Secrets eterna: Ove Person SULT Lr ree ures ore tty: tery KM > Lahn doe. et 4 tirbal etsy re 1 Ty 99987 10" vane PRE ett sth ee Anne Pr eee EIS fee pate Kaeatyty gente af heh eyeeDit oy Padalaly Oh aies thetnbya sped eed a1) en rf oe neers tit ar He aT Te er alae quaker ete wens IEUTRIDELEALSEPSTEPRTEST SEN b) tee we gi ” pedtanten shates PRO WHE on REDE OG EL EEEG ww ee exe} one errr irreerty eran Sy ates What re hae Ders ES] : wei, ” \ . 1 pba ity ielaasesearet + sep iereperreten “ en Salut. enter gine beret ty te rae tithes A Weve) sehen et ate Nave ~ ar wkant rent ersssr ge ly? boty ake “ yet ght Ne tee meee are FLATO TREE tke ake IKEEIESKS TEL ate u. DREH en em Ty VG) RINT FERS ARR tages tee east Te TS) RAEN Ne Lag ae gt oe ETS TERE AF BRITZ IRAP EIECR ATER DL eo ot etn 275 Inh BRAN Ae NEN po ey ae de geet aoe! 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ANATOMIE UND ENTWIGKELUNGSGESCHICHTE, HERAUSGEGEBEN voN CARL GEGENBAUR, PROFESSOR IN HEIDELBERG. ——— Ears FUNFZEHNTER BAND. MIT 26 TAFELN UND 24 FIGUREN IM TEXT, LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1889. Inhalt des fünfzehnten Bandes. Ananas Erstes Heft. Ausgegeben am 4. Juni 1889. Seite Ontogenie und Anatomie in ihren Wechselbeziehungen betrachtet. Von Bene eine en ul, Le Mody epee utils 1 _ Über Caryophyllia rugosa Moseley. Von G.v. Koch. (Mit 13 Figuren im Text.) 10 Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. Von W. Schewiakoff. (Mit ae 0 a ae ara en cee a sy) wg 21 _ Über den Bau des Saéugethiergehirns. Von G.Jelgersma. (Mit Taf. IV.). 61 Über die Zahl der Richtungskörper bei befruchteten und unbefruchteten Bieneneiern, Von F. Blochmann.- (Mit Taf. V.) .......... 85 Untersuchungen über die Entwicklung des Beckengiirtels bei einigen Säuge- Eirierens Von, B.:Mehnert. (Mit Def. VEN. ios BT: 97 Zweites Heft. Ausgegeben am 4. October 1889. ' Theorie des Mesoderms. Von ©. Rabl. (Mit Taf. VII—X u. 9 Holzschn.) 113 - Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. Von R.Semon. . . 253 Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. Von E. Klever. (Mit I I C0 eM BR ER ER NEN he ale) ah 308 IV Drittes Heft. Ausgegeben am 10. December 1889. Seite Die Abdominalanhänge der Insekten mit Berücksichtigung der Myriopoden. Von E. Haase. (Mit Taf. XIV und XV.). . . . | . Sees 331 Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Von C. Röse. (Mit Wat KVL): 2+... ee 436 “ Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. Von F. Roetter. (Mit Taf. XVIL). ... . - 1 Sees 45 A Bemerkungen über den Carpus der Proboscidier und der Ungulaten im All- gemeinen. Von G. Baur. (Mit 1 Holzschnitt) ...... 7.00. 478 Bemerkungen über den M. flexor brevis pollicis und Veränderungen der | Handmuskulatur. Von C. Gegenbaur ........ wu 483 | Viertes Heft. Ausgegeben am 31. December 1889. Vorgänge dm Eifollikel der Wirbelthiere. Von G. Ruge. (Mit Taf. XVIII ARE) .. 0... Ro Ne AOL Uber den epithelialen Theil der sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase des Hechtes (Esox lucius), Von A. Coggi. (Mit Taf. XXII). ...... 553 Die Entwicklung der Feder und ihre Beziehungen zu anderen Integument- gebilden. Von H.R. Davies. (Mit Taf. XXIH—-XXVL). ...... 56 Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. No.1. Von G.v.Koch. (Mit 1 Figur im Text): « 2.0. Us Ut" FE “5 SRA Ray 646 ? we i : Ontogenie und Anatomie, | in ihren Wechselbeziehungen betrachtet | i j C. Gegenbaur. Es ist eine bekannte Erscheinung, dass bei jedem bedeutenden mc der sich in einer Wissenschaft vollzieht, der a auf eingeschlagene I Forschungsbahnen verdunkelt. Dora das Neue Kant auch und lässt in seiner Werthschätzung der Einbildungskraft leich- tes Spiel. Aber wenn auch jene Werthschätzung sich innerhalb ver- niinftiger Grenzen hält, fällt es ihr doch schwer, auch dem Alten gerecht zu werden, und dieses stellt sich immer als etwas Über- ‘wundenes dar. Ist doch der Fortschritt oft erst nach hartem Ringen, nach Überwindung mancher Vorurtheile, nach Beseitigung vieler Hemmungen zum Ziele gelangt. Darum bedarf es der Be- ‘sonnenheit, um sowohl für das siegreich Errungene als auch für das, was vorher bestand, das rechte Maß des Urtheils zu finden. 1 Andererseits erscheint jeder neu kultivirte Wissenszweig, so bald er sich kräftig entfaltet und selbständiges Wachsthum gewonnen hat, auch bald in einer gewissen Unabhängigkeit, und je mehr er sich ausbreitet, desto mehr entzieht sich sein Zusammenhang mit dem Stamme, dem er entsprosste, dem Blick. In soleher Weise wird das neu Entstandene in seiner Wechselbeziehung leicht verkannt und pflegt um so mehr in der Sonderung als in der Verbindung be- trachtet zu werden, je eigenthümlicher sein Gepräge sich gestaltet a Und doch besteht jener nes und durch ihn wirkt 2 - C. Gegenbaur - des Umfanges auch auf ihr inneres Wesen wirkt. Alte Vorstellungen weichen neuen, und in diesem Wechsel bildet sich, wie in der Or- ganismenwelt, Niederes zu Höherem aus. Wenn aber auch das Leben der Wissenschaft ein nie rastender Vorgang ist, und das, was später wirksam und bedeutungsvoll wird, lange vorher, oftmals in seinen Zielen schwer erkennbar sich vor- bereitet, so kommt doch zu Zeiten ein rascherer Umschwung zum Vorschein. Er bleibt nie aus, wenn die Veränderungen, welche die Peripherie erweiterten, in die Grundlagen der Wissenschaft eindrin- sen. Dann scheint es, als ob eine neue Wissenschaft an die Stelle der alten getreten sei, dann ist aber auch das Urtheil nicht immer einhellig über die Tragweite der beginnenden Umgestaltung. Ein solcher Zustand waltet im Gebiete der Morphologie. Die Entwicklungslehre hat, wie sie immer mehr sich breitere Bahn ge- brochen, auch die anatomischen Disciplinen beeinflusst und es war nur natürlich, dass diese dadurch der Umgestaltung entgegengingen. War doch der Entwicklungslehre selbst durch die Anatomie eine wichtige Stütze geworden, so dass für beide schon dadurch ein engerer Konnex bestand. Durch die Entwicklungslehre und die großartige Perspektive, die sich von ihr aus auf die gesammte Organismenwelt eröffnete, ge- langte bald auch die Entwicklungsgeschichte der Individuen oder die Ontogenie zu ihrer vollen Bedeutung. Diese längst schon be- tretenen Bahnen erfahren allseitig weitere Ausbildung und die Summe der auf ihnen erworbenen Erfahrungen wächst in rapider Art. Während hier fast überall Neues, wenn auch nieht immer vom kritischen Urtheile gesichtet sich darstellt und viele Probleme, die lange unnahbar waren, ibrer Lösung näher kommen oder wirklich gelöst werden, zeigt sich diese Forschung in ihrem größten Gewichte, welches der anatomischen Richtung gegenüber als Übergewicht er- scheint. Es wird sich daher verlohnen, die Wechselbeziehungen der Ontogenie zur Anatomie näher ins Auge zu fassen. Diese Beziehungen sind je nach dem Verhalten der Anatomie zweifacher Art. Einmal kann die Ontogenie den ausgebildeten Or- ganismus untersuchen, indem sie ihn und seine Organe im allmäh- lichen Aufbau zeigt, zweitens aber deckt sie Beziehungen des einen Organismus zu anderen auf, indem sie die während der Entwick- lung durchlaufenen Zustände mit jenen anderer Organismen in Ver- bindung bringt. Dadurch tritt sie in die Bahnen der Vergleichung. verknüpft sich mit der vergleichenden Anatomie, so wie sie im _ a eae Ontogenie und Anatomie. 3 ersteren Falle mit dem, was beschreibende Anatomie genannt | wird, in Verbindung steht. Die Beziehung zur beschreibenden Anatomie lässt die Ontogenie in ihrer ältesten und nächsten Verwerthung erscheinen, denn was ist inniger mit dem ausgebildeten Organismus verknüpft als die Zu- stände, aus denen er hervorging? Indem die Ontogenie den Orga- nismus durch jene Zustände zum Ausgebildeten hinführt. bildet sie mit der Anatomie ein Ganzes, aus dem allein das morphologische Verständnis des Organismus erhellt. Der bloßen anatomischen Be- schreibung der Organismen gegenüber bildet die Ontogenie eine höhere Erkenntnisinstanz. Denn sie bringt Formerscheinungen in Zusammenhang, zeigt wie Dieses und Jenes geworden und verhält sich auch erklärend, indem sie die nächsten Ursachen vieler Orga- nisationsbefunde aufdeckt. Diese Superiorität der Ontogenie kann aber zu einer Unter- schätzung des Werthes der Anatomie führen, oder zu einer gegen- sätzlichen Auffassung. Dem gegenüber muss behauptet werden, dass die Ontogenie der Anatomie so wenig entbehren kann, als die letz- tere ohne die erstere auf einer tieferen Stufe bleibt. Die Ontogenie entlehnt von der Anatomie einen guten Theil ihrer geistigen Werk- zeuge. Sie hat es mit Organen, deren Lagerung, Struktur und Textur zu thun, also mit denselben Objekten, wie sie die Anatomie begriff- lich definirt. Sie führt diese Theile zum ausgebildeten Zustand. Ohne die Kenntnis des letzteren, wie die Anatomie ihn darstellt, würde die Ontogenie sich auf gleichem Wege befinden, wie der Wan- derer, der sein Ziel nicht kennt. Man sage nicht, dass dieses Ziel durch die Ontogenie schließlich erreicht wird, denn dann trifft sie ja doch mit der Anatomie zusammen! Es ist aber zweifellos, dass mancher Umweg vermieden wird, wenn das Ziel schon am Beginne des Weges sichtbar ist und stets im Auge behalten wird. So ist die Anatomie für die Ontogenie Voraussetzung. Sie ist dabei vielfach unbewusst wirksam. Daher kommt es, dass man ihrer entbehren zu können glaubt. Indem die Anatomie durch die Ontogenie sich wissenschaftlich gestaltet, hat sie bei aller Verschie- denheit der Methode sich von ihr durehdringen lassen und betritt im genetischen Gewande eine Stufe der Vervollkommnung. Durch diese Wechselbeziehung wird weder eine Beeinträchtigung der Existenz der einen noch der anderen Diseiplin bedingt, denn es handelt sich nicht um ein Aufgehen der einen in die andere’. 1 Dass ich mit der Besprechung dieser Verhältnisse nur die wissenschaft- 1> 4 C. Gegenbaur Wir kommen nun zu der zweiten Beziehung der Ontogenie, zu jener, die sie mit der vergleichenden Anatomie besitzt. Diese Beziehung wird klar aus der Aufgabe der letzteren. Wir erkennen dieselbe in der Ermittelung des Zusammenhanges der Organisationen unter einander. Die vergleichende Anatomie sucht die Organe, aus denen der Thierleib besteht, zu ordnen, indem sie Ähnliches zu Ähnlichem stellt und dabei Übereinstimmungen sowohl, als auch Ver- schiedenheiten findet, welche beide ‘sie zu erklären sucht. Dadurch stellen sich die Organisationen in nähere oder entferntere Beziehun- gen zu einander. Im Lichte der Descendenztheorie werden diese Beziehungen zu Verwandtschaften, und es schließt sich damit um die Organismen ein engeres Band. Dieselbe Vergleichung der Or- gane lehrt niedere und höhere Zustände kennen, indifferentere und differenzirte, ausgebildete und andere, die wieder rückgebildet sind. Indem solcherlei Befunde an einander gereiht werden können und innerhalb der Reihen in reichen Modifikationen sich darstellen, ist das Objekt der vergleichenden Anatomie ein veränderliches, beweg- liches, flüssiges zu nennen, und gleicht darin jenem der Ontogenie. Indem diese den Organismus, und zwar den individuellen, in Veränderungen darstellt, welche Zuständen entsprechen, die in nie- deren Zuständen dauernd realisirt sind, tritt die Ontogenie in nähere Beziehung zur vergleichenden Anatomie... Die letztere gewinnt da- durch eine phylogenetische Gestaltung. Sie erhebt sieh zur Phylogenie, indem ihre Ergebnisse für die Abstammung der Or- ganismen die Nachweise liefern. Es ist wohl unbestritten, dass die vergleichende Anatomie durch Verwerthung der ontogenetischen Thatsachen neuen Aufschwung nahm. Darüber haben wir hier nicht weiter zu verhandeln. Aber dieser Aufschwung hat die vergleichende Anatomie unterschätzen lassen. Es ist nicht selten zu lesen, dass nur die Kenntnis der ontogene- tischen Vorgänge phylogenetische Einsichten begründe, dass es dazu gar keiner vergleichenden Anatomie bedürfe, ja dass die letztere der wahren Erkenntnis der Stammesgeschichte nur hinderlich sei. Mit der vergleichenden Anatomie wird also auch die Rücksichtnahme auf den entwickelten Organismen verworfen, denn die vergleichende Anatomie ist es ja, die diesen als Faktor gelten lässt. Wie verhält sich nun in Wirklichkeit die Ontogenie zur Phy- lichen Beziehungen im Auge habe und dabei weder an die Gestaltung noch an die Kombination der bezüglichen Lehrfächer denke, sei hier ausdrücklich be- merkt. Ontogenie und Anatomie. 5 logenie? Diese Frage wird zu beantworten sein, wenn der Werth der vergleichenden Anatomie für die Phylogenie festgestellt werden soll, denn Ontogenie und vergleichende Anatomie verhalten sich in diesem Falle als Konkurrenten. Wenn das biogenetische Grundgesetz: dass der sich entwickelnde Organismus seine Stammesgeschichte rekapitulire, ohne alle Beschrän- kung bestände, so böte die Ontogenie den kürzesten, sicher den be- sten Weg zur Phylogenie. Aber jene Rekapitulation ist überall eine sehr unvollkommene und die ontogenetischen Befunde sind demge- mäß längst schon von HAECKEL treffend in zwei Kategorien, in pa- jingenetische und cänogenetische geschieden worden. Diese Unterscheidung hat zwar noch keinen ernsthaften Widerspruch er- fahren, sie ward aber auch viel zu wenig beachtet, wie aus den eben erwähnten Behauptungen hervorgeht. Wenn man aber zugeben muss, dass Palingenie und Cänogenie mit einander durchniischt vorkommen, so ist es auch gewiss, dass die Ontogenie nicht als reine Quelle für die Phylogenie gelten kann. Dadurch wird die Ontogenie zu einem Gebiete, auf dem beim Suchen nach phyloge- netischen Beziehungen eine rege Phantasie zwar ein gefährliches Spiel treiben kann, auf dem aber sichere Ergebnisse keineswegs überall zu Tage liegen. Zu ihrer Ermittelung bedarf es vor Allem einer Sichtung der palingenetischen und der ontogenetischen Zustände und dazu des Aufwandes von mehr als einem Körnchen kritischen Salzes. Wo soll diese Kritik ihren Ausgang nehmen? Doch nicht in einem Circulus vitiosus, wiederum von der Ontogenie, denn wenn in einem Falle cänogenetische Befunde obwalten, was giebt die Gewähr dafür, dass nicht auch der andere Fall, der zur Ver- gleichung dienen soll, gleichfalls in cänogenetischer Verhiillung sich befinde. Wenn einmal zugestanden sein muss, dass nicht Alles, was auf dem Wege der Entwicklung liegt, palingenetischer Natur ist!, dass nicht jede ontogenetische Thatsache man möchte sagen als bare Münze gelten kann, so ist zur Leistung jener Kritik auch kein Stück der Ontogenie unbedingt verwerthbar. Daran wird nichts zu ändern sein. Jene Kritik muss also einer anderen Quelle entspringen. Bevor wir uns dieser zuwenden, ist noch ein Einwand hinweg- ! Ich nehme die Begriffe palingenetisch und cänogenetisch in ihrer ur- sprünglichen Fassung und betrachte cänogenetische Einrichtungen, weil sie sich ja durch Vererbung wiederholen, desshalb noch nicht als palingenetische. Das Kriterium liegt in dem Verhalten zum ausgebildeten Organismus. 6 C. Gegenbaur zuräumen, der daraus hervorgeht, dass bei der Anerkennung der Existenz der Cänogenie doch ein Theil der Ontogenese als beweis- kräftig angenommen wird. So kann sich das Zugeständnis der Unvollkommenheit der onto- genetischen Zeugnisse in so fern beschränken, als es die Keimblätter nicht mit umfasst. Dann kann gesagt werden, die Keimblätter reichten aus zur phylogenetischen Begründung, indem sie die Homo- logie der Organe bestimmten: alle Organe sind homolog, die aus den gleichen Keimblättern hervorgehen. In dieser Allgemeinheit wäre der Satz schon desshalb nicht haltbar, weil jedes der Keim- blätter doch eine Mehrzahl von Organen entstehen lässt. Es müssen also noch andere Kriterien hinzutreten, um jene Homologie wirksam zu begründen und diese Kriterien sind wieder anatomischer Art. Der Rückzug hinter die Keimblätter dürfte also auch hier keine vollständige Deekung finden; und so lange die Fragen bezüglich des mittleren Keimblattes oder des Mesoblast noch nicht völlig auf- geklärt sind, fällt auch auf die daraus sich ableitenden Organe kein sehr helles Licht. Damit sei aber wieder nicht der große Werth in Abrede gestellt, den die Keimblätter als Primitivorgane für die vergleichende Anatomie besitzen, es sei nur behauptet, dass sie nicht ein ausschließliches Fundament für die Vergleichung sind. Diese Beschränkung tritt recht klar durch die Erwägung zu Tage, dass es sich in zahllosen Fällen um Organe handelt, die einem und demselben Keimblatte entsprungen sind. Man darf hier an die Skelettheile erinnern. Für viele hier bestehende Fragen giebt die Ontogenese oft überraschende Aufklärung, aber nicht wenige sind von daher unlösbar. Das paläontologische Material der Vertebraten ist zum bei Weitem größten Theile ohne ‘alle Beziehungen zur On- togenese und wird nur durch die vergleichende Anatomie d. h. nur durch die Vergleichung ausgebildeter Zustände beherrscht. Es stände aber außer aller phylogenetischen Verwerthung, wenn die Ontogenie dabei zur Alleinherrschaft gelangte. Wir glauben gezeigt zu haben, dass die Ontogenie zur phylo- genetischen Erkenntnis nicht ausreicht, indem ihre Thatsachen erst auf den palingenetischen Werth geprüft werden müssen. Diese Prü- fung leistet aber die vergleichende Anatomie, in so fern diese die ausgebildeten Organismen behandelt. Worauf gründet sich nun diese Bedeutung der Anatomie? Das wird verständlich aus der Verschie- denheit der Objekte beider. Die Ontogenie hat es mit Zuständen des Organismus zu thun, die unter anderen Bedingungen als nachher Ontogenie und Anatomie. 7 existiren, das Leben des sich entwickelnden Organismus, die Wachs- thumsvorgiinge, die bei der Differenzirung thätig sind, stehen unter anderen Einflüssen als später, wie ja in großer Verbreitung auch die Ernährung durch schon dem Ei gewordene Zuthaten oder durch andere provisorische Einrichtungen besorgt wird. Bei den meisten der Organe schlummert noch deren Funktion, die mehr erschlossen als beobachtet wird. Die Anatomie dagegen trifft die Organe im ausgebildeten, thätigen Zustande. Der Organismus ist, wenn wir so sagen dürfen, praktisch geworden, während er vorher mehr theore- tisch bestand. Die aus dem physiologischen Werthe der Organe sich ergebende bessere Erkenntnis derselben macht sie zu Vergleichungsobjekten ge- eigneter als sie ohne jene Berücksichtigung es sind. Zur vollen Einsicht in diese Auffassung wird man durch den Versuch gelangen, bei Prüfung ontogenetischer Zustände von den anatomischen Erfah- rungen, gleich als ob sie nicht existirten, abzusehen. Man nehme z. B. die Ontogenese eines Amnioten, dessen Kiemenspalten durch die Vergleichung mit denen der Anamnien verständlich sind. Nur dadurch, dass wir bei diesen Kiemen auftreten sehen, die uns fremde Gebilde blieben, wenn wir sie nicht in ihrer Funktion am ausge- bildeten Organismus der Fische und Amphibien kennen gelernt hätten, sind wir zu einer Deutung jener anderen vergänglichen Bil- dungen gelangt. Oder möchte Jemand glauben, dass jene Kiemen- spalten ohne die Kenntnis der definitiven Kiemen richtig zu beur- theilen wären? Wie ganz anders erscheint uns die Chorda dorsalis, nachdem wir sie im ausgebildeten Zustande niederer Wirbelthiere als ein Dauerorgan kennen gelernt haben! Wir begreifen, wie die- ses hier eine so wichtige Rolle spielende Organ zu einem typischen geworden ist, und wir könten das noch besser verstehen, wenn wir es schon bei den Tunicaten in der Rolle als Stützorgan finden. Vom Nervensystem wird uns die ektodermale Entstehung erst durch die Kenntnis der niedersten Zustände aufgeklärt, jener Zustände nämlich, in denen es dauernd dem Ektoderm selbst angehört, oder von demselben sich bereits abzulösen im Begriffe steht, wie in man- chen Abtheilungen der Cölenteraten. Welches Licht fällt von daher auf die in den Centralorganen dieses Systemes bestehende Lokali- sirung in jenen niederen Zuständen zerstreuter Einrichtungen ! Nicht weniger verständlich wird die Genese der höheren Sinnes- organe, wenn wir sie in niederen Formen noch in ihrer ursprüng- lichen Lagebeziehung antreffen. So lange, trotz der genauesten onto- 8 C. Gegenbaur genetischen Erfahrungen, räthselhaft gebliebene Organe, wie die Schilddrüse und die Hypophysis, haben nur durch die Vergleichung mit der Organisation der Tunicaten eine richtige Deutung gefunden. Die vergleichende Anatomie liefert auch die Korrekturen für die durch die cänogenetischen Wege der Ontogenese entstehenden Vorstellungen. Ein Beispiel dafür bieten die Lungen der höheren Wirbelthiere. Wenn uns diese als epitheliale Sprossungen geschil- dert sind, die in die mesodermale Anlage einwachsen, zuerst wenige Schläuche oder Stränge, so gewinnt man daraus die Meinung, als ob der Vorgang nach Art einer Driisenanlage sich abspiele. Wollte man darauf phylogenetische Folgerungen bauen, so würde man die Lunge von einer Drüse ableiten! Der phylogenetische Gang der Lungenbildung ist aber ein ganz anderer. Denn die Vergleichung mit den Lungen der Dipnoer und der Amphibien zeigt uns einen ganz anderen Vorgang. Wir sehen von da aus und durch die Rep- tilien hindurch, dass die Lunge ihre Komplikation keineswegs durch sprossende Epithelschläuche, sondern von der Peripherie her, durch Vergrößerung der Innenfläche eines weiteren Raumes empfing. Die allmähliche Zerlegung des ursprünglich einheitlichen Binnenraumes in kleinere Räume durch von der Wand her einwachsende Septa führt endlich zu dem bei den höheren Wirbelthieren waltenden Be- funde, indem die so entstandenen größeren Abschnitte wiederum von ihrer Wand her in kleinere zerlegt werden, wofür besonders die Lungen der Schildkröten lehrreich sind. Durch diesen aus der Ver- gleichung zu erkennenden Process wird die Lunge mit der Schwimm- blase der Fische vergleichbar, was durch die bloße ontogenetische Kenntnis nicht möglich ist. Wir lernen aber dadurch auch jene Lungenanlagen der Vögel und Säugethiere erst richtig verstehen und sehen in den Sprossen des Epithelrohres die Aquivalente ganzer Abschnitte, die im niederen Zustande weite Räume sind. So liegen unzählige andere Beispiele in derselben Richtung vor. Überall sind es die Zustände des ausgebildeten Organismus, die uns die onto- genetischen Befunde erleuchten. Am ausgebildeten Organismus mit seinen mannigfaltigen Be- ziehungen zur Außenwelt und durch die Rückwirkung derselben auf die Organisation, die daraus ihre Anpassungen gewinnt, treffen wir die Pforten zu Veränderungen geöffnet. Hier ist es, wo der Orga- nismus die Umgestaltungen empfängt, die uns seine Organe in der Ausbildung sowohl als auch in der Rückbildung beurtheilen lässt. Was der Organismus auf dem ontogenetischen Wege zur Entfaltung Ontogenie und Anatomie. 9 bringt, das haben seine Vorfahren einmal früher oder später sich erworben, und dieser Erwerb ist ihnen jeweils während ausgebildeter Zustände zu Theil geworden. Daher werden wir auf jene niederen, den Durchgangsstadien entsprechenden oder ihnen doch ähnlichen Zustände verwiesen, sobald wir den höheren Zustand in seiner Ontogenese verstehen wollen. Sie gehören eben so zur Geschichte des Organismus wie seine einzelnen ontogene- tischen Befunde. | Von diesem Gesichtspunkte aus ist die vergleichende Anatomie kein bloßer Ersatz für die in der Ontogenie bestehenden Lücken. Sie ist kein phylogenetischer Nothbehelf, der zu verschwinden hätte, wenn dereinst das gesammte ontogenetische Erkenntnisgebiet offen und klar vorliegen wird. Denn jene Fragen nach dem Woher? der Einrichtungen, nach den Zuständen, in denen sie erworben sind und in denen sie sich praktisch gestalteten, werden bestehen, so lange die Forschung dauert, ja sie werden erst recht in den Vordergrund treten, wenn einmal die Vertiefung der Forschung begonnen haben wird. Auf jene Fragen antwortet aber nur der ausgebildete Orga- nismus, wie ihn die Anatomie kennen lehrt. Wie die phylogenetische Bahnen betretende Ontogenie der Ana- tomie nicht entbehren kann, so ist auch die letztere ohne die erstere nur Stückwerk. Bei der innigen Durchdringung beider, wie die vergleichende Anatomie es postulirt, wäre die Abwägung des Werthes jeder einzelnen der beiden Forschungsmethoden ein unnützes Be- ginnen. Die vergleichende Anatomie hat sich durch die Ontogenie vervollkommnet, sie hat sich bereichert durch zahlreiche auf onto- genetischem Wege gelöste und auch nur auf diesem zu lösende Pro- bleme, ihre Fundamente sind tiefer gelegt worden, da sie mit Hilfe der Ontogenie nicht bloß den Befund, sondern auch die Geschichte der Organe kennen lehrt. Durch dieses Verhältnis zur vergleichen- den Anatomie wird die Bedeutung der Ontogenie nicht gemindert sondern erhöht, denn dadurch erst wird die Erreichung des Endzieles möglich, wie wir es in der Phylogenie erblicken. Heidelberg, September 1888. Uber Caryophyllia rugosa Moseley. Von G. v. Koch. Mit 13 Figuren im Text. In dem Report on the scientific Results of the Voyage of H. M. S. Challenger, Zoology vol. II. Report on the Corals. 1881 beschreibt! MosELEY eine Caryophyllia, welche wegen der octame- ralen Anordnung ihrer Septen besonderes Interesse in Anspruch nimmt. Es finden sich nämlich bei fünf an zwei verschiedenen Orten? gefundenen Exemplaren (die 2—4 mm in der Höhe und 2—4 mm Durchmesser schwankten) an der oralen Fläche 8 Septen erster Ord- nung, 8 etwas schwächere zweiter Ordnung und 16 noch schwächere dritter Ordnung und nur an einem kleinen Exemplar 14 oder 15 Septen erster und zweiter Ordnung zusammen. Vier von den ge- nannten Stücken haben 8 Pali, zwei nur 7 Pali, immer stehen die- selben vor den Septen zweiter Ordnung. Die Columella besteht aus 3—9 lamellären Fortsätzen. Ich erhielt durch die Freundlichkeit des Herrn Professor Dr. v. MARENZELLER in Wien und die Liberalität des k. k. Hofmuseums ein größeres Exemplar der genannten Art zur Untersuchung und 1 Der Beschreibung sind ein Holzschnitt und auf Pl. I unter 8 drei weitere Figuren beigegeben. Ersterer stellt eine Vertikalsektion dar, welche nicht mit der Hauptachse zusammenfällt und desshalb den Schein erweckt, als wären die Zwischenräume in dem aboralen Theil ausgefüllt. Fig. 8 zeigt ein Exemplar, auf einem Steinchen sitzend, von der Seite, nat. Gr., Sa die orale Fläche drei- mal vergrößert, 86 einige Runzeln der Theca bei stärkerer Vergrößerung. Die Figuren sind nicht sehr scharf. 2 Stat. 192. Ki Islands. 126 fath. Stat. 201. Philippine Islands. 102 fath. | | | f | 4 | h | | Über Caryophyllia rugosa Moseley. 11 kann hier einiges Wenige an der MoseEtry’schen Beschreibung er- gänzen. Wichtiger war mir die Möglichkeit, das Wachsthum und die relative Zeitfolge in der Entwicklung der Septen genau darstellen zu können. Wenn die folgende Darstellung besonders hinsichtlich der Unter- suchungsmethode etwas weitläufig ausgefallen ist und Wiederholungen von früher Gesagtem vorkommen, so bitte ich dies zu entschuldigen. Ich habe leider öfter die Erfahrung machen müssen, dass mir von anderen Forschern Weglassungen ganz unwesentlicher und häufig selbstverständlicher Kleinigkeiten als Ungenauigkeit ausgelegt wor- den ist. Das untersuchte Exemplar von Caryophyllia rugosa wurde in Formosa gesammelt, saß auf einem Steinchen und scheint bei der Erbeutung, wie sich aus der Beschaffenheit der Oberfläche ergiebt, noch mit Weichtheilen bedeckt gewesen zu sein, ohne dass sich aber von letzteren noch Reste erhalten haben. Die Gestalt war EM oa Wa MW» Me? 1, My Ansicht des Skelets von Caryophyllia rugosa Mos. Exemplar aus Formosa von der oralen Seite. Kontouren mit der Camera gezeichnet. Durch die Art der Behandlung erscheint das Bild etwas zu flach, der Kelch ist in der Natur mehr triehterförmig. konisch, ein wenig seitlich zusammengedriickt und etwas gekriimmt. Die Höhe betrug etwas über 8 mm, der Durchmesser am oralen Ende 4,5 zu 5 mm, etwa 2 mm über der Ansatzfläche kaum 3 mm und nahm nach der Basis hin schnell zu, so dass das basale Ende ‘ 12 G. v. Koch bedeutend breiter war als das orale. Doch zeigte diese Ausbreitung so wenig regelmäßigen Umriss, war auch stellenweise so dünn, dass von einer genauen Messung abgesehen wurde. — Die orale Fläche, der Kelch (vgl. die Abbildung), bildet eine ziemlich unregelmäßige Ellipse, deren Umriss an den Enden der größeren Septen stärkere, an denen der kleineren schwächere Ausbuchtungen besitzt. Die Dicke der Theca ist am äußersten Rand nur minimal, weiter nach unten variirt sie in den einzelnen Interseptalräumeu von 0,2 bis 0,4 mm. Die Anzahl der Septen beträgt 32. Von diesen ragen 16 ca. 1,4 mm weit nach dem Centrum vor und lassen dort einen elliptischen Raum von ca. 2,2 mm Länge und ca. 1,6 mm Breite frei. Die übrigen 6 Septen sind kürzer, 0,8 bis 1,0 mm lang. Innerhalb der Septen befindet sich eine Zone von 8 Pali, die abweehselnd den 16 größeren Septen vorliegen und von diesen eingeschlossen die Columella. Unter den großen Septen lassen sich leicht 8 kräftigere und 8 weniger starke erkennen, die mit einander abwechseln und von denen die letzteren den Pali entsprechen. In ihrer Gestalt stimmen sie ziem- lich mit einander überein. Sie sind ziemlich dünn, nur am äußeren Ende etwas verdickt, die innere Hälfte ist stark wellenförmig ge- bogen!, so dass sie sich theilweise gegenseitig bedecken und man desshalb nur in der Nähe der Theca etwas tiefer in die Interseptal- räume hineinsehen kann. Als Eigenthümlichkeit der Septen sind seitliche eylindrische oder subkonische Fortsätze zu erwähnen, welche frei in die Interseptalräume hineinragen, in einzelnen Fällen aber auch gegenseitig mit einander verschmolzen sind und dann den Synapticula der Autoren (Pseudosynapticula PrATz) bei anderen Ko- rallen entsprechen. — Die Pali sind dünne gefaltete, theilweise schraubenförmig gewundene Platten, die, im Ganzen betrachtet, un- regelmäßig rundliche Massen darstellen von ungefähr 0,3 mm Durch- messer. Die Columella besteht aus 6 nicht scharf von einander trenn- baren, ähnlich wie die Pali gefalteten dünnen Platten und erscheint als eine langgestreckte Ellipse von 1,0 mm Länge bei 0,7 mm Breite. Die Oberfläche der Columella liegt fast 2 mm tiefer als die höchsten Kanten der großen Septen, so dass der »Kelch« ziemlich stark aus- gehöhlt ist, eine Eigenschaft, auf die ich hier desshalb aufmerksam mache, weil sie auf der beigegebenen Abbildung nicht deutlich genug ! Diesem Verhalten der Septen ist es wohl zuzuschreiben, dass diese in der MOSELEY’schen Fig. Sa so breit erscheinen und auch in der hier gegebenen genaueren Abbildung des Kelches nicht so scharf zu erkennen sind wie in den folgenden Quer- und Längsschliffen. a Se ee ee OE OE Eee Uber Caryopbyllia rugosa Moseley. 13 hervortritt. — Die Außenfläche des Skelets ist ziemlich gleichmäßig von nahezu wagerecht gestellten, scharf hervortretenden Runzeln bedeckt, welche sich bis auf die äußeren Kanten der größeren Sep- ten erstrecken. Sie haben einen regelmäßigen Verlauf, theilen sich auch zuweilen und variiren nur wenig in ihrer Breite. Ihr Quer- schnitt ist ungefähr ein gleichseitiges Dreieck, die freie Kante ein wenig abgerundet. Die zwischen den Runzeln liegenden Furchen sind flach und etwas breiter als jene. Durchschnittlich fand ich auf 1 mm Länge 7 Runzeln resp. Furchen. Bemerkenswerth er- scheint und ist auch schon von MoSELEY angegeben, dass sich auf Sehliffen die Furchen in Folge ihrer helleren Färbung bis tief hinein in die Masse der Theca verfolgen lassen. — Bei der Untersuchung des Inneren musste mit besonderer Vor- sicht verfahren werden, weil das Exemplar das einzige seiner Art in dem Wiener Museum ist und es daher wünschenswerth erschien, wenigstens die am meisten charakteristischen Theile zu erhalten. Es wurde desshalb das ganze Skelet zuerst in schwarzes Siegellack eingeschmolzen, dann möglichst senkrecht zur Hauptachse zwei Schnitte geführt, welche den oralen Theil in Form einer nicht ganz 2 mm dicken Platte und den aboralen, der Unterlage noch aufsitzen- den und ungefähr eben so hohen Theil abtrennten. Der erstere blieb intakt und wurde, nachdem seine Unterseite gezeichnet (vgl. unten die Beschreibung der Querschliffserie und Abb. XI) mit heißem Alkohol ausgewaschen und aufbewahrt. Das mittlere Stück wurde parallel der Hauptachse, aber etwas au- ßerhalb derselben der Länge nach durehschnitten und ebenfalls gereinigt. An ihm sind die sofort anzuführen- den Beobachtungen über Ge- stalt der Septen ete. gemacht. Das basale Stück wurde zuge, zwischen Columalla und Theca, Camerazeichnung nach der schon öfter (Morph. Die Pseudosynapticula, sowie die Knickungen der Septa Jahrb. Bd. VII. pag. 87) Para beschriebenen Methode nach und nach abgeschliffen und die Schliff- flächen mittels der Camera lucida gezeichnet. Diese Zeichnungen dienten zur Feststellung der später geschilderten Wachsthumsvor- ‚gänge. — Die verhältnismäßig nur wenig verdiekten Septen verlaufen 14 G. v. Koch zunächst der Theca, von der aus kurze, fingerförmige Fortsätze in die Interseptalräume hineinragen (die weißen Punkte der Abbildung), gerade. Etwas weiter nach dem Centrum (vgl. Abbildung) haben sich die viel diekeren Septen erster und zweiter Ordnung (der schein- baren) wenig geändert, doch sieht man an ihnen hier sehr deutlich die oben beschriebenen seitlichen eylindrischen Fortsätze (Synapticula), welche sich ziemlich regelmäßig wiederholen. Die dünnen Septen der (scheinbar) dritten Ordnung dagegen zeigen schon eine sehr deutliche Knickung oder Faltung und die eigenthümlichen Verdickun- gen an den Knickungsstellen. Weiter nach innen zu beginnen sich auch die größeren Septen ähnlich zu falten und die Abweichungen von der Hauptebene werden so stark, dass sich zum Theil die Aus- biegungen nach der Seite in die entsprechenden Einbiegungen der benachbarten kleineren Septen hineinlegen (wie oben schon ange- deutet wurde). Noch mehr nach innen endigen die 16 kleineren Septen frei mit wellenförmigem Rand (auf der Hälfte der Länge der großen Septen), der abgerundet, manchmal auch ein wenig verdickt ist. Die 16 größeren Septen ragen weiter nach dem Centrum zu vor, berühren sich nahezu und! bedecken sich auch theilweise gegenseitig. Im oberen Drittel bleiben dabei die 8 (scheinbar) pri- mären Septen (1*) mit ihren inneren Kanten frei, während die se- kundären (2* schon hier mit den zugehörigen Pali verschmelzen. Erst viel weiter nach der Basis zu, wo die Pali längst verschwun- den sind, verbinden sich auch die Septen 1* mit der Columella und es lässt sich deutlich erkennen, dass diese ursprünglich durch Ver- schmelzung der centralen Septenränder zu Stande kommt und erst später eine mehr selbständige Stellung einnimmt. Hinsichtlich des Baues der Pali und der Columella habe ich dem Obigen nur noch zuzufügen, dass beide schon ziemlich nahe am oralen Ende mit ein- ander in Verbindung treten (man vergleiche die Ansicht von oben pag. 11). Die Entwicklung des Septalapparates, specieller die Art der Ver- mehrung der Septen wurde auf die vorhin schon angedeutete Weise an dem basalen Abschnitt studirt. Dieser wurde zu diesem Zweck nach und nach abgeschliffen und die Schlifffläche, sobald sie eine wesentlichere Veränderung zeigte, mittels der Camera lucida bei immer gleichbleibender Vergrößerung gezeichnet. In dieser Weise wurde fortgefahren, bis die Koralle auf der einen Seite (in Folge einer geringen Neigung der Schliffebene zur Ansatzfläche) zu Ende war und die Unterlage zum Vorschein kam, während auf der an- Über Caryophyllia rugosa Moseley. 15 deren sich noch die Reste von 4 Septen und etwas basale und Seiten- wand erkennen ließ. Die Zahl der bei dieser Operation erhaltenen Zeichnungen beträgt 58 und schließt dieselbe, da das ganze bear- beitete Stück kaum 2 mm hoch war und zwischen zwei Zeichnungen die Schlifffläche immer mehrere Male kontrolirt wurde, Irrthümer in der Bezeichnung der Septen vollständig aus. Die Zeichnungen sind von der letzten, untersten, die mit 1 bezeichnet wurde, numerirt und sollen nachfolgend kurz beschrieben werden. Einige sind hier kopirt. Zeiehnung 1. Es ist nur noch eine Hälfte der Basis vor- handen, auf der noch 4 in der Mitte zusammentreffende und ein kleiner Rest eines fünften Septum zu erkennen sind. Diese wurden mit a, b, d, e, f bezeichnet. a und d, 5b und e liegen je einander gegenüber; nahezu in einer Geraden. Zwischen a und 4, sowie zwi- schen e und f ist der Rest einer centralen Theca vorhanden, zwischen a und b, aber weit über die Grenze der Koralle hinausreichend, liegen Theile einer Wurmröhre. Zeichnung 2. Die Septen a, b, c, d, e, f sind deutlich zu erkennen. Die Wurmröhre zeigt sich im Längsschnitt und viel voll- ständiger als vorher und geht quer durch die Septen a und f. Zeichnung 3. Die 6 Septen sind noch deutlicher und enden frei im Centrum, nur 5 ¢ sind durch eine schmale Brücke mit ein- ander verbunden. Die Wurmröhre nimmt noch dieselbe Lage ein, erscheint aber nicht mehr im Durchschnitt, sondern in der Aufsicht, nur an den beiden Enden sind zwei elliptische Löcher (Querschnitte) zu bemerken. Zeichnung 4. Diese Zeichnung ist hier in Fig. I kopirt; man erkennt deutlich die primären, mit a—f bezeichneten Septen, von denen 5 und ce noch verbunden sind, Anfänge einer inneren Mauer zwischen « 5 und e f und den letzten Rest der öfter genannten Wurmröhre w. Der weiß gelassene Theil der Zeichnung stellt die theilweise verdickte Theca, die kleinen Kreise die Unterlage dar. Aus dem geringen Umfang der Theca in den ersten Schliffen geht hervor, dass die Basis in einer flachen Höhlung sitzt. Zeichnung 5. Septum « und f sind im Centrum mit einander verschmolzen, eben so 5, ce und d. 5 ist mit seinem peripherischen Ende von der Theca abgelöst. Eine innere Theca ist vollständig ausgebildet zwischen a 4, d e und e f, angedeutet zwischen 5 c und a f. Zwischen den Septen «—b, e—f lassen sich an der Mitte der inneren Thecastücke kleine Erhöhungen erkennen, die man als 16 G. v. Koch Anlagen von Septen zweiter Ordnung betrachten muss (vgl. Fig. II). Von der Wurmröhre ist der letzte Rest verschwunden. Zeichnung 6. Abgebildet unter Nr. II. 322” ex Die centralen Enden von @ 6 und e d sind " \ ziemlich unregelmäßig verbunden, 5 und d sind von der Theca losgelöst, e in der Mitte unterbrochen. Die innere Theca ist voll- ständig, bis auf eine Lücke zwischen c und d. Die in Fig. 5 bemerkten Andeu- tungen von Septen zweiter Ordnung zwi- schen a 6 und e f erscheinen jetzt schon ganz deutlich, Andeutungen weiterer finden sich zwischen d e und a f. Zeichnung 7. Septen a, 6, e, e in der Mitte verbunden. Die innere Theea zwischen « 5 und e f mit den zunächst liegenden Theilen der äußeren Theca verbunden, die Verbindungsstücke sind durchscheinend und erscheinen durch den unterliegenden schwarzen Grund dunkel. Zeichnung 8. Wie 7, doch ist auch noch zwischen a und f der Raum, welcher innere und äußere Theca trennte, überbrückt. Zeichnung 9 (siehe Fig. III). Septen erster Ordnung sämmt- lich im Centrum mit einander verschmolzen, Septen zweiter Ord- nung zwischen ab, de, e f, f « gleichmäßig ausgebildet, zwischen a6 noch eine Hervorragung, die aber schon in 11 wieder ver- schwindet. Nur zwischen 5 ce und e d noch Lücken in dem Zwischen- raum der inneren und äußeren Theca, in den anderen Interseptal- räumen sind die Stellen, wo früher Lücken waren, dunkler. (In der Figur durch feine Punktirung angedeutet.) Zeiehnung 10. Septum e frei, die Lücken zwischen d eund ce d bis auf kleine Reste verschwunden. NB. Von jetzt an ist immer nur der centrale Theil der Querschnitte gezeichnet, da die Dicke der Theca durch sekundäre Anlagen ganz bedeutend ist. Sie zeigt koncentrische Verdiekungslinien, die theilweise sehr deutlich sind. Zeichnung 11. Septum d und e frei. Zwischen 5 e und ce d deutliche Septen zweiter Ordnung, so dass jetzt die ersten beiden Cyklen vollständig sind. Zeichnung 12. Nur Septum f frei, das Übrige wie bei 11. Zeichnung 13 (abgebildet Fig. IV). Eben so, aber zwischen a und 4 ist ein Septum dritter Ordnung zu bemerken (auf der Figur sind die Sep- ten erster Ordnung mit 1, die der zweiten Ordnung mit 2 bezeichnet). Zeichnungen 4 = J, 6 = II, 9 = III, 13 = IV der beschriebenen Serie. _ der Figur mit 1* 1* bezeichnet, um anzu- keit werden. Über Caryophyllia rugosa Moseley. 17 Zeichnung 14. Septum 2 frei, c, d und eben so a, f, e mit einander verschmolzen. Zwischen a und 5 2 kleine Septen dritter Ordnung. Zeichnung 15. Nur die Septen a, f, e mit ihren centralen Enden verschmolzen. Zwischen « und f 2 kleine Septen dritter Ordnung. Zeichnung 16—19 (Fig. V). Die Septen verschmelzen ähn- lich wie bisher im Centrum abwechselnd mit einander, in 18 alter- nirend, so dass a, c, e verschmolzen, 4, d, f frei sind. Die 4 Septen dritter Ordnung haben sich bedeutend entwickelt. Zeichnung 20—22. Wenige Veränderungen. Das Septum zweiter Ordnung zwischen a und 5 ist im Centrum mit 5 und d verschmolzen. Zeichnung 23 (Fig. VD. Die Septen zweiter Ordnung zwischen a 6 und a f stehen in Größe wenig hinter denen erster Ordnung zurück. Sie sind in deuten, dass sie, wie sich in der Folge ergeben wird, zu Septen erster Ord- nung bei der scheinbaren Achtzählig- Zeichnung 24—25. Zwischen _ b und c ein neues Septum dritter Ord- Game Tent nung. - Zeiehnung 26. Wieder ein neues Septum dritter Ordnung zwischen 5 und c. Alle Septen erster Ordnung, sowie auch die 1* im Centrum mit einander verschmolzen. Zeichnung 27—28. Unwesentliche Veränderungen. Zeichnung 29. Zwischen e d ein neues Septum dritter Ord- nung. Zeichnung 30 (Fig. VII). Zwischen d e zwei Septen dritter - Ordnung angedeutet, eben so zwischen e f. — Durch die Zahlen sind die Septen der ersten Ordnung mit 1, die der zweiten mit 2, die der dritten mit 3 bezeichnet, in allen Sektoren, außer e d und ef, wo je ein Septum dritter Ordnung fehlt, sind die Septen vollständig. Zeichnung 30—38. Wenige Veränderungen, doch sind 2 neue _ Septen dritter Ordnung nach und nach deutlich geworden. Sämmt- liche 8 großen Septen sind im Centrum verschmolzen. Zeichnung 39 (Fig. VIII). Die drei ersten Cyklen . sind Morpholog. Jahrbuch. 15. 2 18 G. v. Koch vollzählig durch die relative Größe der Septen zweiter Ordnung, in den Sektoren 5 c und e f macht dieser Schnitt den Eindruck, als sei die Koralle zehnzählig. Bezeichnung wie Fig. VI. Zeichnung 40—46. An einzelnen Septen des ersten Cyklus sind Vorsprünge »Synaptieula« zu sehen, an anderen ergiebt sich aus der periodischen Verbreiterung und Verschiebung die wellen- förmige Biegung, die oben beschrieben wurde. In den Sektoren a b und a f zeigen sich Andeutungen von Septen vierter Ordnung. Zeichnung 47 (Fig. IX). Die Septen vierter Ordnung zwischen J a f sind ziemlich deutlich. Die Koralle macht den Eindruck, als sei sie regelmäßig achtzählig mit drei Cyklen. — Auf dem inneren Ring sind die wahren Bezeichnungen, auf dem äußeren die scheinbaren, zum Unterschied von ersteren durch ein * markirt, angegeben. Zeichnung 48—54. Die Septen vierter Ordnung in den Sektoren a 5 und a f er- reichen nach und nach die Länge wie die der dritten Ordnung in den übrigen Sektoren. Die Faltungen der Septen erster und zweiter Ordnung werden immer deutlicher. Zu bemerken ist, dass an den häufigen Verschmelzungen der Septen im centralen Theil fast ausschließlich die Septen zweiter Ordnung Theil nehmen, während die der ersten Ordnung in der Regel frei endigen. Zeichnung 47 der Serie. Zeichnung 55 (Fig. X). Diese ist die letzte von der beschriebenen Serie hier wiedergegebene Zeichnung. Sie wurde dess- halb gewählt, weil sie zwar schon ganz den achtzähligen Typus zeigt, aber doch noch die ursprünglich sechszählige Anord- nung durchscheinen lässt. Die Übersicht wird durch die beigefügten Zahlen er- leichtert, von denen die ohne Index die ersten drei wahren Cyklen, die mit einem * versehenen die ersten beiden scheinbaren Zeichnung 55 der Serie. Cyklen bezeichnen. Zeichnung 56—58. Bieten keine nennenswerthen Abwei- chungen. Auf den letzten Schliff der eben geschilderten Serie folgt das Le EEE ZU , — ee ee ee z Uber Caryophyllia rugosa Moseley. 19 Mittelstück (vergleiche das oben Gesagte), welches auf andere Weise untersucht wurde, und konnte desshalb die Querschnittserie nicht weiter geführt werden. Die obere Fläche dieses Mittelstückes (Fig. XI) schließt sich ziemlich genau an Fig. X an, die Übereinstimmung der Septen konnte durch in die Interseptalräume eingesteckte Steck- nadeln mit einiger Wahrscheinlichkeit so festgestellt werden, wie durch die der Abbildung beigeschriebenen Zahlen angedeutet ist. Orale Schnittfläche des im Text erwähnten Mittelstückes. p Pali. Danach ist dieser Schnitt ganz regelmäßig achtzählig, die 8 Septen erster Ordnung stehen mit den Pali in Verbindung, die 8 Septen der zweiten Ordnung sind frei, die 16 der dritten sind kürzer und dünner und endigen ebenfalls frei. — Zieht man die aus den Quer- schnitten sich ergebenden einzelnen Veränderungen des Skelets von unserem Exemplar zusammen, so erhält man für die Entwicklung des Septalapparates von Caryophyllia rugosa folgendes Resultat: Es sind zuerst 6 Septen erster Ordnung vorhanden, denen bald 6 zweiter Ordnung folgen. Beide sind voll- ständig regelmäßig angeordnet. (Zeichnung 1—12.) Mit dem Auftreten der Septen dritter Ordnung tritt eine Unregel- mäßigkeit ein, indem dieseinzwei neben einander liegen- den Sektoren (a 6, a f) eher auftreten als in den übrigen und zugleich die zwischen ihnen liegenden Septen zweiter Ordnung rascher wachsen als die gleichnamigen in den vier anderen Sektoren. Auf diese Weise entstehen nach 2* 20 G. v. Koch, Über Caryophyllia rugosa Moseley. und nach 8 größere Septen (6 erster und 2 zweiter Ord- nung) und 8 kleinere (4 zweiter und 4 dritter Ordnung (vgl. Fig. VI) und die Koralle bekommt den Anschein, als sei sie achtzählig. Nun wird zwar erst der dritte Cyklus vollständig und der Zahl der Septen nach die hexamerale Symmetrie wieder hergestellt, aber bald nachher treten in den genannten zwei Sektoren 8 Septen vierter Ord- nung auf. Die Gesammtzahl steigt dadurch auf 32 und, indem diese nicht weiter überschritten wird, auch die Septen sich der Größe nach in drei Cyklen zu 8, 8, 16 Septen ordnen und schließlich 8 Pali angelegt werden, tritt der oetomerale Typus ganz rein zu Tage. Wir haben also hier vor uns das interessante Beispiel einer im Alter vollständig regelmäßig achtzähligen Koralle, welche in ihrer Jugend sechszählig war. Es ist nun noch anzuführen, dass MoseLry versichert, bei einem zerschnittenen Exemplar von Caryophyllia rugosa an der Basis be- stimmt 8, nie 6 Septen gesehen zu haben. Ich würde nicht wagen, nach einem Bruch oder Schnitt eine solche Behauptung aufzustellen und glaube, auf die vorhin beschriebene Untersuchung gestüzt: MosELEY hat sich getäuscht. Darmstadt, den 10. December 1888. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. Von Wladimir Schewiakoff aus St. Petersburg. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Mit Tafel I—III. Veranlassung zu vorliegender Arbeit gab die von der philoso- _phischen Fakultät der Universität Heidelberg für das Jahr 1858 ge- stellte zoologische Preisfrage. Meine Untersuchungen erstrecken sich auf die Randkörper fol- gender Formen: Charybdea marsupialis Per. et Les., Aurelia aurita Lam., Cyanea capillata Esch., Rhizostoma pulmo Agass. und Pelagia noctiluca Per. et Les. Von diesen Formen habe ich in Folgendem nur den Bau der beiden ersteren beschrieben, da bei den übrigen keine besonders differenzirten Organe zur Licht- empfindung, d.h. Pigmentflecke, nachgewiesen werden konnten. Zwar behauptet Ermer! bei Rhizostoma pulmo Agass. (Cuvieri aut.) einen Pigmentfleck und bei Cyanea capillata Esch., wenn keinen besonderen Pigmentfleck, so doch einzelne Pigmentzellen gesehen zu haben; ich konnte mich aber an den Exemplaren, welche mir zu Ge- bote standen, davon nicht überzeugen. Es war mir leider unmöglich, lebende Exemplare zu untersuchen ; ‘ich musste mich mit konservirtem Material begnügen, welches mir durch die Freundlichkeit der Herren Prof. ©. Bürschuı, Prof. F. _Biocumann und C. HıLGER, sowie Dr. H. Deus, denen ich hier- mit meinen aufrichtigsten Dank ausspreche, zur Verfügung gestellt wurde. 3 ! Tu. Eimer, Die Medusen physiologisch und morphologisch auf ihr Ner- _ vensystem untersucht. Tübingen 1878. pag. 153 und 171. 22 Wladimir Schewiakoff Historisches. Es liegt durchaus nicht in meiner Absicht, auf eine nähere Schilderung der geschichtlichen Entwicklung unserer Kenntnisse über den Bau der Randkörper der Acalephen einzugehen; um so mehr, als dieselbe bereits von O. und R. HErTwıG! eingehend gegeben wurde, auf welches Werk daher zu verweisen ist. Ich beabsichtige nur, in aller Kürze die Schriften zu erwähnen, in welchen die von mir untersuchten Formen in Bezug auf ihren Randkörperbau, nament- lich während des letzten Decenniums, behandelt wurden. Ich thue dies hauptsächlich aus dem Grunde, um die Punkte hervorzuheben, in welchen meine Beobachtungen von den früheren abweichen. Die Randkörper der Charybdea wurden zuerst von GEGENBAUR* in seinen schönen und eingehenden Untersuchungen der Randkörper verschiedener Medusen beschrieben. Er erkannte vollkommen richtig. ihre allgemeine Gestalt und ihren Bau, sowie die Lage der beiden mit Linsen versehenen Augen. Ferner beobachtete er noch mehrere »des lichtbrechenden Körpers entbehrende Pigmentflecke« (pag. 244), erklärte aber ihre Gestalt und Lagerung für unbeständig. Der histologische Bau dieser höchst interessanten Charybdea- Augen wurde erst viel später von CLaus® untersucht. Er beschrieb im Allgemeinen vollkommen getreu die Anordnung und den feineren Bau sämmtlicher histologischen Elemente bis auf einige Details, auf welche ich bei der speciellen Beschreibung der Sinnesorgane einzu- gehen haben werde. Doch entging diesem genauen Beobachter der komplicirte und nicht uninteressante Bau des sogenannten Glas- körpers, sowie der in gewisser Hinsicht sehr wichtige Übergang der Retinazellen in Linsenzellen, wodurch die Auffassung über den Ur- sprung der Linse vollkommen geändert wird. Gleichfalls differiren unsere Auffassungen über die Funktion der im proximalen Endab- schnitt des Randkörperendes gelegenen Zellen. Fast zu vollkommen denselben Resultaten wie CLaus kam auch CARRIERE*, so dass er nur die Angaben des ersteren bestätigte. Der ! 0. und R. Herrwic, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Me- dusen. Leipzig 1878. 2 C. GEGENBAUR, Bemerkungen über die Randkörper der Medusen. MüÜr- LER’s Archiv für Anat. und Phys. 1856. pag. 241—244. 3 C. CLAUS, Untersuchungen über Charybdea marsupialis. 1878. (Sep-Abdr. a. d. Arb. d. zool. Inst. zu Wien. Heft 2.) 4 J. CARRIERE, Die Sehorgane der Thiere. München und Leipzig 1885. pag. 92—95. nn a Sei ee As ee ee Beitrige zur Kenntnis des Acalephenauges. 93 ganze Unterschied in seiner Beschreibung (pag. 94) besteht darin, dass er Pigmentkérnchen im vorderen Abschnitt der Sehzellen an- traf, die »Linsenkapsel« aber vermisste und das Centrum der Linse hohl fand, »von einem feinen Gerinnsel erfiillt«. In gewisser Beziehung nicht uninteressant sind Haacke’s! Unter- suchungen der Sinnesorgane der verwandten Charybdea Rastonii Haacke, über deren Entwicklung er einige Angaben macht. So besitzen die jungen Individuen dieser Art sechs Augen, die in Zahl, Lage und Bau vollkommen mit jenen der Char. marsupialis übereinstimmen. Bei erwachsenen Exemplaren fand Haacke nur die beiden mit Linsen versehenen Augen, so dass die vier Pigment- augen rückgebildet werden. Gleichzeitig soll der Glaskörper der Linsenaugen verschwinden und »zu Gunsten der wachsenden Linse resorbirt werden« (pag. 603), was ich jedoch für unwahrscheinlich halte. Der Bau der Randkörper von Aurelia aurita wurde nach EHRENBERG?, welcher den Pigmentfleck entdeckte, am eingehendsten von O. und R. Herrwic® geschildert. Sie beschrieben vollkommen richtig nicht nur die äußere Gestalt und Lage des Randkörpers, sondern auch seinen histologischen Bau. In ihrer schönen Arbeit wiesen sie nach, dass der auf der Umbrellarseite des Randkörpers gelegene Pigmentfleck oder Ocellus aus zweierlei Zellen aufgebaut wird, welche von der darunter liegenden Nervenschicht innervirt werden. Hierdurch wurde der Beweis geliefert, dass der Pigment- fleck als ein lichtpereipirender Apparat aufzufassen sei. ’ Craus* entdeckte bei Aurelia noch ein besonderes Sinnes- organ in der Grube, welche auf der umbrellaren Fläche der Deck- platte gelegen ist und deutete es als Riechorgan. Diesen drei Forschern entging aber das eigenthümlich gebaute Becherauge, welches stets dem Pigmentfleck gegenüber auf der sub- umbrellaren Fläche des Randkörpers sich befindet. ı W. Haacxe, Uber die Ontogenie der Cubomedusen. Zool. Anz. IX. Nr. 232. 1886. pag. 554—555 und Scyphomedusen des St. Vincent Golfes. Jenaische Zeitschr. f. Naturw. Bd. XX. 1887. pag. 596—597 und pag. 602—604. 2 0. G. EHRENBERG, Die Acalephen des rothen Meeres und die Organisa- tion der Medusen der Ostsee. Berlin 1836. 3 O0. und R. HERTWwIG, |. c. pag. 109—115. 4 0. CLAus, Studien über die Polypen und Quallen der Adria. Denkschr. der math.-naturw. Klasse der k. Akad. der Wissensch. Wien. Bd. XXXVIII 1877. 24 Wladimir Schewiakoff Dieses Auge wurde von Ermer! beobachtet und als »innerer Pig- mentfleck« beschrieben, jedoch sonderbarerweise von anderen For- schern später nicht berücksichtigt. Ermer erkannte vollkommen richtig seine Lage und sein äußeres Aussehen, sowie die nicht uninter- essante Thatsache, dass seine Pigmentzellen dem Entoderm ange- hören. Der feinere Bau wurde aber von Emer nicht genauer studirt und aus diesem Grunde deutete er es als einen Pigmentfleck, wogegen sein Bau, wie wir weiter sehen werden, bedeutend komplieirter ist und dem Typus der Becheraugen entspricht. Die Randkörper der übrigen von mir untersuchten Acalephen (Cyanea, Pelagia und Rhizostoma) wurden von AGAssız?, GE- GENBAUR?, CLaus!, O. und R. HErTwıG®, Emer®, HAECKEL? und Anderen beschrieben. Am eingehendsten die von Pelagia von GE- GENBAUR und O. und R. Herrwiıg. Alle diese Forscher (mit Aus- nahme von Ermer, s. pag. 21) fanden bei den erwähnten Formen gar keine zur Lichtempfindung dienenden Gebilde, was ich nach eigenen Untersuchungen bestätigen muss. Methode der Untersuchung. Das Material, an welchem ich meine Untersuchungen angestellt habe, war im Allgemeinen gut konservirt und eignete sich vortreff- lich zum Studium der histologischen Verhältnisse. Nach der bei- gefügten Angabe wurden folgende Konservirungsflüssigkeiten ange- wandt: Osmiumsäure, Pikrinsäure, Pikrinschwefelsäure, Sublimat und Chromessigosmiumsäure. Von den mannigfachen Färbungsmitteln, die versucht wurden, erwies sich am besten das DerArızrv’sche Himatoxylin. Ich gebrauchte stets sehr schwache wässrige Lösungen, in welche die Randkörper auf 24—48 Stunden eingelegt wurden. Die in Paraffin eingebetteten Objekte wurden in verschiedenen Richtungen in feine Schnittserien von 0,008—0,004 mm Dicke zer- legt. Zum Entfernen des Pigments gebrauchte ich auf Empfehlung 1 TH. Ermer, |. c. pag. 163—164. 2 L. AGassiz, Contributions to the natural history of the United States of America. Vol. III—IV. 1860—1862. 3 ©. GEGENBAUR, |. c. pag. 237—239. 4 C. Craus, Polypen und Quallen ete. 1. e. 50. und R. Hertwie, 1. c. 6 TH. Ermer, l. c. pag. 152—155 und 169—171. 7 E. HAECKEL, Das System der Medusen. I. Jena 1879. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 95 des Herrn Prof. ©. BürscHLıi gewöhnliches Chlorwasser, wel- ches mit etwa %, Wasser verdünnt wurde. Die Objekte wurden da- mit so lange behandelt, bis das Pigment völlig entfärbt war, was gewöhnlich bis zu 24 Stunden beanspruchte. Solche Präparate muss- ten sehr gut ausgewaschen werden, da sonst Färbungen schwer ge- langen. Zum genaueren Studium der nervösen Elemente wurde auf gütige Anweisung des Herrn Dr. K. Mays die GoLsT'sche Goldme- thode angewandt, welche ganz gute Dienste leistete. Das Verfahren bestand in Folgendem: Die Randkörper wurden auf eine halbe Stunde in !/;, Gige Arsensäure eingelegt und darauf in !/, Yiges Goldehloridkali auf 20—30 Minuten übergeführt. Nach ge- hörigem Auswaschen wurde das Objekt in 1 ige Arsensäure der Wirkung der Sonnenstrahlen bei einer Temperatur von 45° C. auf 3—4 Stunden ausgesetzt und dann in üblicher Weise zu Schnitt- „serien weiter bereitet. An solehen Präparaten wurden auch Färbungen - angestellt, wobei sich GRENACHER’s Alaunkarmin am besten be- währte, welches nur Kernfärbungen gab. Zum Studium der einzelnen histologischen Elemente sind auch Macerationen versucht worden, die bekanntlich an lange konservirten Objekten schwer gelingen. Ich folgte dabei im Allgemeinen der Herrwig’schen Methode. Die Randkörper wurden auf '/, Stunde in ein Gemisch von 0,2% Essigsäure und 0,05% Osmium- säure in Meerwasser gelegt, in 0,2%iger Essigsäure ausge- waschen und damit weiter 5—6 Tage behandelt. Darauf wurden sie mit BEALE’schem Karmin gefärbt, in einzelne Theile zerschnitten und auf dem Objektträger mit Präparirnadeln in Glycerin zerzupft. Ein nachheriges Klopfen mit dem Perkussionshammer auf das Deck- - glas ermöglichte eine bessere Trennung der histologischen Elemente. Nicht unvortbeilhaft erwies sich auch das Zerzupfen und Zer- klopfen von dünnen Schnitten in Kanadabalsam. I. Charybdea marsupialis Péron und Lesueur. 1. Allgemeine Gestalt und Bau des Randkörpers. Lage der Augen. Die Sinnesorgane der Charybdea finden sich (gleich denen der übrigen Acalephen) auf den in der Vierzahl vorhandenen Rand- oder Sinneskörpern (Fig. 1—4 R&A), welche im Grunde der sogenannten Sinnesnischen (SN) entspringen. Letztere liegen perradial unweit des Glockenrandes (Fig. 1—4 GR) und bilden 26 Wladimir Schewiakoff ziemlich tiefe, ovale bis herzförmige Gruben der umbrellaren Seiten- flächen der Glocke. Diese Gruben oder Sinnesnischen sind apical- wärts (in Bezug auf die Meduse) stark ausgehöhlt und werden an dieser Stelle von etwa dreieckigen, stark vorgewölbten Lamellen. den sogenannten Deckplatten (Fig. 1, 2 und 4 DP), welche die Fortsetzung der Schirmumbrella bilden, überdacht. Basalwärts fällt die Wand der Sinnesnischen ziemlich steil zur Glockenfläche ab und erscheint wulstartig aufgetrieben (Fig. 2 und 4). In der Mitte des Nischenbodens, also genau perradial, bemerkt man eine Furche, welche als Längsfurche (Fig. 1—2 Lf) weiter bis zum Glocken- rande verläuft. Zu beiden Seiten dieser Furche erheben sich zwei Längswülste der Umbrella (Fig. 1,2 und 4 LW), welche gleich- falls bis zum Glockenrande reichen und den Sinnesläppchen (Ephyralappen) anderer Acalephen entsprechen. Der Glocken- rand setzt sich in ein ziemlich breites Velum (Fig. 3 und 4 J’) fort, welches senkrecht zur randlichen Glockenfläche steht und an der Subumbrella (Fig. 4 SU) durch vier etwa dreieckige Septen (Fig. 3 und 4 Sp) oder Frenula (Cuaus) befestigt wird. Jedes Septum liegt einer der Längsfurchen direkt gegenüber und erscheint im Profil (Fig. 4) als eine keilförmige Platte, welche bis zur Sinnes- nische (SV) hinaufreicht. Längs der ganzen Platte bemerkt man einen Verwachsungsstreifen (Fig. 4 VS) der beiden Gefäßlamellen (umbrellare und subumbrellare), welcher sich somit zwischen der Längsfurche der Umbrella und dem Kiele des Septum der Subum- brella ausspannt und bis zum vordersten Ende der Sinnesnische reicht. Genau an dieser Stelle (Fig. 4), also wo die Glockenwand am dünnsten erscheint und Umbrella und Subumbrella eine innige Ver- wachsung mit einander bilden, entspringt der Randkörper (RA), wel- cher frei in der Sinnesnische (SV) hervorragt. An demselben (Fig. 5 und 6) lassen sich bekanntlich zwei Abschnitte unterscheiden: ein 0,6 mm langer basaler oder Stiel (S) und ein 0,8 mm langer und 0,6 mm breiter peripherer oder Sinneskolben (SA). Der erstere ent- springt apicalwärts im Grunde der Sinnesnische, verjüngt sich distal- wärts etwas kegelförmig und ist in eine seichte Vertiefung des Sinneskolben eingefügt. Letzterer ist länglich, kopfartig aufgetrieben und mit seiner Längsachse zum Stiele gewöhnlich schräg gestellt. Seine Gestalt ist ziemlich unregelmäßig, im Großen und Ganzen ellip- soidal mit einem hügelartigen Vorsprunge (Fig. 5 DO) an der Fläche (UF), welche gewöhnlich nach unten (subumbrellar) gewandt ist. Zur bequemeren Orientirung der einzelnen zu besprechenden Theile Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 97 wollen wir diese Fläche als untere (Fig. 5 UF), die ihr gegen- überliegende als obere Randkörperfläche (Fig 5 OF) und die beiden dazwischen liegenden als die entsprechend linke und rechte Seitenfläche (Fig. 6 ZF und RF) bezeichnen. Im peripheren Abschnitte des Randkörpers, d. h. im Sinnes- kolben, liegen die mannigfaltig gebauten Sinnesorgane folgender- maßen angeordnet. Das Distalende wird von einem mächtigen 0,36 mm langen, 0,24 mm breiten Otolithensacke (Fig. 5 und 6 Ot) eingenommen, welcher kopfartig nach außen vorspringt. Proxi- malwärts von ihm, genau in der Medianlinie der unteren (subum- brellaren) Fläche, liegen hinter einander zwei große, mit Linsen versehene Augen. Das eine derselben, näher zum Otolithen ge- legene — distale Linsenauge (Fig. 5 und 6 DO) ist bedeutend größer und über die Oberfläche des Sinneskolben stark vorgewölbt, wodurch auch die hügelartige Konfiguration der unteren Fläche her- vorgerufen wird. Das zweite — proximale Linsenauge (Fig. 5 und 6 PO) springt gleichfalls ziemlich stark nach außen vor und seine Linsenachse steht nahezu senkrecht zu der des ersteren. Bei- derseits des proximalen Linsenauges, also auf der rechten und linken Seitenfläche, liegen noch vier Augen. welche paarweise und voll- kommen symmetrisch angeordnet sind. Ihr Bau ist bedeutend ein- facher, da sie der Linse entbehren und als becherförmige nach außen offene Einstülpungen erscheinen. Das distale Paar — distale Be- cheraugen (Fig. 5 und 6 Do) — liegt in einer Ebene, die in der mittleren Entfernung zwischen den beiden Linsenaugen senkrecht zur Medianebene des Randkörpers steht. Diese Augen sind spaltförmig, langgestreckt und schräg distalwärts gerichtet. Das Paar der proxi- malen Becheraugen (Fig. 5 und 6 Po) liegt gleichfalls symme- trisch zu beiden Seiten des proximalen Linsenauges, aber diesem etwas näher. Diese Augen sind bedeutend kleiner und erscheinen in der Flächenansicht etwa nierenförmig. Außer den aufgezählten sechs Augen, welche bereits CLAus nnd CARRIERE beschrieben haben, fand ich an drei von zwölf untersuchten Randkörpern, die verschiedenen Exemplaren augehörten, noch ein Auge, dessen Lage aber sehr wechselnd war. In zwei Fällen lag es auf der rechten Seitenfläche proximalwärts vom proximalen Becherauge und näher zu ihm; ein Randkörper dagegen trug es auf seiner unteren Fläche genau in der Medianebene zwischen den beiden Linsenaugen. Es war stets äuberst klein, 0,04 mm und erschien als eine ganz seichte Einsenkung des Körperepithels (Fig. 9). 38 Wladimir Schewiakoff Nach außen wird der gesammte Randkörper von einem ein- schichtigen Ektoderm (Fig. 7 Ec) bekleidet. Dasselbe ist nicht überall gleich, sondern ändert seinen Charakter an verschiedenen Stellen. So sind sowohl die ganze Oberfläche des Otolithensackes wie die oberflächlichen Partien der beiden Linsenaugen von einem, aus äußerst flachen Zellen bestehenden, Plattenepithel überkleidet (Fig. 7 C und Pe). Von diesen Stellen aus verdiekt sich der Epi- thelüberzug allmählich ganz bedeutend und erreicht seine größte Dicke in der Hervorwélbung, welche sich auf der oberen Randkör- perfläche befindet und den beiden Linsenaugen direkt gegenüber steht (Fig. 7 Se). Dieser an gewissen Stellen des Randkörpers (Fig. 7 Se) verdickte ektodermale Epithelüberzug oder das Sinnesepithel setzt sich aus zweierlei Arten sehr langer und schmaler Zellen zusammen, welche als Stütz- und Sinneszellen zu bezeichnen wären. Die ersteren sind eng mit einander verbunden und bilden, wie man an Flächenschnitten sehen kann (Fig. 8 Stz), ein reticulires Netzwerk, in dessen Hohlräumen die Sinneszellen (Sr2) liegen, welche möglicherweise durch feine protoplasmatische Fortsätze mit den Stütz- zellen in Verbindung treten. Was die Gestalt dieser Zellen anbe- trifft, so sind die Stützzellen mehr oder weniger eylinderförmig (Fig. 9 und 22 Sz) und enthalten in ihrem peripheren Abschnitte einen Kern; centralwärts verschmälern sie sich allmählich und laufen meistens in einen feinen Fortsatz aus, der an manchen Stellen bis zur Stützla- melle zu verfolgen ist. Die Sinneszellen (Fig. 9 und 22 Sz) sind schmal spindelförmig und verjüngen sich nach beiden Enden in sehr dünne und lange Fortsätze. Der ovale Kern liegt in der spindel- förmigen Anschwellung, welche in verschiedener Höhe der Zellen auftritt und somit die ungleiche Länge der peripheren und centralen Fortsätze bedingt. Diese beiderlei Zellen liegen sehr dieht an ein- ander und rufen auf den ersten Blick den Anschein einer Mehr- schichtigkeit des Epithels hervor; jedoch fällt es nicht schwer, durch Vergleich der Längs- und Flächenschnitte sich vom wirklichen Sach- verhalt zu überzeugen. Die gegenseitige Zahl dieser zweifachen Zellen ist eine ziemlich wechselnde: an einigen Stellen überwiegen an Zahl die cylindrischen, an anderen die spindelförmigen Zellen. Letzteres ist namentlich an der Hervorwölbung der oberen Rand- körperfläche der Fall (Fig. 7). Nach Analogie mit den Randkör- pern anderer Acalephen ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Sinneszellen mit Cilien besetzt sind, eine Vermuthung, welche bereits Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 99 von CLAus! ausgesprochen wurde. Nach dem, was ich von Cilien- resten gesehen habe, glaube ich vermuthen zu diirfen, dass die Stiitzzellen mit vielen kleinen und kurzen Cilien besetzt sind, da- gegen die Sinneszellen ein stärkeres und längeres Sinneshaar tragen. Im Inneren des Randkörpers befindet sich eine unregelmäßig viereckige, 0,36 mm lange und 0,22 mm breite ampullenartige Höhle (Fig. 7), welche durch einen engen im Stiele verlaufenden Kanal (Gv) mit dem Gastrovascularraume kommunieirt. Ihre Wand wird von einem einschichtigen Flimmerepithel — Entoderm (En) ausgekleidet. Die Zellen dieses inneren Epithels sind lang, eylin- derförmig (0,03 mm lang) und enthalten in ihrer Mitte einen scharf begrenzten ellipsoidalen Kern mit einem deutlichen, stark tingir- baren Kernkörperchen. Das entodermale Flimmerepithel wird nach außen von einer sehr dünnen, 0,001 mm dicken, gallertartigen Stützlamelle (Fig. 7 St!) begrenzt. Dieselbe ist nichts weiter als die Fortsetzung der Schirmgallerte und lässt sich durch den Stiel, wo sie bedeutend dicker (0,01 mm) ist, verfolgen. Sie umkleidet nicht nur das En- toderm des ampullenartigen Hohlraumes, sondern umgiebt auch den Hohlraum des Otolithensackes, woselbst sie als eine äußerst dünne Lage unterhalb des ektodermalen Plattenepithels (Fig. 7 Pe) ver- läuft. Die Substanz dieser Lamelle erscheint größtentheils homogen und entbehrt, wie bereits CLaus? nachgewiesen hat, jeglicher Zellen- elemente; von Farbstoffen, namentlich von Hämatoxylin, wird sie stark tingirt. Die Stützlamelle, welche die obere und proximale Epithelwand des inneren Hohlraumes umkleidet, erscheint unbedeu- tend dicker (0,003 mm) und ist von zarten Fibrillen durchzogen. Diese Fibrillen wurden seiner Zeit von Craus? an anderen Stellen der Gallerte (unterbalb der Längsfurchen, welche zwischen den _ Kanten- und Seitenflächen des Charybdeakörpers verlaufen) gefunden und als Gebilde gedeutet, welche die Rigidität der Gallerte erhöhen. Außer dieser eigenthiimlichen Struktur sieht man noch von der der oberen Randkörperfläche zugekehrten Partie der Stützlamelle - mehrere gleichfalls fibrilläre, lamellenartige Fortsätze entspringen (Fig. 7 Gi, welche sich, mehrfach theilend, in sehr dünne, faden- förmige Fäserchen auslaufen. Diese Fortsätze stehen meist senkrecht zur Oberfläche der Stützlamelle, durchziehen die dicke Nervenfaser- schieht (Nf) und verbinden sich mit den zarten Fortsätzen der A OUAUS; “1c: pare. 30.0" ~2 EI pag./d8. EEE pag. 40. 30 Wladimir Schewiakoff Stützzellen des Sinnesepithels (Se). Bedeutend zahlreicher sind diese Fortsätze im proximalen Endabschnitte des Sinneskolben vorhanden (Fig. 7 G). In dieser Gegend bemerkt man außerdem noch einen ziemlich dicken (0,02 mm) gallertigen Stiel (G.S?), welcher bis zur Linse des proximalen Linsenauges reicht und derselben als Stütze dient. . Proximalwiirts von diesem Stiele entspringen ganze Bündel gallertige Fasern (G), welche sich nach verschiedenen Richtun- gen des Raumes mehrfach theilen und sogar unter einander ana- stomosiren. Auf diese Weise entsteht ein maschiges Wabengerüst (Fig. 7, 11 und 22 G) von gallertiger Stützsubstanz, dessen zarte Ausläufer sich wiederum mit den Fortsätzen der Stützlamellen des Sinnesepithels verbinden. Ja, man gewahrt sogar in diesen Netz- fasern einzelne langgestreckte Kerne (Fig. 22 »), welche zweifellos den Kernen der Stützzellen entsprechen und somit den Ursprung des Wabengerüstes und der Stützlamelle selbst erläutern. Dieses gallertige Gerüstwerk dient zweifellos zur Stütze des in der proximalen Randkörperregion mächtig entwickelten Nervenge- . webes und besonders der zarten Ganglienzellen (Gz.m), die daselbst in großer Zahl angehäuft sind. Bei einigen Exemplaren gewahrt man eine entsprechende gallertige Lamelle auch von der der unteren Randkörperfläche zugekehrten Stützlamelle entspringen (Fig. 7 G). Dieselbe liegt in der Medianebene des Randkörpers zwischen den beiden Linsenaugen und gabelt sich in mehrere dünne Ausläufer, welche gleichfalls mit den centralen Enden der Stützzellen in Ver- bindung stehen. Nach außen von der Stützlamellenschicht (den Otolithensack natür- lich ausgenommen), also zwischen derselben und dem ektodermalen Epithelüberzug, befindet sich eine mächtige Schicht von Nervenge- webe (Fig. 7 Nf), welche ihrem Volumen nach den größten Theil der Randkörpersubstanz bildet. Diese Nervenmasse umfasst allseitig die Sehorgane, welche in dieselbe wie in ein Polster eingesenkt er- scheinen. Auf den feineren Bau der Nervenschicht werde ich weiter unten eingehen. 2. Bau der einzelnen Augen. a. Proximale Becheraugen (Fig. 5, 6, 10 und 11 Po). Die zwei, auf den beiden Seitenflächen gelegenen proximalen Augen zeigen einen verhältnismäßig ziemlich einfachen Bau. Sie sind in die Körperoberfläche eingesenkt und besitzen die Gestalt , ae > “ 5 4 4 & : Beitriige zur Kenntnis des Acalephenauges. 31 eines kleinen, 0,08 mm tiefen Bechers (Fig. 10 Po), der nach außen offen und nach innen kolbenartig erweitert ist. Derselbe ist in der Längsrichtung des Randkörpers etwas komprimirt und an seiner distalen Wand schwach eingebuchtet, so dass sein Querschnitt etwa nierenförmig (Fig. 11 Po) erscheint. Der innere Hohlraum des Bechers, welcher nach außen sich halsförmig verengt, wird von einer Retinaschicht umgeben. Retina. Die Retina besteht aus radiär angeordneten Zellen, welche allmählich in die Epithelzellen des Ektoderms (Fig. 10) über- gehen. Entsprechend den letzteren lassen sich auch zweierlei Art Retinazellen unterscheiden, welche vollkommen dieselbe Anordnung und einen ähnlichen Bau wie die beschriebenen Sinnesepithelzellen besitzen. Die einen sind länglich, eylindrisch, mit gerade abgestutztem oder kegelartig erweitertem centralen (in Bezug auf den Augenbecher) und gewöhnlich ziemlich spitz auslaufendem peripheren Ende (Fig. 10 und 11 Pz). Die vorderen Abschnitte dieser Zellen sind mit gelb- braunem bis dunkelbraunem feinkörnigen Pigment erfüllt, welches sich bis über die Hälfte der Zellen erstreckt und öfters sogar den in der Mitte gelegenen Kern verdeckt. Jedoch sind nicht alle Zellen gleich- - mäßig pigmentirt, sondern die einen mehr, die anderen weniger; eine besonders starke Pigmentanhäufung zeigen die Retinazellen der _ distalen eingebuchteten Becherwandung (Fig. 10 und 11 DW). Alle diese Zellen wären wegen der beschriebenen Einlagerung als Pigmentzellen zu bezeichnen. Sie entsprechen den Stützzellen des Sinnesepithels und stehen gleichfalls unter einander in netzigem Zusammenhang. Zwischen den Pigmentzellen, d. h. in den Maschen des Netz- oder Wabenwerks sind die nach einem anderen Typus gebauten Zel- len (Fig. 10 und 11 Sz) eingelagert, welche als lichtpereipirende Elemente erscheinen und demnach als Sehzellen zu bezeichnen - wären. Sie sind bedeutend länger als die Pigmentzellen und besitzen eine spindelférmige Gestalt mit zwei schmalen, verschieden langen Ausläufern. Die spindelférmigen Anschwellungen der Sehzellen, welche einen ovalen Kern enthalten, lagern sich zwischen den kegelförmig aus- laufenden peripheren Fortsätzen der Pigmentzellen und füllen auf diese Weise die entstandenen Lücken aus. Mit ihren langen cen- tralen Enden schieben sie sich aber zwischen die Centraltheile der Pigmentzellen hinein und endigen auf gleicher Höhe mit denselben, 32 ' Wladimir Schewiakoff wobei sie öfters eine kegel- oder knopfartige Erweiterung zeigen. Von diesen Erweiterungen entspringen kleine geißelartige Fäden, welche in den Innenraum des Augenbechers hineinragen und von denen man an einigen Stellen ziemlich deutliche Reste gewahren kann. Der ganze periphere Abschnitt der Sehzellen scheint aus einem etwas dichteren (stärker lichtbrechenden) Protoplasma zu be- stehen und ist gleichfalls pigmentirt. Die Pigmentkörner liegen aber hier nicht im Inneren des stäbchenartigen Fortsatzes, sondern an seiner Peripherie, wie man sich leicht an Querschnitten überzeugen kann. (Vgl. den entsprechenden Querschnitt der Retina des distalen Linsenauges Fig. 19.) Die peripheren Fortsätze der Sehzellen sind bedeutend kürzer als die centralen und laufen in dünne Fasern aus, welche sich direkt in die Nervenfasern fortsetzen. Zuweilen sieht man sogar eine direkte Verbindung derselben mit den darunter liegenden centralen Fasern der Ganglienzellen (Fig. 10 und 11 Gz). Glaskörper. Der innere, etwa birnförmige Hohlraum des Au- genbechers wird von einer fein granulirten Masse, dem Glaskörper, ausgefüllt (Fig. 10 und 11 Gi), in welcher sehr kleine gelbe Pig- mentkörnchen anzutreffen sind. Diese Masse erfüllt aber an Präpa- raten nicht den ganzen Innenraum des Bechers, sondern ist ge- wöhnlich auf seine Mündungsregion beschränkt und verschließt pfropfartig die nach außen führende Öffnung (Fig. 10). Ich ver- muthe jedoch, dass diese einseitige Ansammlung des Glaskörpers kein . normales Verhältnis bildet, sondern durch die beim Konserviren statt- findende Gerinnung verursacht wurde. Es ist wohl sehr wahrschein- lich, dass der Glaskörper, im lebenden Zustande von zähflüssiger Konsistenz, den ganzen Hohlraum erfüllt, da man an mehreren Stel- len der Retinawand einzelne Reste desselben gewahrt, welche den Pigmentzellen fest anliegen. Daraus wäre aber wohl zu schließen, dass der Glaskörper von den Pigmentzellen abgesondert wird, was auch desshalb noch wahrscheinlicher wird, weil er an den Stellen, wo die Pigmentzellen zahlreicher sind (im oberen distalen Abschnitte des Bechers), sich massenhafter vorfindet. Demnach würde der beschriebene Glaskörper die Funktion eines Schutzgebildes der feinen cilienartigen Fortsätze der Sehzellen be- sitzen, welche in denselben hineinragen. Letztere sind äußerst zart und sehr schwer zu beobachten; von ihrem Vorhandensein überzeugt man sich jedoch am besten an Macerationspräparaten. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 33 b. Distale Becheraugen (Fig. 5, 6, 10 und 11 Do). Die beiden distalen Augen sind genau nach demselben Typus wie die proximalen gebaut. Sie erscheinen als 0,23 mm lange, 0,07 mm breite und 0,1 mm tiefe, langgestreckte taschenartige Ein- stiilpungen des Sinnesepithels mit schräg distalwärts gerichteter ‘ Längsachse (Fig. 5, 6 und 10 Do). Die der oberen Randkörper- - fläche zugewendete Kante des spaltförmigen Augenbechers (Breite 0,009 mm) ist in proximaler Richtung unbedeutend umgebogen. Die Umbiegung fehlt im oberflächlichen Theil des Augenbechers noch und wächst gegen den Bechergrund zu (Fig. 11 Do) allmählich _ stärker aus. Der ganze innere Hohlraum des Augenbechers wird - von Retinazellen ausgekleidet, welche vorn unmittelbar in das Sinnes- _ epithel übergehen (Fig. 10). Retina. Die Retinaschicht besitzt vollkommen denselben Bau wie bei den proximalen Augen. Sie wird gleichfalls aus zweierlei Zellen, nämlich Pigment- und Sehzellen (Fig 10 und 11 Pz und Sz) aufgebaut. Diese Zellen sind aber nicht über die ganze Becherwandung gleichmäßig vertheilt, ja es zeigen sogar einige Pigmentzellen eine Abweichung in der Form, welche Craus (I. ce.) nicht berücksichtigte. Die Zellenelemente, welche die distale Wand (Fig. 10 und 11 DW) bilden, entsprechen in Bau und gegen- seitiger Anordnung vollkommen denen der proximalen Augen. Der einzige Unterschied, welcher hervorzuheben wäre, ist eine geringere Pigmentirung der Pigmentzellen und bisweilen ein Fehlen der- _ selben in den Sehzellen. Um so stärker ist aber die Pigment- _ ansammlung in den Pigmentzellen der proximalen Wand (PW). _ Dieselben zeigen auch eine abnorme Gestalt, in so fern ihr centrales Ende stark kolben- oder birnförmig aufgetrieben erscheint. Peri- - pherisch verjüngen sich die Zellen unbedeutend, um weiter eine - spindelförmige Anschwellung zu bilden, die den Kern enthält, und - in einen spitzen peripheren Faden ausläuft. | Diese Zellen sind am stärksten in dem der oberen Randkörperfläche - näher gelegenen Ende des Augenbechers ausgebildet, wo das Lumen des inneren Hohlraumes am engsten ist, und gehen in der Richtung zur unteren Randkörperfläche allmählich in die gewöhnlichen Pig- _ mentzellen über. An dieser Stelle (Fig. 11) sind die Sehzellen am spär- - liehsten vorhanden, ja scheinen sogar bisweilen vollkommen zu fehlen. Dafür wird aber die am oberen Ende der Einstülpung proximalwärts Morpholog. Jahrbuch. 15. 3 : 34 Wladimir Schewiakoff einspringende Ausbuchtung ausschließlich von Sehzellen erfüllt, die — des Pigments vollkommen entbehren, so dass diese Stelle pigment- los erscheint (Fig. 11 bei Sz). Im Umkreise dieser Ausbuchtung finden wir auch die größte Ansammlung der Ganglienzellen (Fig. 11 Gz). Glaskörper. Alles, was wir über den Glaskörper bei den proximalen Becheraugen gesagt haben, bezieht sich auch auf die distalen. Die größte Menge Glaskörper finden wir ebenfalls in der Mündungsregion (Fig. 10 G/); in der Tiefe dagegen nur einzelne Par- tien desselben, welche der gesammten Retinawand fest anhaften und besonders deutlich an der proximalen Wand zu sehen sind. An einigen Präparaten erscheint hier (Fig. 11 PW) der Glaskörper so- gar in Gestalt von kleinen, halbkugeligen, stark pigmentirten Kap- pen, welche die Pigmentzellen überdecken. Dagegen findet man keine Spur von Glaskörperresten in der proximalwärts einspringenden Umbiegung, dagegen einzelne, ziem- lich deutliche, eilienartige Fortsätze (Fig. 11), welehe von den cen- tralen Enden der Sehzellen entspringen. Dieses Verhältnis bestätigt wiederum die weiter oben ausgesprochene Vermuthung, dass der Glaskörper ein Abscheidungsprodukt der Pigmentzellen ist. ec. Grubenartiges Auge (Fig. 9). Diese äußerst kleinen, 0,04 mm im Durchmesser fassenden Augen kommen, wie oben bemerkt wurde, ziemlich selten vor. Ihr Bau erläutert gewissermaßen die Entstehungsweise der eingesenkten Becheraugen. Es handelt sich um grubenartige Vertiefungen des Sinnesepithels, in welchen man wiederum zweierlei Zellformen ge- wahrt (Fig. 9 Pz und Sz). Dieselben unterscheiden sich von den Sinnesepithelzellen des Randkörpers nur dadurch, dass die eylinderförmigen Stützzellen (Stz) pigmentirt erscheinen. d. Distales Linsenauge (Fig. 5—7, 12—14 und 16—20). Dieses Auge besitzt im großen Ganzen die Gestalt eines abge- platteten Rotationsellipsoids (Fig. 7) mit einer Längsachse (= Augen- achse) von 0,03 mm und einer 0,4 mm langer Querachse. Die äußere (periphere) Region der nach außen vollkommen abgeschlossenen Augenblase ist konvex über die Randkörperoberfläche vorgewölbt, wogegen die innere Folregion etwas abgeflacht erscheint. — An dem Auge lassen sich folgende Theile unterscheiden: Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 35 1) Cornea. Die über die Oberfläche konvex vorspringende Au- genpartie wird nach außen durch ein flaches Plattenepithel (Fig. 7 und 12 C) begrenzt. Diese sogenannte Cornea bildet die unmittel- bare Fortsetzung des Körperepithels und besteht aus einer Schicht äußerst niederer (0,001 mm), aber breiter (0,006 mm) Zellen. Sie sind glashell, anscheinend strukturlos und enthalten einen mit Hä- matoxylin stark tingirbaren Kern, welcher fast das ganze Zelllumen -ausfiillt. Diese Zellenschicht erstreckt sich nur auf die konvexe Hervorwölbung, welche durch die darunter liegende Linse verur- sacht wird und besitzt eine gleichmäßige Dicke. Im Umkreise dieser Region nimmt sie allmählich an Dicke zu und geht in das Körper- epithel (Sinnesepithel) über, welches aus zweierlei Zellen aufgebaut wird. 2) Linse. Dicht unterhalb der Cornea, durch keine Zwischen- schicht getrennt, befindet sich die Augenlinse (Fig. 7 Z). Sie ist meist kugelig (Durchmesser 0,22 mm) oder ellipsoidal und dann in der Richtung der Augenachse oder senkrecht zu derselben unbedeu- tend gestreckt, so dass die Differenz beider Achsen etwa 0,018 mm beträgt. An ihren beiden Polen ist die Linse ungleichmäßig gewölbt und zwar am äußeren schwächer als am inneren. Die Linse ist ein deutlich zelliges Gebilde, an dem man zwei Schichten von Zellen unterscheiden kann: eine schmale periphere und eine centrale. Die Zellen der peripheren Schicht sind kolben- förmig und an einem Ende in spitz auslaufende, sehr stark licht- brechende Fäden ausgezogen (Fig. 7 und 12 Zz). Die kolbenartig aufgetriebenen Enden der Zellen, welche stets einen scharf umschrie- benen rundlichen Kern enthalten, legen sich an die Oberfläche der Linse an und entsenden ihre dicht an einander verlaufenden Fort- sätze zum äußeren Pole, wo die sich entgegenkommenden höchst wahrscheinlich zwischen einander greifen. Die feinen Fortsätze sind zu dünn und zu dicht an einander gedrängt, als dass man ihr gegen- seitiges Verhalten ermitteln könnte. Die Zellen der centralen Schicht (Fig. 7) sind verhältnismäßig groß, eylindrisch und in der Richtung der Augenachse langgestreckt. Die in der Mitte der Linse gelegenen sind vollkommen eylindrisch, die der Peripherie genäherten dagegen mehr oder weniger bogen- förmig, mit ihren beiden Enden der Achse zugeneigt. Auf diese Weise erscheint der Centraltheil der Linse bis auf den innersten Theil aus koncentrisch über einander greifenden Zellen aufgebaut. Das Protoplasma dieser Zellen ist feinkörnig granulirt und = 36 Wladimir Schewiakoff ziemlich stark lichtbrechend. In einigen Zellen gewahrt man auch einen kleinen, rundlichen, ziemlich schwer tingirbaren Kern. Der zellige Bau der Linse wurde bereits von CLaus! erkannt, jedoch die Anordnung der Zellen nicht vollkommen ermittelt. Car- RIERE? bemerkte nichts von den Zellen der centralen Schicht und beschrieb das Centrum der Linse als »hohl, von einem feinen Ge- rinnsel erfüllt. 3) Retina. Die etwa napfförmig gestaltete, innen mehr oder weniger abgeflachte und nach außen zu sich verengende Augenblase wird von einer Retinaschicht (Fig. 7 AR) ausgekleidet. Letztere reicht bis zur Cornea, umfasst also die Linse hinten und seitlich, so dass dieselbe in der Retina wie eingebettet liegt und nur mit ihrem äußersten, konvex vorgewölbten Pole aus dem Retinabecher hervor- schaut. In Wirklichkeit ist aber die Linse in den Retinanapf nicht nur einfach eingesenkt, wie es CrAus und ÜARRIERE beschrieben haben, sondern bildet, wie wir noch sehen werden, die äußere um- gewandelte Wand der ursprünglichen Augenblase. Die Retina ist einschichtig und wird aus radiär angeordneten Zellen zusammengesetzt. Dieselben sind im Augengrunde am läng- sten, nämlich bis 0,025 mm, verkürzen sich allmählich gegen die Cornea und gehen schließlich in die Linsenzellen über (Fig. 12). Der größte Theil der Retinaschicht, mit Ausnahme ihres äußersten cornealen Abschnittes, besteht, wie bei den Becheraugen, aus zweierlei Zellformen: cylindrischen bis kegelförmigen Pigmentzellen (Fig. 12 und 13 Pz und Fig. 14) und spindelförmigen Sehzellen (Fig. 12 und 13 Sz und Fig. 16 a—c). Die gegenseitige Anordnung dieser beiden Arten von Retinazellen entspricht vollkommen jener der Sinnesepithelzellen und lässt sich am besten an Querschnitten der Retina erkennen. Führt man einen Schnitt durch die obere (centrale in Bezug auf den Augenmittelpunkt) Region der Retina (etwa in der Höhe z, y, der Fig. 13), so gewahrt man ein protoplasmatisches, stark pigmentirtes Maschenwerk (Fig. 19), in dessen Knotenpunkten die dunklen Pigmentzellen (Pz), in dessen Maschen aber die Durchschnitte der centralen Enden der Sehzellen (Sz) liegen. In tiefer geführten (etwa in der Höhe z, y, der Fig. 13) Schnitten (Fig. 20), wo die spindelförmigen Anschwellungen der Seh- zellen (Sz) und die peripheren Fortsätze der Pigmentzellen (Pz) ge- troffen sind, erblickt man das gleiche Verhältnis. 11. '¢.. pag. 37. 2]. ce. pag. 94. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 37 Die Gestalt der Retinazellen ist ungemein variabel und ‚wäre durch die Wachsthumsverhältnisse, welche durch ihre gegenseitige Lage bedingt werden, zu erklären. Namentlich sind es die Pig- mentzellen, welche in ihrer Gestalt sehr differiren, wie man aus Fig. 14 a—e ersehen kann. Im Allgemeinen sind sie kegelförmig mit erweitertem, gerade abgestutztem oder abgerundetem centralen Ende (c) und spitz auslaufendem peripheren Ende (p). Zuweilen zeigen sie in ihrer Mitte eine spindelförmige Anschwellung an der Einlagerungsstelle des Kernes (x) und erscheinen dann flaschenförmig (Fig. 14 d und c). Sie werden fast in ihrer ganzen Länge von fein- körnigem Pigment erfüllt, dessen Ansammlung im centralen Drittel am stärksten ist, wesshalb dieses dunkelbraun erscheint. Die dazwischen liegenden 0,04 mm langen spindelförmigen Seh- zellen (Fig. 16 a—c) sind meist an ihrem centralen Ende (c) knopf- artig erweitert und setzen sich in ein langes, stark lichtbrechen- des, fadenartiges Gebilde (S¢) fort, welches bis zur Linse reicht (Fig. 12 und 13). Das centrale dünne Ende der Sehzellen ist, wie bereits CARRIERE! gefunden hat, pigmentirt. Das Pigment durch- setzt aber nicht das ganze Protoplasma des centralen Zellenab- schnittes, sondern ist auf seine Oberfläche beschränkt (Fig. 19 Sz), so dass der innere, axiale, stark lichtbrechende Theil vollkommen frei von demselben ist. Auch ist das Pigment in Gestalt von äußerst kleinen Körnchen in der unterhalb der Retinaschicht gelegenen Ner- venfaserschicht vorhanden (Fig. 7, 12 und 13 P). Die Sehzellen sind am längsten im Grunde der Retina; an der Seitenwand des _ Augenbechers werden sie kürzer (Fig. 7) und in seiner äußeren Re- gion sogar spärlicher an Zahl, bis sie am äußersten Ende derselben vollkommen schwinden (Fig. 12). Dieser äußerste Rand des Retina- bechers besteht ausschließlich aus eigenthümlich gebauten Pigment- zellen (Fig. 7 Ir, Fig. 12 Irz) und wurde bereits von OLAus? und ' später von CARRIERE? mit einer Iris verglichen. Ihrer Gestalt nach ähneln diese Zellen sehr den Pigmentzellen, welche im oberen _ Ende der proximalen Retinawand der proximalen Becheraugen an- - zutreffen sind. Sie sind spindelförmig (Fig. 12 Irz und Fig. 14 e) mit spitz auslaufendem oder zuweilen etwas erweiterten peripheren und sehr mächtigem birnförmig angeschwollenen centralen Ende, welches sehr stark pigmentirt ist. Diese Iriszellen, wenn man sie so nennen darf, stoßen auf den 1], ¢. pag. 9. 2 ]..e, pag. 37. 3]. c. pag. 9. 38 ° Wladimir Schewiakoff Rand des äußersten Abschnittes der Linse (Fig. 12), welche in diesem Parallelkreis schwach eingeschnürt erscheint, und gehen allmählich in Linsenzellen über. Der Übergang vollzieht sich, indem das Pigment vollkommen schwindet und der annähernd in der Mitte der Zelle gelegene Kern sich allmählich in den centralen Abschnitt der Zelle verschiebt. Hand in Hand mit dieser Verlagerung des Kerns wird auch die mittlere, den Kern führende, spindelförmige Anschwellung ausgeglichen und wir bekommen Zellen mit kolbig angeschwollenem, den Kern enthaltenden, centralen und faserförmig ausgezogenen, pe- ripheren Ende, d. h. typische Linsenzellen (Fig. 12 Lz), wie sie die periphere Schicht der Linse bilden. Dieser kontinuirliche Übergang der Retinazellen in Linsenzellen führt uns aber zum Schlusse, dass das distale Linsenauge eine voll- kommen abgeschlossene Blase ist, deren äußere Wandregion sich zu einer kugeligen Linse, die übrige aber zu einer napfförmigen Retina differenzirte. Diese für die Morphologie jenes Auges grund- legende Thatsache erkannte zuerst Prof. BürschLı bei der Durch- sicht meiner Präparate. 4) Sogenannter Glaskörper. Zwischen Retina und Linse be- findet sich eine glashelle, anscheinend strukturlose Substanz, der sogenannte Glaskörper, welcher den Innenraum der Augenblase voll- kommen ausfiillt. An demselben lassen sich zwei verschieden stark tingirbare Schichten unterscheiden, die jedoch nicht bei allen unter- suchten Randkörpern mit Deutlichkeit wahrzunehmen sind. Die eine Schicht (Fig. 7, 12 und 13 A.G/) ist ziemlich dünn, 0,007 mm dick, hyalin und umgiebt die ganze in die Augenblase eingesenkte Oberfläche der Linse. Von CLaus'! wurde sie als »Lin- senkapsel« beschrieben, von CARRIERE? dagegen vermisst. Sie ist wohl zweifellos ein Abscheidungsprodukt der Linsenzellen, denen sie auch fest anliegt. Weit interessanter und komplieirter ist der Bau der anderen, bedeutend dickeren Schicht (Fig. 7, 12 und 13 GJ), welche im Längs- schnitt der Augenblase halbmondförmig oder C-förmig erscheint (Fig. 7 Gl). Sie liegt der Retina unmittelbar an, reicht aber nicht bis an das äußerste Ende derselben, sondern erstreckt sich bloß bis zum Beginn der Iriszellen (Fig. 12 Zr). Von dieser Stelle ab wird die Lücke zwischen Retina und Linse von der ersterwähnten, hya- linen Schicht ausgefüllt. Diese zweite, von CLaus? als »mit zahl- 112,6. pag. 97. 2]. ce.‘ pag. 9. 8 |e.) pag. Sie Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 39 reichen Tröpfehen erfüllte Substanz«, von CARRIERE! als »blasige Gallertmasse« beschriebene Schicht erscheint vollkommen homogen, - ziemlich stark lichtbrechend und ist zweifellos ein Absonderungs- { produkt der darunter gelegenen Pigmentzellen. Ihre ganze Masse wird von radiär verlaufenden, gegen die Linse zu kegelförmig zu- gespitzten Röhren (Fig. 7, 12 und 13) durchzogen, in welchen die sehr stark lichtbrechenden fadenartigen Fortsätze der Sehzellen (S7?), welche mit Stäbchen zu homologisiren wären, eingelagert sind. Diese Fortsätze, welche den knopfartig angeschwollenen cen- tralen Enden der Sehzellen aufsitzen (Fig. 12, 13 und 15 a—e) oder vielmehr eine direkte Fortsetzung derselben bilden, durchsetzen zum - Theil in schiefen Zügen die ganze Glaskörperschicht sowohl wie die hyaline, der Linse anliegende Schicht und reichen bis zur Peripherie der Linse, wo sie meistens zwischen zwei Linsenzellen endigen (Fig. 12 und 13). Die axialen, d. h. in der Nähe der Augenachse gelege- nen, fadenartigen Fortsätze scheinen an der Grenze der beiden Glas- körperschichten sich zu gabeln oder anastomosiren sogar mit den _ benachbarten Fortsätzen. Im retinalen Abschnitte des Glaskörpers, zwischen den ihn durchziehenden hohlen Röhren, findet man noch _ Ansammlungen von Pigmentkörnchen (Fig. 7 und Fig. 12—13 Ph), welche den centralen Enden der Pigmentzellen kegelförmig aufsitzen und etwa bis zur halben Höhe der Glaskörperschicht reichen. Der beschriebene Bau des Glaskörpers lässt sich ganz gut an medianen Längsschnitten erkennen; jedoch fällt es ziemlich schwer, das Verhältnis der fadenartigen Fortsätze zu den Pigmentkegeln fest- zustellen. Am geeignetsten erweist sich aber zu diesem Zwecke das Studium von Quer- oder vielmehr Flächenschnitten. Auf den- selben (Fig. 18) erscheint der Glaskörper als eine homogene, an- - scheinend strukturlose Masse (G/), die von rundlichen oder polygonalen Öffnungen gitterartig durchbrochen ist. Diese Öffnungen (Querschnitte ‘der hohlen Röhren) sind von größeren oder kleineren Partien von _ Pigmentkörnehen (Querschnitte der Pigmentkegel PA) umgeben und _ enthalten in ihrer Mitte ebenfalls rundliche oder polygonale Quer- schnitte (St) der fadenartigen Fortsätze. Letztere erscheinen bedeu- tend stärker lichtbrechend als die sie umgebende Glaskörpersubstanz und werden von Hämatoxylin schwach tingirt. tl.c. pag. 94. 40 Wladimir Schewiakoff e. Proximales Linsenauge (Fig. 5, 6 PO, Fig. 7, 15, 16 d—e und 21). Sein Bau ist im Allgemeinen der des distalen Linsenauges. Der hauptsächlichste Unterschied liegt darin, dass nicht die äußere, son- dern die seitliche und zwar proximale Wand der vollkommen ab- geschlossenen Augenblase (Fig. 7) sich zur Linse differenzirte. Da- zu gesellt sich, dass die Augenblase nicht frei in der Nervenmasse eingebettet liegt, sondern von einem besonderen Stiele (Fig. 7 G.Sé), welcher einen Fortsatz der Stützlamelle bildet, getragen wird. Das unbedeutend konvex über die Randkörperfläche vorsprin- gende Auge besitzt eine mehr oder weniger kugelige oder zuweilen etwas eckige Gestalt von 0,22 mm im Durchmesser. Es wird aus denselben Theilen wie das distale Auge zusammengesetzt, so dass ich die Beschreibung ziemlich kurz fassen kann und nur die Punkte erwähnen werde, in denen sein Bau von dem des erst beschriebenen differirt. 1) Cornea. Die äußere Begrenzung der abgeschlossenen Augen- blase bildet ein durchsichtiges und niederes (0,001 mm) Plattenepi- thel (Fig. 7 C) — die Cornea, welche allmählich in das Körperepi- thel übergeht. 2) Linse. Die Linse besitzt die Gestalt eines gestreckten Ro- tationsellipsoids, dessen große Achse 0,19 mm, die beiden kleinen dagegen 0,13 mm betragen. Mit ihrer großen Achse steht sie senk- recht zur Medianebene des Randkörpers (Fig. 6 P.O), so dass die eine der kleinen Achsen die Augenachse bildet. Ihrem Bau nach bildet die Linse die proximale Wand der Augenblase und besteht aus deutlichen, stark lichtbrechenden Zellen (Fig. 7 ZL), welche ebenfalls in zwei Schichten gesondert sind: in eine oberfläch- liche, die aus langen, spindelförmigen, meridional verlaufenden Zellen besteht und eine centrale Schicht, die von bedeutend dicke- ° ren bogenförmigen, ähnlich verlaufenden Zellen zusammengesetzt wird. In beiderlei Zellen werden Kerne mit Deutlichkeit wahrge- nommen. Die Linse wird innen von einer knopfartig erweiterten, cylindrischen, 0,1 mm langen und 0,02 mm dicken Stütze (Fig. 7 G.St) getragen. Dieselbe bildet die Fortsetzung der Stiitzlameile und ist innerlich von langen Entodermzellen ausgefüllt. An der Peripherie der Linse angelangt, zerfasert sie sich in mehrere dünne, lamellenartige oder fadenförmige Fortsätze (Fig. 7 G). Letztere schieben sich zwischen die spindelförmigen Zellen der peripheren Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 41 Linsenschicht ein und verleihen der Linse wahrscheinlich eine größere Festigkeit. 3) Retina. Die distale Wand der Augenblase wird von einer einschichtigen Retina (Fig. 7 2) ausgekleidet, so dass dieselbe auf medianen Längsschnitten etwa halbmondförmig erscheint. Sie wird wiederum aus zweierlei Zellen zusammengesetzt: Pigmentzellen (Fig 15 a—e) und Sehzellen (Fig. 16 d—e). Ihre Gestalt und gegenseitige Anordnung sind im Allgemeinen so, wie sie beim di- stalen Linsenauge beschrieben wurden. Da wo die Retina an die Linse tritt, d. h. wo die Retinazellen in Linsenzellen allmählich über- gehen, findet eine gewisse Abweichung in der Anordnung ihrer Zel- len statt, in so fern hier nur eine Zellenart vorkommt. So besteht der äußere Abschnitt der Augenblase nur aus Pig- mentzellen (Fig. 15a—), die an ihrem centralen (c) Ende (in Bezug auf den Augenmittelpunkt) birnförmig angeschwollen und sehr stark pigmentirt sind und die demnach den sogenannten Iriszellen ent- sprechen. Der ‘innerste Abschnitt der Augenblase (Fig. 7) wird dagegen nur von Sehzellen gebildet, welche in der Nähe der Stelle, wo sie in Linsenzellen übergehen, vollkommen pigmentlos (Fig. 16 e) er- scheinen. An dieser Stelle wird die Retina von dem gallertigen Stiele (Fig. 7 @.St) durchbrochen, welcher in der beschriebenen Weise an die Linse tritt. _ 4) Glaskörper. Zwischen der distalen Partie der Retina und der Linse befindet sich der sogenannte Glaskörper (Fig. 7 Gd), wel- cher jedoch nicht den ganzen inneren Hohlraum der Augenblase ausfiillt. Er findet sich nur in der Strecke, wo die beiderlei Zellen vorhanden sind, so dass die äußerste und innerste Wand der Au- genblase keinen Glaskörper tragen. Er bildet eine glashelle, stark - liehtbreehende homogene Masse und wird von feinen Röhren durch- zogen (Fig. 21), welche bogenförmig nach dem äußeren Ende der Augenblase konvergiren. An dieser Stelle treten auch die in den _ Röhren verlaufenden fadenartigen Fortsätze der Sehzellen an die Linse heran. Die cilienartigen kurzen Fortsätze der Sehzellen, welche den innersten Abschnitt der Retina bilden (Fig. 7), werden nicht vom Glaskörper umgeben, sondern endigen frei im Innenraum der Augenblase. Die Pigmentirung des Glaskörpers ist ebenfalls eine etwas an- dere als beim distalen Auge. So erscheint die centrale, der Retina- ‚schicht anliegende Wand des Glaskörpers vollkommen pigmentlos ; 42 Wladimir Schewiakoff dafür findet sich aber eine Pigmentansammlung in seiner peripheren Wand, die in Gestalt von kleinen gelbbraunen Körnchen (Fig. 7 P) in der ganzen Masse ziemlich gleichmäßig vertheilt sind. Eine besondere, die Peripherie der Linse unmittelbar umgebende, hyaline Schieht scheint zu fehlen. Ich vermuthe, dass ihre Funktion durch die gallertigen mesodermalen Fortsätze, die zwischen den pe- ripheren Linsenzellen verlaufen, ersetzt wird. 3. Nervengewebe. Entsprechend den komplieirten Verhältnissen, welche der Bau der Augen, namentlich der Linsenaugen, zeigt, besitzt auch das Nerven- system der Charybdea einen hohen Grad der Entwicklung. Das Nervengewebe bildet eigentlich die Grundsubstanz des Randkörpers und erfüllt seine innere Partie, welche durch die Stützlamelle und die ektodermale Epithelschicht begrenzt wird (Fig. 7, 10 und 11 Nf). In Folge seines histologischen Baues und der damit zusammenhän- genden Funktion wäre man berechtigt, an ihm sogar zwei Abschnitte zu unterscheiden, die als peripheres und centrales Nerven- system zu bezeichnen wären. Der periphere Abschnitt erstreckt sich auf den ganzen Rand- körper mit Ausnahme seines distalen und proximalen Endes, von welchen ersteres vom Otolithensacke und letzteres von dem sogenann- ten centralen Nervensysteme eingenommen werden. Das Nervengewebe des ersteren Abschnittes umfasst allseitig die sämmtlichen 6—7 Augen, so dass letztere in dasselbe wie in ein Polster eingesenkt erscheinen. Der Hauptmasse nach wird es von äußerst feinen, sich verästelnden und unter einander anastomo- sirenden Fibrillen gebildet ‘Fig. 11 Nfb), in welche zahlreiche Gan- glienzellen (Gz) eingelagert sind. Diese Nervenschicht wird von dünnen Fädchen durchzogen, welche transversal zwischen dem Körper- epithel und der Stützlamelle verlaufen (Fig. 7, 10 und 11 Sf). Diese Fädchen sind lediglich Fortsätze der Stützzellen des Sinnesepithels, welche bis zur Stützlamelle reichen und mit derselben in Verbin- dung treten. Besonders deutlich ist dieses Verhältnis am proximalen Ende des Randkörpers, unweit der Insertionsstelle des Stieles (Fig. 7) zu sehen, wo die Fädchen bedeutend dicker sind. Auch glaube ich gesehen zu haben, dass die peripheren Fortsätze der Pigmentzellen der Retina gleichfalls in solche Fädcehen: auslaufen. Diese Fädchen, welche mit den Ausläufern der Sehzellen oder Ganglienzellen nicht Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 43 zu verwechseln sind, wären als Stützfasern zu bezeichnen. Sie _ unterscheiden sich von den nervösen Fädchen erstens durch ihr op- _ tisches Verhalten, welches an das der Stützlamelle erinnert und _ zweitens dadurch, dass sie von Gold nicht, dagegen von den ge- wohnlichen Färbungsmitteln, wie Hämatoxylin, Boraxkarmin, stärker als die nervösen Elemente tingirt werden. Die in der Nervenschicht eingelagerten Ganglienzellen sind sehr zahlreich an der Stelle, wo die Nervenmasse an die Retina heran- tritt (Fig. 7, 10 und 11 Gz) und stehen radiär zur Oberfläche der eingestülpten Augenblase. Sie sind spindelförmig, an jedem Ende in einen feinen Ausläufer ausgezogen (Fig. 17 a). Der centrale Fortsatz der Ganglienzellen verbindet sich direkt mit dem peri- pheren Ende der Sehzellen, wogegen ihr peripherer Fortsatz in die Nervenschicht ausläuft. Zuerst als ein ziemlich stark lichtbrechen- der Faden sichtbar, mengt er sich im Verlauf den Nervenfibrillen bei und kann dann nicht weiter verfolgt werden. Diese Ganglien- zellen wären nach Bau und Lage als bipolare Retinaganglien- zellen zu bezeichnen, zum Unterschied von den tiefer in der peri- pheren Nervenschicht gelegenen — multipolaren Retinaganglien- zellen (Fig. 17 6). Letztere verlaufen stets etwa senkrecht zur "Richtung der ersteren (Fig. 7, 10 und 11) und sind am schönsten im Umkreise des distalen Linsenauges ausgebildet. Sie sind in bedeutend geringerer Zahl vorhanden und liegen meist unweit der Stützlamelle in der äußeren Nervenfaserschicht eingebettet, in welche sie zahlreiche feine Fortsätze entsenden. Eine direkte Verbindung dieser mit den peripheren Fortsätzen der bipolaren Ganglienzellen konnte jedoch wegen ihrer Feinheit nicht nachgewiesen werden. Außer den Ganglienzellen finden sich in der Nervenfaserschicht noch äußerst kleine gelbe Pigmentkörnchen (Fig. 7 P) eingelagert, die stets in der Nähe der Retina anzutreffen sind. Das sogenannte centrale Nervensystem beschränkt sich auf das proximale Randkörperende (Fig. 7), welches gegen die untere ‚Randkörperfläche bauchartig aufgetrieben ist. Es wird aus verschie- den großen (circa 0,008 mm bis 0,01 mm im Durchmesser) nackten Ganglienzellen gebildet (Fig. 7, 11 und 22 Gz.m), die in den Ma- schen des oben beschriebenen, aus Stützlamellensubstanz bestehenden Wabengerüstes (Fig. 7, 11 und 22 G) liegen. Diese Ganglienzellen besitzen zahlreiche Fortsätze, welche sich theils an die Wände des - Wabengerüstes anlegen, theils in Verbindung mit den Fortsätzen be- nachbarter Ganglienzellen treten. N 44 Wladimir Schewiakoff Außerdem bemerkt man an einigen von ihnen 1—2 stärkere Fortsätze, welche in die Nervenfaserschicht sich begeben und sich zwischen den zarten Fibrillen verlieren oder in deutliche Verbin- dungen mit den Ganglienzellen der peripheren Schicht treten. Das Protoplasma dieser multipolaren Ganglienzellen ist feinkörnig granulirt (Fig. 22 Gz.m) und enthält in der Mitte einen großen, rundlichen (0,004—0,07 mm langen), scharf kontourirten Kern (x) mit 1—2 stark glänzenden Kernkörperchen (rel). Somit bekommen wir im Wesentlichen dasselbe Verhältnis, wel- ches wir bei dem Sinnesepithel und der Retina angetroffen haben, d. h. ein aus Stüzlamellensubstanz bestehendes, zur Stütze dienen- des Wabengerüst, in dessen Knotenpunkten noch einzelne Kerne (7) anzutreffen sind, in dessen Maschen aber die Ganglienzellen liegen. Der Größe nach sind die Ganglienzellen des centralen Nerven- systems ziemlich verschieden: man unterscheidet größere, mehr gegen die Seitenflächen des Randkörpers, also in der Nähe und zwar proximalwärts von den proximalen Becheraugen gelegene (Fig. 11 und 22 Gz.m) und kleinere, welche auf der unteren Randkörper- fläche direkt hinter dem proximalen Linsenauge liegen (Fig. 7 Gz.m). Diese letzteren hielt CLaus! nicht für Ganglienzellen und sprach die Vermuthung aus, dass sie als Stützzellen für die zarten Ganglien- zellen dienten. Nach meinen Beobachtungen glaube ich aber gerade das Gegentheil behaupten zu können und zwar aus folgenden Grün- den: 1) besteht ein allmählicher Übergang zwischen den beiderlei Zellen (Fig. 11 und 22), welche auch durch ihre Fortsätze mit ein- ander in Verbindung stehen: 2) zeigen sie dasselbe Verhalten zu den Goldfärbungen, indem sie violett tingirt werden und 3) kann eine direkte Verbindung derselben mit Ganglienzellen der peripheren Schieht, ja sogar mit den Sehzellen des proximalen Becherauges wahrgenommen werden. Alle diese Umstände sprechen sehr für ihre nervöse Natur, so dass ich keinen Grund sehe, ihnen dieselbe abzusprechen. Der ganze Unterschied, abgesehen von der geringe- ren Größe, besteht darin, dass sie die Maschen des gallertigen Wa- bengerüstes enger ausfüllen, d. h. näher an einander liegen und nicht durch lange und spitze, sondern durch kleine und kurze Fort- sätze mit einander verbunden sind. An einigen Stellen legen sich diese Ganglienzellen so nah und fest an einander, dass sie eine 1]l.c. pag. 39. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 45 kontinuirliche Protoplasmamasse bilden, welche vom dünnfädigen Stützgerüst durchsetzt wird. Außer den Ganglienzellen bemerkt man im proximalen Endab- schnitte des Randkörpers noch eine dichte, fein fibrilläre Nerven- | masse (Fig. 7), welche von der peripheren Nervenfaserschicht sich unterscheidet und deren Bedeutung mir unerklärlich blieb. Eine besonders mächtige Lage bildet das Nervengewebe an der oberen Randkörperfläche (Fig. 7), welche hügelartig angeschwollen ist und vom dicken Sinnesepithel (Se) überzogen wird. Diese Ner- venschicht (Nf) besteht aus dünnen, feinen Fibrillen, in welche zahlreiche Ganglienzellen eingebettet sind. Sie wird in ihrer ganzen Dicke von dünnen lamellenartigen Fortsätzen (G) der Stützlamelle (St.2) durchzogen, die sich in dünne Fäden zerfasern, welche in die Fortsätze der Stützzellen des Sinnesepithels übergehen. Es unter- liegt keinem Zweifel, dass diesem Abschnitte des Randkörpers eine Sinnesfunktion zukommt. II. Aurelia aurita Lamarck sp. 1. Allgemeine Gestalt und Bau des Randkörpers. Die in der Achtzahl vorhandenen Randkörper liegen bekannt- lich zwischen je zwei Randlappen (RZ) in den seichten Einker- bungen des Schirmrandes. An diesen Stellen (Fig. 23 und 24) erhebt sich über die Schirmoberfläche ein polsterartiges Gebilde — Triehterplatte (TP) nach Craus! (Deckplatte der Autoren). welche eine etwa kolben- oder herzförmige Gestalt besitzt. Ihr Rand ist am Schirmrande stark aufgewulstet und geht weiter cen- tralwärts allmählich in die Schirmoberfläche über. Die umbrellare Fläche der Trichterplatte besitzt nach dem Schirmrande zu eine grubenartige Vertiefung, die sogenannte Riechgrube (RG) oder Sinnesgrube nach LENDENFELD?, welche von radiär verlaufen- den Furchen durchzogen wird. Die Trichterplatte setzt sich in zwei Sinneslippchen (SZ) fort, welche den Ephyralappen ent- sprechen und zwischen den zwei Randlappen (RZ) herunterhän- gen. Sie sind an ihrer Ursprungsstelle verwachsen und grubenartig ‚ausgehöhlt. Diese Aushöhlung wird von einer nach außen stark 1 C. Craus, Polypen und Quallen ete. 1. c. pag. 23—24. _ ? R. LENDENFELD, Uber die Cölenteraten der Südsee. VII. Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. XLVII. pag. 263. 46 Wladimir Schewiakoff vorgewölbten, an der Subumbrellarfläche tief ausgehöhlten Deck- platte (DP) überdacht, welche gleichfalls eine Fortsetzung der Trich- terplatte bildet und die Riechgrube nach dem Schirmrande begrenzt. Somit entsteht eine kleine Höhle — Sinnesnische (SN), in deren Tiefe von der subumbrellaren Fläche der Deckplatte der Rand- körper (RA) entspringt. Derselbe steht in radialer Richtung und wird fast vollkommen von der Sinnesnische umschlossen, so dass nur sein äußerstes Ende unterhalb der Deckplatte hervorschaut. Die Gestalt des Randkörpers (Fig. 25 und 26) ist mehr oder weniger länglich eylinderförmig mit einem kegelartig verjüngten Ende, welches nach der subumbrellaren Fläche hakenförmig umge- bogen ist. Demnach lassen sich am Randkörper zwei Abschnitte unterscheiden, welche mit einander einen Winkel von etwa 140° bilden: ein 0,6 mm langer und 0,3 mm breiter proximaler oder basaler und ein 0,28 mm langer und 0,23 mm breiter distaler oder apicaler Abschnitt. Letzterer bildet den Gehörapparat (Fig. 25 und 26 Of), ist solid und im Inneren von kleinen Krystallen dicht erfüllt, welche in Entodermzellen liegen. Der erstere dagegen umschließt die Fort- setzung des Gastralkanals des Randkörpers (Fig. 27 Ge), welcher vor seinem Eintritt noch zwei Kanäle für die beiden Sinnesläppchen aussendet. Die Sehorgane liegen genau auf der Grenze beider Abschnitte, d. h. an der Stelle, wo der Randkörper winklig umknickt. Das eine liegt auf der umbrellaren Fläche des Randkörpers (Fig. 26—27 Oc) und ist auf die hügelartig vorspringende Umbiegungsstelle beschränkt. Seinem Baue nach wäre es als Pigmentauge oder Ocellus zu bezeichnen und wurde bereits von EHRENBERG entdeckt und von O. und R. Herrwie und Ermer! genauer beschrieben. Diesem Pigmentflecke direkt entgegengesetzt, also auf der unte- ren oder subumbrellaren Fläche des Randkörpers, und zwar in der durch die Knickung verursachten Einbuchtung, liegt das andere Seh- organ (Fig. 25—27 O). Dasselbe wurde von Emer? entdeckt und als innerer Pigmentfleck beschrieben, jedoch sein Bau nicht näher berücksichtigt. Dieses Auge hat eine becherförmige Gestalt und einen eigenthümlichen, von anderen Becheraugen ziemlich abweichen- den Bau, auf den ich später eingehen werde. Zum Unterschied vom ersteren wäre es als Becherauge zu bezeichnen. i Tu. Ermer, Die Medusen etc. |. c. pag. 162—164. 2). ¢. pag. 163—164. re Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 47 Außer diesen beiden Sehorganen fand ich an einem der zehn _ untersuchten Randkörper noch ein kleines Becherauge (Fig. 29). Es lag gleichfalls in der Medianebene der subumbrellaren Rand- _ körperfläche, unmittelbar distalwärts von dem großen Becherauge. Sein Bau ist im großen Ganzen derselbe, wie der des großen Be- cherauges und in so fern interessant, da er die Entstehungsweise ‚desselben gewissermaßen erläutert. Der gesammte Randkörper wird nach außen von einem ein- schichtigen Ektoderm (Fig. 27 Ec) bekleidet. Dasselbe ist am distalen Abschnitte, d. h. im Bereiche des Gehörapparates, ziemlich ‚platt (0,004 mm dick) und zwar auf seiner subumbrellaren Fläche unbedeutend höher, als auf der umbrellaren. Es besteht aus gleich- artigen, etwa quadratischen Zellen, die in ihrer Mitte einen mehr oder weniger kugeligen Kern enthalten. Das Epithel geht auf dem proximalen Abschnitt des Randkörpers allmählich in ein eylindrisches über und erreicht die größte Dieke (0,024 mm) an der subumbrel- laren Randkörperfläche. Dabei wird es eben so wie bei Charybdea aus zweierlei Zellen zusammengesetzt, die eine gleiche Anordnung zeigen: aus cylindrischen Stützzellen (Fig. 27, 29 und 30 Sfz) und spindelförmigen Sinneszellen (Srz), welche sehr dicht an ein- ander liegen und den Anschein einer Mehrschichtigkeit des Epithels verursachen. Dieses Sinnesepithel bekleidet den ganzen proxi- malen Abschnitt des Randkörpers und geht an seiner Befestigungs- stelle wieder in ein 0,004 mm dickes Plattenepithel über. Das Sinnesepithel ist jedoch nicht ausschließlich auf den Rand- körper beschränkt, sondern findet sich auch in der sogenannten Riech- grube (Fig. 27 RG). In ihrer Tiefe erreicht es eine bedeutende Dicke (0,03 mm) und geht allseitig in ein einfaches Cylinderepithel über, welches die ganze Trichterplatte überzieht. Zwischen diesen Cylinderzellen des Ektoderms erblickt man noch bedeutend größere Drüsenzellen, welche in radiären Furchen angeordnet sind und in ihrer Gesammtheit die auf der Fig. 23 und 24 wiedergegebene Zeichnung der Trichterplatte verursachen. Das gesammte Cylinder- und Sinnesepithel ist nach O. und R. Hertwie! und JEimER? mit langen Geißelhaaren bedeckt. An meinem konservirten Material waren dieselben nicht direkt wahrzu- nehmen, jedoch konnte ich an vielen Stellen ziemlich deutliche Ci- lienreste bemerken. 9 er pag: 110. 2]. c. pag. 156. 48 Wladimir Schewiakoff Unterhalb des Ektoderms, und zwar nur im Bereiche des dar- aus differenzirten Sinnesepithels, erstreckt sich eine deutliche Ner- venfaserschicht (Fig. 27, 29—30 Nf). Dieselbe ist ziemlich dick (0,02 mm) und umzieht den ganzen proximalen Abschnitt des Randkörpers, wogegen sie im distalen, vom Plattenepithel über- kleideten Abschnitt (d. h. am Otolithensacke) vollkommen fehlt. Auch an der Riechgrube (Fig. 27 RG) bemerkt man eine Nervenfaser- schicht (Nf), welche eine mächtige Dicke (bis 0,05 mm) besitzt und gleichfalls nur unterhalb des Sinnesepithels sich erstreckt. Dieselbe steht mit der Nervenfaserschicht des Randkörpers in direkter Ver bindung, wie man sich an höher geführten Schnitten leicht über- zeugen kann. Der histologische Bau der gesammten Nervenschicht wird bei der speciellen Beschreibung der Sehorgane geschildert werden. Nach innen von der Nervenschicht befindet sich eine dünne (0,008 mm dicke), scharf begrenzte Stützlamelle (Fig. 27, 29 und 30 St/), welche die Fortsetzung der Schirmgallerte bilde. An den Stellen, wo die Nervenschicht fehlt, verläuft sie unmittelbar unter dem Ektoderm, wie z. B. im Otolithensacke, wo sie sehr dünn (0,002 mm) wird. In dieser homogenen, zuweilen von faserartigen Fibrillen durchzogenen Schicht bemerkt man einzelne sternförmige, stark verästelte Zellen (Fig. 27, 29 und 30 Sfz). Der Gastralkanal des Randkörpers wird von einem einschich- tigen Entoderm (Fig. 27 En) ausgekleidet. Die Entodermzellen sind schmal und lang (0,014 mm), eylinderförmig, mit einem mehr oder weniger central gelegenen rundlichen Kern (Fig. 29 Er) und sollen nach O. und R. HerTwıG! von Flimmerhaaren bedeckt sein, von welchen ich ebenfalls nur einige Reste sehen konnte. An der Grenze des distalen Abschnittes angelangt (Fig. 27 und 29), geben die hohen Cylinderzellen ihre Gestalt auf und er- füllen den ganzen Innenraum. Dabei verschwinden ihre Zellwände, so dass sie eine einheitliche Protoplasmamasse bilden, in welcher die Kerne eingebettet liegen. Weiter distalwärts treten in derselben kleine Vakuolen oder Hohlräume auf, die gegen das Distalende an Größe zunehmen und die Kalkkonkremente oder Otolithen (Fig. 27, 29 und 30 Otl) enthalten. Auf diese Weise erscheint der ganze distale Abschnitt des Randkörpers von Otolithen erfüllt, welche in einem ‘dünnen plasmatischen, mit Kernen (x) versehenen Maschen- werke (En) liegen. TAG pag al. Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 49 2. Bau der Augen. a. Pigmentauge oder Ocellus (Fig. 25—27 Oc und Fig. 28). Der rundliche, etwa 0,21 mm im Durchmesser betragende Pig- mentfleck zeigt einen sehr primitiven Bau. Er liegt, wie bereits gesagt wurde, auf der umbrellaren Fläche des Randkörpers und er- streckt sich auf seine hügelartig vorspringende Knickungsstelle (Fig. 25—27 Oc). Dieses Pigmentauge wird aus zweierlei Art Zellen, den Pig- ment- und Sehzellen (Fig. 28 und 31 Pz und Sz) aufgebaut, welche wiederum dieselbe Anordnung zeigen, die von der Retina- und Sinnesepithelschicht der Charybdea beschrieben wurde. Die Pigmentzellen (Fig. 31 Pz) stehen durch ein protoplasmatisches pig- mentirtes Netz- oder Maschenwerk mit einander in Verbindung und umschließen auf diese Weise allseitig die Sehzellen (Fig. 31 Sz), welche in den Maschen liegen. Die Gestalt der Pigmentzellen (Fig. 28 Pz) ist länglich, eylinder- förmig (bis 0,012 mm lang), nach außen gerade abgestutzt, nach innen unbedeutend verjüngt und abgerundet. Ihr kugeliger bis ellipsoidaler Kern (Fig. 28 ») liegt mehr in der inneren Hälfte der Zelle, wogegen die äußere von gelblich braunen Pigmentkörnchen er- füllt wird. Distalwärts platten sich die Pigmentzellen allmählich ab und gehen somit in das Plattenepithel über (Fig. 27), welches den Otolithensack bekleidet. Proximalwärts dagegen gehen sie in die sogenannten Stützzellen des Sinnesepithels über, von welchen sie sich nur durch das Vorhandensein der Pigmentkörnchen unterscheiden. Die Sehzellen (Fig. 28 Sz) sind schmal, spindelförmig und laufen nach beiden Enden in sehr dünne und verschieden lange Fortsätze aus. Mit ihren längeren, peripheren Fortsätzen schieben sie sich zwischen den Pigmentzellen hindurch und endigen auf gleicher Höhe mit ihnen. Die kürzeren centralen Fortsätze begeben sich in die _ darunter liegende Nervenschicht und lassen sich daselbst an eini- gen Stellen (Fig. 27) als sehr dünne, senkrecht zur Randkörper- fläche stehende Fädchen verfolgen. Der ovale oder ellipsoidale Kern (Fig. 28 ») liegt in der spindelförmigen Anschwellung der Zelle, welche sich gewöhnlich hinter der Einlagerungsstelle des Kerns der - Pigmentzellen findet. Diese Sehzellen unterscheiden sich durch nichts von den Sinneszellen des Sinnesepithels, nur dass sie im Bereiche des Pigmentauges anscheinend in etwas geringerer Zahl vorkommen. Morpholog. Jahrbuch. 15. 4 50 Wladimir Schewiakoff b. Großes Becherauge (Fig. 25—27 O, Fig. 29—30). Das. nach einem eigenthümlichen Typus gebaute Becherauge liegt in der Medianlinie der subumbrellaren Randkörperfläche und steht dem hügelartig hervorragenden Pigmentauge direkt gegenüber (Fig. 25—27 O). Es erscheint aber nicht, wie die Becheraugen der Charybdea, als eine direkte Einstülpung des Körper- bezw. Sinnes- epithels, sondern ist tiefer in den Randkörper eingesenkt und wird durch die darüber gelegene Nervenschicht und das Sinnesepithel (Fig. 27 und 29) nach außen vollkommen abgeschlossen. Es besitzt die Gestalt eines länglich ovalen, nach außen etwas verengten und nach innen erweiterten (0,07 mm langen, 0,045 mm breiten und 0,07 mm tiefen) Bechers, welcher in der zur Längsachse des Randkörpers senkrecht stehenden Ebene komprimirt ist, so dass sein Querschnitt (Fig. 30) elliptisch erscheint. Die Wand dieses nach außen offenen Bechers wird aus länglichen, mehr oder weniger in der Längsachse des Auges verlaufenden Zellen gebildet (Fig. 29 und 30 Pz), die in ihrer ganzen Länge von goldgelben bis gelblich- braunen Pigmentkörnchen erfüllt sind. Diese an ihrem inneren Ab- schnitt mit Kernen versehenen Pigmentzellen sind aber nicht umgewandelte Ektoderm- bezw. Stützzellen, sondern zweifellos ento- dermalen Ursprungs, was bereits Ermer! erkannte. Die hohen cy- inderförmigen Entodermzellen (Fig. 27 Er), welche den inneren Hohl- raum des proximalen Randkörperabschnittes (Gr) auskleiden, nehmen, wie bereits gesagt wurde, an der Umbiegungsstelle des Randkörpers eine andere Gestalt an und erfüllen den ganzen Innenraum des distalen Abschnittes. Dabei differenziren sich einige von ihnen in otolithentragende (O#/) Zellen (En,) wogegen die anderen durch Auf- treten des Pigments zu Pigmentzellen werden, welche den Augenbecher umgeben. Die zwischen dem Entoderm- und Ektodermgewebe gelegene Stützlamelle (Fig. 27 und 29 St./), an dem äußeren Rand des Augen- bechers angelangt, verdünnt sich beträchtlich und senkt sich in den- selben herein, so dass die peripher gelegenen Pigmentzellen deutlich unterhalb der Stützlamelle liegen. Dieses Verhältnis bestätigt noch mehr den entodermalen Ursprung der Pigmentzellen. Ob die Stütz- lamelle sich noch tiefer in den Augenbecher einsenkt und seine ge- sammte Wandung auskleidet, vermag ich nicht mit Sicherheit zu t]. e. pag. 163—164. | | Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 51 behaupten; jedoch glaube ich an einem Präparate gesehen zu haben, dass dies der Fall ist. Der ganze Innenraum des Augenbechers wird von eigenartigen, zweifellos aus Ektodermzellen hervorgegangenen Sehzellen (Fig. 29 und 30 Sz) erfüllt. Dieselben sind fein fadenförmig und besitzen an einer Stelle eine spindelförmige Anschwellung, in welcher der Kern _ eingebettet liegt. Diese Anschwellungen treten in verschiedener Höhe der Zellen auf und bedingen somit die Ungleichheit der Länge ihrer _ beiden Ausläufer. Bei einigen Zellen sind sie tief in das innere Ende hinuntergerückt und liegen daher fast im Grunde des Augenbechers: bei anderen dagegen liegen sie in der Mitte oder sogar im äußeren Ende, so dass die stark tingirbaren Kerne in allen Regionen des Augenbechers anzutreffen sind. Die äußeren Enden dieser Zellen treten aus der Öffnung des Augenbechers heraus und vertheilen sich in der darüber gelegenen Nervenfaserschicht (Fig. 27 und 29 Nf). ec. Kleines Becherauge (Fig. 29). Dieses, vollkommen nach demselben Typus wie das große gebaute, kleine (0,04 mm tiefe und 0,015 mm breite) Becherauge fand ich nur an einem der zehn untersuchten Randkörper. Es liegt gleich- falls in der Medianlinie der subumbrellaren Randkörperfläche un- mittelbar distal von dem großen Becherauge (Fig. 29). Der ganze Unterschied in seinem Baue besteht darin, dass die Kerne bezw. die spindelförmigen Anschwellungen der Sehzellen (Sz) nicht im Augenbecher, sondern außerhalb desselben in der Nervenfaserschicht liegen, so dass der Augenbecher nur von faden- förmigen Ausläufern der Sehzellen, welche bis an den Grund desselben reichen, erfüllt wird. Dieses Verhältnis erklärt aber gewissermaßen die Entstehungsweise des großen Becherauges, indem bei der weiter fortschreitenden Einstülpung die Kerne tiefer hinunterreichen und in den Augenbecher zu liegen kommen. Gleichfalls beweist es die ‘ sekundäre Einwanderung der Sehzellen (welche ektodermalen Ur- sprungs sind) in den bereits angelegten Augenbecher, dessen Wand zweifellos aus umgewandelten, mit Pigment erfüllten Entodermzellen (Pz) hervorgegangen ist. 3. Nervengewebe. Das unterhalb des Sinnesepithels gelegene Nervengewebe (Fig. 27, 29 und 30 Nf) umzieht als eine kontinuirliche Schicht den ganzen 4* 52 Wladimir Schewiakoff proximalen Abschnitt des Randkörpers und setzt sich in die: unter- halb der Riechgrube (Fig. 27 RG) gelegene Nervenfaserschicht !Nf) fort. Der histologische Bau des Nervengewebes ist im großen Ganzen ähnlich dem des sogenannten peripheren Nervensystems der Cha- rybdea. Die ganze Nervenfaserschicht wird von transversal ver- laufenden, dünnen, ziemlich stark lichtbrechenden Fädchen, den so- genannten Stützfasern (Fig. 29 und 30 Sf) durchzogen. Dieselben sind weiter nichts als Fortsätze der inneren Enden ektodermaler Stützzellen, welche bis zur Stützlamelle reichen und mit ihr in in- nige Verbindung treten; wenigstens bemerkt man an den Befestigungs- stellen der Stützfasern äußerst kleine hügelartige Erhebungen der Stützlamelle, so dass ihr Rand gekerbt erscheint (Fig. 29). Zwischen diesen Stützfasern, welche nicht mit den zarten Aus- läufern der Sinneszellen zu verwechseln sind, liegt das eigentliche Nervengewebe. Dasselbe besteht aus dünnen Fibrillen, welche, sich mehrfach theilend, mit einander anastomosiren und eine äußerst feinmaschige fibrilläre Nervenschicht zur Ausbildung bringen. In die- ser Masse sind einzelne, obgleich in ziemlich spärlicher Zahl vor- handene, anscheinend multipolare Ganglienzellen (Fig. 27, 29 und 30 Gz) eingebettet. Letztere verlaufen senkrecht zu den transversal hinziehenden Stützfasern und verlieren sich mit ihren Ausläufern in der fein fibrillären Nervenschicht. Unmittelbar über dem Becherauge besitzt die Nervenschicht einen etwas grobmaschigeren Bau (Fig. 29), wobei ihre Fibrillen deutliche Verbindungen mit den äußeren Enden der Sehzellen (Sz) zeigen. In der nächsten Nähe des Becherauges bemerkt man auch eine größere Anzahl von Ganglienzellen, die jedoch von den peripher gelegenen Sehzellen nicht zu unterscheiden sind. Zusammenfassung. Fassen wir nun die Resultate, welche sich aus den angestellten Untersuchungen über den Bau des Acalephenauges ergaben, zusam- men, so seben wir, dass sehr mannigfaltig gebaute Augen vorkommen. Dieselben stehen in einem genetischen Zusammenhange, in so fern die einfacheren nur Entwicklungsstadien der höher organisirten darstellen. Im einfachsten Falle erscheinen die Augen in der Gestalt eines Pigmentfleckes!. Ein Beispiel hierfür giebt das Pigmentauge ! Bei dieser Gelegenheit möchte ich einer in der jüngst erschienenen Ar- Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 3 er der Aurelia aurita. Diese Pigmentflecke werden bekanntlich aus zweierlei funktionell verschiedenen Zellen — den Pigment- und Seh- zellen aufgebaut, welche schon in bestimmten Bezirken des Ekto- derms, dem sogenannten Sinnesepithel, in Gestalt von Stütz- und Sinneszellen präformirt sind. Solche Distrikte des Körperepithels bilden die Grundlage, aus der sich die lichtpereipirenden Stellen oder Organe hervorbilden. Die ganze Umwandlung, welche dabei von statten geht, besteht lediglich darin, dass in den Stützzellen Pig- mentkörnchen auftreten, wodurch sie zu Pigmentzellen werden. Die Sinneszellen erleiden dabei eine kaum merkliche Veränderung: ihre Kerne treten etwas mehr nach innen, so dass dadurch ein längerer und dabei stärker lichtbrechender peripherer Fortsatz der Zelle zur Ausbildung gebracht wird. Einen Beweis für diese Ent- stehungsweise des Pigmentauges aus dem Sinnesepithel liefert der allmähliche Übergang der es zusammensetzenden Zellen in die Sinnes- epithelzellen. Der nächste Schritt zur weiteren Komplikation der Sehorgane besteht darin, dass das zur Lichtwahrnehmung differenzirte Sinnes- epithel sich in den Körper einsenkt, wodurch die sogenannten Seh- gruben gebildet werden. Solchen Organen begegnen wir bei Cha- rybdea marsupialis in den grubenartigen Augen, die jedoch nicht bei allen Exemplaren anzutreffen sind. Ihrer Zusammensetzung nach unterscheiden sie sich durch nichts von den oberflächlichen Pigmentaugen. Die Bedeutung der Einstülpung erblicken wir aber beit von LENDENFELD (I. c.) ausgesprochenen Behauptung entgegentreten. LEN- DENFELD (l. c. pag. 275) meint, dass es unrichtig sei, die Pigmentflecke der Acalephen als Augen zu bezeichnen, weil ihre dorsale Lage am Randkörper für Sehorgane nicht geeignet wire. Abgesehen davon, dass dieser Grund ein unzureichender ist, ist die dorsale Lage der Pigmentflecke durchaus keine un- günstige, da Charybdea Augen besitzt, über deren Funktion kein Zweifel sein kann und welche eine dorsale Lage besitzen. Obgleich nicht geleugnet werden kann, dass die nicht von Pigmentzellen umgebenen Sinneszellen des Randkör- pers lichtempfindlich sind, ja das Hervorgehen der Sehzellen der Augenflecke aus ihnen wohl für eine solche Funktion spricht, kann man doch nicht mit LENDENFELD die Funktion des Pigments der Augenflecke als eine »wenig we- sentliche« oder »accessorische« bezeichnen. Im Gegentheil dürfte den Pigment- zellen eine recht wesentliche Bedeutung für die Vervollkommnung der licht- empfindlichen Organe (resp. Partien des Randkörperepithels) zukommen, indem sie bedingen, dass nur bestimmt gerichtetes Licht pereipirt oder wahrgenommen wird, so dass durch das Zusammenwirken der radiär geordneten Randkörper die Meduse eine Orientirungsfähigkeit über die Stellung der Lichtquelle erlangt. Auf diesen Punkt machte mich Prof. BürscHLı aufmerksam. 54 Wladimir Schewiakoff außer in der schärfer ausgesprochenen Lokalisation der lichtwahr- nehmenden Stellen noch in einer gewissen Schutzvorrichtung. Letz- tere besteht darin, die zarten Endigungen (eilienartige Fortsätze) der Sehzellen von den schädlichen Einwirkungen des äußeren umgeben- den Mediums, welchen sie bei ihrer oberflächlichen Lage sehr aus- gesetzt sind, zu schützen. Stärkere Einstülpung führt zu den sogenannten Becheraugen, welche uns zunächst in den proximalen Becheraugen der Cha- rybdea entgegentreten. Dieselben erscheinen in der Gestalt ziem- lich tiefer nach außen verengter Einstülpungen des Sinnesepithels, deren Wandung wiederum aus den beiderlei Zellen zusammengesetzt wird. Hand in Hand mit dieser Einstülpung wird noch ein neuer Bestandtheil des Auges ausgebildet, welcher die Endigungen der Sehzellen gegen sämmtliche schädliche Einflüsse, wie Druck, mecha- nischen Reiz, Eindringen von Fremdkörpern ete. vollkommen schützt. Dies ist nämlich der sogenannte Glaskörper, welcher von den Pigment- zellen abgesondert wird und den Augenbecher nach außen abschließt, indem er seinen Innenraum erfüllt. Eine weitere, obgleich ziemlich unbedeutende Komplikation im Bau der Sehorgane finden wir in den distalen Becheraugen der Charybdea. Dieselben sind im Wesentlichen genau nach demselben Typus wie die proximalen gebaut, nur dass bei ihnen die becher- förmige oder vielmehr taschenförmige Einstülpung des Sinnesepithels noch eine sekundäre Ausbuchtung bildet. Letztere entsteht in der Tiefe der Augengrube und zwar an ihrem der oberen Randkörper- fläche näher gelegenen Ende, wodurch die bereits oben beschriebene, proximalwärts buchtartig in den Körper einspringende Höhle zur Ausbildung kommt. Im Zusammenhang damit begegnet man einer Sonderung der die Augenwand zusammensetzenden Zellenelemente und zwar an der Stelle, wo die sekundäre Ausbuchtung stattgefunden hat. So besteht die Wand der Höhle nur aus Sehzellen, wogegen die daran angren- zende proximale Wand des Augenbechers von Pigmentzellen aufge- baut wird, welche von ihrer gewöhnlichen Gestalt etwas abweichen. Durch diese Vorrichtung wird eine Stelle ausgebildet, welche zur Lichtempfindung dient, wobei die stark pigmentirte proximale Wand des Bechers zweifellos den Zweck hat, seitliche Lichtstrahlen abzu- halten. Diese Wand wäre demnach mit der Iris zu vergleichen, welche noch besser bei den Linsenaugen ausgebildet ist. Was die Becheraugen der Aurelia anbetrifft, so sind sie Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 55 nach einem vollkommen anderen Typus als die eben besprochenen gebaut. Sie entstehen nicht gleich den übrigen Augen der Acalephen durch Einstülpung des Sinnesepithels, sondern des Entoderms und möglicherweise der Stützlamelle, wobei die Becherwand von umge- wandelten, mit Pigment erfüllten Entodermzellen aufgebaut wird. Dieser Einstülpung des Entoderms folgen die darüber gelegenen, aus dem Ectoderm hervorgegangenen Sehzellen, welche in den auf die beschriebene Weise entstandenen Augenbecher zuerst mit ihren peri- pheren Fortsätzen hineinragen, später dagegen denselben vollkommen ausfüllen. Als Folge dieser interessanten Entstehungsweise des Au- genbechers ergiebt sich, dass die Nervenfasern nicht von innen, sondern von außen zu den Sehzellen herantreten und sich mit ihren äußeren Enden verbinden. Dadurch erscheinen aber ihre freien En- den vom eintretenden Lichte abgewendet, so dass dasselbe, bevor es die Enden der Sehzellen erreicht, die ganze darüber gelegene Nervenschicht passiren muss. Dieses Verhältnis erinnert gewissermaßen an den Bau der Au- gen der Onchidien, Lamellibranehiaten, Arachnoideen und Vertebraten, bei welchen die das Licht pereipirenden Endi- gungen der Zellen gleichfalls von demselben abgewendet sind. Je- doch sind es hier ganz andere Umstände, welche diese Lage der Sehzellen bedingen. Somit wären ‘die Becheraugen der Aurelia als eigenartige Bildungen aufzufassen, die mit keinen bis jetzt be- kannten Augentypen direkt vergleichbar erscheinen, obgleich eine gewisse Ähnlichkeit mit den Turbellarienaugen! nicht zu ver- kennen ist. Nicht minder interessant erscheint der Bau der Linsenaugen von Charybdea, welche einen sehr hohen Entwicklungsgrad zei- sen. Was ihre Entstehungsweise anbetrifft, so sind sie von den Becheraugen abzuleiten, wobei der stattfindende Vorgang (beim di- stalen Linsenauge) etwa folgendermaßen zu denken wäre. Der durch Differenzirung des Sinnesepithels und nachherige Einstülpung entstandene Augenbecher verengt sich an seinem äußeren Ende und schnürt sich schließlich vom Körperepithel ab. Bei dieser Abschnü- rung schließt sich die Öffnung und es entsteht eine nach außen vollkommen abgeschlossene Augenblase, welche von der zutreten- den Nervenschicht bis auf ihre oberflächliche Partie umgeben wird. 1 J. CARRIERE, Die Augen von Planaria polychroa und Popycelis nigra. Arch. für mikr. Anat. Bd. XX. 1882. pag. 160 -174, auch die Sehorgane der Thiere. |. e. pag. 22—24. 56 Wladimir Schewiakoff AvBerdem wächst an der Stelle, wo die Einstülpung stattgefunden hat, das Körperepithel zusammen und bildet eine dünne durch- sichtige Schicht — die sogenannte Cornea. Hand in Hand mit dem geschilderten Processe tritt eine Diffe- renzirung der Zellen ein, welche die nach außen gerichtete Wand der ursprünglichen Augenblase bilden. Dieselben wachsen stark in die Länge und setzen später in ihrer Gesammtheit die kugelförmige Linse zusammen, welche in die Augenblase hineinragt und einen großen Theil derselben einnimmt. Die Zellen der Augenblase aber, welche im Umkreise der in Linsenzellen umgewandelten liegen, differenziren sich zur sogenannten Iris, wogegen die übrige Wand der Augenblase zur Retina wird, welche aus den bekannten zweierlei Zellen aufgebaut erscheint. Außerdenf sondern die Pigmentzellen der Retina, sowie wahrscheinlich die Linsenzellen den sogenannten Glaskörper ab, in welchem die fadenförmigen Fortsätze der Sehzellen verlaufen und der den Hoblraum der ursprünglichen Augenblase vollkommen ausfüllt. Das proximale Linsenauge entsteht zweifellos auf dieselbe Weise wie das distale, nur dass hier nicht die äußere, sondern die proximalwärts gerichtete Wand der Augenblase sich zur Linse diffe- renzirt. Im Anschluss daran wird die distale Wand der Augenblase von Retinazellen aufgebaut, welche am äußeren Pole des Auges zu Iriszellen. am inneren dagegen ausschließlich zu Sehzellen sich diffe- renziren. Dazu gesellt sich noch ein gallertiger Stiel, welcher aus der Stützlamelle hervorgeht und zum Träger der Linse wird. An der Peripherie der Linse angelangt, zerfasert sich dieser Stiel in mehrere Ausläufer, welche sich zwischen den Linsenzellen ein- schieben. Die beschriebene Entstehungsweise und der dadurch bedingte eigenthümliche Bau der Linsenaugen von Charybdea erlaubt sie in keinen der gegenwärtig bekannten Typen unterzubringen. Es ließen sich bekanntlich bis jetzt zwei Typen unterscheiden, nach denen sämmtliche Linsenaugen gebaut sind. Bei dem einen Typus entsteht die strukturlose Linse innerhalb der Augenblase und ist ein Absonderungsprodukt der Zellen, welche dieselbe zusam- mensetzen. Solchen Augen begegnen wir bei einigen Gastropo- den, Cephalopoden, Anneliden und Peripatus. Beim an- deren Typus entsteht die Linse aufserhalb der primären Augenblase und ist entweder strukturlos (Stemma der Anthropoden und Augen der Arachnoideen, Myriapoden und Insektenlar- % Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 57 ven) oder aus Zellen zusammengesetzt (Rückenaugen der Onchi- dien, Augen der Lamellibranchiaten und Vertebraten). Im ersteren Falle entsteht die Linse durch Umwandlung und Ver- dickung der äußeren Cuticularschicht, im letzteren dagegen wahr- scheinlich immer durch eine sekundäre Einstülpung des Ektoderms und nachherige Trennung von demselben. Interessant und wichtig ist die von BürscHLı! gegebene Er- klärung der Entstehungsweise des Pectenauges, durch welche er wahrscheinlich machte, dass jedes Mal, wenn die Linse außerhalb der Augenblase entsteht, das Auge invertirt erscheinen muss. Diese Ansicht wurde durch die neueren Untersuchungen von Locy? über die Spinnenaugen bestätigt, aus welchen es sich herausstellte, dass die Spinnenaugen invertirt sind. Durch die BürscaLische Theorie wurde aber ferner die Behauptung ausgesprochen, dass in anderen Fällen (d. h. wenn die Linse nicht außerhalb der Augenblase ge- bildet wird) die freien Enden der Sehzellen dem eintretenden Lichte zugewendet sein müssen, was sich an den eigenthümlich gebauten Linsenaugen der Charybdea bestätigte. Nun zeigen die Linsenaugen der Charybdea in so fern einen abweichenden Bau, dass ihre, obgleich zellige Linse, weder inner- halb noch außerhalb der Augenblase entsteht, sondern ein Um- wandlungsprodukt einer gewissen Partie (der äußeren oder seitlichen) ihrer Wand bildet. Nicht uninteressant erscheint der Umstand, dass das rudimentäre, wahrscheinlich nicht mehr funktionirende Parietalauge einiger Rep - tilien (Sauria), wie die Untersuchungen SPENCER’s? gezeigt haben, im Wesentlichen denselben Bau zu besitzen scheint, da seine Linse gleichfalls aus der äußeren Wand der Augenblase hervorgeht. Demnach wäre man berechtigt, diese Augen in eine Kategorie mit den Linsenaugen der Charybdea zu bringen und für sie einen neuen, dritten Typus zu errichten, welcher den beiden anderen an die Seite zu stellen wäre. 1 0. BürschLı, Notiz zur Morphologie des Auges der Muscheln. Fest- schrift des naturh.-med. Vereins zur Feier des 500jährigen Bestehens der Ru- perto-Carola.. Heidelberg 1886. pag. 175—180. 2 W. Locy, Observations on the development of Agelena nigra. Bull. of the Mus. of compar. Zool. Vol. XII. No. 3. pag. $5—89. 3 W. SPENCER, On the presence and structure of the pineal eye in Lacer- tilia. Quart. Journ. of Microsc. Sc. Vol. XXVIII. P. 2. N. S. No. CVI. 1886. pag. 165—238. 58 Wladimir Schewiakoff Diese Arbeit wurde im zoologischen Institute zu Heidelberg ge- macht. Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. O. BüÜTscHLiı, sage ich für seine freundlichen Rathschläge und das lebhafte Inter- esse, welches er der Durchsicht meiner Präparate und dem Zustande- kommen der Arbeit überhaupt widmete, meinen innigsten Dank. Heidelberg, im Januar 1889. Erklärung der Abbildungen. Tafel I—III. Die Abbildungen wurden mit Hilfe des ZEıss’schen Zeichenapparates unter Anwendung des Beleuchtungsapparates von ABBE gezeichnet. Dabei wurden verwendet: Apert. 1,30, Oc. 4,8 und 12. Oculare 2 und 4 und Objective B, D und die homogenen Immersionen SEIBERT !/;9” und Zeıss Apochromat Obj. 2,0 mm, Die am Ende jeder Figurenerklärung angeführte Zahl bezeichnet annähernd die gebrauchte Vergrößerung. Bedeutung der Buchstaben. C Cornea, e centrales Ende der Ei DP Deckplatte, DO distales Linsenauge, Do distales Becherauge, DW distale Wand des Becherauges, Ee Ektoderm, En Entoderm, En, Entodermzellen mit eingelagerten Otolithen, G Gallertfäden (Ausläufer der Stütz- lamelle), Gl Glaskorper, Gv Gastrovascularraum, Gz Ganglienzellen, Gz.m wmultipolare Ganglienzellen, GR Glockenrand, G.St gallertige Stütze des proximalen Linsenauges, h.Gl hyaline Glaskörperschicht, Ir Tris, Irz Triszellen, L Linse, IF linkeSeitenfläche des Randkörpers, Lf Längsfurche, IW Längswülste, Lz Linsenzellen, Nf Nervenfaserschicht, Nfb Nervenfibrillen, n .Kern, nel Kernkörperchen, O Becherauge, Oc Pigmentauge oder Ocellus, OF obere (umbrellare) Randkörper- fläche, Ot Otolithensack, Otl Otolith, P Pigmentkörnchen, PO proximales Linsenauge, Po proximales Becherauge, PW proximale Wand des Becherauges, Pe ektodermales Plattenepithel, Pk Pigmentkegel, P: Pigmentzellen, p peripheres Ende der Zellen, R Retina, Beiträge zur Kenntnis des Acalephenauges. 59 RF rechte Seitenfliche des Rand- Stl Stützlamelle, __ körpers, Sz Sehzellen, RG Riechgrube, Sfz sternförmige Zellen der Gallert- RK Randkörper, schicht, RL Randlappen, Snz Sinneszellen, RN Ringnerv, Stz Stiitzzellen, SS Stiel des Randkörpers, TP Trichterplatte, SK Sinneskolben, U Umbrella, ‘SZ Sinnesläppchen, UF untere (subumbrellare) Fläche des SN Sinnesnische, Randkörpers, SU Subumbrella, V Velum, Se ektodermales Sinnesepithel, VS Verwachsungsstreifen der beiden Sf Stützfasern, Gefäßlamellen. ‘Sp Septum, ‘St fadenartiger Fortsatz der Sehzellen I . 14. ig. 15. ig. 16. oder Stäbchen, Fig. 1—22. Charybdea marsupialis Per. und Les. . Ein Theil der Seitenfläche der Glocke mit Sinnesnische (SN)und darin entspringendem Randkörper (RA) von der Umbrellarseite betrachtet. 6—8. Dasselbe schief von unten betrachtet. Um die basale, wulstig auf- getriebene innere Wand der Sinnesnische zu zeigen. 6—S. Dasselbe von der Subumbrellarseite betrachtet. 6—8. Dasselbe im optischen Längsschnitt. 6—S. Rechtsseitige Ansicht des Randkörpers, um die Anordnung der Seh- organe zu zeigen. 50. Randkörper von der unteren (subumbrellaren) Fläche betrachtet. 50. Medianer Längsschnitt durch den Randkörper. 200. Sinnesepithel (Ektoderm\ aus zweierlei Zellen bestehend im Quer- bezw. Flächenschnitt. 750. Längsschnitt durch das grubenartige Auge. 480. Längsschnitt durch die beiden (distales Do und proximales Po) Becher- augen. 300. - Die beiden Becheraugen im Flächenschnitt, etwa durch die Mitte ihrer Höhe geführt. 300. Längsschnitt durch die vordere Partie des distalen Linsenauges, um den Ubergang der Retinazellen in Linsenzellen zu zeigen. 600. . Längsschnitt durch die innere Wand der Augenblase des distalen Linsenauges, um den feineren Bau der Retina und des Glaskörpers zu zeigen. 750. Verschiedene Formen der Pigmentzellen des distalen Linsenauges; e die sogenannte Iriszelle vom centralen Abschnitt des Retinabechers. 800. Pigmentzellen des proximalen Linsenauges; a—b aus dem äußersten (sog. Iriszellen), c—d aus dem mittleren und e aus dem inneren Ab- schnitt des Retinabechers. 750. Sehzellen; a—c des distalen, d—e des proximalen Linsenauges; d aus der Mitte, e aus dem inneren Abschnitt (wo keine Pigmentzellen vor- handen sind) des Retinabechers. 750. 60 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. : Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. >. Wladimir Schewiakoff, Beitriige zur Kenntnis des Acalephenauges. iz 18. 19. 20. 21. 22. 31. | Ganglienzellen des peripheren Nervensystems; a—) bipolare, e multi- | polare Ganglienzellen; a&—b 750; ce 1100. Querschnitt durch die Augenblase des distalen Linsenauges, etwa in der Höhe zy der Fig. 13 geführt, um den Verlauf der Stäbchen (Sf) und Pigmentkegel (P%) im Glaskörper (G/) zu zeigen. 1100. Ein tiefer gelegener Querschnitt etwa in der Höhe x, y, der Fig. 13 — geführt, die gegenseitige Anordnung der Pigment- (Pz) und Sinnes- zellen (Sz) zeigend. 1100. Noch tiefer geführter Querschnitt etwa in der Höhe z,, y,, der Fig. 13. Man gewahrt die Kerne (r) der Sehzellen (Sz). 1100. Querschnitt durch die Augenblase des proximalen Linsenauges, um den Verlauf der Stäbchen im Glaskörper zu zeigen. 1100. Längsschnitt durch das proximale Ende des Randkörpers unweit der Becheraugen, um den Bau und Anordnung der multipolaren Ganglien- | zellen des centralen Nervensystems zu zeigen. 750. Fig. 23—31. Aurelia aurita Lam. Ein Theil des Schirmrandes an der Stelle der zwischen den zwei — Randlappen (RL) gelegenen Einkerbung von der Umbrellarseite be- trachtet. 6—8. Dasselbe in seitlicher Ansicht. 6—S. Linksseitige Ansicht des Randkörpers, die Anordnung der Sinnes- organe zeigend. 60. Randkörper von der subumbrellaren Fläche betrachtet. 60. _ Medianer Längsschnitt durch den Randkörper und die Riechgrube (RG). 150. Ein Theil des Pigmentauges oder Ocellus, um seine Zusammensetzung aus zweierlei Zellen zu zeigen. 500. Querschnitt bezw. Flächenschnitt durch das Becherauge. 450. Medianer Längsschnitt durch das große und kleine Becherauge. 800. Querschnitt bezw. Flächenschnitt durch das Pigmentauge. 500. tr Wemner& Winter. Frankfurt HA. Tithe | Pla seante recy Mlrmera Wircer Prankfare Vetritik Engelmann. leipzig. Norholog. Jahrbuch. Ba. XV. Morphols s Lith Anst.v Werner & Winter Frankfurt 7H. Morpholog ER ERER Bd XV : | | Tet IR | M4 Ib NW N SV | holog. Jahrbuch. Ba. XV. To IT: nz StZ Stz2 Nf Sf sn | H DH x Pz sz Verl. v. Wilh.Engelmann, Leinzig, 3 ‚Dith. Anst.v. Werner & Winter Frankturt? # Uber den Bau des Säugethiergehirns'. Vorläufige Mittheilung yon Dr. G. Jelgersma in Meerenberg (Niederlande). Mit Tafel IV. I. Wenn man yon einem Stadium der Gehirnentwicklung, das man - bei Reptilien findet und das ich »das indifferente Stadium« nennen _ möchte, ausgeht, so nimmt man in der aufsteigenden Reihe der Wirbelthiere nach zwei Richtungen hin eine weitere Differenzirung _ wahr, und zwar: 1) Dureh eine ausschließliche Entwicklung der basalen Hirn- ganglien und durch das Stehenbleiben des Hirnmantels auf einer Ent- _wicklungsstufe, die sich kaum iiber den oben angenummenen Aus- gangspunkt erhebt, entsteht ein Bild, wie wir es bei den Vögeln finden. Die Formverhältnisse des Vogelhirns werden lediglich durch die großen Dimensionen bestimmt, welche die basalen Hirnganglien erreichen. Mit dieser Entwicklung der Basalganglien gehen noch an- dere Veränderungen Hand in Hand, auf die ich am Schlusse dieser Mittheilung noch zurückkommen will. 2 2) Durch eine sehr starke Entwicklung der Mantelsubstanz bei relativ geringerer Zunahme der Basalganglienmasse entsteht ein Ty- pus der Hirnentwicklung, wie wir ihn bei den Säugethieren an- treffen?. 1 Übersetzt von Dr. H. KURELLA in Ahrweiler. ¥ 2 Vgl. hierüber L. EDINGER, Untersuchungen über die vergleichende Ana- tomie des Gehirns. J. Frankfurt a. M. 1888. F ® 62 G. Jelgersma In dieser Mittheilung will ich mich bemühen hervorzuheben, dass — im Säugethiergehirn zugleich mit der überwiegenden Entwicklung ° der Mantelsubstanz der Hemisphiiren des sekundären Vorderhirns - eine Formveränderung in der Medulla oblongata zu Stande kommt, die für die Organisation dieser Theile von größtem Belang ist, eine Formveränderung, durch die das Säugethierhirn eine so besondere Stellung in der ganzen Klasse der Wirbelthiere einnimmt und durch die es sich von allen anderen Hirnformen unterscheidet. : Von BELLONCI und OsBORN ist nachgewiesen worden, dass die ~ Anwesenheit eines Corpus callosum nicht eine ausschließliche Eigen- schaft des Säugethiergehirns ist. Durch die letzten Untersuchungen von SCHULGIN und EDINGER ist ferner dargethan worden, dass auch die Ammonshornformation, — und was zu ihr gehört, keine ausschließliche Eigenthümlichkeit des Säugethiergehirns darstellt. | Die vorliegende Mittheilung schließt sich einer früberen Studie an!, in der ich nachzuweisen versucht habe, dass in der Medulla oblongata und dem Hirnstamm des Menschen ein eigenthümliches System von Verbindungsbahnen und Ganglien besteht, welches zwi- schen dem großen und dem kleinen Hirn liegt und sich als ein ab- geschlossenes Ganzes demonstriren lässt. Der Verlauf dieses Sy- stems, das ich hier noch einmal wiederholen will, ist folgender?: Von der Großhirnrinde (1) [und den damit gleichwerthigen Stamm- ganglien? (2)| ausgehend, verbindet sich diese Bahn durch die Capsula interna und durch die beiden lateralen Theile des Pes peduneuli theils mit den gleichseitigen Kernen der Varolsbrücke (8, 9, 10), theils, durch die Brücke weiterlaufend, mit den Ganglienzellen des Nucleus © olivaris (13). Sowohl die vordere, mit den Brückenkernen in Ver- band getretene Hauptmasse, als der weiter hinten mit dem Oliven- kern sich verbindende Theil geht in der Raphe mit den Fasern der anderen Seite eine Kreuzung ein und begiebt sich zur Gegenseite. Die gekreuzten Fasern laufen nun, einerseits (die von den Ponskernen kommenden Züge) durch das Brachium pontis (11, 12), andererseits“ 4 1S. Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1887. No. 21; ERLEN- MEYER’s Centralblatt fiir Nervenheilkunde. 1887. Nr. 18, 19, 20. 2 Man vgl. die auf Taf. IV beigegebene schematische Zeichnung. Die ver- A schiedenen Theile der intellektuellen Bahnen und Centren sind in ihrem inneren Zusammenhange auf eine frontale Fläche projicirt und diese von ihrer vordere a (ventralen) Seite gesehen. Die centrifugale Bahn liegt dann oberflächlich, die centripetale darunter. 4 Über den Bau des Säugethiergehirns. 63 ‚(die von der Olive kommenden Nerven) durch das Corpus restiforme pe wahrscheinlich direkt nach der Kleinhirnrinde, und zwar die ‘ersteren wahrscheinlich ausschließlich nach den Hemisphiiren, die j etzteren wahrscheinlich nach dem Vermis cerebelli. Weiterhin ver- indet sich die Rinde des Kleinhirns (16) mit dem Nucleus dentatus (17), aus dem die Peduneuli cerebelli ad cerebrum entspringen (18)', die sich im Niveau der Corpora quadrigemina in der Raphe kreuzen und sich dann mit dem Nucleus ruber (4) der entgegengesetzten Seite verbinden. Von hier aus gehen Faserausstrahlungen nach der Cap- sula interna (18) und dem Thalamus opticus (20), die schließlich wiederum an der Großhirnrinde enden (18, 20). Das folgende Schema ist eine Darstellung dieses Systems: > „Cerebrum. N, DATEN ate x Caps. interna. Thal. opt. Capsula interna Nucl. ruber Pes pedunculi ii y en Kreuzung in der Raphe Pons Varoli Nucl. olivaris | | i! Y Pedune. cerebelli! Kreuz. i. d. R. Kreuz. i. d. R. fi Y Y Nucl. dentatus ! Brachium pont. Corp. restiforme Ne? re 4 Cerebellum. Dieses ziemlich komplicirte System ist beim Menschen nachge- wiesen worden durch das Studium sekundärer Degenerationen und ‚Atrophien, die nach bestimmt lokalisirten primären Affektionen im 1 BECHTEREW (Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abtheilung. 4868. pag. 195 f.) beschreibt vier Abtheilungen des Pedunculus cerebelli, deren Markscheideny zu verschiedenen Zeiten zur Ausbildung kommen und von denen ‘ur die größte innere Abtheilung mit dem Corpus dentatum in direktem Con- “nexe stehe. Auch ich bin der Ansicht, dass wohl nicht alle Fasern des Klein- -hirnstieles von dem Corpus dentatum ausgehen, habe aber in dem oben mitge- Gren 1 Schema auf diese komplicirten und noch nicht vollkommen in allen ‚ihren Theilen gesicherten Verhältnisse der Einfachheit wegen keine Rücksicht genommen und nur die wichtigste Verbindung mit dem Nucleus dentatus an- Eegehen. 64 G. Jelgersma Großhirn auftreten, durch die Untersuchung des Entwicklungsganges der die Achsencylinder umgebenden Markscheiden und bei zahlreichen ~ Thieren durch Experimente. Zur Konstruktion desselben sind eine Menge früherer Untersuchungen nothwendig gewesen, ehe es im Zu- sammenhang als System aufgefasst werden konnte, a manche Missgriffe sind ihr vorausgegangen. Wenn ich es mir nun in dieser Abhandlung zur Aufgabe ge- macht habe, das ganze System als solches bei den verschiedenen Säugethiergruppen nachzuweisen, so kann natürlich keine Rede da- von sein, durch Experimente oder durch die Entwicklungsgeschichte die Verbindungen der Theile dieses Systems in jedem Falle wieder be- sonders zu demonstriren. Aber ich gehe von der Voraussetzung aus, dass, wenn bei einer bestimmten Species — im vorliegenden Falle handelt es sich hauptsächlich um den Menschen — das System in seinen verschiedenen Theilen als Einheit erkannt ist, man es bei an- deren Säugethierspecies ebenfalls als Einheit auffassen darf, sobald man nachweisen kann, dass die verschiedenen Glieder und Theile des Systems anwesend sind, und dass bei dieser Anwesenheit der Zu- sammenhang der Theile überall derselbe sein muss. Diese Voraus- setzung hat eine so große innere Wahrscheinlichkeit, dass ich von jeder weiteren Beweisführung absehen kann. Bei näherer Betrachtung, ob alle Theile dieses oben im Schema angegebenen Systems bei den verschiedenen Säugethiergruppen vor- kommen, stößt man auf nur geringe Schwierigkeiten: bei allen Spe- cies lassen sich die Komponenten des Systems zum Theil schon durch die äußere Besichtigung und weiterhin auf Durchschnitten nachweisen. Ich brauche darauf im Augenbliek nicht näher einzu- gehen, weil es ohne Weiteres deutlich werden wird, sobald ich die Entwicklungsstufen bespreche, die das System in den verschiedenen Gruppen der Säugethierklasse erreicht. Wenn nun die Anwesenheit dieses komplieirten und ausgebreite- ten Ganzen, das ich bei einer früheren Gelegenheit »die intellek- tuellen Bahnen und Centren der Medulla oblongata und des Hirnstammes« genannt habe, als charakteristisches Zeichen des Säugethiergehirns angenommen werden darf, so ist auch ferner von Belang zu untersuchen, ob es innerhalb der Säugethierklasse Unterschiede in den Entwicklungsgraden giebt, die diese Theile errei- chen. Und man wird in der That bei dieser Untersuchung durch eine ungeheure Verschiedenheit frappirt. ; Es sei mir gestattet, vorerst mit einigen Worten anzugeben, in ; & j Über den Bau des Säugethiergehirns. 65 wie weit man sich gegenwärtig befugt glaubt, aus der Entwicklung der Hirnoberfliiche Schlüsse auf die größere oder geringere Höhe der Organisation des Gehirns zu ziehen. Abgesehen von dem relativen Hirngewicht (verglichen mit dem des Körpers, welches Verhältnis ganz im Allgemeinen von Belang ist), ist es hauptsächlich der Bau der Furchen und Windungen, dem man einigen Werth zuerkennen muss. Diese Methode‘ wird aber auf verschiedene Weise sehr beschränkt und dürfte nicht wohl geeignet sein, glaubhafte Schlüsse zu begründen. In erster Linie fallen alle lissencephalen Gehirne weg, einfach weil man Nichts nicht mit _ Etwas vergleichen kann. Doch auch die gyrencephalen Formen - können nicht sämmtlich unter einander verglichen werden. Es ist bekannt, dass eine Zunahme des Körpergewichts stärkere Entwick- lung der Furchen verursacht, ohne dass damit eine höhere Organi- sation verbunden ist. Deutlich ist dies z. B. bei einigen kleineren Affenarten, die eine fast glatte Hirnoberfläche besitzen und von denen durchaus nieht nachgewiesen ist, dass sie niedriger organisirt seien. Es ist auch noch ein Umstand vorhanden, der den Werth dieser - Untersuchungsmethode bedeutend einschränkt. Die beiden vergliche- nen Thierarten dürfen nämlich in dem phylogenetischen Stammbaum nicht zu weit von einander entfernt stehen, da sonst das Resultat ein sehr unsicheres wird. Aus diesen Gründen kann ich die An- —_— a eee m sichten von Broca, PanscH und MEYNERT nicht theilen, die übrigens wieder unter sich sehr differiren und schon zu allerlei unfruchtbaren Streitschriften Anlass gegeben haben. Die Entstehung von Hirn- furchen und Windungen, abgesehen von der Fossa Sylvii, fällt in die spätere Zeit der phylogenetischen Entwicklungsperiode. Wenn nun zwei Thiergruppen, deren Furchen und Windungen mit einander _ verglichen werden sollen, beide von lissencephalen Formen abstam- men, bei denen höchstens die Fossa Sylvii angedeutet ist, so darf man nicht erwarten, in der Bildung ihrer Furchen und Windungen _Homologien zu finden. Dies gilt z. B., wenn man den Primaten- typus mit dem Raubthiertypus vergleicht. Die gemeinschaftliche Stammform dieser Typen war, abgesehen von der Fossa Sylvii, - lissencephal und darum ist der so eifrig geführte Kampf, betreffend das Wiederfinden des Suleus centralis bei Raubthieren und anderen a in Frage kommenden Gattungen, einfach nicht zu schlichten. Noch klarer wird das, wenn man einander noch ferner stehende Gruppen, z. B. Wassersiiugethiere mit Primaten vergleichen wollte; dies hat jedoch noch Niemand versucht. Morpholog. Jahrbuch. 15. qr 66 G. Jelgersma Um Furchen und Windungen mit einander zu homologisiren, muss die Stammform sie bereits in größerem oder geringerem Maße besessen oder Andeutungen davon gehabt haben. Das ist wohl inner- halb des Primatentypus sowie innerhalb des Raubthiertypus der Fall gewesen, und das mag auch der Grund sein, wesshalb man in die- sen Gruppen zu einheitlichen Resultaten gekommen ist. Wenn man nun die Oberfläche des menschlichen Großhirns mit der des Affen vergleicht, so findet man: 1) bei dem Menschen eine viel reichere Bildung der sekundären Furchen und Windungen im Allgemeinen. Diese reichere Entwick- lung im Vergleich mit der des Affen ist in diesem besonderen Falle leicht zu verfolgen, weil man die Hauptfurchen der beiden Gruppen mit einander homologisiren kann, und, indem man von den Affen den Ausgangspunkt nimmt, trifft man beim Menschen die übri- gen Windungen und Furchen reicher entwickelt an. 2) findet man beim Menschen eine stärkere Entwicklung einiger lokalen Abtheilungen. Der Stirnlappen besitzt das größte Volumen und unterscheidet sich am auffallendsten von dem Stirnlappen des Affen. Ganz besonders kann dies innerhalb des Frontallappens noch an der Broca’schen Windung beobachtet werden, die, wie bekannt, mit der Funktion der Sprache in enger Verbindung steht. Im Affen- hirn ist dieser Theil nirgends zu finden. Auch die Occipital- und Temporallappen sind beim Menschen bedeutend stärker entwickelt als bei Affen; der Parietallappen dagegen zeigt nur geringe Unter- schiede. Aus diesen einfachen Thatsachen ist mit Sicherheit der Schluss zu ziehen, dass die Großhirnoberfläche beim Menschen bedeutend höher organisirt ist als bei den Affen. Wenn man nun untersucht, wie sich der große Unterschied in der Großhirnoberfläche im Bau des Kleinhirns und der Medulla ob- longata ausspricht, dann ist, sobald man auf die Entwicklung der durch mich als intellektuelle bezeichneten Bahn achtet, dieser Unter- schied auch hier sehr auffallend, und man hat Gelegenheit zu beob- achten, welche tiefe Kluft zwischen den Hirnorganisationen Beider besteht. In erster Linie fällt eine erheblichere Größe der menschlichen Kleinhirnhemisphären auf, während der Größenunterschied des Ver- mis cerebelli bei diesen beiden Gruppen mehr in den Hintergrund tritt. Die Größendifferenz der Kleinhirnhemisphären ist sowohl von vite Über den Bau des Säugethiergehirns. 67 _ außen als auf Durchschnitten derselben deutlich sichtbar und ganz beträchtlich. Ferner besteht eben solch bedeutender Größenunterschied bei dem Pons Varolii, was aufs deutlichste aus der Thatsache folgt, dass beim Menschen das ganze Corpus trapezoideum durch die Ganglien- zellen und Querfasern des Pons Varolii bedeckt ist. Bei den Affen ist dieser letztgenannte Körper an der ventralen Seite der Medulla oblongata ganz unbedeckt. Eine Eigenthümlichkeit des Pons Varolii beim Menschen ist, dass er distale Fortsätze zeigt, die sich bis zur Pyramidenkreuzung erstrecken, die sog. Nuclei arciformes. In einer früheren Studie! glaube ich, aus Gründen, die hier nicht zur Sache gehören, nachgewiesen zu haben, dass diese Nuclei arciformes zum Pons gerechnet werden müssen und dass man dieselben als einen beim Menschen distalwärts sich noch weiter erstreckenden Pons auf- fassen kann, der sich unter dem Einfluss der zunehmenden Groß- hirnoberfläche entwickelte. Bei keinem einzigen der durch mich untersuchten Säugethiere habe ich diese Nuclei arciformes wieder- finden können; von Affen besitze ich für diese Region keine Prä- parate, auf Zeichnungen habe ich aber nichts angedeutet gefunden. Auch die weiteren Theile der intellektuellen Bahn in der Oblon- gata findet man beim Affen — im Vergleich mit dem Menschen — sehr schwach angelegt; dies gilt namentlich für den Nucleus ruber und die Peduneuli cerebelli ad cerebrum (welche letzteren ein einiger- maßen undeutliches Bild geben, weil hier auch die Pyramidenstränge liegen), und ferner für den Nucleus olivaris und Nucleus dentatus. Resümiren wir die angeführten Thatsachen, so scheint es, dass der Unterschied in der Entwicklung der intellektuellen Bahn bei Mensch und Affen sicherlich eben so groß ist, wie der Unterschied der Hirnoberfläche, und dass das höchst eigenartige Bild der Me- dulla oblongata beim Menschen durch die starke Entwicklung der intellektuellen Bahn verursacht wird. Die Gesammtheit der hier in Betracht kommenden morphologi- schen Verhältnisse wird klar, wenn man nur die von mir in mehr- fach erwähnten früheren Studien gegebene intellektuelle Bahn als Einheit auffasst und sie als in ihrer Entwicklung von der Großhirn- oberfläche abhängig betrachtet. Ob innerhalb des Genus Homo, von anthropologischem Stand- punkte aus betrachtet, Verschiedenheiten in der Entwicklung der 1 Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1888. No. 20. 5* 63 G. Jelgersma intellektuellen Bahn vorliegen, kann ich nicht angeben, da ich noch keine ‚Untersuchungen an Gehirnen niederer Menschenrassen ange- stellt habe. Wenn man jedoch erwägt, dass sowohl im Gewicht des Großhirns als auch im Bau der Furchen und Windungen der Hirnoberfläche ein relativ nicht unbeträchtlicher Unterschied zwischen den höheren und niederen Menschenrassen besteht, so ist die Wahr- scheinlichkeit groß, dass man auch in der Entwicklung der intellek- tuellen Bahn Verschiedenheiten entdecken wird. Hieran kann ich noch eine andere Thatsache beifügen, die durch mich schon mehr als einmal beobachtet worden ist. Bei einem chro- nisch Geisteskranken wurde bei der Sektion ein Gehirn gefunden, welches das ungewöhnlich große Gewicht von 1625 g zeigte. Und abgesehen von diesem sehr erheblichen Gewichte war mit unseren gegenwärtigen Hilfsmitteln keine pathologische Abweichung an dem Gehirn zu entdecken. Das Präparat zeichnete sich ferner durch eine mehr als normale Entwicklung des Pons Varoli, des Nucleus ruber und der Kleinhirnhemisphären aus. Umgekehrt findet man in Fällen von beträchtlicher Verminde- rung der Hirnoberfläche und des Hirngewichts (ohne dass andere, deutlich wahrnehmbare Veränderungen vorhanden wären) die Ent- wicklung der intellektuellen Bahn in der Medulla oblongata stark redueirt. Auf diesen Thatsachen fußend, kommt es mir als eine wichtige Aufgabe vor, zu untersuchen, in wie weit der einfachere Bau der Hirnoberfläche bei den niederen Menschenrassen auf die Entwicklung der intellektuellen Bahn in der Medulla oblongata von Einfluss ist. Es verdient nun noch eine andere Gruppe von Säugethieren er- wähnt zu werden, die eine hohe Entwicklung der intellektuellen Bahn verräth, nämlich die Wassersäugethiere: Phoca, Delphinus ete.!. 1 Die Gruppe der Wassersäugethiere umfasst sehr verschieden organisirte Arten. Zwar glaube ich sie vom Gesichtspunkte der Hirnorganisation aus zu- sammenfassen zu können, aber ich will ausdrücklich hervorheben, dass aus der Übereinstimmung in der massiven Entwicklung der intellektuellen Bahn nicht auf Familienverwandtschaft geschlossen werden darf. Wenn einmal die Konstruktion der intellektuellen Bahn als Säugethier- merkmal gegeben ist, dann äußert sich höhere psychische Entwicklung einfach dureh Vergrößerung derselben. Phylogenetisch verschiedene Säugethierformen können eine gleiche oder ähnliche Entwicklung der intellektuellen Bahn auf- weisen, weil sich ihre psychische Entwicklung ungefähr gleich kommt. Die gleiche Entwicklung der intellektuellen Bahn giebt also kein Recht, auf einen gleichen phylogenetischen Entwicklungsgang zu schließen. Dies ist auch der Fall a Uber den Bau des Säugethiergehirns. 69 Es ist bekannt, dass bei diesen Thieren die Großhirnoberfläche eine beträchtliche Entwicklung der Furchen und Windungen zeigt. Man darf bei diesen windungsreichen Gehirnen nicht daran denken, - Homologien mit dem Primaten- oder Raubthiertypus aufzufinden. Diese Thierarten stehen in ihrer Entwicklung zu weit von einander ab, und da die Wassersäugethiere alle ziemlich umfangreich sind, giebt die Entwicklung ihrer Furchen und Windungen nur einen un- zuverlässigen Maßstab für die Höhe ihrer Hirnorganisation ab. Deutlicher wird die Sache, wenn man die Entwicklung der in- tellektuellen Bahn in der Oblongata untersucht. Dann zeigt sich, dass diese Bahn bei den Wassersäugethieren in hohem Grade, relativ eben so stark wie bei den Affen, entwickelt ist. Die Hemisphären des Kleinhirns haben beispielsweise im Verhältnis zu dem, Vermis cerebelli große Dimensionen, der Pons Varoli ist stark entwickelt und bedeckt das Corpus trapezoideum vollständig oder lässt es nur — wie bei Phoca — sehr wenig frei, der Nucleus olivaris tritt distal von dem Pons, wie beim Menschen, als eine kleine Erhöhung hervor, ist jedoch mehr ventral gelegen. Diese Verhältnisse zeigen einen hohen Entwicklungsgrad der intellektuellen Bahn und man darf hieraus auf eine hohe Entwicklungsstufe der Hirnoberfläche schließen. In diesem Fall also, wo der Vergleich der Gehirnoberfläche der Wassersäugethiere mit den Primaten wenig zuverlässige Resultate ergab, werden diese letzteren auf nicht unwillkommene Weise durch eine Vergleichung der intellektuellen Bahn in der Oblongata ergänzt. Eine bedeutend schwächere Entwicklung der intellektuellen Bahn finden wir bei den Camivoren. Hier ist das Volumen der Klein- hirnhemisphären im Vergleich mit den vorher genannten Säugethier- mit den Wassersäugethieren. Hier stelle ich mir vor, dass verschieden organi- sirte Thierformen unter äußere Umstände gekommen sind, durch welche sie beide höhere psychische Entwicklung erlangt haben. Und diese höhere psy- chische Entwicklung äußert sich bei den phylogenetisch verschiedenen Thier- formen auf dieselbe Weise, nämlich durch Zunahme des Volumen der intellek- tuellen Bahn. Umgekehrt können phylogenetisch nahe verwandte Formen eine sehr verschiedene Entwicklung der intellektuellen Bahn auf Grund ihrer ver- schieden hohen psychischen Entwicklung offenbaren. Ein sprechendes Beispiel hierfür bildet die Entwicklung der intellektuellen Bahn bei den Primaten. Zwischen Mensch und Affe besteht in dieser Hinsicht ein so großer gradueller Unterschied, wie sonst nirgends zwischen zwei phylogenetisch nahe verwandten Säugethierformen. Hieraus zu schließen, dass Mensch und Affe phylogenetisch nicht nahe verwandt sein sollten, wäre fehlerhaft. 70 G. Jelgersma gruppen sehr verringert; der Pons Varoli streckt sich weniger weit distal aus, die Oliven sind zu kleinen Ganglienzellenhaufen reducirt, die Nuclei rubri haben an Breite abgenommen und die Peduneuli cerebri und cerebelli zeigen sich auf Durchschnitten von bedeutend kleinerem Umfang. Eine noch weiter vorgeschrittene Reduktion findet man bei den Ruminantia, Solidungula und Pachydermata. Diese sind alle Säuge- thiere, die ein großes Körpergewicht besitzen, und in Folge dessen findet man bei ihnen auch eine ziemlich komplieirte Entwicklung der Furchen und Windungen der Hirnoberfläche. Untersucht man jedoch, wie sich die Entwicklung der intellek- tuellen Centren und Bahnen in der Medulla oblongata verhält, so zeigt sich, dass sie, was die Hirnentwicklung betrifft, noch unter den Carnivoren stehen. Auch auf andere Weise ergiebt sich die relative Kleinheit dieser Bahn aufs deutlichste. Wenn man nämlich dieselbe mit den direkten Centren des peripheren Nervensystems, z. B. mit den Corpora quadrigemina anteriora oder posteriora, vergleicht, so zeigt sich ein sehr bedeutendes Überwiegen dieser letztgenannten Centren, oder — was richtiger ist — eine bedeutend geringere Entwicklung der intellektuellen Centren. Man findet häufig die Angabe, dass die Entwicklung der Corpora quadrigemina bei bestimmten Thiergruppen in umgekehrtem Verhältnis zu der Höhe ihrer Hirnorganisation steht. Das ist innerhalb gewisser Grenzen wohl richtig. Aber um einen richtigen Vergleich zu haben, muss man sie mit etwas Anderem vergleichen; das Vergleichungs- objekt ist bisher immer verkehrt oder ungenau gewählt worden. Verkehrt ist es, wenn man ein anderes primäres Centrum im Reflex- bogen nimmt; ungenau, wenn man ein gemischtes System, z. B. den Pes pedunculi, damit vergleicht. Richtig dagegen ist es, wenn man das eine oder das andere Glied der intellektuellen Bahn zum Ver- gleich wählt, beispielsweise die Hemisphären des Kleinhirns oder Durchschnitte durch die Pedunculi cerebelli ad cerebrum: denn die intellektuelle Bahn ist in ihrer Entwicklungsstufe von dem Großhirn abhängig, die primären Kerne des Reflexbogens jedoch nicht. Vergleicht man das Corpus quadrigeminum eines Pferdes mit einem der Theile der intellektuellen Bahn, so ist in der That das Überwiegen des ersteren über letztere auffallend. Die Formen von Säugethiergehirnen, die nun noch übrig bleiben, sind hauptsächlich lissencephale. Ganz ohne Windungen sind diese Gehirne jedoch nicht; erstens ist immer eine Fossa Sylvii vorhanden, ee a Über den Bau des Säugethiergehirns. 71 und zweitens findet man stets eine Ammonshornwindung. Diese Ammonshornformation kann manchmal, wie beim Kaninchen, eine hohe Entwicklung erreichen und die Hälfte von dem Volumen des Großhirns ausmachen; wie bekannt, streckt sie sich dann dorsal vom Corpus callosum aus und kann selbst, wie beispielsweise eben beim Kaninchen, mit der der anderen Seite verwachsen. Es ist ohne Weiteres klar, dass man durch Vergleichungen zwi- schen Gyrencephalen und Lissencephalen sehr geringe Aufschlüsse über die Bildungsstufe der letzteren erhält, besonders wenn man da- bei in Betracht zieht, dass das Körpergewicht bei diesen letztge- nannten Thierspecies immer ein relativ sehr kleines ist. Vergleicht man nun die Entwicklung der intellektuellen Bahn, die sich auch in diesen Gehirnformen leicht wiederfinden lässt, z. B. mit derjenigen bei den Carnivoren, so zeigt es sich deutlich, dass sie in geringerem Maße entwickelt ist und dass beispielsweise das Kaninchen, was die Kleinhirnhemisphären, Pons Varolii etc. anbetrifft, hinter dem Hunde zuriicksteht. Hinter dem Kaninchen stehen Ratte, Maulwurf und Igel noch weiter zuriick. Uber Marsupialia und Edentata kann ich kein Urtheil ausspre- chen, da die Gehirne dieser Thiere mir nicht zur Verfügung stehen: aus Zeichnungen derselben, die mir in die Hände kamen, scheint hervorzugehen, dass auch sie intellektuelle Bahnen und Centren be- sitzen. Untersucht man nun, in wie weit die Entwicklung der intellek- tuellen Bahn ein gutes Hilfsmittel an die Hand giebt, um die höhere oder niedere Organisation eines Gehirns zu bestimmen, so findet man, dass dies doch nur in sehr beschränktem Maße der Fall ist; auch hiermit kommt man nicht über eine ziemlich rohe Abschätzung hinaus. Ich betrachte die Berücksichtigung der Entwicklung der intellektuellen Bahn desshalb auch mehr als eine Vermehrung un- serer gegenwärtigen Kenntnis, die uns so oft ganz im Stich lässt. Wie ich bereits zeigte, gab die Vergleichung der Hirnwindungen bei den Wassersäugethieren und eben so bei den Ruminantia etc. keine Sicherheit. Indem ich nun bei diesen Formen auf den Entwicklungs- grad achtete, den die intellektuelle Bahn in der Medulla oblongata zeigt, kam ich zu der Überzeugung, dass die Wassersäugethiere eine ziemlich hohe Stufe der Hirnentwicklung einnehmen, während dies bei den Ruminantia in viel geringerem Maße der Fall ist. Dadurch endlich, dass ich auch lissencephale Formen in den Kreis meiner Untersuchungen brachte, weil auch hier die intellektuelle Bahn unter 72 G. Jelgersma denselben Umständen vorkommt, wurde es möglich, sich ein an- näherndes Urtheil über diese Gehirne zu bilden. Über die Bedeutung des Vermis cerebelli sind wir noch im Un- sichern: dies rührt ohne Zweifel zum großen Theile von der sehr lückenhaften Kenntnis her, die wir über die Verbindungsbahnen dieses Organs mit anderswo gelegenen Theilen besitzen. Durch eine Ver- gleichung des Vermis cerebelli bei den verschiedenen Säugethieren unter einander und ferner mit den Hemisphären des Kleinhirns wird es unwahrscheinlich, dass dieser Theil die gleiche Bedeutung wie die Hemisphären hat. In der absteigenden Reihe der Säugethiere findet man, dass die Hemisphären des Kleinhirns zugleich mit den weiteren Theilen der intellektuellen Bahn sehr schnell an Größe ab- nehmen, während dies von dem Vermis cerebelli nicht gesagt wer- den kann; letzterer ist innerhalb der Klasse der Säugethiere ein sehr konstantes Organ. Wenn man nun annehmen darf, dass der Vermis cerebelli eben so wie die Kleinhirnhemisphären in seiner Entwicklung mit der- jenigen bestimmter Theile des Großhirns in Koordination steht, so wird man in der Reihe der Säugethiere an die Stammganglien den- ken, die innerhalb dieser Klasse ungefähr dieselbe Größe erreichen. Gestützt wird diese Vermuthung durch die Verhältnisse, die wir bei den Vögeln finden. Durch den niedrigen Entwicklungsgrad der Mantelsubstanz ist es bei diesen Thieren nicht zur Entwicklung der Kleinhirnhemisphären und der übrigen Bahnen und Centren der intellektuellen Theile in der Medulla oblongata gekommen. Vielleicht muss man aber die sehr kleinen lateralen Fortsätze des Vermis ce- rebelli bei den Vögeln als Rudimente dieses Hemisphirensystems. auffassen. Mit der sehr beträchtlichen Entwicklung jedoch, welche die Stammganglien bei den Vögeln erreichen, geht eine ebenfalls starke Entwicklung des Vermis cerebelli Hand in Hand, so dass die Annahme, dass dieses letztere Organ mit der Bildungsstufe der Stammganglien zusammenhängt, mir nicht ungerechtfertigt erscheint. Ich muss aber ausdrücklich hervorheben, dass ich hier nicht mehr als eine Vermuthung ausspreche, weil das Thatsachenmaterial, über das ich in dieser Sache zu verfügen habe, noch zu beschränkt ist, um ~ ein sicheres Urtheil zu gestatten. Wahrscheinlich liefers die Ent- wicklungsgeschichte der Markscheide um den Achsencylinder in der Verbindungsbahn zwischen Vermis und Stammganglien bei den Vö- geln ein geeignetes Objekt, um dies Problem seiner Lösung näher zu bringen. = > Über den Bau des Säugethiergehirns. 73 Endlich will ich auf die nach meiner Ansicht wichtige, aber für uns unbegreifliche Thatsache hinweisen, dass bei den Wirbel- thieren, wo die graue Substanz des sekundären Vorderhirns sich in beträchtlichem Maße — von den Reptilien als dem indifferenten Sta- dium ausgehend — bei den Vögeln zu den Stammganglien und bei den Säugethieren zur Mantelsubstanz entwickelt, — dass bei diesen letztgenannten Thieren gleichzeitig hiermit in ziemlich großer Ent- fernung eine andere Anhäufung grauer Mantelsubstanz sich bildet, das kleine Gehirn, welches durch ein komplicirtes System von Ver- bindungswegen und zwischenliegenden Ganglien mit dem Großhirn, zu dem es in gegenseitigen Beziehungen sich befindet, in Zusammen- hang steht. In einer früheren Mittheilung' habe ich darauf hingewiesen, dass das Kleinhirn durch die intellektuellen Bahnen und Centren in der Medulla oblongata auf ganz eigenartige Weise mit dem Groß- hirn zusammenhängt, dass die Verbindung beider mit dem Reflex- bogen viel Übereinstimmung zeigt, dass sie entwicklungsgeschicht- lich auf dieselbe Weise entstehen und dass auch die Bildung der Markscheide um den Achsencylinder in ihren Verbindungswegen ungefähr gleichzeitig zu Stande kommt. Nun scheint es, dass auch ihre phylogenetische Entwicklung, wenigstens bei Säugethieren und Vögeln, ungefähr zur gleichen Zeit erfolgt. Auf diese Thatsachen gestützt, halte ich mich für berechtigt, die Ansicht auszusprechen, dass, während wir mit gutem Grunde in den Großhirnhemisphären das materielle Substrat unserer psychischen Funktionen suchen, auch das kleine Hirn damit zusammenhängt, dass also die Funktionen des Cerebellum psychischer Natur sind. Auf welche Weise das Kleinhirn an unseren psychischen Funktionen Theil nimmt, kann man natürlich nicht feststellen; die materiellen Processe, die die psychischen begleiten, werden uns dadurch vielleicht um so räthselhafter. In dieser Mittheilung glaube ich nachgewiesen zu haben, dass das Gemeinsame und Charakteristische im Bau des Säugethiergehirns in den Folgen besteht, welche mit der Entwicklung des Hirnmantels einhergehen; es ist dies die Bildung eines besonderen Systems von Leitungsbahnen und Centren, von denen das eine Ende im Hirn- mantel selbst liegt, während das andere sich in den Hemisphären des Cerebellum befindet. Der Verlauf dieser Bahn ist noch nicht in 1 Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde. 1888. Nr, 21. 74 G. Jelgersma allen Einzelheiten bekannt; vor Allem ist es unsicher, wie in dem centripetalen (dem Großhirn sich zuwendenden) Theile die Verbin- dung mit dem Thalamus opticus und mit dem Großhirn selbst statt hat. Ferner glaube ich gezeigt zu haben, dass innerhalb der Säuge- thierklasse die Entwicklung, die diese Bahn erreicht, mit dem höhe- ren oder niedrigeren Grad der allgemeinen Hirnorganisation zusam- menhängt und dass die Entwicklung dieser Theile hierfür in gewissem Sinne ein Maßstab ist. Ein äußerst rudimentäres Vorkommen dieser Bahnen und Cen- tren bei Reptilien und Amphibien kann ich vorläufig nicht bestimmt erkennen, indessen kann man als sicher angeben, dass sie bei diesen sehr unbedeutend sind. Der Wahrheit am nächsten wird man wohl sein, wenn man — wie ich bereits im Anfang sagte — bei den Reptilien ein indifferentes Stadium annimmt. Volumenzunahme der Stammganglien und Entwicklung des mittleren Theiles der ein- fachen Kleinhirnlamelle zum Vermis cerebelli ist für die Vögel kenn- zeichnend. Zunahme der Mantelsubstanz und weniger intensives Wachsen der Stammganglien mit Ausbildung der lateralen Theile der indifferenten Kleinhirnlamelle zu den Hemisphären und des Mittel- stiickes zum Vermis cerebelli, sowie die Entwicklung der Verbin- dungsbahnen zwischen diesen Theilen sind Merkmale der Säuge- thiere. Die hiermit gegebenen Darlegungen sollen nur eine vorläufige Mittheilung bilden. Besonders von entwicklungsgeschichtlicher Seite muss der Gegenstand noch ausgearbeitet werden; auf diesem Gebiete wird man ohne Zweifel noch sehr wichtige Dinge finden. it: In einer anderen Richtung noch und im Anschluss an das oben Gesagte will ich in dieser Studie eine vorläufige Mittheilung geben; sie betrifft das Entstehen der Windungen sowohl im Klein- wie im Großhirn. Wie schon oben gesagt, muss man das Entstehen der Hirnwin- dungen, d. h. die Vergrößerung der Hirnoberfläche von zwei Mo- menten abhängig machen, nämlich 1) von der Zunahme des Körpergewichts, und ) von der höheren psychischen Entwicklung. Wird nun durch eine dieser beiden Ursachen die Hirnoberfläche vergrößert, so macht man sich über die Art und Weise, wie diese 1 Über den Bau des Säugethiergehirns. 75 ES Vergrößerung zu Stande kommt, ganz verschiedene Vorstellungen. Man hat gedacht, dass die Hirnoberfläche schneller zunähme als der Schädelinhalt und dass sich in Folge hiervon die Oberfläche dureh 4 mechanischen Druck in Falten legen miisste; oder dass die Hirn- _ furchen mechanisch durch den Druck der Gefäße entstiinden: und "so bestehen noch manche andere Vorstellungen. Es würde mich zu weit führen, eine detaillirte Kritik dieser Anschauungen zu geben: ich begnüge mich mit der Mittheilung, dass alle diese Vorstellungen mir unrichtig erscheinen, und will versuchen, eine bessere zu geben. Von vorn herein muss ich bemerken, dass der Gegenstand bis - heute in höchst einseitiger Weise betrachtet worden ist. Wenn durch eine der beiden oben genannten Ursachen die Hirnoberfläche zu- - nimmt, so ist dies nicht das Einzige, was sich im. Organismus voll- ‘ zieht, sondern etwas Anderes schließt sich unmittelbar daran an. Eine bloße Zunahme der grauen Substanz hat nichts zu bedeuten, wenn nicht eine Zunahme der Verbindungswege zwischen den ver- schiedenen Theilen der grauen Substanz Hand in Hand damit geht. Diese Verbindungswege sind in dem erwachsenen Säugethierhirn meistens markhaltige Nervenfasern. Graue Substanz an sich, ohne diese Verbindungen, hat einfach nichts zu bedeuten. Dass diese markhaltigen Nervenfasern einen sehr großen Raum einnehmen, ist an jedem Schnitte durch die menschlichen Hemisphären deutlich sichtbar. Dass ferner diese Nervenfasern in der Hirnrinde selbst in großer Anzahl vorkommen, kann man an einem Präparat sehen, das nach der Methode WEIGERT's hergestellt ist. Endlich scheint es, dass durch das Entstehen dieser markhaltigen Nervenfasern eine große Volumenzunahme des Hirns stattfindet. Bei einem neuge- borenen Kinde fehlen die Markfasern im Gehirn noch zum größten Theile und man findet hauptsächlich nur nackte Achsencylinder. Die Markfasern entstehen meist im Verlaufe des ersten Jahres, und man bemerkt in dieser Zeit eine beträchtliche Zunahme des Hirnvolumens. Nach Huscuke wird ein Kind mit !/; seines definitiven Hirngewichts geboren. Im ersten Jahre, in der Zeit, wo die meisten Markschei- den entstehen, steigt das Volumen auf ?/, — das Doppelte des ersten Jahres — und das letzte Drittel bildet sich zwischen dem 3. und N 21. Jahre. Diese schnelle Zunahme des Hirnvolumen muss zum großen Theil der Bildung der Markscheiden um die Achseneylinder zugeschrieben werden; die Zunahme der Ganglienzellen tritt mehr in den Hintergrund. Der kurze Sinn dieser Auseinandersetzung ist, dass bei der 76 G. Jelgersma Anwesenheit einer beträchtlichen Menge grauer Substanz, wie es beim Menschen der Fall ist, auch ein großer Raum durch die Ver- bindungswege zwischen den verschiedenen Punkten der Hirnober- fläche eingenommen wird, und dass die große Masse dieser Verbin- dungswege ein Volumen bildet, welches als massiver Körper von der grauen Substanz als flächenhafter Körper wie von einer Kappe be- deckt wird. Gehen wir nun von einer lissencephalen Hirnform aus, wo also die graue Substanz als eine mehr oder weniger kugelförmige Kapsel die weiße Substanz, die Verbindungswege zwischen den verschie- denen Theilen der Kugel, als den Kern umgiebt. Und setzen wir ferner voraus, dass die graue Oberfläche, sei es durch Vergrößerung des Körpervolumen, sei es durch höhere intellektuelle Entwicklung, an Ausdehnung zunimmt. Die Folge hiervon muss, wie ich oben zu zeigen versucht habe, eine Vermehrung der Verbindungsfasern sein, die bei den Säugethieren markhaltige Nervenfasern sind. Stellen wir uns nun vor, dass, von der ursprünglichen Form aus- gehend, ein vollkommen gleichförmiger Körper entsteht von doppelt so großer Ausdehnung, so erhält man folgende Verhältnisse: Die als Oberfläche fungirende graue Substanz nimmt propor- tional dem Quadrat des Radius zu, wird also vervierfacht. Der Kern, die Leitungsbahnen der weißen Substanz, würde aber propor- tional der dritten Potenz des Radius zunehmen, also Smal vergrößert werden. Für den Fall also, dass wir annehmen müssen, dass eine 4mal so große Oberfläche ein Smal so großes Volumen an Verbin- dungswegen braucht, war die Gelegenheit gegeben, dass durch Ver- mehrung der Hirnoberfläche ein Körper entstand ähnlich dem, von welchem wir ausgegangen waren. In den meisten Fällen jedoch kann diese Annahme nicht zu- treffen, vor Allem dann nicht, wenn man sehr verschieden große Thiere mit einander vergleicht, wo beispielsweise der Radius 10mal so groß geworden ist; die Oberfläche müsste sich dann um das Hundertfache, der Inhalt um das Tausendfache vergrößert haben. In der aufsteigenden Reihe der Säugethiere muss man also ein- mal zu Entwicklungsformen kommen, wo ein Missverhältnis zwischen der vergrößerten Hirnoberfläche und dem vorhandenen Raum für die Verbindungsbahnen besteht. Es müssten danach Formen entstehen, wo für die Leitungsbahnen ein zu großer Inhalt gegeben ist, den sie nicht auszufüllen im Stande wären. Was muss die Folge hiervon sein? Natürlich die allein, dass Inhalt und Oberfläche sich einander zur Cy vet ; © Uber den Bau des Säugethiergehirns. 17 accommodiren, und zwar ist dies nur dadurch möglich, dass die Oberfläche sich in Furchen und Windungen legt. So entsteht ein Körper, der bei größerer Oberfläche einen kleineren Inhalt besitzt. Wenn man die Sache plastisch darstellen will, muss man sie - folgendermaßen ausdrücken: Bei Zunahme der grauen Substanz an der Oberfläche müssen jedes Mal Gruben und Furchen entstehen, weil die weiße Nervenmasse nicht im Stande ist, den in stärkerem - Verhältnis zunehmenden Inhalt auszufüllen. Diese Gruben und - Furchen haben einen doppelten Zweck: sie vergrößern die Ober- ‘ fläche und verkleinern den Inhalt. Das Entstehen von Hirnwindungen und Furchen kann also als gegenseitige Raumaccommodation von grauer Substanz und Verbin- dungswegen betrachtet werden. Dieser Schluss, der für mich die nothwendige Konsequenz eines : logischen und einfachen Gedankenganges ist, erklärt, warum und auf welche Weise Hirnwindungen entstehen müssen. Er erklärt aber nicht, in welcher Form sie entstehen. Nun können wir bemerken, dass die Bildung der Hirnwindungen innerhalb der verschiedenen - Thierarten eine ziemlich konstante ist. Um diese konstante Form zu erklären, müssen noch andere Umstände in Betracht gezogen werden, die ich nicht kenne. Es ist also einfach das Wachsthum der konstituirenden Elemente des Cerebrum, welches zur Entstehung der Windungen führt. Bis zum heutigen Tage hat man bei diesem Wachsthum die Aufmerk- samkeit einzig auf die graue Oberfläche beschränkt, ohne dabei zu bedenken, dass die graue Oberfläche allein keine Möglichkeit hat, gu existiren, sondern dass die Zunahme der grauen Substanz noth- wendigerweise mit einer Zunahme der Verbindungswege Hand in Hand gehen muss. Der oben erwähnte Schluss giebt, von einem allgemein biologi- schen Standpunkte aus betrachtet, nach zwei Richtungen hin An- _ knüpfungspunkte, die ich hier in Kürze besprechen will, ohne auf _ nähere Einzelheiten einzugehen. In erster Linie glaube ich nachgewiesen zu haben, dass das - Missverhältnis zwischen Schiidelinhalt und Hirnoberfläche nicht die Ursache der Hirnwindungen ist. Ich muss mich somit gegen die alte mechanische Theorie erklären. Im Allgemeinen ist es sehr - schwierig, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie auf solche Weise durch Druck und Zerrung das Gehirn sich in Falten legen und wie sich der übrige Inhalt direkt an dasselbe anpassen soll. 78 G. Jelgersma Ferner steht der Schädel und das Gehirn zu wenig in direktem funktionellen Verbande, als dass der Schluss, die Hirnform würde in so grob mechanischer Weise durch die Schädelform bestimmt, viel Wahrscheinlichkeit haben sollte. Ist es mir gelungen, diese so unwahrscheinliche Druck- und Zerrungstheorie durch eine Klarlegung der Folgen einfachen Wachs- thums überflüssig zu machen, so scheint es mir auch, dass derglei- chen Theorien für das Entstehen der allgemeinen Körperform wenig Werth haben, obgleich sie in letzter Zeit wiederholt in den Vorder- grund getreten sind. Der Leser wird bereits bemerken, dass ich die mechanischen Theorien meine, die in der Embryologie bei gewissen Kreisen sol- chen großen Platz einzunehmen drohen. Am klarsten findet man diese Auffassung in dem bekannten Buch von His: » Unsere Körper- form und das physiologische Problem ihrer Entstehung« ausgedrückt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Körperform beim Embryo durch Spannung elastischer Platten allein bestimmt werden kann, und dergleichen Spannungen erklären nichts, wenn man direkt vor der Frage steht, warum sie sich ausspannen, und man muss dann wieder zu der örtlich verschiedenen Intensität in dem Wachsthum der Elemente seine Zuflucht nehmen. Die oben genannte Druck- und Zerrungstheorie wird auch auf pathologischem Gebiete in eben so unmotivirter Weise angewendet. Ich will dies nur in Kürze an einem einzigen Beispiel ausführen. In der Rachitis erblickt man bekanntlich die Ursache für mehr oder weniger ausgeprägte Schädelabweichungen, und weil diese Schädel- bildungen durch den Druck, welchen sie ausüben, einen unheilvollen Einfluss auf das Gehirn ausüben müssen, so wird Rachitis als eine Ursache von Geistesstörung angenommen. Diesem Beispiel möchte ich meinerseits ein anderes von mir selbst gegenüberstellen. Ra- chitis ist die Ursache für oft sehr bedeutende Riickgratsverkriimmun- gen. Diese drücken und modelliren das Rückenmark, aber Rachitis giebt niemals Phänomene von Rückenmarkskompression, außer da, wo diese Kompression am Rückenmark selbst deutlich zu erkennen ist. So scheint es auch mit dem Gehirn zu sein; ich kann mir nicht vorstellen, dass ein mehr oder weniger schiefer Schädel die Veran- lassung zu ernsteren Störungen der Hirnfunktionen sein sollte, wenn nicht die Folgen dieses Druckes anatomisch deutlich ausgesprochen sind. Man konstatirt zwei Thatsachen, eine mehr oder weniger ab- norme Schädelform und ein abnorm funktionirendes Gehirn, und nimmt Über den Bau des Säugethiergehirns. 79 an, dass das eine die Folge des anderen ist, ohne die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass beide Thatsachen vielleicht die Konsequen- zen, Koeffekte einer dritten noch unbekannten Ursache sein können. Noch in einer anderen Hinsicht verdient die Entwicklung der - Hirnwindungen Aufmerksamkeit. Wenn bisher von Windungen die Rede war, so hat man dabei ausschließlich die Windungen des Großhirns im Auge gehabt und niemals, oder doch nur sehr vorübergehend, an die eben so gut be- stehenden Kleinhirnwindungen gedacht, und niemals hat man sich - meines Wissens bemüht, das Entstehen beider Arten von Windungen mit einander in Verbindung zu bringen. Wahrscheinlich findet dies seine Ursache hierin, dass man das Entstehen der Großhirnwindun- gen immer — und wie es nun scheint mit Unrecht — der unzurei- chenden Ursache des Schädelwachsthums zugeschrieben, es aber a priori zu unwahrscheinlich gefunden hat, dass die Furchenbildung des Kleinhirns auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei. Im Folgenden will ich mich bemühen, das Entstehen von Win- dungen im Kleinhirn unter dieselben Gesichtspunkte zu bringen, wie ich das beim Großhirn gethan habe, und durch die Einheit, in welche diese beiden Hirnformationen gebracht werden können, wird, so hoffe ich, die Erklärung selbst um so wahrscheinlicher werden. Hierbei gehe ich von der Thatsache aus, die ich im ersten Theil dieser Studie zu demonstriren gesucht habe, dass die Ent- wicklung des Kleinhirns mit der des Großhirns in engem Verbande steht und dass jede Vermehrung der Großhirnoberfläche auch mit einer dem entsprechenden Vermehrung der Oberfläche des Kleinhirns sich kombinirt. Diese Zunahme der Kleinhirnoberfläche bedingt wiederum eine Vermehrung der Leitungsbahnen der Associations- fasern im Kleinhirn, sowie des gesammten Systems der intellek- tuellen Bahn. Auf diese Weise müssen aus derselben Ursache, die bei Gelegenheit der Großhirnoberfläche besprochen wurde, auch an der Oberfläche des kleinen Gehirns Furchen und Windungen ent- stehen. Dies ist das allgemeine Princip, aber die speciellen Entwick- lungsbedingungen des Kleinhirns im Gegensatz zum Großhirn modifi- eiren dies Prineip noch erheblich für ersteres. Das Entstehen der Windungen im großen und im kleinen Hirn hält nicht gleichen Schritt und es ist hierüber Folgendes zu bemerken. Bei den niederen Säugethieren, wo man ein lissencephales Groß- hirn antrifft, findet man im kleinen Hirn bereits gut entwickelte oT tee Yee S80 G. Jelgersma Windungen vor, wie denn ein Kleinhirn ganz ohne Windungen bei den Siiugethieren nicht zu entdecken ist. Eben so ist es bei den Vögeln; obschon bei dieser Thierklasse die Zunahme der grauen Substanz des Großhirns auf andere Weise zu Stande gekommen ist als bei den Säugethieren und in Folge hiervon das Mittelstück des Kleinhirns allein sich gebildet hat, so findet man doch auch hier in diesem Mittelstücke deutliche Windungen. Um ein glattes, windungs- loses Kleinhirn zu finden, muss man zu noch niedrigeren Formen der Wirbelthiere herabsteigen und kommt zu Reptilien, Amphibien und Fischen, obschon auch hier nicht ausnahmslos!. Man sieht also, dass in dem Gehirn der Wirbelthiere die Furchen und Windungen des Kleinhirns eher entstehen, als die des großen Gehirns. Was mag die Ursache hiervon sein? Dieses Phänomen lässt sich auf folgende Weise erklären. Gehen wir von Formen aus, wo sowohl die Oberfläche des großen wie des kleinen Gehirns glatt ist, z. B. bei den Reptilien, so findet von hier aus die Zunahme der Hirmsubstanz auf zweierlei Weise statt: 1) Durch ausschließliches Dickenwachsthum der Stammganglien, wie es bei den Vögeln der Fall ist; hierbei kann natürlich von Windungen und Furchenbildung keine Rede sein, weil graue Sub- stanz und Leitungsbahnen überall gleichmäßig dureh einander ver- streut liegen. Bei dem Kleinhirn jedoch findet man nieht diese Zunahme der grauen Substanz en masse; diese breitet sich hier mehr längs der Oberfläche aus und durch Adaptation von Oberfläche (grauer Substanz) und Inhalt (Leitungsbahnen) entstehen hier bei den Vögeln die Win- dungen im Kleinhirn, während sie im Großhirn noch fehlen. 2) Durch Dickenwachsthum, kombinirt mit stärkerem Flächen- wachsthum, wie man es bei Säugethieren findet. Durch diese kom- binirte Wachsthumsart trifft man bei den niederen und kleineren Säugethieren noch keine Hirnwindungen an. Hier können sich erst ! Namentlich unter den Selachiern finden sich mit mehr oder minder zahl- reichen Windungen versehene Kleinhirnbildungen. Die Selachier besitzen keine Mantelsubstanz des Großhirns; die großen Massen grauer Substanz in ihrem Vorderhirn dürften wahrscheinlich den Stammganglien der höheren Wirbelthiere homolog sein. In Verband damit ist namentlich der mittlere Theil des Klein- hirns, ähnlich wie dies die Vögel zeigen, am besten entwickelt. Hinsichtlich der Sicherstellung des Details bedarf es jedoch noch eingehender Untersuchun- gen; auch die sehr verdienstlichen letzten Untersuchungen EDINGER’s dürften diese Frage noch nicht zum endgültigen Abschlusse gebracht haben. Über den Bau des Säugethiergehirns. 81 dann Windungen bilden, wenn die Flächenausdehnung der grauen - Mantelsubstanz so groß wird, dass durch die bogenförmige Umspan- nung der Stammganglien, aus den bereits erwähnten Ursachen, ein zu großer Raum für die weiße und eine zu kleine Oberfläche für die graue Substanz entsteht. Im kleinen Hirn dagegen findet beinahe nirgends eine massivere Anhäufung grauer Substanz statt, sondern es besteht von Anfang an ganz vorwiegend Flächenwachsthum, wesshalb hier früher die Um- stände gegeben sind, die zur Bildung von Furchen und Windungen - für nothwendig erachtet werden müssen. Das Kleinhirn ist also dem Großhirn in der Furchenbildung vor- aus und es ist nothwendig, hier auf einen Umstand aufmerksam zu machen, welcher, aus dem anatomischen Bau der Kleinhirnrinde - folgend, zur Beförderung des Flächenwachsthums beiträgt und da- durch ein frühes Entstehen von Windungen begünstigt. Von den drei Schichten, aus denen die Rinde des Kleinhirns besteht, besitzt die oberste Lage wahrscheinlich keine Ganglienzellen oder Nervenfasern außer den Ausläufern der PurkixJe’schen Gan- glienzellen, sondern nur die Zwischensubstanz und kleine Zellen, die wahrscheinlich nicht nervöser Art sind. Auf diese Lage folgt die Schicht der Purkryse’schen Zellen. Diese ist nur eine Zellen- lage dick und breitet sich wie eine dünne Decke über die darunter _ liegende Schicht aus. Anhäufungen dieser Zellen findet man nicht; nur bei der Katze trifft man, so viel ich weiß, hier und da kleine Zellenhaufen an. Es sind wahrscheinlich gerade diese Zellen, die sich mit den markhaltigen Nervenfasern der tieferen Lage verbinden und unter einander durch Associationsfasern zusammenhängen, und weil nun gerade diese Zellenlage solche außerordentliche Flächen- _ausbreitung besitzt, aber nirgends Neigung verräth, massive Zellen- anhäufungen zu bilden, so ist dies sicherlich ein belangreiches Mo- ment, warum das Kleinhirn eine so ausgesprochene Neigung zur Furchen- und Windungenbildung verräth. Unter dieser Lage Pur- xınJe’scher Zellen findet man eine Körnerschicht. Obschon sie höchst wahrscheinlich nervöser Art ist, steht sie nicht in so direktem Ver- bande mit den massiven Leitungsbahnen, und überdies bleibt diese Schicht immer schmal und verräth nirgends größere Anhäufungen. In der Großhirnrinde findet man solche ausschließliche Flächen- ausbreitungen nicht. Hier liegen die Zellen viele Lagen dick über einander und ein ziemlich großer Theil steht mit den Leitungsbahnen in direkter Verbindung. Man hat es hier, obschon die Flächenausbreitung Morpholog. Jahrbuch. 15. 6 82 G. Jelgersma sehr ansehnlich ist, doch stets mehr mit Dickenwachsthum zu thun als im Kleinhirn, abgesehen natürlich von den dieken Massen grauer Substanz an der Basis des Großhirns. Bei den höheren Säugethieren ist denn auch immer der Win- dungstypus des Kleinhirns weiter entwickelt als der des Großhirns; die Furchen sind regelmäßiger, mehr von einem Centrum ausgehend, und dabei viel feiner und schmaler, mit mehr sekundären und selbst tertiären Windungsformationen. Die Neigung zur Furchenbildung — die Folge von mehr ausgesprochenem Flächenwachsthum — zeigt sich beim Kleinhirn stärker, als es jemals beim Großhirn der Fall ist. Ich kann nicht unterlassen, die Aufmerksamkeit noch auf den Nucleus olivaris und das Corpus dentatum cerebelli zu richten. Diese Ganglien gehören zu den intellektuellen Bahnen und Centren der Me- dulla oblongata und stehen als solche in ihrer Entwicklung mit der der Großhirnoberfläche im engsten Connex. Gut entwickelt kommen sie nur bei den Primaten und vielleicht bei den Wassersäugethieren vor, und man findet sie hier in einer Form, die unverkennbar an die Windungsbildung der Gehirnrinde erinnert. Wenn man sich beide Kerne frei präparirt denkt, so hat man eine gewundene und gerun- zelte Oberfläche, was man als Adaption der Flächenausdehnung an den Inhalt der umliegenden Nervensubstanz betrachten muss. Es muss dem Leser aufgefallen sein, dass ich mich bei der Er- klärung des Entstehens der Hirnwindungen so ausschließlich auf ver- gleichend-anatomischem Gebiete bewegt und die Embryologie, in der gerade die unglücklichen Druck- und Zerrungstheorien so fruchtbaren Boden gefunden haben, bei Seite gelassen habe. Wenn man gegen- wärtig ein embryologisches Buch! liest, hat man thatsächlich den Eindruck, als ob das arme Hirn zusammengedrückt und gestampft worden wäre. Ich habe dies mit Absicht unterlassen, weil wir hier noch zu wenig wissen und sicherlich nicht den zehnten Theil von alle dem, was in den Lehrbüchern steht, erklären können. Gleichwohl sind einige Thatsachen zur Verfügung, die ich hier in Kürze resümiren will. Weil die Verhältnisse beim Kleinhirn die einfachsten sind, werde ich mit diesem beginnen. Die Entwicklung der Kleinhirnwindungen beginnt verhältnismäßig früh, beim Menschen bereits im dritten Monat, und wohl zuerst am 1 Das »Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbel- thiere« von ©. HERTWIG macht hiervon eine rühmliche Ausnahme. F | | | | ? Uber den Bau des Säugethiergehirns. 83 Vermis cerebelli; dieser verräth schon Windungen, wenn die He- misphären noch glatt sind. Vielleicht kann man diesen Umstand mit dem wahrscheinlichen Parallelismus des Wurms und der großen Stammganglien in Verbindung bringen, welche letzteren sich, wie bekannt, früher entwickeln als die Mantelsubstanz. Die Anatomie des ausgewachsenen Vogelhirns giebt dieser Hypothese noch mehr Wahrscheinlichkeit. Die Entwicklung der Furchen an den Klein- hirnhemisphären darf also als stärkere Ausdehnung der Oberfläche, in Folge der Entwicklung der Mantelsubstanz, aufgefasst werden. Die Entwieklung der Großhirnwindungen bietet embryologisch _ eigenthümliche Schwierigkeiten. Hier muss man nämlich Zweierlei _ unterscheiden: die vergänglichen und die bleibenden Windungen. Schon im dritten Monat treten beim Menschen Falten auf, die jedoch bis auf drei fast alle wieder verschwinden; diese bleibenden sind: Suleus hippocampi, S. parieto-oceipitalis und S. calcarinus. Auffallend ist es, dass alle diese drei Sulci mit der Randwindung in Verbindung ee nl a eS ee eee stehen. Im fünften und sechsten Monat ist die Manteloberfläche des Großhirns wieder glatt und von nun an beginnt erst die Bil- dung der bleibenden Windungen. In dieser Periode sind die Klein- hirnwindungen bereits voll entwickelt, auch an seinen Hemisphären. Weil wir mit der Bedeutung der primären, später wieder verschwin- denden Windungsbildungen im Großhirn ganz unbekannt sind, lässt ‚sich mit den embryologischen Thatsachen so wenig ausrichten. Hier kann man der Phantasie freies Spiel lassen, und sich unendlich viel Drückungen und Spannungen vorstellen. und dies um so bequemer, als Niemand sie wahrnehmen kann. Jedoch ist das Eine sicher. dass das kleine Gehirn sich in einem frühen Zeitabschnitt und dauernd in Falten legt, dass hier auch die Furchenbildung leichter von statten zu gehen scheint und dass die Ontogenese der Windungen sich auf dieselbe Weise auffassen lässt, wie dies weiter oben aus vergleichend-anatomischen Gründen aus einander gesetzt worden ist. Das Resultat des zweiten Theiles dieser vorläufigen Mittheilung ist in Kurzem folgendes: 1) Das Entstehen von Windungen und Furchen im großen so- wohl als im kleinen Hirn ist unabhängig vom Schädelwachsthum, un- abhängig vom Verlauf der Blutgefüße,: sowie überhaupt von Allem, ‘was außerhalb des Hirns selbst liegt; die Windungen müssten ent- stehen, selbst wenn gar kein knöcherner Schädel vorhanden wäre. 2) Die Bildung von Windungen und Furchen ist einfach die 6* 84 G. Jelgersma, Über den Bau des Säugethiergehirns. ? Folge der Neigung der an der Oberfläche befindlichen Lagen zur { Flüchenausdehnung und einer gegenseitigen Raumaccommodation der grauen Substanz und der weißen Leitungsbahnen. Am Kleinhirn sind diese Verhültnisse am deutlichsten zu demonstriren. Wesshalb die graue Substanz, vor Allem bei den Säugethieren, diese Neigung zum Flächenwachsthum so stark verräth, ist unbe- kannt. Es ist der Vortheil dieser Theorie — abgesehen von ihrer Ein- fachheit — dass sie die Entstehung der Windungen im großen, so- wie im kleinen Hirn erklärt. Sie bringt beide Processe unter einen gemeinschaftlichen Gesichtspunkt, während die bisherigen Theorien sich fast ausschließlich mit dem Großhirn beschäftigt haben, ohne sich irgendwie auf das kleine Hirn anwenden zu lassen. Erklärung der Abbildungen. Tafel IV. Die Bahnen, welche von der Großhirnrinde ausgehen und nach dem Klein- hirn sich begeben, sind roth, die vom Kleinhirn nach dem Großhirn verlaufen- den sind blau gezeichnet. 1. Rinde des Großhirns. 2. Stammganglien. 3. Thalamus opticus. 4. Nucleus ruber. 5. Ganglien des Pons Varoli. 6. Nucleus olivaris inferior. 7. Corpus dentatum cerebelli. 8, 9, 10. Centrifugale Bahn aus der Großhirnrinde durch die Capsula interna und den Pes pedunculi nach dem Pons Varoli. 11. Dorsale Fasern aus dem Pons Varoli nach der Kleinhirnrinde der entgegengesetzten Seite. 12. Ventrale Fasern aus dem Pons Varoli nach der Kleinhirnrinde der entgegengesetzten Seite. (Fig. 11 und 12 Brachium pontis.) 13. Centrifugale Bahn (aus dem Nucleus lentiformis?) nach dem Nucleus olivaris. 14. Pyramide. 15. Schleife. 16. Kleinhirnrinde. 17. Verbindungen zwischen Kleinhirnrinde und Nucleus dentatus cerebelli. 18. Pedunculi cerebelli ad cerebrum nebst ihrer Kreuzung und Verbindung mit dem Nucleus ruber. 19.. Gekreuzte Verbindung des Nucleus olivaris mit dem Vermis cerebelli. 20. Faserausstrahlungen des Nucleus ruber nach dem Thalamus opticus. 21. Verbindung des Thalamus opticus mit der Großhirnrinde. Morpholog. Jahrb. Bd. XV. Ielgersma gez. Lith duty. A Finke Leipzig. Schema der intellectuellen Bahnen und Centra (Verbindung zwischen Gross- und Klankirn) bei den Säugethieren.. ‘ Verlag von Wilh. Engelmamn in Leipzig. 1 - . « e t 5 t Y r Are ; ‘ ; i ‘ i f : ' i 4 x = r - Mr a . £ w * 4 | Uber die Zahl der Richtungskörper bei befruchteten und unbefruchteten Bieneneiern. Von Prof. F. Blochmann. Mit Tafel V. Die ‘Beobachtungen, welche ich hier mit den nöthigen Abbil- dungen versehen vorlege, wurden schon im Sommer des vorigen Jahres kurz mitgetheilt!. Ich verschiebe diese ausführliche. Dar- stellung nicht, wie ich ursprünglich beabsichtigte, so lange bis ich noch einige andere Objekte untersucht habe, weil man bei diesen Studien vielfach vom Material und günstigen Zufall so abhängig ist, dass man nicht mit Bestimmtheit einen Zeitpunkt annehmen kann, bis zu welchem die Arbeit den gewünschten Abschluss erreicht hat. Ein weiterer Grund, die Ergebnisse jetzt schon vorzulegen, ist, dass PLATNER?, ganz unabhängig von mir und bei einem anderen Objekte, zu denselben Resultaten kam, die ich bei der Biene erlangte. 1 Verhandlungen des naturh. med. Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. IV. 2. Heft. 1888. pag. 1—3. : 2 G. PLATNER, Die erste Entwicklung befruchteter und parthenogenetischer Eier von Liparis dispar. Biol. Centralblatt.. Bd. VIII. 1888. Nr. 17. pag. 521 —524. — Herr Dr. PLATNER hatte die große Freundlichkeit, mir eine Anzahl ‘seiner Präparate von Liparis zur Ansicht zuzusenden. Diese sind ausgezeichnet. Ich kann nach ihnen seine Angaben hinsichtlich der Richtungskörperbildung in jeder Beziehung bestätigen. Gleichzeitig will ich bemerken, dass für Nach- untersuchungen Liparis dispar eben so wie Bombyx mori, Pieris bras- ‘sicae und vielleicht noch andere Schmetterlinge ein vorzügliches Material sind, da die Kerne verhältnismäßig reich an Chromatin und die Kernplattenelemente in Folge davon ziemlich groß sind. 86 F. Blochmann Ich habe schon in meinen früheren Mittheilungen über die Rich- tungskörper bei Insekten! darauf hingewiesen, dass es von Wichtig- keit wäre, die Zahl der Richtungskérper bei solehen Eiern festzu- stellen, welche, ohne befruchtet zu sein, regelmäßig zu männlichen Thieren sich entwickeln, denn überall da, wo für unbefruchtet sich entwickelnde Eier die Einzahl der Richtungskörper festgestellt wurde, handelte es sich um solche, aus welchen Weibchen hervor- gehen. Will man nun Eier untersuchen, die sich, ohne befruchtet zu sein, regelmäßig zu Männchen entwickeln, so bietet sich als erstes und in mancher Beziehung bequemstes Material die Honigbiene, bei welcher mit aller wünschenswerthen Sicherheit festgestellt ist, dass unbefruchtete Eier stets männlichen Thieren den Ursprung geben. Es ist ferner leicht, die unbefruchteten Eier auch von befruchte- ten Königinnen zu erhalten, da regelmäßig solche abgelegt werden. Gleichzeitig sind sie mit Sicherheit von den befruchteten zu unter- scheiden, da sie in besondere Zellen, die sog. Drohnenzellen, abge- setzt werden?. Auch in technischer Beziehung bieten die Bieneneier nur geringe Schwierigkeiten, da die Eihüllen sehr zart sind. Gleich- zeitig begann ich noch die Untersuchung der Eier von Nematus ventricosus, von welchem wir durch v. SIEBOLD's sorgfältige Untersuchungen wissen, dass aus den unbefruchteten Eiern, wenn vielleicht auch nicht ganz ohne Ausnahme, so doch in den aller- meisten Fällen männliche Thiere entstehen. Ich konnte mir aber von dieser sonst gemeinen Blattwespe nur verhältnismäßig wenig Larven in der hiesigen Gegend verschaffen und von diesen gingen mir unglücklicherweise die meisten zu Grunde, so dass ich zu wenig Eier erhielt, um die Untersuchung durchführen zu können. . .. Noch mehr Hoffnung hatte ich auf die Untersuchung von Cher- mes abietis L. gesetzt, weil hier der Fall vorliegt, dass bei der- selben Art aus unbefruchteten Eiern sowohl Männchen als 1 Biol. Centralblatt. Bd. VII. pag. 108-111. Morph. Jahrb. Bd. XII. pag. 544—574, ? Ich ergreife die Gelegenheit, um Herrn RurscH in Heidelberg, einem eben so eifrigen als umsichtigen Bienenzüchter, meinen verbindlichsten Dank zu sagen. Derselbe stellte mir mit der größten Bereitwilligkeit seinen Bienen- stand zur Verfügung und unterstützte mich durch seine große praktische Er- fahrung. Eben so bin ich dem Vorstande des hiesigen Bienenziichtervereins, Herrn Pfarrer Rıeum und Herrn Geometer TREIBER für Überlassung von Ma- terial zu Dank verpflichtet. ei Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 87 Weibchen entstehen können und weil gleichzeitig wirkliche Rich- tungskörper von dem Ei abgeschnürt werden, während bei den Hy- menopteren — eben so wie bei Dipteren und Lepidopteren — wahr- scheinlich allgemein die Abschnürung unterbleibt und nur die nöthigen - Kerntheilungen stattfinden. Auch hier hatte ich leider keine wesent- lichen Ergebnisse zu verzeichnen, da während der Entwicklungsperiode so kaltes und regnerisches Wetter war, dass ich das nöthige Material nicht erhalten konnte. Um mich für das nächste Frühjahr gegen solche Zufälle zu schützen, habe ich gelegentlich meiner Unter- suchungen über den Entwicklungseyklus von Chermes Kulturen auf in Töpfe gepflanzten Bäumchen angelegt, so dass ich wohl mit ziem- licher Sicherheit darauf rechnen kann, im kommenden Frühjahre diese Fragen zu erledigen. Ich kann hier gleich anfügen, dass ich für unbefruchtete Eier von Ch. strobilobius Kltb., aus welchen parthenogenetisirende Weibchen entstehen, die Abschnürung nur eines Richtungskörpers festgestellt habe. Das Objekt meiner Untersuchungen, das Bienenei, ist zu be- kannt, als dass ich bier viel über dasselbe zu sagen hätte. Nur Weniges zur leichteren Orientirung für das Nachfolgende soll be- merkt werden. Das hintere Ende, mit welchem es in der Zelle fest- geklebt wird, ist etwas dünner als das Vorderende. Die eine Lang- seite ist schwach konkav — der Rückenseite des entstehenden Em- bryo entsprechend — die ihr gegenüber liegende ist konvex. An der konvexen Seite, ziemlich nahe am Vorderende, liegt der Eikern, welcher schon im reifen Ovarialei zur Spindel sich umgewandelt hat. In Folge ihrer Gestalt sind die Eier leicht zu orientiren. Die folgende Untersuchung wurde durchaus an sagittalen Längsschnitten angestellt. Fig. 1 stellt einen solchen Schnitt durch ein frisch abgelegtes Ei dar. Die beiden Kernplattenhälften sind schon etwas aus ein- ander gerückt und zwischen denselben wird die Zellplatte sichtbar. In Fig. 2 ist die Theilung der Spindel noch weiter fortgeschritten ; in diesem Präparate waren auch die achromatischen Spindelfasern etwas zu erkennen. Bei den meisten Präparaten ist davon wenig zu sehen (wohl in Folge der Präparation). Auch bei den früher von mir untersuchten Objekten waren dieselben meist nur recht un- vollständig zu erkennen, mit Ausnahme von Pieris brassicae. Auch an den von PLATNER mir zugesandten Präparaten von Liparis dispar treten sie gut hervor. In Fig. 3 ist die Theilung des Eikernes vollendet. Die äußere 88 F. Blochmann Hälfte ist der erste Richtungskern, die innere wandelt sich zum zweiten Richtungsamphiaster um, wie Fig. 4 zeigt. Zwischen den in Fig. 4 und 5 dargestellten Stadien ist eine kleine Lücke, in so fern das Theilungsstadium des zweiten Rich- tungsamphiasters, welches etwa den in Fig. 1 und 2 dargestellten des ersten entsprechen würde, fehlt. Es gelang mir nicht unter meinen Schnitten ein solches Stadium aufzufinden. Dies ist jedoch ohne Bedeutung, da die folgenden Stadien auch ohnedem leicht zu verstehen sind. Fig. 5 zeigt das Resultat der vollendeten Theilung, nämlich den © Pronucleus und den zweiten Richtungskern. Der erste Richtungskern bleibt nun bei dem Bienenei, so weit meine Beobachtungen reichen, stets ungetheilt, wie dies auch sonst bei Insekten vorkommt (z. B. Blatta germanica und Aphiden). - In anderen Fallen (Musca vomitoria, Liparis dispar nach PLATNER theilt es sich regelmäßig in zwei Kerne. In allen Fällen, welche man bisher genauer untersucht hat, ergab sich weiter, dass der zweite Richtungskern ungetheilt blieb!. Bei Apis scheint aber doch recht häufig eine Theilung dieses zweiten Richtungskernes vorzu- kommen. In Fig. 5 und 6 lässt sich davon nichts erkennen, da- gegen tritt dies in den den Figuren 7 und 8 zu Grunde liegenden Präparaten deutlich hervor. In Fig. 7 sehen wir an Stelle des zwei- ten Richtungskernes deutlich zwei getrennte Körnchengruppen, in Fig. 8 liegen dieselben noch näher zusammen und zwischen den- selben ist eine Zellplatte angedeutet. Dass die Dreizahl der Körn- chengruppen (Richtungskerne) nicht wie sonst durch eine Zweithei- lung des ersten Richtungskernes zu Stande kommt, ist hier ganz sicher, da dieser stets direkt unter der Oberfläche des Eies und ziemlich weit von den beiden anderen Körnchengruppen getrennt liegt und da an ihm in keinem Präparat die Andeutung einer Thei- lung beobachtet werden konnte. Der © Pronucleus nimmt bald Bläschengestalt an und rückt nach der Eiachse zu, um sich hier alsbald in eine Spindel umzu- wandeln und so durch weitere Theilungen den Kernen der Blasto- dermzellen den Ursprung zu geben. Die erste Theilung des © Pro- nucleus ist in Fig. 11 Z.A zu erkennen. Während der Pronucleus seine Wanderung nach innen vollzieht, gehen an den zwei resp. ! Bei der Korrektur kann ich hier noch anfügen, dass nach den Beob- achtungen von M. Nusspaum (Zool. Anz. 1889, Nr. 301. pag. 122) auch bei Pollicipes gelegentlich eine Theilung des zweiten Richtungskörpers vorkommt. | Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. §9 drei Richtungskernen ähnliche Veränderungen vor, wie ich sie bei Musca vomitoria gefunden habe. Die Richtungskerne nehmen jedoch nicht wie dort Bläschenform an, sondern rücken, so wie sie sind, näher zusammen und werden von einer ziemlich großen Va- cuole des oberflächlichen, von Dotter freien Plasmas umschlossen. In dieser Vacuole zerfallen sie in feine Chromatinkérnchen, welche dann durch den ganzen Hohlraum der Vacuole sich zerstreuen (Fig. 11). Die Vacuole (Richtungskernmasse) ist noch in den ersten Stadien der Blastodermbildung leicht nachzuweisen. Man darf wohl annehmen, dass ihr Inhalt, die Chromatinkörnchen, später aus dem Ei entfernt wird. Ich habe diesen Punkt nicht weiter verfolgt, da er für uns hier kein besonderes Interesse hat. In wenigen Präpa- raten habe ich auch gefunden, dass zwei getrennte solche Vacuolen existiren. Im Anschluss an die unbefruchteten Drohneneier habe ich die- selben Vorgänge ‘auch bei den befruchteten Eiern, die sich zu Ar- beitern entwickeln, untersucht. Ich kann darüber sehr kurz sein. Denn die Theilungen des Eikernes verlaufen hier genau in derselben Weise, wie dies eben geschildert wurde: es entstehen so der erste Richtungskern, der sich, so weit meine Beobachtungen reichen, nicht mehr theilt, der zweite Richtungskern, welcher auch bei diesen be- fruchteten Eiern sich fast stets in zwei andere Körnchengruppen theilt (Fig. 13) und schließlich der © Pronucleus, welcher, nach der Eiachse zuwandernd, mit einem eingedrungenen Spermakerne ko- pulirt. Auch hier habe ich z. Th. zwei Spermakerne im Ei beob- achtet. In Fig. 12 und 13 ist dies der Fall; beide Spermatozoen zeigen in Fig. 12 den Kopf noch wenig verändert, in einen Streifen dotterfreies Plasma eingebettet. Die Spermakerne nehmen bei längerem Verweilen im Ei die Gestalt von ziemlich großen hellen Blasen an, in welchen wenige Chromatinkörnchen suspendirt sind (Fig. 13). Auch der © Pro- nucleus macht eine ähnliche Umwandlung durch und in diesem Zu- stande scheint dann der © Pronucleus mit seinem Spermakerne zu verschmelzen (Fig. 13). Was aus dem oder den anderen sonst noch eingedrungenen Spermakernen wird, kann ich nicht angeben. Das Ergebnis nun, dass die unbefruchtet sich entwickelnden Eier der Biene zwei Richtungskörper bilden, oder richtiger gesagt zwei Richtungskerne (durch zweimalige Theilung des Eikernes), wird durch die Resultate PLATxer's bei Liparis dispar in sehr er- wünschter Weise bestätigt. 90 kam F. Blochmann Wie schon erwähnt, habe ich die Bieneneier gewählt als Bei- spiel. wo unbefruchtete Eier sich regelmäßig zu männlichen Thieren entwickeln, weil alle vorher untersuchten Fälle von parthe- nogenetischen Eiern, in denen nur ein Richtungskörper gefunden wurde, solche waren, dass die Eier weiblichen Thieren den Ursprung gaben. Die bestehende Differenz in der Zahl ist auffallend. Ich bin jedoch weit entfernt davon, auf dieses Ergebnis jetzt schon irgend welche Theorie aufzubauen; denn gerade das Objekt PLAr- NER’s mahnt zur Vorsicht, in so fern es wahrscheinlich ist, dass aus den von ihm zur Untersuchung benutzten unbefruchteten Eiern so- wohl Männchen als Weibchen hervorgegangen wären. Denn dies scheint bei den meisten Schmetterlingen, bei welchen ausnahms- weise Parthenogenese beobachtet wird, der Fall zu sein. Jedenfalls kann Liparis dispar erst dann in dieser Frage für vollwerthig gelten, wenn durch eine größere Anzahl von Züchtungsversuchen festgestellt sein wird, welches Geschlecht die aus unbefruchteten Eiern entstehenden Thiere haben. (Vgl. dazu GERSTÄCKER: Die Arthropoden in Bronn’s Klassen und Ordnungen. Bd. V. pag. 166, wo nach den Beobachtungen von CARLIER erst die dritte parthenogenetisch erzogene Generation von Liparis dispar nur aus Männchen be- stand.) So, wie die Verhältnisse bis jetzt liegen, kann man nicht ohne Weiteres sagen, dass Eier, welche unbefruchtet sich zu männlichen Thieren entwickeln, zwei Richtungskörper bilden, im Gegensatz zu denjenigen, aus denen Weibchen entstehen. Es könnte nämlich auch der Fall sein, dass solche Eier, die normal der Befruchtung be- dürfen, aber gleichzeitig auch die Fähigkeit besitzen, sich bei aus- bleibender Befruchtung parthenogenetisch zu entwickeln, stets zwei primäre Richtungskörper bilden, mag Befruchtung eintreten oder nicht, dass dagegen Eier, die regelmäßig nicht befruchtet werden, oder überhaupt nicht befruchtet werden können, nur einen Richtungs- körper ausstoßen (Daphniden, Rotatorien, Aphiden), gleichgültig ob daraus of oder © entstehen!. ! Betreffs dieses Punktes kann ich hier noch vorläufig Folgendes hinzu- fügen. Schon im Sommer 1887 suchte ich nach Nematus ventricosus, konnte das Thier aber in der hiesigen Gegend nicht erhalten; dagegen fand ich auf Stachelbeeren (Riber grossularia L.) die Larve einer anderen Blattwespe in größerer Zahl; ich bestimmte sie vorläufig als Emphytus grossulariae Klg. Von diesen zog ich eine größere Anzahl auf in der Hoffnung, dass aus den unbefruchteten Eiern sich vielleicht auch Männchen entwickeln würden. at MEAS Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 91 Die definitive Entscheidung darüber, ob die Zahl der Richtungs- körper bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern in irgend einem Zusammenhange mit dem Geschlechte des entstehenden Thie- res steht, wird sich, wie oben schon angedeutet, am besten bei Chermes oder auch bei anderen Aphiden ergeben, weil hier aus parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern desselben Thieres theils Männchen, theils Weibchen hervorgehen. Die Thatsache aber, dass bei manchen Thieren die partheno- genetisch sich entwickelnden Eier regelmäßig zwei Richtungskörper bilden, ist in so fern von besonderer Wichtigkeit, als sie die Halt- losigkeit der von WEISMANnN aufgestellten Theorie über die Bedeu- tung der Richtungskörper beweist. Es sind ja gegen dieselbe auch sonst schon verschiedene Einwände geltend gemacht worden, auf welche ich aber hier nicht näher eingehen will. Es wird dies besser erst dann geschehen, wenn das noch weiter nöthige Material an Thatsachen vorliegt. Ich benutze die Gelegenheit, um mit wenigen Worten noch auf einige Schriften einzugehen, die mit dem behandelten Thema im Zusammenhang stehen. Zuerst ist hier der Aufsatz von Henkine: Die ersten Ent- wicklungsvorginge im Fliegenei und freie Kernbildung! zu erwähnen. HENKINnG hat dabei hinsichtlich der Richtungskérperbildung im Dies war jedoch nicht der Fall, sondern ich erhielt stets (aus ca. 60 Eiern von verschiedenen Müttern und zu verschiedenen Zeiten) nur Weibchen. Gleich- zeitig fiel mir auf, dass aus ca. 30—40 im Freien gesammelten Larven nur ©@ entstanden. Dasselbe Resultat erhielt ich im vorigen Sommer mit Larven derselben Art von Jugenheim a. d. Bergstraße. Alle entwickelten sich zu CO und aus allen unbefruchteten Eiern entstanden @Q@. Ein 5 dieser Art ist mir bisher überhaupt noch nicht zu Gesicht gekommen. Unter diesen Umständen unterließ ich damals eine eingehendere Unter- suchung. Jetzt nahm ich das wenige Material, welches ich von diesen Eiern aufbewahrte, vor und ich glaube heute schon mit ziemlicher Sicherheit behaup- ten zu können, dass von diesen Eiern, welche sich, so weit bis jetzt bekannt, parthenogenetisch zu QQ entwickeln, auch zwei primäre Riehtungskörper ge- bildet werden. Ich gebe diese Mittheilung, des großen Interesses wegen, das die Frage besitzt, schon jetzt, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, sie im nächsten Frühjahre durch eingehendere Beobachtungen sicherzustellen. Sollten sich diese Beobachtungen bestätigen, so würde die zweite oben ange- deutete Auffassung, dass nämlich normal befruchtungsbedürftige, fakultativ aber auch parthenogenetisch sich entwickelnde Eier stets zwei Richtungskörper bilden, bedeutend an Wahrscheinlichkeit gewinnen. 1 Zeitschr. für wissensch. Zuologie. Bd. XLVI. 1858. pag. 289—336. 92 F. Blochmann Wesentlichen dieselben Dinge gesehen, wie ich sie bereits vorher beschrieben hatte. Er deutet jedoch die Untersuchungsergebnisse ganz anders, indem er von den drei an der Eioberfläche liegenden Richtungskernen zwei für Spermakerne, einen für den © Pronucleus erklärt. Es wäre nicht schwer, Schritt für Schritt nachzuweisen. wie er dadurch zu einer falschen Auslegung kam, dass er den gan- zen Vorgang der Richtungskörperbildung verkehrt auffasste, indem er das Endstadium für das erste hielt und umgekehrt. Ich kann dies jedoch unterlassen, da HENKING selbst inzwischen seinen Irr- thum eingesehen und meine Erklärung der Vorgänge als die richtige anerkannt hat!. Trotzdem aber glaubt er auch in dem sich ent- wickelnden Fliegenei freie Kernbildung festgestellt zu haben. Ich bin aber der Überzeugung, dass HEnkıng durch weiter fortgesetzte Untersuchungen dazu kommen wird, auch diese Ansicht noch auf- zugeben. Weiter habe ich noch Einiges über WEISMAnN’s Schrift: »Das Zahlengesetz der Richtungskörper und seine Entdeckung« (Morph. Jahrb. Bd. XIV. 3. Heft. 1888) zu sagen. Es wird mir dabei aller- dings nicht möglich sein, die bewunderungswerthe Kraft der Weıs- MANN’schen Ausdrucksweise zu erreichen: ich strebe aber auch nicht danach. WEISMANN giebt zu, dass ich den Zahlenunterschied der Rich- tungskörper vor ihm betont habe, sagt aber, dies sei nur gelegent- lich geschehen, über das Zahlengesetz hätte ich nicht »gearbeitet «. Das ist ganz richtig; ich war vorsichtiger und wollte nicht auf we- nige Beobachtungen hin eine weitausschauende Theorie aufstellen. wie WEISMANN es gethan hat. Ich hatte damals schon die richtige Idee, dass unbedingt auch Eier zu untersuchen wären, welche sich. ohne befruchtet zu sein, zu männlichen Thieren entwickeln. Der Erfolg hat mir Recht gegeben; hätte WEISMANN diese Un- tersuchung vorgenommen, oder auch nur an die Möglichkeit einer Verschiedenheit gedacht, so hätte er seine Theorie nicht zu schreiben brauchen. WEISMANN sagt dann weiter, wenn ich unabhängig von ihm nicht nur eine erste Ahnung von der Möglichkeit des Zahlen- gesetzes gehabt, sondern dasselbe als meine Überzeugung hingestellt, 1 HENKING, Über die Bildung von Richtungskörpern in den Eiern der In- sekten und deren Schicksal. Nachr. der kgl. Ges. der Wissensch. zu Göttingen 1888. pag. 1-6. Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 93 mit neuen Beweisen gestützt hätte, so würde er mich als Mitentdecker anerkennen. Das habe ich nie verlangt und verlange es auch jetzt nicht. Ich habe nie die Weısmann’sche Theorie für richtig gehalten und konnte natürlich auch das Zahlengesetz, wie es von WEISMANN fixirt wurde, d. h. mit Gültigkeit für alle parthenogenetisch sich entwickelnden Eier, nicht als meine Überzeugung hinstellen, da damals noch die Untersuchung von Eiern ausstand, welche sich unbefruchtet an männlichen Thieren entwickeln und das damals vorliegende Ma- terial nach meiner Ansicht überhaupt nicht zur Aufstellung einer Theorie berechtigte. Was ich für mich verlangte, ist: zum ersten Mal öffentlich ausgesprochen zu haben, dass ein Unterschied in der Zahl der Richtungskörper bei befruchtungsbedürftigen und bei par- thenogenetisch sich zu Weibchen entwickelnden Eiern besteht. Dass ich dabei WEısmann’s Angaben über die Daphnideneier zur Stütze meiner Beobachtungen benutzte, ist selbstverständlich. Ich habe sie benutzt wie jede andere in der Litteratur enthaltene No- tiz. Wenn sie nicht vorgelegen hätten, so hätte ich jedenfalls genau dasselbe über meine Beobachtungen bemerkt, denn für mich standen sie und stehen sie heute noch fest genug auch ohne die WEISMANN’sche Bestätigung. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass wie WEISMANN verlangt, um die Einzahl der Richtungskörper bei den Aphiden festzustellen, der Nachweis erforderlich ist: »1) der Umwandlung des Keimbläschens zur ersten Richtungs- - spindel, 2) der Theilung derselben und Bildung eines ersten Rich- tungskörpers, und 3) der Umwandlung der centralen Hälfte dieser selben Richtungsspindel zum Furchungskern .«. ‘ Denn zweifelhaft über die Herkunft der Richtungskörper kann man nur sein, wenn zwei solche sich finden, da man dann aller- dings ohne genaue Untersuchung nicht wissen kann, ob beide vom Ei ausgestoßen wurden, oder ob der eine ausgestoßene sich theilte. Findet sich dagegen außerhalb des Eies stets nur ein Richtungs- körper, so wird wohl überhaupt keine andere Annahme übrig bleiben, als dass eben nur einer gebildet wird. WEISMANN stellt die von ihm vorgenommenen Änderungen der Citate-aus seinen und meinen Mittheilungen als irrelevant hin; ich überlasse die Beurtheilung dem Leser selbst. Dagegen habe ich zu dem nachfolgenden Passus doch Einiges zu bemerken. WEISMANN sagt, dass ich seine Angabe, dass er ab- sichtlich in seinen früheren Mittheilungen das Wichtigste verschwiegen habe, nicht traute, und fährt dann weiter fort: »Offenbar kann er 94 F. Blochmann nicht fassen, wie man mit einer solchen Erkenntnis, wie das ‚Zahlen- gesetz der Richtungskörper‘ sie ist, jahrelang umhergehen kann, ohne sie von sich zu geben. Es ist indessen von jeher meine Art gewesen, die Ergebnisse meiner Arbeit so lange zurückzuhalten und mit mir umherzutragen, bis sie einen gewissen Zustand der Reife erlangt hatten.« Ich begreife im Allgemeinen schon, dass man einen Gedanken ausreifen lassen kann, möchte mir aber nur die Frage erlauben, wie WEISMANN, wenn dies seine Art ist, dazu kam, die Idee von der partiellen Befruchtung in die Welt zu setzen, um sie wenige Wochen später selbst wieder zurückzunehmen. Das war doch sicher kein ausgereifter Gedanke! WEISMANN ist empört darüber, dass ich die STUHLMANN’sche Ar- beit mit seinen Untersuchungen in Zusammenhang gebracht und dar- aus geschlossen habe, dass seine Ansichten über das allgemeine Vorkommen der zwei Richtungskörper zu jener Zeit noch nicht be- sonders gefestigt gewesen sein könnten. Er schiebt die ganze Ver- antwortlichkeit für diese Arbeit Herrn STUHLMANN zu. Ich glaube aber, dass der Lehrer für die Erstlingsarbeit eines Schülers doch jedenfalls so weit verantwortlich ist, dass er nicht eine Arbeit publiciren lässt, welche er seiner festen Überzeugung nach im wesentlichsten Punkte als eine verfehlte bezeichnen muss. Es ist darum auch vollständig unnöthig, dass WEISMANN eine ganze Reihe von Zeugen auftührt, die ihm bestätigen sollen, dass er schon — zu jener Zeit in voller Ausarbeitung seiner Richtungskörpertheorie gewesen sei. Ich konnte mich bei meinen Erörterungen nur an das gedruckt vorliegende Material halten; was im Freiburger zoologischen Institut mündlich verhandelt wurde, konnte und brauchte ich nicht zu wissen. WeIsMANN hat dann zum Schlusse seiner Erörterung noch an dem Tone, in welchem ich die Arbeiten anderer, besonders jüngerer Forscher, kritisirt habe, Verschiedenes auszusetzen. Die Arbeiten, die er dabei wohl hauptsächlich im Auge hat, sind die schon er- wähnte Untersuchung STUHLMANN’s und die Arbeit HENkKING’s über das Phalangidenei. Ich habe diese Arbeiten schärfer kritisirt, weil sie auf an ungünstigem Material angestellte und nachweisbar ungenaue 1 WEISMANN und ISCHIKAWA, Uber partielle Befruchtung. Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. B. Bd. IV. 1. Heft. pag. 51—53. Nachtrag. Ebenda. 2. Heft. pag. 1—4 und Biol. Centralbl. 1888. Bd. VIII. pag. 430—436. Zahl der Richtungskörper bei befruchteten u. unbefruchteten Bieneneiern. 95 Beobachtungen oder offenbar unrichtige Deutung des Beobachteten sich gründend, Behauptungen aufstellten, die mit den sonst allge- mein geltenden, wohlbegründeten Ansichten in Widerspruch stehen. Es war dabei viel weniger das mangelhafte Untersuchungsergebnis. was mich zu einer schärferen Kritik bestimmte, als die Prätension, mit welcher diese ungenügenden Resultate, besonders in der Hen- KING’schen Arbeit, als absolut einwurfsfrei hingestellt wurden. Ich habe damit gesagt, was ich zu den Ausführungen Weıs- MANN’S noch bemerken zu müssen glaubte und betrachte damit die polemische Seite der Angelegenheit für mich als erledigt. Ich bin auch jetzt noch der Ansicht, dass es besser ist, die Untersuchung nach allen Seiten hin auszudehnen und dann erst zur Konstruktion einer Theorie zu schreiten, statt auf eine beschränkte Anzahl von Thatsachen hin eine umfassende Spekulation zu gründen, die sich nur zu bald als nicht haltbar erweist, da sie mit den Ergebnissen der Beobachtung in Widerspruch kommt. Erklärung der Abbildungen. Tafel V. Sämmtliche Abbildungen sind nach auf dem Objektträger mit Boraxkarmin gefärbten, in sagittaler Richtung geführten Paraffinschnitten gezeichnet. Zur Untersuchung wurde benutzt ZEıSS Apochr. hom. Imm. 2,0 mm Oc. Nr. 4 und 8. Vergrößerung der Abbildungen #%/,. Bezeichnungen. 4ı erster Richtungsamphiaster, Rn Richtungskernmasse, Ay zweiter Richtungsamphiaster, Qprn © Pronucleus, Rn, erster Richtungskern, sp Spermakern. En; zweiter Richtungskern, e bedeutet, dass die Figur aus zwei oder mehreren auf einander folgenden Schnitten kombinirt ist. Fig. 1—11 beziehen sich auf unbefruchtete (Drohnen-) Eier. Fig. 1, 2, 3. Drei verschiedene Theilungszustände des ersten Richtungsam- phiasters; in Fig. 1 und 2 die Zellplatte deutlich. Fig. 4. Umwandlung der inneren Hälfte des ersten Richtungsamphiasters zum zweiten Richtungsamphiaster. c. 96 F. Blochmann, Zahl d. Richtungskörper b. befruchteten u. unbefr. Bieneneiern. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 5 und 6. Aus der Theilung des zweiten Richtungsamphiaster ist der 7 zweite Richtungskern und der @ Pronucleus entstanden. (Fig. 5. e.) Der © Pronucleus hat schon Bläschengestalt angenommen und ist etwas weiter nach dem Eiinneren zu gerückt. Der zweite Richtungs- kern in Theilung. Ein ähnliches Stadium. In der aus dem zweiten Richtungskern ent- standenen Spindel ist eine Andeutung der Zellplatte zu bemerken. ce, und 10. Ähnliche Stadien. e. Die Richtungskerne sind zur Richtungskernmasse zusammengetreten. Diese ist eine helle, im dotterfreien Randplasma gelegene Vacuole, in welcher die Chromatinkörnchen als feine Wolke suspendirt sind. Im Centrum des Eies der erste Amphiaster des Eikernes. ce. Fig. 12 und 13 befruchtete (Arbeiter-) Eier. 12. 13. Ein Ei, das den fast vollständig getheilten ersten Richtungsamphiaster und zwei eingedrungene Spermatozoen zeigt. c. Ein etwas älteres Ei, bei welchem sich der Richtungskern II getheilt. hat und in welchem der stark angeschwollene © Pronucleus im Be- griff ist, mit einem ebensolchen Spermakerne zu kopuliren. spo ein anderer Spermakern. c. Morpholog. Jahrb. Ba.XV. . ‘ - ’ ; Tat V. - Aig3. Fi Fig.1 > Ag1 Is 7 2 4 ig: wa Fig. 10. ia ERBE = - j ay £ > | . 4 m I Ö \ Fig.2. 3 ah Ä ~ Rn 1, F y N : iy An, ä = N N Nat Rn,.- We. N y u oe a. \ \ 2 d Sprn B hen: é \ 1, ns : { \ ER A 4 a = o / E 2 = ZA Fig. &. fig. 6. \ > A; a An, = 50.5; Fig 72. 2 Bas I Rn fi > A a see SS Rn, rs prn 1 Ae Fe \ wt ; An, Sp Rn, 5 , 3 ly + pm % 8 Fig.13. 3 fig.7. Fig. 8. £ \ fg 7 IB: , \ x N \ . \ Fig. 9. Sp; Rn, En, ü Rin. > Rn, Rn, . E _& 4 J ¥ ” | we = xy i = \ 2 prn Spin AR 1 a re fn, 2 prn E \ t > \ | Sp, } | \ | | 2 pra Laer — — i rn ~ i — er a =< —— = — —— = —=* 4 T With. Engelmann re re Von Dr. Ernst Mehnert in Dorpat. Mit Tafel VL Vögel. Die Resultate dieser an ae verschiedener Vogel- en ausgeführten Untersuchung ermöglichten es, die Zusammen- setzung des Beckengiirtels der Vögel und seine Beziehungen zum Reptilienbeckengiirtel festzustellen. Überraschend war die Beobach- ögel in einem Stadium, in welchem man zuerst Knorpelgewebe erkennen kann, drei völlig gesonderte Knorpel unterscheiden ließ, weil gleiche Verhältnisse bei der ersten Anlage des Beckengürtels worden waren. Zudem widersprach dieser abweichende Befund direkt den Vorstellungen, die man sich von der primitivsten Form auf gewisse vergleichend-anatomische Verhältnisse die Ansicht be- gründet schien, dass der Beckengürtel sämmtlicher höheren Wirbel- thiere von einer einheitlichen Knorpelspange abzuleiten sei. 1 Untersuchungen über die Entwicklung des Os pelvis der Vögel. Morph. Jahrb. Bd. XII. pag. 259. 2 ALex. Bunce, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte des Becken- els der Amphibien, Reptilien und Vögel. Dorpat. Inauguraldiss. 1880. 3 Emi, ROSENBERG citirt von GEGENBAUR. Morph. Jahrb. Bd. II. 1876 | pag. 238 und Arrx. Bunce. Diss. pag. 7. Morpholog. Jahrbuch. 15. 7 98 Ernst Mehnert Um diese verwickelten Verhältnisse zu klären, unternahm ich vorliegende Untersuchung. Ich wählte als Untersuchungsobjekt die Säugethiere, denn nur von ihnen allein konnte ich voraussetzen, dass sie mit den Vögeln in keinem direkten genealogischen Ver- hältnisse stehen. Es war a priori zu erwarten, dass bei solchen Wirbelthieren auch die erste Anlage des Beckengürtels und auch der Entwicklungsmodus dieses Skelettheiles Verschiedenheiten auf- weisen würden von dem bei Vögeln erkannten Verhalten. Der Beckengürtel der ausgewachsenen Säugethiere besteht — falls man von Cetaceen, einigen Edentaten und Monotremen absieht — aus einer einheitlichen, der Fläche nach gekrümmten Knochen- platte, welche an der Grenze zwischen ihrem dorsalen und ventralen Abschnitte eine Einschnürung zeigt, so dass eine sanduhrförmige Gestalt resultirt. Der ventrale Abschnitt zeigt eine ovale Öffnung (Foramen ovale seu obturatorium). An dem Hüftbeine jugendlicher Säugethiere lassen sich jedoch auf Grund der Ossifikationsvorgiinge drei gesonderte Theile unter- scheiden, welche von sämmtlichen Forschern als Ilium, Ischium und Pubis bezeichnet und homolog gesetzt werden den betreffenden Ab- schnitten in dem Beckengürtel der übrigen höheren Wirbelthiere. Die Zusammensetzung aus drei gesonderten knéchernen Theilen, welche erst im Laufe der individuellen Entwicklung mit einander zu einem einheitlichen Skelettheile verwachsen, galt schon seit langer Zeit als charakteristisch für das Hüftbein der Säugethiere. Daher bezeichneten die ältesten deutschen Wundärzte das Hüftbein des Menschen als » Dreybein«. Eine neue Auffassung der Zusammensetzung des Beckengürtels und der relativen Bedeutung seiner knöchernen Komponenten machte sich geltend seit einer epochemachenden Entdeckung von Emit Ro- SENBERG!. Dieser Forscher entdeckte, dass bei menschlichen Em- bryonen der Abschnitt, welcher beim ausgewachsenen Menschen als Pubis bezeichnet wird, eine selbständige Anlage besitzt, während in diesem Stadium das Ilium und das Ischium zusammenhängend an- getroffen werden. Dieser Befund berechtigte zu der Auffassung, dass der Beckengürtel der Säugethiere ursprünglich sich nicht aus drei Bestandtheilen zusammensetzt, wie bisher auf Grund der Ossi- fikation angenommen wurde, sondern nur aus zwei, einem Scham- beintheil und einem Darmbeinsitzbeintheil. 1 Morph. Jahrb. Bd. Ii. pag. 238. Dessgleichen ALEXANDER BUNGE, Diss. pag. 7. IE ee Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 99 Eine andere Eigenthümlichkeit des Pubis gegenüber dem Ilium und Ischium wurde von GEGENBAUR nachgewiesen. GEGENBAUR! fand, dass bei einigen Säugethieren‘ das Pubis sich nur in geringem Grade an der Bildung des Acetabulum betheiligt, bei anderen sogar völlig von der Pfanne des Hüftgelenkes ausgeschlossen ist. Im Hinblick auf diese Befunde stellte GEGENBAUR? die Hypo- these auf: »dass der eigentliche Beckengürtel ursprünglich nur durch das Darmbein und Sitzbein, oder vielmehr durch ein später mit der Verknöcherung in diese beiden Stücke sich sonderndes Knorpelstück gebildet wird. Das Schambein wäre dann ein erst mit dem pri- mären Hüftbein sich sekundär verbindendes Stück, welches bei Am- phibien noch gar nicht nachgewiesen ist, unter den Reptilien bei Crocodilinen die primärsten Beziehungen zum Beckengürtel besitzt«. In derselben Mittheilung hebt GEGENBAUR? hervor, dass »die Phylogenie des Schambeins nicht einfach durch einen Sonderungs- vorgang aus einem indifferenten Schamsitzbein nachweisbar ist«. Eine weitere Bestätigung der von GEGENBAUR ausgesprochenen Hypothese ergaben die Untersuchungen von ALEXANDER BUNGE. BunGe* fand, dass bei der ersten Anlage des Os pelvis des Hühn- chens nur das Pubis sich selbständig anlegt. Somit ergab sich beim Huhne eine Übereinstimmung mit den Verhältnissen, wie sie RosEn- BERG bei menschlichen Embryonen schon früher beobachtet hatte. Obgleich es somit als bewiesen angesehen werden musste, dass dem Beckengürtel der Säugethiere zum mindesten zwei ursprünglich von einander getrennte, morphologisch differente Stücke zu Grunde liegen, suchte Huxrey, mit Hintansetzung dieser embryologischen Ergebnisse, nur gestützt auf die Untersuchung ausgewachsener For- men, das Hüftbein der Säugethiere in direkte genetische Beziehung zu bringen mit einer solchen Form des Beckengürtels, wie sie bei jetzt lebenden Amphibien als ein einheitlicher, in seinem ventralen Abschnitte plattenförmiger Skelettheil vorliegt. HuxLey>5 fasst das 1 GEGENBAUR, Uber den Ausschluss des Schambeins von der Pfanne des Hüftgelenkes. Morph. Jahrb. Bd. II. pag. 229. 2 Ebendaselbst. pag. 238. 3 Ebendaselbst. pag. 237. 4 BUNGE, Diss. pag. 46. 5 T. HuxLey, On the Characters of the Pelvis in the Mammalia, and the Conclusions respecting the Origin of Mammals which may be based on them. By Professor HuUxLEy. Proceedings of the royal society of London. Vol, XXVIII. From November 21, 1878 to April 24, 1879. ‘+ 100 Ernst Mehnert Ergebnis seiner Untersuchung in folgenden Worten zusammen: » These facts appear to me to point to the conclusion that the Mam- malia have been connected with the Amphibia by some unknown pro- mammalian group, and not by any of the known forms of Saurop- sida.« HUXxLEY bezeichnet eine Form des Beckengiirtels, wie sie bei Salamandra vorliegt, als Urform des Beckengürtels sämmtlicher höheren Wirbelthiere. Die betreffende Stelle lautet: »It seems to me that, in such a pelvis as that of Salamandra, we have an ade- quate representation of the type from which all the different modi- fieations which we find in the higher Vertebrata may have taken their origin.«e Wie man sich diesen genealogischen Entwicklungs- gang vor sich gegangen denken muss, giebt HuxLey nicht an. Je- doch finden wir diesen Gedanken weiter ausgeführt in der Disser- tation von ALEX. BUNGE. BunGE suchte in dieser, auf Veranlassung E. ROSENBERG’s an- gefertigten Schrift eine zuerst von GEGENBAUR? angedeutete, aber in der Folge von GEGENBAUR selbst wieder verlassene Hypothese, wie man sich die Phylogenie des Beckengiirtels der Wirbelthiere vorstellen muss, von Neuem zu begründen. BuxGE nahm an, dass ein einheitliches Pubo-ischium, wie es jetzt bei lebenden Amphibien vorliegt, eine Fensterung erfahren habe, welche neben dem Foramen obturatorium begann. »Vergrößert sich nun das Fenster nach der medialen Seite hin und durchbricht den Rand, so haben wir ein Becken, wie es die Saurier besitzen; nimmt es vorher das Foramen obturatorium in sich auf, ohne den medialen Rand zu durehbrecben, so ist das Becken der Landschildkröten hergestellt; erreicht und durchbricht es hierauf auch den medialen Rand, so erhalten wir die Verhältnisse, die uns das Becken der Seeschildkröten darbietet.« Bei dieser Herleitung des Beckengürtels der höheren Wirbelthiere von einer ungefensterten Grundform thut Buner des Säugethierhüft- beines keine Erwähnung. Da jedoch der ventrale Abschnitt des Beckengiirtels der Säugethiere und Landschildkröten im Princip übereinstimmende Verhältnisse darbietet, so ist es nur gestattet, falls ! Ebendaselbst. pag. 403. 2 GEGENBAUR, Grundzüge der vergleichenden Anatomie. pag. 236, 237. 3 GEGENBAUR, Über den Ausschluss des Schambeins. Morph. Jahrbuch. Bad. II.’ pag. 237. 4 BUNGE, Diss. pag. 35, 36. 5 An dieser Stelle spricht BUNGE wiederholt vom »Becken«, meint jedoch — wie aus dem Zusammenhange hervorgeht — stets den Beckengiirtel. y 4 wars er. = | SE ee: Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 101 man sich auf den Standpunkt der BunGe’schen Fensterungstheorie stellt, anzunehmen, dass der ventrale Abschnitt des Beckengiirtels der Säugethiere durch denselben Fensterungsmodus aus einem ein- heitlichen Pubo-ischium hervorgegangen ist, wie dieses Bunce für die Landschildkröten vermuthet. Auf Grund dieser Fensterungshypothese war es vorauszusetzen, dass bei Säugethierembryonen in dem ventralen Abschnitte des Beckengiirtels Anfangs nur eine relativ kleine Öffnung zur Beobach- tung gelangen werde, welche im Laufe der embryonalen Entwicklung eine Größenzunahme erfährt. Als entscheidend musste das Verhalten des N. obturatorius angesehen werden. Da bei ausgewachsenen Säugethieren der Nervus obturatorius dem Pubis dieht anliegt und in einer tiefen halbkanalartigen Furche desselben verläuft (Suleus obturatorius), bei niederen Wirbelthieren (Amphibien und Reptilien) jedoch allseitig vom Pubis umschlossen ist, so war vorauszusetzen, dass bei jüngeren Säugethierembryonen der Nervus obturatorius noch vom Knorpel des Pubis allseitig umschlossen sei und erst im Laufe der späteren Entwicklung durch ein Fortschreiten der »Fensterung« frei werde. Ich untersuchte Embryonen von Schafen, Katzen und Kaninchen. In Betreff der bei der Bearbeitung dieses Materials eingehaltenen Technik. verweise ich auf meine frühere Mittheilung. Jeden Embryo zerlegte ich, wie ich dieses schon bei Vogelembryonen geübt hatte, in zwei kontinuirliche Schnittserien. Aus der einen Körperhälfte fertigte ich Sagittalschnitte an, aus der anderen Körperhälfte Quer- schnitte senkrecht zur Verlaufsrichtung der Chorda. Die Schnitt- dicke betrug durchschnittlich */,, mm, weil die Erfahrung mich ge- lehrt hatte, dass bei dieser Schnittdicke die Kontouren der ersten Anlage des Beckengürtels am deutlichsten hervortreten. Einzelne Embryonen wurden in kontinuirliche Schnittserien von !/;,; mm zer- legt, um die histologischen Verhältnisse sicherer beurtheilen zu können. Bei der beträchtlichen Ausdehnung der zu untersuchenden Re- gion war es unmöglich, in einem Schnitte ein hinlänglich übersicht- liches Bild zu erhalten. Um die Kombination der zahlreichen Schnitte einer Serie objektiv zu sichern, skizzirte ich einen jeden Schnitt einzeln vermittels einer ABBE’schen Camera lucida mit großem Spiegel, wobei ich jedoch nicht nur den Beckengürtel berücksichtigte, son- dern auch die Leibeskontouren und die Kontouren sämmtlicher in 102 Ernst Mehnert dem Gesichtsfelde befindlicher Organe sorgfältig zeichnete. Die Sehnitte einer jeden Serie kombinirte ich vermittels Durchpausung und gelangte auf diese Weise zu einem Kontourbilde des ganzen Beekengürtels. Um die sehr verschiedenen Grade der histologischen Differenzirung, die die einzelnen Theile des Beckengürtels zeigten, auch in den Kombinationsbildern zur Anschauung zu bringen, ent- sehloss ich mich, die beobachteten Gewebsarten in die Kontourzeich- nungen einzutragen, da diese allein mir die Verhältnisse nicht ge- nügend klar zu legen schienen. Auf diese Weise bildete ich Fig. 6—12 und Fig. 14. Mittheilung der Untersuchungsergebnisse. Bei einem Schafsembryo von 14 mm Körperlänge lässt sich in jeder Körperhälfte in der Region zwischen den Nerv. cruralis, ob- turatorius, ischiadieus ein aus dieht an einander gefügten Zellen gebildetes sternförmiges Zelllager nachweisen, welches, lateral mit dem in diesem Stadium schon knorpeligen Femur im Zusammen- hange stehend, sich relativ scharf von der mehr lockeren. Umgebung abgrenzt. Man kann an diesem Zelllager drei Ausläufer unterschei- den, von denen der eine dorsalwärts, die beiden anderen ventral- wärts gerichtet sind. In diesen Ausläufern stehen die Zellen dichter als in der centralen Partie, welche mit dem Femur zusammenhängt. Der dorsale leicht plattenförmige Fortsatz (zwischen dem N. cruralis und N. ischiadieus) geht. allmählich sich verbreitend, ohne scharfe Grenze in das umgebende Gewebe über. Der ventrale und eraniale Fortsatz (zwischen N. cruralis und N. obturatorius) hat die Gestalt eines zarten, leicht gebogenen Stabes. Der ventrale und caudale, gleichfalls stabförmige Ausläufer (zwischen dem N. obturatorius und N. ischiadieus) ist plumper als der vorher erwähnte; sein freies Ende lässt sich nicht scharf von dem umgebenden Gewebe abgren- zen. Knorpelintercellularsubstanz lässt sich in diesem Zelllager an keiner Stelle zur Wahrnehmung bringen. Der N. obturatorius ist von den dicht stehenden Zellen nicht umschlossen, liegt vielmehr völlig frei in dem lockeren Gewebe, welches zwischen den beiden ventralen Ausläufern gelagert ist. Völlig übereinstimmende Verhältnisse beobachtete ich bei einem Katzenembryo von 11 mm Kl. (Körperlänge). Bei einem älteren Schafsembryo (Kl. 15,5 mm) sind die Kon- touren des dicht gefügten Zelllagers schärfer geworden. In den drei Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 103 oben erwähnten Ausläufern lassen sich Spuren von Knorpelinter- cellularsubstanz zur Wahrnehmung bringen. Auch in diesem Stadium ist der N. obturatorius völlig frei, nicht von dicht stehenden Zellen umschlossen. In Fig. 6 liegt der Beckengürtel von einem etwas älteren Schafsembryo vor (Kl. 16 mm). Es treten uns drei gesonderte Knorpelstücke entgegen, welche in der Gegend des späteren Aceta- bulum durch breite Zonen eines kleinzelligen Gewebes von einander getrennt sind. Wegen der Lagerung zwischen den N. cruralis, ob- turatorius und ischiadieus sind diese Knorpelstücke als Ilium, Ischi- um und Pubis zu deuten. Der dorsale Abschnitt des Ilium ist fächerförmig verbreitert. In seinem ventralen Theile lassen sich zwei Fortsätze erkennen, welche Acetabularfortsiitzen — wie die weitere Entwicklung lehrt — entsprechen und von denen der cra- niale als Processus ilei acetabularis pubicus, der caudale als Pro- cessus ilei acetabularis ischiadicus bezeichnet werden muss. Das Pubis ist stark gebogen!. Das Ischium zeigt an seinem ventralen Ende einen Fortsatz (R.un.isch), welcher dem Pubis zugekehrt ist. Die ventralen Enden des Pubis und des Ischium sind mit einander noch nicht verbunden, sondern durch. eine breite Zone von lockerem Gewebe von einander getrennt. | Im Prineip dieselben Verhältnisse liegen bei einem Katzenem- bryo vor (12 mm Kl., Fig. 12 C©.d). Am ventralen Abschnitte des Ilium vermisst man jedoch selbst Andeutungen von Processus aceta- bulares. Die Krümmung des Pubis (Pub) ist geringer wie beim oben beschriebenen Schafsembryo (Fig. 6). Der vom ventralen Ende des Ischium (Jsch) ausgehende Fortsatz (R.un.isch) ist nur sehr wenig entwickelt. Zunächst werde ich nur die weiteren Entwicklungsvorgänge in der Acetabularregion ins Auge fassen. Vergleicht man die Aceta- bularregion eines Schafsembryo von 16 mm Kl. (Fig. 6) mit der Acetabularregion eines Schafsembryo von 17 mm (Fig. 7), so findet man, dass der Processus ilei acetabularis pubicus und der Processus ilei acetabularis ischiadicus an Größe zugenommen haben. Während 1 Bei diesem Schafsembryo (Fig. 6) kann man beobachten, dass das Pubis in seiner histologischen Differenzirung um ein Geringes hinter dem Ischium und Ilium zurückgeblieben ist. Gleiche Befunde liegen auch für Katzenem- bryonen vor. Dieses Verhalten scheint nicht nur den Säugethierembryonen zuzukommen, denn Gleiches habe ich auch bei Hühnerembryonen gesehen. Bei wild lebenden Vögeln fiel mir dieses nicht auf. 104 Ernst Mehnert jedoch der Processus ilei acetabularis pubicus und der dorsale Abschnitt des Pubis noch relativ weit von einander entfernt: sind, ist zwischen dem Processus ilei acetabularis ischiadieus und dem unterdessen aufgetretenen Processus ischii acetabularis iliacus nur eine schmale Zone eines kleinzelligen Gewebes nachzuweisen (Fig. 1 Schnitt aus der Acetabularregion desselben Schafsembryo). Von der medialen Partie des Processus ischii acetabularis iliacus geht eine dünne Knorpelplatte aus, welche den ventralen Theil des Bodens des Acetabulum zu bilden bestimmt ist. Ich nenne diese Platte »Acetabularbodenplatte des Ischium« (Act.bd.plt.isch). Bei einem älteren Schafsembryo (Fig. 8) ist das Pubis vom Ili- um noch völlig getrennt; Ischium und Ilium sind jedoch unter ein- ander verschmolzen. In vielen Schnitten ist zwischen den Aceta- bularfortsätzen der letzteren noch eine auf dem Schnitt keilförmige Zone von Bindegewebe nachzuweisen (Fig. 2). Zwischen den beiden Acetabularfortsätzen des Ilium breitet sich gleichfalls eine dünne Acetabularbodenplatte aus, welche mit der in diesem Stadium schon stark entwickelten Acetabularbodenplatte des Ischium verschmolzen ist. Nahezu dieselben Verhältnisse treten bei einem Schafsembryo von 18 mm Kl. entgegen (Fig. 9). Ilium und Ischium sind völlig mit einander verschmolzen; zwischen ihnen vermisst man jede An- deutung einer früheren Trennung (Fig. 3), während das Pubis und Ilium einander zwar sehr genähert, jedoch noch völlig von einander getrennt sind. Die Entwicklung der Acetabularbodenplatte hat Fort- schritte gemacht. Nur ein kleiner Abschnitt des Acetabularbodens ist noch nicht von Knorpelgewebe gebildet. In der Acetabularregion eines Schafsembryo von 20 mm Kl. (Fig. 4 und 10) sind Ilium, Ischium und Pubis unter einander ver- bunden. Zwischen dem Ilium und dem Pubis verräth nur eine schmale Zone, in welcher das Knorpelgewebe intercellularsubstanz- ärmer ist als in den übrigen Partien des Beckengürtels, die Stelle, an welcher die Verschmelzung des Ilium und Pubis stattgefunden hat (Tr.sp Fig. 4 und 10). Der Boden des Acetabulum ist bis auf ein kleines Segment völlig von Knorpelgewebe eingenommen. In früheren Stadien sind die knorpeligen Hüftbeine beider Körperhälften von einander getrennt. Erst bei einem Schafsembryo von 20 mm Kl. gelangen die Schambeine unter einander in Be- rührung und bilden in der Mittellinie eine Symphyse. Bemerkenswerth ist, dass das Ischium dem Pubis keinen Aceta- bularfortsatz entgegensendet, wie solches bei Vögeln geschieht. (Das Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 105 Ischium tritt bei Säugethieren mit dem Pubis nur durch seine Ace- tabularbodenplatte in Verbindung.) Somit ist schon bei Säugethier- embryonen zwischen Ischium und Pubis (beim Kaninchen zwischen Ischium und dem cranialen Acetabularfortsatze des Ilium) eine bis auf den Acetabularboden gehende Lücke in der Umrandung des Acetabulum vorhanden, welche am knöchernen Hüftbeine ausge- wachsener Säugethiere als Incisura acetabuli entgegentritt. Jetzt wende ich mich zu der Besprechung der Veränderungen, welche die ventralen Enden des Pubis und des Ischium im Laufe der ontogenetischen Entwicklung erfahren. Bei einem Schafsembryo von 16 mm Kl. (Fig. 6), bei einem Katzenembryo von 12 mm Kl. (Fig. 12), bei einem Kaninchenembryo von 13 mm Kl. (Fig. 11) sind die ventralen Enden des Pubis und des Ischium noch weit von einander getrennt. Während bei dem Kaninchenembryo das Ischium an seinem ventralen Ende noch keine Andeutung irgend eines Fortsatzes zeigt, obgleich Ilium und Ischium schon mit einander verbunden angetroffen werden, findet man beim Katzenembryo an dem ventralen Ende des Ischium einen geringen, an dem ventralen Ende des Ischium beim Schafsembryo einen stärker entwickelten Fortsatz, welcher dem freien Ende des Pubis zugekehrt ist (R.un.isch Fig. 6 und 12). In einem späteren Stadium (Fig. 7) erkennt man, dass dieser Fortsatz des Ischium größer geworden. Zwischen dem ventralen Ende des Pubis und dem Fortsatze des Ischium findet sich eine kleinzellige, aus indifferenten Zellen bestehende schmale Gewebs- brücke (77). Die weiteren histologischen Entwicklungen dieses Theiles des Beckengürtels erkennt man durch Vergleichung der Fig. 6—10. Somit kommt der ventrale Schluss des »Foramen obturatorium« bei dem Säugethiere zu Stande durch einen Fortsatz des Ischium, wel- cher sich mit dem ventralen Ende des Pubis in Verbindung setzt. Dieser Fortsatz des Ischium entspricht beim ausgewachsenen Säuge- thiere dem »Ramus inferior ischiic«. Da jedoch dieser Theil des - Ischium keineswegs gleichwerthig ist dem eigentlichen Ischium (Ra- mus superior ischii), welches schon bei der ersten Anlage gegeben _ ist, sondern vielmehr sekundär im Laufe der embryonalen Entwick- lung auftritt und den Raum zwischen Pubis und Ischium überbrückt, so bezeichne ich diesen Theil des Ischium als Ramus uniens ischii. Man könnte die Vermuthung aussprechen, dass auch der Ramus inferior Pubis ein Ramus uniens des Pubis sei. Jedoch zeigt die _ Untersuchung selbst in den frühesten Stadien, in denen noch keine 106 . Ernst Mehnert Knorpelintercellularsubstanz unterschieden werden kann (Schafsem- bryo 14 mm Kl., Katzenembryo 11 mm Kl.), dass uns stets das Pubis als leicht gebogener Stab entgegentritt. Ein eigentlicher Ramus su- perior und Ramus inferior des Pubis entsteht erst durch Krümmung des primären Pubisstabes!. Diese Krümmung des Pubis tritt bei verschiedenen Säugethieren verschieden spät ein. Bei einem Kanin- chenembryo zeigt das Pubis noch keine Andeutung einer solchen Krümmung in einem solchen Stadium, in welchem Ilium und Ischi- um als eine zusammenhängende Knorpelplatte angetroffen werden (Fig. 11). Bei einem Katzenembryo tritt uns eine leichte Krümmung des Pubis schon in einem Stadium entgegen, in welchem noch drei gesonderte Theile vorliegen (Fig. 12). In Fig. 6 ist die Krümmung des Pubis eines in demselben Entwicklungsstadium stehenden Schafs- embryo stärker ausgeprägt als bei dem eben erwähnten Katzenembryo. Wie ich oben (pag. 100) erwähnt hatte, war es anzunehmen, dass bei Säugethierembryonen eine Fensterung des ventralen Ab- schnittes des Beckengürtels zur Beobachtung gelangen würde. Diese Voraussetzung hat sich jedoch nicht erfüllt. Es ist mir nicht ge- lungen, den geringsten Anhaltspunkt dafür zu gewinnen, dass bei Säugethierembryonen eine Fensterung oder sei es nur eine wesent- liche Erweiterung des Foramen ovale vorkomme, welche in phylo- genetischer Beziehung Verwerthung finden dürfte. Bei ihrer knorpeligen Anlage haben Ilium, Ischium und Pubis eine gracile Form (Fig. 6, 12), erst im weiteren Verlaufe der Ent- wicklung erhalten sie eine relativ plumpe Gestalt (Fig. 10). Schon in dem frühesten Stadium der Entwicklung ist der N. obturatorius frei (pag. 101). Es ist bekannt, dass das Pubis der ausgewachsenen Säugethiere eine starke furchenartige Vertiefung aufweist (Suleus ob- turatorius), in welcher der N. obturatorius verläuft. Bei keinem ein- zigen von mir untersuchten Säugethierembryo konnte ich an dem noch knorpeligen Pubis eine solche furchenartige Vertiefung beoh- achten. Daraus folgt, dass diese Furche des Pubis bei Säugethieren keine primitiven Verhältnisse darbietet, sondern, da sie erst im Laufe 1 Eine gleiche Krümmung des Pubis kann man bei allen Vögeln beob- achten. Fig. 11 (Morph. Jahrb. Bd. XIII. Taf. 10) zeigt eine Krümmung des Pubis beim Huhne. Bei den Vögeln gleicht sich diese Krümmung des Pubis im Laufe der weiteren embryonalen Entwicklung wieder aus. Beim Säugethier erreicht die Krümmung beinahe einen rechten Winkel und bleibt bestehen. lek te Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 107 der späteren Entwicklung auftritt, eine den Säugethieren eigene Se- kundärbildung ist. Die vorliegenden Untersuchungen haben erwiesen, dass das Foramen ovale bei Säugethieren nicht durch Fensterung eines einheitlichen. Pubo-ischium entsteht, sondern durch den ent- gegengesetzten Process, nämlich dadurch, dass sowohl die dorsalen Enden des Pubis und Ischium durch die Acetabularbodenplatte des Ischium, als auch die ventralen Enden des Pubis und Ischium durch den Ramus uniens ischii mit einander verwachsen. Von großem Werthe scheint mir die Beobachtung zu sein, dass bei der Verwachsung der drei knorpeligen Komponenten des Hiift- beines der Säugethiere zuerst [lium und Ischium verschmelzen. das Pubis jedoch noch eine Zeit lang selbständig verbleibt (Fig. 2, 3, 5, Bett). Die gleiche Beobachtung habe ich früher bei Vogelembryonen gemacht !. GEGENBAUR hat zuerst nachgewiesen, dass beim Hiiftbein der Säugethiere das Darmbein und das Sitzbein an der Pfanne die am meisten betheiligten Stücke sind und dass das Schambein bei eini- gen nicht einmal den Rand der Pfanne erreicht. Schon an dem knorpelig präformirten Beckengürtel von Säuge- thierembryonen gelang es mir, genau dieselbe Nichtbetheiligung oder geringe Betheiligung des Pubis an der Pfanne des Hüftgelenkes nachzuweisen, wie GEGENBAUR sie in einem solchen Stadium beob- achtet hatte, in dem die drei knöchernen Bestandtheile des Hüft- beines nur durch Fugen von einander getrennt vorlagen. Fig. 10 zeigt die geringe Betheiligung des Pubis an der Umrandung der Pfanne beim Schafsembryo. Aus Fig. 11 geht hervor, dass beim Kaninchenembryo das Pubis von der Pfanne ausgeschlossen ist. Die Thatsache, dass dieses eigene Verhalten des Pubis bereits bei Embryonen der Säugethiere auftritt, berechtigt zu der Auffas- sung, dass es sich bei Säugethieren nicht um eine, auf Grund der Ossifikation eingetretene Elimination des Schambeines handelt, | 1 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 292. Fig. 14. Hierbei will ich nach- - träglich auf einen Fehler in der Bezeichnung aufmerksam machen, welcher mir bei meiner ersten Publikation leider entgangen ist. Die Partie, welche zwischen den beiden Trennungsspuren liegt (Fig. 14 Tr.sp), ist das Pubis. Die Bezeich- nung Sp. ist falsch. Die Spina iliaca ist ein kleiner Fortsatz, welcher vom Processus ilei acetabularis pubicus (Pr.il.act.pub) ausgeht und in der betreffen- den Zeichnung richtig mit Sp.il bezeichnet ist. 108 Ernst Mehnert N. sondern um eine primäre Nichtbetheiligung oder um eine primäre — geringe Betheiligung des Schambeines an der Bildung der Pfanne. Bei Beschreibung der Entwicklung des Beckengürtels der Säuge- thiere sah ich mich bereits mehrfach veranlasst, auf einige über- einstimmende Beobachtungen bei Vögeln hinzuweisen. Diese Über- einstimmung wird noch vollständiger bei einer eingehenden Betrach- tung. Vergleichen wir das Os pelvis eines Embryo von Larus ridibundus in einem solchen Stadium, in welchem zuerst Knorpel- gewebe erkannt werden kann (Fig. 14), mit dem in dem gleichen Stadium der Entwicklung stehenden Hüftbein der Katze (Fig. 12), so ergiebt sich eine auffällige Übereinstimmung sowohl in der Lage- rung als auch in der Konfiguration der drei morphologisch unter- scheidbaren Elemente des Beckengürtels. Bei beiden Vergleichsobjekten liegen drei getrennte Knorpelstücke vor. Das Ilium hat bei beiden die Gestalt einer Platte, das Pubis ist ein langer graciler, das Ischium ein etwas kürzerer plumper — Knorpelstab. Sowohl beim Vogelembryo wie beim Säugethierembryo zeigen Ilium und Ischium in demselben Stadium noch keine Aceta- bularfortsätze, auch sind die ventralen Enden des Pubis und Ischium unverbunden. Auch in den auf dieses Stadium folgenden Entwieklungsvor- gängen des Beckengürtels stimmen Vogel- und Säugethierembryo überein. Es treten bei beiden an dem Ischium wie an dem Ilium Acetabularfortsätze auf. An dem Pubis der Säugethiere und Vögel habe ich nie Acetabularfortsätze beobachtet; das Pubis behält somit seine ursprüngliche stabförmige Gestalt bei. Erst bei älteren Vogel- und Säugethierembryonen treten diver- gente Entwieklungsvorgänge ein, aus denen dann jene abweichenden Formen der Beckengürtel resultiren, wie sie bei dem Vogel als Os pelvis, beim Säugethiere als Hüftbein vorliegen. Von hoher Bedeutung ist die Übereinstimmung der primitivsten Form des Beekengürtels der Säugethiere (Fig. 12) mit der primitiv- sten Form des Beckengürtels bei Vögeln (Fig. 14). In meiner ersten Schrift wies ich nach!, dass das Lagerungsverhiltnis des Ilium, Ischium und Pubis beim Vogelembryo und bei gewissen fossilen Rep- tilien das gleiche ist. Daraus folgt, dass auch die primitivste Form des Beckengürtels der Säugethiere gewisse Übereinstimmung zeigt mit dem Beckengürtel der saurierartigen Reptilien, wie auch ein 1 Morph. Jahrb. Bd. XIII. pag. 273. Fig. 3, 4. Unters. über die Entwickl. des Beckengürtels bei einigen Säugethieren. 109 Vergleich von Fig. 12 mit Fig. 13 bestätigt. Für das Os pelvis des Vogelembryo war dieses mit den Reptilien übereinstimmende Verhalten durchaus zu erklären, denn es ist außer Frage gesetzt, dass die Vögel in den Reptilien ihre nächsten Verwandten haben. Für Säuge- thiere konnte ein soleher Befund nicht erwartet werden, weil die Säugethiere in manchen Organisationsverhiltnissen den Amphibien nahe stehen und, so weit jetzige Untersuchungen reichen, nicht direkt von reptilienähnlichen Vorfahren hergeleitet werden dürfen. Es ist als unzweifelhaft anzunehmen, dass Vögel und Säuge- thiere in keinem direkten genealogischen Verhältnisse stehen. Da jedoch die Hüftbeine der Säugethiere und Vögel in ihrer primitivsten knorpeligen Gestalt mit einander übereinstimmen, und auch dieselbe Form dem Beckengürtel der jetzt lebenden saurierartigen Reptilien (Fig. 13) und sauropoden Dinosaurier zu Grunde liegt, so liegt es nahe anzunehmen, dass diese Form des Beckengürtels, "welche als dreistrahliger Stern auftritt, die Grundform des Beckengürtels der amnioten Wirbelthiere sei. Der Beckengiirtel der Landschild- kröten lässt sich auch auf diese Grundform zurückführen. Der bei Vögeln und Säugethieren als übereinstimmend erkannte Entwicklungs- modus des Beckengürtels lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass es gelingen wird — falls der Beckengürtel der Chelonier sich nicht als ein connascentes Gebilde anlegt — auch für Landschildkröten den Beweis zu liefern, dass das Foramen obturatorium durch Ver- wachsung der Enden des Pubis und des Ischium entsteht. Es ist die Frage in Erwägung zu ziehen, ob die dreistrahlige Grundform des Beckengürtels der amnioten Wirbelthiere aufzufassen sei als ein einheitliches Gebilde oder ob der Annahme die größte Wahrscheinlichkeit zukommt, dass dieser dreistrahligen Grundform drei gesonderte Radien zu Grunde liegen. ALEX. BUNGE zeigte, dass bei Lacerta vivipara die jederseitige Cartilago pelvis eine einheitliche Anlage hat. Eine einheitliche An- lage der Cartilago pelvis ist in einer Reihe von Fällen auch beim Huhne beobachtet worden!. Es ist jedoch erwiesen worden, dass der Beckengiirtel des Huhnes sich als ein connascentes Gebilde an- Er legt?. Im Hinblick auf diese Erkenntnis ist es bei Beurtheilung der 1 a) A. JoHnson, On the Development of the pelvic girdle and skeleton of the hind limb in the Chick. Studies from the morphological laboratory in _ the university of Cambridge. London 1884. Vol. II. Part I. pag. 13. b) Mor- pholog. Jahrb. Bd. XIII. pag. 291. 2 Morpholog. Jahrb. Bd. XIII. pag. 292. 190° Ernst Mehnert einheitlichen Anlage des Beckengürtels von Lacerta vivipara nur ge- stattet, gleichfalls eine Connascenz zu vermuthen. Wesentlich unter- stützt wird diese Auffassung durch den Nachweis, dass auch bei einem Vertreter einer zweiten Wirbelthierklasse bei einem Säuge- thiere (Mensch) eine Connascenz des Beckengürtels zur Beobachtung gelangt ist. So weit. meine Untersuchungen reichen, lässt der Beckengiirtel einiger Säugethiere eine gesonderte knorpelige Anlage dreier Ele- mente erkennen. Einen gleichen Befund habe ich schon früher für sämmtliche von mir untersuchten, wild lebenden Vögel nachgewiesen. Die Selbständigkeit der drei Komponenten des Beckengiirtels tritt am deutlichsten zu Tage bei den primitiven Sumpf- und Wasser- vögeln!, sie tritt uns am deutlichsten entgegen bei der primitivsten knorpeligen (dreistrahligen) Form des Beckengiirtels der Vögel (excl. Huhn) und Säugethiere (excl. Mensch nach E. ROSENBERG): In Bezugnahme auf das eben Besprochene erscheint somit die Voraussetzung gestattet, dass auch der dreistrahligen Grundform des Beckengürtels der übrigen Amnioten ursprünglich drei selbständige Strahlen zu Grunde lagen. Ich fasse die Resultate dieser Arbeit zusammen: Das Ilium, Ischium und Pubis legen sich bei Säugethieren ge- sondert an. Das Ilium entsendet zwei Acetabularfortsätze, einen Processus ilei acetabularis pubicus und einen Processus ilei aceta- bularis ischiadicus. Das Ischium bildet nur den Processus ischii acetabularis iliacus. Die Bildung eines Processus ischii acetabularis pubicus findet nicht statt, somit bleibt zwischen Ischium und Pubis (bei Säuge- thieren, bei denen das Pubis an der Pfannenbildung Theil nimmt), in anderen Fällen zwischen Ischium und dem cranialen Acetabular- fortsatz des Ilium (bei Säugethieren, bei denen das Pubis an der Pfannenbildung nicht betheiligt ist) eine Lücke in der Umrandung des Acetabulum (Ineisura acetabuli). Das Pubis behält seine primitive stabförmige Gestalt und bildet keine Acetabularfortsätze. Zuerst verwächst das Ilium mit dem Ischium. Das Pubis bleibt am längsten selbständig. Das knorpelige Pubis des Kaninchenembryo betheiligt sich nicht an der Bildung der 1 Ebendaselbst. pag. 289. Unters. über die Entwickl. des Beckengiirtels bei einigen Säugethieren. 111 Pfanne. Das knorpelige Pubis des Schafsembryo betheiligt sich nur zum geringsten Theil an der Umrandung des Acetabulum. Die dorsale Hälfte des Acetabularbodens entsteht durch eine zwischen den Acetabularfortsätzen des Ilium sich ausbreitende »Ace- tabularbodenplatte des Ilium«. Die ventrale Hälfte des Acetabular- bodens wird gebildet durch eine vom dorsalen Ende des Ischium - ausgehende »Acetabularbodenplatte des Ischium«, welche sich aus- spannt zwischen dem Processus ischii acetabularis iliacus und dem dorsalen Ende des Pubis und sich mit der Acetabularbodenplatte des Ilium verbindet. Es ergiebt sich, dass die auf Grund einer von ALEXANDER BunGE verfochtenen Hypothese vorausgesetzte Fensterung des Becken- gürtels für Säugethiere nicht bestätigt werden kann. Es ist viel- mehr erwiesen worden, dass bei Säugethierembryonen der dorsale Schluss des Foramen ovale dadurch entsteht, dass die Acetabular- bodenplatte des Ischium mit dem dorsalen Ende des Pubis ver- wächst. Der ventrale Schluss des Foramen ovale kommt zu Stande, indem der vom ventralen Ende des Ischium ausgesandte Ramus uniens ischii (früher Ramus inferior ischii) mit dem ventralen Ende des Pubis in Beziehung tritt. Der »Suleus obturatorius« des Pubis ist eine sekundäre, im Laufe der späteren embryonalen Entwicklung auftretende Bildung. Die Beckengürtel der Säugethiere und Vögel zeigen in ihrem primitivsten knorpeligen Zustande eine große Übereinstimmung in Bezug auf Gestalt und Lagerung ihrer drei Komponenten. Im Prineip die gleiche Konfiguration liegt auch dem Beckengürtel der _ jetzt lebenden saurierartigen Reptilien und sauropoden Dinosaurier zu Grunde. Diese Form des Beckengürtels, welche drei sternartig gruppirte, selbständige Radien erkennen lässt, ist als Grundform des Beckengürtels der Amniotenwirbelthiere aufzufassen. Das Pubis ist derjenige Strahl, welcher seine primitive stabförmige Gestalt be- wahrt und am längsten seine Selbständigkeit beibehält. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI. Die Abbildungen der mikroskopischen Schnitte wurden vermittels einer AxBBE'schen Camera lucida mit großem Spiegel angefertigt. In Betreff der Fig. 6—12 und 14 cf. Text pag. 103 ff. Die Vergrößerungen wurden durch einen Bruch angegeben. 112 E. Mehnert, Unters. über d. Entwickl. d. Beckengürtels b. einigen Säugeth. Für alle Abbildungen gelten folgende Bezeichnungen: Act Acetabulum, Act.bd Acetabularboden, Act.bd.plt Acetabularbodenplatte, Act.bd.plt.il Acetabularbodenplatte des Ilium, Aet.bd.plt.isch Acetabularbodenplatte des Ischium, Fmr.kpf Femurkopf, For.ov Foramen ovale (seu obturatorium), It IJium, Isch Ischium, Kl Körperlänge, N.obt Nervus obturatorius, R.un.isch Ramus uniens ischii, Reg.act Regio acetabuli, Tr Zone indifferenten Gewebes, Tr.sp Trennungsspur (Zone intercellularsubstanzarmen Knorpels), P.inf.pub Pars inferior Pubis, P.sup.pub Pars superior Pubis, Pr.il.act.isch Processus ilei acetabularis ischiadicus, Pr.il.act.pub Processus ilei acetabularis pubicus, Pr.isch.act.il Processus ischii acetabularis iliacus, Pub Pubis. Fig. 1, 2, 3, 4, 5 Sagittalschnitte durch die Acetabularregion. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 1. Ovis aries. Kl. 17 mm. 2: - - - 17,4 mm. 3. fH - - 18 mm. 4 - - - 20 mm. 5. Lepus cuniculus. Kl. 13 mm. 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 14 Kombinationsbilder des Beckengiirtels. 6. Ovis aries. Kl. 16 mm. 7 - - - 17 mm. 8. - - - 17,4 mm. 9. - - - 18 mm. 10, - - - 20 mm. 11. Lepus euniculus. Kl. 13 mm. 12. Felis domestica. Kl. 12 mm. 14. Larus ridibundus. L. d. h. Extr. 4 mm. 13. Beckengürtel eines jungen Crocodilus sclerops nach C. K. HOFFMANN. Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. III. Taf. XI Fig. 14. Die von C. K. HorrmMann publieirte Zeichnung giebt die Innenfläche des rechten Beckengürtels wieder. Des leichteren Vergleiches wegen mit sämmtlichen übrigen Abbildungen habe ich diese Figur umgekehrt, so dass Fig. 13 die Innenfliiche des linken Beckengürtels darstellt. iis ae Au iu F Morpholog. Ja | Tat WV. Fig.7.() Fig.8.(#) ---Jl, Acta. pitt. f Fi th S_- - Reg.ad. - Psuppuh. ; A 2... Pin pub. le AR A Lit Anstv. EA Funke Leipzig. Morpholog. Jahrb. Bd __ Fig.) oe ie Sach. : Pub i R rd q <: 2 Ag3 TER, uk a < Pah Joch. aes \ Fg, 5(#) peta BEER Jsch. Pub 2 Fig 6 Fig.2(#) 9 \ a RN 2 Seh. / A Mot JOM ar N \ A Pik Runiisch Fig.9(37) / Fig ! 9 Act bd. , ch... de a Z S A \ Run.usch = _ Insp Fig I3{;) 7 uy § et al Rn: det Mobb: ä Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 975 nicht an und beschränke mich auf die Diskussion derjenigen Homo- logien, die meiner Ansicht nach noch am besten begriindet sind. Auf die Plattenvergleichung der Ambulacren und Interambulacren bei den verschiedenen Klassen glaube ich daher gar nicht eingehen zu brauchen. Nur den Versuch, gewisse Cystideen in dieser Beziehung als vermittelnde Bindeglieder zwischen Asteroiden und Echinoiden zu vertreten, werde ich ausführlicher erörtern. Vorher möchte ich bemerken, dass ich als Pelmatozoen die Cy- stoideen, Blastoideen und Eucrinoiden als eine zusammengehörige Klasse zusammenfasse, eben so als Asteroideen die eigentlichen Asteriden und die Ophiuriden, ohne damit über ihre nähere oder entferntere Zu- sammengehörigkeit im mindesten ein Urtheil abgeben zu wollen. Fossile Verbindungsglieder zwischen den Klassen. Schon seit Langem hat man versucht, fossil erhaltene Echino- dermenformen als verbindende Zwischenformen zwischen verschiedenen Klassen hinzustellen, ohne eine specielle Durchführung zu unter- nehmen. Man verfuhr vielmehr im Allgemeinen meist so, dass man das Mitglied einer Klasse, das in diesem oder jenem Punkt seiner Körperform oder Skeletanordnung Ähnlichkeiten mit den entsprechen- den Verhältnissen einer anderen Klasse aufwies, ohne langes Besinnen für eine Zwischenform, ein Bindeglied erklärte. Neuerdings hat nun NEUMAYR an zwei Stellen ! und ? unter- nommen, das bisher gesammelte Material zu einer ausgedehnteren, mehr in die Tiefe gehenden Begründung zu vertreten. Gegen seine Reflexionen und Schlüsse lassen sich aber Einwände zweierlei Art erheben, solche die sich aus der Nichtberücksich- tigung der allgemeinen Organisationsverhiltnisse, und solche. die sich aus der Skeletvergleichung im Besonderen ableiten lassen. Die ersteren will ich kurz, die der zweiten Art etwas ausführlicher besprechen. Die Nichtberücksichtigung der allgemeinen Organisationsverhält- nisse ist theilweise eine erzwungene, da NeumMAyr bei seinen Ver- gleichungen vorwiegend auf die nur fossil bekannte Gruppe der Cystoideen zurückgeht, deren innere Organisationsverhältnisse wir 1 M. NeumAyr, Morphol. Studien über fossile Echinodermen. Sitzungs- ‚berichte der k. Akad. der Wissenschaften Wien. Bd. LXXXIV. 1. Abth. Jahrg. 1881. pag. 143. 2M. NEUMAYR, Die Stämme des Thierreiches. Wien und Prag 1889. 18* 276 Richard Semon natürlich nicht kennen, ja über die wir in vieler Beziehung kaum Vermuthungen auszusprechen wagen. Es will mir nun scheinen, und ich bin überzeugt, die meisten Morphologen werden meine Ansicht theilen, dass NEUMAYR' sich allzu leicht über diesen Mangel hinwegsetzt. Die Forschungen der letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass bei aller äußeren Ähnlichkeit der Form und des Baues in seinen Grundzügen, die Organisations- verhältnisse der verschiedenen Klassen selbst in wichtigen Punkten von einander abweichen. Die Kenntnis des inneren Baues zwingt uns die Crinoideen weit abseits von den übrigen Klassen zu stellen, viel weiter als wir auch nur zu vermuthen im Stande wären, wenn diese Gruppe uns bloß fossil bekannt wäre. Wer würde allein aus den Skeletverhältnissen heraus zu der Vorstellung gelangen können, dass die Asteriden und die Ophiuriden so wesentlich verschiedene Organismen seien, unendlich mehr verschieden als Reptilien und Vögel, und dass beide Gruppen auf einem sehr frühen Stadium di- vergirt haben müssen? Und doch werden wir nothgedrungen zu dieser Annahme geführt, je mehr wir einen genauen Einblick in die Organisationsverhältnisse beider Gruppen erhalten. Würden wir auch nur über die Bedeutung der Skelettheile ins Klare kommen, über die Lageverhältnisse der Ambulacralnerven und Wassergefäße bei Echiniden und Asteriden, darüber dass die Poren in oder zwischen den Platten bei ersteren zum Durchtritt der Füßchen dienen, bei letzteren aber nicht der Füßchen sondern der Ampullen, wenn eine der beiden Klassen uns nur fossil bekannt wäre. Höchst wahrscheinlich würden wir gar nicht an die Möglichkeit einer so schwerwiegenden Verschiedenheit denken. Die Cystideen sind eine nur fossil bekannte Gruppe. Wir wissen nicht, ob unter dem, bei manchen Formen noch ziemlich in- differenten Skelet ein mehr oder weniger differenzirter Weichkörper gelegen hat, ja die Voraussetzung eines sehr einfachen, wenig veränder- ten Körperbaues bei Cystideen ist sogar unberechtigt und steht mit den Thatsachen, aus denen sich überhaupt ein Rückschluss auf die innere Organisation dieser Thiere machen lässt, in direktem Widerspruch. Eines der wichtigsten Merkmale, das allen Echinodermen eigen- thümlich ist, einer der Hauptcharaktere der Echinodermenorganisation ist die ursprünglich ausnahmslos singuläre Kommunikation des Hydro- coels nach außen, der sogenannte Rückenporus!. Das steht ganz 1 Die oben eitirte vortreffliche Arbeit von Bury macht es sehr wahr- Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 977 zweifellos fest. Wir sehen dieses Verhältnis, das sich ontogenetisch in jedem Echinoderm, dessen Entwicklung wir kennen, reprodueirt, überwiegend häufig auch in dem ausgebildeten Zustande festgehalten, so bei allen Echiniden, den weitaus meisten Asteriden, vielen Tief- seeholothurien. Eine Vervielfältigung des Porus, wie wir sie aus- nahmsweise bei einigen Asteriden, ein nachträglicher Verschluss des- selben, wie wir ihn bei den meisten Holothurien beobachten, Alles das sind sekundäre Veränderungen. Das bedarf keines weiteren Beweises. Besonders komplicirt gestalten sich die Verhältnisse bei den Crinoideen, aber so viel ist sichergestellt, dass diese Kompli- kationen sekundäre sind, der Ausgangspunkt auch für diese Klasse genau derselbe ist, wie für die übrigen Echinodermen. Was die Cystideen anlangt, so befinden wir uns über dieses wiehtige Organisationsverhältnis bei ihnen völlig im Unklaren. Nur so viel scheint sicher zu sein, dass das ursprüngliche Organisations- verhältnis, der singuläre Rückenporus, weder bei den Formen ohne durchbohrende Poren noch bei denjenigen mit solchen festgehalten worden ist. NEUMAYR (l. ec. 2 pag. 405) selbst deutet letztere Bil- dungen und namentlich die isolirten Rauten oder Theile von Rauten als Homologa der Kelchporen gewisser Crinoideen. Wir müssen aber dann annehmen, dass bei jenen Cystideen die sekundäre Kompli- kation noch größer geworden ist als sogar bei den Crinoideen. In noch größere Verlegenheit aber werden wir durch solche Cystideenformen versetzt, die der durchbohrenden Poren ermangeln und die überhaupt keine Öffnung besitzen, die von den jetzigen Paläontologen als Äquivalent des Rückenporus gedeutet wird. Dür- fen wir uns über so wichtige Abweichungen vom ursprünglichen Ty- pus leichthin, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, hinwegsetzen? Auf noch andere Schwierigkeiten, welche die Organisationsver- hältnisse der Cystideen, wie wir sie aus den Skeletverhältnissen er- schließen können, uns in ihrer Eigenschaft als Bindeglieder darbieten, komme ich bei Besprechung des Einzelnen zurück, so zum Beispiel auf den bei den meisten Formen auf der Hand liegenden Mangel einer Körpermuskulatur. Es wird mir wahrscheinlich entgegengehalten werden, dass man weit entfernt sei, Agelacrinus und Verwandte als die direkten Vor- scheinlich, dass die Kommunikation des Hydrocoels mit der Außenwelt durch Vermittelung eines linken vorderen Enterocoelsackes stattfindet, dem der Rük- kenporus angehören würde. Ein Eingehen auf diese speciellen Verhältnisse erscheint für die hier behandelte Frage überflüssig. 278 Richard Semon eltern der Asteriden, Mesites als diejenigen der Echiniden anzu- sehen. Aber wenn man der eigentlichen Stammform die verschwun- ‚dene oder in viele Einzelporen aufgelöste Madreporenplatte wieder- giebt, das festverbundene Skelet lockert und die Stammform somit wieder mit einer Körpermuskulatur ausstattet, auf Thiere mit freier Armbildung als Stammeltern der Asteriden zurückgeht, dann kommt man einfach auf einen so indifferenten Typus, wie ich ihn in der Pentactaea versinnbildlicht habe, die ich mir ja auch als festsitzend vorstelle !. Fassen wir die Frage noch schärfer, so haben wir zu entschei- den, ob die Cystideen, wie wir sie kennen, in der Entwicklung der Asteriden und Eehiniden aus derartigen indifferenten Formen eine Etappe vorstellen, oder ob sie ihrerseits schon etwas abseits stehen und eigene Wege der Entwicklung eingeschlagen haben, die zu den Crinoideen führen. Eine bestimmte Antwort ist desshalb nicht zu geben, weil uns sämmtliche Kriterien, die wir aus der Anatomie der Weichtheile zu schöpfen pflegen, hier durchaus fehlen. Was wir über den Bau des Weichkörpers vermuthen können, spricht, wie gezeigt, gegen eine solche Mittelstellung, besonders das Wasserge- fäßsystem scheint abseits führende Wege der Entwicklung einge- schlagen zu haben. Aber, so fragt es sich zweitens, wenn wir ganz von dem Bau der Weichtheile absehen, den wir nicht kennen oder der theilweise schon different gewesen zu sein scheint, ist auch nur der Skeletbau der Cystideen ein solcher, dass sich aus ihm ohne allzu wesentliche Reduktionen und Neubildungen die Skeletverhältnisse der Asteriden und Echiniden ableiten lassen? Finden sich vor Allem feste An- knüpfungspunkte für eine solche Ableitung, oder ist es mehr die all- gemeine Indifferenz des Skelettes mancher Cystideenformen, die die Ableitung ermöglicht? Handelt es sich um entfernte Anklänge, um Übereinstimmungen, die einmal diesen, das andere Mal jenen Punkt betreffen, oder um eine schärfer zu umschreibende Gleichartigkeit des Gesammtbaues des Skelettes? Wenden wir uns zuerst zu derjenigen Cystideenform, die in ihrem Skelet eine Verbindung mit Asteriden vermitteln soll, zu Age- lacrinus und Verwandten. 1 Dass solche Formen nicht fossil erhalten sind, erklärt sich von selbst aus dem Umstande, dass ihre Skeletplatten noch nicht fest verbunden gewesen sein können, ein Postulat, das zusammen mit dem Vorhandensein eines Haut- muskelschlauchs durchaus für die Stammgruppe der Echinodermen zu stellen ist. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 279 Agelacrinus zeigt nun in der That in einer Beziehung eine ge- wisse Ähnlichkeit mit den Asteriden. Es ist das der Besitz von fünf geraden oder gebogenen Ambulacralfurchen mit Doppelreihen von Platten, zwischen welchen bei manchen Arten Öffnungen beobachtet worden. NEUMAYR sagt: »Öffnungen für die Ambulacral- füßchen, die also genau den Seesterncharakter zeigen.« Es ist nicht ganz korrekt, zu sagen, die AmbulacralfiiBchen der Seesterne träten durch Öffnungen zwischen je zwei Ambulacralplatten. Radial- wassergefäß sowohl wie die Füßchen liegen bei dieser Klasse außer- halb der Ambulacralplatten; durch jene Poren treten vielmehr nur blindsackförmige Appendices der Füßchen, die sogenannten Am- pullen nach innen. Nehmen wir nun an, dass die Lagerungsver- hiiltnisse der Theile bei Agelacrinus im Übrigen die gleichen ge- wesen sind wie bei den Seesternen, so müssen wir annehmen, dass auch jene Cystideen Ampullen besessen haben. Ampullen finden wir bei Eehinodermen überall da, wo an die Beweglichkeit der An- hänge des Wassergefäßsystems höhere Anforderungen gestellt wer- den, mit einem Worte da, wo sie der Lokomotion dienen und dess- halb einer von dem anderen möglichst unabhängig gestellt werden müssen. Wir sehen sie entwickelt an den Füßchen der eigentlichen Asteriden, der Echinoiden und der Holothurien, an den Tentakeln der Holothurien da, wo dieselben in ausgiebigerer Weise mit zur Lokomotion benutzt werden. Sie sind schwach entwickelt an den Tentakeln der Synaptiden, die nur in geringem Maße, und sie fehlen den Tentakeln der Dendrochiroten, die gar nicht zur Lokomotion benutzt werden. Die Tentakel der Crinoideen, die den Ambulacral- füßchen der übrigen Klassen entsprechen, dienen nicht zur Loko- motion; ihnen fehlen auch die Ampullen. Ganz dasselbe gilt für die Füßchen der Ophiuriden. Nur bei den irregulären Seeigeln kommen Füßchen vor, die sekundär ihre lokomotorische Funktion ganz ver- loren haben, ohne desshalb gleich die im Anschluss an jene Funk- tion erworbenen Ampullen wieder aufzugeben. Die vergleichende Betrachtung lehrt demnach, dass die Ampullen sich bei den Eehinodermen in engster Beziehung zur Lokomotion ent- wickeln. Wir sind desshalb keineswegs berechtigt, ihr Vorhanden- sein ohne Weiteres bei festgewachsenen Formen, wie Agelacrinus und Edrioaster als etwas Selbstverständliches vorauszusetzen. Die Möglichkeit, dass sich auch bei festsitzenden Formen Ampullen ent- wickelt haben können, ist natürlich nicht vollkommen auszuschließen. Das Beste ist, wir bekennen frei, dass wir über die Bedeutung jener 280 Richard Semon Öffnungen noch eben so im Unklaren sind, als über die einfachen und Doppelporen, sowie über die Porenrauten anderer Cystideen. Aber selbst gesetzt den Fall, dass es sich bei jenen Cystideen um Ampullen oder ampullenähnliche Bildungen gehandelt hätte, ist der Umstand, dass derartige zweifelsohne sekundäre Bildungen ihren Weg zwischen den Skelettheilen hindurchnehmen, eine hinreichend bedeutende Übereinstimmung zwischen diesen besonderen Cystideen und den Asteriden, um in Ansehung derselben über sehr bemerkens- werthe Schwierigkeiten hinwegzusehen? Können wir annehmen, dass Ampullen innerhalb der Gattung Agelacrinus oder Edrioaster erworben wurden und von da aus auf die Asteriden vererbt worden sind, können wir uns mit einem Worte Agelacrinus-ähnliche Cystideen als Voreltern der Asteriden vor- stellen? Ganz abgesehen von dem Mangel der Madreporenplatte bei ersteren ist durch die augenscheinliche Abwesenheit eines Hautmuskel- schlauchs bei den Agelacriniden eine solche Annahme für mich un- denkbar. Man kann sich wohl schematisch konstruiren aber nicht phylogenetisch vorstellen, wie aus der starren, in sich kaum noch beweglichen Scheibe eines Agelacrinus oder der ganz starren Kugel des Mesites die freie Armbildung eines Asteriden hervorgegangen sein soll, wenn wir uns die Scheibe oder Kugel von der Unterlage abgelöst und mittels der Füßchen herumwandelnd denken. Der ganze Bau des Asteridenarmes in der Beweglichkeit seiner Skeletelemente und seiner gut ausgebildeten Muskulatur deutet darauf hin, dass wir von Formen mit relativ freier Armbildung und wohl entwickelter Musku- latur ausgehen müssen, nicht von starren. kreisférmigen Scheiben. Aus diesem Grunde werden denn auch Formen wie Palmipes mit Recht als Umbildungen der freiarmigen Seesterne betrachtet, nicht als der ursprüngliche Typus. Alles in Allem sehen wir also, dass, ganz abgesehen von unserer Unkenntnis der inneren Organisation des Agelacrinus, schwerwiegende Bedenken sich geltend machen lassen, in ihm eine Stammform der See- sterne zu erblicken, wie Abwesenheit der Madreporenplatte, Starr- heit des Körpers und somit Mangel der Muskulatur, Fehlen von freier Armbildung. Dem steht nur eine einzige Übereinstimmung gegenüber, Öffnungen zwischen den Platten der Ambulacren, die sich bei einigen, nicht bei allen Arten finden. Ob diese Öffnungen nun auch Am- pullen zum Durchtritt gedient haben, wie bei den Seesternen, lässt Sich nicht entscheiden. Jedenfalls handelt es sich um eine Neu- erwerbung, die innerhalb der Gattung Agelacrinus gemacht ist Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 281 und sich sehr leicht als ein paralleler Entwicklungsvorgang vor- stellen lässt. Das Facit zu ziehen muss jedem Leser selbst iiberlassen bleiben. Ich fiir meinen Theil bin der Ansicht, dass auch nicht entfernt der Nachweis erbracht ist, dass Agelacrinus und Edrioaster Bindeglieder zwischen Cystideen und Seesternen sind, ja dass nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit vorliegt. Was für Agelacrinus und Edrioaster gilt, das gilt in noch höherem Grade für Mesites, der nach NEUMAYR von den Cystideen zu den Echinoideen, gleichzeitig aber auch zu den Asteroiden hinüberleiten soll. Über die innere Organisation des Mesites wissen wir natürlich nichts, als dass er höchst wahrscheinlich keine Muskulatur und keine singuläre Öffnung des Wassergefäßsystems besessen hat. beides Cha- raktere, die die Stammeltern der Echiniden besessen haben müssen. Aber auch vom Skelet des Mesites können wir fast nichts brauchen. um daraus eine Seeigelschale hervorgehen zu lassen. Die fest ver- bundenen porösen Platten der Interambulacren müssen sich wieder lösen oder durch andere ersetzt werden, um die den Palaeechiniden eigen- thümliche dachziegelartige Deckung der Platten, die man passend als Imbrication bezeichnet, hervorgehen zu lassen. Die wichtigen Radialplatten von Mesites verschwinden völlig oder finden sich noch in gewissen kleinen Fortsätzen auf der Innen- seite der Ambulacraltafeln mancher Cidariden. Es bleiben also eigent- lich nur die dachziegelartig aufgerichteten Platten übrig, welche die Ambulacralrinnen decken, die man allenfalls mit den Ambulacralplatten der Seeigel vergleichen kann. Nun sind aber die Füßchen nicht wie bei den Seeigeln durch letzterwähnte Platten hindurch ge- treten, sondern seitlich aus Öffnungen zwischen je zwei Radial- gliedern, die nach Scumipr (Mém. de l’Acad. de St. Pétersbourg 1874 pag. 35) in den Ambulacralkanal führen. Dadurch verliert auch die einzige Übereinstimmung gänzlich an Bedeutung. Mesites ist somit eine echte Cystidee und die einzige Eigen- thümlichkeit seiner Organisation, die etwa an die Echiniden erinnern könnte, die theilweise Bedeckung der Ambulacralgefäße und Nerven durch dachziegelförmig über einander gelagerte Platten, erweist sich bei näherem Zusehen auch nur als ganz irrelevante Ähnlichkeit, da die Füßchen zu jenen Platten gar nicht dieselben er ein- gegangen sind, die für die Echiniden typisch sind. Die Auffassung der Radien des Mesites scheint mir bei manchen Autoren eine missverständliche zu sein, woran wohl zum Theil der nicht ganz klare 282 Richard Semon Ausdruck bei der Beschreibung dieses Thieres durch HorrmMann (Verh. der mineral. Gesellschaft. St. Petersburg. II. Serie. Bd. I. 1866. pag. 1. Tab. ]), Scumipt (Mém. Acad. St. Pétersbourg. VI. Serie. Tome 21. 1873. pag. 34. Tab. III), Nixirry (Bull. Soc. imp. d. Nat. de Moscou. Tome 52. 1877. pag. 301) Schuld ist. Doch ergiebt die Zusammenstellung ihrer Angaben iber die Am- bulacren ein einigermaßen klares Bild. HOFFMANN, der erste Beschreiber, sagt: »Die Zusammensetzung der Pseudoambulacralfelder weicht wesentlich von derjenigen der Blastoideen ab. Jedes derselben besteht aus zwei Reihen Täfelchen, die wechselständig an einander gefügt sind. In ihrer Mitte verläuft der Länge nach ein rinnenförmigeräußerer Kanal, welcheramScheitel von dachförmig aufgerichteten Platten überdeektwird!, aber weiter nach unten von einer homogenen Kalkspatmasse ausgefüllt erscheint, die einen etwas erhabenen Grat mit Seitenausläufern bildet und gar keine Gliederung zeigt.«« — — »Unter dem äußeren Kanal der Pseudoambulacren be- merkt man noch einen inneren!, der nicht als zufällige Umgestaltung der Kalkspatmasse angesehen werden kann, da man ihn an allen Pseudoambu- lacren beider Exemplare, in verschiedener Entfernung vom Scheitel, wieder- findet. Welche Rolle dieser Kanal in der Organisation des Thieres gespielt hat, muss einstweilen noch dahingestellt bleiben, bis weitere Funde die Sache näher beleuchten.« Einen besseren Einblick in diese Verhältnisse erhalten wir durch Sc#uipT, der die Radien von Mesites folgendermaßen beschreibt: »Die rinnenförmige! Beschaffenheit der Radien oder niederliegenden Arme, die durch die bogen- förmig nach oben zusammengeneigten Radialglieder zu geschlossenen Ka- nälen? werden, ist in ähnlicher Weise schon von BıuLıng’s bei Agelacrinites Dicksoni beschrieben. Die Radialkanäle liegen namentlich nach unten zu deut- lich auf den angrenzenden Kelchtiifelchen auf (die aber selten unter ihnen zu- sammenschließen und daher noch einen inneren Kanal offen lassen!), so dass wir hier schon eher von niederliegenden Armen sprechen könnten als bei den früher behandelten Gattungen Glyptocystites und Asteroblastus. In einem Punkt weiche ich von HOFFMANN ab, nämlich darin, dass ich deutliche Ansätze von Pinnulae erkannt zu haben glaube, die mit Poren in Verbindung stehen, die ins Innere der bedeckten Tentakelrinne führen. Diese Ansätze be- stehen aus rundlichen Feldern auf der Oberseite der Radialglieder (nach außen hin), die in ähnlicher Weise wie bei Asteroblastus zwei länglich runde Anhef- tungsstellen für die wahrscheinlich zweireihigen Pinnulae erkennen lassen, welche (die Pinnulae) einst in ähnlicher Weise wie bei Pseudocrinites quadrifasciatus Forb. den ganzen Radius bedeckten.« NIkITIN endlich giebt wohl in direktem Anschluss an HOFFMANN und SCHMIDT folgende Schilderung der Radien: »Die Radien erinnern an die des Agelacrinus; sie bestehen aus zwei Gliederreihen, die gegen die Mitte der Ra- dien etwas ausgeschnitten sind, so dass längs der Radien eine offene Rinne! läuft. Unter diesen Radialgliedern liegt noch eine Schicht von Platten, so dass 1 Im Original nicht gesperrt gedruckt. ? Der vollkommene Schluss erfolgt aber erst durch die von HOFFMANN beschriebenen »dachförmig aufgerichteten Platten«, von denen SCHMIDT nicht spricht, deren Vorhandensein er aber nicht bestreitet, da er nur in einem hiervon unabhängigen Punkte von HOFFMANN abzuweichen angiebt. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 983 sich zwischen denselben noch ein geschlossener Kanal bildet. Am oberen Theil des Scheitels sind nach HorrMANN die äußeren Rinnen von dachförmig aufgerichteten Platten überdeckt, eine Eigenthümlichkeit, welche bei fast allen Diploporitiden-Cystideen mit Pseudoambulacralradien nachgewiesen wird, wie zum Beispiel bei Protocrinites. Diese rinnenförmigen Kanäle! bei Pro- tocriniten führen in eine centrale versteckte Öffnung, die sogenannte Ambula- eralöffaung nach BırLıng’s (Mund nach VOLBoRTH). Auf der äußeren Ober- fläche der Radialglieder sind deutliche Ansätze für Pinnulae erkennbar. Die Ansätze bestehen aus rundlichen Feldern, welche mit Poren in Verbindung stehen, die ins Innere der verschlossenen Kanäle führen.« Aus diesen Beschreibungen geht Folgendes klar hervor. Es sind zwei über einander liegende Kanäle vorhanden, ein äußerer Kanal, der sich zunächst nur als Rinne zwischen den Radialgliedern darstellt und am Scheitel von dachförmig aufgerichteten Platten überdeckt wird. Darunter und von ersterem durch die Radialglieder geschieden, ein »innerer Kanal«, der über sich die Radialplatten, unter sich gewöhnliche poröse Kelchtafeln hat. Es fragt sich nun: in welchen von beiden Kanälen hat das Ambulacralwasser- gefüäß gelegen? Aus den Beschreibungen der russischen Autoren scheint mir mit ziemlicher Deutlichkeit hervorzugehen, dass sie sämmtlich den äußeren Kanal für den Ambulacralkanal beziehentlich die Ambulacralrinne halten. Auch aus Zirrev’s Darstellung in seinem Handbuch der Paläontologie (Bd. I pag. 415) geht die gleiche Auffassung hervor. Nur lässt er irrthümlicherweise die »dachförmig aufgerichteten Platten«, die die Ambulacralrinne decken, von Poren durchbohrt sein und Insertionsflächen für die Pinnulae tragen, was, wie leicht ersichtlich, mit den Beschreibungen nicht übereinstimmt. NEUMAYR (l. e. 1 pag. 158, 159) spricht überhaupt nur von einem Kanale und versteht darunter, wie aus seiner Beschreibung pag. 158 hervorgeht, den inneren. Die äußere Rinne beziehentlich den durch die dachförmigen Platten iiberdeckten Kanal erwähnt er mit keinem Worte. Ich will über diesen Punkt mit ihm nicht rechten, obwohl die Annahme, dass das Ambulacralgefäß im äußeren Kanal gelegen habe, meiner Ansicht nach die viel größere Wahr- scheinlichkeit für sich hat. Auch der Vergleich mit Agelacrinus und Edrio- aster spricht durchaus dafür. Aber ich stelle mich einmal auf NeumAyr’s Standpunkt und nehme an, das Wassergefäß hätte im inneren Kanale gelegen. Dann würden die ihn nach außen deckenden Platten, die Radialplatten der Autoren, die nach NEUMAYR den Ambulacralplatten der Echiniden entsprechen sollen, die Füßchen nach Asteridenart zwischen sich durchtreten lassen. Die ihm nach innen zu unterliegenden Platten, die den Ambulacralplatten der Asteriden entsprechen sollen, würden die Ampullen nicht nach Asteridenart zwischen sich durchlassen, sondern, da sie als Körperplatten nach NEUMAYR »jedenfalls auch Poren tragen müssen«, würden sie die Ampullen durch die einzelnen Plat- ten hindurchtreten lassen. Es kommt also NEUMAYR, der doch bei Age- lacrinus auf die Lage der Poren zu den Platten so großen Werth legt, hier gar nicht darauf an, diejenigen Platten, die den Ambulacralplatten der Echini- den homolog sein sollen, bezüglich der Poren Asteridencharakter tragen zu ! Im Original nicht gesperrt gedruckt. 284 Richard Semon lassen, diejenigen, die den Ambulacralplatten der Asteriden entsprechen sollen, Echinidencharakter!. Durch diese Ausführungen ist, wie mir scheint, klar bewiesen, dass, mag man nun das Ambulacralgefäß in den äußeren oder in den inneren Kanal ver- legen, stets eine Homologisirung der ihn deckenden Platten mit den Ambula- cralplatten der Echiniden undurchführbar ist, und dass, wenn man das Gefäß mit NEUMAYR in den inneren Kanal verlegt, auch jede Asteridenähnlichkeit schwindet. Eben so wie Mesites eine gewöhnliche Cystidee ist, die in keiner Weise wirkliche Seeigelcharaktere trägt, eben so ist Cystoci- daris (Echinocystites Wyv. Thomson) ein echter Seeigel und ist sehr weit entfernt, eben so viel vom Seeigel als von der Cystidee an sich zu haben und beide mit einander zu verbinden. Drei Gründe führt NEuUMAYR? für letztere Behauptung an. Zu- nächst soll die Lage des Afters an die Cystideen erinnern, da der- selbe, außerhalb des Apex gelegen, sich »nicht wie bei allen be- kannten irregulären Seeigeln in der Mitte, sondern ganz an der Seite des Interambulacrums« befindet. Ist nun etwa letztere Lagerung für die Cystideen typisch? Durchaus nicht! In außerordentlich vielen Fällen liegt auch bei ihnen die als After gedeutete Öffnung genau in der Mitte des Ambulacrums, so zum Beispiel bei Agelacrinus, dessen Aftertäfelung nach THomson* derjenigen der Cystocidaris am meisten ähneln soll. Es ist also wohl klar, dass die leichte Lageverschiebung des Afters bei unserem Seeigel kein Cystideen- charakter ist, sondern ganz ungezwungen durch die noch sehr un- regelmäßige Anordnung der Skelettheile in den Interambulacren des Seeigels seine Erklärung findet. Dass hier eine Abweichung von der Lage des Afters bei den übrigen irregulären Seeigeln, die sämmtlich den Euechinoiden angehören, zu beobachten ist, wird durch die nachher noch zu erläuternde Anschauung weiter verständlich gemacht werden, dass die Excentrieität des Afters bei Cystocidaris wahrscheinlich eine 1 Nur bei den phylogenetisch sehr jungen, stark umgebildeten Clypeastri- den kommt es vor, dass die Poren, statt in die Platten selbst, in die Nähte derselben zu liegen kommen, und zwar an den Ambulacra petaloidea. Am ‘ unteren Ende der Ambulacra petaloidea gehen übrigens die Poren leicht von den Nähten auf die Platten selbst über. Die ganze Erscheinung ist offenbar eine sekundäre Umbildung des ursprünglichen Charakters. Ganz konstant ist die Lage der Poren für die Ampullen bei den Asteriden zwischen je zwei Platten. 2]. c. 1 pag. 154 und 1. c. 2 pag. 400. 3 WyvVILLE THomsox, On a new palaeozoic Group of Echinodermata. The Edingburgh new philosophical Journal. 1861. Vol. 13. pag. 111. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 385 primäre, bei den irregulären Euechinoiden aber eine sekundäre ist. Hierin stimme ich mit NEUMAYR überein. Ich sehe aber darin einen Charakter, der ein nothwendiges Resultat des Festsitzens der Stamm- form ist. Natürlich hat er sich bei allen Pelmatozoen erhalten; bei den meisten freilebenden Formen, sofern dieselben phylogenetisch junge sind, hat er sich verwischt und kann dann nur noch durch die Entwicklungsgeschichte wieder erkannt werden. Etwas mehr Werth wäre auf den Verschlussapparat des Afters bei Cystocidaris zu legen, einer aus unregelmäßigen Platten be- stehenden flachen Pyramide, »einer sogenannten Analpyramide, wie sie sonst unter allen Echinodermen einzig nur bei den Cystideen auftritt«. Letzteitirte Behauptung NEumayr’s bedarf sehr der Ein- schränkung. Wir finden einen durch fünf klappenförmige Zipfel geschlossenen After, der dann meist pyramidenförmig über das Niveau der Haut hervorragt, bei vielen Holothurien. Bei gewissen Arten der Gattung der Holothuria (Bohadschia Jäger) sind es Zipfel der reichlich mit Kalkplatten durchsetzten Haut, bei Mülleria sind es selb- ständige Kalkleisten. Kalkplatten, die eine typische Analpyramide bilden, finden sich bei vielen Psolusarten (Psolus antarcticus, Psolus ephippifer). Wenn man mit P. und F. Sarasin die Seeigel von Holothurien ableitet, was ich nicht thue, könnte man also mit ganz gleichem Rechte die Afterbildung von Cystocidaris für diese Ab- leitung ins Feld führen, als darin einen Cystideencharakter unseres Seeigels erblicken. Ich für meinen Theil halte Alles dieses nur für analoge Bildungen, die sich in verschiedenen Klassen der Echino- dermen zum Verschluss aller möglichen Öffnungen gebildet haben. Sehen wir doch, dass bei den Cystideen auch die als Ovarialmündung - gedeutete Öffnung zuweilen von einer Klappenpyramide geschlossen wird. Auch der Mundverschluss durch Oralstücke bei vielen Cri- noideen (Hyocrinus, Holopus ete.) und bei manchen Holothurien (Psolus antareticus) ist eine ganz analoge Bildung. Besonderen Werth würde ich einer derartigen Übereinstimmung nur dann beimessen, wenn der Seeigel noch sonst irgend welche ‚Merkmale mit den Cystideen gemeinsam hätte. NEUMAYR sagt zwar an einer Stelle, (l. e. pag. 400), dass die Lage seiner Madreporenplatte an die Cysti- deen erinnere. Nun ist eine Madreporenplatte bei letzterer Klasse nicht bekannt. NEUMAYR selbst deutet keine der größeren Öffnungen, die wir in jener Klasse finden, als Ausmündung des Wassergefäß- systems (l. e. 2 pag. 406) und fasst nur die isolirten Rauten oder Theile von Rauten bei manchen Cystideen als Homologa der Kelch- 286 Richard Semon poren der Crinoideen also als Ausmündungen des Wassergefäßsystems auf, wobei er hinzufiigt, dass das wahrscheinlich nicht die urspriingliche Bedeutung der Porenrauten, sondern nur eine sekundär erworbene sei. Wenn er also an anderer Stelle (l. e. 1 pag. 155) sagt: »end- lich erinnert der Madreporit von Cystocidaris mit seiner auffallenden Lage sehr an die isolirten Porenrauten der Cystideen«, so scheint er mir das Allereinfachste mit dem Komplicirtesten, das sehr Ursprüng- liche mit dem höchst Veränderten zu vergleichen. Das Tertium com- parationis ist offenbar nur die nicht apicale Lage beider Bildungen, sonst fehlt jede Beziehung oder auch nur Ähnlichkeit der Madre- porenplatte der Cystoeidaris zu Porenrauten der Cystideen, die oben- drein bis jetzt immer noch problematische Bildungen sind und den höchst entwickelten, nicht den einfachsten Cystideen zukommen. Bei letzteren ist überhaupt nichts über die Ausmündung des Wasser- gefäßsystems bekannt. Ich habe versucht, den Nachweis zu führen, dass Cystocidaris ein echter Seeigel ist, der keine specifischen Cystideenmerkmale an sich trägt und nur durch den Klappenverschluss seines Afters mit jener Klasse eben so gut aber mit gewissen Holothurien in einem unwesentlichen Punkte eine gar nicht einmal schärfer durehführbare Übereinstimmung zeigt. Ein echter Seeigel mit Madreporenplatte mit Ambulacralplatten, welche das Ambulacralgefäß von außen be- decken und von Poren zum Durchtritt der Füßchen durchbohrt sind. Wenn ich auf alle diese Erwägungen hin bestreite, dass Cysto- cidaris zu den Cystideen hinüberleitet, so besteht für mich anderer- seits gar kein Zweifel, dass Cystocidaris einen außerordentlich alten, ursprünglichen Echinoidentypus repräsentirt. Dafür spricht die noch ' sehr unregelmäßige Anordnung seiner Platten, dafür besonders die excentrische Lage seines Afters und seiner Madreporenplatte. Wenn man, wie ich, alle Echinodermen von festsitzenden Formen ableitet, und selbverständlicherweise die Längsachse durch den Mund und die Anwachsungsstelle legt, so ergiebt sich daraus die Nothwendigkeit, — dass in diesem phylogenetischen Stadium After und Madreporenplatte nicht an dem festgewachsenen Scheitelpol, sondern excentrisch gelegen haben müssen. Hierfür spricht auch die Entwicklungsgeschichte. Bei sämmtlichen Echinodermen rückt After und Madreporenplatte erst sekundär in den Apicalpol, oder, anders ausgedrückt, wird die Stelle, wo sich in der Larve diese Theile finden, erst durch sekundäre Ver- schiebung zum Scheitelpol. Es scheint mir nun sehr wahrscheinlich Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 387 zu sein, dass wir in Cystocidaris ein phylogenetisches Stadium dieser ursprünglich excentrischen Lagerung von After und Madreporenplatte bei Echinoiden vor uns haben. Bei den übrigen Palechinoiden hat dann schon das ursprüngliche Verhältnis dem abgeleiteten, der apicalen Lage von Madreporenplatte und After Platz gemacht. Wie wir wissen, kann dann wieder sekundär bei den irregulären Euechinoiden der After den Scheitelpol verlassen. Wir haben also scharf zwischen einer primären und sekundären Excentricitét des Afters zu unter- scheiden. Zusammenfassend dürfen wir, glaube ich sagen, dass fossile Übergangsformen zwischen Cystideen, Seesternen und Seeigeln! nicht vorhanden sind. Bei schärferer Beleuchtung lösen sich die schein- baren Übereinstimmungen in schattenhafte äußerliche Ähnlichkeiten auf oder verschwinden ganz, während die fundamentalen Differenzen bestehen bleiben und noch deutlicher hervortreten. Alles deutet darauf hin, dass die Divergenz der freilebenden Klassen von den Pelmatozoen erfolgt ist, ehe letztere noch ein festverbundenes Skelet entwickelt, die ursprüngliche Einfachheit in der Ausmündung des Wassergefäßsystems verloren hatten, mit einem Worte als das in- differente Pentactula-ähnliche Stadium noch in keinem wesentlichen Punkte verlassen war. Mundskelet der Seeigel und Holothurien. Die Vergleichung des Kalkringes der Holothurien mit gewissen Theilen des Seeigelskelettes ist ein Problem, das schon im Anfange des Jahrhunderts die Morphologen beschäftigt hat. BOoHADSCH ver- glich den Kalkring der Holothurien mit den Zähnen der Seeigel. Cuvier? erklärte sich gegen die Ansicht, dass der erstere etwas mit Kauwerkzeugen zu thun habe, und sah ihn, eben so wie TIEDEMANN * 1 Ich kann es mir wohl versagen, hier auch noch auf Palaeodiscus ferox einzugehen, der zwischen Seeigeln und Seesternen vermitteln soll, da W. THOMSON (1. e.) selbst erklärt: »a series of more complete Specimens is necessary for the full elucidation of its structure and affinities«. Wie vieldeutig übrigens alle diese Vermittelungen sind, kann man daraus ersehen, dass Palaeodiscus nach NEUMAYR als ein Vermittler zwischen Seeigeln und Asteriden, gleichzeitig aber »nicht ohne eine gewisse Berechtigung« als ein vermittelnder Typus zwi- schen Asteriden und Ophiuriden zu betrachten ist. 2 CuvieR, Lecons d’anat. comp. III. pag. 336. 3 TIEDEMANN, Anatomie der Röhrenholothurie etc. Heidelberg 1820. 288 Richard Semon als ein Rudiment der Schale an. Ihnen schloss sich MECKEL! zu- nächst an, neigte aber später wieder der Ansicht zu, dass der Ring zwar nicht den Zähnen aber den Kiefern der Seeigel zu vergleichen sei. Letztere Homologie wurde von J. MÜLLER? weiter ausgeführt und begründet. MÜLLER verglich die fünf radialen Stücke des Knochen- ringes der Holothurien mit den Rotulae der Seeigel, die fünf inter- radialen Stücke mit den Epiphysen. Die Epiphysen bilden zusammen mit den Rotulae bei Echinus einen geschlossenen Kranz, bei den Cidariden ist dieser Kranz unterbrochen, da bei ihnen die Fortsätze der beiden Epiphysen eines Kieferpaares an der Basis des Kiefers nicht zu einem Bogen verbunden sind. Baur? erhob einige allerdings recht allgemein gehaltene Einwände gegen diesen Vergleich, und ging auf die Cuvier-TiepEMANN’sche Ansicht zurück, ohne jedoch den Versuch zu machen, die Bedenken zu widerlegen, die J. MÜLLER gegen dieselbe erhoben hatte. Die meisten Autoren sind seitdem Baur gefolgt. Neuerdings haben aber P. und F. Sarasın * den MÜLLERr’schen Vergleich wieder aufgenom- men, ohne indessen der Frage im Einzelnen näher zu treten und die bis jetzt noch unwiderlegten Einwände Baur’s zu entkräften. Eine dritte Ansicht habe ich selbst schon seit längerer Zeit vertreten, die nämlich, dass die Einwände gegen die eine wie die andere Homologisirung gerechtfertigt sind, und dass bei genauerem Eingehen auf die Topographie und Bedeutung der Theile und bei Berück- sichtigung der Entwicklungsgeschichte sich das Resultat ergiebt, dass ein Äquivalent des Holothurienkalkringes im Echinidenskelet über- haupt nicht aufzufinden ist. Es sei mir gestattet, hier kurz meine Gründe zu wiederholen und zu ergänzen. Die Vergleichung des Kalkringes mit den Zähnen ist schon früh als gänzlich undurchführbar aufgegeben worden, es bliebe also die Vergleichung des Ringes mit dem eigentlichen Kiefergerüst einerseits, einem Theil der Schale und den Aurikeln andererseits zu erörtern. Von diesen beiden Vergleichungen will ich die letztere als die leichter zu widerlegende zuerst besprechen. ı J. F. MEckEL, System der vergleichenden Anatomie. 2. Theil. 1. Abth. 1824. pag. 44. 2]. e. pag. 73. 3 A. Baur, Beiträge zur Geschichte der Synapta digitata. Nova acta L. C. Dresden 1864. Bd. XXIII. *].c. pag. 97 und 139. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 2389 Bei dieser Vergleichung ist zunächst festzustellen, was denn als das Wesentliche angesehen werden soll, der Brückenbogen der Aurikel oder der Schalentheil, dem dieselben aufsitzen. Das Bestimmende bei der Vergleichung war die Lage der Körper- wassergefäße und Nerven zu den zu vergleichenden Bildungen. Bei den Holothurien treten Wassergefäße und Nerven über den Kalk- ring und nur bei einigen Synaptiden findet sich das Verhältnis, dass diese Theile nicht durch Rinnen über, sondern durch Löcher durch den Kalkring treten. Durch Zustände, wie wir sie bei Chirodota venusta! finden, eben so wie durch die Entwicklungsgeschichte der Synapta digitata wird bewiesen, dass letzteres Verhältnis auch bei den Synaptiden ein sekundäres ist. Bringen wir nun die Aurikel nebst ihren Fußstücken in die gleiche Lage, so sehen wir ohne Weiteres, dass nur der eigentliche Aurikelbogen mit dem Kalkring verglichen werden kann, nicht der Schalentheil, dem die Aurikel aufsitzen. Wir müssen also den Schalentheil als Vergleichsobjekt ganz fallen lassen. Denn ganz abgesehen von dem Umstande, dass, wie J. MÜLLER hervorhob, jene Platten, unter denen die Gefäße und Nerven hindurehtreten, bei den Echiniden stets paarig sind, die ähnlich gelagerten Kalkringstücke stets unpaar, das Lageverhältnis selbst ist ein so fundamental verschiedenes, dass bei der Vergleichung nur noch der Brückenbogen der Aurikel selbst in Frage kommen kann, ~ nichts Anderes. Legen wir uns nun aber zunächst die Frage vor: Was stellen die Aurikel vor. Die vernunftgemäße Antwort wird lauten: Die Aurikel sind Skeletvorsprünge, die zum Ursprunge von Muskeln bestimmt sind, es sind Muskelapophysen. Dass sich in dieser Defi- nition nicht nur die funktionelle, sondern auch die genetische Be- deutung dieser Gebilde wiederspiegelt, das beweist die vergleichende Anatomie. Die Aurikel sind in einer Reihe von Fällen (Cidariden. einige Clypeastroideen, wie Mellita und Echinocyamus) Apophysen der Interambulacralplatten, in einer anderen Reihe von Fällen (Echiniden, gewisse andere Clypeastroideen, wie Clypeaster und Arach- noides) Fortsätze der Ambulacralplatten. Bei einigen Scutelliden die ein sehr wohl entwickeltes Gebiss besitzen, wie Echinocyamus?, ! R. Semon, Beiträge zur Naturgeschichte der Synaptiden des Mittelmeeres. Mittheilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel. Bd. VII. 1887. pag. 401. 2 L. Acassız, Monographies d’Echinodermes viv. et foss. II. Monographie. Scutelles. 1841. cf. Tab. 27. Morpholog. Jahrbuch. 15. 19 290 Richard Semon wird gar kein Brückenbogen gebildet, Aurikel sind zwar vorhanden und ganz wohl ausgebildet, jede Beziehung zu Wassergefäßen und Nerven aber fehlt. Mit der Rückbildung des Kieferskelettes und damit der Musku- latur, die von den Aurikeln ihren Ursprung nahm, sehen wir denn auch bei den Spatangoiden die Aurikel gänzlich verschwinden, ob- wohl sich die Dinge in Bezug auf Nerven und Gefäße dadurch doch nicht ändern, ein weiterer Beweis dafür, dass genetisch und funktionell die Beziehungen der Aurikel zu der Muskulatur primäre, zum Wasser- gefäß- und Nervensystem aber sekundäre oder besser bloß acci- dentelle sind. Gerade umgekehrt verhält sich die Sache bei den Holothurien. Hier zeigt uns die Entwicklungsgeschichte auf das deutlichste, dass der Kalkring in allerinnigster Beziehung zum Wassergefäßsystem sich bildet. Wenn das Hydrocoel noch frei im Mesenchym liegt, entstehen fünf Kalkringglieder als Stützen der Primärausstülpungen. Die fünf Kalkringstücke für die Primärtentakel vermehren sich mit den Ten- takeln sekundär auf zehn; bei den Synaptiden kann die Zahl weiter, entsprechend der Zunahme der Tentakel, auf 12 und 15 und mehr vermehrt werden!. Nur fünf von diesen zahlreichen Gliedern treten jemals in irgend welche Beziehungen zur Muskulatur. Wie wir sahen, waren bei Echiniden die Beziehungen der Aurikel zu Wassergefäßen und Nerven nur accidentelle und inkonstante; jene Bildungen standen dagegen zur Muskulatur in einem vollkommenen Abhängigkeitsverhältnis und dürfen meiner Ansicht nach ganz ein- fach als Muskelapophysen der adoralen Coronalplatten bezeichnet werden. In jeder Beziehung umgekehrt verhalten sich die Kalk- ringglieder der Holothurien. Rechnet man dazu, dass letztere Bil- dungen, ursprünglich in Fünfzahl vorhanden, später auf 10, 12 oder 15 vermehrt, sich doch stets als unpaare Theile darstellen, die fünf Aurikel dagegen als Fortsätze entweder der Ambulacral- oder Interambulacralplatten (besonders schön sieht man dies bei Echino- eyamus) im Grunde als paarige Bildungen zu betrachten sind und sich als solche auch ohne. Zweifel bei entwicklungsgeschichtlicher Untersuchung ausweisen werden, so kann man meiner Ansicht nach nur zu dem Schlusse kommen, dass eine Homologie nicht nur nicht bewiesen, sondern in höchstem Grade unwahrscheinlich ist. ! In seltenen. Ausnahmefällen findet die Vermehrung nicht in gleichem Verhältnis mit der Vermehrung der Fühler statt, z. B. bei Chirodota incongrua und Ch. liberata. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 291 Die Vergleichung des Kalkringes mit Theilen des Kieferskelettes, die von J. MÜLLER vertreten wird, ist meiner Ansicht nach schon etwas eher annehmbar. Bei schärferem Zusehen aber ergiebt sich, dass auch sie an innerer Unwahrscheinlichkeit leidet. Bei der Erörterung dieser Frage stelle ich mich einmal in der Bezeichnung dessen, was bei Holothurien radial und interradial zu nennen ist, auf den MULLER’schen Standpunkt, obwohl, wie oben in dem Kapitel über das Wassergefäßsystem ausgeführt ist, dieser Punkt noch lange nicht endgültig festgestellt ist. MÜLLER also vergleicht die sogenannten Radialglieder des Kalk- ringes mit den Rotulae, die sogenannten Interradialglieder mit den Epiphysen der Laterne. Sehneiden wir uns diese Theile aus einer Laterne heraus, so erhalten wir ein Präparat, das trotz mancher Differenzen einem Holo- thurienkalkringe gar nicht unähnlich sieht. Sehr gut stimmt auch die Lage des Wassergefäßsystems zu beiden Bildungen überein, da bekanntlich die Ambulacralgefäße der Echiniden direkt über die Rotulae herüber nach außen laufen. Hier aber kommen wir schon zu dem ersten Einwande, der den Kern der allgemein gehaltenen Einwürfe Baur's über die ungleiche Lage des Nervensystems bildet. Die Ambulaeralgefäße der Echiniden werden nämlich bei ihrem Übertritt über! die Rotulae nicht von den fünf Ambulacralnerven begleitet wie die Körperwassergefäße der Holothurien bei ihrem Übertritt über den Kalkring. Die Nerven treten vielmehr eine be- trächtliche Strecke höher oben! über die Bänder, welche die Spitzen je zweier Pyramiden vereinigen ?. Dieses ist nun in gewisser Beziehung eine bemerkenswerthe Differenz. Der Nervenring liegt bei den Seeigeln im Inneren des Kiefergerüstes, wie bei den Holothurien im Inneren des Kalkringes. Dass er dabei den Kiefern (Alveolen, Pyramiden) selbst anliegt und nicht den Epiphysen und Rotulen, halte ich für mehr nebensächlich, da Kiefer und Epiphysen innig zusammengehören, und MÜLLER eben so gut die gesammte zusammengehörige Bildung mit den sogenannten Interradialtheilen des Holothurienkalkringes hätte vergleichen können als die isolirten Epiphysen. Dass aber die Nerven nicht wie bei den Holothurien in ihrem 1 Hier ist der Seeigel behufs Vergleichung mit der Holothurie immer mit dem Oralpol nach oben orientirt zu denken. 2 Cf. A. Kroun, Über die Anordnung des Nervensystems der Echiniden und Holothurien. MÜLLERs Archiv. Bd. VIIL 1841. pag. 3. 192 292 Richard Semon Verlauf zu den Radialtheilen, den Rotulae, in irgend welche Be- ziehungen treten, sondern in vollkommener Unabhängigkeit von den- selben über besondere, die Kiefer verbindende Bänder laufen, schließt meiner Ansicht nach die Möglichkeit aus, die Verhältnisse der Echi- niden von den Holothurien abzuleiten. Es ist nicht glaublich, dass die Beziehung, die bei den Holothurien Wassergefäße und Nerven zum Kalkringe eingegangen sind und zwar schon bei den einfachsten indifferentesten Formen, wie Chirodota venusta, sich zwar für die Wassergefäße erhalten, für die Nerven aber sekundär gelöst hat, so dass mitten zwischen die innig vereint über die Ringglieder verlaufen- den Gefäße und Nerven sich ansehnliche Muskeln eingeschoben haben. Auf der anderen Seite wird durch diese Differenz keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Zustände, die wir bei Holo- thurien finden, aus den, was die Topographie des Wassergefäß- und Nervensystems anlangt, mehr indifferenten der Echiniden hervorge- gangen sind. Auch diese Eventualität ziehe ich in Betracht, da ich die Vergleichung ganz frei für sich, losgelöst von der Berück- sichtigung der Verwandtschaft beider Klassen anstellen will. Wenn es aber in der That ganz wohl möglich ist, die Lagerungsverhältnisse der Nerven und Wassergefäße der Holo- thurien aus den bei Echiniden beobachteten Zuständen hervorge- gangen zu denken, ist es auf der anderen Seite ganz unwahrscheinlich, die Skelettheile selbst, wie wir sie bei Holothurien finden, aus den entsprechenden Gebilden der Echiniden abzuleiten. Man kann sich wohl vorstellen, dass die Zähne verschwinden, die Rotulae und eigent- lichen Kiefertheile dann einfache Gestalt annehmen. Dass aber aus diesen recht ungleichartigen Gebilden zehn vollkommen gleich- artige werden sollen, wie bei Chirodota venusta, obwohl letztere zehn Theile in ihren Leistungen und ihren Lageverhältnissen durch- aus nicht gleichartigen Bedingungen unterliegen, sondern zum Theil Nerven und Gefäße über sich treten lassen und Muskeln zum Ansatz dienen, zum anderen Theile aber nicht, das ist meiner Meinung nach mehr wie unwahrscheinlich. Die einfachste Überlegung spricht dafür, in den Verhältnissen von Chirodota venusta den Ausgangspunkt einer sich in der Klasse der Holothurien noch um ein Geringes kompli- eirenden Bildung zu erblicken, nicht das Produkt einer durch nichts zu erklärenden Reduktion. Ich habe versucht vergleichend anatomisch nachzuweisen, dass es weder möglich ist das Kiefergerüst als eine Umbildung des Kalk- Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 293 ringes, noch auch umgekehrt den Kalkring als ein rückgebildetes Kiefergerüst aufzufassen. Beides sind meiner Ansicht nach selb- ständige Bildungen: der Kalkring in erster Linie ein Stützapparat des den Holothurien in dieser Ausbildung eigenthümlichen Tentakel- systems; das Kiefergerüst eine im Anschluss an die Zähne entstan- dene Bildung, die mit letzteren, wie die Spatangoiden zeigen, steht und fällt. P. und F. Sarasin, welche die Echiniden von Holothurien ab- zuleiten versuchen, sind in ihrer mehrfach citirten ausgezeichneten Arbeit auf die MürLter’sche Vergleichung des Kalkringes mit dem Kiefergerüst zuriickgekommen und zwar im Anschluss an die Ver- gleiehung der Muskulatur, die mit den beiderartigen Bildungen in Beziehung tritt. Dass die Vergleichung des Kalkringes mit dem Kiefer- skelet aus topographischen Gründen undurchführbar ist, gerade wenn man den Kalkring als Ausgangspunkt wählt, ist oben gezeigt worden. Es verlohnt sich aber der Mühe, noch etwas näher auf die Muskel- vergleichung einzugehen. Gerade hier wird sich bei schärferer Prüfung zeigen, dass die Muskelvergleichung die Homologisirung jener ‚Theile nicht stützt, sondern ihr im Gegentheil noch mehr den Boden entzieht. P. und F. Sarasin sagen: »Der Schlundtheil des Holothurien- darmes wird bekanntlich von einem meist aus zehn Stücken bestehen- den Kalkring umgeben, an dessen radial gelegenen Theilen sich bei vielen Formen die vorderen Enden der Längsmuskel inseriren. Kompli- eirter wird das Verhältnis bei den dendrochiroten Holothurien und einigen Molpadiden, indem sich bei diesen schon in einiger Entfernung vom Kalkring besondere Bündel von den Längsmuskeln abspalten, welche die Leibeshöhle durchsetzen und sich an die Radialstücke anheften. Es sind dies die sogenannten Retraktoren des Schlund- kopfes. Nach Abgabe der Retraktoren verlaufen die Längsmuskeln noch bis ans Vorderende des Körpers, aber ohne sich am Kalkring zu inseriren!. Sie sind dann meistens viel schwächer als die Rückzieh- muskeln, die sich von ihnen abgespaltet haben. »Ein ganz ähnliches Verhältnis haben wir auch bei Asthenosoma: hier sahen wir die Längsmuskeln an die aborale Seite der Aurikel sich inseriren und von den adoralen Aurikelflächen die Muskeln der ! Letztere Angabe, die von SEMPER und Lampert herrührt, wird neuer- dings von H. Lupwic (Bronn’s Klassen und Ordnungen. Bd. II. Abtheil. 3. Echinodermen. Heidelberg 1889. pag. 89) als irrthümlich bezeichnet. 294 Richard Semon Buccalmembran entpringen. Außerdem gehen aber von derselben Fläche fünf Paare starker, schief abwärts an die Laterne laufender Retraktoren aus. Wir glauben, dass man diese zehn Retraktoren als Abspaltungen von den Längsmuskeln betrachten und somit den von den Längsmuskeln gewisser Holothurien sich abzweigenden Rück- ziehmuskeln des Schlundkopfes gleichsetzen darf. — — —« »Die bei den Seeigeln zwischen den Aurikeln entspringenden Vorstoßmuskeln der Laterne werden wohl als neuer Erwerb dieser Gruppe aufzufassen sein. »Die Rückziehmuskeln der Laterne bleiben auch bei den hart- schaligen Seeigeln erhalten, bei welchen, wie wir oben sahen, die Längsmuskeln selbst, durch Erstarrung des Panzers unmöglich ge- macht, verschwanden und nur noch durch Reihen von Bindegewebs- bündeln angedeutet erscheinen.« Diese Ausführungen klingen zunächst recht plausibel. P. und F. Sarasıy haben aber eine Differenz übersehen, die morphologisch von der allergrößten Bedeutung ist. Die Längsmuskeln beziehentlich Retraktoren der Holothurien setzen sich an die sogenannten »Radialstücke« des Kalkringes, also an Theile, die in denselben Radien des Körpers liegen, wie sie selber. Die Retraktoren der Echiniden und Echinothuriden dagegen ent- springen von den Aurikeln, also radial gelegenen Theilen, sie in- seriren aber an den Kiefern (Alveolen, Pyramiden), die bekanntlich interradiale Lage haben. Um mit den Holothurienmuskeln über- haupt vergleichbar zu sein, müssten die Echinidenretraktoren an den Rotulae oder den letzteren zugehörigen Theilen, wie den Radii (Com- passen) der Echiniden inseriren. Dies thun sie aber nicht, und so- mit verschwindet meiner Ansicht nach jede Möglichkeit einer Homo- logisirung. Bei den Echiniden inseriren an den radial gelegenen Compassen (Radii, die den Rotulae aufsitzen) fünf Paar Muskeln, aber diese entspringen ihrerseits zwischen je zwei Aurikeln, und zwar genau interradial. Auch hier wäre also keine Vergleichung mit Holo- ; thurienmuskeln möglich. Die Vorstoßmuskeln der Laterne der Seeigel endlich sind nach P. und F. Sarasin’s eigenem Zeugnis »als ein neuer Erwerb dieser Gruppe aufzufassen« und vollends mit keinem Theile der Holothurien- muskulatur zu vergleichen. Wie wir uns also auch wenden: überall begegnen wir bei genanerem Zusehen deutlicher Ungleichartigkeit — Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 295 und wir können auch die Muskelverhiltnisse als einen weiteren Be- weis dafür betrachten, dass der Kalkring der Holothurien und der Kauapparat der Seeigel selbständig entstandene und nur in Folge ihres radialen Baues und ihrer Beweglichkeit ähnliche, keineswegs aber homologe Gebilde sind. Vergleichung der Platten am Apicalpol. Der Versuch, eine Vergleichung der Platten am Apicalpol der verschiedenen Echinodermenplatten durchzuführen, rührt bekanntlich von Loven' her, der übrigens schon einige Vorläufer gehabt hat. P. H. CARPENTER? nahm diesen Gedanken auf, und diesem hervor- ragenden Morphologen gebührt das Verdienst, die angenommene Ho- mologie nach allen Richtungen hin durchgearbeitet, vor Allem auch entwicklungsgeschichtlich geprüft zu haben. A. AGassiz, LUDWIG, PERRIER und SLADEN und viele Andere nahmen zu dieser Frage Stellung. Trotz zahlreicher Differenzen in einzelnen Punkten standen aber alle diese Forscher auf dem gemeinsamen Boden, die hervortretende Ähnlichkeit des Apicalpols der verschiedenen Klassen als den Aus- druck einer wahren Homologie der ihn zusammensetzenden Elemente zu betrachten. Dies war die Voraussetzung, von der man hier wie bei den anderen oben besprochenen Vergleichungen des Echinodermen- skelettes ausging, ohne die Berechtigung dieser Annahme einer weiteren Prüfung zu unterwerfen. In dieser prineipiellen Frage wurde nur von einer Seite aus ein Widerspruch laut, und zwar von paläontologischer. NEUMAYR® nämlich wies darauf hin, dass in älteren Schichten immer größere Abweichungen von demjenigen Typus des abactinalen Systems zu beobachten wären, der nach den embryologischen Untersuchungen als der normale zu betrachten wäre. »Alle geologisch alten Formen sprechen in entschiedenster Weise gegen die Auffassung, dass eine Apexentwicklung, wie sie bei Salenia persistirt, als typisch für die ganze Abtheilung der Seeigel betrachtet werden könne; wenn man aus den vorhandenen paläontologischen Daten einen positiven Schluss 1 Sven LovEn, Etudes sur les Echinoidées. Kongl. Svenska Vetenskaps Akademiens Handlingar. Bd. II. No. 7. Stockholm 1874. 2 P. H. CARPENTER, Quart. Journ. of Microscop. Science. Vol. 18, 19, 20, 22. 3 296 Richard Semon ziehen will, so muss er dahin gehen, dass der Apex von Palaeechinus elegans mit drei zehnzähligen Kränzen jedenfalls der Grundform näher stehe, als derjenige von Salenia. Damit fällt auch der Boden für die Detailparallelisirung einzelner Plattengruppen am Echinoiden- scheitel und Crinoideenkelch und damit überhaupt jede nahe Homo- logie zwischen Crinoideen (Eucrinoiden) und Seeigeln weg.« Ich selbst wurde in meiner Arbeit über die Entwicklung der Synapta digitata und die Stammesgeschichte der Echinodermen aus Gründen allgemeinerer Natur zu ganz ähnlichen Scehlüssen geführt wie NEUMAYR. Aus dem Umstande, dass die Homologie im Grunde nur auf die Fünfzähligkeit und radiäre Anordnung der Theile am Apex begründet sei, dass diese für die Echinodermenklasse charak- teristische Anordnung nothwendigerweise zu einer allgemeinen Ähn- lichkeit gewisser Körperbezirke führen muss, ohne dass desshalb homophyletische, wirklich homologe Bildungen vorzuliegen brauchen, dass endlich die Detailvergleichung so große Schwierigkeiten bietet, dass so viele verschiedene Ansichten bestehen, als Forscher über diesen Punkt gearbeitet haben, aus all dem schloss ich, dass nur Analogien, keine wahren Homologien vorlägen, dass letztere jeden- falls erst als solche zu begründen seien. Ich habe damals die ganze Frage nicht ausführlicher erörtert und habe nicht versucht, die Unhaltbarkeit der Homologisirung im Detail nachzuweisen, sondern nur im Allgemeinen die Gesichtspunkte dargelegt, die mich bewogen, an der Richtigkeit der bisherigen Ver- gleiche des Scheitelpols der Crinoideen, Echinoiden, Asteroiden und Holothurien zu zweifeln und eine tiefere Begründung ! als nothwendig zu bezeichnen. Durch Einnahme dieses Standpunktes trat ich mit allen Zoologen, die dem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, und mit Ausnahme NEuMmAYR’'s auch mit den Paläontologen in Gegensatz. Nur ein Zoologe, Hamann, schien mir, wie ich mit Freude bemerkte, eher an der Berechtigung der Homologisirung zu zweifeln, als dieselbe für eine ausgemachte Thatsache zu halten, da er in seinem 1887 er- schienenen dritten Hefte der »Beiträge zur Histologie der Echino- dermen« schreibt: »Nimmt man noch hinzu, dass gegen die Homo- logisirung der Basaltiifelchen des Crinoidenkelehes mit den Scheitel- platten der Echiniden (H. CARPENTER) gewichtige Bedenken erhoben 1 Uber diesen Punkt siehe weiter unten. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 297 worden sind, so nimmt die Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der Ab- leitung der Echiniden von den Crinoideen noch mehr ab.« Wie ich aber sehe, habe ich mich getiiuscht, denn in dem vierten 1889 erschienenen Hefte der »Beiträge zur Histologie der Echinodermen« schreibt Hamann, ohne etwa uns darüber zu unter- richten, dass er mittlerweile seinen Standpunkt gewechselt hat: »Was die Homologien der Kalkplatten anlangt, so sind die berühm- ten Untersuchungen LovEn’s und die nicht minder klaren und aus- gezeichneten Resultate P. H. CARPENTER’s diejenigen, welche heut zu Tage in Geltung sind. Freilich hat Semon Recht, wenn er sagt, dass die Frage noch gar keiner ernstlichen Diskussion unterzogen sei. ob echte Homologien vorhanden seien. Das gelte als ausge- macht. Wer sich je mit diesen Bildungen beschäftigt hat, für den gelten die Homologien allerdings für ausgemacht.« Übrigens erschien beinahe gleichzeitig mit meiner Abhandlung die Echinothuridenarbeit von P. und F. Sarasın, in der die Frage noch einmal einer gründlichen Prüfung unterzogen und das Vor- handensein von Homologien keineswegs als ausgemacht vorausgesetzt wurde. In dieser bedeutungsvollen Arbeit zeigten P. und F. Sarasin, dass sich auch vergleichend-embryologisch der Nachweis führen lasse, dass das Apicalbild, wie es als typisch für sämmtliche Seeigel an- genommen worden war, eine ganz junge Bildung sei, die sich erst Schritt vor Schritt in der Reihe der Acrosalenien herangebildet hat. Sie fehlt den älteren Seeigeln, sowohl den Palaeechinoiden als auch den Echinothuriden, Cidariden und Diademiden, mit einem Worte den » Prae- saleniaden«, da dieselben eine Subanalplatte weder im ausgebildeten Zu- stande besitzen, noch auch, so weit man ihre Entwicklung kennt, eine solche in ihren Jugendstadien hervortreten lassen. Selbst bei Salenia wird in den jüngsten Stadien das Analsystem nicht von einer, sondern von acht Platten bedeckt. »Der Apex der jungen Echiniden ist, in so fern er die Subanalplatte aufweist, nicht ein »Crinoidenphantom«, son- dern ein Salenidenbild, d. h. diejenigen Echiniden, welche in der Ju- gend ihr Analfeld von einer einzigen oder von einer ganz geringen Zahl relativ großer Platten bedeckt zeigen, durchlaufen ein Saleniden- stadium, sie stammen also von Saleniden ab; es war ein Irrthum, hinter der Subanalplatte eine Crinoidenverwandtschaft zu suchen, und wie wir früher gesehen haben, gelang es auch nicht. die An- knüpfungspunkte zu finden; sie bedeuten vielmehr eine Salenidver- wandtschaft, und damit hat sich auch das biogenetische Gesetz glän- zend bewährt. Wir gehen so weit, die Echinothuriden, Cidariden, 298 Richard Semon Diademiden und alle diejenigen Formen, welche in ihrer Jugend die Subanalplatte nicht aufweisen, als Praesaleniaden zu bezeichnen. Dann folgt das Geschlecht der Saleniden, in dessen Stammesge- schichte sich die so verführerische Subanalplatte langsam heranbildete, und endlich bezeichnen wir alle jüngeren Descendenten, welche in ihrer Jugend den Salenidenstempel tragen, als Salenigonen, indem wir sie für Descendenten der Saleniden halten. Die paläontologischen Erfahrungen decken sich mit dieser Auffassung sehr wohl.« »Nach dem ‚Crinoidenphantom‘ wurde unter den Asteriden und Ophiuriden eifrig gesucht. Die Resultate sind aber nicht befriedigend ausgefallen; man fand koncentrisch um den Dorsalpol in der Fünf- zahl angeordnete Platten; das ist aber im Grunde Alles.« P. und F. Sarasın schließen mit dem Satze, dass, wenn wir unter diesen höchst variablen Plattenanordnungen nach einer bestimmten phylogenetisch verwerthbaren Regel suchen wollten, wir jenem Knaben gleichen würden, der dem Regenbogen nachlief, um seine Farben zu holen. Die paläontologischen, anatomischen und entwicklungsgeschicht- lichen Vergleichungen NeuMAyr’s und P. und F. Sarasın’s machen es in hohem Maße wahrscheinlich, dass es sich bei der Ähnlichkeit des Crinoideen- und Echinidenapex um eine bloße Konvergenz- erscheinung, die sich bei relativ jungen Formen entwickelt, nicht um wirklich homologe, homophyletische Bildungen handelt. Noch mehr gilt das für Asteriden und Ophiuriden, wo die Übereinstimmung sogar äußerlich viel weniger hervortritt. ÜARPENTER könnte sich aber mit Recht darüber beklagen, dass eine Begründung für seine Homologisirung, auf die er viel Werth legt und die auch von SLADEN! und Bury? eingehend berücksichtigt wird, von keinem der Gegner seiner Anschauungen auch nur erwähnt wird. Auch ich habe CARPENTER nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, als ich den Ausspruch H. Lupwie’s ohne weiteren Kommentar eitirte: »Irgend welche unmittelbaren Beziehungen zu den inneren Organen des Thierkörpers sind bei dieser lediglich auf die räumliche Anordnungsweise jener Platten gegründeten Homologisirung nicht in Betracht gezogen worden. « Nun ist allerdings die Homologisirung nicht lediglich auf die ! W. Percy SLADEN, On the homology of the primary larval plates in the test of the branchiate Echinoderms. Quart. Journ. Micr. Se. Jan. 1884. 21. ce. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 399 räumliche Anordnung der Platten gegründet, sondern CARPENTER basirt die Homologie in erster Linie auf die Thatsache, dass die Genital- und Ocularplatten der Seeigel, die Basalia und Radialia der Crinoideen, die entsprechenden Platten der Asteriden und Ophiuriden, kurz die Platten des Apicalsystems im Umkreise über der rechten Coelomtasche ange- legt werden, während sich die Oralia der Crinoideen und Holothurien in einer ähnlichen Spirale um die linke Coelomtasche entwickeln. BarL- FOUR ! bemerkt hierzu: »CARPENTER sucht seine Homologien auf das Ver- hältnis der Platten zu den ursprünglichen Peritonealblasen zu gründen, und ich bin geneigt, diese Methode der Behandlung der Frage für die richtige zu halten.« Das ist jedenfalls ein bedeutungsvolles Zeugnis, aber ich glaube, dass, wenn wir die interessanten Facta, von denen CARPENTER ausgeht, von etwas anderem Gesichtspunkt aus betrachten, der Werth des CARPENTER’schen Arguments für die Entscheidung der Homologie ein ganz anderer wird, als von CARPENTER, BALFOUR, SLADEN, Bury und Anderen angenommen worden ist. Ich will gar nicht darauf eingehen, dass die erwähnten Forscher unter sich noch keineswegs darüber einig sind, welche Platten in den verschiedenen Gruppen denn nun einander entsprechen. Haben wir die Ocellarplatten der Echiniden als erste Radialia oder als Terminalia zu betrachten und fehlen den Echiniden ganz und gar die ersten Radialia? Besitzen andererseits die Crinoideen überhaupt Terminalia? Hier liegt eine bedeutende Schwierigkeit, selbst wenn man sich ganz auf den Boden der CARPENTER’schen Vergleichung stellt. Denn wenn durch P. und F. Sarasin gezeigt ist, dass die Subanal- platte der Echiniden erst in der Gruppe der Saleniaden aus vielen kleineren Plittchen zu einem größeren Stücke verschmilzt und mit- hin keinesfalls mit einer centralen Platte der Crinoideen homolog sein kann, wenn zwei eifrige Anhänger CARPENTER’S wie SLADEN? und Bury? die Terminalia der Asteroiden und Ocellarplatten der Echi- noiden für nicht homolog den ersten Radialia der Crinoideen halten und zugestehen, dass diese Platten bei den Crinoideen keine Re- präsentanten haben, was bleibt dann noch als homolog im Crinoideen- und Echinoidenapex übrig? Nur noch die Genitalplatten der Echi- niden, die den Basalia der Crinoideen homolog sein könnten. Das ist aber Angesichts der sonstigen Nichtübereinstimmung herzlich wenig. 1 BALFOUR, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Deutsche Über- setzung. Bd. I. pag. 640. Jena 1880. 20]... ce.) page ‘9. 3]. ec. pag. 442. 300 Richard Semon Aber prüfen wir einmal genauer das Wesen des CARPENTER’schen Arguments. Es wird behauptet, dass die Skeletplatten mit den Coelomtaschen in einem gewissen Verhältnis stehen. Drücken sich in diesem Verhältnis unmittelbare Beziehungen der Skeletele- mente zu den inneren Organen des Thierkörpers, die Lupwig in der CARPENTER' schen Homologisirung vermisste, wirklich aus? Ich glaube davon kann keine Rede sein. Mit dem Ausdruck »developed round the right« oder »the left enterocoel« ist eine bloße Lage- beziehung ausgedrückt. Irgend welcher konstante Zusammenhang zwischen Enterocoel und Skeletplatten fehlt durchaus. Die Platten liegen im Allgemeinen eine Strecke weit über dem Enterocoel, von demselben durch Mesenchymgewebe getrennt. Natürlich kann es vor- kommen, dass das Mesenchymgewebe, dessen Zellen die Skelet- platten bilden, direkt mit dem Epithel der Taschen in Berührung kommt und demselben auflagert. Aber wie man sich durch Betrachtung der augenscheinlich sehr genauen und instruktiven Buryschen Ab- bildungen überzeugen kann (l. e. Fig. 10, 13, 17), ist das keines- wegs die Regel; der zuweilen beobachtete Zusammenhang ist also bloß ein accidenteller. Aber auch die Lagebeziehung ist durchaus nicht immer eine so bestimmte, dass die Platten etwa stets genau so über der Tasche lägen, dass das Centrum der letzteren auch das Centrum des Plattenkranzes wäre. Dies kommt zuweilen vor, in anderen Fällen aber auch nicht. Bei den Echiniden liegen nach Bury! drei von den fünf Genitalplatten »round the right enterocoel«, zwei andere aber nicht; eine von diesen beiden sogar in einer »me- dian position«, so dass die Entscheidung, ob sie zum rechten oder linken Enterocoel gehört, nur auf indirektem Wege erfolgen kann. Eben so macht die Entscheidung nicht geringe Schwierigkeiten, ob die Madreporenplatte der Asteriden dem rechten oder dem linken Ente- rocoel angehört. Ich glaube, man darf sagen, das Skelet des Oral- und Apical- systems besitzt keine unmittelbaren Beziehungen zu dem Enterocoel, und auch die Lagebeziehung ist keine so strenge, dass wir beide Elemente in irgend einer direkten Abhängigkeit von einander zu denken hätten. Ist nun der Umstand, dass gewisse Platten in den verschiedenen Klassen der Echinodermen in der Gegend über der rechten, andere über der linken Coelomtasche entwiekelt werden, 1]. ce. pag. 440. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 301 ein rein zufälliger und belangloser, oder hat er eine ganz bestimmte Bedeutung ? Letztere Alternative ist unbedingt zu bejahen. Das von Car- PENTER entdeckte Plattenverhältnis ist meiner Ansicht nach dahin zu deuten, dass die Körperlängsachse sämmtlicher Echinodermen sich beim Übergange vom Dipleurula- ins Pentactulastadium so dreht, dass die rechte Seite der Larve zur Dorsalseite, die linke zur Ventral- seite wird. Das scheint mir die einfache und nothwendige Deutung der beobachteten Thatsachen zu sein. Dass eine Achsendrehung erfolgt, bedarf keines weiteren Be- weises. Es genügt eine Larve im Dipleurulastadium mit ihrem Pentactulazustand zu vergleichen, um die einen rechten Winkel ausmachende Achsendrehung zu erkennen. Am besten, man wählt eine Pentactulalarve, die noch durch Larvenanhänge des Dipleurula- stadiums die Lage der Achse in diesem Entwicklungszustande er- kennen lässt. Bei den Asteridenlarven lässt sich dieses Verhältnis recht deutlich erkennen, obwohl hier die Achsendrehung meist nicht ganz einen rechten Winkel auszumachen scheint, sondern bloß einen solchen von ungefähr 80° (ef. J. MÜLLER, 4. Abhdl. 1850. Taf. V Fig. 1 und 3). Etwas komplieirter verhalten sich die Ophiuridenlarven. Wenn man aber die ganze Entwicklung derselben verfolgt, sieht man, dass im Grunde die Sache genau eben so liegt, als bei den Asteriden. Dieselbe Achsendrehung sehen wir sogar die wurmförmige Asteriden- larve J. MÜLLER’s durchmachen (3. Abhdl. 1849 Taf. VI Fig. s—11, Taf. VII Fig 1—4), die gar kein längeres Dipleurulastadium zu durchlaufen scheint. Dasselbe sehen wir an den Seeigellarven (J. MÜLLER 1. Abhandlung 1846 Taf. III und sehr deutlich A. Acassız, Embryologie of Echinod. Fig. 23). Nicht anders liegen die Dinge bei den Crinoideen. Wir kennen die Entwicklung letzterer Thiere nur aus der Entwicklung der phy- logenetisch sehr jungen und stark veränderten Comatula, und diese Entwicklung ist, wie einstimmig von allen Forschern anerkannt wird, stark cenogenetisch modificirt. Ein eigentliches Dipleurulastadium kommt äußerlich gar nicht zur Entfaltung, und so lässt sich bei der äußeren Betrachtung der Achsenwechsel auch kaum wahrnehmen. Die Untersuchung der inneren Organisation lässt aber auch bei Comatula auf gewissen Stadien eine bilaterale Symmetrie wahrnehmen, und wenn wir dies berücksichtigen, können wir auch hier deutlich die Achsenverschiebung erkennen. »The right and left body-cavities be- 302 Richard Semon come anterior and posterior respectively, and afterwards aboral and oral. The former gives rise to the chambered organ!.« Bei den übrigen Klassen scheinen die Enterocoeltaschen nicht in ihrer alten Lage zu verharren, also nicht aus einer rechten und linken zu einer oberen und unteren zu werden, wie bei Antedon, sondern sie scheinen sich nachträglich selbst noch zu verschieben und zu der neuen Achse eine neue und zwar symmetrische Stellung zu nehmen. Im Einzelnen bedarf das noch der genaueren Unter- suchung. Auch bei den Holothurien konnte ich eine Achsenverschiebung beim Übergang von den bilateralen in den radiären Typus konstatiren Entw. d. Synapta pag. 30 und 82, 83). Allerdings ist bei den Holothurien kein so klarer Einblick in diese Verhältnisse zu gewinnen, da bei ihren Larven sich sämmtliche Theile gegen einander ver- schieben, und nicht wie bei den Asteriden und Echiniden ein Theil der Anhänge des Dipleurulastadiums in der alten Achse liegen bleibt, und man aus dem Winkel, den diese Anhänge mit dem übrigen Thiere bilden, das Maß und die Art der Verschiebung deutlich ermessen kann. Auch bietet ihr lockeres, ungeordnetes Skelet keine so guten Anhalts- punkte, als sie uns die übrigen Klassen liefen. Eine genaue Be- obachtung wird aber ohne Zweifel ergeben, dass die Dinge hier prineipiell ganz eben so liegen, wie in den anderen Klassen. In meiner Synaptaarbeit habe ich auf die Drehung des Achsen- winkels beim Übergang vom Dipleurula- in das Pentaetulastadium hin- gewiesen (pag. 82, 83) und auf Görte's Erörterungen (Vergleichende Entwieklungsgeschichte der Comatula pag. 618—621. Zeitschr. für mikr. Anatomie Bd. XII, 1876) dieses Punktes aufmerksam gemacht. In der That ist die Achsendrehung von GÖTTE schon im Jahre 1876 entdeckt und klar ausgesprochen worden. Er hat erkannt, dass »das linke Antimer ganz deutlich die orale oder Bauchseite des fertigen Thieres, das rechte Antimer dagegen die konvexe Rücken- hälfte bildete. »Das Peristom endlich passt sich ohne jede eigentliche Lageverschiebung den beiden Peritoneal- schläuchen an, indem um die aborale Leibeshöhle der Ring der Basalia, um die orale der Ring der Oralia entsteht.« In letzteitirtem Satze liegt auch schon die klare Erkenntnis der ı H. Bury, The early stages in the development of Antedon rosacea. Philosoph. Transact. R. S. Vol. 179. 1885. pag. 29. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 303 Bedeutung der von CARPENTER genauer studirten Lagebeziehung zwischen Coelomtaschen und Skeletanlagen. Es drückt sich durch dieselbe nichts Anderes aus als der Umstand, dass Darm und Coelom in Beziehung zur Dipleurulaachse des Thieres angelegt werden und erst sekundär ihre Lage verändern. Das Skelet des Apical- und Oralpols aber wird, selbst wenn es zum Theil schon im Dipleurula- stadium auftritt, gleich in der bleibenden Achse angelegt und braucht daher die sekundiire Verschiebung nicht mitzumachen. »Round the right enterocoel« bedeutet also so viel als »am späteren Apicalpol «, »round the left enterocoel« so viel als »am späteren Oralpol«. Aus dem _ Umstande aber, dass die Skeletelemente des Apicalpols sämmtlicher Klassen sich gleich um diesen Pol herum entwickeln, und eben so entsprechend die Skelettheile des Oralpols, folgt natiirlich nichts fiir die Homologie dieser Theile in den einzelnen Klassen. Zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt eingehen. In meiner Synaptaarbeit sage ich: »Die merkwiirdige Drehung des Achsenwinkels, die sämmtliche Echinodermenlarven beim Übergang aus der bilateralen in die radiäre Grundform aufweisen, scheint mir eine gute Erklärung durch die Annahme zu finden, dass die phy loge- netische Ubergangsform aus bilateralen in radiären Typus fe st- sitzend war.« Diese Anschauung möchte ich auch jetzt noch aufrecht erhalten. Nur möchte ich den Ausspruch: » wahrscheinlich erfolgte die Fixation auf der Dorsalseite, dem Munde gegenüber« dahin korrigiren, dass die Entwicklungsgeschichte viel mehr dafür spricht, die Fixation sei an der rechten Körperseite erfolgt. Natürlich kann es sich bei dieser Frage nur um eine Vermuthung handeln. In meiner Synaptaarbeit habe ich mich aus einer Reihe von Gründen für die Annahme ausgesprochen, den strahligen Bau der Echinodermen durch die Voraussetzung einer festsitzenden Lebens- weise ihrer gemeinsamen Stammeltern zu erklären. Ich stellte mir die Stammform als gestielt vor, fügte aber hinzu: »Damit wird sie noch nicht im entferntesten zu einer Crinoide; sie ist vielmehr von dieser Klasse genau eben so weit entfernt, als von den übrigen. « In weiterer Ausführung dieses Gedankens sagte ich dann (pag. 122): »Der Umstand, dass der Strahlentypus verschieden stark bei den verschiedenen Klassen ausgeprägt ist, lässt sich ohne Schwierigkeit so erklären, dass die Stammeltern der Klassen sich mehr oder weniger früh abgelöst haben. Die Stammformen der Crinoideen und der Aste- riden, in welchen beiden Klassen der strahlige Bau die höchste 304 Richard Semon Ausbildung erreicht hat, müssten demnach geschichtlich am längsten festgesessen haben. Dies trifft zu, denn in den Crinoidenklassen finden wir noch heute viele festsitzende Vertreter, und selbst die freilebenden, wie Antedon, haben gestielte Jugendstadien. Bei Asteriden sind neuerdings verschiedene Formen bekannt geworden (Caulaster pedun- culatus Perrier, Ilyaster mirabilis Danielssen und Koren), welche einen Riickenfortsatz der Scheibe besitzen, der die Vermuthung nahe legt, dass die Thiere mit diesem Fortsatze in der Jugend an den Boden festgeheftet gewesen sind. Wie mir Professor E. MARTENS mittheilt, zeigen oft auch junge Exemplare von Astropeeten kurze konische Hervorragungen in der Mitte des Scheibenriickens!. Augen- blicklich lassen sich auf letztere Thatsachen noch keine allzu weit gehenden Schlüsse bauen, doch ist zu hoffen, dass hier die Ent- wicklungsgeschichte uns bald sichere Handhaben liefern wird.« »Sollte sich herausstellen, dass eine Anzahl von Asteriden noch wirklich gestielte Jugendformen besitzt, so würde die oben vorge- tragene Vorstellung von der Entstehung des radiären Baues eine neue Stütze gewinnen. Dass sich bei Echiniden und Holothurien keine gestielte Pentactulalarven mehr finden, wird dann leicht durch die auch vergleichend anatomisch postulirte Annahme erklärt, dass die Stammeltern dieser Klassen sich früher abgelöst haben; bei ihnen wird das gestielte Stadium nun auch ontogenetisch ganz übersprungen. « Ich denke der Sinn dieser Ausführungen ist ein ganz klarer. Von der Plattenvergleichung, die PERRIER an die Beschreibung des Caulasterstieles knüpft, findet sich bei mir kein Wort. Dass ich ihr nicht beistimme, vielmehr auch hier bloße Analogien und keine Ho- mologien erblicke, wird Jedem selbstverstiindlich sein, der sich die Mühe genommen hat, das Kapitel über Skeletsystem in der eitirten Arbeit zu lesen. Um so unverständlicher ist es, dass NEUMAYR (l. c. 2 pag. 488 Anmerkung) es mir zum Vorwurf macht und es sehr auffallend findet, dass ich auf den Gegenstand zurückgekommen sei; denn »die Angaben über das Vorkommen eines gestielten Seesternes (Cau- laster), der auf ungeahnte Beziehungen zwischen Crinoideen und ! Wie ich mich übrigens neuerdings durch eigene Beobachtungen an leben- den Astropectiniden überzeugen konnte, sind die konischen Erhebungen am Rücken der Scheibe, die man häufig bei ausgewachsenen Astropectiniden wahrnimmt, vorübergehende Zustände, die wohl mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängen. Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 305 Asteriden hinweisen sollte (PERRIER, Comptes rendus. Vol. XCV. pag. 1379), sind durch die Auseinandersetzungen von H. CARPENTER widerlegt (Challenger, Bericht pag. 401).« Schlagen wir die eitirte Stelle nach, so werden wir mit Er- staunen finden, dass es CARPENTER gar nicht einfällt, irgend etwas zu widerlegen, was ich, wie man mir zugeben wird, in sehr vor- sichtiger Weise an oben citirter Stelle zur Stütze meiner Anschau- ungen benutzt habe. CARPENTER Sagt: » DANIELSSEN and KOREN agree with PERRIER in regarding it (den Rückenfortsatz jener Seesterne) as homologous with the stem of a Crinoid, and it would appear that Acassız is of the thame opinion. It may be that this view of the case is the right one; but it could only be satisfactory proved to be so by the demonstration that the cavity of the epiproctal pro- longation is derived from the right vaso-peritoneal tube. — — — Future observations upon the early larval stages of the Astropecti- nidae would throw much light upon this question.«« — — — »lIt would appear however from the foregoing description that PERRIER’S comparison of the plates round the dorsal appendage of Caulaster with those forming the periproct of an Urchin cannot be followed out in detail.« Schluss. Ich habe mich in der vorliegenden Arbeit bemiiht, nachzuweisen, dass im Stamme der Echinodermen eine ganze Reihe von Organi- sationseigenthiimlichkeiten offenbar homophyletisch entstanden und als speciell und komplet homolog zu betrachten sind. Hierher gehört in seinen Grundzügen das Darmsystem, das Enterocoel, das Wassergefäß- und Nervensystem. Andere Bildungen wiederum weisen sich bei ' näherer Untersuchung als sehr ähnliche, aber bloß analoge, homo- plastische Erscheinungen aus; dies betrifft vor Allem viele Theile des Skeletapparates, bei dem wir in manchen Fällen die allmähliche Aus- bildung der »homoplastischen« Ähnlichkeit vergleichend anatomisch verfolgen können. Eine Reihe von Bildungen lässt sich weder schlechtweg als speciell homolog, noch auch als analog (homoplastisch) bezeichnen, da die hervortretende Ähnlichkeit zwar in ihren Grundlagen auf eine homo- phyletische Entstehung hindeutet, das gemeinsame Erbstück aber so indifferenter Natur war, dass sich aus ihm in den verschiedenen Klassen selbständig theils ähnliche, theils auch sehr abweichende Morpholog. Jahrbuch. 15. 20 306 Richard Semon Gebilde entwickelt haben. Solche Bildungen bezeichnet man als allgemein homolog. Hierher gehört die Muskulatur der Eehinoder- men, die überall aus dem typischen Hautmuskelschlauch stammt, bei Holothurien, Asteriden und Echiniden größtentheils verschiedene, zum Theil aber auch einigermaßen übereinstimmende Wege der Entwicklung eingeschlagen hat. Hierher gehört auch ein Theil des Wassergefäßapparates und Nervensystems der Holothurien. Sollte es sich herausstellen, dass die Primärtentakel der Holothurien denjenigen der übrigen Klassen entsprechen, so würden die Körperwassergefäße und Nerven der Holothurien eine den Wassergefäßen und Nerven der übrigen Klassen nur allgemein nicht speciell homologe Bildung vorstellen. Sollten die Sekundärtentakel der Holothurien den Primär- tentakeln der übrigen Klassen im Speciellen entsprechen, so würde das oben Gesagte für die Primärtentakel der Holothurien gelten. Wie weit wir die Blutgefäßsysteme der verschiedenen Klassen als allgemein oder speciell homologe oder auch bloß analoge (homo- plastische) Bildungen aufzufassen haben, ist bei dem Stande unserer jetzigen Kenntnisse noch unmöglich zu entscheiden. Das Dorsal- organ, auf dessen Übereinstimmung in deh verschiedenen Klassen zuerst H. Lupwie hingewiesen hat, ist wahrscheinlich als eine all- gemein homologe Bildung zu betrachten. Die vergleichende Anatomie scheint darauf hinzuweisen, dass die Echinodermenklassen zwar zweifelsohne von einer gemeinsamen Stammgruppe sich ableiten, dass aber diese Stammgruppe in ihrem Gesammtbau noch ziemlich indifferente Verhältnisse dargeboten hat, und dass sich die verschiedenen Klassen von diesem Ausgangspunkte aus divergent entwickelt haben. Die Entwicklungsgeschichte scheint die Auffassung zu bestätigen. Die Anschauung von einer frühen Divergenz der Echinodermenklassen bricht sich mehr und mehr Bahn. Beinahe gleichzeitig mit meiner Synaptaarbeit, in der ich sie aus- führlich zu begründen versucht habe, erschien die oben eitirte Arbeit von P. und F. Sarasin, die einen ganz ähnlichen Standpunkt ver- tritt. Unsere Arbeiten stimmen in den Grundanschauungen sowohl als in der Detailbetrachtung so gut überein, dass eine befriedigendere Ergänzung zweier Arbeiten durch einander, von denen die eine mehr von vergleichend anatomischen, die andere mehr von entwicklungs- geschichtlichen Standpunkten ausgeht, kaum gedacht werden kann. Freilich glauben P. und F. Sarasin die Stammgruppe in der Klasse der Holothurien wieder zu erkennen. Sie stellen sich aber unter einer Synapta ein so einfaches Geschöpf vor —- irrthümlicherweise, da ihnen Die Homologien innerhalb des Echinodermenstammes. 307 entgangen ist, dass auch bei den Synaptiden wie bei den übrigen Holothurien sich Sekundärausstülpungen in anderen Radien als die Primärtentakel bilden, — dass die so vereinfachte Synapta fast auf dasselbe herauskommt wie meine »pentactulaähnliche Stammform«. Auch die Übereinstimmung der Echinodermen aller Klassen im Pen- tactulastadium ist ihnen aufgefallen, nur bezeichnen sie jenes Stadium nicht ganz korrekterweise als »Holothurienstadium «. Auch Neumayr ist geneigt, eine sehr frühe Divergenz der Klassen aus einfachen Stammformen anzunehmen, obwohl er sich dabei die Echiniden und Asteriden linger und inniger verbunden denkt, als, wie mir scheint, aus den Thatsachen hervorgeht. Für unberechtigt halte ich die Anschauung, die Cystideen einfach mit jenen indiffe- renten Stammformen zu identificiren. Von ihrer inneren Organisation wissen wir nichts, und was wir vermuthen können, lässt in Bezug auf das Wassergefäßsystem, bei den meisten auch auf die Muskulatur, auf einseitig entwickelte Zustände schließen. Dass endlich, selbst wenn wir nur das Skelet berücksichtigen, die Existenz unzwei- deutiger oder auch nur wahrscheinlicher Übergangsformen nicht im entferntesten bewiesen ist, habe ich mich bemüht, in einem Abschnitte der vorliegenden Arbeit nachzuweisen. 207 Zur Kenntnis der Morphogenese des Equiden- gebisses,. Von Ernst Klever, weil. stud. med. vet. des Dorpater Veterinärinstituts, Herausgegeben von A. Rosenberg. Mit Tafel XI—XIII. Es ist allgemein bekannt, dass die unter dem Einfluss der Descendenztheorie zu erhöhter Bedeutung gelangte Paläontologie speciell für die Klasse der Säugethiere eine reiche, noch stetig sich mehrende Fülle von phylogenetisch wichtigen Thatsachen zu Tage gefördert hat. Zu denjenigen recenten Säugethierformen, deren Stammesge- schichte durch die Forschungen zahlreicher Paläozoologen nunmehr als in ihren Grundzügen festgestellt gilt, gehört im Bereich der heu- tigen trümmerhaften Reste der vormals so reich entwickelt gewesenen Unpaarhuferordnung in erster Linie die in der Gegenwart so isolirt dastehende, durch mannigfache Organisationsbesonderheiten ausge- zeichnete kleine Gruppe der Equiden. Das Urkundenmaterial, auf welches die Eruirung der Stammes- geschichte sich stützt, bilden bekanntlich ganz vorzugsweise Skelet und Bezahnung, und daher ist speciell die Dentition des Pferdes ein Thema, womit, um einen Ausspruch von RÜTIMEYER! zu wiederholen, die Paläontologie immer neu sich wird zu beschäftigen haben. Bei den zwischen Phylogenese und Ontogenese bestehenden Be- ziehungen ist das Interesse verständlich, welches die Untersuchung 1 RÜTIMEYER, 3. pag. 14. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 309 der Morphogenese dieser Dentition besitzt, und nur dem Zusammen- treffen einer Anzahl ungünstiger Umstände ist es zuzuschreiben, dass hierüber zur Zeit noch so gut wie Nichts bekannt ist, ob- gleich von mancher Seite, vor Allem von RÜTIMEYER selbst!, das Interesse, welches diese Frage darbietet, nachdrücklich erörtert und die Beschaffung von Untersuchungsmaterial in Angriff genommen worden ist. Der resignirte Ton, in welchem der genannte, hoch- verdiente Forscher am letzteitirten Ort über den Stand der ganzen Angelegenheit berichtet, sowie der geraume, seither verflossene Zeit- abschnitt, ist Veranlassung geworden, durch Stellung einer Preis- aufgabe zur Bearbeitung des noch immer offenen Themas aufzu- fordern, und dieser Aufforderung habe ich um so bereitwilliger Folge geleistet, je zuversichtlicher von vorn herein erwartet werden konnte, ein Organismus, der beispielsweise im Beginn der Entwicklung seines schließlich so hoch differenzirten Extremitätenskelets manche sehr primitive Zustände aufweist, werde auch in seiner Odontogenese noch mancherlei phylogenetisch bedeutsame Einzelheiten erkennen lassen. Eine eingehende Untersuchung der Morphogenese des Equiden- gebisses stößt, wie Eingangs bereits angedeutet, auf mehrfache sehr erhebliche Schwierigkeiten ?. Die wesentlichste derselben liegt in der Unmöglichkeit, frisches Material in beliebiger Menge und aus jedem Stadium zu erhalten; im Laufe von zwei Jahren (1886 und 1887) habe ich nur vier Em- bryonen, von denen nur einer der Hauptvorbedingung für erfolgreiche Fixirung vollkommen entsprach, erlangen können und bin im Übri- gen auf die Bearbeitung älteren, zumeist in Alkohol konservirt ge- wesenen Materiales, das zum Theil aus den zootomischen Instituten der Thierarzneischulen zu München (Prof. L. Franck) und Berlin (Prof. ©. MÜLLER) herstammte, angewiesen gewesen; nebenher sind 1 RÜTIMEYER, 3. pag. 4, 2 Auf manches allgemeine, in der Natur der Sache begründete Hindernis, womit schon die makroskopische Untersuchung zu kämpfen hat, ist bereits durch BoJanus (pag. 697) hingewiesen worden: »De dentium equinorum hi- storia ... disserentem novaque addere cupientem, actum agere facile dicas. Ea tamen est rerum in dentitione animalium ubertas, adeo abscondita vel fu- gacia sunt formationum, per annorum spatia succedentium, vestigia, tam ope- rosa demum longae phaenomenorum seriei indagatio, ut vel oculatissimos viros singula passim effugiant.« cf. auch die Bemerkungen bei PoucHEr und CHA- BRY, pag. 149, 150. 310 Ernst Klever auch einige im hiesigen Zootomieum befindliche Frontalschnittserien von mir benutzt worden. Eine zweite Schwierigkeit ist technischer Natur: für die bei der Zahnentwicklung in Betracht kommenden, zum Theil sehr lockeren Gewebe scheint eine vollkommen zuverlässige Fixirungsmethode, mit der am frischen Objekt Epithelabhebungen und Bildung von Schrumpfungsräumen sicher zu verhüten wären, zur Zeit nicht be- kannt zu sein, wie aus der Durchsicht der Tafeln zu den verschie- denen Publikationen über Odontogenese! sich ergiebt. Als Fixir- flüssigkeit habe ich ausschließlich ein Chrom-Pikrinsäuregemisch benutzt und damit namentlich beim Embryo D, den ich allerdings unmittelbar aus dem eben getödteten Thier erhielt, ein recht be- friedigendes Resultat gehabt; bei erneuten Versuchen würden nament- lich auch Chrom-Osmiumsäure?, Sublimat und Platinchlorid zu ver- wenden sein. Ein weiteres Hindernis wird durch den Umstand bedingt, dass die Orientirung der embryonalen Zahnanlagen in frühen Stadien im Allgemeinen erheblich von den späteren Lagerungsbeziehungen ab- weicht, und dass die Werthe dieser Abweichungen für jede einzelne Zahnanlage verschieden ausfallen; es kann desshalb z. B. ein fü- taler Unterkiefer bei einer Schnittrichtung, die D, im Querschnitt erscheinen lässt, D, im Längsschnitt getroffen zeigen. Die durch diese Verhältnisse veranlassten Nachtheile werden, wie leicht er- sichtlich, um so fühlbarer, je weniger Material überhaupt zur Ver- fügung steht. Schließlich ist namentlich für ältere Stadien, vom Misslichen der Entkalkungsproceduren ganz abgesehen, schon die Größe der Objekte ein die Untersuchung sehr erschwerendes Moment, da ge- nauere Aufschlüsse natürlich nur von der Methode der Schnittserien erwartet werden können. In Betreff der Untersuchungsmethode wäre noch anzuführen, dass die schnittfähig gemachten und meist in Lithion- oder Alaun- karmin gefärbten Objekte (Kiefer resp. Kieferstücke) auschließlich in Celloidin eingebettet wurden, welches Medium mir namentlich bei der Untersuchung älteren Alkoholmateriales, wo die Schmelzorgane total zertriimmert waren, während die Dentinkeime nicht erheblich 1 cf. z. B. ANNELL, Fig. 1, 2, 4; MORGENSTERN, Fig. 2, 15, 20—24, 27; Bruyn, Fig. 1—3, 5, 6. 9 2 cf. SPEE, pag. 89, 90. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 311 geschrumpft und deformirt erschienen, die betreffenden Objekte so- mit also noch durchaus der Bearbeitung werth waren, die wesent- lichsten Dienste geleistet hat. Selbstverständlich ist besonders bei voluminöseren Objekten thunlichst darauf geachtet worden, dass Ent- ‘wisserung wie Imbibition möglichst vollständig geschahen und dass bei der Erhärtung des Celloidins die Bildung von Vakuolen in den Gewebslücken vermieden wurde. Die Schnittserien wurden mit dem großen THoma’schen Schlittenmikrotom hergestellt; das Aufkleben der Schnitte, deren Stärke durchschnittlich 0,05 mm betrug, auf die Objektträger wurde durch absoluten Alkohol, die Aufhellung durch Origanumöl bewirkt, und sodann in Kanadabalsam eingeschlossen. Als die komplieirtesten Zahngebilde des Pferdes beanspruchen hinsichtlich der Verfolgung ihres Entwieklungsmodus das Haupt- interesse naturgemäß die transitorischen und definitiven oberen Backenzähne, also die Milchprämolaren (D), Prämolaren (P)' und Molaren (M) des Oberkiefers, — dem selenozygodonten Subtypus angehörende Prismenzähne, die hinsichtlich ihrer Konfiguration im Allgemeinen so viel Übereinstimmung zeigen, dass für sie bekannt- lich im Großen und Ganzen die Formel D = P = WM gilt?. Die Formeigenthümlichkeiten der ausgebildeten oberen Backenzähne im Allgemeinen, sowie die Umstände, welche für die differentielle und seriale Diagnose der einzelnen Zähne einer jeden der genannten Kategorien in Betracht kommen, sind in zahlreichen umfassenden Untersuchungen eingehend erörtert worden und desshalb ist es nicht erforderlich, die Ergebnisse dieser Analysen hier zu reprodueiren. Über die Entwicklung dieser Zahngebilde ist, von Bemerkungen 1 Für obere wie untere D und P wird der Hrnser’sche, mit Recht trotz mancher Einsprache (cf. z. B. Tuomas, pag. 459) immer weitere Verbreitung findende Zählungsmodus (cf. HEnsEL, 1. pag. 78—80) angewendet werden. Zugleich sei voraus bemerkt, dass im Allgemeinen die Unterscheidung oberer Zähne von unteren einfach durch die Verschiedenheit im Zifferniveau, und nur für Cd und C durch die Lage des horizontalen Striches erfolgen wird. (M3 = dritter Oberkiefermolar, M3 = dritter Unterkiefermolar ; Cd = oberer, und Cd = unterer Milchcaninus.) 2 ef. RÜTIMEYER (2. pag. 582—584) und KowALEvsKY (2. pag. 203, 204). 3 ef. vor Allem die Arbeiten von RÜTIMEYER (2. pag. 573—576, 648—650, 676, 677; und 3. pag. 10—12, 15—17, 19, 20); sodann namentlich HENSEL (1. pag. 81—88, 90), Owen (1. pag. 573, 574; 2. pag. 340—342; 3. pag. 536, 537), BURMEISTER (1. pag. 239—244; 2. pag. 49—51) und Branco (pag. 46—52, 55 —57); Einzelheiten auch bei BARALDI. 312 Ernst Klever über noch nicht in Usur getretene »Keimzähne« mit nahezu definiti- ven Formen abgesehen!, zur Zeit noch so gut wie nichts veröffent- licht worden; die Notizen, welehe BArRALDI über frühere Entwick- lungsstadien bringt, laufen auf die Angabe hinaus, die Form des ursprünglich kugeligen Schmelzkeimes »prende presto il carattere del dente futuro«?, — dann allerdings wäre es vergebliche Mühe, sich mit Morphogenese der Zähne befassen zu wollen —: sodann wird zur Schilderung dieser Form der schon häufig gebrauchte Ver- gleich mit einem B benutzt, die Dürftigkeit der Baraupr'schen Be- obachtungen ist mithin evident. In der vergleichend-odontogenetischen, auch auf Equiden sich beziehenden Untersuchung von PoUCcHET und CHABRY wird des Verhaltens der Oberkieferbezahnung überhaupt nicht Erwähnung gethan*, welcher Umstand, beiläufig bemerkt, allein schon darthut, dass den Verfassern die Verfolgung der Morphogenese des Equidengebisses fern gelegen hat. Aus mehrfachen, naheliegenden Gründen wäre es mir nicht möglich gewesen, sämmtliche D, P und M gleich eingehend in Be- zug auf ihre Entwicklung zu untersuchen. Hinsichtlich der Beant- wortung der Frage, welcher der drei Zahngruppen das Vorrecht gebühre, konnte es nicht zweifelhaft sein, dass zunächst und vor Allem die D-Kategorie in Betracht zu kommen habe, da bekannt- lich gerade das Milchgebiss, wie namentlich von RÜTIMEYER in seiner grundlegenden vergleichend-odontologischen Arbeit? dargethan wor- den, im Allgemeinen durch hochkonservative Higenthiimlichkeiten sich auszeichnet, und desshalb bei allen Untersuchungen über Des- cendenz in erster Linie Berücksichtigung erfordert. Mit Sicherheit musste daher erwartet werden, dass transitorische Rekapitulationen 1 RÜTIMEYER, 2. und 3., passim; HANNOVER (pag. 851), BURMEISTER (1. pag. 239, 240), GOUBAUX und BARRIER (pag. 712, 717—719), sowie BARALDI, passim. 2 BARALDI, pag. 348. 3, Mittheilungen über die Entwicklung des definitiven Gebisses werden von POUCHET und CHABRY (pag. 165) allerdings in Aussicht gestellt, diese Mitthei- lungen sind aber bisher nicht erschienen und werden zudem wohl auch nur Unterkieferzähne betreffen und auf Frontalschnitte basirt sein. 4 RUTIMEYER, 2. passim, cf. bes. pag. 634, 642, 643; auf eine Diskussion der namentlich von THOMAS (pag. 451 sqq.) über das Milchgebiss entwickelten Anschauungen kann nicht weiter eingegangen werden. Welches Interesse und welche Tragweite odontogenetische Befunde unter Umständen besitzen können, ergiebt sich, um ein konkretes Beispiel anzuführen, genugsam schon aus den Erörterungen, welche an die hochinteressante Konstatirung einer transitorischen Bezahnung bei Ornithorhynchus durch PouLTox geknüpft worden sind. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 313 aus der Stammesgeschichte am ehesten im Verlauf der Entwicklung der D-Kategorie sich würden auffinden lassen. Zuvörderst wirft die Frage sich auf, ob Thatsachen beobachtet worden, die für die Kontroverse über die Herkunft des zygodonten Typus, als dessen Specialisirung die selenozygodonte! Zahnform er- scheint, von Belang wären. Nachdem bereits Macrror die Ansicht vertreten, dass überhaupt jeder Dentinkeim während einer gewissen Zeit nach bunodontem Typus geformt sei?, haben bekanntlich besonders CoPE®, SCHLOSSER! und Osporn® die Anschauung verfochten, dass der zygodonte Typus kein primärer ist, sondern aus dem phylogenetisch älteren buno- donten Typus sich herleitet; Außenwand wie Joche sind erst durch Verschmelzung und Umformung von Höckern zu Stande gekommen; der Jochzahn ist mithin ein Derivat des Höckerzahnes und speciell für die Oberkieferbezahnung ist der Dreihöckerzahn als Grund- und Ausgangsform anzusehen. Das Gewicht der Gründe für diese An- schauungsweise wird man um so bereitwilliger anerkennen, als neuerdings RÜTIMEYER selbst, im Anschluss an die Mittheilung seiner Entdeckung, dass ehemals auch unter europäischen Ungulaten Tritu- bereulie (Trigonodontie) repräsentirt gewesen, die betreffenden Um- formungsvorgänge erörtert und die Wege aufgedeckt hat, auf denen Trigonodontie in Zygodontie übergehen kann °. So groß nun aber auch nach dem Vorausgeschickten die Wahr- scheinlichkeit ist, dass ein Höckerzahnstadium sich werde nachweisen lassen, so dispensirt sie doch keineswegs von der direkten Unter- suchung ; es sind eben in Bezug auf Zahl und Anordnung der Hicker außerordentlich verschiedene Kombinationen unter fossilen Säuge- thieren verwirklicht gewesen? und auch innerhalb der weiten und in mehreren Säugethierordnungen stark oder ausschließlich vertreten gewesenen Formengruppe der Tritubereulie® ist so viel Spielraum 1 Obige Bezeichnung besitzt vor der von SCHLosSER (1. IX. pag. 252; 2. pag. 33) angewendeten den Vorzug, dass sie sich näher an die Terminologie von RÜTIMEYR (2.) und KOWALEVSKY (2.) anschließt, als der Ausdruck »sele- nolophodont« es thut. 2 MAGıToT, pag. 270—272. 3 CopE, 2. pag. 324—326, 4. passim und an zahlreichen anderen. Orten. 4 SCHLOSSER, 1. VIII. pag. 686, 2. pag. 100—102, 122, 123. 5 OSBORN, 1. pag. 242 und 2. pag. 1067 sqq. 6 RÜTIMEYER, 4. pag. 40, 41, 43, 48—51, 54—57, 60, 61. 7 ef. besonders Cope, 4. passim, und OSBORN, 1..passim. 8 OSBORN, 2. pag. 1068, 1078, 1079. 314 Ernst Klever für Differenzirung gegeben, dass für jeden Einzelfall genaue An- gaben des ontogenetischen Befundes ganz unerlässlich bleiben. Solche Angaben zu machen, gestattet mein Material mir leider nicht: der jüngste Embryo repräsentirt ein zu frühes Stadium!; einige andere, etwas ältere Objekte kommen wegen durch Schrumpfungen bedingter Entstellung der Dentinkeime? nicht in Betracht, und der Embryo D zeigt bereits ausgeprägt-zygodonten Typus. Ich muss es mithin un- entschieden lassen, ob ein bunodontes, an die Phenacodusbezahnung * erinnerndes Stadium ontogenetisch vom Pferde durchlaufen wird oder nicht. Beim Embryo D, für den ich hinsichtlich der interessanten to- pographischen Beziehungen der D-Kategorie auf die Fig. 2 ver- weise, ist, wie eben erwähnt, der zygodonte Typus bereits deutlich ausgeprägt und am vollständigsten in den Formverhältnissen des Dentinkeimes von D? ausgesprochen; es ist desshalb zweckmäßig, mit der Erörterung des Verhaltens der Anlage von D? zu beginnen. Der betreffende Dentinkeim, der schon makroskopisch sich sehr deut- lich markirt, hat einen erheblichen Umfang, durch den er nament- lich D! bedeutend übertrifft; dagegen ist die Höhe der ganzen Zahn- anlage noch sehr gering, denn die Niveaudifferenz der Fig. 1 a und 1 7 beträgt, auf den nicht vergrößerten Zahn bezogen, nur etwas mehr als 1 mm. Die Außenloben, besonders der vordere, zugleich höhere (Fig. 1 a), sind von bedeutender Stärke und zum Theil mit einander zur Außen- wand verschmolzen. Dass ein Vorjoch in früheren Stadien angelegt 1 Das betreffende Stadium (eine Frontalschnittserie), in welchem die Schmelzorgananlagen von einer diffusen Bindegewebswucherung umschlossen werden, bestätigt frühere, für andere Objekte gemachte Angaben von Dursy und widerlegt die Anschauungen von Rosin und MAGıITor (III. pag. 30) und LEGROS und Maairor (pag. 463—465), wonach der bereits ausgebildete Den- tinkeim erst nachträglich die zur allmählichen Umwachsung des Schmelzorgans bestimmten Bindegewebsschichten der späteren Zahnkapsel entsendet. 2 Nach Brunn (pag. 367, 381) ist die Zahnform in erster Linie durch das Schmelzorgan bedingt, und eine allgemeine Funktion dieses letzteren. Auf Grund meiner eigenen Erfahrungen kann ich mich nur der von HANNOVER (pag. 841, 842) und WALDEYER (pag. 341, 342), sowie von DEBIERRE und PRA- vaz (pag. 46, 50) vertretenen Anschauung, nach welcher der Dentinkeim das hauptsächlichste formbildende Prineip darstellt, anschließen. Über zahlreiche Mitosen im wuchernden Dentinkeim berichtet CANALIS (pag. 187, 188). 3 cf. Core, 4. pag. 438, 439, 488, 489; Taf. LVII 6 Fig. 1, Taf. LVII ¢ Fig. 1, Taf. LVII f Fig.’ 8; ScaLosser, 1. IX. pag. 252, 253; 2. pag. 11, 120, 123 und PAvLow, I. pag. 365, 371. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 315 gewesen, lässt sich nur aus dem Verhalten des Nachjochs folgern; zur Zeit finden sich an seiner Stelle (cf. bes. Fig. 1 e bis 1 %) der rela- tiv sehr starke vordere Zwischenlobus und der mächtige, kegelförmige vordere Innenpfeiler, deren Spitzen beträchtlich divergiren (Fig. 1 d), während die Basalpartien beider Gebilde um so mehr mit einander vereinigt erscheinen, je tiefer das Querschnittniveau liegt (cf. Fig. 1 h bis 1 A). Der vordere Zwischenlobus ist im Querschnitt eher abge- flacht elliptisch als halbmondförmig, größtentheils mit dem vorderen Außenlobus verschmolzen und nur an seiner Spitze wird er frei: dem entsprechend ist auch die fast geradlinig verlaufende erste An- lage der späteren vorderen Marke noch sehr seicht und in sagittaler Richtung noch nach beiden Seiten hin offen (ef. Fig. 1 e, 1 f). Das Nachjoch geht aus dem Bereich des vorderen Außenlobus ab (Fig. 1 f, 1 g), ist verhältnismäßig schwach und niedrig und stellt eine etwas gekrümmte Platte dar, wodurch die hintere Marke, deren Vorderhorn gut ausgebildet ist (Fig. 1 f, 1 9), Halbmondform gewinnt; nach rückwärts ist die betreffende Marke noch offen (Fig. 1 A, 1 7). Außerdem kommt es durch Zusammenfließen der Basis des vorderen Innenpfeilers mit dem Nachjoch auch noch zur Bildung einer vorderen inneren Marke (Fig. 1 4); hierauf soll später noch etwas näher eingegangen werden. Durch die relativ kolossale Entwicklung des vorderen Innen- pfeilers und die schwache Ausbildung des Nachjoches wird der Ge- sammtkontour des Dentinkeimquerschnittes nahezu dreieckig (Fig. 1 4 bis 1 4). Die tiefste Basalzone des Dentinkeimes, die als einheitliche Masse erscheint, ist deutlich verjüngt (Fig. 1 2). Das Interesse, welches die eben skizzirten Formzustände bean- spruchen, wird ersichtlich, wenn man sich den Dentinkeimquerschnitt der Fig. 1 A durch die Usurfläche eines gleichgeformten, bereits funktionirenden Zahnes ersetzt denkt, und letzteren sodann mit D? in Fig. 4 einerseits, und mit dem Zahn der Fig. 3 andererseits, konfrontirt; das Resultat einer solchen Vergleichung kann nicht zweifelhaft sein. Mit anderen Worten: würde die Zahnanlage, deren Querschnitt in Fig. 1 % vorliegt, ihre derzeitige Konfiguration un- verändert beibehalten, so müsste daraus ein Zahn resultiren, der von derjenigen Form, die er im Lauf seiner Weiterentwicklung faktisch erlangen wird (Fig. 1 4 und 4 betreffen eben einen und denselben Zahn des Pferdes, D2), sehr erheblich abweicht, während er den Formeigenthümlichkeiten des Zahnes der Fig. 3 in allem Wesentlichen sich anschließt. 316 Ernst Klever Aus den durch Fig. 1 veranschaulichten Beobachtungen ergiebt sich somit, dass D? des Pferdes in einem gewissen Entwicklungs- stadium mit den Molaren der älteren, noch vier relativ einfache P besitzenden Paloplotherien! übereinstimmt. D! und D® zeigen in auffallendem Grade die Eigenthiimlich- keiten, die Schlusszähnen ausgedehnter Zahnreihen zukommen können; an D! fehlt das Nachjoch, und der hintere Außenlobus steht an Um- fang weit hinter dem vorderen zurück, während umgekehrt bei D? das Nachjoch außerordentlich stark ausgebildet ist und an Masse die Vorjochanlage bei Weitem übertrifft; der vordere Außenlobus von D® erstreckt sich keilförmig nach vorn. D! ist etwa nur halb so groß wie D?; das mit dem vorderen Außenlobus in kontinuir- lichem Zusammenhange stehende Vorjoch von D! scheint fast ganz dem Gebiet des vorderen Innenpfeilers anzugehéren. D3, dessen Volumen nur wenig hinter D? zurückbleibt, zeigt die hintere Marke bereits geschlossen; die Anlage seines Vorjochs ist, nach der Ge- websbeschaffenheit zu schließen, erst kürzlich aufgetreten und scheint gleichfalls vorzugsweise den vorderen Innenpfeiler zu repräsentiren. Für spätere Entwicklungsstadien der oberen Milchprämolaren beschränke ich mich auf Bemerkungen über die Befunde beim Em- bryo e; letzterer, dessen Größe und Entwicklungsstufe aus der Fig. 7 beurtheilt werden kann, zeigt eine derartige Differenz in der Aus- bildung der Anlagen von D! und D? (vgl. Fig. 8 mit Fig. 9), dass hieraus dem Untersucher der Vortheil erwächst, an einem und dem- selben Objekt zwei verschiedene Stadien beobachten zu können. Der Größenunterschied der beiden Zahnanlagen ist schon makro- skopisch leicht konstatirbar (ef. Fig. 7); in späteren Stadien über- holt bekanntlich D! seinen Nachbar namentlich in der Sagittaldimen- sion, und auch jetzt schon lässt sich nicht verkennen, dass die Anlage von D! im Vergleich zu D? des früher besprochenen Sta- diums vorwiegend in sagittaler Richtung ausgebildet ist; für den vorderen Innenpfeiler, der bis in die Nähe seiner Spitze mit dem vorderen Zwischenlobus verschmolzen erscheint, resultirt hieraus eine mehr elliptische Form des Querschnittes (Fig. 8 &—f). Das an seiner Basis sehr starke Nachjoch ist dem hinteren Außenlobus eng angeschlossen und erscheint noch einheitlich; zur First hin isolirt 1 cf. bes. GAUDRY, 2.; seiner Fig. 3 auf Taf. X, die volle P-M-Reihe des von ihm aufgestellten Paloplotherium codiciense zeigend, ist der in meiner Fig. 3 kopirte Zahn, ein rechter M3, entlehnt. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 317 sich das Nachjoch von der Außenwand (Fig. 8 e, 5). Hinsichtlich des Verhaltens der Markenbildung und anderen Details darf wohl auf die Fig. S verwiesen werden. Was D2 (Fig. 9 a—h) anbetrifft, so wäre. zunächst zu erwähnen, dass der Gesammtumriss der ganzen umfangreichen Anlage nicht mehr dreieckig, sondern nahezu pentagonal erscheint. Die Außen- loben sind nur im Basaltheil der Zahnanlage noch sehr plump ge- formt, während in der Richtung zu den Firsträndern hin das spätere Relief der Außenwand sich schon ziemlich deutlich zu erkennen giebt (vgl. Fig. 9 2 mit 9 d oder c). Der vordere Zwischenlobus ist derart mit dem vorderen Außenlobus vereinigt, dass die vordere Marke nur ein ganz seichtes Vorderhorn entwickeln kann (Fig. 9 0); seine Firstregion ist durch einen weiten Abstand vom vorderen Außenlobus getrennt (Fig. 9 a). Der an seiner Basis im Querschnitt nahezu elliptische, noch immer relativ sehr mächtige vordere Innen- pfeiler nimmt in der Richtung zur Spitze hin eine eckigere Form an, zugleich isolirt er sich und seine Spitze liegt schließlich in beträcht- lieher Entfernung vom vorderen Zwischenlobus (Fig. 9 a). Hinsicht- lich des Nachjochs ist zu bemerken, dass dasselbe bereits in hin- teren Zwischenlobus und hinteren Innenpfeiler differenzirt ist, die zum Firstrande hin sich endlich völlig von einander trennen (Fig. 9 5; ef. auch Fig. 5, wo der hintere Innenpfeiler von D® noch weit mehr isolirt ist). Das meiste Interesse beanspruchen die Marken; in den basalen und mittleren Zonen der Zahnanlage sind drei, die vordere, die hintere und eine vordere innere Marke nachzuweisen (Fig. 9 A—f); die letztere, die schon frühzeitig angelegt wird (Fig. 1 4), ist vor- zugsweise wichtig, da sie eine transitorische Bildung darstellt, wie der Vergleich mit stark abgetragenen D? lehrt, für deren vorderen Innenpfeiler die Tendenz, mit dem hinteren Zwischenlobus zusam- menzufließen, sich nicht mehr beobachten lässt (ef. Fig. 4 "52" ]); zu- gleich besitzt sie, worauf später noch zurückzukommen ist, auch phylogenetisches Interesse. An der Erzeugung dieser Marken ist der in den betreffenden Niveaus mit dem hinteren Innenpfeiler voll- kommen verschmolzene hintere Zwischenlobus am meisten betheiligt; verfolgt man denselben in der Richtung zur Zahnbasis hin, so er- kennt man, dass er, immer mehr an Volumen zunehmend, Ausläufer aussendet, die sich mit ihnen entgegenstrebenden Vorsprüngen des hinteren Außenlobus, des vorderen Außenlobus in der Nähe der Ver- bindungsstelle der beiden Außenloben, des vorderen Zwischenlobus 318 Ernst Klever und des vorderen Innenpfeilers vereinigen (cf. Fig. 9 f) und da- durch schließlich den vollkommenen Abschluss der Marken zu Wege bringen (Fig. 9 g, 4). Macht man nun wiederum die Annahme, das Querschnittsbild der Fig. 9 g wäre durch Usur eines in Funktion stehenden Zahnes erzeugt, so hätte man einen Equidenzahn, der durch außerordentlich einfache, halbmondförmige vordere und hintere Marken ohne alle Fältelung, bei überwiegender Ausbildung der einander zugekehrten Hörner dieser Marken, sowie namentlich durch die Anwesenheit einer vorderen Innenmarke ausgezeichnet ist, und in allen diesen Be- ziehungen eine bemerkenswerthe Übereinstimmung mit den Zähnen des Leıpy’schen Merychippus! erkennen lässt; in dem beobachteten Verhalten liegt mithin eine empirische Stütze für die Anschauung von SCHLOSSER? und CrAus?, dass Merychippus zu den direkten Vorfahren der Pferdegruppe gehöre. | Mit dem Hipparionzahn, wo bekanntlich die Markenfältelung außerordentlich komplieirt werden kann, und wo der vordere Innen- pfeiler bis zu sehr tiefem Niveau isolirt bleibt*, stimmt das be- treffende Entwicklungsstadium von D? des Pferdeembryo nur in sehr wenigen Beziehungen überein. Die Anlage von D*? (Fig. 10 a—c), die gleichfalls eine vordere Innenmarke, sowie einen isolirten hinteren Innenpfeiler (Fig. 10 a} besitzt, zeichnet sich noch dadurch aus, dass sie einen kleinen accessorischen Außenlobus entwickelt hat (Fig. 10 a). Letzterer Be- fund bestätigt somit die Angaben von Lerpy® und LyDEKKER® über den komplieirteren Bau von D> resp. P? bei Equiden, wobei indess die offenbar sehr bedeutende Variationsbreite des betreffenden Ver- haltens nicht außer Acht zu lassen ist; so gelangt nach Leipy in seltenen Fällen auch noch ein accessorischer Zwischenlobus zur Aus- bildung; in der LYyDEKKER’ entlehnten Fig. 5 meiner ersten Tafel erscheint an D® eines Hipparion außer dem accessorischen Außen- lobus besonders noch die accessorische Marke mit charakteristischer, 1 LEIDY, 2. pag. 292—302; Taf. XVII (cf. bes. Fig. 5 und 9). 2 SCHLOSSER, 2. pag. 14, 15. 3 CLAUS, pag. 834. 4 cf. namentlich MEvYER, Kaup, HENSEL (1), RÜTIMEYER (2), GAUDRY (1. pag. 222, 230, 231 und 3. pag. 34, 37), Lerpy (2) und LYDEKKER (1). 5 LEIDY, 2. pag. 258. 6 LYDEKKER, 1. pag. 77. 7 ef. LYDEKKER, 1. Taf. XI Fig. 2. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 319 deutlich ausgeprägter Verschiedenheit in der Stärke des Schmelz- bleches entwickelt; an anderen Objekten dagegen ist nahezu völlige Reduktion zu konstatiren, es scheint sich somit D? resp. P3 analog zu verhalten wie etwa JZ, von Bos in Bezug auf seinen Talon. Über die Entwicklung von Dt, welcher Zahn keineswegs immer ein »winziges Rudiment« oder »kleines Stiftehen« darstellt, wie BAUME? angiebt, sondern manchmal noch relativ sehr stark und mit komplicirter Marke versehen sein kann’, fehlen mir Erfahrungen; die Anlage scheint relativ sehr spät zu erfolgen, welcher Umstand indess noch nicht zum Schluss berechtigt, den in Rede stehenden Zahn mit NEHRING! u. A. als P! anzusprechen. Die Entwicklung der P- und M-Kategorie ist ununtersucht ge- blieben; dass namentlich in Betreff der Molaren interessante Befunde zu erwarten wären, ergiebt sich schon aus der Form der durch die Anlagen von M* (beim etwa viermonatlichen Füllen) und M?3 (beim etwa 1'/,jahrigen Füllen) im Kiefer erzeugten Usuren. Trotz dieser sehr erheblichen Untersuchungslücken erscheint es gleichwohl gerechtfertigt, einige bisher noch nicht erwähnte Schluss- folgerungen aus dem für die D-Kategorie Konstatirten auch auf die beiden anderen Zahngruppen zu übertragen, weil eben, wie Eingangs bereits hervorgehoben, die Maxillarbezahnung des Pferdes, die tran- sitorische sowohl wie die definitive, aus im Großen und Ganzen identisch geformten Zahngebilden sich zusammensetzt. Verallge- meinerungen liegen desshalb sehr nahe, denn Niemand z. B. wird behaupten wollen, dass etwa der vordere Innenpfeiler eines P oder M anders zu deuten wäre als der gleichnamige Bestandtheil eines D; hinsichtlich dieser verallgemeinerten Schlussfolgerungen gedenke ich mich übrigens im Wesentlichen auf einige Bemerkungen über die Innenpfeiler als die in systematischer Beziehung wichtig- sten5 Gebilde zu beschränken. : 1 ef. RÜTIMEYER, 1. pag. 133. 2 BAUME, pag. 219, 235. ® cf. HENSEL (1. pag. 86—88) und NEHRING (1. ag. 33; 2. pag. 48); vgl. auch D4 in Fig. 5. 4 NEHRING, 1. pag. 33; 2. pag. 49; 3. pag. 91. 5 Betreffs der mannigfaltigen Zustände, die speciell der vordere Innen- pfeiler der verschiedenen fossilen und recenten Equiden in Bezug auf seine Form und auf den Grad von Isolirung aufweisen kann, cf. bes. HENSEL (1); RÜTIMEYER (2. pag. 676; 3. pag. 11, 12, 16, 17, 21); Owen (4); BURMEISTER (2); Gaupry (1, 3, 4); Lerpy (2, 3); MAJorR (1, 2); Cope (3. pag. 9, 10; 5. pag. 1209); BRAnco und LYDERKER (1, 3). Die Extreme in dieser Beziehung 320 Ernst Klever Aus meinen Beobachtungen ergiebt sich zunächst das Unzu- treffende der von MAJor! und KOwALEVSKY? vertheidigten Anschau- ung, der zufolge beide Innenpfeiler der Equiden recente Bildungen darstellen und wonach speciell der vordere Innenpfeiler, der nach KOWALEVSKY (pag. 220) »absolut gar nichts mit dem typischen Bau des Zahnes zu thun hat«, bei Anchitherium noch gar nicht vorhan- den ist oder höchstens als Basalwarze erscheint; an der namentlich von OwEN? und GAuprY* vertretenen Deutungsweise ist mithin durchaus festzuhalten. | In den schärfsten Gegensatz zu den MAsor-KOWALEVSKY’schen Ansichten treten die Anschauungen von OsBoRN?, gleichfalls vorzugs- weise durch Untersuchung fossilen, allerdings noch weit umfassenderen Materiales gewonnen; ihnen zufolge bildet der vordere Innenpfeiler, der Protoconus nach der Osporn’schen Terminologie, gerade den phy- logenetisch ältesten Bestandtheil des gesammten Zahnkörpers. Die Befunde an D! und D? des Embryo D sind dieser Anschauung min- destens nicht absolut ungünstig; positivere Anhaltspunkte wären selbstverständlich nur von der Untersuchung jüngerer Stadien zu erwarten. Aus meinen Erfahrungen folgt ferner, dass es irrig wäre, mit SCHLOSSER® sämmtlichen Equiden Innenpfeiler von gleicher Größe zuzuschreiben. Die Größendifferenz ist vielmehr von vorn herein vorhanden und ursprünglich sogar weit bedeutender als in späteren Stadien; im Übrigen ist diese Differenz speciell bei Equus auch im völlig ausgebildeten Gebiss noch so stark, dass von manchen Auto- ren die Bezeichnungen »großer« und »kleiner« Innenpfeiler bevor- zugt werden (WOLDRICH und WILCKENS berücksichtigen den hinteren Innenpfeiler überhaupt nicht); CopE”? hat auf diese Differenz hin eine repräsentiren einerseits die Hipparien mit bis gegen die Basis hin isolirtem vorderen Innenpfeiler, dessen Querschnitt manchmal kreisförmig erscheint (cf. DEPERET, pag. 188), und andererseits Formen wie Eq. namadicus (ef. LYDEK- KER (1. pag. 93; Taf. XIV Fig. 3) und Eq. major? (ef. Leipy, 3. pag. 246; Taf. XXXII Fig. 18), wo der mit dem vorderen Zwischenlobus fast in ganzer Höhe verschmolzene vordere Innenpfeiler in sagittaler Richtung außerordentlich stark entwickelt ist und recht erhebliche Fältelung aufweisen kann. 1 Magor, 1. pag. 109 und 2. pag. 7. 2 KOWALEVSKY, 2. pag. 220, 221, 264, 265. 3 OWEN, 3. pag. 537. 4 GAUDRY, 4. pag. 128, 129. 5 OSBORN, 1. pag. 242; 2. pag. 1072, 6 SCHLOSSER, 2. pag. 11. 7 CoPE, 4. pag. 715; 6. pag. 1073. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 321 Eintheilung der Familie der Equiden im engeren Sinne (nach Aus- schluss von Hipparion und anderen, von Core den Palaeotherien zugetheilten Geschlechtern), in Equus einerseits und Hippidion an- dererseits vorgenommen. In Bezug auf die Konfluenz des vorderen Innenpfeilers mit Nachjoehbestandtheilen und die dadurch bedingte Bildung einer vor- deren Innenmarke ! ließe sich erwarten, dass in seltenen Fällen die- ser in der Regel transitorische Vorgang persistiren werde; ein der- artiges Verhalten wäre als Rückschlag aufzufassen und mithin eben so zu beurtheilen, wie wenn es sich etwa um eine nicht unter- brochene Ulna oder Fibula handelte. Was die Entwicklung der transitorischen Schneidezähne und der Mileheaninen, der oberen sowohl wie der unteren, anbelangt, so liegen mir hierfür hauptsächlich jüngere Stadien vor, die verhält- nismäßig wenig Interesse darbieten. Aus der Fig. 6 lässt sich das Verhalten ersehen, welches die Zwischenkieferregion des Embryo D in dieser Beziehung zeigt; der Unterschied in der Größe und Aus- bildung der einzelnen Schmelzorgananlagen ist relativ unerheblich, obgleich der Ausbruch der einzelnen Zähne bekanntlich in bedeuten- den Zeitintervallen erfolgt. Die Abstände der Anlagen von einander sind verhältnismäßig groß; Cd liegt auf der Grenze zwischen Ober- und Zwischenkiefer. Besonders bemerkenswerth erscheint mir eine auch in Fig. 6 sichtbare, wie eine Schmelzorgananlage aus frühen Stadien sich aus- nehmende Wucherung des Schmelzkeimes, welche vielleicht als die rudimentäre, bald wieder schwindende Anlage eines atavistischen /d! anzusehen ist. Es wäre wünschenswerth, an geeignetem, gut konservirten Ma- terial aus älteren Stadien diese Vermuthung einer näheren Prüfung zu unterziehen; dass es hohes Interesse hätte, falls die eben er- wähnte Deutungsweise als berechtigt sich herausstellen sollte, er- t In Analogie von Bezeichnungen, wie »Palaeomeryxfalte« etc. könnte man die vordere Innenmarke auch »Merychippusmarke« und die manchmal vor- handene hintere Innenmarke »Hippidionmarke « nennen (cf. OWEN, 4, pag. 568, 572, Taf. LXXI Fig. 1, 4; und BURMEISTER, 2. pag. 59, 60, Taf. III Fig. 3, 4). Hinsichtlich des gelegentlichen Auftretens dieser letzteren im Bereich des G. Equus ef. z. B. Masor, 2. Taf. I Fig. 2 und Branco, pag. 50, 51, Taf. IV Fig. 2 und Taf. V Fig. 3. Morpholog. Jahrbuch, 15. 21 322 Ernst Klever giebt sich schon aus den Betrachtungen von HENSEL! über das Verhalten der Ineisivbezahnung bei Ungulaten im Allgemeinen. In Betreff der Unterkieferbackzähne, deren für alle drei Kategorien nahezu identische Konfiguration besonders von RÜTIMEYER? erörtert worden ist, und die in Bezug auf ihre Entwicklung ebenfalls noch so gut wie ununtersucht sind, habe ich gleichfalls nur die Entwick- lung der D-Reihe berücksichtigen können und gedenke mich in Fol- gendem vorzugsweise auf einige Bemerkungen über die Befunde an D, zu beschränken. Aus Fig. 12 ergeben sich Anhaltspunkte für die Bestimmung der Größen- und Lagerungsverhältnisse, welche D, beim Embryo D aufweist: sein Dentinkeim (cf. Fig. 11) besteht im Wesentlichen aus zwei sehr plumpen, basalwärts mit einander verschmolzenen, sa- gittal gerichteten Jochen. Das Vorjoch. dem ein Vorderhorn noch völlig abgeht, besitzt bereits den vorderen Doppelpfeiler, während am Nachjoch ein hinterer Doppelpfeiler noch nicht angelegt er- scheint; Befunde, die nach den Ausführungen von RÜTIMEYER> über die allmähliche Komplikation des zygodonten Mandibularzahnes er- wartet werden konnten. Die Marken sind eng und seicht, die Außenbucht ist relativ schmal und verläuft in schräger Richtung nach vorn und medianwiirts. D, in Unterkiefern, die entweder dem Embryo e oder einem anderen Objekt von nahezu gleichem Alter angehören, charakterisirt sich bereits durch starke Ausbildung in sagittaler Richtung; das Vorjoch hat ein Vorderhorn entwickelt (Fig. 13 f—c); der vordere Doppelpfeiler ist noch sehr symmetrisch und zeigt noch nicht die dem G. Equus zukommenden Eigenthümlichkeiten, auf die RÜTIMEYER! aufmerksam gemacht hat; das Nachjoch gliedert sich zum freien Rande hin, vom hinteren Doppelpfeiler abgesehen, in drei Abschnitte, von denen der die Verbindung mit dem vorderen Doppelpfeiler über- nehmende Antheil sehr schmal ist und die geringste vertikale Aus- dehnung besitzt (cf. Fig. 13 e—a). Der hintere Doppelpfeiler ist ansehnlich entwickelt und von plumper Form (Fig. 13 A—a). Die Eingänge der noch ganz ungefältelten Marken sind im Allgemeinen ! HENSEL, 3. pag. 530, 534, 535. 2 RÜTIMEYER, 2. pag. 596—602, 619, 624, 625, 652, 654, 657, 680; 3. pag. 14, 15, 19, 20; cf. auch HENSEL, 1. pag. 88—91; MAJOR, 2. pag. 104—110, 129 —132 u. A. 3 RÜTIMEYER, 2. pag. 596—602. 4 RÜTIMEYER, 2. pag. 652; Fig. 45. Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 333 sehr weit und erst in tiefen Niveaus schließt sich zuerst die vordere (Fig. 13 f, g) und noch weiter basalwärts auch die hintere, zugleich tiefere Marke (Fig. 13 A) völlig ab, wobei indessen der Innenkontour der Zahnanlage noch immer den Ort des Markeneinganges erkennen lässt; der auch aus der Fig. 13 leicht ersichtliche Umstand, dass auch in tiefen Niveaus der Abstand des Einganges zur vorderen Marke vom Vorderrande des Zahnkörpers geringer ist, als die Ent- fernung des Einganges der hinteren Marke vom Hinterrande des Zahnes beträgt, gehört bekanntlich zu den Kriterien, die für die richtige Orientirung ! tief abgetragener Zähne, wie solche z. B. von Leıpy? und von RÜTIMEYER? abgebildet worden, in erster Linie in Betracht kommen. (D, resp. P;, für die das in Rede stehende Ver- halten unter Umständen nicht zuzutreffen braucht, sind bekanntlich an anderen Eigenthümlichkeiten immer leicht erkennbar.) Die Außen- bucht reicht sehr tief hinunter (Fig. 13 2) und ist weit und seicht; vom Nachjoch ausgehende Falten in der Außenbucht und accesso- rische Basalpfeiler* sind nicht vorhanden. An der Basis der: Zahn- anlage stellt der Dentinkeim eine kontinuirlich zusammenhängende Masse dar (Fig. 13 2). Das älteste zur Untersuchung gekommene Stadium (Gesammt- länge von D,_, etwa 36 mm) zeigt im Wesentlichen Formverhält- ! Aus der Nichtbeachtung des Verhaltens der Markeneingänge erklärt sich einigermaßen ein eigenthümliches Versehen von Cops, der zwei, verschiedenen Seiten angehörende Unterkieferbruchstiicke, ein rechtes mit Mı—3 und ein linkes mit P—M,, mit einander zu einem Stück verbunden hat (cf. Corn, 1. Taf. LXXV Fig. 2a; rechter M, und linker P, treffen zusammen). Nach Äuße- rungen im Text (l. e. pag. 321), sowie nach der Art und Weise zu schließen, wie in Fig. 2 der eitirten Tafel der defekte rechte M, ergänzt worden, hat Corre das betreffende Compositum für einen linken Unterkiefer gehalten; in diesem Falle wäre mithin kein einziger Zahn richtig bestimmt. — Es darf auf- fallen, dass BRANCO (pag. 54) die Copn’sche Fig. 2 a eitirt, ohne sie in Bezug auf ihre Zusammensetzung zu kritisiren; im Übrigen ist BrAnco’s Bemerkung, die in Rede stehenden Zähne seien eigentlich ganz Hippidionähnlich (Corr hatte sie einem Hipparion zugeschrieben), vollkommen zutreffend (cf. BURMEISTER, 2. Patel Fig. 1). POU BIDY, 24 Lat. XIX. big, 14, 15. 3 RUTIMEYER, 3. Fig. 20. 4 cf. HEenseL, 1. pag. 102, 103; RÜTIMEYER, 2. pag. 624, 655, 659—661, Fig. 31, 29, 32, 28; Gaupry, 1. pag. 229, 230, Taf. XXXIV Fig. 6; 3, pag. 34; BRANCO, pag. 53, 57, 58; KokeEn, pag. 42, Taf. IV Fig. 11. Der acces- sorische Basalpfeiler fehlt gelegentlich auch bei Hipparien, für deren Milchprä- molaren er sonst charakteristisch ist; ein derartiges Verhalten erwähnt z. B. DEPERET (pag. 189, Taf. II Fig. 3) für ein D, von Hipp. crassum. 21* 394 Ernst Klever nisse, die mit denen der bereits durchbrechenden Milchprämolaren schon nahezu identisch sind. Aus dem Mitgetheilten folgt, dass, vom Verhalten des vorderen Doppelpfeilers! abgesehen, keinerlei Formbesonderheiten vorliegen, die als Wiederholungen der Merkmale von Hipparionzähnen? gelten könnten. Für D,, dessen meist stark verkümmerte Anlage HEnseEL * unter- sucht hat, fehlen mir eigene Erfahrungen. Einen Rückblick auf die mitgetheilten Beobachtungen werfend, kann man, unter gebührender Hervorhebung des Umstandes, dass voll- kommene Identität mit den zum Vergleich dienenden fossilen Formen keineswegs behauptet werden soll, die Ergebnisse meiner Beobach- tungen am geeignetsten durch die Angabe ausdrücken, das Pferd durchlaufe während der Entwicklung der Milchprämolaren seines Oberkiefers ein Paloplotherioid- und ein Merychippoidstadium. Zugleich ergiebt sich eine Bestätigung der namentlich von Ly- DEKKER* und von der PavLow5 gegen die herrschende Anschauung über die Abstammung des Pferdes von Hipparion® geltend gemachten Einwürfe. Hierauf beschränken sich die Beiträge, die ich in phylogene- tischer Beziehung zu der vielerörterten Frage nach der Stammes- geschichte der Equiden liefern kann; im Übrigen verbietet sich eine weitere Betheiligung an der Diskussion hierüber schon dess- halb, weil, von den werthvollen Arbeiten von Leıpy abgesehen, die Fachlitteratur über dieses hochinteressante, in erster Linie auf ame- rikanisches Material basirte Thema noch immer relativ sehr arm ist; Marsu speciell, der als der Hauptautor gilt, hat seinen Ausspruch’: »The evolution of the horse . . . is to-day demonstrated by the 1 Elliptische Kontouren der Usurflächen des vorderen Doppelpfeilers zeigt Hipparion mediterraneum im Milchgebiss (RUTIMEYER, 2. pag. 657), und nament- lich Hipp. erassum auch in der definitiven Bezahnung, selbst bei tiefer Ab- tragung (DEPERET, pag. 189). 2 ef. namentlich HENSEL, 1. pag. 102, 103; RÜTIMEYER, 2. pag. 651— 661; GAUDRY, 1. pag. 223; 3. pag. 34; Mayor und LYDEKKER. 3 HENSEL, 2. pag. 27. 4 LYDEKKER, 2. pag. 16. 5 PavLow, II. pag. 155 sqq. 6 KOWALEVSKY (1), Mars (4. pag. 500) und zahlreiche Andere. 7 MARSH, 5. pag. 356. ' Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 325 specimens now known« bisher nur mit einigen vorläufigen Mitthei- lungen! belegt, unter denen nur eine von wenigen und keineswegs mustergültigen? Abbildungen begleitet ist; eine erfolgreiche Erörte- rung zahlreicher, von LEıpy offen gelassener Fragen (Identität oder Nichtidentitiit von Protohippus mit Merychippus; Existenzberechti- gung ven Hypohippus, Anchippus und Parahippus und ihre Be- ziehungen zu Anchitherium; Speeieskritik unter Berücksichtigung der schon für die Diagnose von recenten Equiden bestehenden Schwierig- keiten? etc.) wäre desshalb zur Zeit überhaupt nicht thunlich; zu- dem darf erwartet werden, dass die in Aussicht stehende baldige Publikation des Buches II der umfangreichen Untersuchungen von Core hierüber, auf Grund eines offenbar außerordentlich reichhalti- gen Materiales, manchen wesentlichen Aufschluss bringen werde. Citirte Litteratur. G. 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Außerdem ist es für solehe Darstellungen durchaus erforderlich, dass die zu vergleichenden Ob- jekte einer und derselben Körperhälfte angehören, und es ist unstatthaft, wenn unter lauter linksseitigen Zähnen plötzlich ein rechter (der Oberkieferzahn von Anchitherium) erscheint. 3 Letztere namentlich von HENSEL (1. pag. 86, 107), GAupry (1. pag. 229), RÜTIMEYER (3. pag. 25) und LYDEKKER (2. pag. 13 und 3. pag. 73) betont. 326 Ernst Klever W. Branco, Über eine fossile Siiugethierfauna... Paläont. Abhandl. Heraus- gegeben von W. Dames und E. Kayser. I. 2. Berlin 1883. A. v. BRUNN, Über die Ausdehnung des Schmelzorganes und seine Bedeutung für die Zahnbildung. Archiv für mikr. Anat. XXIX. 3. Bonn 1887. H. BURMEISTER, 1. Anales del Museo publ. de Buenos Aires. T. I. Buenos Aires 1864—1869. 2. Die fossilen Pferde der Pampasformation. Buenos Aires 1875. P. CANALIS, Sullo sviluppo dei denti nei mammiferi. Anatomischer Anzeiger. I. Jena 1886. C. Cuaus, Lehrbuch der Zoologie. 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Behufs leichterer Vergleichbarkeit mit den für die Vergleichung vorzugs- weise in Betracht kommenden Abbildungen bei RÜTIMEYER, GAUDRY und LEIDY - sind alle Objekte als rechtsseitige dargestellt worden, was einige Umkehrungen erforderlich gemacht hat. Schnitte aus verschiedenen Horizonten einer und - derselben Zahnanlage sind stets so geordnet, dass die der Usur am spätesten unterliegenden Niveaus die Reihe beschließen. Die Fig. 2—5, 7 und 12 sind in natürlicher Größe gezeichnet; für die übrigen, deren Kontouren mit einer OBERHÄUSER’schen Camera lucida entworfen wurden, beträgt die Vergrößerung '9/;. Die Zeichnungen rühren sämmtlich von stud. chem. Const. KLEVER her. Wiederholt gebrauchte Bezeichnungen. Ab Außenbucht, v.Ipf vorderer Innenpfeiler, h.Alb hinterer Außenlobus, h.M hintere Marke, v.Alb vorderer Außenlobus, v.M vordere Marke, ' Co Cementorgan (resp. innere Schicht v..M vordere Innenmarke, J der späteren Zahnkapsel), md Unterkieferknochen, h.Dpf hinterer Doppelpfeiler, Nj Nachjoch, v.Dpf vorderer Doppelpfeiler, Sk Schmelzkeim, h.H Hinterhorn der vorderen Marke, So Schmelzorgan, h.H’ Hinterhorn der hinteren Marke, Vj Vorjoch, v.H Vorderhorn der vorderen Marke, A.Zwlb hinterer Zwischenlobus, v.H’ Vorderhorn der hinteren Marke, v.Zwlb vorderer Zwischenlobus. h.Ipf hinterer Innenpfeiler, Fig. 1 a—! Querschnitte durch die Anlage von D?; aus einer Flächenschnitt- serie des Oberkiefers vom Embryo D. Niveaudifferenz zwischen 1 a und 1 7 in Wirklichkeit etwas mehr als 1 mm betragend. Soh Hals des Schmelzorgans. So’ Basalausläufer des Schmelzorgans (Epithel- scheide HERTWIG’s). 330 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Ernst Klever, Zur Kenntnis der Morphogenese des Equidengebisses. 2: -1 co Der der Fig. 1 A zu Grunde liegende Schnitt in natürlicher Größe. D! im vorderen Außenlobus, D3 tief an der Basis getroffen. cn Na- senhöhle.. mx Oberkiefer. 7.c.d Ramus communicans dorsalis der Gesichtsvenen. NM? von Paloplotherium codiciense Gaud.; Kopie aus Fig. 3 bei GAU- DRY,.2.’ Val. X. D? eines dreijährigen Pferdes; stark usurirt, P? bereits sichtbar. Vom Schädel C 130 der zootomischen Sammlung. {’¢2/| Ort, wo es in früheren Stadien zur Konfluenz des vorderen Innenpfeilers mit dem hinteren Zwischenlobus gekommen war. D?,4 von Hipparion antilopinum Fale. und Cautl.; Kopie eines Theiles der (umgekehrten) Fig. 2 bei LYDEKKER, 1. Taf. XI. ace.Lb acces- sorischer Lobus. acc. M accessorische Marke. Theil eines Flichenschnittes der Zwischenkieferregion yom Embryo D. a.pt.pl Art. pterygo-palatina. c.St Sreno’scher Knorpel. ep Epithel des Atrium oris. mx Zwischenkieferknochen. /.s Oberlippe. So. Zd*? Schmelzorgananlage eines rudimentären, bald wieder schwindenden Id4?. Flächenschnitt des Oberkiefers vom Embryo e in natürlicher Größe; aus derselben Serie, welcher auch die Fig. 8—10 entnommen sind. Im abgebildeten Schnitt das Schnittflächenniveau für D! höher ge- legen als Fig. 8 a, für D? zwischen Fig. 9 6 und 9 ec fallend, für D® in Fig. 10 ce wiedergegeben. pa Gaumenbein. Die anderen Be- zeichnungen wie in Fig. 2. a—f. Querschnitte durch die Anlage von D!; cf. das für die Fig. 7 Bemerkte. a—h. Querschnitte durch D?. a—c, Querschnitte durch D3. acc. Lb accessorischer Lobus. In den Fig. S—10 sind die Bruchstücke der zertrümmerten Schmelz- organe fortgelassen. 11 a—h. Querschnitte durch D;; aus einer Serie vom Unterkiefer des 12, Embryo D. ep Epithel der medialen Fläche des Unterkiefers. Schnitt aus der Serie des anderen Unterkiefers vom Embryo D; zum Vergleich mit Fig. 11 so gezeichnet, als ob er derselben Seite ange- hörte. c.md Can. mandibularis. ce. M Mecker’scher Knorpel. pt.i M. pteryg. int. Fig. 13 a—i. Querschnitte durch D,; aus einer Serie vom Unterkiefer des Em- bryo e (?). Vk Vorderhorn des Vorjochs. = 4 > ornholog. Jahrbuch. BA.AV- : = ee P ' 2 “apıt.-nl. Ma) nst.v Warner & Winter, Frankia tM. Metin nr: Morpholog: Jahrbuch. Ba NV ee Z hAlb, vH Alb. 7H red. Mie. 9a ; : . IE eles an ur zwi, | , : vp. nf hZwlb, vil. AM vie WIR hdpf hZwib 10 a.) rZwib Rn E zwi L In. Ca vIn. a7 ae =f vewlb. wZwib Vorl «WR. Engelmann Morpholog Jahrbuch. Ba XV Lif’ XM. ’ TEC CDE eye. SK. ie : lt, ADEN pM. So- iM. Ab. 12724 75h. 4. % Df AM, Ab. SS x tea. C.Klever. Verl. vWEln, Engelmann, Leipzig 7 Pronk fare. i“ EEE Eee STE 2.0 Die Abdominalanhänge der Insekten ‚mit Berücksichtigung der Myriopoden. Von Dr. Erich Haase, Privatdocent der Zoologie in Königsberg. Mit Tafel XIV und XV. Vorliegende Abhandlung enthält die Resultate erneuter und erweiterter Untersuchungen über eigenthümliche Abdominalanhänge, besonders der Thysanuren, und schließt als Begründung und theil- weise Verbesserung die Ansichten ab, welche ich auf der Berliner Naturforscherversammlung 1886 über die Verwandtschaftsbeziehungen der Myriopoden aussprechen durfte. Die Untersuchung zerfällt nach ihrem Gegenstande in zwei Ab- theilungen, deren erste sich auf die weichen ausstülpbaren Ven- tralsäckcehen bezieht, welche bisher besonders als »Segmental- blasen« oder »Cruraldrüsen« bezeichnet wurden, während die zweite vor Allem die beinstummelartigen Anhänge behandelt, die man wohl allgemein als rudimentäre Abdominalfüße angesehen hatte, und die ich Bauchgriffel nenne. Während die zwei Haupttheile sich in die descriptiv-anatomische Beschreibung, die Untersuchungen über die Funktion und die- jenigen über die Morphologie der betreffenden Organe gliedern, wurde innerhalb dieser Abschnitte eine Aufeinanderfolge der be- sprochenen Ordnungen der Myriopoden und Insekten innegehalten, welche ungefähr dem allgemein angenommenen System derselben entspricht. So wird die Reihe mit den Myriopoden (Chilopoden, Symphylen, Diplopoden) eröffnet, an welche sich die Synaptera Morpholog. Jahrbuch. 15. 22 332 Erich Haase (Thysanura, Collembola) anschließen, um zu den flügeltragenden Insekten (Pterygota) überzuführen. Eine phylogenetische Schlussbetrachtung sucht die einzelnen Resultate unter einem Gesichtspunkte zu vereinigen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wurde die gedrängte Bher- sicht der Untersuchungsergebnisse, besonders neuerer Forscher, den eigenen Resultaten bei den einzelnen Formen in historischer Folge vorangesetzt. A. Die Ventralsäcke. Mit diesem Namen belege ich die weichen bläschenartigen An- hänge, welche an der Bauchseite besonders des Abdomens bei Myrio- poden und Synapteren beobachtet wurden und von B. Grassi in seiner letzten, die ganze Anatomie der Thysanuren umfassenden Ar- beit! als »Segmentalblasen« bezeichnet werden. I. Vorkommen und Bau der Ventralsäcke. 1) Symphyla (Fig. 1, 7, 10). Bei Scolopendrella, der einzigen Vertreterin dieser eigenthüm- lichen Myriopodenordnung, beobachtete A. MENGE?, der über Se. immaculata Newp., ein wenige Millimeter langes Thierchen mit zwölf Laufbeinpaaren, das von A. S. PACKARD in seiner neuesten Publi- kation? immer noch zu den — Insekten gestellt wird, eine für die Zeit ihrer Entstehung recht werthvolle Monographie lieferte, neben den Füßen »nach innen zwei kreisförmige, auf der Oberfläche wie gekörnelt aussehende Flecken«, die er für » Ansatzpunkte von Mus- keln« hielt. Aus der]. c. Taf. II Fig. 7 und 10 p. gegebenen Dar- stellung ersieht man, dass MENGE die von mir »Ventralsäcke« ge- nannten Gebilde gemeint hat. J. A. RypEr, der für unsere Gattung die Ordnung der Sym- phyla* schuf, weil sie Charaktere der Myriopoden, Thysanuren und 1 B. Grassı, Anatomia comparata dei Tisanuri (Reale Acad. dei Lincei 1887. pag. 543—606) 1888. Mit 5 Taf. 2 A. MENGE, Myriapoden der Umgegend von Danzig. 1852. pag. 13—19. Mit 2 Tafeln. 3 A. S. PACKARD, Entomology for Beginners. 1888. pag. 57. 4 J. A. RypeEr, Scolopendrella as the Type of a new order of Articu- lates (Symphyla). American Naturalist. XIV. 1880. pag. 375. Die Abdominalanhänge der Insekten. 333 Insekten vereinige, scheint diese eigenthümlichen Gebilde selbst über- sehen zu haben und hat auch in seiner späteren Publikation! MenGr’s Angaben darüber nicht in seine theilweise Übernahme von des Letz- teren Arbeit hineingezogen. In einer besonderen Abhandlung über Scolopendrella beschrieb erst J. Woop-Mason? als an allen beintragenden Segmenten mit Aus- nahme des 1. und vielleicht auch des 2., 11. und 12. vorkommend. »a pair of huge two-lipped apertures, surrounded by a circular wall, the summit of which is defended by a circlet of moveable spines«. Diese Öffnungen lässt er in Drüsen führen, welche den » Nephridien von Peripatus und den Driisentaschen yon Machilis und Campodea homolog seien «. In seinem gediegenen Myriopodenwerk erwähnte R. LATZEL3 die in Rede stehenden Bauchsäckehen als je ein »Paar, oft spaltförmig geöffneter Wärzchen der Bauchschilde« und nannte sie in der Tafel- erklärung »taschenförmige Organe von unbekannter Bedeutung«. Der nächste Monograph der Gattung, B. Grassıt, fand, dass die Bauchsäckchen, die er als vescicole ventrali oder segmentali be- zeichnet, bei Sc. immaculata am 1. und 12. Beinpaar fehlen, am 2. und 11. vielleicht rudimentär vorhanden sind. Er nannte sie ihrer Lage nach »interne ed alquanto posteriori rispetto alle zampe, . . . posteriori ed alquanto interne rispetto alle pseudozampe«. Uber ihren Bau giebt Grassi an, dass der distale, einziehbare Theil der Säckchen aus glatter Cuticula »senza evidente ipoderma«, der nicht einziehbare aus unebener Cuticula mit deutlicher Hypodermis besteht und die Basis einfach »d’un strato di cellule grosse e piuttosto pi- atte« gebildet ist. Dies Lager großer (drüsiger) Zellen erscheine unterbrochen oder werde wenigstens sehr fein in einer gekrümmten Linie, in welcher die Blase direkt mit der Leibeshöhle zu kommu- nieiren scheine; »mentre nel resto della base, sui tagli, tra il eavo della vescicola e la muscolatura del corpo s’interpone l’or descritto 1 J. A. Ryprer, The structure, affinities and species of Scolopendrella. (Proceed. Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1881.) pag. 79—86. 2 J. Woop-Mason, Notes on the structure, postembryonic development and systematic position of Scolopendrella (Ann. Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883). pag. 61. 3R. LATZEL, Die Myriopoden der österr.-ungar. Monarchie. II. 1884. pag. 17. Taf. Pig. 8 x. 4 B. Grassi, Morfologia delle Scolopendrelle (I progenitori degli insetti e dei miriapodi. I.). Torino (1886). pag. 12—13. 22* 334 Erich Haase strato cellulare in corrispondenza alla or indicata linea, la musco- latura mostrasi direttamente a contatto con la cavita vescicolare«. Da besondere Muskeln fehlten, müsse man annehmen, dass die Säck- chen sich passiv durch Füllung mit Blut ausstülpten und durch Aus- tritt des letzteren wieder zurückträten. — Am äußersten Ende der Cuticula des Säckchens befände sich »una specie di bottone«, die sich nicht selten stark färbte, so dass man an die Gegenwart eines großen Kerns denken müsse. Fast alle diese Angaben bedürfen der Berichtigung. Um vorerst Klarheit über die Zugehörigkeit der Ventralsickchen zu einem bestimmten Körpertheil zu geben, genügt eine kurze Schil- derung des ventralen Hautskelets (vgl. Fig. 7). Am ersten Körpersegment von Scol. immaculata Newp., die mir als Hauptobjekt der Untersuchung diente, sind die Hiiften des nahe an den Kopf herantretenden Laufbeinpaares scharf von der übrigen Bauchfläche | abgesetzt, am Innenwinkel abgerundet zugespitzt und einander bis auf einen Zwischenraum von nur 0,01 mm! genähert (Bien Bei diesem nahen Aneinanderrücken der Hüften kommt es nicht zur Bildung einer scharf umschriebenen, besonders chitinisirten Ven- tralplatte, sondern die intercoxale Sternalfläche wird nur von der gewöhnlichen weichen Verbindungshaut gebildet, die vorn und hinten nur faltig begrenzte Zwischenschilde darstellt. — Am zweiten Kör- persegment ist das Hüftglied innen nicht mehr so scharf vom Kör- per abgesetzt, sondern geht mit breiter flacher Basis allmählich in die Rundung des letzteren über. In der Verlängerung der trichter- förmigen Hauteinstülpung, an die sich die eine hufeisenförmige Figur bildenden, nach hinten vorspringenden Apodemata ansetzen (Fig. 7 II ap.), welehe von RyDEr und Woop-Mason irrthümlich für Tra- cheen angesehen wurden, verläuft über die Hüfte eine zarte Kerbe hin. Diese schneidet nach innen eine lang ovale, etwas geschweifte Platte ab, welche, obwohl ursprünglich zur Hüfte selbst gehörig, doch als besondere Belegplatte über der Verbindung mit dem Rumpf angesehen und als Episternum bezeichnet werden kann (Fig. 7 LJ ep.). Am äußeren Hinterrande dieser Episternalplatte liegt eine mit dem Basalende. der Hüfte noch innig verwachsene, flache, rundliehe Auf- treibung (Fig. 7 ZZ s.), die wie die Episternalplatte mit einzelnen ! Die Angabe der Maße geschieht nach einem erwachsenen i oa vou 6 mm Länge. Die Abdominalanhänge der Insekten. 335 längeren Borsten besetzt ist. Am Querschnitt dieser Auftreibung erkennt man unter der von der sonstigen Cutieula in nichts unter- schiedenen Chitinhaut eine dichtere Anhäufung von Matrixzellen, von denen wie gewöhnlich nur die Kerne durch Färbung hervortreten. Am dritten Leibessegment, das dem Metathorax der Hexapoden entspricht, tritt die bis zum elften herrschende Ausbildung der Co- xalpartie schon in aller Bestimmtheit auf. Die Epimeren sind von dem Hiiftstamm nach außen und hinten durch eine breite Furche abgetrennt, und .bilden so eine selbständige Platte (Fig. 7 III ep.). Der im zweiten Segment zuerst deutlich erkennbare beulenartige Hüftanhang entwickelt sich vom dritten Rumpfgliede an zu einem länglich runden, stark über die Hüftebene vorspringenden Säckchen von 0,08 mm Länge und 0,036 mm Breite, das einer in der Mitte eingestülpten Kappe gleicht. Die basalen Wände dieses Hüft- siickchens werden von der gewöhnlichen, mit feinen Körnchen besetzten Chitinhaut gebildet, während der ausgedehntere, nach innen zurücktretende Boden aus glasklarer, zarter, vollkommen glatter Chitinhaut besteht. Wenn die Wände gegen einander zusammen- treten, wird die weiche Säckehenmitte fast vollkommen in den Leib hineingedrängt und der Zugang zu ihr nur mehr durch einen schief durchgehenden, am Vorderende dreieckig klaffenden Spalt bezeichnet, über den sich noch die Borsten auf den Klappenrändern schützend herüberlegen (Fig. 7 III sac.). Soleh entschiedener Verschluss tritt besonders häufig bei Thieren ein, welche lebend in heiße Glyceringelatine eingeschlossen wurden: hingegen stülpen sich die Taschen als zart blasige Auftreibungen bis zur Höhe der Kappenwände hervor, wenn man die lebenden Thiere in erwärmten 50—70 %igen Alkohol wirft. Zur Untersuchung des Baues der Coxalsickchen eignen sich solche Exemplare ganz besonders. Die Zahl der erwähnten Borsten auf den Klappenrän- dern beträgt bei jungen Thieren je drei, bei älteren je vier, und wächst nach hinten zu allmählich bis zum drittletzten Segment. An Schnitten durch das dritte Segment lässt sich der allmäh- liche Übergang der Säckchenmitte (Fig. 10 med.) in die Taschen- wände (Fig. 10 %.), eben so an der Chitincuticula als an der Matrix- lage und ihrer fein längsgestreiften Basalmembran verfolgen. Die Chitinhaut des Säckchens ist meist in der Längsachse des Körpers fein gefältelt (Fig. 10 med.); als Beweis für ihre außerordentliche Quellungsfähigkeit lässt sich anführen, dass sie sich oft mit Alaun- karmin, ja selbst mit Hämatoxylin gleichmäßig intensiv färbt. Zu 336 Erich Haase ihrer Matrixlage gehören ovale dicke Riesenkerne von 0,01—0,015 mm Länge, die sich sehr stark färben (Fig. 10 ».g). Um diese Riesen- kerne herum liegt ein aus tingirbaren, gelblichen, stark lichtbrechen- den Körnchen bestehendes Plasma, das an den Inhalt von Drüsenzellen erinnert. In keinem der verschiedenen Präparate ließen sich die Grenzen der Zellen erkennen, zu welchen die Riesenkerne gehören; es scheint hier somit wie bei den viel kleineren und flacheren Ker- nen der gewöhnlichen Hypodermis ein Syneythium ausgebildet zu sein. Im Inneren des ausgestülpten Säckchens liegt eine bedeutende Blutmasse, welche durchaus mit der des Rückengefäßes überein- stimmt. Dies Blut stammt besonders aus dem Lateralsinus und den Bluträumen um den Bauchstrang, dringt in den Maschen des Binde- gewebes bis zu den Hüftsäckchen durch und bewirkt, durch Leibes- kontraktionen in dieselben hineingetrieben, die Füllung und das Her- vortreten dieser zarthäutigen Taschen. Mit dem Blut tritt noch meist ein Theil des darunter liegenden Fettkörpers in die Ausstülpung hinein. — Sonst fanden sich noch manchmal scheinbar bindege- webige, zarthäutige, kernarme Membranstränge, welche sich vom Fettkörper bis an die distale Wand des Säckchens fortsetzten; von Nerven wurde nur ein zarter, an den Rückziehmuskel verlaufender Zweig nachgewiesen. Das Einziehen des Säckchens geschieht mit dem Aufhören der Wirkung der Bauchpresse und mit der damit verbundenen Rück- strömung des Blutes, und wird durch die Zusammenziehung eines sich einerseits an die innere Klappenhälfte, andererseits an die Ven- tralfliche des Hüftstammes ansetzenden, 0,006 mm breiten, deutlich quergestreiften Muskels (Fig. 10 m.) unterstützt, der auch den fast vollkommenen Schluss der Wandklappen bewirkt. Da sich neue Somite vor dem später dreizehnten Segment durch von vorn nach hinten fortschreitende Sprossung einschieben, lässt sich an unausgebildeten Thieren auch die allmähliche Entwicklung der Hüftsäckchen verfolgen. Die ganze Einrichtung bestand an dem zehnten Segment eines solchen Stückes mit zehn Beinpaaren in einem flachen Buckel von ovaler Form (Fig. 8 sac.), der mit feinen Höcker- chen besetzt war wie die übrige Haut, aber noch keine Borsten trug. Einen ähnlichen Bau zeigen die Coxaltäschehen auch am zwölften beintragenden Segment erwachsener Thiere (Fig. 1 XJZ), wo sie nur flache, fein gekörnte, spärlich beborstete Auftreibungen der weichen Verbindungshaut des Innenrandes der Hüften darstellen und den Winkel zwischen den scharf vorspringenden Hinterecken der eben- Die Abdominalanhänge der Insekten. 337 falls verkümmerten Episternen und der Basis der Coxalgriffel aus- füllen. Im Querschnitt lassen sich aber auch bei ihnen 1—2 Riesen- kerne der Matrix nachweisen, deren umgebendes Plasma allerdings noch nieht die grobe Körnelung zeigt, die an den vorderen Seg- menten auffällt. An der ersten Anlage der Beinanhänge tritt das Endglied als lang ovaler Stummel deutlich hervor (Fig. 8 ru), da die Gliederung basalwärts vorschreitet; die erste Anlage der Coxalsickchen scheint somit erst nach der Häutung und dem Hervortreten des fertig ge- bildeten krallentragenden Beines zu entstehen. Durch die von Anfang ausgesprochene Verkümmerung der Glie- der des zu einem Sinnesapparat umgewandelten Beinrudimentes am dreizehnten Segment bleibt hier die Anlage der Coxalsäckchen ganz unterdrückt. Auch bei Scol. nothacantha Gery. und Se. nivea Scop. entwickeln sich Coxalsiickchen; bei letzterwähnter Art sind sie breiter als bei Se. maculata, weiter geöffnet und mit spärlicheren Randborsten be- setzt. Auch hier verkümmern sie schon am zwölften Segment. Die von Grass behauptete Kommunikation der Hüftsäcke mit der Leibeshöhle durch einen schmalen Schlitz kann ich nicht be- stätigen, vielmehr ist die Verbindung mit den Bluträumen überall neben dem schiefen Bauchplattenmuskel, der nach Grassı die Höh- lung der Säckchen innen schließen sollte, weit und offen. 2) Diplopoda (Fig. 25—27). Bei dieser Myriopodenordnung machte zuerst R. LATZEL auf ausstülpbare Bläschen in der Unterordnung der Chilognathen auf- merksam; so erwähnte er |. c. pag. 52 »drüsige Gebilde in den Hüften der Beine« und führte pag. 172 an, dass bei den Chordeu- miden »die meist langen Beine theilweise durchbohrte Hüften haben, nur lange nicht so auffällig wie die Lysiopetaliden«. Von Lysio- petalum bemerkte er, dass »das Hüftglied des 3.—16. Beinpaares ausstülpbare Wärzchen (Drüschen?) besitze«. Bei Lys. degenerans Latz. fehlten die Wärzchen; bei Lys. illyricum Ltz. seien sie lang vorgestülpt; bei Lys. faseiatum Latz. säßen sie vom 3. bis zum 14. Beinpaar; bei Lys. carinatum Br. (und L. insculptum L. Koch) kämen bis zum 16. Beinpaare »ausstülpbare weißliche Warzen« vor; bei Lys. anceps Ltz. seien sie weniger deutlich. 338 Erich Haase In der Familie der Polyzoniden erwähnte zuerst FR. MEINERT! bei Polyzonium germanicum Br. in den Hüften gelegene, » zurück- ziehbare Fortsätze« von ungefährer Länge des dritten Gliedes; die- selben kommen nach R. Larze |. e. pag. 360 vom dritten Bein- paare an vor und werden als »vorstiilpbare Haftwarzen« bezeichnet. Bei Chordeumiden fand ich die von LATZEL erwähnten »durch- bohrten Hüften« nur bei Männchen an dem zweiten Fußpaare des Kopulationsgürtels und den zwei folgenden des nächsten Doppelseg- mentes mehrerer Arten von Craspedosoma wieder. Bei Cr. Rawlinsii Leach, wo sie frisch untersucht wurden, treten sie in den Hüften der Beinpaare des achten Gürtels, die sich durch ihre dunkle Pig- mentirung auszeichnen, als graubraune flache Einsenkungen auf, die von einer weichen, am Rande radial gefalteten Haut überzogen sind (Fig. 27 b). Am Innenwinkel der Hüfte tritt bei ganz geringem Druck des Deckgläschens auf das frisch ausgelöste Bein eine schna- belartig vorspringende, von fein gehöckerter Chitinhaut gebildete Hautduplikatur vor, die in der Mitte von einem ziemlich weiten Schlitz durchbrochen ist, und bei etwas stärkerem Druck quellen diese Hautfalten bis zu 0,12 mm Länge als glashelle, von homogener, äußerst zarter Chitinhaut gebildete Blasen hervor, die mit dicken, drüsigen Epithelzellen ausgekleidet sind und im Inneren röthlich glänzende Sekretkugeln, vielleicht fettartiger Natur, von 0,008 mm Durchmesser führen. Bei allmählich verstärktem Druck tritt aus dem vorgestiilpten Hüftsäckchen ein öliger Tropfen vor, den ich sich bilden und vergrößern sah, obwohl ich an der krystallklaren Cuti- cula keine Poren nachweisen konnte. An die Wand des Säckchens setzen sich zahlreiche, bis 0,004 mm dicke, oft deutlich quer ge- streifte Muskeln an. Bei manchen der zur Brunstzeit (Mitte April) untersuchten Männ- chen sprang bei dem Druck auf diese Hüfttaschen eine unregelmäßig gestaltete, oft etwas gebräunte, ovale Masse von gummiartigem Aus- sehen vor, die sich nur schwer zerdrücken ließ und in ihrem Inne- ren zahlreiche bohnenförmige, sehr stark lichtbrechende Körperchen von 0,0015 mm Länge enthielt, die ich für Spermatozoen ansehen möchte, welche durch ein wohl schon theilweise in den Geschlechts- ausführgängen gebildetes Sekret zu einer Samenpatrone vereinigt sind (Fig. 27 a, sp). Eben solche Samenpatronen fand ich auch in den 1 Fr. MEINERT, Tilläg til Danmarks Chilograther (Polyzon. germanicum) (Naturh. Tidsskr. 3. R. Bd. VJ. 1869—70). pag. 460. Die Abdominalanhänge der Insekten, 339 Überträgern (ped. copulat.) eines während der Begattung getödteten Männchens von Cr. Rawlinsii, sowie ebenfalls in einer Länge von 0,065 mm in den Hüftrudimenten des zweiten Kopulationsfußpaares im siebenten Körpergürtel im Herbst getödteter Stücke von Cr. muta- bile Ltz., var. fasciatum. Von Lysiopetalum untersuchte ich leider nur Alkoholexem- plare, so besonders von Lys. anceps Latz., einer Art, die in feuch- ten Kellern Triests nicht selten ist. Hier sitzen die ausstülpbaren Bläsehen in beiden Geschlechtern an den Hüften des 3.—16.. Bein- paares und treten wie im Leben auch an den konservirten Stücken meist deutlich vor, was die Coxalsäcke der Chordeumidenmännchen nieht thun. Die ausgestülpten Säckchen waren an dem vierten Gürtel bis 0,4 mm lang und 0,15 mm breit, während sie eingestülpt eine spitze Tasche von 0,3 mm Länge bildeten; sie färbten sich mit Pikrokarmin lebhaft roth. Die Cuticula der Säckchen (Fig. 25) ist glashell, am distalen Ende vollkommen glatt und ohne alle Poren; darunter liegt eine dünne Hypodermislage, deren Kerne sich schwer färben und nur 0,002 mm lang sind. In den Sack tritt eine bedeutende Blutmenge hinein, die in der Endhälfte eine leimartig durchscheinende, gelbliche, zähe Substanz bildete, an der sich nur an dünneren Schnitten die Zusammensetzung aus feinen Körnchen zeigte (Fig. 25 sang.); in der Basalhälfte, wo sie grobkérniger und lockerer ist, finden sich in ihr große Blutkörperchen zerstreut. Die Hüftsäcke werden durch ober- flächlich gelegene Muskeln zurückgezogen, die aus 6—8 Strängen von je 0,006 mm Breite bestehen, deutlich quergestreift sind und meist von der Vorderseite der Hüften an das Ende des Siickchens verlaufen (Fig. 25 musc.). Auch hier ließ sich ein bindegewebiger Zellstrang an der Außenseite des Säckchens erkennen (Fig. 25 con7.). Von den Tracheen (Fig. 25 ir.) gehen zwar einige zarte Äste in die Hüften, in das Säckchen treten aber keine hinein. Bei Lys. fasciatum Latz. aus Serbien sind die Säckchen von deutlicherem Matrixbelage ausgekleidet, der 0,003 mm dick ist und flache Kerne von 0,004 mm Länge enthält; die glasige Chitinhaut ist sehr zähe und 0,001 mm dick. Durch eine mittlere Einkerbung und den Ansatz der kräftigen Rückziehmuskeln an zwei Punkten der Säckchen bekommen letztere in dem halb ausgestülpten Zustande, wie sie das Alkoholmaterial zeigte, eine zweizipfelige Form. | Bei einer Siphonophora-Art von den Molucken beträgt die Länge des Säckchens, das vom dritten Beinpaar an sich auf den 340 Erich Haase meisten Segmenten wiederfindet, bis 0,18 mm. Ähnlich wie bei Lysiopetalum wird es von vier zarten Rückziehmuskeln durchzogen, bildet die eingetretene Blutflüssigkeit eine gelbliche, zähe, gummi- artige Masse mit wenigen größeren Blutkörperchen darin, ist die Matrix schwach entwickelt, die Cuticula glasig und zäh. In der Hüfte verlaufen viele Tracheen, von denen einige sogar in einer Schleife die Basalhälfte des Coxalsäckchens durchziehen, doch sah ich keine in letzterem sich verästeln. Auch bei Polyzonium germanicum Br., das lebend unter- sucht wurde, finden sich in den Hüften ausstülpbare Säckchen auf der Mehrzahl der Segmente vom dritten Beinpaare an. Sie nehmen die innere Hälfte des Hinterrandes der Hüfte ein und ihr mit glatter glasklarer Cuticula bedeckter distaler Theil ist 0,025, der mit länge- ren Dornen besetzte basale 0,04 mm hoch. Sie sind nur in geringem Maße ausstülpbar und die Rückziehung wird durch 4—6 feine Muskel- stränge besorgt, die von der Spitze des Säckchens an die Innenseite der Coxalwand verlaufen (Fig. 26). Auch hier sind die Siickchen mit Blutflüssigkeit gefüllt und vollkommen ohne Tracheen. 3) Thysanura (hierzu bes. Fig. 2—4). In dieser Ordnung der Synaptera Pack. (= Apterygogenea Br.) sind die Ventralsäckchen in höherem Grade ausgebildet, schon länger bekannt und verdienen besondere Aufmerksamkeit. In der Besprechung der einzelnen Gattungen ist stets folgende Reihenfolge eingehalten worden: Campodea, Japyx, Nicoletia, Ma- chilis, Lepismina, Termophila, Lepisma. 1) Campodea (hierzu Fig. 2, 11, 14—16). Fr. MEINERT! beschrieb zuerst vom 2.—7. Hinterleibssegment »eine taschenförmige Ausstülpung, die meist zurückgezogen sei und desshalb übersehen wurde. Sie bestehe aus einer dünnen feinen Haut und, wenn sie ausgestülpt sei, sehe man ihre Spitze mit einem Drüsenhaufen angefüllt; auch ein Muskel befestige sich inwendig«. In einer eingehenden Abhandlung giebt B. Grassi? über die 1 Fr. MEINERT, Campodeae, en familie af Thysanurernes orden (Nat. Tidsskr. 3. R. II. Bd. 1864—1865). pag. 425. 2 B. Grassi, L'Japyx e la Campodea (Atti dell’ Acad. Gioenia Gi Sc. Nat. Ser. 3%. vol. XIX. Catania 1886). pag. 52—53. Die Abdominalanhänge der Insekten. 341 Bauchsäckchen (vescicole addominali [segmentali]; an, dass sie sich in dem Intersegmentalraum vom 2. und 3. bis zum 7. und 8. Hinter- leibsringe finden und als Bläschen anzusehen sind, die weit mit der Leibeshöhle kommunieiren, Blut enthalten und meist zurückgezogen erscheinen. Ihre Decke bestehe aus ganz feiner Cuticula ohne Po- renkanälchen. Am Ende fänden sich »cellule grosse, probabilmente di natura ghiandolare«, an der Spitze »una cellula ovoidale che da un prolungamento verso il centro della vescicola«; diese Verlänge- rung gehe über in »una piccola massa lievemente granulosa e sparsa di 203 nuclei (2 0 3 cellule pluripolari, adossate l’una all’ altra?)«; dass diese Masse nervöser Natur ist, hält Grasst für sehr wahrscheinlich. Weiter erwähnt er drei Längsmuskeln, die vom Ende des Bläschens bis zum vorderen Segment verlaufen. In einer wenig späteren Arbeit über Campodea beschrieb N. B. Nassonow ! die Ventralsäckchen als »Abdominaldrüsen«, scheint die- selben jedoch nur in ihrem eingezogenen Zustande kennen gelernt zu haben, da er |. e. pag. 37 zugiebt, die Ausstülpung am lebenden Thier nie gesehen und nur »auf Wirkung von Reagentien beobachtet zu haben, welche die Kontraktion der Muskeln verursachen«. So ist es Nasso- now denn auch entgangen, dass gerade die Einziehung der Ven- tralsäcke ein Willensakt des Thieres ist. Wie Grass giebt auch Nassonow das Vorkommen besonderer, sich durch ihre Größe be- sonders auszeichnender Drüsenzellen »zwischen den Plattenepithelien « an (vgl. seine Fig. 36 d). »Jede Drüse habe Birnform; das schmale Ende könne nur auf dünnen Schnitten gesehen werden.... An diesem schmalen Ende bilde die Chitinschicht eine Öffnung, durch die das Exkret der Drüse einen Zugang in die Sackhöhlung habe.« Das Resultat meiner Untersuchungen an derselben Art ist fol- gendes: Am lebenden Thiere sind die am Hinterrande der 2.—7. Bauch- platte auftretenden paarigen Säckchen oft herausgestülpt, am abge- flachten Ende meist in gekrauste Falten gelegt und schmutzig gelb- braun gefärbt. An sehr großen Alkoholexemplaren aus Kärnthen, die ich der Güte des Herrn Dr. R. LATZEL verdanke, war, von vorn nach hinten zu an Intensität des Tons abnehmend, die Basis der stark hervorgetretenen Sickchen schmutzig lauchgrün, ihre Mitte zart olivengrün und ihr etwas wulstig übertretendes Endstück weißlich gefärbt, was ich an norddeutschen Thieren nie bemerkt habe. ı N. B. Nassonow, Zur Morphologie der niedersten Insekten, Lepisma, Campodea und Lipura. 1887 (russisch). 342 Erich Haase Am zweiten Hinterleibssegment sitzen die größten Abdominal- säcke, welche bei Thieren von 6 mm Körpermaß selbst eine Länge von 0,06 und eine Breite von 0,028 mm erreichen. Während die Entfernung der Bauchsäcke von einander bis zum Hinterrande der siebenten Abdominalplatte relativ gleich bleibt, nimmt ihr Durchmesser allmählich nach hinten ab und beträgt am siebenten Hinterleibssegment nur 0,018 mm. Die Form der vollkommen ausgestülpten Säckehen ist walzenförmig, 2—4mal so lang als breit, von der Basis an schwach verjüngt, vor dem Ende aber scheibenartig verbreitert. Die Chitinhaut ist an der Endfläche sehr zart, glatt und fein radial gefältelt, am Stamm fein gekörnelt; klappenartige Deckstücke fehlen der Wand vollkommen. Unter der Cuticula liegen am Ende des Säckchens meist 3—5 Riesenkerne bis zu 0,01 mm Durchmesser (Fig. 15 ».g.), welche von Grassi und Nassonow als Drüsenzellen angesehen wurden; die von Letzterem angegebenen »Ausführgänge« muss ich mit B. Grassı bestreiten. Die Riesenkerne sind am Rande (fast 0,001 mm breit) hell kontourirt, wie das auch an den gewöhn- lichen Matrixkernen bei Scolopendrella vorkommt; es ist dies wohl eine Wirkung der zusammenziehenden Eigenschaft des Alkohols. Um die ovalen Riesenkerne herum erscheint das syneythiale Plasma stärker lichtbrechend und mehr gelblich als das der gewöhnlichen Matrixzellen, doch nimmt diese Eigenart des Plasma mit der Größe der Kerne nach der Basis der Säckchen ab. Die Riesenkerne färben sich mit Hämatoxylin und Alaunkarmin viel heller roth als die Kerne der Matrix und erinnern darin an die Fettkörperkerne. Der nach außen von der schwer erkennbaren Basalmembran begrenzte Hohl- raum des ausgestülpten Sackes ist besonders mit Blut angefüllt, das dicke, stark lichtbrechende, trüb blassgelbe oder gelbrothe Massen koagulirter Körnchen bildet, in denen einzelne größere Blutzellen herumschwimmen, und genau dem des Rückengefäßes gleicht. Hinter dem »Blutpfropfen« liegen eingetretene Fettkörpermassen, deren am frischen Thier mit ölartiger Flüssigkeit gefüllte Vakuolen sich an Alkoholpräparaten entleeren und auf Schnitten leicht helle Kerne vortäuschen können. An das Ende der Säckchen setzen sich die schon von GrRassı erwähnten drei Muskeln an (Fig. 11 und 15), die außerhalb von den geraden Längsmuskeln verlaufen und nahe dem Vorderrande der Bauchplatte entspringen, zu welcher die Ventral- säcke gehören. Der äußerste von diesen Muskeln (Fig. 15 »,) ist 0,005—0,007 mm breit, und bis zum Ende deutlich quergestreift; an ihn setzt sich ein ziemlich starker Nervenast an. Die beiden Die Abdominalanhänge der Insekten. 343 anderen Muskeln (Fig. 15 mg.) sind nur 0,003—0,005 mm breit und färben sich zart rosa, doch lässt ihr grober Fibrillenbau und die nahe ihrem basalen Ansatzpunkte deutlich auftretende Querstreifung über ihre Natur keinen Zweifel. Das Matrixplasma ist an den etwas verbreiterten Ansatzstellen der Muskeln ungewöhnlich dicht. Im Inneren des Säckchens liegt ein schon von Grassi bemerkter und als nervöses Element angesehener Zellstrang, dessen stark lichtbrechende, wenn auch dünne Wandung an Tracheen erinnert (Fig. 15 cony.). Derselbe besteht jedoch nur aus einem Bindegewebsstrange mit inne- ren Kernen, wie solche häufig an den zipfelförmigen Endfortsätzen der Fettkörperhülle auftreten. Der Strang erweitert sich in der Mitte des Bauchsackes bis zu 0,008 mm; seine Kerne liegen an dieser Stelle, oberhalb deren eine Gabelung in zwei dünnere Zweige eintritt, zu 4—9 nahe bei einander, sind am oberen Ende eigen- thümlich zugespitzt und bei Behandlung mit Alaunkarmin nur hier gefärbt. Am Vorderende scheint der Strang sich mit der Fettkörper- membran zu verbinden, während er am hinteren nach einigen Win- dungen, die vielleicht bei der vollkommenen Vorstülpung der Säcke ausgeglichen werden, in eine sich kapuzenartig an die Basalmem- bran anheftende, mit einzelnen Kernen versehene Scheide übergeht. So ist dieser Bindegewebsstrang wohl als inneres Gerüst für die durch Blut ausgedehnten Ventralsäckehen anzusehen, auch ließ sich in seinem Hohlraum durchaus kein besonderer Inhalt von Blut ete. nachweisen. Vom 3.—7. Abdominalringe werden die Säcke allmählich kleiner, besonders schmäler, auch tritt die reine Blutfüllung mehr hervor. Am Hinterrande des achten Bauchschildes liegen in der Mitte zwei ovale, von vorn nach hinten konvergirende zartwandige Bläs- chen, welche an allen Stücken unrein durchscheinend waren und gerade über die unter und hinter ihnen liegende Geschlechtséffnung hervorragten (Fig. 16). Diese Säcke sind im Inneren prall mit Blut gefüllt, auch zeigen sie an ihrer nach vorn umgebogenen Außenseite wie die Ventralsäcke der vorhergehenden Segmente einen starken, sich an die Bauchplatte des achten Segmentes anlegenden Rückzieh- muskel (Fig. 16 reir). Zwar fehlen ihnen die Riesenkerne, doch treten letztere auch an den vorhergehenden Segmenten schon zurück. So gehören wohl auch diese medianwärts gegen einander zusammen- rückenden Blasen zu den Ventralsäcken, und ihre besondere Um- bildung scheint besonders durch ihre Lage auf einem der letzten Seg- mente und in der Nähe der Geschlechtsöffnung bedingt worden zu sein. 344 Erich Haase An manchen Alkoholstücken, besonders bei erwachsenen Weib- chen, sieht man über der Kuppe des Bauchsackes eine geronnene, gelbliche, stark lichtbrechende klare Substanz, die, wie später bei Machilis gezeigt werden soll, vielleicht auf geronnenes Serum zurück- zuführen ist. 2) Japyx (Fig. 3, 17—19). Von dem am meisten verbreiteten Vertreter der Gattung, J. so- lifugus Hal., erwähnte Fr. MEINERT!, dass der Hinterrand des er- sten Bauchschildes sich »vor den anderen durch ein Paar flache Vor- sprünge jederseits einer mittleren warzenförmigen Vorragung unter- schiede, die mit längeren Borsten besetzt seien«. Weiter beschrieb B Grassi? bei derselben Art an der Bauch- platte des ersten Abdominalsegmentes » papille speciali«, die in beiden Geschlechtern gleich seien und aus einer mittleren und zwei lateralen Erhebungen bestiinden; die letzteren seien kurz, breit und mit zahl- reichen und längeren Haaren besetzt, die mittlere schmäler und mit wenigen sehr kurzen Haaren versehen; an jede dieser drei Papillen gehe ein Nervenstrang. Weiter beschreibt derselbe eine in manchen Punkten abweichende Form aus Sicilien von 3,5—4 mm Länge, J. Isabellae, die »per lo meno« am zweiten und dritten Abdominal- ringe innerhalb der Bauchgriffel »Abdominal- oder Segmentalblasen besitze, die denen der Campodeen ähnlich wären«. In seiner größeren Arbeit über die Thysanuren wiederholt B. Grassi? diese Angaben dahin, dass er für J. solifugus das voll- kommene Fehlen, für J. Isabellae das Vorkommen von Bauchsäck- chen am zweiten und dritten Abdominalsegmente bestätigt und für letztere Art (wie für Campodea und Nicoletia) den wahrscheinlichen Besitz eines Nervenfadens mit distaler Endigung, das Vorhandensein einer sehr zarten Cuticula und sehr wahrscheinlich drüsiger Zellen angiebt. Mein Untersuchungsmaterial bestand aus leider wenigen und zum Theil defekten Stücken mehrerer Arten. Bei J. gigas Brauer aus Cypern, einer Art von 23—26 mm Linge, tritt an der ganzen Bauchplatte des ersten Abdominalseg- mentes jederseits des schmalen, etwas eingesenkten Mittelschildes eine | 1 Fr. MEINERT, Campodeae etc. (Nat. Tidsskr. 3. R. Bd. III. 1864—1865.) pag. 418. 2 B. Grassi, lJapyx ete. (Catania 1886) pag. 18. 3 B. Grassi, Anatomia comparata dei Tisanuri. ([1887.] 1888.) pag. 38. Die Abdominalanhänge der Insekten. 345 flache Vorwölbung der Seitentheile auf (Fig. 19). Am Hinterrande liegen jederseits des nur 0,125 mm breiten mittelsten Stückes, das eine einfache dünne Duplikatur der Ventralhaut darstellt, drei scharf begrenzte, von einer bindegewebigen Membran umschlossene Drüsen- zellmassen (Fig. 19 gland.\, welche selbst in zurückgezogenem Zu- stande den Plattenrand noch überragen und von einer schmalen Ringfalte (@.) eingeschlossen sind. Die äußerste Drüsenmasse ist bei 0,25 mm Länge 0,135 mm hoch und an den Vorderecken abge- rundet. Die mittlere bildet einen eher abgerundet rechteckigen Körper von 0,23 mm Länge und 0,13 mm Höhe; die innerste ist flach und quer gestreckt, 0,26 mm lang und nur 0,09 mm hoch. Die beiden äußeren Drüsenmassen sind an ihrer freien Hinterfläche sehr dicht, die innerste spärlicher mit starren, spitzen, gelben Börst- chen besetzt, die bis 0,03 mm lang werden und deren an der mitt- leren Masse gegen 100, an der äußersten über 200 vorkommen. Die Drüsenzellen sind trübe durchscheinend, von gelblicher Farbe. Jederseits des mittleren einfachen Bauchplattenstückes setzt sich ein ganz oberflächlich gelegener Muskel an die dorsale Seite der Hinterwand. Eben so tritt zwischen die innerste und über die mitt- lere Drüsenmasse ein stärkerer, am vorderen Ansatz (im ersten Drittel der Bauchplatte) in acht Stränge zerfallender und zwischen die mittlere und die äußere Drüsenmasse ein noch kräftiger ent- wickelter Muskel. Letzterer setzt sich in der Nähe des mittleren Muskels in ebenfalls mehreren Strängen an und tritt wie der innerste am hinteren Ende mit scharfer keilförmiger Zuspitzung an den Bauch- plattenrand. Außer diesen Muskeln finden sich noch jederseits zwei ca. 0,001 mm breite zarte längere Stränge, die über den stärkeren Zügen vom vordersten Drittel der Bauchplatte gegen die zugespitzten Köpfe der beiden äußersten Muskeln verlaufen; endlich liegt vor der äußersten Drüsenmasse ein kurzer breiter, in der Mitte eingeschnürter Stamm, der sich hinten in der Nähe der Drüsenhülle ansetzt. An den äußeren der starken Längsmuskeln verläuft ein deutlicher Ner- venstrang (Fig. 19, der innere nerv.). Auch an der zweiten Abdominalplatte (Fig. 18) ist die nach vorn einspringende Duplikatur des Hinterrandes noch 0,16 mm breit. Leider war das untersuchte Stück, welches ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Fr. BRAUER verdanke, gerade an diesem Segment stark macerirt, so dass sich nur noch das Vorhandensein einzelner der im ersten Abdominalsegment nachgewiesenen Muskeln feststellen ließ. So fand sich der schlanke, sich üher der äußeren Drüsenmasse 346 Erich Haase ansetzende Strang wieder und eben so Reste des über dieser Masse gelegenen und des innerhalb von ihr an den Plattenrand herantreten- den Muskels. Sonst ließ sich nur eine in Verlängerung der äußeren Drüsenmasse gelegene, ihr wohl entsprechende weichhäutige, mit ganz glatter, zarter Chitinhaut bekleidete schwache, 0,1 mm breite Vorstülpung der Intersegmentalhaut erkennen (Fig. 18 sac.), deren Inhalt sich auf Längsschnitten als aus Fettkörper und Blutmassen bestehend erwies und die somit ihrer Lage und ihrem Bau nach den Bauchsäcken von Campodea gleichzustellen wäre. Am dritten Abdominalsegment ist die Hinterrandsduplikatur der Bauchplatte an den Seiten auf 0,03, in der Mitte auf 0,01 mm zu- rückgegangen, um auf den nächsten Ringen allmählich ganz zu ver- schwinden. Bei J. solifugus Hal. liegt an der Bauchseite des ersten Ab- dominalsegmentes jederseits eine durchgehende, 0,3 mm lange und 0,08 mm breite flache Vorwölbung, die durch einen 0,45 mm brei- ten Raum getrennt wird. Auf jeder Vorwölbung stehen 20—30 lang spießförmige, bis 0,03 mm lange hohle Borsten. Eine ziem- lich schwache Längsmuskulatur verläuft über der Mitte der Vor- wölbung und außerhalb derselben an den Hinterrand der ersten Bauchplatte, und so scheint die Beweglichkeit der letzteren sehr gering zu sein. Ber Bau der Drüsenmassen am ersten Hinterleibsringe von J. gigas wurde an Längsschnitten untersucht (vgl. Fig. 17). Die auf der Cutieula stehenden Härchen (se¢.) sind gelblich und bis zur Spitze von einem weiten Kanal durchzogen, der scheinbar direkt in den langen Hals einer einzelligen Drüsenzelle (gland.) übergeht. Die Ausführgänge sind in der Mitte oft stark aufgeblasen, während sie sich am Ende wieder bis zu 0,001 mm Durchmesser verschmälern. Ähnlich lässt sich auch bei J. solifugus der Übergang des die hohlen kurzen Haarstacheln durchziehenden Kanals in den dünnen, 0,02—0,03 mm langen Ausführungsgang einzelliger rundlicher Haut- drüsen von 0,005—0,008 mm Durchmesser erkennen. Bei einer kleinen Triestiner Form, die ich auf Grassrs J. Isa- bellae beziehen möchte, liegt am Hinterrande der meisten Ventral- platten innerhalb der beweglichen Griffel ein zarthäutiger, auf un- bedeutende Erweiterungen der Intersegmentalhaut zurückführbarer Sack. Auf Längsschnitten zeigte derselbe schwach entwickelte Rück- ziehmuskeln, unter der zarten, am Ende manchmal fein gefältelten Cuticula einzelne größere Kerne und im Inneren diehte Blutmassen Die Abdominalanhänge der Insekten. 347 mit zerstreuten größeren Blutzellen. So weit das geringe Unter- suchungsmaterial es erkennen ließ, scheint diese Einrichtung auch am ersten Abdominalsegment und dann bis zum siebenten vorzu- kommen, jedoch nur am zweiten bis dritten mehr entwickelt zu sein. 9) 3) Nicoletia. Bei dieser interessanten, in gewisser Weise zwischen Campodea und Machilis stehenden Gattung beschrieb zuerst NICOLET! an den Hinterleibsringen innerhalb der Abdominalgriffel »un petit corps ves- siculeux et ovale, faisant probablement partie des organes de la re- spiration«; der Abbildung nach (l. e. Taf. V Fig. 10) reichen die Bauchsäckehen bis zum achten Hinterleibssegment. B. Grassı giebt in seiner kurzen Mittheilung über dasselbe Ge- nus? leider nur an, dass die »vescicole segmentali« wie bei Cam- podea und Machilis lägen und eben so gebaut seien, sowie dass sie am ersten Abdominalsegment vielleicht fehlen, sicher aber? vom zweiten bis achten Segment vorkommen und wahrscheinlich einen eigenen Nervenfaden besitzen. 4) Machilis (Fig. 4, 20—24). Bereits GuERIN* beobachtete, dass am ersten Abdominalsegmente von M. maritima ein, am zweiten bis fünften jederseits zwei, am sechsten rechts zwei, links ein, am siebenten bis achten jederseits ein birnförmiges, ziemlich dickes, weißes Bläschen bervortrat. Auch MEnGE> scheint die Abdominalsäcke von Machilis gesehen zu haben, denn seine Behauptung »Exemplare von Machilis gefunden zu haben, bei denen die Eier an den Hinterleibsanhängen befestigt waren«, lässt sich nur dadurch erklären, dass er die ovalen weiß- liehen Bauchsäcke für Eier angesehen hat, obwohl die Ähnlichkeit mit Eiern überhaupt nur eine durchaus oberflächliche ist. 1H. NicoLET, Essai sur une classification ete. des Thysanoures (Ann. de la Soe. Ent. de France 2. ser. V. 1847). pag. 353. ? B. Grasst, Cenni anatomici sul genere Nicoletia (I progenitori ete. Mem. IV). (Bullettino della Soc. Ent. Ital. XVIII. 1886—1887). pag. 6. 3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri etc. (1888). pag. 38. 4 GUERIN, Notes sur des organes semblables aux sacs branchiaux des Crustacés inférieurs, trouvés chez un insecte hexapode (Ann. sc. nat. 2. ser. Tome V. 1836). pag. 374. 5 A. MEnGE, Die Myriopoden ete. von Danzig (1851). pag. 18. Morpholog. Jahrbuch. 15. 23 348 Erich Haase Weiter beobachtete J. Woop-Mason! das Austreten der Ventral- siicke bei dem Eintauchen des Thieres in Alkohol und fand auch zuerst einen mächtigen Rückziehmuskel, »der sich am distalen Ende in wenigstens vier Zweige theilte, welche sich dann an die innere Oberfläche des dünnen, glatten und zarten Epithelbelages« ansetzten; die zurückgetretenen Blasen sollten sich nach außen durch einen Porus öffnen, »der von einem am freien Rande mit Borsten besetzten Chitindeckel geschützt seic. Bei M. maritima fand er am ersten, sechsten und siebenten Abdominalringe je zwei, an den dazwischen liegenden je vier Blasen, bei M. polypoda deren an jedem Ringe höchstens zwei. B. Grassi? erwähnte von den Abdominalsäcken nur, dass sie » weit mit der Leibeshöhle kommunieiren« und durch Blutfüllung her- vortreten; ihre Epithellage bestehe aus einer Schicht von Zellen, die größer als die der Hypodermis und vielleicht drüsig seien; die Ein- trittsöffoung der Säcke sei mit Haaren umgeben, doch fehle ihr der von Woop-Mason angegebene Deckel. Ausführlicher geht J. T. OUDEMANS in seiner Arbeit über Ma- chilis, die unabhängig von der B. Grasst's entstand und wenig später publieirt wurde, auf die »ausstülpbaren Bläschen« ein. Er giebt ihre Zahl zu konstant 22 an, die am ersten Abdominalringe wie am sechsten und siebenten zu je einem, an den dazwischen lie- genden zu je zwei Paaren auftreten. Der Rückziehmuskel theilt sich nach OUDEMANS in drei bis vier Bündel, welche sich an der mit einer dünnen Hypodermis bekleideten Wand des »Bläschens« ein wenig dorsal von dessen Spitze anhefteten, wodurch die mehr ven- trale Neigung der gefüllten Säckchen erklärt werde. An den Seg- | menten mit vier »Bläschen« liege der zu den innersten Bläschen gehende Muskel über den anderen. Auch OuDEMANs erklärt das ventrale behaarte Stück an der Basis der Säckehen, das beim Aus- und Einstülpen vorwärts und rückwärts bewegt werde, für » weiter nichts als den Übergang des Chitins der Bläschenwand in das Chi- tin des Bauchschildes.« 1 J. Woop-Mason, Morphological notes bearing on the orig. of insects (Trans. Ent. Soc. London 1879). pag. 158—160. 2 B. Grassi, Contribuzione allo studio dell’ anatomia del genere Machilis (I progen. etc. Mem. III.). (Accad. Gioenia. Se. Nat. Catania. XIX.) 1886. pag. 19. 3 J. T. OUDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanura und Collembola (Bijdragen tot de Dierkunde 1888 [holländ. Ausgabe. Juni 1887]). pag. 168. Die Abdominalanhänge der Insekten. 349 Vor Kurzem wiederholte S. JOURDAIN! an M. maritima einige der erwähnten Einzelheiten wohl auf Grund eigener Beobachtungen, aber ohne jede Litteraturangabe. Nach meinen Untersuchungen stimmen die beiden Arten von Machilis in Zahl, Bau ete. der Ventralsäcke durchaus überein. Am Vorderrande der Ventralfläche des ersten Abdominalseg- mentes liegt ein 0,08 mm hoher, hinten in einem Winkel von 140° vorspringender unpaarer Schild (vgl. Fig. 24 se.int.). Jederseits des letzteren tritt, durch einen durchgehenden medianen Spalt getrennt. eine flach gewölbte Platte auf, die sich an den Seiten frei abhebt; hinten vereinigen sich diese zwei Platten und bilden eine Duplikatur, die fast die Hälfte der Segmentlänge einnimmt. Nahe den Platten sitzen in der Duplikatur des Hinterrandes willkürlich zurückziehbare Abdominalsäckchen, die sich ca. 0,4 mm weit? ausstülpen und gelb- lich durchscheinend sind. Die distale Wölbung am freien Ende derselben ist in der Mitte schmal und deutlich eingedrückt und an diese Einsenkung, die der Ventralfläche zu gerichtet ist, setzen sich drei stark quergestreifte Muskeln (vgl. Fig. 24 reir.med.) an. Jederseits von diesen mittleren tritt ein außen schräg abgestutzter Muskel von 0,009 mm Breite an die Säckchenwand heran. Hinter dem Austritt aus den Säckchen legen sich diese Muskeln hart an einander und bilden so einen fast einheitlichen, von gemeinsamer bindegewebiger Membran umgebenen Komplex, an den ein Nerv verläuft (vgl. Fig. 24 nerv.). Außer diesen sekundären und nur die Zurückziehung der Säck- chen bewirkenden, finden sich noch zwei blassere und weniger scharf quergestreifte Muskeln (vgl. Fig. 24 long.ventr), welche bisher über- sehen wurden. Dieselben setzen sich an den Vorderrand und ent- springen wie die vorher besprochenen nahe dem Hinterrande der paarigen Bauchplatten; sie sind als die Vertreter der Bauchlängs- muskeln anzusehen, die allerdings Zeichen von Unterdrückung be- merken lassen, und werden von einem ziemlich kräftigen Nerven versorgt. In eingezogenem Zustande bildet jedes der Säckchen eine Tasche, deren Ränder dem bei den Drüsenmassen von Japyx gigas erwähnten 1 S. JourDAIN, Sur le Machilis maritima (Compt. Rend. Tome 108. 1888). pag. 623—625. 2 Dieses Maß ist nach Alkoholmaterial gemacht; an frischem sind sie bedeutend größer. 23* 350 Erich Haase Ringe entsprächen. An der Ventralseite ist der Rand in feine Spit- zen ausgezogen, während die Dorsalseite eine Reihe von ca. 30—40 längeren, nach unten gekrümmten Gelenkborsten trägt, die bei voll- kommenem Zurücktreten der Säckchen meist zwischen die Spitzen des Ventralrandes fallen. Diese Versclilussborsten sind 0,04 mm lang und an der Basis 0,002 mm breit, innen von einem feinen Kanal durchzogen, sitzen einem engen Porus auf und stehen in einem dreiseitigen weiteren Balge mit verdickten Wänden. An die Borstenbasis tritt ein feiner Strang heran, der nicht vollständig ver- folgt werden konnte, aber wohl im Zusammenhange mit kugeligen, 0,02—0,04 mm von ihr entfernten Kernen steht, die in Zahl und Lage genau den Borsten entsprechen und von außen meist durch zwei Chitinhautfalten eingeschlossen erscheinen. Diese Kerne sind 0,008 mm dick, wovon das sich stark färbende Kernkörperchen '/, einnimmt, und gehören wohl zu einzelligen Drüsen, die in die Haare münden, aber verkümmert erscheinen: mit Nerven stehen sie nicht in Verbin- dung. — Vom zweiten bis fünften Abdominalsegment bildet der un- paare Bauchschild allmählich einen spitzeren Winkel und die paarigen Platten tragen am Hinterrande jede zwei ausstülpbare Säcke (Fig. 24), deren inneres Paar dem des ersten Segmentes entspricht und zugleich größer ist als das äußere. Der Muskelverlauf gleicht dem im ersten Abdominalsegment; höchstens tritt ein größerer Biindelzerfall der seitlichen Rückzieher der Säckchen ein. Am sechsten Hinterleibssegment tritt, wie am ersten, nur ein Paar Bauchsäcke auf, die auch in der Vertheilung ihrer Muskeln den anderen gleichen, doch sind die mittleren Längsstränge in nur zwei Bündel zerfallen und entspringt der ganze Rückzieher aus nur drei Wurzeln, die sich erst in der Mitte der Bauchplatte theilen. Auch die zwei inneren Bauchplattenlängsmuskeln sind noch deutlich. Wie im sechsten fehlt auch im siebenten Hinterleibsringe das äußere Bauchsackpaar; die paarigen Bauchplatten treten hinten bogig vor und bilden eine Art Klappe, da sie in der Mitte vollständiger getrennt sind und durch besondere, zuerst am sechsten Hinterleibs- segment auftretende Muskeln von einander entfernt werden können. Zur Untersuchung der feineren Zusammensetzung der Bauch- säckchen und ihres Inhaltes braucht man durchaus Exemplare mit ausgestülpten Bläschen, und so wurden die lebenden Exemplare, welche ich der Liebenswiirdigkeit des Herrn Dr. J. T. OUDEMANS verdanke, meist in Flüssigkeiten von 40—50° Wärme getödtet, und zwar besonders, wie OUDEMANS es angab, in 70%igem Alkohol, Die Abdominalanhänge der Insekten. 351 außerdem aber auch in 0,01%iger Überosmiumsäure und starker Goldcehloridlösung. Auf der ventralen Säckehenwand bilden die Matrixzellen ein ausgesprochenes Syneythium. In der sehr feinen und dünnen Plas- mamasse heben sich flache längliche Kerne ab, die durchaus denen der übrigen Körperhaut entsprechen (Fig. 20). Sie sind 0,0 1—0,012 mm lang und 0,003—0,0045 mm breit und führen im Inneren meist zwei sich stark färbende Kernkörper und nahe der Oberfläche ca. 20—30 Vakuolen. Diese Kerne liegen so nahe zusammen, dass ihre Länge die gegenseitige Entfernung meist übertrifft. Durch Ausbildung von Zellgrenzen ete. geht in den Siickchen die Matrix der Bauchfläche ziemlich rasch in das Epithel der Rücken- wölbung: über, welche gegen den Körper gerichtet und so vor äuße- ren Verletzungen verhältnismäßig geschützt ist. Die Kerne dieses Zellbelages (Fig. 21) sind in der Mittelfläche ganz kugelig und haben einen Durchmesser von 0,006 bis höchstens 0,008 mm. Im Inneren liegt meist nur ein rundes, sich stark färbendes Kernkörperchen. Um die Kerne herum bildet das Zellplasma an den Osmiumpriparaten (vgl. Fig. 22) durch übermäßige Kontraktion einen hellen Hohlraum, indem es sich von dem Kerne geschlossen und gleichmäßig zurück- zieht und mit letzterem nur durch feine Plasmanetze in Verbindung bleibt!. Wie sich ebenfalls besonders an Längsschnitten der mit Überosmiumsäure behandelten Säckchen, aber auch schon an den bloßen Alkoholpräparaten erkennen ließ, bildet das 0,002 mm dicke Zellplasma zur Fläche senkrechte, dicht gestellte Stränge (Fig. 22 str.), welche auf dem Schnitt wie Streifen, von der Fläche wie grobe Körnelung erscheinen. Die Entfernung der Kerne von einander beträgt meist 0,01 mm, oft aber auch bedeutend weniger. Die Zellgrenzen sind unregel- mäßig sechseckig und auch an frischen Thieren deutlich ; der Durch- messer der Zellen, die oft zwei Kerne enthalten, beträgt meist bis 0,2 oder 0,3 mm. Im Inneren der ausgestülpten Säcke erkennt man zarte, viel verästelte Bindegewebsstränge, die sich von Wand zu Wand ziehen: Nerven habe ich an den Epithelbelag nicht herantreten sehen. Die Chitineutieula, welche die Außenhülle der Säckchen bildet, ist zart, glasig und weich; an ihr ließen sich keine Poren nachweisen. 1 Die feinen Plasmanetze des Zellinhalts sind besonders schön nach der Behandlung mit Alaunkarmin zu erkennen. 352 Erich Haase 5) Lepismina. B. Grassı! erwähnt, dass Lep. pseudolepisma Gr., welche nur an den drei vorletzten (7.—9.) Abdominalringen Griffel (Styli) trägt, am ersten Hinterleibsringe »zwei Säckchen besitze, von denen er nicht wisse, ob sie protraktil seien, die aber jedenfalls für den Segmen- talblasen homolog gehalten werden müssten, mit denen sie große Ähnliehkeit in der Struktur zeigten; ein vielleicht homologes Or- gan läge noch innerhalb der Ventralgriffel des siebenten Hinterleibs- ringes« (später? giebt Grassi für letzteres das achte Segment an). An der L. polypodia Gr., zu der auch wohl die von mir ver- glichene Triester Form gehört, fehlen die Ventralsäcke vollkommen; ich vermuthe, dass dies auch bei Grassi’s L. pseudolepisma der Fall ist und die »organi paragonabili alle veseicole« vielleicht drü- siger Natur sind. Bei Termophila und Lepisma fehlen die Ventralsäcke durchaus. 4) Collembola (Fig. 4, 5, 28). Der »Ventraltubus« der Collembolen sitzt bei allen bekannten Arten am ersten Abdominalsegment und besteht aus einer unpaaren köhre von oft beträchtlicher Länge, die sich am freien Ende meist in zwei kürzere, oder sehr gestreckte (Smynthurus) zartwandige Säcke auszieht. Diese Säcke sind schon lange bekannt und bereits NicoLer? bemerkte, dass sie innen mit »petites glandes fort nombreuses et disposées réguliérement sur toute leur surface« besetzt sind. Später fand v. OLFERs*, dass diese Säckchen, sobald sie zu- rückgezogen sind, durch einen besonderen Klappenverschluss bedeckt werden, der sich bei ihrem Hervortreten wieder öffnet; er fand auch einen Muskel. der vom Rücken des Thieres entspringt und sich an die Spitze des Säckchens ansetzt; bei Smynthurus sah er noch einen zweiten Strang an die Säckchenmitte verlaufen. 1 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 20. 2 B. Grassi, Anatom. compar. dei Tisanuri etc. (1888). pag. 38. 3 NICOLET, Rech. pour serv. a l'hist. nat. des Podurelles. 1841. pag. 42. 4 E. DE OLFERS, Annotationes ad Anatomiam Pudorarum (Diss. inaug. Berol. 1862). pag. 22. Die Abdominalanhänge der Insekten. 353 T. TULLBERG! untersuchte den Ventraltubus in den zwei wich- tigsten Formen, bei Orchesella und Smynthurus. Bei Orchesella erscheint derselbe nach TULLBERG in einge- zogenem Zustande als eine weite haarige, in der Mitte längsge- furchte Röhre, die sich mit einem abgesetzten Fußtheil von der weichen Ventralhaut erhebt und an ihrem Ende. durch ein Paar Klappen, die wohl nur als bewegliche Theile der Röhre aufzufassen sind, geschlossen ist. Sobald die Wirkung der Rückziehmuskeln aufhört und die Röhre sich mit Blut füllt, quellen unter den Klap- pen zwei rundliche Blasen hervor, die mit feiner Cutieula bekleidet sind und an ihrer Wand große Zellen führen. Die Rückziehmuskeln bestehen jederseits aus vorderen und seitlichen Strängen, die sich an die Klappen ansetzen, und einem an das Ende des Bläschens herantretenden Bündel. Die großen Zellen im Inneren des Sackes seien mit einem Ende an dem Sarkolemm der Muskeln, mit dem anderen, distalen am Säckchen befestigt. — Für Smynthurus bestätigt TULLBERG im Allgemeinen die An- gaben von v. OLFERS und erwähnt, dass die zurückgezogenen langen und dünnen Säckchen im Inneren des Leibes jederseits des Darm- rohres eine Schleife bilden und die beiden Rückziehmuskeln sich nahe bei einander in der Rückenmittellinie befestigen. Auch hier bestehen die Säcke nach TULLBERG »aus zwei Lagen«, die der Matrixschicht und der über ihr liegenden Cuticula entsprechen; auf letzterer treten halbkugelige Vorwölbungen auf. Die großen Zellen, die im Ventral- tubus von Orchesella erwähnt wurden, hat TULLBERG bei Smyn- thurus nicht wieder gefunden. J. Lupsock’s Angaben über den Ventraltubus enthalten einige Bemerkungen iiber die Mechanik desselben; so wird hervorgehoben?, dass das Hervorstiilpen »nicht durch Muskelkraft erfolgen könnte außer dureh die indirekte Einwirkung derjenigen Muskeln, welche die Leibeshöhle zusammenziehen und so, den allgemeinen Druck verstärkend, die zwei Fäden auspressten«. In seiner Arbeit über Macrotoma plumbea beschrieb endlich 1 T. TULLBERG, Sveriges Podurider (Kongl. Sv. Vet. Ak. Handl. Bd. X. No. 10). 1872. pag. 17—18. Mit Abbildungen. 2 J. LusBock, Monograph of the Collembola and Thysanura (Ray Society). London 1873. pag. 93. 354 Erich Haase SOMMER! im Ventraltubus die schon von TULLBERG erwähnten großen Zellen als einzellige Hautdrüsen von 0,117 mm Länge mit zartem eutieularen, 0,011 mm diekem Ausführungsgange, der sich an die Oberfläche der »Haftlappen« verfolgen ließ, »wo er mit einer rund- lichen Öffnung nach außen mündete«. Sommer ist noch der, wie schon OUDEMANS bemerkte, irrigen Ansicht, dass die Muskeln des Tubus die Ausstülpung desselben bewirkten. Meine Untersuchungen, von denen hier nur einige Punkte be- rührt werden sollen, erstrecken sich auf Vertreter der verschiedenen Entwicklungshöhe des Ventraltubus: auf Podura, wo er nur eine champagnerpfropfenähnliche Hervorragung bildet, die auf der End- fläche durch eine seichte Längsfurche getheilt wird; auf Isotoma, Orchesella und Tomocerus (Macrot.) plumbeus, wo sich die erste Andeutung von Säckchen findet, die als blasige dünne Erweiterungen der Endscheibe anzusehen sind, und auf Smynthurus. Da die Funktion und damit auch der Bau des Ventraltubus den Gegenstand einer besonderen Arbeit zu bilden bestimmt ist, sei hier nur kurz erwähnt, dass dieser Anhang an seiner Basis von beborste- ter Chitinhaut wie die übrige Bauchfläche bekleidet ist und dass ge- wisse Theile derselben zwischen dem Basalstiel und der unbehaarten krystallklaren Cuticula des meist eingezogenen, distalen Theiles bei dem Zurückziehen der Säckchen durch eine gelenkartige Verbindung sich gegen einander legen und als »Klappen« die Röhre schließen. Diese Klappen sind oft lebhaft gefärbt und haben hinten ihre eigenen Riickziehmuskeln. Die sehr starken Einzieher des Säckchens setzen sich an die Mitte desselben an, während besondere, sich an die Stielwände ansetzende Beuger und Strecker den ganzen Tubus in allerdings geringerem Grade nach vorn und hinten bewegen. Außer- dem findet sich im Hohlraum des Säckchens bei Macrotoma und an- deren langgestreckten Formen noch ein durchgehender, bindege- webiger Längsstrang. Innen ist der Tubus mit einer zarten, un- deutlichen Hypodermis ausgekleidet, in der bei den langgestreckten Formen wenig zahlreiche, oft sehr große einzellige Drüsen liegen, die mit einem feinen Porus nahe der Mitte sich öffnen und nur bei Smynthurus zu einer dichten Lage zusammentreten und jede inner- halb einer halbkugeligen Cuticularauftreibung ausmünden. Die Drü- sen schwärzen sich an Osmiumpräparaten intensiv. 1 A. Sommer, Über Macrotoma plumbea. Beiträge zur Anatomie der Poduriden. (Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XL. 1885.) pag. 692. Die Abdominalanhänge der Insekten. 355 Il. Funktion der Bauchsäcke. M. GuErIN!, der Entdecker der Ventralsäcke, hielt diese bei Machilis für Athmungsorgane »analogues & ceux quon trouve sous labdomen de beaucoup de crustacés et qui sont places a la base des fausses pattes abdominales«; derselben Deutung schloss sich auch NICOLET an. Nachdem Tu. v. SIEBOLD später die Tracheen von Machilis auf- gefunden hatte, zog er daraus den Schluss?, dass den von GUERIN für Respirationsorgane gehaltenen Säcken »eine andere Bedeutung zukommen müsse«. Die meisten Angaben späterer Beobachter beschränken sich darauf, die Ausstülpbarkeit der Ventralsäckchen bei den einzelnen Gattungen hervorzuheben. Bezüglich des Vorganges der Ausstülpung sei hier auf die irrthümliche Vorstellung hingewiesen, welche mehrere, besonders neuere Autoren sich von diesem einfachen Bewegungsakt gemacht haben. Vor Allem ist daran zu erinnern, dass die meisten Beobachter, so z. B. auch Nassonow und J. Woop-Mason, den zurückgezogenen oder eingestülpten Zustand der Säckchen für diejenige Form hielten, in der hauptsächlich ihre Funktion in Thätigkeit trete und so über- sahen, dass dann die Entwicklung der mächtigen Rückziehmuskeln keine Erklärung findet. Aus der Annahme, dass die Funktion der Ventralsäcke mit dem Invaginationszustande beginne®, erklärt es sich auch, dass beide Forscher zu der Annahme getrieben wurden, die bis vor Kurzem die herrschende war: dass wir es hier mit drüsigen Organen zu thun haben, deren Sekret sich in die Einstülpungshöhle ergösse und durch den Schlitz ausgeführt würde. Diese Deutung wurde noch besonders durch eine Angabe J. Woop-Mason’s ge- kräftigt!, nach der »die frisch ausgestülpten Säckchen von Machilis mit einem Überzug von Flüssigkeit, dem Sekretionsprodukt der Drüse 1 Ann. sc. nat. 2. ser. Bd. V. 1836. pag. 374. 2 v. SIEBOLD und STANNIUS, Vergleich. Anatomie etc. I. 1848. pag. 620. 3 Meiner Ansicht nach beruht der Zustand, in welchem sich die Ventral- blasen am konservirten Material erhalten, auf physikalischen Ursachen; so quollen die Bläschen in allen benutzten Flüssigkeiten hervor, sobald dieselben nur gehörig erwärmt waren, und ihr Vortreten ist somit wohl auf die Aus- dehnung der Leibeshöhlenflüssigkeit durch die erhöhte Temperatur zurückzu- führen. 4 J. Woop-MAson, Entomol. Notes etc. (1879). pag. 159. 356 Erich Haase bedeckt seien«; »its microscopic appearance being precisely that of an object examined under the microscope before the spirit from which it has been taken has had time to evaporate from its surface, and a minute drop of fluid being left upon a piece of glass applied to it«. So wurden die Ventralsiicke denn von J. Woop-Mason als »glandular pouches« bezeichnet und geradezu als »renal« oder »seg- mental-organs« angesprochen, wofür derselbe 1. e. pag. 159 beson- ders geltend machte, »dass bei Thysanuren keine MarLPpıGHr'schen Gefäße entdeckt wären, Lepisma ausgenommen, wo die Blasen fehlten«. Ähnlich wie Woop-Mason deutete auch Nassonow! die Ven- tralsäcke von Campodea geradezu als Segmentalorgane, indem er vor Allem für die exkretorische Deutung geltend machte, dass ihre re- spiratorische Funktion noch nicht erwiesen sei. B. Grassı betonte in mehreren seiner Arbeiten die Ausstülp- barkeit und Rückziehbarkeit der Bauchsäcke und erkannte, dass das Vortreten derselben durch das Einströmen von Blut, das Zurücktreten durch die Wirkung der hineintretenden Muskulatur bedingt wird. Über die Funktion der Säcke sprach er sich zuerst dahin aus, dass sie »nicht gut im Dienste der Respiration stehen könnten, da sie sich in Wirklichkeit nicht rhythmisch ein- und ausstreckten«: hielt es aber auch für denkbar, dass sie dem Thiere »zum Anheften an der Oberfläche der Steine« dienen könnten?. Später wies er? die Deutung von Woop-Mason und Nassonow energisch zurück, und hielt die von NICoLET, dass man die Bläs- chen den Kiemen der Krebse vergleichen müsse, für viel einfacher. Die ersten guten Beobachtungen über die Ventralsäcke am leben- den Thier legte J. T. OUDEMANS in seiner gediegenen Arbeit über Machilis* nieder. So beobachtete er, dass die Bauchsäcke bei dieser Gattung vor Allem nicht als Haftapparate dienten, da sie nicht her- vortreten, wenn das Thier sich z. B. bemüht, eine glatte Oberfläche hinaufzukriechen. Hingegen fand er, dass die Säckchen hervor- traten, wenn der Behälter, in dem sich die Thiere befanden, von den Sonnenstrahlen so erwärmt wurde, dass sich erstere »in einem ! N. B. Nassonow, Welche Insektenorgane dürften homolog den Seg- mentalorganen der Würmer zu halten sein? (Biolog. Centralblatt. VI. [1886]). pag. 459—462. 2 B. Grassi, L’Japyx e la Campod. ete. (1886). pag. 53. 3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 39. 4 J. T. OUDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren ete. (1887). 1888. pag. 168—170. Die Abdominalanhänge der Insekten. 357 warmen, dampfgesättigten Raum (von + 30° C.) befanden«; in kühler, feuchter Umgebung stülpten die Thiere nur zu 10% ihre Siickchen aus; so wirkte die kalte Nässe auf sie wenig ein und weitere Versuche ergaben denn auch das Resultat, dass die Bläs- chen nicht dazu dienten, »Wasser aufzunehmen «. Eben so fand OuDEMmANns, dass die Säcke nur austreten, wenn die Thiere sich in vollkommener Ruhe befinden und dass sie bei Beunruhigung zurückgezogen werden, also »ohne Zweifel keine Or- gane der Selbstvertheidigung« sind. So hält er die Ventralsäcke denn für Organe, »die eine in Hinsicht auf die Tracheen unterge- ordnete Rolle beim Athmen spielen, in so fern als es verdünnte Stellen der Haut sind, deren geringe Dicke eben einen Gasaustausch des Blutes gestattet«. Meine Beobachtungen an lebenden Thieren von Machilis können die Angaben von OUDEMANS durchaus nur bestätigen und wenig er- weitern. So beobachtete ich vor Allem schon vor Jahren, dass an den warmfeuchten Septembertagen, an denen ich Mach. polypoda bei Gogolin unter Steinen sammelte, viele Exemplare die Säckchen unregelmäßig ausgestülpt hatten; dass dies willkürlich und oft un- symmetrisch geschieht, so dass oft an einem Segment nur ein Bläs- chen vortritt, hat auch Oupemans bemerkt. Sobald man die Thiere in die Hand nimmt, treten die Bläschen zurück. Die durch einen Nadelstich aus den Abdominalsäckchen vortretende Flüssigkeit ist, wie schon OUDEMANS angiebt, Blut; ich habe in ihr nicht nur zahl- reiche große Blutzellen und Körnchen gefunden, die genau denen des Rückengefäßes entsprechen, sondern auch durch Eintrocknen- lassen die gleichen Krystalle erhalten (Fig. 23 0), wie aus letzteren. Die durch Verdunstung eines wässrigen Auszuges der MALrIGHT'schen Gefäße erhaltenen harnsauren Salze (Fig. 23 c) haben eine viel starrere, kaum verästelte Form, welche an eine auch im Harn des Menschen vorkommende erinnert. — Eine Injektion in die Leibeshöhle des lebenden Thieres mit der von A. KowALEvskyY! empfohlenen Mischung von gleichen Theilen karminsaures Ammon und Indigo- karmin färbte die Ventralsickchen tief roth, aber diffus. Wenn man die Thiere in ein trockenes Reagensrohr setzt, treten die Bläschen bei den Kletterversuchen eben so wenig vor als wenn man dasselbe innen benässt?; hingegen stülpen sie sich oft aus, ’ Biolog. Centralblatt. IX. Nr. 2—4. 1889. 2 Damit widerlegt sich die vor Kurzem von 8. JourDAIN (Compt. Rend. 358 Erich Haase sobald ihr feucht gehaltener Aufbewahrungsort von der Sonne ge- troffen wird. Übt man auf die von einem Wachsringe zwischen zwei Objektgliisern eingeschlossenen Thiere einen mäßigen Druck durch Zusammenpressen des Ringes aus, so treten oft alle Säckchen bis zu 1/, ihrer Länge hervor und sind dann in rhythmischen, sich ungefähr jede halbe Sekunde folgenden Kontraktionen begriffen, die man bequem unter dem Mikroskop beobachten kann. Bei den mir zur Verfügung stehenden, durch tagelangen Transport schon ermatte- ten Thieren konnte ich die Siickchen nie zum völligen Austritt brin- gen, wohl weil ein zu großer Theil der Blutflüssigkeit während des weiten Weges schon verdunstet war. Die durch seitlichen Druck hervorgepressten Säckchen sind zu- erst sehr blass und halbdurehsichtig klar, wie die freiwillig ausge- stülpten, doch nehmen sie bei zunehmendem Druck bald eine mehr bernsteingelbe Färbung an, die sich bis ins Orangegelbe steigert; bei fortgesetztem Druck gelingt es endlich, aus ihnen einen Tropfen Flüssigkeit auszupressen, die dünnflüssiger ist als Blut. Die mikro- skopische Untersuchung derselben ergab, dass es sich um reines blutzellenloses, aber körnchenhaltiges Serum handelte und die aus der Verdampfung erhaltenen Krystalle des Coagulums glichen denen des Körperblutes in der Struktur, waren jedoch viel “zarter und stärker verästelt; wie jene bildeten sie eine, auf zwei auf einander senkrechte Achsen zurückführbare Strahlenrosette mit verzweigten Astchen (Fig. 23 a). Die zu solchen Versuchen benutzten Thiere starben regelmäßig nach kurzer Zeit; leider war ich nicht im Stande, zu erkennen, ob das Serum durch feine Kanälchen der Säckchenwand hindurchge- presst wurde. Wahrscheinlich hat Woop-Mason nur eine ähnliche Beobachtung gemacht, denn an den Spuren der Bewegung frischer ungestörter Thiere über Glasplatten habe ich weder ein Sekret nach- weisen können noch auch die solches etwa secernirenden Poren in der Cuticula überhaupt gefunden. Die Funktion des drüsigen Epithels der Dorsalwand des Säck- chens besteht vielleicht nur darin, durch Ausscheidung irgend einer 1888. Tome 108. pag. 64) ausgesprochene Ansicht, dass die Bauchsäcke viel- leicht Wasser aufnehmen, »destine ä compenser les pertes que subissent ces animaux, qu'on voit courir sur des surfaces exposées aux rayons les plus ar- dents du soleil«; JOURDAIN beobachtete ebenfalls das plötzliche Austreten der Siickchen, wenn man das Thier in »ein Glas mit feuchten Wiinden setzt«; die Miteinwirkung der Wärme berührte er nicht. Die Abdominalanhänge der Insekten. 359 Flüssigkeit die Dorsalwand des Säckchens feucht zu erhalten; damit würde auch die Streifenstruktur des Zellplasma ihre Erklärung finden. An Schnitten durch das Säckehen habe ich außerhalb der Cuticula niemals irgend ein Sekret gefunden. Ähnliche Verhältnisse wie bei Machilis findet man bei Cam- podea und Scolopendrella, nur sind die Beobachtungen hier schwieri- ger. Von den in schwachem Alkohol getödteten Thieren hatten die Campodeen meist regelmäßig die Ventralsäckchen vorgestülpt; von Scolopendrella hauptsächlich die vollkommen reifen, Eier tragenden Weibehen, die auch stets einen starken Blutsinus um die Geschlechts- öffnung zeigen. So sind die Bauchsäcke der Thysanuren schon ihrem Bau und den Beobachtungen nach als Blutkiemen anzusprechen. Von den Tracheenkiemen unterscheiden sie sich durch das Fehlen der Tracheen in ihrem Inneren, von Gefäßkiemen durch das Fehlen der Gefäße: sie sind also nur einfache dünnwandige Hautduplikaturen, in welehen eine Cirkulation der Leibeshöhlenflüssigkeit stattfindet, welche durch Bewegungen der Rückziehmuskeln willkürlich geregelt werden kann. Hierbei findet der Gasaustausch besonders an den zarteren und zugleich wohl feuchteren Stellen der Cuticula statt, unter denen die eigenthümliche Matrix mit den Riesenkernen liegt, die sich bei Machilis zu einem echten drüsigen Epithel entwickelt. Ähnliche Verhältnisse wie bei den Thysanuren scheinen auch bei den Symphylen und Chilognathen mit Coxalsäcken vorzukommen ; bei letzteren scheinen die Siickchen meist in gewissem Grade aus- gestülpt zu sein, wie die Durchsicht zahlreicher Alkoholexemplare ergab, bei Scolopendrella sind sie häufiger zurückgezogen. Über die Funktion des Ventraltubus der Collembola giebt es viele, einander großentheils widersprechende Ansichten. Schon DEGEER! stellte fest, dass derselbe beiden Geschlechtern gemeinsam, aber in den Gattungen verschieden entwickelt ist. Nach seinen sorgfältigen Beobachtungen nahm er an, derselbe sei bei den Wasserpoduren bestimmt, die Feuchtigkeit an sich zu ziehen |. e. pag. 15); bei Smynthurus diene er wegen seiner Klebrigkeit zum Anhaften am Glase und hülfe wahrscheinlich auch beim Sprunge. Ohne von diesen Angaben Kenntnis zu nehmen, sah P. La- TREILLE den Ventraltubus als Kopulationsorgan an, was jedoch ! ©. DEGEER, Abhandlungen zur Geschichte der Insekten. VII. 1783 pag. 12, 15, 19—20. 360 Erich Haase Nicoter! bald zurückwies, indem er selbständig beobachtete, dass die Ventralsäcke bei Smynthurus beständig mit einer schleimigen reichlichen Flüssigkeit befeuchtet sind, die von zahlreichen, regel- mäßig vertheilten kleinen Drüsen geliefert werde. So glaubte er, dass die Säckchen vermittels ihres Klebesekrets zum Anheften des Thieres an einer glatten Fläche benutzt würden. Einer ähnlichen Ansicht schlossen sich auch BOURLET, OLFERs, LuBBock? und TULLBERG an: nur schreiben dieselben dabei den Säckchen z. Th. noch eine saugende Wirkung zu. REUTER hingegen erklärte, gesehen zu haben?, wie Smynthurus und Isotoma das Wasser, das sich auf ihren Haaren befindet, mit den Tarsalklauen abstreifen und alsdann mit Mund und Ventraltubus aufsaugen; er spricht also eine ähnliche Ansicht, wie JOURDAIN für Machilis, auch für diese Collembolen aus. SOMMER endlich wirft die Frage auf, ob die Bedeutung der Tubusdrüsen nicht die gleiche sei wie die der Bürzeldrüse der Vögel. Ohne hier auf eine nähere Besprechung der Nebenfunktionen der Ventralsäcke eingehen zu wollen, die den Gegenstand einer be- sonderen Arbeit bilden wird, will ich nur hervorheben, dass nach meinen Beobachtungen der Ventraltubus in der Ruhe wie in der Bewegung zwar nicht rhythmisch, aber doch unregelmäßig eingezogen und ausgestülpt wird. Das vollkommene Zurücktreten erfolgt ähn- lich wie bei Machilis meist nur bei Beunruhigung des Thieres®. Ein einfaches Experiment lässt die respiratorische Funktion des Tu- bus deutlich selbst unter dem Mikroskop erkennen. Von der Be- obachtung geleitet, dass die Collembolen diesen Bauchsack stets ausstreckten, sobald sie in ein feuchtwarmes Röhrchen gesetzt wur- den, brachte ich einzelne besonders kräftige Stücke von Tomo- cerus plumbeus und Isotoma palustris zwischen zwei durch einen Wachsring verbundene Objektträger und überließ sie so einige Zeit der Einwirkung der trockenen Luft des Zimmers, bis die Thiere Zeichen von Mattigkeit gaben. Nun ließ ich langsam mäßig &ı- ı H. NICoLET, Recherches p. s. a l’hist. des Podurelles. 1841. pag. 42—44. 2 Siehe darüber die Litteraturangaben bei T. TULLBERG, Sveriges Podu- rider (1872). pag. 18. 3 0. M. REUTER, Etudes sur les Collemboles. I—III. 1880. pag. 15—17. 4 Vielleicht lässt sich diese Beobachtung so erklären, dass die Thierchen nicht »Wasser«, sondern Tropfen des öligen Sekretes, welches von den zahlreichen Hautdrüsen geliefert wird, zusammenkratzten. 5 A. Sommer, Uber Macrotoma etc. (1885.) pag. 692. 6 Es erfolgt z. B. auch, wenn man das Thier unter Wasser taucht. Die Abdominalanhänge der Insekten. 361 wärmtes Wasser um den Ring fließen und durchstach letzteren fein, so dass die Wasserdämpfe in die Wachszelle eindringen mussten. Durch Schiitteln wurden die Thiere veranlasst, sich an den Wachsring zu setzen, um so bequem im Profil beobachtet werden zu können. Nach einiger Zeit gehen die Klappentheile des Tubus von einander und der glasklare Sack quillt hervor, wie dies Fig. 28 zeigt. In der ganzen Länge des Anhangs kann man jetzt die Schwingungen eines feinen Mittelstranges und die starke, fast wirbelnde Strömung der Blutkörperchen beobachten, die alle in einer Richtung, von hinten nach vorn, den Tubus durchziehen, um sich dann in die vorderen Ventrallakunen zu ergießen. In einigen Fällen bildete das Thier aus den Tubusdrüsen erst einen Sekrettropfen, der sich zwischen die zarte Wand der Säcke und den Wachsring schob und den ich auch oft beobachtete, wenn das Thier am Glase, z. B. eines Reagensgläschens, in die Höhe kroch. Dies Sekret bildet verdunstet keine Krystalle, wie die bei Machilis erwähnte Flüssigkeit, sondern eine krümelige Masse. Übrigens können, wie ich wiederholt beobachtete, die Collem- bolen auch ohne Hilfe des Ventraltubus am Glase in die Höhe klet- tern und sogar im Fallen sich am Glase festhalten, und eben so kommen sie nach dem Sprunge oft mit vollkommen eingezogenem Tubus auf die Füße, was hier desshalb kurz erwähnt wird, weil diese Beobachtungen dafür sprechen, dass die Hauptfunktion des Ventraltubus als die eines Respirationsorgans anzusehen ist. Eine weitere Stütze für die Richtigkeit dieser Deutung der Ven- tralsäcke bietet der Vergleich mit den sonst physiologisch in Frage kommenden Organsystemen des Körpers. So fehlen die Marrıcarschen Gefäße eben so wie die Ventral- säcke bei Japyx solifugus, während Campodea von ersteren zwar nur sechzehn knospenartige Andeutungen, von letzteren aber sieben ausgebildete Paare besitzt. So kommen bei Machilis und Nicoletia Ventralsäcke und MarrıcHr'sche Gefäße zugleich in hoch entwickelter Ausbildung vor und das Gleiche gilt für die Diplopoden mit nur wenigen, aber sehr langen Harngefäßen. Eben so hat Scolopendrella zwei sehr lange MarpıcHrsche Gefäße und stark entwickelte Ven- tralsickchen; den Collembolen scheinen Harngefäße durchaus zu fehlen, wie dieselben ja überhaupt durchaus sekundär rückgebildet sind. Anders gestaltet sich eine Zusammenstellung des Tracheen- apparates mit den Ventralsäckchen. 362 Erich Haase So hat Scolopendrella (Fig. 1) entwickelte Ventralsäckehen vom letzten Thorakal- bis zum vorletzten Abdominalsegment. Da- gegen ist das Tracheensystem stark verkümmert, denn es kommen Stigmen nur mehr am Kopf vor und die von diesen ausgehenden dünnen und schwachwandigen Tracheen ohne Spiralstreifung reichen gerade bis an das Segment, an dem die Ventralsäckchen anfangen. Es wird vielleicht durch die Entwicklungsgeschichte aufgehellt wer- den, ob wir in den segmental angeordneten, eine hufeisenförmige Figur bildenden Chitinspangen zwischen den Hüften Rudimente eines früheren Tracheensystems erblicken dürfen. Bei den Diplopoden mit Hüftsäckchen ist das Tracheensystem ebenfalls etwas rückgebildet und werden, besonders bei Lysiopeta- lum, ganze Lakunensysteme der Ventralseite von ihm nicht versorgt; die Menge der zart quergestreiften langen und dünnen Tracheen- äste ist viel geringer als z. B. bei den verwandten Chordeumiden. Bei Lysiopetal. cognatum Latz. liegt das lochförmige Stigma (Fig. 17 a) halb verdeckt von einer Hautfalte in einer runden, mit wabenartig verbundenen Leistchen bedeckten Stigmenplatte von 0,17 mm Durchmesser. Es führt in einen Luftgang von 0,1 mm Breite, der flach und an den Wänden mit schwachen Erhabenheiten besetzt ist und sich bald in zwei Äste theilt. Von diesen verläuft der kürzere quer, der längere nach oben und etwas nach hinten. In die kolbenförmigen Enden dieser Gänge münden zahlreiche, sehr feine Tracheen ein. die meist nur 0,003—0,005 mm dick sind und keinen Spiralfaden aufweisen. In den großen, 0,5 mm langen Luft- gang münden auch einzelne Tracheen, welche durch einen unver- hältnismäßig breiten Matrixsaum eine bandförmige Gestalt und bei 0,003 mm weitem Lumen bis 0,012 mm Breite erreichen. Ähnlich ist auch das Tracheensystem von Siphonophora gebildet, doch sind die Luftgänge noch kürzer und die Tracheen weniger zahlreich. Frisch konnte von Diplopoden mit Hüftsäckchen nur Polyzo- nium germanicum Br. untersucht werden, eine in ganz Europa verbreitete Form, welche besonders an feuchten Waldstellen unter Moos gefunden wird. Ich traf sie mehrmals an Orten an, welche so von Nässe durehdrungen waren, dass die Thiere fast im Wasser lebten; an trockenen Orten habe ich sie nie beobachtet. Die runden diekwandigen Stigmen (Fig. 26 stigm.) haben 0,012 mm im Durch- messer und führen durch das einstichartige Trema in einen knotigen Hauptstamm, von dem feine wenig verästelte Tracheen ohne Spiral- faden in loser unregelmäßiger Anordnung über den Rücken verlaufen Die Abdominalanhänge der Insekten. 363 und sich in der Ventralfläche fein aufreisern, um sich in die Beine und an den Nervenstrang zu verlieren. Die unregelmäßige Verthei- lung der Tracheen erinnert an die charakteristische Abbildung, welche B. Grasst vom Tracheensystem der Nicoletia gegeben hat. Die ein- zelnen Zweige sind 0,002—0,003 mm dick, ihre Wände wenig elastisch und ihr Lumen fein: die zarten Reiser bilden oft lange Schleifen. Was die Thysanuren betrifft, so finden sich bei Campodea (Fig. 2), wie schon MEINERT hervorhob und besonders PALMEN! bestätigte, nur drei Stigmenpaare, die von MEINERT und später von B. Grassi den drei Thorakalsegmenten, von PALMEN den letzten zwei Thorakal- und dem ersten Abdominalringe zugerechnet werden. In der That ist PALmEn’s Deutung die richtige, denn wie bei Machilis und Nico- letia erscheinen auch bei Campodea alle Stigmen in der weichen Pleuralhaut stark nach vorn gerückt, so dass sie von den Deck- platten des vorhergehenden Segmentes umgeben sind. Die Tracheen haben keinen Spiralfaden, sind desshalb wie die von Scolopendrella wenig elastisch und bersten bei geringem Druck aus einander. Diese Verkümmerung lässt sie daher auch bei beiden Formen bald nach dem Einschluss in Glyceringelatine durch Ent- weichen der in ihnen enthaltenen Luft farblos werden. Die Ver- ästelung der Tracheen ist gering, auch bilden sie keine Anastomosen mit einander. Die Hauptzüge. sind aus Fig. 2 leicht erkenntlich. Wie dies oft bei verkiimmernden Organen der Fall ist, entwickeln sich die Tracheen bei Campodea erst verhältnismäßig spät ?. Bei Japyx solifugus gab B. Grassi? das Vorkommen von elf Stigmenpaaren an, das auch ich selbständig! behauptet hatte. Von diesen schrieb Grassı vier Paar den drei Thorakal- und sieben Paar den ersten sieben Abdominalringen zu. Schon nach den zuerst von GRASSI gegebenen genaueren Darstellungen ließ sich diese un- gewöhnliche Vertheilung vermuthungsweise auf eine sekundäre Ver- schiebung aller Stigmenpaare gegen den Thorax hin zurückführen. ! J. PALMEN, Zur Morphologie des Tracheensystems. Leipzig 1877. pag. 121. ? B. Grassı erwähnte ebenfalls (Anat. comp. etc. pag. 17), dass er bei der eben geborenen Campodea und dem Embryo von Japyx keine Spur des Tracheensystems finden konnte. 3 B. Grassi, Breve nota intorno allo svilluppo degli japyx. Catania, Giugno 1884. (Sep.) pag. 9. 4 E. Haase, Das Respirationssystem der Symphylen und Chilopoden (SCHNEIDER’s Zool. Beitr. Bd. 2. 1884). pag. 87. Morpholog. Jahrbuch. 15. 34 364 Erich Haase So entspräche das erste, sicher nach hinten verschobene, weil hinter dem ersten Beinpaar gelegene Stigma dem Prothorax, das zweite in Höhe des zweiten Beinpaares gelegene dem Mesothorax und das dritte unter dem Vorschilde des dritten Brustsegments liegende Stigma dem Metathorax, wie auch Grassi annimmt. Das vierte Stigmen- paar gehört dann aber dem Metathorax an. Dafür spricht schon der Umstand, dass bei Machilis das Stigmenpaar am ersten Abdominal- segment zwar fehlt, dass sich aber sonst wie bei Japyx sieben Stig- menpaare finden, die deutlich zum 2.—8. Hinterleibsringe gehören. Leider war es mir unmöglich, zu nochmaliger Kontrolle der An- gaben Grassi’s frisches Material von Japyx solifugus von Neuem zu untersuchen: mit um so größerer Freude benutzte ich daher die Ge- legenheit, mich an Laugenpräparaten des Stückes von J. gigas über die Vertheilung der Stigmata bei dieser Art genauer zu unterrichten (vgl. Fig. 3). Auch hier finden sich elf Paare: das erste sitzt am Hinterrande des Prothorax und gehört sicher zu diesem. Das zweite sitzt hinter dem Beinpaar seines Segmentes wie das erste; das dritte ist mehr gegen den Bauch gerückt und liegt dicht vor dem dritten Beinpaar, wie das 4.—11. vor dem Vorderrande des 1.—8. Hinter- leibsringes liegen. So sind alle Stigmata gegen eine Linie zwischen Meso- und Metathorax verschoben. An Größe fallen unter den Stig- men das erste und letzte auf, welche auch die einzigen sind, die starke Tracheenstämme aussenden; die übrigen Luftlöcher sind wie bei der vorigen Art durch zarte Längsanastomosen verbunden. So zeigen diese beiden Arten die, so viel bisher bekannt, höchste Zahl und zugleich einfachste Vertheilung der Stigmata unter den Insekten, indem sich deren elf Paar finden, die den drei Thorakal- und den ersten acht Abdominalsegmenten zuzuschreiben sind. Bei J. Isabellae Gr. fehlen nach Grassı zwei Paare der für J. solifugus angegebenen Stigmen, nämlich das zweite und vierte; die Tracheen bilden zwar wie bei den übrigen Arten der Gattung jederseits einen durchgehenden gemeinschaftlichen ventralen Längs- stamm, jedoch zeigen sie ofienbar schon Spuren von Rückbildung. Damit steht das Auftreten von Ventralsäckchen in Verbindung, welche nach Grassi wenigstens am 2.—3. Abdominalsegment, nach meinen Präparaten vielleicht an mehreren, aber nur unvollkommen ent- wickelt sind. Bei J. solifugus, der wie J. gigas kräftige Luftröhren besitzt, fehlen die Bauchsäckchen scheinbar ganz, während bei J. gigas nur eine unbedeutende Anlage derselben am zweiten Abdominal- segment erscheint, die kaum in besondere Thätigkeit treten dürfte. Die Abdominalanhänge der Insekten. 365 Bei Nicoletia kommen nach Grassı zehn Stigmenpaare vor. die vom zweiten Brustringe bis zum achten Hinterleibsringe am Vorderrande ihrer Segmente gelegen sind. Nach der von GRassI gegebenen Abbildung sind die Tracheen auf der Dorsalseite zu star- ken Längsanastomosen entwickelt, gehen aber schon, wie man an dem unregelmäßigen Verlauf! besonders in der hinteren Thoraxhälfte erkennt, in Rückbildung über, sind wenig verästelt, bilden keine Längsstämme und stehen nur durch zarte Querkommissuren in Ver- bindung, auch scheinen sie sehr zart zu sein. Bei Nicoletia finden sich nun wieder ausgebildete Ventralsäcke vom 2.—8. Hinterleibs- ringe. Bei Machilis (Fig. 4) finden sich neun Stigmenpaare, die an den zwei letzten Brustringen und am 2.—8. Abdominalsegment sitzen: so ist der erste Hinterleibsring stigmenlos. Die Tracheen sind wenig elastisch und dürftig entwickelt und zerfallen jederseits in einen schwachen dorsalen und einen wenig verästelten ventralen Stamm, bilden aber keine Längsanastomosen. Bei dieser Gattung sind die Ventralsäckchen am höchsten ausgebildet, sowohl was Rückzieh- muskulatur als was Epithelentwicklung betrifft. Zugleich treten sie auch am ersten Abdominalsegment auf, wo sie in dieser zu Blut- kiemen umgewandelten Form bisher sonst bei keinem Thysanuren sicher nachgewiesen wurden. Bei Lepisma und Thermophila, bei denen die Tracheen sehr ausgebildet, ziemlich elastisch und zu ventralen Längsstämmen ver- bunden sind, fehlen die Ventralsäckchen ganz. Bei Lepismina pseudolepisma Gr. kommen nach Grassi am ersten und achten Abdominalsegment zwei »ihnen vergleichbare Organe« vor, deren Natur bisher jedoch noch nicht genügend festgestellt ist; bei der von mir in Triest gesammelten Art von Lepismina mit zahlreichen Ab- dominalgriffeln fehlt jede Spur der Ventralsäcke. Bei den Collembolen sind mit Sicherheit von LUBBOCK und TULLBERG Tracheen bisher nur bei Smynthurus erkannt worden. Auch ich fand dieselben hier auf, kann jedoch die Ansicht der frühe- ren Beobachter, dass sie am Kopfe liegen, nicht theilen: vielmehr sind sie entschieden dem Vorderrande des Prothorax zuzusprechen (Fig. 5). Die Tracheen sind fein spiralgestreift, sehr wenig ver- ästelt und verlaufen als dünne Röhrchen besonders in je zwei schwa- chen Büscheln nach vorn in den Kopf und nach hinten in die Brust ! Vgl. dazu die Abbildung Grassts (Anat. comp. dei Tisanuri [1888). Taf. II Fig. 23). 24* 366 Erich Haase und die Beine: ihre Matrix ist schwarzblau pigmentirt wie die Sub- cuticularschicht der Kérperdecke. Bei allen übrigen untersuchten Gattungen der Collembolen fehlt jede Spur von Tracheen (Fig. 6). So drückt sich in der Korrelation der Entwicklung der Tra- cheen mit der der Ventralsäckchen im Allgemeinen das Prineip aus, dass die Ausbildung der letzteren mit der Riickbildung der ersteren zunimmt. Dass dies Verhältnis nicht im Einzelnen stimmt, dass z. B. Machilis die am stärksten entwickelten Ventralsäcke neben verhält- nismäßig wenig reducirten Tracheen besitzt, lässt sich wohl auf das srößere oder geringere Bedürfnis des respiratorischen Stoffwechsels zurückführen. So sind die Ventralsäcke bei den beweglicheren Formen relativ höher entwickelt, wofür unter den Collembolen die besten Beispiele vorliegen. Denn die verhältwismäßig frei lebenden Smynthuren, welche sehr gewandte Thiere und die besten Springer unter den Poduren sind, besitzen außer dem allerdings schon ver- kümmerten Tracheensystem noch einen gewaltig entwickelten Ven- traltubus, während letzterer bei den übrigen ganz tracheenlosen Gattungen im Allgemeinen mit der Abnahme der Beweglichkeit und Sprunggewandtheit selbst eine Rückbildung eingeht. Bei den Symphylen und Diplopoden können die Coxalsäckchen vielleicht noch dazu dienen, bei der Begattung ein enges Zusammen- halten der Thiere zu unterstützen, da sie einen Haftapparat bilden können, wie sich dies auch am Ventraltubus der Collembolen leicht beobachten lässt. Lässt man z. B. eine Orchesella am Glase in die Höhe kriechen, so beobachtet man, dass in vielen Fällen der aus- gestreckte Tubus dabei zu Hilfe genommen wird, indem er, in der Mitte zurückgezogen, wie ein Saugbecher mit seinen Rändern die Oberfläche des Glases berührt, wobei zugleich eine helle Flüssigkeit von der Mitte ausgesondert wird. Bei in Copula gefangenen Pärchen von Polyzonium beobachtete ich, dass die Thiere dabei eine ganz gestreckte Haltung einnehmen und die Hüften gegen einander pressen. Sonst reichen bei den Laufbewegungen dieser Diplopoden die Hüftsäckehen nie bis an die Bodenfläche, auch können die Thiere Glasflächen von 70° Neigung nicht mehr erklimmen, was eher noch Craspedosomen gelingt. Ein ähnliches Vorkommen einer Doppelathmung durch weich- häutige sich mit Blut füllende Säcke neben der Tracheenathmung wurde auch bei Insektenlarven beobachtet. = Die Abdominalanhiinge der Insekten. 367 So machte C. Cnux! darauf aufmerksam, dass bei den Lar- ven von Eristalis besonders in reinem Wasser oft 20 Schläuche von ca. 1 Linie Länge aus dem After hervorträten, die einen respira- torischen Gasaustausch vermittelten, da sie längere Zeit nach dem Hervorstülpen im Wasser flottirten. Diese Säcke sind Einstülpungen des Mastdarmendes und von sechseckigen großkernigen Epithelzellen ausgekleidet; an ihre Spitze heften sich ein oder zwei sehr kon- traktile Muskeln und außerdem führen sie noch Tracheen. Ähnlich fand Frırz MÜLLER? bei verschiedenen Larven von Trichopteren, so besonders von Hydropsychiden, anale ausstülpbare Blindsehläuche ohne Luftröhren. Bei einer Larve von Macronema erschienen »die mit zartesten Luftröhren vollgepfropften Kiemen weiß, die vier blutgeschwellten Afterschläuche grün«. Fr. MÜLLER beob- achtete auch, dass die Afterschläuche sich hervorstreckten, sobald die Kiemen still standen oder durch Schmutz verklebt waren; eben so scheint es vor der Verpuppung zu sein, wo die Larve fast regungs- los daliegt. — Nicht mehr reine Blutkiemen haben wir in den Fällen, in welchen, wie z. B. bei den Larven von Itaura, »einige dürftige Luftröhrenäste« auftreten. Aus solehen Formen ergiebt sich dann durch höhere Entwick- lung der Luftröhren eine Art von Tracheenkiemen, wie Fr. MÜLLER sie neben den analen Luftlöchern als jederseits drei fingerförmige Blindsehläuche bei Larven von Psychodiden fand, die an Felswänden von Wasserfällen saßen. Diese Anhänge wurden im Wasser vor- gestreckt und außer Wasser wieder eingezogen °. Blutkiemen sekundärer und provisorischer Natur scheinen auch die eigenthümlichen, in den letzten Jahren genauer untersuchten Anhänge an dem ersten Abdominalsegment bestimmter mittlerer Ent- wicklungsstadien am Embryo der Insekten zu sein. Zuerst erwähnte H. RarHKe‘ an der Maulwurfsgrille eigenthüm- 1 ©. Cuun, Uber den Bau, die Entwicklung und physiologische Bedeutung der Rectaldrüsen bei den Insekten (Frankfurt a. M. 1875). pag. 14—15. 2 Frırz MÜLLER, Larven von Mücken und Haarflüglern mit zweierlei ab- wechselnd thätigen Athemwerkzeugen (Entomol. Nachrichten. XIV. Sept. 1888. pag. 272—277). 3 Scheinbar ähnliche Verhältnisse einer Doppelathmung sind von A. GER- STÄCKER auch bei Pteronareys und Diamphipnoa beschrieben worden, bei denen die Tracheenkiemen aber nur als verkümmerte Reste der larvalen Anhänge aufzufassen sind und neben den entwickelten Tracheen kaum mehr funktioniren werden. 4 H. RATHKE, Zur Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille (Arch. für Anat. und Physiol. 1844). pag. 30—32; dazu Taf. U Fig. 1—3. 368 Erich Haase liche gestielte Scheiben, »die an der konvexen Seite eine große Zahl von kleinen schwach gewölbten Vorragungen zeigen, deren jede in der Mitte einen Nabel hat« (— es sind wohl kernhaltige Zellen ge- meint —). Im Inneren vermisste RATHRE die Tracheen vollkommen, dagegen fand er Räume, die Blut zu führen schienen. Er sah die Organe als rein embryonale an und schrieb ihnen eine wohl respi- ratorische Funktion zu, wofür »ihre oberflächliche Lage, ihr inniges, wahrscheinlich durch einen klebrigen Stoff vermitteltes Anschließen an die Eihaut und die sehr weiche Beschaffenheit ihrer Oberfläche« sprechen. Eben so bemerkte er scharfsinnig, dass diese Embryonen »viel Luft bedürften« und somit die große Eikammer, in der sie niedergelegt werden, ihre Erklärung fände, zumal sie, »in der Erde so aufbewahrt, verderben«. Weiter erwähnte H. Ayers! in seiner Entwicklungsgeschichte einer Grillenart, Oecanthus niveus, dass »die Funktion der Athmung sich zuerst zur Zeit der Umrollung des Embryo bemerkbar mache« durch das Auftreten von zwei gestielten, breit ovalen Körpern am ersten Abdominalringe, die er geradezu als Kiemen (gills) bezeichnete. Ihr Zellbelag besteht aus großen kernhaltigen Zellen; ihr Inneres zeigt Höhlungen, die mit der Leibeshöhle in Verbindung stehen und wahrscheinlich als Kanäle dienen, in denen die Blutflüssigkeit cir- kulirt. — Ähnlich beobachtete W. Parren? an Phyllodromia germa- nica, dass sich das embryonale Beinpaar am ersten Abdominalringe in »pear-shaped structures« verwandle, die mit einem Stiel am Ab- domen festsäßen, der am distalen Ende in einen feinen Gang aus- liefe. Die Wand des Anhangs bestehe aus sehr hohen Ektoderm- zellen; Mesodermelemente nähmen an seiner Bildung nicht Theil. PATTEN verwarf die dem ähnlichen Anhange bei Gryllotalpa von RATHKE gegebene Deutung wegen der großen Dicke der »ectodermic walls«, glaubte vielmehr in ihm ein Sinnesorgan, vielleicht mit drü- siger Natur, sehen zu dürfen. Die wichtigsten Beobachtungen über diese Embryonalanhänge am ersten Hinterleibssegment verdanken wir V. GRABER®. — Am Em- bryo des Maikäfers treten an Stadien von 12—14 Tagen an den ! H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus etc. (Mem. of the Boston Soe. III. 1884). (Citirt nach V. GRABER.) 2 W. Parren, The development of the Phryganids with a preliminary note on etc. Blatta (Quart. Journ. Mier. Soc. XXIV. 1884). pag. 596—597. 3 V. Grazer, Uber die Polypodie der Insektenembryonen (Morph. Jahrb. Bd. XIII. 1888). pag. 586—615. Mit 2 Taf. Die Abdominalanhänge der Insekten. 369 meisten Abdominalsegmenten deutliche Spuren abdominaler Glied- maßen auf, von denen nach wenigen Tagen nur noch das erste Paar erhalten bleibt, welches stärker wächst als die typischen Beine und länger, sowie besonders viel breiter als letztere wird. Diese An- hänge sind sehr weich, ungegliedert und durch einen kurzen hohlen Stiel am Körper befestigt. Fast alle Zellen ihres Belages, beson- ders aber die an der Außenseite, sind sehr hoch, auch ihre Kerne sind mehr als doppelt so groß als die des übrigen Ektoderms. Im Inneren fand GRABER zahlreiche mesodermatische Zellelemente, aber sonst weder Muskeln, noch Nerven, noch Tracheen und weist damit die Deutung dieser Anhänge, welche PATTEN ihnen gegeben, zurück, während er die RATHKE’s für eher zulässig erklärt. Kurz vor dem Ausschlüpfen des Embryo aus der Eischale verkiimmern die An- hänge. Bei Hydrophilus bleiben sie nach GRABER »im Gegensatz zu den eine mächtige Entfaltung erlangenden homologen Organen von Me- lolontha in ihrem rudimentären Zustande«, während sie bei Gryllo- talpa zu flachen taschenartigen, mit einem hohlen Stiel am Körper hängenden Säcken werden und bis zum Ausschlüpfen des Embryo erhalten bleiben. Vor Kurzem untersuchte CHOLODKOVSKY! dieselben Anhänge bei Phyllodromia germanica genauer und beobachtete, dass die Meso- dermzellen später aus ihnen heraus in die Leibeshöhle auszuwan- dern schienen, während die Ektodermzellen der distalen Blase sich immer mehr streckten. Endlich liegen die Zellen so dicht an ein- ander, »dass es gar keine Höhle im Inneren dieses Theiles der ver- änderten Extremität giebt«. So sind diese ausgebildeten Anhänge mit Ausnahme des hohlen Stielchens nach CHOLODKOVSKY ganz solid und können nicht als Kiemen gedeutet werden, sind vielleicht — mit PATTEN — »am ehesten etwaigen Sinnesorganen zu vergleichen. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen den Deutungen GRABER’S und CHOLODKOvskKy’s wird vielleicht durch die verschiedene Lebens- weise der besprochenen Arten gelöst, indem die kiemenähnlichen 1 N. CHOLODKOVSKY, Studien zur Entw. der Insekten (Zeitschr. für wiss. Zoologie. Bd. XLVIII. 1889). pag. 93—94. 2 Durch die Güte des Herrn Dr. CHOLODKOVSKY hatte ich Gelegenheit, ein seiner Fig. .10 entsprechendes Stadium von Phyllodromia zu vergleichen. Der Sack scheint mir noch etwas hohl zu sein und die gelbliche, stark lichtbre- chende Färbung des Plasma der Epithelzellen erinnert sogleich an die Bauch- säckchen besonders von Campodea und eine, schon von H. RATHKE (s. oben) berührte drüsige (sekretorische) Funktion dieses Epithels. 370 Erich Haase Organe nur dann eine besondere Ausbildung zu erlangen scheinen, wenn der Embryo in feuchter und vielleicht zugleich erwärmter Luft, also unter denselben Bedingungen lebt, unter welchen die Ventral- säcke der Thysanuren ausgestülpt werden. Erst nach der Untersuchung eines größeren embryologischen Materials haben wir Aussicht, Sicherheit über die Bedeutung dieses blutkiemenähnlichen Anhanges am ersten Abdominalsegment zu ge- winnen. Ill. Morphologie der Ventralsacke. Die morphologische Bedeutung der Ventralsäcke wurde zuerst von J. Woop-Mason? berührt, welcher dieselben für »den Segmental- organen homolog« erklärte, indem er sich besonders auf ihre regel- mäßige Anordnung und das Vorkommen eines ähnlich liegenden Schlitzes an der Unterseite der Füße von Peripatus stützte, der in die Segmentalorgane führen sollte. Eben so deutete NAssonow?, wohl besonders wegen ihrer seg- mentalen Wiederholung, die Bauchsickchen der Campodea als den Segmentalorganen der Würmer und damit den Speicheldrüsen- und Geschlechtsausführgängen homolog, was er auch durch eine zum Theil unrichtige schematische Darstellung zu illustriren suchte. B. Grassi? hielt zuerst die Coxalsäcke von Scolopendrella für den Schenkeldrüsen von Peripatus, die mittlerweile durch die treff- lichen Arbeiten von MosELzey und E. Garrron an der Außenseite der Nephridienöffnung nachgewiesen waren, homolog, bemerkte je- doch, dass sie der Lage nach eher den Nephridien selbst entsprä- chen. — Die gleiche morphologische Deutung vertrat auch ich in meinem Vortrage auf der Berliner Naturforscherversammlung, den ich später in Dresden ausarbeitete’, jedoch zog ich noch die Coxal- drüsen der Chilopoden und die Hüftsäcke von Lysiopetalum und Chordeumiden heran. Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch F. Erste auf Grund seiner Untersuchungen über die Capitelliden. Ausgehend von den parapodialen Spinndrüsen der Anneliden, denen er eine nahe Be- ziehung zu den Borstendrüsen zuschreibt, führt Eısıs als diesen 1 J. Woop-Mason, Morphological Notes ete. (1879) pag. 159. 2 N. B. Nassonow, |. c. (Biol. Centralblatt. 1886). pag. 459. 3 B. Grassi, Morfolog. delle Scolopendrelle (1886). pag. 22. 4 E. Haase, Die Vorfahren der Insekten (Abhandl. nat. Gesellschaft » Isis «. Dresden 1886). pag. 88. Die Abdominalanhänge der Insekten. 371 homologe Gebilde die Schenkeldrüsen von Peripatus und die Coxal- drüsen! und Ventralsiickchen der Myriopoden und Thysanuren auf, indem er scharfsinnig die »ausstülpbaren Säckchen .... als in Rückbildung befindliche Hüft- oder Coxaldrüsen« an- sieht. Endlich spricht Grassı? in seiner letzten zusammenfassenden Arbeit die Bauchsäcke als »rudimentäre oder etwas umgewandelte Kiemen an«, die den Tracheenkiemen in ähnlicher Lage bei den In- sekten entsprächen, eine Art »carattere miriapodico« wären und » vielleicht auch« bei Peripatus vorkämen. In der That ist es wahrscheinlich, dass die Ventralsäcke der Symphylen, Chilognathen und Thysanuren auf weit verbreitete drü- sige Bildungen zurückzuführen sind. Um nur die Antennaten zu berühren, so liegen die verschiedenen Organe alle nahe der Bein- wurzel an der Unterseite oder an entsprechenden Stellen der Bauch- platten, auch scheint ihr Bau auf ein Schema zurückführbar, auf eine Einstülpung der Chitinhaut, die über drüsigem Epithel liegt und entweder als Coxal- oder Cruraldrüse dem Beine fest eingefügt ist oder als Ventralsäckehen willkürlich durch Blutfüllung vorgestülpt und durch Muskeln zurückgezogen werden kann. Die Ausgangspunkte der Entwicklungsreihe finden sich nach den Anneliden bei Peripatus und den Myriopoden. Bei P. ca- pensis kommen die Cruraldrüsen in beiden Geschlechtern vor, wäh- rend sie bei P. Edwardsii, ähnlich wie bei den Chordeumiden, auf einige Segmente des Männchens derart vertheilt sind, dass sie auf den letzten Prägenitalsegmenten meist zu je zwei an einem Beine liegen. Die Drüsenschläuche sind hier oft mit einem homogenen bräunlichen Sekret gefüllt. E. Garrron® erklärt diese Schenkel- ! Es sei hier kurz darauf hingewiesen, dass die meisten von EISIG er- wähnten Drüsen der Myriopoden nicht als Homologa der Coxaldrüsen, sondern nur als einfache Hautdrüsen aufzufassen sind. Dahin gehören die nur bei Geo- philiden beobachteten Ventraldrüsen, dahin auch die z. B. bei Glomeris, der die Wehrdrüsen fehlen, über die ganze Oberfläche des Hautpanzers zerstreuten Klebdriisen. Was die Spinndrüsen von Scolopendrella betrifft, so kann ich sie desshalb nicht für den Coxaldrüsen homolog erklären, weil ihr Ausführgang nicht in einem Beine; sondern in den Cercis liegt; weiter ist es mir sehr zweifelhaft, dass die Gespinste der Chordeumiden und Lysiopetaliden aus dem Sekret von »Hüftdrüsen« kommen sollen. 2 B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 39 und 58. 3 E. GAFFRON, Beiträge zur Anatomie und Histologie von Peripatus. II. (A. SCHNEIDER’s zoolog. Beiträge. I. 3). pag. 158. 372 Erich Haase a drüsen für » Ektodermeinstiilpungen, welche sich mit dem zunehmen- den Alter der Männchen an Zahl und Größe vermehren können«. Unter den Chilopoden treffen wir Drüsen an der Basis der Beine nur bei Formen, welche kürzere Extremitäten besitzen und eine mehr unterirdische Lebensweise führen; so fehlen dieselben bei den hochbeinigen Vertretern der Gattungen Scutigera und Cerma- tobius durchaus. Bei Henicops und Lithobius kommen sie in Mehr- zahl an den letzten vier (nur bei Lith. megaloporus aus Kalifornien an den letzten fünf) Hüftpaaren in beiden Geschlechtern vor und bilden meist eine Reihe, nur bei großen Lithobien sind sie zahl- reich und unregelmäßig zusammengedrängt. Diese Hüftdrüsen bilden sich erst mit dem Eintritt der Geschlechtsreife aus und werden nach der nächsten Häutung allmählich frei; ihre Zahl ist meist am vor- letzten Beinpaar am größten, am letzten und viertletzten am klein- sten. — Bei den Chilopod. epimorpha, den Scolopendriden und Geo- philiden ziehen sich die Hüften in den Leib zurück und an Stelle der Coxaldrüsen treten zahlreich oder vereinzelt Drüsen in den hüft- artig entwickelten Pleuren nur des letzten Beinpaares auf; diese Pleuraldrüsen sind somit den Hüftdrüsen nicht streng homolog. Die Hüftdrüsen der Lithobiiden erzeugen ein an der Luft zu einem Gespinst erhärtendes Sekret, das nach der interessanten Be- obachtung LATzer'’s! bei Lith. grossipes, wenn man ihn ergreift, in Fäden austritt, die sich um die Analbeine wickeln, sonst aber wohl besonders zum Auskleiden der unterirdischen Wohnräume dient und in den einzelligen Drüsen bereitet wird, welche den weiten chitinösen Ausführgang dicht gedrängt umgeben. Das Sekret ist besonders an jüngeren Stücken von Lith. forficatus, die man lebend in 0,05 ige Überosmiumsäure thut, leicht nachzuweisen, da es sich schnell schwärzt (noch am lebenden Thier!) und dann gallertartig erschei- nende Massen bildet, die das Drüsenlumen erfüllen und oft das Drei- fache der Länge des Porus erreichen. In den Ordnungen der Symphylen und Diplopoden kommen, mit Ausnahme von Chordeumiden (s. oben pag. 338), keine Hüft- drüsen vor, doch finden sich an ihrer Stelle vom dritten (Scolopen- drella) oder vierten (Lysiopetalum, Polyzonium, Siphonophora) Seg- ment an die geschilderten ausstülpbaren Säckchen in beiden Ge- schlechtern. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass diese als Derivate von Drüsen aufzufassen sind, welche ihre secernirende Funktion mit ! R. LATZEL, Die österr.-ung. Myriopoden. I. Chilopoden. 1880. pag. 34. Die Abdominalanhänge der Insekten. 373 der respiratorischen vertauschten, wie dies ähnlich von der Umwand- lung von Hautdrüsen zu Tracheen angenommen wird. Auf die ur- sprünglich drüsige Natur der Hüftsäckehen deuten wohl noch die Riesenkerne in der Matrix derselben bei Scolopendrella und Cam- podea. Die rein drüsige Natur homologer Gebilde tritt uns, vielleicht sekundär, unter den Thysanuren bei Japyx entgegen, wo bei J. gigas und J. solifugus kompakte Drüsenzellhaufen auftreten, deren Sekret sich in feine Hohlhaare ergießt. Dass ähnliche Organe, wie die von Japyx, auch die Vorläufer der respiratorischen Säckchen sein konnten, ergiebt sich schon daraus, dass letztere bei J. gigas an derselben Stelle, wenn auch in unvollkommener Form, am zweiten Abdominalsegment auftreten. Die ursprünglich drüsige Natur der Bauchsäcke von Machilis scheint, wie durch die eigenartige Matrixlage, so auch durch die langen gereihten Haare an der Dorsalseite der eingestülpten Säck- chen bezeichnet zu sein, die mit verkümmerten einzelligen Haut- drüsen in Verbindung stehen. Wie die Coxaldrüsen der Lithobiiden kommen auch die Ventral- stickchen der Thysanuren manchmal in mehreren Paaren an einem Segment vor; so besitzt Machilis vom 2.—5. Hinterleibsringe deren zwei Paar und ähnlich sind auch die Drüsenmassen am ersten Ab- dominalsegment von Japyx gigas in mehrere Lappen getheilt. Wie zuerst J. Woop-Mason hervorhob!, ist die Entstehung des Ventraltubus der Collembola auf die Verschmelzung eines Abdo- minalsackpaares, wie sie bei Thysanuren auftreten, zurückzuführen, und in Übereinstimmung damit ist auch bei den weniger rückge- bildeten Formen die Bilateralität der Endsäckchen noch deutlicher ausgeprägt. Ob hingegen die eigenthümlichen provisorischen Respirations- säcke am ersten Abdominalsegment der besprochenen Insektenem- bryonen den Ventralsäcken der Thysanuren strikte homolog sind, erscheint etwas zweifelhaft, da beide eher als sekundäre unabhängig entstandene Anpassungserscheinungen an unausgebildete resp. rück- gebildete innere Respirationsthätigkeit angesehen werden dürften und die Entwicklung des Athmungsorgans für die Entscheidung morpho- logischer Fragen bei Arthropoden von geringerem Werthe ist. Doch ist es wahrscheinlich eine latente Vererbung, welche diese einander 1 J. Woop-Mason, Morph. Notes (1879). pag. 160. 374 Erich Haase so durchaus analogen Bildungen an denselben Orten wieder ent- stehen ließ. B. Die Ventralgriffel. Als Griffel (Styli) bezeichne ich die ungegliederten, starren fuß- stummelartigen Anhänge an der Hüfte oder dem Hinterrande der Bauchplatten gewisser Myriopoden, Thysanuren und Insekten, die von B. Grasst »Pseudozampe« genannt werden. . An die Behandlung der Griffel schließt sich die der Endan- hänge, Raife (Cerci) des Afterstückes an, welche meist gegliedert sind und in der Nähe des Afters entspringen!. Zur Vervollständigung werden auch die äußeren Genitalanhänge (Gonapophysen) und (in der morphologischen Betrachtung) die Schein- füße (Pedes spurii) und andere sekundäre, besonders lokomotorische Anhänge des Hinterleibes besprochen werden. I. Vorkommen und Bau der Ventralgriffel. 1) Symphyla (Fig. 1, 7—9). A. MENGE? beschrieb die Ventralgriffel von Scolopendrella als »ein Paar zapfenförmiger, auf der Oberfläche behaarter Anhänge neben der Einlenkung der Füße«. Weiter behauptete Woop-Mason®, dass dieselben Anhänge der Beine vollkommen unbeweglich zu sein schienen, nahm dies aber in einer späteren Arbeit anscheinend wieder zurück, in der er sie »movably artieulated« nannte und ibnen eine besondere Sternalplatte zuschrieb. An jungen Thieren mit sieben Beinpaaren erwähnte der- selbe, — was den späteren Beobachtern wieder entgangen ist, — dass am Hinterrande des kurzen letzten Segmentes ein Paar konischer . Fortsätze zwischen den borstentragenden Vorsprüngen und den End- raifen sitze, die er — irrthümlich — für »die Knospen des künftigen achten® Beinpaares« hielt. 1 Die Entomologie (vgl. H. Burmeister, Handbuch der Entomologie. I. 1832. pag. 120) unterschied bisher mit Unrecht diese beiden Anhänge meist nach der fehlenden (Styli) oder ausgebildeten (Cerei) Gliederung, ohne auf die wichtigen Unterschiede in der Lage derselben einzugehen. 2 A. MENGE, Die Myriopoden etc. (1857). pag. 15. 3 J. Woop-Mason, Entomol. Notes etc. (Trans. Ent. Soc. 1879.) pag. 156. 4 J. Woop-MAsox, Notes on the structure ete. of Scolopendrella (Ann. Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883). pag. 58. 5 Ebenda. pag. 62. Statt »eigth« muss es heißen »neunten Beinpaares «. Die Abdominalanhänge der Insekten. 375 R. Latzen! bezeichnete diese Ventralgriffel als »ungegliederte, herabhängende und paarweise angeordnete Anhänge, Parapodien, innerhalb und neben den Beinen«, »die zwischen den beiden vor- dersten Fußpaaren nicht zu bemerken sind«?. Die Ausbildung dieser Anhänge variire nach den Arten, so seien sie bei Se. nothacantha äußerst kurz; bei Sc. immaculata trügen sie am Ende zwei ungleich lange Borsten. B. Grassi? erwähnt nur »besondere Nervenendigungen am Ende« der Griffel; seine übrigen Angaben beziehen sich auf die morpho- logische Bedeutung dieser Anhänge. Nach meinen Untersuchungen an Scol. immaculata Newp. treten die Ventralgriffel zuerst und unvermittelt am dritten Körpersegment auf und erlangen dort eine Größe bis zu 0,07 mm. Sie sitzen (Fig. 7 er.) innerhalb der Coxalsäckchen dem Grundstück der Hüfte auf und müssen desshalb bei Scolopendrella als Coxalgriffel be- zeichnet werden. An der Basis beweglich eingelenkt, sind sie an ihrem läng- lichen Stammtheile wie die härteren Chitinplatten kurz behaart und am hinteren* Ende in eine lange spitze Borste von 0,013 mm Länge ausgezogen (Fig. 9), der am vorderen Ende ein subapicales Sinnes- haar gegenübersteht. In die Griffel tritt, wie schon Grassi erkannte, ein feiner Nervenstrang bis zur Spitze hinein. Die Länge der Griffel nimmt nach dem Körperende langsam zu, .so beträgt sie mit der Spitze am sechsten Rumpfsegment 0,0°, am achten schon 0,085 mm, auch werden die Griffel allmählich etwas dicker und am Hinterrande gewölbter; zugleich tritt die vordere Sinnesborste mehr zurück. Die größte Länge, 0,09 mm, erreichen die Griffel am zwölften Rumpfsegment. An die Griffel setzen sich nur wenige kurze Beugemuskeln an, durch deren scharfe Kontraktion eine schwache Vorwärtsbewegung erfolgt; in das Innere treten keine Muskeln. Am dreizehnten Rumpfsegment, das kein eigenes Ganglion mehr besitzt und so verkümmert ist, dass es von LATZEL nicht mehr als Körperring angesehen wurde, sind die Basaltheile der Beine bei 1 R. LATZEL, Die Myriopoden etc. 2. Hälfte. Wien 1884. pag. 2. 2 R. LATZEL, Ebenda. pag. 17. 3 B. Grassi, Morfolog. delle Scolopendrelle (I progen. etc. Mem. Real. Accad. Se. Torino. XXVII. 1886). pag. 9. 4 Diese Bezeichnungen der Lage entsprechen immer der am horizontal vorwarts kriechenden Thiere. 376 Erich Haase allen drei Arten sehr redueirt und als solche nur durch ihre Kon- touren und einzelne schwache Muskeln bezeichnet. Der distale Theil ragt in der Länge von 0.05 mm jederseits der hier ungewöhn- lich breit und schildartig entwickelten Bauchplatte hervor und trägt am abgerundeten Ende eine flache, von starren Borsten umstellte Grube. In dieser sitzt über einem Porus eingelenkt ein am Grunde zwiebelförmig verdicktes Sinneshaar (Fig. 5 sens.) von 0,12 mm Länge, an das gangliöse Zellen herantreten, die mit einem starken, vom (zwölften) Ganglienknoten des zwölften Rumpfsegmentes abgehen- den Nerven verbunden sind. Die sensorische Natur dieser Einrich-- tung ist zuerst von J. MuHr!, ihre Homologie mit einem Beinrudi- ment von B. Grassi? angedeutet worden. An jüngeren Thieren lässt sich auch an diesem Segment, wie dies schon Woop-Mason gesehen hatte, ein Coxalanhang nachweisen. An Stiicken von 2 mm Körperlänge, besonders einer Triestiner, durch Zartheit der Cuticula ausgezeichneten Form von Sc. immaculata, die erst zehn vollent- wickelte Beinpaare besitzen, setzt sich das Endstück des Beinrudi- ments mit dem Tastapparat von dem letzten Bauchschilde durch einen Einschnitt noch deutlich ab und trägt innerhalb des letzteren einen abgerundet dreieckigen Anhang von 0,035 mm Breite, der am Hinterende innen in eine schlanke Spitze ausgezogen ist (Fig. 8 st.). An reifen Thieren wird dieser Anhang reducirt und sein Fortsatz durch die Bauchplatte des dreizehnten Segmentes, die durch die inter- calare Sprossung nach hinten geschoben wird, ganz bedeckt, so dass er durch Präparation freigelegt werden muss, um erkannt zu werden. Bei Scol. nivea Scop. sind die ebenfalls am dritten Körperringe zuerst auftretenden Coxalgriffel mehr abgerundet als bei voriger Art und 0,03 mm lang. Am zehnten Ringe des untersuchten, nicht ganz reifen Stückes waren sie 0,04 mm lang und liefen in zwei Dornen aus. Hinter dem dreizehnten Rumpfsegment tritt noch ein besonderes segmentartiges Afterstück auf, das die echten Rumpfmetamere hinten abschließt. Dasselbe entspricht anscheinend zusammen mit dem drei- zehnten Segment und der davor gelegenen Knospungszone dem Kör- pertheile, welchen B. HArscHEX in der Entwicklung der Anneliden als »Endstiick«? bezeichnet hat. 1 J. MUHR in »Zoologischer Anzeiger«. Nr. 75. pag. 59. 1881. 2 B. Grassi, Morfol. delle Scolopendrelle ete. (1886). pag. 10. 3 B. HATSCHER, Studien über Entwicklungsgeschichte der Anneliden (Ar- beiten des zoologischen Instituts zu Wien. I. 1878), vgl. pag. 10, 77 und 112. Die Abdominalanhänge der Insekten. ° 377 Am Afterstück sitzen weit über dem After jederseits der Steiß- drüse! zwei plumpe unbewegliche Spinngriffel, die trotz ihrer be- deutenden Größe und obwohl sie als Ausführgänge der gewaltigen Spinndrüsen dienen, doch nur als Integumentalbildungen aufzufassen sind, welche den Endraifen (Cerei) der Thysanuren entsprechen. Ihr Bau ist dem der Coxalgriffel sehr ähnlich; so haben auch sie eine längere gelenkige Borste am Innenrande, außerhalb deren ein schmaler Einschnitt zum Ausführgang der Drüse führt. 2) Thysanura. 1) Campodea (Fig. 2, 11—14). Abgesehen von einer bloßen Erwähnung durch P. Gervais? und Nicotet? wurden die Ventralgriffel an der weit verbreiteten C. sta- phylinus Westw. (= fragilis Mnt.) zuerst von Fr. MEINERT * beschrieben. Nach demselben kommt am ersten Hinterleibsringe ein von den Pleuren ausgehender taschenförmiger Anhang vor, der an seinem Vorderrande mit einigen Borstenreihen besetzt ist; an den sechs folgenden Segmenten hingegen stehe am Hinterrande der Bauch- schilde jederseits ein konischer oder pfriemförmiger, beweglich ein- gelenkter Fortsatz. B. Grassı5 gab für den ersten Abdominalring das Vorkommen von zwei großen seitlichen »Papillen« an, die bei den Männchen durch eine »Haarzone« getrennt seien, welche den Weibchen fehle. In der Tafelerklärung® zu den betreffenden Abbildungen auf Taf. IV Fig. 6 und 16 bemerkte er dazu, dass die »Pseudozampe« die Form großer gegliederter Papillen hätten und in den zwei Geschlechtern nicht verschieden seien. ! Die bisher unerwähnte Steißdrüse besteht aus einer schalenförmig ge- schlossenen Masse cylindrischer Epithelzellen, die von einer starken, soliden Chitineinstülpung bekleidet wird und — irrthümlich — von A. MEnGE für den Oviduet, von späteren Autoren für den After angesehen wurde. Sie kommt von unseren Arten nur bei Sc. immaculata vor und findet sich schon bei ganz jungen Thieren. 2 P. Gervais, Hist. nat. Ins. Apteres (Suites 4 Burron). T. II. 1844. pag. 455. 3 H. NICOLET, Essai s. une classif. ete. des Thysanoures (1847). pag. 354. * Fr. MEINERT, Campodeae ete. (1864—1865). pag. 425. 5 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea etc. (1886). pag. 56. 6 B. Grassi, ibid. pag. 75. 378 Erich Haase Nassonow erwähnte ebenfalls, wie MEINERT, dass sich »die Extremitäten am ersten Segment in Form und Größe von den übri- gen unterschieden«! und gab auf der Darstellung der Unterseite des ganzen Thieres diese Verschiedenheit im Bau der Anhänge auch sehr charakteristisch wieder. Weiter führte er an, dass die Bewegung ‘wohl der hinteren Ventralzapfen?) »nur vertikal durch zwei Mus- keln« geschehe?, während B. Grassı?® nur einen Muskel beob- achtete. J. T. OuDEmans* stellte gleichfalls fest, dass die Anhänge am ersten Abdominalsegment »eine andere Gestalt« als die folgenden hätten und behauptete, dass sie »ohne Artikulation« festsäßen. Nach meinen Untersuchungen findet sich am ersten Abdominal- segmente5 in einer Linie mit den Hüften der Thorakalbeine (vgl. Fig. 2 und 11) ein Paar besonderer Anhänge, die denen der folgen- den Ringe nicht entsprechen. Sie liegen deutlich außerhalb der Bauchplatte, die hier ziemlich stark gewölbt und besonders am Hinterrande mit feinen Borsten besetzt ist, sind nach hinten und außen gerichtet und schmiegen sich etwas an den Leib an (Fig. 14 ped.rud.). Auf der Ventralfläche zerfallen sie durch eine hinter der Bauchplattenmitte liegende Querfalte, unter der eine zartere Gelenk- haut zu erkennen ist, in zwei Glieder (Fig. 13). Das basale er- innert an das Hüftglied der Thorakalbeine und nimmt über die Hälfte des Anhangs ein. Am Außenrande konvex, bildet es an der Innenseite mit dem distalen Gliede einen stumpfen Winkel: nach vorn ist es in eine allmählich sich verflachende Ecke ausgezogen, nach hinten unbedeutend verjüngt: am Außenrande springt es scharf vor und ist von schwachen Vorwölbungen der Pleuralhaut begrenzt, die, wie auf den entsprechenden Thorakaltheilen, einseitig gefiederte Borsten tragen. Das freie distale Glied vgl. Fig. 13) ist von breit ova- lem oder abgerundet viereckigem Umriss, am Rande oft gezähnelt, und nimmt meist nach dem Ende zu an Dicke ab, so dass der Hinterrand am frischen Thiere glasig durchscheint. Während auf der ventralen 1 Dasselbe zeigt schon die auch in die Lehrbücher von C. GEGENBAUR und C. CLaus übergegangene halbschematische Abbildung von Campodea bei J. PALmEx (Zur Morphologie des Tracheensystems. 1877. Taf. II Fig. 24). 2 N. B. Nassonow, Zur Morphologie ete. (1887). pag. 36. 3 B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri ete. 1888. pag. 12. 4 J. T. OuDEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren etc. 1888. pag. 160. 5 Sitzungsber. Ges. naturforsch. Freunde. Berlin 1889. pag. 24. Die Abdominalanhänge der Insekten. 379 Fläche nur vereinzelte, sehr dünne Borsten von gewöhnlicher Form aufsitzen, stehen an der dorsalen (hinteren), dem Körper zuge- richteten Fläche 20—30 eigenthümliche Haaranhänge, von denen die der zwei äußersten Reihen von bedeutend längeren und dickeren Borsten gebildet werden, die in kammförmiger Anordnung 0,01 mm vom Hinterrande eingesenkt sind und sich, nach unten umgebogen, noch 0,007 mm über letzteren fortsetzen. Diese Borsten sitzen einem runden Balge mit erhabenen Ringwänden auf und in diesen tritt eine Drüsenzelle hinein. Im Inneren des basalen Anhangstheiles lassen sich sechs bis acht schiefe, deutlich quergestreifte Muskeln nachweisen, die von der Ventralplatte desselben Segmentes abgehen, gleich denen der Thorakalbeinhüften in verschiedener Richtung verlaufen (vgl. Fig. 11) und sich zum Theil noch an die Flächen des distalen Gliedes an- setzen (Fig. 13 m.). Die Gewebslagen unter der ersten Bauchplatte zeichnen sich durch ihren großen Reichthum an Bildungszellen und durch das eigenartige Aussehen ihrer Parenchymmassen (vgl. Fig. 12) aus. Sie nehmen auch in viel höherem Grade als die der übrigen Segmente die Farbstoffe der Tinktionsflüssigkeiten auf, so dass das erste Abdominalsegment an Schnittserien daran erkannt werden kann. Es scheint hieraus hervorzugehen, dass sich die Ventralseite dieses Segmentes auf einem besonderen Entwicklungsstadium befindet, das ich für ein unterdrücktes, dauernd unfertiges halten möchte. So lassen sich denn auch die Anhänge dieses Segmentes als rudimen- täre, in der Entwicklung zurückgebliebene Beine erklären. Dafür sprechen besonders ihre Größenverhältnisse bei Thieren verschiedenen Alters. An ganz jungen Stücken von 1,8 mm Länge tritt das Endglied des Anhanges durch auffallend reiche Kernfärbung (mit Hämatoxylin) vor allen anderen Anhängen hervor; es erscheint bedeutend schlanker als bei älteren Stücken und misst bei 0,065 mm Länge nur 0,012 mm Breite; das Verhältnis zur Körperlänge ist also für dies Glied ungefähr = 1: 27,7. — An einem jungen Männchen von 3 mm Länge (vgl. Fig. 12) stellt sich dies Verhältnis wie 0,08:3 mm, d.h. = 1: 37,5. — An einem Männchen von 5,3 mm Länge war dasselbe Glied 0,095 mm lang und 0,035 mm breit; an einem Weibchen von fast 6 mm Länge war es 0,11 mm lang und 0,04 mm breit; die Länge des Gliedes verhält sich hier zu der des Körpers ungefähr wie 1:55. — Bei dem zur Abbildung (Fig. 2) benutzten großen Männchen von 6 mm Länge ist das Glied 0,12 mm lang und 0,045 mm breit, was ein Verhältnis von 1: 50 giebt. — Morpholog. Jahrbuch. 15. 25 380 Erich Haase Dasselbe fand sich an dem größten, überhaupt untersuchten Stücke, einem Weibchen von 7 mm Länge, an dem das Anhangsglied 0,14 mm lang und 0,05 mm breit war. Wenn nun auch das Verhältnis der Längenzahlen in gewissen Grenzen variirt, zeigt es doch immerhin deutlich, dass mit dem zu- nehmenden Körperwachsthum des Thieres die Anhänge des ersten Abdominalsegmentes an Größe zurücktreten. Am zweiten Abdominalsegment liegt außerhalb der Linie, in welche die eben besprochenen rudimentären Beine fallen, ein zapfen- förmiger ungegliederter Anhang, der zu den Abdominalgriffeln ge- hört, auf einer kugeligen Duplikatur. Derselbe läuft am Vorderende in eine eigenthümliche Sinnesborste aus, welche den für Campodea charakteristischen, einseitig gefiederten Haaren gleicht. Unter der Spitze der Griffel sitzt ein gerader Dorn und darunter wieder ein einseitig meist einfach gegabeltes Haar. Die Abdominalgriffel sind meist (in der Ruhe) schief nach hinten gerichtet, während das große, nach vorn verlaufende Gabelhaar ihnen fast senkrecht aufsitzt (vgl. Fig. 14 st.).. Von den Ventralsäcken sind die Griffel durch einen schmalen Spalt getrennt. Auf den folgenden Ringen wird der lappenförmige Basalvor- sprung, dem die Abdominalgriffel aufsitzen, mehr und mehr reducirt, während die Länge der letzteren zunimmt: so beträgt dieselbe am zweiten Abdominalringe mit der Spitze 0,09 mm, am dritten schon 0,12 und wächst bis zu 0,15 mm am siebenten Segment, an dem das letzte Paar sitzt. Im Inneren der Griffel liegen außer der star- ken Hypodermis viele lose Zellen, die vielleicht Blutzellen sind, auch spannen sich zarte bindegewebige Maschen durch den Hohl- raum aus; in die Spitze tritt ein Nerv, während sich an die (vor- dere) Ventralseite der beweglich eingelenkten Basis ein einfacher, am Ansatz in zwei Bündel zerfallender Muskel ansetzt, der nahe dem Vorderende der Bauchplatte desselben Segmentes entspringt. Die Längsmuskulatur der Bauchplatten zerfällt in drei Stränge und liegt innerhalb der Ventralsäckchen, wie sie auf den Thorakal- platten innerhalb der Hüftwurzeln liegt (vgl. Fig. 11 m.long.ventr.). An jungen Thieren treten die Ventralgriffel noch sehr zurück. Während an den drei letzten (3.—10.) Abdominalringen keine griffelartigen Anhänge vorkommen, sitzen hinter dem zehnten Seg- ment auf dem fast unterdrückten Afterstück, das aber noch ent- Die Abdominalanhänge der Insekten. 381 wickelte Analklappen trägt, über dem After in der weichen Verbin- dungshaut nach oben verschoben, die langen, aus höchstens vierzehn Gliedern bestehenden Endraife (Cerei, Schwanzfäden) auf. Die- selben werden ähnlich wie die Abdominalgriffel durch zwei Muskeln, einen äußeren geraden und einen inneren schiefen, bewegt, die nur an die Kante des Basalgliedes herantreten; so sind die Glieder dieser langen Anhänge starr und ohne durchgehende Muskelzüge, was auch ihre auffallende Brüchigkeit erklärt. Wie die Antennen sind auch die Endraife mit einzelnen gefiederten Tastborsten besetzt, die wie auf den Fühlern nach dem Körper zu gerichtet sind. Am Endgliede findet man ähnlich wie am Fühlerende ein besonderes Sinnesorgan, das aus einer seitlich von zwei Ecken eingeschlossenen, Sinneszäpf- chen tragenden terminalen Grube besteht. Was das Vorkommen besonderer äußerer Genitalanhänge, Gon- apophysen, betrifft, so ist nach B. Grassı! die Geschlechtsöffnung von Campodea bei den Weibchen von drei Papillen umgeben, deren unpaare die hintere ist, während bei den Männchen nur eine unpaare Papille vorkommt, die sich stärker als die des Weibchens entwickelt, und, da an ihrer Spitze die unpaare Genitalöffnung ausmündet, von GRASSI später mit Recht als »Penis« bezeichnet wird. Nach meinen Untersuchungen sind die äußeren Genitalorgane in beiden Geschlechtern nach einem Typus gebaut. Beiderlei Ge- schlechtsausführgänge münden ziemlich frei direkt hinter dem Hinter- rande des achten Abdominalsegmentes aus; der des Männchens sitzt einer kräftigen und harten Papille auf, die spitz ausgezogen ist und den Penis darstellt. Unter und vor dem Genitalporus liegen in bei- den Geschlechtern zwei blasenartige Erweiterungen der weichen Ver- bindungshaut, welche von Grassi als »Papillen des Weibchens« be- schrieben wurden. Dieselben sind aber, wie gezeigt wurde (vgl. Fig. 16), wie die übrigen Abdominalsickchen gebaut. Somit fehlen Gonapophysen bei Campodea noch durchaus. 2) Japyx (Fig. 3, 18, 19). Während der Entdecker der Gattung, HaLıpayY?, das Vorkommen 1 B. Grassi, L’Japyx e la Campod. (1886). pag. 54. 2 J. Hauipay, Japyx, a new genus of insects etc. (Trans. Linn. Soc. Vol. XXIV. 1864). pag. 444. 25* 382 Erich Haase von Abdominalanhängen ausdrücklich leugnet, erwähnt Fr. MEINERT! zuerst die Abdominalgriffel als »bewegliche Anhänge an der Unter- seite der sieben ersten Abdominalringe, die zu sehr kurzen konischen Borsten redueirt sind, von denen jede ein feines Haar an der Seite trägt«. Bei Beschreibung seines J. gigas giebt Fr. BRAUER? das von B. Grassı mehrmals für seine Ansichten angeführte Merkmal an, dass der 1.—7. Ring mit einem »dreigliedrigen« Anhange versehen sei. B. Grasst® selbst führt aus, dass die »Pseudozampe« von Japyx »beweglich, jedoch nicht Borsten vergleichbar sind, wie MEINERT glaubte«, »ma risultano invece di vere prominence dell’ ipoderma rivestito di cuticulac. An ihre Basis hefteten sich mehrere Muskeln an; am Ende liefen sie in zwei Spitzen aus, was vielleicht auf ihre ursprüngliche Zweispaltigkeit hindeute. — Weiter erwähnt Grassi noch pag. 15 kleine Leisten (Creste), die der Insertion der Abdo- minalgriffel entsprächen. Nach meinen Untersuchungen an J. gigas, J. solifugus und J. Isabellae sitzen die Griffel bei allen drei Arten an den ersten sieben Abdominalringen, sind stets ungegliedert und nehmen nach hinten unbedeutend an Größe zu. Sie sind von spitz kegelförmiger Ge- stalt und im Inneren mit Matrixzellen ausgekleidet und mit Binde- gewebsmassen, zwischen welche die Leibeshöhlenflüssigkeit tritt, wie bei den verwandten Formen, gefüllt. Nahe ihrer Basis sitzt ein eingelenktes, meist peitschenartig nach der Spitze geschwungenes Sinneshaar (Fig. 18 sens.); ihre Wand ist sehr diek und bei J. gigas von einzelnen Porenkanälen durchbrochen. So entsprechen sie in ihrem Äußeren durchaus den echten Gelenkspornen (Calearia), wie sie bei Insekten so häufig sind und auch bei Myriopoden auftreten. In die Griffel tritt ein feiner, schon von GRASSI, ]. e. pag. 18, ver- mutheter Nerv hinein. Quer vor die Sporne legt sich am Hinterrande der Bauchplatte ein Chitinsehnenstück, das nach vorn in einen star- ken inneren Chitinstab verläuft, der sich vor der Mitte der Bauchplatte inserirt und unmittelbar derselben anschmiegt (Fig. 18 chit.. Am äußeren Ende verläuft die Quersehne in einen unbedeutenden Ast. An die Ventralseite der Basis der Abdominalgriffel setzt sich ein Muskel (Fig. 18 musc.) an, der von der Bauchplatte entspringt. 1 Fr. MEINERT, Campodeae etc. /1864—1865). pag. 418. 2 Fr. BRAUER, J. gigas (n. sp.). (Verh. zool. bot. Ges. Wien 1869). pag. 556. 3 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea (1886). pag. 28. Die Abdominalanhänge der Insekten. 383 Bei J. gigas umgreift die Quersehne ringartig die Griffelbasis; der den Griffel bewegende Muskel ist ziemlich kurz. Der Griffelnerv ist 0,004 mm dick. Am ersten Abdominalsegment ist der Abdominal- griffel nur 0,18, am zweiten ist er 0,2, am siebenten schon 0,26 mm lang. Die Farbe ist an der Spitze etwas grauweiß, dann folgen undeutliche Binden, ein breites rostbraunes Mittelstück und eine klare durehsichtige Basis: diese verschiedene Färbung war es wohl, welche Fr. BRAUER verleitete, eine Mehrgliedrigkeit des Anhanges an- zunehmen. An der Spitze sind einzelne Griffel manchmal tief ein- geschnitten, doch kommt dies ganz unregelmäßig vor. Bei J. solifugus sind die Griffel am ersten Ringe 0,06 mm lang, am siebenten sind sie schon 0,095 mm lang und 0,025 mm breit. Nach der verjüngten Spitze zu sind sie glasig, sonst ist die basale Hälfte ähnlich wie bei voriger Art weißlich, die distale gelblich. Am Ende findet sich meist ein undeutlicher Spalt, an der Basis ein Peitschenhaar. Von den zwei Längschitinsehnen geht die innere bis zur Hälfte der Bauchplatte, während die äußere kürzere und schwächere geschlängelt am Außenrande derselben hinzieht. — Ähn- lich entwickelt sind die Ventralgriffel bei J.? Isabellae. Hinter dem zehnten Abdominalsegment treten an dem noch mehr als bei Campodea verkümmerten Afterstück zwei gewaltige Endan- hänge auf, welche die bekannte Zange (Forceps) bilden und durch- aus den vielgliedrigen Schwanzfäden (Cerei) der Campodea entspre- chen. An der Basis gerade abgestutzt, gelenken sie dorsal und ventral in einer pfannenartigen Vertiefung nahe dem Außenrande mit den Platten des zehnten Segmentes. Es tritt eine mächtige bilaterale Muskulatur an ihre Basis heran, von der besonders ein innerer Längsstrang und ein äußerer schiefer Muskel, der die Zange öffnet, entwickelt sind; der innere schiefe Zangenschließer ist schwächer entwickelt. An der Spitze der Zangenarme ist die dieke Cuticula von Porenkanälen durchbrochen, deren Ausführgänge in flachen Gru- ben liegen. In die Zange verlaufen starke Nervenstämme, deren Endigung nicht verfolgt werden konnte, und zahlreiche Tracheen hinein, auch wird sie von Blutströmen durchzogen. Im Inneren der Genitaltasche (Atrium genitale) sitzen bei den Weibehen nach B. Grasst! seitlich zwei Papillen auf, zwischen 1 B. Grassi, L’Japyx e la Campodea (1886). pag. 25—27, 384 Erich Haase denen eine unpaare große und mehr einwärts zwei kleinere liegen. Das Männchen hat nach Demselben ein glockenartiges vorstülpbares Atrium, an dessen Innenwänden zwei tasterförmige Anhänge sitzen, die bei dem Ausstülpen der Glocke nach außen vortreten. — Später zog Grassı! die Angabe über die unpaare Genitalpapille des Weib- chens zurück, indem er letztere der Mündung der Begattungstasche zurechnete. Nach meinen Untersuchungen an J. solifugus sitzen im Atrium des Männchens zwei Papillen von 0,1 mm Länge, die seitlich mit längeren feinen Haaren, oben mit dickeren gelben Borsten bedeckt und etwas nach hinten gerichtet sind. Vor ihnen liegt, den Vor- derrand des Atrium begrenzend, eine niedrige zitzenförmige Vorwöl- bung, die ebenfalls lang beborstet ist und dem Penis von Campodea entspricht. Jederseits von ihr liegt ein stark muskulöser, lang ovaler Ductus ejaculatorius, deren feines Lumen in der Mitte der Vorwöl- bung nach außen führt. Die Papillen entsprechen echten Hautdupli- katuren und gehören, wie die Genitalöffnung, wohl dem Vorderrande des neunten Segmentes an. Der Austritt des Penis kann nur durch Blutfüllung erfolgen; besondere Rückziehmuskeln sind nicht ausge- bildet. — Leider konnte ich kein Weibchen untersuchen. An jungen Embryonen fehlten nach einer glücklichen Beobach- tung B. Grassi’s? die Abdominalgriffel noch, während die Zange schon in Gestalt zweier Vorragungen angelegt war. 3) Nicoletia. Nachdem Gervais und NICOLET wie bei Campodea das Vorkommen deutlicher »fausses pattes branchiales« am Abdomen erwähnt, giebt B. Grassı? an, dass Abdominalgriffel vom zweiten bis inclusive neunten Abdominalringe vorkommen und der zehnte Ring [oder vielmehr das Afterstück!] drei sehr lange Anhänge trägt. An der Basis dieser Anhänge enden Abdominalmuskelbündel, und der Passus: »mancano musculi loro propri« ist wohl so zu verstehen, dass keine Muskeln in die Anhänge hineintreten. ' B. Grassi, Anatom. compar. ete. (1888). pag. 31. 2 B. Grassi, Breve nota int. allo sviluppo degli Japyx. Sep. (Catania 1884). pag. 9. 3 B. Grassi, Cenni anat. sul gen. Nicoletia etc. (1887). pag. 6. Die Abdominalanhänge der Insekten. 385 4) Machilis (Fig. 4 und 24). Noch länger als die Abdominalsäcke sind bei dieser Gattung die Ventralgriffel bekannt, denn sie werden schon von P. LATREILLE ! erwähnt; auch die griffelähnlichen Anhänge an den Mittel- und Hinterhüften und ihre Ähnlichkeit mit den Anhängen des Abdomens wurden von ihm schon beobachtet. Abgesehen von einzelnen Erwähnungen verschiedener Autoren, bezüglich deren ich auf die genauen Litteraturangaben bei J. T. OUDEMANS? hinweise, wurden die Ventralanhänge auch von B. GrASSI? besprochen, der für die Hüftsporne, deren Unbeweglichkeit schon Woop-Mason behauptet hatte, einen besonderen Nervenfaden angab. J. T. OupEMANS bestätigt ebenfalls die Behauptung Woop-Ma- son’s bezüglich der Hüftsporne und giebt genaue Maße der Länge der einzelnen Griffel und Beobachtungen über ihre Funktionen am lebenden Thier, die unten Berücksichtigung finden werden. Die Beweglichkeit der Abdominalgriffel schreibt er der Anwesenheit eines Streckmuskels zu, der den Coxalanhängen fehle und, am Vorderrand des Bauchschildes entspringend, der Basis jedes Anhanges ange- heftet sei. Nach meinen Untersuchungen sitzen bei M. maritima Leach und polypoda Linn., wie die Autoren bereits angaben, griffelartige An- hänge an den zwei letzten Hüftpaaren und am Hinterrande der Bauchplatten des 2.—9. Abdominalringes. Von diesen sind die an den Beinen sitzenden unbeweglich, die am Abdomen sitzenden will- kürlich durch Muskeln beweglich. An den Mittelhüften sitzen die griffelähnlichen Anhänge mehr in der Mitte als an den Hinterhüften. Sie sind 0,62 mm lang und über 0,11 mm dick und unterscheiden sich von den Griffeln des Abdomens nur durch ihre mehr zapfen- artige Einsenkung in die Coxa und das Fehlen der bei den letzteren ausgebildeten Muskeln und der terminalen langen Stachelhaare, auch sind sie an der Basis stärker eingeschnürt. Sonst gleichen sich alle 1 P. LATREILLE, De Yorganis. exterieure et comp. des Ins. d. l’Ordre d. Thysanoures (Nouv. Ann. du Mus. d’Hist. nat. 1832). pag. 175. 2 J. T. Oupemans, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren etc. 1888. pag. 156. 3 B. Grassi, Contrib. allo stud. dell’ anat. del gen. Machilis etc. 1886. pag. 20, 356 Erich Haase diese Anhänge in ihrer Form, ihrer Bekleidung mit Schuppen und Borsten und ihrem Bau; auch ihr Hohlraum enthält außer der stark entwickelten Matrix stets eine durchgehende Bindegewebsmasse, die sich durch Ausläufer an die Innenwände anheftet, Blutkörper und einen feinen Nervenfaden. Die Abdominalgriffel sitzen über dem Hinterrande der paarigen, durch einen medianen Spalt getrennten Ventralplatten (vgl. pag. 349 und Fig. 24) außerhalb der Bauchsäcke auf und gelenken mit der Duplikatur dieser Platten derart, dass sie von einem Ringwall um- fasst werden, der innen noch in einen kurzen Lappen ausgezogen ist, und nach vorn und hinten beweglich sind. An der Ventralseite setzen sich knapp an die Basis der Griffel starke, aus acht bis zehn Bündeln bestehende, fast gerade vom Vorderrande der betreffenden Bauchplatten verlaufende Muskeln an. An den ersten Segmenten scheinen dieselben ausschließlich flach an der Ventralplatte hinzuziehen und sich an die Ventralseite des Zapfens als Beuger anzusetzen (Fig. 28 m.flex.); an den späteren Segmenten treten jedoch einzelne, die auch außerhalb der geraden Züge entspringen und weniger ober- flächlich verlaufen, an die Hinterseite der Zapfen (Fig. 28 m.ezt.), bis an den letzten Ringen diese Streckmuskulatur sich am stärksten entwickelt und die der Beuger überwiegt. An der allmählich ver- jiingten Spitze der Abdominalgriffel sitzen lange glasklare und starre Stachelborsten, von denen die längste die Verlängerung der Achse und die vorderen eine Art Fahne bilden. Die Länge der Abdominal- griffel nimmt von vorn nach hinten allmählich bedeutend zu, was schon H. BuURMEISTER! erkannte; so beträgt sie am zweiten Abdo- minalsegment 0,6, am vierten 0,62, am achten schon 0,75 und am neunten gar 1,3 mm. Der zehnte Abdominalring ist ventral noch mehr verkümmert als dorsal und trägt keine Anhänge. Das Afterstück ist in so hohem Grade entwickelt, dass es von JOURDAIN als elftes Segment angesehen wurde und zeigt denselben Bau wie bei niedrig stehenden Insektenformen, denn es trägt über der von drei Klappen umgebenen Afteröffnung eine schwanzförmig verlängerte Afterdecke und seitlich davon zwei gewaltig entwickelte Endraife. Sowohl die schwanzförmige Afterdecke wie die Cerci zer- fallen in eine gewaltige Menge starrer Ringel und sind mit Schuppen 1 H. BURMEISTER, Handbuch der Entomologie. II. 1838. pag. 454. Die Abdominalanhänge der Insekten. 387 und in gewissem Abstande mit Sinnesborsten besetzt. Sie sind gleichmäßig mit weiter Öffnung, wie die Griffel, der weichen Ver- bindungshaut eingelenkt. Nach OvpEmans! tragen die ausnahms- weise unverletzten Cerci an der Spitze einen kurzen Stachel, den er am Mittelschwanz nie bemerkte. Ein unverletzter Mittelschwanz eines 10 mm langen Thieres war nach Demselben 12,5 mm lang, die Cerei je 5,5 mm. Bei allen drei Schwanzanhängen treten die Muskeln wie bei den Abdominalgriffeln nur an die Basis heran und keiner in das Innere hinein: die Ungelenkigkeit der zahlreichen Ringel erklärt die große Zerbrechlichkeit der Analanhänge. Wie bei Nicoletia treten auch hier stark entwickelte äußere Gona- pophysen auf. Sie bestehen bei den Weibchen aus vier, die Lege- scheide bildenden Ventralanhängen des achten und neunten Abdominal- ringes und umgeben die am Ende des achten oder eher, wie es die Regel scheint, am Anfang des neunten Segmentes ausmündende Ge- schlechtsöffnung. Die Gonapophysen des achten Segmentes ent- springen an den längsgetheilten Bauchplatten jederseits des Innen- randes und ihr Basaltheil entsteht, undeutlich von dem geringelten Haupttheil abgesetzt, in der weichen Verbindungshaut an der Dorsal- seite der Bauchplatten. Innerhalb dieses Basaltheiles setzt sich eine starke kurze Muskulatur an, welche die Legescheidenhälften von ein- ander entfernen hilft; denn wie J. T. OupEMANS wieder betonte, be- wegt sich die ganze linke Hälfte gegen die rechte und umgekehrt, da die über einander liegenden Scheidentheile in fester Führung verbun- den, also nur in der Längsrichtung gegen einander verschiebbar sind. Am neunten Abdominalsegment divergiren die zu einer unteren Legescheidendecke ausgebildeten Bauchplattenhälften an der Basis noch stärker als am achten Segment, und so entspringen die Stücke, welche die dorsalen Legescheidentheile bilden, direkt zwischen ihnen aus der weichen Verbindungshaut. In jeden Legescheidentheil tritt ein sich an die Spitze ansetzender, an der Basis oft in mehrere Bündel zerfallender durchgehender sehniger Längsmuskel ein, den OupEMANS zuerst beobachtet hat und der zum Niederbeugen der elastischen Legeröhre dient. Entgegengesetzt den oft verstümmelten Schwanzfäden sind die Legescheidenenden stets intakt. 1 J. T. OupEMANS, Beiträge etc. (1888). pag. 155. 388 Erich Haase Das Männchen zeigt eine schon von MEINERT! richtig angegebene und von OUDEMANS? bestätigte Modifikation der Gonapophysen, in- dem vom neunten Segment nur zwei vordere schlanke Deckklap- pen entspringen und zugleich die Geschlechtsöffnung an die Spitze eines zweigliedrigen Kolbens gerückt ist, dessen Entstehung wir wohl auf besonders hohe Ausbildung einer ähnlichen Papille zu- rückzuführen haben, wie sie den Penis bei Campodea bildet. Wie die Penisröhre können auch die Deckklappen nach unten gebogen werden, und zwar gehen bei letzteren die dies bewirkenden Mus- keln schief an die Basis, während sie bei dem Penis das basale Glied durchlaufen und sich an die Wurzel des distalen ansetzen. Somit ist die Angabe Grassi’s*, dass »der Penis von vier kleinen Anhängen, die evident den vier Ovipositoren des Weibehens homolog seien, umgeben ist«, nicht zutreffend. 5) Lepismina. In dieser Gattung scheint die Zahl der Abdominalgriffel nach den Arten stark zu variiren. So erwähnt Grassi! Species mit zwei bis drei Zapfenpaaren an den drei bis zwei vorletzten ([7.)8.—9.) Abdo- minalringen und solche mit »zahlreichen« Paaren; eine mit L. poly- podia Gr. wohl identische Form fand ich auch in Triest im Garten der zoologischen Station. Bei derselben kommen Bauchzapfen schon an den vorderen Abdominalsegmenten vor; sie sind gelblich, an der Basis schwach eingeschnürt und am Ende allmählich verjüngt und endigen in eine längere Borste; nach dem Körperende nehmen sie an Länge allmählich zu; so messen die des siebenten Segmentes 0,16, die des achten schon 0,2, die des neunten gar 0,4 mm. Das Afterstück trägt bei Lepismina wie bei Lepisma und Ter- mophila drei gegliederte lange Anhänge, die denen von Machilis und Nicoletia durchaus entsprechen. Jederseits der männlichen Geschlechtsöffnung am neunten Abdo- minalsegment® liegt ein plumper kolbiger Anhang von 0,3 mm Länge, 1 Fr. MEINERT, Om kjönsorganerne og kjénstoffernes Udvickling hos Mach. polyp. (Naturh. Tidskr. III R. Bd. VII. 1871). pag. 175—186. 2 J. T. OuDEMANS, Beiträge etc. (1888). pag. 209. 3 B. Grassi, Contrib. allo stud. etc. del gen. Machilis (1886). pag. 18. 4 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 7 und 8. 5 B. Grassi hat die Gonapophysen nicht genauer besprochen. Die Abdominalanhänge der Insekten. 389 an dessen abgerundeter Spitze einzelne kegelförmige Hohlhaare von 0,03 mm Länge sitzen, in welche dickwandige einzellige Drüsen einmiinden. Bei den Weibchen finden sich vier Gonapophysen, welche zusammen die einfache Legescheide bilden. Am neunten Seg- ment entspringen die zwei dorsalen Rinnen, die, wie bei Machilis, an der Basis von einem starken Chitinrahmen eingefasst sind und eine Länge von 0,65 mm bei einer Breite von 0,16 mm erreichen. Sie sind zungenförmig und tragen vor der Spitze am Innenrande eine 0,08 mm lange Raspelfläche, die mit starken nach hinten ge- richteten Zähnen besetzt ist. Vom achten Segment aus entstehen zwei ventral gelegene, einfach behaarte Deckklappen, die den oberen Apophysen an Länge gleichen, aber noch breiter sind. 6) Lepisma. Bei Lep. sacharinum kommen nur an den zwei vorletzten Hinter- leibsringen Abdominalgriffel vor, und zwar sind dieselben am achten Segment 0,6, am neunten aber 0,8 mm lang. Von diesen Griffeln nahm J. Luspock bekanntlich an, dass sie sich auf »stiff yellow setae« zurückführen ließen, wie sie an den vorhergehenden Ringen in Gruppen vorkommen, was jedoch J. T. OUDEMANS! mit dem Hin- weise zurückwies, dass, »abgerechnet die Verschiedenheit der beiden Gebilde«, diese Haare 1) »außer an den Seiten der Bauchschilde auch noch in deren Mitte vorkommen und 2) dass sie auf den Seg- menten mit den Anhängen eben so sich finden«. An Gonapophysen wies Grassi? bei den Weibchen ähnlich wie bei Machilis vier Ovipositoren nach, »von denen es ihm unmöglich sei zu entscheiden, ob sie dem achten oder neunten Segment ange- hérten«. Am achten Hinterleibsringe komme außer der gespaltenen Bauchplatte noch ein kleineres unpaares dreieckiges Stück wie bei Nicoletia vor; eben so sei der neunte Bauchschild getheilt und er- innere so gleichfalls an Machilis. Vom Männchen erwähnt Grassi nur, dass ihm die beiden Genitalanhänge, die bei Nicoletia vor- kommen, fehlen. Jede der vier Gonapophysen des Weibchens entsteht, wie ich an einer großen Art aus Triest feststellen konnte, aus einer weiten Halbröhre, die auf eine Hautduplikatur zurückzuführen ist und sich 1 J. T. OupEmans, Beiträge ete. (1888). pag. 158. 2 B. Grassi, Altre ricerche sui Tisanuri (1887). pag. 15—16. 390 Erich Haase erst später zusammenschließt; die Legescheidentheile entspringen am achten resp. neunten Segment wie bei Machilis. 7) Termophila. Bei T. furnorum Royvelli kommen nach J. T. OUDEMANs dem- nächst erscheinender Arbeit! vom 7.—9. Hinterleibssegment beweg- liche Abdominalgriffel vor, von denen die hinteren stets länger als die vorderen sind. Bei Männchen fehlt meist das Anhangspaar am siebenten, selten auch das am achten Abdominalsegment; bei Weib- chen fehlt höchstens das am siebenten. Es gelang OUDEMANS nach- zuweisen?, dass die vorderen Paare nach verschiedenen Häutungen allmählich zum Vorschein kommen, das hinterste also das älteste ist. 3) Collembola (hierzu Fig. 5 und 6). Vom vor- oder drittletzten Abdominalsegment aus entsteht bei den meisten Gattungen ein unpaarer Vorsprung in Gestalt einer viereckigen Platte, die als Basalstiick (Manubrium) der Sprunggabel bezeichnet wird und in welche starke Muskelziige hineintreten. Daran setzen sich zwei kräftige Anhänge, die »Arme«, Rami, an, die am Ende noch kürzere Zapfen, die »Endstücke«, Mucrones, tragen. Alle diese Stücke zusammen bilden die Sprunggabel (Fureula). Bei den Formen mit höher entwickeltem Sprungapparat wird die Gabel vom lebenden Thier in der Ruhe nach vorn umgeschlagen und in dieser Lage außer durch die Kontraktion der Beugemuskeln noch oft durch den Widerstand des meist am dritten Segment liegen- den leierférmigen, außen gezackten Häkchens (Hamulus) gehalten, das zwischen den Armen vor das Manubrium tritt. | Nach J. Luspock sind die Muskeln der Sprunggabel in ver- schiedener Weise entwickelt. So kommen nach ihm bei Smynthurus hauptsächlich starke Beugemuskeln vor, während bei dem weniger gut springenden Tomocerus sich besonders ein »Hauptstrecker« (12), der an das vordere Ende des dritten Abdominalsegmentes geht, mehrere kleine Strecker (4, 5 und 10) und nur ein kräftiger Beu- ger (8) findet. 1 In der Nederl. Tijdschrift for Entomologie. 1889. ? Zoolog. Anzeiger Nr. 311. 1889. pag. 353—356. 3 Dieser Strang ist als Beuger anzusehen, weil er sich an die Ventral- seite des Manubrium ansetzt. — Die Zahlen beziehen sich auf Taf. LIX und LX bei LUBBOCK (Monograph eic.), Ray. Soc. 1873. Die Abdominalanhänge der Insekten. 391 In der That sind die Muskeln der Sprunggabel aber auch bei den langgestreckten Formen ähnlich wie bei Smynthurus entwickelt. So finde ich bei Tomocerus und anderen Gattungen, dass die Beuge- muskeln im Allgemeinen eben so stark ausgebildet sind, als die allerdings stets zahlreicheren Strecker, was besonders durch die Kraft, mit der die Gabel vom lebenden Thier nach vorn gezogen werden muss, und die Elastieität der letzteren beim Aufschlagen während des Sprunges seine Erklärung findet. Bei keiner der unter- suchten Formen treten Muskeln in die Arme hinein; so sind auch die Gabelspitzen (Mucrones) unbeweglich. Die Arme werden jederseits durch eine starke, das Manubrium durchziehende Muskelmasse bewegt, die aus 4—6 Strängen zusammengesetzt ist und sich an die Dorsal- seite anheftet. Das zungenförmige Plattenstück vor dem Manubrium ist besonders mit queren, sich jederseits der Mittellinie ansetzenden Muskeln ausgestattet, wie wir sie bei Machilis an den letzten paari- gen Bauchplatten auftreten sahen. — Die ungegliederten Analhäk- chen, die besonders bei gewissen Lipuriden vorkommen, sollen im vorletzten Abschnitt besprochen werden. Gonapophysen fehlen den Collembolen durchaus. Um auf die pterygoten Insekten überzugehen, so kommen bei diesen lappenartige Hüftanhänge, welche denen von Machilis zu entsprechen scheinen, so viel mir bekannt, in ausgebildeterer Form besonders bei südamerikanischen Vertretern der Schabenfamilie der Blaberiden vor, wo sie, wie bei der Thysanurengattung, nur an den zwei letzten Beinpaaren sitzen. Von blattförmiger Gestalt, sind sie mit der Hüfte kaum gelenkig verbunden, auch treten keine Muskeln an sie heran!. Am Abdomen finden sich unzweifelhafte griffelartige Anhänge nur am vorletzten (9.) Hinterleibsringe und dies ausschließlich bei Orthopteren. In der Terminologie als »Styli«c bezeichnet, kommen sie in dieser Ordnung am Hinterrande der neunten Bauchplatte als stets ungegliederte, aber beweglich eingelenkte und oft mit Muskeln versehene Griffel nach L. FiscHER? bei Blattiden, Mantiden und vie- len Locustiden vor, während sie bei Phasmiden, Grylliden und Acri- diern fehlen, doch finden sie sich an geschlechtsreifen Thieren nur 1 Rudimente dieser Coxallappen finden sich noch bei vielen Schaben- gattungen, so z. B. auch bei Phyllodromia. 2 L. H. FiscHEr, Orthopt. Europ. 1853. pag. 19—21, 392 Erich Haase bei Männchen. Sie sind an der Oberfläche mit Borsten besetzt und werden, wenigstens an jungen Thieren von Phyllodromia germanica, von einem deutlichen Nervenstrang durchzogen; bei Blabera treten durchgehende quergestreifte Muskeln bis zu ihrer Spitze in sie hinein. Hinter dem letzten (bei den Orthopteren mit ursprünglicher Seg- mentzahl wie bei den Thysanuren 10.) Segment des Abdomens liegt das Afterstück, das auch bei vielen, besonders niederen Insekten Endanhänge (Raife, Cerci) trägt, die meist über, seltener neben oder unter dem After sitzen und zu denen oft noch ein unpaares dorsales Afterschild hinzutritt. Die Raife sind bei den Orthopteren meist deutlich gelenkig gegliedert und tragen zu besonderen Sinnes- funktionen umgewandelte Borsten von manchmal eigenartigem Bau (z. B. Corydia). Sie werden von einem starken Nervenstrange durch- laufen und oft auch von Blutströmen durchzogen. Obwohl sie sehr beweglich eingelenkt zu sein pflegen, treten doch Muskeln meist nur an sie heran; einen durchgehenden Muskelstrang fand ich nur sel- ten, so z. B. bei der riesigen südamerikanischen Blabera trapezoidea Burm. Die Endanhänge sind den Cereis der Thysanuren durchaus ähnlich und wie letztere oft vielringelig, so bei Blattiden und Man- tiden; bei Phasmiden, Locustiden und Acridiern sind sie wie u. A. auch bei Gryllotalpa ungegliedert, was ich für eine Verkümmerung ansehe. In den meisten älteren Insektenabtheilungen bleiben die Anal- raife bis zur Imago, in jüngeren höchstens in der Jugendform er- halten. So finden sie sich, um die von Fr. BRAUER in seinen geist- vollen »Studien«! eingeführte Reihenfolge innezuhalten, bei sämmt- lichen Dermapteren (Forficuliden), wo sie die Endzangen bilden. So kommen sie bei Ephemeriden und Odonaten bis zur Imago vor; eben so finden sie sich bei den Plecopteren (Perlariae) meist als zwei sehr lange Fäden, die nach Braver |. c. pag. 122 als gegliederte Anhange auch bei jenen Jugendformen auftreten, bei deren Imago sie rudimentär werden oder fehlen (Nemura). Von den Corrodentien scheinen sich Analraife (Cerei) nur bei den Termiten erhalten zu haben, wo sie bei verschiedenen Formen undeutlich zweigliedrig sind; auch BRAUER giebt 1. ce. pag. 363 an, dass die Jugendformen der Corrodentien »oft mit kurzen Appendices abdominales« versehen sind. ! Fr. BRAUER, Systematisch-zoologische Studien (Sitzungsber. der kais, Akad. der Wiss. 1885). pag. 358. Die Abdominalanhänge der Insekten. 393 In der Abtheilung der Blasenfüße (Physopoda), welche den Über- gang zu den Rhynchoten bilden, sind bisher! keine Endraife beob- achtet worden. Auch der Ordnung der Hemipteren scheinen Cerci vollkommen zu fehlen; selbst an ganz jungen Wanzen (Pyrrhocoris) habe ich keine Spur derselben finden können. Somit scheint diese Abtheilung sich sehr weit vom Stammbaum der übrigen homomorphen Insekten ent- fernt und die Cerei schon früh verloren zu haben. Endlich kommen Analraife (Cerei) unter den Larven der Hymeno- pteren in der Tenthredinidengattung Lyda vor, wo sie hinter dem zehnten Abdominalsegment etwas unterhalb des Afters in den Seiten sitzen. Diese Anhänge wurden von RATZEBURG? für Nachschieber gehalten und, da sie mehrgliedrig sind, neben den Thorakalbeinen als viertes Fußpaar angesprochen. Sie bestehen aus drei, z. Th. beborsteten, scharf gegen einander abgesetzten und beweglichen Glie- dern, deren terminales am dünnsten ist, und sind von geraden dich- ten quergestreiften Muskelfasern und von Nerven bis zur Spitze durch- zogen. Bei den Imagines der Hymenopteren scheinen beiden Geschlech- tern gemeinsame Analraife (Cerci) nur mehr ungegliedert vorzu- kommen, sind aber bedeutend weiter verbreitet als bei den Larven, was darauf hindeutet, dass die Form letzterer schon bedeutenden Anpassungen unterworfen und somit viel weniger ursprünglich ist als die der entwickelten Thiere. Analraife fanden sich bei allen unter- suchten Formen der entwickelten Blattwespen, deren Hinterleib auch stets aus neun deutlichen und einem undeutlichen zehnten Segmente bestand; bei Cimbex variabilis sind sie keulenförmig, plump, lang beborstet und 0,04 mm lang, bei Nematus salicis schlank und 0,025 mm lang, bei Lyda kurz und beborstet; auch bei einigen großen Ichneu- monen fand ich kurze, bewegliche und behaarte Analanhänge. Bei den Larven und Imagines der Neuropteren, Coleopteren 3, 1 K. JorDAN, Anatomie und Biologie der Physapoden (Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. LXVII. 1888). pag. 541—617. 2 J. Tu. Cur. RATZEBURG, Die Forstinsekten. III. 1844. pag. 62. — Die Larven von Lyda haben übrigens sechsgliedrige Brustbeine, indem der bei verwandten Gattungen einfache Tarsus bei ihnen in zwei Glieder zerfällt. 3 Die Endanhiinge der Larve von Hydrophilus, welche nach A. Kowa- LEVSKY'S Abbildung (Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Würmer und Arthropoden [1871]. Taf. IX Fig. 19) scheinbar am Analstück entspringen, wer- den weiter unten besprochen werden. 394 Erich Haase Lepidopteren und Dipteren sind mir keine den Analraifen entsprechen- den Anhänge mehr bekannt. Gerade in der Unterklasse der pterygoten Insekten haben die Gonapophysen ihre höchste Ausbildung gefunden und sind meist den besonderen Eigenthümlichkeiten des Kopulationsvorganges oder der Eiablage derartig angepasst, dass es kaum möglich ist, auf dieselben allgemeiner einzugehen, zumal diese Anhänge oft nur als lokale Chitinverstärkungen der Genitaltaschenwände anzusehen sind. So wurden denn nur die verhältnismäßig genau erforschten äußeren Gonapophysen der Acridier, der Locustiden, Odonaten und Hyme- nopteren herangezogen, welche unten in dem Abschnitte über die Morphologie der Ventralanhänge besprochen werden sollen. Il. Funktion der Ventralgriffel. Nach seinen Beobachtungen über den Eintritt eines Nerven in die Ventralgriffel von Machilis etc. durfte B. Grassı! letztere eben so als Tastorgane ansprechen, wie er nach der stark entwickelten Muskulatur der Abdominalgriffel die Mitwirkung der letzteren zur Stütze und Fortbewegung des Körpers annehmen musste. Nach den interessanten Untersuchungen von OUDEMANS? kann Machilis in der That eine Art hüpfender Bewegung dadurch aus- führen, dass es »alle sechzehn Anhänge zugleich nach hinten streckt«; außerdem werden die Griffel »auch fortwährend zur Stütze des Ab- domens gebraucht und, während die Thiere laufen, fortwährend nach vorn und nach hinten bewegt «. Nach meinen Experimenten kann ich diese Beobachtungen nur bestätigen. Beim Sprunge werden besonders die hinteren Griffel durch Kontraktion der starken Strecker plötzlich nach hinten ge- zogen, und so veranlasst das Aufschlagen der federnden Anhänge einen Gegenstoß, der das Thier vorwärts schleudert; wahrscheinlich wird diese Bewegung noch dadurch verstärkt, dass das Thier seinen in der Ruhe gekrümmten Rücken während des Sprunges streckt. Wenn man Thiere selbst aus einer Höhe von 1/; m schief auf eine Platte schleudert, fallen sie regelmäßig auf alle sechs Füße zu- gleich nieder. 1B. Grassı, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 37. ? J. T. OupEMANS, Beiträge zur Kenntnis der Thysanuren ete. (1888). pag. 156. Die Abdominalanhänge der Insekten. 395 Bei Campodea sind die Bewegungen der Abdominalgriffel von denen des am ersten Segment befindlichen rudimentären Beinpaares durchaus verschieden, denn während letzteres seitlich gegen den Körper in schneller zitternder Bewegung ist, fahren die Griffel in der Längsrichtung nach vorn und hinten. Berührt man eines der Sinneshaare, zucken die Griffel meist energisch nach vorn. Im Gegensatz zu den Abdominalgriffeln dienen die Endraife, Cerci, besonders einer sensorischen Funktion, worauf die zahlreichen an ihnen nachgewiesenen besonderen Sinneshaare etc. deuten. Mit Ausnahme der ungegliederten unbeweglichen Analanhänge von Scolopendrella, die fast nur als Ausführgänge der Spinndriisen, und von Japyx, die als Haltezangen dienen, sind die Cerci bei den Thysanuren in der Zahl, der Beweglichkeit und vor Allem der be- sonderen Beborstung der Glieder derart den Fühlern derselben Gat- tung ähnlich, dass man auch an eine ähnliche, wenn gleich minder entwickelte Funktion der Analraife denken darf, was auch in ge- wissem Maße für die Raife der Insekten gilt. Bei der blinden Campodea sind die zwei Cerci am Ende noch mit einem besonderen Sinnesorgan versehen und scheinen so in der That als hintere Fiihler zu dienen; auch die Zangen des blinden Japyx haben noch ent- wickelte Hautsinnesorgane, deren Reiz vielleicht als Reflex ihre Be- wegung gegen einander zum Zweck der Vertheidigung hervorruft. Bei den augentragenden Machilis scheinen die drei Endanhänge nur in geringerem Maße zur Sinnesempfindung beizutragen, sind auch meist theilweise verstümmelt. Bei den Formen mit ausstülpbaren Ventralsäcken sind die Bauch- griffel ohne Ausnahme stark entwickelt, was besonders bei Cam- podea, Machilis und Nieoletia auffällt. Hier dienen sie wohl noch nebenbei zum Schutz der Säckehen gegen Beschmutzung etc. durch ein Anstreifen an den Boden. Am Hinterrande des achten Seg- mentes werden sie bei Campodea durch große Fiederborsten ver- treten!. Die vortrefflichsten Springer unter den Synapteren sind unstreitig die Collembolen, bei denen diese Vorwärtsbewegung dadurch ein- tritt, dass zuerst die Beugemuskeln der Gabel erschlaffen und durch die starke Kontraktion der Strecker noch der Widerstand des ela- stischen Häkchens überwunden, jedenfalls aber die Sprunggabel 1 Bei den Diplopoden können die Hüftsäckchen wegen des hohen Ganges der zahlreichen Laufbeine den Boden überhaupt nicht berühren, doch sind auch hier oft die Hüften um sie herum besonders lang beborstet. Morpholog. Jahrbuch. 15. 26 396 Erich Haase energisch nach hinten gezogen wird und mit den federnden Enden auf den Boden aufschlägt. TH. v. SıeBoLp’s! Behauptung. dass die Gabel in der Ruhe nach hinten ausgestreckt getragen werde, gilt somit für das lebende Thier nicht, wohl aber sieht man diese Lage oft an durch Alkohol konservirten Exemplaren. Nach dem Sprunge kehrt die Gabel wieder in ihre frühere Lage (und über das Häk- chen) zurück und fallen die Collembola auch stets wieder auf alle sechs Beine zugleich nieder. Über die Funktion der Cerci bei Periplaneta? verdanken wir V. GRABER’s Experimenten den Nachweis, dass diese Anhänge bei geköpften Thieren eine große Empfindlichkeit für Gerüche besitzen: Thiere ohne Endraife (»Afterfühler« GRABER’s) reagirten auf die Wir- kung von Rosmarinöl meist noch nicht nach sechzig, Thiere im Be- sitz der Endgriffel aber schon nach zwei Sekunden. Il. Morphologie der Ventralgriffel. Die zuerst bei Machilis beobachteten beweglichen Abdominal- griffel wurden von P. LATREILLE? als echte Hinterleibsbeine ange- sehen; er schrieb also Machilis zwölf Paar Beine zu, »dont trois thoraciques et neuf ventrales, mais rudimentaires«. GrRVAIS bezeichnete diese Griffel im Anschluss an GUERIN‘ als »fausses pattes abdominales«, wohl in Ansehung der Abdominalfüße der Decapoden®. H. BURMEISTER® bestritt wieder LATREILLE’s Deutung mit dem Hinweise, dass diese Anhänge nach vorn an Größe abnähmen. Ähnlich wie LATREILLE glaubte auch F. M. BaLrour’, dass die »kleinen Vorragungen an mehreren der Abdominalsegmente verschie- dener Thysanuren wahrscheinlich als rudimentäre Füße betrachtet werden diirfen«.. In der That scheint besonders dieser Ausspruch des genialen Embryologen obiger Deutung zur allgemeineren An- nahme verholfen zu haben. ! Tu. v. SIEBOLD, Lehrbuch der vergl. Anatomie. I. 1848. pag. 565. 2 V. GRABER, Vergleichende Grundversuche über die Wirkung und die Aufnahmestelle chemischer Reize bei Thieren (Biolog. Centrabl. V.). pag. 452. 3 Nouv. Ann. du Muséum. I. 1832. pag. 175. 4 Ann. sc. nat. V. 1836. pag. 374. 5 P. GervAIS, Hist. nat. Ins. Aptéres. III. 1844. 6 H. BURMEISTER, Handbuch der Entomologie. Bd. II. 1838. pag. 454. 7 F. M. Batrour, Handbuch der vergleichenden Embryologie (übersetzt von B. VETTER). Bd. I. 1880. pag. 388. ee Die Abdominalanhänge der Insekten. 397 Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Insekten von den Crustaceen abzuleiten seien, deutete Woop-Mason ! die Coxalgriffel an den zwei hinteren Hüftpaaren von Machilis geradezu als Exo- poditen, die Hüftgriffel von Scolopendrella aber als Endopoditen eines mehrästigen Anhanges. Die Abdominalgriffel von Machilis hingegen sah er wieder für Exopoditen und die durch eine Mittel- furche getrennte Bauchplattenduplikatur, an der die Griffel und die Ventralsäcke liegen, als »coalesced basal joints«, als die Protopo- diten des ganzen Anhanges, an. In Übertragung auf die homologen Anhänge der Schaben erklärte er die Styli am neunten Abdominal- segmente der Männchen eben so für Exopoditen wie die Endanhänge (Cerei) des End- (nach ihm zehnten) Segmentes, während er die Penis- klappen von Lepisma und die Legescheidentheile von Machilis und homologe Anhänge der Blattiden als Endopoditen bezeichnete und auch bei weiblichen Schaben (nach gütiger Mittheilung bei Periplan. decorata Br.) pag. 167 den männlichen Styli durchaus homologe Anhänge am neunten Hinterleibsringe beschrieb. Auf den Umstand, dass die Beine von Scolopendrella außerhalb der Hüftgriffel liegen, gründete er weiter die Hypothese, dass die Extremitäten der Myrio- poden denen der Insekten nicht strikte homolog seien, vielmehr den Hüftgriffeln von Machilis entsprächen. Ähnlich stellte B. Grassı? die Ansicht auf, dass die Beine mit den »Pseudobeinen« (= Hüftgriffeln) von Scolopendrella und die zwei letzten Beinpaare von Machilis mit ihren Hüftgriffeln als »traceie evidentic anzusehen wären, dass alle Anhänge »der primitiven Tra- cheaten« wie bei den Crustaceen mehrspaltig waren. In meinem schon berührten Vortrage suchte ich dann den Nach- weis zu führen, dass im Gegentheil alle diese Anhänge der Myrio- poden und Insekten auf einfache Extremitäten zurückzuführen seien. dass die Coxalanhänge von Machilis und Seolopendrella spornartigen reinen Integumentalgebilden entsprächen, und auch die Abdominal- griffel der Thysanuren als solche gedeutet werden müssten. Eines meiner damals für den geringen morphologischen Werth dieser Abdominalgriffel angeführten Argumente, das Fehlen einer in sie hineintretenden Muskulatur, suchte Grassı in seiner letzten Ar- beit? zurückzuweisen, indem er hervorhob, dass u. A. auch die Cerci 1 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (1879). pag. 156 und 158. 2 B. Grassi, Morfol. della Scolopendrella (1886). pag. 27. 3 B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 38. 26* 398 Erich Haase von Campodea, Lepismiden und Machilis keine solche Muskeln be- säßen und dass die Abdominalgriffel nicht wie die Borsten das Pro- dukt einer Hypodermzelle seien, sondern aus »connettivo (meso- dermo) involto da ipoderma e da cuticula con peli ecc.« beständen. Es sind dies aber, wie gezeigt werden soll, nur Unterschiede des Grades, nicht des Wesens, zumal es echte Sporne giebt, so im Schienenblättehen der Schmetterlinge, welche einen noch viel höher entwickelten Bau aufweisen. Über die morphologische Werthigkeit der Ventralgriffel der Thysanuren selbst spricht sich Grassi in seiner letzten Arbeit! nur ınehr dahin aus, dass er sie für »rudimenti delle zampe, non appena in senso filogenetico« erklärt. Um zuerst die Hüftgriffel zu besprechen, so sind dieselben bei Scolopendrella durch kurze Beugemuskeln so weit nach vorn be- weglich, dass sie eine zum Körper senkrechte Stellung einnehmen können. — Hier dienen sie also schon besonderen Zwecken und sind denselben durch die sekundäre Entwicklung ihrer Muskulatur an- gepasst. Die einfachste Form aller solcher spornähnlichen Anhangsgebilde der Hüfte treffen wir wohl bei Chilopoden an, jedoch nur bei den ursprünglicheren Formen mit geringer Segmentzahl (Chil. ana- morpha). So besitzen die größeren Arten von Lithobius an den hintersten Hüften kurze kräftige Sporne, in welche natürlich auch die Leibes- höhle sich fortsetzen kann, oft in Mehrzahl. Bei manchen Arten kommt nur ein in der Mitte des Außenrandes sitzender starker Sporn vor, der zu dem auffallend langen und auf der Oberfläche behaarten, aber ebenfalls noch unbeweglichen Hüftsporn in der Mitte der Unter- seite der Hüften von Seutigera überführt, in den ebenfalls Fett- körpermassen ete. eintreten. Bei Machilis sind die Hüftgriffel zwar ebenfalls gelenkig dem Beine eingefügt wie bei den Symphylen, jedoch tritt keine sie be- wegende Muskulatur an sie heran, was ‘ich, im Gegensatz zu Woop- Mason, nicht als ein Zeichen vorgeschrittener Verkümmerung, son- dern als einen Beweis für ihre geringe Entwicklung ansehen möchte, zumal sich in der Hüfte durchaus kein Rudiment zu dem Hüftgriffel gehender Muskeln nachweisen lässt. So hat man diesen Hüftgriffel wohl nur für eine Spornbildung zu halten, die an der Außenseite des ! B. Grassi, Anat. compar. dei Tisanuri (1888). pag. 37. Die Abdominalanhänge der Insekten. 399 Gliedes nach vorn verschoben ist, wie dies mit dem Schienenblättehen der Schmetterlinge an der Innenseite geschieht. Wie auch Grassı bemerkt hat, gleichen nun die Abdominal- griffel von Machilis auffallend den Anhängen der letzten zwei Hüft- paare. Somit kann man auch erstere nur als Integumentalge- bilde auffassen, und zwar als stark entwickelte spornähnliche Bor- sten, in deren weites Lumen sekundär mesodermatische Elemente, wie Fettkörper, Bindegewebe und Blutflüssigkeit eintreten können, die aber ihrer ersten Anlage nach auf rein ektodermale Bildungen zurückzuführen sind und wie die größeren Haargebilde (so z. B. die Hautsinnesborsten von Japyx) ihre Entstehung einer Gruppe von Hy- podermiszellen verdanken. Dem letzten Paar der Abdominalgriffel! von Machilis durchaus homolog sind die stets ungegliederten, als Styli bezeichneten An- hänge an der neunten Bauchplatte vieler Orthopteren, die schon bei dieser Ordnung rückgebildet erscheinen und bei den übrigen In- sekten, so viel bekannt, fehlen. Nach den Untersuchungen, die Herr Dr. N. CHOLODKOVSKY? über die Entwicklung von Phyllodromia herausgegeben hat und die ich mit seinen Präparaten vergleichen durfte, entstehen die Griffel am neunten Abdominalsegment3 erst bedeutend nach der Anlage der Beine, selbst noch der der Endraife, die vom Afterstück entspringen, aus Hautpapillen und sind in beiden Geschlechtern ursprünglich gleichmäßig entwickelt. Es gelang mir, sie auch bei Periplaneta orientalis noch bei Weibehen des vorletzten Stadiums (ohne ausge- bildete Flügelstummel) nachzuweisen, während sie bei den ganz ent- wickelten vollkommen fehlen. — Diese Unterdrückung der Styli bei den Weibehen wird dadurch veranlasst, dass die Genitalöffnung nach vorn und zugleich in die Tiefe rückt, so dass sie unter die siebente Riickenplatte zu liegen kommt und so neben der Verkümmerung der letzten Bauchplatten erst recht die der Anhänge bewirkt. Bei den Männchen von Phyllodromia bleiben die Griffel bis zur vollkommenen Geschlechtsreife bestehen und sind an der durch links- 1 Bei Campodea und Japyx scheinen dieselben am 8.—9. Segment sekun- där unterdrückt zu sein. 2 N. CHOLODKOVSKY, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten (Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLVIII. 1. Taf. VII). 3 Vgl. desselben »Nachtrag«. Ibid. pag. 301. 4 E. Haase, Über die Zusammensetzung des Schabenkörpers (Sitzungsber. Gesellschaft naturforsch. Freunde. Berlin 1889. pag. 133). 400 Erich Haase seitige Rückbildung asymmetrisch gewordenen neunten Abdominal- platte stets noch als ungleiche, knopf- oder lappenartige borsten- besetzte Anhänge nachzuweisen!. Bei Angehörigen stark modifieirter Schabengruppen, z. B. bei Panesthia javanica, findet sich in beiden Geschlechtern nach Woop- Mason? keine Spur der Griffel mehr vor. In der Gryllidengattung Tridactylus sitzen nach der Angabe BRUNNER’S? »vier Anhänge am zehnten Segment«, deren oberes Paar „weigliedrig, das untere ungegliedert ist. Durch die Güte des Herrn Hofrath v. BRUNNER durfte ich an Stücken verschiedenen Alters von Trid. variegatus feststellen, dass alle vier Anhänge am Afterstück aufsitzen, die oberen den Raifen entsprechen und am Basalgliede auch die Befestigung der Sinneshaare in rosettenförmig gekrausten Näpfchen wie andere Grylliden zeigen, während die unteren Anhänge mit H. DE SAUSSURE {M&l. orthopt. II. pag. 214) als artikulirende Fortsätze der Afterklappen anzusehen sind. Auf die Umwandlung einer prägenitalen Bauchplattenduplikatur mit daransitzenden Abdominalgriffeln, wie sie ähnlich bei Machilis vorkommen, ist wohl die Sprunggabel (und vielleicht auch das Häk- chen) der Collembolen zurückzuführen, welche bei Smynthuriden, Tomocerus und Orchesella nach LuBBOcK am vorletzten, bei Podura und Achorutes am drittletzten Segment auftritt. Dann entspräche das unpaare Basalsegment (Manubrium) der plattenartigen Duplikatur und die paarigen Arme den Griffeln, da z. B. zwar mehrere Muskeln an das Basalstück, aber nur einer an die Arme und keiner in letztere hinein tritt. — Dass übrigens die Sprunggabel in der Familie der ‚Collembola ursprünglich allgemein vertreten war, wird durch die Entdeckung Ryper’s®, dass der Embryo von Anurida maritima am vierten Abdo- minalsegment ein bald verschwindendes Gabelrudiment besitzt, sehr wahrscheinlich gemacht. Zugleich gestattet die verschiedene Lage der Gabel auch die bedingte Annahme der LugBock’schen Hypothese’, 1 Diese Griffel sind auch der Aufmerksamkeit von S. BREME (BREHM) (Recherch. comp. des org. génitaux du Blatt. germ. et Periplan. orient. [Arb. der entomol. Gesellschaft. St. Petersburg 1880. Russisch]) entgangen; derselbe bezeichnet übrigens die Styli von Periplaneta unrichtig als Cerei. 2 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (1879). pag. 167. 3 ©. BRUNNER V. WATTENWYL, Prodromus der europ. Orthopt. pag. 453. 4 J. Ryper, The development of Anurida etc. (Amer. Naturalist. 1886). pag. 300. 5 J. Lusppocx, Monograph. etc. (Ray Soc. 1873). pag. 70. Die Abdominalanhänge der Insekten. 401 dass ursprünglich jedes Abdominalsegment der Collembolen ein Paar Ventralanhänge (d. h. wohl Griffel) besaß. Wie im Allgemeinen die frühere oder spätere Ausbildung eines An- hanges oder Organes auch durch seine Entwicklungshöhe bedingt wird, legen sich auch die Cerei am Embryo von Phyllodromia, wie CHoLop- KOVSKY zeigte, verhältnismäßig früh als Auswüchse des »elften Seg- mentes« (= Endstückes) an. Ihre Lage ist ursprünglich subanal und fast ventral, doch rücken sie im Laufe der Entwicklung höher hin- auf, bis sie endlich über dem After liegen: sie machen also eine ähnliche Wanderung durch, wie die Fühler in Beziehung zur Mund- öffnung. Die Cerci, welche in keiner Hexapodengattung fehlen, die auch Abdominalgriffel trägt, scheinen aber nicht bloß ihrer höheren Ent- wieklung wegen am Embryo früher angelegt zu werden als die Griffel, sondern überhaupt ältere Anhangsbildungen darzustellen, welche nur jünger als die Abdominalbeine sind. In vielen Hinsichten nämlich entsprechen den Endraifen die als »Furkalanhänge« bezeichneten, ebenfalls oft langen und vielgliedrigen (Apus) Fortsätze am Telson der Crustaceen, auf welche besonders C. Cnaus aufmerksam gemacht hat. So wird es wahrscheinlich, dass diese Endanhänge sich in den großen Arthropodenklassen auf fühlerähnliche Appendices des After- stückes gemeinsamer annelidenartiger Vorfahren, zurückführen lassen und vielleicht auch den Analfühlern recenter Polychaeten entsprechen. Während Peripatus keine Analraife besitzt, sind unter den My- riopoden Cerei bisher nur bei Scolopendrella nachgewiesen, wo sie ungegliedert und unbeweglich, zum Ausführgang der Spinndrüsen umgebildet und zugleich hoch über den After gerückt sind. Unter den Thysanuren zeigt Machilis die höchste Ausbildung des Afterstückes; hier finden sich die drei starken vielringeligen Sehwanzanhänge, unter deren mittlerem noch ein spitzes Hautläpp- chen sitzt, und zwei ventrale entwickelte Analklappen. Unter den übrigen Thysanuren tritt das Afterstück bei Campodea und Japyx so bedeutend zurück, dass es bisher von keinem Forscher unter- schieden wurde. Immer zeigt es die beiden Endraife, die bei Cam- podea schlank und vielgliedrig sind, während sie bei Japyx als derbe Zangen fast den ganzen Raum zwischen den Dorsal- und Ventralplatten des zehnten Hinterleibssegmentes einnehmen; bei Campodea sind die unteren zwei Afterklappen noch entwickelt, wäh- rend das obere Deckstück kaum hervortritt. Als Rudimente der Cerci thysanurenähnlicher Vorfahren sind 402 Erich Haase wohl auch die ungegliederten, aber beweglichen Häkchen am Hinter- leibsende gewisser Collembola anzusehen, die sich allerdings nur bei den schon rückgebildeten Formen der Lipuriden, so nach TULLBERG l. e. in der Gattung Achorutes Templ., Xenylla Tullb. und einigen Lipuren, vorfinden; bei Triaena Tullb. kommen sogar wie bei Ma- chilis drei Endhäkchen vor. Bei den am meisten rückgebildeten Formen, bei denen Ventraltubus und Sprunggabel zugleich verkiim- mert sind, fehlen zumeist auch die Endhäkchen, so nach TULLBERG bei Anurophorus, Anurida und Anura; nur Lipura ambulans L. und L. armata Tullb. besitzen zwar keine Sprunggabel mehr, haben aber nach TULLBERG noch starke Endhäkchen. In ganz ähnlicher Weise wie bei Machilis entwickelt sich das Afterstück auch bei den Larven und vielen Imagines niederer In- sekten. Als Vergleichsmaterial diene z. B. eine Larvenform von Libellula, an der das Afterstück durch Isolation als selbständiges hinter dem zehnten Abdominalringe gelegenes »Segment« nachzu- weisen ist. An diesem kann man fünf beweglich eingelenkte unge- gliederte Anhänge unterscheiden, deren mittelster dorsaler der After- decke, deren zwei seitliche dorsale und kurze den Endraifen, deren zwei ventrale längere dick-dreiseitige in ihrer Lage unteren After- klappen entsprechen dürften. Der mittlere dorsale Anhang lässt sich nun mit Wahrscheinlichkeit als dem Mittelschwanz von Machilis ho- molog ansehen und ihm entspricht wohl auch das Afterdeckstück der Schaben, das bei Phyllodromia einen lang ovalen Lappen bildet, bei Periplaneta quer halbmondförmig und hinten tief ausgerandet ist, während die zwei unteren Afterklappen eine abgerundet dreiseitige Gestalt besitzen. Es ist überhaupt wahrscheinlich, dass diese Analanhänge bei allen Insekten denen der Thysanuren homolog sind, denn sie kommen nur bei Gattungen vor, welche sich unter den verwandten Formen durch Einfachheit des Baues als die ursprünglicheren darstellen; z. B. entsprechen sich die Zangen von Japyx und den Forfieuliden bis auf Einzelheiten ihres Baues und ihrer Entwicklung. Die Cerei der Blattiden bleiben nach CHOLODKOVSKY bis zum Ende der Embryonalentwicklung einfach und gliedern sich erst nach dem Verlassen des Eies. Dies spricht dafür, dass sie überhaupt in der Abtheilung der Insekten einer allmählichen Reduktion unter- worfen und zu Organen geringerer Bedeutung geworden sind. So lässt sich denn auch schon eine absteigende Entwicklungsreihe die- ser Raife aufstellen, die von ihrer deutlichen Zusammensetzung aus Die Abdominalanhänge der Insekten. 403 19—9 Ringeln (Blabera, Corydia, Blatta, Phyllodromia) allmählich zu ihrer Reduktion auf ein Glied (Panesthia) führt. Alle Formen mit Analraifen zeichnen sich durch eine verhält- nismäßig primäre Gliederung des Hinterleibes aus, denn Cerei sind bisher nur bei Formen von Insekten und Myriopoden gefunden wor- den, die zehn Abdominalringe besaßen. So fehlen sie eben so den durch Elongation entstandenen vielgliedrigen Chilopoden und Chilo- gnathen, wie den durch Koncentration des Hinterleibes ausgezeichne- ten Vertretern der höheren Insekten, während sie bei Orthopteren mit der ursprünglichen Zahl der Hinterleibsringe noch allgemein vor- kommen. Wie bei Machilis wandelt sich auch bei vielen niederen Insekten das Afterdeckstück zu einem vielgliedrigen raifenähnlichen Anhange um, der zwar meist von Tracheen durchzogen und von Blutmassen durehströmt wird, aber nur selten eigene durchgehende Muskelzüge besitzt. Solch aus drei Endfäden bestehender Schwanz findet sich bei Ephemeriden manchmal bis zur Imago (z. B. Ephem. vulgata). Während bei der Larve von Palingenia longicauda nach CORNELIUS! “noch drei vielgliedrige Endanhänge vorkommen, deren seitliche länger sind, ein Zustand, welcher sich in der Nymphe erhält, bleibt in der Imago nur ein ungegliedertes behaartes Zäpfchen als Rest des Mittel- anhanges zurück. Unter den höheren Insekten mit Cereis (vgl. pag. 392—393 scheint kein mittlerer gegliederter Endfaden mehr vorzukommen. Als besondere, nicht auf die Cerei zurückführbare Bildung sind die am letzten Segment unterhalb des Afters liegenden Nachschieber zu betrachten, welche nur bei Larven und zwar zuerst in der Ord- nung der Neuropteren auftreten und z. B. bei den Phryganiden all- gemein bekannt sind und den ein Gehäuse tragenden Larven dazu dienen, sich in letzterem festzuhalten. Indem sie selbst nach ZADDACH? aus einer starken seitlichen Vorwucherung der Bauchseite des Segmentes entstehen, legen sich ihre Endhaken wie andere stärkere Chitinbildungen an. Während bei den Larven von Sialis die Bauchseite des zehnten Abdominalsegmentes sich in einen langen, wohl als Tracheenkieme fungirenden Endfaden auszieht, besitzen die ebenfalls frei im Wasser ! CORNELIUS, Beiträge zur näheren Kenntnis der Palingenia longieauda (Elberfeld 1848) pag. 27. ? E. ZADDACH, Untersuchungen über die Entwicklung und den Bau der Gliederthiere. 1854. pag. 56. 404 Erich Haase lebenden Larven der in Corydaloides schon im Devon vertretenen Gattung Corydalus, welche den Vorfahren der Phryganiden nahe steht, am Körperende nach HALDEMAN! ebenfalls zwei Fortsätze, deren jedem zwei bewegliche Krallen aufsitzen, welche der Larve bei von vorn kommenden Störungen eilige Rückwärtsbewegungen ermöglichen. Auch bei den landbewohnenden Larven der ebenfalls zu den Sialiden gehörenden Gattung Raphidia kommen ähnliche Nachschieber vor. Dieselben sitzen hinter der Bauchplatte des zehnten Segmentes und treten als weiche Polster unter dem After hervor, sobald die Larve Kriechbewegungen macht. Die Chitinhaut der Nachschieber gleicht in der Struktur der den After begrenzenden Cuticula. Selbst bei amputirten Thorakalbeinen vermochte die Larve noch vermöge ihrer Nachschieber schnelle Rückwärtsbewegungen auszuführen. Wie bei Raphidia finden sich auch unter den terrestrischen Käferlarven nachschieberartige Bildungen, welche aus der Endein- stülpung hinter dem zehnten röhrenförmigen, mit dem Afterstück innig verschmolzenen Segment unter der Analöffnung hervortreten und ebenfalls zur Bewegung dienen. Sie scheinen von landbewoh- nenden Neuropteren ererbt zu sein und finden sich bei einer großen Anzahl von freilebenden Larven, so besonders deutlich bei Tele- phorus und vielen Lampyriden, bei Carabieiden, Staphyliniden und Chrysomeliden. Auch sie dienen oft, wie dies zuerst bei den Lar- ven von Opilo domesticus erwähnt wird?, zur Riückwärtsbewegung, sind bei gewissen Heteromeren {Mycetocharis, Alleeula, Pentapbyllus) besonders stark entwickelt und werden von SCHIÖDTE als »Verrucae ambulatoriae annuli analis«? bezeichnet. Zu ihrer Unterstützung dienen noch oft besondere fingerförmige Haftschläuche, welche mit kurzen, körperwärts gerichteten Chi- tinhäkchen besetzt sind und von kräftig entwickelten Rückziehmus- keln durchzogen werden. Sie finden sich schon zu vier bei Panorpa und scheinen besonders unter campodeiformen Larven der Käfer ver- breitet. So kommen sie unter Carabieiden, von SCHIÖDTE als »Ver- rucae scansoriae exsertiles« bezeichnet, zu vier bei Elaphrus, zu ı S. S. HALDEMAN, History and Transformations of Corydalus cornutus Memoirs Amer. Acad. New. Ser. vol. IV. Part I. Cambridge and Boston 1849). pag. 159. Vgl. Taf. I Fig. 1. 2 CHAPUIS et CANDEZE, Catalogue des larves des Coleopteres. Liege 1853. pag. 19. 3 J. G. SCHIÖDTE, De metam. Eleutherat. observ. (Nat. Tidsskrift. 1861 187); TEE NE Die Abdominalanhänge der Insekten. 405 zwei bei Dyschirius, Pterostichus, Anchomenus, Bembidion vor. Am höchsten entwickelt fand ich die Haftschläuche bei einer riesigen südamerikanischen Lampyridenlarve. Hier bildeten sie jederseits des _ Afters unter der mit starken Chitinplatten bedeckten Rückenwand des zehnten Ringes korallenförmige, dichotom verzweigte Massen von der Länge des Segmentes, die sich aus je 20—30 Schläuchen zusammensetzten, deren jeder von zwei gewaltigen, durch besonders grobe Kästchenstruktur ausgezeichneten Retraktoren durchzogen und von einer mit starken Widerhäkchen besetzten Chitinhaut bekleidet war. | Auch bei Staphyliniden sind die Haftschläuche weit verbreitet; so erwähnt ScHIÖDTE deren je vier bei Stenus, Tachyporus, Philon- thus, Xantholinus, Oxyporus (vgl. 1. c. Taf. XI Fig. 14), die sich wohl auf dichotome Verästelung von zwei Schläuchen zurückführen lassen. — Diese Lokomotionsorgane wurden 1826 anscheinend von MAILLE zuerst bei Lampyrislarven als eine Art »houppe nerveuse« genauer beschrieben, aber schon von DEGEER beobachtet!. Dieselben Nachschieber haben sich vielleicht direkt von den Tri- chopterenlarven auf die der Schmetterlinge vererbt und würden dann ebenfalls dem zehnten Abdominalsegment zuzusprechen sein. Schon KowALevsky bildete |. e. auf Taf. X Fig. 10 einen Em- bryo von Sphinx populi ab, der zehn entwickelte Hinterleibsseg- mente besitzt, an deren jedem eine knopfförmige Beinanlage auf- tritt. Eben so giebt HATscHEr? für den Embryo der Goldafterraupe an, dass er zehn Hinterleibssegmente besitzt, und dass sich außer- dem noch ein Afterstück findet, in das sich die Anlage des Nerven- systems nicht hineinerstreckt. Hieraus ergiebt sich, dass man auch den Körper der Raupe als aus zehn Hinterleibssegmenten bestehend anzusehen hat, von denen die letzten meist derart undeutlich werden, dass man fast allgemein die Nachschieber zum neunten Segment rechnete 3. 1 Vgl. J. 0. WESTwooD, Introduet. to the Mod. Classifie. of Insects. I. 1839. pag. 251. 2 B. HATSCHEK, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lepid. (Jenaische Zeitschrift. X. 1876). pag. 130. 3 Diese Nachschieber fehlen, so weit aus der Litteratur zu ersehen ist, nur wenigen Raupenformen; bei vielen Notodontiden z. B. dienen sie zwar nicht mehr zur Lokomotion und sind daher meist plattenartig verkümmert (Platypteryx) oder zu keulenfirmigen Anhängen (Stauropus) oder zu den lan- gen, die rothen Schreckfiden bergenden Gabelästen umgewandelt (Harpyia), fehlen aber keineswegs, wie das die meisten Fachwerke behaupten, 406 Erich Haase Als eine eher selbständig erworbene Bildung hat man die wenig entwickelten Nachschieber vieler Blattwespenlarven anzusehen. Zu- gleich wird schon aus dem Vergleiche der Larve von Lyda mit der von Nematus klar, dass die Cerei zu den Nachschiebern in keiner Beziehung stehen, denn letztere sitzen bei Nem. salicis deutlich am entwickelten zehnten Abdominalringe. dessen Dorsaldecke vom After- stück durch eine Furche abgetrennt ist, während sich die Reste der Cerci in den bereits von G. Zappacu! für Nematus als charakteri- stisch hervorgehobenen »Afterspitzchen« erkennen lassen, die unter der Afterdecke nahe dem Außenrande als weiche, zitzenförmige, 0,012 mm lange Hauterhebungen aufsitzen. Bei der Larve von Lyda treten im Gegentheil die Cerci deutlich hervor, während die Dorsaldecke des zehnten Hinterleibssegmentes mit dem Afterstück verschmolzen zu sein scheint, hingegen sind die Nachschieber an der Bauchplatte nicht entwickelt. Wir haben aber in diesen Larven von Lyda und Nematus Formen vor uns, welche den Imagines ähnlicher sind als alle übrigen Vorstufen der Hymenopteren und Lepidopteren. Dafür spricht das (bisher erst bei Sirex nachge- wiesene) Vorkommen von zwei wie bei der Imago offenen Stigmen- paaren am Vorderrande des Meso- und am Metathorax?, deren letz- teres allerdings ziemlich klein ist, aber mit dem Hauptlängsstamm der Tracheen in freier Verbindung steht, und der Nachweis zahl- reicher (ca. 50) kurzer Harngefäße bei der Larve von Lyda pra- tensis, deren gleiche Zahl in der Imago sich wiederfindet?. Da die Nachschieber stets in der Verlängerung der Thorakal- beine liegen, erinnern sie auffallend an die Endbeine der Myriopoden und von Peripatus. Doch können sie nur als den Brustbeinen ortho- stiche, nicht als ihnen streng homologe Bildungen angesehen werden. 1C. G. A. BRISCHKE und G. ZADDAcH, Beobachtungen über die Arten der Blatt- und Holzwespen (Schriften phys.-ök. Gesellschaft zu Königsberg. XVI). pag. 41. 2 J. PALMEN giebt (Zur Morphologie des Tracheensystems. 1877. pag. 101) an, dass die Stigmen am zweiten und dritten Thoraxringe der Blattwespen- larven geschlossen seien, scheint also das erste, lange nachgewiesene Stigmen- paar fiir prothorakal zu halten, wie er es bei den Raupen gedeutet hat. In der That entspricht aber das erste Stigmenpaar auch der Raupen stets dem Meso- thorax, da sich, wie bei ähnlichen Formen der Käferlarven, hinter ihm nur ein zeitweilig geschlossener, zum Metathorakalstigma gehöriger Verbindungs- Strang der Tracheenlängsstämme nachweisen lässt. 3 Dasselbe giebt E. SCHINDLER (Zeitschrift für wiss. Zoologie. XXX. 1878. pag. 638) für Lophyras und Tenthredo An. Die Abdominalanhänge der Insekten. 407 da sie bei ursprünglicheren Formen (Lyda) oft fehlen und ihr ab- weichender Bau und ihre offenbar spätere Entwicklung sie als se- kundäre Bildungen erscheinen lassen, zumal den unzweifelhaft älteren Insekten ohne fastendes Puppenstadium (Ins. hemimetabola) Anhänge am zehnten Hinterleibssegment durchaus fehlen. Bei vereinzelten Larven der Neuropteren treten besondere abdo- minale krallenlose Scheinfüße (Pedes spurii) auf, deren sich bei Panorpa nach FR. BRAUER! acht Paar von kegelförmiger Form vor- finden. — An Stücken, die ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Fr. BRAUER verdanke, fand ich, dass die Brustfüße selbst ziemlich schwach und weichhäutig sind und dass die Scheinfüße am ersten bis achten Abdominalsegment als spitzkegelförmige, undeutlich ge- ringelte Hauterhebungen aufsitzen, die nicht genau in der Verlänge- rung der Thorakalbeine liegen, sondern mehr nach der Mitte zu- sammentreten, und zwar von letzterer nach hinten allmählich ab- weichen, also sich umgekehrt verhalten wie die verkümmernden Abdominalfüße polypoder Embryonen. So sind diese Scheinfüße nicht einmal als denen der Raupen homotop anzusehen, sondern scheinen eher auf höhere Entwicklung warzenartiger Höcker zurück- führbar, wie sie zwischen den Basalgliedern der Thorakalbeine auf- treten, zumal vor ihnen gelegene kleinere Papillen sich in derselben Entfernung vom Thorax bis zum Abdomen hinab erhalten und in der Verlängerung der Brustbeine selbst eine dritte Warzenreihe außerhalb der Scheinfüße auftritt. — Ähnliche Scheinfüße kehren nun, fast allgemein verbreitet, an den Schmetterlingslarven wieder, wo sie an verschiedenen Hinterleibssegmenten vorkommen und wohl nur bei Minirraupen fehlen?. Sie bestehen aus einem breiten und flachen Basaltheil, der wie das Hüftglied der Thorakalbeine allmählich in den Körper übergeht und vorn und hinten von schiefen Muskeln bewegt wird, und einem distalen Theil. Dieser trägt gekrümmte Chitinhäkchen, welche ent- weder an seiner Außenseite stärker entwickelt sind (fast alle Macro- lep.) oder einen gleichmäßigen, geschlossenen Kranz bilden (alle Microlep.). und wird durch gerade verlaufende Muskeln bewegt. Wie angegeben, trägt nach KowALEvsky der junge Keimstreif des Pappelschwärmers zehn Paare von Abdominalstummeln, so dass I Fr. BRAUER, Entwicklungsgeschichte der Panorpa communis (Sitzungs- berichte math.-naturw. Klasse k. Akad. der Wiss. Wien 1851). ? Bei der Larve von Mieröpteryx fehlen auch die Thorakalbeine. 408 Erich Haase vielleicht, um mit GRABER zu reden, »die an der Raupe an zwei Stellen unterbrochene Reihe von Abdominalanhängen auf eine kon- tinuirliche Reihe embryonaler und mit den Brustbeinen nahezu gleich- alteriger, also wohl auch homologer Anlagen zurückzuführen wäre«!. Eben so beobachtete TicHomIRoWw?, dass die Abdominalanhänge schon sehr früh auf allen Bauchsegmenten, mit Ausnahme des ersten, zum Vorschein kommen. — Dagegen fand V. GRABER! am Embryo der Eichenglucke, dass Abdominalanhänge erst nach der Verschmel- zung der Kopfsegmente und dann nur an den Segmenten auftreten, welche »auch noch im Raupenstadium Stummeln tragen«. Somit bedürfen diese sich widersprechenden Angaben Kowa- LEVSKy’s und GRABER'S noch der Nachprüfung. Sollte sich in der That ergeben, dass die Raupen als Embryonen an allen Hinterleibs- ringen Beinanlagen besäßen, so hätten wir auch in dieser Form des Insektenembryo nur eine Wiederholung der bei Orthopteren und Hy- drophilus ete. nachgewiesenen Polypodie. Für die sekundäre Natur der Scheinfüße der Raupen spricht die schon früher von TH. GossEns? gemachte und von L. Knatz* wie- derholte Beobachtung, dass die Raupen vieler Noetuiden in der Jugend wie die Spannerraupen kriechen, weil einzelne Bauchfuß- paare, z. B. die des dritten und vierten Abdominalringes, noch nicht entwickelt sind. — Danach würden sich also die Scheinfüße in der- selben Reihenfolge? wie die Abdominalgriffel von Thermophila von hinten nach vorn, also umgekehrt wie die embryonalen Abdominal- beine entwickeln. Übrigens spricht auch der Umstand, dass die Scheinfüße an der entwickelten Imago nicht mehr nachweisbar sind. während die Nachschieber doch wenigstens zu Afterdeckplatten wer- den, für ihren geringen morphologischen Werth. Bei den Larven der Blattwespen kommen Scheinfüße meist schon vom zweiten bis zum siebenten (achten) Hinterleibsringe vor; der neunte ist stets anhangslos, der zehnte meist mit den ‚schwächer als bei den Raupen entwickelten Nachschiebern bewehrt. Diese Abdo- Vgl. GRABER, Über Polypodie ete. (1858). pag. 610. Vgl. CHOLODKOVSKY, Studien etc. (1889). pag. 97. Ann. Soc. ent. France. Octobre 1868. — Vgl. dieselben.‘ 6. ser. Bd. VII (1887—1888). pag. 388. 4 Zoologischer Anzeiger. IX. 1886. pag. 610—612. 5 Auch bei den Raupen von Saturnia Pernyi sind nach GossEns beim Ausschlüpfen die zwei ersten Paare der Bauchfüße erst- halb so lang wie die folgenden. 1 2 3 ERS Die Abdominalanhänge der Insekten. 409 minalanhänge bestehen ebenfalls, wie bei den Raupen, aus einem breiten hüftartigen Basalstück und einem Terminalanhange, der oben scheibenartig abgeflacht ist und sich vor den Scheinfüßen der Raupen besonders durch das Fehlen der Chitinhaken auszeichnet. Auch diese Anhänge sind den Thorakalbeinen durchaus orthostich und homotop und so entsteht wie bei den Raupen. eine Peripatus-ähnliche Leibes- form. die scheinbar an primäre Vorfahren erinnert. Zugleich zwingt aber das Vorkommen dreigliedriger, am After- stück seitlich eingelenkter Cerci bei der Larve von Lyda zu der Annahme, dass die Nachschieber bei den Blattwespenlarven wohl selbständig aus der Umbildung ventraler Hervorragungen der Kör- perwand entstanden und somit wahrscheinlich auch die Scheinfüße in der Ordnung erworben, nicht erblich überkommen sind. Daraus ergiebt sich zugleich die Möglichkeit, die Larve von Lyda als ur- sprünglichste Form der Hymenopterenlarven auf campodeide Ent- wieklungsstadien zurückzuführen und von ihr aus die Rau- penform abzuleiten !. Obwohl bei Lyda keine deutlichen Bauchfüße entwickelt sind, so kann man ihnen entsprechende Integumentalerhebungen vielleicht in zwei Querwülsten seben, welche am achten Segment besonders deutlich sind (wie die Scheinfüße), in der Mitte desselben liegen und sich vor den übrigen Falten durch größere Dicke und Glätte aus- zeichnen; sie sind am zehnten Segment kaum entwickelt und werden auch vom achten Segment nach vorn zu immer undeutlicher. Wie ich an L. campestris beobachtete, dienen diese Schwielen auf glatten Flächen auch in der That zum Kriechen. Ähnliche Anhänge wie die »Bauchfüße« der Raupe finden sich bei Käferlarven der Familie der Oedemeriden? an den vordersten Hinterleibsringen, und zwar nach ScHiöptE? bei Nacerdes melanura am dritten und vierten, bei Asclera coerulea am zweiten bis vierten Segment. Sie liegen bei Asclera fast in einer Reihe mit den Tho- rakalfüßen, besitzen eine Art Hüftwulst und zeigen am zugespitzten ! Der Umstand, dass die Cerei der Larve von Lyda aus mehreren (3) Glie- dern zusammengesetzt sind, spricht für die von Fr. BRAUER (Systemat.-zool. Studien etc. 1885. pag. 104 [340]) hervorgehobene und durch die Vielzahl der MALPIGHI'schen Gefäße gestützte Verwandtschaft der Hymenopteren mit Or- thopteren, die wohl direkt sein dürfte. 2 CHAPUIS et CANDEZE, Catal. des larves des Coleopteres. Liege 1853. pag. 18 und 182. 3 Vgl. SCHIÖDTE, De metam. Eleuth. observ. Tab. XVI. pag. 541 ff. (Naturh. Tidsskr. 3. R. Bd. XII. 1880). 410 Erich Haase Ende von der Seite gesehen ca. vier Chitinzähnchen, auf der Fläche von unten gesehen) zahlreiche kleine Chitinhöckerchen nahe dem Hinterrande. Ihnen entsprechen aber auch an der Rückenfläche ähnliche, wenn auch flachere, ebenfalls mit Chitinspitzen besetzte paarige Wiilste, die sich bei Asclera über die ersten sechs, bei Na- cerdes (nach SCHIÖDTE) über die ersten fünf Körperringe hinter dem Kopf erstrecken. — Weiter kommen ähnliche »Bauchfüße« an den Larven der Flie- gengattung Eristalis und verwandter Gattungen, also ebenfalls an sicher wenig ursprünglichen Formen vor. Von diesen weichen lappenartigen Anhängen verschiedene, den Beinen ebenfalls analoge, zum Theil sogar homostiche, aber nicht homologe Bildungen sind auch die beweglichen starken Borsten, welche an den Abdominalbauchplatten mancher Laufkäfer (Harpalus) vorkommen und in der Systematik’ als »Ambulatorial setae« be- zeichnet wurden. Vielleicht entsprechen dieselben in etwas den Abdominalgriffeln der Thysanuren, denn sie kommen in weiterer Verbreitung, so be- sonders entwickelt bei Larven aus der Malacodermenfamilie der Lam- pyriden, vor. Am neunten Segment (größerer südamerikanischer Formen) sind sie meist verkümmert, doch finden sich ihrer vier am achten Bauchschilde, und von diesen wiederholen sich die zwei äußer- sten bis zur zweiten Bauchplatte hinauf. Bei indischen Lyeidenlarven (Lycostomus) sind sie an denselben Bauchplatten entwickelt, bei Dri- lus und Telephorus fehlen sie dagegen. Auch außerhalb der Bauchfläche, in den Pleuren hinaufgerückt, treten griffelartige Anhänge auf, die mit Beinanlagen in keine Ver- bindung zu bringen sind. Dahin gehören vor Allem die bekannten kurzen, mit Sinneshaaren besetzten Zapfen, die bei der Hydrophilus- larve in den Pleuren der ersten sieben Hinterleibsringe sitzen und mit dem Wachsthum der Larve verkümmern. Ähnliche Zapfen sind bei Wasserkäferlarven weit verbreitet und dienen wohl oft noch be- sonderen Zwecken: die Larve von Gyrinus? hat jederseits an den ersten neun Hinterleibsringen einen ähnlichen Anhang’. 1 LECONTE and Horn, Classification Coleopt. North.-Amer. 1883. pag. 20. 2 Vgl. die trefflichen Abbildungen bei SCHIÖDTE, De metam. eleuth. ob- serv. (Kopenhagen). I. 1861. 3 Hierher gehört auch der pag. 393 erwähnte, scheinbar vom Afterstiick aus entstehende weiche, äußerlich geringelte und von einem Muskelstrange durchzogene Endanhang der Hydrophiluslarve, welcher, wie der Vergleich mit a Tee Die Abdominalanhänge der Insekten. 411 Diesen beweglichen Anhängen scheinen bei verwandten Formen unbewegliche Fortsätze genau entsprechen zu können. Bei der Larve von Sialis treten an den ersten sieben Abdominal- segmenten Tracheenkiemen auf, welche zwar vier- bis fünfgliedrig sind und dadurch äußerlich an Beinanhänge erinnern, die aber zu- gleich durch ihre Lage dicht an den Rückenplatten beweisen, dass sie nur als sekundär den Zwecken larvalen Wasseraufenthaltes die- nende Integumentalbildungen aufzufassen sind. Wie die Kiemenfäden der Larve von Paraponyx den Pleural- fäden der Hydrophiluslarve ähnlich gelegen sind, entsprechen nach Hagen! die Fadenanhänge von Sialis Anhängen bei der Caloptery- sidengattung Euphaea, die vom zweiten bis achten Segment vor- kommen, kegelförmig und 4 mm lang sind. Schon diese stets außer- halb der Beinreihe fallende, aber sonst so durchaus verschieden die Pleuren oder den Rücken besetzende Vertheilung solcher Anhänge, die zudem bei wasserbewohnenden Larven besonders stark entwickelt sind, ist ein Beweis für ihren geringen morphologischen Werth. Hierher gehören auch die bekannten, oft mehr als die Antennen entwickelten Anhänge hinter der neunten Rückenplatte vieler Käfer- larven, welche besonders bei Adephagen und Clavicorniern ausge- bildet erscheinen und noch von ScHIöpTE als Cerci bezeichnet wur- den. Diese Terminalanhänge (wie wir sie nennen wollen, weil sie sich besonders am Körperende entwickeln) kommen unter den Carabiciden nach ScHiöpreE als bewegliche ungegliederte Anhänge bei Dyschirius, Notiophilus, Leistus, Nebria und Panagaeus vor, fin- den sich auch bei den meisten Dyticiden (wo sie nur bei den For- men mit verkümmertem neunten Abdominalsegment, wie Cybister, und bei Haliplus fehlen), und den Gyriniden. Unter den Clavicor- niern sind sie bei den Staphyliniden und Silphiden allgemein ver- breitet und als oft stark verlängerte, zwei- bis dreigliedrige Anhänge lange bekannt und ebenfalls der weichen Verbindungshaut unter der neunten Rückenplatte eingelenkt; auch bei den Larven der Histeri- den sind sie zweigliedrig, während sie den abgeleiteten Palpicorniern mit verkiimmertem Körperende meist fehlen. Diese Terminalanhänge der Käferlarven stellen wohl den Anal- den Larven der verwandten Gattungen lehrt und wie es SCHIÖDTE |. ce. in der Erklärung von Taf. II Fig. 20 bei Hydrophilus aterrimus ebenfalls angiebt, dem neunten Hinterleibsringe zugerechnet werden muss und den Pleuralfäden entspricht. 1 Zoologischer Anzeiger. 1880. pag. 160. Morpholog. Jahrbuch. 15. : tv =I 412 Erich Haase raifen analoge Sinnesapparate dar, welche den Bedürfnissen der mit schwachen Fühlern versehenen, langgestreckten Larve besonders an- gepasst erscheinen und auch bei den Imagines verloren gehen. Sie sind bei vielen Formen auf festsitzende borstentragende Dorsalplatten- fortsätze zurückführbar, die sich mit ihrer apicalen Tastborste er- hoben, verlängerten, abschniirten, sekundär oft gliederten, und durch Entwicklung besonderer Hautmuskeln gegen den Körper beweglich wurden. Analoge Einrichtungen treten unter den entwickelten Käfern auch bei Staphylinen auf, dürfen aber ebenfalls keineswegs als Cerci be- zeichnet werden, sondern sind, wie zuerst Fr. Stern! erkannte, als besonders stark ausgezogene Pleuralschilde des achten Hinterleibs- segmentes anzusehen 2. Auch bei den raupenförmigen Larven von Panorpa kommen ent- wickelte Terminalanhänge vor und zwar sitzt je ein Paar derselben am Hinterende der achten und neunten Rückenplatte des Hinterleibes und ein unpaarer Anhang auf der Mitte der zehnten Dorsalplatte. Um noch die Morphologie der Gonapophysen zu besprechen, so finden wir Vertreter dieser Anhänge nur bei Formen mit endständiger Genitalöffnung, bei Chilopoden und Hexapoden. Bei den Chilopoden sind sie an dem ausgebildeten Genitalseg- mente der Chil. anamorpha deutlich entwickelt und stellen den echten Beinen homologe, aber verkürzte und besonders umgewandelte Anhänge des vorletzten, des Genitalsegmentes, vor. Besonders bei den Weibehen von Lithobius in ihrer Einfachheit erhalten, lassen sie sich noch leicht auf Laufbeine zurückführen, welche aus nur drei Gliedern zusammengesetzt sind und noch eine theilweise segmental angeordnete Muskulatur besitzen. Das basale Glied entspricht der Hüfte und läuft am Innenrande in mehrere Sporne aus. Die männ- lichen Genitalanhänge von Lithobius und die weiblichen von Seu- tigera haben schon verschmolzene Hüften; endlich tritt an den männ- lichen Anhängen von Scutigera das Basalglied zurück und bei den ! Fr. StEIn, Vergleichende Anatomie und Physiologie der Insekten. I. Die weiblichen Geschlechtsorgane der Käfer. 1847. pag. 15. 2 Von diesen in beiden Geschlechtern vorkommenden Pleuralanhängen sind die rein ventralen, wie STEIN nachwies, weit verbreiteten zapfenförmigen An- hänge zu unterscheiden, welche sich nur bei den Weibchen aus der sekundär getheilten Bauchplatte des neunten Abdominalsegmentes abschnüren und als »Genitalpalpen« bezeichnet werden. Die Abdominalanhänge der Insekten. 413 kleineren Arten von Lithobius verkümmern die Anhänge der Männ- chen ganz. Bei den Scolopendriden ! tragen nur die Männchen der Gattung Scolopendra als Rudimente der ursprünglichen Gliedmaßen anzu- sehende, ungegliederte Genitalzapfen. — Von den Geophiliden kom- men in beiden Geschlechtern gegliederte Anhänge nur bei der dem Urtypus näher stehenden Gattung Mecistocephalus vor; sonst finden sie sich als kurze Anhänge wie bei Scolopendra nur bei den Männchen. Bei Campodea kommen keine Gonapophysen vor; die Genital- öffnung ragt am Vorderende des neunten Abdominalsegmentes frei vor und ist in beiden Geschlechtern nach demselben Typus gebaut, so dass wir diese Verhältnisse wohl auch für die Urform der Thysa- nuren annehmen müssen. Bei Japyx finden sich im männlichen Geschlecht zwei, im weib- lieben vier kurze Integumenterhebungen, an die keine Muskeln her- antreten und die auch nicht gelenkig eingesenkt sind. Diese »Pa- pillen« sind vielleicht den Gonapophysenanlagen der höheren Thysa- nuren und Insekten homolog, zugleich scheint es aber bei dem offenbar sekundär in den Leib zurückgetretenen Geschlechtsatrium wahr- scheinlich, dass wir diese einfachen Erhebungen eher als Produkte einer Verkümmerung früher ausgebildeterer Anhänge ansehen müssen. Das dem Weibchen eigenthümliche Paar der Apophysen scheint dem achten, das beiden Geschlechtern gemeinsame ist dem neunten Ab- dominalsegment zuzurechnen. Bei allen übrigen Gattungen der Thysanuren bildet sich bei den Weibchen aus vier Integumentzapfen eine Legescheide aus. Dieselbe besteht aus den Anhängen des achten Hinterleibssegmentes als den vorderen und unteren und denen des neunten als den hinteren und oberen Scheidenhälften, wozu noch meist eine äußere ventrale Deck- scheide tritt, die von den Bauchplatten des neunten Segmentes ge- bildet wird. Auf diese äußeren Gonapophysen von Machilis lassen sich die mancher Insekten als homolog zurückführen, wie es auch GrRAssI für die genuinen Orthopteren zugab. Bei den meisten der ursprüng- lichen Insektenformen beträgt die Zahl der Abdominalsegmente, wie schon C. KRAEPELIN hervorhob?, zehn, an deren Ende das nicht mehr als Segment zu betrachtende Afterstück sitzt. E. Haase, Die Indo-austral. Myriopoden. I. Chilopoden 1887. pag. 12. C. KRAEPLIN, Untersuchungen über den Bau, Mechanismus und Entwick- 217 1 2 414 Erich Haase Am Weibchen von Blatta entstehen nun nach HuxLer! die vor- deren Gonapophysen am achten, die hinteren gabeligen am neunten Abdominalsegment aus »Papillen, die sich an der Sternalfläche der Larve entwickeln«. Durch das tiefe Hineintreten der Genitalöffnung in den Leib wird eine sekundäre Verkümmerung der Legescheide der Blatti- den bewirkt?, zumal sich unter der siebenten Bauchplatte die Marsu- pialräume ausbilden. Bei der Kopulation sind die Gonapophysen nach MıALL und Denny passiv und erhoben, um die im neunten Segment gelegene Spermotheca frei zu lassen. — Die Genitalan- hänge der Männchen lassen sich auf die der Thysanuren nicht zu- rückführen, da sie nur eigenthümliche hakenartige Verstärkungen der Chitinwand darstellen, die hauptsächlich zum Erweitern und Sperren der weiblichen Genitaltasche dienen. Dahin gehören auch die von ÜHOLODKOVSKY |. ce. (vgl. seine Tafelerklärung zu Fig. 15) dem zehnten Hinterleibssegment zugeschriebenen Haken. Gonapophysen, die den frei gelegenen Anhängen der Thysanuren besser entsprechen, finden sich bei den Laubheuschrecken, bei deren Weibchen nach Dewirz? zuerst einfache Fortsätze aus Imaginal- scheiben der Bauchfläche des achten und neunten Segmentes ent- stehen und sich dann von der Scheibe des neunten Hinterleibsringes aus kleine innere Wiirzchen bilden, die zu den Hilfsscheiden werden. Eine gleiche Anordnung zeigen auch die kürzeren Gonapophysen der Weibchen von Phasmiden und Odonaten, von Psylliden, und nach JorDAN* auch von der Physopodenabtheilung der Terebrantien. Eben so entsteht der weibliche Legeapparat der Hymenopteren lung des Stachels der bienenartigen Thiere (Zeitschrift f. wiss. Zool. XXIII. 1873). pag. 320 ff. 1 Tu. H. Huxtey, Grundzüge der Anatomie der wirbellosen Thiere. 1878. pag. 359. Auch BRUNNER v. WATTENWYL bemerkte schon, dass die Legescheide aus Verlängerungen der Sternalhaut entsteht (die morphol. Bedeutung der Seg- mente etc. bei den Orthopt. 1876). pag. 7. 2 Dass diese mit Recht als sekundär aufzufassen ist, beweist die inter- essante Entdeckung von CH. BRONGNIART (Compt. Rend. 1889. Februar. pag. 252), dass die paläozoischen Schaben (Blattinarien und Mylacriden) eine schlanke Legescheide von Hinterleibslänge trugen und somit wohl wie die Phas- widen ihre Eier noch einzeln ablegten, während die recenten Blattiden sie be- kanntlich in Packete vereinigen. 3 H. Dewirz, Über Bau und Entwicklung des Stachels ete. (Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. XXV. 1875). 4 K. Jorpan, Anatomie und Biologie der Plıysapoden (Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. XLVII. 1888). pag. 580. Die Abdominalanhänge der Insekten. 415 ‘nach KRAEPELIN und Dewitz aus sechs Papillen, deren zwei sich auf dem achten, vier (ursprünglich zwei) auf dem neunten Abdominal- segment erheben; auch hier bilden sich die seitlichen Scheiden später als die »Rinne« des neunten Segmentes. Was die Muskulatur dieser Anhänge betrifft, so setzen sich nach Dewrrz die Muskeln bei Apis »nur an die dem Körper inserirten vorderen Theile des Stachels an, bei Locusta treten sie auch in die Legescheidenstücke«: das Gleiche erwähnte ich auch für Lepisma beziehentlich Machilis. Aus diesen Ausführungen lässt sich schließen, dass bei den Insekten mit zehngliedrigem Abdomen die Geschlechtsöffnung ur- sprünglich im Bereiche des neunten Segmentes liegt. Weiter ergiebt sich auch, dass die Gonapophysen nicht, wie H. Dewrrz ]. e. pag. 195 und Huxrer |. e. pag. 370 es annehmen, als Homologa der echten Tho- rakalbeine betrachtet werden dürfen, sondern nur als Integumental- bildungen von etwas höherer Werthigkeit als die Griffel anzusehen sind, die sich allmählich an der Basis abschnürten und in vielen Fällen durchgehende Muskelzüge in sich aufnehmen, ihrer ersten Anlage nach aber doch rein ektodermal sind. Diese Ansicht, welche auch von Grassi vertreten zu werden scheint, wurde zuerst 1872 von ULJANIN ausgesprochen, der die Entwicklung der Gonapophysen aus subeutanen Imaginalscheiben nachwies. Unter den europäischen Orthopteren fehlen die Gonapophysen nach FiscHer |. ce. nur bei Forficuliden, wo die weibliche Genital- tasche bis unter die siebente Riickenplatte des Abdomens verlängert ist, bei Gryllotalpa und bei Xya; bei den Weibchen der Acridier treten vier kurze klappenartige Anhänge auf, deren hinteres Paar wie bei den Blattiden, Mantiden ete. gegabelt ist. Die zapfenförmigen Anhänge am Hinterleibsende der Männchen gewisser Landwanzen, welche nach FIeBErR ! den Griffeln der männ- lichen Orthopteren entsprechen sollen, sind diesen nicht homolog. Sie bilden sich erst mit der Geschlechtsreife der Männehen aus und stellen solide braune, durch Muskeln bewegliche Chitinhaken dar. C. Phylogenetische Schlussfolgerungen. Die neueren Arbeiten über Peripatus und Limulus haben es wahrscheinlich gemacht, dass der Typus der Arthropoden zwar als ein Ausläufer des großen Wurmstammes von annelidenähnlichen 1 F. X. FıEBER, Die europäischen Hemiptera. Wien 1861. pag. 9. 416 Erich Haase Vorfahren abzuleiten ist, dass er sich aber an seiner Wurzel in zwei große Äste spaltete, deren einer durch die Phyllopoden zu den übrigen Krebsen und durch einen Seitenzweig zu den Arachniden führte, während der andere durch myriopodenähnliche Formen die Hexapoden ergab. Somit ist die Unterklasse der Tracheaten als unnatürlich aufgegeben und sind Crustaceen und Arachniden von vorn herein aus dem Gebiete nachfolgender Erörterungen ausge- schlossen worden, während Peripatus wenigstens in den Bereich der Spekulation gezogen wurde. Diese aus Myriopoden und Hexapoden gebildete (wie die Mala- copoden [Peripatus]), durch den Besitz nur eines Fühlerpaares und ursprünglich ungetheilter Extremitäten gekennzeichnete Arthropodengruppe lässt sich als die der »Antennata«! bezeichnen. Die Entwicklung der Chilop. anamorpha schreitet nach dem Verlassen des Eies in der Weise fort, dass die mit sieben Lauf- beinpaaren ausgerüstete Jugendform (Pullus) allmählich durch inter- calare Sprossung vor dem schon deutlich vorhandenen Ge- nitalsegment neue Segmente erwirbt; diese bilden sich zuerst ven- tral aus und entwickeln aus seitlichen Knospen allmählich geglie- derte Beine, die also von vorn nach hinten entstehen. So sind die Analbeine, welche am geschlechtsreifen Thier durch ihre Länge auf- fallen und oft Art- oder Geschlechtskennzeichen tragen, von allen Laufbeinpaaren die jüngsten; nur die ebenfalls einem Beinpaar ent- sprechenden Genitalanhänge bilden sich erst nach ihnen aus. Die interealare Entwicklung von Lithobius scheint der von CLAus und HATSCHER als für die Sprossung der Anneliden und Arthropoden typisch angenommenen Vermehrung der Segmente durch direkt ter- minale Verlängerung des Leibes im Prineip zu widersprechen. Da sich mit Sicherheit nachweisen lässt, dass die acht postembryonal zu bildenden Segmente mit ihren Anhängen am Pullus noch nicht derart angelegt sind, dass sie zu ihrer Ausbildung nur einer bloßen Streckung, Füllung und Fortentwicklung bedürften, darf man viel- leicht annehmen, dass hier das Endstück ursprünglich wie bei Po- lygordius aus einer vorderen undifferenzirten Knospungszone und hinterem Afterstiick besteht und dass die Geschlechtsöffnung mit ihrem Segment sich sekundär schon zu einer Zeit ausbildet, in der der Embryo noch lange nicht die volle Zahl beintragender Segmente erreicht hat. Auf jeden Fall ist aber diese Knospungsart der Chilo- ! Siehe auch A. Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. II. Abth. pag. 291 und 439 (ausgegeben August 1889). Die Abdominalanhänge der Insekten. 417 poden, welche sich modifieirt bei den Symphylen wiederfindet, eine so ungewöhnliche, dass man schon desshalb die siebenbeinige Form des Pullus der Lithobiiden als larval ansehen muss. So empfiehlt es sich vielleicht eher, für die hypothetische Stamm- form der Chilopoden eine Myriopodenform anzunehmen, die schon eirea zwanzig Segmente mit Anhängen (abgesehen vom anhangslosen Endsegment) besaß, wie man es an den erwachsenen Chil. anamorpha findet. Von diesen Segmenten treten die ersten drei, welche die Kiefer tragen und noch deutlich nachweisbar sind, zum Kopf zu- sammen; von den übrigen achtzehn Rumpfsegmenten trat das erste mit den zu Giftfüßen umgewandelten Beinen an den Kopf heran, während das vorletzte die Genitalöffnung aufnahm und die verküm- mernden, spät entstehenden Extremitäten desselben sich zu kurzen Genitalanhängen umwandelten. Die postembryonale Entwicklung der Chil. epimorpha (Scolo- pendrid., Geophilid.) besteht nur in einer Ausbildung der Genital- zapfen und anderer Merkmale der Geschlechtsreife, da der Embryo das Ei mit der höchstmöglichen Zahl seiner Ringe und Anhänge verlässt und, von der Mutter beschützt, nur noch ein längeres, zur Ausbildung nothwendiges Ruhestadium durchmacht. Wie ich es schon früher aussprach, halte ich diese Entwicklungsart für sekundär, wenn auch das Verlassen des Eies im Besitz aller Anhänge noch vielleicht den ursprünglichen Zustand der Vorfahren anzeigt. Diese Spekulation ist natürlich nur richtig, so lange die von mir schon 1881' vertretene Ansicht, dass die segmentreichen Formen der Chil. epimorpha von Vorläufern der Chil. anamorpha abzuleiten sind, ihre Geltung behält. Eine ähnliche Entwicklung wie die Chil. anamorpha macht auch Scolopendrella durch, indem sich neue Segmente wie bei Litho- bius zuerst ventral und von vorn nach hinten zwischen dem fertigen vorderen und dem (letzten eölomatischen?)?2 Segment, das die langen Sinnesanhänge trägt, einschieben, so dass auch hier das letzte Lauf- beinpaar das jüngste und zugleich ebenfalls als Anhang zum vor- letzten Segment zu rechnen ist. Die ersten Stadien der dem Ei entschlüpften Scolopendrellen laufen schon wie bei den Chil. ana- morpha schnell herum und scheinen noch weniger Beinpaare zu be- 1 E. Haase, Beitrag zur Phylogenie und Ontogenie der Chilopoden (Zeit- schrift für Entomologie. N. F. Heft 8. Breslau 1881). pag. 108. 2 Bei Scolopendrella wird wegen der fehlenden terminalen Genitalöffnung die Entscheidung besonders schwierig, ob dies (13.) Rumpfsegment mit den Sinnesanhängen nicht zusammen mit dem terminalen Afterstück nur ein dem Telson gleichwerthiges Körperstück bildet. 415 Erich Haase sitzen als der Pullus von Lithobius. Während ich bei Scol. imma- culata nie Thierchen mit weniger als acht Beinpaaren fand, erwähnt R. LATZEL ! in seinem schönen Myriopodenwerk bei Scol. nivea Scop. eine Form mit nur sechs Beinpaaren und einem Paar Beinknospen am Ende. Bei Lithobius nimmt die Zahl der Beine in der Weise post- embryonal zu, dass man nach dem Stadium mit sieben Beinpaaren zuerst eines mit einem größeren und zwei kleineren hinzutretenden Beinknospen?, dann eines mit acht Beinpaaren und zwei kleineren Knospen unterscheiden kann, dem ein weiteres von zehn Beinpaaren mit zwei Knospen und endlich eines von zwölf Beinpaaren mit drei knospenden Lauffußpaaren folgt. So vermehrt sich denn, abgesehen von dem vierzehnbeinigen und dem letzten Stadium!, die Zahl der Beine stets um zwei Paare?. — Ähnlich ist auch die Vertheilung der Sprossungsstadien bei Scu- tigera, wo man Formen mit sieben, mit neun, mit elf und mit drei- zehn fertigen und jedes Mal zwei knospenden Beinpaaren kennt. Bei Scolopendrella hingegen scheint, wie zuerst J. Woop-Mason beobachtete!, stets nur ein neues Beinpaar nach dem anderen zu entstehen, wenigstens kenne ich nur Formen, die hinter dem letzten fertig gebildeten Paar ein Paar Knospen zeigten, und auch R. Larzen hat nur solche erwähnt. — Auch bei Seolopendrella haben wir wohl die postembryonale Entwicklung (Anamorphose) als abgeleitet (larval) anzusehen und dürfen somit vielleicht den Vorfahren der Symphylen, wie Scolopen- drella selbst, drei an das Frontalstück herantretende Kiefersegmente und dreizehn selbständige Rumpfsegmente zuschreiben, deren letztes seine Anhänge in Sinnesorgane umbildete; dann beträgt die Zahl der Abdominalsegmente bei Scolopendrella wie bei den Thysanuren und den primitiven Insekten mit Ausschluss des Afterstückes zehn. 1 R. LATzeu, Die Myriopoden der dsterreichisch-ungarischen Monarchie. II. 1884. pag. 14. 2 Diese oberflächlich als »Beinknospen« erscheinenden Anhänge sind in der That schon das fertige Endglied der bei der nächsten Häutung frei wer- denden ausgebildeten Beine; hinter ihnen liegen die Anlagen der im nächsten Stadium auftretenden »Knospen« als von außen nicht erkennbare, nach innen konvergirende, zugespitzte Erhebungen. 3 Auch an der Form mit zehn fertigen und zwei »knospenden« Beinpaaren liegen hinter letzteren nur erst zwei echte Knospenanlagen. 4 J. Woop-Mason, Notes on the structure ete. of Scolopendrella (Ann. and Mag. Nat. Hist. 5. ser. XII. 1883). pag. 63. Die Abdominalanhänge der Insekten. 419 Um noch kurz die Diplopoden zu berühren, so ist die Zahl der Beinpaare, denen die der Bauchganglien ungefähr entspricht, bei Polyxenus wie bei Scolopendrella 13, bei Glomeris 17—19, bei Po- lydesmiden 29—31 und bei Chordeumiden mindestens 45; bei Ly- siopetaliden, Juliden und Polyzoniden scheint sie stets noch höher zu sein. Für eine besonders nahe Verwandtschaft der Pselaphognathen (Polyxenus) mit den Symphylen spricht außer der gleiehen Zahl (12 der Rumpfganglien auch die postembryonale Entwicklung. Nach den Beobachtungen von FABRE, BODE und LATzEL!, die ich nur bestätigen konnte, verlässt Polyxenus wie alle übrigen Diplopoden das Ei als sechsbeiniger Embryo und erwirbt in jedem der ersten drei folgenden Stadien je ein, in den späteren jedes Mal zwei und nur im letzten wieder ein Beinpaar hinzu. Daraus folgt, dass erst der fünfte bis achte Gürtel (Cingulum) von Polyxenus als Doppel- segmente aufzufassen sind. Ist somit durch Polyxenus die neuerdings besonders von J. PACKARD bestrittene Verwandtschaft der Symphylen mit den Diplo- poden unzweifelhaft erwiesen, so scheint doch durch B. Grasst’s Bestätigung der schon von J. RyDER? gemachten Entdeckung, dass die Genitalien bei Scolopendrella ähnlich wie bei allen Diplopoden zwischen dem dritten und vierten Beinpaar ausmünden, zwischen den Symphylen und zwischen den Chilopoden und Insekten mit hinterer Geschlechtsöffnung eine unüberbrückbare Kluft zu bestehen, zumal den Reproduktionsorganen mit Recht für die Erkenntnis der Ver- wandtschaftsbeziehungen der Arthropoden die größte Bedeutung zu- geschrieben wird. Bisher ist weder bei Chilopoden und Insekten ein Anzeichen gefunden worden, dass sie einmal eine Geschlechtsöffnung am Vor- derende des Körpers besaßen, noch hat man bei Diplopoden Reste terminaler Genitalausführungsgänge erkannt. Zwar suchte B. GRAssI® für das Vorkommen solcher vorderen primitiven Geschlechtsöffnung bei den Insekten »die verschiedene Behaarung der ersten Bauchplatte in beiden Geschlechtern« von Campodea anzuführen, doch hat solch ! R. Larzet, Die Myriopoden der österreichisch-ungarischen Monarchie. Il. 1884. pag. 73. 2 J. RyDEr, The structure, affinities and species of Scolopendrella (Proc. Ac. Nat. Se. Philadelphia 1881). pag. 82 [vorher in »Scolopendrella as the type of a new order of Articulates (Symphyla)«. (Amer. Naturalist. XIV. 1880)]. 3 Zuletzt in Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 34. 420 Erich Haase sekundär-sexueller Charakter, der an jedem Punkte des Körpers auf- treten kann, noch weniger Bedeutung als die ganz sicher Neubil- dungen darstellenden Samenüberträger am Vorderrande des Abdomens der Libellenmännchen. Scheinbar findet sich aber, wie mit Vorsicht angedeutet wird, bei Scolopendrella eine Besonderheit am Präanal- segment, die an die Gonapophysen der Thysanuren erinnert, näm- lich die auffallend starke Entwicklung eines inneren Anhangspaares bei jungen Thieren, das vielleicht den Coxalgriffeln nicht homolog ist. B. Grassi! hat die Verschiedenheit der Lage der Genitalöffnun- sen damit zu erklären gesucht, dass er den Vorfahren der Arthro- poden aus Segmentalorganen umgewandelte Genitalausführgänge zu- schrieb, die ursprünglich auf mehrere Segmente vertheilt waren, sich aber später bis auf das vordere und hintere Paar schlossen. Nun findet sich bei denjenigen Insekten, die wir für die ein- fachsten und ältesten ansehen müssen, so den meisten Orthopteren, die Geschlechtsöffnung am neunten Abdominalringe, kann sich jedoch von diesem bei nahe verwandten Formen sekundär nach vorn ver- schieben; ferner kann bei weniger primitiven Ordnungen, so bei Schmetterlingen, die Begattungsöffnung in einem besonderen Segment, dem neunten, vor der Legeöffnung liegen. Zwar lässt diese Unbe- ständigkeit der Lage der Genitalöffnungen die Deutung zu, dass die Ausführgänge sich in jeder Ordnung oder sogar Familie einzeln aus einem besonderen Paar der Segmentalorgane entwickelt haben, jedoch scheint es natürlicher, für alle Insekten eine Urform mit zehngliedri- gem Hinterleibe? anzunehmen, deren Genitalien sich im Bereiche des neunten Segmentes öffneten. Ähnlich wäre auch für Symphylen und die ihnen nahe verwand- ten Diplopoden eine vielleicht durch das Mittel einer vorderen Kopu- lationsöffnung entstandene, schließlich vollkommene Verlegung der Genitalöffnung nach vorn anzunehmen, die ganz plötzlich eingetreten sein kann. Denn die Verwandtschaft von Scolopendrella mit Chilo- poden und besonders mit Thysanuren ist doch zu vielseitig ausge- drückt, um nicht zur Annahme gemeinsamer Vorfahren zu nöthigen. Somit dürfen wir vielleicht als Vorfahren der Myriopoden eine Arthropodenform annehmen, welche sich von Peripatus durch mehrere Punkte unterschied, die großentheils auf eine Héherentwicklung der Organisation der Malacopoden, wie BLAINVILLE diese interessante ! B. Grassi, Anat. comp. dei Tisanuri (1888). pag. 34. 2 Hierzu tritt noch als elfter Ring das Afterstück. Die Abdominalanhänge der Insekten. 421 Arthropodenordnung bezeichnete, zurückzuführen sind. Der Leib bestand wohl aus ungefähr eben so viel Segmenten wie bei Scolo- pendrella und Polyxenus, und von den Ventralanhängen traten die ersten drei Paare hinter den einfachen Tentakeln als Kiefer an den Kopf heran. Eben so waren die Beine schon deutlich fünfgliedrig und am Ende mit zwei gleichmäßigen Krallen besetzt, wie wir sie bei Peripatus, Scolopendrella, den Thysanuren, vielen homomorphen Insekten in allen Ständen und bei Imagines der Heteromorphen an- treffen. Die Genitalöffnung war noch doppelt und befand sich im letzten oder vorletzten Segment (nach Grassi zugleich hinter dem dritten Bein- paar). In den Hüften der Beine lag eine ein gespinnst- oder leim- artiges Sekret bildende Drüse; die Stigmata waren regelmäßig auf jedes Segment paarweise vertheilt und fanden sich wohl auch noch an den Segmenten des Kopfes theilweise erhalten. Als Ausstülpun- gen des Enddarmes bildeten sich einzelne (zwei?) MALpicHI’sche Ge- fäße aus, wie wir es noch bei Scolopendrella, den meisten Chilopo- den und einigen Chilognathen antreffen. Die Segmentalorgane als solche waren bis auf die zwei zu Speicheldrüsen und Genitalausführ- gängen umgewandelten Paare verschwunden. Der Gliederung des Leibes in dorsal weniger bestimmte gleichartige Segmente folgte auch die Muskulatur, das Nervensystem und die Kammerung des langgestreckten Rückengefäßes. Von dieser oder mehreren ähnlichen Formen leiteten sich selb- ständig die Chilopoden, die Symphylen und Diplopoden und die Vorfahren der Hexapoden ab. So nahe die Chilopoden auch den Hexapoden und besonders ihren Larven stehen, so weisen sie doch in der Heranziehung des ersten Beinpaares an den Kopf, in der meist asymmetrischen Entwicklung ibrer Genitaldrüsen, in ihren Ab- dominalbeinen, in der ausgesprochenen Tendenz zur Vielgliedrigkeit des Hinterleibes Unterschiede auf, obwohl sie mit den Larven he- teromorpher Insekten die Bewaffnung der Beine mit einer Kralle und mit den Imagines überhaupt die dorsale Lage der Genitaldrüsen theilen. Erst nach genauer Kenntnis der Entwicklungsgeschichte von Seolopendrella wird es möglich sein, zu entscheiden, ob Symphylen und Diplopoden nicht vielleicht eines Ursprunges sind, sicher sind sie mit einander vor allen Abtheilungen der Arthropoden am näch- sten verwandt. Von dem Protodiplopodenstamm sind wohl auch die Pauropoden durch theilweise Rückbildung abzuleiten, wofür eben so die Zahl 422 Erich Haase ihrer Beinpaare als die Verkiimmerung ihrer Mundtheile, das Fehlen der Augen, der Athmungsorgane etc. spricht. Auch die Entwick- lung der Pauropoden erinnert wie die Lage der Geschlechtsöffnungen an die Verhältnisse von Polyxenus und Scolopendrella. Die Mundtheile von Scolopendrella sind denen von Campodea sehr ähnlich und bestehen deutlich aus drei Gliedmaßenpaaren, von denen das letzte allerdings plattenartig verkümmert ist, während das erste Maxillenpaar noch typisch ausgebildete Laden trägt. Durch engere Verschmelzung der beiden Maxillenpaare entsteht das Gna- thochilarium der Chilognathen, das mit den Mundtheilen der Sym- phylen so genau übereinstimmt, dass allen Myriopoden drei Paar Mundanhänge zuzuschreiben sind. Allerdings ist die Verschmelzung der Maxillenpaare bei den Chilognathen eine so innige, dass sie schon am Embryo an einem Segment aufzutreten scheinen. Hier- auf stützte sich denn auch die neuerdings allgemein angenommene, erst von GRAssI und mir wieder zurückgewiesene Annahme!, dass die Diplopoden nur zwei Paar Mundgliedmaßen wie die Arachniden (und Peripatus) besäßen. Die Beine der Myriopoden sind denen von Peripatus wohl ho- molog und wie diese auf eine Modifikation der Parapodien anneliden- artiger Vorfahren zurückzuführen. Ihrer embryonalen Entwicklung nach treten sie wie die Insektenbeine als seitliche Knospen der Leibeswand auf, an deren Bildung von Anfang an Mesodermelemente Theil zu nehmen scheinen. Wie bei Peripatus sind auch bei Scolopen- drella die Beine eines Paares noch durch weiten Zwischenraum ge- trennt und mit den benachbarten Paaren durch gleichmäßige Ven- tralhaut verbunden. Mit der zunehmenden Härte des Chitinskelets, mit der steigen- den Verschiebbarkeit der Hartplatten gegen einander und der durch die schärfere Segmentbildung ausgesprocheneren Metamerie der Haut- 1 Diese Annahme wurde von SCHIMKEWITSCH (Ann. sc. nat. 1884) zur Be- gründung einer eigenartigen phylogenetischen Anschauung über die Descendenz der Arthropoden angewandt, indem er von Formen, welchen er zwei Kiefer- paare und nahe Verwandtschaft mit Pauropus und (!) Peripatus zuschrieb, die Chilognathen, dann durch Verlust der Antennen und Abdominalbeine die Arach- niden und endlich als dritte Abtheilung mit drei Paar Mundanhängen die Chi- lopoden, Thysanuren (mit Scolopendrella und den Collembolen!) und die In- sekten entstehen ließ. Schon Grassi wies diese nach ihm (Anat. comp. 1888. pag. 56) auch in den mir unzugänglichen Archives slaves de Biologie, 1886, publieirten Anschau- ungen treffend zuriick. 2 N HE Die Abdominalanhänge der Insekten. 423 muskeln treten bei Chilopoden in dieser weichen Bauchhaut segmen- tale unpaare Bauchschilde (Scuta) auf. Bei den kiirzeren und ur- spriinglichen Formen der Chilopoden noch wenig entwickelt, bilden sich die Bauchschilde mit der zunehmenden Segmentzahl allmählich aus und erreichen endlich bei den gliederreichsten Geophiliden den höchsten Grad der Breitenentwicklung eben so wie der Dif- ferenzirung. Bei den Diplopoden treten erst unter den kalkpanzerigen Chi- lognathen zwischen den stärker als bei Scolopendrella gegen die Mitte zusammenrückenden Beinen wetzsteinförmige Bauchschilde auf, die entweder frei (Isobates, Glomeris, Chordeumiden, Polyzoniden) oder sekundär mit den Pleuren zu einer Bauchspange verschmolzen sind (Polydesmiden, die meisten Juliden). Von einer nunmehr wohl ausgestorbenen Abtheilung der Myrio- poden, die sich von den Symphylen durch Augen, den Besitz von je einem Stigmenpaar an allen Segmenten des Körpers und hauptsäch- lich die hinten ausmündende Geschlechtsöffnung unterschied, sind die Thysanuren abzuleiten. Damit erlitten die Abdominalglied- maßen eine allmähliche Reduktion, indem sie, wie dies in der Ent- wicklung der flügeltragenden Insekten noch angedeutet ist, zuerst am Hinterleibsende verschwanden, während sie an der Abdominal- basis längere Zeit erhalten blieben. Sichere Rudimente des ersten abdominalen Beinpaares bestehen, so viel nachgewiesen, an reifen Thieren nur noch bei Campodea, wo sie in der Form den Embryo- nalknospen dieser Anhänge gleichen und eine deutliche Gliederung zeigen. Auch Japyx scheint noch Rudimente des ersten abdomi- nalen Beinpaares zu besitzen, wenigstens deuten darauf die seitlichen flachen Wölbungen der Ventralfläche hin, gegen die sich der medi- ane Bauchschild deutlich abhebt. Diese paarigen Anlagen der Ex- tremitäten des Hinterleibes scheinen nun von vorn nach hinten immer enger mit den Medianschilden zu Bauchplatten zu verschmelzen, womit zugleich die duplicaturenartige Ausbildung der letzteren ab- nimmt. Noch deutlicher als bei Japyx zeigt, wenn gleich sie durch das starke Übergreifen der Dorsalschilder und die Unterdrückung der Pleuralflächen in gewisser Weise beeinflusst erscheint, die Bauch- seite von Machilis, dass die Vorfahren der Thysanuren einst pleo- pod waren. Wie zuerst J. Woop-Masox! hervorhob, treten »echte 1 J. Woop-Mason, Entomol. Notes (Trans. ent. Soc. 1879). pag. 156 u. 158. 424 Erich Haase Bauchschilde« bei Machilis nur am Vorderrande der Abdominalseg- mente als hinten dreieckig vorspringende unpaare Platten auf: somit bezeichnete er die paarigen, tief einspringenden Theile der Bauch- decke, an welchen die bein- und die blasenartigen Anhänge sitzen, geradezu als die erhaltenen »Hüften« der rudimentären Beine. — Bisher hat nur B. Grasst! Bedenken gegen diese Deutung ge- äußert, die sich besonders auf die vergleichende Morphologie des Hautskelets stützen. Sein Einwand, dass ähnliche Verhältnisse wie in dem vorn zwischen die zweitheiligen Platten eingeschobenen dreieckigen Schilde auch in der Y-förmigen Chitinsehne von Japyx gegeben seien, die doch an den beintragenden Thorakalsegmenten läge, ist damit zurück- zuweisen, dass beide Bildungen keineswegs als homolog betrachtet werden dürfen. Bei Japyx liegen schief nach innen und hinten ver- laufende, auf Muskeln zurückzuführende Chitinsehnen vor, die nach dem Zusammentreffen mit einander noch eine Strecke vereint in das folgende Segment eintreten, unter den Bauchplatten liegen und zum Muskelansatz dienen, wie ich bei J. gigas erkannte. Die dreiecki- gen Bauchschilde von Machilis hingegen finden sich ausgebildet nur an den Abdominalsegmenten und sind unzweifelhaft freie Theile der Ventralhaut?. Meiner Ansicht nach, die sich bei unserer vollkom- menen Unkenntnis selbst postembryonaler Entwicklungsstadien dieser interessanten Gattung auf das allerdings zweifelhafte Ergebnis einer Untersuchung des Hautskelets und seiner Muskulatur stützt, liegt die Wahrheit vielleicht zwischen beiden extremen Auffassungen. Wie sich aus einer Vergleichung der auf einander folgenden Thorakalsegmente ergiebt, lassen sich die dreieckigen Ventralschilde am Vorderrande der Abdominalringe eher auf bloße Intersegmental- schilde zurückführen, wie sie vor und hinter den echten Sternal- schilden vorkommen. Dann wären ihre sie von den bilateralen Bauchplatten trennenden »Furchen« nur Gelenkungsfalten, was auch aus dem schwielenartigen und allmählich flach verstreichenden Rande der Berührungsstellen geschlossen werden darf. In diesem Falle wäre der mediane Abdominalschild selbst unterdrückt worden, denn dass er vorhanden war, wird durch die verkümmerten geraden Längs- muskeln am Innenrande der paarigen Bauchplatten bewiesen, die denen yon Campodea entsprechen’. 1 B. Grassi, Contrib. allo stud. etc. del gen. Machilis (1886). pag. 22. 2 Vgl. Fig. 3 ap. und Fig. 11 m.yps. mit Fig. 24 Se.int. 3 Vgl. Fig 11 m.long.ventr. mit Fig. 12 m.long.ventr. Die Abdominalanhänge der Insekten. 425 So wären denn die Platten von Machilis, an denen die Ventral- säcke und Griffel sitzen, wiederum als Produkt der Verschmelzung von Beinrudiment und Bauchhaut anzusehen, bei dem durch den tiefen Medianspalt eine Symmetrie, welche auf die paarigen Bein- anhänge hinweist, sekundär hervortrat. An den letzten Bauchseg- menten treten die Plattenhälften beweglich und weit aus einander, was wahrscheinlich durch die starke Entwicklung der äußeren Ge- nitalanhänge bedingt wurde. Bei den übrigen von mir untersuchten Thysanuren finden sich nur einfache ungetheilte Bauchplatten von oft bedeutender Wand- stärke und sind keine Reste von Beinrudimenten nachzuweisen. Aus diesen Ansichten über die allmähliche Reduktion der Abdo- minalbeine erhellt auch, dass die beweglichen Griffel nicht als Ru- dimente von Beinen, sondern nur als diesen analoge, aber nicht ein- mal homostiche Neubildungen anzusehen sind, die wohl auf besondere Entwicklung paariger Hinterrandsborsten auf den noch deutlich vor- springenden Extremitätenresten zurückzuführen wären. In diesem Falle, für den die postembryonale Entwicklung von Thermophila spricht, wäre auch die an die Abdominalgriffel herantretende Mus- kulatur nicht als von den ursprünglichen Extremitäten ererbt an- zusehen, zumal mit der Rückbildung eines Anhanges die Muskeln eher zu schwinden pflegen als die äußere Duplikatur selbst, sondern ebenfalls als eine Neubildung oder als besondere Ausbildung von Borstenmuskeln zu betrachten. Ihre höhere Ausbildung erhielten die Bauchgriffel also erst allmählich, und zwar schritt dieselbe von hin- ten nach vorn vor. Es ist wahrscheinlich, dass die erste Funktion der Abdominal- griffel rein sensorisch war und ihre lokomotorische sieh erst mit der Ausbildung eigener Muskeln entwickelte. Die spätere Rückbildung der Abdominalgriffel scheint vor Allem mit dem frühen und voll- kommenen Schwund der Abdominalbeinreste, mit der Koncentration und Reduktion der Abdominalsegmente, dem Verlassen der rein ter- restrischen Lebensweise und damit endlich mit der höheren Ausbil- dung des Insektentypus, der Erwerbung der Flugfähigkeit, zusammen- zuhängen. Von den Thysanuren sind die Collembolen wohl direkt abzu- leiten und zwar vielleicht von Campodea-ähnlichen Vorfahren, denen sie durch ihre Mundtheile und die unbewaffnete Genitalöffnung nahe 426 Erich Haase stehen. Diese Protocollembola müssen aber noch Augen und minde- stens prothorakale Stigmen besessen haben, da sich letztere noch bei Smynthurus vorfinden. Als Vorfahren aller geflügelten Insekten möchte ich eine Form ansehen, die zugleich der Vorläufer der Thysanuren war und vielleicht P. MayEr’s Archentomon entspricht. Zwar haben Fr. MEINERT und Nassonow versucht, die bisher noch unsicheren Vor- fahren der Hemipteren direkt auf Campodeen- oder gar Collemboien- artige Vorläufer zurückzuführen, doch halte ieh, wie erwähnt, selbst die Mundtheile dieser Synapteren erst für sekundär rückgebildet und möchte die Hemipteren lieber von Formen ableiten, welche sich von dem Stamm der Orthopteren1 schon weit entfernt haben und viel- leicht den Vorfahren der Neuropteren näher standen; eben so wie die Verwandlung der Hemipteren eine fast ursprüngliche zu sein scheint, ist der Mangel der Analraife als sekundär anzusehen. Vor Allem darf man die einheitliche Abstammung aller Pterygota (= Metentoma Grasst) besonders wegen des gemeinsamen Besitzes der Flügel an- nehmen, die nur in Folge sekundärer Verkümmerung fehlen. Die Aufschlüsse, welche uns die Entwicklungsgeschichte der Insekten über die Vorfahren derselben gegeben hat, weisen großen- theils auf eine ursprünglich myriopodenartige Form mit vielen bein- artigen Abdominalanhängen hin. — So beschrieb A. KowALEvsky? in seiner ausgezeichneten. Arbeit über die Entwicklung von Hydrophilus an den Embryonen dieses Wasserkäfers zwei primitive Segmentfortsätze an den zwei ersten Hinterleibsringen, welehe nach Art und Zeit ihrer Entstehung den Thorakalgliedmaßen vollkommen homolog seien und von denen das letzte Paar zuerst verschwände. Diese Angaben erweiterte K. Heı- DER? dahin, dass man »zu einer gewissen Entwicklungsperiode an sämmtlichen Hinterleibsringen Anlagen von Extremitäten-Rudimenten erkennen könne«. 1877 beobachtete V. GRABER* am Embryo der Fangheuschrecke, 1 Die embryonalen Rückenstinkdrüsen der Wanzen (vgl. Jenaische Zeit- schrift fiir Naturwiss. X. 1876. pag. 195) erinnern etwas an die Stinkdrüsen der Schaben. 2 A. KOWALEVsKY, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden Mém. de l’Acad. Imp. St. Pétersbourg 1871). pag. 35 ff. ® K. HEIDER, Uber die Anlage der Keimblätter von Hydrophilus piceus (Abhandl. der k. preuß. Akad. der Wiss. Berlin 1886). pag. 42. 4 V. GRABER, Die Insekten. 1877. I. pag. 6. Fig. 1. Vgl. dazu Morph. Jahrbuch. XIII. 1888. Taf. XXV Fig. 18. Die Abdominalanhänge der Insekten. 497 Mantis religiosa, das Vorkommen von Gliedmaßenrudimenten am er- sten und zweiten Abdominalsegment. — Weiter stellte H. Ayers! bei einer amerikanischen Grille, Oe- canthus niveus, fest, dass bald nach der Gliederung des Keimstreifes auch am Hinterleibe eine unbestimmte Zahl paariger Höcker ent- steht, die der ersten Anlage der echten Thorakalbeine entsprechen. — Ähnlich fand W. Parren? am Embryo von Neophylax coneinnus Abdominalanhänge, die von der Mitte des Keimstreifes abgerichtet seien, während die Thorakalbeine nach ihr konvergirten, an den er- sten drei Hinterleibsringen. — Weiter entdeckte er an frühen Sta- dien der Embryonen von Phyllodromia germanica (l. e. pag. 596) »a number of abdominal appendages«, die aber mit Ausnahme des ersten Paares schnell verschwanden. Eben so stellte V. GRABER? am Embryo des Maikäfers fest, dass die Anhänge des ersten Hinterleibssegmentes »den Brustbeinen voll- kommen homolog sind«, wie sich besonders aus ihrer Lage zu den Stigmen ergiebt; die Ansatzstelle der abdominalen Anhinge liegt nach GRABER der Medianlinie näher als die der thorakalen, was er aber mit Recht » kein Homologisirungshindernis« nennt, sondern aus der von vorn nach hinten abnehmenden Breite des Keimstreifes erklärt. End- lich stellte CHOLODKOVSKY |. ce. vor Kurzem fest, dass bei den Em- bryonen von Phyllodromia zahlreiche Abdominalanhänge auftreten. Erst V. GRABER® warf die Frage auf, ob in der That diese Abdominalanhänge bei den verschiedenen Insektenformen einander und weiter den Thorakalbeinen homolog seien und unterschied nach dem Orte ihres Ursprunges an den Segmenten solehe, welche end- ständig, solche, welche mittelständig, und solche, welche seiten- ständig gebildet sind. Nach den Ergebnissen unserer morphologischen Untersuchung der Thysanuren muss man mindestens unterscheiden, ob die Anhänge orthostich sind, d. h. in der Verlängerung der Thorakalbeine liegen, ! H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus ete. (Mem. of the Boston Soc. of nat. hist. Vol. III. 1884). 2 W. PATTEN, The development of Phryganids with a preliminary note on the development of Blatta germanica (Quarterly Journ. Microsc. Se. XXIV. 1884). pag. 578. Taf. XXXVI A. 11. 3 V. GRABER, Uber Polypodie ete. (1888). pag. 596. * Die einander widerstreitenden Angaben von BÜTSCHLI und Grassi über die Entwicklung der Abdominalbeine bei der Biene seien hier nur erwähnt, da sie noch der Nachprüfung zu bedürfen scheinen. 5 V. GRABER, Über Polypodie etc. (1888). pag. 611. Morpholog. Jahrbuch. 15. to D 428 Erich Haase wie bei Campodea das rudimentäre Beinpaar, ob sie außerhalb (ek- tostich) derselben liegen wie die Griffel (Styli), oder innerhalb der- selben (entostich), wie die Gonapophysen. So ergiebt es sich z. B. aus der vergleichenden Betrachtung, dass man die Styli des neunten Hinterleibssegmentes von Blatta nicht als Rudimente von Beinen, sondern als Reste von Griffeln ansehen muss. In der That scheinen die Abdominalanhänge nur bei wenigen Formen den Thorakalbeinen streng homolog, d. h. gleichgebildet und gleichgelegen, zu sein. Nach den Abbildungen zu schließen, darf man für die Abdominalbeine am Embryo von Mantis, Phyllo- dromia, Oecanthus, Hydrophilus und Melolontha diese Homologie unbedingt zugestehen. Andeutungen bilateraler Integumentverdickungen, wie wir sie am ersten Abdominalsegment von Japyx trafen und auf Rudimente mit dem Medianschilde verschmolzener Beinanlagen zurückführten, scheinen hauptsächlich noch bei Schaben vorzukommen. So lassen sich auch bei Phyllodromia germanica noch Reste der Zusammen- setzung der Bauchplatten aus mehreren Stücken nachweisen. Wäh- rend am ersten Abdominalsegment nur ein mittleres rundliches Bauch- schildehen auftritt, das dem der Chilopoden etc. entspricht, finden sich am zweiten Segment drei behaarte Platten, deren mittlere, höher gelegene dem medianen Bauchschilde, deren seitliche aber einer Verschmelzung aus den Beinrudimenten mit dem Ventralinte- gument entsprechen und so an die paarigen Bauchplatten von Ma- chilis erinnern. An der präparirten Bauchfläche eines fast reifen Embryo lässt sich diese Zusammensetzung deutlich noch bis zum siebenten, weniger deutlich bis zum neunten Abdominalsegment ver- folgen. An erwachsenen Stücken hingegen bilden die drei Schilde vom dritten Segment an eine solide Bauchplatte, welche von einer aus Querrunzeln entstandenen feinen Querleiste durchzogen wird; nur am zweiten Abdominalsegment erhält sich die Dreitheiligkeit dauernd!. — Andeutungen einer ähnlichen Zusammensetzung lassen sich auch an der zweiten Abdominalbauchplatte von Blabera und Periplaneta auffinden. So lassen sich denn auch am vollkommenen Insekt die Reste einer früheren von myriopodenartigen Vorfahren ererbten Polypodie nachweisen, während zugleich das Vorkommen von Abdominalgriffeln ! Vgl. E. Haase, Die Zusammensetzung des Körpers der Schaben. (Sitzungsber. Ges. naturf. Freunde. Berlin 1889). pag. 128—136. Mit Fig. Die Abdominalanhänge der Insekten, 429 am neunten Hinterleibssegmente zeigt, dass die Vorfahren der Pte- rygoten zugleich den Thysanuren nahe standen, vor denen sie sich als Protentoma besonders durch den Besitz dorsaler Hautduplika- turen an den zwei letzten Thorakalsegmenten auszeichneten, die sich zu den verschiedenen und zugleich so charakteristischen Fliigelformen entwickelten, während sich mit der Umgestaltung der Mundtheile, der Thorakalbeine und Rumpfsegmente die jetzt so scharf begrenzten Abtheilungen ausbildeten, deren zu Anpassungen tief eingreifender Art gezwungene Jugendformen nur zerstreute Spuren ihrer Vorge- schichte zu bewahren vermochten. Zusammenfassung. 1) Die Ventralsäckchen von Scolopendrella sind vom 3.—11. Rumpfsegment entwickelt und als coxal zu bezeichnen. Durch Blut- füllung ausgestülpt, werden sie durch einen besonderen Muskel ein- gezogen; ihre Cuticula ist glatt, ohne deutliche Poren, die Kerne ihrer Matrix sind sehr groß; die Verbindung mit der Leibeshöhle ist nicht besonders ausgebildet. 2) Unter den Diplopoden kommen Hüftsäckchen ähnlichen Baues, mit einfacherer Matrix und entwickelteren Rückziehern, in beiden Geschlechtern vom dritten Beinpaar an bei Lysiopetalum, Polyzonium, Siphonophora vor. 3) Bei Chordeumiden sitzen dieselben nur in geringer Zahl hin- ter den Copulationsfüßen der Männchen und dienen als Samenbe- hälter. 4) Bei Campodea kommen paarige, denen von Seolopendrella sehr ähnliche Ventralsäckchen am Hinterrande der 2.—7. Bauchplatte des Abdomens vor; sie werden von Muskeln und einem bindege- webigen Strange durchlaufen. Der Cuticula fehlen deutliche Poren: die Matrixschicht ist mit wenigen Riesenkernen versehen. Am Hin- terrande des achten Abdominalsegmentes liegen zwei geringer aus- gebildete Säckchen vor der Genitalöffnung. 5) Japyx solifugus besitzt am Hinterrande der ersten Bauch- platte des Abdomens mit Drüsenhaaren besetzte Säckchen; bei J. gigas zerfallen dieselben in mehrere Partien, von denen eine sich an der zweiten Bauchplatte als Abdominalsiickchen wiederfindet, wie solehe, von ähnlichem Bau wie bei Campodea, bei J. Isabellae häufiger vorkommen. | | | 6) Bei Machilis liegt am Hinterrande der paarigen Ventraldupli- 28* 430 “ Erich Haase katuren des 1.—7. Segmentes ein resp. zwei Paar von Abdominal- säckchen mit stark entwickelter Muskulatur und anscheinend nicht poröser Cuticula, deren Matrixbelag an der Dorsalseite ein drüsiges Epithel mit Plasmastreifung bildet. 7) Der Ventraltubus der Collembola am ersten er TO ment besitzt ebenfalls entwickelte Rückziehmuskeln, einen durch- gehenden bindegewebigen Strang, im Inneren einzelne mit deutlichen Poren ausmündende, ein Sekret aussondernde Drüsenzellen, und tritt. durch Einströmen von Blut hervor. 8) Nach Beobachtungen an lebenden Stücken von Machilis und Poduren treten die Abdominalsäcke nur bei vollkommener Ruhe des Thieres und in feuchtwarmer Luft hervor; bei Poduren ließ sich unter dem Mikroskop eine bedeutende und schnelle Durchströmung des ausgestreckten Ventraltubus durch Blutflüssigkeit, in der Rich- tung nach dem Vorderende des Körpers zu, verfolgen. 9) Beobachtungen über das Kriechen der Poduren an Glaswän- den zeigen, dass der Ventraltubus dabei oft unthätig ist, wie die Abdominalsiickchen in gleichem Falle stets bei Machilis. 10) Die Beziehungen der Ausbildung des Tracheensystems zu der der Ventralsäckchen ergeben ebenfalls, dass letztere eine respi- ratorische Funktion haben und als Blutkiemen anzusehen sind; die Luftröhren fehlen bei den meisten Poduriden, sind verkümmert und öffnen sich durch ein Stigmenpaar bei Smynthurus und Scolopen- drella, durch drei bei Campodea; das Tracheensystem ist in Rück- bildung begriffen bei Lysiopetalum, Polyzonium, und außerdem erst wenig entwickelt bei Machilis; mit der Ausbildung der gemeinsamen Längsstämme erfolgt die Rückbildung der Ventralsäckchen. 11) In den Abdominalsäckehen ließ sich kein Harnstoff nach- weisen. 12) Die Stigmata von Campodea gehören zum 2.—4. Rumpf- segment; die von Japyx gigas vertheilen sich auf die drei Thorakal- und die ersten acht Abdominalsegmente, während Grassi bei J. solifugus das Vorkommen von vier Stigmenpaaren am Thorax an- gegeben hatte. 13) Die Ausbildung der Abdominalsäckehen wird außer durch die Verkiimmerung der Tracheen auch durch die Höhe des Stoff- wechselbedürfnisses bedingt. 14) Vielleicht dienen die beiden Geschlechtern gemeinsamen Coxalsäcke der Diplopoden noch nebenbei als Haftorgane bei der Copulation. Die Abdominalanhinge der Insekten, 431 15) Zu den sekundären Blutkiemen gehören wohl auch die aus dem ersten Abdominalbeinpaar entstehenden hinfälligen Blasenan- hänge von Gryllotalpa, Melolontha ete., die in ihrem Bau durchaus an die Abdominalsiickchen erinnern. 16) Wie auch Eısıg erkannte, sind die Coxaldrüsen von Litho- bius wohl als den Cruraldrüsen von Peripatus homolog anzusehen und ferner die Coxalsäckchen von Scolopendrella und den betreffen- den Diplopoden und wohl auch die Abdominalsäckchen der Synaptera aus verkümmerten ähnlichen Drüsen entstanden. 17) Die stummelartigen Ventralanhänge von Scolopendrella kom- men am 2.—12. Rumpfsegment vor und sind als Hüftgriffel zu bezeichnen. Am dreizehnten Rumpfsegment liegt ein später ver- kiimmerndes, besonderes inneres Apophysenpaar. Die Hiiftgriffel sind beweglich und von einem Nerven durchzogen. 18) Die Spinngriffel von Scolopendrella sind ganz unbeweglich und entsprechen den Raifen (Cerci) der Insekten. 19) Bei Campodea ist das Anhangspaar des ersten Abdominal- segmentes als rudimentäres Beinpaar anzusehen; die ektostichen Ab- dominalgriffel nehmen vom 2.—7. Segment an Größe zu und sind nur in der Längsrichtung beweglich. \ 20) Campodea besitzt entgegen Grassi in beiden Geschlechtern keine Gonapophysen. 21) Die gegliederten Analraife (Cerci) von Campodea erinnern im Bau durchaus an die Antennen, doch tritt wie in die stets un- gegliederten Abdominalgriffel aller Thysanuren keine Muskulatur in sie hinein. 22) Die Abdominalgriffel von Japyx erinnern auffallend an ge- wöhnliche Endsporne (Calcaria) der Beinglieder. 23) Die Abdominalgriffel von Machilis werden an den vorderen Segmenten besonders von Beugemuskeln, an den hinteren von Streckern bewegt. Nachweis der bisher übersehenen Bauchlängsmuskeln. 24) Der Mittelschwanz von Machilis entsprieht einer supraanalen Verlängerung des Afterstiickes. — Die Gonapophysen der Männchen bestehen, wie bereits OupEMANS gegen Grass angab, aus zwei Klappen und einem zweigliedrigen Penis; letzterer ist auf eine Haut- papille des neunten Abdominalsegmentes zurückzuführen. 25) Die Abdominalgriffel dienen besonders als Tastorgane und zur Unterstützung der Lokomotion des Körpers, bei Machilis und (aus- gebildet!) bei Poduren auch zum Springen. — Die Afterraife haben eine ähnliche, wenn auch geringer ausgebildete Funktion wie die Fühler. 433 "Erich Haase 26) Abdominalgriffel kommen als denen der Thysanuren sicher homologe Bildungen nur noch am Hinterrande der neunten Bauch- platte des Hinterleibes von Orthopteren vor; sie verkümmern oft schon im Laufe der Postembryonalentwicklung. 27) Analraife (Cerei) fanden sich außer bei Scolopendrella, allen Thysanuren und einigen Collembolen, bei allen Orthopteren s. 1. meist bis zur Imago, bei den Larven der Blattwespengattung Lyda, bei den Imagines der Blattwespen und anderer Hymenopteren. 28) Die Larven. der (untersuchten) Blattwespen sind menotrem, haben also noch die Stigmen der Imago vom 2.—11. Rumpfsegment; auch die ebenfalls hohe Zahl der Marriıcur'schen Gefäße in der Larve beweist, dass hier ein Übergang von dem ursprünglichen campodeiformen Jugendstadium zur Raupenform vorliegt. 29) Die Nachschieber der Raupen gehören dem zehnten Abdo- minalsegment an und sind wohl von den Trichopteren ererbt; die Scheinfüße (Pedes spurii) des Hinterleibes sind den Thorakalbeinen zwar homostich, aber als Neubildungen aufzufassen. Nachschieber- artige Bildungen sind auch bei Käferlarven weit verbreitet und wie die Haftschläuche und die dorsalen oft gegliederten, sensorischen Terminalanhänge bisher bei der Imago nicht nachgewiesen. 30) Die Gonapophysen der Orthopteren s. str., Odonaten, vieler Hemipteren und Hymenopteren sind denen von Machilis homolog. 31) Da die postembryonale Sprossungszone der Lithobien vor dem Genitalsegment liegt, sind ihre segmentarmen jüngsten Stadien wie bei Scolopendrella als sekundär erworbene Larvenformen anzusehen. 32) Myriopoden und Insekten haben einen gemeinsamen Ur- sprung. 33) Die Symphylen stehen besonders den Diplopoden nahe; die Pauropoden sind entgegen den Ansichten von SCHIMKEWITSCH als niedere und zugleich verkümmerte Form von letzteren abzuleiten. 34) Die gemeinsamen Vorfahren der Chilopoden und Insekten standen ersteren und den Symphylen zugleich nahe, besaßen aber eine hintere Geschlechtsöffnung. 35) Die höheren Insekten (Pterygota) haben mit den Thysanuren gemeinsame Vorfahren, die letzteren sehr nahe standen. 36) Die Abdominalgriffel sind nicht als Beinreste, sondern als sekundäre, paarige Haargebilde aufzufassen, die sich aus rein sen- sorischen erst zu Bewegungsorganen entwickelten. 37) Die Collembolen scheinen einen direkten Seitenzweig der Thysanuren zu bilden und keine Urformen zu sein. Die Abdominalanhänge der Insekten. 433 38) Alle Pterygoten sind einheitlichen Ursprunges. 39) Die Bauchplatten des Hinterleibes der Hexapoden sind aus der Verschmelzung der am Embryo angelegten Abdominalbeine mit der ganzen Ventralhaut oder einem mittleren, dem Sternalschilde der Brustsegmente (und der Rumpfsegmente der Myriopoden) ent- sprechenden Schilde hervorgegangen, wie was an Machilis und Phyl- lodromia nachweisen lässt. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. F. E. SCHULZE und Herrn Prof. K. Moegıus in Berlin, in deren Instituten ich diese Arbeit vollenden durfte, für ihr gütiges Entgegenkommen meinen ergebensten Dank auszusprechen. Erklärung der Abbildungen. Tafel XIV und XV. Auf Taf. XIV sind die eingezeichneten Tracheen blau, die in vorgestülptem Zustande dargestellten Ventralsäckchen purpurroth gehalten, um die Correlation ihrer Ausbildung zu veranschaulichen. — Die römischen Zahlen bedeuten die Rumpfsegmente, und zwar entspricht Z7—III dem Thorax, IV— XIII dem Ab- domen. In allen Figuren bezeichnet: an. After, nucl.. Kern, ap. Chitinsehne (Apodema), retr. Riickziehmuskel, cerc. Endraife, sac. Ventralsack, conj. bindegewebiger Strang, st. Ventralgriffel, coc. Hüftglied, stigm. Tracheendffnung, m. Muskel, tr. Tracheen. nerv. Nervenstrang, Fig. 1. Scolopendrella immaculata von unten; er. Hüftgriffel; det. Ausführgang der Spinndrüsen; ep. Episternalschild; or.gen.. Genitalöffnung; sens. Sinnesorgan des, dreizehnten Rumpfsegmentes. Vergr. 2%/;. Fig. 2. Campodea staphylinus-Männchen von unten; pen. Penisröhre; ped.rud. rudimentäre Abdominalbeine. Vergr. 29/;. 434 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 9. 10. 11, 13. 14. 17 18. 19. Erich Haase Japyx gigas von unten; Tracheen halbschematisch; fre. Endgabel; gland. Driisenmassen. Vergr. ®/jo. Machilis maritima-Weibchen von unten; ant. Fühler; app.imp. unpaarer Schwanzanhang des Afterstückes; cr. Hiiftsporne; palp.maz. Unter- kiefertaster; palp.lab. Unterlippentaster; ovp. Legescheidenstiicke, inf. unteres, sup. oberes. Vergr. 12/;. Isotoma palustris von unten; ham. Häkchen (Hamulus) (zu klein wie- dergegeben) ; brach. Arm; manubr. Grundstück; muer. Endstück der Sprunggabel; ¢vwd. Ventraltubus in geringer Vorstülpung. Vergr. 2%. Smynthurus fuscus von unten; Bezeichnung wie in voriger Figur. Häkchen künstlich nach vorn umgelegt; Ventraltubus in höchster Vor- stülpung. Vergr. %/,. Scolop. immaculata. Thorax von unten; s. unentwickeltes, sac. ent- wickeltes Hüftsäckehen; ep. und cr. wie in Fig. 1. Vergr. %/;. Dieselbe; Endsegmente eines unreifen Thieres mit zehn entwickelten Beinpaaren, von unten; embr.XI. hervorknospendes elftes Beinpaar ; sens, Sinnesorgan des letzten Segmentes; app. innere Ventralanhänge desselben. Vergr. 6/,. Dieselbe; ein Hüftgriffel. Vergr. 25/.. Dieselbe; Coxalsäckchen des vierten Rumpfsegmentes, Querschnitt (Alaunkarmin, Kanadabalsam wie Fig. 12, 15, 17, 25, 27 a); med. mitt- lere fein längsgefaltete Siickchencuticula; %. kappenförmiger Basal- theil des Säckchens; n.g. Riesenkerne. Vergr. 3%/;. Dieselbe; Bauchseite mit eingezeichneten Muskeln; m.long.ventr. Bauch- plattenlängsmuskel; m.sac. Muskeln des Säckchens; m.st. Muskeln des Griffels; m.subg. Muse. subganglionaris (GRASSI); m.yps. Y-förmiger Muskel des Thorax; ped.rud. rudimentäre Abdominalbeine. Vergr. 50). Dieselbe; Flächenschnitt durch das erste Abdominalsegment eines 3 mm langen Stückes; form. Bildungsgewebe ; sonst Bezeichnung wie in Fig. 11. Vergr. 1%/,. Dieselbe; rechtes rudimentäres Abdominaibein des erwachsenen Thieres ; set. Drüsenborsten an der Dorsalseite; Vergr. 140/,. Dieselbe; Skizze nach dem Thier in Bewegung; Profilansicht der Hin- terleibsbasis. Vergr. 42/;. Dieselbe; Abdominalsack des zweiten Segmentes, Querschnitt; m., grob, m.a undeutlich quergestreifte Rückziehmuskulatur des Säck- chens ; n.g. Riesenkerne. Vergr. 5/,. Dieselbe; siebentes Abdominalsackpaar; von unten. Vergr. 300/,. Japyx gigas; Längsschnitt durch die Drüsenmasse des ersten Abdo- winalsegmentes; adp. Fettkirper; gland. einzellige Drüsen; det. ihr Ausführgang, in die Hohlhaare, se¢., miindend; sens. Sinnesborsten. Vergr. 760/,. Lysiopetalum anceps. Stigmenplatte mit Öffnung (stigm.), den zwei Luftgängen und den Tracheenästchen (fr.). Vergr. 60). Japyx gigas; linke Ecke der Bauchplatte des zweiten Abdominalseg- mentes; chit. Chitinsehne; sens. Sinneshaar. — Die punktirte Linie zeigt die Ausdehnung der Duplikatur an. Vergr. /;. Derselbe ; Unterseite des ersten Abdominalsegmentes; rechts sind -die Driisenmassen fortgelassen, um den (punktirt gezeichneten) Chitin- Tah XIV. ı ı \ | m ! ' THUC?. \--Zrach. FT MUCR. i —— ihsnst. EA Funke Leipzig. ap K stigm2’ 2 stigms } AM ? < \ FI fa \ ll Tat XV. manubr: \ i a m brad . i 17 THUN i is fl st FUL r aa S| st Ik ir 4 ott Ir ee \ Siig N = std, 4 2 IND X i 5 ot nth ae 2 = IA | va Re a | y N app. mp. Nr | £ 4 vay manube. ||} nina ~orp sup (MD) Are RU Will Engelmann Lith Anstv.E.A Funke Leipzig Ear | | Sr, 1 se - | My Pane } Barker FAHRT Pam LOH ‘E.Haase del. Morpholog. Jahrb. Ba.AV, : Tak. XV. — : = Te on — m t Fig.7. (Dentn. - __ Fig.19. ! | rm On Gland. sur mad. glandert. \| Senn Fig.21. N =z 2) Ta m SSS SS oe Verlag vWilh Engelmann w [expats ae 8, un A Zu Le Eh EU Ze — Be Den 2 ri Seen Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 20. 2 22. 23. 24. 25. 26. 27 28. Die Abdominalanhänge der Insekten. 435 ring a. zu zeigen; musc. Griffelmuskel; chit. Chitinsehne; seut.ventr. unpaares Bauchschild. Vergr. 35/;, Machilis maritima. Hypodermis der Ventralfliiche der Bauchsäcke. Vergr. /,. (Wie die beiden folgenden Figuren von lebend mit er- wärmter Überosmiumsäure behandelten Thieren gewonnen.) Dieselbe: Epithel der Dorsalfliche der Bauchsäckchen (durch unrich- tige Wiedergabe der Zeichnung sind zwischen den Zellwänden fälsch- lich Intercellularräume dargestellt worden). Vergr. /;. Längsschnitt durch das in Fig. 21 dargestellte Epithel; str. Plasma- streifung ; ewt. Cuticula. Vergr. 79/,. Dieselbe; a. durch Verdampfung gewonnene Krystalle aus der durch die Bauchsäckchen gewaltsam gepressten Flüssigkeit: 5. dieselben aus dem Blut des Rückengefäßes; c. solche aus den MALPIGHI’schen Schläu- chen. Vergr. ca. 200). Dieselbe; viertes Abdominalsegment von unten; m.flex. Beuge-, m.ext. Streckmuskeln des Griffels ; m.long.ventr. Bauchplattenlingsmuskel ; st. Abdominalgriffel von außen, s£.int. dieselben im Flächenschnitt; retr. med. mittlere Rückziehmuskeln; Se.int. Mittelschild. Vergr. %%/,. Lysiopetalum anceps; Flächenschnitt durch das sechste Beinpaar des Weibchens; troch. Schenkelring ; fem. Oberschenkel; sang. Blutmasse. Vergr. ®%/,. (Schnitt nach Behandlung mit Essigsäure.) Polyzonium germanicum; sechstes Beinpaar des Weibchens, nach dem frischen Thier in Glycerin; scut.ventr. Mittelschild. Vergr. 50/,. a. Craspedosoma Rawlinsii; Flächenschnitt durch das erste Beinpaar des achten Gürtels des Männchens; por. Hiiftdriisenausfiihrgang; sp. Samenpatronen. Vergr. 130/),. — b. Hüftdrüsenausführgang am ganzen Bein von oben gesehen; trocken. Isotoma palustris; ausgestreckter Ventraltubus, nach dem lebenden Thier gezeichnet. Die Pfeile bedeuten die Richtung der beobachteten Blutströmung; gland. einzellige Drüsen. Vergr. ®/,. Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Von # Dr. med. Carl Röse. Mit Tafel XVI. Als in der zweiten Hälfte des Mai 1888 meine Inauguraldisser- tation: »Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Herzens« im Druck erschien, ahnte ich nicht, dass Professor Born in Breslau gleichzeitig über dasselbe Thema gearbeitet hatte.und am 22. Mai 1888 die Hauptresultate in einem Vortrage bei Gelegenheit des Anatomen- kongresses in Würzburg veröffentlichen würde. Erst im November 1888 nahm ich Gelegenheit, mit Professor BORN in brieflichen Mei- nungsaustausch zu treten, nachdem inzwischen Born’s Untersuchungs- resultate mehr skizzenhaft im »Anatomischen Anzeiger« veröffentlicht worden waren. Es gelang mir nicht, aus diesen kurzen Aufzeich- nungen ein klares Bild zu gewinnen über Born’s eigentliche An- schauungen, sondern ich vermuthete irrig, Born wolle speciell die Entstehung des Foramen ovale resp. des Limbus Vieussenii in der- selben Weise erklären wie Roxiransky. Auf Grund vergleichend- anatomischer Studien war ich indess zur Überzeugung gelangt, dass meine eigene Darstellung von der Entstehung des Foramen ovale nicht richtig sein könne und dass ein Septum intermedium nach Hıs nicht existire. Mit Spannung erwartete ich also das Erscheinen von Born’s ausführlicher Arbeit. Und jetzt, wo dieselbe vor mir liegt, muss ich bekennen, dass mir Born’s Darstellung von der Entwicklung des Säugethierherzens, abgesehen von einigen Kleinigkeiten, mustergültig erscheint. Während namentlich im Gegensatze zu den Darstellungen Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 437 von His Born’s Auffassungen mit den meinigen größtentheils über- einstimmen, differirten wir bezüglich der Entstehung des Foramen ovale. Ich nahm an, dasselbe sei eine sekundäre Hemmungsbil- dung derart, dass im Anschluss an den Placentarkreislauf das ur- sprüngliche Septum atriorum sich nicht wie bei Reptilien vollständig schließe, sondern an einer Stelle offen bleibe. Born dagegen nimmt zwar ebenfalls die Entstehung der Valvula for. oval. aus dem ur- sprünglichen Septum atriorum — Sept. I — Septum superius an, lässt dasselbe jedoch ringsum mit der Vorhofswand und den Endo- thelkissen des Ohrkanales verwachsen. Erst durch eine sekundäre Durehbrechung dieses Septums bilde sich das Foramen ovale. Die Darstellung, welche Born von diesem Vorgange giebt, ist im Großen und Ganzen richtig. Der Grund dafür, dass mir seiner Zeit der typische Vorgang der sekundären Durchbrechung des Sep- tum atriorum entgangen ist, beruht nicht, wie Born glaubt, auf dem Mangel an plastischer Rekonstruktion der Schnittserien, sondern vielmehr auf dem Mangel an hinreichendem Material gerade für diese Entwicklungsperiode. Ferner ist es im embryonalen Herzen bei starker Füllung oft sehr schwer, Gewebstheile und Blutzellen aus einander zu halten. So kam es, dass ich bei einem meiner Kaninchenembryonen in verschiedenen Schnitten zwar deutlich eine Durchbrechung im Septum atriorum bemerkte,. dieselbe jedoch für ein Kunstprodukt hielt. Was Born’s Methode der Plattenmodellirung betrifft, so kann dieselbe ja, wie Born’s neueste Arbeit beweist, vorzügliche Resul- tate ergeben! Nur möchte ich davor warnen, wie es vielfach ge- schieht, die aus einer solchen Rekonstruktion sich ergebenden Re- sultate für absolut beweisend zu halten. Das beste Beispiel dafür, dass man auch mit der vorzüglichsten Methode zu falschen Resultaten kommen kann, liefert Hıs, der ja bekannterweise be- züglich der Entwicklung der Vorhofssepta zu ganz irrthümlichen Resultaten gekommen ist! Der Grund, wesshalb Hıs hierbei so weit an der Wahrheit vorbei irrte, beruht wohl zum Theil, wie Born richtig bemerkt, darauf, dass es schwer ist, gut erhaltene mensch- liche Embryonen zu bekommen; andererseits glaube ich, dass Hrs nicht im Stande war, sich von althergebrachten Anschauungen frei zu machen und in den Fehler verfiel, hier und da nach seinem sub- jektiven Ermessen seine Objekte zu modelliren. Eben hierin liegt die große Schattenseite der Born’schen Methode, dass es sehr schwer ist, besonders bei zarten Objekten völlig objektiv die einzelnen. 438 Carl Röse Schnitte aufzuzeichnen. Hier kommt es oft vor, dass gerade an den wichtigsten Stellen ein Schnitt misslungen ist, wie oft kommt es dabei auf die Deutung einiger weniger Zellen an: und der subjek- tiven Beeinflussung ist Thüre und Thor geöffnet! Die vorliegende Arbeit verfolgt zunächst den Zweck, meine jetzigen geläuterten Anschauungen über die Entwicklung des Säugethierherzens wiederzugeben; eine ausführlichere vergleichend- anatomische Abhandlung über denselben Gegenstand wird in Kürze erscheinen. Da meine frühere Dissertation nicht Jedermann zu- gänglich sein dürfte, so sei es mir gestattet, die Resultate jener Arbeit wörtlich zu rekapituliren: 1) In dem aus zwei getrennten Anlagen entstandenen einheit- lichen Herzschlauche bildet sich zuerst eine Abgrenzung zwischen Ventrikel- und Vorhofstheil. der Ohrkanal mit den Atrioventricu- larlippen, beim Menschen Anfang der dritten Woche, beim Kanin- chenembryo von 2 mm Länge. 2) Als erste Scheidewandanlage bildet sich das Septum atriorum und kurz nachher das Septum ventrieulorum; beim Menschen Anfang der vierten Woche. 3) Ende der vierten Woche stülpt sich der Sinus reuniens in den rechten Vorhof ein und ist von zwei Klappen eingefasst. Aus der Valvula dextra entstehen die Valvulae Eustachii und The- besii. 4) Die Valvula sinistra wird nicht zur Valvula foraminis ovalis, sondern ist ein vergängliches Gebilde, dessen Spuren sich in späteren Entwicklungsperioden mehr oder minder deutlich nach- weisen lassen. 5) Das Septum intermedium entsteht aus der bindegewebigen, jedoch an der Oberfläche mit einer dünnen, kontinuirlichen Muskelschicht überkleideten Spina vestibuli, welche sich mit den breiten Atrioventrieularlippen vereint, die in der Mitte mit ein- ander verwachsen. Dabei entsteht die Trennung des Ostium veno- sum; beim Menschen in der fünften Embryonalwoche. 6) Das Septum aorticum entsteht aus der vorderen linken Längsleiste des Bulbus und scheidet als spätere Pars membranacea die Ventrikel vorn, während hinten das Septum intermedium die Trennung bewirkt. Anfang der sechsten Woche ist die Scheidung zum Abschlusse gediehen. 7) An der vorderen und oberen Vorhofswand entsteht eine lei- stenförmige Einstülpung, das Septum musculare, welches sich Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 439 zusammen mit dem an der vorderen und hinteren Wand sichelförmig emporsteigenden Septum intermedium zu einem geschlossenen, ring- förmigen Diaphragma, dem Annulus ovalis, gestaltet. 8) Das ursprüngliche Septum atriorum wird zu dem später als Valvula foraminis ovalis bezeichneten Gebilde. In der siebenten Woche ist das Septum bereits völlig entwickelt, doch lässt sich mit Bestimmtheit annehmen, dass es schon früher, zugleich mit dem Septum ventrieulorum, zur vollen Höhe seiner Entwicklung ge- langt ist. 9) Die ursprünglich einheitliche Lungenvene theilt sich zweimal dichotomisch und die vier dichotomen Aste werden zu den sekundären Lungenvenen in der zwölften bis vierzehnten Woche. 10) Das Endstück des Sinus coronarius entsteht aus dem unter- sten Theile des Sinus reuniens. Von diesen zehn Sätzen muss meinen jetzigen Anschauungen zu- folge der fünfte gänzlich gestrichen werden, der siebente bedarf einiger Abänderung. Für die übrigen jedoch glaube ich auch jetzt noch die Übereinstimmung mit Born aufrecht erhalten zu müssen! Im Verlaufe der letzten Zeit wurde mir Gelegenheit, die Beutel- thierserien Prof. SELENKA’s in Erlangen zu durchmustern, wobei sich mir interessante Resultate ergaben. Von placentalen Säugern standen mir außer den schon früher untersuchten Embryonen von Kaninchen, Rind, Schwein, Maulwurf, Ratte noch zur Verfügung solche von Mensch, Schaf, Katze, von den Edentaten Manis, Myr- mecophaga jubata, Dasypus novemcinctus, Bradypus didactylos, so- wie eine Serie Embryonen von Myotus murinus, die ich bei Herrn Prof. KupFFEr einsehen durfte. Aus der Untersuchung aller dieser Embryonen ergiebt sich mit ziemlicher Bestimmtheit, dass die Herz- entwicklung in der Klasse der placentalen Säuger prineipiell in derselben Weise vor sich geht. Born geht zu weit, wenn er annimmt, bei allen Mammalia, also auch bei den Monotremen und Marsupialien, finde sich dieselbe Entwieklung. Bei den letztgenannten zwei Klassen finden sich, wie wir sehen werden, einige Abweichungen. Bezüglich der äußeren Form des Herzens in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien weicht Born nicht sehr weit von His ab, doch machen Born’s Abbildungen einen mehr naturwahren Eindruck, wäh- rend die Abbildungen und Modelle von Hıs bier und da etwas sche- matisirt erscheinen! Doch möchte ich in dieser Beziehung, da ich nicht selbst modellirt habe, kein maßgebendes Urtheil mir zutrauen. — 440 Carl Röse Sehr richtig stellt Born die allmähliche Wanderung des Ohr- kanals von ‚links her nach der Mitte des Herzens dar. — — — Be- züglich der Entwicklung des Sinus venosus und seiner Klappen stim- men meine Angaben mit denen Born’s genügend überein. Wenn Born sagt: »Ich kann nicht zugeben, dass der Sinus venosus in den jüngsten Stadien ganz in die Zwerchfellanlage ein- gesenkt und von dieser glatt überzogen ist, vielmehr finde ich den- selben immer nur mit seiner Unterfläche mit der Zwerchfellanlage verwachsen«, so befindet er sich genau in Übereinstimmung mit meinen Angaben pag. 9: »Es erscheint mir nicht ganz gerechtfertigt. wenn His bei seinen frühesten Embryonen den Sinus reuniens unter dem Zwerchfell gelegen sein lässt ete.«.. Der Name Sinus oder Sac- cus reuniens von His erscheint mir eben so wie viele andere von Hıs verwendete Bezeichnungen überflüssig. So weit es irgend an- geht, soll man bei Benennung embryonaler Gebilde möglichst die- selben Ausdrücke beibehalten, die schon lange in der vergleichenden Anatomie gebräuchlich sind, und welche eben dadurch, dass sie ein- mal dauernde Einrichtungen vorstellten, ihr Auftreten begründen. Nun entspricht das fragliche embryonale Gebilde genau dem Sinus venosus, wie wir ihn von den Cyclostomen an in der Verte- bratenreihe finden. Genau dieselben Lageveränderungen und Rück- bildungen des Sinus, wie sie Born in Übereinstimmung mit mir sehr korrekt beschreibt, lassen sich, wie später ausführlich gezeigt wer- den soll, in der phylogenetischen Reihe verfolgen! — Bezüglich der allmählichen Einengung der Anfangs weiten Sinus- mündung in den Vorhof durch die Muskelwand befinde ich mich ebenfalls in Übereinstimmung mit Born. Schon in meiner Dissertation schrieb ich: »Die Hıs’sche Lehre von der Area interposita als eines rein bindegewebigen Feldes, welches wie eine Platte in die hintere, der Muskulatur an dieser Stelle entbehrende Vorhofswand eingelassen sei, halte ich nicht für richtig ete. Eine Porta vestibuli und Area interposita, wie sie His beschreibt, giebt es nicht und möchte ich vorschlagen, diese Namen eben so wie Saccus reuniens aus der Terminologie zu streichen! Die beiden Muskelplatten des Vorhofs haben sich nach Born bis auf die kleine Stelle, wo die Lungenvene mündet, völlig geschlossen. _ Das Bindegewebe, welches der geschlossenen muskulösen Vorhofswand von hinten u - ist, ist das Lun- Se aye GPE? (Herzgekröse). Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 441 Eine doppelte Mündung des Sinus, wie sie Hıs in einem Stadium gesehen haben will, existirt normalerweise niemals! Die beiden Sinusklappen entstehen bei der Einstülpung des Sinus in den rechten Vorhof resp. bei der Verengerung der Sinus- mündung derart, dass Sinuswand und Vorhofswand sich eine Strecke weit an einander legen. — Born glaubt im Gegensatz zu mir hervorheben zu müssen, dass die also entstandenen Sinusklappen sehr bald ein selbständiges Wachsthum annehmen! Die Rich- tigkeit dieser Anschauung habe ich nie bestritten, wenn ich auch seiner Zeit unterlassen habe, sie besonders hervorzuheben. Speciell beim Kaninchen und den niederen Säugern gewinnen die Klappen bezüglich ihrer histiologischen Struktur bald ein mehr gleichmäßiges Aussehen, indem die Herzmuskulatur ziemlich reichlich mit Binde- gewebe durchsetzt ist. Beim menschlichen Embryo jedoch (Fig. 1) ließ sich hinsichtlich der histiologischen Struktur noch im fünften Monate die Entwicklung an der Valvula Eustachii deutlich verfolgen, indem in ihrer ganzen unteren Hälfte das ursprüngliche Sinusge- webe sich deutlich von der ursprünglichen Vorhofsmuskulatur ab- grenzte (Fig. 1). Das Gewebe des Sinus besteht beim Menschen ur- sprünglich eben so wie bei niederen Vertebraten aus einem Gemisch von quergestreiften Herzmuskelzellen, andererseits von glatten Muskel- und Bindegewebszellen, sowie von fibrillärem Bindegewebe. Später, besonders nach der Geburt, schwinden die quergestreiften Elemente mehr und mehr. Beim Menschen lässt sich der ursprünglich dem Sinus ange- hörige Theil des rechten Vorhofs histiologisch deutlich abgrenzen. Dabei greifen dic beiderseitigen Gewebsbestandtheile oft fingerförmig in einander. An diesen Stellen (Fig. 2) verlaufen häufig stärkere Blutgefäße in der Vorhofswand. Die beiden Sinusklappen verschmel- zen oben und unten mit einander. Das gemeinsame Stück vereinigt sich unten mit dem Septum atriorum = Septum I. Die obere Ver- einigungsleiste wurde von Hıs Septum spurium oder Pseudoseptum genannt. Beide Namen erscheinen mir nicht zutreffend. Wenn das besprochene Gebilde auch bei Säugerembryonen eine bedeutende Ausbildung erlangt, so ist es doch im Grunde genommen nichts weiter, als ein sich sehr frühzeitig und ausgiebig entwickeln- der Musculus pectinatus. Derselbe ist schon bei Fischen vor- handen, beim Krokodil noch sehr deutlich; bei den Vögeln und Säugern bildet er sich entsprechend der Rückbildung der Sinusklap- pen mehr und mehr zurück. Born ist gewiss im Rechte, wenn er 449 Carl Rise diesem Muskel eine Funktion bei der Schließung der Sinusklappen vindicirt, derart, dass durch seine Kontraktion die Sinusklappen bei der Vorhofssystole gespannt werden. In späteren Embryonalstadien werden die Sinusklappen funktionsunfähig und damit geht auch ihr Spannmuskel in Rückbildung über, wird durchbrochen, wie beim Kaninchen, oder atrophirt. Seine Überreste, die beim Menschen so- wohl als bei Säugern in späten Embryonalstadien oft vor der Ein- mündung der oberen Hohlvene zu finden sind, verwachsen entweder mit der vorderen Vorhofswand oder mit dem Limbus Vieussenii. Ob es nach alledem passend ist, diesen Muskel als eine falsche Scheidewand zu bezeichnen, lasse ich dahin gestellt. Richtiger dünkte mir, ihn seiner Funktion gemäß als »Spannmuskel der Biins- klappen« zu benennen. Bezüglich der weiteren Entwicklung des Sinus venosus und seiner Klappen stimmen Born’s Angaben fast völlig mit den meini- gen überein. Der Sinus wird, nachdem er von der unteren auf die hintere Vorhofswand emporgewandert ist, mehr und mehr in den Vorhof eingestülpt und seine Klappen erleiden dabei eine fortschrei- tende Reduktion. Den Raum zwischen den Sinusklappen und ihrem Spannmuskel einerseits, dem Septum atriorum andererseits, bezeichnet Born als Spatium interseptale sive intervalvulare. Korrekter würde der- selbe wohl als Sp. intersepto-valvulare bezeichnet. Dieser Raum, der bei niederen Vertebraten bis herauf zu den Monotremen recht ansehnlich vorhanden ist, geht in der Säugerreihe allmählich zurück. Beim Menschen verschwindet er sehr frühzeitig vollständig bis auf geringe Spuren, wie Born sehr richtig nachweist. Wie ich schon früher! bemerkte, ist es auffallend, dass frühere Autoren bis auf Hıs inel. stets die linke Sinusklappe zur Valvula foraminis ovalis werden lassen! Und doch hätte die einfache That- sache, dass die linke Klappe hier und da deutlich neben der V. for. oval. vorhanden ist, diesen Irrthum ausschließen können! — Wie ich später zeigen werde, ist die linke Sinusklappe in der gan- zen Familie der Edentaten noch vollständig vorhanden. Beim erwach- senen Kaninchen habe ich sie ausnahmsweise einmal noch völlig ausgebildet gefunden: ihre Spuren lassen sich jedenfalls in der ganzen Säugerreihe bis zum Menschen mehr oder weniger bestimmt nachweisen. Die linke Sinusklappe bildet sich in demselben Ver- 1 Tnauguraldissertation. pag. 11. Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 443 hältnisse zurück wie das Spatium intersepto-valvulare. So lange dieses noch vorhanden ist, muss naturgemäß die linke Klappe, wenn auch reducirt, so doch als freie Membran angetroffen werden. Mit dem Verschwinden dieses Spatiums legt sich die Valvula sinistra an das Septum atriorum an und verwächst mit seiner mittleren Partie in voller Ausdehnung mit demselben. Seine oberen und unteren Ausläufer dagegen verbinden sich mit denen des Limbus Vieussenii. Somit wird ausschließlich durch die Reste der linken Sinus- klappe der hintere Abschluss des Limbus Vieussenii zum geschlossenen Ringe, zum Annulus erzielt. Auf Schnitten durch diese Gegend bei menschlichen Embryonen und auch hier und da bei Erwachsenen lässt sich dies Verhältnis deutlich nachweisen! Born nimmt an, dass der hintere Abschluss des Annulus ledig- lich durch die dieke Wurzel der Valvula foraminis ovalis gebildet werde. Diese dicke Wurzel ist aber kein homogenes, gleich- artiges Gebilde, sondern entsteht eben durch Verwachsung des Sep- tum atriorum mit der linken Sinusklappe. Auf Durchschnitten sieht man stets, dass die Muskelelemente der Valvula for. oval. sich fast ununterbrochen in die Muskulatur des linken Vorhofs fortsetzen. Die die Umrandung des Annulus bildende sichelférmige Leiste ent- hält natürlich auch quergestreifte Herzmuskelfasern; dieselben sind jedoch durch eine breite Bindegewebsschicht deutlich von den Mus- kelelementen des linken Vorhofs und der Valvula for. oval. ge- schieden. — — — In meiner ersten Arbeit nahm ich an, die hintere Umgrenzung des Annulus werde durch die hintere Sichel des Sept. intermedium nach Hıs gebildet. Nun existirt ein solches Gebilde, wie schon er- -wihnt, gar nicht. Das Bindegewebe, welches His im Sinne hat, gehört, wie ich mit Born vermuthe, zum hinteren Endocardkissen. Mit der hinteren Umgrenzung des Foramen ovale hat es direkt nichts zu schaffen. Es lässt sich späterhin als zusammenhängende Schicht unter der Muskulatur in der Tiefe der unteren Umgrenzung des Fo- ramen nachweisen. — Fig. 3 zeigt von einem 5monatlichen menschlichen Fötus den Theil eines Schnittes durch die Vorhöfe unterhalb der Einmündung der Cava inferior. Man sieht links die Muskulatur des Septum atriorum direkt in diejenige des linken Atrium übergehen. Der halbkugelige Wulst bildet hier in der Umgrenzung des Foramen ovale einen Theil des Annulus ovalis und besteht größtentheils aus Morpholog. Jahrbuch. 15. 29 444 Carl Röse den Resten der linken Sinusklappe, doch haben sich an dieser Stelle schon Elemente vom unteren Ausläufer des muskulösen Septum II oder Limbus Vieussenii beigemengt. In Folge dessen bietet sich hier ein regelloses Gemenge von längs- und quergetroffenen Muskel- zügen, von Sinusgewebe und Gefäßdurchschnitten dar. — Die Ab- grenzung der verschmolzenen linken Sinusklappe vom Sept. atrior. ist makroskopisch bald mehr bald weniger scharf markirt; oft finden sich kleine Querfältchen, welche brückenartig sich über die Abgren- zungsfurche hinüber erstrecken: das deutlichste Zeichen einer früher stattgehabten Verwachsung. — — — — — Von der rechten Sinusklappe erhalten sich beim Menschen deutlichere Reste. Am frühesten schwindet der Theil zwischen der Einmündung der Vena cava inferior und der nach vorn gerückten V. cava superior dextra. Die Reste der Klappe verbinden sich hier mit stärker entwickelten Mm. pectinati und bilden die von Hıs Tae- nia sagittalis benannte Leiste als rechte Abgrenzung des ursprüng- lichen Sinusraumes. Links von dieser Leiste fehlen, wie Hıs richtig bemerkt, Mm. pectinati naturgemäß vollständig. Der untere Theil der rechten Sinusklappe erhält sich längere Zeit. Aus ihr entstehen die Valvulae Eustachii und Thebesii, indem eine Bindegewebsleiste von hinten nach vorn, in den bis dahin ge- meinsamen unteren Sinusraum vorwächst. Sobald diese Leiste den freien Klappenrand erreicht hat, ist die Scheidung des restirenden unteren Theiles der rechten Sinusklappe in die Valvulae Eustachii und Thebesii, sowie die Trennung zwischen den Mündungen der Cava inferior und Cava superior sinistra resp. V. coronaria cordis vollendet. — Dieser Vorgang, den Born im Gegensatze zu His über- einstimmend mit mir annimmt, lässt sich bei den Reptilien in seinen Anfängen verfolgen und werde ich später eingehender darauf zurück- kommen. — Was die Entstehung des Foramen ovale anlangt, so habe ich mich, wie schon erwähnt, abweichend von meinen früheren Anschau- ungen im Großen und Ganzen zur Ansicht Born’s bekehrt. Nur in einigen Kleinigkeiten weiche ich von dessen Darstellung ab. Bereits in meiner ersten Arbeit habe ich im Gegensatze zu Hıs behauptet, dass die Valvula foraminis ovalis aus dem ursprünglichen Septum atriorum entstehe. Born ist bekanntlich zu derselben Anschauung gekommen. Nun entspricht im Herzen der Säugethiere einzig und allein die Valvula foraminis ovalis dem Vor- hofsseptum der niederen Vertebraten bis herauf zu den Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 445 Sauropsiden. Das Septum II von Born oder der Limbus Vieussenii ist eine ganz sekundäre Bildung, die zwar schon bei den Am- phibien angelegt ist, jedoch erst bei den placentalen Säugern zu größerer Bedeutung und Ausbildung gelangt. Ich sehe also durchaus keinen Grund, wesshalb man neue Na- men wie Septum I (Born) oder Septum superius (Hıs) erfindet und für das eigentliche Vorhofsseptum nicht einfach Septum atriorum _ oder höchstens Valvula foraminis ovalis sagt. Das Septum II von Born bezeichnet man wohl am besten nach wie vor als Limbus Vieussenii. Der Name Septum musculare, den ich in meiner ersten Arbeit aufstellen zu müssen glaubte, ist dem gegenüber eben- falls unnütz! Hıs sagt über die Entstehung des Septum atriorum Folgendes: »Indem die Rückenwand des Vorhofs durch den Gekröstheil der Herzwurzel fixirt ist, die Seitentheile sich stark ausdehnen, entsteht eine mediane Einziehung, die in der Folge zur scharfen Falte sich ausbildet.« Abgesehen davon, dass das Septum atriorum wenigstens bei Säugern stets als solides, homogenes Gebilde und niemals aus einer Einfaltung entsteht, wie z. B. die Sinusklappen oder der Limbus Vieussenii, so kann ich mir absolut nicht vorstellen, wie so das völlig passive, bindegewebige Herzgekröse die Vorhofsmitte der- art am Wachsthume hindern könnte, dass dadurch eine Einfaltung entstehen müsste! — Die Erklärung für die Entstehung des Septum atriorum liegt eigentlich sehr nahe und erscheint selbstverständlich ! Trotzdem finde ich den betreffenden Gedanken in keiner der bis- herigen Schriften ‘über diesen Gegenstand weiter ausgeführt. Die Ursache der Entstehung des Septum atriorum beruht in der Anpassung der Vertebraten an die Lungenath- mung! Als erste Folge derselben ergiebt sich bei den Dipnoern, wie später ausführlich dargelegt werden soll, durch Anpassung an die nunmehr sich vorfindenden verschiedenartigen Blutsorten eine gesonderte Einmündung der Lungenvene ins Atrium und in Ver- bindung damit die Entstehung des Vorhofsseptums. Es ist dies der erste Schritt in der kontinuirlichen Weiterent- wicklung der Herzsepta, welehe erst im Herzen der Säugethiere zu vollem Abschlusse kommt und die völlige Scheidung des Lungen- kreislaufes vom Körperkreislaufe zur Folge hat. Im embryonalen Leben der Säugethiere hat sich dies phylogenetische Causalverhältnis erhalten, denn man findet stets die erste Anlage der Lunge kurz 29* 446 Carl Röse vor oder doch gleichzeitig mit der Entstehung des Vorhofsseptums! — Bei Säugern fand ich das Septum atriorum stets als solide Leiste von vorn herein angelegt. Die ursprüngliche phylogenetische Abstammung desselben aus einer Reihe netzförmig mit einander ver- bundener Vorhofstrabekel hat sich also in der embryonalen Entwick- lung bei Säugern nicht mehr erhalten. — Dies Septum nun, wel- ches bei allen Anuren und Reptilien eine solide, undurchbrochene muskulöse Membran darstellt, erleidet bei Vögeln und Säugern durch sekundäre Anpassung an die fötalen Kreislaufverhältnisse Durch- brechungen. Bei Vögeln ist diese Thatsache durch LinpEs schon längst bekannt; bei Säugern ist sie erst durch Born ins rechte Licht gestellt worden. Prineipiell ist zwischen den Durchbrechungen des. Septum bei Vögeln und Säugern kein Unterschied; doch gestalten sich die späteren Verhältnisse ganz verschieden. — Ein Foramen ovale in der Form, wie es der Mensch hat, findet sich weder bei Vögeln noch bei Monotremen und Marsupialien, sondern erst bei den placentalen Säugern. - Übrigens. darf man aus der gleichartigen Durchlöcherung des: Septums bei Vögeln und Säugern nicht etwa auf eine nahe Ver- wandtschaft dieser so verschiedenen Thierklassen schließen. Es macht sich vielmehr hier wieder einmal die oft gefundene Thatsache geltend, dass ganz unabhängig von einander eine nützliche Einrich- tung in der Thierreihe zweimal entsteht! ! — Beim Menschen und überhaupt bei Säugern findet sich nach Born im Gegensatze zu den Vögeln regulär immer nur eine Durchbrechung. Mehrfache Durch- löcherungen hält Born bei Menschen und Kaninchen für eine Ab- normität. Ich glaube, dass Born hierin zu weit geht! Bei Beutelthieren ist eine mehrfache Durchbrechung des Septum. atriorum in ähnlicher Weise wie bei den Vögeln regelmäßig vor- handen. Ein ausgebildeter Limbus Vieussenii existirt dort eben se wenig wie bei den Monotremen, die sich hinsichtlich des Baues ihrer- Vorhofsscheidewand gewissen Vogelgattungen sehr nähern. Der Schluss der Löcher im Septum der Marsupialien geschieht durch allmähliche Einengung derselben während des extra-uterinen Lebens. Bei einem Opossumjungen von 16 mm Länge sah ich das. Septum schon völlig geschlossen. Ich zweifle nicht, dass die Ent- wicklung des Septum atriorum bei Monotremen in ganz ähnlicher Weise sich vollzieht, wie dies Linpes beim Vogel beschreibt. Der Bau des Septum beim erwachsenen Thiere weist wenigstens darauf Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 447 hin. Bei Schaf-, Rind- und Pferdeembryonen fand Brucu' regel- mäßig eine vielfache, netzartige Durchlöcherung der Vorhofswand. Auch beim Menschen ist schon wiederholt, z. B. von ROKITANSKY, eine mehrfache Durchlöcherung des Septum atriorum gefunden worden! Bei drei Rindsembryonen von 16, 28 und 37 mm Länge finde ich ausgiebige, mehrfache Durchlöcherungen, ähnlich wie dies Bruch darstellt, eben so bei einem Maulwurf- und zwei Kaninchen- embryonen, wenn auch hier in viel geringerem Grade als beim Rinde. Dieselben Verhältnisse ergeben sich bei Edentatenembryonen. Nach alledem dürfte es doch wohl nicht richtig sein, mehr- fache Durchlöcherungen als Abnormität zu bezeichnen. Es wird Sache zukünftiger Forschung sein zu entscheiden, ob in der Säugethierreihe der Vorgang einfacher Durchlöcherung, wie ihn Born beschreibt, oder derjenige mehr- bis vielfacher Durch- lécherung häufiger ist. Ich selbst möchte mich fast für Letzteres ‚entscheiden. Im Prineipe ist ja der Vorgang ganz derselbe und beruht dar- auf, dass während der Entwicklung im Ei oder Uterus die Schei- dung der Ventrikel bereits so weit vorgeschritten ist, dass hier keine genügende Kommunikation mehr stattfindet und so naturgemäß sekundäre neue Kommunikationswege geschaffen werden müssen. Wie schon erwähnt, wird dies bei Vögeln und Säugern in ganz ‚gleicher Weise erzielt mittels Durchbohrung des bis dahin soliden Vorhofsseptums! — Den oben angeführten Thatsachen zufolge dünkt mir Born’s Darstellung von der Bandform des Septum atriorum auch für den Menschen nicht als allgemein gültig. Richtig ist wohl, dass die erste Durchbreehung meist hinten oben beginnt, jedoch niemals oder ‚doch selten so peripher, dass nicht ein geringer Rest vom Sep- tumursprunge an der Vorhofswand sitzen bliebe. — Unter allen Um- ständen halte ich es demnach auch in den Fällen, wo nur eine ‚einzige Durchbrechung besteht, für besser, nicht von einer Band- form, sondern vielmehr von einer Ringform des Septums mit sehr excentrisch sitzendem Loche zu reden. Wo dies Loch auch zuerst aufgetreten sein möge, immer wandert es schließlich nach der vor- deren Vorhofswand zu an seinen definitiven Platz, wo wir es noch 1 C. BRucH, Über den Schließungsprocess des Foramen ovale bei Men- ‚schen und Säugethieren. Abhandlungen der SENCKENBERG’schen naturforschen- den Gesellschaft. Bd. IV. 1862—1863. 448 Carl Röse bei der Geburt finden. Die Reste des Septum atriorum wachsen nun entsprechend dieser Wanderung und der Größenzunahme der Vorhöfe von allen Seiten wieder nach und umgrenzen das Foramen ovale = Ostium II von hinten her in einer Bogenlinie. Wenn mehrfache Durchlöcherung stattgefunden hat, so wird ent-. weder das vorderste, größte Loch zum Foramen septi, oder es ver- schmelzen einige größere Löcher mit einander, indess die anderen durch Endocardwucherung sich schließen; oder es bleiben bis zur Geburt mehrere Foramina septi atriorum dieht neben einander bestehen, Fälle, welche bisher meist für anormal resp. pathologisch gehalten wurden. Was die histiologische Struktur des Septum atriorum betrifft, so besteht dasselbe in seiner Hauptmasse aus quergestreiften, zu beiden Seiten vom Endocard überzogenen Herzmuskelzellen (Fig. 4 Sa). Beim menschlichen Fötus aus dem fünften Monat setzt sich das En- docard lediglich aus einer einzigen, höchstens doppelten Lage platter Endocardzellen zusammen. Späterhin verdickt sich das Endocard im Verhältnisse zur Muskulatur im Septum atriorum eben so wie in der Vorhofswand. Es treten elastische Fasern auf und bilden zu beiden Seiten der Muskelschicht mehr oder minder dicht gewebte Netze. Die Muskelschicht selbst ist nicht mehr kontinuirlich zu- sammenhängend, sondern besteht aus einzelnen Bündeln, zwischen denen sich fibrilläres Bindegewebe entwickelt hat. Ab und zu findet man Stellen, wo die elastischen Fasernetze, die im Allgemeinen nicht zwischen die Muskelbündel eindringen, quer durch das ganze Septum hindurch in größerer Breite mit einander in Verbindung stehen (Fig. 6). Es handelt sich hierbei wohl meist um Stellen, wo früher Durchbrechungen bestanden haben, die durch Wucherung des Endocards und demnach auch der elastischen Fasern geschlossen wurden. An der Stelle der postfötalen Verwachsung des Septum atriorum mit dem Limbus Vieussenii fließen die elastischen Faser- netze beider endocardialer Flächen breit in einander über. Der untere Rand des Septum atriorum ist, wie ich bereits in meiner Dissertation hervorgehoben und wie Born bestätigt hat, durch eine Wucherung des Endocards kolbig verdiekt. Dieser verdickte Rand wächst in die Tiefe des Ohrkanals zwischen die beiden Endo- cardkissen hinein, verbindet sich mit ihnen und bewirkt resp. regt dadurch die breite Verwachsung dieser Endocardpolster und damit die Scheidung des Ohrkanals in die beiden Ostia atrio-ventrieu- laria an! — Bereits JULIUS ARNOLD hat, wie auch Born bemerkt, aus ver— Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 449 gleichend-anatomischen Gründen angenommen, dass der basale Theil des Vorhofsseptums in ursächlichem Zusammenhang stehe mit der Scheidung der Atrioventrieularostien. In der That fand ARNOLD bei Zusammenstellung einer größeren Anzahl pathologischer Fälle die wichtige Regel, dass bei Mangel des basalen Theiles vom Septum atriorum stets ein Ostium veno- sum commune sich vorfand, während bei Mangel des Ventrikel- septums zwei Ostia venosa vorhanden sein können! Die angeführten Annahmen ARNOLD’s kann ich aus eigener An- schauung voll und ganz bestätigen. Die beiden Taschenklappen der niederen Vertebraten, welche den Endocardkissen im Ohrkanale der Säugerembryonen entsprechen, verwachsen erst von da ab mit ein- ander, wo das Vorhofsseptum zwischen sie hereingewachsen ist, nämlich bei den Reptilien. Dieses Herabwachsen des Septum geht, wie ich bei Schlangenembryonen sah, stets der Verwachsung der primären Atrioventrieularklappen voraus, eben so wie dies bei Vögel- und Säugerembryonen der Fall ist. Rechnet man dazu noch die oben angeführten Thatsachen der pathologischen Anatomie, so er- giebt sich mit ziemlicher Sicherheit die Bestätigung des Satzes: »Das Herabwachsen des Septum atriorum ist das causale Moment für die Scheidung des einheitlichen Atrioventri- eularostiums in die beiden sekundären.« Früher nahm ich an, der Limbus Vieussenii entstehe durch Ver- wachsung meines Septum musculare mit der vorderen Sichel des Sept. intermedium von Hıs. Für das letztere Gebilde sah ich die Endocardverdickung an, die sich von dem vorderen, nach Born obe- ren Endocardkissen des Atrioventricularostiums in den Vorhof herein erstreckt. Dieselbe verbindet sich jedoch schon mit dem Septum atriorum bei dessen Herabwachsen und nicht mit dem Limbus. Dieser entsteht vielmehr allein aus dem Gebilde, welches ich Sep- tum musculare (= Septum II) genannt habe. Beide Namen sind über- flüssig: ich glaube, man soll das Gebilde nach wie vor als Limbus Vieussenii bezeichnen! — Ein eigentliches, mit dem Septum atrio- rum oder der Valvula foraminis ovalis gleichwerthiges Septum ist es in morphologischer Hinsicht nieht, sondern ein ganz sekun- däres, bei Amphibien zuerst auftretendes, aber erst bei den placen- talen Säugern Bedeutung gewinnendes Gebilde. BORN spricht sich über seine Herkunft nicht näher aus. — Wie ich schon in meiner ersten Arbeit darlegte, entsteht der Limbus Vieussenii durch Einstülpung der medialen Vorhofswand direkt rechts 450 Carl Röse neben dem Septum atriorum. Bewirkt wird diese Einschnürung, wie sich auf Durchschnitten (Fig. 4 und 5) leicht nachweisen lässt, durch den tief zwischen beide Vorhöfe sich einbettenden Truncus arteriosus. — Bei den placentalen Säugern allerdings gewinnt der Limbus wohl sekundär ein selbständiges, wenn auch geringgradiges Wachs- thumsvermögen, indem er hier als Hilfsapparat zur definitiven Schei- dung der Vorhöfe herangezogen wird. Bei Kaninchen entsteht der Limbus zuerst bei Embryonen von § mm Körperlänge. Mit Born’s Angabe (pag. 312) stimmt dies genügend überein. Der Limbus ent- steht zuerst an der vorderen oberen Vorhofswand und greift später mit seinen Ausläufern auf die obere und speciell auch auf die untere Vorhofswand über. — Entsprechend seiner Genese entsteht der Lim- bus (Fig. 4) aus quergestreiften Herzmuskelelementen. Von der Aorta her erstreckt sich mehr oder weniger tief ein Keil pericardialen Bindegewebes hinein zum Zeichen dessen, dass diese jetzt in der Tiefe liegenden mittleren Partien früher der Vorhofsoberfläche angehörten (Fig. 4 und 5). Der hintere Abschluss des Limbus Vieussenii zum Annulus wird, wie schon erwähnt, bei placentalen Säugern durch Verwach- sung mit den Ausläufern der linken Sinusklappe erzielt, welche ihrerseits meist wieder dem Septum atriorum anliegt und mit ihm verwachsen ist. Bei Edentaten, wo die linke Klappe als solche regelmäßig zu persistiren scheint, lassen sich diese Verhältnisse sehr gut verfolgen. Der untere Ausläufer der linken Sinusklappe gelangt in manchen Fällen nicht vollständig zum Anschluss an den Limbus, sondern vereint sich zuvor mit dem oben erwähnten bindegewebigen Septum Sinus venosi. An solchen Stellen ist dann der Annulus immer mehr oder weniger unterbrochen! — An den Stellen, wo der Limbus mit dem Septum atriorum früh- zeitig verwächst, zur Zeit, wo das Endocard noch sehr dünn ist, ist diese Verwachsung eine so innige, dass die beiderseitigen Muskel- züge direkt in einander überzugehen scheinen (Fig. 4). Dies ist speciell an der oberen und theilweise an der vorderen Vorhofswand der Fall. An der unteren Vorhofswand dagegen, zwischen den bei- den Atrioventrieularostien, sind die beiderseitigen Muskelelemente durch eine breite, aus der Tiefe aufsteigende, nach oben spitz keil- förmig zulaufende Bindegewebsschicht getrennt, welche zum Annulus fibrosus der Autoren gehört und speciell an den genannten Stellen wohl von der früher erwähnten Endocardverdickung am freien Rande Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 451 des Septum atriorum herzuleiten ist. Das regellose Durcheinander von Muskelgewebe und Sinusgewebe an den Verwachsungsstellen mit den Ausläufern der linken Klappe ist schon oben kurz er- wähnt! — — — Was die Entwicklung der Lungenvenen betrifft, so sind meine Angaben im Wesentlichen von Born bestätigt worden. Die zuerst einfache Lungenvene entsteht sehr frühzeitig zugleich mit dem Sep tum atriorum als feines kapillares Gefäß und mündet von Anfang an links vom Septum, an der Stelle, wo die beiden Muskelblätter des Vorhofs zuletzt sich schließen, in der hinteren unteren Ecke. Es ist sehr schwer zu entscheiden, ob an dieser Stelle zwischen den beiden Muskelblättern eine Spalte bleibt, wie Born dies annimmt; oder ob auch hier die Muskelplatten völlig verwachsen und sodann erst an der erwähnten Stelle der geschlossene Muskelbelag des Vorhofs von der Lungenvene durchbrochen wird. Ich selbst möchte mich nach Beobachtungen, die ich bei Myotusembryonen machte und auch aus vergleichend-anatomischen Gründen lieber für letztere An- sicht entscheiden. Bezüglich der weiteren Entwicklung kann ich meine früheren Angaben wiederholen! Die Lungenvene durchsetzt in schiefer Rich- tung die Wurzel des Septum atriorum, so dass ihre Einmündung in den linken Vorhof sich ureterartig gestaltet. Nach der Lunge zu theilt sich der einfache Venenstamm doppelt diehotomisch. Die vier diehotomen Äste werden zu den vier sekun- dären Lungenvenen, indem der Stamm und die beiden Haupt- äste einander und dem Vorhofe näher rücken und zuletzt ganz in den linken Vorhof aufgenommen werden. Ich halte es nicht für richtig, wenn Born bezüglich der defini- tiven Entwieklung von wesentlichen Unterschieden zwischen dem Menschen und Nagern redet. Meiner Meinung nach soll man nur dann eine einheitliche Lungenvene annehmen, wenn ihr Stamm außerhalb des Pericards, also bei äußerer Betrachtung ein- heitlich erscheint! Dies ist nun bei Säugern nie der Fall! Immer sind der Endstamm und zumeist auch die ersten Gabeläste ins Lu- men des linken Vorhofs einbezogen. Ob nun die sekundären Venen dicht neben einander münden in einen kurzen gemeinsamen Raum, der früher Venenstamm war, jetzt aber in den Vorhof einbezogen ist, oder ob dieser ursprüngliche Endstamm noch ausgedehnter in den Vorhof einbezogen wird, indem die sekundären Venen aus ein- ander rücken und auch die ersten Theiläste noch in die Vorhofswand 452 Carl Röse einbezogen werden, das ist für die einheitliche Auffassung des gan- zen Processes gleichgültig! Es giebt allerdings diesbezügliche Unter- schiede zwischen Mensch und Kaninchen. Dieselben sind jedoch nur graduell, nicht principiell, und es finden bei Säugern die mannigfachsten Übergänge statt. So stehen die Fledermäuse be- züglich ihrer Lungenvenen auf derselben Stufe wie Kaninchen, wäh- rend die meisten Marsupialien, Affen u. a. sich mehr dem Menschen nähern! Richtig und dem Angeführten zufolge selbstverständlich ist die Bemerkung von Born, dass beim Menschen der zwischen den Mün- dungen der Lungenvenen liegende Raum der Mm. pectinati entbehrt und ursprünglich Venenwand war, ähnlich wie rechts der Sinus- -raum. Auch in der histiologischen Struktur dieser Theile spricht sich ein ähnliches Verhalten aus. — — — Bezüglich der Scheidung der Ventrikel und des Aortenbulbus ist Born gleich mir zu wesentlich denselben Resultaten gekommen wie früher Hıs. Einige Punkte hebt er diesem gegenüber mit Recht schärfer hervor, so besonders den Punkt, dass sich das Septum ven- trieulorum mit dem rechten Rande der verschmolzenen Endocard- kissen und nicht mit dem »Septum intermedium« verbindet. Der Anfang der Aorta kommt somit zwischen die beiden venösen Ostien zu liegen und bildet einen schief von links nach rechts aufsteigen- den kaminartigen Raum, der links von den verschmolzenen Endo- cardkissen, rechts vom Bulbusseptum = Septum aorticum begrenzt wird. Das Ostium interventrieulare wächst ganz in der von BoRN be- schriebenen Weise über das Niveau der Atrioventrieularostien empor; sein Rest wird in den Ursprung der Aorta einbezogen und durch die vom distalen nach dem proximalen Ende zu fortschreitende Ver- wachsung der Bulbuswülste bindegewebig geschlossen. So ent- steht die bekannte Pars membranacea septi ventrieulorum. — Der Verschluss der Pars membranacea ist der Schluss- stein in der definitiven Scheidung des primitiven ein- fachen Herzschlauches in die vier sekundären Herz- räume, wie wir sie bei Säugern und Vögeln finden. Bei Kaninchen von 12! mm Körperlänge ist der Abschluss erreicht! Bei den Rep- tilien ist dies noch nicht der Fall, selbst bei den hochentwickelten Krokodilen fehlt der Abschluss des Restes vom Ostium interventri- eulare, welches hier Foramen Panizzae genannt wird. Über die Atrioventricularklappen habe ich in meiner ersten Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 453 Arbeit keine näheren Untersuchungen angestellt. Erst in letzter Zeit versuchte ich dem Thema näher zu treten und kam dabei sowohl auf Grund vergleichend-anatomischer als auch embryologischer Un- tersuchungen zu ganz ähnlichen Resultaten wie GEGENBAUR! und BERNAYS?. Es freut mich, dass auch Born im Gegensatze zu His bezüglich dieses Punktes zu denselben Anschauungen gekommen ist. Wie Hıs sich die sekundäre Verwachsung der Mm. papillares mit dem freien Rande des eingestülpten Ohrkanales vorstellt, ist mir nie recht klar geworden. Eine Einstülpung des Ohrkanales in der Weise, wie His es beschreibt, existirt nicht, wie Born ganz richtig bemerkt. Der Ohrkanal wird ganz passiv in den Ventrikel ein- bezogen, indem dessen Wände rings herum ihn gewissermaßen über- wachsen. Dadurch wird allerdings später eine Schicht pericardialen Bindegewebes in die spätere Furche zwischen Vorhöfe und Ventrikel einbezogen; mit der Bildung der Atrioventrieularklappen jedoch hat diese direkt nichts zu schaffen. Dieselben bestehen in ihren ersten Anfängen aus den Endocard- wülsten, welche den Ohrkanal ringförmig ausfüllen. Nun findet eine Differenzirung derart statt, dass besonders an zwei gegenüberliegen- den Stellen die Endocardwucherung besonders stark hervortritt. Es entstehen die beiden Atrioventricularlippen nach LinpEs, welche das Ostium spaltförmig einengen. Man bezeichnet dieselben am besten als ventrale (nach Born = obere) und dorsale (= untere). An den beiden Enden des spaltförmigen Ostiums bleibt natürlich eben- falls, wenn auch in geringerem Maße, die Endocardwucherung fort- bestehen. Nach der Verschmelzung des dorsalen Kissens mit dem ventralen haben wir nun zwei Ostia venosa und an der medialen Seite jedes desselben je eine, aus Endocardwucherung bestehende Klappe. Aus je zwei Hälften der früheren dorsalen und ventralen Klappe sind nämlich nun zwei neue Klappen, eine linke und eine rechte geworden, von denen die linke wie ein Vorhang über den Ur- sprung der Aorta herabhängt und die Grundlage abgiebt zum medialen Zipfel der Mitralis, die rechte wird zum medialen Zipfel der Tri- euspidalis. — Der laterale Zipfel der Mitralis, sowie die beiden lateralen der Trieuspidalis haben ihre Anlage in dem verdickten Endocard des ! C. GEGENBAUR, Zur vergleichenden Anatomie des Herzens. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. II. 1876. 2 A. C. Bernays, Entwicklungsgeschichte der Atrioventricularklappen. Morph. Jahrb. Bd. II. 1876. 454 Carl Röse Ohrkanales, welches nicht mit zur Bildung der Atrioventricularlippen verwandt wird und zu beiden Seiten des spaltförmigen Ostium venö- sum commune liegt!. Born’s Anschauung von der Verwendung der hinteren Bulbusleiste zu einem Mitralzipfel kann ich nicht billigen, glaube vielmehr, dass der untere Theil des hinteren Bulbuswulstes lediglich zur Bildung der Semilunarklappen verwendet wird. Wir haben somit eine rein endocardiale, bindegewebige Anlage der Atrioventrieularklappen, das Stadium I von Bernays. Die Ent- wicklung der weiteren drei Stadien finden sodann ganz in der von BERNAYS beschriebenen Weise statt. Die Ventrikelhöhlen werden ausgedehnt auf Kosten der angren- zenden Muskelbalken, welche nach und nach resorbirt werden. Die Balken, welche mit den bindegewebigen Klappen zusammenhängen, bleiben ausgespart und bilden die späteren Mm. papillares und Chor- dae tendineae. Die Muskelbalken, welche in der horizontalen Ver- längerung der Klappen rings um die Ostia liegen, bleiben als zu- sammenhängende Platte bestehen. Der Blutstrom unterwühlt dieselbe gleichsam mehr und mehr und würde sie in den Vorhof zurück- drängen, wenn nicht überall aus der Tiefe die senkrecht darauf gerichteten Papillarmuskeln Halt gewährten. Bei dieser Unterwüh- lung der nunmehr größtentheils muskulösen Klappen werden natür- lich sekundär durch Aneinanderlagerung Vorhofsmuskulatur, sowie die Enden der zwischen beiden liegenden früher erwähnten pericar- dialen Schieht mit in die Klappen einbezogen. Zuletzt folgt die bindegewebige resp. sehnige Umwandlung der Muskelelemente in den Klappen sowohl als auch in den Chordae tendineae. Die früheren bindegewebigen Anlagen erhalten sich nach BER- NAys am freien Klappenrande mehr oder minder regelmäßig als kleine Knötchen. Ferner sind die beiden medialen Zipfel der Vae. mitralis und trieuspidalis in ihren mittleren Partien größtentheils als aus den primären bindegewebigen Klappen hervorgegangen zu den- ken. Aus Muskulatur entstanden sind nur ihre Randpartien, die mit den Papillarmuskeln zusammenhängen. München, 8. Juli 1889. 1 Auf Grund neuerer Untersuchungen glaube ich jetzt annehmen zu müssen, dass die erste Anlage dieser Klappenzipfel ausschließlich musku- lären Ursprunges ist, also mit dem zweiten Stadium von BERNAYS beginnt. Näheres hierüber folgt in einer demnächst erscheinenden größeren Arbeit. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. 455 Erklärung der Abbildungen. Tafel XVI. Schnitt durch die Valvula Eustachii, dicht unter der Einmiindung der VY. cava inferior, von einem menschlichen Fitus aus dem fünften Mo- nate. Man sieht von links her das aus einem Gemisch von Bindege- webe und Herzmuskelzellen bestehende Sinusgewebe, von rechts her die Muskelwand des rechten Vorhofs zur Bildung der EusTacuti’schen Klappe zusammentreten. Von w an bis zum freien Rande hatte die Klappe selbständiges Wachsthum angenommen und ist dieser Theil nicht durch Einstülpung entstanden wie der basale. HARTNACK 4. Ocul. 1. Schnitt durch dasselbe Herz, den eigenthümlich fingerförmigen Über- gang von Sinusgewebe in Herzmuskelgewebe zeigend. a Sinusgewebe, c Pericard, b Blutgefäße, d Herzmuskelgewebe des Vorhofs. HARTNACK 7. Ocul. 1. Schnitt durch dasselbe Herz (Theil von Fig. 5). Es ist der Ursprung des Septum atriorum mit dem anliegenden Theile des Annulus Vieussenii resp. der linken Sinusklappe getroffen an der Grenze von hinterer und unterer Vorhofswand. Nach links geht die Muskulatur des Septum atriorum (S.a) direkt in diejenige des linken Vorhofs iiber. Das halbkugelige Gebilde bildet den Rest der linken Sinusklappe und besteht aus einem regellosen Durcheinander von Sinusgewebe (d), Gefäßen (db), längs- und querverlaufenden Muskelziigen (c’ ec). HART- NACK 4. Ocul. 1. Septum atriorum (S.a) beim Übergang in den Limbus Vieussenii (Z. V7) unterhalb des Foramen ovale. Schnitt durch dasselbe Herz. Die beiderseitigen Muskelzellen lagern sich direkt an einander (bei uw). Bei Z.Vi erstreckt sich das Ende des pericardialen Binde- gewebskeiles von der Aorta her in den Limbus herein. HARTNACK 7. Ocul. 1. Herzdurchschnitt eines fünfmonatlichen Menschenfötus unterhalb der Mündung der Vena cava inferior und des Foramen ovale. S.a Septum atriorum, R.Vh rechter Vorhof, L.Vi Limbus Vieussenii, L.Vh linker Vorhof, Va.s linke Sinusklappe, 4 Aorta, Va.E Valvula Eustachii, P Pulmonalis. Vergr. 4. Schnitt durch das Septum atriorum (Valvula foraminis ovalis) von einem 25jährigen Manne. 456 Carl Röse, Zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Man sieht die mittlere Muskelmasse nicht mehr zusammenhängend wie beim jungen Fitus, sondern in einzelne theils längs-, theils quer-, theils schiefverlaufende Bündel zerlegt, welche durch Bindegewebe von einander getrennt sind. Dazwischen trifft man hier und da Ge- fäßquerschnitte. Das Endocard ist beträchtlich verdickt und enthält dichte Netze von elastischen Fasern, welche nach HERXHEIMER’s Me- thode schwarz gefärbt sind. Diese elastischen Fasernetze dringen im Allgemeinen nicht zwischen die Muskelbündel ein. Nur an einer Stelle zieht ein breites Band elastischer Fasernetze quer durch die ganze Breite des Septum von einem Rande zum anderen durch, An dieser Stelle hat vielleicht früher eine Durchbrechung bestanden, welche später durch Endocard ausgefüllt wurde. HARTNACK 4. Ocul. 1. SS ma es na Verlag Wilh. Engelmann ix Leipei. eee Raa ey Über Entwieklung und Wachsthum der Schneide- zähne bei Mus musculus. Von Dr. Friedrich Roetter, prakt. Zahnarzt in Ansbach. Mit Tafel XVII. Kinleitung. Der Bau und die Entwicklung der Schneideziihne ist schon öfters als Gegenstand der Untersuchung behandelt worden und manche Forscher hatten bei der Beantwortung dieser Frage Gelegenheit, unsere Kenntnisse über diese Organe zu bereichern, indessen andere, die Wichtigkeit der ontogenetischen Betrachtung verkennend, zu auf- fallenden und unglaublichen Ansichten gelangten. Trotzdem in letzter Zeit v. BRunN die widerspruchsvollen Angaben der Litteratur korri- girt und ein den Thatsachen mehr entsprechendes Bild von der histo- logischen Beschaffenheit des persistirenden Schmelzorgans der Schneidezähne gegeben hat, erschien es mir doch angezeigt, die Frage nochmals aufzunehmen und auf Grund eigener Beobachtung eine Gesammtdarstellung, besonders auch der entwicklungsgeschichtlichen Processe bei der Bildung der Schneidezähne zu entwerfen. Die nachfolgenden Untersuchungen wurden auf Veranlassung des Herrn Dr. FLEISCHMANN im zoologischen Institut der Universität Er- langen im vorigen Jahre begonnen und während zwei Semester durch- geführt. Ich erfülle nur eine angenehme Pflicht, wenn ich Herrn Prof. SELENKA, der mir in liebenswürdiger Weise die Hilfsmittel des zoo- logischen Instituts zur Verfügung stellte, meinen innigsten Dank ausspreche. 458 Friedrich Roetter Besonderen Dank aber schulde ich Herrn Privatdocenten Dr. FLEISCHMANN, der mir bei Bearbeitung dieses Themas unverdrossen an die Hand ging und mit Rath und That meine Fortschritte über- wachte. , Als Untersuchungsmaterial dienten zahlreiche Embryonen und ausgewachsene Exemplare der weißen Maus {Mus musculus var. al- bus) und der Waldmaus (Mus silvaticus), die für frühere Unter- suchungen des Herrn Professor SELENKA gesammelt und im In- stitute aufbewahrt waren. Dieselben waren in Pikrinschwefelsäure konservirt und in Alkohol gehärtet worden. Ganze Köpfe älterer Embryonen und ausgewachsener Thiere habe ich, bevor ich sie in Schnittserien zerlegte, unter Vermeidung von allzu starker Diffusion, in Wasser zurückgebracht und sie dann ein bis zwei Tage lang in 10%ige Salpetersäure gelegt, um sie nach der Angabe von RETZIUS zu entkalken. Nachdem die Säure ausgewaschen und die Objekte in Alkohol übergeführt waren, wurden sie meist in Boraxkarmin durchgefärbt, hierauf längere Zeit mit angesäuertem Alkohol behandelt und durch allmähliche Steigerung des Alkoholgehaltes der Aufbewahrungsflüssig- keit entwässert. Danach wurden sie in Toluol aufgehellt und in Paraffin eingeschmolzen. Um Übersichtsbilder zu gewinnen, wurden auch junge Zahnsäckchen frei präparirt und in Kanadabalsam ein- geschlossen. Da A. v. Brunn! die jüngeren Arbeiten von LOwE und GILLAVRY einer eingehenden Kritik bereits gewürdigt hat, so erübrigt mir nur, einen kurzen Rückblick auf die früheren Untersuchungen zu werfen, bevor ich den Bericht über meine eigenen Befunde beginne. Bereits 1835 hat RAscHuKow? ein innerhalb des Zahnfleisches sitzendes Schmelzorgan nachgewiesen und 1837 vermuthete RETZıUS>, dem hauptsächlich an den Vorderzähnen des Biber und Hasen die Schmelzbedeckung des ganzen Zahnes auffiel, dass allen Nagern ein persistirendes Schmelzorgan zukomme. Er sagt: »Es ist bekannt, dass diese Zähne, besonders die Vorderzähne, die ganze Lebenszeit ! A. v. Bruny, Ausdehnung des Schmelzorgans und seine Bedeutung für die Zahnbildung. Archiv für mikr. Anatomie. Bd. XXIX. 2 J. RASCHKOW, Meletemata circa Mammalium dentium evolutionem. Vra- tislaviae 1835. 3 Rerzius, Bemerkungen über den inneren Bau der Zähne mit besonderer Rücksicht auf den im Zahn vorkommenden Röhrenbau. MÜLLER’s Arch. 1837. pag. 542. Uber Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 459 zu wachsen fortfahren, ohne sich im Alveolarende zu schließen, so dass ein solcher Zahn, welcher in Folge einer fehlerhaften Richtung nicht abgenutzt worden ist, mehrfach länger wird, als er zuerst aus der Alveole hervorgekommen war. Die Schmelzbildung bei diesen Zähnen geht so lange fort, als die Bildung des Zahnknochens, wor- aus man den Schluss ziehen darf, dass der Schmelz sich nicht allein innerhalb des eigentlichen Folliculus dentis bilde, sondern dass auch ein schmelzbildendes Organ die ganze Lebenszeit hindurch auf dem Boden der Alveole zu existiren fortfahren könne. Späterhin machte Owen! auf das Schmelzorgan aufmerksam, während ErpL? sich nur mit dem anatomischen Bau des fertigen Zahnes beschäftigte. KÖLLIKER® erwähnt des Schmelzorgans und des fortwährenden Wachsthums der Pulpa der Schneidezähne der Nagethiere nur ganz kurz und bemerkt, dass nach eigener Untersuchung beim Kaninehen das Scehmelzorgan denselben Bau während des ganzen Lebens auf- weise, wie vor dem Durchbruch des Zahnes, nur dass das Gallert- gewebe fehle. Die eingehendsten Untersuchungen über dieses Thema wurden von WENZEL? gemacht. In dieser außerordentlich genauen Arbeit giebt derselbe im Allgemeinen die richtige Beschreibung der später zu erörternden merkwürdigen Verhältnisse. Die abweichenden Angaben, welche in den neueren Untersuchungen sich finden, er- klären sich nur durch die Hilfe einer vervollkommneteren Technik, als sie WENZEL zu Gebote stand. I. Die Anlage der Schneidezähne. Ich will gleich zum Eingang bemerken, dass die folgende Dar- stellung sich nur auf die Schneidezähne des Unterkiefers bezieht, um Verwechselungen und Schwierigkeiten der Bezeichnung zu ver- meiden. Als jüngstes Stadium der Zahnanlage finden wir in der Mund- höhle der weißen Maus eben so wie bei der Entwicklung der Säuge- thierzähne überhaupt, die Zahnfurche, welche als eine Einstülpung 1 Owen, Odontografy. pag. LXII und 399. 2M. ERDL, Untersuchungen über den Bau der Zähne bei den Wirbel- thieren, insbesondere bei den Nagern. Abhandlungen der math.-pbysik. Klasse der Akademie der Wissenschaften zu München. Bd. III. 1843. 3 KÖLLIKER, Mikr. Anatomie. Bd. II. 1852. pag. 117. 4 WENZEL, Untersuchungen über das Schmelzorgan und den Schmelz, in- sonderheit bei den dauernd wachsenden Zähnen der Nagethiere. Archiv für Heilkunde. 1868. Morpholog. Jahrbuch. 15. 30 460 Friedrich Roetter des Mundhöhlenepithels entsteht. Dieselbe setzt sich aber hier, im Gegensatz zur Zahnanlage anderer Thiere, nicht in die Furche fort, von welcher aus sich die Backzähne entwickeln. Die Schneidezähne der weißen Maus entstehen also aus einer isolirten Epitheleinbuchtung, die an der vorderen inneren Seite des Unter- bezw. Oberkiefers halbmondförmig gebogen liegt und den Mutterboden für die beiden Schneidezähne darstellt. Vom Boden dieser aus Ektodermzellen bestehenden Rinne senkt sich alsbald ein (bezw. zwei) schmaler Fortsatz in das unterhalb liegende Binde- gewebe der Unterkieferanlage herab, der als Schmelzkeim be- kannt ist. Bei den Schneidezähnen wächst derselbe nicht gerade in die Tiefe vor, sondern er ist schräg nach hinten und außen ge- richtet. Ein Vergleich mit der Wachsthumsrichtung der Backzahn- anlagen (s. Taf. XVII Fig. 1 und 2) zeigt bei diesen ein ähnliches Verhalten. Man kann daher mit gutem Rechte behaupten, dass die erste Anlage der Schneide- und Backzähne der weißen Maus in völlig entsprechender Weise geschehe. Es existirt zwischen den beiden Zahnarten, die später in auffallender Weise unterschieden zu sein scheinen, bei der ersten Anlage eine bedeutende Ähnlichkeit und ich werde im Verlauf der Darstellung nachweisen, dass sich auch im weiteren Entwicklungsprocesse mannigfache Homologien erkennen lassen. Schon in dem frühen Stadium, wo vom Mundhöhlenepithel eine ganz geringe Einsenkung gegen die Kieferanlage gerichtet ist, lässt sich unterhalb derselben eine Verdichtung des Mesodermgewebes er- kennen, indem dessen Zellen sich enger zusammendrängen und dieser Stelle eine erhöhte Färbbarkeit verleihen; sie erscheint im Quer- schnitte wie ein halbmondförmiger Hof. Das ist die erste Anlage der Zahnpapille. Der Schmelzkeim breitet sich über die Master zu- nächst stempelförmig aus, um sie später als schalenförmige Be- deckung zu umfassen. Nun wächst die Papille entsprechend der Ausdehnung des Schmelzkeimes ebenfalls in die Länge und zwar gegen den Kieferwinkel zu; weil jedoch ihre Wachsthumsenergie bedeutend geringer ist als die des Schmelzkeimes, so wird sie durch die rasche Ausbreitung des letzteren überholt und glockenförmig von ihm überdeckt. So entsteht die Schmelzkappe. WENZEL vermuthet, dass das embryonale Schmelzorgan nicht wie bei anderen Zähnen den Zahnkeim, d. h. die Zahnpapille, von allen Seiten her kuppelförmig überdecke, sondern sich nur an der Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 461 vorderen ventralen Seite vorfinde, d. h. an der Stelle, wo er am ausgewachsenen Zahn das persistirende Schmelzorgan nachgewiesen. Allein v. Brunn hat schon mit Bestimmtheit angegeben. dass der Schneidezahn ein kappenförmiges Schmelzorgan mit gleichmäßiger Ausbreitung an der vorderen und hinteren Fläche besitzt. Seine Zeichnungen beweisen unzweifelhaft, dass der Schneidezahn hierin nicht von der allgemeinen Regel abweicht. Was nun die Zahnpapille betrifft, welche später die Dentinbil- dung übernimmt und desshalb auch Dentinkeim genannt wird, so zeigt sich ihre erste Anlage, wie oben erwähnt, als dunkler, glocken- förmiger Hof um den Grund des Schmelzkeimes. Während nun ein Theil, und zwar der mittlere dieser Anlage, papillenartig dem Schmelz- keim entgegenwächst, wächst der äußere Rand der unten verbreiter- ten Papille nach oben und umgiebt den Dentinkeim und das kuppel- förmig sich über diesen ziehende Schmelzorgan mit einer Bindegewebs- hülle, welehe das Zahnsäckchen nach außen abgrenzt. Nur zu Anfang der Zahnbildung ist dieses Zahnsäckchen deutlich ausgeprägt ; später, bei weiter vorgeschrittener Zahnanlage, lässt sich eine kap- selartige Bindegewebslage um dieselbe nicht mehr deutlich abgrenzen. Das Zahnsäckehen der Schneidezähne bewahrt auch weiterhin seinen schräg nach hinten gerichteten Verlauf, der schon in der ersten Anlage der Schmelzkappe erkennbar war. Es stellt einen langen eylindrischen Schlauch dar, der gegen die Ventralseite kon- vex gebogen ist, während seine konkave Krümmung aufwärts gegen die Mundhöhle geöffnet ist. Da die äußere Bindegewebslage des Säckchens das vordere Ende desselben nicht umgiebt, so bleibt es ‚hier durch einen schmalen Fortsatz, den Hals des Schmelzorgans, mit dem Epithel der Mundhöhle in Verbindung. Während der Hals des Schmelzorgans bei der Bildung der Backzähne etwas zur Seite gedrängt und dünner wird, um beim Durchbruch zu Grunde zu gehen, bleibt er bei den Schneidezähnen auch noch nach dem Durchbruch derselben deutlich erhalten und vermittelt dann die Verbindung des persistirenden Schmelzorgans mit dem Mundhöhlenepithel. Die unter- halb des Halses liegende Spitze der Zahnanlage besitzt eine halb- mondförmige Einbuchtung, welche wahrscheinlich = Anlage der Krone bezw. der Kaufläche darstellt. Das lange Zahnsäckchen liegt während früher Embryonalzeit ausschließlich im Mesoderm der Unterkieferanlage auf der Jateralen Seite des Unterkieferknorpels und ist nur durch ein schmales Binde- 'gewebsseptum vom Knorpel getrennt. Das Säckchen reicht im 30* 462 Friedrich Roetter Unterkiefer etwa bis zum Winkel desselben, durchzieht also fast die ganze Länge des Unterkiefers; im Oberkiefer hingegen ist es von vorn herein bedeutend kürzer. II. Die histologische Differenzirung der Zahnanlage. Nachdem die Schmelzkappe die Papille allseitig umwachsen hat, stellt sie eine ganz solide, eylinderförmige Hülle derselben dar, welche aus mehrfachen Schichten ektodermaler Zellen besteht. Allein bald treten neue Differenzirungen in dem Zellmaterial der Schmelz- kappe auf und führen dahin, dass man deutlich drei verschiedene Zellformen unterscheiden kann. Die inneren an der mesodermalen Zahnpapille anstoßenden Zellen verlängern sich zu schmalen, sechsseitigen Prismen und bilden von nun ab das während des ganzen Lebens bestehenbleibende innere Schmelzepithel. während die Elemente in der äußersten Schicht der Schmelzkappe zu flachen Zellplättchen sich umgestalten, die als äußeres Schmelzepithel bezeichnet werden. Zwischen äußerem und innerem Schmelzepithel liegen als Füllmasse der soliden Schmelz- haube mehrere Lagen von Zellen ohne besonders deutliche Schich- tung, die ich kurzweg als Stützzellen bezeichnen will. Das innere Schmelzepithel scheint in jüngeren Schmelzkappen aus mehreren Lagen cylindrischer oder besser gesagt kegelförmig in einander geschobener Zellen zu bestehen. Ich bin jedoch nicht ins Klare gekommen, ob ein solches mikroskopisches Bild in Folge eines schrägen Schnittes durch die gebogene Zahnanlage entsteht, oder ob wirklich die Lage der Schmelzzellen im Anfang mehrschichtig ist. Das äußere Epithel weist anfänglich Zellen von mehr oder we- niger kubischer Form auf, deren Tendenz auf die Abplattung ge- richtet ist. Je älter die Zahnanlage, desto platter erscheinen diese Zellen. Es ist bekannt, auch kann man dies auf Schnitten durch junge Mausköpfe sehr leicht vergleichen, dass bei allen anderen Zähnen, deren Schmelzoberfläche einmal in ihrer definitiven Größe angelegt wird und sich nach dem Durchbruch des Zahnes nicht mehr ver- srößern kann, die Stützzellen der Schmelzkappe eine Umformung erleiden. Sie führt dahin, dass die epitheliale Ordnung derselben vollkommen verloren geht und die Stützzellen selbst, durch Abschei- dung von Flüssigkeit von einander getrennt, eine maschen- oder wabenfirmige Anordnung erhalten. Von manchen Autoren wurde Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 463 dies Gebilde als Schmelzpulpa bezeichnet; im Allgemeinen hat man diesen Process als gallertige Entartung des Schmelzorgans betrachtet und das aus der Umwandlung entstehende Gewebe als eine besondere Art, als Gallertgewebe aufgefasst. Es ist wahrscheinlich, dass die besprochene Umwandlung der Schmelzstützzellen eine besondere phy- siologische Bedeutung hat und vielleicht die sekretorische Thätigkeit der eigentlichen Schmelzzellen unterstützt, indem sie denselben reich- lich eiweißhaltige Flüssigkeit und Kalksalze zuführen. Wenn der Zahn ausgebildet und dem Durchbruch nahe ist, verliert die Schmelz- gallerte ihren Reichthum an Flüssigkeit und geht während des Durch- bruches zu Grunde. Da die gallertige Entartung der Schmelzkappe eine ganz allgemeine Erscheinung bei der Entwicklung der gewöhn- lichen Schneide- und Backzähne ist, so wird dieser Process wahr- scheinlich bei Bildung des Schmelzes eine sehr wichtige Rolle spielen. In der Schmelzkappe der Schneidezahnanlage der Maus jedoch tritt eine solche gallertige Umbildung nicht ein; der histologische Differenzirungsprocess ist hier total verändert. Wohl lässt sich die Ursache der Modifikation verständlich machen durch den Hinweis auf die bedeutende Länge des Zahnsäckchens, die es ein für alle Mal unmöglich macht, dass das ganze Schmelzorgan beim Durch- bruch des Zahnes abgestreift werde. Denn da die Schmelzkappe in der langen Kieferalveole. sicher geborgen ist, so ist sie den beim Durehbruch des Zahnes erfolgenden mechanischen Störungen ganz entzogen und kann zu einem dauerhaften Gewebe umgebildet wer- den, das während des ganzen Lebens erhalten wird. Eine verglei- chende Umschau in den Gewebsarten der Säugethiere lehrt ferner, wie wenig ein stark mit Flüssigkeit infiltrirtes Gewebe, ähnlich dem Gallertgewebe des Schmelzkeimes oder dem Gewebe des Nabel- stranges den Bedingungen der Lebensprocesse im Säugethierkörper entspricht. Aus diesen Gründen muss in dem persistirenden Schmelz- organ der Nagezähne die Umbildung der Stützzellen in gallertiges Wabenwerk unterbleiben. Verfolgen wir nun näher die Differenzirung der Stützzellen in einem Schneidezahnsäckchen, das fast die ganze Länge des Unter- kiefers durchwachsen hat. An demselben ist ein merklicher Unter- schied. in der Dicke der Schmelzkappe zu bemerken, da ihre dorsal gebogene konkave Wand viel dünner geworden ist als die ventrale konvexe Wandung. An der dorsalen Seite liegen zwischen äußerem und innerem Schmelzepithel nur ein bis zwei Schichten von Stütz- zellen, unten jedoch drei bis vier Lagen. Je älter die Schmelzkappe 464 Friedrich Roetter wird, desto mehr verdünnt sich deren obere Wand, bis sie zu einer einschichtigen Zelllage geworden, die nur schwer nachweisbar: ist. Sie mag zunächst außer Acht bleiben, um nur die Differenzirungen in der ventralen Wand der Schmelzkappe hervorzuheben. — Unter- halb des inneren Schmelzepithels wird schon sehr frühe eine gute epithelial geordnete Schicht von kubischen Zellen erkennbar, die ‘durch ihre stärkere Färbbarkeit ausgezeichnet sind. Fig. 5 illustrirt diese Angabe. Diese Schicht, welche ich kurzweg als kubisches Stütz- epithel des Schmelzorgans bezeichnen will, bleibt definitiv er- halten, so dass sie auch am bleibenden Schmelzorgan leicht nach- zuweisen ist. Die Ausbildung des einschichtigen Stützepithels erfolgt aber nicht bloß in der Schmelzkappe der Nagezähne, sondern es lässt sich auch im Schmelzorgan der Backzähne bei der weißen Maus eine entsprechende Zellschicht unterhalb der Schmelzzellen er- kennen. Man hat dieselbe schon frühzeitig kennen gelernt und Hannover! hat sie bereits als Stratum intermedium bezeichnet; seit- dem wurde sie bei verschiedenen Säugethieren immer wieder be- schrieben. Man darf sie desshalb als allgemein vorkommende Bil- dung betrachten, die nur in der Stärke ihrer Entwicklung verschiedene Modifikationen aufweist. Während nämlich in den Schmelzkappen der Maus — mögen sie nun Back- oder Nagezahnanlagen überdecken — stets nur ein einschichtiges Stratum intermedium vorhanden ist, finden sich z. B. bei der Katze und beim Schaf mehrfache Zelllagen. Aus dem allgemeinen Vorkommen darf man wohl eine wichtige Funktion dieses Stützepithels ableiten. Zwischen demselben und dem äußeren Schmelzepithel liegen immer noch mehrere Lagen von Stiitzzellen. Eine Differenzirung in leicht erkennbare Schichten mit epithelialer Ordnung tritt in jenen nicht ein, doch beherrscht jeden- falls ein bestimmtes Gesetz die gegenseitige Lagerung in ihnen. Obwohl ich darüber keine präcisen Angaben machen kann, muss ich doch an dieser Anschauung festhalten, da, wie sich später zeigen wird, bestimmt geformte Theile des Schmelzorgans aus den in Rede stehenden Stützzellen hervorgehen. — Entsprechend der fortschrei- tenden Entwicklung des Schneidezahnes, besonders seines Wachs- thums in die Dicke, nimmt die Stärke der Stützzellenlage ab. Ihre weitere Umbildung muss jedoch im Zusammenhange mit dem Schick- sal des äußeren Schmelzepithels betrachtet werden. 1 HANNOVER, Die Entwicklung und der Bau des Säugethierzahnes. Nova Acta Acad. Caes. Leop. Nat. Curios. 1856. Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 465 Schon oben habe ich die platte Form der Zellen im äußeren Schmelzepithel hervorgehoben und bemerkt, dass jene sich an älteren Schmelzkappen immer mehr abflachen. Unterdessen verändert sich auch die Gestalt des gesammten äußeren Epithelblattes an der Ven- tralseite. Während dasselbe in frühem Entwicklungsstadium als glatte zellige Membran das cylinderférmige Schmelzorgan umhiillte, erheben sich in späterer Zeit kleine Falten und Leisten (s. Taf. XVII Fig. 3) auf derselben, welche: der Schmelzkappe bei oberflächlicher Betrachtung ein gebuchtetes Aussehen verleihen. Ein Vergleich mit den nebenliegenden Backzahnsäckchen lässt den gleichen Vorgang auch an diesen erkennen. Dort ist besonders oberhalb der Krone die äußere Epithelwand stark gefaltet und in ihre Faltenräume sieht man mesodermales Gewebe eindringen (vgl. KÖLLIKER, Entwicklungs- geschichte des Menschen und der höheren Thiere. 1879. pag. S16). Man darf vielleicht in der Gestaltveränderung der äußersten Zelllage des Schmelzkeimes einen histologischen Vorgang erblicken, der die Grundlage für eine bessere Ernährung der Schmelzpulpa und da- durch für eine raschere Funktion der Schmelzzellen selbst liefert. Jedenfalls wird durch die Faltenbildung die Oberfläche der Schmelz- kappe bedeutend vergrößert und einer reichlicheren Umspinnung der- selben durch Blutgefäße Gewähr geleistet. Unterhalb des gefalteten äußeren Schmelzepithels liegt die vor- hin besprochene Lage der Stützzellen. Diese erhalten ebenfalls mehr flache Formen und folgen dann in schmiegsamer Weise den Faltun- gen der äußeren Epithelmembran, indem sie sich deren Falten und Buchten anlegen. Der Faltungsprocess wirkt darum auch auf die Ordnung der äußeren Stützzellen und ruft an ihnen eine leisten- förmige Zusammenlagerung hervor. Die Schmelzkappe dieses Entwicklungsstadiums besteht, um kurz zu rekapituliren: 1) aus dem eylindrischen Schmelzepithel, das an der Zahnpapille ansteht; 2) dem darunter liegenden einschichtigen kubischen Stiitzepithel ; 3) den in Leisten zusammengeschobenen äußeren Stützzellen; 4) der gefalteten äußeren Schmelzepithellage. III. Die Ausbildung des persistirenden Schmelzorgans. Die Schmelzkappe bildet um die mesodermale Zahnpapille einen allseitig geschlossenen cylindrischen Mantel, der bis an den Grund 466 Friedrich Roetter derselben reicht. Wenn der Zahn jedoch das mittlere Maß seiner Größe erreicht hat, zeigen sich die Zellenlagen der Schmelzkappe, welche dorsal die Zahnpapille bedecken, nicht so dicht zusammen- gedrängt und nicht zu so bedeutender Größe entwickelt als die Schmelzzellen auf der ventralen Seite, wo später das persistirende Schmelzorgan sich befinde. Während sich ventralwärts das innere Schmelzepithel zu langen Cylinderzellen differenzirt, unterbleibt dor- sal der gleiche Sonderungsprocess; es mangelt von Anfang an den auf der dorsalen Seite der Papille gelegenen Zellen die eylindrische Gestalt, und die weitere Entwicklung in der dorsalen Wand der Schmelzkappe führt zu einer weitschichtigeren Lagerung und Ver- kleinerung der Zellen. Darum entsteht, sobald man ältere Zahn- säckchen oberflächlich studirt, der Eindruck, als sei die ganze dor- sale Hälfte der Schmelzkappe geschwunden, während die ventrale Hälfte in hohlrinnenartiger Form bestehen geblieben sei, um in ihre Funktion als lebenslänglicher Schmelzbildner einzutreten. v. Bruny giebt an, dass sowohl an der hinteren wie an den Seitenflächen des Schneidezahnes das Schmelzepithel, mit Ausnahme des am weitesten nach hinten gelegenen Theiles, vom Bindegewebe durchwachsen werde, welches vom Knochen bis zur oberflächlichen Schicht des neugebildeten Dentins gehe und die Verbindung beider herstelle. Er hebt diesen Durchwachsungsvorgang ganz besonders hervor, weil eine einzige Analogie sich nur noch bei der Bildung des Corpus luteum im Eierstock zwischen epithelialen Granulosazellen und dem Bindegewebe des Follikels nachweisen lasse. Genauere Beobachtung zeigt jedoch, dass eine solche Auffassung nicht festgehalten werden kann. Da sich in der dorsalen Wand der Schmelzkappe die innerste Lage nicht zu Cylinderzellen differenzirt, welche die Funktion der Schmelzbildung übernehmen könnte, so erfolgt auch die übrige histo- logische Umbildung in etwas anderer Weise als an der ventralen Seite und führt schließlich zu einem morphologisch verschiedenen Endresultat. Die Verschmälerung der dorsalen Schmelzkappe er- folgt hauptsächlich dadurch, dass ihre Zellen immer platter werden und so dünnere Zelllagen erzeugen. Es herrscht — ich möchte dies besonders hervorheben — in der dorsalen Wand der Schmelzkappe die gleiche Tendenz zur Abplattung, die oben schon an der ven- tralen Wand der Kappe nachgewiesen wurde, und der einzige Unter- schied im Verlauf des gleichen Processes an den beiden verschie- denen Regionen ist nur der, dass in der unteren Wand zwei Zelllagen unter seine Herrschaft gebracht werden, nämlich das äußere Schmelz- Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 467 epithel und die äußeren Stützzellen, während an der oberen Wand der4ganze Zellbestand abgeflacht wird. Dadurch erfolgt auch eine Änferung der Anordnung der Zellen, denn die früher dichter ge- dıfingten eylindrischen Zellen werden in Folge der seitlichen Aus- shnung, welche ihr Plasmaleib durch die Abplattung erfährt, weiter us einander geschoben. Als Endresultat erscheint die Schmelz- kappe an der Dorsalseite zu einer dünnen Hülle der bereits mit Den- tin umlagerten Zahnpapille zusammengedrückt, während sie an der ventralen Seite rinnenförmig verdiekt, das persistirende Schmelzorgan darstellt. In gleichem Maße, wie sich nun auf der Oberfläche der Papille durch die Thätigkeit der Odontoblasten Dentin ablagert, ver- dünnt sich die dorsale Wand der Schmelzkappe, bis schließlich nur noch eine einschichtige Lage platter Zellen an die frühere Gegen- wart einer Schmelzkappe auf der dorsalen Seite erinnert. Dieser Darstellung zufolge kann von einem Durchwachsen des dorsalen Theiles durch Bindegewebe in der Weise, wie es v. BRUNN annimmt, nicht die Rede sein. Ich möchte bemerken, dass der exakte Nachweis der abgeplatteten dorsalen Schmelzkappe nicht leicht gelingt, da ich selbst lange Zeit mich von deren dauernder Erhaltung nicht überzeugen konnte, obwohl ich aus theoretischen Gründen deren Anwesenheit auch am ausgebildeten Zahn längst for- dern musste. Letztere sollen in einem späteren Kapitel über das Wachsthum der Schneidezähne erörtert werden. Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich mit Entschiedenheit die Behauptung vertreten, dass bei den dauernd wachsenden Zähnen der Nagethiere die ganze Schmelzkappe während des Lebens er- halten bleibt. Es erübrigt nur noch den Bau des funktionirenden Schmelzorgans zu beleuchten (s. Taf. XVII Fig. 4). Dasselbe liegt während des ganzen Lebens der konvexen Wand des Schneidezahnes an und be- sitzt den gleichen Aufbau aus vier Schichten, dem inneren Schmelz- epithel, dem kubischen Stützepithel, den Stützzellen und dem äußeren Schmelzepithel, welche sich bereits frühzeitig in der embryonalen Schmelzkappe ausbildeten. Das innere Schmelzepithel besteht aus einer einschichtigen Lage von langgestreckten, prismatischen Zellen, deren Basis breiter ist als die obere, den Schmelz abscheidende Fläche. Indem die Zellen mit ihren Flächen dicht an einander liegen, gewinnt das ganze Schmelz- epithel eine radiale Ordnung seiner Elemente, d. h. die Zellen stehen alle konvergirend auf der Schmelzfläche des Schneidezahnes. 468 Friedrich Roetter Der ovale Zellkern. liegt im unteren Drittel der Zelle nahe der Basis. - HE Durch genauere Untersuchungen ist die ältere Anschauung, dass die Schmelzprismen direkt durch Umwandlung der ‚Schmelzzellen, welche verkalken sollen, entstehen, direkt widerlegt. Es bedarf kaum besonderer Erwähnung, dass im persistirenden Schmelzorgan der Schneidezähne mit Leichtigkeit diese Beobachtung gemacht wer- den kann. Denn auf wohlgelungenen Schnitten sieht man deutlich je einer Schmelzzelle ein Schmelzprisma aufsitzen, das als Sekret derselben entstanden sein muss. Und die Kontinuität der Schmelz- zellenlage lässt sich durchs ganze Organ sicher nachweisen. Unterhalb derselben liegt eine zweite epitheliale Lage von kubi- schen Zellen, das kubische Stützepithel, auf welchem die Schmelz- zellen direkt aufsitzen. Dasselbe dient wahrscheinlich der Ernährung der Schmelzzellen, vielleicht auch als Mutterboden für die Zellen, welche als Ersatz abgenutzter Schmelzzellen in die Schmelzzellenlage eingefügt werden müssen. Dass das kubische Stützepithel eine ge- wisse Rolle für die Funktion der Schmelzzellen habe, schließe ich desshalb, weil dasselbe, wie oben erwähnt, auch als Grundlage der Schmelzzellenschicht in der Schmelzkappe der Backzähne sich nach- weisen lässt; auch seine Erhaltung während des ganzen Lebens spricht für diese Auffassung. Außer den eben besprochenen zwei Schichten waren in dem embryonalen Schmelzorgane noch zwei andere deutlich zu. unter- scheiden, aber in dem fertigen Organe gelingt die Trennung der- selben nicht mehr; ich muss darum die Stützzellen und das äußere Schmelzepithel im Zusammenhang betrachten und ich werde der Ein- fachheit halber ihre Masse als Lage der Stützzellen bezeichnen. Während der Differenzirung der Schmelzkappe konnte man gleichzeitig zwei verschiedene Processe der histologischen Umbildung unterscheiden: die inneren an die Papille stoßenden Zellen blieben in zwei epitheliale Lagen geordnet, hingegen die peripher gelegenen Zellen unter Abflachung ihres Zellleibes die Ordnung verloren und einer Gruppirung zu Leisten oder Falten unterthan wurden. Durch die Abplattung der Zellen muss natürlich die äußere Wand der Schmelzglocke ganz bedeutend dünner erscheinen. Dies springt be- sonders in die Augen, wenn man die enorme Länge der Schmelz- zellen und auch die ansehnliche Größe der Zellen des kubischen Stützepithels vergleicht. Allein dieser Zustand ist kein bleibender, die zeitweilig abgeplatteten Zellen nehmen wiederum an Volumen zu Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 469 und zeigen dann im persistirenden Schmelzorgan volle kubische Ge- stalt. Dadurch sind die Unregelmäßigkeiten der äußeren Oberfläche der Schmelzglocke, die im mittleren Stadium ihrer Entwicklung eine nicht sehr bedeutende Höhe erreichten, viel auffallender geworden und man darf beim ausgebildeten Schmelzorgan wirklich von »Stütz- leisten« sprechen, die der Unterseite der Stützepithelzellen aufsitzen und in das Bindegewebe der Alveolenhöhle eintauchen. Diese Stütz- leisten sind (vgl. Fig. 4) ungefähr 3—5 Zellen hoch, 2—3 Zellen breit. Ihr Verlauf ist unregelmäßig gekrümmt und ihre gegenseitige Entfernung scheint durch keine strenge Regel bestimmt zu sein. Auf dem Querschnitte treten sie als ungleich geformte Zapfen ent- gegen, deren mannigfaltige Form auf den unregelmäßigen Verlauf der Leisten zurückschließen lässt. In die Zwischenräume zwischen den Leisten greift Bindegewebe ein nebst unzähligen feinen Blut- kapillaren. Man kann desshalb in der stärkeren Ausbildung der frühzeitig angedeuteten äußeren Falten der Schmelzkappe die bessere Entwicklung einer Einrichtung erblicken, die für die Ernährung des Schmelzorgans von hoher Bedeutung ist. Die oben geschilderte histologische Struktur des persistirenden Sehmelzorgans lässt sich nicht durch dessen ganze Länge verfolgen; sowohl an seinem vorderen wie am hinteren Ende findet sich ein etwas modifieirter Bau. Am Vorderende geht das Schmelzorgan in die Schleimhaut der Mundhöhle über, deren abgeplattetes Epithel eine ansehnliche Strecke in die Alveole selbst hereingreift. Eine scharfe Grenze zwischen den beiden Epithellagen lässt sich nicht erkennen, vielmehr geht das Schmelzorgan unter Verkürzung der Schmelzzellen und Abnahme seines Dickendurchmessers ganz all- mählich in das geschichtete Plattenepithel über. Die Zone, an der alle histologischen Bestandtheile des Schmelzorgans deutlich ausge- bildet sind, liegt tief in der Alveolenhéhle. Hart am Grunde der Papille verliert das Schmelzorgan seine typische Gliederung, da seine Zellen in einer an die frühere embryonale Anlage erinnernden Stel- lung verharren und der Umschlagsrand der Schmelzkappe auch bei alten Thieren erhalten bleibt. Letzterer umgreift als allseitig ge- schlossener Ring die Papille sowohl an der ventralen wie dorsalen Hälfte, ist jedoch an der Dorsalseite schwächer entwickelt als ven- tral. Von demselben geht wahrscheinlich im späteren Leben des Thieres die Vergrößerung des Zahnsäckchens aus, die mit dem Wachsthum der Kiefer nothwendig wird. 470 Friedrich Roetter IV. Das Dentin und Alveolarperiost. In den vorhergehenden Abschnitten bin ich auf die Ausbildung des Dentins, welches ja die größte Masse des Schneidezahnes aus- macht, nicht näher eingegangen, da ich hier keine bemerkenswerthen Verhältnisse fand, sondern nur Vorgänge, die dem längst bekannten Process der Zahnbeinbildung vollkommen analog sind. Erst nachdem die Papille eine größere Länge erreicht hat, diffe- renziren sich ihre Randzellen zu längeren, cylindrischen Formen, welche wie eine epitheliale Lage das unterliegende Blutgefäße und Nerven führende Bindegewebe umhüllen. Dann beginnt die Ab- lagerung von Kalk und so ist der Anstoß zur Ausbildung der Den- tinröhrchen gegeben. Der zuerst verknöchernde Theil wird wohl immer die Spitze des Zahnes sein, weil dieselbe am ersten mit der Außenwelt in Berührung tritt. Während sich nun die Dentinbildung von hier aus peripherisch nach hinten erstreckt, greift sie am Vorderende der Pa- pille bis zur Achse und macht die Zahnspitze solid. Das Zahnsiickchen umgeben schon in früher Zeit die verästelten Mesodermzellen der Unterkieferanlage in dicht gedrängter Stellung, Jedoch ohne dass ein bestimmtes Gesetz der Ordnung zu walten scheint. Später entfernen sich die Mesodermzellen weiter von ein- ander und in den größeren Maschen liegen nun zahlreiche Blutge- fäße. Die Bindegewebszüge verlaufen nicht peripher um das Zahn- säckchen, sondern sind parallel der Längsachse desselben gerichtet. Sie stehen an seiner dorsalen Fläche auffallend dichter als an der ventralen: dieses Verhalten wird während des ganzen Lebens ge- wahrt. Von den beiden seitlichen und der dorsalen Fläche des Schneidezahnes bezw. von der hier persistirenden platten Zellmem- bran der Schmelzkappe ziehen die Periostfasern straff gespannt und dieht gedrängt in schräger Richtung zur knöchernen Wand der Al- veole. Unterhalb des bleibenden Schmelzorgans jedoch werden die Bindegewebsfasern von keiner bestimmten Ordnung beherrscht, son- dern verwirren sich zu einem wabenartigen Geflechte mit großen Maschenräumen, in welche theils die Stützleisten des Schmelzorgans, theils unzählige kleine Blutgefäße sich einbetten. So liegt das Schmelzorgan auf einem weichen, nachgiebigen Polster, dessen Ela- stieität je nach dem Grade der Blutfüllung wechseln kann. Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 471 V. Allgemeine Betrachtungen über das Wachsthum der Nagezähne. Für das fortwährende Wachsthum der Schneidezähne sind bis- her mehrfache Einriehtungen bekannt geworden, die sich klar bereits in der histologischen Struktur der Zahnanlage aussprechen, nämlich eine offene Wurzel, ein persistirendes Schmelzorgan, die bis nahe an die Krone reichende Zahnpapille und im Grunde der Zahnpapille der ringförmige Umschlagsrand der Schmelzkappe, die straffen Peri- ostfaserlagen an der oberen Seite des Zahnes und das weiche Binde- gewebspolster unter dem Schmelzorgan. Auf Grund der Kenntnis dieser anatomischen Einrichtungen glaubte man die ungeschwächte Regenerationsfähigkeit der Zähne verständlich machen zu können: allein es soll hier ausdrücklich bemerkt werden, dass damit noch lange nicht das volle Verständnis der am Zahn stattfindenden, leben- digen Wachsthumsvorgänge errungen ist. Denn es ist noch nicht nachgewiesen, an welchen Punkten innerhalb der Alveole die Pro- cesse verlaufen, durch welehe neue Theile dem vorschiebenden Zahn angefügt werden. Nach dem anatomischen Befunde kann man wohl vermuthen, dass die Schmelzzellen des Schmelzorgans nahe dem Umschlagsrande eine mehr erhöhte Thätigkeit äußern, als ihre dem Alveolenrande benachbarten Genossinnen, dass also die Schmelzdecke des Nagezahnes nahe seiner Wurzel gebildet werde. Diesen Schluss leite ich aus der hocheylindrischen Form der Schmelzzellen am Grunde des Schmelzorgans ab. Hingegen müssen die Odontoblasten sowohl am Wurzelende wie auf der Spitze der Papille mit besonderer Energie begabt sein; denn um das Vorrücken des Schneidezahnes innerhalb der Alveole zu verstehen, muss man eine durchgreifende Verknöche- rung der Papille unterhalb der Schneide und die Anfügung neuer Odontoblasten am Grunde der Zahnpapille annehmen. Ferner muss man die straffen Periostfaserlagen an der dorsalen und ventralen Seite des Zahnsäckchens und die gebogene Form des Zahnes selbst berücksichtigen. Es bedarf darum noch viel eingehenderer Unter- suchungen, um das Problem des fortwährenden Wachsthums der Schneidezähne einer vollständigen Lösung zuzuführen. Ich will zum Schluss noch verschiedene Punkte hervorheben, welche hierbei eine größere Beachtung verdienen. v. Brunn ist der Ansicht, dass die Schmelzkappe nur die Ma- trize für die Form des Zahnes darstelle und leicht zu Grunde gehen 472 Friedrich Roetter könne, wenn sich die Odontoblasten auf der Zahnpapille zurecht gelegt haben. Er giebt an, dass von der Schmelzkappe eine Ver- längerung, die er mit Hertwic »Epithelscheide der Zahnwurzel« nennt, in die Tiefe wachse und das Bindegewebe der Pulpa umhülle. Da sich dann erst in der letzteren die Odontoblasten differenziren, so bestimme die Epithelscheide die Form der Wurzel. Die Epithel- scheide wird nach seiner Angabe später vom Bindegewebe durch- wachsen, so dass der tiefste Theil derselben seinen Zusammenhang mit dem Schmelzepithel der Krone einbüßt und sich ohne Grenze in das neugebildete Alveolodentalperiost verliert. Unterdessen ist das Wachsthum der Epithelscheide in das Gewebe des Kiefers weiter- gegangen, bis sie die eigentliche Wurzelspitze erreicht hat. Nun ist die Form der Zahnwurzel fertig gebildet und die Epithelscheide schwindet gänzlich. Diesen Vorgang hat v. Brunn nicht nur bei der Ratte, sondern auch bei Hund, Katze und Kalb beobachtet. Er glaubt in demselben eine verbreitete Erscheinung gefunden zu haben und schließt daraus auf ein gleiches Verhalten der Schmelzkappe an den Schneidezähnen der Ratte zurück. Ich habe bereits in der vorhergehenden Darstellung darauf hingewiesen, dass ich der von v. Brunn geäußerten Meinung nicht beistimmen kann und ich will jetzt zeigen, dass die Annahme von der Persistenz der ganzen Schmelzkappe unbedingt nothwendig ist, um das dauernde Wachs- thum der Schneidezähne zu verstehen. Zunächst wird wohl ohne Widerspruch zugegeben, dass man für die Formgestaltung des Zahnes nicht einseitig die ektodermale Schmelzkappe verantwortlich machen kann; denn die Dentinbildung an der Zahnpapille ist doch auch von großer Wichtigkeit für den Bau des Zahnes und für die Behauptung, dass die Ordnung der Odonto- blasten zu einem epithelähnlichen Lager durch den Einfluss der Schmelzkappe geschehe, liegt kein zwingender Grund vor. Auch erfolgt die Dentinbildung an der dorsalen Hälfte des Schneidezahnes, nachdem die Schmelzkappe sich hier längst zu einer flachen Mem- bran abgeplattet hat. Es scheint mir darum kein Grund vorhanden, der Zahnpapille nicht eine eben so wichtige Rolle bei der Zahnent- wicklung zuzusprechen, wie sie dem Schmelzorgan zugestanden wird und man wird der Wahrheit wohl näher kommen, wenn man beide Theile der primitiven Zahnanlage von gleicher Bedeutung für die Ausbildung des fertigen Zahnes erachtet. | Indem ich mich jetzt zur Besprechung der Frage wende, welche Wichtigkeit die Erhaltung der ganzen Schmelzglocke während: des Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 473 Lebens für das Wachsthum der Schneidezähne besitze, will ich nur kurz an bekannte Thatsachen erinnern. — Bekannt ist!, dass der Schneidezahn der Nagethiere stets so stark nachwächst, als er vorn an der Krone abgenutzt wird. Wird nun die Abnutzung durch Ent- fernung des gegenständigen Zahnes unterbrochen, so wächst der eine Zahn ungehindert ins Unbestimmte fort und ragt dann in un- seheurer Bogenkrümmung aus dem Maule hervor, ein schöner Be- weis für die wundervolle Correlation der im Ober- und Unterkiefer einander entgegenstehenden Nagezähne. Der Schneidezahn wächst also fortwährend mit einer bedeutenden Energie, die nur durch die stetige Abschleifung von Schmelz und Dentin an der Zahnspitze dem Beobachter unter normalen Verhältnissen nicht so stark in die Augen fällt und ihn erst, nachdem die Möglichkeit der Abnutzung durch den Bruch eines Gegners verschwunden ist, durch ihre Größe in Erstaunen setzt. Daraus erhellt, wie ungestört sich der Nagezahn innerhalb der Alveole und auf dem Schmelzorgan verschieben kann. Mit dieser Thatsache ist aber die Vorstellung unvereinbar, dass der Schneidezahn an seinen nicht mit Schmelz bedeckten Flächen direkt mit dem Periost verwachsen sei. Denn dann müsste der nach vorwärts gerichteten Bewegung des Zahnes, welche wohl hauptsäch- lich durch die Verknöcherung der Odontoblasten an der Spitze und Proliferation neuer Dentinzellen am Grunde der Papille bewirkt wird, ein kräftiger Widerstand von Seiten der Periostfasern entgegenge- setzt werden, der entweder zu einem Stillstand des Wachsthums oder zu einer Zerreißung der Periostfaserschichten führen müsste. Beide Möglichkeiten lassen sich jedoch in Wirklichkeit nicht beob- achten. Desshalb scheint mir die Darstellung, die v. Bruny über die Befestigung des Zahnes innerhalb der Alveole gegeben hat, nicht annehmbar. Der dorsale Theil der Schmelzkappe muss, wenn auch in modifieirter Form, erhalten bleiben, damit sich an demselben die Periostfasern inseriren und der Schneidezahn innerhalb der Schmelz- kappe langsam vorgeschoben werden kann. Desshalb steckt er in einer, nur am vorderen und hinteren Ende offenen Röhre, d. h. der modifieirten Schmelzkappe, die an der dorsalen und lateralen Fläche 1 Vgl. A. FRIEDLOWSKY, Über Missbildungen von Säugethierzähnen. Sitzungsber. der k. Akad. der Wissensch. Bd. LIX. 1. Abth. Märzheft 1869. CLAAS MULDER, Over het Buitengewoon Uitgroeijen van de Snijtanden bij verschillende Knaagdieren. Versl. en Meded. kon. Akad. v. Wetensch. XVI. Amsterdam 1863. 474 Friedrich Roetter durch Periostfasern mit der Knochenwand der Alveole fest verbunden und frei in deren Hohle aufgehangen ist. Die untere Seite des Zahnsäckchens ist nur von einem weit- maschigen Bindegewebe umlagert, das als weiches Polster fiir das persistirende Schmelzorgan dient, dorsal und lateral setzen sich die Periostfasern an. Die Befestigung des Nagezahnes in der Alveole ist also eine sehr lockere und scheint Verschiebungen des Zahnes und dadurch Druckwirkungen nicht zu hindern; allein die Gefahr wird abgehalten durch die starke Krümmung des Zahnes, deren Be- deutung immer wieder hervorgehoben werden muss. Nach GIEBEL's! Untersuchungen besitzt der obere Schneidezahn eine Krümmung, welche dem größeren Abschnitt eines kleineren Kreises, und der untere Zahn eine Beugung, die dem kleineren Abschnitt eines größe- ren Kreises entspricht. Krause? hat, wahrscheinlich gestützt auf die Untersuchungen von RYMER JONES?, diese Angabe dahin prä- cisirt, dass die Nagezähne in Wahrheit das Stück einer Spirale dar- stellen, die erst beim Auswachsen der Zähne unter pathologischen Verhältnissen besonders deutlich zu Tage trete. In der spiraligen Krümmung wie in der Länge des Nagezahnes sind nun mechanische Momente gegeben, welche es verhindern, dass durch die Thätigkeit der Zähne Druckwirkungen innerhalb der Alveole auf einzelne Be- zirke des Schmelzorgans in störender Weise sich geltend machen. Beide garantiren also die ruhige Lage und das ungestörte Wachs- thum der Zähne und lassen auch die scheinbar lockere Befestigung derselben verständlich werden. Wie ich schon oben bemerkte, ist die Form der Nagezähne auch davon abhängig, dass sie stets auf einander treffen. Sobald durch den Verlust eines Schneidezahnes dies unmöglich wird, schleift sich das freie Ende des gegenüberstehenden Zahnes zu einer Spitze ab und wächst in rückwärts gerichteter Beugung aus dem Kiefer her- aus. Da nun die Schneidezähne eine schräg nach hinten gerichtete Kaufläche besitzen, die sich stetig abschleift, so kann diese Form des Vorderendes nur gewahrt werden, wenn die unteren Schneide- zähne alternirend entweder vor oder hinter den oberen eingreifen. Diese Variation der Bewegung ist durch die Gestalt der Gelenkfläche bezw. des Gelenkkopfes des Unterkiefergelenkes ermöglicht. 1 GIEBEL, Beiträge zur Osteologie der Nagethiere. Berlin 1857. 2 W. Krause, Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1868. pag. 146—147. 3 RYMER Jones, Topp’s Cyclopaedia of anat. and physiol. 1852. vol. IV. pag. 385 (war mir leider nicht zugänglich). Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 475 Aus dieser Zusammenstellung wird wohl klar geworden sein, dass das Problem, welche Momente bedingen das andauernde nor- male Wachsthum und die Form der Nagezähne, noch weit von seiner Lösung entfernt ist. VI. Über den morphologischen Werth der Nagezähne. Die vorhergehenden Untersuchungen haben gelehrt, dass der Schneidezahn in seiner Entwicklungsgeschichte nicht die gleiche Sonderstellung einnimmt, wie sie ihm nach seinem anatomischen Bau zugewiesen werden muss. Er theilt mit den Anlagen der Back- zähne den schräg nach hinten gerichteten Verlauf der Schmelzkappe; in dieser differenziren sich eben so wie bei den Backzähnen der weißen Maus und den Zähnen anderer Säugethiere inneres und äuße- res Schmelzepithel und das Stützepithel oder Stratum intermedium. Während das letztere bei anderen Säugethieren mehrfache Zelllagen besitzt — bei der Katze zähle ich mit Sicherheit drei Schichten — findet sich bei dieser Maus nur eine einfache Lage. Die übrige Masse der Stützzellen unterliegt jedoch bei den Nagezähnen nicht der bei anderen Zähnen gewöhnlichen Umbildung in ein waben- artiges Gallertgewebe, sondern wird — und das ist der hauptsäch- lichste Unterschied — in der ursprünglichen Schichtung erhalten. Die Schmelzkappe der Nagezähne, die nach der äußeren Form von anderen Zahnanlagen sich wesentlich unterscheidet, bleibt also in einer nur wenig veränderten, an frühe embryonale Ver- hältnisse anknüpfenden, histologischen Struktur während des ganzen Lebens erhalten. Erhellt nun durch die Entwicklungsgeschichte, dass mehrfache Analogien zwischen Back- und Schneidezähnen im Gebiss der Nage- thiere bestehen, so muss man genauer zusehen, ob nicht noch eine tiefer gehende Verwandtschaft zwischen den beiden Zahnarten sich nachweisen lasse. Dabei wird es nützlich sein, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass bereits seit langer Zeit bei etlichen Familien der Rodentia Backzähne bekannt sind, die keine Wurzel bilden und eine weit geöffnete Pulpahöhle besitzen. Das sind die Nager mit Blätterzähnen, von denen ich nur die Familie der Hasen, Meer- schweinchen und Wiihlmiiuse anführen will. Es finden sich in der Litteratur zerstreut Angaben, dass diesen Blätterzähnen die Fähig- keit zukomme, durch länger dauerndes Wachsthum die abgemahlenen Theile der oberen Kaufläche wieder zu ersetzen; allein ein genauerer Morpholog. Jahrbuch. 15. 31 476 Friedrich Roetter Nachweis wurde für die Behauptung nicht erbracht, welche aus dem anatomischen Befunde einer offenen Wurzelhöhle allein abgeleitet wurde. Eben so ward bereits mehrmals betont, dass Backzähne mit geschlossenen Wurzeln diesen Ausbildungszustand erst in einem re- lativ späten Lebensalter erreichen, also längere Zeit nach der Ge- burt zu wachsen vermögen. Es entsteht nun die Frage, ob die oben angeführten Ansichten älterer Forscher, wie es bei der Exaktheit ihrer Untersuchung zu erwarten ist, sich mit den modernen Hilfsmitteln bestätigen lassen, und wir werden das Ergebnis der Untersuchung als bekräftigend be- trachten, sobald der Nachweis gelungen ist, dass bei den wurzel- losen Backzähnen der Nagethiere ein persistirendes Schmelzorgan vorhanden ist; denn nach der vorhergehenden Darstellung kann man sich nur unter dieser Voraussetzung ein länger dauerndes Wachs- thum der Backzähne denken. Solche Überlegungen veranlassten mich, dem Bau der Baekzähne eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und schon die ersten Querschnitte ergaben ein Resultat, welches überzeugend für die Richtigkeit des Gedankenganges sprach. Die Backzähne von Arvi- cola amphibius Desm., der Schermaus und vom Lemming, Myodes lemmus Pall., besitzen wirklich innerhalb ihrer Alveolen ein persi- stirendes Schmelzorgan, das den mit Schmelz bedeckten Seitenflächen der Backzähne innig anliegt. Bekanntlich bestehen die Backzähne der Wiihlmiiuse (Arvicolidae) aus ziekzackförmig gebogenen Schmelz- lamellen, oder besser gesagt, die Backzihne sind aus mehreren drei- seitigen, mit Schmelz bedeckten Prismen zusammengesetzt. An letz- teren liegt eben so wie bei den Schneideziihnen ein wohlausgebildetes Schmelzorgan, das einen gleichen histologischen Aufbau erkennen lässt: lange eylindrische Schmelzzellen, das unterliegende Stiitz- epithel und die unregelmäßig verlaufenden Stützleisten. Nur das unterhalb des ganzen Schmelzorgans liegende, weitmaschige Binde- gewebspolster ist bei den Backzähnen wenig entwickelt. Ferner wird niemals der ganze Backzahn von einem allseitig geschlossenen Schmelzorgan umhüllt, sondern nur enger begrenzte Theile seiner Seitenflächen. Auch diese Thatsache entspricht vollständig den am Nagezahn bestehenden Verhältnissen; hier wie dort verliert an genau bestimmbaren Flächen das Schmelzepithel seine Funktion als Schmelz- bildner und dient als dünne Membran abgeplatteter Zellen einzig der Insertion der Periostfasern. Am Grunde der Alveole ist eben so deutlich der Umschlagsrand der Schmelzkappe erhalten geblieben. Über Entwicklung und Wachsthum der Schneidezähne bei Mus musculus. 477 Durch diesen Nachweis scheint sich eine bedeutsame Homologie zwischen den Schneide- und Backzähnen der Nagethiere zu ergeben. Denn da bei gewissen Arten nicht nur die Schneidezähne, sondern auch alle Backzähne mit der Fähigkeit ausgestattet sind, die abge- nutzten Theile ununterbrochen zu ersetzen, so liegt die Annahme nahe, dass die Nagezähne im Allgemeinen nicht die ihnen früher eingeräumte Sonderstellung verdienen. Sie würden so nur als be- sonders stark entwickelte Glieder eines ursprünglichen Gebisses er- scheinen, dessen sämmtliche Zähne sich fortwährend regeneriren konnten. Ich muss mir jedoch die Erörterung dieses Gedankenganges ver- sagen, weil meine Untersuchungen sich nicht auf genügend viele Arten erstrecken konnten. Andere Ursachen, die in meiner beruf- lichen Stellung begründet sind, zwangen mich, die mir lieb gewor- dene Arbeit früher aufzugeben, als es meiner Neigung entsprach. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVII. Fig. 1. Längsschnitt durch die Anlage des Schneidezahnes von Mus musculus (Unterkiefer). Vergr. 37/,; a Schmelzkappe, 5 Zahnpapille, v Epithel- leiste des Vestibulum oris, % knorpelige Anlage des Unterkiefers. Fig. 2. Längsschnitt durch die Anlage eines Backzahnes von Mus musculus (Unterkiefer). Vergr. 37/,; a Schmelzkappe, 5 Zahnpapille, % knor- pelige Anlage des Unterkiefers, o verknöcherndes Gewebe des Unter- kiefers. Fig. 3. Längsschnitt durch die Wand einer Schmelzkappe des Schneidezahnes von Mus. musculus. Die Lage der Schmelzzellen ist nicht gezeichnet, nur die Stützzellen und das äußere Schmelzepithel, welches durch Faltung die Stützleisten entstehen lässt. Vergr. 10/;. Fig. 4. Querschnitt durch das persistirende Schmelzorgan des Schneidezahnes von Mus musculus (Oberkiefer). Vergr. °83/,; s Schmelzzellen, st Lage des kubischen Stiitzepithels, 7 Stützleisten, 6 Bindegewebe mit vielen Blutgefäßen. Fig. 5. Längsschnitt durch den’ Umschlagsrand einer Schmelzkappe des Schneidezahnes von Mus musculus. Vergr. 150%/,; 5, Bindegewebe der Papille, 5 Bindegewebe des Zahnsiickchens, U Umschlagsrand der Schmelzkappe, st Stützepithel, das sich eben differenzirt, s Lage der Schmelzzellen. Bemerkungen über den Carpus der Proboseidier und der Ungulaten im Allgemeinen. Von G. Baur. Mit 1 Figur in Holzschnitt. Herr K. Ant. WEITHOFER! hat über den Carpus der Probosci- dier einige wichtige Bemerkungen gemacht. Schon vor vier Jahren bin ich zu ganz ähnlichen Resultaten gekommen, als ich die Extre- mitäten der Ungulaten bearbeitete; meine Resultate sind aber bisher nicht publieirt worden. Nur über das Centrale habe ich eine kurze Notiz gegeben; ich vermuthete, dass man es bei Embryonen von Elephas, Tapir, Rhinoceros und Hippopotamus noch antreffen werde. Diese Vermuthung ist z. Th. bestätigt worden. Als ich im Mai letzten Jahres Straßburg besuchte, zeigte mir Herr Dr. DÖDERLEIN eine vordere Extremität eines jungen Elephas indicus, bei wel- chem das Seaphoideum ganz deutlich aus zwei knöchernen Elementen bestand, die suturös mit einander verbunden waren. Diese reprä- sentirten Radiale und Centrale. Das Centrale ist also beim jungen Elefanten ein isolirtes Element is. Figur?). 1K. A. WEITHOFER, Einige Bemerkungen über den Carpus der Pro- boscidier. Morph. Jahrb. 1888. pag. 507—516. 2 Morph. Jahrb. Bd. X. 1885. pag. 456. 3 Die hier dargestellte Figur giebt die Umrisse einer Zeichnung, welche Herr Dr. D6pERLEIN auf Herrn Baur’s Veranlassung zur Benutzung in vor- stehender Mittheilung an den Herausgeber der Jahrbücher eingesendet hat. Der begleitende Brief sagt, dass das Centrale der Proboseidier »bei jungen Thieren als besondere Verknöcherung auftritt im distalen Theile desselben einerseits, von welchem auch das Scaphoideum entsteht. Später ist das Centrale nicht mehr wahrnehmbar, da es vollständig mit dem Scaphoideum verwächst. Das VerlagvWih.Engelmann in Leipzig, LshAnstvEAFunkeLepzig Bemerk. über den Carpus der Proboseidier u. der Ungulaten im Allgem. 479 Später konnte ich an einer Serie jugendlicher Elefanten in Brüssell verfolgen, wie sich dieses Centrale weiter entwickelt. Es verschmilzt vollkommen mit dem »Scaphoideum «. Ich verdanke die Erlaubnis der Untersuchung dieser Befunde der Liebenswürdigkeit des Herrn L. Dotto. Bei dem jüngeren Exemplar ist die Sutur zwischen Centrale und Radiale noch ganz deutlich sichtbar. Bei dem älteren Exemplar ist die Sutur ver- schwunden, aber das Centrale ist dennoch leicht zu bestimmen. In Amsterdam hatte Herr Prof. M. WEBER die große Freund- lichkeit, mich den Carpus eines Fötus von Hippopotamus untersuchen zu lassen. Ich habe vergessen, die Maße zu nehmen; so viel ich mich erinnere, war der Fötus von der Größe eines neugeborenen Schafes. Hier fand ich kein freies Centrale, das ganze Scaphoideum bestand noch aus Knorpel und derselbe ließ nicht erkennen, dass er zwei Elemente enthielt. Ob bei jüngeren Embryonen von Hippo- potamus ein Centrale nachweisbar ist, weiß ich nicht; ich möchte es aber bezweifeln, denn schon bei den Phenacodontidae, den ältesten Ungulaten, ist keine Spur desselben mehr zu finden. Es ist schon lange im Scaphoideum aufgegangen, dessen vorderen und inneren (radialwärts gelegenen) Fortsatz es darstellt. im hiesigen (Straßburger) Museum befindliche Original zu der Zeichung ist von Herrn Dr. PFITzwER bereits demonstrirt und beschrieben worden (Tageblatt der 60. Vers. d. Naturf. und Ärzte zu Wiesbaden. 1887. pag. 251). Außer- dem stelle ich auf den Wunsch von Herrn Dr. Baur fest, dass bei diesem Exemplar das Intermedium (Lunare) mit dem Carpale 2 (Trapezoid) keine Berührungsfläche besitzt und dass das Intermedium eben so wie das Ulnare (Pyramidale) nur eine einzige distale Gelenkfläche zeigt für das Carpale 3 (Magnum) bez. für das Carpale 4 (Unciforme'«. 480 G. Baur Herr PritzNeR! hat in der 60. Versammlung deutscher Natur- forscher und Ärzte in Wiesbaden (21. September 1887) das Centrale beim jungen Elefanten demonstrirt; außer dem Exemplar, das mir Herr Dr. DÖDERLEIN gezeigt hatte, legte er den Carpus eines etwas größeren afrikanischen Elefanten vor, der dasselbe zeigte. Unter allen Ungulaten war das Centrale bis dahin nur bei Hyrax aufgefunden worden; die Entdeckung desselben bei Elephas durch Dr. DÖDERLEIN ist von sehr großer Bedeutung für die Genealogie dieser Gruppe. Da das Scaphoideum des erwachsenen Elefanten ganz ähnliche Verhältnisse zeigt wie bei den Amblypoda, so muss auch bei diesen dasselbe aus den beiden Elementen »Radiale« und »Centrale« bestehen, und so bei allen übrigen Ungulaten von den Phenacodontidae auf- wärts. Dass das Centrale schon seit sehr alter Zeit im Scaphoideum aufgegangen sein muss, beweist das Scaphoideum vom Schwein, welches auch bei den jüngsten Embryonen, wo Knorpel eben zur Entwicklung kommt, nur aus einem einzigen Stück besteht. Vom Centrale hat WEITHOFER nicht gesprochen, ich komme nun auf seine Auseinandersetzungen zurück. Er giebt an, dass bei Mastodon Arvernensis, Elephas me- ridionalis, E. antiquus, E. africanus das Lunatum (Inter- medium) zum Theil auch mit dem Trapezoid (Carpale 2) artikulire ; dasselbe kann ich für Mastodon giganteus? und Mastodon Humboldtii* behaupten. Beim jungen E. africanus findet WEITHOFER diese Artikulation noch stärker entwickelt wie beim erwachsenen, auch hierin kann ich demselben vollkommen beistimmen. Bei E. Indicus greift das Lu- natum nur ganz wenig auf das Trapezoid über. Junge Thiere dieser Species konnte WEITHOFER nicht untersuchen, und auch mir fehlt das Material dies zu thun. Wie diese Verhältnisse bei dem jungen Thier in Straßburg sich verhalten, ergiebt sich aus der obigen Mit- theilung des Herrn Dr. DÖDERLEIN. WEITHOFER betrachtet den Carpus von E. Indicus als sekundär taxeopod; er nimmt also an, dass die Ahnen von E. Indicus ähn- 1 PFITZNER: in Anat. Anzeiger. II. Jahrg. 25. Nov. 1887. Nr. 25. 2 JoHN C. WARREN, Description of a skeleton of the Mastodon giganteus. Boston 1852. Plate XI. 3 G. BURMEISTER, Annales del Museo Publico de Buenos Aires. Entrega cuarta. Buenos Ayres 1867. Pl. XIV fig. 5. Pe: Bemerk. über den Carpus der Proboseidier u. der Ungulaten im Allgem. 481 liche Verhältnisse zeigten wie die übrigen Proboscidier, dass das Intermedium das Carpale 2 zum Theil überlagerte. Dieser Punkt ist von großer Wichtigkeit und es ist nothwendig, etwas näher hierauf einzugehen. Die Artikulationsweise des Intermedium mit Carpale 2 kommt einzig und allein bei den Proboseidiern vor, eine Tendenz: hierzu ist bei den Dinoceraten vorhanden und kommt als individuelle Eigen- thümlichkeit zuweilen vor. Bei allen übrigen Säugethieren legt sich das Centrale oder Cen- trale + Radiale zwischen Intermedium und Carpale 2. Wie ist nun dieses eigenthümliche Verhältnis entstanden’? Ich gehe von Hyrax aus, da diese Form den ursprünglichsten Carpus zeigt. Bei Hyrax liegt das Centrale in der Verlängerung des Radiale, das Intermedium ist wie bei allen übrigen Säugern ohne Berührung mit Carpale 2. Eine derartige Form müssen wir als Urform der Ungulatenextremität betrachten'!. Es können nun zwei Möglichkeiten eintreten: 1) Dieses Verhältnis bleibt, es kommt jedoch zur Verschmelzung von Radiale und Centrale (Amblypoda, Condylartra, Diplartra). Seaphoideum ist also mit Trapezoid in Verbindung. 2) Das Centrale wird durch Ausdehnung des Intermedium und Carpale 2 radialwärts verdrängt. Zuerst trägt das Carpale 3 allein das Intermedium, später nimmt auch noch ein Theil des Carpale 2 daran Theil; zugleich verschmilzt das Centrale mit dem Scaphoi- deum. Hierdurch entsteht der Carpus der Proboscidier. Bei den Proboseidiern selbst kommt es wieder zu einer Rück- entwicklung, indem das Carpale 2 das Bestreben zeigt, sich wieder außer Verbindung mit Intermedium zu setzen (E. africanus). Wir müssen annehmen, dass die Proboseidier sich außerdem direkt aus den Taxeopoden (in der alten Fassung Cope’s) oder einer zwischen Taxeopoden und Amblypoden gelegenen Gruppe entwickelt haben. Sie bilden einen sehr alten Seitenzweig der Ungulaten, der sich schon vor den Phenacodontidae von denselben entfernt hat; dies beweist vor Allem die Anwesenheit des Centrale bei jugendlichen Formen, welches weder bei den Condylartra noch bei den Embry- onen der Diplartra bisher nachgewiesen werden konnte. Ich schließe mich der Ansicht ScHLOssER’s an, indem ich nicht im Stande bin, die Amblypoda als Zwischenstufe der Condylartra 1 Bei Typotherium scheint das Centrale bereits mit Radiale verwachsen. 482 G. Baur, Bemerk. iiber den Carpus der Proboscidier und der Ungulaten. und Diplartra zu betrachten. Auch ist es mir nicht möglich, die Amblypoda als eine Seitenlinie zwischen Condylartra und Diplartra zu betrachten. Ich halte es für richtiger, die Amblypoda als einen Seitenzweig der Taxeopoda (in der früheren Fassung) anzusehen, der den Proboseidiern näher stehen würde als den Condylartra. Corr! betrachtet die Condylartra als die Ahnen sämmtlicher Säugethiere mit Ausnahme der Monotremata und Marsupialia. Diese Ansicht scheint er auch heute noch festzuhalten (Am. Nat. July 1888. pag. 663). TOoPINARD? geht sogar so weit, dass er die anthropoiden Affen direkt von den Condylartra ableitet. Beides ist ganz unhaltbar. Die Phenacodontidae und die Con- dylartra im Allgemeinen stehen den Diplartra am nächsten, speciell den Perissodactylia und müssen als Ahnen derselben betrachtet wer- den, und nur dieser allein. Wie konnten sie die Ahnen der mit einem freien Centrale versehenen Lemuria, Primates, Hyracoidea ete. sein, wenn sie kein freies Centrale mehr besaßen. Wir können doch unmöglich annehmen, dass sich das Centrale de novo vom Sca- phoideum losgelöst habe. Die Condylartra stammen von Formen ab, welche ein freies Cen- trale im Carpus besaßen, und diese mögen vielleicht auch noch die Ahnen anderer Säugethiergruppen gewesen sein. New Haven, Conn., 4. December 1888. 1 E. D. CopE, On the evolution of the Vertebrata, progressive and retro- gressive. Americ. Naturalist. April 1885. pag. 347. 2 Les dernieres étages de la Généalogie de homme. Revue d’Anthropo- logie. Mai 1888. Bemerkungen über den M. flexor brevis pollieis und Veränderungen der Handmuskulatur. Von C. Gegenbaur. Der kurze Beuger des Daumens des Menschen ist seit längerer Zeit Gegenstand einer Diskussion, die sich wesentlich um die Frage bewegt, ob unter dem radialen Kopfe noch ein zweiter oder ul- narer ihm zuzurechnen sei, d. h. ob von der am ulnaren Sesam- bein der Artic. metacarpo-phal. des Daumens sich inserirenden Mus- kulatur eine Portion als ulnarer Kopf des Flexor brevis betrachtet werden könne. Der Stand dieser Frage hat durch FLEMMING! und CuNnNInGHAM? vor Kurzem eine auch das Geschichtliche um- fassende Darlegung gefunden. Indem ich darauf hinweise, will ich hier nur das Endergebnis näher ins Auge fassen, um daran einige Bemerkungen anzuknüpfen. Wie FLEMMING begründet, ist die Frage des Umfanges der als »Flexor brevis« zu bezeichnenden Muskulatur nicht aus der Wirkung des Muskels, also nicht von der physiologi- schen Seite anzufassen, sondern liegt ausschließlich auf morpho- logischem Boden. Auf diesem ist CUNNINGHAM durch ausgedehnte vergleichend-anatomische Untersuchungen zu einer Bestätigung der vor längerer Zeit von BiscHorr gegebenen Deutung gelangt. Von den vier Portionen, welche theils in radialer, theils in ulnarer In- sertion dem Flexor brevis zugeschrieben und von FLEMMING mit A, B, C, D bezeichnet wurden, ist nur eine (A) ihm zugehörig. B, C sind nach CunninGHAM morphologisch unwichtige Komponenten, und D gehört dem Adductor an, wie er schon von Anderen, auch von mir, dem Adductor beigezählt wurde. Aber eben die letztgenannte Portion hat unter Ausbildung des Adductor einen ulnaren Kopf des 1 Anat. Anzeiger. II. Nr. 3 und Nr. 9. 2 Anat. Anzeiger. II. Nr. 7. 484 C. Gegenbaur Flexor brevis überlagert, der in primitiveren Zuständen neben dem radialen Kopfe /A) besteht. Dieser zweite Kopf des Flexor brevis (HENLE’s Interosseus volaris primus) ist also in veränderte Verhält- nisse getreten. Der Muskel, welcher schon von vorn herein eine andere Insertion besitzt, hat weder Ursprung noch Lage des Bauches mit dem anderen Bauche (A) gemein, ist völlig von ihm getrennt. Man kann also vor Allem nicht von ihm als von einem bloßen »Kopfe « des Flexor brevis sprechen, wenn er auch von einem mit dem an- deren gemeisamen Bauche sich ableitet. CUNNINGHAM selbst giebt an, dass man zur Darstellung dieses Muskels den äußeren Kopf des Interosseus dorsalis I. von seinem Ursprunge lösen und zurückschla- gen müsse. Von einer volaren Abgrenzung des Muskels spricht er nieht. Der Muskel ist hier auch gar nicht so deutlich gesondert, dass man ihn leicht abgrenzen könnte. Auch Brooks! ist der Mei- nung, dass der Muskel häufig nieht zu unterscheiden sei. So finde auch ich das Verhältnis und muss den von CUNNINGHAM angegebenen Zustand, wo der Muskel vom Metacarpale I entspringt, als den sel- teneren betrachten. Häufiger sind es Portionen des Adduetor die dort liegen, die man in verschiedenem Grade selbständig darstellen kann und von denen eben so gut möglich ist, dass sie jenen ver- lorenen Muskel vorstellen. Wir haben es also hier mit einem Muskel zu thun, der nicht bloß rückgebildet ist, sondern auch seine ursprüngliche Verbindung mit einem anderen Bauche aufgegeben hat, indem er von demselben ab- gedrängt wurde. Dagegen ist er enger mit einem anderen Muskel, dem Adductor, verbunden, wenn er nicht ganz verschwunden ist. Durch diesen Vorgang wird nun auch der Weg gewiesen für die Behandlung dieser Muskulatur. Wir werden da, wo eine Geschichte des Muskels zu geben ist, mit Bischorr und CUNNINGHAM auch für den Menschen einen ursprünglichen Flexor brevis pollieis annehmen, der in zwei Bäuche sich theilte. Aber der ulnare Bauch ist im Verschwinden begriffen, verdrängt, oder dem Adductor angeschlossen, während der radiale sich erhielt und ausbildete. Damit hat dieser ein Recht erworben, ausschließlich als Flexor brevis zu gelten. Wo es sich um eine Darstellung des thatsächlichen Befundes handelt, da wird der Muskel als einköpfig zu behandeln sein. Wenn dieser Flexor brevis noch von der Tiefe der Hohlhand einen, wahrschein- lich aus dem Adductor stammenden Kopf als Zuwachs empfängt, so 171.21.» Bemerk. über d. M. flexor brevis pollieisu. Veränderungen d. Handmuskulatur. 485 geht daraus hervor, dass diese Muskulatur in einer weiteren Ver- änderung begriffen steht. Die Portionen B und C, welche Cun- NINGHAM für morphologisch unwichtig erklärt, sind es nur in dem Sinne, dass sie nicht vergleichend-anatomisch deutbar sind. Aber sie beurkunden (besonders die konstantere Portion B) einen neuen Sehritt der Umgestaltung und eben desshalb sind sie mir wichtig. Für bedeutende Veränderungen in dem Gebiete der palmaren Muskulatur spricht auch das Schwanken der Inneivation, welches erwiesen zu haben das Verdienst von CUNNINGHAM und Brooks! ist. Indem ich die Wichtigkeit dieser Thatsachen anerkenne, kann ich doch keineswegs die Meinung von Brooks theilen, welcher in jener Verschiedenheit des Verhaltens der Nerven nur eine durch diese zu Stande gekommene Veränderung sieht, an welcher der Muskel selbst keinen Antheil habe. Er nennt es ein Dogma, die Nervenversorgung eines Muskels für unveränderlich zu halten und glaubt mich in diesem Dogma befangen, wobei er meine Meinung gar nicht zu kennen scheint. Oder hat er wirklich die Vorstellung. dass bald dieser bald jener benachbarte Nerv oder auch zwei der- selben in einen Muskel einwachsen könne, und ihn so sich unter- than mache? Und doch kann nur diese oder eine ähnliche Vor- stellung dazu führen, die Zusammengehörigkeit des Muskels zum Nerv in Abrede zu stellen! Jene Variationen der Innervation, wie sie Brooks von den Lumbricales und anderen Muskeln der Hand beschrieb, sehe ich nicht als Zeugnisse der Werthlosigkeit der Bestimmung der Mus- keln nach dem Nerven an, vielmehr als den Ausdruck von Ver- änderungen in der Muskulatur selbst. Brooxs fasst es als ein Übergreifen des einen Nerven in das Gebiet des anderen auf, als einen Wettstreit zwischen zwei Nerven, wobei das Kampfobjekt Muskeln sind. So sieht bei oberflächlicher Betrachtung die Sache auch aus, wenn man den Muskel nicht als den Endapparat der motorischen Nerven gelten lässt. Anders muss sie da erscheinen, wo die letztere Vorstellung für begründet gilt. Ein Muskel, wel- cher in einem Falle von einem anderen Nerven innervirt wird, als in einem anderen Falle, wird auch materiell ein anderer Muskel sein, wie immer er auch in allen übrigen Punkten mit dem ersten Fall übereinkommt. BROOKS hat durch den Nachweis von Nervencondo- minaten, ohne es zu beabsichtigen, einen sehr werthvollen Beitrag 1 Journal of Anat. and Phys. Vol. XX. pag. 641. Vol. XXI. pag. 575. 456 C. Gegenbaur für jene Veränderungen geliefert. Darauf aufmerksam zu machen ist der Zweck dieser Mittheilung, denn es liegen hier Beispiele vor, wie sie einleuchtender kaum gedacht werden können. Wenn z. B. der Lumbriealis III in einem Falle vom N. ulnaris, im anderen vom N. medianus, in einem dritten von beiden zugleich innervirt ist, so wird das nicht die Regel bildende Condominat dadurch zu er- klären sein, dass eine Portion des Lumbricalis II dem dritten sich angeschlossen hat. Bildet sich die Ulnarisportion nicht mehr aus, so wird der Muskel dem Medianusgebiete zugehören. Von Bedeutung ist, dass diese Schwankungen nur an den Grenzen bestehen, also da, wo bereits in der Anlage der Muskeln ein Überwandern von einem Gebiete ins andere, eingeleitet durch partielle Anschlüsse, günstige Bedingungen finden muss, wie denn ja diese Muskeln an ihren Ur- sprungsstellen oft innige Verbindungen unter einander aufweisen. Man kann gegen diese Thatsachen verschiedene Stellungen ein- nehmen, man kann sie als »Abnormitäten« bezeichnen und nicht weiter auf eine Erklärung eingehen. Versucht man aber eine Erklärung, so ist diese entweder darauf zu gründen, dass man einen nicht zum Muskel gehörigen Nerven in den Muskel einwachsen lässt, oder dass man den Muskel von dem benachbarten her einen Zuwachs ge- winnend sich vorstellt; durch welchen Zuwachs auch ein neuer Nerv dem Muskel hinzukommt. Dann haben wir den Muskel aus zwei Portionen entstanden, einer alten und einer neuen, deren jede einem besonderen Nervengebiete angehört. Der haploneure Muskel ist ein diploneurer geworden, wie dieses Verhältnis von FÜRBRINGER tref- fend bezeichnet worden ist (op. i. e.).. Wägen wir beide Erklärungs- versuche gegen einander ab, so finden wir den einen mit einer nicht klar erwiesenen, sondern auch ganz unverständlichen Annahme rechnen, jener, dass der Nerv in einen ihm von Anfang an fremden Muskel eingewachsen sei, während der andere Versuch die Ver- schiebung einer Muskelportion in Anspruch nimmt. Der erste Ver- such kann sich auf keine einzige Thatsache stützen. Die ihm zu Grunde liegende Annahme ist wie aus der Luft gegriffen; der zweite hat sichere Thatsachen zur Unterlage, denn Lageveränderungen von Muskeln oder Muskelportionen sind sicher gestellte Vorgänge, be- züglich deren ich nur an G. RuGe’s Untersuchungen über die Mus- kulatur des Fußes erinnern will. Ich sehe also hier keinen gesetzlosen Zustand, kein Spiel des Zufalls, welehes einen und denselben Muskel bald dem einen, bald dem anderen Nerven zuführt, sondern eine Bewegungserscheinung in Bemerk. über d.M. flexor brevis pollicis u. Veränderungen d. Handmuskulatur. 487 der Muskulatur der Hand. Wo dieser Zustand waltet, da ist, wie ich Brooks gern zugebe, die Innervation zur Bestimmung des Mus- kels nicht geeignet, aber nur so lange, als die Kenntnis der Va- riation ihr erstes Stadium nicht iiberschritten hat. Wo eine ein- gehendere Prüfung Hand anlegte, da ist auch jene Variation erklärbar geworden, und dann gelangt auch die Bedeutung der Innervation zu ihrem Rechte. Wie fiir die Lumbricales so bestehen auch fiir den Flexor bre- vis die Bedingungen fiir eine Variation in der Innervation in der klarsten Weise. Wir sehen ihn (A) sehr allgemein durch einen tieferen Ursprung verstärkt (B), der selbst wieder ein Bündel (C) nach dem ulnaren Sesambeine abgeben kann, welches damit dem Adductor sich anschließt. So ist ihm das Ulnarisgebiet nahe ge- rückt. In 19 Fällen sah Brooks den Flexor brevis (4 + D) vom Medianus und Ulnaris versorgt, in 7 vom Medianus allein, und nur in 5 allein vom Ulnaris. Ist hierin nicht eine Regel zu ersehen, die ihre Ausnahme neben sich führt? Aber auch den Weg zur Erklärung der Ausnahme, durch die Prävalenz der auch sonst dem Flexor brevis zugetheilten Bestandtheile des Ulnarisgebietes, welche zu den herrschenden Bestandtheilen des Flexor brevis geworden sind. Die Annahme eines gesetzlosen Zustandes in diesen mannig- faltigen Befunden braucht weder nach den Ursachen derselben zu suchen, noch auch nach dem in der Gesammterscheinung sich aus- drückenden Vorgange und dem Wesen desselben. Von all diesem absehend, wird man die geänderte Innervation nur als eine neue Bahn betrachten, auf welcher ein und derselbe Nerv jetzt seinem Muskel zugeht. Ob die bezüglichen Nervenfasern im Medianus, oder ob sie im Ulnaris verlaufen, oder in beiden zugleich: für die Innervation eines Lumbricalis ist es dasselbe. Gewiss ganz eben so, wie es etwa für die arterielle Blutversorgung eines Körper- theiles einerlei sein mag, ob die betreffende Arterie von diesem oder jenem Aste oder Stamme sich abgezweigt hat. Wenn wir aber nichts, was da im Organismus entstand, als zufällig und folglich auch nicht als gleichgültig ansehen, so sind auch jene Verschieden- heiten der Nervenbahn als der Ausdruck einer gesetzmäßigen Ver- änderung zu betrachten. Wie unbedeutend sie erscheinen mögen, so müssen sie unsere Beachtung erregen, denn sie zeigen uns den Weg, auf welchem der Organismus zu Umgestaltungen gelangt. Das ist selbst dann unverkennbar, wenn man nur die Nerven aus- 483 C. Gegenbaur schließlich beachtet und die Beziehungen der Muskulatur ganz bei Seite lässt. Die in den besprochenen Befunden gegebenen Thatsachen lassen sich nach der Verschiedenheit der Objekte, Muskel oder Nerv von einem doppelten Gesichtspunkte aus betrachten. Bei der exclusiven Betrachtung der Muskeln zeigen sich uns wohl Variationen, allein es besteht doch im Ganzen eine größere Übereinstimmung, als wenn wir auch die Innervation mit in Betracht ziehen. Bei der Prüfung der Nerven dagegen tritt uns viel mehr hervor. Wir sehen da ein Nervengebiet sich ausdehnen auf Kosten ‚eines anderen, und er- kennen darin eine tiefergehende Veränderung. Die Verknüpfung beider Betrachtungsweisen wird jedoch am meisten förderlich, weil dadurch die Variation sowohl am Nerv als auch am Muskel ver- ständlich wird als ein Produkt einer Bewegung oder Verschiebung, welche in den fraglichen Theilen vor sich ging. Ob dieser Vor- gang der in der Hohihand vom Ulnaris versorgte Muskulatur an die Stelle vom Medianus innervirter setzte, eine tiefere Bedeutung hat, ist vorerst nicht sicher bestimmbar. Sicher ist nur, dass er eine Veränderung vorstellt, indem in der Theilung der beiden Nerven in die radiale und ulnare Hälfte der Lumbricales der primitivere Be- fund liegt, eben so wie in der Versorgung der Ballenmuskeln des Daumens durch den Medianus. Somit bestehen also hinsichtlich der inneren Bedeutung jenes Zustandes mehrfache Möglichkeiten, von denen ich nur eine näher ins Auge fassen will, nachdem durch M. FÜRBRINGER die sämmtlichen hierher gehörigen Fragen eine ge- dankenvolle und erschöpfende Erörterung erfahren haben !. Mit Bezug auf den Körpertheil, welcher nun jene Veränderungen darbietet, ist es von Belang zu berücksichtigen, dass die beregten wechselvollen Zustände keineswegs die einzigen sind, die wir dort antreffen. Auch in anderen Theilen der Muskulatur der Hand waltet ein großer Reichthum von Variationen. So bezüglich des Abduet. poll. longus und Ext. poll. brevis, ferner im Befunde der Strecksehnen der Finger und deren Verbindungen unter einander, dann auch be- züglich der Muskulatur des Kleinfingerballens, dazu dann noch die zahlreichen Variationen, wie sie von vielen Autoren an anderen Mus- keln als meist seltenere Vorkommnisse beschrieben sind. Im Ganzen kann wohl behauptet werden, dass außer der mimischen Muskulatur ' Im allgemeinen Theile der Untersuchungen zur Morphologie der Vögel. Bd. II. Amsterdam 1888. pag. 896 ft. Bemerk. über d. M. flexor brevis pollicis u. Veränderungend. Handmuskulatur. 489 des Antlitzes keine andere so zahlreiche und auch tiefer greifende individuelle Schwankungen zeigt, als jene der Hand. Die Erwägung der funktionellen Verhältnisse dieses Organs lässt zwischen diesen und den anatomischen Veränderungen einen Zusammenhang annehmen, indem man die letzteren von funktionellen Änderungen ableitet. So wird es wahrscheinlich, dass in der Mannig- faltigkeit des Gebrauchs eben so mannigfaltige Veränderungen in der Muskulatur entstanden, von welchen für jetzt noch fraglich bleibt, ob sie progressiver Natur sind oder nur rein individuelle Bildungen vorstellen. In wie weit der Anpassung hier eine Rolle zukommt, dürfte nachzuweisen eine neue und wohl nicht undankbare Aufgabe sein. .. 24 / > i r Peri tie une ab ney (eS RPA AG THE bt bade folate) ante teh Grains Ryo a eh per) cae) Sere LOW ERTIN NT atates a Pete ee a ri i ‘ “ira peestememetet de 1 . o N io. ai rn SN oA eT A Oa ree eK ‘aunt iia u ale [beter Ua OAC -9 2 2 r iR. h ts b 2 h errs ad) Casanstty aba disb ESTER STUART 0 1117312 5,171 K By | 4 si) : er ara baren ? ne ree BREI EL 22 0 ; eit ae dia (COUR as aed) ein iii etic at Wii) ERS” — Über den epithelialen Theil der sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase des Hechtes (Esox lueius). Von Dr. Alexander Coggi, Assistent am zoolog. Institut der Universität Bologna. Mit Tafel XXII. In der Schwimmblase des Hechtes lassen sich nach Ursprung und Anordnung ihrer Blutgefäße zwei Abtheilungen unterscheiden. Im hinteren Theil, welcher gewöhnlich 11/,—1*/; em hinter der Mündung des Luftganges anfängt, verzweigen sich die Blutgefäße stern- oder baumförmig von mehreren Punkten ausstrahlend zwischen den Wandungen der Blase. Im vorderen Theil verlaufen sie fächerförmig von einem einzigen Centrum aus, welches der Mündung des Luftganges entspricht, und verbreiten sich nach hinten bis zur Grenze der anderen Abtheilung. Ferner bezieht der hintere Theil sein Blut aus der Aorta durch segmentale Gefäße, die von den Ar- teriae intercostales entspringen, und ergießt es wiederum in die Cardinalvenen. Der vordere Theil erhält von der Arteria coeliaca einen Ast, welcher in der Nähe der Luftgangmündung zwischen die Häute der Blase eindringt und sich daselbst in vier Zweige theilt; indem sich diese wiederum in feinere Zweiglein theilen, bilden sie eben so viele Fächer von Blutgefäßen; das venöse Blut verfolgt in umgekehrter Richtung einen gleichen Weg und ergießt sich in das Pfortadersystem. Diese Abgrenzung zweier Abschnitte der Hechtblase, welche sich durch die Vertheilung ihrer Gefäße und, wie weiter gezeigt werden soll, durch den Bau ihrer Wandung unterscheiden lassen, Morpholog. Jahrbuch. 15. 36 556 Alexander Coggi verdanken wir der kürzlich erschienenen Arbeit von H. K. Cornine!; sie scheint früher von Niemand bemerkt worden zu sein und wurde jedenfalls früher nicht so genau und ausführlich beschrieben. Als JOHANNES MÜLLER? für die Wundernetze der Schwimmblase die bekannten vier Typen aufstellte, berücksichtigte er beim Hecht nur die Gefäßfächer des hinteren Theiles und rechnete sie seinem zweiten Typus zu. Als ich vor zwei Jahren das verschiedenartige Verhalten des Schwimmblasenepithels der Knochenfische zu den Wundernetzen untersuchte?®, sah ich beim Hecht nicht mehr, als was bereits J. MÜLLER beschrieben hatte. Da ich nicht bemerkte, dass der vor- dere Abschnitt der Schwimmblase sich in der feineren Struktur und der Gefäßvertheilung vom hinteren unterscheidet, so dehnte ich die Wahrnehmung, dass das Epithel des hinteren Theiles über die Wundernetze unverändert hinzieht, irrthümlich ohne Weiteres auf die ganze Schwimmblase aus. Es ist also Cornine’s Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass in der Schwimmblase des Hechtes zwei Arten rother Körper bestehen. Im hinteren Abschnitt sieht man Wundernetze, welche dem 2. Typus MULLER’s entsprechen: die Verästelung der Blutgefäße geschieht un- mittelbar unter dem einfachen Blasenepithel, ohne dass letzteres irgend welche Veränderung zu erleiden hätte. Im vorderen Abschnitt findet statt, was DE LA Rocue für die Physostomi abdominales im Allgemeinen kaum andeutete und ich für Scopelus und Gonostoma nachwies: nämlich die Anwesenheit von rothen Körpern des 3. Typus MüLter’s im vorderen Theil der Blase in der Nähe der Öffnung des Luftganges. In den rothen Körpern des 3. Typus lassen sich in der Regel ein arterielles und venöses Wundernetz und eine mehr oder weniger ausgedehnte Scheibe von stark gefäßhaltigem, geschichtetem Pflasterepithel scharf unterscheiden. Diese Epithelscheibe bildet mit dem arteriellen und venösen Wundernetz den sogenannten »rothen Körper« oder die »Blutdrüse«. Der epitheliale Theil derselben (oder manchmal das ganze Organ) wird von deutschen Autoren als »zelliger Saum« bezeichnet; ich habe ihn »Epithelkörper« genannt. . Beim Hecht bildet, wie oben bemerkt wurde, jeder der vier Aste der Blasenarterie einen Gefäßfächer mit sekundären Gefäßbün- ! Beiträge zur Kenntnis der Wundernetzbildungen in den Schwimmblasen der Teleostier. Morph. Jahrb. Bd. XIV. pag. 1—53 (Juli 1888). ” Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Abhandl. Akad. Berlin. 1839. 3 Coaar, Intorno ai corpi rossi della vescica natatoria di alcuni Teleostei. Mittheil. Zoolog. Station Neapel. Bd. VII. pag. 381 (September 1887). Über den epithel. Theil d. sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase d. Hechtes. 557 deln; dem entsprechend theilt sich der Epithelkörper in vier gegen ihre Grenzen dünner erscheinende Lappen, was am besten bei Be- trachtung der Blasenwand im durchfallenden Lichte sichtbar wird. Was nun die Beziehungen dieses Epithelkörpers zum inneren Epithel der Blasenwand angeht, so weicht die Schilderung CornınG's be- deutend von den Resultaten meiner früheren Arbeit über die Physo- elysti und einige Physostomi, sowie meiner hier mitzutheilenden neueren Untersuchungen über die Schwimmblase des Hechtes ab. Auf Querschnitten durch die Blasenwand unterscheidet CORNING von außen nach innen folgende Schichten: 1) eine fibröse Schicht von straffem Bindegewebe; 2) eine Schicht lockeren Bindegewebes; 3) eine als Gefäßschicht bezeichnete Lage, bestehend aus einer Schicht cirkulärer glatter Muskelfasern und aus einem einfachen Platten- epithel, welches die Blasenhöhle abgrenzt. In einem Feld, das dem vorderen rothen Körper entspricht, ist diese Struktur folgenderweise modifieirt: im lockeren Bindegewebe verlaufen die Arterien und Ve- nen des Wundernetzes, gestützt durch ein Gerüst von glatten Muskel- fasern; nach innen folgt der »zellige Saum«, gebildet von 8—10 Lagen großer Zellen, welche gegen das hintere Ende des rothen Körpers hin allmählich zu einer einzigen Lage reducirt werden, die wiederum plötzlich aufhört. Diese zellige Schieht wird dann nach innen von derselben Gefäßschicht wie die übrige Innenfläche der Blase überzogen. Aus dieser Schilderung des Baues der Blasen- wände des Hechtes folgert CoRNInG mit vollem Recht, dass DE LA RocueE den »zelligen Saum « unrichtig als »renflement de la membrane interne « betrachtete, eine Meinung, »deren Unrichtigkeit Jon. MÜLLER nachgewiesen hat«. Er fügt dann hinzu: »vielmehr liegt, wie Jou. MÜLLER richtig bemerkt, die innerste Plattenepithelhaut über den Blutdriisen «. | Schnitte, welche aus bestimmten Stellen der Schwimmblasenhaut gefertigt worden sind, beweisen, dass letzterer Satz unrichtig ist; ich verweise auf die drei beigefügten Figuren. In Fig. 1 sind die Schichten, aus welchen der vordere Theil der Schwimmblase besteht, im Längsschnitt dargestellt. Im unteren Theil der Figur erscheinen sie gerade in derselben Ordnung, wie sie Cornine@ beschreibt: in a die äußere fibröse Haut; in 0 die mittlere Schicht aus lockerem Bindegewebe, mit vielen durch die Behandlung der Präparate ver- ursachten Spalträumen und mit den Gefäßen des Wundernetzes (r m); in ce die zellige Schieht; in d die Muskelschicht; in ¢ das einschich- tige Pilasterepithel. Gegen die Mitte der Figur ändern sich die Be- as 558 Alexander Coggi ziehungen der einzelnen Theile schon etwas, indem die Muskelschicht allmählich nach außen abweicht und sich in die zellige Schicht (den sog. zelligen Saum) hineinschiebt, um sich endlich in ihrer Mitte zu verlieren. Es folgt nun eine Strecke des Schnittes, auf welcher die beiden unveränderten Bindegewebsschichten vom Lumen der Blase nur noch durch eine dicke, mehrschichtige, äußerst gefäßreiche Epi- thellage getrennt sind (in der Abbildung sind nur wenige Gefäße dargestellt); diese Lage bildet die Summe der in einander direkt übergehenden zelligen Schicht und Plattenepithels. Weiter nach vorn entsteht so zu sagen die Muskelschicht von Neuem mitten in dem Epithelkörper und nähert sich dann nach und nach der inneren Oberfläche, von der sie endlich wieder nur durch ein einfaches Plattenepithel getrennt bleibt. — Die Lücke in der Muskelschicht, welche dem abgebildeten Präparat entspricht, findet sich in der ventralen Wand der Blase, 6—7 mm von ihrem vorderen Ende. Auf dünneren Schnitten kann man bei stärkerer Vergrößerung genauer sehen, wie jene Unterbrechung der Muskelschicht stattfinden mag. Auf Fig. 2 ist ein Stück des Epithels mit dem zugehörigen Theil des lockeren Bindegewebes im Längsschnitt abgebildet. Die Zeichnung ist eben so orientirt wie Fig. 1. Die Muskelschicht liegt beinahe in der Mitte der Dicke des Epithels und endigt nicht plötz- lich und scharf, sondern etwas unregelmäßig; dies kann bereits auf dem abgebildeten Schnitt erkannt werden, in welchem die Muskel- schicht in zwei Schichten getrennt erscheint; es tritt aber noch viel klarer hervor, wenn man Schnittreihen vergleicht. An ihrer äußer- sten Grenze ist die Muskelschicht etwas dünner und'endigt mit wenigen Fasern, welche sich’zwischen die Epithelzellen und Blutgefäße verlieren. Nun frage ich: darf jene Strecke des »zelligen Saumes«, wel- cher sich in Fig. 1 zwischen beiden *, oder in Fig. 2 von x nach oben ausdehnt, anders denn als Verdickung des Epithels gedeutet werden? Mir scheint keine andere Deutung zulässig. Dasselbe ist noch bestimmter der Fall für das verdickte Epithel, welches nach innen von der Muskelschicht liegt, wo letztere zwar anfängt, sich von der Innenfläche der Blasenwand zu entfernen, aber noch nicht unterbrochen ist; eine solche Stelle ist auf Fig. 3 dargestellt. Dass die Muskelschicht in die Tiefe rückt, hat seinen Grund darin, dass die abgeplatteten Epithelzellen in höhere Zellformen übergehen, welche sich weiter vermehren und auf einander schichten, indem Blutgefäße zwischen sie eindringen. Heißt aber das nicht eine Ver- dickung des Epithels? “h bs Y r = ee = i 8 ; RK Fig: = eal pe Le r ‘ Geo da = oe > pe 7 : o> FI = er = E a = 2 | ra ; I = % : | ; ug 2 \ A ; \ \ ‘ k \ ‘ | h 1 \ mM. C d F | { Über den epithel. Theil d. sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase d. Hechtes. 559 Nehmen wir nun an, die einfache Verdickung des Epithels sei ein erstes Stadium in der Bildung der Blutdrüsen der Hechtschwimm- blase; es folge darauf die Unterbrechung der Muskelschicht durch die wuchernde Epithelmasse, welche sich dann unter der Muskel- schicht flächenhaft noch weiter ausbreite. Ob die Sache sich wirk- lich so verhält, was kaum bezweifelt werden kann, wird die Onto- genie lehren, wozu mir aber das Material fehlt. Der Grad jener Ausbreitung der Epithelmasse d. h. des zelligen Saumes unter der Muskelschicht, selbst bis über die Grenze der oberflächlichen Epithel- verdickung hinaus, ändert aber an der morphologischen Bedeutung jenes Gebildes überhaupt nichts. Dadurch glaube ich nachgewiesen zu haben, dass der »zellige Saum« der sog. Blutdrüsen in der Schwimmblase des Hechtes wirklich ein mit dem inneren Epithel der Blase zusammenhängendes und von einer Verdickung desselben her- rührendes Gebilde ist. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXII. In allen drei Figuren sind Längsschnitte der Hechtschwimmblase darge- stellt. Auf Fig. 1 (35:1) ist die ganze Wandung der Schwimmblase abgebildet; auf Fig. 2 (280 :1) nur der Epithelkörper mit dem zugehörigen Theil des locke- ren Bindegewebes; auf Fig. 3 (380:1) der Theil des Epithelkörpers, welcher innerhalb der Muskelschicht liegt und die Blasenhöhle abgrenzt. Für alle drei Figuren gültige Bezeichnungen: a äußere fibröse Haut, b lockeres Bindegewebe mit den Gefäßbündeln rm, e Epithelkörper, d Muskelschicht, e einschichtiges Pflasterepithel, v Gefäße in dem Epithelkörper, * und x Stellen, wo die Muskelschicht endet. Die Entwicklung der Feder und ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. Von H. R. Davies. Mit Tafel XXIJI—XXVI. Diese Arbeit hat erstens den Zweck, eine eingehendere und exaktere Darstellung von der Entwicklung der Feder zu geben, als das bis jetzt geschehen ist, zweitens den, erschöpfend darzustellen, welche Beziehungen zwischen der Feder und anderen Horngebilden bestehen und welches Licht daraus auf die Phylogenie dieser Ge- bilde geworfen wird. Diese Arbeit wurde im anatomischen Institut zu Heidelberg unter der Leitung des Herrn Geheimrath Prof. GEGENBAUR ausgefiihrt, und ich ergreife an dieser Stelle gern die Gelegenheit, Herrn Prof. GEGENBAUR meinen tiefsten Dank auszusprechen, für den freund- lichen Rath und die liebenswürdige Unterstützung, die er mir wäh- rend der Dauer der Arbeit angedeihen ließ. Bevor ich meine eigenen Untersuchungen darstelle, gebe ich einen kurzen historischen Überblick über die die Entwicklung der Feder betreffende Litteratur, was um so mehr nöthig ist, als die genauen Beobachtungen früherer Forscher oftmals von den Nachfolgern wider- sprochen oder übersehen wurden. Historischer Überblick. MALPIGHIUS und POUPART scheinen die Ersten gewesen zu sein, welche ihr Augenmerk auf die Entwicklung der Feder gerichtet haben. Ihre Beobachtungen wurden im letzten Decennium des 17. Jahrhunderts veröffentlicht. 4 2 DD u Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 561 MArpigurus! unterscheidet die Integumentbildungen der Vögel in »pili, plumae et pennae«. Die Feder (penna) entwickelt sich, wie er beschreibt, in einer »vagina« oder einem »involucrum« unter der Mitwirkung eines »Folliculus«, welcher die »auctivam materiam pennae« versorgt. Die Theile der Feder treten rings um die tiefere Partie des »Follieulus« auf, in dessen Boden das »vas um- bilieale« miindet. Nachher vertrocknet der »Follieulus« an seinem oberen Ende und lässt eine Reihe von Häuten »membranas, loculos vacuos« hervorgehen. Der »Calamus« besteht aus einer knorpeligen Substanz, »qua exterius pro- babiliter tota astula investitur et in exterioribus partibus laciniata plumulas efformat«. Der Autor scheint geglaubt zu haben, dass die »pili« ihren Ursprung in demselben Balg nehmen, wie die »pennae«, und bloß der zuerst gebildete Theil der letzteren sind. Er sagt: »In tenellis igitur avibus columbis et pullis gallinaceis nuper ortis pili sublutei emergunt quasi a folliculo racematim erumpentes.« — »Erumpent autem evidenter ab apice tubuli, seu vaginae, in quo inchoamentum pennae custoditur.« — »Ulteriori vegetatione, hiante vaginae apice, erumpunt extremitates plumularum cum continuatis pilis.« Zahlreiche Figuren erläutern die verschiedenen Stadien, Poupart’s Beschreibung habe ich nicht gesehen; aber nach dem von Cuvier gegebenen kurzen Auszug zu urtheilen, scheint er nicht so weit gegangen zu sein wie MALPIGHIUS. TIEDEMANN? (1810) nennt wie MAtpıGHIUS die Dunen Haare, welche, wie er sagt, »bündelweise aus der Haut hervorstehen und in einem Säckchen sitzen, welches den Anfang oder die Scheide der Feder zu enthalten scheint. — Wie die Feder nach und nach wächst, fallen die Haare aus«. Zwischen den Haaren und den erst gebildeten Strahlen der Feder beobachtete er keinen Zusammen- hang. Er spricht von der Marrıgurschen »vagina« wie von einer Scheide und von dessen »Folliculus« als von einem »gallertartigen Cylinder«. Der »Bart« der Feder wird rings um den Cylinder herum entwickelt und im Inneren der Scheide, dagegen wird die Spule aus der Scheide selbst gebildet, welche » ver- härtet — und so ein Stück mit dem Schaft bildet, dessen Keim er zuvor ent- hielt«. Das ist unstreitig ein Versehen. TIEDEMANN, offenbar unter dem Einflusse der damaligen Naturphilosophie, vertrat die Annahme einer vegetabilischen Natur der Feder. So sagt er: »Ferner zeigt sich der große Einfluss des Lichts auf die Vögel in der Bildung ihrer Bedeckungen, der Federn, die vegetabilischer Natur sind und aus der Haut hervorwachsen, wie die Pflanzen aus der durch die Sonne beleuchteten Erde. — Endlich zeigt sich die pflanzenartige Natur der Federn auch darin, dass sie wie die meisten Pflanzen eine jährliche Metamorphose durchlaufen, dass sie nämlich jährlich aufkeimen, aufwachsen, verwelken und ausfallen.« MEcKEL3 (1815) beschrieb die Entwicklung der Dunenfeder als ein Strahlen- biischel innerhalb einer hornigen Scheide und wies nach, dass die Bildung der definitiven Feder vor der Vollendung der Dunen beginnt. Wenn die definitive Feder durch die Haut hervorbricht, bildet die Dune ihre Spitze, fällt aber bald ab. 1 Opera posthuma. Londini 1697. 2 TIEDEMANN’s Zoologie. Bd. if. - 3 »Über die Federbildung.« Arch. f. Physiologie von REIL & AUTENRIETH. Bd. XI. 562 H. R. Davies Die Entwicklung der definitiven Feder beginnt mit einem Lymphtropfen, welcher am Boden des Hautkanals (d. h. Federfollikels) abgesondert wird. Um diesen Lymphtropfen bildet sich eine Membran. Das so gebildete »Bläschen « »erhält Polarität« und wächst empor. Die Membran bildet eine »hörnene Scheide«, auf deren Innenfläche eine Schicht von »Kiigelchen« bald gebildet wird. Mittels der »polarischen Strömung« und »galvanisch-lebendiger Thätig- keit« werden diese Kiigelchen in die zur Bildung der verschiedenen Theile der Feder nöthige Lage gebracht. Die »hörnene Scheide« wächst gleich einer Pflanze von ihrem Boden empor, wobei sie die Theile der Feder in der Reihen- folge, wie sie entstanden, mitnimmt. Endlich berstet die »hörnene Scheide« und die Theile der Feder breiten sich aus. Die erste Ablage der Kügelchen bildet das, was MECKEL den »schwarzen Fleck« nennt. Dieser »schwarze Fleck« zieht sich nach oben gegen einen Punkt bin und lässt auf diese Weise ein längliches Gebilde auf einer Seite der »hörnenen Scheide« entstehen, welches er als Spina bezeichnet. Längs den Seiten der Spina erscheinen nun zwei schwarze Längsstreifen, welche spä- ter von zwei »leichten durchscheinenden Linien« überdeckt werden. Diese zwei Linien oder Leisten sind nur an die Ränder der Spina befestigt; aus ihnen entsteht der Schaft, indem sie einwärts wachsen, an Dicke zunehmen, und endlich »einander von beiden Seiten her berühren und so mit dem Schafte eine geschlossene Höhle bilden, welche man bei ausgewachsenen Federn bis an die Spitze hin verfolgen kann. In der Mitte verwachsen nun beide Leisten, jedoch so, dass immer noch die Spur der ehemaligen Trennung als eine Furche auf der unteren Fläche des Schaftes sichtbar bleibt«. Die Spina ist der obere aus- gedehnte Theil des Kiels, an welchem die zwei Leisten des Schaftes befestigt sind. Unten, wo der Kiel »eine geschlossene Höhle« bildet, kann man noch »die spitzen Anfänge der Leisten durch die Substanz des Kiels durchschimmern « sehen. Endlich »die Sulze stirbt allmählich bis zur vorderen Spitze des Kiels ab und bildet durch ein plastisches Phänomen des erlöschenden Lebens die regel- mäßig zellige Gestalt der Seele«. »Ihre Entstehung hat ihren Grund in dem periodischen Typus des Lebens, — die Zellen der Federseele deuten Tages- perioden an.« MEcker’s Beschreibung zeigt einen entschiedenen Fortschritt in Vergleichung zu der seiner Vorgänger; und wenn auch die Art, in welcher er den Ursprung des Federkeims darstellt, etwas sonderbar erscheint, so ist doch seine Beschrei- bung von der Bildung des Schaftes sehr genau. DurrocHer's (1819) Beschreibung scheint der MALPIGHTschen sehr ähnlich zu sein. Er nannte den MarriGHrschen »Folliculus« »un bulbe«, und setzte fest, dass er sei eine »papille de la peau plus ou moins grossie«, und ferner er sei »revétu d’un epiderme, qui se deséche et se détache par le contact de l'air; ce qui produit les calottes, qui le surmontent«. DE BLAINVILLE (1822) versuchte die Ähnlichkeit im Wachsthum der Haare und dem der Federn zu zeigen. Beide, sagt er, enthalten einen »bulbe producteur« und eine »partie produite«. Was ich von den Auffassungen DUTROCHETs und DE BLAINVILLE'S be- richtet habe, stammt von Fr. Cuvier, welcher dieselben klar legte, um sie dann desto besser angreifen zu können. : Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 563 Fr. Cuvier! (1825) ließ die Feder immer in einer »capsule productrice « sich entwickeln, die aus der Spitze einer »papille dermique« »par le fait d’une sorte de creation nouvelle« hervorwächst. Er bestreitet, dass der »bulbe« DUTROCHETs und DE BLAINVILLE’s als eine »papille dermique« angesehen werden könne. Seine »capsule productrice« besteht aus einer »gaine (d. h. Scheide)« und einem System von Hüllen, innerhalb deren die Theile der in Entwicklung begriffenen Feder »se deposent comme dans un moule«. Diese Hüllen sind die »Membrane striée externe«, welche die Scheide auskleidet, die »membrane striee interne«, welche den »bulbe« oder die »partie centrale de la capsule« bedeckt und eine Reihe von »Cloisons transverses«, welche die beiden ersteren verbinden und die »barbes« der in der Entwicklung begriffenen Feder von einander trennen. »Le bulbe,« sagt F. CUVIER, »paroit donner directement naissance 4 toutes les autres parties de ce systeme, comme 4 toutes les parties de la plume«. Er beschreibt die Bildung des Schaftes etwa in der »MECKEL- schen« Art und zeigt, wie »dans les plumes a tige tubuleuse la portion anté- rieure du bulbe est entierement séparée de la postérieure«, indem der vordere Theil in den Schaft eingeschlossen wird. Die Feder wird durch Absonderung und Ablagerung gebildet. Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass die Ansichten DUTROCHET's und DE BLAINVILLE’s über die Beschaffenheit des »bulbe« exakter waren. BURMEISTER?, dessen Werk 1840 erschien, sagt nichts von Nestlingdunen, giebt aber eine gute Beschreibung der Entwicklung der definitiven Feder. Er beschreibt eine junge Feder, welche als ein cylindrisches Gebilde vollkommen in einer Hauttasche liegt und am oberen Ende spitz sei. Dieses Gebilde besteht aus zwei in einander gelegenen »Bälgen« Der äußere ist bloß eine Hülle (Scheide, Vagina, gaine), in der die Feder gebildet wird. Der innere enthält die Matrix, eine gallertartige Flüssigkeit, welche den »Herd« darstellt, in dem der »Bildungsstoff der Feder« aus dem Blute herausgeschafft wird. Der innere entspricht dem MaArPrıGHTschen »Folliculus« und dem DUTROCHET'schen »bulbe«. Zwischen den beiden Bälgen befindet sich eine dünne, feinkörnige Schicht. Sie besteht aus dem Bildungsstoff, der von der Matrix bereitet wird. Die Feder entwickelt sich aus dieser Schicht. Die tieferen Theile des »Federn- stoffs« bestehen bloß aus einer Masse von Körmern oder Kernen, während weiter oben jeder Kern von einer Zellsubstanz umgeben ist. Noch weiter oben zeigt der Federnstoff eine schwache Streifung, deren einzelne Streifen nach oben laufen und gegen die Spitze hin immer deutlicher werden. Wenn die Spitze der jungen Feder aus ihrer Tasche herausgewachsen ist und über die Haut hervorragt, so fällt die Hülle ab und legt die oberen Enden der Streifen bloß, wie »einen Pinsel feiner Strahlen«. Diese Strahlen wachsen, indem sie beständig neue Zellen an ihrem Grunde zusetzen. Bald erscheint einer von ihnen stärker als die anderen, die er auf sich trägt. Dies ist dann der erste Anfang des Schaftes oder Kiels, wie ja BURMEISTER entgegen MECKEL einen Unterschied zwischen diesen beiden Theilen macht. Doch scheint er vom Schaft »als einem Ganzen« noch dieselbe Vorstellung wie MECKEL ge- ! »Observations sur la structure et le développement des plumes.« Mém. du Museum d’Hist. nat. T. XIII. pag. 327—371. 2 „System der Pterylographie« von NırscH, nach dessen Untersuchungen verfasst von HERMANN BURMEISTER. Halle 1840. pag. 6. 564 H. R. Davies habt zu haben. So sagt er: »Der Schaft ist gewissermaßen eine Verlängerung, mit Verdickung verbunden, des oberen Randes der Spule an seiner äußersten Stelle.« Der innere Follikel, welcher die Matrix enthält, besteht aus einer »eigenthümlichen Haut«. - Sobald die Theile der Feder fertig und in die Höhe gewachsen sind, trennen sie sich von dieser »Haut«, der sie bis dahin fest an- lagen. Diese Haut lässt nachher jene trockenen Hautgebilde entstehen, welche über dem oberen Ende der Matrix gefunden werden. NITSCH untersuchte zwar nicht die Entwicklung der Feder; jedoch haben einige seiner Angaben über die Nestlingdunen und ihre Beziehung zu den darauf folgenden definitiven Federn große Bedeutung. Ich führe seine eigenen Worte hier an: »Das Dunenkleid der jungen eben ausgebrüteten Vögel besteht lediglich aus bald abfallenden dunenartigen oder borstenförmigen Fortsätzen, welche auf den Spitzen der zuerst gebildeten Äste einer Kontourfeder oder so- gar einer Dune aufsitzen. Weder Dunen noch Haare sind diese Gebilde. « Weiter sagt er: »Bei Dromaeus ist diese Dune Anfangs eine wahre vollstän- dige Feder, welche auch in demselben Balge steckt, aus dem hernach die Kon- tourfeder hervorwächst.« — »Am Grunde hat jede Dune eine kleine Spule, mit deren nnterem, offenem und zerspaltenem Ende die äußersten Spitzen der nach- folgenden Kontourfedern, sowohl der Schäfte als auch ihrer Äste verwachsen sind.« ’ RECLAM! (1846) versuchte, wie es scheint, zum ersten Male, die Entwick- lung der Dune zu verfolgen. Ihm erschienen sie als kleine Vorragung (» Emi- nentia«) auf der Haut. Sie wachsen in die Höhe und werden nach oben spitz. Im Centrum besitzen sie von kernhaltigen Zellen eine Pulpa, in die am Grunde Blutgefäße eintreten. Wenn die Vorragungen eine bestimmte Länge erreicht haben, werden sie durch die erwähnten Blutgefäße in Längs-»Striae« einge- theilt; dabei entspricht die Zahl der gebildeten »Striae« der Zahl der Strahlen an der zukünftigen Dunenfeder. Das ganze Gebilde liegt in einer »Scheide« von Epidermzellen. Wahrscheinlich meinte RECLAM, dass aus der ganzen Epidermis der »Eminentia« nur die Vagina hervorginge, während an der. Innen- fläche derselben die Theile der Feder entstünden, wo sie ja von der Pulpa ab- geschieden seien. Wenn Alles fertig entwickelt ist, berstet die »Scheide« und die »Plumulae« breiten sich aus. Jede Pluma ist an ihrem Grund in einem Follikel befestigt, welcher eine Einstülpung des allgemeinen Integuments vor- stellt. Die Plumae iiberwachsen die ganze Oberfläche des Körpers, wobei sie zahlreicher als die Pennae sind, die an ihre Stelle treten. Da wo die Pennae entstehen, erscheinen sie am Grunde der Plumae. Der Follikel, welcher die Basis der Pluma enthielt, wird zum Follikel der Penna; aber es entwickelt sich eine neue Pulpa und Vagina. Wenn die Penna herauswächst, treibt sie mit ihrer Spitze die Pluma in die Höhe. Die Angaben von STUDER über die Beziehung der Dune zu der definiti- ven Feder bieten nur eine Wiederholung der RECLAM’schen. In Recram’s Beschreibung der Entwicklung der definitiven Feder findet sich nichts Bemerkenswerthes. Er konstatirt, dass die Pulpa eine durchsich- tige Flüssigkeit, »Cytoplasma«, produeirt. In derselben entstehen durch Ver- diehtung gewisse »Cellularum primitiae«, die er »Corpuscula molecularia« nennt. ! »De Plumarum pennarumque evolutione.« Disquisitio -microscopica. Lipsiae 1846. N Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 565 Diese kleiden den Innenraum der »Vagina« aus und lassen die Kerne hervor- gehen, welche sich in die zur Bildung der verschiedenen Theile der Feder nöthigen Lagen vertheilen. ScHRENK’s! Dissertation »De formatione plumae«, 1847 veröffentlicht, habe ich leider nicht gesehen. Remak2 (1855) war der Erste, der über die Entwicklung der Dunenfedern hinreichend Licht verbreitete. Er beschreibt ein »Federrohr«, dessen Wände mit der Oberhaut zusammenhängen, und eine »Grundmasse«, die Blutgefäße enthält und die von der Unterhaut geliefert wird. Dann legt er Werth auf den Umstand, dass die Feder in den Wänden des Federrohres sich entwickelt, d. h. aus dem Hornblatte. Er beschreibt die Bildung von Längsleisten auf der Innenfläche der Feder- rohrwände, welche in die »Pulpa« vorragen. Damit beginnt ein Process, durch den der innere und dickere Theil dieser Wände sich in eine Anzahl von pa- rallelen Säulen spaltet, das sind die Strahlen der zukünftigen Dunenfeder, wogegen der äußere und dünnere Theil als eine zusammenhängende »Scheide« um das Ganze zurückbleibt. Er behauptet, dass die Funktion der Pulpa nur darin bestehe, Nährstoffe den verschiedenen, sich selbständig im Hornblatt ent- wickelnden Theilen der Feder zuzuführen. Auf die Entwieklung der nachfol- genden Feder geht ReMAK kaum ein; er begnügt sich vielmehr damit, auf eine allgemeine Ähnlichkeit der Feder mit der Dune hinzuweisen. Jedoch was er über die Beziehung der Dunen zu der darauffolgenden definitiven Feder sagt, ist werth, wörtlich angeführt zu werden: »Beiden wird, so lange sie dessen bedürfen, Nahrungsstoff durch eine und dieselbe gefäßhaltige Pulpa zugeführt, welche allmählich von der Spitze des embryonischen Federfähnchens bis zum Kiel der bleibenden Schwungfeder herab sich zurückzieht.« Diese letzte Behauptung scheint von allen späteren Autoren übersehen oder nicht gewürdigt worden zu sein, und in unseren heutigen Lehrbüchern wird auf der Autorität STUDER's (s. unten) irrig behauptet, dass eine neue Papille gebildet werde, aus welcher die definitive Feder hervorgehe. Von der ausgezeichneten Darstellung ReMAK’s wenden wir uns zu der eben so irrigen wie unsinnigen, die ENGEL? (1856) gegeben hat. Seine Zu- sammenfassung ist kurz folgende: »Die Feder wächst daher nicht von ihrer Pulpa aus, nicht dadurch, dass an der untersten Stelle der Pulpa immer neue Zellen entstehen, — — — sondern die an der Spitze befindlichen Knospen ver- gréBern sich fortwährend durch Quertheilung, und immer ist es die Endknospe der Feder, welche zur weiteren Verlängerung wesentlich beiträgt.« HoLLAND* (1864) beschreibt einen Federkeim, der in einem Lymphtropfen entsteht, welcher von den Blutgefäßen in einen kleinen Raum zwischen Cutis und Epidermis getrieben wird. Diese Lymphe versieht sich mit einer membran- artigen Bedeckung, und oberhalb derselben entspringt ein Federbalg. Der 1 »De formatione plumae.« Dissert. Inaug. Mitau 1846. 2 Ros. Remax, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. 1855. 3 Sitzungsberichte der kais. Akad. der Wissenschaften. Math.-naturw. Kl. Bd. XX. 1856. 4 »Pterologische Untersuchungen.« Journal fiir Ornithologie. XII. Jahrg. 1864, 566 H. R. Davies Federkeim wächst aus in den Federbalg, und von hier an ist HoLLAND’s Be- schreibung genau dieselbe wie die BURMEISTER’s, nur dass er BURMEISTER'S »Federnstoff« »Pigmentflüssigkeit« nennt. Seine Beschreibung von der Bildung des Schaftes, die eine Art von Verbesserung der MECKEL’schen Darstellung ist, verdient vielleicht Beachtung. Die »Pigmentflüssigkeit« lässt » Längsstreifen« hervorgehen, welche den »Dornfortsatz der Spule« oder die »Spina calami« bilden und »Querstreifen«, welche deren »Äste« sind. »Der Follieulus« (innerer Balg BURMEISTER's) »liegt auf der Innenseite des Dornfortsatzes von den Quer- streifen und später von der Spule umschlossen und beginnt von seiner Spitze an eine feuchte Masse, das nachherige Mark, auf den Dornfortsatz abzulagern, und zwar in zwei Leisten, an jeder Seite des Dornfortsatzes eine. — Diese Längsleisten nähern sich durch fernere Ablagerung mehr und mehr und stoßen endlich an einander und verwachsen, doch so, dass die Spur ihrer früheren Trennung äußerlich an den Furchen am Schaftbauche sichtbar ist, innerlich an einem gelblichen, vom Grunde der Furche bis zum Dornfortsatz reichenden Häutchen, welches man zwischen den Leisten mitunter bei deren Trennung ge- wahrt. Dasselbe rührt wahrscheinlich von Theilchen des Follieulus her, die mit zwischen getrocknet sind.« Die Fortsetzung der Spulenhöhlung in den Schaft, welche in vielen Schwungfedern deutlich ausgesprochen ist, nennt er »Markkanal« (Canalis me- dullaris) und beschreibt ihre Entwicklung folgendermaßen: »Die Leisten (auf den Seiten des Dornfortsatzes) wachsen zusammen, doch so, dass sie den Rückentheil des Follikels von seinem Bauchtheil ab- und ins Innere hinein- schnüren« (vgl. Cuvier’s Darstellung). HOLLAND scheint zu meinen, dass die Feder auf zwei verschiedenen Wegen gebildet werde; so sagt er: »Der Über- zug des Markes, die äußere Schaftsubstanz, wird nun entweder auch wieder vom Follieulus abgesondert oder sie wird von der flüssigen klebrigen Masse der Pigmentflüssigkeit ähnlich wie die Spule und der Überzug des Fahnentheils gebildet« (d.h. die Pigmentflüssigkeit erstarrt zur Scheide etec.). HoLuANpD’s Darstellung von der Bildung des Schaftes entspricht jener von MECKEL und Cuyipr. Die Ansichten aller drei scheinen mit der Behauptung BURMEISTER’s übereinzustimmen, dass der Schaft ein lang ausgezogener Theil des oberen Spulenrandes ist. Im Jahre 1869 gab STIEDA! eine Wiederholung der REMAR’schen Beschrei- bung, mit der er seine eigenen Beobachtungen über die Puderdunen verglich. Nur auf eine seiner Angaben will ich aufmerksam machen, nämlich folgende: »Die Zellenlagen, die der Papille zunächst liegen, betheiligen sich nicht an der Bildung der »Fäden« (d. h. Theilen der Puderdunen), sondern unterscheiden sich als eine Art Papillenepithel von den anderen Zellen.« Dieses »Papillen- epithel« ist zweifellos dasselbe Gebilde, welches BURMEISTER als die Haut be- schrieb, welche die Wand seines inneren, die Matrix enthaltenden Follikels bil- det, und welches DUTROCHET »epiderme du bulbe«, »ce qui produit les calottes« nannte. Die Entwicklung der definitiven Feder beschreibt STIEDA ganz irrig. Er führt eine »Hauptpapille« und eine »Nebenpapille« an, welche neben einander aus einem »tieferen, gemeinschaftlichen Abschnitt emporwachsen«. Um den beiden Papillen gemeinschaftliehen Abschnitt bildet sich der Kiel der Feder 1 »Bau und Entwicklung der Feder.« Petersburger medieinische Zeitschrift. Bl. RVs 1870: EEE EEE EEE eS N. de u N Eu aS eee eee Die Entwick. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 567 (d. h. die Spule), um die Nebenpapille der Schaft, um den oberen Abschnitt der Hauptpapille die Fahne«. Dies hätte SriepA kaum schreiben können, wenn er die Darstellungen MECKEL's, CuvIER’s oder HOLLAND’s gekannt hätte. Im Jahre 1870 veröffentlichte StIEDA! eine vollständigere Beschreibung des Baues der Puderdunen bei der Rohrdommel. Ich würde darüber nicht be- richten, wenn nicht eine Behauptung KLEE's mir Anlass gäbe, dahin gehend, dass die sogenannten Puderdunen nur definitive Federn in einem frühen Ent- wicklungsstadium seien, und dass der Puder aus der Hornscheide entstehe, wenn letztere in Stücke zerfalle. Es ist fast unmöglich, das von STIEDA beschriebene Gebilde als eine in der Entwicklung begriffene definitive Feder anzusehen. Nur daraus könnte man es folgern, dass nach ihm an der Basis jedes der »Fäden«, in welche sein sogenannter Schaft sich schließlich zertheilt, kleine Zellanhäufungen sich finden, welche eine fettige Degeneration erfahren. Das sind die Zellen, von denen er den Puder ableitet, also vom degenerirten Gewebe der Feder selbst, und nicht von der Hornscheide. GApDow spricht in seiner eben veröffentlichten Beschreibung der Feder in Bronn’s? »Klassen und Ordnungen des Thierreichs« von dem untersten cylin- drischen Theile der Puderdunen wie von einer Spule. Dieser Ausdruck ist dem Worte Schaft vorzuziehen ; aber streng genommen existiren nach den bisherigen Darstellungen weder Schaft noch Spule. Im Jahre 1870 veröffentlichte SAMUEL? eine Reihe von Untersuchungen über die Regeneration der Feder, auf die wir später zurückkommen werden. Seine kurze Beschreibung der Entwicklung ist, wo sie Neues bieten will, sehr unrichtig. PERNITZA# (1871) vervollständigte, wie er selbst sagt, REMAR’s Darstellung durch Beschreibung desmikroskopischen Baues verschiedener Theile. Er giebt Zeich- nungen von Schnitten durch künstlich gehärtetes Gewebe. Den dickeren, inneren Theil der Wände des REmAR’schen Federrohrs nennt er die Keimschicht und zeigt, wie dieselbe mit der MALPIGHTschen Schicht der Epidermis zusammenhängt. Da- gegen steht der äußere dünnere Theil, welcher die Hülle bildet, mit den zuerst entstandenen hornigen Schichten in Zusammenhang. PERNITZA giebt uns die erste annähernd genaue Vorstellung darüber, wie die Nebenstrahlen entstehen. Sie werden, sagt er, von den Grenzzellen der leistenartigen Erhebungen ge- bildet, in welche die Keimschicht sich zertheilt, während die Centralzellen zurückbleiben, um die Strahlen zu bilden. Nach PERNITZA entstehen die Leisten nicht durch Entwicklung »leistenförmiger Vorsprünge«, wie REMAK meinte, sondern durch Entwicklung von »Längseinkerbungen«. PERNITZA verfolgte das Schicksal der Papille oder der Pulpa nicht weiter; er sagt: »Ist einmal das Feder- chen fertig, so werden Papille und Epithelialhülle überflüssig, sie verschwinden beide «. 1873 veröffentlichte SrupER® eine Arbeit über die Entwicklung der Feder. ! »Über den Bau der Puderdunen der Rohrdommel.« Archiv f. Anat. und Physiol. 1870. 2 Bd. VI. Abtheilung IV. Vögel. 23. u. 24. Lieferung. 3 »Uber Regeneration«. VircHow’s Arch. f. pathol. Anat. Bd. L. 1870. 4»Bau und Entwicklung des Erstlingsgefieders, beobachtet am Hühn- ehen.« Sitzungsberichte der Wiener Akad. 1871. 5 »Die Entwicklung der Feder.« Inaug.-Diss. Bern 1873. 568 =: H. R. Davies Die Wände der Dunenpapille, sagt er, sind Anfangs nicht dicker, als die Epi- dermis der übrigen Haut. Sobald aber die Papille in die Höhe wächst, er- scheint zwischen den Cylinderzellen der MALPIGHI' schen Schicht und den flachen, zuerst entstandenen Hornzellen, eine Schicht runder Zellen, welche von den ersteren herstammen. Diese runden Zellen vermehren sich rasch längs gewisser Linien, stülpen die Cylinderzellen einwärts in die Pulpa und erzeugen auf den inneren Wänden der Papille eine Reihe von Längsfalten. Dieser Vorgang be- ginnt am Scheitel, und die Falten setzen sich allmählich nach unten fort. Der nächste Fortschritt besteht darin, dass die Cylinderzellen allmählich sich nach dem peripheren Ende jeder Falte verbreiten, und zwar zwischen den kugeligen Zellen, welche den Körper der Falte bilden und der äußeren Hornschicht, welche die »Hornscheide« hervorgehen lässt. Dadurch wird jede Leiste kuge- liger Zellen vollständig in einen Cylinder von Cylinderzellen eingeschlossen. Wenn die Pulpa atrophirt, verhornen die Cylinderzellen und bilden die »Rin- densubstanz« jedes Strahles, während die kugeligen Zellen die »Marksubstanz« bilden. Jedoch findet die Verhornung der Wände am Grunde der Papille statt, ehe die Faltenbildung so weit vorgeschritten ist; so ist hier eine cylindrische hornige Spule gebildet im Zusammenhang mit den Strahlen der Dune. Auf die StrupEr’sche Beschreibung der Faltenbildung und des Theiles, welcher von den Cylinderzellen eingenommen wird, werden wir spiiter einzugehen haben. Seine Darstellung von der Entwicklung der definitiven Feder zeigt einen entschiedenen Fortschritt gegen jede friihere Beschreibung, obgleich er die Bil- dung des Schaftes nicht beriicksichtigt. Der Follikel der embryonalen Dune vertieft sich betriichtlich, und eine neue Papille entsteht an seinem Grunde, wächst empor und treibt mit ihrer Spitze die Spule der Düne in die Höhe. Die Wände dieser neuen Papille bestehen aus einer äußeren Schicht von platten Hornzellen, einer mittleren, dieken Schicht von kugeligen Zellen und einer in- neren von Cylinderzellen. Zwischen den Cylinderzellen und der centralen Pulpa findet er eine strukturlose Membran, welche nach seiner Meinung derjenigen entspricht, welche BIESIADECKI als konstantes Gebilde zwischen der MALPIGHI- schen Schicht und der Cutis beschrieben hat. In seiner späteren Arbeit er- kannte STUDER Zellen in dieser Membran. Die Falten entstehen eben so wie bei der Dune, jedoch wird bald eine viel größer als die übrigen. Diese ist die in. der Entwicklung begriffene Rhachis. In den Falten der definitiven Feder schwindet die centrale Achse der runden Zellen und wird zu einer kleinen Masse, welche im innersten Rande (d. h. gegen die Pulpa zu) der Falte liegt. Wenige Cylinderzellen: genügen, diese Masse zu umgeben und bilden die Rin- densubstanz, während die übrigen die sekundären Strahlen oder Nebenstrahlen bilden. 1876 gab KERBERT! eine Beschreibung von der Pinguinfeder, welche nach ihm ein Verbindungsglied zwischen der Feder und der Schuppe darstellen soll. Nach KERBERT unterscheidet sich diese Feder von anderen durch das Fehlen eines wahren Schaftes; der scheinbare Schaft, welcher kurz und breit ist, soll bloß aus verschmolzenen Strahlen zusammengesetzt sein. Jedoch liegt die hauptsächliche Eigenthümlichkeit dieser Feder darin, dass die Pulpa niemals gänzlich atrophirt, sondern inmitten des basalen Theils der Spule zeitlebens zurückbleibt. Weiter beschrieb er, -dass, sobald die Pulpa abstirbt, aus den ! »Über die Haut der Reptilien und anderer Wirbelthiere.« Arch. f. mikr. Anat. Bd. XIII. 1876. a > Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 569 Epidermiszellen ihrer’oberen Wand eine Reihe von queren, hornigen Scheidewänden hervorgehe, welche die Höhlung der Spule in eine Reihe von Kammern theilen. 1878 beschrieb auch STUDER! die ern, Tau der Pinguinfedern. KER- BERT’s Befund, dass die Pulpa nicht vollkommen atrophirt, glaubte er durch den Umstand zu widerlegen, dass die Pinguine wie andere Vögel sich mausern. Er zeigte, dass der Schaft eben so wie bei anderen Vögeln entwickelt wird, und dass er demnach nicht aus verschmolzenen Strahlen zusammengesetzt sei. Er widersprach auch der KERBErRT'schen Beschreibung der queren hornigen Scheidewände in der Spule. Er selbst beschreibt letzteren Vorgang so, dass nach Resorption der Pulpa die obersten Schichten des Gewebes vertrocknen, von Zeit zu Zeit abgesondert werden, und auf diese Weise eine Reihe von über einander gelagerten Kappen hervorbringen; dieselben liegen jedoch frei innerhalb der Höhlung der Spule und sind in keiner Verbindung mit ihren Wänden. Wir werden später Gründe erfahren, die vermuthen lassen, dass beide Beobachter theilweise Recht, theilweise Unrecht hatten. STUDER sagt ferner, dass schließlich die Pulpa vollkommen atrophire und die Feder ausfalle. Er beschreibt auch die Entwicklung einer Pinseldune bei dem Pinguin; diese Beschreibung stimmt in allen wichtigen Punkten mit seiner früheren Beschreibung dieser Gebilde bei dem Hühnchen und der Taube überein. 1884 gab Lworr? eine sehr unvollständige Beschreibung der Entwicklung der definitiven Feder. Nur auf einen Punkt darin will ich eingehen, nämlich auf folgenden: Das Gewebe, welches die »Seele« bildet, wurde herausgekratzt; dann zeigte sich unter dem Mikroskop, dass es zum größten Theil aus elasti- schen Fasern bestehe, unter welchen verästelte Bindegewebs- und Hornzellen liegen. Daraus wird geschlossen, dass die Seele die ausgetrocknete Pulpa vorstelle! Da ich auf die Arbeit Krar's3 (1886) später öfters verweisen muss, will ich hier bloß die Punkte erwähnen, in denen.er von den früheren Beobach- tern abweicht. Wie KERBERT beschreibt er die erst gebildete hornige Schicht des Embryo als die »Epitrichialschicht«. Die hornige Scheide der embryonalen Dune, sagt er, wird von dieser Schicht gebildet. Die Richtigkeit der Sruper'schen Dar- stellung der Faltenbildung durch eine Vermehrung von Epidermzellen stellt er in Abrede und giebt an, dass am Scheitel der Papille, wo die Epidermzellen aufgehört haben irgend welche Thitigkeit auszuüben, die nun passiven Wände gespalten werden, anscheinend durch Zellkeile der Cutis. Die so gebildeten Spalten breiten sich allmählich nach unten aus und theilen auf diese Weise die Wände der Papille in eine Anzahl von parallelen Längsleisten. Die Be- schreibung des Ursprungs der sekundären Strahlen .und der Horn- und Mark- zellen der primären Strahlen ist ähnlich der Sruper's und wird später noch erörtert werden. 1 „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Feder.« Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie. Bd. XXX. 1878. 2 „Beiträge zur Histologie des Haares, der Borste, des Stachels und der Feder.« Bull. de la soc. imp. des natural. de Moscou. 1884. 3 Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. LIX. Halle 1886. 570 H. R. Davies KLEE zeigt, wie, anstatt einer neuen Papille, welche aus dem Grunde des Dunenfollikels hervorgeht, — so beschrieb es STUDER — die Dunenpapille selbst tiefer in die Haut wächst, um die definitive Feder zu bilden. Somit haben, wie REMAK feststellte, die Dune und die nachfolgende definitive Feder »eine und dieselbe gefäßhaltige Pulpa«. Die Spaltung der Papillenwände, welche die Strahlen bilden soll, erfährt eine Unterbrechung in der Gegend der Spule, aber geht sofort weiter unterhalb dieser Gegend, um die Rami (Äste) der defi- nitiven Feder zu bilden. Dies erklärt, warum die obersten und zuerst ent- standenen Aste im Zusammenhang mit dem Grunde der Dunenspule gefunden werden. Der Schaft, weleher Anfangs von den Ästen (Rami) nicht zu unterscheiden ist, wird immer dieker in dem Maße, als diese Äste sich mit ihm verbinden; um dieselbe Zeit bekommt er eine »Ausbuchtung« auf der ventralen Fläche. Darauf sehen wir, dass »auf dem Grunde der Hohlrinne eine feine Spalte sich hinzieht, die bis zum Centrum des Schaftes führt und sich dort zu einer kleinen Röhre erweitert«. — »Gewebstheile der Cutis drängen sich leistenförmig in den Spalt hinein.« — »Nahe der Spule erweitert sich diese Röhre so bedeutend, dass an der Übergangsstelle die Cutispapille ganz in dieselbe hineintritt und auf diese Weise in die Spule gelangt.« Diese Darstellung KLeE’s würde vielleicht den Bau des vollendeten Schaftes erklären; aber, wie wir später sehen werden, geht in der That die Entwicklung des Schaftes in den von MECKEL, CUVIER und HOLLAND angedeuteten Grenzen vor sich. Nach KLEE stirbt der obere Theil der Pulpa in der Gegend des Schaftes ab. »In diesem todten Zustand stellt er sich als ein Strang von röth- licher Farbe dar, der, wie aus der Natur des zum Aufbau verwandten Binde- gewebes hervorgeht, sehr leicht zerreißbar ist. Am freilebenden Vogel wird in Folge dessen dieser obere Theil sehr bald verloren gehen.« Somit scheint KLEE die Bildung der häutigen Fachräume MALPIGHTs, die »Calottes« DUTROCHET's, nicht beobachtet zu haben. Jedoch innerhalb der Spule beschreibt er »einen Verhornungsprocess« der äußersten Cutisschicht, welche »eine ziemlich homogene Lage bildet«. Da KLEE oft beobachtet hat, dass die Spulen der alten Federn fest mit den Spitzen der neuen Federn ver- wachsen, sagt er: »Die Einheit der Papille ließ sich für den ersten Federwechsel ganz unzweideutig nachweisen, für die spätere Mauser mit größter Wahrschein- lichkeit annehmen.« STUDER und KLEE nehmen also, eben so wie anscheinend REMAK und PERNITZA an, dass die ganze Epidermis einschließlich der Schleimschicht zu Theilen der Feder verhorne. STIEDA andererseits behauptet, dass die innerste Zellenlage der Epidermis ein Papillenepithel bilde. DUTROCHET sprach von einer »Epiderme«, welche den »Bulbe« überdeckte, nachdem sämmtliche Theile der Feder gebildet waren. KERBERT spricht gleichfalls von der Epidermis, welche die Pulpa überdeckt und die Seele hervorgehen lässt; BURMEISTER end- lich beschreibt eine »Haut« zwischen Matrix und Pulpa. Ich hoffe nachweisen zu können, dass das, was STUDER und KLEE nur für eine Grenzschicht der Cutis hielten, in Wirklichkeit epidermaler Natur ist. Ich darf diesen Überblick nicht abschließen, ohne zu erwähnen, dass die Kontinuität der Pulpa in den nachfolgenden Federn von JEFFRIES! beobachtet 1»The Epidermal System of Birds.« Proc. Boston Society Nat. Hist. Volo Xo, 24883. > Part Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 571 zu sein scheint, wenn er auch anscheinend diesem Befunde keine Bedeutung zuschrieb. So sagt er: »as a feather on an adult bird is a successor or conti- nuation of the down feather, the two may be regarded as representing the em- bryology and development of the feather«, und dann »the first step towards the formation of a new feather is the growth of the old papilla, which, after the perfection of the previous feather shrinks to a small mass at the base of the feather«. JEFFRIES, dessen Arbeit im Übrigen oberflächlich ist, giebt eine kurze, aber schöne und genaue Beschreibung der Entwicklung des Schaftes. Da er aber den sich entwickelnden Schaft in Schnitten beobachtet, so spricht er doch von den » Längsleisten« MECKEL’s und HOLLAND’s wie von Falten, welche von den Seiten des Schaftes herumwachsen »and finally meeting complete the wall of the shaft on the inner side«. Um auf die Bedeutung der von STUDER und KLEE vertretenen Ansicht hinzuweisen, nämlich dass die MALPIGHT'sche Schicht eine Verhornung erfährt, führe ich folgende Bemerkung JEFFRIES’ an, ‘welcher selbst sich zu dieser Ansicht bekennt: »The under surface of the vane and shaft is the inner surface of the epiderm, which in all other cases in the vertebrates is in connection with the cutis vera«. Ich hoffe diese Ansicht als irrig zeigen zu können. Nach Abschluss des obigen Überblickes kam mir eine kurze Notiz des Herrn Dr. R. ZANDER! »Über das Gefieder des afrikanischen Straußes« zur Kenntnis. ZANDER beobachtete einen Strauß während der Mauser, aber die verschiedenen Entwicklungsstadien, welche er beschreibt, sind genau das, was man auch bei einer Taube oder einem Huhn während der Mauserzeit finden kann und in keiner Weise dem Strauß eigenthümlich, wie er anzunehmen scheint. Ferner sagt er, dass während bei den Carinaten die Federseele sich von der Spule aufwärts in den Schaft fortsetzt, und nur einen kleinen Fortsatz nach außen durch den sogenannten oberen Nabel entsendet, sie bei dem Strauß überhaupt nicht in den Schaft übergehe, sondern ganz an seiner Unterseite liege, wie sie auch bei diesem Vogel den Schaft an Dicke übertreffe. Dieser Unterscheidung zwischen den Federn dieser beiden Gruppen muss ich widersprechen. Bei allen in Entwicklung begriffenen Federn liegt die Seele zuerst an der Unterseite des Schaftes, und ob sie diesen letzteren an Dicke übertrifft oder nicht, hängt nur von dem Stadium ab, bis zu welchem die Ent- wicklung der Feder fortgeschritten ist. Wie ein Theil der Pulpa in die un- teren Theile des Schaftes eingeschlossen wird, und wie die Bildung der Feder- seele innerhalb des Schaftes später vor sich geht, das wird im Verlauf dieser Arbeit beschrieben. Aber bei vielen Federn der Carinaten ist der Schaft fast bis dahin solid, wo die Spule beginnt und der obere Theil der Federseele liegt auf der Unterseite des Schaftes bis sie abfällt. ZAnDER's Beobachtungen scheinen mir also vielmehr zu zeigen, dass es in der Entwicklungsweise der Federn der Ratiten und Carinaten keinen fundamentalen Unterschied giebt. Untersuchung. 1. Die Entwicklung der Erstlingsdune. In der bis dahin halb durchsichtigen Haut des in Entwicklung begriffenen Taubenembryo zeigen sich am fünften Tage runde weiße 1 Separatabdruck a. d. Schriften der physik.-Gkonom. Gesellschaft zu Königs- berg i. Pr. XXIX. Jahrg. 1888. Morpholog. Jahrbuch. 15. 31 572 H. R. Davies Flecke. Diese Flecke sind die ersten Anzeichen der zukünftigen Nestling- Dunen. Die Reihenfolge ihres Auftretens und ihre Ver- theilung über die Hautoberfläche sollen später beschrieben werden. Zur Zeit des Auftretens dieser Flecke besteht die Epidermis aus zwei Schichten: einer oberen, dünnen von etwas abgeplatteten Zel- len, der sogenannten »Epitrichialschicht« und einer unteren dicke- ren von mehr cylindrischen Zellen, der sogenannten Schleimschicht. Im Durchschnitt der Haut erblickt man zu dieser Zeit zuerst einige Gruppen von Dermazellen, die in regelmäßigen Abständen von ein- ander dicht unterhalb der Epidermis liegen. Über jeder dieser Zell- gruppen zeigt die Epidermis eine deutliche Verdickung, an deren Bildung beide Schichten sich betheiligen. Die Verdickung in der Schleimschicht tritt auf in Folge einer seitlichen oder vielmehr hori- zontalen Zellvermehrung; jedoch verbreitert sich dabei die Fläche nicht entsprechend, innerhalb deren die Zellvermehrung stattfindet. Desshalb werden die Zellen auf dieser Fläche dicht an einander ge- presst, und dadurch schmäler aber höher. Eine andere Folge dieser Zellvermehrung ist eine etwas unregelmäßige Anordnung der Zellen, indem die einen ein wenig über, die anderen ein wenig unter das frühere Niveau getrieben werden; sogar die ganze untere Fläche der Schleimschiebt kann leichte Falten bilden, welche nach unten gegen die Zellen des Derma vorspringen. Auch sind wenige zer- streute intermediäre Zellen zwischen der urspünglichen Schleim- schicht und der »Epitrichialschicht« aufgetreten. Die Verdiekung in der »Epitrichialschicht« rührt daher, dass ihre Zellen sich in dieser Region vermehren und kubischer werden als auf der übrigen Haut- oberfläche (s. Fig. 1). Diese Verdickungen der Epidermis und des Derma bilden die oben erwähnten Flecke!. Man könnte meinen, dass das nächstfolgende Stadium der Ent- 1 KLEE sagt: »Gegen Ende des fünften Tages beginnt jener Wucherungs- process, der unter den bedeckenden Plattenzellen — dem Epitrichium — die Lage der Epidermis immer mehr verdickt, bis sie wie ein zu weit gewordener Mantel zur Faltenbildung neigt, als deren Produkt wir die Entwicklung der Feder anzusehen haben.« Ich konnte in diesem Stadium keine solch allge- meine Neigung der Epidermis zur Faltenbildung bemerken. Die Verdickungen werden auf bestimmten kleinen Flächen gebildet, und jede von ihnen lässt eine Federpapille in der unten beschriebenen Weise entstehen. Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hier bemerken, dass ich immer in dieser Beschreibung die centrale Dermamasse der Federpapille Pulpa nenne; den Ausdruck Papille habe ich nur in Bezug auf das ganze Gebilde ge- braucht, mit anderen Worten gleichbedeutend. mit dem Wort Federkeim. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 573 wieklung durch einen nach oben gerichteten Druck des Derma ver- anlasst sei. Jedenfalls, sei es vom Druck beeinflusst oder nicht, wölbt sich der verdickte Theil der Epidermis nach außen und die dabei entstandene Vertiefung wird von rasch sich vermehrenden Dermazellen ausgefüllt. So entsteht die sogenannte Papille oder der Federkeim als eine winzige, runde Warze auf der Hautoberfläche. Die vordere Wand dieser Warze wächst jetzt rasch, bis die ganze Warze so zu sagen rückwärts geneigt ist und der Punkt, welcher zuerst den Scheitel bildete, jetzt rückwärts und etwas nach oben gerichtet ist. Zu derselben Zeit beginnen die Schleimschicht- zellen besonders in der Gegend des Scheitels neue Schichten von Zellen zu bilden, welche auf diese Weise die Epidermis der Papille verdicken (siehe Fig. 2). Sobald die Krümmung ihren Höhepunkt er- erreicht hat, tritt ein schnelles und gleichmäßiges Wachsthum an allen Seiten der Papillenwände auf, wodurch unsere rückwärts um- gebogene Warze in ein langes cylindrisches Gebilde (siehe Fig. 3) umgewandelt wird. Hand in Hand mit der Vermehrung der Epidermiszellen, welche das oben beschriebene Wachsthum verursacht, geht eine Vermehrung der Dermazellen, die den Innenraum der Papille einnehmen, so dass dieser während der ersten Entwicklungsstadien von einer dicken Masse eng an einander geschobener Zellen ausgefüllt wird. In dieser Masse, der sogenannten Pulpa, verlaufen die Blutgefäße. Das Wachsthum des Federkeimes, so weit es von der Zellvermehrung bedingt wird, scheint vollständig an oder nahe an seinem Grunde stattzufinden. Über der ganzen Hautoberfläche bildet die Schleimschicht noch eine einzige Zelllage, abgesehen davon, dass einige zerstreute Intermediärzellen zwischen dieser Schicht und der Epitrichialschicht aufgetreten sind. Eine kleine Strecke weit vom Grunde ist die Schleimschicht des im Wachsthum begriffenen Federkeimes unbedeutend dicker als die der Haut, jedoch nehmen die Intermediärzellen allmählich an Zahl zu, bis sie im obersten Teil dieser Gegend schließlich zwei Schichten herstellen !. \ Wir müssen von nun an zwischen der tiefsten Schicht der Schleim- schichtzellen, der sogenannten »Cylinderzellen«-Schicht, und den Schichten. der »Intermediärzellen« oder, wie SruDER und KLEE sie ! Die hier entstandenen Intermediärzellen bilden eine zusammenhängende Schicht um den Federkeim herum unmittelbar innerhalb der Epitrichialschicht. Sie ' nehmen fast ‘gleich von Anfang an eine etwas abgeplattete Gestalt an, welche sie leicht von den später nach innen von ihnen ‚gebildeten unterscheidet. Diese abgeplatteten Zellen- bilden die zukünftige Federscheide. - or% ol 574 H. R. Davies nannten, »Rundzellen«, unterscheiden, welche zwischen der erst- genannten Schicht und der Epitrichialschicht liegen. Während der Entwicklung der Feder nehmen, wie wir sehen werden, die Zellen der untersten Schicht selten eine cylindrische Gestalt, dagegen oft eine dieser entgegengesetzte an; jedoch ist es schieklich, den gewöhnlich auf sie angewandten Ausdruck zu gebrauchen. Sogar in der Haut des Taubenembryo können diese Zellen kaum eylinder- förmig genannt werden. An dem obersten Theil der oben erwähnten dünnwandigen Portion der Federkeimwände begegnen wir einer ungeheuer raschen Pro- duktion von Intermediärzellen, bis die Federkeimwände fast auf ein- mal ihre volle Dicke erreichen. Aber das findet nicht gleichmäßig im ganzen Umkreis des Federkeimes statt, sondern so, dass eine An- zahl Verdiekungen auf der Innenfläche dieser Wände, mit einer ent- sprechenden Zahl von Höhlungen zwischen ihnen, gebildet werden. Eine Vermehrung der Cylinderzellen innerhalb ihrer eigenen Lage findet auch statt, so dass diese Lage sich aufwärts auf der Innen- fläche dieser Verdickungen fortsetzt. Dieser Process beginnt zur Zeit, da die rückwärts gebogene Warze zuerst eine cylindrische Gestalt annimmt, oder mit anderen Worten, wenn nur die äußerste Spitze des Federkeims gebildet ist ; und da jeder Abschnitt des Federkeims, sobald als er gebildet ist, durch die ununterbrochene Erzeugung neuer Abschnitte unter ihm in die Höhe getrieben wird, so ist es leicht zu verstehen, wie diese Verdickungen Serien von parallelen Längsleisten bilden, welche längs der Innenwände des Federkeimes verlaufen und durch eben so viele parallele Längsfurchen von einander getrennt sind. 1 STUDER sagt, dass zuerst die Epidermis der Federpapille nicht dicker sei als die der Haut. Er giebt sehr schöne Zeichnungen von der Pinguindunenpapille in dem Stadium, wo sie eine bedeutende Länge erreicht hat und stellt ihre Wände als eine einzige Lage von cylinderförmigen Schleimschichtzellen, um- geben von abgeplatteten Hornzellen dar. Vom Hühnchen sagt er: »Die Pa- pillen zeigen am achten Tage an ihrem Ende eine Anzahl runder Zellen zwi- schen der Cylinderzellenlage und der Hornhaut«. Und darauf: »Dass die stark sich vermehrenden runden Epidermiszellen die Cylinderzellenschicht in Falten in die Cutispulpa sich eindrücken lassen, und zwar beginnt diese Faltenbildung an der Spitze und lässt die Falten nach unten allmählich verstreichen. Meine Beobach- tungen zeigen andererseits, dass die Epidermis der Papille von Anfang an dicker ist als die der Haut, dass die Falten oder Leisten mit der Papille wachsen und dass die Intermediärzellen, welche die Masse dieser Falten oder Leisten bilden, vollständig von Zellvermehrung der Cylinderzellenlage herstammen. Meine Be- obachtungen widersprechen gleichfalls KLEE’s Beschreibung der Spaltenbildung. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 575 Das Pulpagewebe nimmt die Furchen eben so wie die centrale .Höhlung des Federkeimes ein. Wenn wir Fig. 3 betrachten, so be- obachten wir, dass die Pulpahöhlung aus einer stärkeren basalen Portion besteht, da wo die Federkeimwände dünn sind, und einer dünneren oberen Portion da, wo die Federkeimwände ihre volle Dicke erreicht haben. Diejenigen Cylinderzellen, welche die starke basale Portion begrenzen und theilweise überdecken, sind es, welche den Federkeim produciren. Das Wachsthum der Epitrichialschicht aber findet durch eine unabhängige Vermehrung der Epitrichial- zellen innerhalb ihrer eigenen Lage statt. Die Art und Weise, auf welche die Längsleisten der Federkeim- wände entstehen, wird in Fig. 4 zur Genüge erläutert. Diese Figur stellt einen Querschnitt in der Linie AB der Fig. 3 dar und zeigt in schiefen Schnitten durch die Federkeimwälle einige dieser Ver- diekungen in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. Nach außen sehen wir die Epitrichialschicht, darauf eine Lage von Intermediär- zellen, gegen zwei Reihen hoch, welche ununterbrochen um den Feder- keim herum sich erstrecken und welche, wie erwähnt, ihren Ursprung in einer Gegend nehmen, wo die Bildung der Verdickungen oder Leisten noch nicht begonnen hat. Darauf kommen wir zu den Längsleisten selbst, welche größtentheils aus Intermediärzellen bestehen, aber nach innen von Cylinderzellen begrenzt sind, die eine ununterbrochene Lage über den Leisten und Gruben bilden. Im Centrum schließlich finden wir die Pulpa. Zuerst reichen die Gruben nicht vollkommen bis zu den äußersten zuerst gebildeten Lagen von Intermediärzellen (d. h. diejenigen, welche die Federscheide entstehen lassen) ; aber ver- folgen wir eine Serie von Querschnitten nach oben, so finden wir, dass die Cylinderzellen eine seitliche Vermehrung erfahren und sich allmählich weiter nach außen zwischen die Leisten erstrecken, bis alle sekundär gebildeten Intermediärzellen in die eine oder andere Leiste geschoben werden und die Cylinderzellen für die Zukunft mit der äußersten zuerst gebildeten Schicht in Berührung kommen. Also beruht die Bildung der Längsleisten auf zwei Processen: erstens auf einer rascheren Erzeugung der Intermediärzellen in einigen Theilen der Cylinderzellenlage und zweitens auf einer später ein- tretenden, nach außen gerichteten Ausbreitung der Cylinderzellenlage Einige Schnitte in der Nähe des Grundes durch die im Wachsthum begriffenen Dunenpapillen beim Hühnchen oder der Taube zeigen in einer unverkennbaren Weise die Bildung dieser Leisten. 576 H. R. Davies zwischen den Intermediärzellen in denjenigen Theilen, wo die Er- zeugung der letzteren weniger schneil stattgefunden hat’. Der Federkeim wird so vom Grunde aus aufgebaut, bis er nahezu seine volle Länge erreicht hat, jedoch trägt, wie wir später sehen werden, zu diesem Längenwachsthum wesentlich noch ein anderer Process bei, der schon in den obersten Theilen der Papille vor sich geht. Nun äußert sich die Thätigkeit der in Vermehrung begriffenen Schleimschichtzellen am Grunde des Federkeimes in einer neuen Richtung. Bis jetzt war die Folge der Vermehrung dieser Zellen ein Aufwärtswachsen des Federkeimes über die Hautoberfläche; von nun an zeigt sich die Folge ihrer Vermehrung in dem nach unten gerichteten Wachsthum des Federkeimgrundes in die tieferen Schichten des Derma. Man mag in gewissem Sinne berechtigt sein, von diesem Ein- wachsen als von einer Einstülpung der Schleimschicht zu reden; Jedoch muss man sich dabei stets vergegenwärtigen, dass die Epitri- chialschicht und die äußersten Lagen der Epidermis von der Haut- oberfläche unmittelbar nach oben in die äußere Oberfläche des Feder- keimes ‚übergehen, und nicht an dem Einwachsen Theil nehmen. Somit wird hier keine Federtasche gebildet, wie es einige frühere Beobachter beschrieben haben, wenn man nicht die leichte Vertiefung hinter dem Federkeime (siehe Fig. 6) so nennen will?. Untersuchen wir einen Längsschnitt durch dieses Stadium, wenn das Einwachsen die in Fig. 6 dargestellte Tiefe erreicht hat, so finden wir, dass die durch das Einwachsen entstandene Streeke durch zwei Zelllagen sich abgrenzt, die basal in einander übergehen. Die eine Lage, welche an der äußeren Seite der Einwucherung liegt, ! Es ist wichtig, diese beiden Processe aus einander zu halten, weil bei dem Hühnchen der zweite Process eine bedeutend wichtigere Rolle spielt als bei der Taube, und weil in der Entwicklung der definitiven Feder, wie wir später sehen werden, der zweite Process fast vollkommen den ersten verdrängt. In dem Dunenfederkeim des Hühnchens erreichen die epidermalen Wände eine beträchtliche Dicke, ehe der Process der Leistenbildung begonnen hat. Jedoch wenn er beginnt, geht er in derselben Weise vor sich, wie bei der Taube, abgesehen davon, dass hier weniger Intermediärzellen noch erzeugt werden müssen und dass der Raum, durch welchen die Cylinderzellenlage sich ausbreiten muss, zwischen den bereits gebildeten Intermediärzellen größer ist (s. Fig: 5). 2 STUDER sagt, dass der Grund der Dune sich allmählich in die Haut ein- senkt und so eine Federtasche bildet. KLEE scheint keine Längsschnitte ge- macht zu haben und erwähnt die Federtasche gar nicht. Weder beim Hühn- chen noch bei der Taube konnte ich solche Federtaschen finden, wie sie von STUDER beschrieben und abgebildet wurden. ee ee Fi ee ne Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 577 besteht zum größten Theil aus einer einzigen Reihe von Zellen und hängt mit der Schleimschicht der Haut zusammen. Dieses ist die Schleimschichtlage des zukünftigen Federfollikels. Die andere Zellen- lage, welche auf der Innenseite der Einwachsung liegt, besteht von Anfang an aus mehr als einer Zellreihe. Diese Lage hängt mit der Schleimschicht des Federkeimes zusammen. Zwischen der äußeren und inneren Lage erscheint in geringer Entfernung von der Umschlag- stelle jener Lagen eine dritte Zelllage, welche Anfangs eine einfache Reihe von etwas abgeplatteten und ausgezogenen Zellen erkennen lässt; weiter nach oben aber besteht sie aus einigen Reihen und geht schließlich in die äußeren Lagen der Epidermis über, wo die lezteren sich von der Haut auf den Federkeim erstrecken. Die Zellen, welche diese Lage bilden, scheinen Anfangs von der im Wachsthume begriffenen basalen Umschlagstelle herzustammen; zu beiden Seiten dieser erstentstandenen Zellen gesellen sich später andere von der inneren und äußeren Schleimschichtlage der Einwucherung. Die Zellen dieser Centrallage besitzen bald das Aussehen von Hornzellen. In einer »Vorläufigen Mittheilung«’ sprach ich von dieser Schicht als von einer »einheitlichen kontinuirlichen Schicht verhornter Zellen«, um damit darauf aufmerksam zu machen, dass zu dieser Zeit noch _ keine Andeutung von der Höhlung des zukünftigen Federfollikels vor- handen sei, obgleich bereits die Wände derselben gebildet sind. Die Form der Pulpahöhlung und der Federkeimwände ist im Allgemeinen dieselbe wie vorher, der Federkeim wird noch durch diejenigen Cylinderzellen produeirt, welche die stärkere untere Por- tion jener Höhlung begrenzen. Dieser Theil liegt aber jetzt unter der Hautoberfläche und kommt mit dem Fortschreiten des Wachs- thums noch tiefer zu liegen. Die longitudinalen Verdiekungen oder Längsleisten der Federkeimwände nehmen allmählich an Größe ab, in dem Maße, als sie sich unter das Niveau der Haut erstrecken. Unterdessen haben weitere Veränderungen in der Epidermis und der Pulpa der oberen Theile des Federkeimes stattgefunden. In einem rasch wachsenden jungen Federkeim auf dem Stadium, welches Fig. 3 darstellt, besteht die gesammte Pulpa aus einer ho- mogenen Masse dicht an einander gedrängter Dermazellen. Wie jedoch das Wachsthum weiter fortschreitet, wird das Gewebe der Pulpa nach dem Scheitel zu immer lockerer, die Intercellularräume weiter und die Bluteapillaren immer größer, bis schließlich dieses Gewebe aus einem Netzwerk fein verästelter Zellen besteht, welche 1 Dieses Jahrbuch. Bd. XIV. pag. 369. 578 ; H. R. Davies mit einander durch zarte protoplasmatische Fortsätze verbunden sind und zwei oder drei größere Capillaren umschließen. In gewissen Stadien erscheint die ganze obere Hälfte des Federkeimes von Blut- körperchen erfüllt, während wir in den unteren Abschnitten des Feder- keimes nur zwei oder drei kleine Gefäße durch eine dichte Masse von Dermazellen verlaufen sehen (siehe Fig. 6, 7, 8). Hand in Hand mit den Veränderungen in der Pulpa gehen solche in den Epidermiswänden des Federkeimes. In den frühesten Entwicklungsstadien in der Dunenpapille waren, wie wir sahen, die Zellen der Epitrichialschicht über der Papille viel zahlreicher und kubischer als an irgend einer anderen Stelle. Während des Wachsthumes der Papille verlieren sie bald ihre Würfel- form. werden platter und breiten sich aus, bis endlich die Kerne weit von einander liegen (weiter als an der Hautoberfläche) und bloß durch dünne Fäden vertrockneter oder verhornter Zellsubstanz mit einander verbunden sind. Gegen das Ende der Entwicklung bleibt die Epi- trichialschicht nur in Fetzen zurück, welche durch das Wachsthum der darunter liegenden Theile abgerissen werden: und ehe der Vogel das Ei verlässt, ist sie meist abgestreift worden (vergleiche die verschiedenen Figuren). Obgleich auf diese Weise die Epitrichialschieht in der ersten Zeit an der Zellvermehrung Antheil nimmt, welche die Dunenpapille hervorbringt, so hört doch ihre Thätigkeit früher auf als die der dar- unter liegenden Theile und niemals scheint sie eine vollkommene Umhüllung um den ausgewachsenen Federkeim zu bilden. Wenn wir bedenken, wie weit entfernt die Epitrichialschicht von der Nahrungs- quelle liegt, so können wir uns nur verwundern, dass ihre Zellen so lange Zeit in Vermehrung begriffen sind. Indem wir nun zu den Intermediärzellen übergehen, muss daran erinnert werden, dass wir sie bereits unterschieden haben in solche, welche eine kontinuirliche äußere Lage unmittelbar unterhalb der Epi- trichialschicht bilden und in solche, welche den Körper der Längsleisten bilden. Die Zellen der äußeren kontinuirlichen Schicht, welche die Federscheide der Dunen zu bilden bestimmt sind, nehmen fast gleich von Anfang an die abgeplattete Gestalt der gewöhnlichen epider- malen Hornzellen an. Gegen das Ende der Entwicklung ist die Feder- scheide außerordentlich dünn und besitzt ein homogenes strukturloses Aussehen!. ! Zuerst wird die Federscheide von zwei oder sogar drei Zellenlagen Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 579 Die Veränderungen in den Epidermiswänden, welche die Pulpa umgeben, finden in den die Leisten zusammensetzenden Zellen statt. Jede Leiste besteht an ihrem Grunde aus einer Masse von In- termediärzellen, welche nach der Peripherie hin von Zellen umgeben sind, welche die Federscheide bilden sollen, hingegen an allen anderen Seiten sind sie von einer Cylinderzellenlage begrenzt. Höher nach oben beginnen diese Intermediärzellen sich in die Länge zu strecken, in einer der Längsachse des Federkeimes parallelen Richtung. Die Längenzunahme jeder Zelle geschieht nicht auf Kosten ihrer Breite sondern rührt von einem Wachsthum in der Zellsubstanz her. Die Breite nimmt während dieses Processes nur wenig ab. Die feinen Ausläufer der Zellen scheinen durch Intercellularsubstanz mit einander ver- bunden zu sein, und so verursacht die Längenzunahme der einzelnen Zellen ein entsprechendes Längenwachsthum des ganzen Federkeimes!. Am deutlichsten sieht man die Wirkung dieser Längenzunahme darin, dass die Kerne, welche an der Basis der Leisten von wenig Zell- substanz umgeben dicht an einander liegen, in den oberen Gegenden derselben weit von einander zu liegen kommen, da wo die große Masse jeder Leiste aus Zellsubstanz besteht (vgl. Fig. 6, 8, 9). Die Veränderungen, welche zu derselben Zeit in der Cylinder- zellschicht stattfinden, sind ebenfalls beachtenswerth. Wie wir ge- sehen haben, erstreckt sich diese Schicht aufwärts innerhalb des wachsenden Federkeimes und begrenzt die Leisten und Rinnen an ibrer Innenseite. Die Zellen scheinen jedoch nur passiv nach oben getragen zu werden und wenn die Intermediärzellen an Länge zu- nehmen, werden die Cylinderzellen ausgestreckt, bis schließlich diese Sehicht wenig mehr als ein mit Kernen punktirtes Protoplasma- häutchen? bildet, welches die Intermediärzellenleisten von dem Pulpa- gebildet, und ist von merklicher Dicke. Schließlich aber ist sie nicht einmal ein Drittel so dick. Die Dickenabnahne kann der großen Längenzunahme zu- geschrieben werden, welche die Federscheide erfahren muss, um das Wachs- thum der einwärts gelegenen Theile zu ermöglichen (s. unten). KLEE bildet die Federscheide der Dunenfeder als ausschließlich aus der Epitrichialschicht bestehend ab. Dem ist nicht so. 1 Lworr sagt, dass die Hornzellen in der Rindensubstanz der Feder mit einander durch ihre verjüngten Enden verbunden sind: »die Verbindungsflächen sind uneben und mit äußerst feinen Fortsätzen wie mit Zähnchen versehen «. 2 Es scheint die Cylinderzellenschicht in etwa, diesem Stadium gewesen zu sein, welche STUDER für die sog. homogene Grenzschicht hielt, und welche ihm die Zellnatur dieser Grenzschicht bewies. Eine solche Grenzschicht habe ich bei der Dunenfederpapille nicht beobachten können. 580 H. R. Davies gewebe scheidet. Zu derselben Zeit breitet sich die Cylinderzellen- schicht allmählich zwischen den Intermediirzellen jeder Leiste und der Federscheide aus {siehe Fig. 7), bis die Intermediärzellen jeder Leiste durch das Dazwischentreten der Cylinderzellenschicht von den Intermediärzellen der Federscheide vollkommen getrennt werden. Auf diese Weise entstehen aus den ursprünglichen Längs- leisten eine Anzahl von Säulen von Intermediärzellen. Jede dieser Säulen ist in eine dünne Zellenlage eingeschlossen und durch dieselbe an die Wände der Federscheide befestigt in derselben Weise, wie der Verdauungskanal an die Körperwände durch das Peritoneum. Somit erstreckt sich die Pulpahöhlung fast vollkommen um diese Säulen herum, welche nichts Anderes sind als Strahlen der zukünftigen Dunenfeder. Es wurde bemerkt, dass die Veränderungen in den Epidermis- wänden des Federkeimes Hand in Hand mit den bereits beschriebenen Veränderungen im Bau der Pulpa gingen. Die nahen Beziehungen zwischen der Längenzunahme der Intermediärzellen und der Er- weiterung im Intercellularraum des Pulpagewebes fallen sofort dem Auge auf. Das Pulpagewebe könnte gleich der Cylinderzellenlage scheinbar ausgebreitet werden durch das Wachsthum der Intermediär- zellen. In der That scheinen die Bilder, welche während dieses Stadiums sich darbieten, die Ansicht zu rechtfertigen, dass die Ver- mehrung der Pulpazellen nur in einem bestimmten Bezirk in der Nähe des Grundes des Federkeimes stattfindet, weleher dem Bezirke der Epidermiszellvermehrung entspricht, und dass die Schnelligkeit der Zellvermehrung in der Pulpa und Epidermis gleich ist. Dies würde erklären wesshalb, so lange das Wachsthum des Federkeimes vollkommen von der Zellvermehrung bedingt wird, die Pulpa überall aus einer Masse eng an einander gepresster Zellen besteht, wesshalb dagegen, sobald dieses Wachsthum durch das Längenwachsthum der Intermediärzellen bedingt wird, das Pulpagewebe, in der Gegend, wo diese Zunahme stattfindet, entsprechend lockerer wird. Welches auch der Weg sei, auf dem diese Lockerung des Pulpa- gewebes zu Stande kommt, so muss doch die Rolle, welche sie spielt von außerordentlicher Wichtigkeit sein, da sie die Möglichkeit gewährt, dass die in Entwicklung begriffenen Strahlen zu einer Zeit mit Plasma versorgt werden, wo die wachsenden Zellen einen großen Anspruch auf Nahrungsmaterial machen. Hier sehen wir die wirkliche Funk- tion der Pulpa als eines nutritiven Organs in vollkommener Thätigkeit. Alle diese Veränderungen, das Wachsthum der Intermediärzellen, Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 581 die Ausbreitung der Cylinderzellen und des Pulpagewebes und die Trennung der Intermediärzellensäulen von der Federscheide, beginnen am Scheitel und schreiten allmählich nach unten gegen den Grund fort. Noch ein anderer Process muss durchgemacht werden, ehe die Inter- mediärzellensäulen zu Dunenstrahlen werden. Das ist die Verhornung. In die Details dieses Processes bin ich nicht eingegangen, aber nach Lworr, welcher die Entwicklung der Hornzelle in der Rindensubstanz der Feder beobachtete, würde es scheinen, dass eine Streifung in den in Verhornung begriffenen Zellen auftritt, zuerst an den beiden Enden und dann fortschreitend zur Mitte. Der »Streif« zeigt eine in Ent- wicklung begriffene »Fibrille« an, in welche die völlig ausgebildeten Hornzellen bei Behandlung mit Kalilauge zerlegt werden können. Somit besteht nach Lworr die Verhornung in einer Differenzirung des Zellprotoplasmas in eine Anzahl von parallelen Hornfibrillen, welche durch eine Zwischensubstanz fest mit einander verbunden bleiben, und in deren Mitte der Kern seine Lage beibehalten kann. Wir müssen jetzt etwas zurückgehen, um den Entwicklungsgang in demjenigen Theil des Federkeimes zu untersuchen, welcher un- mittelbar unterhalb der Hautoberfläche liegt. Es muss daran erinnert werden, dass die Längsleisten, sobald sie sich in den Federkeimgrund erstrecken, an Umfang abnehmen. Die Grenze, bis zu welcher diese Verkleinerung stattfinden kann, ist großem Wechsel unterworfen ; jedoch in dem Falle, welchen wir als typisch betrachten können, verschwinden die Leisten vollkommen; und wenn die Verhornung diesen basalen Theil des Federkeimes erreicht, dann wird ein kurzer horniger Cylinder gebildet, welcher mit dem Grunde der Strahlen in Zusammenhang steht. Dieses eylindrische Gebilde ist die soge- nannte Spule. An ihrer Bildung nehmen alle Zelllagen Theil, welche von der Schleimschicht der Feder stammen, sowohl die äußeren, welche denjenigen entsprechen, die oben die Federscheide bilden, als die inneren, welche denjenigen entsprechen, die oben die Strahlen bilden; nur die Cylinderzellenlage bleibt unverhornt um die Pulpa herum. Solch’ eine typische Dunenspule ist jedoch bei der Taube nicht sehr häufig. Gewöhnlich verschwinden die Leisten nicht vollkommen, obgleich sie eine bedeutende Verminderung ihrer Größe erfahren. So ist es bei den gutentwickelten Dunen, welche den Kontourfedern des Rückens vorangehen. Hier sind die Leisten durch die ganze Spule gut erkennbar (siehe Fig. 10), jedoch werden sie hier nicht von einander oder von der Federscheide getrennt, dagegen bei den Dunen, welche den Schwungfedern vorangehen, ist dieser Process 582 H. R. Davies weiter fortgeschritten und die Leisten werden vollkommen in Säulen zerlegt, obgleich diese Säulen mehr oder weniger lose mit ihren äußeren Flächen an die Federscheide befestigt bleiben. Wenn die Spitzen der Dunenfedern ihre vollkommene Entwick- lung erlangt haben, beginnt die Cylinderzellenlage sich hinter und zwischen die Strahlen zurückzuziehen und indem dieser Process von oben nach unten fortschreitet, bildet bald die Cylinderzellenlage zusammen mit der eingeschlossenen Pulpa eine einfache eylindrische Säule, welche ganz innerhalb des Strahlenkreises liegt. Das Pulpa- gewebe ist zu dieser Zeit sehr dünn, und wird augenscheinlich all- mählich absorbirt; wenn die Verhornung der Federscheide und der Strahlen zu Ende geht, so scheint die Cylinderzellenlage sich gänz- lich von denselben zu trennen und in Folge gewisser, ihr inne- wohnender Elastieität zusammenzuziehen, bis sie nicht mehr dem Widerstand entgegentreten kann, welchen das eingeschlossene Pulpa- gewebe ausübt. An einem Punkte jedoch, zwischen je zwei Strah- len, bleibt die Cylinderzellenlage mit der Federscheide durch aus- gezogene Zellfortsätze verbunden, wie diese im Querschnitt erscheinen (s. Fig. 11). Diese Zellfortsätze sind aber in Wirklichkeit Längs- lamellen. So wird durch diese Lamellen der Raum zwischen der Pulpasäule und der Federscheide in eine Reihe von Längsabtheilungen getheilt, deren jede von einem Strahle eingenommen wird. Das ist der Anfang eines Processes, welcher zu einer vollkommenen Zurück- ziehung der Pulpa und der Cylinderzellenlage, d. h. der ganzen Cutispapille vom Federkeim führt. In den oberen Theilen des Federkeimes konnte ich diesen Pro- cess nicht ganz genügend verfolgen, da er kurz vor dem Verlust der Federscheide mit beträchtlicher Geschwindigkeit vor sich zu gehen scheint. In der Gegend der Dunenspule aber ist der Process leicht zu verfolgen, weil er erstens langsamer von statten geht und zweitens die Cylinderzellenlage während der Zurückziehung bedeu- tend an Dieke zugenommen hat. Hier wird eine Reihe von konischen hornigen Kappen gebildet, jede unterhalb und theils innerhalb der anderen, und an ihren Spitzen durch eine hornige Faser mit einan- der verbunden (s. Fig. 12). Diese Kappen scheinen auf folgende Weise zu entstehen: Das Pulpagewebe wird fortwährend am ober- sten Ende absorbirt, und-die Cylinderzellenlage, welche eine gewisse Elastieität besitzt, zieht sich gleichmäßig zusammen. Wie sie sich zusammenzieht. nimmt sie an Dicke zu und wie sie an Dicke zu- nimmt, beginnt sie an ihrer Oberfläche eine Lage von Zellen zu Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 583 bilden, welche bald das Aussehen von verhornenden Zellen annehmen. Die Steifheit dieser oberen verhornenden Schicht gebietet eine Zeit lang der weiteren Zusammenziehung der Cylinderzellenlage Einhalt; aber wenn die obere Schicht fertig ist, trennt: sich die untere von ihr ab. und zieht sich wieder zusammen, zuerst rasch — bis das Gleichgewicht zwischen der Elastieität der Cylinderzellenschicht und dem Widerstand des Pulpagewebes wieder hergestellt wird — und dann langsamer, bis sie wieder einen gewissen Grad von Dicke er- reicht hat und der Process von Neuem sich wiederholt. Die Cylinderzellenlage trennt sich zuerst von den Seiten der Spule ab und dann von der Innenfläche der Hornkappen, von unten nach oben, bis sie schließlich nur durch einen ausgezogenen proto- plasmatischen Fortsatz mit der Unterfläche des Scheitels der eben vollendeten Kappe verbunden ist. Dieser Fortsatz lässt die hornige Faser hervorgehen, welche die Spitzen der auf einander folgenden Kappen verbindet. Die Höhlung unterhalb jeder Hornkappe scheint zuerst mit Plasma erfüllt zu sein, welches später allmählich ver- dunsten muss. Auf diese Weise werden von Zellen der Cylinder- zellenschicht die hornigen Gebilde erzeugt, welche über der sich zu- rückziehenden Pulpa auftreten und in der Spule die sogenannte Federseele aufbauen. Die Zellen der Cylinderzellenschieht werden während der Zusammenziehung, welche diese Schicht erfährt, aus ihren Stellen verdrängt und so lassen sie diese Gebilde entstehen und nicht etwa dadurch, dass sie neue Zellen produciren. Mit dem Rückzuge der Pulpa und der vollendeten Verhornung aller Theile nimmt die Entwicklung der Nestlingdunen ein Ende. Bald nach dem Ausschlüpfen fällt die Federscheide ab, die dünnen hornigen Gebilde, welche durch die sich zurückziehende Cylinderzellenlage gebildet wurden, fallen weg und die Strahlen breiten sich über die Hautoberfläche aus. Zur selben Zeit scheinen die äußeren Epidermisschichten der Haut, welche mit dem Grunde der Federscheide in Zusammenhang stehen, abgeworfen zu werden, und es erscheint ein Spalt auf dem äußeren Ende der einheitlichen kontinuirlichen Schicht verhornter Zellen, welche die mittlere Lage der Einsenkung des Federkeims bildeten. Dieser Spalt erstreckt sich nach unten und lässt die Höhlung der Federtasche hervorgehen. Damit schließt die Entwicklungsgeschichte der Nestlingdunen bei der Taube. Bei dem Hühnchen sind die einfachen hornigen Strahlen der Taube durch komplieirtere Gebilde ersetzt, welche aus einer Rinden- 584 | H. R. Davies und einer Marksubstanz bestehen und mit Nebenstrahlen versehen sind; und bei der Ente ist die Sache noch komplieirter, indem einige Strahlen in der Nähe ihrer Basis mehr oder weniger mit einander verbunden werden und einen kurzen und dünnen Schaft bilden. Wie diese Veränderungen entstehen, soll später behandelt werden. Jetzt gehen wir zu der Entwicklung der definitiven Feder über. 2. Die Entwicklung der definitiven Feder. Das in die Haut eingesenkte Ende des Dunenfederkeimes kommt. nach Bildung der Dunenspule, nicht zum Abschluss, sondern indem es sich erweitert und eine größere Pulpahöhlung umschließt (s. Fig. 12) schreitet es immer tiefer in die Schichten des Derma. Dadurch wird — noch vor dem Verlust der Dunenfederscheide oder dem Rückzuge der Dunenpulpa — der definitive Federkeim als ein nach unten gerichteter Fortsatz des Grundes des Dunenfederkeimes gebildet. Somit hängen die Wände des definitiven Federkeimes mit den Wänden des Dunenfederkeimes und die Pulpa des definitiven Federkeimes mit der Pulpa des Dunenfederkeimes zusammen. Der definitive Federkeim ist von Anfang an breiter als jener der Dune. Nachdem die nach unten gerichtete Einsenkung die Dunenspule gebildet hat, erweitert sie sich und lässt die eingeschlos- sene Pulpahöhlung fortwährend an Größe zunehmen. Wenn jedoch die Grenze des nach unten gerichteten Wachsthums erreicht ist, nähern sich die Ränder der »wachsenden Krempe« einander noch einmal, bis schließlich nur eine verhältnismäßig schmale Öffnung am Grunde des Federkeimes zurückbleibt. Diese Öffnung ist der »Um- bilicus« oder »Nabel« und durch ihn gehen die Blutgefäße, welche in der Pulpa sich in Capillaren auflösen und die wachsende Feder- papille mit Nahrung versehen'!. Somit ist die Gestalt des definitiven Federkeimes zu dieser Zeit die eines Kegels mit abgerundetem Grunde (s. Fig. 13). Wir erinnern uns, dass die wachsende Krempe, wie sie sich nach unten erstreckte, um die Dunenspule zu bilden, drei Zelllagen hervorgehen ließ. Während sie jetzt weiter nach unten aus- wächst, um den definitiven Federkeim zu bilden, behält sie noch dieselben drei Lagen bei. Sobald mit dem Verlust der Dunenfeder- 1 Die Blutgefäße der Pulpa stehen weder bei dem Dunenfederkeim noch bei dem definitiven Federkeim in irgend einer bestimmten Bezteiung zu dm Längsfurchen, wie manchmal behauptet worden ist. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 585 scheide der Spalt in der mittleren Schicht der Hornzellen auftritt, so erstreckt er sich schnell nach unten und trennt so die Wände des definitiven Federkeimes von dem, was wir jetzt als Federfollikel zu unterscheiden haben. Das Auftreten des Spaltes erfolgt bei der Schwungfeder ungefähr dann, wenn die zur Bildung des definitiven Federkeimes entstandene Einsenkung ihre Grenze erreicht hat. Der Federfollikel wird also von der äußersten Lage, die sich von der wachsenden Krempe ableitet, und der äußeren Hälfte der mittleren Lage gebildet. Erstere bildet die Schleimschicht des Follikels und hängt oben mit der Schleimschicht der Haut und unten mit der Schleimschicht des Federkeimes zusammen. Letztere bildet die Horn- schicht des Follikels und hängt oben mit den Hornschichten der Epidermis der Haut und unten mit der in Entwicklung begriffenen Federscheide zusammen (vgl. Fig. 13). Die innere Hälfte der mittleren Schicht der Einsenkung, jene welche die Federscheide bildet, ist jedoch nicht vollkommen durch den Spalt von der äußeren Hälfte getrennt, welche einen Theil des Follikels bildet; aber beide sind während der frühen Entwicklungs- stadien locker durch Hornfasern mit einander verbunden (s. Fig. 14). Diese scheinen von der Oberfläche des Follikels abgerissen zu wer- den, während der Federkeim nach oben wächst. In der späteren Entwicklung scheint die Federscheide immer vollständiger von dem Follikel getrennt zu werden, bis schließlich die glatte äußere Ober- fläche der Spule nicht die geringste Verbindung mehr mit den Wän- den des Follikels zeigt. Somit entsteht der Federfollikel nicht, wie man vermuthete‘, als eine einfache Einstülpung, sondern es entsteht zuerst eine solide Einsenkung, in welcher die Höhlung des Follikels Anfangs als ein einfacher Spalt auftritt. Sogar dann ist die Tren- nung des Follikels von dem Federkeim einige Zeit noch unvoll- kommen, und nur zum Schlusse der Entwicklung finden wir einen vollkommen abgegrenzten Follikel. Der Dermaüberzug des Follikels, der Federbalg, entsteht auf folgende einfache Art. Sobald sich die Einsenkung zur Bildung der Dunenspule und des definitiven Federkeimes nach unten ausdehnt, drängt sie die »Pars papillaris« des Derma vor sich her, welche auf diese Weise eine Tasche bildet, in welche die Einsenkung vom ersten Anfang an eingeschlossen ist. Die Zellen, welche diese Tasche zu- sammensetzen, lassen in der die Dunenspule umgebenden Gegend Fasern hervorgehen, welche fast ausschließlich eirkulär angeordnet sind (s. Fig. 10, 12); dagegen sind gegen das tiefere Ende des Feder- 586 - H. R. Davies follikels die Fasern mehr in Längsrichtung angeordnet. Der Feder- balg ist an seinem untersten Ende von Blutgefäßen durehbohrt, welche nach dem Umbilicus gehen. Die Folge also der nach unten gerichteten Einwachsung ist die Erzeugung des Federfollikels und die Verlegung des Grundes der in Entwicklung begriffenen Feder in eine beträchtliche Tiefe unterhalb der Hautoberfläche. Nach der Beschreibung des Federfollikels können wir uns zu dem Federkeim wenden, welcher von ihm eingeschlossen wird. Wir haben gesehen, dass die Längsleisten sich nach unten in die Ein- senkung des Keimgrundes der Dunenfeder erstrecken. In der Gegend der Dunenspule nimmt der Process der Leistenbildung in einem größeren oder geringeren Grad ab, oder kann sogar gänzlieh aufhören; aber sobald wir die Spitze des definitiven Federkeimes erreichen, finden wir ihn noch einmal in vollem Gange. Wie erwähnt, ist die Art der Leistenbildung im definitiven Federkeim verschieden von der, die wir bei der Dune gesehen haben. In der Dune sind die Wände am Grunde des Federkeimes dünn und die Leisten erscheinen als Verdickungen dieser Wände. Im definitiven Federkeim dagegen be- kommen die Wände auf einmal, unmittelbar über der wachsenden Krempe, eine bedeutendere Dicke, und wenn wir von diesem engen, basalen Theil des Federkeimes unmittelbar um den »Umbilicus« herum, zu dem direkt darüber gelegenen breiteren Theil übergehen, so finden wir diese dieken Wände in eine Anzahl von Parallelleisten getheilt. Die Leisten werden auf folgende Weise gebildet: Die Cylinder- zellen erfahren eine Vermehrung in horizontaler Richtung (d. h. in der Ebene des Querschnittes durch den Federkeim) und bilden eine Reihe von parallelen Falten, welche sich nach außen zwischen die Intermediärzellen erstrecken. Zu derselben Zeit werden die Inter- mediärzellen in eine Reihe von parallelen Gruppen getrennt, wobei jede Gruppe zwischen je zwei Falten der Cylinderzellenlage liegt. Ob die Intermediärzellenlage von den Falten der Cylinderzellenlage zerlegt wird oder ob die Cylinderzellenlage sich bloß zwischen den Intermediärzellen ausbreitet, während diese letzteren sich in Gruppen anordnen, lasse ich dahingestellt. Wahrscheinlich ist das Letztere die richtigere Auffassung. Kehren wir zurück zu dem Punkt, wo die Dunenspule in die Spitze der definitiven Feder übergeht. Zuweilen gehen die Leisten, welche oben die Dunenstrahlen hervorgehen ließen, nach unten direkt in diejenigen Leisten über, welche die obersten der definitiven Feder- Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 587 strahlen! oder Äste bilden. Wenn wir bei einer in Entwicklung be- griffenen Schwungfeder, welche gerade die Dune aus der Haut in die Höhe hebt, die Hornscheide abkratzen, welche die Wurzeln der Dunenstrahlen zusammenhält und damit den oberen Theil der defi- nitiven Federscheide, dann sehen wir gewöhnlich, dass hier und da zwei oder drei Dunenstrahlen an ihren Wurzeln verschmolzen sind und dass dieser verschmolzene Theil wieder in eine Anzahl von de- finitiven Federstrahlen sich auflöst, gewöhnlich in eine größere als die Zahl der Dunenstrahlen beträgt, welche ihn bildeten. Auch findet man leicht einen einzelnen Dunenstrahl, welcher sich in zwei definitive Federäste theilt. Sogar bei vollkommener Ver- schmelzung der Dunenstrahlen und Bildung einer typischen Spule kann man oft sehen, dass diese sich an ihrem tieferen Ende in vier oder fünf große Theile auflöst, welche erst allmählich sich zertheilen, um die definitiven Federäste zu bilden. Wir können thatsächlich jeden Übergang wahrnehmen zwischen der typischen eylindrischen Dunenspule und der direkten Fortsetzung der Dunenstrahlen in eine gleiche Anzahl von definitiven Federästen (s. Fig. 13, 14). An der unterhalb der Region der Dunenspule beginnenden Er- weiterung des definitiven Federkeimes bemerken wir, dass die Fort- setzungen der Leisten, sobald sie diesen breiteren Theil erreichen, sich nicht gleichmäßig über dessen Oberfläche ausbreiten, sondern auf eine Seite der Federkeimwände übergehen, so dass sie auf der entgegengesetzten Seite einen von Leisten freien Raum lassen. Die Seite, auf welche die Leisten sich ausdehnen, bildet die obere oder äußere Seite der zukünftigen Feder und soll kurz als die dorsale, die entgegengesetzte als ventrale Seite bezeichnet werden. Im Centrum der dorsalen Oberfläche beginnen die Leisten mit einander zu verschmelzen und lassen so die Spitzen des Schaftes entstehen?. Zu derselben Zeit werden neue Leisten auf der ven- ! Einige Autoren, unter Anderen KLEE, sprechen von den Strahlen und Nebenstrahlen der Dunenfeder, wenden aber auf diese Gebilde bei der defini- tiven Feder die Ausdrücke Aste resp. Strahlen an, wie sie von Nirscu ge- braucht wurden. Dieser doppelte Gebrauch des Ausdrucks »Strahlen« führt zu Verwechselung; da aber der Ausdruck Dunenstrahlen so allgemein ge- braucht ist, so schlage ich vor, zur Bezeichnung der »Rami« die Ausdrücke »Strahlen« und »Äste« als Synonyma zu wählen und zur Bezeichnung der »Radii« » Nebenstrahlen« zu brauchen. Bei der Identität der Gebilde der Dune und der definitiven Feder liegt kein Grund zum Gebrauche verschiedener Aus- drücke vor. 2 Die oberste Spitze des Schaftes wird bei der Taube wie auch bei Dro- Morpholog. Jahrbuch. 15. 38 588 H. R. Davies tralen Seite gebildet und von nun an erscheint fortwährend auf dieser Seite eine Anzahl von neuen Leisten, während dem entsprechend auf der dorsalen Seite mehr und mehr Leisten in die centrale Leiste übergehen, welche den in Entwicklung begriffenen Schaft darstellt. Anstatt nun wie bei der Dune einen Längsverlauf zu nehmen, be- giebt sich jede Leiste schief abwärts und geht dabei allmählich in spiraligem Verlauf von der ventralen Wand auf die dorsale Seite über, bis sie den Schaft erreicht. Jede Leiste ist am schmalsten an der ventralen Wand, wo sie beginnt und wird allmählich größer, so wie sie sich abwärts und dorsalwärts wendet. Wir betrachten jetzt jene Veränderungen in jeder Leiste, welche zur Differenzirung der Intermediärzellen in Rinden- und Marksub- stanz und zur Bildung der Nebenstrahlen oder Radii führen. In jedem Querschnitt eines definitiven Federkeimes sind die Leisten nicht nur zahlreicher als die Leisten in einem entsprechenden Schnitt eines Dunenfederkeimes, sondern auch schmaler und höher. Anfangs bestehen diese Leisten aus einer Masse gleichartiger Intermediär- zellen (s. Fig. 17) aber bald zeichnen sich die äußersten dieser Zel- len auf jeder Seite einer Leiste vor den übrigen dadurch aus, dass sie hoch und eylinderförmig werden (s. Fig. 19). Nach kurzer Zeit werden diese hohen cylindrischen Intermediärzellen von den übrigen durch zwei Längsfurchen getrennt, welche mit ihrem Querschnitt die äußere Hälfte oder, über zwei Drittel jeder Leiste einnehmen (s. Fig. 19). Längs des inneren Randes jeder Leiste wird diese äußerste Intermediärzellenschicht nicht von den tieferen Zellen ge- trennt und ihre Zellen werden auch nicht eylindrisch. Somit können wir von jeder Leiste sagen: sie hesteht aus einem Körper, welcher an seinem inneren Ende am dicksten ist und gegen die Federscheide hin etwas dünner wird und aus zwei Flügeln, die am innersten dicksten Ende des Körpers befestigt sind. Der Körper bildet einen Strahl oder Ramus der in Entwicklung begriffenen Feder und die die Flügel zusammensetzenden Zellen die Nebenstrahlen oder Radii. Die am meisten central gelegenen Intermediärzellen, welche den Körper jeder Leiste bilden, vergrößern sich jetzt und lassen eine doppelte Reihe äußerst breiter, unregelmäßig geformter Zellen ent- stehen (s. Fig. 20). Diese Zellen scheinen auf einander einen Druck auszuüben und jede erhält allmählich eine mehr oder weniger poly- maeus und der Ente von zwei gleichwerthigen Leisten zusammengesetzt (s. Fig. 15) g. 15). nn tives Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 589 gonale Gestalt, wobei ihre Wände sich eng jenen der benachbarten Zellen anlegen. Endlich scheint das Protoplasma sich an der Peri- pherie der Zellen anzusammeln, so dass jede Zelle ein hohles Gebilde darstellt, dessen Inneres wahrscheinlich mit Flüssigkeit erfüllt ist. Jetzt beginnt ein Verhornungsprocess in der jede Zelle abschließen- den Protoplasmalage und nach der Vollendung dieses Processes sind die einander anliegenden Wände der Nachbarzellen nicht mehr deut- lich von einander unterscheidbar. Jeder Zellraum ist jetzt von den ihm zunächst liegenden durch eine anscheinend homogene Horn- scheidewand getrennt. An den Stellen aber, wo drei dieser Scheide- wände sich treffen, bleiben oft schmale Intercellularräume und an diesen Punkten sehen wir die anscheinend homogenen Hornscheide- wände sich in zwei Schichten scheiden. Ihr Aussehen lässt darauf schließen, dass sie in Wirklichkeit aus zwei verschmolzenen oder eng einander anliegenden Lagen bestehen, mit möglichst wenig Intercellularsubstanz. Auf diese Weise wird die Marksubstanz des Strahles gebildet; sie hat ihren Namen von der Ähnlichkeit mit der Marksubstanz der Pflanzen. Die mehr peripher liegenden Intermediärzellen, welche den Kör- per der Leiste bilden, wandeln sich allmählich in abgeplattete Horn- fasern um und bilden die sogenannte Rindensubstanz. Da, wo die Rindensubstanz in die Marksubstanz übergeht, erkennen wir Über- gangsformen, welche zeigen, dass die Markzellen stark modificirte Hornzellen sind (s. Fig. 20). Die Modifikation besteht in einer be- deutenden Größenzunahme des centralen Raumes, welcher in ver- hornten Zellen den Kern enthält, zusammen mit einer Veränderung in der Gestalt der Zelle. Unterdessen sind die Intermediärzellen, welche die »Flügel« zu- sammensetzen, immer tiefer und tiefer gerückt, was dadurch zu Stande gebracht wird, dass die inneren Ränder jeder Zelle einwärts in die Höhlung der Furche wachsen (s. Fig. 20). Der Kern behält seine ursprüngliche Lage bei und scheint von jetzt an an dem äuße- ren dickeren Rande der Zelle zu liegen. Während seines Wachs- thums biegt sich der innere Rand allmählich um, so dass der durch das Einwachsen gebildete Theil der Zelle schließlich auf der dem Centrum des Federkeimes zugekehrten Seite konkav wird. Diejenigen Zellen in jedem »Flügel«, welche dem Befestigungs- punkt an dem »Körper« zunächst liegen, sind zuerst senkrecht zu der Seite der Leiste gerichtet. Aber sie verändern allmählich ihre Lage, bis schließlich jene Zellen, welche dem »Körper« zunächst 38* 590 H. R. Davies liegen, mit der Seite der Leiste vollständig parallel sind. Diese Lageveränderung scheint von einer Abplattung des inneren Leisten- randes herzurühren. Hier muss auch erwähnt werden, dass einige der Zellen am Außenrande jedes »Flügels« nicht, wie die übrigen, sich verändern, sondern ihre frühere runde Gestalt behalten. Während dieser Veränderung verlieren die in die Tiefe gewach- senen abgeplatteten Zellen, welche die Flügel zusammensetzen, all- mihlich ihre Verbindung unter einander; jede dieser Zellen entspricht dem Querschnitt eines besonderen Nebenstrahles Die Zelle am Befestigungspunkte jedes Flügels liegt am Grunde eines Neben- strahles, wo derselbe sich mit dem Strahl vereinigt; dagegen liegen die äußersten Zellen des Flügels, welche, wie bemerkt, rund bleiben, an den Spitzen anderer Nebenstrahlen, die weiter unten in den Strahl übergehen (s. Fig. 22, 23). Fig. 24 stellt schematisch die Ausbreitung der Nebensttähllen dar, wenn die Strahlen frei werden. Dagegen zeigt Fig. 25 einen Strahl einer vollkommen entwickelten Feder!. Wir sehen jetzt, dass die vertieften Zellen, welche den Basaltheil jedes Nebenstrahles zu- sammensetzen, ein plattenartiges Gebilde darstellen, welches der Luft Widerstand bieten soll; dagegen lassen die Zellen an der Spitze, welche im Querschnitt rund aussehen, ein stiibchenartiges Gebilde entstehen; dieses hat zur Aufgabe, sich mit den gleichartigen stäb- chenförmigen Enden der Nebenstrahlen des anliegenden Strahles zu verbinden und hierdurch die innige Verbindung herzustellen, welche wir zwischen allen Theilen der Feder vorfinden. Wie diese stäb- chenartigen Enden der Nebenstrahlen mit einander verbunden wer- den, ist leicht zu erklären. Wie in Fig. 25 gezeigt, entwickeln die Zellen an den äußeren Enden der Nebenstrahlen der vorderen Reihe — das sind die gegen die Spitze der Feder gerichteten Nebenstrah- len — abwärts gerichtete Fortsätze mit hakenförmigen Enden, die sogenannten »Häkchen«. Wenn die Nebenstrahlen sich ausbreiten, kreuzen die stiibchenartigen Enden jeder vorderen Reihe diejenigen der hinteren Reihe des vorhergehenden Strahles in rechten Winkeln; dabei gehen jene der vorderen Reihe über die der hinteren hinweg. Die Häkchen der vorderen Reihe werden jetzt zwischen die stäb- chenartigen häkchenfreien Enden der hinteren Reihe eingefügt und ! Meine Beobachtungen über die Entwicklung der definitiven Feder wur- den hauptsächlich an den Schwungfedern von Kanarienvögeln gemacht. Die früheren Entwicklungsstadien wurden aber auch bei der Taube beobachtet. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 591 umfassen diese. Auf diese Weise werden beide Reihen der Neben- strahlen fest mit einander verbunden. Die Zellen, welche Strahl und Nebenstrahl zusammensetzen, wachsen, abgesehen davon, dass sie, wie wir eben gesehen haben, ihre Form verändern, auf dieselbe Weise in die Länge, wie die Zellen der Dunenstrahlen. Dieses Wachsthum der Aste scheint dadurch bewerkstelligt zu werden, dass die Spitzen sich gegen einander pressen und sich längs der ventralen Wand der Federscheide auf- wärts erstrecken. Die Cylinderzellenlage erstreckt sich zwischen die in Entwicklung begriffenen Leisten, bis sie die Federscheide er- reicht und manchmal, aber nicht immer, scheint sie sich zwischen die Leisten und die Federscheide auszudehnen wie bei der Dune. Die Zellen, welche die Leisten und diejenigen, welche die Feder- scheide bilden sollen, sind deutlich von einander verschieden, selbst vor dem Beginne der Leistenbildung; und die Intermediärzellen der in Entwicklung begriffenen Strahlen und Nebenstrahlen trennen sich bald von denjenigen, welche die Federscheide bilden. Daher braucht möglicherweise hier nicht wie bei der Dune die Cylinderzellenlage sich zwischen jene Theile auszubreiten. Nachdem wir den Entwicklungsgang in dem oberen Theil des Federkeimes so weit verfolgt haben, wenden wir uns dem Wachs- thum des ganzen Federkeimes zu. Dabei erinnern wir uns, dass die Cylinderzellenlage auf ihrem oberen Ende eine Reihe von Horn- kappen entstehen lässt, sobald die Pulpa sich von der fertigen Dunenfeder zurückzog. Gegen das untere Ende der Dunenspule werden eine oder zwei starke Hornquerwände gebildet, mehr oder weniger fest mit den Wänden der Spule in Verbindung (s. Fig. 13, 14). Unter der untersten dieser Querwände behält die Pulpa ihre Lage, indem der Resorptionsprocess sistirt scheint. Jetzt beginnt das Auf- wärtswachsen des definitiven Federkeimes. Dieses geschieht zuerst bei den Schwungfedern einige Tage nach dem Verlassen des Eies und die größeren Kontourfedern der ver- schiedenen »Fluren« erscheinen nur ein wenig später. Wenn diese definitiven Federkeime etwas in die Höhe gewachsen sind, sehen sie wie Stacheln aus, wobei jeder Stachel auf seiner Spitze eine Dunenfeder trägt. Das Wachsthum des definitiven Federkeimes schreitet genau in derselben Weise fort wie das Wachsthum der Dune, nämlich durch Zellvermehrung an seinem Grunde; hierbei kombinirt sich eine Zell- vermehrung der Epidermis mit dem Wachsthum des Federrohres und 592 H. R. Davies eine gleichzeitige Zellvermehrung des Derma sorgt für das entspre- chende Wachsthum der Pulpa (Papille). Aber so weit ich beob- achten konnte, erreicht die Pulpa nie die volle Länge der definitiven Feder, wie es bei der Dune der Fall ist!. Wenn man von einem der oben erwähnten Stacheln, sobald er eine Länge von etwa drei Zoll (bei der Taube) erreicht hat, die Federscheide abstreift, welche seine äußere Wand bildet, dann kann man sehen, dass die Pulpa nicht mehr bis zur Spitze reicht. Das Innere dieser Spitze wird jetzt von ein oder zwei Hornkappen ein- genommen von derselben Art wie die, welche wir bei der Dunen- spule kennen lernten. Unter der untersten dieser Kappen finden wir die Pulpa als einen, bei konservirten Objekten weißen Strang. Von den obersten Theilen der Feder, da, wo die Verhornung aller Theile vollendet ist, kann dieser Pulpastrang leicht abgelöst wer- den, aber wenn wir sie weiter abwärts verfolgen, wird ihre Ver- bindung mit den Theilen der Feder immer inniger. Sie kann manch- mal von dem Federrohr in ihrer ganzen Länge abgezogen werden, aber wenn das geschehen ist, ist die Cylinderzellenlage von den Intermediärzellen getrennt und beide, Federrohr und Pulpa, sind durch diesen Vorgang mehr oder weniger zerrissen worden. Die Pulpa scheint also sich ziemlich bald von der Spitze der Feder zu trennen, und den Process des Rückzuges und der Horn- kappenbildung noch einmal zu beginnen. Das Gewebe der Pulpa scheint an ihrem oberen Ende resorbirt zu werden, während es an ihrem unteren noch aus in Vermehrung begriffenen Zellen zu- sammengesetzt ist. Während der Entwicklung der Strahlen und Nebenstrahlen neh- men die Leisten an Dicke zu und in Folge dieser Zunahme werden die zwischen den Leisten befindlichen, von der Pulpa eingenommenen Räume entsprechend verkleinert und die Cylinderzellenlagen auf den Seiten der benachbarten Leisten werden eng an einander gebracht. Schließlich zieht sich, wie bei der Dune, die Cylinderzellenlage aus dem Raum zwischen den vollendeten Strahlen zurück, lässt jedoch hierbei eine Anzahl Zellen zurück (s. Fig. 20, 23). Hier möchte 1 Hingegen behauptet KLEE, dass es ihm gelungen sei, »ganze Federn mit der ihrer Länge entsprechenden Pulpa zu konserviren«. Aber wie ich schon in dem historischen Theil dieser Arbeit aus einander gesetzt habe, hat KLEE eine ganz irrige Meinung von dem Verhalten des oberen Theiles der Pulpa und scheint diesem Punkt nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. DE ug ’ Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 593 ich nieht unerwähnt lassen, dass zu dieser Zeit die Cylinderzellen bei der definitiven Feder viel zahlreicher sind als bei der Dune. Das mag damit zusammenhängen, dass die hornigen Gebilde, welche diese Zellen hervorbringen, über der sich zurückziehenden Pulpa bei der definitiven Feder eine viel wichtigere Rolle spielen und viel stärker gebaut sind als bei der Dunenfeder. Die durch die Cylinderzellenlage! zwischen den Strahlen zurück- gelassenen Zellen verhornen allmählich und lassen eine Reihe von Hornscheidewänden entstehen. Diese Scheidewände sind locker mit der Federscheide an ihren äußeren Enden verbunden und vereinigen sich an ihren inneren Enden fest mit den Hornkappen, sobald letz- tere gebildet werden. Die Absorption des Pulpagewebes, die Zusammenziehung der Cylinderzellenlage und die Bildung von Hornkappen auf der oberen und äußeren Fläche der letzteren findet eben so statt, wie wir es für die Dunenspule beschrieben haben. Jedoch die hornige Faser, welche, wie wir sahen, die Spitzen der Hornkappen bei der Dunen- spule mit einander verbindet, wird nicht mehr gebildet und diese Gebilde sehen jetzt aus wie eine Reihe umgekehrter flachbodiger Becher, die wenig über einander gestülpt sind. Das gestreifte Aus- sehen der Wände dieser Becher scheint von den oben erwähnten Scheidewänden herzurühren, welche ihnen immer anhaften ?. Die Spitze der Feder ist jetzt vollständig, und bald beginnt die Federscheide unmittelbar unter dem Grunde der Dune in Stücke zu zerfallen. Dieses wird wahrscheinlich durch die Bewegung des Vo- gels verursacht oder sogar direkt durch seinen Schnabel. Die Äste breiten sich jetzt aus und die Hornkappen fallen ab. Die Dunen jedoch behalten für einige Zeit ihre Lage bei, wegen ihres direkten ! Ich bezeichne die Cylinderzellenlage als diejenige Epidermiszellenlage, welche sich unmittelbar der Pulpa anlegt. Die im Inneren der Feder ent- standenen Horngebilde scheinen ganz aus Zellen zu bestehen, welche einen Platz in dieser Lage besaßen, die aber in Folge der fortwährenden Zusammen- ziehung der Lage von ihrem Platze verdrängt wurden. Dann verhalten sie sich wie Intermediärzellen und verhornen. 2 Diese Scheidewände sind zweifellos die von F. Cuvier als »Cloissons transversales« bezeichneten Gebilde. Seine »Membrane striée interne« muss der Hornschicht entsprechen, welche die Wände der oben beschriebenen Becher bildet. Wie oben erwähnt, scheinen die Cylinderzellen sich nicht immer zwi- schen die Strahlen und die Federscheide auszudehnen. Auf der Ventralfläche jedoch, d. h. um die Spitzen der Strahlen herum, wird oft eine Anzahl Zellen in dieser Lage gefunden. Diese letzteren könnten dann der CuviEr'schen »Membrane striee externe« entsprechen. 594 H. R. Davies Zusammenhanges mit den obersten Asten. Auf einigen der unter den größeren Federn liegenden definitiven Halbdunen können die Erstlingsdunen noch gefunden werden, wenn die Taube einige Mo- nate alt ist. So habe ich im Monat December drei verschiedene Federn über einander gefunden, eine definitive Halbdune, die eine Erstlingsdune auf ihrer Spitze trug und die selbst aus der Haut her- vorgehoben wurde durch eine zweite im Wachsthum begriffene de- finitive Feder. Die Federscheide ist auf der Dorsalfläche der Feder, besonders über dem Schaft, viel dieker als anderswo. Das rührt wahrschein- lich davon her, dass die Dorsalfläche der in Entwicklung begriffenen Feder die am meisten exponirte Fläche ist und dass die Federscheide hier leichter zerrissen werden kann, bevor die eingeschlossene Feder vollkommen entwickelt ist. Wenn einmal das Abfallen der Hornscheide beginnt, so geht es mit dem Wachsthum der Feder gleichmäßig fort. Obgleich also die Hornscheide an ihrem Grunde in demselben Maße wie die Feder selbst und während der ganzen Dauer des Federwachsthums wächst, so fallen doch von nun an ihre Wände immer in einer gewissen Höhe über der Haut in Stücke. Das rührt wahrscheinlich vom Ver- trocknen her. Jedoch hat SAMUEL gezeigt, dass die Feder eines Vogelflügels noch eingeschlossen in die Federscheide ihre volle Länge erreichen kann, wenn die Nerven des Flügels durchschnitten und der Flügel dadurch bewegungslos gemacht ist. Die Höhe, in wel- cher die Federscheide normalerweise in Stücke zerfällt, ist bei den verschiedenen Vögeln sehr verschieden; so z. B. fällt bei Steatornis die Federscheide in der Höhe der Haut in Stücke und die Strahlen der definitiven Feder scheinen direkt aus der Haut herauszuwachsen. Wir verfolgen jetzt die Entwicklung des Schaftes nach seiner Länge und beobachten, wie er in die Spule übergeht. Zunächst kann auf Querschnitten die Leiste (oder die beiden verschmolzenen Leisten), welche den oberen Theil des Schaftes bilden wird, von den anderen Leisten unterschieden werden nur durch ihre etwas bedeuten- dere Größe (s. Fig. 15). Bald jedoch gehen Veränderungen vor sich, welche die Entwicklung dieses Gebildes etwas komplieirter machen. Sobald der Schaft größer wird, kann er nicht mehr wie die Strahlen durch bloße Theilung der Federkeimwände gebildet wer- den. Die Cylinderzellen auf dem Theile des Federkeimes, wo der Schaft in Bildung begriffen ist, vermehren sich fortwährend und lassen immer neue Intermediärzellen entstehen, nachdem jede andere Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 595 Zellvermehrung auf dieser Höhe aufgehört hat. Wenn die tieferen diekeren Theile des Schaftes in Bildung begriffen sind, können wir die Cylinderzellen sich noch vermehren sehen, um die Ventralfläche des Schaftes darzustellen in einer Höhe, in der die dorsale Schaftfläche und die Strahlen bereits der Verhornung unterliegen (s. Fig. 20). Wie also der Federkeim aufwärts wächst, bildet sich allmählich der Schaft als eine Verdiekung auf seiner dorsalen Wand: und so wird die dorsale Schaftfläche auf einer niedrigeren Höhe gebildet und befindet sich immer auf einem vorgerückteren Entwicklungsstadium als die ventrale. Die nächste Veränderung besteht darin, dass die Seiten des Schaftes schneller und früher wachsen als der mittlere Theil und auf diese Weise entstehen zwei Längserhebungen mit einer Ver- tiefung dazwischen. Bald darauf wird der mittlere Theil ausgefüllt und der Schaft bekommt seine abgerundete Gestalt. Eine weitere Veränderung zeigt sich jedoch, indem der mittlere Theil nicht mehr vollständig bis zur Höhe der Seiten ausgefüllt wird, sondern eine kleine Vertiefung auf der ventralen Fläche des fertigen Schaftes zu- rückbleibt. Dieses ist die sogenannte Hohlrinne, die in den unteren Theilen des Schaftes tiefer und weiter wird. Eine Vergleichung der Fig. 19, 20, 26 wird die Entwicklungs- weise klar machen. Fig. 26 ist eine etwas schematische Darstel- lung eines Federkeimes, der längs seiner Ventralfläche geöffnet ist und dessen Pulpa entfernt ist. Wir sehen die beiden Seiten des Schaftes auftreten und allmählich in die Tiefe und Dicke zunehmen im Verhältnis, wie sie in die Höhe steigen. Schließlich wird der - Raum zwischen ihnen ausgefüllt mit Ausnabme der verhältnismäßig schmalen Hohlrinnengrube. Fig. 19 ist ein Querschnitt in der Höhe, wo die Seiten des Schaftes sich zuerst zu entwickeln beginnen. Fig. 20 stellt einen anderen Querschnitt durch denselben Federkeim weiter oben dar, wo die Seiten vollständig entwickelt sind, wo aber die centrale Masse der Markzellen noch nicht vollkommen ausge- bildet ist. Die Cylinderzellen — und hier verdienen sie ihren Na- men — welche den Schaft hervorbringen, lassen zuerst runde Inter- mediärzellen entstehen und diese wandeln sich sekundär entweder in Mark- oder in Rindensubstanzzellen um. Auf diese Weise wird eine centrale Masse von Marksubstanz gebildet, die von allen Seiten von Rindensubstanz eingeschlossen ist. Zu beachten ist, dass der äußere Theil der dorsalen Schaftwand im Bau verschieden ist von der übrigen Rindensubstanz. Die Zellen, welche sie zusammen- setzen, lassen während des Verhornungsprocesses eine anscheinend 596 H. R. Davies homogene strukturlose glasige Masse entstehen. Das ist die »Spina calami« früherer Beobachter. Die übrige Rindensubstanz zeigt ein mehr lockeres fibröses Aussehen. Bevor wir in der Betrachtung der weiteren Veränderungen fort- fahren, welche während der Entwicklung der tieferen Theile des Schaftes auftreten, wollen wir einige Schnitte durch die basale Wachs- thumsregion eines solchen Federkeimes untersuchen, wie er in Fig. 26 schematisch dargestellt wird. Fig. 16 zeigt einen Schnitt in der Gegend des Umbilieus. Die anscheinende Dicke der Wände rührt theilweise davon her, dass sie hier schräg einwärts gegen den Umbilicus laufen und desshalb in dem Querschnitt etwas schräg getroffen sind. Wir beobachten, dass hier schmale aber zahlreiche Lederhautpapillen sich unregelmäßig zwischen die Epidermiszellen erstrecken. Gehen wir weiter auf- wärts, so verschwinden die Papillen und die Pulpa wird an allen Seiten von der Fläche der Cylinderzellenlage eben begrenzt. Die Leisten treten zuerst an den beiden Seiten des Federkeimes auf, indem sie einen ventralen und dorsalen Raum frei lassen (s. Fig. 17). Weiter aufwärts treten mehr und mehr Leisten auf, ventral und dorsal, bis wir zu einer Höhe kommen, welche Fig. 18 darstellt, wo die Leisten sich über den ganzen Umfang ausbreiten und hier ist es, wo die erste Anlage des Schaftes auftritt. Der Grund, wesshalb die Leisten zuerst auf den lateralen Wänden des Feder- keimes angetroffen werden, scheint der zu sein, dass sie sich unten - zuerst schnell und dann immer langsamer entfalten, jedenfalls nicht so schnell als die Federkeimwände nach aufwärts wachsen. Somit beschreibt die nach unten wachsende Basis jeder Leiste, ehe sie den Schaft trifft, eine Kurve, wie in Fig. 26 dargestellt wird; und dess- halb treffen wir, wenn wir eine Reihe von Querschnitten aufwärts verfolgen, zuerst solche Leisten, welche nur die Hälfte ihrer vollen Länge erreicht haben. Eine Andeutung der Federfollikelhöhlung beobachten wir am An- fange der Schnitte, nur weiter nach oben erscheint sie uns als ein Spalt in der einheitlichen kontinuirlichen Schicht von verhornenden Zellen, welche zwischen der Schleimschicht des Follikels und der Schleimschicht der Feder liegen. Möglicherweise hat KLEE durch diesen Zusammen- hang zwischen Feder und Follikel sich irre führen lassen, und so die Schleimschichtlage des Follikels als eine Epitrichialschieht beschrieben und abgebildet; das ist um so eher möglich als er dem Federfollikel keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheint. Jedenfalls konnte Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 597 ich die Bildung einer Epitrichialschicht im Zusammenhang mit der definitiven Feder nirgends beobachten. Wenn wir die Beziehung der Federscheide zu den Wänden des Follikels betrachten, so sehen wir, dass unmöglich die ganze Federscheide in eine Epitrichialhülle ein- geschlossen sein kann. Die Federscheide der Dune hängt größtentheils mit den äußersten Epidermislagen der Haut zusammen. Jedoch steht sie theilweise mit denjenigen Hornzellen in Verbindung, welche die äußerste Lage der Dunenspule bilden. Wenn wir diese letztgenannte Lage weiter abwärts verfolgen, so finden wir, dass sie sich allmäh- lich in Fasern zerlegt, welche auf die Seite des Follikels übergehen und so kommt sie auch endlich mit den äußeren Epidermislagen der Haut in Zusammenhang. Dasselbe geschieht im höheren oder ge- ringeren Grade bei der Entwicklung der definitiven Feder, bis die Bildung der Spule beginnt; mit anderen Worten, die äußersten Lagen der Federscheide setzen sich allmählich in Fasern fort, welche auf die Seite des Follikels übergehen. Wenn dann eine zweite Epitri- chialschicht gebildet wäre, müssten wir erwarten, dass sie unter den untersten der Dune angehörigen Lagen auftrete und dass sie an einem gewissen Punkte auf den Federfollikel sich zurückschlage. Das habe ich jedoch nie beobachten können. Dass die Bildung jener zusammenhängenden Fasern während der späteren Entwicklungsstadien ausbleibt, scheint daher zu kommen, dass die wachsende Krempe jetzt ausschließlich die innerste der drei Lagen hervorgehen lässt, d. h. nur Zellen, welche an der Federbildung Theil nehmen, und ferner davon, dass die Federscheide durch die äußersten dieser Zellen gebildet wird. Wir kehren jetzt zur Betrachtung des Schaftes zurück. Ver- folgen wir die Entwicklung seiner tieferen Theile, so beobachten wir, dass er größer und breiter wird und dass ein immer größerer Theil der Federkeimwände von ihm auf Kosten der Strahlen eingenommen wird. Wir beobachten ferner, dass die Ausbildung der beiden Seiten jener der centraleren Partien mehr und mehr vorangeht, bis sich schließlich die zwei Seiten ventral treffen, ehe der mittlere Theil ausgefüllt ist (s. Fig. 27 A). Hierdurch entsteht eine deutliche Furche an der ventralen Hälfte des Schaftes. Diese ist jedoch in Wirklich- keit durch Hornfasern eingenommen, welche durch die sich zurück- ziehende Cylinderzellenlage gebildet wurden und ist ventral durch den hornigen Überzug der ventralen Schaftfläche abgeschlossen. In den tiefsten Theilen des Schaftes wird dieser Process immer ausgeprägter und wenn wir uns der Spule nähern, wird die Pulpa 598 H. R. Davies in zwei Theile getheilt durch die beiden Seiten des Schaftes, welche sich in der Mittellinie treffen. Diese Seiten springen jetzt von den Lateralwiinden des Federkeimes ab und der Querschnitt der Spina calami erscheint jetzt als Halbkreis (s. Fig. 27). Die Vereinigung dieser beiden Seiten des Schaftes findet natiirlicherweise von oben nach unten statt und so wird die Pulpa entzwei geschnitten wie durch die zwei sich einander niihernden Blitter einer Schere. Wenn wir den Process noch weiter abwiirts verfolgen, finden wir, dass die zwei Schenkel des Schaftes mehr und mehr ventral auf den Federkeimwänden liegen und einen fortwährend zunehmenden Theil der Pulpa einschließen. Fig. 27 C zeigt einen Schnitt un- mittelbar über dem Beginn der Spule. Gerade darunter gehen die wenigen zurückbleibenden, sogenannten Afterstrahlen, welche sich nicht mit dem Schaft vereinigen, direkt in die Spule über. Von nun an treffen sich die zwei Schenkel des Schaftes nicht mehr in der Mittellinie, und in Folge dessen wird die Pulpa nicht mehr in „wei Theile getheilt. Jedoch noch eine kurze Strecke können die zwei Seiten des Schaftes abwärts verfolgt werden auf die ventro-lateralen Wände der Spule, die sog. Markschenkel der Spule (s. Fig. 27D), aber allmählich nehmen sie ab und verschwinden schließlich. Man darf nicht meinen, dass die Spina calami der einzige Theil des Schaftes sei, welcher direkt mit den Wänden der Spule zusammen- hängt. Überall ist hier ein dünner horniger Überzug über die Innen- fläche des Schaftes gebildet, d. h. auf der Fläche, welche der Pulpa anliegt. Dieser überkleidet die innerhalb des Schaftes gebildete Höhle und bedeckt auch seine Ventralfliiche. Mark- und Rinden- substanz, welche die große Masse des Schaftes zusammensetzen, werden bei der Spule nicht weiter entwickelt und dieser innere hor- nige Überzug vereinigt sich mit der äußeren, homogenen, glasigen Lage, welche oben die Spina calami bildete und jetzt einen voll- ständigen Cylinder, den Calamus, darstellt. Eine Federscheide wird nun nicht weiter gebildet', aber alle Intermediärzellen, welche in diesem Theil auftreten, bilden zusammen einen starken, durchsich- tigen Horneylinder. Auf diese Weise entsteht der basale Theil der Feder, die Spule. Beide Theile der Pulpa, der innerhalb des Schaftes und der ventral zu ihm gelegene, ziehen sich nach unten zuriick und lassen ! Der Punkt, an welchem die Federscheide in Verbindung mit der Spule tritt, ist immer an dem oberen Ende der Spule zu erkennen, wo der obere Theil der Federscheide sich abgewandt hat. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 599 hornige Kappen entstehen; und ähnliche Gebilde werden innerhalb der Spule gebildet und setzen die sogenannte Federseele zusammen. Anfangs sind die Kappen, welche die Seele bilden, an die Wände der Spule befestigt, aber nach einiger Zeit ziehen sie sich zusammen und trennen sich von jenen Wänden. Gegen den Grund der Spule hin gehen diese Kappen allmählich in starke, hornige Querscheide- wände über, wie wir sie in der tieferen Partie der Dunenspule be- obachtet haben und unter deren untersten bleibt die Pulpa zurück, indem der Process der Zurückziehung und der Resorption aufhört!. Das verjüngte Aussehen des Grundes der Dunenspule ist bloß die Folge davon, dass der Federkeim ganz bis an seinen Grund hinunter verhornt ist, und dass der Federkeimgrund, wie erwähnt, von einem frühen Stadium der Entwicklung an verjüngt ist. Unter der vollständig entwickelten Feder bleibt eine Cutis- oder Hautpapille (d. h. eine aus Derma und Epidermis bestehende Pa- pille) zurück. Diese verhält sich ruhig, bis zur Mauserzeit, wächst dann anfwärts, lässt eine neue Feder entstehen und schiebt die alte heraus (s. Fig. 28). Damit schließt die Entwicklung der definitiven Feder. 3. Über die Aufeinanderfolge und räumliche Vertheilung der Federn. Es wurde gezeigt, dass die Federn nach einander als die Pro- dukte einer Anzahl von persistirenden Cutispapillen entstehen. Eine jede solche Papille entsteht zuerst auf der Hautoberfläche und bildet hier die Dunenfeder, bald darauf sinkt sie unter die Haut in einen Federfollikel und lässt hier, vermuthlich während des ganzen Lebens des Vogels, eine Folgereihe von definitiven Federn entstehen. Damit tritt uns die Frage entgegen, ob alle definitiven Federn auf gleiche Weise entstehen, d. h. Nachkommen der Dunenfedern seien, oder ob sich Federn auch unabhängig von den Dunen bilden. Man kann leicht zeigen, dass allen Schwungfedern, Steuerfedern und den größeren Kontourfedern der verschiedenen Fluren, Dunen vorangehen, da man sie alle mit einer Dunenfeder auf ihrer Spitze aufsprießen sehen kann. Wenn ferner die Zahl der Dunenpapillen — zu einer Zeit, wo sie zwar deutlich ausgeprägt, aber noch nicht so lang’ sind, dass sie nicht mehr leicht gezählt werden könnten — auf einem bestimmten Hauttheil festgestellt werden, wie z. B. auf der dorsalen 1 In der Spule der definitiven Feder, wie in der Spule der Dunenfeder hängen diese Kappen mit einander zusammen. 7 600 H. R. Davies Halsfläche der Taube, so findet man, dass ihre Zahl annähernd der der definitiven Federn entspricht, welche den entsprechenden Theil der Haut bei der ausgewachsenen Taube einnehmen. Es scheint also kaum zweifelhaft zu sein, dass alle Kontourfedern der verschiedenen Federfluren die Nachfolger von Dunen sind. Dasselbe kann man sagen von den oberen Deckfedern des Flügels, aber einige der un- teren Deckfedern scheinen auf den ersten Blick von dieser allge- meinen Regel eine Ausnahme zu bilden. In den zwei Reihen, welche zunächst den Schwungfedern stehen, kann man bei jungen Nest- lingen kleine Dunen an den Stellen wahrnehmen, die später von jenen Deckfedern eingenommen werden. Aber diese Dunen fallen gewöhnlich, wenn auch nicht immer, ab, ehe die nachfolgenden definitiven Federn auftreten. Das ist jedoch leicht erklärlich und deutet darauf hin, dass die Verbindung zwischen dem Grunde der Dunen und der Spitze der definitiven Federn aufgehoben wird, ehe das Aufwärtswachsen der letzteren beginnt. Somit wäre in diesem Falle das Wachsthum der Feder verspätet oder besser gesagt, nicht in demselben Maße wie sonst beschleunigt worden. In der dritten Reihe der unteren Deckfedern sind die Dunen entweder äußerst rudimentär oder werden augenscheinlich überhaupt nicht gebildet; und längs der Stelle, auf der später eine vierte Reihe von sehr kleinen Federn auftritt, kann man an den Nestlingen nie eine Spur von Dunenfedern beobachten. Dennoch kann man die Plätze der in Entwicklung begriffenen Federfollikel als kleine Flecke angedeutet finden, wenn man die Haut sorgfältig mit einer Lupe untersucht. Auch hier treten bei jungen Embryonen Dunenpapillen auf, wie überall anderswo, nur später als über der übrigen Haut; diese Papillen aber wachsen nur kurze Zeit; um dann in ihrer Ent- wicklung inne zu halten. Wenn der Vogel ausgebrütet ist, gehen diese rudimentären Papillen zu Grunde. Fig. 29 zeigt einen Längsschnitt durch eine solche rudimentäre Papille kurze Zeit vor dem Ausbrüten und durch die Einsenkung an ihrem Grunde, welche den definitiven Federfollikel entstehen lässt. Wir sehen somit die Papille aus einer soliden Zellmasse bestehen, deren äußerste die Epitrichialschicht ist und ferner, dass das ganze Gebilde mit den äußersten Epidermislagen der Haut zusammenhängt. Es könnte scheinen, dass eine solche Papille zuerst auf die gewöhn- liche Weise, aber langsam wachse, und dass ungefähr zu der Zeit, da die Einsenkung am Grunde beginnt, die Pulpa anfängt, sich zurückzuziehen. Die Cylinderzellenlage lässt dann eine solide Masse j Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 601 von Epidermiszellen entstehen, welche das Innere der Papille aus- füllen. An dem Halse des Follikels sind diese Zellen lockerer an- geordnet und einige von ihnen zeigen Spuren von Degeneration. Fig. 30 zeigt einen Schnitt in derselben Region bei einer Taube, welche ungefähr vor S—10 Tagen ausgeschlüpft ist. Wir sehen, dass die rudimentäre Papille zusammen mit den obersten Epidermis- lagen, an welche sie befestigt war, abgeworfen worden ist und dass die Pulpa sich an den Grund des Follikels zurückgezogen hat. Der Follikel selbst ist auch länger als vorher und hat eine etwas spirale oder korkzieherartige Gestalt gewonnen. Diese Korkziehergestalt zusammen mit der Thatsache, dass die Schleimschichtzellen an dem Halse des Follikels viel eylindrischer sind als anderswo, deutet viel- leicht darauf hin, dass das Abwärtswachsen des Follikels von einer Zellvermehrung der Schleimschichtin der Gegend seines Halses herrührt. In ein oder zwei Fällen habe ich die Dunenpapillen noch rudi- mentärer gesehen als die Fig. 29 darstellt, und in der That aus nichts weiter bestehend, als einer Verdickung der oberen Epidermis- lagen über dem in Entwicklung begriffenen definitiven Federfollikel. Man kann sich desswegen leicht vorstellen, dass sie in einigen Fällen vollständig verschwunden sind und dass die definitive Feder ihren Ursprung in einer Einsenkung nimmt, an deren Stelle vorher keine Dunenpapille war. Wir können desshalb die Frage, ob alle definitiven Federn als Nachkommen von Dunenfedern entstehen, mit Folgendem beant- worten: Es ist augenscheinlich, dass alle größeren definitiven Federn und die große Mehrzahl aller definitiven Federn als di- rekte Nachkommen der Dunenfedern entstehen. Bei ge- wissen Federn, welche erst beträchtliche Zeit nach dem Ausbrüten auftreten, atrophirt die ihnen vorangehende Dune in größerem oder geringerem Maße und es scheint wahrscheinlich, dass sie in einigen Fällen vollständig atrophirt ist. Jedoch ist die Annahme berechtigt, dass, wenn eine definitive Feder entsteht, ohne dass ihr eine Dunen- feder voranging, dennoch eine Dune als Vorläufer bestanden habe. So weit ich die Entwicklung der Fadenfedern beobachten konnte, entstehen sie immer in Einsenkungen; auch gehen ihnen nie Dunenpapillen voran; aber man scheint hier nicht bezweifeln zu dürfen, dass auch ihnen einmal Dunenpapillen vorangingen, die nur jetzt vollständig atrophirt sind. Wenn also die Dune auch nicht immer der ontogenetische Vorläufer der Feder ist, so hat sie doch als phylogenetischer Vorläufer zu gelten. 602 - H. R. Davies Es dürfte hier angemessen sein, einige Worte zu sagen über die Vertheilung der Dunenfedern auf der Hautoberfläche, da diese Vertheilung eine unverkennbare Beziehung zeigt zu jener der defini- tiven Federn. Gewöhnlich wird behauptet, dass die Dunenfedern gleichmäßig über die Hautoberfläche vertheilt seien und somit eine primitivere Anordnung zeigten, als sie bei dem definitiven Federkleid gefunden wird. Aber das ist weder bei der Taube noch bei dem Hühnchen der Fall. Bei einem jungen Taubenembryo sind ungefähr am achten Tage der Bebrütung alle Federfluren und Raine des ausgewachsenen Vo- gels scharf angedeutet, sogar in ihren feineren Details. Wir sehen eine gut ausgeprägte »Rückgratflur«, »Lendenflur«, »Schulterflur «, »Schwanzflur«, »Flügelflur« und »Unterflur«, einen »Seitenhalsrain« und einen »Rumpfseitenrain«. Auf der Ventralfläche sind die Pa- pillen für einige Zeit kleiner als auf der Dorsalfläche, aber auch hier sehen wir einen »Unterrain« längs der ventralen Mittellinie im- mer gut ausgeprägt. Die gewöhnlichen Raine sind auch unter den Flügeln und Schenkeln vorhanden. In der Flügelflur sind die Pa- pillen gut ausgeprägt, zuerst längs des postero-dorsalen Randes des oberen Vorderarmendes, dann breiten sie sich nach unten längs dieser Fläche aus und erscheinen schließlich längs des entsprechenden Randes der metacarpalen Region. Von dem Vorderarmrande aus verbreiten sich die Papillen allmählieh über seine Dorsalfläche. Aber diejenigen, welche später auf seiner Ventralfläche erscheinen und die wir oben erwähnt haben, treten zuletzt von allen Dunen- papillen auf. So viel ich beobachten konnte, wird eine Dunenfeder immer nur da entwickelt, wo später eine definitive Feder auftritt. Wo große definitive Federn später erscheinen, sind die Dunenfedern immer gut entwickelt, wo dagegen kleinere definitive Federn, welche erst spät auftreten, gebildet werden, da sind die Dunenfedern im größe- ren oder geringeren Maße atrophirt. Man darf aber nicht annehmen, dass die Reihenfolge, in welcher die Dunenpapillen auftreten, der- jenigen genau entspricht, in welcher die definitiven Federn erscheinen oder dass die Dunenfedern ganz entsprechend :so weit entwickelt sind!, wie die definitiven Federn. Die Schwungfedern zum Beispiel scheinen immer in der Gegend des Metacarpus fortgeschrittener zu ! Die Dunenpapillen treten, wie es scheint, zuerst in den Gegenden auf, wo die Dunentedern am besten entwickelt sind. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 603 sein als in der des Vorderarmes, was also das Gegentheil von dem ist, was wir bei den Dunen fanden; und die Dunenfedern sind im- mer besser entwickelt da, wo sie den Schulter- und Lendenfluren entsprechen, als in der Schwanzflur- oder in der Metacarpalgegend, was also wieder das Gegentheil von dem Befunde des definitiven Federkleides bildet. Wir schließen die Besprechung dieses Gegenstandes, indem wir sagen, dass das Dunenfederkleid in Vergleichung mit dem definitiven Federkleid von geringer Wichtigkeit zu sein scheint, und dass dess- halb die Stärke der Federpapille — und folglich die Größe der Dune — in irgend einem Körpertheil sich im Allgemeinen auf die Größe, welche die definitive Feder in diesem Theil erreicht, bezieht. Einige Eigenheiten aber hat das Dunenkleid bei der Taube noch, wie wir gesehen haben. 4. Über die Homologien der sogenannten Laufschuppen. In Bezug auf die auf dem Lauf befindlichen Schuppen sagt KERBERT: »dass die Schuppen, Schilder oder Schienen am Laufe und an den Zehen der Vögel homolog seien mit den Schuppen der Reptilien, war a priori zu erwarten«, und weiter zeigt er dann, dass diese Gebilde sich in derselben Weise entwickeln wie Reptilien- schuppen. Dem Umstand, dass Federn oft auf diesen Laufschuppen sitzen, schenkt er keine Aufmerksamkeit. Aber wahrscheinlich würde ihm das gar keine Schwierigkeiten bereitet haben, selbst wenn er darauf geachtet hätte. Denn obgleich er Haare auf den Hornschup- pen von Dasypus beobachtete, schließt er doch, dass diese Horn- schuppen aus den Papillen hervorgehen, welche bei den meisten Säugethieren Haare hervorgehen lassen. Dass aber hierin eine - Schwierigkeit liegt, braucht man kaum zu begründen. Wenn die Laufschuppen aus Papillen hervorgehen, welche homolog mit den- jenigen Papillen sind, welche an anderen Theilen des Körpers Fe- dern hervorgehen lassen, wie sollte es dann kommen können, dass zwei solche Papillen auf einander liegen? Eine Untersuchung der verschiedenen Beziehungen von Federn und Laufschuppen wird uns zeigen, dass wir diese letzteren nicht ohne Weiteres als homolog mit Reptilienschuppen ansehen dürfen. Bei einer Taube, welche Federn auf ihrem Laufe besaß, fand ich folgende Verhältnisse vor. Die vordere Lauffläche war dünn mit kleinen Federn, ungefähr von der Länge von 1 cm, bekleidet Morpholog. Jahrbuch. 15. 39 604 H. R. Davies (s. Fig. 31). Auf jeder Seite war eine Reihe viel kleinerer und meistens ganz rudimentärer Federn vorhanden, und hinter jeder die- ser Reihen waren noch einige zerstreute Federrudimente zu sehen. Auf der hinteren Lauffläche. fehlten sie. Als ich die Haut unter diesen Federn untersuchte, fand ich sie in dem obersten Theil des Laufes dünn und gerunzelt; weiter abwärts aber zeigte sich in der leicht erhobenen Haut und um die Ansatzstelle jeder Feder eine leichte Verdickung. Diese Verdickungen sind an der oberen Seite der Ansatzstelle am meisten ausgeprägt und liegen so über dem in die Haut eingesenkten Theil der Spule. Zuerst sind diese Ver- diekungen klein und von einander durch Stücke dünner Haut ge- trennt; ein wenig weiter unten aber sind sie längs der vorderen Fläche groß, erhaben und in zwei unregelmäßigen Reihen ange- ordnet. Jede Verdickung ist von der ihr benachbarten durch eine schwache Rinne getrennt. Die Federn durchbrechen diese Ver- diekungen nahe ihrem unteren Rande. Auf den Zehen finden wir eine regelmäßigere Anordnung. Das obere Drittel der Cirkumferenz jeder Zehe ist von einer einzigen Reihe breiter Hautverdickungen bedeckt, welche die Form von Halbringen haben. Bei ausgestreckter Zehe ragt das unterste Ende jeder dieser Verdickungen über das obere Ende der distal zu ihr gelegenen, und so sehen dann diese Gebilde wie Schuppen aus. Viele dieser Halbringe tragen nahe ihrem un- teren Rande Federrudimente. Einige von ihnen sind durch Längs- rinnen in zwei laterale Hälften getheilt, und hier und da finden wir über eine kurze Strecke hin die Halbringe fehlend und an ihrer Stelle zwei unregelmäßige Reihen von Verdickungen, so wie wir sie auf der Vorderfläche des Laufes fanden, und jede von ihnen trägt ein Federrudiment. Letztere Befunde scheinen zu zeigen, dass jeder Halbring der Verschmelzung zweier lateraler Verdickungen seinen Ursprung verdankt. An den Seiten und der Hinterfläche des Laufes ist die Haut mit eng angeordneten, mehr oder weniger rundlichen Verdickungen bedeckt, welche viel kleiner sind als die auf der Vorderfläche befindlichen. Alle kleinen Federn und Federrudimente aber, welche hier gefunden werden, stehen in derselben Beziehung zu diesen Verdickungen, wie jene auf der Vorderfläche befindlichen. Bei einer ein paar Wochen alten Nestlingtaube fand ich nahezu dieselben Verhältnisse, wie ich sie eben beschrieben. Aber hier bestanden sogar an der hinteren Lauffläche auf einigen der Ver- dickungen Federrudimente. Außerdem fanden sich noch ziemlich © kleine, in Entwicklung begriffene Federn auf den Zehen. Hier r: ' « | + ~ + i : 5 Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 605 waren keine Halbringe, wie man sie auf Fig. 31 sieht, sondern die obere Fläche der Zehen trug, wie die Vorderfliiche des Laufes im letzten Falle, zwei unregelmäßige Reihen von Verdickungen, deren jede entweder von einer in Entwicklung begriffenen Feder durch- brochen war oder nahe ihrem unteren Rande ein Federrudiment trug. Manchmal bestand sowohl in diesem wie in dem letzten Fall das Rudiment nur aus einer kaum wahrnehmbaren Erhebung, und manch- - mal sogar blieb nur eine kleine runde Aushöhlung zurück, aus der wohl diese Erhebung herausgefallen war. Fig. 32 zeigt einen Längsschnitt durch eine der Hautverdickungen auf der oberen Fläche der Zehen. Der Schnitt geht durch eine kleine in Entwicklung be- griffene definitive Feder. Zwischen den abgerundeten Höckerchen auf der unteren Fläche der Zehen und den starken Verdickungen oder Halbringen auf der oberen Fläche befanden sich in diesen bei- den Fällen eine oder zwei Reihen von kleineren Verdiekungen, auf denen sich Federrudimente entwickelten. Diese Verdickungen sind gewöhnlich weniger abgerundet und hervorragend als die Höcker- chen, und manchmal besteht zwischen beiden eine deutliche Demar- kationslinie. Manchmal dagegen ist es schwer zu sagen, wo die Höckerchen aufhören und diese Verdickungen anfangen. Bei einer ausgewachsenen Taube, welche keine Federn auf ihrem Fuße trug, befanden sich vollkommen regelmäßige Halbringe sowohl auf den Zehen, als auch auf der Vorderfläche des Laufes. Auf dem Lauf aber griffen diese Halbringe nicht über einander, wie die auf den Zehen befindlichen, sondern waren nur durch Rinnen von einander ge- trennt. Einige der Halbringe des Laufes waren durch Längsfurchen in zwei laterale Hälften getheilt, wie es bei den Halbringen an den Zehen des erst beschriebenen Falles war, aber weder auf den Zehen, noch auf dem Lauf trugen sie irgend welche Federrudimente. Aber gerade über dem letzten erkennbaren Halbring zeigten einige der kleinen hier gelegenen Federn leichte Verdiekungen rund um ihre Ansatzstellen und einige sehr rudimentäre Federn waren auf einigen Verdickungen an dem allerobersten Theil der Seiten des Laufes zu sehen. Die natiirliche Erklirung dieser Thatsachen scheint folgende zu sein: Der Besitz von kleinen Federn auf dem Lauf und auf der oberen Fläche und den Seiten der Zehen ist der primitive Zustand. Diese Federn wurden zuerst rudimentär und begannen längs der Seiten der Zehen und der hinteren Fläche und schließlich längs der Seiten des Laufes zu verschwinden, während sie besser entwickelt 39* 606 H. R. Davies und längere Zeit auf der oberen Fläche der Zehen und der Vorderfläche des Laufes sich erhielten. Die vorhandenen Laufschuppen und Schilder nahmen ihren Ursprung als Verdickungen der Haut rings um die An- satzstellen dieser Federn, und die Halbringe auf den Zehen und dem Lauf entstanden jeder durch die Verschmelzung von mindestens zwei soleher Hautverdickungen. Beim Taubenembryo mit Federfüßen werden die Erstlingsdunen auf dem Lauf und den Zehen sehr gut entwickelt getroffen. Die Hautverdiekungen treten rund um die Basis der Dunenpapillen auf, so weit ich es beurtheilen konnte ungefähr zu derselben Zeit, wo die Einsenkung beginnt. Die kleineren Verdickungen auf der hin- teren Fläche des Laufes, wo keine oder nur sehr rudimentäre Dunen- federn entwickelt werden, treten früher auf als die auf der vorderen Fläche und desshalb manchmal früher als die rudimentären Dunen- papillen, welche sie später tragen. Bei den Taubenembryonen, mit unbefiederten Füßen erscheinen die Halbringe als opake Stellen in der halb durchsichtigen Haut. Sie treten in einem früheren Stadium auf als die Verdickungen, welche sich rund um Dunenpapillen bei federfüßigen Tauben entwickeln. Zur Zeit wo diese Halbringe und kleineren Verdickungen sich zuerst entwickeln, sind am Lauf und an den Zehen keine Federpapillen sichtbar, aber bei frisch ausge- brüteten Erstlingen derselben nicht federfüßigen Art kann man zahl- reiche, sehr rudimentäre Dunenfedern finden. Auf einem längs der Seite des Laufes gehenden Schnitt fand ich bei einem solchen Erstling, dass fast jede Verdickung eine kleine Papille trug (s. Fig. 33). Die Mehrzahl dieser Papillen war auf der Hautoberfläche nicht er- kennbar; nur hier und da war eine sichtbar. Auf den Halbringen fanden sich auch rudimentäre Papillen oder hier und da eine rudi- — mentäre Feder, die aus drei oder vier kaum erkennbaren Strahlen bestand. Die Mehrzahl dieser Papillen muss wieder verschwinden, ohne dass sie je eine Feder haben entstehen lassen, aber einige von den auf den Seiten des oberen Theiles des Laufes befindlichen können rudimentäre Federn hervorgehen lassen, wie man deren bei dem er- wachsenen Thier in dieser Gegend findet. Diese Thatsachen scheinen mir im Ganzen die oben über den Ursprung der Schuppen und Schilder auf dem Lauf aufgestellte An- sicht zu bestätigen. Wir müssen annehmen, dass im Verhältnis wie — die Verdickungen an Bedeutung gewannen, ihre Entwicklung in ent- sprechend früherer Zeit beginnen musste und wir haben schon be- 2 Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 607 obachtet, dass in dem Maße wie eine Dunenfeder mehr und mehr rudimentär wird, so die sie erzeugende Papille in immer späterer Zeit entsteht. Man müsste also in unserem Falle bestimmt erwarten, dass vor der totalen Atrophirung der Federpapille eine Zeit bestehen musste, wo die Hautverdiekung sich zuerst entwickelte und dann die Federpapille, wenn auch genau über dem Punkt, wo die Papille sich entwickelt, wahrscheinlich keine Verdickung der Epidermislagen stattfindet. Ich habe bei dem Hühnchen wie bei der Taube zwischen Lauf- ‘schuppen und rudimentären Federn dieselben Beziehungen gefunden. Bei einer frisch ausgebrüteten Ente fand ich an der Übergangsstelle zum Lauf rudimentäre Federn auf den abgeplatteten Höckerchen, mit welchen der Lauf hier bedeckt ist (s. Fig. 34). An einem kleinen ' Hautstück von Dromaeus fand ich am Übergangspunkt ein Paar ru- dimentärer Federn, welche in derselben Beziehung zu den Schuppen zu stehen schienen, wie bei den oben erwähnten Beispielen. Bei Struthio aber scheint die Runzelung der Haut am Übergangspunkt allmählich in ein bestimmtes Muster sich anzuordnen und die kleinen dadurch begrenzten Hautstücke sich zu verdicken, woraus dann die kleinen Höckerchen, welche sich hier nach oben zwischen die Basen der zerstreuten Federn erstrecken, entstanden sein mögen. Wenn also Federn von Schuppen abgeleitet werden — was wir im letzten Theil dieser Arbeit folgerichtig zu zeigen versuchen wol- len —, so müssen wir es für sehr wahrscheinlich halten, dass alle Schuppen auf dem Lauf und auf den oberen Seiten der Zehen der Reptilienvögel in kleine Federn verwandelt wurden, wobei nur die Höckerchen auf der unteren Fläche der Zehen ihre ursprüngliche Gestalt behielten, und ferner, dass die sich jetzt auf dem Lauf und den Zehen findenden Schuppen und Schilder sekundäre Gebilde sind, welche in einigen Fällen als Verdickungen der Haut rund um die Ansatzstellen von Federn entstanden, in anderen wahrscheinlich als Verdickungen der Haut unabhängig von Federn. Manchmal ver- schmelzen die halbringähnlichen Schuppen oder Schilder, um lange Schienen zu bilden. Wenn die Laufschuppen genau die Gestalt von Reptilienschup- pen haben, muss ihre Entwicklung der der Reptilienschuppen mehr oder weniger ähnlich oder gleich sein. Dass ferner die sekundär ‚gebildeten Höckerchen auf den Seiten der Zehen kaum oder über- haupt nicht unterscheidbar sind von den primären Schuppen, darf 608 H. R. Davies uns nicht überraschen, wenn wir bedenken, dass beides kleine Er- hebungen der Haut und beide genau denselben Verhältnissen unter- worfen sind!. 5. Die Entwicklung des Stachels. Die auffallende Ähnlichkeit zwischen der Entwicklung des Sta- chels und der der Feder und das ganz besonders mit Bezug auf die Bildung der Längsleisten auf den Wänden beider, veranlassten mich auf Professor GEGENBAUR’s Anregung hin, die Entwicklungs- arten der beiden Gebilde einer eingehenden Vergleichung zu unter- ziehen. In der folgenden kurzen, aber wie ich glaube, doch genauen Darstellung der Stachelentwicklung finden sich einige Abweichungen von früheren Beschreibungen der Haarentwicklung. Da meine Zeit es mir nicht erlaubt, auf eine Diskussion aller dieser Punkte einzu- sehen, will ich mich damit begnügen, dieselben nur kurz zu be- rühren. An einem Igelembryo von 13—14 mm Länge kann man auf der Rückenhaut zahlreiche weiße Flecke wahrnehmen, die an Deut- lichkeit und auch an Größe verschieden sind. Genau betrachtet sehen sie aus wie kleine, abgerundete, trübe Hervorragungen auf der Hautoberfliche. Die Fig. 35, 36, 37 zeigen Vertikalschnitte durch drei solcher Flecken und stellen drei auf einander folgende Entwicklungsstadien dar. In dem ersten Stadium (Fig. 35) erkennen wir eine kleine An- sammlung von Dermazellen unmittelbar unter einer leichten Erhe- bung der Epidermis: letztere besteht zu dieser Zeit aus einer Cy- linderzellenlage, ein Paar Lagen von Intermediärzellen und einer manchmal sehr deutlich ausgeprägten Epitrichialschicht. Wir haben dann nichts Anderes vor uns, als eine sehr wenig ausgeprägte Haut- papille. Das stimmt überein mit den Beschreibungen von REISSNER, GÖTTE und FEIERTAG. In dem zweiten Stadium (Fig. 36) baucht sich die Cylinder- zellenlage leicht nach unten aus und hier ist zwischen dieser Lage 3 3 a j 7 Em 7 ; ! Bereits JEFFRIES hat die Meinung geäußert, dass die Laufschuppen, da sie Federn tragen können, den Reptilienschuppen nicht als homolog betrachtet werden dürfen. Ich kann auch seine Angabe, die der KERBERT’s gegeniiber- steht, bestätigen, wenn er sagt, dass die äußersten Lagen der Laufschuppen periodisch abfallen. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 609 und den ursprünglichen Intermediärzellen der Erhebung eine Anzahl von Zellen gebildet, deren Protoplasma von Boraxkarmin schwächer tingirt wird als das Protoplasma der Intermediärzellen über ihnen _ oder das der Cylinderzellen. In Folge dessen sehen diese Zellen über der Cylinderzellenlage ähnlich den Dermazellen unmittelbar unter dieser Lage. Diese Ähnliehkeit zusammen mit einer gewissen Undeutlichkeit der Begrenzung!, welche die Cylinderzellen gerade in diesem Stadium zeigen, führte wahrscheinlich Görre zu der Ver- muthung, dass ein Theil der Dermazellen von den Cylinderzellen eingeschlossen werde. Das ist bei dem Stachel sicherlich nicht der Fall. Dagegen stimmt meine Darstellung im Wesentlichen mit der FEIERTAG’s überein. In dem dritten Stadium (Fig. 37) ist die Ausbauchung der Cy- linderzellenlage nach unten und die gleichzeitige Bildung von blasse- ren Intermediärzellen durch jene Lage weiter vorgeschritten, bis ein solides Einwachsen der Epidermis nach unten in das Derma statt- gefunden hat. Über der Einsenkung können wir noch die Epitri- chialschicht und die Intermediärzellen der ursprünglichen Erhebung erkennen, und unter der Einwachsung die Ansammlung der Derma- zellen. Was wir als das vierte Stadium betrachten können, ist in Fig. 38 dargestellt. Wie wir sehen, ist die Einsenkung noch bedeutend tiefer geworden und ihr unteres Ende hat sich leicht einwärts ge- baucht. Sie besteht noch aus einer äußeren Cylinderzellenlage und einer inneren Masse von schwach gefärbten Intermediärzellen; aber unten, wo der Grund sich einwärts baucht, hat die Cylinderzellen- lage vier oder fünf Reihen eng zusammengehäufter, tief gefärbter Zellen entstehen lassen, deren oberste ein etwas abgeplattetes ge- strecktes Aussehen gewonnen hat. Die Ansammlung der Derma- zellen liegt in der Höhlung, welche am Grunde der Einsenkung ge- bildet wird, und sie ist jetzt deutlich als die Dermapapille des in Entwicklung begriffenen Stachels zu erkennen. Andere Dermazellen haben angefangen, sich rings um die basale Hälfte der Einsenkung ! Sobald die Cylinderzellenlage sich nach abwärts zurückzieht in die Ein- senkung am Grunde einer atrophirenden Dunenpapille, ist sie gleichfalls häufig sehr undeutlich in ihrer Begrenzung. Sie wird dann deutlicher, wenn sie auf- hört, sich nach unten zurückzuziehen und wenn sie den Federkeim der defini- tiven Feder zu bilden anfängt. Diese zeitweilige Undeutlichkeit kann mit der Zelldegeneration in Verbindung gebracht werden, welche bald darauf in beiden Fällen eintritt. 610 H. R. Davies anzuordnen und schließen die Pulpa unten ein. Das ist der Beginn des Dermatheiles des zukünftigen Follikels. Der verdickte einwärts gebauchte Boden ist die erste Andeutung des Haarkeimes, von dem aus der Stachel entwickelt wird. In dem nächsten, dem fünften Stadium (s. Fig. 39) sehen wir, dass der Haarkeim sich bedeutend vergrößert hat und ein mehr oder weniger ovales oder konisches Gebilde mit einer scharfen Spitze darstellt. Die ganze Einwachsung ist breiter und tiefer geworden als früher und ihre untere Hälfte, welche den in Entwicklung be- griffenen Stachel enthält, ist viel dieker als ihre obere Hälfte, in welche der Stachel nicht hineinreicht. An dieser oberen Hälfte bemerken wir in den am meisten central geiegenen Intermediärzellen vor sich gegangene Veränderungen., Dunkel gefärbte Flecke treten im Protoplasma dieser Zellen auf und nehmen ungeheuer rasch an Zahl und Größe zu. Bald sind die Umrisse dieser Zellen nicht mehr deutlich unterscheidbar und die centrale Achse des oberen Theiles der Einsenkung scheint aus einer Masse dunkel gefärbter Kérnchen oder Kügelchen zu bestehen. Längs des centralen Theiles dieser dunkel gefärbten Achse erscheint zunächst ein Raum, welcher sich unmittelbar unter den äußeren zuerst gebildeten Epidermislagen nach unten erstreckt, bis er die Spitze des in Entwicklung begriffenen Haarkeimes umschließt. Wir haben es zwar hier zweifellos mit degenerirenden Zellen zu thun; jedoch konnte ich beim Stachel die großen Fettkiigelchen nicht beobachten, welehe GörtE bei den in Entwicklung begriffenen Haaren des Schafembryo beschrieben hat. Solche Gebilde können sich ja auch während der Behandlung der Gewebe von dem oben beschriebenen centralen Raum losgelöst haben. | In dem oberen Theil der Einsenkung bilden die Cylinderzellen noch eine deutlich ausgeprägte quere Lage. Ihre hohe cylindrische Form scheint auf starken Druck zu deuten, mit dem sie sich eng auf einander pressen, so, dass sie hier in einer seitlichen Vermehrung innerhalb ihrer eigenen Lage begriffen scheinen. Auch die unregel- mäßige Art und Weise, in welcher die Einsenkung sich krümmt und biegt, scheint darauf hinzuweisen, dass in ihren oberen Theilen ein Wachsthumsvorgang stattfindet. Gehen wir weiter abwärts, so finden wir, dass die Intermediärzellen zwischen der Cylinderzellenschicht und dem Haarkeim fortwährend an Zahl abnehmen, bis schließlich die Cylinderzellenschicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem basalen Theil des in Entwicklung begriffenen Stachels liegt. en Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 611 Bei dem in Entwicklung begriffenen Stachel selbst finden wir zu- nächst der Pulpa zuerst die Cylinderzellenlage und dann eine Anzahl von Intermediärzellenlagen, deren Zahl an der Spitze größer ist als an den Seiten. Die äußersten dieser Lagen bestehen aus einem Paar von Reihen abgeplatteter Zellen, welehe schon in dem letzten Sta- dium aufgetreten sind. Diese Zellen haben an Länge zugenommen, sind in der Mittellinie gegen einander und in Folge dessen aufwärts in den Raum gewachsen, der zwischen den degenerirenden Zellen gebildet wurde; sie stellen jetzt die Spitzen des Haarkeimes dar. Unter diesen abgeplatteten Zellen und scharf abgesetzt von ihnen finden wir, besonders in der Gegend der Spitze eine zusammen- hängende Reihe von enger angeordneten kubischen Zellen. Diese bilden das Oberhäutchen des zukünftigen Stachels, und sind zu die- ser Zeit leicht von den Intermediärzellenlagen zu unterscheiden, welche zwischen ihnen und den Cylinderzellen des Haarkeimes liegen: denn ihr Protoplasma lässt sich tiefer und gleichmäßiger färben als das dieser letzteren. Diese letzteren Intermediärzellenlagen sind alle einander ähnlich, sie liegen zwischen dem Oberhiutchen und der Cylinderzellenlage und bilden die hornigen Wände des zukünftigen Stachels. Die Lagen abgeplatteter Zellen, welche sich außerhalb des Oberhäutchens befinden, nennen wir einstweilen Scheide. Wenn wir die Scheide und das Oberhiiutchen weiter abwärts verfolgen, so finden wir die sie zusammensetzenden Zellen allmählich weniger deutlich unterscheidbar werden, bis an der Basis des Haarkeimes der Raum zwischen der äußeren Cylinderzellenlage der Einsenkung und der inneren Cylinderzellenlage des sich entwickelnden Stachels von einer zusammenhängenden homogenen Masse von Intermediär- zellen eingenommen wird. Wir haben hier thatsächlich eine Gegend, die in allen Beziehungen derjenigen an der Basis der sich entwickelnden Feder entspricht, welche wir die wachsende Krempe genannt haben. Die Pulpazellen liegen jetzt vollständig innerhalb des Haarkeimes und haben auch bedeutend an Zahl zugenommen, entsprechend der Größenzunahme der Pulpahöhle. Der Dermatheil des Follikels hat sich ebenfalls viel besser entwickelt als das im letzten Stadium der Fall war!. Die Hauptrolle in der Entwicklung des Stachels spielt von jetzt an ein Abwärtswachsen der Gegend der wachsenden Krempe und die Differenzirung der Zellen in die verschiedenen oben 1 Eine homogene Grenzschicht habe ich bei dem sich entwickelnden Stachel nicht beobachten können. 612 H. R. Davies erwähnten Zelllagen, welche, während dieses Wachsthums produeirt werden. Auf diese Weise nehmen der Stachelkeim, die Pulpa- höhlung und jene äußeren Lagen der Einsenkung, welche Theile des Follikels bilden, gleichzeitig an Länge zu, nach derselben Art, wie wir sie bereits in frühen Stadien der Entwicklung der definitiven Feder gefunden haben. Zu derselben Zeit nehmen die Zellen, welche die oberen Theile des Stachels zusammensetzen, an Länge zu, und beginnen zu ver- hornen. Jedoch trotz des bedeutenden Längenwachsthums dieser Zellen rückt die Spitze des Stachels, wenigstens für einige Zeit, der Hautoberfläche nicht merklich näher. Das scheint ein weiterer Beweis dafür zu sein, dass die Ausdehnung der Einsenkung nach ab- wärts noch befördert wird durch eine Zellvermehrung in den oberen Gegenden ihrer Seiten. Die am meisten central gelegenen ursprünglichen Intermediär- zellen der Einsenkung, welche nicht degenerirt sind — denn die De- generation ist auf jene Zellen beschränkt, die ganz im Centrum der Masse liegen —, beginnen in die Länge zu wachsen, und wenn wir diese Zellen abwärts auf ihren Verlauf verfolgen, kommen wir schließ- lich an einen Punkt, wo sie nicht mehr deutlich von denen der Scheide zu unterscheiden sind!. Die Gestalt jedoch und das Aus- sehen, welches die Zellen der Scheide sehr bald annehmen, lassen sie leicht von allen anderen Zellen der Einsenkung unterscheiden. Nachdem wir die Grundzüge des Weiterganges der Entwicklung angegeben haben, gehen wir zu dem in Fig. 40 dargestellten sech- sten Stadium. Die feine und scharfe Spitze des Stachels behält ihre Lage, ungefähr in der Höhe der Talgdrüsen bei. Die Scheide, welche 1 Bei einigen größeren Igelhaaren erreicht die Einsenkung eine viel größere Tiefe, bevor die Entwicklung des Haarkeimes beginnt. Ich habe hier weder die Zelldegeneration noch die Bildung eines centralen Raumes, wie er oben beschrieben wurde, beobachten Können; aber die Enge des Halses der Ein- senkung lässt annehmen, dass möglicherweise dieser Raum, sobald er gebildet ist, durch den gegenseitigen Druck an seinen Seiten wieder aufgehoben wird. Manchmal finden wir im Centrum der Einsenkung eine Achse von längs ange- ordneten lang ausgezogenen Zellen. Wenn wir diese weiter abwärts verfolgen, so gehen sie augenscheinlich immer auf die Seite des sich entwickelnden Haar- keimes über; sie entsprechen zweifellos den oben beim Stachel beschriebenen Zellen, welche zunächst dem centralen Raum liegen. Es scheint möglich, dass in einigen Fällen diese Zellen so langgestreckt werden, noch ehe der Haarkeim auftritt. Das könnte einigermaßen zur Erklärung der Angaben KÖLLIKER’s und FEIERTAG’s dienen (s. unten). a rue ” Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 613 in ihren oberen Theilen aus zwei oder drei Lagen langer, glasartiger Zellen besteht, die meistens einen deutlichen Kern besitzen, erreicht eine etwas größere Höhe. Ihre Zellen sind aufwärts bis zu der Off- nung der obersten und am weitesten entwickelten Talgdrüsen ver- folgbar. Oberhalb der Talgdriisen haben die am meisten central gelege- nen Intermediärzellen hornige Lagen entstehen lassen, welche mit den tieferen hornigen Lagen der Haut zusammenhängen; dagegen stehen die übrigen Zellen dieser Region mit der Schleimschicht der Haut in Zusammenhang. Die oberen, zuerst gebildeten hornigen Lagen der Haut verlaufen noch ununterbrochen quer über die Mündung des Follikels. Unterhalb der Talgdrüsen kommen keine einfachen hor- nigen Lagen vor, die denen der Haut ähnlich wären. Außerhalb der Scheide finden wir als Zusatz zu der Cylinderzellenlage ein Paar Lagen aus mehr oder weniger abgeplatteten Intermediärzellen; aber weiter abwärts verschwinden letztere und die aus abgeplatteten Zellen bestehende Cylinderzellenlage kommt in unmittelbare Berüh- rung mit der Scheide. Am Stachel selbst finden wir den oberen Theil mit seinem feinen Ende vollständig verhornt, ferner die Pulpa der Spitze nicht mehr so nahe als früher, und endlich den früher von dem oberen Ende der Pulpa eingenommenen Raum jetzt von Markzellen ausgefüllt. Auf die Bil- dung der inneren Theile des Stachels später zuriickkommend, unter- suchen wir jetzt die Bildung und den Bau der Scheide, sowie Be- ziehung zu dem Stachel und den äußeren Lagen des Follikels. Fig. 41 zeigt einen Längsschnitt durch die Gegend der wachsen- den Krempe eines Stachels ungefähr in demselben Entwicklungs- stadium, wie es Fig. 40 zeigt. Man muss sich, um die Entwicklung und die Beziehungen der Scheide richtig verstehen zu können, klar machen, dass die wachsende Krempe sich fortwährend nach abwärts fortsetzt und dass sie dann eine homogene Masse von Intermediär- zellen entstehen lässt. deren Mehrzahl sich bald darauf in die hor- nigen Fasern des Stachels differenzirt, während die übrigen die Zellen der Scheide entstehen lassen. Unter denjenigen, welche die Wände des Stachels bilden, unterscheiden sich die das Oberhäutchen zusammensetzenden Zellen bald von den übrigen durch ihre be- deutendere Größe. Unmittelbar nach außen vom Oberhiutchen und ihm eng anliegend, befindet sich eine einfache Lage von schmalen, langgestreckten Zellen. Diese sind deutlicher auf Querschnitten zu erkennen (s. Fig. 43) und scheinen vielmehr zu dem Stachel als zu 614 H. R. Davies der Scheide zu gehören!. Diese Zellen habe ich nur in diesem Sta- dium beobachtet. Die Scheide entsteht aus den drei äußersten Schichten der Inter- mediärzellen, die sich von der wachsenden Krempe ableiten. Wenn wir Fig. 41 betrachten, so sehen wir, dass eine Strecke weit alle an der Krempe produzirten Zellen ziemlich gleichmäßig an Länge zunehmen. Die Cylinderzellen des Follikels aber werden bald zahlreich in Vergleichung mit den Zellen der Scheide, was wir als Beweis da- fiir ansehen, dass eine Vermehrung dieser Zellen auf den Seiten des Follikels stattfindet, ein Umstand, den zu vermuthen wir bereits Grund gehabt hatten?. In größerer Höhe als sie Fig. 41 darstellt (s. Fig. 44), treten Intermediärzellen zwischen der Cylinderzellenlage des Follikels und den Zellen der Scheide auf. Sie werden offenbar durch die ersteren gebildet. Die äußersten der Scheidenzellen bleiben in Verbindung mit denjenigen Zellen der Cylinderzellenlage des Follikels, welche gleichzeitig mit ihnen auf der wachsenden Krempe produeirt wurden, oder in Verbindung mit den sekundär durch diese Cylinderzellen produeirten Intermediärzellen. Dagegen werden die innersten, wenn wir sie weiter aufwärts verfolgen, immer mehr und mehr scharf von den Zellen des Oberhäutchens abgesetzt. Wenn sie an Länge zunehmen, ordnen sich diese Scheidenzellen in unregelmäßig ver- bundene, längs verlaufende Fasern (s. Fig. 45), oder besser gesagt, in unregelmäßigen koncentrischen Lamellen rings um den Stachel, welche auf Längsschnitten wie Fasern aussehen. Dabei wird ihre Anordnung in drei Lagen durchaus nicht gestört. Die äußerste dieser drei Lagen, die sogenannte HENLE’sche Schicht der inneren Wurzel- scheide, unterscheidet sich immer, ausgenommen in der Gegend der wachsenden Krempe, im Aussehen von den beiden inneren, welche die sogenannte Huxtey'sche Schicht bilden. An den unteren Theilen des in Entwicklung begriffenen Stachels sind die Zellen der Hux- Ley’schen Schicht sehr granulirt (s. Fig. 43), aber wenn wir aufwärts gegen die Region der Talgdrüsen gehen, werden sie klar und glasig und ihr Kern wird deutlich. Die Zellen der HENLE- schen Schicht färben sich im Allgemeinen — wenn auch nicht in allen Höhen — dunkler als diejenigen der Huxrer’schen Schicht; ; 9 1 Sie entsprechen aber denjenigen Zellen, welche UNNA in seiner Fig. 10 als ye Mutterzellen der Wurzelscheidencuticula bezeichnet. 2 Eine solehe Vermehrung dient hier offenbar dem Zweck, zu verhindern, dass die Spitze des starken Stachels vor der Geburt über die Haut hervorragt- = ’ i Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 61 5 sie sind aber selten granulirt. Ihre Kerne sind, in der Nachbarschaft der Talgdrüsen wenigstens, länger im Verhältnis zur Länge der Zellen als die Kerne der Zellen der Huxtey'schen Schicht!. In allen späteren Stadien als in den in Fig. 40 dargestellten hören die Zellen der inneren Wurzelscheide plötzlich in der Höhe der untersten Talg- drüsen auf. Wenn die oberen Theile des Stachels yollständig verhornt sind, verschmelzen die Zellen der Huxrey’schen Schicht in einen den Stachel unmittelbar umgebenden hornigen Cylinder. Die Zellen der Hente’schen Schicht aber behalten ihre Anordnung in mehr oder weniger freien longitudinalen (oder vielleicht schwach spiralig ver- laufenden) Fasern (s. Fig. 46). Im nächsten oder siebenten Stadium (s. Fig. 48) hat der sich entwickelnde Stachel eine viel größere Länge erreicht, und seine Spitze reicht jetzt bis zur Mündung des Follikels. Sein feines, biegsames Ende durchbohrt aber gewöhnlich nicht die hornigen Lagen, welche noch das obere Ende des Follikels überdecken, sondern es rollt sich innerhalb des Halses desselben auf. Die innere Wurzelscheide endigt jetzt in der Höhe der Talgdrüsen. Über das Schicksal des oberen Theiles der Scheide, welcher die Spitze des Stachels einschloss, kann ich nichts Bestimmtes sagen. Da der Stachel ein kontinuirliches Ganze bildet und die Längenzunahme jeder Zelle zum Längenwachsthum des Ganzen beiträgt, so scheint es möglich, dass die Spitze des Stachels einfach die obere Portion der Scheide durchbrach, welche dann im Halse des Follikels zerfiel. Wir treffen aber in den tieferen Theilen der Scheide die innere Wurzel- scheide des Follikels mit den beiden vorhin beschriebenen Schichten. Unmittelbar unter den Talgdrüsen ist die äußere Wurzelscheide aus zwei oder drei Lagen von Intermediärzellen und aus der Cylinder- zellenlage zusammengesetzt. Weiter unten nimmt die Zahl der Intermediärzellen ab und nahe der Basis besteht die äußere Wurzel- scheide nur aus der Cylinderzellenlage. Über den Talgdrüsen wer- den die Wände des Follikels nur von der äußeren Wurzelscheide 1 Es giebt Erscheinungen, welche darauf hindeuten, dass von der Schleim- schicht des Follikels der HenLE’schen Schicht zugesetzt werden kann, und ich war manchmal versucht zu glauben, dass die HENLE’sche Schicht vielmehr zu dem Follikel gerechnet werden sollte als zu dem Haarkeim. Es ist gut, sich an die Verbindung zu erinnern, welche wir zwischen den Zellen der Feder- scheide und den Zellen. der Schleimschicht des Follikels beobachtet haben. Alle Schnitte durch in Entwicklung begriffene Stacheln, von denen Zeich- nungen gegeben sind, wurden mit Boraxkarmin gefärbt. 616 H. R. Davies gebildet, aber die Zahl der Intermediärzellenlagen ist bedeutend größer. An ihren oberen Enden gehen diese Wände kontinuirlich in die Epidermislagen der Haut über. Die oberen Theile des Stachels scheinen sich von jetzt an durch den Horneylinder der Huxtey’schen Schicht durchzuschieben. Wenn die Entwicklung dieser Theile in allen Haaren in der gleichen Weise stattfindet, dann ist wahrscheinlich, dass bei denjenigen, welche während einer langen Zeit von der Basis des Follikels fortwährend aufwärts wachsen, neue Zellen nur an der Basis des Schaftes ge- bildet werden, während der inneren oder äußeren Wurzelscheide nichts zugesetzt wird. Die oberen Enden der über einander greifen- den Oberhäutchenzellen sind abgerundet und jede ist je der nächst oberen eng angeschlossen (s. Fig. 47). Diese Zellen würden daher einer solehen Aufwärtsbewegung keinen Widerstand bieten. Auch die Sekrete der Talgdrüsen können dazu dienen, die Oberflächen der Scheide und des Stachels schlüpfrig zu machen. Bei dem Stachel findet diese Aufwärtsbewegung durch den Horn- cylinder nur in sehr beschränkter Ausdehnung statt. Die Ausdeh- nung der wachsenden Krempe nach unten dauert fort, bis alle Zellen, welche den Stachel zusammensetzen, gebildet sind. Wenn man einen Igelembryo vor der Geburt beobachtet, so findet man die Haut seines Rückens in eine Reihe von »Wülsten« aufgeworfen, deren einige die feinen Spitzen der Stacheln, welche darunter liegen, ber- vordringen lassen. Diese Stacheln sind schief rückwärts gerichtet, an Größe denen gleich, welche ein junger, wenige Tage alter Igel besitzt. Sie haben eine Länge von 11—12 mm. Unmittelbar nach der Geburt werden diese Stacheln aus ihren Follikeln nach oben gehoben!. Nur das verdickte untere Ende oder die Zwiebel des Stachels bleibt jetzt unter der Haut zurück. Wahr- scheinlich wird die hornige innere Wurzelscheide größtentheils aus dem Follikel herausgepresst und geht zu Grunde. Doch habe ich den Follikel in diesem Stadium nicht studirt, kann also nichts Be- Stimmtes über seine Lage aussagen. Die zuerst gebildeten Stacheln sind pigmentfrei und besitzen dünnere Wände als die späteren. Diese späteren treten aber sehr bald nach der Geburt auf und der junge Igel trägt dann eine Be- ! Nach Lworr wird dies durch die elastischen Fasern des Balges verur- sacht. Die starken Musculi arrectores ‚sind dagegen zu dieser Zeit gut ent- wickelt, und es scheint wahrscheinlich, dass sie bei diesem Process eine Rolle spielen. u Zi a ua a u Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 617 deckung von schwarzen und weißen Stacheln auf seinem Rücken, während der untere Theil seines Körpers noch nackt ist. Die dunkel gefärbten stärkeren Stacheln nehmen ungeheuer rasch an Zahl zu. und noch bevor der Igel die Hälfte seiner vollen Größe erreicht hat, sind die kleineren weißen Stacheln verloren gegangen. Ehe ich zu der Betrachtung der inneren Theile des Stachels übergehe, will ich kurz die Hauptpunkte bezeichnen, in denen die obige Beschreibung von den Darstellungen der Haarentwicklung, wie sie KÖLLIKER, GÖTTE und FEIERTAG gaben, abweicht. Ich habe bereits erwähnt, dass meine Beobachtungen mit denen REISSNER’s, GÖTTE’s und FEIERTAG’s in dem Punkt übereinstimmen, dass wenig- stens bei einigen Haaren das erste Entwicklungsstadium in der Bil- dung einer warzenartigen Erhebung auf der Hautoberfläche besteht. Ich will hier besonders darauf aufmerksam machen, dass das nur bei der ersten Haarbildung im Embryo beobachtet worden ist!. Was die Art und Weise betrifft, in welcher die Einsenkung ‘unter der warzenartigen Erhebung entsteht, so stimmen meine Beobach- tungen in der Hauptsache mit denen FEIERTAG's überein, sie wider- sprechen der GörrE’schen Angabe, dass von Anfang an eine Anzahl Dermazellen innerhalb der Basis der Epidermiseinsenkung einge- schlossen sei. Dagegen stimme ich mit KÖLLIKER und FEIERTAG darin überein, dass eine solide und manchmal flaschenförmige Ein- senkung der Epidermis in das Derma gebildet werde. FEIERTAG beobachtete auch die Ansammlung von Dermazellen unter der Basis der Einsenkung von den frühesten Stadien an, wie ich sie in meiner Darstellung beschrieben habe. Bezüglich der Haaranlage selbst stehen meine Beobachtungen am Stachel denen KÖLLIKER's entgegen, welcher »die Entstehung der Haare gleich in ihrer ganzen Länge mit Spitze, Schaft und Zwiebeln« durch eine Differenzirung der am meisten central ge- legenen Zellen der Epidermiseinsenkung erfolgen lässt. Auch FEIER- TAG’s Darstellung stimmt in diesen Punkten nicht mit den von mir gemachten Beobachtungen überein. Er sagt: »Im Haarkeim (das ist die Epidermiseinsenkung meiner Beschreibung) tritt unter fort- währender Vermehrung der Zellen allmählich eine Scheidung ein in 1 Nach FEIERTAG werden nur bei dem ersten Haarkeime bei sehr jungen Embryonen Höckerchen gebildet. Er sagt, dass »die Zahl der auf Cutishöcker- chen sich bildenden Haarkeime im Vergleich zu den ohne Cutishöckerchen ent- stehenden sehr gering ist«. FEIERTAG untersuchte Schafs- und Schweinsem- bryonen. 618 H. R. Davies einen centralen und einen peripheren Abschnitt. Die Differenzirung wird eingeleitet durch ein allmähliches Längerwerden der Zellen des centralen Theiles und wird mit einer Verhornung der äußersten Schicht des centralen Theiles beschlossen. Die verhornten Zellen bilden einen Kegelmantel, welcher den centralen Theil des Haar- keimes von dem peripherischen Theil scheidet. Die Zellen des pe- ripherischen Theiles liefern das Material zur äußeren Haarscheide ; die Zellen des centralen Theiles liefern das Material für den Haar- schaft und für die innere Haarscheide.« FEIERTAG sagt ferner: »niemals ist die Papille bei der ersten Anlage des Haarkeimes sicht-* bar«. Die Darstellungen und Zeichnungen beider, KOLLIKER’s und FEIERTAG’s, zeigen, dass sie zuerst in dem Centrum der Einsenkung undeutliche Anzeichen des sich entwickelnden Schaftes und der inneren Scheide fanden, und dass nur später diese Theile deutlich ausgeprägt wurden. Das führt mich zur Annahme, dass sie die degenerirenden centralen Zellen oder die ausgezogenen Intermediär- zellen, welche später einen Theil der äußeren Scheide bilden, für den Schaft hielten. Meine Beobachtungen zeigen deutlich, dass keine der vor dem Einwärtsdrängen der Pulpa in der Einsenkung vorhan- denen Intermediärzellen einen Theil des Stachels oder der inneren Wurzelscheide bilden !. FEIERTAG fand, dass die Zeit, zu welcher die Papille auftritt, nach den Thiergattungen außerordentlich verschieden ist. Auch beim Igel ist dieses bei Haaren von verschiedener Größe der Fall. Aber niemals habe ich vor dem Auftreten der Papille auch nur eine Spur von Haaren gefunden. Die Art und Weise der Entstehung des Haares über der vorher gebildeten Papille finde ich in vollkommener Übereinstimmung mit GörrtE’s Angaben. Dieser unterscheidet: »1) die beiden ursprüng- lichen Lagen des Fortsatzes als Anlage der äußeren Scheide; 2) in- nerhalb dieser die kegelförmige, von der Papille stammende Anlage des Haares und der inneren Scheide.« G6rre machte diese Beob- achtungen an Schafsembryonen, und desshalb widerspricht seine Darstellung direkt der Frrerrae’s. GörrTE beschrieb auch in der Achse des oberen Dritttheils der Anlage eine eigenthümliche Bildung von‘mehreren runden Körperchen, welche wie Fett aussehen und in 1 Es wäre aber übereilt, anzunehmen, dass die Entwicklung aller Haare genau der des Stachels gleicht, so dass ich nur auf die Verschiedenheit hin- weise. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 619 einer Reihe hinter einander liegen. Er spricht von dieser Bildung als »einem Vorläufer des eigentlichen Haares«, während ich mit der von mir in dieser Gegend beobachteten Zelldegeneration Überein- stimmung finden möchte. Bezüglich der inneren und äußeren Wurzelscheide scheinen alle Beobachter in der Hauptsache einig zu sein. Wir wenden uns jetzt zur Entwicklung der inneren Theile des Stachels. Der Stachel wächst während seiner frühesten Stadien von der Pulpa aus aufwärts als ein solides Gebilde. Bald jedoch lassen diejenigen Cylinderzellen, welche unmittelbar über der Spitze der Pulpa liegen, entweder langsamer als die gegen die Seiten gelegenen Zellen Intermediärzellen hervorgehen, oder hören für eine Zeit lang überhaupt auf, Intermediärzellen zu produciren. Somit entsteht jetzt eine schmale Verlängerung der Papille nach aufwärts in der Achse des wachsenden Stachels. Diese Verlängerung der Papille nach auf- wärts bekommt allmählich einen größeren Durchmesser in dem Maße, als die Intermediärzellenproduktion mehr und mehr auf die Seiten der Papille beschränkt wird; und schließlich, wenn diese Intermediär- zellenproduktion vollständig in der Gegend der wachsenden Krempe stattfindet, wächst der Stachel aufwärts! als ein eylindrisches Ge- bilde, welches für die Papille eine weite Höhlung umschließt. Bald nach dem ersten Auftreten der Verlängerung der Papille entsteht rings um dieselbe auf den epidermalen Wänden des Stachel- keimes eine Reihe von Längsleisten (s. Fig. 43). In dem Maße, als der Stachel wächst, als die Verlängerung der Papille nach oben an Größe zunimmt, und die epidermalen Wände des Stachels an Dicke abnehmen, werden die Fortsetzungen dieser Falten nach unten immer bedeutender. Ihre Entstehungsweise gleicht ganz genau der- jenigen der Leisten beim definitiven Federkeim. Wenn die Wände des Stachelkeimes eine bestimmte Dicke erreicht haben, tritt längs ihrer Innenfläche eine Reihe von longitudinalen Rinnen auf, und diese nehmen an Tiefe zu, bis die innere Hälfte der Dicke dieser Wände in eine Anzahl paralleler Leisten getheilt ist. Einen Durch- schnitt nahe der Basis eines in Entwicklung begriffenen Stachels (s. Fig. 42) gerade da, wo diese Leisten sich bilden, kann man kaum unterscheiden von einem solchen durch die Basis eines Feder- 1 Ich spreche so der Kürze halber von dem Aufwärtswachsen des Stachels. In Wirklichkeit wächst ja der Stachel nicht aufwärts, sondern seine Basis wächst abwärts, wie schon früher aus einander gesetzt wurde. Morphoiog. Jahrbuch. 15. 40 620 H. R. Davies keimes. Die Ähnlichkeit verschwindet aber bald, indem diese Leisten bei dem Stachel sehr rasch gegen die Papille einwärts wachsen, sie in eine Anzahl tiefer longitudinaler Abschnitte theilen und nur eine kleine centrale Partie ungetheilt lassen (s. Fig. 49). Mit beginnender Verhornung entstehen innerhalb dieser Leisten hornige Lamellen, die mit der Rindenschicht zusammenhängen. Aber diese Lamellen reichen niemals bis an die inneren Kanten der Lei- sten, die nach der Verhornung der Lamellen fortfahren, gegen die Längsachse einwärts zu wachsen. Nach einiger Zeit treffen sich die freien inneren Kanten der Leisten und verschmelzen in der Mittellinie unter einander (s. Fig. 50): und so finden wir denn in diesem Stadium eine centrale Masse von Intermediärzellen, welche Masse durch radiär verlaufende Züge (wie sie im Querschnitt aussehen) sich in die Lamellen peripherisch fort- setzt. Zwischen den radiär verlaufenden Zügen erhalten sich noch die seitlichen Fächer der Papillenreste, aber die Cylinderzellen, die sie umgeben, produciren rasch Intermediärzellen und bald sind auch jene verschwunden. Das Innere des Stachels ist jetzt von Intermediär- zellen erfüllt, die in der Umwandlung zu Markzellen begriffen sind. Diese Veränderungen gehen allmählich während des Wachsthums des Stachels von oben nach unten vor sich, und Hand in Hand mit ihnen geht eine Resorption der oberen Theile des Papillengewebes. Die Lamellen der Rindenschicht, die einwärts in die beinahe homo- gene Masse von Markzellen vorragen, sind Alles, was später als das Resultat der Leistenbildung zuriickbleibt. Die Bedeutung dieser Leistenbildung wollen wir in dem Schlusstheil dieser Arbeit be- sprechen. Die Art und Weise, auf welche die Markzellen beim Stachel gebildet werden, ist derjenigen ähnlich, wie sie bei der Feder sieh findet. Im Inneren der Intermediärzellen tritt eine Höhlung auf, un- mittelbar um den Kern, und nimmt an Größe zu; bald darauf ver- hornt das periphere Protoplasma der Zelle. Aber die Markzellen des Stachels sind nie so groß, wie jene des Federschaftes; später scheinen sie sich von einander zu trennen und zwar in Gruppen, die eine Anzahl von mehr oder weniger quer verlaufenden Reihen bilden. Diese Reihen sind schon in dem in Fig. 48 dargestellten Stadium angedeutet; später jedoch trennen sie sich noch mehr von einander; doch ist ein Grund für dieses Verhalten nicht ersichtlich. Die hohlen Markzellen reichen nicht vollständig bis zur Spitze des Stachels. In dieser lassen die Intermediärzellen augenscheinlich mehr solide Horn- Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 621 zellen und Fasern entstehen. Weiter abwärts sehen wir die Mark- zellen in dem Centrum auftreten und finden sie zuerst durch hornige Fasern mit der Rindenschicht in Verbindung. Noch weiter unten bestehen die diese seitlichen Fasern zusammensetzenden Zellen eben- falls aus Markzellen, und schließlich ist das ganze Innere des tieferen Theiles des Stachels von einer Masse :von Markzellen erfüllt, die sich jedoch bald, wie schon erwähnt, in quer verlaufende Reihen auflöst. Wenn der Stachel sich seiner Vollendung naht, nimmt sein Durchmesser gegen die Basis zu ab, und zu derselben Zeit nimmt die Rindenschicht im Verhältnis zur Marksubstanz an Dicke zu und die Leisten verschwinden allmählich. Die Marksubstanz wird schließ- lich auf einen kaum wahrnehmbaren Strang in der Achse der Rinden- schicht redueirt. Das letzte Stadium in der Entwieklung ist die Bildung einer Rindenschichtenvergrößerung, der sogenannten Zwiebel oder des Kolbens, in dessen Centrum die Marksubstanz endigt. Wie mir scheint, wird die Zwiebel folgendermaßen gebildet. Die Papille zieht sich aus der Basis des Stachels zurück, und die Cylinderzellen- lage des Stachels wird zu derselben Zeit ausgestülpt, bis sie nur den basalen Theil der Cylinderzellenlage des Follikels bildet. Sie pro- duzirt aber noch weiter Rindenzellen und lässt so die Verdiekung oder die Zwiebel entstehen. So kommt es, dass die Zwiebel in organischer Verbindung mit dem basalen Theil der Sehleimschicht des Follikels bleibt, d. h. mit der äußeren Wurzelscheide, und dass in der Gegend der Zwiebel keine innere Wurzelscheide gebildet wird. Man könnte sogar sagen, dass die Zwiebel, theilweise wenigstens, von der äußeren Wurzelscheide gebildet wird. Lworr untersuchte die Stacheln nicht in den frühen Entwick- lungsstadien, sondern nur in verschiedenen Wachsthumszuständen, die er an einem jungen Igel nach der Geburt fand. Er fand in der inneren Wurzelscheide drei Zelllagen, deren eine der äußeren HENLE- schen Schicht, während die beiden anderen der inneren Huxrey'schen Schicht angehörten. Er ist mit UNNA einverstanden, dass die HENLE- sche und Huxtey'sche Schicht »genetisch durchaus zusammengehören «; aber er ist der Meinung, dass diese später »vollkommen von einander geschieden werden«. Meine Beobachtungen bestätigen diese letzte An- 1 Lworr behauptet, dass ein Theil der Pulpa innerhalb der Zwiebel ein- geschlossen bleibe. Dies scheint mir nicht so zu sein, indessen habe ich die- sem Stadium keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 40* 622 H. R. Davies nahme nicht, sondern zeigen, dass beide Schichten nach der Verhornung noch mit einander verbunden sind, wenn man sie auch künstlich leicht von einander trennen kann. Wie ich, so fand auch Lworr kein Oberhäutehen der Wurzelscheide; aber er meinte, dass der Ab- druck des Haaroberhäutehens auf der innersten Lage der HuxLEy- schen Schicht das äußere Ansehen hervorrufe, welches als jenes be- schrieben wurde. Schlussbetrachtungen. Die frühen Entwicklungsstadien der Feder, während deren sie den Bau einer einfachen Hautpapille besitzt, im Zusammenhalte mit der Verwandtschaft der Vögel und der Reptilien, haben wiederholt dazu veranlasst, die Feder von der Schuppe abzuleiten. KERBERT stellt in seiner Abhandlung »Über die Haut der Reptilien und anderer Wirbelthiere« die Sache folgendermaßen dar. »Die erste Anlage von Schuppen, Federn und Haaren ist immer eine einfache Erhebung der Cutis. Während bei der Haarpapille bald dadurch eine Ver- änderung eintritt, dass sie durch die wuchernde Schleimschicht um- wachsen und allmählich in die Tiefe gedrängt wird (GOETTE), ist dies bei der Schuppen- und Federpapille nicht der Fall. Beide An- lagen wachsen erst eine Zeit lang radiär-symmetrisch weiter, — Bei der Schuppenpapille hört dieses radiär-symmetrische Wachsthum auf, die Papille biegt sich etwas nach hinten um und wird mehr oder weniger abgeplattet.« Dagegen bei der Federpapille dauert das radiär-symmetrische Wachsthum fort. »Dies ist also,« sagt KER- BERT, »der wichtige Unterschied zwischen Schuppen- und Feder- papille« (l. e. pag. 235—236). Im Bau der ausgewachsenen Pinguinfeder sah KERBERT ein wichtiges Zwischenglied zwischen Feder und Schuppe. Er glaubte zu finden, dass diese breiten, schuppenartigen Federn von anderen Federn sich dadurch unterschieden, dass sie »bleibende Papillen« be- säßen, dass aber durch diese Formen »der Unterschiedzwischen Schuppen und Federn vollständig aufgehoben seic. »Ubrigens,« fährt er fort, »giebt es auch weiter noch genug Übergänge zwischen Schuppen und Federn, Federn nämlich, von welchen weiter nichts als die Spulen ausgebildet sind (z. B. unter den Reihern) und die eine voll- ständige Ähnlichkeit besitzen mit den kegelförmigen Schuppen bei Moloch unter den Reptilien.« KLEE versucht es nicht, Feder und Schuppe einander etwas Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 623 näher zu bringen. Auch ward es durch Stuper’s Beschreibungen, nach denen die ganze Schleimschicht als ein Theil der Feder ver- hornte, unmöglich Feder und Schuppe als ganz homologe Gebilde anzusehen. KLEE betrachtet die Spule als den ursprünglichen Bestandtheil der Feder und sagt: »Federn, die eine sehr starke Rückbildung erfahren haben, zeigen in der That nur eine Spule, deren oberer Rand ein wenig ausgefranst erscheint, wie das an den Flügelfedern von Aptenodytes pat. deutlich zu sehen ist. Die Federn treten dort den Schuppen ziemlich nahe.« Wie wir aber jetzt wissen, besitzen alle definitiven Federn eine bleibende Papille, so dass die Pinguinfedern in dieser Beziehung keine Ausnahme von anderen Federn machen. Auch hat STUDER gezeigt, dass die Pinguinfedern aus Spule, Schaft und Fahne bestehen, dass sie genau wie andere de- finitive Federn sich entwickeln und dass ihnen eine Pinseldune vorangeht. Desshalb ist kein Grund vorhanden, die Pinguinfeder als etwas Anderes, denn eine sehr modificirte definitive Feder zu be- trachten !. Ich muss sagen, dass auch ich an der Existenz von Federn zweifle, »von denen weiter nichts als die Spule ausgebildet ist«. Ich habe absolut keine genauen Beschreibungen solcher Gebilde finden können. Nirscu zeigte, dass die haarartigen Fadenfedern aus Schaft und Spule beständen. Durch Hourann erfahren wir, dass »die fahnenlosen Bartborsten an der Schnabelwurzel vieler Vögel, eben so die Augenwimpern aus Spule und Schaft bestehen«, und GADow sagt: »Die steifen, schwarzen Flügelsporen von Casuarius sind die außerordentlich entwickelten, aber fahnenlosen Kiele ur- sprünglicher Schwungfedern.« Wenn alle diese borstenähnlichen Federn nur modifieirte definitive Federn sind — und das zu zeigen, bezwecken alle bis jetzt veröffentlichten und mir bekannten Be- schreibungen —, dann dürfen wir nicht erwarten, in ihnen die Übergänge zwischen Schuppen und Federn zu finden. Man könnte vielleicht mit Recht einwerfen, dass ja einige der rudimentären Federn, die sich am Laufe finden, »nur eine Spule ! Hierzu sind noch folgende Thatsachen in Betracht zu nehmen: Erstens ist der Pinguin ein blindgeborener Nesthocker, und zweitens hat der fossile Pinguin, der im tertiären Sandstein von Neuseeland gefunden wurde, einen verhältnismäßig größeren Humerus als die jetzt lebenden Pinguine (s. STUDER’S Abhandlung). Die erste dieser Thatsachen zeigt, dass der Pinguin nicht als ein sehr primitiver Typus betrachtet werden könnte und die zweite, dass er wahrscheinlich von flugbegabten Vorfahren abstammt. 624 H. R. Davies zeigen, deren oberer Rand ein wenig ausgefranst erscheint«; aber da kann doch kein Zweifel darüber herrschen, dass dies rückgebildete definitive Federn sind, und ich kann keinen Grund erkennen für die Annahme, dass sie einen primitiven Zustand darstellen'!. So dürfen wir, glaube ich, behaupten, dass bis jetzt noch keine Gebilde bekannt geworden sind, welche mit Recht als Übergänge zwischen der Schuppe und der Feder angesehen werden könnten, und dass das einzige Beweismittel, auf das wir die Beziehungen der Feder zu anderen Gebilden stützen können, in der Geschichte der Entwicklung liegt. Die Thatsachen, die uns ihre Entwicklung dar- bieten, können hier allein entscheiden. Wir gehen jetzt zur Be- trachtung dieser Thatsachen über. Das erste Anzeichen der Entwicklung der Feder besteht in einer geringen Hautverdiekung, und obgleich KERBERT dieses Sta- dium in der Entwicklung der Schuppen nicht beschreibt, so giebt er ! Ich muss hier eines Versuches Erwähnung thun, den Dr. GADOw in seiner Bearbeitung der Vögel in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thier- reichs gemacht hat, nämlich den, Übergänge zwischen Schuppen und Federn in der Laufbekleidung der Ratiten zu finden. »Die Reihenfolge ,« sagt er, »ist diese: 1) Schuppe mit breiter Basis. 2) Ein Theil der Schuppe erhebt sich über den Rest und bildet einen etwas nach hinten gerichteten Vorsprung oder Rand. Der Hornüberzug ist an dieser Stelle verdickt. 3) Die Schuppe erhält einen ausgezähnten Rand, indem der Basaltheil kleinere Papillen trägt. 4) Um jede und auf jede dieser kleineren Cutispapillen wächst die Epidermis zu einer geringen Anzahl kurzer verhornender Fortsätze aus, der Basaltheil verändert seine flache Gestalt in eine mehr rundliche. Hieraus entsteht die Embryonal- dune mit mehreren gleichwerthigen Schäften.« Mein erster Einwand gegen diese Reihenfolge liegt in der Thatsache, dass wir bei der Entwicklung der Embryonaldune niemals auch nur eine Spur oder ein Anzeichen solcher kleiner, sekundärer Cutispapillen finden. Weit entfernt, darauf hinzuweisen, dass jeder Strahl auf einer kleinen, aber freien Cutispa- pille entstand, scheint vielmehr die Entwicklung in unzweideutiger Weise zu zeigen, dass diese Strahlen durch das Aufspringen der Wände eines Gebildes entstanden, welches selbst sich um eine einzelne centrale Pulpa oder Leder- hautpapille entwickelte. Ein weiteres Bedenken bietet die Thatsache, dass es, wie gezeigt, sehr wahrscheinlich ist, dass die Schuppen auf dem Lauf und auf der dorsalen Fußfläche in allen Fällen sekundäre Gebilde sind, welche als Fal- ten und Verdickungen der Haut um die Ansatzpunkte der Federn entstanden sind oder bisweilen möglicherweise unabhängig von den Federn. Wenn wir meine Beobachtungen über die Laufbekleidung in Betracht ziehen, so müssen wir es als äußerst wahrscheinlich betrachten, dass die Gebilde, welche GADOW als Schuppen mit ausgezähnten Rändern etc. angesehen hat, nichts weiter als Schuppen sind, welche noch die Rudimente von atrophirten Federn an sich tragen. Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 625 doch an, dass die Epidermis der Erhebung gleich von Anfang an dicker sei als die der übrigen Haut, und er bildet sie auch als solche ab. Wir dürfen daher mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit an- nehmen, dass das erste Stadium in der Entwicklung dieser zwei Gebilde in einer geringen lokalen Verdiekung der Haut bestanden habe. — Das nächste Stadium können wir uns in der Form eines radiär- symmetrischen Höckerchens denken, so wie es das ganze Leben hin- durch bei den jetzt lebenden Geckotiden und bei den Chamaeleonten zu finden ist. Wir können annehmen, dass solche Höckerchen all- mählich nach hinten sich umbiegen. Damit kommen wir zu dem Punkte, bei welchem Schuppen und Feder, oder besser gesagt, das Gebilde, welches später die Feder hervorgehen lässt, von einander abzuweichen scheinen. Die Schuppe hat sich mehr und mehr aus- gestreckt und lässt einen dicken oberen und einen dünnen unteren Überzug unterscheiden, während das Gebilde, welches die Feder hervorgehen ließ, nie seine cylindrische Form ganz verliert. Zu diesen äußerlichen Verhältnissen kommen noch innere, welche wieder in beiden Gebilden theils Ähnlichkeiten, theils Verschiedenheiten begründen. Da wir wissen, dass die Cylinderzellenlage bei der sich entwiekelnden Feder der Verhornung nicht unterliegt, ist hierin ein Punkt der Übereinstimmung gegeben. Jedes besteht aus einer dauernden Cutispapille (d. i. einer Papille, an der das Derma und die Epidermis betheiligt ist) und einem zeitweiligen hornigen Über- bau. Die Unterschiede zwischen beiden sind Unterschiede in der Form dieses hornigen Überbaus und Unterschiede in der Art und Weise der Entwieklung, welche durch diese Differenzen eben jener Form bedingt sind. Nehmen wir also vorläufig an, dass die Feder sich von der Schuppe ableite, so wird unsere fernere Aufgabe sein, im Gange der Entwicklung zu zeigen, wie die Differenzen zwischen den beiden Gebilden entstanden, und wenn wir im Verlauf der Entwicklung eine Reihe einfacher und im Einzelnen für den jeweiligen Organis- mus vortheilhafter Differenzirungen an Schuppe und Feder sich dar- stellen sehen, werden wir annehmen dürfen, in der Erkenntnis, dass die Feder nur eine modifieirte Schuppe sei, die letzte Lücke aus- gefüllt zu haben. Versuchen wir einmal an den ausgebildeten Theilen Homologien zu erkennen, nachdem wir solche in gewissen Stadien der Anlage bereits erkannt haben. Die Unterfläche der untersten Scheidewand 626 H. R. Davies der Federseele, welche sich während der ganzen Lebensdauer einer jeden Feder in organischer Verbindung mit ihrer bleibenden Cutis- papille erhält, entspricht der Unterfläche der Hornschuppe, welche während des ganzen Lebens einer jeden Schuppe ebenfalls in Ver- bindung mit ihrer bleibenden Cutispapille steht. Die Epitrichial- schicht und die äußersten hornigen Lagen der Feder, welche der Kpitrichialschicht und den äußersten hornigen Lagen der Schuppe ent- sprechen, gehen, wie wir gesehen haben, während der Entwicklung größtentheils verloren. Die ganze Feder entspricht dann in allen ihren Theilen den einfachen hornigen Lagen der Schuppe und die käume innerhalb der Spule müssen als Intercellularräume betrachtet werden, welche zwischen einzelnen dieser Lagen aufgetreten sind. Die Ausdehnung der Cutispapille nach oben innerhalb der sich ent- wickelnden Feder könnte leicht zu der Annahme führen, dass die inneren Seiten der Federstrahlen und die inneren Seiten der Spulen- wände der inneren Seite der Hornschuppe entsprechen, welche in diesem Falle dauernd mit der Cutispapille in Verbindung bleibt. Aber schon eine oberflächliche Betrachtung zeigt uns, dass das nicht der Fall ist, und dass kein Theil der Cutispapille der Schuppe dieser Ausdehnung der Federcutispapille nach oben entspricht. So lassen bei der sich entwickelnden Schuppe die Cylinder- zellen fort und fort an allen Theilen der Cutispapille Epidermis- “zellen hervorgehen, welche später verhornen, um einen Theil der Hornschuppe zu bilden. Bei der sich entwickelnden Feder hingegen ist das nur in den allerfrühesten Stadien der Fall. Später wird die Produktion von Epidermiszellen, die dazu bestimmt sind, einen Theil der Feder zu bilden, ganz auf die Seiten der Cutispapille beschränkt, während die apicale Portion der Cutispapille sich nach oben in das Innere des so zu Stande gekommenen Hohlgebildes erstreckt. Die Cylinderzellen dieser nach oben gerichteten Fortsetzung bilden, wie wir gesehen haben, eine bloße Membran, welche die wachsenden und verhornenden Epidermiszellen von dem Pulpagewebe trennt. Wenn schließlich die Bildung der Feder vollendet ist, so wird das Pulpa- gewebe der nach oben gehenden Verlängerung resorbirt, und die Cylinderzellen lassen eine Reihe von hornigen Gebilden hervorgehen. Hingegen erhält sich die untere Portion der Cutispapille, auf deren Seiten die eigentliche Produktion der Feder vor sich geht, als die bleibende Papille der Feder und erzeugt zur Zeit der nächsten Mauser wieder eine andere zeitweilige nach oben gerichtete Fort- setzung innerhalb der neuen Feder. So erkennen wir, dass die außer- Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 627 ordentlich große Verlängerung der Cutispapille der sich entwickeln- den Feder ein sekundäres und nur temporäres und embryonales Ge- bilde ist, welches den Zweck hat, die wachsenden Epidermiszellen mit Nahrung zu versorgen. Es giebt, wie schon bemerkt, keinen Theil der Cutispapille der Schuppe, welcher ihr entspräche. Wir müssen stets im Auge behalten, dass mit den Veränderungen in der Form, welche die Feder von der Schuppe unterscheiden, die eben angedeuteten Veränderungen in der Art und Weise der Ent- wicklung aufgetreten sind, nämlich die Einschränkung der Produktion von den die Feder zusammensetzenden Epidermiszellen, an der Seite der Cutispapille, das Längenwachsthum der Epidermiszellen und die zeitweilige Fortsetzung der Cutispapille nach oben. Es ist der Mühe werth, hier nochmals auf die Art und Weise einzugehen, in der die Ausdehnung der Cutispapille nach oben bei dem sich entwickelnden Stachel beginnt. Hier dauert die gleiche Produktion von Epidermiszellen auf allen Theilen der Cutispapille eine viel längere Zeit fort als bei der Feder, und in Folge dessen wächst der Stachel zuerst als ein solides, konisches Gebilde auf- wärts. Bald aber lassen die mehr central gelegenen Cylinderzellen entweder langsamer Epidermiszellen hervorgehen, als es die mehr lateral gelegenen thun, oder sie hören sogar für eine Zeit lang überhaupt auf, Epidermiszellen zu produciren. Jetzt aber beginnen . sie sich innerhalb ihrer eigenen Lage zu vermehren, verbunden mit einer Verlängerung der Cutispapille. Schließlich zieht sich wie bei der Feder die Verlängerung zurück, und ihre Cylinderzellen lassen hornige Marksubstanz hervorgehen. | Es ist kein Beweis dafür da, dass die Schuppe, von welcher die Feder sich herleitet, jemals in ein solides horniges Gebilde sich umgewandelt hatte, nur die Thatsache, dass in einem früheren Stadium die um die Spitze der Federpapille ziehende Epidermis dicker ist als anderswo, könnte in jener Richtung verwerthet wer- den. Zwar ist die Art und Weise des Wachsthums der Federpapille genau dieselbe, wie sie sich bei einem ursprünglich soliden hor- nigen Gebilde finden würde, indem die centralen hornigen Theile durch eine Fortsetzung der Cutispapille nach oben verdrängt werden, wie das ja auch beim Stachel der Fall zu sein scheint. Aber das Auswachsen der Cutispapille nach oben, wie wir ja gesehen haben, ist nur eine vorübergehende Erscheinung und das Innere der Feder wird schließlich von hornigen Gebilden eingenommen. Ich halte es nicht für ungerechtfertigt, anzunehmen, dass das 628 H. R. Davies nächste Stadium in der Entstehung der Feder in einer Verdickung der um die Spitze des nach hinten gebogenen Höckerchens gelegenen Epidermislagen bestand, und dass auf diese Weise ein jedes dieser Gebilde allmählich in einen kurzen, dieken, haarartigen Fortsatz auslief. Diese Haarschuppen konnten, abgesehen davon, dass sie die Haut vor Verletzungen schützten, auch zur Erhaltung der Körper- wärme beitragen, denn die unteren, die Pulpa enthaltenden Theile würden durch die oberen haarartigen Fortsätze überdeckt werden. Das dürfen wir aber annehmen, dass es die Erhaltung der Körper- wärme war, welche durch die Umwandlung der Schuppe in die Feder gewonnen ward. Später wurden wohl die haarartigen Fort- sätze durch einen Process, analog dem bei der Entwicklung des Stachels beobachteten, in hohle cylindrische Gebilde umgewandelt; diese bestanden aus einer äußeren Rindenschicht und einem inneren lockereren, hornigen Gewebe und gewannen so an Leichtigkeit. Das vorübergehende Auswachsen der Cutispapille nach oben und das Längenwachsthum der Epidermiszellen konnten nach und nach zu derselben Zeit auftreten. Weiter müssen wir annehmen, dass in demselben Maße, wie diese Gebilde in die Länge wuchsen, die Epi- dermis an ihrem Übergange in jene der Haut zuerst an Dicke zu- nahm und dann eine epidermale Einsenkung nach unten bildete. Endlich wird auch das Bindegewebe der Lederhaut an der Befesti- gung jener Haarschuppen an der Haut betheiligt, indem es zur Follikelbildung Verwendung findet. Auf diese Weise kam die Cutis- papille allmählich unter die Haut zu liegen und so entstand eine unvollständige Hauttasche. Die natürlichste Auslegung der durch die Entwicklung gebotenen Thatsachen leitet uns zu der Annahme, dass das Gebilde, welches durch das Aufspringen seiner Wände die erste primitive Pinseldune hervorgehen ließ, etwa ein solch mehr oder weniger hohles eylin- drisches Gebilde war, wie wir es eben beschrieben haben. Als nächste Stufe in der Entstehung der Feder müssen wir jenes Auf- springen der hornigen Wände ansehen, wobei die Substanz des vorspringenden oberen Theiles der Haarschuppe der Länge nach sich in eine Anzahl von Strahlen spaltete, während der untere Theil der Haarschuppe, welcher in die Haut eingewachsen war, sich ungetheilt erhielt und so die Spule hervorgehen ließ '. ! Wie wir gesehen haben, entstanden die Leisten bei der Taube und bei dem Hühnchen auf wenig verschiedene Weise. Wir können die Verhältnisse bei dem Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 629 Bezüglich der Ursache dieses Aufspringens können wir nur vermuthen, dass die die Ablösung der äußersten Schicht einleiten- den Vorgänge jenen konform sein werden, wie sie bei der Häutung der Reptilien wirksam sind. Da aber die den Häutungsprocess resp. den Bau der Schuppe untersuchenden Forscher, wie KERBERT, To- DARO und BATELLI über die Lagen nicht einig sind, welche die Rep- tilienschuppe zusammensetzen, und welche bei jeder Häutung ab- geworfen werden, und auch nicht ganz über die Art und Weise, in welcher die Häutung stattfindet, so müssen wir uns darauf be- schränken, nur auf die Ähnlichkeit des Allgemeinen hinzuweisen. Das Bild, welches uns die Entwicklung der Feder darbietet, kann uns also Anleitung geben, die Kluft zwischen der Schuppe und der Feder durch die Annahme einer Reihe von Modifikationen zu überbrücken, von denen jede besser als ihre Vorgängerin dem Zweck des Schutzes der Körperwärme angepasst war. Die Stadien, welche wir in der Entstehung und Entwicklung der Feder verfolgen können, wären also folgende: 1) Eine einfache Verdickung der Haut. 2) Ein radiär-symmetrisches Höckerchen. 3) Ein rückwärts gerichtetes Höckerchen, dessen hornige Lagen rings um die Spitze verdickt wurden. 4) Ein rückwärts gerichtetes Höcker- chen, dessen Spitze in einen kurzen, dieken, haarartigen Fortsatz auslief. 5) Ein längeres haarartiges Gebilde, das aus’einer festen Rindenschicht und lockererem axialen Gewebe bestand, und dessen Basis mit der Cutispapille unter die Haut eingesunken war. 6) Durch das Aufspringen der Wände des freien hervorragenden Theiles dieses letzteren Gebildes ward das umschlossene Gewebe frei, welches, sich in einzelne Stränge sondernd, die primitive Pinseldune entstehen ließ. Ein weiterer Unterschied zwischen der Feder und der Schuppe besteht in dem Zusammenhang, welcher zwischen successiven Fe- dern beobachtet wird. Zwischen nachwachsenden definitiven Fe- dern ist der Zusammenhang gewöhnlich nur ein oberflächlicher und oft kann man, wenn die alte Feder weggefallen ist, sehen, dass die neue an ihrer Spitze ganz von der Federscheide eingeschlossen ist. Der Zusammenhang ist am deutlichsten bei den Schwungfedern und den ihnen vorangehenden Erstlingsdunen ausgeprägt, wo die Hühnchen, wo die Papillenwände zuerst fast ihre ganze Dicke erreichen und dann erst durch eine Reihe von Längsfurchen getheilt werden, für primitiver halten als die bei der Taube, wo die Leisten direkt als eine Reihe von Ver- diekungen entstehen, denn die Entwicklungsart der. letzteren erscheint kürzer als die der ersteren. 630 H. R. Davies Leistenbildung sich ohne Unterbrechung von den Wänden der Dunen- papille in die Wände der definitiven Federpapille fortsetzt. Die un- geheure Schnelligkeit, mit welcher hier die Entwicklung der defini- tiven Feder jener der Dune folgt, scheint hauptsächlich diesen Zu- sammenhang zu erklären. Jedenfalls können wir es als eine sekundäre Erscheinung betrachten, die von der größeren oder geringeren Ein- schränkung der Produktion der Epidermiszellen an den Seiten der Cutispapille vom ersten Anfang der Entwicklung an herrührt. Die Erstlingsdune der Taube, welche aus einer Anzahl gleich- artiger mehr oder weniger abgeplatteter horniger Strahlen besteht, die keine Nebenstrahlen und Marksubstanz besitzen, scheint der pri- mitivste jetzt existirende Federtypus zu sein. Und nähere Prüfung scheint die Annahme zu unterstützen und anzudeuten, dass die Neben- strahlen zuerst an der Basis der Strahlen auftraten und allmählich sich nach oben ausdehnten. Unter allen bis jetzt beschriebenen Formen von Erstlingsdunen besetzen Nebenstrahlen nur manchmal mehr als zwei Drittel der Länge der Strahlen, während das obere Drittel gewöhnlich ganz frei davon ist. Dieses obere Drittel wird manch- mal als borstenartig beschrieben wie bei den Lamellirostres, manch- mal ist es in einen linearlanzettförmigen Fortsatz ausgezogen wie bei Struthio und Dromaeus (nach Nrrscu); manchmal ist es breit, fast bandartig wie bei Psittacus (s. GADow’s Verzeichnis); manch- mal dagegen sind die Strahlen bis an die äußerste Spitze dicht mit Nebenstrahlen besetzt. Wenn wir beachten, bis zu welchem Grade die Erstlingsdunen bei der Taube entwickelt sind, so müssen wir sie als in Funktion stehend betrachten; und es ist schwer zu begreifen, dass, wenn Nebenstrahlen einmal erworben waren, sie wieder ver- loren gegangen wären. Bei Vögeln, deren Erstlingsdunen sehr rudi- mentär sind, ist dieses in der Anzahl und Größe der Federn aus- gesprochen; die Nebenstrahlen erhalten sich bis zum Untergang der Feder, wo sie fehlen, liegt wohl ein niederer Zustand der Dune, nicht aber ein rückgebildeter vor. Es ist also wahrscheinlich, dass die erste Feder (in der Dunen- form) aus einer Anzahl einfacher horniger Strahlen bestand, und dass die einzige Veränderung, wie sie bei den Erstlingsdunen der Taube stattgefunden hat, in der Ausbreitung dieser Strahlen bestand, wo- durch die Körperwärme wirksamer erhalten wurde. Bei anderen Federn wurde ein Bündel horniger Fasern mit freien Enden ent- wickelt, deren einzelne zuerst an der Basis verbunden blieben. Solche breiteten sich an den Strahlen nach oben längs deren Seiten aus, Die Entwick]. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 631 und so entstanden die Nebenstrahlen. Möglicherweise ging bei diesen Federn, die mit ausgezogenen Spitzen versehen sind, die Abplattung der Strahlen dem Erwerb von Nebenstrahlen voraus, die bandartigen Spitzen eines Nesthockers wie des Psittacus sind kaum auf eine andere Weise zu erklären!. In dem von Gapow gegebenen Verzeichnis der bis jetzt be- schriebenen Formen von Erstlingsdunen finden wir, dass die große Majorität Pinseldunen sind und dass nur bei Rhea, Casuarius gal., Dromaeus, den Rasoren und Lamellirostren ein Schaft vorkommt. Über die Entstehungsart des Schaftes giebt es hauptsächlich zwei Meinungen. Die eine ist die von BURMEISTER, wonach der Schaft »eine mit Verdickung verbundene Verlängerung des oberen Randes der Spule ist«. Die zweite, von den meisten neueren Autoren fest- gehaltene Ansicht ist die, dass ein Strahl an Größe zunimmt, einen Hauptstrahl bildet und allmählich die übrigen Strahlen aufnimmt. Indem wir uns auf die bei Dromaeus und bei der Ente gebotenen Übergänge berufen, können wir die Entstehung des Schaftes auf folgende Weise denken. Die erste, aus einer Anzahl gleichartiger Strahlen bestandene Pinseldune, deren Strahlen alle in derselben Höhe in die Spule übergingen, wurde verändert, indem die obersten oder am meisten nach außen gelegenen Strahlen der Feder länger wurden als die anderen. So ist es der Fall bei Struthio. Dann vereinigten sich die zwei obersten und längsten Strahlen mit ein- ander eine kurze Strecke, ehe sie in die gemeinsame Spule über- gingen. Der gemeinsame basale Theil dieser beiden Federn nahm dann an Länge zu, und die beiden nächsten Strahlen vereinigten sich wiederum mit ihm. So entstand eine Feder, bei der die mei- sten Strahlen in gleicher Höhe direkt in die Spule übergingen, wäh- rend die vier obersten Strahlen von einem kurzen Schaft getragen sind. Eine solche Feder kann man jetzt noch bei Dromaeus finden (s. Fig. 51). Mit einem schwachen Längenwachsthum des Schaftes und der Vereinigung zweier weiterer Strahlen mit ihm kommen wir zu dem Stadium, welches ich bei der Ente konstatiren konnte. Es ist klar, dass solch ein Schaft, wie wir ihn hier finden, nicht durch ! Bei Dromaeus und Struthio ist es mindestens ziemlich wahrscheinlich, dass die Verdickung der Spitzen sekundär auftrat, als Schutz für die tieferen Theile der Feder, welche die Nebenstrahlen tragen. GADoWw erwähnt die von Nırsch beschriebenen verdickten Spitzen bei Dromaeus nicht, und auch an dem mir von ihm freundlichst tibersandten Hautstück waren diese Spitzen bei den Erstlingsdunen nicht verdickt. 632 H. R. Davies Verwandlung eines der Strahlen in einen Hauptstrahl entstand; wenn wir aber in Betracht ziehen, dass die Spule bloß die basale Portion der Feder ist, wo alle Strahlen mit einander vereinigt sind, so ist es vollkommen zulässig, jenen Schaft als eine schwache Verlänge- rung des oberen Randes der Spule zu betrachten. Der durch die Entstehung eines Schaftes gewonnene Vortbeil ist klar, indem da- durch die Strahlen, anstatt unregelmäßig in Büscheln zu liegen, regelmäßig über die Hautoberfliche ausgebreitet werden. Mit jeder Zunahme der Strahlen wächst der Schaft in die Dicke, aber nimmt nicht proportional der Zahl der ihn zusammensetzenden. Strahlen an Breite zu, und desshalb kommen die an den Schaft be- festigten Strahlen schief gegen die Längsachse der Feder zu liegen. Auf diese Weise entsteht auch der schiefe, spiralige Verlauf der Leisten des sich entwickelnden Federkeimes. Wenn die Mehrzahl der ursprünglichen Strahlen an den Schaft befestigt ist, beginnen sich neue Strahlen an dem Punkte zu bilden, wo der Schaft in die Spule übergeht. Und wenn wir bedenken, dass, nachdem die Lei- sten des Federkeimes diesen schrägen Verlauf erhielten, eine Län- genzunahme des Federkeimes eine Zunahme nicht der Länge, son- dern der Zahl der Leisten bedeutet, so werden wir leicht verstehen, wie das geschieht. Die ursprünglich auf der unteren Seite der Feder gelegenen Strahlen gehen stets direkt in die Spule über als sog. Afterstrahlen, oder sie ordnen sich auf einen gewöhnlich schwachen Afterschaft an, welcher auf dieselbe Weise wie der Hauptschaft entsteht. Durch den fortwährenden Zuwachs an neuen Strahlen nimmt der Schaft allmählich an Breite zu und kommt an seinem unteren Ende mit einem immer größeren Theil der Cirkumferenz der Spule in Zusammenhang. Zu derselben Zeit wächst er in die Dicke, bis er ganz oder fast ganz die Öffnung der Spule, den sogenannten oberen Umbilicus, verschließt. Im Bau einer definitiven Feder finden wir diese Anschauung vollkommen bestätigt, dass der Schaft nur eine Verlängerung der Spule ist. Die äußersten und die Mehrzahl der durchsichtigen hornigen Lagen, welche die Spule bilden, setzen sich nach aufwärts über die äußere Schaftfläche als Spina calami fort und gehen allenthalben auf die Basen der Strahlen über. Die — innere Fläche der Spulenwände entspricht der unteren Fläche des Schaftes und hängt mit ihr zusammen; und die große Masse des Schaftes ist nichts Anderes als eine ungeheure Verdickung der inne- ren Lagen der Verlängerung der Spule. Wenn wir die in Fig. 27 | | | Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 633 dargestellten Schnitte durch den Schaft und die Spule von oben nach unten gehend verfolgen, sehen wir, dass mit jedem Zusatz von neuen Strahlen die Spina calami sich fortwährend weiter und weiter um die Federpapille herum ausbreitet; und zuletzt, wenn die untersten Afterstrahlen mit ihr vereinigt sind, treffen sich ihre Ränder auf der unteren Fläche der Federpapille und der Schaft wird hier zur Spule. Der große Unterschied also zwischen der Pinseldune und der definitiven vom Afterschaft freien Feder ist folgender: Während bei der Pinseldune der obere Rand der Spule, an den die Strahlen be- festigt sind, einen Kreis bildet, bildet er bei der definitiven Feder in Folge der enormen Verlängerung einer seiner Seiten eine lang ausgezogene, schräg stehende Ellipse, und durch die große Ver- dickung dieser Verlängerung wird der obere Umbilicus fast ganz ver- schlossen. Auf diese Weise entsteht bei der definitiven Feder ein Gebilde, der Schaft, der zwar in Wirklichkeit nur ein Theil der Spule ist, aber den Eindruck eines ganz neuen Gebildes macht. Wir müssen die Art und Weise, auf die der Schaft zunächst durch die Bildung von zwei Längsleisten, deren zwischenliegender Raum später ausgefüllt wird, sich entwickelt, als eine sekundäre Erscheinung betrachten, welche der besseren Beschaffung von Nahrung für die sich vermehrenden Zellen dient. Dabei nehmen wir an, dass die Entstehung der Markkanälchen des Schaftes eine Folge dieser Entwicklungsart war, indem nämlich die zwei Längsleisten sich ventral vereinigten, ehe der centrale Raum zwischen ihnen ausgefüllt war; und so schlossen sie innerhalb des Schaftes einen Theil der Pulpahöhlung ein, welcher später, nach der Zurückziehung der Pulpa, sich als eine Fortsetzung der Spulenhöhlung erhielt. Das Markkanälchen stellt nicht eine Höhlung vor, die sich innerhalb des Gewebes des Schaites entwickelt hat, sondern es ist eine Höhlung, welche durch das Einbauchen der unteren Wand des Schaftes ge- bildet wurde. Sie wird durch dieselben Lagen begrenzt, wie die Spulenhöhlung. So kommt es, dass die Verlängerung der Spule auch eine Verlängerung der Höhlung der Spule enthält. Da die Mark- kanälehen mit warmer Luft gefüllt sein müssen, so müssen sie be- sonders in den Fällen, wo sie sich durch den größten Theil der Länge des Schaftes erstrecken, erheblich zur Flugkraft des Vogels beitragen. Jede Feder besteht also aus Strahlen, welche auf einem Kiel sitzen. Dieser Kiel kann eine einfache Spule sein, wie bei der Pinseldune, oder sein oberer Theil kann in einen Schaft differenzirt 634 H. R. Davies sein oder noch weiter in einen Schaft und einen Afterschaft. Aber alle Theile, welche die Strahlen tragen, sind nur differenzirte oder besonders entwickelte Theile der ursprünglichen Spule. Widmen wir dem Vorkommen des Afterschaftes einige Worte. NITscH zeigte (siehe auch GApow’s Verzeichnis), dass das Vorhanden- sein des Afterschaftes eine selbst unter den Gattungen derselben Familie sehr variable Erscheinung ist. Die einzige Regel, welche er über sein Vorkommen aufstellen konnte, war folgende: wo das Gefieder dicht und die Dunen (die definitiven) zahlreich waren, fehite der Afterschaft, während da, wo das Gefieder dünn und die Dunen nicht vorhanden waren, der Afterschaft gewöhnlich gut entwickelt war (op. cit. pag. 204—205). Gapow theilt mir mit, dass er nach der Veröffentlichung seines Artikels in » Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs« Folgendes fand: während, wie wohl bekannt, der Afterschaft der späteren Federn des Dromaeus gleich groß mit dem Schaft ist, ist er bei den Erstlingsdunen viel kleiner. Und an dem Hautstück, welches ich von ihm erhielt, fand ich Federn, bei denen keine Spur eines Afterschaftes vorhanden war. Wir können also schließen, dass der Afterschaft bei manchen, wenn nicht bei allen Gruppen, in denen er jetzt gefunden ist, sich sekundär ent- wickelt hat. Wo Gapow von der ersten Verwendung der Feder als Flugorgan spricht, sagter: »Zuerst werden die Federn am oberen Hinterrande des Vorderarmes etwas verlängert und verstärkt worden sein, woraus sich ein Schutz der Körperseiten und die Möglichkeit einer Be- nutzung als Fallschirm ergeben würde.« Es scheint mir viel wahr- scheinlicher, dass mindestens die späteren Stadien in der Entstehungs- geschichte der Feder erst bei einem Individuum auftraten, welches schon mittels einer Flugmembran fliegen konnte. In diesem Fall müssen wir uns ein Individuum vorstellen, dessen ganzer Leib und die fleischigen Theile der Extremitäten mit definitiven Federn be- kleidet waren. wie wir sie ja jetzt kennen, bei dem aber das Flug- organ eine Flugmembran war; und müssen annehmen, dass einige der die vordere Extremität bekleidenden definitiven Federn sich rück- wärts über die Flugmembran ausbreiteten und allmählich für die- selbe als Unterstützung dienten. Das würde für den Reptilienvogel außerordentlich vortheilhaft sein, weil es ihn in den Stand setzt, die Luft mit größerer Kraft zu schlagen, als es ihm möglich sein würde, wenn er nur eine leicht nachgiebige Membran besitzen würde. Allmäh- lich breiteten sich die Federn rückwärts über die ganze Flugmembran Se Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 635 aus, und so kam es, dass sie nach und nach das ganze Körper- gewicht während des Fluges zu tragen hatten, worauf dann erst die Flugmembran sich rückzubilden begann. Der Theil dieser Abhandlung, welcher sich mit der Folgereihe und der Vertheilung der Federn beschäftigt, dürfte etwas mehr Licht auf einen Punkt werfen, welcher von Gapow in seinem neuen Artikel berührt wird. So findet er, dass, während bei den ausgewachsenen Ratiten keine Lücken oder Raine im Gefieder vor- kommen, bei einem 15 Tage alten Embryo von Struthio »einige ziemlich große Stellen des Körpers ganz frei bleiben und erst später von Federn bedeckt werden«. Er fährt fort: »Sollte dieses Ver- halten auf einen phylogenetisch früheren Zustand hinweisen, so wäre damit ein wichtiger Grund für die Ansicht gewonnen, dass das lückenlose Gefieder der Ratiten ein erst nachträglich erworbener Charakter ist. « Diese Ansicht wird sehr durch die Thatsache unterstiitzt, dass bei dem Hühnchen und der Taube an dem Erstlingsgefieder die Fluren und Raine des späteren Gefieders vom ersten Anfang seiner Entwicklung an sehr deutlich ausgeprägt sind. Aber es scheint gestattet anzunehmen, dass bei Struthio Federpapillen, welehe zum größeren oder kleineren Theil atrophirt waren, sekundär zur Thätig- keit erweckt worden sind. Obwohl also kein direkter Beweis dafür vorliegt, dass ein gleichmäßig über den ganzen Körper verbreitetes Gefieder der primitive Typus war, darf doch nicht ausgeschlossen werden, dass das der Fall sein konnte. Als Schlussbemerkung über die Feder möchte ich also sagen, dass der Hauptunterschied zwischen der Entwicklungsweise der Feder und der des Haares beseitigt ist, indem gezeigt wurde, dass bei Atrophiren der Dune die Entwicklung der Feder mit der Bildung einer Einsenkung beginnt. Untersuchen wir nun in wie fern uns die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse auf die Entstehung des Stachels und des Haares be- stimmte Schlüsse zu ziehen gestatten. Nach meinen Beobachtungen über die Entwicklung des Stachels besteht kein Zweifel darüber, dass das erste Stadium in der Entwicklung des eigentlichen Stachels in der Bildung einer Cutispapille besteht, und dass alle Theile des Stachels mit seiner inneren Wurzelscheide ihren Ursprung von dem Cylinderzellenüberzuge dieser Cutispapille nehmen. In dieser Be- ziehung werden GoETTE’s Beobachtungen über die Entwicklung des Morpholog. Jahrbuch. 15. 41 636 H. R. Davies Haares vollkommen durch meine Beobachtungen über den Stachel be- stätigt. Es ist augenscheinlich, dass diese Cutispapille ursprünglich auf der Hautoberfläche im Niveau anderer Papillen gelegen sein muss, und dass ihre jetzige Bildung an der Basis einer epidermalen Einwachsung sekundär ist. Kurz zusammengefasst ergiebt die Entwicklung des Stachels Folgendes. Eine leichte Erhebung der Cutis oder eine Cutispapille wird auf der Hautoberfläche gebildet. (Mit Cutis bezeichne ich Epi- dermis und Derma.) Die Cylinderzellen lassen rasch Intermediärzellen hervorgehen und bilden diese Papille in eine lokale Verdickung der äußersten Epidermislagen um. Indem die Cylinderzellenlage noch weiter Intermediärzellen bildet, buchtet sie sich einwärts und daraus entsteht dann eine Einsenkung der Epidermis nach unten in das Derma. Die Basis dieser Einsenkung wächst nach oben und hier entsteht dann wieder eine Cutispapille. Auf dieser Cutis- papille wird der erste Stachel gebildet. Die axialen Zellen der epidermalen Einsenkung unterliegen einer fettigen Degeneration, woraus eine axiale Höhlung entsteht, längs deren der sich ent- wickelnde Stachel sich allmählich nach außen erstreckt. Bei der Ablösung der äußersten Epidermislagen reicht die Spitze des Stachels über die Hautoberfläche oder kann sie, wie wir sahen, durchbohren. Vergleichen wir mit dieser Entwicklung des Stachels jetzt die Entwicklung jener Art definitiver Federn, welchen eine mehr oder weniger vollständig atrophirte Dune vorangeht. Auch hier besteht eine kleine Cutispapille auf der Hautoberfläche, und auch hier zieht sich die Cylinderzellenlage bald zurück, wobei sie zu gleicher Zeit Inter- mediärzellen hervorgehen lässt. Dadurch verwandelt sich die Papille in eine bloße Verdickung der äußersten Epidermislagen. Auch hier findet jetzt ein Einwachsen der Epidermis in das Derma statt. Von dieser Cutispapille, welche so von der Basis einer epidermalen Ein- sehkung getragen wird, entspringt die zuerst gebildete definitive Feder. Auch hier kann man im Centrum der Einsenkung Spuren von degenerirenden Zellen beobachten (s. Fig. 29), und wenn die äußersten Epidermislagen mit der Verdickung, welche das letzte Rudiment einer Dunenfeder vorstellt, abfallen, finden wir längs der Achse der Einsenkung eine Höhlung, in welcher sich die sich ent- wickelnde Federpapille nach aufwärts erstreckt, bis sie über die Hautoberfläche hervorragt (s. Fig. 30). Die auffällige Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Entwicklungs- gängen zwingt uns zu dem Schluss, dass wir es hier mit zwei ana- eV 4 » % f \ J Die Entwickl. der Feder u. ihre Wi. zu anderen Integumentgebilden. 637 logen Processen zu thun haben und dass die leichte Cutispapille auf der Hautoberfläche, welche das erste Stadium in der Entwick- lung des Stachels und anderer starker Haare bildet, das letzte Rudi- ment eines primitiven embryonalen Haares ist, welches sich wie die embryonale Dune auf einer auf der Hautoberfläche gebildeten Cutis- papille entwickelte!. Der zuerst gebildete Stachel entspricht dann der zuerst gebildeten definitiven Feder, und wir können für wahr- scheinlich halten, dass die degenerirenden Zellen im einen Falle den letzten atrophirenden Rudimenten des Kolbens oder der Zwiebel mit ihrer Scheide entsprechen, hingegen im anderen Falle den letzten atrophirenden Rudimenten der Dunenspule gleich kommen. Wenn wir ferner erwägen, dass mit der Vollendung eines jeden Haares die Cutispapille verschwindet, so dass zur Zeit des Haarwechsels eine neue solide Einsenkung nach unten an der Basis der alten ge- bildet wird, dass endlich an der Basis dieser neuen Einsenkung die neue Cutispapille entsteht, welche das neue Haar hervorgehen lässt, so sehen wir, dass die Unterschiede zwischen den beiden Processen eben diejenigen sind, welche wir zu finden erwarten müssen, wenn die gegebene Erklärung derselben der Wirklichkeit entspricht ?. Eine der Erwägungen, welche mich zu dieser Arbeit leiteten, war die Möglichkeit, dass die starke Entwicklung der Cutispapille bei der Stachelanlage auf einen primitiven Haartypus hindeuten könnte. Aber die Vergleichung einer größeren Anzahl verschiedener Haare zeigte, dass einfache marklose Haare, wie sie unter Anderen bei den Monotremen gefunden werden, als die primitivsten ange- sehen werden müssen. Bei Echidna sind die feineren Haare abge- ! Die Beobachtung FEIERTAG’s, dass nur bei den ersten Haarkeimen sehr junger Embryonen Höckerchen gebildet werden, spricht für die Annahme, dass dies rudimentäre Gebilde sind. Selbst bei der Taube können die Dunen, welche den spät gebildeten definitiven Federn vorangehen, fast gänzlich atrophirt sein. 2 Wenn die Beschreibung Unna’s richtig ist, und die Cutispapille nie verschwindet, sondern vom Anfang an an der Basis der neuen Einsenkung, in welcher das neue Haar gebildet wird, vorhanden ist, so macht dies wenig Unterschied. Wir haben gesehen, dass die Ansammlung von Dermazellen, welche später die Papille des erstgebildeten Stachels bildet, von Anfang an an der Basis der Einsenkung, in welcher der erste Stachel entsteht, vorhanden ist, und dass das Verschwinden der Cutispapille zu der Zeit, wo diese Ein- senkung gebildet wird, nur daher kommt,. dass die Cylinderzellenschicht sich vorübergehend nach unten ausstülpt. Man kann sich leicht denken, dass der Grad, in welchem diese Ausstülpung der Cylinderzelienschicht und das Ver- schwinden der Cutispapille vor sich geht, sehr verschieden sein kann. Jeden- falls stellen sich die Elemente der Cutispapille als dauernd dar, wenn auch die Papille selbst ihre charakteristische Form vorübergehend verlieren kann. 41* 638 H. R. Davies flachte, fast plattenartige Gebilde, die in der Mitte am breitesten sind und an beiden Enden spitz zulaufen. Sie sind von Marksub- stanz vollständig frei, und an ihrer Basis befindet sich ein ver- diekter Theil, der Kolben, durch welchen das Haar in seinem Fol- likel festgehalten wird. Zwischenformen zwischen diesen Haaren und den ungeheuer großen Stacheln von Echidna zeigen eine Reihe größerer, mehr oder weniger abgerundeter Haare, in deren centralen, dieksten Theilen allmählich eine von lockerem, fibrösen, hornigem Gewebe spärlich erfüllte Höhle auftritt. Ein gleichfalls noch primi- tiver Haartypus wird z. B. bei dem Rinde gefunden (s. Fig. 53). Hier werden beide Enden des Haares nur von Rindenschicht gebildet, während der diekere centrale Theil eine Achse von Marksubstanz besitzt. An der Basis haben wir, wie oben, eine Verdiekung, den Kolben, durch welchen das Haar im Follikel festgehalten wird. Solche Haare, die nur eine beschränkte Größe erreichen und dann durch ihren Kolben eine bestimmte Zeit lang in ihren Follikeln fest- gehalten werden, müssen wir für primitiver halten als diejenigen, welche längere Zeit fortwährend wachsen und bei denen der Kolben nur als Vorläufer des Ausfalles gebildet zu werden scheint. Unna erklärt die Bildung der basalen marklosen Portion und des Kol- bens folgendermaßen: »Ein von einer Papille stammender, markhaltiger Haar- schaft steigt im Haarbalge auf, wird aber alsbald in unmittelbarer Kontinuität von einem verhornten Nachschube aus einer anderen Matrix her fortgesetzt, nämlich von den Stachelzellen der äußeren Scheide aus. Ich werde in der That die Beweise dafür bringen, dass das Papillenhaar nach Loslösung von der Papille im Balge aufsteigt, aber nur bis zu einer mittleren Region desselben, welche sich durch Produktivität der Zellen ihrer äußeren Scheide auszeichnet, und dann dort sein Wachsthum fortsetzt. Sowie das Haar diese Stelle passirt hat, erhält es einen marklosen Nachschub, indem die Stachelzellen nach Art der Zellen der Nagelmatrix verhornen und in Form eines Haarschaftes in die innere Scheide nachschießen.« Dass die Bildung eines solchen marklosen Nachschubs nicht nothwendig ist, um die Produktion eines markfreien Theiles des Schaftes zu erklären, ist vollkommen klar. Die Spitzen der mei- sten, wenn nicht aller Haare, sind markfrei, und KÖLLIKER zeigte schon im Jahre 1850, dass eine homogene Masse von Zellen rings um die Haarpapille eines wachsenden Haares entsteht, deren einige als Rindenzellen verhornen, während andere weitere Veränderungen eingehen und die Markzellen bilden. Die marklosen Spitzen, die markhaltigen mittleren Theile und die marklosen basalen Por- tionen können in gleicher Weise auf der Cutispapille entstehen. Beim Stachel werden jedenfalls alle Theile auf der Cutispapille ge- Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 639 bildet und wir können annehmen, dass der Kolben zur Zeit des Ausfalles sich von den Zellen der äußeren Wurzelscheide trennt, mit der er bis jetzt in Verbindung war; dass ferner der Balg sich lockert und eine neue epidermale, nach unten gerichtete Einsenkung innerhalb des gelockerten Balges entsteht: und dass schließlich eine neue Cutispapille entsteht, die einen neuen Stachel hervorgehen lässt. Am natiirlichsten scheint es, den Stachel von einer Haarform abzuleiten, die sich jener des Rindes ähnlich verhält, und anzu- nehmen, dass es allmählich dieker und stärker wurde und sein Mark immer mehr und mehr entwickelte. Dagegen ist es schwer, die Entwicklungsvorgänge im Inneren des Stachels anders als streng nach Analogie derjenigen aufzufassen, welche beim Federschaft sich dar- stellen. In beiden Fällen verzögert sich die Bildung gewisser Theile, damit andere und meistens wichtigere Theile in günstigere Ernäh- rungsbedingungen treten. Aber es besteht zwischen diesen Theilen keine Homologie, da sie sich nicht von einander ableiten. Es sind vielmehr für die Feder wie für das Haar resp. den Stachel selb- ständig erworbene Befunde. Der Stachel selbst bietet also in seinem komplieirteren Bau keine primitivere Einrichtung... Seine Vorläufer waren Haare, wie er denn nicht nur alle Übergänge zu solchen zeigt, sondern auch in seiner ersten Anlage mit einem marklosen Haare beginnt. Daraus, sowie aus dem oben über marklose Haare Gesagten, können wir folgern, dass alle Haare, Borsten und Stacheln aus einem marklosen Haar entstanden. welches auf einer an der Hautoberfläche gelegenen Cutispapille sich entwickelte, und dass die Basis dieses Haares unter die Hautfläche einsank aus demselben Grunde und in derselben Weise, wie wir es bei der Feder beschrieben. Da wir ferner annehmen dürfen, dass in allen Fällen an der Basis des Haarbalges die Elemente der Cutispapille dauernd zurück- bleiben, welche alle in demselben Balg successiv producirte Haare hervorgehen lässt, so können wir das Haar in dieselbe Kategorie mit der Schuppe und der Feder stellen, mit denen es den Besitz einer dauernden Cutispapille und eines vorübergehenden hornigen Überbaues theilt. Auch dass die äußersten Lagen der sich entwickelnden Haar- ‘papille sich eben so von dem fertigen Haare trennen, wie die äußer- sten Lagen der Federpapille von der fertigen Feder, bietet eine weitere Bestärkung der Annahme, dass beides, Haar und Feder, aus einander ähnlichen schuppenartigen Gebilden sich entwickelt 640 H. R. Davies haben und dass den in ihren Endpunkten so verschiedenartigen Ge- bilden ein gemeinsamer Ausgangspunkt war. Erklärung der Abbildungen. Tafel XXITI—XXVI. Für alle Figuren gültige Bezeichnungen. Bg Blutgefäß, Int intermediäre Zellen, Cys Cylinderzellenschicht, Li Längsleisten, D Derma, P Pulpa der Papille, D.F Spitze der definitiven Feder, S Hornkappe der Seele, DS Dunenstrahl, Sp Spule, Ep Epidermis, Ss Schleimschicht, Eps Epitrichialschicht, Ss. Fl Schleimschicht des Follikels, F.B Federbalg, Ss. Fr Schleimschicht des Federkeimes, F.S Federscheide, St Strahl, H.B Haarbalg, U Umbilieus, Hs. Fl Hornschicht des Follikels, W.K wachsende Krempe. Fig. Fig. Fig. Fig. Tafel XXIII. Durchschnitt durch die Haut eines Taubenembryo vom fünften Tage der Entwicklung. Das erste Stadium der Entwieklung der Embryonal- dunen. Längsschnitt durch eine Dunenpapille zur Zeit, wo die Rückwärts- neigung ihren Höhepunkt erreicht hat. Längsschnitt eines jungen Dunenfederkeimes. Ein etwas schräg verlaufender Querschnitt eines jungen Dunenfeder- keimes. Entspricht einem Schnitt in der Linie 4—2 der letzten Figur. A.Int. äußere Intermediiirzellen. Z.Int innere Intermediärzellen. Ein etwas schräg verlaufender Querschnitt eines jungen Dunenfeder- keimes eines Hühnchens. Nahe der Basis des Federkeimes, am Ent- stehungspunkt der Längsleisten. A.Int äußere Intermediärzellen. Int innere Intermediirzellen. | Liingsschnitt durch die einwachsende Basis eines Dunenfederkeimes. C centrale Schicht bald verhornender Zellen. Int Intermediärzellen einer Längsleiste. te Querschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes, ungefähr in demselben Entwicklungsstadium, wie es Fig. 6 darstellt. Längsschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes in einem wenig späteren Stadium als es Fig. 6 zeigt. | Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 641 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 14. 16. 18. 19. Längsschnitt durch einen fast fertigen Dunenstrahl. Querschnitt durch die Spule eines Dunenfederkeimes zwei oder drei Tage vor dem Ausschlüpfen. Die Trennungslinie zwischen Spule und Follikel ist schon angedeutet. Querschnitt durch den oberen Theil eines Dunenfederkeimes kurz vor dem Ausschlüpfen. Längsschnitt durch die Spule einer Erstlingsdune (vom Rücken ge- nommen) bald nach dem Ausschliipfen. D.F Spitze der sich ent- wickelnden definitiven Feder. Längsschnitt durch eine in Entwicklung begriffene Schwungfeder bald nach dem Ausschliipfen. F.S Spitze eines Strahles der Schwungfeder. H.g.w Hornquerwand an der Basis der Spule der Dunenfeder. Auf der rechten Seite der Figur geht der Schnitt zwischen zwei Strahlen durch. Theil eines ähnlichen Schnittes wie in Fig. 13, nur stärker vergrößert. ' D.S Basis eines Dunenstrahles. FS Spitze eines Strahles der Schwung- feder. N Zellen, welche sich schräg anordnen, um die Nebenstrahlen zu bilden. Z.q9.0 Hornquerwand. Theil eines Querschnittes durch einen Schwungfederkeim. Einige laterale Leisten, welche Strahlen bilden, sind schon zusammengeschmolzen, um die beiden größeren centralen Leisten zu bilden, welche die Spitze des Schaftes zusammensetzen. N Zellen, welche Nebenstrahlen bilden. Die anscheinend kernlose Lage, welche der Pulpa zunächst liegt, und welche die Furchen zwischen den Längsleisten größtentheils einnimmt, kann viel- leicht die sogenannte »homogene Grenzschicht« sein. Allein in diesem Stadium habe ich die Pulpa nicht in die Furchen sich erstrecken sehen. Hier und da aber erstreckt sich die Pulpa nach außen zwischen zwei Leisten und dann ist die Fortsetzung dieser oben erwähnten Lage nach außen an den Seiten der Leisten kaum zu bemerken. Querschnitt durch die Basis einer sich entwickelnden Schwungfeder eines Kanarienvogels. Nicht weit von dem »Umbilicus«. Tafel XXIV. Querschnitt durch denselben Federkeim, ein wenig weiter oben ge- führt. D dorsale Seite. V ventrale Seite. S Längsleisten, welche die Strahlen bilden. Querschnitt durch denselben Federkeim, noch weiter aufwärts. D dor. sale Seite. V ventrale Seite. Sch Schaft. S in Entwicklung begrif- fene Strahlen. Theil des letzten Querschnittes, stärker vergrößert. Sch Schaft. S centrale Masse der Intermediärzellen der Längsleisten, welche den Strahl bildet. Die Verdiekung des äußersten Endes dieser centralen Masse ist eine vorübergehende Erscheinung. F Längsfurche. N la- terale Zellen der Längsleisten, welche die Nebenstrahlen bilden. Theil eines Querschnittes durch denselben Federkeim, noch weiter oben geführt, zwei Strahlen und die Hälfte des noch nicht vollkommen entwickelten Schaftes darstellend. Ein dritter Strahl steht eben im Begriff, sich an den Schaft anzuschließen. Sp Spina calami. R.Sch Rindensubstanz des Schaftes. M.Sch Marksubstanz des Schaftes. 642 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 21. 22. 23. 24, 25. Bir 28. H. R. Davies Z Zellen, welche die Hornscheidewände {Cloisons transversales CU- VIER) zwischen je zwei benachbarten Strahlen bilden. R.S Rinden- substanz des Strahles. M.S Marksubstanz des Strahles. N Neben- strahlen. Ein Querschnitt durch einen Strahl, nicht sehr weit von seiner Spitze. Von der ventro-lateralen Seite desselben Querschnittes genommen, welcher in der vorigen Figur theilweise dargestellt wurde. S Strahl. N Nebenstrahlen. Z Zellen zwischen der Federscheide und dem Strahl, welche in Zusammenhang mit den Cylinderzellen zu stehen scheinen und welche möglicherweise die »Membrane striee externe« von CUVIER bilden. Längsschnitt durch einen Strahl einer in Entwicklung begriffenen de- finitiven Feder eines Steatornisnestlings. N Nebenstrahlen. Querschnitt durch einen Strahl einer in Entwicklung begriffenen de- finitiven Feder eines Steatornisnestlings. H.A hornige Lagen, welche die Wände der Hornkappen der Seele bilden werden. 4.8. W unvoll- kommene Hornscheidewand zwischen benachbarten Strahlen. S Strahl. N Nebenstrahlen. Schematische Darstellung der Art und Weise, in welcher die Neben- strahlen sich ausbreiten, sobald der Strahl frei wird. Diese Figur sollte mit Fig. 20 verglichen werden, und es muss dabei daran er- innert werden, dass die Seite des sich entwickelnden Strahles, welche der Pulpa zunächst liegt, die untere Seite des fertigen Strahles bildet. S Strahl. N Nebenstrahlen. Ein Theil eines Strahles einer Kanarienvogelfeder, von unten ge- sehen. S Strahl. N.V Nebenstrahlen der vorderen Reihe. N.H Nebenstrahlen der hinteren Reihe. H Häkchen. Schematisches Bild eines definitiven Federkeimes, welcher längs der ventralen Fläche aufgeschnitten ist, dessen Wände zurückgelegt sind und dessen Pulpa ‚entfernt ist, um seine innere Fläche zu zeigen. U Ränder des Uwbilicus. V die Schnittflächen, welche der Mittel- ventrallinie des Federkeimes entsprechen. Sch Seite des Schaftes. S Längsleisten, welche die Strahlen bilden. Die Linie A deutet die Höhe des in Fig. 16 dargestellten Schnittes an, die Linie B die des in Fig. 17, die Linie C die des in Fig. 18 und die Linie D die des in Fig. 20 dargestellten Schnittes. dA, B, C, D schematische Darstellung der Entwicklung der unteren dickeren Theile des Schaftes in verschiedenen Höhen, und der .Be- ziehungen des Schaftes zur Spule. Sp.C Spina Calami. 1.2.3 drei successive Stadien in der Entwicklung des Schaftes, bevor die beiden Seiten sich in der Mittellinie treffen. P.Z Pulpahöhlung. P.II Theil der Pulpahöhlung, welche-innerhalb des Schaftes eingeschlossen wird. S Strahlen. C Calamus. Ms Markschenkel der Spule. & Hohlrinne. Längsschnitt durch die Basis der Spule einer ausfallenden Feder und durch den neuen Federkeim, welcher sich eben unter ihr entwickelt. C Spule. H.g.w unterste Hornquerwand der Seele. Tafel XXV und XXVI. Längsschnitt durch eine atrophirende Dunenpapille kurze Zeit vor dem /Entwiekl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 643 g. 32. ug vs . vs ow ot . 36. 1 37. 139. 140. . 33. 34. Ausschliipfen, und durch die Einsenkung an ihrer Basis, in welcher die erste definitive Feder sich bildet. R.P rudimentäre Dunenpapille. Hs Hornschicht der Haut. Längsschnitt durch eine ähnliche Einsenkung 8—10 Tage nach dem Ausschliipfen. Die rudimentäre Papille ist abgeworfen worden. A.H äußerste hornige Lagen der Haut. C centrale Höhlung, durch welche nachher die sich entwickelnde definitive Feder aufwärts wächst. Skizze der Vorderfliiche eines TaubenfuBes. Die kleinen Federn am Lauf sind kurz abgeschnitten, um die verdickten Erhebungen der Haut um ihre Ansatzstellen zu zeigen. An vielen der Halbringe der Zehen sind Federrudimente als kleine Hervorragungen zu sehen. Längsschnitt durch eine der verdickten Hauterhebungen auf der obe- ren Fläche der Zehe eines Taubennestlings und durch eine kleine, auf dieser Erhebung gelegene, in Entwicklung begriffene definitive Feder. Z verdickte Epidermis. A Hornkappe. Längsschnitt durch die Haut an der Seite des Laufes eines frisch aus- gebriiteten Taubennestlings von der nichtfederfüßigen Art. Das Bild zeigt vier Verdickungen, welche von einander durch Rinnen getrennt sind. R.F rudimentärer Federkeim. Liingsschnitt durch die Haut einer frisch ausgebriiteten Ente am Uber- gangspunkt von Federn zum Lauf. Vier kleine Dunenfedern sind ge- troffen. Schnitt durch eine der flachen Hautpapillen, welche als erstes Sta- dium der Stachelentwicklung sich finden. Hs Intermediärzellen der erstgebildeten Hornschicht. P Ansammlung von Dermazellen. Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das zweite Stadium der Stachel- entwicklung zeigend. Hs erstgebildete Iutermediirzellen der Horn- schicht. $.I sekundär gebildete Intermediärzellen der Einsenkung. P Ansammlung von Dermazellen. Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das dritte Stadium der Stachelent- wicklung zeigend. Die Epitrichialschicht ist in diesem Schnitt, wie auch im folgenden, nicht deutlich zu erkennen. H.S Hornschicht. S.I Intermediärzellen der Einsenkung. P Ansammlung von Derma- zellen. Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das vierte Stadium der Stachelent- wicklung zeigend. Hs Hornschicht. S.Z Intermediärzellen der Ein- senkung. Cys.H Cylinderzellenschicht des Haarkeimes. Sch oberste Zellenlagen des Haarkeimes. Schnitt durch ein Stück Igelhaut, das fünfte Stadium der Stachelent- wicklung zeigend. Hs Hornschicht. D.Z degenerirende Intermediär- zellen. R& im Centrum gebildeter Raum. 7a das erste Zeichen der Talgdriisen. W.K wachsende Krempe. Cys.H Cylinderzellenschicht des Haarkeimes. J.H Intermediärzellen des Haarkeimes. Ob Ober- häutchen des Stachels. Sch oberste Haarkeimlagen von etwas abge- platteten Zellen. Längsschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel und seinen Follikel in dem sechsten Entwicklungsstadium. Hs erstge- bildete Hornschicht. Ss. Fl Schleimschicht des Follikels. 7a Talg- driisen. Sch Scheide. S Stachel. Sp Spitze des Stachels. 644 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 49. 41. 42. 43. 44, 45. 46. 47. 48. H. R. Davies Längsschnitt durch die Gegend der wachsenden Krempe eines in E “I wicklung begriffenen Stachels im sechsten Entwicklungsstadium. 1A- Intermediärzellen desselben. Ob Oberhiiutchen. Sch Scheide. Cys) Cylinderzellenschicht des Follikels. Etwas schräg verlaufender Querschnitt durch einen in Entwieklung begriffenen Stachel, ungefähr in demselben Stadium, wie es Fig. 40 darstellt. -Der Schnitt soll gerade oberhalb der Gegend der wachsen- den Krempe liegen und zeigt, wie die Längsleisten entstehen. Die Seite 7 liegt tiefer als die ihr gegenüber liegende. Sch Scheide. Ob Oberhiiutchen des Stachels. Querschnitt durch denselben in Entwicklung begriffenen Stachel, in größerer Höhe geführt. Cys.Fl Cylinderzellenschicht des Follikels. Hen.S HENLE'sche Schicht. Huxr.$ Huxtrv'sche Schicht. Z Lage kleiner abgeplatteter Zellen, unmittelbar außerhalb des Oberhäutchens. I verhornende Intermediärzellen. . Theil eines Längsschnittes in einem nur wenig späteren Stadium, als es Fig. 40 darstellt. Zux.S HuxLeEyY’sche Schicht. Hen.S HENLE’sche Schicht. J.a.W Intermediärzellen der äußeren Wurzelscheide. Cys Cylinderzellenschicht der äußeren Wurzelscheide. 7a Talgdriisen. Theil eines Längsschnittes, ungefähr in demselben Stadium, wie ¢s die vorige Figur zeigt, aber in geringerer Höhe geführt. Der Stachel ist weggebrochen und die Fasern der inneren Wurzelscheide sind etwas aus einander gerissen. 4. W äußere Wurzelscheide. J.W innere Wurzelscheide. Theil eines Qnerschnittes durch Balg und innere und äußere Wurzel- scheide in einem späten Entwicklungsstadium. Die Huxrey'sche Schicht ist theilweise von der HEnLE’schen getrennt. A.W äußere Wurzelscheide. Hen.S Hente’sche Schicht. Hux.S HuxLey'sche Schicht. Längsschnitt durch die eben in Verhornung begriffene Rindensubstahz eines Stachels, um die über einander greifenden Oberhäutchenzellen fu zeigen. Ob Oberhiutchen. Untere Hälfte eines Längsschnittes durch einen in Entwicklung sriffenen Stachel im siebenten Entwicklungsstadium. Die Basis aus der geraden Linie gebogen und desshalb etwas schräg dur schnitten. Dieser basale Theil darf nicht für die Zwiebel gehalien werden. 4.W äußere Wurzelscheide. J.W innere Wurzelscheide. Rs Rindenschicht des Stachels. Rs.Z Rindenschichtlamelle. Pd leisten ausbreitet. X Punkt, wo die einwärts wachsenden Längslei sich in der Mittellinie treffen. JZ Intermediiirzellen, welche im Begtiff sind, sich in Markzellen umzuwandeln. J/ Markzellen. Querschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel. spricht einem Schnitt in der Höhe der Linie 4—B der vorigen Fi A.W äußere Wurzelscheide. Hen.S HEntE’sche Schicht. Z:@. Huxtey’sche Schicht. ZR.s Rindenschicht des Stachels. Rs.ZL denschichtlamelle. ZZ Längsleiste, aus Cylinderzellen und Interhe- diärzellen bestehend. C.P centraler Abschnitt der Pulpahöhlung. L.P einer der lateralen Abschnitte der Pulpahöhlung. zen / Morpholog. Ja Fig.1B. Tith.Anstv.E.A Funke, Leipzig. « N: Morpholog. Jahrb. Bd. XV. Verlag v Wilh. Engelmann in Leipzig Iith Ansty E.A Funke leipzig, ee. sn a Fig 278. u py Me ger ail mae BU ı | [4 Tthdnst EA Funke ‚Inpatg- = &' “4 5 i = : 3 = Taf XXV. Morpholog. Jahré\ Lith Anst-v.5,A Funke Leipzig. Cys VASE x y ._ FR EL Cys Fl Hen 5. 7 Verlag Wilh Engelmann in Leipzig u Lıth.Anst v B.A Funke, Leipzig, Taf XXV/. ‘ LithAnst v.E.A.Funke,Leipzig. Verlag v. Wilh. Engelmann in Leipzig. ’ “ ‘ ’ 5 es » 1 J : - Nr . 1 i . . 2 Pr ‘ - - rs - a 5 fir F \ = re, x 2 be : > . 5 4 . are“ . R , r . . A 1 ie 1 ~ — > ™ ‘ u 2 EEE, 4 7 . “ —- = v ‘ a a . 4 . I ud, £ < N , ES - 2 : e ir e N , x - pr — ‘ ~ } r 2 “ a a eee ee : NE, BER . we > Die Entwickl. der Feder u. ihre Beziehungen zu anderen Integumentgebilden. 645 Fig. 50. wol, 02, . 53, Querschnitt durch einen in Entwicklung begriffenen Stachel. Ent- spricht einem Schnitt in der Höhe des Punktes X der Fig. 48. Rs Rindenschicht des Stachels. Rs.Z Rindenschichtlamelle. Z.P oberster Theil eines lateralen Abschnittes der Pulpahöhlung. JZ centrale Masse der Intermediärzellen. /.M Intermediärzellen, welche im Begriff sind, sich in Markzellen umzuwandeln. Die beiden letzten Querschnitte wurden durch pigmentirte Stacheln geführt. Kleine Erstlingsdune vom Schenkel (Dromaeus). Ein paar mal ver- größert. Sch Schaft. Sp Spule. Querschnitt eines der größeren Haare beim Igel. 2s Rindenschicht. Ms Marksubstanz. Haar eines Ochsen, 5—6mal vergrößert. Kd Kolben. Ms Achse von Marksubstanz. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. Von G. v. Koch. Mit 1 Figur im Text. Die Arbeiten über Korallen. besonders so weit sie Anatomie und Entwicklungsgeschichte betreffen, sind wegen der Schwierigkeiten, mit welchen die Erlangung von genügendem Material verbunden ist, häufig vom Zufall abhängig. Eine einfache Untersuchung irgend einer bisher nicht lebend oder nur dem Skelet nach bekannten Art hat oft die weittragendsten Resultate geliefert, während zur Beant- wortung einer scheinbar klar liegenden Frage jahrelange Arbeiten nicht ausreichten. Ich war nach Möglichkeit bestrebt, in meinen bisherigen Ver- Offentlichungen nur solche Thatsachen und Schlüsse mitzutheilen, welche sich in gewisser Weise zu einem Ganzen abrunden ließen und so einen, wenn auch noch so kleinen Schritt vorwärts in der Erkenntnis bedeuten. Neben den vielen Einzelbeobachtungen, die zu genannten Arbeiten die Grundlage bilden, hat sich nun, wie aus oben stehenden Zeilen sich schließen lässt, bei mir eine Menge von Notizen und Zeichnungen angesammelt, die mit jedem Jahre zu- nimmt und deren weitere Verarbeitung immer mehr in die Ferne rückt. Nach langem Überlegen habe ich mich entschlossen, eine Reihe dieser Einzelheiten in Form kurzer Notizen unter oben stehendem Titel zu publieiren, und hoffe ich, dass wenigstens einige davon an- deren Korallenforschern als Rohmaterial willkommen sein werden. Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 647 1. Zwei Entwicklungsstadien von Pteroides spinulosus. Von der Entwicklungsgeschichte der Pennatuliden ist außer der gründlichen und ausführlichen Arbeit Wırson’s über Renilla, die aber eine ziemlich abweichende Form darstellt, nur sehr Weniges bekannt. Mir lagen von Pteroides zwei Stadien in konservirtem Zu- stand vor, die ich durch Herrn SALVATORE Lo Branco in Neapel er- halten habe und welche gleichzeitig, am 19. Oktober 1886, die Mutter- kolonie verlassen hatten. Das jüngere Stadium, von kugeliger oder nur wenig elliptischer Gestalt, zeigte auf Querschnitten eine ganz ähnliche Struktur wie die Gorgonienlarven (resp. Eier), welche ich in Taf. X Fig. 12 und 13 meiner Monographie abgebildet und auch beschrieben habe und scheint mir wenig Interesse zu haben. Das ältere Stadium besaß eine mehr eiförmige Gestalt und hatte, wie aus einigen Querschnittserien hervorging, schon acht Paries, ein deutliches Schlundrohr und eine ganz ähnliche Längsscheidewand, wie die von Wırsox bei den Larven von Renilla beschriebene. Die von mir in Querschnittserien zerlegten Exemplare stimmten so weit mit einander überein, dass ich sie ganz gegen meine anfängliche Erwartung oder besser Hoffnung unter einander für gleichalterig halten muss und die Beschreibung der einen auf alle anderen passt. — Die Schnitte, zunächst dem oralen Ende (vel. Fig. I)!, zeigen das Ektoderm (e) etwas diagonal geschnitten und daher viel breiter als eigentlich seine Dicke beträgt. Nach in- nen ist es ziemlich unregelmäßig begrenzt. Der Innenraum ist ganz von Entodermzellen ausgefüllt. Diese haben eine polyedrische Ge- stalt, deutlichen Kern und sind von einander durch sehr feine, aber doch scharfe Linien geschieden. Parietes sind, wie bei allen Pen- querschnitte durch eine Larve natuliden, acht vorhanden. Sie erscheinen ‚vor Ptercides. e Ektoderm, n 4373 4 Entoderm, o Schlund, % Höhlung, als dünne, aber scharfe Linien, die manch- s Längsscheidewand, Die Zell- mal winklige Abweichungen von der geraden ®"°"”° paler rics Pe Richtung bemerken lassen und die direkt ! Die Abbildungen sind möglichst vereinfacht, nur die Kontouren der ein- zelnen Schichten sind angedeutet, die Parietes sind im Verhältnis zur Größe der Bilder noch etwas zu dick angegeben. 648 G. v. Koch in die Mesodermlamelle an der Peripherie und nach innen hin (Öso- phagus) übergehen. Sie machen den Eindruck, als seien sie dadurch entstanden, dass in acht Doppelreihen von Entodermzellen sich die trennenden Zellwände nahezu in einer Ebene angeordnet hätten. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man sieht, wie sich ein Theil der übrigen Zellwände senkrecht zu den Parietes stellt. Der Schlund ist auf diesen Schnitten nicht rund, sondern etwas in die Länge gestreckt und sind die Parietes, wie Fig. I zeigt, symmetrisch zu seiner Längsachse vertheilt. Weder eine Mundöffnung noch ein Lumen des Schlundes ist vorhanden, nur einmal sah ich eine zarte Linie, welche vielleicht die Stelle andeutete, wo später die den. Schlund auskleidenden Zellen aus einander weichen, in allen übri- gen Fällen fand ich im Centrum unregelmäßige, eine Art von Pa- renchym darstellende, polyedrische Zellen, deren Kontouren erst nach außen hin etwas regelmäßiger werden, so dass die dem Mesoderm direkt aufliegende Schicht als ein deutliches Cylinderepithel erscheint. Letzteres hebt sich auch durch etwas intensivere Färbung von den übrigen Zellen ab. Schnitte etwas weiter nach hinten (vgl. Fig. II) unterscheiden sich von den vorhergehenden vor Allem durch ihren größeren Durch- messer und das schmälere Ektoderm, dessen Zellen jetzt mit ihrer Längsachse in die Schnittebene fallen und desshalb auch deutlich ihrer Form nach zu erkennen sind. Sie bilden ein Prismenepithel zwischen dem sich meistens basal, nicht selten aber auch etwas nach der Peripherie hin gerückt, rundliche Elemente finden. Der Ösophagus ist jetzt ziemlich regelmäßig achteckig gestaltet, wird aber etwas weiter nach dem aboralen Ende zu meist sechseckig. Die acht Parietes sind ursprünglich regelmäßig radial gestellt; um ibre Veränderungen leichter beschreiben zu können, wollen wir die vier auf jeder Seite von unten nach oben (Abb. II) mit 7, 2, 3 und 4 bezeichnen. / und / rücken mit jedem Schnitt aboralwärts weiter aus \ einander (mittleres Stadium Fig. II), bis sie endlich in einer Geraden zu liegen kommen. # und 4 werden undeutlich, so dass verhältnis- mäßig bald nur noch: Spuren von ihrem peripherischen Theil vor- handen sind, länger erhalten sich 2 und 3. Das Entoderm zeigt wenig Veränderung, fast bei allen Exemplaren ist es in dem Inter- parietalraum /—/ in der Mitte ausgehöhlt, oft regelmäßig, ‘wie bei Fig. II, manchmal ist der Kontour der Höhlung auch lappig, einmal sah ich in der Höhlung einen unregelmäßigen Zellhaufen. Besonders interessant sind die Schnitte durch das Ende des Kleinere Mittheilungen über Anthozoen. 649 Schlundes. Hier werden zuerst die Parietes 2 und 3 undeutlich, darauf auch die dünne Stützlamelle, so dass im Centrum nichts übrig bleibt als ein gleichmäßiger Haufen von Entodermzellen, an den von beiden Seiten die Paries /, / heranragen. Einige Schnitte weiter sind letztere mit einander in der Mitte verschmolzen zu der schon oben erwähnten Scheidewand. An einigen Larven traf ich ein Stadium, bei dem der Schnitt durch diese Scheidewand noch als einfache Linie erschien, der einzelne »Zellkerne« dicht anlagen, erst an den folgenden Schnitten trat ein zweiter Kontour auf, bei den meisten anderen Larven dagegen sah ich gleich den Kontour in der Mitte doppelt (Fig. III) und zwischen den beiden Linien kleine Zellen. Einen Schnitt etwas hinter dem Ösophagusende stellt Fig. III dar. Die weiteren Schnitte von hier bis zum aboralen Ende bieten wenig Erwähnenswerthes. Von den Paries (außer 7, /) treten nirgends mehr Spuren auf. die Scheidewand S bleibt deutlich bis zum Ende, die Entodermhöhlen % (eine zweite ist kurz nach Ende des Schlundes dazu gekommen) setzen sich mit mancherlei Unregel- mäßigkeiten noch ziemlich weit fort, bis endlich das ganze Entoderm wieder solid wird (Fig. IV). Hier verschwinden auch die Zellen in der Längsscheidewand und dieselbe erscheint auf dem Querschnitt als einfache Linie. Das Wichtigste in vorstehender Beschreibung lässt sich zusammen- fassen wie folgt: Die Längsscheidewand S entsteht durch centrale Verschmelzung der Paries /, /, die in ihr liegenden Zellen entstam- men wahrscheinlich dem Entoderm, doch ist durch die Beziehungen der Scheidewand zum Ösophagus auch die Möglichkeit einer Ent- stehung aus dem Ektoderm gegeben. Der Hohlraum der Larve wird durch die Scheidewand in zwei Theile getheilt, von denen der eine dem einzigen Interparietalraum /—/, der andere den übrigen sieben Interparietalräumen entspricht. Te Fe! ers iT Mihiv ws er Bia ee A ee: ge tae? seh hi ‘ r € % Mi A f pee. 2 4? Mn HK E f f 44 Wey Rede ki Inf ti or ty P ‘i nl mihi vers ‚N Nut Hi . Lu Dr RZ : A Hite ah Aire “4 AD) ‘ tte, aids Dae j - wt ix! ’ ; * A vg fa [ ie . 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