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HERAUSGEGEBEN VON CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. DREIZEHNTER BAND. MIT 28 TAFELN UND 23 FIGUREN IM TEXT. LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1888. : a va im ZEN P - BR eis mise 77% } i & OS BM Ts Aseg IE : : h ' ‘1% ‘ ee “ Inhalt des dreizehnten Bandes. Erstes Heft. = Ausgegeben am 7. October 1887. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. Von er i. Varna ee Wee ner are en waitin Über die Arterienbogen der Wirbelthiere. Von J. E. V. Boas, (Mit Eee N ea Se aes, Sal Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte des ee der a und Fische. Von F. Hochstetter. (Mit Zur ER der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. VonF.Bloch- Far. V und. 1 Holzschn;) ,~. «<6 Va >» ur Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur, speciell des Musc. orbicularis oculi. A Nuh Sire i aes ee i Pn aM Nae Zweites Heft. Ausgegeben am 13. December 1857. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. Von W. Schewiakoff. (Mit Taf. VI—VII und 3 Holaschn.)........ Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. Von E. mennert. (Mit Taf VIII—X und 4 Hokschn.), .......... ; Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der ar Von F. Maurer. iia esse 575 Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. Von V. Graber. (Mit Taf. . ARNV und-XXVl)... . kos ee oe deren epee, oe ee oe 586 Anatomisches über Cetaceen. Von M. Weber. (Mit Taf. XXVII—XXVIII nnd? Holzschn.) .. -.. . 2... dss u. A ee Bemerkungen zu den Publikationen über die Richtungskörper bei parthe- nogenetisch sich entwickelnden Eiern. Von F. Blochmann ... . 654 Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes, im Lichte der neueren Untersuchungen betrachtet und geprüft von C. Gegenbaur. In der Geschichte der Wirbelthier-Morphologie bildet die erste Erkenntnis von der Ähnlichkeit der Zusammensetzung des Schiidels mit jener der Wirbelsäule eine Epoche, mit der ein bedeutsamer Umschwung in den anatomischen Vorstellungen beginnt. Die »Wirbel- theorie« des Schädels ist seit GOETHE und OKEN stehendes Thema geblieben. Die Versuche des Weiterbaues derselben erfolgten lange Zeit in der ursprünglichen Richtung und boten mannigfaltige, je nach der Individualität der Forscher wechselnde Gestaltungen. Auch an Einsprache hat es nicht gefehlt, die in einem primitiveren Zu- stande des Craniums, vor der Knochenbildung, jene Gliederung ver- missend, die Anwendung jener »Wirbellehre« auf das Cranium von der Hand wies. So ist es schon vor langer Zeit von C. Voer (Nr. 54, pag. 99) geschehen. Die knöchernen Skelettheile blieben dennoch der Ausgangspunkt. Der fertige, vollendete Zustand des Kopfskeletes bot sich immer wieder als Objekt der Prüfung auf Wir- bel, deren Zahl eben so verschieden war, wie die Art ihrer Zusammen- fügung aus einzelnen Schädelknochen. Diese Periode fand ihren Abschluss mit HuxtLey’s Untersuchungen über das Kopfskelet der Knochenfische. Es ist nicht bloß der einheitliche Zustand des pri- mordialen Knorpel-Craniums, sondern vielmehr der Nachweis der großen Verschiedenheit seiner knöchernen Theile von Wirbeln, womit der Widerspruch gegen die bisherige Wirbeltheorie erhoben ward. Weder in den früheren Zuständen des Schädels, noch in der späteren Zusammensetzung desselben seien Wirbel als reale Bestandtheile nach- weisbar. Es war nicht zu leugnen, dass, wenn selbst in einer tiefer- Morpholog. Jahrbuch. 13. 1 2 ©. Gegenbaur stehenden Wirbelthier-Abtheilung nichts Wirbelartiges im Schädel sich fand, bei den höheren Abtheilungen um so weniger von »Schädel- wirbeln« gesprochen werden konnte, als diese »Wirbel« zum Theile aus »Hautknochen« sich aufbauten. Aber damit war die Frage doch noch nicht aus der Welt ge- schafft. HuxLey’s Forschungen konnten nur in so fern befriedigen, als sie zeigten, dass der Weg, auf dem man bisher zu einem Einblicke in die Beziehung des Schädels zur Wirbelsäule zu gelangen suchte, nicht der richtige war. Die Kritik hatte gesprochen, sie hatte das Verdikt über die »Wirbeltheorie« gefällt und in dem Nachweise des Fehlens von Wirbeln einen Fortschritt angebahnt. Aber das, was sie an die Stelle der Wirbeltheorie setzte, genügte nicht, um die Frage als beantwortet anzusehen. Denn der Schädel war damit wieder etwas dem übrigen Skelete Fremdes geworden, und es blieb unverständlich, wie sich da ein Skeletkomplex bildete, an dem Manches, wie die Kiemenbogen, auf eine unzweifelhafte Metamerie hinwies, während am eigentlichen Cranium nichts davon zu erkennen war. Ich habe den Versuch gemacht, von einer anderen Seite her einen Weg zu finden. Nachdem ich erkannt hatte, dass für das Verständ- nis des Skeletes der Gliedmaßen der Wirbelthiere nicht von den Fischen mit knöchernem Skelete, sondern von noch niedereren For- men auszugehen sei, mussten sich die Selachier auch für das Kopf- skelet als die günstigeren Objekte darbieten. So weit es damals zu übersehen war, fand sich aber auch bei diesen nichts direkt, weder auf eine metamere Zusammensetzung, noch auf eine metamere Genese des eigentlichen Craniums Beziehbares. Es musste daher die Hofi- nung aufgegeben werden, die Frage aus dem Objekte selbst zu lösen. Wenn es aber dabei aus manchen Gründen wahrscheinlich geworden war, dass eine ursprünglich auch am Cranium bestandene Metamerie mit der Entstehung des Knorpeleraniums ihr Ende fand, so war bei jenen Fragen von der Rücksichtnahme einzig auf die Skeletgebilde abzustehen. Aus dem Zusammenhange des Ganzen ergab sich ein volleres Verständnis. Da boten sich vor Allem die Nerven dar. Von diesen aus dem Cranium heraustretenden Theilen waren Schlüsse auf das Cranium zu ziehen. Außer dem Visceralskelet hatte ich daher auch die Kopfnerven verwerthet, und indem ich das Cranium der Selachier auch in seinen mannigfachen Anpassungen an die Sinnes- organe darlegte, gestaltete sich die Frage der Wirbeltkeorie des Schädels zu einem Problem der Phylogenese des ge- sammten Kopfes. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 3 Man konnte sehen, dass die Selachier eine fiir die Morphologie der gesammten gnathostomen Wirbelthiere auBerordentlich wichtige Abtheilung seien. Viele sind mir auf diesem Wege gefolgt, und die einmal angeregten Fragen sind der Gegenstand zahlreicher Unter- suchungen geworden. Die in ihrer Sroben Bedeutung sehr wenig be- achtet gewesenen Selachier traten mehr in den Vordergrund. Auch hat man begonnen bei Vergleichungen des Skeletes noch an andere Organsysteme anzuknüpfen. Die vergleichende Anatomie hat vieles für das Schädelproblem Wichtiges ans Licht gebracht, und noch umfänglicher sind die Leistungen der ontogenetischen Forschung ge- wesen. So liegt jetzt ein reiches Material von Thatsachen zu Tage, welche sich auf jenes Problem beziehen. Prüfen wir, wie weit diese Thatsachen einer Förderung unserer Einsichten in die Phylogenese des Kopfes dienten und damit den Erwartungen entsprachen, welche die Inangriffnahme der genannten Aufgabe von Seite der Ontogenie mit Recht entstehen lief. In den folgenden Bliittern werde ich die auf die Metamerie des Kopfes beziiglichen Angaben in einzelne Abtheilungen sondern, je nach den Organen, von denen ausgegangen wird. Es sind diese nach der Zeit ihres Erscheinens 1) die mesodermalen Metameren und ihre Derivate, 2) die Kiemenbogen, resp. die sie trennenden Spalten, 3) das Verhalten der ventralen und dorsalen Metamerentheile des Kopfes, 4) die Nerven und 5) die Skeletgebilde. Daran soll 6) ein Überblick über die gewonnenen Resultate sich reihen. Es scheint mir zweckmäßig, überall die Selachier im Vordergrunde stehen zu lassen und erst in zweiter Reihe auf andere Abtheilungen einzugehen, wo dieses zur Erläuterung dienen kann. Dieses dürfte um so mehr ge- rechtfertigt sein, als gegenwärtig wohl die Mehrzahl der Forscher die Bedeutung der Selachier, wie ich es längst hervorgehoben, gleich- falls anerkannt und den bei ihnen gefundenen Thatsachen funda- mentaleren Werth beizumessen pflegt, als den Ergebnissen aus anderen Abtheilungen. 1. Urwirbel oder Mesodermsegmente (Somite). Das wichtigste Resultat der neueren embryologischen Forschung besteht in dem Nachweise des Vorkommens von Urwirbeln, Somiten oder Mesodermsegmenten in der Kopfregion, denselben mesodermalen Metameren wie sie für die Rumpfregion schon längst bekannt waren. Von BaLrour theilweise erkannt, wurden sie von M. MARSHALL (Nr. 29) 1% 4 C. Gegenbaur genauer beschrieben. Von vAN WIJHE (Nr. 59) sind neun angegeben worden. Dass darin etwas Urspriingliches sich ausdriickt und ein Zeugnis fiir die Metamerie des Kopfes besteht, wird von keinem Forscher bestritten. Es fragt sich nun, we weit die Tragkraft des phylogenetischen Werthes dieser eGebilde sich erstreckt. Zu diesem Zwecke ist das Verhalten derselben, wie es vAN WIJHE sehr sorg- fältig geschildert hat, näher zu prüfen. Die mesodermalen Bildungen am Kopfe scheiden sich in eine dorsale und eine ventrale Region, die der ersteren sind metamer gegliedert, stellen die Urwirbel oder Somiten vor. Das ventrale Mesoderm (die Seitenplatten) theilt sich mit dem Auftreten der Kiemenspalten gleichfalls in metamere Abschnitte, die Kiemenbogen. Wir haben also dorsal- wie ventral metamere Ge- bilde. In den dorsalen, oder den »Urwirbeln« treten Höhlungen auf (Kopfhöhlen). Auch in den ventralen Gebilden, den primären Kiemen- bogen, zeigen sich solche. An den ersten Kiemenbogen sind diese Höhlen unter einander im Zusammenhang. Das erste Somit entbehrt des Zusammenhanges mit dem ventralen Mesoderm. Die Höhle des zweiten Kopfsomites kommunieirt mit der Höhle des primitiven ersten Kiemenbogens (des Kieferbogens), die des dritten mit jener des zweiten primitiven Kiemenbogens (des Hyoidbogens). Für die folgenden Meta- mere geht die Sonderung der dorsalen und ventralen Abschnitte früher vor sich, als die Höhlenbildung in denselben auftritt. Es kann also nicht mit derselben Sicherheit wie bei den beiden vorgenannten Metameren (jenen, welchen Kiefer- und Zungenbeinbogen angehört) auf die Zusammengehörigkeit der dorsalen und ventralen Theile ge- schlossen werden. Von den Veränderungen, welche die ursprünglich epithelialen Anlagen eingehen, interessiren uns vornehmlich jene der dorsalen Abschnitte, die von van WisHE als »Myotome« bezeichnet werden. Das erste lässt die Mm. obliquus inferior, reetus superior, rectus inferior und rectus internus hervorgehen; das zweite den M. obliquus superior, und das dritte den M. reetus externus. Das vierte verschwindet sehr frühzeitig. Aus dem fünften sollen diehtgedrängte Zellen entstehen, unbekannter Bestimmung. Das sechste ist rudi- mentär, das siebente, achte und neunte bieten wieder andere Ver- änderungen, auf welche noch speciell zuriickzukommen ist. Sie haben sich dorsalwärts verlängert, das neunte auch ventralwärts, und aus dieser Verlängerung, sowie jener der beiden vordersten Rumpf- myotome sah van WiuyuE den M. coraco-hyoideus hervorgehen. Aus diesen Verhältnissen ist vor Allem zu ersehen, dass den Kopf- somiten ein sehr wungleicher Werth zukommt in Bezug auf die von Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 5 ihnen entstehenden Gebilde. Wie sehr man auch ein Recht hat, aus der Gesammterscheinung auf eine ursprüngliche Metamerie auch der dorsalen Kopfregion zu schließen, so hat man doch nicht zu ver- kennen, dass im Bereiche dieser Metamerie bedeutende Umgestaltungen vor sich gegangen sind. Ein vollgültiges Zeugnis für das ursprüng- liche Verhältnis liegt ferner desshalb nicht in jenen Kopfsomiten, weil sie bereits eine Reduktion der Zahl kund geben. Das fünfte Somit entspricht dem dritten Visceralbogen (1. Kiemenbogen), mit dessen Mesoderm es zusammenhängt, das neunte würde also noch einem sieben- ten Visceralbogen oder einem fünften Kiemenbogen entsprechen. Nun sind aber bei den Notidaniden sechs und sieben Kiemenbogen bekannt, und van WHE selbst giebt zu, dass die Notidaniden als Repräsen- tanten älterer Formen der Haie zu gelten haben. Eine solche An- nahme hätte aber keinen Sinn, wenn man nicht zugeben wollte, dass auch den übrigen Haien einmal eine größere Anzahl von Kiemen- bogen zukam, oder vielmehr dass die Haie mit fünf Kiemenbogen von solehen abstammten, die eine größere Kiemenbogenzahl besaßen. Stimmt man aber damit überein, so wird es klar, dass in der Zahl der angelegten Kopfsomite, wie sie VAN WIJHE uns vorführt, bereits eine Reduktion eingetreten sein muss. Denn soll aus jener Zahl auf die Phylogenese geschlossen werden, so müssten, vorausgesetzt dass diese Somite sich auf die gesammte Metamerie des Kopfes beziehen, wie VAN WIJHE es annimmt, auf das neunte Kopfsomit noch mindestens zwei Somite folgen. Das ist aber keineswegs der Fall. Aus der Anzahl der Kopfsomite entspringt also kein zuverlässiges Zeugnis für die Phylogenese. Gegen meine Argumentation kann man einwenden, dass sie dor- sale Gebilde mit ventralen in Zusammenhang bringt, die dorsalen Kopfsomite mit den Kiemenbogen, die entschieden ventraler Natur sind. Van WiHE bestätigt, was bereits BALFOUR und M. MARSHALL aussagten, dass die Metamerie der Mesodermgebilde im Kopfe, be- stimmt im vorderen Kopftheile, unabhängig von der Bildung der Kiementaschen erfolge. Da durch letztere aber die ersten Kiemen- bogen sich anlegen, so kommt auch diesen eine gewisse Unabhängig- keit von der dorsalen Metamerie des Kopfes zu. Aber van WHE selbst bringt die dorsale und ventrale Metamerie unter einander in Zusammenhang. Während das dritte Kopfsomit unzweifelhaft dem Hyoidbogen angehört, indem seine Höhle eine Zeit lang mit jener des Hyoidbogens kommunicirt und das fünfte Somit mit dem Mesoderm des dritten Visceralbogens oder des ersten sekundären Kiemenbogens 6 C. Gegenbaur zusammenhängt, also zu diesem gehört, ist das vierte Somit ohne ihm entsprechenden Kiemenbogen, steht vielmehr mit dem Mesoderm des Hyoidbogens in Verbindung. Wir nehmen diese Beobachtung van Wwshue's als richtig an, wenn auch frühere Angaben anders lauten. van Wine folgert daraus, dass der Hyoidbogen zwei Kopfsomiten entspräche und eigentlich zwei Bogen repräsentire, ja dass da auch einmal eine Kiementasche vorhanden gewesen wäre. In dieser An- nahme sieht er die Bestätigung einer durch eine frühere, vergleiehend- anatomische Arbeit gewonnenen Meinung. Da wir auf diese Arbeit noch zurückkommen werden, haben wir es hier nur mit der ontogenetischen Stütze jener Ansicht zu thun. In dieser Beziehung ist von Bedeutung, dass das Schwinden von Kiementaschen und Kiemenbogen nichts Unbekanntes ist, dass diese Reduktion aber nur an zwei Stellen be- steht, vorn und hinten am Kiemenapparat!. Vorn ist es die erste Kiemenspalte, welche auf das sogenannte Spritzloch sich redueirt, und am hinteren Ende sind es die schon oben angeführten Reduktionen. Dass innerhalb der Kiementaschen-Serie eine solche Tasche gänzlich verschwände, ist absolut unbekannt. Auch ‘enthält der Hyoidbogen nur eine einzige Höhle, wie van WısuE selbst angiebt, nicht deren zwei, wie man erwarten müsste, wenn zwei Bogen ihm zu Grunde lägen. Es muss also als Fiktion gelten, zur Erklärung der Existenz zweier dem Hyoidbogen zugetheilten Kopfsomite, das zu Grunde- gegangensein einer Kiementasche aufstellen zu wollen. Dazu besteht keinerlei Zwang. Wenn man einmal sich nicht mit der einfachen Thatsache bescheiden will, so bleibt doch noch die Annahme, dass die ventrale Metamerie des Kopfes nicht ganz mit der dorsalen, wie sie ontogenetisch vorliegt, zusammenfalle, oder dass das dritte und vierte Somit die Theilungsprodukte einer einzigen vorstelle. Viel- leicht ist Letzterem die Berücksichtigung der Örtlichkeit ihres Vor- kommens günstig. Sie finden sich im Bereiche der Kopfkrümmung. Abgesehen von diesen beiden dem Hyoidbogen zükommenden Somiten würden die Kopfsomite der Metamerie des Kiemenapparates entsprechen, und es wäre van WiuHE in dieser Auffassung bei- zustimmen, wenn nicht bezüglich der drei letzten Somite eine andere jetrachtungsweise nothwendig würde. ' Bei serial angelegten Körpertheilen gehört es zu den Seltenheiten, dass innerhalb der Reihe ein Ausfall stattfindet. Wo ein solcher in der That vor- kommt, ist er meist an eine Differenzirung der gesammten Reihe in besondere kleinere Organgruppen geknüpft. - Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 7 Wie verhält es sich nun mit dem ersten oder präoralen Somite? Von ihm sind manche Eigenthümlichkeiten beschrieben worden. Van Wine hält es für zweifelhaft, ob es mit einem ventralen Abschnitte in Verbindung stehe, jedenfalls hängen seine Wände nicht mit den Seitenplatien zusammen. Dagegen kommuniciren die beiderseitigen - Oavitäten dieses Somites unter einander, unmittelbar vor dem Vorder- ende der Ohorda dorsalis, welche die hintere dorsale Wand der Ver- bindungsbrücke erreicht. VAN Wine hält für möglich, dass eine vordere Verlängerung dieses ersten Somites ein durch die Bildung des Mundes abgeschnittenes Stück der Seitenplatten vorstelle, so dass sie der Wandung der Visceralbogenhöhle homolog sein würde. Bei diesem Bestreben, am vordersten Kopftheile die gleichen Verhältnisse herauszukonstruiren, wie sie postoral bestehen, ist übersehen, dass der Begriff der Seitenplatten von der Lage dieser Mesodermgebilde bestimmt und beherrscht wird. Nun existirt präoral weder ein Darm, noch ein anderer ventraler Körpertheil, so dass vernünftigerweise jenem ersten Somite auch keine ventralen Gebilde zugetheilt sein können. Betrachten wir demnach jenes Somit ohne den Zwang vor- gefasster Meinung, so sehen wir in ihm einen Abschnitt von Meso- dermgewebe, welcher in dem nur von dorsalen Theilen dargestellten Vorderende des Kopfes liegt. Es ist also dieses Somit in Ver- gleichung mit den übrigen in einem singulären Verhalten, welches sich aus jener Lagebeziehung erklärt. Darin, dass es viel später seine Höhle erhält als die nächstfolgenden, liegt auch eine gewiss beachtenswerthe Eigenthümlichkeit. Wenn man nun erwägt, dass in der Anlage der Kopfsomite scht die volle Rekapitulation eines primitiveren Zustandes gegeben ist, da ja am Hintertheile des Kopfes nur so viel Somite bestehen als Kiemenbogen gebildet werden, dass also hier offenbar cänogenetische Zustände vorliegen, so schwächt sich dadurch das Vertrauen ab, welches man in diese Bildungen setzt. BALFOUR und MarsHarı leiten die Höhle des ersten Somites von jener des zweiten ab, was mit van Wiue’s Angaben unvereinbar ist. Aber wenn ich auch die letzteren für richtig halte, so wird durch sie doch die Mögliehkeit nieht ausgeschlossen, dass bereits im ersten Zustande eine Cänogenese besteht, dass dieses Somit nämlich ursprüng- lieh vom zweiten entstanden ist, wenn ihm auch gegenwärtig eine selbständige Existenz zukommt. Ich lege dabei weniger Gewicht auf das Fehlen beziiglicher Seitenplatten, als auf die spätere Céloment- faltung und auf Gründe, welche ich bei den Nerven aus einander setzen will. Das Eingehen auf diese Betrachtung des ersten Somites ward 8 C. Gegenbaur « veranlasst, um zu zeigen, dass auch andere Auffassungen möglich sind, und dass da, wo es sich um die Deutung ontogenetischer Befunde handelt, die Beziehung derselben auf niedere und noch problematische Zustände immer mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist. Dieses bezeugt auch die verschiedengradige Ausbildung der übrigen Somite vom vierten an. Das vierte, fünfte und sechste können sehon dadurch als rudimentär gelten. Dagegen fallen die letzten wieder durch Ausbildung von Muskelplatten auf. BaLrour (Nr. 5, pag. 209) trägt sogar bezüglich der Zugehörigkeit der letzten drei oder vier Muskelplatten zum Kopfe Bedenken und sagt: »I have not the means« »of deciding whether they properly belong to the head, or may not« »really be a part of the trune system of muscles, which has, to a« certain extent, overlapped the back part of the head, but I am« »inclined to accept the latter view.« Van WisHeE scheint diese vor- sichtige Äußerung als den Ausdruck einer unsicheren Beobachtung zu nehmen. Wir kommen weiter unten nochmals darauf zurück, und wollen hier nur das außerordentlich verschiedene Verhalten dieser Kopfsomite als eine Instanz bezeichnen, welche zur Annahme eines primitiven Zustandes in denselben wenig Hoffnung giebt. Wir können demnach durch die Somite des Kopfes zwar die Metamerie des letzte- ren bestätigt sehen, finden darin aber die Zahl der Metameren nicht sicher bestimmt, da für die letzten dureh ihre Verschiedenheit von den vorhergehenden Zweifel besteht, ob sie wirklich dem Kopfe angehören. 2. Kiemenspalten und Kiemenbogen. Die Ontogenese der Wirbelthiere hat die Kiemenspalten als taschenförmige Aussackungen des Entoderms kennen gelehrt, welche von der lateralen Wand der Darmanlage im Bereiche des Kopfes ausgehen, und schließlich das Ektoderm in Mitleidenschaft ziehen. Dieses bricht spaltförmig an der Stelle durch, wo es vom entodermalen Divertikel erreicht wird, und bildet damit die äußere Mündung einer Kiemenspalte, an deren Rändern Ektoderm und Entoderm in einander übergehen. Mag auch das Ektoderm an der Stelle der späteren Spalte eine Einsenkung darbieten, wie es z. B. von Raja beschrieben wird, und auch bei höheren Wirbelthieren be- obachtet wurde (KÖLLIKER Nr. 24), so viel ist sicher, dass der Ausgang des Processes vom Entoderm anhebt und nicht vom Ekto- derm, und dass ersteres den bedeutendsten Antheil an der Aus- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 9 kleidung der Kiementasche besitzt!. In dieser Art der Genese zeigen die Kiemenspalten aller Wirbelthiere völlige Übereinstimmung. Eben so bekannt ist, dass alle Kiemenspalten postoral entstehen; das ist aus der Funktion der Kieme verständlich, denn das durch den Mund aufge- nommene Wasser hat die Kiemen zu passiren, die an den Wänden der Tasche zur Entfaltung kommen. Durch die Kiementaschen wird die Wandung der Kopfdarmhöhle in metamere Abschnitte zerlegt, welche als Kiemenbogen mit den Spalten ein Zeugnis für die Metamerie des Kopfes abgeben. So werden auch diese Gebilde für unsere Frage von Wichtigkeit. Aus den ontogenetischen Untersuchungen über Selachier ist bis jetzt eine ursprünglich größere Zahl dieser Spalten und damit auch der Bogen nicht erwiesen worden. Die Anzahl dieser Theile entspricht völlig jener, die wir vom ausgebildeten Zustand kennen, und die Ontogenie hat darin der vergleichenden Anatomie keinen Vorsprung abzugewinnen vermocht. Dagegen entstand die Frage nach Resten oder nach Andeutungen von Kiemenspalten, die mit jenen typisch bestehenden und allgemein anerkannten Spalten nichts zu thun haben, jedenfalls nicht in der Reihe derselben liegen. Mit den hierauf be- züglichen Angaben haben wir uns hier zu beschäftigen. Durch die Spekulationen des Professor Dourn in Neapel über den Ursprung der Wirbelthiere wurde die Meinung angeregt, dass auch vor den bei Selachiern längst bekannten Kiemenspalten noch andere Kiemenspalten bestanden hätten. Als solche präorale Kiemen- spalten werden die Riechgruben signalisirt. Mimnes MARSHALL (Nr. 28) hat versucht diese Meinung in einer größeren Arbeit zu begründen. Es soll eine große Ähnlichkeit im Verhalten der Riechgrube mit einer Kiemenspalte (visceral cleft) obwalten, sowohl in der Anlage des Organes, als auch in seiner Ausbildung, und die Falten der Riechmembran sollen auf dieselbe Art entstehen wie die Falten der Kiemen, denen sie entsprechen. » Not only the Schneiderian folds and the gills appear at the same time and agree completely in structure, but in no other part of the body a similiar structure occurs, either at this or any other period.« Eine fernere Stütze soll diese Meinung durch den Riechnerven erhalten, der ein segmentaler Nery sei. Endlich bestehen noch Ausbreitungen der Mundhöhle ! Mit der Widerlegung der gegentheiligen Meinung, welche auch das Ekto- derm sich betheiligen lässt, oder es für gleichgültig hält, ob Ekto- oder Ento- derm im Spiele sei, wollen wir uns hier nicht beschäftigen. 10 C. Gegenbaur (buccal cavity) nach den Riechgruben zu, welche auf eine ursprüng-. liche Kommunikation der Mundhöhle mit jenen Riechgruben hindeuten. Daraus folgert unser Autor: »that the olfactory organ is the most anterior visceral cleft; that the olfactory nerve is the segmental nerve supplying the two sides of that cleft in a manner precisely similar to that, in which the hinder clefts are supplied by their respective nerves; and that the Schneiderian folds are homologues of gills«. Mit dieser Auffassung harmonirt auch die Annahme, dass das Riech- organ nicht ererbt sein könne, welche Meinung man auch von den Vorfahren der Wirbelthiere haben möge. Denn bis jetzt kännten wir kein wirbelloses Thier, welches Riechorgane besitze, von welchem das Riechorgan der Wirbelthiere möglicherweise als ererbt abgeleitet werden könne. Daraus folge, dass die Wirbelthiere ihr Riechorgan entweder selbständig erworben, und vollständig von Neuem ausge- bildet hätten, oder dass dasselbe aus einem vorher in einer anderen Funktion stehenden Organe sich umgebildet habe. Die erste Alter- native, glaubt MARSHALL, muss als unhaltbar zur Seite gesetzt werden, und dann bleibt ihm natürlich nur die zweite: dass das Riechorgan eine Kieme war. Gegen diese Auffassung hat sich bereits BALFOUR (Nr. 6, pag. 287) erklärt, indem er die Beweisgriinde MARSHALL'S erst dann fiir gewichtig hilt, wenn von vorn herein die Existenz von Kiemenspalten in der Lage der Nasengruben wahrscheinlich wäre. Aber selbst dann findet BALFOUR noch in der Entstehung der Nasen- gruben aus dem Ektoderm (Epiblast) statt aus dem Entoderm (Hypo- blast) eine nicht mit Erfolg zu beseitigende Schwierigkeit. Diesem gegenüber ward auch von W. K. Parker die Nasengrube als Kiemen- spalte gedeutet. WIEDERSHEIM sagt darüber: » Denn wenn auch das Geruchsorgan selbst früher keine Kieme war, so existirte doch höchst wahrscheinlich eine solche an der betreffenden Stelle bei den Vorfahren der heutigen Wirbelthiere.« (Nr. 57, pag. 373.) Wir haben es also mit zwei Meinungen zu thun, welche in der Nasalregion eine Kieme suchen. Die Marsuarr'sche, welche in der Riechgrube selbst eine Kiemenspalte sucht, und eine zweite Meinung, welche von Brarp (Nr. 7) gegründet, in obiger Gestalt von WIEDERSHEIM vertreten wird und in der Riechgrube ein Sinnesorgan sieht, welches zu einer nicht vorhandenen (!) Kiemenspalte gehört. Da wir die letztere Meinung noch bei den Nerven näher be- rücksichtigen, ist hier nur hervorzuheben, wie jene Deutung bereits so weit des thatsächlichen Bodens sich entschlagen hat, dass sie sich gar nicht die Mühe nimmt, das bestimmende Objekt, nämlich die Kiemen- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 11 spalte, zu suchen, oder zu begriinden, worauf die Existenz einer Kiemenspalte sich stiitze. Sie statuirt ein Sinnesorgan, das zu einer Kiemenspalte gehören soll, die Kiemenspalte fehlt jedoch. Sehen wir nun, wie es mit der Hypothese von der Kiemennatur der Riech- grube bestellt ist. Das erste Moment, die »bedeutende Ähnlichkeit« der Riechmembran mit einer Kieme ist wohl das alleroberflächlichste im eigentlichen Sinne des Wortes. Denn wer die Struktur jener Membran beachtet, wird nicht auf den Gedanken kommen, etwas einer Kiemenschleimhaut Ähnliches zu finden. Aber es war doch eine solche, und dann die Falten, die ganz nach Art der Kiemen- falten entstehen ! Als ob die. Faltenbildung etwas Speeifisches wäre und an sich eine »Kieme« bedeute! Wir kennen doch zahllose Faltenbildungen von Membranen, die alle auf die gleiche Weise entstehen, ohne dass wir daraus auf eine respiratorische Funktion schließen, sei diese eine vergangene oder eine gegenwärtige oder zukünftige. In einer solehen Faltenbildung ist doch zunächst nichts Anderes, als eine Ver- srößerung der Oberfläche zu sehen, die den verschiedensten Leistungen dienen kann. Im gegebenen Falle dient sie einer Ausbreitung des Sinnesepithels und dadurch ist die Einrichtung völlig verständlich. Also, in der Struktur liegt kein Anlass, die Riechschleimhaut als ehemalige Kieme aufzufassen, und die Genese speciell offenbart kein Moment, welches jener Auffassung günstig wäre. Im Gegen- theil, die ektodermale Anlage spricht absolut dagegen; die Ver- schiedenheit der Riechgrube von einer Kieme könnte nicht größer sein. Hier eine Ausbuchtung des Entoderms, dort eine Einsenkung des Ektoderms, welches sogar noch vor der Einsenkung eine Ver- diekung zeigt. Die beregte Hypothese stützt sich aber auch noch auf Aus- breitungen der Buccalcavität, welche gegen die Nasengruben zu gerichtet sind, und bei Lachs-Embryonen beobachtet wurden. Diese würden die eigentlichen Kiementaschen vorstellen. Es hätte sich also die innere Partie einer Kiemenspalte nicht mit der äußeren in Zusammenhang gesetzt, und aus der äußeren hätte sich ein Sinnes- organ ausgebildet. Da aber die Kiemen (sicher bei den Selachiern) nicht vom äußeren sondern vom inneren Theile einer Kiementasche sich bilden, so wären auch in diesem angenommenen Falle die Fal- ten der Riechschleimhaut nicht homolog mit Kiemenfalten. Prüfen wir nun jene Ausbuchtungen etwas näher. Da muss vor Allem auf- fallen, dass für so primitiv ausgegebene Einrichtungen nicht bei den 12 C. Gegenbaur Selachiern vorkommen, sondern erst bei einem Teleostier. Ja, bei die- sem sogar in einem recht späten Stadium. MARSHALL beschreibt sie von Embryonen, an welchen bereits das knorpelige Kopfskelet an- gelegt ist! Wie aus den bezüglichen Abbildungen zu ersehen, be- stehen knorpelige Kiemenbogen und Kiefer, auch die Schiidelbasis ist differenzirt und der Trabecularknorpel liegt gerade zwischen jenen Divertikeln und den Riechgruben. Ein so primitiver Zustand, wie er in jenem Befunde von MARSHALL angenommen wird, ein Zustand, der seine Bedeutung weit unter den Wirbelthieren besitzen, in die Vor- fahren der letzteren zuriickleiten soll, ein solcher Zustand kommt nicht so nachträglich zum Vorschein, das widerspräche allen bisherigen Erfahrungen. Frühe Stadien von Selachier-Embryonen lassen nichts von jenen Gebilden erkennen. Gewinnen wir daraus eine Verstär- kung unserer gewichtigen Bedenken gegen jene Deutung der Zu- sammengehörigkeit der Divertikel mit den Riechgruben, so ist hierbei _ noch ein zweiter Umstand von Belang. Wo entstehen eigentlich jene Divertikel? MARSHALL sagt von der Buccalhöhle. Er bedauert zu- gleich nicht im Falle gewesen zu sein, festzustellen, ob an der Bil- dung jener Divertikel das Ektoderm oder das Entoderm betheiligt sei. Diese bemerkenswerthe Lücke in der Beobachtung ist wohl daraus entstanden, dass eben der Beobachtung ein spätes Stadium diente, in welchem der Durchbruch der Mundbucht nach der Kopf- darmhöhle bereits erfolgt, und in Folge dessen Ektoderm und Ento- derm nicht mehr scharf abgegrenzt waren. Mir scheint es nun nicht so zweifelhaft zu sein, von welchem Keimblatte jene Divertikel ge- bildet werden. Wenn man erwägt, dass sie oberhalb des Randes der Oberlippe sich nach vorn zu erstrecken, und dass die Mund- ränder bestimmt vom Ektoderm überkleidet werden, ferner, dass die ektodermale Hypophysis- Abschnürung hinter der Stelle erfolgt, welche später zum oberen resp. vorderen Mundrande sich gestaltet, wie denn auch nach BALFOUR (No. 6, pag. 696) die Hypophysis von der Mund- bucht (dem Stomodaeum) aus sich entwickelt, so wird man darin Grund genug für die Sicherung der Annahme finden, dass jene Di- vertikel keine entodermalen Bildungen, sondern gleichfalls aus dem Ektoderm entstandene sind. Alle auf jene hypothetische Kiemen- spalte beziehbaren Gebilde gehen aus dem Ektoderm hervor. Mar- SHALL (Nr. 28, pag. 339) hat diese Schwierigkeit nicht verkannt, allein er hält seine anderen Argumente für wichtiger und stützt sich auch auf die Möglichkeit, dass ein Theil der Kiemen ektodermalen Ur- sprungs sein könne, da die Verschmelzung des Entoderms mit dem Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 13 Ektoderm früher als die Sprossung der Kiemen erfolge (BALFOUR Nr. 6, pag. 211). Wenn nun desshalb auch die Entstehung aller Kie- men aus dem Entoderm nicht absolut evident sein kann, so ist doch die größte Wahrscheinlichkeit dafür, denn wie BaLrour angiebt, die gesammte Wand der Kiemenspalte (pag. 210), d. h. die ganze Tasche wird vom Hypoblast (Entoderm) gebildet. Jedenfalls ist ein ektoder- maler Ursprung der Kiemen als primitiver Zustand unerweisbar!. Es wäre demnach der Beweis geführt, dass keine einzige Thatsache zur Begründung der Annahme besteht, dass in der Riechgrube eine wenn auch nur modifieirte Kiemenspalte vorliege, oder dass Einrichtungen beständen, welche auf die frühere Existenz einer Kiementasche hin- deuteten 2. Was soll aber das Riechorgan sonst sein, wo soll es herkommen, wenn es keine Kieme gewesen ist? Ich denke der Nachweis, dass bei der Entstehung der Riechgrube keine Kieme im Spiele sein kann, sei wichtiger als jene Frage. Es ist auch gar nicht nöthig, dass es etwas Anderes gewesen ist. Wir haben es doch nur mit That- sachen und deren Prüfung und Beurtheilung zu thun, und wenn bis jetzt kein wirbelloser Organismus bekannt geworden ist, der ! Die Selachier sind aber nicht so ganz ohne eine Spur eines ähnlichen Verhaltens, denn in der Naso-labialrinne soll eine gleichfalls auf die Verbin- dung der Nasengrube mit der Mundhöhle hinweisende Einrichtung erhalten sein. Letztere kann ich um so weniger in Abrede stellen, als ich wohl der Erste war, welcher auf die Wichtigkeit dieser Rinne für die spätere Beziehung der Nasengrube zur Mundhöhle hingewiesen hat. Aber gerade desshalb, weil sich von daher jene Verbindung erst ableitet, ist es undenkbar, dass da jene Verbindung schon einmal bestanden habe. Die Geschichte jener Rinne . macht das klar. Die Rinne fehlt in den niederen Abtheilungen der Selachier und kommt erst den höheren Familien der Haie sowie allen Rochen zu. Sie ist eine erst innerhalb des Selachierstammes entstehende Einrichtung, die eben desshalb nicht auf eine ursprünglichere bezogen werden kann. Wem das nicht genügt, der mag noch daran denken, dass auch an dieser Rinne nur das Ekto- derm betheiligt ist, und dass auch hierin das unerfüllte Postulat einer ento- dermalen Ausbuchtung der Vorstellung einer mit den Kiementaschen vergleich- baren Bildung mit Entschiedenheit entgegentritt. 2 Obwohl ich die Cyclostomen bis jetzt außer Betracht ließ, da sie sich in vielen Stücken so divergent von den Gnathostomen verhalten, so sei doch hier der Gaumendurchbohrung der Myxinoiden gedacht. Man könnte hier das realisirt finden, was man für die Selachier, resp. für die Gnathostomen speku- lativ konstruirte. Da wir über das Zustandekommen jener Verbindung des Nasenrohres mit, dem Gaumen gar keine Erfahrungen besitzen, missen wir uns auch des vergleichenden Urtheils enthalten. Was wir bis jetzt von jener Einrichtung kennen, ist nicht geeignet, dieselbe auch nur im entferntesten an die Präexistenz einer Kieme geknüpft erscheinen zu lassen. 14 C. Gegenbaur ein auf das Riechorgan der Vertebraten direkt beziehbares Organ be- sitzt, wenn also das Riechorgan ohne Verbindungen nach unten zu besteht, so folgt daraus noch lange nicht, dass es desshalb von einer Kieme abgeleitet werden dürfe oder gar müsse. Es folgt nicht ein- mal daraus der erste Fall der eitirten Alternative MARSHALL’s, dass es bei den Wirbelthieren de novo entstanden sei. Wer möchte denn behaupten wollen, dass der gegenwärtige Bestand uns bekannter Thierformen alle wirklich existirenden umfasst, oder dass es unter jenem Bestande auch Formen geben müsse, von denen die Wirbel- thiere in gerader Linie sich herleiten ! Ein Grund aus dem Auftreten des Riechorgans als Grube auf eine Kieme zu schließen liegt um so weniger vor, als man ja längst solehe Riechgruben kennt (Cephalopoden), ohne dass es Jemandem einfallen möchte, hier könnte eine Kieme bestanden haben. So wenig wie jene Argumentation eine die Entscheidung der Frage fördernde Bedeutung besitzt, eben so wenig können aus der Be- ziehung des Riechens zum Athmen Gründe triftiger Art entnommen werden!. Wenn wir auch aus einem in der Nähe der Athmungsor- gane befindlichen Sinneswerkzeuge auf die Natur des letzteren schließen können, und es als ein Kontrollorgan des zu respirirenden Mediums betrachten, wie das ja nicht erst in der Neuzeit geschehen ist, so folgt daraus noch nicht, dass ein Athemorgan, wie eine Kieme es ist, für die Umgestaltung in ein Sinnesorgan besonders geeignet sein müsse, und noch weniger, dass man eine Umwandlung ohne Weite- res statuiren könne. Wie überall, so hat auch hier die Erfahrung ihr Recht und diese lehrt, dass jene Annahme grundlos ist. Ich _ kann desshalb in der letzteren auch keine Hypothese erblicken, son- dern nur eine Meinung, deren Schein bei der ersten Prüfung zerstiebt. Diese Meinung hat noch einen Vertreter in J. BLAuE (Nr. 8) ge- funden, dessen Untersuchungen hier berücksichtigt werden müssen. ! MARSHALL scheint zwischen diesen beiden Funktionen noch einen an- deren Zusammenhang anzunehmen, den auch WIEDERSHEIM vertritt. Dieser sagt (pag. 274), »Riechen, so argumentirt M. M. weiter, ist also nur ein modi- Fieirtes Athmen, und so wird kein heftiger physiologischer Wechsel nöthig sein, um eine Kieme in ein Geruchsorgan zu verwandeln.« Das Rieehen geschieht zunächst durch Erregung der Riechnerven oder vielmehr der Endapparate von Seite des umgebenden Mediums, das Athmen beruht auf einem Diffusionsvor- gange zwischen den Gasen des Blutes und der atmosphärischen Luft. Wie man darin einander ähnliche Vorgänge sehen kann, ist mir unverständlich! Sollten aber die Athembewegungen der Lungenathmer gemeint sein, so können diese doch nicht für die Fische gelten!!! Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 15 Sie haben gelehrt, dass bei vielen Fischen und auch bei Amphibien das Riechepithel in einzelne Gruppen zerlegt ist, welche mit den becherfirmigen Sinnesorganen des Integumentes der Fische und der Amphibien größte Übereinstimmung im Baue darbieten. Die Resultate dieser Untersuchung sollen der beregten »Hypothese« eine neue Un- terstützung geben. »Nun ist bekannt, dass die Kiemenbogen zahl- reiche Endknospen tragen, diese Endknospen finden sich aber in den Geruchsgruben als Geruchsknospen wieder. Demnach ist eine neue, nicht unwesentliche Beziehung der Geruchsgruben zu den Niemen- spalten konstatirt worden. Die Thatsache, dass sich das viel höher komplieirte Gehörorgan gleichfalls aus einer Kiemenspalte hervorbildet, dürfte dazu beitragen, die bedenken gegen die dargelegte Hypothese erheblich abzuschwächen.« So lesen wir auf pag. 274. Für BLAuR ist es also bereits eine Thatsache, dass das Gehörorgan eine Kie- menspalte war, es ist für ihn erwesen, dass es aus einem solchen entstanden ist. Es genügt das hier zu konstatiren, da weiter unten darauf einzugehen sein wird. Die Beziehung der Riechgruben zu den Endknospen wird von BLauE auf die allgemeine Übereinstimmung des Baues beider ge- gründet, und dagegen ist nichts einzuwenden. Beides sind niedere Sinnesorgane, die demgemäß eine gewisse Gleichartigkeit des Baues besitzen. Um so mehr muss ich die Richtigkeit des Schlusses bestreiten, dass die Riechgrube aus einer Kiemenspalte hervorgegan- gen sei, weil ihre Schleimhaut bei manchen Teleostiern Endknospen aufweise. BLAUE betrachtet die Zeiechmembran aus gehäuften End- knospen entstanden, indem er sich auf »analoge Vorkommnisse« be- zieht. » Wo es sich darum handelt eine intensivere und specifischere Leistung der Endknospen zu erreichen, häufen sich dieselben an be- grenzten Körperstellen fast in dem Grade, wie in der Regio olfac- toria von Belone, Exocoetus und Trigla. Ich erinnere nur an die als Tastorgane anzusehenden Barteln, Lippenriinder und Flossenstrahlen, an denen sich die Endknospen oft in übergroßer Zahl und dicht neben einander stehend finden« Diese Thatsache soll also be- gründen, dass in der Riechgrube eine Kieme zu suchen sei! Man hätte eher erwarten müssen, dass BLAUE an den Aiemen solehe End- knospenhäufungen nachweisen würde, wenn es auch seine Meinung eben so wenig begründet hätte. Bei der Bezugnahme auf jene Häufungen an verschiedenen anderen Lokalitäten, die Alles eher gewesen sein können als Kiemen, kommt man aber zu folgendem Schluss: Wenn es Körperstellen giebt, an denen Endknospen gehäuft vorkommen, 16 C. Gegenhaur ohne dass diese Stellen Kiemen gewesen sein können, so beweist die Häufung der Endknospen an einer anderen Stelle, wie in der Riech- grube gar nichts für die Kiemenbedeutung derselben. Und wenn wir wissen, dass die Endknospen an den Kiemenbogen nicht gehäuft vor- kommen, so entsteht daraus ein weiteres Minus von Beweiskraft der Endknospen. Bisher bin ich der Braur’schen Anschauung gefolgt, welehe das Riechorgan aus gehäuften Endknospen entstanden annimmt und habe nur gezeigt, dass die »Häufung von Riechknospen« nichts für Kiemen beweist. Ich muss aber auch die Richtigkeit jener Annahme be- züglich der Genese bestreiten und zwar wieder mit den Angaben, welche BLAvE selbst macht. Wenn das Riechorgan aus gehäuften Endknospen entstanden ist, so kann dieses ontogenetisch doch nur durch die Beobachtung von solchen Endknospen begründet werden. Eine solehe Beobachtung hat aber BLAUE nicht gemacht, es ist also eine Hypothese, die er aufstellt, und diese Hypothese benutzt er zur Stütze einer zweiten, eben der Kiemenhypothese, von der wir schon gesehen haben, dass sie auch von anderen Seiten unhaltbar ist. Wo BLAUE ontogenetische Thatsachen beibringt, da sprechen sie nur gegen ihn, nie für ihn. Das ist bei Amphibien der Fall. BrauE hat gezeigt, dass bei Salamandra der erste Zustand ein durchaus gleich- artiges Verhalten des Riechepithels besitzt. Darauf folgt ein anderes Stadium, in welchem die Regio olfactoria in »mehr oder minder große Geruchsknospen « getheilt wird, welche aber »einen schnell vorüber- gehenden Zustand« vorstellen. Wenn BrAuE in jenen verschieden großen Abschnitten des Riechepithels, die er als Geruchsknospen be- zeichnet, die »embryonale Erhaltung phylogenetisch alter Erbstücke durchgeführt« sieht, so hat er dabei das vorhergehende Stadium über- sehen, 7 welchem keine Geruchsknospen unterscheidbar waren. Diesen Zustand wird man doch für phylogenetisch noch älter halten müssen. Damit hat BLAUE selbst nachgewiesen, dass die sogenannten Geruchsknospenhier keine primäre, sondern eine sekun- däre Bildung sind. Das geht auch aus dem Verhalten der Riech- schleimhaut in den verschiedenen Abtheilungen der Fische hervor, wie es BLAUE so gut beschrieben hat!. Dem zufolge ist BLAUE’s ! Objektiv betrachtet ergiebt sich aus den von BLAUE gefundenen That- sachen Folgendes: Die Riechmembran der Fische zeigt, abgesehen von den gröberen, sehr mannigfaltig sich darstellenden Faltenbildungen, zweierlei Be- funde. In dem einen ist sie gleichmäßig, in dem anderen sind aus dem Riech- epithel größere oder kleinere Abschnitte gebildet, welche schließlich mit den = Bu = Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 17 ganze Argumentation zu Gunsten der Genese der Riechgrube aus Endknospen keine glückliche zu nennen. Endknospen oder den becherförmigen Organen des Integumentes etc. überein- stimmen. Die Vertheilung dieser Verhältnisse im Bereiche der Fische trifft sich derart, dass den Selachiern einfachere Verhältnisse zukommen, in so fern das in dem Grunde zwischen den größeren Falten des Riechorgans befindliche Riechepithel, wie es auch die sekundären Falten überkleidet, keine End- knospen erkennen lässt. Unter den Physostomen wurden Geruchsknospen bei einer großen Anzahl untersuchter Gattungen vermisst. Bei Esociden sollen sie vorkommen. Die Riechschleimhaut wird hier durch in sie eindringende Binde- gewebsfortsätz& in einzelne Abschnitte getheilt. Auf jenen dazwischen befind- lichen Vorspfüngen ist das Epithel von indifferenter Art. Die Bindegewebs- vorsprünge sondern das Riechepithel in kleinere grübcehenförmige Strecken. Diese nimmt BLAUE für Geruchsknospen. Wir sehen sie als Sonderungen der gesammten Riechschleimhaut an, die von den sogenannten Endknospen sich da- durch unterscheiden, dass letztere ohne Betheiligung des Bindegewebes nur durch epitheliale Differenzirung sich darstellen. Endlich ist auch noch von Clupea (pag. 302) angegeben, dass da ein Übergangsstadium bestehen soll, welches die Mitte hält zwischen Geruchsknospen und dem einheitlichen Riech- epithel. Unter den Anacanthini wurden Geruchsknospen bei Ophidium, Lota und Motella vermisst, bei Gadus und Fierasfer gefunden. Eben so bei Belone und Exocoetus. Vermisst wurden sie ferner bei Stromateus, Syngnathus und Zoarces, bei mehreren Acanthopteren, indess andere wie Trigla, Cuttus, Go- bius sie besitzen. Aus dieser Verbreitung ist zu ersehen, dass die sogenann- ten Endknospen jenen Formen zukommen, welche als höhere d. h. differenzirtere zu gelten haben. Den niederen Formen fehlen sie, wie den Selachiern und den Physostomen. Das bei den Esociden bestehende Verhalten beruht auf einer beginnenden Sonderung der Regio olfactoria, die in einzelne Strecken zerlegt wird. Ähnlich, aber nicht unmittelbar von diesem Befunde ableitbar, ist dann die Sonderung bei denjenigen Fischen, welche sogenannte Endknospen besitzen. Diese drücken den differenzirten Zustand aus, welcher dem Organis- mus dadurch Vortheile bietet, dass er die pereipirenden Apparate besser schützt. Wenn aber die Theilungsprodukte der Regio olfactoria Ähnlichkeiten mit Endknospen besitzen. oder mit solchen sogar übereinstimmen, so ist das das Ende des Vorganges und nicht sein Ausgangspunkt. Das Verhalten von Belone ist kein prümärer Zustand, wie BLAUE angiebt, sondern ein sekundärer. In dieser Auffassung wird auch dadurch nichts geändert, dass man, wie BLAUE thut, die gesammte Riechgrube als eine Endknospe betrachtet. Abgesehen da- von, dass dann die ganze Begründung der Genese der Riechgrube aus gehäuften Endknospen hinfällig wird, so ist das auch desshalb verfehlt, weil die generelle Übereinstimmung, die dieser Vorstellung zu Grunde liegt, eben sich nur auf Sinnesorgane als solche bezieht: und weil die sonstigen Unterschiede nicht dabei berücksichtigt sind. -Eine solche Verschiedenheit ist das zeitliche Auf- treten. Das Riechorgan erscheint bedeutend früher als die Endknospen im Inte- gumente und es ist nirgends nachgewiesen, dass an seiner Stelle eine einfache Endknospe bestand, die sich vergrößert habe. Eine solche Annahme gehört zu den Hypothesen, die nicht begründet sind, und die, wie sie desshalb selbst un- berechtigt sind, noch weniger dazu dienen können, andere Hypothesen zu stützen. Morpholog. Jahrbuch. 13. 2 18 CU. Gegenbaur Da also das Riechorgan nicht als aus Häufung von Endknospen phylogenetisch entstanden nachgewiesen wurde, eben so wenig als ein ontogenetischer Beweis dafür erbracht wurde, so fällt damit auch die von BLAUE auf die Häufung von Endknospen gestützte Beziehung zu Kiemen. Ist aber das Riechorgan, wie BLAUE auch einmal (pag. 273), im Widerspruch mit seiner anderen Annahme (pag. 270), angiebt, nicht aus einer Hédufung von Riechknospen, sondern aus einer einzigen hervorgegangen, so ist auch das nichts weniger als ein Grund für die Kiemenbeziehung, denn es wäre doch geradezu ungeheuer- lich überall da die Existenz von Kiemen annehmen zu wollen, wo im Integumente Endknospen sich vorfinden! WIEDERSHEIM (Nr. 57, pag. 374) hat, indem er sich auf die BLaue’schen Spekulationen be- zieht, es für zweifellos erklärt, dass »das Geruchsorgan keine für « »sich bestehende isolirte Bildung vorstelle, sondern, dass es phyloge-« »netisch unter einen und denselben Gesichtspunkt, wie die Hautsinnes-« »organe der Anamnia füllt«. Daran kann wohl kein Zweifel sein, dass es sich, wie alle Sinnesorgane, aus einem indifferenten Zu- stand herausbildete. Diese Annahme ist aber keineswegs neu, neu wäre nur, wenn jene Gleichartigkeit des Gesichtspunktes auf die an- geblich primitive Übereinstimmung des Baues des Riechorganes mit den Endknospen sich beziehen soll. Das haben wir aber als unbe- gründet und desshalb unzulässig nachgewiesen. Die Endknospen sind ja morphologisch keine indifferenten Sinnesorgane. Jenem Ideengange, welcher Beziehungen der Kiemen zu Sinnes- organen annimmt oder sie zu konstruiren versucht, liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die Kiemen besondere Sinnesorgane besäßen, oder doch besessen hätten. Organe, die bei manchen Teleostiern da vor- kommen, werden für eee: Einrichtungen angesehen. Dass sie diese nicht sind, erklärt sich aus ihrem Fehlen gerade bei den nie- deren Abtheilungen der Fische. Die Folgerung: Kiemen besitzen Sinnesorgane, also miissen Sinnesorgane auch Kiemen besitzen oder doch besessen haben, ist einfach ein Trugschluss, wie nicht näher erörtert zu werden braucht. Einen solchen Trugschluss wendet auch BLAUE an, um aus der Nasengrube eine ehemalige Kieme zu kon- struiren. Wir begegnen demselben auch bei BEARD, wenn auch in etwas anderer Form. Dieser Autor nimmt ektodermale Verdickungen, die er zugleich mit der Entstehung der Ganglien der Kopfnerven im Zusammenhang nachwies, für Anlagen oder Rudimente von Sinnes- organen, die zu Kiemen gehörten. Wir werden darauf bei den Ner- ven zurückkommen. Wenn es Anlagen oder Rudimente sein sollen, j Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 19 so sind es keine ausgebildeten Organe. In der That besitzen sie gar nichts, was an irgend ein differenzirtes Sinnesorgan erinnerte. Warum sollten es nun Anlagen von Sinnesorganen sein? Es ent- steht aus ihnen kein Sinnesorgan, und BEARD behauptet das auch gar nicht. Also müssten doch irgend wo solche Sinnesorgane vor- kommen. Bei den Wirbelthieren ist nichts davon bekannt, dass an jenen Stellen Sinnesorgane sich ausbildeten. Was man bei Wirbel- losen von Verbindungen von Sinnesorganen mit Kiemen kennt, ist absolut nicht hierher beziehbar, da jene Kiemen eAtodermale Gebilde sind, und die Kiemen der Wirbelthiere sich nicht davon ableiten lassen. Da nun ein Theil jener verdickten Stellen über den Kie- menspalten sich findet, indem die bezüglichen Nerven jenen Meta- meren angehören, in welchen die Kiemenspalten sich finden, folgert er daraus eine principielle Zusammengehörigkeit jener problematischen Verdickungen zu den Kiemen. Da jede Kieme ein Sinnesorgan über sich hat, so muss auch zu jedem Sinnesorgan eine Kieme gehören. Wo nun in der Wirklichkeit keine Kiemen vorhanden sind, aber jene problematischen Sinnesorgane, wird einfach eine Kieme als einmal da vorhanden angenommen, ohne dass eine fernere Begründung für nöthig gehalten würde. Das ist die zweite unbegründete Hypothese, die auf der ersten, dass jene Epithelverdickungen Sinnesorgane seien, oder gewesen wären, aufgebaut worden ist. Derselbe Trugschluss findet sich auch bei den anderen sogenann- ten präoralen Kiemenspalten in Verwendung. Faltenbildungen oder Erhebungen sehr ungleichwerthiger Natur, die an Embryonen in r der präoralen Kopfregion bemerkbar werden, werden von W. K - PARKER (Nr. 35, pag. 630) als in serialer Homologie mit den Visce- ralbogen befindlich angesehen und die inzwischen bestehenden Ver- tiefungen oder Furchen als Visceral- oder Kiemenspalten (visceral clefts) gedeutet. So sagt er (l. ec.) »it would seem to any unpreju- diced observer that the fold above the mouth, in which the eyeball rests, is the serial homologue of the folds behind the mouth. That is to say, the palatine fold (»superior maxillary rudiment« »mazillo palatine fold«) appears to be the morphological equivalent of the folds next following, in which are developed the mandible, hyoid arch and branchial arches.« Dass im Oberkiefer ein besonderer Visceral- bogen bestehe, nimmt auch MARSHALL (Nr. 28, pag. 336) an, indem er sagt: »my investigations appear to leave no room for doubt, that the ma-« »xillary arch, the rudiment of the upper jaw, is as fully entitled to« »rank as a distinct visceral arch as the mandibular, hyoid, or branchial « 2* 20 C. Gegenbaur »arches«. Diese Untersuchungen, auf die MARSHALL verweist, lehren aber nichts, als dass bei Selachier- Embryonen an der oberen Mund- begrenzung ein Vorsprung bemerkbar ist, der auf Durchschnitten, wie sie der Verfasser in seinen Figuren 3—5 darstellt, einiger Ähn- lichkeit im Umrisse mit den Umrissen von Schnitten der Kiemenbogen nicht entbehrt. PARKER genügt das Bestehen eines oberflächlichen Vorsprunges oder einer Falte, um daraus einen Kiemenbogen zu machen. Der Vorsprung bedingt natürlich eine Einsenkung neben sich, gegen das Auge hin, das ist eine Kiemenspalte, die T’hränen- spalte, »Laerymal cleft«! Dass es eine »wirkliche« Spalte sei, wird freilich nicht behauptet, aber es soll eine gewesen sein, und da ist ihr wenigstens der Titel geblieben. Was oben von der nasalen Kie- menspalte gesagt wurde, gilt auch für diese Lacrymalspalte. Es besteht keine einzige Thatsache, welche darauf hinwiese, dass da eine Kiemenspalte bestanden habe, und es ist nur die ganz ober- flächliche Ähnlichkeit als Argument dienstbar gemacht. Aber selbst diese oberflächliche Ähnlichkeit wird hinfällig, sobald man nur die Region in Erwägung zieht. Es ist jene, in welche sich kein Ento- derm mehr erstreckt, so dass dadurch die vornehmste Bedingung für die Bildung von Wirbelthierkiemen mangelt. Man müsste also den Begriff einer Kiemenspalte und eines Kiemenbogens, wie ihn die on- togenetische Erfahrung errichtete, gänzlich aufgeben, wenn jene Ge- bilde auf Kiemen bezogen werden sollen, es wären Spalten, die nie- mals als wirkliche Spalten nachgewiesen werden können, Kiemen- spalten, die niemals Kiemen besaßen. Diesen präoralen Spalten noch eine fernere zuzufügen, ist von MARSHALL nicht für unmöglich gehalten worden. Er sagt (Nr. 28, pag. 337): »Though in the above enumeration of the segmental« »cranial nerves I have left out the optic nerve, for reasons stated « »elsewhere it is quite possible that this nerve may ultimately prove to« »be of segmental value, iz which case it would indicate the existence « » of a cleft between the olfactory and lacrymal cleft'. However I have « yas yet completely failed to find any evidence of its segmental nature, « »and must, for the present, regard it as of a totally different nature to « »any of the other nerves.« MARSHALL glaubt also, von der Möglichkeit der Deutung des Opticus als eines segmentalen Nerven, eine Kiemen- spalte ableiten zu können, oder mit anderen Worten: Wenn der Opticus sich als segmentaler Nerv erweist, so muss auch für ihn eine Kiemen- ! Das in Cursivschrift Gegebene ist von mir hervorgehoben. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 21 _ spalte angenommen werden. Da ich erst weiter unten die Nerven behandeln werde, habe ich es hier nur mit der Argumentation zu thun. Es wird die Spalte postulirt aus der Art des Nerven. Das muss ich als absolut irrig bezeichnen, denn die Rückenmarks- nerven sind sämmtlich segmental, ohne dass man ihnen zugehörige Kiemenspalten annehmen dürfte. Es muss also, selbst wenn man den Nerven Werth zutheilt, noch eine andere Instanz zur Geltung kommen. Die wird auch MARSHALL anrufen, indem er sich auf den Kopf bezieht, es handle sich hier um Kopfnerven. Ich kann das vollständig acceptiren, in so fern ja damit als neue Instanz noch die Region mit in Betracht gezogen ist. Nur muss ich die Region noch entschiedener fassen, denn am Kopfe giebt es wieder zwei Regionen, eine dorsale und eine ventrale. An der ersteren hat auch die Augen- anlage stattgefunden. Wenn man nun den Begriff der Kiemenspalten und Kiemen nicht aus der Luft greifen, sondern ableiten will, so kann das nur durch den Ausgang von zweifellosen Kiemenspalten und Taschen geschehen, wie es nur die postoralen sind. Nachdem aber diese Kiementaschen dem ventralen Gebiete angehören und nach- dem präoral gar keine ventralen Mesodermbildungen vorkommen, da ferner auch das Entoderm sich nicht dorthin erstreckt, so fehlen damit günzlich die ersten Bedingungen zur Entstehung von Kiemen- spalten und Kiemenbogen. Es hängt also die Entscheidung der Frage nicht sowohl am Nerven, als an anderen Theilen, der Nerv mag metamer sein (er ist es nicht, wie am passenden Orte dargethan wird), aber daraus folgt nicht, dass dazu eine Kiemen- spalte gehöre. Auch dem Munde der Vertebraten ist die Entstehung aus Kiemen- spalten zugeschrieben worden, und zwar soll er, wie Dourn (Nr. 11) angiebt, durch die Vereinigung zweier seitlichen Kiemenspalten ent- stehen. Embryonen verschiedener Knochenfische (Gobius-Arten, Hippo- campus, Labrus, Lophius, Belone, also vorwiegend Acanthopteri) dienten zur Untersuchung. Nehmen wir an, bei manchen Teleostiern träfe sich das, wie es von DoHrN beschrieben wird, und es läge auch darin keine Schwierigkeit, dass an den fraglichen Spalten nie- mals Kiemen beobachtet worden sind, dass ferner auch die Frage, wo denn dann der Mund der Wirbelthiere gewesen sei, sich auf ein- fache Art erledigen ließe: so bleibt doch noch ein Punkt übrig, der von größerer Wichtigkeit ist. Das betrifft den Werth jener Beobach- tung denen gegenüber, welche an anderen niederen Wirbelthieren fest- gestellt sind. Das ist einmal bei Petromyzon unter den Cyclostomen 2 Ö.*Gegenbaur wo durch Scorr bekannt, dann ist es bei Selachiern', von Ganoiden bei Acipenser durch SaLensky (Nr. 42), endlich schon längst bei Salmo durch Vogr beobachtet. Das Bestehen einer einheitlichen ektodermalen Einsenkung, welehe die Mundbucht vorstellt und bei den höheren Vertebraten allgemein wiederkehrt, erscheint damit als eine ver- breitete, jedenfalls «als die Regel zu betrachtende Erscheinung, der gegenüber das, was Dourn von einigen Teleostiern angiebt, die Aus- nahme bildet. Anstatt dem Grunde nachzugehen, welcher bei jenen Teleostiern die Ausnahme veranlasst haben könnte, wird die Aus- nahme als Regel proklamirt! Wenn wir darthun konnten, dass in der vorderen Kopfregion keine Kiemenspaiten nachzuweisen sind, weder präorale noch buceale, dass ferner eine solche Annahme jeglichen empirischen Grundes ent- behrt, so verhält es sich anders bei der ventralen Region des Kopfes. Hier ist es das Entoderm, welches für die Deutung von gewissen Gebilden als Kiemenspalten oder vielmehr als Rudimente von Anlagen solcher ein nicht zu unterschätzendes Kriterium abgeben kann. Das- selbe Gewicht, welches als negative Instanz bei der Beurtheilung der angeblichen präoralen Kiemenspalten dem Entoderm zukommt, muss ihm bei postoralen Gebilden in positiver Weise zufallen. In einer sorgfältigen Arbeit hat vAN BEMMELEN (Nr. 53) an Selachier- Embryonen mancherlei Gebilde auf rudimentäre Kiemenspalten be- zogen. Das betrifft erstlich eine entodermale Ausbuchtung hinter der letzten Kiemenspalte. VAN BEMMELEN folgert, dass bei dem Vorkommen einer größeren Anzahl von Kiemenspalten bei den Notidaniden, und bei der bedeutenden Vermehrung der Kiemen von Amphioxus, den Selachiern — außer den, inclusive des Spritzloches, vorhandenen sechs Kiementaschen — eine größere Kiemenzahl zu- gekommen sein werde, die bei der Mehrzahl der Selachier durch Verschwinden hinterer Kiemen auf jene sechs sich redueirten. Es sei daher nicht unwahrscheinlich, dass bei den Selachiern noch An- deutungen einer sechsten resp. siebenten Kiemenspalte vorkommen, und als eine solche nimmt er jene Ausbuchtung an. Er stützt diese ! Wenn die Mundbucht sich auch seitlich erstreckt, so liefert sie damit noch nicht »das Bild eines Kiemenspaltenpaares«, wie VAN BEMMELEN (Nr. 53) vom Horizontalschnitt eines Raja-Embryo angiebt, denn sie ist auch in diesem Embryo einheitlich, wie die übrigen Schnitte ihn lehren mussten. Das ist doch keine unwesentliche Verschiedenheit von den paarigen Kiemenspalten. Es ist eine eigenthümliche Art der Forschung, aus der Ähnlichkeit eines Schnittbildes mit irgend einem Objekt, Beziehungen zu diesem ableiten zu wollen, selbst wenn man aus der Summe der Schnitte die Überzeugung des Gegentheils gewonnen hat. —— nt an ds ae Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 23 Deutung auf das bekannte Bestehen eines knorpeligen letzten Kiemen- bogens, der hinter jenes Rudiment einer Kiementasche zu liegen komme, und auf die Beobachtung eines gleichfalls hinter jene Tasche treffenden »Muskelschlauches« d. h. der Anlage der jenem Bogen zukommenden Muskulatur, welche Anlage sich mit jener der übrigen Kiemenbogen in Übereinstimmung darstelle. Dass die rein ventrale Lage der Entoderm-Ausbuchtung nicht ganz der Lokalität des Auf- tretens der zur Ausbildung gelangenden Kiementaschen entspricht, bietet vielleicht eine Schwierigkeit in der Deutung des Gebildes als Kieme. Dagegen dürfte die Umbildung dieser Anlage in ein drüsen- artiges Organ (Suprapericardialkörper nennt es unser Autor) nicht gegen die Auffassung VAN BEMMELEN’s sprechen, wenn auch aus diesen Gebilden nicht gerade eine Bestätigung zu schöpfen ist. Einige andere Eigenthümlichkeiten fand van BEMMELEN im Be- reiche des Spritzloches. Einer großen Anzahl untersuchter Formen. kommt (mit Ausnahme von Acanthias und Heptanchus) ein folliku- lärer Anhang an der inneren Wand zu. »Er hat die Form eines« »ovalen Bläschens, dessen Wand von hohen Epithelzellen ausgekleidet « »und das durch einen kurzen Stiel mit engem oder ohne Lumen« »mit der Spritzlochwand verbunden ist. Das Bläschen liegt ober-« »halb der Stelle, wo das Spritzloch in den Kiemendarm übergeht« — »bei Torpedo und Raja liegt es an der hinteren (caudalen) Wand des« »Spritzloches,« bei Seyllium und Galeus »dagegen an der vorderen, « »dem Kopfe, zugewendeten Seite und stößt an die hintere Wand der« »Orbitalhéhle an. Pristiurus und Mustelus nehmen in Bezug auf das« »Bläschen eine vermittelnde Stellung ein. Immer aber zeigt sich« - „das Bläschen an der inneren Seite der Spritzlochkieme und dicht « »unter und hinter dem Spritzlochknorpel.« »Das Bläschen tritt ziem-« »lich spät auf,« wenn schon Knorpel sich zu differenziren beginnt, und die Anlagen der Kiemenfäden sich zeigen. Dieses Gebilde entsteht »als eine kleine ausgebuchtete Stelle an derselben Wand« »des Spritzloches« und mündet später »mit kurzem, engem Halse in« »das Spritzloch ein.« Es scheint van BEMMELEN unzweifelhaft, »dass« »das Bläschen ein rudimentäres Organ seic. Seine Entstehung habe einige Ähnlichkeit » mit den ersten Entwicklungsstadien der Thymus-« »Wucherungen an den übrigen Kiemenspalten«. Da aber bei diesen die Höhle schwinde und eine Wucherung der Epithelzellen auftrete, was bei dem Bläschen nicht der Fall sei, hält van BEMMELEN es für unwahrscheinlich, dass hier eine Thymuswucherung vorliege. Dagegen findet er einige Ähnlichkeit mit den ersten Stadien des 24 C. Gegenbaur »Suprapericardialkörpers«. Aber ungeachtet der Differenz in dem .ferneren Entwicklungsgange des letzteren und der wohl erkannten Ver- schiedenheit der Lage spricht van BEMMELEN die Möglichkeit einer Homologie zwischen dem Spritzlochfollikel und dem Suprapericardial- körper aus, indem er auch den ersteren von einer rudimentären Kiemenspalte ableitet. Man muss hier fragen, - ob es nicht viel näher liege, jenen Follikel auf Thymusgebilde zu beziehen, die ja van BEMMELEN in Erwägung bringt. Was ihn abhält von dieser Deutung, ist der fernere Ver- lauf der Sonderung an den Anlagen der Thymus. Aber auch an den Suprapericardialkörpern ist die spätere Sonderung eine andere, wie VAN BEMMELEN zugiebt. Darin verhalten sich also die beiden Vergleichsobjekte, pari passu, verschieden vom dritten Objekt, dem Spritzlochfollikel. Da dieses Organ doch einmal als etwas Rudimen- täres angesehen wird, warum soll darin nicht eine im ersten Zu- stande fortbestehende und in diesem weiter ausgebildete Thymus- anlage gesehen werden, zumal solche ja der in ein Spritzloch um- gestalteten Kiemenspalte ausnahmsweise nicht zukommen? Was VAN BEMMELEN von dieser Richtung ableitet, das ist die von vAN WIJHE (Nr. 59) ausgesprochene Hypothese: »dass in der Gegend des Spritz- loches früher eine Kiemenspalte bestanden haben muss«. Auf diese Hypothese soll also eine zweite Hypothese begründet werden. Bisher hat man Hypothesen auf Erfahrungen zu gründen gesucht. Die Er- fahrung hat aber bis jetzt noch keine Kiemenanlage im Zungenbein- bogen nachzuweisen vermocht, und da müsste ja diese van WIJHE- sche Kieme liegen. Wenden wir uns nun zu den Thatsachen, so hat van BEMMELEN nichts Anderes nachgewiesen, als eine follikel- artige Ausstülpung einer Kiementasche, welche Ausstülpung sehr spät sich bildet. Da wir nun wissen, dass die Kiementaschen sehr frühzeitig angelegt werden, jede Kiementasche selbständig sich an- legt, und dass die vorderen früher als die hinteren zum Vorschein kommen, so kann ein so spät auftretendes Gebilde, welches aus der ersten Kiementasche hervorgeht, kein Recht beanspruchen, als Kiemen- tasche, und sei sie noch so rudimentär, angesehen zu werden. VAN 3EMMELEN legte bei der Erörterung über die entodermale Anlage einer siebenten Kiementasche mit Recht ein großes Gewicht auf die Zeit ihres Auftretens und auf den Ort, hinter der sechsten Tasche. Bei dem Spritzlochfollikel hat er jene Kriterien, die ihm vorher dienen mussten, ganz außer Acht gelassen. Was der Spritzloch- follikel nun sei, lasse ich dahingestellt. Indem ich vorhin die Be- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 25 ziehung zur Thymus hervorhob, wollte ich nur zeigen, dass diese viel näher liege, als die Vergleichung mit einer Kieme. Eine dritte Art von Gebilden, die wir betrachten müssen, »sind follikuläre Ausstülpungen des Epithels in den Mundecken«, welche van BEMMELEN bei allen untersuchten Arten aber nicht bei allen Exemplaren fand. Auch bestand an demselben Individuum beider- seits zuweilen ein Unterschied. »Wo die Mundhöhle sich gegen die « »Gelenkstelle von Palato-quadratum und Unterkiefer etwas aus-« »buchtet« »bildet das Epithel in einem ziemlich späten Stadium der« »Entwicklung (wenn schon der Knorpel sehr deutlich differenzirt ist) « »einen kleinen follikulären Anhang«, der sich nach vorn und hinten ausbreitet und seinen Stiel so verengt, dass dessen Lumen ver- schwindet. Auch im Follikel geht unter Zellwucherung das Lumen verloren, und später bildet der Follikel sich wohl gänzlich zurück. Die Lage dieser Gebilde soll den wahren Kiemenspalten ähnlich sein, desshalb wird angenommen, dass sie rudimentäre Kiemen- spalten vorstellten, die einer Spalte entsprächen, welche »zwischen « »dem zweiten Lippenknorpelehen und dem Kieferbogen bestanden « »hat. Bei dieser Auffassung wäre der Follikel eine Stütze für die« »Hypothese, dass die Lippenknorpelchen rudimentäre Kiemenbogen « »seien.« Auch bei diesem Deutungsversuche ist die Zeit des Erscheinens der epithelialen Einwucherung nicht mit in Betracht gezogen. Dass so spät nochmals eine Kiementasche sich anlege, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, die rudimentären Organe pflegen in derselben Entwieklungsperiode aufzutreten, in der die Anlagen der noch nicht - rudimentären Organe erscheinen; das ist aber nicht der wichtigste Gegengrund. Denn wir kennen manche Ausnahmefälle, in denen die Anlage eines Organrudimentes verzögert wird. Im Eingange seiner Abhandlung bestreitet van BEMMELEN die Annahme Wyman’s vom Vorkommen einer sechsten (resp. siebenten) äußeren Kiemen- alte bei Rochen, weil diese Bildung nur eine ektodermale Falte sei. Ich hatte vor Jahren diese Angabe für richtig gehalten. Eine bessere Erkenntnis sagt mir jetzt, dass jenes Kriterium ungenügend sei, nachdem wir von der Betheiligung des Entoderm an der Anlage der Kiementasche genauere Kenntnis besitzen. Die Frage von der Theilnahme des Entoderm an der Genese des Mundfollikels ist aber von VAN BEMMELEN gar nicht berührt worden. Wohl desshalb, weil in jenem weit vorgeschrittenen Stadium, in welchem der Follikel entsteht, die Grenze zwischen Ekto- und Entoderm im Bereiche der 26 C. Gegenbaur Mundhöhle nicht mehr bestimmbar ist. Eben dieser Umstand hätte abhalten miissen, den Follikel als Kiemenrudiment zu deuten, denn das heißt doch nichts Anderes als ihm eine entodermale Entstehung zuschreiben, die nicht nachweisbar ist. Die Erwägung der Aus- dehnung der Mundbucht macht sogar viel wahrscheinlicher, dass der Ort der Follikelbildung noch im ektodermalen Gebiete liegt. Von den »vermuthlichen Kiemenspalten« van BEMMELEN’s dürfte daher nur eine, die hinter der letzten ausgebildeten Kieme sich anlegt, anzuerkennen sein. Ob mit dieser Bildung eine durch BEARD (Nr. 7) bei Torpedo beschriebene übereinkommt, möchte ich desshalb bezweifeln, weil dieser nach Ausweis der bezüglichen Ab- bildung (l. ec. Fig. 47) eine rein laterale Lage zukommt. Van _ BEMMELEN’s Nachweis muss ich aber nicht bloß wegen des Umfanges der Untersuchung sondern auch betreffs der größeren Genauigkeit den Vorzug geben. Desshalb halte ich es für unsicher, ob die von. BEARD dargestellte Ausbuchtung überhaupt hierher gehört. Die Reihe von Organen, welche »Kiemen« gewesen sein sollen, ist damit noch keineswegs abgeschlossen. Es muss dabei die große Mannigfaltigkeit überraschen, die sich bei diesen angeblich aus Kiemenspalten entstandenen Organen kund giebt. Die Schilddrüse. die Hypophyse, das Gehörorgan und die Linse des Auges, Alles das soll nach DoHurn aus Kiemenspalten entstehen. Auch der After soll hierher gehören. »Ofenbar haben wir es bei der Glandula thy- reoidea mit dem letzten Reste der zwischen Hyoidbogen und Hyoman- dibularbogen zu Grunde gegangenen letzten Kiemenspalte zu thun« (Nr. 13, pag. 46). »Dieselben Ereignisse, welche aus zwei ventral verschmolzenen Kiemenspalten den jetzigen Wirbelthiermund werden ließen, welche die Hypophysis als unpaaren, vor dem Munde gelegenen Kiemensack schufen, sie sind es auch gewesen, welche die unpaare nach dem Bauche zusammengedriingte Anlage der Thyreoidea hervor- brachten.« Von diesen Ereignissen wissen wir nun gar nichts, wenn wir unter Ereignissen in Wirklichkeit stattgehabte, durch Zeugnisse bestätigte Vorgänge und nicht bloße Phantasieprodukte verstehen. Was die einzelnen für jene Meinung angeführten Gründe angeht, so haben sie durch JuLın und Ep. van BENEDEN (Archives de Biologie T. VI. pag. 437 ff.) sehr ausführliche Widerlegung gefunden. Die übrigen angeblichen »Kiemenspalten« gehören in die gleiche Kategorie. Von einer Begründung der Hypothese durch Thatsachen ist keine Rede, denn das, was zu einer Begründung angeführt wird, sind wieder nur Hypothesen. Der Autor sagt selbst (Nr. 12, pag. 47) Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 27 »Ich habe mich schon lange gewöhnt, die Gehörblase für eine umge- wandelte Kiemeneinstülpung zu halten.« »Direkte Deweisgründe sind dafür eben so wenig beizubringen wie für die Hypothese, dass die Linse und die Nasengrube ektodermale Hiemeneinstülpungen seien.« Man wird dem zufügen müssen, dass auch indirekte Beweise nicht gege- ben worden sind, und wird danach das ganze von Dourn errichtete Kiemengebäude beurtheilen. Durch all die besprochenen Publikationen hat unsere Kenntnis von der durch die Kiemenspalten ausgesprochenen Metamerie des Kopfes keinen nennenswerthen Vortheil gewonnen. Eine Menge von Organen ward auf Kiemenspalten bezogen, ohne dass sie als solche erwiesen werden konnten. Nur eis Rudiment erfüllt durch seine Lage hinter der letzten Kiementasche einigermaßen die Bedingun- gen, welche man an ein in jener Richtung zu deutendes Organ stellen muss. Von diesem, übrigens noch nicht ganz sicheren Ge- bilde abgesehen, hat die Ontogenie bezüglich der Kiemenspalten, den alten, auch aus dem ausgebildeten Zustande bekannten Thatsachen nichts Neues hinzugebracht. Es kommen bei den Selachiern nur die Kiemenspalten zur Anlage, welche in den definitiven Kiemenapparat inclusive Spiraculum übergehen. Es ist eine in dem Gebiete der uns hier beschäftigenden For- schungen beachtenswerthe Erscheinung, dass allerwärts nach Kiemen- tasehen gesucht wird und die heterogensten Bildungen mit mehr oder weniger Aufwand von Mühe für solche ausgegeben wurden, während doch selbst von einer siebenten oder einer achten Kiementasche, die bei den Notidaniden noch besteht, so gut wie nichts mehr sich wie- derholt. Die Erwägung, dass beide Kiementaschen bei den übrigen Selachiern verschwunden sind, dass jedenfalls von der letzten keine Spur mehr, selbst in der Ontogenese angedeutet wird, hätte bei dem Suchen nach Kiementaschen, die einem unendlich viel weiter zurück- liegenden Zustande angehört haben sollten, zu einiger Vorsicht mahnen müssen. Man suchte in der Ontogenese nach Zeugnissen für die »Urgeschiehte« der Kiemen, während selbst die geschichtlichen Do- kumente für jene Organe außerordentlich dürftig sind. 3. Verhalten der dorsalen und ventralen Metamerenbildungen zu einander. Von der Frage von der Metamerie des Kopfes sind bisher von mir nur die mesodermalen Urwirbel sowie die Kiementaschen und 28 C. Gegenbaur implicite die jene trennenden Kiemenbogen behandelt worden, dor- sale und ventrale Theile des embryonalen Kopfes. Nur gelegentlich ward der Zugehörigkeit der ersteren zu den letzteren, oder umge- kehrt, Erwähnung gethan. Es dürfte sich nun um eine Prüfung jener Zusammengehörigkeit handeln. Diese Frage hat eine umfassende Diskussion durch AHLBORN er- fahren (Nr. 2), zu der wir uns jetzt wenden wollen. Dieser Autor lehrt uns seine Absicht in Folgendem kennen: »Von der größten « »Wichtigkeit für die morphologische Beurtheilung des Wirbelthier- « »kopfes sind die Beobachtungen, welche neuerdings Dr. J. W. van« » WIJHE in seiner Arbeit über die Mesodermsegmente und die Entwick- « »lung der Nerven des Selachierkopfes niedergelegt hat. Der Autor be-« »zeichnet seine Arbeit selbst als eine Erweiterung der Untersuchungen « » BALFour’s und MArsHaAurvs. In Wirklichkeit ist sie aber viel mehr« »als eine bloße Erweiterung, denn die darin enthaltenen thatsäch- « »licehen Beobachtungen sind dazu angethan, der GEGENBAUR’schen « »Theorie dauernd den Boden unter den Füßen zu entziehen. Wenn« »die schließlichen Resultate der Arbeit dem nicht entsprechen, so liegt« »das offenbar daran, dass van WIJHE noch ganz wie BALFOUR und« » MARSHALL unter dem Einflusse jener Theorie steht, und es dort, wo« »die Beobachtung dagegen spricht, vermeidet, diesen Widerspruch « »bestimmt zum Ausdruck zu bringen, während er die scheinbaren « »Übereinstimmungen besonders hervorzuheben für gut befindet.« Sehen wir nun zu wie AHLBORN zu seinem Zwecke zu gelangen sucht. Er hebt zunächst hervor, dass die »Branchiomerie« von der »Mesomerie« (mesodermalen Metamerie) im ganzen Kopfe unabhängig sei, dass diese Mesomerie am Kopfe mit der primären Metamerie der Mesoblastsomite des Rumpfes iibereinstimme. Dass die » Branchio- merie« unabhängig sei von der dorsalen Metamerie, in so fern sie an entodermale Processe geknüpft ist, welche die Kiementaschen her- vorgehen lassen und dadurch die Kopfregion von der Rumpfregion recht bedeutend unterscheiden, das ist nie von mir bestritten worden, und hat auch mit der Frage, wie ich sie stellte, keinen so unmittel- baren Zusammenhang. Nach meiner Deutung des Kopfes der Wir- belthiere ist derselbe aus einem metameren Zustande her- vorgegangen, und diese Metamerie ist dorsal verschwun- den, ventral aber an dem Kiemenapparate erhalten ge- blieben. Dies ist das Wesentliche meiner früheren Aufstellung, wie ich sie gegenwärtig noch vertreten kann. Dass die dorsale Metamerie des Kopfes vom Mesoderm, die ventrale dagegen vom Entoderm be- ir Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 29 herrscht wird, steht mit jener Auffassung in keinem Widerspruche. Die Frage ist: ob die ventrale Metamerie der dorsalen kon- gruentsei, nicht, obsie von der dorsalen aus entstanden sei. AHLBORN argumentirt: weil die Kiementaschen als Faltenbil- dungen des Darmes thatsächlich nicht nothwendig an die Segment- grenzen gebunden sind, ist diese von der Segmentirung des Me- soderms völlig unabhängig und desshalb sollen auch die Produkte dieser Processe keine Beziehung zu einander haben. Es ist also die einseitige Beziehung auf die Keimblätter, auf welche der Schwer- punkt gelegt ist. Das ist der erste Irrthum, in den AHLBORN ver- fällt, denn an der Herstellung der Metameren des Körpers, die aus verschiedenen Organen zusammengesetzt werden, können auch ver- schiedene Keimblätter betheiligt sein. Aus dem Verhalten der Me- tamerie des Kopfes kann man wohl folgern, dass sie, modificirt durch den Einfluss des Entoderm, anders, d. h. unter Theilnahme anderer Gebilde entstehe, als am Rumpfe, aber man kann daraus nicht folgern, dass desshalb ventrale und dorsale Metamerenstücke nicht zusammengehörten, dass eine einheitliche Metamerie nicht exi- stire'. Was kann man für den ontogenetischen Nachweis dieser Zusammengehörigkeit mehr verlangen, als dass von Kopfsomiten her Mesoderm in die betreffenden Kiemenbogen sich erstreckt, dass also darin eine ganz positive Zusammengehörigkeit sich ausspricht, und dass, wie MARSHALL, zum Theil auch van WIHE, gezeigt haben, den beiden ersten Kiemenbogen eine Zeit lang je ein Cölom- abschnitt zukommt, der mit dem Cölom der bezüglichen Kopfsomite einheitlich ist, ja von letzteren aus sich bildet. Wenn dieser Befund _ des Kiefer- und des Hyoidbogens an den nächsten Kiemenbogen nicht mehr auftritt, soist dieses aus der abgekürzten Entwicklung verständlich, die an diesen Platz gegriffen hat. Denn an diesen folgt die Trennung des ihnen zukommenden Mesoderms relativ früher, als bei den ersten Kie- menbogen (nur dem ersten nach van WIJHE, dem ersten und zweiten nach MARsHALL), folglich kann jene Cölomverbindung nicht zu Stande kommen. Wir haben also im Verhalten der Kiemenbogen zum Kopf- cölom zweierlei Befunde vor uns. Aus diesem könnte gefolgert wer- den, dass entweder der eine Zustand aus dem anderen hervorging, indem ursprünglich ein gleiches Verhältnis für alle (primären) Kie- 1 Es giebt unter den Wirbellosen außerordentlich verschiedene Zustände der Metamerie, aber es besteht doch keiner, in welchem das dorsale und ven- trale ausgebildete Gebiet der Metamerie vollkommen selbständig wire. 30 C. Gegenbaur menbogen bestanden habe, oder dass ein solches Verhalten nicht vor- handen war, dass jene Differenz eine ursprüngliche vorstelle. In diesem Falle müsste man doch die innigen Beziehungen jenes ersten Bogens oder der ersten zu den Kopfsomiten anerkennen und sie beide, oder nur einen, von den übrigen Kiemenbogen sondern, indem man sie als in jener Hinsicht völlig selbständige Gebilde betrachtete. Das thut nun AHtLBoRN nicht, sondern er hält, wenn ich ihn richtig verstehe, sämmtliche Kiemenbogen für einander homodynam. Dann muss man aber fragen, wie jene ontogenetische Differenz des Cö- loms zu deuten sei. AHLBORN scheint sie nicht für wichtig zu hal- ten, er geht wenigstens kurz darüber hinweg, und betont nur den Zusammenhang des Cöloms der Kiemenbogen mit dem ventralen Cö- lom. Für die hier angeregte Frage ist aber gerade jene dorsale Cölomverbindung von Wichtigkeit. Ist dieser Zusammenhang am Kieferbogen, oder an diesem und am Zungenbeinbogen, etwas Primä- res oder etwas Sekundäres? Im ersteren Falle ist das Verhalten in dem hinteren Bogen das Sekundäre, im zweiten Falle umgekehrt. Das scheint mir eine sehr wichtige Alternative. AHLBORN hat sie nicht in Betracht gezogen. Nach meinem Dafürhalten wird über jene Alternative vom Mesoderm her entschieden werden müssen. Wenn das Mesoderm der Kiemenbogen mit den Kopfsomiten zu- sammenhängt, so ist auch anzunehmen, dass die Höhlungen im Me- soderm, ventrale Cölombildungen, mit jenen der Kopfsomite Zusam- menhang besessen haben. Dieser ontogenetisch nicht mehr allgemein nachweisbare Zusammenhang ist zu erschließen aus dem Verhalten des ersten oder der beiden ersten Kiemenbogen, die als die erst ent- standenen auch das ursprünglichere Verhalten bewahrt haben. Durch die van WısHe'schen Beobachtungen werden wir in den Stand ge- setzt, in dem Verhalten des Cöloms der beiden ersten Bogen eine Abstufung zu erkennen, die an den Befund der folgenden Kiemen- bogen anschließt. Von seinem erst beobachteten Stadium (1) sagt VAN WIJHE: »Das zweite Somit, welches eine geräumige Höhle« »umschließt, ist an der Stelle, wo es mit der ventralen Leibeshöhle« »(hier der mandibularen Höhle) kommunieirt, nur wenig einge-« »schniirt.« »Das dritte Somit befindet sich mit seiner Hauptmasse « »über der ersten Kiementasche, nur sein hinterer Theil erstreckt « »sich ein wenig caudalwärts und hängt noch gerade mit der so-« »liden Zellmasse im Hyoidbogen zusammen. Diese Zellmasse be-« »steht aus den jetzt zusammengedrungenen Wänden der späteren« »Hyoidhöhle.« »Im folgenden Stadium (3) ist die Höhle des zweiten « an, Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 31 »Myotomes vergrößert und kommunicirt noch mit der Kieferhöhle.« »Die Wände des dritten Myotomes setzen sich jetzt nicht mehr in« »das Epithel, welches die Höhle des Hyoidbogens umschließt, fort.« „Eine Kommunikation« »mit der Hyoidhöhle, welche von MARSHALL« »behauptet wird!, ist in keinem meiner Embryonen vorhanden. Weil »aber in dem vorhergehenden Stadium die Wände des dritten Somi- »tes mit dem Mesodermepithelim Hyoidbogen, welches jetzt die Hyoid-« »höhle umschließt, zusammenhängt, muss ich eine potentielle Kommu- « »nikation zugeben.« Wir haben so am ersten Bogen dorsalwärts eine vollständige Kommunikation, während im zweiten (nach van WIJHE) nur noch ein epithelialer Zusammenhang besteht. Später besteht zwar jene Kommunikation noch für das Kieferbogen-Cölom, allein das dritte Somit (oder jetzt Myomer) hat seine Höhle nicht in Ver- bindung mit der inzwischen selbständig aufgetretenen Hyoidhöhle. Im Hyoidbogen liegt somit eine Vermittelung zu dem Verhalten des Kieferbogens sowohl, als auch zu jenem der nächsten Kiemenbogen. Die Behauptung AnLBorn’s bezüglich der gänzlichen Unabhängig- keit der ventralen Metamerentheile des Kopfes von den dorsalen, soll auch durch vergleichende Betrachtungen in vollem Maße bestätigt - werden. AHtsorn’s Vergleichungen werden uns weiter unten be- schäftigen. Indem ich in den, den ersten und den zweiten Kiemenbogen mit umfassenden Metameren eine Wiederkehr primitiver Einrichtungen erkenne, kann das bezüglich der folgenden Metameren minder behaup- tet werden. Wir haben hier zwar gleichfalls Somite, welche den Kiemenbogen entsprechen, aber diese bieten doch sehr bemerkens- -werthe andere Verhältnisse. Einmal trifft sich noch ein zweites auf dem zweiten primären Kiemenbogen, welches aber eben so wenig wie die beiden folgenden ein echtes »Myomer« bildet, und erst die drei letzten erfüllen in dieser Beziehung ihre Bestimmung. Van WIJHE, der sämmtliche Somite auf Kiemenbogen bezog, wie sie ihnen ja auch in der That zu entsprechen scheinen, nimmt hierin einen primitiven Befund an. Ich glaube nicht, dass dieser aufrecht erhalten werden kann. An denjenigen Somiten, welche, ohne Muskulatur zu liefern, wieder verschwinden, d. h. wohl in Mesenchymgewebe übergehen, ist nichts ! MARSHALL hatte seine Untersuchungen an Scyllium canicula, van W1JHE an Scyllium catulus und canicula, sowie an Pristiurus angestellt. Ob die an- gegebenen Differenzen sich auf die Verschiedenheit der Gattung und Arten beziehen, ist noch festzustellen. WAN WısHE’s oben citirte Angaben scheinen sich auf Se. catulus zu beziehen. 32 C. Gegenbaur Positives für jene Frage zu ermitteln. Wohl aber an den drei letzten, über den drei letzten Kiemenbogen lagernden Myomeren. Zur Beurtheilung derselben hat man gewiss auch die Abkémmlinge mit in Betracht zu ziehen. Diese bestehen in einer Muskulatur, welche theils dorsal bleibt, theils sich ventralwärts begiebt und schließlich die als M. coraco-hyoideus ! bezeichnete Muskelmasse bildet. Es geht also aus jenen drei letzten Kopfsomiten etwas von den Produkten der übrigen ganz Abweichendes hervor. Jene Muskulatur hält sich hinter den Kiemen, dann unterhalb derselben. Sie ist auch keine dem Kiemenapparat ausschließlich eigere Muskulatur. Diese ‘Verschiedenheit von den drei ersten Myotomen, welche die Augen- muskeln liefern, muss befremden. Wenn diese Muskulatur nicht den Kiemen angehört, und die Kiemen ventral die Kopfregion des Körpers abschließen, so wird sie ungeachtet ihrer ventralen Aus- dehnung ins Gebiet der Kiemen doch nicht dem Kopfe zugerechnet werden dürfen. 2 | In jenen drei letzten Kopfsomiten vermag ich daher gar keine dem Kopfe ursprünglich zugehörigen Theile zu erkennen. In der Erstreckung ins Ventralgebiet des Körpers liegt eine Übereinstimmung mit den Rumpfsomiten, welche nicht bloß die dorsale sondern auch die ventrale Rumpfmuskulatur liefern, indess die Kiemenmuskulatur nicht aus Kopfsomiten, sondern aus den Seiten- platten entsteht. Das ist bereits van WıiJHE aufgefallen und hätte ihn zu der Frage führen müssen, ob denn jene drei letzten Myomeren überhaupt dem Kopfe angehören, wie ja bereits BALFOUR sie für dem Kopfe fremde Theile hielt (s. pag. 8). Hat man in dem Territorium der Produkte jener Myomeren ein nicht dem Kopfe zugehöriges Gebiet erkannt, so werden die Kopf- somite in der Art, wie sie bei den Selachiern auftreten, nicht sehr primitiven Zuständen des Kopfes entsprechen. Sie bezeugen viel- mehr eine auch hier bereits in der Ontogenese stattgefundene Um- änderung noch primitiverer Befunde. % Wie schon in der Anlage der Kiemen bedeutende Veränderungen entstanden sind, da nur die, durch die Vergleichung mit niederen Formen als bereits reducirt anzusehende Kiemenzahl zur Anlage ge- langt, so ist auch an den metameren Bildungen der Kopfregion ein ! Van WIJHE giebt nur das letze Kopfsomit in Beziehung zu jenem Muskel an, ob das 7. und 8. sich eben so weit ventral erstrecken, ist ihm unbekannt geblieben. Alle drei aber entfalten sich auch dorsalwärts, wodurch sie sich von den vorhergehenden auffallend unterscheiden. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 33 Defekt eingetreten. Die ersten drei lassen Muskeln entstehen, die folgenden erlangen keine Sonderung in Muskeln mehr und erfahren in dieser Hinsicht eine Rückbildung, und daran schließen sich solche, die man nicht mehr dem Kopfe zurechnen darf, wenn sie auch scheinbar seinem Gebiete angehören. Ob sie die Stelle anderer, früher vorhandener, bei den Selachiern gar nicht mehr zur Anlage gelangender einnehmen, müssen wir als offene Frage behandeln. Wir kommen auf dieselbe zurück. Ich rechne also nur die ersten sechs Somite van Wisne’s dem Kopfe zu. Sind nun die anderen drei, wie BALFOUR vermuthete, als Rumpfsomite anzusehen? Diese Frage ist nicht so leicht zu beant- worten. Es liegt hier eine Gegend vor, in welcher bedeutende Um- gestaltungen vor sich gegangen sein müssen, da hier Kiemen ver- schwunden sind. Dass eine solche Veränderung in der ventralen Region auch in der dorsalen sich bemerkbar machen muss, ist ein- leuchtend. Nachdem die Verschiedenheit des Werthes der drei letzten Kopfsomite in Vergleichung mit den vorhergehenden die Vorstellung bedeutender Veränderungen in dieser Region erzeugen muss, so ist auch der von van WIJHE so sehr betonten Thatsache des Bestehens zweier Somite über dem Hyoidbogen eine viel geringere Bedeutung beizumessen. Die Kopfsomite korrespondiren eben nur am vordersten Theile des Kopfes den Kiemenbogen; am hinteren müssen Reduktionen und Verschiebungen stattgefunden haben, denn an der Stelle von Kopfsomiten befinden sich solche, die nur mit Rumpfsomiten übereinkommen. Wenn AHLBORN also die dorsale Metamerie nicht mit der ventralen in Übereinstimmung sieht, so ist er mit Bezug auf die hinteren Metameren im Rechte, wenn er auch an die hier gegebene Deutung nicht gedacht hat, aber er hat Unrecht, wenn er diese mangelnde Übereinstimmung auf das ganze Kopfgebiet bezieht, und etwas Ursprüngliches darin findet. Eben so irrthümlich ist es, wenn er mir die Beziehung aller jener dorsalen und ventralen Metameren- theile zuschreibt oder meine Auffassung auf die ontogenetischen Er- fahrungen anwendet. Was von den letzteren bis jetzt bekannt ge- worden ist, zeigt uns schon recht veränderte Befunde, so dass selbst der früheste Zustand der Ontogenie des Selachierkopfes nicht für ein Paradigma für die Phylogenese des Kopfes der cranioten Wirbel- thiere gehalten werden darf. Ich könnte jenen Angriff einfach als gar nicht treffend er- klären, da zur Zeit meiner Darstellung jenes Stadium der Ontoge- Morpholog. Jahrbuch. 13. 3 34 C. Gegenbaur nese noch gar nicht bekannt war, aber zur Erläuterung der Methode AHLBORN’s ist es nicht unzweckmäßig darauf einzugehen. Sein Axiom der neun Urwirbel des Kopfes der Wirbelthiere benutzt er, um zu zeigen, wie verschieden die Beziehungen der Branchiomeren zu den Urwirbeln seien. Der Kopf der Anuren besitzt nach GOETTE vier Kopfsegmente oder Urwirbel!. Der Hyoidbogen entspricht dem zwei- ten Kopfsegment, dieses zweite Kopfsegment ist aber nach Aur- BORN dem siebenten der Selachier komplet homolog, während der Hyoidbogen der Selachier nur dem dritten und vierten Kopfsegmente korrespondirt. Daraus folgert er, dass die Kiemenbogen zu sehr verschiedenen Kopfsegmenten Beziehungen besitzen können, dass also eine durchgreifende Metamerie in meinem Sinne nicht existirt. So weit die Argumentation unseres Autors. Bei der Prüfung der Unterlagen dieser Beweisführung hat man vor Allem die behauptete Homologie der drei letzten Kopfsegmente genauer zu betrachten. Darauf basirt AHLBORN seine Vergleichung, in deren Bereich er auch die Petromyzonten zieht. Sind nun die drei letzten Kopfsegmente der Anuren den drei letzten der Selachier homolog, oder sind sie es nicht? Das ist die vor Allem zu beant- wortende Frage, auf die AHLBORN sich gar nicht eingelassen hat. Es besteht ja für ihn darüber gar kein Zweifel. Jene Beantwortung ist aus dem Verhalten der Nerven zu gewinnen. Zu den drei letz- ten Kopfsegmenten gehen bei Selachiern (wenigstens bei Seyllium) die sogenannten unteren Vaguswurzeln, die den Hypoglossus bilden oder bilden helfen. Die Kopfsegmente selbst lassen jene Muskeln entste- hen, welche das Hypoglossusgebiet vorstellen. Bei den Anuren sind un- tere Vaguswurzeln nichtbekannt, der Hypoglossus ist der erste oder viel- mehr der zweite Spinalnerv. Dass dieser zu jenen drei letzten Kopfseg- menten der Anuren Beziehungen besäße, ist nieht erwiesen. Es besteht auch nicht einmal Wahrscheinlichkeit dafür. Somit ist die Homologie der drei letzten Kopfsegmente unbegründet und Alles was AHLBORN ! Den ersten Urwirbel der Anuren betrachtet AHLBORN auf allgemeine Gründe hin als den sechs vorderen der Selachier entsprechend, er statuirt dar- auf eine neue Metamerie, die er »Äryptomerie« nennt, indem er in jenem Ur- wirbel eine größere Anzahl unter einander verschmolzener Segmente annimmt, dann ist der zweite, dem Hyoidbogen entsprechende, dem siebenten der Selachier homolog (pag. 323). Aber wo ist es denn erwiesen, dass im ersten Kopf- segmente der Anuren jene Urwirbel zu finden seien? Wo ist denn auch nur ein rationeller Grund dafür? Während er für den Vordertheil des Kopfes an »Kryptomerie« denkt, warum soll dieser Zustand nicht auch am Hinterkopfe existiren können ? — Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 35 daraus für die große Unbeständigkeit der Beziehungen der einzelnen Kopfsegmente zu den Kiemenbogen ableitet, muss als hinfällig gel- ten, mit welch’ großer Zuversicht es auch ausgesprochen wurde!. Diese Zurückweisung des mir entgegengestellten Argumentes be- trachte ich aber nicht als zur Begründung meiner Auffassung noth- wendig. Denn diese ist auch zu halten, wenn die dorsale Metame- rie, wie sie die Ontogenese der Haie aufweist, nicht mit der ventra- len völlig kongruent ist. Wie bei allen ontogenetischen Erscheinungen hat man sich auch bezüglich jener dorsalen Metameren oder Kopf- somite die Frage vorzulegen, ob hier ein wirklich palingenetischer Zustand gegeben sei. Nur BALFOUR hatte sich in dieser Hinsicht kritisch verhalten, alle Späteren nahmen die sämmtlichen Kopfsomite als etwas Primitives an. AHLBORN vindicirt sie kurzweg »allen Wir- belthieren«, wobei er wohl schwerlich an die Notidaniden, jedenfalls gar nicht an Amphioxus gedacht hat! Jene Kopfsomite gehen nach hinten unmittelbar in die Urwirbel des Rumpfes über, von denen sie nicht wesentlich verschieden sind. Durch welche Kriterien sind sie nun von den Rumpfsomiten abgegrenzt? Doch wohl durch nichts Anderes als die Lage über den Kiemen und durch das spätere Ver- halten. Alle Untersucher stimmen darin überein, dass sie die Grenze des Kopfes gegen den Rumpf durch die letzte Kiemenspalte gegeben betrachten?, und dass sie die Art der Innervation in Betracht zie- hen. Aber damit gehen Hand in Hand die Derivate der Kopfsomite. Dieser Punkt wird recht scharf ins Auge zu fassen sein. Wenn die Kopfsomite einestheils nur dorsale Muskeln (Augenmuskulatur) liefern, anderentheils hinfälliger Natur sind, nicht aber ventrale, den Kiemenbogen angehörige Muskeln entstehen lassen, so sind jene letzten drei Kopfsomite der Selachier gar nicht zum Kopfe gehörig, 1 Wenn jenes Schwanken der Beziehungen der Urwirbel zu ihrer Nachbar- schaft vorkäme, so nähme auch die Anlage des Hörorgans daran Theil. Dieses ent- steht nach GOETTE ebenfalls in der Höhe des zweiten Kopfsegmentes oder viel- mehr zwischen diesem und dem dritten. In dem gleichen Bereiche giebt GOETTE die Anlage des Facialis an. Unter diesen Umständen ist doch an eine Identität des ersten Urwirbels der Anuren und des sechsten der Selachier nicht zu denken! 2 Auch AHLBORN muss das thun, denn sonst könnte er nicht so bestimmt von den neun Kopfsomiten sprechen. Damit stimmt aber gar nicht überein, was er über die Lagebeziehungen zwischen Kiemenbogen und Kopfsomiten äußert. Erstere finden sich nach ihm auch unter Rumpfsomiten, so bei Petromyzon, was für ein primitives Verhalten ausgegeben wird. Während er aus all’ Die- sem die Selbständigkeit seiner Branchiomerie zu dedueiren sucht, vergisst er ganz, dass er bei den Selachiern jene Kopfsomite doch in anderer Lagebe- ziehung findet. an 36 ©. Gegenbaur denn aus thnen geht, wie von den Rumpfsomiten, auch ventrale Mus- kulatur hervor (s. oben pag. 4). Es möchte scheinen, als ob ich da- mit mich der Auuzorn’schen Auffassung näherte, da ich ja das Kiemengebiet, eine echte Kopfregion, von Rumpfsomiten überlagert sein lasse, also eine Diskordanz der Kiemenbogen mit den Kopfso- miten acceptire. Dagegen bemerke ich, dass AHLBORN gerade in diesem Falle das, was ich für Rumpfsomite halte, für Kopfsomite er- klärt, und dass für das Übrige die große Divergenz meiner Auf- fassung von der AHLBORN’schen sowohl als auch von jener anderer Autoren sich von selbst dem Leser ergeben wird. Wenn nun jene drei Kopfsomite Rumpfsomite sind, so folgt daraus, dass schon in der ersten Anlage des Selachierkopfes Zu- stände auftreten, welche nicht als primitive gelten können. Man konnte das schon aus dem Verhalten des vierten bis sechsten Somites ersehen, welches keine Muskulatur entstehen lässt. Es wird also in diesen Somiten etwas angelegt, was nicht zur Ausbildung gelangt. Sie sind Zeugnisse für die Unvollständigkeit der ontogenetischen Ur- kunde, die uns in der Entwicklung des Selachierkopfes überliefert ist. Darin, dass diese klar vorliegende Unvollständigkeit nicht gewürdigt wurde, liegt ein Fehler, der weitere Irrthümer hervorrief. Die Beziehung der dorsalen Metamerie zur ventralen- ist auf Grund der unvollständigen Erhaltung der ersteren schon im Sela- chierkopfe nur noch spurweise erhalten. Noch weniger wird sie in höheren Abtheilungen erkennbar sein. Daraus folgt aber nichts we- niger als ein Grund für die Annahme, dass sie gar nicht bestanden hat, vielmehr sprechen jene Spuren am Kiefer- und Hyoidmetamer deutlich genug, und in diesen hat die Ontogenie ein werthvolles Zeug- nis geliefert. 4. Nerven. In meiner Darstellung der Metamerie des Kopfes bot die Prüfung der Kopfnerven einen sicheren Anhaltspunkt, während ich, die Ver- hältnisse des centralen Nervensystems in gleichen Betracht zu zie- hen, keinen Anlass gefunden hatte, denn die Gliederung der Gehirn- anlage in drei, resp. fünf Abschnitte konnte nicht auf eine den ge- sammten Kopf betreffende Metamerie bezogen werden; sie ergiebt sich dem Gehirn eigenthümlich, dessen einzelne Abschnitte außeror- dentlich verschiedenen Werth besitzen !. Daher ist nur der Medulla ! Dieser Umstand spricht sehr gegen die Verwerthbarkeit der einzelnen Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 37 oblongata mit den dort befindlichen Lobi vagi gelegentliche Erwiih- nung geschehen. Die bezüglichen Anschwellungen wurden auf die Metamerie des Vagus gedeutet. Dem Bestande älterer Angaben über eine am Gehirn auftretende Metamerie, sind nun noch solche in neue- rer Zeit hinzugekommen. Nicht bloß am Nachhirn sondern auch am Mittelhirn sind metamerenartige Gebilde erkannt worden. Man siehe darüber Kuprrer’s (Nr. 26) Mittheilung über die primäre Meta- merie des Neuralrohres der Vertebraten. So interessant und so viel- versprechend diese Thatsachen sind, so wenig scheinen sie mir ge- genwärtig geeignet, zur Beurtheilung der Metamerie des Kopfes selbst als Faktoren in Geltung gebracht zu werden. Das wird erst ein- treten können, wenn ihre Beziehung zu anderen, den Kopf auf- bauenden Organen erkannt ist. Da wo bereits eine klarere Einsicht in solehe metamere Bildungen besteht, konnten sie auf Ursprungs- stellen von Nerven bezogen werden, womit ich keineswegs sagen will, dass ich desshalb alle jene Zustände von vorn herein in glei- cher Weise beurtheilen möchte. Aber aus jenen Beziehungen zu Nervenwurzeln dürfte hervorgehen, dass wir jene (in der vorhin ge- gebenen Einschränkung) wohl von peripheren Verhältnissen, nämlich dem mit der Stärke der Nerven Hand in Hand gehenden Verbrei- tungsumfange derselben, ableiten können. Wir sehen das aus dem Verhalten des Vagus bei Selachiern, dessen vordere, stärkere Wur- zelbündel bedeutenden Anschwellungen der Lobi vagi entsprechen, deren Erhebungen in dem Maße abnehmen, als auch die Wurzel- bündel unansehnlicher werden. Damit verschiebt sich die Bedeutung der centralen Metamerie nach der Peripherie. Wenn jene centrale Metamerie, wenigstens im Bereiche des Nachhirns, der Reflex peripherer Zustände ist, so tre- ten die Nerven selbst in höherem Werthe auf. Daraus motivirt sich die Prüfung der Nerven bei der Frage nach der Kopfmetamerie auch ohne jene Rücksichtnahme auf die centrale Metamerie, welche zur absoluten Verwerthung noch nicht reif ist. Die Kopfnerven wurden von mir nach ihrem sehr verschiedenen morphologischen Werthe gesondert. Ich habe sie in zwei große Abschnitte des Gehirns. Auch haben wir in jenem Abschnitte ältere und neuere Formationen zu unterscheiden, von denen die letzteren sicherlich nichts mit der Metamerie zu thun haben. ! Dass diese Verhältnisse durch die Komplikation des Vagusursprunges, wie uns RoHoON ihn kennen lehrte, im Allgemeinen nicht geändert werden, sei hier bemerkt. 38 C. Gegenbaur Abtheilungen gebracht, indem ich den ersten und zweiten als Ge- bilde eigener Art von den übrigen schied. Die ersteren betrachtete ich als solche Nerven, welehe nicht auf Metameren des Kopfes be- zogen werden könnten, indess ich die übrigen Nerven als Metame- ren angehörig darstellte. Dabei schied ich sie in die Trigeminus- und in die Vagusgruppe. Es wird zu prüfen sein, wie sich gegen- wärtig diese Fragen gestaltet zeigen. I. Olfactorius. Der Riechnerv wurde zuerst von MARSHALL (Nr. 28) in aus- führlicher Begründung als ein segmentaler, mit den Spinalnerven in Entwicklung und Bau übereinstimmender Nerv dargestellt. Später wurden von demselben Autor (Nr. 30) die Zeugnisse noch einmal ge- prüft und zusammengestellt. In Folgendem sei das Hauptsächlichste dieser Begründung vorgeführt und betrachtet. 1) »'The olfactory nerve develops very early «» an attempt has been « »made to show that the olfactory nerve, is » one of the first nerves in« »the body to appear«. There is also an evidence, though as yet« » conclusive, in favour of the origin of the olfactory nerve in the chick « »from the neural crest.« Dass der Nerv zuerst entsteht, beweist gar nichts fiir die seg- mentale Natur desselben. Was die Méglichkeit angeht, dass er aus der Nervenleiste entstehe, so liegt darin wieder nichts fiir die me- tamere Bedeutung des Nerven, denn es wiirde dann daraus nur zu folgern sein, dass er entstehe wie andere Theile des peripherischen Nervensystems. Wenn alle Nerven aus der Nervenleiste entstehen, so ist eben der Ursprungsmodus ein gleicher. Man kann eben so gut sagen: alle Nerven wachsen aus dem centralen Nervensystem, denn die Nervenleiste hat nichts mit der Metamerie zu thun. Die Art der Genese ist nicht auf die speciellen Unterschiede zu be- ziehen. Nach dem von MARSHALL geübten Verfahren würde man auch vom Gehirn behaupten dürfen, es sei gleichwerthig mit dem Riickenmarke, oder von den einzelnen Theilen des Gehirns: sie seien einander homolog. Es ist übrigens nicht einmal der Ursprung aller Nerven von der Nervenleiste erwiesen. Vom Oculomotorius vermu- thet es MARSHALL nur beim Hühnchen. Bei Selachiern hat er nichts dahin Deutendes gesehen. 2) » The olfactory nerve resembles the segmental nerves in un-« »dergoing during the earlier stages of its development a very consi-« 20500 Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 39 »derable displacement of its root of attachement to the brain, and its« »feature is one of the most remarkable characters ot the segmental « »nerves and is so far as we know, confined to them, its occurrence « »in the olfactory nerve must be admitted to be of much weight.« MARSHALL legt also auch hier auf die Abnlichkeit der Genese mit anderen Nerven das Gewicht. So wenig aber als jene anderen Nerven bloß durch die Art ihrer Entstehungsweise als segmentale Nerven sich erweisen, und zu dieser Bestimmung noch andere In- stanzen erfordern, eben so wenig geht aus der dorsalen Genese des Ol- factorius allein seine segmentale Natur hervor. Dass er aus dem primären Vorderhirn hervorgeht noch bevor die Hemisphären ent- stehen, durch die er später eine mehr basale Lage am Gehirn em- pfängt, kann höchstens begründen, dass er älter ist, als jene Diffe- renzirung des Vorderhirns. 3) »The general course of the olfactory nerve in the early sta-« » ges of development is, like the segmental nerves, at right angles to« »the axis of the head at the point of origin of the nerve.« Auch diese Übereinstimmung mit metameren Nerven ist wieder nichts Anderes, als ein peripherischer Charakter. Warum soll ein nicht metamerer Nerv nicht auch rechtwinklig entspringen können? Die Metamerie ist hierbei wiederum nicht betheiligt. 4) »Concerning the relations of the olfactory nerve to visceral « »arches and clefts, I must beg to refer the reader to the paper quoted « »above«, d. h. auf die Abhandlung, welche wir oben bei den Kie- menspalten besprochen haben. Da wir dort für die Deutung der Riech- grube als frühere Kiemenspalte keine Spur einer Begründung finden konnten, ist die Riechgrube auch nicht für die metamere Auffassung des Olfactorius verwerthbar. 5) »The olfactory nerve is distinctly ganglionic near its root« »of origin from the brain in Elasmobranchs and in the chiek.« Das ist doch wohl nicht eine Ganglionbildung, wie sie anderen Nerven zukommt. Die Ganglienzellen sollen ja am Beginne der Wurzel liegen, während sie bei anderen Nerven bei der ersten Entstehung derselben im Verlaufe der Wurzel vorkommen. Es wäre also hier eher eine Differenz als eine Übereinstimmung mit anderen sensiblen Nerven gegeben. Aber wir können auch ganz von diesem Verhalten absehen, da selbst bei einer Übereinstimmung mit anderen Nerven daraus noch nichts für die metamere Bedeutung bewiesen wäre. Aus ämmtlichen Argumenten MarsHarr's hat sich keine Begriin- dung für die Metamerie ergeben. Er folgert: weil der Olfactorius 40 C. Gegenbaur mit anderen Nerven, welche metameren Werth besitzen, überein- — kommt, wird auch der Olfactorius dazu gehören. Dabei ist etwas außerordentlich Wesentliches, ich möchte sagen die Hauptsache, gänzlich übersehen: Die metamere Bedeutung eines Nerven bestimmt sich nicht aus seiner Beschaffenheit oder aus der Genese, sondern aus der Beziehung zu einem Metamer. Eine solehe Beziehung ist aber bis jetzt nicht erweisbar. Wenn wir die Metamerie des Mesoderms, wie billig, in Berücksichtigung nehmen, können wir mit Bestimmt- heit sagen, dass der Olfactorius außerhalb des der Metamerie zuge- theilten Gebietes liegt, wie denn auch VAN WHE ihn nicht den metameren Nerven beizählte. Übrigens scheint MArsHALL selbst zu seinen Gründen kein rechtes Vertrauen zu besitzen, da er sagt: »The evidence is at present far from conclusive.« Auch Brarp (Nr. 7) ist einer ähnlichen Meinung, hält aber nichtsdestoweniger den Olfactorius doch für einen Segmentalnerven, — da er die Riechgrube für ein segmentales resp. branchiales Sinnes- organ erklärt. Er sagt »The nose is really a branchial sense« »organ, that is a sense organ of a nonexisting gill cleft and not a« »gill cleft itself.« Wie es sich mit der Realität des hier Behaupteten verhält, werden wir bei den übrigen »Branchialsinnesorganen« er- fahren, welche der genannte Autor entdeckt haben will. Ich muss daher die Priifung dieser Verhiiltnisse schon hier betrachten, was sich um so mehr empfiehlt, als auch fiir die folgenden Nerven die angeregte Frage in Betracht zu kommen hat. Brarp geht von der ersten Anlage der Ganglien des Kopfnerven aus. Wenn der von der Nervenleiste auswachsende Nerv (dorsal root) das Niveau der Chorda erreicht hat, verschmilzt er da, oder etwas unterhalb dieser Stelle mit dem Ektoderm. Dieses bietet an derselben Stelle eine Verdiekung, und nach eingetretener Verbindung mit dem Nerven formen proliferirende Zellen eine Masse in Theilung begriffener Ele- mente, welche eben so mit dem Ektoderm wie mit dem Nerven (eben der dorsalen Wurzel) in Verbidung stehen. »Zhis mass of cells is the rudiment of the Ganglion of the dorsal root, and exter- nally to it is situated the rudiment of the primitive branchial sense organ of that root.« Eine epitheliale Verdickung wird also als Anlage (so möchte igh »rudiment« übersetzen) eines Sinnesorganes erklärt. Ein solches Sinnesorgan soll über jeder Kiemenspalte vor- kommen. Er folgert es nur, weil Äste der Kopfnerven zu den Sinnesorganen der Haut gehen, und weil der Ramus lateralis des Vagus, welcher die Sinnesorgane der Seitenlinie versorgt, ursprüng- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 41 lich gleichfalls eine ektodermale Verbindung besitzt. Nach der entstandenen Ganglionbildung setzt sich von dieser aus ein vom Ektoderm sich abspaltender Nerv dorsalwiirts fort, den Brarp »Suprabranchialnerv« nennt. Sehen wir nun, wie es mit dem bran- chialen Sinnesorgan sich in der That verhält, so haben wir zuerst zu konstatiren, dass ein solches Sinnesorgan nicht beobachtet ist. BEARD nimmt es an, wohl auf Grund der epithelialen Verdickung und der Verbindung derselben mit einem Ganglion. Die ektodermale Wucherung an sich hat nun von vorn herein nicht absolut als Sinnes- organ, oder als das Rudiment eines solchen zu gelten, denn wir finden solche Zustände nicht bloß als Anlagen von Sinnesorganen. Wo eine Drüse sich bildet, oder wo zu einem anderen Zwecke eine Zellvermehrung statt hat, da zeigt das Epithel dieselben Prolifera- tionsvorgänge. BEARD schließt aber: Weil Sinnesorgane aus ekto- dermalen Verdickungen entstehen, so muss auch die über den Kiemen- spalten befindliche ein Sinnesorgan vorstellen. Das ist ein Trug- schluss, aus dem vorhin bemerkten Grunde. Aber das unter der ektodermalen Verdiekung befindliche »Ganglion« giebt doch Grund für die Richtigkeit der BrAarp’schen Folgerung! Auch das muss verneint werden. Die Beziehung des Ganglions zu dem Ektoderm ist von BEARD richtig erkannt worden, er sagt: »the proliferated« »cells form a mass actively dividing elements still connected with « »the skin and fused with the dorsal root« »for some time the cells« »continue to be given off from the thickened epiblast, and of those « »already given off many show nuclear figures«. Die epitheliale Ver- dickung hat also die Bedeutung einer Quelle der Ganglienbildung. Das geht auch aus den bezüglichen Figuren BEARD's hervor, die zu- dem in der Anordnung der Elemente der am Ganglion befindlichen Ektodermschichte gar nichts aufweisen, was man auf ein hier sich bildendes Sinnesorgan beziehen könnte. Wenn die Thatsachen, wie sie in Wirklichkeit bestehen, die Grundlage der Forschung abgeben, so kann man hier nur sagen: der Nerv wächst vom Centralorgane aus unter dem Ektoderm bis zu einer Stelle, an der ihm aus dem Ektoderm ein Zufluss von Formelementen zu Theil wird. Nachdem dies geschehen löst er die ektodermale Verbindung. Die ektodermale Verdickung ist also in klarer Weise von der jedenfalls zum Theile ' 1 Die hinteren oder dorsalen Wurzeln, als welche die meisten Kopfnerven entstehen, sind bei BEARD als Zellenstränge abgebildet, jedenfalls als Gebilde, welche viele Formelemente führen. Aus der Vergleichung mit dem analogen 42 C. Gegenbaur daraus hervorgehenden Ganglienbildung ableitbar, und es bedarf keiner anderen Annahme, zumal eine solche wicht begründet werden kann. In der Ganglienbildung aus dem Ektoderm liegt nicht die Voraussetzung eines Sinnesorgans. Da das ganze centrale Nerven- system aus dem Ektoderm hervorgeht, ist es nichts weniger als be- fremdend, wenn zur Bildung detachirter Centralorgane nochmals das Ektoderm jene Dienste leistet. Dass die Stelle, an welcher dieses geschieht, mit dem centralen Nervensystem keinen Anschluss mehr hat, hängt wohl mit zeitlichen Differenzen zusammen, indem die Nervenwurzel früher sich ausbildet, bevor sie die zur Ganglien- bildung gehörigen Formelemente aus der Anlage des Centralnerven- systems empfangen hat. Die Frage, ob nicht auch die Nerven- wurzel sich aus dem Ektoderm abspalte, hat übrigens BEARD gar nicht in Erwägung gezogen, da es ihm nur auf die angeblichen Sinnesorgane ankam. Wenn nun die Annahme BEARD’s von »branchialen Sinnesorganen« nur auf jene ektodermale Verdiekung sich stützen kann, deren reale Bedeutung für die Ganglienbildung er selbst nicht verkannt hat, so ~ wird man fragen miissen, welche Beziehungen denn sonst noch zu Sinnesorganen vorhanden sein sollen? Weil an anderen Nerven Sinnes- organe der Haut vorkommen, so müssen sie hier über den Kiemen ihre primitive Lage gehabt haben (their primitive position being above the cleft). Also werden die anderen Hautsinnesorgane von jener Verdickung abgeleitet. Sehen wir ob das möglich ist. Da ist es der von BEARD als Suprabranchialnerv bezeichnete Nerv, in dessen Verbreitungsgebiet — freilich viel später ! — Sinnesorgane auftreten. Diese haben nun mit den vermutheten branchialen Sinnesorganen gar nichts zu thun. Der Suprabranchialnerv entsteht als Abspaltung, Verhalten der Spinalnerven kann vielleicht geschlossen werden, dass jene Ele- mente in das Ganglion übergehen. Die Untersuchungen über die Entwicklung der Spinalnerven anderer Wirbelthiere lehren, dass da ähnliche Züge von Zellen vom Centralnervensystem ausgehen. Diese sind aber noch nicht die dorsale Wurzel, diese entsteht vielmehr erst als ein zellenfreier Strang, nachdem jene Zellen in das Ganglion übergetreten sind. BEARD scheint diese Untersuchungen (von Hıs, SAGEMEHL) nicht zu kennen und bezeichnet jene Zellenstränge als Nervenwurzeln. Die ektodermale "Betheiligung an der Ganglienbildung steht bei den Se- lachiern mit einer beachtenswerthen Verschiedenheit der Lage der Nerven- wurzel und des Ganglions zu den Urwirbeln im Zusammenhange. Bei den Kopfnerven der Selachier verlaufen jene Nervenwurzeln nach außen von den Somiten (s. BEARD, Fig. 15, 16), während sie bei den Spinalnerven nach innen von diesen resp. ihren Derivaten verlaufen. (S. BALFour [5]. Plate X fig. 7.) Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 4% verläuft einfach unter dem Ektoderm, welches daselbst. wie wieder aus Bearp’s Darstellung ersichtlich, Aeine Verdiekung zeigt. Diese müsste aber vorkommen, wenn man die erste epitheliale Verdickung mit den später im Bereiche jener Nerven auftretenden Sinnesorganen in Beziehung setzen will. Dass aus der an der Ganglienbildung be- theiligten Epithelverdiekung Elemente in jene später auftretenden Sinnesorgane übergegangen wären, ist daher wiederum eine unbe- gründete Annahme. Ein ganz analoger Vorgang ist bei Wirbellosen bekannt, wo Schlundring und Bauchganglien aus dem Ektoderm, die Bauchgan- glien aus ektodermalen Verdickungen sich bilden. Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf Harscuex’s Arbeiten über Polygordius, Sipunculus, Echiurus. Vom Gehirne aus setzt sich die Schlundkommissur, vom Ek- toderm sich abspaltend, zu peripherischen Ganglienanlagen des Ekto- derms fort, dem Bauchstrange. Wenn das centrale Nervensystem ektodermalen Ursprungs ist, kann es nicht befremden, dass gangliöse Apparate gleichfalls aus dem Ektoderm entstehen, hier in diesem Falle direkt, im Falle des Spinalganglion auf indirekte Art. Die BeArp’schen Aufstellungen von suprabranchialen Sinnes- organen haben in A. FRORIEP (Nr. 16) einen Vertreter gefunden. Die an Säugethierembryonen gemachte Entdeckung, dass über den Ganglienanlagen des N. facialis, glossopharyngeus und vagus gleich- falls »epitheliale Verdiekungen« als Modifikationen des Körperepithels bestehen, wird in Bzarv’schem Sinne gedeutet. Ob BeArn wirklich Sinnesorgane aus seinen Verdickungen habe entstehen sehen, wird nicht geprüft. Andere verwenden dann die Angaben FRORIEP’s als eine Bestätigung BEARD’s, und so bildet sich eine Meinung aus, die als eine begründete gilt, ohne dass auch nur eine Spur von empiri- scher Unterlage für sie bestände. Denn daran wird festgehalten werden müssen, sollen jene Verdickungen die Bedeutung » suprabranchialer Sinnesorgananlagen« besitzen, so müssen solche Sinnesorgane auch ausgebildet bestehen, denn man kann nicht von der Anlage oder dem Rudimente eines Organs sprechen, dessen Existenz unbekannt ist. Nachdem wir die Grundlosigkeit der Bearp’schen Hypothese nach allen Richtungen dargelegt, kehren wir zum Olfactorius zurück, um zu sehen, was dieser Nerv nach BEARD in seiner Entwicklung mit anderen Kopfnerven Gleichartiges darbiete. Der Olfactorius wird da als eine vom Vorderhirn ausgehende Zellenmasse dargestellt, welche zu der die Anlage der Riechgrube bildenden epithelialen Ver- diekung verläuft (Torpedo). Die letztere soll dann ein Ganglion 44 C. Gegenbaur bilden, mit welehem der Nerv verschmelze. Diese Thatsache, sagt er: »accord so mervellously with the development of the other« »eranial segmental nerves«. Was ist nun das für ein »Ganglion«, mit welchem der Nerv verschmelzen soll, und wie verhält es sich mit dem Nerven? Was zuerst das Ganglion betrifft, so kann es sich, wenn aus der von Brarp dargestellten Zellenmasse ein Ganglion hervorgehen soll, um Zweierlei handeln. Entweder ist es die dem Grunde der Nasengrube aufgelagerte gangliöse Masse, die bei ausge- bildeten Selachiern noch innerhalb der Schädelhöhle liegt und die Riechnerven entspringen lässt. Das wäre dann der Bulbus olfaetorius. Oder es ist eine in die Riechgrube selbst eintretende Ganglienbil- dung, die damit außerhalb des Cavum cranii, in der Riechschleim- haut läge. Von einer solehen Ganglienbildung ist nun aber nichts bekannt, und selbst aus den sorgfältigen Untersuchungen von M. SCHULTZE (Nr. 44) über den Bau der Nasenschleimhaut von Selachiern (Raja und Seyllium), sowie den neuen Angaben BrLAue’s über die Riechschleimhaut von Teleostiern st nur der Mangel einer solchen Ganglienbildung konstatirbar. Auch die Annahme, dass es der Bulbus olfactorius sein könnte, wird dadurch zurückgewiesen, dass der Bul- bus olfactorius erst viel später aus dem Vorderhirn sich sondert. MARSHALL's Arbeit (Nr. 28) hat dieses wohl zweifellos dargethan. Derselbe hat aber auch eben so wenig ein Ganglion am Riechnerven erwiesen, wenn er auch, wie schon besprochen, 'von Ganglienzellen in der Nähe des Centralorganes spricht. Dies mögen dieselben Zellen sein, die BEARD in dem, was er Riechnerv heißt, abbildet. Wenn wir sehen, wie das BEArp’sche Ganglion des Riechnerven _ ein aus einem indifferenten Gewebehaufen konstruirtes Gebilde ist, so wird noch in Erwägung zu nehmen sein, was jener mit dem Epithel der Riechgrube verschmelzende Zellenhaufen, das Einzige, was er wirklich beobachtet hat, bedeuten möge. In dieser Be- ziehung sind die bezüglichen Figuren nicht gut verwendbar, da die Zellen nur durch dunkle Flecke, welche wohl Zellkerne bedeuten, repräsentirt sind. Wenn man aber weiß, welch’ bedeutende Zell- wucherung in der Anlage des Riechorgans gebildet wird (BLAUE giebt von einem jungen Salamander ein gutes Bild davon), so wird man wohl die ganze Zellmasse, die Brarp für ein mit der Epithelver- diekung verschmelzendes Ganglion hält, der Epithelanlage der Riech-- grube zutheilen dürfen. Jedenfalls sind neue Untersuchungen zur Entscheidung dieser Frage wünschenswerth. Es bleibt mir nur noch ein Umstand zu berücksichtigen, welchen Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 45 BearD als Stütze fiir seine Meinung von der Homodynamie des Olfactorius mit anderen Kopfnerven in Anspruch nimmt. Das ist die yermeintliche primitive Ubereinstimmung des Baues des Riechorgans mit anderen Sinnesorganen des Integumentes. Diese von BLAUE vorgetragene Lehre ward bereits oben geprüft, und daraus ging hervor, dass für die BeAarp’sche Anschauung sich keine Stütze ge- winnen ließ. II. Opticus. Über die besondere Stellung des Sehnerven, den übrigen Kopf- nerven gegenüber, entscheidet seine Genese mit der Augenanlage. Er kommt daher nicht als metamerer Nerv in Betracht. Van WHE (59, pag. 18) hat ihn für den ersten Kopfnerven, den Olfactorius für den zweiten erklärt. Er gründet das auf das Verhalten der Augen- blasen zum Ektoderm und dessen Zusammenhang mit der Nerven- leiste. Die Anlagen der Augenblasen biegen zur Zeit des hier noch nicht geschlossenen Medullarrohres in das verdickte Ektoderm um, und diese verdickte Stelle hängt mit der Nervenleiste zusammen. Ohne an der Richtigkeit dieser auch durch Figuren erläuterten Dar- stellung zu zweifeln, glaube ich doch einen Einwand erheben zu dürfen. Es handelt sich hier nämlich um die Augenbucht, deren vordere Wand es ist, welche in der gegebenen Abbildung jenen Übergang zeigt. Die hintere Wand der Bucht geht in die Hirn- anlage über. Die Abbildung giebt allerdings die Vorstellung, als ob sie nicht mehr weiter nach vorne liegen könne, aber wir ersehen nicht, wie es weiter ventralwiirts sich verhält. Ob van WIJHE aus diesem Ver- halten jene Auffassung des Opticus und Olfactorius nur gefolgert hat, oder ob er die Anlage des letzteren Nerven in jener Beziehung ge- sehen, wird nicht von ihm angegeben. Im ersteren Falle wäre aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass noch weiter nach vorne, d. h. in Folge der Kopfkrümmung ventralwärts, die Olfactorius-An- lage sich fände und dann doch vor jener der Augenblase vorkomme. Die Angabe van WısHe's postulirt für zwei, allgemein mit ganz ver- schiedenen Hirngebieten in Verbindung stehende Nerven eine be- deutende Verschiebung zur Erreichung des späteren Zustandes. Bevor wir einen solehen Vorgang werden annehmen dürfen, muss wohl die thatsächliche Unterlage etwas fester gestellt sein. Bis dahin wird die Angabe von MıLnes MARSHALL, die mit den späteren Zuständen harmonirt, Geltung beanspruchen dürfen. 46 C. Gegenbaur Ill. Oculomotorius. Dieser ward von mir als kein selbständiger, der Metamerie des Kopfes entsprechender Nery angesehen. Ich war dazu veranlasst dadurch, dass der Nerv nicht die Eigenschaften der übrigen, mit Spinalnerven vergleichbaren Kopfnerven besitzt und dass auch kein durch Visceralbogen sicher bestimmbares Metamer vorhanden ist, welchem er zugetheilt sein könnte. Ich betrachtete den Oculomoto- rius als eine Portion des Trigeminus, deren selbständigen Austritt vom Gehirn und aus der Schädelhöhle ich von der Lage des End- gebietes in den Augenmuskeln abgeleitet hatte (Nr. 19, pag. 289). Über die Genese dieses Nerven sagen uns MARSHALL und SPENCER (Nr. 31) Folgendes: »It arises from the base of the mid-brain « »not far from the mid-ventral line, by a large posterior ganglionic« »root, and by several smaller anterior ones clearly distinguished from the« » former by possessing no ganglion cells« »the nerve itself« »runs to the« »interval between the first and second head cavities, where it ex-« »pands into a ganglionic swelling.« Was hier vom Oculomotorius aus- gesagt wird, bezieht sich nur so weit auf diesen Nerven, als von vorderen, ganglienzellenfreien Wurzelfäden die Rede ist; alles Andere betrifft den Ramus ophthalmicus profundus des Trige- minus, wie auch aus der ferneren Darstellung jener Autoren her- vorgeht. Das Ganglion ist das G. ciliare. Wir haben also hier einen Zusammenhang mit dem Ganglion ciliare zu konstatiren, wel- ches, wie unten gezeigt wird, nicht dem Oculomotorius, sondern dem _ Trigeminus zugehört. Damit kommt für ersteren eine Eigenschaft in Wegfall, welche zur Herstellung einer Gleichartigkeit dieses Ner- ven mit metameren Kopfnerven diente. Über den Austritt des Ner- ven vom Gehirne haben MArsHALL's Untersuchungen nichts Sicheres geliefert. Beim Hühnchen hat derselbe zwar starke Gründe zur An- nahme gewonnen, dass der Nerv wie die hinteren Kopfnerven von der Nervenleiste hervorwachse, und bezieht hierher noch eine Angabe von KöLLIKkER (Nr. 24), dass beim Kaninchen der Nery nicht von der Unterfläche des Mittelhirns, sondern mehr seitlich abgehe. Wenn wir nun auch das, was bis jetzt über diesen Nerven bei den Selachiern feststeht: dass sein frühest erkannter Zustand ihn von der Basis des Mittelhirns nahe der Medianlinie abgehend zeigt, nicht als positives Kriterium für die Eigenthümlichkeit des Nerven und seine Verschieden- heit von den anderen Kopfnerven in die Wagschale werfen wollen, so Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 47 müssen wir doch hervorheben, dass selbst mit dem eventuellen Nach- weise der Genese von der Nervenleiste der selbständige metamere Werth des Oculomotorius noch nicht erwiesen wäre. Es wäre dann nur eine Gleichartigkeit der Entstehung erkannt, welche keineswegs die Gleichwerthigkeit bezüglich der Metamerie involvirt. Da der Trigeminus von der Nervenleiste aus sich anlegt, würde der Oculo- motorius vor dem Trigeminus abgehen und dabei bliebe immer noch fraglich, in wie fern der Oculomotorius nicht eine Trigeminusportion sei. Indem wir uns auf den MarsHaurschen Standpunkt stellen, müssen wir von da aus noch den Beweis dafür verlangen, dass der Ocu- lomotorius genetisch vom Trigeminus unabhängig sei. Da wir aber auch aus dem rechtwinkligen Abgang des Nerven, wie es von MAR- SHALL angegeben wird, keinen Grund für seinen metameren Werth zu erkennen vermögen, so sind die von MARSHALL aus dem Befunde des Nerven selbst aufgestellten Gründe für die Metamerie sämmtlich als ungenügende anzusehen. Mehr Klarheit verbreiten van WısHE’s Untersuchungen über die Verhältnisse des Oculomotorius. Vor Allem wird gezeigt, dass, wie wir es oben auffassten, der proximale Theil des Ramus ophthal- mieus profundus mit seinem Ganglion dem Trigeminus zugehört. Der Oculomotorius wird als eine ventrale Wurzel, ein an ihm, viel später als das Ganglion ciliare des Trigeminus, auftretendes Ganglion wird als sympathisches Ganglion gedeutet, da von ihm ein Nerv zur Arteria ophthalmica abgeht. Der Oculomotorius bietet also nach van WisHE in den wesentlichsten Punkten keine Übereinstimmung mit den hinteren Kopfnerven, wie solches von MARSHALL ange- ‚geben war. Wie ist nun der Oculomotorius als metamerer Nerv zu verstehen? Mir scheint das eine sehr schwierige Frage. Zieht man die Meso- dermsomite herbei, so hat er gewiss eine Zugehörigkeit zum ersten, und wenn man da etwas rasch gezogene Schlüsse für förderlich hält, so könnte man sagen, nichts sei klarer, als dass das erste So- mit zum Oculomotorius gehöre, folglich der Oculomotorius ein meta- merer Nerv sei. Damit ist aber die Frage noch nicht gelöst, denn der Oculomotorius entbehrt, wie schon hervorgehoben, der Überein- stimmung mit den anderen Kopfnerven, an deren Metamerie man nicht zweifelt. Dann kommt auch der Ramus opthalmicus profundus in Betracht, der zum ersten und zweiten Somit dieselbe Lage ein- nimmt, wie der Trigeminus zum zweiten und dritten, der Facialis zum dritten und vierten. Van Wisner hält dem zufolge den Ramus 4S C. Gegenbaur ophthalmicus profundus fiir die dorsale Wurzel des ersten Segmentes, und rechnet diesem den Oculomotorius als ventrale Wurzel zu. Damit ist scheinbar die gleiche Auffassung gegeben, wie von MARSHALL und SPENCER, nur dass diese gleich von vorn herein den Ramus ophthalmicus profundus dem Oculomotorius beigezählt haben, den Mar- SHALL als einen urspriinglich dorsal entstehenden Nerven annahm. Ich gebe zu, dass jene Auffassung unter der Voraussetzung, dass der Ramus ophthalmicus profundus vom Trigeminus unabhängig sei, plausibel scheinen kann. Große Schwierigkeiten bestehen aber dennoch. Auf alle diese hier aufmerksam zu machen!, kann ich aber um so mehr unterlassen, als jene Voraussetzung gar nicht be- steht. Es ist nicht sicher erwiesen. dass der Ramus ophthalmicus profundus ein selbständiger Nerv sei. Thatsächlich ist nur, dass der Oculomotorius dem ersten Somite angehört, und dass der Trigemi- nus nichts mit ihm zu thun hat. Dass der Ramus ophthalmicus profundus zum Auge Beziehungen gewinnt, influenzirt die Somiten- frage und damit auch die Metamerie gar nicht. Die Erwägung der bedeutenden Umgestaltungen, welche bei der Phylogenese des Wirbel- thierauges und seiner Adnexe vor sich gegangen sein müssen, wird auch eine sekundäre Betheiligung des Trigeminus, also eines ande-. ren Metamers, nicht für unverständlich halten lassen. Sind doch auch der Trochlearis wie der Abducens nicht dem gleichen Somite angehörig. Es bliebe also für die Zugehörigkeit des Ramus ophthalmicu ! Es sei nur der eine Umstand hervorgehoben, dass das Verhalten jener ° Nerven zu den Somiten ein ganz verschiedenes ist. Wenn auch der Oculomo- torius zum ersten Somit gehört, so hat doch der Trigeminus, d. h. so wie ihn MARSHALL und VAN WIJHE auffassen, gar keine Beziehung zum zweiten, denn aus diesem geht ja der vom Trochlearis innervirte M. obliquus superior her- vor, Ähnliches gilt vom dritten Somit. Van WiHE sucht dieser Schwierigkeit dadurch zu entgehen, dass er die drei Augenmuskelnerven auf die Hirnnerven vertheilt, wie er den Oculomotorius dem Ramus ophthalmicus, den Trochlearis dem übrigen Trigeminus, den Abducens dem Facialis als ventrale Wurzel zu- rechnet. Nun bietet aber der Trochlearis durch seinen Abgang vom Gehirn nichts mit dem Oculomotorius Gemeinsames. Aus diesem Verhalten folgert MAr- SHALL sogar, es habe sich darin ein primitiver Zustand erhalten, welchem gemäß der Nery mit den anderen von der Neuralcrista abgehenden Nerven über- einstimme. Nach MARSHALL existiren gar keine »ventralen« Wurzeln an den Kopfnerven. Wenn nun der Trochlearis durch seinen Abgang vom Gehirn nicht so ohne Weiteres dem Oculomotorius gleichwerthig gesetzt werden kann, so ist auch die Vergleichung mit unteren resp. vorderen Wurzeln nicht durch- führbar. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 49 profundus zum Oculomotorius nur der Umstand iibrig, dass letzterer mit dem Ganglion ciliare verbunden ist, worauf wir weiter unten nochmals zuriickkommen. Die bisherigen Erfahrungen haben also am Oculomotorius keine Eigenschaften dargethan, die ihn als metameren Nerven erwiesen, wenn man von solchen jene Eigenschaften verlangt, wie sie den hinteren Kopfnerven zukommen. Alles was man zu Gunsten des _ Oeulomotorius als eines metameren Nerven sagen kann, ist seine Zugehörigkeit zum ersten Somit, welches aber selbst wieder kein vollständiges Kopfmetamer vorstellt. IV. Trochlearis. So wenig wie vom vorhergehenden Nerven, kann von diesem gesagt werden, dass die neuen Untersuchungen zu einer überein- stimmenden Auffassung geführt haben. Ich hatte den Trochlearis für einen ursprünglich zum Trigeminus gehörigen Nerven angesehen (Nr. 19, pag. 290 u. 541), hielt diese Ansicht aber noch der Begrün- dung bediirftig. Sehen wir uns nun nach den Angaben Anderer um. Alle stimmen darin überein, dass der Trochlearis von seinem ersten Auftreten an keine Veränderung seiner Abgangsstelle vom Gehirn erfahre, dass also die Ontogenie keine neue Thatsache über diesen Nerven als solchen aufgedeckt hat. Er ist, wie MARSHALL und SPENCER (Nr. 31) betonen, der einzige Nerv, welcher beim erwach- senen Thiere seinen ursprünglichen Abgangspunkt vom Gehirn bei- behält. Ferner: »in as much as there is no room as regards visceral« -»arches and clefts for, a segmental nerve between the third and« »fifth; the fourth would probably be rightly viewed as a sepa-« »rated branch of the third — the only other nerve arising from the« »mid-brain.« Diese Zusammengehörigkeit zum Oculomotorius wird von MARSHALL auch später hervorgehoben. Außer dem gemein- samen Ursprung vom Mittelhirn wird auch die gemischte Funktion des Trochlearis, der bei Selachiern und Amphibien einen sensiblen Zweig entsende, als Grund für die Auffassung angeführt, dass dieser Nery zum Oculomotorius gehöre, mit ihm einen Nerv gebildet hätte. Es soll so der Oculomotorius sich vom Trochlearis getrennt haben. Diese Auffassung stützt sich aber nicht auf Thatsachen, denn wenn MARSHALL es auch als Thatsache (fact) aufführt, dass der Oculo- motorius einen ursprünglich dorsalen Ursprung habe, so unterscheidet er in demselben Satze zwischen Thatsachen, die sicher sind, und Morpholog. Jahrbuch. 13, 4 50 C. Gegenbaur solehen, die es nicht so ganz sind. Diese nennt er »almost cer- tainly«. Als eine solche »beinahe sichere« Thatsache lässt er den dorsalen Oculomotorius-Ursprung gelten. Es wird erlaubt sein, vor- läufig diese Angabe noch nicht als auf eine Thatsache gegründet ansehen zu dürfen. Wir finden aber MArsHALL selbst als Gegner gegen seine hier aufgestellte Annahme, wenn wir seine Argumentation gegen die Zugehörigkeit des Oculomotorius zum Trigeminus näher zu Rathe ziehen. Unter den Gründen, dass jene Zusammengehörig- keit nicht bestehe, finden wir als ersten angeführt, dass wir zwar ursprünglich getrennte Nerven allmählich unter einander sich ver- schmelzen sehen, »yet we know of no established case of a branch« »attaining independence, and acquiring the character of a distinet« nerve«. Was ist es aber nun Anderes, als die Erwerbung des Charak- ters eines besonderen Nerven, wenn der Trochlearis sich vom Oculomo- torius trennt, indem der letztere von seiner ursprünglichen Austritts- stelle herabrückt? Wir können also eine Zugehörigkeit des Troch- learis zum Oculomotorius, dergestalt, dass beide zusammen einen segmentalen Nerven vorstellen, nicht als begründet gelten lassen, denn erstlich ist ein Zusammenhang beider nicht erwiesen, zweitens besitzt der Trochlearis so wenig als der Oculomotorius ein ihm zu- gehöriges, dem Ganglion der folgenden Nerven homodynames Ganglion. Für diesen Mangel bietet dem Trochlearis die Abgabe sensibler Fasern, auf die MARSHALL in dieser Hinsicht Werth zu legen scheint, keinen Ersatz. Endlich darf wohl auch die. Beziehung des Trochlearis zum zweiten Somit nicht übersehen werden. Das ist die einzige neue Thatsache, die zwar weniger den Trochlearis, als den M. obliquus superior betrifft. Von vAN WHE ward die letztere Beziehung in den Vorder- grund gestellt. Er betrachtet den Trochlearis als »ventrale Nerven- wurzel« eines Metamer, dem der Trigeminus nach Abzug des Ramus ophthalmieus profundus als dorsale Nervenwurzel zugehört. Es ist nicht zu verkennen, dass diese Deutung viel mehr an die That- sachen sich anschließt, als jene MARSHALL’s, denn sie berücksichtigt nicht bloß dorsale, sondern auch ventrale Metamerbestandtheile. Andererseits aber scheint es doch nicht wenig misslich, den Troch- learis als »ventrale Wurzel« zu nehmen, nachdem er gerade die Eigen- thümlichkeit hat, niemals anders als »dorsal« abzugehen. Es ist also diese Auffassung nicht sowohl aus dem Verhalten des Nerven selbst entsprungen, sondern sie ist angenommen auf Grund der Be- ziehung zu dem Somit. Wenn diese für einander gleichwerthig Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 51 gelten, so werden es auch deren Nerven sein. Mir scheint, dass man diesen Schluss nicht unbedingt ziehen kann, denn die Somite selbst bedürfen noch sehr der Aufklärung, da sie ja thatsächlich keine einander gleichwerthigen Gebilde sind (s. pag. 8). Ich kann also dem von van WWHE gegebenen Schema nicht beipflichten, in- dem ich, festhaltend an der noch unaufgeklärten Eigenthümlichkeit des Trochlearis, diesen als etwas Besonderes betrachte. Dabei sei die Zugehörigkeit zum zweiten Somit eben so wenig als die Zuge- hörigkeit dieses zum Kieferbogen und damit zum Trigeminus in Zweifel gestellt. V. Trigeminus. Bei meinen ersten Untersuchungen glaubte ich dem Trigeminus eine Mehrtheiligkeit zusprechen zu dürfen, indem ich ihn zwei Meta- meren entsprechend betrachtete (Nr. 18, pag. 545). Später habe ich diese Ansicht aufgegeben und betrachtete diesen Nerven als einheit- lichen, und zwar als Nerv des ersten Metamers (Nr. 19). Dabei wurde der R. ophthalmieus als Ramus dorsalis!, der R. maxillaris superior mit dem max. inferior zusammen als Ramus ventralis auf- gefasst. Ich ward zu dieser Auffassung dadurch geleitet, dass das Gebiet des Ramus max. sup. erst sekundär sich ausbildet (mit der Entfaltung des Palataltheiles des Palato-quadratknorpels), so dass auch der bezügliche Nerv erst damit seine Ausbildung gewinnen kann und demnach als eine sekundäre Bildung gelten muss. BALFOUR (Nr. 5, pag. 191) hat die Entstehung des Nerven als eine Sprossung vom vorderen Ende des Hinterhirns beschrieben, die vom obersten Theile desselben ausgeht. Von einem ähnlichen Zu- 1 Über den Gebrauch dieser Bezeichnung »Ramus dorsalis« äußert sich BEARD wie folgt: »But now to the so-called dorsal branch; of all the general names this is by far the worst. It is true that the name has been employed by many distinguished zoologists, STANNIUS, GEGENBAUR, BALFOUR, MAR- SHALL and VAN WIJHE, and that therefore to propose a change, except for very weighty reason, would be a very high handet and arbitrary proceeding. However it must be done, and on grounds to be afterwards stated.« »Though some of these various so-called dorsal nerves may come to occupy a dorsal position, still, as was first mentioned to me by Professor Donry, it is morphologically wrong to regard them as dorsal.« Er nennt einen R. dor- salis Suprabranchialnerv und sagt später: »Such divisions« (in sogenannte dor- sale und ventrale Aste) only occur in the later development.« Also kommen sie doch vor! Ich möchte wissen, was STANNIUS oder ich anders gemeint haben sollen, als jene Zustände, die BEARD selbst zugesteht. Zu was also die Ent- rüstung! 4* 52 C. Gegenbaur stande gehen auch MARSHALL und SPENCER aus, aber es werden verschiedene Wurzeln unterschieden, indem zu der primären dorsalen noch sekundäre und tertiäre hinzutreten. Da aus diesen ein gemein- samer Stamm entsteht, haben sie keinen Einfluss auf die Deutung des Nerven bezüglich seiner Zugehörigkeit zu mehreren Metameren’. Speciell interessirt uns in dieser Hinsicht der Ramus ophth. pro- fundus, der zum Ganglion eiliare verläuft. MARSHALL und SPENCER haben denselben eben so wenig als BALFOUR als einen selbständigen Nerv entstehen sehen. Vielmehr wird er als ein vom Stamm des Trigeminus abgehender Zweig nachgewiesen. Bei MARSHALL (Nr. 29, pag. 85) heißt es vom Trigeminus: »it expands into a large gan-« »glionie swelling, from which three nerves arise: the ophthalmic« »branch« »the communicating branch« »to the ciliary ganglion, and « »the mandibular branch« »the maxillary nerve is given off as a branch « »from the mandibular«. VAN WIMHE sagt, dass von der sehr breiten, durch eine Strecke der Nervenleiste vorgestellten ersten Anlage des Trigeminus zwei Auswüchse ausgehen, von denen der eine vor dem zweiten Somite, der andere an dessen Hinter- und Außenseite liege. Beide nähern sich später einander. Der vordere Trigeminusauswuchs ist der R. ophth. profundus, der hintere ist der übrige Trigeminus. Sie stellen nach van WIJHE zwei metamere Nerven vor. BEARD giebt von Torpedo an: »the outgrowth from the neural ridge which « »formes the main stem of the ciliary ganglion is practically con-« » tinuous with the outgrowth which forms the main stem of the fifth. « Ob die Verschiedenheit dieser Angabe auf der Verschiedenheit der un- tersuchten Objekte beruht, weiß ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls besteht aber darin eine Übereinstimmung, dass alle Beobachter den R. ophthalm. profundus nicht als streng gesonderten Nerven entstehen sehen. Die Nervenleiste, von der nach van WisHE jene beiden Fort- sätze auswachsen, ist nicht mehr mit der die Anlage des Facialis entsendenden Strecke im Zusammenhang. Es ist also etwas Ein- heitliches, Gesondertes da, woraus der gesammte Trigeminus hervor- sprosst. Wenn nun auch die Selbständigkeit des R. ophthalm. prof. keineswegs erwiesen ist, so darf doch an die Möglichkeit gedacht werden, dass in jenem Aste einmal ein gesonderter Nerv bestanden habe, der sich später dem Trigeminus anschloss. ! Wenn in diesen Ursprüngen eine absolute Bedeutung für die angezogene Frage läge, so müsste man auch dem Oculomotorius eine Polymerie zuschreiben, da auch dieser Nerv mehrfache, am Austritte getrennte Wurzeln besitzt! Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 53 Diese Möglichkeit tritt aus van Wume’s Angaben hervor, welche annehmen lassen, dass die Distanz der Abgangsstelle der beiden Nervenanlagen aus der gemeinsamen Anlagestrecke ursprünglich noch größer war, und dass damit auch eine völlige Trennung bestanden haben könnte. Aber auch das Verhalten des Ganglion ciliare kann als eine Stütze jener Vermuthung gelten. Uber das Ganglion eiliare verdanken wir van Wine wichtige Aufschlüsse. Er hat nachgewiesen, dass es nicht dem Oculomotorius zukomme, wie SCHWALBE (Nr. 45) auf Grund anatomischer Unter- suchungen angegeben hatte, sondern eben dem Ram. ophth. prof., dass vielmehr das von SCHWALBE gefundene Ganglion ein anderes, erst später auftretendes, wahrscheinlich sympathisches sei. Für die Selachier ist diese Frage wohl jetzt klar geworden, dagegen bedarf sie für die höheren Abtheilungen der Wirbelthiere noch neuer Be- obachtung Nach van WuHe ist die Genese des Ganglion ciliare von jener des G. Gasserii unabhängig. Nach Brarp ist der Abstand des Ganglion eiliare vom G. Gasserii sehr gering. Aus mehrfachen An- gaben über die Entstehung des G. ciliare bei höheren Wirbelthieren erfahren wir, dass es vom G. Gasserii sich abspalte. Ziehen wir diese nicht mit in Betracht, und fuBen wir auf der van Wiue’schen An- gabe, so wird zugegeben werden müssen, dass das G. ciliare dem Ganglion Gasserii homodynam sein kann. Dies ist freilich nur unter der Voraussetzung möglich, dass der R. ophth. prof. einmal ein selbständiger Nerv war. Bei der großen Komplikation der gesammten Orbitalregion, kann über jene fraglichen Punkte noch keine sichere Entscheidung gegeben werden. Für die Selbständigkeit des R. ophth. prof. spricht das Ganglion, für die Abhängigkeit der mit dem Trigeminus gemeinsame Stamm. Für den übrigen Trigeminus haben wir nur bei einem Punkte zu verweilen; dass er dem Kieferbogen angehört und damit dem zweiten Metamer, wenn das erste dem Oculomotorius und dem R. ophth. prof. zugetheilt werden soll, wird von MARSHALL und VAN WisHE nicht in Abrede gestellt. Von Wichtigkeit ist uns nur der durch MARSHALL und SPENCER gelieferte Nachweis dafür, dass der Ramus mazillaris (sup.), nicht als selbständiger Ast, sondern als ein Zweig des R. mandibularis entsteht. Es kann daher der erstere nicht dem letzteren gleichwerthig gelten, wie es von MARSHALL ange- nommen wird, er stellt sich als etwas Sekundäres heraus. VAN WIJHE folgert: »weil der Ramus II weder als R. praetremraticus noch als« 54 C. Gegenbaur »R. pharyngeus gedeutet werden kann,« bleibt nichts Anderes übrig, als ihn »zu den Rami dorsales gehörig zu betrachtenc. Das möchte ich nicht als geboten ansehen, vielmehr sehe ich in dem Abgange des Nerven von einem entschiedenen R. ventralis einen Grund, ihn nicht zu den Dorsalästen zu rechnen. Das leuchtet vollends ein, sobald man sich über das»Gebiet der Nerven Klarheit verschafft hat. Die Oberkiefer-Gaumenregion ist doch eben so gut noch ventrales Gebiet als die Mandibularregion, denn erstere entsteht vom ersten Kiemenbogen aus und entfaltet sich mit der Anlage des Palato- quadratum. Nichts ist natürlicher, als dass der sich ausbildenden Oberkiefer-Gaumenregion, die etwas Neues vorstellt, auch vom Ven- tralaste des Trigeminus ein Zweig sich anschließt, der damit eine besondere Bedeutung gewinnt. So ist von mir schon längst das Verhältnis dieser beiden Äste zu einander gedeutet worden. Wie überall hat man auch hier das Endgebiet des Nerven zu beachten. Eben so begreiflich ist aber auch, dass den folgenden Metameren ein solcher Nerv abgeht, denn an den folgenden Kiemenbogen ent- faltet sich eben kein Theil zu einem der Oberkiefergaumenregion entsprechenden Abschnitte, da eben nur der Kieferbogen durch seine Beziehungen zur Mundöffnung die Bedingungen dazu besitzt. Mit dieser Auffassung fällt auch die Hypothese van WısHE’s: dass der Ramus II erst sekundär auf den Ramus III gerückt sei. Von dem gleichen Gesichtspunkte werden wohl auch die beiden Rami ophthalmiei, der profundus! wie der superficialis zu beurtheilen sein. Dass keiner von ihnen einen ventralen Ast vorstellen kann, lehrt die periphere Bahn dieser Nerven, welche über, resp. hinter dem Auge verläuft. Für den einen dieser Zweige habe ich das schon früher hervorgehoben. Wenn aber hier zwei solcher dorsal verlaufende Zweige vorkommen, so ist darin doch viel eher der Ausdruck bedeutender Veränderungen zu sehen, die in der vorderen Kopf- region durch Ausbildung vor sich gegangen sind, als die Andeutung einer Ent- stehung des Trigeminus aus ursprünglich zwei Nerven. Für Letzteres fehlen bis jetzt die Belege, für Ersteres sprechen dagegen zahlreiche andere, auch im Gebiete des Nervensystems vorhandene Eigenthümlichkeiten. ! MARSHALL und SPENCER sehen in dem Hautzweige des R. ophthalm. profundus eine Verbindung mit dem Olfactorius und betrachten das als eine Anastomose zwischen dem lezteren Nerven und dem Oculomotorius, da sie jenen R. ophth. prof. dem Oculomotorius zutheilen. Sie glauben, man könnte das als eine Stütze für ihre Deutung des Olfactorius (s. oben) ansehen, geben aber zu, dass die Fortsetzung deS Nerven zur Haut jener Auffassung widerspreche, was gewiss einzuräumen sein wird. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. ox OU VI. Abducens. Zur Beurtheilung dieses Nerven hat die Ontogenie nur festge- stellt, dass er zum dritten Kopfsomite gehört, also zu demselben, welchem ventral der zweite Visceralbogen oder Hyoidbogen entspricht. Beziehungen zu anderen Nerven sind nicht aufgedeckt worden. Wir befinden uns daher diesem Nerven gegeniiber in dem gleichen Falle, wie beim Oculomotorius und Trochlearis. Für den Ursprung des Abducens darf wohl hervorgehoben werden, dass er aus mehrfachen Wurzeln sich zusammensetzt. Sowohl MArsHALL als auch dieser und SPENCER beschreiben das. Es ist desshalb wichtig, weil es einen Beweis dafür abgiebt, dass solche auch bei der Anlage des Nerven vorhandene mehrfache Wurzelbündel ar sich noch nicht zur Be- eriindung einer Polymerie des gesammten Nerven verwerthet werden können. Denn das steht doch außer Zweifel, dass es sich beim Abducens nicht um ein Multiplum von Nerven handeln kann. Dass der Abducens als vordere Wurzel zum Facialis gehöre, wird von MARSHALL und vAN WIJHE angeführt. Aber das beim Troch- learis Bemerkte hat auch hier Geltung: dass diese vordere Wurzel nicht mit dem Trochlearis morphologisch gleichwerthig sein kann, wie die Verschiedenheit der Abgangsstellen erkennen lässt. Vil. Acustico-facialis. Die Ontogenese dieses Nerven hat ihre Zusammengehörigkeit vollkommen bestätigt. Sie gehen aus einer einheitlichen Anlage her- vor, bilden einen einheitlichen Nervenstamm, von welchem sich schr bald der Acusticus dorsalwärts abzweigt. MARSHALL und SPENCER sagen vom Acusticus: »It appears as a large ganglionic posterior « »branck of the seventh nerve, given off immediately beyond the root« »of origin.« Auch van WIJHE behandelt den Acusticus als einen Fa- cialiszweig. Da aber der Facialis außer dem Ramus hyoideus noch zwei Äste absendet, den Ramus buccalis und einen zum Ramus oph- thalmieus superficialis des Trigeminus verlaufenden und mit diesem sich verbindenden, folgert van WıJHE, dass darin »eine Andeutung für die Zusammensetzung des Facialis aus zwei Nerven« liege. Es soll diese Meinung noch bestärkt werden durch das Vorkommen zweier Somite über dem Hyoidbogen, sowie durch die Deutung des Ramus mandibularis des Facialis als eines dem Ramus hyoideus 56 C. Gegenbaur gleichwerthigen Astes. Die Entwicklung der Zweige des Facialis hat jener Verwerthung, auf die wir weiter unten nochmals zurück- kommen, keine Stütze gegeben. Vor Allem müsste doch am Faeia- lisstamm bei seiner ersten Anlage eine Sonderung bestehen. Davon ist nichts vorhanden. Der Ramus hyoideus (Ramus posttrematicus) ist, wieder nach van WiuHe’s Angaben, anfänglich der einzige Ast, der von der Verschmelzungsstelle des Facialis mit dem Epithel über der ersten Kiemenspalte hervorgeht, und unser Autor giebt ferner an, er habe »nichts mit Sicherheit für die Doppelnatur des Ramus ven- . tralis«, d. h. eben des Ramus hyoideus beobachten können. Ich kann das nur so verstehen, dass er über jene »Doppelnatur« gar nichts beobachtet hat, denn es findet sich auch nichts als unsicher ange- geben, was möglicherweise jene Auffassung unterstützte. Was nun jene beiden dorsalen Äste angeht, so giebt van WIJHE’S Beschreibung ihrer Entwicklung auch für ihre Beurtheilung Anhalte- punkte. Er kommt selbst zu dem Resultate, dass beide Nerven zu- sammen einen einzigen Ramus dorsalis vorstellen. Es wäre dann der Acusticus ein zweiter dorsaler Ast. Aus diesen beiden dursalen Ästen folgert er die »Doppelnatur« des betreffenden Kopfmetamer. Mir scheint, dass kein zwingender Grund dazu vorliegt. Mit minde- stens demselben Rechte kann man von dem gänzlichen Fehlen einer Duplieität in der ventralen Region, die keine Spur eines doppelten Visceralbogens u. dgl. zeigt, auf die ursprüngliche Einheitlichkeit der Dorsalregion schließen, und von den beiden Rami dorsales den einen als etwas Sekundäres ansehen. Das ist nun in der That auch geboten, denn die erste gemeinsame Anlage für den Ramus buccalis und die Portio facialis des Ramus ophthalmieus superfieialis tritt später auf, als die Anlage des Acusticus. Es besteht ja doch, wie VAN WIJHE zugeben wird, ein Stadium, in welchem nur der Acustico- facialis angelegt ist, und noch keine Verzweigung des Facialis. Dar- aus erwächst ein Grund, jenen zweiten Ramus dorsalis nicht als gleichwerthig mit dem Acusticus anzusehen. Während van WiJHE wenigstens zugiebt, dass für das Bestehen zweier Segmente im Hyoidbogen keine ontogenetischen Thatsachen aufgeführt werden können, so macht sich BEArD die Sache leichter. Er betrachtet einfach das Dicht-neben-einander-Liegen des Facialis und des Acusticus, oder sagen wir den Zusammenhang beider, als etwas Erworbenes, sie sind für ihn »at first really distinet«. Wann dieses der Fall sein soll, verschweigt er. Das von Bearp konstruirte Schema eines metameren Kopfnerven, wie wir es oben schon be- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 57 rührt haben, lässt eine hintere Nervenwurzel zum oberen Theile einer Kiemenspalte verlaufen, dort in die »sensory thickening« be- zeichnete Epithelwucherung übergehen, von wo aus dorsal und ven- tral dann ein Ast ausgeht. Der erstere ist ein Suprabranchialnerv. Dieses Schema wendet er auf den Acustico-facialis an. In einem ‘auch von WIEDERSHEIM (57) reprodueirten Diagramm, welches die Genese des Wirbelthierkopfes darstellen soll, wird dieser Auffassung Ausdruck gegeben. Wir sehen da das vierte Kopfmetamer durch den Facialis ausgezeichnet. Der Stamm desselben läuft zu dem supra- branchialen Ganglion, von dem aus ein distal zweitheiliger »Supra- branchialnerv« entspringt, so wie sich abwärts ein Nerv vor, einer hinter die Kiemenspalte (Spritzloch) begiebt. Das ist bezüglich des Ramus suprabranchialis ohne alle thatsächliche Begründung! und steht im Widerspruch mit van WiHE’s Ermittelungen, die BEARD bestätigen zu können angiebt. Nicht besser verhält es sich mit dem Acusticus, dem BEARD ein besonderes Kopfmetamer zutheilt. Dass dieser Nerv keine Zweige abgiebt, ist ihm ganz klar, denn da giebt es ja keine Kiemenspalte. Er steht auch nicht allein in diesem Falle, denn der R. ophthalmicus profundus, der mit seinem Ganglion nach BEARD unzweifelhaft mit dem Acusticus homolog ist, giebt auch keine Kiemenzweige ab! So wird also etwas höchst Problematisches zur Erklärung einer mindest eben so problematischen Sache. Das Dunkel soll durch die Finster- nis erleuchtet werden! Aber der Nerv entspricht einem der anderen metameren Kopfnerven dadurch, dass er in eine epitheliale Verdickung übergeht. In einem gewissen Stadium soll der Nerv mit Ganglion und Sinnesorgan genau (exactly) dem Nerven, Ganglion und Sinnesorgane des Ciliarsegmentes korrespondiren. Es ist ja gewiss kein Zweifel daran, dass die erste Anlage des Gehörorgans als epitheliale Verdickung eine Bildung vorstellt, welche mit jenen anderen Ähnlichkeit besitzt. Aber aus dieser Ähnlichkeit der ersten Anlage folgt noch lange nicht die Homodynamie. Mag man auch annehmen, dass das Gehör- organ wahrscheinlich aus einem indifferenten Sinnesorgane des Integumentes hervorging, so folgt daraus noch nicht, dass das dieselben Organe gewesen sein müssen, wie sie BEARD als »branchiale Sinnesorgane« glaubt. Wir mussten die Folgerung: Uber Kiemenspalten finden sich Sinnesorgane, also müssen überall da, wo Sinnesorgane vorkommen, auch Kiemenspalten sich darunter befunden 1 Nach van WiJHE geht das gemeinsame Stämmchen des R. buccalis und der Portio facialis des N. ophthalmicus profundus nicht von der Epithelial- verdickung des Facialis ab, sondern vom Stamme des Facialis selbst, dicht an seinem Abgange vom Gehirn. Jenes Stämmchen tritt zu einer verdickten Stelle der Epidermis hinter dem Auge, von wo an es erst in die Bildung der beiden genannten Zweige übergeht. Es kann also das gemeinsame Stämmchen nicht einen N. suprabranchialis im BEArD’schen Sinne vorstellen, denn dieser geht ja von der suprabranchialen Verdickung aus. Das passt nun nicht in das Schema, desshalb adaptirt BEARD das Verhältnis frischweg und lässt das Stämmchen von der suprabranchialen Verdickung entspringen, wie er*es braucht! ! 58 C. Gegenbaur haben, als Trugschluss bezeichnen. Denselben Trugschluss hat BEARD auf das Gehörorgan applieirt: »Branchiale Sinnesorgane sind epitheliale Verdickungen, das Gehörorgan ist ebenfalls eine solche, also ist das Gehörorgan ein bran- chiales Sinnesorgan.« Er merkt dabei nicht, dass das Gehörorgan ohne den Nachweis einer dazu gehörigen Kiemenspalte doch nicht als branchiales Sinnes- organ aufgefasst werden kann. Kehren wir nun zu den ontogenetischen Thatsachen zurück, so ergiebt sich wiederum aus den eigenen Angaben BEARD’s für die Anlage des Gehörorgans doch eine bemerkenswerthe Verschiedenheit von den sogenannten branchialen Sinnesorganen. Die epitheliale Verbindung des Acusticus liegt nicht neben jener des Facialis, nicht in derselben Reihe wie die übrigen, sondern mehr dorsalwärts. In der citirten schematischen Konstruktion ist das natürlich geändert, resp. »verbessert«, aber in der Wirklichkeit verhält es sich anders. In BEArp’s Fig. 42, die aus verschiedenen Horizontalschnitten eines Selachier- Embryo kombinirt ist, findet man die branchialen Sinnes- organe sämmtlich im horizontalen Durchschnitte, nur die Anlage der Ohrblase nicht. Diese findet sich im Querschnitte dargestellt. Sie steht also hier im rechten Winkel zu den Durchschnitten jener an- deren Gebilde Dass die Anlage der Ohrblase auch in früheren Sta- dien nicht in gleichem Horizonte mit der Ektodermalverbindung an- derer Kopfnerven liege, geht auch aus allen anderen Angaben hervor. Es besteht also viel eher ein Grund, in der Anlage des Gehörorgans etwas von jenen ektodermalen Verdickungen Verschiedenes zu finden, als sie für damit gleichwerthig anzusehen. Da der Acusticus bis jetzt noch niemals als selbständiger Nerv erkannt ist und die Anlage des Gehörorgans mit dem »branchialen Sinnesorgane« nur die epithe- liale Nervenverbindung gemein hat, was auch für andere, der Be- ziehungen zu Kiemen entbehrende Nerven sich trifft, so wird man den Acusticus nicht als einen, anderen Kopfnerven gleichwerthigen Nerv gelten lassen können. Alles zusammengefasst hat die Ontogenie für den gesammten Acustico-facialis nichts zu Tage gefördert, was an diesem Nerven eine Dimerie erkennen ließe. Den negativen Befunden darf aber auch das Fehlen einer zweiten vorderen Wurzel beigezählt werden, da ja von manchen Seiten auf diese Verhältnisse Werth gelegt wird. Vill. Glossopharyngeus. Dieses ist der einzige Kopfnerv, welcher bisher nicht Gegen- stand einer Kontroverse war, in so fern ihm Alle seine Beziehung zu Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 59 einem bestimmten Kopfmetamer zuerkennen. Es ist jenes, welches ventral den auf den Hyoidbogen folgenden Bogen trägt. Dass diesem Gebiete keine ventrale Wurzel zukommt, wird als Thatsache hinge- nommen werden müssen, welche mit van WıJHE auf den Mangel aus dem entsprechenden Kopfsomite hervorgehender Muskeln bezogen werden kann. Gleichwie wir aber aus den ontogenetischen Zeug- nissen nicht mit Sicherheit erfahren, ob aus jenem Kopfsomite über- haupt einmal Muskulatur gebildet wurde, ist auch die mögliche Existenz jener ventralen Wurzel ungewiss, und wir sehen auch in diesem Falle die Ontogenie nur das zum Vorschein bringen, was zu definitiven Einrichtungen sich zu gestalten hat. IX. Vagus. Bei diesem Nerven war ich (Nr. 18, pag. 539) durch die Verglei- chung seiner einzelnen, den Kiemen zugetheilten Äste mit dem Verhalten der vorhergehenden Nerven dazu gelangt, ihn als polymer anzusehen und darauf hin auch die entsprechende Kopfregion als eine polymere zu beurtheilen. Die große Mehrzahl der Forscher, welche sich später mit diesem Gegenstande der Ontogenie beschäftigten, hat mir in dem Hauptpunkte zugestimmt, zumal auch im dorsalen Gebiete der Kopfregion eine Polymerie nachgewiesen ward. Durch BALFoUR, MARSHALL und van WIJHE sind für die Vagusregion vier Kopfsomite nachgewiesen worden. Nachdem ich aber diese scheinbar zu Gunsten meiner Deutung bestehenden Verhältnisse nicht anerkennen kann (pag. 8), gewinnt die Sache für mich eine andere Lage. Was die Art der Genese des Vagus selbst angeht, so ergiebt diese für den ersten Zustand eine Gemeinsamkeit der Anlage. Er zeigt sich nach van WıJHE »als ein unsegmentirter Auswuchs der« »Nervenleiste«. Erst später tritt eine Metamerie auf, und zwar bilden sich vier Vagusausläufer, von denen der letzte den Ramus intestinalis vorstellt. Bevor er sich als solcher fortsetzt, tritt er noch in Be- ziehungen zur letzten (sechsten) Kiementasche und lässt den betreffen- den Nerven entstehen, was im Speciellen bei van WHE sehr sorgfältig dargestellt ist. Es gehen also aus der Vagusanlage vier ventrale Äste hervor, der letzte ist der R. intestinalis. Während diese Ver- hältnisse distal sich bemerkbar machen, ist proximal eine wichtige Veränderung vor sich gegangen, indem »der Vagus jetzt nicht mehr« »mit einer langen Basis, sondern mit mehreren Wurzeln, deren Zahl« schwerlich genau anzugeben ist, aus dem Gehirn« entspringt. Es 60 C. Gegenbaur sind also von Anfang an keine gesonderten Wurzeln fiir den Vagus da; diese kommen erst später zum Vorschein und entsprechen auch nicht der Zahl der Rami ventrales, da sie, wie es scheinen will, viel zahlreicher sind. In der Länge der gemeinsamen Anlage des Vagus tritt nach van WHE eine bemerkenswerthe Änderung durch Ver- kürzung ein. Die hinteren ventralen Äste des Vagus schieben sich nach vorn hin, so dass sie den drei letzten Kopfsomiten nicht mehr korrespondiren. Wenn man nur auf das ontogenetische Verhalten sich stützt, kann man nicht sagen, dass der Vagus ein polymerer Nerv sei; seine Ent- wicklung bietet eine einheitliche Anlage dar, an der nur die Länge auffallen muss. Diese ist aber nur eine schwache Andeutung dafür, dass man mehr als einen einzigen Nerven in jener Anlage suchen darf. Die Ontogenie giebt also kein werthvolles Zeugnis für die Mehrtheiligkeit des Vagus ab, sie lehrt nicht mehr kennen, als man schon aus dem anatomischen Befunde erfahren hatte. Ich halte den ontogenetischen Befund des Vagus der Selachier desshalb für eine sehr wichtige Thatsache; sie ist überaus lehrreich, weil sie zeigt, dass das Maß dessen, was man von der Ontogenie erwarten darf, auch hier ein sehr eng begrenztes ist. Von größerer Bedeutung ist die Aufklärung über die dorsalen Äste des Vagus, von denen einer selbständig vom ersten Vagusaste abgeht, indess die übrigen drei Äste ihre Rami dorsales in die Kon- stitution .des R. lateralis übergehen lassen (vAN WHE). Da diese Verhältnisse, so interessant sie auch sind, unserer Aufgabe ferner liegen, habe ich hier nicht weiter auf sie einzugehen. Was endlich die sogenannten vorderen oder unteren Wurzeln des Vagus betrifft, so sind diese von mir als Hypoglossus gedeutet worden, oder vielmehr ich hatte den Hypoglossus in unteren Wurzeln des Vagus angenommen, welcher Meinung später van WHE beige- pflichtet hat. Ich möchte nun jene Auffassung nicht mehr aufrecht erhalten, nachdem gerade der letztgenannte Autor in seinen Unter- suchungen mir die Gründe zu anderer Deutung nahe gelegt hat. Das soll beim Hypoglossus selbst erörtert werden. Mit dem Vagus wird auch der Accessorius Willisii zu erwähnen sein. Manche scheinen die Meinung zu haben, als ob dieser Nerv für die Me- tamerie des Kopfes resp: des Craniums Bedeutung besäße. Der Umstand, dass er erst in den höheren Abtheilungen erscheint und wohl aus dem Vagus sich sondert (gleichviel welche funktionelie Bedeutung ihm zukommt), sollte jene Meinung von vorn herein als eine irrige erscheinen lassen. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 61 X. Hypoglossus. Für diesen Nerven wird zunächst eine Orientirung darüber nöthig, was in den verschiedenen Abtheilungen dafür gehalten wird. Der hohe Werth. den manche jener Zustände für die Auffassung des Kopfskeletes, ja des ganzen Kopfes besitzen, mag ein näheres Ein- gehen auf die niederen Abtheilungen, bei denen gerade die größte Mannigfaltigkeit herrscht, rechtfertigen. Wenn ich dabei mit den Cyelostomen beginne, so geschieht das nicht desshalb, weil von daher eine besondere Erleuchtung der Frage käme, sondern weil durch AHLBORN von da aus an die Metamerie des Kopfes der Wirbelthiere angeknüpft worden ist. AHLBORN vereinigt in seiner dem feineren Bau des Petromyzon-Gehirnes gewidmeten Arbeit (Nr. 1, pag. 257) Vagus und Hypoglossus in eine Gruppe und weist dem Vagus acht hintere oder dorsale Wurzeln zu, »die in jeder Be- ziehung den Charakter der sensiblen Spinalnerven bewahrt haben« Eine vor- dere oder ventrale Wurzel des Vagus liegt nicht etwa unterhalb des Vagus, sondern distal (caudalwärts), von der letzten dorsalen Wurzel des Vagus etwa eben so weit entfernt, wie diese von der vorhergehenden. In geringerer Ent- fernung folgt eine stärkere vordere Wurzel, welche als jene des Hypoglossus bezeichnet wird. Dem Hypoglossus ist also hier eine Wurzel zugetheilt. In einer zweiten Arbeit (Nr. 2, pag. 305) lesen wir von zwei Wurzeln des Hypo- glossus, die sich »zu einem starken Stamme« vereinigen, »welcher gleich hinter dem Vagusganglion, aber gänzlich von diesem getrennt«, »zwischen Lateralis und Pneumogastricus zur Seite zieht. AHLBORN rechnet also jetzt auch eine motorische Vaguswurzel dem Hypoglossus bei, und giebt zu, dass man bei Petromyzon die ganze motorische Hypoglossusgruppe als motorische Vagus- wurzeln ansehen kann. Dieser Hypoglossusstamm empfängt noch einen Zweig von dem aus den vier ersten (dorsalen) Vaguswurzeln gebildeten Nervenstamme, ‚und sendet alsbald außerhalb der Schädelkapsel einen dorsalen Ast ab. Dieser soll sich sogleich in drei kleinere Zweige spalten, welche schon 1826 von BORN (Nr. 9, pag. 181) beschrieben worden sind. Sie gehen zu Rückenmuskeln. In fast dem gleichen Abstand, welcher den zweiwurzeligen Hypoglossus vom Va- gus trennt, folgt der erste Spinalnerv, dessen dorsale Wurzel, wie auch bei den folgenden, etwas vor der vorderen (ventralen) Wurzel liegt. Aus einer vorderen Wurzel geht nach SCHNEIDER (Nr. 42, pag. 75) der Hypoglossus her- vor. Er betrachtet diese mit dem Vagus zusammen in gleichem Verhalten wie die motorische und sensible Wurzel eines Spinalnerven. WIEDERSHEIM (Nr. 56) fand bei jungen Ammocoetes eine »aus acht Nerven bestehende Gruppe, deren einzelne Bündel vier sehr starke ventrale und eben so viele dorsale Wurzeln repräsentiren, und somit ganz im Sinne der Spinalnerven angelegt sind. Jeder Ast verlässt auch in vollständiger Übereinstimmung mit den letzteren den Spinalkanal durch eine besondere Öffnung, und alle diese Nerven zeigen über- haupt, abgesehen von der stärkeren Ausprägung ihrer ventralen Wurzeln, nur darin eine schwache Abweichung, dass sie in kürzeren Abständen von der Medulla entspringen, als die übrigen Spinalnerven«. »Diese Nervengruppe ent- 62 C. Gegenbaur spricht dem Hypoglossus und vielleicht auch einem Theile des Accessorius der übrigen Wirbelthiere.« Von diesen Nerven findet WIEDERSHEIM bei Ammocoetes die vorderen (ventralen) Wurzeln und die letzte hintere (dorsale) wieder und giebt an, über das Schicksal der drei ersten dorsalen Hypoglossus-Wurzeln im Unklaren geblieben zu sein (pag. 15). Durch AHLBORN hat die WIEDERSHEIM sche Hypoglossusgruppe eine Um- deutung erfahren (Nr. 2, pag. 294). Die erste dorsale Wurzel rechnet AHLBORN dem Vagus bei, dessen achte Wurzel sie vorstelle (s. oben). Die letzte zählt er als sensible Wurzel zum zweiten Spinalnerven und aus der vierten unteren und dritten oberen bilde sich der erste Spinalnerv, welcher, wie auch SCHNEIDER (Nr. 43, pag. 77) dargestellt hatte, durch den ersten Knorpelbogen den Rück- gratkanal verlässt. Dann bleiben noch drei ventrale Wurzeln übrig, die den Hypoglossus vorstellen, während die gleichfalls noch übrig bleibende obere (die zweite nach der WIEDERSHEIM’schen Auffassung) als selten vorkommende neunte Vaguswurzel in Anspruch genommen wird. Diese Deutung AHLBORN’S führt also dahin, dass man den Hypoglossus der Petromyzonten aus unteren Wur- zeln des Vagusgebietes sich zusammengesetzt vorzustellen hat, und dass die von WIEDERSHEIM aufgestellte Hypoglossus-Gruppe keine, zwischen Vagus und erstem Spinalnerven befindliche, aus dorsalen und ventralen Wurzeln be- stehende Abtheilung von Nerven bildet. Bei den Selachiern werden wir uns zunächst mit jenen unteren Vagus- wurzeln zu beschäftigen haben, die ich früher als Wurzeln des Hypoglossus deütete. Über ihr Verhalten liegen bis jetzt nur wenige Angaben vor. STAN- xıus (Nr. 23, pag. 83) hatte von ihnen angegeben, dass sie (bei Acanthias und Carcharias) in den Vagus übergingen, und sich »rücksichtlich ihrer Ursprungs- verhältnisse ganz eben so verhielten, wie die vorderen Wurzeln der Spinal- nerven«. Das distale Verhalten ward nur durch JACKSON und CLARKE bei Echi- norhinus genau ermittelt. Diese haben hier vier solcher Wurzeln nachgewiesen (Nr. 46, pag. 97). Diese Zahl kann nicht befremden, da ich sie bei Hexanchus gleichfalls fand. Die Nerven verlassen das Cranium durch besondere Kanäl- chen. Nach den beiden genannten Autoren geht der erste Nerv, ohne Ver- bindung mit anderen Nerven, in einen Schultermuskel, welcher den Scapular- theil des Schultergürtels mit dem Cranium verbindet. Der zweite, dritte und vierte Nerv giebt je einen Zweig zu demselben Muskel, aber der Haupttheil der Fasern vereinigt sich mit einem von den vier ersten Spinalnerven gebilde- ten Nervenstrange. Dieser verläuft im Bogen nach hinten und über den R. lateralis vagi abwärts, sendet eine Verbindung zu einem Muskelzweige des vierten Kiemenastes des Vagus und nimmt dann noch den fünften Spinalner- ven auf. Aus dem so gebildeten gemeinsamen Stamme werden theils die Mus- keln der Brustflosse versorgt (durch einen äußeren Ast), theils vor dem Schulter- gürtel befindliche Muskeln (durch einen inneren Ast). Aus diesem hier in Kürze dargestellten peripheren Verhalten geht für unsere Aufgabe so viel her- vor, dass der erste jener als untere Vaguswurzeln erscheinenden Nerven mit einem Hypoglossus bestimmt nichts zu thun hat, eben so wenig wie die Ver- zweigungen der folgenden drei Nerven an den Schultermuskel. Dagegen wird das Verzweigungsgebiet des Sammelstranges an ventrale Muskulatur, welche sich zu dem Kiemenbogen verbreitet, als Hypoglossusgebiet angesehen werden dür- fen. Welchen Antheil aber an diesem Nervengebiete die unteren Vaguswurzeln und die Spinalnerven besitzen, ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 63 Aus der relativen Mächtigkeit der in Frage kommenden Nervenwurzeln ist so viel zu ersehen, dass den Spinalnerven der Hauptantheil an der Versorgung des Hypoglossusgebietes zukommt. Daraus folgt, dass die unteren Vaguswurzeln« den Hypoglossus schwerlich ausschließlich zusammensetzen, sondern dass dieser auch aus Spinalnerven gebildet wird. Andere, gleiche Genauigkeit der Untersuchung kund gebende Beobachtungen fehlen über die Selachier. Cuvier behandelt sie betreffs des Hypoglossus mit den Fischen im Allgemeinen und Stannıus (Nr. 46, pag. 123) ist der Meinung, dass bei den Fischen, und also auch bei Selachiern kein Hypoglossus vorkomme, da der als solcher angesehene Nerv oft nur aus einer vorderen und einer hin- teren Wurzel sich zusammensetze, und bei manchen Teleostiern einen Ast in den Plexus brachialis entsende. Später äußert er (Nr. 47, pag. 140), dass der Hypoglossus bei den Fischen kein selbständiger Nerv sei, sondern »noch in den Elementen ihres ersten Spinalnerven enthalten ist«. Legen wir weniger Werth auf den Namen, so findet sich aber auch in der ersten Schrift von STANNIUS (Nr. 46, pag. 122) die Angabe, dass die ventrale Muskulatur zwischen Schultergürtel und Zungenbein oder ersterem und Unterkiefer bei den Haien Zweige von den Rami anteriores der beiden ersten Spinalnerven empfange. Der dadurch gebildete Stamm kann auch noch den dritten Spinalnerven aufnehmen, und sendet auch einen Ast zur Vorderextremität. Bei Raja sind es wiederum Zweige aus dem die Extremität versorgenden Nervenstamme, welche der be- regten Muskulatur zugehen. Damit stimmen auch im Ganzen die von VETTER (Nr. 51, pag. 450 und 451) über Heptanchus und Acanthias gemachten An- gaben. Der erste und zweite Spinalnerv vereinigen sich in einem gemein- samen Stamme, der bogenförmig zu jener Muskulatur herabzieht, nachdem er einen Zweig nach hinten (wohl zur Brustflosse?) abgegeben hat. Im Wesent- lichen ähnliche Verhältnisse werden von VETTER auch für Chimaera ange- geben (Nr. 51, pag. 452). Verschieden von VETTER lauten die Angaben Oxopr!'s (Nr. 33), die uns auch nach anderer Richtung interessiren. Bei Hexanchus und Heptanchus bilden drei vordere Wurzeln und die vier oberen Spinalnerven, bei Lamna cornubica eine vordere Wurzel und die acht oberen Spinalnerven, bei Scylli- um catulus ein Zweig des R. intestinalis n. vagi und die fünf oberen Spinal- nerven, bei Sc. canicula ein Zweig des R. intest. n. vagi und die drei oberen Spinalnerven, bei Acanthias wieder jener Vaguszweig mit den fünf oberen Spinalnerven, und bei Carcharias glaucus die elf oberen Spinalnerven »den zur Innervirung der ventralen Längsmuskulatur bestimmten Nervenstamm«. Diesen an frischem Material angestellten Untersuchungen werden wir den Vorrang ein- räumen. Sie geben uns jedoch nur einen Theil der Thatsachen, indem sie nicht das gesammte Vertheilungsgebiet jenes Nervenstammes berücksichtigen, wie es von JACKSON und CLARKE geschah. Die Übereinstimmung der Ver- bindung der »unteren Vaguswurzeln« mit Spinalnerven lässt jedoch vermuthen, dass das Endgebiet des Sammelstranges auch in den von Oxopı beschriebenen Fällen von dem von Echinorhinus nicht wesentlich abweiche. Aus den vorliegenden Erfahrungen über die sogenannten unteren Vaguswurzeln der Selachier geht hervor: i) Dass sie in sehr verschiedener Anzahl vorkommen und wahr- scheinlich auch individuelle Schwankungen besitzen. 64 ß C. Gegenbaur 2) Dass sie sich in allen Fällen mit Spinalnerven verbinden, wiederum variabel, von einem bis zu elf. 3) Dass ein aus dieser Vereinigung entstehender Nerv sich theils zur Muskulatur der Brustflosse, theils zur ventralen Längsmuskulatur vertheilt. Bevor ich auf die Frage eingehe, ob und welche Bedeutung jene Nerven für das hier zu behandelnde Thema besitzen, wird die Gewinnung eines Urtheils über »die unteren Vaguswurzeln« zu ver- suchen sein. Die Bestrebungen, für die einzelnen metameren Hirn- nerven auch untere Wurzeln nachzuweisen, ergaben zwar manche Resultate, diese konnten aber, wie wir oben sahen, doch nicht be- friedigen, da der Besitz unterer Wurzeln nicht als etwas Unerläss- liches erscheint. Dem Glossopharyngeus konnte kein Nerv als untere Wurzel zugewiesen werden. Da es erwiesen scheint, dass die meta- meren Kopfnerven der Selachier, obwohl als hintere Wurzeln ent- stehend, doch sensible wie motorische Bahnen führen, besteht auch von dieser Seite kein zwingender Grund, eine Übereinstimmung mit Spinalnerven vorauszusetzen und von daher für sie auch untere Wurzeln zu postuliren. Es ist also daher nur die Lagebeziehung zum Vagus, welche die fraglichen Nerven als untere Wurzeln des- selben ansehen lässt. Das war früher auch für mich bestimmend. Aber auch diese Lage ist nicht ganz zutreffend, da sie da, wo mehrfache jener unteren Wurzeln vorkommen, mit den letzten doch hinter dem Vagus sich trifft. Schwerlich wird man nach den gegen- wärtigen Erfahrungen die Lage allein als bestimmenden Faktor gelten lassen können. Wir gehen nun an die Frage, was sind jene unteren Wurzeln? Da dürfte zuerst zu besprechen sein, ob sie homodyname Bildungen vorstellen, denn es ist auch möglich, dass sehr verschiedenartige Theile in einer gewissen Gleichartigkeit des allgemeinen Verhaltens erscheinen. Aus den Nerven selbst ist jenes Urtheil nicht zu schöpfen, wohl aber aus deren Beziehungen. Diese bieten das Über- einstimmende, dass sie zu Muskel-Derivaten der hinteren Kopfsomite gehen, so dass darauf die Homodynamie der Nerven sich stützen kann. Wenn nun jene Kopfsomite im Vagusgebiete liegen, so könnte man die Nerven doch als zum Vagus gehörig betrachten, eben so wie man den Abducens zum Facialis, den Trochlearis zum Trige- minus gehörig ansieht. So urtheilte auch van WIJHE. Wir haben aber von jenen Kopfsomiten bereits angegeben, dass sie wahrschein- lich phylogenetisch dem Kopfe fremd seien (pag. 8). Das wurde Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 65 auch durch das spätere Verhalten derselben erhärtet. Von Wichtig- keit ist in dieser Hinsicht, dass diese Nerven, so weit sie noch im Gebiete des Vagus verlaufen, stets unter demselben, und bei ihrem ferneren Wege mit ihrem Sammelstamm um den Vagus resp. dessen Äste herumtreten, um zu dem ventral gelagerten Theile ihres End- gebietes zu gelangen. Aus diesem Verlaufe ergiebt sich unzweifel- haft, dass sie ursprünglich /cnter dem Vagus folgten, und somit nicht als dem Vagus selbst zugehörig gelten können. Die Vertheilung dieser Nerven oder von Portionen derselben findet auch nicht an die eigentliche (aus den Seitenplatten entstandene) Kiemenmuskulatur statt, sondern an solche, die durch ihre Anord- nung als ursprünglich Ainter den Kiemen befindliche Muskulatur sich beurkundet. Wenn man sich das Gebiet des Kopfes mit der letzten Kieme vom Rumpfe abgrenzt, so wird jene von hinten her nach vorn sich verbreitende Muskulatur sammt ihren Nerven nicht dem Kopfe zugehören, sondern dem Rumpfe entstammt sein. Auf alle diese Thatsachen kann sich also die Vorstellung gründen, dass jene »unteren Vaguswurzeln« erst sekundär in den Bereich des Kopfes ge- langt sind. Daraus erwächst die Frage nach ihrer metameren Bedeutung für den Kopf und zugleich auch für das Cranium. Ein vorschnelles Urtheil möchte folgern: wenn jene Nerven metamere Gebilde sind und dem Kopfe sich anschließen, so erhält letzterer um so viel Zu- wachs, als die Zahl jener Metameren beträgt, und auch dem Cranium müssen diese Metameren zufallen, da die Nerven durch das Cranium austreten. Es folgen also hinter den durch den Vagus repräsentirten Metameren noch eben so viele, als »untere Vaguswurzeln« vorkommen. Diese Folgerung halte ich in dieser Fassung nicht für richtig. Sie setzt die Metamerie als etwas Starres, Unveränderliches voraus, während wir gerade für die in Rede stehende Region das Gegentheil erfahren. Die Nerven haben sich wohl dem Kopfe angeschlossen, aber ihr Endterritorium ist nicht ein jenem der Kopfmetameren gleichwerthiges oder ein diesem nur ähnliches. Eine Metamerie ist nicht mehr vorhanden, sie ist aufgelöst. Will man jenes Gebiet dem Kopfe zurechnen, so hat man doch die nicht geringe Verschiedenheit zu übersehen, welche bei der Vergleichung mit der primitiven Kopf- metamerie obwaltet. Aus diesen Erwägungen wird man jenen Zu- wachs von Metameren als eine Einschmelzung von solchen beur- theilen, als einen Vorgang, der wohl Metameren auflöst und das Material derselben dem ursprünglichen Meta- Morpholog. Jahrbuch. 13. 5) 66 C. Gegenbaur merenkomplex zuführt, ohne dass dieses Material neue Metameren vorstellte. Dieser Process ist also sehr komplicirt, er wird aber kaum anders aufgefasst werden können, als er eben dargestellt wurde, und verlangt in seiner Eigenthiimlichkeit eine scharfe Trennung von dem primären Aufbau des Kopfes. Bei den übrigen Fischen bestehen ähnliche Verhältnisse in dem be- sprochenen Nervengebiete. Wir wollen sie nur in der Kürze betrachten. Bei Accipenser vereinigen sich nach STANNIUS (Nr. 46, pag. 122) zwei vordere Wurzeln zum ersten Spinalnerven, welcher sich dem Ramus ventralis des zweiten anlegt und mit ihm Fasern austauscht. Jene beiden vorderen Wurzeln entspringen »unter dem Vagus« und »besitzen einen außerordentlich langen Verlauf innerhalb der Schädelhöhle, legen auch eine ziemlich weite Strecke im Knorpelkanale des Anfangs der Wirbelsäule zurück, um dann einen Stamm zu bilden« (pag. 121). Das Endgebiet dieses Nerven ist wieder ähnlich wie bei den Selachiern. Sehr variable Verhältnisse bieten die Teleostier bezüglich des als Hypo- glossus gedeuteten Nerven. Er bildet sich nach STANNIUS bei den Physostomen (Cyprinoiden, Anguilla, Silurus) aus einer oberen (dorsalen) und unteren (ven- tralen) Wurzel noch innerhalb der Schädelhöhle, die er durch eine Öffnung im Occipitale laterale verlässt. Bei Barbus empfängt er noch einen Ramus recurrens vom Trigeminus (BUCHNER Nr. 10, pag. 18). Er verläuft nach Abgabe von Zweigen an das Integument des Extremitätengürtels zu der mehrfach beregten ventralen Muskulatur. Bei Cottus wird diese vom zweiten Spinalnerven ver- sorgt. Bei anderen (Lota, Trigla, Lophius ete.) setzt sich der erste Spinalnery aus zwei vorderen und zwei hinteren Wurzeln zusammen, und entsendet auch zwei ventrale Äste. Ein Verbindungszweig des ersten Spinalnerven, resp. dessen R. ventralis, mit dem Plexus brachialis scheint regelmäßig zu bestehen. Gadus endlich zeigt jene ersten Spinalnerven bald durch das Cranium, bald außerhalb desselben abgehend. Bei der Vergleichung der bis jetzt aufgeführten Thatsachen treten vor Allem zwei Punkte hervor. Das ist erstlich die nicht geringe Verschiedenartigkeit des Ursprungs resp. Abganges der bezüglichen Nerven vom centralen Nervensysteme, sowie deren Zusammen- setzung, zweitens die terminalen Verhältnisse. Letztere werden bei der Bestimmung, was Hypoglossus sei, Ausschlag geben. Bei Petro- myzon sind es zwei oder drei untere Wurzeln, welche hinter dem Vagus folgen. Sind diese den unteren Vaguswurzeln der Selachier homolog? Die Antwort darauf ist nach meinem Dafürhalten schwerer, als man bisher geglaubt hat, denn wohl ist bei Petromyzon der be- treffende Nerv zur Zungenmuskulatur verfolgt worden, nicht aber bei den Selachiern, bei denen ein Theil dieser Nerven mit dem ersten und „weiten Spinalnerven verbunden ist (Echinorhinus). Die von JACKSON und CLARKE dargestellte Verbindung mit Spinalnerven ist durch OxonDI bestätigt. Wir können also weder jenen »unteren Vaguswurzeln«, - Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 67 noch den damit verbundenen Spinalnerven, und noch weniger beiden zusammen die Hypoglossusbedeutung zusprechen. Es kann vielmehr nur gesagt werden, dass der Hypoglossus erst aus jenen Nerven sich sondert. Das läuft auf die Ansicht von Srannivus hinaus (s. oben pag. 63). Wir können diese heute noch bestimmter präcisiren, indem wir das Endgebiet näher betrachten. Dieses ist nicht die Zungenmuskulatur, wie bei den amnioten Wirbelthieren, sondern eine in jener Hinsicht indifferente Muskulatur, aus der bei den Amnioten zwar die Musku- latur der Zunge, aber auch viele andere Muskeln hervorgegangen sind, die nicht vom Hypoglossus innervirt werden. Auch die Muskeln der Brustflosse werden noch von jenen Nerven versorgt. Einen Nerven aber, der ein solches Endgebiet besitzt, kann man nicht einfach dem Hypoglossus vergleichen, und auf keinen Fall besteht mit ihm eine komplete Homologie. Wir sind bis jetzt noch außer Stande, die Bedingungen einzu- sehen, unter denen jene indifferenten Einzelbefunde entstanden sind. Die specielle Vergleichung entbehrt daher einer Grundlage. Nur im Allgemeinen wird der bei den Fischen bestehende Zustand jener Bahnen als ein niederer, weil indifferenter, zu gelten haben, aus welchem sich der höhere gesondert hat. Diese Sonderung würde dann an die Entfernung der Vordergliedmaßen aus der Kopfregion geknüpft sich darstellen, wie sie bei Amphibien beginnt, bei Rep- tilien weiter vorgeschritten vorkommt. Die Muskulatur der Vorder- gliedmaßen löst sich damit aus jenem Nervenkomplexe und gelangt in andere Gebiete des Spinalnervensystems!. Aus dem vordersten Ab- schnitt jener noch immer Verbindungen (Anastomosen) mit benachbarten Nerven beibehaltenden, also einen Plexus vorstellenden Nerven- bahnen sondert sich der echte Hypoglossus, in welchen mehrere jener zum Gehirn übergetretenen Spinalnervenwurzeln übergehen. Die Amphibien, deren erster resp. zweiter Spinalnerv das noch bei Fischen vorhandene gemeinschaftliche Gebiet versorgt, besitzen jener Auffassung gemäß noch keinen selbständigen Hypoglossus. Sie bieten dem Verständnisse auch dadurch eine große Schwierigkeit, dass der die Hypoglossusbahnen enthaltende Nerv keine vom Gehirn kommenden und aus dem Cranium tretenden Wurzeln empfängt, also wie bei manchen Teleostiern ein echter Spinalnerv ist. Mag man ! Man vergleiche über ähnliche Vorgänge die lichtvolle Arbeit M. Fir- BRINGER’S zur Lehre von der Umbildung der Nervenplexus. Morphol. Jahrb. Bü. V, pag. 324. -* 0 65 C. Gegenbaur das als einen niederen, primären, oder als einen höheren, abge- leiteten Zustand betrachten — das Eine ist fiir jetzt so wenig er- weisbar als das Andere — man wird daraus Grund nehmen können, sich vor einer schablonenhaften Auffassung dieser so überaus kom- plieirten Verhältnisse zu bewahren. Die Vergleichung der Zustände der Anamnia mit jenen der Amnioten giebt noch mehr Grund zur Vorsicht. Wenn bei diesen der zweifellose Hypoglossus einige jener unteren Wurzeln von Spinal- nerven vorstellt, so entsteht die Frage, sind das dieselben Nerven, die bei den Selachiern wie »untere Vaguswurzeln« sich darstellen, oder sind es neue, aus Spinalnerven hervorgegangene Elemente, die erst bei den Amnioten dem Kopfe sich angeschlossen haben? Im ersten Falle erhebt sich darin eine Schwierigkeit, -dass an den Hypoglossuswurzeln bei Amnioten auch hintere Wurzeln beobachtet sind. Eine ältere Beobachtung von MAYER (Nr. 27), welche von A. FRoRIEP (Nr. 14) erweitert wurde, weist bei Säugethieren solche mit einem Ganglion versehene Hypoglossuswurzeln nach. Wenn hier sich noch hintere (obere) Wurzeln erhalten haben, die bei Selachiern jenen fraglichen Nerven nicht zukommen, so scheint bei den Säugethieren ein älterer, bei den Selachiern ein jüngerer, weil von jenem ableitbarer Zustand vorzukommen, und das widerspricht allen Beziehungen jener Thiere. Desshalb könnte man dazu kommen, den Hypoglossus der Amnioten gar nicht jenen unteren Vaguswurzeln der Selachier für homolog zu halten, sondern etwas Neues darin zu sehen. Das bedürfte freilich erst wieder der besonderen Begründung, die jetzt noch nicht gegeben werden kann. Ich führe diese Dinge an, um ihre große Schwierigkeiten darzustellen und die Unmöglich- keit, gegenwärtig zu einer sicheren Vorstellung über die Vorgänge in der Oceipitalregion des Kopfes der Wirbelthiere zu gelangen. Wenn ich nun in der Auffassung des Hypoglossus als eines aus Spinalnerven entstandenen Nerven mich im Allgemeinen A. FRORIEP anschließe und das Verdienstvolle von dessen Untersuchungen aner- kenne. so vermag ich desshalb noch nicht dessen Folgerungen für richtig zu halten. Es ist das schon im Vorhergehenden angedeutet, wird aber weiter unten noch ausführlicher begründet. 5. Kopfskelet. Von den hier in Betracht kommenden Theilen behandle ich die Chorda, das eigentliche Craniwm und endlich das Visceralskelet, bei Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 69 allen nur die Punkte hervorhebend, welche fiir die Metamerie von Beachtung sind. a. Chorda dorsalis. Der craniale Antheil dieses ersten und iiltesten Stiitzorganes des Wirbelthierkörpers ist bis jetzt in allen niederen Abtheilungen ohne Betheiligung an einer Metamerie des Craniums getroffen worden. Dagegen finden sich bei den Säugethieren Chordaverbreiterungen in der Schädelbasis vor. Solche sind von KÖLLIKER (Nr. 24, pag. 459) beschrieben worden. Außer im Lig. dentis kommt sehr beständig eine Chordaverbreiterung in der Synchondrosis spheno-occipitalis vor, am beständigsten eine im Occipitale basilare; zuweilen zeigt der Occipitalknorpel auch noch mehr solche Anschwellungen, bis zu vier. Aus der Zahl dieser Anschwellungen glaubte KÖLLIKER auf die Zahl der Wirbel schließen zu dürfen. Da die Chordaverbreiterungen der Säugethiere intervertebrale Gebilde sind, so würde eine je zwischen zwei solchen Verbreiterungen befindliche Strecke einem Wirbel, resp. dessen Körper entsprechen. Ich kann diese Auffassung nicht theilen, da nirgends die Schädelbasis einmal aus diskreten Wirbeln besteht, jene an der Chorda bemerkbare Metamerie kann daher nicht so leicht auf Wirbel bezogen werden. Wenn eine solehe Bildung be- stände, so würde sie gewiss bei den älteren Craniumzuständen, wie bei Fischen oder Amphibien sich am ehesten bemerkbar machen. In so fern aber in den hintersten Theil des Occipitale basilare mit der Hypoglossus-Wanderung auch knorpelige Wirbelbestandtheile übergegangen sind, könnte die hinterste Anschwellung vielleicht da- von sich herleiten, obwohl das Fehlen solcher Befunde in den niederen Abtheilungen dagegen spricht. Die Chordaerweiterungen selbst können übrigens auch ohne jene Bezugnahme erklärt werden, nämlich aus Wachsthumsvorgiingen im umgebenden Knorpel. Wo dieses Wachs- thum intensiver stattfindet, wird die Chorda mit in die Länge ge- zogen und eingeschnürt, während sie in den vegetativen Indifferenz- punkten, vielleicht zugleich durch Wachsthum zunehmend, Ver- breiterungen vorstellen muss. Solche Wachsthumsdifferenzen könnten dann freilich wieder von supponirten Wirbeln abgeleitet werden, aber dem gegenüber möchte wieder zu betonen sein, dass wir keinen solchen Zustand kennen, dass also das die Vergleichung erst er- möglichentle Objekt uns fehlt!. ! Auch die von KÖLLIKER entdeckte intervertebrale Bandstruktur in der 70 C. Gegenbaur Beziiglich der Grenzstelle der Chorda im Cranium finden sich die Angaben selbst fiir die verschiedensten Abtheilungen in wesentlicher Ubereinstimmung. Es ist die Sattellehne oder die ihr entsprechende Ortlichkeit. Man muss es daher als erwiesen betrachten, dass am Cranium zwei Abschnitte unterschieden werden können, davon der eine im Bereiche der Chorda, der andere vor diesem liegt. Da ich den ersteren im Gegensatze zum letzteren nach Analogie der Wirbel- säule phylogenetisch aus einer Summe von Metameren entstanden erkannt hatte, bezeichnete ich ihn als vertebralen, den anderen als prävertebralen Abschnitt (Nr. 19, pag. 295). Man kann diese beiden, mit ausschließlicher Bezugnahme auf die Chorda, auch als chordalen und prächordalen Abschnitt unterscheiden, wie es von KÖLLIKER ge- schah. Gegenüber allen Beobachtungen über das verdere Chorda- ende ward von ALBRECHT (Nr. 3, pag. 31) die Behauptung aufge- stellt, dass die Chorda auch den spheno-ethmoidalen Theil des Schädels durchziehe. Er kommt dabei zu folgendem Schlusse: Diese »einfache« »Thatsache stürtzt also die ganze GEGENBAURr’sche Lehre vom prä-« »vertebralen resp. prächordalen Schädel der Wirbelthiere« (Nr. 4, pag. 726). Nach der Abweisung, welche diese Behauptung von KÖLLIKER (Nr. 25, pag. 11) erfahren, und nach der Aufklärung, welche NEUNER über das von ALBRECHT für die Chorda ausgegebene Objekt geliefert hat, bin ich des Eingehens auf diesen Gegenstand enthoben. b. Cranium. Die Ontogenese des Craniums hatte nur wenige auf die Metamerie beziigliche Fragen aufgeworfen!. Von diesen ist die wichtigste jene, welche das Verhalten der Occipitalregion betrifft. Intersphenoidal-Verbindung, sicher ein höchst eigenthümlicher Befund, kann wohl schwerlich auf eine hier einmal bestandene Wirbelverbindung bezogen werden. Wir kennen eben keine solche an diesem Ort! — Mit Bezug auf die oben angezogenen Wachsthumsdifferenzen möchte ich bemerken, dass solche auch im Knorpeleranium sicher bestehen. Eine ganz gleichmäßige Zunahme der Theile derselben kann wohl Niemand annehmen. 1 Die ontogenetischen Erfahrungen über die ersten Zustände des Knorpel- craniums, wie sie von PARKER über Selachier, von eben demselben und beson- ders durch STÖHR auch’ von Salmo dargestellt wurden, bieten gerade an den kritischen Stellen, als welche die Parachordalknorpel anzusehen sind, keine Anhaltspunkte. Diese sind ungegliedert, d. h. nicht in Metameren zerlegt, wenn auch, wie STÖHR angiebt (50, pag. 90), an der Schädelbasis »mehrere, theils isolirt entstandene, theils durch Dickenunterschiede ausgezeichnete Ab- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 71 Die Anlage dieses hintersten Abschnittes des Craniums hatte bereits Voer bei Alytes (Nr. 54, pag. 100) als Wirbel gedeutet. In neuerer Zeit fand StÖHr (Nr. 48) bei urodelen Amphibien (Triton) Ähnliches und indem er solches auch für Rana erkannte, folgert er, dass dieses ein Wirbel sei, welcher sich dem Cranium anschließe. » Dieser gehört in einer gewissen Epoche der Entwicklungsgeschichte « »gar nicht dem Schädel, sondern der Wirbelsäule an.« Weiterhin heißt es: »der Schädel ist in stetem caudälen Vorrücken be-« »griffen« (Nr. 49, pag. 99). Ich kann mit dieser Betrachtungsweise nicht übereinstimmen. Was den »Occipitalwirbel« betrifft, so ist dieser, wie immer auch wirbelähnlich, doch nichts Anderes als der erste Zustand der Oceipitalregion des Craniums selbst. Wegen des Defektes an den Parachordalia erscheint jene isolirt, wenigstens eine Zeit lang, und hat dann größere Wirbelähnlichkeit, als beim Bestehen von Parachordalien sich ergäbe. Es est also ein Reduktionszustand im Knorpeleranium der Amphibien, der die Occipitalregion wirbel- ähnlich gestaltet, und der auch an anderen Stellen, wie am Schädel- dache, sich ausdrückt. Dass ein soleher Zustand vorliegt, ergiebt die Vergleichung mit Selachiern, wo kein solches Wirbelgebilde er- schnitte unterschieden werden können. STÖHR selbst scheint in diesen paarigen Bildungen keine Wirbeläquivalente zu sehen, spricht sich wenigstens nicht in dieser Richtung aus. Die prächordalen Knorpeltheile sind für unsere Frage untergeordnet, aus wie vielen einzelnen Knorpeln sie sich auch zusammen- setzen mögen. Das möchte ich eben so auf die Amphibien anwenden. Denn es ist doch wohl unbestritten, dass der chordale Schädelabschnitt einen älteren Theil des Kopfes vorstellt, als der priichordale. Wenn es daher bei Amphi- bien in letzterer Region früher zur Knorpeldifferenzirung kommt, so ist darin nur ein cänogenetischer Vorgang zu erkennen. Bezüglich der ersten An- lage des Knorpeleraniums sei mir noch eine Bemerkung gestattet. Für den Gang der Knorpelentwicklung und die Örtlichkeiten, an denen diese erscheint, ist die Umgebung von größter Wichtigkeit. Die Stellen, an denen Knorpel sich bildet, sind, im Großen und Ganzen betrachtet, Lücken zwischen anderen Organen. Das ist am klarsten bei Selachiern erkennbar, wie ich hier nur an- deuten kann. Dass die basalen Bildungen darin voranstehen, ist selbstver- ständlich. Hier beginnt das Cranium seine Anlage. Der Knorpel erscheint als ein Lücken erfüllendes Gewebe. Desshalb wird der Knorpel da früher auf- treten, wo solche Lücken beträchtlicher sind. Auch das Auftreten von Knorpel an verschiedenen Punkten findet darin seine Erklärung. Indem somit Anpas- sungsmomente sich erkennen lassen, hat man noch die Causalmomente zu suchen, welche außerhalb des Knorpeleraniums liegen. Zur Aufklärung der Verschie- denheiten, welche die Anlage des Knorpeleraniums der Amphibien und von Salmo bietet, hat STÖHR bereits einen Versuch in jener Hinsicht gemacht. Es bedürfte aber zur völligen Erreichnng des Zieles eines tieferen Eingehens in jene äußeren Bedingungen. v2 C. Gegenbaur scheint. Diesen aus einer defekten Ausbildung des Prämordial- craniums entsprungenen Befund hat Sréur für einen primitiven gehalten, und daraus auf den Schädel der Wirbelthiere Schlüsse gezogen, die nicht richtig sind, weil die Prämissen irrige waren. Auch noch von anderer Seite ergeben sich gegen die Annahme StönHr’s große Bedenken. Wenn der fragliche Skelettheil ein bei den Amphibien sich dem Cranium angliedernder Wirbel wäre, so würde doch, nachdem durch den fraglichen Wirbel der Vagus nicht austritt — es wird wenigstens nichts Derartiges erwähnt —, dieser Nerv vor jenem Wirbel austreten müssen, zwischen dem letz- teren und dem eigentlichen Cranium im Sinne Sröurs. Dann würde das Primordialeranium der Amphibien weit unter jenem der Selachier stehen. Man käme so zu der Vorstellung, dass in jener Hinsicht die niederste Schädelbildung vorläge, während doch alles Andere eine gegentheilige Meinung erzeugt. Die objektive Ver- gleichung lehrt uns gerade an der eigentlichen Schädelkapsel der Amphibien Reduktionen kennen, und zu diesen gehört auch jene, welche oben besprochen ward. Während wir bei den Amphibien eine ontogenetische Angliede- rung von Wirbeln an das Cranium als nicht nachgewiesen beurthei- len, begegnen wir einer Konkrescenz von Wirbeln mit dem Cranium bei Fischen in großer Verbreitung. Uber diese aus sehr verschieden- artigen Quellen stammenden und auch unter sich sehr differenten Befunde habe ich mich an einem anderen Orte ausführlicher geäußert und habe hier nur hervorzuheben, dass sie sämmtlich dem ersten Aufbau des Craniums gänzlich fremde Zustände sind. Sie setzen alle das bereits gebildete Cranium voraus, an dessem ersten Aufbau, wie ihn STÖHrR (Nr. 50) vom Lachse darstellt, einzelne Wirbel nicht nachgewiesen sind. STÖHR kommt in dieser Arbeit auch nicht mehr auf seine für den Amphibienschädel geäußerte Meinung bezüglich des »Oceipitalwirbels« zurück, während man doch annehmen sollte, dass dieser Schädeltheil, wenn er bei den Amphibien einen Wirbel vorstellt, auch bei Fischen ein solcher sein müsste. Bis in die Vagusregion des Schädels ist also kein Wirbelauf- - bau nachweisbar. Was fernerhin sich noch anschließt, ist onto- genetisch noch festzustellen. Nach den von ROSENBERG im Nach- trage zu seiner ersten größeren Arbeit (Nr. 39) gemachten Angaben (Nr. 40) scheint allerdings bei Haien noch ein Zuwachs zum Cra- nium sich darzustellen, doch dürften darüber noch genauere Mitthei- lungen abzuwarten sein. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 73 Fiir die amnioten Wirbelthiere ist kein Ubergang von differen- zirten Wirbeln in das Cranium beobachtet, vielmehr erfolgt die Knor- pelanlage desselben in kontinuirlicher Art. Aber in friiheren Zu- ständen, vor der Knorpelsonderung, scheinen Wirbelanlagen der Anlage des Craniums hinzuzukommen. A. FRORIEP hat das Ver- dienst, diese Frage angeregt zu haben; er giebt beim Hühnchen (Nr. 15, pag. 184 und 226) zwischen Vagus und erstem Cervicalnerven vier Muskelplatten an, »welche von hinten nach vorn an Größe abnehmen. Es wären also hier vier Urwirbel angelegt, welche in den Aufbau des Kopfes eingehen«. Da nach Frortepr’s Angaben nur den beiden hinteren Urwirbeln Nerven entsprechen, wird man die Frage aufwerfen müssen, ob jene beiden vorderen » Urwirbel« überhaupt dem Rumpfe oder nicht vielmehr schon dem Kopfe angehörten, also einer Region, in welcher keine Metamerie später mehr zum Ausdrucke gelangt. Diese beiden Muskelplatten sind in späteren Stadien verschwunden. Was die beiden anderen Urwirbel betrifft, so sieht FRORIEP die ihnen zugehörigen Nerven für die beiden Wurzeln des Hypoglossus an. Mit den beiden ersten Spinalnerven haben sie das gemeinsam, dass sie keine hinteren Wurzeln aufnehmen und somit auch der Gan- glien entbehren. Wenn diese Angaben richtig sind, so folgt daraus betreffs der dem Hypoglossus zugehörigen beiden Muskelplatten etwas - höchst Eigenthümliches. Diese Muskelplatten »zeigen sogar eine progressive Entwicklung, eine Ausbreitung in dorsaler Riehtung, die zur Entstehung eines supraoceipitalen Theiles und zugehöriger Nacken- muskulatur hinzuführen scheint« (pag. 193). Jedenfalls wird hier die Entstehung von Muskeln aus diesen Muskelplatten der beiden Hypo- glossus-Metamere statuirt und die beiden Hypoglossus-Wurzeln haben gar keine Beziehung zu jenen Muskeln. Die Nerven gelangen in den Oceipitaltheil des Craniums. Die Muskeln derselben Metameren bleiben außen zurück. Da es auf dem Schädeldache der Vögel keine Muskeln giebt, können, wie auch FRORIEP annimmt, nur Nacken- muskeln in Frage kommen. Diese werden aber von Cervicalnerven innervirt! Es bestünde hier der merkwürdige Fall, dass zwei Myo- meren nicht von dem Nerven des betreffenden Metamers versorgt, sondern dem dahinter befindlichen Nervengebiete zugetheilt würden. Die Muskelplatten müssten auch ihre Lage verändern, worüber Fro- RIEP keine Angabe macht. Diese Verhältnisse sind sehr der wei- teren Aufklärung bedürftig; bis dahin wird man das Urtheil über die Tragweite der Frorimp’schen Angaben zurückhalten müssen. Es fehlt vor Allem die Sicherstellung der beiden »präcervicalen « Nerven 74 C. Gegenbaur o Froriep’s ‚als Hypoglossus und dann der Nachweis über das Schick- sal der beziiglichen Muskelplatten. Für die Säugethiere wurde gleichfalls von FRORIEP ein An- schluss von Wirbeln ans Cranium auf Grund von Untersuchungen dargestellt, die uns erst eine vorläufige Mittheilung (Nr. 14, pag. 294 Anm.), dann eine genauere Ausführung (Nr. 17) kennen lehrte. Aus dem Verhalten des Hypoglossus folgert FRORIEP, dass am Cranium ein »spinaler Abschnitt« bestehe, dessen vordere Grenze gegen den übrigen Schädel. den er »cerebralen oder pseudovertebralen Abschnitt« nennt, durch die Austrittsöffnung des Vago- Accessorius bestimmt sei (Nr. 14, pag. 300). So gewiss man zugeben muss, dass, den Untersuchungen FRo- RIEP'S zufolge, Spinalnerven, den Hypoglossus bildend, dem Cranium sich angeschlossen haben, resp. von ihm umschlossen werden, so wenig richtig ist jene Definition eines » vertebralen Schädelabschnittes«. Froriep hat dabei nicht bedacht, dass bei seiner vorderen Grenz- bestimmung der Vago-Accessorius durch das Hinterhauptsloch aus- treten müsste, in allen jenen Fällen, bei denen jener Anschluss des Hypoglossus nicht erfolgt. Nun besteht aber in solehen Cranien, von denen ich nur das der Amphibien anführen will, noch eine ziem- liche Strecke des Occipitale laterale zwischen Vagus-Austritt und Hinterhauptsloch, die auch nach FRorIEP nicht als vertebraler Ab- schnitt gelten kann. Also »bezeichnet die Austrittsöffnung des Vago-Accessorius« nicht die vordere Grenze eines »vertebralen Ab- schnittes«. Will man, auf den Hypoglossus gestützt, am Cranium den An- theil bezeichnen, der durch die Aufnahme jenes Nerven einen Zu- wachs des Craniums repräsentirt, so kann es nur der Ainter den Austrittsstellen des Hypoglossus gelegene Theil des Occipitale sein. Dieser »vertebrale Abschnitt« dürfte nirgends sehr imponirend ausfal- len! Ob es desshalb, weil eine solche Strecke unterschieden werden kann, zweckmäßig ist, am ganzen übrigen Schädel, wie FRORIEP vorschlägt, nicht wieder gewisse Abschnitte zu unterscheiden, son- dern einfach ihn als cerebralen jenem gegenüber zu stellen, lasse ich hier außer Diskussion. Die auch von FrorıEp nicht in Abrede gestellte Thatsache, dass die vorderste Schädelregion nicht mehr von der Chorda dorsalis durchsetzt wird, dass sie ferner ein späteres Gebilde ist, als die hintere, sowie das Bedürfnis einer Verwerthung solcher Verhältnisse zur Unterscheidung von ferneren Abschnitten begründet jene Unterscheidung zur Genüge. Der Nachweis, dass Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 75 dem Cranium noch etwas sich anfiigt, hat das differente Verhalten jener beiden Abschnitte des immer priivalirenden iibrigen Craniums nicht, wie FRORIEP zu glauben scheint, gegenstandslos gemacht. In dem zweiten Artikel (Nr. 17) wird bei Rindsembryonen der Anschluss von vier Metameren an den Kopf dargestellt. Sie gehören dem Hypoglossusgebiet an. Nur das letzte entwickelt sich zu einem selbständigen Wirbel, den Froriep Occipitalwirbel heißt, die ande- ren werden »eingeschmolzen«. »Die Anlage des Occipitalwirbels stimmt in allem Wesentlichen mit der Halswirbelanlage vollkommen überein« (pag. 153). »Der caudalwärts sich anschließende Abschnitt dagegen zeigt sich schon im primitiven Zustande zu einem einheit- lichen Skeletabschnitt verschmolzen«. Betrachten wir diese, einen selbständigen »Occipitalwirbel« aufstellenden Angaben etwas näher. So lange die Wirbelanlagen nur durch Mesodermgewebe dargestellt sind, wird die Anlage des Occipitalwirbels nur durch eine ganz schmale und etwas hellere Gewebszone von dem vor ihm befind- lichen einheitlichen Skeletabschnitt abgegrenzt (l. c. Fig. Il 1). Wenn man zu den Befunden der Wirbelanlagen auch die Abstände der An- lagen von einander in Betracht nimmt, so liegt hier etwas Besonde- res, von den Anlagen der Halswirbel Verschiedenes vor. Es ist doch nichts so Unwesentliches, ob ein als Wirbelanlage gedeuteter Theil sich ganz dicht an einem anderen, nicht mehr einzelne Wirbel vorstellenden vorfindet, oder ob er in der gleichen Entfernung, wie die anderen Wirbel von einander angelegt sind, sich trifft. Wenn nun aber wirk- lich in der Gestaltung und Beziehung jener Mesodermal - Anlage etwas Selbständiges sich ausspricht, so ist dieses Gebilde doch nur als bereits der Craniumanlage angeschlossen anzusehen, nicht als ein Wirbel, der noch nicht zum Cranium gehört. Das geht aus der Entstehung der Knorpelanlage hervor. Diese bildet sich nicht selb- ständig für den Occipitalwirbel aus, und selbständig fiir den vor ihm liegenden Abschnitt, sondern geht auf diesen kontinuirlich über. Der knorpelige Occipitalwirbel hat also keine präeise vordere Abgrenzung, sondern fließt geweblich mit dem perichordalen Basalknorpel zusam- men. Diese Einheit wird auch durch eine eingeschnürte Stelle nicht aufgehoben, welche den Oceipitalwirbel oberflächlich zu trennen scheint (vgl. 1. e. Fig. VI 1, Fig. VI 1). Wie man immer diese Bildung auch wirbelähnlich finden mag, so wird man doch zugeben müssen, dass sie schon von ihrer Anlage an dem Kopfe angehört, und dass nicht ein bereits knorpelig gesonderter selbständiger Wirbel sich dem Cranium anschließt. Dabei bleibt die Beobachtung Fro- 76 C. Gegenbaur RIEP’s von dem Ubergange von vier Metameren in den Kopf immer noch wichtig genug. Welche Bedeutung kommt nun diesem Ubergang von metameren Körperabschnitten oder Urwirbeln in die Anlage des Kopfes in Bezug auf die Auffassung des Craniums zu? Zur Beantwortung dieser Frage hat man sich vor Allem zu vergegenwärtigen, dass hier ein außerordentlich komplieirter Process zu bestehen scheint. Aus der Schilderung Frorrep’s vom Hühnchen geht hervor, dass nicht ein paar Urwirbel, mit Sack und Pack möchte man sagen, vom Rumpfe her ins Cranium treten. Wenn jene Beobachtungen riehtig sind, so bleiben die Muskelplatten am Rumpfe zurück. Was bei Säuge- thieren aus den gleichfalls vorhandenen, nach vorn zu an Volum abnehmenden Muskelplatten wird, wird nicht angegeben. Dadurch, dass also nicht die ganzen Urwirbel übertreten, wird die Schärfe der Aufstellung eines vertebralen Theiles des Craniums etwas ge- mildert. Man wird dann auch fragen dürfen, ob mit jenen Muskel- platten nicht auch anderes Gewebe noch zurückbleibt, und ob nicht am Ende nur die Nerven, der Hypoglossus, im Cranium Aufnahme finden? Jene drei Nerven entspringen nicht vom Rückenmarke, sondern vom verlängerten Marke, es muss also mit jenem Vorgange auch eine Lageveränderung des Ursprunges der Nerven Hand in Hand gehen, oder eine Strecke des Rückenmarks sich in verlängertes Mark umgebildet und damit dem Gehirn angeschlossen haben. Man sieht, es können durchaus keine so einfachen Vorgänge sein, die man mit den Worten: es schließen sich Urwirbel dem Cranium an, erledigt. Nehmen wir aber auch an, die Sache sei einfacher, als sie uns jetzt scheinen muss, ist dadurch ein Punkt in der Phylogenese des Craniums heller geworden? Das wäre zu bejahen, wenn ein solcher Vorgang auch am übrigen Cranium bestände. Dieses ist aber nicht der Fall. Im Aufbau des Craniums giebt sich »ichts zu erkennen, was einen swccessiven Anschluss von Metameren, die vorher dem tumpfe angehörten, annehmen ließe. Desshalb ist jener sekundäre Vorgang nicht auf die Craniogenese selbst zu beziehen. Darin liegt ein Irrthum FRorIEP’s, dass er die von ihm aufge- deckten Thatsachen für die Phylogenese des Craniums verwerthete und sie meiner Darstellung entgegenhielt, welche das Cranium in seinem primitiveren Zustande auffasste. Ein zweiter Irrthum findet sich in der Meinung, dass das Cranium durch den Anschluss von Meta- meren an den Kopf einen solchen Zuwachs empfinge, dass es eine neue Region ausbilde. Die Vergleichung des Säugethiereraniums mit jenem Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 77 der Amphibien oder Fische zeigt hier den gleichen oceipitalen Abschnitt vorhanden, mag nun entweder kein Spinalnerv dem Kopfe sich an- geschlossen haben, wie bei den Amphibien und manchen Teleostiern, oder mag ein solcher Anschluss bestehen, wie bei vielen Teleostiern und den Ganoiden. Im höchsten Falle handelt es sich hier um eine schmale Knochenspange, die dem Cranium resp. dessen Occipitale laterale aus jenem Processe als Gewinnantheil zufällt. Eine solche Knochenbrücke inter dem Hypoglossusdurchlasse ist das Einzige, was bei den Säugethieren als Zuwachs gelten kann. Da der Kopf der cranioten Wirbelthiere, wie gerade aus den neueren Untersuchungen von BALFOUR, M. MARSHALL und vAN WIJHE hervorgeht, im Verhalten seiner Nerven und auch in anderen Dingen andere Verhältnisse als der Rumpf darbietet, ist die Annahme, dass der Kopf aus dem Rumpfe, das Cranium aus dem Rumpfskelet sich nach und nach gesondert habe, unhaltbar geworden. Diese Vor- stellung hätte nur Grund, wenn wir Zustände kännten, in welchen der Kopf, und damit Hand in Hand auch das Cranium, noch nicht jene Bestandtheile besäßen, die ihnen bei allen Cranioten zukommen. Solche Zustände kennen wir nicht, wohl aber besteht bei den Acra- niern eine ganze Körperregion, welche dem Kopfe der Cranioten entspricht. Die Vergleichung mit Amphioxus lässt den Gedanken an einen successiven Aufbau des Kopfes der Cranioten aus Rumpf- metameren, und des Craniums aus Wirbeln, die einmal Rumpfwirbel gewesen wären, nicht aufkommen, und Alle jene, welche dem suc- cessiven Übergange von Wirbeln ins Cranium das Wort reden, haben Amphioxus nicht mit in Rechnung gebracht. Indem ich das Cranium in seiner primitiven, mit dem Vagus als letzten Hirnnerven abschließenden Form, als nicht durch allmähliche Wirbelaufnahme hervorgegangen betrachten muss, bildet mir der mehr- genannte sekundäre Wirbelanschluss dazu einen Gegensatz. Dieser Process zeigt nur in geringfügigem Maße einen modifieirenden Ein- fluss und schafft so wenig einen den Namen »vertebraler Abschnitt« des Craniums verdienenden Theil, als der auf die Medulla oblongata überwandernde Hypoglossus einen spinalen Abschnitt des Gehirns erzeugt. c. Kiemenbogen. Der Begriff » Kiemenbogen« ist durch die Beziehung zu Kiemen resp. zu den die Kiemen tragenden Spalten bedingt, die durch Bogen von einander getrennt werden. Außer denjenigen, welche thatsäch- 78 C. Gegenbaur lich als solche sich ergeben, ward in neuester Zeit eine Fiille von Kiemenspalten aufgestellt, die wir oben (pag. 9 ff.) schon besprochen haben. Wie sie in Bezug auf Kiemen das Gemeinsame hatten, dass solche für sie unerweisbar sind, so besitzen sie auch den Mangel der Beziehung zu Kiemenbogen als gemeinschaftliche Besonderheit. Diese gestattet mir, die Frage nach den Bogen nicht existirender Kiemenspalten hier übergehen zu dürfen!. Zu realeren Objekten übergehend, theile ich die zu behandelnden Gebilde in solche, welche als Kiemenbogen problematisch sind, und andere, welche in ihrer Auffassung eine Divergenz der Meinungen ergaben. Beide sind für die Metamerie des Kopfes von Belang. Zu den zweifelhaften Kiemenbogen gehören zwar kaum mehr die vorderen Schiidelbalken, welche W. K. PARKER: als »Kiemen- bogen « aufgeführt hatte. Sie galten aber als eine Entdeckung und spielten eine Zeit lang eine Rolle, die nur begreiflich ist, wenn man weiß, wie das Neue von der Prüfung leicht dispensirt wird, sobald es die im Schwange befindlichen Vorstellungskreise zu erweitern oder zu ergänzen den Schein bietet. Von allen Anforderungen an einen Kiemenbogen als Skeletgebilde war für jene Trabekel nichts erfüllt, als dass sie am Kopfe liegen und aus Knorpel bestehen. Dass sie unter Umständen mit der Kopfkrümmung sich gleichfalls gekrümmt zeigten, konnte bei Ausübung einiger Kritik schon von vorn herein nicht als ein den Kiemenbogen vergleichbarer Verlauf gelten, da jene Krümmung einfach der Kopfbeuge entspricht und, wie die Tra- bekeln, axialen Theilen angehört?. Mehr problematische Gebilde sind die Labialknorpel der Selachier. Als solche werden seit CUVIER zwei in der Umgrenzung des Mund- einganges, den Kiefern angelagerte Knorpelstücke bezeichnet, davon das hintere, entsprechend der Gliederung des Kieferbogens, in einen oberen und einen unteren Abschnitt gesondert ist. Während für diese Knorpelstücke die Beziehung eine konstante bleibt, muss es im höchsten Grade befremden, dass W. K. PARKER auch noch anderen ! Dass ich eine, die knorpeligen Kiemenbogen der Wirbelthiere von dem Knorpelgerüste der Kopfkiemen der Anneliden ableitende Publikation in den »Mittheilungen der Zoologischen Station zu Neapel« (Bd. V) hier nicht berück- sichtige, wird mir Nieniand, der jene Deduktionen gelesen hat, übel nehmen. Auch die Beriicksichtigung der Litteratur hat ihre Grenzen! 2 An die Stelle der Bedeutung als Visceralbogen trat die Meinung: »that the trabeculae are a pair of down-bended neural arches« (Nr. 38, pag. 337) was aus dem oben angefiihrten Grunde eben so unrichtig ist. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 79 Knorpeltheilen die Bezeichnung Labialknorpel beilegt Nr. 37).. Das sind die Nasalknorpel der Selachier. Diese haben ursprünglich mit den Lippen gar nichts zu thun und liegen bei den Haien in großer Entfernung vom Munde. Sie sind von mir (Nr. 19, pag. 97 ff.) be- schrieben und beurtheilt worden. Sie stehen mit dem Primordial- cranium resp. der knorpeligen Nasenkapsel an mehreren Stellen in direktem Zusammenhange und sind wohl nur Differenzirungen der letzteren. Wenn sie auch selbständige Bildungen wären, dürfte man sie doch nicht mit den Labialknorpeln zusammenwerfen, selbst nicht auf Grund näherer Beziehungen, die sie bei den Rochen mit der Aus- bildung der Nasolabialrinne sekundär gewinnen. Denn ihr Ausgangs- ort ist eine andere Körperregion, die, wie das ganze Rostrum der Haie, sich als dorsale erweist, während die Lippenknorpel, als dem Visceralskelet zugehörig, ventrale Gebilde vorstellen. Dass durch Konfundirung aller vor der Mundöffnung gelegenen Knorpelstücke in den einen Begriff der »Lippenknorpel« für dessen Klarheit etwas gewonnen wird, dürfte schwer zu behaupten sein. PARKER betrachtet sie alle als Visceralbogen, visceral bars, und vergleicht sie damit den Kiemenbogen, was wir, nachdem oben die totale Verschiedenheit be- tont ward, nicht ausführlich widerlegen wollen. Hat doch er selbst es nicht für nöthig gefunden, seine Behauptung des Näheren zu be- gründen! Durch ihre ursprüngliche Beziehung schließen sich also die Nasenknorpel streng von den Lippenknorpeln ab, und bleiben eine besondere Einrichtung. Wie Jene, welche die Nasengrube als Kie- menspalte sich denken, die » Nasenknorpel« als » Kiemenbogen« sich vorstellen, ist mir durchaus unklar. Ich bin desshalb außer Stande, mehr darüber zu äußern als oben (pag. 9 ff.) und vorhin geschehen ist. Für die Lippenknorpel besteht dagegen ein ganz bestimmtes Recht, sie dem Visceralskelet zuzurechnen. Durch ihren unmittelbaren An- - schluss an das übrige Visceralskelet, sowie durch die an dem zweiten Knorpel bestehende Ähnlichkeit mit dem Kieferbogen, ist eine Ver- gleichung mit Visceralbogen nahe gelegt. Ich hatte daher den zwei- ten oberen und den damit verbundenen unteren Knorpel als »Labial- bogen« bezeichnet. Während ich aber früher (Nr. 18) diese Theile den Kiemenbogen als homolog betrachtete, bin ich später (Nr. 19, pag. 230) zu einer etwas anderen Auffassung gelangt. Ich ließ »die« »Frage offen, ob er wie die anderen, gleichfalls als ursprünglich « »respiratorischer Bogen zu betrachten sei«. Ich denke mir, so steht es auch heute noch, denn es liegen durchaus keine Erfahrungen dar- 80 C. Gegenbaur über vor, dass Kiemen einmal Beziehungen zu diesem Skelettheile besessen hätten. Andererseits ist aber auch nicht leicht zu beweisen, dass hier eine unwesentliche Bildung gegeben sei, da die allgemeine Verbreitung unter den Selachiern doch wohl des tieferen Grundes nicht entbehren wird! Wenn man über die Natur der Labialknorpel Zweifel hegen kann, so ist dieses nach meinem Dafürhalten minder der Fall mit dem dahinter folgenden Visceralskelet. Dass vom Kieferbogen an bis zum: letzten Kiemenbogen Alles zum Visceralskelet gehört, ist wohl außer Frage. Ich habe versucht, die einzelnen Abschnitte die- ses Visceralskeletes durch Vergleichung verständlicher zu machen, und auch jene Theile als Kiemenbogen erklärt, welche diese Funk- tion ganz oder theilweise aufgegeben haben. Gegen meine Deu- tung hat sich von einigen Seiten her Widerspruch erhoben, welcher den ersten und den zweiten jener Bogen — die übrigen sind nicht fraglich — betrifft. Dureh van WisHE (Nr. 58, pag. 110) wurden die ersten auf ana- tomische Thatsachen sich stützen sollenden Einwände vorgebracht. Er geht von dem Ramus mandibularis des Facialis aus, der »deut- lich nicht zum Hyoid gehöre, sondern zu einem davor befindlichen Visceralbogen«. Dass dieser Nerv ein Ramus anterior (praetremati- cus) sei, wenn man den Ramus hyoideus als Ramus posterior (post- trematicus) betrachte, würde erwiesen, wenn »er längs der Vorder-« »seite einer Kiemenspalte verläuft, und dies ist nicht der Fall, weil« »das Spritzloch sich vor ihm befindet«. Daraus leitet van WIJHE zwei Möglichkeiten ab: »entweder ist der Ramus mandibularis doch « »ein Ramus anterior, und die Kiemenspalte, vor welcher er sich be-« »findet, ist abortirt, oder dies ist nicht der Fall und der Nerv ist« »ein sekundärer Auswuchs«. Konstatiren wir, dass vAN WIJHE damit nur eine Frage aufgeworfen hat, und dass er aus jenem Nerven- verhalten die einstige Existenz einer Kiemenspalte hinter jenem Nerven nur vermuthet, weil der Nerv nicht auf dem Hyoid weiter verläuft, dass er dagegen die Möglichkeit zugiebt, es liege darin ein nur sekundäres Verhalten. Wir dürfen auch bemerken, dass er bei einer Prüfung jenes Ramus mandibularis bei einem Hai gar nicht zu jener Frage gekommen wäre, sondern den Ramus mandibularis für einen auf die Unterkieferregion übergetretenen sensiblen Facialis- weig, also für einen »sekundären Auswuchs« des Ramus hyoideus, wie er es nennt, würde erklärt haben. Sehen wir nun, wie vAN WIJHE die von ihm aufgestellte Alter- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 81 native weiter behandelt. Nachdem er auf meine Darstellung der Metamorphose des Hyoidbogens der Fische tibergegangen ist, spricht er sich darüber folgendermaßen aus: »Von den Formveränderungen, « » welche ein Organ bei einer Thiergruppe erfahren hat, kann man auf« » vergleichend-anatomischem Wege eine Formenreihe aufstellen, Ge-« »wissheit aber, dass die Reihe, und hauptsächlich auch ihre Richtung « »gut ist, hat man nicht, ehe die vergleichende Entwicklungsgeschichte « »ein übereinstimmendes Resultat gewährt.« Dieser Satz ist etwas un- klar. Wenn in ihm gesagt werden sollte, dass die Entwicklungs- geschichte für die vergleichende Anatomie einen Prüfstein abgäbe, so kann ich mich diesem nur anschließen, aber mit der Erweiterung, dass die vergleichende Anatomie der Entwicklungsgeschichte den gleichen Dienst zu leisten hat. Der Beweis hierfür wird sogleich geliefert werden. Van Wine führt, auf Parker’s Untersuchungen an Lachsembryonen (Nr. 34) gestützt, des Weiteren aus, dass das Hyoid, d. h. der ventrale Theil meines Hyoidbogens, ursprünglich direkt zum Cranium hinaufreiche und erst »später längs dem Hinter- rande des Hyomandibulare« herabrücke, so dass also an der Stelle des von mir einheitlich dargestellten Hyoidbogens zwei Bogen be- ständen, einer durch das Hyomandibulare, der andere durch das eigentliche Hyoid gegeben. Eine zwischen beiden befindliche Kie- menspalte soll danfi nicht mehr zur Entwicklung kommen. »An ein Entstehen des Symplecticums als Auswuchs des » Zungenbeinbogens « kann hierbei schwerlich gedacht werden.« Für diese seine Meinung findet van W1IJHE eine fernere Stütze in den Angaben ParKER’s von Rochen. Die Rochen sollen »in ihrem« »Zungenbeinbogen nicht einen höheren, sondern einen niedrigeren Zu-« »stand als die Teleostier darbieten, und die Riehtung in der Reihe« »von den Teleostiern zu den Ganoiden ist der von GEGENBAUR vor- « »geschlagenen gerade entgegengesetzt. « Die van Wısue’sche Argumentation hat also ihre wesentliche Stütze beim Lachs und bei den Rochen, die wieder auf den Lachs sich stützen sollen. Vom Lachs sagt aber Srönr (Nr. 50, pag. 92) Folgendes aus: »Hinsiehtlich der von mir am Visceralskelet gemach-« »ten Beobachtungen sind besonders die den Hyoidbogen betreffenden « »bemerkenswerth, weil diese die GEGEnBAUrR's Hypothese gefähr- « »denden Angaben Parker’s nicht nur nicht bestätigen, sondern umge-« »kehrt einen Beitrag zur Stütze dieser Hypothese liefern. « Was nun die Rochen betrifft, so beweisen die bezüglichen Unter- suchungen Parker’s nichts weiter, als dass der definitive Zustand, Morpholog. Jahrbuch, 13. 6 82 C. Gegenbaur wie ich ihn dargestellt habe, sehr frühzeitig schon sich ausprägt. Obwohl ich gute Gründe habe, die Mittheilungen PARKER’s, schon wegen der den heutigen Anforderungen nicht entsprechenden Unter- suchungsmethoden, für alle früheren Stadien für ganz unzuverlässig zu halten, so will ich doch seine Angaben gelten lassen. Ist denn nun mit jener Darstellung erwiesen, dass die Rochen den niedersten Zustand der Selachier vorstellen? VAN WıusHE scheint das zu glauben, und nach seiner Auffassung würden die Haie den höheren, den diffe- renzirteren Zustand repräsentiren, und die Notidaniden, bei denen der ganze Hyoidbogen am einfachsten ist, trügen darin den Ausdruck der höchsten Differenzirung! Van Wwe scheint gar nicht bemerkt zu haben, in welch große Widersprüche er sich verwickelt hat. Oder hält er das Einfachere und damit Indifferentere für das Höhere, also das Verhalten des Hyoidbogens der Notidaniden aus jenem des Rochen entstanden? Noch bedenklicher wird van Wijne’s Lage gegenüber den An- gaben desselben PARKER über die Haie. Bei diesen wird von Letzte- rem der früheste Zustand des Visceralskelets in der Hauptsache genau so dargestellt, wie ich ihn auf vergleichend- anatomischem Wege erschlossen hatte; das Hyomandibulare bildet den obersten Theil des Hyoidbogens. Warum hat van WIJHE nur die Rochen und nieht auch die Haie mit in Betracht gezogen? Will man sagen, bei den Haien ist jenes Verhalten etwa der Ausdruck des späteren Zu- standes, so ist das ja auch bei den Rochen nicht anders, oder mit anderen Worten die Ontogenie vermag nichts zu entscheiden, da sie in beiden Fällen den definitiven Befund sehr frühzeitig angelegt _ zeigt. Wie steht es aber denn mit der Berufung auf die Entwick- lungsgeschichte? Diese zeigt bei Rochen und Haien differente Zu- stände, versagt also ihren Dienst, indem sie kein Resultat ergiebt, welches die Aufstellung einer »Formenreihe« erlaubt. Wir haben also die Alternative vor uns: entweder besteht gar keine Formenreihe, in der einzelne Zustände niedere, andere höhere vorstellten, oder es muss auf andere Weise nach jener gesucht werden, mindestens wird zu bestimmen sein, welcher von beiden oben erwähnten Be- funden den niederen vorstellt. Der erste Fall der Alternative macht jede Forschung überflüssig, kommt daher nicht in Betracht. Der zweite aber verweist uns auf die vergleichende Anatomie, und da ergiebt sich jene Formenreihe, wie ich sie aufgestellt habe. Diese entscheidet dafür, dass der Zustand des Hyoidbogens der Rochen ein sekundärer ist, denn er ist ableitbar von einem an- BE nn u Pe Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 83 deren, der den niederen vorstellt und nicht umgekehrt, wie vAN WisHE wollte. Wenn wir also den ontogenetischen Befunden der Rochen keinen anderen Werth beilegen können als dem ausgebildeten Verhalten, da die ersteren eben dem letzteren entsprechen, so verlieren die Rochen auch die Beweiskraft für die Existenz eines ursprünglich doppelten Hyoidbogens, und es fällt auch diese Stütze zu jener, die vom Lachse genommen war. Aus den Skeletbefunden ! erwächst somit kein Grund für die Annahme einer Kiemenspalte, von der ja vAN Wine selbst in seiner späteren Untersuchung (Nr. 59) nichts wahr- genommen hat. Indem ich die Gründe aus einander setzte, welche die Meinung van Wıshue’s, dass der Hyoidbogen ursprünglich kein einheitlicher sei, als eine vollkommen unberechtigte, weil unbegründete, darthun, brauche ich wohl kaum die andere Hypothese zu berühren, welche dieser Autor nöthig hat, um jene erste Hypothese zu stützen, resp. sie plausibler zu machen. Wenn van Wine für seine Meinung nur eine Gleichberechti- gung beansprucht, so tritt ein anderer Autor mit ganz anderen Prä- tensionen hervor. DoHRN wendet sich in einem »Entstehung und Differenzirung des Zungenbein- und Kieferapparates der Selachier « betitelten Artikel (Nr. 12) gegen die Vergleichung, die ich bezüglich dieser Theile ausgeführt habe. Er findet meine Irrthümer sehr begreif- lich, da ich nicht die Entwicklung berücksichtigt habe. Sehen wir nun zu, welche Resultate Donrn aus seinen »embryologischen For- schungen« gewonnen hat. Aus der Differenzirung des knorpeligen Hyoidbogens bei den Haien erfahren wir nichts, was nicht schon am ausgebildeten Zu- stande bestände. Dass die Anlage der beiden ihn zusammen- setzenden Stücke an der Stelle der Venen-Querkommissur auftritt, ! Da sich VAN WisHE auch auf SaALensKi’s Arbeit (Nr. 42) über Acipen- ser bezieht, darf ich auch dieses nicht übergehen. Er sagt: »in einem der frühe- sten von ihm abgebildeten Stadien (l. e. Fig. 91 D) scheint das Hyoid sich eben so weit hinauf zu erstrecken, als der Gipfel des ersten Kiemenbogens«. Diese Figur zeigt den Kopf in schräger Ansicht, von der Seite und von unten. Uber dem Hyoid, nicht neben ihm, ist aber noch das Hyomandibulare darge- stellt, oder doch ein Theil von ihm, also gegen van Wısue! Hätte derselbe noch einige andere Figuren (Fig. 153, 154, 155) angesehen, so würde er wohl gar nicht auf SALENSKI verwiesen haben, -denn diese Figuren, die doch nicht aus der Luft gegriffen sind, haben die Sonderung des Kiefer- und des Hyoid- bogens darzustellen, und widersprechen absolut Allem, was van WıJHE sich über diese Verhältnisse vorstellt. 6* 84 C. Gegenbaur ist eine Ubereinstimmung mit Kiemenbogen. Die Sonderung des Kieferbogens der Haie hat eben so wenig Neues geliefert. Es treten die beiden Abschnitte auf, von denen das Palatoquadratum, wie ich es schon längst angegeben hatte, nach vorn wächst, der Unterkiefer nach unten. Für die Rochen ist eben so wenig Neues aus der Ent- wicklung dieser Theile hervorgegangen. DoHrNn hätte daher seine Behauptung, dass das Hyomandibulare der Rochen einen Kiemen- bogen vorstelle und das Hyoid derselben einem vollständigen Kiemen- bogen entspräche, eben so gut auf das ausgebildete Skelet stützen können, wenn solche Behauptungen eine Stütze verlangten. Die Ontogenie beweist nichts von dem, was Dourn behauptet. Es legt sich hier nur das an, was zur Ausbildung gelangt, und legt sich bereits so an, wie es später sich verhält, das ist das große Ergebnis! In Folge dessen (!) sieht Dourn das Verhalten bei den Rochen für das Ursprüngliche an, und nimmt (pag. 26) »die Verhältnisse bei den Haifischen als das Abgeleitete, also Vereinfachtere, Reducirtere in Anspruch«. Die größte Reduktion besitzen dann natürlich die Noti- daniden: Also das Vereinfachte, das heißt doch hier so viel als das Einfache, soll sich vom Zusammengesetzten herleiten? DoHRN meint damit die Reduktion, die Haie besitzen nach ihm den reducirten Zustand, die Rochen den ausgebildeten! Woher weiß er denn das? Er kann es nicht von der Gesammtorganisation der Haie oder der Rochen ableiten, denn diese lehrt, dass die Haie in Vergleichung mit den Rochen die primitiveren seien. Eine bei den Rochen ge- gebene Einrichtung kann also wohl von dem sich ableiten, was bei den Haien besteht, aber doch nicht umgekehrt! Es bliebe also nur übrig, dass bei den Rochen eine Einrichtung im Hyoidapparat be- stehe, die älter wäre, während die ganze übrige Organisation um- gebildet sei. Bei den Rochen hätte sich also im Hyoid etwas Primitives erhalten, das nämlich, dass wir es hier »mit mindestens zwei in einem Visceralbogen vereinigten Segmenten zu thun haben « (l. c. pag. 25). Wo diese zwei » Segmente«, die doch einmal zwer Vis- ceralbogen gewesen sein müssen, wenn in jeden von ihnen ein Kiemenbogen sich gebildet haben soll, realisirt seien, erfahren wir nicht, eben so wenig als er die Kiemenspalte nachzuweisen vermag, die doch zwischen jenen als »Kiemenbogen« gedeuteten Theilen be- standen haben müsste. Da er uns also die Motivirung seiner An- nahme, dass im Hyoidapparat der Rochen primitivere Zustände vor- lägen, schuldig bleibt, werden wir jene Annahme als eine unbegründete Behauptung ansehen dürfen. Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 85 Das Hyomandibulare ist eben gar kein Bogen sondern nur ein Stück eines solchen, und zwar das obere, wo ist dann die untere Hälfte des postulirten Bogen? Etwa der Unterkiefer, der dem Tri- geminusgebiete angehört, indess das Hyomandibulare im Gebiete des Facialis liegt? Und dann, wie ist die angebliche Reduktion bei den Haien entstanden? Donrn darf da nicht denselben Weg, den ich für die Differenzirung des Hyomandibulare von den Noti- daniden aus angegeben habe, rückläufig verfolgen, denn er per- horreseirt ja die von mir dargestellte Lageveränderung des Hyoid am Hyomandibulare, und meine daran geknüpfte Ableitung des Symplecticum-Knorpels. Wie er sich aber jene behauptete Reduktion vorstellt, ist mir unklar geblieben, wahrscheinlich auch ihm selbst. Indem nun Donrn das Verhalten des Hyomandibulare bei den Rochen als das Primitive betrachtet, kommt er nothwendigerweise zu der- selben Folgerung, die er mir zum Vorwurfe macht, dass Ganoiden und Teleostier, welche bezüglich dieser Theile, wie er selbst nicht in Abrede stellt, den Rochen näher ständen, von diesen abstammten. (pag. 34j. Darauf muss ich entgegnen, dass ich diese Frage gar nicht diskutirt habe!. Ich habe mich einfach an die Thatsachen ge- halten, welche lehren, dass die Elemente des Hyoidbogens der Haie jenen der Ganoiden und Teleostier ferner stehen, als die der Rochen, ! Die Phylogenese der Ganoiden und Teleostier wird nach meiner Auf- fassung durch jene Verhältnisse gar nicht beeinträchtigt, und die Folgerung DOHrN’s ist durchaus keine zwingende, wie sie sich den Anschein geben möchte. Erstlich ist das Hyoid unter den Rochen nicht in der gleichmäßigen Übereinstimmung, wie Dourn es angiebt, indem er sagt, der Befund von Tor- pedo gleiche in allem Wesentlichen dem von Raja (pag. 25). Bei Torpedo aber sitzt das Hyoid noch am Hyomandibulare, indess es bei Raja diesen Zu- sammenhang gelöst hat. Bei Torpedo vermittelt somit das Hyomandibulare noch die Verbindung des Hyoid mit dem Cranium, wie bei den Haien. Das sind doch sehr wesentliche Differenzen! Sie lassen Torpedo in dieser Beziehung den Haien näher stehen als Raja. Darauf stüzte ich die Erwerbung der Be- funde des Hyoidbogens der Rochen innerhalb ihres Stammes. Ob es Haie ge- geben hat, welche schon jene Einrichtungen darboten, wissen wir nicht, aber wir wissen, dass die gegenwärtig Bekannten jene Strukturen nicht besitzen. Daher ist bis jetzt keine andere Folgerung als die von mir ausgesprochene, begründet. Zweitens ist die Ähnlichkeit der Differenzirung des Hyoid von Raja mit dem von Ganoiden und Teleostiern durchaus kein Grund, daraus eine nähere Verwandtschaft mit diesen zu folgern. Diese Ähnlichkeit kann von jenen völlig unabhängig erworben sein. Bei Torpedo besteht diese Ähnlich- keit nicht, sie trifft dagegen das Hyomandibulare, welches wieder bei Raja differentes Verhalten bietet. Diese Zustände bieten also einen sehr unsichern Boden für phylogenetische Spekulationen. 86 C. Gegenbaur und habe gefolgert, dass jene Veränderung nicht dem gemeinsamen Selachierstamme zukomme, sondern »innerhalb des Rochenstammes er- worben sei« (Nr. 19, pag. 176). Daran kann auch Donen nichts ändern, denn er hat nichts beigebracht, woraus hervorginge, dass das gleiche Verhalten auch bei den Haien bestehe, vielmehr hat er gerade das Gegentheil davon gezeigt, dass der Hyoidbogen so entstehe, wie er später sich darstellt. Der von Donrn mir vorgeworfene Widerspruch trifft also ihn selbst, denn nach ihm können ja die Haifische nicht die Stammform für den Hyoidapparat der Ganoiden und Teleostier be- sitzen, da die fraglichen Theile bei ihnen bereits reducirt sein sollen ! Oder sollen sie zum zweiten Male sich sondern? Auch die Bezugnahme Donrn’s auf die Knorpelradien des Hyoid- bogens enthält nur nichtige Einwände, ist aber für das Verfahren dieses Autors außerordentlich bezeichnend. Nach meiner Darstellung fehlen die Radien am Hyomandibulare der Rochen, indess sie an dem der Haie bestehen. Diese Verschiedenheit fand Erklärung aus der durch die Vergleichung mit den Haien hervorgehenden Änderung der Lagebeziehung des Hyoid zum Hyomandibulare. DoHRN sagt darüber (pag. 26), jener Mangel der Radien am Hyomandibulare der Rochen sei begreiflich, »wenn es nümlich, wie GEGENBAUR will, zum größten Theile nur den vergrößerten Mandibularfortsatz der Haie vorstellt; denn dieser Mandibularfortsatz trägt eben niemals Knorpel- strahlen. Man sollte nun erwarten, dass in der dorsalen Abtheilung des Hyoidbogens der Rochen zufolge des Abortirens des Körpers des Hyomandibulare und der massigen Ausbildung des Mandibular fort- satzes keine Knorpelstrahlen mehr existirten: statt dessen finden sich eine beträchtliche Zahl vor (Fig. 6d) und noch dazu sind sie dorsal vor der venösen (Querkommissur gelagert. Hätte GEGENBAUR diesen Umstand berücksichtigt, so würde er micht von einem Herabrücken des Hyomandibulare und einem Hinaufrücken des vermeintlichen mas- siven Zungenbeinstückes gesprochen haben«. Also ein wichtiger Um- stand ist von mir übersehen worden. Welcher Umstand ist dieses? Es ist nach Donrn’s Worten zweifellos, dass es jene Knorpel- strahlen sind, von denen er sagte: man sollte erwarten, dass sie in der dorsalen Abtheilung des Hyoidbogens der Rochen nicht existirten. Wer sollte dieses erwarten? Gewiss nur derjenige, welcher dort ein umgewandeltes Hyomandibulare sucht, ein Hyomandibulare mit »abor- tirtem Körper« und »massiger Ausbildung des Mandibularfortsatzes «. Ich suchte nun dort kein Hyomandibulare, auch kein umgewandeltes, und fand keinen Grund es je dort zu suchen. Denn jene »dorsale De oa Due A ae m u an a a a uP tale.) sehe Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 87 Abtheilung des Hyoidbogens«, auf die Dourn sich bezieht, ist eben nicht der dorsale Theil des Hyoidbogens, sondern der dorsale Theil des Hyoid selbst, der dorsale Theil des Hyoiddogens ist aber in Wirklichkeit das Hyomandibulare, welches jene Knorpelstrahlen nicht trägt. Es ist folglich an jenem dorsalen Theile des Ayoid kein abortirter Körper des Hyomandibulare und keine massige Ausbildung des Mandibularfortsatzes vorhanden, die ja nur dem Hyomandibulare zukommen. Ob DoHrn erwartet hat, dass jener dorsale Theil des Hyoid keine Radien besäße, weiß ich nicht. Dass sie dort vorkommen, ist längst bekannt, und es bedurfte dazu der Donrn’schen Ent- deckung nicht. Sie sind auch längst von mir beschrieben und als Radien des Hyoid, nicht aber des Hyomandibulare oder des dorsalen Theiles des Hyoidbogen berücksichtigt worden. Das von DoHrN ausgeführte merkwürdige Verfahren, welches sich in seinen »Studien« oft wiederholt, ist also folgendes: Erst produeirt, er irgend einen Theil in seiner eigenen Auffassung, die natürlich eine ganz andere ist, als die meinige, dann exemplifieirt er meinen Irrthum daran! Hier ist das Hyoid der Rochen sein Objekt, das er als Hyoid- bogen aufführt, also als etwas ganz Anderes, als ich dargelegt habe. An diesem seinem Hyoidbogen demonstrirt er ein dorsales und ventrales Stück. Hier, das dorsale, sagt er, ist das Hyomandibulare, von dem GEGENBAUR angab, dass es abortire und einen »massigen Mandibularfortsatz« entwickele, in Folge dessen keine Kiemenstrahlen an ihm sitzen könnten. Hier sind aber Kiemenstrahlen: .also ist GEGENBAUR wieder dem Irrthum verfallen! Die Kiemenstrahlen sind richtig da, und das ist das einzig Richtige. Alles Übrige ist falsch, denn der Theil, an welchem die Strahlen sitzen, ist kein Hyoman- _ dibulare! Es besteht hier die Alternative, entweder glaubt Dourn, dass jener dorsale Theil des Hyoid, an dem er, wie Alle vor ihm, Kiemenstrahlen sitzen sah, derselbe Skelettheil sei, den ch als Hyomandibulare bezeichnete, oder er hält ihn selbst für das Hyo- mandibulare? Ein Drittes ist ausgeschlossen, da es sich eben nur um Radien am Hyomandibulare handelt. Im ersten Falle schreibt er mir etwas zu, was ich nicht nur nicht behauptete, sondern von dem er auch ganz gut weiß, dass ich es nicht behauptet habe, denn er bestreitet ja meine von ihm in extenso reprodueirte Deutung! Im zweiten Falle aber ist doch schon ein Hyomandibulare von ihm be- schrieben worden, welches ».cht jener dorsale Theil des Hyoid ist. Aus diesem Donrn’schen Gedankengange sich zurechtzufinden, Ss C. Gegenbaur muss ich dem Leser überlassen. Eben so schwierig, als die Lösung aus dieser Alternative, dürfte Domrn die Darlegung der Beziehung des Hyomandibulare der Rochen zu jenen der Haie werden. Er hat es nicht versucht. Um so leichter macht er sich die Kritik an meiner Darstellung: » Man wird verlangen müssen, diesen Process Stufe für Stufe verfolgen zu können, durch alle Mittelzustände, welche zwischen angenommenem Ausgangs- und wirklichem Endpunkte mitten inne liegen« (pag. 27).. Möge er das leisten was er verlangt! Für seine Deutung des Kiefer- und des Zungenbeinbogens sucht DoHrN »neue Elemente für die Beurtheilung« zu liefern. Ein solches »Element« wird aus dem Verhalten der Blutgefäße zu gewinnen versucht. Es wäre nun zu erwarten, dass eine Darstellung des ersten Zustandes der Blutgefäße des Kopfes folge. Statt dessen beschreibt er spätere Embryonalstadien. Seine Bemerkung (pag. 5): »Es ist« »nicht schwer, diese Gefäße in der Anordnung der definitiven Gefäße « »des Haifischkopfes wieder zu erkennen«, giebt zu verstehen, dass an dem von ihm dargestellten Apparat nichts wesentlich Neues mehr zur Gestaltung kommt, oder, mit anderen Worten, dass er die Be- schreibung eben so gut von einem erwachsenen Individuum hätte nehmen können! Aber es sollen ja dem Publikum »embryologische Forschungen « vorgeführt werden! Der eigenthümliche Gefäßapparat der Spritzlochkieme ist bereits ausgebildet, und nur in der bezüglichen Kiemenarterie ergiebt sich noch eine Veränderung, in so fern sie in dem dargestellten späteren Stadium redueirt erscheint. Diese Arterie des Kieferbogens, als A. mandibularis bekannt, heißt Dourn » Schilddrüsenarterie« (A. thyreo- mandibularis), weil die Schilddrüse von ihr einen Zweig empfängt. Aus demselben Grunde könnte man die Subelavia der Säugethiere ebenfalls »Schilddrüsenarterie« heißen! Durch die neue Benennung scheint DoHRN zweierlei zu bezwecken. Erstlich eliminirt er damit die Arterie des Kieferbogens, um die in dem Vorkommen dieser Arterie ausgedrückte Übereinstimmung des Kieferbogens mit den übrigen Kiemenbogen zu verdunkeln, und zweitens vindieirt er eine Kiemenarterie der Schilddrüse, die er ja als » Kiemenspalte « betrachtet! Dass man darin, dass die Art. mandibularis ein Ästehen der Schild- drüse abgiebt, einen, Grund finden kann, sie nicht mehr als Arterie des Kieferbogens zu betrachten, scheint mir durchaus ungerecht- fertigt. Aus dem Gefäßsystem geht nichts hervor, was für die Donrn’schen Deutungen spricht. Die Arteria hyoidea wie die Art. mandibularis verhalten sich in Ursprung und Verlauf wie die übrigen PT Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 89 Kiemenarterien. Es besteht auch, wie zu erwarten, keine Andeutung einer Duplieität der Art. hyoidea. Das Verhalten dieser beiden Ar- terien entspricht vielmehr meiner Deutung’, was natürlich von Donkx ignorirt wird. Wenn der venöse Apparat sich in jener Region etwas anders verhält, als bei den übrigen Kiemen, so geht das Hand in Hand mit den Veränderungen, welche in der ersten Kiemenspalte, dem Spritzloche, erfolgt sind. Dorn hat diesen Gefäßapparat auf- zuklären versprochen, »Ich sollte nun eigentlich erörtern,« heißt es pag. 5, »wie diese sonderbaren Gefäßbeziehungen zu Stande ge-« »kommen sind. Das will ich aber verschieben bis ich sowohl die « »Muskulatur, als auch die Knorpelbildungen des Hyoidbogens darge-« »stellt und erörtert haben werde: man wird danach sehen, dass ich « »neue Elemente für die Beurtheilung gewinne.« Nachdem dann Muskulatur und Knorpelbildungen erörtert sind, kommt in einer folgenden »Studie« auch jene Kieme wieder in Betracht (Nr. 13, pag. 460). Wir finden sie in Verwendung bei der »neuen und fruchtbaren Grundhypothese« von der. Entstehung des Auges aus einer Kieme, vermissen aber alles Thatsächliche, was uns die Ent- stehung jener »sonderbaren Gefäßbeziehungen« aufklären könnte. Da nach Dourn der Kieferbogen kein Kiemenbogen war, sind auch die Spritzlochknorpel keine Kiemenstrahlen, als welche ich sie aufgefasst hatte. Er gründet seine Entgegnung darauf, »dass der Knorpel immer vor dem gesammten Blutgefüßapparat der Spritzloch- kieme liege« (pag. 37). Diesen Grund kann man nicht annehmen, denn die Spritzlochknorpel haben nicht mehr die Anlagerung am Kiefer- bogen beibehalten, da sie eben rudimentäre Gebilde geworden sind, die eine anzunehmende Beziehung zum Kieferbogen (resp. zu dessen Palato-quadratum) nur durch die benachbarte Lage ausdrücken. Schon die Eigenthümlichkeit des Gefäßapparates der Spritzlochkieme lässt 1 Wenn ich mich auf diese Arterien beziehe, so geschieht es nicht, weil ich dem Gefäßsystem im Allgemeinen eine große Wichtigkeit für die daraus abzuleitende Existenz anderer Theile beilege. Die Gefäße sind viel zu ver- änderlicher Art, und nur die großen Stämme, wie es etwa noch die Kiemen- arterien sind, kann man von bestimmtem Werth halten. Diesen sehr wenig kon- servativen Charakter der Blutgefäße scheint DOHRN nicht anzuerkennen. In einem Angriffe, den er auf meine Ableitung des Gliedmaßengürtels von Kie- menbogen gemacht hat, führt er auch die Blutgefäße vor und meint, weil die Kiemengefäße außen an den Kiemenbogen liegen, könnten die Gliedmaßen- bogen, deren Arterien innen sich fänden, keine Kiemenbogen gewesen sein. Als ob bei meiner Deutung die Gefäße der Gliedmaßen von den Kiemenge- fäßen sich ableiteten! 90 C. Gegenbaur verstehen, dass hier in Vergleichung mit den übrigen Kiemen keine primitiven Verhältnisse vorkommen können, wenigstens dann nicht mehr, wenn jener Gefäßapparat bereits ausgebildet ist, wie in den von Dourn beschriebenen Embryonen. Dass für unseren Autor der Spritzlochknorpel wahrscheinlich ein Rest eines Kiemenbogens ist, ist das paradoxe Resultat seiner Forschung, bei der er das Vor- kommen von 2—3 solcher Knorpel natürlich ignorirt. Wir wollen konstatiren, wie diese Ableugnung des Kieferbogens nichts erleuchtet, aber Alles verdunkelt hat. Es besteht eine Kiemenspalte, die zum Spritzloche wird. An der vorderen Wand der Tasche bildet sich sogar eine Kieme aus, aber der Skelettheil, der jene Wand mitbe- grenzen hilft, ist niemals Kiemenbogen gewesen, und in jener Wand befindliche, noch zu dreien, zweien oder auch einfach vorkommende Knorpelstrahlen, die im letzteren Falle plattenartig modifieirt sind, sind keine Kiemenstrahlen, und das Alles, weil sie dem bereits ins Pa- lato-quadratum umgewandelten oberen Stücke des Bogens nicht mehr direkt aufsitzen und in Folge dessen nicht vor den Gefäßen lagern! Auch die Muskulatur muss der Donrn’schen Deutung dienen. Das aus deren Sonderung gezogene Ergebnis ist dem bezüglich der Skelettheile oben erwähnten adäquat: es zeigen sich bereits in der Anlage bei Haien und kochen verschiedene Zustände, die den aus- gebildeten Zuständen entsprechen. Dass die Sonderung der Muskulatur an Kiefer- und Hyoidbogen aber nicht in allen Stücken jener der Muskulatur der Kiemenbogen entspricht, ist doch kein Beweis dafür, dass jene beiden Bogen nicht Kiemenbogen waren! Wenn jene Sonderung genau so stattfinden _ sollte wie an den Kiemenbogen, so würde dazu auch für Kiefer- und Hyoidbogen das Bestehen eines mit den Kiemenbogen völlig gleichartigen Zustandes nothwendige Voraussetzung sein. Es gäbe dann eben nur Kiemenbogen, und es bestände für Kiefer- und Hyoid- bogen kein erst zu lösendes Problem. Welches sind nun die » Ergebnisse« der DoHrn’schen » Untersu- chungen«, die mitzutheilen er 1. c. pag. 5 versprochen hat? Die Onto- genie, auf die er überall pocht, als ob er der Erste gewesen wäre, der ihren Werth für die vergleichende Anatomie erkannt und ange- wendet hätte, hat 27m nichts geleistet. Er hat aus ihr faktisch nichts erkannt, als dass die Anlagen der Theile dem späteren Zustande bereits entsprechen. Es sollen auch nur »vorläufige Mittheilangen« sein. Er sagt (pag. 35): »Ich binde mich darum auch nicht an irgend welche positive Deutung der hier behandelten Verhältnisse: die Schwie- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 91 rigkeit ist so groß, dass noch viel angestrengtere und vorsichtigste Forschung erforderlich ist, ehe die wirkliche Konstitution des Riefer- und Hyoidapparates erkannt werden wird. Mir reicht an dieser Stelle aus, die Illusion bekämpft zu haben, als wüssten wir bereits das, was wir suchen, und als wäre eine der existirenden Auffassungen im Stande, uns von den weit zurückliegenden Vorgüngen Rechenschaft zu geben, welche den Wirbelthiermund in seiner heutigen Komposition zu Stande gebracht haben.« Mit den »Vorgiingen«, welche den Wirbelthiermund »zu Stande gebracht haben«, hatten wir es hier nicht zu thun, sondern nur mit der Frage, ob der Kiefer- und der Zungenbeinbogen mit Kiemen- bogen vergleichbar, resp. davon ableitbar seien. Gegen diese von mir ausgeführte Vergleichung waren die Donrn’schen Einwände ge- richtet. Er bindet sich dabei nicht an eine »positive Deutung«! In Wirklichkeit deutet er aber doch, indem er bald das eine, bald das andere Stück mit diesem oder jenem Namen belegt. Ist das nicht eine positive Deutung? Kann man überhaupt eine Deutung bekämpfen wollen, ohne selbst auf einer bestimmten Auffassung zu fußen, oder von der positiven Deutung irgend eines Theiles auszugehen? Das sich nicht Binden bedeutet hier einfach absolute Willkür, mit der der genannte Autor auf ein und dasselbe Skeletstück bald diese bald jene Deutung anwendet, wie an dem oben besprochenen Beispiele gezeigt worden ist. Da er auf dem von ihm eingeschlagenen Wege, der bei den Rochen die primitiveren Zustände sucht, zu keiner » positiven Deutung « gelangte, d. h. so viel als ohne Resultat blieb, schiebt er eine an- dere Frage vor: » weit zurückliegende Vorgänge, welche den Wirbel- thiermund zu Stande gebracht haben«. Dass dieses noch dunkel ist, soll erklären, wesshalb er keine Vergleichung des Hyoidbogens der Rochen mit dem der Haie zu Stande’ brachte!. Dieses Resultat der 1 Während DoHrn hier die unbekannte Phylogenese des Wirbelthiermun- des dafür verantwortlich macht, dass man, nach seiner Vorstellung, auch über die benachbarten Skelettheile nichts Sicheres wisse, äußert er bei einer an- deren Gelegenheit Folgendes: »Eines der Hauptgebrechen der bisherigen Phy-« »logenie liegt meines Erachtens eben in dem Umstande, dass sie sich vor allen« »Dingen auf die Anfangsstadien der Organisation hat einlassen wollen. Das ist« »zwar eine sehr begreifliche Tendenz, aber nach den ersten, ziemlich miss-« »glückten Versuchen hätte man davon abstehen sollen, die geschichtlichen « »Ereignisse der Urzeit für leichter erkennbar halten zu wollen, als die uns« »näher liegenden Phasen der Genealogie« (pag. 411). Wäre in der Verglei- chung des Kiefer- und Hyoidskeletes der Rochen und Haie nicht eine Bethäti- 92 C. Gegenbaur Donrn’schen »Forschung« bildet einen erläuternden Gegensatz zu dem, was er als Kritik auszugeben sucht, die er an meinen Arbeiten übt. Es harmonirt aber mit den hämischen Bemerkungen, deren er nicht entbehren kann und die in ihrer Bedeutung für den Urheber zu würdigen ich dem wissenschaftlichen Publikum überlassen muss! Aus dieser Darstellung dürfte hervorgehen, dass unseren Erfah- rungen über die Kiemenbogen der Selachier durch die Ontogenie keine Vermehrung zu Theil wurde, dass vielmehr nur das, was die Anatomie darüber ermittelte, Bestätigung fand. Für diesen Theil des Kopfskeletes sind also die Grundlagen unverändert geblieben. 6. Ergebnisse und Betrachtungen. Nach der Prüfung einer Reihe von Instanzen, welche auf die Metamerie des Kopfes sich beziehen, wird jetzt die Zusammenfassung des Vorgeführten zur Aufgabe. Die Fragen: Liegt dem Aufbau des Kopfes der Wirbelthiere eine Metamerie zu Grunde und welcher Art ist diese Metamerie? werden zuerst zu beantworten sein. Ich habe dabei dem Eingangs Bemerkten zufolge fürs Erste die an Selachiern kund gewordenen Erfahrungen im Auge, die wir BALFOUR, MILNES MARSHALL und vAN WiJHE verdanken. Diese zeigen nicht bloß dor- sale und ventrale Metameren, sondern wir vermögen auch einen Theil dieser beiden auf einander zu beziehen (pag. 29) und sahen den Umstand, dass dieses nicht für den ganzen Kopf möglich war, durch nachweisbare Veränderungen (pag. 32) bedingt, die in der Onto- genese des Selachierkopfes sich geltend gemacht hatten. Diese bie- tet nur einen Theil der Phylogenese des Kopfes. Wäre das von AHLBORN berücksichtigt worden und hätte er den Vorgang sei- ner »Branchiomerie« phylogenetisch analysirt, so wäre er nicht zu seiner Behauptung gekommen.. Er hätte dann auch nicht so weg- werfend von den Nerven gesprochen. Vielmehr wäre er zu der Vor- stellung gelangt, dass jene durch die Kiemenspalten erzeugten Bogen Nerven besessen haben müssen, dass man sich die Kiemenbogen der Cranioten, mögen sie entstanden sein wie sie wollen, ohne Nerven nicht vorstellen kann; denn sie besitzen ja Muskulatur, die nicht von den Kopfsomiten sich ableitet, also nicht eingewandert ist, son- dern schon vorher in der Anlage besteht. Die Berücksichtigung dieser Thatsache lässt die Nerven nicht außer Betracht kommen. gung dieser Prineipien auszuführen gewesen, da ja hier viel »näher liegende Phasen der Genealogie« in Betracht kämen? Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 93 Diese Nerven können auch nicht sekundär hineingewachsen sein! Es ist also hier mit mindestens noch einem Faktor zu rechnen, wenn dieser auch erst später sich darstellt, d. h. später der Unter- suchung zugängig ist. Um die Branchiomerie zu retten, stellt er die Bedeutung der Nerven in Abrede, auch ihren metameren Charakter. Die Nerven sind da und sind metamer angeordnet, dagegen wird die Autuzorn’sche Opposition nichts verfangen. Das Nervensystem geht dorsal aus. Durch seine Betheiligung an den Kiemenbogen sind diese keine rein ventralen Gebilde mehr. Ob die den Kiemenbogen folgende Metamerie der Nerven eine Anpassung an jene ist, oder ob vorher ein Zustand gegeben war, in welchem die bezüglichen Nerven noch nicht metamer disponirt waren, das wissen wir nicht. Wir kennen sie eben nur in ihrem Verhalten zu den Kiemenbogen, dieses ist metamer, und nur von diesem Zu- stande müssen wir unseren Ausgang nehmen. Wenn also AHLBORN geglaubt hat, mit seiner Branchiomerie etwas meiner Darstellung gegenüber zu Stellendes gefunden zu haben, so kann er damit doch nur Jene täuschen, welche meine Darstellung nicht kennen, oder welche hinter dem neuen Worte auch die Be- griindung einer neuen Idee vermuthen, die etwas Anderes als »Me- tamerie« bedeuten soll. Wenn nun dorsale und ventrale Metameren in einem primitiven Zustande zusammengehört haben, von welchem Zustande noch ein Rest sich bei Selachiern erhalten hat, so ist daraus nichts Anderes zu sehen, als was ich auf dem Wege der Verglei- chung gefunden hatte. Auch AHLBORN giebt das in so fern zu, als er sagt (pag. 329): »Durch den entwieklungsgeschichtlichen Nachweis « »(VAN WIJHE) von neun primären Urwirbeln des Kopfes ist die Theo-« »rie GEGENBAUR’s ihrer ursprünglichen Aufgabe enthoben, die Kopf- « »segmente indirekt zu bestimmen. « Er will damit freilich keine Be- stätigung zugestehen, sondern vielmehr sagen, meine »Theorie« sei dadurch überflüssig geworden! Die gleiche Naivität kann zur Be- hauptung kommen, diese oder jene Entdeckung sei eigentlich un- nöthig gewesen, denn später sei sie, etwa auf einem anderen Wege, doch gemacht, sogar noch vervollkommnet worden! Nachdem in der Kopfanlage der Selachier sowohl palingenetische als eänogenetische Befunde sich ergaben, erstere mehr in dem vor- deren, letztere mehr im hinteren Abschnitte derselben, wird die onto- genetische Forschung auf das richtige Maß ihres Werthes gesetzt. Es ergiebt sich von selbst die Grenze, bis zu welcher ihre Zeugnisse Geltung haben können. Jenseits dieser Grenze hat die weiter 94 C. Gegenbaur schreitende Forschung, wenn sie nicht bodenloser Spekulation ver- fallen will, die Vergleichung zur Fiihrerin zu nehmen. Die Ver- gleichung verweist uns auf einen noch tiefer stehenden Organisations- zustand, jenen von Amphioxus. Bevor wir diesem uns zuwenden, bleiben uns am Craniotenkopfe jene beiderlei Bestandtheile zu be- trachten, die wir nach der Art ihres Ursprunges gleichfalls als palin- genetische und cänogenetische bezeichnen können. Ordnen wir uns nun hiernach die Verhältnisse des Selachier- kopfes, so ergeben sich an demselben die palingenetischen Elemente als primäre und die ciinogenetischen als sekundäre Bestandtheile zu unterscheiden. Den ersteren gehört die Kopfdarmhöhle mit allen Kiemenbogen zu, eben so die sechs ersten Kopfsomite und alle Hirn- nerven mit Ausschluss der unteren Vaguswurzeln. Diese fallen mit den drei letzten Kopfsomiten dem sekundären Bestandtheile zu. Was ich primär nannte, repräsentirt aber gewiss nicht einen völlig ur- sprünglichen Zustand. Wir haben ja drei Kopfsomite dabei, die rudimentäre Organe vorstellen. Auch die Kopfdarmhöhle ist sicher nicht mehr in primitivem Umfange vorhanden, denn die Kiemenzahl ist in Vergleichung mit den Notidaniden beschränkt. Es ist also schon an diesem relativ primären Theile des Kopfes die Reduktion maßgebend geworden. Da aber aus diesem Abschnitte alle Bestand- theile von primitiveren sich ableiten, ist er trotz der Reduktion der palingenetische Abschnitt. Wie ist nun der sekundäre Bestandtheil des Kopfes letzterem hinzugekommen? Diese Frage ist nicht durch die direkte Beobach- tung, sondern nur durch Vergleichung zu beantworten. Wenn wir drei Kopfsomite (4—6) ohne die Bedeutung der anderen sehen, als rudimentäre Gebilde, so ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Stelle, welche die auf jene folgenden letzten oder die sekundären Kopfsomite (7—9) einnehmen, möglicherweise durch primäre Kopf- somite eingenommen war, welche noch weiter der Rückbildung ver- fielen. Wir hätten dann in den primären Kopfsomiten eine Ab- stufung des funktionellen Werthes: die drei ersten lassen Muskeln hervorgehen; das erste eine größere Zahl, das zweite und dritte je nur einen, die drei nächsten (4—6) gar keinen mehr, und die hypo- thetisch daran schließenden gelangen nicht einmal mehr zur Anlage. Wie viel das waren (2 oder 3 oder noch mehr), mag für jetzt dahin- gestellt bleiben. Wir haben aber mit dieser begründeten Annahme einer gänzlichen Verkümmerung von Kopfsomiten die Möglichkeit gewonnen, das Vorrücken von Rumpfsomiten zu begreifen, welches Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 95 ohne jene Voraussetzung unverständlich ist. Auf jene Dislokation yon drei Rumpfsomiten stützt sich also die Annahme einer gänzlichen Riickbildung einer Anzahl ursprünglicher Kopfsomite. Dureh die Deutung der letzten Kopfsomite als ursprünglicher Rumpfbestandtheile gelangt man zu der Darstellung der Unvollstiin- digkeit der Anlage des Selachierkopfes, also zur Annahme von be- deutenden Veränderungen, welche einen primitiveren aber hypothe- tischen Zustande gegenüber eingetreten sein müssen. Von einem solchen sind im Selachierkopfe nur Reste erhalten. Wie in der Dor- salregion nicht alle vorauszusetzenden Somite sich ausbilden, oder nur zur Anlage gelangen, so ist auch die ventrale Region als redu- eirt zu betrachten. Dass eine viel größere Anzahl von Kiemenbogen, als sie selbst die Notidaniden noch aufweisen, vorausgegangen sein wird, habe ich schon früher (Nr. 19 pag. 296) mit Gründen belegt. Sie sind nicht widerlegt worden. Ich beschränke mich, hier darauf zu verweisen. Das eifrige Suchen nach Rudimenten von Kiemen- anlagen, wie wenig es auch von Erfolg begleitet war, bezeugt die Verbreitung der Vorstellung einer eingetretenen Minderung der Kie- menzahl. Ob vorne, im Bereiche der Labialknorpel, Kiemen zu Grunde gegangen sind, ist zweifelhaft. Das Verschwinden einer vorderen Kieme bei den Cyclostomen (Petromyzon) ist nicht als eine Bestärknng jener Annahme anzusehen, denn hier bestehen ja in Ver- gleichung mit den Gnathostomen bedeutende Umbildungen in der Mundregion. Dagegen ist für das hintere Kiemengebiet die stattge- habte Reduktion heute noch erweislich und es ist hier nur die An- zahl der verschwundenen Kiemen nicht sicher bestimmbar!. Die im ventralen wie im dorsalen Gebiet der Anlage des Se- lachier-Kopfes erkennbaren Veränderungen gegen einen noch frü- heren nicht unmittelbar nachweisbaren, sondern nur zu erschließenden 1 Diese Ungewissheit hatte mich veranlasst, bei der Besprechung der Kiemenverhältnisse nur auf der sicher bekannten, von den Notidaniden aus bestimmbaren Anzahl von Kiemenbogen zu bestehen: Es seien mindestens neun Kiemenbogen bei den Stammformen der Cranioten vorhanden gewesen. Dass ich mich auf die Feststellung des Minimum beschränkte, wird mir zum Vorwurf gemacht. Als ob man hier das Maximum bestimmen könnte! Ich hätte die Zahl der Kiemen von Amphioxus zu Grunde legen können, wenn nicht diese, für viele Fragen der Phylogenie der Vertebraten so wichtige Form, für die direkte Ableitung der Cranioten aus ihr höchst bedenklich wäre! Wir können nun sagen: jene hypothetischen Stammformen werden Amphioxus ähn- lich gewesen sein, wie dieser viele Kiemenspalten besessen haben. Jede spe- eiellere Beziehung stößt auf die größte Unsicherheit und ist desshalb verwerflich. 96 C. Gegenbaur Zustand, geben zu Genüge zu erkennen, welch’ große Vorsicht die Beurtheilung jenes Befundes erheischt. Die Ontogenie zeigt eben auch hier nur ein Stück des phylogenetischen Weges, die letzte Etappe desselben, und es ist ein großer Irrthum, dieses Stück für den ganzen Weg zu halten. Es ist seltsam, dass man bei dem ge- wiss richtigen Gefühle von der Unvollständigkeit der in den Kiemen- anlagen bestehenden Urkunde, die dorsale Metamerie für etwas Kom- plettes und in seiner Ursprünglichkeit Unversehrtes gehalten hat, anstatt auch hier wenigstens den Zweifel walten zu lassen. Die Erkenntnis eines im Kiemengebiet schon bei den Selachiern vorhandenen Defektes, sowie der im Bereiche der Dorsalregion vor- handenen Umänderungen, lässt den vorderen Theil der Kopfanlage in relativ vollständigerem Zustande erscheinen, als den hinteren. An der Grenze gegen den Rumpf müssen bedeutende Reduktionen ein- getreten sein. Ventrale Rückbildungen sind in geschwundenen Kie- men durch die Vergleichung erweisbar, dorsale sind aus den ven- tralen zu folgern. Denn wenn eine ventrale Strecke der Kopfdarmwand verändert ward, indem sie die Kiemenspalten verlor, so ist auch anzunehmen, dass dorsal eine Veränderung vor sich ging, jedenfalls eine Verkürzung erfolgte, gleichviel ob die Kopfsomite dem Kiemen- bogen entsprechen oder nicht. Aus der Reduktion der Kiemenbogen in der hinteren Kopfregion leitet sich auch die Beziehung ab, welche die Pseudokopfsomite zum Kopfe gewannen. Nehmen wir an, dass diese bei dem Vorhandensein einer viel größeren Kiemenzahl sich wie die anderen Rumpfsomite ver- hielten, mit ihrem Gebiete hinter den letzten Kiemen. Die Reduktion hinterer Kiemenbogen beschränkt sich nun, wie überall zu ersehen ist, nieht bloß auf die allmähliche Rückbildung der dem gänzlichen Schwunde verfallenden Bogen, sondern macht sich auch an den noch bestehen bleibenden bemerkbar. Diese nehmen von vorn nach hin- ten an Umfang ab. Diese Abstufung gewinnt durch die Ausbildung der ersten primären Kiemenbogen {Kiefer- und Zungenbeinbogen) noch bedeutenderen Ausdruck. Die Kopfdarmhöhle ist demgemäß vorn weiter als hinten; die Bogen sind vorn voluminöser als hin- ten. Unterhalb jener reducirten Bogen nach vorn hin nimmt die von den letzten Kopfsomiten (oder nur vom letzten) ausgehende Mus- kulatur ihren Weg, indem sie den M. coraco-hyoideus hervorgehen lässt. Diese Ausdehnung einer ursprünglich dem Rumpfe zukommen- den Muskulatur in die ventrale Kopfregion wird so mit der Reduk- tion hinterer Kiemenbogen in Konnex gebracht werden können, indem Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 97 durch jene vor Allem Raum fiir die Ausbreitung der Muskulatur nach vorne zu dargeboten wird. Zwischen Kopf- und Rumpfgebiet ist mit jenen Vorgängen eine innige Vereinigung beider Körpertheile entstanden, in die wir bis jetzt, in Anbetracht der außerordentlich verschiedenen Verhältnisse der unteren Vaguswurzeln (vgl. pag. 62), nur einen oberflächlichen Einblick gewinnen können. Zu einer priiciseren Erkenntnis bedürfte es vor Allem sicherer ontogenetischer Erfahrungen über verschiedene Selachiergattungen, sowohl jener, die eine größere Zahl, als auch jener, die eine Minderzahl der »unteren Vaguswurzeln« aufweisen. Erst dann ist eine strikte Vergleichung durchführbar!. Die Unterscheidung einer primären und sekundären Kopfregion ist nicht in dem Sinne aufzufassen, dass dem primären Kopfe ein neuer, selbständiger Bestandtheil angefügt wurde. Das Hinzutretende geht in dem schon Vorhandenen derart auf, dass es später nicht ein- mal als scharf gesonderte Region unterschieden werden kann. Wie die »unteren Vaguswurzeln« nicht mehr Spinalnerven sind, sondern bereits dem Gehirn angehören, so bildet auch die aus den letzten - Kopfsomiten entstandene Muskulatur, wenigstens so weit ihr eine ventrale Ausdehnung zukommt, kein so scharf abgegrenztes Gebiet, ! Es kann die Meinung bestehen, es sei mit dem Nachweise der Zuge- hörigkeit der unteren Vaguswurzeln zu den letzten Kopfsomiten die Zahl dieser Somite aus der Zahl der Nerven zu bestimmen, und es ergebe sich daraus der ganze auf das Cranium übergewanderte Somitenkomplex. Dagegen muss ich anführen, dass dieser hermeneutische Werth nur jenen Nerven zukommen kann, welche sich in einen Hypoglossusstamm sammeln, oder doch Äste zu diesem entsenden. Der hinter dem Vagus sich bildende und um den letzteren herum- laufende Stamm des Hypoglossus weist dann den Weg, welchen die Muskel- derivate der betreffenden Kopfsomite zurücklegten, und selbst das, was von jenen Muskeln etwa noch in situ bleibt, ist durch den Nerven als zu den weiter abwärts gewanderten Portionen gehörig erkennbar. Schwieriger sind jene Fälle, wie bei Echinorhinus, wo die vorderen der unteren Vaguswurzeln sich nicht mit dem Hypoglossusstamm verbinden. Es ist zwar im hohen Grade wahrscheinlich, dass auch diese, wie ihre Somite, ursprünglich Fremdlinge am Kopfe waren, allein man muss einsehen, dass der Beweis dafür nicht mit der- selben Sicherheit erbracht werden kann, wie dieses für die den Hypoglossus- stamm bildenden Nerven möglich ist. Eine zweite Schwierigkeit liegt in der großen Verschiedenheit der Zahl der unteren Vaguswurzeln. Welche Summe ist als das Primitive anzusehen ? Man ist wohl geneigt, die größere dafür gelten zu lassen. Dann müssen bei Anderen Reduktionen eingetreten sein, die wahrscheinlich von einem Schwinden der bezüglichen Somite begleitet waren. Für das Alles bedürfen wir noch der empirischen Unterlage, und man wird daher gut thun, bei der Beurtheilung der sekundären Kopfregion die größte Zurückhaltung walten zu lassen. Morpholog, Jahrbuch. 13. 7 98 C. Gegenbaur dass es zur Unterscheidung einer Kopfregion dienen kénnte. In den primären oder Hauptbestandtheil werden einige Metameren vom Rumpfe her aufgenommen und dadurch erfährt jener keine Minderung seiner Bedeutung, sondern bewahrt nur seine Präponderanz. Dieser Anschluss von Metameren ist irriger Weise (FRORIEP) als ein der Phylogenese des Kopfes zu Grunde liegender Vorgang ge- deutet worden. Damit hat er gar nichts zu thun, denn dieser Körper- abschnitt gewinnt seine Anlage auf eine andere Art als der Rumpf. Die in der Bildung der Kiemenspalten und Kiemenbogen, sowie in dem Verhalten der echten Kopfsomite zur Muskulatur sich aus- drückende Eigenthiimlichkeit, verbietet die Annahme, dass Rumpfmeta- meren allmählich zu wirklichen Kopfmetameren wurden und dass auf diese Art ein vorderer Körpertheil als Kopf allmählich auf Kosten des Rumpfes sich ausgedehnt habe. Damit darf nicht jener sekundäre Metameren-Anschluss verwechselt werden, denn bei dem Auftreten des Vorganges ist bereits am primären Kopfe eine Reduktion vor- handen, und wir haben es nicht mehr mit einem seine ursprüngliche Metamerie besitzenden Kopfe zu thun. Die bereits eingetretene Re- duktion des letzteren erscheint sogar als die Bedingung jener se- kundären Anschlüsse. Die Vergleichung mit Amphioxus liefert für diesen Ideengang die thatsächlichen Grundlagen. Sie begründet die Annahme eines dem Kopfe der Cranioten zu Grunde liegenden älteren Zustandes, der also dadurch kein rein hypothetischer ist. Wenn Amphioxus auch nicht als eine direkt zu den Cranioten überleitende Stammform der Vertebraten gelten kann, so giebt seine Organisation doch gerade bezüglich der Cephalogenese wichtige Aufschliisse. Denn hier liegt der niederste Zustand der Differenzirung des Kopfes vor. Als letz- teren betrachtete ich (Nr. 19 pag. 300) den gesammten vorderen Ab- schnitt des Körpers, welcher die Kopfdarmhöhle mit den Kiemen ent- hält. Ich hatte damals von einer weiteren Ausführung der Verglei- chung abgesehen, »da der Zustand des Kopfes von Amphioxus mit jenem der übrigen Wirbelthiere durch keine Übergangsformen ver- mittelt wird«. Solche sind auch inzwischen nicht bekannt geworden, aber die Ontogenese der Cranioten, auch jene von Amphioxus, hat Verbindungen erkennen lassen. Diese Anschlüsse sehe ich in den Kopfsomiten, daher ist auch ohne jene postulirten Übergangsformen eine etwas nähere Vergleichung — immer mit der oben bemerkten Reservation — ausführbar. Bei Amphioxus erstreckt sich die Metamerie der Urwirbel oder So- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 99 mite gleichmäßig über den ganzen Körper !. Bei den Cranioten ist diese GleichmaBigkeit nicht vorhanden, am Kopfe sind Defekte und Umlage- rungen aufgetreten, die wohl mit eben der Sonderung des Kopfes aus einem Amphioxus-ähnlichen, nicht aber gleichen Zustande in Konnex stehen. Dass solche Somite am Kopfe vorkommen, begründet auch die Annahme eines ähnlichen Verhaltens derselben wie bei Amphioxus, Indem man die Befunde bei letzterem mit jenen der Selachier-Onto- genie in Zusammenhang bringt, ist auch für die Cranioten ein Aus- gangszustand mit vielen Kiemen, also eine ausgedehntere Kopfdarm- höhle vorauszusetzen, und über den Kiemen eine größere Zahl von Kopfsomiten. Die Frage, ob letztere den Kiemen entsprechen, bringen wir hier nicht zur Besprechung, da bei Amphioxus gerade in dieser Hinsicht ganz andere Verhältnisse als bei den Cranioten obwalten. Ein ähnlich wie bei Amphioxus bestehender Indifferenzzustand des Kopfes wird durch dreierlei, wohl causal unter einander zusammen- hängende Vorgänge mit der Kopfanlage der Selachier zu verknüpfen sein. Diese Vorgänge sind wirkliche, nicht hypothetische Fiktionen, jeder einzelne derselben ist ontogenetisch realisirt. Den einen sehe ich in der bedeutenden Entfaltung der Sinneswerkzeuge am Kopfe, deren Auftreten das centrale Nervensystem beherrschen, und in ihm jene Veränderungen hervorbringen wird, wie sie in der Sonderung des Gehirnes und wiederum in einer Gliederung und Volumentfal- tung des Gehirnes sich zeigen. Aus dieser Umwandlung entsteht wohl der größte Theil der Eigenthümlichkeiten des Kopfes, zu denen noch andere kommen mögen. Die am Gehirn ein bedeutenderes Volum ausprägenden Vorgänge können die dorsale Kopfregion nicht mehr so beweglich sein lassen wie vorher. Die im früheren Zustande aus den Kopfsomiten entstandene Muskulatur hat daher keine Bedeutung für die Bewegung dieses Körpertheiles. Sie erhält sich nur so weit als sie neuen Einrichtungen, dem Auge, sich angepasst hat. Drei Kopfsomite liefern Augenmuskeln, einige folgende Somite werden zwar noch angelegt, lassen aber keine Muskeln mehr hervorgehen. Alle übrigen, die einmal vorhanden gewesen sein mögen, gelangen nicht mehr zur Anlage. Gleichzeitig tritt eine Ausbildung der vorderen Kiemen und deren Bogen und damit Hand in Hand eine Rückbildung und ein Schwin- ! Das in dieser Metamerie bestehende asymmetrische Verhalten ist, wie wir durch HATSCHEK wissen, ein sekundärer Zustand, eben so wie andere Asymmetrien. Dieses kann daher nicht als Einwand gegen die Vergleichung von Amphioxus mit den Cranioten gelten. lin: 100 C. Gegenbaur den der hinteren auf. Der Kopf erlangt damit eine kompendiösere Form. Die Stelle eines Theiles der an seinem hinteren Abschnitte rückgebildeten Somite nehmen solche ein, die vom Rumpfe her vor- wärts gerückt sind. Aus der Umbildung der Sinnesorgane, vorzüglich des Auges, und der damit verbundenen Entfaltung des Gehirnes entspringt eine höhere Potenzirung des gesammten Organismus, und diese wird auch in der Art der Nahrungsaufnahme gegen den früheren Zustand zur Äußerung kommen. Daraus leitet sich die aktive Betheiligung der Umgebung des Mundes an jener Funktion ab, die Sonderung eines Kiemenbogens zum Kieferbogen, nachdem einmal Stützgebilde in der Wand der Kopfdarmhöhle aufgetreten sind. Bei Amphioxus ist der als Kopf aufzufassende Körperabsebnitt im primitivsten Zustand, den wir kennen. Er wird von der gleichen Metamerie beherrscht, wie der übrige Körper und es ist keineswegs eine Branchiomerie, welche den metameren Ton angiebt (vgl. Harscuer’s Darstellungen [Nr. 21] auf seiner Tafel V). Die Kopfsomite und ihre Derivate sind ältere Gebilde als die Kiemen. Da es der zu- erst sich ausbildende Körpertheil ist, kommt seiner Metamerie auch das höhere Alter zu, und die auf den Rumpf übergehende Metamerie leitet sich von der ersteren ab. Bei den Cranioten ist mit den vorhin dargestellten Veränderungen die dorsale Metamerie des Kopfes verkümmert. Es gelangt schon bei den Selachiern nur eine Minderzahl von wirklichen Kopfsomiten zur Anlage, und davon gewinnen nur die drei ersten bleibende Be- deutung. In den höheren Abtheilungen ist diese Reduktion noch weiter fortgeschritten. Wer von solchen Zuständen die phyletische Cephalogenese ableiten will, gelangt natürlich zu eben so verkümmer- ten Vorstellungen bezüglich der Bedeutung der Kopfsomite für die Metamerie des Kopfes. Die Ontogenese des Kopfes rekapitulirt eben so wenig wie die eines anderen Körpertheiles, alle einzelnen Phasen, die phylogenetisch durchlaufen werden, sie giebt davon nur eine summarische Darstellung. Die Vergleichung mit niederen Befunden hat dann jene Fragmente zu ergänzen und aus ihnen den primitiven Zustand abzuleiten. Es bleibt mir nun noch die Besprechung des gegenseitigen Ver- haltens der dorsalen- und der ventralen Metamerie in Vergleichung mit Amphioxus. Das was uns bei Amphioxus von der ersten Ent- stehung der Kiemenspalten bekannt ist, steht im Einklange mit der ersten Kiemenspaltenbildung der Cranioten und erlaubt die Gleich- ew = Es Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 101 artigkeit der Anlagen auszusprechen. Die Asymmetrie der ersten Kiemenspalte giebt dafiir kein Hindernis ab, da sie von anderen asymmetrischen Befunden an Kopforganen abhängig erscheint. Die Übereinstimmung der ersten Anlage scheint aber später in eine Di- vergenz überzugehen, und wenn wir auch die Kiemen von Amphi- oxus und jene der Cranioten für im Allgemeinen homologe Bildungen halten, so kommen in beiden doch viele Besonderheiten zum Aus- druck. Jene von Amphioxus entsprechen nicht mehr der allgemeinen Metamerie des Kopfes, indem die Spaltbildungen sich reicher ge- stalten als die durch die Somite des Kopfes ausgesprochene Me- tamerie. Dieses steht in Verbindung mit der Entstehung der Pe- ribranchialhöhle und der darin liegenden Verschiedenheit von den Cranioten!. Jedenfalls wird dadurch die Beziehung der höheren Zustände auf diesen Theil der Organisation von Amphioxus bedenk- lich, und eben so bedenklich wäre die Folgerung: weil bei Amphioxus eine selbständige »Branchiomerie« sich entfaltet, muss sie auch den Cranioten zukommen. Das könnte vielleicht als wahrscheinlich gel- ten, wenn die betreffenden Verhältnisse der Cranioten dunkel wären, was sie nun nicht mehr sind. Vom ersten Metamer des Kopfes (d. h. dem zweiten Somit und dem ersten Kiemenbogen) wissen wir gewiss, dass seine Bestandtheile unter einander zusammenhängen, da die betreffende Kopfhöhle in die Höhle des Kieferbogens sich fort- setzt. Vom zweiten Metamer, d. h. dem dritten Somit und dem ! Schon diese an noch tiefer stehende Formen ankniipfende Organisation von Amphioxus scheidet denselben von den Cranioten. Diese können nur von Formen abstammen, bei denen eine Peribranchialhöhle noch nicht besteht, wie in Larvenstadien von Amphioxus. An die Genese der Peribranchialhöhle knüpft sich aber ein wichtiges Verhalten der Muskulatur. Diese entfaltet sich von den Somiten aus in die Duplicatur des Integumentes, welche faltenartig ventralwärts wachsend, die Wand der Peribranchialhöhle bildet, und schließ- lich ventralen Abschluss gewinnt. Diese Muskulatur besitzt dieselbe Metamerie wie die Somite, von denen sie ausging, folglich besteht am gesammten Kopfe gleichartige metamere Muskulatur, eben so wie am Rumpfe. Die Cranioten zeigen das Muskelgebiet der Kopfsomite in dorsaler Beschränkung. Dagegen besteht die Mesodermanlage (Seitenplatten) in der Wand der Kopfdarmhöhle, und es entwickelt sich dann aus dieser, mit ihrer durch die Kiemenspalten er- folgenden Theilung in das Mesoderm der Kiemenbogen, die Muskulatur der letz- teren. Eine solche Muskulatur scheint bei Amphioxus zu fehlen, so dass den Kiemenbogen damit ein anderer Werth zukommt. Kompensatorisch tritt die Wand der Peribranchialhöhle dafür ein, deren Muskulatur aber von den Somiten stammt. Jeder Ableitungsversuch einer selbständigen »Branchiomerie« bei den Cra- nioten von der selbständigen Branchiomerie des Amphioxus wird durch diese Verschiedenheit des mesodermalen Verhaltens illusorisch. 102 C. Gegenbaur zweiten Kiemenbogen (Hyoidbogen) wird es ebenfalls angegeben, wenn es auch minder gesichert ist. Das vierte Somit hat jedenfalls seine Bedeutung eingebüßt, denn es entwickelt sich keine Muskulatur aus ihm. Wenn es Beziehungen zum zweiten Kiemenbogen gewon- nen hat, so ist darin um so eher ein sekundärer Zustand zu sehen, als von da an den ursprünglichen Kopfsomiten nicht mehr der Werth der ersten zukommt. Jene Beziehung des vierten Somites jedoch bleibt allerdings noch ein der vollen Aufklärung harrender Punkt, für welehen andere Ursachen zu suchen sein werden, als die An- nahme, dass der Hyoidbogen zweien Kiemenbogen entspräche (pag. 80). Indem ich die Beziehung vorderer Somite zu Kiemenbogen, dor- saler Theile zu ventralen hervorhob, habe ich darin ein primitiveres Verhalten erkannt als an der folgenden Kopfregion, die ich als mitt- lere bezeichnen will. An dieser fehlt die Verbindung der Kiemen- bogenhöhlen mit den Kopfhöhlen, was ich von der Reduktion der Kopfsomite ableiten möchte, und an der hinteren Kopfregion kann sie gar nicht mehr erwartet werden, da deren drei Somite wahr- scheinlich sämmtlich nieht dem Kopfe angehören. Vor den Bezie- hungen der Kopfsomite zu den Kiemenbogen besteht also nur noch vorn ein Rest. Ich betrachte das wieder als den Ausdruck großer Veränderungen, welche in der Kopfanlage der Selachier früheren Zuständen gegenüber besteht. Den Einwand aber, dass jenes an einem Metamer oder an zweien bestehende primitive Verhalten durch das Verhalten der übrigen Metameren an Bedeutung verliere, diesen Einwand weise ich damit zurück, dass hier nicht die Zahl, sondern die Sache entscheiden muss, und dass nach allen Befunden der Kopfanlage vorn die primitiveren, hinten die reducirteren Zustände vorkommen. Wenn das metamere Verhalten des Kopfes bezüglich der Zusam- mengehörigkeit dorsaler und ventraler Gebilde zweifelhaft sein könnte, so wird es durch die Nerven nur bestätigt. Die bei den Haien ge- gebenen Einrichtungen machen das klar. Sie zeigen zweifellos pri- mitivere Befunde als die Cyclostomen, von denen aus der AHLBORN- schen Untersuchung von Petromyzon (Nr. 1) ersehen werden kann, welch bedeutende Umgestaltungen Platz gegriffen haben. Indem Jener diese veränderten Verhältnisse als ursprüngliche betrachtet, gelangt er zu einer Unterschätzung der »Neuromerie«. Sie ist ihm natürlich unbequem, nachdem er einmal die absolute Selbständigkeit der dorsalen und ventralen Region des Kopfes behauptet hatte. Das kann uns nicht abhalten, die Sache zu betrachten. Von wiehtigeren 8}: Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Koptskeletes. 103 Ergebnissen der ontogenetischen Forschung sei beziiglich des meta- meren Zustandes der Nerven nur eines zu verzeichnen: dass der Ramus dorsalis des Trigeminus, oder jetzt richtiger der Ramus oph- thalmieus profundus, dem Gebiete des ersten Somites angehört, viel- leicht dem Trigeminus fremd war. Er repräsentirt mit jenem Somite und mit dem Oculomotorius nach den Neueren ein erstes Kopfmetamer. Ich halte diese Auffassung zwar nicht korrekt, denn dieses »Kopfmetamer« ist etwas von allen Übrigen Verschiedenes, da es eines ventralen Abschnittes entbehrt, allein es kann doch zu- gegeben werden, dass da ein Abschnitt vorliegt. Das nach meiner Auffassung erste Metamer wird durch das zweite Somit, den ersten primitiven Kiemenbogen oder den Kieferbogen gebildet, ersterem ge- hört der Trochlearis, letzterem der Ramus mandibularis trigemini an, von welchem der Ramus maxillaris superior nach Maßgabe der Sonderung des Oberkieferknorpels (Palato-quadratum) sich abzweigt. Das zweite Metamer baut sich aus dem dritten Somite, auch noch Theilen des vierten und dem zweiten primitiven Kiemenbogen oder dem Zungenbeinbogen auf. Ihm gehören der Abducens, sowie der Acustico-facialis an. Für das dritte Metamer hat das betreffende Somit (das fünfte) keine bleibende Bedeutung. Man kann desshalb nicht einmal behaupten, dass es dem dritten Bogen sicher zugehöre. Es empfängt keinen Nerven, während dem diesem Metamer zukom- menden Kiemenbogen (dem ersten definitiven) der Glossopharyngeus zugetheilt ist. | Es sind also drei Metameren des Kopfes durch direkte, bei ihrer Genese schon selbständige Nerven charakterisirt. Für die fol- genden Metameren besteht der Vagus. Von diesen Metameren hat nur noch das erste ein Kopfsomit, wie das vorhergehende ohne Mus- kelderivat, also rudimentär, und für die letzten Metameren bestehen dorsale Defekte, so dass sie nur durch die ventralen Theile oder die Kiemenbogen dargestellt sind. Die Ontogenie hat für die metamere Bedeutung des Vagus nichts Großes erwiesen. Es liegen also hier die Dinge, wie sie die Anatomie zeigt. Daher gelten auch alle jene Gründe noch vollständig, die ich für die Polymerie des Vagus ange- geben hatte. Wenn wir für den ersten bis dritten Kiemenbogen je einen diskreten Kopfnerven bestimmt sehen, für die letzten Kiemenbogen aber einen gemeinsamen Stamm, so liegt es nahe genug, diesen aus einer Summe von Nerven entstanden zu betrachten, aus derselben Anzahl, welche jener der von ihm versorgten Kiemenbogen entspricht. Die- ser eine Grund ist hervorzuheben, andere sind in meiner Abhandlung 104 C. Gegenbaur (Nr. 19, pag. 269 f) zu finden. Fiir die Polymerie des Vagus be- steht aber doch eine ontogenetische Thatsache, die: dass die einzel- nen Kiemenäste von der gemeinsamen Nervenleiste in weiteren Ab- ständen abtreten, als sie später von einander entfernt sind. Es findet also noch während der Ontogenese ein Stück der Konkrescenz statt. Mit dem Vagus schließen die primitiven Kopfnerven ab. Sie besitzen, so weit sie metamerer Bedeutung sind, in der Genese etwas Gemeinsames, dass ihre Wurzeln oberhalb der Somite verlaufen, sich mit ihren Ganglien vom Ektoderm sondern (pag. 42), während die hinteren Wurzeln der spinalen Nerven unterhalb der Somite verlaufen. Aus dieser Verschiedenheit entspringt ein triftiger Grund gegen die Vorstellung, dass der Kopf successive aus dem Rumpfe hervorge- sangen sei, die Kopfnerven aus Spinalnerven entstanden wären. Ich halte jene ontogenetische Thatsache daher von großer Bedeutung. Sie misst auch beiderlei Nerven einen verschiedenen Werth zu. wel- chem gemäß ich meine Auffassung der Kopfnerven modifieire. Diese Frage ist aber hier, wo es sich wesentlich um die Metamerie han- delt, nicht weiterzuführen, zumal noch Manches für die Zusammen- setzung jener Kopfnerven, namentlich bezüglich unterer (ventraler) Wurzeln unsicher ist. Meiner früheren Darstellung gegenüber habe ich also die An- nahme einer völligen Homodynamie der Kopfnerven mit Spinalnerven verlassen. Für Oculomotorius und Trochlearis sind die Akten noch nicht geschlossen. Den Abducens hatte ich selbst später (Nr. 20, pag. 542) dem Facialis beigezihlt. Von der Trigeminusgruppe ist dann noch der Ramus ophthalmicus profundus selbständiger als die Anatomie ihn nachweisen kann. Für die Nerven der Vagusgruppe hat sich bezüglich unserer Fragen nichts Wesentliches geändert, mit Ausnahme der unteren Vaguswurzeln, welche wahrscheinlich sämmt- lich nieht ursprüngliche Kopfnerven, sondern untere Wurzeln von Spinalnerven sind, die dem Kopfe sich anschlossen. Dass im Ramus lateralis des Vagus Rami dorsales desselben erkannt sind, hat für die Kopfmetamerie keine Bedeutung. Dass der Kopf der eranioten Wirbelthiere aus einem metamer angelegten Körperabschnitte hervorging, ist durch die neueren ontogenetischen Forschungen erwiesen. Dadurch ward meiner Darstellung volle Bestätigung zu Theil, wenn auch manches Detail sich anders gestaltete. Diese Metamerie hat sich aber nur unvollständig erhalten. Sie ist zum Theil nur durch Ver- gleichung erschließbar, selbst bei den Selachiern, und erfährt in den 7 ee eee, m a eee ee re eee ee Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 105 höheren Abtheilungen fernere Einbuße. Die Metamerie muss ur- sprünglich sowohl dorsal als auch ventral ausgeprägt gelten, denn auch hierfiir sind Zeugnisse zu erkennen. Am wenigsten hat der in den Kopfsomiten sich darstellende Theil der Metamerie sich erhalten. So weit diese zu Muskelanlagen bestimmt sind, bietet der Kopf mit der Ausbildung des Gehirns in seiner Region fiir die Forterhaltung einen minder giinstigen Boden. Was von jenen Somiten an Muskeln hervorgeht, dient nicht der Bewegung der Metameren, sondern eines besonderen Organes, des Auges. Die Erkenntnis der Metamerie des Kopfes giebt die Grundlage ab für die Beurtheilung des Kopfskeletes. Die Thatsachen der Onto- genie liegen bei den Cranioten fiir dieses so, dass wir an ihm einen aus Metameren bestehenden ventralen Theil, das Kiemen- oder Vis- ceralskelet, und einen nicht metamer sich anlegenden dorsalen Theil, das Cranium, unterscheiden. Diese beiden sind schon aus dem ana- tomischen Verhalten unterscheidbar und zeigen bei den Selachiern die primitivsten Zustände, über welche hinaus die Ontogenie bis jetzt nichts Wesentliches gefördert habe. Nachdem aber für den Kopf noch niederere Zustände als die der Selachier erschließbar wur- den, da die Anlage des Selachierkopfes sich nur. theilweise im pa- lingenetischen Zustande ergab, theilweise als cänogenetisch umgebildet gedeutet werden musste, so ergiebt sich die Frage, in welcher Art diese Verhältnisse auf die Beurtheilung des Skeletes Einfluss be- sitzen. | Bezüglich des Craniums befinden wir uns in einer ungünstigeren Lage als beim Kopfe. Für diesen hat Amphioxus einen niederen Zustand als die Kopfanlage der Selachier ist. Beim Cranium ist Ähnliches nicht der Fall, denn Amphioxus besitzt eben keines, und damit fehlt das Vergleichungsobjekt eines niederen Zustandes. Wir können daher nur mit geringerer Sicherheit verfahren, indem wir die Phylogenese des Craniums vom Kopfe selbst ableiten. Da wir für den Kopf einen viel längeren Körperabschnitt als primitiveren Zustand annehmen, aus welchem jener der Cranioten durch Reduk- tionen und Konkrescenzen (Vagus) entstand, so dass also an dem hinteren Theile des Kopfes eine vollständigere und reichere Meta- merie bestanden haben muss, so wird dadurch der Zustand der Para- chordalia als ein abgeleiteter wahrscheinlich. Meine frühere An- nahme, dass » ein gegliederter Theil des Achsenskeletes« dem Cranium zu Grunde gelegen habe, ist desshalb auch heute nicht widerlegt, wenn auch eben so wenig als früher direkte Nachweise dafür be- 106 C. Gegenbaur stehen. Nur wenn man die Ontogenie zum exclusiven Ausgange nimmt, und das, was sie bei einem Organismus wicht zeigt, als auch niemals in der Phylogenese desselben vorhanden gewesen behauptet, kann man jene Vorstellung als unbegriindet betrachten. Ich glaube also die Parachordalia! als aus einem metameren Skeletabschnitte entstandene Gebilde annehmen zu dürfen. Sie bil- den die erste Grundlage des Craniums. Wenn dieses an der Chorda dorsalis entstandene Knorpelgewebe nicht von vorn herein zwei ein- heitliche Massen vorstellt, sondern der übrigen Metamerie dieses Kör- pertheils folgend, ebenfalls metamer disponirt war, so entspricht dieses jedenfalls der Idee der Metamerie des Kopfes viel besser, als die Annahme, dass jene Knorpel vom Anfang an kontinuirlich waren. Die Kontinuität wäre nur dann begründet, wenn das Knorpeigewebe erst in einem späteren Zustande entstanden wäre, erst dann, nach- dem der Kopf bereits sich vollständig gesondert hatte und an seinem hinteren Abschnitte bereits die mehrfach erwähnten Reduktionen be-- saß. Auch mit dieser Meinung wird gerechnet werden müssen, zu- mal sie auf die ontogenetischen Befunde sich stützen kann. Sie steht auch jener anderen nicht so sehr entgegen, denn sie setzt ja die gleiche Metamerie des Kopfes voraus und lässt damit auch dem Cranium einen polymeren Körperabschnitt, wenn auch nur virtuell, zu Grunde liegen. Die Entscheidung über diese Frage steht noch aus; denn die Ontogenie der Cranioten, so weit wir diese bis jetzt kennen, zeigt uns überall die Kopfanlage gerade in der wichtigsten Region in cänogenetischen Zuständen und verbietet dadurch die Zu- grundelegung dieser Befunde für die Prüfung der Frage von der ursprünglichen Polymerie der parachordalen Knorpel. Für das Visceralskelet kommt die gleiche Frage in Betracht, nur äußert sie ihre Bedeutung in anderer Richtung. Dass wir im Visceralskelet, in Kiefer-, Zungenbein- und Kiemenbögen homodyname Gebilde zu erkennen haben, gilt wohl jetzt als sicher. Aber das Verhalten dieser Bogen zu den anderen ventralen Bogen, wie sie in den Rippen vorliegen, darf noch als strittig gelten. Ich hatte zwischen diesen beiderlei Bildungen, die ich als »ventrale Bogen« zusammenfasste, eine Homodynamie aufgestellt, »die unteren Bogen ' Alle übrigen Knorpeltheile des Craniums kommen bei der beregten Frage wenig in Betracht. Es sind spätere Bildungen, welche, wie immer sie auch in einzelnen Fällen selbständig auftreten mögen, sicher mit der Metamerie nichts zu thun haben, und wahrscheinlich auch ursprünglich von den Parachor- dalien ausgehen. we ae Die Metamerie des Kopfes und die Wirbelthcorie des Kopfskeletes. 107 bieten am vorderen Theile des Körpers andere Verhältnisse als am hinteren, zeigen also eine Differenzirung« (Nr. 19, pag. 301). Damit ist also, auch bei der Annahme einer ursprünglichen Gleichwerthig- keit, das verschiedene Verhalten von mir keineswegs ignorirt. Später habe ich mich in ähnlichem Sinne geäußert. »Zwischen den Kiemen- bogen und den unteren Bogen der Wirbelsäule ist eine allgemeine Übereinstimmung zu erkennen« (Nr. 20, pag. 470). Diese aufs All- gemeine sich beziehende Übereinstimmung involvirt aber zugleich Ver- schiedenheiten im Besonderen. Es ist mir nun vielfach zum Vorwurfe gemacht worden, dass ich durch Aufstellung jener Homodynamie die Kiemenbogen den Rippen für äquivalent erklärte. Die auch mir nicht so ganz unbekannt gebliebenen Verschiedenheiten zwischen Rippen und Kiemenbogen sollten die Richtigkeit des mir gemachten Vorwurfes erhärten. Dass Rippen und Visceralbogen verschieden seien, ward von mir niemals in Abrede gestellt. Die Anatomie zeigt sie verschieden von einander, und die Ontogenie lehrt dasselbe, indem sie nichts Neues hinzubrachte. Von diesem Standpunkte aus wäre also die ältere Anschauung festzuhalten. Man müsste sich dem zufolge vorstellen, dass die Visceralbogen und die Rippen erst nach erfolgter Sonderung des Kopfes entstanden, so dass das gesammte Skelet eine relativ späte Bildung sei. Ich gebe zu, dass man zu dieser Annahme einiges Recht hat. Aber es bestehen doch Gründe, welche die Sachlage jener Skeletgebilde nicht so ganz einfach erscheinen lassen. Dem- nach wird man versuchen dürfen, ob nicht ein anderer Weg doch zu anderer, einheitlicherer Auffassung führe. Ich hatte früher die Homodynamie jener unteren Bogenbildungen, und das sind ja doch beide, aus der Vergleichung des Craniums mit der Wirbelsäule ge- folgert. Wenn das Cranium einer Summe von Wirbeln entspricht, so werden die Bogen des Visceralskeletes den Rippen ähnliche Bil- dungen sein, und indem ich die Rippen als »Abgliederungen« von der Wirbelsäule ansah, ergab sich dieselbe Vorstellung auch für die Visceralbogen in Bezug auf das Cranium. Die Ausbreitung unserer ontogenetischen Erfahrungen gestattet jetzt jener Deutung noch andere Grundlagen zu geben. Wir gewinnen sie zunächst aus der Vergleichung mit Amphioxus. Wihrend ich oben an verschiedenen Stellen betonte, dass der Kopf der Cranioten, ontogenetisch betrachtet, schon in seiner An- lage vom Rumpfe gesondert ist, und ein successiver Ubergang von Rumpfmetameren in den Aufbau des Kopfes nicht nachgewiesen 108 C. Gegenbaur werden kann, so habe ich damit zugleich die primäre Kopfanlage von den sekundär ihr zukommenden Rumpfsomiten scharf trennen wollen. Das erforderte der sehr verschiedene Werth der betreffen- den Somite. Bei den Acraniern dagegen ist in gewissen Stadien jene Verschiedenheit noch nicht vorhanden (vgl. HATscHEr). Der gesammte Körper verhält sich in Bezug auf seine Metamerie gleich- mäßig, wenn man davon absieht, dass am Hinterende noch Meta- meren angelegt werden. In solchen Stadien wird fast der gesammte Körper nur durch den Abschnitt, welcher später die Kopfdarmhöhle enthält, dargestellt, also durch die Kopfanlage, oder auch nur einen Theil derselben. Vor der Entstehung der ersten Kiemenspalte ist aber jener Abschnitt noch gar nicht unterscheidbar, in so fern wir die Kopfanlage durch die Kopfdarmhöhle, und diese wieder durch die Kiemenspalten charakterisirt sein lassen. Indem dieses Verhältnis der gleichartigen Metamerie sich über den gesammten Körper er- streekt, wird bei Amphioxus erst mit dem Auftreten der Kiemen- spalten (und dem was sonst damit verknüpft ist) Kopf- und Rumpf- theil des Körpers gesondert. Auf Kosten des Rumpfes, der terminal weiter wächst, werden mit der Vermehrung der Kiemen neue Ge- biete dem Kopfe zugeführt. Wir sehen darin eine Einheit der Körperanlage, der spätere Kopftheil ist der zuerst angelegte und ausgebildete. Rumpf bleibt das, was von jener Anlage nicht zum Kopfe verwendet wird, mit dessen Entstehung erst der Gegensatz beider Körperabschnitte hervortritt. Von solehen primitiven Befunden erscheint auch noch bei den Cranioten Manches, wenn auch bereits in modificirtem Verhalten. Ich zähle hierher die Kopfsomite, dann das Kopfeölom, welches einen Abschnitt des Körpereöloms vorstellt. Eine solehe zum größten Theile (mit Ausschluss der Pericardialhéhle) gar keine Bedeutung für den späteren Zustand des Kopfes be- sitzende Einrichtung, wie das Kopfeölom, spricht deutlich genug für die ursprüngliche Zugehörigkeit zum Rumpf. Hat man sich daraus die Vorstellung einer primitiven Über- einstimmung des zum Kopfe bestimmten Körperabschnittes und des Rumpfes gemacht, und damit für den gesammten Körper eine ein- heitliche Auffassung gewonnen, so ist es nicht schwer, von diesem Standpunkte aus auch die Skeletgebilde zu beurtheilen. Die Onto- genese von Amphioxus ist hier von größter Bedeutung. Es fragt sich nun ob Gründe bestehen, welche das Auftreten der ersten Skeletgebilde in diesem weit zurückliegenden Stadium wahrscheinlich machen. Ist dieses der Fall, so werden die Skelet- Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 109 theile gleichfalls von jenem Gesichtspunkte der Homodynamie zu betrachten sein. Die Ontogenie vermag auch in jener Richtung nichts zu begründen. Wir haben in dieser Abhandlung vielfach auf die Schranken hingewiesen, die jene unserer Erkenntnis setzt. Schon dadurch, dass sie alle Visceralbogen in dem ihnen später zukommenden Zustande auftreten lässt, in der gleichen Zahl und in derselben Form, beweist, wie wenig man von der Ontogenese erwarten darf. Desshalb kommt auch deren Zeugnis, wo sie als negative Instanz auftritt, nur geringe Geltung zu. Wir müssen desshaib nach einer anderen Seite uns umsehen, und wenden uns zur Vergleichung. Diese muss ich mit den Rippen beginnen. Meine Auffassung dieser Skelettheile als Abgliederungen von der Wirbelsäule ward von einer ganzen Anzahl von Forschern bestritten. Sie zeigten, dass die Rippen ontogenetisch selbständig seien, was von mir gar nicht in Abrede gestellt war! Ich hatte die Phylogenese im Sinne, und sützte meine Auffassung auf das Verhalten der unteren Bogen in der Schwanzregion der Ganoiden. Dass dieselben Gebilde, welche am Rumpfe Rippen vorstellen, im Schwanze mit den Wirbeln einheitliche untere Bogen seien, ward nicht widerlegt. Aus jenem Verhalten im Konnexe mit Anderem folgerte ich die phyle- tische Entstehung der Rippen als Abgliederungen vom Achsenskelet. Diese Auffasung hat inzwischen auch noch ontogenetische Begründung erhalten (Grassı). Dass die Rippen als durchaus selbständige, von der Wirbelsäule unabhängige Gebilde entstanden seien, die erst später mit der Wirbelsäule Fühlung gewonnen hätten, wird wohl Niemand behaupten. Ich finde also meiner Auffassung nichts im Wege stehend. Sie kann das phyletische Entstehen der Rippen ‚aus Apophysen der Wirbel erklären, während die andere Ansicht eine Art von »Generatio aequivoca« postulirt und damit nichts erklärt. Von dieser Auffassung der Rippen ausgehend gelangt man am Kopfe zu ähnlichen Vorstellungen für das Visceralskelet. Indem wir oben die Wahrscheinlichkeit darlegten, dafür, dass dem Cranium eine Anzahl von Metameren zu Grunde läge, die mit jenen am Rumpfe übereinkamen, ist es nicht sehr gewagt, auch ventrale Skeletbildungen des Kopfes als ursprünglich von jenen in das Cranium übergegangenen Gebilden entstanden zu betrachten. Dass an diesen andere Verhältnisse auftreten als am Rumpfe, versteht sich aus den in Vergleichung mit dem Rumpfe geänderten Verhältnissen. Jene Bogen bleiben mit den Abkömmlingen der Seitenplatten in Ver- bindung, da die am Rumpfe aus den Somiten entstehenden, hier 110 C. Gegenbaur auch ventral auswachsenden Muskelplatten am Kopfe größtentheils abortiv werden, keinenfalls aber in die ventrale Region sich er- strecken. Alle andern Differenzen, wie die Lage in der unmittel- baren Niihe der Kopfdarmwand, oder das Verhalten zu den Kiemen- gefäßen, und Anderes, was man dieser Art dagegen aufgeführt hat, ist von untergeordneter Bedeutung. Indem ich der Meinung bin, dass man die Visceralbogen als untere Bogen betrachten könne, welche wahrscheinlich von Kopf- wirbeln aus ihre Entstehung nahmen, und sie damit den Rippen für homodynam halte, muss ich einer irrigen Vorstellung begegnen. Ich halte die Visceralbogen nicht für frühere Rippen, eben so wenig als ich die Rippen für gewesene Visceralbogen halte! Desshalb bediente ich mich zum Ausdrucke der Homodynamie der Bezeichnung »antere Bogen«. Diese fanden, bei gleichartiger Entstehung von Wirbeln aus, verschiedenartige Bedingungen ihrer ferneren Existenz und gingen demgemäß in differente Gebilde über. Diese Verschiedenartigkeit ist. von jener beherrscht, welche die Sonderung der Kopfanlage der des Rumpfes gegenüber darbietet. Die Ableitung dieser Bogenbildungen von anderen Skeletgebilden entspricht einer Betrachtungsweise des Wirbelthierskeletes, welche sich auf viele vergleichend - anatomische Einzelerfahrungen stützt. Aus solchen geht hervor, dass viele ontogenetisch diskret entstehende Skelettheile nicht durch solche isolirte Knorpelentwicklung aufgebaut, phylogenetisch entstanden sind, sondern nur durch Gliederung ursprüng- lich einheitlicherer und damit einfacherer Bildungen. Der Hyoidbogen der Haie besteht aus zwei Stücken, welche wahrscheinlich selbst aus einem einzigen sich bildeten. Von diesen beiden finden wir an der Stelle des unteren ein mehrmalig gegliedertes Stück, von dem wir annehmen müssen, dass es nicht durch Zutritt neuer Theile, sondern durch eine Sonderung des alten einheitlichen entstand. Solcher Beispiele wären viele anzuführen. Die Ontogenie giebt diese Verhältnisse als direkt zu beobachtende Vorgänge nur in seltenen Fällen kund, so z. B. in der Genese des Sternum von den Rippen. An diesem jüngsten Bestandtheil des Wirbelthierskeletes ist der phylogenetische Weg noch erkennbar, der bei der Mehrzahl der älteren Skeletgebilde in der Ontogenese schon zerstört ist. Wir vermögen ihn dann nur durch die Vergleichung zu ersetzen. Dieses mag meine Auffassung des Visceralskeletes näher erläutern. Sie ist auf Analogieschlüsse gestützt, und soll für die Betrachtung jener Theile neue Gesichtspunkte bieten. Ob sie fester begründet Die Metamerie des Kopfes und die Wirbeltheorie des Kopfskeletes. 111 werden kann, wird die Zukunft lehren. Die Entscheidung über diese Frage wird uns so lange vorenthalten bleiben, als die Kluft besteht, welche Amphioxus von den Cranioten trennt. Auch die Frage, ob in den dem Kopfe zu Grunde liegenden Metameren knor- pelige Wirbel sich anlegten, oder ob die erste Anlage des Skeletes erst später erfolgt, kann durch die gegenwärtige Kenntnis der Cra- nioten nicht gelöst werden, da deren Kopf schon in seinem ersten Zustande viele eünogenetische Momente birgt. Bleibt somit die Phylogenese des Kopfskeletes auch unsicher !, so ist doch die Entstehung des Kopfes selbst aus einer Anzahl von Metameren zu einer Thatsache geworden. Da diese Metamerie sich lings der Chorda erstreckt, in gleicher Weise wie am Rumpte zuerst durch » Urwirbel« ausgesprochen, ist es gerechtfertigt diesen ältesten Theil des Kopfes von dem späteren, vor der Chorda ent- stehenden zu unterscheiden. Diese Unterscheidung überträgt sich auch auf das Cranium, dessen chordaler Abschnitt den segmentirten, wenn auch nicht nachweislich diskrete Wirbelanlagen besitzenden Theil des Kopfes umfasst. Es ist zweifellos potentiell ein » vertebraler Ab- schnitt«, wie ich ihn nannte, um damit den Gegensatz zum vorderen Abschnitte auszudrücken, in welchem keine Metamerie angelegt wird. Wenn jener vertebrale Abschnitt in der cänogenetischen Kopfanlage der Cranioten durch Bestandtheile einiger Rumpfmetameren noch Zu- wachs empfängt, so geht dieser in dem Vorhandenen auf, und selbst wenn knorpelige Wirbel, wie vielleicht bei Selachiern, sich an- schließen, so bleiben solche in höheren Abtheilungen nicht mehr er- halten. Sie fallen einer Region zu, in welcher im Laufe der Phy- logenese des Kopfes viel zahlreichere Metameren ihren Untergang fanden. Indem die alte »Wirbeltheorie« des Schädels sich zu einer Metamerentheorie des Kopfes gestaltete, hat sie sich der letzteren ! Man kann dem Versuche der Ermittelung der Phylogenese eines Organs nicht die Berufung auf die ontogenetischen Thatsachen als etwas Gleichwerthiges, oder gar als etwas Höheres, weil auf Thatsachen Gestütztes, gegenüberstellen. Auch die Phylogenie geht von Thatsachen aus, wenn sie nicht reine Spekula- tion sein will. Sie sucht aber für die Thatsachen Erklärungen. Mit Bezug auf das Visceralskelet stelle ich die Selbständigkeit von dessen Ontogenese nicht im mindesten in Abrede, ich finde nur in dieser Selbständigkeit etwas Auf- fallendes, da sie bei anderen ventralen Skeletbildungen als erworben nach- weisbar ist. Daher der Versuch der Ableitung, und damit einer Erklärung, welche bei der anderen Auffassung nicht versucht wird. Dies der Unterschied von beiderlei Auffassungen. 112 C. Gegenbaur untergeordnet. Die »Wirbeltheorie« des Schädels wollte an diesem Skeletkomplexe die Übereinstimmung mit der Wirbelsäule ermitteln, um damit zugleich den Kopf seiner Fremdartigkeit dem Rumpfe gegenüber zu entkleiden. So wenig deutlich jene Aufgabe auch formulirt war, so lag sie doch jenen Bestrebungen implieite zu Grunde. Jedenfalls barg sie das Endziel. Dieses ist erreicht worden. Die Ontogenie hat bestätigt, was die Vergleichung der anatomischen Thatsachen ergeben hatte. Sie hat sehr Wichtiges zu Tage gebracht, Manches genauer ermittelt, Anderes modifieirt. Aber sie zeigte auch bald die Grenze ihrer Erfahrungen. Durch die Vergleiehung konnten diese weiter hinausgerückt werden, und gerade für die fundamen- taleren Fragen zeigte die Vergleichung sich eben so unentbehrlich, wie es für diese die Ontogenie ist. Litteraturverzeichnis. 1) Fr. AHLBORN, Über den Ursprung und Austritt der Hirnnerven yon Petro- myzon. Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. 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Die Angelegenheit, über welche ich mir heute einige Bemerkungen zu machen erlaube, interessirt mich schon von jenen Tagen an, als ich unter Ihren Auspicien in Heidelberg meine Abhandlungen über die Arterienbogen der Dipnoer und der Amphibien ausarbeitete; was ich jetzt schreibe, ist so zu sagen eine Fortsetzung von Gesprächen mit Ihnen im Jahre 1879. Die Sache ist folgende. Bei den Amphibienlarven, sowie bei Ceratodus, Polypterus und Amia, finden sich vier Arterienbogen-Paare, welche dem dritten bis sechsten Visceralbogen entlang laufen, und von welchen das letzte Paar die Lungenarterien abgiebt. Bei ganz jungen Larven von Bombinator sind außerdem noch zwei weiter vorn liegende Arterienbogen-Paare nachgewiesen, welche den beiden vordersten Vis- ceralbogen — Kiefer- und Hyoidbogen — entlang laufen; ähnliche sind ohne Zweifel auch bei anderen Amphibien und bei den ge- nannten Fischen im jüngeren Zustande vorhanden (der zweite der- selben findet sich noch beim erwachsenen Polypterus: Kiemendeckel- Arterie). Das sei nun wie ihm wolle, sicher ist, dass die Lungen- arterie bei den genannten Formen aus dem Arterien- bogen des sechsten Visceralbogens entspringt. Der erste und zweite Arterienbogen der Larve (resp. dem dritten und vierten Visceralbogen angehörend) bilden sich bekanntlich resp. zu den Ca- rotiden und zu den Aortenbogen s. str. aus; der dritte Arterienbogen (der des fünften Visceralbogens) bildet sich bei den normalen Am- 8* 116 J. E. V. Boas phibien gewöhnlich zurück, so bei Rana, bei Triton, häufig bei Salamandra, bei welcher er jedoch auch persistiren kann. Es lag mir nahe, als ich diese Untersuchungen verfolgte, auch Blicke nach den Amnioten hinaus zu werfen; hatte ja eben die Dar- stellung der Umwandlungen der primitiven Arterienbogen bei den Amnioten in Ihrer Vergleichenden Anatomie den tiefsten Eindruck auf mich gemacht, als ich mich seiner Zeit als Student durch den be- treffenden Abschnitt Ihres Buches arbeitete. Bei den Amnioten waren aber damals nur fünf primitive Arterienbogen bekannt, von welchen der erste dem Kieferbogen, die folgenden dem Hyoid- und dem drit- ten bis fünften Visceralbogen entlang verlaufen sollten. Wenn diese herkömmliche Darstellung richtig wäre, würde der dritte, vierte und fünfte primitive Arterienbogen der Amnioten resp. dem ersten, zweiten und dritten Arterienbogen meiner Amphibienlarven entsprechen. Das passte nun für die beiden ersten der genannten Bogen sehr gut; denn aus dem dritten und vierten primitiven Arterienbogen entwickeln sich bei den Amnioten eben dieselben Gefäße wie aus dem ersten und zweiten Arterienbogen der Amphibienlarven, nämlich resp. die Caro- tiden und die Aortenbogen. Anders mit dem letzten der primitiven Arterienbogen der Am- nioten (Nr. 5). Wenn die herkömmliche Darstellung richtig wäre, müsste dieser Bogen dem dritten der Amphibienlarven entsprechen ; aus Nr. 5 sollte aber die Lungenarterie der Amnioten entspringen, während die Lungenarterie der Amphibien aus dem vierten Arterienbogen der Larven, dem Arterienbogen des sechsten Visceralbogens entspringt (eben so bei Ceratodus, Polypterus, Amia). Dass die Lungenarterie bei den Amphibien aus einem, bei den Amnioten aus einem anderen Arterienbogen-Paare entspringen sollte, schien mir aber nicht recht wahrscheinlich — und Sie waren, wie ich mich noch deutlich er- innere, hierin ganz einverstanden —; und ich erlaubte mir desshalb die Vermuthung zu äußern, dass die Untersucher einen zwischen dem vierten und dem angeblichen fünften primitiven Arterienbogen liegenden Bogen übersehen hatten, dass mit anderen Worten der angebliche fünfte der primi- tiven Arterienbogen der Amnioten in der That ein sech- ster Arterienbogen war, unter welcher Voraussetzung eine komplette Homologie der Pulmonalarterien der Amphibien und der Amnioten sich ergeben würde. Entsprechende schematische Figuren wurden schon damals gezeichnet und Ihnen vorgelegt; von einer Publikation meiner Hypothese wurde aber vor der Hand abgesehen. Uber die Arterienbogen der Wirbelthiere. 147 Der Gedanke hat mich auch später hin und wieder beschäftigt; es ist mir so zu sagen peinlich gewesen, dass hier ein Riss in die- sem schönen Kapitel der vergleichenden Anatomie sein sollte, und ich hatte mich endlich dazu entschlossen gelegentlich die Frage we- nigstens beim Hühnchen zu prüfen, musste aber durch Anderweitiges in Anspruch genommen, die Sache auf unbestimmte Zeit verschieben. Ich wurde desshalb nicht wenig erfreut, als ich kürzlich einen Artikel von van BEMMELEN ! las, in welchem dieser Verfasser die sehr wichtige Mittheilung bringt, dass er bei Lacerta, Tropidonotus und dem Hühnchen nicht fünf sondern sechs primitive Arterienbogen auf- gefunden habe, von welchen der fünfte sich frühzeitig rückbildet, wäh- rend der sechste zur Lungenarterie wird — das heißt: meine Ver- muthung, dass die älteren Verfasser den wirklichen fünften Ar- terienbogen übersehen hatten, und dass der angebliche fünfte in der That der sechste war, hat sich für die Reptilien und Vögel durchaus bestätigt; die Homologie der Lungenarterien dieser Thiere und der der Amphibien ist demnach komplett. Der Riss ist somit wesentlich geheilt; übrig bleiben nur noch die Säugethiere, bei welchen noch immer der fünfte Arterienbogen zu entdecken ist. Dass ein solcher auch hier vorhanden ist, dass der angebliche fünfte auch hier in der Wirklichkeit den sechsten re- präsentirt, daran kann ich jetzt nieht mehr zweifeln, und hoffentlich wird uns recht bald die Mittheilung gebracht werden, dass auch dieser entdeckt worden ist. Unter dieser Voraussetzung gestalten sich die Verhältnisse der Arterienbogen bei den mit Lungen versehenen Wirbelthieren sehr einfach und zwar folgendermaßen: Es werden im Fötalzustande sechs Arterienbogen jederseits angelegt, von welchen die beiden ersten dem Kiefer- und Hyoidbogen angehörenden fast immer frühzeitig zu Grunde gehen; nur bei Lepidosteus und Polypterus persistirt der zweite derselben. Die übrigen, der dritte bis sechste Bogen, persi- stiren sämmtlich bei den Knochenganoiden, Dipnoern, Teleostiern und bei einigen Amphibien; bei anderen Amphibien geht aber der fünfte Bogen am Schluss des Larvenlebens gänzlich zu Grunde und das- selbe ist auch bei allen Amnioten schon während des Fötallebens der Fall. Das dritte Bogenpaar wird bei den Amphibien sowie bei den Amnioten zu den Carotiden, das vierte Bogenpaar (oder, bei Vögeln und Säugethieren, nur der eine Bogen des vierten Paares) bildet die 1 In: Zoolog. Anzeiger. 1886. pag. 532 und 546, 118 J. E. V. Boas, Über die Arterienbogen der Wirbelthiere. Aorta, das sechste die Lungenarterien. ‘Überhaupt entspringt die Lungenarterie immer bei den Wirbelthieren vom sechsten Arterien bogen — mit alleiniger Ausnahme von Lepidosteus und den Tele- ostiern, bei welchen ein der Lungenarterie der übrigen entsprechendes Gefäß fehlt (die Gefäße der Lunge, alias Schwimmblase, haben ander- weitige Verbindungen eingegangen). Obgleich ich mir wohl bewusst bin, dass die obigen Bemerkun- gen kaum etwas enthalten, was nicht Jedermann, welcher auf den betreffenden Gebieten einigermaßen zu Hause ist, sich selbst sagen könnte, glaube ich dennoch, dass es nicht ganz unnütz sein würde, wenn Sie denselben nebst den beigefügten Schemata einen beschei- denen Platz in dem Jahrbuch gönnen würden. Kopenhagen, 14. Nov. 1886. Erklärung der Abbildungen. Tafel I. Schemata (Motiv nach RATHKE) der Arterienbogen verschiedener Wirbel- thiere, in den Umriss der primitiven Bogen eingezeichnet. — 1—6 die sechs primitiven Arterienbogen, ao Aorta, 6 Ductus Botalli, 4° Ligamentum Botalli, e’ Carotis externa, ec” Carotis interna, s Arteria subclavia, ¢ Truncus arteriosus. Fig. 1. Ceratodus. 2. Salamandra. = 3. “Peiten. 4 - Frosch. - 5. Eidechse. = 6! Vogel: - 7. Säugethier. > v an M eee forpholog. Jehrb. Bd Hil Br Taf |. els ies a) / : u Ps | | | | | | | | j | | | | ao [ithAnstv.EAPunke Leipzig u Verlag v.Wilh. Engelmann in Leipzig, + Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amphibien und Fische. Von Dr. Ferdinand Hochstetter, Prosektor am I. anatomischen Institut in Wien. Mit Tafel II—IV und 7 Holzschnitten. Einleitung. Gelungene Injektionsversuche des Venensystems bei den nackten Amphibien hatten mich dazu geführt, dem Gegenstande meine Auf- merksamkeit zuzuwenden. In den Hand- und Lehrbüchern der vergleichenden Anatomie fand ich nur äußerst wenig über das Venensystem der Amphibien erwähnt und, wie ich später fand. war auch das Wenige zum Theil unrichtig. Ich studirte nun die einschlägige Litteratur und fand, dass allerdings vielfach recht genaue Angaben, wie die von HyrTL über Hypochthon Laurentii, von Rusconi über Salamandra macu- losa ete. vorliegen, dass aber trotzdem ein genaueres Studium des Venensystems der Amphibien gewiss manches neue und interessante Ergebnis liefern müsste. Indem ich mich immer mehr in den Gegen- stand vertiefte, erschien es mir wünschenswerth, mich auch über das Venensystem der Fische und das, was in der Litteratur darüber bekannt war, genauer zu orientiren. Hier stieß ich nun auf eine große Lücke. Über das Venen- system und insbesondere über die Cardinalvenen und das Nieren- pfortadersystem der Knochenfische fand ich sehr genaue Angaben 120 F. Hochstetter _ bei HyrrL und die Arbeit Jourparns über das Nierenpfortader- system erschöpften ihren Gegenstand mit Rücksicht auf die Selachier und Teleostier ziemlich vollständig. Auch das Venensystem der Cyelostomen wurde, wie es scheint, in erschöpfender Weise von RATHKE, RETZIUS und JOHANNES MÜLLER untersucht und beschrieben. Über das Venensystem der Selachier aber fand ich, abgesehen von den Beobachtungen, welche JourpAImm über ihr Nierenpfortader- system mittheilte, keinerlei Angaben in der Litteratur verzeichnet. Dieser Umstand veranlasste mich, eine Reihe von Formen der Elas- mobranchier, so weit mir solche an der Zoologischen Station in Triest zur Verfügung gestellt werden konnten, auf ihr Venensystem eingehend zu untersuchen. Erst spät, nachdem ich schon mit meinen Untersuchungen fast zu Ende war, fiel mir ein Verzeichnis sämmt- licher Arbeiten von Rosın in die Hände, in welchem. ich die Titel einer Reihe von Arbeiten vorfand, die auf den Gegenstaud meiner Untersuchungen Bezug hatten. Leider war es mir trotz vieler An- strengungen unmöglich, sämmtliche einschlägige Arbeiten Rosin’s zu ~ erhalten und manche meiner Befunde dürften bereits viel früher von Ropin beschrieben worden sein; wo mir jedoch, wie z. B. über Raja die Angaben Rogın’s bekannt wurden, habe ich dies ausdrück- lich erwähnt. Da jedoch die Arbeiten Rogıw’s in der Litteratur keine Berücksichtigung gefunden haben, schien es mir wünschenswerth, das, was ich über das Venensystem der Selachier gefunden habe, des Eingehenderen mitzutheilen auch auf die Gefahr hin, manches von dem genannten Forscher bereits Gefundene zu wiederholen, um so mehr, als mir die Verhältnisse des Venensystems bei den Elas- mobranchiern für die Erklärung der gleichen Verhältnisse bei den Amphibien wichtige Anhaltspunkte zu bieten scheinen. Der Aufenthalt am Meere bot mir auch ziemlich reichliche Ge- legenheit, das Venensystem der Teleostier zu studiren, doch stimmte das, was ich fand, so ziemlich mit den bereits vorhandenen Angaben, und so waren diese Untersuchungen mehr dazu angethan, mir als Kontrolle für die Richtigkeit der Angaben Anderer zu dienen. Bei diesen Untersuchungen hatte ich mein Hauptaugenmerk nur auf bestimmte Theile des Venensystems gerichtet, nämlich auf die hinteren Cardinalvenen und die mit ihnen direkt oder indirekt zu- sammenhängenden Venenstämme bei den Fischen und auf die hin- tere Hohlvene und die Pfortader bei den Amphibien, und wie die scheinbar so grundverschiedenen Gefäße die Cardinalvenen und die Hohlvenen von einander abzuleiten wären. Bald aber, nachdem ich | Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 121 } | | gg ES ee eS ee Fe mit den Verhältnissen, wie sie das Venensystem bei den Fischen darbot, genauer bekannt geworden war, sah ich das Fruchtlose meiner Bemühungen ein, aus der einfachen Vergleichung der aus- gebildeten Formen des Venensystems bestimmte Schlüsse ziehen zu können. Ich begann nun auch die Entwicklung des Venensystems bei den Amphibien, dann aber auch bei den Selachiern und Tele- ostiern zu verfolgen. Über die Entwicklung des Venensystems bei den Amphibien finden sich allein ausführliche Angaben bei GoETTE über die Ver- hältnisse bei Bombinator, welche speciell die Frage der Hohlvenen- bildung in ausführlicher und richtiger Weise behandeln, und eine Angabe bei usconDdie Dotterdarmvene bei(Salamandra maculos@ und ihre Weiterentwicklung betreffend. Über die Entstehung der übrigen Venenstämme bei den Urodelen war jedoch nichts bekannt und ich begann daher die Entwicklung des Venensystems an Embryonen von Salamandra atra, welche mir wegen des geringen Nahrungsdotters für diese Zwecke sehr geeignet erschienen, zu untersuchen, zugleich kontrollirte ich jedoch auch die Angaben Gorrre’s an Embryonen und Larven von Rana, wo ich die Verhältnisse mit denen bei Bom- binator beschriebenen übereinstimmend fand. Die erste Entwicklung der Venenstämme bei den Elasmobranchiern wurde von BALFOUR untersucht und beschrieben und ich konnte mich von der Richtigkeit seiner Angaben überzeugen, untersuchte aber auch ältere Elasmo- branchierembryonen mit Rücksicht auf die weitere Entwicklung der Venenstämme. Die Entwicklung des Venensystems der Teleostier wurde nur für eine einzige Form (Coregonus Palea) von Vocr durchgeführt, alle übrigen Arbeiten von RATHKE, BAER, LEREBOULLET beziehen sich nur auf spätere Stadien der Entwicklung und berücksichtigen die ersten Anfänge derselben gar nicht, so dass es mir auch hier wünschenswerth erschien, die Verhältnisse selbst eingehender an den Embryonen der Forelle zu untersuchen. So kam ich denn dazu, meine Untersuchung des Venensystems auf die Fische und Amphibien, so weit mir dies überhaupt bei der großen Schwierigkeit der Beschaffung des Materials und der Mamnig- faltigkeit der Formen möglich war, auszudehnen. In der vorliegen- den Arbeit theile ich nun die bei meinen Untersuchungen gewonnenen Resultate mit. Diejenigen Arbeiten, welche ich dabei benutzte, finden überall an den entsprechenden Stellen Erwähnung, außerdem habe ich aber dem Schlusse meiner Arbeit ein mögliehst vollstän- 392 F. Hochstetter diges Verzeichnis der über das Venensystem der Fische und Am- phibien veröffentlichten Abhandlungen angefügt. Ich habe für das Venensystem der Fische und Amphibien, so weit dies für mich in Betracht kam, den Vergleich durchzuführen und die Verhältnisse bei den Amphibien auf die bei den Fischen speciell bei den Selachiern zurückzuführen getrachtet, -habe es je- doch vollständig vermieden, eine Vergleichung für das Venensystem der Amnioten auszuführen. Grund hierfür war mir die Überzeugung, dass das, was über die Entwicklung der gerade hier in Betracht kom- menden Abschnitte des Venensystems der Amnioten bekannt wurde, viel zu wenig ist, um zu brauchbaren Resultaten zu gelangen. Ich wurde aber auch durch diese Überzeugung dahin geführt, mit der Untersuchung der Entwicklung der entsprechenden Theile des Venen- systems der Amnioten zu beginnen und behalte mir vor, nach Be- endigung dieser Untersuchungen zugleich mit den Mittheilungen der gewonnenen Resultate eine Vergleichung für sämmtliche Wirbelthier- gruppen durchzuführen. Was die Methode bei der anatomischen Untersuchung anbelangt, so bestand dieselbe, wie bei den Elasmobranchiern, wo dies wegen der Weite der Venen und der Dicke ihrer Wandung leicht möglich war, in der einfachen Zergliederung mit Schere und Messer. Bei allen untersuchten Formen aber wurde die Injektion mit erstarren- der Masse vorgenommen. Die angewendete Injektionsmasse war die von TEICHMANN angegebene kalt zu injicirende Kittmasse, welche gerade für vergleichend angiologische Untersuchungen das Vorzüg- lichste zu leisten im Stande ist, und ich kann das Lob, welches TEICHMANN der von ihm erfundenen Injektionsmasse in selbstbe- wusster Weise spendet, nur vollinhaltlich bestätigen. Besonders für die Injektion der Venen bei Knochenfischen und bei den Amphibien bewies die TrEICHMANN’sche Masse ihre großen Vortheile. Warme Injektionsmassen waren von vorn herein ausgeschlossen, weil das lästige Vorwärmen und alle weiteren ziemlich umständlichen Mani- pulationen, welche dabei nothwendig sind, einen günstigen Erfolg der Injektion von vorn herein fraglich erscheinen ließen, und andere kalt zu injieirenden Massen liefern nie so schöne und vollständige Präparate, wie man solche durch die Kittmasse herzustellen in der Lage ist, abgesehen davon, dass die so hergestellten Präparate, in Alkohol aufbewahrt, durch lange Zeit in voller Schönheit sich er- halten. Um die Entwicklung der Venenstämme zu studiren, wurden zumeist möglichst vollständige Schnittserien durch verschieden alte Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 123 Embryonen hergestellt, eine Methode, welche fiir die meist ganz undurchsichtigen Embryonen und Larven der Amphibien benutzt werden musste und vielfach nicht zum Ziele führen konnte, weil die Blutgefäße auf dem Querschnitte nur dann sich deutlich ersichtlich zeigten, wenn ihre Höhlung von Blutkörperchen erfüllt war; bestand jedoch das Gegentheil, so waren die Gefäßwände kollabirt und das Verfolgen eines Gefäßes durch mehrere Schnitte hindurch unmöglich. Wo dies, wie bei den ziemlich durchsichtigen Embryonen der Forelle möglich war, wurde der ganze Embryo unter das Mikroskop gebracht und der Verlauf der Gefäße entsprechend der Blutströmung verfolgt. Aber auch hier musste zur Entscheidung einzelner Fragen auf die Methode der Schnittserien zurückgekommen werden. Fische. Benutztes Material: Selachier: Acanthias vulgaris, Raja myraletus, Mustelus laevis, Raja clavata, Seyllium catulus, Trygon pastinaca, Squatina angelus, Myliobates Aquila, Raja Schultzii, Torpedo marmorata. Ganoidei. Accipenser Sturio. Teleostei. Anguilla vulgaris, Solea vulgaris, Esox lueius, Crenilabrus pavo, Salmo fario, Serranus scriba, Tinea vulgaris, Uranoscopus scaber, Cyprinus carpio, Scomber scombrus, Chondrostoma nasus, Cepola rubescens, Phrynorhombus unimaculatus, Lophius piscatorius, Platessa passer, Mugil cephalus. Uber die Verhältnisse des Venensystems bei den Cyclostomen habe ich keine Untersuchungen anstellen können und muss daher auf diesbezügliche Arbeiten von RATHKE, Rerzıus und JOHANNES MÜLLER verweisen. Nach RAarnke sind bei Petromyzon die beiden 124 F. Hochstetter hinteren Cardinalvenen von gleicher Stärke, die Genitalvenen mün- den unter Vermittelung eines sinusartigen Behälters, welcher dem Genitalvenensinus bei den Rochen entsprechen dürfte, in die Car- dinalvenen. Die Pfortader liegt in der den Darm durchziehenden Falte. Bei den Myxinoiden herrscht nach den Angaben von Rerzıus und JOHANNES MÜLLER eine hochgradige Asymmetrie. Die linke Cardinalvene ist als direkte Fortsetzung der Caudalvene mächtig entwickelt, während die rechte äußerst schwach ist, durch regel- mäßige Querstämmehen mit der linken anastomosirt, mit dem Herzen aber wegen des Mangels eines rechten Ductus Cuvieri nicht in Ver- bindung tritt. Die Pfortader liegt bei den Myxinoiden dorsal vom Darm im Gekröse und nimmt außer den Darmvenen sämmtliche Genitalvenen auf. Jedenfalls muss man die Verhältnisse des Venen- systems bei Petromyzon wegen der vorhandenen Symmetrie der hin- teren Cardinalvenen und wegen der eigenthümlichen Lage der Pfort- ader als die ursprünglicheren ansehen, während die Verhältnisse bei den Myxinoiden einerseits wegen der Störung der Symmetrie, andererseits wegen des Vorhandenseins einer dorsal vom Darm ge- legenen Pfortader als hochgradig modifieirte zu betrachten sind. Selachier. Von den untersuchten Formen zeigt (vide umstehendes Schema) Spinax Acanthias (Ac. vulg.) bei Weitem die einfachsten Verhält- nisse des Venensystems. Wie bei allen Selachiern besteht auch be diesem Thiere ein Nierenpfortadersystem. Für die Rochen hatte bereits Roßın die Existenz eines solchen nachgewiesen, und später‘ JOURDAIN für eine Reihe von Haien und Rochen, dagegen findet sich bei Srannrus die Angabe, dass die beiden Äste der Caudalvene sich direkt in die Cardinalvenen fortsetzen, und auch HyrkrL scheint dieser Ansicht gewesen zu sein!. Die Caudalvene theilt sich, an der Niere angelangt, in zwei gleich starke Äste, welehe an der dorsalen Fläche der Nieren bei- derseits von der diese beiden Organe in der Medianebene des Kör- pers von einander trennenden Furche, kopfwärts verlaufen und an jedes Nierenliippchen einen Zweig abgeben, welcher sich sofort in eine große Menge von Zweigchen theilt. Die Venen der seitlichen Rumpfwand sammeln sich zu Stämmchen, welche zwischen je zwei ! Vide auch GEGENBAUR, Grundzüge der vergl. Anatomie. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 125 Muskelsegmenten den äußeren Rand der Nieren erreichen und sich an deren ventralen Fläche in ein Gefäßnetz auflösen, außerdem aber unter einander durch feine am Außenrande der Nieren ver- laufende Zweigchen anastomosiren. Das Netz, in welches die zu- führenden Nierenvenen sich auflösen, durchsetzt mit verhältnismäßig sehr weiten Kapillaren (nach JourDAIN 1/;)—1‘/,; mm) die Nieren und es ist daraus leicht erklärlich, dass bei der Injektion der Venen mit Quecksilber oder einer anderen leichtflüssigen Masse sich sowohl die Venae advehentes als revehentes der Niere leicht füllen und einen direkten Übergang der Caudalvene in die Cardinalvenen vor- täuschen konnten. Die Cardinalvenen (Cp), welche das Blut aus den Nieren und Geschlechtsdriisen dem Herzen zuführen, sind verschieden an Größe und Länge. Die rechte, stärkere beginnt am hinteren Ende der Nieren und nimmt dort die rückführenden Venen beider Seiten auf; die linke, schwächere entspringt dagegen erst aus dem hin- teren Drittel der linken Niere. Beide Cardinalvenen liegen ventralwärts am Innenrande der Nieren, von einander getrennt durch die zwischen sie eingelagerte Aorta, ohne mit einander, wie dies bei vielen Knochenfischen der Fall ist, durch Queranastomosen in Kommunikation zu stehen. In- dem sie das Kopfende der Nieren erreicht haben, erweitern sie sich um ein Bedeutendes und weichen scheinbar in einem Bogen nach außen und ventralwärts dem zwischen ihnen durehtretenden Öso- phagus aus; in der That ist es nur die laterale Wand der Erweite- rung, welche in der beschriebenen Weise vorgebaucht erscheint, während die medialen Wände der beiden Erweiterungen, welche ich der Einfachheit halber weiterhin (Cvs) als Cardinalvenensinus bezeichnen werde. in der Medianebene dorsal vom Ösophagus an einander stoßen und ein medianes Septum bilden, welches eine große Kommunikationsöffnung, eine Verbindung zwischen beiden Cardinalvenen herstellend , besitzt. Kopfwärts verengert sich der Cardinalvenensinus ziemlich rasch und mündet nach Aufnahme der Subelavia und der Seitenvene mit der vorderen Cardinalvene in den Ductus Cuvieri. Außer den V. renales revehentes münden in die Cardinalvenen, und zwar zunächst in die rechte, die Venen der Enddarmanhangsdriise ! und ihres Gekröses, dann zum größeren Theil in die rechte, zum i Fingerförmige Drüse, Leypia. 126 F. Hochstetter kleineren in die linke die Venen des Mesenterialvenennetzes und die die Intestinalarterien begleitenden und umspinnenden Venen, welche, zugleich dem Laufe der Arterien folgend, mit den Pfort- aderzweigen Anastomosen eingehen. In die Cardinalvenensinus mün- den durch zahlreiche in ihrer Wand vorhandene Öffnungen die Venen der Ovarien oder Hoden und die Venen des den Ösophagus um- spinnenden Venennetzes. Im Mesenterium befindet sich ein reich entwickeltes Venennetz, welches am freien hinteren Rande an der Wurzel und an der dem Magen angrenzenden Partie des Gekröses am dichtesten erscheint und mit den die Eingeweidearterien umspinnenden Venen innig zu- sammenhängt; dem entsprechend findet der Abfluss des Blutes aus diesem Netze einerseits längs der Gekrösewurzel direkt in die Car- dinalvenen, andererseits in die Ösophagusvenen statt. Dieses Me- senterialvenennetz wird von JouRDAIN bereits aber nur nebenbei erwähnt, ohne dass etwas Genaueres darüber angegeben wäre. Der Ösophagus wird dicht umsponnen von einem Venennetze, welches sich ziemlich scharf am Ubergange des Osophagus in den Magen begrenzt und nur spärliche Anastomosen mit den Magenästen der Pfortader eingeht. Das Netz selbst besteht aus unzähligen, der Achse des Ösophagus parallel verlaufenden Venen, welehe sowohl unter der Serosa, als auch in der Mucosa reichliche Anastomosen unter einander eingehen, dabei ist das Netz so dicht, dass es bei zusammengezogenem Ösophagus auch nicht den geringsten Theil der Ösophagusmuskulatur durehscheinen lässt. Neben den Venae subelaviae münden caudalwärts von ihnen jederseits eine Vene, in die Cardinalvenen, die Seitenvene. ROBIN hielt diese beiden Gefäße, welche bei allen Selachiern vorzukommen — scheinen, da sie sich wegen der an ihrer Einmündungsstelle vor- handenen Klappen von den Cardinalvenen aus nicht füllen ließen, für Lymphgefäßstämme, kam aber bald von dieser irrigen Meinung zurück, nachdem er in ihnen Blut vorgefunden hatte. Diese beiden Gefäße wurzeln in einem Venennetze, welches die Kloake umspinnt und mit den Pfortaderzweigen des Enddarmes anastomosirt. Aus diesem Netze geben rechts und links die beiden Venen hervor, welche angeschlossen an die dorsale Fläche des Beckenknorpels zu- nächst die Vene der hinteren Extremität aufnehmen und hierauf um- biegend, geradeaus kopfwärts verlaufen und auf diesem Wege die Venen der Bauchmuskeln aufnehmen. Die Lebervenen (Z) bilden zwei große Stämme, entsprechend et ee ee Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 127 den beiden Leberlappen, welche im Kopfende der Leber spindel- förmig erweitert, einige kleinere Aste aus dem mittleren Leberlappen aufnehmen und vermittels zweier, im Verhältnis zur Größe der Ge- fäße sehr enger kurzer Kanäle knapp zu beiden Seiten der Median- ebene in den Sinus venosus einmünden. Die Pfortader entspringt mit zwei Stämmen aus dem Enddarme, wo sie mit den Wurzeln der Seitenvenen anastomosirt. Der eine Stamm liegt ventral, der andere dorsal am Darm und beide stehen unter einander durch Fig. 1. Schema der großen Venenstämme. Spinax Acanthias. Mustelus laevis. Seyllium catulus. Ca V. cardinalis anterior, SV. Subelavia, LS Lebervenensinus, Cp V. cardinalis posterior, P Seitenvene, @ Genitalvene. CvS Cardinalvenensinus, L Lebervene, quere Anastomosen in Verbindung. Der ventrale Stamm gelangt vom Darm frei an die Milz und das Pankreas ziehend, und die Venen dieser Gebilde aufnehmend, an die dorsale Fläche des Ma- gens und geht in den Hauptstamm der Pfortader über. Der dorsale Stamm verläuft längs des Darmes kopfwärts in einer Spirale, so dass er in der Nähe des Pylorus bereits ventral gelegen ist, nimmt eine Magenmilzvene auf und zieht schließlich dorsal am Pylorus vorbei, um in den Pfortaderstamm einzumünden. 128 F. Hochstetter Der Pfortaderstamm selbst nimmt eine Dünndarm- und eine starke Magenvene auf, um dann in die Leber eintretend, in eine Reihe von Stämmen zu zerfallen. Das Gebiet der Pfortader hängt mit den Stammesvenen auf dreierlei Weise zusammen, einerseits in der Nähe der Kloake mit den Wurzeln der Seitenvenen, zweitens durch die die Eingeweidearterien begleitenden Venen mit den Car- dinalvenen, und drittens durch die Magenvenen mit dem Ösopha- gusnetze. Mustelus laevis (vgl. die Abbildung und das Schema) verhält sich bezüglich des Nierenpfortadersystems ganz ähnlich wie Acan- thias, auch die beiden Cardinalvenen sind wie dort von ungleicher Stärke. Die Cardinalvenensinus sind ähnlich gestaltet, besitzen jedoch eine blindsackförmige kurze Ausstülpung, welche den Sinus kopfwärts verlängert erscheinen lässt. Die Innenseite der lateralen Wand des Sinus trägt eine Reihe von unregelmäßig vorspringenden sehnigen Leisten und zwischen denselben flachere und tiefere Grüb- chen. Die medialen Wände der beiden Sinus treten nicht zu einem einfachen medianen Septum an einander, sondern zwischen sie ist ein spaltförmiger Hohlraum eingeschoben, in welchen die Hauptvene der Hoden oder Ovarien einmündet. Dieser Hohlraum steht nach beiden Seiten hin durch eigenthümlich gegitterte Öffnungen mit den beiden Cardinalvenensinus in Kommunikation. Die oben als Haupt- vene der Ovarien oder Hoden bezeichnete Vene bezieht aber ihr Blut nieht nur mit mehreren Ästen aus diesen Organen, sondern nimmt auch die Venen aus den ihr benachbarten Theilen des Me- senterialvenennetzes, welches aber außerdem an der Wurzel des Gekröses mit dem Nierenabschnitte der Cardinalvenen zusammen- - hängt, und eine Vene aus der Enddarmanhangsdrüse auf, während bei Acanthias die Venen dieses Organs direkt in die rechte Car- dinalvene einmünden. Der Mesenterialvenenplexus ist hier weniger mächtig als bei Acanthias. Der Ösophagealplexus ist kürzer, aber womöglich noch dichter als dort. Die Seitenvenen haben dasselbe Ursprungsgebiet und dieselben Verlaufsverhältnisse wie bei Acanthias. Wichtige Differenzen ergeben sich jedoch bezüglich der Leber- venen, diese münden nämlich in einen sackartigen Sinus, welcher der vorderen konvexen 'Fläche der Leber aufsitzt, dorsal aber mit der Wand des Cardinalvenensinus fest verbunden ist, ohne dass jedoch diese beiden Sinus mit einander kommuniciren würden. Dieser Lebervenensinus (ZvS), wie ich ihn weiter nennen will, ist durch ee Se Ce na ee a a a a a ee a ae 2 ei 2/5 2 ma bi ere eee ae. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 129 ein medianes gitterförmig durchbrochenes Septum in zwei gleich große Abtheilungen getheilt, in welche die Venen je einer Leber- hälfte einmünden. An der Innenfliiche der Wandungen dieses Sinus springen allenthalben sehnige Balken vor, welche der Wand als Stütze zu dienen scheinen und eine übermäßige Ausdehnung des Sinus verhindern können. Die Mündung des Lebervenensinus in den Sinus venosus erfolgt durch zwei knapp neben der Mitte ge- legene Kanäle, welche analog sein dürften der Verengerung an der Einmündung der Lebervenen bei Acanthias, während jeder Abthei- lung des Lebervenensinus hier die Erweiterung der beiden Leber- venen dort entsprechen dürfte. Die Pfortader verhält sich im Wesentlichen ähnlich wie bei Acanthias, nur zerfällt sie bereits vor ihrem Eintritte in die Leber in zwei große Äste, von denen jeder in einen Leberlappen eintritt. Die Verhältnisse bei Seyllium catulus (vgl. das Schema) ent- sprechen fast vollständig denen bei Mustelus und nur in einem Punkte besteht eine wesentliche Verschiedenheit, nämlich in Bezug auf die Nierenabschnitte der Cardinalvenen. Die Cardinalvenen entstehen nämlich am Caudalende der Nieren aus einem einfach median gelagerten Stamm, welcher Äste aus beiden Nieren auf- nimmt und als solcher der Länge des hinteren Drittels der Nieren folgt, um sich dann in die beiden gleich starken Cardinalvenen zu theilen. Im Widerspruche mit dem Gesagten stehen die Angaben JOURDAIN’S, welcher zwar von einer Vena card. communis spricht, dabei aber nur das Anfangsstück der rechten Cardinalvene im Auge hat, während er die linke separat aus der linken Niere entstehen lässt, was allerdings bei den zwei früher besprochenen Formen der -Fall ist. In Bezug auf das Verhalten der Venen der Hoden oder Övarien und der Enddarmanhangsdrüse steht Seyllium zwischen Acan- thias und Mustelus, indem hier die Venen der Enddarmanhangsdrüse und des hinteren Abschnittes der Hoden oder Ovarien direkt in die Nierenabschnitte der Cardinalvenen einmünden. Die Vene, aus dem vordersten Theile der Geschlechtsdrüsen stammend, mündet so ein wie bei Mustelus, doch ist der spaltförmige Hohlraum zwischen bei- den Erweiterungen verhältnismäßig kleiner und die Kommunikations- öffnungen mit den Cardinalvenen stärker gegittert. Bei Squatina angelus erscheint das Nierenpfortadersystem etwas anders als bei den früheren Formen (s. darüber auch JouRDAIN), indem die beiden Äste, in welche die Caudalvene sich spaltet, nicht wie bei den anderen Formen an der dorsalen Fläche der beiden Morpholog. Jahrbuch. 13. 9 130 F. Hochstetter Nieren verlaufen, sondern sich an deren äußere Kanten halten und dort auch die Musculoparietalvenen (JoURDAIN) aufnehmen. In allen übrigen Punkten gleichen die Verhältnisse der Cardinalvenen und Lebervenen hier denen bei Acanthias ziemlich vollkommen, nur ist ein Theil des Mesenterialvenennetzes, nämlich der dem Darme zu- nächst liegende, in das Gebiet der Pfortader mit einbezogen. Das Wurzelgebiet der Seitenvenen erscheint in eigenthümlicher Weise größer wie bei den anderen Formen. Eine Vene nämlich, welche am Schwanze in der Mittellinie unmittelbar unter der Haut gelegen ist und aus derselben ihr Blut bezieht, theilt sich in der Nähe der Kloake angelangt in zwei ganz kurze Stämme, welche sich sofort in ein die Kloake Squatina angelus. umspinnendes Netz auflösen, welches in die zu . beiden Seiten der Kloake sichtbaren flachen Wülste eingelagert ist. Aus diesem Netze, welches sich auch auf den untersten Abschnitt des Darmkanales erstreckt und mit Pfortader- zweigen anastomosirt, gehen die beiden Seiten- venen hervor, welche sich im Übrigen ähnlich verhalten, wie bei den früher beschriebenen Formen. Über die Verhältnisse des Venensystems der Rochen, vorzugsweise der Familie Raja, exi- stiren von RoBIN eine Reihe von Notizen, welche er in genauer und ziemlich erschöpfender Weise J Vene der hinteren Extre- die Verhältnisse bei diesen Thieren behandeln. Kun ca Diese Notizen haben jedoch, wie es scheint, in die Litteratur keinen Eingang gefunden, denn nirgends fand ich sie eitirt und nur einem Zufalle verdanke ich die Kenntnis ihrer Exi- stenz. Die Angaben Ropin’s stimmen mit dem, was ich gefunden, fast vollständig überein. Bei den untersuchten Vertretern der Familie Raja (vgl. das Schema) verhalten sich die Venen übereinstimmend ungefähr fol- gendermaßen. Die Caudalvene theilt sich wie bei den Haien (JOURDAIN) in zwei Zweige, welche an der dorsalen Seite der hinteren Abschnitte der Nieren verlaufend als zuführende Nierenvenen fungiren. Zuführende Nieren- venen sind außerdem die vorderen Musculoparietalvenen, welche in einen an der Dorsalseite des vorderen Nierenabschnittes gelegenen “~*~. Bi Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Awph. etc. 131 Längsstamm einmünden, welcher seine Zweige an die Niere abgiebt, mit den Ästen der Caudalvene aber und mit den hinteren Museulo- parietalvenen durch gröbere Anastomosen nicht zusammenhängt. Die Cardinalvenen (Cp) hängen am caudalen Ende der Nieren über der Mit- tellinie durch eine bogenförmige Anastomose mit einander zusammen und verlaufen dem medialen Rande der beiden Nieren angeschlossen Fig. 3. Fig. 4. Torpedo Galvani. Raja. H Verbindung des Lebervenen- Ca V. cardinalis anterior, LS Lebervenensinus, Cp Y. cardinalis posterior, Lv Lebervene, sinus mit dem Genitalvenen- SV. subclavia, Gs Genitalvenensinus, sinus oder der Cardinalvene. P Seitenvene. E Vene der fingerförmigen Drüse, kopfwärts, sie sind von nahezu gleich starkem Kaliber. Am Kopf- ende der Nieren nähern sie sich, jedoch nicht bis zur Berührung ihrer Wände; nachdem sie die Nieren verlassen baben, erweitern sie sich nur ganz mäßig, keineswegs in so hohem Grade, wie dies bei den Haien der Fall ist, divergiren in ihrem Verlaufe etwas nach außen, um dann mit einer Krümmung nach innen und ventralwärts, sich leicht wieder zu verengern und nach Aufnahme der Seitenvenen 9* 132 F. Hochstetter und Subclavien in den Ductus Cuvieri einzumiinden. Am Kopfende der Nieren, an der Stelle, wo sie einander am nächsten liegen, werden die Cardinalvenen von einem sinusartigen Blutbehälter (Abdominal- reservoir von RORIN, welches übrigens bereits von Monro gekannt und beschrieben war) überlagert, mit welchem sie jederseits durch eine Kommunikationsöffnung zusammenhängen. Dieser venöse Sinus gehört den Geschlechtsdrüsen an und besteht entsprechend der paa- rigen Anlage dieser Organe aus zwei Abtheilungen oder Säcken, welche zu beiden Seiten der Wirbelsäule gelagert sind und welchen die Keimdrüsen seitlich aufsitzen. Die beiden Säcke hängen über der Wirbelsäule durch eine relativ schmale Kommunikation zusammen und besitzen kopfwärts je einen Fortsatz, welcher, indem er sich an die dorsale Kante eines jeden der beiden Leberlappen anlegt, in den Lebervenensinus übergeht. Der rechte Sack ist bedeutend stärker und weiter als der linke und erstreckt sich caudalwirts bis gegen die Enddarmanhangsdrüse, deren ziemlich starke Vene in eine Aus- buchtung dieses rechten stärkeren Sackes einmündet. Gefüllt be- sitzen die beiden Säcke eine unregelmäßig höckrige Oberfläche, dadurch hervorgerufen, dass das Innere der Säcke von einer großen Anzahl feinerer Sehnenfäden durchzogen wird, welche die dorsale Wand mit der ventralen verbinden und ein allzu starkes Ausein- anderweichen der beiden verhindern. Ist nun der Sinus stark mit Blut oder Injektionsmasse erfüllt, so erscheinen die Ansatzpunkte der Sehnenfäden eingezogen, während sich die übrigen Partien der Wand hervorwölben. Die Kommunikation zwischen den beiden Säcken ist bei einigen Formen (R. Schultzii) ganz frei und ein median durchbrochenes Septum, in welchem eine starke Intestinalarterie ver- laufen soll, wie dies Rosin angiebt, konnte nicht nachgewiesen werden, oder der Kommunikationsraum über der Wirbelsäule grenzt sich (Trygon) gegen die beiden Säcke durch vorspringende Falten ab, so dass gewissermaßen eine mittlere Zelle entsteht, von der aus dureh je eine links und rechts in ihrer dorsalen Wand angebrachten Offnung die Kommunikation mit den beiden Cardinalvenen herge- stellt wird. Während diese Kommunikationsöffnungen bei einigen Formen einfach erscheinen, sind sie bei anderen durch sehnige Brücken in mehrere Öffnungen getheilt. In. die beiden Säcke mün- den außer der Vene ‚der Enddarmanhangsdrüse jederseits die unge- mein zahlreichen Venen der Hoden oder Ovarien. Die Lebervenen münden ähnlich, wie bei Mustelus und Seyllium in einen der Leber kopfwärts anliegenden sackartigen Sinus. Dieser Lebervenensinus Ris z Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 133 besteht aus zwei Abtheilungen, von denen je eine der entsprechenden Leberhälfte aufsitzt, und die durch eine zur Weite der beiden Säcke verhältnismäßig enge Kommunikation mit einander zusammenhängen. Jede der beiden Abtheilungen legt sich, indem sie sich allmählich ver- jiingt, der dorsalen Kante des entsprechenden Leberlappens an und seht in den oben beschriebenen Fortsatz des Genitalsinus über. Der Abfluss des Blutes aus dem Lebervenensinus in den Sinus venosus erfolgt durch zwei verhältnismäßig sehr enge Kanäle, welche nicht wie bei den Haien parallel. sondern divergirend kopfwärts ziehen, auch sind die Einmündungsstellen im Sinus venosus weiter aus ein- ander liegend, als dies bei den Haien der Fall ist. Die Seitenvenen verhalten sich in jeder Beziehung wie bei den Haien. Venenplexus am Ösophagus konnte ich eben so wenig wie im Mesenterium nachweisen. Torpedo Galvani (vgl. das Schema) stimmt wieder in einer Reihe von Punkten mit den übrigen Rochen nicht überein. Die zuführenden Nierenvenen verhalten sich ähnlich wie bei Raja, dagegen ent- springen die beiden Cardinalvenen aus einem kurzen gemeinsamen Stamme, dabei erscheint die linke häufig stärker als die rechte. Am Kopfende der Nieren angelangt, erweitern sich die beiden Cardinal- venen spindelförmig und vereinigen sich mit ihren medialen Wänden: die Erweiterungen sind dort am weitesten, wo der Ösophagus zwischen sie eingelagert ist. Die dorsal vom Ösophagus mit einander ver- wachsenen Wände der beiden Cardinalvenen bilden zwischen ihnen ein Septum, welches in seinem hinteren Abschnitte mehrfach durch- brochen erscheint. Von außen erscheinen die beiden Cardinalvenen dort, wo sich die Kommunikationsöffnungen zwischen beiden vor- finden, wie zu einem Gefäße mit einander verschmolzen. Die Vene der Enddarmanhangsdrüse inserirt in dem spitzen Winkel zwischen beiden Cardinalvenen. | Der Lebervenensinus ist ähnlich gebaut wie bei Raja, nur lagert seiner ventralen Wand vor der Leber jederseits die Geschlechtsdrüse auf, welche auch ihr Blut in ihn ergießt, caudalwärts besitzt jede Abtheilung einen Fortsatz, welcher rechterseits blind endigt und nur locker an die rechte Cardinalvene fixirt ist, während der linke Fort- satz mit der entsprechenden Cardinalvene durch eine oder zwei Kom- munikationsöffnungen in der Höhe der Vereinigungsstelle der beiden Cardinalvenen in Verbindung tritt!. Die Innenwand des Lebervenen- 1 Diese Kommunikation scheint übrigens auch fehlen zu können. 134 F. Hochstetter sinus ist im Allgemeinen glatt, nur die ventrale Wand zeigt balken- artige Vorspriinge, zwischen welchen die Mündungen der Venen aus den Ovarien oder Hoden sichtbar sind. Die Pfortader unterscheidet sich hier in ihrem Verhalten von dem bei den anderen Rochen und den Haien durch den Mangel eines ventralen Anfangsstammes. Wenn wir die besprochenen Formen unter einander vergleichen, so zeigt Acanthias gewiss die einfachsten Verhältnisse des Cardinal- venensystems und mit ihm übereinstimmend Squatina. Beiden ge- meinsam ist die einfache Kommunikation der beiden Cardinalvenen am Kopfende der Niere und der Mangel eines Lebervenensinus, an Stelle dessen die beiden Lebervenen innerhalb der Lebersubstanz eine spindelförmige Erweiterung besitzen, dabei münden die Geni- talvenen und die Venen der Enddarmanhangsdrüse mit zahlreichen Stämmehen direkt in die Cardinalvenen ein. Komplieirter werden die Verhältnisse bei Mustelus und Seyllium, indem die Cardinal- venen sich zwar im Allgemeinen noch so verhalten, wie bei Acan- thias, aber die Kommunikation keine so einfache mehr ist wie dort, sondern durch einen zwischen beide Cardinalvenen eingeschobenen venösen Raum vermittelt wird, welcher die Fortsetzung der Genital- vene darstellt. Hinzu kommt noch das Vorhandensein des Leber- venensinus, dessen paarige Anlage durch das mediane Septum, wel- ches ihn durchzieht, manifestirt wird. Als erste Andeutung eines solchen Sinus kann die spindelförmige Erweiterung an den Leber- venen bei Acanthias aufgefasst werden. Bei Weitem am komplicirtesten gestalten sich die Verhältnisse bei den Rochen. Auch bei Raja kommunieiren beide Cardinalvenen über dem Kopfende der Nieren mit einander, aber unter der Ver- mittelung des Genitalsinus; scheint dies auch im ersten Augenblick eine wesentliche Verschiedenheit von den Verhältnissen bei den Haien zu sein, so ist dies bei näherer Betrachtung doch nicht der Fall, wenn man bedenkt, dass es bei Mustelus und Seyllium ja auch die Genitalvene, bei Mustelus verstärkt durch die Vene der Enddarman- hangsdrüse ist, welche die Kommunikation zwischen den beiden Car- dinalvenen vermittelt. Stellt man sich nun vor, dass die Geschlechts- drüsen, welche bei Mustelus im Vergleich zu Raja weit caudalwirts gelegen sind, kopfwärts vorrücken und sich die Genitalvene, welche jetzt natürlich immer kürzer wird, mit ihren Hauptzweigen sinuös erweitert, so werden die beiden Cardinalvenen allmählich aus einan- der gedrängt und die Kommunikationsöffnung mit dem eingescho- benen Zwischenraum des Genitalsinus, sei sie nun einfach oder Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 135 mehrfach, jederseits an die ventrale Wand der Cardinalvenen ver- schoben. Die abweichende Form des Lebervenensinus bei Raja und den Rochen überhaupt, denn keiner Form scheint ein solcher zu fehlen, lässt sich wohl aus der mit der Verbreiterung und Verflachung des Körpers einhergehenden Verbreiterung der Leber erklären; ein tren- nendes Septum zwischen der rechten und linken Abtheilung ist nicht mehr nachzuweisen und die Verbindungsstelle zwischen beiden Ab- theilungen ist zu einem Kommunikationskanale ausgezogen. Eine für die Rochen ganz eigenartige Formation ist das Auftreten einer Kommunikation zwischen Lebervenensinus und Cardinalvenen, ver- mittelt durch den Genitalsinus. Diese Kommunikation, welche bei den ‚von mir untersuchten Vertretern der Familie Raja stets vorhanden war, soll nach Rosın bei Raja batis und zwei anderen Formen fehlen. Bei Torpedo fehlt ein Genitalvenensinus vollständig, trotz- dem besteht eine direkte Kommunikation zwischen linker Abtheilung des Lebervenensinus und linker Cardinalvene, während rechterseits eine solche fehlt. Mit dem Wegfall des Genitalvenensinus erklärt sich auch das einfache Kommunikationsverhältnis zwischen beiden Cardinalvenen. Die Verbindung zwischen Lebervenensinus und Cardinalvenen in der beschriebenen Weise scheint mir als erste Hohlvenenbildung auf- gefasst werden zu können und ich behalte mir vor, auf diesen Punkt bei Bespreehung der Hohlvenenbildung bei den Amphibien noch näher einzugehen. Die Seitenvenen kommen bei sämmtlieben Formen in gleicher Weise vor, ihr Ursprungsgebiet ist mit Ausnahme von Squatina, wo die Hautvenen des ganzen Schwanzes mit einbezogen sind, überall das gleiche, dabei finden sich diese Venen nur bei den Selachiern, während sie sämmtlichen anderen Fischen fehlen. Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, dass diese Venen in der Abdominalvene der Amphibien und der Umbilicalvene der Amnioten ihre Analoga haben, doch auch darauf will ich erst später bei der Besprechung der Ab- dominalvene der Amphibien eingehen. Von Ganoiden erhielt ich nur ein einziges Exemplar von Acci- penser zur Untersuchung. Das Nierenpfortadersystem verhält sich bei diesem Thier ähnlich wie bei den Haien (von den Besonderheiten, welche JoURDAIN anführt, konnte ich nichts nachweisen). Merk- würdig ist hier das Verhalten der Cardinalvenen zu einander, indem die linke hier die rechte an Länge und Größe übertrifft, dabei treten 136 F. Hochstetter beide unter einander in keinerlei Weise in Verbindung. Außer den abführenden Nierenvenen münden in sie die Venen der dorsalen Seite der Schwimmblase, während die der ventralen Seite sich in die Pfort- ader ergießen. Die Lebervenen bilden zwei Stämme, welche knapp neben einander in den Sinus venosus einmünden. Das Venensystem der Knochenfische ist weniger interessant im Hinblick auf die Erklärung der Verhältnisse bei den höheren Formen der Wirbelthiere, als vielmehr wegen der großen Verschieden- heit der Formen, in welchen es ausgebildet ist. Diese Verschie- denheit der Form bezieht sich allerdings nur auf einen bestimmten Abschnitt des Venensystems, nämlich auf das Pfortadersystem der Niere, während die Cardinalvenen mit wenigen Ausnahmen allgemein ziemlich übereinstimmende Verhältnisse darbieten. Hyrrt hat in seiner Arbeit über das uropoetische System der Knochenfische die Verhältnisse der Cardinalvenen eingehend be- sprochen, und ich habe dem dort Gesagten nach dem, was ich an den von mir untersuchten Formen gefunden, nichts Neues hinzuzu- fügen, und ich eitire hier daher die Angaben Hyrrr's im Allge- meinen, indem ich bezüglich der Details auf seine Arbeit verweise. In weitaus der größten Mehrzahl der Formen überwiegt die rechte Cardinalvene, gleichviel ob sie die Fortsetzung der Caudalvene bildet oder nicht, an Stärke und Länge über die linke!, welche in ein- zelnen Fällen sogar gänzlich fehlen kann. Selten sind beide Car- dinalvenen von gleicher Stärke, am seltensten überwiegt die linke Cardinalvene die rechte, oder es fehlt die rechte vollständig, wie bei Gymnotus eleetrieus. Das Auftreten einer einfachen median liegenden Cardinalvene, wie bei Centronotus gunnellus, welche sich erst in der Nähe des Herzens nach rechts hinüber biegt, lässt sich in der Weise erklären, dass die linke Cardinalvene fehlt, während die rechte bis in die Medianlinie verschoben ist, was um so mehr an Wahrschein- lichkeit gewinnt, wenn man bedenkt, dass häufig auch in den Fällen, wo die linke Cardinalvene die schwächere ist, die rechte in ihrem Anfangsstücke medianwärts verschoben erscheint. Cardinalvenen- sinus, wie sie bei den Knorpelfischen Regel sind, kommen bei den Knochenfisehen nicht vor, dagegen finden sich innerhalb des Nieren- parenchyms bei mehreren Formen sinusartige Erweiterungen ge- 1 Hyert bringt das Uberwiegen der rechten Caudalvene damit in Zu- sammenhang, dass sie die Fortsetzung der Caudalvene darstellt, was wohl für viele durchaus aber nicht für alle Fälle gelten kann. a, ee Mee Ried i i ee N Ve _ Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 137 wöhnlich der rechten, manchmal aber auch beider Cardinalvenen. Eben so kommen Verschmelzungen der beiden Cardinalvenen wie bei den Knorpelfischen nicht vor, dagegen hängen die beiden Car- dinalvenen häufig durch quer über die Wirbelsäule ziehende Anasto- mosen mit einander zusammen. Manchmal hängt das Anfangsstück der linken Cardinalvene durch eine starke Anastomose mit der rechten zusammen und scheint dann gewissermaßen aus ihr zu entspringen. Verbindungen der Lebervenen mit den Cardinalvenen, wie sie sich bei Raja und Torpedo vorfinden, kommen bei Knochenfischen nicht vor. Nur für Cyprinus Carpio beschreibt JourDAIN jederseits eine Verbindung der Cardinalvenen mit den Lebervenen. In der That gelangt auch jederseits eine mächtige Vene, in welche sich eine Reihe von Genitalvenen ergießen, aus dem mittleren Abschnitte der Nieren stammend zur Leber und vereinigt sich mit den Leber- venen; jedoch stehen diese Venen mit den eigentlichen Cardinal- venen nur durch unbedeutende Anastomosen in Verbindung. Ungleich mannigfaltiger als die Verschiedenheiten der Cardinal- venen, welche das Blut der Nieren dem Herzen zuführen, sind die der zuführenden Nierenvenen. JAcosson, welcher als der Entdecker des Nierenpfortadersystems überhaupt gilt (obwohl Bosanus bereits 1816 ein solches bei der Schildkröte gefunden hatte), war der Erste, welcher dieses System bei den Fischen studirte. Er stellte drei Formen auf, unter welchen es vorkommen solle; die erste Form, welche er als Grundform aufstellt, verhält sich so, dass die Venen der Haut und der Muskeln des Rumpfes als zuführende Nierenvenen fungiren, während die Caudalvene durch die Niere hindurch, ohne sich in ihr zu verzweigen, in die rechte Cardinalvene übergeht. Die ‚zweite Form unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass auch die Caudalvene sich in der Niere pfortadermäßig vertheilt, und die dritte Form endlich stellt wieder eine Modifikation der zweiten dar, in so fern als dabei entweder die Vena caudalis oder irgend eine andere Vene des hinteren Körpertheiles mit der Leberpfortader eine Verbindung eingeht. Die Angaben JacoBson’s wurden im Allgemeinen von späteren For- schern, die sich mit dem Gegenstande beschäftigten, bestätigt, obwohl sich MECKEL, Cuvier und Owen dagegen ausgesprochen hatten. HyrrL bestätigt wohl die Angaben bezüglich der zwei ersten Formen, iiber- geht jedoch die dritte Form mit Stillschweigen, dagegen bestätigt JOURDAIN in seiner Arbeit über das Nierenpfortadersystem die An- gaben Jacogson’s vollinhaltlich, unterscheidet jedoch nur zwei Haupt- 138 F. Hochstetter formen des Nierenpfortadersystems bei den Fischen, indem er die erste und zweite Form Jacopson’s nur als Abarten einer Form an- nimmt und als zweite Hauptform die dritte JAcoBson’s anführt. Hyrrn hält die erste Form Jacogson’s für die bei den meisten Formen vorkommende, während er die zweite für weitaus seltener erklärt, doch zählt er einige Formen zur ersten Form, welche ent- schieden der zweiten angehören, wie Esox lucius und Salmo fario (für welch letzteren übrigens JourDAIN die gleiche Angabe macht, wie Hyrrn). Die dritte Form JAacoBson’s vereinigt aber unter sich eine Reihe von Formen, welehe in ihrem Verhalten eigentlich ganz von einander abweichen und nur das mit einander gemeinsam haben, dass eine Verbindung der Vena caudalis oder einer anderen Vene des hinteren Körperendes mit der Pfortader vorhanden ist. Diese Formen sind Anguilla fluviatilis und Muraena conger, welche ziem- lich dieselben Verhiiltnisse bieten, Lophius piscatorius, Silurus glanis, Cyprinus carpio und als abweichendste Form Tinea fluviatilis. Bei Muraena und Anguilla (siehe die Abbild. bei JOoURDAIN) existiren zahlreiche bogenförmige Anastomosen zwischen den beiden Ästen der Vena caudalis, welche als zuführende Nierenvenen fun- giren, und dem Stamme der Vena portae, an welche Anastomosen die Venen der Genitaldriisen angeschlossen sind. Bei Lophius pis- catorius existirt eine Vena caudalis, wie bei anderen Knocbenfischen im Subvertebralkanal verlaufend, nieht, dafür wird das Blut des hinteren Körperabschnittes den Nieren in zwei Venen zugeführt, welche zu beiden Seiten der Wirbelsäule mitten in die Muskulatur eingebettet kopfwärts verlaufen. Jede dieser Venen theilt sich an der Niere angelangt, in einen medialen und lateralen Zweig, von denen der letztere stärkere zur Niere zieht und sich in ihr verzweigt, der erstere verbindet sich hingegen mit dem gleichnamigen der an- deren Seite zu einem Stamm, welcher nach Aufnahme der Genital- venen in die Pfortader übergeht. Bei Silurus glanis tritt die Vena caudalis in die Bauchhöhle ein und theilt sich in mehrere Zweige, von denen der stärkste mit den Genitalvenen vereinigt zum linken Ast der Pfortader wird. Bei Cyprinus carpio theilt sich die Caudalvene in zwei Äste, von denen der eine eine Vena ren. advehens, der andere, indem er an das Endstück des.Darmes gelangt, die Wurzel der Pfortader bildet. Bei Tinca fluviatilis existiren im Subvertebralkanale zwei Venen, von denen die dorsal gelegene, welche als eigentliche Caudalvene anzusehen ist, direkt in die rechte Cardinalvene übergeht, während un Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 139 die ventral gelegene, sehr schwache, sich in drei Zweige theilt, von denen zwei als zuführende Venen an die Niere herantreten und sich mit Museuloparietalvenen verbinden, während die dritte in die Pfortader übergeht. Die Lebervenen bieten sowohl in der Zahl ihres Auftretens als auch in Bezug auf ihre Mündung mannigfache Ver- schiedenheiten dar, selten existirt nur eine Lebervene, welche wie bei Salmo fario mit dem linken Ductus Cuvieri zusammenmiindet, oder es existiren zwei gewöhnlich asymmetrische, selten symmetrische (Mugil cephalus, Uranoseopus scaber) einmündend, oder drei und noch mehr. Am variabelsten sind aber die Verhältnisse der Genitalvenen, welehe manchmal direkt in die Cardinalvenen oder durch die Leber hindurch in die Lebervenen, manchmal in die Pfortader münden, oder sogar als zuführende Nierenvenen fungiren. Was die Venen der Schwimmblase anbetrifft, so münden die- selben wohl in der Mehrzahl der Formen dort, wo die Schwimm- blase den Cardinalvenen anliegt, mit einer Reihe von Stämmehen in dieselben ein, doch gehen auch in sehr vielen Fällen Venen von der ventralen Seite der Schwimmblase in das Gebiet der Pfortader ein. Über das Venensystem eines Dipnoers existirt eine einzige Angabe, welche HyrrL in seiner Anatomie des Lepidosiren para- doxa giebt. »Lepidosiren paradoxa besitzt zwei Venae cavae posteriores und eine anterior. Die rechte, stärkere Cava posterior entspringt als rechte Nierenvene, liegt am inneren Rande der Niere in einer Längen- furche derselben, tritt vom vorderen Nierenende zum hinteren spitzigen Ende der Leber, derem oberen Rand sie folgt, wobei sie in die Le- bersubstanz eingebettet erscheint. Sie nimmt folgende Äste auf: 1) sämmtliche Venen der rechten Niere; 2) vier starke, von der linken Niere kommende und die untere Fläche des Lungensackes kreuzende Venen, die am inneren Rande der linken Niere bogen- förmig unter einander zusammenhängen; 3) mittelbar durch die Nierenvenen einige kleine von den Ovarien und Eileitern stammende Venen (die größeren dieser Art gehen zur Nierenpfortader) und auf bei- den Seiten unsymmetrisch verlaufende Bauchwandvenen. Zur rechten Nierenvene begeben sich sechs, zur linken neun solche Muskelvenen. Sie verlaufen entweder in Einschnitten der Nieren oberflächlich oder durchbrechen das Parenchym derselben, um zur Nierenvene zu kom- men; 4) sämmtliche Lebervenen ; 5) vier starke Muskelvenen der rechten Bauchwand. ; 140 F. Hochstetter Die linke V. cava posterior .entspringt aus der ersten linken Nierenvene, die zur rechten Cava geht, läuft neben dem linken Rande der Lunge nach vorn, nimmt fünf linksseitige Bauchmuskel- venen und eine von den Muskeln des Brustgürtels stammende Vene auf, verbindet sich mit der linken Cava anterior und geht zum Herzen. Eine paarige Vena azygos findet sich zu beiden Seiten der Aorta und fast unter denselben Verhältnissen, wie ich sie bei Pro- teus, Siren, Salamandra und Triton gefunden habe. Sie entleert sich Jedoch nicht wie bei diesen in den Stamm der Cava ascendens, vor dessen Eintritt in die Leber, sondern hängt an ihrem vorderen Ende rechts mit der zweiten Bauchdeckenvene und links mit der Cava ascendens sinistra zusammen. Ihr hinteres Ende anastomosirt mit der Nierenpfortader. Sie ist somit als ein großer Kommunikationsweg zwischen dem Stromgebiete der Cava und der Vena renalis advehens zu betrachten. Die Nierenpfortadern existiren schon im Gefäßkanal der unteren Dornen der Schwanzwirbel als zwei parallele, durch die. Arteria caudalis getrennte Venen. Sie sammeln das Blut sämmt- licher Weichtheile des Schwanzes und nehmen zwei bedeutende Venen der hinteren Bauchdeeken und überdies mehrere kleinere, aus der Harnblase kommende, auf. Während ihres Verlaufes am äußeren Nierenrande empfangen sie das Venenblut der Eileiter und Ovarien, endigen jedoch nicht in der Niere, sondern treten über das vordere Ende derselben hinaus, um mit den nächst gelegenen Bauchdecken- venen zu anastomosiren, wodurch sie in direkte Beziehung zum Hohl- venensystem gelangen, was bei keinem Amphibium, so weit ich sie kenne, der Fall ist. Die Vena umbilicalis, die bei den Amphibien von der Harnblase zur Pfortader geht, fehlt bei Lepidosiren wie bei allen übrigen Fischen.« Eine Bestätigung der Angabe Hyrrr’s, dass bei Le- pidosiren zwei Hohlvenen vorhanden seien, findet sich in einem Briefe von Mc.Doxner in Dublin (Zeitschrift für wissensch. Zoologie Bd. X). Entwicklung des Venensystems bei den Fischen. Elasmobranchier. Nach BALFoUr ist bei den Elasmobranchiern die Subintestinal- vene die erste sich entwickelnde Körpervene. Sie entspringt im Schwanze als Caudalvene, umgreift die Kloake mit zwei Ästen, welche sich vor ihr wieder zu einem einfachen Stamme vereinigen und gelangt vor Beginn der Leberanlage, nachdem sie die Dotter- vene aufgenommen, indem sie die Ausmündung des Dotterganges ® wi Me eS ee ec Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 141 linkerseits umgeht, zum Herzen. Indem sich die Leber entwickelt, zerfällt die Subintestinalvene in das Kapillarnetz derselben. Die Dottervene mündet aber (wie dies Raruke bereits bekannt war) vor deren Eintritt in die Leber. Mit der Weiterentwicklung des Embryo entwickelt sich ein zu beiden Seiten der Aorta medial, nicht, wie BALFOUR sagt, dorsal vom Mesonephros gelegenes, in seiner ersten Anlage vollständig symmetrisches Venenpaar, die Cardinalvenen. Die Caudalvene hat inzwischen ! ihre Verbindung mit der Subintestinal- vene vollständig aufgegeben und bildet, indem sie sich in zwei Äste theilt. den Anfang der Cardinalvenen. Die Theilung der Caudal- vene in die beiden Anfangsstücke der Cardinalvenen erfolgt jedoch nicht unmittelbar beim Eintritte in die Bauchhöhle, sondern sie setzt sich ein bei den verschiedenen Formen verschieden langes Stück weit zwischen den Mesonephrosanlagen als unpaarer Stamm kopf- wärts hin fort. Die Trennung der beiden Gefäßgebiete, wonach die Caudalvene zur zuführenden. die Cardinalvenen aber zu abführenden Nierenvenen werden, scheint in der Weise vor sich zu gehen, dass die Mesonephrosanlage medianwärts und gegen das Lumen der zwischen sie eingebetteten Venen immer stärker wächst und auf diese Weise einen Zerfall dieser Venen in ein Kapillarnetz bewirkt, Jedenfalls erfolgt die gänzliche Trennung der Caudalvene durch das Dazwischentreten eines intermediären Kapillarsystems von den Car- dinalvenen erst verhältnismäßig spiit?,?. Eben so spät scheint die am Kopfende der Nieren vorhandene Kommunikation zwischen bei- den Cardinalvenen aufzutreten; früh dagegen zeigt sich bei solchen Formen, wo auch im Erwachsenen eine Cardinalvene die andere an Stärke und Länge übertrifft, wie bei Mustelus, eine Asymmetrie in dieser Richtung. Indem sich die Subintestinalvene mit dem Wachsen der Leber in diesem Organe in ein Kapillarnetz auflöst, entsteht aus ihrem Endstücke die linke Lebervene, während sich die rechte unabhängig von der linken entwickelt. Anfangs ist diese linke Lebervene viel stärker als die rechte, doch bald sind beide von gleicher Stärke. 1 Wie dieses geschieht, ist nicht bekannt und konnte ich an dem spär- lichen, mir zur Verfügung stehenden Materiale nicht nachweisen. 2 Das Hineinwachsen der Mesonephrosanlage gegen das Lumen der Cau- dalvene konnte ich an einer Schnittserie durch einen 18 mm langen Mustelus- embryo ziemlich deutlich wahrnehmen. 3 Auch bei einem Pristiurusembryo konnte ich ein ähnliches Verhalten konstatiren, und zwar hatte sich die Trennung im Bereiche des hinteren Nieren- abschnittes schon ziemlich vollständig vollzogen. 142 F. Hochstetter Schon bei ziemlich jungen Embryonen von Torpedo und Muste- lus war die Weite der Venen im vordersten Abschnitte der Leber recht auffallend, und bei einem 18 mm langen Mustelusembryo zeigte sich bereits der Lebervenensinus in seiner Anlage. Die beiden Lebervenen erschienen dort, wo sie in den vordersten Abschnitt der Leber eingelagert waren, stark erweitert, so dass zwischen ihnen nur eine schmale, von vielfachen Anastomosen durchzogene Leber- substanzbrücke vorhanden war und auch ihre übrige Wand nur von einer äußerst dünnen Schicht von Lebersubstanz begrenzt wurde. Die Einmündung in den Sinus venosus erfolgt durch einen gegen sein Ende hin immer enger werdenden Gefäßabschnitt. So erhalten sich die Lebervenen bei Acanthias z. B. zeitlebens, bei jenen Formen aber, welche wie Mustelus einen Lebervenensinus besitzen, schreitet die Ausdehnung der Lebervenen immer weiter fort, bis das die Ausdehnung der Lebervenen umgebende Parenchym vollständig zu Grunde geht und sich zwischen beiden Lebervenenerweiterungen nur mehr ein medianes durchbrochenes Septum erhält. Bei den Rochen! scheint sich eine ventral gelegene weite Anastomose zwischen beiden Lebervenensinus zu entwickeln, so dass es zu der Bildung eines Septums nicht kommt. Knochenfische. Über die Entwicklung des Gefäßsystems bei Knochenfischen sind die ältesten Arbeiten die von RATHKE »Blennius viviparus« und die von BAER »Über die Entwicklungsgeschichte der Fische« (Cypri- nus blica). Beide Forscher scheinen die allerersten Stadien der Entwicklung der Gefäßstämme nicht gesehen zu haben. Eine sehr detaillirte und durch gute Zeichnungen illustrirte Beschreibung liefert Voar von Coregonus Palea. Seine Angaben, so weit sie sich auf die Entwicklung des Venensystems beziehen, sind folgende: Die Aorta krümmt sich ein wenig hinter dem After in einem einfachen Bogen ventralwärts und geht in eine Vene über, welche sich wieder in zwei Zweige theilt, die zu jeder Seite un- mittelbar auf den Dottersack übergehen ?. Diese beiden Venen er- halten sich nur kurze Zeit auf beiden Seiten gleich; sie korrespon- 1 Leider hatte ich über ältere Embryonen, die mir in dieser Richtung Aufschluss gegeben hätten, nicht zu verfügen. 2 Diese beiden Venen sind offenbar analog den von WENKEBACH bei Belone beschriebenen Randvenen des Dottersackes. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 143 diren zuniichst mit drei bis fiinf Zweigen, welche die Aorta von der Mitte des Körpers bis zum After beiderseits abgiebt, doch sind die Zweige der linken Vene weniger stark und weit als die der rechten. Die Venen der beiden Seiten divergiren bei ihrem Verlaufe über den Dottersack und entfernen sich in der Region der Leberanlage am weitesten von einander, um sich dann plötzlich gegen die Achse des Körpers zu wenden und mit den vorderen Dottervenen (in diese soll in diesem Stadium eine Augenvene direkt übergehen?) und Jugular- venen in den Sinus venosus zu münden. Die linke Dottervene ver- schwindet nun vollständig und die linkerseits abgehenden Zweige der Aorta münden nun, indem sie über den Dottersack weg verlaufen, in die rechte Dottervene ein. Diese hat inzwischen ihre Lage ge- ändert, sie hat sich dem Rande des Darmes genähert und verlässt ihn erst dort, wo die Zweige von der linken Seite her einmünden. Die so zur unteren Darmvene gewordene Vene beginnt nun sich in der Nähe der Leberanlage zu verzweigen und geht schließlich all- mählich in das Kapillarsystem der Leber, in welches auch die Dotter- arterien übergehen, auf. Die Cardinalvenen entwickeln sich erst mit Beginn der branchialen Cirkulation. Die Aorta verlängert sich cau- dalwärts und ventralwärts, von ihr entsteht die Caudalvene, diese verlängert sich nach vorn zu in die Cardinalvene, die ihrer ganzen Länge nach einfach zu sein scheint, sich aber jedenfalls in der Leberregion gabeln dürfte, da in der Gegend der Brustflossen zwei Cardinalvenen vorhanden sind. Die Darmvene löst sich allmählich immer mehr und mehr in das Kapillarsystem der Leber auf, aus welchem dann die zuführenden Dottergefäße hervorgehen. Mit dem Schwinden des Dottersackes verkürzen und reduciren sich die zu- und abführenden Dottergefäße und aus ihnen gehen schließlich die Lebervenen hervor. So weit RATHKE die Verhältnisse bei Blennius verfolgt hat, stimmen sie so ziemlich mit denen bei Coregonus überein, nur soll die linke Cardinalvene bei Blennius selbständig (was übrigens für Coregonus auch wahrscheinlich erscheint) und die Pfortader mit zwei Ästen einem ventralen und einem dorsalen entstehen. Auch LEREBOULLET giebt für die späteren Stadien der Gefäßentwicklung der Forelle Angaben, welche mit denen von Voer für Coregonus übereinstimmen. Dagegen bieten die Verhältnisse bei Cyprinus blica, wie sie BAER schildert, manche Besonderheiten, was mit den ab- weichenden Verhältnissen des Venensystems bei den Cyprinoiden überhaupt in Einklang zu bringen sein dürfte. Aus der Arbeit von 144 F. Hochstetter WENKEBACH geht hervor, dass sich außer den zwei seitlichen Dottervenen bei Belone und Gobius auch noch eine mediane ent- wickelt. Leider sind seine Angaben durchaus nicht erschöpfend und die Zeichnungen, so weit sie sich auf den Gefäßverlauf be- ziehen, in manchen Punkten nicht von erwünschter Klarheit. Beim Saibling (Salmo salvelinus) habe ich die Entwicklung der Venenstämme, vom Beginne der Cirkulation angefangen, verfolgt und habe zum Theil Befunde zu verzeichnen, welche mit den An- gaben Voqr’s für Coregonus Palea durchaus nicht in Übereinstim- mung zu bringen sind !. Die Aorta biegt, knapp hinter dem After einen einfachen kurzen Bogen bildend, in ein ventral von ihr gelegenes rückführendes Ge- fäß, die Caudalvene, um, welche in diesem Stadium noch ganz kurz an dem hintersten Abschnitte des Darmes vorbei (ob als ein ein- facher Stamm an der rechten oder linken Seite oder in zwei sich wieder vereinigenden Stämmen den Darm umgreifend, welch letzteres mir sehr wahrscheinlich erscheint, konnte ich mit Bestimmtheit nicht entscheiden) in das ventral vom Darme gelegene Gefäß, die Sub- intestinalvene, sich fortsetzt. Diese Vene zieht an der ventralen Seite kopfwärts bis an den Dottersack, auf welchen sie übergeht. Dieser Übergang erfolgt in zweifacher Weise, entweder so, dass sich die Subintestinalvene in zwei Zweige theilt, von denen der eine rechter- seits, der andere linkerseits nahe dem Rande der Keimscheibe nach vorn verläuft, um in einem nach vorn und seitlich konvexen Bogen in den Sinus venosus einzumünden; oder es existirt eine Dottervene nur linkerseits, und der in diesem Falle ganz unbedeu- tende rechte Ast der Dottervene (vgl. Fig. 10) biegt ebenfalls nach links hin um und mündet in das Gefäß der linken Seite. Ich untersuchte mit Rücksicht auf diese eigenthümliche Asymmetrie in der Anlage der Dottervenen Eier von verschiedenen Individuen und fand, dass bei den einen die Mehrzahl der Eier ein symmetrisches Auftreten und nur ausnahmsweise eine asymmetrische Bildung der Dottervenen aufwies, während bei einer anderen Serie von Eiern das Gegentheil der Fall war. Arterien, welche den Dottersack ‚ver- "sorgten, waren trotz der größten Aufmerksamkeit nicht nachzuweisen. ! Die Eier wurden zum Theil in toto untersucht und die Eihaut dureh Eintauchen in Glycerin durchsichtig gemacht, außerdem wurden die Eier aber auch von ihrer Eihülle befreit, nachdem die durch das Glycerin bewirkte Wasserentziehung ein Falten und Durchschneiden der Eihaut ohne Verletzung des Dottersackes möglich gemacht hatte. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 145 In etwas älteren Stadien verlängert sich die Caudalvene parallel mit der Verlängerung der Aorta caudalis nach rückwärts und zwar so, dass die Aorta in ihrer Verlängerung einen Spross vortreibt, der allmählich hohl geworden, Blutkörperchen aufnimmt, die jedoch in dem blindsackartigen Gefäßabschnitte zunächst entsprechend der Pulsation sich auf und ab verschieben, dann entwickelt sich von dort aus allmählich wieder eine bogenförmige Anastomose mit der Caudalvene, und indem sich dieser Vorgang wiederholt, verlängern sich beide Gefäße nach rückwärts. Die Subintestinalvene nimmt mit der wachsenden Menge des Blutes immer mehr an Weite zu. Die aus ihr hervorgehenden Venen des Dottersackes zerfallen in- zwischen jederseits in mehrere Stämmehen (ich will hier zunächst nur auf die paarige Anlage der Dottervenen Rücksicht nehmen), welche zum Theil unter einander sich verbindend, in die abführen- den Dottervenen jederseits übergehen, das dem Rande der Keim- scheibe zunächst verlaufende Gefäßchen ist gewöhnlich stärker als die anderen, und indem es sich weiterhin mit dem der anderen Seite verbindet, wird ein dem Rande der Keimscheibe paralleler venöser Kreis gebildet. Die Aorta sendet nun auch einige Zweig- chen an den Darm ab, welche denselben bogenförmig umgreifen und theils in die Subintestinalvene übergehen, theils, nachdem sie den Darm passirt haben, als zuführende Gefäße (mehr als zwei bis drei konnte ich niemals beobachten) des Dottersackes fungiren, jeden- falls aber, nachdem sie den Darm bereits passirt haben, als Venen aufzufassen sind. Gewöhnlich am dritten Tage nach dem Beginne der Cirkulation überhaupt sieht man die erste Anlage der rechten hinteren Cardinal- vene, nachdem bereits etwas früher die vorderen Cardinalvenen sich entwickelt haben. Während nämlich die Hauptmasse des Blutes aus der Caudal- vene noch direkt in die Subintestinalvene abfließt, sieht man an der dorsalen Seite des Darmes, der Aorta unmittelbar anliegend, ein Gefäß, welches genau in der Fortsetzung der Caudalvene gelegen, dort von ihr abgeht, wo sie die Übergangskrümmung in die Sub- intestinalvene macht. Da die Cardinalvene in diesem Stadium noch sehr eng ist, gelingt es schwer, ihren centralen Verlauf zu ver- folgen, von der Vorniere nach vorn zu sieht man sie aber ganz deutlich an der Außenseite dieses Organes hervortreten, und auch linkerseits sieht man die etwas schwächere Vene mit der mächtigen Dotterdarmvene und der vorderen Cardinalvene zusammenmiinden. Morpholog. Jahrbuch. 13. 10 146 F. Hochstetter Die rechte Cardinalvene nimmt bald an Weite zu und, gleichen Schritt damit haltend, ergießt sich der Blutstrom aus der Caudal- vene immer mehr in sie!. Von diesem Augenblicke an wird die urspriinglich sehr weite Verbindung zwischen Caudal- und Sub- intestinalvene immer enger und verschwindet schließlich vollständig und die Subintestinalvene wird nunmehr nur durch das dem Darm durch seine Arterien zugeführte Blut gespeist. Es hat sich in der That inzwischen auch eine ziemlich starke Arterie entwickelt, die an der Umbeugungsstelle der Subintestinalvene, welche sich kopf- wärts etwas vorgeschoben hat, vorbeiziehend an die dorsale Seite des Darmes gelangt?. Während dieser Veränderungen im System der Körpervenen hat sich hauptsächlich auf der hinteren Partie des Dottersackes ein schönes Gefäßnetz entwickelt, welches ungefähr die eine Hälfte des Dotters überzieht und von einer ringförmigen Randvene begrenzt wird, welche vorn zu beiden Seiten in den Duetus Cuvieri als abführende Dottervene einmündet. Noch immer ist die ursprünglich paarige Anlage des Dottersackkreislaufes zu er- kennen, erst mit dem Auftreten der Leber verschwindet dieselbe allmählich. Die Leberanlage scheint von allem Anfange an mit der Subintestinalvene, dort, wo sie sich in ihre Äste theilt, im Zusam- menhange zu stehen, sie scheint die Äste der Subintestinalvene mit ihren Schläuchen gewissermaßen zu umwuchern, und zwischen diese Schläuche hinein entstehen dann wieder neue Gefäßbahnen, so dass schließlich die Leberanlage von ein paar stärkeren und einer Menge von kleineren Venen durchströmt erscheint. Während sich die Leber entwickelte, hat jedoch das centrale Ende der Subintestinalvene eine Lageveränderung erfahren, deren Entstehung ich zu folgen leider nicht in der Lage war. Während nämlich die Subintestinalvene ursprünglich unmittelbar von der ventralen Seite des Darmes weg auf den Dottersack übergeht, biegt sie sich, wenn einmal die erste Leberanlage deutlich sichtbar ist, an der linken Seite des Darm- kanales dorsalwärts auf und gelangt über dem Darme weg auf die 1 Sobald die Cirkulation, wie dies bei den von der Eihaut befreiten Em- bryonen sehr bald geschieht, anfängt zu ermatten, erfolgt sogar ein förmliches‘ Aussaugen des Blutes aus dem hinteren Abschnitt der Subintestinal- in die Cardinalvene. * Im ersten Augenblicke scheint es Einem, als wiirde diese Arterie direkt in die Subintestinalvene einmiinden, bei genauer Beobachtung sieht man jedoch deutlich, dass sie an der rechten Seite dieses Gefäßes vorbeizieht. Wahr- scheinlich ist Voar in diesen Irrthum verfallen, vide seine Arbeit (Tab. H, 48). 1 Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 147 rechte Seite des Dottersackes zur Leberanlage. Einen direkten Übergang von Arterien in die Subintestinalvene habe ich in keiner Entwicklungsperiode nachweisen können. Ist die Leber einmal ge- hörig entwickelt, so sieht man an der rechten Seite des Darmes vorbei einen ganz unbedeutenden Ast der Darmarterie zu ihr hin- ziehen. Inzwischen umwächst das Venennetz den Dottersack immer mehr, und während der den Gefäßbezirk des Dottersackes abgren- zende venöse Ring bis zur größten Peripherie des Dottersackes früher an Größe immer mehr zugenommen hatte, verkleinert sich dieser Ring immer mehr und mehr!, bis schließlich nur mehr eine kleine Partie des Dottersackes unterhalb vom Kopfe des Embryo frei von Gefäßen erscheint. Die rechte Cardinalvene verläuft bis in die Nähe der Vorniere in der Medianebene, scheint dieses Organ mit mehreren Ästen zu passiren und erscheint kopfwärts von der Vorniere an der Außenseite derselben gelegen wieder als ein mächtiger Stamm. Die linke Cardinalvene ist viel schwächer als die rechte und entsteht, wie ich dieses aus gelungenen Schnittserien entnehme, erst aus der Vorniere und war ein Zusammenhang zwischen rechter und linker Cardinalvene nicht nachzuweisen. Die Weiterentwicklung der Venen scheint sich von der Art und Weise, wie sie VoGT für Coregonus Palea beschrieben, nicht wesent- lich zu unterscheiden. Es erübrigt nun noch die Entwicklung der Dottersackeirkulation für jene Formen zu beschreiben, bei welchen nur eine abführende linke Dottervene vorhanden ist (Fig. 10). Die Subintestinalvene theilt sich in diesen Fällen bei ihrem ersten Erscheinen in zwei Zweige, von denen jedoch der rechte in den linken übergeht. Diese beiden Zweige zerfallen wieder in eine Reihe von Zweigchen, welche sich netzartig unter einander ver- binden: da aber die Äste der rechten Seite alle nach links hinüber- ziehen, ist die ursprünglich symmetrische Anordnung der Subinte- stinalvenenäste bald nicht mehr zu erkennen. Die rechte Seite des Dottersackes bleibt jedoch nicht frei von Gefäßen, sondern die Grenze des Gefäßnetzes schiebt sich rechterseits immer weiter vor, der von Gefäßen freie Theil ist jedoch selten kreisférmig begrenzt. 1 In diesen Stadien zeigt das Gefäßnetz ein ganz ähnliches Bild, wie RATHKE es bei Embryonen von Blennius gesehen und abgebildet hat, nur dass dort sich die beiden abführenden Dottervenen zu einem gemeinsamen medianen Stamme vereinigt haben, während sie hier noch getrennt zu beiden Seiten ein- münden. 10* 148 F. Hochstetter Auch bei derartig asymmetrisch angelegten Dottervenen war der Übergang von Arterien in die Dottersackcirkulation nicht nachzu- weisen. Möglicherweise mag es in einzelnen Fällen auch vorkommen, dass die Dottervenenanlage eine paarige war, dass aber die rechte Dottervene frühzeitig zu Grunde ging, wofür die einige Male ge- machte Beobachtung zu sprechen scheint, dass der Sinus venosus rechterseits eine mit dem Dottersacke verbundene, konische, mit Blut erfüllte Fortsetzung besaß; doch ist dieses gewiss selten und nur als eine Ausnahme von der Regel zu betrachten. Bei der Forelle ist die Bildung der Dottervene, nach den späten Stadien zu urtheilen, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ebenfalls eine asymmetrische. Die Verhältnisse bei Salmo salvelinus unterscheiden sich dem- nach von denen bei Coregonus Palea hauptsächlich dadurch, dass die Dottervenen beim Saibling, wenn sie paarig angelegt waren, auch paarig weiter bestehen, oder wenn sich nur die linke angelegt, diese das ganze Blut des Dottersackes dem Herzen zuführt; während die ursprünglich paarige Anlage bei Coregonus sich dahin abändert, dass die rechte Dottervene späterhin das ganze Dottervenenblut auf- nimmt. Diesem Unterschiede ist jedoch keine besondere Wichtigkeit beizulegen, wenn man bedenkt, dass beim Saibling einmal bloß die linke, dann wieder beide Dottervenen entwickelt sind. Viel auffallender gestaltet sich der Unterschied der Dottersack- eirkulation für die späteren Stadien, wenn die Angaben und Zeich- nungen VocgT’s richtig sein sollten, was entschieden zu bezweifeln ist, da man sich kaum vorstellen kann, dass bei den Vertretern einer Familie so principielle Unterschiede im Verlaufe der Entwick- lung des Dottersackkreislaufes auftreten sollten, um später wieder spurlos zu verschwinden. Vogr giebt an, dass Arterien in größerer Anzahl auf die linke Seite des Dottersackes übergehen, um sich weiter mit den Venen der rechten Seite zu verbinden; außerdem sollen auch rechterseits Arterien sich mit dem venösen Dottersacknetze verbinden und ins- besondere eine stärkere Arterie an der Umbeugungsstelle der Sub- intestinalvene in dieselbe übergehen. Auch mir schien es Anfangs, als würden Arterien direkt auf den Dottersak oder in die.Subintestinalvene übergehen, doch konnte ich mich mit voller Bestimmtheit davon überzeugen, dass diese Zweigchen der Aorta zunächst auf den Darm übergingen, kein größeres Ka- Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 149 liber besaBen, als die Ubergangsschlingen an anderen Stellen, wie z. B. im Schwanze der Aorta caudalis in die Vena caudalis, und dass somit der in die‘Subintestinalvene und auf den Dottersack über- gehende Theil eines solchen Gefäßes als Vene zu betrachten war, Auch das Verhältnis der Subintestinalvene zur Leber wäre nach VOGT ursprünglich ein anderes, indem die Subintestinalvene zuerst an diesem Organe, welches jedoch bereits von arteriellen Zweigen durchflossen würde, vorbei an den Dottersack ginge und erst all- mählich in den Leberkreislauf einbezogen würde, während beim Saib- ling ein Zusammenhang zwischen der Leberanlage, sobald sie ein- mal deutlich zu erkennen war, und der Subintestinalvene und ihren Ästen wahrzunehmen ist. Ist der Dottersackkreislanf endlich fertig gebildet, so ist er nach Voer bei Coregonus, abgesehen von den kleinen, in die Leber eintretenden Arterienzweigchen, eben so rein venös, wie beim Saibling und bei der Bachforelle. Die Befunde bei Salmo salvelinus stimmen aber auch mit denen, welche RATHkE für Blennius viviparus beschreibt und angiebt, be- sonders für jene Fälle, wo zwei abführende Dottervenen vorhanden sind, fast vollständig überein, nur dass diese bei Blennius schon ziemlich früh vor dem Kopfe zu einem medianen Stamme ver- schmelzen. Von Arterien, welche auf den Dottersack übergingen, hat RATHkE bei Blennius nichts gesehen; auch bei dieser Form ist demnach die Dottereirkulation eine rein venöse. Vergleicht man die Entwicklung des Venensystems bei den Elas- mobranchiern mit der bei den wenigen Formen der Teleostier, für welche sie bekannt wurde, so zeigt es sich, dass bei beiden die erste sich entwickelnde Vene ein subintestinales Gefäß ist, und dass sich erst in zweiter Linie die Cardinalvenen entwickeln, während diese aber bei den Selachiern stets symmetrisch angelegt sind, finden wir sie bei den Knochenfischen (Salmoniden) in ihrer ersten Anlage oft schon hochgradig asymmetrisch und nur für jene Formen, welche zeitlebens beiderseits gleich starke Cardinalvenen besitzen, ist man zur Annahme einer symmetrischen Anlage gezwungen. Grundver- schieden aber scheinen in diesen beiden Ordnungen der Fische die Verhältnisse der Dottersackeirkulation zu sein; denn während bei den Teleostiern, so weit dieses bekannt ist, die Subintestinalvene als zu- führendes Dottersackgefäß fungirt, ist es bei den Selachiern (BALFOUR) ein Ast der Aorta, der sich in das Kapillarnetz des Dottersackes auflöst, aus welchem dann eine abführende Dottervene hervorgeht, welche hinter der Leber in die Subintestinalvene einmündet. Wie die 150 F. Hochstetter eigenthiimlichen Verhiltnisse der Dottersackcirkulation bei der einen und bei der anderen Ordnung zu erklären und von einander abzu- leiten sind, lässt sich bei dem Wenigen, was über die Entwicklung des Venensystems bei den Fischen überhaupt bekannt ist, kaum an- geben. Vielleicht liegt für die Entwicklung eines rein venösen Dot- terkreislaufes bei den Teleostiern ein Grund darin, dass das Kapil- larnetz des Dottersackes bei der Resorption des Dotters eine Haupt- rolle übernimmt, indem, wie dies BaLrour für die Forelle und den Lachs angiebt, die Verbindung zwischen Dottersack und Darm früh- zeitig schwindet. Betrachtet man das Venensystem im‘ vollständig ausgebildeten Zustande, wie es uns in den einzelnen Ordnungen der Fische ent- gegentritt, mit Rücksicht auf die Entwicklungsgeschichte, so lässt sich ungefähr Folgendes sagen: Das ursprüngliche Verhältnis, in welchem ein einziger subintestinal gelegener Venenstamm entwickelt ist, wie bei Amphioxus und den Embryonen sämmtlicher Fische, findet sich bei keiner der bekannten Formen. Überall sind bereits paarige, zu beiden Seiten der Aorta gelegene Längsvenenstämme des Rumpfes, die Cardinalvenen, entwickelt. Als die primitivste Form des Venen- systems ist demnach gewiss diejenige zu bezeichnen, bei welcher, wie dies bei Petromyzon thatsächlieh der Fall ist, die Subintestinal- vene zwar ihrer ganzen Länge nach noch erhalten bleibt, daneben aber zwei vollkommen symmetrisch angelegte hintere Cardinalvenen vorhanden sind!. Bei den Selachiern erscheint das Venensystem schon in einer höher entwickelten Form. Zwar erhält sich hier bei einigen Formen die Subintestinalvene in der Spiralklappe des Darmes wenigstens eine Strecke weit zeitlebens, fehlt jedoch bei den meisten Formen schon vollständig. Die Cardinalvenen sind jedenfalls immer in ihrer Anlage symmetrisch, erhalten aber diese Symmetrie nur bei einigen Formen zeitlebens, wenn aber eine Asymmetrie vorhanden ist, so ist dieselbe nie hochgradig. Bei allen Formen ist ein Nierenpfortader- system mit der Vena caudalis als Vena renalis advehens ausgebildet. Bietet aber das Venensystem der Elasmobranchier mit Rücksicht auf die geschilderten Verhältnisse Anklänge an ein primitives Verhalten, so erscheint es andererseits wieder viel höher entwickelt als bei allen anderen Ordnungen der Fische, die Dipnoer ausgenommen. So ist ! Außerst merkwürdig erscheint es, dass bei den Myxinoiden das Venen- system so hochgradig modificirt ist. EC Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 151 als ein Merkmal der höheren Entwicklung, die, wie es scheint, bei allen Formen vorhandene, entweder unmittelbare oder mittelbare, durch die Genitalvenen hergestellte Verschmelzung der beiden Car- dinalvenen am Kopfende der Nieren, weiter die bei sämmtlichen Formen ausgebildeten Seitenvenen, anzusehen. Am höchsten ent- wickelt erscheint das Venensystem bei den Rochen durch das Auf- treten paariger Verbindungen zwischen Cardinal- und Lebervenen, welche höchst wahrscheinlich als Hohlvenenbildungen aufzufassen sind. | Bei den Ganoiden erhält sich von der Subintestinalvene nichts mehr, die hinteren Cardinalvenen sind im geringen Grade asymme- trisch und treten unter einander nicht in Kommunikation, das Nieren- pfortadersystem und die Lebervenen erinnern an die Verhältnisse bei den Selachiern. Bei den Teleostiern erhalten die Cardinalvenen nur bei einigen Formen ihre ursprüngliche Symmetrie, bei den meisten Formen herrscht bereits in der Anlage eine hochgradige Asymmetrie, welche bei we- nigen bis zum Verschwinden der rechten oder der linken Cardinal- vene gedeiht. Gerade bei jenen Formen, bei welchen die Asymmetrie eine hochgradige ist, setzt sich die Caudalvene direkt in die rechte (oder linke) Cardinalvene hinein fort, und nur bei den Formen, bei welchen keine oder nur eine geringgradigere Asymmetrie vorhanden ist, löst sich die Caudalvene pfortadermäßig in der Niere auf. Zieht man die analogen Verhältnisse bei den Selachiern und Ganoiden in Betracht, so wird man wohl die letztere Form (Jacogson’s II. Form des Nierenpfortadersystems) des Venensystems als die ursprüng- lichere betrachten, und die erstere (I. Form Jacogson’s) als eine schon in ihrer Anlage bedeutend modifieirte ansprechen müssen. Diejenigen Formen des Venensystems aber, wo die Caudalvene oder sonst eine Vene des hinteren Rumpfabschnittes mit der Pfortader zusammenhängt, oder in welchen die Caudalvene doppelt erscheint, stellen noch höhergradige Modifikationen dar, zu deren Verständnis der Sehlüssel, nämlich die Kenntnis ihrer Entwicklung, aussteht. Bei Lepidosiren, dem einzigen Dipnoer, dessen Venensystem untersucht ist, erscheint der ursprüngliche Typus des Venensystems nicht nur fast gänzlich verwischt, durch das Vorhandensein zweier Hohlvenen und das Fehlen der Cardinalvenen, deren kümmerliche Reste die Venae azygae darstellen dürften, sondern auch hochgradig modifieirt durch das Vorhandensein einer doppelten Caudalvene und die eigenthümlichen Verhältnisse des Nierenpfortadersystems. Er- 2 F. Hochstetter scheint demnach das Venensystem in gewisser Hinsicht sehr hoch entwickelt, so können wir doch wegen der vorhandenen Modifika- tionen des ursprünglichen auch bei den Amphibien in ihrer Entwick- lung wieder auftretenden Typus, einen Anknüpfungspunkt für die Erklärung der Verhältnisse dort nicht finden. Amphibien. Untersuchtes Material. Salamandra maculosa, Proteus anguineus, Salamandra atra, Bombinator igneus, Triton cristatus, Bufo einereus, Triton alpestris. Pelobates fuscus, Pelonectes Boseai, Rana temporaria, . Pleurodeles Waltlii, Rana esculenta, Siredon pisciformis, Hyla arborea. Gymnophionen. Die Kenntnis des Venensystems der Gymnophionen beschränkt sich auf das, was aus den Angaben RATHKE’s und WIEDERSHEIM’S hervorgeht. Nach RATHKkE bildet die Caudalvene, indem sie sich in zwei an der Dorsalseite der Nieren verlaufende Zweige theilt, eine Vena renalis advehens, außerdem erhalten die Nieren ihr Blut auch noch aus einer großen Anzahl Musculoparietalvenen. Abführende Nierenvenen sind in erster Linie die Hohlvene, welche jedoch nicht wie bei den übrigen Amphibien in die Lebersubstanz eingebettet ist, und die vordere Nierenvene, wie RATHKE einen schwachen Längs- venenstamm nennt. der in der Höhe des Pankreas mit der Hohlvene zusammenhängt und zwischen den vorderen Abschnitten der Nieren nach vorn verläuft, um rechterseits mit der Vena jugularis dextra und der hinteren Hohlvene zusammen zu münden. Die Vena abdo- minalis (epigastrica R.) entspringt mit ihren Zweigen aus der Kloake und der Harnblase und begiebt sich an der vorderen Bauchwand kopfwärts verlaufend zur Leber. Die Pfortader stellt einen an der dorsalen Seite des Diekdarmes dorsal vom Darm im Gekröse einge- betteten. nach vorn zur Leber verlaufenden Stamm dar. WIEDERS- HEIM bestätigt im Wesentlichen diese Angaben RaTHKE's, 2 Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 153 Urodelen. Da die Urodelen in Bezug auf die Verhältnisse ihres Venen- systems ziemlich übereinstimmen, bei Salamandra aber, wie es scheint, die primitivsten Verhältnisse vorhanden sind, so will ich das Venensystem dieses Thieres, so weit es für unsere Betrach- tungen wichtig ist, eingehender schildern und anschließend an diese Beschreibung, die Verschiedenheiten, wie sie sich bei den übrigen untersuchten Formen ergeben, anführen. In der Histoire naturelle de la Salamandre terrestre hat Rusconi einige ganz vorzügliche Ab- bildungen des Venensystems gegeben, scheint aber trotzdem einige wichtige Details nicht gekannt zu haben; leider ist der Text, gerade über das Venensystem sehr mangelhaft gehalten. Es mag daher eini- germaßen gerechtfertigt erscheinen, die Verhältnisse bei Salamandra nochmals zu besprechen (Fig. 4 und umstehendes Schema). - Die Vena caudalis, welche das Blut des Schwanzes aufnimmt, theilt sich unmittelbar nach ihrem Austritte aus dem Subvertebral- kanal in zwei gleich starke Äste, welche an die Nieren herantre- tend sofort in eine große Anzahl von Ästen zerfallen, welche sich hauptsächlich an der lateralen Seite der beiden Nieren verzweigen. Als weitere zuführende Venen der Nieren fungiren die Venen der hinteren Extremität (V. iliacae), welche, indem sie an die Nieren herantreten, sich sofort in zwei Zweige theilen, von welchen der hintere sich vollständig in der Niere verzweigt und mit den Ästen der Caudalvene Anastomosen eingeht, während der vordere eine kurze Strecke dem Außenrande der Nieren folgend einige kleine Äste an dieselben abgiebt, um schließlich in einem Bogen ventral- wärts zu ziehen und sich mit dem gleichen Stamme der gegenüber liegenden Seite über der Symphyse zu einem medianen Stamme der Abdominalvene zu vereinigen. — Manchmal, und damit stimmt die Abbildung bei Ruscont, entsteht das Wurzelstück der Abdominalvene aus der Vena iliaca vor ihrem Herantreten an die Nieren. Die Venen der Kloake münden in einer an der ventralen Seite der Symphyse (V. superfieielle du bassin Rusconi) gelegenen Venen- Stamm, welcher nach außen mit der Vena iliaca anastomosirt, nach vorn aber sich in zwei Stämmchen theilt, welche rechts und links in die ‚beiden Wurzelstücke der Abdominalvene einmünden (eine Verbindung, welche Rusconi nicht verzeichnet). Beim Weibchen bildet der eine Ast der Vene der hinteren Extremität einen längs 154 F. Hochstetter des Nierenrandes kopfwärts verlaufenden längeren Stamm, in welchen die Venen aus der untersten Partie des Eileiters, welcher zur Auf- nahme der sich entwickelnden Eier bestimmt ist, einmünden, eine besondere Vene, welche, wie dies JouRDAIN angiebt, die Oviduct- venen aufnimmt und zur Abdominalvene zieht, existirt nicht. In einiger Entfernung vom Beckenrande mündet in die Abdominalvene der gewöhnlich vereinigte Stamm der Blasen- und Rectalvenen, häufig münden jedoch ein oder zwei Blasenvenen getrennt ein. Die Vene des Reetum bezieht ihr Blut von der ventralen Seite dieses Darmabschnittes, während die dorsale Seite zum Theil noch in das Gebiet der Pfortader fällt; feinere Anastomosen zwischen beiden Ge- fäßgebieten sind häufig vorhanden. Indem die Abdominalvene in der Medianlinie subperitoneal gelegen nach vorn zieht. nimmt sie von der vorderen Bauchwand eine Reihe von Zweigchen auf und ge- langt schließlich an den Leberrand; ihre Verbindung mit der Pfort- ader soll bei diesem Gefäße besprochen werden. Die hintere Hohl- vene entsteht mit zwei aus der hintersten Partie der Nieren hervor- tretenden Zweigen und zieht ventral von der Aorta zwischen die beiden Nieren eingelagert kopfwärts, dabei nimmt sie sämmtliche rückführenden Venen aus den Nieren, die Ovarial- oder Hodenvenen, verschieden an Anzahl und Stärke, und eine Anzahl von Venen des Oviducts auf. Die Kapillaren zwischen zuführenden und abführen- den Nierenvenen sind sehr weit, so dass leichtflüssige Injektions- massen dieselben ohne Schwierigkeit passiren. In der vorderen verschmälerten Partie der Nieren, wo die Rumpfwand- und Spinal- venen als zuführende Gefäße fungiren, ist dies am schönsten er- sichtlich. Am Kopfende der Nieren, dort, wo die Arteria intestinalis von der Aorta abgeht, entfernt sich die Hohlvene von der Aorta und zieht in das Mesenterium commune eingelagert zur Leber und tritt in einen zapfenförmigen Fortsatz derselben ein, welcher, da er offenbar mit der Bildung der Hohlvene im Zusammenhange steht, als Hohlvenenfortsatz der Leber zu bezeichnen wäre, durchbricht dann die hinterste Partie der Leber, um schließlich an ihrer ven- tralen Oberfläche zu erscheinen und um dort stets erkennbar kopf- wärts zu verlaufen. Während ihres Verlaufes in der Leber nimmt sie eine Menge von kleineren und eine besonders große aus der linken Leberhälfte stämmende Lebervene auf. Knapp vor dem Herzen verlässt sie die Leber, erweitert sich leicht ampullenförmig und erhält an dieser Stelle Zufluss aus zwei Venen der vorderen 4 ie Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 155 Bauchwand, welche entweder knapp neben einander oder zu einem kurzen Stamme vereinigt in sie einmiinden; in der Nähe ihrer Ein- mündung besitzen sie Klappen, welche den Rückfluss des Blutes aus der Hohlvene verhindern (HyrrL beschreibt eine Verbindung dieser beiden Venen mit den beiden Duetus Cuvieri |Venae innomi- natae]).e Dort, wo die Vena cava sich zur Leber wendet, münden in sie, gewöhnlich durch die dazwischen lie- Fig. 5. gende Arteria intestinalis von einander getrennt, zwei Venen ein, welche zu beiden Seiten der Aorta verlaufend, Venen der Rumpfwand und Spinalvenen, beim Weibchen Venen der ent- sprechenden Abschnitte der Oviducte aufneh- men. (Rusconr nennt diese Vene Veine de Yoviduct, trotzdem sie fast in derselben Weise, wie beim Weibehen, auch beim Männchen ent- wickelt ist. HyrrL nennt diese Vene viel richtiger Vena azygos.) Diese beiden Venen halten sich zu beiden Seiten der Aorta (vgl. Fig. 4) bis an die Abgangsstelle der Arterie der vorderen Extremität, wo zu beiden Seiten der Aorta, von der Schädelbasis herabziehend, zwei kleine Venen in sie einmünden (inkonstant eine kleine die Nerven begleitende Vene), und wenden sich in einem Bogen, den Ösophagus und die Lungenstiele umgreifend, ventralwärts, um sich mit den Subelavien zu einem gemein- samen Stamme zu vereinigen, in welchen dann die beiden Jugularvenen jederseits einmünden und die Ductus Cuvieri bilden, von denen der rechte fast doppelt so lang ist als. der linke: Ca V. Cardinalis anterior, a SY. Subclavia, Weder Rusconi noch HyrrL kennen die Ver- ya v.azygos, bindung dieser beiden Venen mit den Subela- ‘4 Y. herat- sin, ; H hintere Hohlvene, vien. AW Wurzel der Abdominal- Die Pfortader beginnt am vordersten Ab- , ya schnitt des Enddarmes, wo sie, wie schon er- Ye V. candalis. wähnt, mit dem Gebiete der Abdominalvene zusammenhängt, zieht dann, in ziemlicher Entfernung vom Darme eine große Menge von Ästen aus dem Dünndarm aufnehmend, zur Leber, dabei zieht sie rechts am Pankreas vorbei, wobei sie außer Venen aus diesem Or- gane eine Milz-Magenvene aufnimmt, überkreuzt dann das Anfangs- 156 F. Hochstetter stiick des Diinndarmes an seiner dorsalen Seite und nimmt bei ihrem Herantreten an die konkave dorsale Fläche der Leber den vereinigten kurzen Stamm der Abdominal- und Liingsvene des Diinndarmes (Rus- conische Vene, weil von diesem Autor zuerst beschrieben) auf. Weiter verläuft die Pfortader ungefähr in der Mitte der konkaven dorsalen Fläche der Leber kopfwärts, nimmt dabei einerseits Magenvenen auf und verzweigt sich andererseits in der Leber. Bei Salamandra atra sind die Verhältnisse fast genau eben so wie bei Salamandra macu- losa, nur die Art und Weise der Einmündung der Längsvene des vordersten Dünndarmab- schnittes ist anders. Während nämlich bei Sa- lamandra maculosa diese Vene in ihrem gan- zen Verlaufe ventralwärts dem Darme anliegt und mit der Abdominalyene zusammen ein- mündet, umgreift bei Salamandra atra diese Vene den Dünndarm mit ihrem Endstück und geht, in das Mesenterium eingelagert, zur Pfort- ader, in welche sie sich schließlich ergießt. Ausnahmsweise findet sich auch bei Salaman- dra maculosa ein derartiges Verhalten. (Rus- CONI giebt eine Abbildung der von ihm ent- deckten Vene, welche diese Varietät, nicht aber das regelmäßige Verhalten zeigt.) Die Verhältnisse bei Triton (Fig. 8 und nebenstehendes Schema) weichen nur in einigen Punkten von denen bei Salamandra ab. Das Nierenpfortadersystem ist ähnlich gebildet, die untersten Venen des Oviductes sind ebenfalls zuführende Nierenvenen. Nur in Bezug auf die Vena azygos sind diese beiden Thiere wesent- lich von einander verschieden; bei Triton nämlich existirt normaler- weise nur eine Vena azygos, welche ventralwärts von der Aorta liegt und von beiden Seiten her die Spinal-, Muskel- und Oviduetvenen auf- nimmt, kopfwärts theilt sich die Vene manchmal in zwei Zweige, welehe die beiden auch hier vorhandenen, von der Schädelbasis herabziehenden Venen aufnehmen, um dann beide in gleicher Weise wie bei Salamandra mit den Subclavien zusammen zu münden, oder die Vena azygos ist in ihrem ganzen Verlaufe unpaarig und miindet dann manchmal mit der rechten manchmal mit der linken Fig. 6. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 157 Subelavia zusammen. Die Vena cava posterior durchbohrt in ähn- licher Weise wie bei Salamandra die Leber (ein Hohlvenenfort- satz der Leber existirt hier ebenfalls), nimmt aus der rechten Leber- hälfte eine Menge kleinere Lebervenen und unmittelbar nach ihrem Austritte aus der Leber die starke Lebervene aus der linken Leber- hälfte auf und erscheint dann weiter wie bei Salamandra etwas ampullenförmig erweitert, um schließlich mit dem Ductus Cuvieri zusammen zu münden. Eine bei Triton allein vorkommende Verbin- dung, welche zwei Bauchdeckenvenen aufnimmt, besteht zwischen dem rechten Ductus Cuvieri und der Hohlvene, gebildet durch eine Vene, welche ungefähr ein Fünftel des Durchmessers der Hohlvene besitzt und einerseits in den Duetus Cuvieri kurz nach der Ein- mündung der Subelavia, andererseits in die Hohlvene an ihrer Ver- einigungsstelle mit der linken Lebervene mündet. Die Pfortader mit ihren Ästen verhält sich wie bei Salamandra atra. Pelonectes Boscai verhält sich in Bezug auf sein Venensystem, so weit ich dasselbe an dem einen Exemplar, welches mir zur Ver- fügung stand, untersuchen konnte, wie Triton. Die Venen von Pleurodeles Waltlii verhalten sich ähnlich wie bei Salamandra. Die Vena azygos ist ebenfalls paarig, auch eine Ruscoxtsche Vene des Duodenums ist vorhanden, jedoch ganz kurz und schwach und mündet wie bei Triton in den Stamm der Pfort- ader ein. Siredon pisciformis zeigt, wenn sem Venensystem normal ent- wickelt ist, ganz dieselben Verhältnisse, wie Salamandra, nur mangelt ihm die Rusconrsche Vene vollständig und die Pfortader nimmt in ihr Wurzelgebiet den größten Theil des Enddarmes auf, während nur aus seiner untersten Partie eine kleine Vene zur Abdominalvene zieht, und stimmt somit in diesem Punkte mit den Batrachiern über- ein. Varietäten der Venenstämme scheinen bei Siredon ungemein häufig zu sein, wenigstens fand ich unter den von mir untersuchten Exemplaren sechs mit Varietäten hohen Grades behaftet. Ich werde auf diese Varietäten bei der Vergleichung der einzelnen Formen unter einander näher eingehen. Proteus anguineus (Fig. 6) unterscheidet sich wieder in vielen Punkten von den übrigen Formen. Die Vena caudalis theilt sich nach ihrem Eintritte in die Bauchhöhle in einen linken stärkeren und einen rechten schwächeren Ast, welche beide am entsprechen- den Nierenrande kopfwärts verlaufen. Die linke, stärkere entlässt kurz, nachdem sie an die Niere gelangt ist, eine starke Vene, welche 158 F. Hochstetter den Enddarm umgreifend, auf diesem Wege die Vene der linken hinteren Extremität aufnimmt, sie bildet die Wurzel der Abdominal- vene. Rechterseits mündet in die zuführende Nierenvene die Vene der rechten hinteren Extremität. DELLE CHIAJE gab bereits an, dass die Abdominalvene nur eine Wurzel habe, erkannte aber die Ver- hältnisse nicht richtig, indem er angiebt, dass sich die Caudalvene in zwei paarige und einen unpaaren Zweig theilt, welch letzterer die Wurzel der Abdominalvene darstelle. Die Abdominalvene ver- läuft an der vorderen Bauchwand, in ein kurzes Gekröse befestigt, in welchem die in sie einmündenden Bauchdeckenvenen stellenweise schöne Netze bilden, welche sich auch noch auf das ventrale Leber- gekröse fortsetzen, von wo aus dann aber die Venen direkt in die Leberverzweigungen der Pfortader einmünden. Die Hohlvene ent- steht als unpaarer Stamm im hintersten Abschnitt der Nieren, nimmt während ihres Verlaufes sämmtliche Nierenvenen, die Venen der entsprechenden Partien der Eileiter und die Ovarial- oder Hoden- venen auf, außerdem von der dorsalen Seite die Lumbalvenen, von denen nur eine (HyrrL) zur JAacogson’schen Vene zieht. Die Nierenvenen bilden besonders im vordersten Abschnitte der Nieren ein schönes Netz, welches zum Theil die Aorta umspinnt und kopf- wärts mit der Vena azygos zusammenhängt. Eine bereits von HyRTL angegebene Besonderheit bei Proteus (und Siren) ist das Einmünden von Lungenvenen in die Hohlvene, dort wo der Lungensack durch ein Gekröse an sie fixirt ist. Gewöhnlich sind es mehrere kleine Venenstämmchen, welche unter einander anastomosiren, die von der Lunge zur Hohlvene ziehen. (Eine Verbindung dieser Venen mit Ovarialvenen, wie dies HyRTL angiebt, habe ich niemals auffinden können.) Dort, wo die Vena cava in ein den rechten Leberlappen an das Mesenterium commune fixirendes Gekröse von der Aorta weg zur Leber zieht, mündet in sie gewöhnlich als ein einfacher Stamm die Vena azygos. Diese Vene liegt dann an der ventralen Fläche der Aorta, durch reichliche Anastomosen mit den Nierenvenen ver- bunden, theilt sich aber dann bald in zwei rechts und links von der Aorta verlaufende Stämmchen, welche theils durch quere, theils durch schief verlaufende Anastomosen vielfach mit einander in Ver- bindung stehen, und diese münden, kopfwärts den Ösophagus und die Lungenstiele umschlingend, beiderseits in die Subelavien oder, wie dies häufig der Fall ist, vereinigt sich die linke wieder mit der rechten und letztere mündet dann allein mit der rechten Subelavia zusammen. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 159 Die Hohlvene hilt sich, nachdem sie an die Leber gelangt ist, stets an ihrem rechten Rand in eine seichte Furche eingebettet und nimmt hier nach und nach, bis sie das Kopfende der Leber erreicht hat, wo sie eine besonders starke Vene des linken Leberlappens aufnimmt, sämmtliche Lebervenen auf und mündet schließlich mit den beiden Ductus Cuvieri in den Sinus venosus. Die Pfortader beginnt an der dorsalen Seite des Enddarmes und nimmt, indem sie in geradem Verlaufe kopfwärts zieht, nach und nach die Darmvenen auf, schließlich zieht sie, um an die Leber zu gelangen, an der rechten Seite des Darmkanals vorbei, bei wel- cher Gelegenheit sie eine starke Magen-Milzvene aufnimmt, um sich schließlich am caudalen Ende der Gallenblase mit der Abdominal- vene und den aus dem die Gallenblase umspinnenden Venennetze stammenden Venen zu vereinigen. Hier theilt sie sich in zwei große Zweige, deren einer, kopfwärts ziehend, noch einige Magen- venen aufnimmt, während der andere, caudalwärts an der dorsalen Kante der Leber verlaufend, schließlich mit einem Büschel von Zweigen in dem Gekröse endigt, welches Vena cava mit der Leber (vgl. Fig. 6) verbindet; in einigen Fällen konnten hier auch kleine Anastomosen zwischen Vena cava und Vena portae nachgewiesen werden. Die Rusconr’sche Vene fehlt auch hier vollständig. Batrachier. Da unsere einheimischen Batrachier (exotische Formen standen mir leider nicht zur Verfügung) mit Ausnahme von Bombinator, auf welche Form ich zum Schlusse zurückkommen werde, in Bezug auf das Venensystem fast vollständig übereinstimmen, so verweise. ich auf die ganz genauen Angaben und Zeichnungen, welche Ecker in seiner Anatomie des Frosches über das Venensystem giebt, weil ich nicht in der Lage wäre, irgend etwas Neues diesbezüglich anzu- führen. Ich werde mich daher bei der Vergleichung der Anuren mit den Urodelen an die Angaben Ecker's halten. Nur Bombinator (Fig. 5) unterscheidet sich in einem wesent- lichen Punkte von sämmtlichen anderen einheimischen Batrachiern; während nämlich für diese der Mangel der Vena azygos geradezu charakteristisch ist, sind bei Bombinator lateralwärts an jedem Aor- tenbogen verlaufend, zwei Venae azygeae vorhanden, welche dort aus der Vena cava hervorgehen, wo diese von der Arteria intestinalis überkreuzt wird, so zwar, dass die links von der Vena cava ge- 160 F. Hochstetter legene Arteria intestinalis von dem Wurzelstiicke der linken Azygos umfasst wird. Die Einmündung der beiden Azygeae geschieht auf ähnliche Weise wie bei Salamandra, indem sie, den Ösophagus und die Lungenstiele umschlingend, mit dem vereinigten Stamme der Vena subelavia und Vena cutanea magna zusammenmünden. GOETTE sagt zwar in seiner Entwicklungsgeschichte der Unke, er habe die beiden Cardinalvenen von der Stelle an, wo aus ihnen der Nieren- abschnitt der Hohlvene entsteht, noch ein Stück kopfwärts hin auch bei einjährigen Thieren blutgefüllt gesehen; von ihrer vollständigen Persistenz und ihrem regelmäßigen Vorhandensein auch bei alten Individuen weiß er jedoch nichts und bringt ihr Verschwinden mit dem Schwunde der Vornieren in Zusammenhang. Entwicklung der Venen bei den Amphibien. Die einzigen ausführlichen Angaben, welche wir über die Ent- wicklung des Venensystems bei den Amphibien besitzen, hat GOETTE in seiner Entwicklungsgeschichte der Unke über die diesbezüglichen Verhältnisse bei diesem Thiere gegeben. Nach GOETTE entstehen die hinteren Cardinalvenen als Spalträume des Bildungsgewebes an der medialen Seite jedes Segmentalganges (Urnierengang). Ihre. Wurzel bildet die Caudalvene, welche ventral vom Schwanzdarme in die beiden Cardinalvenen zerfällt, diese verlaufen nun an der medialen Seite jedes Segmentalganges kopfwärts bis an die Vor- niere und gehen in die Zwischenräume zwischen den Schläuchen dieses Organes über. Aus diesen Zwischenräumen sammelt sich das Blut dann wieder zu einem Stamme, welcher in den Ductus Cuvieri jederseits einmündet. Indem sich die wachsenden Nierenanlagen zwischen die Cardinalvenen und den Urnierengang einschieben, nähern sich die beiden Cardinalvenen einander und verschmelzen schließlich im Bereiche der Urnieren zu einem einfachen Stamme, dem späteren Urnierenabschnitte der Vena cava inferior. Zugleich ent- steht ganz selbständig der vordere Abschnitt der Vena cava inferior und tritt mit der rechten Vena cardinalis in Verbindung; damit bilden sich die vor der Hohlvene gelegenen Abschnitte der Cardinal- venen zurück und zwar so, dass mit der Schrumpfung der Vornieren auch der betreffende Abschnitt der Cardinalvenen atrophirt. Die seitlichen Stammvener, welche ursprünglich in die Cardinalvenen einmünden, geben diese Verbindung allmählich auf und bilden die ı Venae renales advehentes. Sie verbinden sich schließlich unter Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 161 einander zu einem an der Außenseite der Niere gelegenen Gefäß (Jacopson’sche Vene), in welches später auch die Vena iliaca ein- mündet. Mit dem Auseinanderweichen des hinteren Endes beider Nieren bilden die getrennten Abschnitte der beiden Cardinalvenen eine rautenförmige Figur, deren vordere Spitze in die Hohlvene, die hintere in die Schwanzvene übergeht und deren laterale Winkel den Zusammenfluss der Stammvenen mit den JacoBson’'schen Venen be- zeichnen. Nach der Larvenmetamorphose atrophiren die vorderen Schenkel jener Rautenfigur und zwar zuerst der linke Schenkel, während der rechte als Andeutung einer aus der Hüftvene entsprin- genden Hohlvene, wie sie bei höheren Wirbelthieren besteht, bis- weilen noch in einjährigen Unken vorhanden ist. Die beiden hin- teren Rautenschenkel erhalten sich aber, nachdem ihre Vereinigung in dem Reste der Caudalvene sich gelöst, als zwei hinter dem Mast- darme verlaufende Venen. Es sind die einzigen in dem vollendeten Zustande des Venensystems übergehenden Reste der getrennten Stammvenen. Ich habe die Entwicklung der Venen zunächst bei Rana studirt und das, was ich hier gefunden, stimmt so ziemlich mit dem, was GOoETTE über Bombinator angiebt. Die Entstehung und Lage der Cardinalvenen ist dieselbe wie dort, eben so lösen sich auch hier die Cardinalvenen in ein die Lücken zwischen den Schläuchen der Vorniere ausfüllendes Gefäßnetz auf. Auch die äußerst wichtige Thatsache, dass der Urnierenabschnitt der Hohlvene durch die Ver- schmelzung der entsprechenden Cardinalvenenabschnitte entstehe, welche Angabe GorETTE’s BALFOUR, weil widersprechend den An- gaben RATHKE’s, für die Amnioten als nicht vollkommen sicherge- stellt bezeichnet, konnte ich mit der größten Bestimmtheit nach- weisen. Die Verschmelzung beginnt unweit der Stelle, wo der vordere Abschnitt der Hohlvene seine Verbindung mit der rechten Cardinalvene eingeht, ist Anfangs auf ein kleines Stück beschränkt, dehnt sich dann aber allmählich mehr und mehr aus. Die vorderen Abschnitte der Cardinalvenen gehen bei Rana während der Metamorphose der Larve vollständig zu Grunde, eben so wie bei sämmtlichen einheimischen Batrachiern, mit Ausnahme von Bombinator, bei welcher Form, wie ich schon früher besprochen, die vor der Vereinigungsstelle zum Urnierentheil der Hohlvene ge- legenen Abschnitte der Cardinalvenen zeitlebens erhalten bleiben. Uber die Entwicklung der zuführenden Nierenvenen konnte ich bei Rana keine eingehenden Untersuchungen anstellen und behalte mir Morpholog. Jahrbuch. 13. 11 162 F. Hochstetter vor, auf einen Punkt bei Besprechung der Verhiiltnisse bei Sala- mandra zuriickzukommen. Bei Pelobates schwindet die Verbindung zwischen der JACOBSON- schen und der Hohlvene noch vor Beginn der Metamorphose, wäh- rend die vorderen Abschnitte der Cardinalvenen zu dieser Zeit noch, wenn gleich sehr schwach, vorhanden sind. Bei Salamandra ! ist die Anlage der Cardinalvenen eine einiger- maßen von der bei den Batrachiern verschiedene. Während nämlich dort die Cardinalvenen an der medialen Seite der Segmentalgänge liegen, umscheiden sie (vgl. Fig. 14) hier gewissermaßen diese Gänge in ihrer ganzen Länge. Diese Umscheidung ist besonders im vorderen Theile der Segmentalgänge eine vollständige, zum Theil aber auch eine unvollständige, so zwar, dass gewöhnlich ein kleiner Theil der ventralen Wand des Segmentalganges frei bleibt. Auch bei Salamandra lösen sich die Cardinalvenen, indem sie an die Vor- nieren herantreten, in ein die Lücken zwischen den Schläuchen dieses Organes durchziehendes Gefäßnetz (vgl. Fig. 15) auf, aus welchem dann ein an der Außenseite der Vorniere austretender Stamm hervorgeht, welcher in den Ductus Cuvieri einmündet. So sind die Verhältnisse bei Embryonen, wo die vorderen Extremitäten als kurze Stummel, die hinteren Extremitäten aber noch gar nicht angelegt sind. Während sich nun im Bereiche des vorderen Ab- schnittes des Segmentalganges die Verhältnisse längere Zeit hin- durch gleich bleiben, lassen sich im hinteren Abschnitte, noch vor Beginn der Entwicklung der hinteren Extremitäten, deutliche Ver- änderungen wahrnehmen. Die Cardinalvenen theilen sich nämlich dort der Länge nach in zwei, durch eine ganz dünne dorsal vom Segmentalgange abgehende Scheidewand in zwei Abtheilungen, welche allmählich aus einander rücken, so dass der Segmentalgang zu beiden Seiten von zwei Venen begleitet wird, welche Anfangs dorsal von der Einmündungsstelle des Segmentalganges in die Klo- ake aus einem gemeinschaftlichen Stamme hervorgehen und unter einander vielfach durch dorsal vom Segmentalgang gelegene, ge- wissermaßen Reste der früheren Umscheidung darstellende Kommu- nikationsöffnungen, mit einander zusammenhängen. Indem sich die hinteren Extremitäten anzulegen beginnen, weichen die beiden zu ! Ich untersuchte die Verhältnisse hauptsächlich an den Embryonen von Salamandra atra, welche sich wegen der geringen Menge von Nahrungsdotter für diese Untersuchung noch am besten eigneten. i i i i eh el | Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. ete. 163 beiden Seiten am Segmentalgange gelegenen Venen (vgl. Fig. 13) in dem Maße aus einander, wie sich zwischen sie hinein die Ur- nierenanlage entwickelt; allmählich wird auch die dorsal vom Seg- mentalgange gelegene Verbindung zwischen medial und lateral ge- legener Vene immer enger und schwindet schließlich vollständig. Die lateral von dem Segmentalgange gelegene Vene stellt nun die (JACOBSON’sche) zuführende Nierenvene dar; die medial gelegenen Venen werden endlich durch die wachsende Urnierenanlage immer mehr einander genähert und verschmelzen schließlich zum Urnieren- abschnitte der Hohlvene, diese Verschmelzung erfolgt übrigens erst Fig. 7. Schema der Entwicklung der Venenstämme bei Salamandra atra. Yea V. cardinalis anterior, LV Lebervene, OVep Urnierenabschnitt der hin- Vep V. cardinalis posterior, VS V. subelavia, teren Cardinalvenen, Ve V. caudalis, HV Hohlvene, UHV Urnierenabschnitt der Hohl- Vom Y. omphalo mensenterica, JV Jacozson'sche Vene, vene, ziemlich spät, nachdem der sich ganz selbständig entwickelnde Ab- schnitt der vorderen Hohlvene sich mit der rechten Cardinalvene in Verbindung gesetzt hat und ist ursprünglich nur ganz beschränkt. Inzwischen werden auch im vorderen Abschnitte die Segmentalgänge von den Cardinalvenen nicht mehr gänzlich umscheidet, sondern ihre ventrale Wand ist frei geworden und es scheint, wie wenn sie sich allmählich von den Cardinalvenen isoliren würden. Bei Salamandra gehen die vor der Hohlvenenverbindung gelegenen Abschnitte der 11* 164 F. Hochstetter Cardinalvenen eben so wenig zu Grunde, wie bei Bombinator, son- dern erhalten sich zeitlebens als zwei zu beiden Seiten der Aorta medial von den MüLLer'schen Gängen gelegenen Venen, welche jederseits mit der Subelavia zusammenmünden. Im Wesentlichen scheinen daher die Verhältnisse der Hohlvenenbildung bei Salaman- dra denen bei den Batrachiern analog zu sein und nur das Ent- stehen der zuführenden Nierenvene wäre bei den letzteren nach GOETTE ein etwas anderes, doch schien es mir, als wenn auch bei jungen Larven von Rana an der Außenseite des Segmentalganges eine längs verlaufende Vene vorhanden gewesen wäre, deren Ent- stehung ich aber zu verfolgen nicht im Stande war. Schöner als bei Salamandra lässt sich bei Siredon die Ver- schmelzung der Urnierenabschnitte der Cardinalvenen zum Urnieren- abschnitte der Hohlvene (vgl. Fig. 11, 12) nachweisen, da dieselbe hier schon sehr frühzeitig erfolgt. Ausnahmsweise kommt es manchmal vor, dass die Entwicklung eines vorderen Hohlvenenabschnittes vollständig ausbleibt, dann bildet sich entweder die rechte oder linke Cardinalvene weiter aus und führt im erwachsenen Thiere das Blut der Nieren, Geschlechts- organe und des Rumpfes dem Herzen zu; der Theil der Leber, welchen ich als Hohlvenenfortsatz bezeichnet habe, fehlt in solchen Fällen natürlich vollständig. Einen Fall der Art beobachtete ich bei einem Weibchen von Salamandra maculosa (vgl. Fig. 7). Während sich sämmtliche Venenstämme in normaler Weise vorfanden, fehlte der Leberabschnitt der Hohlvene vollständig, dagegen war die rechte Cardinalvene von der Niere kopfwärts mächtig ausgebildet und zeigte vor ihrer Zusammenmündung mit der Vena subelavia eine leichte Erweiterung, die linke Cardinalvene war wie gewöhnlich ganz schwach und miindete am Kopfende der Nieren in die rechte. Es schien demnach in diesem Falle trotz des Mangels eines vorderen Hohl- venenabschnittes eine Verschmelzung der beiden Cardinalvenen im Urnierenabschnitte zu Stande gekommen zu sein. Zwei ganz ähnliche Fälle fand ich bei zwei Exemplaren von Siredon piseiformis, nur dass es hier beide Male die linke Cardinal- vene war, welche sich mächtig entwickelt hatte!. Uber die Dotter- 1 Eine andere Varietät, welche mit dem Fehlen eines vorderen Hohlvenen- abschnittes einherging, fand sich ebenfalls bei einem Exemplar von Sireden. Der Urnierenabschnitt der Hohlvene mündete in den Stamm der Pfortader ein. Die vorderen Abschnitte der Cardinalvenen waren ihrer ganzen Länge nach erhalten geblieben. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 165 venen sagt GOETTE, dass ihre Anlage paarig sei, sie sammeln das Blut zu beiden Seiten aus dem Dotter und führen es über der Leber- anlage dem Herzen zu. An Stelle der Dottervenen treten dann all- mählich die Darmvenen und zwei größere Stämme finden sich in unmittelbarer Nähe des Venensackes. Mit dem Auftreten der Leber zerfallen die Dotterdarmvenen in ein die Leber durchziehendes Gefäßnetz und endlich geht die rechte Vena omphalomesenterica zu Grunde, während die linke zur Pfortader wird und dieser schließt sich dann wieder die Abdominalvene an. In Bezug auf die Entwicklung der Dotterdarmgefäße besteht, wie es scheint, bei den Anuren und den Urodelen ein großer Unter- schied. Bei Salamandra und Triton jedenfalls ist die Dotterdarmvene in ihrer Anlage einfach. Rusconr zeichnet ihren Verlauf und ihre Weiterentwicklung bei Embryonen von Salamandra maculosa und weist zugleich nach, dass die nach ihm benannte Vene am erwach- senen Thiere eigentlich nichts Anderes als ein Überbleibsel der pri- mitiven Dotterdarmvene sei. Das früheste Stadium in der Entwick- lung dieser Vene, nämlich das vor ihrer Auflösung in ein Kapillar- system der Leber, zeichnet und beschreibt Rusconr nicht. In diesem Stadium stellt die Dotterdarmvene ein Gefäß dar, welches an der ventralen Seite des Dottersackes entspringt, von ihm eine Reihe von Zweigen aufnimmt und ziemlich genau in der Medianlinie nach vor- wärts bis an die Leberanlage verläuft, von da an wendet es sich etwas nach links und dorsalwärts, umgreift dabei die Leberanlage, um schließlich, wieder in der Medianlinie zwischen Darm- und Leberanlage verlaufend, in den Sinus venosus einzumünden (Fig. 16, 17). Diese Vene nun entspricht, wie ich glaube, einerseits ihrer Lage wegen, denn sie liegt ja in der That genau subintestinal und andererseits desshalb der Subintestinalvene der Fische, weil sie auch diejenige Vene zu sein scheint, welche bei Salamandra und den übrigen Urodelen der Zeit ihres Entstehens nach die erste ist. Eine Verbindung mit der Caudalvene existirt jedoch nicht, da die Caudal- vene bei den Urodelen viel später entsteht als die Subintestinalvene (Dotterdarmvene). Was das Überbleibsel dieser Dotterdarmvene, die sog. Ruscontsche Vene anbelangt, so findet sich dieselbe in ihrer ursprünglichsten Form bei Salamandra maculosa, wo sie that- sächlich ihrer ganzen Länge nach noch ein subintestinales Gefäß ist und nur ausnahmsweise, wie schon früher erwähnt, das Duodenum umschlingt und an dessen dorsalen Seite in den Stamm der Pfort- 166 F. Hochstetter ader einmündet, ein Verhältnis, welches bei Salamandra atra, Triton und Pleurodeles als Norm gilt. Am rudimentirsten und kaum mehr als sölche zu erkennen ist diese Vene bei Pleurodeles und bei Sire- don fehlt sie vollständig, eben so wie bei Proteus. Über. die Entstehung der Abdominalvene giebt GoETTE an, dass sie eine paarige sei. Diese paarigen Venen münden von unten her zuerst in den Venensack, caudalwärts treten sie mit den Venen der Extremitäten in Verbindung und nehmen namentlich das Harnblasen- venennetz auf. Später verschmelzen die hinteren Abschnitte zu einem gemeinsamen Stamme, während vorn die rechte Vene schwindet. Ich hatte leider keine Gelegenheit, das Auftreten der Abdominalvene bei Salamandra atra bestimmt zu beobachten, bei den ältesten Em- bryonen, welche ich untersuchte, fand ich allerdings in der ventralen Bauchwand zwei längsverlaufende Venenstämmchen, welche ich für die Abdominalvene hielt, konnte aber, da sie nur eine kurze Strecke mit Blut erfüllt waren, ihren Verlauf kopfwärts nicht verfolgen. Jedenfalls erscheint mir auch für die Urodelen eine paarige Anlage der Abdominalvene als höchst wahrscheinlich. Vergleicht man die Verhältnisse des Venensystems bei den Ord- nungen der Amphibien, so scheint es wohl unzweifelhaft, dass die Verhältnisse, wie sie uns bei den meisten Urodelen, insbesondere aber bei Salamandra entgegentreten, als die ursprünglicheren zu be- zeichnen sind. Hier erhalten sich die vorderen Abschnitte der Cardinalvenen zeitlebens wie bei Salamandra, allerdings als schwache Stämmehen ziemlich unverändert, oder die vorderen Abschnitte der Cardinalvenen verschmelzen mit einander zu einem unpaaren Stamme, wie dies bei Triton der Fall ist; gewissermaßen ein Übergang zwischen Triton und Salamandra in Hinblick auf diese Verhältnisse findet sich bei Proteus, wo die beiden vorderen Cardinalvenenabsehnitte durch zahlreicue Anastomosen vor der Aorta mit einander verbunden sind. Stellt man sich vor, dass auch bei Triton im Larvenzustande derartige Anastomosen bestehen, welche allmählich stärker werden, während die eine Cardinalvene zu Grunde geht, so ist das Entstehen dieser nun mit Recht als Vena azygos zu bezeichnenden unpaarigen Vene erklärt. Bei den Gymnophionen ist wohl die vordere Nierenvene als eine erhalten gebliebene rechte Cardinalvene zu bezeichnen, wofür schon ihr Zusammenmünden mit der Vena jugularis dextra spricht. Bei den Anuren erhält sich allein bei Bombinator der vordere Abschnitt der Cardinalvenen, bei allen übrigen Formen geht er früh- zeitig zu Grunde. Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 167 Ein zweiter wichtiger Grund, warum die Verhiiltnisse bei den Salamandrinen als urspriingliche aufzufassen sind, liegt in dem Er- haltenbleiben eines Stiickes der Subintestinalvene (Dotterdarmvene, Rusconi'sche Vene). Bei den Gymnophionen ist nichts über einen derartigen Befund bekannt geworden, eben so wenig wie bei den Anuren, wo die Dotterdarmvene in ihrer Anlage bereits doppelt er- scheint. Vergleichen wir die Verhältnisse des Venensystems der Am- phibien mit dem der Fische, so finden wir, dass der Hauptunter- schied in der bei den Amphibien auftretenden Hohlvenenbildung gelegen ist. Dieser Unterschied erscheint jedoch nur im ersten Augenblicke als ein bedeutender, wenn man bloß das entwickelte Venensystem im Auge behält. Nimmt man jedoch Rücksicht auf die Entwicklungsgeschichte, so ergiebt sich, daß die ersten auf- tretenden Venenstiimme bei Salamandra in ihrer Beziehung zu ein- ander, zum Segmentalgang und zum Dottersacke sehr an die Ver- hältnisse bei den Selachierembryonen erinnern. Was zunächst die Cardinalvenen anlangt, so zeigen dieselben in ihrer paarigen Anlage und in ihrem Verhältnisse zum Segmental- gang weniger bei Salamandra (wo die Cardinalvenen, indem sie den Segmentalgang umscheiden, etwas modifieirt erscheinen), als bei Siredon und den Anuren der Cardinalvenenanlage bei Selachiern sehr ähnlich; auch das Auftreten eines Nierenpfortadersystems er- folgt in ähnlicher Weise bei Amphibien und Selachiern, eben so wie wahrscheinlich auch bei den Ganoiden und bei sämmtlichen Tele- ostiern, welche ein Nierenpfortadersystem mit der Vena caudalis als Vena renalis advehens besitzen. Etwas der Verschmelzung des Urnierenabschnittes der Cardinalvenen bei den Amphibien Ähnliches findet man jedoch nur bei den Selachiern, in der dure» direkte oder mittelbar erzeugte Verschmelzung bestehenden Komniunikation der beiden Cardinalvenen, welche somit zugleich als Beginn einer Hohl- venenbildung zu bezeichnen wire. Es fragt sich nun, ob die bei Raja symmetrisch und bei Torpedo nur linkerseits auftretende Ver- bindung zwischen Lebervenensinus und dem verschmolzenen Ab- schnitte der Cardinalvenen als Hohlvenenbildung aufzufassen wäre. Und wie ich glaube, ist diese Frage bejahend zu beantworten, wenn man bedenkt, dass ja auch die Hohlvene bei den Amphibien in ihrem vorderen Abschnitte selbständig entsteht, während ihr hinterer Abschnitt durch die Verschmelzung der beiden Cardinalvenen ge- bildet wird. Das Wesentliche an der Hohlvenenbildung ist demnach 163 F. Hochstetter die Verbindung zwischen Lebervenen und Cardinalvenen und die Verschmelzung der Cardinalvenen in ihrem Urnierenabschnitte; bei- des ist aber in der That bei den Rochen vorhanden, wenn auch die Verschmelzung der Cardinalvenen nur als eine beschränkte erscheint Noch mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt aber diese Auffassung, wenn man die doppelte hintere Hohlvene bei Lepidosiren berück- sichtigt. Mit Rücksicht auf diese Auffassung erscheint die An- nahme einer ursprünglich symmetrischen Hohlvenenanlage, welche aber bei den Amphibien nicht mehr nachweisbar ist, als wahr- scheinlich. Was die Ähnlichkeit der Dotterdarmvene von Salamandra mit der Subintestinalvene der Selachier anlangt, so wurde bereits dar- auf an anderer Stelle hingewiesen; eine Verschiedenheit liegt pur darin, dass die Caudalvene, welche nach GoETTE bei Bombi- nator auch als subintestinales Gefäß entsteht, bei Salamandra nie mit der Dotterdarmvene in Zusammenhang tritt, sondern sich sofort in die beiden Cardinalvenen theilt. Da sich die eigentliche Pfort- ader aber schon sehr früh als dorsal vom Darm gelegenes Gefäß entwickelt, geht gerade der hinterste Theil dieser Subintestinalvene sehr bald verloren und nur der vorderste erhält sich ganz rudi- mentär in der Ruscoxtschen Vene. Was endlich die Seitenvenen der Selachier anbelangt, so spricht Vieles dafür, sie gewissermaßen als Vorläufer der Abdominalvene bei den Amphibien und der Umbilicalvenen höherer Typen zu be- trachten. Zunächst der Umstand, dass ihr Ursprungsgebiet die Klo- ake, deren Umgebung und die hinteren Extremitäten betrifft, denn auch bei den Amphibien ist das Ursprungsgebiet der Abdominalvene ein ähnliches, nur dass die Venen der hinteren Extremitäten auch mit den zuführenden Nierenvenen in Zusammenhang treten und den Hauptursprungsort der Abdominalvene, die Harnblase, darstellt. Da aber die Harnblase der Amphibien als ein Auswuchs der ventralen Wand des Kloakenabschnittes des Darmkanales entsteht, so ist da- durch die Ausdehnung des Ursprungsgebietes auf dieses Organ keine wesentliche Verschiedenheit gegeben. Und auch die Einmündung der Seitenvenen in die hinteren Cardinalvenen unmittelbar vor ihrer Einmündung in den Ductus Cuvieri ist der Annahme nicht hinder- lich, wenn man bedenkt, dass auch bei den Anuren die paarig an- selegten Abdominalvenen in den ersten Stadien ihrer Entwicklung nicht in die Pfortader, sondern in den Sinus venosus einmünden. Die Bauchwandvenen der Knochenfische. wie sie oft an den ver- =" Beitr. zur Anat. u. Entwicklungsgesch. des Venensystems der Amph. etc. 169 schiedensten Stellen des Darmkanales und der Leber (Cyprinus) mit der Pfortader in Zusammenhang treten, kann man wohl kaum mit der Abdominalvene der Amphibien in Ubereinstimmung bringen. Schließlich wäre noch auf eine fischähnliche Bildung des Venen- systems bei Proteus und Siren hinzuweisen, niimlich auf die direkte Verbindung von Lungenvenen mit der Hohlvene im vordersten Theil ihres Urnierenabschnittes; diese Verbindung erinnert wohl unwill- kiirlich an den direkten Ubergang der Venen der Schwimmblase bei den meisten Teleostiern, welche eine solche besitzen, in die diesem Organe benachbarten Abschnitte der Cardinalvenen'. Wien, Januar 1887. Verzeichnis der Litteratur über das Venensystem der Fische und Amphibien. oo K. Ernst v. BAER, Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte der Fische. F. M. BALFOUR, Elasmobranch Fishes. M. BonNsporRF, Bidrag Till Blodkärlsystemetr jemforande Anatomie Portven 595 temet hoi sadur lota (Act. Soc. scient. fennicae T. III. p. 571. 1822. CuvseR, Histoire nat. des Poissons. M. DELLE CHIAJE, Ricerche anatomico biologiche sul Proteo serpentino. Na- poli 1840. Joun Davy, Philosophical Transactions. 1834. 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Hochstetter A. GOETTE, Entwicklungsgeschichte der Unke. M. GUILLOT, Natalis sur un reservoir particulier qui présente l’appareil de la circulation des Raies (Academie des sciences. 1845). J. HyRTL, 1) Das uropoétische System der Knochenfische. Abhandl. der k. Akad. der Wissensch. Wien 1850. — 2) Lepidosiren paradoxa (Abh. der k. böhm. Ges. d. Wiss. 1845). —— 3) Berichtigungen über den Bau des Gefäßsystems von Hyppochthon Laurentii (Med. Jahrb. des k. k. österr. Staates. 1844). —— 4) Uber die sogenannten Herzvenen der Batrachier (Bd. 49 der Sitz.- Ber. der k. Akad. der Wissensch.). JACOBSON, 1) MECKEL’s Archiv. T. III. p. 154. 2) Isis 1822. S. JOURDAIN, Recherches sur la veine porte renale. Annales des sc. nat. 8. IV. 112201859! M. LEREBOULLET, 1) Recherches d’Embryologie comparée sur le développement de la Truite (Ann. des sc. nat. S. IV. t. 16). 2) Sur le Developpement du Brochet, de la Perche etc. (Ann. des sc. nat. See lVie ty 1. Fr. Leypic, Beiträge zur mikr. 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VIII. -—— 3) Note sur la dilatation veineux, qui se trouve dans la cavité ventrale des Raies. — Procés verb. de la Société Philomathique 1845 in 8°. — 4) Note sur le systéme veineux des poissons cartilagineux. — Comptes rendus des seances de l’Academie des Sciences de Paris 1845. T. XX. — 5) Note relative aux systémes sanguin et lymphatique des Raies et des Squales, ayan poser object de completer une Note, sur le méme sujet. — Procés verbaux de la Société Philomathique. Paris 1945. —— 6) Note sur quelques particularites du syst¢me nerveux des Raies. — Revue Zoologique No. 1. Janvier 1846. T. IX. Note sur l’organisation des poissons cartilagineux, faisant suite 4 celles dont il a déja été question. — Procés verbaux de la Soc. Philomath. Paris 1846. — 8) Memoires sur les vaisseaux chyliferes et sanguins des Torpilles (T. P.). November 1848. —— 9) Note sur quelques particularites du systeme veineux de la Lamproie (Petr. m.). — Procés verb. de la Soc. Philomath. Paris 1546. M. Rusconi, 1) Systeme veineux de la grenouille (Ac. des sc. nat. S. III. T. 4). 2) Histoire nat. de la Salamandre terrestre. Pavie 1854. ScHLEMM, TIEDEMANN und TREVIRANUS, Zeitschrift für Physiologie. Bd. I. Srannius, Vergl. Anatomie der Wirbelthiere. STARK, De venae azygos natura. — Lips. 1835. SWAMMERDAM, Biblia naturae. STEENSTRA TOUSSAINT, 1) Comment de syst. uropoet. pisc. (Ann. Acad. Lugd. Bal. 1834—1835. — 2) De syst. Squali glauci (Tijdschrift voor Naturlijke Geschied en Physiol. T. VI. 1839. pag. 200). L. VAILLANT, Anatomie de la Sirene lacertine (Annales des sc. nat. S. IV, 19. VosT, Embryologie des Salmons. —— Anatomie des Salmons (Mémoires de la société des sciences nat. de Neuchatel 1845. Vol. II. K. J. WENKEBACH, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische (Archiv für mikrosk. Anatomie. 1886). “I | Erklärung der Abbildungen. Tafel II—IV. Fig. 1. Mustelus laevis. Fig. .2. Lebervenensinus von Mustelus laevis von vorn. Fig. 3. Torpedo galvani. Fig. 4. Salamandra maculosa (Männchen). Ansicht der Cardinalvenenreste und des Nierenpfortadersystems. Fig. 4b. Nierenpfortadersystem, vergrößert, von Sal. maculosa (Weibchen). Fig. 5. Bombinator igneus (Cardinalvenenreste). F} =~! ee alae 44. Leber). Hochstetter, Beiträge zur Anatomie u. Entwicklungsgeschichte ete. Proteus anguineus (Detailansicht der Venen am caudalen Ende der Salamandra maculosa (Mangel eines vorderen Hohlvenenabschnittes, vikariirende Ausbildung der rechten, hinteren Cardinalvene). Triton eristatus. Proteus anguineus. von einander geschieden). Salmo salvelinus (Anlage des Dottersackkreislaufes). Durchschnitt durch eine Axolotllarve (die beiden Cardinalvenen noch Durchschnitt durch eine Axolotllarve (die beiden Cardinalyenen sind bereits zum Urnierenabschnitte der Hohlvene verschmolzen). der Anlage der hinteren Extremitäten. gegend. der Vornieren. und 17. Durchschnitt durch einen Embryo von Salamandra atra in der Höhe Durchschnitt durch einen Embryo von Salamandra atra in der Leber- Durchschnitt durch einen Embryo von Salamandra atra in der Höhe Durchschnitte durch einen Embryo von Salamandra maculosa in der Höhe der Leberanlage und hinter derselben. Erklärung der Bezeichnungen. Aorta, Cardinalvene, Cardinalvenensinus, Ductus Cuvieri, Dottersackvene, Enddarm, Cardinalvenenvereinigung, fingerförmige Drüse (LEIDIG), Genitalvene, Verbindung des Lebervenen- sinus mit der Cardinalvenen- vereinigung, Hohlvene, JACOBSON sche Vene, Kommunikation zwischen Leber- venensinus und Sin. venosus, Lebervenensinus, Lebervene, Lunge, Lungenvenen, MÜLLER’scher Gang, Ovarien, Oviductvenen, Oep SV U Su.t.V V.a V.ab V.e V.c.a V.c.p V.c.i Tdi Vial VN Fl V.o.m VP V.r.a Ver Vis W.a N Ösophagealvenenplexus, Seitenvene, Segmentalgang, Subintestinalvene, Vena azygos, Vena abdominalis, Vena caudalis, Vena cardinalis anterior, Vena cardinalis posterior, Vena cava inferior, Vena Jugularis, Vena iliaca, Vorniere, Vena lumbalis, Vena omphalo mesaraica, Vena Portae, Vena renalis advehens, Vena renalis revehens, Vena subelavia, Wurzel der Abdominalvene, Geflecht des Pfortaderastes für den linken Leberlappen. S % Morpholog:. Jahrb. B.NHI. SSN Taf: IT. a: at kK wo Pt arg — ET tthe n— 4 Morpholog.. Jahrb Ba XM. Fig. VI. Fig. Fig. VI Fig. VIL Vabd IY Taf N. ‚holog. Jahrb. Ba XM. rile Netter dein =a Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Du). Von Dr. F. Blochmann. Mit Tafel V und 1 Figur im Text. In den Gläsern mit Schlamm aus den beiden Bassins des Schwetzinger Schlossgartens, in welchen ich seiner Zeit den Hae- matococcus Bütschlii fand, vermehrten sich die Anfangs nicht ge- rade zahlreichen Euglyphen bedeutend. Dadurch wurde ich veran- lasst, nach Theilungsstadien zu suchen, die sich auch in Menge fanden. Herr stud. ScHEWIAKOFF unternahm es, die feineren Vorgänge bei der Theilung, speciell die Kerntheilung, einer eingehenden Unter- suchung zu unterziehen. Seine diesbezügliche Arbeit wird in Kurzem erscheinen. Ich selbst machte bei dieser Gelegenheit eine Beobach- tung, welche weiter verfolgt zu nicht uninteressanten Ergebnissen führte, die ich im Folgenden vorlege. Sie können in gewisser Be- ziehung als Ergänzung zu den schönen Untersuchungen GRUBER’S ! dienen, durch welche zum ersten Male der Theilungsvorgang der beschalten Süßwasserrhizopoden eingehend klargelegt wurde. Der Theilungsvorgang läuft, wie bekannt, in der Weise ab, dass bei einem Thier, welches schon die nöthigen Schalenplättchen im Innern gebildet hat, das Protoplasma in Gestalt einer kleinen, von Schalenplittchen bedeekten Knospe aus der Mündung hervortritt. Dieses Hervorströmen des Plasmas geht so lange fort, bis die auBer- halb der ursprünglichen Schale befindliche Masse, die jetzt von den ! A. GRUBER, Der Theilungsvorgang bei Zuglypha alveolata. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXV. pag. 431—439, 1881. 474 F. Blochmann neuen Schalenplittchen bedeckt wird, dasselbe Volumen und dieselbe Gestalt erlangt hat, wie das ursprüngliche Thier. Während dieser Vorgänge theilt sich auch der Kern, und die eine Hälfte desselben rückt in das neu entstandene Individuum hinein, so dass auf diese Weise zwei einander vollständig gleiche Thiere entstehen, die sich bald von einander trennen, um als Einzelthiere weiter zu leben. Nicht stets jedoch tritt die Trennung der beiden so entstandenen Thiere ein, sondern gar nicht selten kann man einen sehr merk- würdigen Vorgang beobachten, der dazu führt, dass zwar zwei Schalen und zwei Kerne, aber nur ein einziges Thier aus einer sol- chen Theilung hervorgehen. Nachdem nämlich die Theilung ganz normal verlaufen ist und der Kern des neu entstandenen Individuums schon seinen gewöhn- lichen Platz im Grunde der neuen Schale eingenommen hat, zieht sich das Protoplasma aus der neugebildeten Schale wieder zurück (Fig. 1), wobei es im Schalengrund noch haften bleibt, so dass von hier aus in der Achse der Schale ein verhältnismäßig dünner Strang gegen die Mündung zieht, der etwa in der Mitte der Länge in eine größere Plasmamasse übergeht. Der größte Theil dieses Stranges erscheint ganz hyalin, nur äußerst feine Körnchen enthaltend, was durch den hier eingelagerten, ungefähr eylindrisch gewordenen Kern (ns) bedingt wird. In der Hauptmasse des Plasmas, besonders zwischen den beiden auf einander gepressten Schalenmündungen sind lebhafte Strömungs- erscheinungen bemerkbar, ganz ähnlich wie sie von GRUBER auch bei der Theilung beobachtet wurden. Bei fortgesetzter Beobachtung bemerkt man nun, dass der Strang in der neuen Schale zu einem dünnen Fädchen ausgezogen wird, wobei der Kern wieder seine regelmäßig kugelige Beschaffenheit annimmt (Fig. 2). Nun sieht man den Faden sich abwechselnd verdicken und wieder verdünnen, indem von der größeren Plasmamasse etwas Plasma zuströmt oder wieder wegfließt. Mit einem Male wird je- doch der Faden dünner und dünner und reißt plötzlich durch. In demselben Augenblick tritt in dem Kern (»,), der bisher vollständig wasserhell war, wie die Kerne der Euglypha überhaupt, plötzlich und scharf eine deutliche Netzstruktur hervor (Fig. 3), wie wir sie in dem normalen Kern durch Zusatz von Essigsäure oder irgend eines anderen, Gerinnung erzeugenden Reagens hervorrufen können. Daraus sowohl, als auch aus dem gleich noch zu schildernden wei- teren Verhalten dieses Kernes ergiebt sich mit großer Sicherheit, Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. 175 dass derselbe in dem Augenblicke, wo der Plasmafaden reißt, auch abstirbt. Diese Thatsache hat ein besonderes Interesse wegen der engen Beziehung des Kernes zum Plasma, die dadurch bewiesen wird. Der Kern ist also nicht im Stande, auch nur einen Augen- blick von dem Plasma isolirt seinen normalen lebensfähigen Zustand zu bewahren. Der so abgestoßene Kern bleibt von einer dünnen Plasmaschicht umschlossen, wie die Figuren zeigen; es scheint dies nur die eigen- thümliche Plasmazone zu sein, die man auch an normalen Individuen in der Umgebung des Kernes nachweisen kann und die sich auch gegen Farbstoffe anders verhält wie das übrige Plasma. Nachdem der Zellkern des neugebildeten Individuums auf diese Weise ausgestoßen wurde, können zwei Fälle eintreten. Im ersten zieht sich das Plasma vollends aus der Schale II zurück und das normale Thier trennt sich von derselben. In einem Wasser, was zahlreiche ! Euglyphen in Theilung enthält, finden sich darum auch immer leere Schalen, die im Grunde den ausgestoßenen Zellkern als gelbliches, stark lichtbrechendes Körperchen erkennen lassen. Der zweite Fall, der wohl eben so häufig eintritt, ist in den Fig. 5—9 dargestellt. Nachdem sich nämlich das Plasma fast ganz in die alte Schale zurückgezogen hat, fängt es plötzlich wieder an, nach II überzuströmen, wobei ein (Fig. 5) oder mehrere lange, dickere oder auch ganz feine Pseudopodien gebildet werden, die wie tastend durch den Hohlraum der Schale II sich bewegen. Sobald sie auf den ausgestoßenen Zellkern treffen, wird derselbe umflossen, wie irgend ein zur Nahrung dienender Fremdkörper. Er wird von dem Schalengrunde, wo er festsaß, losgelöst und von dem jetzt wieder nach I zurückfließenden Plasma mitgeführt (Fig. 6—8). Man sieht, wie er schließlich in die Schale I hereingezogen wird. Hier kann er nun liegen bleiben, bis die Schalen sich getrennt haben, um dann schließlich wieder ausgestoßen zu werden, oder diese Ausstoßung erfolgt schon vor der Trennung der Schalen (Fig. 9). Während des Aufenthaltes in dem Plasma des intakten Thieres verändert der Kern rn, seine Beschaffenheit. Anfangs lässt er noch deutlich die Netzstruktur erkennen, wie sie beim Durchreißen des ihn mit dem Thierkörper verbindenden Plasmafadens auftrat. Allmählich ! In unseren Wässern waren die Thiere so zahlreich, dass jeder vom Boden der Gefäße genommene Wassertropfen, auf den Objektträger gebracht, 20 bis 30 Exemplare aufwies. 176 F. Blochmann verschwindet diese Struktur und der Kern erhält ein mehr homo- genes stark glänzendes Aussehen, wobei seine Umrisse unregel- mäßig werden (Fig. 8 und 9). Er sieht also ganz so aus wie zu Grunde gegangene Kerne sonst auch aussehen. Also z. B. wie die während der Conjugation der Infusorien degenerirenden Kerne oder wie die Kerne von Protozoen, die von anderen Protozoen aufgefressen wurden und theilweise verdaut sind. Wie schon bemerkt, wird der Kern schließlich wieder ausgestoßen. Dann scheint jedoch die Plasmahiille, die er ursprünglich besaß, verloren zu sein. Sie ist also wohl verdaut worden, während die Kernsubstanz selbst nicht assimilirbar zu sein scheint. Es resultirt bei diesem Process also aus einer, so weit sich be- urtheilen lässt, normal begonnenen und normal verlaufenen Theilung doch nur ein Individuum, indem das Plasma aus der neugebildeten Schale sich wieder in die alte zurückzieht, wobei der eine Kern ausgestoßen wird. Wenn man ein Paar von Thieren trifft, wie das in Fig. 1 dargestellte, und beobachtet an demselben die geschilderten Vorgänge, so liegt natürlich der Gedanke sehr nahe, dass die beiden Thiere durch Copulation sich vereinigt hätten. Nun kommt ja auch wirkliche Copulation und Conjugation! vor, wie ich weiter unten noch zeigen werde. Es ist jedoch leicht ein Conjugationspaar von einem aus Thei- lung hervorgegangenen zu unterscheiden. Bei den durch Conjugation vereinigten Thieren finden sich ganz gewöhnlich eine Masse von Scha- lenplättchen im Plasma, während dies bei den Theilsprösslingen nicht der Fall ist, da ja die überschüssigen Schalenplättchen des Mutter- thieres zur Bildung der neuen Schale aufgebraucht werden. Außerdem ist in gefärbten Präparaten die junge Schale (II in den Figuren) meist - mit Leichtigkeit daran zu erkennen, dass sich die einzelnen Plättchen an verschiedenen Stellen von einander losgelöst haben. Bei con- Jugirten Thieren habe ich ferner stets die vor dem Kern gelegene dunkle durch Anhäufung von Körnchen gebildete Zone gefunden, die bei frisch getheilten Thieren fehlt. Bei ihnen sind die Körnchen ! Wie weiter unten gezeigt wird, findet sich sowohl Copulation (wobei also die Plasmakörper zweier Thiere vollständig verschmelzen, um ein neues Indivi- duum zu bilden) als auch Conjugation, wobei sich die Thiere nach längere Zeit währender Vereinigung ‚wieder von einander loslösen, wobei bis jetzt noch keine nachweisbaren Veränderungen beobachtet wurden. Der Einfachheit wegen spreche ich hier stets von Conjugationspaaren, da sie jedenfalls die größere Mehrzahl der zur Beobachtung kommenden Vereinigungszustände ausmachen. Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. 177 durch das ganze Plasma gleichmäßig vertheilt, darum und wegen der bei der Theilung nothwendigen Wasseraufnahme sieht das Plasma getheilter Individuen viel heller aus, so dass man bei einiger Übung schon mit der Lupe ein Theilungspaar von einem Conjugationspaar unterscheiden kann. Die Berücksichtigung aller dieser Unterschiede würde jedoch eine Täuschung noch nicht vollständig ausschließen. Um dies zu erreichen, isolirte ich Thiere, bei denen eben das Plasma als kleine von Schalenplättchen überdeckte Knospe aus der Öffnung hervorzu- treten begann, die also sicher im Beginn der Theilung waren. Bei weiter fortgeschrittener Theilung lässt sich ferner noch die Kern- theilung mit Leichtigkeit am lebenden Thiere beobachten. Bei dieser Art der Untersuchung ist also jede Täuschung ausgeschlossen. Auf diese Weise isolirte und beobachtete ich eine größere Anzahl von Euglyphen. Dabei ergab sich, dass nach Ablauf der Theilung ent- weder die beiden Individuen sich loslösten und für sich weiter lebten, wie dies bereits GRUBER |. c. beobachtet hat, oder aber, dass der oben geschilderte Vorgang eintrat, dass also nur ein Individuum re- sultirte, welches zwar fast das ganze Plasma des Mutterthieres, aber nur die Hälfte seiner Kernsubstanz enthält. Ich habe die verschiedensten Stadien beider Vorgänge der Thei- lung und der Kernausstoßung an mit Chromosmium-Essigsäure abge- tödteten, in verschiedener Weise gefärbten Präparaten untersucht, ohne dabei jedoch irgend etwas Wesentliches mehr zu bemerken, als an frischen, oder mit 1°/,iger Essigsäure behandelten Objekten. Wenn wir uns nun fragen, was dieser sonderbare Vorgang für eine Bedeutung für das Thier hat, so ist es vor der Hand sehr schwer, darauf eine auch nur einigermaßen befriedigende Antwort zu geben. Ich habe nämlich bei den auf diese Weise entstandenen Individuen nichts Besonderes bemerkt; sie lebten in den Präpa- raten eine Zeit lang wie andere auch, dann gingen sie zu Grunde oder encystirten sich. Am ersten könnte man noch an eine Vergleichung dieses Vor- ganges der Kernausstoßung mit der Entfernung der Theilprodukte der Nebenkerne bei der Conjugation der Infusorien denken. Daran anknüpfend hat Herr Professor BürscHhLı die Vermuthung ausge- sprochen, dass möglicherweise solche Thiere, die auf diese Weise die Hälfte ihrer ursprünglichen Kernsubstanz eingebüßt hätten, später zur Copulation schritten. Positive Beobachtungen hierfür liegen bis jetzt jedoch nicht vor. Man könnte aber in den neuesten Beobach- Morpholog. Jahrbuch. 13. 12 178 F. Blochmann tungen von Mavupas! über die Conjugation der Infusorien eine Stütze für eine solche Annahme finden. Es würden damit von den Theil- produkten jedes Nebenkernes, wie dies auch schon früher bekannt war, eine Anzahl zu Grunde gehen, während von den beiden in jedem der conjugirten Thiere zurückbleibenden Nucleolusderivaten je eines in das andere Thier übertreten und mit dem dort zurück- gebliebenen verschmelzen würde. Dadurch wird, wie dies auch Mavpas hervorhebt, die Conjugation der Infusorien in noch nähere Beziehung zu dem Befruchtungsvorgang bei den Metazoen gebracht, als dies bisher möglich war. Nach diesem Gedankengang könnte man zwischen dem geschil- derten Vorgange bei Euglypha und der Bildung der Richtungskörper bei den Eiern der Metazoen eine gewisse Beziehung finden. In beiden Fällen ist das schließliche Resultat die Entfernung eines Theiles der Kernsubstanz. In beiden Fällen geschieht dies durch eine mit einer Zelltheilung verbundene indirekte Theilung des Kernes. Ob diese Vermuthungen jedoch einen reellen Hintergrund haben, müssen erst weiter ausgedehnte Untersuchungen lehren. Ähnliche Vorgänge wie die hier für Ewglypha beschriebenen sind meines Wissens bis jetzt noch bei keinem anderen Rhizopoden angegeben worden. Ich glaube jedoch annehmen zu dürfen, dass genauere Untersuchung eine weitere Verbreitung dieser Vorgänge ergeben wird. So glaube ich mit Sicherheit, dass das von JICKELI? beschriebene angebliche Copulationsstadium von Difflugia globulosa Duj. eine solche unter Ausstoßung des einen Kernes zurückgegangene Theilung war. JıckELI hat die beiden fraglichen Thiere nicht zu- sammentreten sehen, sondern sie mit dem Schalenmund enger ver- einigt aufgefunden. Er giebt dann ausdrücklich an, dass die eine von beiden Schalen heller war — dies ist die neuentstandene — . und dass mit 48 Stunden das ganze, ursprünglich beide Schalen er- füllende Plasma in die dunklere — also die ursprüngliche —. hinüber- gewandert war, in welcher die genauere Untersuchung zwei normale und einen in Zerfall begriffenen Kern nachweisen konnte. Es stimmt dies Alles mit den von mir bei Zuglypha beobachteten Vorgängen. Wir würden uns also danach vorzustellen haben, dass ı M. E. Maupas, Sur la conjugaison des Infusoires ciliés. Comptes ren- dus 1886. 28. Juni. — Sur la conjugaison des Paramécies. Ebenda. 6. Sept. 20. F. Jrcxer, Uber die Copulation von Difflugia globulosa Duj. Zool. Anz. VII. Jahrg. p. 449—451. 1884. p Zu u u Ze ai . re a u EZ ee] “we ce Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. 179 JICKELI eine vollständig zu Ende gekommene Theilung der Difflugia aufgefunden hat, dass dieselbe dann zurückging, indem das Plasma aus der neugebildeten Schale unter Zurücklassung des Kernes sich zurückzog und dass es dann nachträglich den abgestorbenen Kern wieder aufgenommen hat. Nachdem dies geschehen war, wurde das Thier getödtet, später wäre jedenfalls der in Zerfall begriffene Kern wieder ausgestoßen worden. In einem anderen Fall, bei der Bildung der Dauercysten von Actinosphaerium Eichhorni Ebrbg.' ist direkt beobachtet worden, dass zwei eben durch Theilung entstandene Individuen. wieder voll- ständig mit einander verschmelzen. Von einer Kernausstoßung wird allerdings nichts angegeben; doch wäre zur sicheren Feststellung jedenfalls noch eine speciell darauf gerichtete Untersuchung nöthig. Im Allgemeinen hat jedenfalls dieser Vorgang eine recht große Ähnlichkeit mit den Vorkommnissen bei Euglypha. Auch wirkliche Copulation habe ich bei Euglypha beobachtet, jedoch leider nur in einem Falle und nicht so eingehend, wie ich -es wünschen möchte. Man trifft da, wo viele Euglyphen zusammenleben, häufig zwei, öfter auch mehrere Thiere, die sich mit den Schalenmündungen an einander gelegt haben und deren Plasma verschmolzen ist. Wie oben ‚schon ausgeführt, lassen sich solche Conjugationspaare mit Sicherheit von den durch Theilung entstandenen Paaren unterscheiden. Um aber absolut sicher zu gehen, brachte ich bei diesen Unter- suchungen stets eine kleine Zahl 6—10 einzelne Thiere in den hängenden Tropfen und beobachtete sie hier. Die etwa auftretenden Conjugationspaare wurden herausgenommen und zur weiteren Be- obachtung in einem anderen Tropfen isolirt. Es zeigte sich dabei, dass in den meisten Fällen die Conjugation wieder gelöst wird, ohne dass irgend eine bemerkbare Veränderung an den Thieren vor- gegangen ist. Ob nicht etwa am Kern irgend welehe Veränderungen bemerkbar würden, untersuchte ich an zahlreichen gefärbten Prä- paraten von paarweise oder zu mehreren verbundenen Thieren jedoch stets ohne Erfolg. Die losgelösten Thiere verhielten sich auch verschieden, theils theilten sie sich normal, theils eneystirten sie sich wie gewöhnliche Individuen. Einmal jedoch beobachtete ich Folgendes: In einem Präparat mit 1 Über die Litteratur vgl. BürscaLı, Protozoen. 128 180 F. Blochmann einer Anzahl einzelner Thiere fanden sich am 26. Mai v. J. Abends 5 Uhr 45 Min. zwei verbundene Paare. Beide Paare wurden im hängenden Tropfen isolirt. Am 27. Mai wurde keine Veränderung bemerkt; eben so am 28. Morgens 7 Uhr. Um 7 Uhr Abends traf ich das im untenstehenden Holzschnitt angedeutete Verhalten. Während das eine Paar noch unverändert war. hatte sich das Plasma der beiden anderen Individuen (I und II) vereinigt und hatte aus den vorher im Inneren beider Thiere gelegenen Schalenpliittchen eine neue größere und etwas unregelmäßig gestaltete Schale (III) gebildet, an deren Mündung die beiden ursprünglichen Schalen vollständig leer angelagert waren. Die Länge dieser neugebildeten Schale be- trug 100 », ihre größte Breite 67 w, während die Mittelwerthe von 20 beliebig herausgegriffe- nen Schalen aus verschie- denen Kulturgefäßen betru- gen: für die Länge 82 u, für die größte Breite 47 u. Es ergiebt sich daraus, dass die neu gebildete Schale des I durch Copulation entstan- denen Individuums nach je- der Dimension etwa um 20 u die Normalmaße iiber- schreitet. In dem großen Thier III war ein Kern in der gewöhnlichen Lage sichtbar. Über das Verhalten der beiden Kerne der copu- lirenden Thiere I und II habe ich der Lage der Sache nach keine Beobachtungen gemacht. Die natürlichste Annahme scheint mir, dass beide Kerne verschmolzen sind. Das große Individuum kroch nun mehrere Tage lebhaft in dem Tropfen umher, um sich schließlich am 2. Juni zu encystiren. Die beiden anderen conjugirten Thiere in demselben Präparat lösten sich wieder von einander los und eines derselben theilte sich in normaler Weise. In diesem Falle kann also kein Zweifel darüber herrschen, dass wirkliche Copulation bei Euglypha vorkommt, nur scheint sie ver- hältnismäßig selten einzutreten, darum dürfte auch die genauere Erforschung derselben vom günstigen Zufall abhängig sein, was bei der Wichtigkeit der Sache sehr zu bedauern ist. Als durch neuere Untersuchungen, besonders durch die Arbeiten GruBER’s, der Theilungsvorgang der Monothalamen des Süßwassers Vergr. 300/;, Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. 181 in allen wesentlichen Verhältnissen klargelegt war, erschien es nur zu natürlich, dass man, wie dies zwar auch schon früher von HERTWIG und LEssEr! geschehen war, sehr zu der Annahme neigte, dass allen Angaben über Copulation und Conjugation der beschalten Süßwasser- rhizopoden solche missverstandene Theilungsstadien zu Grunde lagen. In vielen Fällen wird dies wohl auch zutreffen, in einigen vielleicht auch nicht. Es wird natürlich nach den Abbildungen und Beschrei- bungen im speciellen Fall schwer oder sogar unmöglich sein, sich für das Eine oder das Andere zu entscheiden. Es hat auch wenig Zweck, die vorliegenden Fälle darauf hin zu prüfen, da gewöhnlich. doch nicht mit Sicherheit, irgend eine an die Conjugation sich an- knüpfende besondere Weise der Vermehrung beobachtet wurde. In einem Falle ließ sich jedoch eine solche besondere Art der Vermeh- rung nach einer unzweifelhaften Conjugation ziemlich wahrscheinlich machen. Nämlich bei Arcella vulgaris Ehrbg. nach den Beobach- tungen von BÜTSCHLI?. Hier wurde nämlich beobachtet, dass bei zweien von drei con- jugirten Arcellen nach Lösung der Conjugation amöbenartige Spröss- linge in größerer Zahl erzeugt wurden °. ~ Bei meinem Objekt habe ich bis jetzt nichts Derartiges bemerkt, obwohl ich zahlreiche paarweise und auch zu mehreren verbundene Thiere lebend und in gefärbten Präparaten untersuchte. Wichtig dagegen ist der für Zuglypha geführte Nachweis ech- ter Copulation, wobei aus zwei normalen Individuen ein im Bau mit diesen übereinstimmendes, nur an Größe sie übertreffendes Thier erzeugt wird. Ich freue mich, damit den ersten Schritt gethan zu haben zur Bestätigung der von BÜüTscHLı in seinem Protozoenwerk ausgesprochenen Vermuthung, dass, wie bei den übrigen Protozoen, so auch bei den Rhizopoden, den Conjugations- und Copulations- vorgängen eine bedeutsame Rolle bei der Fortpflanzung zukommen möchte. Von beschalten Rhizopoden ist meines Wissens bis jetzt noch ı R. Hertwic und E. Lesser, Uber Rhizopoden und denselben nahe- stehende Organismen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. X. Suppl. pag. 35—243. 1879. 2 Arch. f. mikr. Anat. Bd. XI. pag. 459—467. 1874, 3 Von dem Vorkommen von Conjugation bei Arcella habe ich mich selbst überzeugt. In einem Gefäß, das ungeheure Massen von Arcellen enthielt, traf ich gar nicht selten zwei Thiere mit vollständig gleichen, tief braunen Schalen verbunden, während die in Menge vorhandenen, durch Theilung entstandenen Paare ja, wie bekannt, leicht an der fast farblosen Schale des einen Sprösslings zu erkennen sind. 182 F. Blochmann nirgends eine wirkliche Copulation nachgewiesen worden, dagegen ist ja solches von den nahe verwandten Heliozoen zur Geniige be- kannt. Schließlich mag noch darauf hingewiesen werden, dass der Co- pulationsvorgang der Euglypha alveolata auch eine gewisse Ähn- lichkeit mit der Auxosporenbildung der Diatomaceen nicht ‘verken- nen lässt. Wenn auch, wie zu erwarten, spätere Untersuchungen die wei- tere Verbreitung der Conjugation und Copulation bei Rhizopoden nach- weisen werden, so kann man doch wohl jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sie niemals in der Regelmäßigkeit auftreten wird, wie bei vielen Flagellaten und Infusorien, sondern dass es immer mehr zufällige Ereignisse sind, deren Bedeutung man dess- wegen jedoch nicht unterschätzen darf, da sie jedenfalls die ersten Anfänge zu Processen sind, welchen im Leben der Thiere überhaupt eine außerordentlich große, wenn auch bis jetzt noch keineswegs klare Bedeutung zukommt. Heidelberg, im Februar 1887. © Erklärung der Abbildungen. Tafel V. Sämmtliche Figuren mit Ausnahme von Fig. 4 nach dem lebenden Objekt. \ Fig. 4 nach einem mit 1°/jiger Essigsäure bebandelten Präparat. Vergröße- rung 400/,. Bedeutung der Bezeichnungen. I. Erstes Individuum (Mutterthier). II. Zweites durch Theilung aus I hervorgegangenes Individuum. mn, Kern des ersten \ na Kern des zweiten f CV Kontraktile Vaeuole. Fig. 1. Aus der Schale des durch Theilung von I entstandenen Thieres II be- ginnt das Plasma sich zurückzuziehen. Im Grunde der Schale sitzt es noch fest und umschließt hier den etwas in die Länge gezogenen __ Kern na». = Fig. 2. Der Process ist weiter fortgeschritten, das Plasma hat sich zu einem eT gl Thieres. e BEL) SPEER AG Gee uch Bd XM M. rtF) erner& Winter Frakhi -_— Zur Kenntnis der Fortpflanzung von Euglypha alveolata Duj. 183 dünnen Faden ausgezogen. Der Kern v2 hat seine normale Gestalt wieder angenommen. Der Faden ist durchgerissen und der Kern na zeigt jetzt deutliche Netzstruktur; er ist abgestorben, . Der ausgestoßene Kern na eines anderen Thieres nach Behandlung mit 10/yiger Essigsäure. . Das Plasma fließt wieder in die Schale II vor und sendet gegen den Kern 2 ein Pseudopodium aus. Das Pseudopodium hat den Kern na umflossen und zieht ihn nach der Schale I zurück. Dieser Process weiter fortgeschritten., Der Kern na hat seine Struktur verloren und erscheint als stark lichtbrechendes unregelmäßiges Klümpchen. Der Kern na ist wieder ausgestoßen. Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur, speciell des Muse. orbicularis oculi. Von Georg Ruge in Heidelberg, Die erste Nummer des zweiten Jahrganges des anatomischen Anzeigers enthält einen kleinen Aufsatz von Fr. MERKEL unter dem Titel: Der Musculus superciliaris. Es sind Gesichtspunkte dort angegeben, welche eine durchaus klare Sonderung der einzelnen Partien des M. orbieularis oculi nicht nur ermöglichen, sondern sogar nothwendig machen sollen. Nach den angegebenen Gesichtspunkten ward eine Eintheilung des Orbicularis oculi vorgenommen. MERKEL knüpfte augenscheinlich an meine Untersuchungen über die Gesichtsmuskulatur der Primaten an, da er von diesen sagt: »Auch die soeben erschienene Arbeit von RuGE ist, wie der Verfasser selbst gesteht, in Bezug auf die Eintheilung des M. orbieularis oculi nicht weiter gekommen.« Die Schwierigkeiten, welche bei der Eintheilung der um die Lidspalte und in der Nähe der Orbita lagernden Gesichtsmuskeln auftauchen, sind, wie ich glauben darf, durch ‘die MERKEL’sche Mittheilung nicht beseitigt. Diese Schwierigkeiten sind dieselben, welchen wir auch bei der Eintheilung der gesammten vom Facialis innervirten Muskulatur oder irgend welcher Theile derselben begeg- nen. Es handelt sich da um eine sorgfältige Berücksichtigung vieler bei der Eintheilung der Muskulatur überhaupt Geltung gewinnender Eintheilungsprineipien. Dass wenigstens einige der letzteren, auf welche MERKEL keinen Werth legte, nicht außer Acht gelassen werden dürfen, fühle ich mich veranlasst, in den folgenden Blättern darzulegen. Dabei darf ich mich wohl auf die in den Untersuchun- gen über die Gesichtsmuskulatur der Prosimier und der Primaten zu- sammengestellten Thatsachen beziehen. Außerdem wird man auch Stellung zu nehmen haben, in wie weit man die Gesichtspunkte, welche MERKEL bei der Eintheilung Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur, spec. des Muse. orbicul. oculi. 185 des Orbicularis oculi leiteten, gelten lasse. MERKEL spricht sich tiber dieselben kurz dahin aus, dass man Ursprungs- und Insertionsstellen streng im Auge behalten und sich zugleich an die physiologische Funktion der Theile des Muskels erinnern müsse, um über alle Schwierigkeiten, welche die zahlreichen Übergänge und Verbindungen zwischen den einzelnen Portionen verursachen, hinfortzukommen. In Bezug auf die genaueste Berücksichtigung der Ursprungs- und Insertionsstellen bei der Eintheilung der Muskeln muss man mit MERKEL wohl übereinstimmen, aber gerade desshalb wird es befrem- dend, an einer anderen Stelle lesen zu müssen: »Ich möchte nur meinerseits darauf Werth legen, dass zur Verhütung von Unklarheiten stets die genannten Insertionsstellen für die Eintheilung verwerthet werden möchten, indem man durch sie auch dann untrügliche An- haltspunkte gewinnt, wenn die Ursprungsstellen einmal aus dem Ge- biete einer Portion in das der anderen übergreifen sollten.« MERKEL wird, wie ich glaube, durch diese Worte seinem Programme untreu, indem er die Ursprungsstellen nun nicht mehr streng im Auge be- hält, um dennoch »Unklarheiten« zu verhüten. Das Wandern der Ursprungsstellen, das sich Einstellen von anders als wie im Normalen sich findenden Zuständen wird zu einer Schwierigkeit, welche bei einer umsichtigen Eintheilung auch berücksichtigt sein will. Dieses Unstäte in der Anordnung der Gesichtsmuskulatur ist einer schema- tisirenden Behandlung nicht günstig, zumal da die den Muskeln zu- gesprochene Funktion dabei nicht immer die gleiche bleiben kann. Die außerordentlich variable Anordnung der Gesichtsmuskeln des Menschen war bisher niemals Gegenstand eingehender Unter- suchungen gewesen; sie veranlasste mich zu vergleichend-anatomi- schen Studien, bei denen die Schwierigkeiten obiger Natur größten- _theils eine Lösung fanden. Dieselbe erfolgte unter Berücksichtigung rein anatomischer Einrichtungen, während die Funktion der Muskeln ganz außer Acht gelassen werden konnte. MERKEL verlangt nun aber, dass man sich bei der Eintheilung des Muse. orbicularis oculi auch der physiologischen Funktion der Theile des Muskels zu erinnern habe. Dieser Ansicht müssen wir unsere Zustimmung versagen. Es sind folgende Gründe dafür anzuführen. Die Funktion der Gesichts- muskeln kennen wir aus experimentellen Untersuchungen nicht genü- gend; wir bilden uns eine Art provisorischer Vorstellung von der Leistung der Muskeln, indem wir dieselbe aus denjenigen anatomi- schen Thatsachen ablesen, welche in den Ursprungs- und Insertions- stellen und in d-m Verlaufe gipfeln. In unserer Vorstellung können 186 Georg Ruge wir uns so auch die Wirkung konstruiren, welche bei der Kontraktion verschiedener Muskeln erfolgt; wir können auch umgekehrt eine be- stimmte komplieirte Muskelwirkung zu analysiren versuchen, wie es unter Anderen auch MERKEL für die um das Auge sich abspie- lenden Bewegungen seiner Zeit that (vgl. Handbuch der gesamm- ten Augenheilkunde von GRAEFE und SAEMISCH, Bd. I). Unsere jetzige Vorstellung von der Funktion der Muskeln bleibt aber eine aus anatomischen Daten abgeleitete, und damit dieselbe wenigstens eine den Thatsachen konforme sei, müssen die Vorbedingungen, das heißt die genaue Kenntnis der anatomischen normalen und anorma- len Verhältnisse erfüllt sein. Da ich diese Vorbedingungen nicht als erfüllt erachtete, griff ich den Gegenstand für ermeute Untersu- chungen auf. In solehen anatomischen Forschungen haben anato- mische Gesichtspunkte alleinige Geltung, weil physiologische erst gewonnen werden sollen. Auch die Eintheilung des untersuchten Gebietes wird desswegen eine anatomische sein müssen. Aus genau festgestellten anatomischen Thatsachen vermögen wir nun wohl Schlüsse auf gewisse Funktionen einzelner Muskeltheile zu ziehen, aber obne aus ihnen die gesammten Lebenserscheinungen der Muskeln ergründen zu können. Immerhin nehmen wir aus die- sen Schlussfolgerungen die wichtige Erfahrung mit, dass zu einer morphologisch gut abgegrenzten Muskelgruppe Gebilde von sehr ver- schiedenem funktionellen Werthe gestellt werden müssen. So z. B. gehören die Muskeln um die Lidspalte und der M. zygomatieus durch die engsten genetischen Verwandtschaftsbeziehungen in eine und die- selbe Gruppe; aber durch ihre anatomischen Beziehungen zur Lid- spalte einerseits und zur Mundspalte andererseits gestaltet sich ihre Funktion ganz verschieden. Es trifft in gleicher Weise das Umge- kehrte zu, dass nämlich Muskeln, deren Leistung nahezu zusammen- zustimmen scheint, eine natürliche Gruppe nach ihrer physiologi- schen Seite hin bilden mögen, anatomisch aber grundverschieden von einander sind. Das ist unter Anderem der Fall bei dem von HENLE als M. quadratus labii superioris aufgeführten Gebilde, deren angu- lare, infraorbitale und jugale Zacken ganz verschiedener Herkunft sich rühmen, anatomisch drei verschiedene Muskeln repräsentiren. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass anato- mische und physiologische Eintheilungsprineipien sich nicht zu decken brauchen, dass, wenn wir physiologische Gesichtspunkte bei der Be- handlung eines anatomischen Gegenstandes Geltung gewinnen lassen, wir vollständig irre geleitet werden können. Daraus geht für uns Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur, spec. des Muse. orbicul. oculi. 187 mit Nothwendigkeit hervor, dass anatomische und physiologische Forschung mit ihren verschiedenen Untersuchungsmethoden auch auf dem Gebiete der Myologie selbständige Dinge bilden sollen. Da- bei bleiben ja die sichtbaren Berührungspunkte beider Discipli- nen bestehen. Die anatomische geht der physiologischen voraus, und ihre Resultate bilden die Grundlage für die letztere. Eine Thei- lung der Arbeit kann der Sache auch hier nur förderlich sein. Nach unserer Meinung hat der Anatom wie der Physiolog ganz bestimmte eigene Ziele zu erreichen. Es hieße, die physiologische Disciplin gering schätzen, wollten wir bei anatomischen Untersuchungen nur so nebenbei die aus dem Gegenstande zu entnehmenden, oft kompli- eirten physiologischen Resultate eruiren. In der Anatomie der Gesichtsmuskeln sind wir schon eine Strecke weiter gekommen, während der Physiolog, wie mir scheint, noch ein großes und schwieriges Gebiet bei der Erforschung der Wirkung der so äußerst mannigfach angeordneten, sich kreuzenden, verflechtenden und auf die verschiedenste Weise sonst noch zusammenhängenden Gesichts- muskeln des Menschen und der Thiere zu durchwandern hat. Wenn wir uns nämlich auch die Wirkung eines jeden- einzelnen Muskel- bündels aus den anatomischen Verhältnissen konstruiren Können, so werden wir doch aus diesen schwerlich die vielen stattfindenden kom- binirten Wirkungen mehrerer Muskeln abzulesen vermögen, welche unter der physiologischen Koordination ganz heterogener Muskeln das feine Mienenspiel nach sich ziehen. Wie schwer die Lösung der Fragen auf dem Felde der Muskel- physiologie ist, wissen wir z. B. von den Mm. intercostales. Haben wir nur erst einmal die Schwierigkeiten, welche die Funktion der Gesichtsmuskeln darbietet, erkannt, so sind wir wohl auch hier einen Schritt vorwärts gekommen. Es darf hier nun auch nicht unerwähnt bleiben, dass MERKEL’s Bemerkungen über die Funktion der von ihm aufgestellten Theile des Orbicularis oculi gegen Einwendungen nicht gesichert sind. MERKEL Spricht seiner, bisher nur nebenbei erwähnten oder ganz unbeachtet gebliebenen lateralen Zacke des »Musc. superciliaris « die Bedeutung zu, dass dieselbe bei der Senkung der Braue im Ganzen, wie man sie beim finsteren Blick vornimmt, immer gemeinsam mit dem Corrugator supercilii betheiligt sein müsse. Hiergegen mache ich die Thatsache geltend, dass MERKEL’s late- rale Zacke des M. supercil., d. h. das aus dem lateralen Theile des Orbieularis oculi zur Stirn emportretende Muskelbündel beim 188 Georg Ruge Menschen nicht selten fehlt. Dass die Individuen ohne jene Zacke dennoch einen finsteren Blick werden ausgeführt haben können, wer mag es bezweifeln? Dass größere Abschnitte, vielleicht sogar der ganze Orbicularis oculi beim Zustandekommen des » finsteren Blickes« mitbethätigt sind, halte ich für nicht unwahrscheinlich, zumal wir wissen, dass der Muse. orbieul. oculi lateral- und aufwärts in die oberflächliche Schläfenfascie fest eingelassen ist, und dass auf diese Weise seine Wirkung auch auf Stirn und Schläfe sich ausdehnen kann. Auf jene Thatsache hat auch BARDELEBEN hingewiesen; sie findet überdies durch vergleichend-anatomische Daten ihre Erklärung. Wir können der MErkeEL’schen Meinung also eine andere mindestens gleich berechtigte an die Seite stellen, ohne derselben aber mehr als das Prädikat einer Meinung geben zu wollen. Sicherheit hierüber mag uns das Experiment bringen. Wenn wir nun die anatomischen und physiologischen, ihre eigenen Wege gehenden Forschungen von einander trennen dürfen, so bekennen wir uns als Anhänger der ersteren. Und von rein anatomischen Gesichtspunkten geleitet wollen wir nun die Einthei- lung des Orbieularis oculi nach MERKEL prüfen. Dieselbe muss, um als richtig anerkannt zu werden, auch den anatomischen Ver- hältnissen vollauf Rechnung tragen. Der Name »orbieularis« entspricht einem rein anatomischen Begriffe, er erhebt keinerlei Anspruch, etwas über die Funktion eines »Orbicularis« auszusagen und bedeutet, dass ein Muskel aus orbieulären, kreisförmigen, Faserbündeln zusammengesetzt sei. Die Theile eines Muse. orbieularis müssen also ebenfalls einen kreisför- migen Verlauf oder mindestens die Strecke eines solchen zurücklegen. MERKEL stellt nun folgende vier Abtheilungen am Orbieularis oeuli auf: 1) M. palpebralis, 2) M. orbitalis, 3) M. malaris, 4) M. super- ciliaris. »Die Aufstellung der Abtheilungen des M. palpebralis und orbitalis ist ja alt genug«, und da dieselben nahezu koncentrisch um die Lidspalte verlaufen, so lassen wir sie als Theile eines Orbieu- laris oculi gelten. Sie entsprechen ganz den an einen »Orbieularis« gestellten Bedingungen. Anders steht es um die Mm. malaris et superciliaris, deren jeden MERKEL aus einer lateralen und medialen Zacke bestehen lässt, wodurch »der Verlauf des ganzen M. orbieularis oculi ein durchaus symmetrischer und leicht verständlicher« werde. Diese letzte Aussage trifft nicht zu, wenn die laterale Zacke des »M. superciliaris« beim Menschen fehlt, oder nur in Andeuturgen vorhanden ist; denn dann fehlt natürlich die »durchaus symmetrische / Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulat ur, spec. des Muse. orbieul. oculi. 189 Anordnung« des Orbicularis oculi. Steigen indessen laterale Biindel aus dem orbiculiiren Verlaufe zur Stirn empor, so miissen wir die- selben in Übereinstimmung mit MerkEL als Theile des Orbicularis oculi betrachten. Sie liegen außerhalb der Augenhöhle, extraorbital, und sind einer Pars extraorbitalis Rıchers zuzutheilen. Einen selb- ständigen Muskel stellen sie indessen nicht dar. Die mediale Zacke des M. superciliaris MERKEL's, »der wohlbekannte Corrugator superciliic, besitzt ihren Ursprung am Skelete oberhalb des Ligam. palpebrale mediale und reicht oft bis zur Glabella empor. Der Verlauf ihrer Bündel ist ein gestreckter, die Insertion liegt in der Haut der Augenbrauengegend. Der Corru- gator supercilii ist erst beim Menschen wohl entfaltet anzutreffen ; hier erscheint er oft ganz abgetrennt von seinen Nachbarn. Er ist durch selbständigen Ursprung und selbständige Insertion, etwa eben so wie der M. zygomaticus, zu einem selbständigen Muskel geworden, was sich natürlich auch in der Wirkung wird äußern müssen. Er ist aus dem Verbande orbiculiirer Fasersysteme herausgetreten und hat damit aufgehört, ein Theil eines Orbicularis oculi zu sein. Er ist das Produkt eines Differenzirungsprocesses der Muskulatur ober- halb der Lidspalte, ein neu geschaffenes Glied der ganzen in der Nähe der Orbita gelagerten Muskulatur, zu welcher auch der Orbi- eularis oculi und der Corrugator supereilii gehören. Der Letztere ent- stand aus orbieulären Fasern, ist aber kein Theil des Orbicularis oculi mehr, sondern ein Abkömmling oder ein Sprössling desselben. Als einen solchen führte ich den Corrugator supercilii in meinen Untersuchungen auf, und zwar mit dem gleichen Rechte, wie ich den Caninus, Nasalis, Triangularis oder Risorius Santorini etc. als Abkémmlinge des Orbicularis oris bezeichnen durfte. Wenn schon die Eintheilung wirklich orbieulärer Bündel einer gewissen Willkür unter- liegen, eine Sache des Geschmackes sein mag, so scheint es doch ein Erfordernis zu sein, einen Corrugator supereilii nicht als eine Abtheilung des Orbicularis oculi hinzustellen. Das, was wir hier über den Corrugator sup. aussagten, ist anwendbar auf die mediale Zacke des Musculus malaris MERKEL. Dieselbe entsteht in der Nähe des medialen Augenwinkels, sie »löst sich aus dem Kreisverlauf des M. orbitalis los, hat also dort einen Ursprung am Knochen, hier nicht; sie endet absteigend in der Haut der Wange« (siehe MERKEL). Der Faserverlauf der medialen Zacke ist größtentheils- ein gestreckter; die Zacke ist also kein Theil des Orbieularis oeuli mehr. Wir haben dieselbe als eine intermediäre 190 Georg Ruge Portion zwischen Orbicularis oculi und Levator labii alaeque nasi kennen gelernt (s. meine Untersuchungen). Da die Beziehungen dieser intermediären Portion zu den beiden Letzteren eine gleich innige sein kann, warum, frage ich, zählt man den Levator labii alaeque nasi nicht auch zum Orbieularis oculi? Dieses wäre weder vom anatomi- schen noch vom physiologischen Standpunkte aus zu rechtfertigen. Die mediale Malariszacke gehört, unserer Meinung nach, zu einer Muskelgruppe, welcher auch der Orbicularis oculi suwie der Levator labii alaeque nasi zugehören. MerkKEL’s laterale Zacke des M. malaris besteht beim Menschen aus Biindeln, welche lateral von der Orbita sehr mannigfaltige Zu- stände aufzuweisen vermögen. Wir treffen hier Bündel an, welche, von der Wange aus verfolgt, aufwärts den orbiculären Theilen an- gelehnt, selbst orbieulär verlaufen. Diese Bündel können wir als Theile des Orbicularis oculi betrachten, eben so wie diejenigen, welche sich als lateraler Theil der in der Kontinuität getrennten Orbieularis- fasern zu erkennen geben. Der mediale Antheil der letzteren wäre dann in oberen Muskelbündeln der medialen Malariszacke zu suchen. Der Hauptantheil der Elemente der lateralen Malariszacke jedoch entsteht auf dem Jugale aus der oberflächlichen Schläfenfaseie und gelangt zur Wangengegend oder zum oberen Abschnitte der Ober- lippe. Untere Bündel schmiegen sich sehr oft auf das Innigste den Bündeln des Muse. zygomaticus an, so dass eine scharfe Grenze un- möglich angegeben werden kann; zuweilen verlaufen dieselben noch auf dem Jochbogen gerade nach hinten. Dieser Hauptantheil der lateralen Malariszacke besitzt einen gestreckten Verlauf und ist eben so wenig wie die mediale Zacke und der Corrugator supercilii ein Be- standtheil eines Orbieularis oculi. Haben die mediale Malariszacke und «der Corrugator wenigstens das Recht für sich in Anspruch zu nehmen, als Abkömmlinge des Orbicularis oculi aufgeführt zu werden, so geht aus den vergleichend-anatomischen Untersuchungen klar her- vor, dass die laterale Malariszacke mit gestrecktem Verlaufe niemals ein Theil des Orbieularis oculi gewesen ist. Sie bildete einst mit dem M. zygomaticus gemeinsam einen von der Oberlippe bis zur Ohrmuschel ziehenden Muskel. Von diesem M. aurieulo-labialis superior aus konnte die Entstehung orbiculirer Fasern verständlich gemacht werden, so dass wir, streng genommen, den Orbieularis oculi von Bündeln der lateralen Malariszacke ableiten müssen. Und mit einem um wie Vieles größeren Rechte, als MERKEL es beanspruchen darf, könnte man daher den Orbicularis oculi als einen Theil des Zygomatico- oe 4A aw Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur, spec. des Muse. orbicul. oculi. 191 Malaris hinstellen! Die sogenannte laterale Malariszacke ist eine inter- mediäre Zone zwischen dem Orbicularis oculi und dem M. zygomaticus geworden; rechnet man sie ‘zum Orbicularis oculi, so weiß ich keinen Grund, warum man nicht auch den M. zygomaticus dem Orbicularis oculi hinzuzählt. Es gehören alle drei Muskeln in eine einzige Gruppe, welche man als zygomatico-orbitale oder zyg.-orbiculare wegen des Vorherrschens jugaler und orbicularer Fasern bezeichnen mag. Die »malare« Zwischenportion ist ein Rest des primitiven Zusammenhanges zwischen den beiden anderen; sie wird beim Menschen zuweilen vollständig vermisst, so dass dann ebenfalls die »durchaus symmetrische Anordnung« des Orbicularis oculi MERKEL’s Schaden leidet. Ist sie aber vorhanden, so lassen sich an ihr oft Bündel zur Wange und solche zur Lippe unterscheiden. Die ersteren benannte ich als orbito-malare, die letzteren als orbito-labiale. Die Thatsache, dass Theile der "lateralen Malariszacke beim Menschen zuweilen Anheftungen am Jugale finden und einen Muse. zygomaticus minor aufbauen, hätte bei einer Eintheilung des M. orbieularis oculi mit in Rechnung gebracht werden müssen. Sie hätte auf die hier obwaltenden Schwierigkeiten hingewiesen und vor Irrthümern bewahrt. Fassen wir das Ergebnis unserer Betrachtungen zusammen, so besteht dasselbe darin, dass, so weit es die Eintheilung des Orbieu- laris oculi nach MErkEL betrifft, dieselbe nicht gut geheißen werden kann, dass wir mit MERKEL außer der Pars palpebralis und orbitalis nur noch die zuweilen auftretende laterale Zacke des »M. superci- liaris« als Theile des Orbieularis oculi deuten können. Es ist unserer Meinung nach von HENLE kein günstiger Griff gewesen, den M. malaris zum Orbicularis oculi zu rechnen, und von MERKEL nicht, HENLE’s Eintheilung zu übernehmen und außerdem noch den Corru- gator supercilii dem Orbicularis oculi hinzuzufügen. Es bleibt MErker's Verdienst, auf die laterale Zacke des »M. superciliaris« aufmerksam gemacht zu haben. Specielle Untersuchungen über dieselbe wären wohl als ein sehr willkommener Beitrag zur Lehre des menschlichen Muse. orbicularis oculi aufgenommen worden. Vielleicht hätten wir aus ihnen ein Urtheil gewonnen, in wie weit auch von dieser Seite her eine Vervollkommnung der menschlichen Gesichtsmuskulatur sich anbahnt, und wie nützlich es wäre, die diesbezüglichen anatomischen Zustände bei verschiedenen Menschen- rassen zu berücksichtigen, um auch für die anthropologischen Be- strebungen Nutzen daraus zu ziehen. 192 ‘Georg Ruge, Zur Eintheilung der Gesichtsmuskulatur ete. Diese Mittheilungen sagen aus, wie gewagt es ist, wenn wir physiologischen Gesichtspunkten bei der Eintheilung eines anatomi- schen Gebietes, also bei anatomischer Forschung, freiesten Zutritt ge- währen. Es können Verwirrungen aller Art entstehen, indem mor- phologisch ganz heterogene Gebilde zusammengeworfen werden. Ein etwaiger Vorwurf der Einseitigkeit aber kann uns wohl nicht treffen, da wir dem physiologischen Forschen volle Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, dasselbe aber gern eigene Wege betreten sehen. Die Berührungspunkte zwischen anatomischen und physiologischen Re- sultaten ergeben sich späterhin von selbst. Es sei schließlich darauf hingewiesen, dass bei der Eintheilung der Gesichtsmuskulatur das Heranziehen entwicklungsgeschichtlicher Momente fiir den. Anatomen Nothwendigkeit wird. Durch sie, seien sie phylogenetischer oder ontogenetischer Natur, gewinnen wir einen weiteren Gesichtskreis bei der Beurtheilung der Thatsachen. Nicht nur die menschliehen Befunde, sondern auch die bei Thieren lernen wir durch die genetische Methode besser verstehen und auf einander beziehen. Der letzteren habe ich mich bei meinen Untersuchungen über die Gesichtsmuskulatur bedient und glaube dadurch weiter ge- kommen zu sein, als MERKEL durch die hier *besprochene Abhand- lung. Wenn MERKEL erwähnt, dass ich selbst eingestehe, in der Eintheilung des Orbicularis oculi nicht weiter gekommen zu sein, so ist das nicht in dem MERKEL’schen Sinne zu verstehen, da für mich der Orbieularis oculi des Menschen ein anderer Muskel ist als der von MERKEL eingetheilte. Mein Zugeständnis ging nur dahin, über den Muse. orbicularis oculi keine eigenen Beobachtungen ange- stellt zu haben. Ich begnügte mich mit der Wiedergabe einiger Angaben, die mir bei der Eintheilung des Muskels die wichtigsten schienen. Die Fragestellung war für mich diese: haben Muskel- bündel der Pars palpebralis und der Pars orbitalis (et extraorbitalis) beim Menschen derartige neue Beziehungen zu Nachbarorganen, etwa zum. Thränensacke, zu den Thränenröhrchen, zur Conjunctiva, zur Haut der Augenlider, zu den Drüsen und Cilien der Augenlider ete. erworben, dass diese Muskelbündel als Unterabtheilungen jener Orbicularistheile aufgeführt zu werden verdienen? In diese Kategorie würden wir etwa den Horner’schen und den Morr’schen Muskel zu zählen haben, vielleicht noch manche andere orbiculär verlaufende Muskelbündel, von denen auch MERKEL sehr genaue Beschreibungen in dem Handbuch der gesammten Augenheilkunde von GRAEFE und SAEMISCH gab. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. Von Wladimir Schewiakoff aus St. Petersburg. Mit Tafel VI—VII und 4 Figuren im Text. Die Beobachtungen, welche in der vorliegenden Arbeit geschil- dert sind, beziehen sich auf einen Süßwasserrhizopoden Euglypha alveolata Duj., bei dem es mir gelungen ist, die typische Ka- ryokinese zu verfolgen. * Das Material stammt aus den Bassins des Schlossgarten zu Schwetzingen und wurde mir durch die Güte des Herrn Assistenten Dr. BLocuMAnn zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm meinen innigsten Dank ausspreche. Bei der sorgfältigen Untersuchung der Theilungsstadien erwies es sich, dass bei der Euglypha die Stern- form des Kerns anzutreffen sei, welcher Umstand auf das Vorkommen einer indirekten Kerntheilung zu schließen Anlass gab. Auf Wunsch und unter der Leitung meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Professor Dr. O. BürsckLı, wurde die Arbeit im Frühjahr vorigen Jahres sofort in Angriff genommen. Ich begann meine Beobachtungen an lebenden Thieren. Behufs dieses Zweckes wurden die passenden Theilungsstadien mit Hilfe eines Capillarréhrchen herausgefangen und auf einem Objekttriiger in Wasser isolirt. Wegen der Kleinheit des Objektes wurden die Thiere unter dem Mikroskope bei einer schwachen Vergrößerung (cirea 30) herausgefangen, wobei ich mich eines bildumkehrenden Oculars bediente, das die Arbeit bedeutend erleichterte. Bei der Herstellung von Präparaten wurde das Deckgläschen mit von Morpholog. Jahrbuch. 13. 13 194 Wladimir Schewiakoff BürscaLı! empfohlenen Wachsfüßchen versehen, um dem Zer- drücken der Thiere durch das Deckgläschen beim Verdunsten des Wassers vorzubeugen. Dank dieser Vorrichtung wird man auch in den Stand gesetzt, die Thiere von verschiedenen Seiten zu be- trachten, was bei dem Studium der Kerntheilungsfiguren von großer Wichtigkeit ist. Durch vorsichtiges Andrücken des Deckglases wer- den die Thiere zwischen dem Objekttriger und dem Deckgläschen festgelegt, worauf das letztere vermittels einer Präparirnadel ver- schoben wurde. Durch die dabei entstehende Reibung können die komprimirten Thiere in verschiedener Richtung gewälzt werden. An den, auf die beschriebene Weise hergestellten Präparaten ver- folgte ich intra vitam den vollen Verlauf der Theilung. Bei Anfertigung der Dauerpräparate verfuhr ich folgender- maßen: die in Theilung begriffenen Exemplare wurden in einem Uhrschälchen isolirt, wo sie bis zur definitiven Aufstellung weiter behandelt wurden. Als Fixirungsflüssigkeiten bediente ich mich der 1%/,igen Chrom-Essigsäure oder noch besser des FLEMMING’schen Gemisches? von Chrom-Essig-Osmiumsäure. Letztere Konser- virungsflüssigkeit leistet vorziigliche Dienste, jedoch veriangt sie eine höchst kurze Einwirkungszeit und ein gründliches Auswaschen, da im widrigen Falle die Präparate nachdunkeln und zum Studium der chromatischen Figur untauglich werden. Als beste Färbungsmittel erwiesen sich nach langem Ausprobiren GRENACHER’s Alaun- karmin und Pikrokarmin, mit deren Hilfe die reinsten Kern- färbungen erzielt werden konnten. Die Anwendung des Pikrokarmins verlangt ebenfalls eine gewisse Vorsicht, da es die Präparate leicht überfärbt. Die mehrfach ausgewaschenen Thiere wurden mit Alkohol entwässert und in Nelkenöl aufgehellt. Das Zusetzen des Alkohols und Nelkenöls muss sehr vorsichtig geschehen, weil dabei sehr leicht Schrumpfungen entstehen, durch welche die feineren Strukturverhalt- | nisse des Zellplasmas und namentlich des Kerns zu Grunde gehen. Am besten ist es, wenn man Flüssigkeiten von verschiedenen Kon- centrationen allmählich nach einander durchleitet. Endlich wurden die Präparate in Kanadabalsam, oder noch geeigneter in Dammar- lack aufgestellt. Zur Erhaltung bestimmter Theilungsphasen wurden die Thiere unter dem Mikroskope verfolgt, im nöthigen Momente abgetödtet und ' O0. BürscaLuı, Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle, die Zelltheilung und die Conjugation der Infusorien. 1876. pag. 61. 2 W. FLEmMInG, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. 1882. pag. 381. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 195 daselbst weiter priiparirt. Somit erhielt ich Priiparate von allen cha- rakteristischen Theilungsstadien, an denen ich Manches, was ich bei der Beobachtung lebender Exemplare bemerkte, kontrolliren konnte. Schließlich sei noch eines Verfahrens erwähnt, dessen ich mich bei der Isolirung der Kerne bediente. Dieses Verfahren, das soge- nannte Zerfließenlassen, wurde von BürscHLı! bei seinen Unter- suchungen der Conjugation der Infusorien mit großem Erfolge an- gewandt und leistete auch mir in diesem Falle vorzügliche Dienste. Zuerst wurde das Thier wieder durch Andrücken des Deckglases gepresst und dadurch an einer Stelle festgelegt; nach der herge- stellten Pression drückte ich vorsichtig mit der Präparirnadel auf das Deckgläschen bis die Kieselschale zerstört wurde; darauf wurde durch weiteres Klopfen mit der Nadel und Hin- und Herbewegen des Deckglases das Plasma zum Zerfließen gebracht, bis der Kern endlich isolirt wurde. Ein vorsichtiges Durchleiten von Wasser beschleunigte die Isolirung. Dieses Verfahren erfordert große Sorgfalt, da bei geringster Unvorsichtigkeit auch der Kern zerdrückt. wird, wobei selbstverständlich jegliche Struktur verloren geht. Auch muss das Wasser sehr vorsichtig durchgeleitet werden, da ja dabei die her- gestellte Pression aufgehoben und das Thier von seinem Platze leicht fortgeschwemmt wird. Der ganze Kunstgriff besteht darin, den Zu- satz der Flüssigkeit auf einer Seite des Deckglases durch gleich- zeitiges Absaugen mit Fließpapier auf der anderen zu reguliren. Sämmtliche Beobachtungen wurden mit einem Zeıss’schen In- strumente, Ocular 2 und 4, dem Apse’schen Beleuchtungsapparat und den homogenen Immersionen: SEIBERT '/,.“ und HARTNACK !/is” gemacht. Bevor ich mich nun zur Schilderung der gewonnenen Ergebnisse wende, halte ich es für angemessen, die Bauverhältnisse des nor- malen Euglyphenkörpers, wie sie sich nach meinen Untersuchungen herausstellen, zu erörtern. Dies scheint um so mehr geboten, weil im Verlaufe der Theilung auch am Zellplasma gewisse Differenzi- rungen auftreten, die mit der Veränderung der Kernstruktur in Be- ziehung zu stehen scheinen. CARTER? wie HerrwıG und Lesser? unterschieden am Proto- 1 Q.. BUTSCHLI, |. c. pag. 62. 2 H. C. CARTER, On freshwater Rhizopoda of England and India.. An. and Mag. of natur. history. III. Vol. 13. pag. 32. 3 R. Hertwic und E. Lesser, Uber Rhizopoden und denselben nahe- stehende Organismen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. X. Suppl. 1874. pag. 122. 192 196 Wladimir Schewiakoff plasmakörper der Euglypha zwei Abschnitte: einen fast 2/; des Kör- pers betragenden vorderen, feinkörnigen, und einen hinteren, hya- linen. F. E. Sonuuze! dagegen unterschied drei Regionen, was auch mit meinen Beobachtungen übereinstimmt. Der Plasmaleib ist ziemlich deutlich in drei. hinter einander gelegene Körper- regionen oder Zonen differenzirt (Taf. VI Fig. 1 AZ, KZ und HZ). Eine scharfe Grenze zwischen diesen Zonen besteht natürlich nicht, sie gehen allmählich in einander über; besonders sind vorderer und mittlerer Abschnitt weniger scharf geschieden, welcher Umstand auch wahrscheinlich die ersterwähnten Forscher bewogen hat, nur zwei Regionen zu unterscheiden. Meiner Ansicht nach unterscheiden sich die Zonen nicht nur durch verschiedene Konsistenz und Struktur, sondern auch funktionell, wie ich weiter unten zu eyes ver- suchen werde. Im normalen Zustande füllt der Weichkérper die starre Kiesel- hülle nicht vollständig aus, sondern steht an einigen Stellen von derselben ab. Stärker steht das Plasma im vorderen Drittel des Körpers von der Schale ab, und liegt nur dem Mündungsrande der- selben unmittelbar an. Dieser Theil bildet den vorderen oder oralen Abschnitt des Weichkörpers (Taf. VI Fig. 1 AZ); derselbe besitzt ein geringes Lichtbrechungsvermögen, was auf eine geringere Konsistenz, - d. h. eine flüssigere Beschaffenheit des Plasmas hindeutet. Die feinere Struktur des Plasmas ist grobnetzig oder vielmelir wabig-maschen- förmig und besteht, um mit STRASBURGER? zu reden, aus dem hya- linen Maschenwerke — dem Cyto-Hyaloplasma (Ch), in welchem zahlreiche feine Kérnchen — Cyto-Mikrosomen (Cm) eingelagert sind; diese Maschen des Protoplasmanetzes sind von einem wahrscheinlich wässerigen Saft — dem Cyto-Chylema (Cech) erfüllt. Das Hyaloplasma differirt im Lichtbrechungsvermögen ziemlich stark von dem es erfüllenden Saft und ertheilt dem Plasma bei mittlerer Vergrößerung den Anschein einer alveolären Beschaffenheit. An dem Mündungsrande der Schale tritt das Cyto-Hyaloplasma in Form von breiten Fortsätzen oder Lappen hervor, die sich mehrfach theilend, in dünne, fadenförmige, spitzwinkelige, unter einander nicht anastomosirende Pseudopodien (ps) auslaufen. Diese Pseudopodien ı F. E. SCHULZE, en un III. Arch. f. mikr. Anat.. Bd. XI. 1875. pag. 100. ? E. STRASBURGER, Uber den Theilungsvorgang der Zellkerne =i das Verhältnis der Kerntheilung zur Zelltheilung. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXI. Heft 1. 1882. p.. 479. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 197 dienen, wie bekannt, zur Fortbewegung und Nahrungsaufnahme. An den eingelagerten Mikrosomen gewahrt man, dass das ganze Proto- plasma sich in fortwährender Cirkulation befindet; die Cyto-Hyalo- plasmamaschen wechseln auch unaufhörlich in Gestalt — bald ver- engern sie sich, bald erweitern sich dieselben. An diesen Strömungs- erscheinungen nehmen auch die Pseudopodien Theil, in welchen man bei starken Vergrößerungen (homog. Immers. !/;;“) selbst Mikrosomata gewahren kann. Sobald die Pseudopodien einen Nahrungskörper aufnehmen, werden sie eingezogen und führen den Nahrungskörper mit sich, welcher aber nicht in der vorderen Region verbleibt, son- dern in die mittlere Zone weiterbefördert wird. Wenigstens habe ich bei meinen Beobachtungen nie gesehen, dass die Nahrung in ‘der oralen Zone verweilte. Aus dem eben Gesagten geht, glaube ich, zur Genüge hervor, dass wir den oralen Abschnitt des Weich- körpers als eine zur Lokomotion und Nahrungsaufnahme dienende Protoplasmaschicht auffassen können. In meiner weiteren Beschrei- bung werde ich, der Kürze wegen, diese Region des Plasmas, ihrem äußerlichen Aussehen nach, als die orale oder alveoläre Zone be- zeichnen. Der darauf folgende, mittlere Abschnitt (Taf. VI Fig. 1 XZ) erscheint viel trüber und auf den ersten Blick bedeutend grobkörniger, obgleich die feine Struktur durch die eingelagerten Nahrungskörper und gewisse stark lichtbrechende Körper verdeckt wird. Aus diesem Grunde erscheint er sogar ganz undurchsichtig. Wenn bei der Theilung der ganze Weichkörper in Bewegung geräth, bemerkt man auch etwas von den Strukturverhältnissen: das Plasma ist gleichfalls wie das obere netzig, jedoch bedeutend engmaschiger, die Cyto- Hyaloplasmastränge nicht so stark lichtbrechend und die Mikrosomen grobkörniger. In dieser Zone trifft man auch ständig Nahrungs- körper eingelagert (nk), die aus kleinen Algen wie z. B. Scenedes- men, Diatomeen etc. bestehen. Außerdem befindet sich hier noch eine große Menge grober, stark lichtbrechender Körper angehäuft. Diese früher irrthümlich für Fettkörner gehaltenen Körperchen dürfen nach der Auffassung Bürscaur's! als Endprodukte des Stoffwechsels betrachtet werden und werden als Exkretkörnchen (ek) bezeichnet. Sie finden sich wie die Nahrungskörper nur in der mittleren Zone, wo sie auch abgeschieden werden. Dem zufolge muss die Assimila- 1 0. BürschLı, BRonn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Proto- zoa. 1880. pag. 103. 198 Wladimir Schewiakoff tion der Nahrung in dieser mittleren Körperregion geschehen und das Protoplasma eine verdauende Funktion besitzen. Zuweilen ist die Menge der Exkretkörnchen so beträchtlich, dass die Zone ganz undurchsichtig wird; dies ist namentlich bei den sich zur Thei- lung anschickenden Euglyphen zu bemerken. Beiläufig will ich noch gewisse Inhaltskörper erwähnen, die ich nur zwei- oder dreimal in der mittleren Region beobachtete. Es waren ziemlich große rund- liche Körper von geschichtetem Baue (a), welche ein stärkeres Licht- brechungsvermögen als die Exkretkörnchen besaßen; ihrem äußeren Aussehen nach erinnerten sie an Amylumkörner, die bei einigen Mastigophoren und Algen angetroffen werden, auch zeigten sie die bekannte Stärkereaktion mit Jod. Ich vermag nicht zu entscheiden, ob sie als endogene Erzeugnisse des Plasma aufgefasst werden dürfen. In dieser Zone, fast an der Grenze des darauf folgenden Ab- schnittes, finden sich eine bis zwei kontraktile Vacuolen (cv), welche peripherisch gelegen sind. Die eben beschriebene mittlere Körperregion werde ich fernerhin als die Körnerzone bezeichnen. Endlich komme ich zur Besprechung des dritten, hinteren, für meine Untersuchungen wichtigsten Abschnittes des Plasmaleibes (Taf. VI Fig. 1 HZ). Nach der Auffassung CarTer’s, HERTWIG und LEsseEr’s, ~ wie SCHULZE’! ist dessen Plasma homogen, fast hyalin, wie es auch bei mittleren Vergrößerungen auf den ‘ersten Blick erscheint. Nach genauem Studium bei starken Systemen erweist es sich be- stehend aus einem äußerst engmaschigen Netzwerke von Hyaloplasma, in welchem sehr kleine Mikrosomen eingebettet sind; die Maschen des Protoplasmanetzes sind von Cyto-Chylema erfüllt, dessen Brechungsexponent von dem des Hyaloplasmas sehr wenig differirt, aus welchem Grunde auch das Gerüstwerk sehr schwach hervorsticht. Das Liehtbrechungsvermögen des Cytoplasma ist ziemlich gering, jedoch beträchtlicher, als das der Körnerzone. Diese Region be- herbergt in ihrer Mitte den Kern (x), welcher dem zähflüssigen Cyto- plasma als ein freischwebender Körper eingelagert ist. Seine Gestalt ist regelmäßig kugelig. Dank dem bedeutend stärkeren Lichtbrechungs- vermögen resp. der Dichtigkeit, im Gegensatz zu dem ihn umgebenden Cytoplasma, grenzt sich seine Peripherie scharf und deutlich ab. Der Kern zeigt den bekannten, bei Rhizopoden so verbreiteten, bläs- chenförmigen Bau. Er’ erscheint im lebenden Zustande durchsichtig, Tbs Ce Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 199 bläulich und homogen und ist von einer dünnen Hülle, der Kern- membran, umschlossen; in seinem Inneren ist ein ziemlich dichtes und daher dunkelbläulich, ebenfalls homogen erscheinendes Kern- kérperchen (Nucleolus »c/) eingeschlossen. Bis dahin stimmen meine Beobachtungen mit denen der oben erwähnten Forscher überein. Be- handelt man nun aber das Thier mit einer Fixirungsflüssigkeit, so ändern sich die feineren Bauverhältnisse des Kerns sofort: es kommt ein scharf und deutlich ausgeprägter netzförmiger, jedoch sehr feiner Bau des Nucleoplasmas zum Vorschein. Dass diese Erscheinung nicht künstlich durch Anwendung der Fixirungsmittel, als eine Folge der Gerinnung des Kernsaftes, erzeugt wird, leuchtet, glaube ich, von selbst ein. Schon FLemmmG! hat gezeigt, dass im lebenden Zustande das Lichtbrechungsvermögen der Kerngerüststränge dem des Kernsaftes nur sehr wenig überlegen ist, aus welchem Grunde die ersteren auch blass und undeutlich erscheinen ; in verschärfter Form treten sie nur durch die Fixirung (d. h. Wasserentziehung unter Gerinnung) der Reagentien hervor. In unserem Falle hätten wir noch eine geringere oder minimale Differenz im Lichtbrechungsver- mögen des Nucleo-Hyaloplasma und Nucleo-Chylema, wesshalb auch von feineren Strukturverhältnissen am lebenden Kerne nichts zu be- obachten ist. Weitere Verhältnisse mögen noch diese Annahme bestärken. Bei der Theilung oder vielmehr am Schluss derselben kommt zuweilen die seltsame Erscheinung vor, dass nach stattge- fundener Kerntheilung das Cytoplasma des Mutterthieres vollständig in das neu hervorgegangene Tochterindividuum überwandert und der Kern des ersteren ausgestoßen wird. So lange der Kern, wenn auch durch einen ganz feinen Faden, mit dem Zellplasma noch in Ver- bindung steht, erscheint er homogen; sobald aber dieser Verbindungs- faden durchreißt, oder mit anderen Worten der Kern ausgestoßen wird, kommt die erwähnte netzige Struktur sofort zum Vorschein. Wir hätten also dieselbe Erscheinung wie im vorigen Falle: dass nämlich beim Absterben des Plasma, sei es künstlich durch ange- . wandte Reagentien oder natürlich durch Trennung des Kerns vom Plasma erfolgt, die netzige Struktur des Kerns erscheint. Jedoch kommen diese Strukturverhältnisse nicht nur in Folge des Absterbens des Kerns zur Wahrnehmung. Man kann sie sogar am lebenden Kerne bei gewissen Vorgängen beobachten. Herrwic und LESSER? 1 W. FLEMMING, I. c. pag. 206—207. 2 HERTWIG und LESSER, I. c. pag. 126. 200 Wladimir Schewiakoff haben schon bereits in Betreff des Nucleus von Euglypha die Ver- muthung ausgesprochen, dass »im frischen Zustande überhaupt auch normaler Weise in dem Leben des Zellkerns Zustände vorzukommen scheinen, wie wir sie unter Anwendung von Essigsäure in starken Koncentrationen künstlich erzeugen können«. Schreitet nämlich die Euglypha zur Theilung, so bestehen die ersten Veränderungen, die wir am Kerne wahrnehmen, darin, dass er an Volumen zunimmt und dem entsprechend die Netzstruktur, welche am abgetödteten Kerne zu beobachten ist, sichtbar wird (Taf. VI Fig. 2). Gleichzeitig differenzirt sich auch das Cytoplasma der ganzen Region. Wenn wir also an Euglyphenkernen im normalen Zustande keine Strukturverhältnisse erblicken, so berechtigt dieser Umstand uns noch nicht zum Schluss, dass sie überhaupt fehlen. Vielmehr glaube ich aus dem Gesagten den Schluss ziehen zu können, dass das maschige Netzwerk des Nucleoplasma schon im normalen Kerne vorhanden ist, dass es aber in Folge des fast gleichen Lichtbrechungsvermögen mit dem ihn erfüllenden Kernsafte (Nucleo-Chylema) nicht wahrzunehmen ist, der Kern daher homogen erscheint. Wird aber, wenn ich mich so ausdrücken darf, dieses Gleichgewicht im optischen Verhalten, in Folge gewisser vitalen Veränderungen, aufgehoben, so kommen auch die beschriebenen feineren Bauverhältnisse zum Vorschein. Sie werden demnach nicht aus dem Kernsafte erzeugt, sondern bloß deutlicher gemacht. Wenden wir uns nun wieder zum Zellplasma des hinteren Ab- schnittes. In dieser Region erblickt man, bei den sich zur Theilung anschickenden Exemplaren, außer dem Kern, die bekannten Schalen- plättchen (Taf. VI Fig. 1 Sp), welche zur Bildung der Schale des Tochterindividuums bestimmt sind. Diese Schalenplättchen liegen im Weichkörper um den Kern in mehreren der Schalenfläche parallelen Schichten. Ob sie in dieser Region auch gebildet werden, vermag“ ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden; möchte aber bemerken, dass ich sie immer nur in diesem und keinem anderen Abschnitte ange- troffen habe, die Fälle natürlich ausgeschlossen, wo sie bei begonnener Theilung zur Bildung der neuen Schale in andere Zonen des Weich- körpers übergewandert waren. Dieser hintere Abschnitt ist keineswegs sehaiet von dem vorher- gehenden zu trennen, sein Plasma ist, wie wir gesehen haben, fein- netzig und erscheint bei schwachen Vergrößerungen fast hyalin, aus welchem Grunde wir auch den ganzen Abschnitt der Kürze wegen als die hyaline, nucleäre Zone bezeichnen werden. Jedoch besitzt Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 201 das Plasma nicht immer denselben Bau. Wie ich schon erwähnt habe, und weiter bei der Besprechung der Theilungsvorgänge noch ausführlicher zeigen werde, erleidet dasselbe vor und während der Kerntheilung mannigfache Veränderungen. Dieselben geben sich an- fänglich am Cytoplasma der hyalinen Zone kund, worauf erst die Veränderungen am Nucleoplasma erfolgen; es scheint demnach, dass das Cytoplasma die Vorgänge zur indirekten Kerntheilung sogar an- regt. Bei weiteren Theilungsvorgängen greifen aber dieselben in einander und bedingen sich auch gegenseitig — folglich muss das Cytoplasma zum Nucleoplasma in gewisser Beziehung stehen. Wenn also der Kern die Fortpflanzungs- resp. Theilungserscheinungen an- leitet und besorgt, so können wir dieselbe Funktion auch dem ihn umgebenden Cytoplasma nicht absprechen. Wir hätten demnach an dem Weichkörper der Euglypha drei hinter einander gelegene, nicht scharf von einander gesonderte, funk- tionell verschiedene Zonen zu unterscheiden (Taf. VI Fig. 1): 1) die vordere, orale oder alveoläre (AZ) mit lokomotiver, 2) die mittlere oder körnige (XZ) mit nutritiver, und endlich 3) die hintere oder hyaline Zone (HZ) mit reproduktiver Funktion. — Li Die Theilung der Euglypha ist von GRUBER! im Jahre 1550 entdeckt und beschrieben worden. Auch gelang es ihm denselben Theilungsvorgang, wenn auch unvollständig, bei anderen monotha- lamen Rhizopoden, wie z. B. Cyphoderia Ampulla, Difflugia, Miero- gromia socialis? zu verfolgen. Dabei erstrecken sich die Beobach- tungen GRUBER’sS hauptsächlich auf das Verhalten des Körpers und die Totalform des Kerns während der Theilung, wogegen die feineren Strukturveränderungen am Kern und Plasma nur theilweise bekannt wurden. Von den mannigfachen und komplieirten Veränderungen, die am Kerne auftreten, erwähnt GRUBER? nur, dass zu einer ge- wissen Zeit im Kerne »feine Körnchen oder gewundene Linien auf- treten«, worauf »eine deutliche Längsstreifung hervortritt« — nach der die Zweitheilung des Kerns erfolgt. Ich wende mich nun zur Besprechung meiner Beobachtungen. 1 A. GRUBER, Der Theilungsvorgang bei Euglypha alveolata. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXV. 1881. 2 A. GRUBER, Die Theilung der monothalamen Rhizopoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXVI. 1881. 3 A. GRUBER, Theil. b. Euglypha ete. 1. c. pag. 133—134. 202 Wladimir Schewiakoff Schreitet die Euglypha zur Theilung, so zieht sie die Pseudo- podien ein und man bemerkt an ihrem Plasma eine ziemlich lebhafte rotirende Bewegung. Namentlich tritt dieselbe in der hyalinen Zone hervor, welche auch bald an Volumen zunimmt. In ihr treten zuerst, hierauf im Kern gewisse Differenzirungen und Veränderungen auf, und die Schalenplittchen, welche in diesem Abschnitte eingelagert sind, werden allmählich nach vorn geschoben. Die beiden vorderen Zonen gerathen ebenfalls in eine zur Mündung gerichtete Bewegung und das Plasma der vorderen alveolären Zone beginnt aus der Schalen- miindung hervorzutreten. Die Schalenplättchen, welche bereits in der Schalenmündung angelangt sind, treten mit dem Zellplasma zu- sammen aus und überdecken dachziegelartig das hervortretende Plasmaklümpchen (Taf. VI Fig. 2). Es tritt immer neues, von Schalen- plittchen begleitetes Plasma hervor — die Hervorstülpung wächst stetig (Taf. VI Fig. 3—6), bis sie nach Verlauf von circa einer Stunde die Größe und Gestalt des Mutterthieres erlangt hat (Taf. VI Fig. 7). Dabei werden alle herausgetretenen Schalenplättchen zum Aufbau der neuen Schale verbraucht, welche der Mündung der alten fest anliegt. Der Inhalt dieser neuen Schale besteht ausschließlich aus überge- wandertem alveolären Plasma des Mutterthieres, welches hier eine grobmaschigere Struktur als zuvor zeigt; nachdem auf solche Weise die Schale des zukünftigen Tochterindividuums gebildet ist, beginnt auch das Plasma der Körnerzone sammt den aufgenommenen Nab- rungskörper und anderen Einschlüssen allmählich und langsam über- zufließen (Taf. VI Fig. 7—9), bis es ebenfalls nach etwa '/, Stunde vollständig in die neugebildete Schale übergeführt wird; dabei ver- diehtet sich das alveoläre Plasma und macht dem neu eintretenden körnigen Platz. Zu dieser Zeit verschwindet auch die kontraktile Vacuole, welche später, erst nach vollzogener Theilung, wieder von Neuem in beiden Individuen auftritt. — In der Mutterschale ist auf diese Weise nur das hyaline Plasma sammt dem Kern zurückgeblieben. Während des eben geschilderten Processes haben die beiden letzteren mannigfache Veränderungen erfahren, und nun erfolgt die Zweitheilung des Kerns (Taf. VI Fig. 10). Der neu entstandene Tochterkern, umgeben von einer Partie des hyalinen Plasma, gleitet langsam durch das körnige in das alveoläre Plasma der Tochter- schale hinüber (Taf. VI Fig. 11), bis er das Hinterende derselben erreicht. Der andere Kern (Taf. VI Fig. 12) zieht sich ebenfalls ins Hinterende der Mutterschale zurück. Nachdem so die durch Theilung entstandenen Kerne an den entgegengesetzten Enden der Schalen an- Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 203 gelangt sind, beginnt eine starke Strémung zwischen den Plasma- körpern der beiden Individuen zu eirkuliren (Taf. VI Fig. 12 und 13), welche gegen 20 bis 30 Minuten dauert. In Folge dieser Strémung wird das körnige und alveoläre Plasma, welches in die Tochterschale zeitweise übergeführt war, auf beide Individuen in annähernd gleichen Quantitäten vertheilt und zwar so, dass beide ihre normale Lage bekommen. Nachdem diese Vertheilung des Plasma eingetreten ist, sistirt die Strömung, es entwickeln sich an der Verbindungsstelle der Schalen Pseudopodien (Taf. VI Fig. 13) und die Individuen trennen sich von einander. Dies ist in kurzen Zügen der Verlauf der ganzen Theilung, welche sich ungefähr in zwei Stunden vollzieht; wir wenden uns nun zur Betrachtung der Veränderungen, die sich während der Theilung am Kerne und Zellplasma abspielen. Die ersten Veränderungen, die man am Plasma der hyalinen Zone bemerkt, bestehen darin, dass es sich unter Volumzunahme in zwei Schichten sondert (Taf. VI Fig. 2): eine dichtere, stärker licht- brechende Außenschicht, in der jetzt die feinnetzige Struktur deutlich hervortritt und eine innere, hellere Portion, die den Kern unmittelbar umgiebt. An dieser inneren Schicht ist nichts von einer Netzstruktur zu sehen; sie erscheint flüssig und enthält einzelne feine Hyaloplasma- fädehen und äußerst kleine Mikrosomen. Tödtet man das Thier in diesem Stadium ab, so kommen die geschilderten feineren Struktur- verhältnisse noch deutlicher zum Vorschein (Taf. VII Fig. 1); be- handelt man es darauf mit Färbungsflüssigkeiten, so tingirt sich der Kern ziemlich schwach, wogegen die innere helle Schicht eine dunkle Färbung annimmt; die äußere, feinnetzige Schicht wird ebenfalls - gefärbt, jedoch bedeutend schwächer als der Kern. Das Plasma der beiden anderen Zonen bleibt untingirt. Aus diesem Verhalten gegen Färbungsmittel wäre also zu schließen, dass in diesem Stadium die sogenannte chromatische Substanz hauptsächlich auf die helle, den Kern umgebende Cytoplasmaschicht und den Kern beschränkt sei. Eine solche Differenzirung des Cytoplasma in zwei Portionen ist auch von anderen Forschern und an anderen Objekten bereits be- obachtet worden. Zuerst bemerkte sie FLemMinG! am lebenden Präparate der Epithelzellen. von Salamandra während des Knäuel- stadiums und schloss namentlich durch Anwendung von Fixirungs- 1 W. FLEMMING, 1. c. pag. 206—207. 204 Wladimir Schewiakoff mitteln, dass diese Erscheinung durch eine stattfindende substantielle Veränderung der Zellsubstanz bedingt sei. Die Erscheinung beschränkt sich aber nicht nur auf thierische Objekte und besonders thierische Eier, wo sie ihren Höhepunkt erreicht, sondern findet sich auch bei pflanzlichen Zellen, wie die Untersuchungen von HEUSER! und STRASBURGER? an Spirogyra majuscula und den Zellen aus dem Wandbeleg des Embryosacks des Galanthus nivalis gezeigt haben. Auch bei den Protozoen kommt diese Ansammlung von differen- zirtem Cytoplasma um den Kern vor, wie es HEerrwıG? bei den sich zur Theilung anschickenden Actinosphaeriumkernen beobachtet hat. Sobald sich diese Differenzirung in zwei Portionen am Cytoplasma der hyalinen Zone einstellt, beginnt der Kern sofort an Größe all- mählich zuzunehmen. Gleichzeitig kommt auch eine netzige Struktur zum Vorschein (Taf. VI Fig. 2), welche bei normalen Thieren erst nach Behandlung mit Fixirungsflüssigkeiten sichtbar wurde. Das Netzwerk des Nucleoplasma entsteht nicht momentan, sondern tritt allmählich hervor, indem erst die Knotenpunkte des Netzwerks und dann die einzelnen Hyaloplasmastränge auftauchen. Diese beiden Erschei- nungen werden, wie ich vermuthe, durch das Eindringen des Cyto- Chylemas in den Kern bedingt. Fixirt und tingirt man solche Kerne, so erscheinen sie dunkler, dagegen der den Kern umgebende helle Hof blasser gefärbt als zuvor. Die Abnahme des Chromatins der Cytoplasmaschicht wird durch das Auftreten desselben im Kerne er- gänzt, weleher Umstand nur dadurch zu Stande kommen kann, dass Chromatin im gelösten Zustande aus dem Cytoplasma in den Kern eintritt und er dem entsprechend sein Volumen vergrößert. Eben so kann auch das Auftreten des Netzwerks im Kerne nur durch das Eindringen von Flüssigkeit erklärt werden. Wie ich schon oben er- wähnt habe, erscheint der Kern im gewöhnlichen Zustande homogen, und wir gewahren nichts von der Kernstruktur aus dem Grunde, weil das Brechungsvermögen des Nucleo-Hyaloplasma von dem des Nucleo-Chylema um Geringes oder sogar gar nieht differirt. Wir müssen also dem Kernsafte im normalen Zustande eine ziemlich dickfliissige Konsistenz zuschreiben, was auch von FLEMMING* und 1 E. Heuser, Beobachtungen über Zellkerntheilung. Botan. Centralbl. Bd. XVII. Nr. 1—5. 1884. pag. 29 und 120. 2 E. STRASBURGER, J. c. pag. 514, 525 und 583. 3 R. Hertwic, Uber die Kerntheilung bei Actinosphaerium Eichhorni. Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd. XVII. 1884. pag. 500. 4 W. FLEMMING, |. c. pag. 175. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 205 STRASBURGER! behauptet wird. Das Cytoplasma, welches den Kern umgiebt, erscheint im Ruhezustande bedeutend schwächer licht- brechend, also flüssiger als der Kern, wodurch auch derselbe so scharf hervorsticht. Nun entsteht aber, wie wir eben gesehen haben, zu Anfang der Kerntheilung noch eine Differenzirung im Cytoplasma in zwei Schichten, von denen die innere, dem Kern unmittelbar an- liegende, ihrem optischen Verhalten zufolge, eine sehr flüssige Konsi- stenz besitzen muss. Diese Flüssigkeit dringt in den Kern ein und verursacht eine Verschiedenheit im Brechungsvermögen des Kern- saftes und Kerngerüstes, wodurch auch das Netzwerk des Kerns zum Vorschein gelangt. FLemuıngG? beobachtete an den rothen Blutzellen der Salamandralarve ebenfalls eine beträchtliche Massenzunahme des Kerns resp. der chromatischen Substanz und sprach die Vermuthung aus, ob hier nieht ein erheblicher Theil der Zellsubstanz in die Kernfigur aufgenommen werde; es blieb aber unentschieden, in welcher Form dies geschehen musste. STRASBURGER? verwerthete diesen Fall als Beispiel für die Aufnahme von Zellsubstanz in den Kern und behauptete, dass die aufgenommene Zellsubstanz zum Auf- bau der achromatischen Spindel verbraucht werde. Auch an pflanz- lichen Objekten, wie z. B. an Pollenmutterzellen von Fritillaria per- sica, ist es SRASBURGER! gelungen, die Größenzunahme des Kerns bei eintretender Theilung nachzuweisen. Ich will es unentschieden lassen, ob im angeführten Falle das Eingedrungene nur zum Aufbau der Spindelfasern verwendet wird, wie es STRASBURGER? behauptet, oder ob es nicht, wie FLEmMMING® meint, auch am Wachsthum der chromatischen Fäden Antheil nimmt. Für meine Zwecke ist es wich- tig, dass der Befund der Kernvergrößerung von diesen beiden For- schern an verschiedenen Objekten gemacht und auf dieselbe Ursache zurückgeführt worden ist. Sie differiren nur in dem, was die ein- gedrungene Flüssigkeit bewirken soll. Was jedoch unser Objekt an- betrifft, so möchte ich sagen, dass das eingedrungene flüssige Cyto- Chylema vorläufig noch zu keinerlei Bildung verbraucht wird; vor der Hand bedingt es nur die Volumvergrößerung des Kerns und be- 1 E. STRASBURGER, Die Kontroversen der indirekten Kerntheilung. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXIII. 1884. pag. 6 und 41. 2 W. FLEMMING, |. c. pag..263. 3 E. STRASBURGER, Zellbildung und Zelltheilung. 3. Aufl. 1880. pag. 330. 4 E. Srraspurcer, Uber Theilungsy. etc. 1. c. pag. 481. 5 E. STRASBURGER, Kontroversen ete. 1. ec. pag. 49. 6 W. FLEMMING, |. c. pag. 264. 206 Wladimir Schewiakoff wirkt das Sichtbarwerden des Netzwerkes. Es ist aber zweifellos, dass es so zu sagen ein Vorrath von Chromatin bildet, welcher später wahrscheinlich zum Wachsthum der chromatischen Fäden verbraucht wird. Tingirt man nämlich solche vergrößerte. Kerne, so unter- scheiden sie sich von normalen dadurch, dass der Kernsaft dunkler gefärbt als zuvor erscheint; jedoch behält das Netzwerk sein früheres Aussehen und Farbe. Nicht uninteressant ist auch die Erscheinung, welche RABL! an den sich zur Theilung anschickenden Epithelzellen ven Salamandralarven gemacht hat. Die ersten Veränderungen an diesen Zellen bestehen nach RaBL darin, dass der Kern sich ver- größert und die chromatische Substanz sich vermehrt; dabei bemerkte er, dass das Chromatin sich namentlich an der Oberfläche des Kerns, unmittelbar unter der Kernhülle, ansammelt und dass an diesem Orte auch die ersten Knäuelfäden entstehen. Dieser Fall spricht, meiner Ansicht nach, ebenfalls für das Eindringen der Flüssigkeit in den Kern, da derselbe die besprochene Massenzunahme und Vermehrung des Chromatins aufweist. Die eindringende Substanz vertheilt sich © nicht sofort gleichmäßig durch den ganzen Kern, sondern wird sich selbstverständlich in peripherischen Schichten in größeren Quantitäten, als in den centralen, ansammeln. Durch diese Ansammlung des Chro- matins an der Oberfläche des Kerns wird auch verständlich, dass die Knäuelfäden, welche. wie bekannt, aus chromatischer Substanz aufge- baut werden, an dieser Stelle in reichlicherer Zahl, als in dem Binnen- raum des Kerns, auftreten. Einen ferneren Beweis für die Volum- vergrößerung des Kerns auf Kosten der eindringenden Zellsubstanz liefert die Beobachtung FLEMMiING’s? an Epithelzellkernen der Sala- mandralarve. Die durch Theilung entstandenen Tochterkerne nehmen, bevor sie zu einer weiteren Theilung vorschreiten, an Volumen be- trächtlich zu und zwar geschieht es während des Überganges des Tochterknäuels zum Gerüstwerk des Ruhezustandes. FLEMMING meint, dass »man für dieses Wachsthum wohl ohne Zweifel an eine Diffusion durch die Kernmembran und an chemische Umsetzungen der einge- drungenen Substanz appelliren muss. Und zwar kann es nicht bloß Kernsaft sein, was von außen hinzukommt, sondern es müssen Be- standtheile aufgenommen werden, die im Kern eine Umarbeitung zu Chromatin erfahren«. Es wäre nur noch die Frage zu erörtern, auf welche Weise das C. Rasx, Uber Zelltheilung. Morph. Jahrb. Bd. X. 1884, pag. 224—225. W. FrLemming, |. c. pag. 241. 1 2 Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 207 Eindringen des fliissigen Chylema in den Kern zu Stande kommt, da ja der Kern von einer, wenn auch äußerst dünnen, Kernmembran umschlossen ist. An lebenden Exemplaren sieht man nichts von einer besonderen doppelt kontourirten Kernmembran, sondern man gewahrt bloß, dass der Kern gegen das Cytoplasma abgeschlossen ist; tödtet man aber das Thier ab, so kommt eine sehr feine, jedoch höchst deutliche Hülle zum Vorschein. Noch besser überzeugt man sich davon durch die Isolirung der Kerne, die man zu verschiedenen Zeiten der Kerntheilung anstellen kann. Diese Membran bleibt während des ganzen Kerntheilungsprocesses erhalten, wodurch uns die günstige Möglichkeit geboten wird, das Verhalten des Kerns in toto zu ver- folgen. Die Erhaltung der Kernmembran während der Theilung scheint für die Protozoen allgemein konstatirt zu sein, wie die Beobachtungen Birscuui's!, HERTWIG’s?, PrirzNer’s? und GRUBER’S?! gezeigt haben. Bei allen bisher beobachteten, in Theilung begriffenen Protozoenkernen kann man die Membran als eine besondere, äußerst dünne Hülle wäh- rend des ganzen Processes wahrnehmen. Ihr Vorhandensein lässt sich nicht nur durch die Anwendung von Fixirungsflüssigkeiten, sondern noch besser durch Isolirung der Kerne nachweisen. Die beständige Erhaltung der Kernmembran bei den Protozoen scheint mir von großer Bedeutung für das Verständnis einer Erscheinung zu sein, die bei Gewebezellen anzutreffen ist. Nach den Beobachtungen verschiedener Forscher an den sich theilenden Gewebezellen, soll die Kernmembran während einer gewissen, jedoch nicht für alle Zellen bestimmten Theilungsphase verschwinden resp. nicht mehr wahrnehmbar sein. Da aber die Protozoenkerne, besonders wegen der Möglichkeit der Isolirung, zum Studium der Strukturverhältnisse besser als alle übri- gen Zellkerne geeignet sind und sie doch den letzteren gleichwerthig sind, so scheint es nicht unberechtigt, von den bei ihnen gewonnenen Resultaten Rückschlüsse auf die Kerne der Gewebezellen zu ent- nehmen. Auf diesen Umstand hat schon seiner Zeit BürschLı’ hin- 1 0. BüTscHLı, Studien, etc. |. c. a. v. O. 2 R. Hertwic, 1) Uber den Bau und Entwicklung der Spirochona gemmi- para. Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd. XI. 1877. 2) Kernth. b. Actinosph. etc. 1. ¢. 3 W. Prirzner, Zur Kenntnis der Kerntheilung bei den Protozoen. Morph. Jahrb. Bd. XI. 1885. pag. 461. 4 A. GRUBER, 1) Theil. b. Euglyph. ete. 1. ec. 2) Theil. d. monoth. Rhiz. etc. 1. c. 3) Über Kern und Kerntheilung bei den Protozoen. Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XL. 1884. 5 0. BürscaLı, Studien etc. 1. c. pag. 188. 208 Wladimir Schewiakoff gewiesen, indem er aussprach, dass man »nach Analogie der Infu- soriennuclei auch an den Spindeln der übrigen Zellkerne eine sie gegen das umgebende Protoplasma scharf abgrenzende, zarte Hülle annehmen miisse«. Diese Vermuthung wurde durch die Versuche PrirzNer’s bestätigt. Es gelang diesem nämlich durch Anwendung solcher Reagentien! (doppelt chromsaures Kali oder auch MÜLLER’sche Flüssigkeit), die das Achromatin des Kerns fixirten, nachzuweisen, dass der Kern während der ganzen Theilung gegen das Protoplasma vollkommen abgegrenzt ist und dem zufolge als ein abgeschlossenes Gebilde aufzufassen sei. Demnach glaube ich, dass das Nichtsicht- barwerden der Kernmembran uns nicht zum Schlusse berechtigt, dass dieselbe um diese Zeit verschwinden soll. Ich bin sogar geneigt das Gegentheil zu vermuthen, will es aber nicht als eine feste Behaup- tung aufstellen. | Was die Beschaffenheit der Kernmembran betrifft, so ist es schwer, wegen der äußersten Dünne derselben, zu entscheiden, ob sie aus einer chromatischen oder achromatischen Substanz besteht. Ebenfalls möchte ich es unentschieden lassen, ob die Membran für eine Hautschieht des umgebenden Zellplasmas, also für eine Modi- fikation seiner Substanz zu halten ist, wie es von STRASBURGER? be- hauptet wird, oder ob sie, wie BürscHLı? und PFITZNER * meinen, zum Kern zu rechnen sei und aus einer Modifikation des Achro- matins (PFITZNER), dem Parachromatin, bestehe. Letztere Vermuthung scheint mir aber aus Gründen, die ich weiter anführen werde, viel wahrscheinlicher; jedoch lässt sich, wegen Mangel an chemischen Kenntnissen über die Natur der Kernmembran nichts Sicheres be- haupten, wesshalb ich mich vielmehr einstweilen zu der Ansicht FLEM- MING’s® neigen möchte, dass die Kernmembran als eine rein topo- graphische Bezeichnung aufzufassen sei, welche bloß angiebt, dass der Kern durch sie gegen das Zellplasma abgegrenzt wird. N Das Eindringen des Zellplasma durch die Membran in den Kern kann auf zweifache Weise von statten gehen: entweder auf einem osmotischen Wege oder durch Poren, welche in der Kernmembran vorhanden sein müssen. Da ich aber von letzteren keine Spur weder 1 W. PFITZNER, Zur morphologischen Bedeutung des Zellkerns. Morphol. Jahrb. Bd. XI. 1885. Sep.-Abdr. p. 17. 2 E. STRASBURGER, Kontroversen etc. 1. c. pag. 42. 3 0. BÜTSCHLI, Studien ete. |. c. a. v. O. 4 W. PFITZNER, Beiträge zur Lehre vom Bau des Zellkerns und seinen Theilungserscheinungen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXII. 1883. pag. 681—683. 5 W. FLEMMING, 1. c. pag. 170. —ee Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 209 an gewöhnlichen, noch an isolirten Kernen wahrnehmen konnte, so glaube ich, dass das Eindringen des Protoplasma, und zwar des flüssigen Cyto-Chylema nur osmotisch erfolgen kann. Isolirt man Kerne in diesem Stadium, so lassen sie sich von dem sie umgeben- den Zellplasma ganz ablösen, ohne dass an ihnen irgend ein Theil desselben haften bleibt. Anders verhält es sich bei weiter vorge- schrittenen karyokinetischen Stadien — doch davon weiter unten mehr. i Während das Cyto-Chylema in den Kern eintritt und eine Vo- lumzunahme desselben bewirkt, tritt allmählich die feinere Struktur des Kerns hervor, bis sie endlich ihr definitives Aussehen erreicht. In diesem Falle erscheint sie als ein äußerst feinmaschiges Netzwerk von Nucleo-Hyaloplasma, in dessen Strängen sehr kleine Körnchen eingebettet liegen (Taf. VII Fig. 1). Die kleinen Körnchen stechen dadurch besonders hervor, dass sie den Farbstoff reichlicher als die Hyaloplasmastränge aufspeichern. Letztere erscheinen von verschie- dener Länge und Dicke, und anastomosiren reichlich unter einander, wodurch das ausgeprägte Netzwerk oder vielmehr Maschenwerk zu Stande kommt. An den Stellen, wo die Stränge anastomosiren, gewahrt man stärkere Anhäufungen von Hyaloplasma, die zur Bildung der so- genannten Netzknoten führen. In der vorderen Hälfte des Kerns sieht man excentrisch im Netzwerke oder vielmehr in den Maschen des Netzwerkes den Nucleolus liegen. Derselbe erscheint homogen und stark lichtbrechend; an seiner Peripherie bemerkt man eine helle Grenzschicht, welche den Anschein einer Membran bildet. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass diese helle Zone für eine Mem- bran zu halten sei, ich glaube vielmehr, dass wir hier mit einer Interferenzerscheinung zu thun haben, welche durch die gerundete Fläche und die bedeutend stärkere Lichtbrechung des Nucleolus be- dingt wird. Von den feineren Bauverhältnissen des Nucleolus ver- mag ich nichts zu sagen; wenigstens ist mir mit den optischen Hilfsmitteln, die mir zu Gebote standen (Zeiss, Oc. 4, HARTNACK ‘/,<", ABE's Beleuchtungsapparat), weder an lebenden, noch an fixirten Exemplaren gelungen, etwas davon zu sehen. Behandelt man Kerne in diesem Stadium mit Färbungsmitteln, so erscheinen sie ziemlich blass gefärbt, was auf Chromatinarmuth . hindeutet; das Nucleo-Chylema wird tingirt und besitzt eine gleich- mäßige blasse Farbe, das es durchsetzende Netzwerk aber erscheint um ein Geringes dunkler und nur der Nucleolus hebt sich durch einen dunklen Farbenton hervor. Morpholog. Jahrbuch. 13. 14 - 210 Wladimir Schewiakoff Entstehung der Knäuelform, Sobald das Netzwerk des Kerns in Folge der eingedrungenen Flüssigkeit zum Vorschein gekommen ist, beginnen an demselben Veränderungen aufzutreten, die zur Ausbildung der ersten karyoki- netischen Figur — des sogenannten Knäuels führen. Diese Ver- änderungen bestehen darin, dass sich das Hyaloplasma und nament- lich die Körnchen an einzelnen Knotenpunkten des Netzwerks zu koncentriren beginnen. Der ganze Vorgang hat den Anschein, als ob das Plasma des ganzen Netzwerks bestimmten Knotenpunkten desselben zufließt. Die Folge davon ist, dass das Netzwerk viel grobmaschiger wird, wobei die Knotenpunkte bedeutend dicker als zuvor erscheinen (Taf. VII Fig. 2). Die einzelnen kleinen Körnchen verschmelzen unter einander und bilden größere Partien von Kernplasma, die von den Färbungs- mitteln stärker tingirt werden. Das Kernkörperchen hat ebenfalls an Größe zugenommen, dabei aber seine scharfe Begrenzung verloren und an Lichtbrechung abgenommen. Das Plasma fließt stetig diesen Verbindungsknoten des ehemaligen Netzwerks zu, die immer dicker und größer werden, bis sich einzelne, einander naheliegende Knoten- punkte unter einander vereinigen und auf diese Weise einzelne, un- regelmäßig verlaufende, verworrene, dünne Fasern gebildet werden (Taf. VI Fig. 3 und Taf. VII Fig. 3). Auf diese interessante Erscheinung der Umbildung der Kern- struktur ist zum ersten Male von BürscHLı! hingewiesen worden, und zwar an einer Reihe von Infusorien, die sich zur Theilung an- schicken. Ich möchte bloß bemerken, dass der Euglyphakern in diesem Stadium den in Theilung begriffenen Infusorienkernen von Paramaecium und Vorticella, die ich gleichfalls zu beobachten Ge- legenheit hatte, sehr ähnlich aussieht. Nur gehen bei den Infu- sorienkernen keine weiteren Veränderungen vor sich, sondern es er- folgt eine Zweitheilung des Kerns auf diesem Stadium. Bei den Euglyphakernen haben wir aber nur ein Anfangsstadium vor uns, welches die Bildung anderer, darauf folgender Phasen ermöglicht. Auf die eben geschilderte Weise entsteht aus dem Netzwerk die feinfaserige Struktur des Kerns, welche von FLEMMING? als die fein- 10, Bürschuı, 1. c. pag. 69—70. Taf. IX Fig. 6; Taf. XI Fig. 12; Taf. XV Fig. 5—6. 2 W. FLEMMING, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserschei- nungen. II. Th. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XVIII. 1880. pag. 19. Über die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 211 faserige, dichte Knäuelform, mit der die Karyokinese anhebt, be- zeichnet wird. Ich will diese Bezeichnung beibehalten, obgleich wir in unserem Falle, wie es weiter einleuchten wird, keinen eigentlichen Knäuel in sensu strieto vor uns haben. Die Fasern nehmen bei stetiger Vergrößerung des Kerns bald an Dicke zu und erhalten den Anschein von wellig verlaufenden Fäden, die den Kern regellos durchziehen. Man bemerkt aber jetzt, dass sie sich mehr in der Peripherie, als im Binnenraum des Kerns lagern, was auch RABL! bei Salamanderkernen beobachtete. Die Fäden sind nicht in ihrer ganzen Länge gleich dick, sondern man gewahrt an ihnen, in ziemlich gleichen Abständen von einander, einzelne dicker angeschwollene Partien, von denen kleine, sich verästelnde, zarte Fortsätze ausgehen (Taf. VII Fig. 3); einige von diesen Fortsätzen münden frei in den Kernsaft, andere führen zu eben solchen Stellen benachbarter Fäden, mit deren ähnlichen Fort- sätzen sie in Verbindung treten. Es ist ziemlich einleuchtend, dass diese Partien nichts Anderes als die ehemaligen Knotenpunkte des Netzwerks sind, zu denen das Hyaloplasma des Netzwerks oder _ vielmehr die kleinen Körnchen zuströmten : die letzteren sammelten sich vorzugsweise in diesen Stellen an und verschmelzen zu beson- deren Scheiben, welche stärker lichtbrechend als die dazwischen- liegenden erscheinen und bedeutend mehr tinktionsfähig sind. Diese beiden Eigenschaften kommen auch den Körnchen zu, aus welchem Grunde wir schließen dürfen, dass diese dunklen Scheiben der Fä- den durch Verschmelzung einzelner Körnchen entstanden sind. In den helleren Zwischenpartien sieht man jetzt nichts von Körnchen — sie erscheinen homogen und speichern den Farbstoff nicht so begierig als die dunklen Scheiben auf — demnach wären sie von den Hyaloplasmasträngen des Netzwerks abzuleiten. Die zahlreichen Fortsätze, die von den Fäden oder vielmehr von den dichteren Scheiben derselben ausgehen, verleihen den Rändern der Fäden eine unregelmäßige, gezackte Gestalt (Taf. VII Fig. 24). Im weiteren Verlauf werden diese zarten Fortsätze und Verbindungsfäden einge- zogen und die Fäden bekommen ein glattrandiges Aussehen. In die- sem Stadium heben sich die auf einander folgenden Scheiben der Fäden noch schärfer von einander ab (Taf. VII Fig. 25); ungefärbt erscheinen die einen stärker lichtbrechend, gefärbt dunkler als die anderen. Diese Struktur war BaraneTzKy? in den Pollenmutterzellen von 1 C. Rast, |. c. pag. 225. 2 J. BARANETZKY, Die Kerntheilung in den Pollenmutterzellen einiger Tra- descantien. Bot. Zeit. 1880. Nr. 17. pag. 283. 14* 212 Wladimir Schewiakoff Tradescantia aufgefallen und ist zuerst von BürscHLı! an Kernen des Pseudovums der Aphiden und von BAuLgrAnı? an Epithelzellen des Ovariums von Stenobothrus, die in Theilung begriffen waren, beobachtet worden. Es kann hier keinem Zweifel unterliegen, dass diese ditferenzirten Scheiben der Fäden mit den bekannten Prırz- xnersschen Chromatinkugeln ? identisch sind. Ich möchte nur be- merken, dass dieselben bei unserem Präparate nicht ganz so er- scheinen, wie sie PFITZwER abgebildet hat; sie erinnern vielmehr an den Querbau des Fadens in den ruhenden Kernen der Speichel- drüsen von Chironomuslarven, wie es BALBIANI‘ beschrieb, oder noch mehr an den Bau der Knäuelfäden von Fritillaria imperialis, wie ihn STRASBURGER® darstellt. Unterdessen hat der Nucleolus an Größe und Schärfe abge- nommen, auch hat er seine Tinktionsfähigkeit im gewissen Grade eingebüßt; die Veränderungen an ihm gehen ebenfalls nicht mo- mentan vor sich, sondern allmählich während des ganzen Vorgangs, so dass es den Anschein hat, als ob er in der Kernsubstanz oder dem Kernsaft langsam aufgelöst werde. Er erscheint nun als ein matter Fleck und ist nur an fixirten Präparaten mit Deutlichkeit zu sehen (Taf. VII Fig. 4); auch jetzt lässt sich nichts von feineren Strukturverhältnissen an ihm erkennen. Es dringt immer neues Cytochylema in den sich stetig ver- größernden Kern und die glattrandig gewordenen Fäden geben ihren verworrenen Verlauf auf und beginnen sich in einer bestimmten Lage regelmäßig zu strecken (Taf. VII Fig. 4). Die Richtung, in der sich die Fäden parallel zu einander ordnen, fällt gewöhnlich mit der Längsachse des Thieres zusammen, jedoch ist dies nicht unbedingt nothwendig, da ich Fälle beobachtet habe, wo die Fäden winklig zur Längsachse verliefen. Auch jetzt durchziehen die Fäden nicht gleichmäßig den ganzen Kern, sondern sind im peripherischen Theil 1 QO. BUTscHLI, Studien ete. 1. e. pag. 36—37. 2 E. BALBIANI, Sur les phenomenes de la division du noyau cellulaire. Compt. rend. de Acad. d. Scienc. T. 83. 1876. pag. 831. 3 W. Prirzner, Uber den feineren Bau der bei der Zelltheilung auftreten- den fadenförmigen Differenzirungen des Zellkerns. Morph. Jahrb. Bd. VII. 1881. pag. 290. 4 E. BALBIANI, Sur la structure du noyau des cellules salivaires chez les larves de Chironomus. Zool. Anz. 1880. Nr. 99 und 100. Sep.-Abdr. pag. 4. Fig. 7. 5 E. STRASBURGER, Uber Theilungsvorgiinge etc. 1. c. pag. 507. Taf. XXVI Fig. 735. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 313 desselben in größerer Anzahl vorhanden, als im centralen, der nur von wenigen Fäden durchsetzt wird, worüber man sich bei ver- schiedenen Einstellungen leicht überzeugen kann. Durchmustert man aufmerksam mit starken Systemen diese Stadien, so gewahrt man, dass die einzelnen chromatischen Fäden durch äußerst dünne Quer- fädchen unter einander in Verbindung stehen (Taf. VII Fig. 4 und 25). Es ist klar, dass diese Verbindungsfädchen nichts Anderes, als die zarten Fortsätze sind, welche während des früheren Stadiums in reichlicher Zahl aus den dunkeln Partien der Fäden ausliefen und mit ähnlichen Fortsätzen benachbarter Fäden in Verbindung traten. Beim Übergange des gezackten Fadens in einen glattrandigen wur- den diese Fortsätze bis auf wenige eingezogen, welche jetzt in der Gestalt von dünnen Verbindungsfädchen zwischen den dunkleren Partien der Fäden erscheinen. Ich möchte beiläufig bemerken, dass die chromatischen Fäden _ des Kerns keinen kontinuirlichen Knäuel bilden, was in diesem Stadium besonders deutlich zu sehen ist. Man kann auch in ganz frühen Stadien (Taf. VI Fig. 3, Taf. VII Fig. 3), nämlich wo die Fäden aus dem Netzwerke entstehen, mit Gewissheit sagen, dass kein zusammenhängender Faden, sondern eine größere Anzahl von Fäden gebildet wird. Während des Stadiums, wo die Fäden einen verworrenen Verlauf aufweisen, ist es schwierig, sie einzeln zu ver- folgen, jedoch bemerkt man mehrere Enden derselben, was ganz entschieden gegen die Annahme eines kontinuirlichen Knäuelfadens spricht. Erst nachdem sie sich in eine parallele Lage zu einander geordnet haben, gewahrt man mit besonderer Deutlichkeit die beiden Enden jedes einzelnen Fadens. Es kann demnach keine Rede sein, dass etwa hier eine Segmentirung des Knäuelfadens eintreten sollte, wie es von anderen Forschern für andere Objekte behauptet wird. Ob die Zahl der Fäden für unser Objekt konstant sei, vermag ich nieht zu entscheiden, da wegen der großen Menge der vorhandenen Fadenstücke ein Zählen derselben unmöglich ist. Nachdem sich die Fäden so in einer Richtung gelagert haben. beginnen sie sich allmählich zu verkürzen und zu verdicken und es entsteht die sogenannte lockere, dieke Knäuelform (Taf. VII Fig. 5). In diesem Stadium treten in den Fäden Knickungen auf, welche immer bedeutender werden, bis die Fäden zu Schleifen um- gebogen sind. Diese Knickungen oder Umbiegungen stellen sich meist in der Mitte des Fadens ein, wodurch die Bildung von Schlei- fen mit gleich langen Schenkeln erfolgt. Jedoch ist dieser Fall 214 Wladimir Schewiakoff nicht der einzige: an einigen Fäden sieht man diese Umbiegungen auch näher gegen das Ende auftreten, was zur Entstehung von Schlei- fen mit verschieden langen Schenkeln fiihrt. Anfangs sind die Um- biegungen sehr gering und die Schleifen erscheinen stumpfwinkelig ; erst allmählich werden sie zu spitzwinkeligen umgebogen, oder viel- mehr zu solchen, bei denen die Schenkel nahezu parallel zu einan- der gerichtet sind. In solchem Falle erhalten die Schleifen eine U- oder J-förmige Gestalt. Die Schleifenschenkel sind in diesem Sta- dium nicht gerade, sondern besitzen meist einen wellenförmigen Ver- lauf. Sobald die Fäden zu Schleifen umgebogen werden, verlassen sie ihre peripherische Lage und begeben sich in den Centralraum des Kerns, wobei sich die Schleifenwinkel dem Centrum und die Schenkelenden der Peripherie zukehren. Die beigefügte Zeichnung (Taf. VII Fig. 5) stellt den Beginn der Umbiegung der Fäden dar. In diesem Falle bemerkt man ein großes Durcheinander von Fäden und bereits gebildeter Schleifen, auch sind nicht alle Schleifen mit — ihren Schleifenwinkeln dem Centrum des Kerns zugekehrt. Nur an lebenden Präparaten lässt sich der Vorgang, den ich eben beschrie- ben habe, Schritt für Schritt verfolgen. Diese Umbiegung geht ziem- lich schnell vor sich, so dass man auf den ersten Blick nur ein Wimmeln der Fäden bemerkt; erst nachdem man einige Übung er- langt hat, diese Veränderungen intra vitam zu beobachten, gelingt es, den wahren Verlauf der Dinge zu erkennen. In diesem Umbie- gungsstadium verschwindet auch vollends der Nucleolus, welcher noch zu Anfang des sogenannten lockeren Knäuelstadiums als ein unbe- deutender matter Fleck in der peripherischen Schicht des Kerns zu sehen war. Während der Kern durch die Knäuelform geht, treten auch am Zellplasma, cder vielmehr an der hellen Innenschicht des hya- linen Cytoplasma, die den Kern unmittelbar umgiebt, gewisse Diffe- renzirungen auf. Diese Veränderungen bestehen zunächst darin, dass die feinen hyaloplasmatischen Fädchen, welche gleich nach der Differenzirung der hyalinen Plasmazone in zwei Schichten, in der hellen Innenschicht zu sehen waren, sich jetzt senkrecht zur Peripherie des Kerns anlegen. Auf diese Weise umgeben die fein- faserigen Hyaloplasmafädchen den Kern allseitig strahlenförmig, wo- durch die helle Cytoplasmaschicht eine deutlich ausgeprägte radiäre Struktur bekommt (Taf. VI Fig. 4). Isolirt man Kerne in diesem Stadium, so lassen sie sich nicht völlig von dem sie umgebenden Plasma trennen, wie dies in den früheren Stadien der Fall war, son- Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 215 dern die strahlenförmig angelegten Hyaloplasmafädchen bleiben fest am Kerne haften. Dieser Umstand spricht sehr für die Annahme, dass die feinfaserigen Fiidchen mit der Umhüllung des Kerns im inni- gen Zusammenhang stehen müssen, denn sonst müssten sie bei der Isolirung vom Kerne sammt dem anderen Plasma abgestreift werden. Dieselbe Erscheinung der strahligen Anordnung der Fäd- chen ist auch von Heuser! an Kernen von Fritillaria im Stadium der Knäuelform beobachtet worden. Auch HEUSER kommt zum Schluss, dass diese Fasern mit der Kernumhüllung im Zusammenhang stehen müssten, und zwar um so mehr, weil »diese Umhüllung im optischen Querschnitt bei scharfer Einstellung niemals als glatte Membran, sondern als aus Reihen unregelmäßiger kleiner Kernchen zusammen- gesetzt sich zeigte. — Diese Hyaloplasmafädchen sind sehr mikro- somenarm und werden aus dem Grunde von den Färbungsflüssigkei- ten nur schwach tingirt. Überhaupt hat die ganze Schicht ihre Tinktionsfähigkeit im gewissen Grade eingebüßt, wogegen der Kern jetzt viel stärker als zuvor gefärbt wird. Das feste Anheften der Fiidchen, könnte man dadurch erklären, dass sie jetzt in den Innenraum des Kerns durch die Membran hin- einwachsen. Dabei könne das Eindringen der Fädehen nur durch Poren erfolgen, welche in der Kernmembran vorhanden sein mussten. Einige Forscher, wie z. B. Loos?, R. HERTWIG?, STRASBURGER +4 und HEusEr5 glauben, an thierischen wie an pflanzlichen Objekten gesehen zu haben, dass die Kernmembran von zahlreichen feinen Poren durehlöchert wird. An unserem Objekte aber konnte ich, wie bereits erwähnt wurde, nichts von solchen Poren wahrnehmen. Man könnte sagen, dass dieselben wegen der ungemeinen Klein- heit ihres Durchmessers und der äußersten Dünne der Kernmem- bran leicht übersehen werden können, und dass sie nichtsdestoweniger doch existiren. Diese Annahme würde aber zu einer weiteren Ver- muthung führen. Da ich im Innenraum des Kerns während dieses Stadiums nie Fädchen gesehen habe, die von der Membran entsprin- gen, so müsste man annehmen, dass sie sofort nach ihrem Eindrin- 1 E. Heuser, |. c. pag. 120. 2 P. Loos, Über die Eiweißdrüsen im Eileiter der Amphibien und Vögel (Dissert.). 1881. pag. 13. 3 R. Herrwic, Beiträge zu einer einheitlichen Auffassung der verschie- denen Kernformen. Morph. Jahrb. Bd. II. 1876. pag. 77. 4 E. STRASBURGER, Kontroversen ete. |. e. pag. 5. 5 E. HEUSER, 1. c. pag. 124. 216 Wladimir Schewiakoff gen in den Kern, daselbst umgebildet werden — eine Vermuthung, die mir doch sehr zweifelhaft zu sein scheint. Eher wäre wohl die strahlige Anordnung der Cytoplasmafädchen dadurch zu erklären, dass die ganze Erscheinung durch das Eindringen des flüssigen Cyto- Chylema in den Kern bedingt wird und dass die Strahlenbildung so zu sagen nur einen optischen Ausdruck des stattfindenden Processes darstellt. Das Anheften der Fädehen an die Membran kann dadurch bedingt werden, dass die Kernmembran wegen des vorgehenden Wachsthums und des stetigen Durchtretens von Flüssigkeit weicher als in vorhergehenden Stadien geworden ist. Entstehung der Sonnenform. Wir haben also gesehen, dass am Ende des lockeren Knäuel- stadiums die verkürzten und verdickten chromatischen Fäden zu Schleifen umgebogen werden, welche mit den Schleifenwinkeln vor- angehend in den Innenraum des Kerns sich begaben. Der Process geht auf die geschilderte Weise weiter vor sich, bis endlich alle Fä- . den zu Schleifen umgebogen sind. Sie begeben sich zum Cen- trum des Kerns, erreichen jedoch dasselbe nicht, sondern bleiben in einer gewissen Entfernung von ihm stehen. Dabei sind sammt-_ liche Schleifenwinkel dem Centrum und die Schleifenschenkel der Peripherie des Kerns zugekehrt (Taf. VI Fig. 4, Taf. VU Fig. 6). Es kommt demnach eine Kernfigur zur Ausbildung, die aus Schleifen aufgebaut ist, deren Schenkel radiär nach allen Richtungen aus- strahlen. Der Innenraum des Kerns ist frei von Schleifen und bildet eine mit dem Kern koncentrische Kugel, deren Peripherie so zu sagen den geometrischen Ort der Ansatzstellen der Schleifenwinkel dar- stellt. Diese Kernfigur kommt konstant bei allen von mir beobach- teten Kerntheilungen der Euglypha vor, und bildet ein Übergangssta- dium von der sogenannten Knäuelform zur Sternform. Zum Unter- schied von der Sternform möchte ich diese Kerntheilungsfigur, wegen ihrer gleichmäßigen radiären Gestalt, als die »Sonnenform«, oder analog der Fremming’schen Nomenclatur als »Helios« bezeichnen. Auch bei anderen Forschern kann man einen Hinweis auf die Existenz solch’ einer Kerntheilungsfigur finden. So sagt z. B. Rerzıus! bei der Schilderung von Theilungsvorgängen der Epithelzellen der 1G. Rerzius, Studien über die Zellentheilung. Biolog. Untersuch. Her- ausgegeben von G. Rerzius. 1881. pag. 116. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 217 Tritonlarve: »Die Fadenschleifen nehmen entweder eine einfache tlache Sternform oder, wenn der Raum es zulässt, eine nach allen Richtungen ausstrahlende an.« PrirzNeR! beobachtete diese Form in den Ektodermzellen von Hydra und bezeichnete sie, ohne sie ein- gehender zu schildern, als die Medusenform (?), welche »wohl eine Modifikation der Sternform ist, die mit der Entstehung aus der Knäuel- form zusammenhängt«. PrirzNer behauptet weiter, genau dieselbe Figur auch bei Salamandra gelegentlich gesehen zu haben. Die von Rerzıus (Taf. XII Fig. 14) und Prirzner (Taf. XXV Fig. 19) beige- fügten Zeichnungen verbreiten auch nicht mehr Licht über die Gestalt dieser Kerntheilungsfigur. Während die Sonnenform zur Ausbildung gelangt, haben sich noch nicht sämmtliche Schleifen in den Innenraum des Kerns be- geben; viele von ihnen nehmen noch eine peripherische Lage ein und wandern erst später dem Centrum zu. Die neu ankommenden Schleifen schieben sich zwischen die bereits nach innen gerückten ein und der innere von Kernsaft erfüllte Hohlraum des Kerns nimmt an Größe ab (Taf. VII Fig. 7); auch die letzteren folgen im ge- wissen Grade dieser Bewegung, erreichen aber nie das Centrum, so dass ein Hohlraum immer erhalten bleibt. Zu dieser Zeit treten wieder gewisse Veränderungen am Zell- plasma auf. Bis zu diesem Stadium umgab das helle Cytoplasma den Kern wie ein koncentrischer Hof. Die radiäre Struktur, die während den späteren Knäuelstadien und noch zu Anfang der Son- nenform zu sehen war, geht jetzt verloren. Das den Kern unmit- telbar umgebende Cytoplasma geräth in eine ziemlich langsame Be- wegung und beginnt zu zwei entgegengesetzten Stellen des Kerns hin zu fließen, wo es sich in einer kleinen Anhäufung koncentrirt. Während dessen giebt der Kern seine kugelige Gestalt auf und macht Bewegungen (Taf. VI Fig. 5), die an die charakteristischen Bewegungen der Amöben, welche stumpfe Pseudopodien bilden, er- innern. Von nun an erleidet der Kern sehr interessante Gestaltsver- änderungen, die mit den inneren Strukturverhältnissen resp. der Schleifenanordnung in inniger Beziehung stehen. Bevor ich mich aber zur Schilderung dieser Veränderungen wende, möchte ich noch kurz die Ausdrücke, deren ich mich bedie- nen werde, erläutern — und dies um so mehr, da zur Jetztzeit in der für die Kerntheilungsvorgänge üblichen Nomenclatur eine Syno- 1 W. PFITZNER, Beiträge etc. 1. c. pag. 627. 218 Wladimir Schewiakoff nymie herrscht. Als Theilungspole bezeichne ich die Stellen, von welchen die achromatischen Fasern der Kernspindel in den Kern ausgehen; als Theilungsachse die Linie, welche die Theilungs- pole verbindet; als Äquatorialebene die Ebene, welche durch den Mittelpunkt der Theilungsachse, senkrecht zu derselben, geht und schließlich als Äquatorialachsen die Linien, welche in der Aquatorialebene liegen und durch das Centrum derselben gehen. Entstehung der Sternform. Sobald sich das Plasma an den zwei entgegengesetzten Stellen des Kerns, den zukünftigen Theilungspolen, angesammelt hat, nimmt auch der Kern seine frühere kugelige Gestalt wieder an. Jedoch währt dies nicht lange, denn bald stellt sich eine Abplattung des Kerns an den Theilungspolen ein (Taf. VII Fig. 8), die mehr und mehr zunimmt, bis er die Gestalt eines abgeplatteten Rotations- ellipsoids hat (Taf. VI Fig. 6, Taf. VII Fig. 9), wobei die Thei- lungsachse die Rotationsachse bildet. Hand in Hand mit diesem Processe geht die Verschiebung jder Schleifen, welche sämmtlich in der Aquatorialebene angeordnet werden, wodurch die Sonnen- form zu einer zweistrahligen Sternform umgebiidet wird. Jetzt hört die Größenzunahme des Kerns auf, und sein Volumen bleibt von nun an während aller folgenden Stadien bis zum Abschluss der Theilung, so weit festzustellen, konstant (siehe Anhang pag. 252). Diese Gestaltsveränderungen des Kerns lassen sich an unserem Ob- jekte aus dem Grunde so gut wahrnehmen, weil die Kernmembran, wie ich erwähnt habe, während des ganzen Theilungsprocesses er- halten bleibt. Prirzner'! beobachtete dieselbe Erscheinuung an den sich theilenden Kernen der Opalina, bei welchen, wie bei allen bis jetzt untersuchten Protozoenkernen, die Membran während des ganzen Verlaufs der Theilung wahrzunehmen ist. Aus seinen Figuren (Taf XXVI Fig. 19, 20, 21) ist zu ersehen, dass die ellipsoidale Gestalt des Kerns aus der kugeligen unmittelbar entsteht. Ähnliche Gestaltsveränderungen sind auch an in Theilung begriffenen Kernen von Actinosphaerium Eichhorni von GRUBER? und Hertwie? beob- achtet worden. Von anderen Forschern konnten selbstverständlich 1 W. PFITZNER, Kernth. bei den Protuz. etc. J. ec. pag. 461. 2 A. GRUBER, Uber Theilungsvorgänge bei einigen Protozoen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXVIII. 1883. Taf. XIX. Fig. 4a—1. 3 R. HERTwWIG, Kernth. b. Actinasph. ete. 1. c. pag. 503. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 219 diese Veränderungen in aller Schärfe nicht konstatirt werden, weil an allen anderen Objekten die Kernmembran um diese Zeit nicht zu sehen ist; jedoch muss auch da eine Formveränderung eintreten, da z. B. die Anfangsform des Muttersterns von RABL! dadurch cha- rakterisirt wird, dass die Totalform des ruhenden Kerns aufgegeben wird und derselbe eine andere, neue Form annimmt. Bei der geschilderten Entstehung der Sternform fällt die Thei- lungsachse des Kerns nicht immer mit der Längsachse des Thieres zu- sammen, sondern kann sich winklig zu derselben stellen (Taf. VI Fig. 6). Diese Unregelmäßigkeit in der Lage der Theilungsachse ist sehr verständlich, wenn man nur bedenkt, dass das Cytoplasma an beliebigen, jedoch immer einander entgegengesetzten Stellen der Peripherie des Kerns sich ansammeln und dadurch die verschiedene Anlage der Theilungspole bedingen kann. In diesen Fällen verbleibt aber die Theilungsachse nicht in der ursprünglichen Lage, sondern der ganze Kern, sammt dem anheftenden Plasma geräth in eine lang- same Bewegung, welche so lange fortdauert, bis die Theilungsachse in die Riehtung der Längsachse zu liegen kommt (Taf. VI Fig. 7). Während der kugelige Kern zum Rotationsellipsoid sich ab- plattet, werden auch die Schleifen, wie wir gesehen haben, aus der Lage, die sie in der Sonnenform besaßen, in eine andere, neue ge- bracht, wodurch die Bildung der Sternform bewirkt wird. Die Schlei- fen ordnen sich jetzt dermaßen, dass ihre Winkel in der Aquato- rialebene und zwar zu beiden Seiten derselben zu liegen kommen, wogegen ihre Schenkel nach den beiden Polen zugekehrt werden (Taf. VI Fig. 6, Taf. VII Fig. 9). Die Ansatzpunkte sämmt- licher Schleifenwinkel beschränken sich jetzt auf die Aquatorial- ebene und befinden sich alle in einer gewissen, gleichen Entfernung vom Centrum derselben, so dass in diesem Falle der geometrische Ort der Ansatzstellen der Schleifenwinkel durch eine mit dem Äqua- tor koncentrische Kreislinie dargestellt wird. Die Schleifenschenkel nehmen aber verschiedene Lagen an, und zwar sind sie nach zwei Typen angeordnet, die jedoch nicht scharf von einander zu trennen sind, da sie allmählich in einander übergeben. Einige von diesen Schleifen liegen fast in ihrer ganzen Länge in der Äquatorialebene und richten nur die Enden der Schenkel unbedeutend empor, wobei sie dieselben den Theilungspolen zukehren; andere dagegen stehen unter einem mehr oder weniger spitzen Winkel zur Äquatorialebene 1 C. RagL, |. e. pag. 253. 220 Wladimir Schewiakoff geneigt und sind ebenfalls mit den freien Enden den Theilungspolen zugekehrt; dabei verlaufen ihre Schenkel nicht gerade, sondern sind, gemäß der Peripherie des Ellipsoids. bogenförmig gekrümmt und mit der konkaven Seite der Theilungsachse zugewendet. Diese Anordnung der Schleifen wird begreiflich, wenn man sich nur den Process der Abplattung vergegenwärtigt. Auf dem beigefügten Holzschnitte habe ich versucht, die Ver- schiebung der Schleifen, die bei der Abplattung des Kerns stattfin- det, schematisch zu entwerfen. Dabei habe ich selbstverständlich nur die Schleifen, die in einer Ebene liegen, berücksichtigt und ihre Zahl, der Klarheit wegen, reducirt. Während des Endstadiums der Sonnenform sind sämmtliche Schleifen um den inneren kugeligen Hohlraum radiär zur Peripherie der Kerns angeordnet (Fig. 1); denkt man sich jetzt die Theilungs- achse und Äquatorialebene durch den Kern gelegt, so fallen einige Ws wy ats N = i : Schleifen in die Aquatorialebene, andere dagegen stehen winkelig (von“0° bis 90°) zu derselben. Wird nun die Kugelform an den Theilungspolen abgeflacht, so bleiben die äquatorial gelegenen Schlei- fen in ihrer Lage unverändert, wogegen die winkelig gelegenen mit ihren Schleifenwinkeln in die Äquatorialebene gebracht werden (Fig. 2). Außerdem tritt bei der Abplattung eine Vergrößerung der Aquatorialebene ein, der innere Hohlraum wird zum Kreise, der ebenfalls im Durchmesser zunimmt und die Schleifen werden somit centrifugal zur Peripherie geschoben, wobei ihre Enden wegen Man- gel an Raum umgebogen werden (Fig. 3); es ist klar, dass die Schleifenschenkel um so mehr gekrümmt werden, je größer der Ab- stand derselben von der Äquatorialebene ist. Im optischen Quer- schnitte bekommen wir ein Bild, wie es auf der Taf. VI Fig. 6 und Taf. VII Fig. 9 wiedergegeben ist. Man sieht nur den vollen Ver- lauf derjenigen Schleifen, welche parallel dem Objektträger liegen, Über die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 221 alle anderen erscheinen mehr oder weniger in der Projektion. Je- doch fällt es nicht schwer, durch verschiedene Einstellung des Tu- bus und Drehung des Objektes, sich von ihrer wirklichen Anordnung zu überzeugen. Das Stadium, welches ich eben beschrieben habe, ist als die Anfangsphase der Sternform zu bezeichnen. Zur vollen Ausbildung kommt die Sternform erst mit dem Auftreten der achromatischen Kernspindel (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10), deren Fasern, wie wir sehen werden, einen richtenden Einfluss auf die Schleifen aus- üben und denselben eine bedeutend regelmäßigere Anordnung ver- leihen. Bevor noch die Abplattung des kugeligen Kerns stattfin- det, sah man das Cytoplasma an zwei beliebigen entgegenge- setzten Stellen, den zukünftigen Polen, sich anhäufen. Kurze Zeit darauf beginnt die Abplattung und man bemerkt gleichzeitig, dass die Kernwandung an diesen beiden Stellen in den Kern sich etwas einstülpt, wodurch zwei kleine Dellen gebildet werden. Auf dem Grunde dieser Dellen gewahrt man einen kleinen homogenen Höcker, dessen Umrisse, dank der starken Lichtbrechung, deutlich hervor- treten. Besonders scharf treten sie bei abgetödteten Thieren hervor, und erscheinen als mattglänzende, gut begrenzte, ellipsoidale Körper, die von Färbungsmitteln nicht im mindesten tingirt werden. Diese Körper sind nichts Anderes, als die von vAN BENEDEN ! an Dieyemiden-Eiern entdeckten Polkörperchen. Sie treten, wie bekannt, besonders deutlich in thierischen Eizellen auf, wie die ein- gehenden Untersuchungen von vAN BENEDEN?, Fou? und CARNoY! gezeigt haben. Auch gelang es FLEMMING und STRASBURGER, sie in thierischen und pflanzlichen Gewebezellen aufzufinden. In den Sala- mandrakernen sind die Polkérperchen an Dimensionen so gering, dass - FLEmMING> nicht sicher entscheiden konnte, vob sie eine glatte Ober- fläche und Abgrenzung besitzen, oder ob sie bloß der Ausdruck des 1 E. van BENEDEN, Recherches sur les Dicyémides. Bull. Acad. roy. de Belgique. 1876. 2 E. van BENEDEN, Recherches sur la maturation de l’oeuf, la féconda- tion et la division cellulaire. 1883. pag. 331. 3 H. For, Recherches sur la fécondation et le commencement de l’heno- génie chez divers animaux. Genéve 1879. pag. 184 u. a. a. O. 4 J. Carnoy, La cytodiérése de l’oeuf. Revue »la Cellule«. T. II. fase. 1. 1886 a. v. O. 5 W. FLEMMING, Zellsubstanz etc. 1. ec. pag. 230; auch Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. III. Th. Achiv f. mikr. Anat. Bd. XX. 1881. pag. 48—50. 222 Wladimir Schewiakoff Zusammentreffens der Spindelfiiden in einem Punkte sind«. In der weiteren Darstellung wird jedoch die letzte Vermuthung von FiemMinG bezweifelt. Bei pflanzlichen Objekten sind, nach Srras- BURGER!, die Polkörperchen selten wahrzunehmen, sie erscheinen nur bei sehr scharfem Aufeinanderstoßen der Spindelfasern und bilden demnach, seiner Auffassung nach, nur einen Ausdruck der verschmol- zenen Enden der Spindelfasern. An unserem Objekte zeiehnen sich die Polkörperehen durch ihre Größe besonders aus, wodurch uns auch die Möglichkeit geboten wird, ihre Form, Entstehung und Verhalten zu den achromatischen Spindelfasern zu verfolgen. Was zunächst ihre Gestalt anbetrifft, so werden wir sehen, dass dieselbe, gleich- wie die des Kerns, nicht konstant bleibt, sondern während den fol- genden Processen gewissen Veränderungen unterworfen ist. Bei der Entstehung sind die Polkörperchen fast scheibenförmig und liegen in der Tiefe der Delle (Taf. VI Fig. 6, Taf. VII Fig. 9); erst allmäh- lich, wenn sie an Größe zunehmen, erscheinen sie höckerförmig und besitzen eine konische oder vielmehr eine parabolische Gestalt (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10). Dabei ist auch die Delle tiefer gewor- den und das Polkörperchen ragt aus derselben in der Form eines Höckers hervor (Taf. VII Fig. 26a, 5). Verfolgt man aufmerksam seine Entstehung, so kann man die Vermuthung aussprechen, dass es, wenn auch theilweise, aus dem sich differenzirenden Cytoplasma gebildet wird. Zu der Zeit, wann das Polkörperchen zur Ausbildung gelangt, lässt sich auch eine andere Erscheinung am angehäuften Cytoplasma wahrnehmen — es tritt daselbst eine Strahlung auf. Diese Strah- len bemerkt man sogar noch vor der Bildung des Polkérperchen; sie erscheinen in der Form von Cytoplasmafädchen, in denen reich- lich ziemlich große Mikrosomen eingebettet liegen. Sie begeben sich konvergirend in die jüngst gebildete Delle und stoßen in dem im Werden begriffenen Polkörperchen zusammen. In dem Maße wie das Polkörperchen wächst, ordnen sich auch diese Cytoplasma- fidchen allseitig radiär zu seiner Oberfläche und geben das Bild eines Strahlensystems, welches zu dieser Zeit im angehäuften Cytoplasma an den beiden Polen des Kerns mit Deutlichkeit zu sehen ist. Nach- dem das Polkörperchen seine definitive Größe und Gestalt erreicht hat, sind diese Strahlensysteme nicht mehr so deutlich zu sehen, was damit zusammenhängen mag, dass ihr Gehalt an Mikrosomen 1 E. STRASBURGER, Uber Theilungsvorg. ete. 1. c. pag. 486. Oe ae ee Über die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alyeolata. 223 beträchtlich abgenommen hat: jedoch lassen sie sich in der Gestalt von äußerst feinen Cyto-Hyaloplasmafädchen sogar bis ins Anfangs- stadium der Tochterkerne verfolgen (Taf. VI Fig. 10). Wie bekannt, erhalten diese Strahlensysteme, eben so wie die Polkérperchen, ihren höchsten Grad der Ausbildung bei den thieri- schen Eizellen, wie es FOL, van BENEDEN und Andere beschrieben haben. Auch gelang es verschiedenen Forschern die Anwesenheit derselben bei anderen Objekten zu verfolgen, so z. B. FLEMMING}, STRASBURGER? und RABL® an Salamandrakernen und STRASBURGER 4 an pflanzlichen Objekten, namentlich an Kernen im Wandbeleg des Embryosackes von Hyacinthus orientalis, bei welchem sie besonders gut ausgebildet erscheinen (vgl. Taf. XXVII Fig. 143). Alle diese Forscher stimmen bez. der eytoplasmatischen Natur der Polstrahlen überein. Beiläufig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass das Pol- körperchen nur dann eine beträchtliche Größe erreicht, wenn die Polstrahlen gut ausgebildet sind, wie es z. B. bei den thierischen Eizellen der Fall ist, dass aber im entgegengesetzten Falle, z. B. bei Salamandrakernen, das Polkörperchen sehr unansehnlich ist. Wir sehen also, dass die Größe des Polkörperchens im gewissen Verhältnisse zu den vorhandenen Polstrahlen steht; beachtet man noch außerdem, dass die Polstrahlen zu Anfang der Bildung des Polkörperchens viel mikrosomenreicher, als später sind, so glaube ich schließen zu dürfen, dass das Polkörperchen aus den Polstrahlen und zwar durch Verschmelzung der in ihnen enthaltenen, stärker lichtbrechenden Cyto-Mikrosomen gebildet wird. Einen sehr interessanten Fall bietet nach den Beobachtungen Herrwig’s® das Verhalten der Kerne bei der Heliozoé Actinosphaerium Eichhorni. Das Cytoplasma, welches kurz vor der beginnenden Theilung des Kerns sich um denselben angesammelt hat, zeigt in den späteren Stadien eine deutliche polare Anordnung, indem es sich an zwei entgegengesetzten Enden des Kerns anhäuft und zwei ke- gelformige Aufsätze — die sogenannten Protoplasmakegel bildet. An isolirten Kernen (Taf. IX Fig. 35 und 36) kann man sehen, dass sie der Kernmembran fest anheften und aus einzelnen Fädchen zu- 1 W. FLemmMinG, Zellsubstanz ete. 1. c. pag. 224. 2 E. STRASBURGER, Uber Theilungsvorg. ete. 1. c- pag. 559. 3:0. BABL, 1. c. pag. 259. 4 E. STRASBURGER, Über Theilungsvorg. ete. 1. c. pag. 517. 5 R. HERTWIG, Kernth. b. Actinosph. ete. 1. c. pag. 500—504. 224 Wladimir Schewiakoff sammengesetzt sind; dabei konvergiren dieselben nicht, sondern di- vergiren zu den Kernpolen, da ja der Kern bei Actinosphaerium an den Polen abgeplattet ist. Unmittelbar an der Stelle, wo die Proto- plasmakegel dem Kerne ansitzen, bemerkt man eine homogene Partie (die den Polkörperchen der Euglypha gleichzusetzen wären), welche Hertrwic als Polplatten bezeichnet und vom Kerne ableitet. Gleichzeitig mit der Ausbildung der Strahlensysteme und des Polkörperchens treten im Kern die achromatischen Spindelfasern auf. Sie erscheinen bei ihrer Entstehung als sehr zarte, hyaline Fasern (Taf. VI Fig. 6, Taf. VII Fig. 9), die strahlenförmig von der Tiefe der Delle direkt an der Peripherie des Polkörperchens entspringen ‘Taf. VII Fig. 26a, 6) und in der Richtung zur Aquatorialebene des Kerns divergiren. Anfangs sind sie sehr zart und unansehnlich, nehmen jedoch aber bald an Dicke zu und begeben sich immer wei- ter in den Kern, bis sie in der Aquatorialebene auf einander stoßen und mit ihren Enden verschmelzen (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10). Ich konnte die Vereinigung der achromatischen Spindelfasern unter einander in diesem Stadium nicht direkt beobachten, da sie inner- halb der chromatischen Schleifen verlaufen und folglich von den letzteren verdeckt werden. Für diese Annahme liegen aber, wie ich glaube, folgende Gründe vor: im späteren Stadium, nämlich beim Auseinanderweichen der Schleifen (Taf. VII Fig. 15), gewahrt man, dass die achromatischen Spindelfasern kontinuirlich von Pol zu Pol verlaufen, wodurch der Beweis geliefert wird, dass jetzt die Kern- spindel im Aquator nicht unterbrochen ist, was auch von den übrigen Forschern angenommen wird. Da aber die Spindelfasern bei ihrer Entstehung von den Polen ausgehen, so müssen wir annehmen, dass die kontinuirliche Kernspindel durch die Vereini- sung der freien Fadenenden gebildet wird. Die Spindelfasern erscheinen homogen, ziemlich stark lichtbrechend und werden von keinem der versuchten Farbstoffe, eben so wie das Polkörperchen, tin- girt. Zu Anfang ihres Auftretens verlaufen sie als lose Fäden und begeben sich zu den Ansatzpunkten der chromatischen Schleifen im Aquator, auf die sie später einen gewissen richtenden Einfluss aus- üben und sie zu einer regelmäßigen Anordnung bringen. Auf diese Weise kommt also die achromatische Spindel im Kerne zur Ausbil- dung; der ganze Process lässt sich am lebenden Objekt verfolgen und nimmt, vom ersten Auftreten der Polstrahlen bis zur definitiven Bildung der Kernspindel ungefähr 10 bis 15 Minuten in Anspruch. Es wäre jetzt noch die schwierige Frage, welche den Haupt- Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 225 punkt der Kontroversen der Kerntheilung bildet, zu erörtern, woher diese Spindelfasern kommen. Bevor ich aber meine Vermuthung bezüglich der Herkunft derselben ausspreche, halte ich es für an- gemessen, auf die betreffende Litteratur kurz einzugehen. Wie bekannt, herrschen zur Zeit zweierlei Auffassungen, welche einander ziemlich schroff gegenüber stehen und von den beiden her- vorragendsten Forschern derKerntheilung, FLEMMING und STRASBURGER, vertreten werden. Nach der Anschauung von FLEemMMine, Ras, PFITZwER und Anderer ist die achromatische Figur aus dem Kerne herzuleiten, was auch schon der erste genauere Erforscher der Ka- ryokinese thierischer Zellen, Bürscauı mit guten Gründen vertrat. FLEMMING! behauptet nach seinen Beobachtungen an Salamandra- kernen, dass die achromatischen Fäden aus den geformten Theilen des ruhenden Kerns stammen und zwar entstehen sie aus den blassen Strängen, die man zwischen den chromatischen Fäden während des Knäuelstadiums sehen kann. Ihre radiäre Anordnung zu den Polen wird durch »eine Attraktion oder doch irgend wie richtende Kraft von Seiten der Pole« erklärt. In einem direkten, unvermittelten Wider- spruche mit dieser Anschauungsweise steht die Auffassung Srras- BURGER’S, welcher den Ursprung der Spindelfasern in das Cytoplasma verlegt. STRASBURGER behauptet, dass es ihm gelungen sei, die Ent- stehung der Spindelfasern aus eingedrungenem Cytoplasma an pflanz- lichen Objekten mit voller Bestimmtheit nachzuweisen. So soll bei den Kernen der Pollenmutterzellen von Fritillaria persica? am Schlusse des Knäuelstadiums die Kernwandung schwinden und das Cytoplasma, welches den Kern unmittelbar umgiebt, in die Kernhöhle eindringen. Darauf sondert sich das eingedrungene Cytoplasma in longitudinale Streifen, welche nichts Anderes, als die sich differenzirenden Spindel- fasern sind. Bei den Kernen aus dem Wandbeleg des Embryosacks von Galanthus nivalis? verläuft die Sache etwas anders. Da bemerkt man, bevor noch die Kernwandung geschwunden ist, dass das Cyto- plasma an zwei entgegengesetzten Enden des Kerns sich höckerförmig ansammelt. Der Kern ist somit in eine spindelförmige Protoplasma- masse eingeschlossen, die eine deutliche Längsstreifung besitzt. Durch den Vergleich mit den darauffolgenden Stadien gelang es STRASBUR- 1 W. FLemnming, Zellsubstanz ete. 1. c. pag. 226 ff. 2 E. STRASBURGER, Uber Theilungsvorg. etc. 1. c. pag. 484; auch Kon- troversen etc. 1. c. pag. 29, 30 und 48. 3 E. STRASBURGER, Über Theilungsvorg. etc. 1. c. pag. 514; auch Kon- troversen etc. 1. c.: pag. 22, 23 und 48. Morpholog. Jahrbuch. 13. 15 226 Wladimir Schewiakoff GER, zu konstatiren, dass die Liingsachse der Protoplasmaspindel, eben so wie ihre Streifung, mit der Richtung der zukiinftigen Kernspindel zusammenfallen. Obgleich STRASBURGER nicht gerade behaupten will, dass diese Streifen den späteren Spindelfasern entsprechen sollen, sehen sie doch wie die letzteren aus und sind aus gleicher Substanz gebildet. Die Kernspindel entsteht erst später und angeblich wieder aus eingedrungenem Cytoplasma. Bei Salamandrakernen beobach- tete STRASBURGER! ebenfalls das Schwinden der Kernmembran und die streifige Struktur des eingetretenen Cytoplasma, aus denen die Spindelfasern gebildet werden sollen. STRASBURGER* stimmt voll- kommen mit FLEMMInG überein, dass für dieses Objekt gar nicht nothwendig anzunehmen sei, dass die Spindelfasern von den Polen aus in den Kernraum hineinwachsen sollen, will es aber dahingestellt sein lassen, ob nicht das Cytoplasma in manchen Fällen diesen Weg doch einschlägt. Dieses ist nämlich bei den Spirogyrakernen® der Fall, wie es sich aus Beobachtungen, die STRASBURGER an lebenden Objekten anstellte, erwiesen hat. Bei den flachkernigen Spirogyren - sammelt sich an den beiden Polen des Zellkerns noch während der Anfangsstadien Cytoplasma an und differenzirt sich in Stränge, die parallel mit.einander verlaufend, senkrecht gegen die abgeflachten Pole gerichtet sind. Bald treten diese Cytoplasmastränge durch die Kernwandung, die noch erhalten ist, in den Kern ein und bilden die Kernspindel, welche eine eylinderförmige Gestalt besitzt. Bei rundkernigen Spirogyren (Spirogyra nitida) lässt sich, nach STRASBURGER’s Meinung, das Eindringen der Cytoplasmastränge in den Kern durch die Kernwandung noch besser konstatiren. Man sieht nämlich, dass die achromatischen Fasern die Kernwandung an den Polen durchsetzen und kontinuirlich in die außerhalb dieser Wandung befindlichen Cytoplasmafasern übergehen. Dabei »erscheint die Kernwandung an den Polen wie ein Sieb und im optischen Durchsehnitte wie eine Reihe durch die Spindelfasern getrennter Punkte«. Somit scheint also der Beweis geliefert, dass die achromati- schen Fasern aus eingedrungenen Cytoplasmafäden abzuleiten sind. Zuerst vermuthete ich, dass die Entstehung der achromatischen Spindelfasern bei den Euglyphakernen diesem eben geschilderten Falle unmittelbar anzuschließen wäre und zwar aus folgenden Grün- 1 E. STRASBURGER, Über Theilungsvorg. ete. 1. e. pag. 540-541. 2 E. STRASBURGER, Kontroversen etc. 1. ce. pag. 45. 3 E. STRASBURGER, Zellbildung ete. 1. c. pag. 173—175; auch über Thei- lungsvorg. etc. 1. c. pag. 524—525 und Kontroversen etc. |. c. pag. 50—52. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 227 den: Ich habe schon erwiihnt, dass, nachdem die Polstrahlen und das Polkörperchen am abgeplatteten Kerne zum Vorschein gelangt sind, die Spindelfasern sofort auftreten; man bemerkt sie zuerst an den Polen, von wo sie sich in den Innenraum des Kerns, divergi- rend zur Aquatorialebene , begeben. Ich leitete dieselben von den eingedrungenen Cyto-Hyaloplasmafädchen ab und glaubte dabei, dass sie vor dem Eindringen durch die Kernwandung in den Kernraum eine gewisse Veränderung erfahren mussten. Diese Veränderungen sollten darin bestehen, dass die Mikrosomen, die so reichlich in den Cytoplasmafädchen eingelagert sind, am Grunde der Delle mit ein- ander verschmelzen und somit das Polkörperchen bilden, das stetig an Größe zunimmt; die von den gröberen Mikrosomen befreiten fei- nen Cyto-Hyaloplasmafädchen drängen jetzt durch die Kernwandung der Delle unmittelbar an der Peripherie des Polkörperchens in den Kern und würden zu achromatischen Spindelfasern. Gegen diese Vermuthung sprechen aber gewichtige Gründe, da ich vor allen Dingen weder an lebenden, noch an isolirten und fixirten Kernen, in der Tiefe der Delle etwas von Poren sehen konnte, durch welche die Fiidchen in den Kern eindringen müssten. Auch die Beobachtungen BürschLi's! und PrirzNer’s? an Infusorien- kernen sprechen gegen die Annahme eines Eindringens der Polstrahlen und ihrer Umbildung zu achromatischen Spindelfasern. An solchen, in Theilung begriffenen Kernen bemerkt man deutlich ausgebildete Spindelfasern, wobei im umgebenden Cytoplasma keine Spur von strahliger Anordnung zu sehen ist. Demnach wären die Spindelfasern aus einer achromatischen Sule stanz abzuleiten, die im Kerne vorhanden sein muss. Diese achro- matische Substanz kann sogar bei einigen ruhenden Kernen mit Deut- lichkeit wahrgenommen werden, so z. B. bei einigen Infusoriennucleoli. BürschLı® fand, dass am Nucleolus von Paramaecium Bursaria und Aurelia zwei Abschnitte zu unterscheiden sind — ein dunkler, streifig- körniger und ein heller, welcher mit der Kernmembran in Zusammen- hang steht und bei beginnender Theilung sich in zarte Fasern difte- renzirt. Auch ich hatte die Gelegenheit, dieselbe Beobachtung zu machen; bei der Behandlung der Nucleoli mit Färbungsmitteln wurde nur der erste Abschnitt tingirt, wogegen sich der zweite vollkommen wie achromatische Substanz verhielt. An unserem Objekte bildet das 1 O0. BÜTscHLı, Studien ete. 1. e. a. v. O. 2 W. PFITZNER, Kernth. bei d. Protoz. ete. 1. c. pag. 463. 3 0. BUTSCHLI, Studien ete. l.c. pag. 79—80. Taf. VII Fig. 1, Taf. XV Fig. 7 15* 228 Wladimir Schewiakoft Achromatin im ruhenden Kerne keine wahrnehmbare Substanz; bei der Theilung muss aber eine polare Scheidung des Achromatins in zwei Partien geschehen, die die Spindelfasern hervorgehen lassen. Es ist möglich, dass es sich auch am Aufbau des Polkörperchens betheiligt. Einen ferneren Beleg für das Vorhandensein des Achromatins im ruhenden Kerne bietet auch die Rückbildung der aus der Theilung hervorgegangenen Kerne zum ruhenden Zustande, wo sich das Achro- matin vertheilt und verschwindet, theils wohl in das chromatische Netzgerüst, theils wohl an die Kernmembran — woraus denn folgt, dass Achromatin auch in diesen Kernen, wenn auch im ruhenden Kerne nicht sichtbar, vorhanden sein muss. Dabei halte ich es jedoch für sehr möglich, dass die Kernspindel nicht ausschließlich aus der achromatischen Kernsubstanz aufgebaut wird, die sich im ruhenden Kerne befindet. Eben so wie chroma- tische Substanz im gelösten Zustande aus dem Plasma in den Kern eindringt, kann auch dasselbe mit der achromatischen der Fall sein. Letztere Vermuthung wird auch von anderen Forschern ausgesprochen und scheint mir am plausibelsten. So meint z. B. HEuser!, dass die Spindelfasern bei pflanzlichen Objekten »zum Theil aus dem Cy- toplasma, zum Theil aber aus dem Kern selbst hervorgehen«. Auch behauptet Mark?, dass die Kernspindel der Eizelle von Limax zum Theil aus dem Zellkörper stammt, dass aber dabei die Kernsub- stanz ihr progressiv sich anschließt. Während nun die Kernspindel zur Ausbildung gelangt, gehen auch gewisse Veränderungen in den chromatischen Schleifen vor sich. Die Schleifen, welche im Anfangsstadium der Sternform ziemlich dünnfädig und lang waren, verkürzen ihre Schenkel, wodurch die bei der Bildung der Sternform entstandenen wellenförmigen Umbie- gungen ausgeglichen werden. In Folge dieser Verkürzung erscheinen die Schleifen viel stärker resp. dieker als zuvor (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10). Jetzt treten auch die Prirzner’schen Chromatin- kugeln, von denen ich schon gesprochen habe, deutlicher als früher hervor. Zwischen den einzelnen Schleifen, aber auch den Schenkeln derselben Schleife, sieht man äußerst dünne Verbindungsfädchen, von denen schon früher die Rede war. Man überzeugt sich davon leicht bei der Oberflächenansicht des Kerns (Taf. VII Fig. 27); stellt man den 1 E. HEUSER, |. ec. pag. 123—124. 2 E. Marx, Maturation, Fecundation and Segmentation of Limax cam- pestris. Bull. of the Mus. of comp. Zool. at Harvard College. Vol. VI. Part II. 1881. pag. 536—537. etl ican lie Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 229 Tubus hoch ein, so projiciren sich die in der optischen Sehachse ge- legenen Schleifen als dunkle Punkte, zwischen welchen man sehr feine Fäserchen gewahrt, die die einzelnen Punkte unter einander verbin- den. Die Erhaltung dieser Verbindungsfädchen erkläre ich mir derart, dass bei der Umbiegung der chromatischen Fäden zu Schleifen im Stadium der Sonnenform die Verbindungsfädchen durchreißen, um bei den gebildeten Schleifen sich wieder mit einander zu vereinigen. Der Zweck dieser Einrichtung kann darin bestehen, alle Schleifen in einem Orte zusammenzuhalten, um ihr Auseinanderweichen zu ver- hindern. Sobald die achromatische Kernspindel vollständig und konti- nuirlich von Pol zu Pol angelegt ist, beginnt sich ein richtender Ein- fluss derselben auf die chromatischen Schleifen geltend zu machen. Die Schleifenschenkel gerathen in eine ziemlich lebhafte Bewegung, die mit dem FLemmrne’schen! Formenspiel der Sterne, welches er früher bildlich als »Systolen und Diastolen« der Sterne bezeichnete, zu vergleichen ist. Diese Bewegung dauert so lange, bis sämmt- liche Schleifen in eine gewisse bestimmte Lage gebracht worden sind. Schon bei Beginn der Sternform waren die Schleifen derart an- geordnet, dass einige von ihnen in der Äquatorialebene gelegen waren, die anderen eine winklige Lage zu derselben besaßen. Diese Lage- rung kommt in Folge des richtenden Einflusses der entstandenen Spindelfasern zu definitiver Ausbildung. Die Schleifen, welche winklig zur Äquatorialebene standen, begeben sich jetzt etwas mehr in den Innenraum des Kerns und ordnen sich derart, dass sie eine fast senk- rechte Lage zu der Aquatorialebene bekommen, dabei strecken sich ihre Schenkel mehr oder weniger in der Richtung der Theilungsachse und die Enden derselben werden den Theilungspolen zugekehrt. Die- jenigen Schleifen aber, welche in der Aquatorialebene oder beinahe in derselben lagen, ordnen sich mehr peripher und behalten ihre Lage bei, so dass ihre Schenkel fast oder ganz parallel zur Äquato- rialebene verlaufen (Taf. VII Fig. 11). Diese Verschiedenheit in der Schleifenstellung ist bereits von HEusEr? an Fritillariakernen beob- achtet und ihre Wichtigkeit für die Umordnung erkannt worden. Bei der weiteren Besprechung werde ich auch die von HEUSER einge- führten Bezeichnungen, als innere und äußere Schleifen beibehalten. ı W. FLEMmMInG, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenser- scheinungen. I. Th. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XVI. 1879. pag. 380—381; auch U. Th. pag. 211. 2 E. HEUSER, |. c. pag. 87. 230 Wladimir Schewiakoff Der Grund dieser neuen Anordnung der Schleifen liegt, wie ich schon sagte, in dem richtenden Einflusse, den die Kernspindel oder vielmehr ihre Gestaltsveränderung auf die anliegenden Schleifen aus- übt. Mit dieser Gestaltsveränderung der Kernspindel steht in nächster Beziehung die des gesammten Kerns, welche durch die erstere be- dingt und Dank derselben zur Geltung gebracht wird. Bei ihrer “ Entstehung wurde die Kernspindel derart angeordnet, dass die Spin- delfasern von den Polen divergirend zu der Aquatorialebene und zwar direkt zu den Ansatzstellen der Schleifenwinkel sich begaben, um sich hier mit den entgegengesetzten Spindelfasern zu verbinden. Auf diese Weise wurde eine kontinuirliche Kernspindel gebildet, deren Fasern ziemlich lose im Kernraume verliefen (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10). Die ersten Veränderungen, die sich an der um- gebildeten Kernspindel kund geben, bestehen darin, dass dieselbe sich in die Länge zu strecken beginnt, wobei auch das Polkörper- chen eine gewisse Veränderung erleidet (Taf. VII Fig. 11). Das- selbe wird nämlich aus der Delle, in welcher es lag, hervor- gestülpt, worauf letztere bald verschwindet resp. ausgeglichen wird. Der Gesammteindruck gleicht einem Rotationsellipsoid, an dessen Polen die Polkörperchen in der Form eines parabolischen Höckers ansitzen; von der Oberfläche der homogenen, mattglänzen- den Polkörperchen gehen nach allen Richtungen divergirend zahl- reiche Polstrahlen in das Cytoplasma aus. Der ganze Process der Langsstreckung der Kernspindel erweckt den Anschein, als ob in diesen Punkten zwei entgegengesetzt wirkende Kräfte angebracht wären, die die Kernspindel und mit ihr defi ganzen Kern in der Rich- tung der Theilungsachse in die Länge ziehen. Die nächsten Folgen dieses Processes bestehen darin, dass die Spindelfasern straffer an- gespannt werden und der Theilungsachse sich nähern ; dabei verkleinert sich der Durchmesser der Kernspindel in der Äquatorialebene, wodurch die ganze Kernspindel schmäler wird. Hand in Hand mit dieser Längs- streckung der Kernspindel geht auch die Längsstreckung des ge- sammten Kerns. Die Theilungsachse vergrößert sich stetig und dem entsprechend verkleinern sich die Äquatorialachsen, bis die erstere die Aquatorialachsen bedeutend an Länge übertrifft. Auf diese Weise geht der Kern von der Gestalt eines abgeplatteten Rotations- ellipsoids (Taf. VI Fig. 7, Taf. VII Fig. 10), durch die Kugel, zur Gestalt eines gestreckten Rotationsellipsoids (Taf. VI Fig. 8, Taf. VI Fig. 11) über. Demnach sehen wir, dass die Kernspindel haupt- sächlich in der Aquatorialebene enger wird resp. die Kreisperipherie, Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 231 in welcher die Spindelfasern liegen, an Umfang abnimmt. Da aber die Schleifenwinkel den Spindelfasern in der Äquatorialebene anlie- gen und mit dieser Bewegung Schritt halten, ist es verständlich, dass ihre Ansatzstellen ebenfalls auf eine Peripherie geringeren Umfangs zusammengedrängt werden. Durch diese Verminderung an Raum für die Ansatzstellen der Schleifenwinkel wird auch er- klärlich, wesshalb die Schleifen während dieser Veränderungen in zwei Reihen angeordnet werden und die Sonderung in innere und äußere Schleifen zur Geltung gebracht wird. Ferner wird begreif- lich, dass die inneren Schleifen (die früheren winklig gelegenen), welche den Spindelfasern zunächst gelegen sind, in gewissem Grade der Streckung der Kernspindel in die Länge folgen und dadurch senkrecht zur Aquatorialebene gestellt werden. Wir sehen somit, dass die neue Anordnung und Stellung der Schleifen gewissermaßen durch die Längsstreckung der Spindel hervorgerufen wird und dass wir in diesem Sinne von einem richtenden Einflusse der Kernspindel auf die Schleifen sprechen dürfen. Zur Zeit, wo die Kernspindel und der Kern die beschriebenen Gestaltsveränderungen erleiden, und zwar nachdem die Schleifen schon in innere und äußere gesondert worden sind, bemerkt man auch eine Veränderung der feineren Struktur der einzelnen Schleifen. Es tritt nämlich eine Erscheinung auf, welche der Längsspaltung der Schleifen vorangeht und, wie bekannt, darin besteht, dass die so- genannten PFITZxER’schen Chromatinkugeln gespalten werden. In diesem Stadium erscheinen die Schleifen bandförmig verbreitert (Taf. VI Fig. 8, Taf. VII Fig. 12 und 13) und sind je aus zwei Reihen abwechselnd dunklerer und hellerer kleiner Partien zu- sammengesetzt, welche dasselbe Verhalten zu den Tinktions- mitteln besitzen, wie die früher geschilderten Fäden. Zwischen den beiden chromatischen Reihen jeder Schleife verläuft ein äußerst feiner, heller Längsstreifen. In diesem hellen Längsstreifen erfolgt ‘die Längsspaltung der Schleifen: jedoch geht die vollständige Tren- nung in zwei Tochterschleifen nicht sofort vor sich, sondern die eben geschilderten, gespaltenen Mutterschleifen bleiben unverändert bis zum Stadium der Umordnung (Taf. VI Fig. 9, Taf. VII Fig. 14), in welchem erst der definitive Zerfall der Schleifen eintritt. Der ganze Vorgang, von der ausgebildeten Kernspindel (Taf. VI Fig. 7) bis zum Beginn der Umordnung (Taf. VI Fig. 9), verläuft ziemlich langsam und nimmt ungefähr eine halbe Stunde in Anspruch, wesshalb es auch erklärlich scheint, dass ohne besondere Auswahl 232 Wladimir Schewiakoff hergestellte Präparate am häufigsten die Sternformen aufweisen, welche zu dieser Zeit ihre volle Ausbildung erlangen. Mittlerweile ist das gesammte Plasma der Körnerzone mit den Nahrungskörpern in die neue Schale übergetreten (Taf. VI Fig. 9. Im Mutterthiere bleibt nur der Kern zurück, welcher vom Cytoplasma der hyalinen Zone umgeben ist. Wir kommen jetzt zu der Phase der eigentlichen Zweitheilung der Kernsubstanz, die FrLemmiıne als Umordnung der chroma- tischen Figur oder Metakinesis bezeichnet. Umordnung der Schleifen. Das Umordnungsstadium besteht, wie bekannt, darin, dass sämmtliche Schleifen derart umgeordnet werden, dass ihre Schlei- fenwinkel, welche im vorhergehenden Stadium in der Äquatorial- ebene lagen — nach den Polen, und die Schleifenschenkel mit ihren freien Enden gegen die Äquatorialebene gekehrt werden. Der ganze Vorgang läuft rasch ab und erfordert nicht mehr als zwei bis drei Minuten. Beobachtet man die Umordnung an lebenden Exemplaren, so ist es geradezu unmöglich, sich in dem Wirrwarr der in Bewegung gerathenen Schleifen zu orientiren und sich eine Vorstellung von dem wahren Verlauf der Dinge zu bilden. Man sieht zunächst, dass sämmtliche Schleifen in eine vibrirende Bewegung gerathen, welche mit ihrer Verfeinerung abschließt; gleichzeitig bemerkt man, dass die feinfädigen Schleifen sich an einander zu schieben be- ginnen und zwar so, als ob die Schleifen der oberen Kernhälfte nach unten und die der unteren nach oben sich begeben würden; dazwischen erblickt man einige Schleifen, welche aus der Tiefe des Kerns hervorzutreten scheinen, und ihre Schleifenwinkel den Polen zukehren. So verworren erscheint das Bild, welches man in diesem Stadium gewahrt. Erst durch das Studium von Präparaten gelangte ich zum Verständnis dieser komplieirten Vorgänge. Ich verfolgte darauf von Neuem den ganzen Process intra vitam, und achtete besonders auf solche Schleifen, die, gegenüber der Mehrzahl, aus irgend welchem Grunde ihre Umordnung verzögert hatten. Hier- durch wurde es mir möglich, die Richtigkeit meiner Erklärung zu kontrolliren. Die Beobachtung an lebenden Thieren wird dadurch noch erschwert, dass die Umordnung der Schleifen von der Tren- nung ihrer Spalthälften begleitet wird. Diese beiden Erscheinungen a oe Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 233 greifen dermaßen in einander und bedingen sich gegenseitig, dass man wenigstens für unser Objekt berechtigt ist, die Längsspaltung und Umordnung als ein und denselben Vorgang aufzufassen. Ich muss von vorn herein bemerken, dass nicht sämmtliche Schleifen nach ein und demselben Modus umgeordnet werden, son- dern dass die durch den richtenden Einfluss der Kernspindel ver- schieden geordneten Schleifen auch eine verschiedenartige Umord- nung erfahren. Die Umordnung der äußeren, d. h. der Aquatorial- ebene parallel gelegenen Schleifen spielt sich auf die Weise ab, dass die Schleifen zunächst an den Schleifenwinkeln längsgespalten werden. Die Spalttheile weichen aus einander und richten sich nach den entgegengesetzten Theilungspolen empor, so dass die durch die Spaltung entstandenen beiden Schleifenwinkel mit ihren Scheiteln sich den Polen zukehren. Die Spaltung verläuft immer weiter und, unmittelbar mit ihr Schritt haltend, geht das Auseinanderweichen der Spaltungsprodukte in der Richtung der beiden Pole. Der Vor- gang schreitet auf diese Weise fort, bis die Mutterschleife in zwei Tochterschleifen zerfällt, von denen jede mit ihrem Schleifenwinkel einem der beiden Theilungspole zugekehrt ist. Die inneren, d. h. die zur Äquatorialebene senkrecht gelegenen Schleifen werden nach einem ganz anderen Modus umgeordnet. Schon am Ende der Sternform, zur Zeit des Auftretens der doppelten Körnelung (Taf. VII Fig. 12 und 13) bemerkt man, dass diese Schleifen an einem ihrer polaren Ende hakenförmig umgebogen oder gekrümmt werden. Somit werden die vormals U-förmigen Schleifen zu §- oder C-förmigen umgebogen, je nachdem der rechte oder linke Schleifenschenkel gekrümmt wird; selbstverständlich kann die Um- biegung auch nach der anderen Seite von statten gehen. Darauf erfolgt die Längsspaltung der Mutterschleife, und zwar in ihrer ganzen Ansdehnung momentan. Die beiden Tochterschleifen wei- chen in der Richtung der Theilungsachse aus einander und wan- dern nach den beiden Polen. Dabei wandern die Tochterschleifen mit den äquatorialen Umbiegungsstellen dem entfernteren Pole und mit den polaren dem näher gelegenen Pole zu. Während dieser Bewegung schreitet die Umbiegung an dem Ende der Schleife, welches den Polen zustrebt, weiter, während sie am entgegenge- setzten Ende ausgeglichen wird. Auf diese Weise erhalten wir Schleifen von N-.oder f-fürmiger Gestalt, die mit ihren Schleifen- winkeln den Polen zugekehrt sind. So verschieden auch diese beiden Umordnungsmodi auf den 234 ; Wladimir Schewiakoff ersten Blick erscheinen, ist es doch leicht zu ersehen, dass sie einem gemeinsamen Ziel zustreben, nämlich: jede Mutterschleife in zwei Tochterschleifen zu spalten, sowie die letzteren verschiedenen Po- len zuzuführen und zwar so, dass der Schleifenwinkel dem Thei- lungspole zugekehrt ist. Die Verschiedenheit der beiden Typen der Umordnung wird durch die verschiedene Lage der Schleifen bedingt, welche ihrerseits wieder durch die große Zahl der Schleifen, wie wir sie in unserem Objekt haben, bedingt wurde. Ich halte es da- her für sehr wahrscheinlich, dass bei einer geringeren Anzahl der Schleifen die Umordnung nur nach einem der beschriebenen Typen verlaufen kann. So beschreibt z. B. Rani‘, dass sämmtliche vier- undzwanzig Schleifen der Salamandrakerne der Art umgeordnet werden, wie es bei unseren äußeren Schleifen der Fall ist. Da- gegen fand HEUSER? an’ Fritillariakernen die beiden Umordnungs- modi, da ja bei diesen Kernen die Schleifen ebenfalls in äußere und innere angeordnet werden. Meine Auffassung stimmt mit der von Heuser vollkommen überein; wir differiren nur in der Umbie- gungsart der inneren Schleifen. Nach der Meinung HeEuser’s sollen sich die inneren Schleifen vor der Längsspaltung gerade strecken, worauf nur die eine von den zwei Tochterschleifen die polare Um- biegung erfährt, wogegen die andere gerade gestreckt bleibt und mit dem ursprünglichen äquatorialen Ende am Pole anlangt. Nach meinen Beobachtungen stellte es sich aber heraus, dass die polare Umbiegung der inneren Schleifen noch vor dem Umordnungsstadium (Taf. VIL Fig. 12 und 13) eintritt und zwar auf die Weise statt- findet, wie sie STRASBURGER? bei den pflanzlichen Zellen entdeckt hat. Die Umbiegung geht aber in diesem Stadium nicht weiter, wie es STRASBURGER beschreibt und wir bekommen keine N- und f-förmigen Schleifen, sondern bleibt bei der Zwischenform von $ oder C stehen. Im Umordnungsstadium, nach erfolgter Zweispal- tung, schreitet die Umbiegung an den verschiedenen Enden fort, so dass wir die definitive N- und f-förmige Gestalt der Schleifen erhalten. Das beigefügte Schema möge den Vorgang der Spaltung und Umordnung versinnbildlichen. Der Kürze und Deutlichkeit halber habe ich nur eine äußere (a) und zwei innere (7) verschieden umge- 1 C. RABL, 1. c. pag. 269—272. 2 E. HEUSER, 1. c. pag. 87—88. 3 E. STRASBURGER, Uber Theilungsvorg. ete. 1. ec. pag. 547—548. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 335 bogene Schleifen abgebildet und nur den einen Quadrant des Kerns berücksichtigt. Fig. 4. EEE Durch die stattgefundene Längsspaltung und damit verbundene Umordnung resultirt eine Form, die auf Taf. VI Fig. 9 und Taf. VII Fig. 14 abgebildet ist. Auf jeder Seite der Äquatorialebene liegen Jetzt vermuthlich eben so viele Schleifen, als vor dem Umordnungs- ‘stadium in der ganzen Sternform vorhanden waren. Dabei sind die sämmtlichen Schleifen mit ihren Winkeln den Polen zugekehrt und besitzen eine senkrechte Lage zur Aquatorialebene , so dass ihre Schenkel parallel zu einander verlaufen. Die ganze Kernfigur gleicht sehr einer ebenfalls an die Umordnung anschließenden Form, welche FLEMMING! in den Hodenepithelzellen von Amphibien gefunden hat. In Folge der parallel verlaufenden Schleifenschenkel, die mit den Längsstreifen einer Tonne zu vergleichen sind, wurde diese Kern- theilungsfigur von FLEMMING als die Tonnenform bezeichnet und der Aquatorialplatte anderer Zellenarten gleich gesetzt. Die Bezeich- nung wäre auch auf unsere Kerntheilungsfigur zu übertragen. Die beschriebene Tonnenform bleibt nur einige Augenblicke er- halten; denn sobald die Umordnung sich vollzogen hat, tritt sofort ein Auseinanderweichen der Tochterschleifen ein. Die Trennung erfolgt auf die Weise, dass sämmtliche Tochterschleifen der beiden Kernhälften a tempo aus einander gehen und langsam den entgegen- gesetzten Polen zustreben (Taf. VII Fig. 15). Die ganze Erscheinung trägt den Anschein, als ob die beiden Hälften der Tonnenform an den Spindelfasern dahingleiten würden. 1 W. Fremming, Zellsubstanz etc. 1. c. pag. 257—258. 236 Wladimir Schewiakoff Entstehung der Tochtersterne. In dem Maße, wie die Tochterschleifen aus einander rücken und sich von der Aquatorialebene entfernen, kommen in der Äquatorialzone achromatische Spindelfasern zum Vorschein, welche früher von den darüber gelegenen chromatischen Schleifen ver- deckt wurden. Dieser Umstand scheint dafür zu sprechen, dass die Spindelfasern kontinuirlich von Pol zu Pol angelegt sein müssen. Je mehr sich die Schleifen den Polen nähern, desto mehr konver- giren sie mit ihren Winkeln, was durch die Lage der leitenden Spindelfasern und die Gesammtgestalt des Kerns bedingt wird. Während dieses Processes streckt sich der Kern in der Richtung der Längsachse noch mehr in die Länge, behält aber immer die Gestalt des Rotationsellipsoids bei. Auch das Polkörperchen er- leidet eine gewisse Veränderung, indem es seine frühere parabolische Gestalt aufgiebt und zu einer bikonvexen Linse abgeplattet wird. Es begiebt sich so zu sagen in den Innenraum des Kerns, und bildet in dieser Stelle eine Art von einspringendem Hügel (Taf. VII Fig 15). Die Tochterschleifen, welche den Polen zu wandern, gruppiren sich mit ihren Winkeln um diesen Hügel derart, dass sie sich unmittelbar den Stellen anlegen, von welchen die achro- matischen Fasern der Kernspindel ausgehen (Taf. VII Fig. 16). Da aber, wegen Mangel an Raum, nicht sämmtliche Schleifen in einer Kreislinie angebracht werden können, so begeben sich die anderen, neu hinzukommenden in den Innenraum des Kerns und ordnen sich an der gesammten Oberfläche des Hügels an. Durch diese Anord- nung bekommen die Tochterschleifen eine radiäre Lage und bilden eine Form, welche als Tochtersternform bezeichnet wird. Der ganze Process, vom Beginn des Auseinanderweichens der Tochter- schleifen, bis zur Bildung der Tochtersterne, verläuft ziemlich schnell; er nimmt eirca fünf Minuten in Anspruch. Die Tochterschleifen sind eben so gebaut, wie die Mutterschlei- fen im Muttersternstadium. Sie besitzen ein recht verschiedenes Aussehen: man sieht kurze und lange Schleifen, mit gleichen und ungleichen, parallel verlaufenden, oder aus einander gespreizten Schenkeln; auch ihre feineren Bauverhältnisse entsprechen denen der Mutterschleifen. Der ganze Unterschied besteht nur darin, dass die Tochterschleifen jetzt halb so dick sind als die Mutterschleifen während der Sternform vor der Längsspaltung waren. Sie ent- sprechen vielmehr den Schleifen der Sonnenform. Auch die ganze Über die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 237 Schleifenanordnung entspricht mehr der Anordnung, die wir in der Sonnenform des Mutterkerns gesehen haben, als der der Sternform. Die Tochterschleifen lagern sich ja definitiv derart, dass ihre Winkel sich der Oberfläche des aus dem Polkörperchen entstandenen Höckers ansetzen und ihre Schenkel nach allen Richtungen des Tochterkerns radienförmig ausstrahlen. Somit entspricht in diesem Stadium jeder Tochterkern, der Lage seiner Schleifen wegen, der einen Hälfte der Sonnenform und wäre analog der Sonnenform, als Tochtersonne, Dihelios oder richtiger Hemihelios zu bezeichnen. Zu der Zeit, wo diese Schleifenanordnung geschieht, streckt sich der Kern immer mehr in die Länge und man sieht deutlich, wie die Spindelfasern hierbei in der Mitte durchrissen werden (Taf. VII Fig. 16). Bald darauf entsteht in der Aquatorialebene des Kerns eine Einbuchtung (Taf. VI Fig. 10, Taf. VIL Fig. 17), die mit der weiteren Streckung des Kerns Hand in Hand geht und immer tiefer wird (Taf. VII Fig. 18). Der ganze Kern rückt allmählich oral- wärts (Taf. VI Fig. 10) und besitzt jetzt eine biskuitförmige Ge- stalt. Sobald das eine Kernende die Schalenmündung überschreitet, erfolgt die Durchschnürung des Kerns an seiner verengtesten Stelle, d. h. in der Aquatorialebene, und so entstehen zwei Tochterkerne, welche nach verschiedenen Seiten aus einander wandern (Taf. VI Fig. 11). Die beschriebene Durchschnürung des Kerns vollzieht sich etwa in fünf Minuten. Die aus der Theilung hervorgegangenen Tochterkerne besitzen die Gestalt eines Kolben (Taf. VII Fig. 19), dessen orales Ende in einen ziemlich spitzen Fortsatz ausläuft; dieser Fortsatz wird allmählich in den Kern eingezogen /Taf. VI Fig. 11, Taf. VII Fig. 20 und 21), bis derselbe schließlich seine ur- sprüngliche kugelige Gestalt wieder annimmt (Taf. VI Fig. 12, Taf. VII Fig. 22). Mit dem Kerne wandert auch eine Portion des Cytoplasma der hyalinen Zone über, welche den ersteren dabei all- seitig gleichmäßig umgiebt (Taf. VI Fig. 11). Von den Polstrahlen, welche noch auf dem biskuitförmigen Stadium des Kerns (Taf. VI _ Fig. 10) als äußerst dünne Hyaloplasmafadchen zu sehen waren, ist jetzt nichts mehr vorhanden. Der ganze Kern wird von einem ziemlich ‚grobnetzigen, körnchenreichen Cytoplasma umgeben und nur unmittel- bar an der Kernoberfläche erblickt man eine dünne Schicht von helle- rem Plasma, welches aus äußerst feinen Fädchen mit eingelagerten Mikrosomen besteht (Taf. VI Fig. 12). Auf diese Weise wandern die beiden Tochterkerne nach entgegengesetzten Richtungen, bis sie nach etwa zehn Minuten in das Hinterende der beiden Schalen gelangen. 238 Wladimir Schewiakoff Während dieser eben beschriebenen Bewegung der Tochterkerne gehen auch nicht unwichtige Veränderungen in ihren inneren Bau- verhältnissen vor sich. Vor allen Dingen wird das ehemalige Pol- körperchen vollkommen in die Keinsubstanz eingezogen; man ge- wahrt nichts mehr von der linsenartigen Hervorstülpung, wie es noch in den kurz vorhergehenden Stadien der Fall war, sondern der Kern erscheint einheitlich und besitzt eine regelmäßige glatte Oberfläche (Taf. VII Fig. 19). Nur an seiner unteren Seite bemerkt man noch eine halbkugelige, hyaline Partie, an deren Ober- fläche sich die Tochterschleifen ansetzen; dieser flache Hocker ent- spricht dem früheren Polkörperchen, nur ist die scharfe Grenze, welche er einst besaß, vollständig verloren gegangen. Demnach darf man sagen, dass das Polkörperchen auf diesem Stadium in die Kernsubstanz eingezogen wird, um schließlich mit derselben zu ver- schmelzen. Diese homogene Partie wäre mit der hellen Masse zu vergleichen, welche, wie die Untersuchungen RAagL's! an Salamandra- kernen gezeigt haben, sich in die kleine polare Delle des Kerns einlagert und dieselbe vollständig ausfillt. Was ihren Ursprung anbetrifft, so vermuthet RagL, dass dieselbe aus dem Rest der Spin- delfasern hervorgehen muss. An unserem Objekte kann man sich dagegen überzeugen, dass diese helle Masse nichts weiter als das Polkörperchen ist, welches in den Kern eingedrungen ist und jetzt mit ihm zusammen einen einheitlichen Körper bildet. Eine analoge Erscheinung lässt sich auch an den Actinosphaeriumkernen wahr- nehmen. Dort verschmelzen nach der Beobachtung HEerrwie’s? die nach den Kernpolen aus einander gewichenen Elemente der Kern- platte so innig mit den sogenannten Polplatten, »dass beiderlei Sub- stanzen sich durchdringen und eine einzige Masse bilden«. Entstehung der Tochterknäuel. Um diese Zeit verschwinden auch gänzlich bei Euglypha die achromatischen Spindelfasern und werden wahrscheinlich theils wohl in das chromatische Netzgerüst, theils wohl an die Kernmembran vertheilt. Auf dem folgenden Stadium (Taf. VII Fig. 21) lässt sich nichts von der hyalinen Partie bemerken, da sie, eben so wie der ganze Kern, von chromatischen Fäden, die aus den Schleifen ent- RABL, |. c. pag. 282. ah 2 R. HERTWIG, Kernth. b. Actinosph. etc. 1. c. pag. 504. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 239 stehen, durchsetzt wird. Die Veränderungen, die an den Tochter- schleifen währenddessen vor sich gehen, bestehen darin, dass die- selben zu Fäden auswachsen. Nachdem nämlich die Schleifen eine radiäre Anordnung erhalten haben, tritt eine Verkürzung und damit verbundene Verdickung derselben ein (Taf. VII Fig. 19), wodurch die Körnelung der einzelnen Schleifen zur deutlichen Ausprägung gelangt. Gleich darauf beginnen die Schleifen sich in die Länge zu strecken (Taf. VII Fig. 20), wobei die Umbiegungsstellen resp. die Schleifenwinkel ausgeglichen werden. Wir erhalten somit eine Form, die an den lockeren Mutterknäuel erinnert und als Tochter- knäuel zu bezeichnen ist. Ich möchte gleichzeitig bemerken, dass ich weder an lebenden Kernen, noch an Präparaten je etwas von der Verschmelzung der einzelnen Schleifen oder den daraus ent- stehenden Fäden wahrnehmen konnte. Die Tochterknäuel bestehen, eben so wie der Mutterknäuel, aus einzelnen getrennten Fäden, welche parallel zu einander angeordnet sind und gewöhnlich in der Richtung der ehemaligen Theilungsachse (die ja mit der Längsachse des Thieres zusammenfiel) verlaufen (Taf. VII Fig. 21). Von die- sem Stadium an macht der Tochterkern genau dieselben Verände- rungen durch, die wir bei den Anfangsstadien der Kerntheilung beschrieben haben. Der ganze Unterschied besteht nur darin, dass die Veränderungen jetzt in umgekehrter Richtung verlaufen. Da aber dieser ganze Vorgang nichts wesentlich Neues aufweist und nur einen entgegengesetzten Weg einschlägt, so werde ich mich bei der Beschrei- bung der vorgehenden Rückbildung des Kerns ziemlich kurz halten. Sobald die Schleifen zu Fäden umgebildet werden, sieht man zwischen ihnen sehr zarte Verbindungsfäden auftreten (Taf. VII Fig. 21). Die letzteren entspringen von den dichteren Stellen der Fäden und begeben sich Anfangs zu entsprechenden Stellen benach- barter Fäden. Bald darauf treten aus diesen Punkten noch andere Fäden auf, die nach verschiedenen Richtungen auslaufen und mit anderen gleichen Fortsätzen in Verbindung treten. Auch können mehrere Fortsätze neben einander verlaufen und durch Verschmel- zung mit einander gröbere Verbindungsfäden zur Entstehung bringen. Treten aus einer Stelle der chromatischen Fäden mehrere Fortsätze aus, so verlieren die Fäden ihr vormaliges glattrandiges Aussehen und werden rauh und zackig (Taf. VII Fig. 22). Gleichzeitig sieht man jetzt in den Stellen, von wo die Fortsätze ausgehen, zahlreiche Körnchen auftreten, welche an den hyaloplasmatischen Verbindungs- fasern sich weiter bewegen. Auf diese Weise differenzirt sich die 240 Wladimir Schewiakoff chromatische Substanz der Faden wieder in mehr oder weniger zarte Plasmafiidchen und Körnchen. Die ersteren bilden in der Form von Verbindungsfäden Bahnen, an denen die letzteren, welche zeitlich später auftreten, verschoben werden. Sobald nun die Körnchen an den Plasmafädchen dahinzugleiten beginnen, verschwindet auch die geradlinige Gestalt der chromatischen Fäden — sie erscheinen zackig, gewunden und von verschiedener Dicke (Taf. VI Fig. 12), indem nämlich die Körnchen an verschiedenen Stellen der Plasma- fäden sich koncentriren können. Bald aber verschwindet auch diese Gestalt von Fäden und es lässt sich überhaupt nichts von denselben erkennen. Die fadenförmige Struktur des Kerns wird aufgegeben, um der netzigen Platz zu machen. Das Netzwerk ist bei seiner Entstehung sehr grobmaschig (Taf. VII Fig. 23), mit deutlich her- vortretenden Knotenpunkten, die so zu sagen Ansammlungsstellen des Nucleo-Hyaloplasma und der Körnchen bilden. Von diesen . Knotenpunkten entspringen aber wieder neue, äußerst feine Fort- sätze, die mit anderen Fortsätzen gleichen Ursprungs in Verbindung treten. Die Körnchen verschieben sich an den neu entstandenen Fädehen und sammeln sich wieder in neuen Verbindungsknoten an, die aber nicht so beträchtlich wie die ersteren sind. Auf diese Weise geht der Process weiter, bis das grobmaschige Netzwerk zu einem feinmaschigen umgewandelt wird (entsprechend Taf. VII Fig. 2). In diesem Stadium tritt auch der Nucleolus in der Form eines rundlichen, homogenen, stark lichtbrechenden Körpers auf. Die erste Spur desselben kann man sogar während des Knäuel- stadiums erblicken (Taf. VI Fig. 12, Taf. VIL Fig. 22); jedoch er- scheint er zu der Zeit wie ein matter Fleck, von dem man erst später sich überzeugt, dass er zum Nucleolus wird. Leider ist es mir nicht gelungen, seine Bildung genau zu verfolgen; eben so wie ich sein Verhalten bei der Entstehung der karyokinetischen Figuren nicht ermitteln konnte. Sowie die feinmaschige Netzstruktur zur Ausbildung gekommen ist, bemerkt man, dass sie bei Größenabnahme des Kerns immer undeutlicher und verwischter wird (entsprechend Taf. VII Fig. 1), bis sie schließlich gänzlich verschwindet und der Kern seinen normalen, sogenannten bläschenförmigen Bau annimmt (Taf. VI Fig. 13). Wie wir die Größenzunahme des Kerns durch das Ein- dringen von Flüssigkeit in den Kern erklärt haben, müssen wir hier in Folge der stattfindenden Volumabnahme ein Austreten der Flüssig- keit annehmen, wodurch auch der normale bläschenförmige Bau zu Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 241 Stande kommt. Der Kern erscheint wieder homogen, ziemlich stark lichtbrechend und nur der Nucleolus sticht durch stärkeres Licht- brechungsvermögen als ein bläulicher Körper hervor. Damit schließt die Kerntheilung. Die ganze, eben beschriebene Rückbildung der Tochterkerne, von der Tonnenform bis zur Erlangung des normalen Zustandes, verläuft annähernd in einer halben Stunde. Während die Tochterkerne durch die Knäuelform gehen (Taf. VI Fig. 12) oder sogar kurz vorher, tritt am Körper der beiden In- dividuen eine sehr interessante Erscheinung auf, welche zuerst Gru- BER! beobachtete. Es hebt nämlich eine Strömung oder vielmehr eine Cirkulation des Cytoplasma an, die immer lebhafter wird und zu der Zeit, wann der Kern den bläschenförmigen Bau erlangt, ihren Höhepunkt erreicht. Hierauf wird sie wieder schwächer und stellt sich nach etwa zehn Minuten gänzlich ein. Diese Cirkulation bezweckt eine Mischung der Cytoplasmamassen und hat eine gleich- mäßige Vertheilung derselben auf beide Individuen zur Folge. Die Gleichmäßigkeit der Cytoplasmavertheilung geht sogar so weit, dass selbst die aufgenommenen Nahrungskörper in annähernd gleicher Quantität auf beide Exemplare vertheilt werden. Sobald die Be- wegung sistirt, bemerkt man, dass das Cytoplasma in beiden Schalen wieder in drei Regionen angeordnet wird. Man unterscheidet, wie vor der Theilung, eine vordere, alveoläre, eine mittlere, körnige und eine hintere, hyaline Zone, welcher der homogene, kugelige Kern eingelagert ist. Die letztere Zone enthält jetzt eine große Zahl von feinen Körnchen, die bei den zur Theilung sich anschicken- den Exemplaren nicht zu beobachten waren. Gleichzeitig kommen auf der Grenze der körnigen und hyalinen Zone die kontraktilen Vacuolen zum Vorschein, von welchen, seit ihrem Verschwinden während des Überwanderns des körnigen Plasma in das Tochter- individuum, keine Spur zu sehen war. Nachdem die Anordnung des Plasma in drei Zonen vollbracht worden ist, treten aus der alveolären Region, an der Verbindungsstelle der beiden Schalen, Pseudopodien hervor (Taf. VI Fig. 13), die sich bald zu einander, bald von einander bewegen. In Folge dieser Bewegung der Pseu- dopodien tritt eine Lockerung an der Vereinigungsstelle der Eugly- phen ein, die jetzt nur durch dünne Fortsätze des alveolären Plasma mit einander in Zusammenhang stehen. Die Bewegung wird immer intensiver, so dass die Körper sich hin und her bewegen, 1 A. GRUBER, Theilungsvorg. b. Euglyph. etc. 1. ec. pag. 434. Morpholog. Jahrbuch. 13. 16 242 Wladimir Schewiakoff bis die Verbindungsfäden durchgerissen werden und die Thiere sich von einander trennen. Hiermit schließt der ganze Theilungs- process ab. Es bleiben mir noch einige Fragen von allgemeiner Bedeutung zu erörtern. Bei dieser Gelegenheit halte ich es für gemessen, des allgemeinen Überblickes wegen, die Befunde meiner Untersuchung kurz zusammenzufassen. Die Theilung der Euglypha wird eingeleitet durch das Hervor- treten des Zellplasma und der Schalenplättchen aus der Schalen- mündung. Die Hervorstülpung wächst stetig und wird von Schalen- plättchen umgeben, bis eine neue Schale gebildet ist. In diese Schale fließt provisorisch das Plasma der alveolären und Körner- Zone hinüber und wird daselbst bis zu einer gewissen Zeit aufge- speichert. Die Veränderungen, welche die Zell- und Kerntheilung eigent- lich bedingen, beginnen am Cytoplasma der hyalinen Zone. Letzteres nimmt an Volumen zu und differenzirt sich in zwei Schichten: in eine äußere, dichtere, netzige und eine innere, helle Region, die den Kern unmittelbar umgiebt. Der Kern ist homogen und chromatinarm. Das Oytö-Ohylema der hellen Region dringt durch die Kernmembran, welche während des ganzen Theilungsvorganges erhalten bleibt, in den Kern ein und verursacht seine Größenzunahme. Gleichzeitig verliert der Kern sein homogenes Aussehen und bekommt eine feinnetzige Struktur. Sein Chromatingehalt steigt allmählich. Das Nucleo-Hyaloplasma und die feinen Körnchen sammeln sich in den Knotenpunkten des Netzwerks an, wodurch dasselbe grob- maschig wird. Aus dem grobmaschigen Netzwerke entstehen bei weiterer Diffe- renzirung einzelne Fäden, {die einen unregelmäßigen, gewundenen Verlauf besitzen. Von den Fäden entspringen kleine Fortsätze, die seinen Rändern eine rauhe, gezackte Gestalt verleihen. Die Körn- chen verschmelzen mit einander zu den sogenannten PrirzNEer’schen Chromatinkugeln und die Fäden bestehen schließlich aus abwech- selnd dunkleren und .helleren Scheiben. Diese Fäden werden glattrandig und ordnen sich im peripheri- schen Theile des Kerns parallel zu einander. Dabei werden die Fortsätze bis auf wenige eingezogen, welche als Verbindungsfädchen Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 243 zwischen den chromatischen Fäden zu sehen sind. Dies ist die so- genannte dichte Knäuelform. Darauf verkürzen und verdicken sich die Fäden und es ent- steht die lockere Knäuelform. In diesem Stadium werden die Fäden zu Schleifen umgebogen, deren Schenkel meist einen welligen Verlauf besitzen. Jetzt erst verschwindet der Nucleolus völlig. Zu dieser Zeit ordnet sich das Cytoplasma radiär zur Oberfläche des Kerns an. Die Schleifen begeben sich in den Innenraum des Kerns und kehren die Scheitel ihrer Winkel dem Centrum zu. Es entsteht die beschriebene Sonnenform. Bald darauf beginnt das Cytoplasma der hellen Region sich an den beiden Theilungspolen zu koncentriren, wobei der Kern amö- boide Bewegungen macht. Jetzt hört auch die Größenzunahme des Kerns auf, und er bekommt wieder eine kugelige Gestalt. Das an den Polen angehäufte Cytoplasma bekommt einen strah- ligen Bau — Polstrahlen. Diese Polstrahlen konvergiren zu den Polen des Kerns und stoßen in einer entstandenen Delle zusammen. Hier entsteht das Polkörperchen und gleichzeitig mit ihm im Kern die Spindelfasern. Während dessen wird der kugelige Kern zum Rotationsellipsoid abgeplattet und die Schleifen mit ihren Winkeln in die Äquatorial- ebene gebracht, wobei ihre Schenkel z. Th. parallel, z. Th. winklig zur Äquatorialebene sich stellen: Anfangsstadium der Sternform. Die Spindelfasern wachsen von den Polen in den Kern und ver- einigen sich mit den entgegengesetzten in der Äquatorialebene. Es entsteht eine kontinuirliche Kernspindel, die einen richtenden Ein- fluss auf die Schleifen ausübt. Die Kernspindel streckt sich in der Richtung der Theilungsachse und der Kern wird aus einem abgeplatteten Rotationsellipsoid, in- dem er die Kugelform passirt, zum gestreckten. Dabei werden auch die Schleifen nach zwei Typen angeordnet: die äußeren bleiben parallel der Aquatorialebene, die inneren stellen sich senkrecht zu derselben. Die Sternform erlangt ihren Höhepunkt. Die Schleifen werden bandförmig und bestehen in Folge be- ginnender Spaltung aus zwei Reihen abwechselnder dunklerer und hellerer Partien. Zu dieser Zeit werden auch die inneren Schleifen am polaren Ende umgebogen. Darauf folgt die Längsspaltung und die damit verbundene Umordnung der Schleifen. Die verschieden angeordneten Schlei- fen werden auch verschiedenartig umgeordnet. 16* 244 Wladimir Schewiakoff Es resultirt die Tonnenform, bei welcher sämmtliche Schleifen senkrecht zur Aquatorialebene stehen; dabei verlaufen ihre Schenkel parallel zu einander und ihre Scheitel sind den beiden Polen zu- gekehrt. Die Schleifen weichen aus einander und begeben sich zu den Polen, an welchen sie sich radiär um die etwas abgeplatteten Pol- körperehen anordnen. Es entstehen die Tochtersterne und un- mittelbar daraus die Tochtersonnen. Der Kern streckt sich immer mehr in die Länge, bekommt eine biskuitförmige Einschnürung und zerfällt in zwei gleiche Tochter- kerne, die nach entgegengesetzten Richtungen aus einander gehen. Das Plasma der hyalinen Zone wird gleichfalls getheilt und umgiebt unmittelbar den Kern. Es entsteht eine Cirkulation in den Körpern der Tochterindividuen und das Plasma der alveolären und Körnerzone wird ebenfalls in zwei annähernd gleichen Portionen auf beide Individuen vertheilt. Währenddessen erfahren die Tochterkerne die bekannte Rück- bildung. Das Polkörperchen wird eingezogen und die Schleifen zu Fäden ausgestreckt — Tochterknäuel. Aus den Knäuelfäden treten zarte Verbindungsfädchen aus, wo- durch die Tochter-Knäuelform erst zu einem grobmaschigen und dann zu einem engmaschigen Netzwerke umgebildet wird. Es tritt wieder der Nucleolus auf. Schließlich bekommt der Kern seinen ehemaligen bläschenförmigen Bau. Nach aufgehobener Plasmaeirkulation treten aus der Schalen- mündung Pseudopodien hervor und es erfolgt die Trennung der Tochterindividuen. Was zunächst das Verhältnis der Zelltheilung zur Kerntheilung anbetrifft, so sehen wir, dass die Strukturveränderungen, mit denen jede Theilung anhebt, sich fast gleichzeitig am Zell- und Kernplasma abspielen. Dabei erleidet nur das Plasma der hyalinen Zone ge- wisse Differenzirungen, wogegen das Plasma der beiden anderen Zonen unverändert bleibt und während des ganzen Processes sich ziemlich neutral verhält. Das Plasma dieser Zonen wird in toto in die neu gebildete Schale wie in einen Reserve-Ort übergeführt, um von da erst nach vollzogener Kerntheilung auf beide Individuen vertheilt zu werden. Dagegen verbleibt das Plasma der hyalinen Zone mit dem Kerne in der Mutterschale und erfährt, bevor es mit dem Kerne zusammen in zwei Hälften getheilt wird, die mannigfaltigsten Struk- turveränderungen. Auch am Kerne treten die komplieirtesten Um- Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 245 bildungen auf. Diese beiden, obgleich an sich verschiedenen, Vor- gänge gehen während der ganzen Kerntheilung mit einander Hand in Hand und bedingen sich gegenseitig. Ja, es scheint sogar, dass das Plasma den Kern zur Theilung anregt, da es sich zuerst sicht- bar differenzirt, während die Strukturveränderungen am Kerne erst später auftreten, nachdem schon Cyto-Chylema in denselben bereits eingedrungen ist. Jedoch möchte ich nicht bestimmt behaup- ten, von wo die erste Anregung ausgeht, da ja auch am Kern, während oder sogar vor der Plasmadifferenzirung gewisse Verände- rungen vorgehen könnten, welche unsichtbar bleiben. Ich neige mich vielmehr zu der Ansicht, dass diese Vorgänge, eben so wie sie später auf das tiefste in einander greifen, auch gleich bei ihrem Be- ginn sich gegenseitig hervorrufen. Aus dem Gesagten geht, glaube ich, zur Genüge hervor, dass wir den ganzen Vorgang als eine Theilung zu bezeichnen haben, im Gegensatz zu GRUBER!, der ihn für eine Mittelstufe zwischen der gewöhnlichen Zweitheilung und der Sprossung auffasst, und dabei dem Kerne eine passive Rolle zuschreibt. GRUBER wurde zu dieser Ansicht dadurch geführt, dass er die entstandene Hervorstülpung für einen Theilspross hielt, in welchen die eine Kernhälfte nachträglich vom Plasma hinübergeleitet wird. Nach meinen Untersuchungen stellte es sich aber heraus, dass das Plasma der aus dem Mutterkörper ge- bildeten Hervorstülpung dem des zukünftigen Tochterindividuums durchaus nicht entspricht, und dass sie sich nicht etwa nur durch das Fehlen des Kerns, sondern auch sonst wesentlich von der an- deren Hälfte unterscheidet. Gleichfalls entspricht jetzt auch der Inhalt der Mutterschale nicht dem der zukünftigen Euglypha. Erst nach stattgefundener Plasmacirkulation, die bei der Theilung des - Kerns und des Plasma der hyalinen Zone anhebt, erfolgt die gleich- mäßige Vertheilung des Inhalts auf beide Individuen, oder mit an- deren Worten, die definitive Zelltheilung. Was den Kern anbetrifft, so ist seine Rolle durchaus nicht pas- siv; gleich bei der ersten Anlage der Hervorstülpung erleidet er, eben so wie das hyaline Plasma, die verschiedensten Veränderungen, streckt sich darauf in die Länge und durchschnürt sich, sobald er mit dem einen Ende die Grenze der beiden Schalen erreicht. In der Tochterschale wandert der Tochterkern vollkommen selbständig, da ja zu dieser Zeit das Plasma in entgegengesetzter Richtung in die 1 A. GRUBER, Theil. .d. monoth. Rhiz. ete. 1. c. pag. 118—121. 246 Wladimir Schewiakoff Mutterschale zu strömen beginnt. Es kann demnach keine Rede davon sein, dass das Protoplasma, wie GRUBER! behauptet, den Kern zur Theilung erst dann anregt, wann der Theilspross vollkom- men aufgebaut ist. Die am Kern wahrzunehmenden Gestalts- und Strukturveriinderungen, die von GRUBER? nicht beobachtet worden sind, widersprechen dieser Erklärung. Beiläufig sei noch eines interessanten Vorganges erwähnt, der meine Erklärungen bestärkt und den ich mehrere Male zu beob- achten Gelegenheit hatte. Nachdem nämlich die Theilung schon im Gange war, d. h. die Hervorstülpung gebildet und im Cytoplasma, gleichwie im Kerne gewisse Veränderungen aufgetreten waren, sistir- ten aus unbekannten Gründen die weiteren Veränderungen am Kern. Dieses ereignete sich zu der Zeit, als der Kern schon den netzigen Bau angenommen hatte, ja zuweilen sogar während des dichten und lockeren Knäuelstadiums. Die Hervorstülpung wuchs aber stetig. Der Kern verblieb einige Zeit in diesem Theilungsstadium und schlug bald darauf den rückläufigen Weg ein, der an die Rückbil- dung der Tochterkerne sehr erinnerte. Nachdem der Kern seinen . bläschenförmigen Bau wieder erlangte, begann auch das in die Hervorstülpung hinübergetretene Plasma zurückzufließen, bis es in die Mutterschale gänzlich eingezogen war. Es traten Pseudopodien auf und die neugebildete Schale wurde abgeworfen. Wenden wir uns nun zu den Veränderungen, die der Euglypha- kern bei der Theilung durchmacht und vergleichen die in der Zu- sammenfassung aufgezählten Resultate mit den Kernveränderungen, welche an thierischen und pflanzlichen Zellen während der indirek- ten Theilung auftreten, so sehen wir, dass dieselben so ziemlich mit einander übereinstimmen. Obgleich aber der ganze Theilungsprocess seiner Wesenheit nach derselbe ist, kommen doch bei der Theilung der Euglypha gewisse Eigenthümlichkeiten vor, die, so weit bekannt, nur bei den Zellen einiger Organismen und da nur theilweise auftreten. Gerade diese Eigenthümlichkeiten sind von besonderem Interesse, da sie auf eine Beziehung deuten, die zwischen der indirekten Theilung dieses Protozoons und der gleichen Theilung anderer Organismen existirt. Ich habe bereits bei der Besprechung der einzelnen Kern- theilungsfiguren, die ich mit entsprechenden Stadien anderer Objekte zusammenstellte und verglich, sie in Erwähnung gezogen und möchte 1 A. GRUBER, Theil. b. Euglypha ete. 1. c. pag. 437. 2 Ebenda, vgl. Taf. XXIII. Fig. 2—6 und 15—17. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 247 jetzt nur die wichtigsten von ihnen aufzählen. Vor allen Dingen ist es die Ansammlung des Cytoplasma um den Kern und die Erhal- tung der Kernmembran während der ganzen Theilung. Diese An- sammlung beobachtet man bei thierischen Eiern und bei Spirogyra‘, deren Kernmembran, wenn auch nicht während der ganzen Theilung, jedoch bedeutend länger, als bei anderen Zellen erhalten bleiben soll. Dann ist es der geringe Chromatingehalt des Kerns und das relativ späte Verschwinden des Nucleolus, die besonders an unserem Objekte auffallen. Diese Verhältnisse sind bei den niedersten Metazoen — der Hydra?, wie bei embryonalen Zellen höherer Thiere anzutreffen, ein Umstand, auf den auch PrirzNer? hingewiesen hat. Schließlich erwähne ich noch die deutliche Ausbildung der Polstrahlen und die auffallende Größe der Polkörperchen, welche ebenfalls ihren Höhe- punkt bei den thierischen Eiern! und embryonalen Zellen (Embryo- sack von Hyacinthus) der Pflanzen 5 erreichen. Somit sehen wir, dass diese charakteristichen Eigenthümlichkei- ten nicht nur bei der Theilung der Euglypha vorkommen, sondern auch bei den niedersten Metazoen und niederen Pflanzen, eben so wie auch bei embryonalen Zellen höher entwickelter Individuen anzutreffen sind. Es bleibt noch die interessante Frage zu entscheiden, ob der geschilderte Theilungsvorgang sich auch bei anderen Protozoen findet und ob er die Geltung eines für Protozoen typischen indirekten Theilungsprocesses hat. Was zunächst die Rhizopoden betrifft, so wäre bei ihnen nach den Beobachtungen GRUBER’s® keine typische karyokinetische Kern- theilung anzunehmen. Nach meinen Untersuchungen stellte sich je- doch das Gegentheil heraus. Da aber GRUBER angiebt, dass bei an- deren monothalamen Rhizopoden, wie z. B. bei Cyphoderia, Difflugia, Microgromia, die Kerntheilung im Wesentlichen eben so wie bei Euglypha verläuft, so glaube ich annehmen zu dürfen, dass auch bei ihnen der geschilderte Kerntheilungsmodus vorkommen muss. 1 E. STRASBURGER, Zellbildung ete. 1. e. pag. 173—175; auch Über Theilungsvorg. etc. |. c. pag. 524—525 und Kontroversen ete. 1. ¢. pag. 50—52. 2 W. PFITZNER, Beiträge z. Lehre etc. 1. ¢.; auch Zur morphol. Bedeut. ete. 1. ec. pag. 21. 3 W. PFITZNER, Kerntheil. b. d. Protoz. etc. 1. ec. pag. 463—464. 4 H. Fou, Recherches ete. 1. e. pag. 184. — E. van BENEDEN, Recher- ches etc. 1. c. pag. 331 ff. 5 E. STRASBURGER, Uber d. Theilungsvorg. etc. 1. e. pag. 226. 6 A. GRUBER, 1) Theilungsvorg. b. Euglyph. ete. ]. c. 2) Theil. d. mo- nothal. etc. 1. c. 248 Wladimir Schewiakoff Bei der Heliozoe Actinosphaerium Eichhorni verläuft nach den Untersuchungen Hertwie’s! die Kerntheilung in einer Weise, die ebenfalls in den Bereich der Karyokinese zu stellen ist. Zwar kommen dabei manche Eigenthümlichkeiten vor, jedoch erinnern die Kerntheilungsfiguren im Ganzen an Bilder, welche bei der Theilung von Eizellen und Pflanzenzellen angetroffen werden. Auch ist nicht schwer zu ersehen, dass der Kerntheilungsprocess des Actinosphaeriums viel Gemeinsames mit dem der Euglypha besitzt: wie z. B. An- sammlung des Cytoplasma vor beginnender Theilung im Umkreise des Kerns und die darauf folgende polare Anordnung desselben; die Erhaltung der Kernmembran und die Gestaltsveränderungen des Kerns während der Theilung; das Auftreten der sogenannten Pol- platten (die den Polkörperchen der Euglypha gleichzusetzen wären) und ihre spätere Verschmelzung mit der chromatischen Substanz des Kerns. Eine Abweichung zeigt dagegen die Entstehung und die Ge- stalt der Kernplatte und der Spindelfasern. Die Kernplatte soll bei Actinosphaerium ? als veinheitliches Element« entstehen und aus Stäb- chen aufgebaut werden, »die aus einzelnen chromatischen Körnern bestehen«e. Bei der Sonderung der Chromatinkérnchen »bleiben die die Grundlage der Kernfäden bildenden Achromatinfäden zurück«, welche nicht zu den Polen konvergiren, sondern in der Richtung der Theilungsachse parallel zu einander angeordnet sind. Über die Kerntheilung der Radiolarien sind unsere Kennt- nisse sehr mangelhaft. Die einzige Angabe rührt von BRAnDT? her und bezieht sich auf die Kerne der Collosphäriden. Während der Stadien der Anisosporen-Bildung bemerkt man, dass der Kern sich in eine stärker und schwächer färbbare Substanz differenzirt. Die letztere bildet eine Grundmasse, in welche die chromatische Substanz in Form von kurzen Fäden eingelagert ist. Bei der Theilung streckt sich der Kern in die Länge, die chromatischen Kernfäden ordnen sich parallel zu einander und es erfolgt eine Durchschniirung in der Mitte. Immerhin kann man, namentlich durch den Vergleich der angeführten Abbildungen, ersehen, dass der ganze Vorgang dem der indirekten Theilung im Wesentlichen analog ist. Wenig erforscht ist gegenwärtig noch die Kerntheilung der Fla- sellaten. Neuerdings gelang es aber einigen Forschern gewisse ı R. Hertwic, Über d. Kerntheil. b. Actinosph. ete. 1. e. 2 R. HERTWIG, Uber d. Kernth. ete. 1: c. pag. 508. 3 K. BRANDT, Die koloniebildenden Radiolarien des Golfes von Neapel. Berlin 1885. pag. 26. Taf. V Fig. 33, 49, 50, 53 und 56. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 249 Theilungsvorgänge wahrzunehmen, nach welchen man schließen kann, dass die Kerntheilung hier ebenfalls der indirekten anzu- schließen wäre. So beobachtete BLocumann!, dass die Kerntheilung von Oxyrrhis von einer längsstreifigen Differenzirung begleitet wird. Fisch? fand, dass in den sich zur Theilung anschickenden Ker- nen von Codosiga Botrytis, nach dem Verschwinden des Kernkör- perchens, chromatische Fadenstücke auftreten, die zuerst einen ver- worrenen Verlauf besitzen. Sie nehmen bald an Dicke beträchtlich zu und ordnen sich, bei beginnender Kernstreckung parallel zu einander, wodurch ein Fadenbündel gebildet wird. Im weiteren Ver- lauf wird der-Fadenbündel in der Mitte durchgeschnürt und die bei- den Bündelhälften weichen aus einander; es erfolgt, unter biskuit- förmiger Einschnürung die Zweitheilung des Kerns und weiter darauf die Rückbildung der chromatischen Fäden. Die Bildung einer Kern- platte wird aber von Fiscu? mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, was mir doch sehr zweifelhaft zu sein scheint, denn es gelang BürscHLi* bei einer gelegentlichen Untersuchung der Euglena viri- dis, während der Kerntheilung derselben, nicht nur eine zarte Kernplatte, sondern auch eine deutliche Spindel zu beobachten. — Schließlich wäre noch der Kerntheilungsvorgang zu erwähnen, wel- cher von Rogın® bei der Knospenbildung der Noctiluca beobachtet wurde. Zu Anfang der Theilung streckt sich der Kern in die Länge und nimmt die Gestalt eines Cylinders an, dessen Enden abgerundet sind, wobei sein Inhalt gleichmäßig feinkörnig wird. Darauf treten in der Mittelregion des Kerns feine farblose Längsfäden (achroma- tische Spindelfasern) auf, wogegen die abgerundeten Enden ihre Struktur beibehalten. Schließlich durchreißen die Spindelfasern in der Mitte und werden in die, aus der Theilung hervorgegangenen Kerne eingezogen. Von einer Kernplatte oder etwaigen Verdickun- gen der chromatischen Substanz an den Spindelfasern konnte Rosin nichts beobachten. Nach der Analogie mit den Kerntheilungsvor- gängen anderer Protozoen wäre man aber berechtigt, das Auftreten 1 F. BLocHMANN, Bemerkungen über einige Flagellaten. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XL. 1884. pag. 48. 2 C. FıscH, Untersuchungen über einige Flagellaten und verwandte Orga- nismen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLII. 1885. pag. 55—56. 3 C..Fiscu, 1. c. pag. 94. 4 0. BürscaLı, Klassen und Ordnungen ete. 1. c. pag. 743. 5 Cu. Ropin, Recherches sur la reproduction gemmipare et fissipare des Noctiluques. Journ. de l’anat. et de la physiol. 1878. pag. 588 ff. 250 Wladimir Scehwiakoff der Kernplatte auch in diesem Falle zu erwarten. Aus diesem Grunde möchte ich mich der von BÜTScCHLI! ausgesprochenen Ver- muthung anschließen, dass das Stadium der Kernplatte von Rosi übersehen wurde und dass die geschilderten Stadien nichts Anderes, als weiter fortgeschrittene Zustände — die Anfangsstadien der Toch- terkerne darstellen. Am eingehendsten sind die Theilungsvorgänge der Infuso- rienkerne bekannt, an welchen auch die indirekte Theilung von BÜrscHLı zuerst erkannt wurde. Es würde mich zu weit führen, auf die einzelnen interessanten Vorgänge einzugehen, die sich während der Theilung der Nucleoli verschiedener Infusorien ab- spielen; ich möchte nur die wichtigsten Phasen der Theilung kurz erwähnen. Nach Birscuui’s? Untersuchungen stellte es sich her- aus, dass die Substanz des Nucleolus vieler Infusorien schon im normalen Zustande in einen chromatischen (streifig-körnigen) und achromatischen Abschnitt geschieden ist. Bei Beginn der Theilung differenzirt sich die achromatische Substanz in zarte Fasern, denen die chromatischen Körner anliegen. In weiteren Stadien treten die zarten Fasern auch am anderen Ende des Nucleolus zum Vorschein, wodurch eine achromatische Kernspindel, deren Fasern zu den Polen konvergiren, angelegt wird. Die chromatischen Elemente be- schränken sich auf die Mittelzone des Nucleolus und bilden die so- genannte Kernplatte; dieselbe theilt sich im Äquator und die beiden Hälften rücken zu den Polen aus einander. Bald darauf erfolgt die Theilung der ganzen Spindel. — Die Theilung der Nuclei (Haupt- kerne) derselben Infusorien ? geschieht auf eine viel einfachere Weise. Die feinnetzige Struktur des ruhenden Kerns geht in eine fein- faserige (Knäuelform) über, worauf dann unter Längsstreckung des Kerns die Zweitheilung desselben erfolgt. Etwas anders verhält es sich mit den Kernen der Spirochona, wie die Untersuchungen HERT- wıg’s* gezeigt haben. Bei diesem Infusor kann man am ruhenden Kern ebenfalls zwei Abschnitte, einen vorderen, körnigen — nach PLATE® chromatinhaltigen und hinteren, homogenen — achromati- ı OÖ. BUrscHLI, Klassen und Ordnungen ete. 1. c. pag. 1070. 2 0. BÜTSCHLI, Studien etc. |. c. pag. 80 ff. u. a. a. O. 3 0. BUTSscHLI, Studien etc. 1. e. pag. 69—70. 4 R. Herrwic, Über d. Bau u. Entwickl. d. Spiroch. ete. 1. e. 5 L. PLATE, Untersuchungen einiger an den Kiemenblättern des Gamma- rus pulex lebenden Ektoparasiten. ‚Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLIII. 1885. pag. 201. Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 251 schen, unterscheiden. Die ersten Veränderungen, welche die Theilung des Kerns einleiten, bestehen nun darin, dass die körnige Substanz die hyaline ringförmig umgiebt. Darauf tritt die Substanz des erste- ren in die des zweiten hinein, wodurch der Kern einen strahligen Bau erhält. Daraus soll nach Hertwic! eine Kernform resultiren, an der man folgende fünf Abschnitte unterscheiden kann: zwei ho- mogene Endplatten (die mit den Polplatten der Actinosphaeriumkerne oder mit dem Polkörperchen der Euglyphakerne zu vergleichen wä- ren), dann zwei gestreifte Partien und endlich eine körnige Mittel- platte, welche Herrwic mit der Kernplatte vergleicht. Es erfolgt darauf eine Streckung des Kerns, die mit der Durchschnürung des- selben im Aquator der Mittelplatte abschließt, wodurch der Kern in zwei Tochterkerne zerfällt. BALBIANI? vermuthet, dass HERTWIG den Umbildungsprocess der körnigen Kernsubstanz in Fäden, so wie das Auftreten der Kernplatte nicht beobachtet hat, da ja die Mittel- zone durchaus nicht der Kernplatte entspricht. Vielmehr sehen die beiden streifigen Abschnitte wie aus einander gewichene Theile der Kernplatte aus. Die erwähnte Vermuthung BaugIan!s scheint mir vollkommen gerechtfertigt zu sein, aus denselben Gründen, welche ich bereits bei der Besprechung der Theilungsstadien der Noctiluca- kerne erwähnt habe. Dies um so mehr, da Herrwic? selbst sagt, dass die Umgestaltungen des Kerns »nicht an ein und demselben Objekte verfolgt, sondern durch Kombination zahlreicher verschiedener Bilder erschlossen« wurden. Endlich möchte ich noch die Beobach- tungen PrirzNer’s‘ über die Kerne von Opalina ranarum kurz er- wähnen. Es scheint mir dies um so mehr geboten, da der ganze Verlauf der Theilung, eben so wie die einzelnen Kerntheilungsfiguren vollkommen mit meinen Beobachtungen übereinstimmen. Die einzige Abweichung besteht nur darin, dass PrirzNer nichts von Polstrahlen und vom Polkörperchen sehen konnte. Vergleicht man nun die Kerntheilungsarten der eben besproche- nen verschiedenen Protozoenklassen, so wäre man berechtigt für die- selben einen indirekten Kerntheilungsvorgang anzunehmen. Es lässt sich aber durchaus kein einheitlicher Typus der Karyokinese für sämmtliche bis jetzt untersuchte Protozoen aufstellen. So finden wir ı R. Herrwic, Uber Spiroch. ete. 1. ce. pag. 166. 2 E. BALBIAnı, Les organismes unicellulaires. Journ. de micrographie. 1881. Nr. 11. pag. 436—437. 3 R. Herrwic, Uber Spiroch. ete. 1. c. pag. 160. 4 W. PrirzNner, Kernth. b. d. Protoz. ete. 1. c. 252 Wladimir Schewiakoff z. B., dass bei einigen Protozoen die chromatische und achromatische Substanz schon im ruhenden Kerne von einander geschieden sein kann, wogegen bei anderen diese Scheidung erst während der Kerntheilung erfolgt. Eine weitere und hauptsächliche Verschieden- heit besteht in der Entstehung und Ausbildung der Kerntheilungs- figuren. So sehen wir bei den einen (die Richtigkeit der bezüglichen Beobachtungen vorausgesetzt), dass im Kerne zuerst parallele Fäden auftreten, welche aus feinen Strängen achromatischer Substanz be- stehen, denen die Chromatinkörnchen anliegen; die letzteren ver- einigen sich in der Mittelzone und bilden Elemente, welche die Kernplatte aufbauen. Bei anderen dagegen (Euglypha, Opalina) gehen die chromatischen Fäden aus dem Netzgerüste des Kerns hervor, und werden zu Schleifen umgebogen, welche durch ihre Anordnung in der Äquatorialebene die Sternform resp. die Kernplatte zur Ausbildung bringen, worauf erst später die achromatische Kernspindel entsteht. Ob der indirekte Theilungsvorgang bei sämmtlichen Protozoen vorkommt, ist vorläufig schwer zu entscheiden, da unsere Kennt- nisse auf diesem Gebiete zu unvollkommen sind. Ich möchte aber die Vermuthung aussprechen, dass entsprechend der Verschiedenheit in der Organisation, welche wir bei den Protozoen trotz ihrer Ein- zelligkeit finden, auch ihre Kerntheilungsvorgänge eine größere Mannigfaltigkeit, als diejenigen der thierischen und pflanzlichen Ge- webezellen besitzen müssen. Zum Schluss halte ich es für eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. O. BürscHLI, eben so wie Herrn Dr. BLOCHMANN für das hohe Interesse, welches sie an meiner Arbeit bezeugten sowie die mir durch Rath und That erwie- sene Unterstützung innigst zu danken. Anhang. Ich möchte noch die Messungen, welche ich an den sich thei- lenden Kernen anstellte und die Berechnung der Kernvolumina kurz angeben. Die Messungen wurden mit einem Zeıss’schen Ocularmikro- meter 2 bei Harrnack’s homog. Immers. !/,;” unternommen; jeder Theilstrich der Mikrometerskala entspricht 0,0012 mm. Bis zur Sonnenform besitzt der. Kern eine kugelige Gestalt. Ich überzeugte mich davon durch Messungen des Durchmessers in verschiedenen Lagen, welche durch Wälzung des Objektes veran- staltet wurden. Der Radius + des ruhenden Kerns (entsprechend Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 953 Taf. VI Fig. 1) beträgt durchschnittlich 7¢—0,0084 mm; demnach wäre sein Volumen V= 5 27°—0,00000248 emm; der Radius ver- srößert sich stetig, bis er gleich 0,0114 mm wird (entsprechend Taf. I Fig. 8), demnach wäre sein jetziges Volumen V’,=0,0000062 emm: Jetzt plattet sich die Kugel zu einem Rotationsellipsoid ab, welches zuerst ein abgeplattetes (entsprechend Taf. VII Fig. 9—10) ist und dann zu einem gestreckten (entsprechend Taf. VII Fig. 11—16) wird. Von der erwähnten Körperform überzeugte ich mich dadurch, dass ich die Projektionen des Kerns von verschiedenen Seiten sorgfältig mit dem Zeiss’schen Zeichenapparate abbildete und die erhaltenen Kurven untersuchte. Die Untersuchung derselben ergab immer eine Ellipse; selbstredend projieirte sich der Kern von den Polen als ein Kreis. Nennt man die Rotationshalbachse resp. die Theilungshalbachse — 5 (bei dem abgeplatteten Rotationsellipsoid also die kleine Halbachse, beim gestreckten die große), dagegen die Aquatorialhalbachsen — a (beim abgeplatteten die große Halbachse, beim gestreckten die kleine), so ist das Volumen des Rotationsellipsoids Varad. Setzt man in diese Gleichung die Werthe von 6=0,0108 mm und a=0(,012 mm ein, die sich aus der Messung der zum Rotations- ellipsoid sich abgeplatteten Kugel ergeben, so bekommt man V,,=0,0000065 emm. Obgleich das Volumen des Rotationsellipsoids V,, um 0,0000003 emm größer als das der Kugel V, ist, so ist man doch berechtigt, von der Gleichheit ihrer Volumina zu sprechen und zwar aus folgenden Gründen. Die Zahlen, welche die Länge des Radius, resp. der Achsen angeben, sind nur annähernd, da man auf der Mikrometerskala nur die Theilstriche und nicht die Theile der- selben ablesen kann. Bestimmen wir nun den Fehler, auf welchen unser Volumen zu korrigiren wäre. Es sei z der Radius der Kugel, dann ist ikr Volumen X: =; x3; es sei ferner 2 der Fehler, auf welchen x größer oder kleiner ge- nommen wurde, dann ist das jetzige Volumen K,=snl@atn)—Sn(ztBntn + Bann). Subtrahirt man die erste Gleichung von der zweiten, so bekommen wir den Fehler D für das Volumen K—H—D=sn(+ 32?n-+3an?En?); 254 Wladimir Schewiakoff bei der Kleinheit von x können wir die zwei letzten Glieder der Gleichung außer Betracht lassen, dann ist D=+4azm. Auf die- sen Ausdruck wäre unser Volumen V, zu korrigiren. Bei der Messung des Durchmessers kann man sich leicht auf einen halben Theilstrich —0,0006 mm, für den Radius also auf 0,0003 mm= irren; dann wäre bei z—=0,0114 mm unser Fehler D=+0,0000005 emm. Die Differenz V,,—V, beträgt aber 0,0000003 cmm, in Folge dessen wir sagen können, dass die beiden Volumina gleich sind. -Auf die beschriebene Weise kann man die Volumina der übrigen, aus dieser Form entstehenden Rotationsellipsoide (entsprechend Taf. VII Fig. 10—16) berechnen und in ihrer Konstanz sich über- zeugen. Weit einfacher kommt man aber zu diesem Schlusse durch folgende Überlegung. Gesetzt das Rotationsellipsoid behalte bei allen Gestaltsverände- rungen, die durch die verschiedenen Längen der Halbachsen bedingt werden, dasselbe Volumen W; dasselbe ist Waar. Differenzirt man diese Gleichung (indem man a und 5 als Variabeln und W als Konstante auffasst), so erhält man 57 (B. 2a da--a*db)=0 da _ a ey Diese Formel ist bei der Berechnung der Halbachsen fiir be- nachbarte Gestaltsveränderungen des Kerns mit ziemlich großer Ge- nauigkeit anzuwenden. Wenn also die eine Halbachse um eine Einheit zu- oder ab- hieraus folgt nimmt, wird die andere Halbachse um 57 ab- oder zunehmen. Folglich wenn die Theilungshalbachse 2 (in unserem Falle die kleine Halbachse des Ellipsoids) —= 0,0108 mm, und die Äquatorial- halbachse a (große Halbachse) = 0,012 mm war, und die erste um 0,0012 mm abgenommen hat, so muss nach der obigen Formel, wenn das Volumen konstant bleiben soll, die zweite um a 0,012 3, 9,0012 0.02667 008 mm | zunehmen, das heißt die Halbachse a—=0,0126 mm werden, was auch mit der Beobachtung übereinstimmt. db Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 255 In der beifolgenden Tabelle führe ich die verschiedenen Längen der beiden Halbachsen von sieben auf einander folgenden Stadien an. Reihenfolge Längen Längen Längen der | der Halbachse b der Halbachse a der Halbachse a Stadien. | nach der Beobachtung. | nach der Beobachtung. | nach der Berechnung. I 0,0108 mm 0,012 mm II 0,0096 - [rei i - 0,01266 mm lll 0,0108 - ee ie 0,01182 - IV 0,012. - | 0,0114 - 0,01134 - Vv 0,0138 - ee O00) = 0,01054 - VI 0,0156 - | 0,0096 - 0,00953 - vH 0,0168 - 0,00924 - 0,009231 - Durch den Vergleich der entsprechenden Zahlen der dritten und vierten Kolonne ist zu ersehen, dass das Volumen des Kerns von der Sonnenform bis zur Zweitheilung des Kerns konstant bleiben muss. Während der Durchschniirung des Kerns (biskuitförmige Gestalt) und in den darauffolgenden Stadien fällt es schwer, wegen der un- regelmäßigen Gestalt desselben, das Volumen zu bestimmen. Es wird aber wieder möglich zur Zeit der Rückbildung der Tochter- kerne, wenn sie die kugelige Gestalt von Neuem bekommen. Dann beträgt ihr Radius 7 = 0,009 mm, folglich ist das Volu- men des einen = 0,00000305 emm und die Volumina der beiden =(,0000061 emm. Zieht man noch den bei der Messung eines jeden Tochterkerns möglichen Fehler #4x2?2—==0,0000003 emm in Betracht, so ergiebt sich, dass die Summe der beiden Volumina gleich dem Volumen ist, welches das Rotationsellipsoid vor der Thei- lung besaß; folglich muss auch das Volumen des Kerns bei der Theilung konstant geblieben sein. Bei der weiteren Rückbildung der Tochterkerne findet eine Volumverminderung statt; der Radius ver- kleinert sich stetig, bis er = 0,0084 mm wird, so dass das Volu- men jedes Tochterkerns dem Volumen, welches der ruhende Kern besaß (zuweilen annähernd), gleich wird. Heidelberg, im Februar 1887. Erklirung der Abbildungen. Simmtliche Abbildungen sind bei ZeIss’schem Instrumente Stativ II (165 mm Tubuslänge) unter Anwendung des Beleuchtungsapparates von ABBE gezeichnet worden. Die Figuren auf Taf. VI sind nach lebenden Thieren, die auf Taf. VII nach Präparaten entworfen. Die Vergrößerungen betragen: Taf. VI Fig. 1—13 circa 700 mal (SEIBERT’s homog. Immers. 1/5”); Taf. VII Fig. 1—23 und 27 circa 1200mal (HARTNACK’s homog. Immers. 1/3”). Der Deutlichkeit der feineren Strukturverhältnisse wegen sind Fig. 24, 25 und 26 noch ver- gréBert worden. Bedeutung der Buchstaben: a. Amylonkörner, Ch. Cyto-Hyaloplasma, Cm. Cyto-Mikrosomen, Ceh. Cyto-Chylema, C.V. kontraktile Vacuole, e. Exkretkörnchen, n. Nucleus, nel, Nucleolus, nk. Nahrungskörper, ps. Pseudopodien, Sp. Schalenplättchen, A.Z. alveolire Zone, K.Z. Körnerzone, H.Z. hyaline Zone. Tafel VI. Fig. 1. Eine zur Theilung sich anschickende Euglypha. Fig. 2. Beginn der Theilung (etwa nach fünf Minuten). Das Plasma der alveo- lären Zone tritt aus der Schalenmündung hervor und wird von Scha- lenplättchen dachziegelartig überdeckt. Das Plasma der hyalinen Zone hat an Volumen zugenommen und sich in zwei Schichten ge- sondert. Der Kern besitzt einen feinnetzigen Bau; der Nucleolus deutlich. Fig. 3. Weiteres Stadium — circa fünfzehn Minuten nach vorhergehendem. Der Kern besitzt einen faserigen Bau — feinfaserige, dichte Knäuel- form. Der Nucleolus im Verschwinden begriffen. — # ae Uber die karyokinetische Kerntheilung der Euglypha alveolata. 257 Fig. 4. Zehn Minuten nachher. Das den Kern umgebende Cytoplasma nimmt eine strahlige Anordnung an. Die Kernfiiden, die zu Schleifen um- gebogen sind, begeben sich zum Centrum des Kerns, wobei ihre Schenkel eine radiäre Lage bekommen — Sonnenform. Fig. 5. Fünf Minuten nachher. Amöboide Bewegungen des Kerns. Fig. 6. Zehn Minuten nachher. Das Plasma des helleren Abschnittes der hyalinen Zone hat sich an zwei entgegengesetzten Enden des Kerns koncentrirt. Der Kern plattet sich zu einem Rotationsellipsoid ab und die Schleifen lagern sich zu beiden Seiten der Aquatorialebene — Anfangsstadium der Sternform. Entstehung der Polstrablen, des Polkörperchens und der achromatischen Spindelfasern. Fünfzehn Minuten nachher. Die neue Schale des zukünftigen Tochter- individuums vollkommen aufgebaut, in welche das Plasma der alveo- lären Zone übergewandert ist.. Der Kern hat seine Lage verändert, so dass jetzt seine Theilungsachse in die Richtung der Längsachse fällt. An jedem Pole bemerkt man eine Delle, aus der das Pol- körperchen höckerförmig hervorsteht. Die achromatische Kernspindel ausgebildet; die chromatischen Schleifen verkürzen und verdicken ihre Schenkel. Fig. 8. Zwanzig Minuten nachher. Die kontraktile Vacuole verschwunden. Der Kern hat die Gestalt eines gestreckten Rotationsellipsoids an- genommen. Die Schleifen verkürzt und bandförmig. Fig. 9. Zehn Minuten nachher. Das Plasma der Körnerzone ist in die neue Schale übergetreten, im Mutterthiere bleibt nur das Plasma der hya- linen Zone und der Kern zurück. Die Schleifen sind gespalten und stehen rechtwinklig zur Aquatorialebene. Folge der Umordnung — Tonnenform. Fig. 10. Fünf Minuten nachher. Durchschniirung des Kerns; er besitzt eine biskuitförmige Gestalt und rückt oralwiirts. Die Schleifen an den beiden Polen. Fig. 11. Fünf Minuten nachher. Der Kern in zwei Tochterkerne zerfallen, von denen einer in die Tochterschale übergewandert ist. Jeder Toch- terkern vom Plasma der hyalinen Zone umgeben. Das Polkörperchen wird in den Kern eingezogen. Stadium der Tochtersonnen. Beginn der Plasmacirkulation. Fig. 12. Fünf Minuten nachher. Die chromatischen Schleifen werden zu Fä- den ausgestreckt, von denen zarte Fortsätze auszugehen beginnen. Der Nucleolus tritt wieder auf. Tochterknäuel des Kerns. Fig. 18. Zwanzig Minuten nachher. Trennung der Thiere. Ihr Cytoplasma wieder in drei Zonen angeordnet. Der Kern bläschenförmig. Es treten kontraktile Vacuolen und Pseudopodien auf. -ı Fig. Tafel VII. Fig. 1. Feinmaschige Netzstruktur des Kerns. Nucleolus deutlich. Fig. 2. Grobmaschige Netzstruktur des Kerns; Knotenpunkte des Netzwerks dicker, darin feine Körnchen. Nucleolus nicht so scharf begrenzt. Fig. 3. Feinfaseriger Bau des Kerns; die zackigen Fäden besitzen einen ver- worrenen Verlauf: die sogenannte dichte Knäuelform. Fig. 4. Die Fäden werden glattrandig und strecken sich in einer Richtung parallel zu einander. Nucleolus undeutlich. Morpholog. Jahrbuch. 13. 17 255 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Wladimir Schewiakoff, Über die karyokinetische Kerntheilung ete. Verkürzung und Verdickung der Fäden — die sogenannte lockere Knäuelform. Beginn der Umbiegung zu Schleifen. Nucleolus im Ver- schwinden begriffen. Sonnenform. Die Schleifen durch zarte Fädchen mit einander ver- bunden. 7. Etwas ältere Sonnenform. 8. Übergangsstadium der Sonnenform zur Sternform. Beginn der Ab- plattung des Kerns. 9. Anfangsstadium der Sternform. 10. Auftreten der achromatischen Kernspindel; volle Ausbildung der Sternform. 11. Älteres Stadium der Sternform. _ 12. Spaltung der Chromatinkugeln der Schleifen. 13. Beginn der Längsspaltung der Schleifen und der damit verbundenen Umordnung. 14. Tonnenform. 15. Auseinanderweichen der Tochterschleifen. Die Kernspindel kontinuir- lich von Pol zu Pol. 16. Tochtersterne. Durchreißen der achromatischen Spindelfasern in der Mitte. 17. Durchschnürung des Kerns in der Äpuatorialgegend. 18. Weiter vorgerückte Durchschniirung — der Kern biskuitförmig. Toch- tersonnen. 19. Ein Tochterkern so eben aus der Theilung hervorgegangen. 20—21. Riickbildungen des Tochterkerns. Tochterknäuel. 22. Älteres Stadium des Tochterknäuels. Auftreten des Nucleolus. 23. Grobmaschiges Netzgeriist des Tochterkerns. 24. Einzelne Fäden aus dem Stadium der Fig. 3. Von den dichteren Stellen derselben gehen zahlreiche Fortsiitze aus, die mit gleichen — benachbarter Fiiden in Verbindung treten; daher gezacktes Aussehen der Fiiden. 25. Glattrandig gewordene Fäden, bestehend aus abwechselnd hinter ein- ander gelegenen dunkleren und helleren Scheiben. Die dunkleren durch feine Fädchen mit einander verbunden. 26a. Polansicht des Kerns; in der Mitte das_höckerförmige Polkörperchen aus der Delle hervorragend; man sieht einzelne dunkle Punkte auf dem Polkörperchen und in der-Delle; die ersteren sind die Ansatz- stellen der Polstrahlen, die zweiten die der achromatischen Spindel- fasern. 265. Seitenansicht. Das Polkörperchen in der Delle liegend. Konver- girend zu ihm die Polstrahlen und divergirend von ihm die achro- matischen Spindelfasern. 27. Ansicht der Fig. 10 bei hoher Einstellung. Die dunklen Punkte — die Enden der Schleifenschenkel; zwischen ihnen die Verbindungs- fädchen. or = eae ete Reve I Ae pe oR =. on One, oe ao" Herd ehh, Emgebmare. Leinziy Taf Vu. WScheuiakoif gez. Tith Anst vWernereWriler Frosckfare 3H, Taf vH. ET NZ (MR Swe” a Tank Arsen WemeraWönter Frankfort IN Va pe Ver HE. Engelmann Zerzig. a Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. Von Ernst Mehnert, stud. med. in Dorpat. Mit Tafel VIII—X und 4 Figuren im Text. Die vorliegende Untersuchung wurde veranlasst durch eine Preisaufgabe, welche die medieinische Fakultät der Universität Dorpat für das Jahr 1886 gestellt hatte. Es sollte mit Beriicksichti- gung der vom Standpunkte der Descendenzlehre sich ergebenden Fragen der Entwicklungsmodus und die Zusammensetzung des Os pelvis der Vögel festgestellt werden. Obgleich dieses Thema, wie bekannt, mehrfach bearbeitet wor- den ist, widersprechen die bisher veröffentlichten Resultate einander doch der Art, dass noch kürzlich Dames mit Recht sagen konnte, die Morphologie des Vogelbeckens sei wohl noch einer der unklar- sten Punkte in der Morphologie des Vogelskelets überhaupt; fast kein Autor stimme mit dem anderen überein. Die Bearbeitung der gegebenen Aufgabe habe ich in dem ver- gleichend-anatomischen Institute der hiesigen Universität ausgeführt und dem Ergebnis meiner Untersuchung wurde von der medicinischen Fakultät der Preis zuerkannt. Bei meiner Untersuchung habe ich mich vor Allem bemüht, er- neute Beobachtungen über die embryonale Entwicklung des Os pelvis verschiedener Vogelarten anzustellen und alsdann habe ich hinsicht- lich der Frage nach der Phylogenie dieses Skelettheiles die bei Vögeln angetroffenen Befunde nur mit dem Verhalten der zunächst 17* 260 Ernst Mehnert zu berücksichtigenden Objekte — der fossilen Vögel sowie der jetzt lebenden und fossilen Reptilien — verglichen. Es scheint mir, dass ein Theil der Meinungsverschiedenheiten der Autoren darauf zurück- zuführen ist, dass relativ weit von einander getrennte Formen direkt mit einander verglichen wurden. Ich war daher bestrebt, zunächst innerhalb engerer Grenzen zu einem möglichst sicheren Ergebnis zu gelangen, welches für eine eventuell später auszuführende Unter- suchung über die Phylogenie des Os pelvis sämmtlicher Wirbelthiere benutzt werden könnte. Vergleichen wir, um zu einer präcisen Fragestellung zu ge- langen, das Os pelvis eines jungen Vogels (Fig. I des beistehenden Holzschnittes), bei welchem durch den Ossifikationsprocess drei Be- standtheile abgegrenzt sind, mit dem Os pelvis eines Reptils! (Fig. II des Holzschnittes) und berücksichtigen wir die Angaben, welche über die Zusammensetzung beider Skeletbestandtheile, sowie über Fig. 1. Fig. 11. die specielle Homologie der Bestandtheile derselben gemacht wor- den sind, so ergiebt sich, dass allgemein anerkannt ist, die Ab- schnitte « und A seien einander homolog und als Ilium, eben so seien die Abschnitte 4 und B einander homolog und als Ischium zu be- zeichnen. (Die Ansichten von GEOFFROY SAINT-HILAIRE, GRATIOLET und GorskI sind wohl als gänzlich verlassen anzusehen.) Was da- gegen den beim Vogel mit c und den beim Reptil mit C bezeichneten Abschnitt anlangt, so ist es lange Zeit nicht fraglich gewesen, dass diese Abschnitte einander homolog wären und als Pubis zu bezeichnen ! Ich habe das Os pelvis von einem Saurier gewählt, weil hier die drei Bestandtheile sich scharf gegen einander abgrenzen lassen. In den meisten Abhandlungen wird zwar das Os pelvis eines Krokodils als Vergleichsobjekt benutzt, es scheint mir dieses Objekt jedoch nicht ohne Weiteres benutzbar, weil über die Natur des Knorpels, der das Schambein von der Pfanne aus- schließt, verschiedene Auffassungen herrschen. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 261 seien. MECKEL!, Cuvier?, OwEN®, HUXLEY*, GEGENBAUR® sind als Vertreter dieser Auffassung hervorgetreten. Diese Auffassung fand eine Bestätigung durch eine Untersuchung ALEX. von BunGe’s®. BunGE untersuchte die Entwicklung des Os pelvis am Hiihnchen, um zu entscheiden, ob das Pubis sich den an- deren Bestandtheilen gegenüber selbständig anlege; er fand, dass in der That eine selbständige Anlage des Pubis sich konstatiren lässt und somit das Pubis der Vögel in dieser Hinsicht überein- stimmt mit dem Pubis der Krokodilinen, welches gleichfalls relativ selbständig den anderen Bestandtheilen des Os pelvis gegenüber da- steht. BunGe beobachtete, dass das Pubis und das Ischium in den frühesten Stadien fast senkrecht zur Längsachse des Ilium stehen, somit eine Stellung einnehmen, welche sich der Stellung des Pubis und des Ischium bei jetzt lebenden Reptilien nähert. Ischium und Ilium fand Bunce beim Huhne stets verschmolzen, bei der Ente jedoch fand er das Ischium auch vom Ilium getrennt. BunGE be- obachtete, dass das Pubis und das Ischium die Stellung senkrecht zur Längsachse des Ilium in späteren Entwieklungsstadien verlassen, und mit ihren Längsachsen sich derart zur Längsachse des Ilium stellen, dass der distalwärts offene Winkel, den die genannten Achsen bil- den, allmählich immer kleiner wird, bis schließlich Pubis, Ischium und Ilium einander nahezu parallel liegen, wie man dieses bei ausgewachsenen Vögeln vorfindet. Diese Thatsachen veranlassten BunGge zu der Annahme, dass im Laufe der phylogenetischen Ent- wieklung bei den Ahnen der Vögel Pubis und Ischium allmählich distalwärts rotirt und so zu der abweichenden Stellung gelangt sind, die ihnen bei Vögeln gegenüber dem Verhalten der jetzt lebenden Reptilien zukommt. Die Formabweichung des Ilium der Vögel gegenüber dem Ver- ! MECKEL, System der vergleichenden Anatomie. Zweiter Theil. Erste Abth. 1825. pag. 109, 111. 2 CUVIER, Lecons d’anatomie comparée publiées par G. Dumsrır. Tome premier Paris 1835. pag. 478, 482, 486. 3 R. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. II. London 1866. pag. 33—36. Vol. I. pag. 186—190. 4 Huxtey, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Übersetzt von Dr. F. RATzeL. pag. 166—167. 5 GEGENBAUR, Uber den Ausschluss des Schambeines von der Pfanne des Hiiftgelenkes. Morph. Jahrb. Bd. II. pag. 237—238. 6 AtEx. BunGE, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Becken- gürtels der Amphibien, Reptilien und Vögel. Dorpat. Inauguraldiss. 1880. 262 Ernst Mehnert halten desselben bei Sauriern und Krokodilinen war schon früher durch GEGENBAUR interpretirt worden durch den Nachweis eines bei Vögeln zu Stande gekommenen präacetabular gerichteten Wachs- thumes des Ilium}. Neben der eben erwähnten Auffassung des Os pelvis der Vögel hat sich noch eine zweite Meinung über die Art und Weise, wie die Homologien zwischen den Bestandtheilen des Os pelvis eines Vogels und eines Reptils zu bestimmen seien und über den phylogenetischen Entwicklungsmodus des Os pelvis der Vögel geltend gemacht. Diese Auf- fassung stützt sich auf Befunde bei fossilen Reptilien, den Dinosauriern. Diese sind auf Grundlage der Verhältnisse, welche die hintere Ex- tremität und der Beckengürtel zeigen, zuerst von HuxLe£Y? für nahe Verwandte der jetzt lebenden Vögel angesehen worden. HuxLEy sieht sich jedoch bei seiner Vergleichung der Vögel und Dinosaurier nicht veranlasst, die Auffassung des Os pelvis der Vögel, die damals zu Recht bestand, zu verlassen. Neuerdings sind die Dinosaurier gleichfalls im Hinblick auf das Verhalten der hinteren Extremität von G. Baur mit großer Entschiedenheit für die Stammeltern der Vögel erklärt worden, während Dames gegen diese Auffassung der genealogischen Beziehungen der Vögel und Dinosaurier aufgetreten ist aus Gründen, die sich auf das geologische Alter beider Formen- - gruppen beziehen‘. Beide Autoren acceptiren jedoch die neue Auf- fassung des Os pelvis der Vögel, welche von HuLKE und Marsa her- rührt. Marsh drückt sich zwar über die Frage, ob die Dinosaurier Ahnen der Vögel sind, sehr reservirt aus, er bringt jedoch das Os pelvis von einem sauropoden Dinosaurier (Morosaurus grandis) von einem ornithopoden Dinosaurier (Laosaurus altus) und von einem fossilen Vogel aus der Kreide (Hesperornis regalis) in eine morpho- logische Reihe und gelangt eben durch die Vergleichung dieser drei Ossa pelvis zu einer neuen Auffassung des Os pelvis der jetzt leben-- den Vögel, eine Auffassung, welche mit einer von HULKE ausge- ! GEGENBAUR, Beiträge zur Kenntnis des Beckens der Vögel. Jenaische Zeitschr. für Mediein und Naturwissenschaft. Bd. VI. pag. 517. 2 HuxLeEy, »Dinosauria and birds«. The quarterly journal of the geolo- gical society of London. Vol. XXVI. Part I. No. 101. pag. 27. 3 Baur, Der Tarsus der Vögel und Dinosaurier. Morphol. Jahrb. 1883. Bd. VIII. pag. 449. : 4 Damus, Uber Archaeopteryx. Berlin 1884. Paläontologische Abhandl. von W. Dames und E. Kayser. Bd. II. Heft 3. pag. 70. 5 MarsuH, Principal Characters of American Jurassic Dinosaurs. Part I. American journal of science and arts. Vol. XVI. Nov. 1878. Plate X. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 263 sprochenen Ansicht! vollständig übereinstimmt. HuLke und Marsu vertreten die Ansicht, dass der beim Vogel mit d (ef. Holzschn. Fig. I) bezeichnete präacetabulare Fortsatz homolog sei dem von Marsu Pubis genannten Theil des Os pelvis der ornithopoden und sauropoden Dinosaurier, sowie dem Pubis der jetzt lebenden Rep- tilien (ef. Holzschn. Fig. II ©). Weiter sind die genannten Autoren der Meinung, dass der beim Vogel mit ce bezeichnete Abschnitt, welcher nach der Ansicht der älteren Autoren ein Pubis ist, in dem Os pelvis der meist jetzt lebenden Reptilien nicht vertreten sei, wohl aber in dem Theil des Os pelvis der ornithopoden Dinosaurier, der von MarsH »Postpubis« genannt ist, sein Homologon finde. MArsH nennt daher bei Vögeln den Fortsatz d »Pubis«, den Abschnitt c »Postpubis«. Dieser Deutung des Os pelvis der Vögel schlossen sich an WIEDERS- HEIM? (1882), Doro (1883), Dames‘ (1884), Baur® (1885). Dames führt jedoch noch eine neue Bezeichnung ein, indem er den präace- tabularen Fortsatz d mit dem Namen »Präpubis« belegt; für den Abschnitt ce behält er die Marsu’sche Bezeichnung »Postpubis« bei. Bei dieser Art der Homologienbestimmung muss man den genea- logischen Zusammenhang zwischen dem Os pelvis der Vögel und einer Form des Os pelvis, wie sie bei jetzt lebenden Reptilien und bei sauropoden Dinosauriern sich findet, auf folgende Weise kon- struiren. Man muss sich vorstellen, dass in demselben Maße, wie bei den Ahnen der Vögel das ursprüngliche Pubis an Größe abnahm, ein neu aufgetretener Theil, das Postpubis, an Größe zunahm, bis schließlich bei den meisten Vögeln das Pubis zu einem Rudimente wird und nur ein Postpubis vorhanden ist. Bei dieser Auffassung kann in der Ahnenreihe der Vögel in der That eine Form einen Platz finden, welche ein Os pelvis besessen, das so beschaffen ist, wie das Os pelvis der ornithopoden Dino- saurier. Sehr zu statten kam dieser neuen Auffassung des Os pelvis der ı HULKE, Note on a Modified Form of Dinosaurian Ilium hitherto reputed scapula. Quarterly journal of the geological society. Vol. XXXII. Part 3. No. 127. pag. 364. 2 WIEDERSHEIM, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere auf Grundlage der Entwicklungsgeschichte. Jena 1882. pag. 211. 3 DoLLo, Troisiéme note sur les Dinosauriens de Bernissart. Bulletin du musée royal d’histoire naturelle de Belgique. Tome II. 1883. pag. 92, 94. 4 DAMES, Über Archaeopteryx. pag. 33, 34. 5 BAUR, Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. Mor- phol. Jahrb. Bd. X. Heft 4. pag. 613—616. 264 Ernst Mehnert Vögel die Thatsache, dass der präacetabulare Fortsatz bei verschie- denen Vögeln sehr verschieden stark entwickelt ist. Bei den meisten Vögeln fehlt er ganz oder er ist nur sehr schwach entwickelt. Nur bei wenigen Formen besitzt er eine beträchtliche Größe, wie z. B. bei Apteryx, Geococcyx, Tinamus' und beim Haushuhne. In diesen Verschiedenheiten können von dem eben erwähnten Standpunkte aus verschiedene Grade der Reduktion des Pubis erblickt werden. Folgende Autoren vertreten eine abweichende Deutung des prä- acetabularen Fortsatzes d. 1) BunGe? erklärt den präacetabularen Fortsatz d für einen Fortsatz des Ilium und nennt ihn Spina iliaca. BAUR acceptirt diese Ansicht für die Carinaten?. 2) Baur‘ behauptet, dass dieser Fortsatz bei den Ratiten sowohl vom Ilium wie vom Pubis (c) gebildet wird. 3) Owen, Eyron®, Mivarr’, HuxLey®, erklären den Fortsatz d für einen Bestandtheil des Pubis ce. HUuXxLEY nennt ihn Pectineal- process; MıvArT »Illio peetinealprocess«. 4) WIEDERSHEIM® spricht die Vermuthung aus, dass wir es hier mit einem vierten Bestandtheile, mit einer »Pars acetabularis« zu thun haben. Auch dieser Ansicht schließt sich Baur an. Welche von diesen hinsichtlich des präacetabularen Fortsatzes 1 MArsH, Odontornithes. A monograph of the extinet toothed birds of North America. Memoirs of the Peabody Museum of the Yale College. Vol 1. New Haven 1880. pag. 73. Fig. 19, 20. 2 BUNGE, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Beckengiirtels 2 AEG Dorpat 1880. pag. 52. 3 BAUR, Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier. Morphol. Jahrb. 1885. Bd. X. pag. 613. 4 BAUR, |. cit. pag. 614. 5 Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. II. London 1866. pag. 36. 6 Eyron, Osteologia avium or a sketch of the osteology of birds. Lon- don 1867. pag. 89. 7 Mivart, On the axial skeleton of the ostrich (Struthio camelus). Trans- actions of the zoological society of London. Vol. VIII. 1874. pag. 433. 8 HUxLEY, On the characters of the pelvis in the Mammalia. Proceedings of the Royal society. Vol. XXVIII. 1879. 9 R. WIEDERSHEIM, Grundriss der vergleichenden Anatomie. Jena 1884. pag. 76, 77; ef. auch Lehrbuch der vergl. Anatomie. Jena 1886. Zweite Aufl. pag. 190. a 10 BAUR, PARKER’s Bemerkungen über Archaeopteryx und eine Zusammen- stellung der Hauptlitteratur über jenen Vogel. Zoologischer Anzeiger von V. Carus. Nr. 216. pag. 107 Anmerkung. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 265 d sowie hinsichtlich der Zusammensetzung des Os pelvis geäußerten Auffassungen richtig ist, eventuell wie man sich den phylogenetischen Entwicklungsmodus des Os pelvis der Vögel zu denken hat, ist durch Vergleichung der bisher betrachteten entwickelten Formen nieht zu entscheiden. Es kann nur eine embryologische Untersuchung hier die Ent- scheidung bringen. Nach dem Erscheinen der BunGr’schen Arbeit ist nur eine hierher gehörige entwicklungsgeschichtliche Untersuchung publieirt worden. Es ist das die in Cambridge auf Veranlassung BAaLrour's ausgeführte Arbeit von ALICE Jonnson!. Diese Arbeit betrifft ausschließlich die Entwicklung des Os pelvis des Hühnchens. Das Ergebnis dieser Untersuchung tritt mit Ausnahme eines Punktes (die von BunGe in frühen Stadien konstatirte senkrechte Stellung des Pubis zur Längsachse des Ilium) sämmtlichen Ergebnissen der Bunge’schen Arbeit entgegen. Es wird eine selbständige Anlage des Pubis geleugnet und eine kontinuirliche Anlage sämmtlicher Theile des Os pelvis des Hühnchens behauptet und ohne jede nähere Begründung die HuULKE-Marsu'sche Auffassung acceptirt. Den präacetabularen Fortsatz nennt A. Jounson »vorderen Ast des Pubis«. Das Pubis nach der Auffassung der älteren Autoren wird »hinterer Ast des Pubis« genannt. In Bezug auf alles bisher Besprochene ergiebt es sich, dass eine Anzahl von Punkten in der Deutung des Os pelvis der Vögel einer erneuten Prüfung bedarf. Vor Allem muss festgestellt werden, welche morphologisch unterscheidbaren Elemente das Os pelvis der Vögel sei es auf Grundlage der knorpeligen Anlage oder auf Grundlage des Ossi- ficationsprocesses zusammensetzen und welche Homologien zwi- schen diesen Theilen und denen, die bei Reptilien angetroffen werden, zu konstatiren sind. Sodann ist die Natur des präaceta- bularen Fortsatzes d zu eruiren. Ist derselbe ein Rudiment des Pubis der jetzt lebenden Reptilien und des von Marsu Pubis ge- nannten Theiles des Os pelvis der ornithopoden Dinosaurier, so kann erwartet werden, dass im Laufe der embryonalen Entwicklung bei Vögeln die vorauszusetzende Reduktion sich beobachten lassen werde und dass dieser Theil des Os pelvis entweder im Zusammenhange ! On the Development of the pelvic girdle and skeleton of the Hind limb in the Chick. Studies from the morphological laboratory in the university of Cambridge. London 1884. Vol. Il. Part I. pag. 13. 266 Ernst Mehnert mit dem früher Pubis genannten Theile sich anlegen werde, oder, falls diesem Fortsatze eine selbständige Anlage zukommt, so müsste er früher mit dem Pubis (dem »Postpubis« MArsH) verschmelzen und erst dann mit dem Ilium sich verbinden. Es dürfte ferner — vorausgesetzt. dass die Marsn’sche Auffassung richtig ist — nicht beobachtet werden können, dass dieser Fortsatz sich etwa vom Ilium aus bildet, wie dieses BuNGE angedeutet hat. Weiter wäre dann die Frage nach der Stellung des Pubis nnd Ischium zur Längsachse des Ilium zu untersuchen. Ich habe den Versuch gemacht, auf Grundlage erneuter Un- tersuchungen diese Fragen zu prüfen. Es schien mir a priori nicht möglich, nur durch Untersuchung am Hühnchen zu einem sicheren Ergebnis hinsichtlich der soeben bezeichneten Fragen zu gelangen, denn in überzeugender Weise ist von C. K. HOFFMANN darauf auf- merksam gemacht worden, dass beim Hühnchen in Folge der Dome- stikation manche Entwicklungsvorgänge nicht mehr deutlich hervor- treten, die bei wild lebenden Vögeln, insbesondere bei den relativ primitiven Sumpf- und Wasservégeln noch beobachtet werden können !. Es schien mir daher erforderlich, vor Allem Embryonen von diesen Vögeln zur Untersuchung zu verwenden. Um tadelloses Ma- terial zu erlangen, unternahm ich im Frühling 1886 eine Reise an die Meeresküste Esthlands und zwar wählte ich die Matzal-Wiek, weil hier das Vogelleben ein so reges ist, wie wohl nirgends in den bal- tischen Landen und weil diese Gegend schon von V. Russow auf das Genaueste während dreier Reisen untersucht und beschrieben war2. Hierdurch war mir die Möglichkeit gegeben, mich schon vor meiner Expedition mit den in Frage kommenden Lokalitäten, Lebens- eigenthümlichkeiten, Brutzeiten ete. bekannt zu machen. Die Ex- pedition, die sechs Wochen dauerte, hatte einen guten Erfolg; es gelangte eine große Anzahl von Eiern zum Theil seltener Sumpf- und Seevögel in meinen Besitz. Die Eier wurden an Ort und Stelle, ı C. K. HoFFmAnn, Die Bildung des Mesoderm, der Anlage der Chorda dorsalis und die Entwicklung des Canalis neurentericus bei Vogelembryonen. Verhandelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen. Deel XXIII. Amsterdam 1883. 2 Russow, Die Ornis Esth-, Liv- und Kurlands mit besonderer Beriick- sichtigung der Brutverhititnisse. Herausgegeben von PrEskE. Dorpat 1880. — Verzeichnis der in der Matzalbucht als briitend oder als durchziehend be- obachteten Vögel. Sitzungsber. der Dorp. Naturf. Gesellschaft. III. Bd. 2. Heft. pag. 155; cf. auch Bd. III derselben Sitzungsberichte Heft 5. Untersuchungen iiber die Entwicklung des Os pelvis der Vigel. 267 theils nach den erlegten Elternthieren, theils nach den charakteristi- schen Färbungen und Größenverhältnissen diagnosticirt. Gute Dienste leistete mir hierbei eine große Eier- und Nestersammlung, wie auch eine reichhaltige ornithologische Bibliothek, die ich in Echmes bei dem Herrn ALEXANDER Baron HoYNInGEN-HUENE benutzen durfte, Auch in anderer Hinsicht fand ich von Seiten der Grundbesitzer jener Gegend vielfache Unterstützung. Insbesondere bin ich dem Herrn NıcoLaı Baron HOYNInGEN-HUENE zu Matzal und dem Herrn EpuarD Baron MAYDELL zu ILLust-PATZAL in hohem Grade verpflichtet. Ich benutze daher die Gelegenheit, den genannten Herren auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Um zu einer Unterscheidung der Stadien zu gelangen, in denen die Embryonen sich befanden, benutzte ich Messungen an der hin- teren Extremität. In den Stadien, in welchen diese Extremität noch gerade gestreckt ist, wurde die Länge der ganzen Extremität be- stimmt; weil aber die Grenze zwischen der Extremität und dem Rumpf im Lauf der späteren Entwicklung sich verwischt und die Extremität eine Beugung in ihren Gelenken erfährt, musste für die späteren Entwicklungsstadien ein anderes Maß gewählt werden. Ich benutzte die Distanz zwischen dem Kniegelenke und dem Inter- tarsalgelenke und nenne der Kürze wegen dieses Maß Länge der Tibia. Folgende Vogelarten wurden untersucht. Schizognathae. Sterna hirundo. 7 Stadien. Länge der hinteren Extremität 0,21, 0,3, 0,35, 0,4, 0,45, 0,5, 0,6. Larus canus. 5 Stadien. L. d. h. Extr. 0,3, 0,4, 0,5, 0,6. Nahezu ausgewachsene Exemplare. Larus. ridibundus. 3 Stadien. L. d. h. Extr. 0,3, 0,4, 0,6. Podiceps cornutus. 2 Stadien. L. d. h. Extr. 0,4, 0,5. Haematopus ostralegus. 4 Stadien. L. d. h. Extr. 0,2, 0,3, 0,4. Länge der Tibia 1,4. Totanus calidris. 2 Stadien. L. d. h. Extr. 0,35. Tibia 0.5. Charadrius hiaticum. 2 Stadien. L. d. h. Extr. 0,45, 0,5. Vanellus cristatus. Tibia 0,4. Numenius arquatus. Tibia 2,6. ! Alle Zahlenangaben beziehen sich auf Centimeter. 268 Ernst Mehnert Tringa alpina. Tibia 1,6, Ascolopax gallinago. L. d. h. Extr. 0,35. Scolopax major. Tibia 1,7. Machetes. Nahezu ausgewachsenes Exemplar. Gallus domesticus. Alle Entwicklungsstadien vom 5. bis 21 Tage. Mehrere junge Hiihner. Tetrao tetrix. Tibia 1,15. Desmognathae. Anas domestica. Alle Entwicklungsstadien yom 5. bis 20. Tage. Rhynchaspis clypeata. 3 Stadien. L. d. h. Extr. 0,25, 0,3, 0,5, Anser cinereus. 2 Stadien. Tibia 1,2, 5,5 (15,0)1. Aegithognathae. Corvus frugilegus. 5 Stadien. L. d. h. Extr. 0,3, 0,4, 0,5, Tibia 7,5, 7,7. Corvus cornix. 4 Stadien. L. d. h. Extr. 0,4. Tibia 2,6, 4,3, 4,9. Corvus monedula. 2 Stadien. Tibia 0,4, 0,6. Motacilla. Tibia 0,4, (3,2). Anthus pratensis. 2 Stadien. L. d. h. Extr. 0,2. 0,4. Embryonen, bei denen Ossificationen noch nicht zu vermuthen waren, wurden mit Chromsäure, ältere Embryonen mit einer Lösung von Pikrinsäure in Wasser behandelt und dann in bekannter Weise mit Alkohol von verschiedenem Procentgehalt schnittfähig gemacht. Alle Objekte wurden in toto gefärbt und zwar erwiesen sich als allen Anforderungen genügend die Hämatoxylinlösung nach KLEINEN- BERG-STRASSER ? und eine alkoholische Karminlösung. _ Zum Einschließen bediente ich mich des Celloidins und zerlegte die Objekte auf einem THoma’schen Mikrotome in kontinuirliche Schnittserien. Die Dicke der Schnitte beträgt !/,, mm. Ältere Stadien, z. B. Nestvögel, habe ich mit Messer und Pincette präparirt. Die von mir untersuchten Embryonen der wild lebenden Vögel wur- 1 Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf Längenangaben bei aus- gewachsenen Vögeln derselben Art. 2 STRASSER, Zur Entwicklung der Extremitätenknorpel bei Salamandern und Tritonen. Morphol. Jahrb. V. Bd. pag. 242. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 269 den in der Weise zerlegt, dass ich aus der einen Körperhälfte eines jeden Embryo Sagittalschnitte anfertigte, die andere Körperhälfte alsdann in Querschnitte zerlegte. Die Schnitte, die ich der Kürze wegen Sagittalschnitte nenne, liegen nicht genau in Saggittalebenen des Körpers. Ich war bemüht, eine solche Schnittrichtung einzuhal- ten, die es gestattete, alle Bestandtheile durch einen Schnitt zu treffen, um so das Verhalten etwaiger isolirter Bestandtheile in der Acetabularregion in einem Schnitte überschauen zu können. Die benutzte Schnittebene bildet mit wirklichen Sagittalebenen einen distal und ventral offenen körperlichen Winkel, da das freie Ende des Ischium, wie schon BunsE und JoHNsoN richtig bemerken, der Medianebene des Körpers viel näher liegt, als das periphere Ende des Pubis (Bungee). Die Querschnitte suchte ich, so weit dieses bei der Krümmung der Chorda möglich ist, senkrecht zur Verlaufsrich- tung der letzteren anzufertigen. Um die Kombination der Schnittserien zu sichern, habe ich von vielen Serien die einzelnen Schnitte skizzirt und mit Hilfe dieser Skizzen die Kombination vorgenommen. Alle von mir angefertigten Sehnittserien, wie auch die makroskopischen Präparate vom Os pelvis, so weit sie hier in Betracht kommen, habe ich als Belegstücke für die vorliegende Untersuchung im vergleichend-anatomischen Institute der Universität Dorpat niedergelegt. ° Mittheilung der Untersuchungsergebnisse. Zunächst will ich die erste Anlage des Os pelvis der Vögel schildern und gehe aus von den Verhältnissen, wie ich sie bei einem Embryo von Podiceps cornutus, L. d. h. Extr. 0,4, gesehen habe; ef. Fig. I. Zwischen dem N. cruralis und dem N. ischiadicus (Fig. 1 n er., n. isch), welche auf Sagittalschnitten deutlich hervortreten und in ihrem Verlaufe zu verfolgen sind, findet man ein Zelllager, welches aus kleinen, dicht an einander gefügten Zellen besteht und sich durch diese Beschaffenheit relativ scharf von dem übrigen mehr lockeren Gewebe abgrenzt. Knorpelintercellularsubstanz lässt sich hier nicht nachweisen, obgleich dieses Objekt mit Himatoxylin gefärbt ist, welches, wie bekannt, die geringsten Spuren von Knorpelintercellu- larsubstanz zur Wahrnehmung bringt. Dieses Zelllager hat in sei- nem dorsalen Theile annähernd die Gestalt einer Platte, die nahezu in einer Sagittalebene liegt und geht ventral in zwei divergirende 270 Ernst Mehnert Fortsätze aus, von denen der proximale dünner ist (Fig. 1 ec) als der distale (Fig. 1 4). In der Figur sind diese Fortsätze nicht in ihrer ganzen Längen- ausdehnung zu übersehen; von dem dorsalen, plattenförmigen Theil ist nur ein kleiner Abschnitt in der Figur sichtbar. Zwischen den beiden ventral gerichteten Fortsätzen verläuft der N. obturatorius (Fig. 1 n.obt), jedoch so, dass er von dem dichten Zellgewebslager noch umschlossen wird. In Fig. 2 ist die Anlage des Os pelvis in einem Querschnitte durch die Beckengegend eines Embryo von Totanus calidris, der fast auf derselben Entwicklungsstufe steht, wie das eben beschriebene Objekt (L. d. h. Extr. 0,35), dargestellt. Man ersieht aus der Figur die Dicke des plattenförmigen Theiles der Anlage (P/t) und die Ausdehnung derselben in dorsaler Richtung. Der Schnitt zeigt zugleich den Fortsatz 6, der in seiner ganzen Länge getroffen vor- liegt. Das Femur besteht in diesem Stadium schon aus deutlichem Knorpelgewebe. Man sieht es in der Figur im Längsschnitte (Fr) und kann konstatiren, dass das proximale Ende desselben mit dem diehten Zelllager, weiches die Anlage des späteren Os pelvis bildet, im Kontakte steht. Bei Embryonen der Lariden habe ich im Principe dieselben Ver- hältnisse wie bei Podiceps beobachtet, nur wird bei den Lariden der Nervus obturatorius von einer viel schmäleren Zone des dichten Zell- lagers ventral umschlossen: Bei Anas domestica, Corvus frugilegus, Gallus domesticus liegt der N. obturatorius außerhalb der Zellanhäu- fung, welche die erste Anlage des Os pelvis bildet. Das Os pelvis legt sich somit bei sämmtlichen eben erwähnten Vögeln in der Ge- stalt eines zusammenhängenden, noch nicht die Beschaffenheit eines Knorpels habenden Zelllagers an, welches im Allgemeinen die Kon- figuration der primitivsten Form besitzt; in der das spätere Os pelvis auch im krorpeligen Zustande beobachtet werden kann. Um die- selbe Zeit zeigt sich das Femur bei allen genannten Vögeln deutlich als hyalinknorpeliges Gebilde. Wenden wir uns jetzt zu dem Stadium, in welchem in der eben geschilderten Anlage des Os pelvis zuerst Knorpelgewebe auftritt, so finden wir folgende Verhältnisse, die ich auf Grundlage des Be- fundes bei einem Lachmövenembryo schildern will. In Fig. 6 ist ein den Beckengürtel treffender Sagittalschnitt durch den Leib eines Lachmövenembryo (L. d. h. Extr. 0,4) abge- bildet. Man sieht drei Durchschnitte durch knorpelige Gebilde, Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 271 welehe einen in der Mitte gelegenen vierten umgeben. Die Trennung dieser vier Gebilde lässt sich in allen Schnitten der betreffenden Serie konstatiren. Der in der Mitte gelegene runde Knorpel stellt den Durchschnitt dureh den Kopf des Femur dar. Dorsal von die- sem finden wir eine Knorpelplatte, die parallel zur Wirbelsäule ge- lagert ist. Diese Knorpelplatte, die im abgebildeten Schnitte nicht in ihrer ganzen Ausdehnung getroffen ist, überlagert nur wenig proxi- malwärts den Nervus cruralis, distalwärts reicht sie viel weiter über den N. ischiadieus hinaus. Ventralwärts vom Kopfe des Femur fin- den wir zwei Knorpelstäbe, die an dem vorliegenden Schnitte schräg zu ihrer Längsachse getroffen sind. Sie sind also am Objekte in der That länger als es die Figur zeigt (weil diese nur einen Schnitt darstellt). Der proximal und ventral gegebene Knorpelstab (Pub) ist mit abgerundeten Enden versehen und steht senkrecht zur Längs- achse der Wirbelsäule und der dorsal gelegenen Knorpelplatte. Der ventral und distal gelegene Knorpel (Zsch) zeigt die Gestalt eines etwas abgeplatteten Stabes mit abgerundeten Enden. Er bildet mit dem ventral und proximal gelegenen Knorpel einen ventralwärts offenen spitzen Winkel. Zwischen diesen drei Knorpeln und dem Femurkopfe findet sich ein dichtes kleinzelliges Gewebslager!. In Fig. 7, 8 und 9 sind Querschnitte durch die linke Körper- hälfte desselben Embryo von Larus ridibundus, dem auch der eben beschriebene Schnitt entstammt, abgebildet. In Fig. 7 sieht man in der Region des Os pelvis zwei ovale Durchschnitte durch knor- pelige Gebilde, die durch eine breite Zone eines kleinzelligen Ge- webslagers von einander getrennt sind. Der dorsale Knorpel stellt den Querschnitt durch den proximalen Theil der dorsalen Knorpel- platte vor. In dem ventral gelegenen Knorpelfelde erkennen wir 1 Sowohl in diesem Schnitte, als auch in allen übrigen Schnitten dieser Serie erkennt man, dass das Femur von den Knorpeln der Anlags des späteren Os pelvis getrennt ist. Das Femur legt sich als ein selbständiger Knorpel an und zwar stets bevor die Knorpel des Os pelvis sich differenziren. Ich habe dieses beobachtet bei: Larus canus, Larus ridibundus, Sterna, Podiceps cor- nutus, Haematopus ostralegus, Anas domestica, Corvus frugilegus und beim Huhne. Beim Huhne treten diese Verhiiltnisse allerdings nicht so deutlich auf wie bei wildlebenden Vögeln, bei denen die Zone des indifferenten Gewebes, welche den Kopf des Femur von den Knorpeln des späteren Os pelvis trennen, sehr breit ist, doch vermochte ich bei keinem einzigen Hühnerembryo nachzu- weisen, dass das Femur mit den Knorpeln des Os pelvis in einem kontinuir- lichen Zusammenhange stand, wie dieses A. JOHNSON beobachtet zu haben angiebt. 272 Ernst Mehnert den fast parallel zu seiner Längsachse getroffenen proximal und ven- tral gelegenen Knorpelstab (Pub). Das Femur ist in diesem Schnitte noch nicht getroffen. In Fig. 8 ist ein mehr distal gelegener Schnitt derselben Serie abgebildet. Der ventrale und proximale Knor- pelstab liegt nicht mehr in der Schnittebene. Die dorsale Platte ist wie in allen übrigen hierher gehörigen Schnitten deutlich sichtbar. Fast senkrecht zu dem Querschnitte derselben steht das Femur (Fr). In Fig. 9 ist ein noch mehr distal gelegener Sehnitt gezeichnet. Wir treffen außer dem Längsschnitte durch das Femur (Fmr) und dem Querschnitte der dorsalen Knorpelplatte (77) den ventral und distal gelegenen, früher erwähnten Knorpel (/sc}). Dieser ist schräg zu seiner Längsachse durchschnitten. Auch hier sind, wie auch in allen übrigen Schnitten dieser Serie, die Knorpel durch ein Lager eines kleinzelligen indifferenten Gewebes von einander getrennt. Die geschilderten Verhältnisse machen es evident, dass die An- lage des späteren Os pelvis von Larus ridibundus, in dem Stadium, in welchem man zuerst Knorpel erkennt, drei völlig getrennte Knor- pel unterscheiden lässt. Dieselben drei Knorpel finden sich auch bei einem Embryo von Podiceps cornutus, L. d. h. Extr. 0,5. Vergleichen wir einen Sa- gittalschnitt aus der Beckenregion dieses Embryo (Fig. 3) mit dem — in Fig. 1 abgebildeten Sagittalschnitte, welcher einem jüngeren Podiceps cornutus entnommen ist, so kann es keinem Zweifel unter- liegen, dass die drei Knorpel, die wir in dem älteren Stadium finden, durch histologische Differenzirung in der ursprünglichen, aus dicht an einander gelagerten Zellen bestehenden, einheitlichen Gewebsmasse entstanden sind (Fig. 1). Im Prineip denselben Befund wie bei Larus ridibundus (L. d. h. Extr. 0,4) und bei Podiceps cornutus (L. d. h. Extr. 0,5) habe ich noch bei sieben anderen Vogelarten gemacht. Es sind dieses: Sterna hirundo (L. d. h. Extr. 0,35), Larus canus (L. d. h. Extr. 0,4), Anas domestica (L. d. h. Extr. 0,5), Corvus frugilegus (L. d. h. Extr. 0,4), Corvus cornix (L. d. h. Extr. 0,4), Anthus pratensis (L. d. h, Extr. 0,25). Von sechs anderen Vogelarten konnte ich nur in den Besitz von älteren Embryonen gelangen, bei denen sich offen- bar schon eine Verwachsung der eben beschriebenen drei Theile ein- geleitet hatte, denn es ließen sich an der Stelle, wo bei den vorher erwähnten Befunden noch breite Zonen eines indifferenten Gewebes sich vorfanden, nur schmale Zonen eines intercellularsubstanzarmen Knorpels erkennen, die auch auf eine frühere Selbständigkeit der Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 973 drei Knorpel hindeuten. Ich fand dieses bei: Tetrao tetrix (L. d. Tibia 1,15), Anser cinereus (L. d. Tib. 1,2), Vanellus eristatus (L. d. Tib. 0,4), Charadrius hiaticum (L. d. Tib. 0,45), Corvus mone- dula (L. d. Tib. 0,4), Motacilla (L. d. Tib. 0,4). Bevor ich weitere Entwicklungsstadien schildere, ist zunächst eine Deutung der eben beschriebenen ersten knorpeligen Anlage des späteren Os pelvis vorzunehmen. Vergleichen wir zu diesem Zwecke das Os pelvis von Larus ridibundus, wie es uns bei seiner ersten knorpeligen Anlage vorliegt (Holzschn. Fig. IV)!, mit dem Os pelvis eines sauropoden Dinosaurier und zwar wähle ich das Os pelvis von Brontosaurus excelsus M. (Holzschn. Fig. III)?, weil bei diesem sauropoden Dinosaurier die Bestandtheile des Os pelvis relativ am besten erhalten sind. Fig. II. Fig. IV. : ws 6) wy Die drei hier sichtbaren Bestandtheile werden von Marsr als Ilium, Ischium und Pubis bezeichnet, eine Deutung, die mir zu- treffend erscheint. Die Vergleichung eines solehen Os pelvis mit dem Befunde beim Embryo von Larus ridibundus zeigt, dass bei Beiden, beim Vogelembryo wie beim ausgewachsenen Sauropoden, drei gesonderte Theile vorliegen, die eine auffallende Übereinstimmung in der Lagerung zeigen. 1 In dieser Figur ist die Form der drei Knorpel, wie sie durch die Kom- bination der ganzen Serie sich feststellen lässt, in Kontouren wiedergegeben. Das in der Mitte gelegene runde Stück ist der Durchschnitt durch den Kopf des Femur. Das zerlegte Objekt gehört der rechten Körperseite an, die Figur ist jedoch, um sie leichter mit Fig. III vergleichen zu können, so entworfen worden, als ob das Objekt der linken Körperhälfte angehörte. 2 Diese Figur ist eine verkleinerte Kopie des von Marsu abgebildeten lin- ken Os pelvis von Brontosaurus. (Sill. Am. Journ. Se. Vol. XXT. 1881. Plate X VIII.) Auch die Bezeichnung der Bestandtheile ist dieselbe, wie sie MArsH benutzt hat. Morpholog. Jahrbuch. 13. 18 274 Ernst Mehnert Die dorsale Knorpelplatte stimmt völlig mit dem Ilium von Brontosaurus überein, muss daher als Ilium gedeutet werden. Pubis und Ischium sind beim Sauropoden fast gleich stark entwickelt und so gestellt, dass sie ventralwärts divergiren, während die Längsachse des Pubis nahezu senkrecht zur Längsachse des Ilium steht. Das- selbe Verhältnis findet man bei den zwei ventral gelegenen Knorpel- stäben des Lachmövenembryo. Der ventral und distal gelegene Knorpelstab beim Mövenembryo hat dasselbe Lagerungsverhältnis wie das Ischium von Brontosaurus, muss daher als Ischium gedeutet werden. Der ventral und proximal gelegene Knorpel bei Larus ridibun- dus hat dasselbe Lagerungsverhältnis, wie das Pubis des Sauropoden, er steht fast senkrecht zum Ilium; er muss zunächst dem Pubis der sauropoden Dinosaurier homolog gesetzt werden. Da aber MArsH an- erkennt, dass das Pubis der sauropoden Dinosaurier homolog ist dem Pubis der jetzt lebenden Reptilien, eine Auffassung, die ich theile, so folgt daraus, dass der in Rede stehende Theil des Lachmöven- embryo auch homolog ist dem Pubis der jetzt lebenden Reptilien. In diesem Entwicklungsstadium des Os pelvis der Vögel ist ein Postpubis nicht zu konstatiren. Es fragt sich aber, ob dasselbe nicht später gebildet wird. Wäre die Marsu’sche Auffassung des Os pelvis der Vögel rich- tig, so müsste der weitere Entwicklungsgang bei Vögeln folgender sein. Es müsste der Theil, der sich als Pubis herausgestellt hat, in der Situation, die ihm in diesem Stadium zukommt, verbleiben und sich im Laufe der ontogenetischen Entwieklung redueiren bis zur Größe des präacetabularen Fortsatzes und im Anschlusse an das acetabulare Ende des Pubis genannten Theiles müsste ein distal- wärts vorspringender im Laufe der Entwieklung sich verlängernder Theil zur Entstehung kommen, welcher das Postpubis wäre. Ist aber die ältere Auffassung des Os pelvis richtig, so müsste in Über- einstimmung mit dem von BunGE erlangten Ergebnisse eine Lage- veränderung des von uns Pubis genannten Theiles konstatirt werden und der präacetabulare Fortsatz muss als eine nachträgliche Bildung sich herausstellen. Es ist nun durch die Untersuchung sicher nachzuweisen, dass in der That die letzteren Folgerungen zu bestätigen sind. BunGe! ! BUNGE, Untersuchungen zur Entwicklung des Beckengürtels ... 1880. pag. 47, 48. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 275 hat bereits beim Hühnchen beobachtet, dass die beiden ventral ge- legenen Knorpelstäbe, die ich als Pubis und Ischium bezeichnet habe, ihre ursprüngliche Stellung senkrecht zur Längsachse des Ilium ver- lassen und sich um einen in ihrem acetabularen Ende liegenden Punkt derart mit ihren distalen Enden dorsalwärts drehen, dass sie in die Lagerung kommen, die beim ausgewachsenen Vogel dem Ischium und dem Theil zukommt, der von Marsa als ein Post- pubis bezeichnet worden ist. Dieses Ergebnis der Bunge’schen Un- tersuchung wird von A. JoHnson! nicht in Abrede gestellt und in der Hauptsache von Baur? bestätigt. Ganz dieselbe Beobachtung habe ich außer am Hühnchen auch bei anderen Vögeln z. B. an Lariden gemacht. Die erste An- deutung dieser Lageveränderung bei Podiceps cornutus erkennt man schon bei der Vergleichung von Fig. 1 und Fig. 3. Im Stadium der Fig. 1 bildet die gekrümmte Achse des hinteren Leibesabschnittes nahezu einen Kreisbogen und der Fortsatz c, in welchem sich später das Pubis differenzirt, hat die Stellung eines Radius dieses Bogens, steht somit senkrecht zur Längsachse dieses Körperabschnittes. Im Stadium der Fig. 3 bildet das Pubis dagegen mit der Längsachse des Körpers einen zwar noch recht großen, aber doch schon spitzen, distalwärts offenen Winkel, auch divergiren in diesem Stadium Pubis und Ischium nicht mehr so deutlich, wie in dem Stadium der Fig. 1. Die auch in allen späteren Stadien leicht zu beobachtende, successiv 1 A. JOHNSON, loc. cit. pag. 18. 2 BAUR, PARKER’s Bemerkungen ete. December 1885. Zoologischer An- zeiger von CARUS. IX. Jahrgang. Nr. 216. pag. 107 Anm. Ohne Bunge’s Beobachtungen zu erwähnen, sagt BAUR hier Folgendes: »Von letzterem« (dem Becken der Vögel) »kann ich schon jetzt Folgendes behaupten: Das Pubis (autor.) der Vögelist dem Pubis der Reptilien homolog; es exi- stirt kein Postpubis (HuLKE, MArsn). Das Pubis der Vögel steht im embryo- nalen Zustande beinahe senkrecht zum Ilium, und dreht sich successive nach hin- ten«. Dieser Satz hat, abgesehen von der in ihm liegenden Bestätigung des Bunge’schen Untersuchungsergebnisses, das Interesse, dass BAUR durch diesen Satz die Auffassung des Os pelvis der Vögel aufgiebt, welche er in einer ein Jahr früher verfassten Abhandlung hingestellt hatte. In dieser Abhandlung (»Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier«. November 1884. Morphol. Jahrb. Bd X. pag. 613) gelangte BAUR durch eine Vergleichung der Verhältnisse des Postpubis »in der Reihe der Dinosaurier und Vögel« zu einem ganz entgegengesetzten Ergebnisse, das Postpubis sei bei Ratiten »wohl ent- wickelt«, bei Carinaten »sehr stark entwickelt« (pag. 615). Nachdem BAUR durch den oben eitirten Satz seiner Mittheilung aus dem Jahre 1885 diese Auffassung selbst verlassen hat, ist man dessen überhoben, seine frühere An- schauung einer Kritik zu unterziehen. 15* 276 Ernst Mehnert sich steigernde Lageveränderung von Pubis und Ischium durch wei- tere Abbildungen zu veranschaulichen, habe ich unterlassen, da es nicht möglich ist, in späteren Stadien alle Theile in erforderlicher Ausdehnung auf einem Schnitte zu erblicken. Nur die Kombination der Schnitte einer jeden Serie giebt hier die Möglichkeit, das Lage- verhältnis zu überblicken und zu erkennen, dass der Theil des Os pelvis eines Vogels, welcher von Marsn Postpubis genannt worden ist, ein rückwärts gelagertes Pubis ist, das heißt, dasselbe Gebilde ist, welches wir auf frühen Entwicklungsstufen bei Lariden und an- deren Vögeln in einer Situation fanden, die es ermöglichte, es dem Pubis der sauropoden Dinosaurier und dem Pubis der jetzt lebenden Reptilien homolog zu setzen. Ein Postpubis kommt somit den Vögeln auch in spä- teren Stadien nicht zu; es fehlt den Vögeln gänzlich. Hieraus folgt schon, dass der präacetabulare Fortsatz nicht das Rudiment eines Pubis sein kann, da dieses bei ausgewachsenen Vö- geln vollkommen ausgebildet anzutreffen ist. Es lässt sich aber auch direkt nachweisen, dass der präacetabulare Fortsatz nicht ein Rudiment ist eines bei niederen Formen höher ausgebildeten Bestand- theiles, sondern eine accessorische Bildung des Ilium. Dieses geht aus der Betrachtung der Entwicklung des präace- tabularen Fortsatzes hervor. Zunächst will ich die Entstehung desselben beim Haushuhne schildern. Betrachten wir einen Sagittalschnitt (Fig. 10) durch die Region des Os pelvis von einem sechs Tage alten Hühnchen, so finden wir dorsal von dem Durchschnitte des Femurkopfes (Kpf. d.Fmr) den Durchschnitt durch das Ilium (77), das fast in seiner ganzen Längenausdehnung im Schnitte getroffen ist. Wir sehen vom Ilium aus einen, aus sehr jungem Knorpelgewebe bestehenden, ventralwärts zum Pubis (Pub) gerichteten Fortsatz (Pr.ü.ac.pub) sich erstrecken, welchen ich Processus ilei acetabularis pubicus nenne. An demselben sehen wir eine proximalwärts gerichtete, zapfenförmige Zellwucherung des Perichondrium (sp.z/), welche die erste Anlage des beim ausgewachsenen Huhne stark entwickelten präacetabularen Fortsatzes bildet. In diesem Stadium besteht dieser Fortsatz noch aus einem kleinzelligen Gewebslager; Knorpelinter- cellularsubstanz lässt sich zwischen diesen Zellen nicht nachweisen. Man sieht deutlich, dass an der Bildung dieses Fortsatzes das vom Ilium vollständig getrennte Pubis (Pub) sich in keiner Weise be- theiligt, der Fortsatz geht vom Processus ilei acetabularis pubicus Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 277 aus; man müsste ihn desshalb Spina processus ilei acetabularis pu- bici nennen, der Kiirze wegen will ich ihn jedoch mit dem Namen Spina iliaca bezeichnen. Bei Hiihnerembryonen, die sieben Tage alt sind, findet man, dass die Spina iliaca an Größe etwas zugenommen hat und noch aus einem indifferenten Gewebe besteht, wie bei Em- bryonen des vorigen Stadium. Bei Hühnerembryonen von acht Tagen (ef. Fig. 11«@ und 0) ist in der Basis der Spina iliaca bereits Knorpelgewebe zu finden, das gegen die Spitze des Fortsatzes in intercellularsubstanzärmeren Knorpel über- geht. Es differenzirt sich auch bereits das Perichondrium der Spina iliaca. Dieselbe ist etwas lateralwärts gekrümmt, daher kann man in Fig. 11@ die Spina iliaca nicht in ihrer ganzen Ausdehnung überschauen, sondern es ist in dem abgebildeten Schnitte nur die Basis der Spina iliaca, d. h. nur der Theil der letzteren getroffen, mit welchem die Spina iliaca dem Processus ilei acetabularis pubi- cus aufsitzt. In Fig. 114, welche einen Schnitt derselben Serie darstellt, welcher um sechs Schnitte lateralwärts liegt, ist die Spina iliaca schräg durchschnitten und zwar so, dass die am meisten pro- minirende Spitze derselben getroffen ist. Dieser Schnitt lässt im Vergleiche mit dem in Fig. 11a abgebildeten Schnitte erkennen, wie weit die Spina iliaca vorspringt. Das Ilium ist in diesem Sta- dium vom Pubis durch eine Zone eines indifferenten Gewebes (77), die sich auf allen hierher gehörigen Schnitten findet, vollständig getrennt. Daher tritt die Zugehörigkeit der Spina iliaca zum [ium auch in diesem Stadium sehr deutlich hervor. Bei Hühnerembryonen vom neunten Tage besteht die ganze Spina iliaca aus wohl entwickeltem Knorpelgewebe; sie ist auch in diesem Stadium lateralwärts gekrümmt. In Fig. 12 ist für dieses Stadium, in gleicher Weise wie in Fig. 115 von dem früheren Sta- dium der am meisten prominirende Theil der Spina iliaca abgebildet. Die Vergleichung beider Figuren zeigt, dass die Spina iliaca im Laufe des neunten Tages eine geringe Größenzunahme erfahren hat. Dieses Wachsthum ist auch in späteren Stadien zu erkennen, ja es kann noch ersehen werden, wenn man die bereits verknö- cherte Spina iliaca eines jungen Huhnes (Fig. 4 sp.d) mit der eines alten Thieres (Fig. 5 sp.) vergleicht. Erst beim alten Thiere erreicht die Spina iliaca das Maximum ihrer Größe. Wir sehen so- mit, dass die Spina iliaca im Laufe der ontogenetischen Entwicklung beim Huhne allmählich an Größe zunimmt. Es bestätigt sich dem- nach die Erwartung nicht, die man hegen konnte, wenn man die 278 Ernst Mehnert Spina iliaca als Rudiment auffasste (ef. pag. 14). Mein Beobach- tungsergebnis steht auch im Widerspruche mit dem Resultate, zu welchem A. JoHnson gelangte. A. Jounson behauptet, dass der »vordere Ast des Pubis« (Spina iliaca) im Laufe der Entwicklung des Os pelvis eine Riickbildung erleide. In der betreffenden Ab- handlung heißt es: »The anterior branch of the pubis, ...... becomes more and more proportionately insignificant, and forms ” last the pectineal process of the pubis!.« »In embryo birds the pro- cess (anterior branch of Pubis) is found in about the same propor- tionate condition of development as in Ornithorhynchus. In adult, it becomes much reduced, or is absent?.« Bei drei Hühnerembryonen des sechsten Tages (Plate IV Fig. 3, 4, 6) bildet A. Jonson eine große Spina iliaca ab. Bei einem älteren Hühnerembryo (Plate V Fig. 7) ist die Spina iliaca viel kleiner angegeben. Wenn diese Beobachtungen richtig wären, so würde aus ihnen allerdings eine Reduktion der Spina iliaca beim älteren Embryo zu erkennen sein. Da aber A. JOHNSON in Plate V Fig. 18 das Os pelvis eines zwan- zigtägigen Hühnerembryo abbildet, bei welchem die Spina iliaca (pp) relativ sehr viel länger erscheint, als bei dem zuletzt erwähnten, in Plate V Fig. 7 abgebildeten, jüngeren Hühnerembryo, so müsste A. JoHNSON behaupten, dass die Reduktion der Spina iliaca wieder aufgegeben wird zu Gunsten eines nachträglich eintretenden Längen- wachsthums. Auf den Befund bei diesem Hühnerembryo im Ver- gleiche zu dem in Plate V Fig. 7 abgebildeten geht A. JOHNSON überhaupt bei der Diskussion der Frage nach der Reduktion der Spina iliaca gar nicht ein und lässt es auch ganz unberührt, dass auch in der nachembryonalen Zeit (wie ich gezeigt habe) ein Fort- schreiten des Wachsthums der Spina iliaca beobachtet werden kann. Ich kann aber auch nicht zugeben, dass die von A. JOHNSON pu- blieirten Fig. 3, 4, 6 Plate IV naturgetreu wären. Es wird in diesen Figuren der Knorpel nicht von dem Perichondrium unter- schieden, es bleibt daher unentschieden, ob in den Kontour der hier gezeichneten Skelettheile nicht auch das Gebiet des Perichondriums mit hineingezogen ist. Dass aber die Spina iliaca, oder wie A. JOHNSON? sie nennt, »der vordere Ast des Pubis« in seiner Länge fast drei Viertheilen des »hinteren Astes des Pubis« (Pubis, BunGE) loco eit. pag. 17. loco cit. pag. 19. loco cit. pag. 19. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vigel. 279 gleich kommt, wie dieses auch in Fig. 15 Plate V gezeichnet ist, muss ich mit Entschiedenheit in Abrede stellen und erklären, dass diese Zeichnung in noch höherem Grade als die übrigen Figuren die thatsächlich zu beobachtenden Verhältnisse nicht wiedergiebt. Meine Angaben glaube ich genügend durch Abbildungen unter- stützt zu haben, deren Vergleichung das beim Huhne im Laufe der Ontogenie erfolgende Längenwachsthum der Spina iliaca unzweifel- haft erkennen lässt. Als Bestätigung des Befundes beim Hühnchen kann ich auch bei anderen Vögeln den Nachweis führen, dass die Anlage der Spina iliaca vom Processus ilei acetabularis ausgeht. Bei einem Tetrao tetrix (Tibia 1, 5) habe ich konstatirt, dass vom Processus ilei acetabularis pubicus, welcher durch eine deut- liche Trennungsspur vom Pubis getrennt ist, ein geringer, nur in vier Schnitten sichtbarer kegelförmiger Fortsatz ausgeht (Fig. 13 sp.tl), welcher genau in der Form, Richtung und Lage dem prä- acetabularen Fortsatze beim ausgewachsenen Birkhuhne entspricht. _ Während aber das ganze spätere Os pelvis aus wohl entwickeltem Knorpel besteht und schon im eigentlichen d. h. postacetabularen Ilium Ossifikationen eingetreten sind, wird diese Spina iliaca noch aus dicht gedrängten Zeller des Perichondriums gebildet. Diese Spina iliaca entspricht also in ihrer histologischen Zusammensetzung der Spina iliaca eines sechstägigen Hühnerembryo. Bei einem Anser cinereus (Tibia 1, 2) ef. Fig. 14 findet man deutliche Trennungsspuren, welche das Pubis vom Processus ilei acetabularis pubicus und vom Processus ischii acetabularis trennen. (Zwischen dem Ischium und Ilium findet man keine Trennungsspuren mehr vor.) Diese deutlichen Trennungsspuren ermöglichen mit Sicher- heit die Zugehörigkeit eines kleinen Fortsatzes, welcher in seiner Lage und Richtung mit dem präacetabularen Fortsatze bei ausge- wachsenen Graugänsen übereinstimmt, zum Processus ilei acetabu- laris pubicus festzustellen und ihn als Spina iliaca zu deuten. Aus den eben geschilderten Befunden bei Gallus domesticus, bei Tetrao tetrix und Anser einereus ergiebt es sich, dass der präace- tabulare Fortsatz genetisch dem Processus ilei acetabularis pubicus angehört. Im Einklange damit steht auch die schon längst bekannte und vielfach eitirte Angabe, die auch ich bei allen von mir darauf hin untersuchten Hühnchen bestätigen konnte, dass die Spina iliaca nur vom [lium aus ossifieirt (cf. Fig. 4). Die Spina iliaca tritt bei verschiedenen Vögeln zu verschiedener 280 Ernst Mehnert Zeit auf. Es scheint dieses Auftreten in einem Zusammenhang mit der Entwicklungsstufe zu stehen, welche die Spina iliaca bei er- wachsenen Vögeln besitzt. Beim Huhne, bei welchem die Spina iliaca einen relativ hohen Grad von Ausbildung erreicht, legt sich dieser Fortsatz an, wenn die Bestandtheile des späteren Os pelvis in ihrer knorpeligen Anlage sich differenzirt haben. (Im Verlaufe des sechsten Tages.) Bei Tetrao tetrix und Anser einereus erreicht die Spina iliaca in ausge- wachsenem Zustande nicht so große Dimensionen wie beim Huhne. Bei ihnen legt sich die Spina iliaca auch knorpelig an, aber erst in einer späteren Entwicklungsperiode, wenn die Verknöcherung im Bereiche des postacetabularen Theiles des Ilium bereits begonnen. Bei ausgewachsenen Charadriomorphen ist die Spina iliaca kleiner als bei Tetrao tetrix und Anser cinereus. Bei Haematopus ostraiegus (Tib. 1, 4), Numenius arquatus (Tib. 2, 6), Scolopax major (Tib. 1,7), Tringa alpina (Tib. 1, 6) konnte, obgleich schon ausgedehnte Ossi- fikationen nachzuweisen waren, keine Andeutung einer Spina iliaca konstatirt werden. Derselbe Befund wurde bei einem Nestvogel von | Machetes pugnax gemacht. Bei ausgewachsenen Lariden stellt die Spina iliaca einen sehr kleinen Höcker vor. Bei drei jungen Larus canus, bei denen die knöchernen Bestandtheile im Acetabulum zum | Theile schon fest unter einander verwachsen waren und nur Reste eines Knorpelbelages der distalen Enden nachzuweisen waren, konnte noch nicht die geringste Andeutung einer Spina iliaca beob- achtet werden. Resumiren wir das eben Mitgetheilte, so ergiebt sich, dass bei den Vögeln, bei welchen die Spina iliaca im ausgewachsenen Zu- stande relativ groß ist, dieselbe früh und zwar schon knorpelig auf- tritt. Bei Vögeln jedoch, bei welchen die Spina iliaca im ausge- wachsenen Zustande relativ klein ist, ist eine knorpelige Anlage derselben nicht zu finden. Sie tritt hier erst in der nachembryonalen Zeit auf; da aber das Ilium zu dieser Zeit schon knöchern ist, so darf man wohl annehmen, dass die Spina iliaca bei diesen Vögeln als ein knöcherner Auswuchs der betreffenden Partie des Ilium ent- steht. Hieraus geht hervor, dass die Spina iliaca eine nachträglich zu Stande kommende Bildung ist. Da die bisher betrachteten Vögel sehr verschiedenen Abtheilun- gen der Carinaten angehören, so kann auf Grundlage des Mitge- theilten die erwähnte Auffassung der Spina iliaca so wie des Os pel- vis als für alle Carinaten erwiesen hingestellt werden. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 281 In Betreff der Ratiten scheint es mir nicht dem geringsten Zweifel zu unterliegen, dass dieselben wie die Carinaten ein Pubis besitzen und dass eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung auch bei Ratiten hinsichtlich des Pubis das gleiche Ergebnis liefern wiirde wie bei Carinaten (es lassen sich, wie später erwähnt werden soll, Spuren der Lageveränderung des Pubis noch bei erwachsenen Ratiten nachweisen); was dagegen den präacetabularen Fortsatz anlangt, so kann die für Carinaten begründete Auffassung desselben nicht ohne Weiteres auf die Ratiten übertragen werden. An einem von MıvAarr! abgebildeten Os pelvis eines jungen Straußes sieht man in der Acetabularregion einen stumpfen Vor- sprung, der vom Processus ilei acetabularis pubicus und dem Pubis, welche beide noch nicht knöchern mit einander verbunden sind, ge- bildet wird. Denselben Vorsprung finde ich bei einer jungen Rhea americana der Dorpater Sammlung und in einer Abbildung des Os pelvis eines jungen Casuarius, welche SABATIER? publieirt hat, ist dieser Vorsprung gleichfalls sichtbar. Aus diesen Befunden jedoch zu schließen, dass der präacetabulare Fortsatz der erwachsenen Ra- titen sowohl vom Pubis wie vom Ilium gebildet wird, wie dieses Baur? mit Bezugnahme auf die von SABATIER gegebene Abbildung behauptet, halte ich für unstatthaft. Denselben Vorsprung findet man nämlich auch bei Carinaten in dem Entwicklungsstadium, in welchem das Pubis mit dem Processus ilei acetabularis pubieus noch nicht knöchern verbunden ist, sondern beide noch durch eine Knorpelscheibe von einander getrennt sind und zwar kann man diesen Vorsprung sowohl bei Carinaten konsta- tiren, die eine wohl ausgebildete Spina iliaca besitzen (z. B. beim Huhne), als auch bei solchen Formen, die im entwickelten Zustande keine Spina iliaca haben (z. B. Otis tarda). Betrachtet man Fig. 4, welche das Os pelvis eines jungen Huhnes von der medialen Fläche darstellt, so findet man vor dem 1 On the axial skeleton of the ostrich (Struthio camelus). Transactions ot the zoological society of London. Vol. VIII. 1874. pag. 437. Fig. 74. 2 Comparaison des ceintures et des membres antéricures et postérieures dans la série des vertébrés par ARMAND SABATIER. Extrait des Mémoires de Yacadémie des Sciences lettres de Montpellier. Section des sciences tom IX. Montpellier 1880. Planche VI Fig. 1. 3 Bemerkungen über das Becken der Vögel und Dinosaurier von BAUR. Morph. Jahrb. 1885. Bd. X. Viertes Heft. pag. 614. Baur sagt: »Hier geht die Trennungslinie zwischen Pubis und Ilium mitten durch den ‚Pectinealprocess‘; die obere Hälfte des Fortsatzes gehört dem Ilium, die untere dem Pubis an.« 282 Ernst Mehnert Acetabulum die vom Ilium ossifieirte Spina iliaca (Sp.d). Außer der Spina iliaca sieht man eine durch den Zusammentritt vom Pro- cessus ilei acetabularis pubicus und dem Pubis gebildete leisten- förmige Erhebung (em.7/.pub); man kann dieselbe Eminentia ileo- pubica nennen. Stellt man sich vor, dass an diesem Objekte die Spina iliaca fehlte, so würde in der Seitenansicht die vom Pubis und [lium gebildete Eminentia ileo-pubica als stumpfer Fortsatz er- scheinen. Es würde hier ein Befund vorliegen, der in der That übereinstimmt mit dem, den man an einem jugendlichen Exemplare von Otis tarda machen kann. Gegenbaur hat bereits in den »Beiträge zur Kenntnis des Beckens der Vögel« Jenaische Zeitschrift für Mediein und Naturwissenschaft Band VI Tafel VII Fig. 17 das Os pelvis einer jungen Otis tarda abgebildet, welches eine Eminentia ileo-pubica erkennen lässt. Völlig übereinstimmende Verhältnisse mit dieser von GEGENBAUR publieirten Abbildung, was die Eminentia ileo-pubica anbetrifft, habe ich an dem Os pelvis mehrerer jungen Trappen der Dorpater Sammlung gefunden. Otis tarda besitzt aber im entwickelten Zustande keine Spina iliaca. Man ersieht hieraus, dass die Eminentia ileo-pubica unabhängig von einer Spina iliaca in die Erscheinung tritt. Im Laufe der späteren Entwicklung verwischt sich die Eminentia ileo-- pubica. Andeutungen an eine Eminentia ileo-pubica findet man jedoch noch bei völlig ausgewachsenen Vögeln, wie z. B. an dem Os pelvis des Haushuhnes (cf. Fig. 5 em.al.pub). Da die Emi- nentia ileo-pubica, wie wir sie bei Carinaten finden, vollständig mit dem bei den erwähnten jungen Ratiten gefundenen Vorsprung über- einstimmt, so ersieht man hieraus, dass der letztere eine Eminentia ileo-pubica ist und nicht etwa schon der von zwei Bestandtheilen des Os pelvis gebildete präacetabulare Fortsatz der ausgewachsenen Formen. Derselbe findet sich im entwickelten Zustande in einer Situation, die es vermuthen lässt, dass er sich im Anschlusse an diese Eminentia ileo-pubica entwickelt, es muss jedoch, da Ent- wicklungsstadien nicht bekannt sind, in denen mit Sicherheit die erste Anlage des präacetabularen Fortsatzes erkannt werden könnte, zunächst unentschieden bleiben, ob nur der vom Ilium stammende Theil der Eminentia ileo-pubica den präacetabularen Fortsatz bildet, wie dieses Mivarr! behauptet, indem er sagt »the pubis does not 1 MıvART, On the axial skeleton..... Transact. of the zool. soc. of London. Vol. VIII. 1874. pag. 437. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 283 seem to take any share in forming the iliopectinealspine«, oder ob auch das Pubis einen gewissen Antheil an der Bildung des präace- tabularen Fortsatzes nimmt. Dieses ist indess eine untergeordnete Seite der Frage. Wesentlich erscheint, dass wenn man die Eminentia ileo-pubica der jungen Ratiten in ihrer Größe mit dem präacetabu- laren Fortsatze bei erwachsenen Ratiten vergleicht, man konstatiren kann, dass der präacetabulare Fortsatz der erwachsenen Ratiten viel größer ist und somit erst nachträglich entstanden sein muss. Am mindesten ausgebildet ist er bei Casuarius galeatus, schon mehr entwickelt bei Rhea americana, noch weiter entfaltet beim Strauße; am stärksten entwickelt tritt dieser Fortsatz bei Apteryx! hervor. Dieses späte Auftreten des präacetabularen Fortsatzes lehrt auch bei Ratiten, dass er eine nachträgliche Bildung ist, und nicht ein Rudiment und hierin liegt eine wichtige Übereinstimmung mit den Befunden, welche bei Carinaten gemacht wurden. Sollte aber eine fernere Untersuchung feststellen, dass bei Ratiten auch das Pubis einen gewissen Antheil an der Bildung des präacetabularen Fort- satzes nimmt, welcher Fall auch denkbar wäre, so würde nur eine inkomplete Homologie des präacetabularen Fortsatzes der Ratiten gegenüber der Spina iliaca der Carinaten erwiesen sein, und das 1 Der Umstand, dass bei den Ratiten der präacetabulare Fortsatz relativ stark entwickelt ist und bei Apteryx die größte Länge besitzt, scheint mir der Grund dafür gewesen zu sein, dass die Natur des präacetabularen Fortsatzes verkannt wurde. Huxtey (On the Characters of the Pelvis ete. Proceedings of the royal soc. Vol. XXVIII. 1874. pl. VIII fig. 9), Marsu (Principal Charac- ters of American etc. Amer. journal of sc. and arts. Vol. XVII. 1871. pl. IX fig. 3), Hunker (Note on a Modified Form of Dinosaurian Ilium ete. Quarterly Journal of the geological society. Vol. XXXII. Partie 3. Nr. 127. pag. 366) bezeichnen den priiacetabularen Fortsatz bei Apteryx gewissermaBen als den unter den Vögeln am mindesten zuriickgebildeten »Pectinealprocess der Dino- saurier«. Die Thatsache, dass bei Apteryx ein so stark entwickelter Fortsatz sich vorfindet, erscheint nicht besonders bedeutungsvoll bei Erwägung des Um- standes, dass zwar das Os pelvis aller Ratiten einzelne embryonale Eigenthüm- lichkeiten aufweist, dagegen aber in mancher Hinsicht einen so hohen Grad von Umformung zeigt, wie man ihn bei keinem einzigen anderen jetzt lebenden Vogel vorfindet. Die Symphysenbildung der Pubis bei Struthio, die ausge- dehnte Symphyse, welche die Ischia bei Rhea bilden, sind vollständig isolirt dastehende Erscheinungen. Sie sind Folge einer hohen Entwicklung dieser Theile, und da nun bei zwei Ratiten eine bei anderen Vögeln nicht erreichte Entwicklung einzelner Bestandtheile des Os pelvis konstatirt ist, so hat es auch nichts Befremdendes, dass bei einem dritten Vertreter dieser Vogelgruppe, bei Apteryx, eine sehr starke Entwicklung des präacetabularen Fortsatzes sich vorfindet. 284 Ernst Mehnert wäre nicht unverständlich da bei beiden Vogelabtheilungen der prä- acetabulare Fortsatz ein nachträglich gebildeter Theil ist. Diese Auffassung der Spina iliaca kann weiter unterstützt werden durch einen Blick auf die Verhältnisse des präacetabularen Fortsatzes bei fossilen Vögeln. Wäre die Spina iliaca ein Rudiment, so ließe sich erwarten, dass sie bei fossilen Formen, namentlich bei den ältesten Vögeln relativ groß sei. Dies ist aber nicht der Fall. Marsu sagt von Hesperornis regalis!: »the true pubic element or ilio pectineal process is not larger than in many recent bird and is much inferior in size to the corresponding protuberance in the pelvis of Geococeyx and of Tinamus«. Die Schwierigkeit, die in diesem Befunde für die von Marsu vertretene Auffassung des prä- acetabularen Fortsatzes als Pubis entsteht, bleibt hier unerwähnt. Bei Apatornis celer und Ichthyornis victor? ist ein präacetabularer Fortsatz gar nicht vorhanden und dieses wird auch von MArsH im Texte konstatirt?. Auch bei Archaeopteryx ist nach der Auffassung von Dames‘! von einem Pubis (HuLKE-MArsH) kaum etwas zu be- merken, d. h. es ist auch hier ein präacetabularer Fortsatz nicht vorhanden. Bei einer von OwEn beschriebenen Dinornis und zwar bei Apatornis defossor findet sich, wie aus Owen’s Beschreibung hervorgeht, gleichfalls kein präacetabularer Fortsatz. Owen hat auf die Existenz desselben besonders geachtet, wie aus folgendem Satz hervorgeht: »The proportions and form of so much of the pubis as is preserved adhere to the ralline type of that bone, but the tu- berele prominent below the fore part of the bone in most existing, Rallines is not developed in Aptornis.« Besonders interessant ist die Vergleichung des Os pelvis eines jetzt lebenden Ibis mit dem Os pelvis eines fossilen Ibis. 1 Odontornithes. A monograph of the extinct toothed birds of North America by Cu. Marsu. Memoirs of the Peabody Museum of the Yale Col- lege. Vol. I. New Haven 1880. pag. 73. 2 MARSH, Odontornithes .... Plate XXXII. 3 MARSH sagt 1. c. pag. 163: The pubis has no distinct anterior process (Ichtyornis victor) und nennt somit sowohl hier als auch in der Erklärung der hierher gehörigen Abbildungen auf Plate XXXII den Theil wieder ein Pubis, von dem er an einer anderen Stelle (l. c. pag. 72) behauptet, nachgewiesen zu haben, dass er ein »Postpubis« ist. 4 W. Dames, Über Archaeopteryx. Berlin 1884. Paläontologische Abhand- lung von W. Dames und E. Kayser. II. Bd. Drittes Heft. pag. 34. 5 On Dinornis (Part XVII) containing a Description of the Sternum and Pelvis with or attempted Restoration of Apatornis defossor by Prof. Owen. Transactions of the zoological society. Vol. VIII. pag. 125. Dazu Plate 14, 15, 16, Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 985 An einem Os pelvis von Ibis faleinella finde ich eine, wenn auch ‚nur schwach entwickelte Spina iliaca. Das von Minne Epwarps! abgebildete Os pelvis eines Ibis pagana aus dem Miocen hat aber nicht die geringste Andeutung eines priiacetabularen Fortsatzes. Es ergiebt sich aus dieser Zusammenstellung, dass bei fossilen Vögeln entweder eine Spina iliaca vollständig fehlt oder, falls sie vorhanden, nur eine geringe Größe erreicht und dieses unterstützt weiter die Auffassung, dass die Spina iliaca nicht ein Erbstück von reptilienähnlichen Vorfahren ist, sondern eine erst bei den Vögeln auftretende Bildung darstellt. Jetzt bleibt nur noch die Frage zu diskutiren, ob der Theil des Ilium, von welchem die Spina iliaca ausgeht, d. h. der von mir Processus ilei acetabularis pubicus genannte Theil, nicht vielleicht ein selbständiges Gebilde ist, welches bei Vögeln nur zuerst mit dem Ilium, später mit dem Pubis verwächst; Dames? vermuthet dieses in Betreff des von ihm Praepubis genannten Theiles. Nach dieser Hypothese würde es sich um einen vierten Bestandtheil des Os pelvis der Vögel handeln. Diese Auffassung wäre aber nur in dem Falle berechtigt, wenn der entwicklungsgeschichtliche Nachweis geliefert werden könnte, dass in der That der Theil des Ilium, von welchem aus der präacetabulare Fortsatz sich entwickelt, d. h. der Processus ilei acetabularis pubicus eine selbständige Anlage hat. DoLLo, dem die Thatsache, dass der präacetabulare Fortsatz der Vögel vom Ilium aus ossifieirt, bekannt war, vermuthet, dass dieses ein sekundärer Vorgang sei. Er behauptet? »qu’une séparation pendant le jeune äge entre la protuberance et Yilium résoudrait le probléme, en fa- veur de cette derniere hypothése« (d. h. der Selbständigkeit des präacetabularen Fortsatzes). Bunce fand, dass die Spina iliaca vom Pubis vollständig getrennt ist, mit dem Ilium jedoch zusammen- hängt. A. JoHNson vermochte weder die von BUNGE beobachtete Trennung der Spina iliaca vom Pubis, noch die von DoLLo postu- lirte Trennung der Spina iliaca vom Ilium nachzuweisen. Eine Entscheidung dieser Frage ist beim Huhne nieht möglich, sie ist nur möglich bei solchen Formen, bei denen man alle Stadien der Entstehung des Processus ilei acetabularis pubicus verfolgen ! Recherches anatomiques et palaeontologiques pour servir 4 l’histoire des oiseaux fossiles de la France par M. A. Minne Epwarps. Atlas. Tome I. pl. 70 fig. 12. 2 Dames, Entgegnung an Herrn Dr. BAur. Morph. Jahrb. X. Bd. pag. 608, 609; cf. auch Uber Archaeopteryx. pag. 34. 986 Ernst Mehnert kann. Solche Formen habe ich in den Lariden gefunden. Bei ihnen findet man bei der ersten Differenzirung der Knorpel des Os pelvis kaum Andeutungen von Acetabularfortsätzen. Ich verweise auf Fig. 6. Erst im Laufe der weiteren Entwicklung tritt ein Fortsatz des Ilium auf, welcher dem Pubis entgegenwächst und sich mit ihm verbindet. Ich habe diesen Vorgang Schritt für Schritt bei den Lariden beobachtet. Es ist also der Theil des Os pelvis, von welchem die Spina iliaca ausgeht, nicht als selbständiges Ge- bilde aufzufassen, sondern als ein Acetabularfortsatz des Ilium, welcher dem Pubis entgegenwächst und sich mit ihm verbindet. In der Ahnenreihe, die wir für die jetzt lebenden Vögel voraus- setzen dürfen, kann — wie ich weiter behaupten muss — eine Form nieht hineingehört haben, die ein Os pelvis besaß, wie es den ornithopoden Dinosauriern zukommt. Wie wir auch den dritten, ventral gelegenen Bestandtheil des Os pelvis von einem Ornitho- poden auffassen mögen, in jedem Falle ist er höher differenzirt als das Pubis genannte Gebilde der Vögel und es deutet dieser Umstand für die ornithopoden Dinosaurier einen Entwicklungsgang an, der von dem der jetzt lebenden Vögel divergent abweicht. Es giebt für die Herleitung des Os pelvis eines ornithopoden Dinosauriers, aus einer Form wie sie bei sauropoden Dinosauriern. vorliegt, zwei Möglichkeiten. Wenn der von MArsH bei ornithopoden Dinosauriern »Pubis« genannte Theil homolog ist dem Pubis eines sauropoden Dinosauriers, so handelt es sich bei den ornithopeden Dinosauriern um die Neubildung eines Postpubis, welches bei den jetzt lebenden Vögeln kein Homologon hat, während der ältere Theil, das Pubis, bei ornithopoden Dinosauriern entweder seine ursprüng- liche Lage beibehalten hat, oder sogar proximalwärts rotirt ist. Ist dagegen das »Pubis« (MArsH) eines sauropoden Dinosauriers homolog dem »Postpubis« eines ornithopoden, so muss auch hier die gleiche Lageveränderung, wie wir sie bei jetzt lebenden Vögeln ontogenetisch beobachten, angenommen werden. Ist dieses der Fall, dann ist der vordere Abschnitt bei ornithopoden Dinosauriern ein neugebildeter Theil des Pubis und nicht des Ilium wie bei carinaten Vögeln und darin drückt sich schon die Divergenz der Entwicklungsrichtung aus. Sollte die Meinung Mivarr’s, dass der präacetabulare Fortsatz der Ratiten nur vom Ilium gebildet wird, somit ein Verhalten zeigt, wie wir es bei den Carinaten vorfanden, sich nicht als richtig erweisen, und sollten spätere Forschungen, wofür jedoch bis jetzt noch gar nichts spricht, zeigen, dass auch das Pubis einen gewissen Antheil Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 987 an der Bildung des präacetabularen Fortsatzes hat, so würde hieraus noch nicht folgen, wie Baur dieses behauptet!, dass bei den Ra- titen der Antheil des Pubis, der an der Bildung des präacetabularen Fortsatzes betheiligt ist, homolog ist dem präacetabularen Theil des Pubis (Pubis MArsu) der ornithopoden Dinosaurier. Das späte Auftreten des präacetabularen Fortsatzes bei Ratiten zeigt, dass wir es auch hier nicht mit einer ererbten Einrichtung zu thun haben können, sondern nur mit einer erst bei den Vögeln aufgetretenen Bildung. Es zeigt sich also, dass die ornithopoden Dinosaurier nicht Stammformen der jetzt lebenden Vögel sein können. In so fern muss ich Dames beistimmen?. Die ornithopoden Dinosaurier bilden einen Seitenzweig des gemeinsamen Sauropsidenstammes, welcher keine jetzt lebenden Nachkommen besitzt. Die prineipielle Übereinstimmung, die wir zwischen den primi- tivsten Formen des Os pelvis der Lariden und dem Os pelvis der sauropoden Dinosaurier vorfanden, darf aber, wie es mir scheint, nicht zum Schlusse veranlassen, dass die Sauropoden Stammformen der Vögel wären; wohl aber kann man voraussetzen, dass in die Ahnenreihe der Vögel Formen hinein gehört haben, bei welchen die drei gesonderten Bestandtheile des Os pelvis im Prineip in der glei- chen Lagerung vorlagen, wie wir sie bei sauropoden Dinosauriern finden. Diese Anordnung der Bestandtheile des Os pelvis, der Um- stand, dass beim Vogelembryo Pubis und Ischium fast gleich stark entwickelt sind, welches Verhältnis erst im Laufe der weiteren Ent- wicklung zu Gunsten des Ischium gestört wird, insbesondere aber die Divergenz des Pubis und Ischium bei Embryonen von Lariden und Colymbiden haben das Interesse, dass sie in höherem Grade, als es durch die BungE'sche Untersuchung bekannt geworden war, ‘eine Reptilienähnlichkeit der frühesten embryonalen Formen des Os pelvis der Vögel zu erkennen geben. Überblicken wir das bisher Gesagte, so geht hervor, dass die Marstw'sche Autfassung des Os pelvis der jetzt lebenden Vögel sich widerlegen lässt und dass die ältere Auffassung als die zutreffende erscheint. Wir müssen uns den phylogenetischen Entwicklungsgang ! Baur, Das Becken der Vögel und Dinosaurier. Morphol. Jahrb. Bd. X. pag. 615. 2 Die von DAmES angewandte Deutung des Os pelvis der Vögel kann ich jedoch nicht acceptiren, da sie mit der von HULKE und Marsu vertretenen Auffassung übereinstimmt. 288 Ernst Mehnert des Os pelvis der Vögel so denken, wie dieses BuNGE zuerst aus- gesprochen hat. Die bei diesem Vorgange allmählich eingetretene Lageveränderung des Pubis und des Ischium lässt sich sogar in An- deutungen noch bei jetzt lebenden Vögeln erkennen. Bei den meisten Carinaten verläuft die Längsachse des Pubis parallel der Längsachse des Ilium (und das Gleiche gilt vom Ischium); betrachtet man jedoch die Situation, in welcher die Längsachse des Pubis (und des Ischium) zur Längsachse des Ilium stehen bei Apte- ryx australis und Struthio camelus, so findet man, dass der von ihnen eingeschlossene Winkel besonders bei Apteryx größer ist als bei Rhea americana und Casuarius galeatus und unter den Carinaten bei Tina- mus robustus!. Bei Geococeyx ealifornianus? ist dieser Winkel noch kleiner. Bei Podiceps occidentalis? liegt das Pubis und das Ischium parallel zum Ilium; die Winkelstellung ist hier also völlig ausge- glichen. Diese Verschiedenheiten sind vom Standpunkte der MArsH’schen Auffassung unerklärbar, während sie bei der durch meine Unter- suchung bestätigten Auffassungsweise geradezu gefordert werden, jedenfalls sich leicht dahin interpretiren lassen, dass die Stellung des Pubis und Ischium zur Längsachse des Ilium bei denjenigen Vögeln, bei welchen dieser Winkel größer ist, primitiver ist, als bei den Vögeln, bei welchen dieser Winkel nur gering ist oder völlig ausgeglichen ist. Es lässt sich folgende Reihe aufstellen bei Be- rücksichtigung der Größe des von der Längsachse des Pubis und des Ischium einerseits und der Längsachse des Ilium andererseits einge- schlossenen Winkels: Apteryx, Struthio, Rhea, Casuarius und Tina- mus, Geococeyx und Podiceps. Die primitivsten Verhältnisse zeigen also die Ratiten, insbesondere Apteryx und Struthio. Am weitesten fortgeschritten ist diese Verlagerung des Pubis bei den Carinaten, insbesondere bei Podiceps. Der Umstand, dass ich eine größere Zahl von verschiedenen Vögelarten untersucht habe, machte es mir möglich, schon bei der ersten Anlage des Os pelvis Verschiedenheiten zu konstatiren. Es ist nicht ohne Interesse, hierauf noch einen Blick zu werfen, weil sich hierbei die zuerst von C. K. Horrmann vertretene Auffassung be- stätigen lässt, dass in der That beim Hühnchen der Entwicklungs- 1 Odontornithes. pag. 73. Fig. 20. 2 Odontornithes. pag. 73. Fig. 19. 3 Odontornithes. pag. 71. Fig. 17, Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 289 gang ein sehr verkiirzter ist und dasselbe daher nicht geeignet ist, bei embryologischen Untersuchungen als Repriisentant der Klasse der Vögel zu fungiren. In dem zusammenhängenden kleinzelligen Ge- webslager, welches die erste Anlage des Os pelvis bildet, treten bei wildlebenden Vögeln stets drei isolirte Knorpel auf; Ilium, Ischium und Pubis haben somit eine selbständige knorpelige Anlage. Bei Larus canus, Larus ridibundus, Sterna hirundo, Podiceps cornutus finden wir, dass Ilium, Ischium und Pubis durch sehr breite Zonen eines kleinzelligen Gewebslagers von einander geschieden sind. Erst im Laufe der weiteren ontogenetischen Entwicklung treten an den acetabularen Enden des Ischium und des Ilium Fortsätze auf, durch welche Pubis, Ischium und Ilium unter einander in Verbindung treten. Bei einer anderen Gruppe von Vögeln und zwar bei: Haemato- pus ostralegus, Anas domestica, Corvus cornix, Corvus frugilegus, treten schon bei der ersten knorpeligen Differenzirung der Bestand- theile des Os pelvis mehr oder minder stark entwiekelte knorpelige Processus acetabulares auf. Zwischen den einzelnen Processus aceta- bulares findet man jedoch noch eine Zone eines kleinzelligen indiffe- renten Gewebslagers. Beim Haushuhne ist der Befund ein so verschiedener, dass die- ser Gegenstand einer besonderen Besprechung bedarf. In den frühesten Stadien, bei Embryonen des fünften Tages, findet man eine vollständige zusammenhängende Gewebsmasse, welche keinen Knorpel erkennen lässt, aber dieselben Kontouren zeigt, wie das Os pelvis, wenn es knorpelig angelegt ist. Der Nervus obtura- torius ist nicht von den dichten Gewebsmassen umschlossen, wie man dieses bei Podiceps cornutus im betreffenden Stadium vorfindet (ef. Fig. 1). ® Der Befund bei Embryonen des Huhnes, bei denen das Os pelvis schon mehr oder weniger weit knorpelig ausgebildet war, ist fol- gender: Unter 24 von mir untersuchten Embryonen des sechsten, sieben- ten und achten Tages fand ich in 21 Fällen das Ischium und das Ilium im kontinuirlichen Zusammenhange. Nur in einem ein- zigen Falle fand ich, es betrifft dieses den für Fig. 11a benutz- ten achttägigen Embryo, zwischen Ischium und Ilium eine deutliche Trennungsspur, d. h. eine breite Zone von einem sehr intercellular- substanzarmen Knorpelgewebe. Dieser Befund lässt vermuthen, dass bei diesem einen Embryo das Ischium dem Ilium gegenüber in Morpholog. Jahrbuch. 13. 19 290 Ernst Mehnert einer früheren Entwicklungsperiode z. B. am sechsten Tage einen gewissen Grad von Selbständigkeit bewahrt hatte, wie dieses bei wild lebenden Vögeln stets der Fall ist. Was das Verhältnis des Pubis zum Ilium und Ischium anbetrifft, so sind folgende Befunde zu notiren: Bezeichnung | der | Pubis und Ilium | Pubis und Ischium, llium und Ischium. Objekte. | | Hühnchen, sechs Tage alt. ae | getrennt! | getrennt zusammenhängend ® V =| Trennungsspur? | - - ry © - medial zusammen- - | hiingend4 I | zusammenhingend | - _ IT, | - | getrennt - Hiihnchen, sieben Tage alt. II getrennt getrennt | zusammenhängend VI = - | = VII Trennungsspur | Trennungsspur - Su - - = ar | - 2 Kt XII - - 4 XIV = = k XV - - = Vs zusammenhängend - | = 7 = getrennt | = IV - - v Mad | - 2 | R IX - RY H- e X - Trennungsspur | = | - ‚medial zusammen- | u | | hiingend | | | | | ! Getrennt, d. h. zwischen beiden Knorpeln findet sich eine Zone eines indifferenten Gewebes. 2 Trennungsspur, d. h. zwischen den beiden Knorpeln findet sich eine Zone eines intercellularsubstanziirmeren Knorpelgewebes. 3 Zusammenhängend, d. h. beide Theile sind durch eine Zone von Knor- pelgewebe unter einander ‚verbunden, 4 Medial zusammenhängend, d. h. in den am meisten medial gelegenen Schnitten der betreffenden Serie lässt sich eine Trennung der Knorpel nicht mehr nachweisen. Ban urn. O Untersuchungen iiber die Entwicklung des Os pelvis der Vigel. 291 Pubis und Ischium. | Ilium und Ischium, Bezeichnung der Pubis und Ilium. Objekte. | Hühnchen, acht Tage alt. II getrennt | getrennt | Trennungsspur I Trennungsspur | Trennungsspur zusammenhängend III - | - - IV | ; | Hühnchen, neun Tage alt. I Trennungsspur | zusammenhiingend | zusammenhängend I - - - Resumiren wir das beim Huhne Gefundene, so finden wir, dass Ilium und Ischium meist als zusammenhängende Knorpelmasse auf- treten, nur in einem einzigen Falle konnte ich zwischen ihnen eine deutliche Zone intercellularsubstanzarmen Knorpelgewebes nachwei- sen. Das Pubis tritt in einer Anzahl von Fällen als völlig selbstän- diger Knorpel auf, als Anklang an jene ausnahmslose Selbständigkeit der Anlage des Pubis bei dem Os pelvis frei lebender Vögel. Selbst in den günstigsten Fällen ist die Zone der dicht stehenden Zellen, welche das Pubis vom Ilium oder Ischium trennen, sehr gering und erreicht nicht einmal die Breite wie bei den Coracomorphae. In anderen Fällen findet man, dass das Pubis mit dem Ilium schon vollständig zusammenhängt oder nur durch eine Zone eines intercellularsubstanzarmen Knorpels von ihm getrennt ist. Auch zwischen Pubis und Ischium lässt sich bei manchen Embryonen ein Zusammenhang konstatiren. Diese Befunde können nur erklärt wer- den, entweder durch die Annahme einer bereits eingetretenen Ver- wachsung oder eines gleich bei der ersten Anlage gegebenen Zu- sammenhanges. Für die älteren Stadien (Embryonen des siebenten, achten und neunten Tages), in denen der Knorpel schon wohl ent- wickelt ist, müssen wir annehmen, dass auch hier, wie wir dieses bei wild lebenden Vögeln stets beobachten, eine Verwachsung des Pubis mit den übrigen Bestandtheilen stattgefunden resp. sich ein- leitet (die Fälle, bei welchen sich noch eine Zone intercellularsub- stanzarmen Knorpels findet). Bei den jüngsten Stadien (Embryonen des sechsten Tages) ist eine spätere Verwachsung nicht anzunehmen, 19* 992 Ernst Mehnert - da das Knorpelgewebe sich erst eben differenzirt hat und damit die friihe Entwicklungsstufe bekundet, auf der das ganze Gebilde steht. Für die jüngsten Stadien ist somit im Hinblick auf die eben erör- terten. Fälle eine verkürzte Ontogenie resp. Connascenz zu kon- statiren. Auch die auf den ersten Blick befremdende Thatsache, dass das Ilium mit dem Ischium mit Ausnahme eines Falles stets verschmol- zen, das Pubis jedoch noch in einer Anzahl von Fällen selbständig ist, findet ihre natürliche Erklärung in der Annahme einer Connas- cenz, denn es ist eine von mir bei Embryonen von wild lebenden Vögeln in vielen Fällen beobachtete Thatsache, dass bei der onto- genetischen Verschmelzung der drei isolirten Knorpel Ilium und Ischium zuerst unter einander verschmelzen, dann erst Ilium und Pubis oder Ischium und Pubis. Ich verweise nur auf Fig. 14. Hier findet man zwischen Ischium und Ilium eine vollständige Ver- schmelzung, zwischen Pubis und Ilium wie zwischen Ischium und Pubis findet man jedoch noch eine Schicht von intercellularsubstanz- armen Knorpelgewebe. Die Thatsache, dass bei der Untersuchung einer größeren Anzahl von Hühnerembryonen konstatirt werden kann, dass der Befund ein sehr verschiedener ist, selbst bei Embryonen derselben Altersstufe, zeigt, wie ungerechtfertigt es war, dass A. Jomnson nach Unter- suchung einer geringen Zahl von Hühnerembryonen die von BunGE auch bei anderen Vögeln nachgewiesenen Verhältnisse nicht nur in Abrede stellte, sondern BunGE sogar einer oberflächlichen Unter- suchung beschuldigte !. Auch in einer anderen Hinsicht ist der abweichende Befund beim Huhne von Werth, denn er zeigt, dass die bei einer Vogelart ge- machten Befunde, zumal bei einer Vogelart, die einer langen Dome- stikation unterworfen gewesen ist, nicht ohne Weiteres als für alle anderen Vogelarten geltend angesehen werden dürfen. Fassen wir die Resultate dieser Untersuchung zusammen, so ! The development of the pelvic girdle. Studies from the morphol. labor. in the univ. of Cambridge. pag. 18 und 19. Ich will nicht unterlassen, hier zu bemerken, dass die von BuNGE angefertigten kontinuirlichen Schnittserien im vergleichend-anatomischen Institute der Universität Dorpat als Belegstücke für die Bunge’'schen Untersuchungen aufbewahrt werden. Eine Durchsicht dieser Serien hat mich dayon überzeugt, dass dieselben BunGE’s Angaben voll- ständig rechtfertigen und dass Bunce keineswegs den groben Fehler in der Kombination der Schnittserien begangen, den A. JOHNSON vorauszusetzen für zulässig gehalten hat. Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. 293 ergiebt sich, dass die MArsn’sche Deutung des Os pelvis der Vögel nicht bestätigt werden kann. Das Os pelvis der Vögel setzt sich nur aus einem Ilium, Ischium und Pubis zusammen, ein »Postpubis« ist in demselben nicht vertreten. Die drei Bestandtheile des Os pelvis der Vögel haben bei ihrem ersten Auftreten im Prineip die- selbe Lagerung wie die homologen Bestandtheile bei gewissen fos- silen Reptilien. Es ergiebt sich aber auch, dass das Os pelvis sich nicht bei allen Vögeln in gleicher Weise anlegt. Bei allen wild lebenden Vögeln findet man stets, dass den drei in gewissen Stadien durch Knorpelscheiben abgrenzbaren knöchernen Bestandtheilen des Os pelvis: Ilium, Ischium und Pubis drei völlig getrennte Knorpel entsprechen. Beim Huhne vermochte ich nur in einem einzigen Falle Ver- hältnisse nachzuweisen, welche sich den bei wild lebenden Vögeln beobachteten Verhältnissen näherten. Es betrifft dieses einen Hühner- embryo von acht Tagen. Ich fand bei demselben, dass das Pubis selb- ständig war. Zwischen [lium und Ischium konnte ich nur eine Zone eines intercellularsubstanzarmen Knorpels nachweisen. In allen anderen Fällen, selbst in den frühesten Stadien, in denen überhaupt Knorpelintercellularsubstanz nachgewiesen werden konnte, waren Ischium und Ilium ohne eine jede Trennungsspur verbunden. Das Pubis legt sich jedoch beim Huhne in der Mehrzahl der Fälle noch selbständig an. Wenden wir uns zum präacetabularen Fortsatze (d), so hat sich sowohl auf Grundlage der ersten knorpeligen Anlage als auch auf Grundlage des Ossificationsprocesses feststellen lassen, dass er ein Fortsatz des Ilium und zwar des Processus ilei aceta- bularis pubicus ist und dass an seiner Bildung das Pubis bei Cari- naten in keiner Weise betheiligt ist, dass er auch nicht als ein selbständiges Gebilde, als eine vierte Komponente des Os pelvis, auf- gefasst werden darf (dieses gilt auch für die Ratiten). Der Fortsatz ist auch nicht ein von reptilienähnlichen Vorfahren ererbtes, sondern ein erst nachträglich zu Stande gekommenes Gebilde. Die Dinosaurier, insbesondere die ornithopoden Dinosaurier, sind nicht Ahnen der Vögel, sondern sie sind ein Seitenzweig des gemeinsamen Sauro- psidenstammes, welcher keine jetzt lebenden Nachkommen besitzt. Vergleichend - anatomisches Institut der Universität Dorpat, April 1887. Erklärung der Abbildungen. Tafel VIII—X. Die Abbildungen der mikroskopischen Schnitte wurden vermittels einer ABBE'schen Camera lucida mit großem Spiegel angefertigt. Die Kontouren der in Fig. 4 und 5 abgebildeten Ossa pelvis wurden mit Hilfe eines SCHRÖDER- schen Diopterographen festgestellt und darauf die Abbildungen nach den Ob- jekten gezeichnet. Die Vergrößerung wird durch einen Bruch angegeben. Für alle Figuren gelten folgende Bezeichnungen: B.sp.il. Basis der Spina iliaca, em.tl.pub. Eminentia ilio pubica, Fmr. Femur, Fmrkpf. Femurkopf, Zl. Ilium, Isch. Ischium, Pub. Pubis, n.crur. Nervus cruralis, n.isch. Nervus ischiadieus, n.obt. Nervus obturatorius, Os. Ossifikation, Pr.act.il. Präacetabularer Theil des Ilium, Prehm. Perichondrium, Pr.ü.act.pub. Processus ilei acetabularis pubicus, Sp.il. Spina iliaca, Tib. Tibia, Tr. Zone eines indifferenten Gewebes, Tr.sp. Trennungsspur (Zone eines intercellularsubstanzarmen Knorpels). 1. Sagittalschnitt. Podiceps cornutus. L. d. h. Extr. 0,4. b ventraler und distaler Fortsatz der Anlage des Os pelvis, c ventraler und proximaler Fortsatz. Querschnitt. Totanus ealidris. L. d. h. Extr. 0,35. Sagittalschnitt. Podiceps cornutus. L. d. h. Extr. 0,5. Os pelvis eines jungen Huhnes von der medialen Seite dargestellt. Os pelvis eines erwachsenen Huhnes von der medialen Seite dar- gestellt. 6. Sagittalschnitt der rechten Körperhälfte von Larus ridibundus. L. d. h. Extr. 0,4. ‚8, 9. Querschnitte durch die linke Körperhälfte desselben Embryo von Larus ridibundus. oe wm - ‘ FE a ei > 2a ee — | ———_ via 7 en a IR N 7 tae Vo 2p £54. Ss Sa, EEE - | | | | | | | 4 4 I, amy coal hart HM. in 47 “4 2, y Vv Whe TTT & Wa; WE. ELEM gez.von ENÄ Pig Normkolog, Jahrbuch. Ba XM : : Taf Vm Fig hf — Fig. Mt) nisch ANtcrur nobt Fig Itt I "tg. Vi Leo | Tith Anst vWernerg Winter, Freche A 1 i 5 4/2 : F ew erie, to) eal? a © ee le 3) ont Se er nn... 05 Fig IXU# Fig. XU %) neru Pril act pub - j : Ber Pril act pub Spi Msn Spill N Tith Anstw.Werner&Wirter Frankfort 7M. { * x A i “u Fig XM) rerur - Pritact pub Fig. 119) Fig. XV/%#) ~—Fmrkpf Lith Ast vr Menara ister Frankfurt. . - Tr. 4 } - Ne j . a = Zn ry BR ps = Fr v —— ol. Ernst Mehnert, Untersuchungen iiber die Entwicklung des Os pelvis ete. 295 Zwischen den in Fig. 7 und 8 abgebildeten Schnitten liegen vier- zehn Schnitte. Zwischen den in Fig. 8 und 9 abgebildeten Schnitten liegen acht Schnitte. Fig. 10. Sagittalschnitt. Hühnerembryo. Sechs Tage alt. Fig. 11a. Sagittalschnitt. Hühnerembryo. Acht Tage alt. Fig. 11. Mehr lateral gelegener Schnitt derselben Serie. Die Spina iliaca (Sp.7.) ist im Schnitte in ihrer äußersten Spitze getroffen, Zwischen den in Fig. 11a und 112 abgebildeten Schnitten liegen sechs Schnitte. Fig. 12. Sagittalschnitt. Hühnerembryo. Neun Tage alt. Nur die in ihrer äu- Bersten Spitze getroffene Spina iliaca und der Durchschnitt durch das Femur sind in dieser Abbildung wiedergegeben. Fig. 13. Sagittalschnitt. Acetabularregion von Tetrao tetrix. L. d. Tibia 1,15. Fig. 14. Sagittalschnitt. Acetabularregion eines Anser cinereus. L. d. Tibia 1,2. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. Von Dr. Fr. Maurer, Assistent am Anatomischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XI—XIII und 6 Figuren im Text. Bei Gelegenheit der Untersuchung iiber die Schilddriise und Thymus der Teleostier hatte ich bereits die. Amphibien in den Kreis der Beobachtung gezogen; doch erkannte ich bald, dass die Verhältnisse so verschiedene waren, dass jede der beiden Klassen - zunächst eine gründliche selbständige Untersuchung erforderte und daher blieben die Amphibien aus den früheren Schilderungen ganz fort. Von den Amphibien aus erwartete ich ein Verständnis für die Bildungsvorgänge und Rückbildungen, welche in der Region der Kiemenspalten bei höheren Wirbelthieren sich abspielen, zu er- halten. — Die Schilddrüse entwickelt sich bekanntermaßen bei allen Wirbelthieren aus einer unpaaren Anlage, nur bei Säugethieren vereinigen sich mit dieser noch paarige Bildungen, welche das Organ hier, im Gegensatz zur Schilddrüse sämmtlicher niederen Wirbel- thiere, als ein zusammengesetztes erscheinen lassen würden. Bei niederen Vertebraten sind zwar gleichfalls paarige vom hinteren Ab- schnitt der Kiemenhöhle ausgehende Körper beschrieben, doch ver- einigen sich diese niemals mit der Schilddrüse. Die Thymus entwickelt sich nach sämmtlichen Beobachtungen aus den dorsalen Taschen der Kiemenspalten. Es sind dabei sehr verschiedene Spalten in Verwendung gezogen, bald sämmtliche, bald nur vordere, bald nur hintere. Die Säugethierthymus nimmt wieder eine Ausnahmestellung ein, in so fern sie hauptsächlich aus ventralen Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 397 Kiementaschen, und zwar der dritten beiderseits, sich bilden soll. Sie ist in keine Beziehung gebracht mit der Thymus niederer Wirbelthiere. Bei Fischen bestanden Schilddrüse und Thymus neben dem respiratorisch fungirenden Kiemenapparat. Bei Amphibien, wenig- stens bei caducibranchiaten, bildet sich der gesammte Kiemenapparat, der in dem Larvenstadium noch die Funktion der Athmung versieht, ontogenetisch zurück. Damit obliteriren auch die Kiemenhöhle und die Kiemenspalten. Es können in Folge dessen in der Klasse der Amphibien zum ersten Male neben der Schilddrüse und der Thymus noch wirkliche Kiemenreste auftreten, deren Vorhandensein noch nicht bekannt ist. Es mag dadurch einerseits ein neues Licht auf die vielfach beschriebenen Nebenschilddrüsen geworfen werden, an- dererseits dürften die entsprechenden Befunde bei höheren Wirbel- thieren leichter zu beurtheilen sein. Es versteht sich von selbst, dass Kiemenreste nur dann eine Bedeutung haben können, die über die Klasse der Amphibien hinausreicht, wenn sie nicht von den respira- torisch fungirenden Büschel- oder Blättchenbildungen direkt ausgehen, sondern wenn sie von der Wandung der Kiemenhöhle, oder von den Kiemenspalten ihren Ursprung nehmen. Kiemenblättehen oder -Büschel kommen von den Reptilien an nicht mehr zur Entwicklung, können also dort auch keine Reste hinterlassen, wohl aber ist solches von den Kiemenspalten möglich. . Historisches. a. Allgemeines. Es ist überflüssig, einen historischen Überblick über die ge- sammte Litteratur der Schilddrüse und Thymus zu geben. Das Noth- wendige wurde schon früher gesagt. Ich beschränke mich darauf, die bis jetzt vorliegenden Thatsachen zusammenzufassen, damit die Anknüpfungspunkte für vorliegende Arbeit verständlich werden. Bei sämmtlichen gnathostomen Wirbelthieren ist für die Schild- drüse eine unpaare median gelegene Anlage nachgewiesen, welche immer sehr frühzeitig aus dem ventralen Schlundepithel in der Ge- gend der zweiten Kiemenspalte dureh Ausstülpung hervorgeht und zuerst in der vorderen Theilungsgabel des Herzschlauches gelegen ist. Diese Anlage schnürt sich sehr rasch von ihrem Mutterboden ab und kann durch Theilung zu einem paarigen Organe werden. Sie nimmt schon sehr früh den Charakter einer aeinösen Drüse an, deren Aus- 298 Fr. Maurer führgang fehlt. Späterhin ist sie zusammengesetzt aus einer Gruppe rundlicher Bläschen, die von einschichtigem kubischem Epithel aus- gekleidet und mit Colloid gefüllt sind. In der Regel ist dieses Ge- bilde sehr reichlich vaseularisirt. Bei Cyelostomen ist ebenfalls eine Schilddrüse nachgewiesen und zwar zeigt sie sich bei Petromyzon von gleichem Bau wie bei gna- thostomen Wirbelthieren, geht aber aus einem Organe des Ammo- coetes hervor, welches noch als Drüse fungirt und seiner Lage wie seinem Bau nach mit der Hypobranchialrinne der Tunicaten überein- stimmt. Aus diesen thatsächlichen Verhältnissen wurde die stammes- geschichtliche Bedeutung der Schilddrüse erwiesen (MÜLLER, CAL- BERLA, Scott). Während hiernach die Schilddrüse als ein Organ sich kund giebt, welches phylogenetisch älter ist, als der Apparat der Kiemenspalten, hat man neuerdings Bildungen anderen Ur- sprungs mit der Säugethierschilddrüse in Beziehung gebracht, indem paarige Abschnürungen der vierten Schlundspalte beschrieben wur- den, welche sich allmählich der vorderen unpaaren Anlage nähern und, sich mit dieser vereinigend, die seitlichen Lappen der Säuge- thierschilddriise bilden (Born). Mit diesen Gebilden hat vaN BEMMELEN ein ebenfalls paariges Organ in Beziehung gebracht, welches er bei Selachiern auffand und als Supraperikardialkörper bezeichnete. Derselbe bildet sich in Form einer Ausstülpung des Epithels der ventralen Schlundwand hinter der sechsten Kiemenspalte und findet sich so gelagert, dass van BEMMELEN ihn als das Rudiment einer siebenten Schlundspalte deuten zu dürfen glaubt. Diese Ausstülpung schnürt sich jederseits sehr frühzeitig von ihrem Mutterboden ab und stellt später ein paariges Gebilde dar, welches am Orte seiner Entstehung liegen bleibt und histologisch sich wie die Schilddrüse verhalten soll, ohne indessen jemals mit ihr zu verschmelzen. Ein solehes Gebilde fehlt bei Heptanchus, was die Deutung als rudimentäre siebente Kiemenspalte stützt. Hingegen findet sich bei Chimaera eine Rückbildung des sechsten Spaltenpaares, welches ohne Spuren zu hinterlassen schwindet; und dennoch liegt hinter diesem noch ein Supraperikardialkörper. Bei Teleostiern vermisste ich die Bildung eines solchen Körpers. Bei Batrachiern hat Meuron ein Bläschen beschrieben, welches er mit dem Supraperikardialkörper homologisirt. Auch bei Reptilien und Vögeln fand MEURON gleiche Gebilde. Bei einigen Reptilien (Eidechsen) bilden sie sich nur einseitig aus. Alle diese Gebilde, welche nie mit der Schilddrüse der betreffenden Thiere verschmelzen, Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 999 fasst Meuron als glandes thyroides accessoires zusammen. Blob bei Säugethieren bilden sie, wie erwähnt, durch Verschmelzung mit der vorderen Anlage einen integrirenden Bestandtheil der Schilddrüse. Bei näherem Eingehen auf die einzelnen Wirbelthierklassen würde M. gefunden haben, dass die Nebenschilddrüsen durchaus verschie- dener Herkunft sind und dass für die meisten so bezeichneten Ge- bilde der genannte Ausdruck durchaus ungeeignet ist. Van BEMMELEN ist vorsichtiger in der Deutung dieser Bildungen. Bei Reptilien beschreibt er ein dem Supraperikardialkörper homolo- ges Organ, aber neben diesem sowie neben Thymus und Schilddrüse schildert er noch epitheliale Gebilde, welche nach Rückbildung der Kiemenspalten erhalten bleiben. Besonders wird ein solches Derivat der dritten Spalte konstant gefunden, welches die Carotidendrüse der amnioten Wirbelthiere darstellen soll. Dieselbe liegt der hinteren Fläche des Carotidenstammes an und hat epithelialen Bau. Ob Col- loid enthaltende Acini darin vorkommen, wird nicht angegeben. Die Carotis soll an der Stelle, wo ihr dieses Gebilde anlagert, einen schwachen Plexus bilden. Bei Vögeln schildert van BEMMELEN ebenfalls epithelial gebaute Derivate der dritten und vierten Kiemenspalte. Der Rest der vier- ten Spalte wurde von Meuron als Homologon des Supraperikardial- körpers geschildert. VAN BEMMELEN bestreitet dies und betont seinen von der Schilddrüse verschiedenen Bau. Es erhellt aus diesen verschiedenen Angaben, dass die gene- tische Bedeutung all dieser Bildungen, die als Nebenschilddrüsen, Supraperikardialkörper und Carotidendrüse der höheren Wirbelthiere beschrieben wurden, durchaus unklar ist und aus den oben angeführ- ten Gründen erscheinen die Amphibien als diejenige Gruppe, bei welcher am besten Aufklärung zu erwarten ist. Ich erinnere hier nochmals speciell an die Kiemenathmung der Larven, die Rückbil- dung des gesammten Kiemenapparates im Verlaufe der individuellen Entwicklung während der Metamorphose und die dadurch bedingte Möglichkeit des Vorhandenseins von Kiemenresten im höheren Alter. Das bis jetzt über die Amphibien Bekannte bleibt genauer zu be- sprechen, nachdem die Thymus in kurzen Zügen in Betreff ihrer Entwicklung behandelt ist. Von der Thymus ist bekannt, dass sie bei Selachiern aus dorsalen Epithelknospen sämmtlicher Kiemenspalten hervorgeht (Doury). Diese Knospen schnüren sich frühzeitig von ihrem Mutter- boden ab und verschmelzen zu einheitlicher Masse. 300 Fr. Maurer Bei Teleostiern fand ich dorsale Epithelknospen der vier hinteren Kiemenspalten. Hier bleibt die Thymus mit dem Epithel der Kiemenhöhle stets in Zusammenhang. Bei Amphibien ist nur die Entstehung der Thymus der Anu- ren bekannt (GÖTTE, MEURON). Sie bildet sich aus einer dorsalen Knospe der zweiten Kiemenspalte. Bei Urodelen sind die Verhältnisse unbekannt. Bei den verschiedenen Abtheilungen der Reptilien nimmt die Thymus nach vAN BEMMELEN ihre Entwicklung aus ganz verschie- denen Kiemenspalten, aber stets durch Wucherung von den dorsalen Taschen derselben. Bei Eidechsen ist es die zweite und dritte, eben so bei Schildkröten, Amphisbaeniden und Hatteria. Bei Schlangen hin- gegen entwickelt sie sich aus der vierten und fünften Kiemenspalte. Die Vogelthymus entsteht nach va BEMMELEN aus dem Gipfel der dritten Kiemenspalte, welcher nach vorn in einen langen Strang auswächst. Die vierte Spalte betheiligt sich auch, bildet aber nur einen unbedeutenden hinteren Theil des Organes. Auch hier bleiben epitheliale Reste der dritten und vierten Spalte erhalten. Bei Säugethieren entwickelt sich die Thymus nach His vaus der Auskleidung der vierten, dritten und theilweise noch zweiten Schlund- furche, sowie aus dem Überzug der zugehörigen Wülste dadurch, — dass auf der Grenze von Kopf und Hals diese Theile in die Tiefe geschoben und von der Oberfläche abgetrennt werden«. Hıs bezeichnet diese Gegend als Sinus praecervicalis und giebt an, dass somit die epitheliale Thymusanlage ektodermaler Herkunft ist. Nach Meuron entwickelt sich die Thymus der Säuger aus einem nach hinten wachsenden ventralen Schlauch der dritten Kiemenspalte. Auch dorsal bleibt ein solides Knötchen dieser Spalte bestehen. Ein gleiches dorsales Gebilde der vierten Kiemenspalte soll die Carotiden- drüse der Säuger vorstellen. b. Specielles über Amphibien. Was die vorerwähnten Organe speciell bei Amphibien betrifft, so will ich, da sie uns den Stoff zu den folgenden Schilderungen geben, mit Bezugnahme auf Obiges, etwas näher auf das über sie Bekannte eingehen. Am genauesten wurde die Entwicklung der Sehilddrüse von Rana temporaria durch W. MÜLLER beschrieben. Dieser Autor schildert uns das Organ von seiner ersten Entwicklung bis zur vollendeten Metamorphose des Frosches. Schilddrüse, Thymus and Kiemenreste der Amphibien. 301 Die erste Anlage der Schilddrüse zeigt sich bei Larven, die gerade das Ei verlassen haben, als eine runde mediane Ausstiilpung des ventralen Schlundepithels in die Theilungsgabel des $-förmig gekriimmten Herzschlauches. Die Ausstiilpung, in welche sich das Lumen der Kopfdarmhöhle fortsetzt, wird durch Wucherung der sie auskleidenden Epithelzellen solide und schniirt sich von ihrem Mutterboden ab. Es bildet sich sodann die knorpelige Zungen- bein-Copula. Indem die Schilddrüsenanlage sich dem hinteren drei- eckigen Fortsatze derselben von vorn her anlagert, nimmt sie zuerst die Gestalt eines Zwerchsackes an, um sich darauf in zwei Hälften zu theilen. Letztere liegen noch immer den vorderen Theilungsästen des Kiemenarterienstammes dicht an. In der Folge entfernt sich die Schilddrüse etwas von dieser Stelle, indem sie nach vorn rückt. MÜLLER schreibt der Entwick- lung des genannten dreieckigen Fortsatzes des Zungenbeins die Schuld der Theilung der Schilddrüse zu, und zugleich soll dies auch bewirken, dass das Organ sich von der Kiemenarterie löst und deren Rückzug in den Thoraxraum nicht mitmacht, sondern eine vordere Lagerung beibehält. Histologisch besteht die Schilddrüse nach MÜLLER bis zu ihrer Theilung in zwei Hälften aus kugeligen pigmentreichen Zellen, die, dicht zusammen agernd, ein kompaktes Knötchen bilden. Nach der Theilung sind sie pigmentärmer und liegen lockerer an einander. Späterhin bestehen sie aus einem lockeren Netze gewun- dener solider Schläuche, die von lockeren Bindegewebszügen umspon- nen sind. Letztere sind von der Umgebung her in die solide An- lage eingedrungen. Bei etwas älteren Larven findet man neben den genannten Schläuchen schon gesonderte Acini, die von einschichtigem Epithel ausgekleidet und mit Flüssigkeit gefüllt sind. Das inter- - stitielle Bindegewebe ist dabei vermehrt und führt weite Blutkapil- aren. Weiterhin vergrößern sich die Acini und nehmen runde oder länglich unregelmäßige Gestalt an. Bei jungen Fröschen, nach Ver- lust des Schwanzes ist der Bau ein rein acinöser; ihre Lage hat die Drüse etwas verändert, indem sie ein wenig nach hinten gerückt ist und nun zu beiden Seiten des Zungenbeinkörpers dicht vor der Ansatzstelle der hinteren kleinen Hörner liegt. Der Erste, welcher die Schilddrüse des erwachsenen Frosches beschrieb, ist wohl LEyvıe (Anat. histol. Untersuchungen über Fische und Reptilien). LeypiG findet beim Frosch an der Kehle, zunächst den zu der Zunge gehenden Blutgefäßen, einen größeren paarigen Körper und 302 Fr. Maurer dabei noch einen oder zwei erheblich kleinere Körper von glei- chem Bau. Lreypie schildert den Bau derart, dass diese Gebilde Blasen darstellen, welche aber nicht mit Colloid, sondern mit Fett und an- deren Körnchen angefüllt seien. Leypic spricht bereits sein Befrem- den darüber aus, dass beim Frosch die Schilddrüse nieht aus einer Gruppe colloidhaltiger Bläschen gebildet werde, nimmt aber an, dass diese drei Blasen jederseits die Schilddrüse darstellen. Bei der Kröte ist der größere der genannten Körper weiter hinten an die Aortenbogen geheftet, jenseits der Abgangsstelle der Carotiden und Lungenarterien. Bei Triton und Salamandra ist die Schilddrüse ein durchscheinendes kleines Knötchen, welches in der Kehlgegend jeder- seits an den zur Zunge verlaufenden Gefäßen liegt. Sie ist zusammen- gesetzt aus geschlossenen Blasen, die mit einfachem Epithel ausge- kleidet und mit Flüssigkeit gefüllt sind. | Später hat WIEDERSHEIM die Amphibienschilddrüse geschildert. Er trennt Anuren und Urodelen. Bei ersteren liegt sie in dem Win- kel zwischen den hinteren großen Zungenbeinhörnern und dem Kör- per des Zungenbeins, bei Urodelen an der hinteren Cirkumferenz des zweiten Keratobranchiale. Der Bau des Organs war nach MÜLLER bei Fröschehen direkt nach der Metamorphose ein acinöser, die Bläschen waren mit Colloid gefüllt. WIEDERSHEIM schildert den Baa der Schilddrüse des erwachsenen Frosches anders (ECKER, Anatomie des Frosches, 3. Abth. pag. 37). Sie ist »wie die Thymus von einer bindegewebigen Kapsel umgeben, von welcher Ziige ins Innere drin- gen. Diese bilden ein feines Netzwerk, in dessen Maschen lymphoide Zellen eingelagert sind«. Hier hat also die Schilddriise den Cha- rakter einer acindsen Drüse völlig aufgegeben und ist, wie die Thy- mus, in die Reihe der lymphatischen Knötehen gekommen. In der gleichen Schrift bildet WIEDERSHEIM auch auf Taf. I Fig. 2 dieses Organ beim Frosch ab, und zwar sind es, gerade wie LEYDIG schon schilderte, ein größeres als Schilddrüse und zwei kleinere als Neben- schilddrüsen bezeichnete Gebilde. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die von LEYDIG beschriebene Schilddrüse mit der letztgenannten von WIEDERSHEIM identisch ist. Die Nebendrüsen sollen durch Zerfall der eigentlichen Schilddrüse entstanden sein. Ob die lymphoid! gebaute Schilddrüse und ihre Nebendrüsen aus 1 Der Ausdruck »lymphoid gebaut« bedarf einer Erläuterung. Es kommen in vorliegender Arbeit Organe des verschiedensten histologischen Charakters vor. Die eigentliche Schilddrüse zeigt den acinösen Bau, d. h. sie besteht aus Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 303 der früheren acinös gebauten hervorgeht, ist unbekannt. In der neuesten Auflage seiner vergleichenden Anatomie spricht WIEDERS- HEIM im Anschluss an MeuRon’s Arbeit nur von einer acinös gebau- ten Schilddrüse der Batrachier. Seine früheren Beobachtungen lässt er außer Acht. Bei Angabe der Lagerung der Amphibienschilddrüse bezieht sich Meuron aber wiederum auf WIEDERSHEIM. MEURON hat den histologischen Bau dieser Schilddrüse und der Nebenschild- drüse gar nicht untersucht, sonst müsste ihm der lymphoide Bau derselben aufgefallen sein. MEURON macht folgende Angaben über die Amphibienschilddrüse: Die Entwicklung betreffend hat Meuron Rana und Bufo untersucht, und weicht von W. MÜLLER nur darin ab, dass er die erste Anlage sofort solide entstehen lässt, was er auf die starke Anfüllung der Zellen mit Dotterblättchen schiebt. Ferner weist Meuron das Be- stehen eines Supraperikardialkörpers, den vAN BEMMELEN bei Pla- giostomen gefunden hat, auch bei Bufo nach. Meuron bringt dies Gebilde mit den Nebenschilddrüsen der ausgewachsenen Thiere in Zusammenhang, ohne es direkt nachgewiesen zu haben. MEURON schreibt (op. cit. pag. 27 und ff.): »De chaque cdté de l’ouverture de la trachée la paroi ventrale du pharynx fournit un diverticule, qui fait saillie vers la paroi du péricarde. A peine formé ce diver- ticule se sépare par étranglement de l’Epithelium pharyngien.« Nach der Abschnürung bleiben diese Körper als einfache Bläschen von Epithel ausgekleidet mit centralem Lumen bestehen. Sie verändern ihre Lage bis zur Metamorphose wenig, und trotzdem bringt sie MEURoN später mit den Nebenschilddrüsen in Beziehung, indem er sagt: »Il ne m’a malheuresement pas été possible de poursuivre direc- tement la transformation de ces corpuscules en thyroides accessoires de l’adulte, mais je n’en crois pas moins que cette transformation peut et doit étre admise.« MEURON nimmt willkürlich an, dass die Supraperikardialkörper ihren Platz ändern und zur Schilddrüse hin- Bläschen, welehe von einschichtigem Epithel ausgekleidet sind und in deren weitem Lumen sich Colloid findet. In ihrer Nähe liegen Gebilde von kom- paktem Bau. Sie haben ein Gerüst von reticulärem Gewebe, in dessen Ma- schen Zellen verschiedener Art eingelagert sind, bald lymphoiden, bald epithe- lialen Charakters. Ein Lumen fehlt stets. Um für diese Gebilde stets einen kurzen Ausdruck betreffs ihres Baues zu haben, bezeichne ich sie im Gegen- satz zur acinös gebauten Schilddrüse als lymphoid gebaute Knötchen. Hier- durch soll nichts über die Natur der sie zusammensetzenden Elemente gesagt sein, sondern bloß ihr kompakter Bau bezeichnet werden, welcher durch seinen kleinzelligen Charakter dem Bau von Lymphfollikeln im Gesammteindruck ähnelt. 304 Fr. Maurer wandern, wo die oben genannten Nebenschilddriisen immer liegen. Er sagt, während er betont, dass bei Selachiern diese Körper immer am Orte ihrer Entstehung liegen bleiben: »Chez les bratraciens par contre ils se deplacent et viennent se mettre pres de la glande thy- roide dont ils constituent les glandes accessoires.« MEURON bezieht sich dabei auf die auch von uns oben angefiihrten Schilderungen von LEYDIG. Hierzu will ich, den folgenden Schilderungen vorwegnehmend, bemerken, dass die fraglichen Supraperikardialkörper bei Bufo sich allerdings finden, aber hier eben so wie bei Selachiern am Orte ihrer Entstehung liegen bleiben und dass sie ferner mit den Nebenschild- drüsen der ausgewachsenen Bufo, wie sie von den Autoren geschil- dert wurden, gar nichts zu thun haben. Letztere stehen aber auch mit der wirklichen Schilddrüse in keinem genetischen Zusammen- hang. Die Begründung dieser Angaben wird sogleich erfolgen. In der Litteratur fand ich über die Amphibienschilddrüse keine weiteren bemerkenswerthen Daten. Die vorgebrachten genügen in- dessen, um eine Reihe von Fragen aufzuwerfen: Die Entwicklung der Schilddrüse bei Urodelen wurde noch nicht untersucht, es ist bloß ihre Lage beim ausgewachsenen Thier bekannt. Ihr Bau ist stets als acinöser beschrieben. Bei Anuren sind die Verhältnisse der Schild- drüse des erwachsenen Frosches in keine Beziehung gebracht mit der acinös gebauten Schildrüse des jungen Frischchens direkt nach der Metamorphose. Während die unpaare mediane Anlage des genannten Organs nach MÜLLER sich theilt und die paarige, acinös gebaute Schild- drüse des jungen Frosches hervorgehen lässt, schildert WIEDERSHEIM beim ausgewachsenen Frosch ein lymphoid gebautes Organ an ihrer Stelle. Ob dies letztgenannte Gebilde aus der acinösen Schilddrüse hervorgeht, wie es sich überhaupt entwickelt, ist gänzlich unbekannt. Die Nebenschilddrüsen der Autoren, die durchaus konstanter Natur sind, wurden seither einfach als abgetrennte Theile der Schilddrüse betrachtet, oder, wie von MEURON, aus hinteren paarigen Anlagen, die den Supraperikardialkörpern entsprechen, abgeleitet. Auf den Bau dieser Theile wurde nicht eingegangen. So ist also unbekannt einerseits die Entwicklung und der Bau der sogenannten Neben- schilddrüsen, andererseits das spätere Schicksal der Supraperikardial- körper. Bei Urodelen sind die Nebenschilddrüsen in ihrer Genese ganz unbekannt und eben so liegen keine Angaben über die Existenz von den Supraperikardialkörpern homologen Gebilden vor. Bei der Untersuchung der diesbezüglichen Verhältnisse ergaben u. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 305 sich Befunde, welche eine genaue Prüfung der Rückbildung des Kiemenapparates in histologischer Beziehung nöthig machten, so- wohl bei Anuren wie bei Urodelen. Ferner zeigte die Schilddrüse der Urodelen in Bezug auf ihre Blutversorgung ein unerwartetes Verhalten. Endlich war die Carotidendrüse nochmals zu berücksichtigen. Durch die Arbeiten von Boas sind wir zwar über die Entwicklung dieses Gebildes bei Urodelen unterrichtet, indessen zeigte sich bei Anuren ein anderes Verhalten. Während nach Boas bei Sala- mandra die Entwicklung dieses Organs erst nach der Metamorphose eintritt, finde ich dasselbe bei Anuren schon in sehr früher Larven- periode angelegt. Die Thymus: Form und Lagerung der Thymus bei den ver- schiedenen Gruppen der Amphibien finden sich für ausgebildete Thiere genau angegeben von Leypic. Bei Anuren liegt sie hinter dem Kieferwinkel, zwischen dem Os quadratum, dem Musc. mylo- hyoideus und dem Muskel, welcher vom Os quadratum zur Scapula zieht. Bei Urodelen trifft man sie in mehr oberflächlicher Lagerung, direkt unter der Haut hinter dem Unterkieferwinkel. Beim Axolotl liegt sie zwischen dem oberen Theil der Kiemenbogen und den Mus- keln der Wirbelsäule. Bei Proteus besteht das Organ aus mehrsren hinter einander liegenden Knötchen, eben so bei Coecilia; bei letzte- rer sind es vier. Der Bau wird als ein zusammengesetzt blasiger beschrieben. Die Blasen zeigen in ihrem Inneren zweierlei Zellen. Sie münden in einen gemeinsamen centralen Hohlraum. Bei Anuren ist die An- gabe Lrypia’s beachtenswerth, dass in den Thymusblasen kleine und große Zellen sich finden. Die großen zeigen häufig koncen- trische Ringe um den Kern. Nach WIEDERSHEIM ist die Thymus bei Gymnophionen in so fern verschieden, als bei Coecilien und Siphonops eine verschiedene An- zahl hinter einander liegender Bläschen besteht, während bei Epi- erium sich eine einheitliche gelappte Masse findet. Die Lagerung stimmt mit der schon von LEYDIG angegebenen überein. Über den-Bau und die Veränderungen, welche die Thymus bei ihrer Involution erleidet, giebt uns AFFANASSIEW genauere Details. Bei Amphibien wird das Organ zusammengesetzt aus einer An- zahl von Follikeln. Von der bindegewebigen Hülle gehen Faserzüge ins Innere. Diese bilden ein reticuliires Gewebe mit sehr regel- mäßigen Maschen und in jeder Masche liegt eine lymphoide Zelle. Morpholog. Jahrbuch. 13. 20 306 Fr. Maurer Die späteren Veränderungen gehen hauptsächlich von den Blutge- fäßen aus. Die Endothelzellen derselben beginnen lokal zu wuchern und bilden dadurch koncentrische Körper. Zugleich damit treten viele rothe Blutkörperchen ins umgebende Thymusgewebe und gehen hier Veränderungen ein. Entweder zerfallen sie sehr rasch unter Pig- mentbildung, oder sie quellen. Häufig verschmelzen zwei Zellen und bilden dann mächtig große Gebilde, welche oft lange Zeit, wie beim Frosch, unverändert zwischen den Thymuszellen liegen bleiben. AFFANASSIEW rechnete noch nicht mit der Thatsache, dass die Thymus epithelialen Ursprungs ist; nach ihm entstand sie noch aus dem mittleren Keimblatt. Bei Watney finde ich ferner angegeben, dass bei der Frosch- thymus die großen granulirten Zellen nicht aus Blutkörperehen her- vorgehen, sondern epithelioide Zellen darstellen. In der Axolotlthy- mus beschreibt er Cysten, die mit flimmernden "Zellen ausgeklei- det sind. Warner bestreitet die epitheliale Natur der Thymusanlage, lässt sie vielmehr aus dem mittleren Keimblatt hervorgehen und bezeich- net die Zellen mit epithelialem Charakter als epithelioide Zellen. Er lässt sogar flimmernde Epithelzellen, welche, wie erwähnt, die Cysten der Thymus häufig auskleiden, aus Bindegewebszellen her- vorgehen. Die Entwicklung der Amphibienthymus ist nur sehr fragmen- tarisch bekannt. GÖTTE schildert bei der Unke ihre Entstehung aus der zweiten Schlundfalte; zuweilen soll auch die erste daran bethei- ligt sein. Es sind die abgeschnürten Reste dieser Schlundfalten, welche zur Bildung des von GOrre als Halsdrüse bezeichneten Or- gans führen. GÖTTE leugnet, dass dies Organ die Thymus darstelle. MEvRON hat die Entstehung der Thymus von Bufo als Epithelknospe der dorsalen Pharynxwand in der Gegend der zweiten Kiemenspalte geschildert. Diese Knospe schniirt sich nach wenigen Tagen ab und soll dann aus Zellen bestehen, welche den Elementen des benach- barten Bindegewebes gleichen. Dies Organ soll nach seiner Ab- schnürung sehr rasch wächsen und zwischen den rundlichen Zellen treten einige längliche Bindegewebszellen auf. Während die erste Anlage dem Facialisganglion dieht ange- schlossen war, verändert das Organ seinen Platz, indem es unter das Gehörorgan und dicht vor das Ganglion des Glossopharyngeus rückt. Bei jungen Fröschen in der Metamorphose ist die Thymus vom Musc. depressor mandibulae bedeckt und liegt über den inneren - Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 307 . Kiemenbiischeln. Mrvuron homologisirt die Anurenthymus mit der ersten Knospe der Selachierthymus. Das Homologon der Teleostier- thymus sieht er in dem stark verdickten Epithel des dorsalen Theiles der hinteren Kiemenspalten. Die Entwicklung der Thymus bei Urodelen ist unbekannt. Da nun dieses Organ in den verschiedenen Gruppen der Amphibien bei erwachsenen Thieren ein ganz ungleiches Verhalten zeigt, so fragt es sich sehr, ob seine Entwicklung eine gleiche ist. Ferner ist die Beziehung seiner epithelialen Anlage zu dem spä- teren histologischen Verhalten nirgends genauer beschrieben und doch ist erst aus der Kenntnis dieser Vorgänge ein Verständnis für die späteren Befunde zu erwarten. Es sind besonders die großen von Watney als granulirte Zellen bezeichneten Elemente, die von Arra- NASSIEW als veränderte rothe Blutkörperchen beschrieben wurden, auf ihre Genese zu untersuchen. Eben so wird die Entstehung der Cysten erst durch die Kenntnis der Beziehung zwischen den Epithelzellen der Anlage und den später einwachsenden mesodermalen Elementen verständlich werden. Objekte und Methode der Untersuchung. Als Untersuchungsobjekte benutzte ich von Anuren: Rana escu- lenta und temporaria in vollständigen Entwicklungsserien vom Ei bis zum ganz erwachsenen Thiere, von Bufo vulgaris neben ausgewach- senen Thieren mehrere junge Larvenstadien; ferner Bufo variabilis ausgewachsen und Hyla viridis als junge Fröschehen kurz nach der Metamorphose und alte Exemplare. Eben solche hatte ich von Bom- binator igneus. Von Urodelen hatte ich eine Entwicklungsserie von Triton taeniatus, von der mir leider einige Stadien der Metamor- phose fehlten: ferner die ersten Entwicklungsstadien vom Axolotl, Larven und ausgewachsene Exemplare von Triton taeniatus, al- pestris und cristatus, Salamandra maculata, so wie endlich alte Axolotls. Die Art der Untersuchung bestand erstens in Präparation unter der Brücke’schen Lupe, ferner wurden Gefäßinjektionen ver- schiedener Art gemacht, worüber später. Das Hauptmaterial bestand in Schnittserien, und zwar wurden von Rana esculenta und Triton taeniatus, sowie Salamandra maculata außer den ersten Entwick- lungsstadien auch der Kopf, beziehungsweise der Unterkiefer mit der Halsgegend in Querschnittserien zerlegt, nachdem dieselben in salz- saurem Alkohol entkalkt, mit Boraxkarmin gefärbt und in Paraffin 20* 308 Fr. Maurer eingebettet waren. Auch wurden sehr viele Schilddrüsen verschie- dener Amphibien herausgenommen und zum Zwecke genauer histo- logischer Untersuchung verschieden konservirt. Wesentlich neue Methoden waren dabei nicht nöthig. Die gan- zen Thiere wurden theils in Chromessigsäure, theils in Alkohol kon- servirt, die Embryonen in ersterer; isolirte Schilddrüsen auch in Pikrinschwefelsäure und Pikrin-Osmiumsäure. Zur Tinktion benutzte ich durchgehends Boraxkarmin, bei isolirten Schilddrüsen auch Häma- toxylin. Bei den folgenden Schilderungen der Befunde sollen Anuren und Urodelen getrennt behandelt werden und beginne ich mit ersteren. . Befunde. Die Schilddrüse und die Nebenschilddrüsen der Anuren. Indem ich Rana esculenta zunächst zu Grunde lege, beginne ich mit dem Befund bei einem Fröschchen, das seit etwa sechs Wochen die Metamorphose überstanden hat (Fig. 2). Es ist der Schwanz- stummel längst geschwunden, sowie der Kiemenapparat rückgebildet. Hat man bei einem solehen, etwa 2,1 cm langen Fröschehen, das in Rückenlage fixirt ist, die Haut von Hals und Brust entfernt und den Musc. mylohyoideus abgetragen, so wird das Sternum in der ventralen Mittellinie getrennt und aus einander geschlagen. Man kann nun leicht den Theil des Muse. rectus abdominis, der sich als Sternohyoideus bis zum Zungenbein fortsetzt, von der inneren Sternalfläche lostrennen. Er läuft als platter Muskel über die ven- trale Fläche des Perikards nach vorn zum Zungenbein. Dabei ver- schmälert er sich unter Dickenzunahme und inserirt derart, dass seine tiefsten Fasern sich an der ventralen Fläche der hinteren Zun- genbeinhörner befestigen, während die oberflächlichen weiter vorn am Zungenbeinkörper ihre Insertion nehmen. Dabei senkt sich der Muskel in die Tiefe zwischen die laterale und mediale Portion des Genioglossus, welcher lateral vom hinteren Körperfortsatz, medial vom hinteren Zungenbeinhorn jederseits entspringt. Lateral von der vordersten Insertionsstelle des Rectus an der ventralen Fläche des Zungenbeinkörpers inserirt der Omohyoideus und medial von der hinteren Insertion des Reetus am hinteren Zungenbeinhorn entspringt der Hyoglossus. Hebt man nun den lateralen Rand des Rectus nahe bei seiner Insertion auf, so dass man in die Tiefe des Winkels, den Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 309 er mit dem Omohyoideus bildet, sehen kann, so zeigt sich der Nervus hypoglossus bogenförmig von hinten kommend» und ver- schwindet dann unter dem Omohyoideus. Medial von genanntem Nerven kommt vom Kinn her die Vena jugularis externa. Nun liegt gerade dieser Vene an, medial vom Hypoglossus, unter denr lateralen Rande des Rectus genau in dem Winkel, den derselbe mit dem M. omohyoideus bildet, ein röthliches, unregelmäßig gestaltetes Knöt- chen (Taf. XI Fig. 2 X) von 0,5 mm Durchmesser, das in seiner Lage genau dem seither als Glandula thyreoidea geschilderten Ge- bilde entspricht. Es zeigt in der Regel einen gelappten Bau, besitzt im vorliegenden Fall drei hinter einander liegende Lappen, die aber nur durch Einschnitte von einander getrennt sind. Seine Lage- beziehung zu den Gefäßen ist derart, dass es der ventralen Fläche der drei Arterienbogen gerade an der Stelle anlagert, wo dieselben zu divergiren beginnen. Inniger ist seine Beziehung zur Vena jugu- laris ext., mit deren ventraler Cirkumferenz es fest verwachsen ist. Lateral von diesem Körperchen liegen dicht an dem Nerv. hypo- glossus zwei weitere kleine eiförmige oder kugelige Knötchen (Fig. 2 e) von 0,1—0,16 mm Durchmesser, welche den Nebenschilddrüsen der Autoren entsprechen. Ich nenne sie Epithelkörperchen. In der Tiefe unter diesen Gebilden sieht man die großen Arterien und zwar liegen die beiden letztgenannten Körperchen gerade dem Anfangsstück der früheren ersten Kiemenarterie, der jetzigen Carotis communis ventral an. Etwas lateral und dorsalwärts davon theilt sich letztere unter Bildung der Carotidendrüse in die Carotis externa und interna. Die drei beschriebenen Drüschen liegen, abgesehen von den um- gebenden Weichtheilen, gerade in dem Winkel, den der hintere Kör- perfortsatz des Zungenbeins mit dessen hinterem Horne bildet. Sie stellen die drei Körper dar, welche bereits Leypıg als Schilddrüse beschrieben hat. WIEDERSHEIM bildet sie auf Fig. 2 der Taf. I in Ecker’s Anatomie des Frosches ab: dort sind sie als Schilddrüse und Nebenschilddriisen bezeichnet. MEURON nimmt an, dass die kleinen Körperchen aus den Supraperikardialkörpern hervorgehen. Mit der Brücke'schen Lupe betrachtet sehen diese Gebilde ganz undurch- sichtig, kompakt aus und lassen keinen traubigen Bau erkennen. Zieht man nun den Sternohyoideus weiter nach der Medianlinie herüber, so erkennt man seine ganze Insertionslinie und bemerkt dabei, dass am hinteren Zungenbeinhorn starke Faserbündel inse- riren. Da wo die Insertionslinie auf den Zungenbeinkörper übergeht, nehmen nur spärliche Fasern ihren Ansatz, während weiter vorn 310 Fr. Maurer und medial davon die oberflächlichen Fasern an der ventralen Fläche des Zungenbeinkörpers dicht inseriren. An der schwächsten Inser- tionsstelle, also auf dem Ursprung des Hyoglossus am hinteren Zungenbeinhorn, medial von der hinteren und lateral von der vorderen Insertion des Rectus, noch etwas vom medialen Ursprung des Genio- hyoideus bedeckt, findet sich tief versteckt ein unregelmäßig gestal- tetes 0,55 mm langes Drüschen (Fig. 22), das, mit der Lupe be- trachtet, aus vielen glashellen Bläschen zusammengesetzt erscheint und einen deutlich traubigen Bau erkennen lässt. Man sieht dieses Gebilde schon, wenn man, wie gesagt, den Rectus nach der Me- dianlinie zieht, weil die spärlichen Rectusfasern, die lateral von dem Driischen inseriren, leicht aus einander weichen. In Folge dieser Einlagerung zwischen die genannten Muskeln ist die Form der Drüse eine unregelmäßige. Im Querdurchmesser misst sie 0,36 — 0,425 an verschiedenen Stellen. Ihr Querschnitt ist ein stumpfwinkliges sphärisches Dreieck. Dieses Gebilde wurde sowohl von Lrypig als auch von WIEDERSHEIM und Meuron außer Acht gelassen bei der Beschreibung der Schilddrüse des Frosches. Unter der an den betr. Stellen geschilderten Schilddrüse kann nur das zuerst genannte kompakte Körperchen (X) von !/; mm Durchmesser gemeint sein. Zu diesen vier jederseits vorhandenen Bildungen kommt nun noch ein paariges Drüschen, welches ebenfalls ganz konstant ist, das man sich aber leichter von oben her zugänglich macht. Schneidet man den Kopf des Frosches in der gewöhnlichen Weise ab, wobei der Unterkiefer mit dem Körper in Zusammenhang bleibt, so liegt der Eingang in den Larynx frei zu Tage. Trennt man nun den Ösophagus hinter dem Aditus laryngis durch und schlägt ihn nach vorn um, so findet man der medialen Fläche der Aortenwurzeln, welche jederseits vom Ösophagus aufsteigen, anlie- gend, ein plattovales undurchsichtiges Knötchen, von 0,1—0,3 mm Durchmesser. Dieses Gebilde lagert lateral vom Kehlkopfeingang den Kehlkopfmuskeln auf, während es über sich die ventrale Wand des Ösophagus hat. Ich finde es in diesem Stadium nirgends an- geführt. Ich bezeichne es in Zukunft als den postbranchialen Körper. Alle diese mit der Schilddrüse in Beziehung gebrachten Gebilde schilderte ich genauer, weil sie durchaus konstanter Natur sind. Sie beziehen sich zunächst auf Rana esculenta, bei welcher nur Abweichungen derart vorkommen, dass sich zuweilen, aber selten, statt zwei der oben genannten kleinen Epithelkörperchen (e) drei solcher finden. Bei anderen Anuren kommen nur Abweichungen Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 311 in der Lagerung des von den Autoren als Schilddrüse bezeichneten Gebildes (X) vor, welche durch dessen Bildung bedingt sind. Diese makroskopischen, durch Präparation klar gelegten Ver- hältnisse verfahren eine Bestätigung und Vervollstiindigung durch Vergleich mit den Bildern, die man auf Querschnitten durch die hintere Hälfte des Kopfes eines solchen 2,1 em langen Fröschehens erhält; eine Vervollständigung, in so fern man dabei außer der Topographie bereits den histologischen Bau der fraglichen Gebilde erkennt. Fig. 17 (Taf. XII) stellt ein kombinirtes Bild aus einer Serie von 25 Querschnitten dar, die durch den hinteren Kopftheil eines jungen Fröschehens gelegt sind (Schnittdicke !/;, mm). Dasselbe hatte seit vier Wochen die Metamorphose überstanden. Ventral vom Darmlumen, in dessen unterer Mittellinie der Aditus laryngis (a./) getroffen ist, lagern die hinteren Zungenbeinhörner (c.h.p) und seitlich von diesen die hinteren Körperfortsätze (p.p) Noch weiter seitlich erkennt man die hinteren Enden der großen vorderen Zungenbeinhörner (e.a.h), daneben den Unterkiefer. Ganz unten liegt in der ventralen Mittellinie das Episternum (ep). Den hinteren Zungenbeinhörnern lagert ventral der Muscul. hyoglossus (A.g) an. Lateral davon in- serirt der M. sternohyoideus (s¢.4): auf der linken Seite der Figur an den hinteren Körperfortsätzen des Zungenbeins, rechts an den fibrösen Bindegewebszügen zwischen den Körperfortsätzen und den hinteren Hörnern des Zungenbeins. Zwischen diesen beiden Muskeln lagert der ventralen Fläche der hinteren Hyoidhörner die acinös gebaute Schilddrüse ¢ an. Dieselbe entspricht in ihrem Bau voll- kommen der Schilddrüse der höheren Wirbelthiere. Sie besteht aus geschlossenen Acinis, die mit einschichtig kubischem Epithel ausge - kleidet und mit Colloid gefüllt sind. Lateral von der Insertion des Rectus liegt derart, dass es bei der Betrachtung von der ventralen Körperfläche aus vom lateralen Rand dieses Muskels bedeckt wird, das größte kompakt gebaute Körperchen (Av), welches von Leypie und WIEDERSHEIM als die Schilddrüse des ausgewachsenen Frosches beschrieben wurde. Es erscheint in der Schnittserie erst mit der hinteren Hälfte der acinösen Schilddrüse und erstreckt sich auch weiter nach hinten. Dieses Gebilde liegt in einem Lymphraum (?), in welchen es von außen und oben her einhängt. Es besitzt einen breiten Stiel von lockerem faserigen Bindegewebe. In diesem Stiel treten Blutgefäße zu dem Gebilde und hier stößt die fibröse Kapsel desselben direkt an das umgebende Bindegewebe. Sonst 312 Fr. Maurer zeigt sich sein fibröser Überzug allenthalben von einschichtigem platten Endothel überkleidet, wodurch es nach dem Lymphraum ab- geschlossen ist. In dem Stiele liegen außer den Querschnitten der Arteria carotis externa, der Vena jugularis externa und des Nervus hypoglossus (auf der linken Seite zu erkennen) noch oberhalb des großen Gebildes jederseits zwei kleine kompakte Knötchen (e) (Epi- thelkörperchen), die Nebenschilddrüsen der Autoren. Auf der linken Seite ist oberhalb derselben die Carotidendriise (e.d) abgebildet. Dor- sal von den hinteren Körperfortsätzen des Zungenbeins befindet sich das oben zuletzt geschilderte, als postbranchialer Körper bezeichnete Drüschen (p). Es liegt etwa sechs Schnitte hinter dem Aufhören der Schilddrüse. Der Vollständigkeit halber ist schließlich die Thy- mus (£4) noch angegeben, welche der ventralen Fläche der Gehör- kapsel anlagert, lateral von den hinteren Enden der großen vorderen Zungenbeinhörner. Der histologische Bau des Körperchens Av, das von WIEDERS HEIM als Schilddrüse bezeichnet wurde, ist ein durchaus kompakter, sieht in keiner Weise dem einer Schilddrüse gleich. (WIEDERSHEIM selbst schildert das Gebilde als ähnlich wie die Thymus gebaut.) Es finden sich nirgends Acini, nirgends ein Lumen. Umgeben ist das Körperehen von einem fibrösen Überzug. Sein Inneres wird im vorliegenden Stadium von einem außerordentlich weiten Blut- kapillarnetz durchzogen; auch sind viele Arterien mit muskulösen Wandungen darin zu erkennen. Das Parenchym des Organs wird gebildet von sehr dieht zusammengepackten runden Kernen, die durchaus den Eindruck von Lymphzellen machen. Die Kerne liegen so dicht, dass man auf Schnitten kein reticulires Gewebe erkennen kann, wohl aber ist solches an Zupfpräparaten leicht nachzuweisen. In Folge des weiten Blutgefäßnetzes sind die lymphoiden Zellen in Form eines mit jenem alternirenden Netzes, dessen Balken an Dicke die Blutkapillaren ums Dreifache übertreffen, angeordnet. Gegen die Oberfläche des Organs hört das Blutkapillarnetz auf und wir finden hier die im Inneren in Form von dieken soliden Strängen angeord- neten lymphoiden Zellen sehr dichte Längsreihen bildend, bis an das einschichtige platte Endothel hin. Unter diesen der Oberfläche nahe liegenden Zellen finden sich viele, welche Veränderungen am Kern erkennen lassen, so dass derselbe unregelmäßige Gestalt hat, oder in zwei oder mehr Theile zerfallen ist. Solehe veränderte Zellen finden sich nicht bei allen Fröschen, sondern erst einige Zeit nach der Metamorphose und dann, wenn die Thiere in gutem Ernährungszu- Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 313 stand sind. Die zerfallenden Kerne zeichnen sich auch durch ihre intensive Färbung von den umgebenden lymphoiden Zellen aus. Bei einem ca. 3,6 cm langen Frosch zeigte sich das ganze Organ von solchen Zellen mit zerfallenem Kerne durchsetzt und zwar lagen dieselben nicht nur zwischen den blassgefärbten Iymphoiden Zellen des Parenchyms, sondern auch in den Blutkapillaren. Ferner zeig- ten sich solche Zellen, wenn sie nahe der Oberfläche des Organs lagen, immer auch in dem das Organ umspiilenden Lymphraum. so dass der Gedanke nahe liegt, dass hier Formelemente, die wohl in Zerfall begriffen sind, in die in den Lymphsäcken befindliche Flüssigkeit übergehen. Nicht immer zeigt das geschilderte Gebilde diesen Bau, obgleich er in allen. Altersperioden vorkommt und bei alten Fröschen meist im Sommer sich findet. Am regelmäßigsten findet er sich kurz nach der Metamorphose. Bei Herbst- und Winterfröschen ist in der Regel das Blutkapillarnetz nicht so mächtig entwickelt, das Organ gleicht dann mehr einem lymphatischen Knötchen. Dann ist man aber oft in der Lage, zweierlei Formelemente darin zu unterscheiden, von welchen die einen ganz wie Lymphzellen sich verhalten, die anderen dagegen, isolirt betrachtet, ganz den Eindruck von Epi- thelzellen machen. Der Kern der letzteren ist größer, rund oder oval, blasser gefärbt und der Zellkörper ist groß und deutlich auch in situ zu erkennen. Wenn diese zweierlei Zellformen vorkommen, liegen sie regellos neben einander in den Maschen des retieulären Bindegewebsnetzes. Bei einer Bufo vulgaris bestand das ganze Or- gan aus dicht zusammengepackten Zellen, welche auf Schnitten in langen Reihen angeordnet waren, und durchaus wie Epithelzellen aussahen; die Zellreihen waren durch Bindegewebszüge von einan- der getrennt. Man erkennt aus dem Allem, dass dies Organ sehr verschieden und atypisch gebaut ist. Als Schilddrüse ist es zunächst wohl nicht zu betrachten, da es in seinem Bau durchaus nicht mit einer solchen übereinstimmt. Es müsste erst nachgewiesen werden, dass es aus der acinös gebauten Schilddrüse hervorgeht, d. h. aus einem Theil derselben, da eine solche neben dem geschilderten Or- gan stets vorhanden ist. Was die Zeit seiner Entwicklung betrifft, so will ich gleich bemerken, dass dieses Gebilde (Av) nur bei aus- gebildeten Fröschen sich findet, niemals bei Kaulquappen. Seine Bildung fällt zeitlich mit der Metamorphose, d. h. mit der Rück- bildung der Kiemen zusammen. Die kleinen lateral und über dem letztgenannten Gebilde in 314 Fr. Maurer dessen breitem bindegewebigen Stiel eingelagerten Epithelkérperchen ‘Fig. 17e), von welchen beiderseits zwei vorhanden sind, haben eine kugelige oder eiförmige Gestalt, sind von derber fibröser Kapsel umgeben und durchaus kompakt. Sie zeigen in ihrem Inneren sehr dicht gelagerte elliptische bis spindelförmige Kerne, die sich sehr intensiv färben. Von Lymphfollikeln unterscheiden sich diese Ge- bilde durch die Form der Kerne ihrer Elemente und ferner durch ihre Anordnung. Es sind keine Rundzellen, sondern längliche Zellen, welche sich im Inneren finden und dieselben liegen so dieht zusam- men, dass sie spiralige Touren auf dem Schnitt durch das Gebilde beschreiben (Taf. XI Fig. 9). Die Natur der Elemente wird sich aus ihrer Entwicklung ergeben. Daraus wird auch hervorgehen, dass die Bezeichnung Nebenschilddrüsen völlig unberechtigt ist. In ihrer Ge- nese blieben diese Körper seither gänzlich unbeachtet, trotz ihres ganz konstanten Vorhandenseins. Sie bilden sich schon in früher Larvenperiode zur Zeit der Entwicklung der inneren Kiemen. © Außer diesen Gebilden findet sich noch, und zwar gerade ven- tral vom Schlundrohr lagernd, jederseits ein Drüschen, der post- branchiale Körper (p). Er stellt rechts ein geschlossenes platt ovales Bläschen dar, das von Cylinderepithel ausgekleidet ist. Das Gebilde zeigt höckerige Oberfläche, da es mit Knospen besetzt ist, in welche sich das Lumen des Mutterbläschens hinein erstreckt. Das Ganze ist also ein mehrfach ausgebuchtetes Bläschen, in dessen Innerem sich kein Colloid findet, sondern ganz spärliches Gerinnsel, welches auf einen flüssigen Inhalt schließen lässt. Auf der linken Seite haben sich zwei Tochterbläschen abgeschnürt, sonst ist der Bau wie rechts. Der acinösen Schilddrüse sieht dies Gebilde nicht ähnlich. Sein Epithel ist viel höher eylindrisch und sein Inhalt ist kein Colloid. Seine Lage ist eine von der Schilddrüse entfernte, indem es weiter hinten und vor Allem dorsal vom Zungenbein resp. dessen hinteren Körperfortsätzen liegt. Wenn ich die bisher vom 2,1 em langen, also jungen Fröschehen geschilderten Verhältnisse auf ältere Frösche übertragen will, so kann ich kurz sagen, dass sie bei solehen sich im Wesentlichen genau eben so finden (Taf. XI Fig. 3). Was mir speciell wichtig erschien, ist die Thatsache, dass auch der älteste Frosch seine acinös gebaute Schilddrüse besitzt, dass diese aber nicht in dem großen Gebilde Av, das seither als Schilddrüse des Frosches beschrieben wurde, zu er- blicken ist. Bei den alten Fröschen (Fig. 3) ist die hintere Insertion des Sternohyoideus noch stärker geworden, so dass hier die Schild- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 315 drüse (¢) ganz versteckt zwischen den Rectusfasern liegt, aber genau an der oben geschilderten Stelle. Es schiebt sich in Folge seiner eingeengten Lage weiter medialwärts zwischen den Zungenbeinkörper und die mediale vordere Rectusinsertion hinein. Von dem größeren lymphoiden Gebilde (Av) ist es völlig getrennt durch die hintere laterale Rectusinsertion. Das unter dem lateralen Rectusrand lie- gende lymphoid gebaute Knötchen (Av) ist etwas nach vorn gerückt; die anliegenden Epithelkörperchen (e) (Nebenschilddrüsen) sind ihm gefolgt, so dass sie vor dem Carotisstamme lagern. Sie sind größer geworden, zeigen aber den gleichen Bau wie früher. Eben so findet sich auch der postbranchiale Körper an der gleichen Stelle bei den größten Fröschen. Er stellt ein von hohem Cylinderepithel ausgeklei- detes Bläschen dar, dessen Inhalt mit seröser Flüssigkeit gefüllt ist. Zuweilen ist das Gebilde in drei bis fünf Acini zerfallen. Bei einer Rana esculenta von 2 cm Länge, also kurz nach der Metamorphose, bestand der postbranchiale Körper links aus fünf Acinis, rechts stellte er nur ein größeres Bläschen dar, dessen auskleidende hohe Epithelzellen zum Theil kräftige Flimmern trugen. Er liegt niemals nahe bei der Schilddrüse, geschweige, dass er jemals mit ihr ver- schmelzen sollte. Unter keinen Umständen stellt er die Neben- schilddrüsen der Autoren dar, die vielmehr in den Epithelkörper- chen (e) zu erblieken sind. Diese Befunde wurden an vielen großen Exemplaren von Rana esculenta nachgewiesen und zur Kontrolle wurde von einem 8 cm langen Individuum der Unterkiefer mit Hals entkalkt und in Quer- schnitte zerlegt. Dabei zeigte sich auch, dass das große lymphoide Gebilde, die seitherige Schilddrüse, eben so in einem Lymphraum auf- gehängt war, wie bei den jungen Thieren. - Die Maße von diesem S em langen Frosche waren folgende: Die acinös gebaute Schild- drüse maß in der Länge fast 2 mm, in der Quere 1,4 mm. Der dorsoventrale Durchmesser betrug medial nur 0,1 mm, lateral 0,5 mm. Das große lymphoide Gebilde (Av) ist fast kugelig und hat einen Durehmesser von 0,6 mm. Die kleinen Epithelkörperchen (e) sind srößer geworden. Es finden sich jederseits zwei von ovaler Gestalt; die Durchmesser schwanken zwischen 0,25 und 0,4 mm. Ihre Lage haben die Drüschen nicht verändert. Der postbranchiale Körper ist platt oval, misst in der Längs- achse 0,33 mm, in der Querachse 0,16 mm, zeigt also im Gegen- satz zur wahren Schilddrüse wenig Wachsthumsenergie. Von allen diesen Gebilden zeigt bloß das sub Av beschriebene, 316 Fr. Maurer also das seither als die Schilddrüse des erwachsenen Frosches auf- gefasste Knötchen bei anderen Anuren in seiner Lage ein abweichen- des Verhalten. Rana temporaria weicht nicht von Rana esculenta ab. Dagegen lagert bei Bufo das genannte Organ weiter lateral und hinten, der ventralen Fläche der Arterienbogen an. In Folge dessen liegen die Epithelkörperchen medial und etwas vor jenem, zuweilen sind sie in dessen Masse aufgenommen, ohne aber darin aufzugehen. Von der wahren acinösen Schilddrüse liegt das große lymphoide Gebilde viel weiter entfernt, als bei Rana. In seinem Bau stimmt es mit dem lymphoiden Knötchen (Av) von Rana über- ein. Die acinöse Schilddrüse wird auch hier durch den Rectus an dessen Insertion sehr erheblich eingeengt und weicht zwischen die hinteren Zungenbeinhörner und die hinteren Körperfortsätze aus. Letzteren liegt die ventrale Schlundwand dicht auf. Die postbran- chialen Körper finden sich an derselben Stelle und von dem gleichen Bau wie bei Rana. Mit Bufo einereus und variabilis stimmen Hyla viridis und Bombinator igneus überein. Fasse ich noch einmal kurz die Gebilde, welche sich beim Frosch nach der Metamorphose und im späteren Alter in der Gegend des rückgebildeten Kiemenapparates finden, zusammen, so besteht erstens eine acinös gebaute, Colloid enthaltende Schilddrüse. Sie lagert der ventralen Fläche des Zungenbeinkörpers gerade vor der Ansatzstelle der hinteren Hörner an und ist zwischen die Insertion der Rectus- fasern eingeschoben, liegt aber größtentheils medial davon. Ferner findet sich eine Thymus, welche seitlich vom Schlundrohr, hinter dem Gehörorgan liegt. Auf dieselbe bleibt später einzugehen. Außer diesen beiden Organen finden wir noch viererlei verschiedene Gebilde, über deren Entstehung und Bedeutung noch völlige Unklarheit herrscht. Es ist erstens die Carotidendrüse; zweitens ein lymphoides Knötchen, unter dem lateralen Rectusrande an dessen vorderem Ende gela- gert, im Winkel, welchen derselbe mit dem Muse. omohyoideus bildet. Dieses Gebilde wurde seither als die Schilddrüse des erwachsenen Frosches geschildert; ich bezeichne es als vordere oder ventrale Kiemenreste. Drittens finden sich lateral von letzterem Gebilde zwei kleinere ovale Kérperchen von kompaktem Bau, die ich als Epithel- körperchen bezeichnete (die Nebenschilddrüsen der Autoren). Vier- tens kommen noch die postbranchialen Körper hinzu. Diese lagern dorsal vom Zungenbein, zu beiden Seiten des Aditus laryngis und bestehen aus einem größeren oder mehreren kleinen Bläschen, welche von Epithel ausgekleidet sind und Flüssigkeit, aber niemals Colloid Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 317 enthalten. Diese Gebilde werden bei Batrachiern alle von der Ar- teria carotis externa mit Blut versorgt. Bei Urodelen werde ich auf diese Verhältnisse zurückkommen. Die sämmtlichen vorgenannten Organe sind paarig angeordnet und durchaus konstanter Natur. Entwicklung. Wenn ich nun zur Entwicklung der vorher geschilderten Theile übergehe, so möchte ich zuvor kurz angeben, wie diese Gebilde sich bis jetzt zu einander stellen. W. MÜLLER hat bei Rana temporaria die Entwicklung der acinös gebauten Schilddrüse aus unpaarer An- lage beschrieben und schildert ein solches Organ auch beim Frösch- chen kurz nach der Metamorphose. Er erwähnt weder die in letzt- genannter Periode bereits vorhandenen und nahe bei der Schilddrüse gelagerten, lymphoid gebauten Gebilde (Av), noch die kleinen Epithel- körperchen (e). LEYDIG und WIEDERSHEIM haben beim erwachsenen Frosch letztere allein gesehen, beiden entging die stets vorhandene acinös gebaute Schilddrüse. WIEDERSHEIM nennt das größte dieser Knötchen (Av) Schilddrüse, die kleineren (e) Nebenschilddrüsen. Die Entwieklung dieser Gebilde ist ganz unbekannt. Die Entwicklung der postbranchialen Körper ist bei Bufo von P. DE Meuron geschildert. Die Gebilde wurden aber nicht weiter verfolgt, sondern irrthümlicherweise als spätere Nebenschilddrüsen (e) gedeutet. Es soll wieder, wie oben, Rana esculenta zu Grunde gelegt wer- den. Bei deren Entwicklung kommen, wie bei allen caducibranchi- aten Amphibien, zwei Etappen in Betracht. Zunächst ist die em- bryonale Entwicklung zu behandeln, zweitens ist die Entwicklung der bleibenden Verhältnisse zu besprechen, die an die Metamorphose d. h. an die Rückbildung des Kiemenapparates geknüpft ist. Diese zweite Periode ist gerade für die oben geschilderten Gebilde wichtig, weil, wie sich ergeben wird, das größere lymphoid gebaute Körper- chen (Av) während des ganzen Larvenlebens des Frosches gar nicht besteht, sondern erst bei der Rückbildung der Kiemen sich ent- wickelt. Bei der embryonalen Entwicklung ist erstens die unpaare An- lage der Schilddrüse (2), zweitens die erste Bildung der postbran- chialen Körper, drittens die Anlage der Carotidendrüse und viertens die Entwicklung der von mir als Epithelkörperchen (e) bezeichneten Gebilde zu besprechen. Die großen kompakt gebauten Körperchen 318 Fr. Maurer (Kv), die seither als Schilddrüse des erwachsenen Frosches geschil- dert wurden, kommen erst bei der Besprechung der Metamorphose in Frage. In Bezug auf die unpaare Anlage der Schilddriise kann ich mich kurz fassen, da diese Bildung schon hinlänglich bekannt ist (vgl. pag. 301). Sie findet sich bei Rana esculenta eben so wie bei Rana temporaria (MÜLLER), Bombinator igneus (GÖTTE) und bei Bufo cinereus (MEURON). Nur zwei Momente sind es, die ich hier hervorheben möchte. Das eine betrifft die erste Anlage selbst. MÜLLER gab an, dass die- selbe eine Ausbuchtung vorstellt, in welche sich das Lumen der Schlundhöhle fortsetzt. Diese Ausbuchtung wird aber rasch solid, durch starke Wucherung der Epithelzellen ihrer Wandung. Im Gegen- satz dazu giebt MEURON an, dass bereits die erste Anlage ein solider Zapfen sei. Ich muss mich in dieser Frage auf die Seite MÜLLER’s stellen. Bei Rana esculenta wie temporaria und Bufo cinereus fand ich, dass bei Larven, die gerade ausgeschlüpft waren, eine Aus- buchtung der ventralen Schlundwand besteht, in welche sich deut- lich spaltförmig das Lumen der Schlundhöhle fortsetzt. Schon zwei Tage darauf ist dann die Anlage solide geworden. Es entspricht somit das erste Stadium der Schilderung Mevuron’s dem zweiten, welches MÜLLER beschrieben hat. Das zweite Moment ist die Beziehung der Schilddrüsenanlage zum Kiemenarterienstamm, resp. der vorderen Theilungsgabel des S-firmig gekrümmten Herzschlauchs. MÜLLER lässt die Ausbuchtung in direktem Kontakt mit der Wandung des genannten Gefäßstammes entstehen und lässt sogar den Rückzug, welchen das Herz mit seinem Arterienstamm in die Tiefe vollzieht, als Ursache für die Bildung der Schilddrüse gelten. Es soll die Herzwandung an ihrem vorderen Ende in direktem Kontakt mit dem Epithel der ventralen Schlundwand stehen und an dieser Stelle soll das Epithel mit in die Tiefe gezogen werden. Dem muss ich entschieden widersprechen. Die erste epitheliale Ausbuchtung ist nicht bloß durch embryo- nales Bindegewebe deutlich von der Wandung des Herzschlauchs ge- trennt, sondern in einem wenig späteren Stadium (Taf. XI Fig. 19 q in welchem die solid gewordene Anlage der Schilddrüse noch durch einen Stiel mit ihrem Mutterboden zusammenhängt, lagert sie über- haupt nicht mehr der Gefäßwand an. Während das vordere Ende des Herzschlauches oder des späteren Kiemenarterienstammes dem Schlund- epithel noch wie früher anlagert, weil noch keine knorpeligen Theile Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 319 des Zungenbeinkiemenapparates gebildet sind, findet sich die Ab- gangsstelle der Schilddriisenanlage von diesem Epithel viel weiter vorn. Der gekriimmte solide Epithelzapfen derselben erstreckt sich zwar in die Theilungsgabel des Arterienstammes herein, reicht aber noch weiter ventralwärts herunter, so dass sein Ende vor der vorderen Fliiche des Perikards liegt. Auch von diesem ist es durch Binde- gewebe getrennt. Es geht daraus hervor, dass die Schilddriisenan- lage in ihrer Lagerung zwar eine ganz nahe Beziehung zum Herzen hat, doch darf man diesen Verhältnissen keine Bedeutung fiir die Genese der Schilddrüse beimessen (Fig. 197). Die Abschniirung und Theilung der Schilddriise sind bekannte Vorgiinge. In der folgenden Schilderung der anderen, seither mit der Schilddriise zusammengeworfenen Gebilde, werde ich den jewei- ligen Zustand der eigentlichen Schilddriise in den einzelnen spiiteren Stadien kurz angeben. Der postbranchiale Körper schließt sich zeitlich an die Entwicklung der Schilddrüse an. Meuron giebt eine Abbildung seiner Anlage bei einer Bufolarve. Dort war die äußere Kiemenhöhle schon völlig gebildet. Ich muss hierzu bemerken, dass das genannte Organ bei Rana sowohl als bei Bufo sich bereits bedeutend früher an- legt. Bei 7 mm langen Larven von Rana esculenta (Taf. XII Fig. 11), bei welchen die ersten äußeren Kiemen im Zustande ihrer stärksten Entfaltung sind, zeigt sich der spätere häutige Opercularapparat, als ganz schwache Falte vom Zungenbeinbogen ausgehend, gerade an- gedeutet. Die erste Kiemenspalte, zwisclen Kiefer- und Zungen- beinbogen, kommt nicht zum Durchbruch. Ihr Schicksal ist bei der Thymus zu erwähnen. Die zweite, dritte und vierte Kiemenspalte ist jederseits offen, dagegen ist die fünfte noch nicht durchgebro- chen. Dann zeigt sich auf Querschnitten in der Mitte zwischen den ventralen Enden der fünften Schlundfalten die Anlage der Lungen, welche sich schon in die beiden Säcke getheilt hat. Zu beiden Seiten vom Eingang in den späteren Larynx, zwischen diesem und der fünften Schlundfalte, findet sich, jederseits von der ventralen Schlundwand ausgehend, genau an der Stelle, wo eine sechste Schlundspalte zu erwarten wäre, eine halbkugelige epitheliale Aus- buchtung (Fig. 11). Ihre Wandung besteht aus mehrschichtigem sehr hohen Epithel, dessen Zellen viel höher eylindrisch sind als diejenigen des ventralen Schlundepithels, in welches sie direkt über- gehen. Die Zellen enthalten wenig braunes körniges Pigment. Zur Zeit der ersten Anlage dieses paarigen Gebildes ist die 320 Fr. Maurer unpaare Anlage der Schilddriise bereits abgeschniirt und zeigt schon eine schwache mediane Einschnürung als Beginn der Theilung in zwei getrennte Hälften (Taf. XII Fig. 18). Die Abschnürung der paarigen postbranchialen Ausbuchtung er- folgt sehr rasch, so dass schon bei Larven von 8 mm Länge die Gebilde als geschlossene Bläschen dicht unter dem ventralen Schlund- epithel zu beiden Seiten vom Aditus laryngis lagern. Die Bläschen besitzen ein sehr kleines centrales Lumen und eine sehr dieke mehr- schichtige Epithelwandung (Taf. XII Fig. 12). Nach der Ausbildung des knorpeligen Kiemenskelettes liegt das Gebilde jederseits dorsal und medial vom vierten Kiemenbogenknorpel und dicht unter dem Epithel der ventralen Schlundwand. Während die nunmehr in zwei Hälften getheilte Schilddrüse weiter vorn, zwi- schen dem ersten und zweiten Kiemenbogen der ventralen Fläche der Zungenbeincopula anliegt, findet sich der postbranchiale Körper viel weiter hinten, hinter dem vierten Kiemenbogen und liegt stets dorsal vom knorpeligen Kiemenapparat. In dieser Lagerung bleibt er auch während der ganzen Larvenperiode. Er verändert sich nur derart, dass die Dotterblittchen und das Pigment in den auskleidenden Epithelzellen schwinden. Sein Lumen wird weiter und das Epithel seiner Wandung wird häufig einschichtig, hoch eylindrisch, häufiger aber bleibt er mehrschichtig. Colloid zeigt sich niemals in seinem Lumen. Es erinnert niemals an Schilddrüsengewebe. Die weiteren Veränderungen, die in seiner Lagerung und seinem Bau eintreten, entwickeln sich erst mit der Metamorphose und sind bei dieser zu erörtern. Bei Larven anderer Anuren, die mir zu Gebote standen, wie Rana temporaria, Bufo einereus, Bombinator igneus und Hyla viridis fand ich diese postbranchialen Körper ganz in der dem gleichen Sta- dium von Rana esculenta entsprechenden Ausbildung. MEURoON hat diese Gebilde mit den Supraperikardialkörpern, die v. BrMMELEN bei Selachiern beschrieben hat, homologisirt. Es scheint mir dies durchaus berechtigt. Nur wähle ich für sie die Be- zeichnung »postbranchiale Körper«, da sie stets hinter der letzten Kiemenspalte auftreten und da mir ihre genetische Beziehung zur Kiemenschlundhöhle wichtiger erschien, als ihre Lagerung über dem Perikard. Ob sie als ein rudimentäres sechstes Kiemenspaltenpaar aufgefasst werden dürfen, soll später erörtert werden, nachdem die Verhältnisse bei Urodelen beschrieben sind. Die erste Anlage der Carotidendrüse ist ebenfalls eine epithe- en Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 3921 liale und geht unmittelbar voraus der Entwicklung der kleinen ova- len, als Epithelkörper bezeichneten Gebilde. Diese Theile mögen aus später sich ergebenden Gründen zusammen behandelt werden. Ich beginne mit Kaulquappen von 11—12 mm Länge (Taf. XI Fig. 13). Die Kiemenhöhle ist noch nicht völlig abgeschlossen, in- dem der ventrale Rand der Opercularfalte noch frei ist. Aus dem Schlitz, der noch in die Kiemenhöhle führt, hängen die äußeren Kie- menfransen hervor, die sich rückzubilden beginnen. Die Fig. 13 stellt einen seitlichen Sagittalschnitt dar an einer Stelle, wo der Abschluss der Kiemenhöhle gerade erfolgt ist. Die bleibenden inneren Kiemen sind bereits vorhanden in Form kurzer Fortsätze, welche zum Theil schon terminale Theilungen als Beginn der späte- ren Büschelform zeigen. Diese sitzen dem ersten bis dritten Kie- menbogen in doppelter Reihe, dem vierten nur in einer vorderen Reihe an. An der Stelle nun, wo die bereits gebildete erste Kiemen- arterie in den ersten Kiemenbogen eintritt, verlässt gerade vor ihr gelagert eine ventrale Fortsetzung der ersten Kiemenvene den Bo- gen, um, nach vorn umbiegend, den Stamm der späteren Carotis ext. zu bilden. Gerade an der Stelle, wo dieses letztere Gefäß sich nach vorn wendet, erstreckt sich von dem den ersten Kiemenbogen überziehenden Epithel ein solider Zapfen von unten und vorn her- kommend zwischen die Arterie (Fig. 13a,) und Vene (v,) des ersten Bogens hinein (Fig. 13cd). Die Zellen, welche diese Knospe zu- Sammensetzen, sind ganz gleichartig und verhalten sich in ihrem Aussehen genau wie die Zellen des die Kiemenhöhle auskleidenden Epithels (Fig. 14). Sie enthalten wenig braunes körniges Pigment im Plasmakörper. Das Gebilde geht nach dem vorher Gesagten vom Epi- thel des ersten Kiemenbogens aus, gerade an dem Punkte, wo die am weitesten ventral gelegenen inneren Kiemenanlagen sich zeigen und zwar in der Fortsetzung der vorderen Büschelreihe des ersten Bo- gens. An der Stelle, wo diese Epithelknospe (Fig. 14) zwischen die Arterie und Vene hineinragt, bestehen noch keine Anastomosen zwi- schen diesen beiden Gefäßen. Suchen wir an den hinteren Kiemenbogen nach gleichen Ge- bilden, so vermissen wir solche in dem angegebenen Stadium noch gänzlich. Die Verhältnisse sind dort etwas andere als am ersten Kiemenbogen, da eine ventrale Fortsetzung der zweiten, dritten und vierten Kiemenvene nicht besteht. Diese Venen sind überhaupt noch sehr schwach entwickelt. Ehe ich die Entwicklung von ventralen Epithelknospen zwischen dem ersten und zweiten, sowie zwischen Morpholog. Jahrbuch. 13. 31 322 Fr. Maurer dem zweiten und dritten Kiemenbogen bespreche, mag die Weiter- bildung der Carotidendriise behandelt werden. Es sei nur bemerkt, dass jene Bildungen wenig später auftreten und zwar zuerst bei Larven von 13 mm Länge zu erkennen sind. Die Carotidendrüse bleibt nur kurze Zeit mit dem Epithel des ersten Kiemenbogens in Verbindung. Sie ist bei Larven von 15 mm Länge abgeschnürt und liegt als kompaktes, platt ovales Körperchen von 16/0, mm längstem Durchmesser zwischen der ersten Kiemen- arterie und der ventralen Fortsetzung der ersten Kiemenvene, an der Stelle, wo erstere in den Kiemenbogen eintritt. In diesem Sta- dium finden sich bereits eine oder zwei direkte kurze und weite Anastomosen zwischen der Arterie und Vene. Dieselben liegen, wenn nur eine vorhanden ist, dorsal von der Epithelknospe, direkt derselben angelagert; wenn noch eine zweite besteht, durchsetzt diese die epitheliale Anlage der Carotidendrüse. Die Zellen, welche diese letztere zusammensetzen, sind ganz gleichartige Epithelzellen, welche in diesem Stadium häufig eine concentrische Anordnung zei- gen und sehr dicht zusammenlagern. Das folgende Stadium entnehme ich Larven von 20 mm Länge. Hier zeigt sich die Carotidendrüse derart weiter gebildet, dass zwi- schen Arterie und Vene des ersten Kiemenbogens an der angegebenen Stelle sich mehrere Anastomosen gebildet haben, welche die zwischen- liegende Epithelknospe durchsetzen und dadurch die sie zusammen- setzenden Epithelzellen aus einander drängen. Die Carotidendriise erscheint nun schon als eine spindelförmige Auftreibung im Gefäß- verlauf von 17/99 mm Längendurchmesser. Sowohl die Arterie als die Vene laufen glatt durch dies Gebilde hindurch, besitzen, ab- gesehen von den Anastomosen, getrennte Lumina. Die Masse der Drüse wird gebildet durch das zwischen diesen Gefäßen liegende Epithelknétchen mit den dasselbe durchsetzenden anastomotischen Gefäßen. In diesem Zustand bleibt die Carotidendrüse während der ganzen Larvenperiode. Sie wird nur dadurch modifieirt, dass die Weiterbildung des epithelialen Theiles nicht Schritt hält mit dem Wachsthum und der Erweiterung der Blutgefäße. Dadurch tritt die Betheiligung des Epithels an der Bildung dieses Organes bei großen Kaulquappen mehr in den Hintergrund. Einen solehen Zustand findet man bei Larven von 5 cm Länge, die gerade vor der Meta- morphose stehen, bei welchen aber die vorderen Extremitäten noch nicht durchgebrochen sind. Der makroskopische Befund ist auf Taf. XI Fig. 1 dargestellt. VE Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 323 Man erkennt, dass bei c die Arterie des ersten Kiemenbogens mit der Vene fest zusammenhängt, und an dieser Stelle eine spindelförmige Auftreibung der Gefäße besteht. Die Carotidendrüse liegt der ventra- len Fläche des ersten Kiemenbogenknorpels an. Fertigt man Längs- schnitte durch die Drüse, welche mit Querschnitten durch den gan- zen Kopf der Kaulquappe ziemlich zusammenfallen, so erkennt man, dass die weiten Lumina der Arterie sowohl, als der Vene direkt durch das Gebilde hindurch verlaufen. Es bestehen aber zwischen den beiden Gefäßen zahlreiche Anastomosen. Ferner wird die spindelförmige Auftreibung bedingt durch Wucherungen, welche besonders ventral zwischen den beiden Gefäßen sich finden. In Folge deren ventraler Lagerung sieht das Gebilde von der ventralen Körperfläche betrachtet, wie in Fig. 1, viel mächtiger aus als von oben, wenn es von dem knorpeligen Bogen lospräparirt ist. Die Begründung dafür, dass diese Wucherungen gerade ventral sich zuerst finden, liegt ohne Weiteres in der Entstehung der ersten epithelialen Anlage. Dieselbe wuchs von unten her zwischen die Gefäße ein und es traten auch die ersten Anastomosen zwischen Arterie und Vene dorsal von dem ZEpithelknötchen auf. Später durchsetzen solche auch das letztere, aber erst gegen Ende der Lar- venperiode finden sich in direktem Zusammenhang mit diesen Ana- stomosen Ausbuchtungen der Gefäße, welche schon einen Beginn der nach der Metamorphose entstehenden cavernösen Räume darstellen. Die Wandung dieser Ausbuchtungen ist eine sehr dicke. Sie stellt die oben als ventrale Wucherungen bezeichnete Bildung dar und besteht histologisch nicht nur aus Elementen der Gefäßwand, d. h. Endothel, glatten Muskelzellen und Bindegewebszellen, sondern es finden sich zwischen diesen, die eigentliche Wandung der Gefäßaus- buchtungen darstellenden Elementen auch Nester von Epithelzellen, welche aus der ersten Anlage abzuleiten sind. Das Wesentliche bei der Entwicklung der Carotidendrüse von Rana schien mir die Thatsache, dass die erste Anlage eine epithe- liale ist. Dieselbe fällt in frühe Larvenperiode und kommt syn- chron mit den inneren Kiemen zur Ausbildung. Während der gan- zen Larvenperiode verlaufen die Lumina der Arterie und Vene ununterbrochen, durch das Gebilde, wenn auch am Ende dieser Pe- riode schon Wucherungen aufzutreten beginnen, welche theils von der Gefäßwand, theils von den Zellen der epithelialen Anlage aus- gehen. Es ist in diesem Zustand die Carotidendrüse bereits ein gemischtes Gebilde, in so fern eben die genannten beiden Gewebs- 21* 324 Fr. Maurer arten sich an ihrem Aufbau betheiligen. Zur Zeit der Metamorphose oder vielmehr im Anschluss an sie obliterirt bekanntlich innerhalb des Bogens die Kiemenarterie der Larve und die Vene wird zum bleibenden Arterienbogen (Boas). Im ersten Bogen kommt es zu starken Wucherungen der Carotidendriise und es tritt in sie die erste Arterie ein, dagegen zwei Gefäße aus, die Carotis externa und interna. Letztere stellt den Kiemenvenenstamm der Larve dar, erstere deren ventrale Fortsetzung. Dieselben laufen aber nicht mehr glatt durch die Drüse, sondern ihr Lumen ist durch die starken Wucherungen unterbrochen. Das Gebilde bekommt das Aus- sehen eines cavernösen Knötchens. Während die Carotidendriise in ihrer ersten Anlage aus dem Epithel des ersten Kiemenbogens hervorgeht, entstehen kurz nach diesem Gebilde weiter hinten noch andere solide Epithelknospen, welche die Anlage der von mir als Epithelkörperchen des erwach- senen Frosches geschilderten Bildungen darstellen. Vierzehn Tage nach dem Verlassen des Eies zeigen die Kaul- quappen eine Länge von 13 mm. Der häutige Opercularapparat hat sich bereits gebildet, es findet sich aber jederseits noch eine weite, nach außen mündende Spalte, aus welcher die zuerst gebildeten äußeren Kiemenfransen heraushängen. Auf horizontalen Längsschnitten (Fig. 4) erkennt man, dass sich der knorpelige Zungenbein-Kiemenapparat schon ganz differenzirt hat. Die inneren Kiemen bestehen schon als lange Zapfen, an wel- chen seitlich bereits kleinere Fortsätze sich finden als Beginn der späteren Büschelbildung. Zur Schilderung der uns interessirenden Verhältnisse beziehe ich mich auf Taf. XI Fig. 4. Dieselbe stellt einen Horizontalschnitt durch den Kopf einer 15 mm langen Larve von Rana esculenta dar. Der Schnitt ist sehr tief gelegt, gerade unter ‚dem Zungenbeinkörper, so dass man die Anheftung der Kiemen- bogenknorpel nicht mehr erkennt, wohl aber die Knorpel eine Strecke weit in ihrem Verlauf in den einzelnen Kiemenbogen. Der vordere Theil der Zungenbeincopula (e.dr) ist noch getroffen, eben so dessen ventraler knorpeliger Fortsatz (p.c), dessen schon W. MÜLLER bei der Bildung der Schilddrüse Erwähnung thut. Diesem liegt auch hier die Schilddrüse (¢) von vorn her an. Sie befindet sich gerade in dem Stadium der Zwerchsackform, also dieht vor der Theilung in zwei Hälften. Auf unserem Schnitt ist die linke Hälfte schwächer ausgebildet als die rechte, ferner zeigt sich ein langer Fortsatz, nach vorn spitz auslaufend. Derselbe geht vom Isthmus der Schild- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 395 driisenanlage aus und zeigt uns den Weg, den die Schilddriise bei ihrer Entwicklung von vorn nach hinten zuriickgelegt hat. Das etwas unregelmäßige Verhalten der Schilddriisenanlage, wie es die Fig. 4 zeigt, findet sich gerade in diesem Stadium und in dem nächst spä- teren sehr häufig. Histologisch besteht die Thyreoidea auf diesem Schnitte aus sehr pigmentreichen, lose zusammenliegenden Zellen. An den beiden kolbigen Lappen des Zwerchsackes erkennt man bereits eine Andeutung von Schlauchbildungen. Hinter der Schild- drüsenanlage liegt der Kiemenarterienstamm (a.b), der sich in drei Äste jederseits theilt. Die Arterie für den zweiten Kiemenbogen ist die stärkste, während die für den ersten Kiemenbogen in jiin- geren Stadien viel mächtiger war. Hinter dem Kiemenarterienstamm liegt der Perikardialsack mit dem Querschnitt des Herzschlauches (c). Zu beiden Seiten trifft man die Kiemenbogen. Zu vorderst liegt der Knorpel des Zungenbeinbogens (c.), hinter welchem sich die zweite Schlundspalte findet. Die vor dem Zungenbeinbogen ge- legene erste Schlundspalte ist auf dem Schnitt nicht getroffen, sie liegt in höheren Schnitten und ist fast ganz rückgebildet. Ihrer wird bei der Entwicklung der Thymus zu gedenken sein. Die zweite bis fiinfte Kiemenspalten sind gerade an der Stelle getroffen, wo die entodermalen Schlundfalten an das ektodermale Epithel stoßen, welches die äußere Kiemenhöhle auskleidet. Mit der hinteren Fläche des häutigen Opercularapparates ist die vordere Fläche des ersten Kiemenbogens fest verwachsen. Auf der linken Seite erkennt man noch die einfache Epithellamelle, welche beide trennt, da der Schnitt links etwas tiefere Theile trifft, als rechts. Die äußere Kiemenhöhle ist auf dem Schnitte ganz geschlossen, dagegen ist sie in etwas tiefer folgenden Schnitten noch weit offen und lässt die ursprüng- lichen äußeren Kiemen hervorhängen, die hier schon sich rückzu- bilden beginnen. Das Wesentliche, was auf unserem Schnitte nun zu beachten ist, sind jederseits zwei solide Epithelknospen (e), welche zwischen erstem und zweitem und zwischen zweitem und drittem Kiemenbogen medialwärts gegen die Theilungsgabeln der Kiemen- arterien vorspringen. Auf Querschnitten erkennt man noch besser ihre Anordnung im Verhältnis zu den Kiemenspalten und Bogen. Einen solchen Schnitt nehme ich vom folgenden Stadium zur Hand (Fig. 5). Es ist dies einer Kaulquappe von 20 mm Länge ent- nommen. Bei solehen Larven ist der mediane Zusammenhang der beiden Schilddrüsenlappen gerade gelöst. Die Kiemenbüschel sind schon reichlich verzweigt. Die ersten äußeren Kiemen sind in der 326 Fr. Maurer äußeren Kiemenhöhle völlig rückgebildet. Letztere mündet bloß noch durch den links gelegenen Porus der Athemröhre nach außen. Der vorliegende Querschnitt ist durch den hinteren Kopfabschnitt gelegt. Das Gehörorgan ist getroffen. Die eben paarig gewordene Schilddrüse liegt zwei bis sechs Schnitte weiter vorn. Ventral er- kennt man in der Mitte unter dem weiten Lumen der Schlundhöhle den breiten Querschnitt des Zungenbeinkörpers (c.d), an welchem seitlich die ventralen Enden des ersten und zweiten Kiemenbogens (im Schrigschnitt getroffen) ansitzen. Der erste Kiemenbogen (b,) ist in seinem ventralen Ende schräg durchschnitten. Man sieht, wie er lateral mit dem häutigen Kiemendeckel zusammenhängt. Unter dem Schrägschnitt durch das ventrale Ende dieses Kiemenbogens zeigt sich jederseits der Querschnitt eines kleinen Hohlraums, dessen Wand mit Epithel ausgekleidet ist. Da unregelmäßig durchschnittene Kiemenbiischel darin liegen, erkennt man diese Räume leicht als die Kiemenhöhlen. Gerade unter der Anheftungsstelle des ventralen und medialen Endes des ersten Kiemenbogens sieht man jederseits eine Epithelknospe (e), die sich medialwärts unter den Knorpel des zweiten Kiemenbogens erstreckt; links hängt diese Knospe durch einen schlanken Stiel mit dem Epithel der Kiemenhöhle zusammen, rechts bat sie sich von diesem, ihrem Mutterboden, schon abgelöst. Dass das ventrale Ende des zweiten Kiemenbogens sich direkt an diesen Schnitt nach hinten anschließt, geht daraus hervor, dass bereits der Knorpel dieses Bogens getroffen ist. Der Schnitt trifft an der Stelle, wo sich die Epithelknospen finden, genau den ven- tralen Winkel zwischen erstem und zweitem Kiemenbogen. Dies wird leicht verständlich, wenn man den Horizontalschnitt Fig. 6 desselben Stadiums in Vergleichung zieht. Die Zellen, welche die solide Knospe zusammensetzen, sind ganz wenig pigmentirt (Fig. 7), zeigen rundlich ovale Kerne und gehen durch den verjüngten Stiel direkt in das Epithel der Kiemenhöhle über. Die Zellen des letz- teren Epithels sind durchaus gleichartig mit den Zellen des Stiels und der Knospe (Fig. 6 und 7). Es fiel mir bei der Durchmusterung der Serien auf, dass ganz dicht bei diesen Knospen Ganglien liegen, welche dem Glossopha- ryngeus und den branchialen Ästen des Vagus angelagert sind und welche leicht mit den abgeschnürten Epithelknospen verwechselt wer- den können. Es sind in neuerer Zeit verschiedene Arbeiten erschienen, welche zeigen, dass bei Säugethieren die großen Nervenstämme des Facialis. Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 327 Glossopharyngeus und Vagus in früher Entwicklungsperiode mit dem Epithel an dem dorsalen Rand der Kiemenspalten in Beziehung stehen (FRORIEP und BEARD). FRORIEP hat in Folge dessen die den genannten Nervenstämmen zugehörigen Ganglien als rückge- bildete Sinnesorgane gedeutet. Es sind die von mir beschrie- benen Epithelknospen zwar am ventralen Rande der Kiemenspalten zu finden, doch beziehe ich mich auf die erwähnte Arbeit, weil ich bei Froschlarven beobachtete, dass auch in dem weiteren Ver- laufe dem Stamme des Glossopharyngeus und den branchialen Ästen des Vagus Ganglien angelagert sind und zwar gerade an den ventralen Enden der Kiemenspalten. Die Ganglien lagen ganz dicht an den Epithelknospen, die ich oben schilderte, und zwar war diese Lagebeziehung zuweilen derart, dass ich im Anfang zweifelhaft war, was Ganglion, was Anlage des Epithelkörpers sei. Doch konnte ich an der Hand verschiedener Stadien und bei ge- nauer Beriicksichtigung der histologischen Verhiiltnisse diese Frage entscheiden. Ich habe iiber die erste Entwicklung der genannten Ner- venstämme keine Untersuchungen angestellt, doch ist nach den mir vorliegenden Serien in dem Stadium, in welchem sich die genannten Epithelknospen bilden, keine Rede mehr von einem Zusammenhang zwischen Nervenganglien und Epithel. Sollten sich die ventralen Ganglien auch vom Epithel aus bilden und den Nervenstämmen dann anlegen, so geschieht dies jedenfalls in einer früheren Periode, ehe sich die Anlage der Epithelkörper findet. Die Epithelknospen stehen in ihrer ersten Entwicklung niemals in Verbindung mit Nervenstäm- men und unterscheiden sich von den neben ihnen liegenden Ganglien schon in früher Periode durch das Aussehen ihrer Formelemente, sowie wesentlich durch ihr späteres Verhalten, so dass eine Ver- wechselung beider Gebilde auf die Dauer nicht möglich ist. Nach FRORIEP und BEArRD traten die Nervenstiimme vermittels ihrer Ganglien derart in direkte Verbindung mit dem Epithel.der Ober- haut, dass die Epithelzellen von den Ganglienzellen nicht zu trennen sind, vielmehr direkt in dieselben übergehen. Dabei ist aber nicht nachgewiesen, ob die Ganglienzellen mit dem Nervenstamm an das Epithel herantreten oder ob die Ganglienzellen aus dem Epithel sich bilden. In letzterem Falle wäre, da nach BEARD bei Amphibien ähnliche Beziehungen sich finden sollen, das erste histologische Ver- halten der Ganglienanlage und der von mir geschilderten Epithel- knospen schwer zu trennen. Es sind, wie schon betont, zwei Mo- mente von Wichtigkeit: Erstens die Thatsache, dass die Epithel- 328 Fr. Maurer knospen ontogenetisch später auftreten, als die Ganglien und ferner, dass sie niemals in Verbindung mit Nerven oder deren Ganglien stehen. Zu der Zeit, wann die Knospen sich bilden, zeigen sich die Ganglien aus großen, reichlich schwarz pigmentirten Zellen mit großen runden Kernen bestehend und lagern den Nervenstämmen dicht an. Die Zellen der Epithelknospen besitzen meist ovale Kerne: ihre Plasmakörper zeigen spärliches, meist bräunliches Pigment. Die Knospen stoßen ganz nahe an die Ganglien, sind aber stets durch Bindegewebe von ihnen getrennt. Auf diese Verhältnisse glaubte ich hinweisen zu müssen, weil ich dachte, eine eventuelle Beziehung zwischen Ganglien und Epi- thelknospen würde einen Anhaltspunkt für die genetische Bedeutung letzterer geben. Nach dem Angeführten ist jedoch klar, dass beide auch genetisch vollkommen verschiedene Bildungen sind. Darin aber, dass die Ganglien so nahe dabei liegen, muss ich den Haupt- srund erblicken, warum die geschilderten Epithelknospen in ihrer Entwicklung seither übersehen wurden. Kehren wir nach dieser Abschweifung zum weiteren Verhalten der ventralen Epithelknospen des zweiten und dritten Kiemenbogens zurück. Ich verweise auf den Horizontalschnitt Fig. 6. Der .Schnitt ist nach Fig. 4 leicht verständlich. Die Schilddrüse (2) ist paang seworden. Die Epithelknospen hängen zum Theil mit etwas ver- jüngtem Stiele noch mit ihrem Mutterboden zusammen (Fig. 7), die linke hintere hat sich gerade abgelöst. Dabei will ich gleich be- merken, dass die Folge der Abschnürung eine unregelmäßige ist. In der Regel sind die vorderen Knospen größer als die hinteren und lösen sich auch früher von ihrem Mutterboden ab. Diese Knospen bilden die Anlage der seither als Nebenschild- drüsen gedeuteten, oben als Epithelkörperehen bezeichneten Gebilde. Sie haben in ihrer ersten Entstehung durchaus nichts mit der Schild- drüse zu thun und bewahren auch in späterer Zeit stets ihre Selb- ständigkeit (Fig. 7, 8 und 9). Zwischen drittem und viertem Kiemenbogen sah ich in frühen Stadien niemals ein Gebilde, das den an vorhergehenden Bogen bestehenden Epithelknospen entsprach. Dagegen fand ich in we- nigen Fällen bei Fröschen nach der Metamorphose entweder auf einer oder auf beiden, Seiten drei Epithelkörperchen. Es ist dem- nach die Mögliehkeit nicht ausgeschlossen, dass auch an der fünften Kiemenspalte hin und wieder eine solche Knospe sich bildet. Dies ändert natürlich nichts an der Regel. Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 329 Es fragt sich ferner, ob die epitheliale Anlage der Carotiden- drüse eine den Epithelkérperchen entsprechende Epithelknospe des ersten Kiemenbogens darstellt. Dies ist unzweifelhaft zu bejahen. Dass jene sich etwas früher bildet, findet eine genügende Erklärung in der früheren mächtigeren Ausbildung des ersten Kiemenbogens. Dass sie etwas verschieden gelagert ist und in Folge dessen auf den Horizontalschnitten nieht an dem zu erwartenden Platze liegt, wird verständlich, wenn man erstens bedenkt, dass die Vene des ersten Kiemenbogens eine ventrale Fortsetzung besitzt, welche gerade vor der Eintrittsstelle der Arterie den Bogen verlässt (diese ventrale Fortsetzung der Vene ist bei der Bildung der Epithelknospe schon vorhanden), und wenn man ferner die Lagerung der Epithelkörper- chen nach ihrer Abschnürung in Erwägung zieht. Diese Verhältnisse finden sich sehr klar bei Kaulquappen von 22 mm Länge. Hier lagern die abgeschnürten kugeligen Epithelkörperchen jederseits un- ter dem ventralen Ende des zweiten resp. dritten knorpeligen Kie- menbogens und zwar gerade vor der betreffenden Arterie da, wo sie in ihren Bogen eintritt. Würde in früherer Zeit auch an diesen Bogen eine ventrale Fortsetzung der Venen austreten, so fänden sich die Knospen, welche zu den Epithelkörperchen werden, genau an dem Platze in ihrem Bogen, welchen die Anlage der Carotidendriise in dem ihrigen einnimmt. In der Folge ändern die Epithelkörperchen in so fern ihren Platz, als sie etwas ventralwärts sich verschieben, so dass sie dann ventral von der zweiten resp. dritten Kiemenarterie liegen (Taf. XII Fig. 15e rechts). Dies findet man bei Kaulquappen, welche die hinteren Ex- tremitäten gerade zu entwickeln beginnen. Dann rückt das hintere _ Kérperchen etwas nach vorn, entfernt sich mehr von der Arterie des dritten Kiemenbogens und nähert sich dem vorderen Körperchen. In dieser Anordnung finden wir die Gebilde bis zur Metamorphose (Fig. 1ee). Was das histologische Verhalten dieser Epithelkörper betrifft, so verschwindet kurz nach der Abschnürung alles Pigment aus den Zellen, welche schon die Knospen zusammensetzten (Fig. 7). Die Körper haben dann ovale Form, sind kompakt und aus ganz gleichartigen Zellen zusammengesetzt. Es ist nicht daran zu zwei- feln, dass diese Elemente Epithelzellen darstellen: dies geht aus der Art der Entwicklung des Körperchens hervor. Bei Kaulquappen von 22 mm Länge, bei welchen die hinteren Extremitäten noch nicht entwickelt sind, zeigen die Epithelkörper- chen sich von einer bindegewebigen Kapsel umgeben. Von dieser 330 Fr. Maurer dringen wenige verästelte Bindegewebszellen ins Innere des Gebil- des ein (Fig. 8). Dazwischen aber bilden die noch locker zusam- menliegenden Epithelzellen die Hauptmasse des Organs. Es findet gegen Ende der Larvenperiode eine Vermehrung so- wohl des Bindegewebes als der Epithelzellen statt. Es behält dabei das Bindegewebe in den Gebilden nur die stützende und ernährende Funktion. Zur Rückbildung der Epithelzellen durch etwa auftre- tende mesodermale Rundzellen kommt es nicht. Man sieht niemals degenerative Veränderungen an jenen. Der Bau der fraglichen Körper ist aber bei Fröschen in so fern ein eigenthümlicher, als die Bindegewebszellen in mächtigen Zügen sich darin finden, die in spiraligen Touren verlaufen. Die dazwischen liegenden Epithelzellen setzen sich nicht scharf davon ab (Fig. 9), und man kann aus einem solchen Bilde ohne Vergleichung mit anderen Stadien nicht sagen, wie die Zellen zu deuten sind. Doch bewahrt einen die Größe und Form der Zellkerne vor einer Verwechslung mit Lymphzellen. Sie besitzen meist längliche Form und einen größten Durchmesser von 6—7 u, während die Rundzellen der ventralen Kiemenreste und der Thymus nur 4 u messen. In Fig. 9 Taf. XI versuche ich auf einem’ medianen Durchschnitt den Charakter des Gewebes dieser Gebilde bei Rana esculenta wiederzugeben. Es ist mir kein Organ bekannt; das einen ähnlichen Gewebscharakter trüge; es stellt ein eigenartiges Mischgewebe dar. Vergleicht man die Fig. 9 mit Fig. 10, welche ein solches Gebilde am Triton taeniatus darstellt, so wird jene viel verständlicher. Nachdem im Vorhergehenden die Entwicklung und der Bau von Carotidendrüse und Epithelkörpern beschrieben wurde, fragt es sich, ob wir in ihnen ektodermale oder entodermale Bildungen erblicken müssen. Da diese Theile sich von den Kiemenbogen resp. -Spalten abschnüren, so ist zunächst die Bildung der Batrachierkiemen zu besprechen. Bekanntlich bilden sich bei Froschlarven direkt nach dem Aus- schlüpfen die sogenannten äußeren Kiemen, welche von dorsalen Enden der Kiemenbogen ausgehend, als ektodermale Bildungen be- zeichnet werden müssen. Diese Kiemen, welche an den drei, hinter dem Hyoidbogen gelegenen Visceralbogen auftreten, unterliegen einer regressiven Metamorphose, nachdem sich vom Zungenbeinbogen aus der häutige Opercularapparat gebildet hat. Indem letzterer, in Form einer Hautfalte nach hinten wachsend, mit der äußeren Haut der Seiten- und Bauchwand verwächst, schließt er die Kiemenhöhle ab. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 331 Dieselbe. miindet bei Rana nur durch den unpaaren, links gelegenen Porus nach außen. Die ersten schon genannten äußeren Kiemen werden in diese Höhle eingeschlossen und atrophiren. Im Anschluss _ daran bilden sich die sogenannten inneren Kiemen der Froschlarven. Dieselben stellen nach GOrre ebenfalls ektodermale Bildungen dar und sind desshalb ebenfalls als Außenkiemen zu bezeichnen, im Gegen- satz zu den aus dem Epithel der Schlundspalten hervorgehenden inneren Kiemenbildungen. Während GOrre diesen letzteren Forma- tionen eine respiratorische Funktion beimisst und sie eben desshalb als innere Kiemen bezeichnet, hat Boas später nachgewiesen, dass solche Funktion in Folge der Art und des Grades der Blutversor- gung vollkommen ausgeschlossen ist. Es sind nur spärlich mit Blut versorgte Fortsatzbildungen, welche einen Filtrirapparat darstellen. Derselbe verhindert, dass gröbere Partikelchen aus der Mundhöhle in die Kiemenhöhle gelangen. Letztere Bildungen lasse ich hier bei Seite und möchte nur auf die Entwicklung der von GÖTTE als mediale oder untere Außenkiemen, von anderen Autoren als die inneren Kiemen der Anurenlarven bezeichneten Gebilde aufmerksam machen. Die Öffnung der Kiemenspalten kommt derart zu Stande, dass die beiden Blätter der dritten bis fünften Schlundfalten, nach- dem sie das Ektoderm erreicht haben, aus einander weichen und eine Einsenkung des letzteren, die von außen erkennbare Kiemen- furche, zwischen sich fassen. Die Entodermblätter schieben sich unter das Ektoderm ein und verwachsen mit demselben. Dann rücken die beiden Blätter der Schlundfalte aus einander, es trennt sich das Ektoderm in der Tiefe der Kiemenfurche und die Kiemen- spalte ist damit durchgebrochen. Durch die Entstehung der Kiemen- spalten werden auch die Kiemenbogen frei und selbständig. Sie be- sitzen an ihrer äußeren Oberfläche einen schmalen ektodermalen Über- zug, während die vordere und hintere Fläche der Bogen, welche die eigentlichen Spalten begrenzen, von Entoderm überzogen sind. Nun bilden sich die inneren Kiemenbüschel gerade in den Linien, in welchen Ekto- und Entoderm zusammenstoßen, resp. da, wo das Entoderm sich eine Strecke weit unter das Ektoderm eingeschoben hat. Diese Linien werden durch die vorderen und hinteren Kanten der Kiemenbogen dargestellt. Es finden sich sieben solche Kanten. Die ersten bis dritten Kiemenbogen (hinter dem Zungenbeinbogen) besitzen je eine vordere und eine hintere Kante, der vierte Kiemen- bogen besitzt nur eine vordere. Da, wie gesagt, gerade an diesen Kanten, wo Ektoderm und Entoderm zusammenstoßen, die Kiemen- 332 Fr. Maurer biischel auswachsen, so ist nicht zu entscheiden, ob bei ihrer Bil- dung, abgesehen von dem unterliegenden, die Gefäßsehlingen tra- genden Bindegewebe das ektodermale oder das entodermale Epithel die Hauptrolle spielt. Für die Kiemen ist die Bildung aus dem Ektoderm desshalb wahrscheinlicher, weil sich die ersten Zapfen, als Anlage der spä- teren Büschel, nicht genau an die beschriebenen Kanten halten, sondern häufig auch gegen einander vorrücken, so dass sie sich auf der Mitte der konvexen Oberfläche des Bogens, die vom Ektoderm überzogen ist, treffen. Man müsste, um ihre entodermale Bildung zu begründen, die Riickbildung des oberflächlichen ektodermalen Epithels nachweisen können, was mir nicht gelungen ist. Dass die Kiemenanlagen in ihrer ersten Entstehung pigmentirt sind, ist kein Beweis für ihre ektodermale Herkunft, da z. B. die Anlage der Schilddrüse auch sehr dieht mit Pigment erfüllte Zellen führt. Die Frage, ob die Carotidendrüse und die Epithelkörperchen ekto- oder entodermaler Genese sind, ist bei Batrachiern nicht sicher zu lösen. Sie entstehen gerade an der Grenze beider Epithelien und wu- chern ins unterliegende Bindegewebe, so dass die Zellen des Entoderm zuerst durchbrochen werden müssten, wenn das Ektoderm den Ur- sprungskeim darstellte. Die Carotidendrüse bildet sich am ventralen Ende des ersten Bogens vom Epithel, in der direkten Fortsetzung der vorderen Kiemenbiischelreihe dieses Bogens, während die Epi- thelkérperchen zwischen dem ersten und zweiten, sowie zwischen zweitem und drittem Kiemenbogen, aber auch am ventralen Ende entstehen. Das vordere gehört dem zweiten, das hintere dem dritten Kiemenbogen an. Wir müssen, in Folge dieser Anordnung gerade an der Grenze des Epithels, die Frage, ob diese Dinge ekto- oder entodermal entstehen, ontogenetisch unbeantwortet lassen, vielleicht findet sie nach der Besprechung der betreffenden Verhältnisse bei Urodelen eine Lösung auf vergleichend-anatomischem Wege. Ehe ich auf die Metamorphose übergehe. möchte ich die ge- schilderten Organe im Larvenzustand nochmals kurz in ihrer Lage- beziehung zusammenfassen (Fig. 1). Die Schilddrüse (2), welche aus der vorderen medianen Anlage hervorgeht, ist in zwei Hälften getheilt und liegt dem hinteren Theil des Zungenbeinkörpers dicht an, zu beiden Seiten von einem knorpeligen, nach hinten gerichte-- ten Fortsatz und etwas binter demselben. An der Spitze dieses Fortsatzes inserirt ein kleiner Muskel, weleher von einem Höcker des medialen Endes vom zweiten Kiemenbogenknorpel entspringt. Dieser Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 333 Muskel bedeckt von unten die Schilddriise und hilt sie dicht gegen das Zungenbein gedriingt; auf der rechten Seite der Abbildung ist dieser Muskel erhalten (m). Die Driise liegt eine Strecke weit vor der Theilung des Kiemenarterienstammes. Sie ist vom Orte ihrer Entstehung, d. h. der Gegend der zweiten Schlundspalte, nach hinten gerückt, aber nicht in gleichem Maße wie das Herz mit seinem Arterienstamm nach hinten gewandert ist. Dadurch ist die Schilddrüse später, aber doch schon in der Larvenperiode, weiter von der Theilungsgabel der Kiemenarterie entfernt, als bei ihrer ersten Entwicklung. Sie ist also im Verhältnis zum Herzen nach vorn gerückt. Während zur Zeit, wo die unpaare Anlage der Schilddrüse Zwerchsackform annimmt und sich dann theilt, Unregelmäßigkeiten in ihrer Form häufig sind, so dass eine Hälfte größer wie die an- dere ist, oder auch auf einer Seite zwei Drüsenpackete sich finden, gleicht sich dies sehr rasch aus, so dass bei Larven von 16 mm Länge sich konstant eine paarige Schilddrüse findet, deren beide Hälften meist an Größe nicht wesentlich verschieden sind. Außer der Schilddrüse finden sich bei Larven die Carotidendrüse (e.d), welche aus einer Epithelknospe des ventralen Endes vom er- sten Kiemenbogen hervorgeht, ferner die ventralen epithelialen Ab- schnürungen der dritten und vierten Kiemenspalten, welche in Form ovaler Knötchen (e) von solidem Bau bestehen. Das erste liegt der Theilungsgabel der ersten und zweiten Kiemenarterie ventral an, das zweite liegt zwischen zweiter und dritter Kiemenarterie, ersterer genähert. Medial von diesen Gebilden verläuft die Vena jugularis nach hinten. Diese Körper sind somit weit von der Schilddrüse entfernt ge- _ lagert und ergeben sich auch aus ihrer Genese als vollkommen von der Schilddrüse verschiedene Organe. Endlich findet sich noch der paarige postbranchiale Körper, der auch weit von der Schilddrüse sich entwickelt hat und an seinem Platze zu beiden Seiten des Kehlkopfeinganges, dorsal vom Zungen- bein, gelagert bleibt. Er nähert sich in keiner Weise der Schild- drüse. Er besteht noch aus einem einfachen Bläschen jederseits, das von mehrschichtigem Cylinderepithel ausgekleidet ist und in seinem sehr engen centralen Lumen kein Colloid enthält. Es fehlt im Larvenstadium das große paarige lymphoide Knöt- chen, welches beim Frosch unter dem lateralen Rectusrande in der Nähe seiner Insertion liegt, und welches als Schilddrüse des er- 334 Fr. Maurer wachsenen Frosches mehrfach abgebildet und beschrieben wurde. Wenn man den oben geschilderten Befund beim jungen Frosch sechs Wochen nach der Metamorphose betrachtet, so liegt der Gedanke nahe, dass dies Gebilde aus der Schilddrüse hervorgehe, indem je- derseits Theile des Organs, vom Hauptorgan sich loslösend, ihren acinösen Charakter aufgeben und durch Degeneration in die lymphoid oder besser gesagt atypisch gebauten Gebilde übergehen. Es hat dies in so fern nichts Widersinniges, als in der That in früher Pe- riode, wie angedeutet, Unregelmäßigkeiten in der Theilung der un- paaren Schilddrüsenanlage gar nicht selten sind. Thatsache aber ist, dass sich dies in der späteren Larvenperiode vollständig aus- gleicht, so dass dann die Schilddrüse ein ganz reguläres paariges Knötehen bildet und acinös gebaut ist. Die früheren Unregel- mäßigkeiten sind durchaus ungleich bei verschiedenen Individuen, dagegen findet man im späteren Verhalten eine so auffallende Kon- stanz, dass die Bildung der Theile eine vollkommen gleichartige sein muss. Es ist mir niemals gelungen, den Übergang eines Theiles — oder der ganzen acinös gebauten Schilddrüse in ein lymphoides Ge- bilde zu beobachten, obgleich ich lange danach gesucht habe. Bei den Larven findet man stets die acinöse Schilddrüse allein, bei Frö- schen nach der Metamorphose daneben das große lymphoide Gebilde: Da somit die Entstehung des letzteren an die Metamorphose geknüpft ist, so ist zu eruiren, ob nicht bei der Rückbildung der Kiemen regelmäßig gewisse Theile erhalten bleiben, welche später das lym- phoide Knötchen darstellen. Dafür sprach von vorn herein die That- sache, dass dieses Gebilde bei verschiedenen Gattungen der Anuren eine verschiedene Lage einnimmt, aber immer nur im Bereich der äußeren Kiemenhöhle sich findet. Am Ende der Larvenperiode von Rana esculenta, wenn die vor- deren Extremitäten kurz vor ihrem Durchbruch stehen, zeigen sich an der inneren Lamelle des Kiemendeckels zahlreiche helle Knöt- chen, welche auf Schnitten sich als Lymphfollikel erweisen, deren Zellen aber zwischen die Zellen des deckenden Epithels einwandern Diese Follikel sind meist unregelmäßig angeordnet. Ganz regelmäßig findet sich aber am vordersten medialen Ende der äußeren Kiemen- höhle eine beträchtliche Epithelwucherung, die ein recht großes Knöt- chen darstellt (Taf. XII Fig. 15e4). Die in der äußeren Kiemen- höhle eingeschlossenen Kiemenbüschel werden kürzer und dicker und besonders ist das sie überziehende Epithel nicht mehr ein- schichtig und platt, sondern mehrschichtig und die tiefsten Schichten Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 335 bestehen aus kubischen Zellen. Es beweist dies schon, dass die Kiemenathmung kaum mehr bestehen kann. Der erste Vorgang. der den Beginn der Metamorphose anzeigt, ist der Durchbruch der vorderen Extremitäten. Daran schließt sich die Entwicklung des bleibenden Mundes unter Ausbildung des Kieferapparates und Rück- bildung des Hyoidbogens. Gleichzeitig damit vollzieht sich die Rück- bildung der hinteren knorpeligen Kiemenbogen mit den Kiemen- büscheln und der ganzen äußeren Kiemenhöhle. Mit der Rückbildung ist aber nicht gesagt, dass die Theile völlig verschwinden, sondern es bleiben, wie sich zeigen wird, kon- stante Reste übrig. Neugebildet werden viele Muskeln in dieser Gegend, die an die Bildung der Zunge geknüpft sind. Auch von hinten her kom- mende Muskeln werden theils neugebildet, theils durch die Rück- bildung des Kiemenapparates wesentlich modificirt; ich erinnere hier an den Rectus (sternohyoideus) und den Omohyoideus. Es sind nun zwei Gebilde, welche durch ihre Ausbildung den Kiemenapparat ein- engen und bei seiner Rückbildung auf einen bestimmten Punkt hin- drängen. Dies ist der Unterkiefer in seiner Ausbildung von vorn und seitlich und der Schultergürtel in der Entwicklung von hinten her. Während dureh die Ausbildung der Zunge dem Zungenbeinkörper als Ursprungspunkt der Muskeln eine Bedeutung für später gesichert und damit seine Erhaltung geboten wird, werden die Kiemenbogen eng an die hintere Seitenfläche des Zungenbeinkörpers angepresst. und so kommen sie gerade in den Winkel zwischen hinterem Kör- perfortsatz und hinterem Horn des Zungenbeinkörpers zu liegen. Die ganze Rückbildung des Kiemenapparates verläuft unter dem Bilde einer akuten Entzündung. Bekanntlich wird mit dem Beginn derselben der Mund geschlossen und während der Dauer der Kiefer- entwicklung und Kiemenrückbildung keine Nahrung aufgenommen. Die ganze Gegend der Kiemenhöhle wird reichlich infiltrirt von Iymphoiden Zellen, und zwar betrifft dies nicht bloß den Kiemen- apparat selbst, sondern auch alle anderen, in seinem Bereich liegen- den Organe. Die äußere Kiemenhöhle schließt sich durch Anein- anderlegen der auskleidenden Epithelflächen. Die Epithelzellen werden von massenhaft zwischen sie eindrin- genden lymphoiden Zellen aus einander gedrängt und liegen im Zustande trübkörniger Schwellung regellos zwischen diesen Elementen. Die Knorpel sind im Beginn der Metamorphose meist unregelmäßig eingeknickt. Schon am Ende der Larvenperiode waren die Knorpel- 336 Fr. Maurer zellen sehr groß, die knorpelige Zwischensubstanz hingegen ganz spärlich geworden. Nun bildet diese Substanz |besonders in der Mitte der Knorpel nur ein ganz feines Netzwerk. Die Knorpelhöhlen, die früher stets nur eine kleine rundliche Knorpelzelle enthielten, sind sehr groß geworden: es liegt auch jetzt meist nur eine Zelle darin, um dieselbe ist aber eine, wie es mir den Eindruck macht, schleimige Zwischensubstanz ausgeschieden. Das Knorpelnetz schwin- det dann, und es zeigt sich einfaches Schleimgewebe, welches auch zellig infiltrirt wird. Einzelne Ecken und Kanten der Knorpel, an welchen Muskeln ihren Ansatz nahmen, und welche in Folge dessen auch am Ende der Larvenperiode noch aus kompakter Substanz be- stehen mussten, erhalten sich länger in Form kleiner Knorpelreste inmitten des infiltrirten Gewebes. Gleichzeitig mit diesen Rückbildungsvorgängen an den Knorpel- spangen der kiementragenden Bogen vollziehen sich auch Umbil- dungen der Muskulatur. Diese beeinflussen sehr wesentlich die spätere Lagerung der Schilddrüse, sowie der Epithelkörperchen. Es kommt hier zunächst der Muse. rectus abdominis in seiner vor- deren Portion als Sternohyoideus in Betracht. Der Rectus abdominis der Kaulquappen setzt sich nach vorn theilweise bis zum Zungenbeinkiemenapparat fort. Hierbei ver- läuft das Faserbündel, welches lateral von einem an der ventralen Fläche des Perikards endigenden Bündel nach vorn zieht, über die Seitenflächen des Perikards, um sich an einem ventralen Höcker des dritten Kiemenbogenknorpels festzusetzen. Einige Fasern setzen sich aber direkt fort in einen kurzen nach vorn und medialwärts verlaufenden Muskel, welcher als vordere Portion des Sternohyoideus der Kaulquappe beschrieben wurde (Dusks, pag. 149, Fig. 1 rechts m) Dieser Muskel, der sich also theils direkt aus dem Rectus fortsetzt, theils aus Fasern besteht, welche an dem gleichen Höcker des dritten Kiemenbogens entspringen, wo der größte Theil des Rectus inserirt, dieser Muskel, sage ich, zieht schräg nach vorn und medialwärts und inserirt mit dem anderseitigen, in stumpfem Winkel konver- girend, an der hinteren Spitze eines dreieckigen Knorpelfortsatzes, der von der ventralen Fläche der Zungenbeincopula ausgeht. Vor letzterem Fortsatz theilte sich früher die unpaare Schilddrüsenanlage in zwei Hälften und liegt jetzt zu beiden Seiten hinter diesem Fort- satz derart, dass sie von dem vordersten kleinen Muskel gerade be- deckt wird. Sie liegt also zwischen diesem Muskel und der ven- tralen Fläche des Zungenbeinkörpers. Bei der Metamorphose bildet aint, PA Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 337 sich mit dem dreieckigen Knorpelfortsatz auch der an ihm inserirende Muskel zuriick, und gleichzeitig bilden sich Rectusfasern aus, welche an der ventralen Fläche des Zungenbeinkörpers inseriren. Diese Fasern treffen gerade die Schilddrüse, durchsetzen sie auch theil- weise, drängen aber das Organ im Ganzen medialwärts, so dass es nun zwischen den sich gerade bildenden Muse. hyoglossus und die Insertion des Rectus eingeschoben ist. Auf diese Weise kommt die Schilddrüse auch häufig mitten zwischen die Rectusfasern hinein zu liegen, wie oben beschrieben. Ich richtete mein Augenmerk speciell auf diese Beziehung zwischen Schilddrüse und Ausbildung der bleiben- den Reetusinsertion, weil es mir zuweilen den Eindruck machte, als werde die Schilddrüse von den Sehnenfasern des Muskels derart durchsetzt, dass sie jederseits in zwei Hälften getheilt würde. Doch sah ich bei genauer Durchmusterung der Serien, dass es nur ein- zelne Fasern waren, welche durch die Drüsenmasse hindurchtraten. Auch sah ich später niemals zwei von einander getrennte acinös gebaute Knötehen der Schilddrüse auf jeder Seite. Die Frage schien mir wichtig wegen der Bildung des großen lymphoiden Körpers, der seither als die Schilddrüse des Frosches aufgefasst wurde. Ich war der Ansicht, dass die Schilddrüsenhälfte jederseits durch den Rectus in zwei Theile zerlegt würde, von welchen die eine ihren acinösen Bau beibehält und medial von der Reetusinsertion liege, die andere lymphoid degenerire und lateral von der Insertion des Rectus ge- lagert sei. Die sogenannte lymphoide Degeneration der Schilddrüse ist ja bekanntlich bei höheren Wirbelthieren nichts Seltenes, wenn auch nicht normal. Es ist aber nicht widersinnig, dass sie bei ge- wissen Thieren nicht auch zur Regel werden sollte, zumal ein Theil des Organs noch als Colloid enthaltendes Gebilde bestehen bliebe. Gegen diese Annahmen spricht nun Folgendes: Erstens sieht man niemals, dass die Schilddrüse auf jeder Seite sich in zwei Knötchen theilte. Ferner besitzt die spätere aeinöse Schilddrüse stets eine Größe, die durchaus relativ gleich ist derjenigen des Organs bei Kaulquappen. Wenn sich die Hälfte des Organs abspalten würde und in anderes Gewebe überginge, so müsste doch wenigstens eine kurze Zeit nach dieser Theilung die acinöse Drüse kleiner sein, als die vorher ungetheilte; dies ist niemals der Fall. Endlich ist als Hauptgrund gegen die Abstammung des großen lymphoiden Gebildes von der Schilddrüse die Thatsache anzuführen, dass bei andern Anu- ren (Bufo, Hyla, Bombinator) das Iymphoide Gebilde, welches genau eben so wie das von Rana gebaut ist, viel weiter hinten und an Morpholog. Jahrbuch. 13. 22 338 Fr. Maurer einer von der Schilddriise so entfernten Stelle liegt, dass seine Ab- stammung von letzterer vollständig ausgeschlossen ist. Diese Gründe schickte ich voraus, weil die Bildung der fraglichen Körper bei Rana sehr schwierig festzustellen war. Es ist besonders ein Faktor, der auf den ersten Blick die zunächst liegende Bildung aus den Kiemen- resten fraglich machte: Dies ist seine spätere Lagerung unter dem lateralen Rande des Rectus, medial und ventral vom Hypoglossus- stamm. Verfolgt man indessen die Art und Weise der Rückbildung der Kiemenhöhle mit den Kiemen, so wird diese Lagerung bei Rana verständlich. Ich beziehe mich dabei auf Taf. XII Fig. 15 und 16. Fig. 15 stellt einen Querschnitt durch den hinteren Kopf- theil einer Kaulquappe dar, bei welcher die vorderen Extremitäten bereits frei geworden sind. Die Metamorphose ist also gerade im Beginnen. Das Bild ist nicht aus einer Serie kombinirt, sondern stellt einen einzelnen Schnitt dar. Die Knorpel der Kiemenbogen sind noch nicht in Rückbildung begriffen. Unter dem Körper des Zungenbeins liegt die paarige acinös gebaute Schilddrüse (?). Unter der Schilddrüse verläuft rechts im Bogen die zweite Kiemenarterie (a.ds), links ist dieselbe zweimal im Schrigschnitt getroffen. Gerade darunter, links unter dem Knorpel des zweiten Kiemenbogens (As) liegt jederseits der erste kleine Epithelkörper, welcher der dritten Schlundspalte entspricht. Die Carotidendrüse liegt vier bis sechs Schnitte weiter vorn. Was die Kiemenhöhle be- trifft, so sieht man auf der rechten Seite vom großen Mundhöhlen- lumen () eine Spalte herabgehen, welche in die äußere Kiemenhöhle (e.d) sich erweitert. In letzterer erkennt man die Kiemenbüschel (7.4) unregelmäßig durchschnitten. Diese Seite trifft die Theile etwas weiter vorn als die linke. Die von der Mundhöhle abgehende Spalte findet sich zwischen Zungenbein und erstem wahren Kiemenbogen. Zwischen dem ersten und zweiten, zwischen dem zweiten und dritten und zwischen dem dritten und vierten Kiemenbogen finden sich die von Boas beschrie- benen Filtrirapparate, welche durch Schleimhautfalten vom Lumen der Mundhöhle getrennt sind und nur durch einen Sehlitz mit dem- selben in Verbindung stehen. Der vor dem Schlitz gelegene Raum, welcher einen Theil der »inneren Kiemenhöhle« Görre's darstellt, ist auf beiden Seiten im Querschnitt getroffen. Derselbe kommunicirt wei- ter hinten sowohl mit der äußeren Kiemenhöhle, als auch mit der Mundhöhle. Die Kiemenbiischel zeigen schon eine Veränderung der- art, dass die sie überziehenden Epithelzellen kubisch geworden sind. Das darunter liegende Bindegewebe ist bereits von lymphoiden Zellen Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 339 durchsetzt; die Blutgefäße sind schmächtiger geworden. Auf der linken Seite zeigt sich an dem medialen Ende der Kiemenhöhle eine beträchtliche Verdickung des Epithels (e.4). Zwischen den Epithel- zellen lagern ebenfalls zahlreiche kleine Rundzellen. Rechts tritt die gleiche Verdiekung etwas weiter hinten in der Serie auf. Vom Muse. sternohyoideus sieht man in diesem Schnitt noch nichts, er hört bereits weiter hinten auf. Seine Insertion findet sich am dritten Kiemenbogen. In seinem vorderen Verlauf liegt er dem Perikard seitlich an, so dass die Kiemenhöhle gerade lateral von ihm liegt. Zwischen dem Muse. sternohyoideus und der Kiemenhöhle verläuft die Vena jugularis (v.7.e) und der Hypoglossusstamm (7). Beide letztere Gebilde sind auch auf Fig. 15 vorhanden, liegen gerade dorsal von der medialen Verdickung der Kiemenhöhlenschleimhaut. Zur Schilderung der weiteren Umwandlungen verweise ich auf Fig. 16. Dieselbe stammt von einer Rana esculenta, die gerade den Schwanz verloren hat, und ist aus einer Serie kombinirt, um alle uns interessirenden Theile auf einem Bilde zu geben. Die beiden Hälften der Schilddrüse sind durch die Ausbildung des Muse. hyo- glossus (/.g) etwas aus einander gedrängt worden. Sie liegen unter den hinteren Zungenbeinhörnern (c.p.d) zwischen Muse. hyoglossus und der Insertion des M. sternohyoideus (s¢.h). Der letztere Muskel ist sehr breit geworden, und deckt mit seinem lateralen Rand von der ventralen Seite betrachtet die Reste der Kiemenhöhle. Die Kie- menhöhle ist bis auf einen engen Kanal, welcher dem gleichen, zwischen Zungenbeinbogen und erstem Kiemenbogen der vorigen Fi- gur entspricht, obliterirt. Die Masse der Kiemen (X) ist zusammen- geschmolzen und besteht aus einem ganz atypischen Gewebe. Es finden sich vorwiegend Rundzellen darin, indessen sieht man auch zahlreiche größere Elemente, die nur als direkte Abkömmlinge der Kiemenepithelzellen gedeutet werden können. In den hinteren Par- tien erkennt man die früheren Kiemenbüschel noch in Gestalt eines, inmitten der infiltrirten Gewebsmasse gelegenen, streifigen Knötchens (bei m), in dessen Innerem zahlreiche Chromatophoren angehäuft sind. Dasselbe liegt der ventralen Circumferenz der Kiemenarterien fest an. Nach vorn und ventralwärts setzt sich die obliterirte Kie- menhöhle fort als cin aus infiltrirtem Gewebe bestehender Strang (v). Auf der linken Seite erstreckt sich ein solider Gewebszapfen von den Kiemenresten abwärts gegen / hin. Mit / ist eines jener lym- phoiden Knötchen bezeichnet, welche sich bei Kaulquappen an der inneren Fläche des Kiemendeckels finden. Nach Fig. 15 lassen sich 22* 340 Fr. Maurer die Beziehungen dieser Theile leicht übersehen. Die Epithelkör- perchen (e), deren jederseits zwei vorhanden sind, werden von der obliterirenden Kiemenhöhle von hinten her umzogen. Sie sind in die Masse der Kiemenreste hinein gezeichnet, liegen aber an ihrem Platze gerade vor diesem soliden Schlauche. Ihrer Lage nach haben sie sich in so fern etwas geändert, als sie in Folge der Rück- bildung der knorpeligen Kiemenbogen etwas näher zusammen ge- rückt sind. Die Carotidendrüse ist stark entwickelt. Dorsal vom Zungen- bein liegt weiter hinten, neben dem Kehlkopfeingang, jederseits der postbranchiale Körper (p), welcher aus einem buchtigen Epithel- bläschen besteht, dessen bindegewebige Kapsel mit reichlichen lym- phoiden Zellen infiltrirt ist. Er ist von der Schilddrüse durch die hinteren Zungenbeinhörner getrennt. Außer allen diesen Theilen findet sich noch die Thymus auf dem Schnitte (ti). Auf dieselbe werde ich später zurückkommen. Im folgenden Stadium (Fig. 17) sind die Theile von einem Fröschehen abgebildet, welches seit etwa vier Wochen die Meta- morphose überstanden hat. Schilddrüse, Carotidendriise, Epitbel- körper und die postbranchialen Gebilde haben sich nicht weiter ver- ändert, während die Rückbildung der Kiemen weiter gegangen ist. Die starke Infiltration mit Rundzellen ist verschwunden, der Kanal, welcher von der Mundhöhle in die Kiemenhöhle führte zwischen Zungenbein- und erstem Kiemenbogen, ist vollkommen obliterirt. An der Stelle, wo die verschmolzene Masse der Kiemenbüschel lag, findet sich nur ein Komplex blasser Zellen, welche in Rückbildung begriffen sind. Inmitten dieser Zellen sieht man zuweilen kleine follikelartige Wucherungen von lymphoiden Zellen, welche beim Frosch in der Regel rasch verschwinden. Sie können aber auch länger be- stehen bleiben und sind dann als mittlere Kiemenreste zu bezeich- nen (m). Der vordere Abschnitt der obliterirenden Kiemenhöhle, der zugleich am meisten ventral und medial liegt, zeigt beim Frosch speciell eine sehr mächtige Wucherung lymphoider Zellen und der daraus entstehende Körper stellt die als seitherige Schilddrüse. des Frosches bezeichnete Bildung dar. Ihrer Entwicklung nach muss ich sie als ventrale Kiemenreste (A) bezeichnen. Die Figur wurde bereits oben beschrieben und bot den Ausgangspunkt der vor- liegenden Schilderungen. Bei Bufo, Hyla und Bombinator finden sich die erstgenannten Theile, acinöse Schilddrüse, postbranchiale Körper und Epithelkörper Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 341 in ganz gleicher Weise; bloß die Kiemenreste sind anders gelagert. Während die Obliteration der Kiemenhöhle genau wie bei Rana sich einstellt, bildet sich spiiter nicht in dem vorderen Theil dieser Ge- websmasse eine miichtige Wucherung aus, sondern weiter hinten (vgl. Fig. 16 rechts m). Beim Frosch entwickelten sich bei m nur kleine, als mittlere Kiemenreste bezeichnete Knötchen, während der Schwerpunkt der Wucherung vorn bei v lag. Bei Bufo bildet sich bei m ein genau eben so gebautes Organ wie bei Rana an der Stelle v. In Folge dessen ist die Lage dieses Gebildes bei Bufo viel weiter entfernt von der Schilddrüse, es liegt weiter hinten und liegt ferner lateral von den Epithelkörpern. Bei Hyla viridis und Bombinator igneus finde ich die Kiemenreste eben so gelagert wie bei Bufo, woraus wohl auf eine gleiche Entstehung geschlossen wer- den darf. Wenn ich beim Frosch von vorderen (ventralen) und mittleren Kiemenresten sprach, so liegt darin schon, dass auch hintere oder dorsale Reste sich finden und in der That treten solche zur Zeit der Metamorphose auf, um sich indessen nicht lange zu erhalten. Diese Gebilde werden zweckmäßiger mit der Thymus behandelt. Die Thymus der Anuren: Das später als Thymus bestehen bleibende Organ fand ich in seiner Entwicklung eben so wie es MEURON geschildert hat, indessen trifft man neben der eigentlichen Thymus noch andere Bildungen, welche jedenfalls eine ähnliche Bedeutung haben, wenn sie auch noch mehr hinfälliger Natur sind. Die bleibende Thymus entsteht als eine solide Epithelknospe, welche sich von der dorsalen Schlundwand, entsprechend der zweiten Kiemen- spalte dorsalwärts erstreckt, zwischen Zungenbein- und späterem ersten wahren Kiemenbogen. Sie lagert gerade vor dem Gehör- _ bläschen. Sie findet sich bei Larven von 6 mm Länge, welche seit sechs Tagen das Ei verlassen haben. Zur gleichen Zeit entwickelt sich aber auch an der ersten Kiemenspalte zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen eine entsprechende schwächere Knospe. Bei Larven von 12 mm Länge, bei welchen die ersten äußeren Kiemen ihre stärkste Ausbildung zeigen, ist die Knospe der ersten Kiemenspalte ganz rückgebildet, während die der zweiten Spalte sich gerade von ihrem Mutterboden abgeschnürt hat. An den drei hinteren Kiemen- spalten zeigen sich zu dieser frühen Zeit keine ähnlichen Knospen. Wohl aber treten später gegen Ende der Larvenperiode an der dorsalen Wand der äußeren Kiemenhöhle Epithelwucherungen auf, welche von lymphoiden Zellen durchsetzt sind. Dieselben bleiben nach der 342 Fr. Maurer Metamorphose bestehen und lagern nach Obliteration der Kiemen- höhle selbständig unter der Haut des Halses. Die erste Knospe liegt bei ihrer Entstehung der ventralen Fläche des Ganglion des Trigeminus an, die zweite. dem Ganglion des Facialis. Die erste Knospe liegt direkt hinter dem Bulbus oculi, die zweite direkt vor dem Gehörbläschen. Dorsal von der zweiten Knospe liegt der Querschnitt der Vena jugularis, während ventral von der Thymusanlage die Vene des ersten Kiemenbogens medial- wärts verläuft, um nach hinten umbiegend sich an der Bildung der Aorta zu betheiligen. Bei Larven von 7 mm Länge, welchen die Fig. 18 Taf. XII ent- spricht, hängen beide Knospen noch durch einen dünnen Epithelstiel mit ihrem Mutterboden zusammen. Die beiden Seiten der Fig. 18 sind aus verschiedenen Schnitten entnommen, derart, dass die rechte Seite einen weiter vorn gelegenen Schnitt darstellt. Sie entspricht der Spalte zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen. Der Bulbus oeuli ist in seinem hintersten Theile noch getroffen (5.0). Medial davon liegt die mächtige Masse des Ganglion trigemini und diesem lagert ventral die erste Thymusknospe (th,) an. Dieselbe hängt noch durch einen dünnen Epithelstiel mit der dorsalen Schlundwand zu- sammen. Auf der linken Seite ist der erste Kiemenbogen durch- schnitten. Hier zeigt sich die dorsale zweite Thymusknospe (fh >) ebenfalls mit dem Schlundepithel in Zusammenhang. Sie ist aber von dem Ganglion des Facialis (g.f) weit lateralwärts abgerückt. Es ist dies bedingt durch die seitliche Entwicklung des ersten Kiemenbogens, wodurch der ganze Schlund-Kiemenhöhlenquerschnitt bekanntlich sehr in die Breite gezogen wird. Die Lagerung dieser Knospe zwischen Jugularvene (v.7) und erster Kiemenvene (».d;) ist noch zu erkennen. Das Gehörbläschen folgt erst zwei bis drei Schnitte hinter der Thymusknospe der linken Seite der Figur. Es liegt gerade dorsal davon. Die Schilddriisenanlage (4), welche zur linken Seite der Zeichnung gehört, zeigt sich vom Mutterboden ab- geschnürt und besitzt bereits eine mediane Einschnürung. Die beiden Thymusknospen schnüren sich sehr rasch nun von der dorsalen Schlundwand ab. Bei Larven von 11 mm Länge er- kennt man die erste noch jederseits als ganz kleines, dem Ganglion Gasseri anhaftendes Knötchen, dessen Zellen von derjenigen des Ganglions leicht durch den Mangel an Pigment zu unterscheiden sind. Die zweite Knospe ist noch vor dem Gehörbläschen anzutreffen. Aber schon bei Larven yon 8 mm Länge ist das Körperchen, welches Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 343 aus der ersten Knospe hervorging, ganz riickgebildet, so dass keine Spur mehr davon nachzuweisen ist. Die Thymus, welche aus der zwei- ten Knospe sich bildete, ist etwas nach hinten geriickt und liegt dem vorderen Theile des Gehörbläschens ventral an (Taf. XI Fig 134). Zu der Vena jugularis und der ersten Kiemenvene steht es noch in der früheren Beziehung, indem es zwischen diesen beiden Gefäßen lagert. Die Vene des ersten Kiemenbogens (vd,) ist getroffen; die Vena jugularis findet man in weiter lateral gelegenen Schnitten. Während des späteren Larvenlebens wird die Thymus etwas ventralwärts verschoben durch die mächtige Volumsentfaltung des Ohrlabyrinthes. Sie liegt kurz vor der Metamorphose nicht mehr dorsal vom Schlund, sondern lateral von demselben (vgl. Fig. 16 und 17). Mit der Ausbildung der Paukenhöhle rückt sie etwas wei- ter nach hinten und findet sich dann an dem ihr auch später zu- kommenden Platz. Die histologische Differenzirung beginnt direkt nach der Ab- schnürung der Thymusknospe. So lange die Knospe noch durch einen Stiel mit ihrem Mutterboden, dem Schlundepithel zusammen- hängt, besteht sie aus ganz gleichartigen Zellen, welche epithelialen Charakter zeigen. Sie haben in dem kolbigen Ende der Knospe meist rundliche Kerne, während sie im Stiel länglich oval sind. Die Zellen des Stiels gehen direkt in die Epithelzellen der Schlund- wand über. Bei Larven von 13 mm Länge hat sich die Thymus gerade abgeschnürt. Sie stellt ein eirundes Körperchen von 0,04 mm Durchmesser dar. Dasselbe ist kompakt und aus gleicharti- gen Zellen zusammengesetzt. Letztere besitzen rundliche Kerne, welche sich sehr intensiv färben. Nach der Entwicklung des Ge- bildes stellen die Zellen, welche es zusammensetzen, unzweifelhaft Epithelzellen dar. Dieser Zustand des Organes ist ein sehr rasch vorübergehender. Etwa acht Tage später, bei Kaulquappen von 14,5 mm Länge erkennt man, dass von der äußeren bindegewebigen Hülle, welche sich um das epitheliale Knötchen gebildet hat, einige Zellen in das Innere der Thymusanlage eindringen und zwischen den Epithelzellen der ersten Anlage als verästelte Elemente zu konsta- tiren sind. Sie hängen an vielen Stellen mit den Bindegewebszellen der Kapsel direkt zusammen. Bei Larven von 17 mm Länge, neun Tage später, hat die eiförmige Thymus eine leicht höckerige Oberfläche und zeigt auf Schnitten eine getrennte Mark- und Rindensubstanz (Taf. XII Fig. 20 R und M). Sie besitzt einen Durchmesser von 0,08 mm. Von der Kapsel des 344 Fr. Maurer Organes dringen verästelte Bindegewebszellen ins Innere, welche mit ihren Fortsätzen ein Netzwerk bilden. Dasselbe durchsetzt gleich- mäßig das ganze Organ. Zugleich dringen von der Kapsel her bereits mächtige Blutgefäße ins Innere ein. Diese verästeln sich in einer intermediären Zone, welche die Grenze zwischen Rinden- und Marksubstanz bildet. Von den großen Ästen dringen kleine Zweige nach außen in die Rindensubstanz des Gebildes ein. Die Rinden- und Marksubstanz verhalten sich in folgender Weise verschieden: Die Marksubstanz ist blass gefärbt, besteht aus großen Zellen mit deutlichen Plasmakörpern und ovalen Kernen. Diese großen Zellen sind zwischen die verästelten Bindegewebszellen, welche wie er- wähnt, von der Kapsel her das ganze Organ durchsetzen, einge- lagert. Die Rindensubstanz ist sehr dunkel gefärbt. In ihr finden sich zwischen den letzt erwähnten Bindegewebszellen Massen. von kleinen Rundzellen, welche sich sehr intensiv färben. Dazwischen trifft man nur wenige große blasser gefärbte Zellen, welche genau den Elementen der Marksubstanz gleichen (Fig. 20). Der Bau der Rindenschicht ist übrigens ein gleichartiger, Follikelbildungen finden sich nicht. Bezieht man dieses Bild auf das vorhergehende Stadium, so hat man es hier mit zweierlei Zellen zu thun, welche zwischen die Bindegewebszellen eingelagert sind, und es fragt sich, wie dieselben sich zu den früheren gleichartigen Epithelzellen der Anlage verhal- ten. Die Deutung wird durch die Anordnung der Zellen und durch ihre Lagebeziehung zu den Blutgefäßen vereinfacht. Es wurde schon erwähnt, dass die Gefäße sich in einer intermediären Zone vertheilen und von da in die Rindensubstanz Zweige abgeben. In Folge dessen findet auch in der Rindenschicht die stärkste Zellen- wucherung statt. Die Zellen des Marks gleichen in ihrem Aussehen vollkommen den Epithelzellen der ersten Anlage, während die Ge- nese der kleinen Rundzellen der Rindenschicht eine doppelte Deu- tung gestattet. Sie können nämlich eben so gut durch Theilung aus den Epithelzellen hervorgehen, als auch mesodermaler Herkunft, d. h. mit den Gefäßen hineingewuchert sein. Ich neige zu letzterer Annahme, da es mir nicht möglich war, neben den kleinen Rund- zellen und den spärlichen dazwischen liegenden Epithelzellen der Rinde Theilungsfiguren oder sonstige Übergangsformen zu entdecken. Beide Zellformen lagern scharf unterscheidbar neben einander zwi- schen den verästelten Bindegewebszellen, welche das ganze Organ durchsetzen. Die kleinen Rundzellen überwiegen an Zahl gegen die Epithelzellen bedeutend. Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 345 Die Trennung einer Rinden- und Markschicht ist nur ganz kurze Zeit möglich. Schon bei Kaulquappen von 20—25 mm Länge (zehn Tage älter als das letzte Stadium) hat die Thymus wieder durch- aus gleichartigen Bau. Die kleinen Rundzellen bilden nicht mehr bloß eine Rindenschicht, sondern haben sich ungemein vermehrt und erfüllen das ganze Organ bis zum Centrum. Die großen, blasser gefärbten Epithelzellen, die früher im Mark dieht zusammenlagen und in der Rinde nur in geringer Zahl zu treffen waren, sind nicht verschwunden, sondern nur durch die Rundzellen aus einander ge- drängt. Sie finden sich im ganzen Organ vertheilt, treten aber an Zahl gegen die kleinen Rundzellen sehr zurück. Im Centrum des Organes finden sie sich immer noch zahlreicher, als nahe der Ober- fläche. Diese beiden Formen von Zellen liegen in den Maschen eines reticuliiren Gewebes, welches sich aus den früher erwähnten verästelten Bindegewebszellen konsolidirt hat. Diesen gleichartigen Bau behält die Thymus während des ganzen Larvenstadiums und noch weit darüber hinaus. Follikelbildungen treten erst viel später auf. Die Blutgefäße durchsetzen in feinem Maschenwerk das ganze Organ gleichmäßig. Während die kleinen Rundzellen, welche die Hauptmasse des Thymusparenchyms bilden, unverändert bleiben, treten an den grö- Beren blassen Zellen, die als Derivate der epithelialen Anlage ge- deutet wurden, Veränderungen verschiedener Art auf. Bei Kaulquappen von 25 mm Länge besitzen die Epithelzellen der Thymus einen ovalen Kern, der sich blass färbt und deutliche Struktur erkennen lässt. Der Plasmakörper ist relativ groß, zeigt scharfe Grenze und sein Inhalt ist feinkörnig, granulirt. Bei älteren Larven treten in einigen dieser Zellen charakteristische Verände- rungen auf. Der Zellkörper wird größer, rundlich oder unregel- mäßig polygonal und es tritt eine feine koncentrische Streifung darin auf. Der central gelegene Kern ist oval und färbt sich eben so blass wie früher. Dann nehmen diese Zellen einen sehr eigenthüm- lichen Glanz an, wodurch sie im Gesichtsfeld bei gewissen Ein- stellungen aufleuchten. Diese Veränderung stellt sich ganz allmählich ein und man kann sie schon bei Kaulquappen nachweisen. Es gehen nicht alle Epithelzellen diese Umwandlung ein, sondern bei Kaulquappen finden sich noch viel mehr unveränderte Epithelzellen vor. Es zeigen sich aber schon viele Zellen, welche, im Beginn jener Umänderung stehend, den Übergang der großen glänzenden Zellen aus den Epithelzellen klar darthun. 346 Fr. Maurer In Fig. 21 versuche ich die Elemente der Thymus wiederzu- geben. a und 5 stellt die Epithelzellen dar, welche in geringer Anzahl zwischen den lymphoiden Zellen sich im ganzen Organ zer- streut finden. a ist emer Larve von Rana esculenta (20 mm lang) entnommen. Es sind rechts zwei rothe Blutkörperchen zur Beurtheilung der Größe und zum Unterschied von den Epithelzellen beigefügt. 5 stammt von einer 25 mm langen Larve von Rana temporaria und hier sind zugleich einige lymphoide Thymuszellen zum Vergleich hinzu ge- zeichnet. ec und d zeigt die Thymuszellen von zwei Ranae esculentae, c während der Metamorphose, d direkt nach Schwanzverlust. Be- sonders bei d sieht man, wie neben unveränderten Epithelzellen, welche den feinkörnigen Inhalt zeigen, schon größere Zellen mit fein koncentrischer Streifung auftreten. e stellt die Thymuselemente einer Rana esculenta von 2,3 cm Länge dar, welche seit drei Monaten etwa die Metamorphose überstanden hat. f, g und A sind verwach- senen Ranae esculentae und temporariae entnommen. Es zeigen sich hin und wieder in den mächtigen Zellen zwei Kerne, ferner treten Vacuolen darin auf. Alle diese Figuren sind aus Thymus entnom- men, welche noch keine stärkere Riickbildungserscheinungen zeigen. Bei dem Frosch von 2,3 em Länge war das Organ am mächtigsten, bei größeren von 5—7 cm Länge hatte es schon an Größe abge- nommen, zeigt aber auf Schnitten noch gleichartigen Bau, wie oben geschildert. Die Metamorphose hat auf das histologische Verhalten der Thymus keinen Einfluss. Die geschilderte Umwandlung der Epithelzellen, welche sich allmählich vollzieht, bei jungen Larven beginnt und bei Fröschen von 5 em Länge ihren Höhepunkt erreicht, ist nicht die einzige Veränderung, welcher die Epithelzellen der Thymus unterliegen. Vielmehr trifft man in dem Organe halbwüchsiger und alter Frösche sehr häufig Cysten inmitten des gleichartigen Gewebes in regelloser Anordnung und von verschiedener Größe. Die Wandung der- selben besteht in der Regel aus Cylinderepithel. In Fig. 21% findet sich dies dargestellt. Die Bildung solcher Cysten ist leicht zu verfolgen. Es lagern nämlich bei kleinen Fröschehen die Epi- thelzellen theils vereinzelt, theils in Gruppen von wenigen Zellen vereinigt zwischen den lymphoiden Rundzellen. In solchen Zell- gruppen erkennt man häufig die Bildung eines feinen Lumens, wo- (lurch die umliegenden Zellen wieder einen vollkommen epithelialen Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 347 Charakter annehmen. Es zeigt sich das bei kleinen und bei halb- wiichsigen Fröschen bis zu 5 cm Körperlänge. Bei älteren Fröschen (7—S8 em lang) sind dagegen die meisten Epithelzellen entweder unverändert oder in Form der großen glänzenden Elemente ganz isolirt und es zeigen sich nur sehr wenige, aber mit deutlichem Lumen versehene Cysten, welche von schönem Cylinderepithel aus- gekleidet und mit Flüssigkeit gefüllt sind. Ich schließe aus diesen Thatsachen, dass an vielen Stellen, wo sich in früherer Zeit Grup- pen von Epithelzellen inmitten der Thymus finden, diese Gruppen von zwischen einwuchernden lymphoiden Zellen gesprengt werden und dadurch die Cystenbildung an vielen Punkten verhindert wird, nur,an wenigen Stellen zur Ausbildung kommt. Zuweilen, ich fand dies bei mehreren halbwüchsigen Fröschen von etwa 5 em Körper- länge, ist die Thymus ganz gleichmäßig von sehr zahlreichen sol- chen großen glänzenden Zellen durchsetzt, und dieselben überwiegen oft bedeutend an Menge gegen die kleinen Rundzellen. Sie sind dann auch scheinbar in größeren Komplexen angeordnet. Bei starker Vergrößerung erkennt man aber, dass jede dieser mächtigen Zellen eine eigene bindegewebige Hülle hat, wenn auch die zwischen zwei benachbarteu Zellen befindlichen Faserzüge oft sehr feiner Natur sind. Daneben fand ich indessen, wenn auch selten, wirkliche koncen- trische Körper, welche von diesen Zellen gebildet wurden. In Bezug auf die großen Zellen komme ich in Widerspruch mit AFFANASSIEW, welcher diese Gebilde auch beobachtet hat, sie indessen als verän- derte Blutkörperchen deutet. Hierzu muss ich zunächst bemerken, dass AFFANASSIEW die epitheliale Anlage der Thymus noch nicht kannte. Ferner hat AFFANASSIEW diese Zellen bei Larven und jun- gen Fröschen nicht gesehen. Und doch sind solche Gebilde bei Kaulquappen schon leicht zu finden (Fig. 21 c.d). Bei diesen finden sich allerdings noch viel zahlreicher unveränderte Epithelzellen zwi- schen den lymphoiden Elementen zerstreut. Man kann leicht nach- weisen, dass mit der Zunahme der großen koncentrisch gestreiften Zellen die Zahl der unveränderten Epithelzellen abnimmt. Ferner sehen die großen Zellen niemals Blutkörperchen ähnlich, auch war ich niemals im Stande, Übergangsformen von Blutkörperchen zu den genannten Zellen nachzuweisen. Dagegen fiel es mir sehr leicht, den Übergang der Epithelzellen in diese großen Zellen nachzuweisen. Ich verweise nochmals auf Fig. 21, wo zugleich rothe Blutkörper- chen zum Vergleich zugefügt sind. Ferner ist auffallend, dass AFFANASSIEW auch bei Säugethieren, z. B. beim Igel, ähnliche große 348 Fr. Maurer Zellen in der Thymus und Winterschlafdriisen nachgewiesen hat. Dort können dieselben doch unmöglich aus rothen Blutkörperchen hervorgehen, da letztere kernlos sind. Es ist mir außerdem kein Fall bekannt, dass rothe Blutkörperchen, wenn sie durch Diapedese oder Gefäßruptur frei ins Gewebe gelangen, lange Zeit unverändert oder in der geschilderten Weise modifieirt abgelagert bleiben, sie gehen in solchem Falle doch stets rasch zu Grunde, indem sie pig- mentirte Reste hinterlassen. Die geschilderten Thymuselemente fin- den sich beim Frosch stets nur in diesem Organe. AFFANASSIEW schildert die Rückbildung der Thymus ausgehend von Verände- rungen an den Blutgefäßen, welche Durchtritt von Blutkörperchen ins Gewebe ermöglichen. Indessen treten, wie ich oben schilderte, die großen Zellen schon in sehr früher Zeit auf, wo von Rückbildungs- vorgängen in der Thymus noch nichts zu sehen ist, auch die Blut- gefäße sind dann noch vollkommen intakt. Veränderungen höheren Grades treten bei Fröschen und Kröten erst sehr spät au der Thy- mus auf. Dann finden sich allerdings auch Blutungen. Aber die Blutkörperchen verhalten sich genau wie in allen pathologischen Blutergüssen, d. h. das mit Blut durchsetzte Gewebe zerfällt sehr rasch und lässt im Inneren der Thymus Höhlen entstehen, welche mit feinkörnigem Detritus und Pigment erfüllt sind. Die Blutergüsse schließen sich selbstverständlich stets an vorhergehende Destruktionen des Thymusgewebes an, und zwar vollziehen sich diese Verände- rungen auch sehr häufig, ohne dass Blutextravasate jemals hinzu- treten. Im späteren Alter behält die Thymus nicht das gleichartige Aussehen auf Schnitten, sondern es kommt wiederum zu einer Tren- nung von Mark- und Rindensubstanz. Das ganze Gebilde verkleinert sich und bekommt eine sehr stark höckerige Oberfläche. Auf Schnitten erkennt man, dass die Rindenschicht dargestellt wird von einer Anzahl von Follikeln, während im Mark ein zellenarmes Binde- gewebe die Hauptmasse bildet. In letzterem finden sich auch mehrere kleinere oder eine große Erweichungshöhle, welche mit feinkörnigem Detritus erfüllt sind. Die Follikel gleichen vollkommen den gleich- genannten Gebilden in den Lymphdrüsen höherer Thiere. Sie haben eiformige Gestalt und bestehen aus einem feinen Reticulum, in dessen Maschen zahlreiche Rundzellen eingelagert sind. Das zellen- arme Bindegewebe des Marks, das zwischen den einzelnen Follikeln auch die Oberfläche des Organs erreicht, besteht aus faserigem Bindegewebe und es finden sich in ganz geringer Anzahl die großen stark glänzenden Zellen darin zerstreut. Dieselben fehlen in den Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 349 Follikeln. Die Lymphscheiden der Blutgefäße sind häufig strotzend mit Rundzellen erfüllt. Bei Rana fand ich in diesem späten Stadium niemals mehr Cysten, welche von Epithel ausgekleidet waren, in der Thymus; es waren als Reste der epithelialen Anlage nur noch die großen koncentrisch gestreiften Zellen vorhanden. Bei Bufo vulgaris und variabilis hingegen fanden sich auch in ganz rückgebildeten Thymus noch größere und kleinere Cysten, welche von hohem Cy- linderepithé] ausgekleidet waren. In dem weiten Lumen fand sich meist Flüssigkeit. In einem Falle zeigte sich bei Bufo vulgaris im Centrum des Organes eine große Höhle, deren Wand von unregel- mäßigen Epithelzellen ausgekleidet war und dessen Inneres mit pigmentirten Schollen und feinkörnigem Detritus erfüllt war. Wenn ich das histologische Verhalten der Thymus bei Frö- schen von Anfang bis zu Ende nochmals kurz rekapitulire und mit den früher geschilderten Befunden bei Knochenfischen in Einklang zu bringen suche, so findet sich zunächst auch hier eine epitheliale Anlage. Diese schnürt sich indessen sehr frühzeitig von ihrem Mutterboden ab und wird von mesodermalen Elementen durchsetzt. Letztere bilden zuerst in Form von verästelten Zellen ein gleich- mäßiges Netzwerk, in dessen Maschen die Epithelzellen eingelagert sind. Sehr bald treten neben den Epithelzellen kleine Rundzellen auf, welche von der Kapsel her eindringend, zunächst eine Rinden- schicht bilden (Kaulquappen von 17 mm Länge). Indem die Rundzellen dann gegen das Centrum weiter vordringen, erhält die Thymus wie- der ein ganz gleichartiges Aussehen (Larven von 20—25 mm Länge). Sie besitzt glatte Oberfläche, ist umgeben von einer zarten binde- gewebigen Kapsel, von welcher sich ein feinmaschiges Reticulum ins Innere erstreckt. In die Maschen des letzteren sind stets zweier- lei Elemente eingelagert: erstens in großer Menge kleine Rund- zellen, ferner regellos dazwischen vertheilt größere Zellen mit ovalen Kernen, deutlichem, fein granulirtem Plasmakörper, die ich in Hin- blick auf die Entwicklung des Gebildes als die Epithelzellen der ersten Anlage auffasse. In diesem Bilde unterscheidet sich die Batrachierthymus von der Teleostierthymus in so fern, als den lymphoiden Rundzellen schon in viel früherer Zeit eine wichtige Rolle in der Zusammen- setzung der Thymus zukommt, als bei Teleostiern. Es hat dies vielleicht darin seinen Grund, dass die Thymus der Knochenfische viel länger mit ihrem epithelialen Mutterboden in direkter Verbindung bleibt und dadurch viel länger epitheliales Bildungsmaterial zur Ver- 350 ; Fr. Maurer fügung behält. Die Epithelzellen bleiben aber bei Fröschen stets noch zum größten Theile unverändert während der ersten Larven- zeit erhalten. Den gleichartigen kurz geschilderten Bau behält die Thymus der Frösche während des Larvenlebens und eben so nach der Meta- morphose lange Zeit. Es tritt nur in so fern eine Veränderung auf, als die Epithelzellen modificirt werden. Einestheils gehen sie in große glänzende Zellen über, deren Körper eine koncentrische Strei- fung zeigen, anderentheils formiren sie Cysten, welche mit Cylinder- epithel ausgekleidet sind. Zur Bildung koncentrischer Körper kommt es in der Frosch- thymus sehr selten und spät, wann Rückbildungserscheinungen auf- treten. Letztere zeigen sich erst im höheren Alter, bei Fröschen von 7—8 cm Körperlänge. Die Gefäßscheiden werden mit kleinen Rundzellen infiltrirt, während das Thymusgewebe an vielen Stellen, besonders im Centrum, zu zerfallen beginnt, d. h. die Zellen ver- lieren ihre Tinktionsfähigkeit und lösen sich in molekulären Detritus auf. Es kommt damit zugleich zur Einschmelzung des retieulären Gewebes, wodurch pathologische Hohlräume im Inneren des Organes | entstehen. Nur in der Rindensubstanz erhält sich ein lymphatisches produktives Gewebe, welches in Form von lymphatischen Knötchen (Follikeln) ‚zeitlebens bestehen bleibt. Einen Zerfall der Kerne bei den Rundzellen (Leukocyten) der Thymus, wie ich ihn bei Teleo- stiern beschrieben habe, konnte ich bei Batrachiern nicht finden. Es mag dies allerdings seinen Grund in der Lagerung des Organes haben. Bei Knochenfischen hing es mit dem Epithel der Kiemen- höhle zusammen und konnte dort ein Durchtritt der feinsten Partikel bis zur freien Oberfläche nachgewiesen werden. Hier ist Derartiges unmöglich, da das Organ in die Tiefe gerückt ist. Neben diesem Gebilde, welches als eigentliche Thymus aufge- fasst werden muss, erscheinen, wie oben erwähnt, noch andere Bil- dungen, die von der Thymus indessen scharf zu trennen sind. Es ist auf den ersten Blick auffallend, dass nur die zweite Kiemen- spalte das Material für das Organ liefert. Es wurde schon oben erwähnt, dass an der ersten Schlundspalte zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen bei kleinen Larven eine ähnliche Knospe sich bildet, diese aber kurz nach der Abschnürung gänzlich rückgebildet wird und verschwindet. An den drei hinteren Spaltenpaaren nun entstehen in früher Larvenperiode keine Epithelknospen, welche der wahren Thymusknospe für gleichwerthig erklärt werden dürfen. Da- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 351 gegen bildet sich während der Metamorphose an den dorsalen Enden der äußeren Kiemenhöhle im Bereiche der drei, die inneren Kiemen tragenden Bogen eine mächtige kompakte Zellwucherung, an wel- cher, wie in den oben beschriebenen ventralen Kiemenresten des Frosches, bindegewebige und epitheliale Elemente in gleicher Weise betheiligt sind. Diese dorsal gelegenen Gebilde entstehen gleich- zeitig mit der Rückbildung der inneren Kiemen und können somit als dorsale Kiemenreste der Batrachier gedeutet werden. Sie unterscheiden sich histologisch von der Thymus durch das Fehlen von den großen charakteristischen Zellen. Sie bestehen aus einem irregulären Gewebe, in welchem lymphoide Rundzellen am reichlich- sten vertreten sind. Cysten treten niemals darin auf. Diese Gebilde, welche bei Fröschen nach der Metamorphose ganz konstant sich finden, bilden sich zurück und sind bei Fröschen von 4—5 cm Länge gänzlich verschwunden. Es kommt in diesen Gebilden nicht zur Bildung von pathologischen Hohlräumen, welche mit Detritus erfüllt sind, sondern die zellige Infiltration verschwindet durch Ver- theilung. Doch besteht das Gebilde wohl über ein Jahr nach der Metamorphose. Die Lagerung dieses Knötchens ist im Vergleich zur Thymus eine oberflächliche. Es findet sich direkt unter der Haut, derselben fest anhaftend, gerade hinter dem Gehörorgan, wäh- rend die wahre Thymus in der Tiefe, bedeckt vom Muse. depressor mandibulae, hinter dem Kieferwinkel sich findet. Fasse ich zum Schlusse, ehe ich zu Urodelen übergehe, die Befunde bei Anuren, mit Bezugnahme auf die einleitenden Worte, kurz zusammen, so finden wir also: 1) Die Schilddrüse, ein paariges acinös gebautes Knötchen, der ventralen Fläche des hinteren Zungenbeinhornes angelagert. Es liegt entweder medial von der Insertion der vorderen Portion des Rectus abdominis (M. sternohyoideus), oder es ist zwischen dessen Fa- sern eingeschoben. Dieses Gebilde allein geht aus der unpaaren Anlage der Schilddrüse hervor und dasselbe ist auch einzig und allein als Schilddrüse zu betrachten. Es ist zeitlebens aus Colloid enthaltenden Acinis zusammengesetzt, deren Wandung von einschich- tigem kubischen Epithel gebildet wird. 2) Die Thymus, ein paariges, hinter dem Kieferwinkel, unter dem M. depressor mandibulae gelagertes Knötchen, das sich in früher Larvenperiode von der dorsalen Schlundwand im Bereich der zweiten Schlundspalte abschnürt, somit epithelialen Ursprungs ist. Es geht frühzeitig in ein lymphatisches Knötchen über, zwischen 352 Fr. Maurer dessen Zellen aber die Epithelzellen der Anlage stets in verschie- dener Modifikation erhalten bleiben. Auch von Epithel ausgekleidete Cysten treten darin auf. 3) Die postbranchialen Körper sind ebenfalls paarig ange- ordnet, liegen dorsal von den hinteren Zungenbeinhörnern, zu beiden Seiten des Aditus laryngis, in Form eines größeren oder eines Komplexes von vier bis sechs kleineren Bläschen, welche von hohem Cylinderepithel ausgekleidet sind. Diese Zellen tragen zu- weilen Flimmern. Im Inneren der Bläschen tritt niemals Colloid auf, sondern stets ist der Inhalt ein dünnflüssiger, hinterlässt bei der Härtung nur sehr spärliche Gerinnsel. Dadurch ist dies Gebilde auch histologisch streng von der Schilddrüse zu trennen. Seine Entwicklung erfolgt etwas später wie die der Schilddrüse, in sehr früher Larvenperiode, als paarige Ausstülpung der ventralen Schlund- wand hinter der fünften Kiemenspalte, zu beiden Seiten des Aditus laryngis. Es behält seinen Platz zeitlebens bei, vereinigt sich nie- mals mit der Schilddrüse. 4) Carotidendrüse, Epithelkörper, ventrale, mittlere und dorsale Kiemenreste stehen alle in ihrer Genese in Zu- sammenhang mit der Entwicklung und Rückbildung der Kiemen. Die beiden erstgenannten Gebilde entstehen gleichzeitig mit der Entwicklung der inneren Kiemen bei jungen Kaulquappen. Die Carotidendrüse wird epithelial angelegt in Form eines Zapfens, der sich vom Epithel des ersten kiementragenden Bogens an dessen ventralem Ende nach oben zwischen die Arterie dieses Bogens und die davorliegende ventrale Fortsetzung der Vene des gleichen Bogens hinein erstreckt. Während der Larvenperiode bleibt dies Gebilde, das sich vom Epithel rasch abschniirt, unbedeutend, erst zur Zeit der Metamorphose wuchert es zu dem späteren mächtigen Gebilde heran, wobei sich auch Elemente der Gefäßwand betheiligen. Die Epithelkörperchen stellen die seither als Nebenschild- drüsen gedeuteten Gebilde dar. Von denselben sind jederseits zwei vorhanden. Sie sind eiförmig, klein, durchaus kompakt gebaut. Sie entstehen als solide Epithelknospen zwischen den ventralen En- den des ersten und zweiten, sowie des zweiten und dritten kiemen- tragenden Bogens, und zwar erstrecken sie sich medialwärts vor die Arterie des zweiten und dritten Kiemenbogens. Sie schnüren sich rasch von ihrem Mutterboden ab, rücken etwas ventralwärts, so dass sie ventral von der zweiten und dritten Kiemenarterie lie- gen. Das hintere nähert sich etwas dem vorderen, indem es nach Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 353 vorn rückt. Während der Metamorphose rücken sie noch dichter zusammen, um dann ihren Platz nicht mehr zu verändern. In ihrer Entwieklung und ihrem Bau haben sie demnach nicht das geringste mit der Schilddrüse zu schaffen. Im Gegensatz zu den beiden letzt- genannten Gebilden entstehen die Kiemenreste erst mit der Rück- bildung des Kiemenapparates. Am wichtigsten sind bei Rana die ventralen Kiemenreste, welche seither als die Schilddrüse des Frosches angesehen wurden. Sie entstehen durch Wucherung des vordersten ventralen Endes der Kiemenhöhle und zwar kommt es dabei zur Bildung eines gemischten Gewebes, in welchem lymphoide Rundzellen am zahlreichsten vorhanden sind. Das Gebilde liegt unter dem lateralen Reetusrande an dessen vorderem Ende und hängt in einen Lymphraum hinein. Seine Zellen zeigen häufig einen Zerfall in feine Körnchen, die sich sehr intensiv färben. Die- selben lassen sich auch in dem umgebenden Lymphraum nach- weisen. Die mittleren Kiemenreste verschwinden beim Frosch sehr rasch; bei Bufo dagegen verschwinden die ventralen frühzeitig und es entsteht aus dem mittleren Theil der Kiemenhöhle ein Organ, das genau wie die ventralen Kiemenreste des Frosches gebaut ist, nur in seiner Lagerung davon abweicht. Es findet sich nicht unter dem lateralen Rectusrande, sondern weiter lateral und dorsal, den großen Arterienbogen an ihrer Konvexität anliegend. Die Epithelkérperchen liegen bei Rana lateral und etwas dorsal von den ventralen Kiemenresten, bei Bufo finden sie sich ventral und medial von den mittleren Kiemenresten. Die dorsalen Kiemen- reste bilden sich aus der dorsalen Wandung der Kiemenhöhle zur Zeit ihrer Obliteration. Sie stellen ein lymphatisches Knötchen dar, welches sich früh rückbildet und bei halbwiichsigen Fröschen ganz verschwunden ist. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste bei Urodelen. Bei Tritonen ist die Schilddrüse viel oberflächlicher gelagert, als bei Anuren. Bei einem in Rückenlage fixirten Triton taeniatus braucht man nur nach Wegnahme der Haut in der Halsgegend den Muse. constrictor pharyngis externus (STEBOLD), d. h. die hintere Portion des Muse. mylohyoideus zu entfernen, um am lateralen Rande des Muse. sternohyoideus ein Drüschen zu erkennen, welches, mit der Lupe betrachtet, sich aus glashellen Bläschen zusammen- Morpholog. Jahrbuch. 13. 23 354 Fr. Maurer gesetzt zeigt. Zuweilen ist dies Gebilde (die gl. thyreoidea) von der Procoracoidplatte bedeckt. Die Schilddrüse ist fest mit der Vena ju- gularis externa verwachsen. Lateral von der Vene verläuft die Arteria carotis externa nach vorn. Es fiel mir bei Injektionen, welche vom Truneus arteriosus aus vorgenommen wurden, auf, dass die Schild- drüse sich. nicht mit Masse füllte, wenn letztere nicht durch die Venen zurückkam. Es machte mir daher schon bei genauer Be- trachtung der konservirten Tritonen den Eindruck, als sei die Schild- drüse nicht bloß mit der Wand der Vena jugularis ext. verwachsen, sondern als löse sich der Stamm dieser Vene ganz oder nur ein Ast von ihr wundernetzartig in die Schilddrüse auf, um sich so- fort wieder zu sammeln und als Gefäß von gleichem Lumen, wie beim Eintritt, das Organ zu verlassen. Es liegt darin ein wich- tiger Unterschied gegenüber den Verhältnissen bei Batrachiern. Da mir die Inspektion an konservirten und injieirten Objekten nicht genügte zur völligen Sicherstellung dieses Befundes, so versuchte ich mir diese Kreislaufsverhältnisse am lebenden Thiere direkt zur Anschauung zu bringen. Es gelang dies über Erwarten gut. Die Verletzungen, die man zu machen hat, sind wegen der oberfläch- lichen Lagerung der Theile sehr gering. Man braucht, wie oben angegeben, nur die Haut und den Muse. constrietor pharyngis ex- ternus zu entfernen, um schon genügenden Einblick zu erhalten. Der Übersichtlichkeit halber nahm ich oft noch den Mylohyoideus fort, so wie die Knorpelplatte des Procoracoid. Die Blutung, die dadurch entsteht, ist kaum der Rede werth und es halten sich die Thiere, in Rückenlage fixirt, wohl eine Stunde unter Wasser. Mit stumpfer Nadel kann man sieh noch die großen Arterien, wenig- stens den Carotidenbogen, freilegen. Man kann nun unter der Bricke’schen Lupe deutlich erkennen, wie die Vena jugularis, vom Kinne her kommend, sich in der That in die Schilddrüse auflöst. Das Blut sieht man in weiten Maschen zwischen den glashell durch- sichtigen Drüsenbläschen durchrieseln (Taf. XIII Fig. 226). Es ist nicht immer der ganze Stamm der Vene, der sich in dieser Weise auflöst, sondern häufig ist die Vene doppelt und nur ein Ast tritt durch die Schilddrüse, während der andere um die Drüse herum verläuft und sich direkt hinter derselben mit dem anderen, aus der Drüse wieder heraustretenden Aste- vereinigt (Fig. 22c). Zuweilen treten auch vier oder mehr kleinere Venen von vorn kommend in die Schilddrüse ein, lösen sich in ihr in ein weitmaschiges Gefäßnetz auf und ver- Jassen das Organ als einheitlicher Stamm (Fig. 22«). Die Carotis Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 355 e externa, welche aus der Carotidendrüse abgeht, giebt direkt neben der Schilddrüse einen Ast ab, welcher hinter der Drüse weg zu dem vorderen Theil des Muse. sternohyoideus und zum Muse. genio- hyoideus verläuft. Es gelang mir in der Regel nicht ein Astehen zur Schilddrüse aufzufinden. Dass es durch Gefäßtonus in Folge der Verletzung geschlossen sei, war desshalb nicht anzunehmen, weil der Blutstrom durch die Muskelkapillaren in die Venen vollkommen erhalten war und eben so die Schilddrüse von einem mächtigen Blut- strome durchflossen wurde. Auch konnte ich durch Zupressen der Carotis ext. mit der Pineette den Kreislauf in der Schilddrüse nicht zum Stillstand bringen; es kam dann geniigend Blut von der andern Seite in die diesseitige Jugularvene. Dagegen gab es sofort eine Blutstoekung in der Schilddrüse, wenn ich die Jugularvene vor ihrem Eintritt in die Drüse verschloss. Es geht aus diesen Befun- den hervor, dass die Schilddrüse der Tritonen in den venö- sen Kreislauf eingeschaltet ist, eine Thatsache, die ich nir- gends erwähnt finde und welche wohl auch für die Schilddrüse einzig dasteht. Von mechanischem Werth für die Bluteirkulation des Kopfes kann dieses Verhalten nicht sein, weil sehr häufig nur ein Ast der Jugularvene diese Wundernetzbildung zeigt. Auch die Ernährung der Schilddrüse leidet nicht darunter, da aus vielen Hautkapillaren Blut, welches somit die Hautathmung durchgemacht hat, in den Stamm der äußeren Jugularvene übergeht und somit der Sauerstoff- gehalt immer noch ein genügender ist, zumal ja auch das Arterien- blut hier ein gemischtes ist. Bei einem Exemplar von Salamandra maculata gelang es mir im Leben ein feines Ästehen der Carotis ext. zur Schilddrüse treten zu sehen. Daneben aber durchströmte eben so wie bei Triton die Vena jugul. ext. wundernetzartig die Schilddrüse. Bei Batrachiern fand ich keine ähnlichen Verhältnisse in Bezug auf die Blutversor- gung der Schilddrüse. Vielmehr wird dort sowohl dieses Organ, als auch die ventralen Kiemenreste und Epithelkörperehen von der Ca- rotis ext. aus versorgt. Nebenschilddrüsen finden sich allgemein angegeben in unregel- mäßiger Vertheilung. Es zeigt sich bei Triton, bei alpestris und eristatus häufiger als bei taeniatus eine median gelagerte Drüse, aus drei bis vier eolloidhaltigen Acinis bestehend, ziemlich weit vorn, ventrai zwischen den beiden Mm. sternohyoideis gelagert. Auch diese werden von einem kleinen Aste der Vena jugul. ext. um- sponnen. Die eigentliche paarige Schilddrüse ist häufig auf beiden 23* 356 Fr. Maurer Seiten ungleich groß oder sie zeigt sich in die Länge gezogen und hat starke Einschnürungen, doch sah ich nur sehr selten das Gebilde in mehrere Knötchen zerfallen. Salamandra maculata zeigt in Bezug auf die Schilddrüse die gleichen Verhältnisse wie die Tritonen. In der Nähe des Organes finden sich nun noch andere Gebilde, welche ich in Übereinstimmung mit den bei Anuren geschilderten Theilen erwartete. Präparirt man sich nach Freilegung der Schild- drüse die Arterienbogen frei und verfolgt sie bis zu ihrer Vereini- gung zur jederseitigen Aortenwurzel, so findet man den Gefäßbogen lateral anlagernd ein oder zwei bei Tritonen milchweiße, bei Sala- mandra von zahlreichen Pigmentzellen umsponnene Körperchen von 0,2—0,5 mm Durchmesser. Die Besprechung ihrer Lage zu den Arterienbogen setzt die Kenntnis der letzteren voraus. Dieselben sind von Boas beschrieben. Triton cristatus besitzt bekanntlich drei Arterienbogen. Der erste schwillt eine kurze Strecke nach dem Abgange aus dem Truncus arteriosus zur Carotidendriise an, aus welcher nach vorn medialwirts die Carotis ext. abgeht. Die Fort- setzung des Bogens wird durch die Carotis int. gebildet. Diese giebt kurz nach ihrem Austritt aus der Carotidendrüse einen schwa- chen Verbindungsast zum zweiten, sehr mächtigen Arterienbogen, dem eigentlichen Aortenbogen ab. Hinter dem zweiten Bogen folgt noch eine Arterie, die, wie schon BoAs nachwies, nicht den dritten, sondern den vierten Arterienbogen darstellt. Der Hauptast dieses letzteren bildet die Lungenarterie, nur ein halb so starker Ast ver- einigt sich mit der zweiten Arterie. Nun liegen die beiden weißen, kompakten Knötchen zwischen dem zweiten (Aortenbogen) und dem vierten (Pulmonalbogen) Arterienstamme (Taf. XI Fig. 26). Bei Triton taeniatus fand ich es eben so (Fig. 25). Bei Triton alpestris hatte ich einen interessant abweichenden Befund. Hier bestanden vier Arte- rienbogen jederseits, und zwar war der erste (Carotidenbogen) der schwichste. Der zweite am stärksten. Der dritte und vierte hatte einen kurzen gemeinschaftlichen Stamm. Dieser theilte sich in zwei gleich starke Äste, von welchen der hintere, d. h. der vierte, die Arteria pulmonalis abgab und sich dann mit dem dritten wieder vereinigte, ehe dieser mit dem zweiten zur Aortenwurzel zusammen- traf. Hier saß dem zweiten und dritten Bogen nur ein ovales Kör- perchen auf, welches zwei Arterien empfing (Taf. XI Fig. 23a). Eine ging von dem zweiten Arterienbogen ab, eine andere von dem dritten. Beide waren entsprechend der Größe des Körperchens sehr feine Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 357 Astchen, aber an dem gut injieirten Präparat mit Sicherheit nach- zuweisen. Aus der Thatsache, dass hier zwei Gefäße aus zwei Arterien- bogen zu diesem Gebilde treten, schließe ich, in Hinblick darauf. dass sich bei anderen Tritonen zwei solche Körperchen finden, dass auch hier dieses eine Knötchen durch Verschmelzung aus zweien entstanden ist und ferner, dass es zu dem zweiten und dritten Ar- terienbogen in genetischer Beziehung steht. Übrigens ist die Blut- versorgung dieser Körperchen bei Tritonen eine individuell sehr ver- schiedene. So zeigten sich bei zwei Exemplaren von Triton alpestris, welche vom Truncus arteriosus aus injieirt waren, folgende ver- schiedene Befunde. Die Arterienbogen verhielten sich gleich. Es bestanden vier jederseits, die sich alle an der Bildung der Aorten- wurzel ihrer Seite betheiligten. Der zweite war der bei Weitem stärkste. Vom ersten kam nur ein sehr schwacher Verbindungszweig. Der dritte und vierte waren zusammen halb so stark wie der zweite. Im ersten Fall (Fig. 23c) fand sich ein ovales Körperchen von 0,5 mm Längsdurchmesser der Konvexität der Arterienbogen ange- lagert. Es erhielt bloß ein Ästehen, welches von der Carotis externa herunter in rücklaufender Richtung in es eintrat. Von den Arterienbogen konnte ich kein Ästehen nachweisen, obgleich der Körper diesem Bogen fest anlag. Im zweiten Falle fanden sich zwei Körperchen. (Fig. 235). Das eine, größere lag dem zweiten Arterienbogen, so- wie dem dritten auf, das hintere, kleinere lag zwischen drittem und viertem Bogen. Letzteres bekam zwei Gefäße. eines aus dem dritten und eines aus dem vierten Bogen. Das größere vordere Gebilde erhielt von der Carotis communis ein Ästchen, welches dicht vor der Carotidendrüse abging. Wenn auch die Verhältnisse in dieser Weise unregelmäßige sind, so ist doch das Vorkommen von Ästen, die direkt aus den großen arteriellen Gefäßbogen zu diesen Körperchen treten, wichtig, in so fern derartige Gefäße die primäre Blutver- sorgung der kleinen Körperchen darstellen müssen. Es kann wohl die Ernährung später durch Anastomosenausbildung auf die Carotis über- tragen werden. Einen solchen Übergang stellen auch Fälle dar, in welchen Gefäße sowohl von einem der großen Arterienstimme, als auch von der Carotis zugleich zu einem solehen Körperchen treten. Wenn nun von den großen Arterienbogen, welche nach Rück- bildung des Kiemenapparates keine Äste mehr in ihrem Verlauf bis zu den Aortenwurzeln abgeben sollten, gleichwohl noch Gefäße zu den erwähnten Körperchen treten, so ist der Schluss wohl nahe- 398 Fr. Maurer liegend, dass letztere in ihrer Genese mit dem Kiemenapparat zu- sammenhängen und es fragt sich, wie sich dieselben bei Larven verhalten und in welcher Weise ihre Bildung erfolgt. Bei Triton taeniatus, eristatus und Salamandra maculata habe ich diese Gefäßverhältnisse nicht geprüft. Es finden sich hier die Körperchen in gleicher Lage (Taf. XI Fig. 24—26). Auch ein postbranchialer Körper findet sich bei Urodelen. Er ist hier nicht paarig, sondern immer nur auf der linken Seite vor- handen. Bei Triton kann er von der ventralen Körperfläche aus präparirt werden und zwar sieht man ibn nach Wegnahme der Ar- terienbogen gerade dorsal von dem vierten Bogen liegen. Er stellt hier meist einen geschlängelten, an beiden Enden geschlossenen Schlauch dar, von welchem häufig einzelne Theile abgeschnürt sind. Bei Salamandra maculata liegt er ebenfalls links, gerade dorsal von dem vierten Arterienbogen und stellt hier ein ovales, undurch- sichtiges Drüschen dar. Was den Bau der bis jetzt genannten Gebilde anlangt, so be- steht die Schilddrüse aus großen Acinis, welche Colloid enthalten. Das auskleidende Epithel ist fast eylindrisch. Zwischen den Acinis findet sich das weite Wundernetz der Vena jugularis externa. Die ganze Drüse ist von einer sehr zarten Bindegewebskapsel umgeben. Die kleinen milchweißen, den Arterienbogen an deren Konvexität lateral anliegenden Körper, zeigen durchaus kompakten Bau. Bei Triton taeniatus sind diese Körperehen ähnlich gebaut wie die kleinen Epithelkörper (e) des Frosches (Taf. XI Fig. 10). Sie besitzen eine fibröse Kapsel, von welcher starke zellige Züge ins Innere dringen und die in Gruppen dazwischen liegenden Epithelzellen von einander trennen. Die Kerne der letzteren sind rund oder oval und übertreffen die lymphoiden Zellen, z. B. der Thymus, um das Drei- fache an Größe. Bei Triton alpestris bestehen sie aus eng zusam- mengewundenen soliden Epithelschläuchen, zwischen welchen stär- kere Bindegewebszüge, die von der Kapsel eindringen, sich finden. Ein Lumen irgend welcher Art zeigen diese Gebilde auch bei Triton alpestris niemals. Bei Triton eristatus und Salamandra maculata haben diese Organe den gleichen Bau wie bei Triton alpestris. Mit der Schilddrüse haben sie gar keine Ähnlichkeit, in Folge ihres soliden Baues, der auch im höheren Alter sich nicht verändert. Der postbranchiale Körper zeigt, bei allen Tritonen nur links vorhanden, die Gestalt eines geschlängelten langen Schlauches, wel- cher von unregelmäßigen platten bis kubischen Epithelzellen ausge- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 359 kleidet ist. Er besitzt ein weites Lumen, das aber niemals Colloid enthält, sondern seröse Flüssigkeit und zuweilen Zellrester. Abge- schnürte Theile stellen kugelige Acini dar, welche von kubischem Epithel ausgekleidet sind und ein sehr feines Lumen besitzen. Col- -loid findet sich niemals darin. Somit sind diese Gebilde ebenfalls nicht mit der Schilddrüse zu verwechseln. Die Thymus der Urodelen ist von derjenigen der Anuren ver- schieden gelagert. Sie findet sich oberflächlich, direkt unter der Haut, oberhalb und hinter dem Unterkieferwinkel. Bei Tritonen stellt sie ein einfaches linsenförmiges Knötchen dar, welches eine leicht höckerige Oberfläche besitzt. Bei Salamandra maculata ist sie mehr gelappt, kann oft leicht in drei ganz getrennte, nur durch Binde- gewebe zusammengehaltene Lappen zerlegt werden. Sie liegt dicht hinter dem Unterkieferwinkel, also tiefer als bei Triton und reicht dicht bis an die den Arterienbogen anliegenden, hier mit stark pig- mentirtem Überzug versehenen Körperchen herab, die ich oben schil- derte. Leypıc hat diese Körper gesehen, als er von einem unteren, stark pigmentirten kleineren Lappen der Thymus sprach. Der Bau der Thymus ist bei Urodelen ein kompakter. Sie besteht aus einer verschiedenen Anzahl von Follikeln, welche in reticulärem Gewebe zahlreiche gleichartige lymphoide Zellen ent- halten. Die großen Zellen, die ich in der Froschthymus beschrieb, fehlen hier; dagegen kommen sehr häufig Cysten vor, welche mit hohem einschichtigem Cylinderepithel ausgekleidet sind. Diese sind unregelmäßig im Organ vertheilt. Eine Mark- und Rindensub- stanz, wie bei Anuren, ist nicht zu unterscheiden, vielmehr ist der Bau ein durchgehends gleichartiger. Koncentrische Körper sah ich niemals. Die Entwicklung der Schilddrüse bei Urodelen ist im We- sentlichen eben so wie bei Anuren. Ich untersuchte Triton taenia- tus und Siredon pisciformis. Triton taeniatus verlässt in der Regel am zwanzigsten Tage das Ei. Bereits am achtzehnten Tage zeigt sich die erste Anlage der Schilddrüse auf Querschnitten als eine solide Epithelknospe, welche sich von der ventralen Schlundwand in der Gegend der zweiten Schlundfalte in die vordere Theilungsgabel des Herzschlauches er- streckt (Taf. XIII Fig. 27). Sie fällt in die gleichen Querschnitte wie die Gehörbläschen, welche bereits vom Ektoderm abgeschnürt sind. Die Kiemenspalten sind noch nicht durchgebrochen. Es bestehen vier Schlundtaschen, welche das Ektoderm noch nicht erreichen. 360 Fr. Maurer Die erste Anlage der Schilddriise ist bei Triton und Siredon eine solide Knospe im Gegensatz zu dem Befund bei Anuren, wo die ursprüngliche epitheliale Ausbuchtung erst nach kurzem Bestand solide wird. ; In den beiden ersten Tagen nach dem Verlassen des Eies voll- zieht sich die Abschnürung der Schilddrüsenanlage von ihrem Mutter- boden. Die Larven sind am zweiten Tage 5,5 mm lang. Die Thy- reoidea liegt dann als eiförmige Zellenmasse, deren gleichartige Zellen noch dieht mit Dotterblättehen erfüllt sind, in der Theilungsgabel des Herzschlauches (Taf. XII Fig. 282). In der ersten Woche des freien Lebens der Tritonlarve vollziehen sich die wesentlichen Ausbildungs- vorgänge am Schlunde mit dem Kiemenapparat. Zwei Tage nach dem Ausschlüpfen erreichen die Schlundtaschen das oberflächliche Körper- epithel. Spalten bestehen noch nicht, da die beider Lamellen der Ausstülpungen noch dicht zusammen schließen. Dieser Zustand er- hält sich für die Kiemenspalten während des dritten und vierten Ta- ges. Dann beginnt die Differenzirung des knorpeligen Kiemenapparates und die Kiemenspalten öffnen sich. Die Schilddrüsenanlage wird von ihrem Mutterboden weiter entfernt, durch die Copula des Hyoidbogens (Taf. XIII Fig. 29). Zugleich beginnt sie sich zu theilen, so dass am fünften Tage die beiden Hälften nur durch einen dünnen Isthmus zusammenhängen. Der bei Anuren beschriebene dreieckige Knorpel- fortsatz, welcher sich an der ventralen Fläche der Zungenbeincopula findet, wird hier durch einen langen Knorpelstab (Os uro-hyal, Ducks) dargestelli. Gerade vor diesem Stabe findet die Theilung der Sehilddrüsenanlage statt (Fig. 30p4). Auch jetzt besteht sie noch aus dotterblättehenreichen rundlichen Zellen, zeigt keinerlei Lumen und besitzt die Gestalt eines Zwerchsackes, wie es auch bei Rana beschrieben wurde. Acht Tage nach dem Ausschlüpfen ist die Trennung in zwei Hälften vollzogen und diese letzteren rücken sofort weiter aus ein- ander in Folge der Ausbildung des Muse. sternohyoideus, der zwi- schen ihnen lagert (Fig. 30/9). In Folge der von Anuren ganz verschiedenen Ausbildung des Larvenmundes und Kiemenapparates findet sich die Schilddrüse schon sehr frühzeitig von dem Punkte ihrer Entstehung entfernt, nach hin- ten gerückt und an dem ihr auch später zukommenden Platze. Bekanntlich entwickelt sich bei Urodelen sofort der bleibende Unterkiefer, und die Zunge bekommt auch später nicht die mächtige Ausbildung, die sie bei Anuren erhält. Die Metamorphose beschränkt Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 361 sich also mehr auf die Riickbildung des Kiemenapparates. Die Muskeln, in deren Nachbarschaft die Schilddrüse liegt, d. h. M. sternohyoideus und geniohyoideus, entwickeln sich sehr frühzeitig in der ihnen auch später zukommenden Insertion. Die Schilddrüse wird durch sie lateralwärts verschoben. Da hier nicht der breite Zungenbeinkörper entsteht, wie bei den Anuren, welcher dort eine für den Rectus weiter lateralwärts sich erstreckende Insertion ge- stattete, die durch die mediale Ausbildung des M. hyoglossus sogar geboten war, so nimmt der Rectus hier eine der Medianlinie mehr genäherte Insertion an der ventralen Fläche der Copula des Zungen- beinbogens und dessen langem, nach hinten und abwärts gerichteten Knorpelfortsatz. Dadurch wird die Schilddrüse lateral verschoben. Bei Anuren lag sie medial vom Rectus oder zwischen seine Fasern eingeschoben. Auch bei Urodelen sind Unregelmäßigkeiten in der Theilung der Schilddrüsenanlage sehr häufig und zwar bestehen sie theils in ungleicher Größe der beiden Hälften, theils in stärkerer Entwick- lung des Isthmus während der Theilung. Die Ausbildung des knor- peligen Kiefer- und Kiemenapparates erfolgt, wie gesagt, innerhalb acht Tagen nach dem Verlassen des Eies (nach acht Tagen besitzen die Larven eine Länge von 7 mm). Es hat sich bis dahin auch der Sternohyoideus mit seiner vorderen Insertion an der Zungenbein- copula gebildet und die Schilddrüse liegt seinem vorderen Theile lateral an, gerade hinter dem zweiten Keratobranchiale, welchem der Knorpel des zweiten Kiemenbogens ansitzt. Hier ist also die Schilddrüse schon sehr frühzeitig an den ihr auch später zugewie- senen Platz gerückt und wird später durch die Rückbildung des lan- gen Knorpelfortsatzes, der von der ventralen Fläche der Zungenbein- copula nach unten und hinten geht, und der damit erfolgenden Modifikation der Rectusinsertion nicht mehr beeinflusst. In Folge dieser raschen Lageveränderung der Schilddrüse, kurz nachdem sich die oft unregelmäßige Theilung vollzogen hat, bleiben häufig, be- sonders weiter vorn in der Medianlinie zwischen den Musculis genio- hyoideis, Theile des ursprünglichen Isthmus liegen, welche später als vordere unpaare, aus vier bis sechs Acinis bestehende colloid- haltige Nebenschilddrüsen sich erhalten. Außerdem kann zuweilen die eine oder andere Hälfte der Schilddrüse sehr in die Länge gezogen sein und wie eine Perlenschnur längs des lateralen Rectus- randes liegen. Doch findet sich sehr selten ein völliger Zerfall in mehrere Drüschen. 362 Fr. Maurer Es ist dies nur der Ausdruck des raschen Lagewechsels des Organes bei Urodelen, und diese Theile zeigen uns den Weg, wel- _chen die Schilddriise seit ihrer Entwicklung zuriickgelegt hat. So lange die Zellen der Schilddrüse Dotterblättchen enthalten, ist das Organ leicht zu erkennen. Zwei bis drei Wochen nach dem Verlassen: des Eies verschwinden die Dotterblättchen und es hält dann eine Zeit lang schwer, die Schilddrüse aufzufinden. Sie be- steht jederseits aus einem wenig vortretenden soliden Zellschlauch, der an dem bezeichneten Platze, vor dem ersten Arterienbogen, gerade hinter dem zweiten Keratobranchiale, zur Seite des Sterno- hyoideus liegt. Erst ziemlich spät, drei bis vier Wochen nach dem Ausschlüpfen, zeigt sich eine Abschnürung von Acinis, in welchen dann sofort Colloid auftritt. Die Vena jugularis externa liegt ven- tral von der Schilddrüse. Eine wundernetzartige Auflösung, wie ich es beim ausgebildeten Thiere beschrieb, fehlt während des ganzen Larvenlebens. Eine Carotidendrüse, sowie die Epithelkörperchen, welche den Arterienbogen anliegen, fehlen bei Urodelen während der ganzen Larvenperiode, worin ein charakteristischer Unterschied gegen die Anuren gegeben ist. Der linksseitige postbranchiale Körper entwickelt sich sehr frühzeitig. Bei Tritonlarven, die eben ausgeschlüpft sind, zwanzig Tage im Ei waren, zeigt sich hinter der fünften Schlundspalte, genau an der Stelle, wo man eine sechste Spalte erwarten sollte, nicht wie bei Anuren eine muldenförmige Ausbuchtung des Epithels, sondern nur auf der linken Seite ein solider Zellzapfen, der sich in das dar- unter liegende Bindegewebe erstreckt. (Dies Gebilde von Siredon ist auf Taf. XIII Fig. 31p abgebildet, bei Triton verhält es sich in seiner Bildung genau eben so.) Auf der rechten Seite konnte ich trotz genauer Prüfung keine gleiche Bildung finden. Schon vier Tage später hat sich dieser epitheliale Zellzapfen von der Schlundwand abgeschnürt und liegt als solide Zellkugel direkt unter der Schlund- wand, seitlich vom Kehlkopfeingang (Fig. 33»). Im den nächsten Wochen wächst dies Gebilde in die Länge, behält seine Lagerung bei und liegt medial von der Knorpelspange des vierten Kiemen- bogens. Sehr früh tritt schon ein feines centrales Lumen darin auf: indess macht bei älteren Larven, von 2—3 cm Länge, das Organ noch den Eindruck eines soliden Epithelschlauches und erst nach der Metamorphose bildet sich ein weites Lumen. das jedoch niemals Colloid enthält. « Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 363 Bei Siredon piseiformis findet die Anlage der Schilddrüse und des postbranchialen Körpers in der gleichen Weise wie bei Triton taeniatus statt. Bei Embryonen von 5,5 mm Länge, welche kurz vor dem Aus- schlüpfen stehen, erstreckt sich eine solide Epithelknospe der ven- tralen Schlundwand in die vordere Theilungsgabel des Herzschlauches hinein. Bei ausgesehlüpften Larven von 7 mm Länge hat sie sieh abgeschnürt und acht Tage später, wenn die Larven eine Länge von 10 mm besitzen, ist sie gerade in zwei Hälften getheilt. Der postbranchiale Körper, welcher hier ebenfalls nur links sich findet, entsteht bei 7 mm langen Larven in Form eines soliden Zapfens seitlich vom Larynxeingang, hinter der fünften Kiemenspalte, von der ventralen Schlundwand aus. Bei 10 mm langen Larven ist er ganz abgeschnürt und stellt schon einen längeren Schlauch dar (Taf. XIII Fig. 31 und 33p). Die Carotidendrüse und die den Arterienbogen anliegenden Epi- thelkörperchen fehlen beim Axolotl stets. Die Entwicklung der Thymus findet sich bei Urodelen wesent- lich anders, als bei Anuren. Wegen der größeren Verhältnisse lege ich Siredon pisciformis zu Grunde. Die erste Anlage von Thymusknospen findet sich bereits bei Larven, die eben ausgeschlüpft sind und eine Länge von 7 mm besitzen. Es finden sich, entsprechend den fünf Kiemenspalten, fünf solide Epithelknospen, welche von der dorsalen Schlundwand ausgehend in das dorsal davon liegende Bindegewebe einragen. Sämmtliehe fünf Knospen lagern sich den Ganglien der Gehirnnerven dieht an. Die fünf Schlundfalten sind bereits vorhanden, erreichen das Ektoderm, sind aber noch nicht zu Kiemenspalten geöffnet. Die Schilddrüse ist gerade von ihrem Mutterboden abgeschnürt. Der linksseitige postbranchiale Körper ist auch bereits in Form einer soliden Knospe angelegt. Die fünf soliden Thymusknospen lagern: die erste dem Ganglion Gasseri, die zweite dem Ganglion des Fa- cialis, die dritte dem Ganglion des Glossopharyngeus und die vierte und fünfte dem Vagusganglion dieht an. Die vierte findet sich in Taf. XIII Fig. 31 wiedergegeben. Es ist schwer, in diesem Stadium eine scharfe Grenze zwischen den Epithelzellen und den Ganglienzellen zu bestimmen und man würde die geschilderten Epithelknospen nicht für Thymusanlagen halten, wenn dies nicht aus dem nächsten Sta- dium hervorginge. Nur die fünfte Knospe zeigt in diesem Stadium eine Grenze gegen das Vagusganglion, obgleich auch sie direkt 364 Fr. Maurer daran stößt. Die erste Knospe liegt zwischen Auge und Gehörbläs- chen. Die zweite unter der hinteren Hälfte des Gehörbläschens, die dritte liegt mit dem vorderen Ende des Herzschlauchs in gleichem Querschnitt. Die vierte und fünfte folgen in geringem Abstand. Der größte Abstand liegt zwischen erster und zweiter Knospe (dreißig Schnitte bei 1/j9 mm Schnittdicke). Die dritte liegt vierzehn Schnitte hinter der zweiten, die vierte bloß neun Schnitte hinter der dritten und die fünfte folgt zwölf Schnitte nach der vierten. In dieser relativen Entfernung und in ihrem Verhalten zu den Ganglien der Gehirnnerven lassen sich die Knospen leicht an älteren Objekten auffinden. Bei einem Axolotl von 9,5 mm Länge ist der knorpelige Kiemenapparat vollkommen angelegt. Die Kiemenspalten sind durch- gebrochen, äußere Kiemen noch einfache Fortsätze, ohne Kiemen- fransen. Die Knospen resp. Körperchen liegen gerade medial vom dorsalen Ende des vor ihnen liegenden knorpeligen Bogens. So findet sich die erste Knospe medial vom Kieferbogen, die zweite medial vom Zungenbeinbogen, die folgenden medial vom ersten, zweiten und dritten Kiemenbogen. Danach kann man sich leicht in den Kiemenspalten orientiren. Die erste und zweite Thymus- knospe ist auf der rechten Seite noch nicht abgeschnürt (Fig. 32); die fünfte hängt links noch mit dem Epithel der fünften Kiemen- spalte durch einen dünnen Stiel zusammen. Die übrigen sieben Knospen sind abgeschnürt und stellen kugelige solide Zellgruppen dar, welche zwar uoch den entsprechenden Ganglien der Gehirn- nerven anlagern, aber durch eine scharfe Grenze davon getrennt sind. Sie sind von den Ganglien dadurch sofort zu unterscheiden, dass sie durch reichliche Dotterbliittchen gelb gefärbt sind, während die Ganglien schwarzbraune Pigmentkörnchen in ihren Zellen führen. Aus dem Befunde in diesem Stadium folgt, dass die Abschnü- rung der Thymusknospen unregelmäßig stattfindet. Im nächsten Stadium, das einem Axolotl von 1 em Länge ent- nommen ist, zeigen sich alle fünf Knospenpaare abgeschnürt. Die erste Knospe ist rechts wie links in Rückbildung begriffen, indem an ihrem Platze jederseits nur zwei bis drei, Dotterblättchen enthaltende, runde Zellen liegen. Bei dem Objekte, das zur Fig. 33 Taf. XII diente, war die erste Knospe als abgeschnürter Körper noch vorhanden. Das zweite, dritte, vierte und fünfte Körperchen sind noch vorhanden und zeigen nur darin eine Veränderung, dass sie selb- ständiger gegen die Ganglien geworden sind, von welchen sie durch einen deutlichen Abstand getrennt sind (Fig. 33, welche die vierte Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 365 Knospe darstellt). Zur Übersicht der fünf Thymuskörper in ihrer Lagerung direkt nach der Abschnürung füge ich Fig. 34 bei. Die- selbe stammt von einem 11 mm langen Axolotl und ist aus vier lateralen Sagittalschnitten kombinirt. ¢, und ?, bilden sich in der Folge rasch zurück. Das nächste Stadium entnehme ich einem Axolotl von 13,5 mm Länge. Die Kiemenspalten sind schon weit geöffnet, eben so sind die äußeren Kiemen schon mächtig entwickelt. Der Kiemendeckel ist bereits vorhanden. Von den Thymuskörperchen ist zu berichten, dass das erste und zweite auf beiden Seiten vollständig rückgebildet ist, so dass keine Spur mehr davon nachgewiesen werden kann. Die dritte, vierte und fünfte Knospen sind jederseits vorhanden, stellen runde Zellgruppen dar; ihre rundlichen Zellen enthalten keine Dotterblättehen mehr. Von den Ganglien des Glossopharyngeus und Vagus sind sie ganz weit lateralwärts abgerückt. Sie liegen gerade dorsal von der dorsalen Schlundwand. Die vierte Knospe ist durch die Aortenwurzel von der Schlundwand ge- trennt. Der dritte und vierte Körper liegen etwas vor den dorsalen Enden der zweiten und dritten Kiemenbogenknorpel. Der fünfte Körper liegt gerade dorsal vom vierten Kiemenbogenknorpel. Leider konnte ich die Thymus des Axolotl wegen Material- mangels nicht weiter verfolgen, indessen ließ sich mit Hilfe von Triton taeniatus und Embryonen von Salamandra maculata noch Folgendes feststellen. Bei Triton taen. war ich nicht im Stande, fünf getrennte Knospen deutlich nachzuweisen. Nur die beiden vor- deren fanden sich an Exemplaren, die gerade ausgeschlüpft waren, in derselben Weise vor wie bei Siredon. Dagegen habe ich dahinter nur die der fünften Knospe des Axolotl entsprechende deutlich erkannt. _ Indessen ist Triton taeniatus ein sehr schwieriges Objekt in Folge seiner Kleinheit. Die hinteren Kiemenbogen entwickeln sich so dieht zusammen, dass die räumliche Trennung der dorsalen Schenkel in der ersten Zeit unmöglich ist, zumal, da die Elemente so dicht mit Dotterblättehen gefüllt sind, dass die Gewebsarten schwer zu unter- scheiden sind. Die erste und zweite Knospe bilden sich auch hier kurz nach der Abschnürung zurück. Die zweite ist stärker ent- wickelt und bleibt auch etwas länger bestehen als die erste. Sie verschwindet etwa zehn Tage nach dem Ausschlüpfen. Es ist dies die Knospe, welche bei Anuren die bleibende Thymus hervor- gehen lässt. Weiter hinten findet sich bei Triton, gerade medial vom dor- 366 Fr. Maurer salen Ende des vierten Kiemenbogens, die Anlage der bleibenden Thymus in Form eines ovalen soliden Knötehens. Ich konnte hier nicht entscheiden, ob sie nur der fünften Knospe des Axolotl ent- spricht, oder aus der Verschmelzung der drei hinteren Knospen her- vorgeht. Letzteres erscheint mir wahrscheinlicher. Bei Embryonen von Salamandra maculata, welche einige Wo- chen vor der Geburt stehen, besaß die Thymusanlage gleichfalls eine hintere Lage, gerade hinter dem dorsalen Ende des vierten knorpeligen Kiemenbogens. Hier war es kein ovales Körperchen, sondern das Organ bestand aus drei getrennten, aber dieht zusammen- liegenden soliden Zellschläuchen, woraus wohl geschlossen werden darf, dass hier die drei hinteren Knospen zur Bildung der bleibenden Thymus der Salamandra maculata führen. Bei älteren Salamander- larven konnte ich die Thymus nicht mehr in drei Theile. trennen, sie war dann zu einem gelappten großen Organe geworden. Ob die Möglichkeit, bei älteren Salamandern die Thymus zu- weilen in zwei bis drei Lappen zu trennen, als eine Erhaltung der dreigetheilten Anlage aufzufassen ist, oder nicht vielmehr als ein sekundärer Zerfall, muss ich dahin gestellt sein lassen. Bei Triton taeniatus und alpestris stellt die Thymus während der ganzen Larvenperiode ein ovales bohnenförmiges Körperchen- dar, in welchem erst nach der Metamorphose mehrere Follikel sich bilden. Die Oberfläche wird dadurch eine höckerige. Zur Zeit des Eintritts der Metamorphose von Triton und Sala- mandra finden sich von den uns interessirenden Gebilden nur die paarig gewordene Schilddrüse, sowie die Thymus und der bloß linksseitig ausgebildete postbranchiale Körper, welcher einen Epithel- schlauch mit feinem Lumen darstellt. Bei Anuren fand sich im Larvenzustand bereits die epitheliale Anlage der Carotidendrüse, sowie die kleinen Epithelkörper, welche sich vom ventralen Ende der dritten und vierten Kiemenspalte ab- geschniirt hatten. Bei Urodelen findet sich von solchen Gebilden während der Larvenperiode keine Spur. Auch beim erwachsenen Triton und Sa- lamander fand sich kein Gebilde, das den ventralen Kiemenresten von Rana oder den mittleren von Bufo entsprochen hätte. Es fanden sich nur jederseits ein größeres oder zwei kleine epitheliale Knöt- chen, welche den Arterienbogen anlagen. Diese sind nieht von vorn herein den Epithelkörperchen, die ich bei Anuren beschrieb, für homolog zu erklären. Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 367 Es bildet sich bei Urodelen während oder in unmittelbarem Anschluss an die Metamorphose somit erstens die Carotidendrüse und ferner die den Arterienbogen anlagernden epithelialen Körperchen. Was die Carotidendrüse betrifft, so war für dieses Gebilde das Material, welches mir zur Verfügung stand, leider ein zu beschränktes. Bis jetzt bin ich nieht im Stande, die Betheiligung von epithelialen Elementen der Kiemenspalten an der Bildung der Carotidendrüse der Urodelen nachzuweisen. Nach dem geschilderten Befunde bei Anuren sollte Derartiges zu erwarten sein. Allerdings lässt BoAs (Beiträge zur Angiologie der Amphibien, Morphol. Jahrb., Bd. VII) die Bil- dung der Carotidendrüse beim Salamander ausschließlich durch Wu- cherung der Gefäßwand erfolgen. Es ist indessen immerhin mög- lich, dass bei Urodelen kleine Epithelabschnürungen in gewissen Stadien übersehen werden, eben so wie es mit der Schilddrüse, nach- dem die Dotterblättehen aus ihren Zellen verschwunden sind. eine Zeit lang leicht geschehen kann. Dass auch bei Anuren die Gefäß- wand später eine wichtige Rolle spielt bei der Ausbildung des frag- lichen Organes, wurde oben erwähnt. Es ist unverständlich, dass die Bildung der Carotidendrüse bei Urodelen wesentlich anders sein soHte, als bei Anuren. Ich hatte einige Exemplare von Triton tae- niatus, die gerade in der Metamorphose begriffen waren, zur Ver- fügung. Bei diesen konnte ich keine Spur einer Carotidendrüse nachweisen. Die äußeren Kiemen waren noch in Form kurzer ge- schrumpfter Stummel vorhanden. Dagegen war die Kiemenhöhle bereits geschlossen. Auf. Querschnitten zeigte sich zwischen dem zweiten und dritten, so wie zwischen dem dritten und vierten noch vorhandenen knorpeligen Kiemenbogen die Reste der vierten und fünften Kiemenspalten in Form unregelmäßiger länglicher Gebilde, die sich aus Epithelzellen zusammensetzen und nur durch Anein- anderlagerung und Schrumpfung der Kiemenplatten entstanden sein können. In den mir vorliegenden Exemplaren waren nur den beiden ge- nannten Spalten entsprechende Reste vorhanden. Dass bestimmte, dorsale oder ventrale Theile bei der Zusammensetzung dieser Kör- per besonders bevorzugt gewesen wären, kann ich nicht behaupten. Aus den oben genannten Befunden bei erwachsenen Tritonen ergiebt sich, dass auch Reste von vorderen Kiemenspalten erhalten sein können. In der Regel persistiren allerdings zwei Körperchen. Auch an einem Exemplar von Salamandra maeulata, welches gerade die Metamorphose überstanden hatte, fand ich die erwähnten 368 Fr. Maurer Reste der vierten und fiinften Kiemenspalte. Sie lagen der Kon- vexität der zweiten und dritten Arterienbogen jederseits an und be- standen in einem soliden zusammengeknäuelten Zellschlauch. Die Rückbildung der Kiemenbogenknorpel war erfolgt, die Carotidendrüse stellte bereits ein mächtiges Gebilde dar, so dass mir auch hier die Feststellung einer Betheiligung von Epithel an ihrer Bildung unmög- lich wurde. Das Thier besaß bei alledem noch deutliche äußere Kiemenstummel. Aus den geschilderten Befunden ergiebt sich, dass bei Urodelen die Verhältnisse in Betreff des postbranchialen Körpers, sowie der Thymus und der Kiemenreste andere sind wie bei Anuren. Die Sehilddrüse entwickelt sich wie bei Anuren nur aus einer un- paaren Anlage, die sehr früh durch Theilung paarig wird. Die Thymus entwickelt sich ganz verschieden von der Anurenthymus. Es entstehen bei Siredon fünf Epithelknospen, den fünf Schlund- spalten entsprechend von deren dorsalen Schenkeln. Die zwei vorderen bilden sich sehr früh zurück, während die drei hinteren persistiren. Bei Salamandra bestehen in dem frühesten Stadium, welches mir zur Verfügung stand, jederseits drei dicht zusammen- liegende Thymusschläuche, die unzweifelhaft den drei hinteren Knos- pen des Axolotl entsprachen. Bei Triton konnte ich die Rückbil- dung der zwei vordersten Thymusknospen eben so nachweisen, wie bei Siredon. Die bleibende Thymus, weiter hinten liegend, stellt ein _ bohnenförmiges Körperchen dar, von welchem es mir nicht gelang, zu entscheiden, ob es nur einer hinteren Knospe entspricht oder durch Verschmelzung aus dreien hervorgegangen ist. Jedenfalls entsteht die Urodelenthymus aus. dorsalen Epithelknospen hinterer Kiemenspalten, während die zweite Knospe, die bei Anuren die Thymus hervorgehen lässt, sich sehr früh mit der ersten Knospe rückbildet. Letztere erlitt bei Anuren das gleiche Schicksal. Der postbranchiale Körper bildet sich bei Urodelen nur linksseitig aus. Bei Triton und Siredon wurde seine Entwicklung beschrieben. Sie erfolgt hinter der letzten Kiemenspalte der linken Seite, in Form eines Zellzapfens, der sich als solides Knötchen abschnürt. Dasselbe wächst in die Länge und stellt einen schräg von vorn und medial nach hinten und lateralwärts verlaufenden Kanal dar mit sehr engem Lumen und von hohen Epithelzellen ausgekleidet. Er lagert links neben dem Aditus laryngis, direkt unter der ventralen Schlundwand. Die Kiemenreste finden sich in viel einfacherer Form als bei Anuren. Während der Larvenperiode findet sich weder die Andeu- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 369 tung einer Carotidendriise noch die Anlage von Epithelkörperchen, wie bei Anuren. Erst mit der Riickbildung des Kiemenapparates entwickelt sich die Carotidendriise. Von dieser muss ich es dahin ge- stellt sein lassen, ob Epithelzellen sich an ihrer Bildung betheiligen. Ferner bleiben als Reste der dritten und vierten Kiemenspalten zwei Epithelkörper bestehen, ovale Knötchen von solidem Bau, welche entweder zwischen den großen Arterienbogen sich finden, oder deren Konvexität angelagert sind. Während sie bei jungen Thieren von Triton und Salamandra. ein Konvolut von soliden Epithelzellschläu- chen darstellen, nehmen sie beim alten Triton taeniatus einen Bau an, wie ihn die Epithelkörperchen beim Frosche besitzen; d. h. sie bestehen aus unregelmäßigen Gruppen von Epithelzellen, welche durch Züge von Bindegewebe von einander getrennt sind. Bei alten Exemplaren von Triton alpestris und Salamandra maculata hatten sie ihren früheren Charakter bewahrt. Andere Kiemenreste. wie sie sich bei Anuren in der Form der ventralen, mittleren und dorsalen Reste fanden. fehlen bei Uro- delen stets. Zu den Holzschnitten. Schematische Darstellung der Schilddrüse, Thymus, Carotidendrüse, Epi- thelkörper und Kiemenreste in ihrer Beziehung zum Kiemenapparat bei Uro- delen und Anuren, im Larvenzustand und nach der Metamorphose. Seitliche Ansicht. Bezeichnung für alle Figuren: K Kieferbogen; H Zungenbeinbogen; I—IV die betreffenden Kiemen- bogen; 1—5 die Kiemenspalten; 2 Schilddrüse; 2%, —,,,,, Thymus; e.d Carotiden- drüse; e, e,, e,, Epithelkörper; p postbranchialer Körper; v.Kr, m.Kr, d.Kr ventrale, mittlere und dorsale Kiemenreste der Anuren. " I Urodelenlarven. Fünf Thymuskörper, von welchen sich die zwei ersten frühzeitig rückbilden. Schilddrüse, postbranchialer Körper. Letzterer Morpholog. Jahrbuch. 13. 24 370 Fr. Maurer nur links vorhanden. Carotidendriise und Epithelkörper sind noch nicht ent- wickelt. II. Anurenlarven. Nur zwei Thymuskörper, von welchen sich der erste früh riickbildet, Schilddrüse, postbranchialer Körper. Letzterer auf bei- den Seiten entwickelt. Carotidendrüse am ersten Kiemenbogen zwischen a, (erste Kiemenarterie), und v, (ventrale Fortsetzung der ersten Kiemenvene, später Carotis externa), in ihrer epithelialen Anlage entwickelt. Die Epithel- körper e, und e, vor der zweiten (a,,) resp. dritten (a,,,) Kiemenarterie, am zweiten und dritten Kiemenbogen entwickelt. thm Han Il. Triton nach der Metamorphose. K.H.Z Unterkiefer-Zungenbein- apparat. Neben Schilddriise, Thymus, die sich aus den drei hinteren Thymus- körpern der Larve entwickelt und dem nur linksseitig vorhandenen postbran- chialen Körper besteht seit der Metamorphose die Carotidendrüse und zwei Epithelkörper. Vergleiche Fig. V, « und ß. IV. Frosch nach der Metamorphose. K.H Unterkiefer - Zungen- bein. Nur die zweite Thymusknospe bildet die bleibende Thymus. Schild- drüse, postbranchialer Körper (auf beiden Seiten entwickelt). Carotidendrüse, zwei Epithelkörper, wie bei der Larve. Dazu kommen ventrale und dorsale Kiemenreste. Erstere bleiben während des ganzen Lebens erhalten, letztere bilden sich im ersten Jahre nach der Metamorphose zurück. Zu ihrer Bildung vergleiche Fig. Via und 6. V. Schema einer Urodelenkieme. a) bei der Larve; 3) in der Metamorphose. a) aK äußere Kieme; Ap Kiemenplatte; Op Kiemendeckel; r 8) äußere Kieme geschrumpft, verschwindet. Kp die rückgebildete Kiemen- platte, schrumpft gleichfalls, verschwindet aber nicht, sondern bildet Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 371 mit einer benachbarten zusammenschlieBend, unter Verschluss der betr. Kiemenspalte, ein Epithelkörperchen e und vorn am ersten Bo- gen die Carotidendriise (?) (vgl. Fig. III). Diese Gebilde, welche hier erst zur Zeit der Metamorphose auftreten, entwickeln sich bei Anuren schon in früher Larvenperiode. VI. Schema einer inneren Anurenkieme. a) bei der Larve, ß) in der Metamorphose. a) Op Kiemendeckel; Ah Kiemenhöhle; Kb Kiemenbiischel; e Epithel- knospe, die zur Bildung des Epithelkörpers führt. ß) Obliteration der Kiemenhöhle AA; Bildung von ventralen, mittleren und dorsalen Kiemenresten. Die ventralen bleiben bei Rana erhalten (vgl. Fig. IV) (ihre Lagerung zum Epithelkörper). Die mittleren per- sistiren bei Bufo, Bombinator, Hyla. Die dorsalen werden bei allen früh rückgebildet (Fig. IV). Vergleichung der Ergebnisse. Wenn man die Befunde bei Anuren und Urodelen übersieht (vgl. die Holzschnitte), so ergiebt sich, dass bloß die unpaare An- lage der Schilddrüse in dieser Klasse eine durchgehends gleichartige ist. Alle übrigen drüsigen Gebilde, welche im Anschluss an die Kiemenspalten entstehen, sind durchaus verschieden. Die Thymus bildet sich bei Anuren aus einer dorsalen Epithel- knospe der zweiten Kiemenspalte, während dies Organ bei Sala- mandra und Siredon aus gleichen Gebilden der dritten, vierten und fünften Spalte entsteht. Bei den genannten Formen verschmelzen diese drei Knospen nach der Abschnürung zu einer einheitlichen ge- lappten Masse, während bei Gymnophionen, die ich leider nicht in den Kreis der Beobachtung einziehen konnte, nach den Abbildungen von WIEDERSHEIM drei bis vier getrennte Thymuskörper hinter ein- ander erhalten bleiben. Die wahre Thymus entwickelt sich dem- nach bei Amphibien stets aus dorsalen Knospen der Kiemenspalten, wie dies auch bei Selachiern, Teleostiern, ferner bei Reptilien und Vögeln der Fall ist (s. Einleitung). Es fehlt hier jeder Hinweis auf die Thymusbildung der Säugethiere, welche aus ventralen Theilen der dritten Kiemenspalten, oder nach Hıs aus dem Sinus praecervicalis sich bildet. Der postbranchiale Körper ist bei Anuren paarig angelegt, bei Urodelen nur auf der linken Seite vorhanden. Seine erste Anlage (bei Anuren eine halbkugelige Ausbuchtung der ventralen Schlund- wand hinter der letzten Kiemenspalte, bei Urodelen ein solider Zapfen an gleicher Stelle) differenzirt sich nach der Abschnürung verschieden- 24* 372 Fr. Maurer artig. Bei Anuren wird er entweder zu einem einzigen großen Epithelbläschen, beiderseits vom Aditus laryngis gelegen, oder er stellt einen Komplex von vier bis sechs kleineren Bläschen dar. Die Wandung der Bläschen wird von Cylinderepithel ausgekleidet, das zuweilen Flimmern trägt. Im weiten Lumen findet sich Flüssigkeit. Bei Urodelen wächst das nur links vorhandene Ge- bilde zu einem langen Zellschlauche aus, der im Anfang ein sehr feines Lumen besitzt und von Cylinderepithel ausgekleidet ist, später schnüren sich zuweilen, aber nicht regelmäßig, einzelne kürzere Stücke von diesem Schlauche ab. Das Lumen kann sehr weit werden, es tritt aber niemals Colloid darin auf. Dadurch unterscheidet es sich auch wesentlich in histologischer Beziehung von der Schilddrüse. Es mag hier der Platz sein, auf das Verhältnis dieser Gebilde zur Schilddrüse etwas einzugehen. Es sind die gleichen Dinge, die schon durch van BEMMELEN als Supraperikardialkörper geschildert wurden und die Meuron als glandes thyroides accessoires bei allen Wirbelthieren beschrieben hat. Wenn wir die Schilddrüse betrachten, so entwickelt sie sich allen vorliegenden Untersuchungen nach bei niederen Wirbelthieren bis zu den Vögeln hin aus einer unpaaren Anlage, und das Epithelbläschen differenzirt sich stets zu einem - ganz charakteristischen Gewebe, das in Form von kleinen Aeinis sich darstellt, in deren Lumen stets schon sehr frühzeitig Colloid auftritt. Es ist dies somit ein vollkommen typisches Gewebe, das nur der Schilddrüse zukommt, für sie charakteristisch ist. Dass in früheren Zuständen kein Colloid da ist, ändert daran nichts, es ent- wickelt sich stets aus der Anlage das genannte Gewebe. Auch spä- tere Degenerationen, die häufig auftreten, können nicht hindern, dass wir im Schilddriisengewebe ein für dieses Organ specifisches Gewebe erblieken müssen. Wenn nun an anderen Stellen der Kiemenschlund- höhle epitheliale Abschnürungen auftreten, welche in Folge des epi- thelialen Baues mit gewissen Zuständen des Schilddrüsengewebes Ähnlichkeit besitzen, so ist man doch nicht berechtigt, das Gebilde als eine Nebenschilddrüse zu bezeichnen. Es ist mir in keinem Falle gelungen, bei Amphibien Colloid im Lumen solcher Gebilde zu finden und daraus ergiebt sich, dass wir es nicht mit Schild- drüsengewebe zu thun haben, wenn es auch epitheliale Bläschen oder Schläuche sind. Es bleibt dabei natürlich die Thatsache be- stehen, dass es bei Amphibien sehr häufig zur Bildung von wirk- lichen Nebenschilddrüsen kommt, welche aber stets als aus der Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 373 unpaaren Anlage abgetrennte Theile nachgewiesen werden können. Diese zeigen denn auch wirklich colloidhaltiges Schilddriisengewebe. Wenn nun die postbranchialen Körper mit der Schilddrüse histo- logisch nichts zu thun haben, so fragt es sich, wie sie ihrer Genese nach aufzufassen sind. Sie entwickeln sich stets hinter dem eigentlichen Kiemenapparat und zwar paarig oder nur linksseitig. Sie wurden von BEMMELEN als rudimentäre Kiemenspalte gedeutet und das einseitige Auftreten, das auch bei einigen Klassen der Reptilien vorkommt, brachte MEU- RON in Einklang mit der verschiedenen Anzahl von Kiemenspalten auf beiden Seiten, wie sie bei Bdellostoma heterotrema sich findet. Nun gst es mir aber sehr fraglich, ob die postbranchialen Körper, die sich auf beiden Seiten entwickeln, den nur einseitig auftretenden ohne Weiteres homolog sind. Die Abschnürungen im Bereich der Kiemenhöhle sind bei Anuren und Urodelen schon so verschieden- artig, dass ein Homologisiren sehr schwer ist. Aus der linksseitigen Anlage des postbranchialen Körpers bei Urodelen geht ein langer Epithelschlauch hervor, während die paarigen Gebilde bei Anuren kleine Bläschen bleiben. Vergleichen wir hiermit die Befunde, wie sie über die anderen Wirbelthierklassen vorliegen: Bei Selachiern fand sich der postbranchiale Körper hinter der sechsten Kiemenspalte paarig, bei Heptanchus fehlt er hinter der siebenten Spalte, bei Chimaera ist er vorhanden und zwar hinter der spurlos verschwindenden sechsten Spalte (van BEMMELEN). Bei eini- gen Teleostiern (Salmo, Esox, Cottus, Gasterosteus, Leueiscus, Barbus, Cyprinus) vermisste ich jede Spur eines postbranchialen Körpers hinter der fünften Kiemenspalte. Bei Amphibien ist er verschieden, bei Anuren paarig in Bläschenform, bei Urodelen linksseitig als beider- seits blind geschlossener Kanal. Bei Reptilien ist er eben so ver- schieden nach van BEMMELEN und Meuron, bald paarig, bald nur linksseitig. Bei Vögeln sind die Verhältnisse noch unklar. Von dem Gebilde, das Mruron als glandes thyroides accessoires dem Supraperikardialkörper van BEMMELEN’s homolog erklärt, sagt letz- terer, dass er mit diesem Körper nichts zu thun habe. Ob ferner die paarigen Gebilde, welche sich bei Säugethieren von der vierten Kiemenspalte aus jederseits bilden und die seitlichen Schilddrüsen- lappen bilden, etwas mit den postbranchialen Körpern niederer Wirbelthiere zu thun haben, muss ich, da mir eigene Erfahrungen fehlen, ganz dahin gestellt sein lassen. 374 Fr. Maurer Bei Amphibien sind die geschilderten Körper jedenfalls immer getrennt von der Schilddriise und in ihrem Bau in der beschriebenen Weise verschieden von ihr. Die Deutung ihrer phylogenetischen Be- deutung ist sehr schwierig. Dass die paarigen Gebilde rudimentäre Kiemenspalten darstellen, hat viel Bestechendes, doch spricht auch Manches dagegen. Dass die Rückbildung des Kiemenapparates phylogenetisch von hinten her erfolgt und somit bei Verringerung der Kiemenspalten hinter den Übrigbleibenden Reste der Rückgebildeten sich finden können, ist ohne Weiteres zuzugeben. Nur ist in dem Fall bei Chimaera, wie ihn van BEMMELEN geschildert hat, dann unver- ständlich, warum der Rest der siebenten Spalte eine größere Bedeu- tung haben soll, wie die sechste Spalte, die vollkommen verschwindet. — Von den vorderen Kiemenspalten bleiben in der ontogenetischen Riickbildung bei Amphibien auch Reste, dieselben sind aber kom- pakt gebaut, im Gegensatz zu den postbranchialen Körpern. Im Hinblick auf die verschiedenen Befunde bei Anuren und Urodelen kann ich nur sagen, dass bei Amphibien am hinteren Ende der Kiemenhöhle gleichzeitig mit der Bildung der Kiemenspalten Ab- schnürungen des Epithels sich bilden, die aber später ein verschie- denes Verhalten zeigen. Solche Gebilde fehlen bei Teleostiern. Wenn die paarigen Gebilde bei Anuren als Reste von Kiemen- spalten aufgefasst werden, so bleibt doch der linksseitige Körper bei Urodelen unerkliirt. Wenn Meuron zur Erklärung eines solchen Gebildes bei Eidechsen Bdellostoma heterotrema in Anspruch nimmt, so ist es gerade so gut zulässig, dass der lange schlauchförmige Körper bei Urodelen mit dem Ductus oesophago-cutaneus, der bei Bdellostoma sich stets einseitig findet, verglichen werde. Der Will- kür ist dabei Thür und Thor geöffnet, ohne dass eine befriedigende Lösung gefunden wird. Überbliekt man ferner die Reste, die sich bei Anuren und Uro- delen von den vorderen Kiemenspalten erhalten, so sind sie in den beiden Gruppen ganz verschieden, gemäß der verschiedenen Ent- faltung der Kiemen. Auffallend ist einmal die epitheliale Anlage der Carotidendriise bei Anuren in früher Larvenperiode und zugleich damit das Auftreten von kleinen Epithelabschnürungen der dritten und vierten Kiemenspalten (Epithelkörperchen). Im Gegensatz hier- zu legt sich bei Urodelen die Carotidendrüse erst während der Meta- morphose an. Ob epitheliale Elemente sich daran betheiligen, konnte ich nicht entscheiden. Eben so bilden sich Epithelkörper bei Uro- Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 375 delen erst während der Metamorphose. Wenn wir die Carotiden- drüse der Anuren mit derjenigen der Urodelen für homolog halten dürfen, so müssen wir dies auch in Bezug auf die Epithelkörperchen thun. Hierfür spricht auch der Bau dieser Körperchen. Bei Triton taeniatus gleichen sie vollkommen den Epithelkörpern der Frösche. Bei Urodelen bilden sich dieselben erst während des Zugrundegehens der Kiemenplatten als Reste dieser aus. Bei Fröschen bilden sie sich viel früher, wenn sich die bei Urodelen fehlenden inneren Kie- menbüschel entwickeln, und zwar werden sie ventral von diesen ent- wickelt. Man kann in diesen Körperchen bei Anuren daher die früh rückgebildeten Rudimente der Kiemenplatten der Urodelen er- blicken. Die inneren Kiemen der Anuren sind dann, wie es auch der Fall ist, dorsal davon entstehende Neubildungen. Die äußere Kiemenhöhle der Anuren fehlt bei Urodelen, kann also auch keine Reste hinterlassen. Bei Anuren, wo sie in der bekannten Weise entwickelt ist, hinterlässt sie die ventralen, mittleren und dorsalen Kiemenreste, die aus atypischem gemischtem Gewebe bestehen und sich verschieden erhalten. Bei Rana bleiben die ventralen, bei Bufo, Hyla und Bombinator die mittleren zeitlebens erhalten, die dorsalen verschwinden bei allen sehr früh. Es versteht sich von selbst, dass diese Vergleiche mit einer gewissen Reserve ausgesprochen werden. Es gehört zu den Fragen betreffs der Homologie der Anuren- und Urodeienkiemen vor Allem die Kenntnis der frühen Gefäßverhältnisse bei Anurenlarven, die noch nicht genügend bekannt sind. Was die bei Anuren zum ersten Male auftretenden ventralen und mittleren Kiemenreste betrifft, so sind diese Theile, wie gesagt, geknüpft an die specielle Bildung des Kiemenapparates, im Gegen- satz zu diesen Theilen bei Urodelen. Es beginnt hier in Bezug auf die Bildung dieses Apparates eine Divergenz, die noch nicht weiter verfolgt wurde. Schon in der Einleitung wurde betont, dass Kiemenreste nur dann von weitergehender Bedeutung sein können, wenn sie nicht von den Kiemenbüscheln direkt ausgehen. Es ergab sich im Laufe der Untersuchung, dass die ventralen resp. mittleren Kiemenreste der Anuren in der That aus der Wandung der Kiemenhöhle ent- stehen, in Form einer mächtigen kompakten Wucherung. Diese tritt auf inmitten des infiltrirten Gewebes der obliterirenden Kiemen- höhle (Bufo, Hyla) oder an deren ventralem Ende (Rana) und ist unabhängig von den inneren Kiemenbüscheln. Sie ist zwar nicht an letztere geknüpft, wohl aber an die eigenthümlich gebildete 376 Fr. Maurer Kiemenhöhle der Anuren, welche bei Urodelen sich durchaus anders verhält. Von der Bildung der Kiemenhöhle hängen natürlich auch die Gebilde ab, welche nach Rückbildung jener sich finden, und von diesem Standpunkte aus muss die Entwicklung höherer Wirbelthiere gerade betreffs der Kiemenregion untersucht werden. Es wird da- durch vielleicht die eigenthümliche Entwicklung der Säugethierthymus verständlich werden. Zum Schlusse möchte ich noch darauf hinweisen, dass nach dem verschiedenen Verhalten der Kiemenreste bei Anuren und Uro- delen geschlossen werden darf, dass auch bei höheren Wirbelthieren die Befunde sich ganz verschieden stellen werden. Dies ist auch zum Theil bereits nachgewiesen. Es ist einzig und allein die vor- dere unpaare Anlage der Schilddrüse, die sich vollkommen gleich- artig findet und gleichgebaute Organe hervorgehen lässt. Diese ist es auch allein, welche schon bei Cyclostomen, wo die Ausbildung der Kiemenhöhle eine von den übrigen Vertebraten ganz verschiedene ist, sich nachweisen lässt. Aus diesem gleichartigen Verhalten bei sämmtlichen Wirbelthieren ergiebt sich diese Schilddrüse auch als das phylogenetisch älteste Gebilde im Bereiche der Kiemenhöhle, das uns selbst eine Fühlung mit niederen Thiertypen ermöglicht. Sämmtliche übrigen Gebilde, Thymus, postbranchiale Körper, Caro- tidendrüse und andere Kiemenreste unterliegen in ihrer Ausbildung Schwankungen, selbst im Bereich derselben Wirbelthierklasse. Sie passen sich den speciellen Verhältnissen an und dokumentiren sich somit als jüngere Bildungen. Heidelberg, Mai 1887. Benutzte Litteratur. 1) AFFANASSIEW, Über Bau und Entwicklung der Thymus der Säugethiere. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XIV. 1877. 2) J. Bearp, The System of branchial sense organs and their associated ganglia in Ichthyopsida. Quarterly Journal of mieroscop. Se. Nov. 1885. 3) VAN BEMMELEN, Uber vermuthliche rudimentiire Kiemenspalten bei Elas- mobranchiern. Mittheilungen der Zoolog. Station zu Neapel. 1885. 2, Heft, REN i+ Schilddriise, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 377 4) van BEMMELEN, Die Visceraltaschen und Aortenbogen bei Reptilien und Vögeln. Zoolog. Anz. Nr. 231 und 232. 1886. 5) —— Die Halsgegend der Reptilien. Zoolog. Anz. Nr. 244. 1887. 6) Boas, Über den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Amphibien. Morphol. Jahrbuch. Bd. VII. 7) —— Beiträge zur Angiologie der Amphibien. Morphol. Jahrbuch. Bd. VII. 8) Born, Uber die Derivate der embryonalen Schlundbogen und Schlund- spalten bei Säugethieren. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XXII. 1883. 9) CALBERLA, Vgl. Fig. 304. pag. 565 in: GEGENBAUR, Grundriss der ver- gleichenden Anatomie. 2. Aufl» Leipzig 1878. 10) Dourn, Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. IV. Mitthei- lungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. V. Heft 1. 11) Dusss, Recherches sur lostéologie et la myologie des Batraciens. Paris 1835. 12) FıscHeLıs, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklungsgeschichte der Glandula thyreoida und Glandula thymus. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XXV. 1885. 13) Frormr, Über Anlagen von Sinnesorganen am Facialis, Glossopharyngeus ‚und Vagus ete. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1885. 14) G6rrn, Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. 15) His, Anatomie menschlicher Embryonen. III. Zur Geschichte der Organe. Leipzig 1885. 16) KÖLLIKER, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. 2. Aufl. 1879. 17) —— Embryologische Mittheilungen. Festschrift der Naturforschenden Freunde zu Halle. 1879. 18) Lnypic, Anatomisch-histologische Untersuchungen über Fische und Rep- tilien. Berlin 1853. 19) P. DE Meuron, Recherches sur le développement du Thymus et de la glande thyroide. Geneve 1886. 20) W. MÜLLER, Uber die Entwicklung’ der Schilddrüse. Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. 21) —— Uber die Hypobranchialrinne der Tunicaten und deren Vorhandensein bei Amphioxus und den Cyclostomen. Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. 22) Scorr, Beiträge zur Entwicklung der Petromyzonten. Morphol. Jahrbuch. Bd. VII. 23) STIEDA, Untersuchungen über die Entwicklung der Glandula thymus, Glan- dula thyreoidea und Glandula carotica. Leipzig 1881. 24) Warney, The minute Anatomy of the thymus. Philosophical Transactions of the Royal society. Bd. 173. IV. London 1883. 25) WIEDERSHEIM, Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere. 2. Aufl. Jena 1886. 26) —— III. Theil von Ecker’s Anatomie des Frosches. Braunschweig 1882. 27) WÖLFLER, Uber die Entwicklung und den Bau der Schilddrüse. Berlin 1880. . Erklärung der Abbildungen. Tafel XI— XII. Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: t Schilddrüse; ih Thymus; c.d Carotidendrüse; e Epithelkörper ; p post- branchialer Körper; A Kiemenreste; aw Gehörorgan; b.o Auge; e.r Gehirn; e.b Kiemenhöhle; ¢c.l Lymphraum; a./ Kehlkopfeingang; v.j.e Vena jugularis externa; o.p Kiemendeckel; e.h.a vorderes Zungenbeinhorn ; c.h.p hinteres Zun- genbeinhorn; p.p hintere Fortsätze des Zungenbeinkörpers; a.6 Kiemenarterie; e Herz. Fig. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. 1. Vordere Körperhälfte einer 5,0 cm langen Kaulquappe von Rana escu- lenta, von der ventralen Körperfläche aus gesehen. Die Haut ist ent- fernt, sowie die inneren Kiemenbiischel und einige Muskeln des Kiefer- Kiemenapparates. Das knorpelige Kiemenskelet ist blau gehalten, die Kiemenarterien und die ventrale Fortsetzung der ersten Kiemen-. vene (v;) mit der Carotidendrüse (c.d) roth. g.A Muse. geniohyoideus; r Muse. rectus abdominis; m Vordere mediale Portion des letzten Muskels (Dugäs). ¢ Schilddrüse und e Epithelkörperchen in ihrer Lagebeziehung zu einander und zu dem Kiemenskelet und den Kie- menarterien. Kopf und Hals einer jungen 2,1 cm langen Rana esculenta, kurz nach der Metamorphose, von der ventralen Körperfläche aus gesehen. Haut und Musc. mylohyoideus entfernt. Schilddrüse (¢), Epithelkörper- chen (e) und Kiemenreste (AK), rechts nach Entfernung des Muse. sternohyoideus (s¢.h) und omohyoideus (o.k) in ihrer Beziehung zu Ge- fäßen und Nerven, links ihre Lagerung zur Muskulatur. gh Muse. ge- niohyoideus; Z Larynx; a.p Arteria pulmonalis; 7.4 Nerv. hypoglossus. Kopf und Hals einer alten Rana esculenta von 7 cm Körperlänge; wie Fig. 2. Kiemenreste (A) und Epitheikörperchen (e) etwas nach vorn gerückt. Horizontalschnitt durch die vordere Körperhälfte einer 13 mm langen Kaulquappe von Rana esculenta (vierzehn Tage nach dem Verlassen des Kies). Der Schnitt ist tief gelegt, ventral von der Mundhöhle. c.br Zungenbeinkörper; p.c Querschnitt durch seinen hinteren ven- tralen Fortsatz; ¢ Schilddrüse in Theilung begriffen, vor diesem Fort- satz; e knospenförmige Anlage der Epithelkörper zwischen erstem und zweitem, sowie zwischen zweitem und drittem Kiemenbogen an dessen ventralen Enden; c.d epitheliale Anlage der Carotidendrüse; a.b Kiemenarterie. ——— Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 16. 0. at #12, eta, 14. 15. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 379 Querschnitt durch den hinteren Kopftheil einer Kaulquappe von Rana esculenta (20 mm Länge). e Epithelkörper, links: mit seinem Mutter- boden noch in Verbindung, rechts: abgeschniirt; 6; erster Kiemen- bogen; ¢.h Zungenbeinkörper; ch.o Chorda dorsalis; g Ganglion. Horizontalschnitt wie Fig. 4 von einer Kaulquappe von Rana escu- lenta (20 mm lang). Schilddrüse in zwei Hälften getheilt. e.d epithe- liale Anlage der Carotidendrüse zwischen der ersten Kiemenarterie (a,) und der ersten Kiemenvene (v;); e Anlage der Epithelkörperchen in Abschnürung begriffen, links ist das hintere schon abgeschnürt. Die linke Epithelknospe der Fig. 5 bei starker Vergrößerung, Anlage eines Epithelkörperchens. Durchschnitt durch ein Epithelkörperchen von einer 25 mm langen Kaulquappe von Rana esculenta, bei starker Vergrößerung. Durchschnitt eines Epithelkörperchens von einer jungen 2,5 cm lan- gen Rana esculenta. Durchschnitt eines Epithelkörpers vom erwachsenen Triton taeniatus. Querschnitt durch den hinteren Kopftheil einer Kaulquappe von Rana esculenta (7 mm lang), zur Darstellung der Entwicklung des paarigen postbranchialen Körpers (p). 2 Aditus laryngis, 2, 3 und 4 die betr. -Kiemenbogen. a«a.K hinterster äußerer Kiemenfortsatz ; a Aortenwurzeln; g Ganglion. Schnitt durch einen postbranchialen Körper von einer 12 mm langen Kaulquappe von Rana esculenta. Seitlicher Sagittalschnitt der vorderen Körperhälfte einer 12 mm lan- gen Kaulquappe von Rana esculenta zur Darstellung der epithelialen Anlage der Carotidendrüse (e.d); a, erste Kiemenarterie (Querschnitt), an der Stelle, wo sie in den ersten Kiemenbogen eintritt; vı Quer- schnitt der ventralen Fortsetzung der ersten Kiemenvene, wo sie die- sen Bogen verlässt. Vergleiche den Horizontalschnitt Fig. 6, der einem etwas älteren Stadium entspricht. {A Thymusanlage, schon abge- schnürt, der vorderen Fläche des Ganglion facialis (g.f) anlagernd. H Zungenbeinbogen (Knorpel). JZ, II, III, IV Knorpel der betr. Kiemenbogen. n Nasengrube. Die epitheliale Anlage der Carotidendrüse von Fig. 13 bei starker Vergrößerung. K.v, erste Kiemenvene; K.a, erste Kiemenarterie ; e.d Epithelknospe der Carotidendrüse. Querschnitt durch den mittleren Kopftheil einer großen Kaulquappe von Rana esculenta, welche im Beginn der Metamorphose steht. Die vorderen Extremitäten sind gerade durchgebrochen. Die dorsal vom Lumen der Mundhöhle (2) gelegenen Theile sind weggelassen. Schild- drüse (2), Epithelkörper (e) und erste Andeutung zur Entstehung ven- traler Kiemenreste (e.X) in Form einer soliden Wucherung des ven- tralen Endes der Kiemenhöhle (c.b). 7.4 innere Kiemenbüschel; a«a.ba zweite Kiemenarterie; % Knorpel des Hyoidbogens; K,, K, Knorpel des ersten und zweiten Kiemenbogens; c.h hinteres getheiltes Ende des Zungenbeinkörpers. Kombinirter Querschnitt des Kopftheils einer jungen Rana esculenta, die gerade den Schwanz verloren hat, somit am Ende der Metamor- phose steht (kombinirt aus einer Serie von 25 Schnitten bei einer Schnittdicke von !/;„ mm). Dorsal vom Lumen der Mundhöhle ge- 380 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ible 19% a2le 22. Fr. Maurer legene Theile weggelassen. Die Schnitte, die innerhalb des Bereichs der obliterirenden Kiemenhöhle (c.b) liegen, sind kombinirt zur Ver- anschaulichung der Bildung von Kiemenresten (X, links). Rechts zeigt v den Theil der obliterirenden Kiemenhöhle an, wo die ventra- len (Rana), m den Theil, wo die mittleren (Bufo, Hyla, Bombinator) Kiemenreste sich bilden. Die Epithelkörperchen (e) sind in die Masse der obliterirenden Kiemenhöhle hineingezeichnet, liegen eigentlich ge- rade davor, würden also im Bild von jener gedeckt. Zur Darstellung der gegenseitigen Lagebeziehungen von Schild- drüse (¢), Kiemenresten (X), Epithelkörperchen (e), Carotidendrüse (e.d), postbranchialem Körper {p) und Thymus (fh), « Rest der Kopf- niere; st.h Muse. sternohyoideus; A.g. Musc. hyoglossus; Z Kehlkopf- eingang. Kombinirter Schnitt der gleichen Gegend wie Fig. 16, von einer jun- gen Rana esculenta von 2,1 cm Körperlänge, sechs Wochen nach der Metamorphose. Bezeichnungen wie bei Fig. 16. K.v die mächtig entwickelten ventralen Kiemenreste, m die spärlichen, im Verschwin- den begriffenen mittleren Kiemenreste, welche bei Bufo, Hyla und Bombinator sich mächtiger entwickeln. Kombinirter Querschnitt aus dem Kopftheil einer Kaufe von 7 mm Länge. Die rechte Seite zeigt die Theile im Bereich des Hyoid- bogens, die linke weiter hinten gelegene Theile, im Bereich des ersten Kiemenbogens. Darstellung der beiden Thymusknospen th, und the; V Ganglion nerv. trigemini; g.f Ganglion nerv. facialis; a.b, erste Kiemenarterie; v.b, erste Kiemenvene; A Hyoidbogen; A, erster. Kiemenbogen; v.j Jugularvene. Medianer Sagittalschnitt der vorderen Körperhälfte einer 8 mm langen Larve von Rana esculenta. Lagebeziehung der medianen Schilddrüsen- anlage (¢) zum Kiemenarterienstamm (a.b) ; h.p Leber; v.c Herzschlauch. Schnitt durch die Thymus einer 17 mm langen Kaulquappe von Rana esculenta. M.e Marksubstanz, zum großen Theil aus Epithelzellen bestehend; R./ Rindensubstanz, die Epithelzellen der Anlage durch Massen von Rundzellen aus einander gedrängt; v Arterie, in einer intermediären Zone sich vertheilend. Elemente der Thymus von Rana esculenta und temporaria aus ver- schiedenen Entwicklungsstadien und im Alter. (S. Berichtigung pag. 382.) a) Rana esculenta. Larve 20 mm lang. a) Epithelzellen der Thymus; s rothe Blutkörperchen. b) Rana temporaria. Larve 25 mm lang. §) Rundzellen der Thymus, c) Rana esculenta in Metamorphose, d) - - nach Schwanzverlust (2 cm lang), e) - - 2,3 cm lang, f) - - 7 cm lang, ) - temporaria 6 cm lang, ) - - 5,5 em lang, ¢ Epitheleyste der Thymus. Verschiedene Formen der Einschaltung der Tritonenschilddriise in den venösen Kreislauf, von der ventralen Körperfläche aus gesehen. e.c Carotis communis; e.d Carotidendriise; c.. Carotis interna; Fig. 102929, Fig. Fig. 23. 28. 30. 31. Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. 381 c.e Carotis externa; v.j.e Vena jugularis externa; ¢ Schilddrüse ; a und 5 Triton alpestris (altes Exemplar), ce und d Triton taeniatus, e entspricht 5 von der Seite gesehen. Die Pfeile zeigen die Richtung des venösen Blutstromes nach dem Herzen zu. a, b und e Arterienbogen der linken Seite von drei Exemplaren von Triton alpestris mit Schilddrüse und angelagerten Epithelkörpern. Letztere bei a und 5b von den Arterienbogen direkt Äste empfan- gend (v), bei e von der Carotis externa versorgt (v); é Truncus arte- riosus; A Aortenwurzel; J, JZ, III, IV die betr. Arterienbogen ; e.d Carotidendrüse; ce.’ Carotis interna; c.e Carotis externa; a.p Ar- teria pulmonalis; e.% Epithelkörper; ¢ Schilddrüse. Arterienbogen der linken Seite einer Salamandra maculata mit Epithel- körpern (e.4) und Thymus th. Bezeichnungen wie Fig. 23. Arterienbogen der linken Seite mit Epithelkörpern von Triton tae- niatus. Bezeichnungen wie Fig. 23. Arterienbogen der linken Seite mit Epithelkörpern von Triton crista- tus. Bezeichnungen wie Fig 23. Querschnitt durch den Kopftheil eines achtzehn Tage alten Embryo von Triton taeniatus zur Darstellung der unpaaren Anlage der Schild- driise (£); g.f Ganglion des Facialis; a.b Kiemenarterien, die aus der Theilungsgabel des S-firmig gekrümmten Herzschlauchs hervor- gehen (59/1). Tiefer Horizontalschnitt des Kopfes einer 22 Tage alten Larve von Triton taeniatus, dieselbe hat seit zwei Tagen das Ei verlassen; ¢ Mundhöhle; ce Herzschlauch; ¢ gerade abgeschniirtes Schilddriisen- bläschen, in der vorderen Theilungsgabel gelagert; pr. Perikardial- höhle (5%). Querschnitt durch den mittleren Kopftheil einer Larve von Triton taeniatus, vier Tage nach dem Verlassen des Eies; Schilddrüsenan- lage (¢) abgeschnürt und in Theilung begriffen, % Knorpel des Hyoid- bogens; k&, Knorpel des ersten Kiemenbogens; e.b noch zusammen- lagernde doppelte Epithellamelle des vorderen Theils der späteren Kiemenhöhle; o.p vorderer Theil des späteren Kiemendeckels; m.h Anlage des Muse. mylo-hyoideus. Sonstige Bezeichnungen wie in Fig. 27 (50/,). Querschnitt des Kopfes von einer Triton taeniatus-Larve, sechs Tage nach dem Ausschlüpfen. Die Schilddriisenanlage (¢) ist getheilt und die Hälften sind aus einander gerückt; A Hyoidbogen; K,, Ka Knorpel des ersten und zweiten Kiemenbogens; e.6 die Doppellamelle der Fig. 29 aus einander gewichen zur Kiemenhöhle; p.% hinterer Fortsatz der Zungenbeineopula; os uro-hyal (DuGES), vor welchem die Theilung der Schilddrüsenanlage erfolgt. sit.h Muse. sternohyoideus. g. Muse. geniohyoideus. Sonstige Bezeichnungen wie bei Fig. 27 und 29. Querschnitt durch den hinteren Kopftheil eines 7 mm langen Embryo von Siredon pisciformis zur Demonstration der vierten Thymusknospe (th 4), die mit dem Ganglion nerv. vagi (g) zusammenhängt; p Anlage des nur links vorhandenen postbranchialen Körpers; a./ Aditus laryn- 382 Fr. Maurer, Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. Fig. 32. Fig. 33. Querschnitt durch den hinteren Kopftheil eines ausgeschlüpften Sire- Fig. 34. Taf. XI Fig. 14 T!K.a! soll heißen: K.a!. Taf. XII Fig. 21: Die Buchstabenbezeichnungen der einzelnen Zellgruppen sind unrichtig nach Text pag. 346 und nach Figurenerklärung pag. 380 unten: vi Taf. XIII Fig. 30 %.g soll heißen: st.A d. i. Musc. sternohyoideus, vgl. Text pag. 360. gis; s.pa noch nicht durchgebrochene vierte Kiemenspalte; Mund- höhle; e Herz; m Muskelquerschnitte. u Die zweite Thymusknospe eines Siredonembryo von 9,5 em Länge, bei starker Vergrößerung. Die Knospe steht kurz vor der Abschnü- rung. don piseiformis (1 em lang). Vgl. Fig. 31. th, vierter abgeschniirter Thymuskörper; g Vagusganglion; p postbranchialer Körper gerade abgeschnürt; 2, 3, 4 die betreffenden Kiemenbogen. Sonstige Bezeich- nungen wie Fig. 31. Seitlicher Sagittalschnitt, aus vier Schnitten kombinirt von einem 11 mm langen Siredon pisciformis, zur Demonstration der fünf abge- schnürten Thymuskörper (45); H Knorpel des Hyoidbogens; 7— III die Kiemenbogenknorpel; g.g Ganglion des Trigeminus. Berichtigung einiger Tafelbezeichnungen: a soll heißen 5, b - - 9 Ca - h, d - - a, e a - es er! I = T, e, ne & F.Maurer del. Lih Anst.vE A Funks leipzig. 7 at Verlag y Wilh. Engelmann in Lup20. Taf All. PRN Peden een te pny, eek Fig. 17. er eters? 2 E Maurer del. * TithAnst-v. B.A Funke, Tea. Tat XU. —s u Gsnerunenenin ann "ra Wilh. Engelmann ss =ipsi, Taf XU. [Morph Jahrb Ba Xill Are, sem, = ae ), eb. Ag PE ky gh mit En Toth Punch A Buche Leg Verogy Wilh. Engelmam in par Die Kiemen und ihre Gefäße bei Urodelen und Anuren. Mittheilung von Dr. Fr. Maurer. ; Wenn in der vorhergehenden Arbeit die Verhältnisse der Ausbildung und Rückbildung der Kiemen bei Anuren besprochen wurden, so ist es selbstver- ständlich, dass dabei auch die Gefäßverhältnisse dieser Theile zur Beobachtung gi kamen. Diese Dinge überschritten die Aufgabe der vorliegenden Arbeit, wur- den aber zur genaueren Besprechung für die nächste Zeit in Aussicht ge- nommen. Die leitenden Gesichtspunkte und die Resultate will ich, so weit bis jetzt möglich, im Folgenden kurz zur Kenntnis bringen. 5 Seither wurden stets die Anuren und Urodelen in Betreff ihres Kiemen- > apparates für so grundverschieden gehalten, dass man nirgends auch nur einen Versuch findet, die beiden Amphibiengruppen in dieser Beziehung mit einander näher zu vergleichen. Uber die Gefüßverhältnisse bei Urodelen sind wir durch die Arbeiten von Boas (Morph. Jahrbuch. Bd. VII und VIII) unterrichtet. Auch die Gefäße der Anuren werden dort behandelt, aber leider nur von dem Stadium an, in welchem die Larve schon den Apparat der inneren, d. h. in dem Kiemensack eingeschlossenen Kiemen besitzt. Die frühesten Stadien finde ich nur bei Rus- CONI in der klassischen Schrift Développement de la grenouille commune, Mi- lan 1826. Dort ist, so weit man die Verhältnisse bei Lupenvergrößerung be- urtheilen kann, das Bestmögliche geleistet, doch genügt dies für die heutige Fragestellung nicht mehr. Wenn wir bei Urodelenlarven (Salamandra, Triton) sahen, dass nicht die ganze Kiemenarterie in die äußeren Kiemen eintritt, sondern dass die drei vorderen Kiemenarterien vorher je einen Ast abgeben, welcher sich direkt in die Kiemenvene des gleichen Bogens ergießt, so fragt sich zunächst, ob bei den Anurenlarven in der Zeit, wo sie äußere Kiemen besitzen, nicht ein ähn-. liches Verhältnis besteht. Dies ist der Fall. Bei Larven von Rana temporaria, die eine Länge von 6,0 mm besitzen, zeigen sich an den beiden ersten Kiemenbogen bereits kurze verzweigte äußere Kiemen, an dem dritten Bogen besteht nur ein kleiner Stummel. Die drei Kiemenarterien theilen sich jede in zwei Äste, von welchen der eine in die äußere Kieme tritt und sich dort verzweigt, der andere aber sich direkt in die Kiemenyene ergießt, d. h. sich mit ‘der aus der äußeren Kieme kommenden Vene vereinigt. Dieses Stadium entspricht genau dem bleibenden Zustand bei Urodelenlarven. Wo entwickeln sich nun die inneren Anurenkiemen? Gerade an der | Strecke, den die direkte Anastomose von ihrem Abgang von der Kiemenarterie bis zu ihrem Eintritt in die äußere Kiemenvene 384 Fr. Maurer, Die Kiemen und ihre Gefäße bei Urodelen und Anuren. durchliuft. Der Zustand, der bei Urodelen den bleibenden darstellt, ist also bei Anurenlarven nur ein voriibergehender. Es stellen die Urodelen einen ur- spriinglicheren Zustand dar als die Anuren, weil sich bei letzteren aus dem primiir vorhandenen Zustand sekundir ein bleibender entwickelt, der bei Urodelen nicht zur Ausbildung kommt. Diese Auffassung wird bestiitigt durch das Verhalten, welches der pri- märe Kiemenapparat im weiteren Verlauf zeigt. Bei Anuren werden die äußeren Kiemen sehr früh vollständig riickgebildet; bei Urodelen erst während der Me- tamorphose. Die Kiemenplatten der Urodelenlarven bilden sich ebenfalls bei der Metamorphose zuriick, hinterlassen aber, indem sie sich zusammenlegen und ihren Zusammenhang mit der Schlundhöhle und der äußeren Haut aufgeben, konstant epithelial gebaute Reste in Form kleiner ovaler Epithelkörperchen, die den bleibenden Arterienbogen anliegen. Synchron mit diesen entsteht die Carotidendrüse. Diese Epithelkörperchen, sowie die Carotidendrüse nun treten bei Anurenlarven in sehr früher Larvenperiode auf, zur Zeit, wo sich die inneren Kiemen entwickeln; und zwar entstehen sie ventral von diesen. Es entwickeln sich somit die inneren Anurenkiemen zwischen der Kiemenplatte und den äußeren Kiemen der Urodelen in der intermediären Zone, die durch den Verlauf der direkten Anastomose zwischen Kiemenarterie und Kiemenvene bei Urodelen dargestellt ist. — Für die Homologie der inneren Kiemenvene bei Anuren mit der bezeichneten Anastomose bei Urodelen spricht auch die Thatsache, dass beide zum bleibenden Gefäßbogen nach der Metamorphose werden. Die Kiemenvene der älteren Anurenlarve, welche später zum bleibenden Arterienbogen wird, stellt zugleich den ontogenetisch primär angelegten Gefäß- bogen dar. Er tritt nur sehr kurze Zeit mit der vom Herzen kommenden Kie- menarterie in direkte Verbindung. Mit der Ausbildung der inneren Kiemen hört die ventrale Kommunikation auf, um erst bei der Metamorphose sich wie- der herzustellen. Zur Bekräftigung der geschilderten Beziehungen musste auch die allererste Entwicklung der Kiemenarterienbogen bei Urodelen, sowie bei Anuren unter- sucht werden. Hierbei fand sich eine auffallende Differenz. Während bei Anurenlarven der Gefäßbogen des späteren ersten Kiemenbogens das stärkste Gefäß in der Anlage darstellt und zuerst mit dem Herzschlauch in Verbindung tritt, bildet sich bei Urodelen zuerst ein mächtiger Gefäßbogen im Kieferbogen aus, und mit diesem vereinigt sich zuerst die Herzanlage. Bei Tritonlarven kommt es am Kieferbogen sogar zur Bildung einer äußeren Kieme, indem sich in den bekannten früh verschwindenden Bartfaden eine Gefäßschlinge von die- sem ersten Kiefergefäßbogen erstreckt. Bei Siredonlarven fehlt eine solche Kiemenbildung, doch besteht auch hier zuerst ein Gefäßbogen im Kieferbogen und kurz danach bilden sich erst, wie bei Tritonen, die Gefäßbogen des ersten bis vierten Kiemenbogens aus. Genaueres hierüber bleibt für die nächste Zeit vorbehalten. Heidelberg, im November 1887. ge x Ben Uber Gonactinia prolifera Sars, eine durch Quertheilung sich vermehrende Actinie. Von F. Blochmann und €. Hilger. Mit Tafel XIV und XV. Bei unserem Aufenthalte in Alverstrommen in der Nähe von Ber- gen in Norwegen fanden wir gelegentlich die kleine, von M. Sars! entdeckte und unter dem Namen Actinia prolifera Sars beschriebene Actinie wieder, welche sich regelmäßig durch Quertheilung vermehrt. Bei dem großen Interesse, das diese Art der Fortpflanzung bei den Actinien hat, war es natürlich, dass wir bestrebt waren, den Vor- gang genauer zu untersuchen. Leider konnten wir unsere Beobach- tungen nicht längere Zeit fortsetzen, da es uns erst in der letzten Woche unseres Aufenthaltes gelungen war, sie aufzufinden. Wir konservirten darum möglichst viele Thiere, um zu Hause die Beob- achtungen zu ergänzen und besonders auch um die systematische Stellung des Thieres durch genaue Untersuchung der Septenanord- nung zu bestimmen. Nach einigen Angaben über das Vorkommen etc. wollen wir eine Beschreibung des Thieres und seines anatomischen Baues geben, und dann den Theilungsvorgang schildern. Die Actinie fand sich in der nächsten Nähe von Alverstremmen bei einer kleinen Insel, Fladholmen, in einer Tiefe von etwa zwei ! M. Sars, Beskrivelser og Jagtagelser over nogle morkelige eller nye i Havet ved den Bergenske Kyst levende Dyr etc. Bergen 1835. pag. 11. Da dieses Werk von M. Sars sehr selten ist, so halten wir es für zweckmäßig, die Beschreibung, die er von unserer Actinie giebt, in Ubersetzung nebst Ko- pien seiner Figuren unserem Aufsatz anzufügen. cf. pag. 399. Morpholog. Jahrbuch. 13. 35 386 F. Blochmann und C. Hilger bis drei Faden ziemlich häufig auf den Schalen von Modiolaria, so- wohl auf leeren, als auch auf solchen, die noch das Thier enthielten, in Gesellschaft von Eudendrium capillare Ald. Die Zeit war Mitte Oktober. M. Sars hat sie im Bergensfjord, bei Glesvaer und Flores be- obachtet. Später (1849)! fand er sie bei Tromss in zehn bis zwanzig Fa- den Tiefe zwischen Nulliporen und bei Hammerfest, wo sie recht häufig sein soll, in derselben Tiefe auf Delesseria sinuosa und er- richtete nun für sie eine neue Gattung Gonactinia. Ferner wurde sie 1859 im Korsfjord und Herlsfjord (beide etwa zwei Meilen von Bergen) in einer Tiefe von zehn bis dreißig Faden mit Edwardsia tuberculata zusammen beobachtet?. Nach diesen Angaben scheint also unsere Actinie an der nor- wegischen Küste recht verbreitet zu sein; um so auffallender muss es erscheinen, dass keine neueren Angaben über dieselbe vorliegen, da gerade die norwegische Küste zu den häufiger von fremden Zoo- logen besuchten Gebieten gehört, und überhaupt — besonders durch die Bemühungen der einheimischen Gelehrten — einer der am besten durchforschten Meerestheile ist. Die Beschreibung, welche M. Sars von Gonactinia giebt, lässt, was die äußeren Verhältnisse und die Theilung anlangt, an Genauig- keit nichts zu wünschen übrig. Dass er die Zahl und Anordnung der Septen nicht vollständig erkannt hat, erscheint natürlich, da sich diese Verhältnisse nur auf guten Durchschnitten genau feststellen lassen. Die Beschreibung, welche wir nachstehend geben, ist darum in Bezug auf die gröberen Verhältnisse im Wesentlichen eine Wie- derholung der bereits von Sars festgestellten Befunde. Gonactinia prolifera® hat einen cylindrischen Körper; die Fuß- scheibe ist etwas verbreitert. Das Vorderende trägt einen Kranz von sechzehn Tentakeln, die in zwei alternirenden Reihen stehen. 1M. Sars, Beretning om en i Sommeren 1849 foretagne Zoologisk Reise i Lofoten og Finmarken. Nyt. Magazin f. Naturvidensk. Bd. VI. 1851. pag. 142. 2 Koren, Indberetning til Collegium academicum over en pa Offent- lige Bekostning foretagne Zoologisk Reise i Sommeren 1859. Nyt. Magaz. f. Naturvidensk. Bd. IX. 1857. pag. 93. 3 Die Vermuthung von ANDRES (Le Attinie, Fauna und Flora des Golfes “von Neapel. IX. 1884. pag. 362—363), dass Gonactinia eine Jugendform irgend einer anderen Art sei, ist wohl nicht richtig, da die Thiere schon weit ent- wickelte Geschlechtsprodukte enthalten. Uber Gonactinia prolifera Sars. 387 Die Tentakel erreichen im ausgestreckten Zustand etwa die Liinge des Körpers. Sie können sich bedeutend verkürzen, wobei ihr Epithel sich runzelt, sind jedoch nicht vollständig einziehbar: eben so wenig kann sich der Rand der Mundscheibe über sie hinweg- schlagen. Auch der Körper selbst ist fur in beschränktem Maße kontraktil. Die Mundscheibe, welche ein wenig vorgestülpt werden kann, ist gewöhnlich fast eben; der Mund ist schlitzförmig wie ge- wöhnlich. Die Farbe ist hell fleischroth, die Körperwandung stark durchscheinend, so dass das weißliche Schlundrohr in seiner ganzen Ausdehnung durch das Mauerblatt hindurch leicht wahrgenommen werden kann. Von den Septen sind nur die vier Genitalsepten deutlich von außen zu bemerken; die anderen sind zum Theil so schmal, dass sie nicht mit Sicherheit erkannt werden. Die Länge des Thieres beträgt im ausgestreckten Zustand bis zu 5 mm, im zusammengezogenen etwa 2—3 mm. Den histologi- schen Bau haben wir nicht weiter berücksichtigt, da wir uns auf die Untersuchung von konservirten Thieren beschränken mussten. Wir gehen darum gleich zur Schilderung der Septen und ihrer An- ordnung über. Die Septen sind von zweierlei Art: große, Makrosepten, und kleine, Mikrosepten. In ihrem Verlaufe weisen sie unter einander sehr bedeutende Verschiedenheiten auf, stimmen aber darin überein, dass alle mit ihrer Basis bis nahe in die Mitte der Fußscheibe vor- ragen. Septalstomata scheinen nicht vorhanden zu sein, wenigstens ge- lang es nicht, solche auf Schnitten nachzuweisen. Eben so fehlen die Acontien. Die Zahl der Scheidewände beträgt sechzehn. Davon sind acht mit dem Schlundrohr seiner ganzen Länge nach verwachsen; die übrigen acht erreichen dieses nicht und inseriren sich an der Mund- scheibe. Von den mit dem Schlundrohr verwachsenen Scheidewänden ver- laufen längs der beiden Schlundrinnen je zwei, die Richtungssepten. Diese nehmen, sobald sie außer Verbindung mit dem Schlundrohr treten, was, da die Schlundrohrzipfel tief herabhängen, erst ziemlich weit unten der Fall ist, etwas an Breite ab, verbreitern sich dann aber in nächster Nähe der Fußscheibe wieder rasch. Dies ist der Fall bei den nicht geschlechtsreifen und bei den in Theilung be- griffenen Thieren. Bei den letzteren wiederholen sich überhaupt in 25* 388 F. Blochmann und C. Hilger jedem Theilindividuum immer genau die Verhältnisse, wie sie sich bei den nicht geschlechtsreifen Exemplaren finden. Bei den geschlechtsreifen Thieren zeigt sich in so fern ein Un- terschied im Verlaufe dieser Septen, als deren freier Theil keine Ab- nahme, sondern eine Zunalime der Breite zeigt und mit Mesenterial- filamenten ausgestattet ist. Die vier anderen Makrosepten sind in allen Fällen, bei den geschlechtsreifen wie bei den nicht geschlechtsreifen Thieren, mit Mesenterialfilamenten versehen und enthalten bei den ersteren die Geschlechtsprodukte. In ihrem freien Verlauf zeigen sie eine, be- sonders bei den geschlechtsreifen Thieren, bedeutendere Breite. Bei den noch nicht geschlechtsreifen Thieren sind die acht Mi- krosepten wenig vorspringende Lamellen, welche, an der Mundscheibe beginnend, bis in die nächste Nähe der Fußscheibe ihre Breite kaum ändern, dann aber rasch breiter werden und sich als niedere Wülste auf die Fußscheibe fortsetzen. Bei der geschlechtsreifen Gonactinia« wiederholen von den acht kleinen Scheidewänden nur sechs diese Verhältnisse. Zwei, von denen je eine beiderseits zwischen den Genitalsepten steht (Fig. 6 IZZT), haben einen anderen Verlauf. Sie beginnen an der Mundscheibe als schmale Bänder, nehmen in ihrem Verlauf erst allmählich und ganz in der Nähe der Fußscheibe sehr rasch an Breite zu. Außerdem sind sie noch in ihrem letzten Viertel mit Mesenterialfilamenten ausgerüstet. Die Muskulatur der Septen ist im Allgemeinen wenig entwickelt und darum bilden die Longitudinalmuskeln auch keine erhebliche Verdiekung. Die Längsmuskelfasern sind sehr fein. Die sie tragende Stütz- lamelle hat stärkere Einfaltungen nur in der Nähe der Mundscheibe (Fig. 5, Fig. 13 Lm). Querschnitte aus dieser Region zeigen die bekannten dendritischen Verzweigungen ziemlich ausgeprägt; auf tieferliegenden Schnitten werden sie allmählich flacher und sind schließlich auf Schnitten aus der Nähe der Fußscheibe (Fig. 12 Lm) zu ganz schwachen Vorsprüngen geworden. Die transversalen Muskeln bieten nichts Bemerkenswerthes ; eben so wenig der Parietobasilarmuskel, welcher sich auf der Seite der Trans- versalmuskeln etwa bis zur halben Höhe des Mauerblattes erstreckt. Die Gruppirung der Septen bei Gonactinia ist eine recht eigen- thümliche. Es finden sich analoge Verhältnisse bei keiner bis jetzt beschriebenen Actinie. Von einem Richtungsseptenpaare, das wir das dorsale nennen Uber Gonactinia prolifera Sars. 389 wollen (Fig. 5, 6, 7 7 [DR.)), ausgehend, trifft man beiderseits auf je zwei Mikrosepten (/, //). Es folgt je ein Genitalseptum (Ma- kroseptum) (2), hierauf ein Mikroseptum (Z//), dann wieder ein Geni- talseptum (3), weiter ein Mikroseptum (/V’) und schließlich die beiden ventralen Richtungssepten (4 [V/R)). Von den acht Taschen, welche durch die Makrosepten gebildet werden, enthalten demnach zwei je zwei Mikrosepten, vier je ein, und zwei, die von den Richtungssepten begrenzten, kein solches. Zur besseren Veranschaulichung der Septenstellung auch mit Rücksicht auf die Vertheilung der Genital- und der Mesenterial- filamente tragenden Mikrosepten möge folgende Formel dienen: R—m— G—M— G—m—m—R | R—m—m— G— M— G—m—R|- wobei die Richtungssepten mit R, die Genitalsepten durch G, die Mikrosepten ohne Mesenterialfilamente mit m und die mit solchen durch M bezeichnet sind. Eine paarige Anordnung der Scheidewände ist durch ihre Ent- fernung von einander nicht gegeben. Die Zwischenräume zwischen den Septen sind ungefähr alle gleich groß, besonders in der Nähe der Mundscheibe, wo diese Verhältnisse durch die Kontraktionen der Körperwand weniger beeinflusst werden. Die Zusammengehörigkeit zweier Septen zu einem Paar lässt sich nur durch die Anordnung der Muskeln bestimmen. Die Rich- tungssepten tragen zugekehrte Transversal- und abgekehrte Longi- tudinalmuskeln, die übrigen Paare dagegen, wie dies ja, abgesehen von Palythoa (nach den Untersuchungen von Koc#! und MÜLLER?) bei den Actinien allgemein der Fall ist, zugekehrte Longitudinal- und abgewandte Transversalmuskeln. Abgesehen von zwei Paaren, die aus kleinen Septen bestehen, treten je ein Mikroseptum mit einem Makroseptum zu einem Paar zusammen. Es besteht demnach das erste Septenpaar, beiderseits von den dorsalen Richtungssepten aus Mikrosepten (Fig. 5, 6, 7 Z, IT), das zweite (2, JZ) und dritte (3, ZV) aber jeweils aus einem Mikro- und einem Makroseptum. Nachstehende Formel, in der die kleinen Scheidewände durch I, IH, III, IV, die großen, von der dorsalen Seite beginnend, mit 1G. v. Koch, Notizen über Korallen. Morph. Jahrb. Bd. VI. 18so. pag. 359. 2 GEORG MÜLLER, Zur Morphologie der Scheidewände bei einigen Paly- thoa und Zoanthus. Diss. Marburg 18838. 390 F. Blochmann und C. Hilger /—4 bezeichnet sind, möge die Zusammenstellung zu Paaren ver- deutlichen: VR DR VR —_— — — as _——_ —_ —_ —_—_ ~*~, 4—IV.3—II1. 2—II . I—1 . 1—I1 - I]-—2 . III[—3 . IV—4 Die beiden ventralen Richtungssepten haben ihre Muskelwiilste dorsalwärts, alle anderen Makrosepten aber ventralwärts gerichtet. Umgekehrt haben die beiden, den dorsalen Richtungssepten zunächst stehenden Mikrosepten, ihre Muskelwülste nach der ventralen, die übrigen Mikrosepten aber sämmtlich nach der dorsalen Seite gerichtet. Es.lassen sich demnach gewissermaßen zwei Septensysteme unterscheiden, die einander vollständig gleichen, aber umgekehrt orientirt sind. Das eine derselben besteht nur aus Makrosepten, das andere nur aus Mikrosepten. Jedes derselben zeigt in sich die- selbe Muskelanordnung, wie sie sich bei den Edwardsien findet. Die Ringmuskellage des Mauerblattes (Fig. 14) entbehrt in ihrem vorderen Verlaufe stärkerer Einfaltungen. Wie erwähnt, mangelt dem Polypen die Fähigkeit, das Mauerblatt über der Mundscheibe zusammenzuziehen, was eben durch das Fehlen des vorderen Ring- muskels bedingt wird. ! Eine stärkere Faltenentwicklung der eirkulären Muskellamelle - findet sich aber meistens in der Nähe der Fußscheibe (Fig. 13%). Bei zweien der untersuchten Individuen konnte dieser hintere Ringmuskel, der nach Herrwie als diffuser zu bezeichnen wäre, nicht nachgewiesen werden. Es scheint demnach, dass sein Vor- kommen kein ganz konstantes sei; es könnte jedoch sein Fehlen in den erwähnten Fällen auch nur ein scheinbares, durch die Kon- traktionsverhältnisse des Thieres oder die ungünstige Schnittrich- tung hervorgerufenes sein. In der bei Weitem überwiegenden Mehr- zahl der Fälle war er sicher zu konstatiren. Bei Thieren, die in Theilung begriffen sind, besitzt nicht nur der hintere, sondern auch bereits der vordere Sprössling diesen Ring- muskel (Fig. Sw). Es scheint sogar, als ob durch sein Auftreten die Theilung eingeleitet würde. Direkt konnte dies zwar nicht be- obachtet werden, aber schon in den frühesten Anfangsstadien der Theilung, wenn die Einschnürung des Mauerblattes kaum begonnen, lässt sich beim oberen Theilindividuum das Vorhandensein des hin- teren Ringmuskels beobachten. Eine kräftigere Entwicklung der Ringmuskulatur findet sich ferner an der Mundscheibe. Beim Schlundrohr beginnend, zieht sich rings Uber Gonactinia prolifera Sars. 391 um die Mundöffnung eine stärker gefaltete Muskellage bis in die Nähe der Basis der Tentakeln (Fig. 152’ und 8~’). Bei dem einen der Thiere, bei welchem der hintere Ringmuskel fehlte, war auch der Muskelring um den Mund nicht vorhanden. Die Längsmuskulatur des Mauerblattes (Fig. 12 und 13 Z) bietet kaum Besonderes. Die Stiitzlamelle ist mäßig gefaltet; die Fibrillen sind wie gewöhnlich. Abweichend entwickelt ist die Längsmuskulatur der Tentakeln (Fig. 9, 10, 112m). Die Muskelfibrillen sind nicht in einer konti- nuirlichen Lamelle angeordnet, sondern stehen mehr oder weniger isolirt, entweder ganz oder theilweise in die Stützlamelle eingesenkt (Fig. 102m), oder von dieser vollständig umschlossen (Fig. 10m). Letzteres Verhalten findet sich hauptsächlich an der inneren, der Mundöffnung zugekehrten Tentakelseite, woselbst die Muskelfibrillen überhaupt dichter gedrängt stehen, als an der äußeren. Einige Abweichungen von den beschriebenen Verhältnissen, die beobachtet wurden, mögen noch kurz erwähnt werden. Zunächst zwei Fälle unregelmäßiger Anordnung der Septen. Im ersten war ein sonst unvollständiges Septum, entsprechend dem in Fig. 5 mit ZZ bezeichneten, am oberen Theil breit, nur ein Stück weit mit dem Schlundrohr verwachsen. Der freie Theil, rasch an Breite abnehmend, war von normaler Beschaffenheit. In einem anderen Falle war eine Vermehrung der Scheidewände und damit Hand in Hand gehend eine solche der Tentakeln eingetreten. Es hatten sich zwischen das zweite Mikroseptum von der dorsalen Seite aus (Fig. 5 ZZ) und das erste Genitalseptum (Fig. 5 2) zwei Ma- krosepten eingeschoben. Auffallenderweise hatten sie abgewandte Längsmuskeln, bildeten demnach weder zusammen ein Paar, noch konnten sie mit den nächststehenden Septen vereinigt werden. Au- ßerdem war der freie Theil mit Mesenterialfilamenten ausgestattet. Dazu kommt ferner noch, dass auch das Schlundrohr an der Inser- tionsstelle zipfelartig ausgezogen war. In dem von HErrwice! aufgestellten System lässt sich unsere Actinie nieht unterbringen. Vielleicht würde sie am besten in die Nähe der Zoantheae zu stehen kommen, mit denen sie durch das Vorhandensein von zweierlei Scheidewänden übereinstimmt. Sie ist aber von denselben wieder scharf geschieden durch den Besitz zweier Schlundrinnen. Jedenfalls müsste eine neue Tribus für sie aufge- ! R. HERTWIG, Die Actinien der Challengerexpedition. Jena 1882. 392 F. Blochmann und C. Hilger stellt werden, wovon wir aber vorerst Abstand nehmen wollen, da möglicherweise durch weitere Untersuchungen noch andere ähnliche Formen bekannt werden. Da bei der einen Art eine Gattungsdiagnose überflüssig klin dürfte, geben wir hier eine kurze Charakteristik. 7 Gonactinia prolifera M. Sars. Actinia prolifera M. Sars. Gonactinia prolifera Andres. Farbe hell fleischroth. Körper durchscheinend, glatt, eylindrisch. Fußscheibe etwas verbreitert. Mundscheibe mit sechzehn in zwei Reihen angeordneten Ten- takeln. Tentakel nicht einziehbar. Mund schlitzférmig; Sehlund- rohr mit zwei Schlundrinnen. Septenzahl sechzehn: acht Makro- und acht Mikrosepten. Von ersteren sind vier Richtungssepten und vier Genitalsepten; alle Makrosepten sind mit Mesenterialfilamenten ausgeriistet. Von den Mikrosepten tragen nur die beiden zwischen den Ge- nitalsepten stehenden Mesenterialfilamente. Die Mikrosepten sind so zwischen den Makrosepten vertheilt, dass in die zwei Fächer beiderseits des einen Richtungsseptenpaares je zwei, in die übrigen Fächer, die zwischen den Richtungssepten natürlich ausgenommen, je eines zu stehen kommt. Die Septen sind paarig angeordnet. Fortpflanzung sowohl geschlechtlich als ungeschlechtlich, durch Quertheilung (selten Knospung). Vorkommen: Verschiedene Stellen der norwegischen Küste in einer Tiefe von zwei bis zwanzig Faden. Wie schon Sars beobachtete, trifft man die Gonactima prolifera sehr häufig in Quertheilung. Auch unter der großen Zahl der von uns gesammelten Thiere zeigte mindestens ein Drittel diese für Actinien sonst ungewöhnliche Art der Fortpflanzung. Wir können also gar nicht daran zweifeln, dass die Vermehrung dureh Quertheilung eine ganz regelmäßige Erscheinung bei unserer Actinie ist, was um so mehr auffallen muss, als die ungeschlecht- liche Fortpflanzung durch Theilung oder Knospung bei den eigent- lichen Actinien im Allgemeinen keine so große Rolle spielt, als bei den nächstverwandten stockbildenden Madreporen.: Es hängt dieser Unterschied jedenfalls aufs engste mit dem Vorhandensein oder Fehlen Uber Gonactinia prolifera Sars. 393 eines inneren, festen Skelets zusammen, denn zur Bildung von fest- sitzenden Thierstécken ist das Vorhandensein eines Skelets eine un- erlässliche Bedingung. Skeletlose Arten können Stöcke ja nur in der Art bilden, wie wir es bei Zoanthus und Palythoa sehen, also durch direkt der Unterlage anliegende Stolonen oder flächenhafte Polypare. Die ersten Anzeichen einer beginnenden Quertheilung bei Gox- actinia bestehen darin, dass etwas unterhalb der Mitte des Körpers ein Kranz von kleinen, knospenartigen Hervorragungen sichtbar wird, die Anlagen der neuen Tentakel (Fig. 2). Diese Tentakelknospen zeigen bald deutlich eine zweireihige An- ordnung, wie die alten den Mund umgebenden. Zu bemerken ist dabei, dass alle Tentakelanlagen gleichzeitig auftreten und auch ganz gleich- mäßig im Wachsthum fortschreiten. Die Tentakel nehmen nun an Länge zu. Es bildet sich für den unteren Theilsprössling eine Mundscheibe und ein Schlundrohr, indem oberhalb des neuen Tentakelkranzes das Mauerblatt ringförmig sich einschnürt und nach innen wächst (Fig. 8). Durch diesen Process erhält gleichzeitig der obere Sprössling eine Fußscheibe. Wenn die Theilung vollendet ist, löst sich der obere Sprössling los, wir haben dies mehrmals beobachtet, während Sars angiebt, dass er diese Trennung nur künstlich hervorrufen konnte, wobei dann allerdings beide Theile normal weiter lebten. Einen interessanten Fall hat Sars (Nyt. Mag. 1851) beschrie- ben. Er fand nämlich drei zusammenhängende Individuen. Davon hatte der obere Sprössling die längsten Tentakel, der untere etwa halb so lange und bei dem mittleren erschienen sie erst als knopf- förmige Anlagen. Es ist dieser Zustand jedenfalls so aufzufassen, dass sich ein Thier in der gewöhnlichen Weise theilte und dass der obere Sprössling hierauf anfing sich wieder zu theilen, noch ehe er sich von dem unteren losgelöst hatte. Wir selbst hatten nie Gele- genheit, etwas Ähnliches zu beobachten, und Sars hat unter der großen Anzahl von Individuen, die ihm jedenfalls durch die Hände gegangen ist, diesen Fall auch nur einmal getroffen, was zur Ge- nüge beweist, dass hier ein zufälliges Vorkommnis, nicht etwa eine regelmäßige Erscheinung vorliegt. Es sind nun bei Actinien verschiedene Arten der ungeschlecht- lichen Fortpflanzung beobachtet worden. Am häufigsten erscheint, wie zum ersten Male DicQvEMARE! beobachtete, die Vermehrung da- ! J. F. DICQUEMARE, A Second Essay on the natural history of the Sea anemonies. Phil. trans. Vol. LXV. pag. 207—248. 1775. 394 F. Blochmann und C. Hilger / durch stattzufinden, dass von der Basis eines Thieres größere oder kleinere Fragmente der Körperwand sich loslösen und zu neuen Thieren auswachsen. In wie weit dieser Vorgang normal ist, dürfte vielleicht noch etwas fraglich sein, häufig genug scheint er ja vor- zukommen, da er von verschiedenen Forschern, die sich mit Actinien beschäftigten, gesehen wurde. In der neuesten Zeit hat ihn ANDRES! studirt und als lacerazione bezeichnet. So merkwürdig nun eine solche Art der Fortpflanzung ist, wobei eigentlich beliebige Stücke von dem Körper eines Thieres sich loslösen, um zu selb- ständigen normalen Individuen sich zu ergänzen, so steht sie doch nicht isolirt da. Denn nach den Beobachtungen von BüLow? scheint ja bei manchen Süßwasseroligochaeten (Lumbrieulus) auch ziemlich häufig eine Vermehrung durch einfache Zerstückelung des Körpers zu Stande zu kommen. Auch von Landplanarien wird Ähnliches be- richtet. Vielleicht dürfte hierbei auch die bei Coelenteraten nicht gerade seltene Vermehrung durch von der Basis des festsitzenden Thieres ausgehende Stolonen in Betracht zu ziehen sein. Als zweite Art der ungeschlechtlichen Vermehrung wurde Längs- theilung beobachtet, aber auch gerade nicht haufig?. Die Thei- lung scheint sowohl an der Mundscheibe als auch an der Basis beginnen zu können. Ob wir es jedoch hier nicht zum Theil auch mit abnormen, durch zufällige äußere Einflüsse bedingten Theilungen zu thun haben, scheint mir noch nicht hinreichend sichergestellt. Bemerkenswerth ist noch, dass in manchen Fällen die (von der Mundscheibe aus) begonnene Theilung nicht zu Ende geführt wird, so dass sich auf einer Basis zwei Individuen erheben, welche in ihrem oberen Theil vollständig getrennt sind und auch zwei getrennte Mundscheiben, jede natürlich mit besonderem Tentakelkranz und ! A. Anpkes, Intorno alla seissiparitä delle attinie. Mitth. d. Zool. Stat. Neapel. Bd. III. pag. 124—148. 1882. 2 C. BüLow, Uber Theilungs- und Regenerationsvorgänge bei Würmern (Lumbriculus variegatus Gr.). Arch. f. Natg. Jahrg. 49. pag. 1—96. 1882. 3 Vgl. dazu J. F. DICQUEMARE, |. ec. Derselbe: A third essay on the Sea anemonies. Ebenda. Vol. LXVII. pag. 56—89. 1777. — J. MacCrapy, Instance of incomplete longitudinal fission in actinia cavernosa Bosc. Proc. Elliot Soc. nat. hist. Charlestown. I. pag. 257—278. 1859. J. DALYELL, Rares and remarkable animals of Scotland. London 1848. — P. J. van BE- NEDEN, Rech. s. 1. faune littorale de Belgique. Mém. Acad. Se. Bruxelles. t. XXXVI. 1867. pag. 188—198. — BENNET, On a mode of fissiparous repro- duction observed in Anthea cereus. Proc. nat. hist. soc. Dublin. IV. 1867. pag. 208—212. — Mrs. THyNNE (GossE), On the Increase of Madrepores. Ann. mag. nat. hist. Vol. III. pag. 449—462. 1859. Uber Gonactinia prolifera Sars. 395 eigener Mundöffnung besitzen. Es scheint mir, dass diese Vorgänge den Zusammenhang mit den bei den Madreporen so verbreiteten un- vollständigen Theilungen nicht verkennen lassen, worauf auch ANDRES 1. e. pag. 142) hinweist. Was endlich die dritte Art der Vermehrung, die Quertheilung anlangt, so ist dieselbe bei eigentlichen Actinien, außer bei der hier behandelten Art, so weit ich sehen kann, nur in einem Falle beob- achtet und zwar von ANDRES (I. c. pag. 141) bei einer Arptasia. ANDRES hatte dabei die Beobachtungen von Sars an Gonaectinia nicht beachtet, da er glaubte, dass er zum ersten Male diesen Vor- gang gesehen habe. Übrigens ist ANDRES der Ansicht, dass es sich in seinem Falle wahrscheinlich nicht um einen normalen Vorgang handelte, da das Thier beim Fangen gelitten hatte und außerdem auch unter ungünstigen Bedingungen gehalten wurde. Wenn die Quertheilung bei dieser Arlptasıa regelmäßig vorkäme, hätte sie An- DRES wahrscheinlich auch öfter gesehen. Bemerkenswerth ist je- doch, dass er bestimmt das Fehlen von Geschlechtsprodukten bei dem sich theilenden Thiere hervorhebt. Bei Gonactinia ist die Quertheilung auch auf jugendliche Thiere ohne entwickelte Geschlechtsorgane beschränkt, kommt aber jeden- falls ganz regelmäßig vor und gewinnt dadurch an Interesse. Ähn- liche Erscheinungen finden sich bei gewissen Madreporen nach den Beobachtungen von SEMPER!, so bei Flabellum variabile Semper und bei Fungia ete. In beiden Fällen wird durch eine Quertheilung der obere Theil des Thieres abgeschnürt, um als selbständiges Indivi- duum weiter zu leben, und zwar zeigen sich dabei gewisse morpho- logische Unterschiede zwischen dem abgelösten Thier und dem zu- rückbleibenden Theile des ursprünglichen Individuums, so dass SEMPER einen Generationswechsel annimmt, wobei das untere Individuum, welches mehrere andere, die geschlechtsreif werden sollen, hinter einander abschnürt. als Amme zu betrachten wäre, da es selbst ge- schlechtslos bleiben soll. Wir glauben nicht, dass man die Verhältnisse bei Gonactinia ähnlich deuten kann, obwohl uns keine direkten Beobachtungen über das Verhalten dieses untersten Thieres vorliegen. Jedenfalls sind morphologische Differenzen nicht vorhanden und erscheint darum — ! C. SEMPER, Über Generationswechsel bei Steinkorallen und über das M. Epwarps’sche Wachsthumsgesetz der Polypen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. XXII. pag. 235—280. 1872. 396 F. Blochmann und ©. Hilger bis das Gegentheil bewiesen wird — wobl die Annahme gerechtfertigt, dass auch dieses untere Thier schließlich geschlechtsreif wird, so dass in dieser Beziehung der Vorgang mit der ungeschlechtlichen Vermehrung von Hydra, wo auch alle Individuen die Geschlechts- reife erlangen, verglichen werden kann. Ein besonderes Interesse erhält jedoch diese Art der ungeschlecht- lichen Vermehrung durch den von GöTTE! geführten Nachweis, dass die junge Seyphostoma im Prineip wie ein Anthozoon gebaut ist. Thatsächlich kann man die Vermehrung der Gonaetinia durch Quertheilung mit der Abschnürung einer Ephyra von einer mono- disken Strobila bis zu einem gewissen Grade vergleichen. In beiden Fällen wird der vordere Theil des Körpers als neues Individuum unter Mitnahme der Tentakel ete. abgetrennt, während der hintere die fehlenden Organe wieder ersetzt. Die regenerirte Scyphostoma kann dann durch eine neue Theilung einer weiteren Ephyra den Ursprung geben; die regenerirte Actinie kann sich in der glei- chen Weise wieder theilen. Eine weitere Übereinstimmung finden wir in dem Fehlen der Geschlechtsorgane bei der Scyphostoma so- wohl als auch bei den durch Quertheilung sich vermehrenden jun- gen Actinien. Der Ausdruck »Larve« dürfte auf die noch nicht geschlechtsreifen Thiere der Gonactinia wohl nicht anwendbar sein, da sie, abgesehen von dem Mangel der Geschlechtsorgane, mit dem ausgebildeten Thier vollständig in ihrer Organisation über- einstimmen, während ja Scyphostoma und Ephyra mit Recht als Larven angesehen werden. Neben den bedeutenden Ähnlichkeiten, die sich so zwischen der Erzeugung von Ephyren durch Strobili- sation der Scyphostoma und der Vermehrung der Gonactinia durch Quertheilung ergeben, besteht aber doch auch ein bemerkenswerther Unterschied zwischen beiden Vorgängen. Bei Gonactinia sind die durch Quertheilung eines Thieres entstandenen Theilsprösslinge in jeder Beziehung — in ihrem Bau sowohl als in ihrem übrigen Ver- halten — vollständig gleich, bei der Entstehung von Ephyren aus der Seyphostoma ist dies jedoch nicht der Fall. Auf die Verschie- denheit im Bau der sich loslösenden Ephyra und des zurückbleiben- den Restes der Scyphostoma wollen wir eben so wenig Gewicht legen, wie GÖTTE. Diese sind ja nach den Ausführungen GOTTE’s ver- ständlich. 1 A. GÖTTE, Entwicklungsgeschichte der Aurelia aurita und Cotylorhiza tuberculata. 1887. Uber Gonactinia prolifera Sars. 397 Dagegen scheint uns Folgendes von Wichtigkeit. Die Theil- sprösslinge von Gonactinia verhalten sich auch in so fern vollständig gleich, als beide sich wieder durch Quertheilung vermehren können. Für den oberen Sprössling ist dies direkt beobachtet (Sars 1. c.), für den unteren jedenfalls sehr wahrscheinlich. Bei der Ephyrenbildung jedoch ist dies anders, dabei besitzt der obere Sprössling, also die Ephyra, nicht die Fähigkeit, sich noch weiter durch Theilung zu vermehren, während der untere — der Rest der Scyphostoma — diese Fähigkeit erhalten hat, da er ja weitere Ephyren durch Quer- theilung hervorbringen kann. Wahrscheinlich wird aber bei genauerer Untersuchung auch diese Differenz verschwinden. Denn wie oben schon bemerkt wurde, haben wir bei Exemplaren von Gonactinia mit entwickelten Geschlechtsorganen niemals mehr Theilungserschei- nungen beobachtet. Die Ephyra geht aber auch direkt der Ge- schlechtsreife entgegen, so dass in beiden Fällen die Fähigkeit, durch Theilung sich zu vermehren, auf die Jugendstadien beschränkt zu sein scheint. Trotz der hier hervorgehobenen Unterschiede darf man wohl diese regelmäßige Quertheilung bei Actinien als eine weitere Stütze für die besonders durch die erwähnte Untersuchung G6rrr’s nach- gewiesene nahe Zusammengehörigkeit der Anthozoen und Acalephen betrachten. Es wäre nur zu wünschen, dass die noch bestehenden Lücken in unserer Kenntnis von der Fortpflanzung der Gonactinia bald ausgefüllt würden, also besonders, dass festgestellt würde, in welcher Weise die Quertheilung mit der geschlechtlichen Fortpflanzung abwechselt und dass letztere selbst noch untersucht würde, wofür allerdings wahrscheinlich ein längerer Aufenthalt an der norwegischen Küste nöthig wäre. Zum Schlusse wollen wir noch darauf hinweisen, dass neben der häufigen und regelmäßigen Vermehrung durch Quertheilung noch eine andere Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, nämlich die Knospung, sich findet. Allerdings scheint Knospung nur ausnahms- weise vorzukommen, da wir nur einen Fall beobachtet haben. Das Mutterthier (Fig. 4) hat (im konservirten Zustande) bis zur Mundscheibe eine Höhe von 2 mm, die Knospe eine solche von 0,5 mm und sitzt ungefähr in der halben Höhe dem Mutterthiere seitlich an. Um eine Theilung in der Richtung der Längsachse kann es sich im vorliegenden Falle nicht handeln, da beide Thiere mit der voll- ständigen Zahl von Tentakeln ausgerüstet sind. 398 Fig. F. Blochmann und C. Hilger Das Thier ist äußerlich von den normalen nicht abweichend ge- baut; eine anatomische Untersuchung wurde nicht vorgenommen. Heidelberg, den 23. Juli. Erklärung der Abbildungen. Allgemein gültige Bezeichnungen: DR dorsale VR ventrale ec Ektoderm, en Entoderm, s Stützlamelle. \ Richtungssepten, Die Makrosepten sind, von der Dorsalseite anfangend, mit I 2) Bad wee Mikrosepten mit J, IZ, III, IV bezeichnet. il mem WS bp Gonactinia prolifera nach SARS. a in natürlicher Größe. 6 und e ver- größert; ausgestreckte Thiere. d vergrößert; ein stark zusammen- gezogenes Exemplar. Gonactinia prolifera im Beginne des Theilungsvorganges. Ein Thier, bei dem der zweite Tentakelkranz fast ausgebildet ist. Gonactinia mit seitlicher Knospe. Fig. 2—4 sind nach konservirten Thieren gezeichnet. Vergrößerung ungefähr siebzehnfach. Querschnitt aus der Region des Schlundrohres. x Schlundrinnen. Querschnitt durch ein geschlechtsreifes $ Thier unterhalb des Schlund- rohres. Querschnitt durch ein nicht geschlechtsreifes Thier unterhalb des Schlundrohres. Längsschnitt durch ein in Theilung begriffenes Thier. w hinterer Ringmuskel, :0’ oraler Ringmuskel. Querschnitt durch einen Tentakel, /m Längsmuskeln. Innerer, der Mundöffnung zugekehrter Theil desselben, stärker ver- größert. /m Längsmuskeln, Zn vollständig in die Stützlamelle ein- geschlossene Längsmuskeln. Längsschnitt durch einen Tentakel. dm Längsmuskulatur. rm Ring- muskulatur. Querschnitt durch ein Genitalseptum in der Nähe der Fußscheibe. LZ Ektodermale Längsmuskulatur des Mauerblattes. 2m Längsmus- kulatur des Septums. pdm Parietobasilarmuskel. Querschnitt durch ein Makroseptum in der Höhe des Schlundrohres. Bezeichnung wie in der vorigen Figur. Längsschnitt durch das Mauerblatt. rm Ringmuskulatur. w hinterer Ringmuskel. ~ Radialschnitt durch die Mundscheibe. w’ oraler Ringmuskel. Uber Gonactinia prolifera Sars. 399 Die erste und ausfiihrlichere Mittheilung von M. Sars in: Be- skrivelser og Jagtagelser over nogle merkelige eller nye i Havet ved den Bergenske Kyst levende Dyr etc. Bergen 1835. pag. 11 lautet: G. Actinia L. 1. Sp. Actinia prolifera nov. sp. Corpore elongato cylindrico, pallide rubro; tentaculis fili- formibus 16 biseriatis longitudine corporis, non retrac- tilibus; basi prolifera. Wie Actinia cereus, so unterscheidet sich auch diese neue und eigenthiimliche Art von allen anderen derselben Gattung dadurch, dass sie die Tentakel nicht einziehen und die Körperwand darüber zusammenziehen kann. Dieselbe ist etwa cylindrisch, glatt; an dem oberen Ende findet sich der Mund; mit dem unteren, das eine flache, kreisrunde Scheibe darstellt, heftet das Thier sich willkürlich an allen möglichen Körpern fest. Der Mund ist rund und kann bis- weilen etwas vorgestreckt werden; er ist umgeben von einem Kreis von sechzehn dünnen, fadenförmigen Tentakeln, die ungefähr Körper- länge haben und in zwei Reihen zu je acht stehen; die der äußeren Reihe zwischen und etwas unterhalb derer der inneren. Diese Ten- takel können, wie schon gesagt, nicht eingezogen, sondern nur ver- kürzt werden und zwar ziemlich stark, nämlich bis auf ein Viertel oder Fünftel ihrer gewöhnlichen Länge, wobei sie gleichzeitig dieker und quergerunzelt werden. Bei jüngeren Exemplaren trifft man weniger Tentakel. Das Merkwürdigste an diesem Thier ist die bei Actinien bisher unbekannte Erscheinung, dass man sehr häufig ein aus dem unteren Theile des Körpers hervorwachsendes junges Thier findet. Man be- merkt nämlich an diesem Platz einen Kranz von Tentakeln, aller- dings in geringerer Anzahl und kleiner als die vorhin beschriebenen, aber vollständig gleich gebaut und mit derselben Kontraktions- und Bewegungsfähigkeit ausgerüstet. Bei verschiedenen Individuen war das hervorwachsende junge Thier mehr oder weniger entwickelt, aber fast bei allen war als Andeutung derselben ein Ring von kleinen Knöpfehen zu finden. 400 F. Blochmann und C. Hilger Ich kann nicht daran zweifeln, dass es sich wirklich so ver- hält, obgleich ich die Loslösung des Jungen vom Mutterthier nicht beobachtet habe. Nur mit Gewalt konnte ich an einigen der am weitesten entwickelten Exemplare das Junge von der Mutter trennen; aber es zeigte sich dabei doch, dass dasselbe schon für sich selbst leben konnte. Als nämlich nach der Lostrennung beide in dem Gefäße mit Seewasser, in welchem ich sie aufbewahrte, zu Boden gefallen waren, hefteten sie sich nach einiger Zeit mit ihrem Hinter- ende wieder fest, richteten sich auf, streckten ihre Tentakel aus, welche bei dem Jungen sowohl als bei dem Mutterthier bei Rei- zung sich zusammenzogen, und überhaupt zeigte das Junge die- selben Lebenserscheinungen wie das erwachsene Thier. Ich habe später den Versuch mit dem gleichen Erfolge wiederholt. Diese Fortpflanzungsweise ist außerordentlich auffallend und zeigt, dass die Actinien darin, sowie in vielem Anderen mehr den Polypen gleichen, zu denen sie in der neuesten Zeit auch von CuviER und Rapp gerechnet worden, als den Echinodermen, zu denen sie SCHWEIGGER und Andere stellten. So ist z. B. bei den Hydren fast jede Stelle des Körpers im Stande, neue Knospen oder Junge hervorzutreiben. Bei unserer Actinie ist es konstant nur der untere Abschnitt des Körpers, an dem das Junge hervorknospt. Eine ganz ähnliche Erscheinung trifft man hingegen bei manchen Anneliden, wie z. B. bei Naiden (Nereis prolifera), bei denen das Junge stets von dem hinteren Körperende auswächst. Das Schlundrohr schimmert vermöge seiner weißen Farbe durch die etwas durchsichtige Körperwand hindurch; dasselbe ist ein ziem-_ lich weiter Sack mit starken Längsstreifen oder -Falten und erstreckt sich vom Munde abwärts etwa bis zur Mitte des Körpers. Von des - Schlundrohrs unterem Rande laufen einige (es scheinen drei zu sein)- gewundene, hellrothe Fäden (Ovarien?) abwärts gegen die Fußscheibe und setzen sich auch durch die Knospe fort. Die Bewegungen dieser Actinie sind, wie bei den anderen auch, ziemlich langsam; die Tentakel halten sie für gewöhnlich ausge- streckt, aber biegen sie bei der geringsten Berührung einwärts gegen den Mund, doch nur diejenigen, die selbst berührt werden. Bei stärkerer Reizung ziehen sich sowohl Körper als Tentakel stark zu- sammen, selbst bis auf ein Viertel ihrer gewöhnlichen Länge, aber, wie oben gesagt, kann sich die Körperwand nicht über den Tentakeln zusammenfalten. Ich habe nicht bemerkt, dass diese Aetinie mit ihrer Fußscheibe, die ja auch ziemlich klein ist, kriecht; sondern \ 210. istacEAFimke sip Litt 4 : ae 5 N Morpholeg- Jahrb. [27 E ee: = = ‘ , 2 Ze 2 Yael G T a = = EAP unk Verlag Will. Engelmann os bey UituinstrEhPunknlepih, 1; + BE ee % Ber 4 —. Sahrb. Ba. Xi en = : ie ith Anetv. 2A Funke Lemzq. Verlag v Wilh. Engelmann ix Leipzig. ae ni 5 ® “| 62 sae" ree oh) Eres 1 Fb tot A ier 2 u” © _ = 7 pP Fe Peak Ber . nn Fg Sas ie le G4 mt as ; r DEE, Dr Zr a. ; et es f war, ‘ x | ¥ AY Uber Gonactinia prolifera Sars. 401 wenn sie ihren Platz verändern will, benutzt sie gewöhnlich die Tentakel, mit welchen sie sich festheftet und dann den Körper nach- zieht, darauf setzt sie sich mit der Fußscheibe fest, streckt die Ten- takel wieder aus etc. Die Farbe ist überall blass mennigroth und etwas durchscheinend, das Schlundrohr weiß. Größe: Körperlänge !/” (3 mm), Dicke 1/2,” (1 mm), Länge der Tentakel !/;” (3 mm). Diese Actinie kommt vor auf Tang, Sertularien, Ascidien ete., sowohl bei Bergensfjord als auch bei Glesvaer und Flores, wo sie sich nicht selten findet. (Folgt noch die Figurenerklärung.) Morpholog. Jahrbuch, 13. 26 Ein Beitrag zur Kenntnis der Kiemenspalten und ihrer Anlagen bei amnioten Wirbelthieren. Von E. Liessner, stud. med. in Dorpat. Mit Tafel XVI. (Aus dem vergleichend-anatomischen Institut der Universität Dorpat.) Das Interesse, welches die bekannte, in neuerer Zeit mehrfach besprochene Auffassung gefunden, die Hıs in Betreff der »sogenannten Kiemen- oder Schlundspalten« hingestellt hat, kann als ein neuer Beweis für die hohe Bedeutung angesehen werden, welche RATHKE’s slänzender Entdeckung der Existenz von Kiemenspalten bei Embry- onen höherer Wirbelthiere zukommt. Hätte man sich nicht gewöhnt, das durch RATHKE zuerst ge- sehene, von vielen anderen Autoren, welche RATHKE’s Angaben be- stätigt und erweitert haben, gleichfalls konstatirte Organisationsver- hältnis für einen der theoretisch wichtigsten Befunde in der Ontogenie der höheren Wirbelthiere zu halten, so wäre ein Zweifel an der Existenz wirklicher offener Kiemenspalten wohl kaum ein Gegen- stand besonderer Beachtung geworden. Zu seinen eigenen früheren Angaben! in Widerspruch tretend, bemerkt Hıs? in einer 1881 erschienenen Arbeit Folgendes: »Das Bild, das die äußere Betrachtung von Vogel- und Säugethierembry- 1 His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Die erste Entwicklung des Hübnchens im Ei. 1868. pag. 135. 2 Mittheilungen zur Embryologie der Säugethiere und der Menschen. Von den sogenannten Kiemen- oder Schlundspalten. Archiv für Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte von His und BRAUNE. Jahrg. 1881. pag. 319—321. i i i Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. bei amn. Wirbelthieren. 403 onen gewährt, scheint in der That kaum missdeutbar, man sieht durch die in der Wand befindlichen Lücken von einer Seite zur anderen hindurch und gehärtete Präparate sind dafür fast noch schlagender, als die frischen. Gleichwohl beruht diese anscheinende Evidenz der Durchgängigkeit auf Täuschung. Im Bereiche der so- genannten Schlundspalten treten sich Hornblatt und Darmdrüsenblatt entgegen und bilden für sich allein oder unter Einschiebung einer dünnen Zwischenschicht eine durchsichtige Verschlussplatte, welche die äußere und die innere Furche von einander trennt.« »Es wäre gewagt, wenn ich ohne Weiteres behaupten wollte, dass die Verschlussplatte bei höheren Wirbelthieren zu keiner Zeit und an keiner Stelle durchbrochen werden kann, allein was ich glaube vertreten zu können, ist, dass dieser Durchbruch nicht die Regel bildet, dass vielmehr beim Hühnchen sowohl, als bei Säuge- thier- bez. bei menschlichen Embryonen die Schlundspalten durch die fraglichen Platten zu sehr verschiedenen Zeiten verschlossen ge- funden werden« . . . »Mit besonderer Befriedigung habe auch ich jeweilen eine wirklich vorhandene Lücke notirt; allein es ist klar, dass bei der großen Dünnheit der Verschlussmembran hier und da eine Zerreißung eintreten und einen wirklichen Spalt vortäuschen kann. So wie die Sache jetzt liegt, wird es in Zukunft eines be- sonderen und mit Sorgfalt zu begründenden Nachweises bedürfen, wenn von einer Schlundspalte behauptet wird, sie sei zu bestimmter Zeit offen.« Die in den eben eitirten Sätzen von Hıs enthaltenen Zweifel haben nieht verfehlt, die Anschauungen der Autoren, welche später über den vorliegenden Gegenstand geschrieben haben, sehr zu beeinflussen, wie aus der folgenden kurzen Zusammenstellung der hierher gehöri- gen Angaben hervorgehen dürfte. Die beiden zunächst zu erwähnenden Autoren sind Caprar und Born, deren Abhandlungen 1883 erschienen. CapıAr! berücksichtigt die Hıs’sche Arbeit nicht und sagt, er habe bei den Vögeln vier wirkliche Kiemenspalten gezählt. Man wird indess weder durch den Text noch durch die Abbildungen dieser Publikation, die zu manchen Ausstellungen veranlassen könnte, von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugt. Born? bestätigt die Hıs’sche Auffassung ! Du développement des fentes et des arcs branchiaux chez l’embryon. Journal de l’anatomie et de la physiologie publ. p. Ropin. 1883. pag. 39 et seq. 2 Uber die Derivate der embryonalen Schlundbogen und Schlundspalten bei Siiugethieren. Archiv fiir mikroskopische Anatomie. Bd. XX. pag. 275. 26* 404 E. Liessner ausdriicklich und sagt, dass er bei den von ihm untersuchten Em- bryonen des Schweines »an Stelle der sogenannten äußeren Öffnung der Schlundspalten« . . . »keinen wirklichen Durchbruch finden konnte, sondern nur eine Verschmelzung des Schlundspaltenepithels mit dem Epithel der äußeren Kiemenfurche«. KÖLLIKER, der ein Jahr vor dem Erscheinen der Hıs’schen Mit- theilung noch die Existenz von vier Kiemenspalten beim Hühnchen und bei Säugethieren vertreten hatte’, theilt in der zweiten Auflage des Grundrisses? mit, er habe die Frage an fünf Hühnerembryonen des dritten, vierten und fünften Tages, und an drei Kaninchenem- bryonen des zehnten Tages geprüft und die Überzeugung gewonnen, dass Hıs Recht habe; alle Spalten seien durch zarte, an den dünn- sten Stellen nur aus dem Ektoderm und dem Entoderm des Schlun- des gebildete Häutchen geschlossen. Eine ähnliche Änderung der Ansicht kann bei der Vergleichung zweier Arbeiten C. K. Horrmann’s .erkannt werden. In der zuerst erschienenen, in welcher die His’sche Arbeit keine Erwähnung findet, spricht HorFMANN von einem Embryo von Tropidonotus natrix, bei welchem »die vier Kiemenspalten alle nach außen durchbrochen seien«. An dieser Stelle bringt Horrmann den wichtigen Nachweis, dass bei Tropidonotus noch eine fünfte Kiementasche angelegt werde, die aber nicht nach außen durchbreche, ja nicht einmal bis zum Ektoderm sich fortzusetzen scheine, und nach kurzer Zeit wieder verschwinde, und sieht in der Existenz dieser rudimentären fünften Kiementasche einen neuen Beweis für die phylogenetische Verwandt- schaft der Reptilien mit den Amphibien. Von den Vögeln sagt Horr- MANN, dass sie sich vollkommen ähnlich verhielten, nur werde eine fünfte Kiementasche nicht mehr angelegt. Endlich erwähnt er noch einen Kaninchenembryo, bei »welchem 1 KÖLLIKER, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 1880. pag. 67 und 9. 2 Zweite Auflage. 1884. pag. 77. 3 ©. K. Horrmann, Über die Beziehungen der ersten Kiementasche zu der Anlage der Tuba Eustachii und des Cavum tympani. Archiv für mikro- skopische Anatomie. Jahrg. 1884. pag. 527 und 528. 4 Diese Mittheilung vervollständigt in erwünschter Weise eine Beobach- tung von Born, welcher (cf. Eine frei hervorragende Anlage der vorderen Extremität bei Embryonen von Anguis fragilis. Zoolog. Anz. Jahrg. 1883. pag. 538) eine fünfte äußere Kiemenfurche bei Anguis und Lacerta gesehen hat und darauf hinweist, dass dieselbe bei Schildkröten schon von RATHKE beschrieben und abgebildet ist. Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 405 die drei vordersten Kiemenspalten deutlich vorhanden, die vierte Kiementasche dagegen noch nicht nach außen durchbrochen war. Die andere hierher gehörige Arbeit Horrmann’s', für welche die His’schen Äußerungen benutzt worden sind, enthält die Mitthei- lung, dass bei Schlangen nur eine Kiementasche, nämlich die zweite nach außen durchbreche; die Spalte sei weit klaffend. Über die Säugethiere äußert sich Horrmann nur indirekt, indem er sich mit einer Angabe von RÜCKERT? einverstanden erklärt, nach welcher bei Säugethieren (Maus, Schwein, Schaf) auch nur die zweite Kiemen- spalte sich eröffnet. In vollkommen überzeugender Weise beschreibt A. FroRIEP ? bei einem Rindsembryo von 8,7 mm Körperlänge drei offene Kiemen- spalten; es sind die erste bis dritte, deren sagittale Ausdehnung genau angegeben wird. FRORIEP bemerkt hierbei, er wolle der An- gabe von Hıs, dass ein eigentlicher Durchbruch der Kiemenspalten in der Regel nicht erfolge, nicht entgegentreten, was in so fern ganz berechtigt ist, als FrorıEp’s Mittheilung sich nur auf einen Embryo bezieht. Eine vierte Kiemenspalte nimmt Frortep in Betreff dieses Embryo in Abrede und sagt, an ihrer Stelle sei eine wohl entwickelte Schlundtasche vorhanden, die nicht das Ektoderm berühre. Es ist jetzt eine Mittheilung von van BEMMELEN? zu erwähnen. Er sagt, er habe eine vollständige Serie von Embryonen von Lacerta muralis und Tropidonotus natrix untersucht und habe gefunden, dass bei beiden sich »fünf Paar Kiemenspalten« entwickeln; da van BEMMELEN aber hinzufügt, das Auftreten eines » fünften Spaltenpaares « werde bereits von RATHkE für Schildkröten, von Born für Anguis und Lacerta und yon C. K. Horrmann für Schlangen und Eidechsen er- 1 Weitere Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Reptilien. Über die Kiementaschen der Reptilien. Morphologisches Jahrbuch von GEGENBAUR. Bd. XI. pag. 198 und 199. 2? RÜüCkErT's Abhandlung (Vorläufige Mittheilung zur Entwicklung der Visceralbogen bei Siiugethieren. Mittheilungen der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München 1884) habe ich leider nicht erhalten können. 3 Über Anlagen von Sinnesorganen am Facialis, Glossopharyngeus und Vagus etc. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte von His und BRAUNE. Jahrg. 1885. pag. 10. Taf. I Fig. I, I,, Is, Is. * Die Visceraltaschen und Aortenbogen bei Reptilien und Vögeln. Zoo- logischer Anzeiger. Jahrg. 1886. pag. 528—532 und 543—546. Die von VAN BEMMELEN citirte Dissertation von P. DE MEURON (Recherches sur le deve- loppement du Thymus et de la glande Thyreoide) habe ich nicht erhalten können. Nach P. DE Meuron sollen, wie VAN BEMMELEN erwähnt, bei Lacerta vier Paar »Kiemenspalten« sich entwickeln. 406 E. Liessner wähnt, so ist, weil die citirten Autoren nur eine fünfte äußere Kiemenfurche, resp. eine fiinfte innere Kiemenfurche beob- achtet haben, ersichtlich, dass van BEMMELEN das Wort » Kiemen- spalte« in einer Weise benutzt, die es zweifelhaft sein lässt, ob van BEMMELEN bei den erwähnten Reptilien wirklich offene Kiemenspalten gesehen habe. Dieser Zweifel wird um so berechtigter, als van BEMMELEN His nicht erwähnt, und in seiner Arbeit den Ausdruck »Visceralspalte« resp. »Spaltenpaar« so anwendet, dass er nicht wört- lich genommen werden kann!. In Betreff des Hühnchens sagt van BEMMELEN, dass sich »nur vier Kiemenspalten ausbilden, während hinter der letzteren, das Pharynxepithel eine Ausbuchtung bildet, die vielleicht die Andeutung einer fünften ist«. Aus den weiteren Mittheilungen kann man entnehmen, dass vAN BEMMELEN ein wirk- lich offenes erstes und zweites Kiemenspaltenpaar beim Hühnchen gesehen hat. In einen Gegensatz zu diesem letzteren Ergebnis tritt die neueste hierher gehörige Arbeit, die von FRANKLIN P. MALL? im anatomischen Institut zu Leipzig ausgeführt worden ist. MALL sagt, seine Unter- suchung umfasse »alle Stadien des Hühnchens von der Zeit an, da die Branchialbogen eben erscheinen, bis zum Ende der Brützeit«. »Die Branchial-»Spalten« wurden nach Schnitten studirt, welche nie über 15 u dick waren, und ihr vollständiges Bild wurde durch Rekon- struktion nach der Hıs’schen Methode geformt.« Maui behauptet, man hätte so lange von »Spalten« gesprochen, »bis His bewies, dass sie es nicht sind«?, und resumirt das Ergebnis seiner Untersuchungen in Bezug auf die Spalten folgendermaßen: »In allen meinen Präpa- raten fand ich die Verschlussspalte, so dass jetzt absolut kein Zweifel darüber sein kann, dass die Spalten gar keine Spalten sind, und müssen wir dieselbe von jetzt an nur als innere oder äußere Bran- chialgrube, Furche oder Tasche bezeichnen.« Es ist aus dieser Zusammenstellung der Litteratur ersichtlich, dass in Betreff der Frage nach der Existenz offener Kiemenspalten 1 Er sagt z. B. (l. c. pag. 530) die »vierte Kiemenspalte« bleibe noch eine kurze Zeit »als ein geschlossenes Epithelbläschen« sichtbar; ein Paar runde Körperchen von drüsenartig epithelialem Bau nennt er »die Reste des zweiten Spaltenpaares« etc. 2 Entwicklung der Branchialbogen und -Spalten des Hühnchens. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte von His und BRAUNE. Jahrg. 1887. pag. 1 et seq. 3]. c. pag. 6. Man vergleiche hiermit das Anfangs gegebene ausführliche Citat aus der Arbeit von Hıs. Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 407 bei amnioten Wirbelthieren, die Reptilien anlangend, ein offenes zweites Kiemenspaltenpaar als konstatirt angesehen werden kann, dass an einem Säugethier in einem Fall mit Sicherheit die drei ersten Spaltenpaare offen gefunden wurden, dass aber im Hinblick auf das Hühnchen die Angaben der Autoren einander direkt wider- sprechen. Ich hatte schon im Jahre 1854 eine Veranlassung, die Frage nach der Existenz der Kiemenspalten zu untersuchen, indem ich es unternahm, eine von der medieinischen Fakultät der Universität Dorpat für das Jahr 1884 gestellte, diese Frage betreffende Preis- aufgabe zu lösen. Im folgenden Jahre wurde die Arbeit an einem srößeren Material weiter geführt; über die Ergebnisse derselben habe ich im Februar 1886 in der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft referirt!. Die Arbeit wurde im hiesigen vergleichend-anatomischen Institut unter Leitung des Herrn Prof. Dr. E. ROSENBERG ausgeführt, dem ich für die mir gewährte Anregung und Unterstützung außer- ordentlich zu Danke verpflichtet bin. Die Gründe, auf welche gestützt Hıs die früher allgemein als feststehend angesehene Thatsache der Existenz wirklicher offener Kiemenspalten in Zweifel zieht, scheinen mir durchaus beachtens- werth zu sein; über den Werth derselben kann nicht ohne eine vorausgegangene Untersuchung entschieden werden, denn die Unter- suchungsmethode der älteren Autoren schließt in der That Fehler- quellen ein. Es konnte z. B. beim Sondiren mit feinen Haaren, ein Verfahren, welches HuscHkE? angewandt hat, eine dünne @urehsichtige Membran durchbrochen werden, ohne dass der Unter- suchende hiervon etwas bemerkte, oder es kann das Ergebnis der Untersuchung an zerlegten Objekten nicht vertrauenerweckend er- scheinen, wenn nicht besondere Maßnahmen getroffen waren, eine Zerstörung der dünnen Verschlussplatten auszuschließen. Dass dieses geschehen wäre, ist aus den Angaben der Autoren, die vor der letzten Mittheilung von Hıs über offene Kiemenspalten berichtet haben, nicht zu ersehen. Es musste bei der Untersuchung eine solche Me- ! Sitzungsberichte der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft. Jahrg. 1886. pag. 30. 2 Uber die Kiemenbogen und Kiemengefäße bei bebrüteten Hühnchen. Isis von OKEN. Jahrg. 1527. pag. 401. 408 E. Liessner thode angewandt werden, bei der sicher behauptet werden kann, dass Spalten zwischen einzelnen Kiemenbogen, falls sie sich an den einzelnen Präparaten finden sollten, am Objekt präformirt und nicht etwa durch die Manipulation des Objektes entstanden sind. Diesem Postulat glaube ich durch das von mir angewandte Verfahren genügt zu haben. Die zu untersuchenden Embryonen be- handelte ich zunächst mit 1%iger Chromsäurelösung 24 Stunden ang und zwar unterließ ich, das Amnion von den kleineren Embryo- nen zu entfernen, um so eine Schädigung derselben zu vermeiden. Ich brachte die Objekte dann in 25%igen Alkohol und durch all- mähliches Steigern der Stärke des Alkohols ließ ich die Härtung in 96%igem Alkohol sich vollenden. Dann wurden die Objekte theils mit Karmin theils mit KLEINEN- BERG scher Hämatoxylinlösung gefärbt und behufs der Zerlegung in Celloidin eingebettet. Das Celloidin benutzte ich desshalb, weil es das Objekt gleichmäßig durchdringt und die ursprünglichen topo- graphischen Verhältnisse derart fixirt, dass diese auch durch den Akt der Zerlegung nicht gestört werden können. Vor der Zerlegung wurden die Kontouren des Kopfes und der Halsgegend und die topo- graphischen Verhältnisse der Kiemenspalten unter einander und zum Embryo selbst bei schwacher Vergrößerung gezeichnet, die Schnitt- richtung bestimmt und mit Hilfe eines Mikrotoms kontinuirliche Schnittserien angefertigt. Die Schnittrichtung wurde so gewählt, dass die zweite äußere Kiemenfurche, oder diese und eine benach- barte möglichst senkrecht zu ihrer Längsachse getroffen wurden; die Schnitte kamen so nahezu in eine Frontalebene zu liegen. Die Zer- legung schritt von der dorsalen zur ventralen Fläche des Embryo vor. Die Dicke der Schnitte beträgt 0,03 mm. Es lag mir indessen nicht nur daran, die Frage nach der Existenz etwaiger offener Kiemenspalten zu prüfen. Die Kiemen- spalten sind bei höheren Wirbelthieren bekanntlich Rudimente einer Einrichtung, die bei niederen Wirbelthieren funktionirt, — sie sind Erbstücke, welche genealogische Beziehungen der höheren Wirbel- thiere zu den niederen andeuten; es musste daher interessant sein, das nähere Verhalten der Kiemenspalten bei allen drei Klassen der amnioten Wirbelthiere zu untersuchen. Wir können a priori voraus- setzen, dass diese Verhältnisse nicht überall die gleichen sein wer- den, sondern in einer gewissen Abhängigkeit von der Entwicklungs- stufe der betreffenden Thierform stehen werden. Ferner war darauf zu achten, wie sich die verschiedenen Kiemenspalten eines und des- Ein Beitr. z Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn, Wirbelthieren. 409 selben Thieres verhalten, da man auch hier Verschiedenheiten voraus- setzen kann. Entsprechend den soeben näher bezeichneten Fragen habe ich meine Untersuchung an je einem Vertreter der Reptilien, Vögel und Säugethiere angestellt, und zwar standen mir Embryonen von La- certa vivipara, vom Huhn und vom Schaf zur Verfügung. Es wur- den solehe Embryonen verwandt, bei denen man hoffen konnte, den Entwicklungsmodus der Kiemenspalten, von ihrem Entstehen bis zur Verschmelzung der Kiemenbogen unter einander verfolgen zu können. Bei der Feststellung des Befundes an jedem untersuchten Objekt wurden, wo es erforderlieh war, sämmtliche Schnitte der Serie mit Hilfe der Camera lucida skizzirt, um die Kombination des in den einzelnen Präparaten Gesehenen zu sichern. Die Mittheilung der Ergebnisse meiner Untersuchungen will ich mit einer Schilderung des Befundes an Embryonen von Lacerta vivi- para beginnen. Es wurden 11 Embryonen verschiedener Entwick- lungsstufe untersucht. Um letztere einigermaßen abzuschätzen, wurde die »Kopfgröße« bestimmt, indem die Entfernung von der promini- rendsten Stelle des Vorderhirns bis zur Konvexität des Mittelhirns gemessen wurde. Das betreffende Maß betrug im Minimum 1 mm und maxime 2,75 mm. Ich beschreibe zunächst das Verhalten eines Embryo, dessen Kopfgröße 1,75 mm beträgt. Aus der Kombination der einzelnen Schnitte ergiebt sich, dass beiderseits eine offene erste Kiemenspalte vorhanden ist (cf. Fig. 1 Asp!). Die Fig. 1, welche einen Schnitt durch den Kopf des in Rede stehenden Embryo in der Ansicht von der ventralen Seite zeigt, lässt die Durchgängigkeit der ersten Kiemen- spalte (Asp!) der linken Seite (in der Abbildung rechts) direkt er- kennen; das Hornblatt geht ohne Grenze in das Darmdrüsenblatt über, so dass der Epithelsaum, der die einander zugekehrten Seiten des ersten und zweiten Kiemenbogens bekleidet, ein kontinuirlicher ist. An der anderen Seite ist von der dorsalen Wand der Schlund- höhle noch eine schmale Zone getroffen, welche an dem Präparat den Theil der Schlundhöhle, in welchen die Kiemenspalte der rechten Seite (Asp! )fiihrt, von dem übrigen, größeren Abschnitte der Schlund- höhle getrennt zeigt; an dem nächst ventral gelegenen Schnitte er- scheint die Schlundhöhle hier einheitlich, es ist aber von der ersten Kiemenspalte der linken Seite schon die ventrale Wand des die 410 E. Liessner Kommunikation mit der Außenwelt vermittelnden Kanals getroffen. Man ersieht hieraus, dass die innere Öffnung der ersten Kiemen- spalte jederseits dicht unter der dorsalen Wand der Schlundhöhle liegt, auch ist diese Öffnung beiderseits in dorsoventraler Richtung ziemlich eng (circa 0,09 mm). In der Fortsetzung der Öffnung lässt sich an der seitlichen Schlundwand in ganz geringer Ausdehnung (drei Schnitte) eine erste innere Kiemenfurche verfolgen, die auf beiden Seiten nicht bis auf die ventrale Schlundwaud hinabführt. Die erste äußere Kiemenfurche lässt sich dagegen beiderseits bis auf die ventrale Seite des Kopfes verfolgen, wo beide Furchen sich treffen, so dass der erste und zweite Kiemenbogen äußerlich voll- ständig gegen einander abgegrenzt sind; dorsalwärts von der Öffnung der ersten Kiemenspalte lassen sich die ersten äußeren Kiemenfurchen bis zum Niveau des dorsalen Abschnittes des Medullarrohres verfolgen. Die zweite Kiemenspalte erscheint auch beiderseits offen (ef. Fig. 1 Ksp?). Die entsprechende Öffnung ist in dorsoventraler Rich- tung beinahe zweimal so groß, als die der ersten Kiemenspalte; sie reicht durch fünf Schnitte, ist also etwa 0,15 mm groß und reicht tiefer ventralwärts als die Öffnung der ersten Kiemenspalte. Die zweite äußere Kiemenfurche war jederseits eben so lang wie die erste äußere Kiemenfurche, und die entsprechenden Öffnungen der zweiten Kiemenspalte kamen etwa in die Mitte ihres Verlaufes zu liegen. Die dritte äußere Kiemenfurche ist im Vergleich mit den beiden ersten ganz seicht, so dass die entsprechende Stelle der äußeren Fläche der seitlichen Schlundwand fast ganz glatt erscheint. Dagegen ist die dritte innere Kiemenfurche sehr stark entwickelt (cf. Fig. 1 ıAfr3); sie erreicht das Hornblatt, und die so gebildete Verschlussmembran, die sehr dünn ist, besteht aus dem verschmol- zenen Horn- und Darmdriisenblatte. Diese Verhältnisse sind gleich auf beiden Seiten mit dem Unterschiede, dass die zarte Verschluss- membran links an keiner Stelle durchbrochen ist, rechts aber eine kleine Öffnung nachweisen lässt; diese war an zwei auf einander folgenden Schnitten sichtbar und zwar.so, dass in dem einen mehr dorsalwärts gelegenen die Spalte bei gesenktem Tubus, bei dem anderen mehr ventralwärts gelegenen bei gehobenem Tubus zum Vorschein kommt. Der Kanal wurde also in den beiden Schnitten halbirt und ist sein Lumen circa 0,03 mm groß. Auf diese eben beschriebene Anlage zu einer dritten Kiemenspalte folgt jederseits eine zu einer vierten, die durch eine deutlich aus- gesprochene lateralwärts bis zum Hornblatt vorspringende innere Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 411 Kiemenfurche resp. Kiementasche gebildet wird. Hier ist aber die dünne aus Horn- und Darmdrüsenblatt bestehende Verschlussmem- bran an keiner Stelle durchbrochen. Eine vierte äußere Kiemen- furche ist kaum angedeutet. Hinter der vierten inneren Kiemen- furche war noch bei dem eben uns beschäftigenden Embryo eine An- lage zu einer fünften Kiemenspalte zu konstatiren; diese Anlage manifestirte sich durch eine distalwärts von der vierten inneren Kie- menfurche gelegene, lateralwärts gerichtete seichte Ausbuchtung des Schlundepithels, welches im Bereiche der Ausbuchtung verdickt erscheint und vom Hornblatt durch eine breite Zone mittleren Keim- blattes getrennt ist. Von einer äußeren fünften Kiemenfurche war nichts zu konstatiren. Es waren also bei dem beschriebenen Embryo von Lacerta vivi- para fünf Kiemenspaltenpaare angelegt, von denen aber nur die drei ersten zum Durchbruch gelangt sind, und zwar die beiden ersten beiderseits, die dritte dagegen nur links. Ich schließe hieran jetzt die Schilderung des Befundes in demjenigen der von mir beobachte- ten Entwicklungsstadien von Lacerta vivipara, in welchem der Kie- menapparat die relativ größte Entfaltung zeigte. Die Kopfgröße dieses Embryo betrug 2,75 mm. Die erste Kiemenspalte ‘ist nicht mehr so direkt durchgängig, wie bei dem zuerst beschriebenen Em- bryo. Die Räumlichkeit der ersten Kiemenspalte hat bei diesem Em- bryo eine komplieirte Gestalt angenommen. Die äußere Öffnung (ef. Fig. 2 Ksp!) ist zwar noch deutlich sichtbar, indem aber weiter medialwärts eine partielle Aneinanderlagerung der Wände stattfindet, konnte überhaupt ein Zweifel bestehen, ob die Kiemenspalte noch offen sei. Die zweite Kiemenspalte ist eben so wie beim zuerst be- schriebenen Embryo ganz direkt durchgängig, was sicher zu kon- statiren ist (cf. Fig. 2 Ksp?2). Der Kanal hatte in seiner engsten Stelle in dorsoventraler Richtung eine Ausdehnung von 0,12 mm. Der Übergang des Horn- in das Darmdrüsenblatt geschieht olıne deutliche Grenze. Zugleich sieht man (cf. Fig. 2), dass vom zweiten Kiemenbogen aus ein kiemendeckelartiger Fortsatz sich zu bilden begonnen hat, welcher den Zugang zur zweiten Kiemenspalte von vorn her etwas überlagert. Die Anlage zur dritten Kiemenspalte gelangt bei diesem Embryo auch zum Durchbruch (ef. Fig. 2 Asp); die Öffnungen sind bei- derseits vorhanden, nur ist die der linken Seite in dorsoventraler Riehtung etwa um das Doppelte größer als die der rechten Seite, kleiner aber, als die Offaungen der zweiten Kiemenspalte. 412 E. Liessner Die Anlage zur vierten Kiemenspalte wurde links nur als vierte innere Kiemenfurche beobachtet, die in ihrem ganzen Verlaufe von der Außenwelt durch eine Verschlussmembran abgeschlossen war (ef. Fig. 2 «A frt); die letztere bestand in ihrem ventralen Abschnitte nur aus dem äußeren und inneren Keimblatte, dorsal aber war in ihrem Bereiche noch eine schmale Schicht des mittleren Keimblattes zu konstatiren. Die entsprechenden äußeren Kiemenfurchen waren sehr seicht. Eben dasselbe finden wir auch bei der Anlage zu einer rechten vierten Kiemenspalte, mit dem Unterschiede aber, dass die entsprechende Verschlussplatte in zwei auf einander folgenden Schnit- ten durchbrochen erscheint (cf. Fig. 3 u. 3a, Aspt). Der in Fig. 3 abgebildete Schnitt liegt um vier Schnitte weiter ventralwärts als der in Fig. 2 abgebildete und zeigt deutlich sowohl die äußere Off- nung der Kiemenspalte (Asp4) als auch den größten Theil der Lich- tung der vierten inneren Kiemenfurche; aus der Fig. 3a, welche den ventralwärts nächstfolgenden Schnitt in der hier interessirenden Partie wiedergiebt, ist außerdem noch die innere Öffnung der vierten Kiemenspalte, d. h. diese letztere in ihrem ganzen Verlauf zu er- sehen (cf. Fig. 3a, ikfri)!. Von der fünften Kiemenspalte war auch eine Anlage beiderseits vorhanden, und zwar als fünfte innere Kiemenfurche (ef. Fig. 3 und 3a, ikfr5), welcher entsprechend ganz seichte äußere Kiemenfurchen zu konstatiren waren (cf. Fig. 3a, Kfr°). Die vorhandene Verschluss- membran war verhältnismäßig sehr dick und bestand nur in ganz geringer Ausdehnung aus dem äußeren und inneren Keimblatte (der Schnitt, der auf Fig. 3 abgebildet ist, hat die betreffende Partie an der linken Körperhälfte getroffen); ventral und dorsal von dieser Stelle war das die innere Kiemenfurche auskleidende Darmdrüsen- blatt durch eine breite Schicht mittleren Keimblattes vom Hornblatt getrennt (cf. Fig. 3a). Es lässt sich weiter eine mit der distalen Wand der fünften inneren Kiemenfurche im Zusammenhang stehende eircumseripte Zone des Epithels der Schlundhöhle nachweisen, welche leicht aus- gebuchtet ist und im Bereiche dieser Ausbuchtung eine Verdiekung des Epithels erkennen lässt (cf. Fig. 3 «Afr6), — ein Verhalten, ! In der früher erwähnten Notiz in den Sitzungsberichten der Dorpater Naturtorscher-Gesellschaft ist angegeben worden, die vierte Kiemenspalte sei bei Lacerta stets geschlossen gewesen: es ist durch ein Versehen der hier be- schriebene Fall damals nicht berücksichtigt worden. Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 413 durch welches man veranlasst werden kann, hier den ersten Beginn der Anlage zu einer sechsten inneren Kiemenfurche anzunehmen. Vergleicht man den soeben geschilderten Befund mit dem beim früher erwähnten Embryo erlangten, so lässt sich die höhere Ent- wicklungsstufe, auf welcher das zuletzt beschriebene Objekt steht, was das erste Kiemenpaar anlangt, daran ersehen, dass hier offen- bar*die Vorgänge, die zur Bildung des Trommelfells führen, sich schon eingeleitet haben. Das zweite Kiemenspaltenpaar ist auch beim älteren Embryo ge- öffnet, es beginnt jedoch schon die Bildung des kiemendeckelartigen Fortsatzes. Beiderseits ist bei dem älteren Embryo auch ein drittes ziem- lich weit eröffnetes Kiemenspaltenpaar deutlich zu erkennen, woraus zu entnehmen ist, dass die kleine Öffnung, die sich bei dem Jünge- ren Embryo nur an einer Seite (rechts) an der Verschlussmembran der Anlage zum dritten Kiemenspaltenpaar vorfand, den Beginn der Er- öffnung dieses Kiemenspaltenpaares bedeutet. Derselbe Vorgang des Beginns der Eröffnung ist hier an dem älteren Objekt in Bezug auf die Anlage zum vierten Kiemenspaltenpaar zu konstatiren, indem einseitig (rechts) eine vierte offene Kiemenspalte besteht. Die Anlage zu einem fünften Kiemenspaltenpaar, die beim jün- geren Embryo nur eine seichte Ausbuchtung des Epithels der Schlund- höhle darstellte, ist hier eine ziemlich tiefe innere Kiemenfurche ge- worden, die schon an einer Stelle das Hornblatt berührt. Im Anschluss an die Anlage des zuletzt genannten Kiemen- spaltenpaares findet sich sogar noch eine Andeutung an eine sechste innere Kiemenfurche. Es bedürfte der Beobachtung etwas weiter entwickelter Stadien, um zu entscheiden, ob sich ein beiderseits geöffnetes viertes Kiemen- spaltenpaar werde beobachten lassen, ob an der Anlage zum fünften Paar eine partielle Eröffnung zu Stande kommen kann, und ob in solchen etwas vorgerückteren Stadien die spurenhafte Anlage zu einer sechsten Kiemenfurche deutlicher ausgesprochen ist. Objekte, die geeignet gewesen wären, diese Fragen zu entschei- den, habe ich leider nicht untersuchen können, ich muss diese Fra- gen daher offen lassen, möchte aber hier nochmals erwähnen, dass HOFFMANN die fünfte innere Kiemenfurche stets geschlossen gefunden hat, indem das diese Furche auskleidende Darmdrüsenblatt an den von Horrmann beobachteten Objekten das Hornblatt nicht erreichte. Ein Kontakt des Darmdrüsenblattes mit dem Hornblatt war an dem 414 E. Liessner von mir beschriebenen Objekt zwar eingetreten, — es diirfte indess hieraus kaum gefolgert werden können, dass in späteren Stadien ein wirklicher Durchbruch erfolgt. Dafür spricht auch der Befund an den beiden älteren Objekten, die mir noch vorliegen. In dem nächst älteren Stadium (Kopfgröße 2,5 mm) findet sich das erste Kiemen- spaltenpaar durch die Anlage des Trommelfelles schon verschlossen ; das zweite und dritte Paar ist deutlich offen; im Bereiche der vierten inneren Kiemenfurchen berührt das Darmdrüsenblatt das Hornblatt, eine Öffnung ist jedoch nicht vorhanden. Die Ausbuchtungen des Darmdrüsenblattes, welche die fünften inneren Kiemenfurchen bilden, sind zwar sehr deutlich, berühren aber das Hornblatt nicht. Es scheint somit der Kontakt des Darmdrüsenblattes mit dem Hornblatt im Bereiche der Anlage )zu diesem Kiemenspaltenpaar wieder auf- gegeben worden zu sein. In demselben Sinne lässt sich auch der Befund deuten bei dem Embryo, der unter den von mir untersuchten am weitesten in der Entwicklung vorgeschritten war. Die Kopf- größe dieses Embryo betrug allerdings nur 2,50 mm; die Größe des kiemendeckelartigen Fortsatzes, die Beschaffenheit der Chorda und Anderes ließen aber die weitere Entwicklungsstufe erkennen. Es zeigte sich hier an Stelle einer inneren fünften Kiemenfurche eine diekwandige kaum mit einem Lumen versehene kleine Aussackung _ des Darmdrüsenblattes, die weit absteht vom Hornblatt, an welchem eine fünfte äußere Kiemenfurche nicht mehr zu konstatiren ist. Es wäre sonach hier eine weitere Verkleinerung der fünften inne- ren Kiemenfurchen eingetreten. Die Anlage zu einem vierten Kiemenspaltenpaar ist bei diesem Embryo nicht eröffnet, wenn auch das Darmdrüsenblatt mit dem Hornblatte noch im Kontakt steht; das dritte und zweite Spaltenpaar sind offen, das erste nicht mehr. In Betreff der übrigen von mir untersuchten Embryonen von La- certa vivipara ist noch Folgendes zu erwähnen. Das relativ früheste Entwicklungsstadium ist durch zwei Embryonen (Kopfgröße 1,5 mm) repräsentirt, bei denen die vierte innere Kiemenfurche noch nicht angelegt ist, und das Darmdrüsenblatt im Bereiche der dritten inneren Kiemenfurche nur partiell das Hornblatt berührt; bei dem einen dieser Embryonen ist das zweite Kiemenspaltenpaar beiderseits geöffnet, bei dem andern nur rechts, links findet sich eine dünne Verschlussmem- bran. Das erste Kiemenspaltenpaar ist bei den beiden Objekten beiderseits geöffnet, woraus hervorzugehen scheint, dass die zweite Kiemenspalte sich etwas später eröffnet, als die erste. In einem etwas weiteren Stadium (Kopfgröße 1 mm), in welchem aa Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 415 die vierten inneren Kiemenfurchen als sehr seichte Ausbuchtungen des Darmdriisenblattes vorliegen, ist die Anlage zum dritten Kiemen- spaltenpaar auch noch nicht eröffnet. Die zweite Kiemenspalte ist rechts weit offen, links dagegen besteht noch eine sehr dünne Ver- schlussmembran. Das erste Kiemenspaltenpaar zeigt sich hier beider- seits offen, und bei diesem Embryo wurde die relativ größte Öffnung der ersten Kiemenspalte konstatirt; sie betrug in dorsoventraler Rich- tung etwa 0,15 mm. Es schließt sich hieran ein Embryo (Kopfgröße 2'/; mm), bei welchem die vierten inneren Kiemenfurchen schon deutlich ausge- sprochen sind, noch ist aber das Darmdrüsenblatt vom Hornblatt durch eine schmale Schieht mittleren Keimblattes geschieden. Die Anlage zum dritten Kiemenspaltenpaar ist wie beim zuletzt erwähnten Embryo beschaffen (undurchbrochene Verschlussplatte). Das erste und zweite Kiemenspaltenpaar sind beiderseits weit offen. Bei dem nächst älteren Objekt (Kopfgröße 2 mm) erreicht das Darmdrüsenblatt im Bereiche der Anlage zum vierten Kiemenspalten- paar beiderseits schon das Hornblatt (eine Anlage zu einem fünften Paar ist auch hier noch nicht vorhanden). Die Verschlussmembran der dritten inneren Kiemenfurche ist links sehr dünn, aber intakt, während rechts eine kleine Öffnung in der Membran eine vierte Kiemenspalte zu Stande kommen lässt; das erste und zweite Kiemenspaltenpaar ist wieder deutlich vorhanden. Eben so verhält sich auch ein anderer Embryo (Kopfgröße 2 mm), nur ist bei diesem schon eine fünfte innere Kiemenfurche leicht angedeutet. Die letztere findet sich in noch deutlicherer Form bei einem jetzt zu erwähnen- den Embryo (Kopfgröße 2 mm); bei diesem ist aber die Anlage zum dritten Kiemenspaltenpaare auf beiden Seiten nicht eröffnet und in - Betreff des ersten Spaltenpaares scheint sich eine retardirte Ent- wicklung geltend gemacht zu haben, indem links die erste Kiemen- spalte offen ist, rechts aber eine deutlich doppelschichtige aus Horn- und Darmdrüsenblatt bestehende Verschlussmembran vorliegt, sonst aber die Lichtung der ersten inneren Kiemenfurche sich so beschaffen zeigt, wie bei Objekten, bei denen die Anlage des Trommelfelles noch nicht eingeleitet worden ist. * Die Kenntnisnahme aller dieser Befunde gestattet, wie mir scheint, die Behauptung, dass bei Lacerta vivipara das erste und zweite Kiemenspaltenpaar sich in der Regel eröffnet, das dritte nur selten und in späteren Stadien durchbricht; die Anlage zum vierten Kiemenspaltenpaar aber nur ausnahmsweise eine Öffnung zeigt, und 416 E. Liessner dass die sehr spät auftretende Anlage zu einem fünften Kiemen- spaltenpaar höchst wahrscheinlich nie zu einer offenen Kiemenspalte sich ausbildet, zumal an derselben schon relativ früh Rückbildungen erkannt werden können. Vom Hühnchen stand mir ein reicheres Material zu Gebote; ich habe 31 Embryonen untersucht. Von diesen war der jüngste Embryo 66, der älteste 126 Stunden alt. Am deutlichsten war das System der Kiemenspalten bei 90 bis 108 Stunden alten Embryonen ausgesprochen, daher will ich zuerst zwei Embryonen aus dieser Zeitperiode beschreiben. Hühnchen von 90 Stunden. Dazu Fig. 4. Die Anlage zu der ersten Kiemenspalte ist beiderseits durch äußere und innere Kiemenfurchen gegeben; die äußeren reichen in dorso-ventraler Rich- tung viel weiter hinab, als die inneren; der Beginn der äußeren und inneren Furchen findet sich jedoch im dorsalen Theil der seitlichen Schlundwand in demselben Niveau. Die Epithelstrata, welche die äußeren und inneren Kiemenfurchen auskleiden, berühren sich in dem dorsalen und mittleren Dritttheil der Furchen, im ventralen Theil dagegen sind sie durch eine ventralwärts immer breiter wer- dende Schicht mittleren Keimblattes geschieden. Beiderseits sind die Verschlussplatten durchbrochen, es liegen somit wirkliche Kiemen- spalten vor. Der Kanal der linken ersten Kiemenspalte, der in dorso- ventraler Richtung 0,06 mm misst, verläuft gerade von außen nach innen ; diese Kiemenspalte erscheint daher in Fig. 4 (Asp!) links direkt durchgängig. Die erste Kiemenspalte der rechten Seite ver- läuft gekrümmt; Fig. 4 zeigt sie daher unterbrochen (Asp! rechts), es kann aber, wenn man das Präparat bei gehobenem Tubus be- trachtet, auch schon an diesem Schnitt die Kontinuität der Spalte konstatirt werden. Die zweite Kiemenspalte ist gleichfalls beiderseits offen, und es finden sich sowohl äußere als innere Kiemenfurchen, von denen die inneren bedeutend tiefer sind, als die äußeren. Das Darmdrüsen- blatt ist im Bereiche der Furchen mit dem Homblatt verschmolzen; die so gebildeten Verschlussmembranen sind sehr dünn und partiell durchbrochen. Bei einer genauen Kombination der betreffenden Schnitte zeigt sich; dass an der linken Seite die Membran vier kleine Öffnungen besitzt. von denen die kleinste, am meisten dorsal gelegene, in dorso-ventraler Richtung etwa 0,015 mm groß ist, die Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 417 größte dagegen 0,09 mm misst. An der rechten Verschlussplatte sind dagegen nur zwei äußere Öffnungen — eine kleine und eine relativ große — zu konstatiren, welche letztere in dorso-ventraler Riehtung 0,16 mm beträgt. Der in Fig. 4 abgebildete Schnitt hat rechts die große Öffnung getroffen, daher erscheint hier die Spalte (Ksp?) kontinuirlich, links hat der Schnitt eine der kleinen Öffnun- gen gestreift (es erscheint daher die Verschlussplatte hier nur bei einer gewissen Stellung des Tubus vollständig, bei veränderter Stel- lung wird die Lücke sichtbar). Die Anlage zu einem dritten Kiemenspaltenpaare bilden beider- seits stark ausgebuchtete innere Kiemenfurchen (Fig. 4 «Afr3). Das Darmdrüsenblatt liegt dem die entsprechenden äußeren Kiemenfur- chen auskleidenden Hornblatt an; die hier deutlich zweischichtigen Verschlussplatten sind intakt. Die Anlagen zu der vierten Kiemenspalte verhalten sich der eben beschriebenen sehr ähnlich; die inneren Kiemenfurchen (i%fr*) sind nur weniger tief, und ferner ist zu bemerken, dass die Ver- schlussplatten in ihrem größeren dorsalen Abschnitt aus Horn- und Darmdrüsenblatt bestehen, im ventral gelegenen Theil aber noch eine schmale Zone mittleren Keimblattes enthalten. Erwähnenswerth ist auch, dass die inneren und äußeren Kiemenfurchen nicht in ihrer ganzen Länge genau auf einander treffen (ef. Fig. 4). Außer der eben beschriebenen Anlage zum vierten Kiemenspal- tenpaar findet sich bei diesem Embryo noch ein fünftes angelegt ; es sind deutlich äußere und innere Kiemenfurchen wahrnehmbar (Fig. 4 akfr® und ikfr*), letztere in Gestalt seichter Ausbuchtungen des Darmdrüsenblattes, die durch eine breite Schicht mittleren Keim- blattes vom Hornblatt getrennt sind. Hühnchen von 108 Stunden. Dazu Fig. 5. Es lässt sich bei diesem Embryo ein erstes offenes Kiemenspaltenpaar nicht mehr konstatiren; es können aber der erste und zweite Kiemenbogen noch deutlich durch die äußeren Kiemenfurchen gegen einander abgegrenzt werden. Am zweiten Kiemenbogen ist ein kiemendeckelartiger Fortsatz zu erkennen (Fig. 5 Xdg?), der die äußere Öffnung der weit offenen Kiemenspalte ein wenig überragt. Die Öffnung der zweiten Kiemen- spalte ist im ‚Gegensatz zum Befunde beim zuerst beschriebenen Em- bryo beiderseits einheitlich; sie kann in sieben auf einander folgen- den Schnitten konstatirt werden, ist also in dorso-ventraler Richtung etwa 0,21 mm groß. Morpholog. Jahrbuch. 13., 1597 I 418 E. Liessner Bei diesem Embryo findet sich auch ein drittes offenes Spalten- paar; die Öffnungen sind beiderseits einheitlich und in dorso-ven- traler Richtung gleich groß (circa 0,09 mm). Sie liegen aber nicht in demselben Niveau, in Fig. 5 ist daher die Öffnung der dritten Kiemenspalte nur an einer Seite (links Asp?) zu konstatiren, rechts ist der dorsal von der betreffenden Öffnung gelegene Theil der Ver- schlussplatte getroffen, es erscheint hier somit die dritte innere Kiemenfurche (ifr?) geschlossen. Da die äußeren und inneren Kiemenfurchen in dorso-ventraler Richtung viel ausgedehnter sind, als die eben erwähnten Öffnungen der dritten Kiemenspalte, so be- stehen Verschlussplatten, die nur in ihrem am meisten dorsal resp. ventral gelegenen Theil außer dem Horn- und Darmdrüsenblatt noch eine Schicht mittleren Keimblattes aufweisen. Die Anlage zu einem vierten Kiemenspaltenpaar wird bei diesem Embryo durch viel tiefere innere Kiemenfurchen (c4fr*) als bei dem früher beschriebenen Objekt repräsentirt. Die Verschlussmembranen bestehen in ihrem mittleren Abschnitt nur aus dem Horn- und Darm- drüsenblatt, im dorsalen und ventralen Abschnitt ist auch das mittlere Keimblatt jederseits an der Verschlussplatte betheiligt, welche an keiner Stelle eine Durchbrechung zeigt. Die Anlage zu einem fünften Kiemenspaltenpaar ist bei diesem Embryo im Prineip eben so beschaffen, wie beim zuerst beschriebenen, nur ist die Ausbuchtung des Darmdrüsenblattes etwas mehr markirt. Bei der Vergleichung der beiden eben mitgetheilten Befunde erscheint auch beim Hühnchen das zweite Kiemenspaltenpaar gegen- über dem ersten als das später eröffnete; wir trafen den Beginn der Eröffnung des zweiten Kiemenspaltenpaares bei dem zuerst beschrie- benen Embryo, dessen erstes Kiemenspaltenpaar weit durchgängig war, während bei dem zweiten Objekt das zweite Kiemenspaltenpaar einheitliche weite Öffnungen besitzt und das erste schon behufs Bil- dung des Trommelfelles umgeformt erscheint. Die Eröffnung auch eines dritten Kiemenspaltenpaares charakterisirt nebst der Beschaffen- heit der Anlage zur fünften Kiemenspalte das weiter vorgerückte Stadium, in welchem der zuletzt beschriebene Embryo sich befindet. Es dürfte die Mittheilung der übrigen Befunde erleichtern, wenn ich jetzt noch zwei ältere Hühnchen in Betreff des uns beschäftigen- den Organisationsverhältnisses kurz beschreibe. Hühnchen von’ 120 Stunden. Das erste Kiemenspaltenpaar ist hier in derselben Weise umgeformt, wie beim zuletzt erwähnten Hühnchen. Die zweite Kiemenspalte ist jederseits weit offen; die Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 419 Öffnungen sind gleich groß (in dorsoventraler Richtung etwa 0,18 mm) und werden durch den kiemendeckelartigen Fortsatz überlagert. Die Anlage zu der dritten Kiemenspalte wird beiderseits durch eine tiefe innere Kiemenfurche gebildet; das Epithel derselben be- rührt das Hornblatt, welches nur sehr seichte Einbuchtungen (äußere Kiemenfurchen) erkennen lässt. Die so aus dem äußeren und inneren Keimblatte gebildete Verschlussplatte ist sehr dünn, aber an keiner Stelle durchbrochen. Die Anlage zu der vierten Kiemenspalte ist fast nur durch tiefe innere Kiemenfurchen gegeben, da das Hornblatt beinahe in dem ganzen hier in Betracht kommenden Terrain keine entsprechenden Einsenkungen zeigt, so dass bei der Betrachtung von außen her der vierte und der fünfte Kiemenbogen als ein Kiemenbogen erscheinen, gegen die Schlundhöhle hin werden aber die beiden Kiemenbogen durch die tiefe vierte innere Kiemenfurche von einander getrennt. Das Epithel der vierten inneren Kiemenfurche berührt in bedeutend größerer Ausdehnung als beim zuletzt erwähnten Embryo das Horn- blatt: die Verschlussplatte besteht also aus dem äußeren und inneren Keimblatt und nur in einem ganz kleinen ventral gelegenen Ab- schnitt ist sie dreischichtig. Ein Durchbruch der Verschlussplatte wurde nicht konstatirt. Bei dem in Rede stehenden Hühnchen ist unter allen von mir beobachteten Objekten die Anlage zum fünften Kiemenspaltenpaar am deutlichsten; die innere Kiemenfurche ist relativ am tiefsten und auch die äußeren Kiemenfurchen sind gut wahrnehmbar, die zwi- schen den epithelialen Wänden der Furchen gelegene Schicht des mittleren Keimblattes ist relativ dünn, sie ist nur etwa so stark wie das die Furchen auskleidende Epithelstratum. Hühnchen von 126 Stunden. Dieser Embryo ist der älteste der von mir untersuchten. Es wurde nur das zweite Kiemenspalten- paar offen gefunden, die Öffnungen waren von dem stark ausgebil- deten kiemendeckelartigen Fortsatz überdeckt. Die dritten und vier- ten inneren Kiemenfurehen berühren mit ihrem Epithelstratum das Hornblatt, ihre Lichtung erscheint relativ schmal und partiell findet man die Wände an einander gelagert. Von einer Anlage zu einer fünften Kiemenspalte ist nichts wahrnehmbar, weder eine innere noch eine äußere Kiemenfurche ist zu konstatiren; die vierte und dritte äußere Kiemenfurche, eben so wie die erste sind vorhanden, sie sind aber schwach ausgeprägt. Der Befund an diesen beiden Objekten lehrt, dass das zweite 27* 420 E. Liessner Kiemenspaltenpaar am längsten bestehen bleibt, und dass bei der Rückbildung der Anlagen zu den weiter distal gelegenen Kiemen- spaltenpaaren die äußeren Furchen seichter werden, ja ganz schwin- den können und die inneren eine Beeinträchtigung ihres Lumens erfahren, oder — und das gilt für die fünften inneren Kiemenfurchen — ganz verwischt werden, was Alles als ein Ausdruck für ein über- wiegendes Wachsthum der Elemente des hier in Betracht kommen- den Abschnittes des mittleren Keimblattes aufgefasst werden kann. Aus dem bisher über das Hühnchen Gesagten und einem Re- sumé über das Verhalten des Kiemenspaltensystems bei den übrigen 27 von mir untersuchten Embryonen ergiebt sich das Folgende: Die erste Kiemenspalte wurde bei acht Hühnchen deutlich offen gefunden, von denen der jüngste 66 Stunden, der älteste 96 Stunden alt war. Bei den vier jüngeren Embryonen war der Kanal der ersten Kiemenspalte stark gekrümmt und zwar so, dass die äußere Öffnung desselben mehr dorsal zu liegen kam, als die entsprechende innere; bei den vier älteren Embryonen dagegen war der Kanal mehr oder weniger gerade. | Von den acht erwähnten Hühnchen hatten drei nur einerseits eine offene erste Kiemenspalte, und zwar ließ der jüngste von ihnen (66 Stunden) links eine dünne, aus Horn- und Darmdrüsenblatt be- stehende Verschlussplatte erkennen, — die Spalte war also noch nicht entstanden; bei den anderen beiden Hühnchen, die älter waren (96 Stunden) und die erste Kiemenspalte nur einerseits offen zeigten, war an der anderen Seite schon die Bildung des Trommelfells ein- geleitet, so dass die Spalte hier nicht mehr als offene wahrzu- nehmen war. Im Maximum betrug die Öffnung der ersten Kiemenspalte (bei - einem 90 Stunden alten Embryo), in dorso-ventraler Richtung ge- messen, etwa 0,12 mm. : Bei allen mehr als 96 Stunden alten Embryonen war die Spalte in Folge der sich einleitenden Bildung des Trommelfells geschlossen. Die zweite Kiemenspalte wurde bei 28 Embryonen offen gefunden, und zwar hatten 24 Embryonen beiderseits, die übrigen vier nur einerseits eine offene zweite Kiemenspalte. Drei Embryo- nen zeigten die zweite Kiemenspalte beiderseits noch nicht eröffnet; die tiefen inneren Kiemenfurchen waren durch dünne Membranen abgeschlossen. Diese Embryonen bezeichnen die frühesten Entwick- lungsstufen des Kiemenspaltensystems, die ich untersucht habe (der eine Embryo war 66, der zweite 78, der dritte 84 Stunden alt). Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 421 Bei diesen drei Embryonen war die erste Kiemenspalte eröffnet (bei dem 78 und S4stündigen Embryo auf beiden Seiten, bei dem 66stün- digen nur auf der einen). Es lehren somit auch diese Embryonen, dass das erste Kiemenspaltenpaar früher durchbricht, als das zweite. Der jüngste Embryo, bei dem die zweite Kiemenspalte sich eröffnet hatte, war 78 alt; in welcher Entwicklungsstufe sich aber die Spalte schließt, kann ich nicht angeben, da das älteste der von mir unter- suchten Hühnchen (126 Stunden) noch eine offene zweite Kiemenspalte deutlich erkennen ließ. Die Spalte war im Maximum, in dorso-ven- traler Richtung gemessen, 0,21 mm groß, was sich bei zwei Embryo- nen fand, von denen der eine 96, der andere 102 Stunden alt war. Eine offene dritte Kiemenspalte wurde nur bei drei Em- bryonen gefunden, bei dem einen Embryo (108 Stunden) war die Spalte nur rechts offen, und es war die Öffnung in dorso-ventraler Richtung etwa 0,06 mm groß, links dagegen war eine Verschlussplatte vorhanden, die nur aus dem verschmolzenen Horn- und Darmdrüsen- blatt bestand; von den zwei anderen Embryonen, die beiderseits eine dritte offene Kiemenspalte hatten, ist der ältere (108 Stunden) der vorhin beschriebene, bei dem jüngeren (96 Stunden) war die Öffnung rechts 0,03 mm in dorso-ventraler Richtung groß, links da- gegen 0,06 mm. Die vierte Kiemenspalte wurde bei keinem Embryo offen gefunden. Die weiten inneren Kiemenfurchen waren stets mit Ver- schlussmembranen versehen, die zum Theil aus dem verschmolzenen Horn- und Darmdrüsenblatt, zum Theil auch noch aus einer da- zwischen liegenden Partie des mittleren Keimblattes bestanden. Die Anlage zu einer fünften Kiemenspalte wurde bei sech- zehn Embryonen konstatirt, von denen der jüngste S4, der älteste 120 Stunden alt war. Das Darmdrüsenblatt stand im Bereiche der fünften inneren Kiemenfurche in keinem Fall mit dem Hornblatt in Kontakt. Bei dem 126 Stunden alten Hühnchen war die Anlage zu einer fünften Kiemenspalte nicht mehr vorhanden. In Betreff des Hühnchens ergiebt meine Untersuchung somit, dass von den fünf Kiemenspaltenpaaren, die zur Anlage kommen, nur das erste und zweite sich in der Regel eröffnet; die Öffnungen des zweiten Kiemenspaltenpaares sind am größten und dieses Spal- tenpaar persistirt am längsten. Ein offenes drittes Kiemenspaltenpaar kommt nur sehr selten zu Stande; die Öffnungen sind sehr klein und bestehen, wie es scheint, nur eine kurze Zeit. 422 E. Liessner Für ein viertes und fünftes Kiemenspaltenpaar finden sich nur durch äußere und innere Kiemenfurchen gegebene Anlagen; im Be- reiche der Anlage zum vierten Paar dringt das Darmdrüsenblatt noch bis zum Hornblatt vor und verschmilzt mit ihm, während im Bereiche der fünften inneren Kiemenfurchen das Darmdrüsenblatt nicht bis zum Hornblatt gelangt, worin sich ein höherer Grad von Rückbil- dung ausspricht, als bei der Anlage zum vierten Kiemenspaltenpaar. Vom Schaf habe ich dreißig Embryonen untersucht. Beim kleinsten derselben betrug die Entfernung von der am meisten vor- springenden Partie des Vorderhirns bis zum Nackenhöcker 1 mm, beim größten — 5,5 mm. | Unter allen diesen Embryonen habe ich nur zwei gefunden, bei denen ich offene Kiemenspalten konstatiren konnte. Es sind das zwei Embryonen, bei denen das oben angegebene Maß 3 mm be- trägt. Bei beiden Embryonen finden sich vier deutlich ausgesprochene äußere Kiemenfurchen, denen vier innere, die zugleich viel tiefer sind, entsprechen. Die zu den drei ersten Kiemenfurchenpaaren gehörenden Ver- schlussmembranen bestehen in ihrem weitaus größten Theil aus den beiden hier in Betracht kommenden Epithelschiehten. Bei dem einen der beiden Embryonen sind die Verschlussmembranen, die zu der ersten und zweiten Kiemenspaltenanlage gehören, durchbrochen; die Öffnungen sind klein, doch aber ist die dem zweiten Kiemenspalten- paare angehörige etwas größer als die des ersten Paares. Der in Fig. 6 abgebildete, diesem Embryo entnommene Schnitt liegt so, dass er auf der rechten Seite nur die erste, auf der linken die zweite Kiemenspalte zeigt (Xsp!, Ksp?). Bei dem anderen Embryo ist nur einseitig (rechts) eine erste und zweite Kiemenspaltenöffnung zu sehen; diese Öffnungen sind noch etwas kleiner als bei dem vorher erwähnten Objekt und betragen beide nur ca. 0,03 mm. Bei beiden Embryonen hat das die vierten inneren Kiemenfurchen auskleidende Darmdrüsenblatt das Hornblatt nicht erreicht, die Verschlussplatten sind hier somit dreischichtig. Bei beiden Embryonen fehlt ferner eine Anlage zu einem fünften Kiemenspaltenpaar. Die letztere hat sich auch bei keinem der anderen Embryonen auffinden lassen; und was die Anlage zu einem vierten Kiemen- Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 423 spaltenpaa: betrifft, so war die Verschlussmembran auch an dem ältesten von mir untersuchten Embryo noch dreischichtig zu einer Zeit, wo bereits eine Obliteration der inneren Kiemenfurche begann. Die dritte innere Kiemenfurche hat bei den jüngsten von mir untersuchten Embryonen (dieselben besaßen noch keine Anlage zum vierten Kiemenspaltenpaar) das Hornblatt erreicht; die betreffenden Verschlussplatten sind bei allen von mir untersuchten Embryonen von der gleichen Beschaffenheit und nicht durchbrochen. Die Ver- schlussmembranen der Anlagen zur ersten und zweiten Kiemen- spalte erscheinen auch bei den jüngsten von mir untersuchten Em- bryonen stärker verdünnt, als die Membranen der dritten Kiemen- spaltenanlage, sind aber wie diese intakt. Indem ich zum Schluss die Ergebnisse meiner Untersuchungen kurz zusammenfasse, glaube ich zunächst bemerken zu müssen, dass ich die Existenz wirklicher, offener Kiemenspalten bei allen drei oberen Wirbelthierklassen als sichergestellt ansehen darf; in Bezug auf die Reptilien und Säugethiere habe ich also, was die allgemeine Frage anlangt, C. K. Horrmann und FRORIEP beizustimmen, und in Betreff des Hühnchens muss ich Mati mit Bestimmtheit entgegen- treten, und bin nicht in der Lage, mit Sicherheit eine Erklärung dafür zu geben, dass MALL nicht wenigstens das zweite Kiemen- spaltenpaar als ein offenes erkannt hat, von welchem van BEMMELEN mit Recht sagt, dass die nach außen führende Öffnung eine große ist. Der Umstand, dass die von mir untersuchten Embryonen alle in gleicher Weise behandelt worden sind, doch aber die Befunde nicht nur bei den einzelnen Thierformen, sondern auch bei den ein- zelnen homodynamen Abschnitten des Kiemenapparates eines und desselben Thieres verschieden sind, scheint mir, abgesehen von dem schon früher Erwähnten für die Zuverlässigkeit der von mir ange- wandten Untersuchungsmethode zu sprechen, zumal die gefundenen Verschiedenheiten von morphologischen Gesichtspunkten aus sich sehr wohl interpretiren lassen. Ich muss daher auch der Ansicht sein, dass die von Hıs aus- gesprochenen Zweifel im Allgemeinen aufzugeben seien, auch wenn spätere Untersuchungen ergeben sollten, dass bei Säugethieren fak- tisch die Existenz einer offenen ersten und zweiten Kiemenspalte nicht die Regel bildet. In Betreff der »vierten Kiemenspalte« muss aber zugegeben werden, dass die Vermuthung von Hıs, es beruhe die anscheinende Evidenz der Durchgängigkeit auf Täuschung, durch die Untersuchung sich bestätigen lässt. 424 E. Liessner His! bemerkt in der Hauptsache gewiss mit Recht, es wiirden die Ergebnisse der glänzenden Arbeiten RATHKE’s »selbstverständlich in keiner Weise beeinträchtigt, wenn es gelingt, zu zeigen, dass die Spalten in Wirklichkeit verschlossen sind«; wenn Hıs jedoch im Anschluss an diese Bemerkung nur den Einfluss bespricht, den ein solcher Nachweis auf die Terminologie haben müsse, so erscheint es gerechtfertigt, einen Zusatz zu diesem Passus zu machen und auch die vergleichend-anatomische Bedeutung zu erwähnen, welche der Nachweis wirklich offener resp. faktisch geschlossener Kiemenspalten besitzt. Der sichere Nachweis einer sich eröffnenden Anlage zu einer Kiemenspalte lässt den betreffenden Abschnitt des Kiemen- apparates als primitiver erscheinen, als einen mit einer intakten Ver- schlussmembran versehenen; von diesem Gesichtspunkte aus hat es auch ein Interesse, die Größe etwaiger Offnungen zu notiren, und die Zusammensetzung und Stärke der Verschlussmembranen zu unter- suchen. Es kann für unsere Vorstellungen über die allmähliche Rück- bildung eines von niederen Formen ererbten Apparates nicht gleich- gültig sein, ob sich noch Thierformen finden lassen, bei welchen im Ganzen oder im Einzelnen die Hinweise auf frühere Einriehtun- gen noch relativ vollständig sind. In so fern wäre allerdings der theoretische Werth der RATHKE’schen Entdeckung in gewisser Weise beeinträchtigt worden, wenn sich hätte nachweisen lassen, » dass die Spalten in Wirklichkeit verschlossen sind« Es darf als ein in ver- gleichend-anatomischer Hinsicht befriedigendes Ergebnis angesehen werden, dass in der That die Befunde bei den verschiedenen untersuchten Thierformen verschiedene sind. In dieser Hin- sicht hat sich die Voraussetzung, von welcher bei der vorliegenden Untersuchung ausgegangen wurde, vollkommen bestätigt. Relativ am primitivsten zeigte sich das Kiemenspaltensystem bei dem untersuchten Repräsentanten der Reptilien, indem bei Lacerta vivipara sicher Anlagen zu fünf Kiemenspaltenpaaren? und dazu noch eine Andeutung auf ein sechstes gefunden wurden. Bei dem unter- suchten Vogel wurden Anlagen nur zu fünf Kiemenspaltenpaaren nachgewiesen, und das Säugethier, welches ich untersuchte, zeigte die Zahl der Anlagen schon auf vier redueirt, bei welchen nur in den zwei ersten wirkliche Spalten erschienen, die sehr klein sind und, wie es scheint, sich nicht konstant einstellen. Beim Hühnchen 11. ¢. pag. 821. 2 Ich habe also in dieser Beziehung C. K. HorrMAnn’s und VAN BEMME- LEN’s Angaben zu bestätigen. Ein Beitr. z. Kenntn. d. Kiemenspalten u. ihrer Anl. b. amn. Wirbelthieren. 425 dagegen können die drei ersten Kiemenspaltenpaare offen gefunden werden und wir dürfen von dem ersten und zweiten sagen, dass sie in der Regel sich eröffnen und relativ groß sind. Bei Lacerta lassen sich sogar vier offene Kiemenspalten finden (die vierte allerdings nur in einem Fall und auch nur an einer Seite), von denen die beiden ersten eben so konstant erscheinen, wie beim Hühnchen. Die Anlage zur dritten Kiemenspalte, welche bei Lacerta und beim Hühnchen zum Durchbruch gelangen kann, wurde beim Schaf stets mit einer Verschluss- membran versehen angetroffen. Beim Hühnchen kann die Anlage zu einer vierten Kiemenspalte eine zweischichtige Verschlussplatte haben, während beim Schaf diese Verschlussplatte auf früherer Stufe stehen bleibt, indem dieselbe stets noch eine Zone mittleren Keimblattes erkennen lässt; letztere Beobachtung stimmt mit dem Ergebnis Fro- RIEP’s an einem Rinderembryo überein. Das Darmdrüsenblatt der fünften inneren Kiemenfurche berührte nur bei Lacerta das Horn- blatt; beim Hühnchen spricht sich die weiter gegangene Reduktion dieser Kiemenspaltenanlage darin aus, dass das Darmdrüsenblatt stets durch eine mehr oder weniger breite Schicht des Mesoderm vom Hornblatt getrennt bleibt. Bei dem untersuchten Säugethier er- reicht die Reduktion des hier untersuchten Organisationsverhältnisses den relativ höchsten Grad. Dass aber das beim Schaf Gefundene nicht für alle Säugethiere maßgebend sein kann, lehrt schon der Umstand, dass FrorıEer beim Rinde die drei ersten Spalten offen gefunden hat, und es ist zu untersuchen, wie sich die relativ primi- tivsten unter den jetzt lebenden Säugethieren verhalten werden. Die Vergleichung des Befundes am Kiemenspaltensystem von Lacerta und dem Hühnchen unterstützt die Auffassung, dass die Vögel höher -differenzirt sind, als die Reptilien. Auch die Verschiedenheiten, die man bei jeder der untersuchten Formen in der Größe der Öffnungen und in der Beschaffenheit der Verschlussplatten findet, sowie der Umstand, dass die mehr distal gelegenen Kiemenspaltenanlagen die relativ am wenigsten ausgebil- deten sind, können leicht verstanden werden. Eine Betrachtung des Kiemenapparates der niederen Wirbelthiere lehrt, dass die auch bei diesen vorkommende Reduktion der Kiemenspalten und -Bogen die am meisten distal gelegenen zumeist betrifft und proximalwärts vor- schreitet — und das spiegelt sich in der ontogenetischen Entwicklung der höheren Wirbelthiere wieder. Dorpat, 3./15. Juli 1887. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVI. Die Kontouren der Abbildungen sind mit der OBERHAUSER’schen Camera lucida unter Berücksichtigung etwaiger Defekte (wie in Fig. 1) entworfen worden. Im Interesse der Übersichtlichkeit der Figuren musste eine geringe Vergrößerung (°5/,) gewählt werden; es ist daher in den Abbildungen das histiologische Detail der in Betracht kommenden Keimblattantheile nicht wie- dergegeben. Das Hornblatt ist als eine dunklere Zone dargestellt, das Darm- drüsenblatt als eine hellere Zone, welche beide das noch heller gehaltene Ge- biet des mittleren Keimblattes begrenzen. Wo das Hornblatt und das Darm- drüsenblatt ohne scharfe Grenze in einander übergehen, ist das durch die Schattirung angedeutet. Wo diese Zonen in den Figuren gegen das Gebiet des mittleren Keimblattes nicht scharf abgegrenzt erscheinen, war in.den Präparaten die Trennungsfläche der Epithelstrata und des mittleren Keimblattes nicht senk- recht getroffen worden. Die hellen Lücken im Gebiet des mittleren Keimblattes stellen Durchschnitte durch Gefäße dar. Die Schnitte wurden in der Ansicht von der dorsalen Seite abgebildet mit Ausnahme des in Fig. 1 wiedergegebenen, der in der Ansicht von der ventralen Seite abgebildet wurde. Die Buchstaben bedeuten für alle Figuren: Hbl Hornblatt, Dbl Darmdrüsenblatt, M.bl mittleres Keimblatt, Mr Medullarrohr, Aob Aortenbogen, Kbg Kiemenbogen, Ksp Kiemenspalte, a.kfr äußere Kiemenfurche, i.kfr innere Kiemenfurche, Ch Chorda dorsalis, Utrf Unterkieferfortsatz des ersten Kiemenbogens, Amn Amnion. Die Fig. I, 2, 3 und 3a beziehen sich auf Embryonen von Lacerta vivipara. In Fig. 1 ist ein Schnitt durch einen Embryo, dessen Kopfgröße 1,75 mm betrug, abgebildet. Fig. 2, 3 und 3a gehören zu einer und derselben Serie (Kopfgröße des die nähere Bezeichnung geschieht durch eine beigefügte Ziffer. Embryo 2,75 mm). Zwischen dem Präparat der Fig. 2, welches relativ am _ meisten dorsal liegt, und dem der Fig. 3 liegen drei Schnitte. Fig. 3a folgt ventralwärts unmittelbar auf Fig. 3. Fig. 4. Hühnchen von 90 Stunden. Fig. 5. Hühnchen von 108 Stunden. Fig. 6. Schafembryo, bei welchem die Entfernung der prominirendsten Stelle des Vorderhirns vom Nackenhöcker 3 mm betrug. u 4 ba. All. Taf XV/. Fig. 105%) Fig.5.031) Fig. 45) Verlag Wilh. Engelmann u Teipzig, Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. Ein Beitrag zur Morphologie des Wirbelthierkopfes. Von N. Goronowitsch. Mit Tafel XVII—XX. »The influence of the nomenclature of human ana- tomy reflected downward upon the dawning Struc- tures of the lower animals which culminate in Man, is nowhere more obstructive to a plain and true in- dication of the nature of parts than in regard to those of the brain.« R. Owen, Comp. Anat. I. pag. 294. Die vorliegende Arbeit versucht einen Grundriss der Anatomie des Gehirnes und der Cranialnerven der primitivsten mir zugäng- lichen und in dieser Beziehung wenig studirten Formen zu geben. Sie versucht somit, das vorhandene Material unserer Kenntnisse iiber die indifferenten Verhältnisse des Kopfnervensystems niederer Wir- belthiere zu vermehren. Mehrere neuere Arbeiten verfolgen "densel- ben Zweck, es sind somit die Wege zu einer methodisch durchge- führten morphologischen Erkenntnis des Wirbelthiergehirnes vorbe- reitet. Eine solche Erkenntnis ist zur Zeit noch ein Desiderat. Es werden sogar in der neueren neurologischen Litteratur oft Versuche gemacht, die indifferenten Verhältnisse der niederen Wirbelthiere vom Standpunkte der höheren Organisationen zu erklären. Dieser Fehler gegen die morphologische Methode wird in dem Maße besei- tigt, als unsere Kenntnisse über die Struktur des Gehirnes niederer Wirbelthiere hinreichend wachsen. 428 N. Goronowitsch Die Wahl des Untersuchungs-Objektes ist, wie gesagt, durch äußere Bedingungen bestimmt; und diese Wahl ist nicht die gliick- lichste und beeinträchtigt die Folgerungen. Nur das eingehende Studium der Gehirnstruktur der primitivsten Gnathostomen Cranioten, der Notidaniden, kann gewichtige Schlüsse über die primitivsten Verhältnisse des Gehirnes geben. Wenn ich mir jedoch erlaube, mehrere von mir gefundene Einrichtungen als sehr primitiv zu be- trachten, so hoffe ich die Rechtfertigung dafür zu finden, indem ich auf die auffallende Ähnlichkeit der äußeren Struktur der Medulla oblongata der Knorpelganoiden und von Hexanchus verweise. Diese Ähnlichkeit der äußeren Struktur, so weit sie aus den Arbeiten von - Busch, STANNIUS und GEGENBAUR zu erkennen ist, lässt einen primitiven Zustand der inneren Struktur der Medulla oblongata bei Knorpelganoiden als noch erhalten vermuthen. Die schon in den Arbeiten GEGENBAUR’s postulirte Duplieität des Trigeminus, welche eine vollkommene Bestätigung an dem Be- funde bei Acipenser ruthenus fand, erwies als nothwendig auch die peripherischen Innervationsterritorien der beiden Nerven des Komplexes näher zu untersuchen. Auf eine vergleichende Besprechung der Strukturen der Oblongata der Knorpelganoiden und Knochenfische musste ich vorläufig leider verzichten. Die Behandlung dieser Frage scheint mir erst dann sicher durchführbar, wenn das peripherische Verhalten des Trigemino-Facialiskomplexes einer neuen Untersuchung unterworfen wird. Bei der Untersuchung der inneren Struktur des Gehirnes habe ich Schnittserien benutzt, wie sie durch Paraffinbehandlung und Pi- krokarminfärbung zu erhalten sind. Daher sind auch die Fragen der Detailhistologie von mir unberührt geblieben. Eine Untersuchung der gröberen Anatomie des Gehirnes von Amia calva und des Vorderhirnes von Polypterus senegalensis ist vorgenommen, um das Vorderhirn dieser Formen mit denjenigen der Knorpelganoiden und Knochenfische zusammenzustellen. Endlich wurden von mir die embryonalen Hirnkrümmungen der Teleostier näher behandelt, um die Ansichten von A. GOrreE über die morpho- logische Hirnachse durch neuere Untersuchungsmethoden zu prüfen und auf Grund dieser Ansichten die Krümmung des Gehirnrohres der Knorpelganoiden zu beurtheilen. Einige Ergebnisse meiner auf die Gehirnanatomie speciell ge- richteten Untersuchungen erlaubten allgemeinere Fragen der Morpho- logie des Kopfes der Wirbelthiere zu berühren. Die eigenthüm- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 429 liche Kriimmung des Gehirnrohres der Notidaniden und anderer pri- mitiven Formen ließen sich als Erklärungsprineip der Form des primitiven Schädels anwenden. Dabei war es möglich, mit Bezug auf die Lehren von GEGENBAUR, sowie der treffenden Ansichten von GörTE über die Gehirnmorphologie etwas näher die gegenseitigen Beziehungen des chordalen und prächordalen Abschnittes des Schä- dels zu beurtheilen. Die Resultate der histologischen Untersuchung der Nervenur- sprungsstätten, sowie der dorsalen und ventralen Komponenten eini- ger cranialen Nerven veranlassten mich, unter Herbeiziehung einiger neuen Angaben die Frage über die Homodynamie der Cranial- und Spinalnerven näher zu besprechen. Dureh diese Zeilen hoffe ich den scheinbar heterogenen Stoff dieser Arbeit hinreichend motivirt zu haben. I. Anatomie des Gehirnes von Acipenser ruthenus! und Amia calva. Das Vorderhirn der Knochenfische. Wenn man die membranöse Decke des Hinterhirnes von Aci- penser ruthenus abtrennt (Fig. 6), so erblickt man den Boden und die Gebilde der seitlichen Theile des sehr langen Ventriculus IV. Auf der Mittellinie des Bodens verläuft eine Längsfurche. Zu beiden Seiten derselben liegen zwei Lingswiilste, — ich werde diese Wülste als hintere Längsbündel bezeichnen (47). Zwei tiefe Rinnen ver- laufen rechts und links von den hinteren Längsbündeln und trennen diese letzteren von den lateralen Wänden des vierten Ventrikels, welche in ihre ventralen Theile fast vertikal aufsteigen. Diese Ver- hältnisse sind auf Querschnitten durch das Hinterhirn (Taf. XX Fig. 45—50) zu sehen. In der Nähe der hinteren Peripherie des Cere- bellum findet man am Boden der Rautengrube zwei beiderseits quer- verlaufende weiße Stränge. Diese Stränge erscheinen als nach rechts ‘In der für ontogenetische Angaben so werthvollen Arbeit von SALENSKY (27) ist die Anatomie des erwachsenen Gehirnes von A. ruthenus höchst unge- nügend geschildert. Die kurze Beschreibung des Mittelhirnes ist durch eine unrichtige Anwendung der Bezeichnungen »torus longitudinalis« und »tori se- micirculares Halleri« verdunkelt. SALEnsky fand die membranöse Decke des Vorderhirnes bei Acipenser, beschrieb aber ihre anatomischen Verhältnisse nieht. Die Lobi olfactorii sind von SALENSKY gar nicht erwähnt. 430 N. Goronowitsch und links gerichtete Abzweigungen der hinteren Längsbündel. Sie durchziehen in ihrem queren Verlauf die Rinnen, welche zu beiden Seiten der hinteren Längsbündel liegen und verschwinden bald in den seitlichen Wänden des vierten Ventrikels. Diese Stränge sind von STANNIUs (2) beschrieben und abgebildet worden. Er vermuthete, dass sie mit dem Acusticus in Zusammenhang stehen. Ich finde aber, dass sie Faserbündel der ventralen Wurzel des N. facialis sind. Diese Faserbündel füllen an den Stellen ihres Verlaufes vollständig die seitlichen Rinnen. Proximalwärts erscheinen die Rinnen wieder und setzen sich fort bis zu den mittleren Querschnitts- ebenen des Cerebellum, wo sie allmählich verschwinden. An dieser Stelle werden auch die Wülste der hinteren Längsbündel allmählich niedriger (Taf. XX Fig. 52). Der ventrale Abschnitt der seitlichen Wände des vierten Ven- trikels liegt, wie gesagt, fast vertikal. Dorsal tragen diese Wände zwei sehr entwickelte Längsstränge (Taf. XX Fig. 45—49 Lv), welche die Höhle des vierten Ventrikels stark verengen. Diese Stränge sind schon in den Querschnittsebenen der hinteren Ecke des vierten Ven- trikels sehr voluminös. Sie sind hier die am meisten dorsal liegen- den Gebilde der Wände (Taf. XX Fig. 45). Proximalwärts werden sie durch andere Theile bedeckt (Fig. 46, 47). Die betreffenden Stränge sind die Lobi vagi der Autoren. Der Kürze wegen kann man diese Bezeichnung behalten, jedoch mit der Bemerkung, dass die sogenannten Lobi vagi in der That komplieirtere Gebilde dar- stellen. Ihre distalen Abschnitte sind als Ursprungsstätten der Fasern der dorsalen Wurzeln des Vagus, des Glossopharyngeus und des Facialis aufzufassen. Ihre proximalen Abschnitte bestehen haupt- sächlich aus längsverlaufenden Fasern der dorsalen Wurzeln des N. facialis. Die Lobi vagi setzen sich von der distalen Ecke des vierten Ventrikels als halbeylindrische Stränge proximalwärts fort. In der Gegend der Austrittsstellen des Vagus und des Glossopharyngeus sind sie stark verdickt. Proximalwärts werden sie viel schmäler. Schiebt man die dorsalwärts liegenden Theile, welche die proximalen Abschnitte der Lobi vagi bedecken, zur Seite, so sieht man die so- genannten Lobi vagi an einer gewissen Stelle der Rautengrube plötzlich lateralwärts umbiegen; dabei verschwinden sie sofort in das Gewebe der Wände des vierten Ventrikels. Mit einem Scheren- schnitt kann man die Wand an der betreffenden Stelle spalten, man überzeugt sich dann, dass der verschwundene Strang lateralwärts | Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 431 und etwas schief dorso-ventral in der Dicke der Wand verläuft und als feinfaserige dorsale Wurzel des Facialis austritt (Fig. 50 Fra). Die Untersuchung der Schnittserien begründet das Resultat. Proximal von der Stelle, wo die dorsale Facialiswurzel seitlich umbiegt, sieht man einen sehr schmalen Längsstrang nach vorn ver- laufen. Man erkennt den Strang deutlich auf Querschnitten (Fig. 52 FC). An mit Salpetersäure behandelten Gehirnen ist er auch durch eine weiße Farbe leicht zu erkennen. Dieser Strang ist ein Faserkom- plex, der aus dem Cerebellum kommt und der dorsalen Wurzel des Facialis sich zugesellt. In den Austrittsebenen des Vagus und des Glossopharyngeus triigt der distale Abschnitt der Lobi vagi eine Reihe von Anschwel- lungen; die letzteren sind bei Acipenser ruth. von den dorsalwärts liegenden Theilen bedeckt, daher auf Taf. XVII Fig. 6 nicht sichtbar. Solche, fiir manche Selachiergehirne charakteristischen Gebilde, sind auch beim Stör von Srannius und von Busch beschrieben worden. Diese Anschwellungen variiren individuell in der Zahl sowie auch in der Stärke der Entwicklung bei Acipenser. Schon in den distalen Abschnitten der Rautengrube werden die Lobi vagi von zwei Striingen bedeckt, welche allmählich nach vorn dicker werden (Taf. XX Fig 46 Di). Diese Gebilde werde ich als dorso-laterale Stränge bezeichnen. Im hinteren Viertel des Ventri- eulus IV werden die so eben erwähnten Stränge durch Markleisten bedeckt (Taf. XVII Fig. 6, Taf. XX 47—53 CL). Ich werde diese Leisten als Cerebellarleisten bezeichnen, was ich später damit begrün- den werde, dass ich die Identität der Struktur dieser Leisten mit der sogenannten Rindenschicht des Cerebellum darlege. Proximal gehen die Cerebellarleisten ununterbrochen in die seitlichen Theile des Cerebellums über. Im vorderen Drittel des vierten Ventrikels, dor- salwärts von den Cerebellarleisten, liegen zwei flache, ovale Höcker (Fig. 6 Zé). Sie werden von der membranösen Decke des vierten Ventrikels bedeckt (Taf. XX Fig. 49, 50 Zt) und sind die Lobi tri- gemini der Autoren. Man kann die Bezeichnung mit der Bemerkung beibehalten, dass sie die Ursprungsstätte der dorsalen Wurzeln der Nervi trigemini II sind (Fig. 50 7.II.d). Die Cerebellarleisten sind von den ventralwärts liegenden dorso-lateralen Strängen durch eine leichte Furche getrennt. Proximal werden sie allmählich dicker und bilden seitliche leichte Vorsprünge der Wände der Medulla ob- longata, welche der Corpora restiformia der höheren Wirbelthiere der äußeren Form nach ähneln. Vor den Lobi trigemini steigen sie bogen- 432 N. Goronowitsch förmig gegen die dorsale Fläche des Cerebellums und bilden einen wesentlichen Theil der Pedunculi cerebelli (Taf. XVII Fig. 9 PC). Gegen die Bezeichnung der so eben beschriebenen Theile als »Corpora restiformia« hat sich FrırscHh (66 pag. 81) ausgesprochen, indem er die Fortsetzung der Cerebellarstruktur in das Nachhirn bei Selachiern konstatirte. (Vgl. auch Vıausrt 57 pag. 495.) Bei der Eröffnung der Oceipitalregion des Schädels der Knorpel- ganoiden findet man unter dem Knorpel eine Anhäufung schwammi- gen Gewebes von besonderem Charakter. Dieses liegt auf der mem- branösen Decke des vierten Ventrikels und setzt sich eine Strecke weit distalwärts bis zur Austrittsstelle der ersten Spinalnerven fort. Wenn man dieses Gewebe in situ lässt und das Gehirn im breitge- öffneten Schädel erhärtet, so kann man die Form der membranösen Decke gut erhalten, wie es die Fig. 9 darstellt. Die Decke des vierten Ventrikels bildet ein dorsal etwas abgeflachtes Gewölbe. Auf der Mittellinie desselben verläuft eine seichte Längsfurche. Etwas distal von der hinteren Peripherie des Cerebellum sendet die Furche zwei Äste aus. Sie verlaufen lateralwärts parallel der hinteren Peri- pherie der seitlichen Theile des Cerebellum. Ein schmaler Ab- schnitt der Decke, proximal von den seitlichen Ästen der Rinne, ist gewöhnlich stark pigmentirt, dorsalwärts konvex und von Quer- leisten bedeckt (Fig. 9). Von der ventralen Seite betrachtet ist die membranöse Decke im hinteren Drittel des Ventrikels glatt (Fig. 6). Im mittleren Drittel trägt sie eine Reihe komplieirter Falten, welche quer und etwas cau- dalwärts gerichtet sind. Sie entspringen von der Mittellinie der Decke und werden in den seitlichen Theilen allmählich niedriger. An der Stelle der ventralen Fläche der Decke, welche dem Verlaufe der Äste der dorsalen Rinne entspricht (Fig. 6 2), findet man, dass die Falten von den Stellen dieser Äste entspringen und federfahnenartig nach beiden Seiten verlaufen. Auf Schnitten sieht man die Falten © aus reich entwickelten Duplikaturen der epithelialen Lamelle der Decke bestehen (Fig. 48 D}. In diese Duplikaturen dringen vascu- larisirte Fortsätze von Bindegewebe. Das ganze Gebilde ist also ein stark entwickelter Plexus chorioideus. Im hinteren Drittel des Ventrikels besteht der mittlere Abschnitt der Decke aus stark ab- geflachten Zellen, welche in den seitlichen Theilen allmählich höher werden und kontinwrlich in die Zellen des Ependymepithels des Ventrikels übergehen. In den distalen Abschnitten des Ventrikels findet die Anheftung der Decke lateralwärts von den Lobi vagi statt. ie FOREN ne ae —- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 433 Proximal besitzt die Decke iiberall Epithelzellen kubischer Form. Ihre Anheftung findet an der dorsalen Fläche der dorso-lateralen Stränge statt. In der Gegend der Cerebellarleisten verläuft die An- heftungslinie der Decke auf den lateralen Theilen der Leisten. Proximal steigt die Anheftungslinie dorsalwärts. In der Gegend der Lobi trigemini liegt sie unmittelbar an der Grenze zwischen Lobus trigemini und der Cerebellarleiste. An der Austrittsstelle der dor- salen Wurzel des Trigeminus II liegt die Decke unmittelbar dorsal von den austretenden Fasern (Taf. XX Fig. 50). Auf der dorsalen Fläche des Cerebellum ist die Anheftungslinie der Decke auf Taf. XVII Fig. 6 durch Punktirlinien dargestellt. Das Epithel der Decke geht unmittelbar in das Epithel über, welches die ventrale Fläche des Cerebellum überzieht. Das Cerebellum von Acipenser zeigt im Allgemeinen dieselben Ver- hältnisse als das der Knochenfische. Im Speciellen aber bestehen ge- wisse Abweichungen, welche eine direkte Vergleichung erschweren. Auf Fig. 6 ist das Cerebellum von der dorsalen Fläche darge- stellt; das Tectum opticum ist entfernt. Man sieht in der Höhle des Mittelhirnventrikels einen dreilappigen Körper (Ve). Dieser ent- spricht der Valvula cerebelli der Knochenfische. Auf dem Median- schnitt (Taf. XVII Fig. 17) sieht man, dass die Valvula fast die ganze Höhle des Mittelhirnes ausfiillt. Sie bildet eine diekwandige, quer- liegende Falte. Das dorsale Blatt der Falte vec’ geht kontinuirlich in das Gewölbe des Mittelhirnes über (Tectum opticum). Das ven- trale Blatt der Falte ve’ geht in das Cerebellum über. In der distalen Hälfte der Valvula gehen die seitlichen Theile des dorsalen sowie der ventralen Blätter in die seitlichen Theile des Gehirnrohres über (Taf. XX Fig. 56). Medial sind die beiden Blätter durch einen Spalt von einander getrennt. In diesen dringt von hinten ein Fort- satz von Arachnopialgewebe!. In der proximalen Hälfte der Valvula, wo das ventrale Blatt in das dorsale umbiegt, sind die seitlichen Verbindungen der Valvula mit den Wänden des Gehirnrohres dünner. Der vorderste Abschnitt der Valvula setzt sich frei, ohne seitliche Verbindungen in die Höhle des Ventrikels fort. Auf dem Medianschnitt (Taf. XVIII Fig. 17) sieht man die mittleren Theile des Cerebellum von fast derselben Länge wie die Valvula, welche den größten Theil des Mittelhirn-Ventrikels einnimmt. Es 1 Nach SAGEMmEHL (10) fasse ich die unmittelbar dem Gehirne auf- liegende Hirnhaut der Fische als von einander undifferenzirte Pia und Arach- noidea auf. Morpholog. Jahrbuch. 13. 28 434 N. Goronowitsch geht daraus hervor, dass das Cerebellum der Knorpelganoiden, trotz einiger Angaben, ein weit mehr entwickeltes Gebilde darstellt, als das Cerebellum der Cyclostomen oder Amphibien. Die seitlichen Theile des Cerebellum bilden zwei starke Vor- sprünge (Taf. XVII Fig. 6). Ventral gehen sie bogenförmig in die dorso-lateralen Abschnitte der Wände des vierten Ventrikels über. Wir werden sie der Kürze wegen als »Pedunculi« bezeichnen. Dabei ist zu bemerken, dass ihre Struktur und Bedeutung von jener der Peduneuli cerebelli der höheren Wirbelthiere durchaus verschieden sind. Die Pedunculi gehen in den dorsalen Abschnitt des Körpers des Cerebellum über. Sie setzen sich distalwärts als zwei blatt- förmige Anhänge der dorsalen Fläche des Körpers fort. Diese An- hänge umkreisen die hintere Peripherie des Cerebellum und bilden eine dorsale Kante, welche in den hinteren Abschnitten sich all- mählich verschmälert (Taf. XX Fig. 52, 53 Fi). Diese Kante ent- spricht offenbar dem mittleren Verbindungsstück der Fimbriae der Selachier (vgl. 66 pag. 34). Ich werde sie als »Fimbria« bezeich- nen. Die Seitentheile des Körpers tragen zwei dicke Wülste (Fig. 52, 54 W), welche proximal in die vorderen Theile der Peduneuli übergehen. Die ventrale Fläche des Körpers bildet einen Vorsprung in die Höhle des vierten Ventrikels. Diesen Vorsprung bezeichne ich als Kiel (X). Der Kiel setzt sich durch die ganze Länge der Valvula fort. Er bildet den mittleren Lappen der letzteren (Taf. XVII Fig. 6 X), geht auf das dorsale Blatt über und reicht bis zu den hinteren Abschnitten des Tectum opticum. Das Gewölbe des Mittelhirnes (Tectum opticum) ist bei Acipen- ser nicht so deutlich wie bei Knochenfischen in zwei Lobi getheilt. Die Längsachse der Gewölbe steht beinahe senkrecht zur Längs- achse der Medulla oblongata. Die Basis des Mittelhirnes bildet eine direkte Fortsetzung der Basis der Medulla oblongata (Taf. XVII Fig. 9, XVII Fig. 17). Die Tori semicirculares Halleri sind nur durch sehr schwach ausgesprochene Verdickungen der lateralen Abschnitte der Basis des Mittelhirnes dargestellt (Taf. XXI Fig. 58 ZZ). Diese Tori fehlen bekanntlich auch bei Selachiern. Der vordere Abschnitt der Basis des Mittelhirnes fällt steil ventralwärts ab und geht in die Wandung des stark entwickelten Lobus infundibuli über. Die seit- lichen Wände des Lobus infundibuli bilden zwei runde seitliche Vorsprünge, Lobi inferiores, welche eine breite Höhle einschließen (Taf. XXI Fig. 63). “Der hintere Abschnitt des Lobus setzt sich in einen breiten membranösen Sack, den sogenannten Saccus vasculo- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 435 sus (Sv) fort. Ventral ist der Lobus mit der zweilappigen Hypo- physis (Zy) in Verbindung. Ich gehe nun zur Beschreibung des Vorderhirnes über. Aus den Untersuchungen von RABL-RÜCKHARD (20, 21) ging hervor, dass das Vorderhirn der Knochenfische eine membranöse dorsale Decke besitzt. Die ventrale Wand besteht aus zwei dicken gangliösen Massen, welche frühere Forscher als Hemisphären bezeichneten. Dieselbe Beschaffenheit zeigt das Vorderhirn aller von mir unter- suchten Ganoiden. An der Stelle der dorsalen Oberfläche des Gehirnes, da wo das Gewölbe des Mittelhirnes in das Gewölbe des Vorderhirnes über- geht, entspringt die Epiphyse, die konstante Grenze jener beiden Gehirnabsehnitte. Ihr proximaler Abschnitt ist in eine Rinne der dorsalen, membranösen Anhangsgebilde des Vorderhirnes gelagert (Taf. XVII Fig. 9, XXI Fig. 62 Ep). Daher ist auch dieser Abschnitt der Epiphyse von der dorsalen Seite des Gehirnes ohne Präparation nicht zu sehen. Der proximale Abschnitt der Epiphyse ist sehr dünn und besitzt ein enges kanalartiges Lumen. Distal ist das Lumen obliterirt, erscheint aber wieder in dem verbreiterten End- abschnitte der Epiphyse. Dieser distale Abschnitt steckt in einer Nische des Knorpeleraniums, wie es Srannius schon beschrieben hat (4, pag. 134). Dieses Verhalten der Epiphyse ist auf Taf. XVIII Fig. 17 dargestellt. Das Gehirn wurde zur Herstellung des Präpa- rates mit einem Theil des Knorpeleranium geschnitten. Das distale Ende der Epiphyse liegt also bei Knorpelganoiden nicht extracraniell wie bei Selachiern (46). Das ganze Gewölbe des Vorderhirnes ist membranös und besteht aus einer verschiedenartig gefalteten Epithellamelle (Taf. XXI Fig. 62, Taf. XXII Fig. 78, 79 D). Nur der Gewölbtheil der Lobi olfactorü _ besteht aus dicken Markwandungen (Taf. XXII Fig. 72, 74). Zwischen der Decke des Vorderhirnes und der Epiphyse liegt ein breiter mem- branöser Sack (Taf. XVIII Fig. 17 Ds), dessen Höhle distalwärts in breiter Kommunikation mit der Höhle des Vorderhirnes steht. Das blinde Ende des Sackes ist proximalwärts gerichtet. Der Sack ist also als ein breiter Divertikel der Vorderhirndecke aufzufassen, welcher proximal von der Ursprungsstelle der Epiphyse entspringt. Wir wollen ihn der Kürze wegen als Dorsalsack bezeichnen. Nach dieser Übersicht des Gesammtbaues sind die Detailverhältnisse leichter dar- zustellen. Das Tectum opticum geht mittels einer queren dickwandigen 25* - 436 N. Goronowitsch Falte in das Vorderhirngewölbe über (Taf. XVIII Fig. 17 Cp). Die Falte bildet einen Vorsprung in die Höhle des Mittelhirnventrikels und theilt dessen vordersten Abschnitt in zwei Etagen (Taf.XXI Fig. 63). Die dicke Wand der Falte besteht hauptsächlich aus Querfaserzügen der Commissura posterior. In den Querschnittsebenen, welche un- mittelbar proximal liegen, trifft man den Ursprung der Epiphyse (Taf. XXI Fig. 59 Ep). Zu beiden Seiten der Epiphyse liegt je eine polsterartige Markmasse (gh). Die rechte ist bedeutend stärker ent- wickelt als die linke, der Querschnitt ist daher unsymmetrisch (Fig. 60). An diese Gebilde sind zwei Epithellamellen angeheftet (Fig. 59 DD’). Nach vorn rücken die medialen Anheftungsstellen dieser Lamellen gegen einander und bilden schließlich eine einheitliche Lamelle (Fig. 60 D), nämlich die Decke des Vorderhirnes. Nach hinten endigen die beiden Höhlen (DD’) blind. Auf die dorsale Oberfläche dieser Decke legt sich der proximale Abschnitt der Epiphyse. Die paarigen asymmetrischen Gebilde (GA), welche in den distalen Ebenen mit einander medial verbunden sind, sind proximal von einander ge- trennt und bilden zwei Vorsprünge in den Vorderhirnventrikel (Fig. 60). Dieses sind die bei den Knochenfischen als Tubercula intermedia und Ganglia habenulae bekannten Gebilde. Das rechte Ganglion ist, wie gesagt, bedeutend größer als das linke. Auf einer von hinten angelegten Querschnittsserie endet also das linke Ganglion eher als das rechte. An der Stelle der vorderen Peripherie des linken Ganglion dringt eine seitliche Duplikatur der membranösen Decke des Vorderhirnes in den Vorderhirnventrikel; sie ist auf dem proximalen Querschnitt (Taf. XXI Fig. 62 Dp) darge- stellt. Die Duplikatur hat eine ziemlich komplieirte Beschaffenheit. Die Epithellamelle, aus welcher sie besteht, bildet viele Falten und ‘sackformige Ausstülpungen, in welche Fortsätze von Bindegewebe und Gefäße eingeschlossen sind. Sie hat also die Struktur eines Plexus chorioideus. Ein aufmerksames Studium der kontinuirlichen Serie zeigt nirgends eine Kontinuitätsunterbrechung der Epithellamelle. Die Höhle des Ventrikels des Vorderhirnes ist also überall geschlossen und von dem umgebenden Bindegewebe durch die Epithellamelle abge- trennt. An der vorderen Peripherie des rechten Ganglion habenulae berührt der Rand der Duplikatur die entgegengesetzte Wand des Gehirnrohres und geht in die letztere über. Die dorsale Lamelle der Duplikatur bildet die ventrale Wand des dorsalen Sackes. Die ventrale Lamelle bildet die membranöse Decke des Vorderhirnes (Taf. XXI Fig. 64, Taf. XXII Fig. 78). Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 437 Aus dieser Beschreibung ist ersichtlich, dass die Offnung des dorsalen Sackes in dem Ventrikel des Vorderhirnes in einer asymme- trischen Ebene liegt. Der Rand dieser Offnung ist durch den Rand der Duplikatur gebildet und verläuft asymmetrisch von links nach rechts und von hinten nach vorn. In mehr nach vorn liegenden Querschnittsebenen findet man zwei getrennte Höhlen: eine glatt- wandige dorsale, die Höhle des Dorsalsackes, und eine ventrale, die Höhle des Vorderhirnes. Die dorsale Wand dieser letzteren ist überall membranös; ihre lateralen Abschnitte sind glatt; der mediale Abschnitt zeigt reich ausgebildete Plexusfalten. Der ventrale Ab- schnitt des Gehirnrohres dieser Gegend besteht aus dieken paarigen Markmassen, wie es der Durchschnitt Fig. 64 zeigt. In den vorderen Querschnittsebenen sind diese Markmassen dorsal stärker entfaltet und gehen allmählich in die dicken Basalganglienmassen über, welche den Boden des Vorderhirnes (Taf. XXII Fig. 79 BG) bilden. Die An- heftungsstelle der membranösen Decke liegt etwas ventral von den dorsolateralen Rändern dieser Ganglienmassen. Ich bezeichne diese Ganglien als Basalganglien. Bis zu den Querschnittsebenen der Lobi olfactorii ist an den Basalganglien nichts Besonderes zu notiren. Die membranöse Decke aber ändert in den vorderen Abschnitten ihre Beschaffenheit. Auf ihrer medialen Strecke erscheint ein immer komplicirteres System von Falten. Diese mittlere Strecke dringt in die Höhle des Ven- trikels ein, und bildet eine Art von Falx cerebri. Diese Falx ist in den vorderen Abschnitten stärker entwickelt und dringt tiefer in den Ventrikel ein (Fig. 79). Die seitlichen Abschnitte der Decke werden ebenfalls komplieirter. Sie umwachsen allmählich den dor- salen Sack seitlich, so dass der distale Abschnitt des Sackes in einem reich entfalteten Plexusgebilde eingeschlossen liegt, welches yon der Decke des Vorderhirnes ausgeht (Taf. XX Fig. 51 Pl). Aus dieser Beschreibung der Epiphyse und des dorsalen Sackes ist er- sichtlich, dass ich die Angaben von Carrie (45) bezüglich dieser Gebilde bei Knorpelganoiden im selben Sinne zu ändern versuche, wie RABL-RÜCKHARD bezüglich der Angaben dieses Forschers über die nämlichen Gebilde bei Knochenfischen (20). Etwas distal von der Ursprungsstelle der Lobi olfactorii erscheint auf der dorsomedialen Oberfläche der Basalganglien eine Rinne, deren Verlauf sich nach vorn auf die mediale Seite der Ganglien senkt. Die Ganglien werden immer kleiner, die Rinne setzt sich direkt in die Höhle der Lobi olfactorii fort (Taf. XXII Fig. 79, 737). 438 N. Goronowitsch Srannius (2) bezeichnet nach dem Vorgange älterer Autoren das ganze Vorderhirn der Knorpelganoiden als Lobi olfactorii. Das Gebilde (Taf. XVII Fig. 9 Zo) bezeichnet er als Tubercula olfactoria. Diese Nomenklatur ist unpassend, denn sie setzt das ganze Vorder- hirn der Knorpelganoiden in Beziehung zum Geruchsorgan. Eine solehe exklusive Beziehung ist durch die Untersuchung der Struktur des Vorderhirnes nicht nachzuweisen. Ein großer Theil des Vorder- hirnes kann bei Knorpelganoiden nicht in irgend welches direktes Verhältnis zum Geruchsorgane morphologisch gestellt werden. Das- selbe gilt für Knochenfische. Theoretisch ist es allerdings möglich, bei niederen uns unbekannten Formen eine ausschließliche Bezie- hung des Vorderhirnes zum Geruchsorgan zu vermuthen. Darauf werde ich später zurückkommen. Die Lobi olfactorii der Knorpelganoiden sind hohi, ihre Wände, wie es seit Busch und Srannius bekannt ist, sind überall gleich dick. In ihren hinteren Querschnittsebenen sind die beiden Lobi ventral durch eine schmale und dünne Epithellamelle verbunden. Ihrer dorsalen Oberfläche ist die membranöse Decke des Vorder- hirnes angeheftet (Taf. XXII Fig. 72 D). Die mediale Falx der Decke senkt sich tief in den Ventrikel des Vorderhirnes. In den vorderen Querschnittsebenen der Lobi rücken die Anheftungslinien der Decke des Vorderhirnes allmählich medialwärts; sie erreichen schließlich‘ die Epithellamelle, welche die Lobi verbindet. Die Falx erreicht ebenfalls diese ventrale Lamelle und geht in dieselbe über (Fig. 74). Von dieser Stelle an bildet die membranöse Decke zwei paarige nach vorn auf eine kurze Strecke sich fortsetzende Säcke (Fig. 75 AZ). Ventral und lateral von diesen Säcken liegen die Lobi olfactorii (Lo), die sich weiter nach vorn als die vordere Grenze der paarigen Säcke fortsetzen. In diesem Verhalten des Vorderhirnes bei A. ruthenus erkenne ich Spuren einer Paarigkeit des Vorderhirnes, welche in einer stark entwiekelten Falx, sowie in den paarigen membranösen Säcken (Z) seiner vorderen Abschnitte bestehen. Das Vorderhirn der Knochen- fische ist bekanntlich in dieser Beziehung einfacher gebaut. Nach den Untersuchungen von SAGEMEHL (11) über das Crani- um von Amia calva und der Characiniden ist die wichtige phylo- genetische Stellung von Amia in dem Stamme der Knochenfische mit noch größerer Schärfe, hervorgetreten. Die wichtige phylogenetische Bedeutung dieser Form veranlasste mich, so weit es möglich war, das Gehirn .derselben zu untersuchen. Ich erhielt ein einziges, für Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 439 anatomische Zwecke gut erhaltenes Exemplar, an welchem freilich das Gehirn nur fiir gröbere Anatomie geeignet war. Ich beschriinke mich daher hier nur auf die letzte. Das herausgenommene Gehirn wurde sofort untersucht und gezeichnet, in toto mit Pikrokarmin gefärbt, langsam in einem Luftbade mit Paraffin durchtränkt und in eine Querschnittsserie zerlegt. Die Schnittfläche war jedes Mal durch Kollodium bepinselt, um die etwa vorhandenen Epitheldecken in situ zu behalten. Die Cerebellumgegend ward nach dem Ver- fahren von Born modellirt. Die dorsalen und seitlichen Oberflächen des Gehirnes von Amia sind von einer dieken Schicht von Fettgewebe umhüllt. Es ist nach SAGEMEHL die Dura mater. In diesem Fettgewebe steckt das distale Ende der ziemlich langen Epiphyse. Sie erreicht nicht das Gewölbe des sehr dünnen Knorpeleranium (Taf. XVII Fig. 10). Der vierte Ventrikel ist in Vergleichung mit den Knorpelganoiden kürzer. Die dorsolateralen Abschnitte seiner Wände bilden zwei seitliche schwache, wulstartige Vorsprünge, welche durch eine bogen- förmige Umbiegung in die Pedunculi cerebelli übergehen. Es sind das die sogenannten »Corpora restiformia«. Ob diese »Corpora restiformia« der Cerebellarleiste der Knorpelganoiden oder nur dem dorsolateralen Strang entsprechen, konnte ich bei dem Konservations- zustande des Gehirnes nicht sicher ermitteln. Auf der Oberfläche der Corpora restiformia sieht man eine Reihe von Querleisten, welche aus Marksubstanz bestehen. Solche Querleisten sind auch beim Ster- let in den Abschnitten der Pedunculi, welche vor den Lobi trige- mini liegen, zu finden. Diese Leisten haben das Aussehen eines Abdruckes der stark entwickelten Plexusfalten der membranösen Decke des vierten Ventrikels. | Die Vergleichung eines Querschnittes der Medulla oblongata von Amia (Taf. XIX Fig. 20) mit dem eines Sterlet ergiebt sofort die aller- größte Übereinstimmung. Auf dem Boden des Ventrikels sieht man die hinteren Längsbündel (7), lateralwärts die Lobi vagi (Zr); dor- sal sind die Lobi vagi durch eine Rinne von einem dorsalen Ab- schnitt getrennt. Die Bedeutung dieses Abschnittes konnte, wie gesagt, yon mir nicht ermittelt werden. Die Lobi vagi werden nach vorn zu immer schmäler. In den Querschnittsebenen der hinteren Abschnitte des Cerebellum verschwinden sie plötzlich in den seit- lichen Wänden des Ventrikels. Ob die hinteren Abschnitte der Lobi vagi solche Anschwellungen wie bei Knorpelganoiden tragen oder nieht, konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen. 440 N. Goronowitsch Die sogenannten Corpora restiformia gehen in die Peduneuli cerebelli über (Taf. XVII Fig. 10 Pe). Die letzteren bilden zwei starke seitliche Vorsprünge und steigen bogenförmig dorsalwärts. Die vor- dere Peripherie der Pedunculi setzt sich scharf von den seitlichen Theilen des Cerebellum ab, die hintere geht allmählich ohne scharfe Grenze in die hinteren Theile des Cerebellum über (Fig. 10). Der Körper des Cerebellum hat im Querschnitt eine halbeylindrische Form (Taf. XIX Fig. 21—25). Sein vorderer Abschnitt, die Valvula cerebelli, senkt sich unter das Tectum opticum. Im Mittelhirnven- trikel bildet sie eine quere Falte, deren dorsale Lamelle in das Teetum opticum umbiegt. Es ist genau das von Knochenfischen bekannte Verhalten. Der hinterste Abschnitt des Cerebellum bildet eine kompakte Markmasse. In etwas nach vorn liegenden Quer- schnittsebenen findet man im Centrum des Körpers eine spaltförmige, von Epithel bekleidete Höhle (Fig. 217). Nach vorn wird die Höhle breiter, sie öffnet sich in das vierte Ventrikel (Fig. 22). Von dieser Stelle an erscheint das Cerebellum als ein bilateral symmetrisches Gebilde. Seine dicken seitlichen Theile sind dorsal durch eine ver- hältnismäßig. dünne Markbrücke verbunden. Bis zur Ubergangsstelle des breiten Ventrieulus IV in den engen Kanal des Aquaeductus Sylvii ist der Ventrikel des Cerebellum verhältnismäßig breit. In der Nähe des Aquaeductus ist er wieder spaltförmig. Zu beiden Seiten der ventralen spaltförmigen Öffnung des Ventrikels verlaufen zwei Wülste (Fig. 244). Diese Wülste erinnern an den Kiel des Cerebellum von Acipenser ruthenus, sind aber bei Amia paarig. In den vorderen Querschnittsebenen ist der spaltförmige Ventrikel des Cerebellum vollständig vom Aquaeductus abgetrennt, es bleibt aber an der ursprünglichen Verbindungsstelle ein in Markmasse einge- schlossener Epithelstrang. Dieser Strang ist auf Fig. 25 durch eine Punktirlinie angedeutet. Er setzt sich bis zu den vordersten Quer- schnittsebenen der Valvula als Rudiment der Ventrikelhöhle fort. Ich halte dieses Rudiment für einen Rest der embryonalen Ventrikel- höhle, welche, wie ich bei Salmonidenembryonen beobachtete, sich bis zu den vordersten Abschnitten der Valvula fortsetzt. Auf Fig. 27 ist ein Querschnitt durch die mittlere Strecke der Valvula darge- stellt. Die hinteren Abschnitte des Teetum opticum sind durch den Schnitt getroffen. Zwischen dem medianen Markblatt, welches die beiden Theile des Teetum vereinigt (dorsales Valvulablatt) und zwi- schen dem ventralen Valvulablatt, welches das Gewölbe des Aquae- ductus bildet, befindet sich ein spaltförmiger, von Bindegewebe er- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 441 fiillter Raum (z). Dieses Gewebe ist eine Fortsetzung der Arachno- pialmembran, welche von hinten zwischen dem Cerebellum und dem dorsalen Blatt der Valvula eindringt. Das sind alles schon für A. ruthenus besprochene Verhältnisse. Aus dieser Beschreibung des Cerebellum ist ersichtlich, dass eine direkte Vergleichung der Verhältnisse bei Amia und A. ruthe- nus schwer durchführbar ist. Eine Untersuchung der Entwicklung des Cerebellum von A. ruthenus könnte vielleicht dabei helfen. Diese Untersuchung ist von SALENSKY nicht gemacht worden. Das Cerebel- lum von A. ruthenus ist ein unpaariges Gebilde, zeigt keine Spur eines Ventrikels. Das bilaterale Cerebellum von Amia hat die größte Über- einstimmung mit denjenigen Einrichtungen, welche sich in etwas späteren Stadien der Entwicklung des Salmonidencerebellum fanden. In erwachsenem Zustande findet man das Cerebellum der Cypri- noiden (Gobio, Tinca), was die Ausbildung des Ventrikels betrifft, mit dem Befunde bei Amia ähnlich. Der Vergleich von Fig. 26 mit Fig. 55—58 ergiebt, dass der Aquaeductus Sylvii beim Sterlet relativ breiter ist als bei Amia. Die Enge des Aquaeductus ist ein Knochenfischeharakter des Gehirnes von Amia. Das Teetum opticum von Amia ist etwas schwächer entwickelt als bei den Knochenfischen. Seine seitlichen Lobi sind wie bei Knochenfischen durch eine tiefe Furche von einander getrennt. In den vorderen Querschnittsebenen findet man auf der Mittellinie der ventralen Oberfläche des Tectumgewölbes zwei parallele Längsleisten (Taf. XIX Fig. 2977). Es sind das dieselben Markleisten, welche bei Knochenfischen als Tori longitudinales bekannt sind. Solche Ge- bilde sind nicht bei A. ruthenus ausgebildet. Die Basis des Mittel- hirnes senkt sich allmählich zum Lobus infundibuli (Taf. XVII Fig. 10). Dieses letzte ist den Knochenfischen gegenüber stark entwickelt. Die Lobi inferiores (Zz’) haben eine längliche Form und sind flacher als beim Sterlet. Zwischen der großen birnenförmigen Hypophyse und der unteren Peripherie der Lobi inferiores liegt der breite mem- branöse Sack (Saccus vasculosus, Sv). Die Verbindung des Ventrikels des Mittelhirnes mit dem Lobus infundibuli findet in den vordersten Querschnittsebenen des Mittelhirnes statt (Taf. XIX Fig. 30, 31). Beim Sterlet ist die Höhle der Lobi inferiores bedeutend stärker entwickelt als bei Amia, welche in dieser Beziehung Knochenfischcharakter trägt. Das Vorderhirn von Amia ist weitaus stärker entwickelt als beim Sterlet. Von der dorsalen Oberfläche betrachtet, zeigt es eine 442 N. Goronowitsch tiefe Längsfurche, welche das ganze Vorderhirn in zwei symmetrische Hälften theilt. Die Lobi olfactorii sind ebenfalls stark entwickelt. Ihre ventralen Abschnitte setzen sich nach hinten weiter fort als die dorsalen. Im Allgemeinen ist das Vorderhirn von Amia nach demselben Typus wie beim Sterlet gebaut. Man findet alle beim Sterlet schon beschriebenen Theile. Der Dorsalsack, die membranöse Decke des Vorderhirnes, die Basalganglien, sowie der paarige vordere Abschnitt sind auch bei Amia vorhanden. Die Epiphyse ist dieker als bei Ac. ruthenus. Sie legt sich auf die dorsale Oberfläche des dorsalen Sackes (Taf. XIX Fig. 32 Ep). Die Ganglia habenulae sind wie beim Sterlet asymmetrisch ent- wickelt. Die Asymmetrie ist aber keine so starke, das rechte Gan- glion habenulae von Amia übertrifft nicht so bedeutend das linke, wie bei Acipenser. In der ungleichen Entwicklung dieser Gebilde ist im Gehirn von Amia ein typischer Ganoidencharakter ausge- sprochen, denn bei Knochenfischen sind im erwachsenen Zustande die beiden Ganglien vollkommen gleich entwickelt. Es ist aber von Interesse, zu notiren, dass ich bei Salmoniden-Embryonen die An- lage des rechten Ganglion in einem gewissen Stadium immer größer _ fand als die Anlage des linken. Es hat sich also im embryonalen Zustande des Gehirnes der Knochenfische dieser primitive Charakter erhalten. Durch die Untersuchungen von AHLBORN ist es bekannt ge- worden, dass bei Petromyzonten das rechte Ganglion habenulae an Größe weitaus das linke übertrifft. Es scheint, dass bei letzteren die Asymmetrie noch stärker als bei A. ruthenus ausgesprochen ist (Fig. 47). In den Querschnittsebenen, welche proximal von den Ganglia habenulae liegen, erreicht eine linksseitige membranöse Du- plikatur der Decke des Vorderhirnes die entgegengesetzte Hirnwand. Dadurch wird, wie beim Sterlet, die Höhle des dorsalen Sackes von der Ventrikelhöhle abgetrennt. In den proximalen Querschnittsebenen zeigt die membranöse Decke stärker entwickelte Plexusbildungen als beim Sterlet. Die Epiphyse ist von einer tiefen Duplikatur des dorsalen Sackes umschlossen (Fig. 33 Ep). Die Medialflächen der Basalganglien liegen sehr nahe an einander, der Falx senkt sich sehr tief, in den vorderen Abschnitten trägt er keine Plexusfalten. Der vordere Ab- schnitt des dorsalen Sackes ist, wie beim Sterlet, von Plexusgebil- den rings umschlossen (Fig. 34 Piz). Bekanntlich besitzt Amia ein von der Basis des Vorderhirnes ab- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 443 getrenntes Chiasma. Die Struktur der Nervi optici zeigt eine, fiir manche Knochenfische bekannte Einrichtung. Jeder Nerv hat die Form einer stark gekräuselten rinnenförmigen Platte, wie es der Querschnitt darstellt (Fig. 34, 35 op). Die Rinne ist von einem vasculisirten Bindegewebsfortsatz erfüllt. Diese Einriehtung erscheint recht zweck- mäßig für die Ernährung eines dicken Optieus; auch schützt sie den Nerv vor den Insulten der Turgescenzschwankung der Blutgefäße. In der proximalen Hälfte des Vorderhirnes ist der ventrale Ab- schnitt der Basalganglien von dem dorsalen durch eine allmählich nach vorn sich vertiefende Furche abgetrennt (Fig. 34, 39 f). Der ventrale Abschnitt geht in die Lobi olfactorii über, der dorsale ge- hört zu den Hemisphären. Auf den medialen Wänden des spalt- förmigen Ventrikels dieser Gegend erscheint eine Längsrinne, welche nach vorn in die Höhle der Lobi olfactorii übergeht (Fig. 36 r). Die Anheftungslinie der membranösen Decke rückt allmählich medial- wärts. Die Falx senkt sich bis zum Boden des Ventrikels (Fig. 37). Nach vorn verwächst sie mit der Epithellamelle, welche die Lobi olfaetorii medial verbindet. Von dieser Stelle an ist das Vorderhirn paarig (Fig. 38, 39 7). Jede Hälfte besteht aus einem ventralen Abschnitt — Lobus olfaetorius, und einem dorsalen, welcher nicht anders als Hemisphäre bezeichnet werden kann. Die laterale Wand jeder Hemisphäre besteht aus Marksubstanz, die mediale ist mem- branös. In den vordersten Abschnitten sind die Hemisphären voll- kommen von den ventralwärts liegenden Lobi olfactorii getrennt. Dieser Abschnitt ist aber sehr kurz. Aus dieser Beschreibung des Gehirnes von Amia schließe ich. dass das Vorderhirn dieser Form unzweifelhafte Spuren eines paari- gen Zustandes zeigt. Sein vorderer Abschnitt besteht aus paarigen Rudimenten der Hemisphären, welche von denjenigen des Sterlet sich durch stärkere Entwicklung unterscheiden. Die laterale Wand dieser rudimentären Hemisphären besteht bei Amia aus Marksubstanz, beim Sterlet dagegen sind die Rudimente vollkommen membranös. Es ist außerdem zu notiren, dass in mancher Beziehung das Gehirn von Amia sich vom Ganoidentypus entfernt und demjenigen der Knochen- fische genähert hat. Auch bezüglich des Gehirnes ist also Amia eine Sammelform. Das eigenthümliche Gehirn von Lepidosteus ist von BALFOUR und PARKER (29) beschrieben. Für meine Zwecke ist es wichtig, zu notiren, dass der vorderste Abschnitt des Vorderhirnes von Lepi- dosteus von diesen Forschern als paarig angegeben wird. 444 N. Goronowitsch Von Polypterus senegalensis habe ich zwei schlecht konservirte Exemplare zu untersuchen gehabt. Bei der Öffnung eines Schädels fand ich das Gehirn sehr brüchig und möchte es nur zur Unter- ‚suchung der äußeren Form benutzen. Den Kopf des anderen Exem- plares habe ich nach Entfernung der Deckknochen gründlich ent- kalkt, mit Paraffin durchtränkt und auf einem Guppex’schen Mikro- tome in eine Querschnittsserie zerlegt. Die äußere Form des Polypterusgehirnes ist von J. MÜLLER (1) und WIEDERSHEIM in seinem Lehrbuche beschrieben und abgebildet worden; es ist daher überflüssig, wieder darauf zurückzukommen. Die Abbildung von J. MÜLLER ließ mich bei Polypterus paarige Hemisphären vermuthen, wie sie etwa bei Protopterus und Ceratodus zu treffen sind. Ich war aber sehr überrascht, ganz andere Ver- hältnisse zu finden. Ein Querschnitt aus dem hinteren Theile des Vorderhirnes ist in Kontour auf Taf. XIX Fig. 41 dargestellt. Die Basalganglien stellen verhältnismäßig dünne Platten dar (BG). Der dorsale Rand der Platten ist lateral- und ventralwärts umgebogen. Die Beschaffenheit des Vorderhirnes entspricht also der von J. MÜLLER gegebenen Abbildung. Allein bei näherer Untersuchung findet man, dass vom Rande der Basalganglienplatte eine dünne Lamelle ent- springt (D): Sie biegt dorsalwärts um und bildet das membranöse Gewölbe des Vorderhirnes. Auf meinen Präparaten hat diese La- melle ihres schlechten Konservationszustandes wegen keinen Epithel- überzug. Sie besteht nur aus pigmentirtem Bindegewebe der Arachno- pialmembran. Etwas weiter nach vorn liegende Schnitte zeigen aber, dass eine dicke Marksubstanzlamelle in das Gewölbe umbiegt (Fig. 40). Daraus schließe ich, dass auf dem Schnitt Fig. 41 die ventrale Oberfläche der Arachnopialmembran auch mit Epithel be- deckt sein müsse. Das Epithel bildet ja in membranösen Gebilden des Gehirnrohres das Aquivalent von Marksubstanz. Das Vorderhirn von Polypterus ist also in seinen hinteren Ab- schnitten ein unpaariges Gebilde. Die Basalganglien zeigen einen durchaus eigenthümlichen Entwicklungszustand, indem sie die Form von umgebogenen Platten darstellen. Die Decke ist membranös. In den vordersten Abschnitten des Gehirnes sind die Verhältnisse komplieirter. Der schlechte Erhaltungszustand des Materials er- laubte mir aber keine sicheren Schlüsse zu ziehen. Ich beschränke mich daher auf folgende Angaben. Das Vorderhirn scheint keine Spur von paarigen Hemisphären zu haben. Das dorsale Gewölbe der vordersten Abschnitte ist ganz sicher nicht membranös, son- 7 } R \ a ee Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 445 dern besteht aus einer verhältnismäßig dicken Marksubstanzlamelle (Fig. 42 D). Bei der Beurtheilung der bezüglich des Vorderhirnes der Ganoi- den gewonnenen Resultate ist es nicht überflüssig, auch einen Blick auf den Organisationszustand des Vorderhirnes bei Knochenfischen zu werfen. Die merkwürdig einfache Organisation des Teleostier-Vorder- ° hirnes ist uns durch RagL-RÜckHARD's Untersuchungen bekannt ge- worden (20). Derselbe Forscher hat auf Grundlage ontogenetischer Untersuchungen die Ansichten von STIEDA über die Deutung der einzelnen Theile des Knochenfischgehirnes wieder in ihr Recht ge- stellt (19). Das Vorderhirn der Knochenfische ist ein unpaariges Gebilde, die ventrale Wand besteht aus Marksubstanz, das dorsale Gewölbe ist membranös. In den hinteren Abschnitten bildet die membranöse Decke ein breites Divertikel, welches von mir als Dor- salsack bei Ganoiden bezeichnet ward. Auf diesem Sack ruht in embryonalen Stadien der Knochenfische die Epiphyse; die Verhält- nisse sind also wesentlich dieselben als bei Ganoiden. In den vor- deren Abschnitten aber bildet die membranöse Decke des Vorder- hirnes der Knochenfische keine paarigen Säcke, welche als Rudi- mente von Hemisphären gedeutet werden könnten. Das ist der wesentliche Unterschied. Bei Knochenfischen mit sitzenden Bulbi (z. B. Salmonidae) ist auf der ventral-medialen Wand der vordersten Abschnitte der Basalganglien eine kurze Rinne zu notiren; sie setzt sich ventral- und lateralwärts fort in der Richtung des Bulbus; RABL-RÜCKHARD bezeichnet diese Rinne als Ventrieulus lateralis. Bei Knochenfischen mit langen Tracti olfactorii (Cyprinoiden) setzt sich die Höhle des Vorderhirnventrikels direkt in die feinen Kanäle der Tracti fort. Die Tracti olfactorii dieser Fische entspringen ge- wöhnlich ventral. Die stark entwickelten Basalganglien der Knochen- fische erfüllen den größten Theil des unpaarigen Vorderhirnventrikels. RABL-RÜückHARD deutet diese Ganglien als Corpora striata. Mit dieser Deutung kann ich nicht übereinstimmen, weil diese Gebilde weder Struktur noch Verbindungen der Corpora striata der höheren Wirbelthiere haben, worauf ich später zurückkommen werde. Es entsteht nun die Frage, ob wir diesen höchst einfachen Or- ganisationszustand des Vorderhirnes der Knochenfische für einen primitiven oder für einen von komplicirteren Zuständen abgeleiteten halten müssen? RABL-RÜCKHARD glaubt bei Knochenfischen einen primitiven Zustand zu sehen (20 pag. 297). Er hält für wahrschein- 446 N. Goronowitsch lich, dass das sogenannte Pallium des Vorderhirnes der höheren Wirbelthiere phylogenetisch aus einem membranösen Gewölbe sich entwickelt haben könne, welches demjenigen ähnlich sei, das wir bei Knochenfischen finden (21). Denselben Standpunkt hat, wie es scheint, auch FULLIQUET eingenommen. Er hat daher auch die Übergangsstruktur zwischen dem Knochenfischvorderhirn und dem- jenigen der Amphibien bei der Untersuchung der Dipnoer finden wollen (61 pag. 4, 7). Bei der Beakälne dieser Frage müssen wir natürlich in ide Berücksichtigung der Formen, welche phyletisch älter sind, eine Ant- wort suchen. Es gilt also in diesem Falle den Organisationszustand des Vorderhirnes der Selachier und Ganoiden zu prüfen. Das Vorderhirn der Selachier, so weit es mir aus Angaben an- derer Forscher bekannt ist, zeigt in seinen Detailverhältnissen be- deutende Variationen. Die für die meisten Formen charakteristischen Züge können folgendermaßen resumirt werden. Das Gewölbe des Vorderhirnes ist nicht membranös. Bei einigen Formen ist es ziem- lich dünn (40 pag. 9). Es ist z. B. der Fall bei Hexanchus. Die Schnitte von MıkLucHo-MAcLAY (14) zeigen aber, dass das Gewölbe bei dieser Form aus einer Marklamelle besteht, welche eine mit der ventralen Wand des Vorderhirnes gleichmäßige Dicke hat. In den meisten Fällen hat nur der hinterste Abschnitt des Vorderhirnes eine unpaarige Ventrikelhéhle. Die vorderen Abschnitte besitzen eine paarige, durch eine vertikale Scheidewand getrennte Höhle. Bei einigen Formen ist diese vertikale Scheidewand gespalten, z. B. bei Notidaniden und Acanthias vulgaris. Hier haben wir also Beispiele von vollkommen paarigen Hemisphären. Bei anderen Formen, z. B. bei Seyllium eanieula ist die Scheidewand nicht gespalten; der paarige Ventrikel dieser Formen deutet aber auch hier auf ein paariges Vor- derhirn. Bei einigen Rochen haben wir Beispiele einer Obliteration des Vorderhirnventrikels. Durch Verdickung der Hirnwände kann der Ventrikel vollständig schwinden, z. B. bei Myliobatis, oder auf eine minimale Höhle reducirt sein, z. B. bei Raja batis (14, Taf. IH). Das Verhalten der Tracti olfactorii zum Vorderhirn erlaubt mir zwei Gruppen von Selachiern zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe kann man Hexanchus rechnen. Bei dieser Form sind die Höhlen der Traeti olfaetorii direkte Fortsetzungen der paarigen Ventrikel der Hemisphären. Es existirt also bei dieser Form kein Vorderhirn- abschnitt, welcher nach vorn von der Ursprungsstelle der Tracti sich fortsetzt. Bei Heptanchus ist dieses Verhalten nicht so deutlich aus- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 447 gesprochen, wohl aber bei Scymnus lichia, wie ich aus der Abbildung von Mixiucuo-Mactay (14, Taf. I) schließen darf. Eine zweite, bedeutend größere Gruppe bilden diejenigen For- men, bei welchen die Höhlen der Tracti olfactorii als seitliche Ab- zweigungen des Vorderhirnventrikels erscheinen. Als typisches Bei- spiel dieser Gruppe kann Scyllium canicula dienen. Bei vielen Selachiern dieser letzten Gruppe (hauptsächlich bei Rochen) ist der laterale Abschnitt des Vorderhirnes, aus welchem die Tracti olfactorii entspringen, zu einer besonderen Anschwellung differenzirt. Es ist mehrmals von anderen Seiten hervorgehoben worden, dass diese An- schwellungen, die Tracti selbst, sowie die Endanschwellungen des Traetus (Tubereula olfactoria oder Bulbi olfactorii), aus welchen die Nervi olfactorii entspringen, zu den Centralorganen zu rechnen seien. Um eine für meine Zwecke unnütze Zersplitterung des Begriffes zu vermeiden, bezeichne ich die Vorderhirnanschwellungen mit den Tractus olfactorii und seine Bulbi durch den Sammelterminus Lobi olfactorii. Aus dieser kurzen Übersicht der Organisation des Selachier- Vorderhirnes ist der Schluss zu ziehen, dass es höher als dasjenige der Knochenfische organisirt ist. Das Vorderhirn der Knorpelganoiden trägt unzweifelhafte Spuren eines paarigen Zustandes. Die membranösen Säcke, welche meiner Ansicht nach als Reste von paarigen Hemisphären aufzufassen sind, setzen sich weiter nach vorn von den Ursprungsstellen der Lobi ol- factorü. Die Lobi olfactorii sind seitliche Abzweigungen des Vorder- hirnes. Das Vorderhirn der Knorpelganoiden gehört also zu dem Typus, welcher die Selachier der zweiten Gruppe charakterisirt. Sein Organisationszustand ist aber einfacher als bei diesen, denn die Hemisphären, sowie das ganze Gewölbe des Vorderhirnes sind bei Knorpelganoiden membranös. Die wichtigste Form für die Beurtheilung aller Organisations- verhältnisse der Knochenfische ist aber Amia. Sie steht, wie schon oben bemerkt, höchst wahrscheinlich in nächster Verwandtschaft mit denjenigen Formen, welche als direkte Vorfahren der Knochenfische anzusehen sind. Das Vorderhirn dieser Form ist, wie wir sahen, paarig und nach dem Typus des Vorderhirnes der Selachier der zweiten Gruppe gebaut. Es ist einfacher organisirt als bei den Selachiern dieser Gruppe. Das Gewölbe ist in den hinteren Abschnitten membranös, membranös ist auch die mediale Wand der Hemisphären. Das Gehirn von Amia ist aber höher organisirt als bei Knorpelganoiden, denn die laterale Wand der Hemisphären besteht aus Marksubstanz. 448 N. Goronowitsch Das Vorderhirn der in anderer Beziehung so hoch organisirten Knochenfische ist einfacher gebaut als das Vorderhirn primitiverer und phyletisch älterer Formen. Das Wichtigste ist aber dabei, dass es einfacher gebaut ist, als bei Amia, eine Form, welche wir als nahe verwandt mit den ancetralen Formen der Knochenfische be- trachten müssen. Daraus ziehe ich den Schluss, dass das Vorder- hirn der Knochenfische kein primitives Verhalten zeigt; sein ein- facher Zustand ist aus Reduktion höherer Organisationsverhältnisse zu erklären. Dieser Schluss könnte auf den ersten Blick paradox erscheinen, wir sind gewöhnt, durch mammalocentrische Anschauungen die Hemi- sphären des Vorderhirnes als das Organ der psychischen Funktion aufzufassen. Die Reduktion dieses Organs bei einer freilebenden und so aktiven Form wie ein Knochenfisch, sollte, könnte man meinen, die Erhaltung des Individuums unmöglich machen. Allein die auf zuverlässigen Untersuchungsmethoden beruhenden physiologischen Experimente von STEINER haben uns gezeigt, dass das Vorderhirn der Selachier sowie der Knochenfische nichts mit einer psychischen Funktion zu thun hat (24, 25). Der eben ausgesprochene Vorwurf kann also meine Ansicht nicht beeinträchtigen. Die Schlüsse, zu welchen STEINER gelangt ist, haben eine wichtige Bedeutung auch für die morphologische Erkenntnis des Vorderhirnes. Sie sind vom Verfasser folgendermaßen formulirt (24 pag. 9): »es wandern in der Wirbelthierreihe Funktionen des Mittelhirnes in das morphologisch definirte GroBhirn, oder die phylogenetische Entwicklung des Groß- hirnes beruht auf einer Anhäufung von Funktionen, welche dorthin aus dem Mittelhirn nach und nach eingewandert sind«. Im nächsten Kapitel werde ich die Thatsachen beurtheilen, welche eine wahr- scheinliche Lösung der Frage gestatten, welche Organe während der Phylogenie das erste Rudiment der Hemisphären liefern, und somit die Bahnen für weitere Differenzirung eröffnen konnten. Es bleibt noch übrig, den Organisationstypus des Vorderhirnes näher zu besprechen, von welchem wir das Vorderhirn der Knochen- fische ableiten können. Darüber giebt eigentlich das Vorderhirn — von Amia Aufschluss, welches nicht nach dem Typus des Vorder- hirnes von Hexanchus gebaut ist. Die Lobi olfactorii dieser Form sind als seitliche Abzweigungen des Vorderhirnes zu betrachten. Das Vorderhirn von Amia zeigt also Anschlüsse an diejenigen Organi- 4 sationen, welche wir bei den Selachiern der zweiten Gruppe finden. Zu demselben Typus gehört auch das Vorderhirn der Knorpelganoiden. — Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 449 Es ist am wahrscheinlichsten, dass bei den direkten Vorfahren der Knochenfische das Gehirn nach diesem zweiten Typus gebaut war. Dabei ist von Interesse, dass die Selachier dieses zweiten Typus nicht zu den primitivsten Formen gehören. Ich glaube aber am Knochenfischvorderhirn Einrichtungen zu erblicken, welche seinen Organisationstypus noch mehr als das oben Gesagte aufklären. Das Verhalten der Lobi olfactorii bei Knochen- fischen zeigt bekanntlich zwei Modifikationen. Einige Formen (Sal- moniden) haben kurze Lobi (sitzender Bulbus), bei anderen Formen (Cyprinoiden) ist der Lobus in einen langen Tractus olfactorius aus- gezogen. Ich berühre nicht die Frage, welche von diesen beiden Einriehtungen wir als die primitivste auffassen müssen. Bekanntlich hat diese Frage SAGEMEHL behandelt (11 pag. 217). Bei Knochen- fischen mit sitzenden Bulbi, sowie bei Knochenfischen mit Tractus olfactorii, findet man Spuren von Einrichtungen, welche bei Amia und den Selachiern der zweiten Gruppe in vollkommener Ausbildung sich finden. Bei Salmoniden sind auf der medialen Oberfläche der Basal- ganglien in ihren vordersten und ventralen Abschnitten zwei Rinnen zu finden. Jede dieser Rinnen umkreist die vordere Peripherie des entsprechenden Basalganglion und endet blind in den Lobus olfac- torius. Ich halte diese Rinnen als Reste derjenigen Rinnen, welche wir bei Amia und Knorpelganoiden auf der medialen Oberfläche der Basalganglien finden. Mit diesen Rinnen beginnt die Abzweigung des Lobus olfactorius vom Vorderhirnventrikel. RABL-RÜCKHARD hält diese Gebilde für das Rudiment eines Ventriculus lateralis, mit welcher Deutung ich nicht übereinstimmen kann. Bei Ganoiden, welche Hemisphärenrudimente besitzen, sind die Hemisphären- höhlen als Ventrieuli laterales aufzufassen. Die betreffende Rinne liest ventral, führt in die Höhle der Lobi olfactorii, steht also in keinem Verhältnisse zu den Ventrieuli laterales. Bei Cyprinoiden finde ich auch auf der ventral-medialen Oberfläche jedes Basalgan- glion eine ähnliche, aber schwächer als bei Salmoniden entwickelte, Rinne. Sie setzt sich in die Höhle des Tractus fort, auf dessen lateraler Wand sie eine Strecke weit verläuft. Diese rudimentären Gebilde sind als letzte Reste der nämlichen Einrichtung bei Amia und bei den Knorpelganoiden zu deuten. a Es ist also das Vorderhirn der Knochenfische sowie der Ganoiden von demjenigen Organisationstypus abzuleiten, welchen wir bei den Selachiern der zweiten Gruppe finden. Das Vorderhirn der Ganoiden und der Knochenfische zeigt keine direkten Anschlüsse an das Gehirn Morpholog. Jahrbuch. 13. 29 450 N. Goronowitsch höherer Wirbelthiere, es hat seine eigene phyletische Geschichte, deren Abschluss wir bei den jetzt lebenden Formen sehen. Es ent- stand durch Reduktion eines höheren Organisationstypus. Ich habe die Entwicklung des Vorderhirnes bei Salmoniden genauer verfolgt, fand aber dabei keine Spuren einer paarigen An- lage des Vorderhirnes, außer einer schwach aber ganz bestimmt aus- gesprochenen Falx. Diese Falx ist in den vordersten Abschnitten des Vorderhirnes bei Salmo salar vom 60. bis 75. Entwicklungstag zu beobachten. Sie reicht nicht an die ventrale Hirnwand: der Vorderhirnventrikel bleibt also unpaarig. In diesen fast negativen Resultaten bin ich jedoch nicht geneigt, Gründe zu sehen, welche meine Ansicht ändern könnten!. II. A. Götte’s Ansichten über die Morphologie des Gehirnes. Die Schädelform der Notidaniden. Bei der Betrachtung des Gehirnes von Acipenser fällt die eigen- thümliche Krümmung in der Region des Mittelhirnes sofort in die Augen (Taf. XVII Fig. 9). Auf einem Medianschnitt ist das Verhalten noch deutlicher (Taf. XVIII Fig. 17). Das Gehirnrohr ist im vorderen Abschnitt des Mittelhirnes ventralwärts gekrümmt. Der Lobus in- fundibuli scheint den gekrümmten Abschnitt caudalwärts zu ver- lingern. Wenn man Fig. 17 betrachtet, kann man das Vorderhirn als eine Ausstülpung oder einen Anhang des dorsalen Gewölbetheils eines hakenförmig gekrümmten Rohres deuten. „ Dieses eigenthüm- liche Verhalten ist für manche Selachier, Ganoiden und die Dipnoer längst bekannt. WIEDERSHEIM in seinem Lehrbuche bemerkt über diese Krümmungen sehr treffend, dass man den Eindruck erhält, als persistire die embrycnale Scheitelkrümmung. Am Gehirne von Acipenser ruthenus ist die Krümmung stärker ! Nach der Absendung meines Manuskripts erschien im Anatomischen An- zeiger, II, Nr. 11, eine Arbeit über das Gehirn von Polypterus bichir von J. WALDSCHMIDT. Sie behandelt das Vorderhirn der betreffenden Form weit voll- ständiger als es mein defektes Material von P. senegalensis mir gestattete. Der rudimentäre Charakter des Palliums der Knochenfische und Ganoiden wird vom Verfasser durch einen Rückbildungsprocess erklärt, welche gewiss richtige Deu- tung jedoch nicht vom Verfasser motivirt ist. Die Arbeit von B. WILDER: Notes on the North American Ganoids, Amia, Lepidosteus, Acipenser and Polyodon. Proc. Amer. Assoc. for the Ad- vancement of Science. 1875 war mir leider unzugiinglich. — , ee ee ek Birnen FE Da a nt Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 451 als bei Amia ausgesprochen (Fig. 10), und bei dieser letzten Form stiirker als bei dem ausgewachsenen Gehirn der Knochenfische. Je primitiver also die Form der besprochenen Reihe ist, desto stärker ist die Krümmung ihres Gehirnes ausgesprochen. Aus der Arbeit von Mrktucno-Mactay, in welcher viele Me- dianschnitte durch Selachiergehirne dargestellt sind, sieht man, dass der Grad der Krümmung bei verschiedenen Formen verschieden aus- geprägt ist. Am meisten scharf tritt sie bei Hexanchus vor. Die Abbildung von Heptanchus giebt ebenfalls eine bedeutende Gehirn- krümmung wieder. Diese Abbildung kann aber leider für meine Zwecke nicht in Betracht gezogen werden, weil sie ein embryonales Gehirn darstellt. Das Gehirn von Hexanchus ist am besten zu charakterisiren, indem man sagt, dass das Vorderhirn ein Auswuchs der dorsalen Oberfläche eines hakenförmig gekrümmten Rohres sei. Bei den primitivsten Selachiern ist also die Hirnkrümmung am deut- lichsten ausgesprochen, viel deutlicher als beim Sterlet. Andererseits finden wir eine starke Krümmung am Dipnoergehirn; bei Amphibien ist sie nur in Embryonalstadien deutlich. Das Gesagte genügt, um in dieser Krümmung des Gehirnrohres ein wichtiges morphologisches Moment zu erblicken. Vom Standpunkte, welchen die soeben dargestellten Verhältnisse des Gehirnes liefern, lässt sich die Form der primitiven Cranien der Notidaniden etwas näher diskutiren. Ich finde daher nicht überflüssig, die betreffende Gehirnkriimmung der Wirbelthiere etwas ausführlicher zu behandeln. Bekanntlich hat A. GOrre auf Grund seiner embryologischen Untersuchungen an Amphibien und Toleostiern eine Reihe von Mei- nungen ausgesprochen, welche das von BAER angegebene Schema der Gehirnblasen vielfach verbessern (15 pag. 280—319; 16 pag. 179). Diese Ansichten glaube ich folgendermaßen resumiren zu können. Während der frühesten Stadien, bei noch nicht vollkommen ge- schlossener Medullarplatte, ist bei Amphibien der vorderste Abschnitt des Gehirnrohres fast unter einem rechten Winkel ventralwärts ge- krümmt. Die Basis und das dorsale Gewölbe dieses abgebogenen Abschnittes liegen also in einer senkrechten Ebene zur Längsachse des Embryo. Ich werde diesen Abschnitt des Gehirnrohres als primi- tives Vorderhirn bezeichnen. Die imaginäre Linie, welche die Achse des Gehirnrohres darstellen soll, ist also unter 90° ventralwärts gekrümmt zu denken; sie endet an der horizontal liegenden Schlussplatte des embryonalen Gehirnes. In späteren Stadien der Entwicklung bildet 29* 452 N. Goronowitsch sich an der Stelle, wo die Achse des Gehirnrohres die Lamina ter- minalis erreichen soll, die Sehnervenplatte. Es ist also die Seh- nervenplatte dasjenige Gebilde, welches das vordere Ende des primitiven Gehirnrohres bezeichnet. In frühen Stadien sind drei Abschnitte des Gehirnrohres zu unterscheiden, welche mehr oder weniger durch Einschnürungen von einander abgegrenzt sind, das Hinter- und Mittelhirn einerseits und das ventralwirts abgebogene primitive Vorderhirn andererseits. Diese drei Abschnitte zusammen verhalten sich einem Rückenmarksabschnitte homodynam. Die späteren Vorgänge der Entwicklung des Gehirnrohres be- stehen in Folgendem. Die in einer Querschnittsebene zur Längs- achse des Embryo liegende Basis des p. Vorderhirnes wächst cau- dalwärts und bildet den Lobus infundibuli. Da dieser Vorgang in späteren Stadien stattfindet, so kann das Infundibulum nicht als der Abschnitt des Gehirnes betrachtet werden, in welchem die Achse des Gehirnrohres endet, wie BAER meinte. Das Infundibulum ist eine sackförmige Verbreiterung der Basis des Vorderhirnes. Das Gewölbe des Vorderhirnes wächst nach vorn, sein distaler, in Folge der Quer- stellung dorsaler Abschnitt bildet das Gewölbe des sogenannten Zwischenhirnes der Autoren. Der proximale, in Folge der Quer- stellung der ventrale Abschnitt bildet die Lamina terminalis des aus- gewachsenen Gehirnes, sowie die nach vorn wachsenden paarigen Hemisphären. Die Lamina terminalis des ausgewachsenen Gehirnes setzt sich ventralwärts in die Lamina terminalis des primitiven Ge- hirnrohres fort. Aus dieser Darstellung sind folgende Schlüsse zu ziehen. Das Schema von BAER, welches lautet, dass das Gehirnrohr aus fünf Blasen besteht, welche seine morphologischen Elemente bilden, kann nur in dem Falle als richtig bezeichnet werden, wenn diesen fünf — Blasen kein Begriff der Homodynamie beigegeben wird (17, II. pag. 107). Die fünf Blasen von BAER haben eine verschiedene morpholo- gische Bedeutung. Sie können also, streng genommen, nicht {als morphologische Elemente des Gehirnrohres aufgefasst werden. Das sogenannte sekundäre Vorderhirn z. B. kann nicht als homodynam dem Mittelhirn angesehen werden. Das Mittelhirn ist ein vollstän- diges Segment des primitiven Gehirnrohres und ist als einem Ab- schnitte des Rückenmarkrohres homodynam aufzufassen. Das sekun- däre Vorderhirn ist eine lokale sackförmige Ausstülpung des Gewölbe- theils des Gehirnrohres und hat desshalb einen vollständig anderen morphologischen Werth. Das Zwischenhirn ist auch kein vollstän- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 453 diges Segment des primitiven Gehirnrohres, weil seine Basis bei nie- deren Formen den sogenannten Lobus infundibuli bildet und bei Amnioten, wie es W. MÜLLER nachgewiesen hat (23), verschieden- artig reducirt erscheint; ein Theil des Gewölbes aber geht in der Bildung der Hemisphären auf. Hierbei ist noch zu konstatiren, dass bei Amnioten von den frühesten Stadien der Entwicklung an eine beträchtliche Verschiedenheit im Wachsthum dieses Gewölbetheiles des Zwischenhirnes gegenüber den Anamnia besteht, wie später näher erörtert wird. Das Hinter- und Nachhirn können auch nicht als Elemente des primitiven Gebirnrohres gelten. Die Auffassung dieser Gehirnabschnitte als Elemente ist nicht bloß darum unstatt- haft, weil die gegenseitige Abgrenzung des Hinter- und Nachhirnes nicht so scharf in embryonalen Stadien stattfindet, sondern haupt- sächlich desshalb, weil, wie wir später sehen werden, charakteristi- sche Gebilde des Hinterhirnes, nämlich die Cerebellarstruktur, bei verschiedenen niederen Wirbelthieren verschieden in das Gebiet des Nachhirnes übergreift. Beim Sterlet z. B. setzt sie sich bis zur Austrittsstelle des N. Glossopharyngeus fort, bei Knochenfischen (MAysEr) bedeckt die Cerebellarstruktur die Tubercula acustica. Im erwachsenen Zustande nehmen die stark entwickelten Hemi- sphären einen bedeutenden Abschnitt des Gehirnes in Anspruch. In Folge dessen wird der ventralwärts abgebogene Abschnitt des primi- tiven Gehirnrohres (primitives Vorderhirn), welcher keinem starken Wachsthum unterliegt, vollständig von den Hemisphären maskirt. Es scheint, als ob die Hemisphären, welche nur eine Differenzirung des Gewölbes des primitiven Rohres darstellen, die eigentliche Fort- setzung der hinteren Abschnitte des Gehirnes seien. Dieser falsche Standpunkt führt zu einer falschen Vorstellung über die gegenseiti- gen Beziehungen der Gehirnhöhlen. Die paarigen Höhlen der Hemi- sphären sind nicht als direkte Fortsetzungen des Canalis centralis des Rückenmarks aufzufassen, sondern als dorsale Abzweigungen einer Höhle, welche den vorderen Abschnitt des Canalis centralis darstellt. Letztere Höhle findet ihren Abschluss in der Gegend, welche durch die Lage des Chiasma N. optieorum oder die Sehnervenplatte bestimmt wird, d. h. in der Gegend, welche am ausgewachsenen Ge- hirn nach der präcisen Terminologie von W. MÜLLER (23) als Trigo- num einereum zu bezeichnen ist. Die dargestellten Anschauungen von GOrre haben eine sehr wichtige Bedeutung für die Morphologie des Gehirnes. In einer späteren Arbeit von MıHALkowics (18) haben diese Ansichten keine 454 N. Goronowitsch Beistimmung gefunden. Ich halte es daher nicht für überflüssig, sie durch erneute Untersuchungen zu prüfen. Außer Amphibien hat GÖTTE Knochenfische (Salmoniden) untersucht. Die von mir ange- wandte neuere Methode von Born erlaubt, die äußere Form des em- bryonalen Gehirnes der Salmoniden plastisch durch ein Wachsmodell wiederzugeben. Ich werde einige solche Modelle des Gehirnes von Salmo salar während der Entwicklungsperiode vom 15. bis zum 30. Tage beschreiben. Meine Fische schlüpften am 47. Entwicklungs- tage aus. Auf Taf. XVII Fig. 1 ist das Wachsmodell des Gehirnes von Salmo salar vom 15. Entwicklungstage bei 2,7 mm Gesammtlänge des em- bryonalen Körpers dargestellt. Das Gehirn ist mit der Ganglien- leiste (SAGEMEHL 12) modellirt, um deren Verhältnisse zu den einzelnen Gehirnregionen näher darzustellen. In Fig. 1 (G7) sieht man diese Leiste nach Art einer Kappe fast die ganze dorsale Oberfläche der Gehirnanlage bedecken. Der Länge nach sind am Gehirn selbst drei Regionen zu unterscheiden, welche freilich ohne scharfe Grenzen in einander übergehen. Die hinterste (77), die Hinterhirnregion, geht allmählich in den mittleren Abschnitt über, welcher als Mittelhirnregion zu bezeichnen ist (M). An der Grenze dieser beiden Abschnitte findet man eine leichte Anschwellung der seitlichen Gehirnflächen, welche nach Art eines niedrigen Wulstes schräg dorsoventral ver- läuft. Unmittelbar hinter diesem Wulste liegt die Anlage des Gehör- organs (GO). Die Mittelhirnregion hat eine dreifach größere dorso- ventrale als seitliche Ausdehnung; die ganze Gehirnanlage ist wäh- rend dieses Stadiums noch sehr stark seitlich zusammengepresst. Sie erscheint noch solid. Eine Auflockerung des centralen Gewebes ist als Andeutung des künftigen Centralkanals vorhanden. Eine deutliche Einbiegung der ventralen kielartigen Kante der Gehirn- anlage bezeichnet die Übergangsstelle der Mittelhirnregion in die Region, welche die Augenblasenstiele trägt, und welche als primi- tives Vorderhirn zu bezeichnen ist. Die Augenblasenstiele entsprin- gen etwa in der Mitte des vordersten Theiles dieses Abschnittes der Gehirnanlage und laufen eine kurze Strecke schräg ventro-dorsal und caudalwärts, ehe sie in die Augenblasen münden. Die Augen- blasenstiele sind während dieses Stadiums in ihrem distalen Abschnitte noch nicht von den seitlichen Wänden der Gehirnanlage getrennt und bilden mit diesen ein kontinuirliches Ganzes. Sie sind also als stark vorspringende Wülste der Wände des primitiven Vorderhirnes zu denken. Die Augenblase selbst liegt frei abgetrennt von den Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 455 seitlichen Wänden des Gehirnes. Die Ganglienleiste, wie man es auf Querschnitten findet, fängt etwas caudalwärts von der Gehör- organanlage an, unmittelbar hinter und vor dem Gehörorgan bildet- sie zwei dorsoventral gerichtete schwache Vorsprünge; weiter nach _ vorn, etwa in der Mitte der Mittelhirnregion, erreicht sie ihre größte dorsoventrale Ausdehnung. Ihr vorderes Ende liegt in derselben Querschnittsebene, in welcher die Verbindung der Augenblase mit ihrem Stiele liegt. Die ganze Gehirnanlage ist schwach gekrümmt, die Linie, welche ihre Achse darstellen soll, muss also einen Bogen bilden, dessen vorderes Ende die Hirnwand etwa zwischen den Ur- sprungsstellen der Augenblasenstiele erreichen muss, vielleicht auch etwas ventralwärts, in keinem Falle aber dorsalwiirts. In dem Punkte Az also endet die Achse. Die Gehirnanlage eines Stadiums des 16. Tages (Fig. 2) zeigt den schräg dorsoventral verlaufenden Wulst, welcher an der hinteren Grenze der Mittelhirnregion lag, bedeutend stärker ausgesprochen. Der Abstand zwischen diesem Wulste und dem Gehörorgan ist größer als im vorigen Stadium, was auf ein Wachsthum der Strecke, welche zwischen den beiden Gebilden liegt, hinweist. An der Über- gangsstelle des Hinterhirns in das Mittelhirn ist eine ventralwärts gerichtete Krümmung entstanden, ein Vorgang, welcher, wie wir sehen werden, auf einer Entfernung der betreffenden Strecke des embryonalen Leibes von der Oberfläche des Dotters beruht. Die Einbiegung der ventralen Kante des Gehirnes, welche die Mittel- hirnregion von der des primären Vorderhirnes im vorigen Stadium abgrenzte, ist verschwunden. Die Breite der Mittelhirnanlage hat zu- genommen, sowie überhaupt die Breite aller Abschnitte der Gehirn- anlage. Es ist dies das Stadium, wo die Vorgänge der Bildung des Jentralkanals stattfinden. Auf Querschnitten findet man nämlich im _ Mittelhirn, in den Augenblasen und an den Stellen der Hinterhirn- anlage, welche nicht im Bereiche des Gehörorganes liegen, einen schlitzförmigen Centralkanal. Im Lumen dieses Kanals finde ich ge- wöhnlich Eiweißgerinnsel, aber auch sehr oft Gebilde, welche ich nicht anders als Zelltrümmer deuten kann. Im Bereiche des Gehör- organes ist ein Lumen nur ventral ausgebildet; es ist das eine An- passung des Medullarrohres an das starke Wachsthum der Gehör- blasen während dieses Stadiums. Eine bemerkenswerthe Erscheinung findet aber in der Region des primären Vorderhirnes statt. Die Augenblasenstiele, welche in der nächsten Umgebung der vorderen Hirnwand im vorigen Stadium ihren Ursprung nahmen, entspringen 456 N. Goronowitsch jetzt ventral, an der Stelle, wo die vordere Hirnwand (also die La- mina terminalis dieses Stadiums) in die ventrale Hirnkante über- ‚geht. Der Verlauf der Augenblasenstiele hat eine vertikale Richtung zur Hirnbasis. Die Augenblase hat bedeutend an Größe zugenommen; sie ist in sekundärer Umbildung begriffen, wie es die schwache Ein- faltung ihrer lateralen Seite zeigt. r Ein Stadium des 18. Tages (Fig. 3) zeigt einen bedeuten- den Fortschritt in der Ausbildung der Gehirnanlage. Der vierte Ventrikel, sowie die Anlage des Cerebellum (Cd) sind in Ausbildung begriffen. Letztere besteht aus zwei seitlich stehenden Ausfaltungen. der Hirnwände. Die vorderen Schenkel der Falten sind als An- lagen des Cerebellum aufzufassen. Diese Ausfaltungen verlaufen schräg dorsoventral. Auf der dorsalen, sowie auf der ventralen Mittellinie findet keine Ausfaltung der Wände statt; die dünne epi- theliale Decke des vierten Ventrikels geht unter schwacher ventral gerichteter Einbiegung in die Decke des Mittelhirnes über. Auf Taf. XVIII Fig. 11 ist ein Medianschnitt eines entsprechenden Sta- diums dargestellt. An der Übergangsstelle des Hinterhirnes in das — Mittelhirn ist die Gehirnanlage ventralwärts gekrümmt. Die Vor- gänge, die diese Krümmung einleiten, bestehen in einer Entfernung der betreffenden Strecke des embryonalen Leibes von der Oberfläche des Dotters und stehen offenbar im Konnex mit den Vorgängen der Ausbildung der Herzanlage (Fig. 11HA). Es wird nämlich zwi- schen Dotter und der vorderen Darmanlage Raum geschaffen. Zu der Mittelhirnregion ist nichts Besonderes zu notiren, außer einer Verkleinerung des dorsoventralen Durchmessers, was mit einer Ver- größerung des lateralen Durchmessers ihres Ventrikels zusammen- hängt, Vorgänge, welche mit einer Ausfaltung eines seitlich kom- primirten Sackes schematisch zu vergleichen sind. Auf Grund dieser Beobachtung, sowie aus dem Befunde von Zelltrümmern im Lumen des Centralkanals muss ich den beiden über die Bildung des Central- kanals bei Knochenfischen ausgesprochenen Ansichten Recht geben: SCHAPRINGER und WEIL einerseits, welche den Kanal durch einen Spaltungsprocess entstehen ließen und OELLACHER andererseits, wel- cher eine Zerstörung der centralen Zellen des Medullarstranges annahm. In der primären Vorderhirnregion finden wir die Augenblasen- stiele caudalwärts gerückt. Es ist ein ventraler Abschnitt (2) der Lamina terminalis zu konstatiren, welcher auf Stadium Fig. 2 nicht vorhanden war. Der Augenblasenstiel ist mehr vertikal gerichtet; die Verbindung des Stieles mit der Augenblase geschieht am vor- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 457 deren Rande der Augenblase, ein Verhältnis, welches, wie wir sehen werden, später sich ändert. Aus der Vergleichung der Fig. 1, 2, 3 ersieht man sofort, dass in diesen Stadien eine ventrale Krümmung der vorderen Abschnitte der Gehirnanlage stattfindet. Diese Kriim- mung ist die Ursache der ventralwärts gehenden Ortsveränderung des cerebellaren Ursprungs der Augenblasenstiele, wie GÖTTE es angab. Unmittelbar caudalwärts von dem cerebellaren Ursprung des Stieles bildet die basale Hirnwand eine breite Aussackung (Fig. 3, 11.22). Es ist die Anlage des Lobus infundibuli. Die direkte Beobachtung ergiebt also, dass die Anlage des Lobus in späteren Stadien der Hirnkrümmung als ein Auswuchs einer Strecke der Hirnwand statt- findet. Diese Strecke hatte in früheren -Stadien eine horizontale Lage (FR. 1, 2) und bildete den basalen Abschnitt der Vorderhirn- region. Bekanntlich geht die Entwicklung des centralen Nervensystems te offenbart. Dabei ist das relative Volum der Anlagen einzelner egionen in den verschiedenen Klassen der Wirbelthiere variabel. iese Variationen stimmen mit dem Entwicklungszustand der ein- zelnen Regionen bei dem erwachsenen Thiere überein. Darüber habe ich anderswo berichtet (26). Wenn man diese Thatsachen be- rücksichtigt, so wird klar, dass das späte Erscheinen der Anlage des Lobus infundibuli diesen Gehirnabschnitt als einen relativ neueren phyletischen Erwerb dokumentirt. Es kann also der Lobus infun- dibuli nicht zu den Bestandtheilen des primitiven Gehirnrohres ge- rechnet werden. Er ist eine sackförmige Ausstülpung der Basis ‘des primitiven Vorderhirnes, wie ihn Görtz aufgefasst hat und ist relativ kein primitives Organ. Auf Fig. 4 habe ich ein Stadium des 21. Tages dargestellt. Der Medianschnitt des betreffenden Stadiums ist auf Taf. XVIII Fig. 12 gegeben. Im vorderen Abschnitte des stark gekrümmten Gehirnrohres, auf der Grenze zwischen den Gewölbetheilen des Mittel- und Vorderhirnes, ist die Anlage der Epiphyse entstanden (Ep). Ich habe die Entwicklung dieser Anlage aufmerksam verfolgt. Die von RABL-RÜCKHARD aufgestellte Hypothese (19), welche die Epiphyse als den Rest eines unpaarigen, augenähnlichen Organs betrachtet, hat durch die neuere Arbeit von SPENCER über die pinealen Augen 458 N. Goronowitsch der Lacertilien das größte Interesse erweckt. GöTTE fand, dass bei Amphibien die Epiphyse unter der Betheiligung der Oberhaut entsteht. Diese Beobachtung wurde später von vAN WWHE für Se- lachierembryonen bestätigt (30). Horrmann (44) war geneigt, die- selbe Entstehungsweise der Epiphyse für Knochenfische anzunehmen. Ein solcher Entwicklungsgang zeigt aber eine gewisse Verschieden- heit von der Entwicklung der Augenblasen. Diese Verschiedenheit konnte die Vergleichung zwischen Epiphyse und Augenblasen in einem gewissen Grade beeinträchtigen. Auf Grund von Beobach- tungen beim Axolotl und bei Salmo fario kann ich bestimmt be- haupten, dass die Epiphyse ohne Betheiligung der Oberhaut entsteht. In frühen Stadien erscheint sie als eine kompakte Zellmasse, welche durch Proliferation der Zellen der Gehirnwand entsteht. Die Ab- grenzung dieser Anlage von der Oberhaut ist in allen a: stadien deutlich wahrzunehmen. Das Gehirn des Stadiums vom 21. Tage (Fig. 4) ist weit ent- wickelt. Das Gewölbe des Mittelhirnes ist sehr prety es setzt sich von dem schmäleren Basalabschnitte als Tectum opticum ab. In den hinteren Abschnitten ist das Tectum breiter, verschmälert sich nach vorn allmählich, indem es in das vertikal abfallende Gewölbe des primitiven Vorderhirnes übergeht. Die Grenze zwischen Tectum und Vorderhirn wird durch die Epiphyse bezeichnet. Das Gewölbe des Vorderhirnes ist auch in seinen distalen Abschnitten breiter, proximalwärts (in Folge der Querstellung also ventralwärts) geht es unter allmählicher Verschmälerung in die Schlussplatte des primitiven Gehirnrohres (Az) über. Auf dieser Schlussplatte ist in dem be- treffenden Stadium die Sehnervenplatte als eine Querrinne entstan- den, wie das der Medianschnitt Taf. XVIII Fig. 12 (Sp) zeigt. Durch die Sehnervenplatte ist die Stelle des cerebralen Ursprungs der Augenblasen angegeben. Der Stiel mündet in die Augenblase an einer anderen Stelle als in den früheren Stadien. Diese schein- bare Ortsveränderung ist sehr wahrscheinlich durch einen Rotations- process der Augenblasen, welcher bei der Krümmung des Gehirn- rohres stattfindet, zu erklären. Indem man die Fig. 3 und 4, sowie die entsprechenden Schnitte mit einander vergleicht, sieht man, dass die Gehirnkrümmung bei dem Stadium des 21. Tages noch mehr zugenommen hat. Das Stu- dium der beschriebenen Stadien hat also gezeigt, dass in Folge der Krümmung des Gehirnrohres der Abschnitt seines Gewölbes (Gz), welcher in den früheren Stadien (Fig. 1) eine dorsale Lage hatte, ee — i . Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 459 sich in späteren Stadien in eine Querebene zur Längsachse des Embryo stellt. In einem noch späteren Stadium (Fig. 5 und Taf. XVIII Fig 13) findet man, dass dieser Gewölbetheil des Gehirnrohres anfängt nach vorn zu wachsen. Es ist der Anfang der Entwicklung des definitiven Vorderhirnes (YA). Das Gewölbe des primitiven Vorderhirnes bildet eine allmählich nach vorn wachsende sackförmige Ausstülpung. Die ventrale Wand dieser Ausstülpung bildet die Basalganglien. Das Vorderhirn der Knochenfische ist also als ein dorsaler Auswuchs des Pprünitiven gekriimmten Gehirnrohres aufzufassen. Auf Taf. XXII Fig. 69 (VA), welche einen Medianschnitt eines bedeutend späteren Stadiums in Kontour wiedergiebt, ist dieses Verhalten des Vorder- hirnes unter Vergleichung mit Fig. 13 vollkommen deutlich. Bei der Beurtheilung des gegenseitigen Verhaltens des Vorder- hirnes zum primitiven Gehirnrohre kann aber die Entwicklung der Knochenfische und Amphibien allein nicht maßgebend sein. Die durch GöTTE gewonnenen Resultate werden aber durch die Ent- wicklung der Selachier bestätigt. Aus der Betrachtung der Median- schnitte durch embryonale Gehirne der Selachier, welche in den Arbeiten von GEGENBAUR 5, UI, Taf. XXI Fig. 3, 4) und Rast- RückHARD (22, Taf. XXVIII Fig. 7) gegeben sind, wird es klar, dass das beschriebene Verhalten des Vorderhirnes, sowie des Lobus infundibuli zum primitiven Gehirnrohr bei Selachiern dasselbe wie bei Knochenfischen ist. Es ist oft ausgesprochen worden, dass das Gehirn als wichtiges formatives Princip des Schädels zu betrachten ist. Ich glaube, dass die Richtigkeit dieses Satzes durch die Betrachtung des primi- tiven Schädels der Notidaniden am besten demonstrirt wird. Diese Schädel zeigen in ihrer Form den Ausdruck der soeben besproche- nen Verhältnisse des Gehirnrohres. Die verkleinerten Kopien der Zeichnungen von GEGENBAUR, welche den Hexanchusschädel dar- stellen, sollen das Nächstfolgende illustriren (Taf. XVII Fig. 7, 8). Aus den GEGENBAUR'schen Untersuchungen ist bekannt, dass die gesammte ventrale Fläche des Schädels der Notidaniden nicht in einer und derselben Ebene liegt (5 pag. 58). Die Orbitalhöhle ist nicht durch eine ausgebildete Basalplatte ventral abgeschlossen. Im vorderen Theil der Orbita steigt die ventrale Fläche des Schädels dorsalwärts zur Ethmoidalregion und fällt steil ventralwärts ab, indem sie in die Basis des hinteren Abschnittes der Orbitalregion übergeht (Fig. 7). Die Basis dieses letzten Abschnittes setzt sich 460 N. Goronowitsch direkt in die Basis der Labyrinth- und Occipitalregion fort. An der Ubergangsstelle des vorderen Abschnittes in den hinteren der Or- bitalregion wird eine abgerundete Ecke (Ba) gebildet, — die soge- nannte Basalecke. Diese Verhiltnisse sind stiirker bei Heptanchus als bei Hexanchus ausgesprochen. Das Profil eines solchen Schädels kann folgendermaßen charakterisirt werden. Der proximale Ab- schnitt des Schädels (das prächordale im Sinne GEGENBAUR’s), wel- cher den vorderen Abschnitt der Orbital- und die Ethmoidalregion in sich begreift, ist als ein Fortsatz des vorderen dorsalen Theiles des distalen Abschnittes des Schädels zu betrachten (des chordalen im Sinne GEGENBAUR’s). Auf einem median durchschnittenen Hexan- chusschädel (Fig. 8) sieht man, dass das Cavum cranii vollkommen die Form des Gehirnes wiedergiebt. Vor der Sattellehne senkt sich der Boden der Schädelhöhle, um die Nische für den Lobus infundi- buli zu bilden. . Das dorsale Gewölbe des Schädels in dieser Gegend ist stark konvex und giebt somit die Konvexität des Tectum opti- cum wieder. Dieser Abschnitt des Cavum cranii giebt also voll- kommen die Form des gekrümmten Gehirnrohres wieder. Die Lage des Chiasma wird am Schädelboden durch eine Querrinne (r7) be- zeichnet. Von der Stelle dieser Rinne geht das Cavum cranii in den vorderen Abschnitt der Orbitalregion, welche einen Theil des Vorderhirnes einschließt, über. Der Boden der Schädelhöhle steigt hier dorsalwärts und die ganze Höhle erscheint als ein nach vorn und dorsalwärts gerichteter Divertikel der hinteren breiteren Höhle. Dieses Verhalten der vorderen Schädelhöhle stimmt also mit dem Verhalten des Vorderhirnes zum primitiven Gehirnrohr überein. Die äußere Form des Notidanidenschiidels ist aber keine voll- kommen getreue Wiedergabe der Konformation des Gehirnes. Am durchschnittenen Schädel (Fig. 8) sieht man nämlich, dass die ven- trale Schädelwand, welche die Basalecke bildet, stark verdickt ist. Diese Verdickung der Knorpelwand ist höchst wahrscheinlich als ein neuer Erwerb zu betrachten. Sie ist durch die Ausbildung des Palatobasalgelenks bedingt. Dieses letzte Gelenk ist, wie es durch die Untersuchungen von GEGENBAUR festgestellt ist, als ein relativ neu entstandenes Gebilde aufzufassen. Wenn man sich eine gleich- mäßige Dicke der ventralen Schädelwand vorstellt, so wird man doch finden, dass die Wand der Nische des Lobus infundibuli einen ventralwärts gerichteten und der Basalecke entsprechenden Vorsprung bilden muss. Bei höher organisirten Selachiern wird die Basalecke allmählich —_ SE ee Te Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser rutbenus. 461 kleiner. Die Basis der Orbitalregion des Craniums verbreitet sich in eine Platte, die sogenannte Basalplatte. Die Orbitalhéhle wird durch diese Platte ventral geschlossen. Dieser Process der Nivelli- rung der Basis cranii erreicht sein Maximum bei Rochen. Bei die- sen letzten Formen ist im Allgemeinen auch die Gehirnkriimmung weniger ausgesprochen. Der Lobus infundibuli ist relativ kleiner. Mit diesem Verhalten geht gleichen Schritt die bekannte Verkleine- rung der Sattellehne am Rochenschädel. Bei allen Haien sind nach GEGENBAUR wenigstens Spuren des primitiven Verhaltens des Noti- danidenschiidels durch eine mehr oder weniger ausgebildete Basal- ecke ausgedriickt. In Bezug auf die soeben besprochene Nivellirung der Basis cranii lesen wir bei GEGENBAUR Folgendes (5, III, pag. 80): »Die Nivel- lirung der Basis cranii lässt also eine Eigenthümlickheit verschwin- den, welche den Schidel in zwei ungleichwerthige Abschnitte zerlegte. Da diese Eigenthiimlichkeit sehr verschiedenen Gattungen zukam, da sie ferner bei anderen in ganz allmählicher Umbildung sich zeigte, und da endlich die Selachier, bei denen mit der Ausdehnung der Basis cranii nach vorn zu jene besondere Bildung verschwunden ist, an das Verhalten der iibrigen Wirbelthiere sich anreihen, so wird in jener Einrichtung ein sehr niederer Zustand gesehen werden diirfen. Gewiss ist es von nicht geringer Bedeutung, dass dieselben Selachier mit jener Sonderung des Craniums in zwei Abschnitte auch andere Merkmale besitzen, aus denen sie als minder ditferenzirte Formen erkennbar sind.« Wenn man in Betracht zieht, dass die archaische Form des Notidanidenschädels durch die Form ihres Ge- hirnes zu erklären ist, so kann man noch Folgendes erwägen. Die Form des Craniums der primitivsten Wirbelthiere wird fast aus- schließlich durch die Form des Gehirnes bedingt. Bei höheren Or- ganisationen gesellt sich außer diesem formativen Princip ein zweiter, welcher allmählich das Übergewicht gewinnt, und in der Anpassung der Cranialwände an verschiedenartige peripherische Gc- bilde besteht. Wenn das Cranium der niederen Wirbelthiere nach dem Plane des Gehirnes gebaut ist, so sind aus den Verhältnissen des Gehirn- rohres präeisere Schlüsse über die gegenseitigen Abgrenzungen des chordalen und prächordalen Abschnittes des Schiidels zu ziehen. Nach GOrre ist es nur das primitive Gehirnrohr, welches dem Rückenmarksrohre zu vergleichen ist. Die Lamina terminalis dieses primitiven Gehirnrohres ist durch die Sehnervenplatte bezeichnet. 462 N. Goronowitsch Im ausgewachsenen Gehirne entspricht also die Stelle dieser Lamina terminalis der Strecke der Gehirnbasis, welche Trigonum cinereum genannt wird. Daraus folgt, dass nur derjenige Abschnitt des Craniums, welcher bis zu der Stelle des Trigonum einereum reicht, einem Abschnitte der Wirbelsäule als homodynam zu betrachten ist. In dem Cranium der Notidaniden ist die Lage des Chiasma, sowie des Trigonum einereum durch die Rinne r» (Fig. 8) bezeichnet. Bis zu dieser Stelle reicht also bei diesen Thieren derjenige Abschnitt des Craniums, welcher einem Abschnitte der Wirbelsäule homodynam ist. Es kann darauf erwiedert werden, dass der vordere Abschnitt der Chorda diese Stelle nicht erreicht, sondern distalwärts endet. Dieser Vorwurf ist aber unberechtigt, denn das vordere Ende der Chorda der Selachier, wie es längst bekannt ist, zeigt in embryonalen Stadien eine hakenförmige Krümmung und verschiedenartige Reduktionser- scheinungen seines terminalen Abschnittes. Es folgt daraus, dass bei den ancetralen Formen der Selachier die Chorda weiter proximal- wärts reichte und konnte also bis zu derjenigen Stelle gedacht wer- den, wo das primitive Gehirnrohr endete; am Notidanidenschädel also bis zu der Rinne rz. Die Ursache, welche die Krümmung so- wie die nachträgliche Reduktion der Chorda bedingte, ist ohne Schwierigkeit zu erläutern. Bei Selachier - Embryonen stößt die kolossale Anlage des Lobus infundibuli, wie es bekannt ist (22), an das vordere Ende der Chorda; auch ward oben erörtert, dass der Lobus infundibuli als ein relativ jüngerer phyletischer Erwerb auf- zufassen ist. Die topographische Lage des vorderen Endes der Chorda gegeniiber dem wachsenden Lobus infundibuli erklärt voll- kommen, dass die Reduktion der Chorda bei den Vorfahren der Selachier durch die allmähliche Ausbildung des Lobus infundibuli stattfinden konnte. Die Ausbildung des Lobus infundibuli ist auch die Ursache des Erscheinens des ersten Rudimentes der Basalecke. Der starken Entfaltung der Basalecke sollte bei den Vorfahren die relativ neu entstandene Verbindung mit dem mächtigen Palatoqua- dratknorpel beitragen. Die obigen Betrachtungen, welche die gegenseitigen Abgrenzun- gen des chordalen und prächordalen Abschnittes des Schädels auf Grund des topographischen Verhaltens der Schädelregionen zu den Abschnitten des Gehirnrohres zu bestimmen versuchen, ergeben das Resultat, zu welchem, GEGENBAUR auf anderem Wege gekommen ist. Die Ethmoidalregion und der vordere Abschnitt der Orbitalregion des Cranium gehören zu den prächordalen Gebilden. Der hintere Ab- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 463 schnitt der Orbitalregion und die distalwiirts liegenden Regionen des Cranium sind chordale Gebilde. Aus van Wıyue’s Untersuchungen (30), auf welche ich ausführ- licher im fünften Kapitel zurückkommen werde, glaube ich den Schluss ziehen zu können, dass die vordere Grenze der Kopfsomiten in den frühen Entwicklungsstadien in diejenige Querschnittsebene des Kopfes fällt, welche durch die Ursprungsstelle der Epiphyse und die Lage der Sehnervenleiste bestimmt wird. Es ist ersichtlich, dass dieselbe Querschnittsebene auch den chordalen Abschnitt des Schädels vom prächordalen theilt. Diese Thatsache stützt die Auffassung, dass der chordale Abschnitt des Schädels durch Konkrescenz von Meta- mergebilden (Somiten) entstanden ist. Der prächordale Abschnitt des Schädels dagegen, welcher in frühen Entwicklungsstadien keine So- miten enthält, ist auch nicht durch eine Konkrescenz von Metamer- gebilden während der Phylogenie entstanden zu denken. Er ent- stand, wie das GEGENBAUR lehrte, als ein nach vorn gerichteter Auswuchs. Die nächstfolgenden Betrachtungen sollen diesen letzten Satz noch näher erörtern. Auf Grund seiner embryologischen Untersuchungen an Selachiern hat van WisuE (30) eine treffende Ansicht über die gegenseitigen Lagebeziehungen des Olfactorius und des Opticus ausgesprochen. Er fand, dass es unrichtig sei, den Olfactorius als den ersten nicht segmentalen Cranialnerv aufzufassen. Der Olfactorius erhält seine Lage am ausgewachsenen Gehirne durch die in embryonalen Stadien stattfindende Krümmung des Gehirnrohres. In der That ist der Opticus als erster nicht segmentaler Cranialnerv aufzufassen: der Olfactorius als der zweite. Dieser letzte Nerv wird auf dem Ge- wölbetheile des ventralwärts abgebogenen Abschnittes des primitiven Gehirnrohres gebildet (primitives Vorderhirn). Es kann also darüber kein Zweifel bestehen, dass der Opticus, welcher von den seitlichen Theilen der Lamina terminalis des primitiven Gehirnrohres entspringt, morphologisch als erster nicht segmentaler Cranialnerv aufzufassen ist. Diese Auffassung von van WumeE folgt direkt aus den oben besprochenen Darstellungen von GöTTE und lässt sich verwenden, um folgende Hypothese über die phyletische Entstehung des nrächone dalen Abschnittes des Gehirnes sowie des Cranium aufzustellen. Es sind die dorsalen paarigen Theile des primitiven Gehirnrohres, aus welchen die Nervi olfactorii entspringen, und sie sind es allein, welche das erste Rudiment bilden könnten, aus welchem später die Hemisphären sich entfaltet haben. Durch die Ausbildung dieser paarigen Rudi- 464 N. Goronowitsch mente entstand dasjenige morphologisch definirte Großhirn, auf wel- ches später die Funktionen des Mittelhirns, wie STEINER sich aus- drückt, überwandern könnten. Die eben geäußerte Auffassung be- trachte ich als eine nähere Erörterung eines Satzes von GEGENBAUR. Über die Entstehung des prächordalen Abschnittes des Schädels äußert | er sich unter Anderem folgendermaßen (6 pag. 555): »Er erscheint | als eine Anpassung an zwei Sinnesorgane: die Nasengrube und den ~ Bulbus oculi, welche ihm theils ein-, theils angelagert sind. Auch die Bildung der vorderen Gehirntheile mag damit in Zusammenhang stehen.« Jeder anderen Hypothese über die phyletische Entstehung des Vorderhirnes stellt sich die Schwierigkeit entgegen, : dass sie | nicht dasjenige anfängliche Rudiment aufweisen kann, aus welchem ~ nachträglich die Hemisphären sich differenziren könnten. Die soeben | dargelegte Ansicht findet eine Stütze in der Thatsache, dass der L Lobus olfactorius der primitiven Formen nicht scharf von den eigent- lichen Hemisphären sich abgrenzen lässt. Die Entstehung der Hemi- sphären führte zur Ausbildung des prächordalen Abschnittes des Schädels, dieser letzte entstand wie das Vorderhirn (Hemisphären) als ein Auswuchs der dorsalen Oberfläche eines gekrümmten Cranial- rohres. Die Form des Schädels, welche durch diese Entstehungs- weise des prächordalen Abschnittes bedingt war, ist noch zum Theile, wie wir oben sahen, bei den Notidaniden erhalten. Wenn das Hotzlerkimn sowie der Lobus infundibuli neue ie: tische Erwerbungen sind, so sind auch die diesen Gehirntheilen ent- sprechenden Schädelabschnitte neuere Erwerbungen. Die Ethmoidal- Region mit einem Theile der Orbitalregion, wie das GEGENBAUR lehrte, einerseits, der Infundibularabschnitt und die Basaleeke anderer- seits sind relativ nicht als primitive Gebilde des Cranium anzusehen. Die Ontogenie schildert uns den Plan der morphologischen Kon- ~ stitution des Gehirnes, sowie das wahrscheinliche Alter verschiedener Abschnitte desselben. Jetzt bleibt noch die Frage zu beurtheilen, ob wir die Resultate der embryologischen Untersuchung zu einer hypothetischen Rekonstruktion des archaischen Wirbelthierschädels anwenden können. Die Ontogenie der Amphibien sowie der Knochen- fische ist freilich für diese Frage nicht anzuwenden.. Die Amphibien sind nicht genug primitiv dazu. Die Entwicklung ihres Gehirnes gegenüber der Entwicklung des Gehirnes der Knochenfische zeigt einige Charaktere der abgekürzten Entwicklung, wie das aus GöTTE's Angaben zu schließen ist. Die Knochenfische entsprechen auch nicht vollkommen dem Material, welches die Aufgabe fordert, nicht bloß Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 465 desshalb, weil sie nicht die primitivsten Formen sind, sondern auch desshalb, weil sie, wie oben erörtert, ein reducirtes Vorderhirn haben. Dieser letzte Gegenstand konnte die Detailverhältnisse der Gehirn- entwicklung bei diesen Formen umändern. Die frühen Stadien der Gehirnentwicklung bei Selachiern sind nicht genügend im Detail studirt, um für die betreffende Frage ihre Anwendung zu finden. Vorausgesetzt aber, dass wir alle nöthigen Data aus der Ontogenie der Selachier hätten, wäre die Form des embryonalen Gehirnes ge- eignet, um auf Grund dieser Form eine Rekonstruktion des primitiven Schädels vorzunehmen? - Es genügt, einen Blick auf die Entwicklungsstadien der Selachier I bis N zu werfen, wie sie BALFOUR angiebt, oder auf das Gehirn von Salmo salar (Fig. 5), um sofort zu der Überzeugung zu gelan- gen, dass die erwachsenen ancetralen Formen weder einen solchen Kopf noch ein solches Gehirn haben konnten. Darauf hat schon BALFOUR in seiner vergleichenden Embryologie die Aufmerksamkeit gelenkt. Er hat auch darauf hingewiesen, dass die merkwürdigen Kopfformen der Wirbelthierembryonen durch die gegenüber anderen Anlagen frühzeitig entstehende Gehirnanlage zu erklären sind. Vorläufig hat man keinen Grund, zu bezweifeln, dass der Weg und die Reihenfolge der embryonalen Entwicklung der Abschnitte des Gehirnes bei niederen Formen anders ist, als der Weg und die Reihenfolge der phyletischen Entwicklung des Gehirnes. Es wurde schon oben mehrmals erörtert, dass Spuren dieses Weges im Gehirn- bau ausgewachsener Formen noch jetzt zu erblicken sind. Man kann aber auch an Gehirnen dieser ausgewachsenen Formen sehen, dass die Größenverhältnisse des ventralwärts abgebogenen Abschnittes und des Mittelhirnes zu einander andere sind, als bei Embryonen. Das Mittelhirn der ausgewachsenen Formen ist bedeutend größer, als der ventralwärts abgebogene Gehirnabschnitt. In gewissen Sta- dien sind dagegen bei Embryonen beide Abschnitte fast von einer und derselben Größe. Wenn man sich ein Cranium vorstellt, welches ein embryonales Gehirn einschließt, so bekommt man eine Schädel- form, welche freilich, wie BALFOUR bemerkt, für eine freilebende Form undenkbar ist. Wenn wir aber ein Gehirn einer ausgewachse- nen Form nehmen, Hexanchus oder Acipenser, und stellen uns vor, dass der Lobus infundibuli sowie das Vorderhirn nicht vorhanden wären, so wird man Gehirnformen bekommen, welche solche Größen- verhältnisse ihrer Abschnitte zu einander zeigen, die eine denkbare Schädelform bedingen. Der Schädel wird die Form eines verbrei- Morpholog. Jahrbuch. 13. 30 466 N. Goronowitsch terten etwas gekrümmten Rohres haben. Eine solche Schädelform hat nicht diejenigen Nachtheile, auf welche BarLrour richtig hin- weist. Die gegenüber anderen Anlagen hypertrophisch erscheinende Anlage des primitiven Vorderhirnes ist die Ursache der Disproportion des embryonalen Gehirnes für eine ausgewachsene Form. Der ar- chaische Wirbelthierschädel konnte also die Form eines verbreiterten ventralwärts etwas gekrümmten Rohres haben. Dieses Rohr endete in der Gegend des Austritts der Nervi optici. Es sind zur Zeit keine Thatsachen vorhanden, welche uns zu der Annahme zwingen könnten, dass dieses Rohr aus Elementen von knorpeligen Wirbeln bestand. Die Lehre von GEGENBAUR begründet aber, dass die Ge- bilde, welche das Cranialrohr umgaben, metamerenweise angeordnet waren und, dass dieser Abschnitt des Cranialrohres als homodynam einem Abschnitte der Wirbelsäule zu betrachten ist. Schließlich sind die Somiten des Kopfes wichtige Anzeichen der metameren Konsti- tution des Cranialrohres selbst. Es ist freilich keine Nothwendig- keit, für eine solche Metamer-Konstitution knorpelige Wirbelelemente anzunehmen!. Ich lasse nun einige kurze Bemerkungen über die frühen Entwicklungsstadien des Olfactorius und des Geruchsorganes der Knochenfische folgen. Bekanntlich fand MArsHALL (34), dass das Geruchsorgan der Selachier, Amphibien und Sauropsida auf der dor- salen: Oberfläche des Vorderhirnes erscheint und allmählich ventral- wärts überwandert. Dasselbe Resultat giebt der Verfasser für die Knochenfische an. In einer früheren Arbeit sind auch die Gründe erörtert worden, welche ihm anzunehmen gestatteten, dass der Ol- factorius der Vögel aus den vordersten Abschnitten der neural ridge, also Ganglienleiste (SAGEMEHL), entsteht (35 pag. 9). Der Verfasser bemerkt dabei, dass er die letzte Ansicht nicht für erwiesen hält. Später fand Horrmann (44 II), dass der Olfactorius der Knochen- fische im Anfange ein sehr mächtiger Auswuchs der dorsalen Ge- hirnfläche ist, und vermuthete, wie ich es aus pag. 87 III schließe, ! Ich finde es kaum nöthig zu bemerken, dass jeder Versuch auf Grund der Gehirnkrümmungen der Wirbelthiere die Homologie des Rückenmarkes zu der Bauchganglienkette der Wirbellosen aufstellen zu wollen, als verfehlt zu betrachten ist. Der Embryo ist nicht in Bezug auf die Dottersphäre zu orien- tiren. Der Embryo eines Arthropoden z. B. liegt nicht auf dem Rücken, son- dern der Dotter hat seine Lage auf dem Rücken, weil die Dottersphäre als künftiger Darm aufgefasst werden muss. Bei Arthropoden liegt Dotter, sowie Darm dorsal — bei dem Wirbelthier ventral. Se eee ES ee ee A a ee ee ee Dit ws rn. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 467 dass der Nerv in späteren Stadien ventralwärts wandert. BEARD (43) bestätigte das Resultat von MARSHALL für Selachier. Das früheste Stadium, bei welchem ich die Anlage des Geruchs- organes sicher konstatiren konnte, war ein Salmo fario-Embryo des 17. Tages. Der Entwicklungszustand des Embryo in Bezug auf die Gehirnhöhlen, Herzanlage und Struktur der Chorda entsprach dem Lachsembryo (Fig. 11). Die Anlage besteht aus zwei lateralen Ver- diekungen des Ektoderms, welche ventral liegen. In früheren Stadien war keine dorsale Verdiekung des Ektoderms wahrzunehmen. Der Nervus olfaetorius dieser frühesten Stadien ist nicht mit voller Sicher- heit zu beobachten, wohl aber der des Stadiums des nächsten Tages. Die Verdiekung des Geruchsorganes ist von der ventralen Seite des Gehirnrohres durch eine dünne Schicht von Mesodermelementen ge- trennt. An einer Stelle ist diese Mesodermschicht unterbrochen und man findet eine feinkörnige weiße Substanz, welche die Geruchsorgan- anlage mit der Wand des Gehirnrohres verbindet. Fasern sind am 17. Tage nicht zu beobachten. Am 18. Tage konnte ich schon die Fasern recht deutlich unterscheiden. Der kurze Nerv verläuft lateralwärts. Auf Grund dieser Beobachtungen muss ich annehmen, dass die Geruchsorgananlage ventral entsteht. Sie behält die ventrale Stellung während der ganzen Entwicklung, wie ich mich davon bei späteren Stadien überzeugen konnte. Der Olfactorius erscheint ebenfalls ven- tral. Ferner muss ich annehmen, dass der Olfactorius der Knochen- fische keine Beziehung zu der Ganglienleiste besitzt. Dieses Gebilde ist schon längst von der Gehirnanlage abgetrennt, wenn die ersten Spuren des Olfactorius erscheinen. Dasselbe giebt auch van WIJHE (74 pag. 680) an. Ill. Die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. Das Ganglion Gasseri. Indem ich diejenigen neueren Arbeiten, welche die Homody- namie der Cranial- und Spinalnerven leugnen, im fünften Kapitel näher bespreche, glaube ich zugleich auf jene Arbeiten, welche den morphologischen Werth der Cranialnerven von Standpunkten der Verhältnisse bei den Amphibien, Sauropsiden und Säugern be- urtheilen, nicht näher eingehen zu müssen. Die Verhältnisse dieser höheren Organisationen können nach meiner Meinung keine wieder- 30* 468 N. Goronowitsch sprechende Bedeutung bei der Beurtheilung solcher Fragen wie die Homodynamie der Cranial- und Spinalnerven besitzen. Es sind von mir auch die Verhältnisse der Cyclostomen nicht in Betracht gezogen worden, denn die morphologische Erkenntnis dieser Formen ist noch sehr unklar. Auch ist fiir uns obenan die phyletische Stellung dieser Formen räthselhaft. »Viele Untersucher haben sich mit der Frage beschäftigt, ob das BELL’sche Gesetz auch für den Kopf gelte. Seitdem festgestellt war, dass die zum Theil motorischen Trigeminus, Facialis, Glossopharyn- geus und Vagus den dorsalen Spinalnervenwurzeln homolog sind, musste jene Frage verneinend beantwortet werden. Um doch für die Nerven des Kopfes einen gleichen Bildungstypus mit denen des Rum- pfes annehmen zu können, erdachte BALFour eine Hypothese, die, wie er selbst anerkennt, Viele nicht befriedigt hat. Nach derselben käme phylogenetisch einem jeden Segmente nicht eine diskret ent- stehende ventrale und dorsale Neryenwurzel zu, sondern beide seien als eine einzige sensumotorische Wurzel, welche sich am Rumpfe nachträglich getheilt habe, aufgetreten. Am Kopfe bestehe noch das primitive Verhältnis; die ursprüngliche Wurzel habe sich nicht ge- theilt.« So beginnt van WıJHE den Abschnitt seiner Arbeit, in welchem er die Schlüsse summirt (30 pag. 40). Die eitirte Stelle schildert meiner Meinung nach vollkommen den Standpunkt der Frage über die Homodynamie der Cranial- und Spinalnerven, so weit dieser Stand- punkt aus einigen der neueren Arbeiten hervorgeht, welche diese Homodynamie nicht in Abrede stellen. Die thatsächlichen Befunde zeigen nun, dass durchaus keine genügenden Gründe vorhanden sind, um den Nervus Vagus, Glosso- pharyngeus, Facialis und die beiden Trigemini nur mit dorsalen Wurzeln von Spinalnerven zu vergleichen. Auch sind keine genügen- den Gründe vorhanden, um annehmen zu können, dass die genann- ten mit Dorsalwurzeln zusammengestellten Nerven undifferenzirte sensumotorische Komplexe darstellen, solche Komplexe, bei welchen die sensorischen und motorischen Bahnen nicht in diskrete Wurzeln differenzirt seien, wie das BALFOUR meinte (32 pag. 411; 33 pag. 193). Um diesen unrichtig aufgefassten »Bildungstypus« phylogenetisch zu erklären, baute BALFOUR seine bekannte Hypothese. Ich sende diese Bemerkungen voraus,. weil man in der älteren Litteratur schon An- gaben finden konnte, aus welchen sofort erhellt, dass im ausgewach- senen Zustande mancher primitiven Formen dorsale und ventrale Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 469 Wurzeln bei einigen Cranialnerven zu unterscheiden sind. Srannius giebt z. B. an, dass bei einigen Knochenfischen sowie bei Acipenser der Trigemino-Facialis-» Komplex« mit fünf Wurzeln vom Gehirne entspringt (3 pag. 23). Thatsächlich, wie wir es später sehen wer- den, entspringt der Trigemino-Faeialis-»Komplex« mit sechs Wurzeln. Der »Komplex« besteht aus drei segmentalen Nerven und jeder Nerv hat wie ein Spinalnerv zwei Wurzeln. Srannıus fand, dass elektri- sche, sowie mechanische Reizung der zweiten Wurzel Muskelkon- traktionen auslöse. Die dritte Wurzel dagegen zeigte keine motorische Reaktion (pag. 26). Es ist dabei zu bemerken, wie Verfasser es an- giebt, dass die zweite, sowie die dritte Wurzel des Komplexes aus einer lokalisirten Stelle der Oblongata entspringen (Lobus posterior Srannius). Auch entspringt die dritte Wurzel dorsalwärts von der zweiten. Wenn man diese Angaben in Betracht zieht, so kann kein Zweifel darüber sein, dass einige Cranialnerven morphologisch, sowie physiologisch differenzirte Wurzeln haben. Das BELL’sche Gesetz gilt vollkommen für solehe Nerven. Ferner fand StAanxıus, dass die vierte Wurzel keine motorischen Elemente enthält. Durch Reizen des fünf- ten entstehen dagegen Muskelkontraktionen. Diese beiden Wurzeln haben also wieder die Eigenschaften von Spinalwurzeln. Von einem undifferenzirten sensumotorischen »Komplexe« kann also keine Rede sein (vgl. auch Srannius 3 pag. 126, 131). Der Glossopharyngeus einiger Rochen, ferner von Salmo salar, Silurus glanis und einiger Gadidae entspringt nach Srannius mit zwei eng sich anschließen- den Bündeln. Diese Angabe mit den vorigen zusammengenommen lässt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für den Glossopharyngeus den Typus eines Spinalnerven vermuthen. GEGENBAUR fand bei Hexanchus (6), dass jeder der beiden Trigeministämme mit zwei Wurzeln entspringt. Er giebt aüch zwei Wurzeln für den Stamm des Facialis an, obgleich GEGENBAUR eine von diesen Wurzeln als zum Trigeminus angehörend annimmt. Schließlich Jackson und CLARKE (38) fanden, dass jeder der beiden Stämme des Trigeminus mit zwei deutlichen Würzelchen entspringt: »two well marked rootlets«. Diese Angaben genügen, um zu zeigen, dass eine Vergleichung von Cranialnerven nur mit dorsalen Wurzeln der Spinalnerven absolut unrichtig war. Diese Vergleichung ist als Resultat einer litteralen Interpretation der an Embryonen beobachteten Erscheinungen entstanden. Die enge Lage der ventralen und dorsalen Wurzeln der Cranialnerven erklärt vollkommen die Schwierigkeit ihrer Abgrenzung in embryonalen Sta- 470 N. Goronowitsch dien. Trotz der Menge der Arbeiten, welche von der Entwicklung der Cranialnerven handeln, ist doch die fundamentalste Frage der Nervenentwicklung durchaus noch nicht ergründet. Was sollen wir als erste Anlage des Nerven ansehen? Ist ein Auswuchs der »neural ridge« diese erste Anlage? Oder ist dieser Auswuchs nur die Anlage des Ganglions, wie es SAGEMEHL (12) für Spinalnerven angiebt? Wenn der Standpunkt von SAGEMEHL der richtige ist, dann ist der Moment noch nicht festgestellt, wo die Bildung des Ganglions aufhört, und die Bildung der Wurzeln anfängt. Der periphere Verlauf des em- bryonalen Nervs ist sehr leicht zu verfolgen, wie ich es durch eigene Erfahrungen an Knochenfischen und Vögeln weiß. Äußerst schwierig sind aber die Umwandlungen der Ganglienleiste und die Struktur des cerebralen Ursprungs des Nerven zu ermitteln. Es sind speciell dar- auf gerichtete Untersuchungen erforderlich, um über diese Frage ins Klare zu kommen. ’ Aus dem Gesagten folgt, dass bei dem jetzigen Zustand unserer Kenntnisse über die Entwicklung der Cranialnerven es die anatomi- schen aus der Untersuchung der primitiven Formen gewonnenen That- sachen sind, welchen ein entscheidender Werth über die Spinalnatur der Cranialnerven zukommt. Die morphologischen Kriterien der aus- gebildeten Spinalnerven sind: 1) Die dorsalen und ventralen Wurzeln haben verschiedene centrale Ursprungsstätten; 2) der Nery entspringt mit zwei Wurzeln: einer feinfaserigen dorsalen, und einer dickfase- rigen ventralen; 3) der Nerv trägt ein Ganglion. Dabei ist zu notiren, dass der Unterschied in der Dicke der Fasern in den dorsalen und ventralen Wurzeln kein sehr wesentlicher Umstand ist. Gerade bei den primitivsten Formen, bei den Selachiern, zeigen die dorsalen und ventralen Wurzeln des Rückenmarkes in dieser Beziehung wenig (Vıautr) oder keinen (STIEDA) Unterschied. Einen jeden Cranialnerv, welcher die soeben angegebenen Kriterien besitzt, sind wir gezwun- sen, als einen nach dem Typus der Spinalnerven gebauten Nerv zu erklären, folglich als einen einem Spinalnerv homodynamen Nery aufzufassen. Eine Untersuchung der Cranialnerven, welche Merkmale der Spinalnatur dieser Nerven aufweisen soll, muss zunächst in einer histologischen Untersuchung der Nerven-Ursprungsstätten, ferner in einer histologischen Untersuchung der Wurzeln, sowie in einer anato- mischen Untersuchung des Innervationsgebietes dieser Nerven bei den primitivsten Cranioten, bei den Selachiern, bestehen. Diese Richtung verfolgt nur die Arbeit von Ronon (39). Dieser Forscher bewies, dass a. ee Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 471 der Vagus der Selachier aus motorischen und sensorischen Bündeln von verschiedenem centralen Ursprung und Charakter sich zusammen- setzt. Leider hat aber dieser Forscher nicht die proximalen Nerven untersucht. Bei diesen Nerven ist, wie ich mich beim Sterlet über- zeugt habe, die Spinalnatur noch viel deutlicher ausgesprochen. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen gehe ich zur Darstellung meiner Untersuchungen über die Cranialnerven des Sterlet über. Ich halte mich nur an diejenigen Verzweigungen dieser Nerven, welche auch die neuere Arbeit von van WIJHE ins Auge fasst (31). Muskeläste, Schädelhöhlenäste, Rami pharyngei, über welche einige Angaben von Srannius vorhanden sind, konnten von mir nicht unter- sucht werden. Der vierte Spinalnerv zeigt keinen Unterschied von den distal- wärts liegenden Nerven, seine beiden Wurzeln sind anscheinend von derselben Dicke. Der Ubersichtlichkeit wegen gebe ich einige Mes- sungen an, welche einen relativen Werth haben können. Der unter- suchte Fisch hatte 38 cm Länge. Die dorsale Wurzel entspringt 3 mm proximalwärts von der Austrittsöffnung aus dem Wirbelkanal. Die ventrale Wurzel entspringt 4 mm vom Austrittskanale. Beide Wurzeln haben also einen kurzen absteigenden Verlauf im Wirbel- kanal. Die ventrale Wurzel entspringt proximal von der dorsalen. Jede Wurzel hat ihre eigene Austrittsöffnung (Taf. XXIII Fig. 82 Sp. IV). Das Ganglion liegt proximal von der Vereinigungsstelle der beiden Wurzeln und extravertebral. Vom Ganglion entspringt ein anastomotischer Ast zur ventralen Wurzel und ein dorsalwärts gerichteter Ast. Der ventrale Nervenstamm verläuft im dritten Inter- costalraum. Der Spinalis III zeigt schon einige Abweichungen. Die beiden Wurzeln sind von derselben Dicke. Die ventrale ent- springt weit proximal von der dorsalen. Der Ursprung der ersten liegt 7,5 mm vom Austrittskanal. Der Ursprung der dorsalen nur 4,5 mm. Das Ganglion liegt in der Wand der Wirbelsäule eingebettet. Es sind zwei Austrittsöffnungen vorhanden. Sie liegen sehr nahe von einander und etwas ventral gegenüber den Austrittsöffnungen des Spinalis IV (Fig. 82 Sp III). Der ventrale Nerv spaltet sich in zwei Aste Der feine intercostale Ast verläuft zwischen der zweiten und dritten Rippe. Ein dickerer Ast wendet sich nach vorn und geht zum Schultergürtel. An der hinteren Peripherie des Scapulare angelangt, begiebt sich der Nerv in ein feines Kanälchen, welches auf der medialen Oberfläche des Mittelstückknorpels anfängt. Ich habe den Ast nicht weiter verfolgt. Das Verhalten des Nerven zur Wand 472 N. Goronowitsch des Wirbelkanals ist inkonstant. Ich habe einmal einen einzigen Austrittskanal fiir den mixten Nerv gefunden, welcher durch Zu- sammenfließen zweier Kanäle in der Wand der Wirbelsäule ge- bildet war. Der Spinalis II zeigt ein noch mehr abweichendes Verhalten. Die beiden Wurzeln sind annähernd von derselben Stärke. Die dorsale ist bandartig abgeflacht; das Ganglion liegt in dem Wirbel- kanale, an dessen Wand gewöhnlich eine Nische für die Aufnahme des Ganglion ausgebildet ist. Die Verbindung beider Wurzeln ge- schieht im distalen Abschnitte des Ganglion. Drei Austrittsöffnungen bestehen für die mixten Äste. Die zwei dorsalen Äste treten aus zwei naheliegenden Öffnungen, welche auf der Grenze zwischen dem ersten deutlich ausgesprochenen Neuralbogen der Wirbelsäule und dem Occipitalknorpel liegen. Der ventrale Ast tritt etwas dorsal- wärts vom Rande des Parasphenoids aus, verläuft zwischen der er- sten rudimentären und der zweiten Rippe, wendet sich nach vorn und verläuft zum Schultergürtel, indem er mit zwei proximal liegen- den Nerven sich in einen Stamm verbindet (Fig. 82, 7). Der me- dullare Ursprung der dorsalen Wurzel war nicht sicher gemessen. Die ventrale entspringt 8 mm proximal vom Austrittskanal. Noch größere Abweichungen zeigt der Spinalis I. Die ventrale Wurzel ist beträchtlich stärker als die dorsale. Der Ursprung der ventralen Wurzel liegt 14 mm proximal von der Austrittsstelle; der Ursprung der dorsalen 10 mm. Die dorsale Wurzel trägt ein abgeflachtes, discoidales, schwach entwickeltes Ganglion, welches im Wirbelkanale liegt. Es sind zwei Austrittsöffnungen vorhanden. Eine Öffnung für den dorsalen Ast liegt in der Occipitalgrube (Sp. I). Die Öff- nung für den ventralen Ast liegt am Rande des Parasphenoids (Fig. 82, 2). Der ventrale Ast wendet sich nach vorn und schließt sich dem distalwärts liegenden Nerv an. Diese beiden Nerven sind leicht von einander zu trennen. Außer den beschriebenen Nerven sah ich noch drei dorsale Äste in der Oceipitalgrube austreten. Jeder dieser feinsten Nerven hatte seine eigene Austrittsöffnung, leider konnte ich die Herkunft dieser Äste nicht bestimmen. Aus dieser Beschreibung der proximalen Spinalnerven des Sterlet ergeben sich einige Thatsachen über die Umwandlungen, welche die Spinalnerven bei einer Form erfahren, die bestimmte Merkmale vom Eingehen der Neuralbogen in die Occipitalregion des Schädels zeigt. Ich kann über das Minimum der eingegangenen Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 473 Neuralbogen beim Sterlet vorläufig keine Meinung aussprechen. Bei proximalen Nerven tritt das Spinalganglion, wie das auch van WIJHE fand, in den Wirbelkanal. Die proximalen Nerven laufen eine län- gere Strecke im Wirbelkanal als die distalen. Der erste Nerv, wel- cher mit zwei Wurzeln entspringt, zeigt ein atrophisches Verhalten der dorsalen Wurzel, sowie des Ganglion. Diese letzte Thatsache wird von E. ROSENBERG auch für Selachier notirt (9). Zwischen N. spinalis I und Vagus entspringen wie bei einigen Selachiern aus den ventralen Theilen der Oblongata drei Nerven. Diese Nerven zeigen keine ihnen entsprechenden dorsalen Wurzeln. Van WIJHE beschreibt bei A. sturio zwei solcher Nerven (31 pag. 239). Vielleicht sind für Acipenser sturio die Verhältnisse abweichend, was gewiss von großem Interesse ist. Der stärkste dieser Nerven beim Sterlet ist der erste, welcher proximalwärts von Spinalis I ent- springt. Er läuft eine Strecke weit durch die Schädelhöhle in di- staler Richtung, tritt in einen sehr langen Austrittskanal, welcher schief in distaler Richtung die Schädelwand durchzieht. Nach dem Austritte aus dem Schädel verläuft der Nerv zwischen Parasphenoid- rand und Knorpel und schließt sich den ventralen Ästen des Spi- nalis I und Spinalis II an (Fig. 82, 3). Diese drei Nerven bilden einen Stamm, welcher zum Schultergürtel zieht (Fig. 82 Pb). Der Stamm senkt sich in den breiten Eintrittskanal zwischen Procoracoid und Scapularknorpel; der weitere Verlauf ist von GEGENBAUR an- gegeben (5 II pag. 96). Der zweite proximalwärts liegende Nerv ist schwächer, der dritte, welcher, wie van WIJHE richtig angiebt, ventralwärts vom Vagus entspringt, noch schwächer. Das periphe- rische Verhalten dieser zwei Nerven konnte ich nicht aufklären. - Van WısHE fand, dass sie auch zum Schultergürtel verlaufen. Im histologischen Abschnitte meiner Arbeit werde ich die Gründe dar- legen, nach welchen ich diese Nerven als Theile der Ventralwurzeln von Spinalnerven ansehe. Die ventrale Wurzel des Spinalis I scheint einen Theil ihrer Bahnen verloren zu haben. . N. Vagus. Der Stamm des Nerven wird bekanntlich als aus zwei Portionen bestehend beschrieben: einer proximalen und einer distalen. Die proximale Portion ist der N. lineae lateralis (Taf. XVII Fig. 9 Ztr). Dieser Nerv entspringt mit einer Wurzel weit proximal von. der distalen Portion; ihr Ursprung liegt dorsal von den Ursprungsstellen 474 N. Goronowitsch des Acusticus (Ac) und Glossopharyngeus (Gp) und zwischen diesen beiden Nerven. Indem der Nerv dorsal vom Glossopharyngeus ver- läuft, bekommt er von diesem letzten ein Verstärkungsbündel. Mit- unter habe ich dieses Bündel nicht gefunden. Distal legt sich der Nerv der dorsolateralen Oberfläche des Vagusstammes eng an und tritt mit diesem aus dem Cranium. Die Richtung des Austrittskanals ist stark distal absteigend. Im Austrittskanal bekommt der Nerv einen feinen Verstärkungsast vom Vagus. Außerhalb des Craniums schmiegt sich der Nerv dem Ganglion vagi an; die beiden Nerven sind hier durch Präparation nicht von einander zu trennen. Distal verläuft der Nerv getrennt vom Vagusstamm und geht, medial vom Seapularknorpel verlaufend, zur Seitenlinie (Fig. 82 Lr). Die distale Portion ist der eigentliche Vagusstamm (Vg), er entspringt bekanntlich mit einer Reihe von mehr oder weniger ab- getrennten Bündeln; die Ursprungslinie des Nerven ist ziemlich aus- gedehnt. An in 20 %iger Salpetersäure macerirtem Gehirne sind die Bündel, welche den Nerv zusammensetzen, viel deutlicher zu sehen; das umgebende Bindegewebe wird nämlich durch dieses Reagens gelöst. Die Zahl dieser serial angeordneten Bündel variirt sogar auf beiden Seiten desselben Individuums. Meist fand ich sechs bis acht Bündel. Bekanntlich variirt auch bei Selachiern die Zahl dieser Bündel bei verschiedenen Formen sehr stark. Die proximalen und distalen Bündel sind schwächer als die mittleren. Auf die folgen- den Verhältnisse war meine Aufmerksamkeit erst nach der histo- logischen Untersuchung der Oblongata gelenkt. Wenn man das Ge- hirn von der ventralen Oberfläche betrachtet und dabei den Vagus- stamm lateralwärts und etwas nach vorn ablenkt, so sieht man, dass die austretenden Bündel in zwei Schichten über einander ge- - ordnet sind. Die beiden Schichten liegen eng an einander. Die Bündel der ventralen Reihe sind schwächer als die der dorsalen. Schon in der Nähe der Ursprungsstelle vereinigen sich die Bündel der dorsalen und ventralen Reihe mit einander. Weiter distalwärts bilden sämmtliche Bündel einen einzigen Stamm, welcher mit dem N. 1. lateralis zum Austrittskanal verläuft. Das Ganglion liegt ex- tracranial. Der Nerv sendet folgende Äste ab (Fig. 82): der Ramus bran- chialis I (Vg B I) wendet sich nach vorn, bildet eine kleine sepa- rate gangliöse Anschwellung, verläuft zwischen den beiden Pharyngo- branchialia des zweiten Kiemenbogens und entsendet einen dorsalen Ast und einen ventralen. Der ventrale Ast spaltet sich nach dem — Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 475 allgemeinen Schema in einen feineren Ramus anterior für den ersten Kiemenbogen und dickeren Ramus posterior für den zweiten. Die übrigen Rami branchiales sowie der Truncus intestinalis (Fig. 82) (Vgc) verhalten sich nach dem allgemeinen Schema. Noch ehe die Abgabe der Rami branchiales stattfindet, sendet der Nerv noch vier Äste aus, drei Rami dorsales (Vgrd) und einen Ast, welcher zum Schultergürtel verläuft (17). Dieser feine Ast schließt sich eng an die ventrale Oberfläche des Nervus lateralis an, verläuft mit diesem Nerv zum Scapularknorpel, wo er sich ventralwärts abwendet. Die Verhältnisse dieses Astes zur Schultergürtelmuskulatur konnte ich leider nicht aufklären. Ein ähnliches Verhalten hat WIEDERSHEIM für Protopterus beschrieben (41). Die Innervation des Schultergürtels durch einen Vagusast erinnert bekanntlich an das Verhalten des N. Willisii zum Musculus trapezius der Säuger. Den Ramus supra- temporalis des N. 1. lateralis, welchen van WıJHE beschreibt, konnte ich am Sterlet nicht finden. Der Glossopharyngeus entspringt von der Medulla proximal- wärts und etwas ventralwärts vom Vaguskomplexe (Fig. 9 Gp). Auch dieser Nerv entspringt mit mehreren Bündeln, welche aber nicht so deutlich ausgesprochen sind, als bei dem vorigen Nerven. Die Bündel vereinigen sich sofort und bilden einen einzigen Stamm. Die Zahl der Bündel variirt von zwei bis drei. Der Nerv läuft eine kürzere Strecke wie der Vagus in absteigender Richtung durch die Schädelhöhle. Der Austrittskanal durchzieht die Schädelwand senk- recht zur Längsachse des Schädels und liegt weit proximal vom Vaguskanal getrennt nach hinten, und ventral von der Gelenkpfanne des Hyomandibulare und vom Querflügel des Parasphenoid (Fig. 82 Gp). In den Angaben von PARKER (28) über jene Nerven sind einige Fehler zu notiren. Die Austrittslöcher des Vagus und Glossopharyn- -geus liegen nach den Angaben dieses Forschers neben einander. Das ist eben so unrichtig für den Sterlet wie für A. sturio. Das Letztere schließe ich aus den Beschreibungen von vAN WIJHE (31). Offenbar ist die Rinne für den Ramus branchialis I Vagi mit dem Austrittskanale des Glossopharyngeus von PARKER verwechselt. Außerdem ist die Zahl der aus der Occipitalregion des Schädels austretenden Spinalnerven unrichtig angegeben. Es sollen nach Par- KER sechs Spinalnerven austreten (28 pag. 163, Pl. 16 Fig. 5). Im Falle dieses Verhalten für einen A. sturio von acht Zoll Länge richtig sein sollte, und am ausgewachsenen Stör die Zahl ändern, so hätte doch diese überaus wichtige Thatsache erwähnt werden müssen. 476 N. Goronowitsch Nach der Bildung des extracraniellen Ganglion giebt der Nerv einen Ramus dorsalis, den Ramus branchialis posterior, zum ersten Kiemenbogen und den Ramus anterior zum Hyomandibularbogen, so- wie den Ramus communicans zum N. palatinus facialis (Fig. 82 GF). Dieser letzte Connectivast verläuft medial vom Spritzlochkanale und spaltet sich in zwei Ästehen, welche beide sich dem N. palatinus anschließen. Manchmal fehlt diese Spaltung. Der Acusticus (Ac) entspringt mit einem Stamme proximal und ventral vom N. lateralis, sehr nahe aber vollkommen abgetrennt und etwas dorsal von den beiden Wurzeln des Facialis. Die Lobi vagi sind an der Stelle des cerebralen Ursprungs des Vagus und Glosso- pharyngeus verdickt. Proximal sind sie schmäler und in der Gegend der Austrittsstelle des Facialis verschwinden die Stränge in die Seiten- wände der Oblongata und setzen sich direkt, wie oben erörtert, in die dorsale Wurzel dieses Nerven fort (Fig. 9 Frd). Die oben er- wähnten seitlichen Abzweigungen der hinteren Längsbündel bilden die schwächere ventrale Wurzel des Facialis (Fre). Diese Verhältnisse werden im histologischen Abschnitte detaillirt beschrieben. Die dor- sale Wurzel des Facialis hat, wie es die histologische Untersuchung lehrt, feinere Fasern als die ventrale. Die dorsale Wurzel liegt dorsal und etwas proximal von der ventralen. Beide Wurzeln legen sich eng an einander und verlaufen proximal mit den beiden Trige- mini zum gemeinschaftlichen Austrittskanale. Zwischen den Aus- trittsstellen des Acusticus und Facialis entspringen aus der ventralen Oberfläche der Oblongata zwei äußerst schwache Nerven. Es sind die Abducentes. Die Selbständigkeit der Augenmuskelnerven bei Ganoiden ist von SCHNEIDER (42) erwiesen. Der Abducens legt sich eng zwischen die Stämme des Trigeminus II und Facialis und tritt gemeinsam mit diesen Nerven in die Augenhöhle, wo er sich zum M. rectus externus begiebt (Fig. 82 Ad). Der Trigeminus II entspringt auch mit zwei Wurzeln von fast ein und derselben Dicke (Fig. 9 T II d und ev). Die dorsale Wurzel geht aus dem Lobus trigemini (7T'//d), die ventrale (JT IT) aus den seitlichen Theilen der Oblongata, ventral von dem Wulste der Cerebellarleiste (Corpus restiforme auct.) und dorsal-proximal von den Wurzeln des Facialis hervor. Beide Wurzeln bilden einen Stamm, welcher dorsal-medial vom Facialis zur gemeinschaftlichen Austritts- öffnung verläuft. Der Trigeminus I entspringt ventral vom sogenannten Pe- dunculus cerebelli und proximal vom Facialis mit zwei Wurzeln. i N N Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 477 | Die dorsale Wurzel (7 Jd) ist beträchtlich dieker als die ventrale (T Iv), entspringt etwas proximal und besteht aus feinen Fasern, die schwächere ventrale Wurzel aus dickeren. Der Stamm des Tri- geminus I legt sich ventral-medial zum Stamm des Trigeminus II und verläuft zum gemeinschaftlichen Austrittskanal. Vrauurt (57 pag. 461) fand an Scymnus spinosus, dass der vorderste Stamm des Trigeminus (der Trigeminus I also) mit zwei Wurzeln entspringt. Der Trochlearis (Zro) kommt aus der Rinne zwischen Cere- bellum und Tectum opticum, läuft eine Strecke weit durch die Sehädelhöhle und durchbricht die Orbitalwand, wo er ventral vom Ramus ophthalmieus profundus, wie van WIJHE beschrieben hat, ver- läuft (Fig. 82 Tro). Der Oculomotorius (Oc) entspringt von der Basis des Mittelhirnes in der Nähe der hinteren Peripherie des Lo- bus infundibuli, durchbricht die Orbitalwand dorsal-proximal vom Foramen opticum und verhält sich entsprechend van WıumHE's An- gaben. N. Trigeminus I, Trigeminus II, Facialis und Abducens treten durch einen und denselben Kanal in die Orbitalhöhle. Die ersten drei Nerven bilden im Kanal eine für den ersten Blick ungetrennte gangliöse Anschwellung — das Ganglion Gasseri. Peripher vom Ganglion entspringen die Aste. Um die Zusammensetzung des Gan- glion Gasseri näher zu prüfen benutzte ich folgende Methode. Das mit dem Nervenkomplex und Gasserischen Knoten vorsichtig auspräparirte Gehirn zerlegte ich in eine Celloidin-Querschnittsserie, fand aber bessere Präparate in den Schnitten einer Paraffinserie, welche auf das Ob- jektglas durch eine nicht zu dünne Lösung von Celloidin in Äther und Nelkenöl aufgeklebt wurden, wobei das Nelkenöl bei einer Temperatur von 37—40° C. im Trockenschranke langsam verdunstete (Methode von H. ScHÄLuısaum). Die bei Celloidinarbeit unvermeidliche Be- _ handlung mit Äther wirkt nicht auf das Gehirn der Säuger, ändert aber etwas die Struktur des centralen Nervensystems der Fische. Außerdem erhält man mit Paraffin dünnere Schnitte, was für die vorliegende Untersuchung von Vortheil war. Etwas distal vom Ursprunge bilden die beiden Wurzeln des Trigeminus N einen einzigen Stamm. Eine vollständige Mischung der feinfaserigen sensorischen und dickfaserigen motorischen Ele- mente findet nicht statt. Die motorischen Fasern bilden den ventro- lateralen Abschnitt des Stammes, wie es der Schnitt Taf. XXI Fig. 66 TIIvundd darstellt. Ventral liegt der Stamm des Facialis, die schwache motorische Wurzel (Fro) schließt sich der ventro-medialen 478 N. Goronowitsch Seite des Stammes an. Die beiden Nerven (7'// und F) sind von einer Schicht von Bindegewebe von einander getrennt. Ventral ver- läuft der schwache Abducens (45). Der Schnitt ist aus der Stelle genommen, wo der Austritt des Trigeminus I stattfindet. Man sieht die dorsale feinfaserige Wurzel (7 Jd) vollkommen von der ventralen dickfaserigen (7 /v) abgetrennt. Lateral vom Stamme des Trige- minus II liegt eine Anhäufung von runden gangliösen Zellen (G 7 IT), zu welchen die feinen sensorischen Fasern des Nerven verlaufen. Der distale Schnitt (Fig. 68) zeigt, dass der Trigeminus II in sein Ganglion eingetreten ist (G TIT). Ventro-lateral liegt eine andere gangliöse Anschwellung (Gf), in welche die Fasern des Facialis eintreten. Die beiden Ganglien sind durch dicke Schichten von Bindegewebe von einander getrennt. In der Strecke, welche zwischen den Schnitten Fig. 66 und Fig. 68 lag, fand ich einen feinen Con- nectivast, welcher den Stamm des Facialis mit dem Ganglion Tri- gemini II verbindet. Außerdem sieht man auf dem Schnitt Fig. 68 eine kleine Anhäufung von Ganglienzellen (V'). Auf proximalen | Schnitten findet man, dass V’ ein Theil des Ganglion Trigemini II ist. Auf dem Schnitte Fig. 68 sieht man, dass die Zellen der An- häufung V’ nahe zum Ganglion des Facialis treten. Bei starker Vergrößerung findet man einen feinen Faserstrang, welcher das Gan- slion Facialis mit V’ verbindet. Auf dem betreffenden Schnitte sind noch die Fasern der beiden Wurzeln des Trigeminus I in zwei ge- trennte Bündel gruppirt (7 7d, TIe). Ein weiter distal liegender, nieht abgebildeter Schnitt zeigt dasselbe Verhalten der beiden Wur- zeln des Trigeminus I. Zwischen den feinen Fasern der dorsalen Wurzel erscheinen sparsam zerstreute Ganglienzellen. Der betreffende Schnitt ist durch die vorderen Abschnitte der Ganglien des Facialis und des Trigeminus II geführt. Außer der angeführten sind keine anderen Verbindungen der beiden Nerven (Facialis und Trigeminus I) zu beobachten. Weiter distal liegende Schnitte lehren, dass zwischen der dorsalen und ventralen Wurzel des Trigeminus I ein Faseraus- tausch stattfindet. Ein kleiner Theil der dorsalen Fasern geht in die ventrale Wurzel und ein größerer Theil der ventralen in die dorsale über. Eine vollständige Verschmelzung der Wurzeln, wie es bei Trigeminus II der Fall ist, findet bei Trigeminus I nicht statt. Die Zahl der gangliösen Zellen steigt in dieser Querschnittsebene. Auf noch mehr peripher liegenden Schnitten (Fig. 67) trennt sich von der ventralen Wurzel des Trigeminus I ein lateralwärts verlaufender Ast (A) ab, der Nervus maxillaris inferior von van WIHE. Der 1 EEE a a ee Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 479 Nerv verläuft zwischen Trigeminus II und Facialis. Im centralen Abschnitte des Astes findet man einige Ganglienzellen. Weiter distal verschmilzt der Rest der ventralen Wurzel des Trigeminus I mit der dorsalen Wurzel (Fig. 65 ZT). Die Zahl der Ganglienzellen im Stamme wächst beträchtlich. Das Verhalten der noch proximal lie- genden Schnitte des Nervenkomplexes zeigt kein Interesse. Es be- ginnen die Abzweigungen der peripherischen Äste, welche weiter unten näher behandelt werden. Aus dieser Beschreibung der Struktur des Ganglion Gasseri beim Sterlet sind folgende Schlüsse zu ziehen. Die Nerven: Facialis, Tri- geminus II und Trigeminus I entspringen mit dorsalen feinfaserigen und ventralen diekfaserigen Wurzeln. Die drei Nerven bilden keinen »Komplex« im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern sind drei eng anliegende und durch Bindegewebsschichten getrennte Nerven. Jeder Nerv besitzt sein Ganglion. Der Facialis und Trigeminus II verbin- den sich mit einem dünnen Connectivast, welcher vom Stamme des Facialis zum Ganglion des Trigeminus Il läuft, sowie durch ein Faser- system, welches beide Ganglien mit einander verbindet. Vielleicht entsprechen diese Verbindungen derjenigen, welche MARSHALL und SPENCER bei Selachierembryonen zwischen Trigeminus und Facialis beobachtet haben (37 pag. 488). Andere Verbindungen sind von mir am »Nervenkomplexe« nicht wahrgenommen worden. Am Trigeminus II und Facialis sind die dorsalen und ventralen Wurzeln schon nahe am cerebralen Ursprunge in einen Stamm ver- bunden. Beim Trigeminus I zeigt die dorsale und ventrale Wurzel eine größere Selbständigkeit. Die Verbindung geschieht weit distal (peripher) und eigentlich nach der Abgabe des ersten Astes (R. maxil- laris inferior). Central vom Ursprunge dieses Astes ist nur ein Aus- tausch von Fasern zwischen beiden Wurzeln zu konstatiren. Wenn wir in Betracht nehmen, dass der R. maxillaris inferior ein Ast ist, welcher beim Sterlet nach seinem. histologischen Charakter, sowie nach seinen Verzweigungen als ein motorischer zu deuten ist, so können wir sagen, dass der N. trigeminus I eine Neigung zur Indi- vidualisirung eines Theiles seiner ventralen Wurzel zeigt. Vielleicht könnte diese Auffassung bei weiterer Bearbeitung des Nerven bei Selachiern als Stütze der Ansicht GEGENBAUR's dienen, dass näm- lich die Augenmuskelnerven Derivate der motorischen Elemente des Trigeminus seien. Außerdem ist zu bemerken, dass bei der Abgabe des ersten Astes (R. maxillaris inferior) im centralen Abschnitte des Astes einige wenige Ganglienzellen bleiben. Dieses Verhalten könnte 480 N. Goronowitsch vielleicht eine Abtrennung eines Theiles des Ganglions (Ganglion ocu- lomotorii) erklären. Alles dies erfordert natürlich weitere Arbeit. Bei der Darstellung der Innervationsterritorien der drei Nerven des Komplexes werde ich hauptsächlich der Terminologie von van WisHE folgen. Dieser Forscher hat die Nervenverzweigungen voll- kommen richtig beschrieben, nicht aber die Zusammengehörigkeit einiger wichtiger Äste zu diesem oder jenem Nery richtig verstan- den. Daher erscheint eine kurze, neue Beschreibung nothwendig. Außerdem aber habe ich gegen van WınHE’s Deutung einiger Ner- ven einige Einwände zu machen. Um die Fehler, welche bei einer Trennung der Nervenstämme des Komplexes mit dem Skalpelle entstehen können, zu vermeiden, habe ich die chemische Methode, welche LANGERHANS und besonders SCHWALBE empfohlen hat, angewendet. Es ist das die Maceration des Präparates in 20 Ziger Salpetersäure, eine Methode, welche auch SCHNEIDER bei seinen Untersuchungen an den Augenmuskelnerven der Ganoiden mit großem Erfolge anwendete. Nachdem die Hauptnerven der Augenhöhle vorsichtig auspräparirt waren und das Cranium, sowie der Austrittskanal der Nerven breit geöffnet, legte ich das Präparat für sechs bis zwölf Stunden in 20 ige Salpetersäure. Nach dieser Ma- ceration erschienen die Nerven äußerst deutlich. Das beruht zum Theil auf der Auflösung des umgebenden Bindegewebes, zum Theil aber auf der ausgesprochenen Xantoproteinfärbung der Nerven. Wie SCHNEIDER schon bemerkte, kann man bei solchen Untersuchungen gutes Alkoholmaterial mit Vortheil verwenden. Nach vierundzwanzig- stündiger Maceration im Sommer kann man mit Pinsel und Nadel die Hauptverzweigungen der Cranialnerven einer Froschlarve von 2'/, em Länge sehr leicht auspräpariren. Nach Abwaschung solcher Präparate kann man die Zusammengehörigkeit der Äste zu diesem oder jenem Nerv leicht nachweisen, indem man die Nerven vorsichtig schichtenweise von einander abtrennt. Dabei muss man die Reihen- folge, in welcher die Nerven im Austrittskanale liegen, nicht ver- gessen. Zuerst trennt man den Trigeminus II, dann den Trigeminus I und schließlich den Facialis. Die Einwände, welche Krause (65 pag. 48) gegen die Salpeter- säure-Methode geäußert hat, habe ich in Betracht gezogen. Ich hoffe sie aber dadurch zu beseitigen, dass ich an die oben beschriebene — Untersuchung des Nervenkomplexes auf Schnittserien erinnere. Auch fand ich, dass nach zwölfstündiger Maceration solch feine Conneetiv- ~ äste wie z. B. der Verstärkungsast des Trigeminus I zum Ramus ~ u ac u Zt er | | | Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 481 oticus oder die Glossopharyngeus-Palatinus-Anastomose konstant er- halten blieben. Der Trigeminus II und seine Aste sind auf Fig. 82 roth dar- gestellt. Außerhalb des Austrittskanals sendet der Nerv den R. oph- thalmieus superficialis ab (Os); der Ast verläuft am Gewölbe der Augen- höhle zur Ethmoidalregion, wie das van WmHE beschreibt. Der centrale Abschnitt des Astes geht beim Sterlet nicht in einen be- sonderen Knorpelkanal, wie beim Stér. Nach vorn und ventralwärts verläuft der N. buccalis (N. rostri externus, Stannius). Der Nerv ver- läuft lateral vom seitlichen Vorsprung der Basis cranii der Orbital- region. Diesen Vorsprung nennt PARKER »expantions of the Trabe- eulae!. Der Nerv geht zur ventralen Oberfläche des Rostrum, wo er mit benachbarten Nerven einen Plexus bildet; die Hauptzweige dieses Plexus innerviren die Bartfäden. Der N. buccalis ist also nicht ein Ast des Facilis, wie van WmHE vermuthet (31 pag. 208). Außer diesen Ästen sendet der Trigeminus II einen schwachen Verstärkungsast zum R. oticus des Facialis (of), sowie einen starken zum R. hyoideus des Truncus hyoideomandibularis. Um diese Ver- hältnisse wahrzunehmen, muss man den Knorpelkanal des R. oticus öffnen, schichtenweise den Knorpel, die seitlichen Flügel des Para- sphenoids, sowie den Kopf des Hyomandibulare abtragen, um den ganzen Verlauf des Truncus hyoideomandibularis frei übersehen zu können. Wenn man an einem solchen in Salpetersäure macerirten Präparat den Stamm des Trigeminus II vorsichtig entfernt, so zieht man mit dem Nerv einen kleinen Faserantheil vom R. otieus und ein starkes Fasernkontingent des R. hyoideus des Facialis ab. Bei vor- sichtiger Zerfaserung kann man die Fasern bis zur distalen Knorpel- epiphyse des Hyomandibulare abtrennen. Der Trigeminus I ist auf der Zeichnung blau dargestellt; der Nerv sendet den R. ophthalmieus profundus aus (Opr), welcher dorsal vom Trochlearis verläuft und sich so weiter verhält, wie es VAN WwuHeE beschreibt. Der Ophthalmicus profundus, sowie der Ophthal- micus swperfieialis bekommen keine Connectiviiste vom Facialis (Portio facialis ophthalmici). Ventral giebt der Trigeminus I den R. maxillaris inferior van WisHe’s (A) ab, welcher dorsal vom Palato- quadratum in Fettgewebe verläuft, innervirt den M. adductor mandi- bulae, geht zwischen Maxillare (Mz) und Palatoquadratum zum Unterkiefer,, wo er sich, entsprechend van WisHE's Beschreibung, 1 Mit diesen »expantions of the trabeculae« ist bei Sterlet ein rundes Knor- pelstiick durch Bandmasse verbunden. Es ist auf Fig. 82 dargestellt. Morpholog. Jahrbuch. 13. 31 482 N. Goronowitsch zwischen Dentale und Mandibularknorpel legt. Zur ventralen Ober- fläche des Rostrum geht der N. maxillaris superior (vAn WHE) (blau), er schließt sich eng und ventral dem R. buccalis des Trigeminus II an, wie VAN WIJHE fand, verläuft lateral vom seitlichen Vorsprung der Basis eranii und verhält sich wie der N. bucealis. Der Nerv sendet einen starken Hautast aus, welcher die ventrale Oberfläche des ethmoidalen Abschnittes des Rostrum innervirt (2). Nach der Abtrennung der so eben beschriebenen Nerven bleibt der Faeialis (in der Zeichnung schwarz angegeben) noch übrig. Er sendet den R. oticus aus (O2), welcher, wie wir sahen, ein gemisch- ter Ast ist, also nicht ausschließlich zum Trigeminus gehört, wie VAN WIJHE meinte. Zur ventralen Oberfläche des Rostrum geht der R. rostri internus (Stannius), der Nerv verläuft medial vom ven- tralen Vorsprung der Basis cranii und verhält sich weiter wie der N. bucealis und Maxillaris superior. Von van WUHE ist dieser Nerv als Palatinus anterior bezeichnet und als Ast des N. palatinus trige- mini aufgefasst. Ein N. palatinus trigemini existirt beim Sterlet nicht; der N. palatinus ist ausschließlich ein Ast des Facialis; ich — bezweifle auch, dass die Wurzeln spt, welche van WiJHE auf Fig. 3 seiner Arbeit vom Stör abbildet, dem Trigeminus angehören. Auch die Bezeichnung dieses Nerven als Palatinus ist nicht treffend. Der Nery steht in keinen Verhältnissen zum Palatoquadratum. Dieser Umstand allein kann freilich nicht als Vorwurf gegen die Deutung gelten; das Wichtigste aber ist, dass der Facialis einen echten R. palatinus absendet, — es kann daher nicht der N. rostri internus ein zweiter Palatinus sein. Wie schon bemerkt bilden alle drei zum Rostrum verlaufende Nerven (blau, roth und schwarz) einen Plexus, welcher starke Äste zu den Bartfäden sendet. Ventral entspringt der dicke aus zwei oder drei Bündeln be- stehende N. palatinus posterior (VAN WHE) (Pi). Alle drei Bündel gehören ausschließlich dem Facialis an. Beim Sterlet durchbricht der Nerv lateral den Gaumenapparat zwischen dem sogenannten Cartilago impar und dem Palatoquadratum, sendet einen Ast zur dorsalen Oberfläche dieses letzteren und verzweigt sich in der Schleimhaut des Gaumens. Der Nerv bekommt einen anastomotischen Ast vom Glossopharyngeus (GF). Da kein N. palatinus anterior an- genommen werden konnte, so musste der Nerv als N. palatinus faci- alis bezeichnet werden. Der Truncus hyoideo-mandibularis (nach vax WHE Facialis) entspringt mit zwei Wurzelchen, wendet sich sofort lateral und caudal, tritt in einen Knorpelkanal, dessen dünne laterale f Re een ote fem oe. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 483 Wand vom Querfliigel des Parasphenoids bedeckt ist. Der Nerv tritt in der Nähe des hinteren Randes des Parasphenoidfliigels aus, um- kreist die hintere Peripherie des Hyomandibulare und zerfällt in zwei Äste: R. mandibularis (3/2) und Hyoideus (Hy). Der R. hyoideus verläuft, entsprechend der Beschreibung von van WIJHE, zur hinteren Peripherie des Hyomandibulare; der R. mandibularis zieht sich der vorderen Peripherie entlang, kreuzt medial das Symplecticum und geht zum Unterkiefer. Die Verzweigungen sind bei vAN WIJHE an- gegeben. Den R. mandibularis externus fand ich beim Sterlet nicht. Trotz wiederholter Präparation sehr großer Fische fand ich keinen vorderen Spritzlochast des Facialis. Die rudimentäre Spritz- lochkieme wird von Verzweigungen des R. anterior glossopharyngei von hinten her innervirt. Es sind äußerst feine Äste, welche zur ven- tralen Mündung des Spritzlochkanales gelangen. Ich bin überzeugt, dass beim Sterlet kein vorderer Spritzlochast des Facialis existirt. In Bezug auf den R. rostri internus Stannius ist etwas Unklar- heit in der neueren Litteratur. In Folge der analytischen Behand- lung, welcher Srannius das kolossale Material unterzog, ist die Auf- gabe der Identifizirung der beobachteten Nerven mit den von STAN- Nius beschriebenen oft keine leichte. Srannius wusste nicht, dass der Buccalis und Maxillaris superior von vAN WIJHE zwei Nerven sind. Es waren also beide Nerven von STannius N. buccalis, sowie N. rostri externus bezeichnet. Doch konnte der N. rostri internus nur der N. palatinus anterior van WıJHE’s sein. Die N. rostri be- schreibt Srannius auf pag. 44 (3). Welchen Nerv konnte aber Stannıus als R. maxillaris superior bezeichnen? Auf pag. 43 giebt er an, dass beim Stör der N. maxillaris superior sowie der Palatinus einen anastomotischen Ast vom Glossopharyngeus bekomme und sich zur dorsalen Oberfläche des Palatoquadratum (vorstreckbarer Gaum- apparat) ziehe. Es ist also klar, dass der R. palatinus facialis der Nery ist, welchen Srannius als Maxillaris superior bezeichnet. Aus pag. 56—57 schließe ich, dass Sranntus als Palatinus einen der Stämme des R. palatinus facialis ansieht. Es folgt daraus, dass Stannıus im R. palatinus facialis zwei Nerven sieht: Maxillaris superior und Palatinus. Wahrscheinlich war es eben die Zusammen- setzung des Nerven aus mehreren Stämmen, sowie die Verzweigung des anastomotischen Astes vom Glossopharyngeus, was STANNIUS Veranlassung gab, im Palatinus zwei Nerven zu sehen. Auf pag. 43 ist vollkommen klar, dass Maxillaris inferior von STANNIUS und vAN WIJHE einen und denselben Nerven vorstellen. 31* 484 N. Goronowitsch Dass der R. rostri internus ein Zweig des Facialis sei, ist schon von MARSHALL und SPENCER (37 pag. 488) an Haifischembryonen gefun- den worden. Diese Forscher machen aber eine Angabe, welche zu Konfusionen führen kann. Sie meinen, es sei unrichtig, den Buccalis als Ast des Trigeminus anzusehen. Aus der obigen Darstellung ist ersichtlich, dass der Trigeminus II eben so wie der Facialis einen Buccalast abgiebt (R. rostrales). Offenbar hat auch van WIJMHE, welcher die Beobachtungen von MARSHALL und SPENCER bestätigt, nicht denjenigen Nerven vor sich gehabt, welchen er als Bucealis bei Ganoiden bezeichnet, sondern den R. rostri internus (30 pag. 26). Wir wissen, dass der N. infraorbitalis, die eigentliche Fort- setzung des Stammes des Maxillaris superior, bei Selachiern als inter- arcualer Nerv zwischen dem ersten und zweiten dorsalen Labialknorpel verläuft, d. h. zwischen dem ersten und zweiten Präoralbogen (6). Der N. maxillaris inferior ist der interareuale Nerv zwischen dem zweiten Labialknorpel und Mandibularbogen. Daraus folgt, dass, wenn man die Inneryationsterritorien der beiden Trigemini bei Hexan- — chus oder bei Squatina trennt, wie ich es beim Sterlet gethan habe, der N. maxillaris superior höchst wahrscheinlich als Ast des ersten Segmentalnerven (also des Trigeminus I) sich nachweisen lasse, da der Maxillaris superior im ersten Interarcualraume verläuft. Der Maxillaris inferior wird höchst wahrscheinlich dem zweiten segmen- talen Cranialnerven (Trigeminus II) angehören. Von dem diese Be- trachtungen liefernden Standpunkte erscheinen die Verhältnisse des Sterlets vollkommen unverständlich. Wir können den blauen Rostral- nery als Maxillaris superior nach van WiıJHE deuten. Der rothe Bueccalnery kann nicht als Maxillaris superior aufgefasst werden, denn er ist ein Ast des zweiten Segmentalnerven. Wenn wir den blauen Nerv als Maxillaris superior auffassen, so bleibt der Ast A vollkommen unverständlich. Dieser Ast erscheint aber bei Verglei- chung des Sterlets mit Polypterus als der einzige Nerv, welchen wir als Maxillaris inferior auffassen können. Allein der Maxillaris inferior soll ein Ast des zweiten Segmentalnerven sein, beim Sterlet erscheint er als Ast des ersten Segmentalnerven. Man kann aber eine andere Deutung vorschlagen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass der erste Labialknorpel bei höheren Formen durch das Os praemaxillare, und der zweite Labialknorpel durch das Os maxillare ersetzt wird (GEGENBAUR 5, 6, 8). Wenn wir bei der Deutung der Knochen des Sterlets die Verhältnisse dieser letzten zu den Nervenstiimmen in Betracht ziehen, so müssen wir den Knochen Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 485 Mz nicht als Maxillare, sondern als Prämaxillare deuten, da eben der Knochen vor einem Nerven liegt, welcher als Ast des ersten Segmentalnerven, als Maxillaris superior zu deuten ist. Auf Grund dieser Betrachtungen gelange ich zu dem Schlusse, dass der N. ma- xillaris inferior der Selachier weder bei Knorpel- noch bei Knochen- ganoiden vorhanden ist. Es folgt niimlich daraus, dass wir keinen Visceralast fiir den zweiten Segmentalnerv dieser Formen nachweisen können. Wenn man diese Auffassung annimmt, so gelangt man zu einer ziemlich gleichmäßigen Anordnung der Äste der drei vorderen Segmentalnerven bei Ganoiden. Der erste Segmentalnerv, Trigemi- nus I, giebt einen R. ophthalmieus, einen R. buccalis und einen Visceralast (R. maxillaris superior) (4). Der zweite Segmentalnerv, Trigeminus II, giebt ebenfalls einen R. ophthalmicus, einen R. buc- ealis ab; der Visceralast (R. maxillaris inferior) ist reducirt. Der dritte Segmentalnerv, der Facialis, giebt einen R. otieus (gemischt), einen R. buccalis, einen R. pharyngeus (Palatinus) und als Visceral- ast den Truncus hyoideomandibularis. Der R. anterior des Visceral- astes (Spritzlochast) ist entsprechend dem rudimentären Zustand der Spritzlochkieme reducirt. Die vorgetragene Ansicht über den Mangel des R. maxillaris inferior der Selachier bei Ganoiden ist übrigens nur unter der Voraussetzung plausibel, dass die Zerlegung der Inner- vationsterritorien bei Hexanchus das postulirte Resultat bestätigt. — Nach GEGENBAUR giebt der Facialis bei Hexanchus zwei Haupt- äste: einen N. palatinus zur Gaumenschleimhaut, von welchem auch der R. anterior für den Spritzlochkanal entspringt, und den R. hyoi- deomandibularis als R. posterior der Spritzlochkieme, ab. Die se- kundären Verzweigungen dieser letzteren sind der R. mandibularis ex- ternus und der R. hyoideus. Die klaren Verhältnisse des Facialis bei Hexanchus können keinen Zweifel über die Deutung der Äste erwecken. Der R. palatinus, welcher den Spritzlochast absendet, ist ein R. pharyngeus, von welchem ein R. anterior an die Spritz- lochkieme sich abzweigt. Dieser letzte bildet also den R. praetrema- ticus nach der trefflichen Terminologie van WuHE's (30). Bei A. ruthenus ist der N. palatinus als ausschließlich dem Facialis an- gehörender Zweig, dem R. palatinus von Hexanchus entsprechend, aufzufassen. Er muss also bei A. ruthenus auch als R. pharyngeus gedeutet werden. Beim Sterlet fand ich keinen Spritzlochast; der R. anterior facialis fehlt also bei dieser Form, oder er muss. jeden- falls, der schwachen Entwicklung der Spritzlochkieme entsprechend, äußerst rudimentär sein. Bei Hexanchus ist dieser R. anterior eben- AS6 N. Goronowitsch falls schwach entwickelt und ist, wie GEGENBAUR sagt, mit Mühe zu verfolgen. Es ist übrigens recht verständlich, dass bei der Reduktion der Innervationsterritorien einer schwindenden Kieme es eben der R. anterior ist, welcher wegen seiner schwiicheren Entwicklung zu- erst verschwinden soll. Es ist höchst wahrscheinlich, dass der R. buecalis facialis (N. rostri internus) bei Hexanchus entweder fehlt nach den Beobachtungen GEGENBAUR’s), oder äußerst rudimentär ist, was sich durch die schwache Entwicklung des rostralen Abschnittes des Schädels bei Notidaniden erklärt. Die R. buccales trigemini sind ja auch bei Hexanchus im Vergleiche mit Knorpelganoiden schwach entwickelt. Der ganze Truncus hyoideomandibularis von Hexanchus ist ohne jeden Zweifel als R. posterior der Spritzloch- kieme aufzufassen. Es ist also ein R. posttrematicus. Dieser Nerv entspricht vollkommen dem Truncus hyoideomandibularis von A. ru- thenus, welcher also ebenfalls ein R. posterior der Spritzlochkieme ist. Der R. mandibularis sowie der R. hyoideus und noch sonstige Verzweigungen (Mandibularis externus und internus van WIHE) sind also sekundäre Verzweigungen eines Stammes, welcher dem Truncus hyoideomandibularis von Hexanchus als homolog aufzufassen ist. Aus diesen Betrachtungen ergiebt sich, dass van WIJHE keine Veranlassung hatte, den R. mandibularis der Knorpelganoiden als einen R. anterior aufzufassen. Auch bei Hexanchus, bei welehem er auch vorkommt, hat ja der Nerv diese Bedeutung nicht. Bei dieser letzten Form ist er als eine sekundäre Abzweigung eines R. posterior, welcher durch den ganzen Truncus hyoideomandibularis dargestellt ist, aufzufassen. Dieselbe Deutung des Truncus hyoideo- mandibularis sollen wir auf Knorpelganoiden beziehen, wenn wir keinen Fehler gegen die morphologische Methode begehen wollen, in- dem wir die Erklärung der Verhältnisse niederer Formen (Hexanchus) aus den Verhältnissen höherer (Acipenser) vornehmen. Da van WwHE unberechtigter Weise den R. mandibularis als einen R. anterior auffasste, musste er unbedingt zu dem Schlusse kommen, dass bei Vorfahrenformen hinter dem Nerv ein bei jetzt lebenden Formen verschwundener Kiemenspalt vorhanden war. Diese Kiemenspalte sollte zwischen Kieferstiel und Hyoid liegen. Aus den oben erörterten Betrachtungen folgt, dass die Theorie von van WIJHE einer thatsächlichen Stütze entbehrt. Bei Hexanchus verläuft der R. posterior der Spritzlochkieme der vorderen Peripherie des Hyoid entlang und vor der Radii branchio- stegi. Bei Knorpelganoiden dagegen kreuzt der Truneus byoideo- zZ ss Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 487 mandibularis die hintere Peripherie des Hyoidbogens; ein Zweig, der R. mandibularis, verläuft vor der Basis opereuli, ein anderer Zweig, R. hyoideus, verläuft hinter der Basis opereuli. Diese Verhältnisse können aber kein Gewicht gegen die Deu- tung der Trunci hyoideo-mandibularis der Knorpelganoiden als eines R. posterior haben. Wir wissen ja, dass diese Verhältnisse nicht fiir alle Ganoiden giiltig sind. Bei Polypterus bichir kreuzt der R. mandibularis die vordere Peripherie des Hyomandibulare, der R. hyoideus die hintere (31). Der Truncus hyoideo-mandibularis von Le- pidosteus durchzieht das Hyomandibulare. Es sind dieses schwan- kende und Übergangsverhältnisse. Diese Verhältnisse der Knochen- ganoiden allein können wohl schwerlich als Erklärung des Befundes bei Knorpelganoiden dienen, da es wieder ein Versuch von Erklä- rung niederer Organisationen durch höhere Formen wäre. Eine genügende Erklärung des anomalen Verhaltens des Trun- eus hyoideomandibularis der Knorpelganoiden ist aus einer Verglei- chung des Cranium von A. ruthenus mit dem Cranium von Hexan- chus abzuleiten. Wir sehen, dass die Gelenkpfanne für den Hyoid- bogen bei Hexanchus (Taf. XVII Fig. 7g) im Vergleiche mit der Stellung dieser Pfanne bei Acipenser weit mehr distalwärts steht (Taf. XXIU Fig. 82). Bei Hexanchus ist der Abstand zwischen dem Postorbitalfortsatz und der Gelenkpfanne verhältnismäßig weit größer als bei Acipenser. Für die letztere Form kann man annehmen, dass das Hyomandibulare in der Gegend des Postorbitalfortsatzes mit dem Cranium artikulirt. Außerdem ist zu bemerken, dass der Glosso- pharyngeus des Sterlet sofort beim Austritt aus dem Schädel seinen Visceralbogen trifft. Sein Kanal in der Schädelwand verläuft quer zur Längsachse. Bei Hexanchus ist der Austrittskanal des Glosso- pharyngeus stark von vorn nach hinten geneigt. Der erste Bran- chialast des Vagus beim Sterlet hat einen deutlich ausgesprochenen Verlauf nach vorn, bei Hexanchus dagegen nach hinten. Aus diesen Thatsachen folgt, dass der Visceralapparat der Knorpelganoiden gegenüber demjenigen von Hexanchus nach vorn verschoben ist. Auf Grund dieser Verschiebung des Visceralapparates der Knorpel- ganoiden ist das anomale Verhalten des Truncus hyoideo-mandibularis, welcher die hintere Peripherie des Hyomandibulare kreuzt, recht leicht zu erklären. Erst nach dieser Erörterung gewinnen die Ver- hältnisse der Knochenganoiden, bei welchen der Truncus hyoideo- mandibularis das Hyomandibulare durchbricht (Polypterus), an Ge- wicht und stützen unsere Erklärung. 488 N. Goronowitsch Ein R. praetrematicus (R. anterior) kann ohne vorhergehende Abortirung seiner Kiemenspalte nur in Folge der komplieirtesten und schwierig vorstellbaren Umwandlungen in das Innervationsgebiet des R. posttrematicus gelangen. Wenn aber der,Kiemenspalt abortirt, so ist schwer denkbar, dass der schwache R. praetrematicus überdauern wird. Ein Nerv aber, welcher bei einer Form die vordere Peripherie eines Skeletstückes kreuzt, kann bei verwandten Formen die hintere Peripherie desselben Skeletstückes kreuzen. Dazu sind keine tief- greifenden Umwandlungen nöthig. Um naheliegende Beispiele zu wählen, kann man aus den Untersuchungen von VAN WwHE auf das Verhalten des R. mandibularis internus hinweisen. Dieser Nery kreuzt bei Knorpelganoiden die mediale Seite des Symplecticum, bei Spatularia (31 pag. 250) durchläuft der Nerv die Gelenkpfanne am vorderen Ende des Symplecticum längs der Innenseite des Bandes, welches das Symplecticum mit dem Unterkiefer verbindet. Bei Knor- pelganoiden kreuzt der R. mandibularis die hintere Peripherie des Hyomandibulare, bei Polypterus dagegen die vordere. Aus dem- Gesagten folgt also, dass es unrichtig ist, den R. mandibularis als nicht zu dem Hyoid angehörend anzunehmen, wie es VAN WIJHE will. Diese Meinung verliert jedes Gewicht, wenn man das Verhältnis der Knorpelganoiden durch jenes von Hexanchus erklärt. Wo konnte denn eigentlich bei Notidaniden die verschwun- dene Kiemenspalte liegen? Bei diesen primitiven Formen ist das Cranium noch nicht hyostilisch geworden und doch existirt bei die- sen Formen ein R. mandibularis, sowie ein R. hyoideus. IV. Struktur des Rückenmarks und der Medulla oblongata. Bevor ich zur Darstellung der Struktur der Medulla oblongata gelange, sind einige kurze Bemerkungen über die Struktur des Rückenmarks vorauszuschicken. Für die Untersuchung wurde eine mittlere Strecke entsprechend den Austrittsstellen von zehn Rücken- marksnerven genommen. Die dorsalen, sowie die ventralen Wurzeln entspringen bei Ganoiden bekanntlich etwas asymmetrisch. Der Grad dieser Asymmetrie variirt. An den Stellen, wo sie am meisten ausgesprochen ist, entspringen die linken Wurzeln 1 mm distal von den rechten. Von zehn Wurzeln fand ich bei zweien einen voll- kommen symmetrischen Austritt. Der Asymmetrie der Wurzeln ent- spricht eine leichte Asymmetrie der Neuralbogen. Auf der unter- suchten Strecke finde ich, dass die ventrale Wurzel konstant 1 mm u > * pony. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 489 proximal von der entsprechenden dorsalen entspringt. Die dorsalen, sowie die ventralen Wurzeln verlaufen eine Strecke weit caudal- wärts im Wirbelkanale, ehe sie zu den Austrittsöffnungen gelangen. An den Austrittsstellen der dorsalen Wurzeln zeigt das Rückenmark schwach ausgesprochene Anschwellungen. Die graue Substanz hat im Querschnitte die auf Taf. XX Fig. 41 dargestellte Form. Das Caput cornu anterioris ist verbreitert, die graue Substanz sendet nach allen Richtungen verästelte und netz- artig angeordnete Fortsätze in die weiße Substanz aus. Diese Fort- sätze anastomosiren verschiedenartig mit den Stiitzbalken, welche von der Oberfläche des Rückenmarks centralwärts konvergiren. Im lateralen Abschnitte des Vorderhornkopfes befinden sich große Ner- venzellen, welche aber nicht auf allen Schnitten der Serie einen und denselben Charakter haben. Man kann erstens große Zellen unter- scheiden. Eine derselben ist in Fig. 44 dargestellt. Diese Zellen sind so groß, dass ihr Körper fast die ganze seitliche Oberfläche des Vorderhornkopfes einnimmt. Diese Zellen senden Fortsätze aus, deren Zahl bis zu sieben steigen kann. Die Fortsätze sind haupt- sächlich in die weiße Substanz derselben Seite gerichtet, wo sie in die netzartig angeordneten Fortsätze der grauen Substanz verlaufen. In den Querschnittsebenen des Ursprunges der vorderen Wurzel fand ich, dass ein, manchmal auch zwei Fortsätze solcher großen Zellen sich zu denjenigen Fasern gesellen, welche zur Austrittsstelle des Nerven sich richten. Es besteht für mich kein Zweifel, dass ein Theil der Fasern der vorderen Wurzeln aus solchen Fortsätzen der großen Zellen entstehen. Diese Fortsätze zeigen auf Schnitten keine Verschiedenheit von anders gerichteten Fortsätzen derselben Zelle. Fortsätze, welche durch die graue Substanz des Vorderhornes zum Hinterhorne gehen, habe ich nicht beobachtet. Manchmal verlaufen die Fortsätze medialwärts und durchkreuzen, wie es scheint, die Raphe, um in den ventralen Abschnitt der weißen Substanz der anderen Seite überzugehen. Solche große Zellen sind spärlich durch die Länge des Rückenmarks zerstreut. Ich fand vier bis fünf im Interneuralraume. Öfters trifft man Zellen mittlerer Größe, sie liegen etwa zu zweien im lateralen Abschnitte des Vorderhornkopfes. Das Verhalten der Fortsätze dieser Zellen ist ganz dasselbe als bei den vorerwähnten. In den Querschnittsebenen des Austritts der ven- tralen Wurzeln senden auch sie Fortsätze in der Richtung der aus- tretenden Fasern. Diese Beobachtung ist öfters zu machen, denn der selteneren Vorkommnisse der großen Zellen wegen trifft man 490 N. Goronvwitsch eine große Zelle selten in der Querschnittsebene der austretenden Wurzel. Manchmal scheint es, dass die Fortsätze dieser mittleren Zellen zum Hinterhorne verlaufen. Diese Beobachtung ist jedoch im Riickenmarke unsicher. Durch entsprechende Lage im Vorder- horne, sowie durch das ähnliche Verhalten der Fortsätze dokumen- tiren sich die großen und mittleren Zellen als Elemente. welche der- selben Kategorie der motorischen Zellen angehören. Bei Vergleichung auf Pauspapier projieirter Kontourzeichnungen von Querschnitten aus verschiedenen Gegenden des Rückenmarkes findet man, dass die Oberfläche der grauen Substanz im Vorderhorne an den Austrittsstellen der Wurzeln um etwas größer ist (54), ohne dass dabei eine Vermehrung der motorischen Zellen bestehe. Auf schrägen, entsprechend der Richtung des Vorderhornes orientirten Längsschnitten, findet man eine alternirende Anordnung der Zellen, welche die Meinung veranlassen konnte, dass man mit einer aus- gesprochenen segmentalen Anordnung der Elemente zu thun hätte. Auf solchen Schnitten findet man nämlich die großen Zellen isolirt. Die Abstände zwischen zwei benachbarten großen Zellen sind dabei gewöhn- lich nicht von gleicher Länge. Zwischen diesen Zellen sind die mittleren sowie die später beschriebenen kleinen Elemente gruppirt. Die Zer- theilung dieser mittleren und kleineren Elemente zeigt durchaus keine Regelmäßigkeit. Stellenweise liegen sie enger an einander, stellen- weise zerstreuter. Dieser unregelmäßigen Anordnung wegen können diese Zellanhäufungen beim Sterlet nicht als Ausdruck eines seg- mentirten Zustandes der Ganglien des Rückenmarkes aufgefasst werden. Das Vorderhorn enthält außer den beschriebenen noch kleine Zellen von Stern- oder Spindelform. Durch den blasenartigen Kern stark gefärbter Kernkörperchen und durch das blassrosa gefärbte Protoplasma (Pikrokarmin) sind diese Zellen als Nervenzellen cha- rakterisirt (Fig. 44). Sie liegen in der Mitte des Vorderhornkopfes medial von den zuerst beschriebenen Zellen. Außer den Fortsätzen, welche die Zellen in die weiße Substanz senden, bestehen noch Fortsätze, welche im Cervix cornu anterioris verlaufen. Unter gün- stigen Umständen gelang es mir, solche Fortsätze bis zur Mitte des Cervix zu verfolgen. Das waren eben die Fortsätze der spindel- förmigen Zellen. Der Medialabschnitt des Vorderhornkopfes, sowie des Cervix enthält noch eine Gruppe sehr kleiner Zellen, deren stark gefärbter ovaler Kern sowie deren minimale spindelförmig ausgezogene Protoplasmaschicht sie von echten Nervenzellen unter- scheiden. In den peripherischen Schichten der weißen Substanz im Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 491 Inneren der radiären bindegewebigen Balken finde ich eben solche Zellen. Ich halte sie alle fiir Bindegewebs-Zellelemente, oder wenn man will »für nicht nervöse Zellen« (AHLBORN). Der Vorderhorn- kopf ist mit der Basis durch einen sehr dünnen Cervix verbunden. Das Grundgewebe des Cervix besteht aus sehr feinen Fasern, welche sich in der centralen feinkörnigen Masse des Vorderhornkopfes verlieren. Außer diesen feinen Fasern findet man auch dickere. Ein Theil dieser letzteren gehört unzweifelhaft den Fortsätzen der Epithelialge- bilde des Canalis centralis an, welche unter der Bezeichnung »Stift- zellen« bekannt sind. Diese Fasern unterscheiden sich dadurch, dass sie blass gefärbt sind!. Noch andere stark gefärbte Fasern, welche man im Cervix beobachten kann, gehören, wie schon gesagt, den Fortsätzen der kleinen Zellen des Vorderhornes an. Die Basen der Vorderhérner sind nicht durch eine der Commissura anterior der Knochenfische und der höheren Wirbelthiere analoge Commissur ver- bunden. Die Hinterhörner haben eine gemeinsame Basis, von welcher dorsal und etwas lateral divergirend drei bis vier feine Züge grauer Substanz in das Horn verlaufen. Die nähere Struktur dieser Züge ist recht schwer zu untersuchen. Man findet in ihnen kleine Zell- elemente von bindegewebigem Charakter. Dieser Abschnitt entspricht dem Cervix cornu posterioris. Das Caput besitzt einen sehr charak- teristischen Habitus, aber schwer verständliche Struktur. Es besteht aus feinkörniger und trüber, durch Pikrokarmin gelbrosa sich fär- bender Substanz. Stellenweise ist diese Substanz ven längsverlau- fenden feinen Markfasern durchsetzt. Bei starker Vergrößerung (Harty. Im. 10) kann man feine Abgrenzungen erblicken, welche die Substanz des Hinterhornes in einige große Felder zertheilt. In eini- gen dieser Felder konnte ich die Kontouren eines blasigen runden Körpers unterscheiden. Der Körper ist blasser gefärbt als die um- gebende Substanz. Ich vermuthe, dass diese eigenthümliche Sub- stanz des Hinterhornes aus großen Zellen bestehe, deren Grenzen sehr undeutlich ausgesprochen sind. Das trübe und körnige Proto- plasma umgiebt einen großen blasigen Kern. Zerzupfung und Be- handlung mit Osmium habe ich nicht vorgenommen und halte daher die vermuthete Zellenstruktur für unsicher. 1 Auf die nähere Beschreibung dieser Epithelialgebilde, sowie auf alle Fragen der Detailhistologie kann ich nicht eingehen. Ich bemerke nur, dass diese Epithelialgebilde in ihrer Anordnung und Form gewisse Abweichungen von dem, was für Knochenfische bekannt ist, zeigen. . 492 N. Goronowitsch Das Feld weißer Substanz zwischen der medialen Seite des Hinterhornes und der Raphe posterior (Sulcus long. posterior) besteht aus markhaltigen Liingsfasern mittleren Kalibers. Das Caput cornu posterioris ist auch von einer Schicht feiner Längsfasern bedeckt. Der Bindegewebsfortsatz, welcher sich in die Raphe posterior senkt, reicht bis zur gemeinsamen Basis der Hinterhérner. An gewissen Stellen sendet er eine feine Lamelle in die Substanz der Basis: stellenweise ist aber die ganze Raphe sehr undeutlich. Die Seiten- stränge sind von den ventralen durch ein Feld, in welchem feine Längsfasern verlaufen, abgegrenzt. Überhaupt ist die Abgrenzung der Stränge der weißen Substanz beim Sterlet nur konventionell durch die Richtung der Hörner bestimmbar. Die ventralen Stränge können in zwei Abschnitte, welche ohne scharfe Grenze in einander über- gehen, getheilt werden. Der Abschnitt zwischen Raphe und der medialen Oberfläche des Vorderhornes besteht aus sehr dicken Längsfasern, zwischen welchen die kolossale Mauruner’sche Faser verläuft (Mf). Der ventrale Abschnitt besteht im Allgemeinen aus Fasern gemischten Charakters, dickeren und feineren. Die Raphe reicht bis zum Epithel des Centralkanals. Ihr ventraler Abschnitt besteht aus einer dicken, kompakten bindegewebigen Scheidewand: der dorsale Abschnitt ist dagegen zerfasert und in Lamellen getrennt. In den Interstitien zwischen diesen bindegewebigen Fasern und Platten liegen längsverlaufende Markfasern (Fig. 44 Ar). Verfolgt man den Verlauf dieser Fasern in einer kontinuirlichen Schnittserie, so findet man in den dorsalen Abschnitten der Raphe eine Kreuzung jener feinen Markfasern. Diese geschieht unter sehr spitzen Winkeln zur Längsachse des Rückenmarks. Vielleicht entspricht diese Kreu- zung der »Commissura transversa« der Knochenfische. Sie ist bei den Haien nach Srtıepa (58 pag. 439) nicht ausgesprochen, wohl aber bei Rochen. Auf der ganzen Oberfläche des Querschnittfeldes der weißen Substanz findet man sparsam zerstreute Nervenzellen. Einige soleher Zellen findet man gewöhnlich auf jedem Schnitte, die größten in den ventralen Strängen. Manchmal sieht man solche Ele- mente in der Nähe der Raphe. Die ventrale Oberfläche des Rückenmarkes ist abgeflacht und rinnenférmig vertieft. An der Stelle, wo die seitliche Oberfläche des Rückenmarkes in die ventrale übergeht, besteht eine abgerundete Kante, von welcher die ventralen Wurzeln entspringen. Ein Quer- schnitt aus der Gegend der Austrittsstelle einer ventralen Wurzel zeigt, dass die Fasern der letzteren aus zwei verschiedenen Quellen Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipeuser ruthenus. 493 entspringen (Fig. 44). Demnach kann man eine laterale (Ro) und eine mediale (Zcm) Gruppe von Fasern unterscheiden. Die lateralen Fasern sind von feinerem Kaliber; ehe sie zu der Austrittsstelle ge- langen, laufen sie als Längsfasern eine große Strecke in der Dicke der ventralen Kante des Rückenmarkes. Auf schrägen Längsschnitten, welche der Austrittsfläche der Wurzeln entsprechend orientirt sind, findet man, dass diese Fasern von proximal sowie von distalwärts liegenden Theilen des Rückenmarkes zur Austrittsstelle der Wurzel sich sammeln. Von den proximalen Theilen des Rückenmarkes ge- langen mehr Fasern zur Wurzel, als von den distalen. Die Fort- sätze der großen und mittleren Zellen der Vorderhörner liegen in der Richtung der lateralen Fasern. Solche Fortsätze sind öfters und leichter proximalwärts als distalwärts vom Wurzelursprunge zu be- obachten. Diese laterale Fasergruppe entspricht den von Strep als laterale Bündel bezeichneten Fasern der Knochenfische. Die medi- alen Fasern der Wurzeln sind viel dieker als die lateralen. Aut Querschnitten sieht man, dass diese ersten von der Austrittsstelle der Wurzel der Basis des Rückenmarks entlang medialwärts verlaufen. Unweit von der Raphe biegen sie sich dorsal um und gelangen, schräg dorsal-proximal verlaufend, zur medialen Oberfläche des Cer- vix cornu posterioris. Die meisten verlaufen eine Strecke weit als Längsfasern dorsal von den MAuTHner’schen Fasern. Ein Theil dieser Fasern ist auf eine ziemlich lange Strecke proximalwärts zu ver- folgen. Sie gelangen früher oder später in die graue Substanz des Cervix cornu anterioris, wo sie nicht weiter zu verfolgen sind. Ein kleinerer Theil verschwindet sofort in der grauen Substanz des Cervix in der Austrittsebene der vorderen Wurzel. Auf glücklich orientirten Längsschnitten (Taf. XVIII Fig. 16) findet man, dass die medialen Fasern der Vorderwurzeln aus mehreren Systemen sich zu- sammensetzen. In absteigender Richtung (von den proximalen Abschnit- ten des Rückenmarks) sammeln sich sehr dicke Fasern (a), distalwärts sieht man absteigende feinere Fasern (3). Diese Fasern (8) verlaufen direkt ventralwärts. Distal endlich sieht man das System 0, feine Fasern, welche in aufsteigender Richtung zur Austrittsstelle der Wurzel gelangen. Offenbar entspricht die mediale Faserngruppe des Sterlets den von SriepA beschriebenen centralen Bündeln der Knochen- fische (62 pag. 18, 63 pag. 18). Bei Protopterus sind von FULLIQUET (61 pag. 43, 62) ähnliche Fasern gefunden worden. Die dorsalen Wurzeln bestehen aus feinen Fasern. Viele sind gewiss als marklos zu betrachten. Auf Querschnitten sieht man, 494 N. Goronowitsch dass die dorsale Wurzel ihre Fasern aus drei verschiedenen Quellen bekommt. Ein Theil der Fasern sammelt sich aus den hinteren Strängen; diese Fasern umkreisen dorsal das Caput cormu posterio- ris. Ein anderer Theil ist bis zur Substanz des Caput zu verfolgen. Der dritte Theil der Fasern ist auf der lateralen Fläche des Hinter- hornes eine Strecke weit zu verfolgen. Auf Längsschnitten, welche entsprechend der Richtung der austretenden Wurzeln orientirt sind, findet man, dass die Fasern, welehe aus den hinteren Strängen sich sammeln, meistens aus den proximalen Abschnitten des Rückenmarks zur Wurzel gelangen. Ein kleiner Theil sammelt sich aus den dista- len Abschnitten. Aus diesem unvollständigen Berichte über die Struktur des Rückenmarks beim Sterlet sind folgende Thatsachen hervorzuheben. Die dorsalen wie die ventralen Wurzeln sammeln ihre Fasern aus einem großen Rayon des Centralorgans. Dasselbe Verhalten der Wur- zelfasern ist nach STIEDA (58) stark an den hinteren Wurzeln sowie nach VIAULT an den vorderen Wurzeln der Selachier ausgesprochen. Bezüglich der ventralen Wurzeln ist für die Struktur der Medulla oblongata die Thatsache wesentlich, dass die ventralen Wurzeln aus medialen und lateralen Fasern sich zusammensetzen. Die centralen Verbindungen der Fasern, welche die Wurzeln zusammensetzen, sind für mich unklar geblieben. Man kann aber mit großer Wahrschein- lichkeit annehmen, dass ein Theil der Fasern der ventralen Wurzeln mit den großen und mittleren motorischen Zellen in direkter Ver- bindung steht. Im Allgemeinen ist das Studium der Struktur des Rückenmarks mit bedeutend größeren Schwierigkeiten verbunden, als das Studium eines Theiles der Oblongata. Die Ursache davon liegt in der Einförmigkeit der strukturellen Elemente — in einer minder ausgeprägten Individualisirung der Theile. In der Gegend zwischen den Austrittsstellen der ventralen Wurzel des N. spinalis I und der hinteren Ecke des Ventrieulus IV (Cala- mus scriptorius) findet der allmähliche Übergang der Struktur des Rückenmarks in die Struktur der distalen Abschnitte der Oblongata statt. Schon in den Querschnittsebenen, welche proximal von der Austrittsstelle des N. spinalis I liegen, ändert die ventrale Oberfläche des Rückenmarks ihre Form. Das Rückenmark wird eylindrisch, der Cervix cornu anterioris breiter; es ist möglich, einige Verhältnisse der Struktur genauer zu notiren (Taf. XX Fig. 43). Die medialen bindegewebigen Zellen des Vorderhornes sind spärlicher zerstreut. Zwischen diesen Zellen sieht man Fasern, welche zur Basis des ‘| Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 495 Hinterhorns verlaufen. Es besteht kein Zweifel, dass ein Theil dieser Fasern Fortsätze der mittleren Nervenzellen der Vorderhörner sind. Ein anderer Theil der Fasern gehört wie im distalen Rückenmarke den kleinen Zellen an. In glücklichen Fällen konnte ich diese Fasern bis zur Basis des Hinterhornes verfolgen. Es sind öfters Fortsätze der motorischen Zellen der Vorderhörner bis zur Raphe zu verfolgen. Im lateralen Abschnitte des Cervix erscheinen spindel- förmige Zellen, mit gewöhnlich zwei durch ihre Größe auffallenden Fortsätzen. Der eine verläuft zum Caput cornu anterioris, der andere zur Basis des Hinterhornes (Fig. 43). Die komplieirten Verbindungen der Hinter- und Vorderhörner drücken sich in diesen Verhältnissen aus. Stellenweise findet man unmittelbar ventral vom Epithelium des Cana- lis centralis eine Kreuzung von Fasern, welche aus dem Cervix cornu anterioris kommen. Diese Kreuzung ist in der betreffenden Strecke der Oblongata schwach entwickelt. Der Endverlauf der durchkreuz- ten Fasern ist wegen der starken Anhäufung divergirender Stütz- fasern der Raphe schwer zu verfolgen. Die graue Substanz der Hinterhörner ist verbreitert. Ihre Struktur ist dieselbe wie im Rücken- marke. Der Cervix ist dicker und besteht aus kompakter grauer Substanz; in der Basis, sowie im Cervix erscheinen Nervenzellen. Die Verhältnisse der Fasern der ventralen und dorsalen Wurzeln dieser Gegend sind dieselben wie in distalen Abschnitten des Riicken- marks. Der mediale Abschnitt der ventralen Wurzeln ist leichter zu verfolgen. Einige Fasern gelangen in den Cervix cornu anterioris und wenden sich sofort in der Richtung der motorischen Zellen. Ich fand oft, dass auf dem Wege dieser Fasern, welcher die weiße Sub- stanz durchzieht, einige Nervenzellen eingebettet lagen. Die Fortsätze dieser Zellen sind dem Verlaufe der Fasern entsprechend gerichtet. Die dorsale Wurzel des N. spinalis I und die ventrale des Spinalis II entspringen in derselben Querschnittsebene. Weit proximal entspringt die ventrale Wurzel des N. spinalis I. Sie ist aus denselben Kompo- nenten wie jede ventrale Wurzel gebildet, nur ist zu bemerken, dass sie weit mehr mediale als laterale Fasern bekommt, während die distalen ventralen Wurzeln mehr laterale als mediale Fasern haben. In der Querschnittsebene des Spinalis I rad. ventr. fängt die Um- änderung der Form des Canalis centralis an, welche proximal zur Bildung der Rautengrube führt. Die Raphe posterior dringt bis zum Epithel des Canalis centralis. Der Canal, selbst erscheint in dorso- ventraler Richtung verbreitert. Seine seitlichen Theile bilden zwei gegen die graue Substanz des Vorderhornes gerichtete Rinnen (Fr). 496 N. Goronowitsch Proximal setzen sich diese Rinnen am Boden des Ventrikels bis zu der Gegend fort, wo die Fasern des N. trigeminus I austreten (Taf. XX Fig. 52 Vr). Ich bezeichne diese Rinnen als Vorderhornrinnen. In der Strecke der Oblongata, welche zwischen der ventralen Wurzel des Spinalis I und dem Calamus scriptorius liegt, findet der Austritt von zwei der ventralen oben "besprochenen Nerven statt. Der dritte vorderste Nerv entspringt in der Querschnittsebene des Austritts den distalen Faserbündeln des N. vagus. Diese drei Nerven ‚werden ausschließlich aus Fasern gebildet, welche in allen ihren Verhält- nissen den medialen Fasern der ventralen Wurzeln des Rückenmar- kes gleich zu setzen sind. Laterale Fasern bekommen diese Nerven nicht. Daraus ergiebt sich, dass diese Nerven, welche auch keine entsprechenden dorsalen Wurzeln haben, noch einen Theil der den ventralen Wurzeln zukommenden Fasern eingebüßt haben. Der Spi- nalis I r. v. zeigt auch eine bedeutend verminderte Zahl der latera- len Fasern. In der Nähe des Calamus scriptorius findet man eine allmähliche Vermehrung der Nervenzellen an den Stelien der grauen Substanz, welche die Basis der Vorderhörner mit jenen der Hinterhörner ver- bindet. Die graue Substanz der Hinterhörner wird immer breiter. In den dorsalen Abschnitten der Seitenstränge werden die Fasern feiner; ein beträchtliches Kontingent derselben ist marklos (Fig. 43). In den ventralen und den seitlichen Strängen der weißen Substanz erschei- nen Bogenfasern (Fig. 45 bf). Sie bilden zwei Systeme, welche sich in der Raphe kreuzen. Das eine System verläuft in den peripheri- schen Schichten der Oblongata und kreuzt sich mit den von der anderen Seite. kommenden Fasern in dem ventralen Abschnitte der Raphe. Das andere System bildet eine Kreuzung in den dorsalen Abschnitten der Raphe. Viele der Bogenfasern kommen aus dem ventralen Abschnitte des Vorderhornkopfes; sie durchziehen die Raphe und wenden sich in den dorsalen Abschnitt der Seitenstränge, wo sie verschwinden. Dieses ergiebt sich mehr durch die Untersuchung ganzer Bündel, als einzelner Fasern. Hinteres Längsbündel (HJ). Die Beschreibung des hin- teren Längsbündels und der grauen Substanz des Vorderhornes will ich in der ganzen Länge ihres Verlaufes vorführen. In der Quer- schnittsebene des Calamus scriptorius überzieht die weiße Substanz die ventrolateralen Abschnitte der Oblongata mit einer ununterbro- chenen dieken Schicht. Die Richtung des Vorderhornes erlaubt kon- ventionell einen medialen Abschnitt, welcher die Fortsetzung der - vorderen Stränge des Rückenmarks bildet, von einem lateralen zu unterscheiden. Im Allgemeinen besteht der laterale Strang aus fei- neren, der mediale aus diekeren Fasern. In den ventralen Ab- schnitten der vorderen Stränge verlaufen zu beiden Seiten der Raphe eine Gruppe feinerer Längsfasern (Taf XX Fig. 45 vf). Ein Theil dieser Fasern kreuzt sich unter spitzem Winkel, wie oben gesagt, in der Raphe. In proximalen Ebenen wächst die Zahl dieser Fa- sern und sie werden allmählich ventralwärts gedrängt. Sie gruppiren sich zu beiden Seiten der Raphe in Form eines dreikantigen Bündels. dessen Querschnittsoberfläche proximal wächst (Fig. 46, 48 of). Da- bei steigt die Anzahl der netzförmigen Fortsätze, welche die graue Substanz des Vorderhorns entsendet. In den meisten dieser Fort- sätze verlaufen Bogenfasern, welche von der grauen Substanz der Vorderhörner zur Raphe verlaufen. Ehe diese Bogenfasern die Raphe erreichen, durchziehen sie die soeben beschriebenen Längsbündel. Ich konnte aber nicht entscheiden, ob die Vergrößerung der Quer- schnittsoberfläche dieser Bündel in irgend welchem Zusammenhange mit dem Zufluss von Bogenfasern stehe oder nicht. Durch den Ver- lauf der Bogenfasern, sowie durch die Verbreiterung der ventralen Bündel wird allmählich eine ventrale Abgrenzung der dicken Längs- fasern des Vorderstranges gebildet. So entsteht das hintere Längs- bündel (Z2). In der Nähe der Austrittsstelle des Vagus (Fig. 45 Vgv, Vgd) bilden die hinteren Längsbündel allmählich einen Vorsprung in die Höhle des Ventrikels. Dieser Vorsprung entsteht nicht bloß durch eine Vergrößerung der Oberfläche des Querschnitts der beiden Bündel, sondern auch durch eine allmähliche Vertiefung der Vorderhorn- rinnen (Vr). Die graue Substanz der Vorderhörner verschwindet allmählich von der medialen Wand der Rinne. Das Epithel des Ventrikels legt sich unmittelbar an die seitliche Oberfläche der Längs- bündel. In dieser Gestalt verlaufen die hinteren Längsbündel durch die ganze Länge des vierten Ventrikels bis zur Austrittsstelle des Trigeminus I (Taf. XX Fig. 52). Ungefähr bis zu dieser Stelle kann man auch die Rinne des Vorderhornes verfolgen. Auf dieser Strecke findet man mitunter, dass die motorischen Zellen des Vor- derhornes ihre Fortsätze gegen das hintere Längsbündel senden. Einige dieser Fortsätze reichen bis zur Raphe, manchmal aber scheinen sie die Richtung der Fasern der Bündel anzunehmen. Vielleicht gehen diese Fortsätze in die Fasern der Längsbündel über. In den dorsalen Theilen der Raphe kann man mitunter eine Kreu- Morpholog. Jahrbuch. 13. 32 Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 497 498 N. Goronowitsch zung von mittleren und feinen Fasern der Bündel beobachten. Diese Kreuzung geschieht unter einem spitzen Winkel zur Längsachse der Oblongata. Sehr selten habe ich in distalen Querschnittsebenen eine Kreuzung von dicken Fasern, welche das Hauptkontingent der Bündel bilden, beobachtet. Proximal von der Austrittsstelle der N. lineae lateralis gesellt sich zu den Bündeln ein anderes Längsfasersystem (Taf. XX Fig. 49 Frv). Die Fasern desselben kommen aus der grauen Substanz des Vorderhornes, sowie aus den ventral liegenden Theilen der weißen Substanz (Taf. XXII Fig. 81 Fre). Diese Fasern umkreisen den Boden der Vorderhornrinne und steigen, der seitlichen Oberfläche der hinteren Längsbündel folgend, in die dorsalen Abschnitte dieser letzteren, wo sie einen runden Strang bilden. Es sind, wie wir gleich sehen werden, die Fasern der ventralen Wurzel des Facialis. Mit- unter findet man, dass die Fortsätze der motorischen Zellen bis zu den Fasern des Facialis zu verfolgen sind (Fig. 81). Ein kleiner Theil der Fasern kommt, wie gesagt, aus den ventralen Abschnitten der weißen Substanz. In den betreffenden Querschnittsebenen der Oblongata enthält die weiße Substanz viele zerstreute große Gan- glienzellen. Ob diese Zellen als Ursprungsstätten eines Theiles der Fasern des Facialis aufzufassen sind, konnte ich nicht sicher ent- scheiden. Einige Fortsätze wenden sich in der Richtung der Fasern. Alle diese Verhältnisse sind in Fig. 81 dargestellt. Die Fasern der ventralen Wurzel des Facialis sind etwas feiner als die der hinteren Längsbündel und sind daher sehr leicht in pro- ximaler Richtung zu verfolgen. In der Nähe der Austrittsstelle kon- centrirt sich der Faserzug in einen kompakten runden Strang, wel- cher einen Vorsprung auf der dorsolateralen Oberfläche der hinteren Längsbündel bildet.. Der Strang biegt lateral unter rechtem Winkel um und durchzieht, bogenförmig und ventralwärts verlaufend, den proximalen Theil der austretenden Acusticusfasern (Taf. XX Fig. 50 Frv). Vor der Austrittsstelle dieses letzteren Nerven tritt die Wurzel aus und legt sich eng ventral an die diekere dorsale Wurzel des Facialis an (rd). Ein Theil der queren Bahn der ventralen Wurzel bildet die makroskopisch wahrnehmbaren Abzweigungen der hinteren Längsbündel, welche ich im anatomischen Abschnitte besprochen habe. Die Mauruner’schen Fasern zeigen in distalen Abschnitten der Oblongata dasselbe Verhalten wie im Rückenmarke. Sie verlaufen der medialen Oberfläche des Vorderhornkopfes entlang, proximal- warts steigen sie zur medialen Oberfläche des Cervix cornu ante- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 499 rioris. Von den anderen Fasern der. hinteren Längsbündel unter- scheiden sie sich durch die Dieke ihrer geschichteten Markscheide, sowie ihres Achsencylinders. An einigen Gehirnen fand ich die linke MAaurnuner’sche Faser in der Gegend der -Lobi vagi dicker, welches Verhalten unkonstant ist. Auf glücklich orientirten Längs- sehnitten kann man die Faser auf einer langen Strecke in intaktem Zustande beobachten. Auf solchen Präparaten fand ich sehr feine Fäserchen von der Oberfläche des Achseneylinders sich abspalten. Diese Fäserchen sind sowohl proximal als auch distal gerichtet. Sie färben sich durch Karmin, haben kein gleichmäßiges Kaliber und sind nicht streng eylindrisch, stellenweise bandförmig abgeflacht. Ich habe niemals beobachtet, dass sie in echte Nervenfasern sich um- wandeln. In sehr seltenen Fällen konnte ich sie aus der Markhülle austreten sehen. In der Austrittsgegend des Vagus und Glossopha- ryngeus steigen die MAUTHNER'schen Fasern dorsal (Fig. 46). Sie verlaufen in den dorsolateralen Abschnitten der hinteren Längsbündel, gelangen allmählich an die mediale Seite, wo sie zu beiden Seiten der Raphe eine Strecke weit verlaufen. In der Querschnittsebene des Austrittes des Acusticus findet eine Kreuzung der MAUTHNER’schen Fasern statt. Nach der Kreuzung verlaufen sie bogenförmig zum Unterhorne, wo sie in sehr großen Nervenzellen enden. Beim Ster- let fehlt das merkwürdige, von MAyser beschriebene Gebilde, wel- ches die terminalen Zellen der Mauruner’schen Fasern bei Cypri- noiden umgiebt. Die Fortsätze der terminalen Zellen sind in die ventralen und lateralen Theile der weißen Substanz gerichtet. Ein sehr dicker Fortsatz steigt konstant in dorsaler Richtung empor. Ich konnte den Fortsatz bis zu den austretenden Bündeln des Acu- sticus verfolgen und neige mich zur Ansicht, dass der betreffende Fortsatz eine Faser des Acustieus liefert. Für diese Auffassung glaube ich eine Stütze in einer interessanten Angabe von FULLIQUET zu finden. Bei Protopterus ist nämlich eine ganze Wurzel des Acu- sticus durch die MAurHNER’sche Faser gebildet (61 pag. 82). In der Gegend des Acusticusaustritts geschieht eine Kreuzung von vielen dieken Fasern des hinteren Lingsbiindels. Ein Theil dieser Fasern kreuzt sich wie in den distalen Abschnitten der Oblongata unter sehr spitzen Winkeln zur Längsachse, ein anderer Theil aber ver- läuft fast senkrecht wie die Mauruner’schen Fasern zur Raphe. Die Kreuzung ist daher leicht zu beobachten. Nach der Kreuzung verlaufen einige Fasern zur grauen Substanz des Vorderhornes und für einige derselben konnte ich sicher eine Verbindung mit großen 32* 500 N. Goronowitsch Zellen des Vorderhornes konstatiren. Einige solcher Zellen senden, wie die terminalen Zellen der MAuTHner’schen Fasern, Fortsätze in der Richtung der austretenden Acusticusfasern aus. Diese letzteren Bahnen der hinteren Längsbündel sind wahrscheinlich als den me- dialen von AHLBORN beschriebenen (47 pag. 263) durchkreuzten MÜLLER’'schen Fasern der Petromyzonten entsprechend zu betrachten. Sie zeigen im Wesentlichen gleiche Verhältnisse. Die größte Zahl der durchkreuzten Fasern geht nicht in eine solche Verbindung mit Nervenzellen über, sondern durchzieht die graue Substanz des Vor- derhornes. Diese Fasern wenden sich dorsalwärts und laufen durch eine Gruppe von Nervenzellen (Fig. 50 Az), welche in der Gegend des austretenden Acusticus vorhanden ist. Sie bilden schließlich einen der wichtigen Komponenten der Acusticusfasern. Ein kleiner Theil dieser Fasern läuft in die dorsalen Abschnitte der Oblongata. Über diese letzteren werde ich später berichten. Proximalwärts von der Austrittsstelle des Acusticus und des Facialis ist die Querschnittsfläche der hinteren Längsbündel durch Faserverlust sehr vermindert. Eine Kreuzung der Fasern sowie eine Verschmälerung der Bündel ist bis zu der Austrittsstelle des Trige- minus I zu beobachten. Hier angelangt, beginnen die Bündel etwas lateral zu divergiren. Zwischen den Bündeln entsteht eine rinnen- förmige Vertiefung, welche sich ununterbrochen bis zum Mittelhirne fortsetzt (Taf. XX Fig. 54). Die Kreuzung der Fasern findet ventral- wärts von dieser Rinne statt. Etwas proximal von der Austrittsstelle des Trigeminus I ist keine Kreuzung der Fasern mehr zu beobachten. Die Bündel sind sehr verschmälert, verlaufen ventral von einem gangliö- sen Kern, welchen ich für den Trochleariskern anzunehmen geneigt bin. Zu der Strecke der hinteren Längsbündel, welche zwischen diesem Kern und den Oculomotoriuskernen liegt, gesellen sich einige lateralwärts von diesen verlaufende Längssysteme (Taf. XX Fig. 56 /2). Ein Theil der Fasern dieser Systeme kommt aus der Valvula Cere- belli. Alle Fasern der Längsbündel werden feiner und zerstreuen sich allmählich in dorsoventraler Richtung. In der Gegend des Oculomotoriuskernes sind die dorsalen Fasern in zerstreute Bündel gruppirt (Fig. 58). Verbindungen zwischen den Zellen des Kernes of und diesen Fasern habe ich nicht beobachtet. Proximal vom Ocu- lomotoriuskerne befinden sich große zerstreute Ganglienzellen, mit welchen ich eine Verbindung eines Theiles der Fasern der Bündel sicher konstatiren kann. Proximal von dieser Zellengruppe ist die Zahl der Fasern sehr vermindert. Auf Sagittalschnitten sind die | Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 501 Verhiltnisse der Biindel im Mittelhirn leichter zu untersuchen. Man sieht an solchen, dass ein Theil der Fasern zur Basis des Mittel- hirnes verläuft, wo sie verschwinden, ehe sie die Wand des Lobus infundibuli erreichen. Ein anderer Theil endigt, wie gesagt, in der Gruppe der proximal vom Oculomotoriuskerne liegenden Ganglien- zellen. Schließlich wendet sich eine Anzahl von Fasern dorsalwärts und setzt sich in den vorderen Abschnitt des Tectum optieum fort, wo sie in der mittleren Schicht desselben verschwindet. Der Seitenstrang der weißen Substanz besteht im Allgemeinen aus feineren Fasern, welehe in proximalen Ebenen immer feiner werden; viele von diesen sind gewiss marklos und bilden vereinzelte, durch netzförmige Fortsätze der grauen Substanz von einander ge- trennte Gruppen. Die Querschnittsoberfläche der Seitenstränge wächst in proximaler Richtung. Der Zufluss neuer Fasern, welcher diese Oberflächenvergrößerung verursacht, kommt aus zwei Quellen: aus der grauen Substanz der Vorderhörner und hauptsächlich aus der- jenigen Gegend dieser grauen Substanz, welche die Basis der Vorder- und Hinterhörner vereinigt; außerdem bildet sich wahrscheinlich ein Theil der Fasern durch direkte Umwandlung der Bogenfasern in die Längssysteme. Ein Theil der Bogenfaserbündel nämlich, welche aus der Raphe kommen und dorsalwärts steigen, verschwin- det auf Querschnitten plötzlich, nachdem er eine gewisse Höhe in den Seitensträngen erreicht hat. Ein anderer Theil der Bogenfasern gelangt, wie wir später sehen werden, bis zu den dorsalen Ab- schnitten der Oblongata. An verschiedenen Stellen der weißen Sub- stanz sind zerstreute Ganglienzellen zu finden. Sie liegen haupt- sächlich in den Bahnen der Bogenfasern und haben hier eine Spin- delform. In ventralen Abschnitten zu beiden Seiten der Raphe liegen kleine Zellenanhäufungen (Fig. 46, 48 Uo). Diese Zellen finden sich schon in distal vom Vagusursprunge liegenden Ebenen. Sie reichen proximal nicht weiter als die Austrittsebenen des Glossopharyngeus und entsprechen wahrscheinlich den gangliösen Gebilden, welche bei Selachiern und Knochenfischen unter dem Namen Oliven bekannt sind. Indem ich Mayser (55) folge, werde ich diese Gebilde als untere Oliven bezeichnen. Ihre Verhältnisse zu Bogenfasersystemen werde ich später erörtern; hier genügt zu sagen, dass ein Theil der peripherischen Bogenfasern mit den Zellen der Oliven in direkter Ver- bindung steht. Diese zu den Olivenzellen verlaufenden Bogenfasern kommen von den dorsalen Längsfasersystemen der Oblongata und durchkreuzen die Raphe ehe sie zu den Zellen der Oliven gelangen. 502 N. Goronowitsch Wie oben bemerkt, zeigt die graue Substanz des Vorderhornes wesentlich dieselben Verhältnisse wie im Riickenmarke fast durch die ganze Länge des Ventriculus IV. Der einzige Unterschied ist, dass sie in der Oblongata stärker entwickelt ist und dass in ihre Basis die Vorderhornrinne sich einsenkt. In der Übergangsstrecke zwischen Rückenmark und Oblongata erscheinen allmählich Gruppen von kleinen Nervenzellen in denjenigen Stellen der grauen Substanz, welche die Basen des Vorder- und Hinterhornes verbinden. Ich werde diese Zellen als Zwischenzellen bezeichnen (Fig. 45 Zz). Da- bei muss ich bemerken, dass diese Gebilde durchaus nicht zum Hinterhorn zu rechnen sind. Die Struktur der grauen Substanz des Hinterhornes ist so charakteristisch, dass sie sich proximal mit Leichtigkeit weit verfolgen lässt. Die Zwischenzellen erscheinen ventral vom Hinterhorne und können eher zum Vorderhorne gerech- net werden. Wenn man ihr allmähliches Erscheinen auf distalen Querschnittsebenen beobachtet, findet man, dass sie zuerst in dem Cervix cornu anterioris erscheinen. Proximalwärts wird ihre Zahl srößer und allmählich nehmen sie die Stellung an, welche auf Fig. 48, 46 Zz dargestellt ist. Durch die ganze Strecke, welche dem Austritte des Vagus und Glossopharyngeus entspricht, zeigt das Vorderhorn dieselben Verhältnisse, wie in distalen Abschnitten. In. der Austrittsebene des N. ]. lateralis werden die motorischen Zellen seltener (Fig. 47). Die Gruppe der Zwischenzellen wird ärmer. Zwischen der Austrittsstelle des N. 1. lateralis und Acusticus ist eine Strecke, wo weder motorische noch Zwischenzellen zu finden sind. Diese Strecke liegt etwas distal von jener Gegend, in welcher die Fasern der hinteren Längsbündel in großen Massen sich kreuzen. Etwas proximal erscheinen die großen Zellen, mit welchen die durch- kreuzten Fasern der hinteren Längsbündel sich verbinden. In der Nähe der Austrittsstelle des Trigeminus I erscheinen wieder in der grauen Substanz der Vorderhörner große motorische Zellen, sowie die Zwischenzellen (Fig. 52 Zz). Im der Gegend dieses Nerven wird die Vorderhornrinne immer seichter; man kann jedoch ihre Fort- setzung sowie einen Rest der Vorderhornsubstanz bis zu derjenigen Stelle verfolgen, wo der von mir vermuthete Trochleariskern liegt. Nervus vagus. In der Gegend des Calamus seriptorius ist, wie gesagt, die graue Substanz des Hinterhornes breiter entfaltet. Sie hat dieselbe Strukfur wie im Rückenmark. Media] vom Hinter- horne erscheint allmählich eine neue Lage von grauer Substanz. Sie besteht aus feinkörnigem Grundgewebe, in welchem viele kleine Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 503 Nervenzellen eingebettet liegen (Fig. 45 Le). Zwischen diesen Zellen verlaufen die feinsten Fasern in verschiedenen Richtungen. In proxi- malen Abschnitten wächst die Querschnittsoberfläche dieser Substanz. Sie verbreitert sich in dorsaler Richtung und verdrängt lateral den Hinterhornkopf. In proximalen Ebenen bildet diese graue Substanz- lage einen Vorsprung im Ventrieulus IV. Es ist das der Lobus vagi. Das charakteristische Gewebe des Hinterhornkopfes verschwindet all- mählich, je mehr das Gewebe des Lobus an Mächtigkeit gewinnt. Die Substanz des Hinterhornes ist bis zur Austrittsstelle der distalen Vagusfasern zu verfolgen. In den Ebenen der Austrittsstelle des Vagus erreichen die Lobi ihre stärkste Entfaltung. Man kann im Lobus zwei Abschnitte unterscheiden, welche freilich ohne scharfe Grenzen in einander übergehen. Der dorsale Abschnitt enthält mehr Zellelemente und ein mehr lockeres Grundgewebe als der ventrale. Die Fasern des austretenden Vagus bestehen aus zwei Systemen: aus einem feinfaserigen dorsalen (Vgd) und einem dickfaserigen ven- tralen (Vgv). Die ersten Fasern kommen aus dem dorsalen sowie ventralen Abschnitte des Lobus vagus. Diejenigen Fasern, welche aus den dorsalen Abschnitten kommen, färben sich intensiver und verlaufen in mehr kompakten Bündeln. In der Substanz der Ob- longata vereinigen sich diese Fasern mit den aus dem ventralen Abschnitte des Lobus kommenden Bündeln in einen feinfaserigen Strang (Vgd). In der Substanz der Lobi sind die Ursprungsstätten dieser Fasern nicht zu finden, alle verlieren sich im Fasergewirre des Grundgewebes. Das zweite, dickfaserige System des Vagus (Vqv) kommt aus der grauen Substanz des ‚Vorderhornes. Die Fortsätze der motorischen Zellen des Vorderhornes sind bis zu den Bündeln dieser Fasern sicher zu verfolgen. Sie verlaufen der lateralen Seite der grauen Substanz entlang und steigen in dorsaler Richtung. In der Nähe der Zwischenzellen (Zz) vorübergehend, bekommen sie einen Zufluss von Fasern von diesen Zellen. Zur Basis der: Lobi vagi angelangt, wendet sich das ventrale System lateralwärts, durch- zieht den lateralen Strang und tritt aus der Oblongata aus. Der Austritt der dorsalen und ventralen Fasersysteme des Vagusstammes zeigt in verschiedenen Querschnittsebenen gewisse Eigenthümlich- keiten. Das dorsale sowie das ventrale System bildet serial ange- ordnete Bündel, deren Zahl beträchtlich variirt. Auf Horizontalserien fand ich manchmal fünfzehn Bündel (ventrales System). Auf Taf. XVIII Fig. 15 Vgd sind zwölf dargestellt. Viele Bündel zeigen Spuren einer Verschmelzung aus zweien. Auf schief zur Horizontalebene 504 N. Goronowitsch gerichteten Schnitten kann man eine Reihe von Anschwellungen der grauen Substanz des Lobus sehen. Die Zahl dieser Anschwellungen entspricht der Zahl der austretenden Faserbiindel. Der makroskopi- sche Ausdruck eines Theiles dieser Anschwellungen der grauen Sub- stanz bildet die bekannten Anschwellungen der Lobi vagi. Nur sind diese letzteren in kleinerer Anzahl vorhanden, weil die distalen und proximalen schwächer entwickelt sind. Das distale Bündel des Vagusstammes besteht nur aus den dick- faserigen ventralen Komponenten. Es verläuft eine kurze Strecke in aufsteigender Richtung, ehe es seine Austrittsstelle erreicht. Das proximale Bündel besteht nur aus den feinfaserigen dorsalen Kom- ponenten. Das ventrale System tritt also etwas distalwärts von dem dorsalen aus der Oblongata aus. Das dorsale setzt sich eine kurze Strecke weit proximal von der Austrittsstelle der letzten dickfaserigen Bündel fort. Die Bündel des dorsalen Systems verbinden sich gleich nach dem Austritt mit dem ventralen Bündel in vereinzelte Stämme; dieses ist aber nicht allgemeine Regel. Nicht alle dorsalen Bündel verlaufen beim Austritt in denselben Querschnittsebenen mit den ent- sprechenden ventralen. Daher treffen mehrere ventrale Bündel erst eine kurze Strecke distal vom Austritt aus der Oblongata die ent- sprechenden dorsalen Bündel. In diesem Verhalten liegt die Ursache, dass die Vagusbündel in zwei makroskopisch konstatirbaren Schich- ten über einander gelagert sind. Es ist als Regel zu betrachten, dass die feinfaserigen Bündel in den dorsalen, die dickfaserigen in den ventralen Abschnitten der austretenden Stämme liegen. Auch ist zu bemerken, dass die Zahl der dorsalen Fasern bei Weitem die Zahl der dicken ventralen übertrifft. Erst nach einem längeren Verlauf bilden die einzelnen Stämme durch Konkrescenz den eigent- lichen Vagusstamm, wie es schon oben erörtert wurde. Es bestehen also beim Sterlet dieselben Bestandtheile des Vagus- stammes, welche Ronon (39) für Selachier nachgewiesen hat. Die Deutung der Verhältnisse kann auch keine andere als die sein, welche RoHon vorsgeschlagen hat. Der Vagusstamm ist nicht bloß einem Komplexe von dorsalen Wurzeln spinalartiger Nerven gleich- zustellen, wie das GEGENBAUR meinte, sondern einem Komplexe von Nerven, welche dorsale sowie ventrale Wurzelelemente enthalten. Proximal von der Austrittsstelle des Vagus behalten die Lobi vagi ihre Struktur und-setzen sich nach vorn fort. Etwas distal von der Austrittsstelle des Glossopharyngeus entspringt aus der grauen Substanz des Vorderhornes ein dickfaseriges Bündel, welches ganz rin zu nd Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 505 ähnliche Verhältnisse wie die ventralen Bündel des Vagus aufweist. Diese Fasern treten in den distalen Querschnittsebenen des Austritts des Nerven aus der Oblongata aus (Fig. 48 Gpv). Es gesellt sich zu diesen ein Faserbündel, welches aus dem Lobus vagi entspringt (Gpd\. Es besteht also in der Art und Weise der Entstehung und Verbindung der Glossopharyngeusfasern und des Vagus kein Unter- schied. Auf horizontalen und sagittalen Schnittserien sieht man den Nerv aus mehreren serial angeordneten Bündeln gebildet; die Zahl der Bündel variirt. Meistens fand ich deren vier. Die dorsalen und ventralen Komponenten der proximalen Bündel verbinden sich, ehe sie aus der Oblongata austreten. Beim Glossopharyngeus ist eine größere Anzahl von dorsalen als ventralen Fasern in Vergleichung mit dem Vagus zu konstatiren. Die ausgetretenen Bündel vereinigen sich sofort in einen einzigen Stamm. Schon in den proximalen Querschnittsebenen des Glossopharyn- geusaustritts bemerkt man eine eigenthümliche Umänderung der Struk- tur der Lobi vagi. Es treten zerstreute Gruppen von Längsfasern im Centrum des Lobus auf; die Zahl dieser Gruppen wächst in proxi- malen Ebenen immer mehr. Die graue Substanz vermindert sich dagegen beträchtlich (Fig. 47, 49 Lv). Der Lobus wird dabei dünner, wie es schon bei der makroskopischen Beschreibung erwähnt worden ist. Proximal von der Austrittsstelle des N. 1. lateralis besteht der größte Theil des Lobus aus längsverlaufenden, markhaltigen, feinen Fasern. In denselben Querschnittsebenen bilden sich, wie schon oben erörtert, die Fasern der ventralen Wurzel des Facialis und verlaufen mit dem Fasersystem des hinteren Längsbündels proximal- wärts. Das eben beschriebene in der Substanz der Lobi vagi ge- bildete Längsfasersystem bildet die dorsale Wurzel des Facialis. Auf Querschnittsserien, sowie auf longitudinalen, ist zu konsta- tiren, dass die Fasern der dorsalen Facialiswurzel aus folgenden Quellen sich sammeln. Der größte Theil bildet sich aus der grauen Substanz der Lobi vagi (Längsserien, Taf. XVII Fig. 15 Frd). Ein anderer Theil wird geliefert durch die medialen Systeme der Bogen- fasern (Taf. XX Fig. 49 Sf). Sie liefern ein beträchtliches aber geringeres Kontingent von Fasern als die vorher beschriebene Quelle. Ein noch kleineres Kontingent bekommt die dorsale Wurzel aus dem lateralen Theil der Basis des Vorderhornes. In der Gegend der Austrittsstelle des N. 1. lateralis, wo noch einige Zwischenzellen vor- handen sind, kann man die Fortsätze solcher Zellen bis zum Lobus vagi verfolgen. Proximal von der Austrittsstelle des N. 1. lateralis 506 N. Goronowitsch und des Acusticus, wo keine Zwischenzellen mehr vorhanden sind, fand ich jedoch konstant Fasern, welche aus den Seitentheilen der grauen Substanz des Vorderhornes kommen und sich zu der Bahn des Facialis (Radix dorsalis) gesellen. Diese letzteren Fasern bin ich geneigt, dem medialen Bogenfasersystem zuzuschreiben. In dieser Gegend nämlich durchziehen oft die Bogenfasern die seitlichen Ab- schnitte der grauen Substanz des Vorderhornes. In der Ebene des Acustieus besteht der Lobus vagi fast ausschließlich aus markhaltigen feinen Fasern (Fig. 50). Es bleibt eine centrale Insel von grauer Substanz, welche ein feines Netz von Fortsätzen zwischen die Fasern aussendet. Auf Querschnitten findet man in den ventralen Abschnitten des Systems ein ovales Bündel von feineren Fasern. Schon in der Ebene der proximal austretenden Fasern des Acustieus wendet sich die dorsale Facialiswurzel ventro-lateral, durchzieht das System der dicken horizontal gerichteten Fasern der ventralen Wur- zel des Trigeminus II (7'J/v) und tritt aus der Oblongata aus. Das weitere Verhalten der beiden Wurzeln ist schon beschrieben. In dieser Beschreibung der Struktur des Lobus vagi habe ich nicht die Thatsache erwähnt, dass ein Theil der Längsfasern, welche im Lobus verlaufen, lateralwärts sich ablenkt, um sich zu dem Längsfasersystem der Seitenstränge zu gesellen. Proximal von der Austrittsstelle des Facialis (Radix dorsalis) setzt sich nach vorn ein feines Bündel von Längsfasern fort (Fig. 52 FC). Dieses Bündel kann man bis zu den Querschnittsebenen des Austritts des Trige- minus I verfolgen. Hier wendet sich das Bündel dorsal und gelangt zum Cerebellum. Auf schrägen Horizontalschnittserien, welche streng in der Ebene des Facialis (Radix dorsalis) orientirt sind (also proxi- mal schwach abfallen), kann man sich überzeugen, dass das be- treffende Bündel keine Fortsetzung der dorsalen Facialisfasern ist, sondern ein System, welches vom Cerebellum herabsteigt und unter senkrechter Beugung sich den austretenden Fasern des Facialis zu- gesellt. Durch dieses Bündel erhält also die dorsale Wurzel des Facialis Faserzuwachs aus dem Cerebellum. In der Ebene der Aus- trittsstelle des Facialis befindet sich eine schon besprochene Gruppe von großen Ganglienzellen (Fig. 50 Az), welche ventral von den austretenden Fasern liegt. Die Fortsätze einiger dieser Zellen sind in der Richtung der austretenden Fasern zu verfolgen. Es bekommt also wahrscheinlich der Nerv ein minimales Faserkontingent von diesen Zellen. Bevor ich zur Beschreibung der Ursprungsstätten der folgenden A Oe Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 507 Nerven übergehe, muss ich zweier Längsfasersysteme der Oblongata gedenken. Das eine dieser Systeme bildet einen ziemlich scharf abgegrenzten und histologisch charakterisirten Längsfaserstrang. Es ist das System y der Figuren. Es verläuft ventral von einem an- deren Fasersystem, welches ich oben als dorsolateralen Strang be- zeichnet habe (D7). Das erstere besteht aus feineren Fasern, das letztere aus dickeren. In distalen Querschnittsebenen der Oblongata ist die graue Sub- stanz des Hinterhornes, wie oben bemerkt, durch die Lobi vagi la- teralwärts abgedrängt. Die dorsale und laterale Oberfläche des Hinterhornkopfes ist von Längsfasern umgeben, welche etwas dicker als die unmittelbar ventral liegenden Fasern der Seitenstränge sind. Proximal werden die Fasern der dorsalen Abschnitte der Seiten- stränge immer feiner und es treten viel marklose Fasern dazwischen auf (Fig. 45 Ss). Die Anzahl der letzteren übertrifft allmählich die der Markfasern. In Folge dessen bekommt dieser Abschnitt der Seitenstränge auf durch Pikrokarmin gut gefärbten Querschnitten die charakteristische Rosafärbung der marklosen Systeme. Das dorsal- wärts liegende System von Längsfasern, welches den Hinterhornkopf umgiebt, enthält diekere und markhaltige Fasern. Es ist das Sy- stem y der Fig. 43. Durch den histologischen Charakter desselben ist also das System y in proximalen Querschnittsebenen scharf von den ventralwärts liegenden Systemen der Seitenstränge zu unter- scheiden. Die Fasern sind in eine Anzahl von Bündel gruppirt, welche durch feine Schichten von Stützgewebe und transversal ver- laufenden Fasern von einander getrennt sind. Stellenweise findet man in diesen Gewebeschichten kleine Zellen von gangliösem Cha- rakter. Distal umgiebt allmählich das System y die mediale Seite des Hinterhornes, seine Abgrenzung von den dorsalen Abschnitten der Seitenstränge wird immer undeutlicher, denn diese Abschnitte der Seitenstränge enthalten in distalen Ebenen keine so große Menge von marklosen Fasern, verlieren daher ihren unterscheidenden histo- logischen Charakter. Es geht also allmählich das System y in die hinteren Stränge des Rückenmarkes über. Es ist wohl kaum nöthig zu bemerken, dass ich hier keinen direkten Übergang behaupten will, welcher durch histologische Untersuchung nicht festzustellen ist. Für einen Theil der Fasern des Systems y kann man sogar vermuthen, dass sie sich nicht direkt in die Fasern der Hinterstränge fortsetzten. Man findet nämlich, dass ein Theil der Fortsätze der Zellen, welche in der Basis des Vorder- und Hinterhornes liegen. 508 N. Goronowitsch sich dorsal-medial richten und gegen die Fasern des Systems y zu verlaufen scheinen. Sicher kann man angeben, dass ein Theil der Bogenfasern der distalen Ebenen in die Fasern des Systems y über- seht. Ob aus diesen Quellen alle Fasern des Systems sich bilden, oder ob ein Theil dieser direkt in die Fasern der Hinterstränge übergeht, konnte ich freilich nicht feststellen. In den Ebenen der Austrittsstelle des Vagus liegt das Quer- schnittsfeld des Systems y lateral von der grauen Substanz des Lo- bus vagi und reicht bis zur Oberfläche der Oblongata (Fig. 45). Das System trennt somit das dorsalwärts liegende System des dorso- lateralen Stranges von den Seitensträngen der Oblongata. Das Sy- stem y bekommt einen Faserantheil aus der grauen Substanz des Lobus vagi. Diese Fasern entstehen in den lateralen Abschnitten des Lobus, laufen eine Strecke weit proximal und gesellen sich dem System zu. Einen anderen Faserantheil bekommt das System durch die Bogenfasern (df). Der Zufluss von Fasern aus dieser Quelle ist in den Ebenen des Lobus vagi nicht so groß. Die Faserbündel durchziehen in großen Mengen das System y und begeben sich zu den dorsolateralen Strängen, ein kleiner Antheil aber verschwindet in dem System. In den Austrittsebenen des Vagus und öfters in denen des Glossopharyngeus findet man, dass einzelne Biindei des Systems y in den dorsolateralen Strang übergehen, dabei kreuzen die übergehenden Bündel die Fasern der austretenden Nerven. Pro- ximalwärts vom Glossopharyngeus setzt sich das System weiter fort, ohne Zufluss von Fasern aus irgend welcher Quelle zu bekommen. Seine Querschnittsoberfläche bleibt auch annähernd dieselbe. Die Fasern werden etwas feiner. Die ventrale Wurzel des Facialis durchbricht das System. Sie setzt sich fort bis zu der Austrittsstelle des Trigeminus I; hier verläuft sie zwischen den austretenden Fa- sern der ventralen und dorsalen Wurzeln dieses Nerven. Schon in der Gegend des Trigeminus I sind die medialen Abschnitte des Systems nicht so deutlich von den umgebenden Längsfasern zu unterscheiden (Fig. 52). Die Fasern desselben werden näm- lich feiner und verlieren damit ihren unterscheidenden histologi- schen Charakter. Der laterale Abschnitt ist aber leicht zu verfolgen und bildet ein scharf abgegrenztes Bündel feiner Fasern. An der Stelle, wo die absteigenden Fasern der dorsalen Wurzel des Facialis (FCb) vom Cerebellum kommen, wendet sich das System y dor- salwärts und verliert sich in einem gangliösen Körper (RA), wel- cher dem sogenannten Rindenknoten der Knochenfische entspricht ——_ ee eee ee Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 509 (Fig. 55). Die Struktur des Rindenknotens wird später beschrieben werden. Die Lage des soeben beschriebenen Systems, der Umstand, dass es aus dem Lobus vagi einen großen Faserantheil bekommt, haupt- sächlich aber seine Verbindung mit dem Rindenknoten sind Verhält- nisse, welche an dasjenige System der Knochenfische, welches MAYSER als sekundäre Vagus-Trigeminus-Bahn beschrieben hat (55 pag. 318), erinnern. Zwischen beiden Systemen bestehen aber wesentliche Un- terschiede. Auf die vergleichende Behandlung der Struktur der Ob- longata des Sterlet und der Knochenfische (Hecht) hoffe ich aber in einer anderen Arbeit zuriickzukommen. Vorläufig sind keine Längs- fasersysteme des Sterlet mit den Fasciculi longitudinales laterales (Ronon) der Selachier zu vergleichen. Die Verbindungen dieser letzteren sind von RoHoN nicht untersucht worden. In den distalen Austrittsebenen des Vagus sind die Lobi vagi das am meisten dorsal liegende Gebilde der Wände des Ventrieulus IV. Proximal und dorsal vom System y und von dem Lobus vagi bildet sich allmählich ein System von Längsfasern, welches ich unter dem Namen dorso-lateraler Stränge oben bezeichnet habe (Taf. XX Fig. 46 Di). Proximal erreicht das System eine mächtigere Entwick- lung und drängt das System y ventralwärts ab. In distalen Ebenen ist das System hauptsächlich durch Fasern, welche aus dem Lobus vagi entspringen, sowie auch aus Fasern des Systems y gebildet. Diese letzteren durchkreuzen, wie oben gesagt, in einzelne Bündel getheilt, die austretenden Faserbündel des Nerven. Außer aus die- sen Quellen bekommt das System einen Faserantheil durch die Bo- genfasern. Diese steigen dorsalwärts, durchziehen das System + und wandeln sich in Längsfasern der dorsolateralen Stränge um (Fig. 46 df). Unbestimmt schien mir, ob die Fortsätze der Zwischen- zellen an der Bildung der Fasern des Systems theilnehmen oder nicht. In den Ebenen des Glossopharyngeus steigt der Zufluss von Bogenfasern zum System. In der Austrittsebene des N. 1. lateralis bekommt das System weder vom Lobus vagi noch vom System y neue Fasern. Es wächst nur dureh Zufluss von Bogenfasern (Fig. 47, 48). Proximal werden die Fasern des Systems immer dieker. In der Gegend des Austrittes des N. 1. lateralis, Acusticus und Trigeminus II wird die Querschnittsoberfläche des Systems etwas kleiner wegen der Abgabe eines Theiles der Fasern an die austreten- den Nerven. Proximal von der Austrittsstelle dieser Nerven wird die Querschnittsoberfläche wieder etwas größer. Der Zufluss der Bogen- 510 N. Goronowitsch fasern ist in dieser Gegend vermindert. Proximal von der Austritts- stelle des Trigeminus I gruppiren sich die Fasern des Systems in einzelne Bündel. Ein Theil der Bündel besteht aus dickeren, ein anderer aus feineren Fasern. Die Interstitien zwischen einzelnen Bündeln sind durch zerstreute Inseln von Körnergewebe besetzt (Fig. 54 Kg). Dieses Körnergewebe ist eine Fortsetzung der Körner- lage des Cerebellum, wie wir später sehen werden. Die in einzelne Bündel gruppirten Fasern des Systems wenden sich dorsal und ver- laufen zum Cerebellum (Fig. 55 D2). Der N. 1. lateralis wird ausschließlich von dieken Markfasern gebildet. Auf Querschnitten findet man, dass der Nerv aus dem dorsolateralen Strang entspringt (Fig. 47 Ltr). Auf sagittalen und hauptsächlich auf horizontalen Schnittserien findet man die Fasern des austretenden Nerven aus aufsteigenden und absteigenden Faser- systemen gebildet (Taf. XVIII Fig. 15 Ltr). Beide Systeme ge- hören zum dorsolateralen Strang. Der Nerv hat also in nächster Umgebung seines Austritts keinen nachweisbaren Kern. Die beiden Systeme verlaufen gegen einander und, an der Austrittsstelle des Nerven angelangt, wenden sie sich lateral und bilden einen einheit- lichen aus der Oblongata austretenden Stamm. Es ist dabei zu notiren, dass das absteigende System beträchtlich stärker ist als das aufsteigende. Die Fasern des ersteren schienen mir auch um etwas dicker als die des letzteren. Über den Ursprung des aufstei- senden Systems kann ich nur sagen, dass es dem dorsolateralen Strang angehört. Mit größter Wahrscheinlichkeit kommt das ab- steigende System aus dem Cerebellum. Auf glücklich orientirten Längsserien kann man einen Theil der Fasern bis zu der Stelle ver- folgen, wo sie sich dorsal gegen die hintere Peripherie der seit- lichen Theile des Cerebellum wenden. Diese Beobachtung ergab sich mir nicht vollkommen überzeugend, da der Abstand zwischen der Austrittsstelle des Nerven und dem seitlichen Theile des Cerebellum zu groß ist. Auch verlaufen die Fasern etwas zerstreut; zieht man aber in Betracht, dass bei Knochenfischen nach MAYsER’s Unter- suchungen (55 pag. 309) die Fasern des N. 1. lateralis bis zur näch- sten Nähe des Kleinhirnes zu verfolgen sind, so gewinnt die Ver- muthung an Wahrscheinlichkeit, dass das absteigende System beim Sterlet aus dem Cerebellum kommt. Auf Querschnitten sind bei einigen Cyprinoiden (Gobio) die Fasern des N. 1. lateralis sehr leicht bis zum Cerebellum zu verfolgen, da die Bündel des Nerven durch ihr Aussehen von den umgebenden Fasern sich scharf unterscheiden. Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 511 Ein unbeträchtliches Faserkontingent bekommt der Nerv aus der Zellgruppe Pzv, deren Bedeutung später erörtert wird. Einige Fort- sätze dieser Zellen konnte ich in der Richtung der austretenden Fasern verfolgen. Der Acusticus wird durch Fasern eines und desselben Cha- rakters gebildet. Sie sind um etwas feiner als die Fasern des N. ]. lateralis und beträchtlich dieker als die Fasern der dorsalen Wurzel des Facialis und des Trigeminus II. Der Nerv entspringt aus den ventralen Abschnitten des dorsolateralen Stranges (Fig. 50 Ac). Wie oben erörtert, entsteht ein Theil der Acusticusfasern aus den durch- kreuzten Fasern der hinteren Längsbündel. Ein Theil dieser Fasern wird durch die Zellen der Vorderhörner unterbrochen. Einen anderen Faserantheil bekommt der Nerv aus der Zellgruppe Az, welche ventralwärts vom Facialis (Radix dorsalis) liegt. Diese großen Nerven- zellen, welche in der Austrittsstelle des Nerven erscheinen, können nicht als modificirte Zwischenzellen betrachtet werden: sie liegen dorsal von der Stelle, wo Zwischenzellen liegen sollten. Der Faser- antheil, welchen der Nerv aus diesen Zellen bekommt, ist kein be- trächtlicher. Ein weit größeres Kontingent bezieht der Nerv aus absteigenden Systemen. Diese Fasern können leicht bis zu den seitlichen Theilen des Cerebellum verfolgt werden. Ein eben so großes Faserkontingent bekommt der Nerv aus aufsteigenden Sy- stemen, welche einen Theil der Längsbahnen des dorsolateralen Stranges bilden. Den Ursprung dieser letzten konnte ich nicht er- mitteln. Diese Fasern bieten vielleicht ein analoges Verhalten zu den von AHLBORN (47 pag.. 262) beschriebenen lateralen MÜLLER'schen Fasern der Petromyzonten. Der Verlauf dieser letzteren ist aber durch Zellen unterbrochen. Die absteigenden und aufsteigenden Fasern wenden sich, an den Austrittsstellen des Nerven angelangt, lateral und fließen in einen einzigen Stamm zusammen. Medial von der Umbiegungsstelle dieser Fasern liegen die soeben beschriebenen großen Zellen Az. Ein Analogon der interessanten Acusticushauben- bahn der Petromyzonten existirt bei Acipenser nicht (47 pag. 266). Der Trigeminus II entspringt, wie oben gesagt, nach Art eines Spinalnerven durch zwei Wurzeln (Fig. 50 TIId, TI). Die feinfaserige dorsale Wurzel wird durch den Lobus trigemini ge- liefert. Der Lobus (Z#) reicht distalwärts ungefähr bis zur Aus- trittsstelle des N. 1. lateralis. Seine ventrale Oberfläche ist vom dorsolateralen Strange durch die Cerebellarleiste getrennt (CL). Der Lobus besteht aus einer centralen gangliösen Masse und aus einer 512 N. Goronowitsch peripherischen Faserschicht. Die faserige Schicht erscheint allmählich in den distalen Abschnitten des Lobus. In der centralen gangliösen Masse befinden sich große und kleine Ganglienzellen; die Fortsätze dieser Zellen bilden das Hauptkontingent der Fasern der peripheri- schen Schicht. Ein anderer Faserantheil kommt aus den Zellen Pzd. Zur Deutung dieser Zellen werde ich später kommen. Außerdem gelangen zur peripherischen Schicht Bogenfasern ; sie steigen dorsal- warts, laufen durch die Zellgruppe Pzv (Fig. 49), wo ein Theil von ihnen endet. Der andere Theil (5/t) umkreist die mediale Seite der Cerebellarleiste und verläuft lateral von der Zellgruppe Pzd. Ein Theil der Fasern endet in den Zellen Pzd, der Rest gelangt in die peripherische Schicht. Man darf behaupten, dass ein Theil der Bogen- fasern zum Lobus trigemini gelangt, ohne durch Zellen der Gruppe Pz unterbrochen zu sein. Das ist besonders leicht in denjenigen Querschnittsebenen zu beobachten, in welchen die betreffenden Zellen sparsamer vorhanden sind. In der Gegend der Austrittsstelle der dorsalen Wurzel wenden sich die Fasern der peripherischen Schicht lateral und bilden die Wurzel 7 J7d. Proximal von der Austrittsstelle setzt sich der Lobus eine Strecke weit fort, indem er seine Struktur behält. Seine peripherische Schicht liefert die proxi- malen Fasern der dorsalen Wurzel des Trigeminus II. Die dickfaserige ventrale Wurzel des Trigeminus I (7 IZv) entspringt vom dorsolateralen Strang und wird durch ein abstei- gendes und aufsteigendes System dieses Stranges gebildet. Das ab- steigende System kommt aus dem Cerebellum. Der Ursprung des aufsteigenden ist von mir nicht ermittelt worden. Die beiden Systeme wenden sich lateral und treten etwas proximal und dorsal vom Facialis aus. Ein kleines Faserkontingent bekommt die Wurzel aus der Zellgruppe, welche auch einen Theil der Acusticusfasern liefert (Az). Das absteigende System der ventralen Wurzel des Trigeminus II, welches durch seinen histologischen Charakter von den umgebenden Fasern des dorsolateralen Stranges nicht zu unterscheiden ist, ent- spricht vielleicht der aufsteigenden Quintuswurzel der Knochenfische. Dieses letztere System ist aber der eingehenden Beschreibung MAYser’s gemäß scharf von den umgebenden Bahnen zu unterscheiden (55 pag. 291). Eben so scharf histologisch ist dasselbe System der Selachier nach den Angaben von Romon (40 pag. 47) charakterisirt. Den centralen Ursprung des N. abducens konnte ich am Ster- let nicht ermitteln. Der Nerv ist äußerst fein und seine Fasern Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 513 laufen eine Strecke weit in aufsteigender Richtung, ehe sie aus- treten. Für Cyprinoiden kann ich die Angaben von MAyser (55 pag. 308) und SanpERS (56 pag. 765) bestätigen. Der Nerv entspringt aus zwei Kernen. Die feinfaserige dorsale Wurzel des Trigeminus I (Fig. 52 7T/d) bekommt ihre Fasern aus einem aufsteigenden und absteigenden System. Wie bei den vorigen Nerven konnte ich den Ursprung des aufsteigenden Systems nicht ermitteln. Ein Theil der Fasern des absteigenden Systems läuft eine Strecke weit proximal, wendet sich fast senkrecht dorsalwärts zu dem seitlichen Theile des Cerebellum, wo er bald verschwindet. Ein anderer Theil ist bis zum Mittelhirne zu verfolgen, wo er etwa in den mittleren Querschnittsebenen des Tectum opticum dorsalwärts sich wendet und an der Basis des Tectum verschwindet. An der Stelle, wo diese Fasern nicht mehr zu verfolgen sind, finde ich keine besondere Zellenansammlung, in welcher sie endigen könnten. Diese absteigende Trigeminusbahn ent- sprieht wahrscheinlich der von Mayser beschriebenen (55 pag. 306) absteigenden Quintuswurzel. Bei Gobio und Tinca fand ich diese Bahn nicht, was ich der nicht gelungenen Orientirung meiner Serien zuschreibe. Ein anderer Faserantheil der dorsalen Wurzel des Trigeminus I wird durch die medialen Bogenfasern geliefert, welche sich an der Austrittsstelle des Nerven demselben zugesellen. Ein sehr minimales Faserkontingent liefern einige Nervenzellen, welche unmittelbar ventral von den Faserbahnen der dorsalen Wurzel liegen. Die dickfaserige ventrale Wurzel des Trigeminus I (7T/v) wird von Fasern der hinteren Längsbündel gebildet. In proximalen Quer- schnittsebenen der Austrittsstelle des Trigeminus II findet man, dass ein Theil der ventrolateralen Fasern des Bündels sich lateralwärts wendet. Diese Fasern umkreisen die graue Substanz des Vorder- hornes dieser Gegend und bilden ein System in einige Bündel grup- pirter Längsfasern. Diese Bündel verlaufen durch die Gruppe der Zwischenzellen dieser Gegend. Auf Horizontalserien beobachtete ich, dass ein Theil der Zellenfortsätze sich zu den betreffenden Bündeln gesellt. An der Austrittsstelle des Nerven legen sich die Bündel enger an einander, wenden sich lateral und treten als dickfaserige ventrale Wurzel des Trigeminus I aus (Taf. XX Fig. 52, Taf. XXI Fig 66 TId, TIv). An der Umbiegungsstelle kann man sehen, wie einige Zwischenzellen dieser Gegend (Zz) Fortsätze in der Rich- tung der austretenden Fasern absenden. Morpholog. Jahrbuch. 13. 33 514 N. Goronowitsch, Das Gehirn und die Cranialnerven von A. ruthenus. Nach der Absendung meiner Arbeit erschien eine Schrift von N. SOGRAFF »Materialien zur Kenntnis der Organisation des Sterlet« (russisch), worin Eini- ges über das Gehirn der Ganoiden hinzugefügt ist. Als neu zu notiren ist eine Beobachtung von KAWRAISKY, dass die Epiphyse eines sehr jungen Sterlet das Knorpeleranium durchbricht. Ich habe sehr junge Fische nicht untersucht; bei Fischen von etwa 30 em Länge fand ich konstant die Epiphyse, wie ich sie geschildert habe. Neu ist die Angabe des Verfassers, dass das Pallium der Ganoiden durch Riickbildung einer Markdecke entstand. Verfasser motivirt diese Ansicht aber folgendermaßen. Bei Scaphirhynchus reichen nach Verfasser die Basalganglien (Lobi hemisphaerici) weiter dorsalwärts als beim Sterlet; dabei ist aber kein Durchschnitt und auch keine nähere Beschreibung des Vorderhirnes von Scaphirhynchus gegeben. Ferner findet Verfasser, dass man - aus Fig. 112 und 113 der Arbeit von SALENSKY (27) schließen könne, dass bei Embryonen die Basalganglien weiter dorsalwärts reichen als beim ausgewach- senen Sterlet. Ich glaube, dass diese Gründe nichts beweisen. Im Übrigen ent- hält die Arbeit eine oberflächliche Beschreibung einiger bekannter Thatsachen, in welcher folgende Fehler zu notiren sind. Verfasser sagt (pag. 67), dass das Pallium durch seine ganze Länge einförmig sei und dass man keine so große Falte am Pallium des Sterlet finde, wie es RABL-RÜCKHARD für die Forelle angiebt. Vielleicht hat Verfasser nur unausgewachsene Fische untersucht und seine Resultate ohne Weiteres auf ausgewachsene ausgedehnt. In den meisten Figuren sind nämlich Präparate von unausgewachsenen Fischen dargestellt. Ver- fasser bestätigt und eitirt wörtlich die oben erwähnte Beschreibung des Mittel- hirnes vom Sterlet nach SALENSKY, ohne die unrichtige Anwendung der Be- zeichnungen Torus longitudinalis und Tori semicirculares zu bemerken. Er zeichnet und beschreibt auf pag. 68, 69 meiner Ansicht nach proximale Stücke einiger abgerissener Epiphysen. Auf pag. 70 aber ist ein gelungenes Präparat beschrieben, auf welchem Verfasser die intakte Epiphyse mit dem Epiphysar- sack zur Anschauung bekam. Der Epiphysarsack ist aber dabei im Sinne von CATTIE aufgefasst — der Sack soll durch Gehirnhüllen gebildet sein. Wie Ver- fasser zu den alten Angaben von CATTIE zurückkommt, ist mir unbegreiflich — er scheint doch die Arbeit von RABL-RÜCKHARD, wo diese Angaben eine Korrektur erfahren, zu kennen. Die Gehirne (Fig. 97—99), welche ich nicht anders als Gehirne mit abgerissenen Epiphysen betrachten kann, und das Ge- hirn mit der intakten Epiphyse erwecken im Verfasser einige Gedanken über die Ursachen der Variationen dieses Organs bei verschiedenen Ganoiden. Diese Gedanken bin ich nicht im Stande zu verstehen. Die Oblongata ist gar nicht erwähnt. (Fortsetzung und Schluss mit Tafelerklärung folgt.) Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. Hin Beitrag zur Morphologie des Wirbelthierkopfes. Von N. Goronowitsch. Mit Tafel XXI—XXIII. (Fortsetzung und Schluss.) V. Allgemeines über Kopfnerven. Kritik einiger Ansichten über die Morphologie des Wirbelthierkopfes. Durch die Entdeckung BALFour’s, dass die primäre Leibeshöhle der Selachierembryonen in die Kopfregion ununterbrochen sich fort- setzt, ward eine neue gewichtige Thatsache für diejenigen morpho- logischen Lehren gewonnen, welche ein Kopfsegment mit einem Rumpfsegment zu vergleichen versuchten. MARSHALL’s Untersuchungen haben gezeigt, dass der dorsale Ab- schnitt der Kopfleibeshöhle eine selbständige, von den Kiemenspalten unabhängige Segmentirung erfährt. Die späteren Untersuchungen von VAN WIJHE gaben einen vollständigen Bericht über die Ent- wicklungsvorgänge der Mesodermsegmente des Kopfes. Diese Unter- suchungen zeigten, dass die dorsalen Abschnitte der ganzen primären Kopfleibeshöhle eine selbständige Segmentirung erfahren, welche vollkommen der Segmentirung des Rumpfmesoderms entspricht. Ich stimme vollkommen mit dem Verfasser dieser letzten Arbeit überein, dass keine seiner Angaben von Donurn widerlegt worden ist, und betrachte van WıumHe's Arbeit als Ausdruck unserer modernen Kennt- nisse der Vorgänge der Entwicklung der Kopfmesomeren. Morpholog. Jahrbuch. 13. 34 516 N. Goronowitsch Schon von vAN WIJHE wurden einige Einwände gegen BAL- rour’s Auffassungen erhoben und es wurde betont, dass die Meso- dermschläuche der Visceralbogen nicht als Theile, welche den Ur- wirbelmetameren entsprechen, angenommen werden können, und dass diesen letzteren nur die dorsal sich abgliedernden Abschnitte der so- genannten primären Kopfleibeshöhle entsprechen können. Aus dieser Ansicht ist der Schluss abzuleiten, dass die Muskulatur der Visceral- bogen sich nicht aus denjenigen Abschnitten des Mesoderms ent- wickelt, welche den Urwirbeln als homodynam zu betrachten sind, sondern aus denjenigen Abschnitten, welche im Rumpfe den Wan- dungen der sekundären Leibeshöhle entsprechen. AHLBORN (48) hat später unter Anderem in der That auch diese Auffassung zur Hilfe genommen, um die Metamerie des Kopfes der Wirbelthiere zu beur- theilen. Nach meiner Ansicht war BaLrour’s Auffassung, dass die Meso- dermschläuche der Visceralbogen den Urwirbeln entsprechen, die richtige. Die sekundäre Kopfleibeshöhle ist die Perikardialhöhle. Die Wände des Perikardium entsprechen den Wandungen der sekun- dären Leibeshöhle des Rumpfes. Für die nähere Motivirung dieser Ansicht muss ich an einige Betrachtungen GEGENBAUR’s über die Ver- bindungen der Visceralbogen mit dem Cranium bei Selachiern er- innern. GEGENBAUR kam zu dem Schluss, dass im primitiven Zustande alle Visceralbogen in der Region der Basis cranii artikulirten (6 pag. 536; 5, III pag. 252 u. a.). Er fand, dass die Dislokation der distalwärts vom Zungenbeinbogen liegenden Visceralbogen und ihre distale Verschiebung in die Region der Wirbelsäule ein erst sekundär entstandenes Verhältnis ist. Die Ursache der Verschiebung dieser Distalbogen liegt einerseits in der starken Volumvergrößerung des Mandibularbogens, andererseits in den komplieirten Verhältnissen der Kiemensäcke, welche bei ihrer allmählichen Entwicklung Platz er- forderten. Folgende Thatsachen weisen auf die primitive Zusammen- gehörigkeit der distalen Visceralbogen zum Cranium hin. Diese Bogen werden von Cranialnerven innervirt und außerdem kommen in em- bryonalen Zuständen mehr Visceralbogen in die Region des Cranium zu liegen als im ausgewachsenen Zustande. Die Richtigkeit dieser streng motivirten Auffassung GEGENBAUR’s zu bezweifeln, liegt gegen- wärtig kein Grund vor. Aus diesen Betrachtungen folgt, dass bei primitiven Selachier- formen der Mandibularbogen seine primitive Stellung in der Ebene Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 517 seines Kopfmetameres behalten hat, da dieser Bogen nicht distal- wärts verschoben ist. Auf Grund bekannter Betrachtungen kam GEGENBAUR zu dem Schluss, dass aus den beiden Artikulationsver- bindungen des Mandibularbogens mit dem Cranium bei Notidaniden es die Artikulation in der Gegend des Postorbitalfortsatzes ist, welche man als primäre betrachten muss (5, III pag. 52). Das Palatobasal- gelenk ist eine später entstandene Verbindung. Der Hyoidbogen musste auch distalwärts sich verschieben. Diese Verschiebung war jedoch kaum eine starke, denn der Kiemenspalt zwischen Mandibu- lar- und Hyoidbogen ist stark redueirt. Der Nerv, welcher die Bogen dieses Spaltes innervirt, der Facialis, verläuft bei Hexanchus sehr wenig in distaler Richtung in Vergleichung mit dem Glosso- pharyngeus und Vagus, welche die stark verschobenen distalen Vis- ceralbogen innerviren. Auf Grund dieser Betrachtungen ist anzunehmen, dass der Man- dibularbogen, zum Theil auch der Hyoidbogen, in anderen Verhält- nissen als die distalwärts liegenden Bogen bei ihrer ontogenetischen Entwicklung stehen müssen. Der erste Visceralbogen hat seine pri- mitive Stelle in der Ebene seines Kopfmetameres behalten, die distal- wärts liegenden Bogen waren während der Phylogenese distalwärts verschoben, änderten also ihre Lage in Bezug auf die ihnen ent- sprechenden Kopfmetameren. Es folgt daraus, dass wir in der Ent- wicklung des Mandibularbogens, zum Theil auch in der des Hyoid- bogens, das Prototyp der primitiven Entwicklungsvorgänge, was die Lage der Bogen zu den Metameren des Cranium vetrifft, suchen müssen. Die Entwieklung der distalwärts liegenden Bogen muss mehr oder weniger ausgesprochene Abweichungen in dieser Beziehung zeigen, und die Abweichungen werden desto kleiner, je schärfer in der Ontogenie der jetzt lebenden Formen die alten phyletischen Zu- stände, bei welchen die distalen Bogen mit dem Cranium artikulirten, sich erhalten haben. Ich habe oben bemerkt, dass dieser primitive Zustand sich zum Theil in der Ontogenie erhalten hat. GEGENBAUR (5 pag. 252 u. Taf. XVI Fig. 1, 4) beschreibt und zeichnet einen Embryo von Acanthias vulgaris, bei welchem außer dem Spritzloche noch die erste und zweite Kiemenspalte zur Region des Cranium ge- hören. Die dritte Kiemenspalte liegt nach dem Verfasser an der Grenze zwischen Cranium und Wirbelsäule. Es sind also in der Ontogenie die Spuren des primitiven phyletischen Verhaltens der Visceraibogen zum Cranium noch erhalten geblieben. Dies begrün- det einerseits obige Auffassung, andererseits aber sind wir gezwun- 34* 518 N. Goronowitsch gen, in der Entwicklung des Mandibularbogens, zum Theile auch des Hyoidbogens, die charakteristischen Ziige der Entwicklungsyor- gänge derjenigen Bogen zu suchen, welche im primitiven, nicht dis- loeirten Zustande zum Cranium stehen. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen gehe ich zur Beurtheilung der von van WIJHE über die Entwicklung der Mesodermsegmente des Selachierkopfes gewon- nenen Resultate über (30). Das Kopfmesoderm der Embryonen von Scyllium catulus theilt sich in der Entwicklungsperiode zwischen den Stadien H und J in neun Somite. Alle Somite, außer dem proximalsten, schließen eine Höhle ein. Vorübergehend möchte ich bemerken, dass die Angabe des Verfassers, der Selachierembryo erlebe im Stadium J ein Acra- nienstadium, mir unverständlich geblieben ist (pag. 3). Ich finde, dass im Stadium D, sogar C, also bei noch offenem Zustande der Medullarplatte, der Selachierembryo durch seine Kopfplatte als wirk- licher Craniote sich charakterisirt. Durch genaue Untersuchung hat Verfasser festgestellt, dass alle neun Somite der Kopfregion angehören. Aus Taf. I Fig. 1 (30) ist ersichtlich, dass der Embryo eine stark ausgesprochene Kopfkrüm- mung aufweist. Die dorsale Grenzlinie der Somite folgt genau der Krümmung des Gehirnrohres und vom vierten an sind die Somite ventralwärts abgebogen. Die proximale Grenzlinie des ersten Somits liegt in der Querschnittsebene des Gehirnrohres, welche durch die Anlage der Epiphyse geht; man könnte sogar annehmen, dass die Grenze der Somite distalwärts von der Epiphysenanlage liege. Dar- aus ziehe ich den Schluss, dass die proximale Grenze der Kopf- somite von Scyllium nicht weiter als die proximale Grenze des Mittel- hirnes reicht, denn die Lage der Epiphyse giebt die proximale Grenze des Mittelhirnes an. Wegen der Krümmung des Gehirnrohres des Selachierembryo, welches van Wume abbildet, trifft die Quer- schnittsebene die Anlage der Epiphyse und den ventralen Rand der zweiten Kiemenspalte (A). Es werden also alle neun Kopfsomite in der Gegend des chordalen Abschnittes des Cranium angelegt (vgl. oben Kap. II). Aus dieser Thatsache ist die große Überein- stimmung in der Zahl der ontogenetisch nachgewiesenen Kopfsomite des chordalen Abschnittes des Schädels mit dem Minimum der So- mitenzahl, welche die vergleichende Anatomie festgestellt hat, nicht zu verkennen. Das weist erstens auf die Zuverlässigkeit der bei der Lösung der Frage auf anatomischem Wege angewandten Methode, zweitens ist daraus der Schluss zu ziehen, dass die ontogenetische Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 519 Methode auf solche Formen wie Scyllium die Frage über die Zahl der Somite nicht weiter fördern kann, als es auf anatomischem Wege geschah. Wenn die anatomische Untersuchung für die Lösung dieser Frage die primitivsten Selachierformen, die Notidaniden, in Angriff nahm, und die Embryonen höherer Selachier die Frage nicht weiter fördern als die ausgewachsenen Notidaniden, so sind nur aus der Untersuchung der Notidanidenembryonen nähere Angaben über die Zahl der Kopfsomite abzuwarten, wenn überhaupt eine definitive Lösung dieser Frage erwartet werden kann. Es fand also van WisHE im Selachierkopfe neun Mesodermso- mite und diese Somite gehören zum chordalen Abschnitte des Schädels. Verfasser giebt folgende Gründe seiner Auffassung an, dass diese Kopfsomite mit den Rumpfsomiten gleich zu stellen sind: 1) »Dass die Länge der Somite (die Dimension parallel der Längsachse des Körpers) sich im ganzen Körper gleich verhält. Diese Länge nimmt vom Schwanze, wo die Somite am kürzesten sind, allmählich zu, so dass das zweite Kopfsomit länger ist als eines der folgenden.« Das erste Somit (das proximalste) ist kürzer. Das ist gewiss ein be- merkenswerthes Verhalten, welches uns zeigt, dass. die Kopfsomite in diesem frühen Stadium eine verhältnismäßig gleiche Längenent- wicklung haben mit den Rumpfsomiten. Die Vergleichung bei- der Somitengruppen konnte etwas beeinträchtigt werden in dem Falle, wenn die Somite keine regelmäßige Längenabnahme gezeigt hätten. (Das Fragezeichen, mit welchem DoHrn das oben gegebene Citat von van WIJHE bezeichnete, ist mir also unverständlich ge- blieben.) 2) »Die dorsale Grenze der Rumpfsomite setzt sich un- unterbrochen in die dorsale Grenze der Kopfsomite fort.« 3) »Dass die untere Grenze der Somite, sowohl im Kopfe als im Rumpfe, nur wenig unter der oberen Grenze des Darmes liegt.« Diesen letzten Satz halte ich für unrichtig. Der Grund des Fehlers liegt darin, dass der Verfasser nur die Verhältnisse der Somite 4—6 in Betracht nimmt und die Verhältnisse der Somite 2 und 3 gar nicht berück- sichtigt. Das Somit 2 ist das Somit des Mandibularbogens. Ich habe erörtert, dass wir annehmen müssen, dass der Mandi- bularbogen, zum Theil auch der Zungenbeinbogen, in primitiveren Lageverhältnissen zum Cranium stehen, als die distalwärts liegen- den Bogen. In Bezug auf den Mandibularbogen habe ich oben ge- sagt, dass er in der Ebene seines Kopfmetamers liegt. Alle anderen Bogen sind distalwärts verschoben. Daraus zog ich den Schluss, dass die Entwicklung des Mandibularbogens, zum Theil auch des 520 N. Goronowitsch Hyoidbogens, da dieser letzte wenig verschoben ist, in Bezug auf Lageverhältnisse zum Cranium am primitivsten verlaufen muss. Folg- lich können nur die Entwicklungsvorgiinge des Mandibularbogens zu allgemeinen morphologischen Schlüssen über die Lagebeziehungen des Bogens und des Kiemenspaltes zum Cranialmetamer maßge- bend sein. Der Trennungsspalt des Mandibularsomits von dem distalwärts liegenden Zungenbeinbogensomit reicht bis zum ventralen Rande der Spritzlochspalte. Der dorsale Abschnitt des zweiten (Mandibular-) sowie des dritten (Zungenbeinbogen-) Somits bilden ein einheitliches Ganze mit den ventralen Abschnitten der Somite, welche den Spritz- lochspalt umgeben. Es folgt daraus, dass in diesen Somiten, welche in primitiven Lageverhältnissen zum Cranium stehen, wir nicht bloß den dorsalen Mesodermabschnitt, wie es van WHE thut, als Somit auffassen müssen, sondern das ganze Mesomer bis zu der Stelle, wo ventral von den Kiemenspalten alle Mesomere mit einander in Verbindung stehen. Der Visceralbogen (Mandibularbogen) ist also ein Theil des Somits oder des Urwirbels des Schiidels. Die Musku- latur des Visceralbogens entwickelt sich also aus vollkommen homo- dynamen Theilen mit den Rumpfmesomeren, aus welchen sich die Muskulatur der Rippen, des Schultergürtels ete. entwiekelt. Ich finde kaum nöthig, zu bemerken, dass ich mit diesem letzten Satze eine vollständige Homodynamie zwischen Rippe und Visceralbogen nicht begründen will. Über diese letzte Frage theile ich GEGENBAUR’s Meinung (5, III pag. 256; 7 pag. 326). Da die Lage der Spritz- lochspalte in die Abgrenzungslinie der Metamere 2 und 3 fällt, so folgt daraus, dass die Branchiomerie mit der Mesomerie bei denjeni- gen Kopfsomiten, welche in primitiven Lageverhältnissen zum Cranium stehen, zusammenfällt. Ontogenetisch bildet sich die Kiemenspalte an der Grenze zwischen zwei Somiten. Höchst wahrscheinlich haben auch phylogenetisch die Kiemenspalten dieselbe Lage an der Grenze zwischen zwei Metameren. In Marswauu’s Arbeit (36 pag. 75) ist eine strikte Angabe in Bezug auf die Zeit des Entstehens und die Richtung der Abgrenzun- gen der dorsalen Abschnitte der proximalen Kopfmetamere enthalten. Verfasser sagt, dass im Anfange des Stadiums J die dorsalen Ab- schnitte der drei vordersten Kopfhöhlen in direkter Verbindung mit einander sind. Die ventralen Abschnitte sind durch die Kiemen- spalte von einander getrennt. Zwischen den Stadien J und X grenzen sich die dorsalen Abschnitte der Somite von einander ab, und diese Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 521 Abgrenzungen verlaufen dorsal in der Fortsetzung der Richtung der Kiemenspalten. Auch aus diesen Angaben ist ersichtlich, dass in den vordersten Kopfsomiten die Mesomerie mit der Branchiomerie zusammenfällt. Da van WinHE die ventrale Grenze der Kopfsomite als von der dorsalen Grenze der Kopfdarmhöhle etwas ventralwärts verlaufend annahm, so musste er in Bezug auf die dorsale Grenze der eigent- lichen sekundären Kopfleibeshöhle zu falschen Schlüssen gelangen. Die Höhlen der Muskelsäcke nahm der Verfasser für einen Theil der Kopfleibeshöhle an. Auf pag. 4 sagt er: »Das Perikardium gehört sicherlich bei Embryonen und wahrscheinlich auch beim erwachsenen Thier, wenigstens theilweise zum Kopfe«. Und weiter auf pag. 7 ist gesagt: »Die ventrale Leibeshöhle wird in dieser Periode im Kopfe nur durch die unpaare Perikardialhöhle und die paarige Kiefer- höhle repräsentirt. Beiderlei Räume kommunieiren nur potentiell, da die Wände der nach vorn in zwei Zipfel ausgezogenen Perikar- dialhöhle sich zwar in diejenigen der Kieferhöhle fortsetzen, unter der ersten Kiementasche einander aber beriihren.« Auf Grund der soeben dargestellten Betrachtungen ist das Perikardium nicht bloß als »ventrale Leibeshöhle« des Kopfes, sondern überhaupt als die ganze Kopfleibeshöhle aufzufassen. In frühen Entwicklungsstadien reicht die transversale Abgrenzung der Kopfmetamere, welche in primitiven Zuständen zur Basis cranii stehen, bis zu der unsegmen- tirten Höhle des Perikardialsackes. Die Höhlen der Myomere aller distalwärts liegenden Kiemenbogen stehen auch eine Zeit lang in direkter Verbindung mit der Perikardialhéhle. Die unsegmentirten Wände dieser Höhle sind nach Struktur sowie nach allen übrigen Verhältnissen mit der Abdominalleibeshöhle gleich zu stellen. Seitdem Monro bei Rochen, MECKEL bei manchen Selachiern, BAER bei Knorpelganoiden, J. MÜLLER bei Myxinoiden eine direkte Verbindung der Perikardialhöhle mit der Rumpfleibeshöhle nachge- wiesen haben, ist kein Grund, zu bezweifeln, dass das Perikardium und die Rumpfleibeshöhle Theile eines Ganzen bilden. Das abweichende Verhalten der Kopfleibeshöhle (Perikardium) von der Rumpfleibeshöhle wird nur auf Volumverhältnisse zurückgeführt. Dieser letzte Unterschied ist unwesentlich und seine Ursachen sind verständlich. Die Rumpf- leibeshöhle umgiebt den Abdominaldarmtractus mit seinen massiven Anhangsdrüsen und schließt die Genitaldrüsen ein, welche ihr Volumen während der Brunstzeit ändern; Alles das bedingt die kolossale Ent- faltung der Rumpfleibeshöhle im Vergleiche mit der Kopfleibeshöble. 522 N. Goronowitsch Alles das musste Donrn in Betracht ziehen, ehe er die unrich- tige These aufstellte: dass »die allgemeinen morphologischen Ver- hältnisse am Kopfe durch den völligen Ausfall der Urwirbel und ihrer Derivate gegenüber dem Rumpfe eine gründliche Verschieden- heit erlangt haben« (Studie X pag. 470). Oder (pag. 464): »der Kopf der Wirbelthiere repräsentirt vorwiegend ventrale Theile seiner ursprünglichen Zusammensetzung, nur das Gehirn (?!) und Rücken- mark ist vom Rückentheile übrig geblieben«. Auf Stadium J, welches von vAN WIJHE auf pag. 7 charakteri- sirt ist, zerfallen die Kopfsomite in Myotome und Sclerotome. Die Metamerie der letzteren schwindet im Kopfe sowie in der Wirbelsäule. Ehe ich zur Beurtheilung der Entwicklungsvorgiinge distalwärts liegender Bogen komme, ist es nothwendig, mit der Entwicklung des zweiten Somites abzuschließen, d. h. mit der Entwicklung seines Myotomes, denn es sind eigentlich nur die Verhältnisse der Myo- tome, welche zu Kontroversen Veranlassung geben. Im Stadium J bildet der Muskelsack des Mandibularbogens mit seinem dorsalen Ab- schnitte ein einheitliches Ganze. Die Höhle des dorsalen Abschnittes kommunieirt unmittelbar mit der Höhle des ventralen. Das Ganze ist also als ein Myomer aufzufassen. Ventral steht das Myomer mit der vorderen Wand des Perikardium durch einen kompakten Zellen- strang in Verbindung. Während der Stadien X und Z, bis zu der Zeit also, wo Muskelzellen im Myotome erscheinen, bleibt das Man- dibularmyotom ungetrennt und ist folglich ein einheitliches Gebilde, welches einem Rumpfmyotom als homodynam zu betrachten ist. Die interessanten Vorgänge der Entwicklung des M. obliquus superior ge- hören nicht zu meiner Aufgabe, denn dieser Vorgang ist als sekun- därer und späterer Vorgang von Muskulaturentwicklung aus einem Myomer aufzufassen. Aus der Betrachtung der Entwicklung des Mandibularsomits und Myotoms ist also der Schluss zu ziehen, dass das ganze Somit und das ganze Myotom des Mandibularbogens als homodynam einem Somit und Myotome des Rumpfes aufzufassen ist und dass für diesen Somit, welcher im primitiven Lageverhältnisse zur Basis (eranii sich befindet, die Branchiomerie mit der Mesomerie zusammenfällt. Ich gehe nun zur Besprechung der Entwicklungsvorgänge der- jenigen Metamere über, deren Visceralbogen ihre Lage in den Ebe- nen der entsprechenden Cranialmetamere nicht behalten haben. Eine während der Phylogenie entstandene distale Verschiebung der Visceralbogen kann ontogenetisch nur durch eine Trennung der Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 523 ventralen, den Visceralbogen angehörenden Abschnitte der Somite, von den dorsalen, dem Cranium angehörenden Abschnitten, ausge- drückt werden. Der dorsale, dem Cranium angehörende Abschnitt muss seine Lage an der entsprechenden Stelle des Gehirnrohres be- halten, um die Cranialwände zu bilden. Der ventrale Abschnitt des Metamers, welcher das Skelet und die Muskulatur des verschobenen Visceralbogen liefert, wird distalwärts wandern. Wenn die Ver- schiebung des Bogens während der Phylogenie bedeutend war, muss eine Kontinuitätslösung zwischen den ventralen und dorsalen Ab- schnitten der Metamere in den frühesten Stadien entstehen. Bei schwach verschobenen Bogen werden wir vielleicht in frühen Stadien den Process der Kontinuitätslösung noch beobachten können. Alles hängt davon ab, in wie weit die Ontogenie der Visceralbogen kon- servativ sich verhält. Bei stark verschobenen Bogen ist die ganze Rekapitulation des phylogenetischen Processes kaum zu erwarten. Aus den früheren Betrachtungen ergab sich, dass die Verschiebung des Hyoidbogens keine große sein konnte. Es ist also a priori zu vermuthen, dass die Ontogenie seines Metamers keine große Ab- weichung von dem normalen Entwicklungstypus des Mandibular- bogens zeigen wird. Dieser Vermuthung entspricht in der That die ‚Entwicklung des Hyoidbogenmetamers. Im Stadium J steht das dorsale Stück des dritten Somits mit der Zellmasse des Hyoidbogens in Verbindung. Mit dieser letzteren verbindet sich auch das distalwärts liegende vierte Dorsalstück. In diesem Stadium sind also die Somite 3 und 4 nicht vollständig von einander getrennt, wie es aus Fig. 1 und 2 van WiJHE's ersichtlich ist. Das fünfte Dorsalstück verbindet sich mit dem Mesoderm des dritten Visceralbogens; es scheint also, als ob dem Hyoidbogen zwei Somite im Sinne van WIHE's (oder nach meiner Auffassung zwei Dorsalstücke), das dritte und vierte, angehören. Allein die weiteren Entwicklungsvorgänge zeigen, dass es sich in der That anders ver- hält. Im Stadium J zerfallen die Somite in Sclerotome und Myotome. Die Verhältnisse des dritten Myotoms (Dorsalstück des Myotoms nach meiner Auffassung) sind von van WıJHE folgendermaßen beschrieben (pag. 9): »Die Wände des dritten Myotoms setzen sich nicht mehr in das Epithel, welches die Höhle des Hyoidbogens umschließt, fort«. Und weiter: » Bei einigen Embryonen aus dem Anfange dieses. Sta- diums scheinen beide Höhlen noch durch einen soliden Strang von zweifelhaftem Gewebe verbunden«. MArsHaLL fand eine direkte Verbindung des dritten Myotoms mit der Höhle des Muskelsackes des 4 524 N. Goronowitsch Hyoidbogens. VAN WiJHE fand keine direkte Verbindung der Höhlen, bemerkt aber Folgendes: »Weil aber in dem vorhergehenden Stadium die Wände des dritten Somits mit dem Mesodermepithel im Hyoid- bogen, welcher jetzt die Hyoidhöhle umschließt, zusammenhängt, muss ich eine potentielle Kommunikation zugeben«. Aus diesen An- gaben ist der Schluss zu ziehen, dass der dorsale und ventrale Ab- schnitt des Hyoidbogenmetamers nicht während der ganzen Entwick- lungszeit ein einheitliches Ganze, wie das Mandibularmetamer bil- det. Die beiden Abschnitte trennen sich in einem gewissen Stadium von einander. Es ist aber eine Verbindung in frühen Stadien sicher zu konstatiren. Wenn man in Betracht zieht, dass der Hyoidbogen, obgleich weniger als die distalen Bogen, aber doch verschoben ist, so ist die Trennung beider Abschnitte vollkommen verständlich. Sie berechtigt uns durchaus nicht, das dorsale proximal gebliebene Stück (drittes Myotom van WisHE’s) und das ventrale distalwärts wandernde Stück als zwei verschiedene Gebilde zu betrachten. Beide Theile gehören ursprünglich einem Myotom an, welches einem Rumpfmyotom homodynam ist. Der dorsale Abschnitt des dritten Myotoms, sowie der des zwei- ten, bildet einen Augenmuskel. Ventral kommunieirt die Höhle des Hyoidbogenmyotoms mit der Kopfleibeshöhle d. h. Perikardialhöhle. Weiter sagt van WIJHE pag. 12: »Die erste Kiementasche liegt im Stadium J nur mit ihrem vorderen Theil unter dem hinteren Theile des zweiten Somits; vor ihr befindet sich die Kieferhöhle; sie scheint mir ungezwungen in das Schema zu passen, nur muss man anneh- men, dass sie ein wenig nach hinten gerückt ist, da sie größten- theils unter dem dritten Somit liegt. Letzteres ist ohne zugehörige Kiementasche«. Auf Grund des oben Gesagten kann ein Kiemenspalt nicht als dem Somit angehörend betrachtet werden. Er ist eine Bildung, welche auf der Grenze zwischen zwei Somiten entsteht. MARSHALL fand ja, dass die Abgrenzung der Somite entsprechend den dorsalen Verlängerungslinien der Kiemenspalten stattfindet. Dasselbe ist auf den Zeichnungen von vAN WuHE für den ersten Kiemenspalt zu konstatiren. Dieser letztere ist, wie ich nochmals wiederhole, proximal von einem Somit begrenzt, dessen ventraler Abschnitt in primitiven Lageverhältnissen zum Cranialmetamer steht. Distal ist er von einem Somit begrenzt, dessen ventraler Abschnitt etwas, aber nicht so stark wie die distalen Somite der funktionirenden Kiemenspalten verscho- ben ist. Da der Kiemenspalt auf die Grenze zwischen zwei Somite Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 595 fällt, so ist auch keine Veranlassung, für den dritten Somit einen Kiemenspalt zu suchen. Das dritte Somit begrenzt distalwärts den Spritzlochspalt. Der Fehler vazy Wisue’s liegt in der künstlichen Trennung der dorsalen Abschnitte der Somite 2 und 3 und in der Deutung dieser dorsalen Abschnitte als vollständiger Somite. Für das zweite Somit ist diese Trennung sogar eine vollkommen willkürliche, denn sie findet während der ganzen Entwicklung nicht statt. Für das dritte Somit ist die Annahme einer Trennung ebenfalls unberechtigt, denn die Verbindung des dritten Myotoms mit dem Muskelschlauch des Hyoidbogens besteht unzweifelhaft in frühen Stadien. Diese Verbin- dung wird erst nachträglich gelöst. In den distalen Visceralbogen ist eine Verbindung der dorsalen und ventralen Abschnitte der Myotome von vAN WıwHE nicht beob- achtet worden. Verfasser sagt Folgendes auf pag. 11: »Die Höhle des vierten, fünften und sechsten Visceralbogens kann also nie mit derjenigen eines Somits (oder eines Myotoms) in Verbindung stehen, denn jede dieser Höhlen ist ein abgeschnürtes Stück der sekundären, und nicht wie diejenige des Kiefer-, Hyoid- und ersten Kiemen- bogens, der primären Leibeshöhle.« Diese Erscheinung ist vollkom- men verständlich: der vierte, fünfte und sechste Visceralbogen ist in der Phylogenie von der ursprünglichen Stelle seiner Artikulation mit dem Cranium distalwärts stark verschoben. Eine vollständige Rekapitu- lation des ganzen phylogenetischen Processes ist freilich in der Onto- genie nicht zu erwarten. Mir erscheint es überhaupt‘ weit verständ- licher, wenn der Gang der ontogenetischen Entwicklung einen direk- teren Weg zum definitiven Organisationszustand einschlägt, als wenn er eine längere Reihe der phyletischen Zwischenzustände durchläuft. Es ist jedoch für diese verschobenen Bogen, wie es auch für den Hyoidbogen der Fall war, der primitive Zustand in der Ontogenie angegeben. Für die distalwärts liegenden Bogen ist eine Wanderung während der Ontogenie dadurch nachzuweisen, dass in frühen Stadien mehr Visceralbogen in die Region des Kopfes fallen als in den spä- teren Stadien. Der Mandibularbogen, zum Theil auch der Hyoidbogen, steht in primitiven Verhältnissen zu den entsprechenden Cranialmetameren, und ihre Verhältnisse können daher für die betreffende Frage allein maßgebend sein. Das Metamer des Mandibularbogens, welcher in Bezug auf seine Lage zum Cranium sich primitiv verhält, zeigt uns aber ein Beispiel der Abweichung und abgekürzten Entwicklung in 526 N. Goronowitsch anderen Beziehungen. Es ist kaum ein Zweifel möglich, dass der Mandibularbogen ein Kiemenbogen war; wenn dem so ist, so ist es wahrscheinlich, dass dieser Bogen phylogenetisch einst einen ähn- lichen Entwicklungszustand hatte, wie die distalen Bogen. Allein ontogenetisch erscheint dieser Bogen, von den ersten Stadien der Entwicklung an, gegenüber den anderen Bogen in hypertrophischer Anlage. Es ist ein Beispiel der abgekürzten Entwicklung, durch welche die Zeit der Entwicklung mittels einer hypertrophischen An- lage verkürzt wird. Auf Grund dieser Erscheinung werden wir je- doch die Homodynamie des Mandibularbogens mit den distalwärts liegenden Bogen nicht in Abrede stellen können. Wir haben oben die starke Volumentwicklung des Mandibu- larbogens als eine der Ursachen .der distalen Verschiebung der übrigen Visceralbogen angesehen. Von den frühesten Stadien der embryonalen Entwicklung an ist also eine der Ursachen der Dis- lokation der distalwärts liegenden Bogen gegeben. Wir können daher nicht erwarten, dass die ventralen und dorsalen Abschnitte der dista- len Metamere ihre gegenseitige Lage zu einander behalten können. Hier mag an eine Äußerung GEGENBAUR’s erinnert werden. Auf pag. 329 (7) ist Folgendes zu lesen. »Wenn die vergleichende Ent- wicklungsgeschichte der Craniota nicht gestattet, die Folgerungen zu ziehen, welche ich aus dem Baue des Selachierkopfes ziehen musste, so liegt der Grund einfach darin, dass mit der individuellen Entwicklung des Kopfes alle jene Faktoren in Thätigkeit treten, welche auch phylogenetisch umgestaltend wirkten, so dass, je weiter ein Zustand phylogenetisch zurückliegt, er um so weniger ontogene- tisch repräsentirt erwartet werden darf.« Ein Blick auf BaLrour’s Stadien von B bis N zeigt selbst mit Interpolation des Stadiums J von van WIJHE zwischen die Stadien T und X doch die Stadien der Reihe durch ziemlich große Lücken von einander getrennt. Man kann daraus schließen, dass bei einer reicheren Stadienauswahl und unter Anwendung des ausgezeichneten Modellirungsverfahrens von Born oder der Kombinationszeichnungen nach FRORIEP man vielleicht hoffen kann, einige Phasen der distalen Wanderung der hinteren Kiemenbogen noch näher zu demonstriren. In primitiven Verhältnissen wird die Branchiomerie mit der Meso- merie zusammenfallen und die Reihenfolge der Dorsalstücke (Somite im Sinne van WIJHE’s),. vom zweiten an, der Reihenfolge der Visceral- bogen entsprechen. Die Reihenfolge der Abgrenzungen zwischen den Dorsalstücken entspricht der Reihenfolge der Kiemenspalten. Die Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 527 beobachtete Verbindung des dritten und vierten Dorsalstiickes mit dem Mesoderm des Hyoidbogens spricht nicht dagegen. Wie oben gesagt, zeigt das Myotom des Hyoidbogens in spiiten Stadien eine nachweisbare Verbindung mit dem dritten Dorsalstück. Was aber das vierte und fiinfte Myotom (Dorsalstiick) betrifft, so ist mir sehr unwahrscheinlich, dass diese Myotome jemals aus dem Zustande von dorsalen Somiten kommen. VAN WIHE sagt pag. 9: »Das vierte Myotom liegt, wie das vierte Somit des vorigen Stadiums, unter der Ohrblase und über der zweiten Kiementasche; es ist’ höchst rudi- mentär, seine Grenzen sind unbestimmt und fangen an, aus ihrem Verband sich zu lösen. Gegen das Ende dieser Periode verschwindet es gänzlich, während seine Stelle von embryonalem Bindegewebe eingenommen wird.« Mir scheint ein Myotom mit unbestimmten Grenzen ein höchst bedenkliches Ding zu sein. Es ist sehr wahr- scheinlich, dass die Myotome, welche diesen Somiten entsprechen müssen, ausschließlich in dem zweiten und dritten Visceralbogen (Ventralstücken) gebildet werden. Jedenfalls ist die Frage inter- essant, warum das Dorsalstück 6 ein unzweifelhaftes und lange be- stehendes Myotomstück bildet, die dorsalen Stücke 4 und 5 dagegen längere Zeit rudimentär bleiben. Wenn die oben erörterten Betrachtungen dem Leser überzeugend erscheinen, so ist es überflüssig, die Existenz einer nach van WIJHE während der Phylogenie verschwundenen Kiemenspalte, welche dem dritten Somit angehören sollte, zu diskutiren. Da der dritte Kiemen- spalt nicht einem Somit, sondern der Grenze zwischen zwei So- miten entsprechen soll, so gehört auf Grund dieses Satzes der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Metamer der Spritzloch- spalt an, der Grenze zwischen dem dritten und vierten der zweite Kiemenspalt an etc. Die anderen Gründe, welche van WIJHE für den Schwund eines Kiemenspaltes anführt, sind schon im Kapitel III besprochen. Was das erste Somit betrifft, so sagt van WIJHE auf pag. 12 Folgendes: »Es bleibt uns jetzt noch die Frage zu beantworten, ob auch unter dem hinteren Theil des ersten Somites eine Kiementasche angenommen werden kann?« Der Verfasser kommt zu dem Schlusse, dass die betreffende, dem ersten Somit angehörende Kiementasche, die Mundöffnung bildet und dass diese letztere also durch Verschmel- zung zweier seitlicher Kiemenspalten entstanden ist. Er diskutirt die gegen diese Ansicht erhobenen Einwände: 1) die unpaarige An- lage des Mundes; 2) die Bildung des Mundes durch eine Invagina- 528 N. Goronowitsch tion des Ektoderms. Ich stimme vollkommen mit dem Verfasser iiberein, dass diese Einwiinde gegen seine Ansicht keine gewichtigen sind, muss jedoch bemerken, dass diese, mit besonderer Vorliebe von Dourn kultivirte Meinung, zu den haltlosesten morphologi- schen Spekulationen gehört. Die Entstehung der Mundöffnung durch eine mediale Verbindung zweier Kiemenspalten lässt sich phylogene- tisch gar nicht mit genügender Einfachheit denken. Der Haupt- einwand besteht aber darin, dass die ganze Hypothese überflüssig ist. Der Visceralbogen, welcher dem ersten Somit angehören soll, ist bei manchen Selachiern sehr gut entwickelt; das ist eben der zweite Labialknorpelbogen. Es genügt eine solche Form wie Seym- nus zu betrachten, um den Labialknorpelbogen als einen echten Visceralbogen zu deuten. Wenn der Visceralbogen vorhanden ist, so war auch wahrscheinlich der entsprechende Kiemenspalt an der Grenze zwischen erstem und zweitem Metamer vorhanden, und lag während der phyletischen Entwicklung zwischen dem Labialknorpel und dem Mandibularbogen. Eine weitere Entwicklung der Ansichten von van WIJHE gab AHLBORN (48); er fasste den Satz von VAN WIJHE, dass die Myo- meren der Visceralbogen den Wänden der Leibeshöhle des Rumpfes homodynam sich verhalten, als richtig auf. Außerdem stellte er den neuen Satz auf, dass die Branchiomerie nicht mit der Mesomerie zusammenfällt. Er verbreiterte die Folgerungen dieses letzten Satzes auf die Morphologie der Cranialnerven. Auf pag. 324 stellt Ver- fasser die Frage auf: »In wie fern besitzen die Hirn- und Spinal- nerven eine segmentale Natur im Sinne der Theorie GEGENBAUR’S?« Auf Grund der angenommenen Verschiedenheit zwischen Branchio- und Mesomerie, sowie aus dem Grunde, dass er nur die Dorsalstücke der Somite nach van WiyHE als homodynam den Urwirbeln des Rumpfes betrachtet und die Visceralbogen für Gebilde der Kopf- leibeshöhle hält, kommt Verfasser zu dem folgenden Schlusse (pag. 327): »Im Ganzen genommen müssen wir daran festhalten, dass die Ner- ven der Medulla oblongata der eranioten Wirbelthiere im Allgemeinen einen segmentalen Charakter, wie die Spinalnerven, nicht besitzen. Zwar werden die Rudimente der Kopfsomite von diesen Nerven mit versorgt, aber in demselben Maße, wie die segmentale Mesomerie des Kopfes durch die von ihr unabhängige Branchiomerie, sowie durch die Entwicklung der drei höheren Sinnesorgane und des Schädels reducirt erscheint, finden wir an Stelle der segmentalen Neuromerie eine komplieirte dysmetamere Bildung, die nicht mehr Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 529 -~ in erster Linie die primäre Mesomerie wiederholt, sondern an eine Reihe anderer, vom Entoderm und Ektoderm abhängiger Bedingungen geknüpft ist.« Da ich die Grundthesen der Auffassung aus eben er- örterten Gründen für unhaltbar betrachte, so widerspreche ich auch in allen Punkten der Schlussfolgerung des Verfassers. Die Vergleichung zwischen Cranial- und Spinalnerven ist für primitive Formen vollkommen berechtigt. Der Metamerie der Cranial- nerven entspricht vollkommen die Metamerie der Spinalnerven. Die Innervationsterritorien der Cranialnerven (Visceralbogen) entsprechen vollkommen den Innervationsterritorien der Spinalnerven (Metameren des Rumpfes). Meine Untersuchungen über die drei ventralen Wurzeln, welche bei Acipenser zwischen N. spinalis I und Vagus entspringen, haben gezeigt, dass nur der proximalste dieser Nerven in den Querschnitts- ebenen des Vagusaustrittes entspringt. Die zwei distalwärts liegen- den Nerven kommen nicht in das Austrittsgebiet des N. vagus zu liegen. In proximaler Richtung werden diese Nerven schwächer. Bekanntlich variirt die Zahl der betreffenden Nerven bei verschiede- nen Selachiern. Srtannıus (3 pag. 83) fand bei Spinax und Car- charias zwei solcher Nerven, GEGENBAUR drei bis vier bei Hexan- chus, BaLrour fand bei Seyllium bloß einen (33 pag. 196). Da diese Nerven bei Acipenser nur aus den medialen Fasern der ven- tralen Wurzeln bestehen, und da die ventrale Wurzel des N. spina- lis I eine verminderte Anzahl lateraler Fasern erhält und die dorsale Wurzel sowie das Ganglion rudimentär.sind, so gelange ich zu dem Schlusse, dass zwischen den betreffenden Nerven und dem N. spina- lis II ein deutlich ausgesprochener Übergangszustand in die Ver- hältnisse des N. spinalis I zu erkennen ist. Die betreffenden drei Nerven können nicht als ventrale Wurzeln des Vagus, wie GEGEN- BAUR früher meinte, aufgefasst werden, weil der Vagus aus den vorderen Hörnern Fasern bekommt, welche seine eigentliche ventrale Wurzel darstellen. Mir scheint die Ansicht BAaLFour’s (33 pag. 205), dass die betreffenden drei Nerven zu den Spinalnerven und nicht zum Vagus zu rechnen seien, das Richtige zu treffen. Diese Spinal- nerven haben ihre dorsalen Wurzeln, sowie den lateralen Kompo- nenten der ventralen eingebüßt. Unter den von BaLrour für seine Ansicht angegebenen Gründen ist jedoch ein Grund unrichtig, jener nämlich, dass bei Cranialnerven keine ventralen Wurzeln vorhanden sein könnten. Die proximalen Spinalnerven verlieren also ihre dorsalen Wur- 530 N. Goronowitsch zeln, sowie die lateralen Komponenten der ventralen. Die proxi- malsten gelangen in die Querschnittsebenen des Austritts der distalen Vagusfasern. Aus Frortep’s Untersuchungen (73) wissen wir, dass in einem bestimmten Stadium der Vögelentwicklung (Huhn) der dritte Halsnerv eine dorsale Wurzel und ein Ganglion besitzt. Proximal von diesem Nerv sind noch vier Nerven vorhanden, welche keine dorsalen Wurzeln haben. Die drei proximalsten entspringen in den Querschnittsebenen des Vagusaustritts (Taf. XXIII Fig. 32, 42). Daraus folgt, dass bei Vögeln eine größere Zahl von ventralen Wur- zeln in die Austrittsebenen des Vagus zu liegen kommt, als bei Selachiern und Ganoiden. Es ist daraus der Schluss zu ziehen, dass bei den Vögeln der Einschluss von Spinalnerven in die Vagusregion weiter fortgeschritten ist, als bei primitiveren Formen der Selachier und Ganoiden. Bei Säugethieren (71) finden wir proximal vom Spinalis I drei Nervenstämme. Ein jeder Stamm wird durch einige Stämmchen ge- bildet. Alle drei Stämme bilden den Hypoglossus. Bei einigen Embryonen besteht der distale Stamm aus einer dorsalen und ven- tralen Ganglien tragenden Wurzel. Bei anderen Embryonen fand FRORIEP noch ein proximalwärts liegendes rudimentäres Ganglion (72). Ein Ganglion bildete er bei Schafsembryonen, zwei Ganglien bei Rindsembryonen ab. Das ganze System der besprochenen Nerven liegt in den Austrittsebenen des Vagus. Das Ganglion spinale I ist schwächer entwickelt als das Ganglion spinale II, und das Ganglion Hypoglossi noch schwächer als das Ganglion spinale I (71 pag. 29). FRORIEP glaubt, dass der Hypoglossus der Säuger im Minimum aus drei Nerven, vielleicht aber aus einer größeren Anzahl sich bildet (71 pag. 295). Bei Selachiern und Vögeln sind weder Ganglien noch dorsale Wurzeln an den Nerven, welche in den Austrittsebenen des Vagus entspringen, zu beobachten. Da eine Neubildung soleher Wurzeln oder von Ganglien an den entsprechenden Nerven bei Säuge- thieren mir schwer denkbar erscheint, eben so wie die Möglichkeit, dass die Säuger in Bezug auf das Vorhandensein dorsaler Wurzeln sich primitiver als die Selachier verhielten, so muss ich annehmen, dass die betreffenden Nerven der Säuger, welche Ganglien tragen und in den Austrittsebenen des Vagus entspringen, den ventralen Nerven der Selachier nicht homolog sind. Alle Verhältnisse der be- treffenden Nerven zeigen meiner Meinung nach, dass von niederen Formen an bis zu den höheren eine immer größere Anzahl von Spinalnerven in das Ursprungsgebiet des Vagus eingreift. Außerdem Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 531 ist bei niederen Formen nicht eine Zusammensetzung dieser Nerven aus getrennten Biindeln mit solcher Deutlichkeit ausgesprochen, wie bei höheren Wirbelthieren. Das lässt vermuthen, dass bei höheren Formen in jedem Stamm nicht ein Nerv, sondern ein ganzer Nerven- komplex vor uns liegt. Am deutlichsten ist diese Zusammensetzung aus einzelnen Stämmen bei Säugern ausgesprochen. Alle diese räthselhaften Verhältnisse deuten auf einen allmäh- lichen Einschluss distaler Neuromeren und Mesomeren in die Oblon- gata und in die Occipitalregion des Schädels!. So fasst auch FRo- RIEP die Vorgänge auf; sie accumuliren sich, wie es scheint, von niederen bis zu den höheren Formen. Bei den primitiven Formen sind sie eben so zu beobachten, da sie aber im Vergleich mit den höheren nicht so scharf ausgesprochen erscheinen, ziehe ich den Schluss, dass alle diese Vorgänge gar nicht gegen einen genetischen Unterschied zwischen Cranial- und Spinalnerven sprechen. FRORIEP sagt, dass das topographische Verhalten des Vagus zum Hypoglossus unverständlich ist, wenn man nicht annimmt, »dass die beiden Nerven verschiedener Herkunft sind« (71 pag. 296). In einer späteren Arbeit nimmt der Verfasser eine tiefgreifende gene- tische Verschiedenheit der beiden Nerven an (72 pag. 2, 52). Er nimmt an, dass der Hypoglossus und Vagus nur das mit einander gemein haben, dass sie beide Nervenkomplexe darstellen. Der Hypo- glossus ist aber ein Komplex von Spinalnerven, der Vagus ein Kom- plex von segmentalen Kopfnerven. Weiter auf pag. 3 stützt sich der Verfasser auf eine Folgerung der oben berührten unbegründeten Hypo- these BALFOUR’s und sagt, »dass die Kopfnerven, wenn sie vermuth- lich niemals zweiwurzelige Spinalnerven gewesen sind, auch nicht auf solche zurückgeführt werden können«. Im Laufe meiner Arbeit ward aber nachgewiesen, dass die Cranialnerven bestimmt aus zwei Wurzeln nach Art der Spinalnerven sich bilden. Nach dem Verfasser sind die Reduktionsprocesse in den distalen Abschnitten des Vagus und proximalen des Hypoglossus nur verständlich an der Berührungs- fläche zweier ursprünglich differenter mehr und mehr in einander aufgehender Bestandtheile des Organismus. Durch diesen letzten Satz schließt FRORIEP das Cranium aus jedem genetischen Zusammen- hange mit den Gebilden der Wirbelsäule vollkommen aus. 1 »Einschluss« scheint mir hier kein priiciser Ausdruck zu sein. Die proxi- malen Mesomeren erleiden bekanntlich bei den betreffenden Vorgängen eine Atrophie, werden also nicht »eingeschlossen «. Morpholog. Jahrbuch. 13, 35 532 N. Goronowitsch Auf Grund des oben Gesagten besteht zwischen den topographi- schen Verhältnissen des Hypoglossus zu der Austrittsstelle des Vagus bei verschiedenen Formen ein wichtiger Unterschied. Bei Selachiern und Ganoiden gelangen die ventralen Wurzeln nicht so weit in die Austrittsregion des Vagus, wie bei höheren Wirbelthieren. Daraus folgt, dass diese Verhältnisse bei primitiven Formen erst im Anfange ihrer Ausbildung begriffen sind. Diese Verhältnisse ent- stehen also erst dann, wenn das Cranium und die Wirbelsäule, Gehirn und Rückenmark schon different von einander geworden sind. Ich sehe also keinen Grund, zwischen Cranial- und Spinalnerven einen genetischen Unterschied anzunehmen, da beide Nerven, wie oben besprochen, homodyname Territorien innerviren, sich aus dorsalen und ventralen Wurzeln zusammensetzen, Ganglien tragen, kurz in allen Punkten mit einander zu vergleichen sind. Eine genetische Verschiedenheit beider Nervenkategorien kann ich also nicht darauf begründen, dass bei den heute lebenden primitiven Formen in der Occipitalregion des Cranium Assimilations- und Zusammenschiebungs- processe verlaufen, bei welchen die Austrittsebenen der Spinalnerven in die Austrittsebenen der Cranialnerven hineingreifen. Die gegen die Homodynamie der Cranial- und Spinalnerven auf die Unterschiede der Entwicklungsvorgiinge dieser Nerven basirten Einwände, wie sie in den Arbeiten von FRORIEP, sowie von BEARD (43) aufgeführt sind, muss ich vorläufig ohne Besprechung lassen, bis ich einige auf die Ontogenie der Cranialnerven gerichtete Unter- suchungen zum Abschlusse gebracht haben werde. Hier erlaube ich mir nur zu bemerken, dass ich bei Knochenfischen in einem gewissen Stadium eine Fusion des Ganglion Gasseri mit dem Ektoderm auf- fand. Bekanntlich fand Bearp dasselbe bei Selachiern und bei den Vögeln. Daraus folgt also, dass der Trigeminus keinen ontogene- tischen Unterschied gegenüber anderen Cranialnerven aufweist, wie das FRORIEP auf Grund der Beobachtungen an Säugern meinte. Außerdem verstehe ich die Fusion des Ganglion Gasseri mit dem Ektoderm als eine Betheiligung des letzteren an der Bildung des Ganglion. Nach der Lösung der Fusion bleibt kein Gebilde auf der Fusionsstelle, welches als ein Sinnesorgan gedeutet werden könnte. Unter Betheiligung des Ektoderms bilden sich auch mehrere Äste des Nerven. Eine Äußerung Yon SAGEMEHL (11 pag. 197) mag hier am Orte sein. Sie geht dahin, dass die Thatsachen, welche ein Aufgehen von Wirbeln in die Occipitalregion des Schädels andeuten, gar nicht Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 533 zu Gunsten der sogenannten » Wirbeltheorie« des Schädels sprechen. »Die Bildung des Primordialeranium ist schon bei Selachiern, ja viel- leieht bei Cyelostomen, vollkommen abgeschlossen.« Alle ontoge- netischen Angaben, welche das Aufgehen einer größeren oder klei- neren Zahl von Wirbeln in die Occipitalregion bei verschiedenen Formen darthun, werden mit der Thatsache des schon entstandenen Craniums zu rechnen haben. VI. Die Struktur des Cerebellum und des Mittelhirnes. Indem ich zur Schilderung der Struktur des Cerebellum über- gehe, muss ich an die im ersten Kapite] geschilderten äußeren Ver- hältnisse des Organs erinnern. Dort ist auch die Terminologie, wel- cher ich folgen werde, angeführt. Ein Querschnitt aus der Gegend, wo die sogenannten Pedun- euli cerebelli in die dorsolateralen Abschnitte des Körpers übergehen, zeigt, dass das Cerebellum aus zwei Hauptgeweben besteht (Fig. 54). Die seitlichen Wülste bestehen aus Körnergewebe (Hg), welches auch für das Cerebellum anderer Wirbelthiere genau bekannt ist. Das Kérnergewebe der Seitenwülste geht kontinuirlich in die mediale Schicht der Pedunculi über und setzt sich ventralwärts fort. Der Kiel, sowie die centralen Theile des Körpers bestehen aus dem zweiten charakteristischen Komponenten der Cerebellumstruktur, aus dem Rindengewebe (Rg). Dieses letztere geht dorsal in die äußere Schicht der Pedunculi über. Beim Sterlet, sowie bei Knochenfischen ist keine lokalisirte Markschicht (Markgewebe) vorhanden. Auf der Grenze zwischen Körner- und Rindengewebe befindet sich eine Schicht, deren Grundgewebe weniger kompakt erscheint. In diesem Grund- gewebe sind große, meist spindelförmige Zellen eingebettet (Pz). In der Gegend der Peduneuli bilden diese Zellen zwei, stellenweise drei Reihen. Ihre Längsachsen sind im Allgemeinen radial zur Pe- ripherie der Peduneuli gerichtet. Jede Zelle sendet einen, manch- mal zwei Fortsätze in der Richtung des Körnergewebes, wo sie so- fort verschwinden. Ein Fortsatz läuft gegen das Rindengewebe, wo er sich auf äußerst charakteristische Weise verzweigt. Der Fortsatz sendet unter spitzen Winkeln Zweige aus. Die Verzweigungen fin- den hauptsächlich in ein und derselben Ebene statt. Die Verzwei- gungsebene hat an verschiedenen Stellen des Cerebellum eine ver- schiedene Richtung, so dass man auf Quer- oder Lingsschnitten einer Serie, nicht an allen Stellen des Cerebellum, das Bild der 35* 534 N. Goronowitsch Verzweigungen trifft. Aus der Beschreibung dieser Zellen ist er- sichtlich, dass dieselben Purkinge’sche Zellen sind. Es ist be- kannt, dass die birnen- oder retortenförmigen Zellen von Purkinje nur für höhere Wirbelthiere charakteristisch sind. Bei Fischen haben diese letzteren eine mehr verlängerte oder Spindelform und bilden mehrere auf einander liegende Reihen (vgl. Fig. 62, 59 ete.). In den dorsalen Abschnitten des Cerebellum befindet sich auf jeder Seite eine Anhäufung von PurkrnJe’schen Zellen. In dem Rindengewebe des centralen Theiles, sowie des Kieles trifft man unregelmäßig zer- streute Zellen, welche das Aussehen der Zellen von PURKINJE haben; man findet aber nicht die für PurkınJe’sche Zellen charakteristischen Verzweigungen ihrer Fortsätze. Der Schilderung der geweblichen Zusammensetzung des Cere- bellum muss ich eine kurze histologische Beschreibung der Gewebe vorausschicken. Das Körnergewebe besteht aus Zellen mit einem runden, sich lebhaft färbenden Kern und einer sehr spärlichen Lage ihn umgebenden Protoplasmas. Auf Schnitten bemerkt man an den mei- sten Zellen das Protoplasma nicht, weil es gewöhnlich an zwei ent- -gegengesetzten-Polen der Zellen sich ansammelt. Es ist daher nur bei günstiger Seitenlage der Zelle auf dem Schnitte siehtbar. Diese Körnerzellen liegen in feinkörnigem Grundgewebe eingebettet, in welchem man in verschiedenen Richtungen verlaufende Fäserchen unterscheiden kann. Stellenweise liegen die Körner dichter, z. B. in der vorderen Peripherie der Peduneuli. Hier ist das Grundgewebe auf ein Minimum redueirt. An anderen Stellen, z. B. auf den seit- lichen Wiilsten (W), liegen sie zerstreuter. Wie schon gesagt, ver- ändert sich das histologische Bild des Rindengewebes je nach der Riehtung der Schnitte. Für alle Richtungen des Sehnittes besteht das Grundgewebe aus einer äußerst feinkörnigen Substanz. Wenn man bei starker Vergrößerung (Harınack 8) das Rindengewebe z. B. an der Stelle » des Präparats (Fig. 54) betrachtet, so findet man das Gewebe aus zwei Systemen von marklosen feinsten Fasern bestehen, welche sich unter rechtem Winkel kreuzen (Taf. XXII Fig. 80). Die Fasern des einen Systems verlaufen parallel der äußeren Peripherie des Schnittes. Diese Fasern sind sehr fein und in peripherischen Schichten feiner als in centralen. Die Fasern des anderen Systems verlaufen radial zur Peripherie des Schnittes. Sie verzweigen sich unter spitzen Winkeln und sind zweifellos als Fort- sätze der PurKINJE’schen Zellen zu betrachten. Je mehr die Ver- zweigungen sich der Peripherie nähern, desto feiner werden sie. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 535 Sie können aber bis zur Peripherie verfolgt werden und man sieht dabei, dass die Fäserchen sich umbiegen und die Richtung des vor- her beschriebenen Systems annehmen. Außer diesen Bestandtheilen findet man im Rindengewebe spärlich zerstreute Zellen, welche von mindestens drei verschiedenen Formen sind. Die Beschreibung die- ser Zellen hat aber ein ausschließlich histologisches Interesse. Vorübergehend will ich bemerken, dass auf Präparaten, welche nicht durch Paraffin oder Celloidin behandelt, sondern mit nassem Messer geschnitten wurden, sehr schöne radiäre Stützbalken, ähnlich denen, welche von BERGMANN und von Anderen für höhere Wirbel- thiere beschrieben worden sind, beobachtet werden können. Die Struktur des Rindengewebes im centralen Theile und im Kiele des Cerebellum hat eine etwas andere Beschaffenheit. Die charakteristische, faserige, regelmäßige Struktur ist verwischt. Die Menge der feinkörnigen Grundsubstanz ist dagegen vergrößert. In dieser Substanz kreuzen sich die Fortsätze der PurkınJe’schen Zellen in verschiedenen Richtungen. Stellenweise verlaufen hier markhaltige Fasern, zu deren näherer Beschreibung ich später komme. Von den dorsolateralen Abschnitten des Cerebellum geht das Rindengewebe ununterbrochen in die Pedunculi über (Taf. XX Fig. 54). Wie oben bemerkt, bilden die Peduneuli zwei bogenförmig nach vorn konvex verlaufende Wülste. Diese gehen dorsal in die seitlichen Theile des Cerebeilum über und setzen sich nach hinten in den oben als Fimbria (F%) bezeichneten Anhang fort. Ventral gehen die Pe- duneuli in den dorsalen Abschnitt der Wände des Ventrieulus IV über (Fig. 53 CL, Kg). Der Strang des Rindengewebes folgt der Form der Pedunculi und verläuft bogenförmig, ventral zu den dor- salen Abschnitten der Oblongata. Hier angelangt, verläuft der Rin- denstrang ventral vom Lobus trigemini und setzt sich ununterbrochen, ohne seine Struktur wesentlich zu ändern, bis zur Austrittsstelle des Glossopharyngeus in distaler Richtung fort. Diesen Strang habe ich oben als Cerebellarleiste bezeichnet (Fig. 48—50 CL). Der Rindenstrang ist nicht der einzige Komponent der Pedunculi. Sie bestehen auch zum Theil aus Körnergewebe. Das Körnergewebe der Seitenwülste sowie der Fimbria bildet in der Gegend der Pe- duneuli ein einheitliches Ganze. Es setzt sich, der medialen Seite der Pedunculi folgend, bis zu den Wänden des Ventriculus IV fort (Fig. 54 Kg). Der Rindenstrang der Pedunculi ist schmäler als die medial liegende Körmnerlage, in Folge dessen bestehen die vorderen und die hinteren Theile der Pedunculi aus Körnergewebe. Ein 536 N. Goronowitsch Horizontalschnitt zeigt diese Verhältnisse der beiden Gewebe zu ein- ander (Taf. XXII Fig. 77 Kg, CL). An der Stelle, wo die Pedunculi distal umbiegen und als Cere- bellarleisten sich weiter fortsetzen, trennt sich die Körnerlage in zwei Abschnitte. Der ventrale Abschnitt zertheilt sich allmählich in einzelne Inseln, welche zwischen den Faserbündeln der dorsolateralen Stränge liegen (Fig. 54 Ag). Die ventrale Körnerlage setzt sich nur bis zu den Querschnittsebenen des Lobus trigemini fort. Der dor- sale Abschnitt bedeckt die Cerebellarleiste und setzt sich weiter distal fort, wo er allmählich durch die Struktur des Lobus trigemini ersetzt wird. Es ist also hervorzuheben, dass das Rindengewebe des Cerebellum sich bedeutend weiter distalwärts als das Kérner- gewebe in die Oblongata fortsetzt. Im Körper und in der Valvula zertheilen sich die Gewebe des Cerebellum folgendermaßen. Die hintere Peripherie der Peduneuli setzt sich in die Fimbria fort. Der laterale Theil der Fimbria be- - steht aus Körnergewebe, der mediale aus Rindengewebe (Fig. 52, 53). Aus Körnergewebe mit großer Menge von Grundsubstanz bestehen auch die seitlichen Wülste (W). Proximal setzt sich das Körnerge- webe der Seitenwülste ununterbrochen in die Valvula fort, wo es die seitlichen Theile des ventralen Blattes bildet. An der Umbie- gungsstelle des ventralen Blattes in das dorsale geht das Körner- gewebe in die lateralen Seiten des dorsalen Blattes über, wo es all- mählich endet, ehe es die Stelle erreicht, wo das dorsale Valvula- blatt in das Teetumgewölbe umbiegt (Fig. 55—58). Das Rinden- gewebe des Körpers und des Kieles des Cerebellum setzt sich proxi- mal in die Valvula fort, wo es den .centralen Theil und den Kiel des ventralen sowie des dorsalen Blattes bildet. Der Kiel behält seine Struktur und erreicht die Stelle, wo das dorsale Blatt der Val- vula in das Tectumgewölbe sich umbiegt (Fig. 55). In den distalen Abschnitten des dorsalen Theiles des Körpers ist ein stark entwickel- tes Querfasersystem, welches das Körnergewebe der Fimbria beider Seiten mit einander verbindet (Fig. 52 HS). In den dorsalen Abschnitten des Körpers des Cerebellum sind zu beiden Seiten Anhäufungen von PurkınJE'schen Zellen vorhanden (Fig. 54 Pz). Diese Anhäufungen liegen an der Grenze zwischen Körner- und Rindengewebe. Die Zellen bilden hier etwa drei un- regelmäßige Reihen. "Sie senden ihre Fortsätze in das dorsale Rin- dengewebe, wo sie sich auf gewöhnliche Weise verzweigen. Die ventral gerichteten Fortsätze dieser Zellen laufen durch das Körner- Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 537 gewebe und nehmen zwei Richtungen an. Die der medialen Zellen verlieren sich in das Fasersystem, welches zwischen Kérnerschicht und dem Epithel der ventralen Oberfliiche des Cerebellum liegt (Fig. 54 FS’). Das System dieser Fasern ist ungefähr bis zur Medianlinie der seitlichen Wülste des Cerebellum zu verfolgen. Die Fortsätze der lateralen Zellen verlieren sich in das System der Fasern, welche entlang der medialen Peripherie der Pedunculi zwischen Körnerge- webe und Epithel verlaufen. In der hinteren Peripherie des Körpers des Cerebellum sind die bilateralen Gruppen der PurkınJE’schen Zellen längs der Ansatzstellen der Fimbria angeordnet. In den hintersten Abschnitten verbinden sich die rechte und linke Gruppe der Zellen. Proximal von den Pedunculi sind keine lokalisirten Zellgruppen vorhanden. In den centralen Abschnitten des Rinden- gewebes, wie im distalen Theile des Körpers bestehen unregelmäßig zerstreute Zellen. Diesen Zellen begegnet man durch die ganze Länge der Valvula; im dorsalen Blatte in größerer Menge. Die lateralen Gruppen der PurkinJE'schen Zellen setzen sich in ventraler Richtung in die Peduneuli fort (Fig. 54). Sie bilden eine Zellsäule, welche an der Grenze zwischen Rinden- und Körner- schicht liegt (Taf. XXII Fig. 77 Pz). An der Stelle, wo die Pe- duneuli in die horizontal liegende Cerebellarleiste übergehen, wird die Zahl der Zellen etwas kleiner, und sie theilen sich in zwei Gruppen (Fig. 49). Die eine liegt dorsal-medial {Pzd), die andere ventral- medial (Pzv) von der Cerebellarleiste. Die dorsale Gruppe endet in den Querschnittsebenen der hinteren Peripherie des Lobus trigemini. Die ventrale Gruppe setzt sich distalwärts fort bis zu den Quer- schnittseben zwischen den Austrittsstellen des N. 1. lateralis und Glossopharyngeus, ohne ihre Struktur zu ändern. In diesen Ebenen vermindern sich allmählich die Zellen an Zahl und werden dabei kleiner. Die Querschnittsoberfläche der Cerebellarleisten verkleinert sich ebenfalls. Die distale Grenze der Cerebellarleiste, sowie der Zellen von PurKInJE ist die Austrittsstelle des Glossopharyngeus (Fig. 48). Die Struktur der Cerebellarleiste ist die des Rindengewebes des Cerebellum. Auf Querschnitten sieht man, dass die Leiste die kon- vexe dorsale Oberfläche des dorsolateralen Stranges bedeckt. Der mediale Rand der Leiste ist abgerundet, der laterale umgreift die seitliche Oberfläche des dorsolateralen Stranges und endet allmäh- lich, sich verschmälernd. Auf Querschnitten besteht das Grundge- webe der Leiste aus feinkörniger, einförmig durch Pikrokarmin rosa 538 N. Goronowitsch sich färbender Substanz (Taf. XXI Fig. 61). In dieser Substanz befinden sich zerstreute Zeilen desselben Charakters wie im Rinden- gewebe des Cerebellum. Ein charakteristisches Aussehen bekommt der Querschnitt der Leiste durch die Verästelungen der Fortsätze der PuRKINJE’schen Zellen. Diese Fortsätze durchziehen in querer Rich- tung eine große Strecke des dorsolateralen Stranges (DJ), ehe sie die ventrale Oberfläche der Leiste erreichen. In der Substanz der Leiste angelangt, bilden sie reiche Verästelungen, welche die ganze Dicke der Leiste durchsetzen. In den peripherischen Schichten der Leiste sind die terminalen Verästelungen sehr fein. Die Umbiegung dieser Fortsätze entzieht sich auf Querschnitten, wird aber an Längs- schnitten wahrgenommen. An nicht geschrumpften Präparaten kann man in den seitlichen Theilen der Leisten besondere Fasern beobachten. welche die Leiste in querer Richtung auf eine kurze Strecke durchsetzen. Diese Fa- sern entspringen von eigenthümlichen konischen Gebilden, welche an der Peripherie der seitlichen Theile der Leiste ventral von der Insertionsstelle der membranösen Decke des Ventrikels liegen. Diese Gebilde sind eng an die Arachnopialmembran gebunden und werden gewöhnlich an geschrumpften Präparaten mit dieser letzteren abge- rissen. Sie erscheinen gewöhnlich blass gefärbt, mitunter findet man an einigen einen Kern. Die Spitze der Coni ist gegen die Cerebellarleiste gerichtet und sendet einen Fortsatz in die Substanz der Leiste hinein. Diese Gebilde gehören offenbar in die Kategorie der BERGMANN’schen Stützfasern. In der Gegend der Lobi trigemini sind sie leichter zu beobachten. Ein Querschnitt der Cerebellarieiste aus der Gegend des Lobus trigemini hat eine etwas andere Struktur; hier sind, wie oben ge- sagt, zwei Gruppen von PurkınJE’schen Zellen vorhanden, eine dor- sale und eine ventrale (Taf. XX Fig. 49, 50). Die Zellen der bei- den Gruppen senden ihre Fortsätze in die Substanz der Leiste aus. Die ventro-lateralwärts verlaufenden Fortsätze der dorsalen Gruppe treffen unter spitzem Winkel die dorso-lateralwärts gerichteten Fort- sätze der ventralen Gruppe. In Folge dieser Anordnung der Fort- sätze scheint es, als ob die Cerebellarleiste der betreffenden Gegend aus zwei Abschnitten bestände, welche durch die Richtung ihrer Faserung sich von einander unterscheiden. Da die Faserung in den medialen Abschnitten-der Leiste am wenigsten ausgesprochen ist. so ist auch dieser mediale Abschnitt dorsal wie ventral ungefähr von derselben Struktur. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 539 Auf dünnen Horizontalschnitten der Cerebellarleiste erscheint statt der feinkörnigen Grundsubstanz der Querschnitte ein System äußerst feiner, längsverlaufender markloser Fasern. Die Querschnitte dieser feinen Fasern verursachen die Körnelung der Grundsubstanz der Querschnitte. Diese Fasern sind in medialen Abschnitten der Leiste dieker als in den lateralen. Proximal werden im Allgemeinen die Fasern dieker. Dieses Längsfasersystem kreuzt sich unter rech- tem Winkel mit den Fortsätzen der Purkınge’schen Zellen. Zur Untersuchung des Verhaltens dieser letzteren zu den Längsfasern der Leiste bedarf man schräg zur Horizontalebene gerichteter Schnitte. Auf solehen Schnitten findet man, dass die Terminalverästelungen der Fortsätze sich umbiegen und die Richtung des Längsfasersystems nehmen. Es ward mir sehr wahrscheinlich, dass diese umgebogenen Fasern das Hauptkontingent der Längsbahnen des Systems bilden. Als Hauptresultat meiner Untersuchungen über die Struktur des Cerebellum hebe ich die Thatsache hervor, dass jene Struktur sich distalwärts in die Region der Oblongata fortsetzt. Für Knochenfische und Selachier war das schon von verschiedenen Seiten angegeben (40 pag. 48; 66 pag. 81; 57 pag. 498). Die distale Grenze, bis zu welcher die Cerebellarstruktur sich bei Selachiern erstreckt, ward von VrAuLT bezeichnet. Sie liegt an der Austrittsstelle des Trigeminus; bei Knochenfischen (Cyprinoiden), entsprechend den An- gaben von Mayser, bedeckt die Rindenschicht das Tuberculum acu- sticum. Aus diesen Angaben ist ersichtlich, dass diese Verhältnisse bei verschiedenen Formen variiren. Es ist aber keine Form bekannt, bei welcher die Cerebellarstruktur so weit wie beim Sterlet distal- wärts reichte. Wenn man die große Übereinstimmung der äußeren Struktur der Oblongata bei Knorpelganoiden und Hexanchus in Be- tracht zieht, so lässt sich vermuthen, dass bei dieser letzteren Form auch eine weite distalwärts reichende Cerebellarleiste vorhanden sein möchte. Vielleicht ist sie bei dieser Form noch weiter distal ver- folgbar. Bis jetzt liegen keine Untersuchungen darüber vor. Die innige Verbindung, welche zwischen Cerebellum und Medulla oblon- gata bei primitiven Formen nachzuweisen ist, berechtigt die Ver- muthung, dass wir es hier mit einem primitiven Charakter zu thun haben. Es erscheint demnach denkbar, dass das streng von der Oblongata differenzirte Cerebellum der höheren Wirbelthiere durch allmähliche Reduktion der Cerebellargebilde der Oblongata und durch eine alimähliche Koncentration dieser Gebilde im differenzirten Hin- terhirne der höheren Wirbelthiere entstehen konnte. Bei einer all- 540 N. Goronowitsch mählichen Reduktion der distalen Abschnitte müssen jedoch die- jenigen Bahnen, welche die Cerebellargebilde der Oblongata mit distal liegenden Abschnitten des centralen und peripherischen Ner- vensystems verbinden, erhalten bleiben. Wenn der Reduktions- process im Sinne der geäußerten Vermuthung ging, so müssen diese. Bahnen einen Längsfaserstrang bilden, welcher eine der redueirten Cerebellarleiste entsprechende Lage haben müsste. Für einen Theil der ungekreuzten Cerebellumbahnen — die Cerebellumseitenstrang- bahn — lässt sich im Rückenmark höherer Wirbelthiere eine entspre- chende Lage zu den dorsalen und ventralen Wurzeln der Nerven, wie sie die Cerebellarleiste zu den Fasern der dorsalen und ven- tralen Wurzeln des Trigeminus II bei Acipenser besitzt, nachweisen. Die Cerebellarleiste verläuft zwischen den dorsalen und ventralen Wurzelfasern des Trigeminus II (Fig. 50 7 Id, T IIv). Ebenfalls zwischen den dorsalen und ventralen Wurzeln der Spinalnerven ver-. läuft die Seitenstrangbahn im Rückenmarke. Dieser Auffassung, welche bei den primitivsten Formen einen innigen Konnex der Cerebellargebilde mit der Oblongata wahrschein- lich machen will, steht aber eine gewichtige Thatsache entgegen, nämlich das Verhalten der dorsalen Wurzel des Facialis, welche ventral von der Cerebellarleiste verläuft. Das Verhalten des Va- gus und Glossopharyngeus ist auch nicht recht verständlich. Es ward so eben erörtert, dass die Cerebellarleisten Längsbahnen ent- halten. Ein Übergang von transversalen Fasern der Nervenwurzeln von der dorsalen Oberfläche der Leiste auf die ventrale und umge- kehrt kann nur unter der Voraussetzung einer Kontinuitätsstörung der Längsbahnen der Leiste geschehen. Der Vorgang lässt sich also vorläufig nicht nach Art einer kontinuirlich vor sich gehenden Umwandlung denken. Ferner erscheinen die Selachier, Ganoiden und Knochenfische mit ihrem stark entwickelten Cerebellum im scharfen Gegensatz zu den Amphibien und manchen Reptilienfor- men, welche ein sehr schwach entwickeltes Cerebellum haben. Es könnten demnach das Cerebellum der ersten Formen und das Cere- bellum der höheren Wirbelthiere heterophyletisch-isomorphe Gebilde sein, welche nicht mit einander direkt zu vergleichen sind. Ich hielt es nicht für überflüssig, die vorhergehende Vermuthung zu äußern, da vielleicht bei weiterer Untersuchung Thatsachen sich ‘ergeben können, welche die soeben angeführten Schwierigkeiten be- seitigen. Ich gehe jetzt zur Schilderung der Verbindungen des Cerebel- Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 541 lum mit anderen Gehirnabschnitten über. Dabei bemerke ich, dass das Studium dieser Verbindungen beim Sterlet weitaus weniger po- - sitive Resultate liefert als an Knochenfischen. Die sehr vollständi- gen und genauen Resultate, welche MAysEr an Cyprinoiden gewonnen hat und welche ich im Ganzen bestätigen kann, sind schwer auf Ganoiden auszudehnen. Es hängt wohl zum Theil davon ab, dass diese Verbindungen bei Knorpelganoiden einen mehr indifferenten, histologisch weniger individualisirten Charakter haben als bei Kno- chenfischen. Zum Theil aber beruht die Schwierigkeit der Unter- suchung in der Richtung der Bahnen, welche aus dem Cerebellum zur Oblongata verlaufen. Der Form .der Peduneuli folgend, bilden die Faserbahnen lange, stark lateral und proximal konvexe Bogen. Es ist daher äußerst schwer, eine Schnittrichtung zu wählen, bei welcher größere Fasermassen in ihrer Verlaufsebene getroffen wären. In den Querschnittsebenen des Glossopharyngeus erscheint der distale Abschnitt der Cerebellarleiste. Die Purkinse'schen Zellen dieser Gegend sind klein, sie senden ihre Fortsätze in die Leiste. Von der ventralen Seite gelangen zu diesen Zellen Fasern, welche aus den seitlichen Abschnitten der Lobi vagi kommen. In proxi- malen Ebenen wird dieses Fasersystem noch durch Bogenfasern verstärkt, welche aus den ventralen Abschnitten der Oblongata kom- men (Fig. 475f). Ein Theil der Fasern geht höchst wahrscheinlich in die ventralen Fortsätze der Zellen von PuURKINJE kontinuirlich über. Ein anderer Theil umkreist die Zellgruppe von der medialen Seite und gelangt in die Substanz der Leiste. In den Austrittsebenen des N. 1. lateralis sind die angegebenen Verhältnisse viel deutlicher. Es ist bier leicht zu konstatiren, wie ein Theil der Bogenfaserbündel aus der Raphe kommt, ein anderer Theil aus der grauen Substanz der Vorderhörner, also aus ungekreuzten Bahnen besteht. An dieser Stelle ist auch leicht zu beobachten, dass nicht alle Fasern dieses Systems mit den Purkınye'schen Zellen in Verbindung treten und dass ein beträchtlicher Theil direkt zu der Leiste gelangt. Anı die- ser Stelle hört allmählich der Faserzufluss aus dem Lobus vagi auf. Es ist hier die Stelle, wo der Lobus eine faserige Struktur annimmt und sich als dorsale Wurzel des Facialis fortsetzt. In den proximalen Ebenen der Austrittsstelle des N. 1. lateralis liegt der distale Abschnitt des Lobus trigemini. Ventro-medial vom Lobus erscheint die dorsale Gruppe der PurkinJE’schen Zellen. Ein Theil der Bogenfasern dieser Gegend, welche zu der ventralen Gruppe der Zellen gelangen, umkreist medial die Cerebellarleiste und ge- 542 N. Goronowitsch langt zur dorsalen Gruppe. Ein Theil davon endet in den Zellen dieser Gruppe, ein anderer Theil geht direkt in die Leiste hinein. Das Verhalten der Zellen von PurkınJE in der Gegend des Lobus - trigemini ist schon oben beschrieben. In der Gegend, wo die Cere- bellarleiste sich dorsalwärts wendet, um in den Rindenstrang der Peduneuli überzugehen, sieht man, dass die lateralen Bogenfasern, in einzelne feine Bündel getheilt, das Gewebe der Leiste durchziehen und in dem dorsolateralen Abschnitte der Körnersubstanz sich ver- lieren (Fig. 53). In derselben Gegend, etwas proximal und ventral zwischen den Faserbündeln des dorsolateralen, Stranges, erscheinen, wie oben gesagt, einzelne Inseln von Körnersubstanz; die Fasern des dorsolateralen Stranges zertheilen sich in einzelne Bündel: sie folgen der Richtung der Pedunculi und steigen in dorsaler Richtung, indem sie durch die vorderen Abschnitte der Körnersubstanz der Pedunculi verlaufen (Fig. 55 Di). Einige Faserbündel werden dabei feiner, andere bleiben gleich diek und bilden, wie es scheint, die Systeme von Querkommissuren, welche den Körper des Cerebellum durchziehen. Es ist mir jedoch niemals gelungen, ein Faserbündel vom Pedunculus kontinuirlich in dem Körper des Cerebellum zu verfolgen. Ein vollkommen deutliches Verhalten zum Cerebellum weist das System y auf; wie oben gesagt, verbindet sich dieses in der Quer- schnittsebene der vorderen Abschnitte der Pedunculi mit einem gan- gliösen Körper (Fig. 55 RA). Die Grundsubstanz dieses Körpers ist feinkörnig; nur in den peripherischen Schichten lässt sich eine feinste Faserung unterscheiden. In dieser Grundsubstanz sind. ziem- lich spärliche Zellen mittlerer Größe zerstreut. Die Lage und die Ähnlichkeit der Struktur des Körpers weisen auf die nächste Ver- wandtschaft mit dem Rindenknoten der Knochenfische (55 pag. 318). In den distalen Abschnitten entspringt aus dem Rindenknoten das absteigende System der dorsalen Facialiswurzel; in proximalen Ab- schnitten gelangt zu ihm das System y. In proximalen Ebenen ent- springen von der medialen Seite des Knotens zwei Bündel feinster markhaltiger Fasern (Av¢). Diese verlaufen medial und treten in den Körper des Cerebellum, wo sie eine Kreuzung mit den Fasern der anderen Seite bilden. Das weitere Schicksal der durchkreuzten Fasern konnte ich nicht ermitteln. Diese Kreuzung entspricht höchst wahrscheinlich der von Mayser beschriebenen Kreuzung der sekun- dären Vagus-Trigeminusbahn der Knochenfische. Ventro-medial vom Rindenknoten findet man einige Längsbündel Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 543 markhaltiger Fasern (f/). In distaler Richtung gesellt sich ein Theil dieser Fasern zu der dorsalen Wurzel des Trigeminus I. Ein an- derer Theil verläuft distal und lässt sich nicht weiter verfolgen. Proximal dagegen sind diese Fasern, wie oben gesagt, bis zur Basis des Tectum opticum zu verfolgen. Proximal von der so eben beschriebenen Kreuzung (Kvt) wird die Substanz des Rindenknotens durch ein System von markhaltigen Fasern durchkreuzt. Diese Fasern kommen aus den Seitenstriingen der Oblongata und bilden eine Kreuzung im ventralen Blatte der Valyula. Proximal findet sich eine zweite Kreuzung. Die Fasern der letzteren sind von verschiedener Herkunft. Ein Theil kommt vom Rindenknoten, ein anderer Theil kommt von einer Ansammlung von grauer Substanz der seitlichen Wand des Aquaeductus Sylvii. Es ist das der von mir vermuthete Trochleariskern. Etwas medial vom Rindenknoten und in nächster Umgebung von der soeben be- schriebenen Kreuzung besteht eine Ansammlung von kleinen Nerven- zellen, welche ein Fasersystem in der Richtung des Kieles der Val- vula entsenden. Proximal von dieser Stelle befindet sich in den seitlichen Theilen der Oblongata ein stark entwickeltes gangliöses Gebilde (Taf. XXI Fig. 57@). Die Längsfasern der Seitenstränge werden durch ein stark entwickeltes Balkensystem von feinkörniger Grundsubstanz, durch welche die feinsten marklosen Fasern laufen, in einzelne Bündel getheilt. In den Balken trifft man eine Anzahl von spindel- förmigen Nervenzellen mittlerer Größe. Dorso-medial konvergiren die Balken zu einer bedeutenden Ansammlung vor grauer Substanz, aus welcher zwei Bündel (5) markloser Fasern entspringen und im dorsalen Theile der Valvula sich zerstreuen. In der Querschnitts- ebene der Kreuzung der aus dem Rindenknoten kommenden Fasern und lateral von diesen findet man ein System feinster Bogenfasern, welche von den lateralen Abschnitten der Oblongata emporsteigen, den Rindenknoten lateral umkreisen und in die seitlichen Abschnitte der Körnersubstanz der Valvula sich zerstreuen. An der proximalen Grenze des unten beschriebenen Ganglion interpeduneulare (Fig. 56 G2) befindet sich die stark entwickelte Kreuzung, welche in ihrer Lage der sogenannten Commissura ansulata der Knochenfische entspricht (Fig. 56, 57 Can). Die ‘durchkreuzten Fasern steigen dorsalwärts und bilden zwei Systeme. Das mediale zerstreut sich in der Kérmer- -Substanz des ventralen und dorsalen Blattes der Valvula; das laterale gelangt zum Tectum opticum (Fig. 57 Can!, Can?. In den Quer- 544 N. Goronowitsch schnittsebenen des Oculomotoriuskernes findet man ein System von sehr feinen Fasern, welches aus dem dorsalen Blatte der Valvula zur grauen Substanz des Kernes verläuft (Taf. XXI Fig. 58 Vo). Auf Sagittal- und Horizontalschnittserien beobachtet man einige Längsfaserzüge, welche den Körper des Cerebellum mit der Valvula verbinden (Taf. XXII Fig. 77 vs). Eine Verbindung des Cerebellum mit dem Lobus infundibuli konnte ich beim Sterlet nicht finden. Die unteren Oliven und das Stratum zonale. Die von mir untersuchten Cyprinoiden (Tinca, Abramis, Gobio) zeigten in Bezug auf die unteren Oliven im Ganzen dasselbe Verhalten, wie es MAYsEr beschrieben hat (55 pag. 321). Ich konnte mich jedoch nicht überzeugen, dass die aus den Oliven kommenden Fa- sern sich in der Raphe kreuzen, ehe sie das Stratum zonale bilden. Ich finde vielmehr Folgendes: aus den lateralen Abschnitten der Oblongata verlaufen in den peripherischen Schichten Fasern, welche ventral in der Raphe eine Kreuzung mit den entsprechenden Fasern der entgegengesetzten Seite bilden. Die Fasern der linken Seite z. B. kreuzen die Raphe, verschwinden in der Substanz der rechten Olive. Aus dem lateralen Abschnitte der letzteren entspringen Fa- sern, welche Längssysteme bilden. Sie verlaufen lateralwärts von den Bogenfasern, welche zu den Oliven gelangen. Dieses System ist das Stratum zonale. Die proximale Grenze der Oliven liegt bei Tinca in den Quer- schnittsebenen gleich proximal von der Austrittsstelle des Vagus. Nach vorn zu hört der Zufluss neuer Fasern zum Stratum zonale auf. Die Fasern durchlaufen eine lange Bahn, ehe sie das Körner- gewebe des Cerebellum erreichen. Ein Theil der Fasern des Stra- tum zonale von Tinca gesellt sich ganz bestimmt zu der sekundären Vagus-Trigeminusbahn. Beim Sterlet erscheinen die spindelförmigen Zellen, welche die unteren Oliven darstellen, etwas distal von den Austrittsebenen des Vagus. Ihre proximale Grenze liegt in den Austrittsebenen des Glossopharyngeus (Taf. XX Fig. 46, 48 xo). Das Verhalten der Zellen zu den Bogenfasern ist eigentlich dasselbe wie bei Knochen- fischen. Die durchkreuzten Fasern gelangen zu den Zellen der Oliven, ein Theil wird durch diese Zellen unterbrochen, ein anderer nicht.. Das letzte Verhalten beim Sterlet scheint von den Knochen- fischen abzuweichen. Es ist freilich nicht leicht zu bestimmen, ob alle Fasern des betreffenden Systems bei Knochenfischen von Zellen unterbrochen werden oder nicht. Die kompakte Struktur der Oliven Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 545 der Knochenfische erschwert diese Beobachtung. Die aus den Oliven lateral austretenden Fasern des Stratum zonale gruppiren sich beim Sterlet nicht in einzelne, durch ihre Struktur charakterisirte Längs- bündel, wie es bei Knochenfischen der Fall ist, sondern verschwin- den zwischen den anderen Längsfaserbahnen der seitlichen Theile der Oblongata. Ich konnte also nicht das Stratum zonale vom Sterlet bis zum Cerebellum verfolgen. Das Mittelhirn. Schon aus der makroskopischen Beschreibung des Mittelhirnes von Aeipenser war ersichtlich, dass dieser Gehirnabschnitt einfacher als bei Knochenfischen organisirt ist. Die Tori semicirculares Halleri fehlen bei Acipenser fast vollständig. Für Gebilde, welche schwache Rudimente jener Tori darstellen können, halte ich die zwei Ver- dickungen der Basis des Mittelhirnes (77) (Taf. XXI Fig. 58). Entsprechend den äußeren einfacheren Verhältnissen zeigt auch die Struktur des Mittelhirnes einen weit indifferenteren Charakter als bei Knochenfischen. Das Hauptkontingent der Bahnen besteht aus mark- losen Fasern oder aus solchen Bahnen, welche von den umgebenden histologisch nicht differenzirt sind. Daher wird auch die Unter- suchung der Verbindungen einzelner Theile unter einander äußerst erschwert. Derselbe indifferente Zustand ist auch im Vorderhirne vor Allem durch die schwache Differenzirung der Fasersysteme der Commissura interlobularis ausgesprochen. In den Querschnittsebenen, welehe proximal von der Austritts- stelle des Trigeminus II liegen, ist in den ventralen Abschnitten der Oblongata zu jeder Seite der Raphe eine Ansammlung feinkörniger - Substanz vorhanden (Taf. XX Fig. 52, 54, 56 Gi). In der Gegend der Austrittsstelle des Trigeminus I erscheinen in dieser Grundsub- stanz spärlich zerstreute Zellen. Die Lage des Gebildes, sowie dessen Struktur charakterisirt es als Ganglion interpeduneulare. Beim Sterlet hat das Ganglion eine größere distal-proximale Ausdehnung, als bei Knochenfischen. Wie bei diesen letzteren, trifft man an der proximalen Grenze des Ganglion die Commissura ansulata (Can) (Fig. .57). In distalen Ebenen gelangen zur ventralen Oberfläche des Ganglion peripherische Systeme von Bogenfasern. Ein Theil dieser Fasern kreuzt sich in der Raphe mit den entsprechenden Fa- sern der anderen Seite und endet im Ganglionabschnitte der ent- gegengesetzten Seite. Ein anderer größerer Theil der Bogenfasern 546 . N. Goronowitsch endet ohne Kreuzung im Ganglionabschnitte derselben Seite. Uber die Herkunft dieser Bogenfasern kann ich wenig sagen. Es scheint, dass die Fasern aus dem Kérnergewebe der Pedunculi cerebelli kommen, die Beobachtung ist jedoch unsicher. Dorsal vom Gan- glion interpedunculare geschieht die Kreuzung der dicken Fasern der Längsbahnen der seitlichen Theile der Oblongata. In den Quer- schnittsebenen, welche den Rindenknoten treffen, erscheint in beiden seitlichen Hälften des Ganglion dorsal und ventral eine mehr kom- pakte centrale Masse von Grundgewebe (Fig. 55). In Folge dessen bekommt der Querschnitt des Ganglion das auch für Knochenfische charakteristische Aussehen. Er besteht aus vier Inseln kompakter feinkörniger Grundsubstanz, welche durch ein Kreuz von lockerem Gewebe von einander abgegrenzt sind. Die mediale Abgrenzung be- steht aus feinen Stützfasern der Raphe, die horizontale aus feinsten Querfasern. Aus den proximalen Abschnitten des G. interpeduneulare verlaufen proximalwärts die MEYnErrT'schen Bündel, zu deren Schilde- rung ich noch kommen werde. Proximal von den Querschnittsebenen der Kreuzung der Rinden- knotenfasern (Av¢) wird das G. interpedunculare allmählich durch die stark entwickelte Kreuzung der Commissura ansulata auf den Schnitten ersetzt. Die Fasern, welche diese Commissur bilden, können in zwei über einander liegende Abschnitte getheilt werden. Die des dorsalen Abschnittes scheinen nach der Kreuzung sieh in einen Theil der Längsbahnen der seitlichen Theile der Mittelhirnbasis umzuwandeln. Die Fasern des ventralen Abschnittes steigen von der Kreuzungsstelle dorsalwärts; sie verlaufen in die peripherischen Schichten der seitlichen Theile des Mittelhirnes dorsal und zerfallen wieder in zwei Abschnitte. Der laterale (Can?) geht zum Teetum opticum, der mediale (Can'), wie oben gesagt, zerstreut sich in der Valvula (Taf. XXI Fig. 57). Diese letzteren Fasern erinnern an das ‘Verhalten des intermediären Systems der Knochenfische (MAysER 55 pag. 347). In den Querschnittsebenen des Oculomotorius ver- schwindet allmählich der dorsale Abschnitt der Kreuzung der Com- missura ansulata. Der ventrale Abschnitt setzt sich noch proximal fort. In diesen Ebenen gelangen jedoch die Fasern nur zum Tectum opticum. Die Herkunft der Fasern, welche die Commissura ansulata des Sterlet bilden, ist sehr schwer aufzuklären. Ein Theil kommt sicher aus den ventralen Abschnitten der Medulla oblongata und verläuft, ehe er die Kreuzungsstelle erreicht, zu beiden Seiten des G. interpedunculare (horizontale Serien). Die Anzahl dieser Fasern Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 547 ist aber zu klein, um allein die miichtige Kreuzung der Commissura ansulata zu bilden. Aus distal schräg abfallenden Schnitten kann man mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, dass ein Theil der durch- kreuzten Fasern, wie gesagt, in die Mittelhirnbasis gelangt und all- mählich sich zerstreuende Längsbahnen bildet. N. trochlearis. Auf Querschnitten des Gehirnes von Tinca und Gobio befindet sich der Trochleariskern im innigsten Konnexe mit dem Kerne des Oculomotorius. Die dorsal liegenden Zellen des Trochlearis- kernes setzen sich proximal in das Gebiet des Oculomotoriuskernes fort und sind histologisch von den Zellen dieses letzteren nicht zu unter- scheiden. Nach MAysEr (pag. 354) sind bei Forellen und C. carpio die Kerne beider Nerven von einander getrennt. Die Lage beider Kerne, sowie den Verlauf der austretenden Fasern fand ich den Angaben von MaAYser entsprechend. Der Trochleariskern liegt dorsal vom hinteren Längsbündel, unmittelbar unter dem Epithel des Aquaeductus Sylvii. Die austretenden Fasern umkreisen dorsal das Gewölbe des Aquaeductus und bilden eine Kreuzung mit den Fasern der entgegen- gesetzten Seite. Die durchkreuzten Fasern verlaufen bogenförmig durch die Substanz des Übergangsganglion von vorn nach hinten und treten ventral vom Torus Halleri aus. In den proximalen Quer- schnittsebenen der Commissura ansulata, dorsal und medial vom hinteren Längsbündel, liegen die Oculomotoriuskerne. Der größte Theil der Fasern des Nerven verläuft ungekreuzt in dieken Bündeln, welche die proximalen, schon stark aufgelockerten Fasern der C. ansulata durchbrechen. Die Fasern, welche aus dem ventralen Ab- schnitte des Kernes austreten, kreuzen sich in der Raphe, entspre- chend den Angaben von MayseEr. Diese klaren Verhiltnisse des N. trochlearis bei den Knochen- fischen sind beim Sterlet bei Weitem- nicht so klar. Distal vom Ocu- lomotoriuskern befindet sich eine getrennt liegende Ansammlung von Nervenzellen (Fig. 57 Tri). Ihr Charakter ist derselbe wie der der Oculomotoriuszellen, sie liegen dorsal vom hinteren Längsbündel, unmittelbar unter dem Epithel des Aquaeductus. Die Fasern, welche aus diesem Kerne entspringen, verlaufen dorsalwärts und umkreisen die seitlichen Wände des Aquaeductus. An der Übergangsstelle der seitlichen Theile der Valvula in die seitlichen Theile des Gehirnrohres angelangt, wendet sich ein Theil dieser Fasern lateral und ver- schwindet zwischen den Längsbahnen dieser Gegend. Ein anderer Theil wendet sich medial, tritt in die Substanz des ventralen Blattes der Valvula, wo er dorsal vom Kiele mit den Fasern der entgegenge- Morpholog. Jahrbuch. 13. 36 548 N. Goronowitsch setzten Seite eine Kreuzung bilde. Das weitere Schicksal dieser durchkreuzten Fasern konnte ich nicht ermitteln. Nach Analogie der Knochenfische musste die betreffende Nerven- zellengruppe als Trochleariskern, die Kreuzung der medialen Fasern als Kreuzung des Trochlearis aufgefasst werden. Bei Knochenfischen liegt die Trochleariskreuzung proximal von der Kreuzung der sekun- dären Vagus-Trigeminusbahn. Eine entsprechende Lage hat die Kreuzung beim Sterlet in Bezug zur Kreuzung Ari (Fig. 55). Allein diese Vermuthung wird durch das peripherische Verhalten der Ner- venbahnen widerlegt. Auf Sagittal-, sowie auf Transversalschnitten ist zu finden, dass die Trochlearisfasern eine Kreuzung bilden, welche zwischen dem dorsalen und ventralen Blatte der Valvula in den distalen Abschnitten stattfindet (Taf. XVIII Fig. 17 7%). Die Fasern kommen aus dem Körnergewebe der seitlichen Theile des ventralen Blattes, wo sie bis zum Kerne nicht weiter zu verfolgen sind. Nach der stattgefundenen Kreuzung gelangen die Fasern der rechten Seite auf die linke, ver- laufen in der Rinne zwischen der hinteren Peripherie des Lobus tecti optici und der vorderen Peripherie des Pedunculus und treten als feiner Trochlearisnery aus. Die Querschnittsebenen, in welchen die letzte Kreuzung stattfindet, liegen weit distal von der zuerst be- schriebenen Kreuzung. Die Lage der soeben beschriebenen Kreu- zung, welche unzweifelhaft dem Trochlearis angehört, ist durchaus verschieden von der Lage der Trochleariskreuzung bei Knochen- fischen, welche, wie die zuerst beschriebene Kreuzung des Sterlet. in den ventralen und nicht in den dorsalen Abschnitten der Valvula stattfindet. Zur Aufstellung der Vermuthung, dass ein Theil der Fa- sern des Nerven an einer Stelle, der andere Theil an einer anderen sich kreuzt, liegt mir kein genügendes Beobachtungsmaterial vor. Es sind drei scharf begrenzte, durch ihr histologisches Ver- halten charakterisirte Längsfasersysteme vorhanden, welche beim Sterlet das Mittelhirn mit der Oblongata verbinden (Taf. XXI Fig. 57). Das eine System liegt ventral (S,) und besteht aus einigen Bündeln von feinen markhaltigen Fasern mit vielen marklosen da- zwischen. Dieses System ist von querverlaufenden Fasern der Com- missura ansulata umgeben. Ich konnte es in distaler Richtung nur bis zu den Querschnittsebenen des Trigeminus I verfolgen. Hier vermindert sich das marklose Fasernkontingent des Systems und es verliert daher seinen unterscheidenden histologischen Charakter von Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 549 den umgebenden Bahnen. In proximaler Richtung steigt die Zahl der marklosen Fasern des Systems und die Zahl der markhaltigen vermindert sich. Ich schließe daraus, dass die Fasern des Systems in den distalen Ebenen Markscheiden bekommen. In proximaler Richtung verläuft das System bis zu den distalen Abschnitten des Lobus infundibuli. Während dieses Verlaufs werden die Fasern immer feiner. Beim Lobus angelangt, wendet sich das System ven- tral und zerstreut sich in den distalen Abschnitten der Lobi. Das System bekommt einen Zufluss von feinen marklosen Fasern, welche von dorsalwärts liegenden Abschnitten der Basis des Mittelhirnes kommen. Ein zweites Längssystem liegt dorsal von dem soeben beschrie- benen und besteht ausschließlich aus feinen marklosen Fasern (S'). Distal in den Ebenen der Kreuzung (Avt Fig. 55) zerlegt sich das System in einzelne Bündel. Ein Theil seiner Fasern bekommt Mark- scheiden und verliert daher seinen unterscheidenden Charakter. Die letzten marklosen Bündel des Systems sind bis zu den Austritts- ebenen des Trigeminus I zu verfolgen, wo sie ventral vom System y und dorsal von der austretenden ventralen Wurzel des Nerven ver- laufen. Proximal endet das System in einen gangliösen Körper, welcher an der Übergangsstelle des Mittel- und Vorderhirnes liegt (Taf. XXI Fig. 63, 59, 60 PA). Dorsal und etwas lateral von dem soeben beschriebenen System verläuft das dritte (S;). Es besteht aus ziemlich dicken markhal- tigen Fasern. In proximaler Richtung verlieren die Fasern ihre Mark- scheiden. Das System zerstreut sich in die Verdickungen der Basis des Mittelhirnes, welche ich als Rudimente der Tori Halleri auffasse (TH). Das soeben beschriebene System halte ich seiner Lage, so- wie seinen Verbindungen nach für das seitliche Bündel, welches Fritsch (66 pag. 75) bei Knochenfischen beschrieben hat. Lobus infundibuli. Die Wände des Lobus infundibuli be- stehen aus feinkörniger, durch Pikrokarmin blassrosa sich färben- der Grundsubstanz, welche sehr an die Grundsubstanz des Rinden- gewebes des Cerebellum erinnert (Taf. XVIII Fig. 19). In den peripherischen Schichten ist dieses Grundgewebe kompakt, nur bei starken Vergrößerungen kann man eine sehr feine faserige Struktur unterscheiden. Die Fasern verlaufen parallel zur Oberfläche des Lobus. In centralen Schichten ist die Faserung deutlicher ausge- sprochen und besteht hier aus zwei Fasersystemen. Die Fasern des einen verlaufen, wie in den peripherischen Schichten, parallel 36* 550 N. Goronowitsch der Oberfläche des Lobus. Das andere System kreuzt das erste unter rechtem Winkel, besteht also aus radiär zur Oberfläche des Lobus gerichteten Fasern. Diese letzteren Fasern verlaufen aus einer Gewebeschicht, welche die innere Oberfläche des Lobus be- kleidet (As). Diese Schicht besteht aus einigen Reihen runder Zellen, welche sehr an die Körnerzellen des Cerebellum erinnern. Sie sind nur etwas größer als die letztgenannten. Das schwache Plasmafeld, welches den runden Kern dieser Zellen umgiebt, ist stärker entwickelt als bei den Körnerzellen. Es gelingt mitunter, die Fortsätze dieser Zellen bis zu den Fasern des radialen Systems zu verfolgen. Die innere Oberfläche des Lobus ist von Flimmer- epithel bekleidet. In der faserigen Schicht sind rundliche Zellen spärlich zerstreut, sowie eigenthümliche stäbchenförmige Kerne, welche wahrscheinlich den Gerüstsubstanzgebilden angehören. In den ventralen Abschnitten der Wände des spaltförmigen Ka- nals, welcher den Lobus infundibuli mit dem Mittelhirnventrikel ver- bindet, befindet sich zu beiden Seiten ein gangliöser Körper (Taf. XXI Fig. 63 Gi), welcher aus großen Zellen besteht. Aus jedem Gan- glion entspringt ein markloses Fasersystem, welches distal verläuft und dorsal vom Lobus infundibuli in einzelne Bündel sich zerstreut (Taf. XVIII Fig. 19 Sg). Ein Theil dieser Bündel verliert sich in den distalen Abschnitten der Lobi, ein anderer Theil ist auf Sagittal- serien bis zu dem dorsalen Blatt des Saccus vasculosus zu verfolgen. Zu dem soeben beschriebenen System gesellt sich noch ein ziemlich dickes Bündel von marklosen Fasern, welches in proximalen Ebenen aus einer Ansammlung von kleinen Nervenzellen sich sammelt. Diese Nervenzellen liegen dorsal von dem zuerst beschriebenen Ganglion und ventral von den Mrynert’schen Bündeln unmittelbar unter dem Ventrikelepithel (auf den Figuren nicht dargestellt). Der Lobus steht in stark entwickelten Verbindungen mit dem Vorderhirne, auf welche ich zurückkomme. Der ventrale Abschnitt der distalen Wand des Lobus geht in die dünne Epithelwand des Saccus vasculosus über, wobei zu be- merken ist, dass die faserige Schicht der Wand an der Übergangs- stelle sich ganz allmählich verdünnt, so dass ein Theil der Faser- bahnen in die Wand des Saccus verläuft (Taf. XVIII Fig. 17 Sv). Diese Fasern gehören zu dem soeben beschriebenen System (Sg/2). Über den Saccus vasculosus, dessen Struktur für die Knochenfische genau bekannt ist, ist nicht Vieles zu sagen. Es ist ein breiter, stark vascularisirter, gefalteter Sack, dessen Wände innerlich von Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 551 einer Epithelschicht bekleidet sind. Die Epithelzellen sind eylindrisch, von einer eigenthiimlichen Form. Das Studium dieses Epithels er- fordert eine besondere histologische Methode. Die discoidal abgeflachte Hy pophysis des Sterlet besteht aus zwei vollständig von einander abgetrennten Abschnitten (Hy und Hy Fig. 17). Der distale wird durch drei oder vier Lobuli gebildet: in jeden Lobulus geht ein dickes Bündel markloser Fasern hinein, welches zu der ventralen Wand des Lobus infundibuli gelangt und zwischen den einzelnen Schläuchen der Hypophysis sich verzweigt. Diese Faserbündel sind fast bis zu der Peripherie des Organs ver- folgbar. Jeder Schlauch ist von mehreren Schichten spindelförmiger Epithelzellen ausgekleidet. Die Schläuche des vorderen Abschnittes der Hypophysis sind durch Epithelgewebe desselben Charakters be- kleidet. Nervöse Faserbündel fand ich zwischen den einzelnen Schläuchen dieses Abschnittes nicht. Die Interstitien zwischen den Schläuchen sind nur durch Bindegewebsfortsätze ausgefüllt. Der distale und proximale Abschnitt der Hypophysis stehen dorsal durch eine dünne Epithellamelle mit einander in Verbindung. Die Commissura posterior des Sterlet besteht wie bei Kno- chenfischen aus drei Abschnitten (Taf. XXI Fig. 63 Cp). Den distalen Abschnitt bilden dieke Markfasern; auf Sagittalserien kann man sie auf eine kurze Strecke bis zur Basis des Mittelhirnes ver- folgen. Dieser Theil der Commissur ist eine Kreuzung. Proximal ist ein System von sehr feinen markhaltigen Fasern zu unterscheiden, welches aus einer Ansammlung von kleinen Nervenzellen zu kommen scheint, dorsalwärts von den Meynerr'schen Bündeln. Die weiteren Schicksale dieser Fasern der Commissura posterior konnte ich nicht aufklären. Das dritte System ist das Commissuralsystem des Tec- tum opticum. Es wird später beschrieben werden (Cto). Ganglionhabenulae. Proximal vom G. interpedunculare und ventral von den quer verlaufenden Fasern der Commissura ansulata verlaufen zwei Längsstränge von marklosen Fasern, die Bündel von MEYNnERT (Fig. 57 Mb). Ich konnte diese Bündel in distaler Rich- tung nur bis zur proximalenGrenze des G. interpedunculare ver- folgen. Das Verhältnis dieser Bündel zum G. interpedunculare, sowie ihre Kreuzung, welche von Mayser für Knochenfische genau beschrieben sind, konnte ich beim Sterlet nicht ermitteln. Das rechte Bündel ist weitaus stärker als das linke. Die Bündel verlaufen proximal und medial von den Fasern des austretenden Oculomotorius (Taf. XXI Fig. 58 Mb); sie steigen dabei allmählich in dorsaler 352 N. Goronowitsch Richtung. An der Kommunikationsstelle des Mittelhirnventrikels mit der Höhle des Lobus infundibuli verlaufen die Bündel unmittelbar unter dem Epithel, welches die Wand des spaltförmigen Kommuni- kationsraumes bekleidet (Fig. 63 Mb). Proximal von der Commis- sura anterior enden die Bündel in den G. habenulae. Die Struktur dieser letzteren Gebilde zeigt beim Sterlet wenig Unterschied von dem für Knochenfische Bekannten (Fig. 60). Die Hauptverschiedenheit besteht in der Asymmetrie der Ganglien; das rechte Ganglion habenulae ist beträchtlich größer als das linke. Dieser Asymmetrie der Ganglien entspricht die asymmetrische Ent- wicklung der Meyxert'schen Bündel. Jedes Ganglion besteht aus einer centralen Ansammlung feinkörniger Grundsubstanz, welche auf Querschnitten in den peripherischen Schichten eine faserige Struktur besitzt. Die Fasern konvergiren zur medialen Oberfläche des Gan- glion und bilden ein Commissuralsystem, welches beide Ganglien in proximalen Ebenen mit einander vereinigt. Die centrale Substanz des Ganglion ist von mehreren Schichten von Körnerzellen umgeben. Diese Körnerzellen sind denjenigen im Lobus infundibuli höchst ähn- lich. Der Plasmahof, welcher den großen runden Kern umgiebt, ist etwas stärker entwickelt. Die ausgezogenen Pole dieses Feldes sind radial zur Oberfläche des Ganglion gerichtet. Die Zellen senden feine Fortsätze in die Centralsubstanz. Bei starken Vergrößerungen kann man das System dieser Fortsätze als eine radiäre Faserung bis zur Mitte des Ganglion verfolgen. Eine traubenartige Anordnung der Körnerzellen habe ich am Ganglion habenulae des Sterlet nicht gefunden. Die dorsale Oberfläche der Ganglien ist durch eine dünnere Schicht von Körnergewebe bedeckt als die ventrale. Das Körner- gewebe der dorsalen Oberfläche liegt unmittelbar auf der centralen Substanz des Ganglion, das der ventralen Oberfläche ist durch eine Schicht von längsverlaufenden Fasern vom centralen Gewebe abge- trennt (C’). Das Hauptkontingent dieser Fasern gehört den Mey- NERT’schen Bündeln an, der andere kleinere Theil der Fasern sammelt sich aus den ventral liegenden Theilen der Gehirnwände. Die ra- dialen Fasersysteme, welche aus den Körnerzellen der ventralen Schicht entspringen, sind durch den Verlauf der soeben beschrie- benen Fasern in einzelne Bündel getheilt. Darauf beruht die in der Figur in C’ wiedergegebene Gitterstruktur. Auf dem schwach entwickelten linken Ganglion liegt die ventrale Körneranlage un- mittelbar auf der centralen Substanz. Die Fasern der feinen Mry- NERT’schen Bündel, sowie die Fasern aus den ventralen Theilen Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 553 der Gehirnwände, zerstreuen sich im centralen Gewebe des linken Ganglion. Das Tectum opticum des Sterlet hat eine charakteristische Schichtenstruktur, welche fiir den entsprechenden Theil (vorderes Vierhiigelpaar) aller Wirbelthiere bekannt ist. Ich unterscheide von der Peripherie aus in centraler Richtung drei Hauptschichten (Taf. XXI Fig. 58). Die äußere dickere Schicht (7) hat eine körnig faserige Struktur. In der Peripherie dieser Schicht laufen dickere Fasern des N. optieus. Etwas tiefer ist auf Querschnitten eine eirkuläre Faserung zu unterscheiden. Durch die ganze Dicke der Schicht sind rundliche Zellelemente zerstreut. Außer der eirkulären Faserung ist in dieser Schieht noch eine radiale Faserung ausgesprochen. Ein Theil der letzteren Fasern wird durch die Zellenfortsätze der darunter liegen- den Schicht gebildet. Ein anderes weit größeres Kontingent gehört höchst wahrscheinlich den centralwärts sich umbiegenden Opticus- fasern an. Die feineren Verhältnisse dieser Fasern habe ich nicht untersucht. Die zweite Schicht (2) ist durch zwei oder drei Reihen von Körnerzellen gebildet. Diese Zellen senden ihre Fortsätze in der Richtung der peripherischen Schicht aus. Die dritte Schicht wird durch das Epithel der inneren Oberfläche des Tectum ge- bildet (3). Zwischen den Reihen der Körnerzellen der zweiten Sehieht ist ein System von längsverlaufenden Fasern vorhanden, deren nähere Verhältnisse ich nicht ermitteln konnte. Medial sind beide Hälften des Tectum durch eine dünnere Mittelstrecke verbunden. Diese Mittelstrecke besteht aus einem queren Commissuralsystem, welches in der Fortsetzung der eirkulären Faserung der äußeren Schicht des Tectum verläuft (Taf. XXI Fig. 63 Cto). Zwischen den Fasern dieses Commissuralsystems befindet sich eine große Menge von Körnerzellen. In den proximalen Querschnittsebenen des Tec- tum ist dieses Commissuralsystem stärker entwickelt als in distalen. Die Faserung geht proximal, wie oben gesagt, in das System der Commissura posterior über. In den proximalsten Abschnitten des Tectum wird die Körner- schieht dünner. Medial von derselben erscheinen sehr große, ziem- lich dicht zerstreute Ganglienzellen (DA). Die feinen Fortsätze dieser Zellen verlaufen radial zur Oberfläche des Tectum, es schien mir dabei, dass sie mit den Opticusfasern in Verbindung treten, welches Verhalten aber ohne zweckmäßige, speciell darauf gerichtete histo- logische Untersuchung nicht festgestellt werden kann. Offenbar ent- sprechen diese großen Ganglienzellen den von RoHon (40 pag. 37) 554 N. Goronowitsch unter dem Namen Dachkerne beschriebenen Gebilden der Selachier. Bei Selachiern sind aber die Dachkerne nur in den mittleren Theilen des Teetumgewölbes vorhanden, und erstrecken sich weiter distal als beim Sterlet, wo sie nur in den proximalsten Theilen des Teetum zu finden sind. Die Nervi optici des Sterlet sind entsprechend der schwächeren Ausbildung der Augen weit weniger als bei Knochenfischen ent- wickelt. Die Nerven entspringen von der ventralen Oberfläche des kurzen intermediären Abschnittes, welcher das Vorder- und Mittel- hirn vereinigt. Der Austritt geschieht in den Querschnittsebenen. welche proximal von den Ganglia habenulae liegen. Auf Taf. XXI Fig. 64 ist ersichtlich, dass das Chiasma fast die ganze Dicke der Basis des Gehirnes dieser Gegend in Anspruch nimmt. Der dorsale Abschnitt des Chiasma ist von der Ventrikelhöhle nur durch eine dünne Schicht Körnersubstanz und eine Epithellamelle getrennt. Die durchkreuzten Fasern steigen schief dorsalwärts und distalwärts zum Tectum (Fig. 63 Op). Das von den Gehirnwänden nicht abge- trennte Chiasma der Knorpelganoiden erinnert an das bekannte Ver- halten der Petromyzonten. An der Übergangsstelle der Fasern des Opticus auf das Tectum- gewölbe findet keine Spaltung der Fasern in ein hinteres und vor- deres Fasersystem, wie es bei Knochenfischen der Fall ist, statt. Es fehlt auch die Ganglienzellengruppe, welche MAysErR als Corpus geniculatum externum sen. lat. bezeichnete (55 pag. 288). Die Fasern des Nerven verlaufen in der Rinne, welche das Tectum von den basalen Abschnitten des Mittelbirnes trennt. Während dieses Verlaufes wenden sich regelmäßig Bündel von Opticusfasern ab, steigen in dorsale Rich- tung und zertheilen sich in den peripherischen Schichten des Tectum. VIL. Struktur des Vorderhirnes. Deutung einiger Gebilde des Vorderhirnes der Ganoiden und Knochenfische. Die proximale Grenze des Mittelhirnes ist durch die Ursprungs- stelle der Epiphyse angegeben. Von dieser Stelle bis zu denjenigen Querschnittsebenen, welche die distalen Abschnitte der Basalganglien treffen, ist eine kurze Übergangsregion des Gehirnes zu unterschei- den, welche man vorläufig als Zwischenhirn bezeichnen kann. In der Ebene des Ursprunges der Epiphyse hat der Querschnitt der seitlichen Wand des Gehirnes eine ungefähr dreieckige Form Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 555 (Taf. XXI Fig. 59). Die dorsale Ecke geht in das G. habenulae über. Im dorsolateralen Abschnitte verlaufen die Fasern des Opti- eus (Op), der mediale Abschnitt der Oberfläche besteht aus körniger Grundsubstanz. Zwischen dieser Substanz und dem Ventrikelepithel befinden sich einige Vertikalreihen von kleinen Zellelementen (Zm). Diese Zellen senden lateral gerichtete Fortsätze aus, welche in der feinkörnigen Substanz sich verlieren. Oft findet man auch, dass solche Fortsätze bis zur Gegend der Opticusfasern zu verfolgen sind. Ich bezweifle aber, dass solche Fasern in Opticusfasern sich um- wandeln. Indem man diese Zellreihen distal verfolgt, findet man, dass sie ununterbrochen in die Mittelhirnregion zu verfolgen sind, wo sie denselben Charakter bewahren. Der einzige Unterschied be- steht darin, dass sie hier sparsamer vorkommen. In den proximalen Ebenen steigt ihre Anzahl; diese Zellen erreichen die proximale Grenze in den distalen Abschnitten der Basalganglien. Hier erscheinen an- dere Zellelemente, solche, welche den ventralen Abschnitten der Basalganglien eigen sind. Das Vorkommen dieser Zellen steht also nicht in direkter Beziehung mit der Lage des Chiasma und der Fa- serbahnen des Opticus. Ventral von der Stelle, wo die Opticusfasern verlaufen, findet man eine nicht scharf begrenzte Anhäufung rund- licher Zellelemente (Pt4). Distal ist dieser gangliöse Körper bis zur Basis des Mittelhirnes zu verfolgen. Proximal endet er in der Nähe des Chiasma. Auf Sagittalserien findet man, dass aus diesem Körper ein starkes System markloser Fasern entspringt, welches man distal bis zu den Austrittsebenen des Trigeminus I verfolgen kann. Es ist oben als zweites System beschrieben, welches das Mittelhirn mit der Oblongata verbindet (S.). In den proximalen Ebenen des Chiasma erscheinen in den dor- salen Abschnitten der Gehirnwände zwei Vorsprünge, welche die Struktur der Basalganglien haben (Fig. 64 BG). Unmittelbar pro- ximal von dem Chiasma verbreitet sich die Struktur der Basalgan- glien allmählich über die ganze seitliche Wand des Vorderhirnes. Die Ganglien bestehen aus sehr kompakter feinkörniger Grundsub- stanz mit eigenthümlich gelagerten gangliösen Zellen und aus äußerst feinen marklosen Fasersystemen. Die innere Oberfläche der Gan- glien ist von Flimmerepithel bedeckt. Zwischen einzelnen Flimmer- zellen befindet sich eine beträchtliche Menge sogenannter Stiftzellen. Unter günstigen Bedingungen kann man die Fortsätze dieser Zellen auf eine ziemlich große Strecke in die Substanz der Ganglien hinein verfolgen. Unter dem Epithel findet man in den dorsalen Abschnitten 556 N. Goronowitsch der Ganglien eine Schicht kleiner Zellen, deren Fortsätze central- wärts und radial verlaufen. In den ventralen Abschnitten der Gan- glien sind solche Zellen nicht vorhanden. Man findet aber schr kleine Zellelemente, welche regellos zerstreut sind. In der Dieke der Ganglien sind große Zellen mit großem runden Kern und blass gefiirbtem Körper vorhanden. Die prävalirende Richtung der Fort- sätze ist ebenfalls eine radiale zur inneren Oberfläche der Ganglien, und giebt dem Querschnitte des Basalganglions ein sehr charakte- ristisches Aussehen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Zellelemente der dor- salen Abschnitte der Ganglien reihenweise angeordnet sind (Taf. XXII Fig. 79). Diese Reihen verlaufen mehr oder weniger parallel der inneren Oberfläche der Ganglien. In den ventro-lateralen Abschnitten sind die Zellelemente kleiner und die Anordnung in Reihen ist nicht ausgesprochen. Deutlicher ist sie in den proximalen Abschnitten der Ganglien als in den distalen. Außer diesen Zellen findet man noch Körnerzellen, welche mehr in ventralen und lateralen Abschnit- ten der Ganglien vorkommen. Als den Gerüstgebilden angehörig betrachte ich stellenweise vorkommende kleine stäbchenförmige Kerne. Dieselbe Struktur behalten die Ganglien bis zu der Stelle, wo auf ihrer medialen Oberfläche die seitliche Rinne erscheint, welche in die Höhle des Lobus olfactorius verläuft. Von dieser Stelle an geht allmählich die Struktur der Basalganglien durch eine Reihe von all- mählichen Übergangsstufen in die Struktur der Lobi olfactorii über, so dass eine scharfe Grenze zwischen diesen beiden Gebilden nicht zu ziehen ist (Taf. XVIII Fig. 14). Die Struktur der Lobi olfactorii hat im Allgemeinen viel Über- einstimmendes mit dem, was für höhere Wirbelthiere bekannt ist. Der Unterschied besteht nur in einer ärmeren Gliederung der Schichten. Auf diese Übereinstimmung der Struktur der Lobi der Selachier und Knochenfische mit jener höherer Wirbelthiere hat schon FrrrscH (66 pag. 47) aufmerksam gemacht. Auf der Peripherie des Lobus findet man eine Olfactoriusfaser- schicht (Taf. XXII Fig. 74 O/fj. Die Fasern sind in einzelne etwas durch einander sich windende Bündel angeordnet. Jedes Bündel ist von einer Bindegewebshülle umgeben. Indem man die Sehnittserien von den proximalen Abschnitten distalwärts durchmustert, findet man, dass die einzelnen Bündel in verschiedenen Querschnittsebenen in die Substanz des Lobus eintreten. Die peripherische Schicht des Lobus kann als Stratum glomerulosum bezeichnet werden (Sg/). In reich Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 557 vasceularisirtem Grundgewebe dieser Schicht findet man dicke Bündel von feinsten marklosen Fasern. Auf Querschnitten erscheinen diese Bündel wie rundliche körnige Felder (Taf. XXII Fig. 76 G7’). Diese Felder sind umgeben von einem Filzwerke von feineren und dickeren Olfactoriusfasern. Zwischen ihnen befinden sich sehr große blass gefärbte Nervenzellen, deren Fortsätze sich in verschiedenen Rich- tungen kreuzen. Mir ist es auch öfters gelungen, solche Fortsätze in der Richtung der austretenden Olfactoriusfasern zu verfolgen. Körnerzellen findet man in dieser Schicht selten. Auf Längsschnitten findet man, dass die Glomeruli nichts Anderes als Gruppen von fein- sten marklosen Fasern des Olfactorius sind. Jeder Glomerulus ver- liert sich distal in der feinkörnigen Grundsubstanz des Lobus und geht proximal in ein Bündel von Olfactoriusfasern über. Aber nicht alle Faserbiindel des Olfactorius werden durch die Fasern der Glo- meruli gebildet. Ein Theil davon verliert sich in der centralwärts vom Stratum glomerulosum vorhandenen feinkörnigen Substanz. Die centralwärts folgende Schicht besteht aus feinkörniger Sub- stanz mit spärlichen Körnerzellen. Diese Schicht entspricht dem Stratum gelatinosum. Die Form der Zellen ist jedoch nicht von der der Körnerzellen der centralwärts folgenden Schicht zu unterscheiden, welche als dem Stratum granulosum entsprechend angenommen sein kann. In dieser Schicht sind die Körnerzellen sehr dicht gelagert. Die Grundsubstanz besteht aus einem feinsten Faserfilzwerk. Inner- lich sind die Lobi mit Flimmer- und Stiftzellenepithel bekleidet. In Querschnittsebenen, welche etwa der Mitte des Vorderhirnes entsprechen, sind die Basalganglien ventral durch eine dicke Kom- missur mit einander verbunden. Es ist das die Commissura inter- lobularis. Ich ziehe diese alte Bezeichnung aus den von Osborn (60 pag. 236) gegebenen Gründen vor. Beim Sterlet besteht die Hauptmasse der Kommissur aus feinkörniger Substanz mit zerstreuten kleinen Kernen, nur in den dorsalen Abschnitten lässt sich eine Faserung unterscheiden, welche eine Kreuzung bildet. Es gelang mir nicht, die weiteren Schicksale dieser Fasern zu verfolgen. Außer ihnen findet man spärliche dickere, marklose Faserbündel, welche aus dem Lobus olfactorius kommen, sich mit den Fasern der ent- gegengesetzten Seite kreuzen und distalwärts verlaufen, wo sie sich den Systemen, welche gegen den Lobus infundibuli verlaufen, zu- zugesellen scheinen. Diese Beobachtung ist jedoch wegen der Schwierigkeit des Objekts etwas unsicher. Die Fasersysteme, welche zwischen Vorderhirn und distal liegen- 558 N. Goronowitsch den Abschnitten eine Verbindung vermitteln, sind auf sagittalen und horizontalen Schnittserien bequemer zu untersuchen. Ventro-medial von den aufsteigenden Opticusfasern befindet sich ein stark ent- wickeltes Fasersystem (Taf. XVIII Fig. 19). Ein Theil der Fasern scheint, wie gesagt, aus der Commissura anterior zu kommen. Das Hauptkontingent des Systems kommt aus der centralen Substanz des Basalganglion. Zu diesen gesellen sich noch Fasern aus einer An- sammlung von kleinen Nervenzellen, welche proximal von der Op- ticuskreuzung liegen. Auf Sagittalserien kann man sich überzeugen, dass der laterale Abschnitt der Fasern des betreffenden Systems zur Basis des Mittel- hirnes verläuft und sich schließlich in den distalen Abschnitten der Lobi inferiores zertheilt (VZp). Der mediale und ventrale Abschnitt des Systems wendet sich ventralwärts und zertheilt sich in den pro- ximalen Abschnitten des Lobus infundibuli (Y/a). Zwischen diesen Fasern sind einzelne Bündel von marklosen Fasern zu unterscheiden, welche denselben Charakter besitzen als die, welche aus den Lobi olfactorii kommen und sich in der Commissura anterior kreuzen. Es ist zu vermuthen, dass diese Bündel eine direkte Fortsetzung der Bündel der Lobi olfactorii sind, allein es ist nicht sicher. In der Verlaufsbahn der Fasern der beiden Systeme findet man spindelförmige Nervenzellen. Die Fortsätze dieser Zellen sind dem Verlaufe der Fasern entsprechend gerichtet. Höchst wahrscheinlich wird ein Theil der Fasern durch diese Zellen unterbrochen. Das soeben beschrie- bene System bildet die Hauptverbindung zwischen dem Vorderhirn und den distalen Abschnitten des Gehirnes. in dorsalen ‘Abschnitten der distalen Theile der Basalganglien bildet sich ein Faserstrang, welcher in dorsaler Richtung verläuft (T7o). Die Fasern umkreisen ventral die G. habenulae ihrer Seite und treten in die centrale faserige Substanz des Ganglion, wo ein Theil un- zweifelhaft ein Faserkontingent ihrer Kommissur bildet. Sich ähn- lich verhaltende Faserzüge, die sogenannten Taeniae thalami optici, sind für Knochenfische, sowie für Petromyzonten (47 pag. 285; 55 pag. 359) bekannt. Ein System, welches dem hinteren Längsbündel der Haube der Selachier (RoHox 40 pag. 32 u. a) entsprechen könnte, wird beim Sterlet vermisst. Dieses System der Selachier ist eine Fortsetzung eines Theils der hinteren Längsbündel. Die Fasern die- ser letzteren Bündel sind beim Sterlet nicht bis zur Vorderhirnregion zu verfolgen. Dieses Verhalten steht vielleicht mit dem reducirten Zustand des Vorderhirnes der Knorpelganoiden in Zusammenhang. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 559 Es bleibt noch übrig, mich über die Deutung einiger Gebilde des Vorderhirnes der Ganoiden und der Knochenfische zu äußern. Leider ist mir das Vorderhirn der Selachier aus eigenen Unter- suchungen nicht bekannt. Ich bin überzeugt, dass die definitive Erledigung der Frage bezüglich der Deutung der Gebilde des Vor- derhirnes der Ganoiden und Knochenfische erst nach einem ein- gehenden Studium der Entwicklung, und der Struktur des Vorder- hirnes der Selachier einerseits und der Reptilien andererseits möglich wird. Wir sind berechtigt, in der letzten Klasse die Anfänge der Verhältnisse zu vermuthen, welche zu den gut bekannten Verhält- nissen des Vorderhirnes der Säugethiere führen. Auf Taf. XXII Fig. 69 ist ein Medianschnitt von Salmo salar des 75. Tages dargestellt, in Fig. 70 ein solcher Schnitt des Hiihn- chens des 8. Tages. Die Vergrößerungen sind so gewählt, dass beide Gehirne annähernd dieselbe Größe bieten. Auf Präparat Fig. 70 ist die mediale Oberfläche einer Hemisphäre tangential durch den Schnitt getroffen. Dieser Theil ist durch Punktlinien angedeutet. Durch die Vergleichung beider Schnitte finden wir, dass der Lobus infundibuli des Fisches relativ bedeutender gegen die anderen Ab- schnitte des Vorderhirnes entwickelt ist, als beim Vogel. Beim Fisch ist der Lobus durch die ganze Wandstrecke des Gehirnrohres, welche zwischen Chiasma und Beugestelle der Mittelhirnbasis liegt, gebildet, beim Vogel nur durch einen Theil dieser Wandstrecke. Der Ge- wölbtheil des Vorderhirnes des Vogels, welcher proximal von der Ursprungsstelle der Epiphyse bis zu den Querschnittsebenen der Commissura anterior (Ca) sich erstreckt, ist bedeutend stärker als beim Fisch entwickelt. Allein diese Verschiedenheiten scheinen auf den ersten Blick nur auf unwesentlichen Größenverhältnissen einzelner Theile zu beruhen. In Folge dessen könnte man vielleicht eine fol- sende Deutung der Theile vorschlagen. Die Abschnitte Z+s, welche durch Punktlinien abgegrenzt sind, könnte man beim Fisch und Vogel als Zwischenhirn auffassen (Thalamencephalon). Der proxi- malwärts liegende Abschnitt — Hemisphären beim Vogel — könnte beim Fisch als unpaariger Abschnitt des Vorderhirnes, welcher durch Reduktion von paarigen Hemisphären entstanden ist, gedeutet wer- den (V/ Fig. 69); also beim Vogel wie beim Fisch als sekundäres Vorderhirn aufgefasst werden. Richtiger wäre, den Abschnitt s in beiden Gehirnen als Stammtheil des sekundären Vorderhirnes zu deuten. Man könnte aber auch nach RaBL-RÜCKHARD die ventrale Wand des Vorderhirnes mit den Basalganglien, bei Ganoiden und 560 N. Goronowitsch Knochenfischen als einen Theil der Hemisphären der höheren Wirbel- thiere, welcher der Reıt'schen Insel entspricht, betrachten (20 pag. 307). Ferner könnte man nach Ragr-Rücknarp die Basal- ganglien als Corpora striata oder, der genaueren Terminologie von SCHWALBE folgend, als Nuclei caudati auffassen, dabei auch. voraussetzen, dass eine vollständige Abgrenzung des primären und sekundären Vorderhirnes bei Knochenfischen noch nicht geschehen ist (20 pag. 307, 309). Gegen alle diese Deutungsversuche lassen sich gewichtige Gründe anführen. Das Richtigste scheint mir, eine specielle Homologie des Vorderhirnes der Knochenfische mit dem Vorderhirne der höheren Wirbelthiere in Abrede zu stellen und nur eine allgemeine Homologie anzuerkennen. Das Vorderhirn der Selachier stellt uns einen an- fänglichen indifferenten Zustand des Organs dar. Es ist, wie es oben erörtert war, als dorsaler Auswuchs des primitiven Gehirnrohres entstanden. Anfänglich stellte es wahrscheinlich nur das Central- organ des Geruchsinnes vor. Von diesem indifferenten Rhinencepha- lon sind einerseits die reducirten Zustände des Vorderhirnes der Ganoiden und Knochenfische abzuleiten, von der anderen Seite die weiter entwickelten Organisationen des Vorderhirnes der Dipnoer, Amphibien, Reptilien, welch letztere zu den höchsten Stufen des Organs führen. Von Interesse ist die Thatsache, dass die niedrigen Zustände des Vorderhirnes, welche bei Selachiern, Ganoiden und Knochenfischen sich finden, weit größere Schwankungen in ihrer Struktur zeigen als bei höheren Formen. Diese Thatsache deutet viel- leicht darauf, dass das Organ eine größere morphologische Stabilität erreicht, wenn es eine breitere, mannigfaltigere Leistungsfähigkeit erworben hat. Solche beträchtliche Variationen, welche uns das Vorderhirn der Rochen von Polypterus, Lepidosteus, der Mormyri- den etc. darstellen, giebt es nicht mehr in höheren Klassen. Die Einwände, welche ich gegen die oben vorgeschlagenen Deu- tungen habe, gründen sich auf Folgendes. Es ist schon mehrmals ausgesprochen, dass bei Selachiern und Knochenfischen nur die Rudi- mente eines Thalamus opticus vorhanden seien. RABL-RÜCKHARD (20 pag. 285) sagt z. B., dass bei Knochenfischen der Thalamus ganz zuriicktritt. Andere Autoren deuten die Ganglia habenulae als Gebilde, welche bei Fischen einzig die Thalami darstellen. Und in der That, die Zwisehenregion des Vorderhirnes, welche bei Fischen die Basalganglien mit dem Mittelhirne vereinigt, zeigt weder in ihrer Struktur noch in ihren Verbindungen große Ähnlichkeit mit Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 561 den Thalami der Säuger. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Ganglia habenulae der Knochenfische und höheren Wirbelthiere ho- molog sind. Die Verbindungen dieser Gebilde mit den MEYNERT- schen Biindeln. sowie die Faserzüge der Taeniae thalami haben viel Übereinstimmendes in beiden Gruppen. Man darf also mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass derjenige Abschnitt des Thalamus, welcher bei höheren Wirbelthieren Trigonum habenulae heißt, bei Knochenfischen vorhanden ist. Wo sind aber die übrigen Hauptab- schnitte dieser mächtigen Ganglien bei Fischen? RomHon (40 pag. 58) bestreitet das Vorhandensein der vorderen oder der eigentlichen Massen der Thalami bei Selachiern. Er stellt dieses Verhalten in Zusammenhang mit dem fast vollständigen Mangel der Haubenbahnen bei Selachiern. Ich glaube, dass dieser Mangel der Hauptabschnitte der Thalami bei Fischen auch auf dem vollkommenen Mangel des Gliedes I des Projektionssystems beruht. Die Nervenbahnen, welche von der Oberfläche der Vorderhirngebilde der Fische verlaufen, kon- vergiren nicht zu einem Ganglion, welches dem Thalamus entspre- chen könnte. Sie konvergiren gegen den Lobus infundibuli. Die physiologische Bedeutung (STEINER) des Vorderhirnes der höheren und niederen Wirbelthiere ist verschieden, verschieden sind auch die Verbindungen desselben. Die Verbindungen der Zwischenregion des Vorderhirnes mit den distalen Abschnitten des Gehirnes sind, wie RoHoN bemerkt, schwach entwickelt. So fand z. B. Mayser (55 pag. 289) bei Cyprinoiden kleine feinfaserige Fascikelehen der hin- teren Längsbündel, welche zum Zwischenhirn verlaufen. Das oben für Ganoiden beschriebene zweite Längssystem (Ss), welches durch die Basis des Mittelhirnes verläuft und in dem gangliösen Körper der Zwischenhirnregion endet (Fig. 59 Pt), kann vielleicht mit einer der Längsbahnen der Regio subthalamica der höheren Wirbel- thiere verglichen und der gangliöse Körper als Abschnitt des Thala- mus aufgefasst werden. Diese Bahnen geben eine Andeutung, dass einige Rudimente der Hirnschenkelhaube bei Fischen vorhanden sein können. Zu diesen Bahnen können auch vielleicht die marklosen nicht von einander individualisirten Bahnen mitgerechnet werden, welche die Basis des Mittelhirnes mit der Zwischenregion verbinden. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass die Verbindungen dieser Bahnen bei Selachiern und Ganoiden uns vollständig unbekannt sind. Der Thalamus höherer Wirbelthiere ist hauptsächlich als Fokal- ganglion eines gewissen Abschnittes des Gliedes I des Projektions- systems charakterisirt, welches Merkmal jedoch an der Zwischen- 562 N. Goronowitsch region des Gehirnes der Fische nicht ausgesprochen ist. Dass ein Stratum zonale fehlt, ist wohl nicht merkwürdig, denn es können bei Selachiern keine Schläfen- und Hinterhauptslappen angenommen werden. Wir kennen aber auch keine Bahnen, welche mit dem Stabkranze verglichen werden können. Es giebt auch keine Bahnen, mit denjenigen der Säuger vergleichbar, die durch die Substantia in- nominata zum Thalamus verlaufen. Das letztere Verhalten spricht gegen die Deutung der Basalganglien als Insula Reilii. Alles das erweist einen vollkommenen Mangel des vorderen, des bedeutendsten Abschnittes des Thalamus bei Fischen. Wir kön- _ nen nur Rudimente einzelner Theile der Thalami höherer Wirbel- thiere in solchen Gebilden, wie die Ganglia habenulae oder vielleicht noch in dem Ganglion (Pth Fig. 59) der Ganoiden erkennen. Die von Mayser gefundenen schwach ausgesprochenen Verbin- dungen des N. opticus mit den Wänden der Zwischenregion bei Cy- prinoiden erlauben vielleicht den Schluss, dass diejenigen Abschnitte, welche im Allgemeinen dem Pulvinar und dem Corpus genieulatum laterale der höheren Wirbelthiere entsprechen können, bei Fischen vorhanden sind. Allein auch dieser Schluss wird in neuerer Zeit erschwert, da eine direkte Verbindung des N. opticus mit den be- zeichneten Abschnitten des Thalami bei höheren Wirbelthieren ge- leugnet wird (68). Es besteht also im Vorderhirne der Fische ein fast vollkommener Mangel der Gebilde, welche als Thalamus auf- gefasst werden können. Die Basalganglien der Ganoiden stehen durch ein stark ent- wickeltes Fasersystem mit den Wandungen des, Lobus infundibuli in Verbindung. SAnDERS beschrieb ein entsprechendes Fasersystem für Knochenfische (56 pag. 751). Dieses System, wie ich für Cyprinoiden bestätige, verläuft zum Lobus infundibuli. Außer diesem System und den Faserzügen zu den Ganglia habenulae konnte ich keine andere Verbindungen der Basalganglien konstatiren. Falls solche Verbindungen existiren, müssen sie in Vergleichung mit dem mäch- tigen System, welches die Basalganglien mit dem Lobus infundibuli verbindet, sehr schwach entwickelt sein. Für das Vorderhirn der Selachier sind mir wenige detaillirte Angaben bekannt. ROoHON (40 pag. 31) beschreibt eine Längsfaserbahn, das hintere Längs- bündel der Haube, und noch ein System. Dieses letztere ist viel stärker, verläuft distalwärts, um, wie Verfasser sagt. die gleich hinter dem Voir gelagerte Regio ventrieuli tertii aufzusuchen. Aus der Lage dieses Systems (40 Taf. VI Fig. 42, 44) schließe ich, Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 563 dass es derjenigen der Ganoiden und Knochenfische, welche zum Lobus infundibuli verläuft, entspricht. Es ist also unzweifelhaft. dass die Hauptverbindung der Basalganglien der Knochenfische und Ganoiden, wahrscheinlich auch der Selachier, mit dem Lobus infun- dibuli besteht. Dieser letztere Abschnitt steht in Verbindung mit der Oblongata, bei Knochenfischen auch in klar ausgesprochener Ver- bindung mit dem Cerebellum. Der Nucleus caudatus der höheren Wirbelthiere ist hauptsächlich durch seine Verbindung mit einem Theile des Hirnschenkelfußes charakterisirt. Ist dieses charakteristische Verhalten für die Basal- ganglien der Fische zu konstatiren? Wenn wir den Standpunkt von MEYNERT einnehmen, und den Nucleus caudatus als Gehirnganglion auffassen, so wird von Anfang an der Mangel des Gliedes I des Projektionssystems bei Knochenfischen befremden. Freilich müsste bei Knochenfischen das erste Glied des Projektionssystems fehlen, in dem Falle nämlich, wenn das Pallium, entsprechend RABL-RÜück- HARD’s Auffassung, noch nicht entwickelt wäre. In diesem Falle ist aber überhaupt das Vorhandensein des Basalganglion, wenn es als Nucleus caudatus aufgefasst wird, unverständlich. Vom Stand- punkt WERNICKE's aus, welcher den Nucleus caudatus als Modifi- kation der Corticalsubstanz betrachtet, wird meiner Meinung nach auch das Vorhandensein der Basalganglien bei Fischen problema- tisch. Bei Fischen, sogar bei Amphibien, ist doch das Vorhandensein einer Corticalsubstanz durchaus nicht nachzuweisen! Der Haupt- einwand gegen eine Deutung der Basalganglien als Nuclei caudati besteht aber in dem Mangel eines Hirnschenkelfußes bei Fischen, in dem Mangel der Pedunculi cerebri also, in dem Sinne, in wel- chem wir diese Gebilde bei Säugethieren verstehen. Die Hauptver- bindungen der Basalganglien bei Ganoiden und Knochenfischen, wahr- scheinlich auch des Vorderhirnes der Selachier bestehen, wie gesagt, in den Verbindungen mit dem Lobus infundibuli. Haben aber diese Bahnen etwas Ähnliches mit den Pedunculi cerebri der höheren Wirbelthiere? Auf Grund seiner Untersuchungen über den Lobus infundibuli kam W. MÜLLER zu dem Schlusse, dass dieser Abschnitt (Zwischen- hirnbasis) im Verlaufe der Vervollkommnung der Wirbelthiere eine auffallende Reduktion erfahren hat und sagt (23 pag. 242): »Über die Ursachen der Verschiedenheit, welche die Entwicklung der ur- sprünglich gleichartigen Anlage der Zwischenhirnbasis bei den ein- zelnen Klassen der Cranioten zeigt, lassen sich zur Zeit höchstens Morpholog. Jahrbuch. 13. 37 564 N. Goronowitsch Vermuthungen aufstellen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass in Folge der erheblichen Veränderungen, welche an den Embryonalanla- gen der höheren Wirbelthierklassen gegenüber jenen der Cyclostomen und Fische frühzeitig zu konstatiren sind, Leitungsbahnen allmählich in Wegfall gekommen sind, deren Existenz das bedingende Element für die verhältnismäßig hohe Entwicklung der Zwischenhirnbasis bei Cyelostomen und namentlich Fischen gebildet hat und dass diesem physiologischen Moment die auffallende Reduktion zugeschrieben werden muss, welche dieser Hirntheil bei der sonstigen Vervoll- kommnung der Wirbelthiere erfahren hat.« Alle Untersuchungen über das Vorderhirn der Fische bestätigen den Gedanken W. MULLER’s. In der That sind die Bahnen, welche den Lobus infundibuli der Fische mit dem Vorderhirn verbinden, entweder ausgefallen oder sie haben eine komplieirte Transformation erfahren. Diese Transforma- tion oder Ausfall von Bahnen ging gleichen Schrittes mit dem Re- duktionsprocess der Lobi infundibuli. An der Stelle der verschwun- denen Bahnen sind neue entstanden, gleichzeitig mit der Entstehung neuer gangliöser Gebilde (Thalamus, Nucleus caudatus). Die Basal- ganglien können nicht als Nuclei caudati, noch weniger aber als Insula aufgefasst werden, denn derjenige Abschnitt, mit welchem die Basalganglien der Fische in Verbindung stehen, ist bei höheren Wirbelthieren redueirt. Die Verhältnisse der Pedunculi cerebri der - höheren Wirbelthiere sind andere als die Verhältnisse der soge- nannten Pedunculi der Fische. Es bleibt noch übrig, die Unterschiede der embryonalen Hirn- krümmungen der primitiven Formen und der höheren Wirbelthiere zu betrachten. Es ist eine wohlbekannte Thatsache, dass die embryonalen Hirnkriimmungen in den verschiedenen Klassen der Wirbelthiere in dem Grade der Krümmung variiren. Auch nimmt die sogenannte Hakenkrümmung in verschiedenen Klassen zum Theil verschiedene Abschnitte des Gehirnrohres in Anspruch. Auf die Beurtheilung der Ursachen dieser Variationen kann ich nicht näher eingehen. Dazu fehlen mir angehörende ausgedehnte Beobachtungen an einer größeren Formenreihe. Auf Grund der ziemlich reichen Litteraturangaben scheint es mir aber wahrscheinlich, dass die Ursachen dieser Varia- tionen in verschiedenen Klassen verschieden sind. Im Allgemeinen können diese Ursachen-auf ein schnelles und frühzeitig stattfinden- des Wachsthum des dorsalen Abschnittes des Gehirnrohres zurück- geführt werden. Dabei ist zu bemerken, dass die wachsende Strecke Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 565 nicht eine allen Formen entsprechende ist. Mich interessirt hier die Krümmung und das Wachsthum des dorsalen Gewölbes des Gehirn- rohres der Vögel. Auf Grund mancher Angaben von STIEDA ist ein Thalamus opticus bei Vögeln vorhanden (69). Denselben beschreibt auch SCHULGIN (70 pag. 21 u. a.). Wenn man das Wachsthum des Gehirnrohres des Huhnes in der Periode vom zweiten bis vierten Tage der Entwicklung beob- achtet, so fällt sofort das rasche Wachsthum des Abschnittes des Gewölbes auf, weleher unmittelbar proximal vom Mittelhirngewölbe liegt. Eine definitive Deutung des wachsenden Abschnittes wird voll- kommen sicher bei dem ersten Entstehen der Epiphyse. Es findet am dritten Entwieklungstage statt. Ein Medianschnitt dieses Sta- diums ist auf Taf. XXI Fig. 71 dargestellt. Der ganze Abschnitt des Gewölbes, welcher durch sh bezeichnet ist, giebt in späteren Stadien die Sehhügelregion. Der Abschnitt VA entspricht dem se- kundären Vorderhirn; der Abschnitt Zr entspricht der Trichterregion. Der ganze Abschnitt Zr und sf entspricht also dem Zwischenhirne. Welchen bedeutenden Unterschied zeigt aber die Entwicklung des Gehirnrohres der Knochenfische! Von den frühesten Stadien der Entwicklung an bildet die Basis des primitiven Vorderhirnes den kolossalen Lobus infundibuli (Taf. XVIII Fig. 12, 13). Das Wachs- thum des dorsalen Gewölbes des Gehirnrohres der Fische, in Ver- gleichung mit dem der Vögel, ist sogar auch in den spätesten Sta- dien schwach ausgesprochen (Fig. 69). Bei dem Vogel im Gegen- theil geht das Wachsthum der Trichterregion langsam vor sich, das der Sehhiigelregion dagegen rasch. Wenn wir diese Thatsachen mit den Resultaten der Untersuchung der Struktur des Vorderhirnes der Knochenfische, welche einen fast vollkommenen Mangel des Thala- mus nachweisen, zusammenstellen, und außerdem die Angabe W. MÜLLER’s über die Reduktion des Lobus infundibuli ins Auge fassen, so werden die Unterschiede in der Entwicklung des Vorderhirnes der Fische und Vögel verständlich. Von den frühesten Stadien der Entwieklung an entsteht beim Vogel die hypertrophische Anlage der Sehhügelregion, es unterbleibt dagegen die Entwicklung der Trichter- region. Bei Fischen im Gegentheil ist es die Trichterregion, welche von den frühesten Stadien an prävalirt, die Bildung der Sehhügel- region unterbleibt dagegen. Aus diesen Thatsachen ist der Schluss zu ziehen, dass das em- bryonale Zwischenhirn der Vögel ein wesentlich verschiedenes Ge- bilde als der distale Abschnitt des embryonalen Vorderhirnes der 37* 566 N. Goronowitsch Fische ist. Diese beiden Gebilde sind nicht direkt mit einander zu vergleichen, denn sie werden durch verschieden wachsende Strecken des embryonalen Gehirnrohres bei dieser und jener Form gebildet. Das vergleichend-anatomische Resultat wird durch die ontogeneti- schen Vorgänge bestätigt. Ich finde es nicht überflüssig, am Ende dieser Betrachtungen alles in dieser Arbeit über das Vorderhirn Gesagte kurz zu resu- miren. Das proximale ventralwärts abgebogene Ende des embryo- nalen Gehirnrohres, welches das primitive Vorderhirn im Sinne GörrE’s darstellt, ist als der primitivste phyletische Zustand des Vorderhirnes aufzufassen, welchen wir auf Grund der Ontogenie der primitiven Formen uns vorstellen können. Dieser Abschnitt des Gehirnrohres ist am besten mit dem Namen primitives Vorderhirn zu bezeichnen. Das primitive Vorderhirn ist homodynam einem Abschnitte des Rückenmarks, wie das GÖTTE auffasste. ‘Durch das Wachsthum der dorsalen Oberfläche des primitiven Vorderhirnes ent- stand das abgesonderte Centralorgan des Geruchsinnes. Durch einen Auswuchs der Basis des primitiven Vorderhirnes ist der Lobus in- fundibuli entstanden. Die Ausbildung des Centralorganes, des Ge- ruchsinnes führte zur Bildung des prächordalen Abschnittes des Schiidels. Die Architektur des Craniums der primitivsten uns be- kannten gnathostomen Cranioten, der Notidaniden, giebt im Ganzen - die Architektur des Gehirnes wieder. Viele heute lebenden primi- tiven Formen haben noch jetzt im ausgewachsenen Zustande die- jenigen Formen des Gehirnes erhalten, welche auf den oben an- gegebenen phylogenetischen Entwicklungsgang hinweisen. Die all- mähliche Entwicklung des Centrums des Geruchsinnes führte zur Entstehung des Rhinencephalon der heute lebenden Selachier. Dieses noch indifferente Organ zeigt keine specielle Homologie mit dem Zwischen- und Vorderhirn der höheren Wirbelthiere. Er steht in stark entwickelter Verbindung mit dem Lobus infundibuli, welcher, wie W. MÜLLER zeigte, bei höheren Wirbelthieren sich reducirt. Vom Rhinencephalon der Selachier sind einerseits die redueirten Formen des Rhinencephalon der Ganoiden und Teleostier abzuleiten; diese Vorderhirnzustände liegen in seitlichen Ästen des phyletischen Stammbaumes und zeigen keine direkten Anschlüsse an höhere Organisationsstufen. Andererseits ist vom Selachier-Rhinencephalon die Organisation des Vorderhirnes ‘der Dipnoer, Amphibien und Rep- tilien abzuleiten. Unter diesen Formen erst kann man direkte An- schlüsse an das Vorderhirn der höheren Wirbelthiere vermuthen, Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 567 wie es sich auch zum Theil bestiitigt. Der erste Schritt zu diesen höheren Organisationsstufen des Vorderhirnes besteht in der Reduk- tion des Lobus infundibuli und in einer Transformation der Verbin- dungsbahnen des Vorderhirnes mit distal liegenden Abschnitten des Nervensystems. Die Entwicklung der Thalami und die Reduktion des Lobus infundibuli ändert die Entwieklungsvorgänge des Gehirn- rohres der höheren Wirbelthiere von den frühesten Stadien an. Es erscheint ein Zwischen- und sekundäres Vorderhirn; das erste hat eine ganz andere Bedeutung als der distale Abschnitt des Vorder- hirnes der Fische, denn er entsteht durch beschleunigtes Wachsthum bestimmter dorsaler Abschnitte des Gehirnrohres, welche bei Fischen im Wachsthume unterbleiben. Mit der allmählichen Entstehung der Thalami und Umänderung des Rhinencephalon der Selachier entstehen allmählieh die Hirnschenkelhaube und die Peduneuli cerebri der höheren Wirbelthiere — der Hirnschenkelfuß. Landhaus in Puschkino. Verzeichnis der eitirten Litteratur. 1) J. MÜLLER, Über den Bau und die Grenzen der Ganoiden. 2) STANNIUS, Uber den Bau des Gehirnes des Stirs. MÜLLER’s Archiv. 1843. 3) —— Das peripherische Nervensystem der Fische. 4) —— Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. 2. Auflage. 5) GEGENBAUR, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Schultergiirtel der Wirbelthiere. II. Das Kopfskelet der Selachier. III. 6) —— Uber die Kopfnerven von Hexanchus und ihr Verhältnis zur »Wirbel- theorie« des Schidels. Jenaische Zeitschrift. Bd. VI. 1871. 7) —— Einige Bemerkungen zu GÖTTE’s » Entwicklungsgeschichte der Unke etc.« Morphologisches Jahrbuch. Bd. I. 1875. 8) —— Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 1870. 9) E. ROSENBERG, Untersuchungen über die Oceipitalregion des Cranium und den proximalen Theil der Wirbelsäule einiger Selachier. 10) M. SAGEMEHL, Einige Bemerkungen über die Gehirnhäute der Knochen- fische. Morphologisches Jahrbuch. 1884. Bd. IX. 11) —— Das Cranium von Amia calva. Morphologisches Jahrbuch. Bd. IX. 12) —— Untersuchungen über die Entwicklung der Spinalnerven. Inaugural- Dissertation. Dorpat. 13) Busch, De Selachiorum et Ganoideorum Encephalo. Dissertatio inauguralis. 1848. 568 N. Goronowitsch 14) N. MikLUcHo-MAcLaAy, Beiträge zur vergleichenden Neurologie der Wirbel- thiere. 15) A. GÖTTE, Die Entwicklungsgeschichte der Unke. 16) —— Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1878. Bd. XV. 17) K. E. von BAER, Uber Entwicklungsgeschichte der Thiere. ) V. y. MIHALKOvIcS, Entwicklungsgeschichte des Gehirnes. 19) RABL-RÜCKHARD, Zur Deutung und Entwicklung des Gehirnes der Kno- chenfische. Archiv fiir Anatomie und Physiologie. Anat. Abth. 1882. 20) —— Das GroBhirn der Knochenfische und seine Anhangsgebilde. Ebenda. 1883. 21) —— Das Gehirn der Knochenfische. Biologisches Centralblatt. 1884. 22) —— Das gegenseitige Verhiltnis der Chorda, Hypophysis und des mittleren Schädelbalken bei Haifischembryonen etc. Morphologisches Jahrbuch. 1880. Bd. VI. 23) W. MÜLLER, Über Entwicklung und Bau der Hypophysis und Processus infundibuli cerebri. Jenaische Zeitschrift. 1871. Bd. VI. 24) J. STEINER, Uber das Großhirn der Knochenfische. Math. und nat.-wiss. Mitth. Akademie Berlin. 1886. 25) —— Uber das Centralnervensystem des Haifisches und des Amphioxus lan- ceolatus. Ebenda. 26) N. GORONOWITSCH, Studien über die Entwicklung des Medullarstranges bei Knochenfischen. Morphologisches Jahrbuch. 1854. Bd. X. 27) W. SALENSKY, Entwicklungsgeschichte des Sterlet (russisch). Arbeiten der Gesellschaft der Naturforscher zu Kasan. Bd. VII. 28) W. PARKER, On the structure and development of the Skull in Sturgeons. Philosophicai Transactions. 1882. 29) F. BaLFour and W. PARKER, On the structure and development of Lepi- dosteus. Ebenda. 1882. 30) W. van Wine, Uber die Mesodermsegmente und die Entwicklung der Nerven des Selachierkopfes. | 31) —~ Über das Visceralskelet und die Nerven des Kopfes der Ganoiden und von Ceratodus. - Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. V. 32) F. BALFOUR, Handbuch der vergleichenden Embryologie. 33) —— A Monograph on the development of Elasmobranch Fishes. 34) A. MILnES-MARSHALL, The Morphology of the Vertebrate Olfactory Organ. The Quarterly Journal. 1879. 35) —— The development of the Cranial Nerves in the Chick. Ebenda. 1878. 36) -—— On the Head Cavities and Associated Nerves of Elasmobranchs. Ebenda. 1881. 37) —— and B. Spuncer, Observations on the Cranial Nerves of Scyltium. Ebenda. 1831. ct 38) W. Jackson and W. CLARKE, The Brain and Cranial Nerves of Echino- ‘rhinus spinosus. The Journal of Anatomy and Physiology. 1876. Bd. X. 39). J. Ronon, Über den Ursprung des Vagus bei Selachiern. Arbeiten des Zoologischen Instituts zu Wien. Heft I. 1878. 40) —— Das Centralorgan des Nervensystems der Selachier. 41) R. WIEDERSHEIM, -Das Skelet und Nervensystem von Lepidosiren. Jena- ische Zeitschrift. 1880. Bd. XIV. Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. 569 42) H. ScHXEIDER, Über die Augenmuskelnerven der Ganoiden. Ebenda. 1581. Bd. XV. 43) J. BEARD, The System of branchial sense organs and their associated gan- glia in Ichthyopsida ete. The Quarterly Journal. 1885. 44) C. K. Horrmann, Zur Ontogenie der Knochenfische. I und II in Abh. Akademie Amsterdam. III. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1883. 45) J. CArrıe, Recherches sur la glande pinéale ete. Archives de Biologie. 1882. Bd. III. 46) E. Enters, Die Epiphyse am Gehirn der Plagiostomen. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1878. Bd. XXX. Supplement. 47) F. AHLBoRN, Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. Ebenda. 1883. Bd. XXXIX. 48) —— Über die Segmentation des Wirbelthierkörpers. Ebenda. 1884. Bd. XL. 49) A. DoHRNn, Der Ursprung der Wirbelthiere ete. 50) —— Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. Mittheilungen aus der Zoologischen Station zu Neapel. Bd. III. 51) Bd. IV. 52) Bd.V. 53) Bd. VI. 54) C. LÜDERITZ, Über das Riickenmarkssegment. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abth. 1881. 55) P. Mayser, Vergleichend-anatomische Studien über das Gehirn der Kno- chenfische mit besonderer Berücksichtigung der Cyprinoiden. Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie. 1881. Bd. XXXIV. 56) A. SANDERS, Contributions to the Anatomy of the Central Nervous System in Vertebrate Animals (Teleostei). Philosophical Transactions. 1878. 57) F. VıauLT, Recherches histologiques sur la structure des centres nerveux des Plagiostomes. Archives de Zoologie experimentale et générale. 1876. Ba. VY: 58) L. STIEDA, Uber den Bau des Riickenmarkes der Rochen und der Haie Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1973. Bd. XXIII. 59) G. DENISSENKO, Zur Frage über den Bau der Kleinhirnrinde bei verschie- denen Klassen von Wirbelthieren. Archiv für mikroskopische Ana- tomie. Bd. XIV. 60) H. Osporn, The origin of the Corpus Callosum, a contribution upon the Cerebral Commissures of the Vertebrata. Morphologisches Jahrbuch. Bd. XII. : 61) G. FULLIQUET, Recherches sur le cerveau du Protopterus annectens. Re- eueil Zoologique Suisse. Bd. III. 62) L. SrıepA, Uber das Rückenmark und einzelne Theile des Gehirnes von Esox lucius. Inaugural-Dissertation. Dorpat. 63) —— Studien über das centrale Nervensystem der Knochenfische. Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XIX. 64) —— Über die Deutung der einzelnen Theile des Fischgehirnes. Ebenda. Bd. XXIII. 65) W. Krause, Uber die Doppelnatur des Ganglion ciliare. Morphologisches Jahrbuch. Bd. VII. 66) G. FRITSCH, Untersuchungen über den feineren Bau des Fischgehirnes. ) G. SCHWALBE, Lehrbuch der Neurologie. ) L. DARKSCHEWITSCH, Über die sogenannten primären Opticuscentren und ihre Beziehung zur Großhirnrinde. Archiv für Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte. 1886. 67 68 N. Goronowitsch 570 69) L. STIEDA, Studien über das centrale Nervensystem der Vögel und Säuge- thiere. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. XIX. 70) M. SCHULGIN, Phylogenesis des Vogelhirnes. Separat-Abdruck aus den Jahrbüchern des Nass. Vereins für Nat. Nr. 37. 1885, 71) A. FRORIEP, Über ein Ganglion des Hypoglossus und Wirbelanlagen in der Occipitalregion, Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abth. 1882. 72) Über Anlagen von Sinnesorganen am Facialis, Glossopharyngeus und Vagus. Ebenda. 1885, 73) —— Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule, insbesondere des Atlas und Epistropheus und der Occipitalregion. I. Hühnerembryonen. Ebenda. 1883. 74) J. van WIJHE, 1) Uber die Kopfsegmente und die Phylogenie des Geruchs- organes der Wirbelthiere. Zoologischer Anzeiger. Bd. IX. 1886. Erklärung der Abbildungen. Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: A. Nervus maxillaris inferior v. WIJHE, Ax. das Ende der Hirnachse, 4z. die Nervenzellen in den Austritts- ebenen des Acusticus, a, 8, 6 proximale, transversale, distale Komponenten der medialen Wurzel- faserportion, B. ein Ast des N. maxillaris supe- rior V. WIJHE, Ba. Basalecke, d. ventraler Abschnitt der Lamina ter- minalis, bb. marklose Züge, welche zu der Val- vula verlaufen, hf. Bogenfasern, bf.T. Bogenfasern, welche zum Lo- bus trigemini verlaufen, C. querer Basalkanal, Ca. Commissura anterior, Cp. Com- missura posterior, Can. Commissura ansulata, C4. Cerebellum, Ch. Chorda, Chi. Chiasma nervorum opticorum, Ci. Commissura interlobularis, CL. die Cerebellarleiste, Ce’. untere Öffnung des Ethmoidal-- kanals, Cos. II. zweite Rippe, Cto. Quer-Commissuralsystem Tectum opticum, D. die epitheliale Decke, Di. der dorso-laterale Strang, Ds. der Dorsalsack, Ep. die Epiphyse, F.n. Facialis, Fa. Facialisloch, FCb. absteigendes Bündel des Fa- eialis, Fi. Fimbria, Frd. N. facialis radix dorsalis, Frv. Radix ventralis, Fs. transversales System der Fimbria, Fs’. das Fasersystem in den seit- lichen Wülsten des Cerebellum, @G. Gelenkfläche für den Zungenbein- bogen, G’. ein proximal vom Rindenknoten liegender gangliöser Körper, Gh. Ganglion habenulae, des Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser ruthenus. @.i. Ganglion interpedunculare, GF. Glossopharyngei-Palatinus-Ana- stomose, Gi. die Ganglienleiste (SAGEMEHL), G.I’. Glomerulus lobi olfactorii, Gia. Ganglion lobi infundibuli, Gp. Glossopharyngeusloch, Gp.d. die dorsalen, Gp.v.die ventralen Wurzeln des Glossopharyngeus, @.T.II. Ganglion trigemini II, Gw. das Gewölbe des primitiven Vor- derhirnes, H. die Hinterhirnregion, H.A. die Herzanlage, Hl. das Hinterlängsbündel, Hy. Hypophysis, Hy'. Ramus hyoideus, K. der Kiel des Cerebellum und der Valvula, Kg. Körnergewebe, Kr. Kreuzungder Fasernin der Raphe, Ks. . Kérnerschicht des Lobus infundi- buli, Ket. die Kreuzung der Fasern des Rindenknotens, Z.i. Lobus infundibuli, I.i'. Lobi inferiores, L.o. Lobi olfactorii, ZL.t. Lobus trigemini, = lt. laterale Faserbündel,welchesich dem hinteren Längsbündel zugesellen, Ltr. N. lineae lateralis, L.v. Lobus vagi, M. die Mittelhirnregion, M'. seitlicher Fortsatz der Ethmoidal- region, m. Schlussmembran der Praefrontal- lücke, M.b. Meynert’sche Bündel, Md. Ramus mandibularis, M.f. MAUTHNER’sche Faser, mg. Palato-Basal-Gelenkfläche, Mz. Os maxillare, N. die Nasenkapsel, Oc. N. oculomotorius, O.k. Oculomotoriuskern, Olf. Olfactorius-Faserschicht, Op. Nervus opticus, die Fasern des Opticus, das Opticusloch, O.pr. N. ophthalmicus profundus, d71 O.s. N. ophthalmicus superficialis, Ot. Ramus oticus, P.b. Plexus brachialis, P.c. Peduneuli cerebelli, Po. Postorbitalfortsatz, Pr. Praeorbitalfortsatz, Pt. N. palatinus facialis, Pth. gangliöser Körper, in welchem das zweite Längssystem der Mittel- hirnbasis endet, P.z. die Zellen von PURKINJE, P.z.v. ventrale, P.z.d. dorsale Gruppe derselben, R. Rostrum, r. die mediale Rinne der Basalgan- glien, Rg. Rindengewebe, Rk. der Rindenknoten, rn. Rinne, welche der Stelle des Chi- asma n. opticorum entspricht, Rv.l. die laterale, R.vm. die mediale Faserportion der ventralen Wur- zeln, S. Stammtheil des Vorderhirnes, Sh Sehhügelregion, S.gl. Stratum glomerulosum, S.; ventralesSystem, S.2 zweites, S.3 drittes Längssystem der Mittelhirn- basis, Ss. die Seitenstränge, Sp. Sehnervenplatte, Sp.I, Sp.II ete. Spinalnerven, S.v. Saccus vasculosus, T.1II.d. Trigeminus II, radix dorsalis, T.II.v. Trigeminus II, radix ventralis, T.H. Tori semicirculares Halleri, T.K. Trochleariskreuzung, Tto. Fasern, welche zu den Ganglia habenulae verlaufen, Tr. Trichterregion, Tr’. Trigeminusloch, Tro. N. Trochlearis, U.o. untere Olive, v. Ventrikel des Cerebellum, V'. Gruppe von Ganglienzellen, V.c. Valvula cerebelli, V.c'. das dorsale Blatt der Valvula, V.c’, das ventrale Blatt der Valvula, Vg. Vagusloch, V.h. das Vorderhirn, 572 N. Goronowitsch V.g.i. Truncus vagi intestinalis, Wi. Vagusast zum Schultergiirtel, V.g.r.d. Rami dorsales vagi, x. der Spalt zwischen dem dorsalen Vg.v. die ventrale, Vg.d die dorsale und dem ventralen Blatt der Val- Wurzel des Vagus, vula, | v.f. die ventralen Fasern der Oblon- Z. das Zwischenhirn, gata, Zm. Nervenzellen der »Zwischenhirn-« V.l.a, Vip. vordere und hintere Fa- region, sersysteme, welche vom Vorder- Zz. die Zwischenzellen, hirne zum Lobus infundibuli ver- 1. ventraler Ast des N. spinalis II, laufen, 2. derselbe des N. spinalis I, 3. der V.o. Fasersystem aus der Valvula distalste von den drei Nerven, zum Oculomotoriuskern, welche als ventrale Wurzeln zwi- Vr. Vorderhirnrinne, schen Spinalis I und Vagus aus der IV. die seitlichen Wiilste des Cerebel- Oblongata entspringen. lum, Tafel XVII. Fig. 1—5. Wachsmodelle von embryonalen Salmo salar-Gehirnen nach dem Plattenmodellirverfahren von Born unter einer Vergrößerung von 106 konstruirt. Die Figuren sind ungefähr in 53maliger Vergrößerung dargestellt. Fig. 1 15., Fig. 2 16., Fig. 3 18., Fig. 4 21., Fig. 5 30. Entwicklungstag. Fig.. 6. Oblongata, Cerebellum und Valvula cerebelli von Acipenser ruthenus. Die Deeke des Ventriculus IV (DA) ist zur linken Seite umgeschlagen. Das Tectum opticum ist entfernt. Vergr. 3. Fig. 7—8. Cranium von Hexanchus. Verkleinerte Kopien nach GEGENBAUR »Das Kopfskelet der Selachier ete. Taf. IV Fig. 2 und Taf. I Fig. 2. Fig. 9. Das Gehirn von A. ruthenus. N. trigeminus II ist dorsalwärts um- geschlagen. Vergr. ungefähr 3. Fig. 10. Das Gehim von Amia calva. Vergr. 2 Tafel XVII. Fig. 11—13. Medianschnitte durch die Köpfe von Salmo salar-Embryonen . des 18., 21. und 27. Entwicklungstages. Die Schnitte Fig. 11 und 12 dienten zur Orientirung der Platten der Modelle Fig. 3 und 4. Ver- größerung 53. Fig. 14. Horizontalschnitt durch das Vorderhirn. und die Lobi olfactorii von A. ruthenus. Vergr. 10. Detail bei stärkerer Vergrößerung einge- zeichnet. Fig. 15. Schräg-horizontaler Schnitt durch die Austrittsstellen des N. lineae lateralis und Facialis radix dorsalis desselben. Vergr. 10. Detail bei stärkerer Vergrößerung eingezeichnet. Fig. 16. Schräg orientirter Längsschnitt durch das Rückenmark. Austritt der medialen Wurzelportion.. Vergr. 75. Fig. 17. Medianschnitt durch das Gehirn und das Knorpelschädelgewölbe von A. ruthenus. Vergr. 5, Fig . 18. Horizontalschnitt durch die Austrittsebenen des Vagus und Glosso- pharyngeus von A. ruthenus. Vergr. 10. Das Gehirn und die Cranialnerven yon Acipenser ruthenus. 573 Fig. 19. Sagittalschnitt durch das Basalganglion und den Lobus infundibuli von A. ruthenus. Vergr. des Kontours 30. Tafel XIX. Fig. 20—39 sind Kontouren von Querschnitten durch das Gehirn von Amia calva. Fig. 20. Hinterhirnregion. Fig. 21—26. Cerebellumregion. Fig. 27—31. Mittelhirnregion. Fig. 32—39. Vorderhirnregion. Fig. 40—42. Querschnitte durch das Vorderhirn von Polypterus senegalensis. Tafel XX. Alle Figuren sind Querschnitte durch das Riickenmark und Gehirn von A. ruthenus. Kontour unter schwacher Vergrößerung abgenommen. Detail unter starker eingezeichnet. (HARTNACK Syst. 5, 7.) Fig. 43. Aus der Übergangsstrecke zwischen Rückenmark und Oblongata. Fig. 44. Austrittsstelle der ventralen Wurzel eines Spinalnerven. Entspre- chend der Linie yy ist der Längsschnitt Fig. 16 orientirt. Fig. 45. Aus den Austrittsebenen des Vagus. Fig. 46. Dasselbe. Formation des dorsolateralen Stranges. Fig. 47. Aus den Austrittsebenen des N. 1. lateralis. Faseriger Abschnitt des Lobus vagi. ; Fig. 48. Aus den Austrittsebenen des Glossopharyngeus. Distaler Abschnitt der Cerebellarleiste. Fig. 49. Distaler Abschnitt des Lobus trigemini. Fig. 50. Aus den Austrittsebenen des Trigeminus II, Facialis und Acusticus. Fig. 51. Proximaler Abschnitt der Decke des Vorderhirnes und des Dorsal- sackes. Fig. 52. Aus der Austrittsebene des Trigeminus I (schwächere Vergrößerung). Fig. 53. Aus dem hinteren Abschnitte des Cerebellum. Fig. 54. Aus der Gegend der »Pedunculi cerebelli«. Fig. 55. Aus der Übergangsstrecke des Cerebellum in die Valvula. Rinden- knoten. Fig. 56. Aus der mittleren Strecke der Valvula. Tafel XXI. Fig. 57—64 sind Querschnitte durch das Gehirn von A. ruthenus. Fig. 57. Aus der Gegend der Valvula. Fig. 58. Centraler Ursprung des N. oculo- motorius. Fig. 59. Aus der Gegend des Ursprunges der Epiphyse. Fiz. 60. Aus der Gegend der Ganglia habenulae. Fig. 61. Quer- schnitt durch die Cerebellarleiste aus der Strecke, welche etwas distal- wärts vom Ursprunge des N. ]. lateralis liegt. Kontour und Detail unter Vergrößerung 106 gezeichnet. Fig. 62. Aus der Gegend der seitlichen Duplikatur der Vorderhirndecke. Fig. 63. Aus der Gegend der Commissura posterior. Fig. 64. Aus der Gegend des Chiasma n. opticorum. Fig. 65—68. Querschnitte durch das Ganglion Gasseri. Vergr. 106. 574 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. N. Goronowitsch, Das Gehirn und die Cranialnerven von A. ruthenus. Tafel XXII. 69. Kontour eines Medianschnittes durch das Gehirn eines jungen Salmo salar mit fast resorbirtem Dottersacke (75.—80. Tage). Vergr. 32. 70. Dasselbe eines Hiihnchens des 8. Entwicklungstages. Vergr. 10. 71. Dasselbe eines Hiihnchens des 3. Tages. Vergr. 10. 72—75. Querschnitte durch das Vorderhirn und die Lobi olfactorii yon A. ruthenus. Kontour und Ausführung unter verschiedenen Vergröße- rungen. 76. Die Verbindung der Hemisphirenwand mit der Oberfläche des Lobus olfactorius. Kontour und Vergr. 106. 77. Horizontalschnitt durch das Cerebellum und die Valvula von A. ruthenus. 78—79. Querschnitte durch das Vorderhirn von A. ruthenus. 80. Ein Schnitt durch das Rindengewebe des Cerebellum. Kontour und Detail unter Vergr. 180. 81. Querschnitt aus der Gegend, wo die ventrale Wurzel des Facialis sich bildet. Kontour und Detail unter Vergr. 106. Tafel XXIII. Die Nerven und das Kopfskelet mit dem proximalen Theile der Wirbel- | säule von A. ruthenus, Die Rippen stark ventralwärts abgebogen. Das Vis- ceralskelet dorso-ventral künstlich ausgedehnt und distalwärts zurückgezogen. N. trigeminus I blau, Trigeminus II roth. Die übrigen Nerven schwarz. Taf: XVI. Pr 7 = — — N. Gorenowitsch del. . Züh AnstwWernera hinter Frankfurt, . Lith Arster ater, N. Goronowztsch del. rae ar - ms top FS ateet Ter ri Ve" Tk ‘ : H ; H I H ; I ! Cb Fi Lith. Ansty. Waner & Winter, Frankfurt? M YS ® ER 0% - FIX Lith Anst.y-Werner 2 Water Frankfurt HM. a \ karte Lith Anst. Werner aWinter Fri cs : S S 5 & iS N: Goronowitsch del. > Verlag v Wilh Engelmann Lepzig, Luk Aust ¢ Woreers Mihter Fraktur ME a. - SS ee ee Lith. Anst.v Werner & Wirter-Frankfürt I. N. Goronawitsch det. re ori a ee Fe hr eee Dh Momholag. Jahr Lich Aust. Memer 4 Minter- Frankfurt, Verlag ¥ Wik Engedmann Lenz. Verl. 7 Wilh. Engelmann Leirzig. Lith Fast x Werner & Wetter, Franktat 7M. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Venen- systems der Amnioten. Von Dr. Ferd. Hochstetter, Prosektor in Wien. Mit Taf. XXIV. 1. Hühnchen‘. Die ersten auftretenden Venen sind beim Hiihnchen, sowie bei simmtlichen Amnioten die Venae omphalo mesentericae. Das Blut ‘aus dem Gefäßhofe sammelt sich in zwei mächtigen Stämmen, welche fast rechtwinklig zur Achse des Embryo an denselben herantreten, eine kurze Strecke weit zu beiden Seiten der Darmrinne in die Darm- faserplatte eingebettet kopfwärts verlaufen, um sich ventral vom Darm zu vereinigen und mit einem gemeinsamen Stamme in den Sinus venosus einzumünden. Indem sich die Darmrinne nach rückwärts zu allmählich zu einem Rohre schließt, verschmelzen auch die vor- dersten Abschnitte der V. omphalo mesentericae noch eine Strecke weit und zwar bis unmittelbar hinter den vorderen (linken [GÖTTE)) Leberblindsack. Diesen mächtigen, ventral vom Darm gelegenen Venenstamm, der ohne Vermittelung in den Sinus venosus übergeht, will ich weiterhin als Ductus venosus?, sowie ihn Andere auch schon € —— Zi, ! Die Methode der Untersuchung bestand in der Herstellung lückenloser Querschnittserien. Die aus diesen Serien gewonnenen Befunde wurden, so weit dies möglich war, durch die Untersuchung lebenden Materiales kontrollirt. Abbildungen von Querschnitten, welche diesmal keine Aufnahme finden konnten, sollen in eine folgende Publikation aufgenommen werden. ? Meatus venosus von BALFOUR. 576 F. Hochstetter benannten, bezeichnen, jedoch sogleich betonen, dass er mit dem Ductus venosus Arantii der Säuger nicht in Analogie zu bringen ist. Mit dem allmählich nach rückwärts immer weiter fortschreiten- den Verschlusse des Darmkanals und der Hervorbildung der Leber aus den beiden primitiven Lebergiingen beginnen auch die beiden V. omphalo mesenterieae sich in eigenthümlicher Weise umzuformen. Zunächst ändert der Ductus venosus seine Lage zum Darmkanal, indem dieser sich etwas nach links hin verschoben hat, während der Ductus venosus nicht mehr genau ventral, sondern etwas nach rechts von ihm zu liegen kommt. Der vordere ursprünglich einfache Leberblindsack theilt sich in zwei Äste, welche von beiden Seiten her (nicht nur von links aus, wie dies GÖTTE angiebt) den Ductus venosus umwachsen, jedoch nicht, indem sie sich der Venenwand innig anschmiegen, sondern indem sie zwischen sich und der Venen- wand einen kleinen Theil des Gefäßlumens abgrenzen. Ihre binde- gewebige Hülle sendet dabei Fortsätze aus, welche sich mit der Venenwand verbinden. Zwischen dem vorderen Leberblindsacke und dem hinteren krümmt sich der Darmkanal in einem ganz kurzen Bogen ventralwärts und kommt auf diese Weise zwischen die bei- den V. omphalo mesentericae zu liegen, die sich, wie oben schon erwähnt wurde, unmittelbar hinter dem vorderen Leberblindsak, also zwischen ihm und dem hinteren Leberblindsack vereinigen. i Der hintere Leberblindsack umwächst von der ventralen und rechten Seite her den Ductus venosus und verbindet sich rasch mit den ihm entgegenwachsenden Fortsätzen des vorderen Leber- blindsackes. Nach der 60. Stunde der Bebrütung bildet sich weiter zwischen den beiden V. omphalo mesentericae dorsal yon der vor- deren Darmpforte hinter der ersten Anlage des Pankreas eine mächtige Anastomose aus, welche bald eben so stark ist, wie eines der beiden Gefäße, zwischen denen sie die Verbindung her- stellt. Dadurch wird ein venöser Ring gebildet (Schema II), durch welchen der Darmkanal hindurchtritt, so zwar, dass er jedoch im- mer noch zu beiden Seiten von einer V. omphalo mesenterica be- gleitet erscheint. Gegen die 70. Stunde der Bebrütung wird das Stück der linken V. omphalo mesenterica, welches mit die Begrenzung des venösen Ringes darstellt, den ich, da sich weiterhin auch noch ein zweiter bildet, als den ersten oder vorderen bezeichnen will, immer schwächer, bis es end- lich zwischen der 70. und 80. Stunde allmählich vollständig schwindet, so dass nun alles Blut aus der linken V. omphalo mesenterica auf dem Beitriige zur Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amnioten. 577 ‘Wege der früher beschriebenen Anastomose hinter der Pankreasan- lage in die rechte V. omphalo mesenterica hinübergelangt und durch den Ductus venosus, welcher inzwischen von der sich mächtig ent- wickelnden Leber völlig umwachsen wurde, dem Herzen zugeführt wird (Schema III). Während nun auf diese Weise der vordere venöse Ring als solcher verschwindet, hat sich der Darmkanal immer weiter nach rückwärts hin geschlossen und damit kommen die beiden V. om- phalo mesentericae in ihrem hinter der Pankreasanlage gelegenen Abschnitte allmählich ventral vom Darmkanal eine kurze Strecke weit dicht an einander zu liegen, so dass sie nur durch eine dünne Seheidewand von einander getrennt erscheinen. Indem endlich diese Scheidewand schwindet, bildet sich gegen die 80. Stunde ein zwei- ter, hinterer venöser Ring um den Darmkanal herum aus (Schema IV). Dieser zweite venöse Ring besteht jedoch auch nur verhältnis - mäßig kurze Zeit, denn schon nach der 80. Stunde verengert sich der Theil von ihm, welcher von der rechten V. omphalo mesenterica gebildet wird und verschwindet bald vollständig. Nun vereinigen sich die beiden V. omphalo mesentericae bei ihrem Eintritte in die Bauchhihle zu einem gemeinsamen Stamm, welcher eine kurze Strecke weit an der ventralen Seite des Darmes verläuft, dann an seiner rech- ten Seite und dorsal über ihn weg zieht, um schließlich links von ihm in die Leber einzutreten (Schema V). In den späteren Brüttagen ändert sich an dem geschilderten Verlaufe der V. omphalo mesen- terica im Wesentlichen nichts. Hier mag auch der Ort sein, einer nur kurze Zeit bestehenden Vene Erwähnung zu thun, welche meines Wissens bis jetzt noch nicht beobachtet wurde. Nach der 60. Stunde der Bebrütung sieht man parallel der Längsachse des Embryo zu beiden Seiten neben der Darmrinne in die Darmfaserplatte eingebettet zwei Venen ver- laufen, welche rechts und links in die V. omphalo mesentericae einmünden, dort wo diese an den Embryo herantreten. Diese bei- den Venen, von denen gewöhnlich die linke stärker ist als die rechte, gehen rückwärts aus einem kurzen in der Medianlinie ventral vom Enddarme gelegenen gemeinschaftlichen Stamme hervor, der nach hinten zu wieder durch zwei schwache Äste mit den Gefäßen der Allantoisanlage zusammenhängt. (Die linke stärkere der beiden aus der ventral vom Enddarm gelegenen Vene stammenden Venen hängt gewöhnlich mit der das Blut aus dem dem Schwanze gegenüber liegen- den Abschnitte des Sinus terminalis rückführenden Vene zusammen.) 578 F. Hochstetter In dem Maße, als der Darm sich auch von rückwärts nach vorn zu im- mer weiter zu einem Rohre abschließt, verlängert sich die ventral von ihm gelegene Vene, verengert sich aber auch zugleich immer mehr und mehr und indem sie auch ihre Verbindung mit den Allantoisge- fäßen vollständig aufgegeben hat, verschwindet sie nach der 100. Stunde gänzlich. Verhältnismäßig spät zwischen 120. und 140. Stunde entwickelt sich die V. mesenterica und erscheint dann als ein ganz dünner Zweig der V. omphalo mesenterica. Sie mündet in diese Vene dor- sal vom Darm hinter der Pankreasanlage und lässt sich nach rück- warts hin als ein dorsal vom Darmsympathicus im Gekröse einge- lagertes Gefäß verfolgen. Die V. mesenterica nimmt in den späteren Brüttagen immer mehr an Weite zu und bildet mit dem Endstücke der V. omphalo mesenterica den Stamm der Pfortader. | Über die Entstehung der zu- und abführenden Lebervenen, so- wie über das Schicksal des Ductus venosus soll weiter unten, nach Besprechung der Bildung der V. umbilicalis, gesprochen werden. Die V. umbilicalis ist, wie bei sämmtlichen übrigen Amnioten, auch beim Hühnchen in ihrer ersten Anlage paarig. Schon um die 60. Stunde der Bebrütung sieht man rechts und links in der primi- tiven Leibeswand an der Umbeugungsstelle ins Amnion oder in der Nähe derselben je eine Vene von der Allantoisanlage kopfwärts ver- laufen und an der Einmündungsstelle der Ductus Cuvieri in den Sinus venosus, in dieselben jederseits einmünden. Immer deutlicher, auch mit freiem Auge sichtbar, werden diese beiden Venen bis gegen die 100. Stunde und scheinen auch sowohl von v. BAER als von RATHKE gesehen worden zu sein, doch giebt v. BAER an, dass sie (er nennt sie untere Venen des Hinterleibes) sich vor dem Herzen zu einem gemeinsamen Stamme verbinden und dass aus ihrer Vereinigung in der Folge die Nabelvene hervorgehe, während RATHKE sie zu einer Zeit gesehen hat, wo die rechte, von der er annimmt, dass sie in den Stamm der Nabelvene einmünde, bereits im Verschwinden be- griffen war. In der ersten Zeit ihres Bestehens spielen die beiden Umbilical- venen fast ausschließlich die Rolle von Bauchwandvenen, obwohl sich gewöhnlich schon mit ziemlicher Sicherheit ein Zusammenhang zwischen ihnen und den Gefäßen der Allantoisanlage nachweisen lässt. Häufig sieht man sie auch während ihres Verlaufes in der primitiven Bauchwand an einzelnen Stellen in mehrere Astchen zer- fallen, die sich aber rasch wieder zu einem gemeinsamen Stamme Beitriige zur Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amnioten. 579 vereinigen. Mit dem zunehmenden Wachsthume der Allantois fließt das Blut aus derselben immer mehr durch die beiden Umbilicalvenen dem Herzen zu und sie erweitern sich in Folge dessen allmählich, doch erscheinen sie jetzt nicht mehr als zwei gleich starke Gefäße, sondern die rechte ist nicht unbedeutend stärker als die linke. Nach der 80. Stunde zerfällt das vordere Ende der linken Umbilicalvene in mehrere Zweige (Schema IV), von denen einer oder zwei noch in den linken Ductus Cuvieri an seiner Umbeugungsstelle aus der seitlichen Leibeswand gegen den Sinus venosus hin einmünden, wäh- rend ein Zweig mit dem Gefäßnetz des linken Leberlappens, dort, wo dieser mit der seitlichen Leibeswand verbunden ist, sich in Ver- bindung setzt. Von diesem Zeitpunkte an beginnt nun die linke Umbiliealvene, da durch ihre Verbindung mit den Venen des linken Leberlappens die Bedingungen für den Abfluss des Blutes aus ihr günstiger geworden zu sein scheinen, sich bedeutend zu erweitern und ist ungefähr um die 100. Stunde eben so weit geworden wie die rechte, die noch immer rechterseits an der Mündungsstelle des Duc- tus Cuvieri in den. Sinus venosus in diesen einmündet (Schema V). Nach der 100. Stunde aber verengt sich der vorderste Abschnitt der rechten Umbilicalvene in dem Maße, als die linke an Weite zu- nimmt und verschwindet um die 110.—115. Stunde vollständig, wäh- rend sich in ihrem hinteren Abschnitte der Blutstrom gegen den Stiel der Allantois hin umkehrt und nun das Blut aus der rechten seitlichen Bauchwand gegen den Nabel hin der linken Umbilical- vene zuführt!. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung geht jedoch auch dieser Rest der rechten Umbilicalvene vollständig zu Grunde. Die linke Umbilicalvene hat sich inzwischen parallel mit der bedeu- tenden Vergrößerung der Allantois zu einem mächtigen Gefäße ent- wickelt, welches mit dem vollständigen Verschluss des Nabels der Mittellinie immer näher gebracht wurde und liegt nun zwischen die beiden Leberlappen in eine Furche eingebettet (Fig. 14) und durch- bricht den vordersten Theil der Brücke zwischen beiden Leberlappen, um gemeinsam mit der linken Lebervene in den vordersten Abschnitt des Ductus venosus einzumünden (Schema VI). Diese Einmündungs- weise der Umbilicalvene war bereits RATHKE bekannt und mit Recht bestreitet dieser Forscher die Behauptung v. Barr's, dass die Umbilical- 1 Manchmal scheint es auch vorzukommen, dass die rechte Umbilicalvene eine ähnliche Verbindung mit dem rechten Leberlappen eingeht, wie dies bei der linken der Fall ist, doch ist auch eine solche Verbindung von nur kurzem Bestande. x Morpholog. Jahrbuch. 13. 38 580 F. Hochstetter vene Zweige an die Leber abgebe. Ganz irrig und unrichtig war die Anschauung v. Barr’s, dass die Umbilicalvene in die V. omphalo mesenterica vor deren Eintritt in die Leber einmünde. Auch BaLrour spricht sich in derselben unrichtigen Weise iiber die Einmiindung der Umbilicalvene aus und liefert auch dem entsprechende Abbildungen, aber auch die übrige Schilderung der Entwicklung des Venensystems ist bei BALFOUR! eine in vielen Punkten fehlerhafte. Die Einmündung der Umbilicalvene in den Ductus venosus er- folgt jedoch bis zum neunten oder zehnten Tag nicht durch einen einfachen Kanal, sondern durch eine Reihe von kleinen in der Rich- tung des Gefäßes gelegenen Kanälen, zwischen welchen noch einzelne Leberbalken liegen, erst indem diese allmählich schwinden, stellt sich eine offene weite Kommunikation zwischen Umbilicalvene und Ductus venosus (in so weit man auf den späteren Stadien von einem Ductus venosus noch sprechen kann) her. | Was die Entwicklung der zu- und abführenden Venen der Leber anbelangt, so ist darüber Folgendes zu sagen. Während vor der 80. Stunde das aus den Venae omphalo mesentericae stammende Blut zum größten Theile direkt durch den Ductus venosus dem Her- zen zuströmte und nur ein geringerer Theil durch die zwischen den Leberbalken ziemlich gleichmäßig angeordneten, mit dem Duetus venosus während seines ganzen Verlaufes durch die Leber allent- halben in Verbindung stehenden Venenkanäle floss, beginnen sich um die 80. Stunde bereits mehr oder weniger deutlich größere Äste der V. omphalo mesenterica bei ihrem Eintritte in die Leber als zu- führende Gefäße, und welche in der Nähe der Austrittsstelle des Ductus venosus aus der Leber in diesen einmündend, als abführende hervorzubilden. Auf diese Weise entsteht ein großer zuführender Ast aus der V. omphalo mesenterica für den linken Leberlappen und mehrere zuführende Äste für den rechten Lappen, die nahe der Stelle, wo die V. omphalo mesenterica an den rechten Leberlappen herantritt, von ihr abgehen. Eben so bildet sich eine mächtige ab- führende Vene für den rechten und eine für den linken Leberlappen, in welch letztere unmittelbar an ihrer Mündungsstelle in den Duetus venosus sich die V. umbilicalis einsenkt. Aus dem Ductus venosus wächst inzwischen nach der 90. Stunde nahe der Stelle, wo die Einmündung der rechten Lebervene sich zu markiren beginnt, die V. cava inferior hervor (Schema V). ! M. Foster und F. M. BALrour, Grundzüge der Entwicklungsgeschichte der Thiere. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amnioten. 581 Nach der 100. Stunde, indem die Leber allmählich sehr an Masse zunimmt, trennen sich die Verästelungen des Ductus venosus immer deutlicher in abführende und zuführende Venen und in dem- selben Maße nimmt das Mittelstück des Ductus venosus immer mehr an Weite ab, so dass es schließlich um die 140. Stunde nur mehr ganz dünn ist und um die 150.—160. Stunde vollständig schwindet. Nun muss alles Blut, welches durch die V. omphalo mesenterica der Leber zugeführt wird, ihr Kapillarnetz passiren und vom Ductus ve- nosus erhält sich nur das Endstück als gemeinsamer Stamm der Hohl- vene der beiden Lebervenen und der Umbilicalvene ! (Schema VI, VIII). Die Umbilicalvene geht nämlich mit Beginn der Luftathmung nicht vollständig zu Grunde, sondern es erhält sich vielmehr zeit- lebens ihr in der Bauchhöhle gelegener Abschnitt als eine zwischen beiden Leberlappen in der Tiefe der Medianfurche verlaufende Vene, welche ihr Blut aus dem subserösen Gewebe der vorderen Bauch- wand bezieht?. Schon in den späteren Brüttagen erscheint die V. cava inferior nicht mehr als ein Ast des Ductus venosus, sondern dieser stellt nun vielmehr ihre direkte Fortsetzung dar und kann daher auch nicht mehr besonders bezeichnet werden. An den Einmündungsverhält- nissen der beiden Lebervenen und der Umbilicalvene ändert sich jedoch durchaus nichts. Cardinalvenen und hintere Hohlvene. Die ersten auf- tretenden Körpervenen sind die V. cardinales anteriores, welche auf dem Wege des Mesocardium laterale (KOLLIKER) sich mit dem ver- einigten Stamm der V. omphalo mesenterica-zum Sinus venosus ver- einigen. Ihnen folgen die V. cardinales posteriores, was die Zeit der Entstehung anbelangt, unmittelbar nach, sie vereinigen sich mit den V. cardinales anteriores dort, wo diese gegen die seitliche Leibes- wand hin umbiegen, jederseits zu einem gemeinschaftlichen Stamm, dem Ductus Cuvieri. Mit dem zunehmenden Wachsthum des Embryo nehmen auch die hinteren Cardinalvenen sowohl an Weite als auch an Länge bedeutend zu und verlaufen zu beiden Seiten der Aorta dorsal von der Mesonephrosanlage, aus welcher sie vorwiegend ihr Blut beziehen. Später ergießt sich auch immer mehr und mehr das ! BALFOUR lässt den Ductus venosus sich während des ganzen Embryonal- lebens bis zum Beginne der Luftathmung erhalten, was eben so unrichtig ist, als dass die beiden Lebervenen ihre ursprüngliche Einmündung in den Ductus venosus aufgeben, um gesondert in die V. cava einzumiinden. 2 Wird auch von MILNE EDWARDS erwähnt. (JU) nn ¥ 582 F. Hochstetter Blut des Rumpfes in sie und mit dem Auftreten der Extremitäten- anlagen werden sie weiter durch Zweige aus diesen wesentlich ver- stärkt. Und zwar mündet nicht nur die primitive Vene der hinteren Extremität, sondern auch die der vorderen in die hinteren Cardinal- venen. Ungefähr um die 100. Stunde findet man die Einmündungsstelle der V. subelavia ein gutes Stück weit hinter dem Zusammenfluss der vorderen und hinteren Cardinalvenen zum Ductus Cuvieri bei- läufig in der Höhe der Leberanlage. Das Blut aus der hinteren Extremität wird auf diesem Stadium der hinteren Cardinalvene aus- schließlich durch die V. hypogastrica zugeführt, welche demnach als die primitive Vene der hinteren Extremität aufzufassen ist. Mit dem fortschreitenden Wachsthum der Extremitäten sieht man schon mit freiem Auge oder bei ganz geringer Vergrößerung auch an ihrem distalen Ende eine Vene auftreten. Diese Vene, welche ich als Randvene der Hand und des Fußes bezeichnen will, findet sich sowohl an der vorderen als auch an der hinteren Extremität in gleicher Weise angelegt und säumt gewissermaßen das distale Ende der betreffenden Extremität ein und verläuft, indem sie durch eine Menge kleinerer Zweige verstärkt wird, an der medialen Seite jeder Extremität nach vorwärts, um als V. subelavia oder V. hypogastrica in der geschilderten Weise in die hintere Cardinalvene einzumünden. Die Randvene erhält sich aber nur kurze Zeit und verschwindet als solche, sobald die Gliederung der Extremitäten einmal weitere Fort- schritte macht. Nach der 90. Stunde der Bebrütung entwickelt sich zuerst als ein ganz schwacher Ast des Ductus venosus die V. cava inferior. Sie erscheint mit ihrem Endstück in die dorsale Partie des rechten Leberlappens eingeschlossen und gelangt, wenn man ihren Verlauf gegen die Peripherie hin verfolgt, zunächst von der Leber in einen der rechten Seite des Magengekröses aufsitzenden Längswulst, wel- cher nach vorn zu eben an der Stelle, wo die V. cava inferior in ihn übergeht, mit der Leber und mit der Lungenanlage in Verbindung steht. (Später entwickelt sich aus diesem Längswulst eine einfache, das Mesogastrium mit der Lunge und Leber in Verbindung setzende Gekrösplatte.) In diesem Längswulst verlaufend, gelangt die V. cava inferior dann weiter an die ventrale Seite der rechten Urniere, der entlang sie eine Strecke weit nach rückwärts verläuft. Dabei schließt sie sich allmählich der Mittellinie immer mehr an, empfängt einen ziemlich bedeutenden, aus der linken Urniere stammenden Beitriige zur Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amnioten. 583 rückläufigen Ast und theilt sich endlich gegen das hintere Ende der Urnieren in zwei schwache Zweige, welche, dem medialen Rande jeder Urniere angeschlossen, noch eine kurze Strecke weit nach rückwärts zu verfolgen sind (Schema VII). Die hintere Hohlvene erweitert sich nun sehr rasch und führt das Blut der Urnieren immer mehr dem Herzen zu, während die der Brusthöhle entsprechenden Abschnitte der hinteren Cardinalvenen immer enger und enger werden. Dabei entwickelt sich innerhalb der Urnieren ein Venennetz, welches dem Blute aus den hinteren Cardinalvenen den Abfluss gegen die V. cava inferior hin gestattet. Es entwickelt sich auf diese Weise ein Pfortadersystem der Urniere, welches, wie ich gleich vorausschicken will, nur von vorübergehen- dem Bestande ist. Der der Brusthöhle entsprechende Abschnitt der hinteren Cardinalvenen schwindet nun allmählich vollständig, nur ihr vorderster Abschnitt, von der Einmündungsstelle der V. subelavia angefangen, bleibt erhalten (Schema VIII) und stellt schließlich die direkte Fortsetzung der V. subelavia dar, indem er sich mit der durch das Wachsthum der Brustorgane einhergehenden Verbreiterung des Thorax allmählich aus der Nachbarschaft der Aorta entfernt (Schema IX). Das Wurzelgebiet der hinteren Cardinalvene hat in- zwischen auch eine mächtige Erweiterung dadurch gefunden, dass sich eine zweite Vene der hinteren Extremität, welche viel weiter vorn in die hintere Cardinalvene einmündet, die Vena iliaca gebildet hat. Die hintere Hohlvene wird nun immer mächtiger, indem sie auch Zweige aus der Keimdrüsenanlage aufnimmt, dabei verkürzt sich aber ihr Ast aus der linken Urniere immer mehr. Mit dem Auftreten der bleibenden Nieren beginnen sich nun weiter wichtige Veränderungen geltend zu machen. Die Anlage der bleibenden Nieren findet sich stets an der medialen Seite der Car- dinalvenen, dorsal von der Urniere und der Ureter liegt der me- dialen Seite der Cardinalvenen innig angeschlossen. Aus dem vorder- sten Abschnitte der Niere entwickelt sich eine kleine Vene, welche in die hintere Cardinalvene einmiindet, während diese von der immer mächtiger wachsenden Niere allmählich vollständig umwachsen wird, dabei empfangen sie immer noch mächtige Zweige von den Urnieren. Mit dem allmählichen Schwinden der Urniere und der immer mäch- tigeren Entwicklung der bleibenden Nieren verbinden sich die beiden Cardinalvenen von der Einmündungsstelle der V. iliacae aus durch zwei schief gegen die V. cava inferior aufsteigende Äste mit dieser, wo sie ihren großen Ast aus der linken Urniere empfängt und auf 584 F. Hochstetter diese Weise geht das Pfortadersystem der Urniere zu Grunde',?. Die Hauptvene der hinteren Extremität ist jetzt die V. iliaca, wälı- rend die V. hypogastrica ganz in der Entwicklung zuriickgeblieben ist, weiterhin haben sich die hinteren Enden der hinteren Cardinal- venen durch eine kurze Anastomose mit einander verbunden und aus dieser Verbindung entspringt der Kommunikationsast mit der Pfortader. Auf diese Weise ist der definitive Zustand des Venen- systems hergestellt. Was das Schicksal der beiden Wurzeläste der V. cava inferior ist, konnte ich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, doch glaube ich, dass sich aus ihnen die beiden Venen der Hoden oder Ovarien entwickeln, während die an der medialen Seite jeder Niere gelegene Vene (Schema IX) eine selbständige Bildung sein dürfte. Erklärung der Abbildungen. Für alle Schemata gültige Bezeichnungen: Al Allantois, V.cei Vena cava posterior (inf.), C.A Kommunikationsast mit der Pfort- V.c.p Vena cardinalis posterior, ader, V.h Vena hypogastrica, D Darmkanal, V.ıl Vena iliaca, D.c Ductus Cuvieri, V.h.d Vena hepatica dextra, D.c.s Duetus Cuvieri sinister, V.h.s Vena hepatica sinistra, D.v Ductus venosus, V.L vorderer Leberblindsack, D.Pf vordere Darmpforte, V.o.m Vena omphalo mesenterica, E.V Enddarmvene, I.V.R erster venöser Ring, M.L hinterer Leberblindsack, II.V.R zweiter venöser Ring, P Pankreasanlage, V.s Vena subelavia, S.v Sinus venosus, V.u (s.d) Vena umbilicalis (sinistra, V.c.a Vena cardinalis anterior, dextra). Tafel XXIV. Schema I—V stellt die Entwicklung der V. omphalo mesentericae und der Um- bilicalvenen dar. I. Zustand der V. o. m. um die 58. St. 187% - - - - - - - 65, - erster venöser Ring um den Darm. ! y, BAER hatte bereits den Schluss gemacht, dass das Blut aus den Car- dinalvenen in die Hohlvene auf dem Wege eines Gefäßnetzes der Urniere ge- langen müsse, ohne es bestimmt gesehen zu haben. 2 Die geschilderte Anastomosenbildung zwischen V. cardinales und hin- terer Hohlvene wurde von RATHKE bereits richtig dargestellt. ae ” : 4-- \ | 7 >---Vh.s. I =--- Vw. ae = led aie P : ; ef HAIR ir ) et : chase » fi . 4 .. ‘ u . - 5 | ' = [3 * - ‘ . “ of rs « “ ce me Si REN At ogee ” BA ey Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Venensystems der Amnioten. 585 Ill. Zustand der V. o. m. um die 75. St. der erste venöse Ring ist wieder verschwunden. iV, - - - - - - - 80. - zweiter venöser Ring um den Darm entwickelt. Y. Definitiver Zustand der Venae omphalo mesentericae bis zum Ver- schwinden des Ductus venosus (100 St.). Schema VI. Darstellung der Lebergefäße um die 140. Stunde unmittelbar vor dem Schwinden des Ductus venosus. Schema VII—IX. Entwicklung der Körpervenenstämme. - VII. am Beginne des 5. Tages. VIII. am Ende des 7. Tages. IX. gegen die späteren Brüttage bis zum Beginne der Luftathmung. Über die Polypodie bei Insekten-Embryonen. Von Prof. Veit Graber in Czernowitz. Mit Taf. XXV und XXVI. Behufs Vervollständigung meiner demnächst zur Publikation ge- langenden ausgedehnten Untersuchungen über die Embryologie und speciell über die Keimblätter der Insekten verschaffte ich mir dieses Jahr u. A. auch eine vollständige Serie der Entwicklungsstadien des Maikäfers. Während ich nun dieses, in mehrfacher Beziehung äußerst lehrreiche Material verarbeitete, wobei ich insbesondere auch auf die Isolirung des Keimstreifs große Sorgfalt verwandte, zeigte es sich, dass die schon bei mehreren Insektenkeimlingen nachgewiesenen, den Brustbeinen homologen, aber meist ganz rudimentär erscheinen- den Anhänge am ersten Abdominalsegment hier, beim Maikäfer, eine ganz auffallend starke und eigenthümliche Entwicklung erreichen, indem sie, in gewissen Stadien, die eigentlichen Beine an Länge übertreffen und eine ausgesprochene Sackform annehmen. Dieser interessante Fund und der Umstand, dass ich diesen be- deutungsvollen, aber bisher von den meisten Embryologen wenig oder gar nicht beachteten Organen auch schon früher, bei anderen Insekten, nachgespürt hatte, veranlasste mich nun, sie zum Gegenstand einer besonderen Arbeit zu machen. Das Ziel der letzteren ist aber folgen- des. Da die in Rede stehenden, den eigentlichen oder thorakalen Beinen folgenden Anhänge, wie seiner Zeit zuerst von mir! ausge- sprochen wurde, den sichersten Beweis dafür liefern, dass die Hexapoden ‘von polypoden Formen, d. i. von Thieren ab- 1 Die Insekten. Miinchen 1877. pag. 6. Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 587 stammen, die mehr als drei Beinpaare besaßen, so kommt es offenbar zunächst darauf an, zu zeigen, in wie weit die betref- fenden, als phylogenetische Urkunden oder Vorfahren- charaktere in Anspruch genommenen Ventralanhänge des Abdomens den präabdominalen Stammgliedmaßen gleichwerthig sind und mit ihnen eine homologe Reihe bilden. Zweitens war ich dann bestrebt, die äußeren und inneren Mo- difikationen, durch welche sich die in Rede stehenden provisori- schen Embryonalorgane von den bleibenden Brustanhängen unter- scheiden, aufzudecken; denn nur auf diesem Wege dürfte es gelingen, über die Funktion klar zu werden, welche diese Organe bei gewissen Insekten, bei denen sie eine stärkere Entfaltung er- reichen, in dem der Untersuchung freilich wenig zugänglichen Leben des Embryo zu verrichten geeignet sind. Außerdem werde ich die Gelegenheit wahrnehmen, im Anschluss an das eigentliche Thema, auch einige andere, durch die Abbildungen illustrirte wichtige Punkte, so namentlich über die Segmentirung! und die Gliedmaßenanlage zu berühren. Noch ein paar Worte über die Präparation der zur Darstellung gebrachten Objekte. Die Eier und zumal jene des Maikäfers, die partienweise in etwas befeuchtetem Sand aufbewahrt wurden, kamen zuerst in eine auf 60° C. erwärmte Jod-Jodkaliumlösung, worauf sie nach der ge- wöhnlichen Methode in Alkohol gehärtet wurden. Nach Entfernung der Schale färbte ich sie mit Boraxkarmin und zog mit schwach an- gesäuertem Alkohol aus. Die zu isolirenden Keimstreifen wurden aufs allersorgfältigste von den anhaftenden Dotterelementen, sowie von den Embryonalhäuten befreit und entfernte ich z. Th. auch die Mitteldarmhaut resp. deren bandförmige Lateralanlagen. Um sie möglichst durchsichtig zu machen, schloss ich sie in eine Styrax- lösung, manche auch in Glyceringelatine ein. Die zur Zerlegung mit dem Mikrotom bestimmten Eier legte ich in Cedernholzöl und dann in sogenanntes Zugparaffin, das bei einer mittleren Temperatur von 16° R. sehr schöne Bandserien giebt. ! Vgl. meine neue Arbeit (dieses Jahrbuch Bd. XIV), Die primäre Segmen- tirung des Insekten-Keimstreifs. 588 V. Graber Frühere Angaben. Die erste Mittheilung über die in Rede stehenden Organe wurde bereits 1844 von RATHKE! gemacht. Er beschreibt und zeichnet bei der Maulwurfsgrille an den.Seiten der Hinterleibsbasis eigen- thümliche, mit einem Stielehen an der Haut befestigte Scheibehen (vgl. unsere Taf. XXV Fig. 13 h,a), die er als pilzhutartige Körper bezeichnet. So viel ich mich erinnere — die betreffende Arbeit konnte ich hier nicht auftreiben — lässt RATHKE die Frage nach dem morphologischen Werth bezw. nach der Homologie dieser Anhänge mit den Thorakalbeinen ganz unberührt. Dagegen spricht er sich über die Funktion derselben aus, indem er sie — aber ohne nähere Begründung — als kiemenartige Athmungseinrichtun- gen betrachtet. Eine weitere, aber wie sich zeigen wird, inzwischen zweifelhaft gewordene Angabe enthält die 1870 erschienene Arbeit von BürscHLı? betreffs der Biene. Er sagt hierüber pag. 537: »Eigentlich ist überhaupt kein Segment ohne die Andeutung eines Anhanges; sehr deut- lich sind die drei thorakalen Segmente mit nach hinten und etwas nach außen vorspringenden kurzen Anhängen versehen und bei aufmerk- samer Beobachtung der folgenden (abdominalen) Rumpfsegmente be- merkt man einen sehr schwachen ähnlichen Vorsprung an ihnen allen.« Hierzu sei vorläufig nur bemerkt, dass ich an der eitirten, sonst mit gewohnter Meisterschaft gezeichneten Fig. 17 niehts auch nur einigermaßen einem vom Segment sich frei erhebenden Anhang Ähnliches dargestellt finde. KowaLevsky's? klassische Darstellung der Embryologie von Hy - drophilus war auch grundlegend für die Frage nach den Abdomi- nalbeinen. Die wichtigsten, zunächst auf den Schwimmkäfer be- züglichen Daten sind folgende. Fig. 6 giebt eine Kopie der Kowa- LEvsky’schen Fig. 8, welche das jüngste, uns näher interessirende Stadium darstellt. Man sieht (vgl. pag. 35) hier »die Furchen, 1 RATHKE, Zyr Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille. Archiv für Anat. und Phys. 1844. 2 BürschLı, Die Entwicklungsgeschichte,der Biene. Zeitschrift für wiss. Zoologie. 1870. 3 Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden. (Memoires de l’acad. imp. d. science. de St. Pétersbourg. 1871. VII. serie. Tome XVI. No. 12.) — ae ee Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 589 welche schon Anfangs die Grenzen der Segmente andeuteten. Sie erreichen in diesem Stadium (und in den nächstfolgenden) ihre größte Entwicklung und werden später immer etwas undeutlicher. Zwischen den vier vorderen, zum Kopfsegment zusammenschmelzenden Seg- menten (A7, A, ho, Ay, d. i. der Vorderkopf und die drei Kiefer- segmente) gehen sie (später) vollständig zu Grunde. Bei demselben Embryo sehen wir schon die ersten Vorgänge zur Extremitätenbil- dung. Es sind nämlich die acht oberen (vorderen) Segmente (das erste oder Vorderkopfsegment nicht mitgezählt). Die fünf letzten — also nach KowALevsky die drei Brust- (d,, ds, d,) und die zwei ersten Hinterleibssegmente (%,, As) — erheben sich bedeutend an ihrem hinteren Ende. An der Grenze der Kopflappen (42) tritt jederseits ein verdickter Streifen (f) auf, der die erste Anlage der Fühler ist«. Nach dieser Darstellung — das wolle man vor Allem beachten — gehören also die fraglichen Abdominalanhänge zu den pri- mitiven Segmentfortsätzen und sind nicht allein nach der Art, sondern auch nach der Zeit ihres Ursprunges vollkommen den ventralen Brust- und Kopfgliedmaßen homolog. Andererseits muss aber auch gleich hinzugefügt wer- den, dass KowALEvskY, wie sich später ergeben wird, ein Paar Rumpfanhänge zu viel zählt, indem nur das erste Hinterleibs- segment (A) deutliche Anhänge trägt. KowArevsky’s nächste Angabe (pag. 37) bezieht sich auf das in seiner Figur 9 und 10 (vgl. meine Fig. 2 und 3) dargestellte Stadium. »Besonders entwickelt ist das zweite Maxillenpaar (#,) (das in meiner Figur aber unter den Kiefern weitaus das kleinste ist!). Das vierte Fußpaar (also das erste abdominale A,«) stellt sich aber als ein kleiner (etwa !/, der Länge der Brustbeine er- reichender) Hicker dar. Von der Anlage des fünften Paares — also von Anhängen des zweiten Abdominalsegmentes — (Fig. 2 und 3 Aya) ist keine Spur mehr verhanden.« Später heißt es dann noch, dass das Fußpaar auf dem ersten Bauchsegment in schneller Verkleinerung begriffen ist. Beachtenswerth ist ferner Kowarevsky’s Darstellung über die Anhänge der Biene. In seiner Taf. XI Fig. 15, 16 und 17 sieht man sehr scharf markirte stummelartige Thorakalanhänge (f), aber keine Spur von abdominalen Ausstülpungen. Maßgebend dünkt mich in dieser Hinsicht insbesondere der optische Median- schnitt in Fig. 17, wo die Haut der Thorakalsegmente in der Mitte 590 V. Graber verdickt, jene der abdominalen Metameren aber in ihrer ganzen Aus- dehnung gleichmäßig dünn (also ohne irgend eine Höckerbildung) erscheint. Eine nähere Besprechung verdient dann noch das von Kowa- LEVSKY in den Fig. 8 und 10 der Taf. XII illustrirte Verhalten bei den Schmetterlingen (speciell bei Sphinx populi). Auf dem Stadium (Fig. 8), wo die erste Anlage der Gliedmaßen stattfindet, sieht man nur die typischen Insekten-Ventralanhänge, nämlich ein Paar Fühler (7), drei Paar Kiefer (m) und drei Paar Brustbeine (f). Auf dem späteren Stadium (Fig. 10) hingegen, wo die genannten Gliedmaßen schon deutlich differenzirt sind, zeichnet KowALEVSKY hinter dem letzten thorakalen Fußpaar noch zehn Paar kurze, neu aufgetretene Abdominalanhänge, also eines für jeden Hinterleibsring, ein Verhalten, das ich jedoch für andere, z. Th. nahe verwandte Schmetterlinge, z. B. Sphinx tiliae und Gasteropacha quercifolia nicht bestätigen kann. Näheres hierüber, sowie über die im Vergleich zu Hydrophilus ganz abweichende Lage der Anhänge der typischen Gliedmaßen werde ich später berichten. Der Zeit nach folgen nun eigene Angaben betreffs der Abdo- minalbeine bei Mantis. Fig. 1 in Bd. I meines Buches »Die In- sekten«! zeigt einen Embryo, an welchem das erste Hinterleibsseg- ment (h,) ein Paar mit den typischen Beinen vollkommen homologe Anhänge trägt, die fast die halbe Länge der letzteren erreichen. Später entdeckte ich dann im gleichen (zu Ostern auf einer An- höhe bei Triest gefundenen) Eier-Cocon, aus dem der erwähnte Em- bryo stammt, einen anderen (Taf. XXV Fig. 8), der nicht nur am ersten, sondern auch am zweiten Abdominalsegment ein paar An- hänge (fa) trägt und auf dieses Exemplar bezieht sich eine Stelle im II. Bd. meines Insektenbuches, pag. 425, wo es heißt: »Die Zahl der Embryonalbeine ist aber wechselnd; bei Hydrophilus sind es nach KowALEvskY meist fünf (recte vier!), bei Mantis vier Paare bisweilen gleichfalls mit der Spur eines fünften.« Eine besondere Aufmerksamkeit widmet unserem Gegenstande BALFOUR? in seiner vergleichenden Embryologie. Zunächst betrachtet er, pag. 387, gleich mir, das Vorkommen von gewissen Abdominal- anhängen als »eine Thatsache, welche beweist, dass die Insekten von eee 2 F. BaLrour, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Übersetzt von VETTER. I. Bd. Jena 1880. Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 591 Vorfahren mit mehr als drei Paar Gangbeinen! abstammen«. Ganz gerechtfertigt ist ferner die von ihm pag. 388 aufgeworfene Frage, »ob alle oder wenigstens einige der (ventralen Abdominal-) Anhänge verschiedener Arten, die an den hintersten Segmenten vor- kommen, zu derselben Kategorie gehören wie die Beine«. Ihr gänzlicher Mangel beim Embryo oder mindestens (Abdominalbeine der Lepidoptera!) ihr spätes Auftreten scheinen ihm gegen diese An- schauung zu sprechen. Von größter Wichtigkeit ist aber speciell BALFoUR's Entdeckung, dass bei gewissen Spinnen (Agelena labyrinthica) an den er- sten vier Abdominalsegmenten sehr deutliche »provisorische Anhänge« vorkommen. Man sieht dieselben sehr schön auf Fig. 200, C,D,E, pr.p, insbesondere aber auf Fig. 201 A, wo speciell das letzte Paar eine sehr beträchtliche Länge erreicht. Sie erscheinen hinsicht- lich ihrer Ansatzstelle den eigentlichen Beinen vollkommen gleich- werthig ?. Grasst3 in seiner Embryologie der Biene bemerkt pag. 43 zu Birscuii’s Angaben betreffs des angeblichen Vorkommens abdomi- naler Anhänge, dass jener durch die tiefen Intersegmentaleinschnitte getäuscht wurde. - Sehr ausführliche Daten giebt ferner AYERS‘ in seiner gehalt- reichen Entwicklungsgeschichte einer Grille. Höchst interessant ist zunächst die pag. 239 geschilderte und durch Fig. 5 Taf. XVIII erläuterte Gliederung eines ganz jungen, noch völlig gliedmaßen- losen Keimstreifs. Er sondert sich in vier Abschnitte: 1) In ein großes Vorderkopfsegment, an dem hinten durch Aussackun- gen die Fühler entstehen. 2) In ein den kiefertragenden Theil des Kopfes umfassendes Segment, das einerseits vom Vorderkopf und andererseits vom Brusttheil durch eine Querfalte abgeschnürt ist. 3) In ein Brustsegment, etwas breiter, wie das eben genannte und gleichfalls scharf abgegrenzt und 4) endlich in ein Hinterleibs- segment, das Anfangs verhältnismäßig sehr kurz ist und sich später ! Nach meinen Untersuchungen bleibt es sehr fraglich, ob die Abdominal- anhänge wirkliche Beine waren. 2 Vgl. hierzu noch die Angaben METscHnIKorr’s über den Skorpion (Zeit- schrift f. wiss. Zoologie. 1870) und jene von CRONEBERG (Zool. Anz. 1887. Nr. 247, pag. 163) über Galeodes, 3 Grassi, Intorno allo sviluppo delle api nell’ novo. (Atti d. Acad. Gioe- nia di science nat. in Catania. 1884.) 4H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus and its parasite, Te!eas. (Mem. of the Boston Soc. of nat. hist. Vol. III. No. 8. 1884.) 592 V. Graber schwanzartig verschmächtigt. In der Folge verschwindet die scharfe primäre Trennung zwischen Hinterkopf (Kieferregion) und Brust und entstehen auf diesem Abschnitt sechs Paare von Protu- beranzen, nämlich 4,, Äo, A, und d,, ds, d3, von welchen zu einer gewissen Zeit die hinteren fünf Paare unter sich ganz gleich er- scheinen, während das erste oder Mandibelpaar sehr zurücktritt. Diese Gliedmaßenanlagen bestehen, wie namentlich schön am Längs- schnitt Fig. 25 Taf. XXII zu erkennen, aus einer Ektodermfalte, die von einem Mesodermsack ausgekleidet ist. Bald nach der Auskleidung der Gliedmaßenanlagen durch das Mesoderm ent- steht allmählich eine variable Anzahl von Protuberanzen am Hinterleib, welche den ersten Anfängen der Kopf- und Brust- sliedmaßen ganz ähnlich sind. Von diesen Abdominalfortsätzen er- reichen aber nur zwei Paare eine nennenswerthe Entwicklung, näm- lich das am ersten und letzten Ring. Die Anhänge des ersten Hinterleibssegmentes wachsen etwa bis zur Länge der reifen Mandibeln und verschwinden dann. Sie variireninder Form zwischen der eines fingerartigen Fortsatzes und eines lappenartigen Auswuchses. Wie unsere Kopie Fig. 25 auf Taf. XXVI lehrt, sind die erwähnten Anhänge (A,«) den Brustbeinen (;) ganz homolog, wenden aber ihre Spitze nicht nach innen, sondern nach außen. Ob die von AYERS auf den folgenden Abdominalsegmenten in der Zeich- nung angedeuteten Fortsätze (A, etc.) wirklich als selbständige Ge- bilde aufzufassen sind, muss ich fraglich lassen. Außer den erwähnten Stummelbeinen am ersten Abdominal- segment beschreibt Ayers noch andere am gleichen Ring ent- springende Anhänge, die aber, wie aus meinen späteren Mitthei- lungen erhellen wird, aus den Stummelbeinen selbst hervorgehen. Es heißt hierüber pag. 251: .Die Funktion der Athmung macht sich zuerst zur Zeit der Umrollung des Embryo bemerkbar und zwar durch das Auftreten von zwei Paaren seitlicher Aus- wüchse des Ektoderms, welche in der Pleuralregion (9 des ersten Hinterleibsringes entspringen. Diese Kiemen (gills) oder Respirationsorgane liegen gerade hinter der Basis der Hinter- beine, aber etwas mehr dorsalwärts. (Ich mache schon hier darauf aufmerksam, dass u. A. in Ayers’ Fig. 2 Taf. XIX — wiederge- geben in unserer Fig. 27 Taf. XXVI — das fragliche Organ .%, keineswegs weiter gegen den Rücken zu liegt als die Insertion des seines d,, welches letztere sogar proximalwärts das Organ überragt.) Diese Organe sind breit oval oder nierenförmig und vereinigen Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 593 sich mit dem Kérper durch einen kurzen, vom Mittelpunkt entsprin- genden Stiel. Ihre Struktur ist zellig und sind sie je nach der Entwicklungsstufe entweder solid (?) oder hohl. Die Zellen dieser Hautfalten verlieren frühzeitig ihren ektodermatischen Charakter und werden etwas größer als die der umgebenden Körper- wand. Im frischen Zustand erscheinen sie kernlos und schwach körnig, durch gewisse Reagentien wird aber der Kern deutlich sicht- bar. Betrachtet man das Organ bei durchfallendem Licht, so sieht man (vgl. unsere Kopie Fig. 26) eine helle centrale Zone, welche auf das Vorkommen innerer Höhlungen hindeutet. Diese Hohlräume des Organs (unsere Kopie Fig. 28 /a) stehen in Zusammenhang mit der allgemeinen Leibeshöhle (74) und dienen wahrscheinlich als Ka- näle, in denen die Blutflüssigkeit eirkulirt. Die Organe sind variabel in Form und Größe. Das Maximum der Entwicklung erreichen sie kurz nach der Umrollung des Embryo und werden dann allmählich kleiner, um vor der völligen Schließung der dorsalen Körperwand ganz (?) zu verschwinden. ' An einem Schnitt (vgl. die Kopie Fig. 28) findet man im Inneren deutlich (?) sowohl Kanäle als lacunäre Räume, welche vom Centrum (vgl. Fig. 26) radienartig ausstrahlen.. Die Kanäle sind an Durch- schnitten i. A. ringförmig oder verlaufen unregelmäßig dureh die Zellmasse, während die als Zwischenräume zwischen den Zellen zu betrachtenden Lacunen stets ganz regellos sind. Die Zellen er- scheinen auf dem Schnitt (Ayers’ Zeichnungen Fig. 13 und 14 sind aber in dieser Hinsicht sehr unklar) gegen die halsartige Einschnü- rung des Organs zu verjüngt und liegt ihr Kern ganz peripherisch an der Wand des Sackes. Ayers vergleicht schließlich diese von ihm lediglich als sekundäre Ektodermausstülpungen aufgefassten Organe mit den von RATHkE bei Gryllotalpa entdeckten pilzhutartigen Körpern und schreibt ihnen ja auch die ihnen zuerst von RATHKE beigelegte respiratorische Bedeutung zu. Weitere Mittheilungen verdanken wir dann Patren!. Diese be- treffen zunächst eine Phryganide (Neophalax eoneinnus). »Sobald die Thorakalbeine — heißt es pag. 30 — ungefähr halb ausgewach- sen sind, sieht man auf jedem der drei ersten Abdominal- segmente ein Paar rudimentäre Anhänge, über deren Bau 1 W. Patten, The development of Phryganides with a preliminary note on the development of Blatta germanica. (Quarterly Journal of microsc. Science. London 1884.) 594 V. Graber und weiteres Verhalten aber im Text nichts zu finden ist. Auf der einschlägigen Abbildung (Taf. XXXVI A Fig. 11) ist wohl am ersten Abdominalring ein kleiner flacher Hocker (p,) gezeichnet, der etwa 1), der Länge des Hinterbeines misst; dagegen sind die erwähnten Vorsprünge (p;, p,) am zweiten und dritten Abdominalsegment so schwach markirt, dass die Frage, ob man es hier wirklich mit Rudi- menten von Anhängen zu thun hat, nicht ganz ungerechtfertigt ist. PATTEn macht ferner noch vorläufige Angaben über die frag- lichen Organe bei Blatta germanica und sind diese Daten weit- aus die genauesten und zutreffendsten, die wir in dieser Sache über- haupt besitzen. Die Stelle (pag. 48) lautet: »Anfänglich entwickeln sich eine Anzahl von Abdominal- anhängen, welche jedoch sehr rasch wieder verschwinden, mit Ausnahme jener des ersten Paares, welche sich in birnförmige Ge- bilde (pear-shaped structures) umwandeln. Diese sind am Abdomen mittels eines Stielchens (stem) angeheftet, das in die Länge wächst und sich zuletzt in einen sehr feinen Gang umbildet, der in eine kleine Höhlung im erweiterten Endtheil des Anhanges führt. Letz- terer verdankt seine Größe den außerordentlich stark in die Höhe wachsenden Ektodermzellen der Wandung. Das Me- soderm hingegen betheiligt sich gar nicht (?) am Aufbau dieses eigenartigen Organs, das in den späteren Entwicklungsstadien ganz verschwindet. Unzweifelhaft ist es eine specifische Entwicklungsform der Anhänge des ersten Abdominalringes, dessen Funktion jedoch im höchsten Grad problematisch ist. RATHKE beobachtete ein ähn- liches Organ bei Gryllotalpa, das er als rudimentäre Kieme auf- fasste; die bedeutende Dicke der Wand dieses Gebildes lässt aber diese Deutung nicht zulässig erscheinen. Die eigenthümliche Struk- tur und Entwicklung der Ektodermzellen machen es annehmbarer, dass das Gebilde irgend eine Sinnesfunktion (?) habe, wäh- rend gleichzeitig der längliche Gang, der in eine Höhlung führt, in welche die großen Zellen ein Sekret ergießen könnten, auf die Mei- nung leitet, dass es möglicherweise drüsiger Natur ist. Die mehrfach zur Parallele herangezogenen Gryllotalpastummeln werden auch von KOROTNEFF! besprochen, der von RATHKE’s ein- schlägiger Arbeit nichts gewusst zu haben scheint. »Ich habe hier« — heißt es pag. 579 — »zu erwähnen, dass ! KOROTNEFF, Die Embryologie von Gryllotalpa. (Zeitschr. f. wiss. Zoo- logie. 1885. Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 595 an dem Embryo, der in Fig. 4 abgebildet ist, an dem ersten Ab- dominalsegment eine Erhabenheit von der Form eines Knopfes (Bl) vorkommt, der nicht in einer Reihe mit den Gliedmaßen, sondern außerhalb placirt ist. Ähnliche Anhänge hat Ayers. bei Oecanthus niveus gesehen. Auf dem Querschnitt (keiner abgebildet!) zeigen sie eine pilzartige Form und bestehen aus saftigen Zellen. Später, wenn sich der Rücken des Embryo schon gebildet hat, gehen diese Anhänge zu Grunde. Sie fallen spurlos ab. Ohne diesen pro- visorischen Organen irgend eine Bedeutung zuzumessen, erwähne ich nur, dass man sie kaum als abdominale Gliedmaßen auffassen kann, weil sie mit diesen erstens nicht in einer Reihe auftreten und zweitens, weil die Abdominalgliedmaßen gewöhnlich (?) in größerer Zahl vorkommen.« In einer Anmerkung spricht Koror- NEFF noch die Möglichkeit aus, dass sie den lappenartigen Anhängen von Asellus homolog sind; »sie erscheinen aber etwas stärker ent- wickelt und sind mehr auf die Seitenfläche des Embryo geschoben«. Hierzu sei vorläufig nur bemerkt, dass die Ansatzstelle der fraglichen Stummeln auf Korornerr’s Fig. 4 kaum nennenswerth weiter von der ventralen Mittellinie abliegt als jene der Thorakalbeine, und dass dieselben auf Fig. 5, 6, 7 und 8 den Brustgliedmaßen hinsichtlich ihrer Lagerung durchaus homolog erscheinen. Die jüngste mir bekannt gewordene Angabe stammt von K. HEIDER!, der am Schlusse seiner Arbeit über den Schwimmkäfer (pag. 42) den erst in der Folge von ihm zu beweisenden Satz auf- stellt, dass man nicht bloß am ersten Abdominalsegment, sondern auch an sämmtlichen übrigen zu einer gewissen Entwicklungsperiode (KowArevsky's Fig. 12 — also zu einer Zeit, wo die Kiefer und Beine schon stark differenzirt sind —) Anlagen von Extremitäten- Rudimenten erkennen kann. Ergebnisse der eigenen Untersuchungen. Melolontha vulgaris. (Taf. XXVI Fig. 15—24.) Ich beginne mit den beim Maikäfer erhaltenen Resultaten, weil ich diese Form speciell in Bezug auf den inneren Bau der Abdo- minalanhänge am genauesten zu erforschen in der Lage war. Das ı.K. HEIDER, Uber die Anlage der Keimblätter von Hydrophilus piceus L. (Abhandl. der K. preuß. Akad. d. Wissensch. in Berlin. 1886.) Morpholog. Jahrbuch. 13. 39 596 V. Graber jüngste uns hier näher interessirende Stadium zeigt Fig. 15*. Es entspricht ungefähr dem von Kowatevsky in Fig. 7 dargestellten Hydrophilus-Stadium. Der Keimstreif besteht aus einem am- vor- deren Pol der längeren Eiachse gelegenen, stark in die Breite ge- zogenen Vorderkopfabschnitt (4g) und aus einem langen, die halbe Eiperipherie umspannenden bandförmigen Theil, dem primären Rumpf (r).. Im Gegensatz zu dem von Ayers für Oecanthus ge- schilderten und dem von mir neuerlich bei Stenobothrus: entdeckten Verhalten erscheint hier der primäre noch gliedmaßenlose Rumpf nicht heteronom, sondern vollkommen homonom gegliedert. Man sieht ferner, dass die Fühleranlagen (f) nieht — wie dies Kowauzvsky in Fig. 8 für Hydrophilus andeutet — vor, sondern entschieden hinter der Mundöffnung als Ausstülpungen der Vorderkopflappen entstehen. Baurour's! Ansicht, dass die Fühler eher den paarigen Fortsätzen des präoralen Lappens der Chaeto- poden als den übrigen (hier beträchtlich später auftretenden) An- hängen zu vergleichen wären, scheint mir daher nicht zulässig. Ich wende mich nun zu dem in Fig. 15 mit der Cam. luc. ent- worfenen Keimstreif, der einem 12 bis 13 Tage alten Ei ange- hört. Er bildet ein mäßig breites Band, das sich, was für die Folge zu beachten, von vorn. nach hinten successiv verschmälert. = ist der Mund, 47 sind die aus dem Vorderkopflappen entstandenen, am äußeren Rande gefalteten Anlagen der oberen Schlundganglien. Mit diesen verbunden sind die Anlagen der Bauchganglienkette, nämlich die beiden »Seitenstränge« (vgl. Fig. 16 s), die längs der Medianlinie den Keimstreif durchziehen und zwar in der Weise, dass sie, wie Fig. 16 zeigt, alternirend sich nähern und weiter aus einander wei- chen?. In diesem Stadium sind bereits alle Segmentanhinge, die — wie besonders zu betonen — nahezu gleichzeitig ent- stehen, zur Differenzirung gelangt. Was nun die Anhänge des späteren Hinterleibsabschnittes betrifft, so sieht man an entsprechend präparirten Keimstreifen zunächst auf den ersten Blick, dass solche auf dem ersten Segment (A,a) vorkommen und dass sie den Brust- anhängen vollkommen homolog sind. Dies ergiebt sich insbesondere (vgl. Fig. 16) aus dem Verhalten zu den fast gleichzeitig mit den Gliedmaßen auftretenden Stigmenanlagen (s,—st,,). Letztere 1]. e. pag. 387. 2 Später verschmelzen die Seitenstränge mit ihren segmentalen Abschnitten und bilden (unter Mitbetheiligung eines durch Einstülpung entstandenen Mittel- stranges) die Ganglien. Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 597 finden sich, vom zweiten Brustsegment an, an jedem Meta- mer, ausgenommen die zwei letzten — es sind also im Ganzen zehn Paare. Sie liegen auf diesem Stadium nahe am Rande des Keim- streifs und bestehen aus einem rundlichen, stark erhabenen Ekto- dermwulst- oder Hicker, in welchem eine längliche Einstülpung entsteht. In Fig. 16 sieht man, dass die Stigmen am letzten Brust- segment (sf) an der Basis der Beine liegen und ungefähr in die Verlängerung derselben fallen. Dasselbe Verhalten zu den Stigmen zeigen nun auch die Anhänge des ersten Abdominalsegmentes. Wie am Brustabschnitt bildet jeder dieser Anhänge mit dem zugehörigen Stigma eine schief von außen und oben nach innen und hinten ge- richtete, balkenartige Verdickung, die, was sich später zeigen wird, nach innen zu durch einen Querriegel mit dem Seitenstrang verbun- den ist. Die in Rede stehenden Anhänge sind aber beträchtlich länger als die Brustbeine, indem sie, in diesem Stadium, ca. nur 1/, der Länge der genannten Gliedmaßen erreichen. Diese Größen- reduktion der Abdominalanhinge gegenüber den Brustbeinen zeigt sieh insbesondere darin am deutlichsten, dass, während letztere mit ihren freien Enden in der Mittellinie über den Seitensträngen sich berühren, erstere weit von einander — um mehr als die Breite des Seitenstrangpaares — getrennt sind. Ein Punkt muss noch aufgeklärt werden, der gegen die Homo- logisirung der abdominalen mit den thorakalen Anhängen vorgebracht werden könnte. Er betrifft die Ansatzstelle der ersteren, die (vgl. Fig. 16 Az) der Medianlinie näher liegt als dies bei den letzteren der Fall ist.. Diese Differenz ist aber offenbar kein Homologisirungs- hindernis, da sie sich einerseits aus dem rudimentären Charakter dieser Anhänge und andererseits daraus ergiebt, dass in Folge der schon oben erwähnten, in der Richtung von vorn nach hinten statt- findenden Breitenabnahme des Keimstreifs nicht bloß die in Rede stehenden Anhänge, sondern auch die unter einander sicherlich homologen Stigmenhöcker entsprechend weiter gegen die Mittellinie rücken müssen, und gilt dies wohl auch für das von PATTEN für die Abdominalstummel der Phryganiden-Embryonen angegebene Ver- halten. — Schließlich sei betreffs der Anhänge am ersten Abdo- minalsegment noch erwähnt, dass sie — auf diesem Stadium, also in ihrer ersten Anlage -— mit den typischen Beinen auch hinsicht- lich ihres histologischen Charakters übereinstimmen. Sie bestehen, gleich den letzteren, aus einer taschenartigen Ektodermausstülpung, in der ein hohler Zapfen aus Mesodermzellen steckt, und haben 39* 598 V. Graber 5 a sowohl die Ekto- als die Mesodermzellen in beiderlei Anhängen genau dieselbe Größe und Beschaffenheit. Der Maikäfer-Embryo besitzt aber in dem in Rede stehenden (12 bis 14 Tage alten) Stadium deutliche Spuren ventraler Gliedmaßennichtbloß am ersten Abdominalsegment, son- dern auch an den folgenden sieben, also an allen Seg- menten, welche Stigmata besitzen, und ist somit in der That ein polypodes Wesen... Einen Überblick über diese letzte- ren Gliedmaßenanlagen giebt Fig. 15 (hoa bis },a), während Fig. 16 zwei Paare derselben (Aya, Asa). bei stärkerer Vergrößerung (aufge- nommen mit der Cam. luc.) zeigt. Sie sind viel .unansehnlicher als die Anhänge am ersten Segment und überhaupt nur dann sicher zu unterscheiden, wenn der Keimstreif vom anliegenden Dotter, sowie von den Embryonalhüllen vollkommen befreit und derart tingirt ist, dass sich die verdickten Stellen desselben von den dünneren Partien scharf abheben. In diesem Fall sieht man einen vom Stigmawulst ‘(s¢,). zum Seitenstrang schief herabsteigenden Balken, auf dem sich, genau entsprechend dem freien Anhang des ersten Segmentes, die Gliedmaßenanlage in Gestalt einer hiigelartigen Protuberanz (Az«) erhebt. jerıdirg Auf Grund dieses Befundes erhalten die Angaben anderer For- scher über das Vorkommen von Extremitäten-Rudimenten an mehre- | ren bezw. an allen Hinterleibssegmenten bei verschiedenen Insekten, so insbesondere bei Orthopteren und Neuropteren, eine gewisse Be- rechtigung; gleichwohl dürfen, wie sich zeigen wird, keineswegs alle Insekten-Embryonen als polypod betrachtet werden. Besichtigen wir nun das einem 17 Tage alten Ei angehörige Keimstreifstadium in Fig. 17. Der Keimstreif ist merklich in die Breite gewachsen und im Ganzen länglich elliptisch. _ Besonders charakterisirt er sich durch ein Paar seitliche, leicht isolirbare Längs- bänder md, md’ auf der Dorsalseite, welche die Anlagen des Mittel- darmes (Muskel- sammt Drüsenblatt) bilden!. Was nun die abdomi- nalen Gliedmaßen betrifft, so verhält es sich damit kurz so, dass die des ersten Segmentes (A,a), welche schon bei der ursprünglichen ! Diese lateralen Mesenteronanlagen entstehen hier nicht, wie dies Ko- WALEVSKY u. A, für Musca angiebt, vom Stomo- und Proctodaeum aus, son- dern es sind selbständige laterale Bildungen. Auch HEIDER (I. c.) hat die Bildung des Driisenblattes nicht richtig dargestellt; es entsteht durch Spal- tung einer gemeinsamen Mesenteronanlage und speciell bei Stenobothrus aus seg- mentweise sich wiederholenden Lappen. Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 599 Anlage am größten waren, verhältnismäßig weit stärker gewachsen sind als die typischen Beine (4,—2;), währenddem die schon von vorn herein sehr unansehnlichen Anlagen der übrigen Segmentanhänge gänzlich verschwunden sind. Dass aber die rudimentär angelegten Anhänge des ersten Seg- mentes während dieser Periode thatsächlich ein stärkeres Wachsthum als die typischen Beine besitzen, zeigt sich schon darin, dass sie ursprüng- lich ca. nur !/, der Länge der letzteren hatten, während sie in dem gegenwärtigen Stadium schon mehr wie halb so lang als diese sind. Die vordersten Abdominalanhänge wachsen aber nicht bloß sehr rasch in die Länge, sondern, wie die nächstfolgenden Stadien Fig. 18 und 19 lehren, auch in die Breite bezw. im Umfang. Fig. 18 ist ein 17 Tage alter Keimstreif, an dem bereits die Anfinge der Riickenplatten (7) vorhanden und die beiden Seitenstücke des Hinter- kieferpaares zur unpaaren Unterlippe (43) verschmolzen sind. A,« rechts zeigt den vordersten Hinterleibsanhang, /,a links die Ansatz- stelle desselben bezw. ein von einem Rahmen umgebenes Loch in der Leibeswand. Während der in Rede stehende Anhang, wie wir hörten, bei anderen Insekten im Stadium der größten Entwicklung höchstens halb so lang als ein typisches Bein ist, also stets einen rudimentären Charakter zeigt, ist er hier beträchtlich länger als eine Brustgliedmaße und fast dreimal so breit. Da seine Längs- achse schief ist, bedeckt er mit dem freien Ende einen Theil der (in der ventralen Medianzone nur von einer sehr dünnen Leibeshau bedeckten) Ganglienkette. Hebt man den Anhang unter dem Prä- parirmikroskop mit der Nadel auf, so überzeugt man sich, dass er einen (namentlich gegen die Leibeswand zu) etwas abgeflachten Sack bildet, der, nahe dem vorderen Ende, mittels eines kurzen, dünnen und hohlen Stieles am Körper befestigt wird. Das Be- tupfen des Anhanges mit einer stumpfen Nadel lehrt ferner, dass er im Vergleich zu den Brustbeinen sehr weich ist, was auf einen ge- räumigen Hohlraum hindeutet. Besonders ist aber noch als charak- teristisch hervorzuheben, dass diese Abdominalanhänge (und dasselbe gilt auch von den möglicherweise homologen Oral- und Genitalgebilden am hinteren Körperende), obwohl sie die typischen Beine an Größe weitaus übertreffen, stets vollkommen unge- gliedert sind. — Da man vielleicht in den in Fig. 18 mit d be- zeichneten Vorsprüngen der Bauchplatten Überreste der früh oblite- rirenden Anlagen der hinteren Anhänge vermuthen könnte, mache ich eigens darauf aufmerksam, dass sie mit letzteren nichts gemein 600 V. Graber haben und zwar u. A. desshalb, weil diese Vorspriinge unmittelbar den Stigmen anliegen, während die fraglichen Anhänge der Median- linie viel näher liegen. Den Höhepunkt der Entwicklung der abdominalen Vorderanhänge sehen wir an dem 22 Tage alten Embryo in Fig. 19. Während die betreffenden Appendices bei anderen in dieser Hinsicht bekannten Insekten höchstens !/, der Länge der Beine‘ erreichen, sind sie hier (ya) zuweilen (die Größenverhältnisse scheinen zu variiren) mehr als doppelt so lang als letztere und bedeeken mit ihren breiten Flä- chen nahezu die ganze Ventralseite des Abdomens. Mitunter hat es auch den Anschein, als ob sie über der Medianlinie über einander lägen oder sich kreuzten; dies ist indess nicht der Fall, wohl aber wird mitunter die medianwärts befindliche Wand des einen Anhangs durch den korrespondirenden Theil des anderen etwas eingedrückt. Im Ganzen erinnern diese Anhänge an die Kiemendeck- platten mancher Isopoden, und die Ähnlichkeit würde noch frappanter sein, wenn, was nicht nur denkbar, sondern bei manchen Insekten wirklich der Fall sein kann, außer dem ersten Abdominalsegment auch noch andere Metameren taschen- oder blattartige Anhänge trügen. Über die weiteren Lagerungs- und Bauverhältnisse der Abdo- minalanhänge dieses Stadiums geben die Querschnitte Fig. 22,23 und 24 Aufschluss. Der Durchschnitt Fig. 22 wurde absichtlich etwas schief, und zwar in der Richtung zz! in Fig. 19 gelegt. Er trifft den vorderen Theil des linken Abdominalanhanges (Fig. 22 A,«) sammt dessen Anheftungsstelle 6, geht ferner durch den Endtheil des linken Hinterbeines (Fig. 22 d,) und endlich fast durch die ganze Länge des rechten Hinterbeines (Fig. 22 d’,). Außerdem trifft er u. A. noch das linke Stigma (sit), während das rechtsseitige (s¢’) in die Figur nach einem anderen Serienschnitt eingetragen ist. Die schon stark entwickelten dorsalen Theile des Embryo (sammt dem in diesem Stadium schon der Auflösung entgegengehenden Rücken- rohr) sind in der Zeichnung weggelassen. Von inneren zur Orien- tirung wichtigen Organen sieht man am Durchschnitte die die Me- dianlinie markirende Ganglienkette g und hart darüber, den kern- reichen Dotter (di) umschließend, die aus einer Muskel- und Drüsenzellschicht bestehende, also zweischichtige Wand des Mittel- darmes (md). Zwischen letzterer und der Körperwand, also in der Leibeshöhle, sieht man außer schon ziemlich entwickelten Muskel- strängen (m,, m,) und zahlreiehen, schon mit einer Cuticula ausge- Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 601 kleideten Tracheenzweigen (tr), insbesondere auch zahlreiche, theils freie, theils zu lockeren Bindegeweben vereinigte helle klein- und z. Th. mehrkernige Zellen, die wohl größtentheils mesodermatisch sind. Eines sei noch vorausgeschickt. In diesem Stadium und in den folgenden, bis zum Auskriechen des Engerlings, sieht man auf der Ventralseite des präparirten Embryo, namentlich aber in der Um- gebung der Beine ein Gerinnsel, das durch Karmin viel weniger gefärbt wird als die Leibeswand, und das letzterer ziemlich fest an- klebt. Am Querschnitt erscheinen daher die ventralen Anhänge in diesem Gerinnsel (c) eingebettet, Man könnte letzteres einfach für ein Ausscheidungsprodukt des Embryo halten, es entspricht aber in Wirklichkeit einer zwischen der Dotterhaut und der. (inzwischen sammt dem Amnion auf den Rücken umgeschlagenen) Serosa be- findlichen und yon letzterer stammenden Sekretschicht. Übergehend auf die uns interessirenden Ventralanhänge, so be- stätigt der Schnitt Fig. 22 vor Allem, dass, wie schon früher betont wurde, die Insertionsstelle (4) der Abduminalanhinge (A,«a) der Me- dianlinie (g) beträchtlich näher liegt als jene der Hinterbeine (2,). Eben so ergiebt sich zur Evidenz, dass die ventralwärts von den Stigmen (st, st‘) liegenden Hicker (d, @’ [vgl. Fig. 18 d]), die man vielleicht an den folgenden Segmenten als rudimentär gebliebene Anlagen von Hinterleibsanhängen deuten könnte, mit solchen ihrer Lage wegen absolut unvergleichbar sind. Was nun das-histologische Verhalten betrifft, so erkennt man schon bei schwacher Vergrößerung, dass dasselbe in diesem Stadium an den Abdominalanhängen in vieler (aber nicht in jeder) Beziehung ein ganz anderes ist wie an den Beinen. Es gilt dies insbesondere von der Außenschicht oder dem Ektoderm. Während letzteres nämlich an den Beinen (ähnlich wie an der ganzen Leibeswand und an allen übrigen vorderen Anhängen), wie speciell in Fig. 24 zu sehen ist, aus relativ schmalen Zellen mit verhältnismäßig sehr kleinen (0,006 mm) Kernen (e) besteht und nur einzeln eingesprengte Großzellen mit großen Kernen (£) enthält, sind an den Abdominalanhängen (Fig. 23) fast alle Zellen (e), namentlich aber die an der Außenseite des taschenartigen Organes von bedeu- tender Größe und sind die Kerne derselben u. A. mehr als dop- pelt so groß als jene des übrigen Ektoderms, indem sie ca. 0,014 mm messen. Da die Ektodermkerne zur Zeit der ersten Anlage der Gliedmaßen 0,008 mm groß sind, so ergiebt sich, dass im Laufe der weiteren Entwicklung die Kerne des gewöhnlichen Ektoderms 602 V. Graber sich etwas verkleinern, während jene im Ektoderm der Abdominal- anhänge eine beträchtliche Vergrößerung erfahren. Diese Größen- zunahme betrifft aber, wie Fig. 22 zeigt, vorwiegend nur die Außen- wand des Anhanges. Denn ein Theil des inneren Blattes, sowie der durch Einschnürung entstandene kurze Halstheil oder Stiel des Or- gans hat typische (kleine) Ektodermelemente. Was dann das Innere der in Rede stehenden großzelligen Ekto- dermsäcke betrifft, so hat man es hier keineswegs, wie PATTEN an- giebt, mit einem einfachen, eventuell zur Aufnahme von. Drüsense- kreten dienenden Hohlraum zu thun, denn man findet in diesen Taschen zahlreiche Zellen (ms) von gleicher Beschaffenheit wie jene, die in der Leibeshöhle und auch in allen Anhängen (vgl. Fig 24 ms) vorkommen. Fraglich blieb es mir aber, ob diese von einer Meso- dermaussackung herstammenden Elemente ganz frei und eventuell als Blutzellen. aufzufassen sind, oder ob sie sich z. Th. wenigstens zu einem lockeren Gewebe vereinigen. Im Vergleich zu den eigentlichen Beinen verdient aber besonders hervorgehoben zu werden, dass im Inneren der Abdominal- anhänge weder Muskeln noch Nerven, noch auch Tracheen zur Entwicklung kommen. Drüsen oder eventuell Sinnesorgane können es also jedenfalls nicht sein. Eher könnte noch ihre Deutung als Kiemen gelten, denn ParrEeNn’s Einwand, dass ihre Wand hierzu zu dick sein dürfte, scheint mir nicht ganz stichhaltig, da, wie bekannt, auch echte Kiemen mitunter ziemlich hohe Epithelien besitzen. Was schließlich die von unserem Befund ganz abweichende Schilderung betrifft, die Ayers von den (vielmal kleineren) Abdominalanhängen bei Oecanthus giebt, so ist hier wohl eine genaue Nachuntersuchung wünschenswerth, dies um so mehr, da ich in der jüngsten Zeit bei einem Acridier (Stenobothrus) fast genau dieselben histo- logischen Verhältnisse wie beim Maikäfer fand. Ich komme nun zur Rückbildung der Abdominalanhänge. Diese beginnt, so viel ich bisher in Erfahrung brachte, etwa acht Tage nachdem sie ihr Maximum erreicht haben. Am 30 Tage alten Embryo in Fig. 20, dessen Rücken schon geschlossen und bei dem Kopf- und Analtheil schon stark gegen einander gekrümmt sind, ist das Organ (A,a) nicht nur im Verhältnis zu den Beinen, sondern absolut kleiner geworden. Noch auffallender ist aber die Reduktion der Abdominalanhänge am (in Folge des starken Längenwachsthuns) bereits ganz eingerollten 34 Tage alten Embryo in Fig. 21, der seine völlige Reife erlangt hat. Hier sind die betreffenden Anhänge Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 603 (kya) nur mehr winzige, kaum die Länge eines Segmentes errei- chende (und im oben erwähnten Gerinnsel halb versteckte) Schüpp- chen, die sich bei der geringsten Berührung vom Körper trennen. Wahrscheinlich werden sie beim Auskriechen aus der Schale (viel- leicht in Folge der Reibung an derselben) abgestreift. Am ausge- schlüpften Engerling findet man nur noch die verlöthete Narbe ihres Stielchens. Hydrophilus piceus L. (Taf. XXV Fig. 1—4.) Ich beginne mit dem vollkommen isolirten Keimstreif in Fig. 1. Derselbe ist mit der Cam. luc. entworfen und erscheint in der Mitte etwas breiter als es der Wirklichkeit entspricht, da seine Seiten- hälften in Folge der erlittenen Quetschung etwas aus einander ge- zerrt sind. Er entspricht im Wesentlichen jenem Stadium in der Darstellung KowALevsky’s, das in Fig. 6 kopirt ist. Er ist schon vollkommen segmentirt und sind auch bereits die ersten Anlagen der Gliedmaßen sichtbar. In der Medianzone sieht man sehr schön die beiden noch ganz ungegliederten Seitenstränge (s), welche im Kopflappen mit mehreren, als Anlagen des Gehirns aufzufassenden gefalteten Kör- pern (42) in Verbindung stehen und dann, in der Mitte zwischen beiden, den durch Invagination entstandenen Medianstrang (227). Unser Präparat zeigt aber vor Allem auf das Unzweideutigste, dass die Gliedmaßen hier, wie dies auch von KOwALEvskY betont wird, aus dem hinteren Rande der Segmente hervorgehen und bezeichne ich diese Anlage in der Folge als endständige. Besonders klar ist diese Bildungsweise links bei z zu erkennen. Das Ektoderm bildet hier eine vom Außenrand des Keimstreifs gegen die _ Medianlinie einspringende taschenartige Falte, die aus einem vor- deren Blatt (v) und einem (damit medianwärts zusammenhängenden) hinteren Blatt (4) besteht. In der Mitte des vorderen Faltenblattes bezw. am hinteren Rande der vor der Falte liegenden rechtsseitigen Segmenthälfte bemerkt man ferner einen durch Wucherung der Ektodermzellen gebildeten, ventralwärts frei vorspringenden warzenartigen hohlen Auswuchs, der eben die Anlage des dritten Kieferpaares (A,) vorstellt. Eine wesentliche Differenz im Vergleich zur Darstellung Ko- WALEVSKY’S finde ich u. A. bezüglich der Deutung der Fühleranlagen resp. was damit zusammenhängt hinsichtlich der Zabl der Segment- 604 V. Graber anhiinge. Während nämlich KowALevsky die in unserer Fig. 6 mit f bezeichneten nahe dem Vorderrand des Kopfsegmentes entspringenden Anhänge als Fühler ansieht, zeigen meine Präparate ganz deutlich, dass letztere (Fig. 1f) vom Hinterrand ausgehen. Was eigentlich die von KowALevsky als Fühler gedeuteten Gebilde sind, kann ich nicht bestimmt sagen, möglich ist es, dass hier — KowALEvsky scheint den Keimstreif nicht im isolirten Zustand untersucht zu haben — eine Verwechselung mit den zwei gliedmaßenähnlichen Anlagen der Oberlippe (Fig. 2 02) vorliegt. Bezüglich der letzteren will ich noch beifügen, dass die Anschauung, welche u. A. BALFOUR! ausspricht, dass nämlich die paarige Oberlippenanlage möglicherweise dem vorderen Antennenpaar der Krebse homolog sei, durch das von mir festgestellte Verhalten bei Hydrophilus (und auch bei einigen anderen Insekten) eine gewisse Berechtigung erhält. Mit Rücksicht auf das Mitgetheilte scheint es mir nun — wie ich schon früher andeutete — wahrscheinlich, dass die in Fig. 6 von KowALeEvsky als Anlagen der Vorderkiefer bezeichneten Segment- falten in Wirklichkeit die Fühler sind. In diesem Fall würden dann die von Kowa.evsky als Anhänge des zweiten Hinterleibssegmentes gedeuteten Falten (Fig. 6 A,) entfallen bezw. dem ersten Segment angehören. Diese Deutung dürfte aber auch desshalb die richtige sein, weil ich an meinem Präparat (Fig. 1) einzig und allein nur am ersten Hinterleibssegment unzweideutige Glied- maßenanlagen (A,«a) finde. Diese sind schon bei ihrem ersten Er- scheinen beträchtlich kleiner als die Anlagen der Brust- beine und haben also, gleich den homologen Melolontha-An- hängen, entschieden einen rudimentären Charakter?. Wir wenden uns jetzt zum Keimstreif in Fig. 2, an dem alle Gliedmaßen bereits deutlich hervortreten. Man sieht auf der Stelle, dass die Anhänge des ersten Hinterleibssegmentes (A,a) im Vergleich zu den Thorakalbeinen sehr klein sind, und ferner, dass solche Appendices an den folgenden Metameren ganz fehlen. Näheres De- tail lässt Fig. 3 erkennen. Man beachte zunächst die beiden kon- tinuirlichen Seitenstränge s, die in der Mitte eines jeden Segmentes, 1}. ¢. pag. 387. 2 Ich schließe noch aus einem andern Grunde, dass KOWALEVSkY manche Verhältnisse nicht ganz deutlich erkannte. Während er nämlich betreffs der Stigmata angiebt, dass sie zuerst am Hinterleib und dann an der Brust entstehen, finde ich ursprünglich nur ein Stigmenpäar und zwarin der Mitte des zweiten Brustsegmentes (Fig. 1 st). Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen, 605 ähnlich wie bei Melolontha, nach innen zu eine Verdickung haben, wodurch der Mittelstrang m segmentweise eingeschnürt wird. Wei- ter bemerkt man, dass die Beine (d,) — und Gleiches gilt von den Kiefern — durch einen kurzen Querbalken (d,) mit den Seiten- strängen verbunden sind, ein Verhalten, das auch bei Melolontha er- wähnt wurde. Eine ähnliche Verbindung (d,) hat auch der erste Abdominalanhang. Unmittelbar neben dem letzteren — zwischen diesem und dem Stigmawulst (s¢,;) — entdeckt man eine zweite Pro- tuberanz a, die aber nur ganz schwach entwickelt ist und nicht frei hervortritt.. Ich erwähne sie mit Rücksicht auf das Verhal- ten am zweiten Abdominalring. Hier sieht man zunächst deutlich wieder einen vom Stigmawulst zum Seitenstrang gehenden Quer- balken (d,). Dagegen ist von einem frei vorspringenden, mit dem Anhang des ersten Segmentes vergleichbaren Fortsatz keine Spur siehtbar. Wohl aber bemerkt man an der medianwärts gerichteten Seite des Stigmawulstes eine ähnliche Protuberanz wie am ersten Segment. Wollte man nun etwa — wofür allerdings gar keine rechte Veranlassung vorliegt — die erwähnte Protuberanz am ersten Segment als einen Nebenbestandtheil des Anhanges auffassen, so würde letzterer zu einem zweilappigen Gebilde und müsste man beziiglich des zweiten Segmentes (und der folgenden Metameren) sagen, dass hier von den zwei Lappen des Anhanges am ersten Segment nur der schwächer entwickelte äußere Lappen sich erhalten, der zweite oder innere aber sich vollkommen rück gebildet hat. Ein weiteres Stadium, das ich näher untersuchte, zeigt Fig. 4. Es steht jenem nahe, von dem HEIDER behauptet, dass es an sämmt- liehen Hinterleibssegmenten Spuren von Anhängen besitze. Da das vorliegende Präparat mit der gleichen Vergrößerung wie das in Fig. 3 gezeichnet ist, so sieht man zunächst, dass die Anhänge des ersten Hinterleibssegmentes (h,a) im Vergleich zu den in rascher Vergrößerung begriffenen Beinen (d;) kaum merklich ge- wachsen sind, oder dass sie mit anderen Worten im Gegensatz zu den eine mächtige Entfaltung erlangenden homologen Organen von Melolontha in ihrem rudimentären Zustand beharren. Was dann die fraglichen Anhänge an den übrigen Abdominal- segmenten betrifft, so finde ich in diesem Stadium nicht nur keine Spur von den Appendices des ersten Segmentes irgend wie ver- gleichbaren Anschwellungen, sondern ich vermisse hier auch (vgl. As) 606 V. Graber jenen Hicker am inneren Rand des Stigmawulstes, den ich oben als äußere Nebenlappen der Anhänge am ersten Segment bezeichnete. Etwas Neues: finde allerdings auch ich hier, nämlich die mit fro, tr;, tr, markirten Gebilde hart unterhalb des Stigmawulstes; diese sind aber, wie insbesondere Serienschnitte zeigen, nichts Anderes als vom Stigma aus eingestülpte, also unter dem Niveau der Haut liegende Säcke, die im optischen Durchschnitte, wie dies auf der Zeichnung angedeutet ist, als Ringe erscheinen, und die die Anlagen der beiden umfangreichen Tracheenlängsstämme sind. Gegen die Richtigkeit der Behauptung HEIDER's, dass in einem späteren Stadium sämmtliche Abdominalsegmente den Beinen homo- loge Anhänge besitzen, scheint mir aber auch das in Fig. 5 ange- deutete Verhalten des Embryo kurz vor dem Ausschlüpfen zu spre- chen. Hier bemerkt man schon bei Lupenvergrößerung hinter der Basis des Hinterbeines d,, als Uberrest des Ventralanhanges am ersten Abdominalring, ein kleines Wärzchen (A,«e), das noch deut- licher hervortritt, wenn man den ausgeweideten Embryo tingirt und im ausgebreiteten Zustand in Balsam legt. Dagegen vermag ich auch nicht eine Spur irgend einer, dem erwähnten Anhang homo- logen Anschwellung an den folgenden Bauchplatten zu entdecken. Wohl aber findet man, was bereits KOwALEVSKY in seiner Abbildung einer ausgeschlüpften Hydrophiluslarve (seine Fig. 19) darstellte, am lateralen Theil jedes Hinterleibsringes eine andere Kategorie von Ausstülpungen, nämlich Schüppchen (Fig. 5 7), die nach und nach in griffelartige Hohlgebilde übergehen. Das Vor- kommen der letzteren giebt uns zugleich ein sehr instruktives Bei- spiel, wie vorsichtig man bei der morphologischen Deutung der Hinterleibsanhänge der Insekten sein müsse. Wären nämlich, was ja bei vielen Insekten wirklich der Fall ist, die unzweifelhaft ven- tralen Anhänge am ersten Abdominalsegment nicht vorhanden, so könnte man leicht versucht sein, die erwähnten Griffel als Abdomi- nalbeine anzusehen. — Lina tremulae. (Taf. XXV Fig. 7.) Auf Grund des Verhaltens bei Melolontha und Hydrophilus könnte man leicht zu glauben geneigt sein, dass die Embryonen aller Käfer polypod- seien. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigt uns der isolirte Lina-Keimstreif in Fig. 7. Obwohl man es hier mit einem Stadium zu thun hat, an dem bei anderen Insekten Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 607 die Abdominalanhänge in der Regel am besten hervortreten, so ver- misst man dennoch jede Andeutung von solchen. Es zeigt sich dies besonders links, wo das Hinterbein entfernt wurde, um einen eventuell darunter liegenden Anhang bloßzulegen. Außerdem mache ich noch darauf aufmerksam, dass auch hier, wie bei Hydrophilus, die Anlagen der Beine am hinteren Rande der zugehörigen Segmente entspringen, dass sie also, wie ich das Ver- halten früher bezeichnete, endständig sind. Mantis religiosa L. (Taf. XXV Fig. 8.) Der in Fig. 8 abgebildete Keimstreif verdient vor Allem da- durch unser Interesse, dass er nicht nur am ersten, sondern auch am zweiten Hinterleibssegment ein Paar rudimen- tärer und den Brustbeinen homologer Anhänge (A,a, ya) besitzt. Man sieht dieselben besonders links, wo das Hinterbein (5,) exstirpirt wurde, sehr deutlich. Entsprechend der Verschmälerung des Abdomens im Vergleich zur Brust kommen die betreffenden Anhänge etwas weiter gegen die Medianlinie hin zu liegen, was aber offenbar ihrer Homo- | logisirung mit den Beinen nicht hinderlich sein kann. Die Anhänge des ersten Segmentes messen ca. !/; der Länge der Brustbeine und jene des zweiten Segmentes sind noch beträchtlich kleiner. Ihre Form ist eine mehr längliche als bei den bisher besprochenen In- sekten und erinnern sie daher auch mehr an die eigentlichen Beine. Leider fehlte mir das Material, um festzustellen, wie lange sie sich erhalten und welche Umwandlungen sie etwa erleiden. Gryllotalpa vulgaris L. (Taf. XXV Fig. 10—14.) Aus den beiden Ansichten eines relativ jungen Keimstreifs in Fig. 10 und 11 ergiebt sich zunächst, dass die knopfförmigen Anlagen der Extremitäten des ersten Hinterleibsseg- mentes rudimentärer Art sind und zweitens, dass sie in diesem Stadium mit den Brustbeinen ganz in einer Linie liegen. Etwas anders ist ihr Verhalten in einem späteren, durch Fig. 12 (ya) veranschaulichten Stadium. Während sie ursprünglich kaum die Länge eines Segmentes erreichen, dehnen sie sich hier nicht nur über das erste Segment, sondern auch über das zweite aus. Sie haben also zwar kein großes, aber doch ein beträchtliches Wachsthum er- 608 V. Graber fahren. Was ihre Form betrifft, so erscheinen sie nicht mehr knopf- oder warzenartig, sondern bilden flache taschenartige Säcke (Fig. 14), die, in ähnlicher Weise wie bei Melolontha und Stenobothrus und nach Ayers’ Darstellung bei Oecanthus, mit einem ziemlich langen hohlen Stiel (Fig. 14 st) am Körper hängen. Etwas verändert erscheinen ferner die Lagerungsverhältnisse der Abdominalanhänge. Sie fallen nämlich jetzt nicht mehr genau in die Insertionslinie der Brustbeine, sondern stehen, wie dies bekannt- lich KOROTNEFF für die jüngeren Stadien angiebt, thatsächlich etwas außerhalb derselben. Diese. Positionsverschiebung kommt am deut- lichsten im Verhalten zu den Stigmen zum Ausdruck. Während nämlich die Stigmen am zweiten und dritten Brustsegment (s¢,, sf.) von den zugehörigen Beinen unbedeckt bleiben, liegen sie am ersten und zweiten Hinterleibssegment unter den Abdominalanbingen. Die Erklärung für diese Lageveränderung dürfte aber einfach darin zu suchen sein, dass die Abdominalanhiinge vorwiegend nach außen hin, d. i. gegen die Stigmenlinie wachsen, während andererseits vielleicht auch die Beine mit ihrer Basis etwas nach innen, gegen die Medianlinie, rücken. Letzteres nehme ich aber desshalb an, weil der quere Abstand zwischen den Thorakal- und Abdominal- anhängen, wie Fig. 13 zeigt, am reifen Embryo noch größer ist, und die Beine thatsächlich der Medianlinie stark genähert sind. Im Gegensatz zu KOROTNEFF, der die Abdominalanhänge bald nach dem Schließen des Riickens verschwinden lässt, konnte ich konstatiren, dass sie ganz so wie bei Melolontha bis zum Aus- schlüpfen des Embryo erhalten bleiben. Hinsichtlich des feineren Baues giebt mir ein in Fig. 14 abge- bildetes, in toto gefärbtes und in Balsam eingeschlossenes Organ einigen Aufschluss. Die Wand des ziemlich flachen Sackes (sa) besteht, ganz so wie bei Melolontha, aus relativ sehr großen Zellen (z) von ca. 0,018 mm Durchmesser und einem 0,008 mm großen Kern. Anders wie bei Melolontha verhält sich hier aber der hohle Befestigungsstiel. Seine Wand besteht nämlich aus faserartig in die Länge gezogenen Zellen, die den Stiel in Form von Halbringen umschließen !. 1 Bei Stenobothrus sind i. A. nur am ersten Hinterleibssegment deut- liche Anhänge. Sie gleichen den lateral entspringenden zipfelartigen Fortsätzen des Peripatus-Embryo (BALFouR |. c. I. Bd. pag. 364. Fig. 169), Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 609 Gasteropacha quercifolia L. (Taf. XXV Fig. 9.) Von den zahlreichen in meinem Besitz befindlichen Keimstreifsta- dien dieses Schmetterlings bringe ich vorläufig in Fig. 9 nur ein, für unsere Zwecke besonders lehrreiches Stadium zur Darstellung. An demselben beachte man zunächst, dass die paarigen Segmentplatten in diesem Stadium nur auf ihrer inneren, d. i: der Medianlinie zu- ‚gekehrten Seite von einander separirt sind, während das Ektoderm (ec) am Rande des Keimstreifs noch keine Intersegmentalfalten zeigt. Dies hängt damit zusammen, dass auf dieser Entwicklungsstufe der Entoblast (ms) jeder Seite noch einen kontinuirlich, durch alle Seg- mente gehenden Strang bildet, der sich in der Mitte jedes Segmentes zu einem länglichen Sack erweitert. Später, wenn diese segmentalen Entoblastsiicke sich von ein- ander trennen, schieben sich zwischen denselben auch vom Rande her Ektodermfalten ein. Weiter verdient der Ursprung der Segmentanhänge unser In- teresse. Bei Hydrophilus und Lina steht es, wie wir sahen, außer Zweifel, dass die Anhänge vom hinteren Rand der Segmente aus- gehen, während sie bei Stenobothrus seitenständig sind. Bei unserem Schmetterling (und wohl auch bei manchen anderen In- sekten) ist das Verhalten wieder anders, ein Umstand, der aber auffallenderweise — so viel mir bekannt — noch nirgends er- wähnt wurde. Die Sache ist die, dass, wie Fig. 9 lehrt, die An- hänge (Kiefer und Beine) nicht am Hinterrand der Segmente, son- dern in der Mitte derselben entspringen, wesshalb ich sie auch als mittelständig bezeichne. Angedeutet wurde diese Lagerungsweise allerdings bereits von KowALEvsky! auf Taf. XII Fig. 8, die den - Keimstreif eines Lindenschwärmers zeigt — man findet aber im Text auch nicht ein Wort darüber. Mir aber erscheint das Verhalten von großer morphologischer Wichtigkeit. Ich halte nämlich dafür, dass die endständig (opisthostatisch), mittelständig (mesostatisch) und seitenständig (pleurostatisch} gebildeten Segmentan- hänge, streng genommen, gar nieht mit einander homolo- gisirt werden dürfen, es wäre denn, dass der eine Bil- dungstypusphylogenetisch aus dem anderen hervorginge. 1 Auch bei TıcHomIRorr (Entwicklungsgeschichte des Seidenspinners, Russisch. Moskau 1882) findet man z. B. in Fig. 24 und 25, pag. 40, Andeu- tungen dieses Verhaltens. 610 V. Graber Jedenfalls aber scheint mir mit dem Nachweis der besprochenen Lagerungsdifferenzen der Extremitätenanlagen für phylogenetische Zwecke ein nicht zu iibersehendes neues Kriterium gewonnen. Auf die Abdominalanhänge komme ich erst zuletzt und schicke gleich voraus, dass in dieser Hinsicht mein Befund bei Gasteropacha sehr wesentlich von dem KOWALEvskyY’s bei Sphinx populi abweicht. Die Raupen der genannten Schmetterlinge haben bekanntlich am 3., 4., 5., 6. und 9. Hinterleibssegment ein paar Ventralanhänge, während das 1. und 2., sowie das 7. und 8. Segment ohne solche: Stummelbeine sind. Was nun Kowarevsky’s Darstellung betrifft, so findet man an einem Keimstreif von Sphinx (Taf. XII Fig. 10), dessen Entwicklung jener des Gasteropacha-Keimstreifs in unserer Fig. 9 nur wenig voran ist, zehn Paare von Abdominalstum- meln eingezeichnet. Es wären hier also auch die später anhangs- losen Hinterleibssegmente (1, 2, 7 und 8) mit Gliedmaßen ausge- rüstet oder mit anderen Worten: die an der Raupe an zwei Stellen unterbrochene Reihe von Abdominalanhängen wäre auf eine kontinuirliche Reihe embryonaler und mit den Brustbeinen nahezu gleichalteriger, also wohl auch homologer Anlagen zurückzuführen. Meine Untersuchungsergebnisse erlauben mir aber keine der- artige Schlussfolgerung. Ich vermag nämlich zunächst an dem in Fig. 9 abgebildeten Keimstreif keine Spur von Abdominalanhängen zu entdecken, denn die betreffenden Segmente (2,—/;) sind hier voll- kommen glatt. Aber auch an älteren Stadien, an denen bereits die lateralen Anlagen des Mitteldarmes vorhanden sind, sehe ich nichts von An- hängen. Erst viel später, nachdem die vier Kopfsegmente schon zu einer einheitlichen Kapsel verschmolzen und der Mitteldarm bereits eine ventrale Rinne bildet, treten solche Fortsätze auf und zwar keineswegs an allen Segmenten, sondern bloß an jenen, die auch noch im Raupenstadium Stummeln tragen. Ohne KowAuevsky’s Angaben bezweifeln zu wollen, muss ich also doch auf Grund meines Befundes und der Angaben TıcHOMIROFF's! beim Seidenspinner die Abdominalanhänge der Raupen als sekundäre Bildungen auffassen. 1 Man vergleiche u, A. die z, Th. allerdings sehr undeutlichen Textfiguren 27 und 28 pag. 41. 2 Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 611 Zusammenfassung und Folgerungen. 1) Am Keimstreif mancher Insekten kennt man abdominale An- hänge, die hinsichtlich ihrer Lagebeziehungen und ihrer Bildungs- weise vollkommen mit den typischen oder Brustbeinen iibereinstim- men und diesen somit homolog zu setzen sind. 2) Solehe embryonale Hinterleibsanhänge sind mit voller Sicher- heit bisher nachgewiesen: 1) bei Orthopteren: Gryllotalpa (RATHKE, KOROTNEFF, GRA- BER), Oecanthus (Ayers), Mantis (GRABER), Blatta (Parren), Stenobothrus (GRABER), 2) bei Neuropteren: Neophalax (PATTEN), 3) bei Coleopteren: Hydrophilus (KowALEVSKY, HEIDER, GRABER), Melolontha (GRABER). Außerdem wurde ihr Vorkommen behauptet bei den Hymeno- pteren (Apis) von BürscaLı und bei Lepidopteren (Sphinx) von Ko- WALEVSKY und von WırLacziıu'! bei Rhynchoten. So wenig zahlreich nun auch diese Daten sind, so dürfen wir doch mit Rücksicht dar- auf, dass bisher überhaupt nur sehr wenige Insekten auf die in Rede stehenden Anhänge untersucht sind, ganz ruhig annehmen, dass sie eine sehr weite Verbreitung haben. 3) Bei den meisten der genannten Insekten finden sich die frag- lichen Anhänge bloß am ersten Hinterleibssegment, also im unmittel- baren Anschluss an die typischen Gliedmaßen deutlich ausgebildet; bei mehreren Formen (Mantis, Oecanthus, ? Neophalax) trifft man sie aber auch noch am zweiten und (seltener) am dritten Segmente (sicher u. A. bei manchen Spinnen). Für sämmtliche Abdominalsegmente hingegen (die letzten zwei oder drei ausgenommen) ist ihr Vorkommen bisher bloß bei Melolontha sicher erwiesen; es ist aber nicht un- _ wahrscheinlich, dass wirkliche Poly- oder besser vielleicht Panto- podie u. A. auch bei Hydrophilus und bei der Biene vorkommt. 4) Die Abdominalanhänge sind stets vollkommen unge- gliedert und, im Vergleich mit den thorakalen Gliedmaßen, i. A. und namentlich auch in der ersten Anlage, ganz rudimentär. Letz- teres gilt insbesondere von allen, auf das erste Anhängepaar folgen- den Auswüchsen, indem diese fast immer nur als niedere Höcker erscheinen. 5) Die Anhänge des ersten Segmentes treten ganz oder fast gleich- ! Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. XL. Bd. pag. 581 u. a. a. O. Morpholog. Jahrbuch. 13. 40 612 V. Graber zeitig mit den Brustbeinen auf, die hinteren dagegen scheinen, z. Th. wenigstens, erst später hervorzusprossen. 6) Sämmtliche bisher bekannt gewordenen, den Beinen ho- mologen Anhänge, die sich am Embryo, nahezu gleichzeitig mit den Thorakalgliedmaßen bilden, erhalten sich auch nur während der Embryonalperiode. Ausgenommen wären, wenn sich KowALevsky's Befund bestätigt, nach den derzeitigen Ergeb- nissen bloß die Schmetterlinge. | 7) Aber auch innerhalb der embryonalen Periode ist die Existenz- dauer der Abdominalanhänge eine sehr ungleiche. Während nämlich das erste Anhangspaar (das i. A. auch zuerst entsteht), bis zum Aus- schlüpfen des Embryo nachweisbar ist, haben die übrigen (i. A. auch später auftretenden) Paare meist nur ein ganz ephemeres Dasein, ein Umstand, der mitunter wohl auch ihren Nachweis vereitelt. S) Sehr verschieden ist ferner auch der Grad und die Art und Weise der Entfaltung des ersten Paares von Anhängen. Man unterscheidet zunächst zwei Fälle: die Anhänge erfahren entweder, unter Beibehaltung der ursprünglichen Stummel- — form, eine allmähliche Reduktion (Hydrophilus, ? Neophalax) oder, was die Regel. sie wandeln sich in flache (inwendig nur von lockeren Zellen erfüllte) Säckchen um, die mittels eines, durch Ein- schniirung ihrer Basis entstandenen hohlen Stieles am Körper hän- sen. Sehr ungleich ist aber die Größenentfaltung der letzteren Ka- tegorie von Anhängen oder der Sackform. Während nämlich diese Gebilde in der Regel höchstens ein Drittel der Beinlänge erreichen. entfalten sie sich beim Maikäfer zu sehr umfangreichen Organen, die zusammen nahezu die ganze Bauchseite bedecken. 9) Der Umstand, dass alle oder doch einige Paare der embryo- nalen Abdominalanhänge so unausgebildet bleiben und z. Th. auch einen so kurzen Bestand haben, dass ihnen unmöglich irgend eine Funktion zugesprochen werden kann, lässt es wohl als ganz sicher erscheinen, dass sie bloße, auf verschiedenen Stadien der Verkümmerung befindliche Überreste von Gliedmaßen sind, oder mit anderen Worten, dass die Insekten (und mit ihnen die Spinnen) von Vorfahren abstammen, die (und ver- muthlich im erwachsenen Zustand) auch am Hinterleib wohl entwickelte und einer bestimmten Funktion dienende Extremitäten besaßen. Mit Rücksicht darauf, dass die in Rede stehenden Anhänge die verschiedensten Grade der Verkümmerung zeigen. wird man insbe- a: le re Uber die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 613 sondere auch jene Insekten, bei denen solche Rudimente gegenwärtig gar nicht mehr nachweisbar sind, gleichwohl ebenfalls auf polypode Vorfahren zurückzuführen haben. 10) Fraglich bleibt aber vorläufig die Beschaffenheit der supponirten Abdominalgliedmaßen der polypoden Insektenvorfahren. A priori scheint allerdings die Annahme am meisten für sich zu haben, dass die Anhänge des Abdomens, ähnlich etwa wie bei den Myriopoden, denen des Thorakalabschnittes gli- chen, also wahre Beine waren. Für diese Auffassung spräche insbesondere auch das Verhalten bei jenen Thysanuren (Campodea ete.), die auch im reifen Zustand bein- ähnliche Abdominalanhänge besitzen. Abgesehen davon aber, dass wir — so viel mir bekannt -— nicht bestimmt wissen, ob diese Thysa- nurengriffel ihrer embryonalen Anlage nach den Brustbeinen wirklich homolog sind, lassen sich gegen die erwähnte Annahme der Homopodie der Insekten-Ahnen noch andere Gründe vorbringen. Der Haupteinwand ist der, dass die zur Beurtheilung unserer Frage fast allein nur in Betracht kommenden Anhänge am ersten Hinterleibs- segment in der Regel und bei verschiedenen Insektenordnungen eine vom Beintypus wesentlich abweichende Sack- oder Blattform haben. Man könnte allerdings wieder sagen, dass diese Anhänge vielleicht erst sekundär — in Anpassung an bestimmte Lebensbedingungen — den Charakter kiemenartiger Säcke erhielten; es ist aber auch möglich,dass dieabdominalen Segmentanhänge ursprüng- lich schon als Kiemen fungirten bezw. dass die Vorfahren derInsekten und Spinnen heteropod waren und gewissen, mit hinteren Kiemensäcken ausgestatteten Crustaceen nahe standen. Dafür spricht meines Erachtens insbesondere der Umstand, dass die fraglichen Anhänge auch im Stadium der höchsten Entfaltung in der Regel noch immer den Eindruck rudimentärer Or- gane machen. Czernowitz, im September 1897. 40* Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Erklärung der Abbildungen. Durchgehende Bezeichnungen: Anus, i, Vorderkiefer (Mandibeln), Vorderbeine, ky Mittelkiefer (Maxillen), Mittelbeine, kz Hinterkiefer (Unterlippe), Hinterbeine, ' kl Kopflappen, Fiihler, ol Oberlippe, Ganglienkette, o.g obere Schlundganglien, erstes Hinterleibssegment, m Mund, zweites - mt Mittelstrang der Bauchmarkanlage, ete. s Seitenstrang - - Anhänge des erstenH.-Segmentes, st, sta etc. erstes, zweites ete. Stig- - - zweiten - menpaar. etc. Tafel XXV. Fig. 1—6. Hydrophilus piceus L. Isolirter Keimstreif mit den ersten Extremitätenanlagen von der Bauch- _ seite. Cam. luc. Vergr. 3%. Isolirter Keimstreif mit differenzirten Extremitäten von der Bauchseite. Cam. luc. Vergr. °0/;. Stück desselben Keimstreifs stärker vergrößert von der Bauchseite. dı, ds ete. Verbindung zwischen den Gliedmaßen und dem Seitenstrang der Bauchmarksanlage. Vergr. ®/;. Stück eines älteren Keimstreifs. md longitudinale Stränge an beiden Rändern des Keimstreifs, aus denen der Mitteldarm hervorgeht. 77, tra etc. Tracheenanlagen. Ansicht theils von der Ventral-, theils von der Dorsalseite. Vergr. ©/;. Mitteltheil eines fast reifen Embryo. Z schuppenartige Fortsätze am Rande der dorsalen Hinterleibsplatten. Vergr. !/;. Ei mit Keimstreif. Kopie aus KowALEvsky’s Arbeit »Embr. Studien an Würmern und Arthropoden« Taf. VIII Fig. 8. Vorderhälfte des Keimstreifs aus einem drei Tage alten Ei von Lina tremulae. Vergr. 49/;. | Isolirter Keimstreif von Mantis religiosa L. Au Anlage der Facett- augen. Cam: luc. Vergr. 3%,. Vorderhälfte des Keimstreifs aus einem 2!/; Tage alten Ei von Gaste- ropacha quercifolia L. ee Ektoderm, ms Entoblast. Cam. luc. Vergr. 5/1. H } 2 1 \ ee! : . 1 he F i | 13: ab Lith. Anst.v Werner £Wireter, Eranktart®M. Vornholog. Jahrbuch. Bd XM. pst le sail Taraber mac 7 Zei Lith Anst.v Werner «Winter Franktart MH | 5 : "Graber nach @ Wat gez Verl x Wilk. Engelmann, Leinzig. i cv $ R S & S ? Seem ym BT A LEY MI YW! SS as as» ” R N 8 | S Yel x Wie Engelmann, Leinzig. j Zieh Anse. vr Werner a Winter, Freaker = ae Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. LIE 12. 13. 14. Fig. 15 Fig. 15 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. : Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. : 18. 19. 24. Über die Polypodie bei Insekten-Embryonen. 615 Fig. 10—14. Gryllotalpa vulgaris L. Flächenansicht eines relativ jungen Keimstreifs. Vergr. ®/,. Profilansicht desselben Stadiums. Vergr. '5/,. Isolirter Keimstreif eines späteren Stadiums. sto Stomodaeum, pr Proc- todaeum, a.b Anlagen der Analborsten. Cam. luc. Vergr. 24/,. Fast reifer Embryo. Vergr. 1°/,. Isolirter Anhang des ersten Hinterleibssegmentes (0,4 mm groß). sa Sack, st Stiel desselben. Vergr. 1/;. z eine stärker vergrößerte Zelle der Sackwand. Tafel XXVI. Fig. 15*—24. Melolontha vulgaris L. Ei mit Keimstreif. Neun Tage alt. Vergr. '?/.. Isolirter Keimstreif von einem 13 Tage alten Ei. m.a Anlagen der MALPIGHIschen Gefäße am Enddarm. Vergr. 1/;. Ein mittleres Stück desselben Keimstreifs. Vergr. 4/;. Isolirter Keimstreif von einem 17 Tage alten Ei, theils von der Ven- tral-, theils von der Dorsalseite aus betrachtet. md,, md’ bandförmige Mitteldarmanlagen. Vergr. 15/;. Isolirter Keimstreif, flach ausgebreitet, von einem 19 Tage alten Ei von der Bauchseite. Vergr. 15/;. Embryo von einem 22 Tage alten Ei. Längs des Rückens aufge- schnitten und dann flach ausgebreitet. 7 Rückenplatten. Der Enddarm (ed) mit dem Mitteldarm (md) von der Dorsal-, das Übrige von der Ventralseite dargestellt. Vergr. 15/;. . 30 Tage alter Embryo in seiner natürlichen Position von der Seite. Vergr. %/,. 34 Tage alter (zum Ausschlüpfen reifer) Embryo, ganz eingerollt. k Kopf, sch Schwanztheil. Vergr. 1/;. Ventrale Hälfte eines Querschnittes durch den Embryo Fig. 19 in der Richtung der Linie xz’. dk Dotterkerne, mi Mitteldarm, cu abgeliste Cutieula des Ektoderms, e Gerinnsel mit einzelnen Zellelementen (Aus- scheidung der Serosa). m, na etc. Muskeln. ir Tracheen. Vergr. ®/,. Querschnitt durch die Mitte des sackartigen Anhanges am ersten Hinterleibssegment (Aıa Fig. 19). a Außenseite, i Innenseite, e Ekto- derm-, ms Mesodermzellen. Vergr. ®0/,. Querschnitt durch ein Hinterbein. e kleine, E eingesprengte große Ek- todermzellen, ms Mesodermzellen, » Muskeln, ¢r Tracheen. Vergr. 5%/,. Fig. 25—28. Oecanthus niveus. (Kopien nach AYERS.) Abdominalanhiinge (AvErS’ Taf. XVIII Fig. 20). Vergr. 50/;. Isolirter Abdominalanhang des ersten Segmentes — »gill-pad« —(AYERS Taf. XVIII Fig. 28). Vergr. 225/,. Hinterbeine und erster Abdominalanhang (Ayers Taf. XIX Fig. 2), Vergr. 50/;. Linke Hälfte eines Querschnittes durch das erste Hinterleibssegment (Ayers’ Taf. XXII Fig. 13). Ze Ektoderm, dm Darmdriisenblatt, Am Mesoderm, /h Leibeshöhle, A Anhang, /a lacunöse Räume. Vergr. '2/,. Anatomisches iiber Cetaceen. Von Prof. Max Weber in Amsterdam. Mit Tafel XXVIII, XXVIII und 2 Holzschnitten.. I. Uber den Carpus der Cetaceen. In Nachfolgendem sollen einige Beobachtungen über den knö- chernen Carpus der Cetaceen, insbesondere über den der Odontoceti, mitgetheilt werden. Die Verschiedenheiten, die sich an diesem, beim erwachsenen oder wenigstens reifen Thiere in so reichem Maße erkennen lassen, zu gruppiren und in Zusammenhang zu bringen, war hierbei das Hauptaugenmerk; von selbst musste eine Deutung der Carpalelemente versucht werden. | Gleich hier sei aber hervorgehoben, dass ich diese Deutungen nur als provisorische betrachte. Wiederholt soll im Laufe der Mittheilung darauf gewiesen werden, warum sie nur diesen provi- sorischen Charakter haben können, was ich geehrte eventuelle Kri- triker bitten möchte, im Auge zu behalten. Trotzdem wird man vielleicht — auch von einem systematischen Gesichtspunkte aus — das Zusammentragen dieser Baustoffe nicht ganz überflüssig finden. Bekanntlich herrscht über die Zusammensetzung des Carpus der Cetaceen noch keine Einigkeit, was auch schwerlich der Fall sein kann, so lange man die Carpalelemente nur ungenügend kennt und nicht besser orientirt ist, selbst über den Bau des Carpus beim er- wachsenen und jungen Thiere. Dass selbst diese erste Bedingung nur erst ungenügend erfüllt ist, liegt hauptsächlich wohl daran, dass vielfach nur verstümmelte Flossen zur Untersuchung vorliegen, sei es, dass sie bei der Strandung des untersuchten Wales verletzt ar Anatomisches über Cetaceen. 617 wurden, sei es, dass bei der Maceration etwas verloren ging, was wegen des knorpeligen oder nur wenig verknöcherten Zustandes der Carpalelemente häufig der Fall ist. Auch wirkt die Eintrocknung der macerirten Extremität — wenn sie nicht mit ganz besonderer Vorsicht geschieht — sehr nachtheilig auf den Carpus, der in man- ehen Fällen hierdurch so verunstaltet wird, dass man ein richtiges Bild nur vom frischen Carpus erhält oder von solehen, die in irgend einer Weise feucht aufbewahrt werden. Bis vor Kurzem galt als Regel, dass der Carpus der Cetaceen niemals mehr als sieben Elemente besitze. Bei FLoweEr'! heißt es: »Exeluding the above (sc. Pisiforme) the Carpus of the Odontoceti appears never to consist of more than six bones, three belonging to the proximal and three to the distal row.« Eine Ansicht, die sich in der neuesten Auflage seiner »Osteology of Mammalia« wiederholt findet, mit Hinzufügung jedoch, dass hinsichtlich dieser Bestimmung der Carpalelemente wichtiger Zweifel herrscht. Kurz vor FLOwer hatte van BAMBEKE? schon die Behauptung ausgesprochen, dass »le nombre des os carpiens, chez les Cétacés en général varie dun a sept.« Diese höchste Zahl, die sich nach VAN BAMBEKE bei Hyperoodon findet, setzt sich nach ihm aus drei proximalen Knochen: Radiale, Intermedium, Ulnare, und aus vier distalen: Carpale distale 1, 2, 3 und 4 zusammen. FLower hin- gegen findet neben den drei genannten proximalen zuweilen noch ein Pisiforme, und in der distalen Reihe höchstens nur drei selb- ständige Verknöcherungen, » corresponding apparently with the trape- zoid, magnum, and unciform«. Was die erste Reihe angeht (Procarpus), stehen mithin van BAMBEKE und FLOWER, was die zweite Reihe (Mesocarpus) angeht. VAN BAMBEKE ganz allein auf dem Standpunkte, den GEGENBAUR bereits früher so genau priicisirte und der uns weiterhin noch be- schäftigen soll. Die vier distalen Carpalia, die VROLIK schon im Jahre 1848 beschrieb, sind nach GEGENBAUR »wie bei den übrigen Säugethieren zu deuten«. FLOWER? hingegen nimmt nur drei distale Carpalia an und sagt: »The trapezium appears never to be present as a distinet bone, although the first metacarpal so often assumes the characters and position of a carpal bone, that it may easily be .1 W. FLower, Transact. Zool. Soc. of London. Vol. VI. pag. 360. 2 W. FLower, Introduct. to the osteology of the Mammalia. 1885. pag. 301. 3 VAN BAMBEKE, Mém. d. lacad. de Belgique. Coll. in 8%. 1865. 4 W. FLOWER, Osteology of Mammalia. London 1885. pag. 299. 618 M. Weber taken for it.« Eine solche Abfertigung der Ansichten VRouik’s und GEGENBAUR’s über den Fall von Hyperoodon, der ihm ganz unbe- kannt geblieben zu sein scheint, ist aber gewiss nicht zulässlich ohne weitere Begründung. In diese, wenn im Detail auch aus einander laufenden, dennoch darin zusammentreffenden Ansichten, dass höchstens sieben Theil- stücke den Carpus zusammensetzen, hat sich nun allmählich eine Änderung angebahnt. Anfangs ganz unmerklich. P. J. van BENE- DEN! hat doch bereits im Jahre 1865 in der Beurtheilung von van BAMBEKE’s Arbeit die Mittheilung gemacht, dass in einem erwach- senen Hyperoodon, der, wie er meint, in Stuttgart bewahrt wird, »le procarpe et le mésocarpe réunis ont également huit os«, mithin einen Carpalknochen mehr als VroLık's Exemplar. Diese allerdings kurze Notiz scheint ganz unbekannt geblieben zu sein. Gleiches Los ist der Beobachtung BARDELEBEN’s? widerfahren. dass bei dem Exemplar von Ziphius cavirostris, das in Jena bewahrt wird, fünf distale Carpalia sich finden. Diese wichtige Notiz musste sich um so mehr der Aufmerksamkeit entziehen, als sie nur lautete: »Deutliche Anzeichen einer früheren Trennung in zwei Elemente zeigt das Hamatum bei den Beutelthieren, weniger auffallend bei den Nagern, sowie bei Ziphius (Hyperoodon).« Für Cetologen war da- mit aber noch nicht das Vorhandensein von fünf distalen Carpalia konstatirt, da ja Carpale 1 der herrschenden Meinung nach bei Cetaceen fehlen sollte. Durch gefällige Mittheilung von Prof. BARDELEBEN konnte ich den Sachverhalt so darlegen, wie oben geschah. Aus einem ähnlichen Grunde blieb die vor BARDELEBEN ge- machte Beobachtung von P. GERvAIS>, dass der Carpus des ihm vorliegenden Hyperoodon »a conservé huit os carpiens: trois au pro- carpe, dont lintermediaire plus fort que les deux autres, et cing au mésocarpe, un pour chacun des cing doigts, le cinquiéme de ceux-ci faisant saillie comme un pisiforme«, vielleicht gerade wegen der letzten Bemerkung ohne Einfluss, da sie der Vermuthung Raum giebt, dass GrRvAIs in der That dieses Carpale distale 5 für ein Pisi- ı P. J. van BENEDEN, Bullet. de l’Acad. Roy..Belgique. 1865. pag. 390. 2 K. BARDELEBEN, Sitzungsber. der Jenaischen Ges. für Med. u. Naturw. 1885. Sitzung vom 15. Mai und Sitzung vom 30. Oktober. Man vgl. auch Max WEBER, Über die cetoide Natur der Promammalia im Anatom. Anzeiger. II. 1887. Nr. 2. pag. 49. 3 P. J. van BENEDEN et P. Gervais, Ostéographie des Cetacés. Texte pag. 373. a ieee . u ARE DER I RE eh en le ne > Anatomisches iiber Cetaceen. 619 forme hielt. Gervais fügt noch hinzu: »Le méme nombre d’os car- piens existe aussi dans le squelette conservé au Musée de Lille.« Bei den Ziphiiden kommt demnach eine Vermehrung der distalen Carpalia bis zu fünf öfters vor. Turner! gebührt aber erst das Verdienst, diese wichtige Thatsache näher beleuchtet zu haben, als er die Hand eines erwachsenen Hyperoodon beschrieb, in welcher neben dem aus drei Carpalia bestehenden Procarpus ein Mesocarpus sich findet mit fünf Carpalia (C,_;), von denen jedes für sich mit dem Metacarpus des zugehörigen Fingers verbunden ist. Diese Thatsache, in Verband mit dem Befunde bei Nagern und Beutelthieren (BARDELEBEN), wo gleichfalls das Hamatum in ein Carpale 4 und 5 getheilt sein kann, ist ein wichtiger Fortschritt unseres Wissens, wie GEGENBAUR? es seiner Zeit in seiner grund- legenden Arbeit in folgendem Satze zusammenfasste: »Bei allen Säugethieren kommt für das vierte und fünfte Metacarpale nur Ein Carpale vor, das Os hamatum, eine Erscheinung, für die weder bei Amphibien, noch bei Reptilien eine Analogie sich findet, die also für die Säugethiere charakteristisch ist.« Auch in einem anderen Punkte haben wir seit jener wichtigen Schrift GEGENBAUR’S einen Schritt vorwärts gethan. Es werden dort auf pag. 50 neben anderen Säugethieren auch die Cetaceen als solche genannt, denen ein Centrale carpi abgehe. Inzwischen hat TurNER® ein solches nachgewiesen bei Meso- plodon bidens und Globiocephalus melas. Bei letztgenanntem Thiere finde ich es gleichfalls an beiden Händen eines Exemplars und an der rechten Hand, die allein von einem zweiten Exemplar mir vor- lag. Alle drei Hände zeigten gleichmäßig in der proximalen Reihe ein Radiale, Intermedium und Ulnare; in der distalen drei Car- palia; ich will sie Carpale 1, 2 und 3 nennen, ohne damit etwas zu präjudieiren über ihre eigentliche Bedeutung. Zwischen Carpale 1 und 2 (man vgl. Fig. 3) liegt nun mein Centrale (C): in dem abgebildeten Falle ganz in der Reihe der distalen Carpusstücke, nur viel kleiner als diese und außer Beziehung zu den Metacarpalia. In meinen beiden anderen Fällen aber lag es mehr zwischen Radiale und dem Carpale 1 und 2. Inzwischen hat auch LeBouce* 1 W. Turner, Journ. of Anat. and Phys. Oct. [885. pag. 183. 2 C. GEGENBAUR, Untersuch. zur vergl. Anat. der Wirbelthiere. Heft I. Carpus und Tarsus. 1864. pag. 45. 3 W. Turner, Journ. of Anat. and Phys. 1885. pag. 179 und 185. 4 W. LEBoUCQ, Anatom. Anzeiger. II. 1887. pag. 203. §20 M. Weber nicht nur ein einfaches Centrale beim Fötus von Monodon mono- ceros, sondern auch ein doppeltes bei Beluga nachgewiesen. Vor Kurzem theilte P. ALBRECHT! mit, »dass in dem Hamburger naturhistorischen Museum sich an beiden Händen eines Tursiops tursio radial von dem Scapho-trapezium ein besonderer, mit dem Radius artikulirender Knochen, den ALBRECHT für den letzten Rest eines Digitus scaphularis hält«. An den vier Händen von Tursiops tursio, die mir vorliegen, finde ich in keinem Falle einen, in der beschrie- benen Weise liegenden selbständigen Knochen, wohl aber ein mit dem Radiale knöchern ganz verbundenes Knochenstiick, das, einiger- maßen rund von Form, den Eindruck früherer Selbständigkeit macht und erst später mit dem Radiale innig verbunden zu sein scheint. Wir hätten es demgemäß hier vielleicht mit einer stark entwickelten Tuberositas navieularis carpi zu thun, mit einem ungewöhnlich großen Carpale proximale des Praepollex (BARDELEBEN). Außerdem finde ich aber, und davon meldet ALBRECHT nichts, bei Tursiops tursio ein anderes Carpusstück. Beide Hände eines Exemplares zeigen es so, wie Fig. 1 und 2 es darstellt. In der proximalen Reihe liegt das Radiale mit seiner großen »Tuberositas«, darauf folgt das Intermedium und zwischen diesem und dem Ulnare findet sich ein eckiges Knochenstück (d), das einer besonderen Fa- cette der Ulna anliegt. An der rechten Hand eines anderen Exem- plars zeigt sich. dieses Carpusstück in gleicher Lage und Deutlich- keit, jedoch nur an der Innen- (Palmar-)fliiche der Hand, wogegen an der Dorsalfläche jede Grenze zwischen diesem Knochen und dem Intermedium vollständig ausgetilgt ist: beide Knochen sind hier ganz verschmolzen. Interessant ist es nun, dass an der linken Hand des- selben Exemplars überhaupt jede Grenze zwischen beiden Knochen verwischt ist, so dass wir hier neben einander drei Stadien haben: Selbständigkeit beider Carpalstücke, theilweise und drittens gänzliche Verschmelzung beider zu einem Stück, das man, ohne Kenntnis der anderen Zustände, einfach für ein Intermedium in optima forma halten würde. Eine Deutung dieses Carpusstückes weiß ich nicht zu geben, es müsste denn sein, dass man es für das Ulnare halten möchte, in welchem Falle man den Knochen, der gewöhnlich für das Ulnare gehalten und auf den Abbildungen 1 und 2 dem entsprechend mit U bezeichnet wurde, als Carpale distale 4 gedeutet werden müsste. 1 P, ALBRECHT, Anatom. Anzeiger. I. 1886. pag. 345. Anatomisches über Cetaccen. 621 Ganz vor Kurzem hatte ich nun Gelegenheit, einen jungen Lageno- rhynchus albirostris von nur 1,79 m Länge zu untersuchen, an welchem die Carpalia erst theilweise den Anfang einer Verknöcherung zeigten, in der Hauptsache aber noch knorpelig und durch straffes, sehniges Bindegewebe an einander geheftet waren (Taf. XXVIII Fig. 8). Hier fand sich nun, und zwar an beiden Flossen, gleichfalls der Ulna anliegend, ulnarwärts vom Intermedium ein deutlich abge- grenztes Carpalelement, das auf der Palmar- und Dorsalfläche gleich deutlich war (Fig. 6). In seiner Lage und seinem Größenverhältnis stimmte es vollkommen überein mit dem so eben beschriebenen frag- lichen Carpalelement von Tursiops. Im Gegensatz zu diesem konnte ich aber an der Flosse eines erwachsenen Individuums (Fig. 5) keine Spur mehr davon entdecken. Wenn es nicht ganz verschwindet, so dürfte es wohl am wahrscheinlichsten mit dem Intermedium ver- schmelzen. Dass mithin außer beim erwachsenen Tursiops auch beim jun- gen Lagenorhynchus in gleicher Lage und von gleich kleinem Aus- maß ein drittes, der Ulna anliegendes proximales Carpalelement vorkommt, macht es gewiss nicht unwahrscheinlicher, hierin ein Ul- nare zu sehen und das distale ulnare Carpalelement, das gewöhn- lich als Ulnare gedeutet wird, für ein Carpale distale 4 zu halten. Nachdem im Vorhergehenden Fälle von — für Säugethiere — außergewöhnlicher Vermehrung der Carpalelemente besprochen wur- den und zwar das Vorkommen von fünf Carpalia in der distalen Reihe des Carpus, Auftreten eines Centrale carpi bei Mesoplodon bidens, Globiocephalus melas, Monodon monoceros (Fötus) und Be- luga leucas (Fötus), ferner Vorhandensein eines proximalen Carpal- stückes für einen » Praepollex«, endlich Erwähnung eines räthselhaften Carpalknochens, beides bei Tursiops tursio — dürfte es jetzt an der Zeit sein, nach dem gewöhnlichen Verhalten des Carpus der Cetaceen zu fragen. Hierbei sollen nur die Odontoceti in Betracht gezogen wer- den, da mir über die Mystacoceti kein ausreichendes Material zur Ver- fügung steht, andererseits auch wohl von Prof. J. STRUTHERS, dem die Cetologie schon so viele wichtige Beobachtungen verdankt — ich erinnere nur an seine Untersuchung über Becken und Rudiment der hinteren Extremität der Wale — weitere Ausarbeitung seiner vorläu- figen Mittheilung! über den Carpus der Cetaceen zu erwarten ist. ! J. STRUTHERS, On the carpal bones in various Cetaceans. Rep. British Assoc. 1886. 622 M. Weber Wir sahen oben, dass van BAMBEKE, der sich am ausführlich- sten über den Carpus der Cetaceen ausgelassen hat, bei Delphiniden im Procarpus Radiale, Intermedium und Ulnare findet. Eine gleiche Deutung wird nun von der Mehrheit der Forscher angenommen, nur dass in einzelnen Fällen noch ein Pisiforme hinzukommt. In neuerer Zeit weichen von dieser Auffassung nur ab MALm und viel- leicht auch Owen und ALBRECHT. MaArm! huldigt nämlich der An- sicht, dass in den Fällen, wo der Carpus aus fünf Stücken besteht. die erste Reihe derselben aus einem »Scapho-trapezium«, Lunatum und » Cunei-unciforme« sich zusammensetze; sind sechs Carpalia vor- handen, so soll entweder an Stelle eines »Scapho-trapezium« ein Scaphoid und Trapezium vorhanden sein oder aber das »Cunei-un- ciforme« hat sich in ein Cuneiforme und Uneiforme zerlegt. Wo- durch diese Ansicht bewiesen werden soll, ist mir nicht deutlich geworden. Sieht man die zahlreichen Zeichnungen an, die MALm von der Handwurzel der Cetaceen gegeben hat, und achtet hierbei auf ein Knochenstück, z. B. das erste, welches Phalanx des Daumens heißt — Metacarpi scheint MALm ganz abgeschafft zu haben — so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die sehr ausführliche Abhandlung nicht ganz frei ist von vorgefasster Mei- nung. OWEN? wurde so eben im Zusammenhang mit MALM genamnt, da auch bei ihm in den wenigen Zeilen, die dem Carpus der Ceta- ceen gewidmet sind, vom ersten Carpalknochen an der radialen Seite gesagt wird, dass er »answers to the scaphoid and trapezium«. Eine Begründung irgend welcher Art fehlt, es wird selbst nicht einmal deutlich, ob hiermit das allgemeine Verhalten bei Cetaceen über- haupt oder das specielle bei Balaena australis gemeint ist. In einer kurzen Notiz ALBRECHT's? endlich wird gleichfalls von einem »Scapho-trapezium« ohne weitere Erklärung gesprochen. Da es uns zunächst um eine Charakterisirung des allgemeinen Verhaltens zu thun ist, halten wir fest an der Auffassung, wie sie wohl GEGENBAUR* zuerst mit allgemeinerer Gültigkeit formulirte: ».... der erste Abschnitt des Carpus besitzt gewöhnlich die drei typischen Stücke, die bei Delphinen durch die theilweise Einlage- 1 MALm, K. Wet. Akad. Handl. Stockholm. Bd. IX. 1871. 2 R. OWEN, Comp. Anatomy of Vertebrates. II. pag. 427. 3 P. ALBRECHT, Apatom. Anzeiger. I. 1886. pag. 345. 4 C. GEGENBAUR, Unters. zur vergl. Anat. I. Carpus und Tarsus. 1864. pag. 48. ae ee Anatomisches iiber Cetaceen. 623 rung des Intermedium (Lunatum) zwischen die Enden von Radius und Ulna sogar noch die ganz primordialen Verhältnisse bieten.« Zu diesen drei Knochen gesellt sich zuweilen ein knöchernes Pisiforme, das im Allgemeinen klein bleibt, erst spät verknöchert und daher wohl häufig beim Reinigen der Flosse verloren geht. So erklärt es sich wohl, dass von Phocaena communis und Delphinus delphis dieser Knochen nicht weiter angegeben wird, obwohl bereits Rapp! ausdrücklich sagt, dass bei beiden genannten Thieren die erste Reihe vier Knochen hat. »Der kleine spitzig hervorragende Knochen in der ersten Reihe am Ulnarrande wird leicht übersehen, da er sehr spät zu verknöchern scheint. « Ein Pisiforme kommt ferner vor bei Tursiops tursio, wo ich es an zwei Skeleten sehe (Fig. 1 und 2), befestigt am Ulna-Ende und Procarpus. FLowER hat es von Physeter macrocephalus und Inia angezeigt. Von letzterem Thiere, sowie von Oulodon Grayi bildete auch GERVAIS? es ab. Ferner fand Turner es bei Mesoplodon bidens und einem alten Exemplar von Hyperoodon rostratus, wäh- rend es an drei jüngeren Exemplaren, die in Amsterdam bewahrt werden, fehlt — wenigstens knöchern. Bei Inia liegt das Pisiforme frei von der Ulna in der Höhe der distalen Carpalia. J. STRUTHERS sagt ganz allgemein: »the pisiform varies in its development. In some it appears as if partially continuous with the cartilaginous epiphysis of the ulna. « Nachdem wir im Vorhergehenden konstatirt haben, dass von den Stiicken der ersten Reihe des Carpus eins allgemein als Intermedium “Lunatum) angesehen wird, und dass über ein zuweilen vorkommen- des Pisiforme auch kein Zweifel bestehen kann, während solcher wohl besteht über unser Radiale und Ulnare, gilt es jetzt die Be- deutung der zweiten Carpusreihe zu erörtern. Hierbei kommen von selbst Radiale und Ulnare nochmals zur Sprache. Eine solche Besprechung ist nicht frei von großen Schwierig- keiten, die gegenwärtig nur erst zum Theil aus dem Wege zu räu- men sind. Schon GEGENBAUR? hat darauf gewiesen, dass es nicht leicht sei, das mit den übrigen Säugethieren Gemeinsame von dem erst innerhalb der engeren Abtheilung der Cetaceen Hinzugekommenen i Rapp, Die Cetaceen. 1837. pag. 75. 2 P. J. van BENEDEN et P. GERVAIS, Ostéographie des Cetacés. 3 J. STRUTHERS, On the carpal bones in various Cetaceans. Rep. British Assoc. 1886. 4 C. GEGENBAUR, Unters. zur vergl. Anat. I. Carpus und Tarsus. pag. 48. 624 M. Weber abzuliésen; dass ferner gerade der zweite Abschnitt des Carpus be- trächtliche Verschiedenheiten aufweise. Bevor ich die verschiedenen Auffassungen der Autoren bespreche, will ich eine Übersicht der Anzahl der Carpalelemente geben, die wir bei den Odontoceti finden. Hierbei soll nur der Thatbestand festgestellt werden; die gebrauchten Namen sollen nur die Lage- beziehung der Carpusstücke zu einander zum Ausdruck bringen, ohne dass eine allgemeinere Bedeutung an den Namen geheftet wird. Folgender Zustand findet sich am häufigsten (ef. Fig. 7). Neben den drei proximalen Carpalknochen: Radiale, Intermedium und Ul- nare giebt es zwei distale, die wir C; und Cyr nennen wollen. Die Lagebeziehung derselben zu einander und zu den fünf Metacarpi ist graphisch vorgestellt diese: ö RT, Ws aS ya 49 EN 9% > ys oN \ / > M Mm; M; Mm MW; Dieses Schema dürfte mit Außerachtlassung von kleinen, mehr nebensächlichen Abweichungen für folgende Zahnwale gelten: Phy- seter macrocephalus, Grampus griseus, Pseudorca crassidens, Orca gladiator, Sotalia pallida, Phocaena communis, Delphinus delphis, Lagenorhynchus albirostris (altes Thier)!, Tursiops tursio (theilweise)?, Platanista gangetica (?). Die mehr nebensächlichen Abweichungen beziehen sich darauf, dass zuweilen M, einzig mit C7 nicht auch mit # verbunden ist; ferner darauf, dass in einzelnen Fällen die Handwurzel so breit, gleichzeitig aber auch so kurz wird, dass namentlich C zz sich zwischen J und U schiebt und mit der Ulna in Berührung kommt (Physeter, Pseudorca, Grampus, Orca). Gleiches - kann C; thun, indem es sich zwischen R und J schiebt und dem- gemäß dem Radius anliegt (Lagenorhynchus). Stets aber ist die Handwurzel der genannten Cetaceen charakterisirt durch den Besitz von nur zwei Carpalia distalia. Drei Carpalia finden sich bei Zara Geoffrensis, Pontoporia Blainvillei, Globiocephalus melas, Oulodon Grayi, Epiodon patachonicum, sowie meist bei Mesoplodon bidens: ! Wir sahen oben, dass beim jungen Lagenorhynchus die Sache anders liegt, in so fern als hier noch ein proximales, ulnar gelegenes Carpalelement hinzukommt, wodurch die distale Reihe gleichfalls drei Carpalia erhält und die Flosse mithin in unsere folgende Abtheilung gehören würde. 2 Man vergleiche das für Lagenorhynchus Gesagte. Anatomisches iiber Cetaceen. 625 auch ist es von Hyperoodon rostratus beschrieben, jedoch nur von Jungen Skeleten. Hier treffen wir mithin schon gleich auf Aus- nahmen. Bei Mesoplodon kann nämlich die Zahl der distalen Car- palstücke bis zu vier, bei Hyperoodon gar bis zu fünf steigen, wo- durch diese Fälle in unsere dritte, folgende Rubrik gehören würden. Dazu kommt noch, dass, abgesehen hiervon, auch desshalb kein einfaches Schema gegeben werden kann, weil das Verhalten der Metacarpi zu den Carpalia ein verschiedenes ist, wie aus folgenden Schemata erhellt, die hier einen Platz finden müssen, wegen wichtiger Schlussfolgerungen, die hieraus zu entnehmen sind. Der Unterschied in 2. Mesoplodon nach TURNER, i ] TALM. Mesonlodon nach Mara VAN BENEDEN und GERVAIS. R—l1— U R —.1.— U / EN | | | | Gn Ci Cuz. Civ Gi Ci Cr Se oe Shee M M M; M, M; M MM M; M, M; 3. Oulodon Grayi 4. Inia, Pontoporia, Globiocephalus He Ta nV! R—- I - U | | A | | ZN Cı.. Ci Ci CT ees Cie iG Ii] A 7| ER DR: N SOY N WA N M, M,;M;M, Ms; MM Mz; MM; der distalen Carpalreihe des Mesoplodon von TURNER, P. J. VAN BENE- DEN! und GERVAIS? gegenüber dem Exemplar von MALm beruht, wie zu erweisen ist, auf einer Verschmelzung von Cy und ır-. Solche Verschmelzungen werden uns weiterhin noch mehr beschäftigen. Vier bis fünf Carpalia finden sich bei Hyperoodon rostratus und an einem Exemplar von Ziphius cavirostris, wie oben schon kurz gemeldet wurde. Von Hyperoodon können wir der Beschreibung Turxer's? dieses Schema entnehmen: R—I-— U N | ® Gr FCHCHEIE ON M, Mo M; M, M; ı P. J. van BENEDEN, Mém. couron. de l’Acad. roy. Belgique. Coll. in 8° T. XVI. 1864. pag.- 21. 2 P. J. van BENEDEN et P. Gervais, Ostéographie des Cétacés. pag. 401. 3 TURNER, Journ. of Anat. and Physiol. 1885. 626 M. Weber Von den drei Exemplaren von Hyperoodon, die in Amsterdam aufbewahrt werden, hat dasjenige, das ich sammelte, beiderseits vier distale Carpalia (vgl. Fig. 4) entsprechend Cy_zy. Cy, ist der kleinste Knochen und an der einen Hand beiderseits noch ganz mit Knorpel bedeckt. An einem kleineren Exemplar sind nur drei knö- cherne distale Carpalia entwickelt. In diese dritte Abtheilung müsste eigentlich auch Monodon mo- noceros und Beluga leucas aufgenommen werden, da nach neuester Untersuchung von Lesoucg! hier gleichfalls fünf resp. vier distale Carpalia gefunden werden. Jedoch beim Fötus;: von knöcher- nen Carpalia spricht er nicht. Uber diese aber, die uns hier in- teressiren, weiß ich nach den Skeleten, die ich gesehen habe, nichts Sicheres mitzutheilen. Bevor ich zur Besprechung der verschiedenen Deutungen iiber- gehe, denen die oben in drei Kategorien gebrachten Carpalelemente unterworfen wurden, möchte ich auf einige Punkte von allgemeinerer Bedeutung weisen. Zunächst spielen ohne Frage postembryonale Verschmelzungen von Carpalelementen eine Rolle bei der Bildung des knöchernen Car- pus des erwachsenen Thieres; hiermit ist gemeint, dass bei der Ossifikation der knorpelig präformirten Carpalia eine Verschmelzung solcher Ossifikationen statthaben kann. Solchen Fall lernten wir schon bei Mesoplodon bidens kennen. Dasselbe müssen wir ferner annehmen für den gleichen Knochen, den ich oben für Lagenorhynchus (juvenis) anzeigte. Weiter be- schrieb ich es von dem neuen Knochen bei Tursiops tursio, der mit dem Intermedium verschmelzen kann. Einen ähnlichen Fall von Ver- schmelzung hat TURNER von Globiocephalus bekannt gemacht. Das Maximum einer solchen, gleichzeitig auch mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, zeigt uns Berardius arnuxi. Hier ist nicht nur # und J verschmolzen, sondern auch U und Cy, je- doch so, dass eine Grube oder wenigstens eine Furche deutlich die ursprüngliche Grenze andeutet (P. GERVAIS und W. FLower). Diese Beispiele mögen genügen. Weiter ist wichtig das Verhalten von Metacarpus 1 und 5. Ersterer kann sich entweder mit einem Carpale distale oder mit dem Radiale direkt, letzterer entweder mit einem Carpale distale oder aber mit Ulnare verbinden. Im letzteren Falle grenzt M, entweder ! M. LEBoucQ, Anatom. Anzeiger. II. 1887. Anatomisches iiber Cetaceen. : 627 ausschlieBlich an U oder daneben auch noch an ein Carpale distale. Aus folgender Zusammenstellung möge die verschiedene Anordnung erhellen: M; verbunden mit lia. M, verbunden mit ! Ziphius ‘ : Carpale distale. Carpale distale. | Mesoplodon | Epiodon | 4 oder 5 Carpalia dista- | Hyperoodon Oulodon Pontoporia Inia Globiocephalus Orca Platanista? Lagenorhynchus? 3 Carpalia distalia. 1, verbunden mit Carpale distale. M, verbunden mit Ulnare allein oder gleichzeitig mitCar- pale distale. M; direkt mit ; \ Ulnare Delphinus ver- 2 Carpalia distalia. J Sotalia bunden. T, | verbunden mit Radiale. Tursiops Phocaena M, verbunden mit Grampus Carpale distale. Pseudorca Physeter | Aus unseren Schemata und unserer Tabelle geht zunächst mit Sicherheit hervor, dass allen Cetaceen ein Intermedium in typischer Lagerung zukommt — manchen außerdem noch ein Pisiforme. Sicher ist es ferner, dass in den einzelnen Fällen, wo fünf distale Carpalia vorkommen (Hyperoodon, Ziphius), dies die GEGENBAUR- schen C,_; sind; das radial und ulnar gelegene Carpale proxi- male ist demnach ein echtes Radiale und Ulnare. Wenn wir von diesem Carpus ausgehen mit seinen acht Carpalia (Pisiforme nicht mitgezählt), so wird uns die Reduktion der Carpalelemente bei Me- soplodon, wovon oben zwei Schemata gegeben wurden, verständlich - dureh die Annahme, dass zunächst C, und C, (von Hyperoodon) ver- schmolzen sind zu einem Carpale, mit welchem M, und M, verbunden sind. Auf diesem Zustand steht der Mesoplodon von MaLm. Gegen eine solche Annahme ist wohl nichts einzuwenden. Verschmel- zung von C, und (©, wird ja doch auch allgemein angenommen zur Erklärung des Hamatum der pentadactylen Siugethiere. Eine gleiche Verschmelzung kann auch C, und C;, treffen. Mit dem hier- dureh entstandenen einzigen Stück verbindet sich M, und M3; wie beim Mesoplodon von TURNER, vAN BENEDEN und Gervais. That- sächlich hat hier die Verschmelzung ihre Spuren noch hinterlassen, wie wir oben sahen. Demgemäß finden wir hier folgendes Schema: Morpholog. Jahrbuch. 13. 41 628 M. Weber R —ı I. U A — Clo+s)— Clat+s) ere BI mM MM]; Ohne Schwierigkeit haben wir so aus dem Zustand mit fünf distalen Carpalia den Zustand mit drei distalen Carpalia abgeleitet. Ein Blick auf die Schemata für Oulodon, Inia, Pontoporia und Glo- biocephalus auf pag. 625 lenkt uns aber auf neue Fragen. Wir schen M,; in Verbindung treten mit U, was weiterhin für alle übri- gen Cetaceen gilt. Ist dies durch Wegfall von ©, oder durch Ver- bindung von C; mit U zu erklären? Wir möchten uns für erstere Annahme entscheiden, jedoch in dem Sinne, dass C, in so fern weggefallen ist, dass es historisch so frühzeitig mit C, verschmolz, dass es nicht mehr zur Entwicklung, vielleicht nicht einmal mehr zur Anlage kommt: C, mithin potentia auch noch C, enthält. Hier- für spricht Folgendes: 1) Bei Mesoplodon sehen wir die Verschmelzung von C, und C, faktisch geschehen. Durch diesen Process entsteht auch das Hama- tum anderer pentadactyler Säugethiere, was dessen Artikulation mit M, und M, erklärt. 2) Bei Mesoplodon bidens verbindet sich Cyr, entstanden durch Verschmelzung von C, und C,, mit M, und M;. Bei Epiodon pa- tachonicum aber, ein südamerikanischer Ziphiide, der wahrscheinlich nichts Anderes als ein Mesoplodon bidens ist, fand BURMEISTER!, dass M, mit U artikulirte. Nun wird man doch nicht annehmen wollen, dass ve von Epiodon etwas Anderes sei als C7,r von Mesoplodon. ) Bei Oulodon Grayi steht M; gleichzeitig mit U und mit Oz in V ake 4) Ontogenetisch entsteht C; bei Hyperoodon zu allerletzt, und zwar so spät, dass es erwachsenen Exemplaren noch fehlen kann, was dafür spricht, dass dieses distale Carpale im Begriff steht, auch hier in Wegfall zu kommen. Ich komme somit zu dem Schlusse. dass bei den Cetaceen mit drei resp. zwei distalen Carpalia dasjenige Carpale, das zwischen Intermedium und Ulnare liegt — mithin das Carpale distale ulnare — den Werth des GEGENBAUR’schen C, und C, hat; faktisch oder potentia aus deren Verschmelzung entstanden ist. ! BURMEISTER, Anales del Museo publico de Buenos-Aires. Vol. I. 1864—1869. Anatomisches über Cetaceen. 629 Bei den Cetaceen mit drei distalen Carpalia hat weiterhin das radial gelegene distale Carpale die Bedeutung von C,, während das mittlere entstanden ist aus Verschmelzung von C, und C,. Hierfür sprechen die Verbindungen der Metacarpi 1—3 mit den genannten Carpalia, wie sie unsere Schemata oben für Mesoplodon, Oulodon, Inia, Pontoporia und Globiocephalus vorführen. Schwieriger aber ist die Beantwortung der Frage nach der Be- deutung des radialen, distal gelegenen Carpale bei den Cetaceen mit nur zwei distalen Carpalia, sowie nach der Bedeutung des proximal gelegenen radialen Carpusstückes, das wir bisher R ge- nannt haben. Das erstgenannte distale Carpale nun möchte ich nach Analogie mit den übrigen Cetaceen für eine Verschmelzung von C, und €‘, halten, wozu gut passt, dass mit diesem Knochenstück 3; und M, sich verbindet. Hieraus folgt, dass % alsdann entweder thatsächlich Radiale ist, während C, weggefallen ist; oder aber Radiale + Carpale (Scapho-trapezium mancher Autoren). Für eine Verschmelzung ist mir keine Thatsache bekannt geworden. LEBOUCQ scheint hiervon nichts gesehen zu haben, eben so wenig ich bei einzelnen Embryonen von Delphiniden, die allerdings nicht mehr sehr jugendlich waren. Auch wüsste ich aus einer vergleichenden Betrachtung keine Stütze für diese Ansicht beizubringen. Höchstens könnte in diesem Sinne verwerthet werden, dass bei einzelnen For- men mit dem fraglichen #& außer M, auch M; noch sich verbindet, jedoch stets so, dass M, seine Hauptverbindung mit (7 hat. An der anderen Seite spricht für gänzlichen Wegfall von C\. dass auch der radiale Finger starke Rückbildung bis zu gänzlichem Sehwunde erfuhr. Auch giebt Platanista gangetica hier vielleicht einen Fingerzeig. Nach den Figuren bei van BENEDEN und P. GER- VAIS zu urtheilen, kommt hier ein Centrale vor. In einem Falle . zeichnen sie es radialwärts von Cy, so dass sich M, noch eben mit diesen Knochen verbindet und wir folgendes Schema erhalten: ER ER : Radialwärts vom Centrale muss noch ein Carpale 1 gelegen haben, welches verschwunden ist. 41* 630 M. Weber Das Resultat unserer Betrachtung lautet mithin folgendermaßen und schließt sich dabei in manchen Punkten der wichtigen Deduk- tion TURNER’s an. Die proximale Reihe (Procarpus) besteht aus drei Stücken: Radiale, Intermedium und Ulnare, zu welchen sich in einzelnen Fällen ein Pisiforme hinzugesellt. Intermedium bleibt stets selbständig, auch das Ulnare scheint keine Verschmelzung einzugehen mit einem Knochen der distalen Reihe. Nur theilweise geschieht eine solche bei Oulodon Grayi. Dessgleichen bleibt das Radiale vollständig selbständig in allen Fällen wo fünf, vier oder drei distale Carpalia sich finden; während bei den Cetaceen, wo nur zwei Carpalia distalia vorhanden sind, die Möglichkeit besteht, dass das Radiale ein »Scapho-trape- zium« ist. Bewiesen ist dies aber bisher noch nicht. Die distale Reihe (Mesocarpus) kann bestehen aus fünf, vier, drei oder zwei Carpalia. Im ersten Falle beantworten sie den GEGEN- BAUR’schen C{,_;). Die Zahl vier entsteht durch Verschmelzung von Cc’, und C; zu einem Stück entweder thatsächlich oder potentia. Sind nur drei Carpalia distalia vorhanden, so entsprechen diese wohl meist: C1, O(a+3), Cly4s); obwohl die Möglichkeit des Ausfallens von C’, (wie FLOWER dies will) für manche Fälle zugegeben werden muss und es auch zweifelhaft ist, ob (C,..,;) wirklich diese beiden Elemente enthält, wie wir gleich sehen werden. Die äußerste Reduktion auf zwei Carpalia erklärt sich endlich durch Wegfall von C,, wobei es fraglich bleibt, ob C, gänzlich ver- loren ging oder in einzelnen Fällen wenigstens mit 2% sich verband zu einem Scapho-trapezium. Hinsichtlich der alsdann noch übrig bleibenden beiden distalen Carpalia erheben sich neue Fragen. Ent- sprechen sie C(,,3) und C(,+;)? Oben stellte ich es so vor, jedoch mit Einschränkung. Für das radial gelegene distale Carpale möchte ich auch jetzt noch diese Ansicht festhalten und es mithin als C(,+,) deuten. Was aber das ulnar gelegene anlangt, das oben als C(,-;) gedeutet wurde, so steht dies bei Tursiops tursio, Lagenorhynchus albirostris, Delphinus delphis und anderen nicht mehr in Kontakt mit M,, so dass es vielleicht richtiger als C, aufzufassen wäre. Dies würde sich alsdann gut anschließen an unsere oben ausgesprochene Ver- muthung, dass bei Tursiops und Lagenorhynchus der Carpusknochen, der bisher stets als Ulnare gedeutet wurde, gar kein Ulnare ist, sondern ein Carpale distale, mithin C,. Das Ulnare wäre nach dieser Ansicht zuweilen noch als kleines Carpusstück selbständig vorhanden, wie in den zwei Fällen, die ich von Tursiops beschrieb (Fig. 1 und 2). Anatomisches iiber Cetaceen. 631 oder aber es ist nur in der Jugend vorhanden, wie ich es von einem jungen Lagenorhynchus anzeigte (Fig. 8), um später zu verschwinden oder mit dem Intermedium sieh zu verbinden. Bei anderen Formen käme es — so weit wir bis jetzt wissen — gar nicht mehr zur An- lage, so vielleicht bei Delphinus. Wir können uns somit vorstellen, dass längs zweierlei Wegen der Reduktion der Carpus schließlich nur noch aus fünf Elementen besteht. Beide entwickelten sich aus einer Flosse mit acht Carpal- elementen, wie sie Hyperoodon aufweist. In dem einen Endgliede der Kette blieb R, 7, U und zwei Carpalia distalia (C\y+3) und C(,+;)) in dem anderen Endgliede der Reduktion verschwand U, auf welche Weise denn auch, so dass drei distale Carpalia blieben C(g+3), C,. Cs, von denen letzteres einem U gleicht und auch als solches bisher ge- deutet wurde. Umstehende Schemata mögen diese beiden Reihen vorstellen, die mithin beide endigen in einer isomorphen Carpusform, jedoch von ganz verschiedener Bedeutung. Ist die im Schema gegebene Ansicht über Tursiops und Lage- norhynehus richtig, so würde unsere frühere Tabelle erhebliche Änderung erleiden müssen. Vorläufig aber steht Alles noch auf hypothetischem Boden. Dass wir hierauf unsere letzten Auseinan- dersetzungen aufbauten, geschah in erster Linie, um die Aufmerk- samkeit auf Thatsachen zu ienken, die eine andere Deutung des reducirten Carpus zulassen, als bisher versucht wurde. Vereinzelt kommt ein Centrale vor. Was die Deutung der Handwurzelelemente seitens früherer Au- toren angeht, so geht GuGENBAUR gleichfalls von Hyperoodon mit seinen vier distalen Carpalia — wie sie das VRoLıR'sche Exemplar aufwies — aus. Er deutet diese wie bei den übrigen Säugethieren, dessgleichen die drei proximal gelegenen Carpalia. Anlangend die zweite Reihe heißt es weiter bei GEGENBAUR!, »dass von Hyperoodon aus eine Reihe der Zahlenreduktion der Carpalia zu erkennen ist, die bis zum Vorkommen eines einzigen Stückes an der Stelle von vieren führt«. Diese Reduktion durch Verschmelzung zu erklären soll aber nur dann Gültigkeit haben, wenn man sich dieselbe nicht im Laufe der individuellen Entwicklung geschehen denkt, sondern während großer Entwicklungsperioden. »Wenn wir also das einzige Carpalstück der zweiten Reihe beim Zwergwal als vieren entsprechend ! C. GEGENBAUR, Carpus und Tarsus. pag. 49. 632 M. Weber betrachten, so darf damit nicht der Gedanke verbunden werden, dass in der Anlage dieses Stückes vier getrennte Theile vorhanden ge- wesen wären, die sich zu einem vereinigt hätten.« In der Thatsache, dass wir oben einige Fälle bekannt machen konnten, in denen den- noch individuell Verschmelzung zur Reduktion der Carpalelemente führt, ist gerade durch ihr ausnahmsweises Auftreten eine Stütze dieser Darlegung GEGENBAUR’S. R—- I — U ( en C Hyperoodon | Ser \ Fare) M, Mz My My M, Hi, y Radius Ulna > | rer nd x Junger Lage- | an | ’ = m norhynchus; } RU Pen ne : ; Mesoplodon ‘i : i ese! A AVA N: zwei Fälle RR \2 5 n M, Mm; Ms MM; IRRE von Tursiops. | MM Mz My Ms R— I- U | | | | | Mesoplodon C, Clots) Clas) ieee: | aa ER Radius Ulna Gewöhn- - M Map MM Ms At. Seh Dix liches Ver- y a + (3 halten von. R—- I— U ee \ Lagenorhyn- IN | C(a+3) Cs | | PER i a = M, chus und Oulod | \ Lin aii > an ulodon Cc, Cen) N 5 ie! A A My Tursiops poh BE eee My My M3 My =, fred Nee Ulna MORE R {N RR — a 08 rb. Bd Xlll. LithAnstv. EA.Funke, Leipzig. Verlag v.Wilh. Engelmann in Leipzig Tat XX Vill. S S a Ss xX S S holog. SERTEBFÜBEER 2 CH?) 13 JS PerereSisis = sie Leipzig. TthAnst.vE.A Funke, q v.Wilh. Engelmann in Leipzig. Verla Max Weber dol. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Anatomisches über Cetaceen. 653 Tafel XXVII. Tursiops tursio rechte Hand von der Dorsalfläche gesehen. Radiale mit stark entwickelter Tuberositas navicularis carpi ¢. Zwischen x und © liegt das fragliche Carpusstück d (vgl. Text). Tursiops tursio linke Hand eines anderen Individuums von der Dor- salfläche gesehen. Übrigens wie in Fig. 1. Globiocephalus melas Palmarfläche der rechten Hand mit Centrale e. Hyperoodon rostratus 5 Exemplar von 7,90 Meter Länge. Rechte Hand; C3; war an beiden Händen der kleinste Knochen. An der linken selbst nur ein im Knorpel derart verborgener Knochenkern , dass er anfänglich nicht in die Augen fiel (nach dem frischen Objekt gezeichnet). Lagenorhynchus albirostris. $ von 2,74 Meter Länge. Dorsalfliiche der rechten Hand in frischem Zustande gezeichnet. P knorpelig. Über die Bedeutung von U vergleiche den Text. Am ulnaren Finger muss m als Metacarpus V aufgefasst werden, wie die Epiphysen am proxi- malen und distalen Ende von m erweisen (vgl. die folgende Figur). Lagenorhynchus albirostris, dasselbe Thier wie oben. Palmarfläche der Hand und zwar deren ulnare Hälfte zur Demonstration der Epiphy- senbildung am Knochenkerne m des Metacarpus V. Metacarpus IV ist ganz außer Kontakt mit U (vgl. Text). Delphinus delphis: Dorsalfläche der rechten Hand. Tafel XXVIII. Lagenorhynchus albirostris juv. d von 1,79 Meter Länge. Carpus zur Demonstration des neuen Carpalelementes »4« über dessen Deu- tung man den Text vergleichen möge. Querschnitt durch die Schleimhaut der zweiten Magenabtheilung; eine der hohen Falten ist getroffen. Von Lagenorhynchus albirostris. Einzelner Drüsenschlauch aus dieser Magenabtheilung: in seiner unte- ren Partie mit Haupt- und Beleg- (Pepsin-)zellen. Von Lagenorhynchus. Querschnitt durch solche Drüsenschläuche in der Höhe des Vorkom- mens der Pepsinzellen. Von Lagenorhynchus. Schema der Drüsen der vierten Magenabtheilung von Phocaena com- munis. Endstück der Drüsenschläuche der vierten Magenabtheilung von Pho- caena communis. Drüsenschläuche aus der dritten Magenabtheilung von Lagenorhynchus. Kombinationsbild bei verschiedener Einstellung auf einen dickeren Schnitt. Bemerkungen zu den Publikationen über die Richtungskörper bei parthenogenetisch sich entwiekelnden Eiern. Von Professor F. Blochmann. Ich sehe mich genöthigt, einige Bemerkungen zu machen über die Beziehungen, welche zwischen den Beobachtungen WEISMANN’s über die Richtungskörper bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern und meinen Untersuchungen über denselben Gegenstand be- stehen. Zu diesen Erörterungen werde ich hauptsächlich dadurch bewogen, dass die in mancher Hinsicht nicht ganz das Richtige treffende Darstellung, welche WEISMAnN von diesem Verhältnis giebt, Veranlassung wurde, dass in zwei jüngst erschienenen Publikationen das Verdienst, zuerst auf den Unterschied in der Zahl der Richtungs- körper bei befruchtungsbedürftigen und bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern hingewiesen zu haben, WEISMANN zugeschrieben wird, während in Wirklichkeit ich der Erste war, der diesen in- teressanten Unterschied hervorhob. Die beiden Autoren, welche offenbar durch die WEISMANN’sche Darstellung verleitet, ihm ohne Weiteres die Priorität in dieser Sache zugestehen, sind WALDEYER! und Bovert?. Dem Ersteren ist zum wenigsten nicht aufgefallen, dass ich zuerst die Einzahl der Rich- tungskörper bei parthenogenetischen Eiern betonte, der Andere spricht 1 W. WALDEYER, Uber die Karyokinese und ihre Bedeutung für die Vererbung. Deutsche med. Wochenschrift, 1887. pag. 1—40. Gleichzeitig will ich hier noch zufügen, dass WALDEYER, wenn er über Richtungskörper referirt, wohl auch meine Abhandlung im Morph. Jahrbuch, Bd. XII pag. 544, hätte.erwähnen sollen und nicht sich auf die Vorläufige Mit- theilung beschränken. 2 Tu. Boveri, Zellenstudien. Heft I. Jena 1897. “y= ss Bemerk. über die Richtungskörper bei parthen. sich entwickelnden Eiern. 655 einfach von der »wichtigen Entdeckung« WEISMANN’s, ohne meiner Aufsätze auch nur mit einem Worte zu gedenken. Ehe ich nun das, was ich an der Darstellung WEISMANN’s aus- zusetzen habe, genauer erörtere, möchte ich zunächst hier ausdrück- lich betonen, dass ein Autor doch nur dasjenige als sein Eigenthum in Anspruch nehmen darf, was er selbst öffentlich ausgesprochen hat, nicht etwa aber auch solche Dinge, welche er sich gelegentlich gedacht hat, ohne sie zu publieiren. Dieser Satz ist eigentlich so selbstverständlich, dass es kaum nöthig scheint, ihn besonders zu betonen. Das Nachfolgende wird aber zeigen, dass dies trotzdem angebracht sein dürfte. WEISMANN theilte im Anschluss an seine Schrift: Die Konti- nuität des Keimplasmas. Jena 1885. (Nr. I) mit, dass es ihm gelungen sei, »die Bildung eines Richtungskörperchens von deutlich zelligem Bau bei den Sommereiern von Daphniden nachzuweisen «, Er gab dann Genaueres über diesen Punkt im Zoologischen Anzeiger Nr. 233 vom 27. September 1886. pag. 570—573 (Nr. II). Wie bekannt, machte WEISMANN in seiner Schrift über die Kon- tinuität des Keimplasmas keinen Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Richtungskörper und legt darum natürlich auch auf die Zahl der von einem Ei erzeugten Richtungskörper gar keinen Werth. In Übereinstimmung damit ist auch in den beiden erwähnten Mit- theilungen nirgends die Einzahl besonders betont. Überhaupt wird man wohl mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen dürfen, dass WEISMANN gerade zu dieser Zeit über die Verbreitung und Bedeutung der Richtungskörperchen etwas unsichere Vorstellun- sen gehabt haben muss, da die unter seiner Leitung und, wie ich besonders hervorheben will, unter seiner beständigen Kontrolle! entstandene Arbeit von STUHLMANN? für den größten Theil aller Arthropoden, ganz bestimmt aber für die Insekten das Vorkom- men von echten Richtungskörperchen in Abrede stellt. Funktionell sollen die Richtungskörper durch die sog. Reifungsballen ersetzt werden, deren Zahl ganz inkonstant ist, welche aber, wie wir jetzt bestimmt wissen, mit Richtungskörpern gar nichts zu thun haben. Ferner wird in dieser Arbeit als vollständig sicher ange- geben, dass im reifen Insektenei kein Kern mehr nachweisbar ist, 1 Cf, Einleitung und Schlusssatz der STUHLMANN’schen Arbeit. 2 F. STUHLMANN, Die Reifung des Arthropodeneies. Ber. d. Naturf. Ges. zu Freiburg i. B. 1886 (Mitte Juli). 656 F. Blochmann obwohl schon meine direkten Angaben vom Jahre 1884 über das Vorhandensein der Richtungsspindel vorlagen. Aus diesen That- sachen ergiebt sich zur Genüge, dass WEISMANN zu dieser Zeit keines- wegs gefestigte Ansichten über das allgemeine Vorkommen von ech- ten Richtungskérperchen im Thierreich und noch weniger über die Bedeutung ihrer Zahl haben konnte. Denn wenn die sog. Reifungs- ballen, deren Zahl, wie bemerkt, ganz inkonstant ist, funktionell die Richtungskörper vertreten sollen, so durfte er auf die Zahl derselben überhaupt keinen Werth legen! Ich selbst hatte schon im Mai des Jahres 1584, also mehr als ein Jahr vor dem Erscheinen der »Kontinuität des Keimplasma« mitgetheilt!, dass es mir gelungen sei, in den reifen Eiern der Ameisen eine Kernspindel aufzufinden und habe gleichzeitig auf ihre wahrscheinliche Beziehung zur Richtungskörperbildung hingewiesen. Kaum 14 Tage nach der oben eitirten Arbeit von STUHLMANN er- schien eine ausführlichere Abhandlung? von mir, in welcher ich mit Bestimmtheit nachwies, dass entgegen der in der STUHLMANN’schen Abhandlung vertretenen Ansicht, der Eikern bei Insekten persistirt und dass er im reifen Ei sich in eine Spindel verwandelt hat, die ich mit ziemlicher Sicherheit mit der Richtungskörperbildung in Zu- sammenhang bringen konnte. In Bd. VI Nr. 18 des Biologischen Centralblattes (Nr. 3) theilte ich mit, dass bei den Eiern von Musea vomitoria. Riehtungskörper gebildet werden. Eben daselbst Bd. VII Nr. 4, 1. April 1887; an die Redaktion eingesandt am 9. December 1886 (Nr. 4), veröffentlichte ich weitere Beobachtungen über die Richtungskörper bei Insekten, darunter besonders auch die, dass bei den parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern der Aphiden nur ein Richtungskörper gebildet wird. Dabei hob ich das ein an zwei Stellen durch gesperrten Druck hervor, wies auf die Beobachtungen WEISMAnN’s an Daphnideneiern hin und sagte dann: » Es wäre von großem theoretischen Interesse zu wissen, ob dabei ein allgemeines Gesetz vorliegt und wie sich dann diejenigen Eier verhalten, welche auf parthenogenetischem Wege männlichen Thieren den Ursprung geben.« Ich glaube, dies zeigt klar genug, dass ich die Tragweite meiner 1 F. BLOCHMANN, Uber eine Metamorphose ete. Verh. d. naturhist. med. Ver. Heidelberg N. F. .Bd. III. Heft 3. pag. 243—246. (Nr. 1.) 2 F. BLOCHMANN, Über die Reifung der Eier bei Ameisen und Wespen. Festschrift 1886 (1. August). (Nr. 2.) SEE FETT oe Bemerk. über die Richtungskörper bei parthen. sich entwickelnden Eiern. 657 Beobachtungen zu schätzen wusste, besonders, wenn man beachtet, dass ich dasselbe noch etwas genauer in meiner ausführlichen Ab- handlung (Über die Riehtungskörper bei Insekteneiern. Morph. Jahrb. Bd. XII. pag. 544—574 [Nr. 5)) pag. 565 wieder- holte, wobei ich bemerke, dass mein Aufsatz noch vor WEISMANN’S Schrift über die Zahl der Richtungskörper erschien. Gleichzeitig ergiebt sich aber auch aus meinen Bemerkungen über diesen Punkt, dass ich schon damals die Bedeutung der beobachteten Thatsachen auf einem anderen Gebiete suchte, als WEISMANN dies jetzt thut. i Etwa ein Vierteljahr nach meiner ersten Mittheilung iiber diesen Gegenstand (Nr. 4) und fast gleichzeitig mit meiner eben erwähnten Abhandlung (Nr. 5) erschien die Schrift von Wrrsmann: Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung (datirt vom 30. Mai 1887 [Nr. III). Dieser Abhandlung folgte in diesem Spätjahre eine weitere von WEISMANN und IscHıkawA': Uber die Bildung der Riehtungskörper bei thierischen Eiern I. (Nr. IV). In beiden Abhandlungen sind nun die gegenseitigen Beziehungen unserer Arbeiten in mancher Hinsicht etwas unrichtig dargestellt, und vor allen Dingen ist die ganze Darstellung so gehalten, dass jeder unbefangene Leser den Eindruck gewinnen muss, als hätte WEISMANN schon im Jahre 1885 die Wichtigkeit des Unterschiedes in der Zahl der Richtungskörper bei befruchtungsbedürftigen und bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern erkannt, und als seien meine Arbeiten lediglich eine Bestätigung seiner Befunde. Dem gegenüber hebe ich hier nachdrücklichst hervor, dass Weıs- MANN vor dem Erscheinen meiner Mittheilung (Nr. 3) im Biologischen Centralblatt nirgends die Einzahl der Richtungskörper bei par- thenogenetisch sich entwickelnden Eiern betonte, sondern dass ich vielmehr der Erste war, der dies aussprach. WeEısmann kann natürlich diese Thatsachen auch nicht aus der Welt schaffen; er sucht sich aber die Priorität scheinbar zu retten, indem er in seinen beiden zuletzt genannten Aufsätzen hervorhebt, dass er in seinen früheren Mittheilungen die Zahl absichtlich nicht betont habe. 1 Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. B. Bd. II. 1887. Heft 1. 2 Cf. Nr. DI. pag. 16. »Als ich im Juli 1886 (publicirt 27. September) über einen Theil der an parthenogenetischen Eiern gemachten Beobachtungen veröffentlichte, beschränkte ich mich ganz auf die Thatsachen und erwähnte diese Folgerung« (d. h. den Unterschied in der Zahl der Richtungskörper bei 658 F. Blochu:.. :n Mit dem Zugeständnisse WEISMANN’s, das Wichtigste verschwie- sen zu haben, könnte ich eigentlich zufrieden sein, denn daraus folgt als ganz selbstverständlich, dass er eine Priorität in dem frag- lichen Punkte auf keine Weise beanspruchen kann. Außerdem er- laube ich mir aber doch noch einige Zweifel daran zu hegen, dass WEISMANN schon 1885 die Bedeutung des Zahlenunterschiedes er- kannt hatte, denn sonst hätte er wohl in seiner Schrift »Über die Kontinuität de Keimplasmas« das Kapitel über die Riehtungskörper und besonders das über Parthenogenese nicht so schreiben dürfen, wie sie geschrieben sind. Und für den Fall, dass diese Abschnitte schon gedruckt waren, als er die Bedeutung des Zahlenunterschiedes erkannte, so hätte er in der Nachschrift um so mehr darauf hin- weisen müssen, in wie fern seine Spekulationen durch die neue Ent- deckung modifieirt würden! Dass ich hier nicht ganz unrichtig vermuthe, kann man sogar aus WEISMANN’s eigenen Publikationen entnehmen. Er sagt, seine früheren Überlegungen referirend in No. II pag. 7—8: »Es war nicht geradezu undenkbar, dass das ovogene Kernplasma voluminöser sei, als das Keimplasma und dass es erst durch zwei successive Theilungen des Kerns vollkommen entfernt werden könne. Ich ge- stehe zwar, dass mir diese Annahme einiges Unbehagen verursachte, allein es fehlte zunächst an einer sicheren Handhabe, um hier tiefer einzudringen, und so begnügte ich mich einstweilen damit, überhaupt eine Erklärung des physiologischen Werthes der Richtungskörper ge- funden zu haben, es der Zukunft überlassend, zu entscheiden, ob sie nicht bloß richtig, sondern auch erschöpfend sei.«e Damit gesteht WEISMANN selbst zu, dass er sich zu jener Zeit die Bedeutung des Zahlenunterschiedes noch nicht klar gemacht hatte. Trötzdem sagt er aber an den angeführten Stellen, dass er diesen Unterschied damals schon gewürdigt, dies aber nur nicht öffentlich ausgesprochen habe. Ferner will ich nicht unterlassen, einige Ungenauigkeiten zu berichtigen, welche WEISMANN beim Citiren seiner eigenen Aufsätze befruchtungsbedürftigen und parthenogenetischen Eiern) »aus ihnen noch nicht, Nr. IV pag. 1. »Da es theoretisch von Interesse erscheinen musste, dass parthenogenetische Eier Richtungskörper bilden können, so wurde dieser Theil der Beobachtung auch noch in demselben Sommer zu allgemeiner Kenntnis gebracht, der andere Theil derselben aber einstweilen noch nicht betont, Nun hat aber, wie Jeder sofort einsieht, gerade der nicht betonte Theil das bei Weitem größere theoretische Interesse! ! Bemerk. über die Richtungskörgwerbei parthen. sich entwickelnden Eiern. 659 und auch der meinigen passirt sind. Beim Citiren eines Satzes in Anführungszeichen ist doch wohl das erste Erfordernis, dass derselbe genau so wiedergegeben wird, wie er gedruckt ist, dass kein Wort auch nur im geringsten geändert wird, besonders aber dann nicht, wenn dasselbe so zu sagen das punctum saliens der ganzen Sache vorstellt. Nun sagt Weismann Nr. IV pag. 3 (nach meiner Mittheilung Nr. 4 erschienen, wo ich zum ersten Mal den Zahlenunterschied be- tonte), seine Mittheilung Nr. III eitirend: »Schon im Sommer 1886 konnte der eine von uns in gedrängter Darstellung eine Anzahl von Fällen mittheilen !, in welchen sich der Vorgang in der angedeuteten Weise abspielte, und es durfte schon damals mindestens doch der Schluss gezogen werden, ‚dass bei den parthenogenetischen Eiern der Daphniden ein echtes Richtungskérperchen bei der Eireifung ausgestoßen wird‘.« Sehen wir aber den vor meiner erwähnten Mittheilung erschienenen Urtext nach, so ist das ein dort keines- wegs durch gesperrten Druck hervorgehoben! ! Auch bei einem Satze, den WEISMAnN aus meiner Mittheilung Nr. 4 abgedruckt hat, findet sich eine solche sinnentstellende Un- genauigkeit; nur fällt die Veränderung zufällig gerade umgekehrt aus. WEISMANN sagt Nr. IV pag. 27: »und BiocuMmann hat sich desshalb auch ganz richtig darauf beschränkt, hervorzuheben, dass er »stets nur einen Richtungskörper gefunden habe im Gegensatz zu den befruchteten Eiern der drei anderen Insektenarten, wo sich mit derselben Konstanz zwei resp. drei Richtungskörper« finden.« Vergleicht man aber meinen Text, so steht dort »einen« gesperrt gedruckt und »gefunden« in gewöhnlicher Schrift! ! Man =. ht leicht ein, dass die kleine, von WEISMANN vorge- nommene Änderung den Sinn meines Satzes geradezu umkehrt, aber ‚andererseits mit der ersterwähnten Ungenauigkeit zusammengenom- men recht geeignet ist, diejenigen, welche unsere Arbeiten nicht genau vergleichen, zu einer ganz verkehrten Ansicht von dem gegen- seitigen Verhältnis derselben zu führen und dadurch die Prioritäts- bestrebungen WEISMANN’s vortrefflich zu unterstützen. Eine andere, wenn auch weniger wichtige, so doch ziemlich in die Augen springende Ungenauigkeit zu meinen Ungunsten findet sich auf pag. 28 der eitirten Schrift Weısmann’s (Nr. IV). In der Übersieht über die verschiedenen Thierarten, bei deren parthenoge- 1 Zool. Anz. Nr. 233. Morpholog. Jahrbuch. 13. 43 660 F. Blochmann netisch sich entwickelnden Eiern bisher ein Richtungskérper kon- statirt wurde, führt er zunächst die sechs Cladocerenarten auf, für welche er im September 1886 das Vorkommen eines Riehtungskörpers mitgetheilt hatte und fügt der ersten Art die Jahreszahl 1886 bei; daran reiht er Nr. 7—11 ohne weiteren Vermerk, so dass natürlich Jeder glauben muss, für diese Formen sei die Einzahl des Rich- tungskörpers auch schon im Jahre 1886 durch seine Untersuchungen bekannt gewesen. Dies ist aber gar nicht der Fall, sondern diese Beobachtungen sind erst im Spätjahre 1887 publieirt worden. Wenn WEISMANN sein Verfahren vielleicht damit begründen will. dass die betr. Beobachtungen bereits im Jahre 1886 gemacht seien, so gilt dies für die meinigen, welche er richtig mit der Jahreszahl ihrer Publikation, 1887, versehen hat, wie ihm wohl bekannt sein dürfte, genau eben so gut. Der chronologischen Reihenfolge nach muss er meine Beobach- tungen zwischen Nr. 6 und 7 stellen. Weiter stellt Weismann auf pag. 26 und 27 seiner zuletzt ci- tirten Schrift die Behauptung auf, dass durch meine Beobachtungen an Aphiden der Beweis für die Einzahl der Richtungskörper bei parthenogenetischen Eiern kaum als mit Sicherheit erbracht angesehen werden könnte. Der Hauptgrund gegen die Zuverlässigkeit meiner Resultate scheint ihm zu sein, dass dieselben auf Schnittserien ge- wonnen wurden. Nun, dass er gegen Schnittserien von Insekteneiern ein gewisses Misstrauen hegt, ist leicht begreiflich nach den nicht gerade glänzenden Erfahrungen, die er an den STUHLMANN’schen Serien gemacht hat. Ich will übrigens bemerken, dass meine Prä- parate, besonders diejenigen von Forda formicaria derart sind, dass sogar ein wenig geübter Beobachter den Richtungskörper mit voller Sicherheit sieht. Es ist ja natürlich auch gar nicht einzusehen, warum ich beim Durchmustern von vielleicht 100—120 Eiern der betreffenden Stadien nicht auch einmal zwei Richtungskörper hätte finden sollen, wenn überhaupt zwei solche gebildet würden. Was soll es denn weiter heißen, wenn WEISMANN sagt: »ja, da die ganzen Thiere ge- schnitten werden mussten, so war es nicht einmal möglich, das Sta- dium, in welchem ein Ei sich befand, im Voraus zu kennen«. Es ist doch wohl allbekannt, dass sich im Blattlausovarium eine konti- nuirliche Reihe von auf einander folgenden Entwicklungsstadien der Eier findet, und da die jüngsten oben liegen, so ist doch nichts leichter, als die richtigen Entwicklungsstadien zu finden; sie finden BW oe et oe Bemerk. über die Richtungskirper bei parthen. sich entwickelnden Eiern. 661 sich überhaupt in jedem Thier! Wie soll man es ferner verstehen, »dass Ungleichheiten der Schnitte einen so kleinen Körper sehr wohl auch verdecken oder entfernen können?« Ich will zugeben, dass die wichtige Stelle in dem einen oder dem anderen Schnitte verunglücken kann; aber das wird doch nicht bei 100 Schnitten stets der Fall sein! Durch solehe haltlose und mit Mühe hervorgesuchte Behauptun- gen wird es wohl kaum gelingen, die Sicherheit meiner Beobach- tungen in Frage zu stellen. Dagegen leuchtet ein, dass man in dieser Weise mit »wenn« und »vielleicht« überhaupt jede Beobach- tung anzweifeln kann. Übrigens möchte ich doch noch darauf aufmerksam machen, dass der von WEISMANN geübten und gepriesenen Methode, das ganze Ei zu beobachten, doch kaum geringere Fehlerquellen anhaften, als der Schnittmethode. Denn es ist viel leichter möglich, dass ein Richtungskörper, welcher einem, im Verhältnis zu ihm großen, nach allen Seiten mehr oder weniger leicht rollenden Ei anhaftet, über- sehen wird, als dass ein solcher auf einer guten und richtig orien- tirten Schnittserie sich der Beobachtung entzieht. Wäre dies nicht der Fall, so wäre der Richtungskérper speciell bei den Aphiden von Beobachtern wie METSCHNIKOFF, BÜTSCHLI, WırLaczıuL nicht über- sehen worden. Nach alledem kann ich nur nochmals betonen, dass ich der Erste war, der den Zahlenunterschied der Richtungskörper betont hat und dass ich dies unzweifelhaft vor Weismann gethan habe, wenn derselbe auch vor mir nachgewiesen hat, dass parthenogene- tische Eier überhaupt Richtungskörper bilden. Es ist darum auch nicht richtig, wenn WEISMANN seine Schrift über die Zahl der Richtungskérper, welche drei Monate nach meiner Mittheilung Nr. 4, wo ich klar und deutlich auf den Zahlenunter- schied hinwies, erschien, mit den Worten beginnt: »Bisher legte man keinen Werth darauf, ob von dem Ei einer Thierart ein oder zwei Richtungskörper abgeschnürt werden.« In seiner Abhandlung Nr. IV, die etwa ein halbes Jahr nach meiner erwähnten Mitthei- lung erschien, wird dasselbe noch einmal wiederholt, pag. 4: »ganz abgesehen davon, dass man gerade der Zahl derselben bisher über- haupt keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte«. Schließlich will ich noch bemerken, dass ich zu meinen Unter- suchungen nicht etwa durch die Wrismann’schen Spekulationen an- geregt wurde. Meine Arbeiten wurden. wie bekannt, im Jahre 1881 43* 662 F. Blochmann begonnen und schon vor dem Erscheinen der Weısmann’schen Schrift über die Kontinuität des Keimplasmas veröffentlichte ich die oben eitirte vorläufige Mittheilung, in welcher bereits das Vorhandensein einer Richtungsspindel angegeben wurde. Da ich meine Resultate an den Eiern von Thieren (Ameisen und Wespen) gewann, bei welchen Parthenogenese bekannt ist, so kam ich, besonders durch die Minot-BaLrour’sche Hypothese an- geregt, dazu, nach Verschiedenheiten bei der Richtungskérperbildung zu suchen. Das erste Objekt, an welchem ich schon im Sommer 1884 die Frage zu lösen suchte, war die Biene. Ich konnte jedoch nie Eier erhalten, die zur Entscheidung dieser Fragen jung genug gewesen wären. Dass meine Arbeiten über diesen Gegenstand im Jahre 1885 so ziemlich ruhten, findet seinen Grund in der Bearbei- tung der mikroskopischen Süßwasserfauna. Nach deren Erscheinen nahm ich meine Untersuchungen energisch wieder auf, wozu mieh noch besonders der Widerspruch bestimmte, welcher gegen meine Angaben in der StunLmann’schen Arbeit erhoben worden war. WEISMANN betrachtet meine Arbeiten als werthvolle Stützen — seiner Spekulationen, übersieht dabei aber doch, dass nicht alle in denselben niedergelegten Resultate mit seinen Ideen in Einklang zu bringen sind. Bekanntlich unterscheidet WEISMANN im Eikern zwei Stoffe, das ovogene Plasma und das Keimplasma. Das erstere soll die Funktion haben, die Ausbildung des Eies in histologischer Be- ziehung zu leiten, d. h. also diejenigen Processe zu veranlassen, welche die histologischen Eigenthümlichkeiten des Eies, also Größe, Gestalt, Ablagerung und Vertheilung des Dotters ete. bedingen. Das andere dagegen, das Keimplasma, wird, abgesehen von der ihm zu- getheilten Funktion der Vererbung, mit der Tendenz ausgestattet. die Furchung, überhaupt die Entwicklung einzuleiten, also das Ei in einen Zellenkomplex zu zerfällen. In Folge dieser verschiedenen - Funktionen neigt das ovogene Plasma vor Allem nicht zur Theilung, es strebt nur danach, den Körper des Eies zu vergrößern. Darum muss also dieses, dem Beginn der Furchung entgegenstehende Prin- cip im ersten Richtungskörper entfernt werden, damit dann das Keimplasma in Aktion treten und die Furchung des Eies beginnen kann. Diese Annahme klingt verlockend, es ist nur schade, dass sie mit den Thatsachen nicht übereinstimmt. Denn dieses, angeblich der Theilung abgeneigte, ovogene Plasma theilt sich in manchen Fällen gerade so regelmäßig, wie das im Ei zurückbleibende FERLAET N. ee ws Sarge An FINGAL tte na; Bemerk. über die Richtungskörper bei parthen. sich entwickelnden Eiern. 663 Keimplasma. Es ist schon lange und fiir verschiedene Eier bekannt, dass der Kern des ersten Richtungskörpers, der also das ovogene Plasma enthält, häufig sich auf indirektem Wege theilt, während eine Theilung beim zweiten Riehtungskörper jedenfalls sehr selten. oder überhaupt nicht vorkommt, obgleich doch er gerade zur Thei- lung neigendes Keimplasma enthalten soll. Ich will es unterlassen, alle Beispiele anzuführen, wo eine solche Theilung des ersten Rich- tungskörpers beobachtet wurde; ich möchte nur auf den in dieser Beziehung wohl am besten untersuchten Fall hinweisen, nämlich auf Musca vomitoria, wo, wie ich nachwies, nach der ersten Theilung des Eikernes ganz regelmäßig und genau gleichzeitig beide Tochterkerne sich wieder theilen, so dass also gerade der angeblich aus ovogenem Plasma bestehende Richtungskern sich regelmäßig in- direkt theilt, während hingegen der aus Keimplasma bestehende zweite Richtungskern niemals mehr in eine Theilung eingeht. Ich halte es für unbedingt nothwendig, dass diese Thatsachen bei einer so weitausschauenden Theorie, wie die WreIsMANN’sche, in Erwägung gezogen werden und überlasse es dem Autor, die Theorie mit diesen Ergebnissen der Beobachtung in Einklang zu bringen. Heidelberg, den 27. December 1857. ft Ce c Druck von Breitkopf & Hartel in Leipzig. ev - ‘ es . ee 3 - 5 e 7 ? Sr) Tg in oe « Eu ma 4 Morphologiseh Band 1) OCT 19 193 NOV 4 1939 _MAY Cet = MV N D-4 Jan 141968 100130345