Krümmung nach beiden Seiten aus einander, um allmählich völ- ' Der Sinus terminalis und sein Verhältnis zum ersten Kreislauf erinnert in seiner Anordnung lebhaft an die seitlichen Venensinusse mancher Mollus. ken, welche die Bedeutung von Kiemenvenenstämmen haben. Man vergleiche z. B. das Gefäßsystem von Tritonia. (GEGENBAUR, Grundriss, 1878, p. 393.) Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 153 lig zu verstreichen. Wir haben es in ihnen mit, durch den Einfluss des einen Kopfes anomal gestalteten Medullarplatten zu thun. Ein freier vorderer Kopftheil, wie ihn der Embryo I so deutlich zeigt , hat sich beim zweiten Embryo in Folge allzugroßer Nähe der Vor- derenden und gleichzeitiger Schwäche überhaupt nicht ausbilden können. Betrachtet man dieselbe Doppelanlage bei ventraler Ansicht, ‘welche in der Zeichnung so orientirt wurde, dass eine unmittelbare Übertragung auf die Rückenansicht ermöglicht ist), so treten am Em- bryo I wiederum normale Verhältnisse auf, mit Ausnahme des eigenthümlich gestalteten Wulstes (p), weleher dem Übergangsgebiet des einen in den andern Embryo entspricht. Der Vorderdarm des Embryo I, auf dessen Eingangspforte der Buchstabe v hinweist, bil- det nur eine kleine, etwas schief gestellte Nische, während der freie Rand dieser Pforte senkrecht zur Längsanlage der Embryonal- anlage stehen sollte. Von dem Wulste (p) zieht sich in der Rich- tung der Achse des zweiten Embryo eine anfänglich sehr hohe und steile, allmählich niedriger werdende Leiste gegen den Primitivstrei- fen (p) des letzteren, um in diesen auszulaufen. Diese Leiste ist, wie die Zerlegung in Querschnitte lehrte, nichts anderes als der ventrale Ausdruck der tiefen und schmalen anomalen Medullarfurche, der wir bei der Betrachtung des Rückens begegneten. Durch diese tiefe Furche sind eben auch die übrigen Keimblätter stark ventralwärts vorgetrieben worden. Es fehlt hier natürlich auch ein Vorderdarm. Das Entoderm des einen Embryo gelangt vielmehr über den Wulst p hinweg glatt und ohne Unterbrechung zur Leiste des zweiten Embryo. Dasselbe findet statt bezüglich der das Entoderm dorsal- wärts überdeckenden mesodermalen Abschnitte. Der Einstellungswinkel beider Embryonalanlagen ist der den beiden Hälften der gesammten Area lucida zugehörige, gegen 120°. Was die Stufe der Ausbildung betrifft, so gehört dieser Fall zu den frühesten, die in der Litteratur bekannt geworden sind, indem er auf die von THomson und REICHERT beschriebenen unmittelbar folgt. Zweiter Fall. Fig. 27. 3/,. 4'/, Tage Bebrütung. Aufnahme mit auffallendem Licht bei uneröffneter Dotterkugel. Die Keimhaut hatte die Dotterkugel bis auf einen kleinen ovalen Rest in normaler Weise umwachsen. Der längere Durchmesser des noch offenen Keimpförtchens betrug etwa 11, cm. 154 . A. Rauber Auf einer eiförmigen Stelle der Keimhaut (47), deren Peripherie von einer zarten Amnionfalte (am) umsäumt und zum Theil über- wölbt wird, bemerkt man zwei mit ihren Rückenflächen dem Beob- achter zugewendete Embryonen, deren Ausbildungsstufe dem 3. zum 4. Tage der Bebrütung entspricht. Genauer ausgedrückt sind beide Rückenflächen so gelagert, dass hauptsächlich ihre medialen, einander zugekehrten Hälften aufwärts schauen, während die latera- len Hälften in tieferer Ebene liegen. Besonders stark prominirt über die Oberfläche der Keimhaut der Kopftheil (c) beider Embryo- nen, der eine einzige keulenförmige, etwas deprimirte Masse dar- stellt und am vorderen Ende vom Amnion überkleidet ist. Tren- nungsspuren in zwei, je einem Komponenten angehörige Theile sind äußerlich an ihm nicht wahrnehmbar, weder auf dieser, noch auf der entgegengesetzten Seite; die gesammte Oberfläche ist vielmehr zum großen Theil glatt abgerundet. Links von dem Buchstaben c findet sich eine kleine, rundliche Erhabenheit; eine ähnliche liegt rechts und rumpfwärts von ce; eine der ersteren ihrer Lage nach ungefähr entsprechende zeigt sich auch auf der gegenüber lie- genden, vom Beobachter abgewendeten Fläche. Von normal be- schaffenen oder irgend sicher bestimmbaren Sinnesorganen, wie insbesondere den Augen und den Nasengrübchen ist nirgends etwas zu bemerken, eben so wenig von einer Mundöffnung. Besonders auf- fällig sind dagegen drei einander parallel laufende, etwas schief ge- richtete Spalten der seitlichen Halswand, von welchen die obere die größere; offenbar Kiemenspalten (4). Auf der gegenüber liegen- den Seite ist nichts von solchen wahrnehmbar und scheinen diesel- ben hier bereits geschlossen zu sein. Man erhält bei der Betrachtung jener Spalten den Eindruck, dass sie beiden Embryonen gemein- schaftlich angehören. Was die Beurtheilung der ganzen Bildung betrifft, so haben wir es in ihr zweifellos mit einer vorderen Ver- schmelzung der Köpfe und Hälse zu thun. Der Hals des Embryo I ist in starkem, vorwärts konvexem Bogen zurückgekrümmt, der des zweiten Embryo dagegen fast gerade ausgestreckt. Den hinteren Rumpftheil des letzteren bedeckt die hintere Amnionfalte. Seitliche Amnionfalten sind an normaler Stelle nicht zur Entwicklung gekom- men. Es sind zwei Herzen vorhanden; rechte und linke Hälfte eines jeden Herzens sind jedoch nicht zu gegenseitiger Verbindung gelangt. Vielmehr setzt sich die rechte Hälfte des einen in die linke Hälfte des andern fort. Das eine Herz befindet sich in dem Winkel zwischen den Hälsen und den vorderen Extremitäten (e). Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 155 Beide Herzen treten scharf hervor bei ventraler Ansicht der ausge- schnittenen, die Embryonen tragenden Blastodermstrecke. Es ist nur eine Vorderdarmpforte vorhanden, welche aufwärts und abwärts von je einem Herzschlauche umsäumt wird. Die beiden Rümpfe lie- gen, wie gleichfalls bei ventraler Ansicht deutlicher wird, in einem Winkel von etwa 120°. Eine Zerlegung in Schnitte, welche senk- recht auf die Längsachse des Embryo II zu führen war, wurde zwar vorgenommen; sie giebt über die Art des Zusammenhangs der Köpfe noch genaueren Aufschluss und zeigt außerdem mächtig aus- gebildete zahlreiche Blutsinus innerhalb derselben; für jetzt auf _ diesen weitläufigen und ohne zahlreiche Abbildungen mehr oder we- niger unverständlichen Gegenstand einzugehen liegt außerhalb mei- ner Absicht. C. Entwicklungsmodus der Achsenvermehrung. Das thatsächliche Material, welches zu dem Zwecke, über das erste Auftreten einer Achsenvermehrung positiven Aufschluss zu ge- ben, nunmehr gesammelt und im Vorausgehenden dargestellt worden ist, giebt in überzeugender Weise die Mittel an die Hand, lange gehegte Zweifel zu beseitigen, durch ihr Alter ehrwürdig gewor- dene, zeitweise ruhende aber immer wieder von Neuem aufgenom- mene Streitigkeiten zu schlichten, kurz, den Entwicklungsgang der Achsenvermehrung klar zu überschauen. Begreiflicherweise gilt dies Ergebnis in erster Linie von derjenigen Klasse der Wirbelthiere, welcher vor allen andern unsere Studien nach der genannten Rich- tung zu widmen waren, von den Knochenfischen; aber auch die Klasse der Vögel lehnt sich unmittelbar an, obgleich von dieser ein viel weniger vollständiges Inventar angeschlossen werden konnte. Besteht einmal Klarheit über das Wesen der Achsenvermehrung in- nerhalb der beiden erwähnten Klassen, so bieten weiterhin weder die Haie, noch die Reptilien der Erklärung irgend nennenswerthe Schwierigkeiten. Auch zum Verständnis der fraglichen Bildungen bei den Batrachiern fehlt die feste Grundlage nicht mehr, seitdem wir eine frühzeitige Doppelbildung von Salamandra maculata durch M. Braun kennen gelernt haben !. Früheste Stadien der Achsenver- mehrung bei Säugethieren zu beobachten, wird nur dem äußersten 7 ' Würzburger Verhandlungen, N. F. Bd. IX. Referat und Kopie in VIR- cHow’'s Archiv Bd. 71, 1877. . 156 A. Rauber Zufall gelingen; doch zweifle ich nicht, dass künftigen Untersuchun-_ gen der normalen Säugethier-Entwicklung auch dieser oder jene Fall von Doppelbildung in einem Stadium sich darbieten werde, welches bei den Säugethieren bisher in keiner Weise beobachtet worden ist. Bis dahin sind wir alle genöthigt, wesentlich auf Grundlage der normalen Entwicklungsgeschichte und andrerseits der an den übrigen Wirbelthieren gewonnenen Beobachtungen frü- hester Stadien die bekannten so späten Stufen der in unseren Sammlungen enthaltenen Säugethier-Doppel- und -Dreifachbildungen zu beurtheilen. Was es heißt, späte, fertig ausgebildete Stufen zum Ausgangs- punkt für das Urtheil zu benützen, dafür will ich aus der Klasse der Knochenfische ein bezeichnendes Beispiel anführen. Man ver- suche, ohne vollständige Beherrschung der Grundzüge normaler Knochenfisch-Entwicklung (von den Säugethieren kennen wir sie erst theilweise), und ohne Kenntnis wenigstens von einzelnen Zwi- schenstufen der Achsenvermehrung, etwa die auf Tafel VII Fig. 2 gezeichnete Doppelbildung des Lachses, einen Gastrodidymus oder auch Anakatadidymus, auf ihren Ausgangspunkt zurückzuführen. Man wird hier alsbald den Boden unter den Füßen verlieren und vorgefassten Meinungen den Spielplatz überlassen müssen, wie es auch ehedem geschehen ist. Noch in neuester Zeit hat man eine 'solehe Doppelbildung auf Verwachsung zweier Keime, vor mehreren Jahren sogar auf Verwachsung zweier Dotter zurückzuführen ver- sucht und es waren keine Ungeübten, welche zu diesem Ende ge- langten; Niemand wird auch an und für sich diese auf sorgfältigste Erwägung basirten Bemühungen zu tadeln vermögen. Der wirkliche Ausgangspunkt der fraglichen Doppelbildung ist jedoch ein ganz anderer. Es ist der in Fig. 4 gezeichnete, welcher eine einfache, wohlgebildete Keimscheibe mit zwei einander gegenüber gestellten vorderen Embryonalanlagen an einem normalen Keimringe darstellt. Und gehen wir noch eine Stufe weiter zurück, auf welcher jede Spur einer Embryonalanlage fehlt, so haben wir als Ausgangspunkt jener Doppelbildung den in Fig. 1 gezeichneten einfachen Keim, der sich äußerlich von einem normalen in nichts unterscheiden lässt. Die Schwierigkeit der Zurückführung einer älteren Säugethierdoppel- bildung auf die Stufe des ersten Auftretens der Embryonalanlagen und auf ein vielleicht noch weiter zurückliegendes Stadium ist nicht geringer als in dem zum Beispiel benützten Falle; sie ist es gegenwärtig nur in so fern, als wenigstens bei einer Wirbelthier- Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 157 klasse das verschiedenartige Auftreten der ersten Embryonalanlagen, — so wie das Gesetz dieses Auftretens positiv nachgewiesen ist. Wäh- rend aber nach mehreren Richtungen hin Licht in einem dunklen Gebiete sich zu verbreiten beginnt, erheben sich gleichzeitig, wie es so oft geschieht, andre Schwierigkeiten und neue Fragen tauchen auf. Doch nicht diesen soll sich unsre Aufmerksamkeit zuerst zu- wenden, sondern dem Entwicklungsgange selbst. Uberblicken wir die Reihe der mitgetheilten Beobachtungen und Figuren, so ist als erstes hervorzuhebendes Ergebnis zu verzeich- nen, dass in allen Fällen von Doppel- oder Dreifachbildungen, welche sich auf der Stufe der vorderen Embryonalanlage befinden oder auch der allmählichen Ausbildung der totalen Embryonalanla- gen entgegen gehen, eine einzige, von einer normalen in nichts un- terschiedene Keimscheibe es ist, welche die doppelte oder dreifache Anlage trägt. Als vorgerückteste, der Einfachheit und Sicherheit der Beurtheilung wegen noch in das Gewicht fallende Stufe ist die vom Hecht in Fig. 23 Taf. IX wiedergegebene Doppelbildung, de- ren Keimpforte noch nicht geschlossen, in das Auge gefasst; frühere Stufen aber liegen nunmehr in großer Zahl vor. In keinem dieser Fälle zeigt die Dotterkugel und das Ei als Ganzes sich von einem gewöhnlichen Ei nach Größe oder Zusammensetzung verschieden. Keine der vorliegenden Keimscheiben ist wie der Augenschein be- lehrt, aus der Verwachsung zweier Hälften oder dreier Dritttheile zusammengefügt, sondern sie stellen sich sämmtlich ihrem Ursprung nach als je ein einheitliches Ganzes dar. Hat man-die Aufgabe, jede unserer Keimscheiben, welche von Figur 4 bis 23 sich er- strecken, auf das der ersten Ausbreitung über die Dotterkugel vor- ausgehende Stadium, d. i. auf das Stadium des durchfurehten Keimes zurückzuführen, so wird Jeder, der die Entwicklungsge- schichte kennt, den in Fig. 1 Taf. VII gezeichneten durchfurchten Keim als die Ausgangsform aller jener Keimscheiben bezeichnen. Der Gestalt nach ist diese Ausgangsform im Wesentlichen nichts anderes als eine aus Zellen bestehende bikonvexe Linse. Statt dass nun, wie im gewöhnlichen Falle, bei der allmählichen Vergrößerung und Ausbreitung dieses Keimes über die Dotter- kugel eine einzige, zunächst vordere Embryonalanlage zur Aus- bildung gelangt, gelangen im Falle einer Achsenvermehrung gleich- zeitig zwei oder drei vordere Embryonalanlagen zur Erscheinung. Der Einstellungswinkel der letzteren, d. i. die Wahl des Län- gengrades auf der Peripherie des Keimrings, erschöpft nun alle 155 | A. Rauber Möglichkeiten. Die Distanz kann 180° betragen, in welchem Falle „wei opponirte Anlagen sich gegenüber stehen; sie kann aber auch bis zur gegenseitigen Verschmelzung und Unvollständigkeit der An- lagen heruntergehen. Als Extreme können hier die in Figur 4 u. 9, ‘eben so die in Figur 17 und 22 gegebenen Fälle gelten. Einstel- lung auf 180° ist selten; sie ist zweimal in unsern Fällen vertreten (Fig. 4 und 22). Die Fälle Figur 5, 14 und 23 schließen sich ihnen, als große Einstellungswinkel besitzend, zunächst an; weit häufiger sind kleinere, unterhalb eines rechten gelegene Einstellungswinkel, wie die übrigen Figuren zeigen. Verschieden von dem Einstellungswinkel, welcher sich nach Längengraden des Keimrings bemisst und allein im Stadium der vorderen Embryonalanlagen den ursprünglichen Werth anzugeben vermag, ist der Verbindungswinkel der Anlagen, d. i. der Achsenwinkel der entweder von Anfang an, oder im Verlaufe der späteren Entwicklung mit einander verbundenen Anlagen. In der Mehrzahl der Fälle, in welchen zwei unvollständige vordere Em- bryonalanlagen mit einander zusammenhängen, besitzen deren Längs- achsen eine mehr oder minder stark ausgesprochene vordere Diver- genz. Man vergleiche besonders die Fälle Fig. 10 bis 13. Dieser Verbindungswinkel beträgt hier bis gegen 90°, während doch der Einstellungswinkel so klein ist, dass beide Anlagen je mit einander zusammenhängen. Die Verhältnisse des Verbindungswinkels zweier Anlagen, die erst auf späterer Entwicklungsstufe in gegenseitigen Kontakt gekommen sind, werden sich mit großer Deutlichkeit aus dem Folgenden ergeben. Überall wo große Nähelage der vorderen Embryonalanlagen nicht vorhanden, der Einstellungswinkel also ein größerer ist, beurtheilt sich die Konvergenz oder Divergenz ihrer Achsen wesentlich nach den Beziehungen von Meridianlinien. Es ist klar, dass in letzterer Hinsicht nicht allein dem Keim- ring, sondern eben so auch der von dem Keimring in den verschie- denen Graden seiner Priicession um die Dotterkugel begrenzten Keimpforte eine große Bedeutung zukommen müsse. Diese Bedeu- tung ist bedingt durch die normale Beziehung des Keimrings zu den beiden Seitenhälften des embryonalen Leibes einerseits, der Keim- pforte zur Rückenfurche andrerseits. Die Auseinandersetzung dieser Beziehung zur einfaehen Embryonalanlage ist Objekt der norma- len Entwicklungsgeschichte. Was aber mehrfache Embryonalanla- — gen betrifft, so bleibt die normale Leistung des Keimrings ihrem Wesen nach vollständig bestehen, sie vertheilt sich nur in noch zu Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 159 verfolgender Weise auf mehrere Achsen, so viel eben deren gege- ben sind. So viel aber ist hiermit als zweites Hauptergebnis einleuch- tend, dass die Ausbildung mehrerer Achsen auf einer Theilung des Keimscheibengebietes und in letzter Linie des Keimmateriales beruhe, nicht aber auf einer Verwachsung beruhen könne. Dass diese Theilung des Keimgebietes in mehrere individuelle Centra bei den Knochenfischen eine Divisio radialis sein müsse, folgt aus dem so eben Angegebenen ohne Weiteres. Zur besseren Versinnlichung ver- weise ich auf die schematische Figur 28 a und b, Taf. X, wovon erstere eine dreifache Anlage vom oberen, letztere eine solche vom unteren Keimpol darstellt. Das erste Auftreten der vorderen Embryonalanlagen und die Beziehung des Keimrings zur Vollendung der totalen Embryonal- anlagen bedingt aber drittens die Gleichsinnigkeit der Lagerung nach den drei Dimensionen des Raumes und die Gleichnamigkeit der Verbindungen. Die Schwanztheile liegen beständig der Keim- pforte zugewendet, die Köpfe von ihr abgewendet. Was man Verwachsung der Embryonalanlagen nennt, ist nur eine sekundäre Erscheinung , kein Ursprung mehrfacher Achsen. Dass nur kor- respondirende Theile mit einander verwachsen können, ist eine unmittelbare Folge der Stellungsverhältnisse der ersten Anlagen einerseits, andrerseits der normalen Entwicklungsgesetze, nicht aber einer hypothetischen »Loi de l’affinite de soi pour soi«, zu welcher vor Allem Istpore GEOFFROY Sr. HiLAIRE seine Zuflucht genom- men hatte, um die Verbindungsweise der Embryonen zu erklären. Nachdem hiermit die Hauptsätze über den Entwicklungsmodus der Achsenvermehrung der Knochenfische, beginnend mit dem Sta- dium des durehfurchten Keimes bis zur Vollendung der totalen Em- bryonalanlagen festgestellt sind, dürfte es nicht unzweckmäßig erscheinen, an einem Beispiel den Entwicklungsgang einer Doppel- bildung vom Stadium der vorderen Embryonalanlage zur totalen zu erläutern. Ich bediene mich zu diesem Zwecke eines Schemas, das ich, was die beiden ersten Figuren betrifft, schon früher theoretisch konstruirt und verwendet habe, jetzt aber mit thatsächlichen Belegen beweiskräftig unterstützen kann. Als Beleg für die erste Figur der umstehenden Holzschnitte 160 A. Rauber diene Fig 6 oder 7 vom Lachs; für die zweite Fig. 17, 20 u. 21. Die dritte Figur stellt eine der von mir beobachteten Y förmigen Doppel- bildungen der Forelle dar, welche einen etwas geringeren Grad der Spaltung zeigt, als die unserer Fig. 25 zu Grunde liegende Doppel- forelle. Fig. 3. Über den sich abspielenden interessanten Vorgang berichtete ich damals in jetzt zu bestätigender Weise Folgendes: »Wir erkennen in Fig. i den Keimring mit 2 vorderen Embryo- nalanlagen A und B. Durch die Gegenwart derselben zerfällt der Keimring nicht mehr in eine rechte und linke Hälfte, sondern in verschiedener Weise, ganz sich richtend nach den gegenseitigen Entfernungen der vorderen Embryonalanlagen d. i. nach ihrer Ein- stellung auf 180 oder weniger Grade des Umfangs des Keimrings, in vier gleich lange oder ungleich lange Strecken. Diese Strecken sind gleich lang bei 1S0gradiger Einstellung; bei genäherter Ein- stellung dagegen finden wir 2 ungleich lange Streckenpaare; in sie theilen sich die vorderen Embryonalanlagen alsdann so, dass auf jede derselben eine längere und eine kürzere Strecke entfällt; die beiden kürzeren Strecken aber liegen alsdann beisammen, eben so die beiden längeren; die beiden Paare sind von einander getrennt durch die beiden vorderen Embryonalanlagen. Letzteren Fall haben wir in Fig. 1 vor uns, die uns zwei einander nahe liegende vordere Embryonalanlagen zeigt. Die beiden kürzeren Strecken bilden die von mir sogenannte innere Zwischenstrecke, die beiden län- geren Strecken bilden zusammen die äußere Zwischenstrecke. Die innere Zwischenstrecke verbindet die medialen (einander zuse- henden) Hälften der 2 vorderen Embryonalanlagen; die äußere Zwi- schenstrecke dagegen verbindet die lateralen (von einander abgewen- deten) Hälften der 2 vorderen Embryonalanlagen; sie können darum auch mediale und laterale Zwischenstrecke genannt werden. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 161 In Folge des konjunktiven, Wachsthums des Keimrings zur Bil- dung der mittleren und hinteren Embryonalanlage wird an jede der beiden vorderen Embryonalanlagen das zu ihren beiden Seiten gele- gene Keimringgebiet allmählich herantreten. Den Fall gesetzt, die mediale Zwischenstrecke hahe eine Länge von 2 Millimetern, so wird für jede der beiden vorderen Embryonalanlagen, zu ihrer Verlänge- rung nach rückwärts, 1 Millimeter Länge der medialen Zwischen- strecke abgegeben werden; eben so viel von der äußeren Zwischen- strecke. Dies ist auch in der That der Fall und geht daraus sofort hervor, dass damit die beiden Embryonalanlagen zwar sich verlängern aber nothwendigerweise auch sich einander nähern müssen, wenn wir den einfachsten Fall annehmen. So wie die mediale Zwischen- strecke aufgebraucht, an die medialen Hälften der 2 vorderen Em- bryonalanlagen herangetreten ist, müssen die um ein Stück mittle- rer Embryonalanlage verlängerten vorderen Anlagen mit den unteren Enden ihrer medialen Hälften hart an einander stoßen. Es ändert sich also hiermit die Achsenrichtung der beiden Anlagen in etwas. Man vergleiche hierüber Fig. 2 der obigen Holzschnitte. Eine andere Frage ist es, ob die wirkliche Verlängerung der medialen Hälften der vorderen Embryonalanlagen je 1.mm betragen werde. Ich habe dies in meinem früheren Beitrag als einfachsten Fall angenommen. Bei der Einfachbildung findet, wie gesagt, eine Zusammendrängung des Materials des Keimrings statt, während er seinen Anschluss vollzieht. Nach meinen gegenwärtigen Erfahrun- gen muss ich annehmen, dass auch im Falle von Mehrfachbildung eine Zusammendrängung des Keimringmateriales während seines An- schlusses stattfindet, so dass also die Verlängerung der medialen Hälften der vorderen Embryonalanlage in unserem angenommenen Falle nicht einen ganzen Millimeter, sondern weniger beträgt. Ich behalte mir vor, hierüber genauere Messungen bei späterer Gelegen- heit zu veröffentlichen. Während des Anschlusses der medialen Zwischenstrecke hatte sich ein gleich großes Stück der lateralen Zwischenstrecke, wie schon bemerkt, angeschlossen. Der übrige Theil der lateralen Zwi- schenstrecke liefert weiterhin, wenn einmal von medialer Zwischen- strecke nichts mehr vorhanden ist, den gemeinsamen Körpertheil. Fig. 2 der Holzschnitte zeigt gerade den Beginn der Bildung dieses gemeinsamen Körpertheils. Die mediale Zwischenstrecke hat sich vollständig angeschlossen, ein Theil der lateralen Zwischenstrecke berührt bereits einen gegenüber liegenden identischen, anderen Theil Morpholog. Jahrbuch. 6. 11 162 A. Rauber derselben. Dies geht nun so fort, bis schließlich die gesammte laterale Zwischenstrecke mit ihren symmetrischen Hälften zusam- mengerückt und die totale Embryonalanlage vollendet ist. Wir haben dieses Stadium in Fig. 3 vor uns, welches nur in so fern etwas weiter vorgerückt ist, als sich bereits ein freier Schwanztheil zu bilden begonnen hat. Die Bildung, die aus jener ersten Anlage der Fig. 1 hervorgewachsen ist, ist nunmehr ein fertiges Doppel- monstrum und eine Form, wie sie unter den Fischen zu den aller- häufigsten gehört, ein Anadidymus. Es können bei einfacher vorderer Embryonalanlage Verzögerun- | gen des Anschlusses der Keimringhälften zur Bildung der mittleren und hinteren Embryonalanlage eintreten, ohne dass dadurch die morphologische und histologische Differenzirung in den Keimring- hälften aufgehoben werden: Das Ergebnis ist alsdann eine schein- bare Doppelbildung, die gleichfalls nicht selten ist, ein Hemidi- dymus, wie ich diese Form genannt habe.« Untersucht man an unseren neuen Fällen die innere Zwischen- strecke des Keimrings bei Anlagen mit kleinem Einstellungswinkel, und darauf solehe Anlagen, bei welchen eine innere Zwischenstrecke bereits aufgebraucht ist (Fig. 6—9, 10—13, 15, 17—21, 23), so er- giebt sich leicht eine vollständige Bestätigung des Angegebenen. Hinzugefügt kann werden, dass nicht allein die Länge der inneren Zwischenstrecke maßgebend sei für die Längsausdehnung der me- dialen Leibeshälften, sondern auch deren Massenhaftigkeit. Im Ver- hältnis sie dieker oder dünner ist, bei gleicher Länge mehr oder weniger Zellenmaterial enthält, wird sich ihr Einfluss mehr oder weniger weit in der Erstreckung medialer Leibeshälften bemerklich machen. Dies war ein Beispiel der Weiterentwicklung in einem Falle großer Nähe der vorderen Embryonalanlagen. In welcher Weise verändert sich aber das anfängliche Bild in dem Falle möglichst entfernter vorderer Embryonalanlagen bei weiterer Entwicklung? Es ist die in Fig. 4 Taf. VII gegebene Keimscheibe des Lachses, die in ihrem weiteren Wachsthum verfolgt werden soll. Die Keim- scheibe wird, wie sie es bisher gethan, in ihrer Ausbreitung auf der Dotterkugel fortfahren und dieselbe endlich vollständig umschließen. Hiermit ist das Endstadium der Gastrula erreicht. Während dieses Ablaufes wird aber auch die Länge der beiden Embryonalanlagen zunehmen, der Keimring wird sich an der Vollendung der mittleren und totalen Embryonalanlagen seiner Bestimmung gemäß allmählich Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 163 erschöpfen. Mit anderen Worten erreicht gleichzeitig mit dem Ab- schluss des Gastrula-Stadiums auch das Neurula-Stadium sein Ende. Während jedoch nur eine Gastrula vorliegt, besteht eine doppelte Neurula. Durch diesen Vorgang wird jedoch die gegenseitige Stel- lung der beiden Embryonalanlagen nicht verändert. Beide werden vielmehr ihre einander gegenüber liegende Stellung in einer Ebene des Eies zu jeder Zeit bewahren. Auch bei dem Lachse findet, wie ich mich durch eigene Beobachtung überzeugt habe, eine totale Aufbrauchung des Keimrings für den Embryo statt. Man könnte in unserem Falle nun erwarten, es werde zur Zeit des herannahenden Verschlusses der Keimpforte ein mittleres Leibesstück vorliegen, welches an seinen beiden äußersten Enden je einen Kopf trüge. Dieser Erfolg trat jedoch in Wirklichkeit nicht ein, vielmehr lösten sich die Hinterenden beider Embryonalanlagen als solche vom Keim- ring los, bevor der letzte Rest desselben den Verschluss der Keim- pforte vollzogen hatte. Bei dieser Lösung darf man selbstverständlich nicht an eine Kontinuitätsunterbrechung der Keimblätter denken, sondern nur an eine Differenzirung der hinteren Leibesenden vom Reste des Keimrings. Hinter jenen rückte der Keimringrest alsdann weiter, um endlich zwischen beiden die Keimpforte zu schließen. Diese fällt dadurch außer Beziehung zur Analbildung. Wir sehen auch, dass jeder der fertigen Doppelfische (Fig. 2) eine besondere Analöffnung besitzt. Eine Ausbildung zweier Keimpforten, sei es nun, dass letztere zur Analbildung oder zum Schlusse des Medullar- rohrs in innerer Beziehung stehen, kann jedenfalls nicht angenom- men werden. So liegen die beiden totalen Embryonalanlagen gegenüber, Bauch- fläche gegen Bauchfläche, den Nahrungsdotter in gleichsinniger Richtung zwischen sich fassend, die Längsachsen in gleicher Ebene, der Medianebene des Eies. Weiterhin wachsen die hinteren Leibes- enden rasch in die Länge, indem sie die Richtung der Längsachsen fortsetzen. Hiermit aber haben wir unseren Gastrodidymus von Fig. 2 vor uns. Genau derselbe Entwicklungsvorgang liegt der in Fig. 3 gege- benen parasitären Doppelbildung zu Grunde; der eine Kompo- nent verkiimmerte jedoch frühzeitig, während der andere seine Ent- wicklung ohne bedeutendere Störung fortsetzte. Nach geschehener Schilderung dieser extremen Fälle darf es unterbleiben, die Weiterentwicklung aller einzelnen zwischenliegen- den Formen im Besonderen zu betrachten. Sie ergiebt sich nach 11% 164 A. Rauber dem Vorausgehenden von selbst. Dessgleichen liegt in Bezug auf die Dreifachbildung der Forelle (Fig. 15 Taf. VIII) keinerlei Schwie- rigkeit vor und bemerke ich nur, dass, wenn man hier eine Reduk- tion des bestehenden Stadiums auf das der vorderen Embryonalanlagen vornehmen wollte, letztere sämmtlich in bestimmten Entfernungen auf den gemeinschaftlichen Keimring aufzutragen sein würden. Ans der allmähliehen Verwendung der Zwischenstrecken ist bei weiterer Entwicklung die gegenwärtige Bildung hervorgegangen. Vergleicht man die von den Knochenfischen gegebenen Abbildun- gen mit jenen von Doppelanlagen des Hühnchens, Fig. 26 u. 27 Taf. X, so scheinen auf den ersten Blick unüberwindliche Schwie- rigkeiten zu bestehen, eine wirkliche Homologie aufzufinden. Lässt man sich aber durch die so verschiedenen Größenverhältnisse nicht täuschen und fasst die Entwicklungsgeschichte des Hühnchens nicht im alten unvollständigen Sinne auf, wie sie z. B. gegenwärtig noch von KÖLLIKER gelehrt wurde, sondern im Lichte der vergleichenden Entwicklungsgeschichte, so schwinden jene vermeintlichen Schwie- rigkeiten auf ein sehr bescheidenes Maß zusammen. | Vor Allem müssen wir der Keimpforte unseren Blick zuwen- den, die auch dem Hühnchen nicht fehlt, sondern derjenigen der Knochenfische homolog ist. Es ist dies jene Öffnung, welche vom Rande der Keimscheibe in allen Stadien ihrer Ausdehnung umspannt wird, anfänglich einen sehr kleinen Durchmesser besitzt, um darauf im Zusammenhang mit der Größe der Dotterkugel während der Umwachsung derselben eine außerordentliche Größe zu erreichen, darauf allmählich sich zu verkleinern und am fünften Tage endlich zum Verschlusse zu gelangen!. Auch einen Keimring finden wir beim Hühnchen vor, die in Bezug auf die Flächenerscheinung ge- wöhnlich sogenannte Area opaca. Und fassen wir weiterhin die Einstellung mehrfacher Leibesachsen auf den Keimring und die Keimpforte in das Auge, so kehren hier dieselben Erscheinungen wieder, die von den Knochenfischen bekannt sind: Die hinteren Leibestheile befinden sich niemals in Keimpforten-Ferne, sondern in Keimpforten-Nähe, die Köpfe niemals in Keimpforten-Nähe, sondern 1 Eine Beurtheilung entgegenstehender Ansichten enthält mein Aufsatz »Die Lage der Keimpforte«, Zoologischer Anzeiger 1879, No. 38. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 165 immer in Keimpforten-Ferne; die hinteren Leibestheile stehen so- gar mit dem Keimring ursprünglich nicht allein in unmittelbarem Substanzzusammenhang, sondern gehen auch, wie ich zeigte, aus demselben direkt hervor. Die Einstellungswinkel sind, wenn wir alle in der Litteratur verzeichneten Fälle darauf prüfen, gleichfalls sehr verschiedenartig; solche von vielen und endlich 180 Graden aber treten weit häufiger auf, als bei den Knochenfischen. Unsere beiden neuen Fälle, eben so eine an oben erwähntem Ort von mir beschriebene Doppelbildung, so wie die früher genannte Dreifachbil- dung, d. i. mein ganzes Beobachtungsmaterial vom Hühnchen geben hierfür einen sprechenden Beleg. Die Kopfanlagen liegen dabei häufig so nahe beisammen, dass Störungen ihrer Entwicklung zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen gehören. Für alle diese Fälle gilt also das Schema Fig. 28 in gleicher Weise. Schwierigkeiten für die Erklärung bieten sonderbarer Weise gerade Beobachtungen von vorderer Divergenz, d. i. Yförmige Dop- pelbildungen des Hühnchens. Es ist, als ob das bei der Weiterent- wicklung von Doppelanlagen der Knochenfische so stark hervortre- tende konjunktive Moment unter bestimmten Verhältnissen auch bei Doppelanlagen der Vögel in stärkerem Maße hervortreten könne als es normal geschieht. Fälle solcher Art sind verhältnismäßig selten; über ihre Beurtheilung können noch Zweifel bestehen und ist darum die Nothwendigkeit hervorzuheben , weitere Beobachtungen dieser Art von früheren Stadien zu sammeln. Leiehter noch als bei den Knochenfischen nehmen wir an den Doppelbildungen der Vögel wahr, dass zu ihrer richtigen Auffassung auch ein negativer Umstand in Erwägung gezogen werden müsse. Er beruht auf der Gegenwart einer mangelnden Strecke der Keim- scheibe oder überhaupt des Keimgebietes, der Gegenwart eines auf Materialmangel begründeten, von mir sogenannten Störungsfeldes. Je nach dem Betroffensein der verschiedenen embryonalen Zonen an diesem Mangel gehen aus den verschiedenen Fällen außerordentlich verschiedene Endergebnisse hervor. Sie erstrecken sich von inniger Verschmelzung unvollständiger Komponenten bis zu völliger Lösung wohlgebildeter, normaler Embryonen. Es muss zweifelhaft bleiben, ob bei den Vögeln und Fischen eine endliche Lösung der mindestens dureh den Dottersack verbundenen Komponenten vorkomme; bei den Säugethieren gehört sie zu den häufigeren Erscheinungen. Stellt man sich indessen vor, dass bei den Vögeln und Knochenfischen der Dottersack-Inhalt zur völligen Aufsaugung gelange, bevor die Lösung 166 A. Rauber beider Embryonen erfolgt, so lässt sich die Möglichkeit einer solchen auch bei diesen Klassen einsehen. Ob in Wirklichkeit beim Hühnchen jemals zwei auf einem Dot- ter befindliche von einander getrennte Keimscheiben gesehen wor- den sind, wie es von Neueren DARESTE, indessen ohne mikroskopi- schen Beweis vom unbebrüteten Hühner-Ei angegeben hat, muss ich dahingestellt sein lassen. Was man gewöhnlich als Gegenwart zweier getrennter Keimscheiben auf einem Dotter bezeichnete, war kein wirklich gesehenes Objekt, sondern das Urtheil, dass zwei auf einem Dotter gesehene Embryonen zwei Keimscheiben ihren Ursprung verdanken müssten. Alle solche mir aus der Litteratur bekannten Fälle weisen dagegen auf eine ursprünglich einheitliche Keimscheibe hin. Zugegeben aber, die Bildung zweier isolirter Keimscheiben auf einem Dotter meroblastischer Eier komme höchst ausnahmsweise als Ausgangspunkt einer Doppelbildung vor; dies würde nichts An- deres bedeuten, als dass das Keimmaterial eines Eies aus Gründen, die nieht näher untersucht zu werden brauchen, statt auf einen Punkt koncentrirt zu werden, wie es der Norm entspricht, auf zwei Punkten sich sammle. Es würde also selbst in diesem Falle ein Ei in Folge der Theilung seines_Keimmateriales zwei -Embryonen den Ursprung geben. Der unbestreitbare Nachweis zweier Keime auf einem Dotter aber dürfte, wie gesagt, noch zu erbringen sein. Auch kann in dieser Beziehung wieder an die Ausgangsform des Gastrodidymus des Lachses erinnert werden. Ein eigenthümliches Verhältnis besteht bei Eiern (des Huhns) mit doppeltem Dotter, welche besonders von Panum! auf den Ur- sprung von Doppelbildung untersucht worden sind. Über seine eigenen, mit großer Sorgfalt angestellten Beobachtungen drückt sich derselbe folgendermaßen aus: »Für die Frage über die Beziehung der Eier mit doppeltem Dotter zu den Doppelmissbildungen ist es ein bemerkenswerthes Faktum, dass weder in den 10 Fällen, wo ich selbst die Eier künstlich bebrütet und untersucht hatte, noch in den zwölf bis vierzehn Fällen, die bei weiter vorgeschrittener Entwick- lung zu meiner Kenntnis gelangt sind, sich die geringste Spur einer Verklebung oder Verwachsung der auf den verschiedenen Dottern entwickelten Embryonen oder ihrer Eihäute vorfand. Da meine Be- obachtungen in so evidenter Weise gezeigt haben, dass die Entwick- lung der Keimscheibe und des Bluthofes an der Berührungsfläche 1 PanuM, I. ce. pag. 226. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 167 beider Dotter entweder ausbleibt oder gehemmt wird und wie abge- schnitten aufhört, so scheint hier eine Verwachsung überhaupt un- möglich zu sein. Die Embryonen selbst kommen aber erst in einer viel späteren Periode mit einander in unmittelbare Berührung, und alsdann ist, schon der Befiederung halber, eine Verwachsung gar nicht denkbar.« Nach diesen Beobachtungen scheinen also Doppelbildungen des Hühnchens durch spätere Verwachsung der Keimscheiben beider Dotter ausgeschlossen werden zu können. Hiermit sind zugleich die verschiedenen Möglichkeiten erschöpft, die den Doppelbildungen des Hühnchens zum Ausgangspunkte dienen können. Was nunmehr die Säugethiere betrifft, so ist zuerst an das im ersten Abschnitt über normale Entwicklungsgeschichte Gesagte zu erinnern. Wenn ich aber auch aus den angegebenen Gründen es unterlasse, specielle Entwicklungsformen ihrer Doppelbildungen zu analysiren, so lässt sich dennoch über deren Ursprung im Allge- meinen theils auf Grundlage unserer bezüglichen Kenntnisse von anderen Wirbelthieren, theils weil die Ableitung und Zurückführung der bekannten späten Stufen der Säugethierdoppelbildungen auf den zu erwähnenden frühen Ausgangspunkt nichts Widersprechendes dar- bietet, mit Bestimmtheit behaupten, dass auch ihre Doppelbildungen auf Grundlage je eines einzigen Eies, nicht aber aus der Verwach- sung von zwei verschiedenen Eiern hervorgehen. Wenn aber ein Ei als der Ursprung einer Mehrfachbildung anzusehen ist und dem- gemäß eine, der Zeit nach noch näher zu bestimmende Theilung des Dotters die Mehrfachbildung veranlasst, so ist weiterhin leicht begreiflich, dass alle embryonalen Bildungen, welche sich innerhalb eines einzigen Chorion entwickelt haben, als Bildungen wesentlich gleicher Kategorie aufgefasst werden müssen. Denn verschieden ist nur der Grad des Zusammenhangs der genannten Bildungen, nicht aber das Wesen ihres Ursprungs. Der Grad des Zusammenhangs selbst‘ ist durch nichts Weiteres bedingt, als durch das jeweilige Betroffensein der verschiedenen embryonalen Zonen des Blastoderm. Diese Zonen wiederum sind zu unterscheiden als Stamm-, Seiten-, Amnion- und seröse Zone. Liegt das Störungsfeld in der Amnion- oder serösen Zone der zwei oder drei Embryonalbezirke des Eies, so ergiebt sich als endliche Folge, wie schon oben bemerkt, voll- ständige Trennung der zwei oder drei Embryonen, die ich monocho- riale Zwillinge und Drillinge, Diadelphen nannte; liegt das Störungs- feld in der Seiten- oder Stammzone der Embryonalbezirke des Eies, ~> 168 | A. Rauber so ergiebt sich ein bleibender Zusammenhang der Embryonen. Es sind dies die Monstra mit mehrfachen Leibern, Synädelphen. Mon- stra mit mehrfachen Leibern und monochoriale Zwillinge machen demgemäß zusammen nur eine Kategorie von Bildungen aus; ich nenne sie Mehrfachbildungen, Stockbildungen ; sie sind beide aus der Theilung eines Eies in mehrere Embryonalbezirke hervorge- gangen. Nehmen wir als Beispiel der Wirkung des Betroffenseins ver- schiedener embryonaler Zonen einen Fall vom Menschen, etwa die siamesischen Zwillinge, die, wie schon VircHow richtig urtheilte, nicht aus Verwachsung, sondern Theilung hervorgegangen sind, so liegt bei ihnen das erwähnte Störungsfeld im Bereich des äußeren Randes der Seitenzonen der Brust; wäre das Störungsfeld nur um ein Weniges weiter auswärts gerückt worden, in den Bereich der Am- nionzone also, so würden aus der ganzen Bildung völlig getrennte - monochoriale Zwillinge, kein Monstrum geworden sein. Außer den monochorialen Zwillingen und Drillingen giebt es nun noch die gewöhnlichen Zwillinge, Drillinge u. s. f., welche aus der gleichzeitigen Entwicklung mehrerer Eier innerhalb eines müt- terlichen Organismus hervorgegangen sind. Beide Formen sind also ihrem Ursprunge nach völlig von einander verschiedene Bildungen. Behalten wir für die aus getrennten Eiern hervorgegangenen gleich- zeitigen Bildungen den Namen Zwillinge, Drillinge u. s. f. bei, so empfiehlt es sich in der That, die monochorialen Zwillinge und Dril- linge als heterogene Bildungen besonders zu benennen, wofür oben der Ausdruck Diadelphen, Stocklinge, gewählt wurde. Hier ist auch der Ort, die Acephalenfrage wieder in das Auge zu fassen und das bereits im ersten Abschnitt darüber Ange- gebene im Anschluss an die Mehrfachbildungen zu ergänzen. Ace- phalen können, wie dort erwähnt, Einfachbildungen sein und sich bis zu einer gewissen Stufe entwickeln; Beispiele dafür sind im ersten Abschnitt in hinreichender Zahl gegeben worden. Aber auch bei Mehrfachbildungen können acephale Anlagen schweren und geringen Grades vorkommen; ja sie sind hier häufiger, wie ein Blick auf die Tafeln der Doppelbildungen und auf die Verhältniszahlen lehrt, als bei Einfachbildungen. Acephalen als Einfachbildungen sterben frühzeitig ab; denn sie entwickeln entweder keinen oder nur einen ungenügenden Kreislauf, da fehlende oder mangelhafte Herz- bildung sich mit ihrer Anlage verknüpft; auch sekundäre Degene- rationen des Hirnrohrs und ihre Folgen für die Weiterentwicklung des Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 169 Herzens können hier in Betracht kommen. Acephalen im Rahmen von Mehrfachbildungen vermögen dagegen eine weitgehende Entwicklung durchzumachen,; wenn ein gesunder Komponent außer seinem eige- nen auch den Kreislauf der Acephalenanlage übernimmt. Dies kann geschehen entweder durch Gefäßverbindungen des ersten Kreislaufs, durch Gefäßverbindungen des Dottersackes, der Area vasculosa also, oder, wo Allantois-Entwicklung statt hat, durch Verwachsung der Allantoiden der in einem Chorion gelegenen Komponenten. Es liegt weiterhin auch noch die Möglichkeit vor, dass von zwei an- fänglich gesunden und wohlausgebildeten Komponenten einer Mehr- fachbildung der eine in seiner normalen Weiterentwicklung durch Allantoidenverwachsung gestört werde; und für diesen Fall nehme ich die besonders von CLaupius vertretene Erklärung in Anspruch. Als wesentliche Grundlage der letzteren betrachte ich die Herstellung einer breiteren Gefäßkommunikation an irgend einer Stelle der Al- lantoiden oder der fötalen Placenta, in Folge der geschehenen Ver- wachsung; darauf eine Überwältigung des Kreislaufes des einen Komponenten durch den des andern, mit daraus hervorgehender theil- weiser Umkehrung des Blutstromes des ersteren. Acephalen dieser Stufe, ob sie nun Säugethieren oder dem Menschen angehören, ha- ben aber mit dem gesunden Fötus, der sie ernährt, nicht bloß eine gemeinschaftliche Placenta, sondern, was das wichtigste ist, sie lie- gen mit ihm beständig innerhalb eines Chorion; zwei Amnien kön- nen vorhanden sein. Acephalen dieser Art gehören alle in die Ka- tegorie der Mehrfachbildungen. Ihre Embryonalanlagen d. i. die des Acephalen und des gesunden Komponenten, hängen sowohl bei Vögeln, als bei Säugethieren und Menschen durch die Amnion- oder seröse Zone des Eies mit einander zusammen. Es ist klar, dass neben einem gesunden Komponenten zwei acephale Anlagen inner- halb eines einzigen Chorion entwickelt werden können; oder auch zwei gesunde Komponenten mit einer acephalen Anlage. Dies gilt für Fälle, in welchen eine Theilung des Eies in drei Embryonalbezirke stattgefunden hat. Befindet sich der Zusammenhang der beiden Embryonalanlagen in ihren Seiten- oder Stammzonen, statt wie vorher in den Amnion- oder serösen Zonen und verkümmert die eine Anlage früher oder später, so erhält sie die Bedeutung und den Namen eines äußeren Parasiten. | Über Inklusionsbildungen (Foetus in foetu) der Amnioten, die Ja auch zu den Mehrfachbildungen gehören, vermöchte ich bis jetzt nur 170 A. Rauber Theoretisches beizubringen, während mir thatsächliehe Beobachtungen früher Stufen nicht vorgekommen sind. Ich unterlasse es daher, sie hier näher zu erörtern, begnüge mich damit, sie den Mehrfachbil- dungen zuzuzählen und nur so viel über ihre erste Anlage zu bemer- ken, dass auch sie anfänglich flächenhaft ausgebreitet erscheint. Die Inklusion des einen Komponenten erfolgt erst auf sekundärem Wege. Mehrfach- oder Stockbildungen vermögen also bei den Säugethieren zu produeiren: 1) monochoriale Zwillinge und Drillinge; 2) einen wohlausgebildeten monochorialen Komponenten nebst einem Acephalen; deren weitere Kombinationen im Falle von Dreifachbildung. 3) mehrleibige Monstra; Zusammenhang in den Stamm - od Seitenzonen. 4) einen wohlgebildeten Embryo mit einem äußeren Parasiten; 5) einen wohlgebildeten Embryo mit einem inneren Parasiten, Inklusionsbildungen. Auch bei 4 und 5 ist die Anlage von mehr als 2 Achsen zu berücksichtigen. D. Verbreitung bei den Wirbellosen; Ursachen der Achsenvermehrung. Wenn in der vorausgehenden Untersuchung der bestimmte Nach- weis geliefert worden ist, dass der Entwicklungsmodus der Mehr- fachbildungen der Wirbelthiere auf der Theilung eines Keimes in zwei oder mehrere Embryonalbezirke beruht, so bleibt fernerhin noch zu ermitteln übrig, zu welcher Zeit der Eintritt dieser Thei- lung zuerst erfolgt, und welche Ursache die Theilung veranlasst. Um das ursächliche Moment der Theilung insbesondere sammelt sich nunmehr der Schwerpunkt der Frage; ist dasselbe erkennbar, so ist auch die Zeitfrage entschieden. Hinsichtlich letzterer ergab die Untersuchung bereits den Bescheid, die Theilung in Embryonal- bezirke sei bereits gegeben vor dem ersten Auftreten jeder Embryo- nalanlage. Theilung einer Embryonalanlage selbst kann also nicht der Ausgangspunkt der Achsenvermehrung sein. Die Zeitperiode des Fruchtlebens, innerhalb welcher die Ursache der Theilung wirk- sam sein muss, wenn sie Platz greifen soll, umspannt vielmehr der Möglichkeit nach ausschließlich die Zeit der ovarialen Entwicklung des Eies bis zur Einleitung der Furchung. Formbildung und Formstérung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 171 Nur wenige von den zahlreichen Theorien, welche im Laufe der Zeit über den Ursprung der Mehrfachbildungen entstanden sind, un- terliegen gegenwärtig mehr der Diskussion. Es liegt mir ferne, hier einen Überbliek iiber deren ganze Reihe zu geben. Ich darf dies um so eher unterlassen, als meine schon genannten Beiträge eine kurze Zusammenstellung bereits enthalten. Diejenigen aber, zwi- schen welchen die Entscheidung noch schwankt, bedürfen einer Er- örterung. Es würde gegen alles wissenschaftliche Prineip verstoßen, in einer Frage, bei deren Erwägung die Stämme der wirbellosen Thiere eben so sehr betheiligt sind wie die Wirbelthiere, jene gänzlich zu übergehen. Sind die hierhergehörigen Beobachtungen auch noch spärlich, so fallen sie doch sehr in das Gewicht. Zuvörderst fragt es sich, ob auch die Mehrfachbildungen der Wirbellosen aus Theilung eines einzigen, oder umgekehrt aus der Verwachsung meh- rerer Eier entspringen, oder ob möglicherweise selbst beide Formen der Entstehung vorkommen. Ist dies Verhältnis an der Hand der gegebenen Beobachtung untersucht, so kann die Erörterung der Ur- sachen gemeinsam in das Auge gefasst werden. Es liegen Erfahrungen vor über Mehrfachbildungen aus den Stämmen der Würmer, der Echinodermen, der Mollusken und der Arthropoden. Mehrfachbildungen von Lumbricus trapezoides beobachtete KLErI- NENBERG!. Seine Hauptergebnisse sind die folgenden: Nachdem schon Dues?) die Thatsache bekannt gewesen war, dass jede Kapsel von Lumbricus trapezoides zwei von einander ge- trennte Würmer hervorbringt, gelang es KLEINENBERG, nicht allein diese Beobachtung zu. bestätigen, sondern auch in eingehender em- bryologischer Untersuchung zu erweitern und zu vertiefen. Er hält den Fall für äußerst selten, dass ein Ei nur einem einzigen Em- bryo seine Entstehung giebt; er konnte sich von dem Vorkommen eines solchen Falles nicht einmal sicher überzeugen. Wohl sehlüpfte zuweilen nur ein einziger Wurm aus einer Eikapsel hervor, aber es wurden alsdann die Reste seines Genossen fast immer gefunden. Dass bei dieser Entwicklungsweise eine Aufeinanderfolge von Individuen stattfinde, von welchen nur das erste sein Dasein der ! KLEINENBERG, The development of the Earth-Worm, Lumbricus trape- zoides. Quarterly Journal, April 1879. 2 DuG&s, Annales des sc. nat. T. XV, 1828, pag. 331—332. 172 A. Rauber geschlechtlichen Zeugung verdankt, während das andere aus dem ersten auf agamischem Wege entstehe, bestreitet KLEINENBERG; es entwickelten sich vielmehr aus dem Ei unmittelbar zwei wesentlich von einander unabhängige Wesen. In Fällen, in welchen ein wohl- ausgebildeter Embryo das Rudiment eines andern hervorbringt, sollte der zweite als Keim betrachtet werden; allein ein solcher Fall ist anomal. In der Regel entwickelte sich der zweite, obwohl ein we- nig später, nicht aus dem zur Bildung des ersten benutzten Keim- material, sondern aus einem unmittelbar von der Befruchtung abzu- leitenden Theil der Furchungskugeln, welcher ruhte, bis er als ein unabhängig schaffender Mittelpunkt auftrat. Die Theilung des Keim- materials betrachtet KLEINENBERG als aus der ursprünglichen inneren Anordnung des befruchteten Eies hervorgehend und neigt sich, was die Ursache der Theilung betrifft, der alsbald auch von uns in das Auge zu fassenden Anschauung von FoL zu, welcher in dem Ein- dringen mehrerer Spermatozoen in das Ei jene Ursache erblickt. Bei voranschreitender Entwicklung hingen die aus einem Ei hervorge- gangenen aus einander weichenden Embryonen noch durch einen zel- ligen Verbindungsstrang zusammen und zwar entsprach der Punkt des Zusammenhangs den Hälsen. In dieser Verbindung blieben die beiden Zwillingsembryonen einige Zeit hindurch, wuchsen und voll- endeten ihre innere Organisation, sanft im Eiweiß vermittels ihrer Cilien sich herumbewegend, ohne sich gegenseitig zu stören. Nach und nach erschlaffte der Verbindungsstrang bis zu einem Grade, dass der geringste Zug hinreichte zur Zerreißung, die denn auch schließlich erfolgte. Nicht immer aber gingen die Dinge so glatt ab: wenn der Verbindungsstrang nicht zeitig genug erweichte, um zerrissen werden zu können, oder wenn er anomale Dicke besaß. So konnten unter vollständig ausgebildeten, bereits ausgeschlüpften, isolirten Würmern auch Doppelmonstra in allen Graden von Ver- wachsung wahrgenommen werden. Die beiden sie bildenden Em- bryonen konnten den ganzen Körper entlang mit einander verbunden sein, so dass es unmöglich war, sie aus einander zu bringen, ohne sie in Stücke zu zerreißen. Andre hingen noch mit einem so dünnen gebrechlichen Bande zusammen, dass die endliche Zerreißung ihnen noch gelang. Alle hatten zwei völlig getrennte Köpfe, zwei Schwänze und zwei Analöffnungen. Es schien die Verwachsung sich auch nicht auf ein inneres Organ auszudehnen, sondern auf die epitheliale Schicht der Körperwände beschränkt zu bleiben. Nicht minder wichtig für die richtige Beurtheilung der in Frage Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 173 stehenden Verhältnisse sind die vorhandenen ‚Beobachtungen über anomale Befruchtung zunächst von Echinodermen. Die Arbeiten von Fou! und O. Herrwıs ? haben den Satz zu großer Wahrschein- lichkeit erhoben, dass nicht nur das Eindringen eines einzigen Sper- matozoon in das Ei genügt, um eine normale Befruchtung zu bewir- ken, sondern dass das Eindringen mehrerer Spermatozoen sogar eine Störung der normalen Furchung und Weiterentwicklung hervorzurufen vermag. Insbesondere hat FoL den letzteren Gesichtspunkt weiter verfolgt, sich bemühend, künstliche Befruchtung unter den verschie- densten Bedingungen auszuführen. Er gelangte zu dem Ergebnisse, dass die Bedingungen für eine normale Befruchtung sehr eingeschränkt sind und dass man sich von diesen nicht entfernen darf, ohne pa- thologische Produkte zu erzielen. Wenn er weibliche Asterien öffnete (Asterias glacialis trug die Hauptkosten der Untersuchung) und die Eier sofort befruchtete, bevor sie durch mehrstündigen Aufenthalt im Meerwasser zur völligen Reife gelangt waren, so erhielt er einen Schwarm von fast lauter monströsen Larven. Solche Eier besaßen zur Zeit der Befruchtung nämlich das Keimbläschen noch und den Keimfleck. Statt eines einzigen Spermatozoon waren nachweisbar mehrere eingedrungen. Eier, welche den Anfang der Knospung des ersten Richtungskörpers zeigten, gaben nach künstlicher Befruchtung dagegen bereits normale Produkte. Das Ei, so folgert For, ist un- reif, so lange die Auswurfsstoffe des Keimbläschens nicht ausge- stoßen worden sind. Dieselben pathologischen Folgen traten ein, wenn Eier befruch- tet wurden, welche zu lange, mehrere Stunden nach geschehener Ausstoßung der beiden Richtungskörper, im Meerwasser gelegen waren. Solche Eier erscheinen überreif; sie haben einen Theil ihrer Lebensenergie bereits eingebüßt. Im Januar gelangten die in das Meerwasser gelegten Eier in etwa 4 Stunden zur völligen Reife. Sie blieben für eine normale Befruchtung noch empfänglich während 4—5 Stunden, d. h. 9—10 Stunden nach ihrer Entfernung aus dem Eierstock. Von da an fingen sie an sich zu verändern und bilde- ten sich bei unternommenen Befruchtungsversuchen zu anomalen Larven aus. Hohe Temperatur beschleunigte die Reihenfolge. ı H. Fon, Recherches sur la fécondation et le commencement de l’heno- génie chez divers animaux. Archives de Geneve 1877; ausführlich in den Mé- moires de la société de physique et d’histoire nat. de Genéve, 1877 —7S, Te. 2 O. Hpertwiae, Morphologisches Jahrbuch 1878, Bi. IV. pag. 172. 174 A. Rauber Als eine dritte Ursache der Veriinderung des Dotters ergab sich Krankheit des Mutterthieres. Schon kurz dauernde Gefangenschaft übte einen bedeutend herabstiminenden Einfluss auf das Wohlbefinden der Thiere, insbesondere auf die Beschaffenheit der Eier aus. Ob letztere nun unreif, überreif oder in Folge der Gefangenschaft des Thieres verändert waren, die Befruchtungsvorgänge zeigten sich fast als dieselben. Das erste in das Ei eintretende Spermatozoon ruft in solehen Eiern die gleichen Erscheinungen hervor wie im normalen Falle, doch langsamer. In Folge dessen bildet sich, der Behauptung von Fou gemäß, die Dotterhaut viel langsamer als im normalen Fall; sie bleibt auf eine umschriebene Stelle des Dotters beschränkt und anderen Spermatozoen bleibt damit der Weg in das Ei ermög- licht. So konnten von 2—15 Spermatozoen im Dotter beobachtet werden. Wenn ein Ei nur 2 männliche Strahlenfiguren zeigte, so geschah es unabänderlich, dass einer der beiden männliehen Vor- kerne, der sich dem weiblichen Vorkern näher befand , diesem zu- strebte und sich mit ihm verband. Der andere setzte seinem Weg fort und vereinigte sich seinerseits mit dem konjugirten Kerne. Wenn 3 männliche Vorkerne da waren, so verbanden sie sich gleich- falls nach und nach mit dem weiblichen Vorkern; eine weitere Ver- schmelzung aber fand nicht statt, wenn die männlichen Vorkerne zahlreicher waren. Letztere stellten sich alsdann allmählich in glei- chen Entfernungen von einander im äußeren Drittel des Dotterradius auf; eben so die konjugirten Kerne selbst, die außerdem dem Cen- trum des Dotters zustreben. Dem Eintritt mehrerer Spermatozoen folgte, wie schon gesagt, anomale Furehung und monströse Larven- bildung; genauere Angaben über letztere Verhältnisse hat For in Aussicht gestellt. Von Gasteropoden liegen zwei Beobachtungen vor. Der einen von GEGENBAUR an Limax agrestis gemachten, mit Abbildungen in seiner Dissertation niedergelegten, habe ich im morphologischen Jahrbuch Bd. V nur kurz und unvollständig gedacht. Sie bedarf aber eingehenderer Beachtung um so mehr, als die an Bullaea aperta (Philine) gewonnenen Erfahrungen von LAcAzE-DurHIEks jener ge- genüber stehen. Uber die Limax-Doppelbildung ! sei also das Folgende hier be- merkt: Das Ei war nicht größer als die meisten andern und zeigte ! GEGENBAUR, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Landpulmonaten, Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd. Il. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 175 auch weder an seiner Schalenbildung, noch der Albuminmasse etwas Auffallendes. Beide Embryonen waren, wie beifolgende Kopie (Fig. 4) erläutert, schon in der Anlage der Bauchwülste (a, «) be- griffen, besaßen eine vollkommen getrennte Dottermasse und waren so mit einander verwachsen, dass sie die Kopf- und Nackengegend einander zuwandten. Fig. 4. Fig. 5. Die Längenachsen beider Embryonen fielen aber nicht in eine Linie zusammen, sondern bildeten einen stumpfen Winkel. Einer der beiden (A) ist etwas größer und zeigt auch schon an der Spitze des Bauchwulstes (a) ein Hellerwerden der Zellen, nämlich das jetzt beginnende Auftreten der Schwanzblase. Sie vollführten beide sehr lebhafte Rotationen um eine durch ihre Dottermasse gehende Achse und entwickelten sich, obwohl etwas kleiner als andere in dieser Periode befindliche Embryonen, doch eben so schnell als jene. Aus der ferneren Entwieklung ist hervorzuheben das Zusammenstoßen der beiderseitigen Dottermassen, Fig. 5. In letzterer bedeuten 7 die Anlagen der Tentakeln, Ai die Schwanzblasen. In darauf folgenden Stadien schien es, als ob der eine etwas größere Embryo den Dotter des kleinen ganz an sich ziehen wollte, doch ermannte sich der letztere wieder, so dass beide ungefähr zu gleicher Zeit ihre Reife erlangten. Am 30. Tage nach der ersten Beobachtung erfolgte das Auskriechen der Embryonen, die sich schon vorher, vielleicht gleich nach erfolgter Aufnahme des Dottersackes in den Körper, von ein- ander getrennt hatten. Obwohl beide etwas kleiner sind als andere Embryonen, so sind sie doch ohne irgend eine Monstrosität. Die Lebern beider waren vollständig und normal gelagert, eben so die Reste der Vornieren im Nacken zwischen den Tentakeln. Auch bei Embryonen von einigen Nacktkiemern (Doris, Poly- cera), in deren Eiern mehrere Embryonen (2—5, bei Doris bis zu 8) in einer einzigen, durch keine Septa geschiedenen Eiweißhülle sehr häufig vorkommen. hatte er Gelegenheit Doppelembryonen zu beob- 176 A. Rauber achten, bei welchen die Vereinigung ebenfalls’ an gleichnamigen Stellen Statt hatte. Sie traf bald den vorderen Rand der Segel- lappen, bald auch den Fortsatz aus dem sich der Kopftheil bildet, in welchem Falle zuweilen auch die beiderseitigen Fußtheile mit einander streckenweise vereinigt waren. Über den Fall von Limax urtheilte GEGENBAUR damals in fol- gender Weise: »Fragen wir nach der Entstehung des vorliegenden Falles, so finden wir zwei Möglichkeiten vorliegen ; die Zwillings- bildung erfolgte nämlich entweder aus der Verschmelzung zweier in eine Eiweißhülle nahe zusammengebetteter Dotter, oder sie ging aus der Theilung eines einzigen, vielleicht etwas ‘massenhaften Dotters hervor; der erste Fall ermangelt aller Wahrscheinlichkeitsgründe, da er weder durch die Größe der beiden Embryonen, noch auch durch die Art ihrer Aneinanderhaftung unterstützt wird, er bleibt daher eine reine Unmöglichkeit. Nehmen wir dagegen den ande- ren Fall an, der namentlich bei der relativ geringen Größe des Doppelembryo, so wie durch das Faktum, dass die Vereinigung bei- der Embryonen an einer gleichnamigen Stelle stattfand, hinreichende Bestärkung für seine Wahrscheinlichkeit und Zulässigkeit findet, so stellen wir uns vor, dass die Doppelbildung während der Durchfur- chung des Dotters erfolgte und zwar aus einer Theilung des Dotters in zwei zusammenhängende Gruppen, von denen jede sich selb- ständig weiter entwickelte. Geht die Trennung weiter, so entstehen zwei von einander unabhängige Embryonen. Dass dies möglich ist, dafür sprechen in der freien Fortentwicklung kleiner, vom gefurch- ten Dotter sich loslösenden Partikeln Thatsachen, die bedeutsam ge- nug sind, um näher berücksichtigt zu werden. Solche Dottertheile, wie abgelöste Furchungskugeln, durchlaufen bekanntlich noch eine Zeit lang eine bestimmte Entwicklungsreihe , überziehen sich mit einem Flimmerepithel und führen, bis die ihnen innewohnende Kraft erschöpft ist, ein selbständiges Leben. Ist die abgetrennte Dotter- partie eine beträchtlichere, warum sollte sie sich nicht, wenn sich so in ihr größere Summen von Entwicklungsfähigkeiten koncentrirt haben, zu einer höheren Stufe erheben und bis zu einem vollständigen Em- bryo entwickeln können ?« Die Beobachtungen an Philine, welche Lacaze-Durniers mit- theilt, wurden schon vor längerer Zeit gemacht, neuerdings ausführ- lich von ihm beschrieben und mit Abbildungen versehen !. Letztere 1 LACAZE-DUTHIERS, Sur la formation des monstres doubles chez les Ga- stéropodes; Arch. de Zool. expér., T. IV, pag. 483. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 177 Abhandlung hatte ich erst kiirzlich Gelegenheit im Originale kennen zu lernen und entnehme derselben Folgendes. Eine Eiweißhülle umgiebt jedes Ei und ist mit ihr in eine Schale eingeschlossen , die mit der vorhergehenden und folgenden durch einen Faden vereinigt wird. Alle Eier einer Legung bilden einen langen Rosenkranz von unzähligen Spiraltouren. Es können nun mehrere Eier in eine Schale kommen, was besonders leicht gegen das Ende der Kette geschieht. Dies ereignet sich sowohl in der Freiheit als besonders im Aquarium, Fig. 6. Pig. ti. ee ra Y IM. + ) | | ) | \ ( ya Ss < i obs . \ ‘i / u / wenn das Thier beunruhigt wird. Bei Aplysia, die in jedes Fach eine große Zahl Eier legt, eben so bei einer größeren Reihe an- derer Gasteropoden dagegen bemerkte er keine Doppelbildung. Anfänglich war es ihm schwierig, die Anfänge zu erhalten, obwohl er zwei zusammenhängenden Thieren im Stadium der Morula be- gegnet war; später glückte es ihm, die Eier, die zu einer Doppel- bildung werden sollten, vor der Furchung zu finden. Er zwang Philine künstlich, die Eier rascher zu legen, so dass deren zwei oder drei in jede Schale zu liegen kamen (Fig. 6 der obigen Holzschnitte). Die Eier sind vollkommen frei, wenn mehrere in einer und derselben Schale liegen. Die Richtungskörper stoßen sich aus wie gewöhnlich und auch die Furchung tritt in gewöhnlicher Weise auf. Das eine Ei kann sich schneller furchen, als das an- dere.. Eine große Entodermzelle kann noch unbedeckt vom Ekto- derm sein bei dem einen, während das andere Ei bereits die erste Embryonalform erkennen lässt. Die beiden Eier, die sich berühren, gehen nun Verschmelzungen mit einander ein (Fig. 7). Merkwür- digerweise waren es immer korrespondirende Theile und homologe Seiten, welche zusammenwuchsen. Es verschmolzen hier die beiden linken Seiten, nicht die rechte mit der linken u. s. w. Hiernach würden bei den Gasteropoden zwei Beobachtungen sich gegenüber stehen und die eine der Verwachsung (Zygosis), die andre der Theilung (Divisio) das Wort reden. Aber es liegt geradezu hier die Möglichkeit vor, dass in dem einen Fall die Beobachtung, Morpholog. Jahrbuch. 6. 12 178 A. Rauber in dem andern die Beurtheilung eine richtige ist und dass beide Entstehungsformen sich unter gewissen Verhältnissen nicht absolut ausschließen. Warum sollten nicht auch an einem Gasteropoden-Ei, wie es von Wirbelthier-Eiern feststeht, aus den gleichen, noch zu untersuchenden Gründen eine Theilung in zwei Embryonalbezirke stattfinden können, mit dem gleichen Ergebnis einer Doppelbildung; und warum sollten nicht unter den eigenthümlichen Umständen, in welchen zwei in einer Eischale befindliche und bei ihrer Weiterentwicklung in un- mittelbaren Kontakt gerathende nackte Dotter- und Zellenmassen mit einander verschmelzen können? Ich nehme indessen an, dass auch bei Philine der andere typische Process der Doppelbildung, durch Theilung, nicht ausgeschlossen sei, sofern dessen besondre Ursachen in Wirksamkeit treten. Vor der Betrachtung der letzteren ist darauf aufmerksam zu machen, dass ein Fall zweifelloser Thei- lung des Dotters in zwei Embryonalbezirke unter den Wirbellosen, abgesehen von den schon genannten Würmern, auch bei den Ar- thropoden beobachtet worden ist. Es ist dies die von REICHERT! beschriebene Doppelbildung des Flusskrebses: »Die Embryonen be- finden sich hier einer hinter dem andern im Durchmesser des Eichens so zwar, dass sie das Schwanzende einander entgegen kehren und durch einen kleinen Zwischenraum von einander getrennt sind. Die Ausbildung beider sich vollkommen gleichenden Embryonen war bis zur Anlegung der Maxillen vorgeschritten, Mund- und Afteröffnung sind angedeutet.« Es ist zu bedauern, dass die Angaben über die- sen wichtigen Fall so dürftig sind; so viel aber geht doch mit Entschiedenheit aus ihnen hervor, dass der Ursprung dieser Doppel- bildung dem von den Wirbelthieren angegebenen völlig homolog ist. Lassen wir ferner die Achsenvermehrung in Folge von Zygo- sis, die in ihrer Verbreitung als bekannt vorausgesetzt werden kann, außer Betracht und fragen wir schließlich nach der letzten Ur- sache der Theilung eines Eies in mehrere Embryonalbezirke, oder nach der Ursache der Radiation, um einen früher von mir an- gewendeten Ausdruck zu gebrauchen, so liegt hier noch ein ausge- dehntes offenes Feld vor. Dies wird nicht Wunder nehmen dürfen, wenn wir bedenken, dass überhaupt die Ursachen der Theilung von Zellen noch so sehr unbekannt sind. ! REICHERT, in Frorıer's Notizen Bd. XXIII, 1842, pag. 10. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 179 Ist es unvollständige Theilung eines ovarialen Eies, welche die Veranlassung abgiebt zu späterer Duplieität und Triplieität der Ach- sen? Ist es die Gegenwart zweier Keimbläschen in einem Ei, welche jenes Ziel im Gefolge hat? Zwei Keimbläschen in einem Ei konnte man sich ausnahmsweise früherhin noch gefallen lassen, aber wie sah es, um nur dies zu bemerken, alsdann aus mit den von den Meisten kaum oder nur nebensächlich berücksichtigten drei- fachen Achsen? Oder ist es, wenn nicht diese, eine andere Ano- malie der Beschaffenheit des ovarialen Eies, welche die spätere Theilung bedingt? Mehrfache Mikropylen fehlten meinen Eiern. Aber man wird nicht das Ei ausschließlich berücksichtigen dürfen, sondern auch das männliche Element in Frage ziehen. Schon die Alten haben daran gedacht, dass vielleicht Überfülle des letzte- ren (EMPEDOKLES) oder zwei ungleichzeitig sich in Bewegung setzende Samen (DEMORRITES) die Duplieität bewirken könnten. Zwei Sper- matozoiden als Ursache der Doppelbildungen nahmen darauf natur- gemäß besonders Diejenigen an, welche in den Spermatozoiden das eigentliche Individuum erblickten. In vertiefter Gestalt tauchte neuerdings eine den ersteren ähnliche Ansicht auf, wie schon oben bemerkt dahin gehend, dass, wie ein Spermatozoide die normale Befruchtung bewirkt, so das Eindringen von zweien in das Ei zu Doppelbildungen Veranlassung geben könnte. Es ist in diesem Falle eine Krankheit oder mindestens Schwäche des Eies, welche das Ein- dringen mehrerer Spermatozoiden gestattet. Im Falle aber auch nieht solehe Besonderheiten der Befruchtung eine Theilung des Eies in mehrere Embryonalbezirke bedingen sollten, kann dann an eine spontane Theilung des befruchteten Eies in ursächlicher Hin- sicht gedacht werden? Sogenannte äußere Ursachen als Veran- lassung der Theilung fallen sicher außer Betracht; es genügt, die Tafeln unserer Doppelbildungen zu berücksichtigen. Als spontane Theilung würde natürlich nur eine solche zu verstehen sein, wie wir sie bei Theilung niederer Thiere wahrnehmen. Aber warum geschieht alsdann die spontane Theilung so selten, als eben Mehr- fachbildungen vorkommen ? Eine sichere Entscheidung in Betreff der Ursachen der Theilung ist zur Zeit noch nieht möglich, am nächsten indessen liegt gegen- wärtig allerdings das Prineip der Hyperspermatisirung, wie man es auf Grundlage der Beobachtungen von Fou und Herrwic nennen könnte; obwohl es auch hier an Bedenken nicht fehlt. Da nun aber die Ursache der Achsenvermehrung durch Thei- 12 180 A. Rauber lung noch nicht so vollständig erforseht ist, als wiinschenswerth, so besteht eine gewisse Schwierigkeit auch in Hinsicht der Bestimmung der morphologischen Stellung der Mehrfachbildungen. Selbst die unbezweifelbare Gewissheit, dass, auch abgesehen von den er- wähnten Würmern, gerade im Bereich der höchsten Wirbelthier- klasse völlig normale, aus ihrem anfänglichen Zusammenhang sich lösende Embryonen aus dem Typus der Mehrfachbildungen hervor- zugehen vermögen !, kann über die bestehenden Schwierigkeiten nicht ganz hinweghelfen. Immerhin ist dieser Umstand sehr wohl im Auge zu behalten. Es hat sein Seltsames, das Extrem einer ano- malen Bildung, wenn wir das Ganze ihrer Erscheinung als eine solche auffassen wollten, zur Lieferung normaler Produkte führen zu sehen, wie es bei den vollkommenen Diadelphen der Fall ist. Andrerseits könnte die Seltenheit dieser vollkommenen und die Häu- figkeit der unvollkommenen Fälle bei den Säugethieren, der Auffas- sung der ganzen Erscheinung als einer normalen sich als ungün- stig erweisen. Doch schon die Beriicksichtigung der Entwicklung von Lumbrieus trapezoides verwehrt es, den morphologischen Typus als solchen für eine Anomalie zu betrachten. Mag man aber mehr die vollkommenen oder die unvollkommenen Formen in den Vorder- grund der Beurtheilung stellen, sicher ist, dass alle Bildungen dieser Art in einem Gegensatze zu den solitären Bildungen stehen und im Vergleiche mit den letzteren nothwendig als Stockbildungen (Cormi) aufgefasst werden müssen. Als solche sind sie desshalb oben schon bezeiehnet worden, ohne dass dieser Ausdruck dort weiter ge- rechtfertigt worden wäre. Es sind allerdings Thierstöcke besondrer Art: sie entwickeln sich, solitären Bildungen gleich, ausschließlich auf Grundlage vorausgegangener Befruchtung; die Keimtheilung selbst erfolgt sehr frühzeitig, nicht in vorgerückteren Entwicklungs- stadien. An ihrer Auffassung als Stockbildungen kann es auch nichts ändern, wenn es sich bestätigen sollte, dass eine Überfruch- tung des Eies die Ursache der Keimtheilung darstellt. Vielmehr läge hierin nur eine ihrer Besonderheiten mehr: wir hätten alsdann Thierstöcke durch Überfruchtung. Mögen sie sich nun mit oder ohne Überfruchtung bilden, die Häufigkeit und Planmäßigkeit bei den Einen (Lumbricus trapezoides), ihre Seltenheit und häufigere Unvollkommenheit bei den Andern giebt uns zwar ein Recht, sie bei den Einen als normale, bei den IS. hierüber auch meinen Aufsatz: »Giebt es Stockbildungen bei den Ver- tebraten?« Morph. Jahrb. Bd. V. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 181 Andern als anomale Erscheinung und Produktionsweise solitärer Fortpflanzung gegenüber zu betrachten, den morphologischen Typus der »Mehrfachbildungen« als solchen dürfen wir indessen ferner wohl nicht mehr als einen pathologischen auffassen. Hier istauch der Ort, anzuknüpfen an eine oben (Formbildung und Cellularmechanik) vertheidigte Auseinandersetzung, der zufolge das Ei nicht als ein sehr komplieirter, sondern in der Anordnung seiner Massen verhältnismäßig einfacher Apparat anzusprechen wäre. Denn es ist leicht zu begreifen, dass der Typus der Mehrfachbil- dungen, zumal wenn Überfruchtung als die Ursache der Keimtheilung in mehrere individuelle Centra sich bestätigen sollte, eine kräftige Bestätigung jenes Satzes enthält. Wirft man, am Schlusse angelangt, noch einen Blick auf den zurückgelegten Weg, so wie auf die verschiedenartigen entwicklungs- geschichtlichen Gebiete, welche zu betreten waren, so sei er beson- ders dem gemeinschaftlichen Bande gewidmet, welches sie alle zu einem zusammengehörigen Ganzen verknüpft. Sie sind nicht allein mit einander verbunden durch die Gegensätze, welche die zusam- mengesetzte Bildung von der solitären, die defektive Formstörung von der einfachen Massenvergrößerung trennt; sie sind auch mit einander verbunden durch einen andern Gesichtspunkt, welcher im ersten Abschnitt in den Vordergrund der Betrachtung gestellt wor- den ist und von welchem aus die verschiedenartigen Leistungen des Keimes, seine normalen wie seine anomalen zu beurtheilen waren. Formbildung einerseits, Formstörung andererseits von dem gemein- samen Gesichtspunkte der Cellularmechanik aus zu untersuchen und das innere Wesen dieses neuen, hier zum ersten Mal zusammen- hängend geschilderten Zweiges der Naturwissenschaft an das Licht zu stellen, dieser Aufgabe galten vor Allem unsre Bemühungen. Wie schon jetzt, so wird der mit demselben Rechnende auch in der Zukunft der Embryologie reiche Aufschlüsse zu erwarten haben. Wie weit seine Tragweite in der Zukunft noch reichen werde, dies zu entscheiden muss allerdings jener selbst überlassen bleiben. Doch war es wichtig, von seiner Bedeutung schon jetzt entschiedenes Zeugnis abzulegen, die er theils an und für sich, theils in seinen besonderen Anwendungen besitzt. Denn da sein Inhalt und seine Grenzen. das Gebiet der Transmutationslehre, wie in dieser Sehrift nachgewiesen worden, nicht allein auf das Innigste durchdringen 182 A. Rauber sondern auch vertiefen, so erhellt schon allein hieraus sein Werth für die künftige Gestaltung der vergleichenden Embryologie. So liegt denn der Wunsch nahe, dass unter den die nächste Zeit der embryologischen Forschung leitenden Grundsätzen auch der hier vor- angestellte seine Wirkungen entfalten möge, mit dem leuchtenden Ziele, die immer weiter zu erforschenden ontogenetischen Reihen mehr und mehr in Mechanik aufzulösen. Erklärung der Abbildungen. Sämmtliche Figuren sind mit dem Prisma aufgenommen; Fig. 16, 24 bei durchfallendem, die übrigen bei auffallendem Lichte gezeichnet. Fig. 28 ist eine schematische Darstellung. Tafel VII. Fig. 1. Normaler durchfurchter Keim vom Lachs vom 3. Tage nach künst- licher Befruchtung. '%,. % Keim, d Dotter mit einzelnen durch- schimmernden Dotterkugeln. Fig. 2 und 3. Doppelbildungen vom Lachs auf später Entwicklungsstufe; die eine (5/,) mit nahezu resorbirtem Inhalt des Dottersackes und entsprechend geschrumpfter Wand des letztern; die andere (!/,), nach Knocu, mit zum Parasiten gestalteten einem Komponenten. Fig. 4—9. Doppelbildungen vom Lachs früher Stufen. 12/;. Fig. 4. 10 Tage nach Befruchtung. Opponirte Einstellung der beiden vor- deren Embryonalanlagen. + Keimring, « Uncus (Schwanz- oder Randknospe), m dünnes Mittelfeld der Keimscheibe mit durchschei- nenden Dotterkugeln. Fig. 5. 12 Tage nach Befruchtung. Die Anlage II zeigt acephale Verküm- merung; Einstellungswinkel ungefähr 160°. v innere, e äußere Zwi- schenstrecke, + Keimring. Fig. 6 und 7. 10 Tage nach Befruchtung. Einstellungswinkel 45 und 40°. ¢ in- nere, e äußere Zwischenstrecke, w Uncus. Fig. 8. 10 Tage nach Befruchtung. Die beiden vorderen Embryonalanlagen hängen unmittelbar zusammen; parallele Achsen. « Uncus. Fig. 9. 10 Tage nach Befruchtung. Unvollständige vordere Embryonalanlage; der Verbindungswinkel ist vorwärts offen; v vordere Spitzen der bei- den Anlagen. « Uncus mit Randkerbe, sch Keimscheibe, r Keim- ring der letzteren, d zugehörige Dotterkugel, an welcher nur einer- seits ein Theil der oberflächlich liegenden Dotterelemente gezeich- net ist. Tafel VIII. Fig. 10—14. Doppelbildungen, Fig. 15 Dreifachbildung der Forelle. !%/;. Fig. 10. 10 Tage nach Befruchtung. Keimscheibe mit 2 vorwärts divergiren- Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Formbildung und Formstörung in der Entwicklung von Wirbelthieren. 183 14; 14, 16. UT 18. 19. 20. 23. den vorderen Embryonalanlagen; hinterer Zusammenhang derselben, kräftig ausgebildeter Keimring. Verbindungswinkel gegen 90°. 10 Tage nach Befruchtung. Zwei stark prominirende vordere Embryo- nalanlagen, die hinten zusammenfließen. Verbindungswinkel gegen 90° mit vorderer Öffnung. und 13. 10 Tage nach Befruchtung. Zusammenhängende vordere Em- bryonalanlagen, deren Spitzen den Zahlen |! und 2 entsprechen. Fig. 12 mit schwacher, Fig. 13 mit starker vorderer Divergenz der Achsen. w und uv’ Haken. 14 Tage nach Befruchtung. Vordere Embryonalanlagen mit einem Einstellungswinkel von etwa 130%. d Dotterkugel. Die Konjunktion der Anlage I ist verzögert. 16 Tage nach Befruchtung. Drei Embryonalanlagen von ungleicher Stärke und Länge. Der Verbindungswinkel der Anlagen II und IH hat vordere Öffnung und beträgt etwa 459; zu ihrer Verbindungsachse steht die Anlage I in einem vorwärts offenen Einstellungswinkel von etwa 200. Das Blastoderm hat den Aquator der Dotterkugel noch nicht erreicht. Querschnitt dureh die Doppelanlage von Fig. 12. */,;. d Deckschicht, e Ektoderm, m Mesoderm, en primäres Entoderm, en’ sekundäres Entoderm, g gallertig umgewandeltes primäres Entoderm, % Kerne des primären Entoderm, v Grenze beider Anlagen. Tafel IX. Fig. 17—22. Doppelbildungen vom Salmling. !/ı. 12 Tage nach Befruchtung. Der Theil der Keimscheibe, welcher die zusammenhängende Doppelanlage trägt, erscheint nach hinten ausge- zogen. d Dotterkugel, « Haken. 14 Tage nach Befruchtung. Die beiden zusammenhängenden Anlagen zeigen schwache vordere Divergenz. Die Anlage II ist etwas schwä- cher als die andere. d anstoßender Theil der Dotterkugel. 10 Tage nach Befruchtung. Beide Anlagen sind von einander getrennt und konvergiren vorwärts. 4 14 Tage nach Befruchtung. Die Anlage II hat sich normal ausgebil- det, während die Anlage I in eine Gruppe von Höckern degenerirt erscheint. Verbindungswinkel beider Anlagen von etwa 60° mit vor- derer Öffnung. 16 Tage nach Befruchtung. Die Keimhaut hat den Aquator der Dotterkugel überschritten. Der Komponent I der Yförmigen Anlage ist schwächer ausgebildet. c gemeinschaftlicher Körpertheil, d unbe- deckter Theil der Dotterkugel. 16 Tage nach Befruchtung. : Verkiimmerte Doppelanlage. Die kleine Keimscheibe peripherisch in koncentrische Fältchen gelegt, ohne Keimring. Einstellung der Achsen auf 180° Die Anlage I endigt in der Nähe der Peripherie, indem ihr Hinterende zur Seite weicht; die Anlage II, indem die beiden Leibeshälften stark divergiren. Doppelbildung vom Hecht. 72 Stunden nach Befruchtung. 17/,. Die Zeichnung in der Lage auf- 184 A.Rauber, Formbildung u. Formstörung in d. Entwicklung v. Wirbelthieren. Fig. 24. Fig. 25. Fig. 26. Fig. 27. Fig. 28. genommen, dass die Keimpforte (d) sich dem Beobachter zuwendet. Die vorderen Enden beider Anlagen, welche den Äquator der Dot- terkugel überschreiten, sind darum nicht sichtbar. Der Komponent I, etwas kürzer als II, befindet sich auf einer etwas früheren Entwick- lungsstufe als II. e äußere, © innere Zwischenstrecke des Keimrings; * Vorsprung der inneren Zwischenstrecke, der die Keimpforte nieren- förmig gestaltet; 5 Blastoderm, welches die Dotterkugel bedeckt mit Ausnahme der Keimpforte d. Querschnitt durch die Doppelanlage von Fig. 19. 46/,. I, II, die Achsentheile beider Anlagen. d Deckschicht, e Ektoderm mit den Chorden, en primäres Entoderm, % dessen Kerne, en’ sekundäres En- toderm, m Mesoderm, do Dotterkugeln. Doppelbildung der Forelle aus der Zeit des Ausschlüpfens. Anadi- dymus mit Verdoppelungsspuren bis zur Schwanzspitze. 5. a von der einen Breitseite (Bauchseite), 5 von der andern Breitseite (Rücken- seite). Bei « ein größerer, bei 6 ein kleinerer Theil des Dottersackes sichtbar. Am hinteren Rande des Dottersackes erkennt man bei 5b die verschmolzenen medialen Bauchflossen. In der Ansicht a sind die beiden lateralen Bauchflossen sichtbar, dahinter die Ausmündung eines einzigen Anus. Die Verbindung der Seitenrumpfmuskeln in der Ansicht 5 deutlich ausgeprägt. Tafel X. Doppelbildungen des Hühnchen». Bebrütungsdauer gegen 36 Stunden. Prismazeichnung bei auffallen- dem Licht. '8/,. 26a Riickenansicht, 266 Bauchansicht. I und II, die beiden Komponenten, innerhalb einer dreieckigen Area lucida. Die Area vascularis (av) ist dunkel gehalten. m Medullar- platten des Embryo I, die Medullarfurche desselben zwischen sich fassend; m’ Medullarplatten des Embryo II, eine Medullarfurche von ungewöhnlicher Tiefe und Form begrenzend; p Primitivrinne mit dem Primitivstreifen, p’ ventrale Ansicht der Primitivstreifen, pp stark hervortretender Wulst in der Kopfgegend beider Anlagen, v Vorder- darm des Embryo I, e stark vorspringende Leiste, die von dem Wulste pp zum Primitivstreifen p’ hinzieht. Doppelhuhn vom 4. zum 5. Bebrütungstage. '3/;. am vordere und hintere Amnionfalte, e die zusammenhängenden Köpfe beider Embryo- nen, 6 Kiemenspalten, e mediale vordere Extremitäten, bl Blastoderm. Schema der Divisio radialis einer Dreifachbildung. « dorsale Ansicht, b ventrale Ansicht bei vorgerückterer Stufe der Entwicklung, 5b! Blasto- derm, 4s Rest der Keimpforte mit den Primitivrinnen; I, II, III, die drei Embryonalanlagen. Die punktirten Linien der Ansicht a deuten die Grenzen der Embryonalbezirke an. a, — ET a —————- + lag v Wilh. Engelmann, Leit Lith Anat J.GBach, Leipzig. Verlag v Wilh. Engelmann, Lapz. . =. i . =" aoa rphol. Jahrbuch. Bd. Vl Re rauher ‘as v Will. Engelmann, L&ir: hol Jahrbuch Bd. Vl. 26a. A 5 “ avd. Bach Leipz! 6} D) Lith An Verlag v. Wilh. Engelmann, expe. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. Von Dr. J. Brock, Privatdocent u. Assistent am zootom. Institut der Universitat Erlangen. Mit Tafel XI und XII. Seit der Aufstellung einer besonderen Molluskenklasse der Ce- phalopoden durch Cuvier musste eine geraume Zeit verstreichen, bis die fortschreitende Vermehrung unseres Wissens eine weitere Eintheilung ermöglichte. Es war bekanntlich Owen vorbehalten eine solche mit dauerndem Erfolge durchzuführen, indem er schon 1832 in seiner Anatomie des Nautilus!, eingehender aber in einer Arbeit aus dem Jahre 18412, die beiden Abtheilungen der Tetra- und Dibranchiaten wesentlich in dem Umfange begrenzte, in dem sie bis heute allgemein beibehalten worden sind. Das Verdienst dieser Eintheilung beruht indessen weniger darauf, mit scharfem Bliek die Grenzlinie zwischen zwei natürlichen Gruppen zuerst rich- tig erkannt zu haben, als in der durch Owen’s anatomische Unter- suchungen über den Nautilus gegebenen Möglichkeit, die Cephalo- poden mit äußerer Schale bestimmter zusammenzufassen und sie als niedriger organisirte Abtheilung den Dibranchiaten gegenüber zu stellen. Die natürliche Zusammengehörigkeit der letzteren ist eben so in die Augen fallend, dass sie lange vor Owen richtig erkannt war und auch Owen an der Begrenzung dieser Gruppe durch seine anatomischen Untersuchungen nichts zu ändern vermochte; und so ' R. Owen, Memoir on the Pearly Nautilus, publ. by the direct. of the royal college of surg. London 1832. pag. 57. 2 R. Owen, Description of some new and rare Cephalopoda. Transact. zool. soc. Lond. vol. II. 1841. pag. 123. 186 J. Brock haben denn die Dibranchiaten bis heute mit Recht für eine äußerst natürliche Gruppe gegolten, trotzdem seit Einreihung der Belemni- ten immer wieder Zweifel über die Möglichkeit einer scharfen Ab- grenzung der hierher gehörigen fossilen Formen laut geworden sind. Dieser sichere Boden, auf dem wir hier uns noch bewegen, schwindet aber sofort, wenn man nur einen Schritt weiter vorwärts thut und die einzelnen Abtheilungen, welche innerhalb der Dibran- chiaten aufgestellt werden, auf ihre natürliche Begrenzung einer ge- naueren Prüfung unterzieht. Es ist bei dem heutigen Standpunkt unserer Kenntnisse gerade noch möglich, die beiden Unterabtheilun- gen der Deka- und Octopoden auch anatomisch genügend zu cha- rakterisiren; darüber hinaus aber ist jede weitere Eintheilung nur auf rein äußerliche Merkmale basirt und jeder Versuch zu ihrer tie- feren Begründung müsste, mit den heut zu Gebote stehenden Mitteln unternommen, nothwendigerweise scheitern, da unsere Kenntnisse in der vergleichenden Anatomie der Cephalopoden seit Owen nur sehr spärliche Bereicherungen erfahren haben. Die Ontogenie aber hat hier noch nicht zum Ersatz eintreten können, wo die Schwester- wissenschaft versagte. Zwar von nur wenig Formen, von diesen aber verhältnismäßig genau bekannt, hat sie bisher so eigenartige und im Ganzen sich so gleich bleibende Befunde geliefert, dass sie sich zu einer festeren Begründung der Dibranchiatensystematik in keiner Weise verwendbar gezeigt hat. Es ist leicht, die Mängel unserer Kenntnis, auf welche so eben hingewiesen wurde, genauer darzulegen. So macht sich schon bei den Octopoden, welche gewöhnlich in die beiden Hauptfamilien der Philonexiden und Octopodiden eingetheilt werden, das Unvermögen, diese Eintheilung näher anatomisch zu begründen, sehr fühlbar gel- tend; denn von dem Wenigen, was wir über die Anatomie der Phi- lonexiden wissen, kann ich einzig und allein in dem Besitz des Hectocotylus ein Merkmal von der Wichtigkeit eines Familiencharak- ters erblicken ; mit eben so viel Recht könnte man aber auf die Schale hin für Argonauta eine besondere Familie aufstellen. Der seltsame Cirrhoteuthis wird allerdings von den meisten Systematikern zum Repräsentanten einer besonderen dritten Familie erhoben, es ist aber unmöglich, über seine Verwandtschaft zu den beiden anderen Ab- theilungen irgend eine bestimmte Meinung zu äußern. Als der schwächste Punkt des ganzen Systems ist aber die von D’ORBIGNY ! | FERUSSAC et D’ÜRBIGNY, Histoire naturelle générale et particuliere des Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 187 herrührende auf einem ganz äußerlichen und unwesentlichen Merk- mal beruhende Trennung der Dekapoden in Ögopsiden und Myop- siden anzusehen, und wenn trotzdem die meisten seiner Nachfolger mit einer gewissen Hartnäckigkeit an dieser Eintheilung festgehalten haben, so geschah dies wohl mehr, weil sie nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen wussten, als dass sie damit die Dibranchiatensyste- matik für ein abgeschlossenes Gebiet erklärt hätten. Ganz anders aber gestaltete sich auch hier die Sachlage, als in den Zielen der morphologischen Forschung durch die neu begründete Descendenzlehre ein so großartiger Umschwung sich vollzogen hatte. Mit der Frage nach der Genealogie, der wirklichen Blutsverwandt-. schaft des Dibranchiatenstammes und seiner einzelnen Abtheilungen musste auch die mangelhafte anatomische Konsolidation der letzteren noch ungleich mehr als früher sich geltend machen. Wenn es trotzdem hier zunächst beim Alten blieb und die so lange brach lie- genden anatomischen Studien auch durch die neue Lehre so schnell noch keine Wiederbelebung erfuhren, so lag der Grund vielleicht darin, dass es vor der Hand wichtiger und auch ungleich verlocken- der war, die Verwandtschaftsbeziehungen der großen Hauptabthei- lungen des Thierreichs wenigstens in ihren allgemeinsten Zügen zu ergründen, als der Genealogie kleiner, in sich abgeschlossener For- menkreise nachzuspüren. Es ist daher aus dieser ersten Zeit der reformirten morphologischen Forschung nur ein Versuch zu verzeich- nen, das Dibranchiatensystem auch genealogisch darzustellen, nämlich der in der generellen Morphologie HAEcKEL’s enthaltene!. Ich glaube aber, dass man die Absicht des berühmten Verfassers vollständig verkennt, wenn man diesen ersten Cephalopoden-Stammbaum einer schärferen Kritik unterwerfen wollte. Da er — so weit bekannt — sich nicht auf eigene Untersuchungen gründet, so konnte er nichts Anderes werden und ist auch im Wesentlichen nichts Anderes, als eine Umschreibung des alten Systems in die neue Form; es kam damals ja aber nicht so sehr auf den wissenschaftlichen Werth die- ser Stammbäume und der in ihnen niedergelegten Summe neuer Erkenntnis, sondern in erster Linie darauf an, den Zeitgenossen den gewaltigen Unterschied in den Zielen der alten und neuen For- Céphalopodes acétabuliféres vivants et fossiles. Paris 1835 — 1848. Introduet. pag. XV. 1 E. HAECKEL, Generelle Morphologie ete. Leipzig 1865. Th. I p. CXVI, fat. VI. 188 J. Brock schung — wenn ich mich so ausdriicken darf — an dieser Methode klar und übersichtlich vor Augen zu führen. Gleichwohl hat schon HAECKEL nicht nur das jüngere Alter der Octopoden gegenüber den schalentragenden Formen erkannt, sondern auch die Stellung des Cirrhoteuthis innerhalb der letzteren vollkommen richtig zu würdigen gewusst. Der hohe Aufschwung, den gleichzeitig das Studium der Ent- wicklungsgeschichte nahm, veranlasste wohl in erster Linie die theil- weise sehr eingehenden Arbeiten, welche die folgenden Jahre uns über die Entwicklung der Dibranchiaten brachten !. Bei der ralati- ven Genauigkeit, mit welcher wir hierüber schon seit KÖLLIKER? unterrichtet waren, ist nicht wohl anzunehmen, dass diese Arbeiten von der Hoffnung inspirirt worden sind, die Phylogenie der Dibran- chiaten, sei es als Ganzes, sei es ihrer Unterabtheilungen auf diesem Wege zu erhellen, und sie haben in der That, eine so schätzbare Bereicherung unserer Kenntnisse sie auch sonst bilden, für die Phy- logenie der Dibranchiaten wenig Resultate zu Tage gefördert, welche der vergleichenden Anatomie nicht eben so sicher und sicherer mit eigenen Mitteln erreichbar gewesen wären. Selbst der interessante und bedeutungsvolle Fund GRENACHER’s, dass es Cephalopoden giebt, die sich ohne äußeren Dottersack entwickeln, ließ bis jetzt keine unmittelbare phylogenetische Verwerthung zu, da diese Beobachtung zu vereinzelt dastand und das beobachtete Entwicklungsobjekt nur sehr unsicher mit einer erwachsenen Form identifieirt werden konnte. Unter diesen Umständen darf es daher nicht Wunder nehmen, wenn die Wege zu dem bisher einzigen ernstlichen Versuche, für die Phylo- genie der Dibranchiaten eine Grundlage zu schaffen, den wir v. IHERING zu verdanken haben, durch die schönen Untersuchungen CHERON’S, STIEDA’S und OWSJANNIKOW’S und KowALEvsky’s? über das Nerven- ! MEcnıKOW, Le développement des Sépioles. Arch. d. se. phys. et nat. (Biblioth. univ.). Nouv. per. tom. XXX. Genéve 1867. — M. Ussow, Zoo- logisch -embryologische Untersuchungen. Arch. f. Naturgesch. Bd. XL. 1874. pag. 329. — Ray LANKESTER, Observations on the development of Cephalo- poda. Quarterl. journ. mikrosk. sc. vol. XV 1875, pag. 37, — GRENA- CHER, Zur Entwicklungsgeschichte der Cephalopoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIV, 1874, p. 419. — N. BOBRETZKY, Untersuchungen über die Ent- wicklung der Cephalopoden. Nachricht. d. kaiserl. Gesellsch. d. Freunde d. Naturerkenntn. etc. b. d. Univ. Moskau. - Bd. XXIV. 1877 (russisch). 2 KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte der Cephalopoden. Zürich 1843. 3 J. Cu&ron, Recherches pour servir 4 l’histoire du systöme nerveux des r Céphalopodes dibranchiaux. Ann. d. se. nat. zool. ser. 5. vol. 5. 1866. p. 4. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 189 system weit mehr geebnet worden sind, als es alle Resultate der Entwicklungsgeschichte bisher vermocht haben. Die wesentlichsten Vorzüge des v. Imerın@’schen Werkes! sind indessen, so weit es die Cephalopoden behandelt, in seinen Unter- suchungen über die Phylogenie der Dibranchiaten als Ganzes, also über ihr genealogisches Verhältnis zu den Tetrabranchiaten zu su- chen. Hier war schon genügendes thatsächliches Material vorhanden, um auf einigermaßen sicherem Fundament weiter bauen zu können, nicht so aber, wo es galt, über die verwandtschaftlichen Beziehun- gen der einzelnen Dibranchiatenabtheilungen zu einander ein bestimmtes Urtheil zu gewinnen. Wenn v. IuErıng in der Lösung dieser Auf- gabe weniger glücklich gewesen ist, so lag dies wohl auch an der Mangelhaftigkeit der anatomischen Basis, welche sich für Schlüsse von dieser Tragweite zu schwach erwies, mehr aber noch an einigen eigenthümlichen Umständen, die sich vereinigten, um die phyloge- netische Spekulation nicht nur erheblich in ihrem Gang zu hemmen, sondern sie mitunter sogar in falsche Bahnen zu lenken. Erstens nämlich zeigt das Nervensystem der Dibranchiaten, welches als das wichtigste und am genauesten bekannte Organsystem v. [HERING auch hier wieder zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen wählte, gegenüber den sonstigen Verschiedenheiten ihrer Organisation einen so hohen Grad von Übereinstimmung, dass ihm der hohe Werth für die Ermittelung phylogenetischer Thatsachen, den es auf anderen Gebieten beansprucht, hier sicher nicht zugestanden werden kann. Dann aber sind die leichter zugänglichen Arten, welche bisher aus diesem Grunde fast ausschließlich der anatomischen und embryolo- gischen Forschung gedient haben, entweder Endpunkte ausgedehnter phylogenetischer Entwicklungsreihen, wie Sepia und Eledone, oder zeigen doch mindestens hohe Differenzirungsstufen, wie Loligo und Octopus; es ist also klar, dass sie in ihrer Organisation nicht un- mittelbar auf einander bezogen werden dürfen. Alle diese Umstände mussten vy. IHERING hinderlich in den Weg treten, besonders aber der letztgenannte, dass er in der Anzahl der anatomisch genügend bekannten Arten nicht über seine Vorgänger — PH. Owssannikow & A. KoWALEVSKY, Über das Centralnervensystem und das Gehörorgan der Cephalopoden. Mém. de lacad. imp. d. se. de 8. Pé- tersbourg. ser. 7. tom. 11. 1867. — L. StIEDA, Studien über den Bau der Cephalopoden. Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XXIV. 1874, pag. 84. ' H. v. InertnG, Vergleichende Anatomie des Nervensystems und Phylo- genie der Mollusken. Leipzig 1877, pag. 250. 190 J. Brock hinauskam. Um die Stammesverwandtschaft der Ogopsiden und Myopsiden zu beurtheilen, stand ihm nur das Nervensystem von Se- pia und Loligo und das eines einzigen Ögopsiden, Ommastrephes zu Gebote, und die Unterschiede, die er hier vorfand, mussten genügen, um ein höheres Alter der Myopsiden zu beweisen, trotzdem sie dazu doch zu geringfügig, dabei in der gegebenen Deutung durchaus nicht unanfechtbar erscheinen. In den Octopoden erkannte v. IHERING richtig, wie vor ihm schon HAEcKEL, das jüngste Phylum der Di- branchiaten; aber es war bei der Beschränkung seines anatomischen Materials etwas kühn, dieselben nur auf ihr paläontologisches Auf- treten hin direkt von echten Dekapoden abzuleiten, währeud doch die eigenthiimliche von ihm zuerst in ihrer Bedeutung hervorgehobene Versehmelzung des Ganglion buccale sup. mit dem Gehirn den Ge- danken an ein viel höheres Alter dieser Abtheilung hätte nahe legen können. Dass v. Inertne endlich, nachdem er einmal die Myopsi- den für die ältesten Dibranchiaten erklärt hatte, auch den Besitz nur eines Eileiters für das ursprüngliche Verhalten ansah, ist nur folge- richtig und er. konnte hier um so eher glauben, das Richtige getrof- fen zu haben, als die Myopsiden in diesem Charakter allerdings mit einer so alten Form, wie Nautilus, übereinstimmen. So fruchtbar daher auch die v. Inprine’schen Untersuchungen sich für die Phy- logenie der Cephalopoden und der Dibranchiaten als Ganzes erwiesen haben, so sind sie in den uns zunächst interessirenden Punkten hin- ter dem gesteckten Ziel zurückgeblieben, und gerade das Missver- hältnis zwischen der scharfsinnigen Verwerthung des vorhandenen Materials und den damit nicht im Einklang stehenden Erfolgen zeigt klar, dass, wer hier weiter kommen will, sich zunächst eine ganz andere anatomische Basis schaffen muss. Der erste Zweifel an der Richtigkeit der v. Imerıne’schen Schlussfolgerungen über die gegenseitige Stellung der Ögopsiden und Myopsiden regte sich bei mir, als ich bei Gelegenheit ganz anderer Untersuchungen die Owen’schen Angaben über die Duplieität der Eileiter bei manchen Ögopsiden nicht nur bestätigen konnte, sondern bei noch mehr Formen, als Owen darauf hin bekannt waren, das gleiche Verhalten auffand. Eine Vergleichung mit den Octopoden lag jetzt nahe und der Gedanke war nicht von der Hand zu weisen, dass diese Abtheilung nicht nur in der erwähnten Eigenthümlichkeit des Gehirnbaues, sondern vielleicht auch in der Zweizahl der Eilei- ter das ursprüngliche Verhalten bewahrt haben könnte. War diese Vermuthung richtig, so mussten auch die Ögopsiden in diesem Punkte Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 191 sich weniger weit differenzirt zeigen, als die Myopsiden, und diese Betrachtung genügte in Verbindung mit dem Umstande, dass der GrenacueEr’sche Cephalopode, welcher in seiner Entwicklung deutlich einen niedrigeren Bildungsmodus vertritt, ziemlich sicher ein (Ogop- side ist, um die Frage nach den Verwandtschaftsverhältnissen der Dibranchiatenphylen als eine noch offene, ungelöste erscheinen zu lassen. Hier zu sicheren Resultaten zu gelangen, war aber nur mit Heranziehung auch anderer Organsysteme möglich, und so wurde ich auf eine Reihe von Untersuchungen geführt, deren Resultate nebst daran sich knüpfenden Betrachtungen im Folgenden kurz dar- gelegt werden sollen. Bevor ich indessen zu dieser meiner eigent- lichen Aufgabe übergehe, halte ich es für angemessen, vorher kurz aus einander zu setzen, welchen Grundsätzen ich bei meinen Unter- suchungen gehuldigt habe. Was ich nämlich in Folgendem biete, soll nichts weniger als eine vergleichende Anatomie der Dibranchiaten oder auch nur der erste Versuch einer solchen sein. Indem meine Untersuchungen sich erst ganz allmählich auf alle wichtigeren Organsysteme ausdehnten und immer unter dem Gesichtspunkt angestellt wurden, Anknüpfungs- punkte für phylogenetische Betrachtungen aufzufinden, verzichteten sie damit von vorn herein auf die Gleichmäßigkeit, welche nur Eigen- thum der interesselosen, einzig und allein auf die Ermittelung des objektiven Thatbestandes gerichteten Forschung ist. Es traten sehr bald diejenigen Organsysteme vollkommen in den Hintergrund, welche sich als mehr oder minder gleichartig gebaut und damit für unsere Zwecke als unergiebig erwiesen, wie dies besonders für die Respira- tions-, die Cirkulationsorgane und einen Theil des Verdauungsapparates gilt. Schon auf diese Weise entstanden bedeutende Lücken in mei- nen Untersuchungen; die empfindlichsten aber finden sich doch da, wo ungenügende Menge und Beschaffenheit des Materials! der Zer- ! Ich habe ausschließlich an Spiritusmaterial gearbeitet, welches sich über die einzelnen Arten folgendermaßen vertheilte: Chiroteuthis Véranyi. Fér., 1 Q. Enoploteuthis Owenii Vér., 2 $ und 2 ©, nur theilweise gut erhalten. Onychoteuthis Lichtensteinii Fér., 1 3,3 ©. Ommastrephes todarus d’Orb., 5 ©, nur theilweise gut erhalten. Ommastrephes sagittatus d’Orb., 1 3, 3 ©, eben so. Sepioteuthis mauritiana Rüpp., 2 ©, schlecht erhalten. Loligo vulgaris Lam., zahlreiche Exemplare. Sepiola Rondeletii Leach, eben so. 202. J. Brock gliederung Einhalt gebot. Die gänzliche Nichtberiicksichtigung der Sinnesorgane und des Centralnervensystems finden auf diese Weise ihre Erklärung, eben so aber auch zahlreiche andere Mängel, von denen selbst die am eingehendsten behandelten Abschnitte meiner Arbeit sich nicht als frei erweisen werden. Wo aber die leitende Hand eines Vorgängers völlig fehlt, wo gänzlich unbekannte Verhältnisse aus nur spärlichem Material zu eruiren sind ohne die Möglichkeit öfterer Nachprüfung und Ergänzung, da sind Ungenauigkeiten und Irr- thiimer doppelt verzeihlich, und ich glaube daher nicht ohne Grund eine besonders nachsichtige Beurtheilung der hier niedergelegten Untersuchungen für mich in Anspruch nehmen zu dürfen. In der Darstellung der einzelnen Organsysteme hätten wir, der üblichen Reihenfolge gemäß, mit der Schale zu beginnen. Obgleich nun selbstverständlich für ein so oft und so genau beschriebenes Gebilde hier keine neuen Angaben zu erwarten sind, so möchte ich doch auf einige längst bekannte Verhältnisse hinweisen, welche bei phylogenetischen Betrachtungen nicht ganz außer Acht zu lassen sein dürften. Es lässt sich nämlich gewiss nicht leugnen, dass in den Kalklamellen der Sepienschale, welche bekanntlich als letzter Rest der Kammerung des Belemniten - Phragmoconus aufgefasst werden müssen, eine sehr alte Einrichtung bewahrt ist und dass in dem Ver- lust derselben so wie in dem der Kalkablagerung alle übrigen Deka- poden mit Ausnahme von Spirula auf einer höheren Differenzirungs- stufe als Sepia stehen. Dem gegenüber ist indessen die auffallende Thatsache vollkommen vernachlässigt worden, dass die Schalen von Sepia offieinalis L., eben so. Argonauta Argo L., 4 ©. Philonexis Carenae Vér., 6 3. Tremoctopus violaceus Vér., 4 ©. Philonexis catenulatus Fér., 2 ©. Octopus vulgaris Lam., mehrere Exemplare. Eledone moschata Leach, eben so. Für die nicht unbeträchtlichen Kosten, welche die Beschaffung des Mate- riales verursachte, waren mir durch Hrn. Prof. SELENKA die Mittel des Instituts in liberalster Weise zur Verfügung gestellt, wofür ihm an dieser Stelle mein herzlichster Dank ausgesprochen sei. In Betreff des Chiroteuthis ist noch zu bemerken, dass ich hier nur ein sehr schönes Exemplar der hiesigen Sammlung mit ganz unverletzten Armen benutzen und, um dasselbe zu schonen, nur Mantelhöhle und Trichter durch Längsschnitte offen legen konnte, so dass meine anatomische Kenntnis dieser Species sich auf das beschränkt, was ohne weitere Verletzung erkennbar ist. a . ee a dus Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 193 Loligopsis, fast allen Onychoteuthis-Arten, Ommastrephes und Dosidicus Eschrichtii Steenstr.'! einen zwar kleinen, nichts destoweniger aber deutlichen Phragmoconus besitzen?. Wenn man aber einmal ein Ur- theil abgeben sollte, welcher von diesen beiden Theilen der Belemniten- schale der morphologisch bedeutungsvollere ist, der Phragmoconus oder die Kammerwände, so würde man sich doch wohl für den Phrag- moconus entscheiden miissen. Jedenfalls aber sehe ich nicht ein, warum die Schale der genannten Ogopsiden, die nur die Kamme- rung verloren hat, uns nieht eben so alte Zustände vor Augen führt. als die Sepienschale, der doch nur die Scheidewände des Phragmo- eonus geblieben sind. Wenn die erstere bisher noch nicht die Be- achtung gefunden hat. welche sie verdiente, so mag wohl in erster Linie der Umstand dafür verantwortlich zu machen sein, dass die Sepienschale eine so ausgezeichnete paläontologische Vorgeschichte aufzuweisen hat, während die in Rede stehenden Ogopsidenschalen in dieser Hinsicht direkte Anknüpfungspunkte vermissen lassen. Dass die Octopoden von schalentragenden Formen abstammen, geht aus ihrem anatomischen Bau mit großer Sicherheit hervor, wenn sie desshalb auch noch keineswegs gleich direkt auf echte Dekapoden bezogen werden dürfen. Da nun auch die Embryologie festgestellt hat”, dass bei Argonauta eine Schalenkapsel wenigstens angelegt wird, wenn sie auch nachher wieder verschwindet, so ist der Befund eines Octopoden mit innerer Schale, des Cirrhoteuthis, der keines- wegs, wie v. IHERING meint, eigentlich ein Dekapode ist‘), unter diesen Umständen nicht mehr als eine willkommene Bestätigung einer auch ohnehin gut fundirten Theorie’). Dass endlich die Schale ' Videnskabelige Meddelelser fra den naturhistoriske Forening i Kjübenhavn for Aaret 1856 pag. 120. 2 p'OrBIGNY ist wohl der erste, der den Endeonus der betreffenden Scha- len mit dem Phragmoconus eines Belemniten verglichen hat (Paléontologie francaise. ‘Terrains oolithiques ou jurassiques Tom. I. A Paris 1842 pag. 53). 3 Ussow, 1. ¢. ‘pag. 352.7 4 v. IHERING, |. e. pag. 275. 5 Ob die innere Schale des Cirrhoteuthis, die einen geschichteten Bau zeigt (J.T. Reınnarpr og V. Proscn, om Seiadephorus Mülleri Eschr. Kgl. danske videnskab. Selsk. naturvid. og. math. Afhandl. XII Deel. Kjöbenhavn 1846. pag. 7 des Sep.-Abdr.), wirklich der Dekapodenschale homolog ist, oder, was ich fiir wahrscheinlicher halte, den in der Mittellinie verschmolzenen Knorpel- streifen des Octopus (Cuvier’s stilets cartilagineux) entspricht, bleibt noch zu entscheiden. Der geschichtete Bau dieser Knorpel (H. MÜLLER, Zeitschr. f. wiss. Zool, IV 1852, pag. 342) ist zwar nicht zur Vergleichung heranzuziehen, da die Schichtung koncentrisch ist; aber da diese Knorpel, welche den seit- Morpholog, Jahrbuch. 6. 13 194 J. Brock des Argonauta-Weibchens ein erst innerhalb der Octopoden erworbe- nes Gebilde ist, bedarf wohl keines besonderen Beweises, wenn- gleich ihr isolirtes Auftreten nicht zu den geringsten Räthseln zählt. welche uns die Morphologie der Cephalopoden in so reichem Maße bietet. Indem ich mich jetzt zur Darstellung der Muskulatur wende, muss ich vorausschickend bemerken, dass bei keinem anderen Or- gansystem nicht nur die Untersuchung, sondern auch die Darstellung mit ähnlichen Schwierigkeiten, wie hier, zu kämpfen hat. Ich habe meinem Zweck entsprechend die Muskulatur der Arme, des Mantels und der Flossen unberücksichtigt gelassen, weil hier nur Muskelschich- ten, aber noch keine isolirten Bündel vorkommen; aber auch, wo dies der Fall ist, wie bei der eigentlichen Kopf- und Nackenmus- kulatur, ist es eine große relative Unselbständigkeit, vielfache Ver- wachsungen und eine Neigung, sich in Membranen, in Muskelhäute auszubreiten, welche schon der Untersuchung, noch mehr aber der vergleichenden Beschreibung sehr hinderlich in den Weg treten. Die Litteratur bietet zwar besonders in den Cuvier’schen und Owen’schen Arbeiten! eingehende Beschreibungen, dieselben beziehen sich aber lichen die Schale stützenden Knorpeln von Sepia entsprechen, bei Octopus den Verlust der Schale überdauert haben, so ist es nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich, dass umgekehrt bei Cirrhoteuthis die Stützknorpel, welche als ausgedehnte Insertionsflächen besonders für Mantel- und Flossenmuskulatur eine große physiologische Wichtigkeit besitzen, früher als die Schale verloren gegangen sein sollten. Für die Phylogenie des Cirrhoteuthis und der Octopoden ist die Frage übrigens ziemlich gleichgültig, da die Cirrhoteuthis-Schale, auch wenn sie als die verschmolzenen Seitenknorpel aufgefasst wird, darum doch eine beschalte Stammform voraussetzt (vergl. übrigens auch, CARUS & GERSTÄCKER, Handbuch d. Zoologie Bd. I. Leipzig 1868—75, pag. 627). ! @. Cuvier, Mémoires pour servir 4 l’'histoire et ä lanatomie des Mollus- ques. Paris 1817. pag. 13 sqq. — Owen, Artikel Cephalopoda in Topp's Cy- clopaedia of anatomy and physiology. vol. I. Lond. 1836. pag. 525 sqq. — Cuvier & DUVERNOY, Lecons d’anatomie comparée. Tom. 2. Paris 1837. pag. 7 sqq. — Sonst finden sich noch ausführlichere Angaben über Muskulatur bei: BLAINVILLE, Dictionnaire d. science. natur. Paris et Strasbourg 1816—30, Tom XLII. 1826. pag. 173 sqq. — Porı, Testacea utriusque Siciliae ete. vol. IIL. Parma 1826. pag. 17 sqq. — MECKEL, System der vergleichenden Ana- tomie, Bd. IL] Halle 1828. pag. 60. — delle Cutase, Memorie su la storia e notomia degli animali senza vertebre del regno di Napoli. Vol. IV. Napoli 1529. pag. 72 sqq. — REINHARDT og Proscnu, |. e. pag. 11. — BRANDT & RATZEBURG, Medicinische Zoologie. Bd. II, Berlin 1829. p. 303. — KErERSTEIN, 3RONN’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Bd. III. Abth. 2. Leipzig und Heidelberg 1862— 66 pag. 1360 —61. — R. Owen, Supplementary obser- Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 195 fast ausschließlieh auf die wenigen gangbaren Arten (genau gekannt ist eigentlich nur Octopus), und es ist desshalb geradezu unmöglich, die in ihnen enthaltene Eintheilung und Nomenclatur durchzuführen. sobald eine größere Anzahl von Formen in den Bereich der Untersu- chung gezogen wird. Aus diesen Gründen sehe ich mich auch genöthigt, über die von mir gebrauchten Bezeichnungen einige Worte vorauszuschicken. Alle Muskeln, welche die Verbindung zwischen Kopf, Trichter und Man- tel vermitteln, lassen sich in vier Gruppen unterbringen. Erstens nämlich können diejenigen, welche den Trichter vom Kopf entfer- nen, als Depressores infundibuli zusammengefasst werden, diejenigen, welche ihn nähern, als Adductores infundibuli. Alle Muskeln, welche dorsalwärts eine direkte Verbindung zwischen Kopf und Mantel her- stellen, bezeichne ich als Nuchales und alle, welche ventralwärts vom Mantel oder Eingeweidesack zum Kopf ziehen, ohne den Trich- ter direkt zu berühren, als Retractores capitis, womit aber, beson- ders bei letzterer Bezeichnung keineswegs ein bestimmtes Urtheil über ihre Wirkungen abgegeben werden soll. Die beiderseitigen Fort- setzungen der Trichterwände, welche nach dem Nackenknorpel zu verlaufen, bilden eigentlich keinen besonderen Muskel; für die Be- schreibung indessen ist es zweckmäßig, sie mit einem besondern Namen zu belegen, wozu ich den KEFERsSTEm’schen M. collaris »Kra- genmuskel« gewählt habe. Als die ursprünglichste Anordnung der Muskulatur betrachte ich aus später zu erörternden Gründen die von Enoploteuthis. Ihre Be- schreibung möge daher den Anfang machen. Der Depressor infundibuli (Fig. 1 M. depr. inf.) ist ein langer starker Muskel, der zu beiden Seiten der Schale in dem Winkel, den Kieme und Eingeweidesack mit einander bilden, entspringt, gerade nach oben und etwas nach innen zieht und in die dorsale Trichterwand, für die er den größten Theil der Fasern liefert, nach außen bis zum Schließknorpel ausstrahlt. Der Retractor capitis la- teralis (Fig. 1 M. 7. e. /.) entspringt, wie dies ausnahmslos bei allen Dibranchiaten der Fall ist, mit dem vorigen zusammen mit kurzem vations on the anatomy of Spirula australis Lamarck. Ann. mag. nat. hist. ser. 5. vol. 3. 1879. pag. 8. 1 Man beachte, dass die Zeichnung, auf welche bei dieser Beschreibung verwiesen wird, nicht Enoploteuthis, sondern dem nicht in allen Punkten mit ihm iibereinstimmenden Onychoteuthis entnommen ist. Es war dieser Übel- stand bei der Beschaffenheit des Materials leider nicht zu vermeiden. 13 * 196 J. Brock gemeinschaftlichen Stamme, bei Enoploteuthis und Onychoteuthis außer- dem noch mit einer Reihe von Fasern zu beiden Seiten der Schale, welche aber von diesem Stamme nicht zu trennen sind, macht sich bald von dem Depr. inf. los und strahlt in die Haut des Eingeweidesackes aus, mit welcher er bis zu seiner Kopfinsertion eng verschmolzen ist. Er bildet ein plattes, sich an Stärke immer gleichbleibendes Muskelstratum, welches am Kopfknorpel in seinem ganzen Umfange inserirt. Unter den Augen setzt es sich nur am unteren Rande des Knorpels fest, sonst aber bedecken seine Insertionen die ganze freie Fläche des Kopfknorpels und reichen nach oben bis zu den Ursprün- gen der Armmuskulatur. Dorsalwärts bleiben beide Muskeln nur bis zum oberen Rand des Nackenknorpels durch die gleich zu er- wähnenden Retractores capitis mediani von einander getrennt, ver- schmelzen aber über denselben bis zur Insertion durch bogenförmig in einander ausstrahlende Fasern (Fig. 1 2), während sie ventral- wärts ebenfalls schon kurz vor ihrer Insertion sich mit einander vereinigen. Es wird auf diese Weise mit Zuhilfenahme der Re- tractores medd., welche die dorsale Lücke ausfüllen helfen, eine vollkommen geschlossene muskulöse Kapsel geschaffen, welche sich nach unten allmählich verliert und in ihrem Innern Leber, Ösophagus , untere Speicheldriisen und Aorta cephalica enthält!. Dorsalwärts ist diese Kapsel vom Kopfknorpel bis zum Ursprung des Retractor capitis medianus vollkommen geschlossen, ventral- wärts aber nur in dem kleinen Stück, in dem die Retractores capi- tis laterales schon vor ihrer ventralen Insertion sich vereinigen, sonst aber, da ihre inneren freien Ränder stark nach außen divergiren, durch einen weiten Ausschnitt geöffnet, der die Gestalt eines gleich- schenkligen Dreiecks mit nach oben gerichteter Spitze hat. Es wird jedoch ein theilweiser Verschluss auch dieser Lücke erzielt, dadurch, dass eine — bei Enoploteuthis allerdings noch wenig entwickelte — Lage von Querfasern zwischen beiden inneren freien Rändern der Retractores ausgespannt ist, welche nach unten sich in die Haut des Kingeweidesacks verliert, von der sie tiberhaupt nicht gut sich tren- nen lässt?. Nach oben wird diese Schicht aber stärker und ver- ' Die »Tunique charnue des viscéres« Cuyimr’s (Mémoires p. 13), OWEN’s »muscular tunie of the liver« (Cyclop. pag. 530). 2) Diese Schicht wurde von Cuvier bei den Octopoden, wo sie sich am stärksten entwickelt zeigt, als Diaphragma musculare beschrieben (ÜUVIER, Mém. pag. 12). Sie ist übrigens auch schon beim Nautilus vorhanden (Owen, Mem. pag. 17). Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 197 bindet hier nicht nur die inneren freien Ränder der Retractoren, sondern greift auch auf die freien Ränder des großen nach unten konkaven Ausschnittes des unteren Randes der dorsalen Trichterwand über, weleher durch die Vereinigung beider Depressores gebildet wird. Es kommt auf diese Weise eine bei Enoploteuthis nur auf eine schmale Zone beschränkte, bei Onychoteuthis und Ommastre- phes aber breitere Verwachsung der dorsalen Triehterwand mit dem Diaphragma zu Stande, mit welchem bei sämmtlichen Cephalo- poden! auch die Hinterwand der Vena cava bis zum Kopfknorpel hinauf muskulös verbunden ist. Gerade zwischen Kopfknorpel und unterem Trichterrand, ersterem etwas näher als letzterem, ist in die- ses Muskelstratum, welches zwischen den inneren freien Rändern der Retractores cap. latt. und denen des Trichterausschnittes ‘oder der Depressores infundibuli, wie man beliebig sagen kann) ausge- spannt ist, eine viereckige dünne Knorpelplatte eingebettet, welche ich noch nirgends erwähnt finde. Die dorsale Fläche dieser Platte bleibt frei und hilft mit die Leberkapsel bilden, die ventrale aber wird ganz von Muskelansätzen eingenommen, indem sich erstens Fasern der Retractores an sie ansetzen, zweitens nach oben Fasern von ihr ausgehen, die sich den Kopfinsertionen des Retractor zuge- sellen, drittens endlich der größte Theil, wenn nicht alle Querfasern von ihr ausgehen, welche zur dorsalen Triehterwand treten. Hart am unteren Rande dieser Platte wird die muskulöse Leberkapsel von - dem gemeinsamen Stamm der Nn. viscerales durchbohrt, der hier aus der Leberkapsel auf die Ventralfläche des Eingeweidesackes tritt, eben so regelmäßig, wie weiter unten der N. infundibularis inf. die medianen Bündel der Kopfinsertionen des Retraetor eapitis durchsetzt um schräg nach außen und unten zur Trichterbasis zu ziehen. Der M. retractor capitis medianus (Fig. 1 MW. r. c. m.) ist darum besonders merkwürdig, weil er der einzige Muskel ist, der seinem Verlauf nach wirklich einen Schalenmuskel repräsentirt. In wie weit diese Deutung wahrscheinlich ist, soll später erörtert werden ; hier genüge nur die Bemerkung, dass die Ögopsiden die einzigen Dibranchiaten sind, welche diesen Muskel wenigstens zum Theil selbständig entwickelt besitzen. Er entspringt von der Schalenkap- sel zu beiden Seiten der Mittellinie höher als der Depressor infundbl., nämlich da, wo die in ihrem oberen Theil schmale Schale sich plötzlich blattartig verbreitert. deckt die Schalenkapsel aufwärts ! Auch Nautilus nicht ausgenommen (OWEN, Mem. pag. 28). 198 ; J. Brock ziehend mit seinem Gegeniiber, mit dem er sich in der Mittellinie berührt, vollkommen zu und inserirt am oberen Rande der ventralen Fläche des Nackenknorpels. Von dem Retractor cap. lateralis wird dieser Muskel jederseits durch einen tiefen Spalt getrennt, welchen der N. pallialis zum Austritt aus der Leberkapsel benutzt. Es existirt endlich bei Enoploteuthis noch eine besondere mus- kulöse Nackenverbindung zwischen Kopf und Mantel. Es ist dies ein breites und starkes Muskelbündel, welches von dem unteren Rand des Nackenknorpels dorsalwärts von den Retractores cap. mediani entspringt, zuerst etwas nach unten zieht, dann sich wieder nach oben wendet und breit am unteren Rande des Mantel-Nackenschließ- knorpels inserirt. Höchst wahrscheinlich ist dieser Muskel desshalb nicht geradlinig zwischen seinen beiden Ansatzpunkten ausgespannt, um dem Kopf eine möglichst große Beweglichkeit zu sichern. Zwischen ihm und dem Retraetor cap. med. tritt die Kommissur durch, welehe zwischen beiden Ganglia stellata ausgespannt ist. Adduktoren des Trichters sind bei allen Dekapoden zwei Paare entwickelt, von denen der Verlauf des oberen fast typisch ist. Der obere Adductor (Fig. 1 M. add. inf. sup.) entspringt von der oberen Hälfte der ventralen Hälfte des Kopfknorpels zu beiden Seiten der Mittellinie, seinem Gegenüber bis zur Berührung genähert und zieht mit ihm nach außen und unten divergirend zur dorsalen Trichterwand. An seinem unteren Rande und mit ihm parallel verlaufen die Zweige des N. infundibularis sup. ; Der zweite meist schwächere Adduetor ist seiner Lage nach bald ein inferior, bald ein lateralis. Hier verdient er mehr die er- stere Bezeichnung. Er entspringt (Fig. 1 M. add. inf. inf.) eben- falls zu beiden Seiten der Mittellinie unmittelbar unter dem Ursprung des Adductor sup., bezieht vielleicht auch noch Fasern von den in- neren Kopfinsertionen des Retractor cap. lat. und zieht fast senk- recht abwärts zum unteren Rande der dorsalen Trichterwand, welche er dieht über dem N. infundibularis inf. erreicht. Die ventrale Trichterwand endlich setzt sich seitlich in ein brei- tes Muskelband fort, das den Kopf kragenartig umgiebt. Die Ver- hältnisse dieses Muskels, des M. collaris, sind bei allen Dekapoden mit Nackenschließapparat sehr gleichmäßige (vergl. Fig. 5 A und pag. 209 sqq.). Dorsalwärts inserirt er an den Seitenrändern des Nackenknorpels in ihrer ganzen Länge; sein unterer Rand bleibt ganz frei, während er oben sich nach innen und unten umschlägt und mit den Kopfknorpelinsertionen des Retractor cap. lateralis ver- Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 199 schmilzt. Es entsteht so ein unten offener, oben geschlossener Gang. der den ganzen Kopf umziehen wiirde, wenn er nicht in der dorsa- len Mitt&linie durch den Nackenknorpel, in der ventralen durch den Triehter unterbrochen wäre. Mit Enoploteuthis stimmt Onychoteuthis eng überein und es ge- nügt daher, nur die Differenzen hervorzuheben. So sind die Schalen- muskeln (Retractores cap. medd.) (Fig. 1 M. r. ce. m.) vom Ursprung bis etwa zur Mitte ihres Verlaufes zu einem einzigen Muskel ver- schmolzen Fig. 1 M. r. e. m’.) und fangen in dieser unteren Hälfte schon an, sich mit dem Retractor lateralis durch Querfasern zu ver- binden (Fig. I 2)', inseriren auch nicht mehr nur an dem oberen Rande des Nackenknorpels, sondern an seiner Ventralfläche in ihrer ganzen Ausdehnung, welches Verhalten von jetzt an festgehalten wird. Der Depressor infundibuli und der Retractor cap. lat. (Fig. | M. r. c. /.\ sind dagegen, letzterer mit Ausnahme seines oberen Theiles, weit schwächer als bei Enoploteuthis entwickelt, wogegen das Diaphragma museulare viel stärker angetroffen wird und auch tiefer hinabreicht. Der obere Adduktor (Fig. 1, M. add. inf. sup.) stimmt vollkommen mit dem von Enoploteuthis überein, der Ad- duetor inferior von Enoploteuthis ist dagegen in seinem Verlauf etwas verändert und kann hier als lateralis bezeichnet werden. Er entspringt (Fig. 1 M. add. inf. inf.) lateralwärts vom Adduetor me- dianus vom oberen Rande des Augendeckknorpels und zieht dorsal- warts vom Adductor medianus, mit dem er sich kreuzt, gerade nach unten zur dorsalen Triehterwand, wo er unter dem N. infundbl. inf. inserirt. Auch die bei Enoploteuthis beobachtete Nackenverbindung ist in der Form nicht mehr wiederzufinden. Es giebt hier keinen un- paaren medianen Muskel mehr, sondern es wird die Kopfnacken- verbindung durch zwei symmetrisch gelagerte dünne Muskeln herge- stellt, welche sich etwas über der Durchtrittsöffnung des N. pallialis vom Retractor cap. lat. losmachen und gerade nach außen zum Mantel ziehen. Zwischen den Knorpelplatten des Nackenschließ- apparates besteht auf diese Weise keine muskylöse Verbindung mehr. es ist aber der Muskel in dieser Gestalt ein nicht zu verkennender Vorläufer des bei Sepiola und den Octopoden viel besser entwickel- ' Ein schwaches Muskelbvündel (Fig. I y) sah ich noch von dem Schalen- ursprung des Retract. cap. med. aus in der Mittellinie der Schale bis zu ihrem hinteren Ende ziehen. 200 J. Brock ten Muskels, der in der Folge als M. adductor pallii lateralis be- schrieben werden wird. | Die beiden untersuchten Ommastrephes-Arten schließen sich in der geringen Entwicklung des Depressor infundbl. und des Retrac- tor cap. lat., der stärkeren Entwicklung des Diaphragmas und dem Verlaufe der Adductoren ganz an Onychoteuthis an, zeigen aber in einigen Punkten wichtige Unterschiede, die alle als höhere Differen- zirungen aufgefasst werden können. Vor Allem ist es die Verschmel- zung der Retractores cap. medd. unter sich und mit ihren Nachbarn, den Retractores cap. latt., welche sich hier schon fast vollkommen vollzogen hat. Unter dem Durchtritt der Palliales ist ein Retractor med. überhaupt nicht mehr abzugrenzen, aber auch in seiner oberen Hälfte ist er wenigstens mit seinem Gegenüber vollkommen ver- schmolzen und macht mehr den Eindruck eines vom Nackenknorpel entspringenden Verstärkungsbündels für die dorsale Portion der mus- kulösen Leberkapsel, als den eines besonderen Muskels. Eigenthümlich sind Ommastrephes noch zwei weitere Verbindun- gen des Kopfes und Trichters resp. Collaris, welche wohl als Neu- erwerbungen aufzufassen sind. Die erste wird durch einen starken Muskel gebildet, der sich von dem Ursprunge des vierten Armpaares und dem oberen Rand des Augendeckknorpels losmacht, am inneren Augenrande nach unten zieht und gerade über dem Trichterschließ- knorpel inserirt. Der zweite Muskel ist sehr fein und kurz und zieht von der Haut des unteren Bulbus-Randes senkrecht zum Colla- ris herab. Ich muss es unentschieden lassen, ob der in gleicher Gegend bei den Octopoden anzutreffende Muskel eine Weiterent- wicklung darstellt oder keine Beziehungen zu ihm besitzt. Bei Lo- ligo ist dieser Muskel noch feiner, länger und etwas schräg dorsal- wärts verlaufend, bei Sepia wird er ganz vermisst. Den ersten der beiden eben beschriebenen Muskeln habe ich aber weder bei Loligo noch bei Sepia finden können. Bei Chiroteuthis Véranyi scheint die Muskulatur, wenigstens nach dem Verhalten des Depressor infundbl. zu schließen, außer- ordentlich schwach entwickelt zu sein. Loligo bildet in der Muskulatur einen Übergang zwischen Om- mastrephes und Sepia. Diese Form schließt sich in den meisten Punkten noch vollkommen an Ommastrephes an, bietet aber in der viel stärkeren Entwicklung des Depressor infundibuli, der stärkeren Entwicklung der seitlichen Theile des M. retractor cap. lat., der beginnenden Verwachsung desselben mit dem Mantel- und der Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 201 schmäleren Verwachsung der dorsalen Trichterbasis mit dem Dia- phragma musculare eben so viel neue Ziige dar, welche wir alle bei Sepia in viel stärkerer Ausbildung wiederfinden werden. Der Depressor infundibuli (Fig. 2, M. depr. inf.) ist stark ent- wickelt, nimmt aber sonst seinen gewöhnlichen Verlauf. Der Ur- sprungskopf des M. retractor cap. lat. ist dagegen so kurz, dass er mehr das Aussehen eines Verstärkungsbündels hat, den der Depres- sor infundbl. an die stark ausgebildete muskulöse Leberkapsel ab- giebt. Der Retractor capitis hat aber noch eine weitere bedeutungs- volle Ähnlichkeit mit Sepia aufzuweisen. Während nämlich bei den Ögopsiden die Nackenmantelverbindung sich auf einen schmalen Muskelstrang jederseits beschränkte, welcher dorsalwärts vom Gang]. stellatum vom Retractor capitis zum Mantel zog, erstreckt sich hier diese Muskelschicht, wenn auch sehr dünn und fein, fast bis zu den Kiemen herunter und hat dorsalwärts von sich den N. pallialis ziehen. Es sind dies die ersten Spuren der ausgedehnten Verwach- sung, die wir bei Sepia zwischen Rückentheil des Mantels und den Seitentheilen der muskulösen Leberkapsel, welche hier, wie dort, äußerst stark entwickelt sind, zu beschreiben haben werden. Die dem Diaphragma eingelagerte Knorpelplatte (Fig. 2, C. d. ist hier auch an ihrer ventralen Oberfläche ganz frei und nur von der Vena cava (Fig. 2 V. ce.) bedeckt, die, wie es scheint, nicht an sie selbst, wohl aber zu beiden Seiten muskulös angeheftet ist. Sie ist hier kurz und stark, eiförmig, mit ihrer Längsachse der des Thieres parallel; die Nn. viscerales (Fig. 2, N». v.) durehbohren das Diaphragma hier etwas tiefer, -als gewöhnlich, also nicht am unteren Rande der Knorpelplatte, sondern weiter unten. An ihren unteren Rand, eben so wie an die Seitenränder, setzen sich Bündel des Diaphragmas an, von dem oberen entspringen dagegen starke Bündel, welche sich den Kopfinsertionen des Diaphragmas zugesel- len. Von der unteren Hälfte seiner Seitenränder entspringt eine immer noch breite, aber dünne Muskelschicht (Fig. 2 2), welche wagerecht nach außen zur Basis der dorsalen Trichterwand zieht, während über und unter ihr einige Fasern sich von der Mittellinie des Diaphragma, der Anheftungsstelle der Vena cava losmachen, um denselben Verlauf zu nehmen. Auf diese Bündel ist die Ver- wachsung des Diaphragmas mit der dorsalen Triehterwand hier al- lein schon redueirt. Die Adduetores infundibuli (Fig. 2, Mm. add. inf. sup. inf. verhalten sich bei Loligo vollkommen, wie bei Ommastrephes, wäh- Br °ı J. Brock rend über die vom Augenrande entspringenden Muskeln vorhin schon das Nöthige bemerkt wurde. Der Collaris endlich hat die Eigen- thümlichkeit aufzuweisen, dass er den obersten Theil der Seitenrän- der des Nackenknorpels mit seinen Insertionen freilässt, dagegen seine obersten Fasern als spitz zulaufendes Bündel zu den dorsa- len Kopfknorpelinsertionen des Retractor capitis schickt, mit wel- chem er auch sonst in seiner ganzen dorsalen Partie durch eine feine hautartige Faserlage verbunden ist. Sepioteuthis scheint, so viel ich sah, wenigstens in den wesentlichen Punkten sich ganz an Loligo anzuschließen. Der Zwischenraum, der Sepia von Loligo trennt, ist ein weite- rer, als wir ihn bis jetzt zwischen zwei Arten festzustellen Gelegen- heit gehabt haben, wobei indessen kein Zweifel ist, dass alle bei Sepia anzutreffenden Unterschiede nur höhere Differenzirungen inner- halb derselben Entwicklungsreihe bilden. Vor Allem ist das Ver- halten des M. retractor cap. lat. charakteristisch. Dieser Muskel besitzt eigentlich hier gar keine Selbständigkeit mehr, der Kopf des Depressor infundib. giebt vielmehr gleich von Anfang an so viel Fasern seitlich an den Eingeweidesack ab, dass es aussieht, als wenn die Ursprünge des Depressor auf den Eingeweidesack gerückt wären und von einem besonderen Kopfe des Retractor gar nicht mehr die Rede sein kann. Ich kann daher den Retractor cap. lat. hier als besonderen Muskel nicht mehr anerkennen und werde also im Folgen- den nur von einer muskulösen Leberkapsel und ihren einzelnen An- sätzen und Verstärkungsbündeln reden. Kigentlich verdient aber auch die muskulöse Leberkapsel ihren Namen nicht mit Recht, da sie keinen geschlossenen Sack bildet, sondern hinten weit offen steht'. Ihre Fasern inseriren nämlich an dem Riickentheil des Mantels zu beiden Seiten der Schalen- kapsel bis zum Ganglion stellatum hinauf, so dass unter dem Nacken- schließknorpel die Leber ganz frei liegt und dorsalwärts unmittelbar an die Schalenkapsel grenzt. Trotzdem nehmen aber die sehr star- ken Kopfknorpelinsertionen der Leberkapsel den Kopfknorpel doch in seinen ganzen Umfange ein, was für dessen Dorsalfläche nur da- durch möglich wird, dass ein Theil der lateralen Fasern von der oberen Grenze der Mantelinsertion nach oben und innen konvergirend ' Wie dies schon Cuvier bemerkt hat, Mém. pag. 45. — Sein pilier de l’entonnoir ist mein Depressor infundbl. , sein pilier de la téte mein Retractor eapitis lat. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 203 mit seinem Gegenüber zusammenfließt und nicht nur die dorsale Fläche des Kopfknorpels, sondern auch die untere Hälfte der Ven- tralfläche des Nackenknorpels mit seinen Insertionen bedeckt. Der ventrale Theil der Leberkapsel (Diaphragma musculare) (Fig.3 D.m. ist nicht nur an seinen Kopfknorpelinsertionen, dessen innerste Bün- del sich schon mit den Armursprüngen vermischen, stark entwickelt. sondern bezieht auch viele Fasern vom Collaris, der an der Um- schlagsstelle, wo er mit dem Diaphragma verschmilzt (Fig. 3, Mc’), eine bedeutende Stärke erreicht. Der Diaphragma-Knorpel (Fig. 4) liegt, wie bei Loligo, unter der Vena cava in der Nähe des unteren Trichterrandes. Er ist an bei- den Flächen ebenfalls von Muskelinsertionen ganz frei und auch die Vena cava (Fig. 3 V. e., scheint nur an seinen beiden Seiten dem Diaphragma angeheftet zu sein. Seine Gestalt (Fig. 4) ist länglich oval, oben abgerundet, während er nach unten in eine lange feine Spitze ‚ausgezogen ist. Von den Nn. viscerales wird er etwa in der Mitte sei- ner Länge durchbohrt. An die Ränder dieses Knorpels inseriren nicht nur Fasern der muskulösen TLeberkapsel, sondern er giebt auch 2 bis 3 distinkten Bündeln von Querfasern Ursprung (Fig. 3 y, Fig. 42), von denen ein mittleres meist viel stärker entwickelt ist und welche. mit dem N. infundib. inf, (Fig. 3, N. inf. inf.) etwa parallel lau- fend, gegen den unteren Rand der dorsalen Trichterwand ziehen. Auf diese Bündel ist hier die Verwachsung der dorsalen Trichterwand mit dem Diaphragma redueirt. Für die Vena cava mag noch bemerkt werden, dass in das sie umgebende Bindegewebe von den Kopf- knorpelinsertionen der Leberkapsel Muskelfasern ausstrahlen, welche sich weit abwärts verfolgen lassen. Der sich durch seine Lagebeziehungen zu den Nn. infundib. supp. als Homologon des Adduetor infundib. sup. der übrigen De- kapoden kundgebende Muskel ist hier sehr schwach entwickelt (Fig. 3, M. a. i.), hat aber bemerkenswerther Weise mit seinem Gegen- über einen langen gemeinschaftlichen Ursprungskopf; da ein viel stärkerer Adduetor weit über ihm entspringt, so muss er als Inferior bezeichnet werden. Dieser letztere, der M. adduetor infundib. sup. (Fig. 3, M. a. s.) entspringt am oberen Rande des Kopfknorpels zu beiden Seiten der Mittellinie seinem Gegenüber, wie gewöhnlich, bis zur Berührung genähert, bezieht vielleicht auch von den Arm- ursprüngen Fasern, steigt steil abwärts, sich mit dem Adduetor inf. und den Nn. infundib. supp. kreuzend und inserirt etwas über dem unteren Rande der dorsalen Trichterwand. Als neu endlich kommt 204 J. Brock bei Sepia eine Art von Adductor lateralis hinzu. Es ist dies (Fig. 3, M. a. inf. lat.) eine unmittelbar unter der Haut verlaufende breite dünne Faserschicht, welche sich nahe unter der Basis des ventralen und des angrenzenden Armpaares losmacht und fächerförmig in die Seitentheile des Trichters bis zum Schließknorpel hin aus- strahlt !. Der M. depressor infundib. (Fig. 3 M. d. 7.) ist an seinem Ursprung mit den Mantelinsertionen der Leberkapsel, wie schon erwähnt, voll- kommen verwachsen. Seine Trichterinsertion ist mehr auf die In- nenfläche der ventralen Wand gerückt, wo er die Hauptmasse seiner Fasern gerade an der außen dem Schließknorpel entsprechenden Stelle ausstrahlen lässt. Der M. collaris (Fig. 3, M.e.) endlich ist bei Sepia durch die Stärke seines umgeschlagenen Blattes (Fig. 3, M. c'.) bemerkenswerth. Er inserirt breit an der unteren Hälfte der Seitenränder des Nackenknorpels, an dessen unterer Spitze er jedoch auch mit dem Mantel durch einige Fasern verbunden ist. Zwischen dieser Mantel-Nackenverbindung und der oberen Grenze der Verwachsung der Seitentheile der muskulösen Leberkapsel mit dem Rückentheil des Mantels tritt der N. pallialis hervor. Uber den Verbleib des Schalenmuskels (Retractor cap. med.) bei Sepia eine bestimmte Meinung zu äußern, ist sehr schwer. Denkbar sind zwei Möglichkeiten: entweder ist er ganz verloren gegangen oder er ist ganz mit dem Retractor cap. lat. verschmolzen. Ich möchte mich noch eher für die erstere entscheiden. Es bliebe zwar dabei immer höchst merkwürdig, dass gerade eine Schale, welche eine so hohe Organisationsstufe bewahrt hat, ihren Muskel ganz eingebüßt haben sollte, andererseits aber ist es, abgesehen vom N. pallialis, der seitlich vom Retractor austritt und ihn nicht durch- bohrt, wie er doch thun müsste. wenn er den Schalenmuskel in sich aufgenommen hätte, noch viel unwahrscheinlicher, dass die Retrac- tores mediani hier nach einer schon auf einer früheren Differenzi- rungsstufe (Ommastrephes, Loligo) erreichten Verschmelzung in der ' Diesen Muskel finde ich schon bei BRAND & RATZEBURG, Med. Zool. IT. pag. 303 erwähnt. — Der Muskel Taf. XXXII, Fig. 2 e bei diesen Autoren ist mein Depressor infundib., Fig. 2 d mein Retractor cap. , Fig. 1 e mein Col- laris. — Nach Cuvier's Bezeichnung (lec. d’anat. comp. 2me éd. IL, 1837 p. 7) ist mein Depressor infundib. der »pilier de l’entonnoir« (pag. 14), mein Retrac- tor cap. der »pilier de la t&te«, mein M. collaris »la calotte charnue qui va joindre lentonnoir«. Merkwürdigerweise werden die Adductoren des Trich- ters in den Legons mit keinem Wort erwähnt. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 205 Mittellinie von Neuem weit aus einander riicken sollten. Eine sichere Entscheidung liisst sich aber noch nicht geben. Ich schließe die Reihe der Dekapoden mit Sepiola, weil diese Form, welche sonst im Allgemeinen an Loligo ankniipft, in einzel- nen Zügen in überraschender Weise Octopoden-Ahnlichkeiten in den Grundplan einer Dekapoden - Muskulatur hineinträgt. Das Verhalten des Retractor cap. erinnert an Ommastrephes und Loligo, zeigt je- doch wieder Abweichungen, welche theils Sepiola eigenthümlich sind, theils auf den Verlust des knorpligen Nackenschließapparates und die Kürze der Schale zurückgeführt werden müssen. Wenigstens be- trachte ich diese beiden Umstände als die Hauptursache, dass der Schalenmuskel, der dadurch in Ursprungs- und Insertionsfläche ver- kürzt wird, hier auch den letzten Rest seiner Selbständigkeit ein- gebiibt hat und vollkommen in den Retractor cap. lat. aufgegangen ist. Es entsteht auf diese Weise, da auch das Diaphragma museu- lare stark entwiekelt ist, unter dem Kopfknorpel eine vollkommen geschlossene muskulöse Leberkapsel; aber die Verschmelzung des Retractor cap. med. mit dem lateralis ist in so fern noch über die bei Loligo erreichte Stufe hinaus gediehen, als die medianen Biindel der dorsalen Hälfte dieser Kapsel, in welchen man doch den Antheil des ehemaligen Retractor med. suchen muss, von den seitlichen nicht mehr durch einen sich tief herab erstreckenden Spalt getrennt sind, durch welchen der Pallialis tritt, sondern dass dieser Nerv, wie bei den Octopoden einfach in einem Loch die überall zusammenhängende Muskelmasse durchbohrt. Auch in Ursprung und Ansatz zeigen diese medianen Bündel ihre Eigenthümlichkeiten. Letzterer findet, da ein Nackenknorpel nicht existirt, am Kopfknorpel statt, der Ursprung ist aber bei der Kürze der Schale von dieser nach unten auf den Mantel gerückt. Da nun die Mantelursprungsköpfe des Retractor, welche hier bemerkenswerther Weise keinen gemeinschaftlichen Stamm mit dem Depressor infundib. haben, gleich nach ihrem Ur- sprung mit ihrer Rückseite mit dem Mantel verwachsen sind, so findet hier eine ausgedehnte dorsale Verwachsung der muskulösen Leberkapsel mit dem Mantel statt, und es lässt sich nicht verken- nen, dass dieses Verhalten zu Sepia hinüber leitet. Bei Sepia ist indessen, auch wenn wir von dem möglichen Verschwinden des Scha- lenmuskels absehen, noch ein Schritt weiter geschehen, indem zwar die seitliche dorsale Verwachsung der muskulösen Leberkapsel bei- behalten wird, dieselbe sich aber dorsalwärts weit öffnet und die » 206 Se, Retraetores cap. lat. durch Verkümmerung ihres Depressor-Kopfes den Rang selbständiger Muskeln verlieren. Die Adduetoren-Gruppe zeigt merkwürdigerweise fast genau das Verhalten von Ommastrephes, insbesondere fehlt der starke Ad- duetor lateralis nicht, welcher vom äußeren Augenrande zum oberen Rand des Trichterschließknorpels zieht, während der kleine, vom Bulbus-Rande entspringende allerdings vermisst wird. Eine Ver- wachsung des unteren Randes der dorsalen Trichterwand mit dem Diaphragma habe ich eben so wenig, wie einen Diaphragma-Knorpel hier finden können, doch ist es bei der Kleinheit der Theile leicht möglich, dass in dem Bindegewebe, welches den Raum zwischen beiden ausfüllt, auch Muskelfasern verlaufen. Ganz im Gegensatz zu diesem Verhalten stehen nun die Eigen- thiimlichkeiten , mit denen Sepiola den typischen Octopoden sich nähert, ohne dass dabei, wie wir später sehen werden, eine direkte Verwandtschaft im Spiele wäre. Es sind dies das Bestehen einer Kopfnaekenverbindung bei gleichzeitigem Mangel eines knorpligen Nackenschließapparates, das Vorhandensein eines muskulösen Man- telschließers (Bride antérieure Cuvier’s), welcher sogar stärker, als bei den Philonexiden entwickelt ist, und das Auftreten eines Adductor pallii lat. in der charakteristischen Octopoden - Gestalt. Von diesen drei Eigenthümlichkeiten findet sich die Verwachsung des Mantels mit dem Kopf auch sonst noch bei Dekapoden, nämlich bei Loligopsis (wobei wir über das nähere Verhalten freilich nichts wissen), während die Bride antérieure oder der M. adductor pallii medianus, wie ich diesen Muskel zu nennen vorschlage, außer bei Sepiola und Rossia') sonst nur noch von den Octopoden bekannt ist. Es ist mir indessen gelungen, bei den Ögopsiden mit Aus- nahme von Enoploteuthis ein Gebilde aufzufinden, welches man vielleicht als Vorläufer dieses Muskels ansprechen könnte. Öffnet man nämlich bei einem Ommastrephes oder Onychoteuthis die Kie- menhöhle durch einen vorsichtigen Längsschnitt, der die Mittellinie vermeidet, so findet. man, dass dieselbe kein zusammenhängendes Cavum bildet, sondern, wie bei den Octopoden durch ein sagittal 1 R. Owen in Sir Joun Ross, Appendix to the-narrative of a second voyage in search of a North-west passage ete. London 1835. Natural history pag. XOVI. Sonst erfahren wir dort über das Muskelsystem von Rossia nichts, aber der Umstand, dass beim Bestehén eines medianen MantelschlieBers eine muskulöse oder häutige Kopfnackenverbindung nicht existirt (l. e. pag. XCIT), scheint darauf hinzudeuten, dass Rossia zwischen Sepiola und dem geraden Di- branchiatenstamm ein Bindeglied bildet. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 207 gestelltes, in der Mittellinie von dem Eingeweidesack zur inneren . Mantelfläche ziehendes Septum, in welchem mehrere starke Äste der Aorta posterior zum Mantel übertreten, in zwei Kammern getheilt wird. So weit stimmt dieses Septum bei Ogopsiden und Octopoden auf das beste mit einander überein; der einzige, allerdings sehr große Unterschied beider Gebilde ist, dass das Septum bei den Octopoden muskulös, bei den Ögopsiden dagegen häutig und sogar sehr fein ist; man vergesse jedoch nicht, dass auch die niederen Octopoden, die Philonexiden, den mittleren Mantelschließer weit weniger stark entwickelt als die höheren, zum Theil ebenfalls noch häutig zeigen. wie dies Owen für Argonauta „schon richtig bemerkt hat Cyelop. pag. 530). Wie es mit dieser Homologie aber auch bestellt sein möge, jedenfalls ist der Adduct. pall. med. hier schon so stark, wie bei den höchsten Octopoden entwickelt. Er entspringt mit zwei star- ken Schenkeln von den Wurzeln des ventralen Armpaares , tritt unter der dorsalen Trichterwand abwärts, und nimmt den Anus, auf welchen er wie ein Sphinkter wirken muss, zwischen sich, worauf sich beide Schenkel vereinigen und fächerförmig in die gegenüber liegende innere Oberfläche der ventralen Mantelwand ausstrahlen. so dass, wie bei allen Octopoden, die obersten Fasern fast wagerecht. die untersten dagegen schräg nach unten verlaufen. Die Verbindung des Mantels mit dem Kopf ist hier noch in den Anfängen stehen geblieben und im Wesentlichen, wie bei Argonauta, nur eine Hautverbindung. Die Haut des Mantels geht allerdings breit vom Mantel auf den Kopf über: hat man sie aber abpräparirt, so findet man, dass der dorsale obere Mantelrand vollkommen frei ist. Zwischen Mantel und Kopf existirt unmittelbar gar keine Ver- bindung, nur der Collaris, welcher hier beim Mangel eines Nacken- knorpels in sich selbst zurückläuft und einen nach unten offenen Gang rings um den Kopf bildet, der nur durch den Trichter unterbro- chen wird (Fig. 5 2), schickt von seinem unteren Rande nahe der Mittellinie zwei Muskelbündel nach unten und vorwärts, welche ihn ziemlich tief unter dem freien Mantelrande zu beiden Seiten der Schale an den Mantel heften. Wir werden bei den Octopoden sehen, wie sich aus diesen ersten unscheinbaren Anfängen schrittweis festere Verbindungen eutwickeln. Der M. adductor pallii lateralis Cuvier's »bride laterale, qui joint la bourse & la masse viseéralec, Mém. pag. 13) ist hier zum ersten Mal in der typischen Octopodenform vertreten, für welche eine 208 J. Brock seltsamer Weise noch nicht erwähnte Faserkreuzung' charakteristisch ist neben der anderen nicht minder konstanten Eigenthümlichkeit, den N. pallialis von seinem Hervortreten aus dem Eingeweidesack bis zum Ganglion stellatum scheidenartig zu umhüllen. Hier noch dünn und schwach, entspringt dieser Muskel fächerförmig von den Seitentheilen der muskulösen Leberkapsel dorsal- wie ventralwärts vom N. pallialis und kreuzt, indem er mit ihm an den Mantel zieht, seine Fasern so, dass die ventralen fast wagerecht nach außen ziehen und ober- halb des Gangl. stellatum sich dem Mantel inseriren, während die dorsalen unter dem N. pallialis durchtreten und erst am unteren Ende des Ganglion stellatum den Mantel erreichen. Die Octopoden, zu denen wir uns jetzt wenden, bilden in der Muskulatur, wie mehr oder minder in allen übrigen Organsystemen eine fest in sich abgeschlossene Gruppe. Zwar findet innerhalb ih- rer Grenzen eine meist sogar sehr kontinuirliche Weiterentwicklung statt; aber der Typus der Gruppe selbst ist bei den niederen For- men schon eben so scharf ausgeprägt. wie bei den höheren, und es sind daher auch die Anfangsglieder der sich hier findenden Diffe- renzirungsreihen allen Bestrebungen, Ankniipfungspunkte an eine bestimmte Dekapoden-Gruppe zu finden, meist wenig zugänglich. So treffen wir bei Argonauta, welche Form zumal in der Muskula- tur die niedrigste Organisationsstufe innehält, doch schon alle Octo- poden-Eigenthümlichkeiten fertig abgeschlossen an. Dieselben gipfeln alle in der Tendenz, mit dem Aufgeben des knorpligen Nacken- schließapparates festere muskulöse Verbindungen zwischen Kopf und Mantel herzustellen, was um so nöthiger wird, als der Eingeweide- sack sich auch dorsal größtentheils vom Mantel losgelöst hat und die Kiemenhöhle im ganzen mittleren Theil des Körpers den gan- zen Eingeweidesack umgiebt (Fig. 5 €). Zur Erreichung dieses Zweckes geht nun erstens die Rückenhaut, der auch bald eine Mus- kelschicht folgt, in großer Ausdehnung ununterbrochen auf den Kopf über, wie wir dies schon bei Sepiola fanden, und kommt es zwei- tens, wie dort gleichfalls, ausnahmslos zur Entwicklung eines Adduet. pall. med. und zweier Adductores pall. latt. Die dritte und hervor- ragendste Eigenthümlichkeit in dieser Hinsicht ist aber die von noch keinem Dekapoden bekannte Verwachsung des äußeren Blattes des M. eollaris mit dem Rückentheil des Mantels zu beiden Seiten der ! Welche auf Cuyrer’s Zeichnung /M&m. Pl. I Fig. 2 f) deutlich erkenn- bar ist, im Texte aber nicht weiter erwähnt wird. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 209 Mittellinie. Es handelt sich hier zwar um theilweise wenigstens schon bekannte Verhiltnisse: da es aber doch nicht leicht ist, nach den schon vorhandenen Abbildungen eine klare topographische Vor- stellung zu gewinnen, so habe ich, um das Verständnis des Folgen- den zu erleichtern, die Schemata Fig. 5 konstruirt. Bei den Dekapoden, mit Ausnahme von Sepiola (Fig. 5 A, vgl. z. B. auch BOBRETZKY, |. c. Taf. IX Fig. 87), inseriren beide Blätter des Collaris (Fig. 5 A. C.7, C.e) an den Seitenrändern des Nackenknor- pels. Das äußere Blatt (Fig. 5A. C. e) läuft nach vorn um den Kopf herum und geht ohne scharfe Grenze in die ventrale Trichterwand über. Sein unterer Rand endet in ganzer Ausdehnung frei, während der obere sich nach innen und unten umschlägt und sich an die Kopfinsertionen der muskulösen Leberkapsel ansetzt (mein »inneres Blatt« Fig. 5A. ©. 7), in der ventralen Mittellinie aber nicht mit seinem Gegenüber zusammenhängt, wie das äußere Blatt durch die ventrale Trichterwand, sondern schon vorher mit freiem Rande endigt (Fig. 3, M. €). Sepiola steht nun genau in der Mitte zwischen Deka- und Octopoden. Hier ist der Nackenknorpel und mit ihm die dorsale Insertionsfläche des Collaris schon verloren ge- gangen, wie bei den Octopoden, dies hat aber noch nichts weiter zur Folge gehabt, als dass beide Blätter des Collaris in sich selbst zurücklaufen und einen mit Ausnahme des Trichters vollkommen geschlossenen Ring um den Nacken bilden (Fig. 5 B). Noch ein Schritt weiter führt uns zu der Octopoden-Organisation (Fig.5 ©). Hier ist nicht nur der knorplige Nackenschließappa- rat, sondern zu Gunsten einer festeren Kopfmantelverbindung auch die Selbständigkeit des M. collaris' in seinem dorsalen Theile auf- gegeben. Ein äußeres Blatt des Collaris existirt dorsalwärts nicht mehr, dasselbe zieht gerade nach hinten und innen und inserirt am Rückentheil des Mantels, der also hier für das äußere Blatt eintritt, wie auch daraus hervorgeht, dass er sich ebenfalls zum inneren Blatte umschlägt. Ein abweichendes Verhalten hiervon zeigt allein Argonauta, wie später näher zu erörtern sein wird; bei allen übrigen Octopoden aber ist das innere Blatt des Collaris in der ganzen Aus- dehnung des Rückens gut entwickelt und erlangt, während es sich bei Tremoctopus Car. und viol. besonders beim Ansatz an die Leber- 1 Eine erschöpfende Schilderung des Collaris findet sich auch bei CuVIER nicht. Er erwähnt ihn bei den Octopoden als »la calotte« (Mém. pag. 3), »ca- lottes concaves vers la bourse« (ibid. pag. 14), calotte charnue qui va joindre lentonnoir« (leg. 2. éd. II. pag. 14). Morpholog. Jahrbuch. 6. 14 210 J. Brock kapsel noch stark verdiinnt, bei Tremoct. catenul. und den Octopo- diden eine solche Stärke, dass es wohl die Hauptmasse der Fasern des Adduet. pall. lat. liefert. Unter diesem Umschlag beginnt dor- salwärts schon die Kiemenhöhle, welche sich von hier an ohne Un- terbrechung bis auf den Grund des Eingeweidesacks erstreckt und der nach unten offene Halbkanal, den beide Blätter des Collaris mit einander bilden, ist dorsalwärts zugleich obere Grenze der Kiemen- höhle, wenn auch über ihm noch Haut und Muskelschichten direkt vom Mantel zum Kopf ziehen. Der Mantel hängt daher, wie schon CuvIER richtig erkannte, bei den Octopoden nur an wenigen Stellen mit dem Eingeweidesack zusammen; man muss aber zu den fünf, die er namhaft macht (Cuvier, Mém. pag. 8) noch die beiden De- pressores infundibuli rechnen, so dass sich im Ganzen sieben ergeben, _ nämlich 1) »le fond«, 2) »le bord postérieur derriére le cou« (Collaris), 3) »une bride longitudinale charnue sous le bord anterieur« (M. ad- duet. pall. med.), 4), 5) »deux brides latérales également charnues« (Mm. adductor. pall. latt.), 6), 7) die Mm. depressores infundibuli. Der Retractor capitis hat bei allen Octopoden in der Art wie bei Sepia seine Selbständigkeit vollkommen aufgegeben. Es findet sich auch hier nur noch eine vollkommen geschlossene muskulöse Leberkapsel, welche ihre Fasern vorzüglich vom Kopfknorpel in seinem ganzen Umfange bezieht. Cuvier hat also vollkommen das Richtige erkannt, wenn er für seine »Tunique charnue, qui enve- loppe le foie et les viscéres« in seiner Beschreibung eine der Arm- und Triehtermuskulatur gleichwerthige Kategorie aufstellt, denn es repräsentirt die muskulöse Leberkapsel hier in der That ein äußerst komplicirtes Gebilde, welches fast mit allen übrigen Muskeln des Körpers mittelbar oder unmittelbar auf irgend eine Weise zusam- menhängt. Aber auch die Depressores infundbl. sind in diese Unselbständig- keit mit hineingezogen worden. Obgleich sie noch mit gesondertem, sogar starkem Kopf vom Mantel entspringen, sind sie bei allen Octo- poden ihrer ganzen Länge nach an ihrer Rückseite mit der dorsalen Leberkapsel verwachsen, in welche sie nach innen, besonders an ihrem Mantelursprung, als einzige Erinnerung an den Kopf des Re- tract. cap. lat., den sie bei den Dekapoden abgeben, starke Züge von Muskelfasern ausstrahlen lassen!. Dadurch gelangt die musku- 1»Le grand pilier de l’entonnoir ... avant de se rendre 4 l’entonnoir, épanouit une partie de ses fibres sur le bas de la tunique charnue des visceres.« (Cuvier, Mém. pag. 13. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 211 löse Leberkapsel ventralwärts zu einer viel stärkeren Entwicklung, als in ihrem Dorsaltheil, wozu die Fasern, welche die Kopfursprünge des mittleren Mantelschließers bei den Octopodiden ihnen zukommen lassen, noch das Ihrige beitragen mögen, und es mag daher nicht über- flüssig sein, daran zu erinnern, dass die Bezeichnung »Diaphragma musculare« (Cuvier, Mém. p. 12) von dieser starken Muskelschicht herrührt, welehe bei den Octopoden zwischen den inneren Rändern der Depressores infundbl. ausgespannt ist. Abgesehen von dieser konstanten stärkeren Ausbildung des ventralen Theils zeigt die mus- kulöse Leberkapsel dann noch eine fortschreitende Entwicklung, die von den Philonexiden zu den Octopodiden geht. Bei Argonauta und Tremoctopus ist sie besonders im dorsalen Theil noch sehr schwach, fast häutig, während sie Trem. catenulatus fast schon in der Stärke zeigt, wie sie bei den höheren Octopoden angetroffen wird. Am auffallendsten ist aber die Volumszunahme in der gleichen Reihe bei dem Adductor pallii med., wo sie schon von Owen bemerkt wurde (Cyelop. pag. 530) und mindestens eben so bei der muskulö- sen Kopfnackenverbindung (M. nuchalis) ; es lassen sich diese Ver- hältnisse indessen besser bei der Einzeldarstellung besprechen, zu der wir daher jetzt übergehen wollen. Die niedrige Organisationsstufe, die Argonauta allen übrigen Octopoden gegenüber vertritt, kündigt sich schon in dem Fehlen der Muskelschicht unter der Haut an, welche sich vom Rückentheil des Mantels auf den Kopf überschlägt. Nimmt man diese Haut hinweg, so findet sich, dass auch der obere Mantelrand in der dorsalen Mit- tellinie sich nicht als inneres Blatt des Collaris umschlägt; das in- nere Blatt desselben verliert sich vielmehr schon etwas medianwärts von der Stelle, wo das äußere mit dem Rückentheil des Mantels verschmilzt, und erreicht höchst wahrscheinlich die Mittellinie nicht oder verdünnt sich wenigstens in ihr bis zu äußerster Feinheit. Um diese mangelnde Verbindung zwischen Kopf und muskulöser Leber- kapsel zu ersetzen, hat sich eine ganze Gruppe von nicht weniger als fünf kleinen Muskeln entwickelt, von denen ich bei keinem an- deren Octopoden irgend etwas gesehen habe und die ich daher nicht erst besonders benennen will. Einer von diesen Muskeln ist unpaar und liegt in der Mittellinie: ein sehr kurzer, feiner Strang, der vom Kopfknorpel zum oberen Mantelrand geht. Daneben finden sich zwei seitliche, welche vom äußeren, unteren Augenwinkel nach in- nen konvergirend zu beiden Seiten des unpaaren inseriren; endlich noch mehr nach außen ein viel stärkerer und längerer Muskel, der 14* 212 J. Brock genau in dem Zwischenraum zwischen dem dorsalen und dem be- nachbarten Armpaar entspringt, am äußeren Augenrand gerade nach unten zieht und da, wo das äußere Blatt des Collaris inserirt, seine Fasern fächerförmig in die äußere Muskelschicht des Mantels aus- strahlen lässt. | Der Depressor infundbl. (Fig. 6 M. depr. inf.) ist, wie schon be- merkt, mit der Rückseite mit der muskulösen Leberkapsel verwach- sen; es dürfte vielleicht noch hervorzuheben sein, dass er hier, wie bei allen Octopoden, nicht nur in die dorsale Wand des Trichters, sondern auch in die ventrale bis zum Schließknorpel hin ausstrahlt. Der Adduct. pall. med.'! ist sehr schwach entwickelt und zum größ- ten Theil noch häutig, sein muskulöser Theil besteht eigentlich nur aus zwei schlanken Längsbündeln, die von den Basen des ventralen Armpaares herabkommen, dorsalwärts vom Trichter in die Mantel- höhle gelangen, den Anus zwischen sich nehmen und ihre Fasern gemeinschaftlich zur Innenfläche der ventralen Mantelhöhle schicken. Über und unter ihnen bleibt der Mantelschließer häutig. — Auch die Adductores pall. latt. (Fig. 6 M. add. pall. lat.) sind noch schwach entwickelt, doch ist die für alle Octopoden charakteristische Faserkreuzung schon deutlich ausgeprägt. Die Trichtermuskulatur ist bei allen Octopoden, trotzder stärke- ren Hautbefestigung des Trichters am Kopf, komplieirter als bei den Dekapoden, aber doch immer in sehr gleichmäßiger Weise wieder- kehrend. Nicht weniger als vier Adductoren jederseits theilen sich hier in ihre Aufgabe, von denen wir aber nur die beiden inneren ihrem Ursprung und Verlauf nach mit den beiden der Dekapoden homologisiren können. Von diesen läuft der obere (Fig. 6 M. add. i, med. sup.), der mit seinem Gegenüber, wie auch bei Tremocto- pus Carenae einen kurzen gemeinschaftlichen Stamm besitzt, dorsal- wärts von den Zweigen des N. infundbl. sup. (Fig. 6 Nn. inf. supp.) und parallel mit ihnen zur dorsalen Trichterwand, während der untere vom Kopfknorpel auf die Ursprünge des Adduct. pall. med. gerückt ist und eigentlich nur ein selbständig gewordenes Bün- del dieses Muskels repriisentirt. Als Adduct. lat. sup. (Fig. 6, M. add. i. lat. sup.) bezeichne ich eine dünne dicht unter der Haut ziehende Faserlage, welche von der Außenfläche der Basen des ventralen Armpaares etwas nach innen und unten fächerförmig in ' Vergl. die treffende Schilderung OwEn’s New and rare Cephal. ete. pag. 118. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 213 die Seitenränder des Trichters ausstrahlt. Dieser Muskel findet sich, eben so wie der vorhergehende, nicht bei allen Octopoden; desto konstanter ist aber der folgende, der Adduct. infundbl. lat. inf., der innerhalb der Gruppe sogar eine Weiterentwicklung zeigt. Es ist dies bei Argonauta ein langer platter Muskel (Fig. 6, M. add. inf. lat. inf.), der an der muskulösen Leberkapsel ungefähr am äußeren unteren Augenwinkel entspringt und am unteren Augenrande ent- lang wagerecht medianwärts zu den Seitentheilen des Trichters zieht !'. — Endlich giebt es hier noch einen, ebenfalls bei den Octopoden sehr konstanten Muskel, den ich nach seinem Verlauf Bulbo-collaris nennen will (Fig. 6, M. bulb.-coll.); er entspringt sehr fein etwa in der Mitte des unteren Augenrandes und zieht dor- salwärts zum oberen Rand des Collaris über den vorigen, mit dem er sich kreuzt, hinweg. Von einer eigentlichen Verwachsung der dorsalen Trichterwand endlich mit dem Diaphragma musculare kann bei Argonauta, wie bei den Octopoden überhaupt, darum nicht die Rede sein, weil die Depressores sich erst sehr hoch oben zur Bildung einer dorsalen Triehterwand vereinigen; die Verwachsung beschränkt sich hier auf die Depressoren allein, bei welchen sie dafür in einem sehr großen Umfange stattfindet. Tremoctopus Carenae schließt sich in der Triehtermuskulatur, von der mir nur der Adduct. med. inf. zweifelhaft geblieben ist, der schwachen Entwicklung des Adduct. pall. med. und der Adduet. latt. und im Verhalten der muskulösen Leberkapsel vollkommen an Argonauta an. Nur die Kopfnackenverbindung ist sehr von der dort geschilderten verschieden und führt uns zum ersten Mal den wirk- lichen Octopoden-Typus vor. Unter der Haut, welche vom Mantel auf den Kopf übergeht, finden wir nämlich eine hier noch feine durch- scheinende Faserlage, welche von der Außenschicht des Mantels zu den dorsalen Armen ausstrahlt und sich dort in eine Reihe von mehr oder minder distinkten Bündeln auflöst, welche besonders in den In- terstitien zwischen den einzelnen Armen mit der Kopfmuskulatur verschmelzen?. Hat man diesen Muskel, welchen ich mit KErER- STEIN Nuchalis nenne, entfernt, so findet man von der bei Argo- ! Bei Cuvier Mém. pag. 15 in dem seitlichen Paar, welches unter den Augen »par des fibres attachées a la tunique charnue« entspringt, wieder zu er- kennen. : 2 Der groBe Muskel von Cuvier, der unmittelbar Arme und Mantel ver- bindet, Mém. pag. 14. 214 - J. Brock nauta beschriebenen Nackenmuskulatur nichts mehr, dagegen zeigt sich, dass das äußere Blatt des Collaris und wo dasselbe fehlt, der Mantel in der ganzen Breite des Rückens sith als inneres Collaris- Blatt zur muskulösen Leberkapsel umschlägt, welcher Befund von jetzt an konstant bleibt. Bei Tremoctopus violaceus ist der Nuchalis, eben so wie der Adduct. pall. med. schon sehr viel stärker entwickelt; letzterer aber stimmt darin noch mit den vorhergehenden Arten überein, dass er noch nirgends mit dem Diaphragma verwachsen ist. Die Trichtermuskeln sind vollzählig vorhanden, der Adduct. lat. sup. ist sogar viel stärker entwickelt und greift mit seinem Ursprung auch auf die Basen des 3. Armpaares, wie mit seinem Ansatz auch auf den Collaris über; der Ursprung des Adduct. lat. inf. endlich hat seine dorsalwärts gerichtete Wanderung angetreten und ist schon bis an den äußeren Augenrand zurückgewichen. Tremoctopus catenulatus ist vielfach nach der Richtung der Octopodiden hin entwickelt, namentlich ist der M. nuchalis und der M. adduct. pall. med. fast schon eben so stark, wie bei Octopus ent- wickelt, wie auch hier zum ersten Mal der dorsale Theil der Fasern des Adduct. pall. lat. ein bedeutendes Übergewicht über den ventralen bekommt und als ansehnlicher Muskelstrang bis zur Kieme hinunter zieht. Auch das Diaphragma musculare wird im oberen Theil sehr stark und zwar dadurch, dass beide Schenkel des Adduct. pall. med. mit ihm verwachsen und einen Faseraustausch eingehen, welches Verhalten von jetzt an konstant bleibt. Die Triehtermuskulatur lässt keine besonderen Abweichungen erkennen, doch fehlt ein Adduct. med. inf. und die supp. haben auch hier wieder einen kurzen ge- meinschaftlichen Ursprungskopf. Bei Octopus fällt vor Allem die starke Entwicklung des M. nu- chalis auf, welcher sich nicht mehr mit der Dorsalseite des Kopfes begnügt, sondern jederseits noch ein Bündel am inneren Augenrande zu dem äußeren ventralen (3.) Armpaar schickt, wo sie mit den äußersten Bündeln des Adduct. pall. med. verschmelzen !. Dieser ist hier von Anfang an von der muskulösen Leberkapsel nicht mehr zu trennen, doch gehen die Fasern, welche von den ventralen Armen entspringen, 3—4 mächtige Bündel jederseits, wohl zum größten Theil in den Adductor über. Für die Trichtermuskulatur ist nur zu be- merken, dass der Adduct. med. inf. und der Adduct. lat. sup. fehlen, ' Vgl. die genaue Beschreibung CuviEr’s, Mém. pag. 14, Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 215 wogegen die Ursprünge der Adductores latt. inff. noch weiter zurück- geschoben sind und sich in der Mittellinie des Rückens treffen, wie auch der Bulbo -collaris weit besser, als bei den Philonexiden ent- wickelt gefunden wird. — Zwischen Octopus und Eledone scheint ein wesentlicher Unterschied in der Muskulatur nicht zu bestehen ; doch hat schon Owen darauf aufmerksam gemacht !, dass der Adduct. pall. med. bei Eledone noch stärker, als bei Octopus ist?. Wir wären jetzt mit unserer Betrachtung der Muskulatur am Ende angelangt; der Weg aber, den wir von Enoploteuthis bis Ele- done zurückgelegt haben, ist zu weit, um nicht einen kurzen Rück- blick erwünscht scheinen zu lassen. Wir haben zwei Entwicklungs- reihen verfolgt: die eine durch die Ögopsiden zu Sepia aufsteigend mit einem Seitenzweig Sepiola, die andere von Argonauta zu Octo- pus und Eledone hin. Mit Übergehung der kleineren Muskelgruppen, wie der Adductoren, deren Darstellung nicht so viel Raum bean- spruchte, um einer Rekapitulation zu bedürfen, will ich mich gleich ' New and rare Cephal. etc. pag. 118. 2 Anhangsweise gebe ich noch eine kurze Besprechung der bei CUVIER und DELLE CHIAJE erwähnten Muskeln, welche noch nicht im Vorstehenden ihre Erledigung gefunden haben. Die Muskeln 1, 2, 3 bei Cuvier (Mém. pag. 12) sind Arm- und Kopf- ursprünge der muskulösen Leberkapsel, welche als besondere Muskeln zu un- terscheiden ich nicht für praktisch halten kann. Seine Muskeln 7, 8, 9 entsprechen dem Rückentheil des inneren Blattes des Collaris, 9 vielleicht meinem Bulbo-collaris. Von den zwei Trichteradductoren (pag. 14) ist der eine (Pl. I Fig. 2 ») der Adduct. med. sup., der andere (ib. ») der Adduct. lat. inf. Bei DELLE ÜCHIAJE sind : Corrugatori laterali = Depressores infundbl. Corrugatori laterali posteriori = Retractor. cap. latt. (2). Corrugatori terzi nicht zu identificiren (hinterste Biindel der Retractor. cap. latt. 9). Corrugatore medio = Adduct. pall. med. Corrugatori traversali = Adductor. pall. latt. Costrittori laterali = Trichterschließknorpel. Elevatori dell’ infondibolo = Mm. adductor. infundbl. Die Beschreibung der Muskulatur bei BLAINVILLE ist zu kurz, als dass sie, zumal beim Mangel von Abbildungen, mit den vorhandenen eine niihere Vergleichung zulieBe. Von den bei Porı (l. ¢. pag. 17) erwähnten Muskeln der Argonauta kann ich sicher nur identificiren : M. mediastinus = M. adduct. pall. med. Mm. fasciales = Mm. adductor. pall. latt, 216 J. Brock den beiden interessantesten Punkten zuwenden, dem Verhalten der Retractores capitis und der Mantelnackenverbindung und glaube an Ubersichtlichkeit und Kürze zu gewinnen, wenn ich die gewonnenen Resultate in Form einer Tabelle folgen lasse. 1) I. Retractores medd. cap. weder unter sich, noch mit den . latt. verschmolzen. — Enoploteuthis. Il. Beginnende Verschmelzung der Retractor. medd. unter sich. — Onychoteuthis. III. Verschmelzung der Retractor. medd. unter sich ganz, mit den latt. zum größten Theil vollzogen. — Ommastrephes. Sepioteuthis. Loligo. IV. Verschmelzung vollkommen. — Sepiola. V. Die Retractores sind in eine muskulöse Leberkapsel auf- gegangen, welche hinten weit offen steht. — Sepia. VI. Die muskulöse Leberkapsel ist vollkommen geschlossen, die Depressores infundbl. an sie angewachsen. — Octo- poden. 2) I. Eine Gelenk-Kopfnackenverbindung vorhanden, der Col- laris inserirt am Nackenknorpel. — Ögopsiden (mit Aus- nahme von Loligopsis), Sepioteuthis, Loligo, Sepia. Il. Gelenk-Kopfnackenverbindung verschwunden. Der Col- laris bildet einen geschlossenen Ring. — Sepiola. Ill. Auch das Trichtergelenk ist rudimentär oder fehlt ganz, das äußere Collaris-Blatt ist mit dem dorsalen Manteltheil verwachsen. — Octopoden. Wollen wir nun aber diese Tabellen weiter in unserem Sinne verwerthen, so ist zunächst die Frage zu erledigen, ob die aufge- stellten Reihen in dieser Form sich mit der Phylogenie decken, d.h. ob Anfangs- und Endglieder sich als solche nachweisen lassen, oder ob sie nicht vielmehr umgekehrt werden müssen. Abgesehen von der hier nicht in Frage kommenden Ontogenie giebt es bekanntlich zwei Hilfsmittel, um die Richtung einer phylogenetischen Reihe zu erkennen: erstens nämlich der Nachweis, dass ein Fortschritt vom Einfachen zum Zusammengesetzten stattfindet, der sich mit der Entwieklungsrichtung anderer wichtiger Organsysteme deckt, zwei- tens aber der ungleich werthvollere Nachweis, dass die präsumpti- ven Anfangsglieder der Reihe zu Formen nächst niederer Gruppen Anknüpfungspunkte erkennen lassen. Der erste, denke ich nun, ist in vollem Maße als erbracht anzusehen. Es wird Jedem sofort Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 917 einleuchten, wie gezwungen die Deutung der ganzen Entwicklungs- richtung würde, wollten wir von einem so komplieirten Gebilde, wie der muskulösen Leberkapsel von Sepia oder gar eines Octopoden als Anfangsstadium ausgehen und sie in fortschreitender Entwicklung in die verschiedenen wohl von einander abgegrenzten Muskeln zer- fallen lassen, die wir bei den Ögopsiden an ihrer Stelle finden, oder wenn die muskulöse Nackenverbindung die primäre Einrichtung wäre, welche im Laufe der Zeit erst einer Gelenkverbindung ge- wichen sein sollte. Kurz, ich glaube mich hierbei nicht weiter auf- halten zu dürfen, da ich unbedingter Zustimmung wohl sicher bin. Misslicher steht es um den zweiten Nachweis. Hier kommt es in erster Linie auf das Verhalten von notorisch alten Formen, wie Spirula und besonders Nautilus an. Die Darstellung des Muskel- systems der Spirula bei Owen (l. e. pag. 8) ist nun aber nicht immer klar und wie die ganze Abhandlung überhaupt nicht frei von Lücken, doch gehen folgende uns hier interessirende Punkte mit Sicherheit daraus hervor. Die Retractores cap. und infundbl. (un- sere Depressores) entspringen mit gemeinschaftlichem Ursprungskopf von der »aponeurotic sheath of the last shell-chamber«. Die Retrac- toren konvergiren, wie gewöhnlich, nach innen und sind ventralwärts durch ein dünnes zwischen ihren Rändern ausgespanntes Diaphragma - musculare verbunden', während dorsalwärts die Leberkapsel un- vollständig zu sein scheint. Es wird also ein besonderer Retractor cap. med. jedenfalls nicht erwähnt, so dass er fehlen oder mit dem Retract. lat. verschmolzen sein könnte, was bei einer so hoch orga- nisirten Schale äußerst merkwürdig, aber nach dem Vorgange von Sepia nicht ohne Beispiel wäre. Das Verhalten des N. pallialis lässt sich nicht zur Entscheidung heranziehen, da er hier den De- pressor infundbl. durchbohren soll; indessen würde Spirula mit die- sem Verhalten unter allen Dibranchiaten allein stehen und so bin ich eher geneigt, hier einen Beobachtungsfehler zu vermuthen ?. ! Das »fine muscular web connecting or passing between the ;retractores‘ or ‚erura infundibuli‘«, 1. ce. pag. 10. 2 Im Übrigen wird noch der Collaris als »valvular pallial fold« erwähnt ‘pag. 4, 8); sein näheres Verhalten im Rückentheile ist mir nicht klar gewor- den, wie ich insbesondere nicht weiß, ob ich den »triangular shallow pit with a sligthly raised border« (pag. 4) als Nackengelenkknorpel deuten darf; das »thin fascicule« endlich, »attached to the pallial ganglion,« welches »passes distad and ventrad to the mantle« (pag. 8) ist wohl ein schwach entwickelter Ad- ductor pallii lat.; ein sicheres Urtheil darüber kann ich aber ebenfalls nicht abgeben, da mir die Abbildung die Beschreibung nicht klarer gemacht hat. 218 J. Brock Aber auch bei Nautilus finden wir (Owen, Mem. pag. 17) statt zweier Retractoren nur einen mächtigen Schalenmuskel, welcher am ganzen Kopfknorpel inserirt und zwischen seinen inneren Rändern ein Diaphragma musculare entwickelt hat, mit dem auch die Cava verwach- sen ist (l. e. pag. 28). Es kann sich also, wenn wir die Muskula- tur der Dibranchiaten überhaupt auf die des Nautilus zurückführen wollen, nur um drei Möglichkeiten handeln. Entweder ist der Scha- lenmuskel des Nautilus dem Retract. cap. med. der Dibranchiaten homolog, dann ist der Retract. lat. derselben erst eine spätere Er- werbung. Oder er ist dem Retract. lat. homolog, dann ist umge- kehrt der Retract. med. den Dibranchiaten eingenthümlich. Oder endlich er ist beiden zusammen homolog, dann besteht die höhere Differenzirung der Dibranchiaten dem Nautilus gegenüber in dem Zerfall des einen Muskels in zwei gesonderte !. Die dritte Möglichkeit glaube ich nun ohne Weiteres von der Hand weisen zu können. Es erscheint zwar sehr plausibel, 'dass der Durchtritt des N. pallialis die Abspaltung des Retract. med. vom lat. allmählich zu Wege gebracht hat, aber dann erscheint es doch schwer begreiflich, dass der Pallialis die Muskulatur gleich bis zu ihren Ursprüngen hinunter spaltete und vor allen Dingen, dass auch . das medianwärts von ihm abgetrennte Stück (meine Retract. medd., vergl. Fig. 1), bei Enoploteuthis vollständig und bei Onychoteuthis wenigstens theilweise noch einmal in der Mittellinie gespalten wurde. Weit schwieriger aber, ja kaum möglich ist es, zwischen den beiden ersten Möglichkeiten zu wählen. Gerade das Kopfskelett ist bei Nautilus und den Dibranchiaten so verschieden, dass Ver- lauf und Ansatz der in Rede stehenden Muskeln zur Entscheidung der Frage nicht weiter verwerthet werden können; zum Glück aber ist dieselbe für die Phylogenie der Dibranchiaten von wenig Belang, da wir, mögen wir nun den Retract. med. oder lat. als innerhalb der Gruppe erworben betrachten, in einem wie dem anderen Fall Formen, wie Enoploteuthis oder Onychoteuthis, die sie ganz oder theilweise getrennt zeigen, als die ältesten wenigstens in Beziehung auf die Muskulatur angesehen werden müssen. Ist aber einmal die ! Vollständig zurückzuweisen ist jedenfalls aber die Deutung Owen, (Mem. pag. 17, Cyclop. pag. 530), welcher den Schalenmuske! des Nautilus, also seinen Retractor capitis der Dekapoden, bei den Octopoden in dem Ad- duct. pall. lat. wiederfindet, Zur Widerlegung dieser Ansicht geniigt einfach schon das Verhalten von Sepiola, wo die beiden homolog sein sollenden Muskeln neben einander bestehen. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 219 Sicherheit gewonnen, dass hier die Anfangsglieder der Differenzi- rungsreihen zu setzen sind, so ergiebt sich die Stellung der übrigen Glieder von selbst und wir diirfen daher getrost behaupten, dass Sepia und Sepiola nicht nur als hoch differenzirte Formen, sondern sogar als Endpunkt der Dekapodenreihe zu gelten haben. In Betreff der Octopoden wurde schon bei der Betrachtung der allgemeinen Verhältnisse ihrer Muskulatur auf die Schwierigkeit hin- gewiesen, Anknüpfungspunkte an eine bestimmte Dekapodengruppe zu finden, und die specielle Beschreibung hat diese Behauptung ge- wiss nieht Lügen gestraft. Allerdings giebt es eine Form, Sepiola, welche, käme es nur auf die Muskulatur an, unzweifelhaft als de- kapode Stammform der Octopoden zu gelten hätte, da sie nicht nur den Dekapoden entlehnte Züge (Verhalten der Adductoren und De- pressoren des Triehters) mit Octopoden-Eigenthümlichkeiten (Adduct. pall. med. und lat., Kopfnaekenverbindung) kombinirt, sondern auch in einzelnen (Verhalten des Collaris, vgl. Fig.5 B) genau in der Mitte zwischen beiden Gruppen steht. Es ist aber mit Rücksicht auf die gesammte übrige Organisation des Thieres nicht der gering- ste Zweifel, dass diese Ähnlichkeiten und Gleichheiten nieht auf wirklicher Blutsverwandtschaft, sondern nur auf Homoeologie im Sinne v. Inerıng's (l. e. pag. 10) beruhen, wie es denn auch nie- mals einem der älteren Systematiker eingefallen ist, Sepiola irgend- wie den Octopoden zu nähern, trotzdem die hervorragendsten Merk- male der Muskulatur auch ihnen schon bekannt waren. Wir haben also hier zum ersten Mal die merkwürdige und vom Standpunkt der Descendenztheorie aus viel zu denken gebende Erscheinung vor uns, dass in den späteren Gliedern zweier von entlegenen Punkten aus divergirenden Reihen wunderbare Ähnlichkeiten in der Gestal- tung von Organen oder ganzen Organsystemen entwickelt werden, die einer Erklärung durch bloße Anpassung mir wenigstens unzu- gänglich erscheinen. Wie in allen drei großen Dibranchiatenphylen die Entwicklung auf Reduktion der Schale gerichtet erscheint, die- selbe aber nur in dem jüngsten Phylum, den Octopoden mit ihrem völligen Verlust ihr Ende erreicht hat, so findet sich das Ziel, wel- ches in Betreff der Kopfnackenverbindung angestrebt wird, nämlich häutige oder muskulöse Verbindung unter Aufgeben des knorpligen Gelenkapparates in dem ältesten Phylum (Ögopsiden) zwar schon angedeutet (Loligopsis). wird aber nie erreicht; in dem zweitältesten (Myopsiden) nur wenige Male und dann immer nur von Ausgangs- 220 ze J. Brock gliedern (Sepiola, Cranchia!), während das jüngste Phylum (Octo- poden) auch in dem niedrigsten Vertreter Argonauta diese Stufe ! In der Owen’schen Beschreibung der Rossia (Appendix etc.) wird ein knorpliger Nackenschließapparat nicht besonders erwähnt, ist aber jedenfalls vorhanden, da die Abwesenheit jeder häutigen oder muskulösen Nackenverbin- dung ausdrücklich versichert wird. Cranchia scheint in der Differenzirung noch über Sepiola hinauszugehen, denn sie hat nicht nur den Nackenschließapparat, sondern wie die höheren Octopoden auch schon den Trichterschließapparat eingebüßt, dafür aber außer der dorsalen muskulösen Kopfnackenverbindung noch seitliche Verwachsungen zwischen unterem Trichterrand und Mantel ent- wickelt (Owen, New and rare Ceph. pag. 107, 108). Letztere Eigenthümlich- keit findet sich auch bei Loligopsis (RATHKE, 1. c. p.154). Hand in Hand mit einem in eigenthümlicher Weise umgebildeten nicht mehr als solche fungirenden TrichterschlieBapparat, während der Nackenschließapparat intakt ist. Owenia schließt sich ganz an Loligopsis an, nur scheint hier der Trichterschließapparat voll- kommen verloren gegangen zu sein (MÖRCH, Om Cranchia megalops, kgl. dansk. vidensk. Selsk. Skrift. V. Raekke naturw. og math. Afd. 1. Bind. Kjöben- havn 1847). Sehr übersichtlich lässt sich diese Entwicklung muskulöser Kopf- nackenverbindungen gleichzeitig mit der Reduktion der knorpligen Schließ- apparate in Form folgender Tabelle geben, an welcher auch der eigenthümliche phylogenetische Parallelismus sich gut bemerkbar macht. ’ I. Ögopsiden. Il. Myopsiden. III. Octopoden. a. Knorpliger a. Eben so. Nacken- und Trich- Sepioteuthis, terschließapparat |Loligo, Sepia. entwickelt, keine muskulöse Kopf- b. Wie bei a, nackenverbindung. |doch ist einM. ad- Ommastrephes,Ony-|duct. pall. med. choteuthis, Enoplo-jentwickelt. teuthis,Chiroteuthis. Rossia. c. Ein Trichter- C lenk rudimentär |gelenk vorhanden, oder fehlend, |Nackengelenk ver- Nackengelenk vor-|schwunden, dafür Triehterge- lenk rudimentär, Nackengelenk ver- schwunden, musku- c. Trichterge- handen, Trichter, eine muskulöse lése Nackenverbin- seitlich mit dem! Nackenverbindung dung und Adduct. Mantel verwach-undeinAdduet. pall.| pall. med noch sehr sen. med. entwickelt. |schwach. Loligopsis, Owenia. Sepiola. Philonexiden. d. Nacken- und d. Nacken- und d. Nacken- und Trichtergelenk ver- schwunden , eine Imuskulöse Nacken- verbindung ent- wickelt, über den Adduct. pall. med. nichts bekannt. Cranchia. Trichtergelenk ver- schwunden, musku- löse Nackenverbin- dung und Adduct. pall. med. sehr stark. Octopodiden. Trichtergelenke verschwunden, Ad- duct. pall.med. noch nicht entwickelt, dafür Kopf, Mantel u. Trichter ingrößt- bekannter Ausdeh- nung mit einander verwachsen. Cirrhoteuthis. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 224 schon erklommen hat und bis zu seinen Endgliedern noch mannig- fache weitere Differenzirungen den schon vorhandenen hinzufügt. Nochmals auf die Differenzirungsreihen einzugehen, die inner- halb der Octopoden selbst hervortreten und immer von Argonauta zu Eledone laufen, dürfte wohl überflüssig sein, da das Nöthige darüber schon bei der Beschreibung bemerkt wurde. Cirrhoteuthis endlich trägt vielleicht in dem Mangel des Adduct. pall. med. (REINHARDT og Proscu, |. e. pag. 12) ein sehr altes Verhalten zur Schau, welches durch eine sonst in dieser Form nicht wieder bekannte vollständige Verwachsung des oberen Mantelrandes mit dem Kopf, die nur die untere Trichteröffnung freigiebt, augenscheinlich kompensirt wird. Beide Merkmale würden, auch wenn wir sonst nichts von Cirrhoteu- this wüssten, wenigstens in ihrer Kombination nur auf eine sehr frühe Abzweigung vom Octopodenstamme gedeutet werden können. An die Betrachtung des Muskelsystems schließen wir zweckmäßig eine Besprechung des Trichters und seiner Klappe an, deren Bildung und Entwicklung schon öfters bei morphologischen und phylogenetischen Spekulationen in verschiedener Weise verwerthet worden sind!. Be- kanntlich kommt eine Trichterklappe Nautilus und den meisten De- kapoden zu, fehlt aber den Loligopsiden? und allen Octopoden. Sie ist größer und dem Eingange so genähert, dass sie auch bei unverletztem Trichter gesehen werden kann, bei allen Dekapoden mit Ausnahme. von Sepia und Sepiola; bei diesen letzteren ist sie kleiner und hat sich mehr vom Eingang zurückgezogen. Darauf beschränkten sich bis jetzt unsere Kenntnisse dieses Gebildes und ich war daher nicht wenig überrascht, schon bei der ersten, etwas genaueren Präparation Verhältnisse aufzufinden, welche der Trichterklappe eine erhöhte morphologische Bedeutung zu geben scheinen. Es ist nämlich nichts weiter nöthig, als die dorsale Triehterwand durch einen in der Längslinie geführten Schnitt zu spalten, um sofort zu sehen, dass bei den Ögopsiden, Sepioteuthis und Loligo die Klappe eine voll- kommene Verdopplung der dorsalen Triehterwand bildet, mit der sie nur lose durch Bindegewebe vereinigt ist (Fig. 2, V’. d). Es lässt ! GRENACHER, |. ce. pag. 471, v. IHERING, |. ce. pag. 271. 2 Loligopsis, Chiroteuthis, Histioteuthis und Véranya, was ich für Chiro- teuthis bestätigen kann. Doch lässt sich nach dem sogleich zu erörternden Verhältnis, in dem die Klappe zur dorsalen Trichterwand steht, auf Abwesen- heit derselben erst dann mit Sicherheit schließen, wenn auch die dorsale Trich- terwand durch einen Längsschnitt gespalten ist, weil die Klappe sonst bei großer Kleinheit ihres freien Stücks leicht übersehen werden kann. 222 J. Brock sich fast bis zu der Stelle, wo die dorsale Trichterwand an das Diaphragma geheftet ist, dieselbe vollständig in zwei Muskelblitter. die eigentliche dorsale Triehterwand und die Klappe trennen und auch an der unteren Grenze ist es die eigentliche Trichterwand, welche sich so verdünnt, dass der Depressor infundbl. die Hatpt- masse seiner Fasern vielmehr in die Klappe ausstrahlt. So ist also die Größe der eigentlichen Trichterklappe, d. h. ihres frei über die innere Trichteroberfliiche hervorragenden Stücks nur davon abhängig, in welcher Höhe das Bindegewebe, welches die ganze innere Ober- fläche des Triehters und also auch das freie Stück der Klappe be- kleidet, von dieser auf die dorsale Trichterwand sich überschlägt. Eine nähere Präparation der letzteren lehrt aber noch weitere Eigenthümlichkeiten kennen. Entfernt man sorgfältig die Haut von ihr, so findet sich zu beiden Seiten der Mittellinie ein beträchtlicher oben oval abgerundeter Ausschnitt (Fig. 2 7. s), in welchem Muskel- masse ganz fehlt und die dorsale Trichterwand also nur durch die Klappe (Fig. 2 V.s) gebildet wird. In der Mittellinie werden diese beiden Ausschnitte durch einen schmalen Streifen von Muskelsub- stanz (Fig. 2y) von einander getrennt und gleichen also beide zu- ~ sammen einem breiten Rundbogenfester, das in der Mitte durch einen Pfeiler in zwei gleiche Hälften getheilt ist. Gerade am äußeren Rande dieser Ausschnitte inseriren die Mm. adductor. infundbl. supp. Bei Sepia und Sepiola finden wir die erwähnten Ausschnitte der dorsalen Trichterwand ebenfalls wieder, die letztere ist aber im Verhältnis zur Klappe noch weit geringer entwickelt, verdünnt sich nach unten sehr rasch und ist schon über der Insertion des M. ad- duct. sup. nicht mehr als besondere Muskellage zu unterscheiden. Unterhalb dieser Stelle wird die dorsale Trichterwand einzig und allein von der Klappe gebildet (Fig. 3, V. 2), welche im Gegensatz zu der ersteren nach unten immer stärker wird, und so empfängt hier die Klappe einzig und allein alle Fasern des Depressor, so weit die- selben nicht in die ventrale Wand sich begeben'. — Bei den Octo- poden habe ich von allen diesen Gebilden nichts gefunden. ! Noch auf einen anderen Punkt möchte ich im Voriibergehen aufmerksam machen. Bei Sepia und Loligo fand ich an den Seitenrändern der ventralen Triehterwand, wenn ich die Haut sorgfältig abpräparirte, nicht weit unter der oberen Trichteröffnung ein Muskelbiindel (Fig. 3 x), welches sich von der Trich- terwand losmacht, um sich nach kurzem Verlauf fein zugespitzt wieder mit ihr zu vereinigen. Morphologische und physiologische Bedeutung sind mir gleich unverständlich. ‘ Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 223 Die phylogenetische Bedeutung der Trichterklappe ist wohl keine große. Das Verhalten von Nautilus lässt es zwar unzweifelhaft er- scheinen, dass ihr Verlust gegenüber ihrem Besitz eine höhere Dif- ferenzirungsstufe bildet, aber der Verlust kann bei den Loligopsiden vollkommen unabhängig von den Octopoden stattgefunden haben und darf ohne andere wichtigere Gründe noch keineswegs auf wirkliche Verwandtschaft gedeutet werden. In der Ontogenie muss die Trich- terklappe merkwürdig spät auftreten, da ich nirgends etwas über ihre Bildung erwähnt finde'; es wäre nach den vorstehenden Erfah- rungen wohl möglich; dass sie durch sekundäre Spaltung der dor- salen Trichterwand entstünde. Die Verschiedenheiten im Bau des Mantelschließknorpels. des Appareil de résistance von D’ORBIGNY, wie sie den Systemati- kern schon längst bekannt sind, lassen sich leicht auf einen Grund- typus zurückführen, der nieht nur morphologisch , sondern auch ge- nealogisch als Ausgangsform angesehen werden muss. Es ist dies am Mantel das einfache dünne senkrecht stehende Knorpelstäbchen, an der Trichterbasis die damit artikulirende längliche ohrförmige Rinne, wie sie sich bei Enoploteuthis, Onychoteuthis, Spirula (OWEN, l. e. pag. 4), Sepioteuthis, Loligo, Rossia (Owen, Appendix ete. pag. XCIV) und Sepiola findet. Hieran schließt sich Chiroteuthis Véranyi, bei dem der Mantelantheil des Schließapparates ebenfalls von einem senkrechten Knorpelstäbehen gebildet wird, das nur an seinem unteren Ende knopfförmig angeschwollen ist. Durch Verbreiterung dieses letzteren nach beiden Seiten entstehen die einem & gleichen- den Schließknorpel von Ommastrephes, während wir uns die Knor- pelspange nur verkürzt, die knopfförmige Endanschwellung noch stärker entwickelt zu denken brauchen, um die Schließknorpel von Sepia, dem einen Endpunkt der Dekapodenreihe zu erhalten. Owe- 1 Die Epithelanhäufungen bei BoBRETzKY |. e. Taf. IX, Fig. 87 x sind, wie auch der genannte Autor sie deutet, sicher nur Anlagen des Trichter- organs. Wenn es nach v. InprinG »kaum zu bezweifeln sein dürfte« (1. c. pag. 272), dass das innere Faltenpaar der Trichteranlagen des GRENACHER- schen Cephalopoden zur Klappe wird, so sehe ich mich vergebens nach Grün- den für diese Behauptung um. Nach genauer Vergleichung der GRENACHER- schen Zeichnung und Beschreibung kann ich mich nur der BOBRETZKY'schen Deutung anschließen (1. e. deutsche Tafelerklärung pag. 2), dass nämlich das äußere Faltenpaar zum M. collaris, das innere einfach zur dorsalen Trichter- wand wird (M. depressor infundbl. von BOBRETZKYy), welche durch Umbiegung der seitlichen Ränder median- und ventralwärts die ventrale Trichterwand schließt. 224 J. Brock nia und Cranchia, welche auch in dieser Beziehung als Ausläufer erscheinen, haben den TrichterschlieBapparat ganz verloren (vergl. pag. 220 Anm.); die senkrechte Reihe von Knorpelhöckern, welche durch RATHKE (1. c. pag. 153) bei Loligopsis Eschscholtzii und durch Grant (l. e. pag. 24) bei L. guttata bekannt geworden ist, ist, wenn auch vielleicht noch morphologisch, jedenfalls doch physio- logisch kein Schließapparat mehr, wie auch aus der Abwesenheit des Gelenktheils der Trichterbasis und der vorhandenen muskulösen Ver- bindung zwischen Trichter und Mantel hervorgeht. Mit Argonauta! betreten wir das Gebiet der Octopoden, hier identisch mit dem der rudimentären oder fehlenden Schließapparate. Die ohrförmige Gelenkhöhle der Trichterbasis ist wohl noch erhalten, aber der in sie passende Knorpel des Mantels ist vollkommen ver- loren gegangen, wenngleich er noch funktionell durch einen dem Mantelknorpel der Sepia gleichenden fleischigen? Höcker ersetzt wird. Dieser Höcker ist, wenn auch kleiner, noch bei Tremoctopus Carenae und Tr. catenulatus vorhanden, zugleich ist aber die untere äußere Spitze des Trichterknorpels in einen eingerollten Zipfel ausge- zogen, der in eine Grube unterhalb des Mantelhöckers eingreift, so dass hier Erhöhungen und Vertiefungen ganz gleichmäßig auf beide Theile des Gelenks vertheilt erscheinen. Hiermit ist das letzte, bei Tr. violaceus erscheinende Reduktionsstadium eingeleitet. Hier ist der Knorpel auch an der Trichterbasis vollkommen verschwunden und als letzte Erinnerung an das Gelenk durch eine mit dem oberen Mantelrande parallele Falte eine nach unten offene Tasche gebildet, in welche das untere ventrale Ende der Trichterwand mit einem dem entsprechenden Theil von Trem. Carenae sehr ähnlichen, aber rein fleischigen Zipfel eingreift. Die Gelenkhöhle ist also schließlich noch ganz vom Trichter auf den Mantel verlegt worden und wir sehen auch hier wieder, dass beim Rudimentärwerden eines Organs selbst ganz typische Verhältnisse verloren gehen können und zwar, wie dies hier der Fall ist, sogar schon zu einer Zeit, wo selbst die Funktion noch nicht völlig erloschen ist. Octopus? und Eledone end- !ı Vergleiche die genaue Beschreibung OwEn’s, New and rare Cephal. pag. 116. 2 Nach mikroskopischer Untersuchung. 3 Ein Octopus (?), ©. semipalmatus, besitzt noch einen rudimentären Schließapparat (OWEN, New and rare ete. pag. 112), derselbe ist aber nach DÖRBIGNY |. ce. pag. 95 »évidemment identique« mit Philonexis Quoyanus d’Orb. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 225 lich sind die Endpunkte der Octopodenreihe, indem sie bekanntlich keine Spur eines Schließapparates mehr aufzuweisen haben. Die vorstehenden Erfahrungen lassen also, um es kurz zu wieder- holen, innerhalb der Dekapoden einen sogar bei der Mehrzahl aller Formen erhaltenen Grundtypus erkennen, von dem aus bei Chiro- teuthis, Ommastrephes und Sepia höhere Differenzirungsstufen im Sinne einer Weiterentwicklung, bei Cranchia, Owenia und Loligopsis im Sinne einer Reduktion erreicht werden. Die Octopoden würden unter den mehrfachen Reduktionsstufen, welche die Ausbildung des Mantelschließapparates mit der gleichzeitigen Entwicklung muskulö- ser Kopfnackenverbindungen unter den Dekapoden zur Auswahl dar- bietet, vielleicht am ersten noch an Sepiola anzuknüpfen sein, wenn dagegen nicht dieselben Bedenken geltend gemacht werden könnten, welche schon beim Muskelsystem (pag. 205) zur Sprache gebracht worden sind. Wir müssen uns daher begnügen, auf die sehr voll- kommene Reihe hinzuweisen, welche sich innerhalb der Octopoden selbst nach dem allmähliehen Verschwinden der Gelenkverbindung aufstellen lässt. Das Centralnervensystem der Dibranchiaten scheint mir in hohem Grade gleichartig gebaut zu "sein. Ich fand bei allen Ögopsiden die langgestreckte Form des Ganglion brachiale, wie sie von Ommastrephes todarus durch Hancock! bekannt geworden ist, eben so wie bei sämmtlichen Octopoden den Lobus suprapharyngealis, von dem wir durch CH&RoN wissen, dass er dem Ganglion supra- pharyngeale der Dekapoden homolog ist (l. e. pag. 44) und konnte auch sonst keine wesentlichen Abweichungen von den bekannten Typen entdecken. Nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, dass bei genauerer Untersuchung gewiss noch viele Unterschiede sich ergeben. werden; aber der Erhaltungszustand meines Materials verbot hier gerade jedes nähere Eingehen oder leistete wenigstens nicht hin- reichend Gewähr für die Richtigkeit der gefundenen Resultate, und so stand ich denn von genaueren Untersuchungen auf diesem Ge- biete ab, auf welchem auch für die Phylogenie außer den schon be- kannten Thatsachen kein Gewinn zu hoffen schien. 5 Die Theile des peripherischen Nervensystems, welche ich phylogenetisch zu verwerthen versuche, sind das Ganglion stel- 1M. A. Hancock, On the nervous system of Ommastrephes todarus. Ann. & mag. of nat. hist. 2 ser. vol. 10. 1852, Pl. I Fig. 1 ete. Morpholog. Jahrbuch. 6. 15 226 ; J. Brock latam, die Armnerven- und die Visceralis-Kommissur. Fiir das erstere ist es von vorn herein wahrscheinlich, dass es nicht urspriing- lich dem Mantel angehörte, sondern sammt seinem zugehörigen Nerv, dem N. pallialis, zuerst im Eingeweidesack lag, von wo es seine Äste auf den Mantel heraus schickte, und erst später auf ihn voll- ständig übertrat. Diese älteste Lage und nach der allerdings sehr rohen Zeichnung Grants (1. e. Pl. II Fig. 6, vergl. das danach gezeichnete Schema Fig. 7 A) auch älteste Form muss sich bei Loligopsis guttata finden. Hier sind die Ganglia stellata nichts weiter, als in den N. pallialis eingelagerte gangliöse Anschwellun- gen und die Nn. palliales verlaufen noch im Eingeweidesack mitten auf der Schale so nahe an einander, dass sie GRANT den »two co- lums of the spinal marrow of Vertebrata« (l. e. pag. 26) ver- gleicht. Die Differenzirung ist jetzt gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen thätig, erstens nämlich in der beginnenden Wanderung des Nerven und seines Ganglions auf den Mantel, zweitens in der Ablösung des N. pallialis vom Ganglion, welches nur noch durch einen oberen und unteren Stamm, den äußeren Pallialnerven (Fig. 7 C, N. p. e.) mit der eigentlichen Fortsetzung des N. pallialis, dem in- neren Pallialnerven (Fig. 7 C, N. p. 7), mit dem er auf diese Weise ein Dreieck bildet, zusammenhängt. Bei den meisten Ogopsiden (Chiroteuthis, Enoploteuthis, Onychoteuthis, Ommastr. sagitt.) ist diese Spaltung im Entstehen begriffen (Fig. 7 B) und noch so ge- ringfügig, dass wenigstens ein distaler Antheil des äußeren Trichter- nerven noch nicht existirt, das Ganglion vielmehr an seinem distalen Ende noch ohne Vermittlung eines besonderen Nerven mit dem inne- ren Pallialnerven zusammenhängt. Bei Ommastr. todarus und Se- pioteuthis ist die Spaltung schon viel weiter und schon ein kurzer distaler Antheil des äußeren Pallialnerven vorhanden (Fig. 7 C) und bei Loligo endlich hat die Spaltung, wie ein Blick auf Fig. 7 D lehrt, auf den ganzen distalen Antheil des Pallialnerven überge- griffen. Bedeutend langsamer geht dagegen die Überwanderung. vom Eingeweidesack auf den Mantel vor sich. Bei allen Ögopsiden und selbst noch bei Loligo! wird sowohl Ganglion als auch Nerv von der Haut des Eingeweidesackes überzogen, wenn gleich dieselbe sich ! Bei Loligo liegt der N. pallialis unter der feinen Muskelschicht, die sich vom Eingeweidesack auf den Mantel erstreckt (vgl. pag. 201). Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 227 hart an ihrer äußeren Grenze vom Eingeweidesack auf den Mantel überschlägt. Ganz auf den Mantel übergetreten ist das Ganglion aber erst bei Sepia, wo auch der distale Antheil der Pallialnerven auf dem Mantel weiter verläuft, ferner bei Sepiola und den Octo- poden. Drittens lässt sich aber auch eine Weiterentwicklung in der wachsenden Verkürzung der Entfernung finden, welche der N. pal- lialis hinter dem Ganglion noch zurückzulegen hat, ehe er sich in das Fleisch des Mantels senkt. Bei den Ögopsiden ist dieses Stück am längsten, bei Loligo und Sepioteuthis ist es schon bedeutend kürzer (etwa bis zur Grenze des unteren Drittels zwischen Ganglion und Kieme) und bei Sepia tritt der Nerv, kurz nachdem die beiden Nn. palliales wieder zu einem gemeinschaftlichen Stamme zusammenge- treten sind, sofort in den Mantel ein. Bei der kurzen und gedrungenen Gestalt des Octopodenkörpers, wo der Abstand der einzelnen Punkte des Mantels von den Gan- glia stellata nur wenig differirt, ist es leicht einzusehen, wie mit Heranbildung dieser Körperform, wobei auch wohl der Verlust der Flossen nicht ohne Bedeutung ist, die vom Ganglion distalwärts ge- legene Partie des N. pallialis verkümmern und zu einem bedeutungs- losen Zweige des Ganglions herabsinken konnte. In der That haben wir nur diese einfache Veränderung vorzunehmen, um aus der Loli- gopsis-Urform das Ganglion stellatum der Octopoden (Fig. 7 E) zu konstruiren, bei welchen allerdings auch, wie schon vorhin bemerkt wurde, Ganglion und Nerv schon ausnahmslos im Mantel liegen. Als eine Stütze dieser Theorie möchte ich anführen, dass Sepiola, welche die Körperform mit den Octopoden theilt, auch ein Ganglion stellat. vom Oetopodentypus besitzt, während dasselbe einem Octo- poden Cirrhoteuthis) merkwürdigerweise fehlt, dessen durch Spaltung des Pallialnerven von dem inneren N. pallialis abgelöstes Ganglion! sich ungefähr mit dem von Ommastr. todarus vergleichen lässt ?. | Bekanntlich finden sich nach pELLE Cnraye’s Entdeckung bei Ommastrephes sagittatus (1. e. pag. 107) und nach Hancock's bei Ommastrephes todarus (l. e. Pl. I Fig. 1), wie ich aber hinzufügen 1 REINHARDT og Prosca, |. c. Tab. V, Fig. 2. 2 Die Zeichnung des Gangl. stellat. der Spirula von Owen (l. e. Pl. II, Fig. 2, 4) ist augenscheinlich viel zu wenig naturgetreu, um es hier zu berück- sichtigen, es scheint indessen auf einer ziemlich primitiven Stufe zu stehen, wie auch bei Sepia die Spaltung in zwei Pallialnerven nur auf eine kurze Strecke erfolgt ist (vgl. CHEron, |. e. Pl. IV, Fig. 31). 15* 228 J. Brock kann, bei sämmtlichen von mir untersuchten Ogopsiden! beide Ganglia stellata durch eine kurze starke Kommissur mit einander verbunden (Fig. 7 ©. ce), welche bei Loligo sich sehr verfeinert hat und zugleich proximalwärts auf den äußeren Pallialnerven überge- treten ist (v: IHERING, |. e. pag. 2572). Wenn v. IHERING in dem Verhalten von Ommastrephes eine höhere Differenzirung erblickt, weil er es für »sehr viel unwahrscheinlicher« hält, dass die Kommissur vom Ganglion proximalwärts hinauf gerückt, als dass sie in entge- gengesetzter Richtung gewandert ist (l. e. pag. 259), so kann ich nur sagen, dass an und für sich Eins so gut wie das Andere mög- lich ist, dass aber die Differenzirungsreihe des Ganglion stellatum, wie ich sie soeben vorgeführt habe, für mich gegen v. [HERING und zu Gunsten der ersten Anschauungsweise den Ausschlag giebt. Sepia fehlt diese Kommissur bekanntlich; ob sie bei den Octopoden in der von Manrky entdeckten? Dorsalkommissur von Eledone mo- schata ihr Homologon findet, ist mir sehr zweifelhaft geworden, da ich .eine Anastomose zwischen Zweigen des Ganglions nicht ohne Weiteres einer Kommissur, die direkt zwischen den Ganglia ausge- spannt ist, fiir gleichwerthig erachten kann. Die Kommissur zwischen den Armnerven ist bei allen unter- suchten Dekapoden einfach (Fig. 8 A). Eine höhere Differenzirung zeigt Cirrhoteuthis, bei welchem von jeder Seite des Armnerven noch ein Nerv zur Kommissur herunter steigt (Fig. 8 B)*, die höchste be- ! Nur bei Onychoteuthis konnte ich sie trotz wiederholten Suchens nicht finden. Dieser Umstand lässt vermuthen, dass sie, wenn vorhanden, sehr fein sein muss, kann aber für ihr völliges Fehlen bei der Beschaffenheit meines Ma- terials keineswegs als beweisend gelten. 2 v. IHERING ist im Irrthum, wenn er die von DELLE CHIAJE gefundene Kommissur Loligo vulgaris zuschreibt. DELLE CHIAJE sagt »Calamaro a saetta«, also Ommastr. sagittatus. 3 Vgl. Fritsch in den Sitzungsber. d. Gesellsch. naturforsch. Freunde zu Berlin 1878 pag. 7. Leider reichte meine Geschicklichkeit nicht aus, um an Spiritusmaterial diese Kommissur, eben so wie die von Loligo bestätigen zu können. Dagegen fand sich bei allen Octopoden, so oft ich nach der von PFEFFER beschriebenen Kommissur suchte (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXX. 1878, pag. 203), die von FrITSCH beschriebene Arterie, welche in der That genau den von PFEFFER für seine Kommissur angegebenen Verlauf besitzt und muss ich mich daher vollkommen den von FRITSCH (l. e. pag. 9) geäußerten Zweifeln anschließen (vgl. übrigens noch pag. 248 Anm. 2). Rei 4 Hancock (l. e. Pl. I Fig. 2, 3) zeichnet die Armnervenkommissuren bei Ommastr. todarus nicht einfach sondern mit bogenförmigen Schenkeln, etwa wie Cirrhoteuthis, ohne indessen im Texte dieses auffallenden Verhaltens Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 229 kannte Differenzirungsstufe endlich wird von den iibrigen Octopoden erreicht (Fig. 8 C)!, wo die ursprüngliche Kommissur sich als ge- schlossener Ring vollständig von den Armnerven losgelöst hat, mit denen sie nur noch durch die bogenförmigen Schenkel zusammen- hängt (Fig. 8 C) 2. Die Nn. viscerales liegen bei allen Ogopsiden ‚der V. cava dicht an und sind etwa in der Höhe der obersten Nierenanfänge durch eine ventralwärts von der Vene verlaufende kurze Kommissur zu gedenken. Ich habe die betreffende Kommissur stets einfach gefunden, will aber nicht verschweigen, dass mir die Hancock’sche Zeichnung zur Zeit meiner Untersuchungen darüber noch nicht zugänglich war. 1 van BENEDEN (Mémoire sur l!’Argonauta. Nouv. mém. de l’acad. royal. de Bruxelles vol. XI 1838 pag. 4) zeichnet und beschreibt diese Kommissur für Argonauta fälschlich als einfach, was auch ich in einer früheren Publikation (J. Brock, Studien über die Verwandtschaftsverhältnisse der dibranchiaten Ce- phalopoden. Sitzungsber. d. phys.-med. Gesellsch. zu Erlangen 1879) für das Richtige zu halten geneigt war. Dagegen hat derselbe Autor schon eine Eigen- thiimlichkeit im Nervensystem von Argonauta aufgefunden und abgebildet (l. e. Pl. VIII, a), die seitdem ganz in Vergessenheit gerathen ist. Im Visceralis findet sich nämlich kurz vor dem Kiemenganglion ein zweites spindelförmiges, viel kleineres eingelagert und auch in Fällen, wo der Nerv makroskopisch keine Anschwellung darbot, fand ich mikroskopisch Ganglienzellen eingelagert. Das erwähnte Ganglion giebt lateralwärts einen Ast zur Kieme, medianwärts einen Ast, der den Eileiter herabläuft. Über sein Vorkommen bei den höheren Octo- poden kann ich nichts aussagen, da ich auf dasselbe zu spät aufmerksam ge- worden bin; CHERON und VON IHERING kennen es bei Octopus und Eledone nicht. Endlich hat vAN BENEDEN an demselben Orte noch eine Verdoppelung der Armnerven jenseits der Kommissur beschrieben, welche ich, trotzdem sie auch SIEBOLD und zwar für alle Octopoden bestätigt (Lehrbuch d. vergl. Ana- tomie d. wirbellos. 'Thiere. Berlin 1848 pag. 378), sowohl bei der Präparation, als auch an Querschnitten der Arme bis jetzt vergeblich gesucht habe. Wie schon Cuvier (Mém. pag. 24) und Mecker (l. ec. Bd. V pag. 135) wussten, verlaufen in jedem Arm neben einer Arterie zwei Venen, welche drei Gefäße sowohl unter sich, als auch mit dem Nerven durch Bindegewebe fest vereinigt sind. Ich bin daher geneigt anzunehmen, dass diese Gefäße zu einer Täuschung Anlass gegeben haben. 2 Den anatomischen Verhältnissen entspricht es allerdings besser, wenn man sagt, die Armnerven hängen durch einfacbe Kommissuren zusammen, die vor jedem Nerven sich schleifenförmig verdoppeln, denn die bogenförmigen Schenkel gehen in rechtem Winkel von dem Armnerven ab und scheinen die eigentlichen Homologa der einfachen Dekapoden-Kommissur zu sein (vgl. auch Fig. SC). Dem Scharfblick Cuvıer’s ist dieses Verhältnis nicht entgangen (... en sorte que les huits nerfs sont joints ensemble par une ceinture nerveuse et cette ceinture se dédouble vis-a-vis de chaque nerf et y forme une petite anse. Mém. pag. 36). 230 J. Brock verbunden , welche häufig (Enoploteuthis, Chiroteuthis) dieselbe Stärke erreicht, wie die Nerven selbst. Gangliöse Elemente habe ich in ihr bei mikroskopischer Prüfung nicht entdecken können !, dagegen findet eine vollkommene Faserkreuzung in der Art statt -(Ommastr., Onychoteuth.), dass die Hauptfasermasse des einen Ner- ven durch die Kommissur in den anderen übergeht (Fig. 8 #). Ner- ven habe ich von dieser Kommissur niemals entspringen sehen. Unter den Myopsiden konnte ich sie nur bei Sepia, wo sie schon lange bekannt ist, wiederfinden. Sie ist hier schon bedeutend feiner und verbindet die Nerven nicht mehr in gerader Linie, sondern macht einen großen nach unten konvexen Bogen, welcher auch Zweige an verschiedene Eingeweide giebt. Im Übrigen kann ich ganz auf CHERON verweisen. Bei den Octopoden liegen die Viscerales nur in ihrem obersten Theil der Cava dicht an, divergiren aber bald lateralwärts, so dass auch eine gerade Kommissur bei ihnen viel länger, als bei den De- kapoden sein müsste. Dass nun die äußerst feine, von ÜHERON bei Octopus und Eledone entdeckte Kommissur (1. e. pag. 25, Pl. I, Fig. 2, 21) der der Dekapoden homolog ist, scheint keinem Beden- ken zu unterliegen und würde mit dem übrigen Verhalten der Octo- poden sehr gut stimmen, dass der schon bei Sepia eingeleitete Schwund dieser Kommissur hier noch weiter gediehen ist. Ich selbst habe sie an beiden von CH£Ron untersuchten Arten mit Sicherheit nicht finden können, wie auch meine Bemühungen an den viel klei- neren Philonexiden ohne Erfolg geblieben sind; die Kommissur ist indessen äußerst fein und nach CHERoON schon an frischen Thieren »tres-diffieile & bien voir«, was meine vergeblichen Bemühungen an Spiritusmaterial erklärlich erscheinen lässt, — Zum Schluss will ich noch bemerken, dass bei den Philonexiden die Nn. viscerales mit den Nn. infundbl. inff. einen kurzen gemeinschaftlichen Stamm be- sitzen. Das Exkretionssystem besteht bekanntlich bei allen Cepha- ‘lopoden aus eigenthümlichen drüsigen Anhängen der Kiemenarterien ?, ! Wonach die Hancock'sche Angabe (l. e. pag. 10) zu berichtigen ist. Wo die Kommissur vom Nerven abgeht, ist sie allerdings dreieckig verbreitert ‘Ommastr., Onychoteuth.), wodurch der Anschein eines Ganglions entsteht; wie man sich indessen unter dem Mikroskop überzeugen kann, ist diese Verbrei- terung auf die im Texte beschriebene Faserkreuzung zurückzuführen (vergl. Fig. 8 E). 2 Bestätigt sich die eigenthümliche Form der Venenanhänge bei Loligopsis Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 231 welche von geräumigen Bauchfellstaschen umschlossen, ihr Sekret durch Öffnungen in denselben nach außen entleeren. Bei allen un- tersuchten Dibranchiaten sind es zwei! mit Ausnahme der Octo- podiden? symmetrich gelegene Öffnungen, deren ursprünglicher Platz im Kiemenwinkel zu sein scheint, von wo sie mehr oder minder weit nach oben und nach innen rücken können; der Harnsack selbst ist bei den Octopoden (was nach dem Verhalten von Nautilus das primäre Verhalten sein dürfte?) durch eine sagittale Scheidewand getheilt, bei den Dekapoden fand ich dieselbe, so weit der Erhaltungs- zustand ein sicheres Urtheil gestattete, verschwunden. Bei den Harnsackmündungen findet nun das interessante Verhältnis statt, dass sie beim Nautilus‘, bei allen Ogopsiden und bei Sepioteuthis unter den Myopsiden von einfachen schlitzförmigen Öffnungen gebil- det werden, aus denen bei den höheren Myopsiden und den Octopoden mehr oder minder langgestreckte Papillen sich entwickeln. Bei Eno- ploteuthis, Onychoteuthis und Ommastrephes sind es zwei nach innen und oben gerückte länglich ovale einfache Schlitze etwas über dem oberen Rand des Tintenbeutels, bei Sepioteuthis sind sie noch weiter hinaufgerückt und werden hier hoch oben seitlich vom unteren Rande der accessorischen Nidamentaldrüsen getroffen. Die nächste Entwicklungsstufe wird von den Philonexiden er- stiegen, bei denen man innen im Kiemenwinkel ganz feine zarthäu- tige Papillen findet. Da diese Papillen hinter der Vena branchialis versteckt liegen, können sie nicht unmittelbar in den Harnsack mün- den, sondern setzen sich in einen Kanal mit unbedeutend verdickten Wänden fort, der dorsalwärts von der Kiemenvene nach unten zieht und an ihrem unteren Rande in den Harnsack mündet. Diese in- nere Mündung wird an ihrem oberen Rande von einer halbkreisför- migen Falte begrenzt, während die dorsale Wand des Kanals zahl- guttata (GRANT, |. c. Pl. II, Fig. 8), so würde Loligopsis hierin eine aberrante Form sein. ! Der angeblich unpaare in der Mittellinie gelegene »renal outlet« von Spi- rula (OWEN, |. c. pag. 6) ist vorläufig noch ganz unverständlich. 2 Brock, Uber die Geschlechtsorgane der Cephalopoden. Erster Beitrag. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXII 1879, pag. 55; W. J. VıceLıus, Bijdrage tot de Kennis van het excretorisch Systeem der Cephalopoden. Acad. Proef- schrift. Leiden 1879, pag. 107. 3 Vgl. auch VIGELIUS, 1. c. pag. 149. 4 Vel. z. B. KEFERSTEIN, Beiträge zur Anatomie des Nautilus pompilius. Nachricht. d. Götting. Gesellsch. d. Wissensch. a. d. Jahre 1865, pag. 366. 232 J. Brock reiche feine Längsfalten in die hintere Harnsackwand ausstrahlen lässt. Die letzte Entwicklungsstufe endlich, Verlängerung der Papillen mit fleischiger Verdickung ihrer Wände wird sowohl von Loligo, Sepiola und Sepia, als auch von den Endgliedern der Octopoden- Reihe, Octopus und Eledone erreicht. Bei Loligo noch sehr klein, erreichen die Papillen ihre relativ und absolut größte Länge wohl bei Sepia, wo sie auch zugleich (wie auch bei Sepiola) sehr weit nach oben und innen gerückt sind. Diese Durchmusterung der verschiedenen Formen der Harnsack- öffnungen führt uns von selbst zu einer vergleichenden Betrachtung des Wassergefäßsystems, so weit eine solche bei unseren unvollständigen anatomischen Kenntnissen zur Zeit überhaupt möglich ist. Lassen wir das zweifelhafte der Dekapoden zunächst außer Acht, so war es bis jetzt bei den Octopoden von Octopus, Eledone (KroHn, Tremoctopus catenu- latus (DELLE OHIAJE 1. c. pag. 96) ! und Tremoctopus violaceus (KÖLLI- KER, Entwickl. d. Ceph. p. 11) bekannt, wogegen sich bei Argonauta und Tr. Carenae trotz sorgfältigsten Suchens nie eine Spur dieses Appara- tes auffinden ließ?. Von der Richtigkeit der letzteren Beobachtung 1 DELLE CHIAJE hat die Wasserkanäle bei dem genannten Octopoden allerdings gesehen, im Übrigen aber ihr wahres Wesen vollständig verkannt, wie schon allein aus dem ‘Umstand hervorgeht, dass er bei Sepia die Harn- sackmiindungen für ihre Homologa hält. Die ersten genaueren Beschreibungen, auch der Wasserkanäle des & lieferte Kroun (Uber das wasserführende Sy- stem einiger Cephalopoden, MÜLL. Archiv 1839, pag. 353). 2 Ich muss an dieser Stelle daran erinnern, dass von LEUCKART (Die Hecto- cotylie von Octopus Carenae. Zoolog. Untersuchungen. Heft 3. Gießen 1854, pag. 95) bei Tremoctopus Carenae ein rechter Wasserkanal beschrieben worden ist. Ein solcher existirt aber nicht, eben so wenig, wie ein linker, sondern was LEUCKART für den Wasserkanal gehalten hat, ist höchst wahrscheinlich ein zweites Vas deferens. Trem. Carenae zeigt nämlich die sonst von keinem ande- ren Cephalopoden bekannte Eigenthümlichkeit, dass er zwei Prostaten besitzt, von denen die eine von VoGr (Voar & VERANY, Mémoire sur les Hectoco- tyles et los males de quelques Céphalopodes. Ann. sc. nat. 3. ser. zool. vol. 17. 1852) und LEUCKART (l. c. Taf. II Fig. 22) ganz richtig gezeichnet, blind endigt und sich auch sonst in Gestalt und Bau als Homologon der Octopoden- Prostata zu erkennen giebt. Die andere dagegen, die nur LEUCKART richtig erkannt hat (l. e. Fig. 227), verschmälert sich zu einem äußerst langen dün- nen Gang, der mit einer eigenthümlichen ampullenförmigen Anschwellung in die Hodenkapsel mündet. Beide Prostaten münden ihrerseits in ein drüsiges in den Spermatophorensack sich öffnendes Organ, welches hiernach, eben so wie nach Bau und Form als Vesicula seminalis zu bezeichnen ist und diese Vesicula ist Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 233 vorläufig noch abgesehen, lässt sich innerhalb der mit einem unzwei- felhaften Wassergefäßsystem versehenen Octopoden eine aufsteigende Differenzirung nachweisen, da dasjenige der beiden Philonexiden deutlich eine niedrigere Organisationsstufe bekundet. Ich finde eine solche besonders darin. dass die Kapsel des Kiemenherzanhanges noch nicht, wie bei den Octopodiden eng ist und stark fleischig ver- diekte Wände besitzt, sondern eine viel weitere Höhle mit äußerst zarten dünnen Wänden bildet. Im Anschluss daran muss dann auch wohl die zweite Abweichung als niedrigere Organisationsstufe aufge- fasst werden, welche darin besteht, dass die Wasserkanäle noch nicht die langen, vielfach gewundenen Eileiter begleiten, sondern über sie hinweg ihren eigenen Weg ziehen und auch in der Lage ihrer Eierstocksmündungen zu der der Eileiter noch keine nähere Beziehungen erkennen lassen. In einer früheren Arbeit (Geschlechtsorg. d. Ceph. pag. 14) hatte ich auch den Dekapoden ein ähnlich gebautes Wassergefäß- system, nur etwas primitiver als es die Octopoden besitzen, zugeschrie- ben. Nun hat aber VıGELIvs überzeugend nachgewiesen |. ce. p. 64), dass ein Wassergefäßsystem im Sinne der Octopoden bei den Dekapo- den nicht vorhanden ist, und ich bin bei einer darauf hin unternomme- nen Nachuntersuchung genöthigt, mich seinen hauptsächlichsten Resul- taten anzuschließen. Besonders war es wohl die große Ähnlichkeit der von mir aufgefundenen »Wasserkanalmündungen« und die Kommunika- tion meiner sogenannten »Wasserkanäle« mit den Bauchfellstaschen des Kiemenherzens und der Geschlechtsdrüse, welche mich die übrigen, jetzt durch VıeELivs aufgeklärten anatomischen Verhältnisse ver- kennen ließen, im Übrigen aber ist es leicht sich zu überzeugen, dass die Keimdrüsen bei Sepia (mit Ausnahme des g'), Loligo und, wie ich hinzufügen kann, auch bei Sepioteuthis und sämmtlichen Ögopsiden keine eigene Kapsel besitzen, sondern mit dem arteriel- am anderen Ende nicht blind geschlossen, wie es LEUCKART gezeichnet hat, sondern steht wie gewöhnlich durch einen weiten dünnhäutigen Gang mit der Hodenkapsel in Verbindung, so dass die letztere eigenthümlicherweise ihr Sperma auf zwei verschiedenen Wegen in den Spermatophorensack abführen kann. Es ist mir nun kaum zweifelhaft, dass dieser nach Analogie mit den übrigen Dibranchiaten als Vas deferens zu bezeichnende Gang, dessen Zusam- menhang mit den ausführenden Geschlechtsorganen LEUCKART verkannte, sein Wasserkanal ist; eine nähere Erörterung dieser Frage muss ich mir indessen für einen »zweiten Beitrag zur Kenntnis der Geschlechtsorgane der Cephalopo- den aufsparen, wo man auch eine genauere Beschreibung des Wassergefäßsystems von Trem. violaceus und eatenulatus finden wird. 234 J. Brock len Herzen, den Kiemenherzen und dem Magen, wie VIGELIUS zuerst richtig erkannt hat, in einer großen Körperhöhle , seiner Viscero- pericardialhéhle liegen. Diese Höhle mündet nach dem genannten Autor bei Sepia und Loligo (und auch wohl bei Sepiola) durch meine Wasserkanäle in den Harnsack, während ich bei den Ögopsi- den an dieser Stelle wenigstens eine Kommunikation stets vermisst habe !. VIGELIUS sucht es nun wahrscheinlich zu machen (l. ce. p. 152), dass die Visceropericardialhöhle der Dekapoden der Pericardialhöhle des Nautilus homolog ist und ich kann seinen Argumenten nur zu- stimmen; ist dies aber richtig, so liegt die Vermuthung nahe, dass die Ögopsiden auch in diesem Punkt zwischen Tetrabranchiaten und Myopsiden in der Mitte stehen und dass ihre Visceropericardialhöhle vielleicht wie die Perieardialhöhle des Nautilus, noch direkt mit der Mantelhöhle in Verbindung steht. Da Herr Vicenrus seine Unter- suchungen demnächst auch auf die Ögopsiden auszudehnen gedenkt, so werden wir über diesen Punkt bald Aufschluss erhalten. In Betreff des Wassergefäßsystems der Oetopoden möchte VIGELIUS (l. e. pag. 156), wenn auch nach seinen Untersuchungen an eine komplete Homologie zwischen Octopoden und Dekapoden, die ich früher annehmen zu müssen glaubte, nicht mehr gedacht werden kann, doch wenigstens eine nahe Verwandtschaft zu finden, wie sie etwa einem gemeinschaftlichen Ausgangspunkt bei irgend einer te- trabranchiaten Stammform entsprechen würde. Dadurch aber, dass ich bei den niederen Philonexiden ein Wassergefäßsystem absolut vermisste, wird diese Frage in eine neue Schwierigkeit verwickelt, 1 Wir haben also — von kleineren Bauchfellstaschen, wie die für die aus- führenden Geschlechtsorgane abgesehen — bei den Dekapoden eigentlich nur drei große Körperhöhlen, nämlich 1) der Harnsack mit den Nierenarterien und ihren Anhängen, 2) die Visceropericardialhöhle mit den Kiemenherzen, dem ar- teriellen Herz, dem Magen und der Geschlechtsdrüse, und 3) die muskulöse mach unten natürlich nieht muskulös geschlossene) Leberkapsel mit Leber, Ösophagus, Aorta cephalica und unteren Speicheldrüsen. Bei den Octopoden sind die beiden Harnsäcke noch durch eine Scheidewand von einander getrennt, dagegen die in der Visceropericardialhöhle liegenden Eingeweide von besonde- ren Bauchfellstaschen (poches abdominales, Cuvier, Mém. pag. 16) umgeben, während die muskulöse Leberkapsel zwar ihre Selbständigkeit bewahrt hat, aber durch eine Scheidewand in eine ventrale Hälfte für Leber und Tintenbeutel und eine dorsale für die übrigen in ihr enthaltenen Organe zerfällt (poches thora- chiques Cuvier 1. e. pag. 15). Es wäre vielleicht nicht ohne Interesse, diese Verhältnisse besonders mit Berücksichtigung des Nautilus einer eingehenderen Prüfung zu unterwerfen. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 235 welche zu ihrer Beseitigung jedenfalls noch weitere Untersuchungen nöthig macht. Vorläufig sind zur Deutung der vorliegenden That- sachen drei Möglichkeiten gegeben. 1) Das Wassergefäßsystem der Octopoden hat mit der Viscero- pericardialhöhle der Dekapoden gar nichts zu thun, sondern ist erst innerhalb der Abtheilung und auch da erst relativ spät erworben, da es noch Argonauta und Tremoctopus Carenae vollständig fehlt. 2) Es ist unrichtig, dass das Wassergefäßsystem diesen beiden Formen fehlt, es ist vielmehr nur von mir übersehen, da es vielleicht in einer abweichenden, zugleich aber primitiveren Gestalt auftritt, welche das fehlende Bindeglied zwischen :Oetopoden und Dekapoden oder Octopoden und Nautilus sein könnte. 3) Das Wassergefäßsystem ist bei Argonauta und Trem. Care- nae nur sekundär verloren gegangen und beide Formen in dieser Hinsicht als aberrant zu bezeichnen. Bei der Wahl zwischen diesen drei Möglichkeiten möchte ich mich sofort gegen die erste entscheiden und zwar aus allen den Gründen, welche schon von ViGELIUS für eine entferntere Verwandt- schaft der betreffenden Bildungen bei Octo- und Dekapoden geltend gemacht worden sind. Zwischen der zweiten und dritten Möglichkeit lässt sich aber ohne weitere Untersuchungen noch keine Entscheidung treffen. denn wenn auch Argonauta und Trem. Carenae in manchen Punkten (Schale der © Argonauta, Nackenmuskulatur, <7 Geschlechts- organe von Trem. Carenae) sicher aberrant sind und das ganz ab- weichende Verhalten gerade des Kiemenherzens (vgl. pag. 250) einen bedeutsamen Fingerzeig für das Wassergefäßsytem zu geben scheint, so muss man doch wieder beachten, wie sehr die sonstige niedrige phylogenetische Stellung beider Formen zu den übrigen Octopoden für die zweite Möglichkeit ins Gewicht fällt. Im Übrigen hat Vıerrrus noch als der erste auf einen phyloge- netisch sehr interessanten Punkt aufmerksam gemacht (I. e. p. 158). Während nämlich sonst die Octopoden, mögen wir nun eine inkom- plete Homologie ihres Wassergefäßsystems mit der Visceropericar- dialhöhle der Dekapoden annehmen oder nicht, die Dekapoden im Grade der Differenzirung weit überholt haben, haben sie doch einige alte Züge bewahrt, die selbst bei den Dekapoden schon verloren gegangen sind, die Zweizahl der Harnsäcke und die direkte Kom- munikation zwischen der Vena cava und dem Eingeweidesack. So spiegelt sich die Octopodenorganisation,, welche unter einer allge- mein sehr hohen Differenzirungsstufe einzelne uralte Einrichtungen 236 J. Brock bewahrt hat, hier schon in einem einzigen Organsystem ab und die- ses Miniaturbild ihrer ganzen Entwicklungsstufe, das wir im Wasser- gefäßsysten vor uns haben, ist für mich kein gering wiegender Be- weis, dass die früher gegebene Deutung der Portio suprapharyngealis des Gehirns und die noch zu gebende des Kropfes als alte Erbstücke nicht jeder Begründung entbehren. ° Ich wende mich jetzt zum Darmkanal und seinen Anhängen und werde mit der Betrachtung der Radula beginnen. Die Ab- bildungen dieses Organs, welche wir von LovEN! und TROoSCHEL 2 besitzen, habe ich durch Abbildungen von denjenigen in meinem Be- sitz befindlichen Arten ergänzt (Fig. 9), welche jenen Forschern nicht zu Gebote standen, so dass wir jetzt schon über ein bedeutend größeres, wenn auch immer noch durchaus nicht ausgedehntes Ma- terial zur Vergleichung gebieten. Da ausführlichere Beschreibungen der einzelnen Formen für unsere Zwecke keinen wesentlichen Nutzen haben würden, verweise ich ganz auf die gegebenen Abbildungen und will nur auf die Schlussfolgerungen aufmerksam machen, zu de- nen man durch eine vergleichende Betrachtung der Radulae geführt wird. Hier ist nun erstens kein Zweifel, dass die Radula der Octopo- den den komplieirtesten Bau besitzt, denn nur hier finden wir aus- nahmslos in den Mittelplatten®, meist aber auch (mit Ausnahme von Argonauta und Trem. violaceus) in den Zwischenplatten und oft noch auf den inneren Seitenplatten (Trem. Carenae, catenulatus, Octopus, Eledone) Seitenzähne entwickelt. Zweitens schließen sich alle Ögop- siden außer Enoploteuthis, ferner Sepioteuthis und Loligo durch das Vorhandensein von zwei Seitenzähnen auf der Mittelplatte zunächst an die Octopoden an und unter ihnen stehen wiederum die beiden Ommastrephes-Arten und Loligo den Octopoden näher, als die anderen, da sie wenigstens noch den äußeren Seitenzahn der Zwischenplatte besitzen, während der innere nicht mehr zur Ausbildung gelangt. Diesen Formen gegenüber zeigen Onychoteuthis und Sepioteuthis schon eine auf die Zwischenplatte beschränkte Reduktion, welche bei Enoplo- teuthis und Sepiola noch weiter gegangen ist und auch die Mittelplatte ergriffen hat. Am stärksten davon betroffen zeigt sich aber die Ra- 1 Lovin, Om tungansbeväpning hos Mollusker. Oefvers. af kongl. svensk. Vetensk. Acad. Förhandling. IV Aarg. 1847. Stockholm 1848 p. 175. Tab. I. 2 TROSCHEL, Über die Mundtheile der Cephalopoden. Arch. f. Naturgesch. XIX. 1853, pag. 1. Taf. I. 3 Nach Troscner’s Nomenklatur. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 357 dula von Sepia, welche in ihrer Einfachheit von allen anderen Ar- ten mehr, als diese unter sich, abweicht. Sepia ist also auch hier wieder der Endpunkt der Differenzirungsreihe. Die Radula des Nautilus mit 13 Platten in der Zahnreihe, (KEFERSTEIN, Götting. Nachr. pag. 366, Bronn’s Klassen und Ord- nungen ete. Taf. CXV, Fig. 3) ist sehr eigenthümlich gebaut und lässt eine Vergleiehung mit der der Dibranchiaten nicht zu; aber auch unter den letzteren kennt man höchst merkwürdige bis jetzt ganz isolirt stehende Formen, wie die Radula von Eledone, wo die eine Mittelplatte immer das Spiegelbild der folgenden ist oder gar die von Bolitaena Steenstr., einer Eledone nahestehenden Form, wo erst die fünfte Zahnreihe wieder der ersten gleicht'. Es machen uns solche Vorkommnisse immer wieder auf die Beschränkung des dis- poniblen Materials aufmerksam. Der Ösophagus ist bei allen Dekapoden ein an Stärke sich stets gleichbleibendes einfaches dünnes Rohr, das keine weiteren Besonderheiten zeigt. Die Octopoden sind dagegen bekanntlich durch den Besitz eines Kropfes ausgezeichnet, d. h. einer der Speiseröhre seitlich ansitzenden Erweiterung, welehe oben in einem Blindsack endigt. Am besten entwickelt findet man diesen Kropf, der je nach seinem Füllungsgrad sehr verschiedene Größe und Stärke seiner Wände zeigen kann, bei den Philonexiden, wo er eine dicke, im Kaliber sich gleichbleibende Röhre bildet, welche, ohne sich zu verschmälern, nach unten in den Magen übergeht?. Der Ösopha- gus beschränkt sich daher eigentlich auf die kurze Röhre, welche aus dem Kopfknorpel hervortritt und unter dem Blindsack des Kropfes _ seitlich in ihn einmündet und man kann also jenseits des Kropfblind- sackes von einem Ösophagus nicht mehr reden’. Diese Höhe der Entwieklung wird aber bei Octopus und Eledone nicht mehr erreicht. Hier verschmälert sich der Kropf!, nachdem der Ösophagus in ihn ! STEENSTRUP in Vid. Meddelels. f. d. naturhist. Foren. i Kjébenhayn f. Aaret 1858 pag. 183. Eine Abbildung dieses Unicums wird leider nicht gegeben. 2 Vergl. die recht treue Zeichnung VAN BENEDEN’s von Argonauta l. c. pl. III, Fig. 3, wo nur der Magen im Verhältnis zur Länge und Stärke des Kropfes viel zu klein ausgefallen ist. 3 Vgl. auch Owen Cyclop. pag. 535: »In the Argonaut the crop commen- ces by a similar lateral dilatation, but is continues of almost uniform breadth to the stomach«. 4 Vgl. z. B. Cuvier, Mém. Pl. IV Fig. 1, WAGNER, Icon. zootom. Leip- zig 1841, Taf. XXIX, Fig. 14 ete. 238 J. Brock eingetreten ist, wenn auch allmählich, wieder zu der Weite des Öso- phagus, so dass der ganze Kropf auf einen kleinen oben geschlosse- nen Blindsack, welcher dem Ösophagus anhängt, redueirt scheint. Ich möchte nun diesem Organe eine gewisse phylogenetische Wichtigkeit beilegen. Da der Kropf bei den Dekapoden vollständig vermisst wird, so liegt es nahe, ihn für einen neuen Erwerb der Octopoden zu halten. Mit dieser Annahme ist aber schwer die so- eben gefundene Thatsache zu vereinigen, dass er bei den niederen Formen am besten ausgebildet gefunden wird und bei den höheren einer Reduktion unterliegt, denn gerade bei den Octopoden wird sonst unumstößlich an der Regel festgehalten, dass neue Erwerbungen innerhalb der Gruppe höher ausgebildet werden oder wenigstens sich gleichmäßig weiter vererben. Erinnert man sich dabei noch, dass Nautilus einen gewaltigen, wenn auch im Bau etwas verschiedenen Kropf besitzt!, so wird es mir wenigstens sehr wahrscheinlich, dass wir im Kropf der Octopoden keine neue Erwerbung, sondern ein altes Erbstück vor uns haben, welches von den Dekapoden längst verloren ist und auch bei den Octopoden zu verschwinden scheint?. Zum Schluss sei noch bemerkt, dass Ösophagus und Kropf in der Abtheilung der muskulösen Leberkapsel, welche sie mit Aorta ce- phalica und den unteren Speicheldrüsen theilen, nicht frei liegen, son- dern an ihrer Ventralseite mit der Scheidewand verwachsen sind, welche die besondere Leber-Tintenbeutelkapsel von der ersteren trennt. Bekanntlich bildet der Darmkanal bei allen Cephalopoden ohne Ausnahme eine nach unten konvexe Schlinge, deren dorsaler Schenkel (Ösophagus) dorsalwärts, deren ventraler (Darm und Rektum) ventralwärts vom Diaphragma museulare liegt. An der größten Konvexität liegt immer der in zwei Abtheilungen zerfallende Magen, welcher den Darm nicht eigentlich unterbricht, sondern der | Vgl. Owen, Mem. Pl. IV t. — Der Hauptunterschied liegt darin, dass der birnförmig gestaltete Kropf durch allmähliche Anschwellung aus dem Oso- phagus hervorgeht, also ihm nicht seitlich ansitzt, sondern central von ihm durchbohrt wird. 2 Ist diese Ansicht richtig, so ist das Fehlen des Kropfes bei Cirrhoteu- this (REINHARDT og ProscH, |. ce. pag. 27) auf Reduktion zurückzuführen, welche Erklärungsweise um so weniger Bedenken unterliegt, als Cirrhoteuthis in anderen Organsystemen (Radula, untere Speicheldrüsen, vielleicht auch Tin- tenbeutel) sicher ganz bedeutende Reduktionen aufzuweisen hat. 3 Vgl. z. B. das Schema bei GEGENBAUR, Grundriss d. vergl. Anat. 2. Aufl. Leipzig 1878, pag. 378. | Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 239 konvexen Seite der Darmkrümmung gleichsam wie angehängt er- scheint!. Der eigentliche Magen (stomach oder gizzard der Eng- länder, gésier CuvIER's, Mém. pag. 28) variirt in der Form weniger. Er ist bei den Octopoden dickwandig, dreieckig, mit nach unten ge- richteter Spitze, bei den Dekapoden ein sehr verschieden großer länglich eiförmiger (Ögopsiden, Sepioteuthis, Loligo) oder rund- licher (Sepiola, Sepia) Sack. Interessanter ist der zweite Magen »Nebenmagen«, »Magenblindsack« der deutschen Autoren, »estomae spiral« CuviEr’s, »spiral stomach GRANT'S, »pancreatic stomach« OWEn’’s), daran immer leicht kenntlich, dass er die Gallengiinge in sich auf- nimmt. Bei Sepia und Sepiola unterscheidet er sich in Gestalt und Größe wenig vom ersten Magen, zieht sich bei Loligo und Sepioteu- this zu einem enorm langen spitzen Blindsack aus, während die Octopoden merkwürdigerweise darin wieder mit den Ögopsiden zusammengehen, dass sie ihn an seinem blinden Ende mehr oder minder stark spiralig eingerollt zeigen?. Das zwischen beiden Ma- genabtheilungen liegende Ganglion splanchnieum erreicht bei den Philonexiden eine ganz kolossale Größe und ist dabei nicht platt, sondern leicht gewölbt und etwas gelblich pigmentirt®. Der Darm ist bei fast allen Cephalopoden sehr kurz und macht nur selten mehrere (Trem. violaceus) Windungen. Der After ist bei allen’ Dibranchiaten mit zwei5 seitlichen Anhängen versehen, die im Allgemeinen eine eiförmige oder lancettliche Form haben. Immer werden sie von einem (schon OwEn bekannten, Cyclop. pag. 536) Kiel durchzogen, der sich in den Stiel und von diesem auf die seit- lichen Rektum-Wände fortsetzt. Bei Ommastrephes und Onychoteu- 1 Worauf bis jetzt nur V. Proscu ausdrücklich aufmerksam gemacht hat (Nogle nye Cephalopodes beskrevene ete. af Victor Proscu. Kgl. dansk. vidensk. Selsk. Skrift. V. Raekke, naturvid. og math. Afdel. 1 Bind Kjübenhavn 1847 pag. 17.) — Vgl. z. B. auch die Abbildung der Verdauungsorgane von Sepia bei KEFERSTEIN, Klass. u. Ordn. ete. Taf. CXVI, Fig. 2 von Argonauta bei VAN BENEDEN, 1. ce. Pl. II, Fig. 3 ete. 2 Was Owen (Cyelop. pag. 535) fälschlich auch für Sepia angiebt. Aber auch bei Enoploteuthis kann ich keine spiralige Drehung finden. 3 Vgl. z. B. vAN BENEDEN, |. c.. Pl. III, Fig. 1, 2, 3. 4 Sollten sie bei Spirula vielleicht nur übersehen sein? vergl. Owen, 1. c. pag. 10. 5 KEFERSTEIN ist im Unrecht; wenn er Sepia (Klass. u. Ordnung. p. 1368) vier Analanhänge zuschreibt; wenn auch Vorder- und Hinterwand des Rek- tums mit einem stumpfen konischen Zipfel endigen, so ist zwischen diesen und den gestielten scharf abgesetzten seitlichen Anhängen doch ein gewaltiger Un- terschied. 240 J. Brock this (Fig. 11 B) zeichnen sie sich durch ihre asymmetrische Entwicklung aus. Die schaufelförmige Form, die hier zu Grunde liegt, findet sich, wenn auch noch nicht ganz symmetrisch, bei Sepioteuthis (Fig. 11 C), von der sich die bei Ommastrephes vorgefundene Form durch überwie- gende Entwicklung des einen Seitenlappens leicht ableiten lässt. Bei allen übrigen Dibranchiaten ist die Ausbildung der Analanhänge eine vollkommen symmetrische. Bei den übrigen Myopsiden und den Oeto- poden sind sie zugleich vorn in eine stumpfe Spitze ausgezogen und bekommen dadurch die Form eines kurz oder kaum (Octopoden Fig. 11 @) gestielten ei- (Loligo Fig. 11 D, Sepia Fig. 11 E) oder lancettförmigen Blattes. Die epheublattartigen Analanhänge von Se- piola stehen, wie ein Blick auf die Abbildung lehrt (Fig. 11 F), ge- nau zwischen Loligo und Sepia in der Mitte. Bei den Octopoden sind sie verhältnismäßig am schwächsten entwickelt, am stärksten bei Ommastrephes, Onychoteuthis und Sepioteuthis. Ganz eigenartig sind die Analanhänge von Enoploteuthis und Chiroteuthis (Fig. 11 A): eine wenig verbreiterte keilföürmige Platte ohne deutlich abgesetzten Stiel, welche am Vorderrande schwach bogenförmig gerundet und so eingebuchtet ist, dass ein größerer Mittellappen und jederseits zwei kleine Seitenlappen sich unterscheiden lassen. Ein größeres Interesse für unsere Zwecke, als der Darmkanal selbst, nehmen seine Anhangsdrüsen in Anspruch. Von Spei- cheldrüsen kommen den meisten Cephalopoden bekanntlich zwei Paar zu, ein oberes, der Mundmasse anliegendes, und ein unteres zwischen Kopfknorpel und Leber. Bei Nautilus findet man nur sehr schwach entwickelte obere Speicheldrüsen und zwar eigentlich keine Drüsenkörper, sondern nur Ausstülpungen der Mundhöhle zu beiden Seiten der Zunge (Owen, Mem. pag. 23), welche Entwicklungs- stufe bei den Dibranchiaten nur in der Ontogenie durchlaufen wird (GRENACHER, |. e. pag. 450). Mit Nautilus würden vergleichend anatomisch auch die tiefe Lage und Kleinheit der oberen Speichel- driisen bei den Ogopsiden stimmen, aber die übrigen anatomischen Unterschiede sind doch zu groß, um mit Sicherheit einen Anschluss finden zu können. Ich möchte das primäre Verhalten unter den Dibranchiaten am ersten noch Ommastrephes zusprechen. Hier lie- gen die oberen Speicheldrüsen, wie bei allen Dekapoden !, mit den Bucealganglien unter der äußeren Muskelschicht der Mundmasse ver- borgen und sind als ziemlich kleine, ganz platte ungefähr dreieckige 1 Vgl. auch Owen, Cyclop. pag. 532. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 241 Körper leicht in dem Winkel zu finden, welchen die Kommissur zwischen beiden Buccalganglien mit dem Gangl. suprapharyngeum macht. An ihrer unteren inneren Ecke verschmälern sie sich all- mählich in einen dünnhäutigen ziemlich starken Ausführungsgang, der unter dem Ganglion zu beiden Seiten des Ösophagus nach in- nen in die Tiefe dringt. Gegen diesen Befund erscheinen die oberen Speicheldrüsen der Onychoteuthiden stark redueirt, aber es ist nicht unmöglich — zur Entscheidung ist die Frage noch nicht reif —. dass wir hier das primäre Verhalten vor uns haben. Bei Onycho- teuthis sind sie schon sehr winzig (bei einem eirca 20 cm langen Thiere nur 2 mm lang), dabei länglich flaschenförmig und der dor- salen Mittellinie noch mehr genähert, am kleinsten aber sind sie bei Enoploteuthis, wo Form und Lage dieselbe ist. Sepioteuthis und Loligo haben sehr wohl entwickelte obere Speicheldrüsen, während sie bei Sepia und Sepiola ganz verloren gegangen sind!. Bei allen Octopoden endlich erfreuen sie sich ausnahmslos einer viel stärkeren Entwieklung und sind unter der bedeckenden Muskelschicht hervor an die Oberfläche gewandert, wo sie als große flache Drüsenmassen die ganzen Seitenflächen der Mundmasse einnehmen. Auch die unteren Speicheldrüsen gelangen bei den Ögopsiden nur zu geringer Entwicklung und sind immer ventralwärts vom Öso- phagus zu einer quergestreckten halbmondförmig gekrümmten Drü- senmasse verschmolzen, von deren nach oben gerichteten Konvexität der einfache Ausführungsgang abgeht. Bei Enoplo- und Onycho- teuthis wird diese einfache Drüse, eben so wie jede der doppelten von Spirula (Owen, |. ce. pag. 10) beiderseits durch den N. pallialis tief gefurcht. Bei den Myopsiden bleiben die unteren Speicheldrüsen ebenfalls noch klein, sind aber stets von einander getrennt und haben im Ganzen auch schon die dreieckige Gestalt mit nach unten gerichteter Spitze, wie bei den Octopoden, bei welchen sie eine beträchtliche Größe erreichen. Gewöhnlich findet man sie zu beiden Seiten des Osophagus, nur bei Trem. Carenae traf ich beide auf einer Seite ! Wenigstens kann ich eben so wenig wie MEcKEL (l. c. Bd. IV. pag. 197) die von Cuvier & Duvernoy (leg. d’anat comp. 2. éd. V. 1837, pag. 37) für Sepia angegebenen sehr kleinen Speicheldrüsen finden. In den anatomischen Beschreibungen von Owenia, Cranchia, Loligopsis und Rossia werden obere Speicheldrüsen nicht erwähnt, Spirula dagegen hat wohlentwickelte (Owen, pag. 10), welche »applied one on each side of the basal or faucial folds of the tongue«, also wohl an derselben Stelle, wie bei den übrigen Dekapoden liegen. Morpholog. Jahrbueh. 6. 16 242 J. Brock und zwar dorsalwärts vom Blindsack, rechts von der Mittellinie, und zwar die linke unter der rechten liegend. Cirrhoteuthis sol- len sie fehlen (REINHARDT og Proscu |. ce. p. 27), eben so Loli- gopsis (nach OWEN, Cyclop. pag. 533), doch finde ich bei GRANT keine Angabe darüber. Die einfachste Form der Leber, wie wir sie bei den meisten Ögopsiden finden, ist die eines länglich-spindelförmigen, ungelappten Körpers. Von hier bis zu der vollkommen in zwei Lappen zer- fallenen Leber von Sepia ist ein weiter Sprung, der zwar durch Über- gangsstufen ausgefüllt wird, aber doch nicht so, dass wir mit Sicher- heit erkennen könnten, in welcher Richtung die Differenzirung fort- geschritten ist. Ich möchte auch hier der einfacheren Bildung den Vorzug geben und in der ungetheilten Leber der Ögopsideu und Octopoden das ursprüngliche Verhalten erblicken, was zugleich auch mit der Differenzirungsrichtung der meisten anderen Organe am be- sten stimmen würde. Auch vermag ich in der Entwicklungsge- schichte, nach welcher nicht nur die zweilappige Leber von Sepia (KÖLLIKER, 1. ce. pag. 95), sondern auch die ungetheilte von Loligo (BOBRETZKY, 1. c. Fig. 36, 48) und Argonauta (ibid. Fig. 42) aus einer doppelten Anlage hervorgeht, kein unübersteigliches Hindernis für die Annahme dieser Vermuthung zu erblicken, da wir Beispiele genug besitzen, dass nur in der Einzahl vorhandene Organe, selbst wenn sie im erwachsenen Zustande unsymmetrisch gebaut sind, aus einer doppelten Anlage hervorgehen (Leber, Herz der Wir- belthiere). Nautilus kann leider nicht zur Vergleichung herangezo- gen werden, da zwischen seiner sehr primitiv gebauten Leber und der der Dibranchiaten eine bis jetzt noch nicht zu überbrückende Kluft besteht; die Annäherung, welche die Leber von Loligopsis guttata zu bieten scheint (GRANT, |. c. pag. 25) ist erstens nur eine scheinbare und zweitens ist die Richtigkeit der Granvt’schen Beob- achtung nicht über allen Zweifel erhaben, wie beides schon OWEN richtig bemerkt hat (Cyclop. pag. 537). Die vorhin schon angekündigten Übergangsstufen finden sich bei Loligo, Sepioteuthis und Enoploteuthis. Bei diesen Formen nehmen nämlich Ösophagus und Aorta, um in die muskulöse Leberkapsel zu gelangen, ihren Weg nicht mehr um die untere Spitze der Leber herum, sondern durchbohren dieselben einfach. Bei Loligo und Se- pioteuthis liegen sie wirklich in einem allseitig von Lebersubstanz umschlossenen Kanal, bei Enoploteuthis dagegen haben sie nur zwei lange Zipfel in die untere Leberhilfte eingeschnitten und zeigen uns. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 243 wie ich meine, deutlich genug, wie wir uns das Zustandekommen der Theilung in zwei Lappen zu denken haben, denn ich möchte zur Stütze dieser Auffassung noch hinzufügen, dass Osophagus und Aorta bei Sepia nieht dorsalwärts von der Leber, wie bei allen übri- gen Cephalopoden, sondern ihrer ganzen Länge nach zwischen beiden Leberlappen verlaufen. Bei Enoploteuthis und Sepia schneiden außerdem noch die Nn. palliales tiefe Furchen in die Leber, bei Loligo wird auch ihr obe- rer Theil nicht nur von den Nn. palliales, sondern auch von dem semeinschaftlichen Stamm der Viscerales durchbohrt. Die Leber von Spirula besteht aus zwei symmetrischen Lappen (Owen, I. ¢. pag. 10), welche aber, wie es scheint, in der Mittellinie zusammen- hängen, die von Sepiola ist ein rundliches kompaktes, dem der Octo- poden-Leber sehr ähnliches Organ, während die der nächstverwandten Rossia unten in zwei stumpfe Zipfel ausgezogen ist (Owen, Appendix Pl. C, Fig. 1). Bei den Octopoden gelangt die Leber zu ihrer mächtigsten Entwicklung. Bei den Philonexiden ist sie etwas breiter, als lang ventralwärts abgeflacht, dorsalwärts gewölbt und an der Unterseite mit einem ganz seichten herzförmigen Einschnitt versehen, welcher sich auf die Leber selbst in einer leichten Depression für den Ma- gen und einer sehr flachen Furche für den Kropf fortsetzt. Dies ist aber Alles, was ich wahrzunehmen vermag, und es ist daher zum mindesten eine starke Übertreibung, wenn Owen (Cyclop. pag. 537) von zwei »Lappen« der Leber bei Argonauta spricht. Bei Octopus und Eledone sind auch diese Eindrücke verschwunden und die Leber ist eine fast kugelrunde, nur an ihrer Ventralfläche abgeplattete Masse. Gallengänge finden sich bei allen Dibranchiaten zwei, welche symmetrisch zu beiden Seiten der Mittellinie meist nahe dem unteren Ende entspringen. Bei den Dekapoden erreichen sie meist eine be- trächtliche Länge und sind ihrer ganzen Länge nach mit den soge- nannten Pankreasanhängen besetzt, nur bei Sepioteuthis bleibt das oberste und unterste, bei Ommastr. todarus das obere Stück frei. Loligo weicht darin von allen bekannten Dekapoden ab, dass die sehr weiten, fast sackförmigen Gallengänge sehr hoch oben, etwas unter der oberen Grenze der unteren Leberhälfte entspringen und keine Pankreasanhänge tragen; man bemerkt beim Aufschneiden aber schon mit bloßem Auge. dass die innere Oberfläche drüsig ent- wickelt ist. 16 * 244 J. Brock Bei den Octopoden sind die Gallengiinge sehr kurz und dick, ebenfalls symmetrisch nahe der Mittellinie entspringend. Sie tragen bekanntlich niemals Pankreasanhiinge und diese Eigenthümlichkeit mag mit einer anderen zusammenhängen, die bisher vollkommen über- sehen zu sein scheint (doch vgl. Anm. !u. 2? unten). Bei den Philonexi- den sind nämlich die Gallengänge da, wo sie aus der Leber treten, von einer schmalen weißen, länglich ovalen Zone umgeben, welche sich an der Unterfläche der Leber bis zu ihren äußeren Ecken erstreckt, noch etwas auf ihre dorsale Fläche übergreift und auf der ventralen an den unteren Rand des Tintenbeutels grenzt. Diese Drüsenterri- torien setzen sich durch ihre Farbe scharf gegen die chokoladen- braune Lebermasse ab, doch ist es nicht möglich, sie durch Präpa- ration isolirt zu erhalten. Auch bei Octopus und Eledone ist diese Driisenmasse vorhanden und bildet hier eine nahezu kreisrunde Zone an der unteren Spitze; da sie aber hellgelb gefärbt ist, grenzt sie sich weniger deutlich von der orangegelben Leber ab und konnte hier leichter der Aufmerksamkeit entgehen'. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dieser Theil der Leber auch ein anderes Sekret liefern wird, als die Leber selbst und vielleicht für die fehlenden Pankreasanhänge physiologisch als Ersatz eintreten kann 2. Da die Anlage des Tintenbeutels bekanntlich von der Anal- einstülpung ausgeht, indem diese eine gleich große zweite aus sich heraus entwickelt (Ussow, |. e. pag. 360, BOBRETZKY, 1. e. Taf. VI, Fig. 55, 56, 57 ete.), so ist er ontogenetisch wenigstens als ein Theil des Enddarmes zu betrachten. Wir werden daher, wenn uns der Tintenbeutel bei einigen Formen als ein verschwin- dend kleiner? Anhang des Afters entgegentritt, also gleichsam ! Nur BLAINVILLE scheint sie bemerkt zu haben, wenn er sagt (Dietion- naire des science. naturell. Paris et Strasbourg 1816—1830, Tom. XLIIT, p.175): »a lendroit ou pénétre lartere hepatique, il y a 4 la surface du foie un petit espace ovale, ou il a une couleur plus blanche que le reste«, denn auch die Leberarterien treten am unteren Ende nahe den Gallengängen in die Leber ein (vgl. Cuvier, Mém. Pl. IV, Fig. 1, 26) und es ist leicht möglich, dass auch sie diese Driisenmasse durchbohren. Leider habe ich bei der Untersuchung auf diesen Punkt nicht geachtet. 2 Ob H. MÜLLER diese Drüsenmasse im Sinne hatte, wenn er behauptet (Bericht über einige im Herbst 1852 in Messina angestellte vergleichend-anato- mische Untersuchungen ete. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IV 1853 pag. 343), dass die Pankreasanhänge bei den Octopoden »im Innern der Lebersubstanz verbor- gen« liegen, vermag ich beim Mangel jeder näheren Beschreibung und Abbil- dung nieht zu entscheiden. * Schon an einem früheren Orte (Brock , Verwandtschaftsverhältnisse der Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 245 sein Lebelang über eine embryonale Entwicklungsstufe nicht heraus- kommt, dieses Verhältnis für das einfachste und älteste halten müs- sen. Die Formen, welche uns diesen Typus des Tintenbeutels zei- gen, sind Spirula, deren Tintenbeutel nach Owen (l. e. pag. 10) kaum 2 mm lang ist, sodann Enoploteuthis und besonders Sepio- teuthis, wo der Tintenbeutel — wenigstens bei meinen Exemplaren — im Verhältnis zur Größe des Thieres wohl am allerkleinsten angetrof- fen wurde. | Von diesem embryonalen Verhalten ausgehend, können wir nun zwei sehr deutlich markirte Differenzirungsreihen verfolgen, von de- nen die eine durch die Dekapoden zu Sepia, die andere durch die Octopoden zu Octopus und Eledone aufsteigt. Zunächst nämlich ist die Veränderung, die der Tintenbeutel bei den Dekapoden er- fährt, rein auf eine Vergrößerung, sei es nach der Länge, sei es nach der Breite beschränkt, ohne dass seine Lagerung hinter dem Rectum dadurch zunächst irgend wie alterirt würde. Bedeutend länger ist er schon bei Ommastrephes, Onychoteuthis und Loligo, bei denen auch zum ersten Male ein deutlicher, wenn auch keineswegs scharf abgesetzter Ausführungsgang angetroffen wird. Bei Chiroteu- this Veranyi dagegen! ist er an der Basis sehr verbreitert und gleicht einem gleichschenkligen Dreieck mit gegen den After gerich- teter Spitze, bei Sepiola ist er dreilappig geworden und schickt von der Mitte des oberen Randes des Mittellappens einen feinen kurzen. ganz scharf abgesetzten Ausführungsgang zum After ?. Ceph. ete. pag. 12 Anm. 2) musste ich darauf hinweisen, dass bei der Beur- theilung der Größe des Tintenbeutels an Spiritusexemplaren, seines verschie- denen Fiillungsgrades wegen, Vorsicht geboten ist, aber ich habe doch jetzt erst, nachdem mir eine größere Anzahl von Individuen einer Species durch die Hände gegangen ist, einen richtigen Begriff davon bekommen, in wie weiten Grenzen Größe und Gestalt bei ein und derselben Species wechseln können. Habe ich doch selbst an dem stets dreilappigen Tintenbeutel von Sepiola durch stärkere Füllung alle drei Lappen verstrichen gefunden, und wenn es richtig ist, was PETERS (Zur Anatomie der Sepiola Mürr. Archiv. 1841 pag. 350) an- giebt, so scheint hier sogar eine Art periodischer In- und Evolution stattzu- finden. ! Loligopsis guttata hat einen großen (»large«) Tintenbeutel (GRANT, |. e. p. 25). Dadurch wird die Richtigkeit der RAruke’schen, schon von REINHARDT u, Proscu (l. e. pag. 29) bezweifelten Angabe, wonach L. Eschscholtzü und L. dubia keinen Tintenbeutel besitzen sollen, noch mehr in Frage gestellt. > 2 Vgl. auch Grant: On the anatomy of Sepiola vulgaris. ‘Transact. zool, soc. Lond. vol. I. 1833 pag. 82. 246 J. Brock Das höchste Differenzirungsstadium des Tintenbeutels innerhalb der Dekapoden besteht darin, dass derselbe ganz auf den Grund des Eingeweidesackes rückt, wo er dann ventralwärts von den Keimdrü- sen zu liegen kommt und durch einen langen, scharf abgesetzten Ausführungsgang mit dem After verbunden ist. Diese Stufe, auf weleher der Tintenbeutel (vielleicht mit Ausnahme von Sepiola) auch seine relativ bedeutendste Größe erreicht, wird von allen lebenden Dekapoden, so weit bekannt, nur noch von Sepia erreicht. Es ist daher sehr auffallend, dass bei allen fossilen Dibranchiaten, in deren Resten uns auch Abdrücke des Tintenbeutels erhalten sind, dieselben so lange Ausführungsgänge, wie unter den lebenden nur noch Sepia, zeigen und dass bei den Belemniten, wo der Tintenbeutel in der vor- dersten Kammer des Phragmoconus liegt, auch die Lage mit Sepia übereinstimmt. Die Differenzirungsreihe der Octopoden wird dadurch von An- fang an sehr scharf charakterisirt, dass der Tintenbeutel dorsalwärts hinter das Diaphragma musculare tritt und nähere Lagebeziehungen zur Leber eingeht. Aber auch Argonauta! und Tremoctopus Care- nae besitzen schon einen deutlich abgesetzten, wenn auch sehr kur- zen Ausführungsgang und die ganze Differenzirungsreihe innerhalb der Octopoden beschränkt sich eigentlich darauf, dass der bei Argo- nauta und Trem. Carenae noch kleine Tintenbeutel sich allmählich vergrößert und damit auch einen längeren Ausführungsgang be- kommt. Verhältnismäßig am größten und auch am tiefsten gelegen mag er bei Trem. violaceus sein. Das Fehlen des Tintenbeutels bei Cirrhoteuthis (REINHARDT og ProscH |. e. pag. 29) und Octopus arcticus (PRoscH, Nogle nye etc. pag. 7) ist, wenn richtig, wohl nur als Riickbildung aufzufassen; denn wenn auch diese merkwiir- digen Geschöpfe in manchen Beziehungen die Octopodenstammform wiederzuspiegeln scheinen, so ist es doch im höchsten Grade un- wahrscheinlich, dass ein für die ganze Abtheilung der Dibranchiaten so charakteristisches Organ, wie der Tintenbeutel, welches ähnlich sich im ganzen Thierreich nicht wiederfindet, zwei Mal, von den De- kapoden und den höheren Octopoden, unabhängig von einander er- worben sein sollte. Ich vermuthe eher, dass der Tintenbeutel in beiden Fällen sehr klein, dazu noch zufällig entleert und stark kon- ! Die hintere Wand des Rectums ist bei Argonauta in einen stumpfen konischen Zipfel ausgezogen, der mit seiner Rückseite an das Diaphragma ge- heftet ist. In der Mitte dieses Zipfels erscheint die Mündung des 'Tintenbeutels als feine kreisrunde Öffnung mit gewulsteten Rändern. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 947 trahirt war, was sein Übersehen selbst von Seiten so genauer Beob- achter erklärlich erscheinen ließe. Im Cirkulationssystem treffen wir einige Verhältnisse, welche pbylogenetisch wohl einige Beachtung verdienen. Um zu- nächst mit dem arteriellen Herzen zu beginnen, so kann ich von dem der Ögopsiden außer einer kurzen aber treffenden Schilderung bei MILNE Epwarps! in der mir zugänglichen Litteratur keine näheren Angaben darüber auffinden, trotzdem es in hohem Grade von dem der anderen Gruppen abweicht. Auch seine Lage ist schon eigenthüm- lich (Fig. 12 A): es ist nämlich zur Längsachse des Körpers so orientirt, dass die Aorta cephalica und die Aorta posterior in sei- ner Längsachse liegen und die beiden Kiemenvenen in nahezu rechtem Winkel einmünden (Fig. 12 A..vb.). Seine Gestalt ist ein- fach spindelförmig; aber ich will mich bei ihr nicht weiter aufhal- ten und lieber gleich zu dem interessanteren Theil meiner Aufgabe, den Gefäßursprüngen übergehen. Man hat nun bisher meistens eine Ao. anterior und posterior unterschieden, es scheint mir aber aus vergleichend anatomischen Gründen angemessener, drei zu unter- scheiden, die Ao. cephalica, anterior und posterior, obgleich nur bei den Myopsiden alle drei direkt aus dem Herzen entspringen. Bei den Ögopsiden setzt sich nun die obere Spitze des Herzens in die große Aorta cephalica fort (Fig. 12 A. A. e.), welche gleich nach hinten rechts und oben in die muskulöse Leberkapsel übertritt. Eben so giebt das Herz am unteren Ende eine Ao. posterior ab (Fig. 12 A. A.p.), welche unter dem Harnsack hindurch nach vorn läuft, die freie Oberfläche des Eingeweidesackes gewinnt, in der Mittellinie (beim © zwischen den Nidamentaldrüsen ) gerade abwärts zieht, mehrere starke Zweige abgiebt, die in dem schon erwähnten membranö- sen Septum (pag. 206) direkt zur gegenüber liegenden inneren Man- telfläche treten und sich endlich in zwei Äste theilt, die gabelförmig divergirend sich in das Fleisch des Mantels senken und wohl haupt- sächlich die Flossen versorgen. Wo diese Äste in den Mantel eindrin- gen, besitzen sie kleine runde muskulöse herzartige Verdickungen ihrer Wände, die schon H. MÜLLER bekannt waren (I. c. pag. 342); es finden sich übrigens diese »peripherischen Herzen« bei Enoploteu- this und Onychoteuthis auch an den Zweigen der Ao. cephalica, 2 H. Mıunk Epwarps, Legons sur la physiologie et lanatomie comparée de l'homme et des animaux Tom. III. Paris 1858 pag. 165 Anm. 1, 248 J. Brock welche den Osophagus begleiten. vor ihrem Eintritt in den Kopf- knorpel. Unmittelbar nach ihrem Austritt aus dem Herzen giebt die Aorta posterior eine ziemlich feine Arterie ab; die Ao. anterior (Fig. 12 A. A. a.). welche über die Ventralseite des Herzens weg gerade nach oben zieht und wahrscheinlich Rectum, Tintenbeutel etc. versorgt. Kurz nachdem sie das Herz passirt hat, entlässt sie einen für unsere Be- trachtungen wichtigen Ast, die A. genitalis Fig. 12 A. A. g.), welche in einem Bogen dorsalwärts von der linken Kiemenvene zu- rückläuft und in der Furche zwischen beiden Magenabtheilungen zur Geschlechtsdrüse herabsteigt. Im Gegensatz zu diesem Verhalten sind die Myopsiden (Fig. 12 B) die einzige Abtheilung, bei welchen alle hier eben genannten Arte- rien direkt aus dem Herzen entspringen. in Betreff der Lage lehrt ein Vergleich mit dem Herzen der Ögopsiden. dass Lage und Form der oberen Herzhälfte unverändert beibehalten worden ist, während die untere eine Verkürzung in der Längsachse und Verlän- gerung in der Querachse erlitten hat. Es ist daher das Herz von Sepia, Sepiola und Loligo unter rechtem Winkel gebogen', aber seine Längsachse fällt nicht mehr mit der des Körpers, sondern mit der der Vv. branchiales zusammen und bildet also mit der des Körpers einen rechten Winkel. Es giebt hier, wie schon gesagt. nicht we- niger als vier Arterien den Ursprung, nämlich drei Aorten und der A. genitalis. Der Verlauf der Ao. cephalica Fig. 12 B. A. e.) ist wohl derselbe, wie bei den Ogopsiden und die Ao. posterior ‚Fig. 12 B. A. p. unterscheidet sich auch nur dadurch, dass sie keine Aste zur gegeniiber liegenden Mantelwand giebt, sondern sich nach kurzem Verlauf in die beiden Manteläste gabelt?. Die Ao. anterior (Fig. 12 B. A. a.): ein sehr feines Gefäß, das bis jetzt, wie es scheint, ganz übersehen worden ist, hat hier ihren Ursprung auf das Herz selbst und zwar auf seine obere Fläche verlegt und ! MıLnE EDWARDS vergleicht das Herz von Sepia mit einem Dudelsack l. e. pag. 165 Anm. 1). 2) Kurz nach ihrem Austritt aus dem Herzen giebt die Ao. cephalica un- ter rechtem Winkel zwei Gefäßstämme ab, welche quer über den Rücken weg zum Mantel laufen, ihn im Kiemenwinkel erreichen, dort nach oben umbiegen und unter dem Gangl. stellatum in das Fleisch des Mantels eindringen. Diese auch den Octopoden nicht fehlenden Gefäße, welche schon mehrfach gesehen und be- schrieben worden sind (Cuvier, Mém. PI.IV, Fig.1, 24, lec. d’anat. comp. 2. éd. VI p. 363, Minne Epwarps, |. c. p. 166) entsprechen in ihrem Verlauf ziemlich genau der von PFEFFER zwischen den Ganglia stellata beschriebenen Kommissur. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 249 dicht neben ihm entspringt auch vom Herzen selbst die A. genitalis (Fig. 12 B A. g.), welche noch wie bei den Ogopsiden dorsalwärts vom Herzen zur Keimdriise herabsteigt. Bei den Octopoden endlich ist auch die obere Herzhälfte in ihrer Längsachse verkürzt, so dass jetzt die Längsachse des Herzens, die starke Biegung seiner rechten Hälfte nach hinten abgerechnet, mit der Querachse des Körpers zusammenfällt. Die Ao. cephalica (Fig. 12 ©. A. e.)! und die bedeutend stärker als bei den Dekapoden entwickelte Ao. anterior (Fig. 12 C. A. a.) zeigen in ihrem Verlauf keine Abweichungen gegen die Myopsiden, dagegen fehlt die Ao. posterior, während sich an ihrer Stelle eine starke A. genitalis Fig. 12 ©. A. g.) findet. Ich behaupte nun, dass nicht die Ao. posterior, sondern umgekehrt die A. genitalis der Dekapoden bei den Octopoden verloren gegangen ist, und zwar desshalb, weil es erstens viel wahrscheinlicher ist, dass ein so schwaches Gefäß, wie die A. genitalis der Dekapoden, als dass ein so starkes, wie ihre Ao. posterior verloren gehen sollte, weil zweitens die A. genitalis der Octopoden in ihrer Lage der Ao. posterior der Dekapoden genau entspricht und drittens, weil sie nicht mehr den charakteristischen Verlauf zwischen beiden Magenabtheilungen zeigt, der die A. genitalis der Dekapoden charakterisirt. Im Übrigen ist es ja klar, dass das Herz der Myopsiden eine Weiterentwicklung des der Ögopsiden ist, dass wir in dieser Gruppe also wieder die Ausgangsform vor uns haben : das Herz der Octopoden aber ist ohne Zweifel das am höchsten dif- ferenzirte und schließt sich an das der Myopsiden an, während es ein etwas weiter Sprung wäre, es direkt aus dem Ögopsiden-Herz abzuleiten '. Das Herz des Nautilus lässt keine sichere Vergleichung mit irgend einer Dibranchiatenform zu. Vielleicht könnte Spirula eine Brücke bilden, aber die Owen’sche Beschreibung ist dafür leider zu unvollständig, besonders da sie nichts über den Ursprung der A. si- ' Wollte man dies dennoch thun — und es ist ja nicht zu leugnen, dass eine solche Ableitung dem wahren phylogenetischen Verhältnis besser ent- spräche — so müsste man mit MıLne Epwarps (1. ce. pag. 165 Anm. 1) ein »mouvement de torsion« annehmen, durch welche das Herz der Ögopsiden »s’est plac& obliquement en travers«, aber auch bei dieser Annahme ist es viel natür- licher die Ao. posterior der Ögopsiden mit der A. genitalis der Octopoden (Aorte wccessoire MILNE EDWARDS) zu homologisiren, als mit ihrer Ao. anterior (Aorte posterieure MILE Epw.). Folgende kleine Tabelle wird die IHomologie der verschiedenen aus dem Herzen entspringenden Gefäße bei den drei dibranchiaten 250 J. Brock phonalis sagt. deren Verhalten bei einer Zurückführung der Haupt-. gefäßstämme der Dibranchiaten auf die des Nautilus einen wichtigen Fingerzeig geben müsste. Die Venenherzen variiren nicht sehr in Größe und fehlen kei- nem Dibranchiaten. Bei Argonauta und Trem. Carenae (wie von letzterem schon Vogr richtig abbildet, 1. e. Pl. VII, Fig. 12 G) lie- gen die Venenherzen in keiner Bindegewebskapsel, sondern springen frei in die Kiemenhöhle vor. Der Kiemenherzanhang! (fleshy appen- dage der Engländer) liegt in diesem Falle ganz seitlich und etwas dorsal vom Kiemenherzen und ragt, wie ich mich wenigstens über- zeugt zu haben glaube, frei in das Lumen des Harnsacks hinein, dessen Wand hier mit der Haut des Eingeweidesackes verschmolzen ist. Die Kiemenherzanhänge sind in diesem Falle daher — wie bei den Octopoden überhaupt — nur nach Eröffnung der Harnsäcke zu sehen, und gestützt darauf möchte ich mir erlauben, die Litteratur- angaben über Fehlen derselben ? vorläufig noch zu bezweifeln, da in den meisten Fällen gewiss nicht besonders nach ihnen gesucht worden ist. Bei Trem. violaceus und catenulatus ist das typische Octopodenverhält- nis schon hergestellt, Kiemenherz und Kiemenherzanhang liegen in besonderen Taschen und der einzige Unterschied gegen Octopus und Eledone liegt, wie schon erwähnt (pag. 233) darin, dass die Kie- menherzanhangskapsel bei den erwähnten Philonexiden noch weit und zarthäutig, bei den Octopodiden eng und diekwandig ist. Bei allen Dekapoden sitzt der Kiemenherzanhang am unteren Ende des Kiemenherzens und theilt mit ihm eine gemeinschaftliche Kapsel. Hauptgruppen noch übersichtlicher zum Ausdruck bringen, wobei die MiLNE EDWARDS schen Bezeichnungen in Klammern beigefügt sind. Ögopsiden. Myopsiden. “ Octopoden. Aorta cephalica. | Selbständig ent- Eben so. Eben so. Aorte anterieure). | springend. Aorta anterior. Zweig d. Ao. post. Selbstiindig. Eben so. | (Aorte post6rieure). Aorta posterior. | Selbständig. Eben so. Eben soals A. genit. [Aorte postérieure|.! |Aorte accessoire). A. genitalis. 'Zweig d. Ao. ant. Selbständig. Fehlt. ! Welcher von Cuvier unbegreiflicherweise noch 1839 geleugnet wird (leg. d’anat comp. 2. éd. VI pag. 363 Anm.) 2 Cranchia scabra (OWEN, new and rare Ceph. pag. 108), Octop. semipal- matus (ibid. pag. 112), Loligopsis cyclura (GRANT, 1. c. pag. 25). Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. | 251 Den Kiemen ist von verschiedenen Autoren große Aufmerksam- keit geschenkt worden und wir besitzen über Zahl, Anordnung und Form der Kiemenblättehen meist recht genaue Angaben, ohne dass diese sich für unsere Zwecke weiter verwerthbar zeigten. Die so- genannte Milz (Cuvier’s »ruban ceharnu«) findet sich bei allen Octopo- den, ohne in der Ausbildung bei den verschiedenen Arten sehr zu variiren; nur von Cirrhoteuthis wird eine ungewöhnliche Klein- heit der Milz gemeldet (Remuarpr og Proscu |. e. pag. 23). Trug ich daher in Hinblick auf diese Thatsache kein Bedenken, dieses Organ für ein innerhalb der Octopoden erworbenes zu halten, so war meine Überraschung um so größer, eine wohlentwickelte Milz bei Enoploteuthis Owenii und bei Chiroteuthis Véranyi, aber bei keinem anderen Dekapoden wiederzufinden. Ob diese Thatsache einer phy- logenetischen Verwerthung fähig ist, wird später zu erörtern sein. Bei den männlichen Geschlechtsorganen brauchen wir nicht lange zu verweilen, da sie für phylogenetische Betrachtungen das unergiebigste Feld unter allen Organsystemen bilden. Die von mir untersuchten Ögopsiden (Onychoteuth., Enoploteuth. , Ommastr. sa- gitt.) wiederholen ganz treu den Typus von Loligo, von dem Sepia nur ein höheres Differenzirungsstadium ist! ; der Octopodentypus, so weit er auf die Dekapoden überhaupt mit Sicherheit bezogen werden kann (Brock, |. e. p. 53), ist als eine niedrigere Organisationsstufe zu betrachten, während die Geschlechtsorgane des Trem. Carenae — vermuthlich in Anpassung an die Bildung der einen großen Sper- matophore — so verändert sind, dass sie nach keiner Richtung einen Anknüpfungspunkt bieten. Das größte Räthsel aber der gesammten Cephalopodenorganisa- tion auch in phylogenetischer Beziehung ist die Hectocotylie, eine Einrichtung, deren Morphologie wir bis jetzt auch nicht das ge- ringste Verständnis entgegenzubringen vermögen. Die nach unse- rer jetzigen Einsicht in die Biologie der Cephalopoden wenigstens vollständig werthlose Hectocotylisation des Nautilus und der Deka- poden, welche einen uralten einstigen Zusammenhang höher ent- wickelter Apparate bei den gemeinsamen Vorfahren beider wenigstens ! Die Ähnlichkeit, die ich früher zwischen den 3 Geschlechtsorganen von Nautilus und Sepia zu finden glaubte (Brock, Geschlechtsorg. d. Ceph. p. 13), ist mir wieder sehr zweifelhaft geworden, nachdem ich Gelegenheit gefunden habe, die v. d. Horven’sche Originalarbeit (Bijdragen tot de ontleedkundige Kennis angaande Nautilus Pompilius ete. Verhdl. koningkl. Akad. v. Wetensch. 3. Deel Amsterd. 1856. pag. 12) einzusehen, 252 J. Brock ahnen lässt, könnte dazu führen. in dem Hectoeotylus eine Einrich- tung zu sehen, welche sonst nur in verschiedenartig gestalteten und physiologisch bedeutungslosen Resten vorhanden , bei der kleinen Gruppe der Philonexiden sich wunderbarer Weise bis auf die Gegen- wart erhalten hätte. Wer erklärt aber dann den Umstand, dass selbst innerhalb der Philonexiden der Hectocotylus-Arm nicht der gleiche ist, vielmehr bei Argonauta der dritte linke, bei Tremoctopus der dritte rechte Arm in dieser Weise umgebildet wird? Wir müssen gestehen, dass hier Räthsel vorliegen, von deren Lösung wir noch unendlich weit entfernt sind. Um so mannigfaltiger ist dagegen die Zusammensetzung des weiblichen Geschlechtsapparates. Schon Owen! unterschied mit Nautilus fünf Typen, welche er folgendermaßen gruppirte. Zuerst Nautilus, der für sich allein einen Typus bildet: wir wollen ihn vorläufig übergehen. Sodann Sepia, Sepiola, Rossia, Sepioteuthis »and some species of Loligo«; sie sind durch den Besitz zweier Ni- damentaldrüsen, aber nur eines Eileiters mit einer »glandular termi- nation« charakterisirt. Die dritte Gruppe {Onychoteuthis, Loligo ‘Ommastrephes| sagittata »and some other Calamaries«) besitzt dop- pelte Eileiter mit glandular terminations und zwei Nidamentaldrüsen, welche Angabe vollständig richtig ist, doch sind die hierher gehörenden »other Calamaries« bis heute apokryph geblieben. In der vierten sind Octopus und Eledone vereinigt und ganz richtig durch die Hauptmerkmale der Octopoden charakterisirt; die fünfte Gruppe end- lich wird von Argonauta allein gebildet: »in the Argonaut the two oviducts are convoluted and have glandular coats throughout their extent, but without partial enlargements: there are two separate ni- damental glands« — eine Diagnose, an der bis auf die Windung der Eileiter Alles irrig ist, und dieses einzige richtige Merkmal ist nicht charakteristisch für Argonauta, da es sich auch bei zahlreichen an- deren Formen findet. (Loligo, Enoploteuthis, Chiroteuthis ete.) Ich bin heut in der Lage, nieht weniger als vierzehn Typen auf- stellen zu können. Es ist möglich, dass eine wachsende anatomi- sche Kenntnis diese Zahl noch vermehren wird; aber dieser Reichthum ist, wie man bald bemerken kann, schon heute nur ein scheinbarer und zum guten Theil dureh die in allen Differenzirungsreihen der © Geschlechtsorgane sich geltend machende Tendenz, einen Eilei- ! Cyelop. pag. 556, wo nur vier auch unvollkommener definirte Typen an- genommen sind. Eine vollständigere Wiederholung, auf die im Text allein Be- zug genommen ist, findet sich New and rare Ceph. etc. pag. 121. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 253 ter aufzugeben, bedingt. Im Einzelnen unterscheide ich folgende Typen. 1) Nur ein sehr kurzer rechts mündender Eileiter, welcher nicht direkt aus dem Eierstock, sondern aus einer Bauchfellstasche ent- springt, in welche seinerseits erst der Eierstock mündet (KEFERSTEIN, Götting. Nachr. pag. 364, Klass. u. Ordnung. pag. 1394). Eine am Mantel befestigte Nidamentaldrüse. — Nautilus. 2, Nur ein rechter, aber in der Mittellinie mündender Eileiter ! mit endständiger Drüse, wie ich der Kürze wegen sagen will; zwei im Eingeweidesack liegende Nidamentaldrüsen — Spirula. 3) Ein rechter Eileiter?; zu den Nidamentaldrüsen sind noch zwei accessorische hinzugetreten. — Rossia. 4) Dieselbe Anordnung, aber anstatt des rechten ist nur der linke Eileiter erhalten. — Loligo, Sepioteuthis. 5) Eben so, aber die accessorischen Nidamentaldrüsen sind in einen Drüsenkörper verschmolzen. — Sepia, Sepiola. 6) Doppelte Eileiter mit endständigen Eileiterdrüsen und Nida- mentaldriisen: die Eileiter liegen ventralwärts von den Kiemenge- fäßen. — Ommastrephes sagittatus. 7) Doppelte nicht geschlängelte Eileiter mit endständigen Eileiter- drüsen, welche nicht direkt an der Körperoberfläche, sondern in eine Bauchfelistasche münden, die dorsalwärts von den Kiemengefäßen liegt und an ihrem oberen Rand sich nach außen öffnet. — Omma- streph. todarus, Onychoteuthis. 5) Doppelte Eileiter mit endständigen Eileiterdrüsen ohne weitere accessorische Drüsen; die Eileiter liegen dorsalwärts von den Kie- mengefäßen. — Enoploteuthis. 9) Eben so, aber ein Eileiter, bei Chiroteuthis Véranyi der rechte, ist verloren gegangen. — Chiroteuthis, Owenia?. 10) Der Eierstock ist ein selbständiger, geschlossener Sack ge- worden, es sind doppelte, sehr lange, vielfach gewundene Eileiter ' OWEN sagt nur (l. c. pag. 6, 12), dass die Hauptwindungen des Eileiters rechts liegen, er sagt aber nirgends, ob er auch rechts entspringt. 2 Der Eileiter scheint bei Rossia (Ownn, Appendix ete. Pl. C, Fig. 1) links zu entspringen, zieht dann ventralwärts über den Eierstock nach rechts um dort zu münden. 3 ProscH, 1. ec. pag. 17. — Über Loligopsis wissen wir viel zu wenig Sicheres, um ihm hier einen Platz anzuweisen; die schon von Owen (Cyclop. pag. 558) wenn auch nicht entschieden bezweifelte Angabe, dass der Eileiter bei Lolig. Eschseholtzii am Hinterende’ des Thieres mündet (RATHKE, |. e. pag. 162), ist sicher unriehtig. 254 J. Brock vorhanden, die Eileiterdrüse ist nicht mehr endständig, sondern dem Eierstock sehr genähert, andere drüsige Apparate fehlen. — Ar- gonauta, Tremoctopus catenulatus!. 11) Die Eileiter sind kurz und nicht gewunden, hinter der ersten Eileiterdrüse sind große Samenreservoire entwickelt: an der Eileiter- öffnung ist eine zweite Drüse aufgetreten. — Tremoctopus viola- ceus. 12) Die beiden Eileiterdrüsen sind in eine, scheinbar einfache verschmolzen, die Eier sind in einem einzigen großen Baum ange- ordnet. — Octopus. 13) Eben so, aber die Eier jedes einzeln mit besonderem Stiele von der Eierstockswand entspringend. — Eledone. 14) Der rechte Eileiter ist verloren gegangen, der linke mit seiner Drüse auf der Stufe von 12) und 13) stehend (?). — Cirrho- teuthis. Eine Durchsicht dieser Tabelle lehrt nun erstens, dass die My- opsiden und die typischen Ögopsiden mit Nautilus im Besitz von Nidamentaldrüsen (bei Nautilus nur einer unpaaren) übereinstimmen, während dieselben unter den Ögopsiden bei Enoploteuthis, Chiro- teuthis und Owenia fehlen. Vergleicht man die Zahl der Eileiter mit einander, so ergeben sich zwei symmetrische Eileiter bei allen Ogopsiden und Octopoden, ein einfacher bei Nautilus, Chiroteuthis und Owenia und als konstanter Gruppencharakter nur bei den Myop- siden, bei welchen der Eileiter auch mit Ausnahme von Spirula im- mer hinter die Kiemengefäße getreten ist. Auf diesen Sachverhalt gestützt, wage ich nun Folgendes zu behaupten. Aus dem Umstande, dass 1) alle typischen Ögopsiden, also eine Gruppe, die in den mei- sten Punkten das Verhalten der Stammform mehr oder minder un- verfälscht bewahrt hat, zwei symmetrische Eileiter besitzen, 2) dieselben auch allen typischen Octopoden zukommen, bei wel- cher Abtheilung für den Fortbestand sehr alter Einrichtungen (Gehirn, Kropf) schon hinlänglich gesicherte Beispiele vorliegen, dass 3) die Formen, denen ein Eileiter typisch fehlt (Myopsi- den) nicht nur im © Geschlechtsapparat, sondern auch sonst sich als sehr hoch differenzirt erweisen, folgt, dass der doppelte Ei- leiter die älteste Form des @ Geschlechtsapparates ' Diese Form ist, da ich die mikroskopische Untersuchung der Eileiterdrüse noch nicht vorgenommen habe, nur provisorisch eingereiht. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 355 darstellt, und dass alle Formen mit nur einem Eileiter aus solehen mit einem doppelten durch Reduktion her- vorgegangen sind. Die Ögopsiden bilden für sich eine vollkommen abgeschlossene Differenzirungsreihe, deren Anfangsglied ich nicht bei Enoploteuthis, sondern bei Ommastr. sagittatus finde. Erstens nämlich stehe ich nicht an, die Nidamentaldriisen der Dekapoden mit der des Nauti- lus zu homologisiren', so dass ich sie also nicht etwa innerhalb der Ögopsiden als erworben’auffasse, wobei dann Enoploteuthis ete. die ältesten Formen sein würden, sondern glaube, dass sie bei Enoplo- teuthis, Chiroteuth. und Owenia erst sekundär verloren gegangen sind. Dann aber stimmt aus der Ommastreph.-Gruppe speciell Om- mastr. sagittatus mit Nautilus und Spirula außer in dem Besitz von Nidamentaldrüsen auch in der Lage der Eileiter überein, welche bei allen diesen Formen ventralwärts von den Kiemengefäßen liegen. Von Ommastrephes sagitt. aus ist dann die Differenzirung allein in- nerhalb der Ögopsiden in drei verschiedenen Richtungen thätig: er- stens nämlich wandern die Eileiter hinter die Kiemengefäße, was bei Ommastr. todarus und Onychoteuthis eingeleitet, bei Enoploteuthis und Verwandten schon vollzogen ist: zweitens gehen bei Enoplot.. Chiroteuth. und Owenia die Nidamentaldrüsen verloren und drittens wird bei den beiden letzteren Formen auch ein Eileiter eingebüßt. Die Octopoden würden auch hier wieder mit ihrer niedrigsten. durch Argonauta repräsentirten Stufe unmittelbar an die Ögopsiden und zwar an Enoploteuthis anknüpfen, wenn nicht außer dem Ver- lust der Nidamentaldrüsen auch schon in dem Selbständigwerden der Eierstockswände und dem Herabrücken der Eileiterdrüse gegen den Eierstock sich eine weitere Differenzirung vollzogen hätte, welche von jetzt an durch die ganze Octopodenreihe konsequent festgehalten wird. Dass aber die Eileiterdrüse von Argonauta der der Dekapo- ! Die wenigen Andeutungen, die sich in der Litteratur über die Struktur der Nidamentaldrüse des Nautilus finden (OWEN, Mem. pag. 43, KEFERSTEIN, Gött. Nachr. pag. 364) sprechen eher für, als gegen eine Homologisirung; in der Einzahl und der abweichenden Lage kann ich keine prineipiellen Unter- schiede erblicken. 2 OWEN spricht niemals davon, dass der Eileiter von Spirula hinter den Kiemengefäßen resp. dem Herzen durchtritt, und dann scheint es auch in Hin- blick z. B. auf Taf. III, Fig. 1 ete. keinem Zweifel zu unterliegen, dass dies nicht der Fall ist. 256 ; J. Brock den homolog ist, lässt sich aus ihrem Bau mit ziemlicher Sicherheit nachweisen. Auch bei Tremoctopus violaceus ist der Eierstock noch, wie bei Argonauta, durch die Dünnheit und Schwäche seiner Wand ausge- zeichnet; es ist in so fern aber ein Fortschritt vorhanden, als am Eingang des Eileiters sich eine Drüsenmasse differenzirt hat, welche durch einen Abschnitt des Eileiters von der zweiten Drüse, die der einzigen der Argonauta und der Dekapoden entspricht, getrennt wird. Diese obere Drüse ist ohne Zweifel als eine innerhalb der Octopo- den erworbene Neubildung zu betrachten, welche physiologisch viel- leicht dieselbe Rolle, wie die accessorische Nidamentaldrüse der Myopsiden spielt. Wir finden sie auch bei Octopus und Eledone wieder, aber in einer Lageveränderung, welche die höchste Diffe- renzirungsstufe anzeigt: sie ist mit der primären Drüse zusammen- getreten und beide zusammen bilden die scheinbar einfache Eileiter- drüse der höheren Octopoden, deren Zusammensetzung aus zwei Drüsen aber selbst noch makroskopisch im grünen und weißen Ring sich kundgiebt (Brock, Geschlechtsorg. d. Ceph. pag. 102). Außerdem aber ist der Eierstock ein dickwandiges muskulöses Organ gewor- den und der kurze gemeinschaftliche Stamm beider Eileiter bei Ar- gonauta und Tremoctopus hier auf ein Minimum redueirt. Der Verlust des einen Eileiters bei Cirrhoteuthis kann nur als Rückbildung aufgefasst werden; seine Eileiterdrüse, wenn sie auch merkwürdigerweise jedenfalls hoch differenzirt ist (REINHARDT 0g Proscu, |. e. pag. 30), scheint doch nach der Abbildung der der höheren Octopoden weniger nahe zu stehen, als es der Beschreibung nach der Fall sein müsste. | Wie die Octopoden, so knüpfen auch die Myopsiden nicht an die ältesten, sondern an höher differenzirte Formen der Ögopsiden an. Eine lebende Form, welche als Ausgangspunkt zu gelten hätte, ist nicht bekannt, sie würde sich übrigens von Ommastreph. todarus und Onychoteuthis nur darin unterscheiden, dass die Wanderung der Eileiter hinter die Kiemengefäße sich schon definitiv vollzogen hätte. Immerhin wäre aber auch von einer solehen Form zu den typischen Myopsiden noch ein großer Sprung, der bis jetzt noch von keiner bekannten Form ausgefüllt wird, denn es geht nicht nur konstant ein Eileiter verloren, sondern es treten auch die accessorischen Ni- damentaldrüsen zum © Geschlechtsapparat hinzu. Ihre Verschmel- zung bei Sepia und Sepiola kennzeichnet die höchste Differenzirung - Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 257 der © Geschlechtsorgane, welche nicht nur innerhalb der Abtheilung, sondern von den Cephalopoden überhaupt erreicht wird'!. Als die ursprüngliche Anordnung der Eier im Eierstock ist die von mir (Brock, Geschlechtsorg. d. Ceph. p. 90) bei Loligo beschrie- bene zu betrachten: eine centrale Bindegewebsspindel mit reichlicher seitlicher Verästelung, an der die Eier jedes an einem besonderen Stiele sitzen. Diese Anordnung scheint bei allen von mir unter- suchten Ogopsiden und bei Loligo und Sepioteuthis sich zu finden; als daraus hervorgegangen ist die bei den niederen Octopoden vorhandene anzusehen (Argonauta, Tremoctopus), wo sich viele, gegen 50 Eier- bäumehen finden, deren jedes nach dem ersten Typus gebaut ist, und ähnlich muss nach der Beschreibung (Remuarpr og PROSCH, l. e. pag. 30) auch der Eierstock von Cirrhoteuthis beschaffen sein. Ob der Eierstoek von Octopus, der einen einzigen großen überaus reich verzweigten Baum in seinem Inneren zeigt, auf die Philonexiden oder direkt auf Loligo ähnliche Formen zurückzuführen ist, lässt sich vorläufig noch nicht entscheiden. Die höchste Differenzirungsstufe endlich, auf welcher die Verästelung der Eier tragenden Oberfläche gänzlich unterdrückt ist und jedes Ei für sich mit besonderem Stiele direkt von der Eierstockswand entspringt, ist verschiedene Male unab- ‘ hängig von einander erreicht worden, aber immer nur von Formen, welche auch sonst die Ausläufer phylogenetischer Reihen bilden: Sepia, Sepiola, Rossia? und Eledone; eigenthümlicherweise findet sich diese Anordnung der Eier aber auch bei Nautilus (Owen, Mem. pag. 42). Dass die Faltung der Eierstockseier bei den Dekapoden kom- plieirter als bei den Octopoden ist, dürfte als bekannte Thatsache noch zum Schluss zu erwähnen sein. Bei den Dekapoden ist das Faltensystem netzförmig, während sich bei den Octopoden nur ein- fache Längsfalten finden. ' Spirula ist weniger wegen des Mangels der accessorischen Nidamental- drüsen, als wegen der Lage des Eileiters schwer in der Differenzirungsreihe der Myopsiden unterzubringen; da aber schon die Schale mit Nothwendigkeit auf eine sehr frühe Abzweigung schließen lässt, so können auch die Geschlechts- organe Erinnerungen an ältere, den typischen Ögopsiden Jedenfalls näher ste- hende Zustände bewahrt haben, auch wenn eine Anlehnung an eine lebende Form mit Sicherheit nicht zu erkennen ist. 2 Wird von Owen (New and rare Ceph.) nicht besonders erwähnt, geht aber aus der Abbildung (l. e. Pl. XXI Fig. 18) hervor. Morpholog. Jahrbuch. 6. 17 258 J. Brock Allgemeiner Theil. Unsere anatomische Durchmusterung der wichtigeren Organ- systeme hat hiermit ihr Ende erreicht und wir können uns nunmehr denjenigen Aufgaben zuwenden, deren Lösung in der Einleitung als das Hauptziel vorliegender Arbeit hingestellt wurde. Es wird sich jetzt zeigen, ob die gegenwärtige Summe unserer Erkenntnis schon ausreichend ist, um an ihrer Hand die Aufstellung einer Ge- nealogie der Dibranchiaten zu unternehmen, ob sie ein hinreichend festes Fundament für ein Gebände abzugeben vermag, das etwas mehr als ein Luftschloss sein will. Ich werde also den Versuch machen, nach den gewonnenen anatomischen Resultaten die Ver- wandtschaftsverhältnisse der Dibranchiaten zugleich mit Herbeiziehung der von der Paläontologie und Ontogenie gebotenen Hilfsquellen. so weit es mir möglich ist, ausfindig zu machen, und hoffe, so wenige vielleicht auch von den hier ausgesprochenen Ansichten vor späteren umfassenderen Forschungen sich bewähren werden, damit doch kla- rer, als es durch lange Erörterungen geschehen würde, darzulegen, wo ein Nachfolger zur Förderung der Aufgabe einzusetzen hat. Es dürfte nicht überflüssig sein, vorher zu bemerken, dass wir als günstigstes Resultat nicht mehr, als eine Erkenntnis der Dibran- chiatenphylogenie in ihren allgemeinsten Zügen erwarten dürfen. Auch wenn die im Vorhergehenden behandelten Arten erschöpfender untersucht worden wären, als es der Fall war, so darf man doch nicht vergessen, dass ihre Anzahl im Verhältnis zur Gesammtzahl der bekannten Arten nicht nur eine sehr spärliche ist, sondern dass sie sich auch auf die einzelnen Familien in sehr ungleicher Weise vertheilen. Manche jetzt unverstandene und zusammenhangslose Ein- zelnheit wird bei wachsender Formenkenntnis Bedeutung gewinnen und in Verbindung mit anderen gerade da ungeahntes Licht verbrei- ten, wo man es am wenigsten vermuthet hätte. Für jetzt aber können wir bei unseren Betrachtungen nicht vorsichtig genug sein, besonders da die Unterstützung, die wir von der Embryologie und Pa- läontologie zu erwarten haben, der vergleichenden Anatomie gegen- über trotz ihrer Lückenhaftigkeit kaum in Betracht kommen kann. In der Einleitung wurde gezeigt, dass uns als ein Werk älterer Systematiker eine Eintheilung der Dibranchiaten überliefert worden ist, welche sich wohl systematisch, aber zum Theil wenigstens weder anatomisch noch entwicklungsgeschichtlich begründen ließ. Es ist Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 259 daher zuerst die Vorfrage zu erledigen, ob wir in den Gruppen der Ogopsiden, Myopsiden und Octopoden natiirliche Abtheilungen vor uns haben. Da aber nach den vorstehenden Untersuchungen an der natiirlichen Begrenzung der Octopoden nicht mehr gezweifelt werden kann, wenn ein solcher Zweifel iiberhaupt noch erlaubt war, so läuft die Frage darauf hinaus, ob Ögopsiden und Myopsiden auch anatomisch sich aufrecht erhalten lassen. Hier glaube ich nun allgemeiner Zustimmung sicher zu sein, wenn ich diese Frage in bejahendem Sinne beantworte. Zwar fin- det, wie später näher erörtert werden wird, zwischen Sepioteuthis und Loligo einerseits und den Ommastrephes-Arten andererseits ein wirklicher Übergang statt und bei wachsender anatomischer Formen- kenntnis werden sich auch wohl noch andere und engere Übergänge finden lassen ', aber im Bau des © Geschlechtsapparates, dem nicht verlängerten Brachialganglion, den weit gespaltenen Pallialnerven, den Gefäßursprüngen aus dem Herzen und dem nicht spiralig ein- gerollten Nebenmagen der Myopsiden sind auch anatomisch genügend scharfe Unterscheidungsmerkmale gegeben. Eine so aberrante Form wie Spirula kann dabei freilich nicht berücksichtigt werden, aber es ist sehr zweifelhaft, ob diese Form überhaupt bei den Myopsiden belassen werden darf. Wir können nach Erledigung dieser Vorfrage nunmehr unserer eigentlichen Aufgabe näher treten und werden zunächst zu erörtern haben, welche der drei Abtheilungen phylogenetisch als die älteste angesehen werden muss und in welchem genealogischen Verhältnis die beiden anderen Abtheilungen zu ihr und unter sich stehen. Auch hier können wir die Octopoden, diese unzweifelhaft jüngsten Dibranchia- ten vorweg ausscheiden und so handelt es sich bei der Frage nach dem Altersvorrang auch hier nur um die beiden Dekapoden-Gruppen. Das Resultat, zu welchem ich in Betreff dieser gekommen bin, habe ich in so fern schon vorausgenommen, als ich in der anatomischen Darstellung die Ogopsiden immer zum Ausgangspunkt nahm und von ihnen dann zu den Myopsiden und Oetopoden fortschritt. Es wird dem Leser nicht entgangen sein, dass mit dieser in der Betrachtung ein- gehaltenen Reihenfolge auch fast immer die Entwicklung komplieir- ! Ein solcher ist z. B. vielleicht Loligo Bianconi Vér., welcher mit Habi- tus und Mantelschließapparat eines Loligo und myopsiden Augen eine mit einem Phragmoconus versehene Schale verbindet (J. B. VERANnY, Mollusg. me- diterranés observés, décrits ete. I. Partie. Céphalopodes de la Méditerranée. Génes i$51 pag. 100, 101). Ripe 260 J. Brock terer Verhältnisse aus einfacheren, also die Differenzirungsrichtung zu- sammenfiel, und ein Blick auf die Tabelle II (pag. 262) wird, denke ich, genügen, das erbrachte Beweismaterial in den wichtigsten dieser Reihen noch einmal in das Gedächtnis zurückzurufen. Ich könnte damit die Frage als erledigt ansehen, wenn ich es nicht für ersprießlich hielte, über das Verhältnis von Sepioteuthis und Loligo Einiges zu bemerken. Sepia und Sepiola sind jede in einer anderen Richtung so eigenartig differenzirt, dass es vollkom- men unmöglich ist, in ihnen irgend wie Stammformen finden zu wollen. Loligo und Sepioteuthis sind dagegen offenbar Bindeglieder zwischen Ögopsiden und Myopsiden, und angenommen z. B., dass paläontologische Gründe dazu zwängen, könnte man wohl in ihnen eine Ausgangsgruppe sehen, aus der einerseits Myopsiden, anderer- seits Ögopsiden sich heraus entwickelt hätten. Bei dieser Annahme treffen wir aber auf die Schwierigkeit, dass wir nach Seite der My- opsiden hin fast lauter aufsteigende, nach Seite der Ögopsiden lau- ter absteigende Differenzirungsreihen, also Reduktionen zu verzeichnen hätten: die Ögopsiden würden im Lichte dieser Betrachtungsweise als heruntergekommene Descendenten der anderen Gruppe erschei- nen. Dass solche Schlussfolgerungen den Thatsachen direkt Gewalt anthun, dürfte nicht zu bezweifeln sein; was aber für mich in die- ser Frage den Ausschlag giebt, ist die Zusammensetzung des © Geschlechtsapparates bei Loligo und Sepioteuthis, von dem aus als an- genommener Stammform der der Ögopsiden unmöglich abgeleitet werden kann. Wir dürfen es also als sicher ansehen, dass unter den lebenden Dibranchiaten die Ogopsiden phylogenetisch die niedrigsten und da- mit die älteste Gruppe sind, und es tritt jetzt die zweite Frage an uns heran, in welchem genealogischen Verhältnis die beiden ande- ren Gruppen, zunächst also die Myopsiden zu ihr stehen. Wir wer- den uns zwischen den beiden Möglichkeiten zu entscheiden haben, ob die Myopsiden direkt an lebende Formen der Ögopsiden anknü- pfen, oder ob beide nur auf eine gemeinschaftliche Stammform, einen Ur-Dibranchiatenstamm zurückgeführt werden müssen, und wenn die Entscheidung im letzteren Sinne ausfällt, so wird zu untersuchen sein, in wie weit eine Rekonstruktion dieser Urform aus den Organi- sationsverhältnissen ihrer Descendenten noch möglich ist. Zu diesem Zweek wird es nöthig sein, die unter den Ogopsiden vereinigten Formen einer näheren Musterung zu unterziehen. Die- selben zerfallen, so weit sie anatomisch überhaupt bekannt sind, in Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 261 zwei große Gruppen, die ich nach ihren typischen Vertretern Om- mastrephes- und Loligopsis-Gruppe nennen will. Beide haben natürlich alle wesentlichen Züge der Ögopsiden- Organisation (Verlängerung d. Gangl. brachiale, starke Kommissur zwischen dem Gangl. stellata und den Nn. viscerales, primitive Form des Gang]. stellat., schlitz- förmige Harnsackmündungen, Mangel der accessorischen Nidamental- driisen) mit einander gemein, unterscheiden sich aber von einander durch den Besitz von Nidamentaldrüsen bei der Ommastrephes-Gruppe, in dem Verlust der Klappe, meist eines Eileiters, dem Besitz einer Milz und der symmetrischen Form der Analanhänge bei Loligopsis und Verwandten. Zu der ersteren Gruppe rechne ich die beiden Ommastrephes-Arten, zu der letzteren, deren Vertreter leider alle ganz ungenügend anatomisch bekannt sind, Chiroteuthis, Loligopsis und Owenia, vielleicht auch Histioteuthis und Véranya, welche ebenfalls keine Klappe besitzen. Onychoteuthis und Enoploteuthis stehen zwischen beiden Gruppen in der Mitte, doch so, dass Enoploteuthis sich weit enger an die Loli- gopsis-, Onychoteuthis mehr an die Ommastrephes-Gruppe anschließt. Ich lasse zur besseren Erläuterung des Gesagten zwei kleine Tabel- len folgen, von denen die erste die Unterschiede zwischen beiden Gruppen, die zweite die Stellung von Enoploteuthis und Onychoteu- this zu denselben zu veranschaulichen bestimmt ist. Tabelle I. Ommastrephes. | Enoploteuthis. | Chiroteuthis. | Loligopsis. | Owenia. — ny | Nidamental- Keine. | Keine. Keine. Keine. | driisen vorhanden. | Zwei Eileiter. Eben so. Nur einer. | ? Nur einer. . | Radula kom- Radula ein- | ? | ? | ? plicirt. | fach. | | ‘3 ee Seth ae | | Analanhänge | Symmetrisch. Eben so. | ? | ? unsymme- | | | trisch | Trichterklappe Eben so. _Keine'l'richter- | Eben so. Eben so. vorhanden. klappe. Keine Milz. | Eine Milz vor- | Eben so. | ? ? handen. | | 262 J. Brock Tabelle IT‘. Ommastr. sagittatus. Onychoteuthis. Enoploteuthis. A. Arme mit Saug-|_ näpfen. M. retract. cap. med. und lat. verschmolzen. Radula mit 2 Seiten- zähnen auf der Mittelplatte, I Seitenzahn auf der Zwi- schenplatte Obere Speicheldriisen klein, aber gut entwickelt. Eileiter ventral den Kiemengefäßen gend. von lie- Arme mit Haken und Saugnäpfen. Beide Muskeln nur in ihrer unteren Hälfte ver- schmolzen. Mittelplatte wie Om- mastrephes, dagegen der Seitenzahn auf der Zwi- schenplatte verschwunden. Obere Speicheldrüsen viel kleiner. Eileiter in Überwan- derung begriffen ?. B. Schale mit Phrag- moconus. Mantelschließknorpel Lformig. Keine accessorische Herzen an den Arterien. Nidamentaldriisen vor- handen. | Wie Ommastrephes. Mantelschließknorpel | einfache Spange. An den Zweigen der Ao. cephalica und der Ao. posterior accessorische Herzen. Wie Ommastrephes. Arme nur mit Haken. Beide Muskeln in ih- rer ganzen Ausdehnung getrennt. Seitenzähne auch auf der Mittelplatte _ver- schwunden. Obere Speicheldrüsen ganz rudimentär. Eileiter dorsal von den Kiemengefäßen lie- gend. Schale ohne Phragmo- conus. Wie Onychoteuthis. Wie Onychoteuthis. Nidamentaldrüsen feh- len. Können wir nun die Myopsiden und zwar etwa mit Formen wie Loligo und Sepioteuthis an eine dieser beiden Gruppen anschließen ? Die große habituelle Ähnlichkeit zwischen Loligo und Ommastrephes, welches Genus erst spät und zwar nur auf Schale und Augen hin von Loligo abgetrennt wurde, kann uns als Wegweiser dienen. ' Unter A sind die Eigenschaften zusammengestellt, in welchen Onycho- teuthis und Enoploteuthis wirklich zwischen beiden Gruppen stehen, unter B diejenigen, in welchen sie sich entweder an die eine oder andere direkt an- schließen. 2 Ich glaube nämlich, dass die pag. 253 beschriebene Lage der Eileiter bei Ommastr. todarus und Onychoteuthis in der That so aufgefasst werden muss. Wir haben in ihnen ein gutes Beispiel vor uns, wie wir uns eine solche phylogenetische Überwanderung überhaupt zu denken haben. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 263 Loligo und Sepioteuthis geben in der That ein vorziigliches Binde- glied zwischen Ommastrephes einerseits, Sepia andererseits ab, wie ich wieder in Form einer Tabelle kürzer und übersichtlicher, als es lange Erérterungen thun wiirden, zeigen will. Tabelle IIL!. N | | Ommastr. sagitt. 'Ommastr. todas, Sepioteuthis. Loligo. Schale mit Phrag- Wie Ommastr. Schale ohne| Wie Sepioteuth. moconus. sagitt. Phragmoconus. Abspaltung der | Weiter fortge-| Noch weiter. ' Spaltung auf den inneren Pallialner- |schritten. ganzen Pallialner- ven im Anfange. ven ausgedehnt. Kommissur ge- Wie Ommastr. ? Kommissur auf rade zwischen den jsagitt. ' den Pallialnerven Gangliastellata aus- heraufgerückt, fein. gespannt, stark. | Harnsacköffnun- Wie Ommastr.| Wie Onmastr. | Harnsacköffnun- gen schlitzförmig. sagitt. sagitt. gen kleine Papillen. | Radulamitenem Wie Ommastr.! Radula ohne Sei- Radula wie Om- Seitenzahn auf den |sagitt. tenzahn auf den; mastreph. Zwischenplatten. - | Zwischenplatten. Eileiter ventral- | Eileiter in Über- Nur ein dorsaler| Wie Sepioteuth. wärts von den Kie- |wanderung begrif-|linker Eileiter. mengefäßen gele- fen. gen. Analanhänge un- Wie Ommastr.| Analanhängefast! Analanhänge ganz symmetrisch. 'sagitt. jsymmetrisch. ‚syminetrisch. Keine accessori- Wie Ommastr.| Accessorische Ni- Wie Sepioteuth. schen Nidamental- |sagitt. damentaldrüsen drüsen. | vorhanden. Nebenmagen spi- Wie Ommastr.' Nicht spiralig Wie Sepioteuth. ralig eingerollt. sagitt. eingerollt. Leber undurch- Wie Ommastr.| Leber von Aorta) Wie Sepioteuth. bohrt. sagitt. ceph. und Osoph. durchbohrt. Zweige der Ao. | Wie Ommastr. Keine accessori-| Wie Sepioteuth. posterior mit acces- sagitt. ‚sche Herzen. sorischen Herzen. | ' Außer den Organisationsverhältnissen, in denen ein kontinuirlicher Über- gang stattfindet, sind dieser Tabelle auch diejenigen einverleibt worden, durch welche sich zwar Loligo und Sepioteuthis von den Ommastrephes-Arten scharf trennen, welche dabei aber einen höheren Differenzirungsgrad des bei den Omma- strephes-Arten zu findenden Verhaltens bilden. 264 J. Brock Wir ersehen aus dieser Tabelle sofort alle Differenzirungsreihen, welche von den Ogopsiden und zwar der Ommastrephes - Gruppe ausgehend, durch Sepioteuthis und Loligo zu Sepia aufsteigen; es ist dem noch hinzuzufiigen, dass Sepioteuthis und Loligo noch im Besitz von Nidamentaldriisen, einer Trichterklappe, einer komplicir- ter gebauten Radula, und der Abwesenheit der Milz mit Ommastre- phes zusammengehen und sich in allen diesen Merkmalen streng von der Loligopsis-Gruppe unterscheiden, wiihrend sie wenige, aber wichtige Merkmale, wie den Bau des © Geschlechtsapparates, die Form des Brachialganglions und den nicht spiralig eingerollten Ne- benmagen mit Sepia theilen und sich in diesen Punkten wieder von Ommastr. unterscheiden. Unter beiden Arten ist Sepioteuthis wohl wegen der noch schlitzförmigen Harnsacköffnungen, der Form des Gangl. stellat., der Kleinheit des Tintenbeutels und der Form der Analanhänge als die ältere zu betrachten, welche zunächst den Anschluss an die Ommastrephes-Arten vermittelt, denen sich Loligo in der Radula allerdings wieder näher verwandt zeigt. In der Frage, welche der beiden Ommastrephes-Arten als Myopsiden-Stamm- form anzusehen ist, resp. ihr am nächsten steht, möchte ich mich wohl für Ommastr. todarus entscheiden, da diese Form in der Lage des Eileiters und der Form des Gangl. stellat. zwischen Ommastr. sagitt. und Sepioteuthis gerade in der Mitte steht, doch wird sich hier erst bei einer weit größeren anatomischen Formenkenntnis eine einigermaßen sichere Entscheidung treffen lassen. Es wird aber Zeit, dass wir uns bei unseren phylogenetischen Er- - örterungen der Sepienschale erinnern, dieses eigenthümlichen Organs, welches sich allein mächtig genug zeigt, alle derartigen Spekulatio- nen nicht nur innerhalb der Myopsiden, sondern innerhalb der gan- zen Dekapoden auf das erheblichste zu beeinflussen. Ich habe im Vorhergehenden oft genug darauf hinweisen müssen, dass Sepia neben Sepiola in der Organisation der Weichtheile sich in jeder Be- ziehung als der am höchsten differenzirte Dekapode ausweist, und ich brauche nur an das Verhalten der Muskulatur, der dorsalen Triehterwand, der Form des Mantelschließapparates, die Radula, den Verlust der oberen Speicheldrüsen, die gelappte Leber, die Lage und Form des Tintenbeutels, den Verlust der Kommissur zwischen den Gangl. stellata und die Verschmelzung der accessorischen Nidamen- taldrüsen zu erinnern, um diese Behauptung noch einmal in Kürze zu rechtfertigen. Damit würde es vollkommen in Einklang stehen, wenn wir bei Sepia gar keine Schale oder nur eine höchst rudimen- Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 265 täre Hornschale, etwa wie bei Sepiola finden und wir würden in diesem Falle einen Stammbaum Ommastr. sagitt. — Ommastr. to- darus — Sepioteuth. — Loligo — Sepia mit einem Seitenzweig Loligo — Rossia — Sepiola aufstellen können, wie er wohl selten in ähnlicher Vollkommenheit erreicht wäre. Die Sepienschale allein aber stürzt dieses Gebäude. Um diesen räthselhaften Anachronismus nun doch in unserem Stammbaum unterzubringen, bieten sich drei Möglichkeiten. Erstens nämlich kann man annehmen, dass die phylogenetische Entwick- lung wirklich so ist, wie sich aus der Betrachtung der Weichtheile allein ergiebt, dass also Sepia direkt von Loligo-ähnlichen Formen abstammt, bei welcher Voraussetzung sich die Sepienschale aus einer einfachen Hornschale wieder heraus entwickelt haben müsste. Zweitens ist es möglich, dass sich Sepia zu einer sehr frühen Zeit vom gemeinschaftlichen Dibranchiatenstamm losgemacht hat, als alle Formen noch gekammerte Kalkschalen besaßen. Dann wären sämmt- liche höhere Differenzirungen, die Sepia in der Organisation der Weichtheile gegen die ältesten Dibranchiaten lassen wir nur Om- mastrephes als solche gelten) voraus hat, von ihr selbständig er- worben worden. Drittens endlich lässt sich denken, dass im geraden Dibranchiatenstamm dureh Ögopsiden und Myopsiden die gekam- merte Kalkschale beibehalten und allmählich nur so weit reducirt wurde, als wir es bei Sepia finden und es wären dann alle Formen mit Hornschalen Seitenzweige, die sich zu verschiedener Zeit vom Hauptstamm losgemacht und alle selbständig für sich zu wiederhol- ten Malen die Kalkschale zu Gunsten der einfachen Hornschale auf- gegeben hätten!. Für welche der drei Möglichkeiten werden wir uns nun zu entscheiden haben? ! Ich füge hier zur Erleichterung des Verständnisses alle drei Hypothesen in graphischer Form bei. I. 1. IH. Sepia. Sepia. Sepia. ink Loligo | Loligo } | Sepioteuth. Sepioteuth. Sepioteuth. | Ommastr. Ommastr. | Ommastr. ‘ana todarus. todarus. | | Ommastr. Ommastr. Ommastr. sagitt. sagitt. | | sagitt. Belemnites. Belemnites. Belemnites. rts 266 J. Brock Wie ich glaube, dürfte die erste wohl wenig Beifall finden. Wohin wir auch unseren Blick richten mögen, überall in der ganzen Stammesgeschichte der Dibranchiaten finden wir die Entwicklung auf Reduetion und Beseitigung der Schale gerichtet, nirgends ist ein sicheres Beispiel bekannt, dass-von einer niedrigeren Schalenorga- nisation zu einer höheren fortgeschritten würde. Wollte man aber auch diesen Fall bei Sepia als Ausnahme statuiren und sie wieder aus einer Loligo-Schale ableiten, wie wunderbar wäre es, dass bei dieser höheren Differenzirung auch nicht der kleinste nur der Sepien- schale eigenthümliche Zug zum Vorschein gekommen ist, der für die Selbständigkeit ihrer Erwerbung Zeugnis ablegte, sondern dass hier die Natur, gleichsam in Erinnerung an den ehemaligen Ausgangs- punkt nichts Besseres, als eine verkümmerte Belemnitenschale vorzu- bringen vermocht hätte! 4 Ganz unhaltbar wird aber diese Hypothese, sobald wir die Pa- läontologie zu ihrer Kritik mit zu Hilfe nehmen. Paläontologisch bildet Sepia ein Glied einer Differenzirungsreihe, welche ebenfalls auf Reduktion der Schale gerichtet ist, Belemnites — Beloptera, — Belemnosis und Belosepia — Sepia — Coccoteuthis (Trachyteuthis), und ist in dieser Reihe noch nicht einmal das Endglied. Wie un- natiirlich es wire, die Sepienschale aus diesem Verbande herauszu- reißen und sie mit allen vorhin schon geäußerten Bedenken direkt von einer Loligo-Schale abzuleiten, liegt auf der Hand, und ich brauche mich bei dieser Hypothese daher wohl nicht weiter aufzuhalten. Ich. wende mich jetzt zur zweiten Möglichkeit. Es ist nicht zu leugnen, dass dieselbe auf den ersten Blick viel für sich zu haben scheint und doch lassen sich auch gegen ihre Annahme schwere Bedenken geltend machen. Hat sich wirklich Sepia so frühe abge- zweigt, als es diese Annahme fordert, so müsste der weite Raum, der Sepia jetzt von den ältesten Ögopsiden trennt, von ihren Vor- fahren selbständig durchlaufen sein und wir hätten dann zwei in den Weichtheilen vollkommen identische parallele Entwicklungsreihen Ommastr. — Sepia, Ommastr. — Loligo) vor uns, die sich nur in der Schale von einander unterschieden. Wenn nun auch Beispiele und selbst auffallende von Parallelismus in phylogenetischen Reihen gerade bei Dibranchiaten unstreitig vorkommen und schon mehrfach darauf hingewiesen werden musste (vgl. z. B. pag. 220), so müssten doch Beweise ganz anderer Art erbracht werden, um es glaublich erscheinen zu lassen, dass eine parallele Differenzirung zweier Ent- Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 267 wicklungsreihen in sämmtlichen Organsystemen und so lange Zeit hindureh konsequent beibehalten werden konnte. So lange dies nicht der Fall ist, müssen wir eine solche Annahme einfach von der Hand weisen. Es bleibt uns also die dritte Möglichkeit. Wenn. ich mich in der That zu dieser bekenne, so geschieht das nicht etwa, weil es sonst keinen Ausweg mehr gäbe, sondern weil wirklich kein irgend wie stichhaltiger Einwurf gegen dieselbe geltend gemacht werden kann. Die in diesem Falle nöthige Annahme, dass die einfache Hornschale zu verschiedenen Malen unabhängig von einander erwor- ben ist, möchte unbequem erscheinen: sie ist es aber in der That nicht, da die ganze Entwicklungstendenz der Dibranchiaten auf Re- duktion und Beseitigung der Schale gerichtet erscheint. Und wenn wir vollends sehen, dass bei Sepiola in der Muskulatur, in der Form des Gangl. stellat. etc. eigenthümliche Züge der Octopodenorganisa- tion plötzlich ganz unvermittelt auftreten, wo eine unabhängige Er- werbung außer Zweifel steht, so kann erst recht keine prineipielle Schwierigkeit in der Annahme einer mehrmals stattgehabten Re- duktion der Schale gefunden werden und so nehme ich denn keinen Anstand, mich in Betreff der Phylogenie der Myopsiden für den dritten Modus unter den aufgestellten Stammbaumformen zu ent- scheiden. Weniger Schwierigkeit bereitet die noch ältere Schale von Spi- rula. Auch die Anatomie der Weichtheile ist hier im Gegensatz zu Sepia mit der Schale wenigstens so weit in Übereinstimmung, dass man eine sehr frühe Abzweigung vom Dibranchiatenstamm wohl mit Sicherheit annehmen kann. Leider ist die Owen’sche Arbeit ge- rade in vielen entscheidenden Punkten (Kommissur zwischen Ganglia stellata und Nn. viscerales, näheres Verhalten der Gangl. stellat. und Pallialnerven, Radula, Harnsacköffnungen ete.) so lückenhaft, dass es kaum möglich ist zu bestimmen, wo etwa die Abzweigung vom Dibranchiatenstamm stattgefunden haben kann; jedenfalls aber sind uns in der Lage des Eileiters, in der Spirula Nautilus ähnelt, und in der Abwesenheit von Analanhängen — wenn diese nicht nur übersehen sein sollten — sehr alte Zustände überliefert worden. wie auch der Besitz von oberen Speicheldrüsen und die Kleinheit des Tintenbeutels in diesem Sinne aufzüfassen sind. Bestätigt sich der Mangel unterer Speicheldrüsen , so haben wir eine Reduktion vor uns, wie solche bei Formen, welche eine lange isolirte Entwicklung 268 J. Brock hinter sich haben, ganz gewöhnlich sind. und wie wir sie bei dem Gegenstück von Spirula unter den Octopoden, Cirrhoteuthis noch zahlreicher antreffen werden. Dass Spirula mit den echten Myopsi- den nichts zu thun hat!, erscheint schon jetzt sicher, andererseits kennen wir aber ihre Anatomie zu wenig genau, um sie bei den Ögopsiden unterzubringen , resp. eine eigene Abtheilung für sie auf- zustellen, was mir noch am meisten den vorliegenden Thatsachen zu entsprechen scheint. Sepiola stand ich früher nicht an, als einen echten Loligo zu bezeichnen (Brock, Ver wandtschaftsverh. d. Ceph. ete. pag. 25), ge- langte aber bei näherer Prüfung der Verhältnisse zur Überzeugung, dass sich Sepiola in einigen Punkten ihrer Organisation weit mehr Sepia nähert. Ich glaube daher jetzt annehmen zu müssen, dass sie sich vom gemeinschaftlichen Stamm etwa zwischen Loligo und Sepia abgezweigt hat, ohne für jetzt sicher entscheiden zu können, wem sie eigentlich näher steht. Eine genaue Anatomie von Rossia, welche das Bindeglied zwischen Loligo und Sepia einerseits, Sepiola andererseits bildet?, muss hier Aufklärung verschaffen. Bemerkens- werth ist, dass bei Sepiola und Rossia die Schale die größte Reduktion erfahren hat, die vor dem völligen Verschwinden überhaupt beob- achtet wird, denn sie erreicht bekanntlich hier nur die halbe Länge des Thieres. Im Übrigen ist Sepiola mit Loligo näher verwandt in der Lage des Tintenbeutels und der Form des Mantelschließappara- tes, sie steht aber Sepia näher in der Zusammensetzung der © Ge- schlechtsorgane, der Form des Magens, dem Bau der dorsalen Trich- terwand und dem Mangel oberer Speicheldrüsen. Alle diese für die Dekapoden-Organisation typischen Züge werden aber verwischt durch den Verlust des Nackenschließapparates und die höchst eigenartige Entwicklung der Muskulatur und des Gangl. stellat., welche zeigen. ! Dass die Kererstein’sche Eintheilung der Dekapoden (Klassen und Ord- nung. ete. p. 1438) in Caleiphora (Spirula, Sepia und die fossilen Verwandten) und Chondrophora (alle übrigen) allen Thatsachen der vergleichenden Anatomie widerspricht, braucht nach Obigem nicht noch besonders erörtert zu werden. 2 Graphisch also etwa so: Sepia | — Rossia ———————— Sepiola Loligo Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 269 dass der Weg, der von der zwischen Loligo und Sepia stehenden Stammform bis Sepiola zuriickgelegt worden ist, ein sehr langer ge- wesen sein muss. Über Cranchia irgend ein Urtheil abzugeben, ist bei der man- gelhaften Kenntnis ihrer Anatomie zur Zeit noch unmöglich; kann man doch kaum mit Sicherheit sagen, ob Cranchia ein echter Myop- side ist, in welche Gruppe sie dem Bau ihrer Augen nach gehört. Ich glaube, aus der Kopfnackenverwachsung schließen zu dürfen, dass wir es hier mit einer hoch differenzirten Form zu thun haben werden. Ich wende mich jetzt zu dem schwierigsten Problem der ganzen Dibranchiaten-Phylogenie, dem Verhältnis der Octopoden zu den beiden anderen Gruppen. Wie schon zu wiederholten Malen bemerkt wurde und die anatomische Betrachtung fast für jedes Organ von Neuem bewies, bilden die Octopoden eine fest in sich abgeschlossene Gruppe, die von den Dekapoden durch eine weite, durch kein Binde- glied überbrückte Kluft getrennt wird. Zwar scheint bei oberfläch- licher Betrachtung ein solches sich in dem merkwürdigen Cirrhoteuthis darzubieten, allein ich bin zum Glück sehon durch die ersten Unter- sucher REINHARDT und ProscHn der Mühe überhoben worden, die Octopodennatur des Cirrhoteuthis klar zu legen. (REINHARDT og Proscu, 1. e. pag. 31 sqq.), dessen scheinbare Dekapoden - Ähnlieh- keiten ‘Flossen, innere Schale, Verlust eines Eileiters) in keinem Falle auf wirklicher Verwandtschaft beruhen. Früher glaubte ich gefunden zu haben (Brock, Verwandtschaftsverh. ete. pag. 10, 11), dass sich die Philonexiden in schlitzförmigen Harnsackmiindungen und einfachen Armnervenkommissuren an die Ögopsiden anschlössen, aber diese Beobachtungen haben sich als irrthümliche erwiesen und der vermeintliche Anknüpfungspunkt muss damit wieder fallen gelas- sen werden. So ist also die Frage nach den verwandtschaftlichen Beziehungen der Octopoden zu den Dekapoden noch immer eine offene. Die hohe und dabei so außerordentlich eigenartige Organisation der Octopoden lässt mit Sicherheit auf eine sehr lange. isolirte Ent- wicklung, also auf eine verhältnismäßig frühe Abzweigung schließen, und darum ist es in der That von vorn herein äußerst unwahrschein- lich, dass dieselbe von dem jüngeren Dekapoden-Phylum, den Myop- siden stattgefunden hat. In der That lässt sich auch, um es kurz zu sagen, kaum eine verwandtschaftliche Beziehung der Octopoden 27 0 Ne Brock zu den Myopsiden herausfinden, die nicht eben so gut zwischen ihnen und den Ogopsiden bestände ', wogegen eine Annäherung an die Ögopsiden in mehreren bedeutsamen Punkten — Duplieität der Eileiter, einfache Eileiterdrüse von Argonauta, Radula, Spiralmagen — un- streitig gegeben ist, in denen sie zu den Myopsiden vermisst wird. Wir sind also hier auf einer Spur, die weiter verfolgt zu werden ver- dient, und zu diesem Zweck ist zunächst die Frage zu beantworten, ob unter den Ogopsiden eine größere Verwandtschaft der Octopoden zu einer der beiden Gruppen, der Ommastrephes und Loligopsis- Gruppe, als zur anderen sich nachweisen lässt. Ein Vergleich mit den Ommastrephes-Arten, eben so wie mit Onychoteuthis lehrt nun, dass außer den vorhin angegebenen Ögopsiden-Ähnlichkeiten weitere Beziehungen nicht zu finden sind, während die Loligopsis-Gruppe und zwar gerade in einigen der Eigenthümlichkeiten , welche sie scharf von der Ommastrephes-Gruppe scheiden, zu einer Annäherung in der That die Hand zu bieten scheint. Erstens nämlich ist her- vorzuheben, dass einige der wichtigsten. Oetopoden-Eigenthümlich- keiten hier einzig und allein unter den Dekapoden vertreten sind, nämlich der Mangel einer Trichterklappe (Chiroteuthis, Loligopsis, Owenia) , die Anwesenheit einer wohlentwickelten Milz (Enoploteu- this, Chiroteuthis) und der rudimentäre Mantelschließapparat (Loli- gopsis); dann aber ist vor allen Dingen die sehr hohe Ähnlichkeit zu beachten, welche zwischen dem © Geschlechtsapparat von Eno- ploteuthis und dem von Argonauta besteht und welche bei den iibri- ven Loligopsiden nur durch den Ausfall eines Eileiters etwas ver- wischt wird. Der einzige Unterschied zwischen beiden ist eigentlich nur der, dass bei Argonauta die Eileiterdrüse sich nicht am Aus- sang des Eileiters befindet, sondern dem Eierstock sehr genähert ist und dass letzterer einen dünnhäutigen Sack bildet, während er bei Enoploteuthis nach Dekapoden-Art keine eigenen Wände besitzt. Sonst stimmt aber in den Grundzügen Alles überein und besonders ist es der Mangel der Nidamentaldrüsen, welcher Enoploteuthis und Verwandte eben so sehr den Octopoden nähert, als sie in diesem Merkmal scharf von allen übrigen Dekapoden geschieden sind. Aber vielleicht können wir der Beziehungen noch mehr finden. ' Die einzige vielleicht ist die Art der Gefäßursprünge aus dem Herzen und die Ausbildung der muskulösen Leberkapsel ; auch lässt sich nicht bestrei- ten, dass die Analanhänge der Octopoden eine größere Verwandtschaft zu Lo- ligo und Sepia als zu sonst einer Form zeigen. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 2374 Das Genus Loligopsis wurde nämlich von Lamarck! nach der Zeichnung eines achtarmigen Cephalopoden von Péron & LESUEUR mit der Art L. Peronii aufgestellt, und es ist merkwürdig und nur aus der sonstigen unzweifelhaften Dekapoden-Organisation zu erklären, dass, obgleich kein Beobachter je an einer Loligopsis-Art mit Si- cherheit etwas von Fangarmen wahrnehmen konnte, doch fast nie daran gezweifelt worden ist, dass sie nur zufällig verloren gegangen wären. GRANT (l. e. pag. 23) fand allerdings bei Loligopsis cyclura an der Stelle, wo sonst die Tentakel sitzen, ein »small cylindrical tubercle destitute of suckers«, fügt aber hinzu: »These rudimentary tentacles about a line (!) in length ... present no appearance of la- ceration«, welche Beschreibung es mir sehr zweifelhaft erscheinen lässt, ob diese Knötchen mit den Tentakeln in Wirklichkeit etwas zu thun haben, und ich glaube eher, dass Gran bei seinem eifrigen Suchen nach Tentakelstiimpfen bedeutungslosen, wenn nicht zufälli- gen Bildungen eine unverdiente Wichtigkeit beigelegt hat. Am meisten Gewicht lege ich aber auf das Zeugnis des gut beobachten- den Virany, welcher von seinem Loligopsis Bomplandii sagt?: »J’ai serupuleusement cherché les bras tentaculaires ou du moins quelques traces de ces organes, toutes mes recherches ont été infructueuses, et je puis avancer avec certitude, que cette espéce en est de- pourvue *. ! Wie ich aus GRANT, |. e. pag. 21 ersehe. An welchem Orte, vermag ich beim Mangel der geeigneten litterarischen Hilfsmittel nicht zu sagen. 2 J. B. Vürany, Mémoire sur deux nouvelles espéces de Céphalopodes trouvées dans Tocéan. Atti dell. acad. real. di se. classe di se. math. e fis. Tom. 1. ser. 2. Torino 1839 pag. 100. 3 RATHRE (l. ce. pag. 152) findet zwar bei seinem Perothis »Stummel« der Fangarme, aber diese Arbeit eines sonst so hervorragenden Beobachters ist so voll von Ungenauigkeiten, Unklarheiten und Irrthümern, dass ich in dieser An- gabe keinen triftigen Gegenbeweis anerkennen kann, um so mehr, als das RATHKE'sche Genus von D'ORBIGNY (FERUSSAC & D'ORBIGNY, |. e. pag. 322) mit L. guttata und eyelura vereinigt wird. Sonst finde ich von echten Loligopsis bei DÖRBIGNY nur noch beschrieben L. chrysophthalmus d’Orb. (Tilesii Fer.) wit großer Octopoden-Ahnlichkeit im Habitus und acht Armen und L. Pavo (Les.) d’Orb., der allerdings zwei lange Fangarme haben soll. Letztere Angabe ist indessen auch nicht über allen Zweifel erhaben, da die Fangarme weder irgendwie beschrieben noch abgebildet werden und also vielleicht nur nach Analogie angenommen sein können: sollten sie aber doch vorhanden sein, so ist es immer noch möglich, dass L. Pavo trotz seines Loligopsis-Habitus bei nä- herer anatomischer Untersuchung zu Chiroteuthis zu bringen sein wird. Be- kanntlich sind die Grenzen zwischen beiden Genera sehr schwankend und werden 272 J. Brock Wie nun, wenn das Genus Loligopsis oder einige seiner Arten wirklich nur acht Arme hätten? Dürften wir hieraus eine direkte Verwandtschaft mit den Octopoden folgern oder hat die Annahme mehr Wahrscheinlichkeit, dass die Fangarme bei zwei verschiedenen Formen, die sonst gar nichts mit einander zu thun haben, bei Loli- gopsis und den Octopoden, zwei Mal unabhängig von einander verlo- ren gegangen sind? Wäre nichts weiter von Loligopsis bekannt, so würden wir uns wohl zu dieser letzteren Annahme entschließen müs- sen, aber die sonstigen Octopoden-Eigenthiimlichkeiten, die wir theils hier (Mangel der Trichterklappe), theils bei den nächsten Verwandten, die bei der mangelhaften Kenntnis der Anatomie von Loligopsis mit herangezogen werden miissen,, gefunden haben (Vorhandensein einer Milz, Mangel der Nidamentaldrüsen) lassen eine direkte Ver- wandtschaft denn doch nicht so ganz unbegründet erscheinen. Noch mehr aber würde diese Hypothese an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir nachweisen könnten, dass Loligopsis oder die Loligopsis- Gruppe älter, als die Ommastrephiden wäre: denn da die Organisa- tion der Oetopoden eine sehr frühe Abzweigung gebieterisch fordert, so würde ihre Ableitung von einer Dekapodengruppe, welche als ganz andere, je nachdem man der Ausbildung der Fangarme oder der Schale einen größeren Werth als Genuscharakter beilegt, wobei ich glaube, dass die Achtzahl der Arme, falls sie sich bestätigt, für Loligopsis als Genuscharakter vor allen anderen entschieden den Vorzug verdient, da ein so begrenztes Ge- nus auch habituell wohl charakterisirt wäre. Dass aber die Loligopsis-Arten mit langen Fangarmen, L. Véranyi Fer., L. vermicularis Rüpp. und L. Zy- gaena Ver. überhaupt generisch als Chiroteuthis abgetrennt werden müssen, ist unumgänglich nothwendig; denn abgesehen von den Unterschieden in den Armen besitzt Chiroteuthis einen wohl entwickelten knorpligen Mantel- und - NackenschlieBapparat, Loligopsis dagegen einen rudimentären Mantel- und gar keinen Nackenschließapparat, dafür aber seitliche Verwachsungen des Trich- ters mit dem Kopf. Allerdings zeigt wieder die Schale von L. Bomplandii Ver. wenig Ahnlichkeit mit der durch einen echten Phragmoconus charakteri- sirten von L. guttata und nähert sich dafür außerordentlich der Schale von Chiroteuthis Véranyi, in welches Genus D’ORBIGNY L. Bomplandii darum auch eingereiht hat, aber ich habe schon vorhin mich dahin geäußert, dass die Schale hier hinter den anderen Charakteren zurücktreten muss. In derselben kleinen Abhandlung beschreibt z. B. V&rany einen unzweifelhaften Onychoteuthis, ©. Morisonii, der keinen Phragmoconus, wie O. Liehtensteinii besitzt. Wollte man aber durchaus die Dignität der Schale als Genuscharakter retten, so miisste man noch mehr generische ‘l'rennungen vornehmen, in welcher Frage indessen nur eine nähere anatomische Kenntnis der hierher gehörigen Formen zu .einer richtigen Entscheidung führen kann. — Über Veranya und die Anzahl ihrer Arme siehe pag. 277. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 973 solehe schon höher differenzirt wäre, als eine andere, wenig glaub- haft erscheinen. Leider lässt uns die Anatomie in dieser Frage noch ganz im Stich. Im Besitz der Urform des Gangl. stellat. und einer Schale mit Phragmoconus zeigt sich Loligopsis allerdings als alte Form und auch der Verlust der Nidamentaldrüsen und der Triehterklappe würden seine Stellung zu den Octopoden nicht beeinträchtigen, denn es sind dies gegen die Ur-Dibranchiaten zwar schon Differenzirungen, aber nur solche, welche von den Stamm-Eltern der Octopoden doch einmal erworben werden mussten. Viel bedenklicher dagegen sind die noch höheren Differenzirungen, welche von den nächsten Verwandten von Loligopsis stellenweise gegen Ommastrephes erreicht werden (Verlust eines Eileiters bei Chiroteuthis und Owenia); aber diese Eigenthümlichkeiten können nicht ohne Weiteres für den Platz maßgebend sein, den wir Loligop- sis anzuweisen haben, da er zu seinen (jetzt noch!) nächsten Ver- wandten etwa in dem Verhältnis, wie Ommastrephes sagittatus zu Loligo stehen kann Außerdem tritt aber für ein höheres Alter von Loligopsis auch die Entwicklungsgeschichte ein. Unzweifelhaft vertritt nämlich der GRENACHER’sche Cephalopode durch den Mangel eines äußeren Dottersackes einen niedrigeren ent- wicklungsgeschichtlichen und, was damit zusammenfällt, auch einen niedrigeren phylogenetischen Typus, und es würde daher, könnten wir seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art ermitteln, für die Beur- theilung ihrer phylogenetischen Stellung ein nicht zu unterschätzen- des Moment gegeben sein. Dass dieser Cephalopode ein Ögopside ist, hat schon GRENACHER sehr wahrscheinlich gemacht; dass er kein Ommastrephes (und also auch wohl kein Onychoteuthis) sein kann, geht aus der durch KÖLLIKER und Ussow bekannten Ent- wicklungsgeschichte des Ommastreph. sagittatus hervor, dem der äußere Dottersack keineswegs mangelt. Es bleibt also die Loligop- sis-Gruppe. Nun hat es GRENACHER schon selbst nicht ohne Verwunderung mehrfach hervorgehoben, dass bis zum Ende seiner Beobachtun- gen, wo das Thier schon recht weit entwickelt war, noch keine Spur eines fünften Armpaares sich zeigte. Da sonst die Anlage der Arme sehr rasch auf einander folgen und dieselben bei Sepia z. B. mit dem Mantel zu den am frühesten auftretenden Organen ge- hören, so ist es für mich wenigstens viel wahrscheinlicher, dass der GRENACHER’sche Cephalopode überhaupt nur acht Arme hatte, also ein Loligopsis oder eine Loligopsis verwandte Form war, als dass Morpholog. Jahrbuch. 6. 18 274 J. Brock so spät noch ein fünftes Armpaar angelegt werden sollte. Freilich lässt sich sonst nicht viel für diese Vermuthung vorbringen, da bei allen sonst noch auffindbaren Übereinstimmungen mir mit Recht ent- gegengehalten werden kann, dass vom Embryo bis zum verwachse- nen Thier noch ein weiter Weg ist und man nicht wissen kann, was von den beobachteten Eigenthiimlichkeiten sich auch noch beim Er- wachsenen findet. Indessen lohnt es sich doch, sie wenigstens au- zuführen. So spricht GrENACHER mehrmals von den außerordent- lich hervorspringenden , fast .gestielten Augen seines Embryo (z. B. l. e. p. 433), was bei Loligopsis sehr auffallend sein muss, da es ausnahmslos alle Beobachter (RATuKE, GRANT, VERANY) erwähnen!, so war das dritte Armpaar auffallend länger, als die anderen (I. e. pag. 434), was wieder bei Loligopsis guttata (GRANT, |. e. pag. 23) sehr gut passt, und die Stellung und Form der Saugnäpfe und Flossen stehen wenigstens nicht mit meiner Diagnose in Widerspruch, wenn sie sich auch eben so gut auf manche andere Art deuten ließen. Die embryonale Radula, welche GrEnACHER abbildet (1. e. Taf. XLIL, Fig. 59, 40), ist viel zu unentwickelt, um ein sicheres Urtheil zu gestatten, und weder von Loligopsis noch von einem seiner nächsten Verwandten mit Ausnahme von Enoploteuthis die Radula überhaupt bekannt; aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass die Mittelplatte, während sie sonst im Habitus mehr Onychoteuthis ähnelt, unter allen auf ihre Radula bekannten Ögopsiden nur noch mit Enoploteuthis darin übereinstimmt, dass sie keine Seitenzähne entwickelt hat. Direkt gegen Loligopsis würde eigentlich nur die Größe des Laichs sprechen, der für alle bekannten Loligopsis-Arten unverhältnismäßige Dimensionen besaß; aber es braucht sich ja nicht um eine der bekann- ten Loligopsis-Arten oder überhaupt um eine schon bekannte Art zu handeln, ich behaupte eben nichts weiter, als dass der GRENACHER’sche ! Besonders vorspringende, fast gestielte Augen hat Loligopsis Pavo (FB- RUSSAC & D’OÖRBIGNY, |. c. Atlas, Loligopsis, Pl. IV, Fig. I, 2) und da er außerdem der größte bekannte Loligopsis ist (Körperlänge des einen Exemplars 273 mm) — ein wegen der Größe des Laichs nicht unwichtiger Umstand — und Madeira zu den wenigen Orten gehört, wo er bisher gefunden wurde, so möchte ich bei einer näheren Bestimmung des GRENACHER’schen Cephalopoden zunächst an ihn denken, wenn nicht diese Art angeblich wenigstens Fangarme besäße. Auch die Verwandten von Loligopsis zeigen die vorspringenden Augen. Owenia megalops hat ihren Namen von diesem Merkmal, von Véranya erwähnt es VERANY (Mollusq. med. etc. pag. 86), und bei manchen Chiroteuthis-Arten muss dieser Charakter sogar sehr auffallend sein, wie ein Blick auf die Abbil- dung von Ch. zygaena bei Verany (ibid. Pl. XL, Fig. C) lehrt. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 975 Cephalopode, wenn er kein Loligopsis selbst ist, doch jedenfalls einer nahe verwandten Art angehören muss. Mögen wir uns aber auch durch diese Hypothese bestimmen lassen, Loligopsis ein hohes Alter selbst unter den Ögopsiden zuzu- erkennen, so ist nicht nur für seine nächsten Verwandten damit gar nichts gewonnen, weil wir den Grad ihrer Verwandtschaft nicht kennen, sondern dieser primitivere Entwicklungsmodus bietet uns auch für Loligopsis kein Mittel, über seine Verwandtschaft mit der Ommastrephes-Gruppe irgend welche näheren Angaben zu machen. Wir müssen uns mit dem Resultat begnügen, dass wir aus Mangel anatomischer Kenntnis der Loligopsiden das genealogische Verhältnis beider Gruppen der Ögopsiden zu einander nicht bestimmen können, und dass, wenn auch Loligopsis eine alte Form zu sein scheint, seine nächsten Verwandten neben sehr alten Einrichtungen (Muskelsystem bei Enoploteuth., Form des Gangl. stellat. ete.) Verhältnisse zur Schau tragen, welche schon als Differenzirungen gelten müssen (Verlust eines Eileiters ete.), während Ommastrephes und Onychoteuthis zwar in einigen Punkten (Muskelsystem ete. ') jedenfalls höher differenzirt sind, in den meisten anderen dagegen sich primitiver zeigen. Da nun auch Onychoteuthis in vielen Punkten einen so ausgezeichneten Übergang zwischen Ommastrephes und Enoploteuthis bildet?, so scheint es auf den ersten Blick sehr nahe zu liegen, die Loligopsis-Gruppe durch Onychoteuthis und Enoploteuthis hindurch von Ommastrephes-ähnlichen Formen abzuleiten. Dem stehen aber nicht nur die Resultate der On- togenie, sondern auch die unzweifelhaft vorhandene Verwandtschaft mit den Octopoden entgegen, und wenn nicht etwa erwiesen werden sollte, dass die Verwandtschaft von Loligopsis mit Enoploteuth., Chiroteuth. etc. eine weit fernere ist, als man augenblicklich annehmen muss, oder dass der GRENACHER'sche Cephalopode doch kein Loligopsis oder Verwandter ist, sind diese Bedenken kräftig genug, um die Frage nach der Verwandtschaft der Ommastrephes- und Loligopsis-Gruppe noch in suspenso zu lassen. Diese empfindliche Lücke unseres Wissens legt indessen der näheren Verfolgung des Octopodenstammbaumes vor der Hand wenig- stens noch keine Hindernisse in den Weg. Wir haben gefunden, dass eine Reihe von bedeutsamen Eigenthümlichkeiten der Organisa- ' Vgl. bei diesen Erörterungen Tabelle I pag. 261. 2 Vgl. Tabelle II, pag. 262. ? ® Was ich zu glauben geneigt bin. Nur die genaue Anatomie einer Loli- gopsis-Art wird diese Frage lösen können. — 18* 276 J. Brock tion den Octopoden und der Loligopsis-Gruppe gemeinsam sind; immerhin zeigen aber Loligopsis und Verwandte trotz der acht Arme des ersteren Genus den Dekapodentypus schon so ausgeprägt, dass es schon desshalb viel wahrscheinlicher ist, die Oetopoden nicht direkt von dieser Gruppe abzuleiten, sondern in den gleichen Organisations- verhältnissen nur die Erinnerung an einen gemeinschaftlichen Aus- gangspunkt beider Gruppen zu sehen. Diese Auffassung erlangt auch durch die Betrachtung einiger anderer Eigenthümlichkeiten eine wesentliche Stütze. Schon v. Imprine (l. e. pag. 261) hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Verschmelzung des Suprapha- ryngeal-Ganglions mit dem Gehirn nur äußerst gezwungen als spä- terer Erwerb auffassen lässt, vielmehr das primäre Verhalten bildet, das eigenthümlicherweise nur diese höchst differenzirte Gruppe bewahrt hat. Ich kann dazu noch den Kropf fügen, von dem ich es nach der Art seiner phylogenetischen Entwicklung in der Octopo- denreihe wahrscheinlich zu machen gesucht habe, dass er als uraltes Erbstück aufgefasst werden muss, und endlich ist auch die von Vı- GELIUS zuerst hervorgehobene Übereinstimmung zwischen Nautilus und den Octopoden im Besitz von Kommunikationen zwischen dem Venensystem und der Leibeshöhle als direkte Homologie zu deuten. Sind aber diese Behauptungen begründet, so müssen alle drei Eigen- thümlichkeiten erst sekundär von den Dekapoden verloren worden sein und die Stelle, wo die Octopoden sich vom Dekapodenstamm abzweigten, muss bis auf Formen zurückgeschoben werden, die alle drei noch besaßen. Die Ur-Dibranchiaten spalteten sich daher wohl schon sehr früh in zwei Linien, die Ommastrephiden und die gemein- samen Stammeltern der Octopoden und der Loligopsis-Gruppe. Bis zu diesem Punkte haben wir bei unseren Spekulationen noch einigermaßen sicheren Boden unter den Füßen, er schwindet aber, sobald wir die Genealogie der einzelnen Formen der Loligop- sis-Gruppe näher zu ergründen versuchen. Ich will mich darum auch ganz kurz fassen. Die Ur-Dibranchiaten besaßen also von Merk- malen , welche jetzt nur noch von den Octopoden, theilweise auch vom Nautilus bekannt sind, die noch bestehende Verschmelzung des Suprapharyngealganglions mit dem Gehirn, den Kropf und die Ve- nenkommunikationen, worin sie sich also von allen lebenden Deka- poden, so weit bekannt, unterschieden. Nehmen wir nun an, dass die Ur-Dibranchiaten in die Ommastrephiden und die gemeinschaft- lichen Stammformen der Loligopsiden und Octopoden aus einander gingen, so müssten entweder die erwähnten Eigenthümlichkeiten Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 277 bei den Loligopsiden sich noch finden, was nicht ganz unmöglich, aber nach der Anatomie von Enoploteuthis höchst unwahrscheinlich ist, oder sie müssten mindestens zweimal, von den Ommastrephiden und den Loligopsiden unbhängig von einander verloren worden sein. Diese Annahme ist ja an sich nicht unbedenklich, aber wir können uns doch um so eher dazu entschließen, als, wie wir später sehen werden, gewichtige Gründe sich dafür beibringen lassen, dass auch die Hangarme von beiden Gruppen unabhängig von einander aus indifferenten Armen entwiekelt worden sind. Im Übrigen wäre es bei dem Mangel jeglicher sicheren anatomischen Basis ein höchst unfruchtbares Beginnen, alle etwa sich darbietenden Möglichkeiten weiterer Verwandtschaftsverhältnisse in eingehender Weise erörtern zu wollen, und ich begnüge mich daher, die Ansicht von der Sache, die mir persönlich am meisten zusagt, ganz kurz in Stammbaumform hier folgen zu lassen, wobei ich die hauptsächlichsten Differenzirun- gen, welche die phylogenetische Entwicklung von einer Form zur anderen erreicht hat, zwischen beide in Klammern eingeschaltet habe. Octopoden. Owenia Myopsiden. Chiroteuthis. Verlust eines | Verlust eines Eileiters. ] Eileiters.] | Omm.sagitt. Omm.todarus. Onychoteuth. Enoploteuthis. | [Herausbildung [Herausbildung Loligopsis der Fangarme, der Fangarme, Véranya? Verschmelzung Verschmelzung des Suprapha- des Suprapha- ryng.-Gangl.m. ryng.-Gangl.m. d.Gehirn, Ver- d. Gehirn, Ver- lust d. Milz.) . lust. d. Milz.) | Verlust d. Ni- Octopodenu. Verlust des damentaldrüsen _ Loligopsi- __ 5. Armpaa- u. d. Trichter- den-Stamm- res... Ur- klappe. form. Octopoden. Ur-Dibranchiaten mit 10 gleichmäßig entwickelten Armen, Verschmelzung des Suprapharyngeal- Gangl. mit d. Gehirn, Kropf, Milz ete., im Ubri- gen etwa wie Ommastr. sagittatus organisirt. 278 J. Brock Ich kann aber nicht nachdriicklich genug hervorheben, dass es sich um nichts weiter, als den Ausdruck einer persönlichen Meinung handelt, welche ein einziges neues anatomisches Faktum ändern kann. Vielleicht wird diese Genealogie der augenblicklich bekann- ten Summe anatomischer Thatsachen noch am meisten gerecht, ich verhehle mir indessen keineswegs, dass schon jetzt nicht leicht zu entkräftende Bedenken gegen sie geltend gemacht werden können, wie z. B. Onychoteuthis von Enoploteuthis ungebührlich weit entfernt steht. So lange aber unsere Kenntnisse von einer Gruppe so be- schränkte sind, dass eine genealogische Klassifieirung derselben ganz verschieden ausfällt, je nachdem dabei auf das Verhalten des einen oder des anderen Organsystems ein größerer Nachdruck gelegt wird, darf ein solcher Stammbaum kaum den Werth einer Hypothese be- anspruchen und ist nur in so fern von Nutzen, als er weiteren Forschungen von vorn herein eine bestimmtere Fragestellung er- möglicht '!. ! Noch einige Worte über Véranya dürften hier am Platze sein. Bei Vé- ranya wurden von ihren Entdeckern RürpeLL und Kroun nur acht Arme ge- funden, das Thier desshalb auch Octopodoteuthis genannt, und Hr. Prof. Carus hatte die Güte, mir persönlich mitzutheilen, dass ein in seinem Besitz befind- liches vollkommen -unversehrtes Exemplar nur acht Arme besitzt. Nach V&- RANY (Mollusq. med. pag. 88) beobachtete aber Kroun in Messina zwei ganz Junge Exemplare, von denen das eine Spuren von Tentakeln, das andere die- selben unverletzt zeigte, und VERANY schließt daraus, »que les bras sont ca- dues & un certain Age et ne laissent aucune trace de leur existence«. Die Richtigkeit dieser interessanten Beobachtung vorausgesetzt, könnte in ihr bis zu einem gewissen Grade ein Beweis für die später auf anderem Wege abzu- leitende Behauptung gefunden werden, dass die Octopoden aus den ältesten mit zehn gleichmäßigen oder annähernd gleichmäßigen Armen versehenen Di- branchiaten durch Verlust von zweien sich entwickelt haben miissen. Die Fang- arme sind nämlich bei Véranya sogar kürzer, als das zweite Armpaar und auch sonst in nichts von den übrigen Armen unterschieden, verdienen also gar nicht ihren Namen, so dass Véranya viel richtiger als ein Dibranchiate mit zehn annähernd gleichmäßig entwickelten Armen aufgefasst wird. Bestätigt sich nun, wie gesagt, die VHRANy’sche Behauptung, so hätte sich Véranya ge- rade da abgezweigt, wo das fünfte Armpaar anfing verloren zu gehen, da es wenigstens noch in der frühesten - Lebensperiode existirt, und würde darin von allen lebenden Formen den ältesten Octopoden am nächsten stehen, wäh- rend Loligopsis sich etwas später vom gemeinschaftlichen Stamm losgemacht hätte, da das fünfte Armpaar (wenn der GRENACHER'sche Cephalopode ein Lo- ligopsis ist!) auch ontogenetisch nicht mehr angelegt wird. Ich verlöre mich allzusehr in rein persönliche Vermuthungen, wollte ich noch länger bei diesem Gegenstande verweilen; indessen werden diese wenigen Andeutungen schon hinreichen, um zu zeigen, ein wie überreiches Feld hier noch späteren Beob- achtungen offen steht. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 279 Es bleibt allein noch an unserer Genealogie der Octopoden die Frage nach der Anzahl der Arme ihrer Stammformen, und was da- mit unmittelbar zusammenhängt, die Frage nach der Armzahl der Ur-Dibranchiaten überhaupt zu erledigen übrig. Hier spricht nun, um das Resultat gleich vorauszunehmen, nichts dafür, dass die Ur-Dibran- chiaten etwa nur acht Arme gehabt haben sollten und die Octopo- den also auch in dieser Hinsicht einen Zug der Stammeltern be- wahrt hätten; es steht dem vielmehr — außer dem Verhalten von Véranya, auf welches ich aber bei der für ein so wichtiges Faktum noch nicht hinreichend sicheren Beglaubigung kein großes Gewicht legen will — der Umstand entgegen, dass in diesem Falle die Fangarme zwei Mal unabhängig von. einander erworben sein müssten, zu welcher Annahme gar kein Grund vorliegt. Aber auch die Mög- lichkeit, dass die Ur-Dibranchiaten sehon wohl entwickelte Fang- arme gehabt hätten, ist von der Hand zu weisen. Wer die allmäh- liche Hervorbildung der Fangarme noch innerhalb der lebenden Dekapoden verfolgt, wer beachtet, wie wenig sie sich noch bei Om- mastr. todarus von den sitzenden unterscheiden und wie sie ihre höchste Ausbildung — vollkommene Retraktilität — erst bei den Myopsiden erreichen, wer endlich sich erinnert, dass sie auch ontogenetisch vollkommen wie die übrigen Arme angelegt werden, kann die Vorstellung nieht von der Hand weisen, dass die Ur-Di- branchiaten zehn gleichmäßig entwickelte Arme besaßen, von denen die Octopoden sich zweier entäußerten, die Dekapoden zwei zu Fangarmen weiter entwickelten. Diese Annahme stimmt nicht nur mit den paläontologischen Befunden, so weit dies iiberhaupt möglich ist, überein, sondern. sie ist auch die einzige, welche sich mit der auf vergleichend anatomischem Wege erschlossenen Verwandtschaft der Octopoden mit den Loligopsiden befriedigend vereinigen lässt. Geben wir nämlich nicht nur den Ur-Dibranchiaten, sondern auch noch den gemeinsamen Stammformen der Octopoden und Loligop- siden zehn gleichmäßig entwickelte Arme, so haben wir nur anzu- nehmen, dass die Octopoden und Loligopsis davon zwei verloren, während Enoploteuthis, Chiroteuthis, Owenia ete. zwei zu Fang- armen entwickelten. Dass in diesem Falle die Ausbildung von zwei indifferenten Armen zu Fangarmen zweimal unabhängig von einan- der stattgefunden haben muss (Chiroteuthis, Enoplotenth. — Ommastr., Onychoteuth.), unterliegt bei dem physiologisch hohen Werth, den die Fangarme für eine pelagische Lebensweise besitzen, keinem Be- denken, und wir können uns um so eher zu dieser Annahme be- 280 J. Brock quemen, als die beiden anderen Möglichkeiten, die einer achtarmigen Dibranchiatenstammform und die einer zehnarmigen mit wohl ent- wiekelten Fangarmen beide zu viel unwahrscheinlicheren Konsequen- zen führen. Geben wir nämlich den Ur-Dibranchiaten nur acht Arme, so müsste sogar die vollständige Neuerwerbung von Fang- armen zwei Mal unabhängig von einander stattgefunden haben — ein großer Unterschied gegen die Hervorbildung von Fangarmen aus in- differenten Zuständen und sehr viel unwahrscheinlicher; geben wir dagegen den Ur-Dibranchiaten wohlentwickelte Fangarme, so müss- ten die Stammformen der Octopoden das fünfte Armpaar nicht in indifferentem Zustande, sondern in ihrer höheren Ausbildung als Fangarme verloren haben: eine Annahme, zu der man sich auch nieht ohne Noth entschließen wird. Wir werden daher gut thun, zu unserer ersten Hypothese zurück- zukehren, welche die einzige ist, die auch aus den paläontologischen Befunden etwas an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Während sich näm- lich, so weit mir die einschlägige Litteratur bekannt ist, nirgends bei fossilen Dibranchiaten mit erhaltenen Resten von Weichtheilen sich mit Sicherheit etwas von Fangarmen nachweisen lässt, zeigen mehrere der am besten erhaltenen Abdrücke ganz deutlich zehn gleich- mäßig entwickelte Arme. So z. B. der bekannte Acanthoteuthis- Abdruck, von dem MANTELL! eine Abbildung gegeben hat, obgleich MANTELL selbst von »tentacles« spricht, ferner Acanthoteuthis Ferus- sacii Wagn.?, Belemnites Owenii*® etc. Ich selbst hatte durch die Giite des Hern. Prof. Dames Gelegenheit, im Berliner mineralogi- schen Museum einen Acanthoteuthis-Abdruck zu sehen, bei dem es keinem Zweifel unterlag, dass die zehn Arme gleich oder doch an- nähernd gleich lang waren. Im Übrigen besaßen die ältesten Octopoden, wie aus dem Ver- halten von Cirrhoteuthis und dem Auftreten einer Schalengrube in der Ontogenie von Argonauta, die nachher wieder verschwindet, her- vorgeht, eine innere Kalk- oder Hornschale, wie wir uns ihre Stammformen überhaupt als den typischen Ögopsiden in ihrer Orga- nisation noch sehr nahe stehend zu denken haben. Von diesen hypothetischen Vorfahren bis zu den jetzt lebenden Vertretern der Gruppe ist freilich eine weite, bis jetzt noch durch nichts ausgefüllte 1 MAnTELL, A few notes on the structure of the Belemnite. Ann. mag. nat. hist. ser. 2. vol. X. 1852. pag. 18. 2 QUENSTÄDT, Petrefactenkunde Deutschlands. 1. Abth. 1. Band. Cepha- lopoden. Tübingen 1849. pag. 524. 3 Owen, Philosoph. Transact. 1844. Part. I Pl. V. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 281 Kluft; aber abgesehen von der Möglichkeit, dass Bindeglieder sich noch finden lassen werden, diirfte vielleicht schon eine genauere Kenntnis der Anatomie von Loligopsis, Veranya ete., über manche Züge der Oetopodenanatomie Licht verbreiten, die jetzt unverständ- lich und ohne nähere Beziehungen zu den Dekapoden erscheinen. Beschränken wir uns aber allein auf die lebenden Formen, so finden wir hier so klar ausgeprägte Verwandtschaftsverhältnisse, wie nir- gends sonst bei den Dibranchiaten. In fast allen Organsystemen setzen die Differenzirungsreihen bei Argonauta ein und laufen durch die Tremoctopus-Arten zu Octopus und Eledone hin; ein Blick auf die folgende Tabelle, in weleher die wiehtigeren von ihnen noch einmal kurz zusammengefasst sind, wird die Octopodengenealogie klarer vor Augen führen, als lange Erörterungen es vermöchten. (Tabelle IV s. umstehend.) Eine Durehsicht dieser Tabelle lehrt nun sofort, dass die Phi- lonexiden und die Octopodiden zwei wohl charakterisirte Familien sind, die erste auf einer niedrigeren, die zweite auf einer höheren phylogenetischen Stufe stehend. Beide werden bis zu einem gewis- sen Grade durch Tr. catenulatus mit einander verbunden, welcher die meisten Eigenthümlichkeiten mit den Philonexiden theilt, daher auch im Ganzen dieser Familie zuzurechnen ist, aber im Muskel- system sich auffallend der höheren Familie nähert!. Von den übri- gen Tremoctopus-Arten schließt sich Tremoctop. Carenae fast ganz an Argonauta an und ist weit getrennt von Tr. violaceus, der in den meisten Punkten eine Weiterentwicklung zeigt, seinerseits aber am meisten mit Tremoct. catenulat. übereinstimmt. Es könnte unter solehen Umständen geboten erscheinen, Tremoet. Carenae von den beiden anderen Arten generisch zu trennen und für ihn etwa den älteren D’OrBIGnY’ schen Namen Philonexis wiederherzustellen; aber ich ziehe es vor, vorläufig noch Alles beim Alten zu lassen, da bei dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse jede Neuerung in der syte- matischen Begrenzung der hierher gehörigen Genera doch nur Aus- sicht auf ephemere Geltung haben würde. Man bedenke nur, dass wir von Tremoct. Carenae das @ und von Tremoct. eatenulat. das g' noch gar nicht kennen und das 5' von Argonauta und Tremoet. violaceus wenigstens anatomisch noch nicht, dass ferner viele der 1 Eine Vergleichung der Daten dieser Tabelle wird auch genügen, um die von STEENSTRUP (Vidensk. Meddelels. ete. 1860 pag. 333) aufgestellte Be- hauptung, dass Tremoct. catenulatus das Q von Tremoct. Carenae ist, zu wider- legen. Auch die Radulae beider Arten stimmen nicht zusammen. J. Brock 282 ‘J[OYOIAjus IoyxIRIS YOOU JPOLOTJOIA ToGe ‘sndoz0Q 10q O1M ‘sndoiog IM *sndojoQ ol "u9anYy usp UOA “ouOpel| “TONIRIS You Ioqe ‘os waqy “OHUTTPOFN Woes -I0p Jap ur TOIs uoF -Jo1} uJOYSUN 1opteq asunidsig oq "UOPunMy9sIaA uammoy][oA yeıed -desjatfyasppJue N SIIWATEIIUSA [Op -ung yone yey QlOyorajue 1878 Ayo "sndopO “mas -YOVAMIOA Tuseıgd ‘UISYOVAIOA VOL -viq Aw jesiop | -Svayqdeig yim Iyoru pun 19.1848 YOON You 1aqe “TOYIRIS “YSO]IOA pueaussny wosogney ‘SNOOB[OTA LT, OL AA usp me Sunadsıp “IRIUSUIPNA yuelax) ‘Mepunayos “VINVUOSIVY IAA -19A ZUBS [od1louy *IIYIVIS y9ou I9ge ‘os aq” ‘1921748 LoQe eaten s “BO “AT, 10q OTA “ShyR]NU9}Vo "WOLT, "SNIIBJOIA “WAL, "AI STPgEL emMEUoSsIy BAL “BINVUOSIY ALM “‘BINVUOSIY ALM "ypeAyds Joqe ‘wep -URYIOA Sunpurq.oa —uayovujdoy 980] —nysna ayostdéy, ‘avUaIRD dopOWALL "us -UIrAIOA eruseayderg wep Au yyoru ou ‘Suney SpIouFuaggnıs “yIrauds yoou ‘peut ‚ned yonppe “WF ‘puasaiadsjus puviuesny us1o9un WOA 'ej 'Jur ‘[qpuny -Ul jonppe “fT ‘¢ “J[OYOUM -ju9 INS yoou 4ysuos ‘Sıdıouy ıyaw yoru [pyuen we Jeıedde -gengasfsrueN 7 “NOYDIMIU9 919p -uosaq Aura INFBPp “I Yox Sunpurgq1sAausyoRu -jdoy asomnysnm I "eneuosIy 283 Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. ‘sndozoQ 1A 4st0s ‘puasultdsyue puwa -SY00}SIOIG ap UOA gong Woalopuoseq yim sopef “erg ‘sndojoQ IM "sndojog) IM "JOIA "WOLL 9IM ‚sndopg IM ‘JSIULBINA UOSIZUIO Iaula NZ yorrlaguy Wasps} 10[1q “QZINYIOA TOPOL *puoul -youqe ovaj, uv yoıyzue use unz sıq jdory “VHOIPIOA Sıyasiag purs uayıd -edypesump 9q ‘JOIA “WATT, 9IM ‘VYOIPIOA SIOSToy pun Sud puis esary -URZIOQUIWITN Op upsdey op ‘uam -WESNZ UNITS] Uap m 5 wIeg uayne] OJRUBHIOSSB AA OIG ZVINVUOSIY 9IM "emeuosiy OLA “BINVUOSIY 9IM ; ‘OV[OIA "WALT, OL AA “snoeod -B[OIA "WOLLT, 9IM "U9491937nE ISNIA omaAzZ Pula 981 sIolojIg sap opuq uetaqo we Taqe emetosIy 1A “‘RINRUOSIY OL AA “BINVUOSIW OL ‘pasdvyy uelepuossq aurea Ul sayovseplomos -Ulq, sop qyueyT sep q[vy1ouUl ussal] U9Z -19yu9WwaoLy Old Kama -uunp pun II9M puls OSURYUBZIOYUIUL -9I] ep ujosdey eIp pun asyrojıq aIp Iyaıun 5 wıog Ud}9[S0q OTrury.ıas “SB AA SIP loqe ‘usp -UvYIOA SunplIqsny Joyostdéy ur woIs -ASRJOSIOSSV A “BINVUOSIV IL AA ‘enVUOSIW OM “BINVUOSIV OA “BINVUOSIV OL AA ‘ASHAPLOPIO[IY 9410Y -RUdS AYAS 9081917 Tap ‘ayovjure outa Inu ‘SUB] AOS LO}LO]IG “6 "puogqtorg -1919]3 19 AA Ur Losey umz siq jdory ‘s ‘Suyury puis uapided -youstiepy Ad 'L ‚usdozıaqn soyors -oploMasulg sep Mey Jop WOA JOU puls U9Z -lequoulery eld 9 -(4) puojya} weIsÄs -JrjosıasseM "€ 284 J. Brock kleinen Oetopus-Species bei anatomischer Untersuchung sich als Philonexiden entpuppen werden, und man wird obigen Ausspruch gewiss nicht unbegründet finden. Argonauta kennzeichnet sich im Bau der © Geschlechtsorgane und der allein hier noch fehlenden typischen Kopfnackenverbindung als der niedrigste Octopode von dem wir Kunde besitzen, Argonauta muss zugleich aber auch in der Nackenmuskulatur, der sehr redueirten Radula und der eigenthüm- lichen Schale des © als aberrant bezeichnet werden. Eledone endlich stimmt in weitaus den meisten Punkten mit Octopus überein, geht aber in der Entwicklung des mittleren Mantelschließers und der An- heftungsweise der Eier an der Eierstockswand in der Differenzirung noch über ihn hinaus und bildet so, wie Argonauta den Anfang, das Endglied der ganzen Reihe. Cirrhoteuthis erfordert eine gesonderte Besprechung. Diese Form hat sich jedenfalls sehr früh vom Octopodenstamm losgemacht, wie die Beibehaltung der Schale und der Flossen, der Mangel des Mantel- schließers, welcher nicht etwa verloren ging, sondern nie erworben wurde, die Form des Gangl. stellat. und der Armnervenkommissur in diesem Sinne gedeutet werden muss. In der nach seiner Abzweigung erfolgten Weiterentwicklung ist als funktioneller Ersatz für den Man- telschließer und die wohl selbständig verlorenen Schließapparate eine eigenthümliche Verwachsung des Trichters mit dem Mantel ein- getreten, dabei aber eine Reihe nicht unwichtiger Organe, nämlich Kropf, ein Eileiter, Tintenbeutel (?) und obere Speicheldrüsen ver- loren worden. Cirrhoteuthis weicht also von allen bekannten Octo- poden in vielen und wichtigen Organisationsverhältnissen so weit ab, dass es nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar geboten erscheint, ihn als Repräsentanten einer dritten Familie den beiden anderen ge- genüber zu stellen !. 1 Eine systematische Anordnung der Octopoden würde in ihren Haupt- zügen also etwa folgendermaßen ausfallen : I Cirrhoteuthidae Cirrhoteuthis II Philonexidae a) Philonexidae s. str. Argonauta Philonexis Carenae b) Tremoctopodidae Tremoctopus (violaceus, catenulat.) III Octopodidae Octopus Eledone. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 285 Die vergleichend anatomische Betrachtung hiitte damit ihr Ende erreicht und es erübrigt nur noch, auch die Resultate der Paläon- tologie einer näheren Prüfung zu unterwerfen und zuzusehen, wie sich die Ergebnisse dieser Wissenschaft zu unseren bisher auf ganz anderem Wege gefundenen Resultaten verhalten. Eine in diesem Sinne unternommene Durchmusterung der fossilen Dibranchiaten ist nun aber wenig befriedigend; denn, ..um es kurz zu sagen, es ist schwierig, ja fast unmöglich, sie für oder gegen irgend welche phy- logenetische Betrachtungen zu verwerthen, und zwar nicht nur we- gen der Lücken, welche sie augenscheinlich noch darbieten, sondern vorzüglich wegen der großen Schwierigkeit, die uns überlieferten Schalen mit lebenden Formen in nähere Beziehung zu setzen. Man überblicke eine Reihe von Schalen letzterer, man wird bald bemer- ken, wie auffallend wenig Ähnlichkeit bei ihnen mit ähnlichem Bau der Weichtheile zusammenfällt, ja man wird selbst zugeben müssen, dass an der Schale allein nicht einmal ein durehgreifender Unter- schied zwischen Ögopsiden und Myopsiden sich aufstellen lässt. Solehe Erwägungen mahnen zur größten Vorsicht bei der Beurthei- lung fossiler Formen. Wäre die Einreihung der p’ÖrBıgnY'schen fossilen Ommastrephes und Enoploteuthis daher auch der Schale nach mit mehr Berechtigung geschehen, als es der Fall ist, so wäre im- mer noch der Zweifel geboten, ob man berechtigt ist, in diesem Falle aus gleicher Organisation der Schale auf gleiche der Weich- theile zu schließen. Indessen haben wir nicht einmal nöthig, uns mit dergleichen Bedenken aus einander zu setzen, denn es ist längst von hervorragenden Paläontologen, wie QuEnstäpr (l. e. pag. 497) und A. WAGNER ausgesprochen worden, »dass die Verwandtschaft der fossilen Dibranchiatenschalen mit lebenden Formen in so gut wie keinem Falle näher bestimmt werden kann«!, und nach auf- merksamer Lectüre der betreffenden Arbeiten, insbesondere der Wacner’schen, finde ich mich in keiner Weise veranlasst, diesem Von einer Stammbaumskizze sehe ich lieber ab, da das Material noch zu ge- ring ist, um das genealogische Verhältnis der Octopodiden zu den Philonexiden einigermaßen zu präeisiren und auch die Stellung von Argonauta ganz anders ausfällt, je nachdem man der Schale eine größere oder geringere Wichtigkeit beizulegen geneigt ist. ı A. WAGNER, Die fossilen Überreste von nackten Tintenfischen aus dem lithographischen Schiefer und dem Lias des süddeutschen Juragebirges. Denk- schrift der kgl. baier. Akad. d. Wiss. Math.-phys. Klasse VIII. Münch. 1860, pag. 751, 256 J. Brock Ausspruch irgend wie entgegenzutreten. Können uns nun die Resul- tate der vergleichenden Anatomie zur Deutung der paläontologischen Befunde irgend wie behilflich sein? An und für sich könnte man annehmen, dass die fossilen Scha- len nur Ögopsiden oder nur Myopsiden angehört haben. Die ver- gleichende Anatomie würde gegen die erstere Annahme nichts ein- wenden können, sie würde aber, falls das Vorhandensein von fossilen Myopsidenschalen sicher nachgewiesen werden könnte, einen Theil der fossilen Sehalen für Ögopsiden in Anspruch nehmen müssen, da die Jüngere Form die mindestens gleichzeitige Existenz der Stamm- form nothwendigerweise fordert. Nun ist Sepia, wie wir gesehen haben, unter den lebenden Dekapoden wohl die am höchsten diffe- renzirte Form, und wenn auch echte Sepien bis jetzt jurassisch we- nigstens nicht nachgewiesen sind, so geht die Schale einer Sepia nahe verwandten Form Coccoteuthis Ow. (Trachyteuthis Mey.) in der Differenzirung sogar noch über Sepia hinaus!, und wenn man auch im Allgemeinen aus Übereinstimmung in der Schale nicht auf analoges Verhalten der Weichtheile schließen darf, so ist es doch gewiss nicht zu kühn, aus Schalen, welche in allen wesentlichen Merkmalen eines so eigenthümlichen Baues übereinstimmen, auf Gleichheit der Thiere wenigstens in den Hauptzügen ihrer Organisa- tion zu schließen?. Coccoteuthis war also vielleicht eine hoch ! Vergl. über diesen Punkt WAGNER, |. c. p. 756. — Die Berechtigung zu der Behauptung, dass die Schale von Coccoteuthis höher differenzirt ist, als die von Sepia, entnehme ich dem Umstande, dass dieselbe nichts weiter als eine reducirte Sepienschale ist, und dass, wie wir schon so oft hervorgehoben haben, die Differenzirung der Schale bei den Dibranchiaten Reduetion bis zum voll- ständigen Verschwinden anstrebt. In der That, wollte man den Weg zwischen der Sepien- und einer einfachen Hornschale mittels stufenweiser Übergänge zurück- legen, so würde Coccoteuthis mit seinen spärlichen und nicht mehr kalkigen, sondern hornigen Lamellen die erste Stufe zu bilden haben. 2 Hier kann mir folgender Einwand gemacht werden. Ich selbst habe im Vorhergehenden (pag. 265) zu erweisen gesucht, dass gerade der Sepienschale wegen in der geraden Entwicklungsreihe der Dekapoden gekammerte Kalk- schalen angenommen werden müssten, welche in Seitenzweigen mehrfach unab- hängig von einander in die einfache Hornschale übergingen. Nun könnte es ja möglich sein, dass Coceoteuthis das Anfang- oder Mittelglied eines solchen Sei- tenzweiges war, wie sich solche eben so gut von den Ögopsiden, wie von den Myopsiden abgelöst haben, und das Thier könnte also eben so gut etwa eine Ommastrephes, wie eine Sepia ähnliche Organisation dargeboten haben. Ein solcher Einwand setzt aber voraus, dass der Weg, der eingeschlagen wurde, um eine Belemnitenschale zu einer einfachen Hornschale zu redueiren, immer Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 287 differenzirte Sepia ähnliche Form, jedenfalls aber wohl ein Myopside, und wenn in der Differenzirungsreihe der Sepienschale wenigstens jurassische Vertreter höhere Stufen erstiegen haben, als es von leben- den bekannt ist, so liegt es doch gewiss nahe anzunehmen, dass ein Theil der uns überkommenen Hornschalen Vertretern niedrigerer Differenzirungsstufen der Myopsiden, wie unter den Lebenden Loligo und Sepioteuthis angehört hat. Die Existenz von Ögopsiden unter den einstigen Besitzern der jurassischen Schalen ist paläontologisch allerdings nicht zu beweisen; wer aber vergleichend anatomischen Gründen überhaupt ein Gewicht zuerkennt, der wird ihre Existenz schon im Jura als bewiesen annehmen, sobald ihm die der Myopsi- den sicher genug verbürgt erscheint. Noch mehr Spielraum hat die reine Hypothese bei den Octopo- den. Wenn v. Inerıng (l. e. pag. 275) glaubt, in den ältesten bis jetzt bekannten Octopoden, den tertiären Argonauten, wirklich ihre zeitliche Grenzmarke erblicken zu müssen, weil von den übrigen Dibranchiaten sich doch auch Abdrücke und Reste von Weichtheilen erhalten hätten, von den Octopoden aber niemals, so vergisst er, dass die Octopoden — gerade die Ontogenie von Argonauta lehrt es ja unzweifelhaft, von den vergleichend anatomischen Gründen ganz ab- gesehen — von Formen mit innerer Schale abgeleitet werden müs- sen, dass diese letzteren aber sicher nicht gleich echte Dekapoden gewesen sind. Wie es für mich feststeht, dass die ältesten Octopo- den noch eine innere Schale besaßen, so muss ich eben so nach- drücklich betonen, dass die frühe Abzweigung von den Dekapoden, auf welche ihre Anatomie hinweist, einen so jungen Ursprung, wie einen tertiären im höchsten Grade unwahrscheinlich macht. Ich will gar nicht einmal dem Umstande großes Gewicht beilegen, dass sich gut erhaltene Abdrücke von Dibranchiaten finden, welche deutlich nur vier, nicht fünf Arme zeigen, weil ein so unsicherer Beweis für eine so weitgehende Behauptung gar keinen Werth hat; aber ich fühle mich nach allem Gesagten zu der Annahme gedrängt, dass ein Theil der jurassischen Schalen auch noch für die ältesten Octo- poden in Anspruch zu nehmen ist und dass also höchst wahrschein- derselbe gewesen ist und immer durch Sepia-ähnliche Schalenformen hindurch geführt hat, welche Annahme nicht nur durch Nichts bewiesen, sondern dureh die Hornschalen der Ögopsiden mit Phragmoconus, welche einen ganz anderen Reduktionsmodus der Belemnitenschale vertreten, sogar direkt widerlegt wird. Es ist daher erlaubt, anzunehmen, dass das Thier von Coccoteuthis sich nicht allzuweit von Sepia entfernt haben wird. ; 288 ; J. Brock lich schon im Jura alle drei Phylen der lebenden Dibranchiaten vielleicht schon in zahlreichen Vertretern existirten. Eine solche Entfaltung ist aber nicht ohne eine längere vorausgegangene Ent- wicklung möglich, und so ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Dibranchiaten nicht nur bis auf die Trias, sondern viel weiter zu- rückgehen und sich in früheren paläontologischen Perioden aus den Tetrabranchiaten durch eine Reihe von Übergangsformen entwickelt haben, deren Schalen als solche mit Recht unter die Tetrabranchia- ten eingereiht werden. Ähnlich wie mit den fossilen Hornschalen ist es mit den Be- lemniten bestellt: auch hier fehlen Anknüpfungen an lebende Formen und damit die Möglichkeit einer Verwerthung in unserem Sinne fast vollständig. Da, wie schon früher aus einander gesetzt würde, die Sepienschale nur von einer Belemnitenschale ableitbar ist, von den ältesten bekannten Stammformen (Ommastrephes) aber bis zu Sepia eine lange Entwicklung zurückgelegt werden musste, so muss ein Theil der Belemnitenschalen für die geradlinigen Ascendenten von Sepia in Anspruch genommen werden, und es hat daher sowohl unter den Myopsiden, wie Ögopsiden, wie schon frü- her erörtert, Formenreihen gegeben, in welchen die Belemnitenschale allmählich zur Sepienschale redueirt wurde und von welchen aus in noch schnellerer Reduktion in verschiedenen Seitenzweigen die ein- fache Hornschale vielleicht oftmals unabhängig von einander erreicht wurde!. Ein Theil der Belemnitenschalen gehörte daher wohl sicher Ögopsiden, ein Theil wahrscheinlich aber auch noch Myopsiden an; ein Rest endlich hat vielleicht ein eigenes, in den Weichtheilen eigen- artig organisirtes Phylum gebildet, was natürlich aber eine reine Vermuthung bleiben muss?. | Die Stellung des einzigen lebenden Vertreters der Tetrabranchia- ten, Nautilus, zu den Dibranchiaten ist eine einfachere, als man ! Bei der Stammbaumskizze pag. 277 ist dieser Umstand mit Absicht ver- nachlässigt, um dieselbe nicht noch mehr zu komplieiren. 2 Anhangsweise möchte ich hier den bekannten Weichtheilen fossiler Dibranchiaten ein neues Organ hinzufügen, die Nidamentaldrüse. Die darauf bezügliche Äußerung QuEnstÄpTs scheint ganz übersehen worden zu sein, allein wer denkt nicht sofort an dieses Organ von so ausgezeichnet lamellärem Bau, wenn er von Loligo (?) priscus Rüpp. (Plesioteuthis prisca Wagn.) liest (QuenstÄpr |. c. pag. 519): »Zwischen Magen und Tintenbeutel innerhalb der Bauchhöhle erheben sich mehrere (?) unregelmäßige längliche Plättehen mit sehr regelmäßiger feiner Querstreifung, es sind die deutlichen Spuren irgend eines Eingeweides-. QUENSTADT vermuthet irrigerweise die Leber darin. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 289 denken sollte. Nautilus stimmt in einigen Punkten (Kropf, schlitz- _ förmige Harnsackmiindungen) mit niederen Dibranchiaten überein, bleibt aber in den meisten anderen Organisationsverhiltnissen (Ge- hirn, Kopfknorpel, Trichter, Sinnesorgane ete.) noch so weit hinter ihnen zurück, dass er uns ein vielfach gewiss sehr treues Bild der Formen überliefert hat, bei welchen Tetra- und Dibranchiaten aus einander gingen. Keineswegs aber ist er durchaus als typisch hier- für anzusehen: es erscheint im Gegentheil sicher, dass auch Nauti- lus sich vom gemeinsamen Ausgangspunkt aus weiter differenzirt hat; jedenfalls kann ich den Besitz nur eines Eileiters und nur einer Nidamentaldrüse in abweichender Lage nur in diesem Sinne auffassen. Dass von den ursprünglichen zwei Eileitern der Stamm- form einer verloren worden ist, unterliegt wohl keinem Zweifel; nicht so ausgemacht ist es aber, ob dies auch bei den Nidamental- drüsen der Fall ist, ob hier eine verloren ging und die andere auf den Mantel rückte, oder ob, was schon Owen für wahrscheinlich hielt (Appendix to the narrative ete. pag. XCVIII), beide Nidamen- taldrüsen in der Mittellinie mit einander verschmolzen sind. Eine genaue Untersuchung dieser Organe wird, denke ich, die Frage mit Sicherheit zu lösen vermögen. Hiermit stehe ich am Ende meiner Aufgabe. Es wurde gezeigt, dass die Klasse der Dibranchiaten in drei anatomisch wohl begrenzte Phylen zerfällt, von denen das eine, die Ogopsiden, sich als das älteste herausstellte, während die beiden anderen, Myopsiden und Octopoden, in einem abhängigen genealogischen Verhältnis zu ihm stehen. Die Ögopsiden ließen sich wieder in zwei Gruppen, die Ommastrephiden und die Loligopsiden zerfällen, deren gegenseitiges Altersverhältnis leider noch nicht genau festgestellt werden konnte, welche aber dadurch größeres Interesse gewinnen, dass sie Bezie- hungen zu den beiden anderen Phylen eingehen, die über deren Ge- nealogie Licht zu verbreiten geeignet sind. Es wurde wahrschein- lich gemacht, dass ögopsidenähnliche Formen Anfangs mit echten Belemniten-, später mit reducirteren Schalen direkt auf Sepia hinleiten, von weleher Linie die Dekapoden mit einfachen Hornschalen als un- abhängige Seitenzweige zu verschiedenen Zeiten sich ablösten. Die Octopoden, das am höchsten differenzirte Phylum, dessen Organisa- tion aber zugleich eine sehr frühe Abzweigung annehmen lässt, bo- ten deutliche Anknüpfungspunkte zur Loligopsis-Gruppe dar, unter deren Vertretern sich ziemlich sicher achtarmige Formen (Loligopsis, Veranya) finden; es war aber bei dem unzureichenden anatomischen Morpholog. Jahrbuch. 6. 19 290 J. Brock _ Material nicht möglich, die Verwandtschaftsbeziehungen der Octopo- den zu dieser Gruppe, wie zu den Ur-Dibranchiaten in geniigender Weise aufzukliiren und es konnte nur wahrscheinlich gemacht wer- den, dass die Octopoden nicht direkt von Loligopsiden abstammen, sondern beide Gruppen auf eine gemeinsame dekapode Stammform mit zehn gleichmäßig entwickelten Armen zurückzuführen sind, wie eine solche für die Ur-Dibranchiaten überhaupt angenommen werden muss. Mit diesen in gedrängter Kürze noch einmal vorgeführten Haupt- resultaten meiner Untersuchung könnte ich jetzt schließen. Ich möchte aber mein Thema nicht verlassen, ohne auf einige Punkte von allgemeinerem Interesse wenigstens hingewiesen zu haben, welche wohl zu näheren Betrachtungen über manche Seiten der Descendenz- theorie und die von Darwin gegebene Begründung derselben anregen dürften. Ich meine hier besonders den eigenthümlichen Parallelismus in neben einander herlaufenden oder weit divergirenden Entwicklungs- reihen, welcher es oft bei Formen, deren ganze Verwandtschaft in einem fernen gemeinschaftlichen Ausgangspunkt gesucht werden muss, zu den allerseltsamsten morphologischen Ähnlichkeiten kommen lässt. Dieselbe Erscheinung, die schon WEIsMAnN! an den Raupenzeich- nungen auffiel (der rothe Fleck seiner Smerinthus-Raupen ete.) und ihn hier, während,er alles Andere aus Anpassung, resp. natürlicher Zuchtwahl erklären zu können glaubte, zu dem Geständnisse zwang, dass in der That in gewissem Sinne eine bestimmt gerichtete Varia- tion besteht, findet sich auch in der Stammesgeschichte der Dibranchia- ten und zwar in einem Maßstab wieder, der ungleich bedeutender, als die wenigen von WEISMANN erwähnten Fälle genannt werden muss. Freilich deckt sieh — wie ich hier gleich vorausnehmen will — eine solche »bestimmt gerichtete Variation« nicht {mit den Theorien NAEGELI's, AskKENASY’s und Anderer, welehe unter diesem und ähnlichen Namen teleologische Bildungsgesetze zur Grundlage ihrer Auffassung der Phylogenie machten, sondern sie ist mit WEIS- MANN, dem ich hierin vollkommen beistimme, aus einer »ähnlichen physischen Konstitution« der Organismen, also aus einer Art von Beeinflussung der Variation durch die Erblichkeit noch am besten zu erklären. Für jetzt aber will ich diesen Punkt fallen lassen, um zuerst noch einmal kurz die wichtigsten Entwicklungsparallelen, die sich bei den Dibranchiaten finden, zusammenzustellen, indem ich 1 WEISMANN, Studien zur Descendenztheorie. II. Leipzig 1876. pag. 115. 4 Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 991 für ihre nähere Begründung auf den beschreibenden Theil dieser Arbeit verweise, wo schon öfters ausführlicher (pag. 199) ihrer ge- dacht werden musste. Es ist dies erstens — von allen zweifelhaften oder einer anderen Deutung fähigen Fällen abgesehen — die durch die ganze Entwicklungsreihe der Dibranchiaten sich geltend machende Tendenz, die Schale zu reduciren und schließlich ganz aufzugeben. Es ist charakteristisch, wie weit die durch die drei Phylen repräsen- tirten Entwicklungsreihen das gesteckte Ziel zu erreichen vermögen. In dem ältesten Phylum, den Ögopsiden, ist noch der Phragmoconus häufig und die höchste Reduktion, zu der es kommt, die einfache Hornschale. Die nächst anschließenden Myopsiden' beginnen gleich mit der letzteren und ersteigen in Sepiola und Rossia, deren Schale nur halb so lang, als das Thier ist, eine weitere Reductionsstufe. Die Octopoden endlich haben nur noch in einer sehr alten Form, Cirrhoteuthis, eine unzweifelhafte innere Schale, sonst ist das End- stadium der Differenzirung, vollkommener Schwund, nicht nur er- reicht, sondern sogar allgemein typisches Verhalten geworden. Noch schlagender aber ist das in allen drei Reihen zu verfol- gende Aufgeben der knorpligen Mantelschließapparate zu Gunsten einer muskulösen Kopfnackenverbindung, wie ich es pag. 220 schon ausführlicher dargestellt habe. Bei den Ögopsiden wird dieses Ziel nur unvollkommen und selten erreicht (Loligopsis), bei den Myopsi- den in den Ausläufern Rossia, Sepiola, Cranchia in wunderschöner Abstufung und zugleich sehr vollkommener Ausbildung in den End- gliedern; die Octopoden endlich setzen mit Typen ein (Argonauta), die dem angestrebten Ziel ferner stehen, als Sepiola und Cranchia, entwickeln aber in ihren Endgliedern die muskulöse Kopfnackenver- bindung zu ihrer höchsten Vollkommenheit. Eine dritte Entwick- lungstendenz endlich, die sich in allen drei Phylen äußert, kann in dem Bestreben, einen Eileiter aufzugeben, gefunden werden, wenn auch verschiedene Ausbildungsstufen dieser Differenzirungsreihe sich bis jetzt noch nicht namhaft machen lassen. Bei. aufmerksamer Prüfung dieser Parallelentwicklung, insbeson- dere bei richtiger Würdigung der täuschenden Octopodenähnlichkei- ten, welche eine den Octopoden so fern stehende Form, wie Sepiola in der ganzen Muskulatur zur Schau trägt, ist es wirklich schwer, sich bei dem Satze zu beruhigen, dass die natürliche Zuchtwahl un- ! Von der ganz vereinzelt dastehenden Sepienschale wird bei diesen Er- örterungen Abstand genommen. 19* 292 J. Brock ter einer schrankenlosen Reihe von Variationen beständig Auswahl hält und auf diese Weise die Organismen schrittweise zu höheren Differenzirungen führt. Werden doch schon häufiger Stimmen laut, dass die Ausbildung der rein morphologischen Charaktere nicht allein auf Rechnung der natürlichen Zuchtwahl gesetzt werden könne, son- dern dass dabei noch andere Bildungsgesetze im Spiele sein müs- sen!, und wenn mich auch die Resultate meiner Untersuchungen nicht gerade mit zwingender Nothwendigkeit zu ähnlichen Schlüs- sen geführt haben, so kann ich doch nur dann der natürlichen Zuchtwahl einen Spielraum bei der Ausbildung rein morphologischer Charaktere einräumen, wenn die Möglichkeit der Variationen be- grenzt gedacht wird. Allerdings ist, um noch einmal auf die mus- kulöse Kopfnackenverbindung zurückzukommen, dieselbe höchst wahrscheinlich in Anpassung an eine litorale Lebensweise, also durch natürliche Zuchtwahl erworben worden, das lehren uns die Octopo- den; aber auch angenommen, sämmtliche Dekapoden, welche diesen Charakter aufweisen, hätten sich ihrer pelagischen Lebensweise zu Gunsten einer litoralen begeben — was z. B. für Loligopsis sicher unrichtig ist — so ist damit noch nicht erklärt, warum in so hohem Grade gleichartige morphologische Organisationen entwickelt wurden und warum nur immer solche Formen sich in dieser Weise anpassten, die Ausläufer von Differenzirungsreihen bilden. Es ist doch eben nicht zu bestreiten, dass die Natur dieselben physiologischen Aufgaben auf den verschiedensten morphologischen Wegen zu lösen weiß. Wenn daher in phylogenetischen Parallelreihen auf (angenommene!) gleiche Lebensbedingungen mit nicht nur annähernd, sondern sogar überraschend ähnlichen morphologischen Änderungen reagirt wird, so ist das nur so zu erklären, dass gleichsam nur eine beschränkte Auswahl von Variationen dargeboten wird, aus welcher dann bei einseitiger Auslese durch gleiche Lebensbedingungen auch gleiche mor- phologische Bildungen erwachsen müssen. Wie es freilich kommt, dass, je jünger und höher differenzirt eine Entwicklungsreihe ist, desto häufiger bestimmte Bildungen auftreten und in desto größerer Vollkommenheit entwickelt werden und diese Regel auch innerhalb eines Phylums für die einzelnen Formen Geltung besitzt, lässt sich schwerer erklären, man müsste denn annehmen, dass die Tendenz ! Wie dies in neuerer Zeit z. B. PRINGSHEIM an einer Reihe der einfach- sten Algen so treffend aus einander gesetzt hat (N. PRINGSHEIM, Uber den Gang der morphologischen Differenzirung in der Sphacelarien-Reihe. Abhandl. d. kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1873 pag. 138). Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 293 zu bestimmten Variationen sich erblich verstirkt und nach und nach immer geringfügigeren Anstößen von außen gehorcht. Jedenfalls aber möchte ich noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass ich eben so wenig, wie WEISMANN, diese begrenzte Variationsfähigkeit als Ausfluss einer »phyletischen Lebenskraft« deute, sondern vielmehr ihren Grund in einer bestimmten Konstitution des Organismus suche, welche direkt auf die Stammeltern zurückzuführen ist. Ich halte also mit Weıs- MANN die Variation für im gewissen Sinn durch Erblichkeit beein- flusst, und glaube, dass ein Organismus darum nicht nach allen möglichen Seiten variiren kann, weil er von einer bestimmten Form abstammt und eine bestimmte Stammesgeschichte hinter sich liegen hat. Einer weitgreifenderen Verallgemeinerung dieses Satzes stellen sich indessen noch eine Menge von Hindernissen in den Weg und darunter solche, die nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse sich noch nicht beseitigen lassen. Es wäre daher von sehr zweifel- haftem Werthe, obige Andeutungen noch weiter fortzuspinnen, die Frage ist eben in noch keiner Weise reif dazu. Noch ist der Schatz der stützenden Thatsachen viel zu klein, um überhaupt eine ernst- hafte Diskussion zu ermöglichen, und ich glaube daher meinen Zweck vollkommen erreicht zu haben, wenn ich mit obigen Bemerkungen für die Zukunft die Aufmerksamkeit auf ähnliche Erscheinungen ge- lenkt habe. Dass die allseitige Durchforschung kleiner, in sich mehr oder weniger abgeschlossener Formenkreise über diese und ähnliche Fragen noch am ersten Licht verbreiten wird, steht bei mir außer Zweifel; aber ich glaube noch mehr, dass jetzt, nachdem die Genealogie der großen Hauptabtheilungen der organischen Welt we- nigstens in ihren allgemeinsten Zügen festgestellt ist, die Descendenz- lehre gerade von dieser Seite her erst eine feste Begründung und Vervollkommnung zu erwarten haben wird. Neapel, den 27. Oktober 1879. Erklärung der Abbildungen. Tafel XI. Die Seitenwände und die dorsale Wand der muskulösen Leberkapsel Fig von Onychoteuthis Lichtensteinii Fer. Das Thier ist von der Bauch- seite geöffnet, Diaphragma musculare und sämmtliche Eingeweide ent- fernt und die Mm. retractor. cap. latt. zur Seite gezogen. C, Kopf. ec, Kopfknorpel. M. add. inf. sup, Mm. adductor. infundbl. superiores. . d, rechte 2. m. 2 V. inf. a ide | Hälfte der Trichterklappe. Nn.inf.supp, Zweige des N. infundibularis sup. M. add. inf. inf, Mm. adductor. infundibul. inferiores. N.p. d, rechter | Pallialnerv. s, linker Fe Nr a Trichterhiilfte. s, linke z, Siehe Text pag. 196. M.r.c.m, M. retractor capitis medianus. M.r.c.m’, Ihre verschmolzene untere Hälfte. x, Siehe Text pag. 199. M.r.c.!, M. retractor capitis lateralis. M.depr.inf.d, M. depressor infundibuli dexter. , Schale. y, Siehe Text pag. 199 Anm. Fig. Untere Kopfhälfte und Trichtergegend von Loligo vulgaris Lam. von der Bauchseite. Beide [Trichterwände sind durchschnitten und zur Seite gezogen, um das Diaphragma musculare, seine Verbindungen mit dem Triehter und die Trichtermuskulatur zu zeigen. Die Vena cava (V. e.) ist von seiner Verbindung mit dem Diaphragma lospräparirt und ebenfalls etwas zur Seite gezogen, um den Diaphragma-Knorpel (C. d.) zu zeigen. A, Anus. Nn.v, Nn. viscerales. x, Die Faserlage, mittels deren die dorsale Trich- terwand sich mit dem Diaphragma musculare ver- bindet. y, Siehe Text, pag. 222. Die übrigen Bezeichnungen wie Fig. 1. Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. 295 Fig. 3. Die Trichtermuskulatur von Sepia officinalis L. Beide Trichterwiinde sind durchgeschnitten, die linke Trichterhälfte dagegen zur Seite ge- zogen und dorsalwärts umgeklappt, so dass man ihre Innenfläche sieht. M.b, Armmuskulatur. I.d.d, seca Hälfte der dorsalen Trichterwand. I.d.s, linke I.v.d, rechte I.v.s, linke M.a.s, M. adduct. infundbl. sup. M.a.i, M. adduet. infundbl. inf. y=« in Fig. 2. x Siehe Text pag. 222 Anm. ; , d, rechter ) M.d.t. se iaker | C.a, Trichterschließknorpel. D.m, Diaphragma musculare. Bi Aue Blatt des Collaris. Die übrigen Bezeichnungen wie Fig. 1. Fig. 4. Der Diaphragma-Knorpel von Sepia offieinalis L. N.v, Nn. viscerales. x, Siehe Text pag. 203. c, Der von CHErox (l. ce. Pl. II, Fig. 12, 16) erwähnte Ast der Viscerales. Fig. 5. Schematische Querschnitte durch Kopf und Nacken von Dibranchiaten etwas über dem unteren Trichterrand zur Birläuferung des verschiede- nen Verhaltens der beiden Collaris-Blätter. A. Von einem Dekapoden (außer Sepiola). A.n, NackenschlieBapparat. C, Kopf. p, Mantel. I, Trichter. A.i, MantelschlieBapparat. ee, AuBeres | Conaris Blatt. c.t, Inneres B. Von Sepiola. . C. Von einem Octopoden. Fig. 6. Trichtermuskulatur der linken Seite von Argonauta. Argo L. Hälfte der ventralen Trichterwand. M. depressor infundbl. b, Arme. I i linke Trichterhiilfte. Auge. DM. add. i. med. sg M. adductor infundib. medianus superior. M. add.i.lat.sup, M. adductor infundib. lateral. superior. M. add. %.lat.inf, M. adductor infundib. lateral. inferior. M. bulb.-coll, M. bulbo-collaris. M.add.pall.med, M. adductor pallii medianus. M. add. pall.lat, M. adductor pallii lateralis. M.c, M. collaris. Nn. inf. supp. Zweige des N. infundibularis. x, Ansatzstelle desselben an der dorsalen Mantelhälfte. M.depr. inf, M. depressor infundibuli. C. a, Trichterschließknorpel. Ggl.st, Ganglion stellatum. p, Mantel. 296 J. Brock, Versuch einer Phylogenie der dibranchiaten Cephalopoden. Fig. Fig. u Fy 2: Zeichnungen des linken N. pallialis mit dem zugehörigen Gang]. stel- latum, welche zum Theil nur in so weit schematisch sind, als sie alle auf dieselbe Größe gebracht wurden. # A. Schematisirte Kopie des N. pallialis von Loligopsis guttata nach GRANT |. e. Pl. III, Fig. 6. Die Kommissur zum ande- ren Ganglion stellat. ist eben so, wie die von der distalen Strecke jdes Pallialis abgehenden Zweige nur nach Analogie hineingezeichnet. B. Von Ommastrephes sagittatus. Auch hier sind die von der distalen Strecke des Pallialis abgehenden Zweige, wie auch bei C nicht wirklich beobachtet. C. Von Ommastrephes todarus. C, Kommissur zwischen beiden Gangl. stellata. N.p.e, Außerer : ; Ni. used h Pallialnerv. D. Von Loligo, Kopie nach CHERoNn, 1. c. Pl. IV Fig. 30, mit eini- gen kleinen Änderungen, wie sie der Vergleich mit einem ent- sprechenden Präparat ergab. E. Von einem Octopoden. Tafel XII. Armnervenkommissuren der Dibranchiaten. A. Von einem Dekapoden. G.b, Armganglion. C, Kommissur. B. Von Cirrhoteuthis (Kopie nach REINHARDT og ProscH, Pl. V Fig. 2). C. Von einem Octopoden (mit Ausnahme von Cirrhoteuthis). Die Visceralis-Kommissur von Onychoteuthis bei schwacher Vergröße- rung. x, Bindegewebe. . Radulae verschiedener Dibranchiaten. C bei stärkerer, die übrigen bei schwacher Vergrößerung. Analanhänge verschiedener Dibranchiaten, verschieden (meist jedoch schwach) vergrößert, so dass alle auf dieselbe Größe gebracht sind. Herzen verschiedener Dibranchiaten in ihrer natürlichen Lage zur Längsachse des Körpers, welche durch eine punktirte Linie angedeu- tet wird. A. Von Ommastrephes todarus. B. Von Sepia offieinalis. C. Von Tremoctopus catenulatus. A.c, Aorta cephalica. A.a, Aorta anterior. A.p, Aorta posterior. A.g, Arteria genitalis. A.pl, Arteria pallialis. V.b, Venae branchiales. Maad inf ny: N p.d.... Dit Mc ity... j -- Madd pall mca aes Madd inf lat tif - MOU coll - a - 2 A M.depr. inf. d Kom ya ae Maoorür) / aay & J Brock ad. nai,del. Lith Ansty. Werner & Winter Franfurts holog Jahrs Bal. RE “ 9772772 Mrel---"o Wired Mrem' N -Mrel. -X Vs \ ey Madd lat sup> --M aad inf su este £ - Na.inf supp Nr --Madd.inf inf AE gr With Exgelımann Leipciy ar “" Fig.12 B. pe) Myopsiden =x 4 \ Fig.10 E. moctopus violacens delle Ch. f A Figtec.i “7 Fig F Fig Hi G. Octopoden. Sepiola. Octopoden. (Tremoctopus catenulatis) ABrock at nat.del. Lith Ansty Werner & Winter, Frankfurt ®/M. Onychoteuthis Lichtenstein Fer. Fig. Ommasirephes todaras d'Orb, Sepioteuthis maurttana Rupp. Fig 12 A. Tremoctopus vielacens delle Ch. Fig ita. FignB. Fig Hi €. Chiroteuthis, Onychoteuthis. Seploteuthis. Enoploteuthis. Ommastrephes. Herlag + MR Bnpeimanı Inpeip. ON Se ea ae alle Uber die Wirbelsäule von Pipa. Von H. v. Ihering, Privatdocent an der Universität Leipzig. Mit 2 Holzschnittfiguren. Anlässlich meiner Untersuchungen über die Gliederung der Wirbel- säule und das Verhalten des peripherischen Nervensystems! bei den Amphibien wurde ich auf eine hinsichtlich der Deutung der Wirbel- säule und des Plexus brachialis von Pipa bestehende Streitfrage auf- merksam, mit welcher sich die folgenden Auseinandersetzungen beschäftigen sollen. Bekanntlich setzt sich bei den Batrachiern in der Regel der präsacrale Theil der Wirbelsäule aus 8 Wirbeln zu- sammen. Bei Pipa dagegen sind nur 7 präsacrale Wirbel vorhan- den. Diese Verminderung wurde von Sranxıus? auf eine Ver- schmelzung der beiden vordersten Wirbel in einen Doppelwirbel bezogen, eine Annahme, welcher nicht nur analoge Verschmelzungen zwischen dem Sacralwirbel und dem Os coceygis bei Hyla, Pelobates u. a. zur Seite gestellt, sondern für welche auch die Ursprungsweise des ersten Spinalnerven angeführt werden konnte, der ja bei Pipa® den Körper des ersten Wirbels durchbohrt. Dieser Anschauung nun trat FÜRBRINGER* entgegen, indem er den Mangel nachweisbarer Spuren einer derartigen Conerescenz hervorhob und den Wirbel dem ersten 1H. v. Inerinc, Das peripherische Nervensystem der Wirbelthiere als Grundlage für die Kenntnis der Regionenbildung der Wirbelsäule. Leipzig 1878. * H. Srannius, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Berlin 1846 pag. 130, Anm. 3 Das gleiche Verhalten wie Pipa bietet auch Xenopus dar. 4 M. FÜRBRINGER, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. II. Jen. Zeitschr. f. Naturw. Band VIII, 1874 pag. 179 ff., ef. auch den I. Theil derselben Arbeit, ibid. Band VII. 1873 pag. 237—320. { 298 H. v. Ihering Wirbel der übrigen Anuren eben so für homolog erachtete, wie den zweiten von Pipa dem zweiten von Rana u. s. w. Dadurch wurde weiterhin FÜRBRINGER dazu geführt, den zwischen erstem und zweitem Wirbel entspringenden Spinalnerven von Pipa dem zwischen erstem und zweitem Wirbel bei Rana entspringenden Spinalnerven für homolog zu erklären und den ersten bei Pipa vorhandenen Spi- nalnerven für einen den übrigen Anuren abgehenden Nerven und zwar für den Suboceipitalnerven zu halten. Dieser Deutung FÜRBRINGER’s konnte ich mich mit Rücksicht auf die weitgehende Übereinstimmung, die im peripherischen Nerven- system von Pipa und den übrigen Anuren besteht, nicht anschließen, ich konnte vielmehr in dieser Übereinstimmung nur den Ausdruck kompleter Homologie sehen. Es war mir daher auch die STannius- sche Deutung des ersten Wirbels als Doppelwirbel plausibler und ich konnte mich um so mehr ihr anschließen als ich eine von KöL- LIKER! bezüglich der Wirbelsäule von Pipalarven gemachte Angabe im gleichen Sinne verstehen zu dürfen glaubte. Immerhin hob ich ausdrücklich hervor, dass erst erneute Untersuchungen an Larven die Frage würden entscheiden können. Meine Hoffnung, dies als Nachtrag in meinem eitirten Buche bringen zu können, ließ sich nicht erfüllen. Erst jetzt, nachdem mich die Güte meines verehrten Freundes Prof. WIEDERSHEIM in den Stand gesetzt hat geeignete Pipalarven zu untersuchen, kann ich darauf zurückkommen. Die betreffenden Larven waren 14 mm lang und ihr Skelett noch durch- weg knorpelig. Das Resultat der an drei Exemplaren angestellten Untersuchung war bezüglich der Anlage des ersten Wirbels das, dass FÜRBRINGER Recht hat, also eine Concrescenz zweier vorder- sten Wirbel, wie sie Srannius vermuthete, nicht stattfindet. Wollte man vermuthen, dieselbe falle in noch frühere Entwicklungsstadien, so würde dagegen zu erwiedern sein, dass an dem Wirbel selbst nichts darauf hinweisendes zu erkennen ist, vielmehr die Ursprungs- stelle des Spinalnerven darauf hinweist, dass derselbe nicht zwischen zwei verschmolzenen Wirbeln entspringt. sondern einen einfachen Wirbel durchbohrt. Dieser Umstand ist um so mehr zu beachten, als bei Pipa die Verschmelzung des Sacralwirbels mit dem Os coc- cygis, ja sogar an diesem wiederum die Zusammensetzung aus einem deutlichen Wirbel und einem nachfolgenden ungegliederten Theile an der Larve sehr wohl zu erkennen ist. Es würde mithin auch 1 A. KÖLLIKER, Über die Wirbelsäule einer Larve von Pipa dorsigera. Verh. d. phys.-med. Ges. in Würzburg. Band X. 1860 pag. 236—239. Uber die Wirbelsäule von Pipa. 299 eine etwaige Concrescenz des ersten und zweiten Wirbels sich der Beobachtung nicht entzogen haben, wenn sie wirklich vorkäme. Zwischen Oceiput und erstem Wirbel entspringt, wie bei den anderen Anuren, auch bei Pipa kein Nerv. Der bei den Urodelen vorhandene Suboeeipitalnerv ist bekanntlich bei den Anuren so vollkommen aus- gefallen, dass er auch embryologisch nicht mehr nachweisbar ist. Aus dem eben mitgetheilten Befunde lässt sich, wie mir scheint, mit großer Wahrscheinlichkeit folgern, dass der erste Wirbel von Pipa ein einfacher ist. Man würde freilich immer noch einwerfen können, dass die Verschmelzung in früheren Entwicklungsstadien eingetreten sei, allein ich glaube, dass diese Vermuthung sich als sehr unwahr- scheinlich erweisen lässt. Denn abgesehen davon, dass eben an dem Wirbel selbst nichts hierauf hindeutet, so ließe sich doch er- warten, dass dann die Lage der Ursprungsstelle des proximalen Plexusnerven eine solche wäre, wie bei den übrigen intervertebral hervortretenden Spinalnerven, was, wie unsere Figur 1 zeigt, nicht der Fall ist. Vor Allem aber scheint mir folgender Ge- sichtspunkt maßgebend. Wir finden im Allgemeinen in der Ontogenie frühere phylogeneti- sche Stadien um so vollstän- diger wiederholt je später die- selben erworben werden. Nun Plexus brachialis der Pipalarve mit den drei ersten würde aber jedenfalls die Ver- ir schmelzung des ersten und zweiten Wirbels von Pipa, wenn eine solche vorläge, als eine relativ sehr spät erworbene Modifikation anzusehen sein, weil sie eben nur bei Pipa und Xenopus sich fin- det. Dagegen kommt der auch bei Pipa anzutreffenden Verschmel- zung des Sacralwirbels mit dem Steißbeine eine weitere Verbreitung auch bei anderen Anuren zu. Diese Verschmelzung lässt sich nun aber embryologisch sehr wohl nachweisen. Ja noch mehr, auch die Entstehung des Steißbeines aus mehreren Wirbeln ist embryologisch noch nachweisbar. Es ist mithin durchaus grundlos, zu vermuthen, dass gerade bei Pipa eine solche Conerescenz der vordersten zwei Wirbel in der Weise eingetreten sei, dass sie in Entwicklungsstadien, in denen die andern Verschmelzungsvorgänge noch demonstrirbar sind, der Beobachtung nicht mehr zugänglich sei. Ist nun hiermit wohl die Streitfrage Betreffs der Deutung des Fig. 1. 300 H. v. Ihering "ersten Wirbels von Pipa als im Sinne FÜRBRINGER'sS erledigt anzu- sehen, so steht es anders hinsichtlich der Deutung des Spinal- nervensystems, zumal des Plexus brachialis, bezüglich dessen nach FÜRBRINGER bei Pipa Verhältnisse vorliegen würden, wie sie bei keinem Amphibium, überhaupt bei keinem anderen Thiere sich finden. In meinem eitirten Werke habe ich gezeigt, dass bei allen Amphibien in wesentlich gleicher Weise der Plexus brachialis vom 2., 3. und 4. Spinalnerven gebildet wird und nur darin ein Unter- schied besteht zwischen Anuren und Urodelen, dass bei letzteren noch ein Zweig des 5. Spinalnerven hinzutritt. Der erste Spinalnerv, welcher, wie bemerkt, den Anuren abgeht, betheiligt sich bei den Urodelen nicht an der Zusammensetzung des Plexus brachialis. Indem nun FÜRBRINGER den ersten Spinalnerven von Pipa nicht dem ersten Spinalnerven der übrigen Anuren für homolog erachtet!, vielmehr ihn als Suboceipitalnerv deutet, kommt er dazu den zweiten Spinal- nerven von Pipa dem zweiten und dritten, und den dritten von Pipa dem dritten und vierten Spinalnerven der übrigen Anuren für homo- log zu halten. Hierzu muss ich nun zunächst bemerken, dass eine derartige Annahme partieller Homologieen, so weit meine Erfahrungen reichen, nirgends in den Thatsachen einen Halt findet. Es zeigt sich überall, dass zwei Spinalnerven entweder einander homolog sind oder nicht. Es können accessorische Anastomosen hinzukommen und dadurch oder durch Verkiimmerung gewisser Theile Änderungen sich vollziehen, aber damit wird die Homologie des ganzen Spinal- nerven nicht aufgehoben, am wenigsten in der Art, dass einem Spi- nalnerven zwei andere theilweise homolog seien. Doch brauche ich auf diesen Punkt nicht näher einzugehen, weil, wie ich glaube, im Folgenden der Nachweis erbracht werden kann, dass das Nervensystem von Pipa komplet mit jenem der anderen Anuren übereinstimmt, und kein Grund vorliegt in dieser Übereinstimmung nicht den Ausdruck völliger Homologie zu sehen. Werfen wir einen Blick auf die nebenstehenden Figuren, welche das Verhalten der Spinalnerven bei Pipa und Rana erläutern. Wir finden zunächst, dass der Plexus lumbosacralis bei beiden nicht nur in gleicher Weise beschaffen ist, sondern auch dieselben Beziehungen zur Wirbelsäule aufweist. Immer wie bei allen Anuren sind es von 1 Wenn FÜRBRINGER (l. ec. pag. 287, Anm. 2) dafür auch die Äußerung von FıscHEr anführt, so frägt er dabei dem Umstande nicht Rechnung, dass FiscHer die Existenz der Ansa I noch unbekannt war. Uber die Wirbelsiiule von Pipa. 301 den präsacralen Spinalnerven jederseits die beiden hintersten, welche allein unter den präsacralen Nerven an der Bildung des Plexus lum- bosacralis Theil nehmen. Wenn nun bei allen Anuren der Plexus der hinteren Extremität nicht nur in wesentlich gleicher Weise sich zusammensetzt, sondern auch dieselben Beziehungen zur Wirbelsäule darbietet, so liegt doch wohl kein Grund vor die Homologie der gleichgebauten und gleichgelagerten Plexus zu bezweifeln. Nach Fig. 2. Pipa. A, A‘ etc. homologe Wirbel. @ Sacralwirbel. cr N. eruralis. is N. ischiadicus. vorn vom Plexus lumbosacralis folgen bei Pipa wie bei den anderen Anuren drei einfache Spinalnerven, die keine Beziehung zu den Extremitätennerven aufweisen. Also wiederum bei Pipa die gleichen Verhältnisse wie bei den anderen und das gilt denn auch weiter von den nun nach vorn hin noch folgenden drei Spinalnerven, die alle drei bei Pipa sowohl als bei Rana ete. an der Bildung des Plexus brachialis Theil nehmen. Und damit sind die Spinalnerven zu Ende, es folgen nach vorn keine weiteren mehr weder bei Pipa noch bei den anderen, indem ja ein Suboceipitalnerv überall fehlt. Der Ver- meidung von Unklarheiten der Terminologie wegen werde ich fortan 302 H. v. Ihering von den drei bei den Anuren den Plexus brachialis bildenden Ner- ven den dem Kopfe am meisten genäherten als den proximalen, den folgenden als den mittleren und den hintersten als den distalen be- zeichnen. Der letztere nun, der distale Spinalnerv unseres Plexus spaltet sich bei Rana ete. in zwei Äste, von denen der hintere (10) sich an Bauchmuskeln verbreitet, der vordere aber an der Bildung des Plexus Theil nimmt, indem er mit dem mittleren Plexusnerven die Ansa II bildet. Nach Bildung dieser Ansa giebt er nach FÜRBRINGER bei Rana den N. thoracicus superior IV ab, bei Pipa den N. thoracicus sup. III. »Dieser N. thoracicus sup. III, sagt FÜRBRINGER pag. 181, Anm. 4, »muss nach seiner Vertheilung im M. thoraci-scapularis als ein Homologon des N. thoracicus sup. IV der iibrigen Anuren ange- sehen werden.« Es liegt daher, sofern man sich nur an das Ver- halten der Spinalnerven zu einander und zu den von ihnen versorgten Muskeln hilt, gewiss kein Grund vor, die Homologie des distalen Plexusnerven von Rana und von Pipa zu bezweifeln. Das Gleiche wie vom distalen Plexusnerven gilt nun auch von den anderen beiden. Der mittlere Plexusnerv ist bei allen Anuren der einzige, der mit der Gesammtmasse seiner Fasern in die Bildung des Plexus eingeht und der proximale spaltet sich bei Rana sowohl wie bei Pipa, abgesehen von den (4) zum N. thoracicus superior II tretenden Fasern in zwei Äste, von denen der eine an der Plexus- bildung resp. der Bildung der Ansa I sich betheiligt, der andere (3) sich zur ventralen Rumpfmuskulatur begiebt. Bei Rana ete. giebt dieser proximale Plexusnerv noch den N. thoracicus sup. II ab, der bei Pipa erst nach Bildung der Ansa I abgegeben würde. . Vielleicht aber, dass er auch bei Pipa nur aus dem proximalen Spinalnerven des Plexus seine Fasern bezieht. Das Verhalten dieses Nerven bei Pipa sowohl wie bei den anderen Anuren scheint noch weiterer Un- tersuchung bedürftig, wie auch FÜRBRINGER andeutet. Doch ist es sehr wahrscheinlich, dass auch bei Pipa der N. supracoracoideus vom proximalen und mittleren Plexusnerven gebildet wird. Mögen nun immerhin bei weiteren auf zahlreiche Individuen ausgedehnten Untersuchungen sich zwischen Pipa und den anderen Anuren ein- zelne Differenzen herausstellen, in den Hauptzügen, das ist schon jetzt ersichtlich, ist die Betheiligung der drei besprochenen Spinal- nerven an der Bildung des Plexus bei Pipa dieselbe wie bei den anderen Anuren. Durch die eben dargelegten Auseinandersetzungen sind, wie ich denke, sehr gewichtige Gründe geltend gemacht worden für meine Uber die Wirbelsiiule von Pipa. 303 Ansicht, nach welcher der Plexus brachialis von Pipa jenem der an- deren Anuren homolog ist. Suchen wir hingegen nach entscheidenden Gründen für die Ansicht FÜRBRINGER's, nach welcher der proximale Plexusnerv der suboceipitale sein würde, so spähen wir auch in den Ab- handlungen von FÜRBRINGER selbst vergebens danach. Es ist eben die Ansicht von FÜRBRINGER nicht aus der Vergleichung der Spinalnerven hervorgegangen, sondern aus den theoretischen Anschauungen, welche dieser Forscher über die Homologie der Segmente überhaupt hat, Anschauungen, die eben meiner Meinung nach nicht haltbar sind. Ja FÜRBRINGER räumt sogar selbst ein, dass der proximale Plexusnerv von Pipa ein Verhalten darbietet, wie es der Suboceipitalnerv der Am- phibien, da wo er sich überhaupt findet, nicht zeigt. Der Suboccipi- talnerv der Urodelen betheiligt sich nämlich nie an der Zusammen- setzung des Plexus brachialis. Es ergiebt sich mithin aus der vergleichenden Betrachtung der Spinalnerven, wie mir scheint, die Nothwendigkeit, den proximalen Spinalnerven des Plexus brachialis von Pipa mit dem gleichnamigen Nerven der übrigen Anuren für homolog zu erklären. Dagegen können zu Gunsten der FÜRBRINGER- schen Deutung eben dieses Nerven von Pipa als Suboccipitalnerven nicht nur aus dem Verhalten der Nerven keine Gründe abgeleitet wer- den, sondern es sprechen sogar zwei Momente direkt gegen dieselbe: 1) der Umstand, dass der betreffende Nerv seiner Lage nach nicht Suboeeipitalnerv ist und 2) dass er nicht jenes Verhalten zu andern Nerven und zu den Muskeln zeigt, welches der Suboceipitalnerv da aufweist, wo er überhaupt bei Amphibien angetroffen wird. Aus dem Vorausgehenden ergeben sich also zwei fundamentale Sätze, welche für die Vergleichung der Wirbelsäule und des Ner- vensystems von Pipa mit denselben Theilen bei den andern Anuren maßgebend sind. Nämlich 1) Bei Pipa sind nur sieben präsacrale Wirbel vor- handen, also einer weniger als bei den übrigen Anuren. 2) Die Spinalnerven von Pipa stimmen Nerv fiir Nerv mit denen der anderen Anuren überein und die drei ersten von ihnen setzen in derselben Weise wie bei den übrigen Anuren den Plexus brachialis zusammen. Für die Vergleichung der bei Pipa bestehenden Verhältnisse mit den bei den anderen Anuren vorliegenden kommen drei Erklärungs- versuche in Betracht. Der erste ist der von Stannrus, wonach der 304 j H. v. Ihering erste Wirbel von Pipa ein Doppelwirbel wiire, eine Ansicht, welche durch die oben mitgetheilten Thatsachen widerlegt ist. Die andere Erklärung ist die von FURBRINGER, wonach das übereinstimmende Ver- halten der Nerven von Pipa und von Rana nicht in der Homologie der iibereinstimmenden Nerven, sondern auf zufälliger Ähnlichkeit beruhe und der proximale Plexusnerv von Pipa als Suboccipitalnery zu deuten sei. Um im Sinne FÜRBRINGER’s aus dem normalen Ver- halten der Anuren jenes der Pipa abzuleiten, sind folgende Vor- aussetzungen nothwendig. Es muss der Suboccipitalnerv bei Pipa erschienen sein, es muss derselbe eine Verschiebung seiner Ursprungs- stelle in den ersten Wirbel und endlich eine Umbildung der Art erlitten haben, dass er das Verhalten aufweist, welches sonst dem proximalen Plexusnerven zukommt. Es muss dann der dritte Spi- nalnerv das Verhalten angenommen haben, welches sonst der zweite besitzt und so weiter bis hinten hin, und endlich muss gleichzeitig der Beckengürtel um einen Wirbel sich nach vorn verschoben ha- ben. Auch dieser Erklärungsversuch ist hinfällig, weil die Prämisse der Deutung des proximalen Plexusnerven von Pipa als Suboeeipital- nerv nicht zutrifft. Es finden daher die Verhältnisse von Pipa, wie mir scheint, eine ungezwungene Erklärung nur durch die Annahme, dass bei Pipa ein präsacraler Wirbel weniger vorhan- den, oder, wie ich es ausdrücke, excalirt ist, wäh- rend der zugehörige Spinalnerv unverändert sich erhal- ten hat. Zur nähern Erläuterung dieser Ansicht muss ich mit einigen Worten auf die durch meine einschlägigen Untersuchungen gewon- nenen Resultate eingehen. Das Ergebnis derselben, mit welchem sie zu den bisher gültigen Ansichten in Widerspruch traten, bestand. darin, dass für die einzelnen Regionen eine Selbständigkeit nach- gewiesen wurde, der zufolge die Zahl der Segmente einer bestimm- ten Region, etwa der Halsregion z. B. bei Reptilien und Vögeln variiren kann ohne dass damit die übrigen Regionen beeinflusst wer- den. Es kommen schon embryologisch die Regionen mehr oder min- der deutlich in toto zur Anlage, und je nachdem nun das gegebene Bildungsmaterial in x oder in x +1 oder x — 1 Segmente sich gliedert, zeigt sich, dass bei verschiedenen Individuen einer Art die Zahl variiren, dass bei den einen ein Segment mehr vorhanden sein intercalirt) oder eins fehlen (excalirt) kann. Es handelt sich mithin dabei nicht um nachträgliche Ausbildung oder Verkümmerung von Wirbeln, wie das auch vorkommt (z. B. an der Halswirbelsäule von Uber die Wirbelsäule von Pipa. 305 Manatus), es sind vielmehr die Begriffe der Ex- und Intercalation nur der Vergleichung verschiedener Individuen entnommen. Aus- drücklich sei aber noeh hervorgehoben, dass damit Umbildungen der Wirbelsäule durch Verschiebung des Beckengürtels ete. nicht ausgeschlossen sind, ein Umstand, den ich namentlich desshalb her- vorhebe, weil ich gelegentlich der Ansicht begegnet bin als bestände ein Gegensatz zwischen den Ansichten von ROSENBERG einerseits und mir andererseits. Ich habe vielmehr selbst zahlreiche Belege für direkte Umbildungen der Wirbelsäule beibringen können, zugleich aber nachgewiesen, dass durch dieselben an und für sich die Ver- hältnisse des peripherischen Nervensystems nicht geändert werden. Es stellt sich eben heraus, dass die hier in Betracht kommenden Verhältnisse sehr verwickelt und schwer zu verstehen sind. Zu den das Verständnis besonders erschwerenden Momenten gehört vor Allem der Umstand, dass auch Variationen in nieht unbedeutendem Umfange im Bereich des peripherischen Nervensystems vor sich gehen, welche von der Gliederung der Wirbelsäule unabhängig sind. So z. B. bei der Maus, bei welcher die Wirbelsäule stets 13 dorsale und 6 lumbale Wirbel besitzt, der lumbosacrale Plexus aber um ein oder zwei Wirbel in seiner Lage sich verschieben kann, ohne dass seine charakteristische Zusammensetzung im mindesten verändert würde. Es zeigen also die vergleichend-anatomischen Untersuchungen, dass die typische Gliederung des peripherischen Nervensystems va- riiren kann, ohne dass die Wirbelsäule alterirt würde, und dieses Ergebnis wird nichts Befremdendes mehr haben können, seitdem wir wissen, dass nur die Skelett- und Muskel-Theile des Segmentes der Vertebraten ihren Ursprung im Mesoderm nehmen, dagegen die Spinalnerven ektodermalen Ursprunges sind, indem sie aus dem Rtickenmark hervorsprossen. Für gewöhnlich gelangen Ektoderm- segment und Mesodermsegment zur Deckung, es kann aber auch der Fall vorkommen, dass nur die eine der beiden Gruppen von Seg- menten eine Abänderung erleidet und ein solcher Fall liegt eben meines Erachtens bei Pipa vor. Im Vergleich zu den anderen Anu- ren ist bei Pipa ein präsacraler Wirbel weniger vorhanden, wogegen eine Verminderung der Spinalnerven nicht stattgefunden hat. Der Umstand, dass der proximale Spinalnerv des Plexus brachialis bei Pipa den ersten Wirbel durchbohrt, weist zugleich darauf hin, welcher Wirbel excalirt ist. Es liegt kein Grund vor den Atlas von Pipa nicht demjenigen der andren Anuren für homolog zu halten. Morpholog. Jahrbuch. 6. 20 306 H. v. Ihering Da nun andererseits bei Pipa der Sacralwirbel und alle ihm voraus- gehenden bis zu demjenigen Wirbel, der zwischen dem mittleren und dem distalen Spinalnerven des Plexus brachialis gelegen ist, den entsprechenden Wirbeln der anderen Anuren homolog sein müssen, weil sie mit ihnen im Bau und in der Beziehung zum Nervensystem: übereinstimmen, so ergiebt sich, dass der zweite Wirbel der typischen Anuren bei Pipa fehlt. Dadurch kommt die Ur- sprungsstelle des mittleren Brachialplexusnerven bei Pipa zwischen den ersten und zweiten Wirbel zu liegen und der bei den anderen Anuren -zwischen erstem und zweitem Wirbel entspringende Nerv nimmt seinen Weg durch den ersten Wirbel. Ein zwischen Atlas und Schädel entspringender suboceipitaler Spinalnerv fehlt dann natürlich bei Pipa so gut wie bei den andren Anuren. Mit dieser Homologisirung scheint mir auch das Verhalten der vordersten Wir- bel in Einklang zu stehen. Bei Pipa sind der zweite und dritte Wirbel mit langen Rippen versehen, welche den nächstfolgenden Wirbeln abgehen. Bei den typischen Anuren ist nach STannius der hinterste von den mit Rippenrudimenten versehenen Wirbeln der vierte und in der Regel sind diese Rippen am besten entwickelt am dritten und vierten Wirbel. Nun entsprechen aber der dritte und. vierte Wirbel der normalen Anuren dem zweiten und dritten von. Pipa, welche ja ihrerseits, wie wir eben sahen, die rippentragenden ‘sind. Es steht daher auch von vergleichend 'osteologischem Stand- punkte nichts der Homologisirung des zweiten Wirbels von Pipa mit. dem dritten der anderen Anuren im Wege. Vielleicht, dass diese Zeilen Jemanden, dem reicheres Material von Pipalarven, namentlich auch aus jüngeren Stadien zu Gebote steht, zu einer Nachuntersuchung anregen! Eine solche scheint mir zu- mal mit Rücksicht darauf nicht ohne Interesse, weil es leicht möglich wäre dabei auch auf Individuen zu stoßen, bei denen atavistischer Weise wieder acht prisacrale Wirbel vorhanden wären.‘ Man wird alsdann, den von mir früher mitgetheilten Erfahrungen zufolge zwei verschiedene Fälle antreffen können. . Entweder es kann einfach der fehlende zweite Wirbel wieder angelegt sein und der proximale Plexusnerv zwischen erstem und zweitem Wirbel entspringen, wie bei den anderen Anuren, oder es ist zugleich mit dem Wirbel auch ein Nervensegment erschienen, also ein ganzes Körpersegment auf- getreten statt eines Mesodermsegmentes. Dann wäre also ein Spi- nalnerv mehr als gewöhnlich vorhanden und es würde der erste vorhandene Spinalnery den ersten Wirbel durchbohren, Uber die Wirbelsäule von Pipa. 307 Nachschrift. Eine größere nach Abschluss des Vorhergehenden erschienene Abhandlung von FÜrBRINGER! veranlasst mich zu den im Folgenden enthaltenen nachträglichen Bemerkungen. Außer eini- gen zum Theil auf Missverständnissen? beruhenden Punkten, in de- nen ein Gegensatz zwischen unseren Ansichten in der That nicht vorliegt, wird es vornehmlich für mich sich hier darum handeln, nä- her auf den Hauptinhalt der neuen Arbeit FURBRINGER’s einzugehen, auf die Frage nach der Umgestaltung der Plexus, zumal am Plex. brachialis der Vögel. Hierbei sei nun zunächst hervorgehoben, dass es mir, wie ja übrigens auch die Lektüre meiner bezüglichen Ar- beit erweisen kann, fern liegt, die Plexus für unveränderlich zu halten, und Umbildungen derselben überhaupt in Abrede zu stellen. Aber rücksichtlich derselben ist es wohl erforderlich, schärfer als es bisher der Fall war, die verschiedenen Modifikationen zu unterschei- den. Nur in einem Falle nämlich handelt es sich dabei um die von mir geltend gemachten Vorgänge der Intercalation und Excalation. Es bezieht sich das auf den Plexus lumbosaeralis der Amnioten und Amphibien, indem ich eine überall wiederkehrende typische Zu- sammensetzung derart nachweisen konnte, dass die proximalen Plexusnerven den N. obturatorius und lumbalis, die hinteren den N. ischiadieus bilden und dass beide Gebiete zur Berührung gelangen in dem N. furealis, der allen den genannten drei Nerven Fasern zu- sendet. Dieser N. furcalis ist in der That von den Amphibien an bis zum Menschen überall als komplet homolog erweisbar und der Hin- weis hierauf genügt daher wohl zu meiner Rechtfertigung gegen die Angabe, dass »eine konstante Homologie gewisser Stämme in den Plexus« von mir nicht erwiesen sei. Seinen hinteren Abschluss ge- gen den Plexus pudendus findet der sacrale Plexus dann in dem von mir N. bigeminus genannten Spinalnerven. Zwischen N. furcalis und N. bigeminus findet sich eine wechselnde Zahl von Spinalnerven, die ganz in den N. ischiadieus eintreten. Bei den Amphibien und vielen Reptilien nur einer, bei anderen Reptilien zwei und bei den 1M. FÜRBRINGER, Zur Lehre von den Umbildungen der Nervenplexus. Morph. Jahrb. Bd. V. pag. 324—394 Taf. XXI u. XXI. '2'So z. B. wenn FÜRBRINGER meint, ich habe in Kap. IX andere Ansich- ten entwickelt als in Kap. II. Übrigens muss ich FÜRBRINGER bez. der Ver- werthung der Diplospondylie ganz beipflichten. Ich glaubte aber doch das betreffende Kapitel aufnehmen zu sollen, weil es für die ganze Frage nach dem Begriff des Segmentes der Vertebraten ein immerhin beachtenswerthes Mo- ment enthält. Übrigens führe ich die Untersuehungen zumal mit Rücksicht auf die Notidaniden weiter. 20* 308 H. v. Ihering Vögeln drei oder noch mehr. Da nun kein Grund vorliegt die Ho- mologie des N. furealis und des N. bigeminus in den verschiedenen Gruppen zu bezweifeln, so handelt es sich eben hier meiner Mei- nung nach um eine durch Interealation erfolgte Einschaltung neuer Spinalnerven zwischen jenen beiden Nerven. * Außer dieser durch Inter- und Excalation erfolgenden senken Umgestaltung des Plexus habe ich durch meine Untersuchungen noch eine andere kennen gelernt, die ich ihr als peripherische entgegen- stellen will und die in der Betheiligung oder Nicht-Betheiligung ! der an den Plexus grenzenden Nerven besteht. Bleiben wir bei unserem Beispiele, so ist es klar, dass der N. furcalis und der N. bigeminus so wie die zwischen ihnen gelegenen Spinalnerven davon nicht berührt werden können, es handelt sich in der That dabei wesentlich nur darum, dass die an den Plexus angrenzenden Spinal- nerven sich noch mit ihm in Verbindung setzen oder eine solche verlieren, dass also z. B. statt der zwei letzten präfurcalen Spinal- nerven auch noch der drittletzte oder der viertletzte Fasern zum N. cruralis und N. obturatorius entsendet. Derartige accessorische Ana- stomosen kommen nicht nur am lumbosacralen sondern auch am brachialen Plexus sehr häufig vor. Durch diese peripherische Um- bildung des Plexus wird natürlich seine typische Zusammensetzung nicht alterirt, trotzdem ja die Zahl der am Plexus sich betheiligen- den Nerven sich dabei fast verdoppeln kann. Anders bei der von FÜRBRINGER aufgestellten metamerischen Umbildung des Plexus, bei welcher am einen Ende des Plexus Spinalnerven aus der Betheili- gung an der Bildung ausscheiden, am anderen Ende neue eintreten. Wenn also am lumbosacralen Plexus in distaler Richtung eine solche erschiene, so müssten die Verhältnisse des N. furcalis und N. bi- geminus verwischt werden, es müsste durch accessorische Anastomo- senbildung zur Entstehung von zwei N. furcales und N. bigemini kommen. Da nun Variationen in der Zusammensetzung und Lagerung des Plexus sacralis der Säugethiere so zahlreich zu beobachten sind, so müssten mit der Umbildung der Wirbelsäule auch solche des Plexus sacralis nachweisbar sein. Gerade um mich mit solchen me- tamerischen Umbildungen bekannt zu machen, habe ich meine Un- tersuchungen angestellt, die mich denn von solchen nichts finden 1 Bezüglich der Riickbildung der Plexus bin ich ganz mit FÜRBRINGER einverstanden und war es keineswegs meine Ansicht, dass eine derartige Rück- bildung sich auf dem Wege der Excalation vollziehen sollte. Uber die Wirbelsiiule von Pipa. 309 ließen, mir vielmehr die Homologie des N. furealis und des N. bigeminus von den Amphibien an aufwärts nachwiesen. Es liegt daher, so weit meine Erfahrungen reichen, nirgends ein Beweis vor für die metamerische Umbildung irgend eines Plexus. Wenn ich gleichwohl dieselbe nicht schlechthin bekämpfe, vielmehr die Méglichkeit einräume, dass auch ihr Vorkommen einmal erwie- sen werden könne, so geschieht es nur mit Rücksicht auf die bei den Fischen vorliegenden Verhältnisse. Wie für das Skelett der Extremitäten zwischen den Fischen und den übrigen Vertebraten eine noch nicht vollkommen sicher überbrückte Kluft existirt, so lassen auch die Verhältnisse der Nerven keine unmittelbare Überführung zu. Statt einer geringen Zahl charakteristischer Plexusnerven finden sich, wenn man von den Teleostiern dabei absieht, je nach Größe und Lagerung der Extremität, namentlich der hinteren, sehr wech- selnde Verhältnisse. Hier scheint es mir keineswegs unmöglich, dass sich herausstelle, dass mit der Lageveränderung der Extremität auch andere Spinalnerven sich an ihrer Innervation betheiligen, aber das ist, wie bemerkt, vor der Hand nicht bewiesen. Der einzige Fall von der Verdrängung des einen Innervationsgebietes durch ein an- deres, den ich kenne, wird gebildet von den Verhältnissen der Inner- vation des Mantels bei den Chiastoneuren (unter den Arthrocochliden), wo die linke Seite bei den niederen Formen fast nur vom linken Kommissuralganglion innervirt wird, während bei den höherstehen- den der betreffende Nerv sehr rückgebildet ist auf Kosten der Aus- dehnung des Chiastopallialnerven. Es sind demnach nicht Bedenken prineipieller Art, welche mich die metamerische Umbildung der Plexus bekämpfen lassen, es ist vielmehr lediglich der Umstand, dass ich wenigstens bei den Am- phibien und Amnioten nichts dafür sprechendes aufzufinden vermag. Die folgenden Erörterungen sollen darthun, dass mich auch die neue Arbeit von FÜRBRINGER nicht anderer Meinung hat machen können, weil eben die von ihm vorgelegten Thatsachen meiner Ansicht nach eine andere Interpretation erfahren müssen, als das von Seiten Fiir- BRINGER’s geschehen ist. Es wird sich hierbei, da für eine centrale Umbildung des Plexus brachialis keine Thatsachen sich anführen lassen, nur darum handeln, zu untersuchen, wie weit durch peripheri- sche Umänderungen des Plexus Variationen sich darbieten und ob von diesen accessorischen Anastomosen abgesehen eine typische Zu- sammensetzung des Plexus überall sich konstatiren lässt, oder ob Zwischenstadien und Übergangsformen anzutreffen sind, welche eine 310 iH. v. Ihering metamerische Umbildung des Plexus beweisen. Zunächst also han- delt es sich darum, die accessorischen Anastomosen als solche zu er- kennen und von der Betrachtung auszuscheiden, natürlich nur in dem Falle, wenn im Übrigen eine ganz typische Zusammensetzung des Plexus sich konstant nachweisen lässt. Ich halte mich dabei zunächst an die bei der Gans von FÜRBRINGER aufgefundenen Ver- hältnisse, weil von derselben eine größere Anzahl von Exemplaren und verschiedene Entwicklungsstadien untersucht wurden. FÜRBRIN- GER hält sich dabei mit Recht vorzugsweise an den »Hauptplexus«, d. h. denjenigen Theil des Plexus, welcher die Nerven für die Ex- tremität selbst liefert. Dieser Hauptplexus entsteht aus vier Spinal- nerven, von denen die beiden mittleren mit ihrer gesammten Faser- masse direkt in den Plexus eintreten, die beiden anderen etwas abweichende Verhältnisse zeigen. Der distale Spinalnerv des Haupt- plexus spaltet sich in zwei Äste, von denen nur der vordere in den Plexus sich begiebt, der hintere ein Intercostalnerv ist. Der proxi- male Spinalnerv des Hauptplexus theilt sich in mehrere Äste, die Fasern zum Musculus rhomboideus, zum M. levator scapulae und zu den M. serratus profundus und superfieialis entsenden und ferner entspringt aus diesem Spinalnerven ein Ast, der sich mit dem distal folgenden Spinalnerven verbindet und mit ihm den N. supraco- racoideus bilden hilf. Hierzu können nun noch accessorische Anastomosen hinzukommen, namentlich am distalen Ende des Plexus. Der distale Spinalnerv des Hauptplexus bleibt dabei unverändert und der nächstdistale Spinalnerv verhält sich nicht als einfacher In- tercostalnerv, sondern giebt noch einen Ast zum Plexus ab und zwar entweder direkt in den Plexus oder auch gelegentlich nur zu dem vom distalen Plexusnerven abgehenden Intercostalnerven. Bei den von FÜRBRINGER untersuchten Gänsen wurde überall außer bei G und K der Hauptplexus vom XVI.— XIX. Spinalnerven gebildet. Die in Rede stehende accessorische Anastomose vom Spinalnerven XX ist dabei bald vorhanden, bald fehlend; geändert wird dadurch an der typischen Beschaffenheit des Hauptplexus gar nichts, und man, wird auf diese accessorische Anastomose um so weniger Werth legen können als nach den bei B gemachten Erfahrungen auch der Fall vorzukommen scheint, dass dieselbe auf der einen Seite sich findet, auf der anderen nicht. Eine der eben besprochenen distalen accessorischen Anastomose ähnliche kam auch einmal am proximalen Ende des Hauptplexus vor (bei A), indem der XV. Spinalnerv einen Ast zu dem in den Uber die Wirbelsäule von Pipa. 311 Plexus tretenden Ast des XVI. Spinalnerven abgab. Irgend wesent- lich verändert ist damit die Zusammensetzung des Plexus nicht, da der XVI. bis XIX. Spinalnerv sich ganz so wie sonst verhalten und man nicht wird bezweifeln können, dass der XIX. Spinalnerv von A mit dem gleichnamigen von F homolog sei. Es handelt sich desshalb auch darin nur um eine accessorische Anastomose, durch welche die Homologie des Hauptplexus ar des XVI. bis XIX. Spi- nalnerven nicht alterirt wird. Alle die eben berührten Verhältnisse beziehen sich daher nur auf eine peripherische Umbildung des Plexus in Folge des Hinzu- tretens accessorischer Anastomosen, aber nicht auf eine metamerische Umbildung. Anders aber steht es mit den Fällen G und X, in welchen der Hauptplexus nicht vom XVI.—XIX., sondern vom XVII.—XX. Spinalnerven gebildet wird und diese Fälle sind es, die FÜRBRINGER an das Ende der von ihm kombinirten Reihe stellt und als die End- glieder des in distaler Richtung fortschreitenden Umbildungsprocesses betrachtet. Vergleicht man nun z. B. A mit D, so überzeugt man sich sofort, dass der Spinalnery XVI von D dem Spinalnerv XVII von K entspricht u. s. w., kurz dass die völligste Übereinstimmung der Plexus vorliegt. In dieser Übereinstimmung mit FÜRBRINGER nicht den Ausdruck kompleter Homologie zu sehen, liegt meiner Meinung nach kein Grund vor, zumal, wie wir sahen, echte Umbil- dungsstadien sich nicht nachweisen ließen. Es liegt vielmehr mei- ner Ansicht nach hier der Fall einer Interealation eines präbrachia- len Segmentes vor, wodurch der ganze Plexus weiter nach hinten gerückt scheint. Zu Gunsten dieser Ansicht kann ich namentlich noch ein Moment hervorheben: das Verhalten der Wirbelsäule. Es gehen nämlich mit Umbildungen von Wirbeln keine Veränderungen im Nervensystem vor sich und andererseits brauchen auch Verände- rungen des Plexus nicht die charakteristische Gliederung der Wir- belsäule zu ändern. Wenn daher es sich nur um eine metamerische Umbildung des Plexus handelte, so wäre zu erwarten, dass das Verhalten der Wirbelsäule das gleiche geblieben und nur die Lage- rung des Plexus um einen Wirbel nach riickwärts verschoben sei, wogegen, falls eine Intercalation eines präbrachialen Segmentes vor- läge, das Verhalten der hintersten Halswirbel und die Beziehung der Spinalnerven des Plexus zu ihnen unverändert sein würde. Ver- gleichen wir nun wieder hierauf hin D und X, so sehen wir die zwei letzten Halswirbel in beiden Fällen mit Sternalrippen ausge- rüstet und zwischen dem letzten Halswirbel und dem ersten Dorsal- 312 H. y. Ihering wirbel den distalen Spinalnerven des Hauptplexus entspringen. Es zeigen mithin die letzten Halswirbel sowohl wie die letzten Hals- nerven absolut das gleiche Verhalten, was sich ungezwungen, wie mir scheint, nur durch die Annahme kompleter Homologie, und In- tercalation eines präbrachialen Segmentes erklärt, wogegen die An- nahme einer metamerischen Umbildung des Plexus weder thatsächlich erwiesen ist, noch auch das in beiden Fällen gleiche Verhalten der Wirbelsäule zu erklären vermag. Es müsste, wenn eine metamerische Umbildung des Plexus vorläge, angenommen werden, dass mit ihr gleichzeitig eine metamerische Umbildung der Wirbelsäule Hand in Hand gegangen sei und das ist meiner Meinung nach der schwäch- ste Punkt der Hypothese von der metamerischen Umbildung der Plexus, denn die Thatsachen lehren, dass die Umänderungen der Wirbelsäule auf das Verhalten und die Lagerung der Plexus keinen Einfluss äußern. Es erübrigt mir nun noch auf die von FÜRBRINGER über den Process der Intercalation geäußerten Ansichten einzugehen, da sich hier ein Missverständnis eingeschlichen hat, indem FÜRBRINGER meint, dass die von mir aufgestellten Begriffe der Inter- und Ex- calation »zu dem Postulate einer nachzuweisenden Inter- oder Expo- lation führten«. Diese Folgerung kann ich durchaus nicht als die meinige bezeichnen, da ich eben so wenig wie FÜRBRINGER bezwei- fele, dass die Anlage der Segmente beim Wirbelthier sich ganz regelmäßig in der Richtung von vorn nach hinten vollzieht, ohne nach- trägliche Ein- und Ausschaltungen. Es dreht sich für uns nur um die Auffassung der eben angelegten Segmente, die nach der Ansicht von ROSENBERG und FÜRBRINGER doch wohl eine ursprüngliche absolute Homonomität darbieten müssten, während mir es wahrscheinlich ist, dass von Anbeginn an eine gewisse Heteronomität der Segmente besteht, schon zu einer Zeit mithin, wo sie noch nicht nachweisbar ist, und dass die Zahl der eine beliebige Region zusammensetzenden Segmente dabei eine variable sein kann. Die eine Annahme ist so gut eine hypothetische wie die andere, welche von ihnen aber die zutreffende sei, das wird sich nur indirekt erschließen lassen. Es freut mich hierin mich mit FURBRINGER einig zu wissen, in so fern er einräumt, dass es nicht für alle Fragen nothwendig und möglich sei auf ontogenetischem Wege den Beweis zu erbringen. Und unsere Fragen gehören eben zu jenen, welche nicht durch den Verfolg der Ontogenie des Individuum, sondern nur durch den Vergleich verschie- dener Individuen einer Art zu erledigen sind. Uber die Wirbelsiiule von Pipa. 313 Wenn es mithin keine Schwierigkeit bereitet sich den Inter- und Excalationsvorgang ontogenetisch als möglich vorzustellen , so kann ich auch in phylogenetischer Beziehung die von FÜRBRINGER geäußerten Bedenken nicht theilen. Glücklicherweise sind wir in dieser Beziehung nicht auf bloße Vermuthungen angewiesen. Unter den Säugethieren sind die Aplacentalien zweifelsohne die niedersten und zu ihnen gehören andererseits alle mesozoischen Säugethiere. Bei ihnen allen nun finden wir die Lumbodorsalregion aus 19 Wir- beln bestehen, von denen 17 präfurcale sind. Diese Verhältnisse dürfen wir um so eher für alle Säugethiere zum Ausgangspunkte nehmen, als sie fast in allen Ordnungen der Säugethiere noch in mehr oder weniger großem Umfange anzutreffen sind. Bei den Fle- dermäusen u. A. findet durch Excalation präfurcaler Segmente eine Verminderung der Anzahl der Lumbodorsalwirbel statt. Tritt nun bei einer mit nur 16 präfurcalen Lumbodorsalwirbeln versehenen Art der Fall ein, dass ein Individuum deren 17 besitzt, so ist hier im Verhältnis zu den anderen! ein Segment intercalirt und der ganze Vorgang erscheint als Atavismus und zwar als Restitutionsatavismus. Eben so gut wie hier durch Intercalation kann in anderen Fällen durch Exealation es zum Restitutionsatavismus kommen. Nicht un- ter den Begriff des Atavismus fallen hingegen die Fälle, in denen durch Inter- und Excalation ein bei den Stammformen nicht vertre- tenes Verhalten resultirt. Es ist mir nicht verständlich warum ich mit einer solehen Annahme nicht mehr auf dem Boden der Descen- denztheorie stehen solle. Es ist doch wohl ganz begreiflich, dass den Fledermäusen und den Vögeln und Fröschen ein kurzer Rumpf eben so vortheilhaft sein muss als den extremitätenlosen Sauriern und den Schlangen ein langer. Die Annahme, gegen die sich FÜRBRIN- GER sträubt, scheint mir daher die zu sein, dass eben dabei ein Thier im Verlaufe seiner Wirbelsäule einen Wirbel besitzen könne, der dem anderen fehlt, resp. der überhaupt kein Homologon bei dem- selben besitzt. Ich gestehe zu, dass diese Annahme zunächst frap- piren kann, nicht aber, dass sie mit den durch die Descendenzlehre für die vergleichende Anatomie geschaffenen Grundlagen unverein- bar sei. Denn es ist nicht ersichtlich warum für die Vertebraten prineipiell andere Verhältnisse sollten angenommen werden als für die Evertebraten, oder warum bei den Antimeren es möglich sein ! Als »normal« habe ich das Verhalten angesehen, welches bei einer belie- bigen Art am häufigsten angetroffen wird. 314 H. v. Ihering, Uber die Wirbelsiiule von Pipa. sollte, dass das eine Individuum ein oder mehrere Antimeren besitzt, die. bei anderen kein Homologon haben, bei den Metameren aber nicht. Für die Antimeren aber erscheint uns eine solche Annahme einer nicht existirenden Homologie gewisser Antimeren — Anhomo- logie könnte man das Verhältnis nennen — zulässig und nothwen- dig. So ist z. B. bekannt, dass für die Echinodermen, lebende so gut wie fossile, die Fünfzahl die typische ist. Nun kommen aber nicht selten Individuen und selbst Arten vor, bei denen mehr Anti- meren existiren. In vielen Fällen, so namentlich bei Ophiaetis, handelt es sich dabei um normale Theilungs- und Regenerationsvor- gänge (Schizogonie), in anderen aber, so bei gewissen lebendig ge- bärenden Ophiuren, haben nach Lürken bereits die Embryonen die abnorme Antimerenzahl. Solche achtstrahlige Ophiuriden haben also im Vergleiche zu den fünfstrahligen drei anhomologe Antimeren. Ist aber bei Antimeren die Anhomologie möglich, warum sollte sie bei Metameren undenkbar sein? Ich glaube nicht, dass FÜRBRIN- GER im Rechte ist, wenn er a priori eine solche Möglichkeit‘ von der Hand weisen zu dürfen glaubt, und die Annahme derselben würde unabweisbar, wenn es mir gelingen sollte, die Begriffe der Inter- und Excalation in die Wissenschaft als berechtigte Faktoren einzubürgern. . Hierfür Weiteres zu thun, dazu hätte mir die Arbeit FÜRBRINGER’s zwar noch vielen Anlass gewährt, allein ich verzichte darauf an dieser Stelle, eine Fortführung meiner bezüglichen Unter- suchungen für spätere Zeit mir vorbehaltend, indem ich glaube, erst das: Urtheil anderer nicht direkt betheiligter Forscher abwarten zu sollen, um so mehr, als ich bereits von weiteren in Aussicht stehen- den, noch dazu dem von mir vertretenen Standpunkte sich anschlie- Benden Arbeiten weiß. Leipzig, den 3. August 1879. Kleinere Mittheilungen. Ein Fall von Einmiindung der oberen rechten Lungenvene in die obere Hohlvene. Mitgetheilt von C. Gegenbaur. Mit einer Holzschnittfigur. Zu den seltensten im Bereiche der Variationen des Venensystemes vor- kommenden Fällen gehört die Verbindung der rechten Lungenvene mit der oberen Hohlvene. In der von W. Krause in dem Hente’schen Handbuche gegebenen Zusammenstellung der Varietäten der großen Venen findet sich nur ein Fall aufgeführt, welchen MECKEL in den Tabulae anatom. pathol. (Fasc. II. 1820 Taf. IX Fig. 2) veröffentlicht hat. Ein ganz ähnlicher Fall kam vor zwei Jah- ren im hiesigen Präparirsaal zur Beobachtung. Uber das Individuum, welches der Fall betraf, ist nichts Näheres zu ermitteln gewesen. Herz und große Arterien- stämme verhielten sich normal. Die Ventrikeloberfläche zeigt unter der Serosa ziemlich reichliche Fettablagerung. Die obere Hohlvene nimmt wie gewöhnlich die Vena azygos auf, welche sich in deren hintere Wand einsenkt. Etwas we- niges unterhalb dieser Stelle tritt aus dem oberen Lappen der rechten Lunge ein kurzer Venenstamm hervor und senkt sich in die obere Hohlvene ein. Esist die rechte obere Lungenvene. Sie setzt sich am Lungenhilus aus mehreren kleinen Venen zusammen, und ganz nahe an ihrer Verbindung mit der V. cava tritt von oben her noch ein kleines Venenstämmchen in sie ein. So weit es unter- sucht wurde verzweigen sich die am Hilus ausgetretenen Venen in der Lunge mit den betreffenden Ästen der Lungenarterie (ap) in gewöhnlicher Weise. Auch die Bronchialverzweigung bietet nichts abweichendes dar. Die rechte untere Lungenvene verhält sich gleichfalls normal. In der Figur ist nur der aus dem mittleren Lappen kommende Theil (vp?) sichtbar. Die bestehende Ein- richtung bedingt eine Einleitung des aus dem oberen rechten Lungenlappen rückkehrenden Blutes in die V. cava superior, und die Mischung des Körper- venenbluts des rechten Herzens mit arteriellem Blute, so dass also durch die Lungenarterie nicht rein venöses Blut, sondern gemischtes Blut den Lungen zu- geführt wird, ist Folge der gegebenen Einrichtung. Dadurch ist aber keine wesentliche Störung der Cirkulation hervorgerufen, der große Kreislauf erhält nur arterielles Blut, und sendet nur Venenblut zurück. Nur eine quantitative Anderung besteht, in so fern das Blut der Körperarterien nicht durch das ganze aus den Lungen rückkehrende Blutquantum vorgestellt wird. Ein Lungen- lappen ist in Bezug auf den Kirperkreislauf seiner Funktion entzogen, liefert \ 316 Kleinere Mittheilungen. kein in den Körperkreislauf übergehendes Blut. M&ckeEu spricht (l. e. pag. 2) von einer in seinem Falle bestehenden Erweiterung des rechten Ventrikels. Ich habe nichts davon wahrgenommen, Wenn aber MEcKEL diese Erweiterung als Be —— am! \" A» \ TSO hy, GG “A tL Z Yj Y IN Uy \ SS 4 \ A \ N Herz mit großen Gefäßstämmen und dem Hilus der rechten Lunge, welche zurückgeschlagen ist. A Aorta, P Pulmonalarterie. vps Rechte obere Lungenvene. vpi Ein Theil der rechten unteren Lungenvene. Ls Oberer, Lm mittlerer, Zi unterer Lappen der rechten Lunge. br Ein Ast des rechten Bronchus. e eine mechanische Folge des bestehenden anatom. Verhaltens bezeichnet, so ist das doch nicht sofort zuzugeben, denn es gelangt nicht mehr Blut als im nor- malen Zustande in den rechten Ventrikel. Nur scheinbar ist durch die Verbindung der Cava mit einer Lungenvene eine vermehrte Zufuhr gegeben, da dieses Blutquantum jeweils dem Körperkreislaufe entzogen ist, Um so viel als die- ses Quantum beträgt, ist das Körpervenenblut im Vergleich mit dem normalen Befunde gemindert, und so ergiebt sich bezüglich der dem rechten Herzen zu- geführten Blutmenge eine Kompensation. In wie fern in dem Verhalten der nor- mal fungirenden übrigen Theile der Lunge kompensatorische Einrichtungen bestanden, muss dahingestellt bleiben. Äußerlich war nichts darauf hinzie- lendes wahrnehmbar. Die Beziehung des Falles auf embryologische Befunde des Gefäßsystems ist bis jetzt nur vermuthungsweise auszusprechen. Das Verhalten deutet auf einen Zustand, in welchem die Lungengefäße noch nicht von den Körpergefäßen gesondert waren, und eine Lungenvene in den rechten Ductus Cuvieri ein- ~ Kleinere Mittheilungen. 317 miindete. Ob auch die andern Lungenvenen ursprünglich in die Cuvier'schen Giinge miinden ist fraglich, aber es kinnen doch die beiden Fiille als ein Fingerzeig für ein solehes Vorkommen gelten, wenn man nicht zur Annahme einer Wanderung der primitiven Mündung der rechten oberen Lungenvene etwa zur Zeit da der gesammte Venenapparat sich in einen Sinus venosus vereinigt, sich gezwungen sehen will. Jedenfalls ist ein sehr früher Zustand der Ausgangspunkt der Va- riation, und damit stimmt auch die große Seltenheit des Vorkommens. In Sachen der Planorbis-Entwicklung. Von C. Rabl. Prof. Ray LANKESTER hat im Januarhefte des »Quart. Journ.« einige kurze Bemerkungen iiber meine Abhandlung iiber Planorbis-Entwicklung ver- öffentlicht, die mich zu ein paar Gegenbemerkungen veranlassen. Ray LAN- KESTER sagt, die ihm übersandten Schnittpräparate seien seiner Angabe, dass der Enddarm von einer Gruppe von Zellen, die dem Urmundrande anhängen, entstehe, eben so günstig (equally favorable«), als der meinigen, dass er durch eine Ausstülpung des Mitteldarms seinen Ursprung nehme. Ich kann dies nicht zugeben. An keinem Präparate ist etwas zu sehen, das nur im geringsten zu der Annahme berechtigte, der Enddarm wäre zu irgend einer Zeit zu dem Ur- munde in genetischer Beziehung gestanden. Von einem Urmund oder auch nur einem noch so geringen Reste desselben ist an der Stelle, an welcher der End- darm die Haut berührt, nicht die Spur zu sehen. Der Enddarm berührt zwar die Haut, wie dies auch aus meinen Abbildungen zu ersehen ist, verschmilzt aber nicht mit ihr, wie dies doch wohl der Fall sein müsste, wenn er aus eini- gen dem Urmundrande anhängenden Zellen entstände. Übrigens besitze ich auch eine Serie durch einen sehr jungen Planorbis-Embryo mit noch ungestörter bila- teraler Symmetrie und ohne Enddarm und habe keinen Grund anzunehmen, dass an der kritischen Stelle ein Schnitt ausgefallen oder sonst wie verloren ge- gangen sei. — Ray LANKESTER bemerkt, dass meine Zeichnungen nach den Schnitten »perfeetly accurate« seien; er nimmt also offenbar an, dass einige Zeichnungen nach aufgehellten Embryonen dies nicht sind. Aber mit welchem Rechte? Ich habe alle Zeichnungen mit möglichster Sorgfalt und Genauigkeit angefertigt und es ist mir ganz unverständlich, warum ich die Schnitte genau, die aufgehellten Embryonen ungenau gezeichnet haben sollte. Ferner ist von Prof. HERMANN Fou im Januarhefte der »Arch. de Zool. expérim.« der Anfang einer Abhandlung über Pulmonaten-Entwicklung erschie- nen. Fou lässt die Urniere durch Einstülpung aus dem Ektoderm entstehen; dabei hat er aber, wie aus einigen Figuren hervorgeht, offenbar den Kern der großen Urnierenzelle für das Lumen der Einstiilpung, das Protoplasma dersel- ben für die Wand des eingestülpten Säckehens gehalten! Fou lässt ferner den unteren Urnierenschenkel zu jeder Zeit nach außen münden; ich habe aber meine Schnittserien und die Präparate aufgehellter Embryonen wieder aufmerk- sam geprüft und nirgends eine Ausmündung gefunden. Im Gegentheile sehe ich sogar an einem Präparate den unteren Umierengang mit trichterfirmiger Öffnung in die Leibeshöhle tagen. — Auch im Übrigen stimmen For und ich sehr wenig mit einander überein. For’s Abhandlung entspricht, meiner Ansicht nach, weder in Beziehung auf die Untersuchung der Furchung und Keimblätter- 318 Kleinere Mittheilungen. bildung, noch in Beziehung auf die Ableitung der Organe aus den Keimblättern, noch endlich in: Beziehung auf die Untersuchung des histologischen Baues der Organe selbst, den Anforderungen, welche gegenwärtig an eine entwicklungs- geschichtliche Abhandlung gestellt werden und gestellt werden müssen. — Die Vorwürfe, die Fou gegen HAECKEL, mich und Andere schleudert, sind so unwürdig und ungerecht, dass sie eine Erwiederung nicht gestatten. Auf solche Angriffe ist Schweigen die beste Antwort. Besprechungen, | Drei anatomische Lehrbücher. 1. Krause, C. F. Th. Handbuch der menschlichen Anatomie: Dritte, neu bearbeitete Auflage. ‚Durchaus nach eigenen Untersuchungen bearbeitet von W. KaAusk. Zwei Bände, Hannover, HAunn’sche Buchhandl. 1876 — 79. Erster Band, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Zweiter Band, Specielle und makroskopische Anatomie. 2. Pansch, Ad. Grundriss der Anatomie des Menschen. 1. Abth. 1.—3. Heft. Berlin, R. OppENHEIM. 1879. 3. Schwalbe, G.. Lehrbuch der Neurologie. Zägteich als zweite Abtheilung des zweiten Bandes von HOFFMANN’S Lehrbuch der Anatomie des Menschen. „Erste Lieferung. Erlangen, BESOLD 1880. Mit ‘der: neuen ‘Herausgabe des C. F. Tu. KrAvse’schen Handtinelied durch Krause wird nicht nur ein mit Recht sehr geschätztes Werk wieder zu- giinglich, sondern dieses Werk erscheint auch mit all den Bereicherungen aus- gestattet, welche der Umfang der Anatomie während der letzten Decennien erfuhr. Die beiden das Werk bildenden Bände umschließen in der That eine Fülle von Materiäl, zu dessen räumlicher Bewältigung es freilich im ersten Bande reich- lich "verwendeter, dem Auge wenig wohlthiitiger Diamantschrift bedurft hat. Weniger können wir uns mit der Vertheilung des Stoffes auf die beiden Bände einverstanden erklären in so fern der erste die »allgemeine und mikroskopische Anatomie«, der zweite die »makroskopische Anatomie« umfasst. Wenn das was als allgemeine Anatomie bezeichnet wird, das Allerspeciellste begreift, so ist das eben keine allgemeine Anatomie. Auch das sei bemerkt, dass jene An- ordnung weder dem Bedürfnisse des Unterrichts, der anatomischen Methodik, noch überhaupt irgend einer Art entspricht, in welcher jemand anatomisches Wissen sich ‘beizubringen unternehmen wird. Der erste Band setzt einfach den zweiten voraus, indem er die im zweiten Band begründete Strukturlehre der Organe weiter ausführt, und den feineren Bau der Organe mit Hilfe der mikroskopischen Technik ermittelt. Die sorgfältige und ausführliche Behandlung des dem ersten Besprechungen. 319 Bande zugetheilten Stoffes sichert ihm jedoch selbst ohne jene Beziehung zum zwei- ten einen selbständigen Werth, und lässt ihn, wie auch der Separattitel andeutet, als ein und zwar treffliches Lehrmittel der feineren Anatomie erscheinen, wel- ches eben so neben einem andern anatomischen Lehrbuche erfolgreich in Be- nutzung gezogen werden kann. Ausgezeichnet ausgeführte Holzschnitte för- dern jenen Zweck. Wenn wir so den ersten Band als etwas Selbständiges betrachteten, so folgt daraus dieselbe Auffassung auch für den zweiten, in welchem so recht eigent- lich die neue Auflage des vom Vater Krause geschaffenen Werkes besteht. Dass wir es in diesem Buche mit einer völlig neuen Bearbeitung zu thun haben, bedarf kaum einer Erwähnung. Durch genaue Mittheilung von Maßen und Gewichten der Theile ist der besondere Vorzug des älteren Werkes erhalten geblieben, durch Zugabe von Holzschnitten den zeitgemäßen Anforderungen entsprochen. Nur das Eine möchten wir ausstellen, dass zur Illustrirung des osteologischen Theils größtentheils die zu andern Organsystemen gehörigen Figuren benutzt sind. Solche Darstellungen können keinen Ersatz bieten für Figuren, welche nur das zunächst zur Kenntnis zu Bringende wiedergeben, und das Augenmerk des Lernenden koncentriren. Wie das Skelet das Gerüst des Körpers abgiebt, so ist auch die genaue Kenntnis der Skelettheile der unerläss- liche Untergrund für den Aufbau der übrigen Organsysteme und man wird daher behaupten dürfen, dass gerade in der Behandlung dieses Theiles am wenigsten gespart werden darf. — Beiden Bänden des Werkes sind sehr sorgfältig ausge- arbeitete Register zugegeben, durch welche die Benutzung erleichtert wird: Panscn bietet in seinem »Grundriss« ein anspruchloses Compendium gerin- gern Umfanges, welches mehr zur ersten Einführung in die Anthropotomie be- stimmt ist. Es hält sich ausschließlich an die sogenannten makroskopischen Verhältnisse, und erläutert den Text durch überaus einfache Holzschnittfiguren. Minder voluminöse Compendien, die den Lehrstoff in gedrängter Kürze mit Her- vorheben des Wichtigen und mit Hintansetzung alles unnöthigen Beiwerks behandeln, leisten bessere Dienste als umfassende Handbücher, in welchen der Anfänger durch die Menge der vielleicht kritiklos zusammengehiuften Details mehr verwirrt als belehrt und gleich beim Eintritte ins anatomische Studium in jenen Zustand versetzt wird, den das Sprichwort als »vor Bäumen. den Wald nicht sehen« treffend bezeichnet. Wichtiger als den Umfang halten wir die Art der Behandlung, und diese ist hier lobenswerth. Sie nimmt auf Ent- wicklung Rücksicht, und zeigt eine gute Disposition, wenn auch unbescha- det der+-Kürze die wissenschaftliche Seite der Anatomie mehr in den Vor- dergrund hätte gestellt werden können. Wesshalb aber der Autor, wie auch. KRAUSE, an der längst veralteten Trennung der Gelenk- und Bänderlehre von der Darstellung der Knochen noch festhält, können wir nicht begreifen. , Der. Knochen empfängt durch seine Verbindungen eine Reihe der wichtigsten Eigen- thümlichkeiten. Diese sind nur aus dem Zusammenhange mit andern Skelet- theilen verständlich, und in diesem Zusammenhange wird lebendig, was ohne ihn todt ist. Nur dadurch wird die trockene Knochenbeschreibung zur »Osteolo- gie«, dass man sie auf wissenschaftlichen Boden stellt, und dieses geschieht durch. Darstellung des Causalnexus, welcher zwischen Skelettheilen mit anderen Organen und damit der Gesammtorganisation sich erkennen lässt. Von diesem Causal-, nexus spricht sich ein guter Theil in den Artikulationen aus. Der einzelne Knochen tritt durch seine Verbindung in. die Reihe der übrigen und lässt in = 320 Besprechungen. dieser Verbindung die Funktion erkennen, die er fiir den Organismus zu leisten bestimmt ist. Mit dieser durchaus nicht ausschließlich auf das vorliegende Werkchen sich beziehen sollenden Bemerkung, möchten wir die Nützlichkeit des Unter- nehmens nicht herabgemindert wissen, und in der Überzeugung, dass das Buch sowohl Anfängern gute Dienste leisten, und besonders bei den Präparirübungen zur Gewinnung eines rascheren Überblicks mit Erfolg zu Rathe gezogen wird, wünschen wir demselben guten Fortgang. Die von ScHWALBE begonnene Bearbeitung eines Theiles des unter dem Namen des HorrmAnn’schen Lehrbuches bekannten Werkes können wir in dop- pelter Hinsicht mit vieler Freude begrüßen, einmal, weil wir ein verbreitetes Lehr- buch in guten Händen wissen, indem wir annehmen, dass derselbe Anatom bei künftigen Auflagen auch den ersten Band und den ersten Theil des zwei- ten seiner Bearbeitung unterzieht, dann aber auch desshalb, weil durch jene Änderung das Werk sich vollständig zu einem originalen gestalten wird. Es war eine eigenthümliche Art, in der die erste Auflage jenes Werkes in die Welt trat, als Übersetzung und theilweise Umgestaltung des vortrefflichen Quaın’schen von SHARPEY und ALLEN THOMSON bearbeiteten Handbuches, dessen englische Autorschaft über Gebühr in den Hintergrund gedrängt war. Wir halten nicht bloß den wörtlichen Text, sondern auch Plan und Anlage eines Werkes, selbst die Auswahl der Illustrationen für geistiges Eigen- thum, und wie auch innerhalb eines solchen erborgten Rahmens Veränderun- gen ausgeführt werden, Veränderungen, von denen hier nicht zu besprechen ist, ob sie als Verbesserungen gelten dürfen, so wird doch dadurch der Werth der ersten Autorschaft nicht abolirt. Von diesen peinlichen Betrachtungen, welche sich an die deutsche Bearbeitung von Quatn’s Elements of Anatomy knüpfen müssen, befreit uns das Unternehmen Professor. SCHWALBE’s, welches zugleich eine wichtige Aufgabe zu lösen begonnen hat, indem es die Anatomie des Ge- hirns einer gründlichen, auf eigene Untersuchungen gestützten Darstellung un- terzieht. Bei dem bedeutenderen Umfange, welcher zunächst dem neurologischen Theil dieses Lehrbuches zugedacht ist, verspricht es ein Werk zu werden, wel- ches den Anforderungen auch derer Genüge leistet, denen ein tieferes Eindrin- gen in die Struktur des menschlichen Organismus Bedürfnis ist. Indem es aber die Behandlung wenigstens der äußeren Verhältnisse des Centralnerven- systems »auf entwicklungsgeschichtlicher Basis« liefert, giebt es Zeugnis dafür, dass der Verfasser die Bedeutung nicht verkannt hat, welche der Entwicklungs- lehre heute zukommt, und zur Umgestaltung der anatomischen Diseiplin auch in ihren Fundamenten Anlass giebt. Denn es wäre ein Irrthum zu glauben, dass es sich bei den Fortschritten einer Wissenschaft nur um deren Ausbau handle, dass die Vervollkommnung nur an der Peripherie vor sich gehe, die Grundlagen aber für alle Zeiten unverändert zu ruhen hätten, wie an einem Gebäude etwa dessen Mauerwerk erhalten bleibt, wenn auch im Innern Ände- rungen der Einrichtung, der Ausstattung und Dekoration vorgenommen werden. Das Wesen der Wissenschaft, die etwas Lebendiges ist, bedingt deren Verände- rung nach Maßgabe der Einwirkungen, denen sie sich nicht entziehen kann. Ein solches Agens ist die Lehre der Entwicklung, welche auch die Anthropo- tomie durchdringt, und nicht länger ein todtes Anhangsgebilde derselben blei- ben darf. 4 CuK Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. Von J. E. V. Boas, aus Kopenhagen. Mit Tafel XIII—XV und 3 Figuren in Holzschnitt. Die nachstehende Arbeit, so wie eine später in diesem Jahrbuch erscheinende, mit dieser eng verbundene, über Conus und Arterien- bogen bei den Amphibien, ist im anatomischen Institut zu Heidelberg ausgeführt worden. Ursprünglich von den Amphibien ausgehend, erstreckten die Untersuchungen sich allmählich weiter, erst auf die Dipnoi, nachher auch auf die Knochenganoiden. Die Unter- suchungen über letztere habe ich im Ganzen nur so weit ausgeführt, als es für die Vergleichung mit den Dipnoi von Interesse war, wess- halb auch nicht in dem Titel besonders angegeben ist, dass die Abhandlung sich mit ihnen beschäftige. — Endlich habe ich im letzten Abschnitt einige Bemerkungen über die verwandtschaftlichen Beziehun- gen der Dipnoi gemacht und dabei die Auffassungen ausgesprochen, die sich mir während der Arbeit aufdrängten, natürlich mit mög- lichster Berücksichtigung der sonst für diese kleine Thiergruppe be- kannten Thatsachen. Indem ich hiermit diese kleine Arbeit dem wissenschaftlichen Publikum übergebe, sei es mir erlaubt, meinem Lehrer, Professor CARL GEGENBAUR, meinen wärmsten Dank für seine unermüdliche Theil- nahme, seine stetige Anregung auszusprechen. Auch für die Libe- ralität, womit er mir so seltenes Material zu Gebot stellte, kann ich ihm nicht genug dankbar sein. Morpholog. Jahrbuch. 6. 21 322 J. E. V. Boas 1. Das Herz (und der Conus). Bevor wir zur Beschreibung des Herzens bei Ceratodus tiber- gehen, betrachten wir zuerst dasjenige der Knochenganoiden. Lepidosteus (platystomus). Das Herz von Lepidosteus ist beinahe ganz symmetrisch. Vom Sinus venosus bemerken wir, dass nur die linke obere Hohlvene in ihn einmiindet, die rechte obere Hohlvene miindet getrennt ins Atrium. An der Grenze zwischen Sinus und Atrium befinden sich einige Gebilde, die zweifellos als Klappen fungiren; ein paar finde ich mehr klappenförmig, andere sind Knoten; zwei der letzteren sind in der Fig. 1 durchschnitten abgebildet, eins der ersteren sieht man an der Wand. Diese Gebilde sind bindegewebiger Natur; eigentliche Klappen sind es doch nicht: es gehen keine bindegewebigen Fadchen zur Wand, vielmehr stehen die Klappen mit den Muskelfäden des Atrium in Zusammenhang. Das Atrium ist hinten breit, breiter als der Ventrikel. vorn! zugespitzt. Seine Wände sind mit einem Netzwerk von Trabekeln versehen, die vordere Partie derselben ist sogar ganz diek und schwammig. Die distale Partie seiner nach unten gerichteten Wand (ungefähr ein Drittel derselben) — man beachte wohl diesen Punkt — ist in der Mittellinie mit der Wand des Conus, der in einer Furche des Atrium liegt, fest, untrennbar verwachsen, nicht etwa — wie z.B. bei den anuren Amphibien — durch loses Bindegewebe mit demselben verbunden; die Wand des Atrium ist an dieser Stelle so dünn, dass man auf einem Durchschnitt Mühe hat sie zu erkennen. Eine Folge dieser Lagerung ist es, dass die hinteren Ränder der dorsalen Wand des Conus und der ventralen Wand des Atrium eine scharfe Kante bilden, und nur durch einen winzig kleinen Theil der Ventrikelwand von einander geschieden sind, während gewöhnlich bei den Fischen ein größeres Stück der Ventrikelwand zwischen beiden liegt. — An der Grenze zwischen Atrium und Ventrikel finden sich mehrere Klappen, auf der genannten scharfen Kante — also ventral — eine, auf der dorsalen Seite nicht weniger als fünf, einander nahe sitzend, von der ventralen Klappe etwas mehr getrennt. Alle sind echte Taschen- klappen. ! Vorn = kopfwärts, hinten = caudalwärts, oben = dorsal, unten = ventral. Proximal wird = vorne, distal = hinten gebraucht. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 323 Der Ventrikel ist ungefähr birnförmig; er hat einen centralen Hohlraum, von welehem eine sehr große Zahl kleinerer und größerer Kanäle in die spongiöse Wand verläuft. Im Conus finden wir 8 Querreihen von Klappen. Die Klappen sind auch in Längsreihen angeordnet. Von solchen finden sich 4 voll- ständige, die von einem Ende des Conus bis zum anderen gehen. Von weniger ausgebildeten Lingsreihen finde ich ebenfalls vier: die Klappen in diesen Reihen sind kleiner, die Reihen erstrecken sich nicht gleichmäßig durch den ganzen Conus. In einer derselben sind die hinteren Klappen die kleineren, in den anderen drei die vor- deren. Von den Klappen der vier Haupt-Längsreihen sind die sieben hinteren ungefähr gleich groß, — werden jedoch wohl nach hinten zu ein bischen stärker — die vordersten größer. Vom freien Rand der Klappen gehen — auch von der Mitte derselben — feine Fädchen aus, die sich hauptsächlich auf der nächst vorhergehenden Klappe befestigen — natürlich die vorderste Klappe jeder Längsreihe aus- genommen. Die Klappen, namentlich der Hauptreihen, sehen stark ins Lumen des Conus hinein. Die der vordersten Querreihe heften sich zum Theil im Truncus! an. Wie man aus der Beschreibung verstehen wird, bilden die Klappen im Conus des Lepidosteus eigent- lich zusammen Längswülste, namentlich ist dies mit den Haupt- Längsreihen der Fall. Polypterus (bichir). Bei dieser Gattung können wir uns kurz fassen; denn in der Hauptsache finden wir eine Wiederholung der bei Lepidosteus obwal- tenden Verhältnisse. Beide obere Hohlvenen münden separat ins Atrium, so dass durch den Sinus venosus eigentlich nur das Blut der Lebervenen (und der Pulmonal- [Schwimmblasen-| Venen) geht. Die klappen- artigen Gebilde an der Grenze von Sinus venosus und Atrium sind stärker entwickelt als bei Lepidosteus, springen als dicke unregel- mäßige Knoten ins Lumen des Atrium ein. Äußerlich und innerlich ist das Atrium dem von Lepidosteus ähnlich. Die hintere Hälfte von dessen ventraler Wand ist der Conus- ! STÖHR (Conus arter. d. Selachier und Ganoiden, diese Zeitschr. Bd. II) giebt eine gute Figur des Conus einer anderen Lepidosteus-Art mit etwas zahlreicheren Liingsreihen, doch mit derselben Zahl von Hauptreihen; auch das Verhalten der vordersten Querreihe zum Truncus wird abgebildet aber nicht erwähnt. Die feinen Fiidchen vom Rande der Klappen sind übrigens weit zahlreicher als die von STÖHR abgebildeten. 21* 324 J. E. V. Boas Wand angewachsen, so innig, dass man kaum an dieser Stelle von einer selbständigen Atrium-Wand sprechen kann. Die Wand des Atrium und des Conus, sammt einem sehr kleinen Theil der Ventrikel- Wand, bilden eine ähnliche Kante wie bei Lepidosteus. Es finden sich dieselben sechs Atrioventrieularklappen wie bei Lepidosteus; zwei von den fünf dorsalen waren jedoch beim untersuchten Exemplar bei- nahe mit einander verschmolzen. Der Ventrikel ist etwas kürzer, sonst ähnlich jenem von Lepidosteus gebaut. Im Conus finde ich 3 Haupt-Längsreihen von Klappen, in jeder Reihe 9 Klappen; ferner drei Längsreihen kleinerer Klappen ebenfalls mit 9 Klappen in jeder Reihe!; die eine dieser Längsreihen ist übrigens stärker als die zwei anderen. In den Hauptreihen ist die vorderste Klappe die stärkste. Die Klappen, namentlich der Haupt- reihen, springen sehr stark ins Conus-Lumen hinein. Einige ver- halten sich fast ganz wie bei Lepidosteus, doch sind wohl immer die Fädehen weniger hervortretend. Andere verhalten sich so, dass man — wenn man von diesen ausgehen wollte — sagen könnte, ihre dünneren Seitentheile hätten sich bei Lepidosteus in Fädchen aufge- löst, sie nähern sich mehr den Klappen, die man bei Selachiern, Acipenser, Amphibien gewöhnlich findet, bei denen eine deutlich verdickte Mittelpartie und zwei dünnere Seitenpartien auftreten; wäh- rend, wie schon gesagt, bei Lepidosteus diese letzteren durchweg in Fädchen aufgelöst sind. Amia (calva). Auch bei dieser Gattung finden sich klappenartige Gebilde an der Grenze zwischen Sinus und Atrium, diese sind aber flach und lange nicht so hervortretend wie beim vorigen Genus. Das Atrium ist mit dem Conus verwachsen, aber nur auf einer kleinen Strecke — ein Schritt zu den Teleostiern hin, bei denen die zwei Gebilde von einander getrennt sind. Von Atrioventricularklappen finden sich außer der ventralen nur drei dorsale, was ohne Zweifel so aufzufassen ist, dass zwei der dorsalen jederseits verschmolzen sind. Der Ventrikel ist kürzer, aber sonst dem der anderen ähnlich. Im sehr kurzen Conus finde ich vier Längsreihen von Klappen, jede Reihe mit drei Klappen; an zwei Reihen sind sie bedeutend ! JOHANNES MÜLLER giebt in seiner Abhandlung Über d. Bau u. die Grenzen d. Ganoiden (Abh. d. Berl. Akad. aus d. J. 1844 [1846)) für zwei dieser Reihen eine kleinere Zahl an. Einige der Klappen finde ich auch so winzig klein, dass es wohl möglich ist, dass MÜLLER sie übersehen hat. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 325 kleiner als die entsprechenden der anderen zwei. Die zwei unteren Klappen in jeder Reihe sind breite einfache Taschenklappen mit wenigen Fidchen: die vorderste Klappe ist sehr groß, namentlich die der zwei stärkeren Längsreihen. Diese Klappen erstrecken sich übrigens weit über die leicht kenntliche Grenze zwischen Conus und Truneus in diesen hinein (vergl. Lepidosteus); von den Seitenrändern der zwei großen geht eine ungeheure Zahl von Fädchen mit einander verwebt und zusammengewachsen — oder wohl richtiger: eine durch- brochene Platte — jederseits zu der Wand! (ähnlich verhalten sich die vordersten Klappen von Lepidosteus). Außer der Teleostier-Ähn- lichkeit, die in Zahl und Ausbildung der Conus-Klappen liegt (die auch von STÖHR |. i. c. hervorgehoben worden: ist), kann ich nicht umhin den Umstand hervorzuheben, dass die hintere erweiterte Partie des Truncus — die der Amia unter den Ganoiden allein zukommt — wohl ohne Zweifel dem Bulbus arteriosus der Knochenfische entspricht and somit eine weitere Übereinstimmung mit diesen darbietet. Ceratodus. Im Herzen, wie in vielen anderen Stücken, schließt Ceratodus sich an die Knochenganoiden, zeigt aber gleichzeitig tiefe, durch- greifende Veränderungen. Den wohl am meisten veränderten Conus werden wir zuletzt betrachten, und wenden uns jetzt zu der Betrach- tung der übrigen Theile des Herzens. Man denke sich, dass das hinter der Einmündung des Sinus venosus liegende Stück der Atrium-Wand (a—j) in der Lepidosteus- Figur sich allmählich stark verkürzt habe. Wie man begreift, wer- den dann die klappenähnlichen, an der hinteren Partie der Mün- dung des Sinus liegenden Gebilde den dorsalen Atrioventrieular- klappen genähert sein. Man denke sich jetzt, dass jene, die, wie man sich erinnert, schon bei Polypterus stark entwickelt waren. mit diesen verschmelzen, dass aus ihrer Verschmelzung ein dieker läng- licher Wulst resultirt, der ins Atrium hineinragt und dieses ge- wissermaßen unvollkommen theilt, und man hat eine der Seiten. worin das Herz von Ceratodus vor demjenigen der Knochenganoiden sich ‘auszeichnet. i Man vergl. die Beschreibungen von FRANQUE (Nonnulla ad Amiam calvam accuratius cognoscendam, Berlin 1847) und StönHr (Con. d. Sel. u. Gan., diese Zeitschrift Bd. II), so wie die Figur des ersteren, wo jedoch die Grenze zwischen Conus und Truneus nicht erkennbar ist; sonst ist sie ganz gut. 326 J. E. V. Boas Man denke sich zweitens, dass im Sinus venosus eine Lings- Scheidewand auftritt, die denselben in zwei ungleiche Partien theilt, eine fiir das aus den Lungenvenen kommende Blut, die andere fiir die übrigen Venen. Die erstere, im Vergleich mit der letzteren sehr kleine Abtheilung erscheint als eine Fortsetzung der unpaaren Lun- genvene, ist, wenn man den Haupt-Sinus nicht aufschneidet, nicht sichtbar, und erscheint als ein starkes Gefäß, das der linken Sinus- Wand angewachsen ist; sie mündet ins Atrium än der linken Seite der oben erwähnten wulstförmigen Anschwellung (vergl. Fig. 2 u. 3). Das Atrium ist übrigens kürzer als bei Lepidosteus und Poly- pterus und in seiner vorderen Partie mit vielen Trabeculae carneae versehen; in der hinteren Partie, nahe dem Übergang in den Ven- trikel ist es dagegen — eben so wie bei Lepidosteus — ziemlich glatt. An der Grenze von Sinus und Atrium finden sich dorsal klappen- ähnliche Gebilde. Die ventrale Wand des Atrium ist auch hier mit dem Conus recht intim verbunden, doch nicht so wie bei Lepidosteus und Polypterus; die Hauptsache: dass von der dorsalen Wandpartie des Conus und von der ventralen des Atrium sammt einem sehr kleinen Theil der Ventrikelwand eine scharfe Kante gebildet wird, finden wir auch hier. (Man vergl. die Fig. 2u. 3.) Atrioventrikular- klappen fehlen als solche gänzlich; die ventrale ist eingegangen; was aus den dorsalen geworden ist, habe ich schon oben erwähnt. Der Ventrikel ist kurz und dick, vom gewöhnlichen spongiösen Bau. Der genannte fibröse Wall, der ins Atrium hineinragt, erstreckt sich ziemlich in den Ventrikel hinein und theilt gewissermaßen auch diesen unvollkommen; er heftet sieh natürlich an die Muskulatur des Ventrikels; . dass aber, wie angegeben worden ist, ein besonderer Muskel sich an ihn heften sollte, ist nicht der Fall. Wenden wir uns nun zum Conus. Um diesen zu verstehen, wird eine einfache Beschreibung nicht genügen; wir müssen gewisser- maßen einen Umweg machen. Man denke sich ein einfaches gerades Rohr, in welchem vier Längsreihen von Klappen sich finden, von welchen aber nur eine, aus stärkeren ins Lumen einspringenden Klappen bestehend, voll- ständig ist, während die anderen drei in der Mitte des Rohres unter- brochen sind (Holzschnitt A, Nr. 1). Man denke sich dann das untere Ende feststehend, während das obere in der Richtung des Pfeiles gedreht wird, so aber, dass die vollkommene Klappenreihe oder eine durch sie gelegte Linie unbeweglich bleibt, die Achse der Bewegung darstellend; nach einer Drehung von 90° haben wir das Bild Nr. 2, Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 327 nach einer von 270° das Bild Nr. 3. Man denke sich schlieBlich die ganze Spirale ein bischen zusammengeschoben, so dass die‘Achse einen Knick bekommt, und man hat das Stadium Nr. 4. Der Conus von Ceratodus entspricht der Hauptsache nach diesem Bild. Er stellt Fig. A. iw” \ SAS \ " ™ i m & ein spiralig gewundenes Rohr dar, das noch dazu ein bischen zu- sammengeschoben ist, so dass die Achse geknickt erscheint. Längs der Achse — die längs der Mitte der ventralen Fläche des distalen Theiles und längs der rechten Seite des proximalen Theiles des Conus liegt, vergl. den Holzschnitt A Nr. 4 — findet sich eine aus 8 Klappen gebildete Längsreihe!; die zwei vordersten springen nicht besonders ins Lumen vor, die 6 hinteren aber um so mehr; diese 6 Klappen hat man bisher irrig als eine einheitliche Falte aufge- fasst. Dieganze Reihe von 8 Klappen wollen wir, um kurz zu sein, Longitudinalfalte nennen. Die vorderste der 8 genannten Klappen ist Glied einer vorder- sten aus vier ungefähr gleichen Klappen bestehenden Querreihe; die zweite ist Glied einer ähnlichen ebenfalls aus vier, aber kleineren Klappen bestehenden Querreihe. Die 5 hintersten Klappen der Longi- tudinalfalte sind Glieder eben so vieler Querreihen, jede aus unge- fähr 8 Klappen bestehend. Diese Klappen sind aber keineswegs 1 In dem einen untersuchten Exemplar — das Herz war frisch ausgenommen worden und in absoluten Alkohol gelegt, desshalb stark zusammengezogen 2 war eine der hinteren Klappen jedoch sehr undeutlich. 328 J. E. V. Boas gleichwerthig, indem diejenigen Klappen, die zugleich Glieder der Longitudinalfalte sind, weit stärker als die anderen, sehr kleinen, Klappen sind. Wir haben somit im Conus im Ganzen 8 Quer- reihen, die zwei ersten jede aus 4 Klappen bestehend, die dritte nur aus einer Klappe, die fünf letzten jede aus ungefähr 8. Die Klappen der ersten Reihe sind echte, einfache, etwas läng- liche Taschenklappen;. von deren Rand gehen keine Fädchen ab. Im Ganzen sind sie den Klappen der vorderen Reihe im Conus der Am- phibien! sehr ähnlich, jedoch ist eine Mittelkante nicht so scharf aus- geprägt. Ihre hintere Partie ist durch eine seichte Furche halb ab- gesondert; vielleicht ?) kann man hierin eine Andeutung einer rück- gebildeten Querreihe von Klappen finden. Gleich nach der ersten Reihe folgen die Klappen der zweiten Reihe; diese sind kurze Taschen- klappen, von deren Rande Fädchen zur vorhergehenden Klappe gehen. Die bei ausgebreitetem Conus an der rechten Seite der Longitudinal- falte sitzende Klappe (vergl. Fig. 9, Nr. 42), ist in beiden Exem- plaren größer als die drei anderen und springt ziemlich stark vor. Auf die drei Klappen dieser Querreihe folgt ein großer Zwischenraum; hier sind offenbar Klappen ausgefallen, nach dem Verhalten der Lon- gitudinalfalte jedoch wahrscheinlich nur Glieder einer, der dritten, Reihe; hier hat dann der Conus sich mächtig ausgedehnt. Das dritte Glied der Longitudinalfalte, das einzige Glied der dritten Querreihe, liegt eben da, wo die Achse geknickt ist und dess- halb etwas quer. Es ist eine ziemlich lange (Fig. 9, 1?) stark vor- springende Klappe mit sehr kleinem Hohlraum. - Die folgende eben am vorderen Ende des hinteren Abschnittes des Conus liegende ist eine breite aber auch nicht sehr kurze Klappe mit großem Hohlraum und wenigen Fädchen vom Rande (Fig. 10); sie hat offenbar eine wichtige Bedeutung für die Verhinderung einer Zurückstauung des Blutes. Die vier letzten sind sehr kurz, aber breit und treten eben so wie die vorhergehende stark ins Conus-Lumen hinein. Von den freien Rändern der Klappen gehen Fadchen zu den vorhergehenden. Die kleinen von Ray LANKESTER (I. i. e.) zuerst gesehenen Klap- pen in der hinteren Partie des Truncus treten alle nur wenig hervor. Es sind Taschenklappen größtentheils mit Fadchen vom Rande zur Wand oder zu vorhergehenden Klappen; an einigen, namentlich in der vordersten Reihe, fehlen solche Fädchen. Einige Klappen — man sehe 1 Vergl. meine später in diesem Jahrbuch erscheinende Abhandlung über den Conus ete. ter Amphibien. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 329 z. B. die vordere Reihe in Fig. 10 — sind durch eine Einbuchtung ‚von hinten zur Hälfte getheilt. Sie sind im Ganzen in Längsreihen angeordnet. Die normale Zahl der Klappen einer Querreihe ist ziem- lich schwierig festzustellen. Im abgebildeten Fall — beim anderen Exemplar war es mir nicht möglich die Klappen sicher zu zählen, sie waren aber in ähnlicher Zahl wie hier vorhanden — sieht man im Ganzen 8 Klappen in der hintersten Reihe, von welchen jedoch die in der Figur rechts stehende, offenbar durch Verschmelzung zweier entstanden ist. In der nächsthintersten Reihe sind sogar 10 Klappen (das Glied der Longitudinalfalte natürlich mitgerechnet), in der dritten 7, in der zweiten 8, in der ersten nur 6 vorhanden. Die Klappen im Conus von Ceratodus, namentlich die der Longi- tudinalfalte, bieten trotz aller Verschiedenheit doch sehr nahe Be- ziehungen zu denen von Lepidosteus und Polypterus. Sie ragen hier wie dort zum Theil in derselben Weise ins Lumen hinein, feine Fäd- chen gehen auch hier vom freien Rande zur Wand und zu den vor- hergehenden Klappen. Auf den Conus folgt ein ganz kurzer (ungetheilter) Truncus, durch seine dünnen Wände leicht vom Conus unterscheidbar; von seinem vorderen Ende gehen drei Paar Gefäße ab, vier ventrale, zwei dorsale; ein Sehnitt durch diese Stelle erscheint ungefähr wie Fig. 11. Die vier ventralen sind die ersten und zweiten Kiemenarterien, die oberen Gefäße spalten sich je in zwei, die dritte und vierte Kiemenarterie, wovon letztere an der Ursprungsstelle innerhalb ersterer (median- wärts im Verhältnis zu dieser) liegt. Es ist jetzt Zeit, einen Blick auf den eigenthümlichen Mecha- nismus des Herzens von Ceratodus zu werfen; er ist sehr einfach, zugleich aber steht er — mit Protopterus und wahrscheinlich Lepi- dosiren zusammen — sehr isolirt. Wie man nach der oben gegebenen Beschreibung und den Figuren 2 u. 3 erkennen wird, geht das Blut, das aus der Lungenvene kommt, ins Atrium und von diesem in den Ventrikel an der linken Seite des fibrösen Walles. An derselben Seite muss aber noch außerdem Körpervenenblut einströmen, da die Lungenvene nur einen kleineren Theil der linken Seite des genannten Walles einnimmt (vergl. Fig. 4. die einen Schnitt durch den Sinus an der Grenze vom Atrium dar- stellt). Dieses Blut, das also gemischt, arteriell + venös ist, wird von der linken Seite des schwammigen Ventrikels so zu sagen aufgesaugt werden. Von der linken Seite des Ventrikels wird es in die linke Seite der unteren Abtheilung des Conus getrieben — der 330 J. E. V. Boas ja durch die Longitudinalfalte unten eben in eine rechte und linke Partie abgetheilt ist. Die Bedeutung der Windung des Conus und der damit in Zu- sammenhang stehenden Windung des freien Randes der Longitudinal- Figur B. (Z+IV) D. iv} Rrechts, Z links, v venös, a arteriell, D dorsal, Vven- tral, J—IV erste — vierte Kiemenarterie, falte — die in so fern mit Recht als Spiralfalte bezeichnet werden kann, abgesehen davon, dass sie keine einfache »Falte«, sondern eine Klappen- reihe ist — wird aus einer Betrachtung des nebenstehenden schematischen Holzschnittes er- hellen Die Spiralfalte ist hinten in der Mittel- linie an der ventralen Conus-Wand ange- heftet, vorn dagegen seitlich und zwar rechts. Der Blutstrom (mit gemischtem Blut), der hinten an der linken Seite der Spiralfalte einkommt, wird auf seinem Weg durch den Conus gewisser- maßen geschroben werden, so dass er vorn an der ventralen Seite der Spiralfalte ausläuft; und er wird von da aus in die erste und zweite Kiemenarterie getrieben werden, die also eine Blutmasse em- pfangen, die schon halb durchgeath- met ist. Das an der rechten Seite des fibrésen Walles ins Herz gelangende rein venöse Blut wird an der rechten Seite des hinteren Theils der Spiral- falte in den Conus einströmen und wird, wie es durch eine Betrachtung des Holzschnittes deutlich hervorgeht, in den dorsalen Theil des oberen Abschnittes des Conus gelangen und von da aus in die dritte und vierte Kiemenarterie, die also rein venöses Blut empfangen. In die erste und zweite Kiemenarterie — wir wiederholen es — wird also eine gemischte Blutmasse strömen, in die dritte und vierte eine rein venöse; in die erste und zweite Kiemenvene wird Blut kommen, welches intensiver durchgeathmet ist, wie das in die dritte und vierte Kiemenvene gelangende. Zur völligen Erledigung dieser Sache ist es nöthig einige Punkte hervorzuheben, die erst im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden sollen. Von der vierten Kiemenvene geht die Lungenarterie ab, die also eine Blutmasse Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 331 empfängt, die weniger durchgeathmet ist als diejenige, die in der dureh die Vereinigung der ersten und zweiten sammt der dritten Kiemenvene entstehenden Aorta sich findet. Aus der Lunge kehrt das Blut zum Herzen zurück, geht in die erste und zweite Kie- menarterie, wird in den zwei ersten Kiemen wieder durchgeathmet und dann im Körper vertheilt. Dass die Carotis interna »reineres« Blut bekommt als die Aorta, liegt an der Hand (vergl. Fig. 19). Wie man sieht stehen wir hier einem ganz originellen Prineip gegenüber; die ganze Kombination erzielt und erreicht aber, dass in den Körperarterien eine sehr arterielle Blutmasse cirkulirt, dasselbe also was bei den höheren Wirbelthieren (Reptilien, Vögeln, Säuge- thieren) das Ziel weit komplieirterer Konstruktionen ist, dasselbe was bei den Anuren in ganz anderer Weise erreicht wird (bei den Uro- delen dagegen kann, wie wir später sehen werden, von einer Schei- dung zweier »Blutarten« kaum die Rede sein). Dass die hier ange- deutete Scheidung des Atrium und des Ventrikels in zwei Abschnitte, einen arteriell-venösen und einen venösen, mit den Scheidungen bei den Amphibien ete. nichts zu thun hat, brauche ich kaum hervorzu- heben. Die Beziehungen des Ceratodus-Herzens zu demjenigen der Am- phibien werden wir übrigens in einer späteren Abhandlung betrachten. Es erübrigt noch einen Punkt des Mechanismus des Ceratodus- Herzens zu betrachten. Wie man sich erinnert, fehlen Klappen an der Grenze von Atrium und Ventrikel; und ein Klappenverschluss ist doch nothwendig. Um zu verstehen wie ein solcher hergestellt wird, bitte ich Fig. 3 zu betrachten. Diese stellt den Durchsehnitt eines Ceratodus-Herzens dar, das aus dem frischen Thiere ausge- schnitten und sofort in absoluten Alkohol gelegt wurde; es ist stark kontrahirt und man darf wohl annehmen, dass die Kontraktion einer natürlichen einigermaßen entsprieht. Wir sehen dann, dass der fibröse Wall der ventralen Atrium-Wand genähert ist, und dass die durch Conus-Wand nnd Atrium-Wand zusammen gebildete scharfe Kante einer Einbuchtung des Walles nahe liegt; es kann also kaum ein Zweifel obwalten, dass in dieser Weise ein Verschluss wirklich her- gestellt wird. Endlich sind noch einige Worte zu sagen über die Art und Weise, in welcher ich mir denke, dass der Conus von Ceratodus von einem geraden Conus — und einen solehen müssen wir ja nothwendiger Weise voraussetzen — ableitbar ist. Die Antwort ist übrigens schon impli- citer gegeben. Wenn wir uns bei einem geraden Conus vorstellen, dass dieser 332 J. E. V. Boas der Länge wie der Breite nach wächst, namentlich an der Mitte, doch so, dass längs einer Klappenreihe, die sich mächtiger entwickelt hat, das Wachsthum verzögert oder gering ist, dann wird unter ge- wissen Wachsthumsbedingungen eine Torsion die nothwendige Folge sein, und zwar eine Torsion, die jene Klappenreihe als Achse hat; denkt man sich diese Torsion in ähnlicher Weise vor sich gehen wie in den schematischen Figuren A 1—4 (pag. 327), so findet man darin eine Erklärung — und zwar die einzige, die ich mir denken kann — für die Art, in welcher der Ceratodus-Conus aus einem geraden Conus abzuleiten ist. Man wird begreifen, dass eine nothwendige Folge einer solehen Drehung eine entsprechende — in entgegengesetzter Richtung — eines Theiles des Truncus oder des Ventrikels oder aller beider sein muss. Eine solche habe ich zwar nicht wahrgenommen, oder höchstens in sehr schwachen Spuren. Wenn man aber bedenkt, dass der Truncus von Ceratodus von einem langen Truncus abzuleiten ist, kann man sich sehr wohl vorstellen. dass eine Torsion dieses Gebildes sich nach und nach verwischt hat. Es ist oben schon hervorgehoben worden, dass die Klappen im Ceratodus-Conus denen der Knochenganoiden sich nahe anschließen. Die Übereinstimmung geht aber noch weiter, auch in der Zahl der Klappen ist es offenbar, dass Beziehungen zu den genannten Formen, namentlich zu Lepidosteus, sich finden. Denken wir uns die oben erwähnte Torsion bei einem Lepidosteus-Conus vor sich gehen, denken wir uns ferner, dass eine der Hauptlängsreihen sich sehr mächtig entwickelt, denken wir uns, dass in den zwei vorderen Querreihen nur vier Klappen, in der dritten nur eine übrig bleiben, dass dagegen in den fünf hinteren Querreihen ziemlich alle Klappen persistiren, jedoch zu einem geringen Volum rückgebildet werden — so erhalten wir die wesentlichsten Züge des Ceratodus-Conus. Protopterus. Das Herz bei Protopterus ist, wenn man das von Ceratodus ver- steht, ziemlich leicht aufzufassen; das mechanische Prineip ist das- selbe, es ist nur etwas weiter ausgeführt, vollkommener ausgearbeitet als bei Ceratodus. Die Pulmonalis-Abtheilung des Sinus venosus ist schon äußer- lich sichtbar. Sie stellt sich als eine gewissermaßen mehr selbständige Abtheilung des Sinus dar und nimmt den ganzen Raum an der linken Seite des fibrösen Walles ein (vergl. Fig. 5). Der Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 333 Wall verhält sich der Hauptsache nach wie bei Ceratodus, ist jedoch vielleicht etwas kleiner, von mehr unregelmäßiger Form; er beher- bergt in seinem Innern ein Stück hyalinen Knorpels. An der Grenze von Sinus und Atrium finden sich eben so wie bei Ceratodus klappen- artige Gebilde, die sogar eben so wie bei Lepidosteus und Polypterus knotenförmig sein können. Eben so wie bei Ceratodus ist die ventrale Wand des Atrium mit der dorsalen des Conus theilweise verbunden, übrigens inniger als bei Ceratodus (vergl. Lepidosteus, Polypterus). Die zwei genannten Wände bilden ferner mit einander denselben scharfen Rand wie bei Ceratodus und den Knochenganoiden. Atrio- ventrieularklappen fehlen. Der Ventrikel ist kurz und diek, wie bei Ceratodus. Von einem besonderen, zu dem fibrösen Wall gehenden Muskel kann man nicht wohl reden; es soll jedoch zugegeben werden, dass die Muskulatur im Ventrikel so angeordnet ist, dass sie, wenn sie sich zusammenzieht, einen starken Zug auf den fibrösen Wall ausüben muss, so dass dieser sich an den vom Atrium und Conus gebildeten Rand eben so wie bei Ceratodus genau anschließt und ge- wissermaßen als Klappe fungirt. In der äußeren Form stimmt der Conus wesentlich mit Ceratodus überein; doch fand ich die Spirale, wenigstens bei dem einen (dem abgebildeten) Exemplar! etwas mehr zusammengeschoben als dies bei Ceratodus der Fall war. Im Innern des Conus sind aber im Vergleiche mit Ceratodus tiefere Veränderungen vor sich gegangen. Die drei vorderen der 8 Klappen der Spiralfalte von Ceratodus sind hier ohne Grenzen ver- schmolzen, haben ihre Klappennatur gänzlich eingebüßt und stellen eine scharfe stark ins Lumen einspringende Falte dar; die vierte Klappe derselben Reihe (vergl. Fig. 12,1‘) besitzt einen größeren Hohlraum und fungirt als Klappe eben so wie bei Ceratodus. Sie ist übrigens mit den folgenden Klappen eng verschmolzen, und diese bilden zusammen einen fast einheitlichen Längswulst; doch sehe ich (Fig. 12) noch zwei scharfe Ränder, die klar genug zwei Klappen von Ceratodus andeuten; von Fädchen sind dagegen keine mehr übrig. Die kleinen Klappen im hinteren Ende des Conus sind in beiden Exemplaren vorhanden, aber mehr rückgebildet; ich sehe nur drei deutliche Querreihen. ! Ich habe zwei Exemplare untersucht; die Angaben beziehen sich jedoch, wenn nichts Anderes gesagt wird, auf das größere der untersuchten Herzen; das kleinere war sehr schwierig zu untersuchen, stimmte aber in allen Stücken, die zur Observation kamen, wesentlich mit dem größeren. 334 J. E. V. Boas Im vorderen Theil des Conus haben noch wichtigere Verände- rungen stattgefunden. Man erinnert sich, dass die Klappe Nr. 4? von Ceratodus (vergl. Fig. 9) stark war. Sie ist hier mit Nr. 4! zu einer einheitlichen Falte verschmolzen, die sich noch ziemlich weit nach hinten erstreckt und der Spiralfalte hilft eine Theilung des vorderen Endes des Conus herzustellen ; wir wollen dieses Gebilde die zweite Longitudinalfalte nennen. Die Klappen Nr. 2 und 3 sind zu Grunde gegangen !. ; Der Rand, der die zwei oberen, aus dem Truncus von Ceratodus entspringenden Gefäße von den vier unteren (die hier eine kurze Strecke zu zweien vereinigt sind) scheidet («—ß in Fig. 11) ist bei Protopterus mit den vorderen Enden der zwei Longi- tudinalfalten verwachsen, so dass die Trennung des Conus in zwei Abschnitte, die wir bei Ceratodus kennen gelernt haben, hier weiter fortgesetzt ist; die zwei Longitudinalfalten gehen vorn un- mittelbar in einander über. Eine Mischung der zwei durch den Conus gehenden Blutströme wird, wie man begreift, hier am vorderen Ende des Conus nicht so wie bei Ceratodus stattfinden; der eine wird von dem anderen ungestört in die unteren, der andere in die oberen Ar- terien gehen (vergl. Fig. 8, die den vorderen Theil des Conus und den Truncus sammt dem Anfang der Arterien von unten gesehen darstellt, nachdem die ventrale Conus-Wand entfernt war: die Figur ist ein bischen schematisirt). Hiemit sind die wesentlichsten Züge, in welchen das Herz von Protopterus sich von demjenigen des Ceratodus unterscheidet, gegeben. Es sei noch bemerkt, dass die vordere Partie des Conus merkwürdig dünnwandig ist; ferner habe ich dort, wo die linke Longitudinalfalte vorn mit dem Truneus verwächst, an der dorsalen Seite eine winzige Klappenhéhlung in ihr gefunden — eine Spur also der Höhlung der Klappe Nr. 4! bei Ceratodus. Endlich muss ich ein Faktum noti- ren, das ich bei dem einen untersuchten Exemplar fand: es ging vom fibrösen Wall zur Wand des Atrium ein einzelner Muskelfaden, offen- bar ein gewissermaßen losgelöster Theil der Muskulatur der Wand des Atrium. : Im Mechanismus des Herzens ist Protopterus wenig von Cera- 1 Der Umstand, dass die zweite Longitudinalfalte der ersten gegeniiber steht, könnte es wohl wahrscheinlich machen, dass sie nicht aus den Klappen Nr. 4 entstanden wäre, sondern aus Nr. 3. Wenn wir aber beachten, dass die — Klappe Nr. 4 der zweiten Querreihe schon bei Ceratodus eine bevorzugte Stel- lung einnimmt, wird wohl die oben gegebene Erkliirung die wahrscheinlichere. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 335 todus verschieden. Das Lungenvenenblut — also rein arterielles — wird sich ziemlich unvermischt links durch das Atrium, den Ventrikel und die hintere Abtheilung des Conus bewegen; es wird in die zwei ventralen Gefäße, die sich nachher in den ersten und zweiten Arterien- bogen spalten, gehen und von diesen, die sich nicht (von der Oper- cularkieme abgesehen) in! Kiemen auflösen, direkt in Carotis interna und Aorta. In die dritte und vierte Kiemenarterie wird dagegen venöses Blut kommen, das in den Kiemen durchgeathmet wird, und von der dritten und vierten Kiemenvene in die Aorta geht. Die Lungen- arterie entspringt nach PETERS! nur linkerseits und zwar nach dem- selben Verfasser so, dass es scheint, dass die Lunge mit ähnlichem Blut wie die Aorta versehen wird?; das Blut wird in der Lunge wieder durchgeathmet, kehrt nach dem Herzen zurück etc. — Es ist, wie man sieht, leicht verständlich, dass der erste und zweite Kiemen- bogen keine Kiemen tragen, die entsprechenden Gefäße bekommen nämlich schon vollkommen arterielles Blut. [Das Herz von Ceratodus ist bisher zweimal Gegenstand anato- mischer Untersuchung gewesen. In seiner Monographie: Descript. of Ceratodus, a genus of Ganoid Fishes (Philos. Transact. f. 1871) giebt GÜNTHER eine Beschreibung des Herzens. Es ist natürlich, dass Dr. GÜNTHER als der erste Be- schreiber sehr viel übersehen hat, namentlich da die Behandlung des Herzens ja nur ein untergeordnetes Glied seiner Monographie ist; außerdem hat er aber verschiedene faktische Fehler, z. B. wenn er sagt, dass das Herz so liege, dass Ventrikel rechts und Atrium links situirt sei; diese liegen vielmehr das eine oberhalb des anderen; auch anderes hier nicht speciell zu Erwähnendes ist ungenau. Die vom Ex- terieur des Herzens und des Conus gegebene Figur ist mir nur dann verständlich, wenn ich annehme, dass das den Conus in reichlicher Menge einhüllende Fett nicht abpräparirt ward. Auch die anderen Herzfiguren sind sehr wenig illustrirend, z. Th. (Klappen und Conus z. B.) unrichtig. ı L. infra ec. Vergl. Holzschnitt C, pag. 346. 2 Dies ist ein merkwürdiger Punkt. Wenn man die ganze Kombination be- trachtet, scheint es, ich darf vielleicht sagen vernünftiger, wenn das Blut für die Lunge nicht von der Aortenwurzel — wodurch die Lunge ja mit einer Mi- schung von Kiemenblut und von Blut, das schon in der Lunge gewesen ist, versehen wird — sondern eben so wie bei Ceratodus von der vierten Kiemen- vene oder jedenfalls von den Kiemenvenen abgehe. Desshalb trage ich Bedenken Peters’ Darstellung in diesem Punkt beizupflichten. 336 J. E. V. Boas In den Transactions of the Zoological Society of London hat Ray LANKESTER neuerdings! eine Beschreibung des Herzens von Ceratodus und Protopterus gegeben. Hier findet man die kleinen Klappen im distalen Theil des Conus sowohl bei Ceratodus wie bei Protopterus zum ersten Mal erwiihnt. Wenn man aber hiervon absieht, bringt LANKESTER kaum etwas Neues von Bedeutung. Da es mich zu weit führen würde, hier alle seine Angaben im Einzelnen zu betrachten, so sei nur bemerkt, dass er eben so wenig wie GÜNTHER von der Zu- sammensetzung der Longitudinal-Falte etwas gesehen hat, sie aber als »a longitudinal muscular (!) fold« beschreibt, die mit deni Conus »a spiral leiotropie turn« macht und »stops short in the transverse seg- ment« des Conus. Von der physiologischen Bedeutung des ganzen Baues des Herzens bemerkt er kaum etwas; die Spiral-Falte soll nur die Bedeutung einer Klappe besitzen. — Die Figuren kann ich nicht als genügend gelten lassen. Dies gilt namentlich für die Figuren des ganzen Herzens von außen bei Ceratodus und Proto- pterus, so wie von den neuentdeckten Klappen bei Ceratodus, die der Wirklichkeit sehr wenig entsprechen. Außer Ray LAnKkESTER haben auch Owen? und PETERS? An- gaben über das Herz von Protopterus publicirt. Lepidosiren paradoxa habe ich leider nicht zur Unter- suchung gehabt. Ich kann jedoch nicht umhin, auf die vorliegenden Untersuchungen gestützt, einige Bemerkungen über sein Verhältnis zu Protopterus zu geben; glücklicherweise sind jene Untersuchungen, wenn auch lückenhaft, doch besser als die bisherigen über Ceratodus und Protopterus bekannt gewordenen. Der Sinus venosus verhält sich wie bei Protopterus. Im Atrium wird, wie man weiß, eine Scheidewand ange- geben. Vou dieser sagt HyrrL: »Bei Eröffnung beider Vorkammern des getheilten Atrium) erscheint sie nicht als kontinuirliche einfache Membran, sondern als Gewebe von muskulösen feinen Balken, welche mit den übrigen, beide Vorkammern netzartig durchziehenden Tra- ‘Vol. X, Part 11, 1879. On the Hearts of Ceratodus, Protopterus and Chimaera ete. 2 Deser. of Lepidosiren annectens (Transact. of the Linn. Soc. of London XVIII, 1841). 3 Uber einen dem Lepidosiren annectens verwandten Fisch von Quellimane. MÜLLER's Archiv 1845). 4 BıscHoFF, Lepidosiren paradoxa 1840. HyrTL, Lepidosiren paradoxa, Abh. d. böhm. Gesellsch. d. Wissensch. 5. Folge, 3. Band. 1845. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 337 beculis im Zusammenhange sind. Zwischen diesen Balken gelangt man an jeder Stelle mit einer vorsichtig geführten Sonde von einer Vorkammer in die andere. Gegen die Atrio- Ventricular-Offnung wird dieses Balken-Geflecht lockerer, die Maschen weiter, und verliert sich in 4 konvergirende Fäden, welche mittels seröser Zwischenbäutchen mit einander verbunden Sieden und gegen die Kammer - Öffnung gehen,« wo sie sich mit dem fibrösen Wall, der hier eben so wie bei Protopterus vorhanden ist, vereinigen. Dies ist recht klar; fragt man dann: wie ist diese »Scheidewand« entstanden? muss ich antworten, dass es nach diesen Angaben mir wahrscheinlich ist, dass sie gewisser- maßen eine »Falte« der Atrium-Muskulatur vorstelle, die an ihrer freien Kante mit dem Wall verwachsen ist; dies scheint mir jeden- falls die einfachste Erklärung, und desshalb werde ich mich enthalten, andere mögliche vorzuführen. Man erinnert sich, dass im Ventrikel des Protopterus ein Theil der Muskulatur so angeordnet ist, dass sie einen Zug auf den fibrösen Wall ausüben muss. Denkt man sich eine Vertiefung an beiden Seiten der so geordneten Muskulatur — die natürlich unge- fähr im Medianplan des Ventrikels liegt — so wird die Folge davon sein, dass eine unvollkommene muskulöse Scheidewand im Ventrikel auftritt; dies ist bei Lepidosiren wirklich aus- geführt worden. Dies sind die wesentlichen Punkte, in welchen das Herz von Le- pidosiren von jenem des Protopterus abweicht. Es sei noch bemerkt, dass das vordere Ende des Conus sich genau wie bei Protopterus verhält (der Bau ist schon von BiscHorr richtig erkannt worden); was aus den kleinen hinteren Klappen geworden ist, ob sie noch bestehen oder ganz zu Grunde gegangen sind, geht nicht aus den Angaben hervor, eben so wenig ob noch Spuren der Zusammensetzung der Spiralfalte vorhanden sind oder nicht.) 2. Die Arterienbogen. Ceratodus. Es finden sich bei diesem Thier bekanntlich zwei äußere »Kie- menspalten« auf jeder Seite. Von inneren Kiemenspalten — man wird diesen Ausdruck ohne weiteren Kommentar verstehen — finden sich jederseits fünf, die erste zwischen dem Zungenbeinbogen und dem ersten Kiemenbogen, die letzte zwischen dem vierten und dem fünften (letzten) Kiemenbogen. Am Innenrande der vier ersten Kiemenbogen Morpholog. Jahrbuch. 6. 22 338 J. E. V. Boas finden sich zwei Reihen knorpelartiger Fortsätze (»gill-rakers«), eben so wie bei den Urodelen-Larven: sie sind hier zahlreich, kurz, zusammen- gedrückt wie die Zähne eines Kammes: am Zungenbeinbogen findet sich eine ähnliche Reihe, am vierten Kiemenbogen ebenfalls eine. Am hinteren oder äußeren Rande der vier ersten Kiemenbogen entspringt eine vertikale Platte. An beiden Seiten dieser Platte sitzt eine Reihe schmaler Kiemenblätter; der größte Theil des einen Randes derselben ist der Platte angeheftet, so dass nur die äußerste Partie der Kiemenblätter ganz frei ist; die genannte Platte setzt sich übrigens oben weiter über die Kiemenbogen hinaus fort und heftet sich an das Dach der Kiemenhöhle; an beiden Seiten dieser Fortsetzung, ja am Dache der Kiemenhöhle selbst sitzen Kiemenblätter. Auch am Zun- genbeinbogen findet sich eine Reihe von Kiemenblättern, also eine Opercularkieme. Jedes Kiemenblatt ist an beiden Seiten mit zahl- reichen regelmäßigen Querfalten versehen. Gehen wir demnächst zur Beschreibung der Gefäße der Kiemen über. Aus dem äußerst kurzen Truncus arteriosus entspringen drei Paar Gefäße, das eine dorsalwärts im Verhältnis zu den zwei anderen. Jedes Gefäß des dorsalen Paares spaltet sich gleich nachher wieder in zwei; wir bekommen somit jederseits vier Gefäße, die als Kiemen- arterien zu den vier Hauptkiemen jederseits verlaufen, die zwei ven- tralen jederseits zu der ersten und zweiten Kieme, die mehr dorsal gelagerten zu der dritten und vierten Kieme. Die Opercularkieme bekommt keinen Ast von dem ersten dieser Gefäße, auch nicht direkt vom Truncus, — jedenfalls habe ich vergebens nach einem solchen Gefäß gesucht. Aus jeder Kieme geht wieder eine Kiemenvene hervor. Das Zu- sammentreten der Kiemenvenen kann man folgendermaßen beschrei- ben. An der Basis cranii verlaufen zwei nach vorn zu divergirende Gefäße; das vorderste Ende derselben ist die Carotis interna; hinten treten sie zur Bildung der Aorta zusammen. In dieses Gefäß münden die vier Kiemenvenen, die erste und zweite einzeln, die dritte und vierte erst nachdem sie sich mit einander vereinigt haben; die vierte Kiemenvene hat vor ihrer Vereinigung mit der dritten erst die Lungen- arterie — von welcher mehr unten — abgegeben. Man kann es auch in folgender Weise beschreiben: Die erste Kiemenvene spaltet sich nach ihrem Austritt aus der Kieme in zwei Äste, die Carotis interna und ein Gefäß, das sich nach hinten wendet und mit der zweiten Kiemenvene sich verbindet. Das so gebildete Gefäß läuft nach hinten Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 339 und vereinigt sich mit dem durch die Vereinigung der dritten und vierten Kiemenvene entstandenen Gefäß zur Aortenwurzel!. (Vergl. Fig. 19.) Die Lungenarterien verhalten sich folgendermaßen. Die eine ent- springt aus der rechten vierten Kiemenvene, läuft erst an der Basis cranii, dann an der rechten Seite der Aorta die Lunge hindurch und giebt hauptsächlich Gefäße zu den benachbarten Partien der rechten Reihe von Lungenkammern?. Die von der linken vierten Kiemenvene kommende Lungenarterie ist weit stärker als die andere; ihr Verlauf ist . auch weniger einfach. Sie läuft Anfangs ähnlich wie die andere, ober- halb des Ösophagus. Nachdem sie aber eine Streeke weit so verlief. biegt sie sich erst nach außen und schlägt sich dann nach unten (vergl. Fig. 19), so dass sie jetzt unterhalb des Ösophagus sich befindet; sie läuft quer tiber den Osophagus und tritt in die Lunge hinein. Ihr fernerer Verlauf ist in der ventralen Partie der Lunge, wo sie an der linken Seite der Mittellinie ihren Weg nimmt. Sie giebt übrigens nach rechts einen ziemlich starken Ast ab, der sich umbiegt und an der rechten Seite der Mittellinie parallel mit dem Haupt- stamme nach hinten verläuft. (Vergl. Fig. 19. Von der linken Lungenarterie habe ich einen Ösophageal-Ast abgehen sehen (oe in Fig. 19); dass außerdem noch andere ähnliche sich finden — auch wohl von der rechten Lungenarterie — kann ich kaum bezweifeln. Der Vergleichung wegen schließe ich hier einige Beobachtungen über die Kiemengefäße (Kiemen und Lungen) bei Lepidosteus. Polypterus und Amia an. Lepidosteus. Wir finden hier dieselbe Zahl von »äußeren« und »inneren« Kie- menspalten, so wie von Kiemenbogen, wie bei Ceratodus. Solche »gill-rakers« wie bei diesem finden sich dagegen nicht, sie sind — physiologisch — gewissermaßen durch kleine mit Zähnen besetzte Knochenplättehen, wie bei vielen Knochenfischen, vertreten. An den vier ersten Kiemenbogen finden sich zwei Reihen Kiemen- blätter mit der einen Kante einer vom hinteren Rande der Kiemen- 1 Ich bemerke hier, dass die Kiemenvene bei Ceratodus fast die ganze Kieme hindurch in zwei Äste getheilt verläuft; diese sind im Verhältnis zur Kiemen- arterie seitlich gelagert und vereinigen sich erst ganz oben. 2 Man vergleiche GUNTHER’s (l. i. e.) Bild und Beschreibung der Lunge. 22* 340 J J. E. V. Boas bogen ausgehenden Platte angeheftet, so dass nur die äußere Spitze des Blattes frei ist; die Blätter sind quergefaltet — Alles wie bei Ceratodus. Die Fortsetzung der kiemenblatttragenden Platte über den Kiemenbogen hinaus ist dagegen weit weniger stark als bei Cera- todus. Auch am Zungenbeinbogen findet sich eine Reihe von Kiemen- blittern, eine Opercularkieme; der oberste Abschnitt derselben ist durch einen ganz kleinen Zwischenraum von der übrigen Partie geschieden und ward von JOH. MÜLLER nicht glücklich als Pseudo- branchie bezeichnet; es ist nur, wie schon gesagt, ein Theil der . Opercularkieme '. Der lange nach vorn zu allmählich sich verjiingende Truncus arteriosus giebt drei starke Gefäßpaare ab und spaltet sich vorn in zwei sehr dünne Gefäße, die Arterien der Opercularkieme. Die zwei hinteren der stärkeren Gefäßpaare entspringen von der dorsalen Seite des Truncus nahe am hinteren Ende desselben; die vier Gefäße sind aber eine Strecke weit zu einem gemeinsamen Gefäß mit einem Lumen verschmolzen und dieses Gefäß, das nach vorn läuft, ist ferner der Rückenwand des Truncus eng angewachsen; es sieht dess- halb aus als gingen die genannten Gefäße ziemlich entfernt vom hinteren Ende des Truncus ab (Fig. 15). Die zwei vorderen stärkeren Gefäße gehen auch etwas dorsal- wärts ab, und die zwei Öffnungen, durch die sie mit dem Truncus kommunieiren, liegen dicht neben einander in der Rückenwand des Truneus; wenn man den Truncus von seiner Unterfläche betrachtet, sieht man nichts davon; die zwei Gefäße scheinen dann einfach lateral zu entspringen. Dieses Gefäßpaar ist die Arterie der ersten (Kiemenbogen-) Kieme; das folgende Gefäß versorgt die zweite Kieme, das dritte spaltet sich in die dritte und vierte Kiemenarterie. Die aus den Kiemen heraustretenden Kiemenvenen vereinigen sich zur Aorta. An der Basis cranii läuft ein unpaares Gefäß, das wir einfach als vordere Fortsetzung der Aorta bezeichnen wollen; in das vordere Ende desselben mündet die Kiemenvene der Kieme des ersten Bogens, nachdem sie zuerst die Carotis interna abgegeben hat. Kurz hinter diesen zwei Kiemenvenen mündet das zweite Paar in die Aorta; doch nicht einfach: sie vereinigen sich vielmehr erst zu einem unpaaren Gefäß, das dann in die ventrale Wand der Aorta ' Ich kann nicht umhin, den Vorschlag zu machen, die Bezeichnungen Pseudo- branchie und Nebenkieme, die sehr viel Unglück gestiftet haben, ganz aus der wissenschaftlichen Terminologie zu eliminiren. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 341 sich einsenkt. Die dritte und vierte Kiemenvene jederseits vereinigen sich zu einem Gefäß, das sich mit seinem Gegenüber zu einem un- paaren Gefäßstamm vereinigt, der wie der vorige in die Aorta mündet. Von der vierten Kiemenvene geht kein Lungengefäß ab (Fig. 18). In den Kiemen läuft wie gewöhnlich die einfache Kiemenvene dem Kie- menbogen näher als die Kiemenarterie. Es sei mir hier erlaubt ein paar Worte über die Schwimmblase oder Lunge von Lepidosteus zu sagen. Sie mündet bekanntlich dorsal in den Ösophagus, während bei Ceratodus die Öffnung sich gedreht hat, so dass die Einmündung ventral und das vordere Ende der Lunge asymmetrisch wird: bei Lepidosteus ist sie dagegen sym- metrisch. Wenn man von diesem, meiner Ansicht nach untergeord- neten Unterschied — wesshalb ich ihn als einen untergeordneten betrachte, wird später! deutlich werden — absieht, ist die Lunge von Lepidosteus eine fast vollständige Wiederholung der Ceratodus- Lunge, ein Verhältnis, das meines Wissens bisher nicht ins Auge ‚gefasst worden ist. Hier wie dort treffen wir einen einfachen Sack, der »the middle of the dorsal region« einnimmt und so fest der Aorta angelagert ist, dass eine Trennung gar nicht möglich ist. Eben so wie bei Ceratodus besteht er aus zwei fast symmetrischen Hälften, jede »being divided into a number of compartments formed by strong transverse septa«; bei Lepidosteus finde ich einige zwanzig solcher Kammern jederseits, bei Ceratodus einige wenige mehr. Jedes »com- partment« ist bei beiden Fischen wieder in viele kleinere »cells« ge- theilt, und alle beide haben eine »smooth stripe«, »along the middle of its ventral surface«, wo keine »cells« sich finden; kurz, die Uber- einstimmung ist eine so innige, dass es mir kaum möglich sein würde ein Stück einer Ceratodus-Lunge von dem einer Lepidosteus- »Schwimmblase« zu unterscheiden. Um so mehr muss es überraschen, dass die Gefäße der Lunge ganz andere Verbindungen eingegangen sind wie bei Ceratodus; die Lungenarterien stehen nicht mehr in Verbindung mit der vierten Kiemenvene, die Lunge erhält vielmehr ihr Blut von der Aorta selbst durch eine große Anzahl kleiner Arterien; und die Venen? münden in die Kardinalvenen. 1 Vergl. meine Abhandlung über Conus u. Arterienbogen bei den Amphibien. 2 Nach HyrTL (Uber d. Schwimmblase v. Lepidosteus, Sitzungsber. d. Wiener Akad., Math.-Naturw. Kl. 8. Bd. 1852). Man vergl. die obigen Angaben über das Gefäßsystem bei Lepidosteus mit der eitirten und noch zwei anderen Ab- ‚handlungen von HyRTL in demselben Band (Über d. Pori abdom., die Kiemen- 342 J. E. V. Boas Amia. Diese Gattung stimmt mit Lepidosteus in der Zahl der Kiemen- bogen und Kiemenspalten. Ferner finden sich ähnliche mit Zähnen besetzte Knochenplättchen statt der »gill-rakers« von Ceratodus. Die Opercularkieme fehlt, sonst ist die Zahl der Kiemen dieselbe wie bei Lepidosteus. Die Kiemenblätter sind hier zum größten Theil frei, es ist — eben so wie bei den Knochenfischen — nur eine kleinere Partie des Randes der Kiemenblätter angeheftet; sie sind schmäler — man vergleiche wieder die Knochenfische — zugespitzter, die Querfalten der Blätter weit undeutlicher. Die Fortsetzung der vertikalen, kiementragen- den Platte über den Kiemenbogen hinaus verhält sich wie bei Lepi- dosteus. Der bei Lepidosteus für die Opereularkieme bestimmte Arterien- bogen fehlt hier. Die übrigen Kiemenarterien verhalten sich ziemlich wie bei jenem. Der dritte und vierte jederseits sind eine lange Strecke vereinigt; das so entstandene Gefäß bildet mit seinem Gegenüber und mit den beiden zweiten Arterienbogen ein — hier ganz kurzes — unpaares Gefäß, das von der Rückenseite des Truneus ausgeht. (Vergl. Fig. 16.) Die Weise der Vereinigung der Kiemenvenen ist der Hauptsache nach dieselbe wie bei Lepidosteus. (Vergl. Fig. 17.) Es findet sich eine unpaare nach vorn gehende Fortsetzung der Aorta, die sich vorn in die zwei ersten, die Carotides internae abgebenden Kiemenvenen spaltet; die zwei zweiten Kiemenvenen vereinigen sich zu einem un- paaren Gefäß und münden gemeinsam in die Aorta. Die dritte und vierte jederseits vereinigen sich, das gemeinsame Gefäß verbindet sich mit seinem Gegenüber, sie bilden ein gemeinsames unpaares Stück, welches in die Aorta einmündet — Alles wie bei Lepidosteus. Aber die vierte Kiemenvene hat — an beiden Seiten — vor ihrer Vereinigung mitder dritten ein starkes Gefäß, die Lungenarterie, abgegeben, das den größten Theil ihres Blutes wegleitet, und erst so verjüngt mündet sie in die dritte. Ferner sehen wir an der Vereinigungsstelle der zwei durch die Vereinigung der dritten und vierten Kiemenvene entstandenen Gefäße ein starkes; Art. ete. d. Ganoiden, Über das Arterien-System bei Lepid.); in den faktischen Angaben weiche ich nur wenig von HyrTL ab; die Weise, in welcher er gewisse: Sachen beschreibt, macht jedoch Manches unklar. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 343 unpaares Gefäß abgehen, die Arteria coeliaca, die bei Lepidosteus fehlt. Die Lunge — oder wenn man will: die Schwimmblase — schließt sich wohl an diejenige von Lepidosteus, doch lange nicht so innig wie die von Ceratodus und Lepidosteus sich an einander anschließen. Die Mündung derselben ist hier wie bei Lepidosteus dorsal. Die Lunge ist nicht so innig mit der Aorta verbunden wie bei Lepidosteus und Ceratodus. Wenn man sie öffnet, findet man, dass sie einen einheitlichen Sack vorstellt mit einem glatten, ventralen Längsstreifen. Der übrige Theil besteht aus zwei Kammerreihen, die wieder in kleinere »Zellen« zerlegt sind, eben so wie bei Lepidosteus und Cera- todus; die beiderseitigen Reihen sind aber nicht scharf getrennt, sind vielmehr dorsal mit einander in Verbindung; das Bild zweier Reihen von »compartments« ist hier gewissermaßen verwischt, ohne dass es jedoch irgend welche Schwierigkeiten bietet, denselben wesentlichen Bau wie bei Lepidosteus und Ceratodus zu erkennen. Die Lungen- arterien verlaufen eine an jeder Seite des ventralen, glatten Längs- streifens. Polypterus. Die letzte der bei Lepidosteus vorhandenen inneren Kiemen- spalten ist hier geschlossen, so dass im Ganzen nur 4 jederseits vor- handen sind. Es finden sich hier dieselben Knochenplättchen am Innenrande der Kiemenbogen wie bei den soeben erwähnten Gat- tungen. Die Opercularkieme fehlt. Die Kiemenblätter sind etwas mehr frei als bei Lepidosteus, doch nicht so wie bei Amia; die Querfalten weniger deutlich als bei Lepi- dosteus. Am vierten Bogen findet sich nur eine Reihe von Kiemen- blättern. Die Verlängerung der kiementragenden Platte wie bei Lepi- dosteus und Amia. Obgleich hier keine Opercularkieme vorhanden ist, findet sich doch ein Kiemendeckel-Ast, der von der ersten Kiemenarterie abgeht, eine Ursprungs-Verschiedenheit, die man leicht von den Verhältnissen bei Lepidosteus ableiten kann. Die dritte und vierte Kiemenarterie jederseits sind eine Strecke weit vereinigt und ihr gemeinsamer Stamm jederseits wieder mit der zweiten. Die zwei so entstandenen Stämme entspringen mit einem ganz kurzen gemeinsamen Stück von der Rückenwand des Truncus (vergl. die zwei vorhergehenden). Die Vereinigung der Kiemenvenen ist am meisten der von Amia ähnlich, ohne jedoch mit dieser kongruent zu sein. Nachdem die zwei 344 J. E. V. Boas ersten Kiemenvenen die Carotides internae abgegeben haben, biegen sie sich nach hinten und vereinigen sich zu einem unpaaren Gefäß, der Fortsetzung der Aorta (vide Fig. 14); sowohl dieses Gefäß wie zum Theil die ersten Kiemenvenen liegen in der Knochenmasse des Parasphenoids eingebettet. Nachdem das unpaare Gefäß aus diesem Knochen zum Vorschein gekommen ist, empfängt es erst die zweite Kiemenvene und gleich nachher zwei durch die Vereinigung der dritten und vierten Kiemenvene jederseits entstandene Gefäße; das rechte dieser giebt jedoch erst eine Arteria coeliaca ab. Eben so wie bei Amia giebt die vierte Kiemenvene eine starke Lungenarterie! ab und mündet sehr dünn in die dritte Kiemenvene. Die Lunge ist sehr von dem gleichnamigen Gebilde bei Amia und Lepidosteus verschieden. Eben so wie bei diesen hat sie einen vollkommen symmetrischen Bau. Hiemit hört aber auch so ziemlich die Übereinstimmung auf. Die Lunge ist fast in ihrer ganzen Länge in zwei seitliche Hälften geschieden, eine an jeder Seite des Magens gelagert; erst ganz vorn vereinigen sie sich an der ventralen Seite des Ösophagus und münden ventral mit einer großen Öffnung. Die Wände der Lunge sind dick und muskulös, die Innenfläche ist fein gefaltet. Der Hauptarterienstamm liegt dorsal an jeder Lunge, die Vene ventral. Die vereinigten Venen münden in die Lebervene bevor diese ins Atrium einmündet. Das Verhältnis dieses merkwürdigen Gebildes zu den Lungen von Lepidosteus und Amia werden wir in einer späteren Abhandlung kurz besprechen. Protopterus. Es finden sich bei diesem 5 knorpelige Kiemenbogen, von welchen jedoch keiner besonders stark entwickelt ist. Es finden sich 5 innere Kiemenlöcher, eins vor jedem Bogen; das erste derselben, zwischen Zungenbeinbogen und erstem Kiemenbogen ist ziemlich klein; es ist offenbar dasjenige, welches bei Lepidosiren (bei welchem nur 4 Löcher vorhanden sind) verschlossen ist. Am inneren Rande des Zungenbeinbogens, eben so wie am 5. Bogen sitzt eine Reihe von »gill-rakers«, an den vier ersten Kiemen- bogen je zwei solche Reihen (außerdem noch eine Menge kleiner Wärzchen, die uns hier nichts angehen). Am Zungenbeinbogen sitzt eine Kieme, aus einer Reihe von Blättern bestehend, eine Opercularkieme, eben so wie bei Cera- ! Auch hier habe ich Aste von der Lungenarterie zum Ösophagus gefunden. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 345 todus und Lepidosteus. Am ersten Kiemenbogen ist keine Kieme entwickelt, eben so wenig wie am zweiten. Am dritten Bogen finden sich die gewöhnlichen zwei Reihen Kiemenblitter; eben so am vierten Bogen. Die Kiemenblätter heften sich in ähnlicher Weise wie bei Ceratodus an eine vom Hinterrande der Kiemenbogen ausgehende Platte, die sich auch hier oben fortsetzt; die Kiemenblitter sind ge- faltet, noch ausgeprägter als bei Ceratodus; ihre Zahl ist dagegen weit geringer. Auch am fünften Kiemenbogen ist eine Reihe Kiemen- blätter vorhanden. Dies ist eine sehr merkwürdige Erscheinung. Weder bei Ceratodus noch bei anderen Ganoiden ist solches der Fall: und Mancher würde wohl geneigt sein in diesem Faktum einen Be- weis für eine Verwandtschaft mit den Selachiern zu finden. Die Sache ist aber anders zu erklären. Wenn man genauer nachsieht, findet man nämlich, dass die Kiemenblattreihe am 5. Bogen eine kontinuir- liche Fortsetzung der hinteren Reihe des vierten Bogens ist; oben gehen sie in einander über. Die Kiemenblätter am 5. Bogen sind meiner Ansicht nach nur Emigranten der hinteren Reihe des 4. Bogens, eine Auffassungsweise, die durch das Verhalten der Gefäße — wie wir später sehen werden — nicht nur gestützt wird. die vielmehr allein dieses verständlich macht. Das Verhalten der ge- nannten letzten Reihe Kiemenblätter am vierten Bogen kann um so weniger befremden, als wir schon bei Ceratodus fanden, dass die Kiemenblattreihen sich am Dach der Kiemenhöhle fortsetzen. Was die Arterienbogen betrifft, bin ich leider aus eigener Erfah- rung nur im Stande sehr wenige Facta vorzuführen und fast gar keine neuen. Der Übelstand ist jedoch im vorliegenden Falle ein kleinerer — obwohl groß genug — indem wir, was Protopterus betrifft, so glücklich sind von der Hand eines genauen Forschers, PETERS’, eine nach Injektionen am frischen Thiere gegebene Darstellung der Kiemen- gefäße etc. zu besitzen !. Aus dem vorderen Ende des Truncus gehen jederseits zwei Ge- fäße aus, die gleich nachher jedes in zwei sich spalten. Der erste 1 PETERS, Über einen dem Lepidosiren annectens verwandten Fisch von Quel- limane (MULLER’s Archiv 1845). Die Punkte, in welchen ich nach Autopsie seine Angaben bestätigen kann, sind: Das Verhalten der Arterienbogen in ihrem ersten Verlauf vom Truneus; das Zusammentreten des ersten und zweiten Arterien- bogens an der Unterfläche des Cranium. Über den Ursprung der Lungen- arterie(n?) bin ich dagegen nicht ins Reine gekommen. Das einzig faktisch Neue in meiner Darstellung ist wohl die Angabe, dass von der Lungenarterie ein Ast zum Ösophagus geht. 346 J. E. V. Boas von den so gebildeten vier Ästen spaltet sich nach längerem Verlauf wieder in zwei, in die Arterie der Opercularkieme und den ersten Arterienbogen; erstere giebt übrigens, bevor sie in die Opercular- kieme eintritt, einen Ast ab, den auch ich gefunden habe. Der erste Arterienbogen läuft dem ersten Kiemenbogen entlang und spaltet sich an der Unterfläche des Cranium in zwei Äste, wovon der eine zur Aortenwurzel tritt, während der andere die Carotis interna vorstellt. Fig. C. . — —— uo a x) EN V Lu SI Um _ & B LS» nu 5 IR N Um & ASt Uae Mm 2 = Qc 42 Ragen hid = 5 — = I & EQ KS a STS = 4 v’ a 1] = = = E == = ES 5S Arterienbogen von Protopterus. Oa Arterie der Opercularkieme, Z erster Arterienbogen, 2 zweiter do., 3a, 2a dritte und vierte Kiemen- arterie, 3v, 4v dritte und vierte Kiemenvene, 4a' Ast von 2a zu den auf den fünften Kiemenbogen über- gewanderten Blättern, 4v' die umgebogene vierte Kiemenvene; ci Carotis interna, p' Lungenarterie, aw Aortenwurzel. — Die Figur ist nach Perer’s Figur und Angaben gezeichnet. Das zweite der genannten vier Gefäße, der zweite Arterienbogen, läuft am zweiten Kiemenbogen. Das dritte ist die Arterie der Kieme am dritten Bogen. Das vierte ist nicht nur die Arterie der Kiemenblätter, die am vierten Bogen sitzen, es biegt sich vielmehr oben um und läuft in entgegengesetzter Richtung am fünften Bogen und ver- sorgt die hier sitzenden Blätter, eine Thatsache, die nur dann ver- ständlich wird, wenn wir, wie schon oben hervorgehoben, annehmen, dass die am fünften Bogen sitzenden Kiemenblätter vom vierten über- gewandert sind. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 347 Die Kiemenvenen des dritten und des vierten Bogens (die letzte nimmt natiirlich auch die Vene der Kiemenblitter am 5. Bogen auf) vereinigen sich und das so gebildete Gefäß vereinigt sich wieder mit dem 2. Arterienbogen; gleich nachher tritt dann auch der erste Ar- terienbogen hinzu. Die in dieser Weise gebildeten Aortenwurzeln treten nach ganz kurzem Verlauf zusammen und bilden die Aorta. Die linke Aorten- wurzel hat jedoch zuerst eine Lungenarterie abgegeben, dicht an der Stelle, an welcher der erste Arterienbogen in sie einmündet. Eben so wie bei Ceratodus geht die »Luftröhre« vom vorderen Ende der dorsal gelagerten Lunge etwas rechts ab, biegt sich um den Ösophagus und mündet ventral in diesen. Übrigens ist die Lunge fast ihrer ganzen Länge nach gespalten; doch hängen die Hälften eine Strecke äußerlich zusammen und vereinigen sich vorn zu einem ganz kleinen gemeinsamen Hohlraum, von dem die Luftröhre ausgeht. Innerlich findet man die ganze Fläche mit einem Netzwerk von vor- springenden Balken besetzt; man kann, wenn auch nur undeutlich, in jeder Lungenhälfte eine Reihe von »compartments« längs des äußeren Randes unterscheiden. Man denke sich, dass die Scheidewände zwi- schen den Lungenkammern von Ceratodus niedriger geworden sind, so dass nur die blinden Enden derselben noch geschieden erscheinen, man denke sich eine Spaltung der Lunge von hinten aus und man wird ein Bild der Protopterus-Lunge haben. — Die Lungenarterie hat einen ganz ähnlichen Verlauf wie die linke bei Ceratodus; »sie läuft eine Strecke an der linken Seite des Schlundes ab, schlägt sich dann an die untere Seite über den Schlund nach der rechten Seite und dann erst an die Rückseite des Schlundes zur Mitte zwischen beiden Lungen (wo sie an einander geheftet sind) und theilt sich später« (PETERS). Von der unpaarigen Lungenarterie geht jedenfalls ein starker Ast für den Osophagus ab. Über die sogenannten äußeren Kiemen von Protopterus müssen wir ein Wort sprechen. Die betreffenden Gebilde waren bei den zwei von mir untersuchten Protopteri sehr klein, offenbar ohne jegliche Funktion. Nach PETERS sind sie dagegen bei jungen Exemplaren stärker entwickelt. Ich glaube, dass man diese Organe — die ja sogar in neuester Zeit (WIEDERSHEIM), wie es mir scheint mit sehr schwachen Gründen, als Schultergürtelkiemen in Anspruch genommen sind — am richtigsten, oder wahrscheinlichsten, in die Reihe der vielfachen accessorischen Athmungsorgane, die wir bei Fischen fin- den, stellt. Ich finde es ferner sehr zweifelhaft, ob sie etwas mit der 348 J.E.V. Boas - äußeren Kieme von Polypterus! gemein haben, die anderen Ur- sprungs, anderen Baues ist und von anderen Blutgefäßen versorgt wird; auch diese muss ich übrigens in dieselbe Reihe accessorischer Athmungsorgane stellen. Werfen wir nun einige vergleichende Blicke auf die bei Cera- todus und den Knochenganoiden beschriebenen Gefäße. | Die Weise, in welcher die Kiemenarterien abgehen, ist bei Cera- todus sehr von den bei jenen bestehenden Verhältnissen verschieden. Während wir hier eben so wie bei allen anderen mir bekannten Fischen einen langen Truncus finden, von welchem die Kiemenarterien suc- cessiv — wenn auch zuweilen in verschiedener Weise kombinirt ete. — entspringen, treffen wir hier einen kurzen, kaum erkennbaren Truneus, dessen Ende die Gefäße aussendet; es hat also hier eine ganz eigen- thiimliche Verkürzung stattgefunden. Dieses Verhältnis steht in eng- ster Beziehung zum Mechanismus des Herzens. Aber auch in anderer Beziehung nimmt es unser Interesse in Anspruch. Wir finden — wie in der schon erwähnten später erscheinenden Arbeit nachgewiesen wird — ganz ähnliche Verhältnisse bei den Amphibien. Die Vereinigungsform der Kiemenvenen ist auch bei Ceratodus eine von jener bei den Knochenganoiden wesentlich verschiedene. Bei allen drei genannten Formen finden wir eine mediane Fortsetzung der Aorta nach vorn zu, in welche die Kiemenvenen successiv münden, doch so, dass die dritte und vierte jederseits sich immer zuerst mit einander vereinigen und dann erst in jene Fortsetzung der Aorta münden. In dem letzten Punkt: die Vereinigung der dritten und vierten Kiemenvene, trifft Ceratodus mit jenen überein; aber statt sich vorn unpaarig fortzusetzen, spaltet sich die Aorta hier, und in die zwei Äste der Gabel münden die Kiemenvenen ein; auch hierin, werden wir später sehen, ist eine Beziehung zu den Amphibien soseniy In einem dritten Punkt finden wir eine schöne Übereinstimmung 1 Siehe STEINDACHNER und HyrRTL in Sitz. d. k. k. Akad. d. Wissensch. z. Wien, Math.-Naturw. Kl. LX Bad. 1. Abth. Jahrg. 1869. — Ich kann hier nicht umhin die Bemerkung zu machen, dass es mir scheint, dass HyrrtL die Sache sehr leicht nimmt, indem er sagt: »Man braucht sich die äußere Kiemendeckel- kieme des neuen Polypterus nur einmal gefranst und bogenförmig an die innere Fläche des Kiemendeckels angewachsen (sie!) denken, so ist die Verwandtschaft der äußeren Kieme mit der inneren Kiemendeckelkieme (von Lepidosteus ete.) nicht zu verkennen, woraus sich dann auch ergiebt, dass die zu- und abführen- den Blutgefäße beider vollkommen übereinstimmen« (das letztere wäre doch viel- leicht auch in anderer Weise zu erklären). Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 349 zwischen Ceratodus und den Knochenganoiden gegeben. Der Ursprung der Lungenarterien ist genau derselbe bei Ceratodus, Amia und Po- lypterus; dass die Lungenarterien bei Lepidosteus anderweitige Ver- bindungen eingegangen sind beeinträchtigt nicht den Werth dieses Charakters'; eben so wenig dass die Verzweigungen der Arterien in den Lungen verschieden sind; denn es liegt auf der Hand, dass in einem Organ wie die Lunge, an welchem ein mächtiges Gefäßnetz sich findet, leicht Anastomosen sich bilden können, eine Arterie die bei Einem dünn ist, wird bei einem Andern stark, ein Nebengefäß bei Einem gestaltet sich als Hauptgefäß bei Anderen und umgekehrt 2. Die Gefäßverhältnisse bei Protopterus lassen sich in fast allen Stücken leicht von denjenigen bei Ceratodus ableiten. Dass die Oper- kularkieme von einem eigenen Arterienbogen versorgt wird, weist jedenfalls darauf hin, dass die gemeinsame Stammform des Cera- todus und Protopterus in einigen, wenn auch kaum in vielen Stücken von unserem Ceratodus abweicht. Die Kiemen und die oben beschriebenen Gefäße bei Ceratodus haben bisher nur einen Bearbeiter gefunden, nämlich GÜNTHER >. Wir müssen einige seiner Angaben betrachten. Er giebt an, dass 2 Reihen von »gill-rakers« sich am Kiemen- deckel befinden: dies ist entschieden unrichtig; es findet sich — natür- lich — nur eine Reihe, zwischen die gill-rakers der vorderen Reihe am ersten Kiemenbogen eingreifend; ich muss annehmen, dass an dem Präparat, das jener Beschreibung und seiner Figur zu Grunde liegt, die Reihe von gill-rakers entzweigerissen ist. Dass er die Oper- cularkieme mit dem nicht glücklichen, unmorphologischen Namen »Pseudobranchia« bezeichnet, sei nur nebenbei erwähnt. »The prineipal arterial vessels of the lung are on the dorsal side of the organ, running along, and very close to, each side of the aorta; that of the right side is much stronger than the left, and can be injected from the arteria coeliaca.« Man wird sehen, dass ! Dass Peripatus zu der großen Abtheilung der Arthropoden, die von Myria- poden, Arachniden und Insekten gebildet wird, gehört, zeigt sich vielleicht am schönsten darin, dass er mit Tracheen versehen ist; dass einige Arthropoden der genannten Abtheilung nicht (mehr) Tracheen haben, wird wohl kaum Jemand gegen den Werth jenes Charakters einwenden. 2 Merkwürdig ist die Verlaufsweise der linken Lungenarterie bei Ceratodus. Wenn man aber in Betracht zieht, dass die Lungenarterien zugleich mit den Arterien des Ösophagus in Verbindung stehen, wird auch dies begreifbar. 3 Deser. of Ceratodus, a genus of Ganoid Fishes. Philos. Trans. for, 1871. 350 J. E. V. Boas das eine von diesen Gefäßen meiner rechten Lungenarterie entspricht: das andere habe ich trotz vielen Nachsuchens nicht finden können, ohne dass ich jedoch ganz in Abrede stellen darf, dass vielleicht ein dünnes mit dem rechten Lungenarterienstamm kommunicirendes Ge- fäß an den angegebenen Ort laufen könnte. Eine Kommunication zwischen der rechten Lungenarterie und der Coeliaca habe ich auch nicht gefunden. Unrichtig ist es jedenfalls die genannten Gefäße als »the prineipal arterial vessels of the lung« zu bezeichnen. Es kann vielleicht gut sein hier zu betonen, dass ich den Ursprung der ge- nannten Arterie so wie auch den der anderen Lungenarterie ganz. ~ sicher festgestellt habe. »On the median line of the ventral side of the lung, opposite to the dorsal arteries, are two vessels, of the arterial nature of which. I could not satisfactorily convince myself ..... After their union near the anterior end of the lung. the single vessel turns off towards the right side of the oesophagus, which it then crosses from the right towards the left, at a short distance above the glottis. Arrived on the left side, it descends again, as far as the basal portion of the first rib, and splits up into three very small branches !, which I could not follow further.« Mai wird in dieser Beschreibung die linke Lun- genarterie mit ihrem nach rechts abgehenden Ast wiedererkennen; es ist aber GÜNTHER nicht gelungen sie bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen. In welcher Weise die zwei Aste sich verbinden, hat GÜNTHER auch nicht gesehen; die Einmündungsstelle ist zu weit nach vorn gelegt und das letzte Stück des rechten Astes vor der Ein- mündung ist punktirt gezeichnet; doch dies ist ja nebensächlich. Merkwürdiger ist es, dass GÜNTHER den Ursprung der Lungenarterien ganz übersehen konnte. Die Lungenvenen sind richtig beschrieben. Uber die Kiemengefäße ete. von Protopterus hat auch OwEN (l. s. e.) einige Angaben gegeben, die von den PETERS’'schen sehr abweichen. Die bisher über die Kiemengefäße von Lepidosiren para- doxa gemachten Angaben sind zu wenig genügend, jedenfalls von den Verhältnissen bei Protopterus zu stark abweichend, als dass ich eine Interpretation wagen dürfte.) 1 Eine »very singular termination«. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 351 3. Schlussbemerkungen. Die Untersuchungen, die ich im Vorhergehenden dargestellt habe, werden, glaube ich, zugleich einen kleinen Beitrag zu der Feststel- lung der verwandtschaftlichen Beziehungen von Ceratodus (und Pro- topterus) abgeben. Meine Erwägungen haben zu dem Resultat geführt, dass Cera- todus — und mit ihm Protopterus und Lepidosiren — den Knochen- ganoiden am: nächsten steht; dass er aber andererseits in mehreren Stücken sich als eine primitivere Form zeigt, dass er endlich gewisse Beziehungen zu den Amphibien darbietet: sein »Stammbaum« — das heißt das Stück davon, das die genannten Beziehungen ausdrückt — wird wohl ungefähr so aussehen '!: yg rani Protopterus. in I Ceratodus. A Knochenganoiden. |“ a A. a 7 RA Das Verhältnis zu den Amphibien werden wir in einer späteren Abhandlung betrachten: hier nur über seine Beziehungen zu den Knochenganoiden. Die Weise, in welcher das Atrium bei Ceratodus sich mit dem Conus verbindet, bietet einen Vergleichspunkt mit den Knochen- ganoiden; ein anderer, noch wichtigerer ist der Befund der Klappen des Conus, die sowohl was ihre Zahl, ihre Form (namentlich die der »Spiralfalte«), die Weise, in welcher sie sich mit einander verbinden. betrifft, die engsten Beziehungen zu den Knochenganoiden (Lepi- dosteus, Polypterus) darbietet. Ein dritter Punkt, in welchem die Verwandtschaft sich ausprägt, ! Der relativen Länge der Linien ist natürlich keine große Bedeutung bei- zumessen; die Linie von »z« bis » Protopterus« ist z. B. zu lang. 352 J. E. V. Boas ist die vollkommen übereinstimmende Weise, in welcher die Lungen- arterien bei Ceratodus so wie bei Amia und Polypterus entspringen. Vielleicht wird Jemand gegen diesen »Charakter« — vielleicht auch gegen die vorigen — einwenden, dass sie einen kleinen oder gar keinen Werth besitzen, weil sie einem Organsystem entnommen seien, das so sehr wandelbar ist. Wenn es nun auch wahr sein könnte, dass das Gefäßsystem ein sehr plastisches ist, was beweist es dann im jetzigen Fall? Ich glaube, das Gegentheil. Wenn im genannten Ver- halten der Lungenarterien — um uns nur zu diesem Punkte zu hal- ten — eine Verwandtschaft sich nicht zeigt, müssen wir annehmen, dass zweimal — wenigstens — die Gefäße der Lunge dieselbe Verbindung eingegangen sind; dies ist eine nothwendige Folgerung. Aber eben in einem sehr plastischen Organsystem, wo der Mittel und Möglich- keiten so viele sind, ist solches höchst unwahrscheinlich. In einem Organsystem wie z. B. im Knochenapparat, wo das Operationsfeld, wenn auch grof genug, doch innerhalb gewisser Grenzen liegt, kann ich leicht verstehen, dass die Natur durch verschiedene Wege zu einem ähnlichen Endziel! kommen kann; hier ist mir solches weit schwieriger. Ich glaube desshalb sowohl in diesem Charakter, so wie in den zwei vorigen ein Kennzeichen verwandtschaftlicher Beziehungen sehen zu diirfen. Die Kiemen bei Ceratodus, die namentlich mit denen von Lepido- steus, sowohl was die Zahl als was den Bau betrifft, im Ganzen innig übereinstimmen (vergl. oben), bieten mir einen ferneren Vergleichungs- punkt. Übrigens ist hier ein Punkt, wo Ceratodus zugleich über die Knochenganoiden zurück weist 2? — gegen die Selachier zu — nämlich in der starken Entwicklung der kiementragenden Platte, die vom Hinter- (Außen-) Rande der Kiemenbogen entspringt (homolog der Scheide- ' Es wird vielleicht nützlich sein, dies in einem Beispiel zu betrachten. Bekanntlich ist das Palato-Quadratum bei Ceratodus mit dem Schädel ver- wachsen, und Ähnliches ist bei Chimaera der Fall. Es liegt nun nahe, hierin eine verwandtschaftliche Beziehung zu sehen, die zwei Befunde von einander abzu- leiten; eine Betrachtung, die ich in einer später erscheinenden Abhandlung »Über Conus ete. d. Amph.«) ausgeführt habe, scheint aber zu zeigen, dass sol- ches nicht richtig ist, dass wir vielmehr hier nur mit Analogien, zu thun haben. Ähnliches wird für verschiedene opisthocoele Wirbel gelten, ete. Ich hebe dies ‚ natürlich nicht hervor, um etwa den Werth dieses überreichen Organsystems für die Erkenntnis verwandtschaftlicher Beziehungen abzuschwächen; ich bin viel- mehr von ihrer großen Bedeutung in jener Richtung, die sicher im Ganzen weit größer ist als die des Gefäßsystems, tief überzeugt. ? Eben so wie gewisse Verhältnisse des Skeletts. Uber Herz und Arterienbogen bei Ceratodus und Protopterus. 353 wand der Kiementaschen bei den Selachiern). — Dass die Arterie der Opercularkieme bei Protopterus auch nicht ohne Bedeutung fiir unsere Betrachtung ist, liegt auf der Hand. Von den im Vorhergehenden erwähnten Punkten werden wir noch auf die Verhältnisse der Lunge hinweisen, die bei Lepidosteus und Ceratodus ein so übereinstimmendes Verhalten zeigt, dass man un- möglich glauben kann, dass wir hier bloß analog entwickelten Organen gegenüberstehen, vielmehr annehmen muss, dass sich auch hier eine Verwandtschaft — und zwar in eklatantester Weise — kund- giebt. Von Punkten, die ich nicht selbst untersucht habe, verweise ich namentlich auf die Verhältnisse des Urogenitalsystems!, des Schä- dels?, wo auch die enge Verwandtschaft — trotz aller Verschie- denheit — mit den Knochenganoiden sich deutlich genug ausspricht. Über das Verhältnis der in dieser Abhandlung beschriebenen Lungen zu einander und zu denen der Amphibien werde ich in der schon erwähnten, später erscheinenden Abhandlung über den Conus und die Arterienbogen bei den Amphibien einige Bemerkungen machen. Heidelberg, December 1879. Erklärung der Abbildungen. rn Tafel XITI—XV. Fig. 1. Medianschnitt durch das Herz von Lepidosteus platystomus, etwas schematisirt. sv Sinus venosus, at Atrium, atv Atrioventricularklappe, ve Ventrikel, co Conus, ¢ Truncus arteriosus. Fig. 2. Medianschnitt durch ein schlaffes Herz von Ceratodus, leicht sche- matisirt. Vergl. die folgende Figur. Fig. 3. Medianschnitt durch ein zusammengezogenes Herz von Ceratodus, leicht schematisirt. Eben so wie in der vorigen Figur ist nur das hin- tere Stiick des Conus gezeichnet. 15, 16 zwei Klappen der Spiralfalte, w der fibröse Wall, sv» die größere Abtheilung des Sinus venosus, sep Pulmonalis-Abtheilung desselben. Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 1. Fig. 4. Querschnitt des Sinus venosus von Ceratodus kurz vor seiner Ein- mündung ins Atrium, Schema. Buchstaben wie in Fig. 3. 1 Siehe GÜNTHER’s mehrfach eitirte Monographie. 2 Dieselbe Monographie und: HuxLey, On Ceratodus Forsteri (Proced. Zool. Soc. London 1876). Morpholog. Jahrbuch. 6. 23 354 J.E. V. Boas, Uber Herz u. Arterienbogen bei Ceratodus u. Protopterus. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. = 10. It: 12. 13. 14. 15. 16. 1 18. 19, Ein entsprechender Querschnitt von Protopterus. Herz von Ceratodus von unten gesehen; das Atrium etwas zusam- mengefallen. 1a—4a die vier Kiemenarterien, at Atrium, ve Ventrikel. Conus von Protopterus. Buchstaben wie in der vorigen Figur. Vorderster Theil des Conus von Protopterus von unten gesehen; ein Theil der ventralen Wand ist weggenommen. Schematisch. 1 primäre Longitudinalfalte, 4 sekundäre do. (aus den Klappen 4', 4 in Fig. 9 entstanden). Ja—4a Kiemenarterien. Vorderster Theil des Conus von Ceratodus aufgeschnitten und aus- gebreitet. 7'—13 Klappen der Longitudinalfalte. Hinterster Theil desselben eben so. 13, 18 dritte (nur der hinterste Theil derselben) und achte Klappe der Longitudinalfalte. Diese Figur schließt sich an die vorhergehende; die zwei Partien des Conus konnten aber wegen der Unmöglichkeit den Conus in einem Plan auszubreiten nicht in derselben Figur gegeben werden. Schnitt durch den Ursprung der Kiemenarterien, V ventral, D dorsal; die etwas später stattfindende Spaltung der dorsalen Gefäße in die dritte und vierte Kiemenarterie ist einerseits durch punktirte Linien angedeutet. Hinterster Theil des Conus von Protopterus aufgeschnitten und ausgebreitet; 14,18, vierte und achte Klappe der Spiralfalte (vergl. Fig. 10). Herz, Conus, Truncus, Kiemenarterien von Polypterus. Oa Oper- cular-Arterie, 1a—4a erste—vierte Kiemenarterie. Kiemenvenen und deren Vereinigungsweise von Polypterus; die Kiemenvenen der rechten Seite sind gewaltsam ausgebreitet; ihre ven- tralen Enden finden sich links in der Figur. iv—4v erste — vierte Kiemenvene, «— das letzte verdünnte Stück derselben nach dem Ab- gang der Pulmonalarterie, p, p’; ao Aorta, cı Carotis interna, s,s’ rechte und linke Subelavia, coe Arteria coeliaca. Conus, Truncus, Kiemenarterien von Lepidosteus platystomus. Oa Arterie der Opercularkieme; die übrigen Buchstaben wie in Fig. 13. Herz etc. von Amia. Zusammentreten der Kiemenvenen etc. bei Amia. Buchstaben wie in Fig. 14. Die Subelavien sind merkwürdig weit nach vorn gerückt. Dasselbe von Lepidosteus. Zusammentreten der Kiemenvenen, Anfang der Lungenarterien etc. von Ceratodus. oe Ast von der linken Lungenarterie zum Ösopha- gus, aw Aortenwurzel; die übrigen Buchstaben wie in Fig. 14. Die tieferen, dorsalen Partien sind dunkler gehalten. Alle Figuren, mit Ausnahme von Fig. 2, habe ich selbst gezeichnet. Die- jenigen die nicht als schematisirt bezeichnet sind, sind mit Beihilfe des Prisma gezeichnet. fie Ber Pe we _. = = Wilh. Engelmann Lapziz Lith Anst.r. Werner & Winter, Frankfurt? » ’ u | N t ' » \ ht. | | ’ | | of 4 4 0 7 a a 0 | rä od a \ ] ; ~~ ot Bau } With. Engelmann, Leipzig ith, Ansty Werner & Winter, Frankfort With Engelmann, Leipzig Lith Ans. v. Werner & Winter, Frankfurt « Notizen über Korallen. Von G. vy. Koch. Mit Tafel XVI. Seit einer Reihe von Jahren mit der anatomischen Untersuchung von Anthozoen aller Ordnungen beschiftigt, hat sich bei mir eine ziemliche Anzahl von Notizen und Abbildungen über diese Thier- klasse angesammelt, ohne dass diese jedoch bis jetzt nur entfernt zu einer einigermaßen vollständigen Darstellung der Anatomie der- selben ausreichen. Von diesen, zum Theil schon ziemlich alten, Auf- zeichnungen gebe ich hier einige, welche die neuesten Arbeiten von Haacke!, HEIDER? und Hertwic® über die Anatomie der Korallen theilweise ergänzen, so dass ihre Veröffentlichung jetzt schon von einigem Interesse sein kann. | I. Über Cereanthus. Die Untersuchungen des anatomischen Baues von Cereanthus durch HeipEer und Hertwie (s. dort) kann ich durch folgende Notiz ergänzen: Beobachtet man den Tentakelkranz eines vollständig ausge- streckten Cereanthus membranaceus genau von oben, so bemerkt man leicht mit bloßem Auge, noch besser aber mit der Lupe eine 1 Zur Blastologie der Korallen. Eine morphologische Studie von Dr. W. HAACKE. Jenaer Zeitschr. f. Naturw. 187%. Dazu zwei vorläufige Mittheilungen im Zool. Anzeiger von demselben Jahr. ? Cereanthus membranaceus Haime. Ein Beitrag zur Anatomie der Actinien von A. v. HEIDER. Sitzber. d. k. Akad. d. Wissensch. Bd. 79. 1879. 3 Die Actinien anatomisch und histiologisch mit besonderer Berücksichtigung des Nervensystems untersucht von Dr. OSKAR HERTWIG und Dr. RICHARD HERT- WIG, Professoren an der Universität Jena. Jena 1879. 23* 356 G. v. Koch Anzahl spaltformiger Öffnungen in jedem großen (äußeren) Tentakel. Dieselben verschwinden in der Regel nach einiger Zeit gleichzeitig um später wieder deutlich zu werden und ziemlich energischen Was- serstrémchen Durchgang nach außen zu gestatten. Am deutlich- sten kann man diesen Vorgang konstatiren an einer bei Messina, resp. > am Faro sehr häufig vorkommenden Varietät von Cereanthus mem- branaceus, deren Tentakel auf gelbbräunlichem Grunde dunkelbraun geringelt sind. Bei diesen befindet sich auf der Innenseite jedes Randtentakels immer in der Mitte zwischen zwei dunklen Ringen ein längselliptischer, glänzend hellgrüner Fleck, in dessen Längsachse, also der Hauptachse des Tentakel parallel je eine der eben beschrie- benen Spalten in Gestalt eines dunklen Strichs auftritt (s. Fig. 9). Um sicher zu sein, dass diese Spalten wirklich konstante Öff- nungen der Tentakel darstellen, wurden Querschnitte durch dieselben gelegt. In Fig. 10 ist die Hälfte eines solchen, der ungefähr durch die Mitte einer solehen Spalte geht, abgebildet und dieselbe zeigt deutlich, wie nach dem Rand der Öffnung zu Stützsubstanz, Muskel- und Nervenschicht an Dieke abnehmen und endlich aufhören, und wie das Ektoderm mit dem Entoderm zusammenstößt. Fig. 11 giebt einen zweiten Schnitt wieder, welcher etwas über dem Ende einer Spalte durch einen Tentakel angefertigt wurde. Er zeigt das Ver- laufen der Spalte in eine Furche, die besonders im Ektoderm deut- lich markirt ist, unter der aber auch die 3 eben genannten Ge- websschichten viel schmäler erscheinen, als am übrigen Theil des Umfangs. Über den Ort des Auftretens neuer Scheidewände (Mesenterial- falten, parietes) bei Cereanthus stellen R. und O. HERTWIG (a. a. O. pag. 133) die zwei Möglichkeiten auf, dass: einmal die neuen Scheide- wände zwischen den schon vorhandenen älteren auftreten, oder zwei- tens, dass sie sich nur an der Stelle, welche dem »Richtungsfach« gegen- über liegt, entwickeln. Für die letzte Auffassung spricht das Größen- verhältnis der Randtentakel einer jungen Cereanthide (Cereanthus oder Saccanthus), welche ich früher nach einem Exemplar der Jenaer zoologischen Sammlung gezeichnet und in Fig. 12 wieder abgebildet habe. (Wenn ich nicht irre, wurde es von Herrn Professor HAECKEL bei Lanzerote erbeutet.) Auch meine Beobachtungen an jüngeren Entwicklungsstadien von Cereanthus membranaceus, welche ich ge- legentlich in Messina und Neapel anstellte scheinen die zweite An- nahme zu stützen. | Notizen iiber Korallen. 357 II. Über die Scheidewände und Sternleisten. Die Zahl der Scheidewände, besonders aber ihre Stellung zu einander und zu den Sternleisten und dann die Reihenfolge ihrer Entstehung erschien seit EHRENBERG und MıLnE Epwarps Unter- suchungen den meisten Zoologen, welche sich mit dem Bau und der Systematik von Anthozoen befassten, von so großer Wichtigkeit, dass sie die Haupteintheilung der ganzen Klasse auf diese Verhältnisse begründeten. Trotzdem liegen ausreichende Untersuchungen über diesen Gegenstand nur bei folgenden Gruppen vor: 1) über Aleyo- narien (Oktokorallen) von RÖTTECKEN! und KÖLLIKER?, welche neuerdings vielfach bestätigt wurden. Sie ergaben, dass bei dieser Ordnung stets 8 Scheidewände vorhanden sind von denen die zwei des sogenannten Dorsalfachs die Muskelwülste (»Fahnen« nach RÖT- TECKEN und KÖLLIKER) von einander abkehren, und die übrigen 3 jeder Hälfte den vorigen je gleich gerichtet sind, so dass also die beiden Scheidewände, welche das »Ventralfach« bilden, die Muskel- wülste einander zuwenden. — 2) Uber Cereanthus die Unter- suchungen von Hamer? und neuerdings von HEIDER (s. dort), welche auch O. und R. Hertwie bestätigen. Hier sind die Radialfalten sehr zahlreich, alle mit dem Schlundrohr verbunden und ohne deutlich entwickelte Muskelwülste; zwei, mit der größeren Mundwinkelfurche korrespondirende sind klein und schließen das »Ventralfach« ein. Letzterem zur Seite steht je eine lange Scheidewand, welche bis zum Analporus reicht und diesen folgt dann auf jeder Seite eine große Anzahl kürzerer, die nach HEıDEr abwechselnd Geschlechtsprodukte oder mehr entwickelte Filamente besitzen. — 3) Über Edwardsien von O. und R. Herrwıg. Nach diesen Autoren sind die Muskelwiilste an den, stets in der Achtzahl vorhandenen Scheidewänden so ange- ordnet, wie bei den Aleyonarien, mit Ausnahme der beiden ventra- len, an denen sie abgewandt sind, wie bei denen des Dorsalfachs. — 4) Über Actinien hauptsächlich die Untersuchungen von RÖTTECKEN, welche von HEIDER* übersehen, von HAAckE bezweifelt, von O. und 1 SCHNEIDER und RÖTTECKEN, Uber den Bau der Actinien und Korallen. 1871. 2 Icones Histiologicae von A. KÖLLIKER. II. Abtheilung 1865, und Ana- tomisch-systemat. Beschreibung der Aleyonarien. Abh. d. SENCKENBERG. naturf. Gesellsch. Bd. VII u. VIII. 1872. 3 Memoire sur le Cerianthe p. J. HaımE. Ann. d. sc. 4. série. t. 1. 1854. 4 Sagartia troglodytes Gosse. Ein Beitrag zur Anatomie der Actinien. Sitzungsber. d. k. k. Akad. in Wien 1877. 358 G. v. Koch R. HERTwIG aber für mehrere Arten, denen ich noch andere bei- fügen könnte, bestätigt wurden. Bei dieser Gruppe sind die Scheide- wände immer zu Paaren vereinigt, in welchen die Muskelwiilste ein- ander zugewendet sind, nur ein dorsales und ein ventrales Paar, die den beiden Mundwinkeln entsprechen, besitzt abgewendete Muskel- wülste. Die Zahl der Scheidewandpaare beträgt 6, 12 oder mehr, die neuen Paare entstehen immer zwischen zwei älteren. 5) Über Anti- pathiden die Untersuchungen von Lacaze DUTHIERS! und G. v. Kocu?, aus welchen hervorgeht, dass in dieser Gruppe zum Theil sehr bedeutende Reduktionen von Scheidewänden stattgefunden haben, welche vorläufig eine Konstruktion der ursprünglichen Anordnung nicht gestatten. | Über Arten aus anderen Gruppen sind meines Wissens genauere Untersuchungen noch nicht veröffentlicht und gebe ich desshalb hier eine kurze Schilderung der betreffenden Verhältnisse bei einer apo- rosen Koralle, einer Madreporide und einer Zoanthine. 1) Caryophyllia cyathus Ellis (Fig. 7). Diese Koralle stimmt hinsichtlich der Anordnung der Scheide- wände vollständig mit den Actinien überein und besonders ist zu betonen, dass wie dort an den Scheidewänden des »dorsalen« und »ventralen« Fachs die Muskelwülste einander abgekehrt sind (s. d. Fig.). Die Sternleisten (Septen) sind so angeordnet, dass die älteren innerhalb der Fächer, die jüngeren zwischen je zwei Scheidewand- paaren zu stehen kommen. Häufig ist das ventrale Septum von dem dorsalen in der Größe verschieden. Dasselbe gilt auch für stock- bildende Formen von Aporosen, z. B. für Stylophora. 2) Madrepora variabilis Klz. (s. Fig. 8). Auch diese Form, von welcher ich reiches Material der Güte Prof. HAECKEL’s verdanke, stimmt in allen hier maßgebenden Punk- ten mit der eben beschriebenen Caryophyllia überein. Bei den End- kelchen sind 6 Paar Scheidewände, innerhalb derselben 6 größere und zwischen ihnen 6 kleinere Sternleisten vorhanden. Bei den Seitenkelchen (s. Fig.) ist die Zahl der Scheidewände die gleiche, aber die Zahl der Septen beträgt in der Regel nur 6 und diese stehen ‚wie bei den vorigen die größeren) innerhalb der Fächer. Dorsal- ! Memoire sur les Antipathaires. Ann. d. se. nat. 1864 u. 65. ? Zur Phylogenie der Antipatharien. Morph. Jahrb. 1878. Suppl. Notizen iiber Korallen. 359 und Ventralfach entspricht den schon von Anderen beschriebenen 2 größeren Tentakeln und 2 größeren, oft mit einander verschmel- zenden Septen, die in einer Ebene liegen, welche durch die Haupt- achse des Astes, dem der untersuchte Polyp zugehört, gelegt wird. 3) Zoanthus (Palythoa) Axinellae (Fig. 1—6). Der gröbere Bau dieser Art ist sehr leicht zu demonstriren. Zer- legt man ein in Alkohol gehärtetes Exemplar mit der Schere in Quersehnitte von ca. 1mm Dicke und lässt diese in Wasser auf- weichen, so kann man durch Betrachten derselben von beiden Seiten mit der Lupe die Scheidewände, Filamente u. s. w. in ihrer Anord- nung ohne Schwierigkeit übersehen. Das Studium des feineren Baues, von dem hier besonders die Muskelfasern von Interesse sind, bietet dagegen, wegen der harten Fremdkörper in der Leibeswand, einige Schwierigkeiten, welche sich aber durch Anwendung der Schliff- methode leicht überwinden lassen. Als Resultat der Untersuchung ergiebt sich Folgendes: Das Schlundrohr besitzt einen ovalen Querschnitt und zeigt eine tiefe »ventrale« Furche, die in der Längsachse des Schlundrohrquer- schnitts liegt. Letztere theilt den Polypen in zwei symmetrische Hälften. Scheidewände (s. Fig. 1 u. 5) sind normal! 32 vorhanden, von denen 18 Filamente tragen und ihrer ganzen Länge nach mit dem Schlundrohr verwachsen sind, während die übrigen 14 nur an den oberen Theil des Schlundrohrs sich befestigen und weiter unten einen freien unverdickten Rand besitzen. Bezeichnet man die Filament- scheidewände jeder Hälfte, von den dorsalen anfangend mit den Zahlen 1—9 (s. Fig. 1), so ergiebt sich für die kleinen Scheide- wände folgende Vertheilung: zwei stehen zwischen 1 u. 1, eine zwi- schen 1 u. 2, zwischen 2 u. 3 keine, dann wieder je eine zwischen 3 u. 4, 5 u. 6, 6 u. 7, 7 u. 8, während dieselben zwischen 8 u. 9 und 9 u. 9 fehlen. Dabei erscheinen alle Scheidewände, besonders ! Ich finde wenigstens diese Anzahl bei allen Schliffen und bei mehreren Spiritusexemplaren von verschiedener Größe (allerdings alle demselben Busch angehörend), welche ich eben durchmustere. Meine Fig. 3 u. 4 zeigt dagegen nur 16 große und 12 kleinere Scheidewände, aber in gleicher Vertheilung wie Fig. 1 u. 5. Es kann nun sein, dass dieses Exemplar eine Ausnahme von den übrigen macht, oder dass ein Irrthum beim Zeichnen sich eingeschlichen hat. Ein solcher ist wohl der Natur der Sache nach verzeihlich. Übrigens liegt es mir fern die Konstanz der Zahl der Scheidewände für die beschriebene Art zu behaupten, noch weniger aber das gewonnene Resultat auch auf die übrigen Zoanthinen auszudehnen. 360 G. v. Koch, Notizen über Korallen. deutlich auf Querschnitten durch den oberen Theil des Schlundes (s. Fig. 4 u. 5) durch Zusammenrücken zu Paaren vereinigt, deren Anordnung durch folgendes Schema (die kleineren Scheidewände durch 0 bezeichnet) dargestellt ist: Paare s. Fig.1u. 5: 1, 17-200 WV V SE VE We 0—1 0—2 3—0 40 5—0 6—0 7—0 8—9. Die Muskulatur der Scheidewände ist in verschiedener Höhe ver- schieden ausgebildet, an Schliffen und Schnitten durch den einge- stülpten Theil des Polypen, also da, wo die Muskeln am kräftigsten ausgebildet erscheinen, zeigen sie auf dem Querschnitt einer Scheide- wand folgende Vertheilung (s. Fig. 6): Zunächst dem Ansatz an der Leibeswand liegen senkrecht verlaufende, einer ebenen Fläche auf- liegende, ziemlich starke Fasern M,, welche ungefähr drei Viertheile der Seite, welche ich Wulstseite nennen will, einnehmen, während sie sich nur über etwa ein Viertheil der ganzen Breite der anderen Seite erstrecken und an den übrigen drei Viertheilen durch dünne Fasern m, welche auf vorspringenden Leisten der Stützsubstanz lie- gen, ersetzt werden. Auf der Wulstseite befindet sich, mehr nach dem Schlund zu gerückt, ein massiger Streifen von mehrfach über einander liegenden, etwas schräg verlaufenden, sehr dieken Fasern My, welche ich zusammen als Muskelwulst bezeichne, ohne jedoch die Homologie desselben mit den Muskelwülsten (Fahnen) der Acti- nien und Aleyonarien bestimmt aussprechen zu wollen. Die Muskel- wiilste sind an den Scheidewänden der einzelnen Paare so orientirt, dass sie immer einander abgekehrt sind, nur im Paar I u. VII liegen sie auf denselben Seiten (s. Fig. 5). Würde man desshalb die ein- zelnen Scheidewände in etwas anderer Weise zu Paaren vereinigen, nach dem Schema: 0-0 120 2-3 0-4 0-5 0-8 0-7 0-8 99 so würde die Anordnung der Muskelwülste ganz mit der bei den Actinien beobachteten übereinstimmen, indem in allen Fächern die Muskelwülste sich einander zukehrten, und nur im Dorsal- und Ven- tralfach von einander abwenden. - Darmstadt, 1880. 1 Trotzdem diese zweite Art der Zusammenordnung auf den ersten Blick als die allein richtige erscheint, möchte ich doch für eine definitive Entschei- dung noch die Anatomie anderer Zoanthinen und besonders auch deren Ent- wicklungsgeschichte kennen, welche letztere wahrscheinlich für die vorliegende Frage wichtige Aufschlüsse bietet. Gv.Ko ch fec. Wilh. Engelmann, Leipzig Erklärung der Abbildungen. mnannann Tafel XVI. In allen Figuren bedeutet: e Ektoderm, f Filament, g granulirte (Nerven-) Schicht, A Zwischensubstanz, % verkalkte Zwischensubstanz, m Muskel, n Ento- derm, o Öffnung, s Schlund, ¢ Tentakel. Fig. 1—6. Zoanthus Axinellae. Fig. 1. Ein Exemplar, dessen basaler Theil weggeschnitten ist, von unten gesehen. Die Leibeswand, die Scheide- wände und der untere Theil der Filamente durchschnitten, der obere, gerade Abschnitt der Filamente und das Schlundende in der Ansicht von oben gezeichnet. Vergrößerung 10 fach. — Fig. 2. Ansicht der ventralen Schlundfalte, etwas aus einander gezogen. Vergrößerung 15fach. — Fig. 3. Ein Exemplar, dessen untere Hälfte durch einen Schnitt, der etwa in die Mitte des Schlundes fällt, abgetragen ist, von unten ge- sehen. Vergrößerung I0fach. — Fig. 4. Ein Exemplar, dessen obere Hälfte ein wenig höher als bei Fig. 3 abgetragen ist, von oben ge- sehen, an einigen Stellen sind Reste der zurückgekrümmten Tentakel zu sehen, der Verlauf der großen Scheidewände ist durch punktirte Linien angedeutet. Vergrößerung 10fach. — Fig. 5. Querschliff unge- fähr in der Höhe wie Fig. 4, zeigt unter Anderem die Vertheilung der Muskelwülste. Vergrößerung 15fach. — Fig. 6. Einzelne Scheidewand des Fig. 5 abgebildeten Schliffes 300fach vergrößert, um die Verthei- lung der verschiedenen Formen von Muskelfasern deutlicher zu zeigen. Querschliff von einer jungen Caryophyllia eyathus, welcher die Anord- nung der Muskelwülste erkennen lässt. Fig. 8. Querschliff eines Seitenkelches von Madrepora variabilis Klunz., eben- falls zur Demonstration der Muskelanordnung und des Verhältnisses der Scheidewände zu den Sternleisten. Fig. 9—11. Cereanthus membranaceus H. — Fig. 9. Ein Randtentakel in natür- licher Größe von der Innenseite gesehen, mit den Spalten o. — Fig. 10. Querschnitt eines solchen Tentakels durch die Mitte einer Spalte 50fach vergrößert. — Fig. 11. Ähnlicher Querschnitt am Ende einer Spalte in gleicher Vergrößerung gezeichnet. Fig. 12. Eine junge Cereanthide 2fach vergrößert. = ag -1 Untersuchungen über Entwicklungsvorgänge am Brustbeine und an der Sternoclavicularverbindung des Menschen. Von Georg Ruge. Mit Tafel XVII—XIX. Das Brustbein der Säugethiere und namentlich dasjenige des Menschen ist in seinen mannigfaltigen Zuständen seit langer Zeit untersucht. Für eine Anzahl der aufgefundenen Thatsachen fehlt aber bis jetzt noch, wie ich glaube, eine befriedigende Erklärung. Dieses rührt daher, dass weder das ontogenetische Verhalten der einzelnen Sternalabschnitte hinreichend aufgeklärt worden ist, noch mancher einzelne Thatbestand an den ausgebildeten Zuständen bis- her die rechte Würdigung fand. Die in Folge dessen noch bestehen- den Lücken sind von ganz verschiedener Art, so dass sie durch die folgenden Untersuchungen nur nach einer Richtung hin ausgefüllt werden können. Zum Ausgangspunkte der Untersuchungen diente fast ausschließlich das menschliche Brustbein, für dessen Wahl ich mich desshalb entschloss, weil die Kenntnis der Entwicklungsvor- gänge gerade am menschlichen Brustbeine für die Beurtheilung man- cher Erscheinungen an diesem Skelettheile bei den Säugethieren über- haupt viele günstige Anhaltspunkte darbietet. So lässt das menschliche Brustbein durch das Fortbestehen der Sternoclavicularverbindung, die bei manchen Säugethieren verschwunden ist, manche Frage behandeln, welche bei jenen aus dem Bereiche der Prüfung gerückt sind. Um noch eines anderen Momentes zu erwähnen, so durfte man bei dem Hinweise auf die vielfachen Reductionserscheinungen, welche am distalen Ab- schnitte des menschlichen Sternum vielleicht deutlicher als irgendwo zur Schau treten, einen Aufschluss über die Bedeutung der distalen Untersuch. üb. Entwicklungsvorgänge am Brustbeine etc. des Menschen. 363 Anhangsgebilde des Sternum erwarten. Durch die Beziehungen aber, welche die beim Menschen gewonnenen Resultate zu den Verhält- nissen bei anderen Wirbelthieren darboten, hat sich gleichzeitig auch Einiges über den Werth der bestehenden Angaben feststellen lassen. Was letzteren Punkt betrifft, so gehe ich hier auf zwei Ansichten über die Genese des Brustbeines ein, welche, trotzdem sie dem gan- zen Wesen nach verschieden zu einander sich verhalten, beide bis in die neueste Zeit Geltung behalten haben. Aber da, wo auf diese Weise Gegensätze in unsere Anschauungen über die Entstehung eines Organsystemes sich einschleichen, werden sich nothwendig irgend wo Irrthiimer nachweisen lassen. Wie es sich mit den Ansichten über die Genese des Brustbeines verhält, mögen die folgenden Zeilen darthun. Die eine der beiden Auffassungen finde ich durch RATHRE, die andere durch Bruc# vertreten. Beobachtungen, welche RaATHKE! am Hühnchen angestellt hat, führten zu dem Ergebnisse, dass das Brustbein anfänglich aus zwei von einander völlig getrennten Seitenhälften bestehe, welche in ihrer ganzen Ausdehnung von einander entfernt liegen, aber nicht gleich- mäßig weit, indem ihre vorderen Enden in näherer Beziehung zu einander stehen, als die hinteren. Während am achten Bebrütungs- tage die Seitenhälften des Brustbeines hinten noch weit von einander entfernt sich befanden, so waren sie vorn bereits in gegenseitiger Berührung; am 10. Tage erschienen sie der ganzen Länge nach ver- wachsen. Als Spuren ihrer früheren Lage bestanden nur noch schmale und wenig tiefe, nach der ganzen Länge des Brustbeines verlaufende Furchen. Auf Grund anderer Beobachtungen konnte dann RATHKE wie für die Vögel so auch für die Säugethiere (Schwein) einen im Wesentlichen gleichen Entwicklungsmodus des Brustbeines nachwei- sen, da auch bei ihnen das Brustbein, welches gleichfalls wie bei den Vögeln später als die Rippen seine Entstehung nimmt, aus zwei seit- lichen Hälften sich bildet. Es stehen diese Anfangs weit von ein- ander, rücken später aber allmälig näher, kommen darauf zur gegenseitigen Berührung und verschmelzen schließlich mit einander 's. 8. 365). Im Jahre 1854 dehnte RATHKE? seine Untersuchungen auf die Zustände bei den Reptilien aus und bestätigte auch hier seine alten, ! Zur Entwicklungsgeschichte der Thiere, eine Bemerkung. MÜLLER's Archiv. Jahrg. 1838. pag. 361. 2 Uber den Bau und die Entwicklung der Saurier. Ein Programm, durch 364 Georg Ruge über die Genese des Brustbeines gewonnenen Anschauungen. Ver- schieden weit entwiekelte Embryonen von Lacerta agilis und Kroko- dilen stellten das Material. Es heißt auf pag. 21: Das Brustbein besteht auch bei diesen Reptilien, wie nach früher gemachten Mittheilungen bei den Vögeln und Säugethieren, anfänglich aus zwei ziemlich geraden und an Gestalt und Größe einander glei- chen Streifen einer festen Zellenmasse, die in der vorderen Hälfte des Rumpfes divergirend von vorn nach hinten gehen, mehrere auf einander folgende Rippen je einer Seitenhälfte unten mit einander vereinigen, im Ganzen weit von einander entfernt liegen und durch einen Theil der unteren Vereinigungshaut mit einander verbunden werden. Allmälig rücken sie darauf einander näher und kommen nach einiger Zeit ganz vorn, dann nach und nach immer weiter nach hinten zu einer gegenseitigen Berührung. Und weiter heißt es (pag. 22): Wie die Seitenhälften des Brustbeines vorn zuerst zusammenge- troffen sind, verschmelzen sie auch mit einander von ihren vorderen Enden allmälig immer weiter nach hinten zu. Bezüglich dieses Vorgangs findet jedoch zwischen den genannten Reptilien und den höheren Wirbelthieren in so fern eine erhebliche Verschiedenheit statt, als bei den letzteren die Seitenhälften des Brustbeines ihrer ganzen Länge nach, bei den ersteren hingegen nicht der ganzen Länge nach verschmelzen. Hinten nämlich bleiben sie bei den genannten Rep- tilien auf einer mäßig langen Strecke getrennt, und diese ihre hin- teren Theile stellen nach vollendeter Ausbildung des Brustbeines die beiden Hörner desselben dar. Ganz ähnlich spricht sich RATHKE! auch später in seinen Unter- suchungen über die Entwicklung und den Körperbau der Krokodile aus, wo den Gegenstand seiner Forschung Alligator lucius, Alligator sclerops und Crocodilus acutus bilden. Wenn nun RATHKE einmal durch seine Untersuchungen bemüht war, den Nachweis dafür zu liefern, dass der Entwieklungsmodus des Brustbeines bei allen Classen der Wirbelthiere ein wesentlich gleichartiger sei, so hat dieser Forscher noch das Verdienst, bei den welches die am 1. November dieses Jahres stattfindende Eröffnung des neuen ana- tomischen Gebäudes der königlichen Albertus-Universität anzeigt Dr. Heinrich RATHKE. Königsberg 1853. 1 pag. 63. Braunschweig 1866. Herausgegeben von W. v. Wirrich. Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 365 Sauriern auf eine Reihe von Zuständen hingewiesen zu haben, welche die verschiedensten Entwicklungsstadien irgend eines höheren Wirbel- thieres zu veranschaulichen vermögen. So fand RATHKE! einen sehr niedrigen Zustand bei Aconthias Meleagris ausgebildet, bei welchem Thiere die zwei Seitenhälften des Brustbeines einander zwar sehr nahe liegen, aber das ganze Leben hindurch noch zu keiner gegenseitigen Vereinigung kommen. Die erste Berührung der Sternalleisten ist bei den Krokodilen an den proximalen Abschnitten angedeutet. Hier erscheint der Verwachsungs- process eingeleitet, er schreitet weiter fort, so dass uns das Brust- bein schließlich als »eine einfach geformte und undurchbrochene Platte bei den Sauriern der Gattungen Ophisaurus, Anguis und Pseudopus entgegentritt«?. Wenn dabei die Seitenhälften des Brustbeines in einer verhältnismäßig großen Ausdehnung auftreten, verwachsen dieselben nur selten ihrer ganzen Länge nach, wie man es z. B. bei Gongylus ocellatus wahrnehmen kann. Obgleich uns nun RATHKE durch seine vortrefflichen Unter- suchungen die Vermuthung nahe legt, dass die Brustbeinhälften aus den mit ihnen zusammenhängenden Rippen entstehen, so findet sich doch nirgends in den angeführten Aufsätzen eine bestimmte Angabe hierüber. Besteht mithin auch nirgends ein zwingender Grund, son- dern höchstens die Vermuthung, dass die Rippen als die Ausgangs- punkte der Bildung des Brustbeines nach RATHKE aufzufassen seien, so ist doch das Fehlen von gegentheiligen Thatsachen von Belang. Nur durch die Behauptung, dass die zwei Seitenhälften des Brust- beines bei Anguis fragilis fern von den Rippen sich bilden3 und durch den Umstand, dass Rarnke diese bei Blindschleichen angenommene Bildungsweise des Sternum mit derjenigen anderer Wirbelthiere nicht in Zusammenhang gebracht hat, stellt er uns die Annahme von zwei ganz differenten Entstehungsarten eines und desselben Skelettheiles frei. Da es nun aber sofort einleuchtet, dass ein gleichzeitiges Be- stehen von zwei verschiedenen Ansichten über die Genese des Brust- beines unwissenschaftlich ist und dass auf diese Weise die Berechti- gung der Homologisirung der Theile gänzlich aufgehoben wird, so dürfen wir wohl RArukE nicht im Ernste zumuthen, für jene sich widersprechenden Auffassungen eingetreten zu sein. Von Interesse ist ! Uber den Bau und die Entwicklung des Brustbeines der Saurier. 2]. ¢. pag: 25. 3 Uber den Bau und die Entwicklung ete. pag. 24. 366 Georg Ruge es aber immerhin, von diesem Forscher. bereits Thatsachen aufgefun- den zu wissen, welche zu zwei ganz heterogenen Deutungen Veran- lassung geben können, dass nämlich das Brustbein entweder als ein Abkömmling der mit ihm verbundenen Rippen aufzufassen sei, als solcher von letzteren zuweilen sich loslöse, oder aber dass das Brust- bein in loco entstehe, um, wie es ja in den meisten Fällen verbun- den erscheint, secundär mit den Rippen sich zu vereinigen. Für die erstere Art der Entstehung des Sternum traten PARKER !, GÖTTE?, KÖLLIKER 3, HOFFMANN und andere Forscher ein, und es konnte sogar nachgewiesen werden, dass die erste Anlage der Brustbeinhälften durch Anschwellen und späteres Verwachsen der medialen Rippen- enden zu Stande kommt. Auch ist es GÖTTE unter Anderem ge- lungen, die Raruxe’sche Behauptung betreffs der Genese des Brust- beines bei Anguis fragilis als irrig darzustellen, indem er bei Em- bryonen noch einen Zusammenhang mit Rippen wahrnahm, welcher sich allerdings sehr bald löste. Zu Gunsten der selbständigen in loco stattfindenden Genese des Sternum spricht sich BrucH® aus. Nach seinen eigenen Angaben über Untersuchungen an Vögeln und Säugethieren entsteht das Brust- bein nach dem Schlusse der Bauchplatten aus zwei seitlichen Knor- pelstreifen, die sich erst an den Enden berühren, dann auch in der Mitte einander entgegenwachsen. Die Rippenknorpel der echten Rip- pen, die nach RATHKE nur unverknöcherte Theile der Rippen sein sollen, treten bei Säugethieren und beim Hühnchen als gesonderte Knorpelkerne auf und stoßen erst später mit dem Brustbeine einer- und den Rippenkörpern andererseits zusammen, um theilweise zu verschmelzen. Bruch bringt für seine Ansicht, die der durch RATHKE schon so mannigfaltig begründeten entgegensteht, keine weiteren Belege. Wenn seine Angaben schon desshalb einiges Misstrauen er- 1 PARKER, A Monograph on the structure and development of the shoulder- girdle and sternum in the Vertebrata 1868. London. 2 Die Entwicklungsgeschichte der Unke, 1875, und Beiträge zur vergleich. Anatomie des Skeletsystems der Wirbelthiere. Archiv für mikroskopische Ana- tomie. Bd. XIV. 3 Entwieklungsgeschiehte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig 1879. 4C. K. Horrmann, Zur Morphologie des Schultergürtels und des Brust- beines bei Reptilien, Vögeln, Säugethieren und des Menschen. Niederländ. Archiv für Zoologie. Bd. V. 5 Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Knochensystems von Dr. CARL Bruch. Neue Denkschriften der allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften. Bd. XII. Zürich 1852. P. 16. Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 367 regen, so geschieht dies ferner noch aus dem Grunde, dass dieselben allem Anscheine nach sehr zu Gunsten des in seiner Abhandlung sich findenden, gewiss unrichtigen Satzes sprechen sollen, nach welchem eine Abgliederung einzelner Skelettheile von einem gemeinschaftlichen Knorpelstiicke eine Seltenheit sei (]. e. pag. 12). Bevor ich auf die Angabe eines anderen für die selbständige Genese von Skelettheilen eintretenden Forschers eingehe, ist hier eine Beurtheilung der von RATHKE und Brucu herrührenden Ansichten über die genetischen Verhältnisse des Brustbeines am Platze. Wir wollen zunächst von der thatsächlichen Begründung derselben absehen, da diese Aufgabe mit dem Zwecke der von mir unternommenen Unter- suchung zusammenfallen wird; allein eine Prüfung des von jenen beiden Autoren vertretenen Standpunktes mag hier eine Stelle fin- den. Durch RarHKe wird das Sternum mit anderen, bekannten Skeletbildungen, den Rippen, in Zusammenhang gebracht. Es wird von letzteren abgeleitet. In so fern also in den Rippen die Grund- lagen gegeben sind, aus deren Veränderungen die Anlage des Sternum hervorgeht, ist das Brustbein kein absolut neues Gebilde. Es ist ein Sonderungsproduct der Rippen, und kann, wie der Vorgang seiner Entstehung ein allmäliger ist, auch in dieser allmäligen, von den Rippen aus sich einleitenden Genese phylogenetisch gedacht werden. Anders stellt sich die Sache nach Bruch. Das Brustbein hat ihm zufolge keinen primitiven Zusammenhang mit den Rippen. Es ist ein absolut neuer Skelettheil, der seine Verbindung mit anderen, eben den Rippen, erst zu gewinnen hat. Der Ausgangs- punkt der Genese des Sternum ist also ein unbekamnter, im morpho- logischen Sinne. Nach RATHkeE lässt sich das Brustbein aus An- passungserscheinungen herleiten, welche die Rippen durch allmählich neu erworbene Zustände des Organismus darbieten. Dadurch hin- gegen, dass Bruch das Sternum in loco entstehen lässt, leistet er Verzicht darauf, etwas über die Abstammung jenes Skelettheiles aus- zusagen. Es kann ja allerdings Thatsache sein, dass an einem be- stimmten Orte plötzlich neue und ganz heterogene Gebilde auftreten, eine Thatsache, die wir immerhin anerkennen müssen, aber als un- verständlich, wenn sich kein Causalmoment dafür finden lässt. Das- selbe fehlt nach den Bruch’schen Angaben, nach denen von RATHKE ist es vorhanden: es findet sich in den gegen einander wachsenden Rippenanlagen. Um so viel also, als durch RATHKE ein geneti- scher Zusammenhang des Gebildeten mit etwas bereits Vorhandenem dargethan wird, stellt sich die RATHKE’sche Auffassung höher als 368 Georg Ruge jene von Brucu, die einen solchen Zusammenhang nicht zugesteht. Sahen wir bereits, dass durch neuere Forscher die alte RArHke’sche Anschauung erhärtet wurde, so ist aber auch die Brucn’sche Auf- fassung von der unabhängigen Entstehung des Sternum nicht ganz unvertreten geblieben. GörrEe! behauptet in seiner Entwicklungs- geschichte der Unke (pag. 619) eine solche Entstehung zwar nicht für das ganze Sternum, sondern nur für einen bei den höheren Wirbel- thieren sich findenden Abschnitt desselben, den Processus ensiformis. Da ich diesem Gebilde ganz besonders meine Aufmerksamkeit gewid- met habe, so erwähne ich hier die von GörrE herrührende Ansicht, obgleich GÖTTE dieselbe, jedoch ohne jegliche triftige Gründe, wieder aufgab, um für eine andere, aber eben so wenig sichergestellte Mei- nung einzutreten, nach welcher der Processus ensiformis aus den Ster- nalleisten herauswachsen solle. Ähnlich erging es Görtz mit seiner Behauptung, dass das Manubrium sterni aus dem Schlüsselbeine ent- stehe. Diese Anschauung modifieirte GÖTTE auf Grund neuer Unter- suchungen dahin, dass das Manubrium zum Theil wenigstens einen costalen Ursprung besitze (l. c. pag. 564). Wenn Görtz in der Ent- wicklungsgeschichte der Unke am Brustbeine der Säuger drei morpho- logisch differente Bildungen folgender Art unterscheidet: a. Abgliederungsproducte der Rippen — costales Brustbein, Brust- beinkörper, b. Abgliederungsproduete des Schultergürtels — elavieulares oder coracoidales Brustbein, . ©. Anhangsgebilde der äußeren Segmentschicht — Schwertfort- satz; so sind seine modifieirten Anschauungen über das Sternum der Säugethiere einheitlicher. Nach ihnen geht der Haupttheil des Brust- beines aus Rippen und einem Abschnitte des Episternum hervor, während der Processus ensiformis als ein ausgewachsenes Anhangs- gebilde des Sternum gedacht wird. (Beiträge zur vergl. Anatomie des Skeletsystems etc.) Nach der alten Annahme GörrE’s von der Zusammensetzung des Brustbeines aus drei, auf ganz verschiedene Art entstehenden Theilen, wird die bisher angenommene Homodynamie der Sternal- theile aufgehoben, und Manubrium, Körper und Schwertfortsatz nicht als verschiedene Abschnitte eines einheitlichen Organes, sondern als ursprünglich einander ganz fremde Bildungen hingestellt, welche ! Beitr. z. vergl. Anatomie des Skeletsystems der Wirbelthiere. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XIV. p. 561. Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 369 secundiir mit einander sich verbinden. Was den Werth einer localen Entstehung des Processus ensiformis anlangt, so ist diese Anschauung eben so zu beurtheilen, wie die vorher besprochene Brucu’sche gegen- über der von RATHKE. Hier auf eine von GÖTTE selbst wieder verlassene Ansicht ein- zugehen, bestimmt mich der Umstand, dass GörTE uns keinen ein- zigen triftigen Grund angiebt, wesshalb er die alte Meinung von der selbständigen Entstehung des Processus ensiformis aufgegeben und die neue ausgesprochen hat, nach welcher der Processus ensiformis aus den Sternalleisten herauswachse; so dass die erste Ansicht, wie ich glaube, mit Fug und Recht wieder aufgenommen werden könnte. Und die Angabe einiger Argumente für das Verlassen der alten An- nahme wäre schon desshalb geboten gewesen, da GÖTTE früher aus ihr so weite Schlüsse zog und den Processus ensiformis ohne Be- denken mit dem ebenfalls »in loco entstehenden Hyposternum« der Amphibien, neuerdings aber mit den Brustbeinhörnern der Reptilien homologisirte. Darin allein wird man wohl kein beweiskräftiges Zeugnis für das einfache Auswachsen des Processus ensiformis aus dem Sternum finden wollen, dass Gorre einmal bei einem Kaninchenembryo (Archiv fiir mikroskopische Anatomie Bd. XIV, Taf. XXXI, Fig. 25) an den Sternalleisten ganz kurze Fortsatzbildungen erblickte; denn warum müssen gerade die kurzen Fortsätze des Sternum die Anlagen des Schwertfortsatzes sein? da in der Medianlinie bei älteren Embryonen andere Skelettheile sich vielleicht erst entwickeln, welche die eigentliche Anlage des Schwertfortsatzes darstellen; oder aber es könnte der Schwertfortsatz zu gewissen Zeiten mit Rippen in Ver- bindung gestanden und aus diesen seine Entstehung genommen haben. Auf beide Möglichkeiten ist in Görre’s hierher bezüglichen Unter- suchungen keine Rücksicht genommen worden. Noch aus einem anderen Grunde erwähne ich hier die alte GörrE’sche Ansicht. GöTTE lässt nämlich die Behauptung über die locale Genese des Schwertfortsatzes fallen, hält aber dieselbe noch aufrecht für das »Hyposternum« der Amphibien, mit welchem er den Schwertfortsatz einst für homolog erklärte. Es lässt sich nun, wie ich glaube, deutlich zeigen, dass alle die Argumente, welche für diese Ansicht ins Feld geführt sind, nicht nothwendig für diese sprechen, dass vielmehr die vorliegenden Be- obachtungen vortrefflich als neue Belege für die Ableitung des Hypo- sternum der Amphibien aus Rippen zu verwerthen sind, wodurch wir Morpholog. Jahrbuch. 6. 24 370 Georg Ruge allerdings ein Verständniss für die Genese jenes Gebildes uns ver- schaffen können, was uns durch die Annahme einer selbständigen Entstehung nicht ohne Weiteres gewährt wird. GÖTTE bestreitet, dass die Anuren ein costales Brustbein be- sitzen, da zu keiner Zeit in der Ontogenese ein Zusammenhang von ventralen Knorpelstücken mit Rippen nachzuweisen sei, und dieses ‚allein den Nachweis hierfür liefern könne; der von vielen Forschern als Sternum gedeutete Skelettheil sei kein solches, sondern von Bil- dungen herzuleiten, welche selbständig in einer zwischen den Epi- eoracoidea und einem »bauchrippenähnlichen« Knorpelstiicke befind- lichen Verbindungsmembran bei Urodelen (Salamandra maeul.) und Anuren (Bombinator igneus) auftreten. Diese Bildungen trennt GÖTTE scharf von anderen Knorpelmassen, die sich bei den Urodelen sowohl als auch bei einigen Anuren (Bombinator igneus) in der Linea alba und den angrenzenden Zwischensehnen des geraden Bauchmuskels zu mehreren Paaren (bei Urodelen) oder zu einem Paare (Bombinator igneus) auffinden lassen (Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XIV). Diese Beobachtungen scheinen uns sehr werthvoll zu sein, aber nicht in der GöTrTE'schen Art verwerthet werden zu müssen. Denn vor Allem muss es als unbewiesen gelten, dass die Verbindungsmembran zwischen den Epicoracoidea und den »bauchrippenähnlichen« Knorpelstiicken eine solche Bedeutung besitze, wie sie ihr GÖTTE zuschreibt, nach wel- chem die in ihr auftretenden Gebilde als in engster genetischer Be- ziehung zum Schultergürtel aufzufassen seien. Denn warum bringt man denn nicht jene Gebilde in den engsten Zusammenhang mit den »bauchrippenähnlichen« Knorpeltheilen, da an diese jene Membran sich eben so gut anheftet wie an den Schultergürtel? Das könnte man mit demselben Rechte thun, und warum soll gerade der Schulter- gürtel das Vorrecht haben, im Besitze jener: in der Membran auf- tretenden Gebilde zu sein? zumal die Membran ja selbst als etwas ganz secundäres zu betrachten ist: sie entwickelt sich erst mit der ventralen Ausdehnung der Epicoracoidea. Was zwingt uns ferner, mit GOrre die in der Verbindungsmembran auftretenden Knorpel- elemente ganz von den »bauchrippenähnlichen« Elementen zu trennen? Ich sehe keinen andern Grund aufgeführt als den, dass die Gebilde in jener Membran auftreten, aber darin liegt eben, wie ich meine, kein die Görre’sche Behauptung beweisendes Argument, weil wir die der Verbindungsmembran gezollte Bedeutung nicht anerkennen können. Vielmehr überzeugen uns die Abbildungen, welche uns GÖTTE über die Verhältnisse bei Salamandra maculosa auf Tafel XXXII, Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 371 Fig. 54 u. 55 seiner Abhandlung giebt, nur davon, dass beide Ge- bilde, das spätere »Hyposternum« und die Knorpelelemente der Median- linie, durch die Lagerung und den engen Zusammenhang beider in einer sehr nahen genetischen Beziehung zu einander stehen. Wäre auch wirklich ein getrennter Ursprung beider sicher gestellt, so er- scheint mir trotz GOrre nichts wahrscheinlicher, als dass die zum »Hyposternum« sich entwickelnden Theile als homodyname Gebilde jener in den Zwischensehnen der Bauchmuskeln auftretenden Knor- pelmassen bei den Urodelen aufzufassen seien, denn diese erscheinen ja bei einem jungen Exemplare von Menopoma (GöTTE Fig. 57) auch bis in die Regionen der Epicoracoidea entwickelt. Bei der allmä- ligen Rückbildung dieser Zwischensehnenknorpel, wie sie bei den Urodelen eingeleitet und bei den Anuren mit Ausnahme von Bom- binator igneus vollendet erscheint. können gerade die dem Schulter- gürtel benachbarten Gebilde, eine zweckmäßige Verwendung erhalten und sich mächtiger zum Hyposternum entfalten. Hiergegen scheinen nun keine andern Gründe zu sprechen, als die GörrE’schen, welche ich als nicht stichhaltig betrachten kann. Und-so sehe ich denn die schönen Beobachtungen GörrE’s in einer Weise gedeutet, durch welche wir dem Verständnisse für die Bedeutung des besagten Skelettheiles nicht näher, sondern ferner gerückt werden. Ließe sich nun aber in der That das »Hyposternum« der Amphibien von den knorpligen »bauch- rippenähnliehen« Gebilden der Urodelen ableiten, wogegen keine That- sachen zu sprechen scheinen, wofür aber noch neue Argumente bei- gebracht werden müssen, so tritt die Frage an uns heran, ob denn die »bauehrippenähnlichen« Gebilde nicht mit primitiveren Einrich- tungen des Wirbelthierskeletes zu vergleichen seien. GÖTTE bringt sie mit den Bauchrippen der Reptilien in Zusammenhang. Mag diese Anschauung richtig sein oder nicht, jedenfalls ist hierdurch in keiner Weise etwas Neues über die Bedeutung, d. h. die Genese ausgesagt: denn es bleiben uns die Bauchrippen der Reptilien und der Amphi- bien wie früher Gebilde sui generis. Durch die neuen GöTTE'schen Beobachtungen wird man aber, wie ich glaube, unwillkürlich darauf geführt, bei den »Bauchrippen« der Amphibien an eine Abstammung aus Rippen zu denken. Dafür scheint mir die metamere Anlage dieser Gebilde bei Menopoma und deren Lagerung in den Zwischensehnen der Bauchmuskeln zu sprechen. Wir wissen nämlich, dass es die Rippen sind, welche, wenn sie sich rückbilden, in den Muskeln zu- weilen Zwischensehnen zurücklassen. Das ist uns unter Anderem vom Menschen bekannt, wo sich nicht selten von den Enden der 24% 372 Georg Ruge unteren Rippen, Sehnen in die breiten Bauchmuskeln erstrecken, zu- weilen derartig, dass mit den Sehnen verbundene oder ganz isolirte Knorpelreste weiter medialwärts in der Verlängerung der Zwischen- sehnen sich erhalten. Wenn man nun keinen Anstoß daran nehmen kann, die Zwischensehnen in den breiten Bauchmuskeln mit der Re- duction von Rippen in Zusammenhang zu bringen, so denke man ferner an die Zustände bei den Fischen und an das verwandtschaft- liche Verhältniss letzterer zu den Amphibien. Bei den Fischen er- blicken wir in der mächtigen Entfaltung der Rippen eine primitive Einrichtung und setzen eine ähnliche bei den Amphibien voraus, wie ja auch manche andere Gründe für die Annahme sprechen, dass die Amphibien ebenfalls in größerer Ausdehnung einst Rippen besessen haben. Entstehen nun aber die Zwischensehnen der Bauchmuskeln häufig durch die Rückbildung der Rippen und haben die Amphibien Rippen besessen, so liegt der Gedanke nicht ganz fern, die Zwischen- sehnen bei den Amphibien ebenfalls auf die Rückbildung der Rippen zu beziehen, so wie die in den Sehnen auftretenden Knorpelelemente als Überreste von Rippen zu deuten. Dass sich solche gerade in der Medianlinie erhalten und allmälig mit der mächtigeren Entfaltung des Schultergürtels in Beziehung zu diesem treten, lässt sich wohl aus der Einwirkung des Schultergürtels mit seiner Muskulatur auf die Nachbarorgane erklären. Diese Worte mögen genügen, um darzuthun, dass die An- schauung einer selbständigen, aus keinen primitiven Zuständen her- zuleitenden Entstehung der Organe uns entbehrlich und durch eine verständlichere zu ersetzen ist. So verhält es sich mit der Brucu- schen Ansicht über die Genese des Brustbeines, in gleicher Weise mit den GörTE'schen Anschauungen vom Processus ensiformis der Säugetbiere und vom »Hyposternum« der Anuren. Meine Arbeit habe ich in folgende drei Capitel eingetheilt: !) Erste Entwicklung des Brustbeines bis zur völligen Verschmel- zung der Sternalleisten. 2) Entwicklung des Processus ensiformis. 3) Über die Entwicklung der Sternoclavicular-Verbindung beim Menschen. Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 373 I. Capitel. Entwicklung des Brustbeines bis zur volligen Verschmelzung der Sternalleisten. 1) Das jiingste zur Untersuchung gekommene Stadium ergiebt sich bei einem ca. 3 em langen Embryo. An dem in Glycerin auf- gehellten Präparate bot die Flächenansicht Folgendes dar: Jederseits verlaufen sieben Rippen leicht gebogen gegen die Medianlinie des Körpers (Fig. 1). Medial von der Biegung, welche bei den distalen Rippen am schärfsten ausgeprägt ist, erscheinen an den Rippen mit Ausnahme der zwei ersten Paare knorplige Anschwellungen. Diese werden proximal, indem sie zugleich medialwärts rücken, allmälig schwächer. Auf beiden Seiten sieht man parallel der Medianlinie des Körpers eine Knorpelleiste (Fig. 1,57), welche von RaTHKE als »Seitenhälfte des Brustbeins« beschrieben wurde, die wir aber mit neueren Forschern als »Sternalleiste« bezeichnen wollen. Dieselbe hat jederzeit eine gleiche Breite wie die Rippen und eine Länge von etwa 2mm. Rechts stehen mit derselben sieben, links nur fünf Rippen im Zusammenhange. Im Bereiche des ersten Rippenpaares liegen die Sternalleisten dicht bei einander, sie divergiren distal, um an ihren Enden ca. 1,2mm weit entfernt zu sein. Der gegenseitige Abstand der gesammten Rippen ist in ihrem Verlaufe bis an die Sternalleisten ein fast gleicher, nur distal sind die Rippen bereits gegen die Mitte hin ein wenig aufwärts gerichtet und dadurch an dieser Stelle ihren proximalen Nachbarn mehr genähert. Am Über- gange der Rippen in die Sternalleisten bemerkt man Andeutungen von Abgliederungen, welche an dem ersten Rippenpaare nur schwach, an dem zweiten sehr deutlich ausgebildet erscheinen und welche au den folgenden um so schwächer werden, je weiter distal man die- selben verfolgt. So ist an der rechten Seite von einer Abgliederung der siebenten Rippe noch nichts sichtbar, indem dieselbe ununterbrochen in die Sternalleiste übergeht. Das sechste Rippenpaar erscheint mit den Sternalleisten in keinem sehr innigen Zusammenhange; denn links ragt nur ein Fortsatz der Sternalleiste (x) der Rippe entgegen und rechts besteht nur eine ganz leichte Berührung beider. Die sie- bente Rippe ist links von einer Verbindung mit der sechsten gänz- lich ausgeschlossen. Das achte Paar endet, wie man sich leicht überzeugen kann, frei in geringer Entfernung von der siebenten Rippe. Die neunte und zehnte lagern links bei einander, um sich an den 374 Georg Ruge distalen Rand der achten Rippe anzulehnen, während rechts beide in noch weiterer Entfernung von der Mittellinie frei in der vorderen Bauchwand endigen. Das Sternum zerlegte ich in frontale, für die mikroskopische Untersuchung taugliche Schnitte und konnte die soeben geschilderten Verhältnisse bestätigen, doch dürfte noch Einiges hinzuzufügen sein. Die Grenzschichten zwischen Rippen und Sternalleisten bestehen aus dicht gedrängten, etwas kleineren Elementen, als es diejenigen in den Rippen sind. Distalwärts werden diese Grenzschiehten dadurch immer undeutlicher, dass die in ihnen befindlichen Zellen weniger von der Nachbarschaft sich unterscheiden. Vom oberen Rande der fünften linken Rippe verläuft eine Schieht aus kleineren Zellen quer durch die Sternalleiste, wodurch auch die fünfte Rippe in ähnlicher Weise wie die sechste Rippe von der Bildung der Sternalleiste aus- geschlossen erscheint. Auf dorsalen Schnitten bemerkt man links Fortsatzbildungen der Sternalleiste gegen die frei endende siebente Rippe, von welcher sich gleichfalls zarte Zellenstränge aufwärts gegen die sechste Rippe erstrecken, ohne jedoch eine Verbindung mit letz- terer herzustellen. Was die Formelemente der Sternalleisten anlangt, so ist zu be- merken, dass dieselben im distalen Abschnitte etwa halb so groß, als in den lateralen Rippenpartien und noch um ein Bedeutendes kleiner sind, als in den proximalen Abschnitten der Sternalleisten. Ihre Größe beträgt in dem einen Falle etwa 0,0033 mm, im andern 0,0066 mm. 2) An die geschilderten Verhältnisse reihen sich zunächst die Zustände bei einem vom Steiße bis zum Scheitel ca. 3,5 em messen- den Embryo an. An ihm habe ich durch die Untersuchung des Brustbeines in Glycerin bei schwacher Vergrößerung folgende auf Fig. 2 bildlich dargestellten Zustände wahrnehmen können: Die Sternalleisten (SZ), welche bis zur dritten Rippe einander genähert sind, weichen weiter distal nur wenig aus einander. Eine Trennungslinie ist aber bis zum proximalen Rande des Manubrium deutlich erkennbar. Den Sternalleisten schließen sich jederseits fünf Rippen an, welche in gleicher Weise wie das sechste und siebente Rippenpaar auch hier fast in ihrer ganzen Länge gleich weit von einander entfernt bleiben und die nach unten immer weiter lateral gelegenen Anschwellungen aufweisen. Durch halbmondförmige, distal weniger scharf ausgeprägte Contouren ist das zweite bis fünfte Rip- penpaar von den Sternalleisten abgegrenzt. Die Grenzlinie zwischen erster Rippe und Sternalleiste verläuft von proximal und lateral schräg Untersuch. üb. Entwicklungsvorgänge am Brustbeine ete. des Menschen. 375 distal- und medialwiirts. Das durch diese Linien abgegliederte Manu- brium erscheint fast um das Dreifache so breit als der Körper des Brustbeines. Während in der Form das vorher beschriebene und dieses paarig angelegte Brustbein erheblich von einander sich unterscheiden, so stimmen doch beide darin überein, dass die sie- bente und auch die sechste Rippe den Anschluss an die Sternal- leisten noch nicht erreichen. Diese Rippenpaare finden sich auf der linken Körperhälfte des letzteren Objeetes vom Sternum völlig abgetrennt, während rechts die sechste Rippe in eine schon nähere Beziehung getreten ist. Das achte Rippenpaar bleibt vom Sternum beiderseits weit entfernt. Das letzt beschriebene Brustbein ist, was die gegenseitige An- näherung der Sternalleisten betrifft, in seiner Ausbildung weiter vor- geschritten, aber durch das Getrenntsein der sechsten und siebenten Rippe von den Sternalleisten steht es auf einer noch tieferen Ent- wicklungsstufe als das zuerst beschriebene Object. 3) Brustbein eines Embryo von ca. 2,4cm Scheitel- Steiß-Länge. Frontale Schnittserie (mit den ventralen Schnitten beginnend). In manchen Beziehungen schließt sich dieses Präparat eng an das vorige an, durch einige Zustände aber weicht es nicht unwesentlich von jenem ab. Bei einer Durchsicht der Schnitte lässt sich Folgendes feststellen: Die Sternalleisten berühren in ihren dor- salen Abschnitten einander bis zur vierten Rippe hin, während sie, — wie dieses die betreffenden Schnitte zeigen, ventral in der Gegend der vierten und dritten Rippe noch von einander getrennt bleiben; es scheint demnach eine Vereinigung der Leisten an den dorsalen Ab- schnitten zuerst vor sich zu gehen. Das sechste und siebente Rippen- paar erreicht den Anschluss an das Sternum nicht, nur Züge von mehr indifferentem Gewebe verbinden auf einigen Schnitten das Brust- bein mit der sechsten Rippe. Die Unterschiede dieses von dem vorigen Objecte erweisen sich darin, dass diejenigen Theile der Sternalleisten, mit welchen die vierten und fünften Rippen in Verbindung stehen, letzteren durch quere, die Sternalleisten durchsetzende Linien zu- getheilt erscheinen (Fig. 3). Die Sternalleisten sind also nur bis zur dritten Rippe hin homogener Natur, ihre weiter distal gelegenen Ab- schnitte können wir noch zu den Rippen gehörig auffassen, trotzdem schon ganz sehwach erkennbare, bogenförmige Contouren sichtbar sind, durch welche die vierten und fünften Rippen von der medialen Sternalpartie sich absetzen. Die gleiche Andeutung einer Abglie- derung, nur in prägnanterer Weise, ist an den proximalen Rippen zu 376 Georg Ruge erkennen, und selbst die erste zeigt eine derartige Erscheinung. Auf zwei Schnitten (die sechsten und siebenten Rippen sind hier am meisten dem paarigen Sternum genähert) gehen stark roth gefärbte Zellenstränge von den Sternalleisten in die peripheren Schichten der sechs Rippen über. 4) Ich reihe den soeben geschilderten Zuständen den Thatbe- stand bei einem ca. 2,5 cm langen Embryo an, welcher unverletzt in Sehnitte zerlegt die Verhältnisse am Brustbeine vortrefflich erkennen lässt. Durch die Fig. 3a, welche durch Combination von mehreren auf einander folgenden, mittels der Camera entworfenen Schnitten gezeichnet ist, sind dieselben getreu wiedergegeben. Die Sternalleisten (SZ) erstrecken sich hier beiderseits continuirlich von der ersten bis zur achten Rippe und noch über diese hinaus, indem sie mit langen gleichmäßig breiten, distalwärts divergirenden, knorpeligen Fort- sätzen (Pe) in die Bauchdecken hineinragen. Diese Fortsatzbildungen enden ohne scharfe Grenze in den Bauchdecken. Die Sternalleisten berühren einander, jedoch ohne irgend wo innig verwachsen zu sein, von der ersten bis zur vierten Rippe, von wo an sie zu divergiren beginnen. Die ersten acht Rippen sind jederseits mit den Sternal- leisten vereinigt und erscheinen gleichmäßig weit von einander ge- trennt, nirgends findet unter ihnen eine Berührung statt. Sie sind von den Sternalleisten mehr oder weniger deutlich durch stärker in Carmin sich färbende Zonen abgetrennt; am deutlichsten ist ein sol- ches Verhalten an der zweiten Rippe ausgeprägt, während dasselbe distalwärts weniger prägnant ist, so dass an dem siebenten und achten Rippenpaare sich nur schwache Spuren davon auffinden lassen. Aber auch das erste Paar zeigt deutliche Anzeichen einer beginnenden Trennung vom Sternum. Was die Elemente der knorpeligen Skelet- theile anbetrifft, so sind dieselben an den Rippen lateral voluminöser als medial, und hier voluminöser als die Elemente der Sternalleisten : an letzteren hingegen sind die Knorpelzellen proximal mächtiger ent- wickelt als distal. Während der Längsdurchmesser der Sternalabschnitte zwischen der zweiten bis achten Rippe ein fast gleicher ist, so überwiegt der zum Manubrium sich entwickelnde Theil die einzelnen intercostalen Sternalportionen bereits um das Doppelte. Dem entsprechend ver- hält sich das Manubrium auch in seinem queren Durchmesser. 5) Embryo von 3,0em Scheitel-Steißlänge. Frontale Schnittserie. Die Sternalleisten sind in den proximalen und distalen Ab- Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 377 schnitten ohne eine noch bestehende Andeutung der früheren Tren- nung unter einander verschmolzen (Fig. 4). Nur an der Mitte des Sternum erscheint eine Längsspalte, welche auf den ventralen Schnit- ten von der zweiten bis zur siebenten Rippe sich erstreckend auf den weiter dorsal gelegenen sich zu einem kleinen feinen Schlitze umge- wandelt hat, um schließlich ganz zu verschwinden. Auf den ven- tralen Schnitten ist die Continuität der Sternalleisten der Länge nach nur bis zur vierten Rippe ausgesprochen; denn das fünfte bis sie- bente Rippenpaar erstreckt sich, einander parallel verlaufend, direct bis zur Spalte, indem ihre medialen (sternalen) Portionen durch scharfe, quer verlaufende Linien von einander getrennt sind. Durch leichte bogenförmige Linien sind aber auch hier schon die späteren sternalen Abschnitte der genannten Rippen andeutungsweise derart losgelöst, dass sie genau mit den verlängert gedachten Sternalleisten zusammenfallen. An den folgenden Schnitten zeigen sich die media- len Rippentheile mehr und mehr verbreitert und verschmelzen unter sich sowohl als auch mit den proximalen und distalen gleichwerthigen _ Sternalabschnitten. Zwischen den sternalen Portionen der vierten und fünften Rippe (Fig. 4) erhalten sich die queren Scheidelinien, welche von je zwei Rippen gleich weit entfernt bleiben, auch noch auf dorsal gelegenen Schnitten. Hier ist das siebente Rippenpaar ganz innig mit dem sechsten, so wie mit dem bereits deutlich vorhandenen ein- heitlichen Processus ensiformis verschmolzen. Alle Rippen sind auch an diesem Präparate durch Schichten spindelförmiger Elemente von den Sternalpartien abgesetzt, welche Schichten sich an den Stellen der späteren Sternocostalgelenke befinden. Ohne Frage haben wir es an diesem Brustbeine mit einer Reihe nicht ganz normal sich gestaltender Zustände zu thun. So muss es unter Anderem bei einem Vergleiche mit den früheren Objeeten auf- fallen, dass die Sternalleisten proximal und distal sich an einander gelagert darstellten, wie es sonst nicht der Fall war; dass ferner die sternalen oder medialen Abschnitte der Rippen dorsal sich vereinigt hatten, ventral aber noch weit von einander getrennt waren. Immer- hin wird sich Manches aus der Schilderung der gesammten Zustände für die Genese des Brustbeines herleiten lassen. 6) Embryonen von 3,5, 3,8, Au. 5,5em Scheitel-Steiß- länge. Frontale Schnittserien. An den Brustbeinen dieser Embryonen sind die Sternalleisten in ihrer ganzen Länge mit einander verwachsen. Längs verlaufende, stärker durch Carmin tingirte Schichten aus kleineren Zellen, als 378 Georg Ruge die in den Sternalleisten selbst befindlichen, deuten noch auf die urspriingliche Trennung des Sternum hin. An den jiingeren Embryo- nen erstrecken sich die Trennungslinien durch die ganze Linge, an den älteren von der zweiten oder gar erst von der vierten Rippe an bis zum distalen Rande des Sternum. Durchgehends finde ich bei unseren Objecten die Trennungslinie auf den ventralen Schnitten sich weiter proximal erstreckend als auf den dorsalen, was dem schon früher angedeuteten dorsal beginnenden und ventral fortschreitenden Ver- schlusse der Sternalleisten entspricht. Nicht ganz selten tritt aber an den Schnitten dorsal eine Spalte auf, welche von der dritten bis sechsten Rippe hinabreicht und der Ausdruck ist für eine auf der dorsalen Fläche des Brustbeines sich längs erstreckende mediale Furche, wie ich sie zuweilen auch an noch älteren knorpeligen Präparaten beobachtete. Die gewebliche Continuität zwischen sämmtlichen sieben Rippen- paaren und den Sternalleisten ist durch stark roth gefärbte, breite, aus kleinen rundlichen oder spindelförmigen Elementen bestehende Schichten unterbrochen. Dieselben haben ihre Lage an den späteren Sternocostalgelenken, sind stark gekrümmt und mit der Convexität gegen die Medianebene des Körpers gerichtet. Die Grenzschichten verlaufen zwischen dem ersten Rippenpaare und dem Sternum mit leichter Sförmiger Krümmung von proximal- und lateral- medial- und distalwärts. Während sie an den ersten Rippen der jüngeren Em- bryonen auf allen Schnitten erkennbar sind, so erscheinen diese Trennungslinien an älteren Objecten (von 4,1 bis 5,5 cm) zuweilen nur noch auf den dorsalen Schnitten in ihrer ganzen Ausdehnung, auf den weiter ventralwärts folgenden hingegen hören sie, vom proxi- malen Rande beginnend, in der Mitte des späteren Manubrium auf. Zum ersten Male treten bei den Präparaten zwei quer verlau- fende, aus rundlichen oder mehr spindelförmigen Zellen bestehende rothgefärbte Linien auf, welche von der Mitte der Verbindung des zweiten und dritten Rippenpaares mit dem Sternum durch letzteres sich erstrecken. An den zwei älteren Embryonen wird die proximale, das zweite Rippenpaar verbindende Querleiste immer deutlicher, während jedwede Andeutung der anderen bereits verschwunden ist. Es wird auf diese Weise das proximale Stück vom distalen Sternum abgesondert; es entsteht dadurch die Handhabe und der Körper des Brustbeines. Es sei hier noch einer auffallenden Umwandlung, die den Verlauf des sechsten und siebenten Rippenpaares betrifft, Er- wähnung gethan. Während bei den jüngsten. früher beschriebenen Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 379 Stadien die genannten Rippen einander parallel verlaufend überall in gleicher Entfernung von einander standen, so hat sich an ihnen gleichzeitig mit der allmäligen Verschmelzung der Sternalleisten die Neigung zu einer Annäherung der medialen Abschnitte der letzten Rippen ausgebildet, welche nunmehr bogenförmig an den distalen Rand des Sternum herantreten. Die gegenseitige Annähe- rung des siebenten Rippenpaares kann selbst bis zur vollständigen Berührung führen. An einem der Präparate ist die rechte Rippe sogar zwischen die, hier noch getrennten Sternalleisten zu liegen gekommen (Fig. 5). So sprieht sich denn durch das soeben er- wähnte Verhalten als erste Andeutung ein ungleichmäßiges Wachs- thum der einzelnen Sternalabschnitte aus. Dadurch nämlich, dass das distale Brustbeinende mehr auf seiner ursprünglichen Ausbil- dung verharrt, die proximalen Theile aber und die Rippen in ihren horizontalen Durchmessern um ein Bedeutendes zunehmen, müssen gerade die distalen Rippen mit ihren einander zugekehrten Rändern in Berührung kommen und einen mehr gekrümmten Verlauf an- nehmen, um den sternalen Zusammenhang nicht aufzugeben. Die Brustbeine menschlicher Embryonen von 8—10 em Scheitel- Steiß-Länge schließen sich dadurch, dass das Manubrium vom Corpus sterni in der Regel abgegliedert ist, die Sternalleisten vollkommen verwachsen und jederseits sieben Rippen mit dem Brustbeine ver- bunden sind, in ihrer Form mehr und mehr den ausgewachsenen Skelettheilen an. Ich gebe daher hier an der Hand der mitgetheilten Beobachtungen eine Schilderung der ersten Genese des mensch- lichen Brustbeines, um dann spätere Verhältnisse daran anzufü- gen. An den jüngsten Embryonen ist das Brustbein durch zwei Knorpelleisten repräsentirt, die wir als »Sternalleisten« bezeichnen. Diese berühren sich in der Medianlinie des Körpers anfänglich nur an ihren proximalen Abschnitten, während sie mit ihren distalen leicht bogenförmig lateralwärts divergiren. Nicht zu jeder Zeit sind die Sternalleisten homogener knorpeliger Natur, so wie auch die Anzahl der an dieselben sich anfügenden Rippen bei verschieden entwickelten Objecten eine sehr verschiedene ist. An dem Sternum, das ich bezüglich dieser Factoren in der Ausbildung für das am wenigsten weit vorgeschrittene betrachte, schließen sich nur die drei proximalen Rippenpaare innig den Sternalleisten an. Weiter distal zeigen uns die vierten und fünften Rippen jenes eigenthümliche Ver- halten, dass ihre medialen Stücke zwar abgesetzt erscheinen, aber noch nicht zum Aufbaue einheitlicher Sternalleisten beitragen, sondern 380 Georg Ruge in den ventralen Abschnitten von diesen so wie von einander beträcht- lich weit entfernt bleiben. Erst an den dorsalen Abschnitten rücken die medialen (sternalen) Stücke der vierten und fünften Rippe durch eine nach oben und unten gerichtete Verbreiterung einander näher, bleiben aber noch immer durch mäßig breite, aus indifferenten Zellen bestehende und stark roth tingirte Zonen getrennt. Diese Linien liegen proximal gerade in der Mitte von der vierten und dritten, distal in der Mitte von der vierten und fünften Rippe. Aus diesem Ver- halten geht nun hervor, dass zu gewissen Embryonalzeiten die Ster- nalleisten aus getrennten Abschnitten bestehen, welche mit den Rippen in näherem Zusammenhange sich befinden und ohne Frage aus den Rippen selbst hervorgehen, da an allen anderen Präparaten die Tren- nungslinien an den Sternalpartien ganz verschwinden und da das, was wir für die vierte und fünfte Rippe: nachzuweisen vermochten, viel prägnanter für das sechste und siebente Rippenpaar durch andere Objecte (Fig. 1 u. 2) veranschaulicht wird. Die sternalen Abschnitte der vierten und fünften Rippe sind nämlich hier den Sternalleisten vollständig einverleibt worden, an dem 3,5 cm messenden Embryo (Fig. 2) erstreckt sich aber die sechste Rippe noch ohne jedwede Abgliederung eines sternalen Theiles so weit medialwärts, dass ihr freier Rand in die Verlängerung des medialen Randes der Sternal- leiste fällt. Von letzterer bleibt sie rechts bis auf eine ganz kleine Strecke scharf geschieden; links steht die sechste so wie die siebente Rippe in beträchtlicher Entfernung von den Sternalleisten. Da, wie ich hervorhob, an den Stellen der späteren Sternocostalverbindung noch gar keine Andeutung einer Abgrenzung bemerkbar ist, so halte ich diesen Thatbestand für einen Beweis dafür, dass Sternalabschnitte noch in den ungegliederten sechsten und siebenten Rippen enthalten sind, dass also Rippen die Sternalabschnitte entstehen lassen!. Eine gleiche Entstehung von Sternalabschnitten aus dem vierten und fünften Rippenpaare können wir nach den oben geschilderten Zuständen gleichfalls als nachgewiesen betrachten, für die weiter proximal ge- legenen Sternalabschnitte ist auf ein Gleiches desshalb zu schließen, weil die Befunde sich hier in frühen Stadien nach ganz analoger Weise verhalten wie diejenigen der distalen Abschnitte nach der Bildung einheitlicher Sternalleisten. Der specielle Vorgang bei der Genese 1 HorrMANN beschreibt zwar die Bildung der Sternalleisten beim Men- schen durch Anschwellen und Verwachsen der Rippenenden, doch geht eine solche nicht aus den Abbildungen, welche HOFFMANN giebt, hervor (l. c. pag. 42. Tafel IV. Fig. 5—$). Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 381 des Sternum ist derartig zu denken, dass die medialen Theile der ersten Rippen ungleichzeitig, und zwar stets an den proximalen Rip- pen zuerst, sich abgliedern, darauf nach allen Richtungen hin aus- wachsen, um Anfangs mit ihren Nachbarn nur in nähere Berührung zu treten, darauf aber gänzlich mit ihnen verschmelzend die Sternal- leisten entstehen zu lassen. Diesen Vorgang muss man sich beim Men- schen als sehr rasch verlaufend vorstellen. Nicht immer scheinen alle Rippen gleichmäßig zum Aufbaue der Sternalleisten beizutragen, wie an dem 3 em großen Embryo die sechste rechte Rippe in keiner unmittelbaren Berührung mit der Sternalleiste sich befand, während die siebente bereits in sie continuirlich überging (siehe Fig. 1). In gleicher Weise nimmt man an demselben Präparate wahr, wie von der linken Sternalleiste ein Fortsatz, welcher der fünften Rippe seine Entstehung verdankt, gegen die sechste, mit keiner sternalen Verbreiterung versehene Rippe entgegenwächst. So scheint auch hier für die Bildung des Brustbeines den Rippen eine ungleiche und zwar der fünften die größte. Bedeutung anheimzufallen. Ver- muthlich unterliegen hierin die distalen Rippen größeren Schwan- kungen, als es für die proximalen wahrscheinlich ist. Was den Beitrag betrifft, welchen die drei proximalen Rippenpaare zur Bildung des Brustbeines liefern, so ist vorläufig, da mir geeignete Stadien nicht zur Verfügung standen, nur zu vermuthen, dass das spätere Manu- brium sterni ein Abkömmling hauptsächlich des ersten, z. Th. aber auch des zweiten Rippenpaares sei, — als sicher ist es zu betrachten, dass das Manubrium aus den Rippen entsteht — die folgenden Sternalabschnitte aus den Rippen derartig hervorgehen, dass z. B. der aus der dritten Rippe hervorgegangene Theil proximal zwischen dritter und zweiter, distal zwischen dritter und vierter Rippe seine Begrenzung hat. Sind die Sternalleisten durch die Verschmelzung von medialen Rippentheilen fertig gebildet, so liegen dieselben ursprünglich nur mit ihren proximalen Enden in näherer Berührung. Allmälig aber gewinnen sie auch distal Fühlung, welcher Vorgang beim Menschen sich in ganz derselben Weise abspielt, wie es RATHKE, KÖLLIKER, GÖöTTE und auch Horrmann beschreiben: es vereinigen sich die Sternalleisten langsam vom proximalen bis zum dista- len Ende, also nicht, wie es BRucH angiebt, zuerst an den beiden Enden und dann erst in der Mitte. Nur an einem Objecte war diese Vereinigungsart der Sternalleisten als eine abnorme zu beobachten. Für die mediane Annäherung der Anfangs aus einander liegenden Sternal- 382 Georg Ruge leisten finden sich günstige Momente in der sehr frühen Abgliederung der Rippen von ihren Bildungsproducten: die entstandenen Zwischen- zonen dienen zur Production neuen Gewebes, welches nothwendig die Sternalleisten gegen die Medianlinie drängen. Auch erhellt hier- aus, dass die Leisten, da proximal derartige Proliferationszonen am frühesten auftreten, sich hier einander nähern können, während distal noch gar nicht alle Rippen sich mit dem paarigen Brustbeine ver- einigten. Es soll übrigens keineswegs hiermit ausgesprochen sein, dass in der früheren Rippenabgliederung keine andere Bedeutung zu suchen sei. So ist in der fast regelmäßig zu beobachtenden Erschei- nung einer sehr frühen Lostrennung der ersten Rippe von den Ster- nalleisten und dem sehr bald darauf wieder eintretenden Verschmelzen, welchen Vorgang auch HorrmAann beobachtete, ohne Frage ein ver- erbter Zustand zu erblieken. Denn bei den meisten Säugethieren ist die erste Rippe zeitlebens gelenkig mit dem Sternum verbunden. Auch scheint an ihr phylogenetisch zuerst die Abgliederung erfolgt zu sein, was sich ontogenetisch wiederholt. So tritt beim Kaninchen eine Ab- gliederung schon vor der Verschmelzung der Sternalleisten auf (KöL- LIKER |. c.), beim Menschen ebenfalls und früher als an den folgen- den Rippen. Die Brucn’sche Ansicht von der selbständigen Entstehung des Brustbeines ist durch die von mir mitgetheilten entwicklungsgeschicht- lichen Thatsachen über das menschliche Brustbein nach keiner Weise hin zu begründen. Wenn Bruch behauptet, dass die knorpeligen Rippentheile des Erwachsenen aus besonderen Knorpelkernen entstün- den, welche sich erst secundir einerseits mit der später knöchernen Rippe, anderseits mit dem Brustbeine verbänden, so hebe ich gegen Bruch nochmals Folgendes hervor. Erstens: es konnte immer nur eine gewebliche Continuität der bis zur Medianlinie sich erstrecken- den Rippen wahrgenommen werden, so klein auch die Objeete ge- wesen waren. Zweitens leuchtet die Hinfälligkeit der Brucn’schen Ansicht durch die Beobachtung ein, dass die distalen Sternalabschnitte erst dann auftreten, wenn die hier lagernden Rippen so weit gegen die Medianlinie des Körpers gerückt sind, dass ihre sich abgliedern- den Enden selbst zu Sternalabschnitten werden. Was den Görre’schen Ausspruch betrifft, nach welchem das Manubrium sterni der Säugethiere ein Derivat allein der Clavieula sei, so ist dieser von GöTTE selbst wieder zurückgenommen. Auch mir ist zu Gunsten dieser Ansicht gar kein einziger Factor bekannt geworden, eben so wenig wie ich auch nur Theile der Clavicula zur Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 383 Bildung des Manubrium habe beitragen sehen. Ich konnte vielmehr bei allen menschlichen Föten nur die Überzeugung gewinnen, dass das Manubrium zu den Rippen in ganz gleicher Weise sich verhalte, wie es die folgenden Sternalabschnitte thun. Übrigens werde ich auf die GörreE'’sche Ansicht noch einmal im letzten Capitel der Arbeit zurück- kommen müssen, wo gezeigt wird, dass proximal gelagerte Knor- pelstücke dem Manubrium einverleibt werden. Auch zu Gunsten der PaRKER’schen Ansicht, dass das Manubrium sterni in genetischer Be- ziehung zur siebenten Halsrippe stehe, hat sich nichts ermitteln lassen. Am nächsten schließen sich unsere Resultate betreffs der Genese des Sternum an die von RATHKE gewonnenen an; sie stimmen mit ihnen in der Ableitung von Rippen überein und in der Angabe, in welcher Weise die zwei Seitenhälften mit einander verschmelzen. Die Thatsache, dass bei 3,5 bis 5,5 cm langen menschlichen Embryonen nicht nur zwischen dem zweiten, sondern auch zwischen dem dritten Rippenpaare Andeutungen von quer verlaufenden Tren- nungslinien auftreten, hat HorrMANN unabhängig von mir feststellen können. HorrMann beobachtete sogar derartige querverlaufende Zonen, allerdings nicht zusammenhängende, zwischen dem fünften und sechsten Rippenpaare (l. c. Tafel IV, Fig. 12) und deutete seine Befunde, wie ich glaube, richtig als Zeichen dafür, dass das menschliche Brustbein einst aus einer Anzahl hinter einander gele- gener Stücke bestand. Unter den Säugethieren ist dieser Zustand bei den Edentaten erhalten geblieben, bei den übrigen weist nur noch das Auftreten einer Anzahl von Knochenkernen auf eine ge- gliederte Zusammensetzung zurück (1. e. pag. 46). II. Capitel. Über die Entwicklung des Processus ensiformis. Der Schwertfortsatz besitzt durch seine große Regelmäßigkeit, in welcher er bei allen Säugethieren sich vorfindet, so wie durch seine in Form, Größe und Lagerungsbeziehung zum Brustbeine sich aus- prägende Selbständigkeit eine größere morphologische Bedeutung, als man sie ihm bisher zuschrieb. Vergleichend anatomische That- sachen weisen darauf hin, dass in dem Schwertfortsatze des Menschen in so fern Sternalabschnitte enthalten seien, als bei vielen Säuge- thieren, auch noch bei einigen Primaten, mehr als sieben Rippen mit dem Brustbeine sich verbinden. Das achte, neunte und die fol- genden Rippenpaare erscheinen hier mit denjenigen Sternalabschnitten 384 Georg Ruge vereinigt, welche uns beim Menschen im Schwertfortsatze wieder ent- gegentreten. Eine entgegengesetzte Meinung spricht sich darin aus, diesen Skelettheil als ein »selbständiges, in loco entstehendes Anhangs- gebilde des Brustbeines« zu bezeichnen, wie es einst GÖTTE gethan (Entwicklung der Unke pag. 618). Nach letzterer Meinung ist der Schwertfortsatz nicht mehr als ein Brustbeinabschnitt aufzufassen, welcher den aus Rippen hervorgegangenen homodynam, den Zu- sammenhang mit den Rippen aufgebend nur eine größere schein- bare Selbständigkeit angenommen habe. Der Grund für die Ent- stehung der von GörTE jetzt wieder verlassenen Auffassung liegt, wie ich glaube, in der ungünstigen Wahl der zum Ausgangspunkte dienenden Objecte. Denn »als Grundlage einer vergleichenden Mor- phologie der Wirbelthiere« wählte GörTE einstmals die Unke, welche, wie alle Batrachier, durch den gänzlichen Mangel von ventral sich erstreckenden Rippen eine ganz besondere Stellung einnimmt und ge- rade desshalb uns keinen Aufschluss über die Derivate der Rippen bei den Säugethieren liefern kann. Um über die Genese des Schwert- fortsatzes zu entscheiden, sind entwieklungsgeschichtliche Unter- suchungen beim Menschen sehr geeignet. So weit es das Material erlaubte, habe ich dieselben in Angriff genommen und theile sie hier mit. 1) Zu einer Zeit, in der die Sternalleisten noch nicht der ganzen Länge nach in Berührung getreten sind, lassen sich Bildungen nach- weisen, welche mit Sicherheit als die Anlagen des Schwertfortsatzes aufzufassen sind. So sehen wir in der Fig. 3a mit dem paarigen Sternum jederseits einen langen Knorpelstab in Verbindung, so, dass letzterer die directe Fortsetzung der Sternalleisten vorstellt, ohne irgend wo eine Continuitätstrennung zu zeigen. Das paarige An- hangsgebilde (P. e) divergirt ziemlich ansehnlich nach unten und la- teral und endigt ohne scharfe Grenze, indem seine Knorpelelemente allmälig in mehr indifferentes Gewebe der Bauchdecken übergehen. Sehen wir nun mit den knorpeligen Sternalleisten jederseits acht Rippen in ganz gleichmäßiger Weise verbunden und halten wir uns an die ausgebildeten Zustände beim Menschen, wo nur sieben ster- nale Rippen in der Regel vorhanden sind, so müssen wir bei unserem Objeete diejenigen Theile der sternalen Leisten als nicht zum Körper des Brustbeines, sondern zum Processus ensiformis gehörend be- trachten, welche unterhalb der siebenten Rippe gelagert sind. 2) Weitere Entwicklungszustiinde eines Schwertfortsatzes waren an einem ca. 3,0 cm langen Embryo wahrzunehmen (Fig. 6). Auf Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 385 den dorsalen Schnitten der Serie tritt der Processus ensiformis in der Medianlinie zwischen dem siebenten Rippenpaare als ein un- paarer, oval gestalteter, vom Sternum iiberall getrennter Knorpel- kern auf. Seine Ränder sind nicht scharf abgegrenzt, indem die Knorpelzellen allmälig in mehr indifferentes Gewebe übergehen. Auf einem der letzten dorsalen Schnitte bemerkt man zwei bogen- förmige, mit dem siebenten Rippenpaare parallel verlaufende Leisten, welche an den Schwertfortsatz herantreten und dessen Zellen derart sich gegen die Mittellinie hin umformen, dass ein ganz allmäliger Übergang in diejenigen des Processus ens:farmie ausgesprochen ist (Figur 6 VIII); linkerseits finden sich aber noch deutliche Lager von Knorpelzellen in den bogenförmigen Leisten (2). Zwischen letzteren und den siebenten Rippen liegen die Intercostalmuskeln in gleicher Weise wie zwischen den übrigen Rippen angeordnet. In ihrem weiteren lateralwärts gerichteten Verlaufe waren leider die paarigen bogenförmigen Anhänge verletzt und daher nicht zu ver- folgen. 3) Ein 3,8 em langer Embryo. Auf den ventralen Schnit- ten befindet sich distal und getrennt vom Sternum jederseits ein Knorpelstab, welcher in paralleler Richtung mit dem steil abfallen- den siebenten Rippenpaare sich ausdehnt. Letzteres ist durch eine Zone mehr spindelförmiger Zellen gegen das Sternum abgesetzt. Auf einem der weiter dorsal gelegenen Schnitte (Figur 7) zwän- gen sich die siebenten Rippen zwischen das Brustbein und zwischen ein distal vom Sternum gelagertes Knorpelstiickchen ein, welches nichts anderes als die vereinigten paarigen Leisten der vorher- gehenden Schnitte darstellt, wie diese Fortsätze auch noch hier angedeutet sind. Dieser unpaare Knorpel ist dem Brustbeine zwar sehr genähert, von ihm aber durch stark roth gefärbte, quer zur me- dialen Vereinigungszone der Sternalleisten laufende Gewebsschichten getrennt. In dem unpaaren Knorpelanhange des Brustbeines erken- nen wir den Schwertfortsatz, welcher jederseits in einen seitlichen Fortsatz ausläuft, der uns auf den ventralen Schnitten als Knorpel- stab begegnet war. Auf den dorsalen nächstfolgenden Schnitten erhalten sich dieselben Zustände, späterhin wird der Übergang des knorpeligen Schwertfortsatzes in das Sternum links ein unmittel- barer: nur rechts besteht noch allenthalben eine quer verlaufende Trennungslinie. Der an das Sternum angefügte Processus ensifor- mis ist ganz homogener Natur und nichts deutet mehr auf eine ur- sprüngliche paarige Anlage hin. Morpholog. Jahrbuch. 6. Ww or 386 Georg Ruge 4) Ich lasse die Beschreibung des Thatbestandes bei einem 4,1 em langen Fötus folgen. Auf den dorsalen Schnitten des in eine frontale Serie zerlegten Brustbeines erblicken wir paarige Fortsätze an den distal noch un- vereinigten, mit dem siebenten Rippenpaare zusammenhängenden Sternalleisten (Figur 8). Diese Fortsätze weichen distalwärts aus einander und nehmen dadurch einen mit dem siebenten Rippenpaare mehr parallelen Verlauf an; sie enden, indem sie sich allmälig verjüngen, ohne scharfe Grenze. Knorpelzellen von derselben Be- schaffenheit, wie die im Sternum befindlichen, bauen die paarigen Fortsätze auf. Durchmustert man die Schnittserie genau,“so lässt sich durch eine Combination der einzelnen Schnitte leicht eonstati- ren, dass jederseits zwei lange bogenförmige Leisten aus indifferen- tem Gewebe an die paarigen Knorpelfortsätze herantreten, und zwar in ganz gleicher Weise, wie wir es von den früheren Objeeten ken- nen. Die proximalen Leisten sind als im Zusammenhange mit dem achten Rippenpaare stehend von hoher Bedeutung; die distalen lau- fen mit den vorigen parallel, aber an ihnen war eine Verbindung mit irgend welchen Rippen nicht nachzuweisen. Diejenigen knorpe- ligen Abschnitte des Sternum, welche distal von der siebenten Rippe sich befinden, stellen den Schwertfortsatz dar. Als bemerkenswerth für diesen Schwertfortsatz und zugleich als Unterschied zu den vorigen Objecten ist vor Allem die paarige An- lage hervorzuheben, welcher Zustand als ein primitiver aufzufassen ist, da er in späteren Stadien sich niemals wieder vorfindet und vor- trefflich aus dem in Figur 3 A dargestellten Thatbestand ableitbar ist. Im Unterschiede zu den früheren Objeeten ist die innige Ver- einigung des Schwertfortsatzes mit den Sternalleisten auffallend, worin aber wieder Anknüpfungspunkte an das früher in Figur 3 A gegebene Verhalten gegeben sind. Durch den Besitz von paarigen, lateral sich ausbreitenden Fortsätzen reiht sich unser Objeet den früheren an und erhält eine Bedeutung durch den nachweisbaren Zusammenhang der proximalen leistenförmigen Fortsätze mit dem achten Rippenpaare, was hier wie in Fig. 3 A mit Sicherheit beob- achtet werden konnte. Ein fast gleiches Verhalten wie beim vorigen Präparate sah ich wieder bei einem 3 em langen Embryo; es ist jedoch der Proces- sus ensiformis sowohl als auch der Brustbeinkörper durch einen ein- heitlichen, unpaaren Knorpel dargestellt. Auch hier ist die Conti- nuität der proximalen Fortsätze mit dem achten Rippenpaare und Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 387 der allmälige Übergang der Knorpelelemente in die Fortsätze über- zeugend nachweisbar. Auf einem der dorsalen Schnitte erblickt man links zwischen der achten Rippe und dem proximalen bogenförmi- gen Fortsatze ein isolirtes Lager von Knorpelzellen, welches darauf hinweisen dürfte, dass hier ein einheitlicher, beide Gebilde verbin- dender, Knorpelstreif existirte, der späterhin sich ungleich entwickelnd theilweis nur durch indifferente Gewebsleisten repräsentirt wurde. Versuchen wir nach den mitgetheilten Beobachtungen uns ein Bild von der Genese des Schwertfortsatzes zu entwerfen, so lässt sich am besten in der Art eine Erklärung für die angeführten Thatsachen fin- den, dass man sie von den auf Fig. 3 A dargestellten Zuständen, welche ohne Frage die ursprünglichsten sind, abzuleiten sucht. Ob aber bei der frühesten Anlage des Schwertfortsatzes bereits so große Schwan- kungen in der Form auftreten, wie wir es bei späteren Stadien sehen, kann man vorläufig nicht entscheiden. Den Entwicklungsmodus wird man sich folgendermaßen vorstellen müssen: 1) Der Schwertfortsatz legt sich ursprünglich paarig an. Beide Seitenhälften sind zu einer gewissen Zeit der Entwicklung mit den Sternalleisten entweder regelmäßig vereinigt (Fig. 3 A, Fig. 4, Fig. 8) und trennen sich mitunter bald von ihnen (Fig. 5—7) oder sie treten zuweilen getrennt von den Sternalleisten auf, um sich diesen erst später zu nähern (Fig. 7). Die Seitenhälften des Schwert- fortsatzes treten in nähere Beziehung zu einander mit der fortschrei- tenden Vereinigung der Sternalleisten und verwachsen darauf zu einem einheitlichen Organe. Man sieht noch den paarigen Zustand bei dem 4,1 cm langen Embryo erhalten. PARKER! ist bei seinen Untersuchungen ein mensch- liches Brustbein begegnet, an dem der Processus ensiformis noch durch eine mediale Trennungslinie getheilt erschien. Mir ist es sonst nie gelungen, an späteren Objecten Ähnliches nachzuweisen. Eine partielle distale Trennung hingegen findet sich bei Erwachsenen meistens noch in zwei seitlichen Auswüchsen ausgesprochen, welche zuweilen mit ihren Endabschnitten sich derartig vereinigen, dass zwischen ihnen und dem eigentlichen Körper des Schwertfortsatzes ein Loch entsteht, das später zum Durchtritte von Gefäßen dient. Ein solches Loch im Schwertfortsatze erscheint zuweilen schon in ganz frühen Embryonalzeiten. Und gerade das spricht dafür, dass dasselbe nicht einer Resorption von Knorpel-Material im Processus 11. c. pag. 224. Plate XXX Fig. 12. 388 Georg Ruge ensiformis seine Entstehung verdankt; anderseits aber lässt sich die Entstehung des Loches im Schwertfortsatze leicht durch die verschiedensten, sich an einander reihenden Zustände nachweisen. Man sieht bald die Fortsätze des Schwertfortsatzes einfach an einan- der gelagert, die Öffnung von unten her begrenzend, wie es auf Figur 9 bildlich dargestellt ist, bald fester mit einander vereinigt, um immer enger und enger das Loch umgrenzen zu helfen. Leiten wir die beschriebenen Entwicklungszustände von einer Form her, bei der anfänglich paarige Gebilde continuirlich mit den Sternalleisten im Zusammenhange stehen, so hat man sich vorzu- stellen, dass zuweilen sehr rasch eine innige Verschmelzung des paarigen Processus ensiformis erfolgt (Fig. 4) und dass die Abglie- derung vom Sternum in verschieden rascher Zeit vor sich geht (siehe Figur 4—8). Aber als eine constante Erscheinung müssen wir diese hervorheben, dass der Schwertfortsatz vom Körper des Sternum sich viel früher abgliedert als das Manubrium. Eine Erklärung für diese Thatsache ist darin zu suchen, dass viele mächtige Muskeln, wie z. B. das Zwerchfell, den Angriffspunkt auf den Schwertfortsatz be- sitzend eine frühzeitige Abgliederung einzuleiten im Stande sind. Für diejenigen Fälle, wo eine weite Trennung des Schwertfort- satzes vom Sternum zu beobachten war (Fig. 5), halte ich die Mög- lichkeit für nicht ausgeschlossen, dass beide Skelettheile überhaupt nie vereinigt gewesen waren. Dieser Zustand lässt sich wohl verste- hen, wenn der Schwertfortsatz, wie ich es unten zu zeigen versuchen werde, ein Derivat von Rippen ist, aber niemals, wenn man mit RATHKE und GOrre den Processus ensiformis als ein aus dem Ster- num hervorsprossendes Gebilde ansieht. 2) Der Schwertfortsatz des Menschen verdankt, gleich wie das übrige Brustbein, seine Entstehung den Rippen. Es betheiligen sich wahrscheinlich zwei der auf das siebente folgenden Rippenpaare an jenem Bildungsvorgange. Den Nachweis hierfür sehe ich darin, dass fast regelmäßig, sobald der Processus ensiformis angelegt ist, jederseits zwei mit den Rippen nahezu pa- rallel verlaufende und die Musculi intereostales zwischen sich fas- sende Zellenstränge an den Schwertfortsatz herantreten, von denen die proximalen ihre costale Natur zuweilen noch durch den unmittel- baren Zusammenhang mit dem achten Rippenpaare erkennen lassen (Fig. 3 A, 4, 6). Auf eine gleiche einstmalige gewebliche Continui- tät zwischen den distalen Strängen des Processus ensiformis und dem Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 389 neunten Rippenpaare kann nur nach Analogie mit den proxima- len Fortsätzen geschlossen werden, obgleich die in Fig. 4 gegebenen Zustände lebhaft dafür zu sprechen scheinen. Diese lassen sogar die Vermuthung entstehen, dass in den weiter distal gelegenen Fort- sätzen noch ein ferneres Rippenrudiment vorhanden sei. Bleiben hier allerdings noch Lücken in der direeten Wahrnehmung bestehen, so wer- den doch unsere Anschauungen über die Genese des Schwertfortsatzes aus Rippen nicht beeinträchtigt. Es scheint mir nämlich keine Deu- tung für jene paarigen Fortsätze befriedigender zu sein, als wenn man sie mit Rippen in Zusammenhang bringt. Es spricht der Ver- lauf und vor Allem die allmälige Rückbildung der Fortsätze zu Gunsten dieser Deutung, so wie der Umstand, dass eine gleiche Rück- bildung am achten Rippenpaare, wenn auch nicht so mächtig, aus- gesprochen ist. Wenn dem aber so ist, so besteht in der Genese des Schwertfortsatzes und der Sternalleisten eine völlige Übereinstim- mung: ersteren Skelettheil dürfen wir dann nicht mehr in dem ge- wöhnliehen Sinne als einen Fortsatz auffassen, sondern als ein mit dem Sternum gleichwerthiges Gebilde. Nur die verschiedenartige Ent- faltung der beiden gleich angelegten Theile führt zu einer so großen Divergenz derselben im ausgebildeten Zustande, dass der Schwert- fortsatz schließlich als ein Anhangsgebilde des eigentlichen Sternum er- scheint. Die Erscheinung einer aufgegebenen sternalen Gleichartigkeit des Processus ensiformis hängt ohne Frage mit Veränderungen an der vorderen Brustwand beim Menschen zusammen. Diese Veränderungen beruhen in einer mächtigen Entfaltung der proximalen, in einer Rück- bildung der distalen Abschnitte der vorderen Thoraxwand. Der Re- duetion unterliegen, was die costale Verbindung betrifft, die dem Processus ensiformis entsprechenden Theile in höherem Grade als die mehr proximal gelagerten Sternalabschnitte und die distalen Theile des Schwertfortsatzes in höherem Grade als die proximalen. Dadurch nun, dass die ungleiche Entfaltung der Abschnitte am Kör- per des Sternum nachweislich schon in sehr früher Embryonalperiode eingeleitet wird, sind wir darauf geführt, für die paarigen Fort- sätze des Processus ensiformis eine Erklärung darin zu finden, dass wir ihr Auftreten gleichfalls mit den mannigfachen Erscheinungen einer distalen Reduction des Brustbeines in Einklang bringen, d. h. dass wir eine distale Rippen - Ablösung vom Sternum annehmen. Diese Annahme lässt sich für das achte Rippenpaar noch bestä- tigen, sie verträgt sich auch recht gut mit vergleichend anatomi- schen Thatsachen: denn bei fast allen (inelusive den dem Menschen 390 Georg Ruge am nächsten verwandten) Säugethieren trägt das Brustbein mehr als sieben Rippen, bei manchen acht, neun und mehr. Nur bei einigen Thieren (Chiropteren) sinkt die Zahl auf sechs herab, bei nur wenigen sind gleich wie beim Menschen sieben sternale Rippen vorhanden. Sehen wir daher fast durchgehends in der Säugethier- reihe eine größere Anzahl von sternalen Rippen, als beim Men- schen, und ferner beim letzteren zuweilen eine achte Rippe mit zur Bildung der vorderen Brustwand beitragen, so wird es immer ver- ständlicher, warum in den paarigen Fortsätzen des Processus ensi- formis Rippenrudimente zu erblicken sind. Eine derartige Rückbil- dung von sternalen Rippen steht in der Natur nicht isolirt da. Einige von GOrTE! gemachte entwicklungsgeschichtliche Beobach- tungen dienen vortrefflich zur Demonstrirung des Vorganges. GÖTTE sah bei Knemidophorus die letzte Halsrippe, nachdem sie das Brust- bein hat entstehen lassen, von diesem wiederum sich trennen. Und auffallend genug konnte GÖTTE die alte Raruke’sche Angabe, dass das Sternum bei Anguis fragilis niemals mit Rippen in Verbindung ge- standen habe, berichtigen: auch hier trennen sich, allerdings sehr früh, Rippen von dem aus ihnen entstandenen Sternum los, so dass letzteres dann scheinbar als ein selbständiger in loco entstehender Skelettheil auftritt. Den Einwand wird man daher nicht gelten lassen dürfen, dass die paarigen Fortsätze des Processus ensiformis desshalb nicht als wirkliche Rippenrudimente aufzufassen seien, weil eine große gewebliche Differenz zwischen beiden Theilen bestehe. Die That- sache, dass in den zu dem achten Rippenpaare verfolgbaren aus indifferentem Gewebe bestehenden Strängen Lager von wirklichen Knor- pelelementen auftreten (Fig. 6 =), wird verständlich entweder durch die Annahme eines chondroplastischen Gewebes in den Strängen, welches zum größten Theile auf einer tiefen Entwicklungsstufe ste- hen bleibend zuweilen eine höhere Entwicklung nimmt oder durch die Annahme eines einstmaligen continuirlichen Knorpelstabes, der nur streckenweis zu Grunde geht. Wir sehen ja nicht selten die Thatsache veranschaulicht, dass Organbestandtheile, welche zur Rück- bildung prädestinirt sind, nicht dieselbe hohe gewebliche Entfaltung zu erreichen brauchen als die fortbestehenden, zu weiterer Function verwendbaren Abschnitte; trotzdem einmal zwischen den ausgebil- deten Theilen ein gleichwerthiges Bindeglied bestanden haben muss. Ist letzteres frübzeitig einer Rückbildung unterworfen gewesen, so ! Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XIV. Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 391 kann schließlich das Stadium der ursprünglichen Einheit des Organ- systems ontogenetisch übersprungen werden, und dann ist der Nach- weis dieses Zusammenhanges nicht mehr durch die direete Beobach- tung zu geben!. Auch desshalb ist die Deutung der paarigen Fort- satzbildungen am Schwertfortsatze als Rippenrudimente nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Am Kiemenskelete einiger hö- heren Säugethiere sehen wir analoge Vorgänge. Der zweite Kie- menbogen des Menschen wird ontogenetisch noch durch den einheit- lichen Retcnert’schen Knorpel repräsentirt, später trennt er sich in den Processus styloidus und das kleine Zungenbeinhorn. Der dritte Kiemenbogen ist in seinen dorsalen Abschnitten ganz zu Grunde gegangen, es legt sich nur noch der ventrale Abschnitt an, der sich zum Zungenbeine ausbildet. So sind an zwei Bogen die Beziehun- gen zum Cranium, die am ersten bestehen, aufgegeben. Ein treff- liches Beispiel für die allmälig ungleich auftretende Entfaltung eines Gewebes kennen wir in der Rückbildung des knorpeligen Cra- nium. Auch die Erscheinung, dass ein Skelettheil zuweilen fern von seiner Bildungsstätte auftritt und erst später mit ihr wieder in Beziehung tritt, wie dies von den Rippen bekannt ist, findet viel- leicht auf die Genese des Processus ensiformis Anwendung. Ob wir aber überhaupt irgend ein triftiges Argument kennen lernen werden, welches die in der »Entwicklungsgeschichte der Unke« aus- gesprochene GOrrer’sche Auffassung berechtigt erscheinen lässt, wo- nach der Schwertfortsatz als ein selbständiges in loco entstehendes Gebilde aufgefasst werden soll, das erscheint mir unwahrscheinlich. ' Für den Menschen müssen wir jedenfalls diese Behauptung aus gu- ten Gründen zurückweisen. Ein Gleiches gilt für die spätere An- nahme GOrre’s, welche er (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XIV. pag. 561) mit RaraKe theilt; »dass der Processus xiphoideus nicht etwa selbständig sich entwickelt, sondern aus einem allmälig her- vorwachsenden hinteren Zipfel der Sternalhälfte hervorgeht , also 1C. K. HorrmMann Il. c. pag. 41) vermuthet, wie ich sehe, eine der- artige »verkiirzte Vererbung« sogar fiir das ganze Gebiet der Rippen, indem er bei den niederen Wirbelthieren z. B. einen continuirlichen hyalinknorpeli- gen Zusammenhang zwischen eigentlichem Rippen- und Sternaltheil beobach- tete, welcher aber bei den Säugethieren dadurch nicht mehr ausgesprochen ist, dass an den Stellen der späteren Abgliederung das embryonale Bildungs- gewebe sofort in embryonales Bindegewebe iibergehe. Wenn ich auch diese Thatsache nicht für die unteren sternalen (5—7) Rippen des Menschen bestä- tigen kann, so ist die Thatsache doch vortrefflich auf das achte und neunte Rippenpaar anwendbar. 392 Georg Ruge den frei auslaufenden Brustbeinhörnern z. B. der Krokodile ent- spricht«. Indem wir nun in der angegebenen Weise an der Genese des Schwertfortsatzes aus Rippen festhalten, so finden wir für die längst bekannte Thatsache, dass auch mehr als sieben Rippen an das Brustbein herantreten, eine befriedigende Erklärung. Es handelt sich hier wohl regelmäßig um die Erhaltung des einstmaligen con- tinuirlichen Zusammenhanges von Rippen mit dem Schwertfortsatze. Auch andere Thatsachen lassen sich hier unterbringen. So beschreibt z.B. Orn! das Brustbein eines Neugeborenen mit zwei seitlich dem Processus ensiformis gelenkig angefiigten Knorpelstiickchen, welche er als Uberreste von Rippen deutet. Ahnliches beobachtete ich bei einem 58 Jahre alten Manne: der knöcherne Schwertfortsatz besaß hier drei knorplige Fortsätze, von denen der rechte parallel mit der siebenten Rippe verlaufend an die untere Fläche der achten mit- telst Bindegewebe sich anheftete (Figur 18). Dieser Fortsatz ist sehr beweglich mit dem Processus ensiformis verbunden und als ein Theil der achten Rippe aufzufassen. Die zwei weiter links ge- legenen Knorpelfortsätze bilden das schon früher in seiner Genese beschriebene Loch im Schwertfortsatze und erweisen sich durch diese Beziehungen wahrscheinlich als die paarigen Ausläufer des Processus ensiformis. Eine andere Beobachtung am Brustbeine eines älteren Indivi- duum diene hier als Beleg für den Verbleib von abgelösten Rippen- theilen am Schwertfortsatze, zugleich aber dafür, dass auch zuweilen die siebente Rippe den früheren Zusammenhang mit dem Brust- beine aufzugeben vermag (Figur 21). Während auf der linken Seite die siebente Rippe an den lateralen Rand des Schwertfortsatzes sich anfügt, endet dieselbe rechts in einer Entfernung von ca. 5cm vom Sternum. Sie schließt sich eng an die sechste Rippe an. Der Pro- cessus ensiformis läuft in drei knorpelige Fortsätze aus, von denen der rechte ca. 3 em lang ist und sich der unteren Fläche der sie- benten Rippe mittelst derben Fasergewebes anschließt. Ohne Zwei- fel ist in diesem Fortsatze ein abgelöster Theil der siebenten Rippe zu erblicken, wie aus dem Verlaufe und der Beziehung zu dieser hervorgeht. So schreitet also auch beim Menschen die Continuitäts- ! Sulla presenza di un articolazione costo-xifoidea nello scheletro hu- mano Sitzungsber. der mathem.-naturwissenschaftlichen Classe der kaiserl. Aka- demie der Wissenschaft. Wien 1858. Bd. XXXII pag. 302. Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 393 trennung zwischen Rippen und Brustbein .zuweilen bis auf die sie- bente Rippe vor. Die auffallend weite Entfernung der Ursprungs- stelle des Rippenrudimentes vom eigentlichen Körper des Brustbeines — eigentlich sollte ja die siebente Rippe zwischen Corpus sterni und Processus ensiformis sich befinden — erklärt sich daraus, dass der selbständig gewordene Rippentheil sich enger dem knorpeligen Schwertfortsatze anschloss, was geschehen kann, da zu Zeiten, wie wir sahen, knorpeliges Sternum und Schwertfortsatz oft einen einheit- lichen Skelettheil bilden. Verknöchert nun Schwertfortsatz und ein Theil der abgetrennten siebenten Rippe gemeinschaftlich, so liegt die Knorpelzone, von der das fernere Wachsthum ausgeht, proximal von beiden Gebilden. Es wird demgemäß durch das neu gebildete Material nothwendig die siebente Rippe weiter distal zu liegen kommen. Aber in gleicher Weise, wie von den früh auftretenden, paari- gen, bogenförmigen Leisten des Schwertfortsatzes, die ich als Theile der achten und neunten Rippe deutete, allmälig Alles zu Grunde geht, ist zuweilen auch an den siebenten Rippen dieser Vorgang ausgesprochen. So beobachtet man gar nicht selten am Brustbeine jederseits einen Zusammenhang mit nur sechs Rippen. Es endigte die siebente einmal rechts in einer ca. 6 cm großen Entfernung vom Sternum frei, links dem unteren Rande der sechsten Rippe angelehnt (Figur 20). Der knöcherne Körper des Schwertfortsatzes lief in zwei Knorpelstiibe aus, von denen der rechte gerade distalwärts sich er- streckte, der linke hingegen in seiner ganzen Ausdehnung der sechs- ten Rippe anlagernd nicht ganz 1 cm von der siebenten entfernt endigte. Fassen wir auch den linken Fortsatz als zur siebenten Rippe gehörig auf, so ist ein Gleiches von dem rechten schwerlich mit demselben Rechte zu behaupten. Wenn sich in Ausnahmsfällen bei Erwachsenen noch das achte ‚ Rippenpaar an das Sternum befestigt, ist die Verbindung mit dem Corpus sterni und dem Schwertfortsatze entweder eine gemeinsame (Fig. 19 rechts) oder eine mit dem letzteren allein bestehende oder aber von der Art, wie sie von LuscuKa! beschrieben und abgebil- det wurde. Es ist nämlich das achte Rippenpaar, wie auch häufig das siebente, mit seinen Enden vor dem Processus ensiformis gela- gert, wo eine Band- oder Gelenkverbindung vorhanden sein kann. Der Umstand allein, dass auch die siebenten Rippen, worauf schon ' Halbgelenke. pag. 205. 394 Georg Ruge SoEMMERING! aufmerksam machte, zu einer medialen Beriihrung ge- langen können, macht den Einwurf hinfällig, dass die achten Rippen erst secundär gegen die Mitte des Sternum herangewachsen seien. Für die Ansicht, dass sich der Zusammenhang der siebenten und achten Rippe mit dem Sternum allmälig lockern kann, lässt sich leicht eine ganze Reihe von Zuständen aufführen, aus denen ganz evident das Zurückweichen der achten Rippe hervorleuchtet. So sehe ich z. B., um nur Einiges anzuführen, an einem Objecte auf der einen Seite die Rippe sternal verbunden, auf der andern aber dieselbe frei in sehr geringer Entfernung vom Sternum endend (Fig. 19). An einem anderen Präparate eines Neugeborenen erstreckt sich rechts von dem Ende der achten Rippe ein faserknorpeliger Fortsatz zum unteren Rande der siebenten Rippe bis zu einer Ent- fernung von nur 1 em aus der Medianlinie, während links die ent- sprechende Rippe 2,5 em entfernt bleibt. Auch für die neunte, zehnte und elfte Rippe ist eine ähnliche Reduction ihrer me- dialen Abschnitte zu constatiren. Es sei nur die auffallende That- sache angeführt, dass zuweilen gerade in der Verlängerung dieser Rippen isolirte, in die breiten Bauchmuskeln eingestreute Knorpel- stiickchen sich finden. Mit ihnen müssen die Rippen einst durch wahre Knorpel oder durch chondroplastisches Gewebe verbunden gewesen sein. Da das Auftreten von derartigen Knorpeltheilen an diesen Orten sonst unerklärt bleibt. Zwischensehnen in den breiten Bauchmuskeln (M. obliq. int.), welche die Rippe und das isolirte Knorpelstück noch zuweilen verbinden, liefern hierfür den Beweis. An einem fötalen Brustbeine finde ich ein derartiges Knorpelstückchen in der Verlängerung der zehnten, an der Seitenfläche Erwachsener in der Verlängerung der neunten, zehnten und elften Rippe. Wenn auch durch andere Einflüsse bedingt, so sehen wir doch zuweilen eine gleiche Continuitätstrennung an der ersten Rippe ausgebildet. Auf der linken Seite eines 29jährigen Mannes erstreckt sich die knöcherne erste Rippe bis zur Mitte der knöchernen zweiten. An sie heften sich die Mm. scaleni fest, über sie verläuft die Arteria sub- clavia. Vom knöchernen Ende erstreckt sich ein ca. 2 cm langes derbes Band zum abgetrennten medialen knorpeligen Rippentheil. Waren wir im Stande, eine Anzahl von Thatsachen aufzuführen, welche für das Zurückweichen der distalen Rippen aus der Median- linie sprechen, so dürfte wohl auch das Anfangs Befremdende der 1]. c. pag. 145. Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 395 Ansicht sich verlieren, dass das achte und neunte Rippenpaar vom Sternum sich loslösend ihre medialen Produkte noch im Processus ensiformis wiedererkennen lassen. III. Capitel. Uber die Entwicklung der Sternoclavicularverbindung beim Menschen. Die Verbindung des Brustbeines mit dem Schliisselbeine ist durch ein Gelenk vermittelt. Dieses Gelenk bietet in so fern Eigenthümlich- keiten dar, als es in ähnlicher Weise wie das Kiefer- und Knie- gelenk durch eine faserknorpelige Scheibe in zwei Höhlungen ge- schieden ist. Auf die genaueren Verhältnisse dieser Zwischenscheibe und der Gelenkhöhlen gehe ich hier nicht ein, da die anatomischen Lehrbücher übereinstimmend hierüber berichten. Bei der entwick- lungsgeschichtlichen Untersuchung der Sternoelavieularverbindung war es mir nicht darum zu thun gewesen, auf die genetischen Beziehun- gen der Gelenke im Allgemeinen einzugehen und diese an einem speciellen Falle zu illustriren; es war meine Absicht, auf den mor- phologischen Werth der zwischen Sternum und Clavicula liegenden Gebilde näher einzugehen. Hier ist es vornehmlich die faserknor- pelige Scheibe, welche unser Interesse erregt. Früher schon hat dieses Gebilde die Aufmerksamkeit der Forscher in Anspruch ge- nommen. GEGENBAUR! homologisirte auf Grund vergleichend-ana- tomischer Untersuchungen die Zwischenscheibe (Cartilago interartieu- laris) des Menschen mit dem Episternum der Säugethiere. Letzteres ist bald von knorpeliger, bald von knöcherner Beschaffenheit und stellt bei den Monotremen und den Beutelthieren sich noch als ein einheitlicher, auf dem Sternum auflagernder Skelettheil dar, welcher mittelst zweier seitlichen Fortsätze die Vereinigung des Brustbeines mit dem Schlüsselbein bewerkstelligt. Allmälig geht das Mittelstück des Episternum zu Grunde, so dass nur die zwei seitlichen, also paarigen Abschnitte übrig bleiben, durch welche die charakteristische Brust-Schliisselbeinverbindung erhalten bleibt. Mit der Ausbildung von Gelenkhöhlen zwischen Episternum, Clavieula und Brustbein, ! GEGENBAUR, C. Uber die episternalen Skelettheile und ihr Vorkom- men bei den Säugethieren und beim Menschen. Jenaische Zeitschrift f. Medi- ein und Naturwissenschaften. Bd. I. pag. 175. 396 Georg Ruge wovon die ersten Zeichen beim Igel, Maulwurfe und Hamster zu beobachten sind, und die höher entwickelten Zustände bei den Flat- terthieren und den Primaten sich vorfinden, erleidet das Episternum eine sehr erhebliche Reduction. Bei den Chiropteren ist das Homo- logon eines Episternum nur noch in einem conischen Bande zu suchen, welches von dem hinteren unteren Theile der Clavicula ge- gen das Sternum sich begiebt; bei den Primaten dagegen ist dasselbe durch die Cartilago interarticularis repräsentirt. Wenn LuscHka ! die seltenen, zuerst von BRECHET? beschriebenen und als Reste ru- dimentärer Halsrippen gedeuteten Gebilde, welche dem Manubrium sterni des Menschen aufsitzen mit den Episternalstücken der Gürtel- thiere homologisirt, so hat GEGENBAUR? diese Deutung zurück- gewiesen, da die Theile bereits einmal in den Gelenkscheiben vor- liegen. GEGENBAUR bringt jene Gebilde mit dem unpaaren nur in wenigen Säugethier- Ordnungen sich forterhaltenden Mittelstücke des ursprünglichen Episternale in phylogenetischen Zusammenhang. Wir finden bei GEGENBAUR daher die Bemerkung, dass es höchst wahrscheinlich sei, »dass alle paarigen Episternalia nicht dem gan- zen, sondern nur den Seitentheilen des ursprünglichen entspre- chen, dass man sich also in jenen Fällen nicht eine Theilung des gemeinsamen Mittelstückes zu denken hat, sondern vielmehr eine allmälige zum Verschwinden führende Rückbildung desselben, in- dess die paarigen Seitenstücke fortbestehen. Reste des mit dem Ster- num vereinigten Mittelstückes sind aber beim Maulwurfe nachgewie- sen worden«. Die folgenden Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, ob in embryonalen Zeiten nicht einiges Weitere über den Verbleib der episternalen Theile beim Menschen sich feststellen lasse; ferner mit der Bestimmung des Ortes, an welchem die Gelenkhöhlen der Sternoelavicularverbindung aufzutreten pflegen, ob zwischen dem Episternum einerseits, dem Brust- und Schlüsselbeine anderseits, oder ob im Episternum selbst. Über die Entstehung des Episternum bei den Wirbelthieren etwas Bestimmtes auszusagen, gestatten mir die vom Menschen gewonnenen Resultate nicht. Letztere lassen sich wohl für und gegen die Görte'sche‘ Ableitung des Episternum von der Clavicula verwerthen. Die menschlichen Embryonen , welche zur ! Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. IV pag. 36. 2 Annales des sciences natur. 1838 T. IX. 3]. ce. pag. 189. i | 4 Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XIV. Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 397 Lösung dieser Fragen verwendet wurden, dienten zum Theile schon für die früheren Mittheilungen. Die kleinsten Objecte maßen in der Scheitel-Steiß-Länge ea. 2,4 Centimeter. Von den größeren Embryo- nen standen mir so viele Stadien zu Gebote, dass sich eine zum Verständnisse führende Untersuchungsreihe herstellte. Die postem- bryonalen Entwicklungsvorgänge sind von mir fast ganz außer Acht gelassen worden. Wiederholentlich begegnen wir auch hier dersel- ben Erscheinung wie früher, dass man nicht unbedingt nach der Größe der Objecte die vorgeschrittene Entwicklung voraussetzen darf. Ein Theil der Präparate wurde zuerst in Glycerin, darauf an horizontalen oder sagittalen Schnittserien untersucht. Da, wo es nothwendig erscheint, werden Anfangs die einzelnen Schnitte, darauf das aus ihnen reconstruirte Bild geschildert. 1) Mensehlicher Embryo von ea. 3 cm Sceheitel-Steiß- Länge. Frontale Schnittserie. Über das Verhalten der Rippen zu den Sternalleisten ist zu be- merken, dass wir eine sehr frühe Entwicklungsphase vor uns haben, in der noch nicht alle sieben Rippen zur Bildung der Sternalleisten beigetragen hatten. Letztere waren selbst an dem von der ersten Rippe gebildeten Abschnitte deutlich von einander getrennt. An dem Glycerinpräparate treten die Schlüsselbeine als dunkle stibchenformige Gebilde auf. Ihre medialen Enden sind nur durch einen kleinen Zwi- schenraum getrennt und liegen dem Sternum scheinbar unmittelbar an. Verfolgt man die ersten Rippen bis zu ihrem Übergange in die Sternalleisten, so gewahrt man jederseits ein durch schwach ange- deutete Contouren abgegrenztes, an der medial-proximalen Kante der Leisten gelegenes dreieckiges Feld, dessen Basis distal- und lateralwärts gerichtet ist. Dieses Feld scheint bei der Flächenansicht den Leisten selber anzugehören. Sehnitt I (Figur 10'). Die ersten Rippenpaare so wie die ab- wärts divergirenden Sternalleisten sind eine Strecke weit sichtbar und bereits von knorpliger Structur. Ganz kleine, mit verhältnis- mäßig großen Kernen versehene Zellen bauen diesen Knorpel auf, wobei die Intercellularsubstanz um so spärlicher erscheint, je weiter medialwärts man untersucht. So gewähren die Sternalleisten (S7) bei schwacher Vergrößerung nur ein gekömtes Aussehen, während in den Rippen schon große Knorpelzellen mit reichlicher Zwischensub- stanz erkennbar werden. Gerade proximal von den Sternalleisten 398 Georg Ruge liegt jederseits ein ovales, fast rundliches, dicht gedrängtes Zellen- lager (E. m.). Seine Elemente reichen medialwärts direct ans Sternum und scheinen hier sogar in diejenigen des letzteren über- zugehen, lateral hingegen besteht eine durch kleinere, weniger roth gefärbte Zellen gebildete Grenzlinie. So sorgfältig ich auch unter- suchen mochte, es war zwischen dem feineren Baue der Sternal- leisten und diesen Gebilden kein merklicher Unterschied wahrnehm- bar, vielleicht, dass die Elemente der auf dem Sternum gelagerten Stücke, welche wir auf Grund ihrer Lage als Suprasternalstücke benennen wollen, eine geringere Größe aufwiesen. Schnitt V. Die Rippen und Sternalleisten sind in ihrer gan- zen Ausdehnung durch den Schnitt getroffen, auch die Claviculae sind sichtbar (Fig. 102). Die proximalen von dem ersten Rippen- paare abstammenden Sternalabschnitte erscheinen ihrer Form nach Widderköpfen ähnlich, die sich mit der Stirn berühren. Auf ihnen lagernd sind wieder die vorher beschriebenen paarigen Stücke sicht- bar (E.m.); sie erreichen hier den größten Durchmesser. Der sagittale beträgt 0,25 mm, der transversale Durchmesser 0,45 mm. Die Gestalt ist demnach die eines langgestreckten Ovales, dessen größte Achse paral- lel der ersten Rippe verläuft. Der laterale Rand liegt etwa in dersel- ben Sagittalebene wie die Trennungslinien der ersten Rippe von den Sternalpartien. Rechts ist wieder ein ganz allmäliger Übergang in die Elemente der Sternalleisten wahrnehmbar, aber nur medial, wäh- rend lateral eine deutliche Trennungslinie persistirt. Proximal von den Bildungen liegen die längsgetroffenen Claviculae (07), deren sternale Apophysen in keinem Zusammenhange mit jenen stehen. Schnitt VII. Die Verhältnisse haben sich in so fern wesentlich geändert, als die auf den früheren Schnitten getrennten Supraster- nalstücke sich vollständig berühren. Seine Durchmesser haben sich gleichfalls geändert, der größte fällt in die Sagittalebene und über- ragt den transversalen fast um das Dreifache. Auch ihre Anheftung an die medialen Ränder der sich berührenden Sternalleisten ist eine inni- gere geworden. Die stark roth gefärbte periostale Schicht der Manu- briumhälfte bildet z. Th. eine scharfe Trennungslinie, die jedoch rechts an den medialen Partien aufgehoben zu sein scheint, so dass die Zellen der beiderlei Gebilde in einander übergehen, wie sich auch die Elementartheile nicht wesentlich von einander unterscheiden : sie sind durch einen großen Kern und ein enges Aneinanderliegen ge- kennzeichnet. Die Schlüsselbeine ragen beide in den von dem Sternum und den Suprasternalstücken gebildeten offenen Winkel hin- Untersuch. üb. Entwicklungsvorgänge am Brustbeine etc. des Menschen. 399 ein, und so erscheinen jene Stücke zwischen die Schlüsselbeine wie eingekeilt. Die Periostschichten der letzteren erreichen gegen das Sternum hin eine sehr bedeutende Mächtigkeit. Ihre kleinen roth gefärbten Elemente stellen einen allmäligen Übergang gegen die Suprasternalstücke dar. Schnitt IX (Figur 103). Die Suprasternalstücke erscheinen klein und rundlich, sie berühren einander und sind sogar ein wenig zwischen die Sternalleisten eingezwängt. Ihre Berührung mit den Claviculae ist noch lockerer geworden, indem kleinere, spindel- förmige und durch reichlichere Intercellularsubstanz getrennte Zellen zwischen beiden liegen. Während auf den folgenden Schnitten die Schlüsselbeine noch als fernere Bestandtheile auftreten, so ist weder von dem Sternum noch von den Suprasternalstücken etwas zu sehen. Das reale Bild, das sich durch eine Combination der Schnitte entwerfen lässt, ist folgendes: auf den beiden Hälften des unver- einigten Manubrium sterni befinden sich Bildungen von gleicher Structur mit dem Sternum, welche an bestimmten Stellen mit die- sem geweblich zusammenhängen. Diese Bildungen sind in dorso- ventraler Richtung über dem Manubrium gelagert. Ventral erscheinen sie von oben nach unten abgeplattet, weiter dorsal nimmt der quere Durchmesser an Länge rascher ab als der sagittale, so dass die Gebilde hier in platte Leisten übergehen. Sie verjüngen sich mehr und mehr, um abgestumpft zu enden. Ventral liegen die supraster- nalen Stücke weit aus einander, sie nähern sich dorsal und lagern schließlich ganz beisammen. So vereinigt zwängen sie sich zwi- schen die Sternalleisten ein. Die Schlüsselbeine lagern in den dorsalen Abschnitten der Su- prasternalstücke deren lateralen Flächen an, in den ventralen hin- gegen befinden sie sich mehr auf den proximalen Flächen jener Gebilde. Menschlicher Embryo von ca. 2,4 cm Scheitel-Steiß- Länge. Frontale Schnittserie (von 18 Schnitten). Die Sternalleisten berühren sich in größerer Ausdehnung. Wir erblicken hierin ein Argument für die weiter vorgeschrittenen mor- phologischen Zustände dieses Embryo. Aus dem sechsten, zehnten und elften Schnitte erkennen wir die Umwandlungserscheinungen der aus der vorigen Serie beschriebenen Suprasternalstücke. Jene beruhen darin, dass von der knorpligen Anlage der Gebilde nur noch auf den ventralen Schnitten eine 400 Georg Ruge Andeutung vorhanden ist. Auf Schnitt VI (Figur 11!) erscheint zwischen die sich berührenden Sternalleisten ein dreieckiges Knor- pelstückchen eingeschaltet (E. m.), dessen proximale Seite nach oben leicht convex ist und deren Verlängerung mit den Rändern der Sternalleisten zusammenfällt. Der dreiseitige Knorpel ist in der Medianlinie durch eine schwach rothgefärbte Zone in zwei Hälften getheilt. Diese Zone könnte als Fortsetzung der Trennungslinie zwischen den beiden Hälften des Manubrium aufgefasst werden. In dem feineren Baue stimmt das Manubrium mit dem Supraster- nalknorpel, welcher uns in jenem dreiseitigen Gebilde wieder er- scheint, völlig überein. Beide bestehen aus ziemlich großen, dicht an einander liegenden, z. Th. gegen einander abgeplatteten und mit einem großen Kerne versehenen Zellen. Die Clavicula (C/) neigt sich gegen die schwach angedeutete Ineisura clavicularis des Sternum hin, liegt daher ziemlich weit von dem suprasternalen Gebilde entfernt. Ein aus rundlichen kleinen Zellen zusammen- gesetztes Gewebe, welches nach beiden Seiten in das Periost der Clavieula zu verfolgen ist, füllt den Zwischenraum zwischen letzterer und dem Sternum aus. Es reicht lateralwärts etwa bis zur Abgliederungslinie der ersten Rippe vom Manubrium. Bei stärkerer Vergrößerung nimmt man in diesem Gewebe eine erste Differenzirung in drei Schichten wahr, deren Grenzlinien parallel dem Sternalrande verlaufen. Die intermediäre besteht aus mehr ovalen oder spindelförmigen Elementen. Züge von letzteren sind von der medialen Periostschicht der Clavicula zum lateralen Rande des Manubrium verfolgbar. Die zwei anderen Schichten, welche wir als »sternale« und »claviculare« bezeichnen wollen, entsprechen ein- ander im Baue und in der Breite; die eine steht in innigem Zu- sammenhange mit dem periostalen Gewebe des Sternum, die andere mit dem der Clavicula. Auf einem der folgenden Schnitte (siehe Figur 112) werden die geschilderten Verhältnisse nur durch die geringere Entfernung zwi- schen Sternum und Clavieula modifieirt; an den medialen Abschnit- ten bemerkt man jedoch manche Veränderungen. Dadurch, dass sich die medialen Ränder des Sternum jederseits stärker erheben, ist die Ineisura clavicularis deutlicher ausgebildet. Zugleich ent- steht durch diese Erhebungen und zwischen ihnen im Bereiche der Medianlinie proximal ein offener Ausschnitt, indem sich die Sternal- ränder unter einem spitzen Winkel vereinigen. Diesen Ausschnitt füllt ein unpaares Knorpelstiickchen aus, dessen oberer convexer Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 401 Rand den Ausschnitt kuppelförmig schließt. Seine geweblichen Eigenschaften stimmen ganz mit denen des Manubrium überein. Sehnitt XV (Fig. 113). Die hier gegebenen Zustände schließen sich an die vorigen eng an. Die Sternalleisten erheben sich mit ihren proximalen Rändern etwas mächtiger, fallen aber steiler gegen die Medianlinie hin ab; das unpaare mediale Knorpelstück sitzt keilférmig zwischen den Hälften des Manubrium und ragt proximal weiter als an den früheren Schnitten über das Sternum empor. Hier hat der Knorpel seine größte Höhe erreicht, sie beträgt 0,5 mm. Aus der Schilderung dieser Schnittserie folgern wir, dass die suprasternalen Gebilde Anordnung und Gestalt nicht unwesentlich veränderten. Die ursprünglich paarig angelegten Knorpelchen sind in großer Ausdehnung verschmolzen und nur noch in den ventralen Abschnitten spurweis paariger Natur. Die Gestalt ist die eines Kei- les mit abgerundeter proximaler Basis; zugleich ist der Knorpel in die proximal aus einander weichenden Sternalleisten eingezwängt, letztere mit seiner Basis überragend. Er ist durch Größe, Lage- rung und die näheren Beziehungen zum Manubrium sterni in seiner Selbständigkeit, verglichen mit früheren Zuständen, bereits erheb- lieh beschränkt. Hand in Hand mit dieser Erscheinung ist der einstmalige Zusammenhang mit dem Schlüsselbeine gänzlich aufge- geben; denn während letzteres anfänglich mit den perichondralen Schichten gegen die paarigen Suprasternalstücke gerichtet war, so sahen wir sie jetzt in einer engeren Beziehung zu den lateralen Par- tien der Manubriumhilften. In dem intersternoclavicularen Gewebe war die erste Sonderung in mehrere Schichten eingeleitet, in eine »elavieulare«, eine »intermediäre« und eine »sternale«. Embryo von ea. 3,5 em Scheitel-Steiß-Länge. Sa- gittale Schnittserie. Dieses Präparat dient einerseits zur Controle der vorigen Stadien, anderseits füllt es Lücken des bisher Vorgeführten aus. An den Schnitten, welche die seitliche Brustwandung treffen, befindet sich die Clavieula in weiter Entfernung von der ersten Rippe. Allmä- lig nähern sich beide Skelettheile der Medianlinie. An den Schnit- ten, bei denen die Sternalleisten getroffen wurden, findet eine un- mittelbare Berührung der letzteren mit den breiten perichondralen Schichten der Clavieula statt. Weiter gegen die Medianlinie zu schwindet die Clavicula ganz. An ihre Stelle tritt das dem längs- durchschnittenen Sternum proximal- und dorsalwärts aufsitzende Su- Morpholog. Jahrbuch. 6. ? 26 402 Georg Ruge prasternalstückehen. Die Größe desselben nimmt medial ab und ändert seine Form dergestalt, dass das aus der dorso - proximalen Kante des Manubrium entspringende Gebilde kappenförmig über das Manubrium sich lagert. Auf dem Schnitte, welcher gerade durch die Medianlinie geführt ist, fehlen die suprasternalen Stücke, aber sie treten in ganz entsprechender Weise wie an der einen so auch an der andern Körperhälfte wieder auf. Es sind daher hier noch die paarigen Zustände erhalten. Der entwicklungsgeschicht- lichen Stufenreihe nach stehen die Suprasternalgebilde des letzten Embryo etwa zwischen dem erst, und zweit beschriebenen. Denn sie erheben sich von der medialen Partie der dorsalwärts gerichteten Manubriumkante jederseits als ansehnliche Knorpelstücke und ver- einigen sich, indem sie immer schmaler werden, in der Medianlinie des Körpers. Allein schon dadurch, dass die lateralen Abtheilungen das Vierfache des sagittalen Durchmessers der medialen besitzen, ist die paarige Anlage hinlänglich documentirt. In Übereinstimmung mit der Serie I ist die Verbindung der periostalen elavieularen Schicht mit den Knorpeln vorhanden. Alle folgenden untersuchten Objecte stellen weit differenzirtere Stadien dar. An ihnen ist bereits eine Verschmelzung der Sternal- leisten, entweder in ihrer ganzen Ausdehnung oder doch in den proxi- malen Abschnitten vor sich gegangen (siehe Figur 12 u. 13). Der proximale Rand des Manubrium zeigt nirgends, auch in der Median- linie nicht, irgend welche Unebenheiten, welche noch auf die frühe- ren, durch die suprasternalen Stücke hervorgebrachten Zustände verwiesen. Es sind eben jene Stücke dem Manubrium einverleibt wor- den. Wir werden daher nicht mehr von ihnen zu handeln haben. Es sei nun unser Augenmerk noch auf die ferneren Differenzi- rungsvorgänge zu richten, welche an dem Gewebe zwischen Clavi- cula und Sternum sich vollziehen. Embryo von 3,5 em Scheitel-Steiß-Länge. Fron- tale Serie. Die Sternalleisten sind in der ganzen Länge vereinigt, jedoch erscheint auf allen Schnitten noch eine schwach roth gefärbte mediane Zone, welche nirgends bis an den proximalen Rand des Manubrium hinaufragt (Figur 12). Letzterer erscheint ventral leicht convex, weiter dorsal aber haben die Schlüsselbeine an ihm eine deutliche Vertiefung erzeugt, die erste Anlage einer Ineisura elavieularis sterni. Die knorpeligen Apophysen der Clavieulae sind auf den mittleren Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 403 Schnitten dem Sternum am meisten genähert. Das Zwischengewebe ist stark roth gefärbt, was von den klemen, mit verhältnimsäßig großen Kernen versehenen Formelementen herstammt. Durch alle. Schnitte hindurch lassen sich wieder die drei, hier aber schon schär- fer von einander getrennten Schichten unterscheiden: a) eine sternale (s}), b) eine claviculare (c/) und ec) eine intermediäre (2). Die beiden ersten sind, da sie sich continuirlich in das Peri- chondrium fortsetzen, anscheinend nichts anderes als die stark ver- dickten perichondralen Zonen. Sie bestehen aus rundlichen Elementen von der früher beschriebenen Eigenschaft. In der intermediären Schicht finden sich fast nur spindelförmige kleine Zellen, die in Reihen angeordnet von der medialen Fläche der Clavieula schräg lateral- und distalwärts zur ersten Rippe sich wenden, um hier an der Grenze zwischen erster Rippe und Manubrium sterni in das Pe- richondrium überzugehen. Die Mächtigkeit der drei Zonen wechselt in der Weise, dass auf den ventralen Schnitten Anfangs alle drei gleich sind, darauf die intermediäre zur schwächsten und die clavi- eulare zur mächtigsten wird. Auf den letzten dorsalen Schnitten hat die intermediäre Zone gegen die zwei andern an Dicke zugenommen. Von einer Gelenkbildung ist noch nirgends etwas wahrzunehmen. Embryo von 4,1 em Scheitel-Steiß-Länge. Frontale Schnittserie. Das Manubrium stellt eine homogene Knorpelmasse dar (Fig. 13). Es bestehen noch Spuren einer Ablösung der ersten Rippe vom Sternum. Die Differenzirung des intersternoclavicularen Gewebes in drei Schichten ist deutlicher zum Vorschein gekommen. Ventralwärts erscheint die sternale Zone (st) mit ihren sternalen Abschnitten dem Manubrium jederseits eng angeschlossen. Die claviculare (el) ist breit und berührt zum großen Theile die sternale Zone, wodurch die Zwischenschicht (7) comprimirt erscheint. Die sternalen und elavieu- laren Schichten bestehen aus den nämlichen rundlichen kleinen Elemen- ten, wie wir es früher erfahren haben. Dieselben gehen allmälig in die lateral gegen die erste Rippe gerichteten Züge von spindelför- migen Zellen der intermediären Zone über. Erst auf den weiter dor- salwärts folgenden Schnitten gewinnen alle drei Zonen eine mehr gleiche Dicke; die Hauptabschnitte der sternalen bleiben dabei mehr medial gelagert: 26* 404 Georg Ruge Während auch an diesem soeben vorgeführten Objecte noch gar keine Andeutung einer Gelenkhöhle zu sehen ist, so treten uns solche bei allen späteren entgegen. Es sind ihrer stets zwei, von denen die eine proximal, die andere distal von der intermediären Sehicht zu finden ist. Die perichondrale Clavieular- und Sternal- zone helfen die Höhlungen begrenzen. Embryonen bis zu 5,5 em Scheitel - Steiß - Länge. Frontale Schnittserien. Auf den ersten ventralen Schnitten tritt allein die proximale Gelenkhöhle auf, darauf erscheinen proximale und distale Höhle zusammen auf einem Schnitte. Die erstere erstreckt sich weiter lateral als die letztere, zugleich aber ragt diese medialwärts über die erste hinaus. Die intermediäre Zone übertrifft ventral die sternale fast um das Fünffache. Allmälig gewinnen beide Zonen eine gleiche Breite, wobei die sternale ihren Durchmesser nicht wesent- lich ändert. Der zehnte Schnitt lässt folgende Zustände erkennen: die distale Gelenkhöhle ist proximal durch die als Scheidewand zwi- schen beiden Gelenkhöhlen auftretende intermediäre Zone begrenzt. Ihre Ränder sind zerklüftet und mit frei in das Lumen hineinreichen- den Gewebsfetzen behängt. Der distale Rand bildet beiderseits die Fortsetzung der Grenze zwischen der sternalen und intermediären Zone, er ist weniger uneben als der proximale. Die spindelförmi- gen Elemente der intermediären Zone gehen lateral und medial von den Gelenken in die zwei andern Schichten über; die sternale von ihnen besitzt einen Höhendurchmesser von 0,333 mm, rechts ist sie überall gleichmäßig, links hingegen nimmt sie medial um über das Doppelte an Mächtigkeit zu. Die gegen die Gelenkhöhlen gerichte- ten Zellen der sternalen Zone sind ausgeprägt spindelförmig und dureh reichliche Zwischensubstanz getrennt. Gegen das Manubrium zu formen sich die Zellen erst in rundliche, mit großen Kernen ver- sehene um, darauf in wahre Knorpelzellen, die sich von denen des Manubrium in gar nichts unterscheiden. Daher ist auch der Über- gang der sternalen Schicht in das Manubrium ein ganz unmerklicher; ein Unterschied zwischen beiden besteht nur in der stärker roth ge- gefärbten Intercellularsubstanz der sternalen Zone. Mit der Abnahme der Héhendurchmesser der 3 Schichten gegen das Dorsum ist die Clavicula dem Sternum genähert, die sternalen Schichten gewin- nen erst wieder an Mächtigkeit auf den am weitesten dorsal ge- legenen Schnitten, auf denen auch wieder die Clavicula weiter vom Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 405 Sternum entfernt liegt. Auf einem dieser Schnitte beträgt der Hö- hendurchmesser der sternalen Schicht 0,06 mm, während jener der intermediären nur um weniges mehr als 0,08 mm beträgt. Diese Serie ist von den vorigen unterschieden: 1) durch das Auftreten von zwei Gelenkhöhlen zwischen den drei Schichten des intersternoclavieularen Gewebes und der beginnenden Ausbildung der Zwischenzone zur späteren Cartilago interarticularis; 2) durch die weit vorgeschrittene gewebliche Differenzirung jener drei Schichten. Während die claviculare am weitesten das ursprüngliche Verhalten bewahrte, so erlangte die sternale Zone so innige Beziehung zum Manubrium sterni, dass eine Trennung von dieser nur durch die verschieden roth gefärbte Intercellularsubstanz angedeutet schien. Die sternale Schicht legt sich dabei scheibenförmig über die Incisura clavicularis des Manubrium und nur an einzelnen Stellen ragt sie weiter medial, und giebt dadurch die engeren Beziehungen zur dista- len Gelenkhöhlung auf. Dorsal wird die Scheibe am mächtigsten, sie überragt hier den ventralen Höhendurchmesser fast um das Doppelte. Embryonen von 10—12 em Scheitel -Steiß - Länge. Frontale Schnittserie. Die Zustände an diesen Objecten stimmen mit einander im We- sentlichen überein. Ich wähle daher zur Beschreibung einen 10 em langen Embryo, an welchem das Wichtigste sich in folgender Weise darstellt (Figur 1513). Die proximale Gelenkhöhle reicht wie an den früheren Präparaten weiter lateralwärts als die distale, und diese weiter medialwärts als die erstere. Auf den ventralen Schnitten ist die claviculare Zone nur durch das schmale Perichondrium der knorpe- ligen Apophyse der Clavieula dargestellt; von gleicher Höhe sind die intermediäre Scheibe und die sternale Schicht, welche letztere sich weit über die proximale Gelenkhöhle hinauserstreckt, sie stellt von ihrem medialen zum lateralen Abschnitte eine gleichmäßig dicke, dem Manubrium aufsitzende Leiste dar. Dorsal nimmt der Höhendurch- messer der sternalen Schicht allmälig ab, gleichzeitig aber sehen wir dieselbe weiter medialwärts auf dem Körper des Manubrium wieder, um schließlich mit den Gelenkhöhlen gemeinsam zu ver- schwinden. Die intermediäre Zone ist am dünnsten da, wo Clavi- cula mit dem Sternum in nächster Berührung steht, sie zeigt im Baue und in der Lagerung gleiches Verhalten wie früher. Der feinere Bau und auch das ganze Aussehen stimmt vollkom- 406 Georg Ruge men mit demjenigen des Manubrium überein. Beide bestehen überall aus Knorpelgewebe mit reichlicher, ungefärbt gebliebener Intercel- lularsubstanz. Während noch auf früheren Serien ein Übergang von der sternalen Zone ins Manubrium stattfand, so hat sich auch hier allenthalben eine stark roth gefärbte Scheidelinie, aus klei- nen rundlichen Zellen bestehend, ausgebildet. Die auf den weiter dorsal gerichteten Schnitten sich findenden medialen Fortsetzungen der knorpligen sternalen Zonen bestehen aus indifferenteren Zellen; sie stimmen mit denen des Perichondriums mehr überein, so wie sie auch in die des letzteren übergehen. Bei der Durchsicht von Präparaten älterer Embryonen, z. B. eines 11,5 cm langen Knaben (siehe Figur 16), ist eine Abnahme an den Höhendurchmessern, zugleich aber eine Breitezunahme der sternalen knorpeligen Schicht leicht zu constatiren. Weitere Stadien von menschlichen Embryonen habe ich nicht unter- suchen können, und so lassen sich die Beobachtungen erst wieder an die Zustände von Neugeborenen anreihen (Figur 17). Die ster- nale Zone ist auch hier vorhanden. Aber die continuirliche Ausdeh- nung ist eine sehr geringe, sie beschränkt sich eng auf die distale Gelenkhöhle, welche sie begrenzen hilft. Weiter medialwärts von der Gelenkhöhle konnte ich Nichts mehr wahrnehmen, was an frü- here Zustände erinnern könnte. Daraus, dass das Wachsthum der sternalen Leiste zurückgeblieben ist, erklärt sich der geringe Höhen- durchmesser, welcher nicht mehr als bei dem 12 cm langen Embryo beträgt. Auch gewebliche Differenzirungen haben sich in der ster- nalen Leiste eingestellt. Denn obgleich unzweifelhaft Anhäufungen von Knorpelelementen noch in ihr vorhanden sind, so lässt eine stär- kere rothe Färbung und Züge spindelförmiger Elemente doch schon eine große Verschiedenheit von dem Baue des Sternalknorpels er- kennen. Die Riickbildung, welehe die knorpelige Sternalzone des Neu- geborenen erleidet, findet sich, wie es scheint, deutlicher bei älteren Individuen ausgesprochen. Einem völligen Untergange jedoch schei- nen die Sternalzonen nicht zu unterliegen, wenn wir die von LuscuKa ! herrührenden Angaben über den feineren histiologischen Bau des knor- peligen Überzuges an der Handhabe des Sternum beim Menschen mit unseren früheren Beobachtungen in Zusammenhang: zu bringen versu- chen. »Für die Dauer einer vollständigen Continuität,« sagt LuscHKa, »mit ' Halbgelenke ete. Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 407 dem Knorpel der ersten Rippe hat’ der Überzug zweierlei Schichten, eine tiefere vom Rippenknorpel herrührende mit hyaliner, eine ober- flächliche mächtigere mit faseriger Grundlage. Später besteht er in seiner ganzen Dicke aus einem faserknorpeligen Gewebe.« Man dürfte wohl darin nicht fehl gehen, wenn man in der oberflächlichen fase- rigen Schicht der knorpeligen Gelenkfläche des Manubrium sterni die Überreste der oben ausführlich behandelten sternalen Schicht der Sternoelavieularverbindung erblickt. Wahrscheinlich verknöchert die tiefe hyalinkorpelige Schicht nach dem 30. Lebensjahre, so dass dann nur noch die faserige oberflächliche übrig bleibt, um die distale Ge- lenkhöhle zu begrenzen. So weit das Thatsächliehe über das in diesem Capitel behan- delte Thema. Es handelt sich, wie aus dem Mitgetheilten ersicht- lich sein wird, bei den genetischen Beziehungen des Sternoclavieu- largelenkes um ziemlich complieirte Verhältnisse. Des besseren Verständnisses wegen fasse ich hier die gesammten Vorgänge in Kurzem zusammen: In früher Embryonalzeit, wo die Sternalleisten sich noch nicht in ihrer ganzen Länge vereinigten und zwischen Clavieula und den Sternalleisten nur indifferentes Gewebe sich vorfindet, erscheinen zwei selbständige Gebilde, welche zu den Sternalleisten in nähere Beziehung treten. Anfänglich trifft man dieselben jederseits auf den sternalen Abschnitten der proximal unvereinigten Manubriumränder “aufsitzend und von der ventralen zur dorsalen Fläche sich herüber- lagernd. Später verwächst das paarige Gebilde, indem es gleichzeitig eine mehr und mehr knorpelige Beschaffenheit annimmt, zuerst in seinen dorsalen Abschnitten, schließlich in der ganzen Ausdehnung. Indem dieser Process vor sich geht, kommt das unpaar werdende Knorpel- stiickchen immer mehr zwischen die noch unvereinigten Hälften des Manubrium sterni zu liegen. Schließlich ragt nur noch die proxi- male Fläche des Knorpels über das Manubrium kuppelförmig her- über. Mit der innigen Verschmelzung der beiderseitigen Sternalleisten sieht man auch die Grenze zwischen dem erwähnten Knorpelstücke und dem Manubrium zuerst undeutlicher werden, darauf gänzlich verschwinden, ein Beweis dafür, dass in diesem Zustande jenes dem Sternum einverleibt worden ist. Und zwar gestaltet sich die Ver- wachsung beider zu einer so innigen, dass man nirgends mehr eine Andeutung von verschiedenen, d. h. heterogenen Bildungen wahrzu- nehmen vermag. ' Das spätere Manubrium sterni ist daher aus zwei sich verschie- 408 Georg Ruge den verhaltenden Bildungen zusammengesetzt. Die eine von ihnen ist sicher costaler Natur, und zwar zum weitaus größten Theile von der ersten Rippe herstammend; von wo aber die andere, die der suprasternalen Theile, herzuleiten ist, lässt sich für den Menschen, so weit meine Untersuchungen reichen, nicht entscheiden. Nachdem die Sternalleisten sowohl unter einander als auch mit den suprasternalen Knorpelstückchen vereinigt sind, differenzirt sich das intersternoclaviculare Gewebe in drei ganz discrete Schichten, von de- nen die eine mit dem Perioste der Clavicula, die andere mit dem des Sternum zusammenhiingt und die letztere zwischen den zweien sich befindet. Es entwickeln sich an der Grenze je zweier dieser _Schichten , in verhältnismäßig später Embryonalzeit, die das ganze Leben hindurch sich forterhaltenden Gelenkhöhlen der Sternoclavicu- larverbindung. Die ursprünglich fast gleich stark entwickelten Gewebsschichten unterliegen einem verschiedenen Schicksale. Die der Clavicula zu- gehörige nimmt im Laufe der embryonalen Entwicklung an Mächtig- keit ab und schwindet, sich in hyalinen Knorpel umwandelnd, bis auf den schwachen, der proximalen Gelenkhöhle zugekehrten Uber- zug des Schliisselbeines. Die Zwischenschicht, welche stets ihre wichtigen Beziehungen zu den beiden Gelenkhöhlen bewahrt, wan- delt sich in Faserknorpel um und erscheint uns später als die Car- tilago interarticularis. Eine Reihe auffallender Umbildungen erfährt , die dem Sternum anliegende letztere Schicht. Anfänglich stellt die- selbe, da ihre Elemente ganz mit denen des Perichondrium am Ma- nubrium übereinstimmen, eigentlich auch nichts als eine Verbreite- rung derselben vor, welche verschieden weit medial- oder lateralwärts sich auszubreiten vermag. Anfänglich sind die Formbestandtheile der sternalen Schicht mehr indifferenter Natur, sie formen sich nach und nach in wahre hyaline Knorpelelemente um, deren Übereinstim- mung mit denen des Manubrium zu bestimmten Zeiten sehr auffallend ist. In diesem Zustande findet man die sternale Schicht jederseits als eine flache Knorpelplatte dem Sternum dort aufgelagert, wo spä- ter die Incisura elavieularis sich ausbildet. Sie hilft demgemäß die distale Gelenkhöhle begrenzen, von welcher weiter medialwärts Fort- sätze jener Knorpelscheiben sich verfolgen lassen. Diese lagern dem Manubrium gleichfalls auf, sind von ihm aber durch eine stärker in Carmin sich färbende Zone abgegrenzt. Die mächtigste Entfaltung erreichen die sternalen Schichten etwa bei Embryonen von 10— 12 em Steiß-Scheitellänge. Von hier an fallen die Knorpelscheiben einer Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 409 allgemeinen Riickbildung anheim, die bei Neugeborenen so weit vor sich gegangen ist, dass nur noch eine ganz schmale Leiste jener Knor- pelscheiben übrig blieb (siehe Figur 17). Sie birgt in sich noch deutliche Knorpelelemente, aber die Intercellularsubstanz ist von der- jenigen des Sternum ganz different geworden, was sich aus der star- ken rothen Carminfärbung ergiebt, so wie aus dem mehr faserigen Baue und vielen eingestreuten spindelförmigen Formelementen. Hat sich nun auch eine gewebliche Differenzirung zwischen dem Brust- beine und der sternalen Schicht ausgebildet, so ist dennoch der Übergang des ersten in die letztere ein ganz allmäliger geblieben. Was das postembryonale Schicksal der sternalen Schicht betrifft, so geht sie, wie es scheint, in Faserknorpel über, um in dieser Form den größten Theil des Lebens fortzubestehen. Fragen wir nach der morphologischen Bedeutung jener embryo- nal auftretenden, theils sich wieder rückbildenden, theils in ihrer Selbständigkeit später beeinträchtigten Gebilde, so lässt sich wohl, wie ich glaube, für die zwischen Clavieula und Sternum befindlichen Theile eine Erklärung geben. Wir erinnern uns, dass in der Car- tilago interarticularis des Menschen auf Grund ihrer Lagerungsbe- ziehungen zum Brustbeine und zur Clavicula ein Überrest des Epi- sternum der Säugethiere aufgefunden worden ist. Da nun aber die Cartilago interartieularis, wie wir haben nachweisen können, als ein Differenzirungsproduct einer ursprünglich umfänglicheren intersterno- elavieularen Gewebsanlage aufgefasst werden muss, durch welche sie mit zwei anderen Producten, unserer früheren »sternalen« und »elavieularen« Schicht, in engem genetischen Zusammenhang steht; so werden wir auch diese zwei Schichten in gleicher Weise wie die Cartilago interartieularis als homologe Abschnitte des anfänglich bei den Säugethieren ungegliederten Episternum auffassen müssen. Die ungleiche gewebliche Differenzirung, welchen die drei durch die Gelenkhöhlen gesonderten Schichten unterliegen, ist wohl durch die neuen functionellen Beziehungen hervorgerufen, welche die selb- ständigen Schichten zur sternoclavicularen Gelenkverbindung gewin- nen. So darf man sich den: Ersatz der zarteren hyalinen Knorpel- substanz durch das faserknorpelige Gefüge in der Zwischenbandscheibe dadurch bedingt vorstellen, dass letztere durch die freie Einfügung zwischen Sternum und Clavicula den mechanischen Insulten lebhaf- ter ausgesetzt eine derbere Grundsubstanz erforderte. Auch anderswo finden wir, unter gleichen Bedingungen, ähnliche Einrichtungen am 410 Georg Ruge Kiefer- und am Kniegelenke. Da hingegen, wo die Episternaltheile dem festeren Knochengeriiste eng angelagert bleiben, bilden sich einerseits, so an der Clavicula, jene Theile frühzeitig zurück, ander- seits erlangen sie am Sternum zu Zeiten ihre ursprüngliche, bei sehr vielen Säugern noch knorpelige Beschaffenheit wieder. Doch auch hier unterliegen die Überreste des Episternum späterhin einer Rück- bildung. Erweist sich die Deutung der drei intersternoclavicularen Bil- dungen als Episternalstücke als richtig, so ist die Anschauung über die Genese der Gelenkhöhlen dahin zu modifieiren, dass letztere nicht zwischen Episternum, Clavicula und Sternum, sondern interepisternal auftreten. In Ausnahmsfällen treten beim Menschen die zuerst von BRE- CHET beschriebenen Gebilde auf, für deren Deutung als Episternal- stiicke, wie sie von LuscHKA angegeben und von GEGENBAUR modi- fieirt wurde, meine Beobachtungen einen neuen Beleg abgeben. Diese Brecuet’schen Gebilde sind Knochen oder Knorpel, welche medial von der Gelenkfläche für die Clavicula dem Sternum unmittelbar auflagern, sogar mit ihm verwachsen sein können. Da nun zu beob- achten war, dass die embryonalen »sternalen« Schichten sich meistens bis über die für die BrecHer'schen Knochen bestimmten Stellen medial- wärts zu erstrecken pflegen; so kann hier gerade ein günstiger Boden für eine zuweilen weitergehende Entfaltung episternaler Stücke gegeben sein, vielleicht weil mechanische Insulte von dem Schlüsselbeine aus mehr oder weniger ausgeschlossen sind. Dafür, dass die BRECHET- schen Knochen knorpelig präformirt und desshalb mit Fug und Recht zu den knorpelig auftretenden Episternalstücken zu rechnen sind, spre- chen die Beobachtungen bei Neugeborenen und Kindern aus den ersten Lebensjahren. Bei ihnen habe-ich wiederholentlich an der bestimm- ten Stelle des proximalen Manubriumrandes größere faserknor- pelige Bildungen angetroffen, die später wohl auch einem Schwin- den anheimgefallen sein würden. Auf der Figur 22 ist mit = ein derartiges Gebilde von einem 6 Monate alten Kinde bezeichnet, wel- ches die zwischen Sternum und der Cartilago interarticularis befind- liche Gelenkhöhle medial begrenzen hilft und bei starker Vergrößerung den auf Figur 22! abgebildeten faserknorpeligen Bau besitzt !. ! Kürzlich veröffentlichte Prof. K. BARDELEBEN seine Untersuchungen über das Episternum des Menschen (Sitzungsberichte der Jenaischen Gesell- schaft für Medicin und Naturwissenschaften. Jahrg. 1879. Sitzung vom 12. De- N Untersuch. iib. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine etc. des Menschen. 411 Es bleibt uns nunmehr noch übrig, Anknüpfungspunkte zu fin- den für die embryonalen paarigen Knorpelchen, welche nahe der Mittellinie dem Manubrium sterni aufsitzen. Auch für ihre Deutung ist vielleicht das Episternum der Säugethiere heranzuziehen. Es wäre daran zu denken, dass jene paarigen Knorpelchen Überbleibsel des Mittelstiickes vom Episternum darstellten. Wenn dem aber so ist, so liegt die Vermuthung nahe, in der Paarigkeit jener embryonalen Knorpelstückehen des Menschen auch einen Hinweis auf eine ur- sprüngliche paarige Anlage des Episternum der Säugethiere über- haupt zu erblicken, wofür der Beweis gegeben ist, wenn die Görre'sche Herleitung des Episternum aus den Schlüsselbeinen eine richtige ist (Archiv f. mikroskop. Anat.). Wir müssen aber auch die Möglichkeit zugeben, dass bei näherer Kenntnis von der Natur der paarigen suprasternalen Knorpelstücke diese einstens mit dem cember), die zu dem Ergebnisse führten, dass in den tieferen, zwischen den Menisci und dem oberen Rande des Manubrium sterni befindlichen Schichten des Liga- mentum interclaviculare Reste eines medialen Theiles des Episternum sich finden und dass ein Theil des mittleren, unpaaren Abschnittes des Episternum wahrscheinlich in die Bildung des Manubrium übergegangen seien. Meine mit- getheilten Beobachtungen schließen sich denen von BARDELEBEN keineswegs an. Es ist mir nicht gelungen, bei 12wöchentlichen und älteren Embryonen einen continuirlichen faserknorpeligen Streif wahrzunehmen, wie ihn BAR- DELEBEN beschreibt, der von der Mitte des Manubrium aus nach den Seiten sich erstreckt, um sich dort mit einem Schenkel dem lateralen Rande des Ma- nubrium und mit einem anderen in die Clavicula und in den Meniscus überzu- gehen. Bindegewebsstränge, welche mit den drei oben beschriebenen Inter- sternoclavicularscheiben, mit dem proximalen Rande des Manubrium und mit den Lagerstätten von Faserknorpel an den Stellen, wo die BRECHET'schen Ge- bilde zu lagern pflegen, eontinuirlich zusammenhängen, habe ich allerdings bei etwas älteren Embryonen stets wahrnehmen können. Diesen Bindegewebszügen die Bedeutung von Episternalresten zuzuschreiben, halte ich für unzulässig; anders, wenn in ihnen wirklich Knorpelelemente auftreten. Ich möchte mich zu Gunsten die- ser Ansicht vor Allem auch dann nicht aussprechen, wenn die in einer sehr viel früheren Embryonalperiode auftretenden supersternalen Knorpelstücke als Überreste eines knorpeligen Episternum der Säugethiere zu deuten sind. Es liegt dann eine Schwierigkeit darin, die an der nämlichen Stelle später auftre- tenden Gebilde mit dem gleichen Episternum zu homologisiren. Dann dürfte es nicht gefehlt sein, die Bedeutung des von BARDELEBEN beschriebenen faser- knorpeligen Streifens als Episternalrest nur auf die medial von den Gelenkhöhlen lagernden Theile auszudehnen, die sich zuweilen zu den größeren Skelettheilen (BRECHET’s) entwickeln. Haben aber die von mir beschriebenen Knorpelstücke die Bedeutung von Rippenresten, so mögen die auf dem oberen Rande des Manubrium von BAR- DELEBEN wahrgenommenen Faserknorpel die Bedeutung eines mittleren Epi- sternalrestes beanspruchen. 412 Georg Ruge siebenten Halsrippenpaare in genetische Beziehung zu bringen sind. An Wahrscheinlichkeit würde diese Ansicht gewinnen, wenn uns Fälle bekannt würden, in denen die sonst eine Rückbildung erleidenden Rip- pen bis zum Manubrium sterni verfolgbar wären. Ich möchte trotzdem dieser letzteren Deutungsweise in so fern mich lieber anschließen, als folgende Factoren für die Rippennatur der betreffenden Stücke zu sprechen scheinen: 1) ihre gewebliche Übereinstimmung mit dem Manubrium sterni, 2) ihr zeitlich mit den Sternalleisten überein- _Stimmendes und ihr so sehr verschiedenes Auftreten von dem der anderen Episternalreste (wir werden Reste der Rippen, da diese phylogenetisch die älteren Theile sind, ontogenetisch auch früher erwarten als Episternaltheile), 3) ihr so rasches Verschmelzen mit dem Manubrium, während die Episternalreste nicht einfach dem Manu- brium sich einverleiben, sondern sich zum größten Theile rückbilden. Wir lassen die Frage nach der wahren Natur der besproche- nen Knorpelstücke offen und warten auf nähere Untersuchungen. Heidelberg, Juni 1879. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVII—XIX. Fig. 1. Ventrale Flächenansicht eines in Glycerin aufgehellten Brustbeines von einem ca. 3,0 cm großen menschlichen Embryo. Vergrößerung: 3/,. Fig. 2. Ventrale Flächenansicht eines Brustbeines von einem ca. 3,5 cm großen menschlichen Embryo. Vergrößerung: 24/;. Fig. 3. Frontalschnitt durch den ventralen Abschnitt eines Brustbeines von einem ca. 2,4 cm langen menschlichen Embryo. Die Sternalleisten (82) sind noch durch quer verlaufende dunklere Schichten in mehrere Abtheilungen gesondert. Vergrößerung: 30/;. Fig. 3A. Brustbein eines ca. 2,5 em langen menschlichen Embryo. Die dar- gestellten Verhältnisse entstanden nach einer Combination mehrerer auf einander folgender Frontalschnitte. Beide knorpligen Sternalleisten (SZ) sind von der vierten Rippe an getrennt und hängen jederseits mit acht Rippen, distalwärts mit dem paarigen stabförmigen, in die Bauchdecken ragenden Processus ensiformis (P. e.) zusammen. Zwi- schen den ersten sechs Rippenpaaren und den Sternalleisten sind An- deutungen einer Abgliederung vorhanden. (! Schlüsselbeine; EZ. m Lager dicht gedrängter Zellen an dem proximalen Rande der Sternal- leisten. Vergrößerung: '/;. a FE u 2 zu Zu Untersuch. üb. Entwicklungsvorgänge am Brustbeine etc. des Menschen. 413 Fig. 4. Frontalschnitt durch den dorsalen Abschnitt eines 3,0 em langen menschlichen Embryo. Die Sternalleisten (SZ) sind median unver- einigt. Vom Processus ensiformis (P. e) erstrecken sich lateräl- wärts paarige Fortsätze. Proximal von der fünften Rippe sind die Sternalleisten durch querverlaufende Linien getrennt. Vergröße- rung: Bf. Fig. 5. Frontalschnitt durch die 5. — 7. Rippe und den unpaaren Schwert- fortsatz. Menschlicher Embryo von 3,8 em Länge. Sternalleisten sind distal noch unvereinigt; zwischen ihnen liegt die eine siebente Rippe. : 3. Frontalschnitt durch die letzten unteren (5—7) Rippen und den un- paaren Schwertfortsatz (P. e), von welchem seitlich je ein Strang ab- geht. Links besteht ein Zusammenhang mit der achten Rippe. Ver- größerung: 15/;. Fig. 7. Frontalschnitt durch den distalen Theil des Sternum eines 3,8 cm messenden Embryo. Der Schwertfortsatz (P. e) ist von den noch un- vereinigten Sternalleisten (‚S7) durch quere dunklere Schichten getrennt. Vergrößerung: 15/. aD Fig. Fig. 8. Menschl. Embryo von 4,1 cm. Frontalschnitt durch die distalen un- vereinigten Sternalleisten (S/), mit denen der paarige Schwertfort- satz (P. e) continuirlich zusammenhängt. Fig. 9. Brustbein eines 32 cm langen Mädchens. Schwertfortsatz (P. e) be- steht aus zwei gekrümmten Stäben, die sich distal berühren. Ver- größerung: 2/3. Fig. 101-3, Frontale Brustbeinschnitte einer Serie von einem 3,0 em mensch- lichen Embryo. Fig. 10! stammt aus den ventralen, Figur 102—3 aus den weiter dorsal gelegenen Abschnitten des Brustbeines. Ster- nalleisten (SZ) unvereinigt. Proximal von ihnen ein paariges knor- peliges Gebilde (E. m) (»Suprasternalstücke«) , welches auf Fig. 103 in naher Berührung steht. CZ Schlüsselbeine. Vergrößerung: /ı. Fig. 111-3. Frontrale Brustbeinschnitte einer Serie von einem 2,4 cm messenden Embryo. Fig. 11! entstammt den ventralen, Fig. 112-3 den weiter dorsal gelegenen Brustbeinabschnitten. EZ. m Suprasternalgebilde, welches nur noch auf Fig. 11! paariger Natur ist und zwischen die Sternalleisten (S72) eingefügt erscheint. CZ Schliisselbein. Vergröße- rung: 29/;. Fig. 12 u. 13. Frontalschnitt durch die Brustbeine eines 3,5 und eines 4,1 cm langen menschlichen Embryo, bei denen zwischen Clavicula (CZ) und Sternum indifferentes Gewebe sich befindet. Dasselbe geht in die periostale Schicht sowohl der Clavicula als auch des Sternum (St) allmälig über. Auf Fig. 13 bemerkt man die erste Andeutung einer Sonderung in zwei Gewebslager. Das erste Rippenpaar ist vom Ster- num auf Fig. 12 ganz, auf Fig. 13 theilweis getrennt. Vergröße- rung: %/;. Fig. 134 stellt den feineren übereinstimmenden Bau des Manubrium (M. st) und den des Suprasternalgebildes (Z. m) dar. Fig. 141-2, Frontalschnitt durch das Brustbein eines 5,5 cm langen Embryo. Sonderung des intersternoclavicularen Gewebes in drei Schichten, eine claviculare (ce. 2), eine intermediäre (:), eine sternale (st). Zwischen ihnen zwei Gelenkhöhlen. 414 Georg Ruge, Untersuch. üb. Entwicklungsvorgiinge am Brustbeine ete. Fig. 15—17. Die gleichen Verhältnisse wie auf Fig. 14, aber in weiterer Ent- Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. wicklung. Die sternale Schicht (st) hängt auf Figur 15 u. 16 unmit- telbar mit: dem Manubrium sterni zusammen, auf Fig. 17 ist dieselbe wieder schärfer vom Sternum abgesetzt. Die drei Schichten stimmen auf Fig. 15 und 16 geweblich überein, während sie auf Fig. 17 be- reits differenzirt erscheinen. Vergrößerung: 1%). AufFig. 154 ist die feinere Structur des Manubrium sterni (JZ. st) und der drei intersterno- clavicularen Zonen (st, 7, e) dargestellt. In letzteren liegen die Knor- pelelemente dicht gedrängt bei einander, im Manubrium sind sie durch homogene Intercellularsubstanz getrennt. Präparat von einem 10,0 cm langen menschl. Embryo. Sof istivise Moe are - - - - - Neugeborenen. Unterer Abschnitt des Brustbeines eines 58 Jahre alten Mannes. - - = > - - jüngeren Individuums. - = - - - ca. 30jährigen Mannes. - - - - - 39jährigen Mannes. Gemeinsame Bezeichnungen für Figur 18—21: C. s. Corpus sterni; Pag Processus ensiformis; I I— VIII erste bis achte Rippe; Die schraffirten Theile sind knorpeliger Natur. 32 u. 221. Frontalschnitt durch Schlüsselbein und Brustbein eines 6 Mo- nate alten Knaben. Medial von den Intersternoclaviculargelenken (g) lagert auf dem proximalen Rande des Manubrium jederseits ein aus Faserknorpel bestehendes Gebilde (x) auf, dessen Structur auf Fig. 22! ersichtlich ist. Lith pnst ¥.J.6 Bach, leipzig. Verlag = With Engelmann Leipaig, — ~ — = j : 7 ipzig lith AnstvJ.G. Bach, Lempzié 13/4 3 15 fg AEH? 25) N An ’ j { { = > Verlag Wik Pagina, Tip |, TERE . > 4 .., EEE ie Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen bei Säugethieren. Von W. Salensky, Prof. in Kasan. Mit Tafel XX. Mit den berühmten Untersuchungen von REICHERT über die Meta- morphose der Viseeralbogen, hauptsächlich aber durch seine Entdeckung, dass die Gehörknöchelchen sich aus den Knorpeln der Visceralbogen entwickeln, beginnt eine neue Epoche in unserer Erkenntnis der Mor- phologie des Schädels. In jener Arbeit »Über die Visceralbogen der Wirbelthiere im Allgemeinen und deren Metamorphose bei den Vögeln und Säugethieren«! bemerkt REICHERT Folgendes. »Kaum möchte man es glauben, so man ihren (der Gehörknöchelehen) merkwürdigen viel- geformten Bau mit der einfachen Längsform der knorpelartigen Visce- ralstreifen des Kopfes vergleicht, dass aus letzteren jene komplieirte Form hervorgehen könne: und dennoch ist's in der That also.« Die Bedeutung der Entwicklung der Gehörknöchelchen liegt nicht nur in der Eigenthümlichkeit derselben, sondern auch darin, dass diese Organe, welche in ihrer vollkommenen Entfaltung nur bei den Säugethieren auf- treten, aus einer Anlage entstehen, die bei allen Wirbelthieren theils zu einer gewissen Zeit des embryonalen Lebens, theils während des ganzen Lebens vorkommt. Da gerade der Bau der beiden ersten Visceralbogen und ihr Verhältnis zum Schädel bei verschiedenen Wirbelthierklassen mehrere bedeutende Eigenthümlichkeiten zeigt, so ist die Entdeckung einer für alle Wirbelthiere gleichen gemeinen Anlage, welche nach Reı- CHERT in Form von knorpeligen Stäben, des ersten und des zweiten 1 MÜLLER, Archiv 1837. 416 W. Salensky Visceralbogens, erscheint, besonders wichtig. Die Verschiedenheit im Bau der ersten Visceralbogen erklärt sich dann als eine Modifikation der Gliederung einer in dem Grundplan liegenden, einfachen stab- _ förmigen Anlage, welche bald in Form eines Aufhängeapparates der ersten Visceralbogen, bald in Form eines im physiologischen Sinne von diesem verschiedenen Apparates, der Gehörknöchelchen, auftritt. Die Untersuchung dieser Modifikationen der beiden ersten Visceral- bogen bei verschiedenen Wirbelthierklassen erhellt die Homologie eines der komplieirtesten Theile des Wirbelthierschädels. Die Ergebnisse der REICHERT'schen Untersuchungen wurden beinahe bis in die letzte Zeit von allen Seiten angenommen. Man hat anerkannt, dass aus dem ersten Visceralbogen Hammer und Am- boss, aus dem zweiten der Steigbügel und der dazu gehörende Mus- culus stapedius entsteht. Obwohl schon vor mehr als dreißig Jahren Untersuchungen, nach welchen diese REICHERT’sche Ansicht hätte geändert werden können, erschienen, so hat man dieselben doch größtentheils außer Acht gelassen und die REıicHErT'schen Angaben ohne Weiteres angenommen. Ich meine namentlich die Untersuchun- gen von GÜNTHER !, nach denen der Steigbügel nicht aus dem zwei- ten, sondern aus dem ersten Visceralbogen entstehen soll. Ungeach- tet dessen, dass die Ginruer’sche Abhandlung nur fünf Jahre nach der REICHERT’schen erschien, ist die REICHERT’sche Ansicht in der Embryologie so eingebürgert, dass man in allen Lehr- und Handbüchern der vergleichenden Anatomie und der Embryologie im- mer nur die Wiederholung der von REICHERT ausgesprochenen Sätze antrifft. So erwähnt z. B. KÖLLIkER die GÜNTHERr’schen Unter- suchungen in der ersten Auflage seiner bekannten Entwicklungs- geschichte des Menschen und der höheren Thiere nicht und sagt: »so auffallend diese Entwicklung des so sonderbar geformten Stapes aus einem Kiemenbogen auch sein mag, so kann doch nach den Mittheilungen von REICHERT und RATHKkE nicht der geringste Zwei- fel darüber bestehen, dass derselbe wirklich in dieser Weise sich bildet. Dessgleichen treffen wir dieselbe Meinung bis in die neueste Zeit in allen bekannten Handbüchern über die vergleichende Anatomie. Die Untersuchungen der neuesten Beobachter, namentlich von PARKER und GRUBER, haben die Richtigkeit der Reicmerrt'schen ! GÜNTHER, Beob. über die Entw. des Gehörorgans. Leipzig, 1842, p. 41 bis 43. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 417 Angaben über die Entwicklung der Gehörknöchelchen erschüttert. Es sind namentlich der Amboss und der Steigbügel, deren Entstehung im REICHErT'schen Sinne hauptsächlich von den neueren Embryologen bestritten wurde. Dass es der Steigbügel ist, dessen Abstainmung hauptsächlich den Zankapfel bildete, erklärt sich aus dem Umstande, dass dieses Gehörknöchelchen seiner tieferen Lagerung halber in den ersten Ent- wieklungsstadien der Untersuchung weniger leicht zugänglich ist, als die beiden übrigen. Das Studium der Entwicklung des Steigbügels erfordert manche Manipulationen, welche für die beiden übrigen Ge- hörknöchelehen gar nicht nöthig sind. Es genügt hier die einfache Präparation des MEcker'schen oder REICHErT'schen Knorpels nicht, sondern die ersten Entwicklungsstadien dieses wichtigen Knöchel- chens können nur auf einer Reihe von Querschnitten studirt werden. REICHERT! hat in Bezug auf die Entwicklung des Operculum der Amphibien bewiesen, dass dieses Knöchelchen, welches allgemein für das Homologon des Stapes gehalten ist, nicht aus dem zweiten Kiemenbogen, sondern aus der Labyrinthwand sich entwickelt. Die- selbe Entstehung wurde später von SEMMER und PARKER bestätigt. Später hat Parker eine solche Entstehungsweise auch für den Stapes angenommen und zu beweisen versucht, dass der Steigbügel ebenfalls, wie die Columella, aus der äußeren Labyrinthwand ent- steht. Außerdem hat er behauptet, dass der Amboss, welcher von Rercuerr als ein Derivat des ersten Kiemenbogens betrachtet wurde, aus dem zweiten Kiemenbogen sich bildet. Dieselbe Ansicht hat früher auch Houxtey? und zwar auf Grund vergleichend - anato- mischer Untersuchungen aufgestellt. Nach dem von Huxury kon- struirten Schema soll der zweite Kiemenbogen aller Wirbelthiere aus zwei Theilen bestehen: einem proximalen, welchen er als supraco- lumellares resp. suprastapediales Stück bezeichnet und einem distalen, welcher dem Stylohyal resp. dem Griffelfortsatz der Säugethiere ent- spricht. Das supracolumellare Stück verwandelt sich bei den Säuge- thieren in den Amboss; das letztere stellt einen dem Hyomandibulare der Fische homologen Theil dar. Die weitläufigen Untersuchungen von PARKER beziehen sich auf alle Klassen des Wirbelthiertypus und sind um so mehr wichtig, als ! Vergl. Entwicklung des Kopfes der nackten Amphibien. 2 Huxiey, Handbuch der Anatomie der Wirbelth. übers. von Fr. RATZEL pag. 73—74. Morpholog. Jahrbuch. 6. 27 418 W. Salensky sie uns den Grund fiir die Homologie der einzelnen Knochen des ersten und des zweiten Visceralbogen geben. So weit die Unter- suchungen dieses Forschers die Bildung des Stapes und Ambosses be- treffen, so will ich im Folgenden die Hauptergebnisse derselben anführen. Die Bildung des Hammers erwiihne ich desshalb nicht, da alle Forscher in dieser Beziehung einverstanden sind und in ihrer Ansicht von der REICHERT'schen Untersuchung gar nicht abweichen. Die Bildung des Stapes steht sowohl nach Parker wie nach GRU- BER in einem gewissen Zusammenhange mit der Bildung der Fe- nestra ovalis. Die letztere entsteht (beim Axolotl) in Form einer Spalte mit irregulärem Rande, welche zuerst auf der unteren Seite des Gehörknorpels liegt und später eine seitliche Lage annimmt. Der Knorpel, welcher an der vorderen und inneren Seite dieser Spalte liegt, wächst später in Form eines kleinen Plättehens aus, steht mit dem Knorpel der Gehörkapseln im Zusammenhang und liegt der Spalte auf. In späteren Entwieklungsstadien trennt sich dieser Knorpel von seiner Unterlage resp. von den Wänden der Kapsel ab und stellt nun die Anlage des Stapes dar (PARKER et BETTANY pag. 103 u. 108). Bei den Fröschen geht die Entwicklung in einer etwas abweichendern Weise als beim Axolotl vor sich. Die Fe- nestra ovalis entsteht ebenfalls in Form eines Schlitzes, wie beim Axolotl, welche gerade in der Projektion des horizontalen halbeirkel- förmigen Kanals liegt und von demjenigen des Axolotls sich dadurch unterscheidet, dass er mit zartem indifferenten Zellgewebe ausgefüllt ist. Dieses Gewebe giebt dann das Material zur Bildung des Stapes resp. Opereulum, da dieses letztere durch die Verknorpelung des erwähnten Gewebes entsteht. Die Columella bildet sich unabhängig vom Operculum aus einem Gewebe, welches zuerst in Form eines Stranges vom Operculum nach vorn und außen hinter den sog. oti- schen Fortsatz und nach unten vom Nervus facialis geht. Später chondrifieirt dieses Gewebe und erscheint in Form einer Säule, welche mit dem Operculum im Zusammenhange steht (pag. 143 und 161). Die Entwicklung des Stapes der Säugethiere geschieht nach PARKER im Wesentlichen in derselben Weise wie die des Opereulum ‘der nackten Amphibien; er erscheint zuerst in Form eines lappenför- migen Fortsatzes der äußeren Wand der Gehörkapsel, welcher später von dieser letzteren sich abtrennt und in die Fenestra ovalis gelangt. Auf seiner äußeren Oberfläche bekommt dieser Fortsatz zwei kleine Tuberkeln, welche in einem folgenden Stadium durch eine Knorpel- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 419 briicke sich vereinigen. Die Anlage des Steigbiigels nimmt dadurch eine definitive Gestalt an. Die Entwicklung des Ambosses geht nach PARKER einfach durch Abgliederung des proximalen Endes des zweiten Visceralbogens vor sich (pag. 277). Das abgetrennte, gebogene Ende dieses Bogens ver- wandelt sich in den Amboss und bekommt allmählich die Form dieses Knöchelchens; der übrig gebliebene Theil bleibt als Hyoideum und artikulirt einerseits mit dem Tegmen tympani, andererseits verbindet er sich mit der Gehörkapsel. Die Untersuchungen von GRUBER stimmen mit denen von Par- KER im Wesentlichen vollkommen überein. Nach den Angaben die- ses Forschers soll der Stapes, wie es auch PARKER annimmt, nicht aus dem zweiten Visceralbogen, sondern aus der Labyrinthblase resp. aus der Grundsubstanz des Kopfwirbels, aus welchem das Ge- häuse des Labyrinthes hervorgeht, sich bilden. Die Differenzirung und Abtrennung des Steigbügels aus dem Gehörknorpel führt die Bildung einer Öffnung, welche nichts Anderes als die Fenestra ovalis sein muss, nach sich. In seiner zweiten Auflage der »Entwicklungsgeschichte des Menschen« unterwirft KÖLLIKER die eben angeführten Unter- suchungen von PARKER und GRUBER einer Kritik, giebt seinerseits aber keine neuen Beobachtungen. Weiter bemerkt er, dass er bis jetzt kein Stadium gefunden hat, in dem Labyrinth und Steigbügel im Knorpelzustande Eins gewesen wären, stellt aber nicht die Mög- lichkeit in Abrede, dass diese Theile in der ersten, weichen Anlage zusammenhängendes Gebilde sein können. KÖLLIKER ist es auch nicht geglückt die REICHERT'sche Ansicht über die Bildung des Steig- bügels zu bestätigen. Er behauptet, dass die Verbindung des knor- peligen Steigbügels mit dem REICHERT'schen Knorpel nicht einmal durch Bandmasse statt hat, wenn auch Steigbügel und oberes Ende des REICHERT’schen Knorpels sich sehr nahe liegen. Meine eigenen Beobachtungen über die Entwicklung der Gehör- knöchelchen erstrecken sich bis jetzt nur auf die Säugethiere, doch hoffe ich in der nächsten Zeit auch andere Wirbelthierklassen in den Kreis meiner Untersuchungen zu ziehen. Ich will auch die allge- meinen Betrachtungen über die Morphologie der Gehörknöchelchen in Bezug auf andere Theile des Wirbelthierskeletts bis zu der Zeit aufschieben, da meine Untersuchungen an möglichst vielen Reprä- sentanten des Wirbelthiertypus abgeschlossen sind. Hier seien nur die Zu 420 W. Salensky T Resultate an Schaf- und Schweinsembryonen unternommener Unter- suchungen mitgetheilt. Da ich von den ersteren eine ziemlich vollständige Serie aus verschiedenen Entwicklungsstadien zu erlangen im Stande war, so beziehen sich die Resultate auch hauptsächlich auf dieselben. Meine Untersuchungsmethode bestand in der Präparirung konservirter Em- bryonen und in der Anfertigung von Querschnitten aus verschiedenen Ent- wicklungsstadien. Die Entwicklung des Hammers und des Ambosses könnte ganz gut an präparirten Embryonen studirt werden; die Präparation allein genügt aber nicht für die Untersuchung der ersten Entwicklungsstadien des Stapes, da letzterer vom Anfang an nach innen vom MECKEL’schen und vom REICHERT'schen Knorpel und der knorpeligen Gehörkapsel ganz nahe liegt, so. dass die Anlage desselben bei der Präparation sehr leicht abgerissen werden kann. Desswegen griff ich zur Querschnittsmethode, welche auch in diesem Falle ein vollkommen befriedigendes Resultat ergab. Die Embryonen werden in Chromsäure oder in MüLrer'scher Flüssig- keit gehärtet und nach 4—5 Tagen in Spiritus übertragen. Die eitronengelbe Lösung der Chromsäure stellt für das Studium der knorpeligen Theile ein aus- gezeichnetes Erhärtungsmittel dar und zwar nicht nur desswegen, dass in der Chromsäure die Präparate viel besser gehärtet werden, als in der MULLER’schen Flüssigkeit, sondern auch desshalb, dass die knorpeligen Theile der durch Chrom- säure erhärteten Präparate ziemlich intensiv roth gefärbt erscheinen, während die anliegenden Organe ihre Farbe mehr oder weniger behalten. Dadurch kann man in ziemlich jungen Entwicklungsstadien, wo die Knorpel der Visceral- bogen noch ziemlich dünn sind, diese schon mit bloßem Auge ganz gut unter- scheiden, was natürlich die Präparation in hohem Grade erleichtert. Als Färbungsmittel habe ich Pikrokarmin und Hämatoxylinlösungen ge- braucht. Die jüngsten von mir beobachteten Sehafembryonen sind 11/, em lang und besitzen noch keine Spur von Knorpel in den Visceralbogen, wie um das häutige Labyrinth. Bei solchen hat natürlich die Bil- dung der Gehörknöchelehen noch gar nicht begonnen; wenigstens fand ich weder an Querschnitten noch bei der Präparation irgend welche Theile vor, die als die Anlagen der Gehörknöchelehen hätten gelten können. Die erste Anlage des MEcker’schen Knorpels so wie der Gehörknöchelchen erscheint bei der Chondrifikation der Visceral- bogen, und desswegen kann ich die von KÖLLIKER hervorgehobene Möglichkeit einer Verbindung des Labyrinths mit dem Steigbügel zu der Zeit da diese beiden Theile noch in Form von weicheren An- lagen existiren, vollkommen in Abrede stellen. Die Chondrifikation der Gehörkapsel geht ziemlich gleichzeitig mit der Bildung des Knorpels in den Viseeralbogen vor sich und es giebt keine Ent- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 421 wicklungsperiode, in welcher diese Theile in Form von differenzir- ten weichen Anlagen vorhanden wären. Die Untersuchung soleher Embryonen, bei welchen die Ver- knorpelung resp. die Bildung der Gehörkapseln noch nicht begonnen hat, erscheint für die Beurtheilung der Entwicklung der Gehör- knéchelchen von besonderer Bedeutung, weil man aus einer Reihe von Querschnitten solcher Embryonen leicht über die topographische Lage derjenigen Organe sich orientiren kann, welche in gewissem Verhältnis zur Bildung der Gehörknöchelchen stehen. Die einmal über diese Lage gewonnene Orientirung bietet festen Grund für die Untersuchung der folgenden Stadien und ferner für die genaue Be- stimmung des Ortes und der Stelle, an welcher die Anlage der Ge- hörknöchelchen erscheint. Desshalb sei der Beschreibung der ersten Entwicklungsstadien die Betrachtung von Querschnitten der 1'/. em langen Embryonen vorausgeschickt. Fig. 1 stellt einen Querschnitt durch den Kopf und die Gegend der ersten Visceralbogen eines solchen Embryo vor. Für unsere Zwecke ist das Gehörlabyrinth mit den anliegenden Theilen beson- ders wichtig. Dasselbe ist noch sehr wenig entwickelt. Im Labyrinth kann man schon zwei Haupttheile unterscheiden : den vorderen, welcher in Form eines Fortsatzes nach vorn zum Wir- beltheil des Schädels sich begiebt und die Anlage der Cochlea resp. den Canalis cochlearis (Fig. 1 Coch) darstellt, und einen hinteren, in welchem man die Anlage des Utrieulus (Fig. 1 U?) mit den dazu- gehörenden Theilen — den halbeirkelförmigen Kanälen und den Recessus labyrinthi — erkennt. Die beiden Theile sind von ein- ander durch eine kleine Verengerung (Fig. 1*) getrennt. Ich hebe diesen letzteren Verbindungstheil des Utrieulus und des Canalis coch- learis besonders hervor, da derselbe gerade für unseren Gegenstand die interessanteste Stelle des Querschnitts darstellt, weil hier die Bildung des Stapes vor sich geht. Nach außen von dem Labyrinthe in einer Lage von embryona- ler Bindesubstanz, welche später zur Gehörkapsel wird, liegt der Querschnitt des N. facialis (Fig. 1 Nf), welcher nach seinem Aus- tritt aus der Schädelhöhle zuerst eine longitudinale Richtung hat und weiter in den maxillaren Theil des ersten Visceralbogens über- geht. Der Schnitt ist durch den hinteren Theil des Facialis, d. h. senkrecht zu seiner Längsachse geführt, der Nerv erscheint dess- wegen in Form einer Scheibe. Hinter dem Facialis liegt ein Blutgefäß, in welchem man bald die Carotis interna erkennt (Fig. 1 Cr’), welche 422 W. Salensky bei der Bildung des Stapes eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Dieselbe ist in diesem Stadium sehr groß, und entsendet nach vorn in den Mandibularfortsatz einen Ast, welchen wir als Arteria mandibularis (Fig. 1 Am) bezeichnen können. Wie es scheint stellt derselbe einen embryonalen Ast dar, weil im definitiven Zu- stande es die Carotis externa ist, welche den Oberkiefer und anlie- gende Theile versorgt, während die Carotis interna als Cerebralarterie auftritt. — Für eine provisorische Bedeutung dieses Arterienzwei- ges spricht noch eine allmähliche Abnahme des Umfanges des be- schriebenen Zweiges der Carotis, welche man in den spätern Ent- wicklungsstadien wahrnimmt. Die Verknorpelung der Ohrkapsel und das Auftreten des Knorpels in den Visceralbogen geht ziemlich gleichzeitig vor sich. Die knorpelige Ohrkapsel entspricht im Allgemeinen den Umrissen des von ihr umschlossenen häutigen Labyrinthes. Sie kann eben- falls sehr leicht in zwei Theile geschieden werden, von denen der hintere den Utriculus mit den sich entwickelnden halbeirkelförmi- gen Kanälen, der vordere den Canalis cochlearis einschließt. Die Verknorpelung des ersteren geschieht etwas früher, als die des letzte- ren. Den Unterschied in der Verknorpelungsstufe beider Theile kann man an den gefärbten Präparaten sehr leicht bemerken. In den jüngeren Entwicklungsstadien erscheint der Knorpel in Form von dunkleren, nicht scharf abgegrenzten Stellen in der Masse der em- bryonalen Bindesubstanz, während in den späteren Stadien er. viel heller ist und seine Grenzen von einem dunkleren Streifen umschrie- ben sind. Die Ursache dieses verschiedenen Verhaltens des jungen und alten Knorpels besteht darin, dass die Verwandlung der embryo- nalen Bindesubstanz 1) durch die Anhäufung der Zellen und 2) in der Entwicklung einer hyalinen Zwischensubstanz zwischen den- selben bedingt ist. Die letztere färbt sich mit Hämatoxylin nur sehr wenig, während das Protoplasma der Zellen im Gegentheil eine große Färbungsfähigkeit besitzt. In Folge dessen zeichnen sich die Verknorpelungszellen der Bindesubstanz in denjenigen Stadien, in welchen der Verknorpelungsprocess nur etwa angefangen hat und das bezügliche Gewebe nur aus Zellenhaufen besteht, in der übri- gen Masse der Bindesubstanz als dunklere Stellen aus, während sie in späteren Stadien, in welchen eine große Menge der Intercellu- larsubstanz gebildet ist, heller als die umgebende Masse erscheinen. Die dunkleren Contouren des Knorpels späterer Stadien bezeichnen die Anlage des Perichondriums, welches ebenfalls zuerst durch An- Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen etc. 423 hiufung der Bindesubstanzzellen, und durch eine eigenthümliche Schichtung derselben gebildet wird. Bei 2°/, em langen Schaf- embryonen ist der hintere Theil der Ohrkapsel schon gebildet und erscheint in Form einer hellen, ziemlich scharf von den übrigen Theilen abgegrenzten Umhüllung des Utriculus und der Bogenkanäle; während der vordere Theil noch nicht so scharf umschrieben ist. Im Querschnitt hat der hintere Theil die Form eines Dreieckes, wel- ches mit seiner Basis nach außen, mit seiner Spitze nach innen dem Gehirn zu gerichtet ist. Diese Form entspricht vollkommen den allgemeinen architektonischen Verhältnissen des häutigen Labyrinthes und ist für das weitere Wachsthum des letzteren innerhalb der ver- hältnismäßig festen knorpeligen Schale am meisten zweckmäßig. In der dreieckigen Kapsel befindet sich der Utrieulus, welcher nach hinten einen ziemlich starken blindgeschlossenen Fortsatz — den Recessus labyrinthi (Fig. 10 #7) abschickt. Die beiden Seiten des Dreiecks entsprechen den beiden vertikalen Bogenkanälen: dem vor- deren und hinteren Kanal (Fig. 10 Cs, Cs,), welche vollkommen parallel dem Rande der Ohrkapsel verlaufen. Der vordere Bogen- kanal richtet sich nach seinem Austritt aus dem Utrieulus nach vorn hin und verläuft anfänglich in einer horizontalen Ebene, bis er wei- ter nach aufwärts zur Vereinigung mit dem hinteren Bogenkanal gelangt. Der horizontale untere Theil des vorderen Bogenkanals beschreibt einen Bogen, welcher dem N. facialis vollkommen parallel ist und denselben von einer Seite (der hinteren) umgiebt (Fig. 10 Cse). Ganz dem Verlaufe des vorderen Bogenganges entsprechend bildet sich an der Vorderfläche der Ohrkapsel eine Rinne (Fig. 10 Fr), in welcher der N. facialis mit seinem hinteren Theile liegt. An Querschnitten erscheint der N. facialis wie in einer Nische eingeschlossen. Diese Rinne scheidet die Ohrkapsel in einen vorderen (utrieularen) und hinteren (eochlearen) Theil. Der äußere Rand dieser Facialisrinne, wie dieselbe genannt werden kann, bildet nach vorn einen Vorsprung (Vsp), welcher zur Verbindung der Ohrkapsel mit den Knorpeln der Visceralbogen dient. Nachdem wir die topographischen Verhältnisse der Ohrkapsel und der umliegenden Gebilde kennen gelernt, gehen wir zur Untersuchung der Entwicklung der Gehörknöchelehen über. Dieselbe kann, wie oben gesagt, auf den Querschnitten, so wie an den präparirten Em- bryonen untersucht werden und zwar giebt die Präparirmethode des 424 W. Salensky ganzen Knorpels fiir die Untersuchung der Entwicklung von Hammer und Amboss viel bessere Resultate als die Querschnittsmethode. Meine Beschreibung will ich desshalb in zwei Theile sondern: im ersteren werde ich die Entwicklung des Hammers und des Ambosses, so weit diese bei der Präparirung verfolgt werden kann, schildern, im zwei- ten gebe ich die Beschreibung der Querschnitte, an denen die ver- schiedenen Entwicklungsstadien des Stapes zu beobachten sind. Das Präpariren der Knorpel bei den kleinen Embryonen, bei welchen die Verknorpelung noch nicht ganz vollendet ist, stellt eine ziemlich schwierige Manipulation dar. Selbst an den gefärbten Prä- paraten treten die Grenzen der Knorpel nicht sehr scharf hervor, und das die Knorpel: umhüllende embryonale Bindegewebe kann nieht vollkommen entfernt werden. 1) Entwicklung des Hammers und des Ambosses. In den von mir untersuchten Stadien (2 em langen Schaf- embryonen) stellen die beiden Knorpel des ersten und des zweiten Visceralbogens zwei knorpelige Stäbe dar (Fig. 2), von denen einer von oben, der andere von unten die erste Visceralspalte resp. die äußere Öffnung des Ohres begrenzt. Die beiden Visceralknorpel biegen sich um die Visceralspalte herum und befestigen sich an der knorpeli- gen Ohrkapsel, da wo deren hinterer (utrieularer) Theil in Form eines Vorsprungs nach vorn auswächst. Was die Form der beiden Knor- pel betrifft, so stellen die beiden eylindrische Stäbe dar und unter- scheiden sich nur durch die Art der Krümmung von einander. Der erste Visceralbogen ist in seinem hinteren Theile nach oben, der zweite Bogen nach unten gekrümmt. Die hinteren Enden der bei- den Bogen sind etwas abgerundet und mit einander durch embryona- les Bindegewebe verbunden. Die ersten Spuren der Gliederung des ersten Visceralbogens trifft man schon bei den 2,4 em langen Embryonen (Fig. 3) an. Die Veränderungen im ersten Visceralbogen erweisen sich erstens in der Verdickung und in der Krümmung des proximalen Endes desselben und zweitens in der Bildung von zwei Einschnitten, welche die Grenzen verschiedener Theile des künftigen Malleus und Incus bezeichnen. Durch diese beiden Furchen theilt sich der proximale Abschnitt des ersten Visceralbogens in drei Theile, von denen der hintere (Fig. 3 Jn, H) durch eine Art Ligamentum mit dem ent- sprechenden Theil des Reıcnerr’schen Knorpels verbunden ist, der Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 425 vordere (Fig. 3V) sich unmittelbar in den Mecker'schen Knorpel fortsetzt und der mittlere (Fig. 3 MZ) Theil durch die beiden Fur- chen von vorn und hinten begrenzt ist. Die vollständige Abtrennung beider im früheren Stadium ange- deuteten Gehörknöchelchen lässt nicht lange auf sich warten. Schon bei Embryonen von 2,7 cm finden wir den MEckEr'schen Knorpel in 2 Theile gesondert (Fig. 4). Die Trennungsebene lässt sich durch einige topographische Verhältnisse und namentlich durch die Anhef- tungsstelle des proximalen Endes des REICHErT’schen Knorpels ziem- lich leicht bestimmen. Das letztere ist (namentlich) in den ersten Entwicklungsstadien (Fig. 2) durch weiche bindegewebige Bandmasse am hinteren Ende des MEckEL’schen Knorpels befestigt (Fig. 2 und 3). In späteren Stadien vereinigen sich die beiden Knorpelbogen (REICHERT’scher und MECcKEL’scher Knorpel) am unteren Ende des Processus longus des Ambosses, und zwar an der Stelle, an welcher jerter mit dem Steig- biigel artikulirt. Wenn wir uns iiber diesen Befestigungspunkt orien- tiren, so miissen wir annehmen, dass die Theilung gerade durch die hintere von den früher beschriebenen Furchen vor sich gehen muss. Diese Stelle, in der Abbildung durch * bezeichnet, ist schon in frii- herem Stadium die diinnste. Die Anlage des Ambosses stellt somit in den früheren Stadien, da sie noch mit dem MEcker’schen Knor- pel kontinuirlich verbunden ist, eine dreieckige Platte vor, in welcher wir nur den Processus longus und einen Theil des Corpus incudis erkennen können. Nach der Abtrennung hat sie aber schon die Anlage des Processus brevis, welche in horizontaler Richtung vom Corpus abgeht und an der Ohrkapsel sich befestigt. Da ich ein Zwischenstadium zwischen Fig. 3 und 4 zu beobachten nicht Gele- genheit hatte, so kann ich über die Herkunft des kurzen Fortsatzes des Ineus mich nur vermuthungsweise aussprechen. Er bildet sich wahrscheinlich durch Auswachsen der primitiven Anlage nach hinten. Die Form des Ambosses im Stadium Fig. 4 (Amd) ist ziemlich schwer zu beschreiben; sie ist besser durch die angegebene Abbil- dung ersichtlich. Im Ganzen ist sie viel einfacher als in den späteren Stadien. Die dem vorderen Theile des Mecker’schen Knor- pels zugewendete und demselben eingelenkte Fläche des Ambosses ist jetzt abgerundet und durch eine Bindegewebsmasse mit der An- lage des Hammers verbunden. Später (Fig. 5) ist diese Gelenkfläche mehr komplieirt. Der nach der Abtrennung des Ambosses noch gebliebene Theil 426 W. Salensky des MecKEL’schen Knorpels stellt die Anlage des Hammers und des Mecker'schen Knorpels (s. str) dar. Der Hammer bildet sich aus dem verdickten hinteren Theile des im Stadium Fig. 4 schon etwas veränderten MECKEL’schen Knorpels. Die mittlere Verdickung des Mecker’schen Knorpels wächst jetzt etwas nach unten zu, rundet sich ab und stellt nun eigentlich die Anlage des Capitulum (Fig. 4 M7) und des Manubrium mallei dar. Sie ist jetzt durch eine schmale und ziemlich tiefe Furche von der vorderen Verdickung (Fig. 4 V) getrennt. Wie es scheint, spielt diese letztere bei der Bildung des Hammers keine Rolle und tritt schon im Stadium Fig. 4 viel weniger hervor als es früher der Fall war. Später wird dieselbe vollkommen ausgeglichen. — Die Veränderun- gen in den Anlagen beider Gehörknöchelchen gehen sehr rasch vor sich. Bei den 3 cm langen Embryonen treffen wir schon bedeutende Fortschritte in der Ausbildung des Hammers so wie des Ambosses an. Zunächst ist zu bemerken, dass die Gelenkflächen beider Ge- hörknöchelchen in Folge der Bildung von Gelenkfortsätzen und ihnen entsprechenden Vertiefungen bedeutend komplicirter geworden sind. Vom Körper des Ambosses wächst jetzt ein kleiner abgerundeter Fortsatz nach vorn zu, in Folge dessen sich an der Gelenkfläche der Hammeranlage eine entsprechende Vertiefung bildet, welche jenen Fortsatz aufnimmt. Weiter muss erwähnt werden, dass beide Fortsätze des Ambosses (Processus longus und Processus brevis) in Folge des größeren Wachsthums des ersteren in ihrer Größe ziem- lich differiren. Der lange Fortsatz bietet noch wichtige formale Ver- änderungen dar. Er krümmt sich nach innen zur Anlage des Steig- bügels und tritt mit letzterem schon bei 3 cm langen Schafembryonen in Verbindung. Sein hinteres Ende, welches ein Gelenk mit dem Steigbügel bildet, ist dabei etwas verdickt. In Fig. 5, welche den ganzen Apparat der Gehérknéchelchen von der Innenfläche darstellt, sieht man die Form des langen Fortsatzes nicht ganz deutlich, die- selbe ist viel besser an dem herauspräparirten Amboss und Steigbügel zu beobachten, wie es in Fig. 8 dargestellt ist. Den Veränderungen des Ambosses entsprechend ändert sich auch die Form des Hammers. Seine vordere Fläche wird ausgehöhlt (Fig. 5); oberhalb und unterhalb dieser Aushöhlung wächst die Ge- lenkfläche buckelförmig in die Höhe, wodurch eine viel innigere Gelenkverbindung zwischen Hammer und Amboss zu Stande kommt. Der im Stadium Fig. 4 buckelförmig nach unten hervorspringende Theil des Hammers wächst jetzt bedeutend aus und wird dabei vorn Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehirknéchelchen ete. 427 hakenförmig gekrümmt und an seinem vorderen Ende zugespitzt. Es ist die Anlage des Manubrium mallei. In dem zuletzt betrachteten Entwicklungsstadium sind schon beinahe alle Theile (außer den beiden Fortsätzen des Hammers) der beiden Gehörknöchelchen hervorgetreten und die weitere Ent- wicklung (Fig. 6 u. Fig. 7) besteht nun in der definitiven Ausbil- dung derselben. Bei den 4 em langen Schafembryonen bestehen die weiteren Veränderungen des Hammers in dem Auswachsen des Manubriums, welches noch mehr sich nach vorn biegt und jetzt (Fig. 6) schon parallel dem Mecker'schen Korpel nach vorn wächst. Bei den 8 cm langen Embryonen (Fig. 7) ist dieses Wachsthum noch mehr fortgeschritten. Das Manubrium mallei (Fig. 7 17) stellt nun einen bedeutend langen aber viel dünner gewordenen Fortsatz, an welchem schon die ersten Zeichen des Ossifikationsprocesses bemerk- bar werden, dar. Das Auswachsen ‚des Ambosses (Fig. 7 Ze) geht dem des Hammers ziemlich entsprechend vor sich. Die Form des- selben wird aber dabei sehr wenig verändert. Die ersten Spuren von Ossifikation treten im Ambosse bei den 12 cm langen Embryo- nen auf. Damit können wir unsere Beschreibung der Entwicklung beider äußeren Gehörknöchelchen beschließen und als Endresultat derselben Folgendes hervorheben: 1) Bei der Bildung des Hammers und Am- bosses nimmt allein der erste Schlundbogen resp. der MECKEL’sche Knorpel Theil; der zweite Bogen resp. der REicHErr’sche Knorpel, im Gegensatz zu der Behauptung von PARKER, spielt hierbei gar keine Rolle. 2) Schon in ziemlich frühem Entwicklungsstadium trennt sich von dem ersten Knorpelbogen ein hinterer Theil ab und stellt die Anlage des Ambosses dar, während der übrig gebliebene vordere Theil zur Anlage des Hammers nebst MEckEr’schem Knorpel (s.str) wird. 2) Die Entwicklung des Steigbiigels. Da der Steigbügel während der embryonalen Entwicklung ge- nau eben so tief eingelagert ist, wie im definitiven Zustande und da er vom Bindegewebe vollkommen umhüllt ist, so kann man die er- sten Entwicklungsstadien desselben nicht durch Präparation dar- stellen, sondern muss sich zur Sehnittmethode wenden. Ich habe schon oben zur Orientirung bei Untersuchung der Entwicklung die- ses Gehörknöchelchens die Beschreibung der topographischen Lage 428 W. Salensky verschiedener Organe, welche in irgend welchem Verhältnis zu dem- selben stehen, gegeben. Jetzt können wir unsere Darstellung mit dem jüngsten Entwicklungsstadium, in welchem die erste Anlage des Steigbügels auftritt, beginnen. Dieselbe trifft man bei den 23/, em langen Embryonen, und Fig. 10 u. 10 A stellen die Querschnitte durch den Kopf eines solchen Embryo dar. Der Querschnitt ist nieht genau perpendikulär zur Querachse geführt, so dass die rechte Seite etwas höher als die linke ist, was durch die Form des Labyrinthes und des Steigbügels leicht ersichtlich sein wird. Auf der rechten Seite des Querschnittes sieht man die ganze Anlage des Steigbügels, während auf der linken nur ein Theil desselben und zwar der untere dargestellt ist. Die Anlage erscheint in Form eines Zellhaufens, welcher am hinteren Theile des Kopfes und in der Nähe des oben erwähnten Vorsprungs der Ohrkapsel gelagert ist (Fig. 10 Stp). In der Mitte des Zellhau- fens bemerkt man schon bei schwacher Vergrößerung ein Loch, wel- ches schon seiner Lage nach nichts Anderes als ein Querschnitt des früher erwähnten mandibularen Astes der Carotis darstellen kann. Bei der Einstellung stärkerer Vergrößerungen kann man sich an gut ge- lungenen Querschnitten überzeugen, dass es in der That so ist. Die Anlage des Steigbügels tritt inForm eines Zellhaufens an den Ast der Carotis interna, welchen wir mit dem Namen Arter. mandibularis bezeichnet haben, auf. In den folgenden Entwicklungsstadien können wir uns überzeu- gen, dass das Loch, welches in der Anlage des Steig- bügels in Folge des Durchgehens der Arteria mandibu- laris vorhanden ist, die Öffnung des Steigbügels dar- stellt. In Folge des Durchlöcherns des Zellhaufens, welcher die Anlage des Steigbügels darstellt, hat derselbe die Form eines unre- gelmäßigen Ringes, welcher aus zwei ungleichen Halbringen besteht. Der vordere, d. h. zur Mundhöhle gerichtete Theil des Ringes ist dicker als der hintere, welcher dem N. facialis anliegt. Da die bei- den Halbringe die Anlagen für beide Schenkel des Steigbügels dar- stellen, so können wir sagen, dass in dem früheren Zustande des Steigbügels seine Schenkel ungleich sind (Fig. 10 A). Nach außen resp. zur Seite des Kopfes ist die Aulage des Steig- bügels abgerundet und liegt dort dem hinteren Theil des MECKEL- schen Knorpels an. Es ist namentlich die Anlage des Processus longus incudis, welche, wie wir oben sahen, zu dieser Zeit das hin- tere nach unten gebogene Ende des Mrckev’schen Knorpels darstellt Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 429 und schon zu dieser Zeit in nächster Beziehung zur Anlage des Steigbügels steht. Es ist mir leider nicht gelungen aus dem beschriebenen Stadium so feine Schnitte zu erhalten, dass ich die Art. mandibularis in ihrem ganzen Verlaufe hätte verfolgen können. Da ich aber in diesem Stadium die beiden Öffnungen derselben: diejenige namentlich, welche in der Stapesanlage liegt und diejenige, welche in den Querschnit- ten durch den Gaumen erscheint und da ich weiter in dem nächsten Stadium die Art. maxillaris auf ihrem ganzen Verlauf bis zum Ein- tritt in den Gaumen zu verfolgen im Stande war, so kann ich mit vollem Recht sagen, dass die Verhältnisse im Stadium Fig. 10 die- selben wie im Stadium Fig. 11 bleiben. Dieser Carotisast richtet sich nach seinem Ausgange aus der Stapesanlage nach vorn hin und verläuft im Innern der Gaumenplatte. — Im nächsten Stadium, welches von 3 em langen Embryonen entnommen ist (Fig. 11 und 11 A), treten die Contouren der Steigbügelanlage viel deutlicher her- vor. Der Steigbügel erscheint im Querschnitte als eine trapezoide Knorpelplatte, welche sich von allen Seiten vom umliegenden Binde- gewebe abtrennt und mit dem N. facialis nur in einem seinem hin- teren Schenkel entsprechenden Punkte in Berührung bleibt. Die Steigbügelplatte ist wie früher von dem Gefäß (Art. man- dibularis) durchfädelt, steht aber zu demselben nicht senkrecht, son- dern etwas schief (Fig. 11, 11 A, Stp) und nimmt eine mehr horizontale Lage an. In Folge einer solchen Lage ist das Verhält- nis beider Schenkel zur Art. mandibularis ein verschiedenes. Wäh- rend der hintere Schenkel oberhalb des Gefäßes liegt und dasselbe gar nieht berührt, stellt der vordere Schenkel ein Bett dar, in welchem die Art. mandibularis nach vorn läuft. Diese Verschiedenheit in den Verhältnissen beider Schenkel zur Arteria mandibularis scheint auch die Form beider Schenkel bedeutend zu beeinflussen. Der vordere Schenkel ist rinnenförmig ausgehöhlt und die Form dieser Rinne entspricht vollkommen der Form des Gefäßes, was aus der beige- fügten Abbildung deutlich zu ersehen ist. Ich werde weiter unten auf die Wichtigkeit dieses Verhaltens der Form des äußeren Schen- kels in Bezug auf das Gefäß aufmerksam machen, jetzt will ich nur hinzufügen, dass diese Verhältnisse vorübergehend sind. In etwas späteren Stadien trifft man noch an Querschnitten eine rinnenförmig ausgehöhlte Stapesplatte, und dieser Zustand scheint nur so lange zu bestehen, als jene Art. mandibularis noch vorkommt. Mit der Atrophie des Gefäßes erlangt der Steigbügel seine typische Gestalt, 430 W. Salensky welche er fiir immer bewahrt. Nach Ablésung der Anlage des Steig- biigels von dem umgebenden Bindegewebe kann man die Veränderungen ihrer Form studiren. Fig. 8 stellt einen solchen herauspräparirten Steigbiigel in seinem Verhiiltnisse zum Ambosse dar. Der Steig- biigel wird in diesem Zustande durch eine fiinfeckige, knorpelige, von einer runden regelmäßigen Öffnung durchbohrten Platte repräsentirt. In dieser Platte sind ziemlich leicht alle Theile des künftigen Steig- bügels zu erkennen. Der obere Theil ist die Anlage des Köpfchens, die beiden Sei- tentheile die der beiden Schenkel, der untere Theil die Anlage der Basis. Bei 12 em langen Embryonen treten im Steigbügel die ersten Spuren der Ossifikation auf (Fig. 9 St). Die Form des Steigbügels ist sehr verändert und nähert sich mehr dem definitiven Zustande. Der Steigbügel hat eine glockenförmige Gestalt. Seine Basis ist ‚ausgebreitet und saumförmig verdickt. Am unteren Ende des Steig- bügels liegt die Öffnung, welche eine ovale Gestalt angenommen hat und mit ihrer Längsachse quergelegen ist. Vergleicht man die- sen Zustand des Steigbügels mit dem eben beschriebenen (Fig. 8), so gewinnt man die Überzeugung, dass die Gestaltveränderung durch verschiedenes Wachsthum seiner Theile bedingt war. Die Lage der Öffnung kann uns als ein Orientirungspunkt ganz gut für die Erklä- rung der Gestaltveränderungen dienen. ’ Da dieselbe jetzt im unteren Theile liegt, so können wir schlie- ßen, dass der obere Theil bedeutend in die Länge wächst, dadurch bekommt der Steigbügel im Verhältnis zum früheren Zustande eine in die Länge ausgezogene Form. Das Wachsthum des unteren Theiles geschieht dagegen in der Querrichtung und bringt die Aus- breitung dieses Theiles hervor, wodurch der Steigbügel sich glocken- förmig gestaltet. In meiner vorläufigen Mittheilung! habe ich schon darauf auf- merksam gemacht, dass die eben beschriebenen Entwicklungsverhält- nisse des Steigbügels für die Erklärung des von MECKEL? beschriebenen Durchganges der Carotis interna zwischen den beiden Schenkeln des Steigbügels beim Igel und Murmelthier dienen können. Hier will ich hinzufügen, dass der Steigbügel auch bei anderen Thieren in Be- 1 Zoolog. Anzeiger No. 28. 1879. 2 A. MECKEL. Carotis interna und Steigbügel des Murmelthieres und Igels. (Arch. f. Anat. n. Phys. 1828.) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der knorpeligen Gehörknöchelchen ete. 431 zug auf seine Gestalt an embryonale Verhältnisse erinnert. Nach MEcKEL soll der äußere Schenkel eine Ausbiegung machen, welche die Carotis einnimmt, während der innere vom Capitulum zur Basis ganz gerade in rechtem Winkel hinabsteigt. Aus diesen Worten folgt, dass wir beim Igel im ausgebildeten Zustande dieselben Form- verhältnisse treffen, welche wir bei den Schafembryonen in einem ziemlich frühen Stadium gefunden haben (Fig. 10 A). Fassen wir nun alles hier in Bezug auf die Entwicklung des Steigbügels Mitgetheilte zusammen, so kommen wir zu folgenden Schliissen : 1) Der Stapes bildet sich unabhängig von den anderen Gehör- knöchelchen. 2) Er erscheint in Form eines Zellhaufens um die Art. mandi- bularis, bekommt später die Form der trapezoiden Platte, welche sich darnach in eine fiinfeckige und endlich in eine glockenförmige verwandelt. 3) Der Stapes stellt von seinem ersten Auftreten an eine durch- löcherte und nicht solide Platte dar, wie das letztere von allen Em- bryologen angenommen wurde. 4) Der Verlauf der Art. mandibularis und die Entstehungsweise des Stapes in ihrer Umgebung hat bedeutenden Einfluss auf die Form der Stapesanlage. Die Mandibularis bedingt die Durchlöcherung des Stapes, sie bedingt auch die rinnenförmige Aushöhlung des vorderen Stapesschenkels. 5) Die Art. mandibularis spielt nur eine provisorische, für die Entstehung des Stapes wichtige Rolle und geht später gewöhnlich zu Grunde. Sie bleibt nur ausnahmsweise bei einigen Thieren im ausgebildeten Zustande bestehen. Fig. Erklärung der Abbildungen. Tafel XX. Querschnitt durch den Kopf eines 11/; em langen Schafembryo. Ut Utri- culus; Coch Canalis cochlearis; Cr’ Carotis interna; Am Art. mandi- bularis; Nf Nervus facialis; Mob Medulla oblongata; * die Grenze der utricularen und des cochlearen Theiles des Labyrinthes Syst. 1 ScHIECK. Fig. 2, 3, 4,5,6u.7. Die herauspräparirten MEcker’schen und REICHERT'schen Knorpel mit der Anlage der Gehörknöchelehen. Fig. 2 von einem 2 em langen Embryo, Fig.3 von 2,4 cm, Fig.4 von 2,7 cm, Fig.5 von 3 cm, Fig. 6 von 4em und Fig.7 von Scm langen Embryonen. M% MECKEL’sche Rk REICHERT'sche Knorpel; M7 Malleus; Mm Manubrium mallei; In Incus; pr. br Processus brevis ineudis; pr./ Proc. longus ineudis; St Stapes; Cse äußerer halbeirkelförmiger Kanal; Oz knorpelige Ohr- kapsel; H, V, *siehe im Text; Os Ossifikationspunkte des MEckEL’schen und des REICHERT’schen Knorpels. Fig. 2, 3, 5 Syst. 4 HARTNACK nach Abschraubung der letzten Linse, Fig. 4, 6, 7 Syst. 1 SCHIECK. Fig. S,u. 9. Amboss und Steigbügel. Fig. 8 eines 4 cm, Fig. 9 eines 12 em Fig. 10. langen Embryo. Die Bezeichnung wie in Fig. 2, 3 ete. Ol Anlage des Ossiculum lenticulare. : Querschnitt durch den Kopf eines 23/, em langen Embryo. Csp Ca- nalis sem. posterior ; Csa Canal. semic. anterior; Mae Meatus audito- rius externus; “tt Tuba Eustachii; ao äußeres Ohr; Nf Nerv. facia- lis; stp Stapes; Ok Ohrkapsel; a Utriculus; Vsp Vorsprung der Ohr- kapsel; Coch Canalis cochlearis; Fr Facialisrinne; Am Arteria man- dibularis; 4b Arteria basilaris; Al Recessus labyrinthi, Syst. 4 nach Abschraubung der letzten Linse. Fig. 10 A. Ein Theil desselben Präparates bei stärkerer Vergrößerung (Syst.7. Harn.) Die Bezeich- nung wie in Fig. 10. Ein Theil des Querschnittes durch den Kopf eines 3 cm langen Em- bryo. Mea Meatus auditorius externus: pr! Processus longus incudis ; Ret Rinne am äußeren Schenkel des Steigbügels fiir den Durchgang der Art. mandibularis Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 10. Fig. 11 A. Ein Theil des Querschnittes Fig. 11 bei stärkerer Ver- größerung (Syst. 7 HARTN.). oy . , ; “Morphol. Jahrbuch Ce) JAS ) G.Bar hleipzig. Wyche Am Hsch VP tsp fig.10. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmafse der Fische.. Von Dr. M. v. Davidoff, Assistent am zool. Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XXI—XXIII. Zweiter Theil. 1. Abschnitt. Ganoidei holostei, mit einem Anhange.über das Becken einiger Physostomen. Die Untersuchung der hinteren Gliedmaße der Ganoidei holo- stei, verbunden mit vergleichend anatomischen Hinweisungen auf die Befunde bei einigen physostomen Knochenfischen, bildet den ersten Abschnitt des zweiten Theiles meiner Arbeit über die hintere Glied- maße der Fische. Von den letzteren sind die Haie, Chimaera und die Ganoidei chondrostei in der bereits im V. Bande die- ses Jahrbuches erschienenen Arbeit behandelt worden. Diese Unter- suchung führte zu dem Ergebnis, dass die Sturionen, in Bezug auf ihre hintere Gliedmaße, sich nur von Formen ableiten lassen, welche als Vorfahren sämmtlicher Gnathostomen zu beurtheilen sind. Wir sahen, dass bei den Sturionen das Basale metapterygii im Gegensatz zu den übrigen, in der erwähnten Untersuchung bearbeiteten Fischen fehlt, dass hingegen das Becken selbst bei ihnen eigenthümliche Dif- ferenzirungen erfahren hat. So erhielten wir zwei divergente Ab- theilungen : einerseits die Selachier, anderseits die Störe. Von beson- derem Interesse musste uns nun in dieser Beziehung das Verhalten der Knochenganoiden gelten: und die Frage, ob sie sich von den Stu- rionen oder Selachiern ableiten lassen? zumal bei der Stellung der Morpholog. Jahrbuch. 6. 28 434 M. v. Davidoff Knochenganoiden im System der Fische gerade in dieser Abtheilung eine Verbindung zwischen den Knochenfischen und den Ve oder Sturionen zu erwarten war. Indem Agassız! zuerst eine Anzahl von Familien der Fische als Ganoiden zusammenfasste, gelang es erst JoH. MÜLLER?, auf Grund vergleichend anatomischer Untersuchungen, diese Abtheilung zu prä- cisiren und zu begrenzen. »Die Stelle derselben ‚im System‘,« sagt r, »fällt, wie ich bewiesen zu haben glaube, mitten zwischen die Knochenfische und Plagiostomen oder Selachier, indem sie Charaktere aus den Knochenfischen und Selachiern kombinirt. Sie hat von den ersteren (Teleostier) die Kiemen, den Kiemendeckel, die Nase, von den letzteren die accessorische Kieme vor der ersten Kieme, Spritz- löcher, Klappen des Arterienstiels, Gefäßvertheilung der Pseudobran- chie, Eileiter, Verhalten des Sehnerven.« Während die Aussage Jon. MÜLLER’s unter den Knochenganoiden nur Polypterus und Lepidosteus umfasst, wurde Amia, welche sich sonst den Clupeiden so ähnlich ver- hält, erst von C. VogT?) den Ganoiden zugesellt. Wenn so die Ord- nung der Ganoiden scharf abgegrenzt zu sein scheint, so bildet sie doch keineswegs eine in sich abgerundete Gruppe. Von den Knorpel- ganoiden abgesehen, welche schon durch ihr Skelet eine bedeutend tiefere Stufe als die Knochenganoiden einnehmen, stehen die letz- teren’unter sich auch in keiner näheren Verwandtschaft. Sie stellen vielmehr sehr divergente Formen vor, welche als Ausläufer einer in früheren geologischen Epochen zahlreichen Gruppe aufzufassen sind 4. Fiir die vergleichend anatomischen Untersuchungen an Knochen- fischen bilden somit die Knochenganoiden eine äußerst wichtige Ab- theilung, bei welcher wir Zustände zu erwarten haben, die ausgebil- deter sind als bei den Selachiern und Stören, aber ein primitiveres Verhalten zeigen als bei den Knochenfischen. 1 Recherches sur les poissons fossiles. Neuchatel 1833—43. 2 Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandlungen der Ber- liner Akad. 1846 pag. 146. 3 Quelques observations sur les caractéres qui servent 4 la classification des poissons ganoides. Ann. des sciences nat. Troisiéme Serie. T. IV. p. 53. 4 Siehe C. GEGENBAUR, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Leipig 1872. 3. Heft pag. 10 und folgende. Ferner: Grundzüge der vergl. Anatomie. Zweite umgearbeitete Auflage. Leipzig 1870 pag. 578 und Grundriss der vergl. Anatomie. Zweite Auflage. Leipzig 1878 pag. 431 Anm. 1. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren GliedmaBe der Fische. 435 Dem Material entsprechend zerfällt meine Arbeit in zwei Haupt- abtheilungen: in einen descriptiven und einen vergleichenden Theil. In den drei Abschnitten des ersten Theiles werden das Skelet, die Muskeln und die Nerven behandelt. Im zweiten Theile werden die vorgefundenen Thatsachen der drei untersuchten Formen (Polypterus, Lepidosteus. Amia) zunächst unter sich, dann mit den Selachiern und Sturionen verglichen, worauf dann einige Bemerkungen über die » Befunde des Hintergliedmafenskeletes der Physostomen folgen. Das untersuchte Material habe ich theilweise Geh.-Rath GEGEN- BAUR, theilweise Herrn Prof. BürscHLı zu verdanken. 1) Descriptiver Theil. a) Skelet. Das Skelet der hinteren Gliedmaße von Polypterus nimmt unter den drei untersuchten Gattungen der Knochenganoiden die wichtigste Stellung ein, indem dasselbe diejenige Stufe repräsentirt, von wel- cher sich die Befunde bei Amia und Lepidosteus ableiten lassen. Ich will desshalb meine specielle Darstellung mit Polypterus bichir beginnen. Seit der Entdeckung dieses Fisches hat die anatomische Untersuchung der Bauchflossen kaum noch weitere Fortschritte ge- macht. Nach ETIENNE GEOFFROY ST. HILAIRE! besteht das Skelet der hinteren Extremität aus 5 Knochen: »Le premier,« sagt er, »qui fait avec son congenere fonction de bassin, est long, aplati et se termine par une large base, a l’extremite de laquelle s’artieulent quatre petits osselets allongés et paralleles. Les apophyses tutrices des rayons, quoiquextremement courtes, enveloppent pourtant de chaque cöte l’extremité de ces quatre osselets; ce qui est possible, parce que chaque rayon, composé de deux lames, so trouve termine par une double apophyse«?. Eine etwas eingehendere Beschreibung findet sich bei Acassız 3, der eine Ähnlichkeit zwischen dem Becken des Polypterus und dem- jenigen der Reptilien findet. Das Hauptstück besteht nach ihm aus ! Histoire nat. et description anatomique d’un nouveau genre de poisson du Nil, nommé Polyptere. Ann. du Museum nation. d'Histoire nat. T. I. Paris 1802. 2 Eben daselbst pag. 60. 3 Recherches sur les poissons fossiles T. II pag. 45. Neuchatél 1833—43. 28* 436 M. v. Davidoff einem Knochen, welcher in der Mitte rund, an seinen beiden Enden verbreitert ist und sich mit dem gleichnamigen der anderen Seite vermittels Ligamente verbindet. Das hintere Ende dieses Knochens trägt an seinem hinteren Rande’ 4 oder 5 »Metatarsalknöchelehen«, von welchen das äußere, kleinste zu einem Knorpelstückchen redu- eirt ist, welches letztere auch ganz verschwinden kann. — Die übrigen vier Knéchelchen nehmen von außen nach innen zu und bilden an ihren distalen Enden die Insertionsstellen für die Flossen- strahlen. Den Beobachtungen Acassız fügte DUMERIL! die Bemer- kung hinzu, dass der Beckenknochen (os pelvien) der einen Seite mit demjenigen der anderen artikulire. Jon. MÜLLER? endlich hielt das Vorhandensein der »Knochen des Mittelfußes« an den Bauchflossen von Polypterus für eine »ihnen eigene Abweichung«. Sämmtliche bisher erwähnten Autoren, wie auch Stannius?, stimmen darin über- ein, dass sie in dem Hauptstücke des Skeletes das Becken sehen, während die demselben ansitzenden Knöchelchen allgemein als »ossa metatarsi« bezeichnet werden. In Bezug auf das Hauptstück schließt sich den genannten Autoren auch GEGENBAUR an, indem er sagt, dass »beide Hälften des Beekens der Ganoiden und Teleostier in medianem Zusammenhang stehen«*. In einer im Jahre 1877 erschie- nenen Abhandlung von THAcHER® wird endlich die von DUMERIL er- wähnte Artikulation in Abrede gestellt. Die Verbindung der beiden »pubie parts« findet nach diesem Autor durch Bindegewebe statt. Wenn alle hier angeführten Angaben in der Beschreibung des Beckenknochens und der »ossa metatarsi« übereinstimmen, so sind sie doch bezüglich des medianen Zusammenhangs der ersteren, wie wir sahen, sehr verschieden, Fig. 1 zeigt uns das Skelet der Bauchflossen von Polypterus von der ventralen Fläche aus betrachtet. In dem mit B bezeichne- ten Theile sehen wir das Becken der Autoren; die mit r!—r?t be- zeichneten Knöchelchen stellen uns die »ossa metatarsi« vor. Nach vorn von dem Beckenknochen sehen wir dann drei Knorpelstücke (pl, p2, p?), von welchen das eine (p*) vordere in dem durch die beiden anderen gebildeten nach vorn offenen Winkel gelegen ist. Histoire nat. des poissons. T. II pag. 375. Paris 1870. Grenzen der Ganoiden 1. c. pag. 149. 3 Zootomie der Fische. Bd. I pag. 95. Berlin 1854. 4 Grundriss der vergleichenden Anatomie. Zweite Auflage. Leipzig 1878. pag. 508, 5 Transactions of the Connecticut Academie vol. IV. 1877. 1 2 Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 437 Bei einem zweiten von mir beobachteten Exemplare vermisste ich das unpaare Knorpelstück. Die beiden seitlichen Knorpel waren etwas nach vorn verlängert und liefen in der Medianlinie, stets dicht an einander gelagert, nach vorn spitz aus. Ein bemerkenswerther Umstand besteht darin, dass sowohl die drei Knorpelstücke des einen Exemplares als auch die beiden des anderen genau in der ventralen Medianlinie lagern und nach Abnahme des Integumentes sofort zu Tage treten, sind also von keiner, etwa der Gliedmaße zugehörigen Muskulatur bedeckt (vergl. Fig. 7). Dorsalwärts liegen diese Knor- pelstücke auf dem Bindegewebe der Medianlinie und sind vermittels ihres Perichondrium mit demselben fest verwachsen. Ihr dorso- ventraler Durchmesser ist sehr gering. Sie sind fast durchscheinend und lassen weder besondere Skulpturen noch sie durchsetzende Lö- cher erkennen. Sowohl mit dem Beckenknochen, als auch unter sich, sind diese Knorpelstiickchen beweglich verbunden. THACHER, welcher das Skelet der Bauchflosse von Polypterus abbildet (T. II Fig. 1)!, hat diese Knorpel übersehen. In der Be- schreibung heißt es: »..... the two pubic parts abut on one ano- ther without uniting, thoug fastened together by though connective tissue, etc. .. .« Es kommt also die Verbindung der beiden Beckenknochen we- der durch Artikulation, noch durch Bindegewebe zu Stande, sondern wird vermittels mehrerer, in der Medianlinie gelegener Knorpelstücke bewerkstelligt. Die beiden den paarigen Knorpeln angefiigten Beckenknochen sind lange, verknöcherte Stücke, welche sich vorn mit den Spitzen ihres medialen Randes berühren (vergl. Fig. 1). Gegen die Mitte werden sie allmählich schmäler, runden sich ab, um an ihrem distalen. nach hinten gerichteten Ende sich auf Kosten ihres dorso-ventralen Durchmessers wiederum auszubreiten. Jeder Beckenknochen trägt hier eine dicke, wulstartige, knorpelige Epiphyse (Fig. 1 Ep), welche mit vier nach hinten konkaven Aushöhlungen versehen ist. Letztere sind die Anfügestellen der vier ossa metatarsi. Am media- len hinteren Winkel bildet jeder Beckenknochen einen ebenfalls mit Knorpel überzogenen, median und nach hinten gerichteten Fortsatz (Processus medialis), welcher von dem der anderen Seite durch ein in der. Mittellinie, wie bei den Haien, sich findendes Septum getrennt ist (Fig. 1 3). | 1 Op. cit. 438 M. v. Davidoff _ Die vier »Metatarsalknochen« nehmen von innen nach außen allmählich an Länge ab (Fig. 1 r!'—r!). Jeder derselben, der late- rale nicht ausgenommen, ist an beiden Enden mit knorpeligen Epi- physen versehen. Sehr bemerkenswerth sind zwei kleine, rundliche Knorpelstiickchen, welche zwischen den distalen Enden der drei medialen Metatarsalknochen eingelagert sind (Fig. 1 Eg!, Eg2). Die proximalen Enden der Flossenstrahlen umfassen die distalen Enden der Metatarsalknochen, welche letztere also zwischen den beiden Reihen der Flossenstrahlen eingebettet liegen, ohne jedoch mit ihnen in irgend welcher festeren Verbindung zu stehen. Bei der Betrach- tung der Muskeln wird dieses Verhalten näher aus einander gesetzt. Ähnlich gestalten sich die Befunde bei Amia ealva (Fig. 2). Die, beide Beckenknochen verbindenden Knorpelstücke vermisse ich hier. Es besteht vielmehr eine ziemlich feste Verbindung vermittels Bindegewebe, wobei meistens der linke Beckenknochen an seinem proximalen Ende vom rechten überlagert wird. Indessen kann auch der linke Knochen auf dem rechten liegen. Die festere Verbindung zwischen beiden findet nur an derjenigen Stelle statt, an welcher die ventrale Fläche des linken Beckenknochens sich mit der dorsalen des rechten oder umgekehrt berührt. Die allgemeine Konfiguration des Beckenknochens ist im Großen dieselbe wie bei Polypterus. Die dünne abgerundete Partie ist weiter distalwärts gerückt und das proximale Ende ist um vieles breiter. Indessen ist das distale Ende schmäler und dicker und besitzt das Ansehen eines Gelenkkopfes. Während aber die ventrale Fläche des Knochens bei Polypterus vollkommen eben war, lässt dieselbe bei Amia eine leichte am lateralen Rande ziehende Leiste wahrnehmen (Fig. 2 cr), welche, wie wir sehen werden, durch Muskelinsertionen hervorgerufen ward. Sie beginnt an der dünnsten Stelle des Knochens, und zieht, sich allmählich vom lateralen Rande desselben abwendend, nach vorn, wo sie jedoch sehr bald aufhört, ohne das proximale Ende des Beckenknochens zu erreichen !. Wichtig sind die Stückchen, welche dem Hinterrande des Becken- knochens ansitzen. Dieser besitzt keine besonderen, jenen zur An- 1 FRANQUE hält das Becken von Amia für rudimentär. »Pinna ventralis abdominalis est, rudimentis pelveos ossi pubis affıxa.« Auf der Abbil- dung des Beckens (Fig. 2) sind, statt der einfachen proximalen Epiphyse zahl- reiche nach vorn gerichtete knorpelige (?) Fortsätze gezeichnet. Nach der Figur zu urtheilen liegen die beiden Beckenknochen an ihrem proximalen Ende nicht über einander, sondern an einander. (Afferuntur nonnulla ad amiam cal- vam accuratius cognoscendam. Dissertatio inauguralis. Berolini 1847.) Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 439 heftung dienende Aushöhlungen und manche jener Stücke stehen mit dem distalen Ende des Beckenknochens nicht einmal in Berührung. Ihre Zahl ist (vergl. Fig. 2) an beiden Gliedmaßenhälften eines und desselben Thieres verschieden. Rechterseits finde ich deren drei, auf der linken Seite vier. Verknöchert ist nur das größere mediale Stückchen, welches flaschenförmig ist und für sich allein die mediale Hälfte des Gelenkkopfes des Beckenknochens in Anspruch nimmt (Fig.2r!). Von den übrigen Stückchen steht nur das folgende laterale, mit dem Beckenknochen in Verbindung. Sowohl das dritte rechter- seits als auch das dritte und vierte linkerseits liegen nur dem eben erwähnten zweiten Stückchen an. Es ist ohne Weiteres vorauszusetzen, was schon aus der länglichen Form des dritten Stiickchens rechter- seits einleuchtet, dass dasselbe aus der Verschmelzung des dritten und vierten hervorgegangen ist. Was das Skelet der hinteren Gliedmaße von Lepidosteus osseus betrifft (Fig. 3), so schließt sich dasselbe an die Befunde von Amia so eng an, dass die betreffende Figur kaum noch einer weiteren Auseinandersetzung bedarf. Die Haupteigenthümlichkeiten bestehen in einer weiteren Ausbildung der schon bei Amia eingelei- teten Verhältnisse. So sehen wir an dem Beckenknochen zunächst eine bedeutendere Entwicklung der bei Amia vorhandenen Leiste, zu welcher sich noch eine am medialen Rande ziehende hinzugesellt (Fig. 3 d')!. Die dem Hinterrande ansitzenden Stückchen verhalten sich wie bei Amia, nur dass sie im Verhältnis zu dem Beckenkno- chen noch bedeutend kleiner sind. Sowohl bei Amia als Lepidosteus sind die Knochenstrahlen des sekundären Flossenskeletes zugleich mit der Reduktion der ossa metatarsalia nach vorn gerückt. Sie umfassen nicht nur die »Mittelfußknochen«, sondern auch das distale Ende des Beckenknochens. Ohne vorläufig auf die genauere Beurtheilung, welche nur nach der Betrachtung der hierher gehörigen Muskeln und Nerven erfolgen kann, einzugehen, will ich hier nur noch auf das Gemeinsame des Typus aufmerksam machen, der in dem Skelete der Hintergliedmaße der drei untersuchten Knochenganoiden erkennbar ist. Bei allen drei Formen finden wir einen langen mit dem ander- ‘ Es ist wahrscheinlich, dass die mediale Leiste sich aus dem Bindegewebe der äußeren Fascie der Seitenmuskeln entwickelt, welche hier also einem Ver- knöcherungsvorgange unterliegt. Bei einem kleinen (jungen?) Exemplare von Lepidosteus bison war sie durch ein derbes, bindegewebiges Band reprä- sentirt. 440 M. v. Davidoff seitigen entweder durch Knorpelstiicke (Polypterus) oder durch Bindegewebe verbundenen Knochen, an dessen hinterem Ende ent- weder knorpelige oder knöcherne Stäbe ansitzen. Die medialen Knorpelstücke bilden aber eine Eigenthümlichkeit des Polypterus. b) Muskeln der hinteren Gliedmaße. Wie in dem Skelet, so bieten die drei untersuchten Gattungen auch in den Muskeln viel Gemeinsames. Die zwischen den drei For- men ‚bestehenden nicht unwichtigen Unterschiede betreffen zunächst den Ansatz der ventralen Seitenmuskeln, dann die Sonderungen der Gliedmaßenmuskeln in mehrere deutlich zu trennende Schichten. Wie bei den Haien und den Ganoidei chondrostei! sind die Seitenmuskeln außen und innen mit ziemlich dicken Fascien umhiillt, welche sich in der Medianlinie verbinden. Sie stellen aber vor der Gliedmaße nicht wie bei den Selachiern ein senkrechtes, bindegewe- biges Septum vor?, sondern ein flaches, derbes Band, welchem die medialen Knorpelstücke von Polypterus und die vorderen Enden der Beckenknochen von Amia und Lepidosteus aufliegen (vgl. Fig. 7, 8 u. 9 Md). Indessen liegt auch die dorsale mit Muskeln bedeckte Fläche des Beckenknochens nicht den Seitenmuskeln auf. Diese verdünnen sich nach der Gliedmaße zu allmählich bis sich ihre beiden Fascien am lateralen Rande des Beckenknochens vereinigen und unter (dor- sal) demselben als ein derbes bindegewebiges Band zur Medianlinie ziehen. Hinter den medialen Knorpelstücken von Polypterus bilden die beiden Fascien ein hohes Septum, welches mit den Ursprungs- sehnen der von ihm entspringenden Muskeln eng verwebt erscheint (Fig. 7 s). Bei Amia ist dasselbe Septum viel geringer entwickelt. Bei Lepidosteus hingegen ist die Medianlinie auch hinter der Verbindung der beiden Beckenknochen ein flaches Band und erscheint nur an denjenigen Stellen verdiekt, von welchen Muskeln entspringen. Die Medianlinie ist wie bei den Knorpelganoiden, sowohl vor den Glied- maßen als auch hinter denselben mit einer dicken Fettschicht bedeckt. Der Ansatz der Seitenmuskeln an die Gliedmaßen erfolgt bei allen drei Formen am lateralen Rande des Beckenknochens, bei Amia und Lepi- dosteus an den lateralen Leisten. Die Beziehungen der Seitenmuskeln zu den Muskeln der Gliedmaße werden wir später beschreiben. ! Siehe dieses Jahrb. Bd. V (Heft III) pag. 455. 2 Eben daselbst. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 441 Was nun die letzteren angeht, so können wir die schon früher bei den Selachiern gegebene, ihrer Lage entnommene Eintheilung beibehalten ') und unterscheiden demnach zwei Hauptgruppen, näm- lich dorsale und ventrale Muskeln. Beide Gruppen nehmen ihren Ursprung sowohl von knöchernen als auch von bindegewebigen Thei- len. Die fast ausschließlichen Ansatzstellen beider Gruppen bilden die proximalen umgebogenen Enden der Strahlen des sekundären Flossenskelets. a) Ventrale Muskeln. Das einfachste Verhalten der ventralen Muskeln treffe ich bei Polypterus (Fig. 7). Nach Abnahme des Integumentes mit der äußeren Fascie sehen wir fast den ganzen Bekenknochen von einer dicken Muskelmasse bedeckt, deren Fasern nach hinten gerichtet sind und in ihrem distalen Theile in eine große Anzahl feiner Seh- nen übergehen, welche sämmtlich zu den Knochenstrahlen ihren Verlauf nehmen. Die medialen Knorpelstücke liegen hingegen frei. Aus der betreffenden Figur ist ersichtlich, dass der Ursprung dieser Muskelmasse sich nicht ausschließlich auf Skelettheile beschränkt. dass vielmehr die Hauptmasse der Muskeln von dem oben erwähnten medialen Septum ihren Ursprung nimmt (Fig. 7 Svs). Zergliedert man diese vom Septum kommende Schicht weiter, so lässt sie drei Lagen unterscheiden. Die oberflächliche Schicht (Fig. 7 Svs bilden diejenigen Fasern, welche von ihrem Urspunge an kontinuir- lich in einem leichten medianwärts konkaven Bogen bis zu den Flos- senstrahlen verlaufen. Eine besondere Muskelschicht stellen wiederum Fasern vor, welche sich mit den aponeurotischen Oberflächen der vom Becken herkommenden Muskeln verbinden. Die dritte Gruppe wird endlich von Fasern gebildet, welche vom Septum nur bis zum lateralen Rande des Beckenknochens ihren Verlauf nehmen, und an demselben Ansatzstellen finden, wobei der Processus medialis (Fig. 15) ihnen die größte Oberfläche gewährt. Die von der ven- tralen Fläche des Beckenknochens entspringende Muskel- schicht hat einen einfacheren Bau (Fig. 7 Svp). Sie besteht aus längsverlaufenden Fasern, welche distal in feine Sehnen übergehen, die zum Theil die Ansatzstellen der erwähnten vom Septum herkommen- den Zwischenschicht bilden. Die oberflächliche Lage nimmt ihren 1 Siehe meine erwähnte Arbeit pag. 454. 442 M. v. Davidoff Ursprung unmittelbar hinter der Verbindung des Beckenknochens mit dem paarigen Knorpel, wobei der Ursprung der tiefer gelegenen Fasern immer weiter distalwärts rückt. Indessen beschränkt sich der Ursprung der von Skelettheilen entspringenden ventralen Muskeln keineswegs auf den Beckenknochen, sondern geht auch auf die ossa metatarsalia über, von welchen zahlreiche Fasern entspringen, welche, wie es scheint, theilweise Selbständig zu den Flossenstrahlen verlau- fen, theilweise sich auch mit den Sehnen der vom Becken kommen- den Muskeln verbinden. — Wir hätten somit schon bei Polypterus mehrere Kategorien von Fasern der ventralen Flossenmuskeln zu unterscheiden. Die erste Gruppe bilden zunächst die von Skelet- theilen entspringenden Muskeln, welche ich wie bei den Haien ihrer tiefen Lage gemäß als Stratum ventrale profundum bezeichne. Sie zerfallen wiederum in zwei Unterabtheilungen: 1) in diejenigen, welche vom Beckenknochen entspringen, 2) in diejenigen, welche von den ossa metatarsalia herkommen. Die zweite Hauptgruppe wird durch die von bindegewebigen Theilen resp. der äußeren Apo- neurose herkommenden Muskeln reprisentirt. Sie bilden meistens die oberflächliche Lage (Stratum ventrale superficiale). Nur die vom Septum zum Beckenknochen verlaufende Schicht gehört ihrer Lage nach zur tiefen Muskulatur. Wenn ich oben bemerkte, dass die ventralen Flossenmuskeln des Polypterus einfacher zusammengesetzt seien, als bei den zwei ande- ren Knochenganoiden, so beruht dieser Charakter auf geringer Son- derung der zu unterscheidenden Abtheilungen der Muskulatur. Sie stellen vielmehr alle eine kompakte Muskelmasse vor, welche von zahlreichen, gröberen und feineren Sehnen durchzogen ist!. Was end- lich den Ansatz der sich an die Strahlen des sekundären Flossenskelets festheftenden Fasern betrifft, so habe ich über denselben nichts weiter zu bemerken, als dass er ausschließlich an den hier allerdings nur wenig umgebogenen proximalen Enden der ventralen Lage dieser Strahlen stattfindet. Der Ansatz der vor der Gliedmaße befindlichen ventralen Seitenmuskeln findet am lateralen Rande des Becken- knochens statt. Gehen wir nun zu Amia über, wo uns schon bedeutend kom- plieirtere Befunde entgegentreten, so finden wir zunächst fast die ganze ventrale Flossenmuskulatur von einer glänzenden ziemlich der- ! Desshalb lassen sich alle diese Schichten nicht gut abzeichnen. Sie kön- nen nur auf künstlichem Wege getrennt werden. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 443 ben Aponeurose bedeckt, so dass nur ein geringer Theil derselben äußerlich hervortritt (Fig. 8 pss). Die soeben erwähnte oberflächlich gelagerte Flossenmuskulatur (pss) befindet sich am hinteren Theile der Gliedmaße und bildet mit der nämlichen der anderen Seite, nach vorn konvergirend, einen nach hinten offenen, nahezu rechten Winkel. Der Ursprung dieser Muskelschicht findet an ihrem hinteren Theile genau in der Mittel- linie statt, wo die Ursprünge beiderseitiger Muskeln innig verwebt zu sein scheinen. Weiter nach vorn wendet sich jedoch der Ur- sprung von der Mittellinie ab, um in einer geraden nach außen ge- richteten Linie auf die, die übrigen Flossenmuskeln bedeckende Aponeurose (Fig. 8 Aps) überzugehen. Der hintere Rand des Muskels ist auf den Seitenmuskeln gelegen, von welchen er jedoch mit Leich- tigkeit zu trennen ist. Distalwärts werden die Fasern sehnig und setzen sich an die proximalen Enden der sechs medialen Strahlen der Flosse fest. Nach Abnahme dieses Muskels, welchen ich als Pars superfieialis der oberflächlichen ventralen Schicht bezeichne, bekommen wir ein Bild, wie es ungefähr Fig. 11 darstellt. Ursprung und Ansatztheil der Pars superficialis sind erhalten (pssw u. pssa) ; die hinter der Gliedmaße befindlichen Seitenmuskeln gehen in eine breite Sehne über, welche unter dem Ansatztheile der Pars superfi- eialis nach vorn zieht und bald mit einer breiten, von den vor der Gliedmaße gelegenen Seitenmuskeln hervorkommenden Aponeurose zusammenfließt. Wir sehen jedoch, dass diese von den vorderen und hinteren Seitenmuskeln abgehende Aponeurose (Aps) nicht alle übrigen Gliedmaßenmuskeln bedeckt, sondern einen Theil derselben frei zu Tage treten lässt, indem sie einen nach hinten und außen konkaven Bogen beschreibt. In dem von der Aponeurose unbedeck- ten Theile befindet sich eine zweite Muskelschicht, welche von der Pars superficialis bedeckt, mit derselben auch einen ähnlichen Ver- - lauf hat. Während aber die Pars superfieialis über der Aponeurose der Seitenmuskeln gelagert ist, begiebt sich diese Muskelschicht, Pars media (Fig. 11 pms), unter dieselbe und lässt ihre oberflächlichsten Fa- sern von der dorsalen (unteren) Fläche dieser Aponeurose entspringen. Die tiefer gelegenen Fasern der Pars media nehmen aber ihren Ur- sprung von einer Verdiekung der Fascia externa der Seitenmuskeln (Septum) und auch von demjenigen Theil derselben, welcher zwischen der Medianlinie und dem Ursprung einer dritten, tiefer gelagerten Schicht (Fig. 12 cd), der Pars profunda, gelegen ist (s. Fig. 12 pmsu). 444 M. v. Davidoff Beide betrachteten Muskelschichten sind auch an derjenigen Stelle, an welcher sie nicht durch die erwähnte Aponeurose der Seitenmuskeln geschieden sind, sehr leicht von einander zu trennen und nur in ihrem Ansatztheile erscheinen sie eng verwachsen. Beide Schichten setzen sich gemeinsam an die medialen Enden der Flossenstrahlen. Nach Abnahme der Pars media kommt der direkt dem Beckenknochen aufliegende Theil der ventralen Flossenmuskeln zum Vorschein (Fig. 12pp). Wir bezeichnen ihn als Pars profunda und unterscheiden an ihm zwei Abschnitte. Wir sehen schon aus der Figur wie der eine Theil des Muskels nach vorn bis zur vorderen, knorpeligen Epiphyse des Becken- knochens reicht, dass dagegen ein anderer weiter hinten gelegener Theil desselben nicht in seiner ganzen Ausdehnung auf dem Becken- knochen liegt, sondern seinen Ursprung von der Fascia externa nimmt. Wir hätten somit einen zweiköpfigen Muskel vor uns, des- sen Caput longum ausschließlich vom Beckenknochen entspringt, des- sen Caput breve (Fig. 12 cb) aber von der Fascia externa. Beide Köpfe vereinigen sich zu einer derben Sehne, welche unter den An- satztheil der Pars superfieialis und media tritt und sich mit den bei- den letztgenannten Schichten gemeinsam an die Flossenstrahlen festsetzt. Der Bau der Pars profunda ist der vom Beckenknochen entspringenden Schicht des Polypterus so ähnlich, dass ich gar nichts weiter hinzuzufügen brauche. Der einzige Unterschied würde nur darin bestehen, dass die feinen, die Muskelmasse durchziehenden Sehnen des Polypterus sich hier zu einer breiten, derben Sehne vereinigt haben. Was den Ansatz der ventralen Seitenmuskeln an den Becken- knochen angeht, so findet derselbe hier auch längs des lateralen Beckenknochenrandes statt. Jedoch ist die breite Ansatzsehne nicht so einfach wie bei Polypterus. Sie theilt sich hier in zwei Blätter, von welchen das tiefe Blatt sich sogleich zwischen die dorsalen und ventralen Flossenmuskeln begiebt und bis zu seiner Ansatzstelle, dem lateralen Beckenknochenrande eindringt. Das oberflächliche Blatt ist aber nichts Anderes als die schon betrachtete, die ventra- len Gliedmaßenmuskeln bedeckende äußere Aponeurose, welche mit der von hinten her kommenden sich verbindet (vergl. Fig. 11 Aps). Eine weitere Komplikation im Ansatze besteht darin, dass die Seiten- muskeln vermittels einer Sehne noch an den lateralen Randstrahl der Flosse sich festheften. Ähnlich verhält sich die ventrale Muskulatur bei Lepidosteus bison (Fig. 9). Ei wesentlicher Unterschied von Amia betrifft die Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 445 ventrale Medianlinie, welche bei Lepidosteus sowohl hinter als vor der Verbindung der beiden Beckenknochen um vieles breiter ist, so dass man schon nach Abnahme des Integumentes das Aufeinander- lagern der beiden Beckenknochen zur Ansicht bekommt. Vor den Letzteren nähern sich die medialen Ränder der beiderseitigen Sei- tenmuskeln um weiter hinten wieder aus einander zu weichen (vergl. Fig. 9). Während der rechte Beckenknochen fast vollständig von den Seitenmuskeln und deren Aponeurosen bedeckt erscheint, liegt der linke eine Strecke weit frei und gewährt den Ursprung der, der Pars profunda von Amia homologen, von einer glänzenden Fas- cie bedeckten Muskelschicht. Weiter nach hinten divergiren die beiden Ränder der Medianlinie (vergl. Fig. 9). Etwa in der Gegend der Mitte des Beckenknochens ist letztere am breitesten und stellt eine derbe, glänzende bindegewebige Haut dar. Eine Eigenthüm- lichkeit des Lepidosteus besteht auch darin, dass von dieser breiten Medianlinie zahlreiche zerstreute Muskelfasern entspringen (Fig. 9 pse), deren Ursprünge aber nicht bis zur Mitte der Medianlinie reichen. Vorn sind sie kurz und verlaufen nahezu in transversaler Richtung nach außen auf die, die Gliedmaßenmuskeln bedeckende Aponeurose über, an welche sie sich auch ansetzen. Weiter nach hinten nehmen sie allmählich eine longitudinale Richtung ein, werden immer länger, bis sie endlich einen ausgesprochenen Längsverlauf einschlagen (vergl. Fig. 9). Sie hören indessen im Bereiche der Gliedmaße nicht auf, sondern gruppiren sich zu zwei in der Mittel- linie nach hinten verlaufenden Muskelzügen, welche sowohl von ein- einander, als auch von den ihnen zur Seite liegenden Seitenmuskeln deutlich getrennt sind. Weiter hinten werden die Fasern immer spärlicher, bis sie schließlich unter allmählicher Annäherung der beiderseitigen medialen Ränder der Seitenmuskeln vollständig ver- schwinden. Nur an ihrem Ursprunge sind die Fasern dieser eigen- thümlichen Längsmuskeln fleischig. Sie gehen in feine Sehnen über, welche vorn sehr kurz sind, hinten aber eine beträchtliche Länge erreichen können. Ich konnte nicht ermitteln, ob alle diesen Längs- muskel zusammensetzenden Fasern zu der beschriebenen Aponeurose der Seitenmuskeln gelangen: oder ob einige derselben an der Median- linie selbst ihren Ansatz finden. Das Vorhandensein dieses Muskels ist aber bis jetzt nur bei Lepidosteus von mir beobachtet. Weder bei den Selachiern noch bei den Knorpelganoiden kommt ein ähnlicher Befund vor. Befreien wir die tiefer liegenden Gliedmaßenmuskeln von den sie 446 M. v. Davidoff bedeckenden Fascien, so treten uns die bei Amia beschriebenen Ver- bältnisse entgegen. Wir erkennen sofort in dem nun zu Tage lie- genden Muskel die von der Fascia externa der Seitenmuskeln ent- springende Pars media und den vom Beekenknochen entspringenden Kopf der Pars profunda (vergl. Fig. 10). Ein nicht unwichtiger Unterschied besteht erstens in der bedeutenderen Entwicklung der Pars media, welche bei Lepidosteus bis zur Vereinigung der beiden Beckenknochen sich nach vorn erstreckte, zweitens in dem Mangel einer scharfen Sonderung der Pars media von dem Caput breve der Pars profunda. Ganz wie bei Amia besteht die Muskelmasse der Pars media und profunda aus feinen Fasern, welche sich zu größe- ren Bündeln vereinigend in derbe Sehnen übergehen, an welche sich ebenfalls noch Muskelfasern ansetzen können. Wir sehen aus der Beschreibung der ventralen Gliedmaßen- muskeln von Amia und Lepidosteus, dass die beiden Gattungen ein- ander sehr nahe stehen und einen gewissen Gegensatz zu Polypte- rus repräsentiren. Aus der einheitlichen Muskelmasse von Polypterus haben sich bei Amia mehrere diskrete Schichten differenzirt, die ich als Pars superficialis, media und profunda aufführte. Ohne Zweifel entsprechen die beiden ersteren Schichten, auch wohl das Caput breve der Pars profunda in toto, den vom Septum und der Fascia externa entspringenden Fasern bei Polypterus. Das Caput longum ist der vom Beckenknochen entspringenden Muskellage homolog. , Was nun Lepidosteus betrifft, so muss man annehmen, dass das bei Amia und Polypterus in der Medianlinie vorhandene Septum immer flacher wurde, bis die ganze Medianlinie zu der eben jetzt vorhan- denen bindegewebigen Fläche sich umgestaltete, welche es dann auch möglich machte den Partes superficiales von Amia zunächst zu beiden Seiten aus einander zu weichen. Postulirt man diesen Vor- gang, so bietet das weitere Erstrecken dieser Muskelschicht nach hinten keine Schwierigkeiten. Es ist auch einleuchtend, dass durch das Auseinanderweichen der beiden Partes superficiales ihre Wirkung nothwendig eine geringere werden musste, indem sie sich nicht mehr gegenseitig unterstützen konnten, wie bei Amia oder nament- lich bei Polypterus, bei welchem man die beiderseitigen Muskeln einfach als einen queren, von einer Flosse zur anderen hinziehenden Muskel betrachten kann. Die geringere Leistungsfähigkeit bringt aber eine Reduktion mit sich. So sehen wir auch an diesem Mus- kel dass seine Fasern nicht mehr bis zu den Flossenstrahlen reichen und dass trotz seiner Verbreitung nach hinten eine bedeutende Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 447 Rückbildung vorliegt. Es ist kein eigentlicher Muskel mehr, son- dern ein Geflecht durch einander verlaufender Fasern, deren Wirkung nur eine minimale sein kann. Es bleibt nur noch eine Muskelgruppe von Polypterus, deren Vertreter wir bei Amia und Lepidosteus aufsuchen müssen: nämlich die tief gelegenen, vom Septum zum lateralen Rande des Becken- knochens verlaufenden Fasern. Ich habe dieselben weder bei Amia noch bei Lepidosteus auffinden können. Indessen ist sehr wahr- scheinlich, dass diese Fasern bei Polypterus selbst in Riickbildung begriffen sind, da wir sie, wie aus dem vergleichenden Theile dieser Untersuchung folgen wird, bei den Selachiern in mächtiger Ausbildung, fanden. P) Dorsale Muskeln. Wie bei den Haien und Knorpelganoiden gestaltet sich die Mus- kulatur der dorsalen Fläche der Gliedmaße einfacher als die ven- trale. Sie unterliegt bei den drei untersuchten Knochenganoiden keinen besonderen Differenzirungen, sondern ist bei allen im We- sentlichen gleich gestaltet. Wir können sie desshalb im Allgemeinen charakterisiren und auf die jeder Gattung zukommenden Eigenthüm- lichkeiten hinweisen. Während wir auf der ventralen Fläche meist nur unvollkommen geschiedene Muskelschichten antrafen, begegnen uns hier gesonderte Schichten, von welchen die eine als oberflächliche, die andere als tiefe Schicht bezeichnet werden kann. Beide Schichten sind nicht nur ihrer Lage nach verschieden, sondern haben auch verschiedenen Ursprung. Die oberflächliche Schicht entspringt lediglich von der äußeren Fascie der Seitenmuskeln, die tiefe aber nimmt ihren Ursprung von der dorsalen Fläche des Beckenknochens in seinem ganzen Umfange. Beide Schichten hängen peripherisch zusammen und finden ihren Ansatz an der dorsalen Lage der Flossenstrahlen, und zwar wie auf der ventralen Fläche an deren umgebogenen me- dialen Enden. Bei Amia besteht die oberflächliche Schicht aus zwei diskreten Lagen, welche wir wie bei Chimaera als Portio prima und secunda bezeichnen wollen. Die erstere ist oberflächlich gelagert und stellt wie Fig. 13 pp zeigt einen dreieckigen Muskel vor, dessen sämmt- liche Fasern abwärts gerichtet sind. Die Ursprungslinie ist wie bei den Haien ein distal konvexer Bogen. Allmählich konvergirend, 448 M. v: Davidoff sammeln sich die Fasern der Portio prima zu einem ziemlich dicken Bauch und setzen sich an die fiinf medialen Flossenstrahlen fest. Ganz auf die nämliche Art gestaltet sich die Portio prima auch bei Lepidosteus, nur dass sie bedeutender ausgedehnt erscheint. Bei Polypterus hingegen scheint sie sehr gering entwickelt. Löst man die Portio prima zugleich mit der Fascia externa der Seitenmuskeln ab, so tritt uns bei Amia der Ansatztheil der Portio secunda und der tiefen Schicht entgegen. Wir sehen (Fig. 14) wie der Ansatz- theil der letzteren von einem von den Seitenmuskeln gebildeten Bo- gen (Fig. 14 arc) bedeckt ist. Der zwischen dem vorderen Rande dieses Bogens und den drei lateralen Knochenstrahlen sich befindende Raum aber war, wie Fig. 13 uns zeigte, von einer dünnen Fascie be- deckt, welche von dem vorderen Rand der Portio prima sich konti- nuirlich zu den drei lateralen Knochenstrahlen und dem vorderen Rande des erwähnten Bogens erstreckte. Die bei Amia vorhandene Portio secunda der oberflächlichen dorsalen Schicht ist bedeutend umfangreicher als die Portio prima. Sie nimmt ihren Urprung ebenfalls von der Fascia externa aber erst aus der Tiefe des von dem Seitenmuskel gebildeten Bogens. Die- ses Verhältnis kommt nun dadurch zu Stande, dass die Fascia externa um den Seitenmuskel nach innen umbiegt, derart, dass sie auf Fig. 15 an dem, am Seitenmuskel ausgeführten Schnitte in doppelter Lage erscheint, sowohl außen als auch innen. Von ihrem inneren Blatte (Fig. 15 ¢fex) entspringt nun die Portio secunda (ps). Der hintere Rand der letzteren liegt genau unter dem hinteren Rande der Portio prima und ihr Ursprung befindet sich an seinem hinteren Theile un- ter dem Ursprungsbogen der Portio prima. Aus Fig. 15 ist aber ersichtlich, dass der Ursprung der Portio secunda weiter nach vorn, fast bis zum vorderen Ende des Beckenknochens reicht. (vgl. Fig. 13 u. 15). Am vorderen Theile stellen die Fasern der Portio secunda keine größeren Bündel vor. Sie verlaufen wie diejenigen der Portio prima von oben (dorsal) nach unten (ventral) zu den Flossenstrahlen. Nach vorn zu ändert sich ihr Verlauf ganz allmählich. Sie schlagen nach und nach die Richtung von vorn nach hinten ein, bis sie schließlich mit der tiefen Schicht (Spd) parallel ihre Ansatzpunkte erreichen. Diese oberflächlichen Schichten verhalten sich bei Lepidosteus in so fern etwas anders, als die beiden Lagen von Amia hier nicht unter- schieden werden können. Die bei Amia als Portio prima bezeich- nete Lage dehnt sich bei Lepidosteus ganz eben so weit nach vorn Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 449 aus wie die Portio secunda. Der der Portio prima homologe Theil umfasst auch beim Ansatze alle Enden der dorsalen Flossenstrahlen (den Randstrahl ausgenommen), verhält sich also auch in dieser Hin- sicht anders als bei Amia. Bezüglich der oberflächlichen dorsalen Schicht von Polypterus, kann ich nichts Bestimmtes angeben, da ich nicht vermochte, sie von dem Integumente abzutrennen, was allerdings mit der sehr un- befriedigenden Konservirung der Exemplare zusammenhängen mag. Die tiefe dorsale Schicht ist hauptsächlich am lateralen Rande des Beekenknochens entwickelt (siehe Fig. 15 Spd). Sie ist hier nicht von der oberflächlichen bedeckt und bildet einen dicken Muskelbauch, dessen Fasern direkt nach hinten verlaufen und an ihrem Ansatztheile sehnig werden, an welche Sehnen sich theilweise auch die Fasern der oberflächlichen Schicht anheften. Durch die Ansatzsehne des Seitenmuskels (Fig. 15 as) ist diese dorsale Schicht von der tiefen ventralen geschieden. Sie kann aber dermaßen mäch- tig entwickelt sein (Amia), dass sie ventralwärts über die von der tiefen ventralen Schicht gebildete Fläche prominirt. Nach Entfer- nung der Seitenmuskeln und ihrer an den lateralen Rand des Becken- knochens sich ansetzenden Sehne, kann der laterale Rand der tiefen dorsalen Schicht auch von der ventralen Fläche aus sichtbar gemacht werden. Nur bei Polypterus zeichnet’ sich diese Schicht durch keine besondere Mächtigkeit aus. Bei letzterem entspringen auch von der dorsalen Fläche der Ossa matatarsalia kleine Muskeln, welche sich ganz eben so verhalten, wie diejenigen auf der ventralen Fläche. Was nun den Ansatz der Seitenmuskeln an die Gliedmaßen an- betrifft, so findet derselbe bei Amia und Lepidosteus nicht nur an Skelettheilen statt, sondern geht, wie wir sahen, auch auf die ven- trale Fläche der ventralen Muskeln über. Unterhalb der oberflächlichen dorsalen Schicht vereinigen sich die beiden Seitenmuskelfascien. Am vorderen Theile des Becken- knochens fehlt dieser Befund. Hier entsenden die Seitenmuskein eine derbe Sehne, welche zwischen den dorsalen und ventralen Mus- kellagen in die Tiefe eindringt und sich in der ganzen Länge der lateralen Leiste des Beckenknochens festheftet. Eine dünne Lage der Seitenmuskeln erstreckt sich jedoch weiter auf die ventralen Glied- maßenmuskeln und geht in die beschriebene letztere bedeckende Aponeurose über. Dieses Verhalten ist weniger bei Amia, mehr bei Lepidosteus ausgeprägt (vergl. Fig. 8 u. 9). Da der Ansatz an den lateralen Beckenknochenrand schon bei Polypterus vorhanden war Morpholog. Jahrbuch. 6. 29 450 M. v. Davidoff und einen einfacheren Zustand als bei Amia und Lepidosteus reprä- sentirt, so muss das weitere Erstrecken der Seitenmuskeln auf die Muskeln der Gliedmaße bei den letztgenannten Gattungen als ein se- kundärer Vorgang beurtheilt werden. c) Nervensystem!. Die Untersuchung des Nervensystems der hinteren Gliedmaße der Knochenganoiden bietet so erhebliche technische Schwierigkeiten, dass ich es nur bei Lepidosteus vermochte die ventralen Äste bis zu ihrer Auflösung in den Gliedmaßenmuskeln zu verfolgen. Indes- sen reichten schon diese Beobachtungen aus, um die Befunde bei Amia verstehen zu können. Was Polypterus betrifft, so wurden bei demselben nur vereinzelte Beobachtungen gemacht. Die, die Muskeln der Gliedmaße von Lepidosteus versorgenden ventralen Äste liegen, eben so wie die übrigen, unmittelbar unter der Fascia interna, welche nach innen hin vom äußerst dünnen Perito- neum überzogen ist. Jeder ventrale Ast verläuft unmittelbar hinter einem Ligamentum intermusculare in dem ihm entsprechenden Myo- comma. Sowohl die weiter vorn als auch die hinten gelegenen Ner- ven verlassen das ihnen zukommende Gebiet nicht. Eben so lassen sich keine Anastomosen zwischen ihnen entdecken. Jeder ventrale Ast giebt, noch an seiner proximalen Hälfte, einen oder zwei Äste ab, welche sich in die Tiefe der Seitenmuskeln begeben. Distal- wärts werden die abgehenden Äste allmählich dünner und schließlich löst sich auch der Stamm in feine Zweige auf, welche sich sämmt- lich in das Muskelfleisch des betreffenden Myocomma einsenken. Schon der erste vor dem ersten Gliedmaßennerven gelegene ventrale Ast verhält sich anders. Wir sehen in Fig. 16 wie er sich peri- pherisch in zwei Äste spaltet, von welchen der hintere das hinter ihm gelegene Myocomma durchbohrt (Fig. 16 «) um mit einem nach vorn gerichteten Aste des ersten Extremitätennerven (13) zu anasto- mosiren, wobei mehrere Astchen dem Seitenmuskel abgegeben wer- 1 Was die Litteratur über die Nerven der hinteren Gliedmaße der Fische angeht, so beziehen sich alle Angaben in den größeren Werken (CUVIER und CUVIER-VALENCIENNES , CUVIER-MECKEL, MECKEL, JOH. MÜLLER, STANNIUS und DUMERIL, etc.) entweder auf das centrale Nervensystem, oder auf das pe- ripherische Nervensystem der Selachier, Sturionen oder Knochenfische. Uber unseren Gegenstand sind mir keine Notizen bekannt. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 451 den (2). Der erste Gliedmaßennerv (der 13. ventrale Ast!) schlägt aber schon in seinem proximalen Theile die Richtung nach hinten ein, bleibt jedoch noch eine Strecke weit innerhalb seines Myocomma. Bald jedoch nähert er sich dem nächst hinteren Zwischenbande, das er durchbohrt, empfängt hier einen Ast des 14. Ramus ventralis, worauf er einen nach vorn gerichteten Zweig dem Seitenmuskel ab- giebt (z?), verlässt jedoch die Richtung nach hinten nicht, sondern durchbohrt auch die zwei folgenden Zwischenbänder. Auf diese Weise gelangt er zum lateralen Rande des Beckenknochens. Auf seinem Verlaufe giebt er noch einen Ast dem 14. Ramus ventralis ab (y). . Der 14. ventrale Ast hat fast denselben Verlauf wie der 13., nur dass er bloß zwei Zwischenbänder zu durchbohren hat. Am Becken- knochen verbindet er sich mit dem 15. Ramus ventralis und bildet mit demselben einen dieken Stamm (Sz. Der 15. Ramus ventralis durchbohrt endlich noch vor seiner Vereinigung mit dem 14. das nächst hintere Ligamentum intermusculare, worauf dann der 16. das ihm ursprünglich zukommende Myocomma nicht mehr verlässt, was auch bei den drei folgenden Nerven (IV, V, VI) der Fall ist. Der 20. ventrale Ast theilt sich nicht weit vom Beckenkno- chen in zwei Äste, von welchen der vordere das vor ihm gele- gene Zwischenband durchbohrt, der hintere sich mit Ästen verbindet, welche ihm von den zwei weiter hinten gelegenen Rami ventrales zugeführt werden, welch’ letztere sowohl mit ihren nach hinten als den nach vorn gerichteten Ästen ebenfalls die Ligamenta intermus- eularia durchsetzen. Wir erkennen also aus dem Verhalten der ventra- len Äste zu den Myocommata, dass bei Lepidosteus ein Konvergiren der Nerven zum Beckenknochen stattfindet und zwar sowohl vor als auch hinter demselben. Ohne auf die specielle Beschreibung einzelner Äste, über welche uns am besten die getreue Abbildung orientiren wird, einzugehen, ist ihr Verhalten im Allgemeinen folgen- des: Der 13. R. v. fließt an seinem Ende mit einem Aste zusam- men, welcher von dem durch die Vereinigung der 14. und 15. Rami ventrales entstandenen Stamme abgeht und welcher von dem 16. R. v. noch einen feinen Zweig empfängt. Auf diese Weise entsteht ein ansehnlicher Nerv (v'), welcher mit dem Verlauf auf die 1 Auf der Fig. 16 ist die Reihenzahl der ventralen Aste der Spinalnerven mit arabischen Zahlen angegeben, während die tiefer stehenden römischen Zah- len die zur Gliedmaße in Beziehung stehenden Nerven (Gliedmaßennerven) andeuten. 29* 452 M. v. Davidoff dorsale Fläche der tiefen dorsalen Muskelschicht! sich zu einem breiten durchsichtigen Bande gestaltet, am medialen Rande jener Schicht noch einen, vom Stamm der 14. u. 15. Rr. vv. abgehenden Ast und den Stamm des 17. R. v. in sich aufnimmt und dann zur ventralen Fläche des Beckenknochens umbiegt. Er kommt also hier zwischen die Fasern der Pars media zu liegen, giebt derselben so- gleich einige Äste ab, senkt sich jedoch in die Pars profunda ein, in welcher ich ihn eine Strecke weit noch habe verfolgen können siehe Fig. 17 v!). Er zerfällt bald in mehrere feine Zweige, deren weiterer Verlauf sich der makroskopischen Untersuchung entzieht. Während seines Verlaufes auf der dorsalen Muskulatur der Glied- . maße giebt er keine Äste ab (vergl. Fig. 16 01), ist also ein aus- schliefslich für die ventralen Muskeln bestimmter Nerv. Wir wollen ihn als ersten ventralen Ast der Extremitätennerven bezeichnen. Aus den vier vorderen Extremitätennerven entsteht aber noch ein zweiter Nerv, welcher die Elemente vom 13. R.v. wahrscheinlich durch den Verbindungszweig desselben zum 14. R. v. empfängt. Es setzen ihn zusammen 1) der eigentliche Stamm des 16. R. v. und 2) ein Ast des aus dem 14. und 15. Rr. vv. entstandenen Ner- ven. Der so gebildete Stamm wird ebenfalls sehr breit, verläuft aber nicht auf die dorsale Fläche der tiefen dorsalen Muskulatur, sondern senkt sich sofort in dieselbe ein wo er sich auch verästelt. Er scheint sich indessen hauptsächlich in der tiefen dorsalen Schicht aufzulösen Fig. 15 d!). Es ist somit ein für die dorsalen Muskeln bestimmter Nerv (R. dorsalis I). Der 17. Ramus ventralis giebt außer dem langen Aste zum ersten ventralen Gliedmaßennerven noch mehrere Zweige ab, welche sich scheinbar alle in der tiefen dorsalen Schicht auf- lösen. Der 18. und 19. Ramus ventralis spaltet sich je in zwei Zweige,-von welchen der eine zur dorsalen, der andere, auf dem- selben Wege wie die betrachteten ventralen Äste, auch zur ventralen Muskulatur tritt. Etwas abweichend verhält sich der 20. Ramus ventralis. Er sendet einen Ast zum ventralen Zweige des 19. Ner- ven. Sein nach hinten gerichteter Ast (e) verbindet sich mit den Ästen des 21. und 22 Rr. vv. und begiebt sich zum medialen hin- teren Winkel des Beckenknochens , wo er medianwärts umbiegt, um sich zwischen die beiden Reihen der Knochenstrahlen einzusenken. ! Auf der Figur ist der Umriss der dorsalen Fläche des Beckenknochens skizzirt, wobei man sich vorstellen muss, dass die auf dieser Fläche verlaufen- den Nerven auf der Fascia externa lagen, welche im Bereiche der Gliedmaße unter den dorsalen tiefen Muskeln liegt. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 453 Hier verläuft er eine Strecke weit quer zum lateralen Rande, giebt viele sehr feine Zweige ab. welche sich ziemlich weit nach hinten zwischen den beiden Reihen der Flossenstrahlen verfolgen lassen (Fig. 17 a9). Eigenthümlich ist das Verhalten der beiden letzten Nerven, nämlich des 21. und 22. ventralen Astes. Den nach vorn gerichteten mit dem Ast des 20. Ramus ventralis sich verbindenden Zweig haben wir schon betrachtet. Von demselben geht noch ein Nerv ab, wel- cher quer unter den vom 22. Ramus ventralis zum hinteren Aste des 20. Ramus ventralis entsendeten (y) Verbindungszweig verläuft (z). ohne sich mit demselben zu verbinden und fließt dann mit einem von dem Aste des 21. und 22. Ramus ventralis gebildeten Längsstämm- chen zusammen (Zgv). Letzteres entsteht von einem nach hinten gerichteten Aste des 22. Ramus ventralis, nimmt einen Zweig des vor- deren, sich noch mit dem hinteren Aste des 21. R. v. verbindenden Astes desselben Nerven auf, verläuft direkt nach hinten und begiebt sich zum medialen hinteren Winkel des Beckenknochens, worauf er sich in die Fasern der Pars media einsenkt. Da die dorsale Fläche der Gliedmaße an ihrem vorderen Theile sammt ihren Muskeln nicht den Seitenmuskeln aufliegt, sondern auf den hier über einander liegenden Fascien sich befindet, so verlaufen auch die vordersten ventralen Äste der Extremitätennerven zwischen diesen Faseien, die dorsalen Äste aber durchsetzen die äußere Fas- cie, um zu den von ihnen versorgten Muskeln zu gelangen. Dies geschieht bei den ventralen Ästen nur am medialen Rande des Beckenknochens. Bei Amia verhalten sich die Nerven ähnlich. Der erste Extre- mitätennerv ist der 19. ventrale Ast der Spinalnerven. Daran schlie- fen sich 8 Nerven, welche sich alle in den Muskeln der Gliedmaße auflösen. Wie bei Lepidosteus bildet jeder einen ventralen und dor- salen Ast und ihr Verhalten zum Beckenknochen ist auch das näm- liche. Die Anastomosen zwischen den ventralen Asten der Glied- ! Bei den Knochenfischen kommen ähnliche Verhältnisse der letzten \hin- teren) Gliedmaßennerven vor. Sie sind von älteren Autoren beobachtet worden. So heißt es bei Cuvier-MECkEL: »In den Grätenfischen, wie z. B. dem Wels, schicken die Riickenmarkspaare, welche sich in den Zwischenrippenmuskeln vertheilen, Faden ab, die sich zu den Muskeln der Flosse begeben. Einige da- von können deutlich bis zu der Membran verfolgt werden, welche die Strahlen bekleidet«. Vorlesungen über vergl. Anat. von Cuvier. Übersetzt von MEckEL. Leipzig 1809. Zweiter Theil pag. 275. 454 M. v. Davidoff maßennerven sind außerordentlich zahlreich und bilden auf der dorsalen Fläche der tiefen dorsalen Muskelschicht einen Längsstamm, von welchem erst die peripheren Endzweige ausgehen. Die beiden hinteren Nerven stehen hier wie bei Lepidosteus in Beziehung zu dem sekundären Flossenskelete, bilden aber mit den weiter hinten gelegenen Nerven keine Anastomosen. Das Verhältnis der Rr. vv. der Spinalnerven zu den Myocommata ist jedoch etwas von dem bei Lepidosteus verschieden, indem bei Amia außer dem letzten Glied- maßennerven alle übrigen die hinter ihnen gelegenen Ligamenta intermuscularia durchbohren. Dieses Verhalten wird dadurch ver- ständlich, dass die Zwischensehnen der Seitenmuskeln eine viel mehr - nach vorn zu gewendete Richtung einschlagen als bei Lepidosteus. Die Beschreibung der näheren Verhältnisse eines jeden Gliedmaßen- | nerven kann unterbleiben, zumal da dieselben sehr variabel sind. 2) Vergleichender Theil. a) Vergleichung der untersuchten Knochenganoiden unter sich. Was zunächst das Skelet betrifft, so ist besonders das Verhal- ten des vorderen Endes und die Verbindung der beiden als Becken- knochen bezeichneten Theile wichtig. Während bei Polypterus die beiden Knochen in einer Ebene lagen, vorn vermittels der bekann- ten Knorpelstücke zusammenhängend, findet bei Amia und Lepi- dosteus eine Überlagerung der beiden Knochen an ihrem Vorderende statt. Wir haben im letzteren Falle unzweifelhaft einen sekundä- ren Vorgang, welcher sich von den Befunden bei Polypterus ab- leiten lässt. Erwägt man den Umstand, dass die Knorpelstücke von Polypterus weder als Ansatz noch als Ursprungsstätte etwai- ger Muskeln dienen, und für das Zusammenhalten der beider- seitigen Gliedmaßen nur von minimaler Bedeutung sein können, so ist ihr Schwinden, eben durch den Nichtgebrauch, bei Amia und Lepidosteus erklärlich. Wir haben aber Grund anzunehmen, dass diese Stücke selbst bei Polypterus früher mächtiger, als wir sie antrafen, entwickelt waren. Den Anlass hierzu giebt das spora- dische Vorkommen eines dritten unpaaren Stückes und überhaupt ihre variirende Form und Größe. Das allmähliche Rudimentärwer- den dieser Knorpelstücke musste nothwendig eine Annäherung der Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 455 beiderseitigen Beckenknochen nach sich ziehen. Sie hängen dann durch keine Skelettheile mehr zusammen, ihre gegenseitige Fixirung leistete das Bindegewebe. Da ihre medialen Ränder für die festere Verbindung eine zu geringe Fläche darboten, griff eine Überlagerung der beiden Knochen Platz. In embryonalen Zuständen muss es aber noch unentschieden sein, welcher der beiden Knochen auf den an-. deren zu liegen kommt, da wir bei Amia sowohl den linken auf dem rechten als auch umgekehrt liegen sahen. An dem Beckenknochen ist uns ferner die verschiedene Größe so wie sein Relief von Bedeutung. Bei Polypterus ist er klein und vollständig plan, bei Amia bedeutend größer, aber nur mit einer sehr wenig erhabenen und kurzen Leiste ausgestattet. Bei Lepido- steus hingegen erreicht er unter den Knochenganoiden seine größte Differenzirung. Der viel stärker gebaute Knochen besitzt zwei lange und hohe Cristae und erscheint zum Ansatz bedeutenderer Muskeln geeigneter als bei Amia. Diese Thatsachen sind von Bedeutung für das Verständnis des Verhältnisses des Beckenknochens zu den Ossa metatarsalia, welches, wie wir schon aus den Figuren ersehen, ein umgekehrtes ist. Je vollkommener die Ausbildung des Beckenknochens, desto rudimentärer sind die Mittelfufsknochen. Ihre Reduktion erfolgt von außen nach innen zu. Bei Amia und Lepidosteus ist der inner- ste Mittelfußknochen ossifieirt, die anderen drei erhalten sich als unansehnliche Knorpelstücke, welche zuweilen mit einander ver- schmelzen können. Bei Polypterus ist die Reduktion ebenfalls eingeleitet, indem das laterale Stäbchen das kleinste ist und nach den Beobachtungen AGAssiz’ sogar knorpelig bleiben kann !. Zwischen den distalen En- den der beiden äußeren Mittelfußknochen fehlt das zwischen dem 2. u. 3., 3. u. 4 vorhandene Knorpelchen. Wir sehen also, dass die Reduktion sich nicht nur in einer Ver- kürzung der Ossa metatarsalia, sondern auch in der mangelnden Ossifikation offenbart. Um das Rudimentärwerden dieser Gebilde zu verstehen, müssen wir die Muskeln zur Hilfe nehmen und das Verhältnis der Mittel- fußknochen zu den Strahlen des sekundären Flossenskeletes aus ein- ander setzen. Bezüglich des letzteren sahen wir (was auch A@assız auf seiner Abbildung des Skelets von Polypterus richtig darstellt) 2, 1 Op. cit. Bd. II pag. 45. 2 Rech. sur |. poiss. foss. Atlas Tom. II Tab. ce. Neuchatel 1833—43, 456 M. y. Davidoff dass die proximalen Enden der Flossenstrahlen nur die distalen Epi- physen der Ossa metatarsi des Polypterus umfassen, ein Umstand, welcher es ermöglicht, dass Muskeln von den Mittelfußknochen ent- springen und sich an die Knochenstrahlen festheften. Bei Amia und Lepidosteus reichen aber die Flossenstrahlen bis zur distalen Epi- physe des Beckenknochens. Die physiologische Leistung der Mittel- fußknochen kann nach dem anatomischen Thatbestand nur zweierlei Art sein: sie dienen erstens zum Ursprung der Muskeln, deren Wirkung um so nöthiger ist, je geringer die übrigen Muskeln der Gliedmaße entwickelt sind. Zweitens besteht ihre Funktion noch darin, dass sie für die Extension und Flexion der eigentlichen Flosse, welche bei Polypterus fast um die ganze Länge der Metatarsalkno- chen von dem hinteren Beckenknochenende entfernt ist, eine feste Stütze geben. Es ist einleuchtend, dass die Entwicklung der Metatarsalmuskeln in umgekehrtem Verhältnis zu den übrigen Mus- keln der Gliedmaße stehen muss. Gewinnen Letztere die Überhand, welche sie unstreitig schon bei Polypterus haben, so müssen die Matatarsalmuskeln in gleichem Maße sich rückbilden. Die bedeu- tende Volumzunahme des Beckenknochens bei Amia und Lepidosteus gewährt den von demselben entspringenden Muskeln eine größere Oberfläche; in Folge dessen die mächtige Entwicklung derselben, welche das Schwinden der Metatarsalmuskeln, zugleich aber auch das Verkümmern der Metatarsalknochen nach sich zogen. Letztere wurden also nach und nach kürzer, welcher Vorgang die Annähe- rung des sekundären Flossenskeletes an den Beckenknochen zur Folge hatte. Somit wird die ganze Umgestaltung des Skeletes durch die Vergröfserung der Oberfläche am Beckenknochen eingeleitet, welche bei Lepidosteus durch die Ausbildung zweier bedeutenden Leisten un- ter den Knochenganoiden die höchste Stufe erreicht. Nicht minder interessant sind die Verschiedenheiten der Musku- latur selbst. Aus dem so einfachen Bau bei Polypterus, bei welchem wir außer den zwei großen Gruppen der dorsalen und ventralen Muskeln, noch keine gesonderten Schichten unterscheiden konn- ten, gestaltet sich die um vieles komplieirtere Anordnung von Amia und Lepidosteus. Die Vergleichung der beiden Letztgenannten mit Polypterus ergiebt eine Divergenz der Formen in Bezug auf ihre Gliedmaßenmuskeln. Während bei Amia die beiderseitigen oberfläch- lichen ventralen Schichten median noch vermittels des Septums zusammenhängen, sind sie bei Lepidosteus aus einander gewichen. Beitriige zur vergleichenden Anatomie der hinteren GliedmaBe der Fische. 457 Die oberflächliche dorsale Muskulatur verhält sich aber bei Lepido- steus einfacher als bei Amia. Das Auseinanderweichen der ventralen Schicht bei Lepidosteus ist schon bei Amia und Polypterus eingeleitet, indem die Hauptmasse der Fasern der oberflächlichen Schicht nicht mehr vom Septum, son- dern von der Fascia externa, zwischen dem Septum und dem me- dialen Beckenknochenrande, entspringt. Mit dem Übergewicht der Pars media über die Pars superficialis musste letztere sich rück- bilden. Dass dieser Vorgang stattgefunden hat, ist schon aus dem Grunde klar, dass die vom Septum kommenden Fasern eine nur sehr geringe Wirkung auf die Beugung der Flossenstrahlen ausüben können. da sie mit denselben nicht in einer geraden Linie gelegen sind, sondern einen stumpfen Winkel mit ihnen bilden. Bei der Zusam- menziehung muss die Pars superfieialis die proximalen Enden der medialen Strahlen nicht nur beugen, sondern auch etwas adduciren. eine Wirkung, die für die Flosse von keinem Belang ist. Umgekehrt verhält es sich mit der Pars media. Ihre Fasern verlaufen mit je- nen der Pars profunda fast parallel und müssen eine den letzteren gleiche Wirkung ausüben. Viel schwieriger ist es, sich klar zu machen, wie es kommt, dass die Pars superficialis sich bei Lepido- steus so weit nach hinten erstreckt. Wir werden vielleicht bei den Physostomen Anknüpfungspunkte gewinnen, welche uns eine Erklä- rung dieses Vorganges gestatten. | Dieselben Kausalmomente treten uns auch an der oberflächlichen dorsalen Schicht entgegen. Die der Portio prima von Amia ho- mologen Fasern des Lepidosteus können die Flossenstrahlen nur heben, eine Wirkung, welche von keiner Bedeutung für die Flosse sein kann. Sie haben sich bei Amia von der Portio secunda ab- getrennt und sind an ihrem vorderen Theile rudimentär geworden. Ein nicht unwichtiger Punkt bleibt uns noch im Ansatz und im Verhältnis der Seitenmuskeln zu den Muskeln der Gliedmaße. Bei Polypterus ist wiederum der einfachste Zustand vorhanden. Die Seitenmuskeln gehen in eine Sehne über, welche sich an den -late- ralen Rand des Beckenknochens anheftet. Bei Amia erstrecken sich die vor der Gliedmaße gelegenen Seitenmuskeln über ihre Ansatz- stelle hinaus, verlaufen auf die ventrale Fläche der Flossenmuskeln, welche sie mit ihrer Fascie bedecken. Stellt man sich vor, dass die Oberfläche der ventralen Gliedmaßen aponeurotisch war, wie sie z. B. bei den Sturionen ist und auch zum Ansatz der Seitenmuskeln sowohl vorn als auch hinten diente, so erklärt sich dieses Verhalten 458 M. v. Davidoff auf eine sehr einfache Weise. Von beiden Seiten, besonders aber vorn, griff der Ansatz immer weiter, bis er den Zustand von Amia und Lepidosteus erreicht hatte. Dass sich später diese Aponeurose von den Gliedmaßenmuskeln ablöste, ist leicht begreiflich. Der Zusam- menhang mit denselben lässt sich aber jetzt noch dadurch erkennen, dass Muskelfasern von dieser Aponeurose entspringen, wie z. B. die oberflächlichen Fasern der Pars media bei Amia. Dieser Vorgang ist jedenfalls zusammenzubringen mit der immerhin lockeren Verbin- dung der beiden Beckenknochen unter einander. Sowohl durch den Ansatz der Seitenmuskeln an das Skelet, als auch durch die eben betrachtete Aponeurose wird die nöthige Fixirung gewährt. Die geringen Verschiedenheiten im Verhalten der Nerven der Hintergliedmaße von Amia und Lepidosteus verdienen es nicht un- ter sich verglichen zu werden. Erst die Vergleichung mit tiefer stehenden Formen bietet Interesse. Ehe wir aber zu derselben über- gehen, ist zu konstatiren, dass aus der obigen Auseinandersetzung für Polypterus ein primitives Verhalten sowohl im Skelet als auch in den Muskeln gegenüber Amia und Lepidosteus sich herausstellte. Uns kommt es also jetzt nur darauf an Polypterus mit den Selachiern und Stören zu vergleichen um die Befunde auch bei den übrigen untersuchten Knochenganoiden verstehen zu können. b) Vergleichung der untersuchten Knochenganoiden mit Selachiern und Sturionen. Bei Betrachtung des Skeletes entsteht zunächst die Frage, ob der allgemein als Beckenknochen bezeichnete Skelettheil auch wirk- lich dem Becken der Selachier und der Sturionen homolog sei? Wenn Letzteres der Fall, drängt sich die Frage nach dem Bagale metapterygii und den Radien auf. Hätten wir für unsere Verglei- chung das Skelet allein, so wären die aufgeworfenen Fragen kaum zu lösen. Wir hätten im günstigsten Falle nur sagen können, dass eben einer der die Hintergliedmaße der Haie konstituirenden Theile bei den Knochenganoiden fehlt. Ziehen wir aber Muskeln und Nerven zu unserer Vergleichung, so kommen wir zu anderen Resultaten. Was die Muskeln angeht, so ist es aus dem Verhalten der ventralen Nerven- äste unzweifelhaft, dass die beiden Gruppen, dorsale und ventrale Mus- keln, den gleichnamigen der Haie homolog sind. Nehmen wir nun an, dass der Beekenknochen von Polypterus das Basale metapterygii der Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 459 Selachier ist, so finden wir fast alle bei Heptanchus vorhandenen Mus- kelschichten bei Polypterus vertreten !. Die oberflächliche ventrale Schicht des Heptanchus verhält sich ganz eben so wie die des Po- lypterus. Sie entspringt vom medialen Septum und verläuft, ohne mit dem Beckenknochen in Beziehung zu stehen zu den Strahlen des se- kundären Flossenskelets. Die septobasale Schicht von Heptanchus ist durch die tiefe Lage der vom Septum kommenden, sich an den me- dialen Rand des Beckenknochens festsetzenden Muskeln repräsentirt. Die basioradiale Schicht endlich ist hier durch die vom Beekenkno- chen entspringenden Fasern vorgestellt. Die von den Ossa metatar- salia entspringenden, bei den Haien nicht vorhandenen accessorischen Zipfel finden ihre Homologa bei Chimaera, wo sie sich eben so wie bei Polypterus? verhalten. Über die dorsale Muskulatur brauchen wir Nichts hinzuzufügen, da sie sich bei Amia und Lepidosteus, wahrscheinlich auch bei Po- lypterus eben so wie bei den Selachiern verhält. Die bei Amia vor- handene Sonderung der oberflächlichen Schicht in zwei Strata ist eine Differenzirung, welche wir schon bei Chimaera, bei welcher diese Schicht in drei Lagen zerfallen war, kennen gelernt haben 3. Was die Nerven angeht, so stimmen sie zuerst mit den Haien darin überein, dass sie sich zu dem Beckenknochen gerade so verhalten wie bei jenen zum Basale metapterygiit. In beiden Fällen ist das . Letztere das Hauptziel der Extremitätennerven, welche sich hier am Beckenknochen, da am Basale in ihre dorsalen und ventralen Äste spalten, sich hauptsächlich im Umfang dieser beiden Skelettheile ver- ästeln und verbinden, und keiner der ventralen Äste derselben durch- bohrt die genannten Theile um auf die ventrale Fläche zu gelangen. Bei den Knochenganoiden müssen die ventralen Äste sogar einen weiten Weg quer über die dorsale Fläche des Beckenknochens zurück- legen, um, wie bei den Haien, von der medialen Seite aus zu den von ihnen innervirten Muskeln zu gelangen. Aus der Vergleichung der Nerven und Muskeln geht also hervor, dass der als Beckenknochen von Polypterus bezeichnete Skelettheil dem Basale metapterygii der Haie homolog ist. Indessen können wir ! Vergleiche das von mir im I. Theile gegebene Schema des Verlaufes der Muskeln von Heptanchus. Op. cit. pag. 458; auch die betreffende Abbildung Taf. XXIX Fig. 11. 2 Siehe I. Theil. Fig. 18 Taf. XXIX. 3 Siehe I. Theil. Fig. 20, 21, 22 Taf. XXX. 4 Siehe I. Theil. Fig. 13 und 15. 460 M. v. Davidoff diese Vergleichung erst dann als festgestellt betrachten, wenn wir die anderen, die Gliedmaßen der Haie bildenden Theile bei Polypterus aufgefunden haben. Die Radien bieten uns keine Schwierigkeiten, wir erkennen die- selben sofort in den Metatarsalknochen des Polypterus, welche unter den Knochenganoiden allein noch die den Endgliedstückchen der Se- lachier homologen Knorpel zwischen ihren distalen Enden tragen. Schwieriger ist die Nachweisung des eigentlichen Beckens. Als die- ses kann nichts Anderes gelten, als die am vorderen Ende des Basale von Polypterus gelegenen Knorpelstücke. So befremdend es auch erscheint in diesen so redueirten, schmächtigen Knorpeln das mächtig entwickelte Becken der Selachier und Knorpelganoiden zu sehen, so können diese Stücke nach sorgfältiger Prüfung doch nicht anders beurtheilt werden. Zuerst entsteht die Frage: wie es kommt, dass von diesen Knorpelstücken, wenn sie wirklich das Becken vor- stellen, gar keine Muskeln entspringen und wesshalb wir bei Polyp- terus den das Becken durchbohrenden ventralen Ast des ersten Extremitätennerven, der bei keinem untersuchten Selachier oder Knorpelganoiden fehlte, vermissen? Bezüglich der Muskeln ist zu versuchen, ob nicht bei den Selachiern selbst Zustände zu finden sind, welche als Übergangsstadien zu den Befunden von Polypterus gedeutet werden könnten. Bei Heptanchus, Scyllium, Galeus, Triakis etc. fanden wir die ganze ventrale Fläche des Beckens von Muskel- ursprüngen eingenommen. Anders bei Acanthias!, welcher die größere Hälfte des Beckens frei zu Tage zeigte, während die Muskelurspünge die hintere geringere Hälfte in Anspruch nahmen. Stellt man sich nun vor, dass das Becken selbst einer bedeutenden Reduktion unter- liegt, und dass das, bei Acanthias eingeleitete Verhalten noch weiter fortschreitet, so werden wir schließlich das Becken ganz frei von Muskelursprüngen finden. Dieser Vorgang ist natürlich als ein ganz allmählicher anzusehen, indem die vom Septum entspringende Mus- kulatur nach und nach das Übergewicht über die vom Becken her- kommende gewann. Was die zweite Frage betrifft, so erledigt sie sich auf eine sehr einfache Weise, indem sie wiederum schon bei den Haien ihre Lö- sung finde. Bei Acanthias und Heptanchus waren zwei solche Nervenkanäle. »Nicht selten aber, wie aus dem Verlaufe der be- züglichen Nerven ersichtlich ist, kommen Verschmelzungen beider 1 Siehe I. Theil. Fig. 12 Taf. XXIX. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 461 Löcher zu einem einzigen, größeren zu Stande /Galeus). Häufig kommt auch eines derselben, durch Verschmälerung der Becken- platte von vorn nach hinten, zum vollständigen Schwinden; wie z. B. bei Seyllium«!. Das wichtige Ergebnis dieser Beobachtung be- steht darin, dass die Anzahl der Nervenkanäle am Becken durch seine Gröfse bestimmt ist. Fanden wir doch an dem Becken von Polyo- don drei solehe Löcher. Es ist nun begreiflich, dass mit dem wei- teren Fortschreiten der Verschmälerung des Beckens (namentlich aber wenn es Muskeln nicht mehr zum Ursprung dient) die durch das Becken tretenden Nerven hinter demselben zu ihrem Bestimmungsorte gelangen. Bei der Betrachtung der Nerven werden wir sehen, dass sehr wahrscheinlich noch ein anderer Vorgang im Spiele ist, nämlich die Wanderung des Beckens nach vorn. Durch die eben gegebene Er- läuterung ist das Nichtvorhandensein der Beckennerven bei Polyp- terus kein Einwand gegen die Homologisirung der in Frage stehenden Knorpelstücke mit dem Becken der Selachier. Wie verhalten sich nun die ventralen Seitenmuskeln zu dem Becken des Polypterus? Wie kommt es, dass sie sich nicht mehr an das Becken festheften, sondern das Basale metapterygii zum Ansatz gewählt haben, einen Theil der Gliedmaße, welcher bei den Haien und bei Chimaera stets frei nach außen liegt und von jeglichem Ansatze der Seitenmuskeln frei bleibt? Um dieses Verhalten ins Klare zu bringen ist zu berücksichtigen, dass das Becken der Selachier fast stets dem transversalen Durchmesser der ventralen Fläche dieser Thiere entspricht. In Folge dessen müssten die Seitenmuskeln, wollten sie sich an das Basale festheften, eine ganz besondere, die- sem Zwecke entsprechende Muskulatur entwickeln. Anders verhält es sich aber, wenn durch das Rudimentärwerden des Beckens die beiden Basalia medianwärts rücken, und die beiderseitigen ventralen Muskeln von der Mittellinie nach den Seiten ausweichen. Der am vorderen Rande des Beckens stattfindende Ansatz muss dann auf das Basale metapterygii übergehen. Dass aber die beiden Basalia bei den Knochenganoiden gleichsam in den Körper aufgenommen worden sind, sehen wir deutlich an allen drei Formen. Der laterale Rand des distalen Endes erstreckt sich niemals über die seitlichen Grenz- linien der Bauchfläche, während es bei den Selachiern in seinem ganzen Umfange außerhalb dieser Linien gelegen ist. Die Selachier und die Ganoidei cholostei bieten uns hierin Extreme dar. Ist aber ! I. Theil pag. 454. 462 M. v. Davidoff der Ansatz der Seitenmuskeln auf das Basale metapterygu überge- wandert, so hat dadurch das Becken die einzige thm noch übrig ge- bliebene Funktion, nämlich das Fixiren der Ghedmafse eingebiifst. Es ist in Folge dessen unbrauchbar geworden und ist allmählich einer Reduktion entgegengeschritten, welche bis zum vollstündigen Schwund sich steigert. Wir können indessen das Becken von Polypterus nicht verlassen, ohne die Frage zu stellen, wie es denn kommt, dass dasselbe bei einem Exemplar durch drei, bei dem anderen hingegen bloß durch zwei Knorpelstücke repräsentirt ist? So schwierig diese Frage zu beantworten ist, so glaube ich doch, dass es nur die beiden paarigen Knorpel sind, welche mit dem Becken homologisirt werden können. Erinnert man sich daran, dass bei den Haien das Becken ursprünglich aus zwei Hälften bestanden haben muss und dass die Verschmelzung zu einem einzigen Stücke erst ein sekundärer Vorgang ist, dass ferner bei den Knorpelganoi- den die beiden Hälften sogar weit aus einander gerückt sind, so werden wir ohne Zweifel dem unpaaren Knorpelstück weniger Wich- tigkeit beilegen, sondern den paarigen in der Mitte getrennten Stücken den Vorzug geben. Das unpaare halte ich für eine ein- fache Abgliederung der rechten Beckenhälfte, wie solche ja so häufig bei rudimentär werdenden Knorpelstiicken der Haie und Sturionen vorkommen z. B. am Schultergürtel von Acanthias und an dem Ilium des Acipenser ruthenus. Vergleichen wir nun die Gliedmaßennerven der Ganoidei holo- stei mit denjenigen der Selachier und Sturionen, so finden wir hier nicht winder erhebliche Abweichungen als im Skelet. Zunächst ist die bedeutende Verschiebung sämmtlicher Gliedmaßennerven nach vorn zu konstatiren. Unter den Selachiern finden wir nur Chimaera, welche in der Reihenzahl ihrer Nerven mit Amia übereinstimmt. Ihre Gesammtzahl ist aber im Großen derjenigen der Selachier gleich. Ferner fanden wir bei keinem Selachier Anastomosen der ventralen Äste der Spinalnerven hinter der Gliedmaße. Sie waren, wie wir uns erinnern, auch bei den Sturionen nur vor dem Becken vorhan- den, wodurch dann der erste Gliedmaßennerv aus den Elementen mehrerer ventralen Äste hervorgehen konnte. Das nämliche Ver- halten findet auch bei Amia und Lepidosteus statt. Nachdem wir bei den Haien unsere Auffassung dieser Befunde gegeben haben, würden wir auf dieselbe hier nicht näher eingehen, wenn nicht noch andere Ursachen zu berücksichtigen wären. Er- wägt man nämlich die Thatsache, dass die Zahl der Gliedmaßen- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 463 nerven im Großen dieselbe wie bei den Haien ist, dass aber das Becken hier fehlt, und in Folge dessen alle Gliedmaßennerven zum Basale verlaufen: so möchte ich in den zwei vorderen Rami ventrales zum Unterschiede von den Haien nichts Anderes erblicken als die bei den Selachiern und Sturionen zum Becken in Beziehung stehen- den Nerven. Es ist nicht anzunehmen, dass letztere bei den Kno- chenganoiden verloren gegangen sind. Dagegen hat die Auffassung viel für sich, welche die Beckennerven zu den am Basale vorhande- nen Muskeln in Beziehung getreten betrachtet. Haben wir doch schon bei’ den Selachiern gesehen, dass die Beckennerven mit dem, längs des Basale verlaufenden Längsstamme in Verbindung stehen. Die beiden von den zwei letzten Nerven gebildeten, zur Pars media nach vorn verlaufenden Längsstämmehen, eben so die beiden hinter- sten nach vorn verlaufenden Nerven von Amia deuten aber darauf hin, dass das Basale ursprünglich weiter hinten gelegen war. Be- trachtet man in der gegebenen Nervenabbildung von Lepidosteus das Verhältnis der Gliedmaßennerven zum Basale, so sieht man so- fort ein, dass, wenn das Becken vorhanden wäre und das Basale sich um zwei Myocommata weiter nach hinten erstreckt hätte, so hätten alle Gliedmaßennerven ihren normalen Verlauf behalten und jeder wäre innerhalb des entsprechenden Myocomma geblieben, wie bei den Haien. Jetzt muss man aber annehmen, dass die Abweichun- gen der Extremitätennerven von den übrigen Rami ventrales der Spinalnerven nicht allein durch den Schwund des Beckens entstan- den sind, sondern auch durch das Vorrücken des Basale, wodurch dann die Anastomosen der hinter der Gliedmaße gelegenen Nerven und ihre Zweige zur Pars media hervorgerufen worden sind. Das Vorrücken der Gliedmaße wird auch durch die im Vergleich zu den Selachiern so große Entfernung der Bauchflossen von der Afteröffnung bestätigt Die Wanderung der Gliedmaße nach vorn, wie sie hier aus dem Nervensystem vermuthet werden kann, erklärt auch einige Verände- rungen in einzelnen Theilen derselben. So musste die bei den Männchen der Selachier bestandene Beziehung zu dem Geschlechts- apparate aufgegeben werden. Zweitens musste auch ihre phy- siologische Leistung, welche wesentlich in dem Erhalten einer horizontalen Lage des Hinterendes des Körpers besteht, eine gerin- gere werden. Daher erklärt sich auch ihr verhältnismäßig gerin- ges Volumen und.ihre Aufnahme in die ventrale Körperfläche. Da- mit fallen auch viele Bewegungen ihres peripheren Theiles, welche . 464 M. v. Davidoff sie bei den Selachiern noch besaß, wie z. B. Adduktion und Abduk- tion hinweg. Man kann behaupten, dass die Hintergliedmaße der Knochenganoiden im Ganzen ein in früheren Perioden mächtig ent- wickeltes Organ vorstellt, welches jetzt einer allmählichen Reduktion entgegenschreitet und sich schon in einem gewissen rückgebildeten Zustande befindet. Bemerkungen über das Skelet der Bauchflosse einiger Physostomen. Als Anhang seien dieser Arbeit einige Bemerkungen über die von mir in Bezug des Skelets ihrer Bauchflossen geprüften Physosto- men zugefügt. Über die Muskeln und Nerven sei erwähnt, dass sie bei den Phy- sostomen nur in verhältnismäßig unwesentlichen Punkten von Lepi- dosteus, namentlich aber von Amia abweichen. Ganz eben so verhält es sich mit dem Skelet, welches größtentheils nur durch die Kon- figuration des Basale und durch die verschiedenen Grade der Rück- bildung der Radien von dem der Knochenganoiden verschieden ist. Am Bauchflossenskelet von Barbus fluviatilis (Fig. 4) ist das Basale (2) mit verschiedenen Ausschnitten und Cristae ausgestattet. Im Gegensatz zu seinem distalen Ende ist es sehr dünn. Letzteres gestaltet sich zu einem mächtigen knöchernen Wulst, der sich me- dianwärts erstreckt (Fig. 4 d), und mit dem anderseitigen Wulste in der Mittellinie durch Bindegewebe fest verbunden erscheint. Beide Fortsätze erstrecken sich aber weiter nach hinten, bleiben eine Strecke weit noch mit einander verbunden, worauf jeder derselben in einen breiten, lateral und nach hinten ragenden, sich gabelförmig spalten- den Knochen übergeht (Fig. 4 pp), welcher zum Ansatze eines in der Medianlinie gelegenen, von der Analflosse herkommenden Mus- kels dient. Interessant ist das Verhalten der auch hier in der Vier- zahl vorhandenen Radien. Sie sitzen dem hinteren Rande des er- wähnten Knochenwulstes an, sind aber alle noch verknöchert. Der mediale Radius hat sogar noch die für Amia und Lepidosteus cha- rakteristische Flaschenform beibehalten, ist auch hier der ansehn- lichste, worauf dann die lateral gelegenen Stücke nach und nach an Größe abnehmen. Während wir hier das Basale und die Radien sofort erkennen, bietet nur die distale Verbindung der beiden Basa- lia eine Schwierigkeit. Wir können dieselbe indessen vollkommen verstehen, wenn wir die Befunde bei einer jungen Forelle zur Ver- gleichung ziehen (Fig. 5). Das Basale ist hier vorn schmal und Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 465 rundlich, hinten dagegen breitet es sich aus und trägt am distalen überknorpelten Ende nur drei Knorpelstiickchen (r!—r3), von wel- chen das mediale noch die charakteristische Form besitzt. An seiner nach vorn gerichteten Spitze trägt das Basale ein kleines, bewegliches, nach vorn spitz auslaufendes Knorpelstiickchen. Am medialen hin- teren Winkel bildet es einen überknorpelten Fortsatz (Fig. 5 5), welcher mit dem anderseitigen nur locker verbunden ist. Die Ver- längerung nach hinten, wie sie uns bei der Barbe entgegentritt, fehlt hier. Bei erwachsenen Forellen verbinden sich diese Fortsätze aber viel inniger und bilden mit ihren knorpeligen Epiphysen einen in der Medianlinie gelegenen Knopf. Bei Esox lucius ist keine Ver- bindung mehr vorhanden (Fig. 6 4) und bleiben die beiden erwähn- ten Fortsätze in ihrem ganzen Umfange knorpelig. Sie stellen breite nach hinten gerichtete Platten vor. Aus den vorgeführten Thatsachen kann ersehen werden, dass die Verbindung der beiden Basalia an ihrem distalen Ende ein sekundärer Vorgang ist, welcher bei Esox noch nicht Platz griff, bei der Forelle aber innerhalb der postembryonalen Entwicklungsperiode sich vollzieht, bei der Barbe darin eine höhere Stufe erreicht, als hier noch einige, durch Muskelinsertionen entstandene Differenzirungen an den Fort- sätzen eintreten. Es ist nun nicht schwer zu konstatiren, dass diese Fortsätze des Basale bei den Physostomen nichts Anderes sind als die, die gleiche Lage einnehmenden Vorsprünge am Basale des Po- lypterus (Processus medialis) (Fig. 15). Was die Radien anbe- trifft, so ist bemerkenswerth, dass bei der Forelle auch der mediale Radius, eben so wie bei Lepidosteus und Amia die drei lateralen, nicht mehr verknöchert, seine ihm zukommende Form aber noch beibehält. Wir können somit die von der lateralen Seite allmählich zur medialen fortschreitende Reduktion der Radien Schritt für Schritt verfolgen. Eingeleitet wird sie durch das Persistiren der Radien im knorpeligen Zustande und führt schließlich zu vollständigem Schwunde, wie es bei Esox der Fall ist. In der bei letzteren und der Forelle am Vorderende der Basalia sitzenden Knorpelchen sehe ich aber die Rudimente des Beckens der Selachier. Die beiden Hälf- ten haben sich mit den Basalia verbunden unter Aufgabe ihrer ge- genseitigen Verbindung. Bei der Barbe fehlen sie gänzlich. Mit Recht sagt daher Cart Vogr!: Si... . on voulaient per- ! Embryologie des Salmones. Neuchätel 1842. pag. 136. Morpholog. Jahrbuch. 6. 30 466 M. v. Davidoff sister A envisager ces organes (Bauchflossen) comme des extrémités posterieures, on ne pourrait, en tout cas, considerer leur base (Ba- sale) comme un rudiment pelvique; ete. Von Polypterus lassen sich somit, was den Zusammenhang der beiden Skelethälften der Bauchflossen betrifft, zwei- divergente Rich- tungen verfolgen. Einerseits stehen Amia und Lepidosteus mit der ihnen eigenen Überlagerung der beiden Basalia, anderseits die Physostomen, bei welchen allmählich eine Verbindung der Basalia an ihrem Hinterende bewerkstelligt wird. Polypterus repräsentirt aber eine Form, welche Amia und Lepidosteus mit den Selachiern namentlich aber mit Acanthias verknüpft. Da aber die Physosto- men sich mit Leichtigkeit von den Knochenganoiden ableiten lassen, und es jedenfalls vorauszusetzen “ist, dass die übrigen Ordnungen der Fische auch mit den Knochenganoiden oder Physostomen verbunden werden können, so stellt Polypterus unter sämmtlichen höheren Ord- nungen der Fische (die Dipnoi ausgenommen) die älteste Form vor. Unsere Untersuchung führt also zu dem immerhin nicht uninter- essanten Ergebnis, dass der bei Amia, Lepidosteus und den Physo- stomen allgemein als Beckenknochen bezeichnete Skelettheil dem Basale metapterygu der Selachier entspricht, dass dagegen Beckenrudimente bei Polypterus stets noch erhalten bleiben, bei den übrigen höher gestellten Fischen aber nur sporadisch auftreten (Esox). Die Radien unterliegen einer allmählichen Reduktion, welche bis zum vollstän- digen Schwinden führt (Esox). Endgliedstückchen sind nur bei Po- lypterus erhalten. Zum Schlusse will ich versuchen ein Schema des Skelets der hinteren GliedmaBe aller bisher betrachteten Fische zu entwerfen. Den Ausgangspunkt bilden die Urgnathostomen, bei welchen die hintere Gliedmaße als indifferent, einem Kiemenbogen ähnlich be- schaffen sein musste. Von diesen zweigen sich einerseits die Pla- giostomen ab, von welchen wiederum Chimaera sich abgliedert; anderseits die Ganoidei chondrostei, welche durch das Fehlen des Basale ausgezeichnet sind. Unter ihnen ist Scaphirhynchus die älte- ste Form , von welcher die Sturionen mit Polyodon sich ableiten. In direkter Linie von den Selachiern leiten sich durch Polypterus, Amia und Lepidosteus ab. Von diesen die Physostomen, von den letzteren wiederum die übrigen Ordnungen der Fische. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische. 467 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Polyodon. runde if Physostomen Amia. Lepidosteus. u Polypterus. | Heptanchus. Acanthias. Chimaera. 1oU sub Meier Acipenserinen. Haie. Rochen. (?) | | Dr Scaphirhynchus. Selachier. Urgnathostomen. Erklärung der Abbildungen. Wee Tafel XXI—XXIII. (Alle Figuren in natürlicher Größe.) Skelet der hinteren Gliedmaße von Polypterus bichir. Geoffr. Ventrale Fläche, linke Seite. (Rechterseits ist das proximale Ende des Basale metapterygii angedeutet.) p'p?p? Beckenknorpel. B Basale metapterygii. 5 Processus medialis desselben. r!—r* Radien. Zg! u. Zg? Endgliedstücke. Skelet der hinteren Gliedmaße von Amia calva (beide Hälften). Ventrale Ansicht. cr Crista des Basale metapterygii. Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 1. Skelet der hinteren Gliedmaße von Lepidosteus osseus. Linke Hälfte. Ventrale Ansicht. er!u. cr? Cristae des Basale metapterygii. Die übrigen Buchstaben wie vorher. Skelet der hinteren Gliedmaße von Barbus fluviatilis. pp Ver- längerung des Processus medialis nach hinten. Die übrigen Buchstaben’ wie früher. Skelet der hinteren Gliedmaße einer jungen Forelle. Beide Becken- hälften. Ventrale Ansicht. Buchstaben wie vorher. Skelet der hinteren Gliedmaße von Esox lucius. Ventrale Ansicht. Rechte Hälfte. Buchstaben wie früher. 7. Ventrale Ansicht der oberflächlichen Muskeln der Gliedmaße nach Ab- nahme des Integumentes und der äußeren Aponeurose von Polypterus bichir. Ma! Medianlinie (Linea alba). S Septum. Zi Ligamen- tum intermusculare. Ssv Stratum superficiale ventrale. Svp Stra- 30* 468 M. v. Davidoff, Beiträge zur vergleich. Anatomie d. hinteren Gliedmaße etc. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. iq. 12. 13. 14. 15, 16. wis tum ventrale profundum. Sfs Strahlen des sekundiren Flossenskelets. An Afteröffnung. Anf Analflosse. Die iibrigen Buchstaben wie friiher. Ventrale Ansicht der Gliedmaßenmuskeln nach Abnahme des Integu- mentes und der äußeren Fascievon Amiacalva. Aps Fascie der Seiten- muskeln. pss Pars superficialis der oberflächlichen ventralen Schicht. Die übrigen Buchstaben wie vorher. Ventrale Ansicht der ventralen Gliedmaßenmuskeln nach Abnahme des Integuments und der äußeren Aponeurose von Lepidosteus bison. pm Pars media. Die iibrigen Buchstaben wie vorher. Ansicht der tiefen ventralen Muskeln von Lepidosteus bison. Die Aponeurose dps der vorigen Figur ist abgenommen. pm Pars media. pp Pars profunda. Die übrigen Buchstaben wie vorher. | Ansicht der Pars media der ventralen Muskeln von Amia calva. pssu Ursprungstheil der Pars superficialis. ‘yssa Ansatztheil dersel- ben. pm Pars media. : Die iibrigen Buchstaben wie vorher. Ansicht der Pars profunda von Amia calva. apms Ansatztheile der Pars media und superficialis. pmsu Ursprungstheil der Pars media. Cb Caput breve der Pars profunda. Die iibrigen Buchstaben wie vorher. Seitliche Ansicht der oberfliichlichen dorsalen Schicht (Portio prima) von Amia calva. Fex Fascia externa der Seitenmuskeln. pp Portio prima. fs Strahlen des sekundären Flossenskeletes. Seitliche Ansicht der dorsalen Muskeln nach Abnahme der äußeren Aponeurose mit der Portio prima von Amia calva. are ein durch die Seitenmuskeln gebildeter Bogen. pps Ansatztheil d. Portio prima. ps Portio secunda. Die übrigen Buchstaben wie früher. Seitliche Ansicht der Portio secunda der oberflächlichen dorsalen Schicht von Amia calva. (Ein Theil des Seitenmuskels ist abgenom- men.) tfex tiefes Blatt der äußeren Fascie. ps Portio secunda. Spd Stratum dorsale profundum. as Ansatzsehne der Seitenmuskeln. d! erster dorsaler Ast der Extremitätennerven. Die übrigen Buchstaben wie vorher. Gliedmaßennerven von Lepidosteus bison. Das Basale metapterygii ist angedeutet (B). 12—22 Reihenzahl der bezüglichen ventralen Äste der Spinalnerven. «,ß,y,&, x 7 Verbindungsäste der Ner- ven. z u. z! Aste zu den Seitenmuskeln. Zgv Längsstämmchen. d'—d5 dorsale Aste der Gliedmaßennerven. v!— v4 ventrale Äste. I—X Gliedmaßennerven. Verzweigung der ventralen Aste der Gliedmaßennerven von Lepidosteus bison. vt—v4* ventrale Nerven. Zgv Längsstamm. d4 vierter dor- saler Ast. Die übrigen Buchstaben wie vorher. Fig. 6. Hdeft\ ger Wilh Engelmann, Leipzig Lith AnstwWernerd- Werte, Franktart 0. ow TatXtt “ Fig p' B Syn Fig. 9. Svs St Fig prs ch Md i een re Taf AM Lih.Anstv Worner x Winter, Feankture 4 = ! Sh * pp . r = Frag VAL Engelmann —_. Didar ira a Mae Perle H Die Epidermis der Amphibien. Von Dr. med. Wilhelm Pfitzner, Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XXIV—XXV. 1) Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Epidermis des gefleckten Salamanders. Die Epidermis der Amphibien ist bereits vielfach der Gegen- stand eingehender Untersuchungen und Beschreibungen gewesen. Während diese jedoch fast ausschließlich vom Standpunkte der de- skriptiven Histologie ausgegangen sind, habe ich mich bei meinen Untersuchungen hauptsächlich von vergleichend-anatomischen Ge- sichtspunkten leiten lassen, und meine Absicht war, an der Hand der durch diese Untersuchungen gewonnenen Resultate die Stellung zu studiren, welche dieses Organ den Amphibien in der Wirbelthier- reihe anweist. Ich werde im Folgenden nachzuweisen suchen, wie sich die Mittelstellung, welche die Amphibien als Bindeglied zwischen den Fischen und den höheren Wirbelthieren einnehmen, ganz besonders auch im Bau des Integuments ausspricht, und hoffe ferner, dass es mir gelungen ist, durch genauere Untersuchung der Entwicklung dieses Organs nicht nur einige bis dahin streitigen Punkte von mehr spe- ciell histologischem Interesse aufzuklären, sondern auch neue Anhalts- punkte aufzufinden, um aus dieser ontogenetischen Entwicklung den Gang der phylogenetischen Entwicklung mit größerer Sicherheit ab- leiten zu können. Denn wenn nach meiner, in einem besonderen Abschnitt dieser Arbeit näher zu begründenden, Ansicht das Integu- ment für das Leben des Thieres ein annähernd eben so wichtiges Organ darstellt wie die bisher in dieser Hinsicht vorzüglich berück- sichtigten, speciell das Skelet, so dürfen auch die Untersuchungen 470 W. Pfitzner dieses Organs von der Morphologie eine eingehendere Berücksich- tigung verlangen. Wenn ich nun diese Untersuchungsreihe mit einem Thiere eröffne, welches nicht zu den verbreitetsten dieser Klasse gehört, andererseits auch nicht gerade die günstigsten Aussichten gewährte, Anknüpfungs- punkte an die niedrigste Klasse der gnathostomen Wirbelthiere, die Fische, aufzufinden, so bin ich dazu dadurch veranlasst worden, dass der im Vorhergehenden ausgesprochene Plan, die Epidermis der Amphibien in morphologischer Hinsicht zu erforschen, mir beim Be- ginn dieser Untersuchungen noch gänzlich fern lag. Meine ursprüng- liche Absicht bei den während eines Zeitraums von anderthalb Jahren im Kieler anatomischen Institut unter Leitung des Herrn Prof. FLEM- MInG ausgeführten histologischen Untersuchungen ging dahin, die Jetzt üblichen histologischen Untersuchungsmethoden auf ihre Brauch- barkeit und Zuverlässigkeit zu prüfen und zugleich mich selbst in der Anwendung derselben zu vervollkommnen. Als Objekt hier- für benutzte ich auf Empfehlung meines hochverehrten Lehrers die Epidermis des gefleckten Salamanders, die in dieser Hinsicht ganz besondere Vorzüge aufweist. Diese Vorzüge, auf die FLEMMING schon früher hingewiesen hat (4, 304 sq.) sind in erster Linie die staunenswerthe Größe der einzelnen Gewebsbestandtheile: Zellen, Zellkerne, Intercellularstrukturen ete., wodurch dies Thier sich vor fast allen Wirbelthieren auszeichnet; es scheint sogar, als ob selbst seine berühmteren Verwandten wie Proteus, Axolotl u. s. w. ihn hierin nur wenig überträfen oder gar nachständen, vor denen er aber noch den Vortheil hat, dass man sich von ihm mit größter Leich- tigkeit ein genügendes Material verschaffen kann. Da die Vorzüge des gefleckten Salamanders für histologische Zwecke mir noch nicht so allgemein gewürdigt zu werden scheinen, wie sie es verdienen, so möchte ich auch bei dieser Gelegenheit ihn der Aufmerksamkeit aller Histologen dringend empfehlen; ich bin überzeugt, dass er sich bei ihnen bald dieselbe Stellung erringen wird, die im physiologischen Institut der Frosch einnimmt. Für meine speciellen Zwecke nun erwies sich dieses Objekt noch besonders günstig durch seine große Empfindlichkeit gegen Einwirkungen von Reagentien, verbunden mit der Möglichkeit, dieselben genau zu kontrolliren. Das Nähere hier- über behalte ich mir vor in einer späteren Arbeit über den Werth der histologischen Untersuchungsmethoden mitzutheilen und begnüge mich vorläufig, auf die hierauf bezüglichen Angaben bei FLEMMING Die Epidermis der Amphibien. 471 (4, a. a. O.) hinzuweisen. Während dieser Untersuchungen nun veranlassten mich verschiedene räthselhaften Erscheinungen, über welche mir die einschlägige Litteratur keinen Aufschluss zu geben vermochte, so wie Differenzen zwischen einigen in jener enthaltenen Angaben und eigenen Beobachtungen, näher auf den Bau des be- treffenden Organs einzugehen; und um aus der Entwicklungsge- schichte diejenigen Aufschlüsse zu erhalten, die die Untersuchung des fertigen Organs mir vorenthielt, habe ich auch noch die typischen Veränderungen, welche die Epidermis während des ganzen Lebens und namentlich während der Larvenzeit erleidet, einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Von nicht geringem Vortheil war hierbei für mich der Umstand, dass Herr Prof. FLemming sich während dieser Zeit mit demselben Thiere Behufs Untersuchung über Zell- theilung beschäftigte, da hierdurch ein für meine Arbeiten höchst förderliches Inéinandergreifen unserer Untersuchungen herbeigeführt ward. : Einen Theil dieser Untersuchungen habe ich im Friihling vori- gen Jahres als Dissertation veröffentlicht (Über die Levpıg’schen Schleimzellen in der Epidermis der Larve von Salamandra macu- losa, Kiel 1879). Es drängte sich mir indessen mehr und mehr die Überzeugung auf, dass eine gründliche Untersuchung dieses Organs nicht ohne Berücksichtigung seines Verhaltens bei verwandten Thie- ren auszuführen wäre; so erweiterte sich die Arbeit immer mehr und aus der histologischen ist die morphologische geworden, deren Programm ich im Vorstehenden entwickelt habe. Da dieselbe jedoch mindestens noch Jahre in Anspruch nehmen wird, so habe ich den Theil, der das in der Überschrift genannte Thier behandelt, vor- läufig abgeschlossen; von den bisherigen Ergebnissen der Unter- suchungen an verwandten Thieren habe ich nur das Allernothwen- digste mitgetheilt und werde sie s. Z. im Anschluss an die vorlie- gende Arbeit ausführlicher mittheilen. Allgemeines über Salamandra maculosa — Fortpflan- Zung, Ausbildung, Zucht. Trotz der großen Verbreitung des gefleckten Salamanders sind unsere Kenntnisse über sein Leben in der Freiheit, Entwicklung, Fortpflanzung u. s. w. noch sehr dürftig. Ausführlichere Angaben über diesen Gegenstand fand ich nur bei Rusconi (20) und KnAUEr (7—9). Ersterer hat ausgedehnte Beobach- tungen über das Leben dieses Thieres in der Freiheit angestellt, doch sind die Resultate relativ dürftig, entsprechend der scheuen, eingezogenen Lebensweise, 472 W. Pfitzner welche dieses Thier führt. KNAUER hat den Salamander hauptsächlich in der Gefangenschaft beobachtet. Ich halte es nun nicht für überflüssig, einige Be- obachtungen, die ich selbst zu machen Gelegenheit hatte, hier mitzutheilen, besonders da sie theilweise den von Ruscoxı und KNAUER gemachten mehr oder minder zu widersprechen scheinen; andererseits enthalten sie vielleicht auch einiges Neue und können außerdem auch demjenigen, der sich mit diesem Thiere beschäftigen will, sich das Material aber von weiterher schicken lassen muss, hin und wieder nützliche Winke über seine Behandlung in der Gefangen- schaft geben. j Das Material, welches ich in Kiel benutzte, wurde im Frühjahr aus Prag (V. Frit, Wenzeslavsgasse) bezogen; die Thiere, welche das Versenden sehr gut vertragen, wurden in einem primitiven Terrarium aufbewahrt, wo sie, ohne große Mühe zu verursachen, mit Würmern und Fleischabfällen ernährt wurden und gut gediehen. Ein flaches mit Wasser gefülltes Gefäß, das sich im Ter- rarium befand, wurde von ihnen anstandslos benutzt, ihre Larven abzusetzen. Letztere wurden, eben so wie diejenigen, die man den Eileitern frischgetödteter Thiere entnahm, in der von FLEMMING (4, 307) angegebenen Weise aufgezogen: in einem größeren Bassin, dessen Wasser alle paar Tage erneuert wurde, wurden sie mit Tubifex rivulorum gefüttert. Es gelang uns, sie bis nahe zur Vollen-- dung der Metamorphose groß zu ziehen; sie starben jedoch rasch, als ich es aus Unkenntnis versäumte, ihnen zur richtigen Zeit die Gelegenheit aufs Land zu gehen zu verschaffen. — Anfang Mai v. J. nach Heidelberg übergesiedelt hatte ich bei dem großen Reichthum der Umgebung dieser Stadt an Salaman- dern während des ganzen Sommers die günstigste Gelegenheit, mich fortwäh- rend mit frisch gefangenem Material zu versorgen, sowohl an Larven wie an erwachsenen Thieren. Nicht nur, dass ich die seltenen jungen Formen des er- wachsenen Thieres hier erhielt — das kleinste maß nur. 70 mm — so gelang es mir auch, eine größere Anzahl Larven, die mir allerdings schon ziemlich weit entwickelt gebracht wurden, ihre Metamorphose vollständig beendigen zu lassen. Sobald nämlich die Thiere durch ihre eingeschrumpften Kiemenbüschel und beständiges Verweilen an der Oberfläche des Wassers ihre Neigung, an das Land zu gehen, verriethen, wurden sie in ein großes flaches Bassin gebracht, dessen etwas geneigter Boden nur zum Theil mit Wasser bedeckt war; so konnten sie nicht mehr schwimmen, wohl aber nach Belieben aufs Trockene und wieder ins Wasser zuritt#kgehen. Nach höchstens 24 Stunden waren sie aufs Trockene gekrochen, hatten die Kiemenbüschel verloren und erwiesen sich durch Form und Lebensweise als vollständig metamorphosirt. Versäumte man jedoch diese Maßregeln, so starben sämmtliche binnen kurzer Zeit. Lei- der sind mir die auf diese Weise aufgezogenen Thiere einige Wochen später während meiner Abwesenheit in Folge vernachlässigter Pflege zu Grunde ge- gangen. Um auch während des Winters stets mit lebendem Material versehen zu sein, wurde nach Anleitung unseres Salamanderfängers folgende Einrichtung getroffen: Eine große flache Holzkiste wurde in einem trokenen Keller auf hohe Unterlagen gestellt und dann der Boden mit einer 15—20 cm hohen Schicht recht groben Kieses bedeckt, worauf eine eben so hohe Schicht trockenes Wald- moos kam. In der Mitte wurde eine flache, mit Wasser gefüllte Schale so aufgestellt, dass sie den Thieren bequem zugänglich war. Die Kiste wurde ınit einem Deckel verschlossen, in dessen Mitte ein Loch von circa 40 cm im Die Epidermis der Amphibien. 473 Geviert der Luft freien Zutrittt gewährte. In diesem Bebiilter haben wir circa 150 Exemplare überwintert, und trotz der strengen Kälte und obgleich ihnen keinerlei Nahrung gereicht wurde, ist uns kein einziges von ihnen gestorben, Bemerkt werden muss noch, dass sie durchaus nicht in eine Art Winterschlaf oder Erstarrung verfielen. — Auch an Larven waren wir auf diese Weise ge- nügend mit frischem Material versorgt. Selbst mitten im Winter erhielt man aus den Eileitern getödteter trächtiger Weibchen, lebensfiihige Embryonen. Dieselben lebten Monate lang weiter und entwickelten sich, wenn auch sehr langsam, ohne die ‚geringste Nahrung zu erhalten, indem sie erst sich gegen- seitig die Kiemenbüschel abnagten und dann die schwächeren unter sich auf- fraßen. Bezüglich der Fortpflanzung des Salamanders sind wir bis jetzt noch fast ganz im Ungewissen. Es ist freilich nach dem, was wir bis jetzt in Erfahrung gebracht haben, höchst wahrscheinlich, dass in dem Zeitpunkt der Begattung und noch mehr in der Dauer der Tragezeit große Schwankungen herrschen. Den Akt der Begattung scheint noch Niemand beobachtet zu haben; wesshalb ich folgenden Vorfall ausführlicher schildern werde, den ich in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Boas aus Kopenhagen zu beobachten Gelegenheit gehabt habe. Im Oktober v. J. war mir wieder eine größere Anzahl frischgefangener Salaman- der gebracht. Bei der Besichtigung fiel mir auf, dass sich zwei von ihnen fest umklammert hatten, indem das eine auf dem Rücken des andern saß. Als ich das oberste aufhob, ließ es trotzdem das untere nicht los, und als ich sie ge- waltsam trennte und in zwei entgegengesetzte Ecken des Behälters brachte, liefen sie mit einer bei Salamandern ungewohnten Eilfertigkeit wieder auf ein- ander los, das eine kroch unter das andere, welches es dann wieder umklam- merte. Herr Dr. Boas, den ich inzwischen herbeigeholt hatte, machte mich darauf aufmerksam, dass die Festigkeit der Umklammerung durch ein sonder- bares Verschränken der Vorderextremitäten beider Thiere bewirkt würde: das untere Thier hatte das gebeugte Ellbogengelenk stark aufwärts erhoben, und in dasselbe hakte von oben her die ebenfalls im Ellbogen flektirte Extremität des oberen Thieres. Nachdem wir dann noch konstatirt hatten, dass das obere Thier ein Männchen, das untere ein Weibchen war, setzten wir das Paar wieder zu den übrigen Salamandern in den Behälter. Als wir es darauf einen Augen- blick außer Acht gelassen hatten, hatten sie sich plötzlich getrennt und waren nun nicht mehr mit Sicherheit zu identificiren. Leider war es uns hierdurch unmöglich gemacht, durch Auffinden von Sperma beim Weibchen zu konstati- ren, dass wir wirklich einen Begattungsakt beobachtet hatten. Trotzdem bleibt es doch höchst wahrscheinlich, dass es sich um einen solchen handelte ; und dann wäre die Angabe von Rusconi (20,10), dass die Begattung im Juli stattfinde, zum Theil wenigstens widerlegt. Aber Rusconi hat dies Resultat auf indirek- tem Wege erhalten, indem er davon ausging, dass er erst nach dieser Zeit eine stattgehabte Begattung bei Weibchen nachweisen konnte. Wenn man nun außerdem, wie Herr Prof. GEGENBAUR mir witzutheilen die Güte hatte, zu den verschiedensten Zeiten Eier in den verschiedensten Stadien der Entwicklung findet, so dürfte sich aus allen Diesem ergeben, dass der Akt der Begattung durchaus nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden ist. Eben so wenig scheint der Geburtsakt an eine bestimmte Zeit gebunden zu sein. Die meisten Larven werden Ende März bis Anfang April geboren, man fängt aber selbst bis in den Herbst hinein solche, die ihrem Aussehen nach erst kurz vorher 474 W. Pfitzner abgesetzt sind. Ein frisch gefangenes trächtiges Weibchen gebar Mitte Okto- ber; da es nur vier Larven waren, so ist anzunehmen, dass es die übrigen schon geboren hatte und hierbei gestört und gefangen wurde. — Rusconi, der geglaubt hat, dass sowohl die Zeit der Begattung, als auch die der Geburt, mithin auch die Dauer der Tragezeit eine fest bestimmte sei, giebt für erste den Monat Juli, für letztere den März an mit achtmonatlicher Tragezeit. Während die beiden ersteren Punkte wohl damit zu erledigen sind, dass wir die beiden Akte an keine bestimmte Zeit gebunden ansehen, wird sich die Dauer der Tragezeit wohl nie auch nur annähernd bestimmen lassen, .da hierin zu große Schwankungen herrschen. Wie Knauer (9) mittheilt, lässt sich die Trage- zeit künstlich verlängern durch Entziehen der für das Ablegen der Jungen gün- stigen lokalen Bedingungen, ein Umstand, der wohl auch im Freileben zur Wirkung kommen kann. Die Entwicklung scheint bei einer solchen verlänger- ten Tragezeit auf einer gewissen Stufe stehen zu bleiben. Bei Larven, die man mitten im Winter trächtigen Weibchen entnimmt, findet man fast gar keine Kerntheilungsfiguren, die sonst bei Larven durch ihr massenhaftes Vorkommen die ungemein rasche Vermehrung der Gewebselemente, und somit einen regen Wachsthumsprocess, anzeigen. Auch findet man bei trächtigen Weibchen vom August bis zum März vollständig ausgebildete Larven, die befreit sich jederzeit sogleich rasch weiter entwickeln. Dass sich bei verlängerter Tragezeit ein Theil der Larven auf Kosten der andern weiter entwickelt, glaube ich nicht. Ich habe bei Weibchen, die schon im Herbst ihr Leibesumfang als trächtig erken- nen ließ, noch gegen Frühjahr die Larven in normaler Zahl und normalem Entwicklungsgrade gefunden. Ein Weibchen, das mir im Herbst vorigen Jah- res durch seinen enormen Leibesumfang auffiel, und das ich Mitte Januar Off- nete, beherbergte sogar achtzig lebendige, und auch lebensfähige, und nur ein abgestorbenes Junge. Immerhin wäre es wiinschenswerth, genauere Angaben über die Dauer der intra-uterinen Entwicklung zu haben, da auch die spätere Entwicklung sich durch auffallende Langsamkeit auszuzeichnen scheint. Aber wie soll man sie bestimmen, wenn sogar, wie KNAUER (7, 261) berichtet, ein und dasselbe Weibchen mehrere Jahre hindurch regelmäßig im Frühjahr und Herbst Junge zur Welt brachte, ohne inzwischen wieder mit einem Männchen in Be- rührung gekommen zu sein! Der Autor bringt dies Faktum in Verbindung mit dem Umstand, dass »man kaum unter hundert gefangenen Individuen ein Männ- chen findet«, also die Männchen im Verhältnis zu den Weibchen in sehr gerin- ger Zahl vorkämen. Ich muss diese Behauptung entschieden bestreiten; unter den vielen Hunderten, die ich darauf untersucht, waren beide Geschlechter in gleicher Anzahl vertreten!. Außerdem berichten mir meine Lieferanten, dass sie die Salamander meistens paarweise fängen, erst ein Weibchen und dann ein Männchen, welches dem ersteren folge. Die Entwicklung der Larve außerhalb des mütterlichen Körpers ist genauer bekannt, wenn auch noch nicht so vollständig wie zu wünschen wäre. Die auf natürlichem Wege geborenen Larven zeigen deutlich entwickelte Extremitäten und entbehren des Dottersacks; ihre Länge beträgt circa 25 mm. Der mediale Flossensaum erstreckt sich von der Kloakenmündung über untere und obere Seite des Schwanzes und über den Rücken bis nahe zum Kopf. Die Pigmenti- 1 Die Männchen erkennt man an dem die Kloakenmündung ringförmig um- gebenden Wulste, der dem Weibchen fehlt. Rusconi (20, 19). Die Epidermis der Amphibien. E 475 rung der Haut ist bedeutend schwächer als beim erwachsenen Thiere und in anderer Weise angeordnet. Ungefähr Ende des dritten Monats treten die für das erwachsene Thier charakteristischen Flecken auf und im vierten Monat hat sich die definitive Zeichnung und Färbung vollständig entwickelt. Ungefähr Ende des vierten oder Anfang des fünften Monats beginnt die Metamorphose. Die Kiemenbüschel schrumpfen mehr und mehr ein, der Flossensaum erstreckt sich nur noch über den Schwanz; dann erfolgt eine Häutung; der Schwanz wird, zuerst auf der Bauchseite, drehrund. Das Thier hält sich jetzt andauernd an der Oberfläche des Wassers auf und stirbt bald, wenn ihm keine Gelegen- heit geboten wird, ans Land zu gehen. Ist ihm letzteres bequem gemacht, so verschließen sich die Kiemenlöcher und das erwachsene Thier ist fertig. Der ganze Vorgang der Metamorphose nimmt nur wenige Tage in Anspruch. Da diese Zeitangaben wahrscheinlich Widerspruch finden werden — ge- wöhnlich nimmt man eine kürzere Larvenzeit an, 2—3 Monate — so muss ich hinzufügen, dass sich diese Angaben auf Beobachtungen stützen, die an Larven gemacht sind, welche in der Gefangenschaft geboren waren, deren Alter ich also genau kannte. Dass ihre Ernährung eine gute war, dafür bürgten die massen- haft vorkommenden Kerntheilungsfiguren, welche bei schlecht genährten be- kanntlich fehlen. Ich will indessen nicht bestreiten, dass individuelle Schwan- kungen vorkommen können, namentlich in Folge örtlicher und klimatischer Einflüsse. Indessen liegen für die Dauer der Larvenzeit bis jetzt wenig Anga- ben vor, die sich auf genaue und zuverlässige Beobachtungen stützen. Der * Einzige, der, so weit mir bekannt, das Larvenleben an denselben Exemplaren von der Geburt bis zur vollendeten Metamorphose beobachtet hat, KNAUER (8), stimmt mit meinen Angaben überein. Die auf die Metamorphose folgenden Entwicklungsstadien bekommt man sehr selten zu Gesicht. Unter den vielen in hiesiger Gegend gefangenen Exem- plaren, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, befand sich kein einziges, welches in demselben Jahr geboren war. Bei der Metamorphose haben sie eine Länge von 50—55 mm; die kleinsten der im Freien gefangenen maßen schon 70 mm, und da sie im Juni gefangen waren, mussten sie schon über ein Jahr alt sein. Die meisten der erwachsenen Thiere maßen 18—20 cm; kleinere, von circa 12 cm Länge, werden bisweilen gefangen, doch fand ich nie trächtige Weib- chen unter ihnen. Ich vermuthe hiernach, dass der Salamander sehr langsam wächst und erst nach Verlauf mehrerer Jahre geschlechtsreif wird. Untersuchungsmethoden. Wenn ich im Folgenden die angewandten Untersuchungsmetho- den in einer Ausdehnung mittheile, die vielleicht Manchem mit dem Umfange der Arbeit nicht im richtigen Verhältnisse zu stehen scheint, so habe ich zu meiner Rechtfertigung folgende zwei Punkte anzu- führen : Erstens erlaubt die Darlegung der Untersuchungsmethoden, sich ein ziemlich genaues Urtheil über die Zuverlässigkeit der mit- getheilten Resultate zu bilden, so wie etwaige irrige Behauptungen dann leichter als solehe zu erkennen sind, wenn man die Fehler- 476 W. Pfitzner quelle kennt, die ihnen zu Grunde liegt. Zweitens wollte ich Dem- jenigen, der etwa die Untersuchungen einer praktischen Priifung- unterziehen will, die Mittel hierzu möglichst bequem zur Hand ge- ben. Es werden in dieser Arbeit einige Punkte berührt, die von allgemeinerem histologischen Interesse sein dürften; und da dürften wohl einige Andeutungen über die sichersten Untersuchungsmetho- den für dieses Gewebe Manchem nicht unerwünscht sein, zumal sich dieselben auf Erfahrungen stützen, die durch mehrjähriges Arbeiten ausschließlich auf diesem kleinen Gebiete unter der Leitung eines so hervorragenden Histologen erworben sind. Der Leser möge jedoch bei diesem Abschnitt stets eingedenk sein, dass die Angaben sich immer, wo es nicht ausdrücklich vermerkt ist, nur auf das vorliegende Ge- webe — Salamanderhaut — beziehen und vielleicht wohl auf alle andern Epithelien, nie aber ohne Weiteres auf alle Gewebe und alle Thiere iiberhaupt angewendet werden dürfen. Es scheint mir, als ob man bei histologischen Untersuchungen den Einfluss im Allgemeinen nicht hoch genug schätze, den die an- gewandten Methoden auf die gewonnenen Resultate haben; und so er- klärt sich manche unzutreffende Angabe anderer Forscher auf diesem Gebiet daraus, dass dieselben bei gewissenhaftester Beobachtung unterließen, die in ihren Methoden etwa gegebenen Fehlerquellen mit in Rechnung zu ziehen. Um gleich ein Beispiel anzuführen, so habe ich oft die Bemerkung gefunden, dass Jemand aus Mangel an frischem Material in Weingeist gehärtete Thiere benutzt habe. In Fig. 15 sieht man einen Querschnitt durch die Epidermis eines er- wachsenen Salamanders, der in Alkohol gehärtet war, während Fig. 16 dasselbe Objekt möglichst naturgetreu erhalten darstellt. Würde man die Epidermis nach dem Spirituspräparat beschreiben, so hätte man zu oberst eine homogene Cuticula, darunter eine mehrschichtige Hornschicht mit allmählichem Übergang in die Schleim- schicht; während in Wirklichkeit die als Cuticula imponirende Horn- schicht nur aus einer einfachen Lage fest verbundener platter polygo- naler Zellen besteht und die Hornschicht in Fig. 15 ein Kunstprodukt ist, das zur Schleimschicht gehört. Ich habe mich bei diesen Untersuchungen fast ausschließlich der Methode der feinsten Querschnitte bedient und erachte dieselbe als die vortheilhafteste. Man kann wohl nur auf diese Weise das Ver- hältnis der einzelnen Gewebselemente zu einander mit Sicherheit erkennen und vermeidet auch manche Irrthümer der Beobachtung leichter, wenn man die Gewebe in ihrem Zusammenhang studirt. Die Epidermis der Amphibien. 477 Das Zerzupfen setzt das Präparat gröberen mechanischen Insulten aus als das Schneiden; erleichtert man sich aber das Zerzupfen durch Anwendung von Reagentien, so verändern diese zugleich das Präparat allzusehr. Geeignete Kontrollversuche zeigen dies sehr deutlich, es ergiebt sich aber schon a priori, wenn man erwägt, welcher Process dabei stattfinden muss. So lange man sich vor- stellte, dass in den Epithelien die einzelnen Zellen gewissermaßen an einander geleimt seien, konnte man es für möglich halten, durch passend gewählte Reagentien nur diese verbindende Substanz, die sogenannte Kittsubstanz, aufzulösen. Sind aber, wie wohl bei der großen Mehrzahl der Epithelien, die einzelnen Zellen durch Aus- läufer ihrer eigenen Substanz kontinuirlich mit einander verbunden, so muss ein Reagens, das diese Substanzbrücken zu trennen vermag, zugleich auch tiefer eindringende Veränderungen in den Zellen selbst hervorrufen. Isolationspriiparate geben freilich Gelegenheit zu schö- nen plastischen Zeichnungen, haben aber auf Naturtreue wenig An- spruch. Sind dagegen die Querschnitte fein genug, d. h. schließen sie höchstens 1—2 Zelllagen in der Dicke ein, so erlauben sie min- destens eben so gut wie Isolationspräparate ein genaues Studium der feinsten Einzelheiten; außerdem ermöglichen nur sie eine genaue Orientirung, worauf bei diesen Untersuchungen häufig sehr viel an- kam. — Nebenher habe ich natürlich auch Macerationspräparate und Flächenansichten zur Vergleichung herangezogen. Zur Härtung erwiesen sich Chrom- und Pikrinsäure als die ge- eignetsten Reagentien, indem sie die natürlichen Verhältnisse dieses Gewebes am getreuesten konservirten und zugleich die weitere Unter- suchung ungemein erleichterten!. Pikrinsäure muss in gesättigter, Chromsäure höchstens in '/; %/, Lösung angewandt werden. So wie in der Pikrinsäurelösung Schimmelbildung auftritt, was man leicht durch ein zugesetztes Stückchen Kampher verhindert, ist das Prä- parat als verdorben zu betrachten. Ist die Quantität der Härtungs- flüssigkeit zu gering gewesen, oder kommt aus irgend einem andern Grund das Präparat mit der Luft in Berührung, so wird es durch Eintrocknung und Schrumpfung ebenfalls sofort unbrauchbar. Um gut konservirte Präparate zu erhalten, an denen namentlich ! Die hier mitgetheilten Färbungs- und Härtungsmethoden sind mit ge- ringen Abweichungen und Ausführungen dieselben, welche FLEMMING (4, 328 seq. u. a. a. O.) als zuverlässig erkannt und beschrieben hat. Ich halte es für angezeigt, dies hier ausdrücklich zu erklären, um nicht in den Verdacht zu kommen, mir fremde Verdienste aneignen zu wollen. 478 W. Pützner die feinsten Strukturen des Zellleibes ihre natiirliche Form und Lage bewahren, möge man sich eines Kunstgriffes bedienen, der mir, seitdem ich ihn gefunden, die zuverlässigsten Dienste geleistet hat. Derselbe besteht darin, dass man die Thiere lebend in ein geschlos- senes Gefäß bringt, welches so eingerichtet ist, dass das Thier durch die Härtungsflüssigkeit absolut von der Luft abgesperrt ist und auch die von ihm ausgeathmete Luft sofort entweicht. Es lässt sich dies leicht durch passende Durchbohrung des Verschlusses und öfteres Nachfüllen erreichen, oder durch ein Stückchen Drahtnetz, welches die Thiere hindert an die Oberfläche zu kommen. Die Thiere, die in den angeführten Lösungen noch viele Stunden weiterleben, pum- pen sich selbst das Härtungsmittel durch ihre angestrengten Athem- und Schluckbewegungen durch den ganzen Körper, so dass dasselbe überall rasch und gleichmäßig hingelangt. Schon die große Man- nigfaltigkeit der verschiedensten Kerntheilungsfiguren spricht für die in diesem Falle äußerst gesteigerte Schnelligkeit der Einwirkung. Vor dem Einlegen kleiner Hautstückchen in die Härtungsflüssigkeit hat diese Methode den Vortheil, dass dabei das bei jener unver- meidliche Ausfließen von Blut und Gewebsflüssigkeit nicht zu einem Kollabiren des Gewebes führen kann. Zur Darstellung der Intercellular- strukturen liefert diese Methode Präparate von überraschender Schön- heit, was Jeder bestätigen wird, der hiervon angefertigte Schnitte betrachtet hat. Hat das betreffende Präparat einige Wochen oder Monate, was ganz im Belieben des Untersuchers steht, in der Flüssigkeit gelegen — es empfiehlt sich sehr dieselbe ein- oder mehrere Mal zu erneuern, besonders wenn ihre Farbe sich irgend wie ändert — so wird die Chrom- resp. Pikrinsäure in fließendem Wasser ausgewaschen, was namentlich bei der letzteren bisweilen sehr lange dauert, wobei man sich wieder in geeigneter Weise gegen das Auftreten von Schimmel- bildung zu schützen hat. Sobald das Wasser sich nicht mehr ge- färbt zeigt, wird das Präparat herausgenommen und in verdünnten Spiritus gelegt, den man nach einigen Tagen gegen höchst rektifieir- ten vertauscht. Vortheilhaft ist es, auch den letzteren einige Mal durch frischen zu ersetzen. Die hierbei aufgewandte Mühe lohnt sich später durch das gleichmäßige Gelingen aller Färbungen und durch die angenehme Schneidbarkeit des Präparats. Als Färbemittel haben sich mir fast nur Hämatoxylin und Saff- ranin als brauchbar bewährt. Ersteres, nach der Vorschrift von Boumer bereitet, und gut nachgedunkelt — es nimmt mit jedem Die Epidermis der Amphibien. 479 Monat an Färbekraft zu, nur muss es in gut verschlossenen Ge- fäßen aufbewahrt werden — eventuell auch mit destillirtem Wasser verdünnt, muss stets unmittelbar vor dem Gebrauche filtrirt werden. Schon nach einer halben Stunde giebt es schlechte Färbungen, wird aber nach wiederholtem Gebrauch durch Filtriren stets wieder gleich brauchbar. Die Schnitte müssen nicht zu groß, recht dünn und gleichmäßig sein. Hollundermark ziehe ich hierbei allen anderen Einbettungen vor. Schnitte von Chromsäurepräparaten werden in destillirtem Wasser gewaschen, um die letzte Spur der Chromsäure aus ihnen zu entfernen, in der unverdünnten Lösung kurze Zeit ge- färbt — nachträgliches Wiederausziehen der Farbe aus überfärbten Schnitten durch verdünnte Säuren habe ich stets vermieden — dann in Wasser, am besten kalkhaltigem Brunnenwasser, abgespült und schließlich in Wasser, Glycerin oder Dammarlack ! montirt. Schnitte von Pikrinsäurepräparaten werden eben so behandelt, nur nimmt man schwächere Hämatoxylinlösung und lässt die Schnitte längere Zeit darin verweilen. Die Saffraninfärbung gelingt am besten bei Chromsäurepräpara- ten, schwieriger ist sie bei Pikrinsäurepräparaten, doch giebt sie auch bei diesen unter Umständen sehr schöne Färbungen. Erforder- lich ist nur, dass erstens keine Spur mehr von Chrom- oder Pikrin- säure in dem Schnitt enthalten sei, und zweitens, dass der Farb- stoff überall hin rasch und gleichmäßig gelangen und dem entspre- chend eben so wieder ausgewaschen werden könne. Bei vielfach geschichteten Epithelien ist es desshalb nothwendig, dass der Schnitt äußerst fein sei; dagegen kann man die Haut jüngerer Larven in ziemlich großen Fetzen färben, da in ihrem Epithel besondere Ver- hältnisse gegeben sind, die das rasche Eindringen des Farbstoffes ermöglichen. Eben so kann man alle übrigen Gewebe, namentlich das Bindegewebe, Muskeln ete., die ein mehr lockeres Gefüge ha- ben auch in größeren und diekeren Schnitten sehr schön mit Saff- ranin färben, falls nur die erste Bedingung erfüllt ist; dagegen ! Es ist mir sehr auffallend, dass so viele Histologen noch immer Kanada- balsam statt Dammarlack als Einschlussmasse benutzen. Dammarlack ist nicht theurer oder in seiner Anwendung unbequemer als Kanadabalsam, aber unend- lich viel klarer und haltbarer; mit ihm angefertigte Präparate sehen noch nach Jahren wie frische aus. Die Bereitung desselben ist einfach: Dammarharz, Benzin und Terpentin werden zu gleichen Theilen gemischt an einen warmen Ort gestellt; sobald sich Alles gelöst hat, wird die Flüssigkeit von dem die Verunreinigung des Harzes enthaltenden Bodensatz abgegossen, und wird dann die gewünschte Konsistenz durch Verdunstenlassen im offenen Gefäße erzielt. 480 W. Pfitzner versagt es seine Dienste, wo die entgegengesetzten Verhältnisse sich finden, z. B. bei Knorpel- und Hornbildungen. — Die Färbung ge- schieht folgendermaßen: Die Schnitte werden in destillirtem Was- ser abgewaschen und dann in die Saffraninlösung (Saffranin 1, Alkohol absol. 100, Aq. dest. 200) gelegt, aus der man sie nach einigen Sekunden herausnimmt, um sie in Wasser abzuspülen und in absolutem Alkohol zu entwässern, wobei zugleich der überflüssige Farbstoff wieder ausgezogen wird. Ist Letzteres geschehen — den richtigen Moment zu erkennen lehrt bald die Übung — so werden sie mit Nelkenöl durchtränkt und in Dammarlack montirt. In Was- ser oder Glycerin wird sehr rasch sämmtlicher Farbstoff wieder ausge- zogen, dagegen zeigten die in Dammarlack eingeschlossenen Präparate nach jahrelanger Aufbewahrung, ja selbst wenn sie wochenlang der direkten Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt waren, noch keine Veränderung in der Färbung. Die Vortheile des Saffranin bestehen darin, dass es die reinste Kernfärbung giebt, die man sich denken kann: nur die Kerne, ja, wie die genauere Untersuchung lehrt, nur die geformten Bestand- theile des Kerns sind gefärbt, alles Andere ist vollständig ungefärbt. Leistet es somit für die Untersuchungen über die Struktur des Kernes die besten Dienste, so ist es nichtsdestoweniger auch für die Unter- suchungen der übrigen Gewebsbestandtheile von großem Nutzen; indem es die Kerne sichtbar macht und zugleich gewissermaßen eliminirt, erleichtert es die Untersuchung des Zellleibes selbst und seiner Grenzen, und weil es das Präparat nicht verdunkelt, kann man selbst an diekern Schnitten jede beliebige Stelle mit starker Vergrößerung untersuchen; kurz es besitzt alle Vortheile der Färbung ohne die Nachtheile derselben. Leider ist die Saffraninfärbung etwas launenhaft und missräth bisweilen, ohne dass man einen Grund da- für angeben kann. Hämatoxylin ist darin weit zuverlässiger, leistet auch unter Umständen annähernd dasselbe und hat den Vortheil, dass man die damit gefärbten Präparate in Glycerin längere Zeit aufbewahren kann, ehe man sie definitiv einschließt; freilich verblas- sen sie darin meistens allmählich, was ich auf die sehr häufige Ver- unreinigung des Glycerins mit Spuren von Säure zurückführen möchte, während sie in Dammarlack ihre Färbung unverändert erhalten. Was nun das Verhältnis der Chrom- und Pikrinsäure zu einan- der betrifft, so würde ich der Pikrinsäure entschieden den Vorzug geben, da sie alle Gewebe gleichmäßig bedeutend besser konservirt als die Chromsäure, wenn sie nicht mehrere große Nachtheile be- Die Epidermis der Amphibien. 481 ziiglich der Bearbeitung des gehärteten Objektes hätte. Erstens hält es sehr schwer, die freie Pikrinsäure wieder auszuwaschen; bei kompakteren Objekten dauert es viele Tage, und dabei tritt leicht Schimmelbildung auf. Dann haben feine Schnitte die höchst unan- genehme Eigenschaft, sich beim Übertragen aus einer Flüssigkeit in die andere um den Schnittfischer, Nadel ete. aufzurollen, wodurch sie jedes Mal verloren gehen; bei wirklich guten Schnitten gelingt es regelmäßig unter zehn Fällen nur einmal, einen solchen in richtiger Lage auf den Objekttriiger zu bringen. Es begreift sich, dass die- ser störende Umstand die Untersuchungen ungemein aufzuhalten ge- eignet ist. Osmium erhält die Form der Zellen meistens sehr gut (nicht ‘die der Kerne; FLemmine |. e.) und dient unter Umständen zugleich als gutes Tinktionsmittel; es hat aber den Übelstand, dass es die Durechsichtigkeit des Präparats zu sehr beeinträchtigt. In einzelnen Fällen hat es mir gute Dienste geleistet; im Allgemeinen aber kann ich es für Epithelien nicht besonders empfehlen. Färbungen lassen sich dabei mit Hämatoxylin und Karmin ausführen, gewähren aber wenig Vortheil. Die chromsauren Salze, besonders doppeltchromsaures Kali, sind ein bequemes Härtungsmittel, wenn man auf die Genauigkeit der feineren Details verzichtet; ausgewässert und in Alkohol aufbewahrt sind die damit gehärteten Präparate angenehm zu schneiden und mit Hämatoxylin leicht zu färben. Dazu kommt, dass diese Me- thode wenig Mühe verursacht, da auf Zeit, Koncentration ete. wenig ankommt. Die Struktur des Zellleibes erhalten sie annähernd gut, namentlich verursachen sie nicht so leicht Quellungen und Vakuo- lenbildung, wie die Chromsäure; trotzdem stehen sie auch hierin der Chrom- und Pikrinsäure nach und für Untersuchungen der Zell- kerne sind sie gänzlich unbrauchbar; vgl. FLemume (4, 334 u. 5). Über die Wirkung der Goldsalze werde ich weiterhin Näheres mittheilen. Spiritus erwies sich als das denkbar ungünstigste Härtungsmittel für Epithelien. Ich habe es nicht für überflüssig gehalten, eine Abbil- dung von einem damit gehärteten Präparat zu geben, um den Un- terschied zwischen einem solchen und einem gut konservirten zu zeigen (Fig. 15 u. 16). Ich bemerke dazu, dass die Schrumpfung oft noch viel weiter geht, so dass das ganze Epithel aus flachen ho- Morpholog. Jahrbuch. 6, 31 482 W. Pätzner mogenen Zellen mit schartlinigen Grenzen und undeutlichen Spuren von Kernen besteht !. Schnitte von gefrorenen Hautstücken, Zupfpräparate von frischer Haut in Wasser, Jodserum, Kochsalzlösung habe ich namentlich zu Kontrollversuchen benutzt. Außer mit Saffranin und Hämatoxylin habe ich eingehend mit noch vielen anderen Tinktionsmitteln experimentirt, mit den ver- schiedensten Anilinfarbstoffen und den Karminarten. Keines kam den beiden erstgenannten gleich, selbst nicht Pikrokarmin, das ich sonst immer sehr brauchbar gefunden, das aber bei diesem Gewebe nicht genügend reine und exakte Färbungen giebt. Um nun auch noch den Weg anzugeben, auf dem ich den Werth der verschiedenen Methoden festzustellen gesucht habe, so war ich bemüht, die verschiedenen Reagentien unter möglichst gleichartigen Bedingungen einwirken zu lassen und verglich dann die dabei er- haltenen Resultate. Als Norm betrachtete ich die durch direkte Beobachtungen am lebenden Thiere gewonnenen Resultate. Bei der Larve wurden dieselben im ausgedehntesten Maße angestellt, nach der bei FLEmmmG (4, 305) angegebenen Weise; beim erwachsenen Thiere war ich auf möglichst frische überlebende Präparate ange- wiesen. Ein sehr brauchbares Kriterium geben die typischen Kern- theilungsfiguren, ferner die Intercellularstrukturen, u. a. m. 1 Diese ungenügende Konservationswirkung des Spiritus macht es leider unmöglich, die Epidermis solcher Thiere zu untersuchen, die einem lebend nicht zugänglich sind, da die Exemplare der Sammlungen stets in Spiritus aufbewahrt werden. Da der Spiritus zugleich die Epidermis allmählich macerirt, und da- durch das Aussehen der Thiere verändert, wäre es wünschenswerth, eine Me- thode zu kennen, vermittels welcher dasselbe zugleich mit der Epidermis gut konservirt würde. Bei kleineren Thieren, z. B. Salamander, lässt sich diese, den Histologen und den Zoologen gleich sehr interessirende Aufgabe durch die oben mitgetheilte Härtung mit Chrom- oder Pikrinsäure leicht erreichen. Einer Ausführung im Großen würde die einfache Technik und der Kostenpunkt (die betreffenden Lösungen sind sehr billig und es würde durch Ersparung von Spiritus sich diese Methode wahrscheinlich als weniger kostspielig erweisen wie die jetzige der Konservirung durch Spiritus allein) nicht im, Wege stehen, doch scheint sie bei größeren Thieren nicht ausführbar. Wenigstens ergaben die Versuche, die ich im Frühjahr v. J. in Gemeinschaft mit Herrn Baurath Brunss in Eutin in der unter seiner Leitung stehenden Fischbrutanstalt zu Grehmsmiihlen mit größeren Fischen anstellte, ein negatives Resultat. Immer- hin wäre noch zu versuchen, ob nicht durch Ausspritzen des Darmkanals oder des Gefäßsystems und durch besseren Schutz gegen das Auftreten von Schim- melbildung bessere Resultate zu erzielen sind. Die Epidermis der Amphibien. 483 Die Epidermis des gefleckten Salamanders. In den Amphibien haben wir den Ubergang yon den Wasser- thieren zu den Landthieren, von den Fischen zu den höheren Wir- belthierklassen. Bei den typischen Vertretern dieser Klasse sehen wir dies aufs auffälligste dokumentirt durch den ganzen Habitus: das Thier wird, um mich so auszudrücken, als Fisch geboren und wandelt sich während seines Lebens um in ein Reptil. Aber wie schon in der äußeren Form, so findet sich dieses Verhältnis ganz besonders in der Struktur der Epidermis ausgeprägt. Es ist dies Verhalten ja auch ganz verständlich durch die hohe Bedeutung, die dieses Organ dadurch gewinnt, dass es den Verkehr mit dem umgebenden Medium vermittelt; als Larve ist das Amphibium wie die Fische auf den Wasseraufenthalt angewiesen, erwachsen ist es ein reines Land- thier!. Wenn nun die Epidermis der Larve von der des erwachse- nen Thieres grundverschieden ist, wenn bei der einen Einrichtungen und Verhältnisse vorkommen, die bei der anderen fehlen; wenn die zweite nicht eine bloße Weiterausbildung, sondern eine wirkliche Umwandlung der ersten vorstellt: so wird es sich auch bei der Be- schreibung erforderlich zeigen, die beiden gesondert zu behandeln. Der Übergang von der einen zur andern ist natürlich nicht ganz unvermittelt, aber doch ziemlich genau markirt: bei dem ganzen Thier durch den Verlust der Kiemen und des medianen Flossen- saums, bei der Epidermis speciell durch eine Häutung. A. Die Epidermis der Larve. Bei eben geborenen oder künstlich entbundenen. aber bereits extra-uterin weiter zu leben befähigten Larven zeigt die Epidermis eine scharfe Sonderung in zwei Schichten, die ich, wiewohl etwas gewagt, mit der für die analogen Verhältnisse beim erwachsenen Salamander und den höheren Wirbelthieren üblichen Benennung als Stratum mucosum und Stratum corneum bezeichnen werde. Jede ! Letzterem widerspricht scheinbar, dass manche Amphibien, z. B. einige Tritonen, auch nach der Metamorphose ausschließlich im Wasser leben. Ich verweise indessen auf den am Schluss der Arbeit befindlichen, allgemeine Be- trachtungen überschriebenen Abschnitt, wo ich die Gesichtspunkte aus einander gesetzt habe, nach denen ich die Wirbelthiere in Landthiere und Wasserthiere _ unterscheide. 31* 484 W. Pfitzner Schicht besteht zu dieser Zeit aus einer einfachen Lage von Epider- miszellen. Das Stratum corneum behält diesen Bau, das Stratum mucosum bildet im weiteren Verlaufe mehrfache Lagen, und einzelne Zellen gehen eine besondere Umwandlung ein, sie werden zu den von LEYDIG so genannten Schleimzellen. Am Schlusse des Larven- lebens bildet sich eine wirkliche Hornschicht, und das Stratum cor- neum der Larve wird durch eine Häutung abgestoßen. Stratum corneum. Bei den jüngsten der von mir unter- suchten Larven besteht die Epidermis aus zwei Zellschichten; die Zellen der unteren Schicht sind annähernd kubisch, die der oberen abgeplattet (Fig. 1, 2). Die Kerne sind relativ groß, ihre Form folgt im Allgemeinen hinsichtlich ihrer Ausdehnung in den drei Hauptdimensionen der Form der Zelle. Die Kerne der oberen Schicht sind demgemäß mehr oder minder abgeplattet; sie liegen ungefähr in der Mitte der Zelle, mit ihrer oberen Fläche den Cuticularsaum berührend. Die Hornschicht ist dadurch charakterisirt, dass ihre Zellen an dem oberen !, freien Ende den bekannten gestrichelten Cuticularsaum tragen. Letztere Bildung hat zu vielfachen Untersuchungen Anlass gegeben, an denen sich EBERTH, F. E. SCHULZE, LANGERHANS U. v. A. betheiligt haben. Der Punkt, um den sich diese Untersuchungen hauptsächlich drehten war die Frage: ob die Streifung ein Ausdruck von Porenkanälen sei? Die Beantwortung fiel im Allgemeinen be- jahend aus, es bestanden nur noch Differenzen über die Angaben, wie weit dieselben reichten, da einige Autoren, namentlich in der letzteren Zeit, angaben, dass sie nicht den ganzen Saum durch- setzten. Es lag mir vor Allem daran, festzustellen, worin die in dem Cutieularsaum sich kundgebende Differenzirung des Zellprotoplasma bestände. Im hiesigen physiologischen Laboratorium unter der gü- tigen Leitung des Herrn Geh. Rath Prof. Kine angestellte Ver- suche mit der sogenannten Verdauungsmethode bestätigten meine Vermuthung, dass der Cuticularsaum eine Hornbildung ist. Diese Wahrnehmung, zusammengehalten mit der Thatsache, dass es mir nie gelang, bei ausgedehnten Beobachtungen an der lebenden Larve ! Die Ausdrücke »oben, unten, senkrecht, wagerecht« und ähnliche, die ich der Kürze wegen anwenden werde, beziehen sich natürlich auf die freie Oberfläche der Epidermis. Die Zeichnungen sind stets nach demselben Prineip orientirt. Die Epidermis der Amphibien. 485 etwas aus den angeblichen Porenkanälen austreten zu sehen (über die Berechtigung dieser Begründung siehe unter der Rubrik : Intercel- lularstrukturen), ließ mich schließen, dass die Streifung nicht von Kanälen herrühre, dass vielmehr der Cutieularsaum eine weitere Aus- bildung resp. eine Rückbildung eines früheren andersartigen Zustandes sei, indem aus einer physiologisch höher stehenden früheren Einrich- tung ein bloßes Schutzgebilde geworden war. Bei der Wichtigkeit, die diese Frage dadurch gewinnt, dass wir ähnliche Bildungen im Darm auch der höheren Wirbelthiere wiederfinden, muss ich es mir vorbehalten, sie an einem andern Ort nächstens eingehender zu be- handeln, hier sei nur so viel gesagt: ich sehe den Cuticularsaum als eine Rückbildung eines früheren Flimmerbesatzes an. Nachdem die specifische Funktion des die Körperoberfläche bekleidenden Wimper- epithels überflüssig geworden war, bildete sich dasselbe in ein Organ um, welches bestimmt war den Organismus gegen schädliche äußere Einflüsse zu beschützen. Die Verhältnisse des Tractus intestinalis lassen sich leicht damit vereinigen. In der ererbten Anlage hat der- selbe unbestreitbar ein Wimperepithel; in dem der Nahrungsaufnahme und -verarbeitung dienenden Abschnitt fand aus denselben Gründen wie oben eine Riickbildung des Wimperbesatzes statt, während in dem Abschnitt, der eines solehen Schutzes nicht bedurfte, dem Re- spirationsorgan, die bestehende, oder auch nur potentia vorhandene, Wimperung, bleiben resp. sich weiter ausbilden konnte. Ohne aber näher hierauf einzugehen, will ich nur kurz anführen, was mich zu dieser Annahme geführt hat. Man sieht nämlich bei noch nicht ganz ausgetragenen Larven, dass die betreffenden Zellen auf dem Cuticularsaum einen dichten Besatz kurzer steifer Härchen tragen, der an Dichtigkeit der Strichelung des Cuticularsaums entspricht und über die ganze Körperoberfläche verbreitet ist. Die Härchen sind mit schwachen Immersionssystemen deutlich wahrzunehmen, aber nur an der lebenden Larve oder an frischen Hautstücken mit Zusatz von Wasser. Alle von mir versuchten Reagentien, selbst schwache Os- miumsäure, zerstören sie sofort. Auf Flächehansichten sieht man sie im optischen Querschnitt als helle Punkte oder, wenn sie sich umgelegt haben, der Länge nach; an solchen Stellen aber, wo sich ein frisch abgezogener Hautfetzen in Falten gelegt hat, kann man sich davon überzeugen, dass sie frei über die Oberfläche emporragen. Wegen ihres geringen Widerstandsvermögens gegen Reagentien ge- lang es mir leider nicht, sie weiter in den Cuticularsaum hinein zu verfolgen. Ihre Länge kam bei den von mir beobachteten, nicht 486 W. Pfitzner mehr ganz jungen Embryonen der Dicke des Cuticularsaums unge- fähr gleich. Die Struktur der Zellen zeigt in derselben Altersstufe keine be- deutenden Abweichungen. Stark abgeplattet sind sie über den Augen, iiber die sie sich als durchsichtige Haut hinwegziehen, wobei jedoch Zellkern und Zellgrenzen an gehärteten Präparaten vollständig deut- lich zu erkennen sind. Die Hornschicht überzieht die ganze Körperoberfläche als eine zusammenhängende Schicht, die abgesehen von Mund, Kloake und Kiemenspalten nur zweierlei Unterbrechungen erleidet, an den Or- ganen der Seitenlinie, deren mittleren Theil sie, wie LANGERHANS bereits angegeben hat (10, 746) unbedeckt lässt!, und an den Mün- dungen der Hautdrüsen. Bei den letzteren kleidet sie die Ausfüh- rungsgänge durch die ganze Dicke der Epidermis hindurch aus und lässt sich der Cuticularsaum eben so weit verfolgen. In den sogenannten Schaltzellen, die LANGERHANS (10, 746) be- schrieben hat, vermag ich, diesem Autor entgegen, eine besondere Zellart nicht zu erkennen. Man sieht sie in der eigentlichen Epi- dermis, wiewohl im Ganzen nicht sehr häufig, am besten im ersten Monat. In der ausgeprägtesten Form sind sie in senkrechter Rich- tung bedeutend stärker entwickelt als die übrigen Zellen des Stra- tum corneum, die freie Oberfläche ist bedeutend kleiner, der Kern liegt weiter vom Cuticularsaum ab (Fig. 2 at; vgl. die Abbildungen bei LAnGERHANS ]. e.). Man trifft zur gleichen Zeit alle Übergänge bis zur gewöhnlichen Form, und bei älteren Larven sind sie über- haupt nicht mehr aufzufinden?. Im Übrigen habe ich außer diesem Uberwiegen des senkrechten Durchmessers nie etwas gefunden, was mich hätte berechtigen können anzunehmen, dass sie außer einer später verschwindenden Abweichung in der Form von den übrigen Hornschichtzellen verschieden seien. Das Stratum corneum zeigt bis zum vierten Monat wenig Ver- ! In der zweiten Hälfte der Larvenzeit jedoch ändert sich dieses Ver- halten; s. unter »Nerven und nervöse Organe«. 2 Eine Ausnahme ‚hiervon macht nur. der Theil der Epidermis, der sich über die Augen hinwegzieht. Hier findet man sie in der ausgeprägtesten Form und sehr zahlreich; der Durchmesser ihrer freien Oberfläche beträgt oft nur ein Zehntel von dem der angrenzenden Zellen. Sie finden sich hier auch noch z. Th. beim Erwachsenen. Über die auffallenden Erscheinungen, die das Cornea-Epithel darin aufweist, dass es auf einer relativ niedrigen Entwick- lungsstufe stehen bleibt, werde ich im weiteren Verlaufe noch Gelegenheit ha- ben zurückzukommen. Die Epidermis der Amphibien. 487 änderungen des oben geschilderten Verhaltens. Seine Zellen ver- mehren sich auf dem Wege der von FLEMMING so benannten indi- rekten Zelltheilung, stets in der Horizontalebene, entsprechend der Größenzunahme der Oberfläche, nie in senkrechter Richtung. Wäh- rend das Stratum corneum bei den jüngsten Thieren eine annähernd geradlinige Grenze gegen das Stratum mucosum bildete (Fig. 1, 2), rücken bei etwas älteren Thieren seine Zellen mehr auf die Lücke der darunter liegenden, drängen sich mit ihrem unteren Ende wie mit einem stumpfen Fortsatz zwischen sie und bilden so, je zwei an einander grenzend, eine Art Kuppel zur Aufnahme der mehr kugel- förmigen Zellen der Schleimschicht (Fig. 3) ; besonders auffällig da, wo sich eine derselben zu einer Leypıs’schen Zelle umgewandelt hat (Fig. 4, 5). Allmählich verwischt sich dies Verhältnis wieder mehr, indem die Zellen der Schleimschicht sich zu zwei oder mehr Lagen vermehren, und bleibt nur da bestehen, wo sich eine Lry- pıg’sche Zelle fest unter die Oberfläche lagert (Fig. 10). Die Zelle plattet sich nun mehr und mehr ab, besonders auch der Kern, wäh- rend der Cutieularsaum noch annähernd dieselbe Breite behält (Fig. 10, 11). ‘Gegen Ende des vierten Monats nimmt auch dieser ab und wird gleichzeitig homogener. Kurz vor der Häutung ist der ganze Zellinhalt homogener geworden, nur die Kerne sind noch deutlich wahrnehmbar; letztere liegen der unteren Zellwand fest an und bleiben stets etwas von der oberen entfernt, wodurch sich die- ses Stadium von dem nach der ersten Häutung vorhandenen definiti- ven, wirklichen Stratum corneum unterscheidet (Fig. 12). Die Häutung findet in der ersten Hälfte des fünften Monats statt. Die abgestoßene Haut besteht aus einer einfachen Lage plat- ter polygonaler Zellen mit deutlich contourirtem, bisweilen doppeltem 's. unter »Schleimzellen«) Kerne und stärkerer oder schwiicherer Pigmentirung. Die Einstülpungen an den Drüsenmündungen sind deutlich erhalten, dagegen gelang es mir nicht solche Stellen aufzu- finden, die mit Sicherheit als den Seitenorganen entsprechend ge- deutet werden konnten. Hervorheben muss ich noch, dass mit Aus- nahme der Drüsenmündungen die abgestoßene Haut eine geschlossene Membran darstellte und dass sich auch hier nirgends Andeutungen fanden, dass die Zellränder von einander gewichen seien, um etwas aus der Epidermis auf die Oberfläche treten zu lassen, Andeutungen nämlich von einem Vorgang, den man für die Entleerung des Sekrets der Leypie’schen Zellen postulirt hat. 488 W. Pfitzner Stratum mucosum. Bei den unter Kunsthilfe oder auf na- türlichem Wege geborenen lebensfähigen Larven besteht diese Schicht, wie schon erwähnt, aus einer einfachen Lage »kubischer« Zellen. Dies Verhältnis ist aber nicht bleibend !; bei zwei Monate alten Larven könnte man von zwei, einen Monat später von drei Lagen sprechen, wenn sich dann überhaupt noch einzelne Lagen unterscheiden lie- ßen. Eine Ausnahme hiervon machen nur die Cornea und die Kie- menblätter, deren Epithel stets zweischichtig bleibt. Die eigentlichen Zellen des Stratum mucosum haben keine typische Form, ihre Ge- stalt wird bedingt durch Accommodirung an einander und an gewisse Elemente, die durch Form und Beschaffenheit sich von ihnen unter- scheiden (Leyp1e’sche Zellen, Pigmentzellen, Flaschenzellen) und ge- sondert besprochen werden sollen. Sie vermehren sich durch Thei- lung in der von FLemmine (l. c.) geschilderten Weise und zwar meistens in horizontaler oder schräger, selten in genau senkrechter Riehtung. Bei gut genährten Larven sieht man stets einen bedeuten- den Theil ihrer Kerne die verschiedenen Kerntheilungsfiguren auf- weisen. Die Zelle zeigt im Allgemeinen eine gleichmäßige Ausdehnung in den drei Hauptdimensionen, so weit dies nicht durch die LeyDIG- schen Zellen modifieirt wird, die stets ihre eigenthümliche Form auf Kosten der umgebenden Zellen bewahren. Der Kern ist rund- lich, kugelförmig oder in einer Richtung mehr oder minder abge- plattet, und liegt in der Mitte der Zelle. Bisweilen zeigt er seich- tere oder tiefere Einschnürungen, über die FLEMMING ausführlicher berichtet hat (4, 314). | Das Protoplasma der Zelle ist körmig, während des Lebens ziemlich trübe und zeigt nie besondere Strukturen. Die Begrenzung der Zelle nach außen wird durch eine dichtere Modifikation des Pro- toplasmas gebildet, die aber nach dem Inneren zu keine scharfe Ab- grenzung zeigt, sondern in allmählichem Übergange hervortritt. Die Zelle besitzt also im strengsten Sinne keine eigentliche Zellmembran, ich habe aber der Kürze wegen diesen Namen für die modifieirte wandständige Protoplasmaschicht beibehalten. Über die Verbindung der Zellen unter sich durch Fortsätze der Zellmembran werde ich in einem besonderen Abschnitte sprechen. ! Ich habe bereits früher (18, 7 Anm.) ausgeführt, dass die Behauptung von LANGERHANS, das Hautepithel wäre und bliebe zweischichtig, auf einem Irrthum beruht, hervorgerufen dadurch, dass der Autor keine älteren Larven untersucht hat. Die Epidermis der Amphibien. 489 Im vierten Monat plattet sich die oberste Zelllage mehr und mehr ab, sie bildet eine ausgesprochene besondere Schicht; der Zell- leib wird homogener und zur Zeit, wo die erste Häutung — Larven- häutung — stattfindet, zeigt sie als definitive Hornschicht denselben Bau, den dieselbe bei den erwachsenen Thieren besitzt (Nr. 13). Die Leypie’schen Zellen. Diese von LEYDIG entdeckte und Schleimzellen benannte Zellart habe ich bereits in einer beson- deren Arbeit ausführlicher behandelt (s. Einleitung); ich will mich hier nur darauf beschränken ein kurzes Résumé der hauptsächlichsten Resultate zu geben und muss Betreffs der näheren Ausführung auf jene Arbeit verweisen. Die Leypie’schen Zellen entstehen durch allmähliche Umwandlung aus den Zellen des Stratum mucosum, so lange das letztere aus einer einzigen Lage besteht, und findet man um die Zeit der Geburt alle möglichen Übergänge: Aufhellung des Inhalts, Schrumpfung des Kerns, Auftreten von Vacuolen und Protoplasmasträngen ete. Bald nach der Geburt endet diese Art der Entstehung, und die weitere Vermehrung geschieht auf dem Wege der indirekten Zelltheilung, vor- wiegend in mehr senkrechter Richtung. Die Lrypie’schen Zellen sind bedeutend größer als die sie um- gebenden Epidermiszellen. Ihr Hauptcharakteristieum besteht in einer eigenthümlichen Vacuolisirung des Zellinhalts. Diese Vacuolen sind mit einer klaren, vielleicht schleimartigen Flüssigkeit gefüllt. die durch die meisten Reagentien in kleineren oder größeren Kör- nern gerinnt. Das Protoplasma der Zelle wird durch die Vaeuolisi- rung gezwungen die Form eines Netzes anzunehmen: die Maschen des Netzes sind am Kern sehr dicht und werden nach der Peripherie zu weiter, wodurch zugleich die wandständige Protoplasmaschicht mehr das Aussehen einer Membran s. str. gewinnt. Wenn man da- von absieht, dass die Vacuolisirung das Primäre ist, so kann man sagen, dass das Protoplasma sich zu einem netzförmigen Gerüstwerk angeordnet hat, das zwischen Kern und Zellmembran ausgespannt ist. Dieses Netzwerk ist an frischen Präparaten deutlich wahrnehm- bar, an gehärteten, namentlich aus den ersten Monaten, wird es meistens durch die körnigen Gerinnungen des Vacuoleninhalts ver- deckt. Der Kern zeigt in den ersten Monaten wenig Verschiedenheit gegenüber dem der Nachbarzellen, später wird er bedeutend kleiner, zeigt tiefe Einschnürungen, längere und kürzere Zacken und wird 490 W. Pfitzner immer weniger lichtbrechend, so dass es im vierten Monat schwer wird, ihn von dem umgebenden Protoplasmanetzwerk zu trennen; nur mittels der Saffraninfärbung gelingt es nachzuweisen, dass der Kern vollkommen selbständig bleibt und nicht etwa seine Ausläufer mit den Protoplasmasträngen in Ver- bindung treten. Um diese Zeit bestehen zwei deutliche Lagen von Leypie’schen Zellen, eine obere und eine untere (Fig. 8, 9). Von der oberen ist nach der Häutung keine Spur mehr aufzufinden, sie scheint bei dieser Gelegenheit ebenfalls abgestoßen zu werden; an der abgestoßenen Zellschicht habe ich zwar nie Überreste von ihnen nachweisen können, sie sind aber so plötzlich verschwunden, dass mir keine andere Möglichkeit der Erklärung übrig bleibt. Die unteren Zellen machen jetzt den umgekehrten Entwicklungsgang durch: der Kern wird größer, mehr abgerundet, unterscheidet sich schließlich nicht mehr von den Nachbarkernen; die Zelle selbst wird kleiner, die Stränge des Protoplasmanetzes werden dicker, sind we- niger deutlich vom übrigen Zellinhalt zu unterscheiden und verwi- schen sich schließlich gänzlich, oder logisch richtiger ausgedrückt, die Vacuolisirung des Zellprotoplasmas verschwindet allmählich und damit auch die durch sie bewirkte netzförmige Anordnung des letz- teren. Um die Zeit der Vollendung der Metamorphose sah ich auf großen Strecken nur noch an wenigen Stellen die letzten Stadien dieser regressiven Umwandlung (Fig. 13), und bei bereits ans Land gegangenen Thieren fand ich von den Lrypie’schen Zellen keine Spur mehr. Über die eigenthümliche auf der Außenfläche der Zellmembran auftretende netzförmige Zeichnung verweise ich auf den Abschnitt » Intercellularstrukturen«, wo dieselbe eingehender behandelt ist. Von der Zeit an, wo die Trennung der Lerypie’schen Zellen in zwei Schichten vor sich geht, sieht man unter den langgestreck- ten Zellen, die fast die ganze Dicke der Epidermis einnehmen, manche mit zwei wohlausgebildeten Kernen, ohne dass an der Zelle selbst die entsprechenden Erscheinungen der Theilung wahrzuneh- men sind (Fig. 7). Diese Unterbrechung oder Verkümmerung der Zelltheilung scheint auf einen gewissen Mangel an Lebensenergie in den betreffenden Zellen hinzudeuten. Man trifft änliche Bilder sehr häufig in der oberen Epidermisschicht, die ich als Stratum cor- neum larvale bezeichnet habe, sobald die Larve sich der Häutung nähert, zu welcher Zeit diese Schicht Veränderungen erleidet, die man wohl als ein Weiterfortschreiten des vorher nur in dem Cuti- Die Epidermis der Amphibien. 491 cularsaum zur Wirkung gekommenen Verhornungsprocesses bezeich- nen kann. In dem Amnionepithel ausgetragener Wirbelthierembryonen habe ich ebenfalls diese Erscheinung häufig beobachtet. Ich möchte also annehmen, dass das Auftreten zweikerniger Zellen bei diesen Geweben als eine aus verminderter vitaler Energie des Gewebes hervorgegangene Verkümmerung der Zelltheilung anzusehen ist, und dass wir umgekehrt aus dem Erscheinen zweikerniger Zellen, sofern es nicht durch die Untersuchungsmethode (FLEMMING, 6) hervorge- rufen ist, bei diesen Geweben darauf schließen können, dass sich dieselben nicht weiter fortbilden, sondern einer Rückbildung an- heimgefallen sind. Weiteres über die Bedeutung zweikerniger Zel- len findet man in der citirten Arbeit von FLEMMING. Der Kern der Leypıg’schen Zellen liegt im ersten Monat in der Mitte der Zelle, später rückte er mehr nach unten, gegen die Zeit der Häutung liegt er sehr nahe der unteren Zellwand. Wenn dagegen die Zellen der unteren Schicht sich in gewöhnliche Schleim- schichtzellen zurückbilden, rückt auch der größer werdende Kern wieder mehr in die Mitte zurück. Vgl. die betreffenden Abbil- dungen. Über die Funktion dieser räthselhaften Gebilde habe ich in mei- ner erwähnten früheren Arbeit eine Hypothese aufgestellt, deren Be- stätigung oder Widerlegung ich weiteren Untersuchungen anheim- geben muss. Die Leypia’schen Zellen, die vor nunmehr 27 Jahren entdeckt und seit- dem von einer großen Anzahl Autoren ausführlicher bearbeitet sind, haben vor Kurzem das Schicksal gehabt, von Herrn Professor PEREMESCHKO in Kiew beim Triton, wo sie F. E. Scuunze 1867 beschrieb, neu entdeckt und neu getauft zu werden. Dem ausgesprochenen Wunsch des Autors Betreffs einer näheren Untersuchung dieser neuen Zellart habe ich durch schleunige Übersendung mei- ner diesen Gegenstand behandelnden Arbeit nachzukommen gesucht. In einem später erschienenen Aufsatz nimmt nun PEREMESCHKO von den in meiner Ab- handlung erwähnten früheren Bearbeitungen, so wie auch von meinen Angaben Notiz, jedoch namentlich von letzteren in einer so besonderen Weise, dass ich mich hier auf eine eingehendere Kritik einlassen muss. Wir haben allerdings verschiedene Thiere — Salamander- und Tritonen- larven untersucht, indessen künnen die Unterschiede nicht so groß sein, wenn es sich bei so nahe verwandten Thieren um Organe von hoher physiologischer Differenzirung, womit ja die Konstanz Hand in Hand zu gehen pflegt, handelt. Und solche Organe haben wir hier vor uns. Denn es wäre doch undenkbar, dass so auffallende Gebilde mit so komplieirter Struktur, die in der ganzen Epidermis so zahlreich und in so regelmäßiger Anordnung vorhanden sind, nicht auch ihre ganz bestimmte und wichtige Funktion haben sollten. PEREMESCHKO scheint allerdings anderer Ansicht zu sein. Nach dem, was er in seiner ersten 492 W. Pfitzner Arbeit angiebt (16, 447) entstehen und vergehen die Zellen in kurzer Zeit, in wenig Stunden, je nach den äußeren Einflüssen. Ich muss dagegen entschieden die Richtigkeit meiner früheren Angaben behaupten, die sich auf langdauernde Beobachtungen an lebenden Thieren und an vielen tausenden Schnitten von mehreren hundert Larven der verschiedensten Lebensperioden stützen. Dass überhaupt die Epidermis der typischen Wasserthiere — Fische und Amphibien- larven — physiologisch viel höher steht und eine viel reichere Entwicklung an specifischen Organen besitzt, als bei den höheren Wirbelthierklassen, wird mir Niemand bestreiten: ich brauche nur an die reiche Entfaltung nervöser Organe zu erinnern, die in Ermangelung zutreffender Analogien bei den höheren Wirbel- thierklassen LeyvıG veranlasst haben, sie als Organe eines sechsten Sinnes auf- zufassen. Eben so wenig nun wie die als Seitenorgane bekannten Gebilde kön- nen die Leypia@’schen Zellen durch äußere Eingriffe veranlasst werden binnen kurzer Zeit aufzutreten oder wieder zu verschwinden. Beide Organe haben überhaupt große Ähnlichkeit in ihren Lebensschicksalen: sie werden angelegt vor der Geburt, als Differenzirung der Epidermis, und gehen mit dem Aufhören des Wasseraufenthalts wieder zu Grunde, indem sie sich in Epidermiszellen zurückbilden, wodurch sie zugleich aufs deutlichste bekunden, dass sie speciell dem Wasserleben angepasste Organe sind. Aber die falschen Ansichten PERE- MESCHKO’s erklären sich aus den fehlerhaften Untersuchungsmethoden resp. aus der Vernachlässigung der durch seine, wie ja überhaupt alle Untersuchungs- methoden gegebenen Fehlerquellen. Reizungen der Epidermis mit Kochsalz, Alkohol, Äther, Glycerin sind bei einem so empfindlichen Gewebe ganz bedenk- liche Eingriffe; selbst wenn die Thiere dieselben überstehen, so beweist dies Resultat nichts, als deren große Lebenszähigkeit, nie aber, dass die Epidermis durch diese Mittel nicht verändert werde. Wenn der Autor aber diese Mittel für indifferent hält, dagegen z. B. die als Härtungsmittel so vorzügliche Chrom- säure beschuldigt nur Artefakte zu liefern, die man ja nicht mit den ähnlich aussehenden Erscheinungen am lebenden Kerne verwechseln dürfe (16, 456) — so überlasse ich das Urtheil über seine Methoden den sachverständigen Beur- theilern, indem ich mich darauf beschränke, auf die Angaben von FLEMMING (4—6) zu verweisen. Um nun auf einige Einzelheiten in den beiden Arbeiten PEREMESCHKO'S einzugehen, so sind die meisten Veränderungen, die derselbe an den LEYDIG- schen Zellen beobachtet hat, wohl als Wirkungen der angewandten sehr ener- gischen Reagentien (der Autor beschreibt sie als unschuldige »Reizungen der Körperoberfläche«) aufzufassen. Dahin gehören die Lokomotion des Kerns, Auftreten von Vacuolen, die ihre Stelle ändern können, Veränderungen dieser Vacuolen (nicht zu verwechseln mit den Vacuolen, die die netzartige Anordnung des Protoplasmas veranlassen, sondern wirkliche Artefakte) und vor Allem, Alles was über amöboide Ausläufer der Epidermiszellen gesagt ist (16, 440 seq.). Letzteres würde eigentlich in dem nächsten Abschnitt berücksichtigt werden müssen, ich nehme es indessen vorweg, da es nur in der Rubrik : »de erroribus« Bedeutung beanspruchen kann. Ich habe mich der Mühe unterzogen, die Unter- suchungen PEREMESCHKO’s in dieser Hinsicht im ausgedehnten Maßstabe zu wiederholen und bin allerdings dazu gelangt, seine Angaben bestätigen zu kén- nen, jedoch mit der Einschränkung, dass eben — Alles Kunstprodukt ist. Die mit dünnen Strichen durchsetzten Spalten ‘zwischen den Zellen sind die in allen Epithelien, besonders deutlich in der Epidermis vorkommenden Intercellular- Die Epidermis der Amphibien. 493 riume mit den dieselben durchsetzenden Intercellularbriicken, und die davon ge- gebene Zeichnung ist auch zutreffend; aber weiter auch nichts. Durch Zusetzen von verschiedenen Reagentien, namentlich stark verdünnten Säuren, kann man die Intercellularlücken stark aufquellen machen, ebenfalls durch Einwirkung von reinem Wasser auf Theile, in denen die Bluteirkulation stockt, namentlich bei abgeschnittenen Stücken; durch andere Reagentien wieder, ferner durch lang- sames Eintrocknen oder durch wasserentziehende Mittel werden die Brücken zum Verschwinden gebracht und die Zellen legen sich fest an einander; aber wie man dies als amöboide Bewegung, die Intercellularbrücken darnach als »amöboide Ausläufer der Zellen« bezeichnen kann, ist mir unfassbar. Bei un- verletzten Larven, die man schonend ohne jeglichen Zusatz als Brunnenwasser untersucht, sieht man, wie ich mich durch die ausgedehntesten Kontrollversuche überzeugt habe, nichts davon. In seinem zweiten Aufsatz (17) erwähnt PEREMESCHKO die Arbeiten der Autoren, die sich bis jetzt mit dieser Zellart beschäftigt haben, wobei er auch meiner Arbeit mit kurzen Worten gedenkt. Den ganzen Unterschied der Re- sultate unserer Beider Beobachtungen fertigt er mit den wenigen Worten ab: 1) dass er sich von der Existenz der Zellmembran nicht habe überzeugen kön- nen, 2) dass einige Ergebnisse seiner Untersuchungen gegen die von mir auf- gestellten drei Perioden im Leben dieser Zellen zu sprechen schienen, er aber im Übrigen. diese Aufstellung weder bestätigen noch bestreiten könne. Was den ersten Punkt anlangt, so habe ich leider in jener Arbeit versäumt, näher zu definiren, was ich unter Membran verstehe. Wie bei den gewöhnlichen Zel- len des Stratum mucosum, so leugne ich auch hier das Bestehen einer wirk- lichen Membran, d. h. einer besonderen Wand, die von dem Protoplasma, wel- ches sie einschließt, getrennt ist; eben so wie bei jenen Zellen wird auch hier die Begrenzung der Zellen nach außen durch eine dichtere Modifikation des Protop!asmas gebildet, die nach innen zu ohne scharfe Grenze in das übrige Protoplasma übergeht. Indessen ist bei diesen Zellen durch die Vacuolisirung des Zellinhalts, welche das eigentliche Protoplasma auf die netzförmigen Stränge zusammendrängt, und dadurch, dass sich diese Vacuolen namentlich nach der Peripherie zu ausbilden und dort in Folge dessen die Maschen sehr weit, die Stränge sehr zart werden, ein so eigenthümliches Bild geschaffen, dass, wenn irgend wo, so gewiss hier sich die Beibehaltung des Worts Membran rechtfertigen lässt. Wenn man von der Entwicklung absieht und rein beschreibend verfährt, so muss man nach der Betrachtung der Zelle am lebenden Thiere und an ge- härteten Präparaten sich so ausdrücken: Die Zelle wird nach außen zu durch eine scharf doppeltcontourirte Hülle abgeschlossen, die, im Übrigen von gleich- mäßiger Dicke, zweierlei Verdickungen aufweist: 1) nach innen zu kleine Hervorragungen, die sich in die Stränge des Netzwerkes fortsetzen, 2) auf der äußeren Seite rippenartige, unter einander netzförmig verbundene Erhebungen, von denen aus in Intervallen die intercellularen Fortsätze entspringen (vergl. FLemMiInG 4. 314). Doch dieser Punkt ist mehr nebensächlich, von desto größerer Bedeutung der zweite. Ich hatte die Leypia’schen Zellen aufgefasst als Organe von wichtiger Bedeutung für das Larvenleben, als Organe, die dem entsprechend vorher angelegt werden und während der ganzen Larvenzeit persistiren; PEREMESCHKO dagegen hatte in ihnen nur rasch vergängliche Er- scheinungen von Einwirkung äußerer Einflüsse auf die Epidermiszellen ge- sehen, und findet zwischen beiden Auffassungen keinen so großen Unterschied, 494 W. Pfitzner denn er fertigt meine Ansicht mit den Worten ab: »dass er sie weder behaup- ten noch verneinen könne, obgleich einige seiner Ergebnisse gegen mich zu sprechen schienen«. Verbindungen der Epidermiszellen-Intercellular- strukturen!. Bei der Larve sind alle Epidermiszellen, so weit sie an einander stoßen, durch Substanzbrücken mit einander verbunden, wodurch zwischen den Zellen ein System kommunicirender Hohl- räume — Intercellularspalten oder -liicken — geschaffen wird. Diese Intercellularbriicken sind strang-, bisweilen lamellenförmig, in der Mitte am schwächsten, nirgends gegen den Theil des Protoplasmas, den man als Zellmembran bezeichnet, scharf abgesetzt, und schei- nen auch nichts weiter als Fortsätze der beiderseitigen wandstän- digen Protoplasmaschicht zu sein, die kontinuirlich in einander über- gehen. Wenn man die Verbindung der Zellen durch Zerzupfen löst, so reißen die Brücken in der Mitte durch und die isolirte Zelle zeigt das bekannte Bild der »Stacheln und Riffec. Osmium-, Chrom- und Pikrinsäure, meistens auch das doppeltchromsaure Kali erhalten, namentlich wenn man nach der in der Einleitung angege- benen Weise verfährt, diese bei der lebenden Larve sehr leicht zu studirenden Strukturen sehr naturgetreu. Bisweilen tritt auch bei diesen, namentlich aber bei frischen Präparaten nach längerer Ein- wirkung von destillirtem Wasser, rascher noch nach Zusatz von Säuren oder Alkalien, eine Quellung der Intercellularriiume auf. wodurch die Brücken in die Länge gezogen und besonders deutlich werden. Dagegen ist mit jeder stärkeren Schrumpfung der Zellen ein Verschwinden der Intercellularräume verbunden und die Zellen, die sich dann fest an einander legen, sind durch scharfe Linien ge- gen einander abgegrenzt, was man am Stratum corneum larvale gegen die Häutung als natürliche Erscheinung, und bei Spiritus- präparaten als Kunstprodukt sieht. Am zuverlässigsten kann man sie natürlich an der lebenden Larve untersuchen, wenn man alle Schädlichkeiten sorgsam zu vermeiden sucht; und auf solehe Un- tersuchungen, die sich ohne große Schwierigkeiten anstellen lassen, basiren die folgenden Resultate, so weit es sich irgend errei- chen ließ. ' Die Mittheilungen, die FLemMInG über diesen Gegenstand im vorigen Jahre gemacht hat (4, 343), habe ich im Folgenden rückhaltlos benutzt, was ich vorweg betone, um mir ein fortwährendes Citiren seiner Arbeit zu ersparen. Ich selbst habe diesen Gegenstand bereits in meiner früheren Arbeit (18, 16) fliichtig berührt. Die Epidermis der Amphibien. 495 Zwischen den die Zellen mit einander verbindenden Strängen bleiben Lücken übrig, die, leer gedacht, ein zusammenhingendes, die Zellen allseitig umgebendes Netz von Kanälen darstellen. Der Stoff, der dieselben während des Lebens ausfüllt, ist keine feste Substanz, wesshalb die Namen Kittsubstanz, Kittleisten ete. hier zu verwerfen sind, sondern eine Flüssigkeit, die wohl hauptsächlich dazu bestimmt ist, die Ernährung der Zellen zu vermitteln. Beim leben- den Thiere sieht man diese Räume mit einer homogenen Substanz ausgefüllt, die weniger lichtbrechend ist als die aus Protoplasma be- stehenden Intercellularbrücken. Gegen die freie Oberfläche der Epi- dermis sind die intercellularen Hohlräume nicht abgeschlossen, we- nigstens bei jüngeren Larven, sondern münden offen: und die hierdurch geschaffene Möglichkeit einer freien Kommunikation zwi- schen der intercellularen Flüssigkeit und dem das Thier umge- benden Medium lässt sich direkt unter dem Mikroskop beobachten. Betrachtet man eine Larve an geeigneten Stellen längere Zeit, so sieht man gelegentlich aus den Öffnungen der Intercellularräume kleine Tröpfehen einer Substanz, die stärker lichtbrechend ist als Wasser, hervorquellen; beobachtet man frischgetödtete Thiere oder abgeschnittene Stücke, so wird diese Erscheinung bisweilen so stark, dass sie für die Beobachtung der Gewebselemente äußerst störend wirkt. Dasselbe kann man durch Zusatz von Säuren, Alkalien, Salzen, kurz durch Alles erzielen, was auf das Thier reizend oder zerstörend einwirkt. Die zur Härtung benutzten Reagentien führen, wenn sie nicht zerstörend auf die Form der Zelle wirken, eine Ge- rinnung der intercellularen Flüssigkeit herbei. Hat man von solchen Präparaten einen genügend feinen Schnitt angefertigt, so kann man die feinkörnige Gerinnungsmasse zwischen den Intercellularbrücken durch Abspülen in Wasser entfernen; die Räume erscheinen dann vollständig leer, d. h. nur mit der Zusatzflüssigkeit erfüllt, und er- lauben so ein bequemes Studium der Zellverbindungen. Bettet man dagegen einen solchen Schnitt, ohne ihn abzuwaschen, in eine sehr starke Kalilösung ein, so sieht man die wiederaufgelöste Flüs- sigkeit in kleinen glänzenden Tröpfehen aus den Intercellularräumen hervorquellen. Die Intercellularräume zeigen nun an mehreren Orten Abweichun- gen vom gewöhnlichen Verhalten: FLEMMING (4, 316) giebt an, dass die zwischen den Zellen des Stratum corneum larvale vorhandenen breiten Intercellularspalten sich oberhalb einer Leypie’schen Zelle verschmälern und gegen die Mitte 496 W. Pfitzner zu ganz eng zusammenlaufen. Fiir die ersten Monate kann ich diese Angaben bestätigen, später aber verwischt sich dies Bild. Sobald die Veränderungen des Zellleibes im Stratum mucosum beginnen, die der ersten Häutung voraufgehen, tritt eine Rückbildung der Inter- cellularbrücken auf zwischen den Zellen des Stratum corneum lar- vale; dieselbe schreitet dann weiter auf die zwischen dieser Zell- schicht und der obersten Schicht des Stratum mucosum befindlichen, und schließlich auf diejenigen, welche die einzelnen Zellen dieser obersten Schicht des Stratum mucosum, die die erste definitive Hornschicht zu werden bestimmt ist, unter einander verbindet. Wo diese Rückbildung vollendet ist, kann man von den Brücken nichts mehr wahrnehmen; die Zellgrenzen werden durch breite helle Säume bezeichnet. Zwischen den untersten Epidermiszellen und der Cutis sind bei Jüngeren Thieren die Brücken sehr schwach ausgebildet, die sich jedoch hier verhältnismäßig stärker entwickeln als anderswo, so dass sie sich beim erwachsenen Thiere gerade durch. besondere Größe auszeichnen. Wie sie sich zum Bindegewebe der Cutis verhalten, ob dieses ihnen etwa auch ähnliche Ausläufer entgegensendet, habe ich nicht mit Sicherheit feststellen können. Ganz besondere Verhältnisse scheinen bei den Leypı@’schen Zellen obzuwalten. Wie LANGERHANS zuerst beschrieben hat (10, 746), zeigt die Membran dieser Zellen blattrippenartige Verdiekun- gen an der Außenseite, die im optischen Querschnitte als runde Punkte, auf der Flächenansicht als ein ziemlich regelmäßiges Netz- werk erscheinen, dessen einzelne Maschen fast die Größe von mensch- lichen Blutkörperchen haben. Man sieht sie am deutlichsten bei gut konservirten Präparaten, sowohl auf Flächenansichten wie bei feinen Querschnitten; beim lebenden Thier nur an besonders gün- stigen Stellen. Leypie (14, 144) glaubt, dass diese Zeichnung auf einer durch die Reagentien hervorgerufenen Knitterung der Oberfläche beruhe, lässt aber die Annahme zu, dass ihr thatsiichliche: Verschiedenheiten zu Grunde liegen könnten; FLemuing (4, 317) lässt sie durch Verkle- bung der geronnenen Intercellularflüssigkeit mit abgerissenen Brücken entstehen. Ich habe bereits früher angegeben, dass ich die LAn- GERHANS’sche Schilderung als vollkommen richtig erklären muss 18, 10 Anmerk.). Dafür, dass sie wirkliche Verdickungen der Zellwand sind, sprieht der optische Querschnitt; auch nimmt man nie ähnliche Erscheinungen an den übrigen Zellen wahr. Während LANGERHANS seine Beschreibung auf die Beobachtung in Osmium- Die Epidermis der Amphibien. 497 säure isolirter Zellen gründet, habe ich sie bei Zellen gesehen, die nicht aus ihrem Zusammenhang gelöst waren; was mir aber vol- lends entscheidend zu sein scheint, ist der Umstand, dass es mir wiederholt gelungen ist, diese Struktur beim lebenden unverletzten Thier aufzufinden. Die Intercellularbrücken gehen nun aus diesen Verdiekungen hervor und es entsteht so um diese Zellen herum eine besondere Art großer, weitmaschiger Intercellularräume. In dem Epithel der Kiemenblätter kommuniciren die Intercellu- larräume frei mit der Oberfläche, so lange die Kiemen funktioniren; im Epithel der Cornea während des ganzen Lebens, nicht nur vor der Metamorphose, sondern auch beim erwachsenen Thiere. Wir haben somit zwischen sämmtlichen Zellen der Epidermis ein dieselben umspinnendes System kommunicirender Hohlräume, welches mit einer gerinnbaren Flüssigkeit erfüllt ist, bisweilen auch noch andere Gebilde enthält. Mit dem umgebenden Medium kom- munieirt es direkt, bis das Stratum corneum larvale die der Häutung voraufgehenden Veränderungen erleidet; alsdann bildet dieses, und nach der ersten Häutung das definitive Stratum eorneum nach außen hin einen Abschluss. Aber auch nach dem Corium zu kann man Verbindungen ver- folgen. Beim erwachsenen Thiere wenigstens, wo an der Cutis- fläche der unteren Epidermiszellen die Brücken sehr stark entwickelt sind, stehen die von diesen gebildeten Hohlräume mit ähnlichen Hohlräumen in der Cutis in Verbindung. In der oberen parallelfa- serigen und pigmentlosen Grenzschicht der Cutis verlaufen in hori- zontaler Richtung Kanäle, die sich mehr oder minder rechtwinklig umbiegen und bis in die großen basalen Intercellularlücken zu ver- folgen sind; andere kommen mehr direkt aus der Tiefe. Dass dies keine Kunstprodukte sind und dass sie wirklich eine derartige Ver- bindung herstellen, wäre allerdings dann erst als bewiesen anzusehen, wenn es gelänge, sie selbst und die Intercellularräume von der Cutis aus mit farbigen Massen zu injieiren; was mir leider noch nicht ge- glückt ist. Ich kann statt dessen nur anführen, dass sie bei den verschiedensten Untersuchungsmethoden, die sich bei anderen Gegen- ständen bewährt hatten, stets dasselbe Verhalten und dasselbe Ka- liber zeigten; und diese Regelmäßigkeit scheint mir dafür zu sprechen, dass sie keine zufällig auftretenden Erscheinungen darstellen. Man sieht sie u. a. sehr gut an feinen Durchschnitten von Chromsäure- präparaten, die mit Hämatoxylin so stark überfärbt sind, dass alle festen Gewebsbestandtheile ein tiefes Blau zeigen. Morpholog. Jahrbuch. 6. 32 498 W. Pfitzner Will man die Richtigkeit dieser Beobachtungen, die aller- dings, wie gesagt, erst noch durch weitere Untersuchungen bestä- tigt werden muss, zugeben, so sind die Epidermiszellen von Ka- nälen umgeben, die die feinsten Verzweigungen von Lymphbahnen darstellen. Die Angelegenheit der Intercellularbahnen gewinnt hierdurch an allgemeinem Interesse, zumal da sie bei fast allen Epithelien vor- zukommen scheinen. Besonders entwickelt sind sie in der Epidermis, wo ich sie bis jetzt bei keinem Wirbelthier vermisst habe. Ich hoffe nächstens Ausführlicheres über diesen Gegenstand mittheilen zu kön- nen; Einiges habe ich bereits früher angegeben (18, 16). Vel. außerdem die Angaben bei FLemumine (3, 343). Die betr. Struktu- ren sind beim Salamander so groß, dass an der Existenz der Inter- cellularbrücken und -lücken jedenfalls nicht gezweifelt werden kann; wer sie am lebenden Thier oder an feinen Schnitten gut konservir- ter Präparate gesehen hat, wird die Theorie von dem zahnradar- tigen Ineinandergreifen der »Stachel- und Riffzellen« für dieses Gewebe wenigstens als widerlegt ansehen. Vgl. die Abbildungen Fig. 24 bis 30. Wanderzellen. Hin und wieder trifft man dieselben in der Epidermis, meistens in den verzerrtesten Formen, die Zelle selbst so schwer unterscheidbar, dass man erst durch die besondere Klein- heit ihres Kernes auf sie aufmerksam wird. Die Zelle erstreckt sich mit vielfach verästelten Ausläufern zwischen die Epidermiszellen, also in den Intercellularräumen!. Auch dieses scheint dafür zu sprechen , dass letztere mit den Lymphgefäßen in Verbindung stehen. Pigment. Das Pigment kommt in der Epidermis theils diffus, theils in besonderen Zellen — Pigmentzellen, Chromatophoren — vor. Die charakteristische Zeichnung des Salamanders wird nicht durch die mächtige Pigmentschicht der Cutis, sondern durch die Pigmentirung der Epidermiszellen bewirkt. Im Allgemeinen zeigt letztere keine besonderen Unterschiede bei Larven und Erwachse- nen, abgesehen von der schwächeren und stärkeren Entwicklung. Die beim erwachsenen Thiere pigmentarmen Stellen, z. B. die untere ! PEREMESCHKO (17, 155) hat sie in der Epidermis der Tritonlarve wäh- rend des Lebens beobachtet und beschreibt, wie sie durch die Intercellularräume weiter wandern, in höchst charakteristischer und meine Auffassung bestätigen- der Weise. Die Epidermis der Amphibien. 499 Fläche, namentlich am Kopf. sind bei der Larve meistens ganz pigmentfrei. Um eine möglichst schwache Pigmentirung der Larven zu haben, was für die Untersuchung am Lebenden wünschenswerth ist. empfiehlt es sich, die Larven gleich nach der Geburt in ein flaches weißes Gefäß, z. B. Porcellanteller, zu setzen und im Dunklen aufzubewah- ren: ich habe dieses mir von Herrn Dr. Boas gütigst mitgetheilte Verfahren recht praktisch gefunden. Dass die von LAnGErHans sogenannten Schaltzellen besonders pigmentarm wären, kann ich nicht bestätigen: ich würde sogar eher das Gegentheil behaupten, wenn ich einen Unterschied konstatiren sollte. In dem Stratum corneum larvale liegen die Pigmentkörnchen meistens in einer Schieht unmittelbar unter dem Cuticularsaum, in denen des Stratum mucosum stets mehr in der oberen Hälfte der Zelle, bei der Larve wie beim erwachsenen Thiere. Die LEYDIG- schen Zellen sind stets pigmentlos, so lange sie als solche existiren. In allen Zellkernen und in den Intercellularräumen habe ich nie Pigmentkörnchen gefunden. Die Pigmentzellen enthalten einen meistens deutlich wahrnehm- baren, wie es scheint, pigmentlosen, rundlichen Kern, der kleiner ist als der der Epidermiszellen. Dass sie wirkliche Chromatophoren sind, hat schon Lrypre (12, 23) festgestellt, indem er ihre Kontrak- tilität bei der lebenden Larve beobachtete. Damit übereinstimmend trifft man sie bei gehärteten Präparaten bald rund bald mit reichen stark verästelten Fortsätzen. Letztere verlaufen in den Intercellu- larräumen, ein weiterer Grund, diese für präformirte Hohlräume zu halten, die mit einer leicht zu verdrängenden Substanz — Flüssig- keit — erfüllt sind. Man sieht die Pigmentzellen, wie zu erwarten, an pigmentreichen Stellen häufiger als an pigmentarmen. Die Herkunft der Pigmentzellen ist mir völlig dunkel geblie- ben. Ob sie aus Epidermiszellen entstehen, oder ob sie in die Bindegewebsreihe gehören und gleich den Lymphkörperchen von der Cutis aus in die Epidermis eingewandert sind: dies zu ent- scheiden fehlt es mir an jeglichem Anhalt. Andeutungen von Kern- theilungsfiguren habe ich ebenfalls nie bei ihnen wahrgenommen. Nerven und Sinnesapparate. Auf die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Vergoldungsmethode auf dieses Gewebe werde ich gelegentlich der Beschreibung der Epidermis des erwach- senen Thieres näher eingehen. Sie haben es mir bis jetzt unmöglich gemacht die Nerven in der Larvenepidermis zu untersuchen. Dass 32+ 500 W. Pfitzner die Intercellularräume vielleicht auch Bahnen für den Verlauf der Nerven abgeben, scheint sich aus den Beobachtungen von FLEMMING (4, 344) zu ergeben, der sie wenigstens in den basalen Räumen mehr- fach antraf. In Bezug auf die Organe der Seitenlinie verweise ich auf die be- kannten Arbeiten von F. E. SCHULZE, LEYDIG, LANGERHANS u. A.; ich selbst habe mich nicht eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigt. Ich bin entschieden der Ansicht, dass ihre Elemente modifieirte Epi- dermiszellen darstellen, obgleich ich ihre Entstehung nicht habe untersuchen können, da sie bei der Geburt schon vollständig ausge- bildet sind. Dass sie sich nach vollendeter Metamorphose in Drüsen umwandeln, wie LEYDIG annehmen möchte, scheint mir nicht glaub- würdig. Was ich über ihre Umwandlung beobachtet habe, ist Fol- gendes: Zur Zeit, wo die Zellen des Stratum corneum larvale sich abzuplatten beginnen und die Intercellularräume verschwinden, also noch mehrere Wochen vor der Häutung, werden gleichzeitig die Seitenorgane allmählich von der freien Oberfläche dadurch abge- schlossen, dass die Zellen des Stratum corneum über sie zusammen- rücken; im vierten Monat schon sind die oben angegebenen Unter- brechungen der Hornschicht an diesen Stellen verschwunden, und man sieht bei Flächenansichten die Hornschicht sich gleichmäßig über sie hinwegziehen. An Durchschnitten sieht: man gleichzeitig, wie sich die Eigenthümlichkeiten ihrer epidermoidalen Bestandtheile in Form und Anordnung mehr und mehr verwischen; nach der Häutung sieht man auf Querschnitten nur noch selten Andeutungen von ihnen und nach vollendeter Metamorphose gar nicht mehr. Ich möchte nach Diesem behaupten, dass die epidermoidalen Bestandtheile dieser Organe sich wieder in gewöhnliche Epidermiszellen umwandeln und die andern sich gänzlich rückbilden; gebe indessen gern zu, dass meine Beobachtungen hier lückenhaft sind. Fassen wir das bisher Angeführte kurz zusammen, so ergiebt sich ungefähr Folgendes: Die Epidermis der Salamanderlarve besteht zur Zeit der Geburt aus zwei deutlich getrennten Zellschichten. Die obere Zellschicht ist charakterisirt durch einen gestreiften Cuticularsaum, der eine aus einem früheren Wimperbesatz hervor- gegangene Hornbildung darstellt. Sie vermehrt sich durch Theilung ihrer Zellen auf dem Wege der indirekten Zelltheilung; diese Ver- Die Epidermis der Amphibien. 501 mehrung geht aber nur in der Flächenausdehnung vor sich, wess- halb sie stets nur aus einer Lage Zellen besteht. Gegen die Zeit der Metamorphose ergreift der Verhornungsprocess allmählich die ganze Zelle und kurz vor Vollendung der Metamorphose wird diese Schicht in Form einer Häutung abgestoßen. Die untere Zellschicht bildet durch weitere Theilungen mehrere Lagen von Zellen; aus ihnen haben sich, größtentheils schon vor der Geburt, besondere nervöse Apparate, die Organe der Seitenlinie, und sekretorische, die Leypıg’schen Zellen, differenzirt, welche Ap- parate sich aber gegen Ende des Larvenlebens wieder vollständig zurückbilden. Zu gleicher Zeit sondern sich die obersten Zellen als besondere Schicht ab, aus der durch Verhornung das erste wirkliche Stratum corneum gebildet wird. Die Verbindung der Zellen unter einander, so weit sie nicht ver- hornt sind, wird durch feine Ausläufer der Zellmembran, d. h. der wandständigen Protoplasmaschicht, gebildet, welche aber nicht in ein- ander verzahnt sind, sondern ununterbrochen in einander übergehen. Die Lücken zwischen diesen Verbindungen bilden ein zusammen- hängendes System von Hohlräumen, welche die Zellen umspinnen, nach außen zu zeitweise frei auf der Oberfläche münden, nach innen zu sich in die Cutis fortsetzen und wahrscheinlich einen Abschnitt des _ Lymphgefäßsystems vorstellen. B. Die Epidermis des erwachsenen Salamanders. Die Epidermis des erwachsenen Thieres ist gegen Reagentien noch bedeutend empfindlicher als die der Larve!; Quellungen und Schrum- ! Nach den Beobachtungen, die ich bei der Anwendung der Goldmethoden gemacht habe (s. unter »Nerven«), erkläre ich mir diese große Empfindlichkeit folgendermaßen: Die Zellen des Stratum mucosum beim Erwachsenen haben, wie die ganze Larvenepidermis, ein sehr weiches wasserreiches, und daher ge- gen physikalische und chemische Eingriffe sehr wenig widerstandsfähiges Pro- toplasma. Bei der Larve nun, wo die Intercellularräume nach der Cutis sowohl wie nach der Epidermis zu offen sind, kann die härtende Flüssigkeit rasch zu und in die einzelnen Zellen dringen, und so überall gleichzeitig und gleich- mäßig wirken. Bei der Epidermis des Erwachsenen wird ein rasches Durch- strömen der Hiirtungsfliissigkeit dadurch verhindert, dass die Intercellularriiume nach außen zu durch die Hornschicht einen Abschluss erhalten haben. Die Flüssigkeit dringt in Folge dessen hauptsächlich von der Cutis aus vor, wäh- rend die Hornschicht sie nur langsam durchdringen lässt. Durch diese Behin- 502 W. Pfitzner pfungen, Vacuolenbildung in Zellleib und Kern treten auch bei den besten Härtungsmethoden sehr leicht auf. Selbst bei gut gehärteten Chromsäurepräparaten werden, wenn der Schnitt nicht dünn genug ist, durch Saffranin gelegentlich Veränderungen hervorgerufen , die für präformirte Bildungen, z. B. für eine Art Tastkörperchen ange- sehen werden könnten. Fleißiges Vergleichen lehrt auch hier Wah- res vom Falschen, präformirte Gebilde von Kunstprodukten unter- scheiden. So weit hierin meine Erfahrungen reichen, gilt dasselbe von der Epidermis aller Amphibien; ich halte es daher nicht für überflüssig, hier nochmals darauf hinzuweisen, wie sehr man bei Vernachlässigung der durch die Untersuchungsmethoden geschaffe- nen Fehlerquellen Gefahr läuft, kostbare Zeit unnütz zu ver- schwenden. Ich habe schon in der Einleitung gelegentlich erwähnt, wie un- geeignete Methoden eine falsche Vorstellung von dem Bau der Epidermis in uns zu erwecken vermögen, und auf welchem Wege ich die thatsächlichen Verhältnisse sicher zu stellen versucht habe. Wie ich dort schon angeführt habe, besteht die Epidermis des erwachsenen Salamanders aus einem einschichtigen Stratum corneum und einem mehrschichtigen Stratum mucosum; im letzteren finden wir eine besondere Zellart, die sogenannten flaschenförmigen Zellen, ferner Pigment, theils diffus, theils in besonderen Chromato- phoren, nervöse Elemente, und gelegentlich Wanderzellen. Außer- dem werden wir die Verbindung der Zellen unter einander, so wie die an den Mündungen der Hautdrüsen und auf der Cornea vorkom- menden lokalen Abweichungen von dem gewöhnlichen Bau und An- ordnung der Epidermiszellen zu betrachten haben. Stratum corneum. Bei Anwendung der bisher üblichsten Untersuchungsmethoden sieht man die Begrenzung der Epidermis derung der Osmose treten Koncentrationsunterschiede des in die Epidermis ein- gedrungenen Härtungsmittels auf, die bei der geringen Widerstandsfähigkeit der Schleimschichtzellen leicht einen solchen Grad erreichen, dass sie die oben er- wähnten Veränderungen herbeiführen. Ähnliche Erscheinungen kann man auch bei der Färbung beobachten, namentlich bei solchen Farbstoffen, die eine rasch vor sich gehende Einwirkung verlangen. Wendet man Saffranin in stark verdünnter Lösung an, wobei man allerdings keine gesättigten Färbungen erzielt, so bleiben die oben erwähnten Veränderungen aus; bei Anwendung der unverdünnten Lösung bekommt man gute Färbungen nur, wenn der Schnitt sehr fein ist, während man, wie in der Einleitung erwähnt, die Larvenepidermis sich in ganzen Fetzen gut färbt. Es ist klar, dass auch dieses für die obige Annahme zu sprechen scheint. Die Epidermis der Amphibien. 503 nach außen von einer homogenen, überall gleich dicken, stark licht- brechenden, bei Tinktionen meistens ungefärbt bleibenden oder sich gleichmäßig färbenden Membran gebildet, an der man keine Zusam- mensetzung aus einzelnen Formelementen mehr wahrnehmen kann. Sie ist darnach als strukturlose Cuticula beschrieben worden und hat hervorragenden Forschern Veranlassung zu sorgfältigen und zeit- raubenden Untersuchungen gegeben, die zu mannigfachen Kontrover- sen über ihre Entstehung und Bedeutung geführt haben. Gelegent- lich gesehene Andeutungen von Kernen hatten auch einigen die Strukturlosigkeit dieser Membran zweifelhaft erscheinen lassen, ohne dass man zur vollen Klarheit über diesen Punkt gelangt wäre. Wenn nun schon aus dem, was ich über die Entwicklungsge- schichte des Stratum corneum mitgetheilt habe, hervorgeht, dass dasselbe keine Cuticula, keine strukturlose Membran sein kann, sondern aus einer einfachen Lage von Epidermiszellen hervorgegan- gen ist, so erübrigt noch, dies auch noch an dem ausgebildeten Zu- stand nachzuweisen. Fertigt man von einem gut konservirten Präparat einen feinen Schnitt an, so gelingt es unschwer, in der scheinbar strukturlosen Membran in regelmäßigen Abständen scharf begrenzte Kerne zu un- terscheiden; erforderlich ist nur, dass der Schnitt genau senkrecht geführt und äußerst dünn sei, ebenfalls bedarf es wegen des gerin- gen Brechungsunterschiedes guter Beleuchtung und guter Linsen. Durch die gewöhnlichen Mittel, Zusatz von Säuren oder kaustischen Alkalien, gelingt es nicht, den Kern schärfer hervortreten zu lassen, wohl aber lässt er sich sehr gut färben; letzteres am besten mit Pikrinsäure — Pikrokarmin oder Pikrinsäure - Hämatoxylin, minder gut, aber auch noch sehr deutlich, durch Chromsäure-Hämatoxylin. Chromsäure-Saffranin lässt hier merkwürdigerweise meistens den Kern und die Zellgrenzen ungefärbt, während es den Zellleib intensiv roth färbt!. Unter besonders günstigen Umständen, wenn nämlich das Stratum corneum an einem Theil des Schnittes sich abgelöst und um- geschlagen hat, kann man die Kerne sowohl von der Fläche wie von der Seite betrachten. Man überzeugt sich dann, dass man wirklich die Cuticula vor sich hat und sieht, wie die Flächenansicht nicht nur ! Es scheint mir dies darauf hinzudeuten, dass der Verhornungsprocess sich nicht in gleicher Intensität auf den Kern erstreckt. Alle ausgeprägten Hornbildungen, wie Haare und Nägel, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in Saffranin intensiv roth färben und diese Färbung sich durch Alkohol fast gar nicht wieder ausziehen lässt. 504 W. Pfitzner die den auf dem Durchschnitt gesehenen Kernen entsprechenden Bil- der giebt, sondern auch die Zellgrenzen deutlich zu erkennen erlaubt, die man wegen des geringen Brechungsunterschiedes auf dem Quer- schnitt nicht wahrnehmen kann. Das Stratum corneum besteht aus einer einzigen Lage verhornter ! fest mit einander verbundener flacher polygonaler Zellen mit einem in der Mitte liegenden ovalen, stark abgeplatteten Kern. An pigmen- tirten Hautstellen enthalten die Zellen der Hornschicht ebenfalls Pigment, das hauptsächlich um den Kern herum angehäuft ist; der Kern selbst und die Zellgrenzen bleiben stets pigmentfrei. Letztere sind durchsichtiger und stärker lichtbrechend als der Zellleib; sie verlaufen gerade oder etwas geschlängelt, und entbehren der Inter- cellularbrücken, also auch bei Isolirung der »Stachel und Riffe«. Auf dem Querschnitt erscheint der Kern als spindelförmiger glänzen- der Körper und liegt nicht an der unteren Wand, sondern genau in der Mitte, was ich schon früher als unterscheidendes Merkmal her- vorgehoben habe (Fig. 17). Das Stratum corneum zieht als geschlossene Membran über die ganze Oberfläche des Körpers hin und zeigt ausgenommen an den Drüsenmündungen, nirgends Unterbrechungen. Ich habe mich na- mentlich bemüht, Lücken aufzufinden, die den flaschenförmigen Zel- len eine Kommunikation mit der Oberfläche gestatten könnten, muss aber betonen, dass ich mich vom Gegentheil überzeugt habe. Man trifft beim Durchmustern von Flächenansichten häufig runde helle Punkte, die wie Lücken aussehen und der Größe nach genau dem oberen Ende des Flaschenhalses entsprechen; es gelang mir aber stets, bei guter Beleuchtung mit Tauchlinsen festzustellen, dass die Hornschicht an diesen Stellen nicht durchbrochen war (über die Be- deutung dieser hellen Flecke s. unter »Flaschenzellenc). Man muss sich jedoch hüten, wenn man Flächenpräparate durch Maceration hergestellt hat, nicht etwa, wie gegen die Zeit einer Häutung leicht passiren kann, die oberste Lage der Schleimschicht statt der Horn- schicht zu untersuchen; man findet dort wirkliche runde Löcher, die durch das Herausfallen der Flaschenzellen entstanden sind, erkennt aber an der Länge des so entstandenen Kanals, dessen Wände man zum Theil übersieht, dass man eine diekere Zellschicht vor sich hat, ! Dass die Zellen des Stratum corneum wirkliche Verhornungen darstellen, habe ich wie beim Cuticularsaum des Stratum corneum larvale durch die soge- nannte Verdauungsmethode feststellen können (vgl. oben). Die Epidermis der Amphibien. 505 abgesehen davon, dass die einzelnen Zellen körniges Protoplasma und Intercellularbrücken aufweisen. An den Drüsenmündungen zeigt die Epidermis folgende Eigen- thümlichkeiten: Die Hornschicht stülpt sich in unverminderter Dicke trichterförmig ein und endigt im Niveau der Cutisoberfläche mit scharf abgeschnittenem Rande (wie früher das Stratum corneum lar- vale, s. oben). Zwischen dieser Einstülpung und den umgebenden Schleimschichtzellen schiebt sich ein kegelförmiger Mantel geradlini- ger Fasern ein, deren Natur, ob Bindegewebe, ob glatte Muskeln, ich nicht feststellen konnte; dieselben lösen sich ab aus dem Binde- gewebe, welches die Drüse umgiebt und steigen bis dicht unter das Niveau der Hautoberfliiche empor. Die Zellen des Stratum muco- sum, die den Drüsenhals umgeben, sieht man meistens in der Form eines mit breiter Basis der Cutis aufsitzenden Kegels sich von den übrigen Zellen abheben; es scheint dies ein regelmäßiges Vorkom- men zu sein, wie weit aber ein besonderes Gewicht auf diese Anord- nung zu legen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Fig. 16 zeigt uns an einem glücklich geführten Durchschnitt durch eine Seite des Drüsenhalses diese Verhältnisse sehr deutlich: « Hornschicht mit a, der Einstülpung, d, der Zellmantel und zwischen beiden der aus der Cutis e aufsteigende Fasermantel ¢,. Häutung. Ich habe in der ersten Hälfte dieser Arbeit ge- schildert, wie sich bei der Larve die definitive Hornschicht bildet. Wie hierbei die Schicht der cuticularsaumtragenden Zellen, die kurze Zeit eine wirkliche Hornschicht gebildet hatte, einer aus den obersten Schleimschichtzellen sich differenzirenden Hornschicht Platz macht, indem sie selbst in der Form einer Häutung abgestoßen wird, so findet auch späterhin eine periodische Erneuerung dieser definitiven Horn- schicht statt, die fast genau in derselben Weise vor sich geht. Die ersten Andeutungen der bei der Häutung stattfindenden Vor- gänge besteht darin, dass sich die obersten Zellen des Stratum mu- cosum zu einer besonderen Schicht anordnen, die nach unten zu sich allmählich schärfer abgrenzt. Beim erwachsenen Thiere bilden ein weiteres Kennzeichen gewisse ‚Veränderungen der flaschenförmigen Zellen, die bei diesen näher besprochen werden sollen. Diese Er- satzschicht nun erleidet allmählich die Veränderungen, die wir in ähnlicher Weise am Stratum corneum larvale kennen gelernt haben: Zelle und Kern platten sich ab, werden homogen, die Intercellular- brücken verschwinden. Wenn die alte Hornschicht abgeworfen wird, 506 W. Pfitzner hat die neue schon fast ganz ihre definitiven Eigenschaften erlangt; nur bleibt noch eine Zeit lang der Kern deutlicher sichtbar und leich- ter tingirbar, ebenfalls sind die Zellgrenzen selbst an Durchschnitten noch mit Leichtigkeit wahrzunehmen. Besondere Differenzirungen des oberflächlichen Theils der Zelle sind zu keiner Zeit bei der neuen Hornschicht angedeutet, so dass also Bildungen, die dem Cuticular- saum des Stratum corneum larvale entsprechen könnten, späterhin nie wieder auftreten. Die alte Hornhaut wird bei der Häutung in großen Fetzen ab- gestoßen. Sie zeigt deutliche Zellgrenzen und Kerne und außer den trichterförmigen Einstülpungen der Drüsenmündungen keinerlei Un- terbrechungen oder Öffnungen; ist sie übermäßig ausgedehnt, so sieht man Risse, die meistens genau in den Zellgrenzen verlaufen. Im Allgemeinen wird bei der Häutung nur die Hornschicht abgestoßen; bisweilen aber trifft man an den Hautfetzen Stellen, die aus zwei Zell- lagen bestehen, in welchem Falle man bei genauerer Prüfung er- kennt, dass es sich um Schleimschichtzellen handelt, die, aber stets nur in geringer Ausdehnung, sich bei der Häutung mit der Horn- schicht zusammen abgelöst hatten und an dieser haften blieben. Der Theil der Epidermis, der das Epithel der Cornea bildet, nimmt an der Häutung nicht Theil. Die Häutung findet regelmäßig im August bis September statt, doch ist nicht ausgeschlossen, dass sie öfterer im Jahre sich wieder- holt: ich habe nur bemerkt, dass man mit Sicherheit darauf rechnen konnte, bei den um diese Zeit eingelegten Thieren die Anzeichen der Häutung zu finden, eben so wie bei den im Oktober eingelegten die Merkmale einer kürzlich beendigten Häutung. Stratum mucosum. Das Stratum mucosum besteht mit Aus- nahme der Flaschenzellen und der Chromatophoren aus annähernd enbischen Zellen; bei den unteren überwiegt meistens der senkrechte, bei den oberen der wagerechte Durchmesser, ohne dass man hierin große und durehgreifende Unterschiede konstatiren könnte. Über- haupt haben sie keine typische Form, wie die Flaschenzellen, son- dern eine mehr indifferente, durch gegenseitige Accommodirung bedingte. Eben so wenig lässt das Stratum mucosum eine weitere Trennung in besondere Schichten zu. Die obersten Zellen bilden erst dann eine ausgesprochene Schicht, wenn sie sich zur Verhornung anschicken; die untersten Zellen, die sich durch die langen Inter- cellularfortsätze an der Basis auszeichnen, kann man nie als beson- dere Schicht abgrenzen. Von den Unterabtheilungen, die man bei der Die Epidermis der Amphibien. 507 Schleimschicht der menschlichen Epidermis aufgestellt hat, ist hier wenigstens keine Spur vorhanden; wie weit ihre Aufstellung dort berechtigt ist, werde ich nächstens erörtern. Die Zellen des Stratum mucosum zeigen nirgends durchgreifende Verschiedenheiten. Das Zellprotoplasma ist körnig, trübe, stets vollständig strukturlos; die Begrenzung nach außen wird, wie bei der Larve, nicht durch eine wirkliche doppeltcontourirte Membran, sondern durch eine wandständige Protoplasmaschicht, eine peripher- wärts sich verdichtende Modifikation des Zellprotoplasmas ohne irgend welche Abgrenzung nach dem Centrum zu, gebildet. Eben so ver- halten sich die Fortsätze dieser Protoplasmaschicht, die Intercellu- larbrücken, genau so wie bei der Larve. — Der Kern ist meistens oval, zeigt häufig seichtere oder tiefere Einbuchtungen, liegt stets in der Mitte der Zelle und stimmt mit ihr nach Form und Ausdehnung ‘ der verschiedenen Durchmesser überein. Das Stratum mucosum besteht nur aus ausgebildeten, deutlich gegen einander abgegrenzten Zellen: nirgends finden sich Kerne in diffusem, noch nicht zu Zellen abgetheiltem Protoplasma eingebettet, wie dies namentlich aus der Epidermis höherer Wirbelthiere ange- geben wird. Dass diese Angabe, die sich seit der Schwann’schen Aufstellung der freien Zellbildung durch die meisten Lehrbücher schleppt und der man heute noch immer wieder in den verschieden- sten Arbeiten begegnet, bei allen Wirbelthieren durchaus unberech- tigt und ein Resultat unvollkommener Untersuchungsmethoden ist, werde ich demnächst nachzuweisen suchen. Die Vermehrung der Zellen geschieht auf dem Wege der indi- rekten Zelltheilung. Ich habe Fig. 21—30 einige Abbildungen der wichtigsten Kernfiguren gegeben, als Beispiele (denn alle Zwischen- formen zu geben vom ruhenden Zustand des Kerns bis zur Vollen- dung der Theilung würde über den Rahmen dieser Arbeit hinaus- gehen; übrigens habe ich alle von FLemmme (l. ec.) beschriebenen Formen auch beim erwachsenen Thiere wiedergefunden); die Abbil- dungen sind demgemäß nicht im mindesten schematisirt, sondern jede einzelne Contour dem durch die Camera gegebenen Bilde nach- gezogen. Bemerkenswerth ist, dass man Kernfiguren nie in den an die Hornschicht angrenzenden Zellen, sondern nur in den unter- sten, der Cutis aufsitzenden, und den nächst untersten findet. Bei wohlgenährten Exemplaren findet man, namentlich um die Zeit der Häutung, so überaus häufig Kerntheilungsfiguren der ver- schiedensten Stadien, dass man die Annahme, es fände außerdem 508 W. Pfitzner noch eine Vermehrung resp. Neubildung von Epidermiszellen nach irgend einem anderen Schema statt, vollständig unnöthig finden muss. Flaschenzellen. Die flaschenförmigen Zellen, oder wie ich sie der Kürze halber zu nennen vorziehe, die Flaschenzellen, unter- scheiden sich von den gewöhnlichen Zellen der Schleimschicht da- durch, dass sie im Gegensatz zu ihnen eine typische Form haben; außerdem zeigt das Protoplasma eine zwar geringe aber konstante Verschiedenheit. Ihre Form ist die charakteristische, der sie ihren Namen verdanken: das untere Ende, welches den Kern einschließt, ist bauchig und verlängert sich nach oben in einen schmalen, län- geren oder kürzeren Hals. Geringere Abweichungen der Form kommen vor, größere dagegen sind ziemlich selten. Fig. 18 a—7 giebt eine Übersicht über die verschiedenen Formen, die ich beob- achtet habe. Der Kern ist meistens oval und mit dem größten Durchmesser senkrecht gestellt, selten wagerecht, und füllt den Bauch der Zelle fast vollständig aus. Er besitzt stets pralle For- men, ist nicht eingebuchtet oder eingekerbt, wie so häufig die Kerne der Schleimschicht, und zeigt auch nie Kerntheilungsfiguren. Der Bauch der Zelle ist stets gleichmäßig abgerundet und scharf abge- grenzt; gröbere Ausläufer oder Fortsätze nach unten hin habe ich nie wahrgenommen, ausgenommen solche, die sich bei näherer Prü- fung als auf optischer Täuschung beruhend erwiesen, veranlasst mei- stens durch schlechte Konservation. Die Verbindung mit den um- gebenden Zellen vermitteln Intercellularbrücken, die sich durch besondere Kürze auszeichnen, sonst aber keineswegs Besonderheiten in der Anordnung besitzen, wie wir sie bei den Leypie’schen Zel- len gesehen haben. Das obere Ende des Flaschenhalses grenzt stets an die Hornschicht; wo die Zelle etwas schief liegt sieht man die Ansatzstelle als einen hellen Kreis (Fig. 18 d. e). Sie sind mit der Hornschicht besonders fest verbunden; wenn diese sich von der Schleimschicht gelöst hat, sieht man oft die Flaschenzellen aus der Schleimschicht herausgezogen und mit der Hornschicht in Verbin- dung geblieben. Man könnte nun daraus entnehmen wollen, dass der Hals in die Hornschicht eingefügt wäre, dieselbe also durch- setzte und an der Oberfläche frei ausmünde. Leider ist aber diese Annahme, die die Deutung dieser Gebilde sehr erleichtern würde, durchaus ungerechtfertigt und zieht sich die Hornschicht in unver- minderter Dieke über sie hinweg. An schwach pigmentirten Haut- stellen erscheinen sehr oft die Ansatzstellen der Flaschenzellen an Die Epidermis der Amphibien. 509 der Hornhaut so durchsichtig, dass man sie für ein rundes Loch halten möchte; bei guter Beleuchtung konstatirt man jedoch mit Tauchlinsen leicht, dass die Hornschicht dort keine Unterbrechung erlitten hat. Die Ansatzstellen befinden sich meistens dort, wo zwei oder drei Zellen zusammenstoßen; in solchen Fällen ist es beson- ders leicht durch genauere Prüfung das Vorhandensein einer Lücke auszuschließen, indem die Zellgrenzen sich durch die hellen Flecke hindurch verfolgen lassen. Auch in diesen Zellgrenzen, die, wie oben erwähnt, keine Intercellularliicken einschließen, sondern eine solide Leiste darstellen, habe ich eben so wenig auf Flächenansichten wie an vielen Hunderten, guter, genau senkrecht geführter Durch- schnitte eine wenn auch noch so feine Unterbrechung wahrgenom- men. Ich muss desshalb den Flaschenzellen jeglichen direkten Verkehr mit der Körperoberfläche direkt absprechen. Das Protoplasma der Flaschenzellen erscheint an frischen wie an gehärteten und gefärbten Präparaten konstant etwas heller und feinkörniger wie das der umgebenden Zellen. Relativ häufig sieht man ungefähr in der Mitte des Halses ein kugelrundes Körperchen, das dadurch auffällt, dass es homogen und farblos, so wie stets von derselben Größe ist. Ich möchte dasselbe jedoch nicht für ein ty- pisches Gebilde halten, da ich es bei der Mehrzahl vermisste; es ist wohl eine mehr zufällige Bildung oder ein Kunstprodukt. — An pigmentirten Hautstellen findet man Pigmentkérnchen mehr oder min- der reichlich auch in den Flaschenzellen, aber nur im Halse, wo sie bei starker Pigmentirung einen dichten Klumpen bilden, der von Kern, Zellwand und Ansatzstelle durch eine pigmentfreie Zone ge- trennt bleibt. Was die Verbreitung der Flaschenzellen in der Epidermis an- langt, so habe ich ein großes Thier in der Weise untersucht, dass ich von jedem Quadratcentimeter Haut Schnitte anfertigte, außerdem noch von allen solchen Stellen, die von vorn herein Verschiedenheiten vermuthen ließen; ich glaube mich daher für die Richtigkeit der Behauptung verbürgen zu können, dass überall, so weit wirkliche Epi- dermis, d. h. aus Hornschicht und Schleimschicht zusammengesetz- tes Epithel, bei diesem Thiere vorkommt, man Flaschenzellen ohne jegliche typische Abweichung in Menge und Form findet. Im Mund- epithel dagegen fehlen sie gänzlich; sie hören da auf, wo die Epi- dermis an den Umschlagstellen ihren typischen Bau verliert. Die Flaschenzellen vermehren sich nicht direkt durch Theilung, sondern werden jedes Mal durch Umbildung aus einer gewöhnlichen O10 W. Pfitzner Schleimschichtzelle, sowohl bei ihrem ersten Auftreten wie im späteren Leben neu gebildet. Dieser Vorgang steht in unverkennbarer Abhän- vigkeit zum Häutungsprocess, sowohl bei der Larve als auch beim Er- wachsenen. Bei der Larve trifft man vom Ende des dritten Monats an Andeutungen von ihnen; aber erst nach der Häutung sind sie in bedeutenderer Anzahl, jedoch anscheinend in geringerer als beim Er- wachsenen, vorhanden. Sie zeigen dort voll ausgebildete Formen, wie Fig. 20 a—c wiedergiebt, selten die unter d und e abgebildeten. Beim Erwachsenen ist der Vorgang etwas komplieirter. So wie die obersten Zellen des Stratum mucusum sich zu einer Ersatzschicht formiren, erscheinen sie unansehnlich und verkümmert, kleiner als während der Zwischenzeit und namentlich schmäler. (Fig. 19. Die betreffenden Abbildungen sind alle mit derselben Vergrößerung ge- zeichnet, es giebt daher die Vergleichung von 18 und 19 ein rich- tiges Bild dieses Verhältnisses.) Im weiteren Verlaufe des Häutungs- processes gehen sie allmählich zu Grunde; wahrscheinlich werden sie zugleich mit der alten Hornschicht abgestoßen. Wenn letzteres stattfindet, haben sich die Zellen der Ersatzschicht schon vollständig zusammengeschlossen und an der unteren Seite dieser neuen Horn- schicht erscheinen jetzt die neugebildeten Flaschenzellen. die beson- ders pralle und volle Formen aufweisen (Fig. 18 e—%). Diese Abhängigkeit vom Häutungsprocess giebt uns zusammen- gehalten mit dem Umstande, dass man sie nie anders als im festen Zusammenhang mit der Hornschicht findet, den einzigen, aber immer noch unvollkommenen Anhalt zur Ergründung ihrer etwaigen speciellen Funktion; aus ihrem übrigen Verhalten können wir hierüber keinen Aufschluss erhalten. Das Protoplasma ist, wie gesagt, heller und feinkörniger wie das der umgebenden Schleimschichtzellen, zeigt aber sonst keine Abweichungen: gegen Reagentien verhält es sich jenem gleich, nur dass es sich bei Anwendung der Goldmethode tief dunkel färbt. Der Kern kommt dadurch excentrisch zu liegen, dass die größere Masse des Zellprotoplasmas im Hals sich befindet. Gröbere Ausläufer und Fortsätze gegen die Cutis zu sind nicht vor- handen, und nach außen zu bildet die Hornschicht einen vollkom- menen Abschluss. Um zuerst die Ansichten früherer Forscher über die Funktion der Flaschenzellen anzuführen, so haben dieselben sich alle begniigt, Vermuthungen aufzustellen, die zum Theil wenig Wahrscheinlichkeit für sich haben, zum Theil leicht zu widerlegen sind: merkwürdi- gerweise haben sie aber fast alle, ohne sich auf bestimmte That- Die Epidermis der Amphibien. 511 sachen zu stützen, mit dem Häutungsprocess in Verbindung ge- bracht. Der Erste, der diese Zellen zuerst gesehen zu haben scheint, und zwar beim Frosch, ist RUDNEFF (19, 296). Die Flaschenzellen sollen nach ihm meistens frei auf der Oberfläche münden, bisweilen unter der oberflächliehsten Zellschicht liegen und einen, selten zwei oder drei zugespitzte Ausläufer am unteren kolbig angeschwollenen Ende haben. Diese Ausläufer halte ich nach kontrollirenden Unter- suchungen für Kunstprodukte, hervorgerufen durch die von RUDNEFF angewandte Methode der Behandlung mit Silberlösungen, die hierin das Unglaublichste leisten. Über die Bedeutung der Zellen giebt der Autor nichts an; er verspricht weitere Mittheilungen, doch habe ich nicht erfahren können, ob und wo er dieselben publicirt hat. F. E. Scuuntze (21, 166) hat sie bei Triton taeniatus, Triton niger und Rana esculenta gefunden. Zunächst bestreitet er die An- gaben Rupnerr’s über ihre Ausmiindung auf der Oberfläche: »we- nigstens für gewöhnlich« läge die oberste Zellschicht über ihnen. Er »zweifelt nicht daran«, dass die Leypie’schen Zellen, die er bei der Tritonlarve sah, die Jugendformen dieser Zellen wären (dass sie es nicht sein können, geht wohl aus dem im betreffenden Abschnitt Mitgetheilten zur Evidenz hervor). Sie sollen ein Sekret liefern. das bei der Häutung die oberste Zellschicht von den darunter lie- genden Zellen löst. Weitere Begründung dieser Ansicht wird ver- sprochen, doch weiß ich ebenfalls nicht, ob der Autor sein Ver- sprechen erfüllt hat. EBERTH (3, 2) hat sie ebenfalls beim Frosch und Triton gesehen und nennt sie geradezu Drüsenzellen. Sie sollen zwar nicht immer die äußerste Epidermisschicht durchbohren, in dem Falle aber Ju- gendformen darstellen. Über die Bestimmung ihres Sekrets giebt der Autor nichts an. LANGERHANS (10, 746) hat die Flaschenzellen beim erwachsenen Salamander gesehen und hält einen Zusammenhang mit den LEY- pia@’schen Zellen ebenfalls für möglich. Leypie (14, 145) vermuthet in ihnen stellvertretende Elemente der Lrypie’schen Zellen, lässt aber auch die Möglichkeit zu, dass sie mit den Langeruans’schen Schaltzellen in Zusammenhang stän- den (was ich nach meinen Beobachtungen ebenfalls für unmöglich halte: s. oben). Der Autor scheint sie ebenfalls für einzellige Drü- sen zu halten: der Hals der Zelle soll sogar bisweilen etwas über die Oberfläche der Haut heryorragen. Beobachtet hat derselbe sie bei 512 W. Pfitzner Rana platyrrhinus, Bufo calamita, Alytes obstetricans, Bombinator igneus, Salamandra maculosa, Salamandra atra, Triton taeniatus. Es ist mir etwas auffallend gewesen, dass alle Beobachter ohne Weiteres diesen Zellen eine sekretorische Funktion zuschreiben zu miissen geglaubt haben; im Grunde spricht doch nichts weiter dafiir, als die Form ihres Umrisses, der mit dem mehrzelliger Driisen eine entfernte Abnlichkeit besitzt. Meiner Ansicht nach spricht ihr Aus- sehen geradezu gegen die Annahme einer sekretorischen Funktion. Wir müssen doch wohl annehmen, dass die sekretorische Thätigkeit speciell vom Zellprotoplasma ausgeht, und da fällt es bei diesen Zellen auf, dass dasselbe bei ihnen sehr spärlich vorhanden ist, namentlich im Verhältnis zu den indifferenten Schleimschichtzellen, und dass der Kern den größten Theil der Zelle ausfiillt. Und wozu sollte das Sekret bestimmt sein? Auf die Oberfläche kann das Se- kret nicht gelangen, wie oben ausgeführt, weil hier die Hornschicht einen Abschluss bildet; und beim Frosch findet, wie ich mich überzeugt habe, dasselbe Verhältnis statt. Gegen die ScHuLze’sche Ansicht spricht ihre besonders feste Verbindung mit der Hornschicht, vor Allem aber, dass sie gerade zu der Zeit, wo sie darnach funktioni- ren sollten, sich sämmtlich im Stadium ausgesprochenster Verküm- merung befinden. Für eine ähnliche Annahme wie die, welche ich Betreffs der Lrypia’schen Zellen ausgesprochen habe, liegt hier keine Wahrscheinlichkeit vor. Eher wäre es mir erklärlich gewesen, wenn man sie mit dem nervösen Apparat in Verbindung gebracht, in ihnen eine Art Sinnes- zellen zu erkennen geglaubt hätte. Man hätte sich dabei auf ähn- liche Zellen in der Epidermis der niedrigeren Wirbelthiere berufen können, die wahrscheinlich dahin zu rechnen sind; nur dass hier das Vorhandensein eines nach außen frei hervorragenden Fortsatzes durch den Bau der Hornschicht ausgeschlossen ist. Ich möchte ihnen jedoch weder eine sekretorische noch eine senso- rische, sondern eine rein mechanische Funktion zuschreiben, nämlich die, eine festere Verbindung der Hornschicht mit der Schleimschicht zu bewirken. Was mich dazu veranlasst, sind folgende Überlegungen: Erstens läuft ihre Entwicklung vollständig neben der der Hornschicht einher, sie entstehen und vergehen mit ihr, sie verhalten sich tiberhaupt, als ob sie zur Hornschicht und nicht zur Schleimschicht gehörten. Ihre feste Verbindung mit der Hornschicht, ihre regelmäßige Vertheilung über die ganze Epidermis, ihr Ansetzen an drei Hornschichtzellen zugleich, selbst ihre keulenartige Form, alles Dieses scheint diese Die Epidermis der Amphibien. 513 Ansicht nahe zu legen und zu unterstiitzen. Dann aber spricht auch ihr feinerer Bau dafür, dass sie sich aus physiologisch höher ste- henden Gebilden zu solchen mit rein mechanischer Funktion weiter differenzirt resp. zurückgebildet haben. Wenn wir ihre Entwicklung betrachten, so sehen wir sie Veränderungen erleiden, die denen durchaus analog sind, welche die Zellen der Hornschicht bei ihrer Entstehung aus Schleimschichtzellen erfahren, und sich von ihnen nur dadurch unterscheiden, dass der Process nicht völlig denselben Grad erreicht. Gleich jenen haben sie fast alle specifische Lebens- energie verloren; sie vermögen sich nicht mehr zu vermehren, der Kern verharrt im Zustande äußerster Ruhe, wie er durch seine stets abgerundete Gestalt anzeigt; zugleich ist ihr Protoplasma homoge- ner geworden und die Intercellularbrücken unansehnlicher. Gegen Ende ihres Lebens, bei der jedesmaligen Häutung, wird dieses Ver- hältnis recht deutlich. Sie haben dann auch bedeutend an Volumen verloren, sehen verschrumpft aus; mit Saffranin färbt sich ihr gan- zer Zellinhalt intensiv roth und behält diese Farbe auch nach län- gerem Liegen in Spiritus, eine Eigenschaft, die auf eine Art Ver- hornung hinzudeuten scheint (s. oben). Wenn ich alles Dieses zusammenfasse , so halte ich es für gerechtfertigt, sie eher zur Hornschicht als zur Schleimschicht zu rechnen und ihnen gleich jener eine mechanische Funktion zuzuschreiben !. Ich erwarte allerdings manchem Widerspruche zu begegnen, wenn ich sie so gewissermaßen als Nägel ansehe, mit denen das Stratum corneum angeheftet ist, aber soll man vor einer Deutung zuriickschrecken, nur weil sie beim ersten Anblick allzugrob sinnlich erscheint, wenn sie doch zugleich allein eine Erklärung zu geben im Stande ist? Indessen gestehe ich gern zu, dass diese Hypothese noch weiterer Bestätigungen dringend bedarf, namentlich durch ver- gleichend - anatomische Untersuchungen, die wohl allein uns gründ- lichere Aufklärung über diese sonderbare Zellart zu geben im Stande sein werden. Sie scheint ja bei allen Amphibien mit Ausnahme der ! Leypia (12, 23) hat aus der Epidermis von Hyla arborea eine Zellart beschrieben, die an den Haftballen der Füße vorkommt und der er auch eine mechanische Funktion, allerdings ganz anderer Art, zuschreibt. Ich erwähne sie hier nur, weil sie nach der Abbildung eine gewisse Ähnlichkeit mit den Flaschenzellen zu haben scheinen. Längsstreifungen des Protoplasmas, wie sie Levpı@G bei jenen Zellen beobachtet, habe ich auch im Hals der Flaschenzellen zu beobachten geglaubt, fand sie aber bei Anwendung von Tauchlinsen nicht bestätigt. Morpholog. Jahrbuch. 6. 33 514 W. Pfitzner Perennibranchiaten, vorzukommen und bei allen, so weit ich nach meinen Untersuchungen und bedingungsweise nach denen anderer Autoren beurtheilen kann, stets dasselbe Verhalten zu zeigen. Es wäre auch zu untersuchen, ob nicht analoge Organe auch bei hö- heren Wirbelthieren vorkommen. Bei den Fischen dagegen wird man sie, obgleich bei ihnen in der Epidermis Zellen vorkommen, die eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit ihnen haben, wohl kaum auffinden, da sie ja in ihrem Auftreten von der Bildung einer Horn- schicht abhängig sind. Intercellularstrukturen — Wanderzellen — Pigment. Die Verbindung der Epidermiszellen unter einander wird wie bei der Larve durch Intercellularbrücken und -lücken bewirkt. Dieselben fehlen gänzlich in der Hornschicht und zwischen der Hornschicht und den Fla- schenzellen, sind rudimentär zwischen Hornschicht und Schleimschicht ; an den übrigen Orten sind sie von annähernd gleicher Größe, eirca 1 u breit, ausgenommen zwischen den Flaschenzellen und den Schleim- schichtzellen, wo sie kleiner sind, und an der Basis der der Cutis aufsitzenden Zellen, wo die Brücken eine Länge von 2—3, biswei- len sogar bis zu 5 u und darüber besitzen. Im Übrigen zeigen die _ Intercellularstrukturen beim Erwachsenen eine so vollkommene Uber- einstimmung mit denen bei der Larve, dass ich hier auf ein näheres Eingehen verzichten darf. Dasselbe gilt für das sporadische Auf- treten von Wanderzellen in der Epidermis und für das Pigment. Nerven und Sinnesorgane. Besondere nervöse Apparate von so komplieirtem Bau, wie die bekannten Seitenorgane der Lar- ven, scheinen in der Epidermis erwachsener Amphibien nicht vor- zukommen, wenigstens habe ich beim Salamander keine Spur davon wahrgenommen und finde in der Litteratur, so weit sie mir bekannt, auch keine Angaben dahin zu rechnender Beobachtungen. Nerven in der Epidermis aufzufinden habe ich mich vergebens bemüht, da meine s. Z. in Kiel angestellten Vergoldungsversuche stets misslangen. Da dieselben aber Resultate hatten, die in ande- rer Beziehung vielleicht nicht unwichtig sind, so halte ich es für erlaubt, sie trotzdem hier mitzutheilen. Bei der Löwrr’schen Me- thode löste sich stets während der Reduktion die Hornschicht in Ver- bindung mit den Flaschenzellen und den obersten Zellen der Schleim- schicht ab. Bei der Henoqur’schen Methode, Reduktion mit Wein- säure auf kaltem oder warmem Wege, blieb zwar der Zusammenhang der Epidermis ungestört, dagegen machte der Übelstand, dass alle Die Epidermis der Amphibien. 515 Intercellularflüssigkeit sich tief schwarz gefärbt hatte, die Präparate ebenfalls unbrauchbar. An Hautstücken, bei denen nach Anwendung der Löwır'schen Methode die Reduktion unvollständig geblieben war, fiel mir auf, dass einerseits die Hornschicht und die an sie stoßenden Zellen der Schleimschicht, andererseits die Cutis und der untere Theil der Schleimschicht die Einwirkungen der Behandlung zeigten, und dass dazwischen eine neutrale Zone blieb, die dem Orte der oben er- wähnten Ablösung entsprach. Es schien dies dafür zu sprechen, dass die Einwirkung der Reagentien von zwei Seiten her, und zwar ungleichmäßig, vor sich gegangen war; von oben her war die Flüs- sigkeit nur langsam durch die Hornschicht gedrungen und hatte nur die anstoßenden Zellen zu erreichen vermocht, während von unten her sie in gleicher Zeit die Cutis und einen größeren Theil der Sehleimschicht durchtränkt hatte. Bei jüngeren Larven dagegen fand eine solche ungleichmäßige Einwirkung nicht statt, was ich auf Rechnung des Umstandes setzte, dass die nach der Oberfläche zu nicht abgeschlossenen Intercellularräume ein rascheres und gleich- mäßigeres Eindringen der Reagentien gestatten. Da ich nun, wie schon vorher erwähnt, die in der Schleimschicht auftretende Konti- nuitätstrennung auf die durch die Behinderung der Osmose bewirkten Koncentrationsunterschiede zurückführen zu müssen glaubte, habe ich durch Alkoholzusatz die Diffusion der Reduktionsflüssigkeit anzuregen gesucht. Der Erfolg entsprach den Erwartungen, indessen nöthigte mich damals der Mangel an lebenden Thieren, die Versuche zu un- terbrechen , ehe ich genügende Resultate erzielt hatte, und habe ich bis jetzt aus Mangel an Zeit die Versuche noch nicht wieder aufneh- men können. Als beste Mischung der Reduktionsflüssigkeit ergab sich, nebenbei gesagt, Acid. formic. 30, Aq. dest. 20, Alkoh. 50. Andere Autoren haben bei ähnlichen Geweben durch starkes Ver- dünnen gute Resultate erzielt, wodurch ja ebenfalls die Diffusion erleichtert wird. Die Nerven bilden in der Cutis ein reiches Geflecht, aus wel- chem Äste senkrecht durch die obere parallelfaserige und pigment- freie Grenzschicht der Cutis aufsteigen, um in die basalen Intercel- lularlücken einzutreten. Hoffentlich werde ich nächstens über ihren weiteren Verlauf Näheres mittheilen können. Cornea. Derjenige Theil der Epidermis, der sich als Epithel der Cornea über die Augen hinwegzieht, zeigt beim Salamander ein ganz eigenthümliches Verhalten und ist namentlich von dem viel- ; 33* 516 W. Pfitzner untersuchten Cornea-Epithel des Frosches weit verschieden. Bei ganz jungen Larven zeigt er außer seiner Durchsichtigkeit keine Differen- zen gegenüber der übrigen Epidermis; dagegen behält er, während jene die durchgreifendsten Veränderungen erleidet, stets seine ur- spriingliche Beschaffenheit. Die in Fig. 3 gegebene Abbildung giebt zugleich ein so gutes Bild von dem Cornea-Epithel der Larve so- wohl als des erwachsenen Salamanders, dass eine besondere Abbil- dung überflüssig wird. Auch beim erwachsenen noch bleibt ein breiter gestrichelter Cuticularsaum bestehen; die basalen Intercellu- larbrücken sind klein, das System der Intercellularliicken mündet frei auf die Oberfläche aus. Leypie’sche Zellen und Flaschenzellen treten nie bei ihm auf, von der Häutung bleibt es ausgeschlossen ; dagegen zeigt es auch beim erwachsenen Thiere noch einen großen Reichthum an LanGERHANS’schen Schaltzellen. Eine kurze Übersicht über die hauptsächlichsten Resultate mei- ner Untersuchungen über die Epidermis des erwachsenen Salaman- ders ergiebt ungefähr Folgendes: Die Epidermis besteht aus einem einschichtigen Stratum corneum und einem mehrschichtigen Stratum mucosum. Die Hornschicht besteht aus einer einfachen Lage verhornter Zellen ohne Intercellularbriicken und -liicken und bildet einen mit Ausnahme der Mündungen der großen mehrzelligen Hautdrüsen we- der durch inter- noch dureh intracellulare Öffnungen unterbrochenen Überzug über die ganze Körperoberfläche: Sie ist durch Umbildung aus Zellen der Schleimschicht entstan- den, und wiederholt sich dieser Vorgang periodisch während des ganzen Lebens. Die Schleimsehicht lässt keine Unterscheidung in weitere Unter- abtheilungen zu. Sie besteht aus mehrfachen Lagen wohl ausge- bildeter, streng von einander geschiedener Zellen, die sich auf dem Wege der sogenannten indirekten Zelltheilung vermehren. Die Flaschenzellen gehen durch Umbildung aus Schleimschicht- zellen hervor, welcher Vorgang sich gleichzeitig mit der Bildung einer neuen Hornschicht periodisch wiederholt; eine direkte Ver- mehrung dureh Theilung findet nicht statt. Sie gehören morpholo- gisch und physiologisch zur Hornschicht und haben gleich dieser eine rein mechanische Funktion. Die Epidermis der Amphibien. 517 Die Intercellularlücken sind, wie bei der Larve, die Bahnen fiir eine aus der Cutis einströmende Flüssigkeit, welche die Ernährung der Zellen vermittelt. Diese Ernährung ist hier jedoch nur in den unteren Lagen der Schleimschichtzellen energisch genug, um eine Vermehrung derselben zu veranlassen; je näher der Oberfläche die Zellen liegen, desto weniger Lebensenergie besitzen sie. Es ist wahrscheinlich, dass das Stratum mucosum Nervenfasern enthält und dass diese hauptsächlich in den Intercellularbahnen ver- laufen. Das diffuse Pigment der Epidermis bewirkt die Zeichnung, die Chromatophoren eine mit reflektorischen Vorgängen zusammenhängende Veränderung der Färbung. Die Cornea bewahrt zeitlebens den Bau, welchen sie und die ganze übrige Epidermis zur Zeit der Geburt besaß. Allgemeine Betrachtungen. Bei den Wirbelthieren ist die Epidermis dasjenige Organ, wel- ches die Beziehungen des Gesammtorganismus zum umgebenden Me- dium zu vermitteln bestimmt ist. Es muss daher auch die Verschie- denheit des umgebenden Mediums in dem Bau dieses Organes zum Ausdruck kommen, wenn dieselbe so bedeutend ist wie bei den bei- den in Betracht kommenden Medien, Luft und Wasser. Wir können nach diesen verschiedenen Medien die gesammte Wirbelthierwelt ein- theilen in zwei große Unterabtheilungen, in die typischen Wasser- bewohner und die typischen Landbewohner. Zu den ersteren ge- hören die Acardiaci, Cyelostomen und Fische, zu den letzteren die Reptilien, Vögel und Säugethiere, und in der Mitte zwischen beiden stehen die Amphibien, die auch hierin eine merkwürdige Übergangs- stellung einnehmen. Sehen wir den Unterschied zwischen diesen beiden Wirbelthiertypen näher an, so können wir das Verhältnis der Kérperoberfliche zum umgebenden Medium in folgendem Satze for- muliren : Das Hautepithel der typischen Landbewohner findet seinen Ab- schluss nach außen zu in einer Hornschicht, weleher bei den typi- schen Wasserbewohnern eine Cuticularbildung der äußersten Zellschicht entspricht Es dürfte wohl nicht zu gewagt erscheinen, wenn ich die Mei- nung ausspreche, dass dieser Satz für die Entwicklungslehre von 518 W. Pfitzner nicht geringer Bedeutung ist. Wir sehen bei den untersten Wirbel- thierklassen das Hautepithel auf einer Stufe verharren, auf der es vom Epithel des Magendarmkanals fast gar nicht verschieden ist, wenn wir davon absehen, dass in dem einen Einrichtungen, die mit der Verarbeitung der aufgenommenen Nahrung in Beziehung stehen, in dem andern komplicirte Organe zur Vermittlung sinnlicher Ein- driicke sich ausgebildet haben, und uns ausschlieBlich mit der Ge- staltung der Oberfläche beschäftigen. Es stehen eben die innere und die äußere Körperoberfläche unter annähernd denselben Ver- hältnissen, beide sind hauptsächlich den Einwirkungen eines flüssi- gen Mediums, des Wassers, ausgesetzt; es genügte daher für die Bedeckung ein weiches Epithel, welches nach außen zu seinen Ab- schluss in einer dichteren Modifikation des Zellprotoplasmas der obersten Zellen fand. Bei den niedrigsten Formen war dies ein Wimperepithel, doch bildeten sich die Wimpern, als ihre Funktion unnöthig wurde, zurück, und an ihre Stelle trat der gestrichelte Cu- ticularsaum. Erst bei den höheren Wirbelthieren tritt ein dureh- greifender Unterschied zwischen dem Epithel der inneren und dem der äußeren Körperoberfläche auf. Der Cutieularsaum mochte wohl einen hinreichenden Schutz gegen die Einwirkung des Wassers ge- währen, er war aber zu zart, um den schädlichen Einflüssen eines Aufenthalts auf dem Trockenen Trotz zu bieten. Diese Einflüsse sind zweierlei Art: erstens die durch den Luftaufenthalt veranlasste Verdunstung der Körperfeuchtigkeit und zweitens die aus der steten Berührung mit festen Gegenständen hervorgehenden mechanischen Beschädigungen der Epidermis. Letztere erforderten eine resisten- tere Beschaffenheit der äußeren Zellen, erstere einen dichteren, we- niger durchlässigen Abschluss der Epidermis nach außen zu; es musste daher die Epidermis nach außen zu eine zusammenhängende Schieht besonders harter, also wasserarmer, Zellen bilden und die Intercellularräume durften nicht mehr frei auf der Oberfläche ausmünden. Beiden Anforderungen entspricht die Bildung, die wir von nun an aufwärts in der Wirbelthierwelt antreffen, die Diffe- renzirung der bis dahin gleichwerthigen oberen Zellen der Epider- mis zu einem Stratum corneum. Wollen wir nun verstehen, wie diese Bildung zu Stande kam, so müssen wir die Spuren dieses allgemeinen Entwicklungsganges aufsuchen, die uns am deutlich- sten erhalten geblieben sind in der Entwicklung der Thiere, die auf der Grenze zwischen den Wasserbewohnern und Landbewohnern stehen, der Amphibien. Die Epidermis der Amphibien. 519 Es ist zweifelhaft, ob wir die Amphibien mehr den ersteren oder den letzteren zurechnen sollen‘, so sehr finden wir bei ihnen das Wesen der Übergangsformen ausgeprägt. Während einige schon als Landthiere geboren werden, mithin den Zustand des Wasser- thiers, den wir als Larvenform unterscheiden, schon vor der Geburt als embryonale Form durchmachen, z. B. der Alpensalamander, bleiben andere zeitlebens Larven, die Perennibranchiaten; und unter diesen zeigen wieder einige die Eigenthümlichkeit, dass sie sich ge- legentlich noch nach der Geschlechtsreife, also nach Beendigung der Ausbildung, zu Landbewohnern entwickeln können, so dass bei ihnen die Larvenform bald einen provisorischen, bald einen definitiven Zustand darstellt. Wir werden desshalb wohl annehmen müssen, dass die Amphibien erst als solche, d. h. nachdem sie sich durch höhere Ausbildung der Gliedmaßen und vieler anderer Organe zu einer den Fischen selbständig gegenüber stehenden Wirbelthierklasse entwickelt hatten, die Fähigkeit erwarben, als typische Landbewoh- ner weiter zu leben, und dass Erscheinungen, wie sie beim Alpen- salamander auftreten, eine durch die Vererbung erworbene Antieipa- tion des Entwicklungsganges vorstellen; mit ähnlichen Anticipationen haben wir ja in der Entwicklungsgeschichte vielfach zu rechnen. Um nun zu erfahren, wie sich die Amphibien zu Landbewohnern weiter entwickelten, betrachten wir den Entwicklungsgang des ge- fleckten Salamanders, der durchaus geeignet ist, uns die erforder- lichen Fingerzeige zu geben. Wir sehen nun, wie bei ihm die obersten, den Cuticularsaum tragenden Epidermiszellen zu einer ge- wissen Zeit wasserärmer und härter werden, die Intercellularliicken zwischen ihnen sich schließen, kurz wie diese Zellen vorübergehend eine Art wirklicher Hornschicht darstellen. Lassen wir diesen Vor- gang, wie er sich hier an einem einzigen Thiere abspielt, sich in der Entwicklungsgeschichte im Verlaufe eines langen Zeitraums an einer großen Zahl auf einander folgender Generationen allmählich vollziehen, so resultirt folgende Vorstellung: Unter den Wirbelthie- ren, die bis dahin ausschließlich auf den Wasseraufenthalt ange- wiesen waren, waren diejenigen, bei denen die obere Grenzschicht der Epidermis härter und resistenter war als bei den übrigen, da- durch auch besser befähigt, sich längere Zeit außerhalb des Was- sers, auf dem festen Lande, aufzuhalten (von den Veränderungen der übrigen Organe, die damit einhergehen müssen, sehe ich hier gänzlich ab, natürlich ohne ihre Wichtigkeit verkennen zu wollen). Da diese Thiere einen größeren Nahrungsbezirk und in Folge dessen 520 W. Pfitzner günstigere Chancen für Ernährung und Fortpflanzung hatten, konn- ten ihre Eigenthümlichkeiten sieh durch Vererbung und fortgesetzte Anpassung immer mehr ausbilden, und es entstand so allmählich eine besondere Art, bei der die obere Schicht der Epidermis aus wasserarmen, hornartigen Zellen bestand. Wie bei jeder künstlichen Vertrocknung die Intercellularbrücken schrumpfen und schließlich ganz verschwinden, so schlossen auch hier die Zellränder fest an einander, wodurch eine weitere günstige Bedingung für den Land- aufenthalt geschaffen wurde. Aber auch diese wasserarme Zell- schicht konnte den mechanischen Einwirkungen des Landlebens nicht dauernd widerstehen; sie musste von Zeit zu Zeit ersetzt werden, und zu dem Zweck musste die nächste Zellschicht dieselben Veränderungen durch Vertroeknung und Verhornung erleiden, wobei sich die Cuticularsaumbildung nicht wiederholte, da zu dieser nur auf den Wasseraufenthalt berechneten Bildung weder Grund noch Ver- anlassung vorlag, wie wir denn auch beim Salamander bei allen Häutungen in der sich zum Ersatz bildenden Hornschicht keine der- artige Differenzirung auftreten sehen. So war denn zur Bildung einer Hornschicht auch noch die periodische Häutung hinzuge- kommen. Bis zur ersten Häutung inclusive wird dieser Entwicklungsgang von der Salamanderlarve antieipirt, d. h. erledigt gewissermaßen ehe er nöthig wird, und sie wird erst zum Landthier, nachdem sie schon eine wirkliche Hornschicht acquirirt hat. Verlassen wir nun dieses Thier und sehen, wie die Hornschicht sich von nun an weiter aus- bildet. Wir sahen für die Bildung einer Hornschicht als bestimmend die Nothwendigkeit an, den Organismus gegen die durch die Luft bewirkte Verdunstung der Körperfeuchtigkeit so wie gegen mecha- nisch wirkende Schädlichkeiten zu schützen. Der erstere dieser bei- den Punkte ist erledigt, seitdem eine zusammenhängende Hornschicht die Epidermis nach außen abgeschlossen hat; für die weitere. Ent- wicklung kommt von jetzt an nur noch das rein mechanische Moment in Betracht. Hierbei haben wir ebenfalls zwei Arten zu unterschei- den: erstens die durch die stete Berührung mit festen Gegenständen wirkenden Schädlichkeiten des Landaufenthalts, und zweitens die gröberen mechanischen Insulte, denen das Thier, meistens seitens an- derer Thiere, ausgesetzt ist. Beide finden ihren Ausdruck in Gebilden von ganz verschiedenem histologischen Ursprung: das Prineip des Schutzes gegen gröbere mechanische Insulte vertreten Bildungen, Die Epidermis der Amphibien. 521 ‚ die in der Cutis entstehen, also vom Mesoderm abstammen, während das Prineip des Schutzes gegen die speeifischen Schädlichkeiten des Landaufenthalts von der Epidermis und zwar speciell von der Horn- schicht vertreten wird. In den unteren Wirbelthierklassen sind diese Verhältnisse noch sehr einfach. Bei den Fischen kommt nur das Prineip des Schutzes gegen gröbere Insulte zur Geltung, die Schutz- waffen der Haut sind demgemäß aus der Cutis sich entwickelnde Gebilde (Schuppen ete.). Bei den jetzt lebenden Amphibien kommt dieses Prineip fast gar nicht mehr in Betracht, dagegen hat sich das andere jenseits der Larvenform geltend, gemacht in der Bildung einer Hornschicht. Ich will nun diese beiden Faktoren der Bildung von Schutzvorrichtungen der Kürze halber als bindegewebiges und epidermoidales Princip bezeichnen, und werde anzudeuten suchen, wie beide im weiteren Verlaufe der Entwicklung ihren Ausdruck finden. Die meisten Amphibien ziehen das Wässer oder doch wenig- stens einen feuchten Aufenthalt vor, es genügt daher für sie ein dünner Hornschichtiiberzug. Die Reptilien dagegen setzen sich den schädlichen Einflüssen des Landlebens in weit höherem Maße aus, das epidermoidale Prineip macht sich demgemäß bei ihnen schon mehr geltend, an Stelle der einschichtigen Hornschicht tritt eine viel- schichtige. Partielle Verdiekungen der Hornhaut, die Schwielenbil- dungen, die zum Theil schon bei den Amphibien vorkommen, gehö- ren ebenfalls hierher, da sie einer energischeren Berührung fester Gegenstände angepasst sind. Das bindegewebige Princip macht sich bei den Amphibien und Reptilien meistens unabhängig vom epider- moidalen geltend; selbst wenn die auf beiden beruhenden Bildungen sich fest vereinigt haben, wie bei dem Panzer der Schildkröten, lässt sich eine Scheidung noch leicht durchführen. Schwieriger wird dies, wo diese Bildungen, wie bei den höheren Klassen, sich zu Organen von komplieirteren Funktionen entwickeln; unmöglich ist es indessen auch dort nicht. Die Haare, die Federn, die Nägel u. s. w. las- sen stets noch erkennen, dass ihnen ursprünglich das epidermoidale Prineip zu Grunde gelegen hat und auch noch neben der erwor- benen höheren Funktion fortbesteht. Die Nägel z. B. sind als Scharrvorrichtungen entstanden und haben auch, wo sie als Angriffs- waffen dienen, den Zweck, eine energische Berührung festerer Gegen- stände zu ermöglichen: dessgleichen die Hörner. Es würde mich zu weit führen, wollte ich dieses in den einzelnen Fällen ausführen und den Antheil jedes der beiden Principe nachweisen; aber man wird, 522 W. Pfitzner wenn auch durch höhere Differenzirung die ursprüngliche Bedeu- tung bisweilen ganz in den Hintergrund gedrängt wird, den Grund- gedanken dieser Unterscheidung der beiden Hauptprineipe nichts- destoweniger jedes Mal durchführen können. Nachdem ich so anzudeuten versucht habe, wie diese beiden Principe sich auch bei den höchstentwickelten Wirbelthieren geltend machen, wende ich mich wieder zu den einfacheren Verhältnissen, die eine gründliche Prüfung und eine zuverlässigere Deutung ermög- lichen. Ich habe behauptet, dass der Schutz gegen die Einwirkung des umgebenden Mediums bei den Wasserbewohnern, also bei den Fischen und den Amphibien während des Larvenzustandes, durch die Cuticularbildungen der äußersten Epidermiszellen bewirkt wird, mö- gen diese sich nun als einfacher Saum zeigen oder andere Formen annehmen; und dass bei den Landthieren an Stelle der Cuticular- bildungen eine Lage verhornter Zellen tritt. Ferner habe ich gesagt, dass die Bildung der Hornschicht bei den Amphibien auf einer nie- drigen Stufe stehen bleibt und damit ihrer Abhängigkeit vom Was- ser entspricht; dass dieselbe, um mich so auszudrücken, einer im Verhältnis zu den höheren Wirbelthieren noch wenig entwickelten Befähigung zum Landaufenthalt Ausdruck giebt. Ich glaube nun, dass die Hornschicht diesen einfachen Bau, den ich beim Salaman- der beschrieben habe, bei allen zum Landthier ausgebildeten Am- phibien besitzt, dass sie also meistens nur aus einer einfachen Lage verhornter Zellen besteht. Ich kann hierbei Betreffs der übrigen Amphibien meistens nur nach Daten urtheilen, die mir die einschlä- gige Litteratur liefert, und diese scheinen meiner Ansicht oft zu widersprechen; ich werde aber nachzuweisen suchen, dass diese Widersprüche meistens nur scheinbare sind. Im Verlaufe dieser Ar- beit habe ich mehrere Male Gelegenheit gehabt, auf die Schwierig- keiten in der Behandlung der Amphibien-Epidermis und die dadureh bewirkte Möglichkeit von Beobachtungsfehlern hinzuweisen und Bei- spiele dafür anzuführen. Ich glaube mir, wegen meiner sehr aus- führlichen Versuche über diesen Gegenstand, in dieser Hinsicht ein Urtheil über die Resultate anderer Forscher erlauben zu dürfen und bitte dieselben mir zu verzeihen, wenn ich einige derselben anders deute als sie selbst. F. E. Scuuuze (21, Tafel VIII Fig. 9) giebt eine Abbildung von der Epidermis des Triton taeniatus, bei der die Hornschicht fehlt. Sie wird abgesprungen sein, bei Durchschnitten von Sala- manderhaut passirt dies wenigstens sehr leicht; an guten Präparaten Die Epidermis der Amphibien. 523 erscheint sie eben so scharf begrenzt wie beim Salamander und be- steht ebenfalls nur aus einer Lage verhornter Zellen, wie ich mich selbst habe überzeugen können. In einer Abhandlung über Pleurodeles Waltlii giebt Leyoie (15, Tafel XVI Fig. 7) eine Abbildung, aus welcher hervorgeht, dass dieses Thier eine einschichtige Hornschicht besitzt. Figur 9 dersel- ben Tafel giebt ein Bild, welches mit der von mir in Fig. 15 darge- stellten Spirituswirkung zusammenzustellen sein möchte, aber die wirkliche Hornschicht noch zu erkennen erlaubt. Der Frosch hat, wie ich mich selbst überzeugt habe, ein ein- schichtiges Stratum corneum. Andere Autoren nennen es zwei- oder dreischichtig, ich glaube aber, dass diese Angaben, so weit sie nicht etwa durch schlechte Konservationen veranlasst sind, auf der Ver- schiedenheit der Ansichten beruhen, was man zur Hornschicht zu rechnen hat. Die oberen Zellen der Schleimschicht sind stärker ab- geplattet; ich rechne sie aber nicht zur Hornschicht, da sie noch deutlich körniges Protoplasma und Intercellularbrücken zeigen, wie auch F. E. ScuuLzeE (21, 167) angiebt. Weitere Aufschlüsse über das Verhalten der Hornschicht in ent- wicklungsgeschichtlicher Hinsicht dürfte namentlich eine eingehendere Untersuchung des Häutungsvorganges ergeben. Wenn, wie F. E. Schutze in Übereinstimmung mit Leypic, Enerru u. A. behauptet, bei den Fröschen zwei Zelllagen bei der Häutung abgestoßen wer- den, während der Salamander und nach BoraAu (1, 18) Triton eri- status und Cryptobranchus japonicus nur die einschichtige Hornschicht abwerfen: so ist zu vermuthen, dass nur die Caudaten die einfache- ren Formen der Häutung zeigen, und dagegen die Batrachier einen Übergang zu den komplieirten Häutungsvorgängen der Reptilien auf- weisen, wodurch denn auch unsere Kenntnisse von den verwandt- schaftlichen Beziehungen der einzelnen Abtheilungen der Wirbel- thiere zu einander nicht unwesentlich gefördert werden dürften. Heidelberg, im März 1880. 3) Verzeichnis der citirten Litteratur. BoLAU, Beiträge zur Kenntnis der Amphibienhaut. Dissert. Göttingen 1554. EBERTH, Zur Entwicklung des Gewebes im Schwanz der Froschlarven. Arch. f. mikr. Anat. Iı 1866. — Untersuchungen zur normalen und pathologischen Anatomie der Frosch- haut. Leipzig 1869. FLEMMING, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserschei- nungen. Arch. f. m. Anat. XVI. 1878. — Zur Kenntnis der Gerüste im Zellkern und ihrer Veränderungen durch chromsaure Salze. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1878. Nr. 23. — Über das Verhalten des Kerns bei der Zelltheilung, und über die Be- deutung mehrkerniger Zellen. Vircuow’s Arch. LXXVIl. 1879. KNAUER, Naturgeschichte der Lurche. Wien 1878. — Hemmungsbilder bei Caudaten und Batrachiern. Zool Anzeiger vom 30. Sept. 1878. — Das Lebendiggebiiren bei Salamandra mac. Zool. Anzeiger vom 16. De- cember 1878. LANGERHANS, Uber die Haut der Larve von Salamandra mae. Arch. f. mikr. Anat. IX. 1873. ; Leypiag, Anatomisch - histologische Untersuchungen über Fische und Reptilien. Berlin 1853. 2 — Über Organe eines sechsten Sinnes. Nov. act acad. Leop. Carol. XXXIV. — Uber die äußeren Bedeckungen der Amphibien und Reptilien. Arch. f. mikr. Anat. IX. 1873. — Über die allgemeinen Bedeckungen der Amphibien. Arch. f. mikr. Anat. XII. 1876. — Die Rippenstacheln des Pleurodeles Waltlii. Arch. f. Naturg. XLV. Jahrgang, 1. Bd. ; Peremescuko. Uber die Theilung der thierischen Zellen. Arch. f. mikr. Anat. XVI. 1878. — Über die Theilung der thierischen Zellen. Forts. Arch. f. mikr. Anat. XVII. 1879 Pritzser, Die Leypı@’schen Zellen in der Schleimhaut der Larve von Salamandra maculosa. Dissert. Kiel 1879. Die Epidermis der Amphibien. 525 19) Rupnerr, Uber die epidermoidale Schicht der Froschhaut. Arch. f. mikr. Anat. I. 1865. 20) Ruscont, Histoire naturelle, développement et metamorphose de la Sa- lamandre terrestre. 1854. 21) F. E. Scnurze, Epithel- und Drüsenzellen. Arch. f. mikr. Anat. Ill. 1867. 22) — Über euticulare Bildungen und Verhornung von Epithelzellen bei Wir- belthieren. Arch. f. mikr. Anat. V. 1869. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXIV—XXV. (Sämmtliche Abbildungen sind mit dem OBERHÄUSER’schen Zeichenapparat in Tischhöhe gezeichnet. Die angewandten Linsensysteme sind SEUBERT III, V, VIL a Immers.) Fig. 1. Larve kurz vor der Geburt. a Strat. corn. 5 Strat. muc. ce Cutis. d Leyoig’sche Zelle. Syst. V. Fig. 2. Dasselbe. a LANGERHANS’sche Schaltzelle. 6, Kerntheilungsfigur. Syst. VII & Imm. Fig. 3. Larve, 8 Tage alt. Syst. V. Fig. 4 u. 5. Dasselbe. dd Übergangsformen der Leypic’schen Zellen. Syst VII & Imm. Fig. 6. Larve, 2 Monat alt. Syst. V. Fig. 7. Leypia’sche Zelle mit zwei Kernen. Syst. V. Fig. 8. Larve 3—4 Monat alt. Leypia’sche Zellen in zwei Lagen. Syst. III. Fig. 9. Dasselbe. Mit Hämatoxylin stark überfärbt. Syst. IH. Fig. 10. Larve 3—4 Monat alt. Stratum corn. larv. und Leypra’sche Zellen der oberen Lage. Syst. II. Fig. 11. Dasselbe. Strat. corn. und Ersatzschicht. Syst. V. Fig. 12. Strat. corneum larvale kurz vor der Häutung. Syst. V. Fig. 13. Larve nach der Häutung. a definitive Hornschicht. dd Leypia’sche Zellen in Rückbildung. Syst. V. Fig. 14. Leypia’sche Zelle aus dem vierten Monat. Syst. V. Fig. 4, 5, 6, 8 sind nach Osmiumsäure-, die übrigen nach Chromsäure- präparaten gezeichnet. Fig. 15. Epidermis des erwachsenen Salamanders. Zur Demonstration der Al- - koholwirkung. a homogene Cuticula. 4 Hornschicht. ce Sehleimschicht. d Cutis. e Flaschenzelle. Syst. V. 526 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 16. 17; 18. 13, 20. 21—30. Kerntheilungsfiguren aus dem Stratum mucosum des erwachsenen — W. Pfitzner, Die Epidermis der Amphibien. Dasselbe nach einem gut konservirten Präparat. «a Hornschicht. b Schleimschicht. ce Cutis. a, Einstülpung der Hornschicht an der Drüsenmündung. 6, Zellenmantel. c, Fasermantel. Syst. V. Stratum corneum des erwachsenen Salamanders. Syst. V. Verschiedene Formen von Flaschenzellen. Syst. V. Dasselbe, kurz vor der Häutung. Syst. V. E43 Dasselbe, von der Larve nach der Häutung. Syst. V. Salamanders. Syst. VII 4 Imm. Bei 21 und 22 ist nur der Kern gezeichnet, bei den iibrigen die ganze Zelle, bei 24, 25, 27, 28, 29 auch die Intercellularbriicken; letztere bei 29 von be- merkenswerther Größe. . Bd. V1. | Yor ohol. Jahrbuch ae = 4 2 Taf XV a FANG ud I voi EU MRL TIEN A Rabu boas | it \ iR N | 2 ms rc * : i Mer hr | ate : > un = . = = Se =. Pfitzner. ger Verlag v. Wilh. Engelmann, leipzi: LiinAnstv JG Bach leipzig. YE if Pe W/ X REN INS = ©). - Pfitzner "ge; x 4 E % Pn. oie Den LICLANST.Y J.GBach. Leinzi aoa OE] Verlae v Wilh. Engelmann Leipzig . = UidvAnsty LGBach, Leip + Uber den Conus arteriosus bei Butirinus und bei anderen Knochenfischen. Von J. EK. V. Boas, in Kopenhagen, Mit Tafel XXVI. Es wird allgemein bekamt sein, dass Srtannıus vor vielen Jah- ren bei einer mit den Heringen verwandten Form, Butirinus (Al- bula), fand, dass zwei Querreihen von Klappen an der Grenze des Ventrikels und des Conus vorhanden waren, während sonst bei den Teleostiern sich nur eine Reihe findet. Seitdem scheint Butirinus nicht wieder hierauf untersucht zu sein, obgleich inzwischen GEGENBAUR’S so wichtige Arbeit über den »Bulbus« der Fische erschienen ist und nothwendig zu einer wiederholten Prüfung der Srannıus’schen An- gabe auffordern musste, wie denn auch GEGENBAUR in der genann- ten Abhandlung direkt die Wichtigkeit »die genaueren Verhältnisse der zwei Klappenreiben von Butirinus kennen zu lernen« betont. Durch die zuvorkommende Liberalität des Vorstandes der zweiten Abtheilung des Kopenhagener Museums, der Herren Etatsrath, Prof. STEENSTRUP und Dr. LirKen, bin ich in Stand gesetzt worden das Herz eines großen Butirinus, so wie einiger anderen herings- artigen Fische zu untersuchen: ich habe dann auch verschiedene andere Teleostier untersucht. Es haben sich durch diese kleine Untersuchung recht interessante Aufschlüsse sowohl speeiell für Bu- tirinus wie für die Teleostier überhaupt ergeben, die ich in den folgenden Zeilen darstellen werde. 528 J. E. V. Boas Das Herz von Butirinus (Albula) ist eben so wie das der mei- sten anderen Fische (das der Dipnoi ausgenommen) annähernd symmetrisch gebaut. Der Ventrikel hat noch etwas von derselben Rautenform, die für den Amia-Ventrikel, wenn er von unten gese- hen wird, charakteristisch ist; doch ist er länglicher als dieser. Von außen gesehen stößt der Ventrikel direkt an den Bulbus arte- riosus; unten ist ein tiefer Einschnitt zwischen beiden, seitlich und oben sieht man an der Grenze beider einen gelblichen Gürtel. Der Bulbus setzt sich vorn ohne Grenze in den übrigen Theil des Trun- cus arteriosus fort; die Kiemenarterien gehen in ähnlicher Weise wie bei Amia ab, es heißt: etwas nach oben zu, nicht ganz seitlich (Fig. 4—5). eS Wenn wir das Herz öffnen (Fig. 2), finden wir, dass ein Conus, von welchem äußerlich nichts zu sehen war, keineswegs fehlt. Er ist aber sehr kurz, ziemlich dünnwandig, und der dieke Bulbus schlägt sich kragenförmig über ihn zurück. Oben und seitlich würde man jedoch den Conus sehen können, wenn nicht die rinnenförmige Ver- tiefung zwischen dem dieken Bulbus und dem Ventrikel, in deren Boden eben der Conus liegt, hier durch ein loses, fettreiches, elastisches Gewebe, das den oben genannten gelblichen Gürtel bil- det, ausgefüllt wäre. Der Conus setzt sich übrigens scharf sowohl gegen den Ventrikel als gegen den Bulbus ab; er ist eben so wie der Ventrikel mit quergestreiften Muskelzellen versehen. Der Bulbus arteriosus besitzt eine dicke Schicht von glatten Mus- kelzellen; außen ist diese von einer starken elastischen Schicht überdeckt. Das lose, fettreiche, elastische Gewebe, welches den Conus bedeckt, ist als eine Wucherung dieser Schicht, die sich auch, aber verdünnt, auf den Ventrikel fortsetzt, aufzufassen. Vom Conus entspringen zwei Querreihen von Klappen. Die hinterste Reihe besteht aus zwei wohlentwickelten, breiten, kurzen Klappen, deren hinterer (angehefteter) Rand nicht abgerundet son- dern. ziemlich gerade erscheint. Zwischen diesen zwei Klappen fin- den sich Rudimente zwei anderer. Die vordere Querreihe besteht nur aus zwei Klappen, die vor den zwei entwickelteren der hinteren Reihe sitzen; ihr hinterer Rand ist vom Vorderrand der zwei hin- teren Klappen überdeckt. Die zwei Klappen der Vorderreihe sind, wie es auch aus Fig. 2 ersichtlich ist, ziemlich lang, sie entsprin- gen — selbstverstiindlich — vom Conus, das heißt ihr hinterer Rand ist an diesen befestigt, der vordere Theil ihrer Seitenränder heftet sich aber an die Bulbuswand, so dass sie sich halb im Bulbus Uber den Conus arteriosus bei Butirinus und bei anderen Knochenfischen. 529 befinden. Sie sind, eben so wie die hinteren, diinnwandig, ohne Mittelkiel ; die Seitentheile sind von wenigen Löchern durchbrochen. Von den Klappen gehen sehr spärliche Fäden an die Wand. Der Vergleich des Conus und Bulbus von Butirinus mit den gleich- namigen Gebilden von Amia ist von dem größten Interesse (vgl. Fig.1). Wie man sich erinnert findet sich bei Amia ein Conus, der in Vergleich mit dem Conus der anderen Knochenganoiden als ein sehr verkürzter be- zeichnet werden muss; hier ist die Verkürzung bedeutend weiter ge- schritten. Von der Conuswand entsprangen bei Amia drei Querreihen von Klappen; in jeder Querreihe fanden sich vier Klappen, von wel- chen zwei weit kleiner als die zwei anderen waren. Bei Buti- rinus ist eine — welche kann ich nicht sicher entscheiden — der zwei hinteren Querreihen zu Grunde gegangen; dasselbe ist mit den zwei kleinen Klappen der vorderen Querreihe der Fall; und die zwei kleineren Klappen der übrig gebliebenen hinteren Querreihe sind kaum mehr erkennbar. Die Klappen der vorderen Querreihe sind sowohl bei Amia als auch bei Butirinus mit dem vorderen, größeren Theil ihrer Seitenränder an die Bulbuswand geheftet (auch bei Lepidosteus heftet der vordere Theil der genannten Klappen sich an die Bulbuswand). Dieselben Klappen sind auch bei Biutirinus ziemlich lang, wenn auch kürzer als bei Amia. Alle entwickelteren Conusklappen zeichnen sich bei beiden Formen durch ihren hinteren abgestutzten Rand, die hinteren dazu noch durch ihre Breite und Kürze aus; die Seitentheile der vorderen Klappen sind bei beiden Formen durchlöchert. — Die Bulbuswand, die bei Amia noch ziem- lich dünn, wenn auch, recht besehen, dicker als die übrige Truncus- wand war, ist hier ganz bedeutend verdickt worden. Somit sind die Verhältnisse von Butirinus von denen bei Amia leicht ableitbar; einerseits ist der Conus stark redueirt, andererseits der Bulbus weiter entwickelt. Auch am übrigen Herzen sind ein paar nennenswerthe Änderun- gen eingetreten. Bei Amia wie bei den anderen Knochenganoiden (und bei den Dipnoi) ist der hintere Theil der dorsalen Conuswand mit der ventralen Atriumwand eng verbunden, und der vordere Rand der Atrioventrieular-Öffnung ist durch einen winzig kurzen Theil des Ventrikels vom hinteren Ende des Conus geschieden (vgl. Fig. 1—3 meiner Ceratodus-Abhandlung). Hier bei Butirinus ist keine Verwachsung mehr zwischen Atrium und Conus, und der Theil des Ventrikels, welcher zwischen dem hinteren oberen Rande des Morpholog. Jahrbuch. 6. 34 . 530 J. E. V. Boas Conus und dem vorderen Rande der Atrioventrieular-Öffnung liegt, ist vielmals stärker und länger geworden (Fig. 6). Es finden sich nur zwei Atrioventricular-Klappen, eine dorsale und eine ventrale (vergl. Amia und die anderen Knochenganoiden). Es ist nicht ohne Interesse obige Angaben über Conus und Bulbus bei Butirinus mit denen von STANNIUS! zu vergleichen. SrAannıus spricht sich (pag. 12) folgendermaßen aus: »Der Bulbus arteriosus ist dünnwandig und bei seinem Ursprunge weit; äußere Muskelbelegung desselben wird vermisst. Bei Er- öffnung des Bulbus sieht man in seine Höhle hinein das vorderste Ende des mus- kulösen Ventrikels einen schwachen Vorsprung bilden. Und in diesem Vorsprunge finden sich im Ganzen vier halbmondförmige Klappen in zwei über einander liegenden Reihen befestigt.« Diese Angaben muss ich in folgender Weise er- klären: Srannius sagt, dass der Bulbus dünnwandig sei, während ich ihn diekwandig fand ; ich kann aber hinzufügen, dass die dicke Muskelschicht dessel- ben an meinem Exemplar, das uneröffnet viele Jahre in gewöhnlichem Museums- spiritus gelegen hatte, stark in Zerfall begriffen war; dasselbe ist offenbar und vielleicht in noch höherem Grade mit den STANNIUS’schen Exemplaren der Fall gewesen, so dass er nur die äußerste, resistentere, elastische Schicht gesehen hat. Hierdurch wird auch seine weitere Angabe, dass das vorderste Ende des Ventrikels einen schwachen Vorsprung in die Höhle des Bulbus bildet oder, wie STANNIUS es an einer anderen Stelle in derselben Abhandlung ausdrückt, in dieselbe frei hineinragt, leicht erklärt. Der schwache Vorsprung ist offen- bar unser Conus, welcher also von dem genauen Forscher nicht übersehen ist; und, wenn nach Entfernung der ganzen Muskelschicht des Bulbus nur die elastische Schicht übrig geblieben, ragt wirklich der Conus gewissermaßen ofreic in die Bulbushöhle hinein. — Die zwei Klappenrudimente der hinteren Reihe hat STANNIUS übersehen, oder sie sind in seinen Exemplaren nicht vor- handen gewesen. Bei Osteoglossum bieirrhosum ? (vergl. Fig. 3) findet sich ein ähnlicher, jedoch noch ein bischen schwächerer Conus arteriosus wie bei Butirinus, dem Bulbus so wie dem Ventrikel gegenüber ab- gegrenzt?. Im Conus, welcher außen von einer ähnlichen Binde- gewebsschicht wie bei Butirinus umhiüllt wird, entspringt eine ! Bemerkungen über das Verhältnis der Ganoiden zu den Clupeiden, ins- besondere zu Butirinus. Rostock 1846. 2 Ein Clupeide, wenn man — was ich mir hier erlaube — den Begriff »Clupeiden« auf einige kleine »Familien«, die von den Ichthyologen in die Nähe der Heringsfamilie gestellt werden, ausdehnt. ® Ein Medianschnitt durch das Herz zeigt, dass der Ventrikel oben, vor der Atrioventrieular-Öffnung, unmittelbar an den Bulbus stößt; an dieser Stelle ist also die Länge des Conus = 0, oder der Ring, den der Conus bil- det, ist an dieser Stelle unterbrochen. An derselben Stelle ist der Conus bei >utirinus etwas kürzer als unten (Fig. 6). Uber den Conus arteriosus bei Butirinus und bei anderen Knochenfischen. 531 Querreihe von zwei Klappen wie gewöhnlich bei den Teleostiern; diese zwei Klappen heften sich außer im Conus auch an die Bulbus- wand eben so wie die zwei vorderen Klappen des Butirinus-Conus, denen sie zweifelsohne homolog sind und denen sie auch in Form am meisten ähneln; hier ist somit eine weitere Reduktion des Klap- penbesatzes eingetreten. Klappenfäden habe ich keine gesehen. — Der Bulbus bietet nur wenig Nennenswerthes dar: seine Muskel- schicht ist dünner als bei Butirinus. — Es finden sich dieselben zwei Atrioventrieular-Klappen wie bei diesem. Bei dem Clupeiden Notopterus fand ich ähnliche Verhältnisse wie bei Osteoglossum. Auch hier ist der Conus als ein kurzes mus- kulöses Rohr zwischen Ventrikel und Bulbus ganz deutlich unter- scheidbar. Es entspringen von der Conuswand nur zwei Klappen, die sich ziemlich weit in den Bulbus hinein erstrecken, sie sind länger als bei Osteoglossum, überhaupt denen der vorderen Reihe bei Butirinus ähnlicher als die von Osteoglossum es sind. Beim Maifisch, Clupea alosa!, ist die Reduktion des Conus noch weiter gegangen. Bei Butirinus ist die Innenfläche des Conus — dasselbe ist übrigens bei Amia ete. der Fall — mit einer recht dieken festen Bindegewebsschicht bedeckt, welche sich im Ventrikel nicht oder jedenfalls außerordentlich verdünnt findet. Bei Clupea ist der Conus auf diese Bindegewebsschicht redueirt; die Muskelschicht, die bisher immer die Hauptmasse der Conus- wand bildete, ist hier ganz eingegangen: wir haben also hier einen Conus ohne Muskulatur. Der Conus bildet übrigens hier wie gewöhnlich einen Hals zwischen Ventrikel und Bulbus (vgl. Fig. 7), außen von losem Bindegewebe umhüllt; von ihm entspringen die zwei Klappen, die sich außer im Conus auch im Bulbus anheften 2. Es sind sehr spärliche Klappenfäden vorhanden. Von Clupeiden habe ich noch Chirocentrus dorab und Hyodon tergisus untersucht; beide Formen scheinen sich ähnlich wie Clupea zu verhalten: bestimmter darf ich mich nicht aussprechen, da die untersuchten Herzen nicht sehr gut konservirt waren. Die anderen Knochenfische aus verschiedenen Gruppen ' Ich habe hiervon ein sehr großes Exemplar zur Untersuchung gehabt. 2 Oben in der Medianlinie vor der Atrioventricular- Öffnung stößt der Ven- trikel unmittelbar an den Bulbus (vergl. Osteoglossum). Der Abstand vom Hinterende des Bulbus zur vorderen Begrenzung der Atrioventricular-Offnung ist bei Clupea ziemlich kurz. 34* 532 J. E. V. Boas (Esox, Salmo, Gadus, Xiphias! ete.), die ich auf die Conusfrage untersucht habe, schließen sich sämmtlich genau an Clupea. Ge- wöhnlich ist das hintere Ende des Bulbus — so wie beim abgebildeten Hechtherzen (Fig. 8) — eng an das vordere Ende des Ventrikels angelagert, die schmale Rinne ist dazu mehr oder weniger mit Bindegewebe gefüllt, so dass man bei einer Betrachtung von außen kaum einen Conus ahnt; immer ist er aber, wenn man genau nach- sieht, als kurzer, halsförmiger, klappentragender Verbindungstheil zwischen Ventrikel und Bulbus vorhanden. Muskulatur fehlt immer. — Die Klappen sind kurze Taschenklappen; Klappenfäden sind ent- weder gar nicht oder nur spärlich vorhanden. Das Resultat, zu welehem ich gelangte, dass der Conus arterio- sus bei der großen Mehrzahl der Teleostier nur in rudimentärster Form vorhanden ist, steht in einem gewissen Gegensatz zu der Auf- fassung des Herzens der Knochenfische, zu welcher GEGENBAUR in seiner bekannten Abhandlung »Zur vergleichenden Anatomie des Herzens«? gekommen war. GEGENBAUR spricht sich dort folgender- maßen aus: »Bei den Teleostiern entspringt von der Kammer gleich- falls ein muskulöses Rohr, an dessen Ende halbmondförmige Klap- pen stehen. Dieses Rohr ist in der Regel viel kürzer als bei den Ganoiden und Selachiern, so dass man es einfach zur Kammer selbst gerechnet hat. Es kann aber auch eine ansehnliche Länge errei- chen, so z. B. beim Hecht, wo es das Muskelrohr mancher Ganoi- den und Selachier übertrifft. In allen äußeren und inneren Verhält- nissen kommt es mit dem Bulbus arteriosus der Selachier überein, nur der Mangel der hinteren Klappen bildet eine Verschiedenheit. Man kann also sagen, dass bei Teleostiern wie bei Selachiern und Ganoiden die Kammer sich in ein muskulöses Rohr verlängert, das bei den ersteren in der Regel nur kurz, bei allen den letztgenann- ten Ordnungen länger gestreckt sich darstellt, bei beiden jedoch durch Taschenklappen gegen das daraus hervorgehende Arterienrohr sich abgrenzt. Bei den Selachiern und Ganoiden besitzt die Wan- dung dieses Rohres einen sehr verschiedenartigen Klappenbesatz, der ' Bei Xiphias findet sich in den Zwischenräumen zwischen den zwei gro- Ben gewöhnlichen Conusklappen je eine kleine supplementäre Taschenklappe. — Bei Salmo finde ich zwei ähnliche supplementäre Atrioventrieularklappen. 2 Jenaische Zeitschrift 2, 1866. : Uber den Conus arteriosus bei Butirinus und bei anderen Knochenfischen. 533 den Teleostiern abgeht.« Was GEGENBAUR hier als Conus der Tele- ostier auffasst, muss ich nach der vorstehenden Untersuchung für einen Theil des eigentlichen Ventrikels! erklären. Dass GEGENBAUR jene Deutung aufstellte, war damals vollkommen natürlich; denn er hatte nicht selbst Butirinus und wohl auch nicht andere Clupeiden mit deutlichem Conus untersucht und die damals vorliegenden Untersuchun- gen über solche waren in dieser Hinsicht ungenügend; und ohne diese Zwischenformen würde es kaum Jemandem gelingen, den Conus der Teleostier richtig zu erkennen. — Jener vordere Theil des Ventrikels der Teleostier, den wir also nicht Conus nennen dürfen, ist übrigens gar nicht vom übrigen Ventrikel gesondert und hat den gewöhnlichen spongiösen Ventrikelbau, was die Coni niemals haben. Schließlich erlaube ich mir meine Auffassung des Conus der Fische? kurz zusammenzustellen : Bei den Selachiern und Ganoiden (Dipnoi mitgerechnet) ist das Herz in drei Abschnitte, das Atrium, den Ventrikel und den Conus ge- sondert; letzterer stellt ein deutlich geschiedenes, selbständiges, röhren- förmiges, mit mehreren Querrethen von Klappen versehenes Endglied des Herzens vor; seine Wand ist mit einer dieken Schicht von quer- gestreiften Muskelzellen versehen. Dei den Teleostiern ist der Conus in der Regel vollkommen ru- dimentär, ohne Muskelschicht, trägt nur eine Querreihe von Klappen, der vordersten Reihe der Ganoiden homolog. Nur bei einigen (nicht allen) Clupeiden ist der Conus noch mit Muskulatur — natürlich quergestreifter — versehen, ist aber auch bei diesen als rudimentiir zu bezeichnen; nur bei einem einzelnen Clupeiden, Butirinus, entsprin- gen vom Conus zwei (Querreihen von Klappen. Im Baue des Herzens bilden Amia einerseits, Butirinus anderer- seils die schönsten Verbindungsglieder zwischen den Ganoiden und den Knochenfischen. Kopenhagen, 8. März 1880. 1 Ich werde vorschlagen, dass man den Conus arteriosus nicht als eine Abtheilung des Ventrikels sondern als eine Herz-Abtheilung bezeichne; was ich oben »eigentlichen Ventrikel« nenne, wird dann einfach »Ventrikel« heißen. Die Priicision wird dadurch entschieden gewinnen, und es ist vielleicht auch an und für sich das Richtige. 2 Über die Cyelostomen weiß ich in dieser Beziehung nichts. Fig. 1. Fig. tv o 6. —1 Erklärung der Abbildungen. Tafel XXVI. Conus und Bulbus arteriosus von Amia calva in der Medianlinie unten aufgeschnitten und ausgebreitet. ve der vorderste Theil des Ventrikels, co Conus, dw Bulbus, ¢ Truncus arteriosus, oav vor- derster Theil der Atrioventricular-Offnung. Die zwei kleineren Klap- pen der vordersten Reihe sind schmale hohe Leisten, was in der Figur aus verschiedenen Griinden nur unvollkommen ausgedriickt werden konnte. Diese so wie die folgenden Figuren sind gewissermaßen nur Skizzen. : Conus und Bulbus von Butirinus (Albula) conorhynchus, in der Medianlinie unten aufgeschnitten und ausgebreitet. di Bindegewebe, die anderen Bezeichnungen wie in Fig. 1. Die Falten an der Innen- fläche des Bulbus sind weggelassen. Conus und Bulbus von Osteoglossum bicirrhosum, unten in der Medianlinie aufgeschnitten und ausgebreitet. Herz von Butirinus von unten gesehen. sv Sinus venosus, «t Atrium. Dasselbe, ohne Atrium, von der linken Seite. bi bindegewebiger Giirtel. Medianschnitt durch den Ventrikel und Conus von Butirinus. Be- zeichnungen wie vorhin. Horizontalschnitt durch den Conus etc. von Clupea alosa. Al durch- geschnittene Klappe, ist ebenso wie der Conus (co) zu dick gezeichnet. Horizontalschnitt durch den Ventrikel, Conus und Bulbus von Esox lucius. Lith Anst.v.E.APunke Leipzig = ya Das gegenseitige Verhaltnis der Chorda, Hypophysis und des mittleren Schädelbalkens bei Haifisch- embryonen, nebst Bemerkungen über die Deutung der einzelnen Theile des Fischgehirns. Von Oberstabsarzt Dr. H. Rabl-Riickhard, Custos am anatomischen Museum zu Berlin. Mit Tafel XXVII u. XXVIII. Wie es scheint verdanken wir LreypiG! die ersten näheren An- gaben über das vordere Ende der Chorda dorsalis bei Haifisch- embryonen. — Er glaubte gefunden zu haben, dass dieselbe bei einem jungen, 7’” langen Acanthiasembryo mit einem dicken ge- krümmten Knopf, der nach vorn einen kurzen zapfenartigen Fortsatz hatte, unter dem Zwischenhirn endete. — An Früchten von 1” Länge fand er dagegen die Chorda nach vorn bis zur Schädelbasis reichend, »wo sie etwas nach unten gekrümmt zugespitzt endet«. — Leider giebt die seinem Aufsatz beigefügte Figur 9 a der Tafel III, da sie den Kopf von oben gesehen darstellt, keinen Aufschluss darüber, wie diese Krümmung beschaffen ist. — Dasselbe gilt von der Figur 9 2, welche die Chorda bei einem Embryo von 2” Länge darstellt. Hier soll ihre nach abwärts gebogene Spitze wie obliterirt sein. Deutlichere Angaben verdanken wir WILHELM MÜLLER? Nach ihm erhob sich in der Basis des mittleren Schädelbalkens die Chorda bei Acanthiasembryonen von 25—30 mm Länge auf eine kurze Strecke »und machte hierauf unter beträchtlicher Vorschmäle- rung eine scharfe Biegung nach abwärts, so dass ihr 0,25 langes ! Beiträge zur mikroskop. Anatomie u. Entwicklungsgesch. der Rochen und Haie, 1852, pag. 98. 2 Uber Entwicklung und Bau der Hypophysis u. des Processus infundibuli cerebri (Jenaische Zeitschr. für Mediein u. Naturwiss. B. VI, pag. 361). 536 H. Rabl-Riickhard Ende an die Schlundfläche des eigentlichen Stranges zu liegen kam. Bei 10 em langen Embryonen von Mustelus vulgaris dagegen verließ die Chorda an der Basis des Clivus mit einer leichten Biegung nach oben (d. h. mit der Convexität nach oben) den Schädelknorpel und kam allmählich ganz innerhalb der tiefsten Schichten des Perichon- drium zu liegen, welches den Clivus überzog, eine leichte Hervor- ragung desselben bedingend. Sie verlief unter allmählicher Ver- schmälerung um die Spitze des Clivus herum, um an der vorderen Fläche der Sattellehne mit kurzer, nach abwärts gebogener 0,06 mm dieker Spitze zu endigen. GEGENBAUR! macht damit übereinstim- mende Angaben. Nach ihm durchzieht den basalen Theil des Cra- niums die Chorda dorsalis, welche von dichteren Zellenmassen um- schlossen wird und mit ihrem dünnen ausgezogenen Ende einen ventralwärts gekrümmten Haken (Taf. XXI Fig. 4 ch) bildet«. Er fand dieses Verhalten bei 15—35 em langen Embryonen von Acanthias. Die Hypophysis ist an dem abgebildeten Kopf nicht erkennbar. — Er erwähnt ferner (pag. 122), dass er in einigen Fällen das aus dem Knorpel der Sattellehne hervortretende freie Ende der Chorda über die Kante der Sattellehne nach vorn umgebogen, aber immer noch unter dem Perichondrium verlaufen sah. So einmal bei einem 24 cm langen Embryo von Acanthias. An 4 anderen gelang es ihm nicht, ein gleiches Verhältnis zu finden. In älinlicher Weise wie MÜLLER und GEGENBAUR stellt endlich BALFOUR? die Sache dar: An einem Embryo kurz vor Auftreten der äußeren Kiemen bildet er das vordere Chordaende in Form eines kurzen, stark gekrümmten Hakens ab. In dem späteren Theil seiner Arbeit? beschreibt er bei einem lebenden und durchsichtigen Pristiurusembryo das Verhalten der Chorda in der Weise, dass er sagt, ihr vorderes Ende sei nicht zu erkennen, es konnte nur in eine Masse des Mesoblast an der Basis des Hirns verfolgt werden, welches dort Epiblast vom Hypo- blast trennt. Seine Figuren @, H und J der Pl. XXIV stellen das vordere Ende der Chorda als mäßig und zwar schon von der Gegend der Ohrbläschen allmählich sich ventralwärts krümmend dar, zeigen ! Unters. z. vergl. Anatomie der Wirbelthiere. 3. Heft: Das Kopfskelett der Selachier etc. pag. 26, 27. 2 A preliminary account of the development of the Elasmobranch fishes. (Quarterly Journal of microscop. science. Oct. 1874, pag. des Separatabdrucks, Pl. XV, Fig. 14.) 3 The development of Elasmobranch Fishes. (The Journal of Anatomy and Physiology Vol. X, part III, April 1876, pag. 559.) Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 537 also statt der mehr oder weniger plötzlichen Knickung einen sanft bogenförmigen Verlauf desselben. Neuerdings beschreibt REICHERT! einen in absolutem Alkohol entwässerten und in Kanadabalsam in toto eingebetteten Acanthias- embryo. »Hier zieht die Wirbelsaite unter Abnahme ihres Um- fanges, völlig geradlinig bis zu der Stelle der Basis eranii vorwärts, wo, von vorn gerechnet, die zweite Faltung (?) der Vierhügelblase sich befindet; hier biegt sie ventralwärts ab und setzt dann die Richtung zur »Stirnwand« hin unter verstärkter Abnahme an Dicke geradlinig fort, etwa bis zum vorderen Rande der Wurzel des ersten Visceralbogens.« Vorn endet sie einfach abgerundet. Somit er- scheint REICHErT’s Darstellung zunächst als eine Bestätigung der- jenigen Beobachtungen MÜLLER’Ss, GeGeNBAUR’s und BALFOUR’S, welche sich auf eine mehr oder weniger scharfe und plötzliche Kniekung des vorderen Endes der Haifischehorda beziehen. — In einem wesentlichen Punkte dagegen geht er weiter als jene For-- scher. — Rercuert hilt in Betreff der Endigung der Chorda dor- salis in dem Standpunkt fest, den sein Schüler August BIDDER im Jahre 1846 vertrat. Er zieht daher aus der Deutung des optischen Bildes, welche er dem oben bezeichneten Präparat unterlegt, den Schluss, dass die Riickensaite beim Haifisch (Acanthias vulgaris) wie beim Frosch bis zur vorderen Begrenzung der eigentlichen Ba- sis der Hirnschale an der gewölbten und niedergebeugten »Stirnwänd« vordringe und einfach abgerundet endige. — Als »Stirnwand« aber bezeichnet er den vorderen Abschluss der Hirnschale, wo die Basis Cranii, unter Bildung eines ventralwärts konvexen Bogens in die gewölbte vordere Begrenzung des Schädels übergeht. Es ist, mit anderen Worten?, die vordere Wand des über das vordere Ende der Chorda vorspringenden Schlussstücks der Rückenröhre, welches bei der Gesichtskopfbeuge ventralwärts sich umbeugt. — REICHERT giebt ferner an, dass während der Bildung der Gesichtskopfbeuge beim Haifisch die zuvor in unmittelbarem Kontakt liegenden ventral- wärts gebeugten basilaren Abschnitte der Gehirnröhren und der Schä- delkapsel sich von einander entfernen und einen stumpfwinkligen Zwischenraum bilden, der von einem Fortsatz der dorsalen Wand der Chordascheide ausgefüllt werde. Er nennt denselben Processus ' Uber das vordere Ende der Chorda dorsalis bei frühzeitigen Haifisch- Embryonen (Acanthias vulgaris). Abhandl. d. küngl. Akademie d. Wissensch, z. Berlin 1877. 2 pag. 103. 538 H. Rabl-Rückhard sellae turcicae und behauptet, dass dort »später die weichere Fül- lungsmasse der letzteren, nämlich die Hypophysis cerebri und die Sinus cavernosi einschließlich der dura mater sich ausbilden«. — Wir müssen offenbar bei dieser Darstellung REıcHErT’s zwei Dinge von einander gesondert halten, obgleich er dieselben in gegenseitige Beziehungen bringt; nämlich erstens die Angabe, dass die Chorda dorsalis bei Haifischembryonen in einem gewissen Stadium bis an die Stirnwand reicht, zweitens, dass die Hypophysis nicht vor, sondern über dem umgebogenen Ende der Chorda in dem von ihm als Processus sellae turcicae bezeichneten mit embryonalem Binde- gewebe ausgefüllten Zwischenraum des gebeugten und nicht gebeug- ten Hirnabschnittes entstehe, dass sie also nicht bloß bis an die Sattellehne, sondern bis an die Stelle reiche, wo bei höheren Wir- belthieren der Sattelknopf liege (pag. 105), mit anderen Worten, dass sie die ganze Länge derjenigen Region durchsetze, die man am entwickelten Schädel als Basis eranii bezeichnet. Was ersteren Punkt anbelangt, so will ich zunächst auf ihn nicht eingehen. Mein Augenmerk richtete sich auf die zweite An- gabe. Ich hatte seit längerer Zeit die Entwicklung des Hirns der Haifische ins Auge gefasst, und es war unvermeidlich, dass ich bei Durchmusterung meiner Präparate auch auf gegenseitiges Verhalten und Lage der Hypophysis und Chorda aufmerksam wurde. — An- dererseits war es zweifellos, dass in diesem Punkte REICHERT sich in entschiedenen Gegensatz zu den übrigen Forschern auf diesem Gebiete, namentlich zu WILHeLm MÜLLER und BaLrour stellte. — Ersterer bildet 1. c. auf Taf. IX, Fig. 5 einen sagittalen (dorso- ventralen) Längsschnitt des Gehirns eines 30 mm langen Embryos von Acanthias vulgaris ab. Ein einfacher Vergleich lässt den, wie wir übrigens unten sehen werden, völlig begründeten Schluss. zu, dass der Processus sellae turcicae REICHERrT’s mit dem »mittleren Schädelbalken« der Müruer’schen Figur identisch ist. Dieselbe Fi- gur (MULLER’s) zeigt aber die Hypophysenanlage nicht etwa im Bereich jenes Fortsatzes, sondern viel weiter nach vorn als ein langes schlauchförmiges von hinten nach vorn ziehendes und zugespitzt endendes Gebilde, und hinter deren hinterem Ende das vordere, nunmehr scharf hakenförmig gekrümmte Ende der Chorda. — Derselbe Gegensatz besteht zwischen Reıcuerr’s und BALFOUR’S Darstellung. Letzterer, auf dessen Arbeiten in dem Reıcuerr'schen Aufsatz kein Bezug genommen wird, liefert in seiner neuerdings als Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 539 besonderes Werk erschienenen Monographie ', die nur ein Gesammt- abdruck bereits früher veröffentlichter Einzelaufsätze ist, eine An- zahl Abbildungen (z. B. Pl. XIV Fig. 165, Pl. XV Fig. 1a, 5, 7a, 7b) und Beschreibungen, die nur den Schluss gestatten, dass auch er die Anlage der Hypophysis ganz im Sinne der Darstellung W. Mürrver’s gefunden hat; hätten diese beiden Forscher Recht, so wäre damit freilich die Auffassung REIcHErT's in Betreff des Orts der Entwicklung der Hypophysis widerlegt. — Sein Irrthum be- stände dann darin, dass er bei seinem Haifischembryo eine Gegend als die der Sella tureica ansah, welche hinter der wirklichen, später bleibenden und dureh die Lage der Hypophysis in ihr als solcher ge- kennzeichneten wirklichen Sella liegt. — Es fragt sich aber, ob damit auch seine Anschauung über die Endigung der Chorda an der Stirnwand fiele. Dies ist meines Erachtens zu verneinen, denn es liegt auf der Hand, dass, wenn sich thatsächlich auch die Hypophysis beim Dornhai an einer andern Stelle entwickelte, als es REICHERT auf Grund seines Präparates annahm, die Möglichkeit nicht ausge- schlossen ist, dass die Chorda in einem der Entwicklung der Hypophy- sis vorangehenden Stadium bis an die zeitweilige vordere Begrenzung, das Schlussstück der primitiven Hirnanlage, reicht. Nur müsste man dann entweder annehmen, dass der vorderste Theil der Basis Cranii, in welchem später die Hypophysis liegt, die Sella turcica, erst später vor der ursprünglich die vordere Begrenzung des Schädels erreichen- den Chordaspitze entstehe, und also ein praechordales Gebilde sei, oder dass die Chorda sich allmählich zurückziehe (verkümmere) und in dem so von ihr frei gewordenen Abschnitt der Basis die Hypophysis nachträglich entstehe beziehentlich zu liegen komme. Ehe diese beiden Möglichkeiten gegen einander abgewogen wer- den, ist aber zuerst eine Sicherstellung der Frage nöthig: wo ent- steht die Hypophysis bei Haifischembryonen? — Ein ‘ausnehmend glücklicher Zufall spielte mir im Sommer 1879 unter einer Anzahl aus Helgoland bezogener gut gehärteter Acanthiasembryonen ein Exemplar in die Hände, das völlig dem von REıcherr beobachteten und abgebildeten Entwicklungsstadium und somit demjenigen glich, welches BALFOUR auf Pl. VII seines Werkes mit A bezeichnet darstellt. Ich unterlasse es daher eine Abbildung oder Beschreibung des in- takten Embryo zu geben. — Zunächst versuchte ich, ob das von Reı- ! A monograph on the development of elasmobranch fishes, London 1878, 540 H. Rabl-Rückhard cuert anempfohlene Verfahren, den Embryo im Ganzen durch Kanadabalsam durehsichtig zu machen und so einer mikroskopischen Analyse zu unterwerfen, mich weiter als diesen führen würde. Lei- der fand ich indess, dass es dabei unmöglich ist, sich genügende Klarheit zu schaffen, und dass die verschiedenen sich deckenden und störenden Tiefenbilder eine ziemlich willkürliche Deutung ge- statten. Ich entschloss mich daher, das bewährte Schnittverfahren, dem wir auch sonst in der Embryologie so wichtige Aufschlüsse verdan- ken, auch hier in Anwendung zu bringen. Fig. 1 stellt einen auf diese Weise gewonnenen dorsoventralen Längsschnitt des Kopfes dar, welcher so glücklich geführt ist, dass er die Chorda dorsalis in ihrem ganzen Verlauf völlig klar und zweifellos erkennen lässt. Von den beiden Nummern der Schnittreihe, zwischen welche der abgebil- dete Schnitt fällt, zeigt nur der eine noch den hinteren dickeren Theil der Chorda getroffen, der vordere umgebogene Theil ist lediglich in die Schnittfläche der abgebildeten Nummer gefallen. — Es ist somit jeder Irrthum in der topographischen Orientirung bei der: Deutung ausgeschlossen, wir haben einen möglichst genauen dorsoventralen Längsschnitt durch die Medianebene vor uns. — Die Chorda dorsalis (Fig. Ich) steigt fast geradlinig zur Schädelbasis empor. Hier biegt sie plötzlich unter einem Winkel, der etwas mehr als einen rechten beträgt, nach vorn um. Die Dicke der Chorda dicht vor der Um- biegungsstelle beträgt 0,058 mm, die Länge des umgebogenen Theils, von der Konkavität des Umbiegungswinkels an gemessen, 0,176 mm. — Das umgebogene Stück verläuft nicht geradlinig, sondern zeigt eine ganz leicht nach oben gewendete Konkavität, während die ab- gerundete, mäßig sich verjüngende Spitze abermals eine kurze, nur 0,029 mm lange Umbiegung nach unten. macht. — Der Kopf- theil des Medullarrohrs macht, ganz wie dies bereits BALFOUR und Reicuert beschrieben haben, eine plötzliche ventrale Biegung der- gestalt, dass das vorderste Hirnbläschen gegen den weiter nach hin- ten gelegenen Abschnitt wie geknickt erscheint. Dem Scheitel die- ser spitzwinkligen »Gesichtskopfbeuge« entspricht eine bedeutende Verengerung des Medullarrohrs, die dadurch noch gesteigert wird, dass die dorsale Wand desselben an dem Übergang des ersten Hirn- bläschens ins zweite etwas eingebogen ist. Was die genauere Art der Krümmung der ventralen Wand betrifft, so giebt die Betrachtung der Fig. I eine bessere Vorstellung davon, als eine umständliche Beschreibung. Die dreieckige Lücke, welche so zwischen Chorda einer-, Medullarwand andererseits entsteht, und deren Grundfläche Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Hai fischembryonen. 541 durch die Chorda gebildet wird (Fig. 1 ir), ist nun von einem Ge- webe erfiillt, welches den Charakter des embryonalen Bindegewebes trigt. Auch ventralwiirts ist die Chorda von gleichem Gewebe umge- ben; demniichst folgt abermals eine Liicke bis zu dem Epithel der Schlundhöhlenanlage, durch die sich zwei dünne Gewebsstriinge aus- spannen. Möglicherweise handelt es sich um einen in der Anlage begriffenen Blutraum, vielleicht auch um ein durch ungleichmäßige Schrumpfung bedingtes Artefakt, indem sich das Epithel der Mund- höhle von der ventralen Fläche des Chordaüberzugs abgehoben hat. Die Dicke der Hirnwandungen ist nicht gleichmäßig an allen Stellen, sie erscheint an der Übergangsstelle des Vorder- (Zwischen-) Hirns (oh) in das Mittelhirn (mh) am größten, über der Gegend des vierten Ventrikels (Nachhirn xf) stark verdünnt. An der Spitze der ven- tralen Knickung (der Gesichtskopfbeuge) maß sie 0,032 mm. — Die größte Längsausdehnung des Kopfes, in der senkrechten Median- ebene, entsprechend einer vom hervorragendsten hinteren Theil des Mittelhirns parallel dem umgeknickten Chordaende zur vorderen Be- gegnung des Vorderhirns gezogenen Linie, beträgt 1,16 mm. Ver- gleichen wir nun mit dem Gefundenen die Darstellung Reıcnerr's, so ist die Übereinstimmung in allen wesentlichen Dingen augenfällig. Nur fehlen meinem Präparate die eigenthümlichen Falten dicht vor dem Scheitel des Reıcnerr’schen Processus. sellae tureicae (Fig. 2, 81. e.), die er als »durch Ablösung organologischer Anlagen von einander entstandenen Lücken im Präparat« bezeichnet. Wie wir weiter unten sehen werden, findet sich von diesen Falten auch in späteren Entwieklungsstadien nichts und wir können sie daher wohl als vielleicht durch Schrumpfung des Präparats künstlich entstandene Zufälligkeiten ansehen. Denkt man sich insonderheit die drei Nebenfalten, deren eine nach vorn, die beiden andern nach hinten gerichtet sind, weg, so würde das, was übrig bleibt, sich leicht mit meinem Befund in Einklang brin- gen lassen, zumal wenn man die großen Schwierigkeiten berücksichtigt, auf welche REICHERT, wie er ausdrücklich hervorhebt, bei der Deu- tung seines Präparates stieß. Wenn nun thatsächlich, wie dies von REICHERT angenommen wird, in jenem dreieckigen Raume oberhalb des umgebogenen Chordaendes später die Hypophysis entstände, müsste man den auch von REICHERT gezogenen Schluss anerkennen, dass das vordere Ende der Chorda beim Acanthiasembryo zu einer gewissen Zeit nicht nur bis an die hintere Begrenzung des Türken- sattels, die Sattellehne, sondern weiter nach vorn bis an dessen vor- dere Grenze, die Gegend des Sattelknopfes beim Menschen, reiche, 542 H. Rabl-Rickhard und somit durch die ganze Liinge der Schiidelbasis verlaufe (p.105). — Es liegt auf der Hand, dass somit Alles auf die Beantwortung der Frage ankommt, wo sich die erste Anlage der Hypophysis zeigt. Gerade darin aber liegt die Lücke in der Beweisführung REICHERT's. An dem von ihm beschriebenen Embryo war, wie es scheint, die erste Anlage der Hypophysis überhaupt noch nicht sichtbar, und aus der Darstellung geht nicht hervor, ob spätere Stadien der Entwick- lung beobachtet wurden, wo die Hypophysis einen den Voraussetzun- gen REICHERT's entsprechenden Sitz hatte. — Diese Lücke nun bin ich in der Lage durch die nachfolgende Darstellung, wie ich glaube, bis zur endgültigen Entscheidung der Frage auszufüllen. Kehren’ wir zur Betrachtung des in Fig. I abgebildeten dorsoventralen Längs- schnittes zurück ! — Unmittelbar vor dem vorderen Ende der Chorda bemerkt man ein annähernd lanzettförmiges, hohles Gebilde, dessen Spitze nach oben gerichtet ist, während die breitere Basis unmittel- bar an die innere Begrenzung der Hautanlage stößt (Fig. 1%). — Die letztere macht hier eine scheitelwärts gerichtete Einbiegung (md), welehe nach hinten von der bereits stark verdünnten »Rachenhaut« (r) begrenzt wird. Das eben erwähnte Gebilde zeigt glatte Wan- dungen und einen schmalen, schlitzförmigen Binnenraum, es steht in keinem Zusammenhang mit dem Hohlraum des ersten Gehirn- bläschens, an dessen hintere Wand seine vordere unmittelbar anstößt. Auch mit der Einstülpung der Hautanlage, an deren Scheitel sie grenzt, vermochte ich keinen Zusammenhang zu erkennen, vielmehr war die innere Grenzlinie der letzteren überall deutlich dazwischen zu verfolgen, dasselbe gilt von dem Epithel der Mundhöhle, an des- sen innere Begrenzung die hintere Wand sich anlegt. Dieses Ge- bilde nun ist, wie ich durch Vergleichung mit späteren Entwick- lungsstadien zeigen werde, die erste Anlage der Hypophysis. Letztere entsteht somit bei Haifischembryonen genau an derselben Stelle wie dies für die übrigen Wirbel- thiere von den meisten Forschern angenommen wird, nämlich vor dem vorderen Ende der Chorda dorsalis. Keinen sichern Aufschluss giebt mein Präparat über die Art ihrer Entstehung. Handelt es sich, wie die Untersuchungen von GÖTTE für Amphibien, von MınaLkowıcz für Vögel und Säugethiere ergeben haben, auch bei unserem Objekte um eine Einstülpung der Hautan- lage der Rachenhöhle, so ist entweder die Abschnürung schon voll- zogen oder doch die Kommunikation zwischen Hypophysensäckchen Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 543 und Rachenhöhle an meinem Präparat nicht erkennbar!. BALFOUR in seinem oben genannten Werke? beschreibt die Entstehung der Hy- pophysis bei Selachiern ganz so wie dies später MinaLkowıcz an Vö- geln sah, auch er fand, dass das oberste Ende der Mundbucht (Mouth- involution) erst gegen das Ende des Entwicklungsstadiums X, welches dem von mir untersuchten entspricht, sich vom Rest merklich ab- schnürt und so die erste Anlage der Hypophysis bildet. Seine Ab- bildungen nach Embryonen von Pristiurus (Pl. XIV, 9a, 12, 16 a) weichen indess in Einzelheiten von dem ab, was ich nach einem Acanthiasembryo wiedergebe, namentlich fehlt bei letzterem in die- sem Stadium noch die Ausstülpung zwischen erstem und zweitem Hirnbläschen (Zwischenhirn und Mittelhirn), aus der sich die Glan- dula pinealis bei jener entwickelt. Immerhin besteht aber eine er- freuliche Übereinstimmung in allen wesentlichen Punkten, wie na- mentlich ein Vergleich seiner Figur 9 @ mit der meinigen ergiebt. — Dies gilt auch von dem Verhalten des vorderen Chordaendes, nur muss man berücksichtigen, dass BALFOUR die fraglichen Figuren bei einer zu geringen Vergrößerung und zu schematisch zeichnete, so dass die von mir gefundenen Einzelheiten nicht erkennbar sind. — Jedenfalls geht aus BALrour’s und meinen Befunden mit Sicherheit hervor, dass die erste Anlage der Hypophysis sich nicht in dem oberhalb der »Chordakrücke« wie ich das vordere umgebogene Ende der Chorda nennen möchte, gelegenen, von REICHERT als Processus sellae tureicae bezeichneten, von embryonalem Bindegewebe ausge- füllten dreieckigen Raum zeigt, der sich an der Stelle der Gesichts- kopfbeuge zwischen den gebeugten-vorderen und nicht gebeugten übrigen Abschnitt der Hirnlage schiebt, sondern vor dem vordersten Ende der Chorda auftritt. Ergebnisse, die an einem einzigen anatomischen Präparat ge- wonnen wurden, sind immer mit Vorsicht aufzunehmen. Ich habe mich daher nicht begnügt, die gegenseitige Lage der in Frage kommenden Theile an dem oben beschriebenen Exemplar von Acan- ! Dass die Hypophysis bei Vögeln, ganz wie MIHALKOWICZ, KÖLLIKER (Entwicklungsgeschichte des Menschen u. d. höheren Thiere 2. Aufl., pag. 527) und neuerdings SEESSEL (Zur Entwicklungsgesch. d. Vorderdarms, Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgeschichte, 1877 anat. Abth. pag. 464) aus der Ab- schnürung einer Einbuchtung der Rachen - (Schlund-)Haut entsteht, lässt sich unter Zuhilfenahme sagittaler Schnittserien so zweifellos nachweisen, dass ein Widerspruch gegen diese Thatsache meines Erachtens sich nieht mehr aufrecht erhalten lässt. 2]. c. pag. 189 f. 544 H. Rabl-Riickhard thias festzustellen, sondern spiitere Entwicklungsstadien in den Be- reich meiner Untersuchungen gezogen. Zunächst stand mir ein älterer Embryo zur Verfügung. Seine Länge ließ sich nicht fest- stellen, weil er wohl durch das Härtungsmittel in sich zusammen- gekrümmt, einen Halbbogen beschrieb. Die Sehne dieses Bogens, vom Scheitel des Embryo bis zur Schwanzspitze gemessen, betrug 12 mm. Der Kopf von der Schnauzenspitze bis zum Hinterhaupt 4. Ventrikel) in der Höhe der Linsenmitte gemessen, hatte eine Länge von 2,24 mm. Fig. 2 stellt den vorderen Abschnitt dieses Embryo dar, wie er bei koncentrirter auffallender Beleuchtung unter etwa 12'/,facher Lupenvergrößerung erscheint. Man erkennt bereits die Linsenanlage des Auges, die noch vorhandene fötale Augenspalte, so wie die Geruchsgruben, während die Gehörgruben geschlossen er- scheinen. Im Ganzen sind 8 Kiemenbögen sichtbar, die von vom nach hinten allmählich an Größe abnehmen und von denen die hin- tersten drei, ohne durch Kiemenspalten getrennt zu sein, eine einzige von zwei Furchen durchsetzte Erhabenheit‘ darstellen. Der vorder- ste, stärkste (mandibular arch BALFOUR, »Kieferspange« cf. PARKER und Berrany, Die Morphologie des Schädels, übers. von VETTER pag. 19) besitzt in seiner Wurzel einen rechtwinkligen Vorsprung (mp), der die Anlage des Spritzlochknorpels (Metapterygoid) ent- sprechen dürfte!. Er entbehrt der Kiemensprossen, während der zweite, dritte und vierte Bogen eine beschränkte Anzahl dersel- ben (%) tragen. Erwähnen will ich beiläufig, dass an einem andern, jüngern Embryo, der mir leider verloren ging, ehe ich ihn in Schnitte zerlegen konnte, die allerersten Kiemen, unge- fähr in der Mitte des hinteren Randes des zweiten Kiemen- bogens, als winzige Wärzchen im Hervorsprossen begriffen waren. Der zweite Kiemenbogen (Hyoidbogen,-PARKER) lässt an seiner Wur- zel ebenfalls einen nach der ersten Kiemenspalte gerichteten Fort- satz erkennen (Hyomandibulartheil?), einen kleineren ähnlichen zeigt der dritte Kiemenbogen. Oberhalb der Basis sämmtlicher Kiemenbögen vom vierten Kiemenbogen an liegen rundliche Vor- sprünge, wohl die Pharyngobranchialknorpelanlagen? (2). An der Hirnanlage fällt die vorgeschrittene Gliederung der ein- zelnen Abschnitte und die dünne Bedeckung des vierten Ventrikels 1 cf. PARKER u. BETTANY etc. pag. 21. 2 PARKER |. c. pag. 26. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 545 (nh) auf, dessen Seitenränder knopfförmige Ausbuchtungen (Plexus ehorioidei?) erkennen lassen. Auch den Kopf dieses Embryo habe ich in eine Schnittserie zerlegt, die Schnittrichtung aber so gewählt, dass sie einer auf der Längsrichtung des Embryo senkrechten Ebene parallel lief, und so- mit den Kopf in seiner ganzen Länge horizontal traf. Da an dem zuerst beschriebenen Embryo das umgebogene Stück der Chorda mit dem übrigen Theil derselben einen üngefähr rechten Winkel bildete, konnte ich voraussetzen, dass ich auch hier dieses Stück in seiner größten Längsausdehnung durchschneiden würde, und dass dann na- mentlich die gegenseitige Lage von Hypophysis und Chorda deut- lich zu Tage treten würde. — Fig. 3 stellt den ersten Schnitt (No. 12 der Reihe) von oben gerechnet dar, auf dem die Chorda dorsalis getroffen wird. Dieselbe (ch) erscheint im Durchschnitt als ein länglicher mit der sich verschmälernden Spitze nach vorn ge- richteter Zapfen, der nach hinten dieht an die Hirnanlage (Gegend des vierten Ventrikels, drittes Hirnbläschen REICHERT, Nachhirn) stößt, während er nach vorn durch einen ansehnlichen Zwischenraum von der Anlage des Vorderhirns (vf) getrennt ist. Die Chorda liegt in einem Gewebe eingebettet, das den Charakter des embryonalen Bindegewebes trägt, und, sich zwischen die beiden in den Schnitt gefallenen Hirnabschnitte schiebend, den mittleren Schädelbalken (Zr) darstellt. Zu beiden Seiten der Chorda wird dasselbe von je einem, von vorn nach hinten verlaufendem, im Längsschnitt getroffenem Blutgefäß durchsetzt. — Die Deutung des vor dem mittleren Schä- delbalken gelegenen Hirnabschnitts ist nicht so sicher, wie es auf - den ersten Blick scheinen könnte, namentlich bin ich mir zweifel- haft, ob die rundliche vordere Hervorknospung etwa das noch in seiner ursprünglichen Anlage nicht getrennte Großhirn ist. Ich glaube, dass es sich noch um einen Abschnitt des ersten Hirnbläs- chens (Zwischenhirn REICHERT, primäres Vorderhirn aut.) handelt, da ich erst bei bedeutend tiefer gefallenen Schnittnummern (Nr. 17) auf eine Hirnanlage stoße (Fig. 5), die allein die Deutung als Großhirn zulässt. Überhaupt sind die im Durchschnitt erscheinenden Windun- gen, namentlich auf Fig. 4 und 5, sehr viel verwickelter als man nach der einfachen Grundanlage des Hirns erwarten sollte. Vielleicht liegt die Ursache darin, dass manche dieser Windungen die erste Anlage des Epithels der Plexus chorioidei darstellen, die mit den eigentlichen nervösen Wandungen des späteren Hirns genetisch iden- tisch erscheinen. Morpholog. Jahrbuch. 6. 35 546 H. Rabl-Riickhard Wie dem auch immer sein mag, so viel ist sicher, dass vor der Chorda sich ein sehr ansehnliches, in der Medianlinie 224 u breites chordafreies Stiick des mittleren Schiidelbalkens findet. Vergleicht man damit den geringen Zwischenraum, der auf Fig. 1 das vordere Chordaende von der Hirnwand scheidet, so sieht man sich zu dem Schluss genöthigt, dass entweder die Chorda sich verkürzt, oder der mittlere Schädelbalken in seinem prächordalen Theil bedeutend ver- größert habe. Es könnte auch Beides gleichzeitig der Fall sein. Immerhin fehlt jede Spur einer schon jetzt beginnenden Rückbildung des vorderen Chordaendes, wie wir solche z. B. an einem, die frü- here Richtung des atrophirten Chordaendes andeutendem, Zellstrang bei Hühnerembryonen vom 4.—5. Tage kennen, auch spricht der Vergleich der Messung zwischen der Länge der umgebogenen Chorda- spitze auf Fig. 1 und dem Durchschnitt derselben Spitze in Fig. 3 nicht für eine Abnahme dieser. — Ich brauche nämlich wohl kaum darauf aufmerksam zu machen, dass es die ganze umgebogene Chordaspitze ist, welche auf Fig. 3 in den Schnitt fiel. Schon der nächstfolgende, wie auch der auf Fig. 4 abgebildete Schnitt (Nr. 14) lassen an Stelle des länglichen Zapfens zwei Kreisfiguren, eine größere und unregelmäßige ! hintere (ch’) und eine durch einen Zwischenraum von 160 u davon getrennte viel kleinere vordere (ch") erkennen. Erstere entspricht dem im Querschnitt getroffenen Chorda- stamm hinter der Umbiegungsstelle, letztere dem ebenfalls querdurch- schnittenen kurzen ganz vorn gelegenen Haken (cf. Fig. 1 ch”). — Auch bei diesem Schnitt liegt vor jenem vordersten hakenförmigem Ende der Chorda noch ein erheblicher 208 u langer Abschnitt des aus embryonalem Bindegewebe bestehenden Gerüstes (Zr), welches, sich nach vorn fortsetzend, die Kapsel für die dort gelegenen Hirn- theile, beziehungsweise Sinneswerkzeuge, vorerst die Augen (o), bil- det, während es nach hinten zu ein Gleiches für das Hinterhirn und die bereits nach außen abgeschlossenen Gehörsanlagen leistet. Zu beiden Seiten der schmalen Verbindungsbrücke zwischen diesem vor- derem und hinterem Schädelabschnitt, Ethmoidal-Orbital-Region einer- seits, Labyrinth-Occipital-Region andererseits (GEGENBAUR), in wel- cher die Chorda liegt, zeigt sich je ein leieht gekrümmtes, mit der ! Ich habe absichtlich die Schnitte genau so dargestellt, wie sie in Wirk- lichkeit erscheinen, d.h. mit allen Unsymmetrien und Unregelmäßigkeiten, welche theils die nicht völlig horizontale Schnittrichtung, theils die starke Schrumpfung durch das erhärtende Reagens (Acid. chromie.) bedingen. — Daher auch die verzerrten Querschnitte der Chorda. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 547 Konkavität nach außen gerichtetes, von vorn nach hinten verlaufen- des Lumen /g). An dieses schließt sich noch weiter nach außen je eine unregelmäßige buchtige mehr rundliche Lücke (2), welche von den medial gelegenen nur durch einen schmalen Gewebssaum geschieden ist. Auf die Deutung der Hohlräume, welchen diese Durchschnitte entsprechen, möchte ich bei dem unzureichenden Material nicht näher eingehen, zumal dieselben für die vorliegende Frage ohne Bedeutung sind. Mit wenigen Worten muss ich noch des Nervensystems und der Sinnesorgane gedenken, wie sie auf Fig. 4 (Schnitt 14) erschei- nen: Das Zwischenhirn (erste Hirnbläschen v7) zeigt an jeder Seite zwei hinter einander liegende Einbuchtungen. Das Hinterhirn (drit- tes Hirnbliischen xf) lässt eine tiefe mediane Spalte und ein sehr dünnes häutiges Dach erkennen. Vor ihm liegen beiderseits rund- liche Ballen eines noch nicht differenzirten Zellmaterials (g), die jedenfalls dem Nervensystem angehören und zur Ohranlage in Be- ziehung stehen. — Das rechte Auge ist so getroffen, dass man die stark faltige Einstülpung der primären Augenblase so wie die bereits abgeschnürte, einen Hohlraum zeigende Linse deutlich erkennen kann. Der nächstfolgende abgebildete Schnitt Nr. 17 (Fig. 5) zeigt we- sentlich andere Verhältnisse. Die Chordaspitze ist noch als kleine Kreisfigur erkennbar, der Stamm der Chorda ist quer getroffen und liegt etwas nach links verzerrt, was schon in Fig 4 hervortrat. — Der breite prächordale Theil des mittleren Schädelbalkens (fr) ist auf eine schmale Brücke redueirt, die, vor dem Querschnitt der Chordaspitze gelegen, diese von der Hirnanlage trennt. Zwischen beide hat sich aber ein Gebilde geschoben, das bereits auf Schnitt 16 sichtbar wurde. — Es besteht aus einem Ringe, dessen Wände von vorn nach hinten zusammengedriickt sind, und so einen linglich rundlichen, mit der langen Achse quer gestellten Hohlraum zwischen sich lassen (4). Die vordere Wand des Ringes ist fast ganz flach, die hintere hingegen nach vorn konkav. Von den übrigen Gebilden, die dieser Querschnitt zeigt, erregt nur die vordere Hirnabtheilung unseren Antheil. Wir sehen, dass sich das Zwischenhirn nach hin- ten in einen länglich viereckigen Fortsatz verlängert (c), der sich nach den beiden Seiten durch dieke, gegenüber dem beschriebenen Ring durch eine sogar wulstige Wandung absetzt. Die eigenthümliche, mit der Spitze nach hinten gerichtete vordere Wand erscheint auf den - ersten Blick unverständlich. — Sie ist nur auf dem einzigen abgebil- deten Schnitt erkennbar, schon der nächste zeigt den quadratischen Hohlraum in direktem Zusammenhang mit dem vor ihm gelegenen 35 * 548 H. Rabl-Riickhard Binnenraum des Zwischenhirns. Ich glaube, dass es sich um die Anlage der Gegend der Commissura posterior handelt. Wie dem auch immer sei, über die Natur des sich nach hinten erstreekenden Hohl- raums lässt dieser Schnitt, unter gleichzeitiger Betrachtung des als Figur 6 abgebildeten Schnittes Nr. 21, keinen begründeten Zweifel aufkommen: wir haben die Trichterregion des Zwischenhirns vor uns. Ziehen wir diesen Schnitt gleichzeitig in den Kreis unserer Betrachtungen, so finden wir an Stelle des eben beschriebenen Bil- des des Trichterdurchschnitts nunmehr eine trefleförmige Figur (:), deren nach hinten gerichtetes Ende dem eigentlichen Trichterfort- satz entspricht, während die beiden Seitenausbuchtungen zur Bildung der späteren Lobi infundibuli des Haifischgehirns in Beziehung ste- hen dürften (s. u.). Das auf Fig. 5 noch als kompakte Knospe (weil der Schnitt gerade durch die obere Wandung ging) erscheinende GroBhirn (gh) ist jetzt als Hohlraum erkennbar, in dessen Inneres sich Faltungen, wohl als Anlage der späteren Plexus chorioidei, einstülpen (pZ). Dieser Hohlraum ist unpaar; er lässt lateral je eine Einstülpung erkennen, die der Nasengrube (x) gegenüber liegt und wohl zum späteren Bulbus olfactorius auswächst. Die brei- ten Ausstülpungen, welche sich den Augen gegenüber befinden, ent- sprechen dem Zwischenhirn (erstes Hirnbläschen vo). Der Schnitt hat bereits die erst auf dem nächstfolgenden Schnitt in ihrem Zu- sammenhang mit der Augenblase erkennbaren Augenstiele berührt. Vor Allem erregt aber jener auf Fig. 5 zuerst aufgetretene ring- förmige Durchschnitt unsere Aufmerksamkeit. Derselbe hat sich jetzt in ein wurstförmiges Gebilde (2) verwandelt, das mit starker Kon- kavität sich um das Infundibulum beiderseits, nach vorn umlegt. Sein halbmondförmiger Hohlraum ist rings geschlossen, sowohl nach vorn, dem Trichterfortsatz gegenüber, wie nach hinten zu. Hier gehen aber von der Mitte der hinteren Wand zwei divergirende Streifen (e) ab, die, sich in die Tiefe der Schnittebene verlierend, plötzlich wie abgeschnitten endigen. Zwischen sich lassen sie eine Lücke erkennen, die durch eine Substanzbrücke von einer weiter nach hinten gelegenen größeren Lücke in dem embryonalen Binde- gewebe des mittleren Schädelbalkens (Zr) getrennt liegt. Diese Streifen tragen denselben histologischen Charakter, wie die Wandun- gen des wurstförmigen Hohlraums, sie stehen mit ihnen in unmittel- barem Zusammenhang, haben denselben Farbenton durch das ange- wendete Carmin angenommen, und setzen sich ganz scharf von dem sie umgebenden embryonalen Bindegewebe ab. Was ihren histo- Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 549 logischen Charakter betrifft, so bestehen die Wandungen des Hohl- raums aus palissadenartig neben einander gestellten eylindrischen Zellen, die namentlich der etwas diekeren vorderen Wand ein ge- streiftes Ausschen verleihen. An der schmalen hinteren Wand ist ihre Form mehr quadratisch, eben so im Bereich der mit dieser zu- sammenhängenden Streifen. Sie sehen zudem genau so aus wie der Saum, der als wohlerhaltene Epidermisanlage den Querschnitt des Kopfes überall umgiebt, beziehungsweise wie die in den Einstül- pungen des Gehörbläschens (aw) vorhandenen Epithellager. Mit irgend welchen Gefäßwandungen ist eine Verwechslung nicht möglich. Durch Vergleichung beider Figuren wird man, unter Berück- sichtigung späterer noch zu besprechender Entwicklungsstadien, zu dem Schluss berechtigt, dass dieser im Querschnitt erst flach ring- dann wurstförmige Hohlkörper die Anlage der Hypopbysis ist!. Eine andere Deutung ist nicht möglich. Die beiden Streifen aber, welche sich an sie hinten anschließen, vermag ich nur als den Epithelsaum des bereits gegen die Schädelhöhle beziehungsweise Hypophysis ab- geschlossenen Mundbucht (Rachenhöhle) zu deuten, deren Verbindung nach der Abschnürung als solider Strang in späteren Entwicklungs- stadien sich eine Zeit lang erhalten soll (H. MULLER, v. MIKLUCHO- MacLAaY, Beitr. z. vergl. Neurologie der Wirbelthiere I. pag. 40, BALFOUR, a. a. O. pag. 190). Dafür spricht endlich auch der Um- stand, dass mit dem nächsten tieferen Schnitt der Binnenraum der Rachenhöhle eröffnet wird, während die Hypophysis geschwunden ist. Welche Schlüsse gestatten nun die beschriebenen Bilder? Die Thatsache, dass in diesem Entwicklungsstadium die Chordaspitze nicht den ganzen mittleren Schädelbalken durchsetzt, dass vor ihr noch ein prächordales Stück nachweisbar ist, bewiese an sich nichts gegen die Annahme, dass die Chordaspitze ursprünglich die ganze Basis Cranii bis zur »Stirnwand« durchsetzt. Wir haben ja gesehen, dass dieselbe in dem von REICHERT und mir beschriebenen Stadium (Fig. 1) viel weiter nach vorn reicht, indem hier ihre Spitze, bei REICHERT unmittelbar an die Hirnanlage, bei mir bis an die Hypophysisanlage verfolgt wurde. Es kann somit, da Zeichen einer Rückbildung des vorderen Chordaendes nicht vorliegen, angenommen werden, dass ! Zur Vergleichung möge man noch die Fig. 328 der zweiten Auflage von KÖLLıker’s Entwicklungsgeschichte des Menschen ete. (pag. 529) betrachten, welche die Bildung der Hypophysis an einem 15 mm langen Schafembryo dar- stellt. Die Übereinstimmung ist augenfällig. 550 H. Rabl-Riickhard sich zwischen dem von mir und REICHERT beobachteten Stadium der Fig. 1 und dem, welchem die Schnitte 3—6 entlehnt sind, eine Pe- riode findet, wo das embryonale Bindegewebe des mittleren Schädel- balkens vor der Chorda zunimmt, derart, dass diese die vorderste Begrenzung der ursprünglichen, nicht aber der definitiven, auch die Sella tureiea umfassenden Basis cranii bezeichnet. Wenn wir aber als Kennzeichen dieser die Lage der Hypophysis in ihr ansehen (und ich wüsste nicht, wie wir uns sonst orientiren könnten), so lässt sich aus meinen Präparaten mit Sicherheit schließen, dass derjenige Theil der Basis eranii, welcher die Hypophysis später enthält, die Sella tureica, vor dem vordersten Ende der Chorda angelegt wird, dass diese zu keiner Zeit über diese Anlage hinaus nach vorn ragt. Das Kriterium darüber,. was wir an der Basis des embryonalen Haifisch- kopfes als Sella turcica zu bezeichnen haben, wird eben erst durch das erste Auftreten der Hypophysis gegeben. — Da die Beobach- tung REICHErRT’s die Anlage letzterer an seinem Präparat nicht er- kennen ließ, fehlte auch die Möglichkeit einer Orientirung, und dadurch wurde der Irrthum nahegelegt, den über dem umgebogenen Chordastück (die Chordakrücke«) gelegenen, mit embryonalem Binde- gewebe gefüllten Raum, den Scheitel des sogenannten mittleren Schä- delbalkens (REICHERT’s Processus sellae tureicae) als Bildungsstätte der späteren Hypophysis anzusehen, während diese in dem damit freilich in kontinuirlichem Zusammenhang stehenden prächordalen Binde- gewebe, wahrscheinlich eben so durch Einstülpung der Rachenhaut, ent- steht, wie dies für höhere Wirbelthiere sich ohne Schwierigkeiten er- weisen lässt. — Während so die Ergebnisse meiner Beobachtungen zu meinem lebhaften Bedauern in dieser Hinsicht gegen REICHERT’s Auffassung sprechen, stehen sie mit allen andern Forschern in um so größerem Einklang, und lösen damit eine Differenz, die zwischen dem Befund an höheren Wirbelthieren und den Selachiern durch Reicuert’s Darstellung gesetzt schien. Wenn hiermit auch meine eigentliche Aufgabe, nämlich die, die Bildungsstätte beim Dornhaiembryo festzustellen, gelöst ist, war ich doch genöthigt, auch die weiteren Schicksale der Hypophysis, der Chordaspitze, so wie des mittleren Schädelbalkens in den Kreis mei- ner Untersuchungen zu ziehen. Denn einerseits ermöglicht erst die Kenntnis jener späteren Stadien das Verständnis ihrer früheren Ent- wicklung, andererseits blieb in meiner Beweisführung eine Lücke übrig, durch deren Ausfüllung erst jene vollständig wird. Vorerst habe ich nämlich nur den Nachweis geliefert, dass die erste Anlage der Hy- Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 551 pophysis nicht in jenem dreieckigen Raum oberhalb der Chordakriicke, dem mittleren Schiidelbalken der Autoren, geschieht. Es wire aber die Möglichkeit denkbar, dass die Hypophysis, bei ihrer Weiterent- wicklung nach hinten in diesen Raum hineinwuchernd, ihn allmäh- lich ausfüllte und dass schließlich so doch ein Verhalten vorläge, welches REICHERT’s Voraussetzungen entspräche. Entscheidend bliebe dann freilich immer noch der Ausgangspunkt der Entwicklung von einer vor der Chordaspitze gelegenen Stelle für die Beantwor- tung der Frage, ob diese jemals die ganze Schädelbasis bis zum Sattelknopf durchsetze. Immerhin verdient aber diese Möglichkeit eine Berücksichtigung. Zu ihrer Zurückweisung könnten indess schon die Darstellungen W. MüLLeEr’s und BALFour’s in den oben genannten Veröffentlichungen genügen. Ersterer beschreibt sehr zu- treffend das Verhalten der Hypophysis und Chorda bei 25—30 mm langen Acanthiasembryenen!. Es geht aus seiner Darstellung her- vor, dass sich die Hypophysis als ein langes schmales Säckchen nach vorn entwickelt, derart, dass sein blindes vorderes Ende bis nahe an das Chiasma reicht, während das hintere an der vorderen Wand des mittleren Schädelbalkens anliegt. Auch in späteren Stadien (an 10 em langen Embryonen von Mustelus vulgaris beobachtet) fin- det sich absolut keine Beziehung der Hypophysis zu dem oberhalb der Chordakrümmung gelegenen Theil des mittleren Schädelbalkens. Während sich nämlich der Knorpel des Clivus des Türkensattels aus dem die Konkavität des Chordahakens ausfüllenden Gewebe der Ba- sis des mittleren Schädelbalkens bildet, atrophirt der ganze oberhalb der Chordakonvexität gelegene bindegewebig bleibende Theil des letzteren immer mehr, und besteht nur als eine unbedeutende binde- gewebige Adventitia der Basilararterie fort. So weit die Beschreibung MULLER’s, welche von guten Abbil- dungen (Taf. IX Fig. 5 und 6) erläutert wird Baurour stellt in etwas schematisch gehaltenen Figuren Ähnliches an Embryonen von Seyllium canicula dar?, wobei er freilich die Chorda nicht mit abbildet. Auch PARKER und Berrany® beschreiben das gegenseitige Ver- halten der Hypophysis, Chorda und des mittleren Schädelbalkens wesentlich ganz übereinstimmend. Sie erwähnen dabei noch eines perlschnurartigen Umrisses des vorderen Chordaendes bei Hunds- hai- und Pristiurus-Embryonen, »indem dieselbe in der Strecke zwi- 1]. c. pag. 361. 21. 0. Pl. XVa 5, 7a, Th. 3]. c. pag. 17, 23, 27 cf. pag. 185. 552 H. Rabl- Riickhard schen ihrem vorderen Ende und der Mitte der Gehörregion fünf bis sieben kugelige Auftreibungen zeigte«. Nach ihnen wird der mittlere Schädelbalken zu einer bloßen Spalte zwischen Mittel- und Hinterhirn, was jedenfalls kein glück- lich gewählter Ausdruck ist. — Sie wollen augenscheinlich sagen, dass später nur eine Spalte zwischen beiden Hirntheilen die frühere Lage des mittleren Schädelbalkens andeutet. Das übereinstimmende Ergebnis sämmtlicher genannter Forscher ist somit die Thatsache, dass sich zu keiner Zeit der späteren Entwicklung die Hypophysis in dem oberhalb der Chordakrücke befindlichen, mit gallertartigem (unreifem, embryonalem) Bindegewebe gefülltem Raum vorfindet, den man nach RATHkE’s Vorgang, nicht eben zutreffend, wie mir scheint, als mitt-— leren Schädelbalken bezeichnet. Der Begriff Balken erweckt die Vorstellung von etwas Solidem, als Stütze dienendem, was für jenes hinfällige zarte Gebilde nicht passt. Die Bezeichnung REICHERT's als Processus sellae turcicae, obgleich in dieser Beziehung unbedenk- lich, könnte immerhin die falsche Vorstellung erwecken, als handle es sich um ein Vorläuferstadium der Sella selber, während diese doch nur an und vor der Basis des mittleren Schädelbalkens ent- steht, und nur sein basaler Theil im Clivus erhalten bleibt. Meine eigenen Untersuchungen nun bestätigen durchaus die An- gaben der genannten Autoren über die Lage und Entwicklung der Hypophysis. Da dieselben aber nach mancher Seite hin auch eine Erweiterung unserer Kenntnisse nicht bloß über diesen Punkt, son- dern auch über gewisse Entwicklungsvorgänge anderer Hirntheile - enthalten, glaube ich mich berechtigt, hier auf die gewonnenen Er- gebnisse in aller Kürze einzugehen. Dieselben sind geeignet, gele- gentlich ein Licht auf die neuerdings so sehr wieder in den Vorder- grund getretene Frage über die anatomische Deutung der verschiedenen Theile des Fischgehirns zu werfen. Es will mir, beiläufig bemerkt, scheinen, als ob gerade derjenige Forscher, welchem wir die ein- gehendsten mikroskopischen Untersuchungen auf diesem Gebiete ver- danken, FrrrscH !, die embryologische Seite der Frage, bei den Kno- chenfischen wenigstens, zu wenig in Betracht gezogen hat. Da, wo er diese Seite mehr berücksichtigt, nämlich bei den Knorpelfischen, ist er daher auch in der Deutung einzelner Hirntheile entschieden glück- licher gewesen, während es vorerst mindestens sehr fraglich bleibt, ob seine Deutung der einzelnen Theile des Knochenfischgehirns rich- ' Untersuchungen iiher den feineren Bau des Fischgehirns, 1878, Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 553 tig oder verfehlt sei. In Betreff des Gehirnes der Knorpelfische , in- sonderheit der Haie, komme ich indess, wie wir sehen werden, zu Ergebnissen, die mit denen von Frırscu und Sriepa überein- stimmen. Zur Erläuterung der Verhältnisse möge nun die Besprechung eines dorsoventralen Medianschnittes durch den Kopf eines circa 6 cm langen Acanthiasembryo dienen, den Fig. 7 wiedergiebt. Das vordere Ende der Chorda (ch’) zeigt sich in diesem Stadium derartig gegen den Rest umgebogen, dass der die Spitze bildende Schenkel des Hakens dem Stammtheil fast parallel verläuft (vergl. Fig. 8). Der Knickungswinkel ist ein sehr spitzer, während er in dem auf Fig. 1 abgebildeten Stadium etwas mehr als einen rechten betrug. Wäh- rend die dorsale Begrenzung der Krümmungsstelle eine regelmäßige Konvexität mit dem Scheitel nach oben und vorn bildet, ist die Kon- kavität der Biegung jetzt scharf eingeknickt. Der umgebogene Theil der Chorda verjüngt sich allmählich derart, dass die Dicke dieser, in der Schnittebene am Knickungswinkel gemessen 88 w, am vorderen, eben noch scharf genug begrenzten Ende dagegen nur 40 u beträgt. Bis- weilen sah ich die umgebogene Spitze dem Stamm derart genähert, dass nur eine ganz schmale Brücke embryonalen Bindegewebes beide trennte. Es wird aber dabei immer an die Möglichkeit gedacht werden müssen, dass dieses zarte Gewebe durch die Erhärtungsflüs- sigkeit lokal stärker geschrumpft ist oder dass, dem Druck der Hirn- wandung des Infundibulum nachgebend, die Chordaspitze nach hinten an den Stamm angedrängt wurde. Die Form der Fig. 7 (bezw. 8) ist jedenfalls die gewöhnliche, doch kommen: auch unregelmäßige Um- risse der Spitze vor, indem deren Konkavität Buckel und Einbuch- tungen zeigt. An dem abgebildeten Präparat zeigte die äußerste Spitze noch einen unregelmäßigen Anhang (Fig. 8), dessen Begrenzung nur schwer sicherzustellen war. Da ich ihn an früheren Stadien vermisste, ist er möglicherweise der -Ausdruck einer beginnenden Riickbildung des vordersten Chordaendes. Was den mikroskopischen Bau der Chorda anbelangt, so lassen sich die hellen, großen, blasenförmigen Zellen, welche die Mitte des Stranges einnehmen, bis weit in die sich verschmälernde Spitze verfolgen. Der Saum kleinerer Zellen, welche die Peripherie bil- den, stellt aber das Hauptbaumaterial der Spitze dar, und daher erscheint diese, entsprechend der protoplasmareicheren Beschaf- fenheit der kleinzelligen Schicht, an künstlich gefärbten Präpa- raten dunkler, als der übrige Theil der Chorda, ein Umstand, der 554 H. Rabl-Riickhard auch die Abgrenzung von dem umgebenden Gewebe an einigermaßen dieken Schnitten sehr erschwert. Die Cuticula (primitive oder cuticulare Chordascheide GEGEN- BAuR’s') konnte mit Sicherheit als eine glänzende, homogene, bis 5 « dieke Grenzschicht im Bereich der ganzen Chordaspitze verfolgt werden; nur am allervordersten, unregelmäßig gekrümmten Ende ver- mochte ich nicht mehr sie zu erkennen (Fig. 8). Unter gleichzeitiger Benutzung von Querschnittreihen überzeugt man sich sogar, dass diese Cuticula an der Chordaspitze von ganz besonderer Mächtigkeit ist. Nach hinten zu nimmt sie allmählich an Dieke ab, während die von GEGENBAUR als skeletogene Chordascheide bezeichnete periphere Schicht in demselben Maße zunimmt und schließlich zu einer mäch- tigen Lage koncentrisch angeordneter Faserzüge und Spindelzellen wird. Dieselben Querschnitte zeigen auch, dass an der Chordaspitze die hellen großen Zellen eine einzige central gelegene Reihe bilden, und dass sich der Zusammenhang zwischen der Oberfläche der kleinen peripher gelegenen Zellen und der primitiven Chordascheide leicht löst. So entstehen zwischen beiden ringförmige Hohlräume und ge- legentlich durch Herausfallen des Chordaquerschnittes Lücken, die nach außen von der mit dem umgebenden Gewebe in Verbindung gebliebenen primitiven Chordascheide begrenzt werden. Verfolgt man die Formveränderungen, welche die Chorda in ihrem Verlauf nach hinten zu erleidet, so fällt zunächst auf, dass sie sich unmittelbar hinter der Krümmung allmählich spindelförmig verdickt, um dann, etwa in der Höhe, des hinteren Abschnittes des vierten Ventrikels, entsprechend der Lage des Ohrlabyrinthes, in einen dünnen Strang überzugehen. An dem abgebildeten Schnitt be- trägt die Dicke der breitesten Stelle der spindelförmigen Anschwellung 272 w, die der dünnsten Stelle der Verjüngung nur 96 u. Dahinter schwillt die Chorda dann wieder ziemlich plötzlich zu einer Dicke von 360 wan. — An Querschnitten zeigt sich, dass die Verdünnung mit einer eigenthümlichen Formveränderung der Chorda verbunden ist. Die dor- sale Wölbung derselben ist nämlich nicht mehr konvex, sondern konkav, so dass im Querschnitt eine halbmondförmige Figur mit nach oben ge- richteten Hörnern erscheint (Fig. 9). Somit ist die Chorda während ihres Verlaufes durch die verdünnte Stelle mit einer dorsalen Rinne ver- sehen. Dieser Rinne entspricht eine gleiche über ihr gelegene Ver- tiefung in der Mitte der Knorpelspange, welche lateralwärts die la. a. 0. pag. 127, Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 555 Hohlräume des Labyrinthes enthält, dorsalwärts aber den Boden des Wirbelkanales für die Medulla oblongata bildet Fig. 9). Die Chorda streicht dicht unter dieser Vertiefung des Wirbelkörpers hin, und ist von dem Bindegewebe, welches als Anlage der späteren Hirn- beziehungs- weise Rückenmarkshüllen den Hohlraum zwischen Knorpelspange und Medulla ausfüllt (Fig. 10 d) nur durch mehrere Schichten eines Ge- webes getrennt, das sich lateralwärts unmittelbar in eine oberfläch- liche, an abgeflachten zelligen Elementen reichere Schicht fortsetzt. Letztere ist als Perichondrium der dem Rückenmarkskanal zugewen- deten freien Fläche der Wirbelknorpelspange anzusehen. Die tie- feren, d. h. mehr ventralen Schichten biegen über die Hörner des Halbmonds ventralwärts um und gehen in die sogenannte skeletogene Chordascheide GEGENBAURr’s über, deren »Limitans externa« (Fig. 9 L) deutlich erkennbar ist. Was die Zellen der Chorda in dieser Gegend betrifft, so bilden die protoplasmareichen einen kontinuirlichen Saum, die hellen, cen- tralen aber sind, entsprechend der dorsalen Einbuchtung, in ihren oberen Lagen von oben nach unten komprimirt, sehr in die Breite gezogen und ebenfalls leicht konkav. Allmählich geht diese halbmondförmige Gestalt des Chordaquer- schnittes nach hinten zu in die eines umgekehrten Bienenkorbes über, indem die dorsale Konkavität sich in eine geradlinige Begren- zung verwandelt und das Gebilde in dorsoventraler Richtung bedeu- tend an Dicke zunimmt. Dies geschieht etwa in der Gegend, wo die beiden Ohrkanäle dorsalwärts emporsteigen, um sie am Hinter- haupt zu öffnen. Schließlich entsteht aus dieser Form des Quer- schnittes die ovale im Bereiche der auf die Verdünnung folgenden starken Verdickung. Diese eigenthümlichen Formveränderungen der Chorda, nament- lich die halbmondförmige Gestalt des Querschnitts im Bereich der dünnsten Stelle stehen augenscheinlich mit der Rückbildung des Or- gans in dieser Gegend in Beziehung. Es ist interessant, dass GOrrs! etwas ganz Ähnliches an der Chorda der Unke beschreibt. Auch hier unterbleibt nach ihm in einem kurzen Stücke gleich hinter der Spitze der Wirbelsaite die Verknorpelung an der dorsalen Seite der Scheide; »sie wird dabei hautartig und schließt sich seitlich an das Perichondrium der Seitenplatten an, so dass die Wirbelsaite nach Entfernung dieser Haut wie in einer Mulde nackt zu Tage liegt«. ! Die Entwicklungsgeschichte,der Unke, pag. 363, Taf. IX Fig. 173, 174, 556 H. Rabl-Riickhard Er bildet an dieser Stelle den Chordaquerschnitt als dorsoventral zu- sammengedrückt nierenförmig und dorsalwärts konkav ab (Fig. 173). So weit über die Chorda selber. — Was nun den zweiten uns vorwiegend interessirenden Theil anbelangt, den sogenannten mittle- ren Schädelbalken (Fig. 7 ir), so überragt er an dem abgebildeten Präparat den Scheitel der Chordakriimmung, bis zu seiner den Boden der Zweihügelregion (des Mittelhirns) berührenden Spitze gemessen, um beinahe 2 mm (genau 1,96). Er hat eine hakenförmige Gestalt, indem er ventralwärts erst konvex, dann, entsprechend der sich aus- buchtenden hinteren Wand des Infundibulum (Saccus vasculosus 2), stark konkav ausgehöhlt ist. Hier liegt die dünnste, halsartig ein- geschniirte Stelle des mittleren Schädelbalkens. Im abgebildeten Präparat hat er sich von den Wandungen des Medullarrohres zurück- gezogen, doch deuten fadenförmige Stränge die durch die schrum- pfende Härtungsflüssigkeit gelöste natürliche Verbindung an. Ein länglicher gestielter Fortsatz erstreckt sich in die durch die Aus- buchtung des Saccus vasculosus gebildete Falte am hinteren (oberen) Umfang des Infundibulum (:). Der abgebildete, fast streng in die Medianebene gefallene Schnitt erweckt nicht die Vorstellung, dass dieser ganze binde&ewebige Fort- satz, den der mittlere Schädelbalken darstellt, und der sich in den Winkel zwischen die gegen einander gebeugten Hirnabschnitte schiebt, hauptsächlich als Träger mächtiger Blutgefäße anzusehen ist, deren entwickelte Adventitia er eigentlich darstellt!. Der Gefäßreichthum tritt nämlich erst an lateralen, dem abgebildeten parallelen Schnitten hervor. Namentlich sind es zwei außerordentlich (bis 152 « dicke), nach vorn konvexe Bogen, die je zur Seite der Medianebene liegen, und eine Verbindung zwischen den beiden Carotiden und der Basilar- Arterie (Fig. 7 a. 6) darzustellen scheinen. Nach hinten zu geht der mittlere Schädelbalken kontinuirlich in das Bindegewebe über, das den Boden des Wirbelkanals ausfüllt, indem es sich zwischen die Knorpelanlage um die Chorda und die Oberfläche der Medulla schiebt und später die Hirnhiillen bildet. Überhaupt lassen sich überall Übergänge zwischen diesen und dem mittleren Schädelbalken nachweisen, ein Beweis, dass dieser, wie bereits gesagt, in dieser Entwicklungsphase nichts weiter ist, als, ein vorübergehend besonders entwickelter gefäßtragender Fortsatz der Pia mater. I cf. W, MÜLLER, a. a. O. pag. 418, Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 557 Histologisch betrachtet besteht er überall in diesem Stadium aus einem lockerem Bindegewebe, in dem unter Anwendung essig- sauren Alaunkarmins oder Hämatoxylins zahlreiche rundlich eckige Kerne hervortreten, die namentlich nach den freien Oberflächen zu dichter gestellt sind. Sie liegen fast immer im Mittelpunkt stern- förmiger, mit ihren Ausläufern anastomosirender Figuren, die man verschieden deuten kann. Die Art der Härtung und Präparation gestattet indess nicht, auf die hier erwachsenden histologischen Streit- fragen einzugehen. In Betreff des dritten Theiles, der unseren Antheil erregt, die Hypophysis (Fig. 7 A), mögen wenige Worte genügen. Ich kann hier die Darstellung W. MürLer’s nur bestätigen. Es handelt sich um ein schlauchförmiges, von oben nach unten komprimirtes Gebilde, welches mit seinem hinterem, bedeutend diekerem Ende dicht vor der Chordaspitze beginnt, und, allmählich schlanker werdend, längs der ventralen Wand des Infundibulum gelagert, bis zum Beginn des Chiasma nervorum opticorum (Fig. 7 chi) reicht. Von hier zieht sich ein an der Spitze der Hypophysis befestigter Strang über das Chiasma nach vorn, um däselbst in das lockere Bindegewebe der sich dif- ferenzirenden Hirnhüllen überzugehen. Querschnitte zeigen, dass die Hypophysis auch zu beiden Seiten durch diesen Strang oder richtiger durch diese Platte fixirt wird, die sich nach oben mit dem zwischen Hirn und knorpeliger Schädelkapsel liegenden Bindegewebe in Zusam- menhang stehend erweist. An der ventralen Wand der Hypophysis bemerkt man bereits einen sich entwiekelnden Nebenspross. Mit Bestimmtheit lässt sich endlich nachweisen, dass zu dieser Zeit eine Kommunika- tion zwischen Infundibulum und Hypophysenschlauch nicht vorhan- den ist. Es wäre hier der passendste Ort, auf einen Befund einzugehen, dessen zuerst v. MikLucno-Macray und W. MÜLLER gedenken. Ersterer gab in seiner vorläufigen Mittheilung! an, dass der Ver- bindungsgang zwischen dem Schlund und der abgeschnürten Hypo- physis als sogenannter Hypophysenkanal in Gestalt einer offenen Kommunikation persistire. Später? widerrief er diese Angabe als irrthümlich, indem er den dicht unter der Hypophysis ausmünden- den Carotidenkanal damit verwechselt hatte. Offenbar bezieht sich ! Jenaische Zeitschr. IV. pag. 558. 2 Das Gehirn der Selachier pag. 40 Anm. 34. 558 H. Rabl-Riickhard auch REICHERT’s Angabe', dass er bei Plagiostomen ein medianes Gefäß, welches man als Uberrest der RavuKe’schen Tasche ausge- geben habe, injieirt habe, auf diesen damals bereits zugestandenen Irrthum MacraAy’s. Es darf aber mit diesem Carotidenkanal ein Strang nicht verwech- selt werden, den W. MÜLLER? zuerst beschreibt und abbildet. Er schildert ihn als einen 0,03 dicken, von flachem Cylinderepithel ausgekleideten, oben und unten leicht trichterförmig erweiterten Gang, der, 0,2 vor der Carotis gelegen, die Schädelbasis in senk- rechter Richtung durchsetzt, und eine Kommunikation der Hypophyse mit dem Schlund darstellt. — Wie bekannt, hat seitdem v. MıHAL- Kovics*® diesen »Hypophysengang« auch bei Kaninchenembryonen aufgefunden und eingehend beschrieben, eben so KOLLIKER bei Schaf- embryonen?. Ich selber war nicht so glücklich bei den von mir untersuchten Acanthiasembryonen eine Bildung aufzufinden, die der Schilderung MÜLLEr’s völlig entspriiche. Der Epithelüberzug des Schlundes im ganzen Bereich der Schädelbasis von der Zahnanlage bis zum quer getroffenen Lumen der Carotis (c) erscheint bei dem abgebildeten Medianschnitt glatt und ohne irgend welche erkenn- bare Einsenkung. Erst unmittelbar hinter diesem Gefäßlumen macht sich eine Zeichnung bemerklich, die den Eindruck eines mit dem Schlundepithel in unmittelbarer Verbindung stehenden, von die- sem nach der basalen Fläche der Chorda ziehenden Fortsatzes er- weckt (Fig. 7 he?). Ein ähnlicher, aber viel kürzerer, scheint sich nach hinten an ihn anzuschließen. — Zerlegt man einen Acanthias- kopf derselben Entwicklungsstufe in eine lückenlose Querschnitt- serie, so erkennt man, dass diesem scheinbar vorderstem Fortsatz thatsächlich ein mit dem Schlund in offener Kommunikation ‚stehen- der Gang entspricht, der an der Chorda blind endet (Fig. 10 dé). Das Epithel des Schlundes biegt direkt in ihn ein und kleidet ihn all- seitig bis zu seinem oberen blinden Ende aus. . Eine Verwechselung mit einem Blutgefäß ist bei einiger Aufmerksamkeit um so weniger möglich, als diese zur Zeit noch nirgend selbständige, messbar dicke Wandungen zeigen, während der Gang, wie gesagt, eine kubische Epithelbekleidung besitzt. Ob indess dieser Gang als Rest des Hy- pophysenkanals anzusprechen sei, ist mir zweifelhaft, weil seine. 1]. c. pag. 60. 2 1. ec. pag. 362. ® Entwicklungsgeschichte des Gehirns pag. 85 (Taf. VI Fig. 55, 56 det). ‘ Entwicklungsgeschichte ete. 2. Aufl. pag. 529, Fig. 326. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 559 F Lage, hinter der querdurchschnittenen Carotis (Fig. 7 ce) nicht mit der von W. MüLLer gegebenen Darstellung übereinstimmt. Denk- bar wäre es ja, dass durch ungleichmäßiges Wachsthum der Schlund- wand und der prächordalen Hirnabschnitte eine Verschiebung des Kanals nach hinten, aus dem Bereich der Hypophysis hinaus, be- wirkt wurde. Ich darf indess nicht unerwähnt lassen, dass eine viel kürzere Einbuchtung des Schlundepithels sich bei meiner Quer- schnittserie weiter vorn vorfindet, die möglicherweise der Rest des Hypophysenkanals ist. Von der Spitze der Bucht setzt sich nämlich ein strangförmiger Zug, nur durch die Richtung des Faserzuges des embryonalen Bindegewebes angedeutet, bis zum Lumen des auch im Längsschnitt längsgetroffenen Gefäßes c’ (Fig. 7) fort. Von hier geht dann im folgenden Schnitt ein zweiter Zug gleicher Art durch den daselbst dehiscirenden Knorpel der Schädelbasis nach der Richtung des querdurchschnittenen Hypophysenschlauches. Hier wird aber eine sichere Entscheidung darüber, was man vor sich habe, durch die Komplikation des Bildes des Stranges mit dem Blutgefäß c’ unmöglich. Man könnte eben ersteren auch für ein zusammengefallenes, nach der Hypophysis streichendes Gefäß- ästehen halten, wobei nur merkwürdig bliebe, dass dasselbe sich an die Spitze der epithelialen Ausbuchtung des Schlundes unmittelbar anschließt. Endlich wäre noch zu erwähnen, dass ich an dem dorsoventra- len Medianschnitt des Kopfes eines bedeutend in der Entwicklung vorgeschrittenen Mustelusembryo von 9—10 em Länge unmittelbar unter und hinter dem Lumen der Carotis, also etwas weiter nach vorn, als der Zapfen der Fig. 7 liegt, ebenfalls einen kurzen Zapfen vom Epithel in das Bindegewebe des Schlundes eindringen sehe (Fig. 11 Ae?). Derselbe endet plötzlich, ohne dass man einen Fort- satz nach der Hypophysis verfolgen kann. Die Chorda erreicht er nicht, weil dieselbe in diesem Stadium bereits bis auf geringe An- deutungen in der Zellstruktur und -Anordnung des basalen Knorpels in dessen ganzer Ausdehnung geschwunden ist. Über die weiteren Veränderungen des mittleren Schädelbalkens vermag ich dem von anderer Seite bereits Mitgetheilten nichts We- sentliches hinzuzufügen. Jene späteren von mir untersuchten Ent- wicklungsstadien von Mustelus vulgaris (Fig. 11) zeigen die Sat- tellehne schon völlig als Knorpel ausgebildet. Dieselbe reicht mit ihrer Spitze genau bis an die Stelle, wo das ventrale Ende des Infundibulum und das hintere Ende der Hypophysis in Verbindung 560 H. Rabl-Riickhard treten. Der ganze, noch sehr lange, iiber diese Stelle hinausragende Rest des mittleren Schiidelbalkens (¢7) ist erheblich in seiner Breite reducirt, und wird in seinem hinteren Abschnitt durch ein starkes zur Hirnbasis emporsteigendes Blutgefäß vertreten, während sein vorderes Ende die Form eines eckig gebogenen Häkelhakens zeigt, dessen Scheitel in die Kniekungsstelle der Hirnbasis, und dessen Spitze in die über dem Saccus vasculosus (S.v) gelegene Falte der hinteren Trichterwand eindringt. Gleichzeitig hat sich der Zwi- schenraum zwischen den beiden Gehirnabschnitten, den er ausfüllte, bedeutend durch Wachsthum dieser letzteren verkleinert, und so schwindet er schließlich bis zu einem die Arteria basilaris tragenden unbedeutenden Bindegewebsfortsatz der Pia mater hin, ohne dass je in diesem Raum ein Theil der Hypophysis zur Entwicklung ge- kommen wäre. Die Hauptmasse der im Medianschnitt noch ein schlauchférmi- ges Lumen, auf seitlichen Schnitten dagegen zahlreiche Nebenspros- sen zeigenden Hypophysis liegt zwischen zwei Lamellen, deren un- tere sich von der Spitze des Dorsum ephippü (Fig. 11 d.e) nach vorn zu erstreckt und in das Perichondrium der cerebralen Keilbein- oberfläche übergeht, während die obere sich zwischen ventrale Wand des Infundibulum () und die Hypophysis schiebt. Ein Nebenspross der letzteren ist unterhalb der unteren Lamelle, also innerhalb der eigentlichen Sattelgrube, gelegen. Eben daselbst finden sich auch, im lockeren Bindegewebe eingelagert, die querdurchschnittenen Lumina der Arteria carotis und deren Nebenäste. ~ Von der Chorda dorsa- lis sind, wie bereits bemerkt, im Bereich des Basalknorpels nur noch undeutliche Reste erhalten (ch), namentlich ist nichts mehr von dem umgebogenen Ende jener sichtbar. W. MüÜLLEr! bildet dasselbe an seinem wohl demnach einem jüngeren Embryo von Mus- telus entnommenen Schnitt (Taf. IX d) ab. Weiter nach hinten, erst in der Wirbelsäule, liegt die, bereits den Wirbeln entsprechend ein- geschniirte, Chorda, von deren vorderster Begrenzung ein ganz din ner Strang sich in dem Basalknorpel fortsetzt. Wir sind somit bei der Betrachtung der Entwicklung der Chorda, der Hypophysis und des mittleren Schiidelbalkens zu folgenden Er- gebnissen gelangt: 1) zu keiner Zeit der Entwicklung ragt die Spitze der Chorda dorsalis bei Acanthiasembryonen über den- la. a. O. pag. 364. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 561 jenigen Theil der Schädelbasis hinaus, welcher später zur Sattellehne wird; 2) die Hypophysis entsteht unmittelbar vor der Spitze der Chorda dorsalis im basalen Theil der bindegewebi- gen Anlage, die man als mittleren Schädelbalken be- zeichnet; 3) der Scheitel dieser Anlage (Processus sellae tur- cieae REICHErRT’s) gehtin diespätere Sellatureica nicht mit ein, sondern wird zur bindegewebigen Adventitia eines basalen Hirngefäßes. Was die weitere Angabe Reıcnerr’s anbelangt, dass die Chorda bei Haifischembryonen zu einer gewissen Zeit der Entwicklung bis an die »Stirnwand« reiche, so wird dieselbe durch meine Un- tersuchungen nicht beriihrt', sie ist im Gegentheil sehr wohl damit vereinbar, wenn man die ganze eigentliche Sella tureica, d. h. das Stück der Basis eranii, welches die vor dem Clivus gelegene von der Hypophysis ausgefüllte Grube enthält, als eine spätere prä- chordale Bildung gelten lässt. Noch einige beiläufige Beobachtungen ergeben sich aus der Be- trachtung des auf Fig. 7 abgebildeten medianen Längsschnitts. Die- selben betreffen zunächst die Epiphysis (Glandula pinealis, g.p) in diesem Entwicklungsstadium. Die Lage dieses Organs zwischen primärem Vorderhirn und Mittelhirn (erstem und zweitem Hirnbläs- chen Rercuert’s), die Einlagerung seines craniellen Theils in die Schädelkapsel, seine Form als eine mit langem Stiel dicht vor der hinteren Kommissur und hinter der rudimentären Thalamusanlage (tha) angeheftete Blase: alles dies stimmt genau mit der Darstellung überein, welche BaLrour? und Enters? von der Epiphyse in dem ! Dieser Ansicht schließt sich auch der jüngste Forscher auf dem Gebiet der Hirnentwicklung Dr. L. LöwE an. (Beiträge zur Anatomie und zur Ent- wicklungsgeschichte des Nervensystems der Säugethiere und des Menschen, Berlin 1880 pag. 24 ff.) Leider habe ich die genannte Veröffentlichung nicht mehr im Text meiner bereits fertiggestellten Arbeit benutzen können. — An der angeführten Stelle macht übrigens Löwe Herrn v. KÖLLIKER einen ungerecht- fertigten Vorwurf, „indem er die Fig. 273 pag. 442 in dessen 2. Auflage der Entwicklungsgeschichte als mit dem Text im Widerspruch stehend ansieht. K. bezeichnet nämlich, wie LöwE wenige Seiten vorher (pag. 431) hätte lesen können, den mittleren Schädelbalken Raruxke’s als vorderen Schädel- balken. 2a. a. O. pag. 177 (Taf. XV). 3 Die Epiphyse am Gehirn der Plagiostomen (Zeitschr. f. wissensch. Zoolo- gie, Band. XXX. Suppl. pag. 618. Morpholog. Jahrbuch. 6. 36 562 H Rabl-Riickhard entsprechenden Entwicklungsstadium geben. Vor derselben liegt die dünne, häutige Decke des primären Vorderhirns, deren hinterer Ab- schnitt sich zu den Plexus chorioidei einstülpt (»2). Diese letzteren zeigen sich sowohl hier, wie im Bereich des vierten Ventrikels (»/') als kontinuirlich mit den Hirnwandungen in Zusammenhang stehende Faltungen und Sprossenbildungen epithelialer Natur, also genetisch mit den ersteren gleichwerthig, und enthalten von der bindegewebi- gen Anlage der späteren Hirnhäute stets Fortsätze in ihrem Innern. Ihre Entwieklung beim Haifisch giebt somit einen weiteren Be- leg für die Richtigkeit der von REICHERT stets urgirten genetischen Auffassung des Ependyms und der Plexus, welche in neuerer Zeit auch von anderen namhaften Forschern (MIHALKOVICS, KOLLIKER') auf Grund eigener Forschungen angenommen wird. Nur für die Auf- fassung der Pia im Sinne REıcHErT's als einer aus der Anlage des Centralnervensystems, hervorgehenden Hülle des Hirns geben meine Befunde keinen Beleg, während sie sich mit der von jenen beiden Forschern gegebenen Darstellung über die Entstehung der Pia aus dem Mesoderm ? sehr gut vereinigen lassen. Auf die Epiphysis zurückkommend, möchte ich zu einigen Be- merkungen über ihre Lage und die darauf begründete Deutung der benachbarten Hirnabschnitte bei den Fischen Gelegenheit nehmen. Bekanntlich hat StıepA® die Thatsache, dass die Glandula pinealis bei allen höheren Wirbelthieren zwischen primärem Vorderhirn und Mittelhirn (erstem und zweitem Hirmbläschen) liegt, für seine Deutung der Gehirnabschnitte des Selachiergehirns gegen die Auffassung von MikLucHo-MAcLAY in der Art verwerthet, dass er auch bei den Selachiern den unmittelbar hinter der Epiphysis liegenden Abschnitt als Mittelhirn (Vierhügelregion der höheren Wirbelthiere), den vor derselben liegenden aber als Thalamusregion des Vorderhirns ansieht. Fritsch * sucht diese ihm für seine eigenartige Deutung der Theile des Teleostiergehirns höchst unbequeme Thatsache dadurch abzu- schwächen, dass er die Zirbel »unter dem Einfluss der vorwärts ge- richteten Streckung des Medullarrohrs« stehen, den rudimentären Hemisphären nachrücken und ihnen so benachbart bleiben lässt. Nach ihm soll sie hier sogar »gewissermaßen die Grenzmarke zwi- ! Entwicklungsgeschichte des Menschen etc. 2. Aufl. pag. 520 ff. 2 ibid. pag. 570. 3 Uber die Deutung der einzelnen Theile des Fischgehirns. (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXIII, pag. 443 ff.) 4 a. a. O. pag. 19 ff. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 563 schen dem Vorder- und Zwischenhirn« bezeichnen. Er kniipft daran die Vermuthung, dass diese Lage der Zirbel »phylogenetisch bei den Fischen vielleicht ihre ursprüngliche Lagerung repräsentiren« dürfe. Auch bei den Amphibien soll sie nach Frirscu diese Grenze be- zeichnen, und indem er nun Behufs der Orientirung zwei Horizontal- schnitte vom Frosch- und vom Aalgehirn, die »in der Höhe der Zirbel« durch diese gelegt sind, mit der Zirbel auf einander passt, benutzt er die letztere »als Ausgangspunkt« für die gleiche Deutung der auf einander fallenden Hirnabschnitte. Diese von ihm gefundene That- sache des Vorrückens der Zirbel benutzt also Frirscn, um damit dem schwerwiegenden Einwurf zu begegnen, dass, wenn seine ledig- lich durch mikroskopische Untersuchung gewonnene Anschauung. richtig wäre, beim Fisch Theile des Zwischenhirns (Fornix und ein Theil der Commissura anterior) hinter die Zirbel zu liegen kämen. So wenigstens verstehe ich seine Darstellung, wobei ich nicht ver- hehlen will, dass dieselbe an manchen Stellen seines Werks ohne Schuld des Lesers zu Missverständnissen Anlass geben kann. Diesem Verfahren nun muss ich mich im Folgenden entgegen- stellen, und zwar werde ich mich der Reihe nach sowohl gegen die Logik der Beweisführung,, wie gegen die Art, die Thatsachen zu gewinnen und endlich gegen diese selbst wenden. Wenn sich, was Fritsch übrigens nirgends beweist, die Zirbel thatsächlich so verschie- ben kann, dass sie, anstatt wie bei den Säugethieren die Grenze zwi- schen primärem Vorder- und Mittelhirn (erstem und zweitem Hirn- bläschen) zu markiren, bei Fischen die Grenze zwischen sekundärem Vorderhirn (Großhirn) und primärem Vorderhirn (Zwischenhirn) be- zeichnet, also »vorgerückt« ist, so darf man sie doch jedenfalls nicht als fixen Punkt betrachten, um sich über die Deutung der verschie- denen Hirntheile bei verschiedenen Thierklassen (Amphibien — Fischen) zu orientiren. Mit anderen Worten: Wenn die Zirbel beim Frosch an der Grenze des Groß- und Zwischenhirns läge, so bewiese das doch nicht, dass diejenigen Theile, welche beim Aal unmittelbar hin- ter ihr liegen, auch dem Zwischenhirn angehören müssen. Frırsch durfte, immer die Richtigkeit seiner Prämisse vorausgesetzt, nur so schließen: wenn die Zirbel sich thatsächlich verschieben kann, so braucht das, was am Gehirn hinter ihr liegt, nicht bei allen Thier- klassen das Gleiche zu sein, wie bei den Säugethieren, nämlich das Mittelhirn. Schon beim Frosch sehen wir, dass ein Theil, der sei- ner ganzen Struktur nach nicht dem Mittelhirn, sondern dem Vor- 36* 564 H. Rabl-Riickhard derhirn angehört, der »Lobus centralis«, hinter der Zirbel liegt. Wenn nun thatsächlich die relative Lage der letzteren bei Fischen und Amphibien dieselbe ist (wie ich, Frirscu, finde), so bin ich berechtigt, auch bei ersteren die unmittelbar hinter der Zirbel sich an- schließenden Theile des Gehirns ebenfalls als zum Vorderhirn ge- hörig zu deuten. In jedem Fall nun, selbst in dem, dass Fritsch nur den von mir ihm als statthaft zugegebenen Schluss gezogen hätte, beziehungs- weise gezogen wissen will, — was ja möglicherweise seine Ab- sicht ist — in jedem Fall, sag’ ich, begeht Frırscn dann denselben logischen Fehler, der ihm in Srrepa’s Argumentation zum Angriffs- punkt dient. Letzterer sagt: weil ich beim Säugethier und Vogel sehe, dass die Zirbel zwischen erstem und zweitem Hirnbläschen liegt, so ist auch beim Fischgehirn der hinter ihr liegende Theil zweites Hirnbliischen, d. h. Mittelhirn; Frirscn sagt: weil ich bei Amphibien (Frosch) sehe, dass die hinter der Zirbel zunächst gelegene Hirnpartie nicht dem zweiten, sondern dem ersten Hirnbläs- chen angehört, so ist auch beim Fischgehirn der hinter ihr liegende Theil erstes Hirnbläschen, d.h. Zwischenhirn (Decke desselben). So viel über die Art der FrrrscH’schen Beweisführung. Ich komme nun zu meiner zweiten Betrachtung, nämlich der, wie Frirscu die der letzteren zu Grunde gelegten Thatsachen gefunden hat. Auch hier muss ich mich in entschiedenen Gegensatz zu ihm stellen. Wenn ich mir über die gegenseitige Lage der Zirbel und der sie einschließenden Hirntheile klar werden will, kann ich keine Ho- rizontalschnitte gebrauchen, wie Frirscn es thut, denn die Zirbel ist ein langgestrecktes Gebilde, dessen distales Ende je nach der Länge des Organs eine sehr verschiedene Lage haben kann, wäh- rend der Ursprung ihres Stiels, ihr in der Kontinuität des Gehirns wurzelndes proximales Ende, — und auf diesen Stiel kommt es allein an — sehr wohl eine ganz bestimmte Lage bei allen Thierklas- sen einnehmen kann. Über das Verhalten derselben zum Vorder- und Mittelhirn vermögen lediglich dorsoventrale, d. h. senkrechte Medianschnitte, wie sie BALFOUR, EHLERS und ich geben, oder Quer- schnittserien Aufschluss zu ertheilen. Horizontalschnitte dagegen, wenn sie nicht genau gerade durch den Ursprung des Zirbelstiels gelegt sind, können sehr leicht zu einer ganz fehlerhaften Auffas- sung der Lage der Zirbel führen, je nachdem dieselbe während ihres langgestreckten Laufes mehr vorn oder hinten vom Schnitt ge- troffen wurde. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 565 ‘Somit bleibt uns Frrrsca auch den Nachweis schuldig, dass dié Zirbel beim Frosch vor dem »Lobus centralis«, und somit vor einem dem primären Vorderhirn angehörigen Abschnitt liegt. Nachdem ich so das Fehlerhafte der Frirscu’schen Beweisfüh- rung sowohl in der Art des Schlusses, wie in der Gewinnung der demselben zu Grunde gelegten Thatsachen gezeigt habe, erübrigt noch der positive Nachweis, dass die Zirbel auch bei den Amphibien und bei den Knorpelfischen genau da liegt, wo man sie bei den hö- heren Wirbelthieren findet, nämlich an der Grenze zwischen Vorder- und Mittelhirn, und dass sie nicht, wie FrrrscH be- hauptet, eine Wanderung im Nachtrab der Großhirnhemisphären an- stellt. Ich beginne zunächst mit der Lage der Zirbel bei den Selachiern. Wie die Untersuchungen von BALFOUR erwiesen haben, entsteht die- selbe hier als eine blasenförmige Hervorwölbung der dorsalen Hirn- wand zwischen den Wölbungen des Vorder- und Mittelhirns oder, um durch den Namen nicht schon einen Schluss vorweg zu nehmen, an der Grenze zwischen den vordersten beiden Anschwellungen des embryonalen Hirns. — Durch die von BALFOUR! und Enters? be- obachteten Stadien bis zu den von mir untersuchten, aus denen Fig. 7 und 11 entnommen sind, wird eine hinreichend kontinuirliche Beob- achtungsreihe hergestellt, und das Ergebnis derselben ist Folgendes: Die Glandula pinealis besteht als eine Ausbuchtung der dorsalen Wandung der ursprünglichen Hirnanlage zwischen zwei Gehirnab- schnitten, deren vorderer sich während der ganzen weiteren Ent- wicklung zweifellos als Vorderhirn, und deren hinterer sich als Mittelhirn herausstellt. Unmittelbar hinter dem später lang ausge- zogenen Stiel der Zirbel liegt die Commissura posterior, unmittelbar vor ihr die Tubercula intermedia der Autoren, die man als einen ru- dimentären Thalamus opticus aufzufassen berechtigt ist. Das distale Ende der Zirbel liegt in Gestalt einer hohlen Blase im Mesoderm der Schädelkapsel, weiterhin wird es von dem lockeren Bindegewebe umgeben, aus dem später die Hirnhäute entstehen (Fig. 7 gp). Bei Acanthias legt sich das distale Ende, wenigstens in dem Entwicklungs- stadium, das die Fig. 7 zeigt, etwas nach hinten, indem es sich der Decke des Mittelhirns nähert, bei Scyllium canicula dagegen scheint es, ! A monograph on the development of Elasmobranch Fishes , Cpt. IX. Plate XIV, XV. 2 Die Epiphyse am Gehirn der Plagiostomen, Zeitschr. f. wissensch. Zoo- logie, Bd. XXX Suppl., pag. 609—634. 566 H. Rabl-Riickhard wie die Abbildungen BaLrour’s zeigen!, sich nach vorn über das Zwischenhirn zu legen und dem sekundären Vorderhirn zuzustreben. — Es ist aber ganz gleichgültig für die Orientirung der Hirn- abschnitte, wo dieses Ende liegt. Hat doch Enters? gezeigt, dass es beim erwachsenen Thiere, der Schädelkapsel eingelagert, weit über das Vorderhirn hinausragen kann. Es hängt eben ganz vom Längswachsthum der Zirbel ab, wo man dieses vordere Ende findet. Da aber das proximale Ende, auf das es allein ankommt, beim erwachsenen Acanthias und Mustelus genau wieder zwischen Com- missura posterior und Thalamusrudiment sich vorfindet®, so erscheint dasselbe gewissermaßen als ein stationärer Grenzpfeiler zwischen Vorder- und Mittelhirn während der ganzen Entwicklung, so wie beim erwachsenen Thiere. Unmittelbar vor dem Zirbelstiel erhebt sich im Medianschnitt vom vorderen dorsalen Umfang des Thalamus die dünne Hirnwand, um unter spitzem Winkel plötzlich eine lange und mit Nebensprossen versehene Einstülpung in den Hohlraum des Vor- derhirns zu bilden, die Anlage des Epithels der Plexus chorioidei der Vorderhirn-Ventrikel (Fig. 7 p/)4. Die vordere Wandung der diese Plexus bildenden Einstülpung steht kontinuirlich mit einer Stelle des Vorderhirns in Verbindung, wo die dorsale Decke desselben dünn bleibt — das häutige Dach des dritten Ventrikels — und erst vor dieser Region beginnt das sekundäre Vorderhirn (Großhirn) mit einer bedeutenden Verdiekung der vordersten Abschnitte der Hirnwandun- gen. Baurour hat diese Entwicklung genau verfolgt, und beschreibt die beiden durch die Dieke ihrer Wandungen frühzeitig unterschie- denen Abschnitte ganz meinen Befunden entsprechend 5, während von seinen Abbildungen nur Fig. 11 auf Plate XIV, nicht aber die dem von mir beobachteten Stadium der Fig. 7 am nächsten stehenden Figuren 7 6 und 5 das Verhalten richtig und genau wiedergeben. Der Stiel der Zirbel ist somit bei Plagiostomen (Hai), abgesehen von dem an seiner vorderen Basis liegenden Thalamusrudiment, nicht nur durch die ins Innere wuchernden Plexus, sondern durch eine ansehnliche, den häutigen (epithelialen) Charakter beibehaltende 1]. c. Plate XV, 5 und 75. 2 ef. 1. c. Taf. XXV, Fig. 1 und 2. 3 Vergl. auch EHLERs, |. c. Taf. XXV Fig. 4. 4 vergl. EHters |. c. Taf. XXV Fig. 8. 51. c. pag. 176. - Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen. 567 Strecke der dorsalen Hirnwand von der Großhirnanlage geschieden. So verhält es sich bei den Knorpelfischen. Wie steht es nun mit den Amphibien, insonderheit mit dem Frosch, auf den sich Frirscu beruft? Reıssner! stellt die Lage des distalen Endes der Zirbel des Frosches, den Knopf derselben, in Aufsicht richtig dar. Dasselbe liegt zwischen den nach hinten aus einander weichenden Großhirnhemisphä- ren, unmittelbar an diese sich anschließend, genau an der Stelle, wo der Durchschnitt der Zirbel von Frirscu hinverlegt wird? Im Text aber (pag. 93) macht Rerssner ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Glandula pinealis nicht bloß ein Kiigelchen ist, »das zwi- schen den hinteren Enden der Lobi cerebrales liegt«, sondern dieselbe »besitzt außer seinem kugelförmigen Theil auch noch einen dünnen Stiel oder Schenkel, welcher sich längs der Decke des Ventriculus tertius nach hinten erstreckt.« Wo dieser Stiel hinten endet, wo sich also das proximale Ende der Zirbel der Hirndecke anheftet, ist aus Reıssner’s Abbildungen nicht ersichtlich, doch lässt sich dieser Punkt ohne Schwierigkeit an senkrechten Querschnittserien des Frosch- gehirns feststellen. Man findet zwischen Pia und Decke des dritten Ventrikels gelagert ein schlauchartiges Gebilde, welches, je weiter die Schnitte nach hinten fallen, immer deutlicher ein einfaches, von oben nach unten zusammengedrücktes, elliptisches Lumen erkennen lässt. Eine Strecke lang ist es auf der Brücke von Nervensubstanz gelagert, die Reissner als von den Thalami optici ausgehend bezeichnet, während zu beiden Seiten der »Nucleus parvus« (Ganglion habenulae) desselben Autors liegt. Weiter nach hinten, wenn letzterer bereits geschwunden ist, findet sich immer noch dieses querdurchschnittene, nunmehr enger gewordene Lumen, endlich scheint an Stelle des- selben ein solides Gebilde zu treten, welches mit der Decke des unter ihm liegenden Hohlraums schließlich verschmilzt. Unmittelbar dahinter tauchen Anfangs seitlich, dann in der Mittellinie getrof- fene Faserzüge — die Commissura posterior auf. Diese Darstellung stimmt übrigens auch mit der Beschreibung und den Abbildungen ! Der Bau des centralen Nervensystems der ungeschwänzten Batrachier Taf. U Fig. II. 2]. c. Fig. 3, pag. 20. 81. c. Taf. VIII Fig. XII g. > 568 H. Rabl-Rückhard überein, die Görre! von der Lage des Zirbelstiels bei der Unke giebt. Auch entwicklungsgeschichtlich verhalten sich die Batrachier in Bezug auf die Lage der Zirbel durchaus ganz so wie die Selachier. Die zahlreichen Abbildungen, die sich bei GOrre finden?, lassen dies mit Sicherheit erkennen, und kann ich nur auf dieselben verweisen. Wir haben also auch bei dieser Thierklasse dieselbe Lage, wie bei den höheren Wirbelthieren einer- und den Selachiern anderer- seits. Es ist somit durchaus unbegründet und unrichtig, dass, wie Frirscu behauptet, durch die Zirbel bei den Amphibien (Frosch) die Grenze zwischen Vorder- und Zwischenhirn bezeichnet wird, sondern erstere liegt auch hier zwischen Mittel- und Zwischenhirn. | Dieselbe Lage lässt sich ferner für dieses Organ bei den Saurien (Lacerta viridis) und den Crocodilina (Alligator mississippiensis) nachweisen; bei den Cheloniern soll eine besondere Epiphysis nach SrtiEDA 3 überhaupt nicht existiren. Mir scheint dies zweifelhaft, und jedenfalls der Nachuntersuchung werth. Ich finde wenigstens an dem leider noch nicht schnittreifen, von mir frisch eingelegten Gehirn einer riesigen Chelonia (Midas?), die im vorigen Herbst hierselbst von einem Delikatessenhändler geschlachtet wurde, ein schon mit bloßem Auge erkennbares rundliches Gebilde, das seiner Lage nach nur die Zirbel sein kann. Jedenfalls spricht somit keine einzige Thatsache bei irgend einer Thierklasse für ein Vorrücken der proximalen Zirbelinsertion, und fällt damit eine der Argumentationen, durch die Frrrsch seine Deu- tung des Knochenfischgehirns zu stützen sucht, zusammen. — Im Gegentheil, das konstante Verhalten der Zirbel, sowohl in phyloge- netischer, wie in ontogenetischer Hinsicht, wird zu einem äußerst gewichtigem und durch Nichts wegzudisputirendem Einwurf gegen jene Deutung. — Die Konsequenzen dieses Lageverhältnisses für die Deutung des Selachiergehirns sind bereits durch Srizpa, und noch eingehender durch Enters! gezogen worden, ich kann also von einer Wiederholung derselben mit Bezug auf das Knochenfisch- 11. c. pag. 315, Taf. XV, Fig. 285, vergl. auch Taf. VIII, Fig. 143, 146, 149. 2]. c. Taf. XV Fig. 283, 284, Taf. XVI Fig. 292, 293, 298. 3 Über den Bau des centralen Nervensystems der Schildkröte. (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XXV pag. 400.) t 1. c. pag. 630. Das gegenseitige Verhältnis der Chorda etc. bei Haifischembryonen. 569 gehirn hier absehen. — Fallen somit die Gründe, welche Frrrscu aus der vergleichenden Anatomie für seine Deutung herbeizog , so bleiben nur noch die sehr zweifelhaften Stiitzen, welche er aus dem mikroskopischen Bau des Tectum opticum fiir dessen Deutung als GroBhirnrinde entnimmt. Auf diese hier näher einzugehen muss ich mir indess versagen, weil ich genöthigt sein werde, diese Frage bei der mikroskopisch - anatomischen Bearbeitung des Alligatorengehirns, und zwar auch in einem Frirscu nicht günstigem Sinne, zu berüh- ren. Gerade das Werk von FrırscH über das Gehirn der Knochen- fische veranlasste mich, mit der Fertigstellung des zweiten Theiles meiner Arbeit, deren erster bereits im Winter 1877/78 erschien '!, zu zögern, weil ich nicht in denselben Fehler verfallen wollte, von dem man meines Erachtens Fritsch nicht ganz freisprechen kann, den nämlich, zu wenig den Hirnbau anderer niederer Wirbelthiere und die Entwicklungsgeschichte berücksichtigt zu haben. Endlich habe ich begonnen die Frage der Deutung des Knochen- fischgehirns auf dem einzigen Wege, der sichere Auskunft verspricht, nämlich dem der Entwicklung, zu verfolgen. Auch hier scheint, so weit meine Untersuchungen bis jetzt gediehen sind, Alles gegen, und Nichts für die Frrrscu’sche Auffassung des Tectum opticum zu sprechen 2. Berlin, den 6. März 1880. ! Das Centralnervensystem des Alligators. (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. XXX pag. 336—373.) 2 LOWE in seinem neuesten Werk (s. o.) kommt in Betreff der Deutung des Knochenfischgehirns zu einem Schluss, dessen ganze Begründung mir un- verständlich geblieben ist, weil er sich selbst widerspricht. Auf pag. 57 sagt er: der fälschlich Tectum opticum genannte Gehirnabschnitt der Knochenfische entspreche bei allen Fischen dem Vierhügeldach (der Säugethiere? Zusatz ego), wie er unten zeigen werde. Auf pag. 152 nun kommt er zu dem entgegen- gesetzten Ergebnis, denn das Tectum opticum ist ja gerade das zu einer Rin- denbildung entwickelte Dach des dritten Ventrikels im Sinne der FrırscH- schen Auffassung, und wenn LOWE darin ein Homologon des Großhirns sieht, so spricht er dieselbe Ansicht aus, die er bei Frrrscu als falsch bezeich- net. Denn letzterer bedient sich zwar des vorsichtigeren Ausdrucks »vikariirend«, gelegentlich an anderen Stellen aber spricht er geradezu aus, dass das Tectum Rinde des primären Vorderhirns sei (pag. 53). Also sind beide doch in seinen Augen homolog! Und dasselbe sagt LOwn, trotzdem er auf pag. 126 den ganz richtigen Satz aufstellt: »Mittelhirn ist eben unzweifelhaft bei allen Wirbelthie- ren derjenige Hirntheil, der zwischen Glandula pinealis und Trochleariskreuzung gelegen ist«, und daraus denselben Schluss gegen FrırscH zieht, wie ich. Wer von uns Beiden hat Fritsch missverstanden? Denn ein Missverständnis muss wohl vorliegen. ¥ Erklärung der Abbildungen. Tafel XXVII—XXVIII. t Allgemein gültige Bezeichnungen: vh, Vorderhirn (Zwischenhirn, 1. Hirn- ch', Chordakrücke. bläschen). ch’, deren Spitze. mh, Mittelhirn (2. Hirnbläschen). ce, ce’, Arteria carotis. nh, Nachhirn (3. Hirnbläschen). chi, Chiasma nervorum opticorum. vg, Ventriculus quartus. e, Schlundepithel. ¢, Infundibulum. hc?, Tasche in der Schlundwand, wahr- h, Hypophysis. scheinlich nicht Hypophysen- tr, Mittlerer Schiidelbalken(Trabecula). gang. ab, Arteria basilaris. n, Nasengruben. ch, Chorda dorsalis, Stamm. o, Augen. Besondere Bezeichnungen. Fig. 1. Dorso-ventraler Längsschnitt des Kopfes eines Embryo von Acanthias vulgaris. (Stadium A nach BALFOUR). mb, Mundbucht. r, Rachenhaut. Fig. 2. Profilansicht eines ältern Embryo von Acanthias vulgaris. mp, Metapterygoid (Spritzlochknorpel). 4%, Kiemensprossen. p, Pharyngobranchialknorpel. Fig. 3, 4, 5, 6. Horizontalschnitte des in Fig. 2 abgebildeten Kopfes. gh, Großhirn. g,g’, Ganglienanlagen. au, Gehörbläschen. Fig. 7. Dorso-ventraler Längsschnitt durch den Kopf eines circa 6 cm langen Embryo von Acanthias vulgaris. V', Vorderhirn. gp, Glandula pinealis s. Epiphysis. V'', Mittelhirn. tho, Thalamus opticus. V'", Nachhirn. cp, Commissura posterior. pl, pl’, Plexus chorioidei ventriculi ter- tii et quarti. : ; Fig. 8. Das vordere Chordaende desselben Schnittes, stärker vergrößert. e.ch, Cuticula chordae. (Primitive Chordascheide.) Fig. 9. Querschnitt durch die verdiinnte Stelle der Chorda eines Embryo des selben Stadiums, wie Fig. 7. I, Limitans externa (GEGENBAUR). k, Basilarknorpel. p, Perichondrium. B, Bindegewebe der Schlundwan- s, Skeletogene Chordascheide (GE- dung. GENBAUR). Fig. 10. Senkrechter (Quer-)Schnitt durch den Kopf eines Acantiasembryo des Stadiums der Fig. 7, 8, 9, stärker vergrößert (24 mal). . mo, Medulla oblongata. vv, Gefäßlumina. ns, Nervenstamm. dt, Tasche in der dorsalen Schlund- eb, Basilarknorpel. wand, auf Fig. 7 mit’hc? be- d, bindegewehige Anlage der Hirn- zeichnet. x äute. Fig. 11. Dorsoventraler Liingsschnitt durch die Hypophysengegend eines 9—10 em langen Embryo von Mustelus vulgaris. — de, Dorsum ephippii. cb, Basilarknorpel. sv, Saccus vasculosus. i Yo a - Morplı nt TD- OB5> N u a! Rabi Reckhard del ee Tat XXVIL. Morpholog. Jahrb, Ba V7. ae = rs Fig. 1 ihe Rabi Rackhard det Verlag u With Engelmann Leypetg. a ae = Verlag v. Wik Engelmann LEG. Fahl Richard det A Lak UM | i | ı de c ah e in eater Über den „pediele of invagination“ und das Ende der Furchung von Planorbis. Von Carl Rabl. Mit Tafel XXIX. Die Zuversicht, mit der Fou in seiner Abhandlung über Pulmo- naten-Entwicklung auftritt, hat mich veranlasst, eine genaue Nach- untersuchung der Planorbis-Entwicklung anzustellen. Das Resultat derselben ist, dass ich in allen Punkten, in denen sich Fou’s Abhandlung und die meinige berühren. meine früheren Angaben im vollsten Umfange aufrecht halte. Nur zwei Punkte, — in denen sich übrigens For’s Angaben mit - den meinigen nicht berühren —, sind es, in Betreff deren ich mich zu ergänzen und zu berichtigen habe. Der eine betrifft den »pedicle of invagination«, über welchen zuerst Ray LANKESTER Untersuchungen angestellt hat, der andere das Ende der Furchung. Ich hoffe, dass diese Bemerkungen eine, wenn auch nicht sehr wichtige, so doch nicht ganz uninteressante Ergänzung meiner größeren Abhandlung bilden werden. Ray LANKESTER giebt an, dass der Enddarm seinen Ursprung aus einem »pediele of invagination« nehme, welcher als Rest der Einstülpungsöffnung anzusehen sei. Er sagt: The orifice of invagi- nation »closes up, and the pedicle so formed becomes the reetum«!. Ich habe dies in meiner Abhandlung bestritten. Dieser »pedicle of invagination« wird beschrieben als ein »delicate '»On the development of the pond-snail«. Quart. Journ. of Micr. Science, Vol. XIV, N. 8. 1874. 572 C. Rabl pedicle of tissue« und soll sich von der Stelle oder dem Fleck (spot), an dem sich die Einstülpungsöffnung geschlossen hat; bis zu den ver- größerten Entodermzellen (den von mir sogenannten Eiweißzellen ) hin erstrecken. Ich will zuerst die Abbildungen, die Ray LANKESTER von diesem »pedicle of invagination« giebt, besprechen. Der jüngste Em- bryo, der ihn zeigt, ist auf Taf. XVII Fig. 1 abgebildet; aber das Gebilde, das hier als »pedicle of invagination« in Anspruch genom- men wird, ist entweder die Schalendrüse oder der Ösophagus. Ich kann mich eben an dieser Zeichnung nicht zurechtfinden. Das, was als Mund bezeichnet wird, ist eine einfache Ektodermverdiekung. Jedenfalls hat der Embryo schon eine ziemlich hohe Entwicklungs- stufe erreicht, da das Entoderm schon zweilappig ist und fast überall deutlich vom Ektoderm absteht. Der nächste Embryo mit einem »pedicle of invagination« entspricht ungefähr meinem Stadium Fig. 23; dieser Embryo hat einen deutlichen Enddarm, der von Ray LANKESTER wieder als »pediele of invagination« bezeichnet wird. Fig. 11 stellt einen Embryo dar, der, wie Ray LAnkEsTEr selbst bemerkt, sich nicht normal entwickelt hat. Fig. 17 entspricht un- gefähr meiner Fig. 24. Der »pedicle of invagination« ist der Enddarm. Alle anderen Embryonen, welche den »pediele« zeigen, stammen aus der Periode der Heteropleurie. Die Stadien, welche unmittelbar nach dem Einstülpungsstadium folgen und durch deren Beobachtung allein die Frage nach dem »pedicle of invagination« hätte entschieden werden müssen, hat Ray LANKESTER nicht beobachtet. Auf Taf. XVI bildet er zwar einen ziemlich jungen Embryo ab, versieht ihn aber nicht mit einem »pe- diele of invagination«. Ich glaube annehmen zu dürfen, dass Ray LANKESTER, wenn er an ihm etwas beobachtet hätte, was auf die Existenz eines »pediele« hätte schließen lassen, dies wohl in die Fi- gur eingetragen haben würde. Wenn ich nun auch den Text der Ray Lankester'schen Ab- handlung in Betracht ziehe, finde ich darin gleichfalls keinen stren- gen Beweis dafür, dass der »pediele of invagination « wirklich ein »pedicle of invagination« sei, dass er, mit anderen Worten, als Rest der Einstülpungsöffnung angesehen werden müsse. Denn mit der einfachen Bemerkung: the orifice of invagination closes up, and the pedicle so formed, is the pedicle of invagination, — werden so wich- tige Fragen nicht erledigt. Auch ist darauf zu achten, dass die Uber den »pedicle of invagination« und das Ende der Furchung von Planorbis. 573 Einstülpungsöffnung sich nicht an einer eng umschriebenen Stelle, sondern fast längs der ganzen Bauchseite schließt. Ich will nun meine Beobachtungen über diesen Gegenstand aus einander setzen. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass die Frage durch eine, wenn auch noch so aufmerksame Beobachtung der Em- bryonen in toto nicht zu erledigen ist, ging ieh daran, Schnitte an- zufertigen. Die jüngsten Embryonen, die ich zu diesem Zwecke! geschnitten habe, standen ungefähr mitten inne zwischen den Em- bryonen von Fig. 20 und 21 meiner Abhandlung. Es war noch keine Spur einer Schalendrüse vorhanden. Die Embryonen hatten im ge- härteten Zustande eine Länge von 0,12—0,13 mm und meine dünn- sten Schnitte haben eine Dicke von !/;¢)—'/;;) mm. Fig. 10 Taf. XXIX giebt einen aus mehreren etwas schiefen Schnit- ten kombinirten und ein wenig schematisirten Sagittalschnitt durch einen solchen Embryo. Der Ösophagus besteht, wie ich schon in meiner Abhandlung erwähnt habe, aus kleinen, von außen nach in- nen gerückten Cylinderzellen; die Darmhöhle (D) ist rundlich und wird fast überall von Eiweißzellen begrenzt; nur hinten befinden sich einige wenige körnchenreiche, prismatische Zellen, von denen ein solider Strang ähnlich körnchenreicher Zellen () bis an die Haut reicht; die Ektodermzellen sind daselbst etwas höher, als an den anderen Stellen (e). Oberhalb dieser Stelle befindet sich das, durch nichts ausgezeichnete Schalenfeld (sf). Die Zellen dieser Gegend werden später höher, stülpen sich ein und führen zur Bildung der Schalendrüse. Ich besitze eine gute Horizontalschnittserie durch einen etwas älteren Embryo, an der dieser Process sehr gut zu se- hen ist. Die Figuren 6—9 sind sehr getreu nachgezeichnete Querschnitte durch einen Embryo vom Stadium der Fig. 10: nur Fig. 7 ist einer Serie durch einen Embryo entnommen, der ein klein wenig älter war und sich in zwei später zu erwähnenden Punkten von dem frü- heren unterschied. Die Linie ab (Fig. 10), giebt die Richtung der Schnitte der Figuren 6, 7 und 8, die Linie cd diejenige des Schnit- tes der Figur 9 an. Den Schnitt Fig. 6, den zweiten einer Serie, habe ich nur desshalb abgebildet, weil er den Osophagus (oe) und ein eigenthiim- liches Verhalten des vorderen Theiles der beiden Mesodermstreifen ! Um die Existenz des Mesoderms während der Einstülpung zeigen zu kön- nen, habe ich auch durch viel jüngere Embryonen Schnitte angefertigt. 574 C. Rabl zeigt, das, wie ich glaube, einige Wichtigkeit besitzt. Rechts ist der Embryo etwas weiter hinten getroffen als links, wie aus den zwei Anschnitten von Eiweißzellen hervorgeht. Jeder Mesodermstreif besteht hier aus zwei Platten, welche durch einen Spalt von einan- der getrennt sind und von denen sich die eine an die Haut (Hautplatte), die andere an den Darm (Darmplatte) anlegt. Damit ist der sicher- ‘ste Beweis für die Richtigkeit meiner Angabe geliefert, dass die Ösophagusmuskulatur vom vorderen Abschnitte der Mesodermstreifen stammt. Der nächste Schnitt (Fig. 7) ist der dritte einer anderen Serie. Der Darm wird nur von Eiweißzellen begrenzt; die Scheitelplatte (Sp) besteht aus zwei, je vier Zellen breiten Lappen; die Mesoderm- zellen sind symmetrisch vertheilt. Fig. 8 stellt den fünften Schnitt durch einen Embryo aus dem- selben Laich dar, dem auch der Embryo, durch den die Sehnitte 6 und 9 geführt wurden, entnommen war. Die Darmhöhle (D) wird fast überall von Eiweißzellen begrenzt; nur dorsalwärts sieht man zwei körnchenreiche Cylinderzellen. Die Zelle N auf der rechten Seite ist die vordere große Mesodermzelle, welche später zur großen Urnierenzelle wird. Die betreffende Zelle der anderen Seite ist an dem vierten Schnitte derselben Serie zu sehen. Diese beiden großen Zellen findet man an allen Serien mit großer Leichtigkeit. Der letzte Schnitt (Fig. 9), der achte einer Serie, ist für unsere Frage der wichtigste. Er zeigt die hintere kleinzellige Darmwand und den Strang körnchenreicher Zellen, dessen oben Erwähnung gethan wurde. Dieser Strang berührt das Ektoderm und zeigt we- der an dieser, noch an einer andern Serie durch einen gleichalteri- gen Embryo ein Lumen. Die Ektodermzellen der betreffenden Stelle (e) sind höher und körnchenärmer, als die übrigen. Es ist aber keine Spur einer Einstülpung oder auch nur eines Spaltes im Ekto- derm zu sehen. Zu beiden Seiten des erwähnten Stranges befinden ! Ich habe in diesem Frühjahr eine Untersuchung über Bithynia-Entwick- lung begonnen und gefunden, dass auch hier die Urnieren aus durchbohrten Zellen bestehen. Die Gebilde, welche BOBRETZKY bei anderen Prosobranchiern als »äußere Urnieren« beschrieben hat, sind, wie ich vermuthet hatte, die Ho- mologa der vacuolenhaltigen Seitentheile des Velums von Planorbis und haben mit den eigentlichen Urnieren nichts zu thun. Sie enthalten sehr große Vacuo- ‘len und stehen am Rücken mit einander in Verbindung. — Das obere Schlund- ganglion von Bithynia entsteht ganz ähnlich wie das von Planorbis. — Die Entodermzellen theilen sich in Cylinderzellen, Eiweißzellen und Dotterzellen: Uber den »pedicle of invagination« und das Ende der Furchung von Planorbis. 575 sich Eiweißzellen. Zwischen Ektoderm und Entoderm sieht man jederseits mehrere große, körnchenreiche Mesodermzellen. An einer Serie durch einen etwas älteren Embryo, der gleich- falls noch keine Spur einer Schalendrüse zeigte, sieht man von der Höhle des Mitteldarmes ein kurzes Divertikel in den Strang © ein- dringen, ohne dass dieses mit der Haut in Verbindung träte. Dieses Divertikel ist, wie eine Serie durch einen noch etwas älteren Em- bryo zeigt, nichts Anderes als die Anlage des Enddarmes. Ein zwei- ter Umstand, durch den sich der ersterwähnte Embryo, dem auch der Schnitt von Fig. 7 entnommen ist, unterschied, bestand in einer ganz minimalen Einbuchtung des Ektoderms an der Stelle, wo der Strang ¢ die Haut berührt. Diese Einbuchtung verschwindet später wieder und ist ohne alle Bedeutung; sie mag vielleicht nur ein indi- viduelles Vorkommnis sein. Die kleinen Entodermzellen an der hinteren Darmwand prolife- riren später ventralwärts und noch etwas später dorsalwärts und er- zeugen die in meiner Abhandlung erwähnte kleinzellige Darm- platte. Bevor ich nun auf die Art und Weise, wie die beschriebenen Vorgänge aufzufassen sind, näher eingehe, will ich einige Worte über das Verhalten des Mesoderms sagen. Die Gestalt der beiden Meso- dermstreifen, wie sie Fig. 27 meiner Abhandlung zeigt, wird man an Querschnitten vergeblich im Detail wieder zu erkennen suchen. Dazu sind eben Flächenbilder nothwendig. Nichtsdestoweniger scheint es mir in Anbetracht des in Fig. 9 abgebildeten Schnittes, so wie mehrerer anderer, nicht unwahrscheinlich, dass die hintere große Mesodermzelle (Mutterzelle oder »Urzelle« des Mesoderms) sich schon verhältnismäßig frühzeitig theile und dass ich in späteren Sta- dien nur den Hauptstreifen des Mesoderms und nicht auch die viel- leicht vorhandenen Nebenstreifen gesehen habe. Ich habe mich be- müht, mir darüber Gewissheit zu verschaffen, habe aber bisher noch zu keinem sicheren Resultate gelangen können. Diese Dinge sind eben sehr schwer zu sehen, und die dichtgedrängten Ektodermzel- len verdecken mehr oder weniger die Verhältnisse des Mesoderms. Der vordere Abschnitt der beiden Mesodermstreifen, mit der spä- teren Urnierenzelle als Ausgangspunkt, ist aber ganz gewiss jeder- seits nur in einfacher Zahl vorhanden und ich habe mich durch Zerzupfen guter, gefärbter Präparate auch neuerdings wieder von der vollkommenen Richtigkeit meiner Abbildung überzeugt. Auch bei anderen Thieren kommt es vor, dass am hinteren Ende 576 C. Rabl der Mesodermstreifen schon frühzeitig mehrere große Zellen gelegen sind, von denen nach vorn einfache Zellreihen ausgehen. Dies habe ich z. B. an Nephelis-Embryonen gesehen. Ein anderes nicht uninteressantes Verhalten des Mesoderms be- steht in der Theilung seines vordersten Endes in Haut- und Darm- platte, auf welche schon oben aufmerksam gemacht wurde. Nun zur Frage: »Ist der Strang © (Fig. 9 und 10) als ‚pediele of invagination‘ aufzufassen ?« — Ich bin der Ansicht, dass man sich die Verhältnisse folgendermaßen zurecht zu legen habe: In dem der Einstülpung vorhergehenden Stadium (Fig. 5) be- steht das Entoderm aus zehn Zellen, vier kleinen und sechs großen. Alle diese Zellen theilen sich und das Entodermzellenfeld stülpt sich in sagittaler Richtung ein. Die Abkömmlinge der sechs großen Zel- len und vielleicht auch einige der vier kleinen nehmen Eiweiß auf und werden zu Eiweißzellen. Eine Anzahl von Abkömmlingen der kleinen Zellen erleidet aber diese Metamorphose nicht, sondern be- hält ihren Körnchenreichthum bei. Da nun das Entodermzellenfeld nach hinten nicht von großen, zu Eiweißzellen sich entwickelnden Elementen begrenzt wird, so müssen nach vollendeter Einstülpung die kleinen körnchenreichen Zellen eine Platte oder «einen Strang bilden, der nicht bloß die Darmhöhle nach hinten begrenzt, sondern auch bis an die Haut reicht. Diese Auffassung wird noch dadurch. unterstützt, dass der Strang zu beiden Seiten von Eiweißzellen be- grenzt ist und Anfangs kein Lumen besitzt. Ich bin also nach wie vor der Ansicht, dass man von einem »pedicle of invagination« nicht sprechen dürfe; finde aber, dass ein Strang oder eine Platte existirt, aus welcher nicht bloß die Wand des Enddarmes, sondern auch die Cy- linderzellen des Mitteldarmes ihren Ursprung nehmen !. Über das Ende der Furehung habe ich Folgendes zu be- merken. 1 In meiner Notiz »in Sachen der Planorbis-Entwicklung« habe ich erwähnt, dass ich eine Schnittserie durch einen Embryo ohne Enddarm besitze. Ob- wohl ich die Schnitte gleich nach dem Schneiden numerirt habe und daher nicht zugeben konnte, dass ein Schnitt verloren gegangen sei, muss ich nun doch, so unerklärlich mir dieser unliebsame Zufall ist, annehmen, dass ein Schnitt und eigenthiimlicherweise gerade derjenige, der den Enddarm zeigte,‘ ausgefallen sei. — Alles, was ich sonst über Ray LANKesTer’s Bemerkungen gesagt habe, gilt natürlich jetzt noch eben so wohl, wie früher. Uber den »pedicle of invagination« und das Ende der Furchung von Planorbis. 577 Unmittelbar nach vollendeter Vierundzwanzigtheilung ist das Lageverhältnis der Zellen genau so, wie ich es auf Taf. XXXI, Fig. 12 A und B abgebildet habe. Die animalen Zellen Z,— Ej, sind etwas körnchenreicher, als die Zellen L,—£,. Die Kerne der vier vegetativen Zellen liegen excentrisch, wie dies auch meine Figur zeigt. Die Querfurche ist sehr lang. — Bald darauf rücken die Kerne in die Mitte der Zellen und die Querfurche wird kürzer. Sodann erzeugt die hinter der Querfurche gelegene große Zelle (Fig. 1 m) eine kleine Tochterzelle, welche genau in die Querfurche zu liegen kommt und sehr schwer zu sehen ist (4). Ist man aber ein- mal auf sie aufmerksam, so sieht man sie leicht, wenn man den Keim auf die Seite rollt. Eine Kernspindel habe ich in der Zelle m zwar nicht gesehen, aber ich habe mehrere Keime beobachtet, deren Zellen m und :, keinen deutlichen Kern und keine Spur eines Kern- körperchens zeigten, während die anderen drei vegetativen Zellen 4%—1, sehr scharf umschriebene Kerne und Kernkörperchen hatten. Das deutet darauf hin, dass die Theilung so eben beendigt war. Auch die spätere Configuration am vegetativen Pol und der Umstand, dass die Zelle m auch später sich früher theilt, als die Zellen ,—:; lassen es vollkommen sicher erscheinen, dass die kleine Zelle ©, von der Zelle m stammt. Die animalen Zellen haben sich noch nicht weiter getheilt und es besteht demnach der Keim aus fünfundzwan- zig Zellen. Noch bevor an den vegetativen Zellen eine weitere Veränderung vorgeht, strecken sich die in den Winkeln m und i und m und & gelegenen Ektodermzellen in die Länge und erzeugen die beiden &leinen Zellen, welche man auf den folgenden Figuren an der er- wähnten Stelle findet. Ich habe aber dieses Stadium nicht gezeich- net, weil es von keiner besonderen Wichtigkeit ist. : Sodann nehmen die Zellen 2,, % und 2, eine birnförmige Gestalt an und treiben kleine Knospen am vegetativen Pol hervor. In jeder dieser drei Zellen sieht man eine schöne karyolytische Figur (Fig. 2). Auch an der animalen Seite findet eine Theilung statt. Vor Allem theilen sich die Zellen E,—E;,, Taf. XXXII Fig. 12 A meiner Ab- handlung; darauf folgen die vier centralen Ektodermzellen. Die Configuration am animalen Pol bleibt aber bis zum Stadium mit zehn Entodermzellen wesentlich dieselbe, wie im Vierundzwanzig- zellenstadium, und ich habe aus diesem Grunde, so wie, weil fiir die Ableitung der Zellen die vegetative Hälfte viel wichtiger ist, als die animale, die Keime nur von der vegetativen Seite abgebildet. Morpholog. Jahrbuch. 6. 37 578 C. Rabl Demnach sind jetzt acht vegetative Zellen vorhanden; sieben davon sind Entodermzellen, eine ist Mesodermzelle. Alle diese Zel- len haben scharf umschriebene Kerne und Kernkörperchen, die ich in meine Zeichnungen getreu eingetragen habe. Bald darauf wird der Kern der Mesodermzelle m sehr undeut- lich, ohne dass es mir gelungen wäre, eine deutliche Kernspindel zu sehen. Ich habe dieses Stadium in Fig. 3 abgebildet. Die Zelle selbst nimmt dabei an Breite zu und erscheint etwas heller als die anderen vegetativen Zellen. Die Mesodermzelle m theilt sich nun in die zwei Zellen m, und m; Fig. 4. Vor der Zelle liegt eine kleine Ektodermzelle. In diesem Stadium, so wie in den Stadien Fig. 2 und 3, ist die hintere kleine Entodermzelle, welche der Zelle m (jetzt Zelle m;) aufliegt, sehr blass und schwer zu sehen. Ihr Kern liegt über dem Kern der Mesodermzelle oder etwas vor demselben und es bedarf daher genauer Einstellung, um ihn zu sehen; übrigens kann man sich auch durch Rollen des Keimes von der Existenz dieser Zelle überzeugen. — Ich erwähne solche geringfügige Dinge nur, damit man sich bei einer etwaigen Nachbeobachtung darnach richten könne. Nun theilen sich die drei großen Entodermzelleu 7,—2; in je zwei Stücke und es folgt das in meiner Abhandlung Fig. 14 abge- bildete Stadium. Sodann rücken, wie ich schon damals erwähnt habe, die bei- den Mesodermzellen in die Tiefe und gelangen in die Furchungshöhle. Es ist mir gelungen, mehrere Keime gerade im Augenblick des Hin- einschlüpfens dieser Zellen zu ertappen, und ich habe es mir nicht versagen können, davon in Fig. 5 ein Bild zu geben. Wenn man einen solchen Keim auf die Seite rollt, sieht man an der Stelle, wo die Mesodermzellen in die Tiefe rücken, eine Einbuchtung. Der Unterschied gegen meine frühere Darstellung liegt also wesentlich darin, dass die Sonderung der dreierlei Zellen des Keimes nicht im Stadium von vier- undzwanzig, sondern in dem von fünfundzwanzig Zel- len vollendet ist. Was das von mir auf Taf. XXXII, Fig.13 abgebildete Furchungs- stadium betrifft, so konnte ich dasselbe nicht wieder auffinden. Da ich aber eines der. Präparate, welche dieses Bild zeigten, mehr als ein Jahr lang aufbewahrt und wiederholt aufmerksam untersucht hatte, kann ich nicht annehmen, dass ich zwei von den kleinen En- todermzellen übersehen hatte, sondern komme vielmehr zu dem Uber den »pedicle of invagination« und das Ende der Furchung von Planorbis. 579 Schlusse, dass sich die betreffenden Keime, wie dies überhaupt bei Gastropodenkeimen gar nicht selten vorkommt, nicht normal abge- furcht hatten. Ich habe mich daher, einmal auf solche Unregel- mäßigkeiten aufmerksam, jedes Mal dadurch von der normalen _Entwicklungsweise überzeugt, dass ich die in den Laichen zurück- gebliebenen Keime noch durch einige Tage verfolgte. Überdies habe ich von den wenigen, hier beschriebenen Stadien nahezu sechzig Präparate angefertigt. Die Keime von Planorbis corneus sind etwas reicher an Dotter als die von Planorbis marginatus und carinatus und in Folge dessen scheint auch die Furchung vom Vierundzwanzigzellenstadium an eine geringe Modifikation zu erleiden. Ich habe dieselbe allerdings nicht mit hinlänglicher Genauigkeit Zelle für Zelle über dieses Stadium hinaus verfolgt, glaube mich aber doch überzeugt zu haben, dass die centralen Entodermzellen hier größer sind, als bei Pl. marginatus. Die Ableitung der Furchungszellen, so wie sie sich jetzt ergiebt, scheint mir ein doppeltes Interesse zu besitzen: erstens mit Rück- sicht auf die Schnecken selbst und zweitens mit Rücksicht auf die übrigen Bilaterien. Was den ersten Punkt betrifft, so wird man sich bei der Untersuchung der Entwicklung dotterreicher Eier die Mög- lichkeit vor Augen halten müssen, dass die centralen Entodermzellen die peripherischen nicht bloß, wie dies bei Pl. corneus der Fall zu sein scheint, an Größe erreichen, sondern sogar übertreffen. Und was den zweiten Punkt betrifft, so ist es von Interesse zu sehen, dass sich die Mesodermzellen früher von den Ektodermpartikelchen als von den Entodermpartikelchen vollständig befreien. Wenn wir bei Planorbis nicht das Schicksal jeder Zelle mit solcher Sicherheit wüssten, würden wir in dem Fig. 14 meiner Ab- handlung abgebildeten Stadium das ganze Zellenfeld am vegetativen Pol (zehn Entoderm- und zwei Mesodermzellen) als »primäres Ento- derm« bezeichnen müssen, aus welchem Entoderm und Mesoderm hervorgehen. Nun denken wir uns statt zwölf Zellen etwa acht Mal so viel, also 96, bei entsprechender Vermehrung der Ektodermzellen, und denken wir uns diese 96 Zellen nicht in einfacher, sondern in doppelter und dreifacher Schicht über einander liegend, so haben wir ungefähr die Verhältnisse, wie sie sich nach E. van BENEDEN’S Untersuchungen beim Kaninchen finden. Die Entodermzellen ändern ihren Charakter auch bei Planorbis früher, als die Mesodermzellen : ähnlich ist dies beim Kaninchen (vgl. van BENEDEN, Taf. VI Fig. 2). — Wenn —- unserer Annahme zufolge — statt zwei etwa 37% 580 C. Rabl, Uber den »pedicle of invagination« ete. von Planorbis. sechzehn Mesodermzellen verhanden wiren, wiirde in den ersten Stadien der Mesodermentwicklung die seitliche Symmetrie desselben kaum scharf zur Geltung kommen können. Erst später, wenn jede der beiden, aus acht Zellen bestehenden Hälften proliferirte, würde die Symmetrie des Mesoderms deutlich hervortreten müssen, weil dasselbe die Form eines nach vorn offenen Halbmondes oder Huf- eisens annehmen müsste. Dieses Stadium würde dem Stadium IX VAN BENEDEN’s entsprechen; meinem Stadium Fig. 19 bei Planorbis. Dies soll bloß zeigen, wie gut die Untersuchungen vAN BENE- DEN’s zu den Befunden an wirbellosen Bilaterien stimmen. Wien, Ende April, 1880. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXIX. Fig. 1—5. Furchungsstadien von Planorbis marginatus. Vergr. circa 250. m Mesodermzellen, © Entodermzellen. Das Andere ergiebt sich aus dem Texte. Fig. 6—9. Querschnitte durch Embryonen von Planorbis marginatus, ohne Spur einer Schalendrüse. Vergr. 270. Sp Scheitelplatte; oe Ösopha- gus; D Darmhöhle; 42 Kopfhöhle; N große Urnierenzelle; 7 klein- zelliges Entoderm; e hohe Ektodermzellen; sf Schalenfeld; o Mund; ab Richtung der Schnitte 6, 7 und 8; cd Richtung des Schnittes 9. Fig. 10. Schematisirter Sagittalschnitt. Vergr. 230. laf. XX ee Verlag v With. Engelmann, Leipzig. Lith. Anstv. da, Bach, Leipzig | ö . Über die Vermehrung des Os centrale im Carpus und Tarsus des Axolotls. Von R. Wiedersheim, a. 0. Professor in Freiburg i. B. Mit Tafel XXX. Den Notizen Hyrrr’s und Born’s so wie meinen eigenen Beobach- tungen über ein doppeltes Os centrale tarsi habe ich heute einige Resultate meiner Studien anzufiigen, die ich im Laufe der letzten Wochen über das Weısmann’sche Amblystoma (umgewan- delter Axolotl) gemacht habe. Ich werde mich über dieses Thema in eine andern Arbeit aussprechen und für jetzt nur auf die Hand- und Fußwurzel des Axolotl, den ich zum Vergleich herbeiziehen musste, etwas näher eingehen. Unter sechs von mir untersuchten ausgewachsenen Exemplaren fand ich nur bei einem einzigen (Fig. 1 c) beiderseits ein einfaches Centrale carpi, während dasselbe bei den übrigen theils auf einer, theils auf beiden Seiten doppelt, oder gar dreifach vorhanden war (Fig. 3, 5 ccc’). Was den letzteren Fall betrifft, so zeichnete er sich noch weiter dadurch aus, dass bei enorm verdicktem erstem Mittelhandknochen fünf Carpalia vorhanden waren, während an- dererseits das Radiale und Ulnare mit den anstoßenden Knorpel- apophysen der betreffenden Vorderarmknochen verwachsen waren (Fig. 5 rw). Bei diesem Carpus liegen die drei Centralia (ccc) in einer Querreihe, wogegen wir bei Fig. 4 nur zwei Centralia (cc) in der Querachse und das dritte, eben vom Intermedium sich abschnü- rende Centrale (7!) hinter (proximalwärts) diesen gelagert finden. Interessant ist namentlich auch Fig. 2, wo die Abspaltung zweier 582 R. Wiedersheim, Uber die Vermehrung des Os ventrale etc. des Axolotls. Centralia nicht vollständig ist, indem beide (cc’) durch eine Knorpel- brücke zusammenhängen. Durch diese Beobachtungen über ein doppeltes oder gar drei- faches Os centrale wird der Axolotl in die Reihe jener ostasiatischen Salamandriden gestellt, an denen ich vor einigen Jahren zum ersten Mal (Morph. Jahrb. II) ein doppeltes Os centrale carpi nachzuwei- sen vermochte. Was den Tarsus anbelangt, so habe ich unter sechs unter- suchten Exemplaren nur zwei Mal ein einfaches Centrale (Fig. 6 e) aufgefunden; bei den übrigen (Fig. 7 g) war es doppelt vertreten oder es waren gar Andeutungen vorhanden, dass das eine von den beiden (Fig. 10 c!) sich noch einmal abzuschnüren im Begriffe stand. Bei Fig. 8 zc! scheint es zur Bildung von drei Centralia durch Theilung des Intermedium kommen zu wollen. Merkwiirdig ist, dass die Centralia theils in der Liings- theils in der Querachse des Tarsus gelegen sind. Aber nicht allein in ihrer Lagerungsweise, sondern auch in ihrer Form und Größe treten uns gerade wie auch bei allen übrigen Tarsal- und Carpalknochen die allergrößten Ver- schiedenheiten entgegen. Diese Vielheit der Centralia im Carpus und Tarsus weist dem Axolotl eine in der Stammesgeschichte der geschwänzten Amphibien sehr weit zurückliegende Stellung an und nähert ihn einerseits den ostasiatischen Salamandriden, andererseits den Derotremen (Menopoma, Cryptobranchus). Das ungemein häufige Vorkommen eines mehrfachen Centrale deutet überdies darauf hin, dass die Zeit vielleicht noch gar nicht weit hinter uns liegt, in der jeder Axolotl constant ein doppeltes oder dreifaches Os centrale besessen hat. Es wäre interessant bei den Larven der amerikanischen Amblystomen hierüber Beobachtun- gen anzustellen. Freiburg i. B., im Juni 1878. Taf XXX. “Morphol. Jahrbuch Bd. N. ro by = x.Bach, » Lith AnstvJ / oe | 1. a7 V GB fr = | u IA H “NS ss > ” 2 bi Ba : N N | Verlag. v Wilh. Engelmann Leipzig» nn ——$—$> Wiedersheim fec “i AM mal